Herzstillstand Schock
Inhaltsübersicht
Kardiologie/Angiologie Pneumologie Gastroenterologie Nephrologie Wasser und Elektrolyte
Na+ K+
Hämatologie Infektionen Rheumatologie Neurologie Kopfschmerzen Synkopen, Koma Geriatrie Vergiftungen Endokrinologie Diabetes Physikalische Einwirkungen Psychiatrie Hals, Nase, Ohren Mund, Zähne Haut, Haare Auge Technik Pharmakotherapie
?
Internistische Notfälle Sicher durch die Akutsituation und die nachfolgenden 48 Stunden Herausgegeben von Ronald A. Schoenenberger, Walter E. Haefeli und Jürg A. Schifferli Begründet von Fritz Koller und Konstantin Neuhaus Mitherausgeber der 6. und 7. Auflage: Niklaus E. Gyr Mit Beiträgen von Andreas Arnold Peter Bärtsch Stefano Bassetti Edouard Battegay Manuel Battegay Christoph Beglinger Andreas J. Bircher Andreas Bock Daniel Bodmer Andreas Buser Peter T. Buser Adam Czaplinski Lukas Degen Michael Dickenmann Christian E. Elger Susanna Fistarol-Bohn Ursula Flückiger Thomas Gasser Alois Gratwohl Daniel Grob Niklaus E. Gyr Walter E. Haefeli
Peter Häusermann Paul Hasler Christoph Hatz Richard Herrmann Wolfgang Herzog Patrick Hunziker Peter Itin Kurt A. Jäger Ladina Joos Zellweger Christoph A. Kaiser Ludwig Kappos Ulrich Keller Malte Kelm Ti-Sun Kim Alexander Kiss Martin J. Koch Marius Kränzlin Hugo Kupferschmidt Wolf Langewitz Thomas Lauer John Lory Philippe Lyrer
German A. Marbet Christian Meier Johannes Mente Jürg Messerli Peter Meyer Elisabeth Minder Beat Müller Christoph Nikendei Reto Nüesch Stefan Osswald André P. Perruchoud Thorsten Pfefferle Matthias E. Pfisterer Martin von Planta Christine Rauber-Lüthy Peter Rickenbacher Beat Schär Kathrin Scherer Marc Schmitter Ronald A. Schoenenberger Andreas Schulte Vedat Schwenger
8., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 243 Abbildungen 135 Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Markus Solèr Hans-Jörg Staehle Matthias Stahl Andreas J. Steck Jürg Steiger Christian Sticherling Andreas E. Stuck Matius P. Stürchler Michael Tamm Miriam Thumshirn André Tichelli Berta Truttmann Alan Tyndall Wolfgang Ummenhofer Maja Weisser Andreas W. Widmer Markus Wolfensberger Martin Zeier Lukas Zimmerli Werner Zimmerli
IV
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 1974 2. Auflage 1976 3. Auflage 1981 4. Auflage 1987 5. Auflage 1992 6. Auflage 1999 7. Auflage 2003 1. italienische Auflage 1978 1. slowakische Auflage 1979 2. slowakische Auflage 1982 1. spanische Auflage 1980 2. spanische Auflage 1986 1. französische Auflage 2004
© 2009 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 D-70469 Stuttgart Telefon: + 49/0711/8931-0 Unsere Homepage: http://www.thieme.de Printed in Germany Zeichnungen: Barbara Gay, Stuttgart und Heike Hübner, Berlin Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach Satz: Ziegler und Müller, text form files, Kirchentellinsfurt Satzsystem: 3B2, V. 9 Druck: Westermann Druck Zwickau GmbH, Zwickau ISBN 978-3-13-510608-3
1 2 3 4 5 6
Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handele. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
V
Vorwort
Mit der 8. Auflage der Internistischen Notfälle halten Sie ein komplett überarbeitetes Standardwerk in Händen, das in gewohnt strukturierter Form den Leser sicher durch Diagnostik und Therapie akuter Notfälle leitet. Wiederum sind komplexe diagnostische und therapeutische Vorgehensweisen zeitsparend in Entscheidungsbäumen dargestellt und die Evidenz aller wichtigen Empfehlungen in Evidenzgraden ausgewiesen (vgl. Abbildung auf S. VI) und (Internet) referenziert. Unverändert soll das Buch nicht nur die unmittelbare Notfallversorgung unterstützen, sondern auch eine sichere Planung der nachfolgenden 24 Stunden ermöglichen. Die Visualisierung wichtiger Inhalte wurde um zahlreiche schematische Darstellungen ergänzt und der photografische Bildteil erheblich erweitert. Darüber hinaus wurden mit Kapiteln zu Notfällen der Haut, des Auges, des Hals-Nasen-Ohren- und MundZahn-Bereichs neue Inhalte in das Buch aufgenommen, die häufig Anlass zu Notfallkonsultationen geben und wegen ihrer Bedrohlichkeit rasch erkannt und richtig versorgt werden müssen. Außerdem wurde neu ein Kapitel zur Arzneimittelverabreichung aufgenommen, das für die wichtigsten Verabreichungswege die erfolgsentscheidenden Applikationsprinzipien beschreibt und ausführlich visualisiert. Mit seiner Emeritierung ist mit Niklaus E. Gyr ein wichtiges Mitglied des Herausgeberteams ausgeschieden. Sein Enthusiasmus und seine Visionen haben dieses Buch über viele Jahre geprägt und dessen Entwicklung in zahllosen Aspekten beflügelt. Ohne ihn wäre das Buch nicht das, was es sein soll, ein prozessorientiertes, konzises Werk, das praxisnah die essentiellen qualitätsbestimmenden Schritte der internistischen Notfallversorgung und ihrer Randgebiete darstellt. Hierfür und für die fröhlich-kollegiale Art, in der dies geschehen konnte, bedanken wir uns sehr herzlich.
Unser Dank gilt aber auch allen Koautoren, die oft bereits seit Jahren bereit waren, ihren Text der Zielsetzung dieses Buchs unterzuordnen und an die bewährte Struktur anzupassen, wie sie von den Begründern dieses Werks, Prof. Dr. Fritz Koller und Dr. Konstantin Neuhaus, entwickelt worden war. In ganz besonderem Maße gilt unser Dank aber auch Feodora Hinz, die wiederum mit Feuer und Flamme die Organisation der umfangreichen redaktionellen Arbeiten koordiniert und mit Augenmaß und Liebe zum Detail die Entstehung dieses Werks vorangetrieben hat. Möge dieses Werk die Arbeit vieler Kollegen in den entscheidenden Minuten eines Notfalls erleichtern.
Solothurn Heidelberg Basel im November 2008
Ronald A. Schoenenberger Walter E. Haefeli Jürg A. Schifferli
VI
Vorwort
Studienmethodik valide und verfügbare Ergebnisse klinisch bedeutungsvoll
Nein
Studiendesign
Ja RCT (Randomized Controlled Trial) oder Metaanalyse von RCTs
Nein
Kohortenstudie oder Fall-Kontrollstudie oder Nein nicht randomisierter CT oder deren Metaanalysen
Ja
Therapieempfehlung
Übertragbarkeit der Resultate
Ja
Fallserie
Nein
Ja
Expertenmeinung (z.B. extrapoliert aus Grundlagenforschung)
Ja
untersuchtes Kollektiv repräsentativ für Patienten einer internistischen Notfallstation
Ja
Nein
EG-A
Ja
Nein
EG-B EG-B
Ja
Nein
EG-C EG-C
EG-D EG-D
Algorithmus zur Charakterisierung der Qualität der vorhandenen Evidenz (RCT: Randomized Controlled Trial; CT: Controlled Trial; EG: Evidenzgrad).
VII
Anschriften
Dr. med. Andreas Arnold Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Peter Bärtsch Abteilung Innere Medizin VII Sportmedizin Medizinische Universitätsklinik Heidelberg Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg Priv. Doz. Dr. med. Stefano Bassetti Medizinische Klinik Kantonsspital Olten Baslerstraße 150 4600 Olten, Schweiz Prof. Dr. med. Edouard Battegay Klinik und Poliklinik für Innere Medizin Universitätsspital Zürich Rämistraße 100 8091 Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Manuel Battegay Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Christoph Beglinger Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Andreas J. Bircher Allergologische Poliklinik Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Andreas Bock Abteilung Nephrologie Kantonsspital Aarau 5001 Aarau, Schweiz Prof. Dr. med. Daniel Bodmer Hals-Nasen-Ohren-Klinik Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Andreas Buser Blutspendezentrum SRK beider Basel Hebelstraße 10 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Peter T. Buser Klinik für Kardiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. Adam Czaplinski Klinik für Neurologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Lukas Degen Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
VIII
Anschriften
Priv. Doz. Dr. med. Michael Dickenmann Klinik für Transplantation-Immunologie und Nephrologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Walter E. Haefeli Abteilung Innere Medizin VI Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie Medizinische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Christian E. Elger, FRCP Klinik für Epileptologie Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53127 Bonn
Prof. Dr. med. Paul Hasler Rheumaklinik und Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation Kantonsspital Aarau Tellstraße 5001 Aarau, Schweiz
Dr. med. Susanna Fistarol-Bohn Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Ursula Flückiger Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Thomas Gasser Urologische Universitätsklinik Basel-Liestal Kantonsspital Rheinstraße 26 4410 Liestal, Schweiz Prof. Dr. med. Alois Gratwohl Hämatologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Daniel Grob, MHA Stadtspital Waid Klinik für Akutgeriatrie Tièchestraße 99 8037 Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Niklaus E. Gyr Academy of Swiss Insurance Medicine Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Christoph Hatz Medizinische Abteilung Schweizerisches Tropeninstitut Socinstraße 57, Postfach 4002 Basel, Schweiz Dr. med. Peter Häusermann Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Richard Herrmann Klinik für Onkologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Wolfgang Herzog Abteilung Innere Medizin II Psychosomatische und Allg. Klinische Medizin Medizinische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg Priv. Doz. Dr. med. Patrick Hunziker Klinik für Intensivmedizin Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Anschriften Prof. Dr. med. Peter Itin Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Kurt A. Jäger Klinik für Angiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. Ladina Joos Zellweger Klinik für Pneumologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Christoph A. Kaiser Klinik für Kardiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Ludwig Kappos Neurologische Klinik und Poliklinik Universitätsspital Basel Bereich Medizin Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Ulrich Keller Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Malte Kelm Medizinische Klinik 1 Kardiologie, Pneumologie und vaskuläre Medizin RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52057 Aachen
IX
Priv. Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Ti-Sun Kim Sektion Parodontologie Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Alexander Kiss Klinik für Psychosomatik Bereich Medizin Universitätsspital Basel Hebelstraße 4 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Martin J. Koch Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Priv. Doz. Dr. med. Marius Kränzlin Endokrinologische Praxis und Labor Missionsstraße 24 4055 Basel, Schweiz Dr. med. Hugo Kupferschmidt Schweizer Toxikologisches Informationszentrum (STIZ) Freiestraße 16 8028 Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Wolf Langewitz Klinik für Psychosomatik Bereich Medizin Universitätsspital Basel Hebelstraße 2 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Thomas Lauer Medizinische Klinik 1 Kardiologie und Angiologie RWTH Aachen Pauwelsstraße 30 52064 Aachen Dr. med. John Lory Spital Netz Bern Ziegler Geriatrische Universitätsklinik Morillonstraße 75 3001 Bern, Schweiz
X
Anschriften
Prof. Dr. med. Philippe Lyrer Neurologische Klinik Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. German A. Marbet Hämostaselabor Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Christian Meier Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. dent. Johannes Mente Bereich Endodontologie und Traumatologie Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. med. Jürg Messerli Augenklinik Universitätsspital Basel Mittlere Straße 91 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. Peter Meyer Augenklinik Universitätsspital Basel Mittlere Straße 91 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Elisabeth Minder Zentrallabor Stadtspital Triemli Birmensdorferstraße 497 8063 Zürich, Schweiz Prof. Dr. med. Beat Müller Bereich Medizin Kantonspital Aarau Tellstraße 5001 Aarau, Schweiz
Dr. med. Christoph Nikendei Abteilung Innere Medizin II Psychosomatische und Allg. Klinische Medizin Medizinische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 410 69120 Heidelberg Priv. Doz. Dr. med. Reto Nüesch Infektiologie und Spitalhygiene Hirslanden-Klinik St. Anna St. Anna-Straße 32 6006 Luzern, Schweiz Prof. Dr. med. Stefan Osswald Klinik für Kardiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. André P. Perruchoud Klinik für Innere Medizin Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Thorsten Pfefferle, Zahnarzt Bereich für Endodontologie und dentale Traumatologie Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Matthias Pfisterer Klinik für Kardiologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Martin von Planta St. Johanns-Vorstadt 44 4056 Basel, Schweiz Dr. med. Christine Rauber-Lüthy Schweizerisches Toxikologisches Informationszentrum (STIZ) Freiestraße 16 8032 Zürich, Schweiz
Anschriften Prof. Dr. Peter Rickenbacher Abteilung für Kardiologie Bereich für Innere Medizin Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Bruderholz 4101 Bruderholz, Schweiz Dr. med. Beat Schär Klinik für Kardiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Dr. med. Kathrin Scherer Klinik für Dermatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Jürg A. Schifferli Klinik für Innere Medizin Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. dent. Marc Schmitter Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Ronald A. Schoenenberger Klinik für Innere Medizin Bürgerspital Solothurn/Spital Grenchen Schöngrün 4500 Solothurn, Schweiz Prof. Dr. med. dent. Andreas Schulte Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Priv. Doz. Dr. med. Vedat Schwenger Nierenzentrum Heidelberg Medizinische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 162 69120 Heidelberg
XI
Prof. Dr. med. Markus Solèr Klinik für Pneumologie St. Claraspital Kleinriehenstraße 30 4016 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Hans-Jörg Staehle Poliklinik für Zahnerhaltungskunde Mund-Zahn-Kiefer-Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400 69120 Heidelberg Dr. med. Matthias Stahl Medizinische Klinik Kantonsspital Olten Baslerstraße 15 4600 Olten, Schweiz Prof. Em. Dr. med. Andreas J. Steck Neurologische Klinik Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Jürg Steiger Klinik für Transplantationsimmunologie und Nephrologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Priv. Doz. Dr. med. Christian Sticherling Klinik für Kardiologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz Prof. Dr. med. Andreas E. Stuck Geriatrie Universität Bern Spital Netz Bern Ziegler Morillonstraße 75–91 3001 Bern, Schweiz Dr. med. Matius P. Stürchler, MBA Gilead Sciences Switzerland Sàrl Turmstraße 28 6300 Zug, Schweiz
XII
Anschriften
Prof. Dr. med. Michael Tamm Klinik für Pneumologie Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Dr. med. Maja Weisser Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Priv. Doz. Dr. med. Miriam Thumshirn Klinik für Gastroenterologie Innere Medizin FMH St. Claraspital Kleinriehenstraße 30 4016 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Andreas F. Widmer Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene Bereich Medizin Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. André Tichelli Hämatologielabor Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Markus Wolfensberger Hals-Nasen-Ohren-Klinik Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Dr. med. Berta Truttmann Klinik für Akutgeriatrie Stadtspital Waid Tièchestraße 99 8037 Zürich, Schweiz
Prof. Dr. med. Martin Zeier Nierenzentrum Heidelberg Medizinische Universtiätsklinik Im Neuenheimer Feld 162 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Alan Tyndall Rheumatologische Universitätsklinik Felix Platter-Spital Burfelderstraße 101 4055 Basel, Schweiz
Dr. med. Lukas Zimmerli Klinik und Poliklinik für Innere Medizin Universitätsspital Zürich Rämistraße 10 8091 Zürich, Schweiz
Prof. Dr. med. Wolfgang Ummenhofer Bereich Anästhesie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 4031 Basel, Schweiz
Prof. Dr. med. Werner Zimmerli Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Liestal Rheinstraße 26 4410 Liestal, Schweiz
XIII
Der Aufbau jedes Abschnitts folgt einem einheitlichen Raster.
Definition und Einteilung
ä berücksichtigt sind nur moderne und
international anerkannte Klassifikationen Pathophysiologie
ä stichwortartige Zusammenstellung der relevan-
ten Aspekte zum Verständnis der Notfallsituation Typische Krankheitszeichen
ä Auflistung der Symptome in der Reihenfolge
ihres Vorkommens ä pathognomonische Leitsymptome sind
zusätzlich hervorgehoben Differenzialdiagnose
ä Konzentration auf die häufigsten Differenzial-
diagnosen und solche mit besonders schwerwiegenden Folgen bei Nichtbeachtung Notfallanamnese
ä Zusammenstellung der entscheidenden Fragen
zur Vorgeschichte Notfalluntersuchung
immer unterteilt in ä klinische Diagnostik und ä apparative Diagnostik (in Klammern
die zu erwartenden Befunde) Therapie
immer unterteilt in ä lebensrettende Sofortmaßnahmen
durch den Arzt vor Ort ä Initialtherapie und weiterführende Betreuung
in den nachfolgenden 24 bis 48 Stunden Überwachung und Kontrollmaßnahmen
ä notwendiges Monitoring
Besondere Merkpunkte
ä wichtige Besonderheiten, Fallstricke,
(mögliche Komplikation in Klammern) praktische Informationen
XIV
Inhaltsverzeichnis
1
Herz-Kreislauf-Stillstand/ kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frühdefibrillation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 1
4.4
M. von Planta 4.5
2
Schock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
2.2
P. Hunziker, P. Rickenbacher Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks . . . . . . . . . . . . . 14 Einzelne Schockformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3
Kardiologie und Angiologie . . . . . . . . . . . . 27
3.1
Herzrhythmusstörungen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. Osswald, B. Schär, C. Sticherling Akute koronare Herzkrankheit . . . . . . . . . . . . . . . C. A. Kaiser, M. E. Pfisterer Linksherzinsuffizienz und Lungenödem . . . . . P. T. Buser Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Kelm, T. Lauer Dekompensierte Rechtsherzinsuffizienz . . .. P. T. Buser Herztamponade – Perikarderguss . . .. . . . . . . . P. Rickenbacher Obere Einflussstauung – V.-cava-superior-Syndrom .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . R. Herrmann Aortendissektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Rickenbacher Aneurysma der Aorta abdominalis . . .. . . . . . . . K. A. Jäger Akuter Arterienverschluss .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. A. Jäger Infektiöse Endokarditis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Hypertensive Krise . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Battegay, L. Zimmerli
2.1
4.6 4.7 4.8
3.2 3.3 3.4
3.5 3.6 3.7
3.8 3.9 3.10 3.11 3.12
107 110 111 114 116 122
27
5
Gastroenterologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
55
5.1
62
5.2
Akute Dysphagie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, L. Degen Akutes Abdomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, L. Degen Spezielle Formen des akuten Abdomens . . C. Beglinger, L. Degen Akute Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, L. Degen Akute Blutung aus dem unteren Gastrointestinaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, L. Degen Proktologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beglinger, L. Degen Hepatische Enzephalopathie und Leberkoma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Thumshirn Spontane bakterielle Peritonitis . . . . . . . . . . . . M. Thumshirn Akute Porphyrien (akut intermittierende Porphyrie, hereditäre Koproporphyrie, Porphyria variegata) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Minder
5.3 65 5.4 75 77
5.5
79
5.6
81
5.7
85 5.8 88 5.9 93 97
4
Pneumologische Notfallsituationen 103
4.1
Stenosen der oberen Luftwege . . . . . . . . . . . . 103 A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm Aspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm
4.2
Akuter Asthmaanfall/Status asthmaticus . . A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm Reizgasinhalation . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm Pleuraerguss und -empyem . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Solèr Lungenblutung, Hämoptoe . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Solèr Respiratorische Insuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Solèr Pneumothorax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Solèr
125 127 131
142
146 147
148 151
153
6
Nephrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
6.1
Akutes Nierenversagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 A. Bock Akuter Harnwegsinfekt und Pyelonephritis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 U. Flückiger, M. Weisser
6.2
Inhaltsverzeichnis 6.3 6.4 6.5 6.6
Harnverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Gasser Urolithiasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T. Gasser Notfallsituationen in der Peritonealdialyse V. Schwenger, M. Zeier Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten . . .. . . . . . . . . . . . . . J. Steiger
169
8.10
170
8.11
173
8.12 8.13
177 8.14
7
Wasser-, Elektrolyt- und SäureBasen-Gleichgewichtsstörungen . . . 193
8.15
7.1
Hypovolämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Dickenmann Hyponatriämie . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Dickenmann Hypernatriämie . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Dickenmann Hypokaliämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Dickenmann Hyperkaliämie . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Dickenmann Störungen des Säure-BasenGleichgewichts . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Steiger Hyperkalzämie und Kalziumintoxikation (hyperkalzämische Krise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Kränzlin, C. Meier Tetanie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Kränzlin, C. Meier
8.16
7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
7.7
7.8
193
8.7 8.8
8.9
256 258 261
Infektionskrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
202
9.2
204
9.3
Fieber und Exanthem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Fieber bei immunkompromittierten Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Weisser, U. Flückiger Fieber bei Drogenabhängigen . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Osteomyelitis und infektiöse Spondylodiszitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Schwere Hautinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Nekrotisierende Weichteilinfektionen . . . . . . W. Zimmerli Infektionen nach Bissverletzungen . . . . . . . . . W. Zimmerli Infektionen nach Zeckenstich . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Tetanus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Botulismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Tollwut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Malaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ch. Hatz Pneumonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Tuberkulose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Fokale intrakranielle Infektionen . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Akute bakterielle Meningitis . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Tuberkulöse Meningitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli
206
9.4 9.5
211 213
Hämorrhagische Diathesen . .. . . . . . . . . . . . . . G. A. Marbet Koagulopathien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. A. Marbet Von-Willebrand-Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. A. Marbet Vaskuläre hämorrhagische Diathesen . .. . . G. A. Marbet Thrombozytäre Dysfunktion mit hämorrhagischer Diathese oder Hyperkoagulabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. A. Marbet Akute Transfusionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . A. Buser Hämolytische Anämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tichelli, A. Gratwohl Immunthrombopenische Purpura (ITP) . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tichelli, A. Gratwohl Agranulozytose . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gratwohl, A. Tichelli
8.6
255
9.1
8.1
8.5
253
9
9.6 9.7
8.4
250
199
Hämostase und Hämatologie . . . . . . . 216
8.3
249
196
8
8.2
Aplastische Anämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gratwohl, A. Tichelli Sichelzellerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tichelli, A. Gratwohl Thrombotische Mikroangiopathien . . . . . . . . A. Tichelli, A. Gratwohl Hyperviskositätssyndrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gratwohl, A. Tichelli Primäre Thrombozytose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Tichelli, A. Gratwohl Leukämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gratwohl, A. Tichelli Notfälle nach Stammzelltransplantation . . . A. Gratwohl, A. Tichelli
XV
216
9.8
220
9.9
231
9.10
232
9.11 9.12
234
9.13
237
9.14
239
9.15 9.16
243 9.17 245 9.18
263 265
268 272
274 277 280 282 284 289 291 293 296 299 306 310 316 321
XVI 9.19 9.20 9.21 9.22 9.23
9.24 9.25
9.26 9.27
Inhaltsverzeichnis Akute lymphozytäre Meningitis . . . . . .. . . . . . W. Zimmerli Spinaler epiduraler Abszess . . . . . . . . . . . . . . . . W. Zimmerli Infektiöse Durchfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N. Gyr Isolationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. F. Widmer Akzidentelle Stichverletzung und Kontamination durch potenziell infektiöse Körperflüssigkeiten . . . . . . . . . . . . . . A. F. Widmer Virale hämorrhagische Fieber (VHF) .. . .. . . A. F. Widmer Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . R. Nüesch, S. Bassetti, M. Battegay Inkubationszeiten wichtiger Infektionen . . M. P. Stürchler, W. Zimmerli Meldepflichtige Infektionskrankheiten .. . . M. P. Stürchler, W. Zimmerli
323 324 327 333
336
339
A. Tyndall, P. Hasler Akute Arthritiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute periartikuläre Schmerzen . . . . . . . . . . . Akute Rückenschmerzen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . Notfallsituationen bei Vaskulitis . . . . . . . . . . . Gelenkkapselruptur des Knies („Baker-Zysten-Ruptur“) . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .
Synkopen, Koma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
13.1 13.2
R. A. Schoenenberger Synkopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Koma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
Geriatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Sturz im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 J. Lory, A. E. Stuck Delir im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 D. Grob, B. Truttmann
380
15
Akute Vergiftungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8 15.9 15.10 15.11 15.12 15.13 15.14 15.15 15.16 15.17 15.18
H. Kupferschmidt, C. Rauber-Lüthy Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlafmittel und Tranquilizer . . . . . . . . . . . . . . . Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroleptika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Atropin und Derivate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H1-Antihistaminika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digoxin, Digitalisglykoside . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theophyllin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pestizide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kohlenmonoxid (CO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zyanide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwermetalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ätzstoffe (Korrosiva) . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kohlenwasserstoffe (KW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alkohole und Glykole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlangenbisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schlaganfall . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Lyrer Spontane Subarachnoidalblutung . . .. . .. . . P. Lyrer Chronisch subdurales Hämatom . . . . . . . . . . . P. Lyrer Thrombosen intrakranieller Venen und Sinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Lyrer Intrakranielle Drucksteigerung . . . . . . . . . . . . . P. Lyrer Epileptischer Anfall/Epilepsien/ Status epilepticus . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. E. Elger Akute idiopathische Polyradikulitis (Guillain-Barré-Syndrom, GBS) . . . . . . . . . . . . . A. J. Steck Wernicke-Enzephalopathie (Wernicke-Korsakow-Syndrom) . . . . . . . . . . . . A. J. Steck
11.8
13
423 426 428 429 430 430
14.1
11.1
11.7
L. Kappos Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Migräne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kopfschmerzen vom Spannungstyp . . . . . . . . Cluster-Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gutartiges Anstrengungskopfweh . . . . . . . . . . Neuralgien im Kopfbereich . . .. . . . . . . . . . . . . . .
14
Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
11.6
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6
367 371 372 376
11
11.5
Kopfschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
360
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
11.4
12
355
Rheumatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
11.3
Isolierte Nervenausfälle, Entrapment-Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 A. Czaplinski 11.10 Akuter spinaler Prozess (nichttraumatisches Querschnittssyndrom) . .. . . . . . . . 413 R. Herrmann 11.11 Schwindel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 L. Kappos
334
10
11.2
11.9
382 387 390
391 393
396
402
404
14.2
456 463 466 469 470 473 474 475 476 477 479 481 482 484 486 487 490 492
Inhaltsverzeichnis
XVII
16
Endokrinologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
20
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde . . . . . . . . 550
20.1
17
Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
17.1
Hyperglykämische Entgleisungen (diabetische Ketoazidose und hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung) . . U. Keller Laktatazidose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . U. Keller Hypoglykämien .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Stahl
Otitis externa acuta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Otitis media acuta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Cerumen obturans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Hörsturz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, L. Kappos Tubenbelüftungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Barotrauma des Ohrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Akutes Lärmtrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Epistaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer Sinusitis acuta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Schwere Gesichtsinfektionen . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Pharyngotonsillitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Para- und Retropharyngealabszess . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Epiglottitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, W. Zimmerli Laryngitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Wolfensberger, D. Bodmer
550
16.1 16.2 16.3
C. Meier, B. Müller Thyreotoxische Krise – „Thyroid Storm“ . . Myxödemkoma . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Nebennierenrindeninsuffizienz . .. . .
Mund und Zähne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akute Zahnschmerzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. J. Koch, J. Mente, H.-J. Staehle Akute Mundschleimhautveränderungen . . . T.-S. Kim, H.-J. Staehle Zahnverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Mente, T. Pfefferle, H.-J. Staehle Akute Funktionsstörungen des Kiefergelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schulte, M. Schmitter, H.-J. Staehle
563 563
494 496 498
20.2 20.3
17.2 17.3
20.4 500
20.5
505
20.6
508
20.7 20.8
18
Notfälle aufgrund physikalischer Einwirkungen . . . . . . . 511
18.1
Hitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Kälteschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Beinahe-Ertrinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Höhenkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Bärtsch Dekompressionsunfall .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenunfall) . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Elektrounfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer Blitzschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Ummenhofer
18.2 18.3 18.4 18.5 18.6
18.7 18.8
20.9
511 20.10 513 20.11 518 20.12 520 20.13 523 20.14
21 525
21.1
528
21.2 21.3
Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530
19.1
Anorexia nervosa und Bulimie . . . . . . . . . . . . . A. Kiss Der suizidale Patient . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Herzog, C. Nikendei Der erregte Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Herzog, C. Nikendei Der delirante Patient . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Herzog, C. Nikendei Panikattacken . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Langewitz Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . W. Herzog, C. Nikendei
19.3 19.4 19.5 19.6
553 553 554 555 555 556 557 558 559 560 561 561
524
19
19.2
552
530
21.4
531 535
22 22.1
538 22.2 540 22.3 543
22.4
Haut und Haare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erythema exsudativum multiforme . . . . . . . . K. Scherer, A. Bircher Toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) . . . . . . . K. Scherer, A. Bircher Anaphylaxie (allergische Reaktion) . . . . . . . . . K. Scherer, A. Bircher Hereditäres Angioödem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Scherer, A. Bircher
566 570
576
580 580 581 583 585
XVIII
Inhaltsverzeichnis
22.5
Akute Urtikaria . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Scherer, A. Bircher 22.6 Kontaktekzem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Itin 22.7 Herpes zoster .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Häusermann, P. Itin 22.8 Eczema herpeticatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Häusermann, P. Itin 22.9 Verätzung durch Laugen und Säuren, speziell Flusssäure . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Arnold, P. Itin 22.10 Verbrennung (Combustio) und Verbrühung (Ambustio) . . . . . . . . . . . . . . . S. Fistarol-Bohn, P. Itin
586
25
587 25.1 588 591
592
25.2 25.3 25.4 25.5 25.6
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 W. E. Haefeli Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arzneimitteltherapie in der Stillzeit . . . . . . . . Arzneimitteltherapie bei Niereninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arzneimitteltherapie bei Leberzirrhose . . . . Arzneimitteltherapie bei Betagten . . . . . . . . . Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628 634 637 640 644 646
594
26
Pharmakaverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 W. E. Haefeli
23
Auge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
23.1 23.2 23.3 23.4 23.5 23.6
J. Messerli, P. Meyer Verletzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das „Rote Auge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Augenerkrankungen mit Konjunktivitis . . . Doppelbilder . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plötzlicher Visusverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ophthalmologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
R. A. Schoenenberger Arterielle Punktion . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perikardpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pleurapunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pneumothoraxpunktion . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . Bülau-Drainage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aszitespunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lumbalpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelenkpunktionen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Suprapubische Blasenpunktion . . . . . . . . . . . . Zentralvenöser Katheter (ZVK) . . . . . . . . . . . . . Magenspülung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einlegen einer Sengstaken-BlakemoreSonde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.13 Endotracheale Intubation . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1 24.2 24.3 24.4 24.5 24.6 24.7 24.8 24.9 24.10 24.11 24.12
597 603 605 607 608 614
616 617 618 618 619 619 620 621 622 623 625 626 626
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 Das Literaturverzeichnis zu den jeweiligen Kapiteln finden Sie im Internet unter www.thieme.de. Nähere Informationen hierzu auf Seite 678. Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679
XIX
Abkürzungen
A A. a.-p. AB ABC
ABCD
ABGA ACE ACLS ACTH ADH AED AHA AICD AIDP AIDS AIHA Ak, AK ALAT = GPT ALL AML AMS ANA ANCA ANF ANUG ANUP APC aPTT ARDS
ARI
Arteria anterior-posterior Antibiotika BLS: Algorithmus: Atemwege freimachen, Beatmung, Kompression (bei CPR) ACLS-Algorithmus: Atemwege freimachen, Beatmung, Kompression, Defibrillation arterielle Blutgasanalyse Angiotensin-Converting Enzyme Advanced Cardiac Life Support adrenokortikotropes Hormon antidiuretisches Hormon automatische externe Defibrillation oder Defibrillator American Heart Association automatischer, implantiertbarer Cardioverter-Defibrillator akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikulitis adultes Immundefizienzsyndrom autoimmunhämolytische Anämie Antikörper Alaninaminotransferase akute lymphatische Leukämie akute myeloische Leukämie Acute Mountain Sickness antinukleäre Antikörper antineutrophile zytoplasmatische Antikörper antinukleäre Faktoren akut nekrotisierende ulzerierende Gingivitis akut nekrotisierende und ulzerierende Parodontitis aktiviertes Protein C aktivierte partielle Thromboplastinzeit Acute respiratory Distress Syndrome/akutes respiratorisches Distress-Syndrom akute respiratorische Insuffizienz
ART ASAT = GOT ASS AT III AT ATG ATP ATRA AV AVNRT AVRT AZ AZT
antiretrovirale Therapie Aspartataminotransferase Azetylsalizylsäure Antithrombin III atriale Tachykardie Anti-T-Lymphozyten-Globulin Adenosintriphosphat Alltrans-Retinsäure (= Tretinoin) atrioventrikulär AV-nodale Re-entry-Tachykardie AV-Re-entry-Tachykardie Allgemeinzustand Zidovudin
B BAL BAL BD BE BiPAP BK BLS BMI BNP BORSA BrCN BSG BSS BWS BZD
bronchoalveoläre Lavage Dimercaprol Blutdruck Basenexzess Bilevel Positive Airway Pressure Blutkultur Basic Life Support Body Mass Index Brain natriuretic Peptide Borderline resistant S. aureus Bromzyan Blutsenkungsgeschwindigkeit Bernard-Soulier-Syndrom Brustwirbelsäule Benzodiazepine
C C1-INH CAM cAMP CAP CAPD CBZ CD CED cfu CI
C1-Esterase-Inhibitor Confusion Assessment Method zyklisches Adenosinmonophosphat Community acquired Pneumonia kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse Carbamazepin Cluster of Differentiation Conductive Energy Device Colony forming Units Cardiac Index
XX
Abkürzungen
CICN CIDP
Chlorzyan chronisch rezidivierende inflammatorische, demyelinisierende Polyneuritis CJD Creutzfeld-Jakob-Krankheit CK = CPK Creatinkinase CK-MB myokardiale Creatinkinase CLB Clobazam CLL chronisch lymphatische Leukämie CLN Clonazepam CML chronisch myeloische Leukämie CMR kanzerogen – mutagen – reproduktionstoxisch cMRSA ambulant erworbene (community acquired) methicillinresistente S. aureus CMV = HHV-5 Zytomegalievirus CMV Controlled mandatory Ventilation CN– Zyanidion CO Cardiac Output (= HZV, = HMV) CO Kohlenmonoxid COP Cryptogenic Organizing Pneumonia COPD chronisch obstruktive Lungenerkrankung COX-2 Cyclooxygenase 2 cPAN klassische Polyarteriitis nodosa CPAP Continuous Positive Airway Pressure CPR kardiopulmonale Reanimation CRP C-reaktives Protein CT Computertomografie CTS Karpaltunnelsyndrom CVI zerebrovaskulärer Insult CYP Cytochrom-P450-Isoenzym
E EAggEC EBV = HHV-4 ECMO EDTA EEG EF EG-A EG-B EG-C EG-D EHEC EIEC EKG ELISA EM EMD ENA EP EPEC ERC ERCP ESBL ET ETCO2 ETEC
enteroaggregative E. coli Epstein-Barr-Virus extrakorporale Membranoxygenierung Ethylene Diamine Tetra-Acetate (Äthylendiamintetraessigsäure) Elektroenzephalografie (kardiale) Ejektionsfraktion Evidenzgrad A Evidenzgrad B Evidenzgrad C Evidenzgrad D enterohämorrrhagische E. coli enteroinvasive E. coli Elektrokardiogramm Enzyme-linked immunosorbent Assay Erythema exsudativum multiforme elektromechanische Dissoziation extrahierbare nukleäre Antigene Erythrozytenprotoporphyrin enteropathogene E. coli European Resuscitation Council endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie Extended-spectrum Betalactamase (Breitspektrumbetalaktamase) essenzielle Thrombozythämie endexspiratorisches CO2 enterotoxigene E. coli
F D DD DDAVP ddC ddl DIC DKA 4-DMAP DMPS DMSA DNA ds-DNA
Differenzialdiagnose Desamino-D-Arginin-Vasopressin = Desmopressin Zalcitabin Didanosin disseminierte intravasale Gerinnung diabetische Ketoazidose 4-Dimethylaminophenol 2,3-Dimercapto-1-propansulfat Dimercaptosuccinat = Succimer Desoxyribonukleinsäure doppelsträngige Desoxyribonukleinsäure
FDA FE FEIBA FEP FEV1
FFP FiO2 FSA FSME FUO
Food and Drug Administration fraktionelle Exkretion Factor Eight Bypassing Activity freies Erythrozytenprotoporphyrin Einsekundenkapazität, forciertes exspiratorisches Volumen in der 1. Sekunde, Tiffeneau-Test Fresh Frozen Plasma inspiratorische Sauerstofffraktion Faktor-VII-aktivierende Proteasen Frühsommermeningoenzephalitis Fever of Unknown Origin
Abkürzungen
G gamma(g)-GT GBM GBP GBS GCS G-CSF GM GSH Gy
I Gamma-Glutamyl-Transpeptidase glomeruläre Basalmembran Gabapentin Guillain-Barré-Syndrom Glasgow Coma Scale Granulozytenkolonien stimulierender Faktor (Filgrastim) Grand-Mal-Anfall Glutathion Gray
H HACE HACEK
XXI
High Altitude Cerebral Edema Haemophilus, Actinobacillus, Cardiobacterium, Eikenella, Kinella HAES Hydroxyäthylstärke = Hydroxyethylstärke (HES) HAPE High Altitude Pulmonary Edema Hb Hämoglobin HB Hepatitis B HBO hyperbare O2-Therapie HBV Hepatitis-B-Virus HCN Blausäure HCV Hepatitis-C-Virus HD Hämodialyse HELLP Hemolysis, Elevated Liver Test, Low Platelet Counts HF Flusssäure HF Hämofiltration HF hämorrhagisches Fieber HF Herzfrequenz HHE hyperosmolare hyperglykämische Entgleisung HHV-3 = VZV Varicella-Zoster-Virus HHV-4 = EBV Epstein-Barr-Virus HHV-5 = CMV Zytomegalovirus HIT heparininduzierte Thrombopenie HIV Human Immundefiency Virus (humanes Immunodefizienzvirus) Hk Hämatokrit HLM Herz-Lungen-Maschine HMBS Hydroxymethylbilan-Synthase HMV Herz-Minuten-Volumen HNO Hals-Nasen-Ohren HP Hämoperfusion HR-CT High Resolution CT HSV = HHV-1/2 Herpes-simplex-Virus HUS hämolytisch-urämisches Syndrom HWI Harnwegsinfekt HWS Halswirbelsäule HWZ Halbwertszeit
i. c. i. m. i. v. IABP ICD ICD-10 ICP ICR ICU IgA IgG IgM INH INR ITP IVIG IVP
intrakutan intramuskulär intravenös intraaortale Ballonpumpe implantierbarer CardioverterDefibrillator International statistical Classification of Diseases intrakranieller Druck Interkostalraum Intensivstation Immunglobulin A Immunglobulin G Immunglobulin M Isoniazid International Normalized Ratio immunthrombopenische Purpura i. v. Immunglobuline intravenöse Pyelografie
K K KCl KCN KF KG KHK KI KM KOF KT KUS KW KW
Kalium Kaliumchlorid Kaliumzyanid, Zyankali Kammerflimmern Körpergewicht koronare Herzkrankheit Kontraindikation Kontrastmittel Körperoberfläche Kammertachykardie Kompressionssonografie klinische Wahrscheinlichkeit Kohlenwasserstoff
L LA LACS LAHB LDH LE LEV LGL Lig. LIP LMWH = NMH LP LPHB LQTS
linker Vorhof Lacunar Circulation Syndrome linksanteriorer Hemiblock Laktatdehydrogenase Lungenembolie Levetiracetam T-large granular Lymphocte Ligamentum lymphoid-interstitielle Pneumonie Low molecular Weight Heparin (niedermolekulares Heparin) Lumbalpunktion linksposteriorer Hemiblock Long-QT-Syndrom
XXII
Abkürzungen
LR LSB LSD LTG LV LVEF LWS
Lichtreaktion Linksschenkelblock Lysergsäurediethylamid Lamotrigin linker Ventrikel linksventrikuläre Auswurffraktion Lendenwirbelsäule
M MAO MAP MDS MHK mPAN MR MRA MRC mRNA MRSA MRT MTHFR
Monoaminooxydase mittlerer arterieller Blutdruck myelodysplastisches Syndrom mittlere Hemmkonzentration mikroskopische Polyangiitis Magnetresonanz Magnetresonanzangiografie Magnetresonanzcholangiografie Botenribonukleinsäure methicillinresistente S. aureus Magnetresonanztomografie Methylen-TetrahydrofolatReduktase
N N. Na NAC NaCl NaHCO3 NMH = LMWH
Nervus Natrium N-Acetylstein Kochsalz Natriumbikarbonat niedermolekulares Heparin = Low Molecular Weight Heparin NNR Nebennierenrinde NRTI Nukleosidanaloga ReverseTranskriptase Inhibitor NSAR = NSAID nichtsteroidale Antirheumatika (= nichtsteroidale antiinflammatorische Substanzen) NSTEMI Non-ST-Elevation Myocardial Infarction (Infarkt ohne ST-Strecken-Hebung) NYHA New York Heart Association
O OAK OI OMF ORL OROS OZR
orale Antikoagulation opportunistische Infektion Osteomyelofibrose orale Rehydrierungslösung orales osmotisches therapeutisches System okulozephaler Reflex
P p.-a. p. o. PaCO2 PACS PaO2 PB PBG PCB pCO2 PcP PCR PCV PCWP
PE PE PEA PEEP
PEF PEG PEP PGB PHN PHQ PHT PL PML PML PMT PNH pO2 POCS PPI PQ-Zeit PRA PRM PSI PSVT PTA PTCA PTU PV
posterior-anterior per os arterieller Kohlendioxidpartialdruck Partial Anterior Circulation Syndrome arterieller Sauerstoffpartialdruck Phenobarbital Porphobilinogen polychlorierte Biphenyle Kohlendioxidpartialdruck Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie Polymerasekettenreaktion Pressure Controlled Ventilation Pulmonary Capillary Wedge Pressure (pulmonal-kapillärer Verschlussdruck) Perikarderguss Plasmaaustausch pulslose elektrische Aktivität Positive End-Expiratory Pressure (positiver endexspiratorischer Druck) Peak Expiratory Flow Polyethylenglykol Postexpositionsprophylaxe Pregabalin postherpetische Neuralgie Patient Health Questionnaire Phenytoin Phospholipide progressive multifokale Leukenzephalopathie Promyelozytenleukämie Pacemaker-Mediated Tachycardia paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie Sauerstoffpartialdruck Posterior Circulation Syndrome Protonenpumpeninhibitor atrioventrikuläre Überleitungszeit Plasmareninaktivität Primidon Pneumonia Severity Index paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie perkutane transluminale Angioplastie perkutane transluminale koronare Angioplastie Propylthiouracil Polycythaemia vera
Abkürzungen SVR
Q Qo QTc
extrarenal eliminierte Dosisfraktion frequenzkorrigiertes QT-Intervall
R RA RAPD RF RNA RSB RSV rt-PA RVOT
rechter Vorhof relatives afferentes Pupillenreaktionsdefizit Risikofaktor Ribonukleinsäure Rechtsschenkelblock Respiratory Syncytial Virus rekombinanter Plasminogenaktivator (= Alteplase) rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie
S s. c. SA SAB SaO2 SARS SBP SCID ScvO2 SESH SIADH SIRS SJS SLE SLSH SM SMX = SMZ SPL spp. SR SS SSRI SSSS StBic STEMI SvO2
subkutan sinuatrial Subarachnoidalblutung arterielle Sauerstoffsättigung schweres akutes respiratorisches Syndrom spontane bakterielle Peritonitis Severe Combined Immunodeficiency zentralvenöse Sauerstoffsättigung Schallempfindlichkeitsschwerhörigkeit Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion Systemic Inflammatory Response Syndrome Stevens-Johnson-Syndrom systemischer Lupus erythematodes Schallleitungsschwerhörigkeit (Herz-)Schrittmacher Sulfamethoxazol Sound Pressure Level Spezies Sinusrhythmus Schwangerschaft selektiver Serotonin-ReuptakeInhibitor Staphylococcal Scaled Skin Syndrome Standardbikarbonat ST-Elevation Myocardial Infarction (Infarkt mit ST-Strecken-Hebung) gemischtvenöse Sauerstoffsättigung
XXIII
systemische vaskuläre Resistenz (Gefäßwiderstand)
T TACS Tbc TEE TEN TF TG TGB THC TIA T-LGL TMP TNFa TPM TRALI TSH TTE TTKG TTP TVT TX
Total Anterior Circulation Syndrome Tuberkulose transösophageale Echokardiografie toxisch epidermale Nekrolyse Tissue Factor Thrombasthenie Glanzmann Tiagabin Tetrahydrocannabinol transiente ischämische Attacke T-large-granular-LymphocyteLeukämie Trimethoprim Tumor-Nekrose-Faktor a Topiramat Transfusion Related Acute Lung Injury Thyreoidea stimulierendes Hormon transthorakale Echokardiografie transtubulärer Kaliumkonzentrationsgradient thrombotisch-thrombopenische Purpura tiefe (Bein-)Venenthrombose Tranexamsäure
U UAW UFH US
unerwünschte Arzneimittelwirkung unfraktioniertes Heparin Ultraschall
V V. V. a. VEGF VES VHF VHF VIPOM
VOR VPA VRE VSD VWF
Vena Verdacht auf Vascular Endothelial Growth Factor ventrikuläre Extrasystole virale hämorrhagische Fieber Vorhofflimmern neuroendokriner Tumor mit Produktion von vasoaktivem intestinalem Polypeptid vestibulookulärer Reflex Valproinsäure vancomycin- und teicoplaninresistente Enterokokken Ventrikelseptumdefekt Von-Willebrand-Faktor
XXIV
Abkürzungen
VWK VZV = HHV-3
Von-Willebrand-Krankheit Varizella-Zoster-Virus
W WHO WPW
World Health Organisation Wolff-Parkinson-White-Syndrom
Z Z. n. ZNS ZVD ZVK
Zustand nach Zentralnervensystem zentralvenöser Druck zentralvenöser Katheter
1
1 Herz-Kreislauf-Stillstand/ kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frühdefibrillation M. von Planta
Übersicht 1
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR)
Definition und Einteilung Plötzlicher Herztod. Beim plötzlichen Herztod („sudden cardiac death“) sistiert die mechanische Herzaktivität abrupt und ist von Bewusstlosigkeit, Atemstillstand und fehlender Perfusion gefolgt. Infolge Hypoxie des ZNS kommt es innerhalb Sekunden zu Bewusstlosigkeit und – ohne Behandlung – innerhalb Minuten zu schweren neurologischen Folgeschäden und zum Tod. Der Einsatz von prähospitaler CPR, die rasche Alarmierung des Rettungssystems und die frühzeitige Defibrillation erhöhen die Überlebensraten gegen 40%.
Begriffe ABC: Atemwege freimachen, Beatmung, Compression (Thoraxkompression). ACLS: „advanced cardiac life support“ erweiterte lebensrettende Maßnahmen durch geschulte Helfer mittels professioneller Hilfsmittel wie Intubation und Pharmaka.
AED: automatische externe Defibrillation oder Defibrillator. BLS: „basic life support“ lebensrettende Sofortmaßnahmen (= ABC), die durch jedermann, jederzeit, an jedem Ort und ohne Hilfsmittel durchgeführt werden können. Rettungskette: die Elemente eines Rettungssystems, die ein Überleben ermöglichen: rascher Zugang mittels einheitlicher Notfalltelefonnummer, früher Beginn der CPR durch Ersthelfer, rasche Defibrillation und frühzeitige Intensivbehandlung in der Klinik. KT: Kammertachykardie; abnorme, verbreiterte QRS-Komplexe, Frequenz über 100/min, meist regelmäßig, ohne Vorhofdepolarisation, kann in Kammerflimmern übergehen. KF: Kammerflimmern; chaotische ventrikuläre Aktivität mit gleichzeitigen multifokalen De- und Repolarisationen, geht ohne Defibrillation nach rund 10 min in die Asystolie über (Abb. 1.1). Asystolie: meist Spätstadium des KF, vollständiges Fehlen einer elektrischen myokardialen Aktivität, sehr schlechte Prognose. PEA: pulslose elektrische Aktivität; dokumentierbare EKG-Kammerkomplexe ohne mechanische Myokardkontraktionen, schlechte Prognose trotz potenziell reversibler Ursachen (Tab. 1.1).
Abb. 1.1 Übergang von unbehandeltem Kammerflimmern in Asystolie. Nach rund 6 – 10 min unbehandelten Kammerflimmerns geht dieses in eine feine Form mit kleiner Amplitude und zuletzt in die Asystolie über.
1 2 Tabelle 1.1
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
EKG-Differenzialdiagnose.
Nach Rhythmus
Mögliche Ätiologie
Kammerflimmern
• akutes koronares Syndrom • Kardiomyopathie • Elektrounfall • Hypothermie
Torsade de Pointes
• (oft arzneimittelbedingte) QT-Verlngerung
Asystolie
• Hypoxie • Hypo-/Hyperkalimie • Hydrogenionen (Azidose) • Hypothermie • Toxine
PEA
• Hypoxie • Hypovolmie • Hypo-/Hyperkalimie • Hydrogenionen (Azidose) • Hypothermie • Toxine • Perikardtamponade • Tensionspneumothorax • Thrombose massiv •
(koronar, pulmonal) Ruptur von Septum oder Ventrikel
Pathophysiologie Zeitfaktor. In westlichen Industrienationen wird die Inzidenz des plötzlichen Herztodes auf 100 – 600/100 000 Einwohner/Jahr geschätzt. Der größte Teil dieser plötzlichen Todesfälle tritt bei unter 65-jährigen Patienten und vorbestehender koronarer Herzkrankheit zirkadian mit einer morgendlichen Häufung auf. Rund 80% der erfolgreich reanimierten Patienten sind initial im Kammerflimmern. Die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Defibrillation eines Kammerflimmerns nimmt um 7 – 10% pro Minute ab, womit nach 10 min eine erfolgreiche Defibrillation unwahrscheinlich wird. Perfusion von ZNS und Myokard. Während CPR werden ZNS und Myokard durch Druckgradienten perfundiert (ZNS: während der Reanimationssystole, d. h. Thoraxkompression; Myokard: während der Reanimationsdiastole, d. h. Thoraxrelaxation), weswegen gleichlange Kompressions- und Entlastungsphasen unabdingbar sind. Für ein neurologisch intaktes Überleben muss der invasiv gemessene myokardiale Druckgradient mindestens 15 mmHg erreichen. Das nichtinvasiv ge-
messene endexspiratorische CO2 (ETCO2) (EG-B) korreliert gut mit dem invasiv gemessenen myokardialen Perfusionsdruck. ETCO2-Werte von 10 – 15 mmHg (1,3 – 2,0 kPa) entsprechen einer ausreichenden myokardialen Perfusion. Blutgase und Säure-Basen-Haushalt. Die reduzierte Perfusion während der CPR (Herzminutenvolumen maximal 25 – 30%) induziert die anaerobe Glykolyse mit Akkumulation von Laktat, woraus nach endogener Pufferung H2O und CO2 entstehen. Der reduzierte Blutfluss transportiert wenig CO2 in die Alveolen, und noch weniger CO2 erreicht die Ausatmungsluft (Abfall des ETCO2). Während der CPR ist eine dreifache Störung des Säure-Basen-Haushaltes als venöse und Gewebehyperkapnie, arterielle Hypokapnie und Laktatakkumulation messbar. Die erfolgreiche Reanimation eliminiert präalveolär akkumuliertes CO2 und normalisiert rasch die Azidose. Säure-Basen-Störungen sind somit Folge der reduzierten Perfusion, weshalb der routinemäßige Einsatz von Puffersubstanzen in der Reanimation nicht sinnvoll ist!
Typische Krankheitszeichen Symptomentrias. Die Trias Bewusstlosigkeit, Atemstillstand und Pulslosigkeit sichert die Diagnose des Herz-Kreislauf-Stillstandes wie folgt: • Gibt der Patient Antwort (Schütteln, Anrufen)? fi nein fi Bewusstlosigkeit • Atmet der Patient (Sehen, Hören, Fühlen)? fi nein fi Atemstillstand • Ist der Puls fühlbar (A. carotis oder A. femoralis)? fi nein fi Pulslosigkeit
Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose identifiziert potenziell reversible Ursachen und wird in therapierefraktären Situationen immer neu überdacht. Die meist kardialen (80%) und die weniger häufigen Ursachen (Tab. 1.2) sowie das EKG werden beurteilt (Tab. 1.1). Beurteilung des EKG während CPR. Die EKG-Analyse während CPR beruht meist auf einer Ableitung (Monitor, Einkanalschreiber). In Zweifelsfällen wird eine zur ersten Ableitung senkrecht stehende zweite Ableitung gewählt. • Liegen normale QRS-Komplexe vor? – nein fi KT, KF oder Asystolie – ja, aber kein Puls fi PEA • Liegen normale P-Wellen vor? – nein fi meist Vorhofflimmern
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Tabelle 1.2
Differenzialdiagnose des Herz-Kreislauf-Stillstandes.
Nach Organsystem
Mögliche Ätiologie
Kardiovaskulr
• akutes koronares Syndrom (80% der kardialen Ursachen) • maligne ventrikulre Tachyarrhythmien • verlngerte QT-Zeit • Torsade de Pointes • Klappenvitien • Perikardtamponade • Myokarditis • Kardiomyopathie • Schockzustand • Koronarspasmen
ZNS
• intrakranielle Hmorrhagie
Pulmonal
• Hypoxie • zentrale Lungenembolien • Status asthmaticus • Spannungspneumothorax • Asphyxie (Bolusaspiration)
Metabolisch
• Entgleisungen des Kaliumhaushalts • Hyperkalzmie
Medikamentçs
• proarrhythmische Wirkung von Antiarrhythmika • Therapie mit b2-Stimulatoren • Thiaziddiuretika
Intoxikationen
• trizyklische Antidepressiva, Barbiturate, Opioide, Kokain • Digoxin, Betablocker, Kalziumantagonisten
Physikalische Einwirkung (s. Kap. 18)
• Ertrinken • Hypothermie • Elektrounfall
•
3
Besteht eine Beziehung zwischen P-Welle und QRS-Komplex? – nein fi totaler AV-Block
Notfallanamnese Zeitintervalle. Ein neurologisch intaktes Überleben wird determiniert durch kurze Zeitintervalle bis zur effizienten Behandlung. Bleibt die Reanimation während ACLS über 20 min erfolglos, so ist ein Abbruch der CPR auch außerhalb der Klinik zu erwägen (Ausnahme: bei Intoxikation, Hypothermie oder Ertrinken von Kindern). Rhythmus und Begleitumstände. Der erste im EKG dokumentierte Rhythmus ist prognostisch wichtig. Patienten mit Kammerflimmern, die rasch defibrilliert werden, haben die beste Überlebens-
chance. Hypothermie, medikamentöse Intoxikation oder Drogeneinfluss werden rasch ausgeschlossen und aus forensischen Gründen eine etwaige Gewalteinwirkung dokumentiert. Begleitkrankheiten und Alter. Liegen bei Patienten vorbestehende, den Herz-Kreislauf-Stillstand begleitende Krankheiten vor wie Sepsis, metastasierendes Tumorleiden, Schock, Pneumonie, schwere Niereninsuffizienz oder Pflegebedürftigkeit größeren Ausmaßes, so ist die Chance einer erfolgreichen Reanimation sehr klein. Das Patientenalter ist nicht als alleiniges prognostisches Kriterium verwertbar, da Begleiterkrankungen („prearrest morbidity“) den Reanimationsausgang wesentlich mehr beeinflussen. Patientenverfügung. Liegt eine schriftliche Patientenverfügung vor, die den Willen des Patienten (Ablehnung einer Reanimation) ausreichend dokumen-
1 4
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
tiert, so ist dies zu berücksichtigen. Innerhalb der Klinik regeln Direktiven des verantwortlichen Ärzteteams mögliche CPR-Aktivitäten im Voraus.
Zentrale Zyanose oder Pupillenreaktion sind keine zuverlässigen Symptome (Vorkommen auch bei Intoxikationen oder Vorbehandlung mit a-adrenergen Substanzen).
Notfalluntersuchung
Diagnostik
Klinik
Erste Phase. Die technische Diagnostik ist in der ersten CPR-Phase auf ein Minimum beschränkt (Tab. 1.3). Notfallaufnahme. Erreicht der Patient einen perfundierenden, stabilen Herzrhythmus, so folgen in der Notfallaufnahme vor Verlegung auf die Intensivstation weitere Untersuchungen (Tab. 1.4).
Trias der Kardinalsymptome. Bewusstlosigkeit (fehlende Ansprechbarkeit bei Schütteln oder Anrufen!), Atemstillstand (Apnoe oder agonale Atmung) und Pulslosigkeit (fehlende mechanische Herztätigkeit mit fehlenden Pulsen von A. carotis oder A. femoralis). Tabelle 1.3
Erste Diagnostik whrend CPR.
Diagnostik
Begründung/zu erwartende Resultate
Physiologische Funktionen Kerntemperatur
Ausschluss Hypothermie
Herzfrequenz
Tachykardie/Bradykardie
Blutdruck
Hypoperfusion, Schock
ETCO2
korrekte Intubation, ausreichende Perfusion
Halsvenen
leer: Hypovolmie gestaut: Spannungspneumothorax, Lungenembolie, Perikardtamponade
EKG Rhythmus
potenziell letal: KT, KF, PEA, Asystolie nicht letal: Vorhofflimmern, AV-Block, Schrittmacherfehlfunktion
Q, ST-Strecke
akutes koronares Syndrom
Blut, 1. Priorität Kalium, Kalzium
Hypo-/Hyperkalimie; Hypo-/Hyperkalzmie
Arterielle Blutgasanalyse
Oxygenierung
Vençse Blutgasanalyse
Sure-Basen-Zustand, vorbestehende Azidose
Blut, 2. Priorität Troponin
akutes koronares Syndrom
D-Dimere
Lungenembolie
B-Typ natriuretisches Peptid (BNP) vorbestehende Herzinsuffizienz, Prognose des berlebens Kreatinin
vorbestehende Niereninsuffizienz
Blutzucker
Hypo-/Hyperglykmie
Magnesium
Hypo-/Hypermagnesimie
Drogenscreening
Opioide, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva
Arzneimittelspiegel
Digoxin, Antiarrhythmika, Theophyllin
Alkoholspiegel
Alkoholintoxikation
Rotes Blutbild
unsichtbarer Blutverlust bei abdominellem Trauma
Asservat Serum
sptere Analytik
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Tabelle 1.4
5
Weitere Diagnostik in der Notfallaufnahme bei perfundierendem Herzrhythmus.
Diagnostik
Begründung/zu erwartende Resultate
Rçntgen-Thorax
Tubuslage, Lage Venenkatheter Herzgrçße, Lungençdem Pneumothorax, Frakturen
12-Kanal-EKG
akutes koronares Syndrom Lungenembolie
Echokardiografie
akute Lungenembolie Perikard-Tamponade
Blut (Begleitkrankheiten)
Blutkultur (Sepsis) weißes Blutbild, Thrombozyten Prothrombinzeit/INR Leberenzyme
Blasenkatheter
Ausscheidungsrate, Urinasservat
Nasogastrische Sonde
Absaugen, Asservat Mageninhalt
Fotodokumentation
Gewalteinwirkungen
Neuroimaging (CT, MRT)
intrakranielle Hmorrhagie Trauma
Therapie Notfallmanagement Vorgehen bei Herz-Kreislauf-Stillstand • Der Patient wird in Rückenlage gebracht. • Das Notfallsystem wird aktiviert. • Weitere Hilfe und der Defibrillator werden angefordert. Dann Freimachen der Atemwege und • • unverzüglicher Beginn mit Beatmung und Thoraxkompression. Sind die Umstände schwierig, so wird die Beatmung weggelassen. Eine korrekte Thoraxkompression alleine erhält die arterielle Sauerstoffsättigung während der ersten 6 – 10 min einer Reanimation über 90% (EG-B). Beginnt der Patient nach Eröffnung der Atemwege mit Spontanatmung, so wird er in Seitenlage gebracht, wenn kein Trauma der Wirbelsäule vorliegt. Grundsätze • Erstes und zweites ABCD vorrangig kontrollieren (Tab. 1.5). • Potenziell reversible Ursachen suchen und evtl. beseitigen.
•
BLS-AED Maßnahmen durchführen (Abb. 1.2), da diese von besserem neurologischem Ausgang gefolgt sind als verspätete ACLS-Maßnahmen (EG-A).
A, Atemwege freimachen. Die häufigste Ursache der Verlegung oberer Luftwege ist das Zurücksinken der Zunge gegen die Rachenhinterwand. Die einfachste Methode zur Freilegung der Atemwege ist, den Kopf nach hinten zu überstrecken und den Unterkiefer nach oben zu schieben (Abb. 1.3). Anschließend wird der Mund-Rachen-Raum auf Sekrete, Erbrochenes oder Zahnprothesen untersucht und durch Auswischen vor der Beatmung manuell gereinigt. Kieferchirurgisch implantierte Prothesen werden belassen (Erhalten der Konturen). • Esmarch-Griff: Bei Verdacht auf HWS-Läsionen wird der Esmarch-Griff angewandt (nur Hochschieben der Mandibula). • Heimlich-Handgriff: Bei lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen entfernt man mit dem Heimlich-Handgriff Fremdkörper aus den oberen Luftwegen (EG-C). Der Handgriff wird beim stehenden, liegenden oder sitzenden Patienten eingesetzt (Abb. 1.4). Relative Kontraindikationen sind extreme Adipositas und fortgeschrittene Gravidität.
1 Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
6
Alarm auslösen, Hilfe und Defibrillator holen A temwege freimachen und freihalten
Patient in Rückenlage, Mund ausräumen, Kopf nach hinten strecken, Unterkiefer nach vorn und oben anheben (Mund schließen, Gebisse beachten)
B eatmung weglassen, wenn die Umstände schwierig sind
Mund-zu-Nase-/Mund-Beatmung oder Taschenmaske, langsam 2 erste Beatmungsstöße, dann 10 12 Beatmungsstöße pro Minute, bis sich der Brustkorb hebt (Atemvolumen ca. 700 1000 ml), Pulskontrolle alle 2 Minuten
C ompression = Thoraxkompression
D efibrillation
harte Unterlage, Druckpunkt untere Brustbeinhälfte, gestreckte Arme, Hüftgelenk als Drehpunkt, 4 5 cm tief, 100 mal pro Minute komprimieren, Koordination mit Beatmung: 30 : 2, Thoraxkompression zu Relaxation: 1 : 1
4 5 cm
Elektrodenplatzierung
AED 1
2 3
Abb. 1.2
BLS 30 : 2 bis AED angeschlossen ist, Rhythmusanalyse, falls Schock empfohlen Patienten nicht berühren und Defibrillation: biphasisch 1 Schock: gerätespezifisch (max. 200 J [Ws]), monophasisch 1 Schock: 360 J (Ws)
BLS-AED-Maßnahmen.
Abb. 1.3 Kopfhaltung zur Freilegung der Atemwege.
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Tabelle 1.5
ABCD-Schema fr CPR. Erste ABCD-Kontrolle
Zweite ABCD-Kontrolle
A
Ansprechbarkeit beurteilen Aktivieren des Notfallsystems Anfordern des Defibrillators Atemwege freimachen
Kontrolle offener Atemwege Intubation
B
Beatmen • Positive-Pressure-Ventilation Beatmung beurteilen • O2 • Heimlich-Handgriff (Abb. 1.4)
C
7
Compression Thorax
Beatmung nach Intubation kontrollieren mittels
• bilateraler Thoraxauskultation • Thoraxexkursionen • ETCO2 Zirkulation, i. v. Zugang
• Pharmakotherapie nach Rhythmusdiagnose D
Defibrillation
Differenzialdiagnose
• schockierbare Rhythmen beurteilen
• reversible Ursachen
B, Beatmung. Ist eine ausreichende Atmung nach Freimachen der Atemwege nicht gewährleistet, erfolgt die künstliche Beatmung mittels Mund-zu-Nase- oder Mund-zu-Mund-Methode. Die Beatmung wird mit zwei Beatmungsstößen begonnen, um den Nasopharynx zu öffnen. Übertragbaren Infektionskrankheiten wird mit Taschenmasken oder Beatmungsbeuteln vorgebeugt. Die sicherste Methode ist die endotracheale Intubation (s. S. 626) mit Überdruckbeatmung (s. S. 120). Eine Atemfrequenz von 10 – 12/min und ein Atemzugvolumen von 6 – 7 ml/ kg KG (400 – 600 ml) mit Sauerstoff (EG-C) und von 10 ml/kg KG (700 – 1000 ml) ohne Sauerstoff (EG-B) sind für Erwachsene ausreichend. • Mund-zu-Nase-Beatmung: Dies ist die Methode der Wahl, wenn keine Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Der Helfer kniet seitlich neben dem Kopf des Patienten, fasst mit der einen Hand die Stirn und mit der anderen das Kinn, hebt den Unterkiefer nach oben und überstreckt den Kopf des Patienten nach hinten. Dann umfasst er mit seinem Mund leicht die Nase des Patienten und vermindert durch die Nasenbeatmung die Gefahr einer Magenüberdehnung mit nachfolgender Regurgitation und Aspiration von Mageninhalt. Insuffliert wird die eigene Ausatmungsluft, und als Erfolgskontrolle wird die Atembewegung des Thorax beobachtet. Bei hohem Atemwegswiderstand wird die Position des Kopfes überprüft und die Mundrachenhöhle erneut auf Fremdkörper inspiziert. • Mund-zu-Masken-Beatmung: Dabei kniet der Helfer hinter dem Patienten und umfasst mit bei-
Abb. 1.4 Heimlich-Manöver. Heimlich-Mançver bei noch wachem Patienten und Verdacht auf Fremdkçrperaspiration: von hinten Patient umfassen, Faust mit dem Daumen gegen das Abdomen gerichtet zwischen Nabel und Rippenbogen anlegen, Faust mit anderer Hand umgreifen, kurz und krftig, evtl. mehrmals die Bauchdecke Richtung Zwerchfell eindrcken.
den Händen Kinn und Unterkiefer und rekliniert den Kopf. Mit Daumen, Zeige- und Mittelfingern wird die Maske fest auf das Gesicht gepresst. Auch hier beginnt die Beatmung mit zwei initialen Beatmungsstößen und dann 10 – 12/min (EG-C).
1 Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
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O2
Abb. 1.5 Beutel-zu-Masken-Beatmung. Der Beutel ist an Sauerstoff angeschlossen.
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•
Beutel-zu-Masken-Beatmung: Sie wird vorwiegend in professionellen Rettungsdiensten eingesetzt und bezüglich des Trainingsbedarfs in ihrer Schwierigkeit oft unterschätzt (EG-C). Der Helfer kniet oder steht hinter dem Patienten, überstreckt den Kopf und hält den Unterkiefer nach oben. Mit der einen Hand wird die Maske aufgesetzt, und mittels Klein-, Ring- und Mittelfinger wird das Kinn nach vorne gezogen. Mit Daumen und Zeigefinger wird die Maske fest über Mund und Nasenöffnung des Patienten gedrückt und mit der anderen Hand der Beatmungsbeutel ausgedrückt (Abb. 1.5). Genügend Zeit für die passive Exspiration des Patienten geben! Sauerstoff: Auch unter idealen Bedingungen enthält die Ausatmungsluft des Retters nur 16 – 17% Sauerstoff. Man erreicht bei Mund-zu-Nase-Beatmung eine arterielle Sauerstoffspannung von
rund 80 mmHg (10,5 kPa). Deshalb wird während der CPR 100% O2 angewandt (10 l/min) (EG-A). C, Thoraxkompression, Zirkulation. Die Thoraxkompression erfolgt in Rückenlage auf einer harten Unterlage. Der Thorax wird in der unteren Sternumhälfte 4 – 5 cm tief mit einer Frequenz von 100/min komprimiert (EG-C). • Technik: Die aufeinandergelegten Hände werden mit gestreckten Armen eingesetzt, und der Oberkörper wird als „Druckstempel“ verwendet. Der Druckpunkt liegt 2 Querfinger oberhalb des unteren Sternumrandes in der unteren Sternumhälfte, die Handballen liegen darauf, und die Fingerspitzen sind vom Thorax abgehoben (Abb. 1.6). Das Hüftgelenk des Retters ist Drehpunkt, die Ellenbogen des Helfers bleiben bei der Thoraxkompression durchgestreckt und die Schultern über dem Druckpunkt (Abb. 1.7). Druck- und Entlastungsphasen sind gleich lang. Die Wirksamkeit der Massage wird durch Palpation zentraler Arterien (A. carotis oder A. femoralis), durch Beobachtung des ETCO2 (EG-B) oder des invasiv gemessenen arteriellen Drucks kontrolliert. • Ein- und Zwei-Helfer-Technik: Das Verhältnis von Thoraxkompression zu Beatmung beträgt 30 : 2 (d. h. es werden 30 Kompressionen mit 2 Beatmungsstößen abgewechselt) (EG-C). • Offene Herzmassage: Sie erfolgt nur bei bereits offenem Thorax oder wenn durch eine frische Sternotomie der Thorax rasch wieder geöffnet werden kann. Mögliche Indikationen sind Thoraxtrauma, Perikardtamponade nach erfolgloser Perikardiozentese, Thoraxdeformitäten (machen eine geschlossene Thoraxkompression ineffektiv), schwere Hypothermie im jugendlichen Alter, hypertrophe Kardiomyopathie, Aortenvitien, penetrierendes Abdominaltrauma mit Exsanguination, akzidentelle Intoxikation jüngerer Patienten, thrombosierte künstliche Herzklappen (EG-C).
Abb. 1.6 Position der Hände bei der CPR. Die Hnde liegen auf der unteren Sternumhlfte, 2 Querfinger oberhalb des Rippenrandes.
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Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
•
4 – 5 cm
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Defibrillation bei Patienten mit Schrittmacher: Patienten mit automatischen, implantierten Cardioverter-Defibrillatoren (AICD) oder anderen Schrittmachersystemen werden in identischer Weise defibrilliert, da die AICD gegen konventionelle transthorakale Defibrillatorschocks abgesichert sind. Die Defibrillatorelektroden werden jedoch nicht direkt auf den Impulsgenerator gesetzt. AICD führen nach externen Defibrillationen eine automatische Selbsttestung durch, die rund 30 – 60 s dauert. Ist ein Patient mit AICD in Kammertachykardie oder Kammerflimmern, so muss extern defibrilliert werden, da anzunehmen ist, dass der AICD nicht richtig funktioniert.
Erweiterte Notfallmaßnahmen
Abb. 1.7 Thoraxkompression. Gestreckte Arme, Hftgelenk als Drehpunkt und Einsatz des Oberkçrpers als „Druckstempel“. 4 – 5 cm tiefe Kompression, 100/min. Sequenz: 30 Thoraxkompressionen: 2 Beatmungsstçße.
D, Defibrillationstechnik. Die Defibrillatorelektroden werden im 2. und 3. ICR parasternal rechts und im 5. und 6. ICR links zwischen Medioklavikularlinie und vorderer Axillarlinie platziert (Abb. 1.2). Man setzt viel Elektrodenpaste zur Verminderung der Thoraximpedanz und während der Defibrillation einen Druck von 10 kg auf jede Elektrodenplatte ein. Bei fehlendem Defibrillationserfolg sofort Defibrillation wiederholen, da ein Doppelschock die Thoraximpedanz vermindert! • Cave! Nie auf transdermalen Nitroglycerinsystemen defibrillieren (Explosionsgefahr)! Beim Auslösen dürfen keine anderen Helfer den Patienten berühren. Defibrillation mit automatischen Defibrillatoren • (AED): Sie kann ab dem 8. Lebensjahr (oder > 25 kg KG) eingesetzt werden (EG-C). • Defibrillation mit biphasischer Stromkurve: Die biphasische Defibrillation mit 150 – 360 J (Ws) ist der monophasischen Defibrillation mit 360 J (Ws) überlegen (EG-B). • Frühdefibrillation: Auch ausgebildete Ersthelfer sollen die Frühdefibrillation einsetzen (EG-B). Ein Zeitintervall zwischen Kollaps und Defibrillation von unter 3 min soll angestrebt werden (EG-A).
ACLS-Algorithmen. Immer sollte der Patient, nicht der Monitor therapiert werden. Das frühzeitige, korrekte Management von Freihalten der Atemwege, Beatmung, Thoraxkompression und Defibrillation ist viel entscheidender als die spätere Gabe von Pharmaka (Abb. 1.8). „Kochbuchartige“ Algorithmen vereinfachen die Teamarbeit während der CPR. Algorithmen sind jedoch nie absolut, sondern stellen eine gedrängte Übersicht und Gedächtnisstütze komplexer lebensrettender Notfallmaßnahmen dar. Sie sind deshalb flexibel und der individuellen klinischen Situation angepasst anzuwenden. Arzneimittelapplikation. Die wichtigsten Pharmaka während einer CPR zeigt Tab. 1.6. • Venöser Zugang: Kurze periphere Venenverweilkatheter am Handrücken oder in der Ellenbeuge sind meist ausreichend. Diese werden mittels 0,9% NaCl oder Ringerlösung offen gehalten, da Glukoselösungen während CPR kontraindiziert sind (Glukoselösungen verstärken die Azidose während reduzierter Perfusion). Bei der Indikation zu zentralvenösen Kathetern sind spätere Thrombolysen und Komplikationen zu beachten. • Intravenöse Applikation: Alle Pharmaka werden während CPR als Bolus rasch i. v. appliziert und bei Bedarf bis zur maximalen Dosis wiederholt (Tab. 1.6). Nach periphervenös applizierten Pharmaka wird bei hoch gehaltener Extremität ein Bolus von 10 – 20 ml 0,9% NaCl oder Ringer-Lösung injiziert, wodurch die Pharmaka die zentrale Zirkulation in 1 – 2 min erreichen. • Endotracheale Applikation: Bis ein venöser Zugang zur Verfügung steht, können Adrenalin, Lidocain oder Atropin in 10 ml 0,9% NaCl in den distalen Tracheobronchialbaum eingebracht und anschließend durch tiefe Beatmungsstöße alveolär verteilt werden.
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Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
AHA
ERC
bewusstloser Patient
Alarmierung und Defibrillator holen
A
Atemwege öffnen Atmung beurteilen
B
keine Atmung: 2 x beatmen
Atemwege öffnen Lebenszeichen beurteilen
Alarmierung und Defibrillator holen
(Puls vorhanden: 1012 Beatmungsstöße/min Pulskontrolle alle 2 min)
Pulskontrolle C kein Puls
CPR: 30:2 bis AED angeschlossen
CPR: 30:2 bis AED angeschlossen D Rhythmusanalyse schockierbar (KF, pulslose KT) 1 Schock biphasisch gerätespezifisch (max. 200 J [Ws]) monophasisch: 360 J (Ws) sofort CPR für 2 min 5 Zyklen: 30:2
nicht schockierbar (PEA, Asystolie) während CPR: Korrektur reversibler Ursachen Elektrodenfunktion? venöser Zugang? Atemwegssicherung, O2 Adrenalin 1 mg alle 35 min erwäge: Amiodaron, Atropin, Magnesium
sofort CPR für 2 min 5 Zyklen: 30:2
reversible Ursachen: Toxine, Therapeutika Hypoxie Perikardtamponade Hypovolämie Spannungspneumothorax Hypo-/Hyperkaliämie Hydrogenionen (Azidose) Thrombose (koronar, pulmonal) Hypothermie
Abb. 1.8 ACLS-Algorithmus. Algorithmus fr Kammerflimmern (KF), pulslose elektrische Aktivitt (PEA) und Asystolie. AHA: American Heart Association, ERC: European Resuscitation Council.
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Tabelle 1.6 Wirkung
Pharmaka whrend CPR. Erste i. v. Dosen
Maximale Dosis
Endotracheale Hauptindikation Dosis
BD- und HMV- Adrenalin Steigerung
1 mg alle 3 – 5 min
0,2 mg/ kg KG
2,0 – 2,5 mg
2. Wahl
40 IU 1 Bolus
Rhythmuskontrolle
2. Wahl
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Pharmakon
Vasopressin
• Erstmedikament
Evidenz EG-C
bei allen Formen des Herz-KreislaufStillstands
• schockrefraktres EG-C Kammerflimmern
• schockrefraktres EG-B
Amiodaron
300 mg
2,2 g/24 h
Lidocain
1,0 – 1,5 mg/ kg KG
3 mg/ kg KG
2 – 4 mg/ kg KG
• Kammerflimmern EG-D
Atropin
1 mg alle 3 – 5 min
3 mg
2 – 3 mg
• hmodynamisch
Kammerflimmern
Magnesiumsulfat
1–2 g
Adenosin
6 mg in 1 – 3 s
EG-A
relevante Bradykardie, Zweitmedikament nach Adrenalin bei Asystolie
• Torsade de Pointes EG-C • supraventrikulre EG-A
12 mg in 1 – 2 min
Tachykardie oder SchmalkomplexTachykardie
BD: Blutdruck; HMV: Herzminutenvolumen
Weitere Maßnahmen Vor Verlegung auf die Intensivstation. Patienten mit perfundierendem, stabilem Rhythmus und sicherem i. v. Zugang werden unter Monitorüberwachung intubiert und beatmet auf die Intensivstation verlegt. Nach Stabilisierung des Patienten und Anschließen des Monitorings werden in unklaren Fällen das EKG (Tab. 1.1) und die Ätiologie (Tab. 1.2) erneut beurteilt. Das weitere Vorgehen richtet sich nach der zugrunde liegenden Rhythmusstörung. Ergänzungen und Kontrollen. Hierzu gehören: Ergänzung der Anamnese mithilfe von Ersthelfern, Rettungssanitätern, Angehörigen und früheren medizinischen Dokumentationen; Verbesserung des venösen Zugangs (unsauberes Anlegen des ersten Katheters), erneute Kontrolle von Blutgasen, Elektrolyten und anderen pathologischen Werten. Arrhythmiemanagement. Der hohe endogene Katecholaminspiegel nach CPR und das exogen zugeführte Adrenalin wirken in der ersten Zeit proarrhythmisch.
•
•
Tachykardien: Sie sind häufig und meist selbstlimitierend. In bedrohlichen Fällen werden Antiarrhythmika wie in der Akutphase eingesetzt (Tab. 1.6). Die intravenöse Betablockade (z. B. Esmolol 250 – 500 µg/kg KG oder Propranolol 1 – 3 mg über 2 – 5 min) ist hier indiziert (EG-B). Bei rezidivierendem Kammerflimmern wird erneut defibrilliert. Bradykardien und postdefibrillatorische Bradyarrhythmien: Diese werden bei bedrohlicher Hypotension mit Atropin (EG-A), bei Nichtansprechen mit transkutanem oder ösophagealem Schrittmacher therapiert, bis ein intravenöser Schrittmacher (EG-A) appliziert werden kann. Der Vagusreiz des tracheobronchialen Absaugens führt zusammen mit Hypoxie zu bedrohlichen Bradykardien. Kontraindikationen für einen Notfallschrittmacher sind schwere Hypothermien (Bradykardie als „physiologischer“ Rhythmus) und bradyasystolische Herz-Kreislauf-Stillstände, die länger als 30 min dauern (sehr schlechte Prognose).
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Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Postischämische Enzephalopathie. Die rasche Restitution eines perfundierenden Rhythmus mit guter zerebraler Oxygenierung durch Normalisierung des zerebralen Blutflusses ist die beste Prävention der postischämischen Enzephalopathie. Diese ist bei komatösen Überlebenden durch das Fortschreiten des neuronalen Schadens in den ersten 48 – 72 h nach erfolgreicher Reanimation gekennzeichnet. Es gibt derzeit keine therapeutische Maßnahme, die eine postischämische Enzephalopathie günstig beeinflusst. Mit folgenden supportiven Maßnahmen soll der zerebrale Schaden minimiert werden: • ZNS-zentrierte Behandlung (Optimierung der O2-Ratio): – Senkung des O2-Verbrauchs: Fieberkontrolle mittels Antipyretika (EG-B), Analgesie, Sedation, Antikonvulsion. – Steigerung des O2-Transports: Normotension: mittlerer arterieller Druck 90 – 100 mmHg, milde Hypothermie: 32 – 34 8C (EG-A), milde Hyperoxie: PaO2 > 100 mmHg (> 13,3 kPa) (EG-B), mechanische Beatmung: Beatmungsparameter im Normbereich (EG-B). Allgemeine Maßnahmen. Dabei stehen im Vordergrund: • Normalisierung von: Hämatokrit, Natrium, Osmolalität, Glukose, arteriellem pH (7,3 – 7,5). Tabelle 1.7
• • •
Kontrollen: Tägliche Suche nach Folgen der Splanchnikusischämie (Sepsis, beginnendes Multiorganversagen). Infusionen: Keine Glukoseinfusion, da diese in den ersten 48 – 72 h den anaeroben Metabolismus und die zerebrale Laktatazidose verschlechtert. Komplikationen: Vermeiden der wichtigsten Komplikationen, da sie eine erfolgreiche CPR in der Nachbehandlungsphase belasten (Tab. 1.7).
Besondere Merkpunkte Infektionsgefahren für Ersthelfer. Das Risiko einer Ansteckung mit Infektionskrankheiten während der CPR ist extrem gering. Der hämatogenen Übertragung von HIV, Herpes- oder Hepatitisviren wird durch Tragen von Plastikhandschuhen vorgebeugt. Die aerogene Übertragung multiresistenter Tuberkuloseerreger wird durch Beatmungshilfen mit Rückschlagventilen (z. B. Taschenmasken) eliminiert. Schwangerschaft und CPR. In dieser sehr seltenen Reanimationssituation sind zwei Leben vital bedroht, weswegen eine rasche Notsectio nach der 20. Schwangerschaftswoche indiziert ist. Die Mutter wird bis zur Sectio in Linksseitenlage zur Vermeidung einer Kompression der V. cava inferior nach den Richtlinien für Erwachsene einschließlich gleicher Pharmakadosen und Defibrillationsstöße reanimiert.
Komplikationen whrend CPR.
Aktion
Komplikation
Atemwege freimachen
• HWS-Traumatisierung • Laryngospasmus (Atemhilfen)
Beatmung
• Hypoventilation • Magenberblhung • alveolres Barotrauma (v. a. bei Kindern)
Thoraxkompression
• Frakturen: Rippen, Sternum (v. a. bei lteren Patienten) • Pneumothorax • Risse von Leber, Milz, Diaphragma, Magen
Defibrillation
• Verbrennungen • Explosion transdermaler Nitroglycerin-Patches • Stromschlag an nicht isolierte Helfer
Intubation
• einseitige Intubation (v. a. rechter Hauptbronchus) • Erbrechen und Aspiration von Mageninhalt • Verletzung und Blutung oberer Atemwege
Vençser Zugang
• Pneumothorax bei Subklaviapunktion
Herz-Kreislauf-Stillstand/kardiopulmonale Reanimation (CPR) und Frhdefibrillation
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung entwickeln unter Beatmung mit zu hohem inspiratorischem Druck einen erhöhten endexspiratorischen Druck („auto-PEEP“). Dieser reduziert den venösen Rückstrom in den Thorax, weswegen das kurzfristige Sistieren (10 – 30 s) der Ventilation während einer CPR solcher Patienten lebensrettend ist. Die Zufuhr von 100% O2 ist auch hier indiziert. CPR und Reperfusionsstrategie. Die pharmakologische (Thrombolyse) oder mechanische Gefäßeröffnung (koronare Angioplastie mit Dilatation und/ oder Stentung) als Standardtherapie bei akutem koronarem Syndrom (EG-A, EG-B) oder zentraler Lungenembolie (EG-A) ist auch nach einer CPR möglich. Eine erfolgreiche, kurz dauernde CPR sowie Defibrillationen sind nie Kontraindikationen einer nachfolgenden Thrombolyse oder koronaren Angioplastie (EG-A). Neben den bekannten Kontraindikationen für eine Thrombolyse sind jedoch die lang dauernde CPR mit multiplen Rippenfrakturen, die notfallmäßige Platzierung eines zentralvenösen Katheters (Ausnahme: von peripher eingelegt) oder die traumatische Intubation CPR-spezifische Kontraindikationen. CPR-Dauer, -Abbruch und potenzielle Organspende. Grundsatz: Im Zweifel mit der CPR beginnen, den Alarm auslösen und CPR fortführen, bis ein Entscheidungsträger sie beendet, der Patient wieder eine ausreichende Eigenatmung und Perfusion hat oder der klinische Tod zweifelsfrei vorliegt. • Dauer und Abbruch: Der Zeitpunkt des Abbruchs einer CPR wird durch den ärztlichen Leiter bestimmt. In dessen Entscheid fließen schwer in Richtlinien fassbare Elemente ein, wie Alter des Patienten, Informationen um vorbestehende Krankheiten, Angaben von Hausärzten und Angehörigen, Patientenverfügung, Dauer der CPR, mutmaßliche Dauer des Herzstillstandes bis zum Beginn der Reanimation. Pupillenveränderungen oder Zyanose alleine sind keine Kriterien zum Reanimationsabbruch. Eine CPR wird abgebrochen, wenn der Patient nach angemessener Reanimationsdauer keine mit dem Leben vereinbare Organperfusion aufrechterhält, unter der Voraussetzung von normalem Kalium, pH und Blutgasen und/oder Ausschluss einer Intoxikation oder einer wesentlichen Hypothermie. Prospektive Studien bei Erwachsenen und Kindern zeigten, dass ein Überleben von Patienten, die länger als 20 min außerhalb oder innerhalb der Klinik nach ACLS-Kriterien reanimiert wurden, praktisch ausgeschlossen ist.
•
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Anwesenheit von Angehörigen während CPR: Positive Auswirkungen auf die spätere psychische Verarbeitung der Angehörigen ist speziell bei Kindern bekannt und die Anwesenheit der Angehörigen wird auch für Erwachsene empfohlen. • Potenzielle Organspende: Vorübergehendes Versagen von Atemfunktion, Herztätigkeit und Kreislauf kann durch Reanimationstechnik kompensiert und überbrückt werden. Es ist jedoch nicht möglich, alle Auswirkungen des HerzKreislauf-Stillstandes mit vollständigem irreversiblem Funktionsausfall des ZNS und des Myokards durch medizinische Maßnahmen zu beheben. Ein irreversibler Funktionsausfall von Herzaktion, spontanem Kreislauf sowie ZNS über 20 min führt zwangsläufig zum Tode des gesamten Organismus. Ausnahmen bestehen bei Ertrinken, Hypothermie oder Intoxikationen von Patienten jugendlichen Alters. Die Diagnosestellung des Herztodes speziell im Hinblick auf Organentnahmen darf frühestens nach 20 min erfolgloser CPR unter stationären (!) klinischen Bedingungen erfolgen. Erfolglose Reanimation bedeutet, dass nie eine Rückkehr der Herzaktion mit perfundierendem und spontanem Kreislauf erzielt wurde und der Patient die klinischen Zeichen des Herztodes aufweist. Wenig wirksame Maßnahmen. Kontrollierte klinische Untersuchungen haben bei den nachfolgenden Maßnahmen keine eindeutige Verbesserung oder teilweise sogar eine Verschlechterung des neurologisch intakten Langzeitüberlebens ergeben (alle sind als EG-A oder EG-B dokumentiert). • Akutphase der CPR: – hoch dosiertes Adrenalin, – Puffersubstanzen, – Kalziumchlorid, – transthorakaler Schrittmacher. • Infusionsträger: – Glukoselösungen. • ZNS-Protektion: – Barbiturate, – Kalziumantagonisten. Spezialsituationen. Hypothermie, Ertrinken, Stromunfall (S. 525), Intoxikationen, v. a. Kokain (S. 545).
2
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2 Schock P. Hunziker, P. Rickenbacher
Übersicht 2 Schock 2.1 Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks 2.2 Einzelne Schockformen – Hypovolmischer Schock – Kardiogener Schock – Distributive Schockformen – Obstruktive Schockformen
2.1
Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks
Definition und Einteilung Akute, generalisierte kapilläre Minderperfusion der Organe mit beeinträchtigtem zellulärem Metabolismus. Klinische Definition: systolischer Blutdruck < 90 mmHg und mindestens ein weiteres Zeichen der Organminderperfusion (z. B. Oligurie, Bewusstseinstrübung, Laktatazidose). Funktionelle Einteilung der Schocksyndrome • Hypovolämischer Schock (s. S. 21), • kardiogener Schock (s. S. 22), • distributiver Schock (s. S. 24), – septischer Schock (s. S. 24), – anaphylaktischer Schock (s. S. 25), – neurogener Schock (s. S. 26), • obstruktiver Schock (s. S. 26), – massive Lungenembolie (s. S. 71), – Perikardtamponade (s. S. 77), – Spannungspneumothorax (s. S. 122).
Pathophysiologie Die adäquate Perfusion vitaler Organe ist abhängig vom Perfusionsdruck, welcher durch Herzminutenvolumen (HMV) und systemischen Gefäßwiderstand (SVR) bestimmt wird. Das HMV ist das Produkt von Schlagvolumen und Herzfrequenz. Das Schlagvolumen wird von drei Parametern beeinflusst: der Vorlast (enddiastolisches Ventrikelvolumen), der Nachlast (Bezug zum SVR) und der myokardialen Kontraktilität. Der mittlere Blutdruck (MAP), der für die Perfusion der Organe entscheidend ist, wird in Ruhe durch eine Reihe von physiologischen Regulationsmechanismen in einem engen Bereich von 90 – 100 mmHg gehalten. Der MAP kann zur Beurteilung des Schockzustands dienen gemäß folgender physiologischer Gleichung: MAP (mmHg) = [{SVR (dyn. s/cm–5)/80} × HMV (l/min)] + ZVD (mmHg) Ein Abfall des MAP resultiert aus • einem Abfall des SVR als primärem pathophysiologischem Mechanismus bei distributiven Schockformen, • einer Verminderung des HMV bei hypovolämischen, kardiogenen und obstruktiven Schockformen oder • einer Verminderung des zentralvenösen Drucks (ZVD) (in der Praxis von untergeordneter Bedeutung). Unabhängig von der Ursache führt ein andauernder Schock zum Zelltod. Der Schockzustand wird irreversibel, es kommt zu Endorganschädigungen wie dem Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS, s. S. 118), akutem Nierenversagen (s. S. 158), disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC, s. S. 227), schlussendlich zum Multiorganversagen und Tod.
Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks
Klinik
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Schock
Hämodynamik kühl
Peripherie
warm
HMV SVR hypovolämisch kardiogen obstruktiv
Halsvenenfüllung
distributiv
ZVD, PCWP kardiogen obstruktiv
hypovolämisch spezifische Befunde
Anamnese Klinik Diagnostik kardiogen
obstruktiv
neurogen
septisch
anaphylaktisch
Abb. 2.1 Initiale Differenzierung der Schockformen nach klinischen und hämodynamischen Parametern. HMV = Herzminutenvolumen, SVR = systemischer Gefßwiderstand, ZVD = Zentralvenendruck, PCWP = Pulmonalkapillardruck.
Typische Krankheitszeichen
Notfallanamnese
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Tachykardie, arterielle Hypotonie (< 90 mmHg), niedrige Blutdruckamplitude, Tachypnoe, blasse, kalte, feuchte Haut, evtl. Zyanose (Ausnahme: warme, trockene Haut bei distributiven Schockformen), fehlende Füllung der V. jugularis externa in Horizontallage (Ausnahme: kardiogener und obstruktiver Schock), Oligurie bis Anurie, Angst, motorische Unruhe; bei länger dauernden und schweren Schockzuständen Apathie, quantitative und qualitative Bewusstseinstrübung.
Differenzialdiagnose Das Erkennen eines Schockzustandes bietet in der Regel keine großen Schwierigkeiten. Weniger einfach ist oft das Erkennen der Schockursache. Im Algorithmus ist vereinfacht die initiale Differenzierung der Schockformen nach klinischen und hämodynamischen Parametern dargestellt (Abb. 2.1).
•
Vorausgegangene Erkrankungen, Zeichen von Blut- oder Flüssigkeitsverlust, Schmerzen (Lokalisation, Dauer, Schmerztyp), Atemnot, Husten, Auswurf, Fieber, Schüttelfrost, Allergien, Einnahme von Arzneimitteln und Drogen (kardiovaskuläre Arzneimittel, Alkohol, Barbiturate, Kokain, Heroin etc.), vorausgegangene chirurgische Eingriffe, instrumentelle Manipulationen, Verletzungen.
Notfalluntersuchung Klinik
• • • • •
Herzfrequenz (Tachykardie), Blutdruck (Hypotonie), Atemfrequenz und -typ (Tachypnoe), Körpertemperatur (Fieber, Hypothermie), periphere Durchblutung (Farbe, Feuchtigkeit, Temperatur der Haut; Rekapillarisierungszeit am Nagelbett, Venenfüllung),
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2 • • • • •
Schock
sonstige Hautveränderungen (Hämatome, Urtikaria, Ödeme), Halsvenenfüllung, hepatojugulärer Reflux, Herz- (Herzinsuffizienz, Vitium), Lungen- (Pneumonie, Stauung, Pleuraerguss) und Abdominaluntersuchung (akutes Abdomen, Ileus, Aszites), Urinausscheidung (Oligurie, Anurie), Bewusstseinszustand, Meningismus.
Diagnostik
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Labor – Hämoglobin oder Hämatokrit (Anämie), – Leukozyten mit Differenzierung (Leukozytose, Leukopenie, Linksverschiebung, toxische Zeichen), – Thrombozyten (Thrombozytopenie), – Blutgruppenbestimmung, – Natrium, Kalium, Harnstoff, Kreatinin (Niereninsuffizienz), – Blutzucker (Hyper- oder Hypoglykämie), – CK, Troponin (Myokardinfarkt, Rhabdomyolyse), – Bilirubin, ALAT, ASAT, alkalische Phosphatase, g-GT (Hämolyse, Leberschädigung), – Kalzium, – pO2 und pCO2 arteriell, pH, Basendefizit, Bikarbonat, Laktat (Hypoxämie, metabolische Azidose, Laktatazidose), – Prothrombinzeit, Gerinnungsfaktoren II, V und VII, Fibrinogenspaltprodukte (DIC), – C-reaktives Protein (CRP), Blut-, Urin- und Sputumkulturen vor Therapiebeginn, SputumGrampräparat (Infekt), – Urinstatus. EKG und Röntgen-Thorax. Weitere diagnostische Maßnahmen je nach vermuteter Schockursache.
Therapie Generelle Richtlinien zum Notfallmanagement Intensivstation. Die Aufnahme auf eine Intensivpflegestation ist erforderlich. Jeder Schock ist ein akut lebensbedrohlicher Zustand, dessen Differenzialdiagnose, Behandlung und Überwachung einen großen Aufwand an Diagnostik, technischen und pflegerischen Maßnahmen erfordert. Primäres Ziel ist die rasche kardiopulmonale Stabilisierung. Gleichzeitig ist die Schockursache zu klären und die gezielte Behandlung des zugrunde liegenden Problems einzuleiten.
Lagerung. Im Prinzip wird der Schockpatient flach gelagert. Kopftieflagerung oder Hochlagerung der unteren Extremitäten beeinträchtigen unter Umständen die Atmung. Volumenersatz und Vasoaktiva. Ziel ist die Wiederherstellung einer effektiven Gewebeperfusion durch Optimierung des HMV und des MAP. Angestrebt werden die rasche Normalisierung des effektiven zirkulierenden Blutvolumens und die Optimierung der Vorlast und damit des HMV. Die Flüssigkeitsmenge wird primär nach klinischen Endpunkten (Blutdruck, Herzfrequenz, Urinproduktion) titriert. Falls keine rasche Behebung des Schockzustandes eintritt: ZVD messen zur Steuerung der Volumensubstitution. Bei schwer kranken Patienten kann der ZVD außer bei extremer Hypo- oder Hypervolämie schlecht mit Blutvolumen und Flüssigkeitsbedarf korrelieren. Nützlicher als der absolute Wert sind deshalb Veränderungen des ZVD und des arteriellen Blutdruckes auf Volumenboli. Da kein Überlebensvorteil für den routinemäßigen Einsatz des Pulmonaliskatheters gezeigt werden konnte, ist dessen Verwendung bei den meisten Schockpatienten fakultativ. Praktisches Vorgehen. Bei unklarem Volumenstatus 250 – 500 ml einer isotonen kristalloiden Lösung in 10 min infundieren: Bei einem Anstieg des ZVD bzw. pulmonal-kapillären Verschlussdrucks (PCWP) von £ 3 mmHg Infusion weiterführen, bei einem Anstieg von > 3, aber < 6 Infusionsgeschwindigkeit reduzieren, und bei einem Anstieg von > 6 mmHg Infusion pausieren. Vorsicht bei einem ZVD von > 12 – 15 mmHg (Gefahr der Überwässerung). Die Diskussion, ob kristalloide oder kolloide Lösungen zum Flüssigkeitsersatz besser geeignet sind, ist nach wie vor offen. Wichtiger als die Art ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeitssubstitution. Kristalloide. Kristalloide sind billig, sicher, überall verfügbar und reaktionsfrei. Nur 20 – 33 % der infundierten Flüssigkeitsmenge verbleiben nach 1 Stunde in Zirkulation. Im Vergleich zu Kolloiden muss deshalb die 3- bis 4-fache Flüssigkeitsmenge infundiert werden. Die Zufuhr von großen Mengen an Kristalloiden führt häufig zu peripheren Ödemen und gelegentlich zum Lungenödem. Wichtigste Vertreter sind: • isotone (0,9%) NaCl-Lösung, • Ringer-Laktatlösung, • isotone (5 %) Glukoselösung. Kolloide. Sie enthalten Bestandteile mit hohem Molekulargewicht und verbleiben deshalb länger im intravaskulären Raum als Kristalloide. Wegen ihres onkotischen Drucks ziehen sie zudem Flüssigkeit aus dem extra- in den intravaskulären Raum.
Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks
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•
•
Stärkekolloide: Molekulargewicht und Zahl der Hydroxyethylgruppen charakterisieren die Hydroxyethylstärke (HAES). Im Gebrauch sind Kolloide mit mittleren Molekulargewichten von 450 000 D und 200 000 D (HAES450 bzw. HAES200). Es sind Volumenexpander mit langer Wirkdauer von 3 – 24 h und langsamer renaler Ausscheidung (46% innerhalb von 2 Tagen, 64 % innerhalb von 8 Tagen). – Dosierung: bis maximal 20 mg/kg KG/24 h. – Unerwünschte Wirkungen: Thrombopenie, Verlängerung der Prothrombin- und partiellen Thromboplastinzeit, anaphylaktische Reaktionen, Hyperamylasämie (klinisch nicht bedeutsamer Enzym-Substrat-Komplex). – Kontraindikationen: Gerinnungsstörungen, Niereninsuffizienz mit Oligo- oder Anurie. Dextrane: Hochmolekulare Polysaccharide, wirken als Volumenexpander. Dextran 70: mittleres Molekulargewicht 70 000 D; Dextran 40: mittleres Molekulargewicht 40 000 D. Der intravasale Volumeneffekt von Dextran 70 dauert 4 – 6 h, derjenige von Dextran 40 hält 3 – 4 h an. Dextran 70 hat zusätzlich einen antithrombotischen Effekt durch Hemmung der Thrombozytenfunktion. Dieser ist etwas geringer beim Dextran 40, das aber die Erythrozytenaggregation (Sludge) hemmt und so die kapilläre Durchblutung begünstigt. – Dosierung: maximal 20 ml/kg KG in den ersten 24 Stunden. – Unerwünschte Wirkungen: anaphylaktische Reaktionen (0,3 – 5%, Prophylaxe mit 20 ml Dextran 1 [= Hapten] i. v. 1 – 2 min vor Beginn der Therapie mit Dextran 70 oder 40), Blutungen, Niereninsuffizienz. – Kontraindikationen: Gerinnungsstörungen, Antikoagulation oder Thrombolyse, Niereninsuffizienz mit Oligo- oder Anurie. Gelatinekolloide: Aus Kollagen gewonnene, modifizierte Gelatine. 3,5 – 5,5%ige (35 – 55 g/l) Lösungen mit mittlerem Molekulargewicht um 30 000 D. Volumeneffekt geringer als bei Dextran- oder Stärkekolloiden. Mittlere intravaskuläre Verweildauer 3 – 4 h. Ausscheidung rasch und weitgehend durch die Nieren (osmotische Diurese!). Keine Beeinflussung des Gerinnungssystems. – Dosierung: entsprechend Volumenverlust. – Unerwünschte Wirkungen: anaphylaktische Reaktionen. – Kontraindikationen: Niereninsuffizienz mit Oligo- oder Anurie.
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Blut und Blutprodukte. Bei Verlusten, die > 30% des Blutvolumens betragen (Hk < 30%, Hb < 10 g/dl), soll Blut als Ersatz transfundiert werden. • Blutkonserven, Erythrozytenkonzentrate: ½–2⁄3 des geschätzten Verlustes werden durch Erythrozytenkonzentrate ersetzt. Der Rest kann mit erythrozytenfreien Lösungen substituiert werden. In Notfällen kann, bis getestetes Blut zur Verfügung steht, blutgruppenspezifisches (noch ungetestetes) oder 0-negatives Blut transfundiert werden. Zielwert: Hb 7 – 10 g/dl, je nach klinischer Situation. – Unerwünschte Wirkungen: Inkompatibilitätszwischenfälle (Therapie s. S. 237); bei Massentransfusion Zitrattoxizität, Hyperkaliämie, Hypokalzämie, Hypothermie; Transfusionshepatitis, HIV-Infektion und andere transfusionsvermittelte Erkrankungen. • FFP (fresh-frozen plasma): Benötigt 20 – 40 min zum Auftauen und muss innerhalb von 2 h infundiert werden. FFP enthält keine funktionstüchtigen Thrombozyten, aber normale Mengen an Gerinnungsfaktoren (außer Faktor V und Faktor VIII). – Indikationen: kritische Mangelzustände an Gerinnungsfaktoren wie Verdünnungskoagulopathie bei Massentransfusion, VitaminK-Mangelzustände mit akuter Blutung, Leberinsuffizienz. – Unerwünschte Wirkungen: Transfusionshepatitis, HIV-Infektion und andere transfusionsvermittelte Erkrankungen. • Humanalbuminlösung 20%: Albumin sollte wegen Hinweisen auf eine erhöhte Mortalität unter Therapie nicht als Mittel der ersten Wahl zur Volumensubstitution eingesetzt werden (EG-A). Vasoaktiva. Verwendet werden vorwiegend Sympathomimetika. Diese wirken über die Stimulation adrenerger a- und/oder b-Rezeptoren (Tab. 2.1). Ziele sind die Erhöhung des HMV (positiv inotrope Substanzen) und/oder eine Modifikation des SVR (Vasopressoren, Vasodilatatoren). Betasympathomimetika steigern Herzfrequenz und Kontraktilität, Alphasympathomimetika den SVR. Die Kombination verschiedener Substanzen erfolgt je nach Schockform und Klinik. Vor dem Einsatz vasoaktiver Substanzen muss die Hypovolämie korrigiert werden. Wegen der Gefahr von unerwünschten Wirkungen sollen Vasoaktiva nur temporär mit strenger Indikationsstellung und unter intensivem Monitoring eingesetzt werden. Inwieweit Vasoaktiva (außer evtl. bei septischem Schock) zu einer Verbesserung der Prognose von Schockzuständen beitragen, ist ungewiss (EG-D).
2
Medikamentçse Therapie mit Vasoaktiva.
Arzneimittel
Initialbehandlung des Schocks
i. v. Dosis
Adrenerge Effekte
Arrhythmogenes Potenzial
Unerwünschte Wirkungen
Tachykardie, Myokardischmie, periphere Durchblutungsstçrungen, Kopfschmerzen, belkeit, Erbrechen
a
b
Dopamin
0,5 – 4 g/kg/min
1+
1+
3+
1+
5 – 15 g/kg/min
2+
2+
3+
2+
15 – 50 g/kg/min
3+
2+
3+
Dobutamin
kardiogener und septischer Schock, Lungençdem
2 – 30 g/kg/min
1+
3+
0
2+
Tachykardie, Myokardischmie, Hypotonie
Noradrenalin
distributive Schockformen
0,5 – 80 g/min
3+
2+
0
2+
Nekrosen bei lokaler Extravasation, s. a. Adrenalin
Adrenalin
therapierefraktrer Schock, Herz-Kreislauf-Stillstand, Status asthmaticus, anaphylaktischer Schock
0,5 – 100 g/min
2+
3+
0
3+
Palpitationen, Myokardischmie und -nekrosen, zerebrale Blutung, Hypertonie, Kopfschmerzen, Unruhe, Laktatazidose
Isoproterenol
symptomatische Bradykardie
2 – 10 g/min
0
3+
0
3+
Tachykardie, Myokardischmie, Palpitationen, Kopfschmerzen
Milrinon
Herzinsuffizienz
Bolus 50 g/kg 0,375 – 0,750 g/kg/ min
0
0
0
2+
Hypotonie, Myokardischmie, Thrombozytopenie, Kopfschmerzen
Nitroglyzerin
Linksherzinsuffizienz
25 – 600 g/min
0
0
0
0
Hypotonie, Tachykardie, Kopfschmerzen
Natriumnitroprussid Linksherzinsuffizienz
10 – 400 g/min
0
0
0
0
Hypotonie, Tachykardie, Myokardischmie, Thiocyanattoxizitt (s. S. 481)
Schock
Dopamin
Hauptindikationen
18
Tabelle 2.1
Allgemeines zur Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Schocks
•
•
•
•
Sympathomimetika: Wirkdauer wenige Minuten. – Dopamin: Wirkungsspektrum dosisabhängig: in mittleren Dosen Steigerung des HMV, in hohen Dosen Vasokonstriktion mit Steigerung des SVR. Die im Experiment bestehende spezifische Dopaminwirkung an den splanchnischen Gefäßen führt in klinischen Studien nicht zu einem Behandlungsvorteil. – Dobutamin: stark positiv inotrop, senkt den SVR; weniger positiv chronotrop und arrhythmogen als Dopamin. – Noradrenalin: erhöht den arteriellen Blutdruck und den SVR. Das HMV bleibt unverändert. Bei nichtseptischem Schock wird unter Noradrenalin der Blutfluss zu Nieren, Leber, Splanchnikusgebiet und Skelettmuskulatur vermindert. Applikation über eine zentrale Vene wegen der Gefahr von Nekrosen bei lokaler Extravasation. Medikament der 1. Wahl bei septischem Schock. – Adrenalin: in niedriger Dosierung vorwiegend b-adrenerge Wirkung mit positiver Ino- und Chronotropie sowie leichter peripherer Vasodilatation. Mit steigender Dosierung vermehrte a-Rezeptoren-Stimulation. Negative Effekte auf intestinalen Blutfluss und Laktatproduktion. – Isoproterenol: potenter, nichtselektiver b-adrenerger Agonist. Positiv inotrop und chronotrop. SVR sinkt, der mittlere Blutdruck bleibt stabil oder sinkt leicht. Bei höheren Dosen exzessiver Anstieg des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. Der Einsatz bei Schock ist auf wenige Fälle mit refraktärer Bradykardie beschränkt. Vasopressinderivate: potente Vasokontriktoren mit Wirkung in allen Gefäßbetten. Reservemedikament bei schwerstem therapierefraktärem vasoplegischem Schock. Hohe Ischämiegefahr an Extremitäten und an den splanchnischen Gefäßen. Kalzium-Sensitizer: Der Kalzium-Sensitizer Levosimendan führt durch Interaktion mit den myokardialen Filamenten zu einer positiv inotropen Wirkung, ohne dass dies wie bei den Katecholaminen von einem Herzfrequenzanstieg oder einer Vasokonstriktion begleitet ist. Eine günstige Wirkung im experimentellen Schockmodell ist noch nicht durch klinische Studien am Menschen abgestützt. Vasodilatatoren: Diese bewirken eine Verminderung der Nachlast durch Senkung des SVR und/ oder eine Reduktion der Vorlast durch Erweiterung des peripheren Venensystems. Beides führt zu einer Erhöhung des HMV, zur Senkung des
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ventrikulären Füllungsdrucks, somit zur Verringerung des Sauerstoffbedarfs. Vor Therapiebeginn Hypovolämie korrigieren, um eine exzessive Blutdrucksenkung zu vermeiden. – Nitrate (Nitroglyzerin, Isosorbiddinitrat): direkte Wirkung auf die Gefäßmuskulatur. Vorwiegend venöse Vasodilatation und Koronardilatation. Toleranzentwicklung bei > 24- bis 48-stündiger kontinuierlicher Gabe. Häufig empfiehlt sich eine Kombination mit Dopamin und/oder Dobutamin. – Natriumnitroprussid: direkte Vasodilatation der Gefäßmuskulatur. Beeinflusst in ähnlichem Ausmaß peripher arterielle wie venöse Kreislaufabschnitte.
Ventilation und Oxygenierung Sauerstoffzufuhr. Diese ist bei allen Patienten mit Schock indiziert! Ziel: PaO2 > 8 – 10 kPa und SaO2 > 92 – 95 %, mittels Nasensonde (2 – 4 l/min) oder Maske (6 – 10 l/min). Intubation und künstliche Beatmung. Muss bei protrahiertem, schwerem Schockzustand früh in Betracht gezogen werden. Die Atemarbeit wird vermindert, der Sauerstoffverbrauch gesenkt, und es erfolgt eine Redistribution des Blutflusses von der Atemmuskulatur zu anderen Organen (Technik der Intubation s. S. 626, künstliche Beatmung s. S. 120). Indikationen. Indikationen zur künstlichen Beatmung sind: • globale und schwere partialrespiratorische Insuffizienz mit PaCO2 > 8 kPa und/oder PaO2 < 8 kPa unter Sauerstoffzufuhr, • persistierende respiratorische Azidose, • Tachypnoe > 30 – 35/min mit Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, • respiratorische Erschöpfung, • bei bewusstseinsgetrübten Patienten zur Sicherung der Atemwege unabhängig vom Gasaustausch.
Übrige medikamentöse Therapie Korrektur von Störungen des Säure-BasenGleichgewichtes. Häufig erfolgt eine Verbesserung der metabolischen Azidose durch adäquate Oxygenierung und Gewebeperfusion. Der Nutzen einer Alkalitherapie bei Patienten mit Schock und Azidose ist umstritten, da sie die CO2-Produktion akut erhöht und durch Diffusion des CO2 ins Zellinnere die intrazelluläre Azidose akut verstärken kann. Eine Korrektur ist nur bei schwerer, persistierender metabolischer Azidose (pH < 7,1) in Betracht zu ziehen. Zur
20
2
Schock
raschen Korrektur wird Natriumbikarbonat (NaHCO3) 8,4% (1 ml = 1 mmol NaHCO3) eingesetzt. Die Dosis wird nach folgender Formel berechnet: mmol NaHCO3 =
negativer Basenüberschuss × 0,3 × kg KG
Im ersten Schritt wird nur die Hälfte der errechneten Menge ersetzt. Die weitere Titrierung erfolgt auf der Basis von Blutgasanalysen.
Cave! Hypernatriämie und Hypokaliämie (Weiteres s. S. 199).
Antibiotika. Eine prophylaktische Antibiotikagabe ist bei Verdacht auf septischen Schock und bei Nachweis sekundärer Infektionen bei anderen Schockformen gerechtfertigt. Nicht mit dem Beginn der antibiotischen Behandlung zuwarten bis Bakteriologie mit Resistenzprüfung vorliegt, sondern sehr früh empirische Infekttherapie durchführen, sobald Blutkulturen abgenommen worden sind (Tab. 9.1, S. 267). Glukokortikoide. Der generelle Einsatz von Glukokortikoide bei Schock und Sepsis wird kontrovers diskutiert. Eine Substitution mit Hydrocortison bei therapierefraktärem septischem Schock scheint jedoch den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen (EG-A). Intravenöse Steroide sind obligat bei Nebennierenrindeninsuffizienz.
• •
• • •
• •
•
Weitere Maßnahmen
• • •
Weiterführung der supportiven Maßnahmen, Abklärung der Schockursache und Einleitung einer kausalen Therapie (s. Abschnitt 2.2), Behandlung von Komplikationen wie ARDS (s. S. 118), akute Niereninsuffizienz (s. S. 158), DIC (s. S. 227), Infektionen (s. S. 265).
•
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
•
Herzfrequenz und -rhythmus. Arterieller Blutdruck: Die Blutdruckmessung nach Riva-Rocci ist im Schock nur bedingt verwertbar (wegen peripherer Vasokonstriktion oft zu tiefe Werte). Direkte arterielle Blutdruckmessung in der A. radialis ist zu bevorzugen. Der femorale arterielle Zugang ist bezüglich Katheterinfekten weniger günstig, kann aber bei Verwendung eines PICCO-Katheters zusätzliche Informationen über die Kreislaufsituation geben. Atemfrequenz und -typ.
•
Beurteilung der peripheren Zirkulation: Wiederauffüllungszeit der Kapillargefäße nach Druck auf das Fingernagelbett, Hauttemperatur, Temperaturstufen an den Extremitäten. Diurese: Die Urinmengen sollten nach Einlage eines Blasenkatheters und Ableitung in ein graduiertes Gefäß stündlich gemessen werden. Mengen von < 25 ml/h sind kritisch: schockbedingte, prärenale oder durch andere Nierenschädigung verursachte Oligo-/Anurie (s. S. 158). Körpertemperatur. Bewusstseinsstörungen (s. S. 439). Pulsoxymetrie: Schätzung der arteriellen Sauerstoffsättigung (SaO2), gute Genauigkeit bei Normoxämie und mäßiger Hypoxämie (SaO2 > 75 %). Häufige Fehlerquellen: Bewegungsartefakte, schlechte periphere Perfusion sowie Methämoglobin- und Carboxyhämoglobinämie. Arterielle Blutgasanalyse (ABGA): Die Frequenz der ABGA-Kontrollen richtet sich nach dem Schweregrad der respiratorischen bzw. metabolischen Entgleisung. Weitere Laboruntersuchungen: Serielle Abnahme von Elektrolyten und Kreatinin, Bestimmung von Gerinnungsparametern und Blutbild, weitere Untersuchungen in Abhängigkeit von der Schockursache. Zentralvenendruck (ZVD): Erlaubt die Abschätzung des rechtsventrikulären Füllungsdrucks unter Volumentherapie. Die Beurteilung der Funktion des linken Ventrikels mit dem ZVD ist – v. a. bei kritisch Kranken mit kardiopulmonalen Affektionen – unzuverlässig. Der ZVD wird durch die Atmung und die mechanische Ventilation beeinflusst. Deshalb immer zum selben Zeitpunkt während des respiratorischen Zyklus, üblicherweise endexspiratorisch, messen. Technik der Kathetereinlage s. S. 623. Zentralvenöse und gemischtvenöse Sauerstoffsättigung: Die mittels Zentralvenenkatheter bestimmte zentralvenöse Sauerstoffsättigung (ScvO2) oder die mittels Pulmonaliskatheter bestimmte gemischtvenöse Sättigung (SvO2) sind zusätzlich wertvoll für die Beurteilung des Volumenstatus bei septischem Schock. Sie geben Hinweise auf die Änderungen des HMV bei allen Schockformen, was die Beurteilung des Therapieerfolges und die Therapiesteuerung vereinfachen kann. Druck in der A. pulmonalis. Dieser ist aussagekräftiger als der ZVD. Nach Ausschluss von Vitien der Mitralklappe und einer pulmonal-arteriellen Hypertonie besteht eine gute Korrelation zwischen PCWP und linksventrikulärem enddiastolischem
Einzelne Schockformen Druck. Der Pulmonaliskatheter erlaubt zusätzlich die Bestimmung des HMV und der gemischtvenösen Sättigung in der A. pulmonalis sowie die Berechnung der Kreislaufwiderstände zur Therapiesteuerung. Wegen des unklaren Nutzen-Risiko-Verhältnisses ist die Indikation zur Einlage eines Pulmonaliskatheters aber streng zu stellen, und die Einlage sollte nur bei entsprechender Erfahrung vorgenommen werden.
2.2
Einzelne Schockformen
Hypovolämischer Schock Definition und Einteilung Akutes Kreislaufversagen durch Verminderung des zirkulierenden Blutvolumens nach Verlust von Blut, Plasma oder Elektrolyten und Wasser.
Einteilung Blutverluste (hämorrhagischer Schock). Bei jeder Blutung ist die Möglichkeit einer Gerinnungsstörung oder vorangegangenen Antikoagulation in Betracht zu ziehen (s. S. 216). • Blutungen nach außen – Verletzungen: große Gefäße, – Magen-Darm-Trakt: Ösophagusvarizen, Mallory-Weiss-Syndrom, peptische Ulzera, hämorrhagische Entzündungen, Divertikel, Neoplasien, – Lunge: Thorax- und Lungenverletzungen, Tuberkulose, Neoplasien, Bronchiektasen, – Nieren- und Blasenblutungen: Neoplasien, Prostatektomie, Nierenbiopsie, – weibliches Genitale: Aborte, postpartal, Neoplasien. • Blutungen nach innen – retroperitoneal: abdominelle Aneurysmablutung, hämorrhagische Pankreatitis, – intraperitoneal: Milzruptur, Leberruptur, Mesenterialinfarkt, ektope Schwangerschaft, – Thoraxraum: Aortendissektion, Perikardtamponade, traumatischer oder iatrogener Hämatothorax, – Weichteile: Muskeltrauma, Frakturhämatome.
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Verluste von Plasma, Wasser und Elektrolyten. Auch Flüssigkeitsverluste können nach innen und außen vorkommen. • Äußerer Flüssigkeitsverlust – Magen-Darm-Trakt: massives Erbrechen, Durchfälle, Fistelbildungen, postoperative Drainage, – renal: Nephropathien, Endokrinopathien, Diuretika, – Haut: Verbrennungen. • Innerer Flüssigkeitsverlust – Verletzungen: stumpfes Trauma, – Magen-Darm-Trakt: Peritonitis, Pankreatitis, Ileus. • Ungenügende Zufuhr.
Pathophysiologie Kreislaufzentralisation. Als Folge der Verminderung des zirkulierenden Blutvolumens sinkt die ventrikuläre Vorlast, dadurch das Schlagvolumen und HMV und die Organperfusion. Vermittelt durch das sympathische Nervensystem und neuroendokrine Mechanismen, kommt es kompensatorisch zum Anstieg der Herzfrequenz und zur peripheren Vasokonstriktion. Diese Veränderungen gehen einher mit einer Redistribution des Blutflusses weg von weniger vitalen Geweben zugunsten von Gehirn und Herz. Bei Versagen dieser Kompensationsmechanismen (rascher Verlust von > 20 – 25% des zirkulierenden Blutvolumens) sinkt das HMV weiter ab. Es entwickelt sich eine Hypotonie trotz generalisierter Vasokonstriktion. Bei persistierendem Schockzustand folgen Endorganschädigungen, Multiorganversagen und Tod.
Typische Krankheitszeichen (s. auch S. 15) Diese hängen ab vom Ausmaß des Flüssigkeitsverlustes, von der Geschwindigkeit des Auftretens und von Alter und Begleiterkrankungen des Patienten. Der Schweregrad der klinischen Zeichen erlaubt eine Schätzung des Volumenverlustes. • Verluste von < 20% des zirkulierenden Blutvolumens: geringe Tachykardie, diskrete Zeichen peripherer Vasokonstriktion, Blutdruck normal oder gering erniedrigt, orthostatische Hypotonie, konzentrierter Urin. • Verluste von 20 – 40% des zirkulierenden Blutvolumens: Tachykardie von 100 – 120/min, verminderte Pulsamplitude, systolischer Blutdruck 90 – 100 mmHg, Unruhe, Blässe, kalter Schweiß, Durst, Oligurie.
22
2 •
Schock
Verluste von > 40% des zirkulierenden Blutvolumens: Tachykardie > 120/min, systolischer Blutdruck < 60 mmHg, Blässe, Bewusstseinstrübung, Tachypnoe, kalte Extremitäten, Anurie.
Differenzialdiagnose
• • •
Andere Schockursachen (Abb. 2.1, S. 15), Alkoholintoxikation, schwere Hypoglykämie.
Notfallanamnese
• • • • • • • •
Thoraxschmerz, mechanische Atemstörung, Atemnot, Hämoptoe, Schmerz im Abdomen, Meläna, Hämatemesis, pulsierender Tumor im Abdomen, Diarrhö, Erbrechen, Flüssigkeitszufuhr, Menstruationsstörungen, Hämatome, Schwellungen an Extremitäten, Gerinnungsstörungen, Antikoagulation, Traumata.
Therapie Notfallmanagement Allgemeine Maßnahmen bei Schock s. S. 16. Volumenersatz • Blutverluste – < 20% des Blutvolumens: Ersatz mit erythrozytenfreien Lösungen, – 20 – 40% des Blutvolumens: Ersatz mit Erythrozytenkonzentraten und erythrozytenfreien Lösungen (im Verhältnis von ca. 1 : 1), – > 40% des Blutvolumens: Ersatz mit Erythrozytenkonzentraten und erythrozytenfreien Lösungen (im Verhältnis von ca. 2 : 1), – FFP: bei Massentransfusion oder Gerinnungsstörung. • Verlust von Plasma, Wasser und Elektrolyten – Volumenersatz mit erythrozytenfreien Lösungen, – Korrektur von Elektrolyten (s. S. 193) und Serumosmolalität (s. S. 197).
Weitere Maßnahmen
Notfalluntersuchung
•
Konservative oder chirurgische Maßnahmen zur Behebung der Schockursache.
Klinik
• • •
Inspektion, Palpation und Auskultation von Thorax und Abdomen (Verletzung, Blutungen etc.), Palpation und Auskultation der Bauchaorta und der großen peripheren Gefäße (Aneurysma), Rektaluntersuchung (Blut).
Diagnostik
•
•
Labor – Hämoglobin und Hämatokrit: Cave! Zur Schätzung des Blutverlusts initial nicht geeignet, da Zellmasse und Plasma im gleichen Verhältnis verloren gehen. Werte sinken erst nach einigen Stunden nach Verdünnung durch Einstrom interstitieller Flüssigkeit oder durch Volumenersatz. – Serum- und Urinosmolalität (Wasserdefizit). – Amylase oder Lipase (Pankreatitis). Evtl. Röntgenaufnahme des Abdomens (Ileus, freie Luft etc.).
Kardiogener Schock Definition und Einteilung Akutes Kreislaufversagen infolge eines verminderten systemischen HMV bei adäquatem intravaskulärem Volumen mit resultierender Gewebeischämie.
Einteilung
• •
• • •
Akuter Myokardinfarkt, mechanische Komplikationen des Myokardinfarkts, – Mitralinsuffizienz bei Papillarmuskeldysfunktion oder -abriss, – Ventrikelseptumdefekt, – Ruptur der freien Ventrikelwand, – Aneurysma des linken Ventrikels, Kardiomyopathie, Myokarditis, Myokardkontusion,
Einzelne Schockformen
•
valvuläre Herzkrankheit (Aortenstenose oder -insuffizienz, Mitralstenose oder -insuffizienz), • tachy- oder bradykarde Rhythmusstörungen, • nach kardiopulmonalem Bypass. Als Modellfall für den kardiogenen Schock soll der Schock bei Myokardinfarkt besprochen werden. Die initiale Therapie von Schockzuständen bei terminaler Herzinsuffizienz oder entzündlichen Myokarderkrankungen folgt im Prinzip den gleichen Richtlinien.
Schock bei Myokardinfarkt (s. auch S. 60) Pathophysiologie Ein Schock bei akutem Myokardinfarkt ist meist mit einem Verlust von > 40 % des linksventrikulären Myokards verbunden. Seltener tritt ein Schock bei vorwiegend rechtsventrikulärem Infarkt auf. Der rechtsventrikuläre Infarkt resultiert in einem volumensensitiven Zustand, im Gegensatz zum drucksensitiven Zustand bei linksventrikulärem Infarkt. Mechanische Komplikationen können alleine einen Schock auslösen oder zu diesem beitragen. Die Mortalität des kardiogenen Schocks liegt bei 30 – 90%.
Typische Krankheitszeichen
• • • • •
Symptome des Herzinfarkts mit zunehmender klinischer Verschlechterung (s. S. 60), Symptome des Schocks (s. S. 15), Hyperventilation, Dyspnoe, Erregung, Angstgefühl, Übelkeit, Erbrechen.
Differenzialdiagnose (Abb. 2.1, S. 15)
•
Andere Schockursachen, v. a. obstruktiver und hypovolämischer Schock.
Notfallanamnese (s. S. 56)
• • • • •
Bekannte koronare Herzkrankheit, Brustschmerzen, Dyspnoe, Palpitationen, Synkopen, bisherige Therapie, Kontraindikationen zur Thrombolyse.
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Notfalluntersuchung (s. S. 57) Klinik
• •
Palpation und Auskultation des Herzens: Herzwandaneurysma, 3. Herzton, Mitralsystolikum, holosystolisches Geräusch bei Ventrikelseptumdefekt, Perikardreiben. Perkussion und Auskultation der Lunge: Stauung, Erguss.
Diagnostik
• • • •
EKG, Echokardiografie, evtl. Pulmonaliskatheter, Koronarangiografie, Links- und evtl. Rechtsherzkatheteruntersuchung.
Therapie Notfallmanagement Allgemeine Maßnahmen bei Schock (s. S. 16). Spezifische Maßnahmen bei Myokardinfarkt (s. S. 57). Medikamentöse Therapie • Positiv inotrope Therapie – Dopamin und/oder Dobutamin: gemäß Hämodynamik (vgl. Tab. 2.1, S. 18). – Phosphodiesterasehemmer: selten, z. B. bei fehlendem Ansprechen auf Dopamin/Dobutamin unter Betablockade (vgl. Tab. 2.1). Cave! Blutdruckabfall (EG-D). • Optimierung von Vor- und Nachlast – Volumentherapie: Bei ca. 20% der Patienten mit kardiogenem Schock liegt eine relative Hypovolämie (verminderte Vorlast) vor. Bei einem PCWP < 10 – 12 mmHg kann eine vorsichtige Volumenzufuhr unter Kontrolle von PCWP (optimal 15 – 18 mmHg) zu einem Anstieg des HMV führen (EG-D). – Vasodilatatoren: Nitroglyzerin oder Natriumnitroprussid nur nach Stabilisierung des Blutdrucks und Optimierung des zirkulierenden Blutvolumens (EG-D). Cave! Weiterer Blutdruckabfall und Verschlechterung der Koronarperfusion. – Diuretika: Diuretika (z. B. Furosemid, 5- bis 10-mg-weise i. v.) sollten bei kardiogenem Schock vorsichtig eingesetzt werden nach Sta-
2
24
Schock
bilisierung des Blutdrucks bei Vorliegen eines Lungenödems (EG-D). Cave! Senkung der Vorlast mit Blutdruckabfall. Mechanische Kreislaufunterstützung. Diese kann durch die intraaortale Ballonpumpe oder bei lokaler Verfügbarkeit durch katheterbasierte „left ventricular assist devices“ erreicht werden. Indikationen s. S. 61; es gibt präliminäre Hinweise auf eine Verbesserung der Prognose zusammen mit Revaskularisation (EG-C). Wiederherstellung des koronaren Blutflusses. Die frühzeitige Wiederherstellung der Koronarperfusion ist anzustreben. • Thrombolyse (s. S. 59). Kein Nutzen bei bereits etabliertem Schock erwiesen. • Akut-PTCA (s. S. 59). Möglichst frühzeitig anzustreben bei allen Patienten im kardiogenen Schock, da sie zu einer Verbesserung der Prognose führen kann (EG-B). Spezialfall rechtsventrikulärer Infarkt. Patienten mit Schock bei rechtsventrikulärem Infarkt sind speziell sensitiv auf Volumendepletion und zeigen häufig eine hämodynamische Verschlechterung infolge Bradykardie oder Verlust der atrioventrikulären Synchronisation. Die Behandlung umfasst die Erhaltung der rechtsventrikulären Vorlast, inotrope Unterstützung und Senkung der rechtsventrikulären Nachlast (EG-C): • primär Volumentherapie zur Optimierung der Vorlast, • Dobutamin als positiv inotrope Substanz der ersten Wahl, • Cave! Nitrate und Diuretika, • evtl. arterielle Vasodilatatoren zur Senkung der rechtsventrikulären Nachlast, • evtl. sequenzielles Pacing, • rasche Reperfusion.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Siehe S. 20. • Invasives hämodynamisches Monitoring mit intraarterieller Blutdruckmessung, • evtl. Druckmessung in der A. pulmonalis und Bestimmung des HMV.
Besondere Merkpunkte Die Mortalität des kardiogenen Schocks ist hoch. Neben der allgemeinen Behandlung des Schockzustandes ist die frühzeitige Wiederherstellung der Koronarperfusion anzustreben.
Distributive Schockformen Septischer Schock Definition und Einteilung Siehe S. 14.
Pathophysiologie (s. auch S. 14, 265) Vasodilatation. Ausgehend von einem Infektionsherd kommt es zur Aktivierung vasodilatierender bei gleichzeitigem Versagen vasokonstringierender Mechanismen. Es dominiert die periphere Vasodilatation mit Abnahme des SVR und hohem HMV. Die Maldistribution des Blutflusses und die Störung der mikrovaskulären Perfusion einschließlich der Eröffnung peripherer Shuntgefäße führen zu zellulärer Dysfunktion. Trotz des hohen HMV ist die Myokardfunktion häufig eingeschränkt. Die Mortalität des septischen Schocks beträgt ca. 50%, am häufigsten als Folge von therapierefraktärer Hypotonie und/ oder Multiorganversagen, in 10 – 20% aufgrund einer progressiven Abnahme des HMV.
Typische Krankheitszeichen
• •
Schock allgemein s. S. 15, Sepsis s. S. 265.
Therapie Notfallmanagement (s. S. 16)
•
• •
Volumenersatz (s. S. 16): Der Volumenbedarf im septischen Schock ist erhöht. Die Volumentherapie ist die erste Maßnahme zur hämodynamischen Stabilisierung. Menge und Geschwindigkeit des Volumenersatzes richten sich nach der Hämodynamik (ZVD, PCWP) und dem Ansprechen auf die Therapie (EG-B). Ein Ziel-ZVD von 8 – 12 mmHg wird empfohlen. Ventilation und Oxygenierung (s. S. 120). Vasoaktiva (s. S. 17ff.): Noradrenalin, evtl. in Kombination mit Dobutamin als Mittel der 1. Wahl (EG-B) bei persistierender Hypotonie trotz genügender Volumengabe. Bei tiefer zentralvenöser Sättigung als Ausdruck einer ungenügenden kardialen Pumpleistung kann Adrenalin statt Noradrenalin eintitriert werden.
Einzelne Schockformen
• •
•
Antibiotika (Tab. 9.1, S. 267), sobald Blutkulturen abgenommen sind. Die systematische Implementierung der Richtlinien der „Surviving Sepsis Campaign“ (www.survivingsepsis.org) kann zu einer einheitlichen, prognostisch günstigen Therapie des septischen Schockes an einer gegebenen Institution führen. Eine Therapie mit aktiviertem Protein C sollte erwogen werden.
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Differenzialdiagnose (s. Abb. 2.1)
• • • • • •
Aspiration, Bronchitis, Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, Hypoglykämie, zerebrovaskuläres Ereignis, andere Schockursachen.
Anaphylaktischer Schock (s. S. 268) Definition und Einteilung Schock infolge plötzlicher Freisetzung von entzündlichen Mediatoren aus Mastzellen, vermittelt durch IgE oder andere Mechanismen (anaphylaktoide Reaktion).
Notfallanamnese
• • •
Vorausgegangene Injektionen, Allergien, Eruierung des Allergens.
Notfalluntersuchung
Einteilung
• •
Arzneimittel: Antibiotika (v. a. b-Lactam-Antibiotika, Sulfonamide, Streptomycin), Lokalanästhetika, Jodide (Röntgenkontrastmittel!), Dextrane, nichtsteroidale Antirheumatika, Opioide u. a. Fremdeiweiße und Polysaccharide: Insekten- oder Schlangengifte, Seren, Vakzine, Nahrungsbestandteile u. a.
Klinik (s. S. 15)
• • • •
Urtikaria, Schwellung der Schleimhäute, Bronchospasmus, Lungenödem, Herzrhythmusstörungen.
Therapie Pathophysiologie Die Freisetzung von Mediatoren bewirkt eine generalisierte Vasodilatation, Bronchokonstriktion, Thrombozytenaggregation und Erhöhung der vaskulären Permeabilität.
Typische Krankheitszeichen (s. S. 15) Erstsymptome. Sekunden bis Minuten nach Allergenkontakt treten auf: • Frösteln, Juckreiz, Urtikaria, generalisierte Ödeme, • Oppressionsgefühl, Dyspnoe, • Heiserkeit, Husten, • Palpitationen, Synkope, • abdominelle Schmerzen, Nausea, Erbrechen, Diarrhö, • Kopfschmerzen, Rhinorrhö, Lakrimation, • allgemeine Schocksymptome.
Notfallmanagement (EG-D)
• • • • • • • •
Adrenalin 1 : 1000: 0,3 – 0,5 ml s. c., Wiederholung alle 3 – 5 min bei Bedarf. Adrenalin 1 : 10 000: 2,5 – 10 ml i. v. bei fehlendem Ansprechen oder schwerer Manifestation, Wiederholung alle 10 – 20 min bei Bedarf. Antihistaminika: z. B. Dimetindenmaleat 4 mg oder Clemastin 2 mg i. v. Glukokortikoide: z. B. Methylprednisolon 250 mg i. v., Wiederholung alle 6 Stunden. Rasche Volumensubstitution: physiologische Kochsalzlösung. Vasoaktiva: bei persistierender Hypotonie nach obigen Maßnahmen Beginn mit Dopamin oder Noradrenalin, bei ungenügendem Effekt Kombination oder Adrenalin als Dauerinfusion. Ventilation und Oxygenierung: bei Zeichen eines beginnenden Larynxödems frühzeitige Intubation. Evtl. Inhalationstherapie (s. S. 109) und/oder Aminophyllin: Sättigungsdosis von 4 – 5 mg/kg KG über 20 – 30 min i. v.
26
2
Schock
Weitere Maßnahmen (s. S. 20)
• •
Fortführung der Steroid- und Antihistaminikatherapie für 2 Tage nach Behebung des Schockzustands. Eruierung des Allergens und weitere Maßnahmen (Allergieausweis etc.) vor Entlassung aus dem Krankenhaus.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Wegen Rezidivgefahr nach initialer Stabilisierung ist nach Verschwinden der Symptome eine Überwachung auf einer Intensivstation bis zu 24 h erforderlich. Cave! Biphasischer Verlauf bei ca. 25% der Patienten nach einem asymptomatischen Intervall von mehreren Stunden.
•
vorangegangene Anästhesie, Sympathektomie oder Verabreichung von Ganglienblockern und Sympatholytika.
Notfalluntersuchung (s. S. 15) Klinik
•
Neurostatus.
Diagnostik
•
Arzneimittelnachweis in Blut, Urin und Magensaft.
Therapie (s. S. 16) Notfallmanagement
Neurogener Schock Definition und Einteilung Schock infolge abnormer Erweiterung der venösen Kapazitätsgefäße oder infolge Versagens der neuralen Kontrollmechanismen des Kreislaufs.
Einteilung
• •
Medikamentöse Intoxikationen: Sedativa, Narkotika, Drogen (Heroin, Kokain). Schädigungen des ZNS: Querschnittläsion, Spinal-, Peridural- oder Epiduralanästhesie, ausgedehnte Sympathektomie.
Typische Krankheitszeichen (s. S. 15)
• • • •
Bewusstseinstrübung, Ventilationsstörungen bei Intoxikationen, Schwächegefühl, Lähmungen, Übelkeit bei Schädigung des ZNS.
Notfallanamnese (s. S. 15)
• •
Art, Menge und Zeitpunkt der eingenommenen Arzneimittel, meist durch Befragung von Drittpersonen, Rückenmarkstrauma,
Allgemeine Schocktherapie s. S. 16. Spezifische Therapie bei Intoxikationen siehe S. 459. Bei Bradykardie und Hypotonie nach Epiduralanästhesie kommen die folgenden Maßnahmen zum Einsatz: • Kopftieflage, • Atropin 0,5 – 1 mg i. v., • falls Hypotonie danach nicht behoben ist, Ephedrin 5 – 10 mg i. v. alle 10 min, • Dopamin bei persistierender Hypotonie.
Obstruktive Schockformen Auf folgende Schockformen wird in anderen Kapiteln eingegangen: • massive Lungenembolie (s. S. 71), • Perikardtamponade (s. S. 77), • Spannungspneumothorax (s. S. 122).
27
3 Kardiologie und Angiologie
Übersicht 3 Kardiologie und Angiologie 3.1 Herzrhythmusstörungen – Schmalkomplex-Tachykardien – Breitkomplex-Tachykardien – Bradykardien, Reizleitungsstçrungen – Notfallsituationen mit Herzschrittmachern – Notfallsituationen mit implantierbaren Cardioverter-Defibrillatoren (ICD) 3.2 Akute koronare Herzkrankheit 3.3 Linksherzinsuffizienz und Lungenödem 3.4 Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie – Thrombophlebitis – Tiefe Venenthrombose – Lungenembolie 3.5 Dekompensierte Rechtsherzinsuffizienz 3.6 Herztamponade – Perikarderguss 3.7 Obere Einflussstauung – V.-cava-superiorSyndrom 3.8 Aortendissektion 3.9 Aneurysma der Aorta abdominalis 3.10 Akuter Arterienverschluss – Akuter Verschluss von Becken- und Beinarterien – Akuter Verschluss von Armarterien 3.11 Infektiöse Endokarditis 3.12 Hypertensive Krise
3.1
Herzrhythmusstörungen S. Osswald, B. Schr, C. Sticherling
Definition und Einteilung Herzrhythmusstörungen sind Störungen der Reizbildung und/oder der Reizleitung des Herzens. Im weiteren Sinne zählen dazu auch fehlerhafte Interaktionen zwischen einem implantierten rhythmuskontrollierenden Gerät und dem herzeigenen Reizbildungs- und Reizleitungssystem. Rhythmusstörungen können isoliert oder als Symptom einer zugrunde liegenden Herzerkrankung auftreten, weshalb eine solche immer gesucht bzw. ausgeschlossen werden muss.
Einteilung für Notfallsituationen
•
• •
Schmalkomplex-Tachykardien (Frequenz > 100/min, QRS-Breite < 120 ms) – Sinustachykardien, – paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien, – isthmusabhängiges Vorhofflattern, nichtisthmusabhängiges Vorhofflattern – Vorhofflimmern (paroxysmal, persistierend, permanent). Breitkomplex-Tachykardien (Frequenz > 100/min, QRS > 120 ms) – Kammertachykardien (mono-, polymorph), – Kammerflimmern. Bradykardien, Reizleitungsstörungen – Asystolie, – pulslose elektrische Aktivität (PEA), – atrioventrikuläre (AV-)Blockierung Grad I – III – intraventrikuläre Blockierungen, Schenkeloder faszikuläre Blockbilder, – Syndrom des kranken Sinusknotens (Sick-Sinus-Syndrom)
28
3
a
Kardiologie und Angiologie
Tachykardie ohne Kreislaufstillstand, mit vorhandenem Puls ABC; Beurteilung Allgemeinzustand und Hämodynamik! Sind die Symptome tachykardiebedingt ? Monitorüberwachung, i. v. Zugang, O2
stabil keine Symptome adäquater Blutdruck HF < 150/min
instabil Beschwerden (AP, Dyspnoe etc.) Hypotonie tachykardiebedingt (HF > 150/min)
12-Kanal-EKG-Diagnose 4 Kategorien
Kardioversion
Vorhofflimmern Vorhofflattern
paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie (PSVT)
unklare Tachykardie mit breitem QRS-Komplex
Kammertachykardie (KT)
Abb. 3.1b
Abb. 3.1c
Abb. 3.11a
Abb. 3.11b
•
Spezielle Situationen – Herzschrittmacherdysfunktionen, – implantierbarer Cardioverter-Defibrillator (ICD). Die Abhandlung der einzelnen Rhythmusstörungen ist auf erste Sofortmaßnahmen beschränkt; eine umfassende Darstellung muss einem Lehrbuch für Arrhythmien vorbehalten bleiben. Eine exakte Diagnose und damit eine adäquate Therapie der Rhythmusstörungen ist ohne EKG nicht möglich. Bei der Besprechung der Rhythmusstörungen wird deshalb das Vorliegen eines EKG oder eines Rhythmusstreifens vorausgesetzt. Über die Behandlung der Rhythmusstörungen bei der akuten koronaren Herzkrankheit s. S. 60 ff. Für Situationen mit Herz-KreislaufStillstand s. S. 5.
Schmalkomplex-Tachykardien (Abb. 3.1a – c)
Abb. 3.1 SchmalkomplexTachykardien. a Tachykardie ohne Kreislaufstillstand.
Sinustachykardie Definition
• • • • •
Herzfrequenz typischerweise 100 – 160/min, QRS-Komplex schmal, positive P-Wellen in Ableitung II (Morphologie entspricht derjenigen des normalen Sinusrhythmus), kurzes PR-Intervall, kein abrupter Beginn oder abruptes Ende.
Pathophysiologie
• • • • •
Physiologisch, Stress, metabolisch (Fieber, Hyperthyreose etc.), Bedarfstachykardie (d. h. kompensatorisch bei Hypovolämie, Schock, Anämie oder Herzinsuffizienz), medikamentös-toxisch (Drogen, Kaffee etc.).
Herzrhythmusstçrungen
29
Vorhofflimmern, -flattern stabiler Patient
b
Monitor, i. v. Zugang, 12-Kanal-EKG
Evaluation, 4 Fragen: Ist der Patient stabil ? Wenn instabil, direkt Kardioversion! eingeschränkte LV-Funktion, Herzinsuffizienz ? WPW-Syndrom vorhanden ? Dauer < 48 h oder > 48 h ?
Dauer < 48 h
Dauer > 48 h
normale LV-Funktion
Konversion, medikamentös mit einer der folgenden Substanzen: Propafenon Flecainid Amiodaron Ibutilid HF-Kontrolle, sofern tachykard: Betablocker oder Verapamil/Diltiazem
keine akute Konversion! (cave: thromboembolische Komplikationen) HF-Kontrolle mit: Betablocker oder Verapamil/Diltiazem orale Antikoagulation für mindestens 3 Wochen mit Ziel-INR 2,0 3,0! Dann medikamentöse (vgl. linke Spalte) oder elektrische Konversion, gefolgt von mindestens 4 Wochen OAK! *
LVEF < 40 % oder Herzinsuffizienz
Konversion: Amiodaron oder Elektrokonversion (EKV)
keine akute Konversion orale Antikoagulation für mindestens 3 Wochen mit Ziel-INR 2,0 3,0! Dann EKV oder Amiodaron, gefolgt von mindestens 4 weiteren Wochen OAK! * HF-Kontrolle mit Digoxin oder Amiodaron
WPW-Syndrom
HF-Kontrolle und Konversion mit einem Antiarrhythmikum: Propafenon Flecainid Ibutilid Amiodaron d-/l-Sotalol cave: bei Herzinsuffizienz oder LVEF < 40 %: Amiodaron oder EKV! kontraindiziert sind: Adenosin, Kalziumantagonisten, Digoxin Betablocker kombiniert z. B. mit Flecainid, Propafenon erlaubt
keine akute Konversion! (nur wenn instabil) orale Antikoagulation für mindestens 3 Wochen mit Ziel-INR 2,0 3,0! Dann elektrische oder medikamentöse Konversion, gefolgt von mindestens 4 weiteren Wochen OAK! * HF-Kontrolle wenn nötig mit nebenstehenden Antiarrhythmika
Abb. 3.1 Schmalkomplex-Tachykardien. b Vorhofflimmern, Vorhofflattern. Abkrzungen: HF: Herzfrequenz, LVEF: linksventrikulre Ejektionsfraktion, WPW: Wolff-Parkinson-White * alternativ: frhe Elektrokonversion mit sofortiger i. v. Heparinisierung, transçsophageale Echokardiografie zum Ausschluss intraatrialer Thromben, danach EKV innerhalb 24 h, gefolgt von oraler Antikoagulation fr ‡ 4 Wochen.
30
3
c
Kardiologie und Angiologie
Supraventrikuläre Schmalkomplex-Tachykardie stabiler Patient Monitorüberwachung, i. v. Zugang, 12-Kanal-EKG
Vagusreizung Valsalva, Karotissinusdruck (Cave! Strömungsgeräusche)
Abb. 3.1 SchmalkomplexTachykardien. c Supraventrikulre Schmalkomplex-Tachykardie. * vor Aufsttigung mit Amiodaron Rcksprache mit Kardiologen/ Elektrophysiologen (wegen Beeintrchtigung der diagnostischen Aussagekraft einer elektrophysiologischen Untersuchung).
Adenosin 6 mg i. v. (rascher Bolus innerhalb 1 3 s, nachspülen!) wenn erfolglos nach 1 2 min Adenosin 12 mg i. v. (rascher Bolus innerhalb 1 3 s) keine Termination/keine Demaskierung von atrialer Tachykardie oder Vorhofflattern trotz genügend rascher Adenosinapplikation (hat Patient nach Injektion die typischen Adenosineffekte gespürt, wurde am Monitor ein passagerer AV-Block beobachtet ?) Überprüfen der EKG-Diagnose! differenzierte medikamentöse Therapie nach Verdachtsdiagnose und LV-Funktion a) AV-Re-entry-Tachykardie (bei akzessorischem Bündel, WPW-Syndrom): Klasse-Ic-Antiarrhythmika (Propafenon oder Flecainid 1 2 mg/kg KG langsam i. v.); alternativ: Amiodaron i. v. evtl. zusätzlich Betablocker (z. B. Metoprolol 5 15 mg langsam i. v.) bei Herzinsuffizienz, LVEF < 40 %: Amiodaron 150 300 mg i. v. * Merke: bei WPW-Syndrom kein Digoxin oder Verapamil! b) AV-Knoten-Re-entry-Tachykardie: Betablocker (z. B. Metoprolol 5 15 mg langsam i. v.) nach Betablockade bei persistierender Tachykardie evtl. nochmals Konversionsversuch mit Adenosin i. v. alternativ: Verapamil 2,5 5 ( 10) mg i. v. (nicht wenn mit Betablocker vorbehandelt!) bei Herzinsuffizienz, LVEF < 40 %: alternativ nur Frequenzblockade mit Digoxin c) Atriale Tachykardie: Betablocker oder Verapamil + Flecainid oder Propafenon i. v./p. o. bei Herzinsuffizienz, LVEF < 40 %, bei multifokaler atrialer Tachykardie: Amiodaron 150 300 mg i. v. *
Abb. 3.2 Regelmäßige supraventrikuläre Tachykardie. Frequenz von 160/min. Jedem QRS-Komplex folgt eine Einkerbung (fl), die der retrograden Vorhoferregung entspricht, typisch fr eine AV-KnotenRe-entry-Tachykardie.
Herzrhythmusstçrungen
RA
RA
LA
LA
31
RA ektoper Fokus
longitudinale AV-Dissoziation
akzessorisches Bündel RV
LV
P'
RV
LV
P'
a Orthodrome AV-Re-entryTachykardie (AVRT)
RV
P
b AV-Knoten-Re-entryTachykardie (AVNRT)
LV
P
c Atriale Tachykardie (AT)
Abb. 3.3 Mechanismen und typische EKG-Merkmale der 3 klassischen Formen von paroxysmalen supraventrikulären Tachykardien (PSVT). a Bei der AV-Re-entry-Tachykardie (AVRT) luft der Re-entry-Kreis in der Regel retrograd ber das akzessorische Bndel und antegrad ber den AV-Knoten (orthodrome Tachykardie), weshalb die fr das WPW-Syndrom typische d-Welle (in Sinusrhythmus) whrend orthodromer AVRT verschwindet. Die retrograden P-Wellen (P’) fallen wegen der zeitlichen Verzçgerung durch die Ventrikelleitung spter ein als bei der AVNRT und sind deshalb nach dem QRS-Komplex in der T-Welle sichtbar. b Bei der hufigsten Form, der AV-Knoten-Re-entry-Tachykardie (AVNRT), besteht ein abnormes, sehr langsam leitendes Bndel („slow pathway“) im AV-Knoten selbst (longitudinale AV-Knoten-Dissoziation), das in der Regel vom Re-entry in antegrader Richtung benutzt wird, whrend der normale, schnell leitende Faszikel („fast pathway“) zur retrograden Leitung dient. Dadurch kommt es zur simultanen Erregung von Kammern und Vorhçfen, weshalb die retrograde P-Welle im QRS-Komplex zu liegen kommt und damit im EKG nicht mehr sichtbar ist (Pseudo-S-Zacke in II und V1). c Bei der atrialen Tachykardie (AT) liegen in der Regel ein oder mehrere abnorme Foci mit getriggerter Aktivitt oder abnormer Automatie in den Vorhçfen (seltener Makro-Re-entry-Kreise) vor, die zu einer P-Welle kurz vor dem QRS-Komplex fhren. Gelegentlich kann auch ein intermittierender AV-Block II. Grades Typ Wenckebach oder Typ Mobitz II auftreten (ohne dass die Tachykardie sistiert), was im Falle der AVNRT oder AVRT stets zur Termination der Tachykardie fhren wrde. Abkürzungen: RA: rechter Vorhof, LA: linker Vorhof, RV: rechter Ventrikel, LV: linker Ventrikel.
Therapie
•
Behandlung der Ursache, evtl. Betablockade.
Paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien (PSVT) (Abb. 3.2) Definition und Einteilung (Abb. 3.3)
•
AV-Knoten-Re-entry-Tachykardie (AVNRT): retrograde P-Welle im QRS-Komplex (nicht sichtbar) oder unmittelbar danach (z. B. Pseudo-S-Zacke in II oder rSr in V1).
32
3
• •
Kardiologie und Angiologie
AV-Re-entry-Tachykardie (AVRT): retrograde P-Welle in T-Welle (long PR tachycardia). Atriale Tachykardie (AT): P-Welle vor QRS-Komplex, verschieden vom P des Sinusknotens (short PR tachycardia).
Adenosin 6 mg i. v.
P
Pathophysiologie Mechanismus. 3 unterschiedliche Mechanismen: • Re-entry-Tachykardie über dual (slow und fast pathway) angelegte AV-Knoten-Leitung (AVNRT; ca. 50% aller PSVT). • Über ein akzessorisches Bündel außerhalb des AVKnotens im Rahmen eines Wolff-Parkinson-White-(WPW-)Syndroms (AVRT; ca. 30% aller PSVT). • Seltener ektope atriale Tachykardie (AT; ca. 10% aller PSVT). Dauer. Minuten bis Stunden, selten Tage. Typisches Manifestationsalter. Unterschiedlich, je nach Mechanismus: • AVNRT: 20. – 30. Lebensjahr oder 2. Lebenshälfte, M : F = 1 : 2. • AVRT: Kindheit, Pubertät und Adoleszenz, M : F = 1 : 1. • AT: meist 2. Lebenshälfte, M : F = 1 : 1. Typische Trigger. Unterschiedlich, je nach Mechanismus: • AVNRT: Schlafentzug, Nikotin, Koffein, hormonelle Veränderungen, Entspannungsphase nach Stress. • AVRT: körperliche Belastung, Sport.
• • •
Frequenz 150 – 260/min, Beginn und Ende abrupt, meist durch Extrasystole ausgelöst und beendet, QRS-Komplex: normal oder verbreitert (aberrierende Leitung), 1 : 1-Assoziation von Vorhof und Kammer obligat für AVRT, meist auch für AVNRT, gelegentlich AV-Block II. Grades Typ Wenckebach oder höhergradig bei AT, selten bei AVNRT.
•
•
•
Therapie (Abb. 3.1 c)
•
Karotissinusmassage oder andere vagale Manöver (Valsalva-Pressversuch, Würgreflex, Trinken von Eiswasser).
Wenn erfolglos: Adenosin 6 – 12 mg als Bolus i. v. (EG-A). – Merke! Extrem kurze Halbwertszeit, deshalb rasch und möglichst zentral spritzen (Kubitalvene) und mit mindestens 20 ml 0,9% NaCl nachspülen. – Cave! Patient und Arzt sollten mit Akutwirkung von Adenosin vertraut sein: thorakales Oppressionsgefühl, Dyspnoe, intermittierender AV-Block (harmlos, da nur wenige Sekunden dauernd; Abb. 3.4). Wenn erfolglos: Betablocker, z. B. Metoprolol 5 – 10 mg i. v. oder Verapamil 2,5 – 5 mg i. v. – bei WPW, AVRT: Betablocker und Klasse-IcAntiarrhythmikum, z. B. Flecainid 1 – 2 mg/kg KG i. v. (EG-A), – Cave! Verapamil i. v. ist kontraindiziert bei Patienten unter Betablockertherapie und bei Patienten mit bekanntem WPW-Syndrom. Wenn erfolglos oder Patient hämodynamisch instabil: Überstimulation über provisorische atriale Schrittmacherelektrode (Elektrophysiologielabor, Intensivstation) oder direkt Elektrokonversion in Kurznarkose.
Weitere Maßnahmen
•
Notfallmanagement
P
Abb. 3.4 Termination einer schnellen paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie (PSVT). Durch Gabe von 6 mg Adenosin i. v. kommt es zu einer Asystolie infolge intermittierenden AV-Blocks III. Grades (nur P-Wellen) whrend 6 s. Nach Abklingen der Adenosinwirkung normaler Sinusrhythmus.
Typische Krankheitszeichen
• •
P
•
Bei häufigen oder schlecht tolerierten Tachykardien ist die elektive Radiofrequenzablation die Therapie der Wahl (definitive Heilung in über 90%) (EG-B). Medikamentöse Dauerprophylaxe (wenn RF-Ablation unmöglich/unerwünscht): – AVNRT: Verapamil 2 × 120 mg/d p. o. oder Betablocker, z. B. Metoprolol (Retardform), 1 × 100 – 200 mg/d p. o. (EG-B).
Herzrhythmusstçrungen – AVRT: Flecainid 2 × 50 – 100 mg/d p. o. (evtl. kombiniert mit Betablocker) oder Sotalol 2 × 80 – 160 mg/d p. o. (Cave! Proarrhythmierisiko! Therapie sistieren bei QTc > 500 ms) oder Amiodaron 1 × 200 mg/d p. o. (EG-B).
Vorhofflattern (Abb. 3.5 – 3.7) Definition und Einteilung Vorhoffrequenz 220 – 350/min (meist 300/min). 2 Formen • Isthmusabhängiges Vorhofflattern – Klassische Form: Makro-Re-entry im Gegenuhrzeigersinn um Trikuspidalanulus (negative Flatterwellen in inferioren Ableitungen, positive Flatterwellen in V1) (Abb. 3.5), – „Reverse“-typisches Vorhofflattern: gleicher Re-entry im Uhrzeigersinn (positive Flatterwellen in inferioren Ableitungen, negative Flatterwellen in V1), • Nichtisthmusabhängiges Vorhofflattern: z. B. postoperativ um Atriotomienarben, bei kongenitalen Vitien, linksseitig nach Pulmonalvenenisolation etc.
33
Pathophysiologie Mechanismus. Makro-Re-entry im rechten Vorhof ohne Herzkrankheit (idiopathisch) oder im Rahmen einer strukturellen Herzkrankheit (hypertensive Herzkrankheit, Mitralvitium, Vorhofseptumdefekt, Peri-/Myokarditis, nach Herzoperation, Cor pulmonale). Dauer. Vorhofflattern kann paroxysmal Stunden bis Tage oder permanent vorhanden sein. Auswirkungen. Die hämodynamischen Auswirkungen hängen einerseits von der Kammerfrequenz, andererseits von der zugrunde liegenden Herzkrankheit ab.
Typische Krankheitszeichen
• •
EKG: isthmusabhängiges Vorhofflattern mit negativen Flatterwellen in Ableitung II, III, aVF (sog. negative Sägezähne ohne isoelektrische Linie dazwischen), positive Flatterwellen in V1 (Abb. 3.5). Kammerrhythmus: bei gleich bleibender Blockierung regelmäßig (Abb. 3.6), gelegentlich unregelmäßig infolge wechselnder Blockierung (Abb. 3.7).
Abb. 3.5 Isthmusabhängiges Vorhofflattern. Typisch sind die negativen Flatterwellen in den inferioren Ableitungen II, III und aVF, wobei per definitionem derjenige Schenkel der Flatterwelle mit der geringeren Steigung richtungsbestimmend ist (Pfeil in III).
34
Kardiologie und Angiologie
Abb. 3.6 Vorhofflattern mit 2 : 1-berleitung. Vorhoffrequenz 290/min, Kammerfrequenz 145/min. Unmittelbar vor jedem QRS-Komplex und am Beginn der T-Wellen sind kleine Einkerbungen sichtbar, die den Flatterwellen entsprechen.
3
Abb. 3.7 Vorhofflattern mit wechselnder berleitung (2 : 1, 3 : 1 und 4 : 1). Bei hçhergradiger Blockierung sind die regelmßigen Flatterwellen deutlich sichtbar.
• •
Kammerfrequenz: je nach Grad der Blockierung, ohne Medikamente meist 2 : 1-Blockierung und damit Kammerfrequenz um 150/min. QRS-Komplexe: schmal, sofern distale Konduktion normal (keine Aberration).
Therapie Notfallmanagement Hämodynamisch schlecht toleriertes Vorhofflattern (Herzinsuffizienz, Myokardischämie, Hypotension) • Klinikeinweisung vordringlich. • Therapie der 1. Wahl ist die elektrische Kardioversion (synchronisiert) mit 100 fi 200 fi 360 J, alternativ, sofern verfügbar, Katheterüberstimulation (Abb. 3.8). • Ist Kardioversion nicht möglich oder erfolglos: intravenöse Betablockade zur Frequenzkontrolle mit Esmolol 0,5 mg/kg KG i. v. als Bolus über 1 min, dann 0,05 mg/kg KG/min per Infusion (kurz wirksam, gut steuerbar) oder Metoprolol 5 mg i. v. Bolus über 5 min (evtl. wiederholen nach 5 min, maximal 15 mg i. v.), danach 2 × 50 – 100 mg/d p. o. • Bei Herzinsuffizienz Frequenzblockade mit Amiodaron i. v. (Dosierung vgl. Tab. 3.1). • Evtl. zusätzlich Diuretika (z. B. 20 – 40 mg Furosemid i. v.). • Medikamentöser Konversionsversuch: Amiodaron 150 mg Bolus i. v. über 3 – 10 min (oder 5 mg/ kg KG in 250 ml Glukose 5% über 20 min), danach
weitere Sättigung 10 – 20 mg/kg KG/24 h in 250 ml Glukose 5 % (alternativ p. o. weiter). Cave! Sinusbradykardie nach Konversion, höhergradiger AV-Block bei gleichzeitiger Betablockade oder Digitalisierung. Hämodynamisch gut toleriertes Vorhofflattern • Metoprolol 50 – 100 mg p. o. bis Kammerfrequenz < 100/min (bei Herzinsuffizienz eher Amiodaron). • Medikamentöse Konversion: – ohne strukturelle Herzkrankheit: Flecainid (z. B. 2 × 100 mg/d p. o.) oder Propafenon (z. B. 2 × 300 mg p. o.), bei 2 : 1-Flattern allerdings immer in Kombination mit Betablocker (s. „Besondere Merkpunkte“) – bei KHK/Myokardischämie, reduzierter LV-Funktion: Amiodaron 1000 mg/d p. o. für 7 Tage als Sättigungsdosis, dann 1 × 200 mg/d als Erhaltungsdosis. Cave! Alle anderen Antiarrhythmika haben in diesen Situationen ein relevantes Proarrhythmierisiko! • Wenn erfolglos: elektive elektrische Kardioversion (synchronisiert) mit 100 fi 200 fi 360 J oder Katheterüberstimulation (Abb. 3.8).
Weitere Maßnahmen
•
Wenn Sinusrhythmus wieder hergestellt oder Herzfrequenz bei persistierendem Vorhofflattern kontrolliert ist: Evaluation bzgl. elektiver Radiofrequenzablation bei isthmusabhängigem Vorhofflattern (Langzeiterfolg über 90%).
Herzrhythmusstçrungen
Abb. 3.8 Termination von Vorhofflattern. Termination durch atriale Overdrive-Stimulation (Burst Pacing) ber einen transvençs eingelegten, temporren Elektrodenkatheter im rechten Vorhof.
I aVF Vorhofflattern
35
Sinusrhythmus
V1
Abkürzungen: HRA: intrakardiales EKG aus hohem rechtem Vorhof von Stimulationskatheter abgeleitet, STIM: Stimulationskanal, ber den der Burst abgegeben wird.
V6 HRA
STIM
Tabelle 3.1
Die wichtigsten Antiarrhythmika zur intravençsen Applikation.
Substanz
Dosierung, Applikation
Bemerkungen
Adenosin
• initialer Bolus: 6 mg rasch i. v. ber 2 s • 2. Dosis: 12 mg nach 1 – 2 min, wenn
• vorbergehende Nebenwirkungen
•
Amiodaron
Betablocker
indiziert Injektion so zentral wie mçglich, Arm hoch halten, rasches Nachsplen mit mindestens 20 ml NaCl 0,9 % (z. B. ber Dreiwegehahn)!
wie „Flush“, Thoraxschmerzen oder Oppressionsgefhl, kurze Asystolie, Bradykardie oder ventrikulre Ektopie • reduzierte Wirkung bei Patienten unter Theophyllin • kontraindiziert bei schwerem Asthma oder chronisch obstruktiver Pneumopathie • in der Schwangerschaft erlaubt
• Herz-Kreislauf-Stillstand bei Kammer-
• kontraindiziert bei schwerer Brady-
•
•
flimmern/Kammertachykardie: 150 – 300 mg Bolus i. v. ohne Herz-Kreislauf-Stillstand (z. B. stabile Kammertachykardie): 150 mg als Bolus i. v. (ber 3 – 10 min) oder 5 mg/kg KG in 250 ml Glukose 5 % als Kurzinfusion ber 20 min, Erhaltungsdosis: 10 – 20 mg/kg KG/24 h (max. 1200 mg) in 250 ml Glukose 5 % ber 24 h
Metoprolol
• 5 mg langsam i. v., in 5-min-Intervallen bis zu einer Gesamtdosis von 15 mg
• wenn gut toleriert nach weiteren 10 min: 50 mg Metoprolol p. o., dann 2 50 – 100 mg/d p. o.
• •
kardie, hçhergradigen Reizleitungsstçrungen kann schwere Hypotonie auslçsen, insbesondere bei zu rascher i. v. Infusion und reduzierter linksventrikulrer Auswurfsfraktion! lichtgeschtzte Infusion, nur in Glukose 5%, nicht mit anderen Substanzen mischen! Amiodaron steigert Plamaspiegel oder Wirkung von: Phenprocoumon, Digoxin, Ciclosporin, Phenytoin, Betablockern, Verapamil (Dosisanpassung!)
Fr alle Betablocker: • gleichzeitige oder kurz aufeinander folgende Verabreichung von Kalziumantagonisten wie Verapamil oder Diltiazem (insbesondere i. v.) kann schwere Hypotonie und/oder Bradykardie verursachen • Vermeiden bei Asthma, obstruktiver Pneumopathie, manifester Herzinsuffizienz oder schwerwiegenden Reizleitungsstçrungen
36
3
Kardiologie und Angiologie
Tabelle 3.1
Die wichtigsten Antiarrhythmika zur intravençsen Applikation
Substanz
(Fortsetzung).
Dosierung, Applikation
Bemerkungen
Esmolol • 0,5 mg/kg KG ber 1 min, dann via Perfusor mit 0,05 – 0,1 mg/kg KG/min
• s. Metoprolol • Esmolol bis zum gewnschten Effekt titrieren
• kurze Halbwertszeit von Esmolol (< 10 min)!
• Erhaltungsdosis bei Niereninsuffizienz reduzieren
Lidocain
• Herz-Kreislauf-Stillstand bei Kammer-
•
Magnesiumsulfat
flimmern/Kammertachykardie: Initialdosis: 1,0 – 1,5 mg/kg KG rasch i. v., wenn nçtig alle 3 – 5 min wiederholen (1,0 – 1,5 mg/kg KG), maximale Gesamtdosis: 3 mg/kg KG akzeptierbar ohne Herz-Kreislauf-Stillstand (z. B. stabile Kammertachykardie): Initialdosis: 1,0 – 1,5 mg/kg KG rasch i. v., evtl. nach 5 – 10 min mit 0,5 – 0,75 mg/kg KG wiederholen, maximale Gesamtdosis: 3 mg/kg KG Erhaltungsdosis per Infusion: 2 – 4 mg/min (30 – 50 g/kg KG/min)
• Herz-Kreislauf-Stillstand:
1 – 2 g (2 – 4 ml der 50%igen Lçsung) verdnnt mit 10 ml Glukose 5 % i. v. ber 1 – 2 min • Torsade de Pointes: Initialdosis: 1 – 2 g (40 – 80 mmol) verdnnt mit 50 – 100 ml Glukose 5% ber 5 – 60 min i. v., Erhaltungsdosis: 1 – 4 g/h i.v
Propafenon
2 – 4 mg/kg KG
• Erhaltungsdosis bei Herz- oder Leberinsuffizienz reduzieren
• bei Torsades Dosis titrieren bis zur
• •
Unterdrckung der Torsades, Kalium substituieren, Betablocker und/oder Pacing evaluieren! kann Blutdruckabfall und Reizleitungsstçrungen auslçsen Vorsicht bei Niereninsuffizienz!
• 1 mg/kg Bolus i. v. ber 3 – 5 min
• bliche unerwnschte Wirkungen
• 2,5 – 5,0 mg als Bolus i. v. ber 1 – 2 min
• Cave! Kalziumantagonisten (wie Vera-
(bis maximal 2 mg/kg KG)
Verapamil
• bei endotrachealer Applikation
(alte Patienten ber 3 min), wenn nçtig nach 15 – 30 min 5 – 10 mg nachspritzen, Gesamtdosis: maximal 30 mg
der Klasse-I-Antiarrhythmika (Reizleitungsstçrungen, QRS-Verbreiterung, Proarrhythmie)
• •
• KG: Kçrpergewicht, VHF: Vorhofflimmern
pamil) nicht bei Tachykardien unklarer Ursache mit breitem QRS, WPW-Syndrom und VHF, Sick-Sinus-Syndrom oder AV-Block II/III. Grades ohne Schrittmacher Blutdruckabfall (Vasodilatation, negativ inotrop), v. a. im Alter, bei Herzinsuffizienz gleichzeitige i. v. Applikation von Kalziumantagonisten und Betablockern kann schwere Hypotonie und Bradykardie verursachen Vorsicht bei Patienten unter oralen Betablockern!
Herzrhythmusstçrungen
37
Abb. 3.9 Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie und tachykarder Kammerfrequenz. Der vierte QRS-Komplex ist aberrierend geleitet und deshalb etwas verbreitert.
•
Cave! Bei nichtisthmusabhängigem Vorhofflattern ist der Langzeiterfolg der Ablationstherapie niedriger und die Komplikationsrate höher, weshalb die Indikation zurückhaltend gestellt werden sollte. Alternative antiarrhythmische Rezidivprophylaxe, z. B. Amiodaron 1 × 100 – 200 mg/d p. o. als Erhaltungsdosis (nach vorheriger Sättigung).
Besondere Merkpunkte Antiarrhythmika der Klasse I. Diese Antiarrhythmika (Flecainid, Propafenon, Chinidin) senken die Vorhofflatterfrequenz ohne gleichzeitig die AVÜberleitung genügend zu bremsen. Dadurch kann es zu einer bedrohlichen Zunahme der Kammerfrequenz durch 1 : 1-Überleitung des Vorhofflatterns kommen. Diese Substanzen dürfen daher bei Vorhofflattern nur zusammen mit einem die AV-Überleitung verzögernden Medikament wie einem Betablocker oder Verapamil gegeben werden!
Vorhofflimmern Definition und Einteilung
• • • • •
Vorhoffrequenz > 350/min, Kammerfrequenz je nach Grad der Blockierung, bei normaler AVÜberleitung meist 100 – 200/min (Abb. 3.9). Keine P-Wellen sichtbar, sondern nur Flimmerwellen. QRS-Komplex normal, selten verbreitert (bei aberrierender Leitung, Präexzitation). Konduktion: Die Vorhofimpulse werden unregelmäßig auf die Kammern übergeleitet (absolute Arrhythmie). Paroxysmales Vorhofflimmern: meist kurze (Sekunden bis Stunden), gelegentlich bis Tage (< 7) dauernde Episoden von Vorhofflimmern, jedoch immer mit spontaner Konversion zu Sinusrhythmus.
• •
Persistierendes Vorhofflimmern: anhaltendes Vorhofflimmern, welches jedoch aktiv (elektrisch oder medikamentös) konvertiert werden kann. Permanentes Vorhofflimmern: anhaltendes Vorhofflimmern, welches nicht mehr aktiv zu stabilem Sinusrhythmus konvertiert werden kann.
Pathophysiologie Mechanismus. Simultan auftretende, multiple Reentry-Kreise in beiden Vorhöfen („multiple wavelet theory“). Manifestationsalter. Vorhofflimmern ist im höheren Alter die häufigste Rhythmusstörung. Ursachen. Häufige Ursachen sind hypertensive Herzkrankheit, kranker Sinusknoten, Mitralvitium, Kardiomyopathie (besonders die alkoholische), Perikarderkrankungen, Lungenkrankheiten, Lungenembolie und nach Operationen. Nicht selten findet sich jedoch keine fassbare Herzkrankheit („lone atrial fibrillation“). Abzuklären sind Hyperthyreose, Hypokaliämie, Alkoholismus (besonders bei paroxysmalem Vorhofflimmern, gehäuftes Auftreten nach Alkoholgenuss am Wochenende: „holiday heart“). Auswirkungen. Die hämodynamischen Auswirkungen hängen von der Kammerfrequenz und dem Ausmaß einer zugrunde liegenden Herzkrankheit ab. Neben hämodynamischen Komplikationen (Herzinsuffizienz) treten auch arterielle Embolien gehäuft auf.
Therapie (Abb. 3.1 b) Notfallmanagement Hämodynamisch schlecht toleriertes Vorhofflimmern (Kammerfrequenz > 150/min, erhebliche Herzinsuffizienz, Hypotension, Myokardischämie) • Klinikeinweisung vordringlich. • Therapie der 1. Wahl ist die elektrische Kardioversion (synchronisiert) mit 200 fi 300 fi 360 J (EG-C).
38
Kardiologie und Angiologie
3
Abb. 3.10 Tachykardes Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie bei WPW-Syndrom. Kammerfrequenz bis ber 300/min und krzester RR-Abstand von 180 ms (Hinweis auf kurze Refraktrzeit des akzessorischen Bndels). Die QRS-Komplexe sind infolge Prexzitation verbreitert (Brustwandableitungen V1–V6).
•
• • •
Ist Kardioversion nicht möglich oder erfolglos: intravenöse Betablockade (EG-C) zur Frequenzkontrolle mit Esmolol 0,5 mg/kg KG i. v. als Bolus über 1 min, dann 0,05 mg/kg KG/min per Infusion (kurz wirksam, gut steuerbar) oder Metoprolol 5 mg i. v. Bolus über 5 min (evtl. wiederholen nach 5 min, maximal 15 mg i. v.), danach 2 × 50 – 100 mg/d p. o. Bei Herzinsuffizienz Amiodaron i. v. (Dosierung vgl. nächster Abschnitt und Tab. 3.1). Evtl. zusätzlich Diuretika (z. B. 20 – 40 mg Furosemid i. v.). Medikamentöser Konversionsversuch: Amiodaron 150 mg Bolus i. v. über 3 – 10 min (oder 5 mg/ kg KG in 250 ml Glukose 5% über 20 min), danach weitere Sättigung 10 – 20 mg/kg KG/24 h in 250 ml Glukose 5% (alternativ p. o. weiter). Cave! Sinusbradykardie nach Konversion, höhergradiger AV-Block bei gleichzeitiger Betablockade oder Digitalisierung.
Vorhofflimmern bei WPW-Syndrom (schnelle antegrade Leitung über das akzessorische Bündel; unregelmäßige, polymorphe Breitkomplex-Tachykardie mit hoher Kammerfrequenz > 220 – 300/min) (Abb. 3.10) • Klinikeinweisung vordringlich. • Wenn Vorhofflimmern hämodynamisch toleriert wird: antiarrhythmische Therapie mit einer der folgenden Substanzen: – Flecainid 1 – 2 mg/kg KG i. v. über 5 – 10 min oder Propafenon 1 mg/kg KG i. v. über 5 min, – alternativ: Amiodaron 150 mg Bolus i. v. über 3 – 10 min (oder 5 mg/kg KG in 250 ml Glukose 5 % über 20 min) (EG-C). • Wenn erfolglos und/oder Vorhofflimmern hämodynamisch schlecht toleriert wird: elektrische Kardioversion in Kurznarkose (EG-C). • Evtl. zusätzliche Betablockade. • Cave! Digoxin und Verapamil sind kontraindiziert bei WPW-Syndrom, da die Gefahr der paradoxen Frequenzbeschleunigung durch selektive Verzögerung der Reizleitung im AV-Knoten ohne gleichzeitige Verlangsamung derselben im akzessorischen Bündel besteht! Hämodynamisch toleriertes Vorhofflimmern • Sofern die hämodynamische Situation nicht zur Kardioversion zwingt, hängt das Vorgehen von der Dauer des bestehenden Vorhofflimmerns ab. Bei Vorhofflimmern von > 48 h Dauer darf aufgrund des Risikos systemischer Embolien keine elektrische oder medikamentöse Konversion versucht werden. Zuerst orale Antikoagulation (INR 2,0 – 3,0) für mindestens 3 Wochen. In den ersten 48 h nach Beginn des Vorhofflimmerns ist ein direkter Konversionsversuch ohne vorherige Antikoagulation möglich und sinnvoll (EG-C). • Alternative: transösophageale Echokardiografie zum Ausschluss von Vorhofthromben. Therapeutische i. v. Heparinisierung; sofern keine Thromben vorhanden sind: frühe Elektrokonversion innerhalb von 24 h, anschließend orale Antikoagulation (INR 2,0 – 3,0) für mindestens 4 Wochen (Grund: verzögerte Erholung der Vorhofkontraktion) (EG-C). • Zusätzlich Frequenzkontrolle bei Kammerfrequenz > 100/min: orale Betablockade, Verapamil oder Amiodaron (EG-C). • Nach erfolgreicher Konversion Antikoagulation (INR 2,0 – 3,0) während mindestens 4 Wochen weiterführen (Grund: verzögerte Erholung der Vorhofkontraktion) (EG-C).
Herzrhythmusstçrungen
Weitere Maßnahmen Antiarrhythmische/frequenzsenkende Therapie. Die Indikation zur weiteren antiarrhythmischen oder frequenzsenkenden Therapie ist abhängig von Häufigkeit und Symptomatik des Vorhofflimmerns, möglichen korrigierbaren Ursachen und den kardialen Grunderkrankungen: • Keine spezifische antiarrhythmische Prophylaxe bei erster erfolgreicher Konversion oder wenn eine auslösende Ursache (z. B. Pneumonie, Hyperthyreose, hypertensive Krise, postoperatives Vorhofflimmern) identifiziert und therapiert werden konnte (evtl. Betablocker oder Verapamil zur Frequenzblockade im Falle eines Rezidivs). • Antiarrhythmische Langzeittherapie nur, wenn Paroxysmen häufig sind und/oder vom Patienten hämodynamisch schlecht toleriert werden. • Bei struktureller Herzkrankheit, Myokardischämie oder eingeschränkter LV-Funktion meist Therapie mit Amiodaron: initiale Aufsättigung mit 1000 mg/d p. o. über 7 Tage, dann Erhaltungsdosis 1 × 100 – 200 mg/d p. o. Cave! Proarrhythmierisiko aller anderen Antiarrhythmika in diesen Situationen. • Ansonsten (strukturell normales Herz, „lone atrial fibrillation“) sind auch andere Antiarrhythmi-
Tabelle 3.2
39
ka der Klasse Ic (z. B. Flecainid, Propafenon) oder der Klasse III (z. B. d/l-Sotalol) erlaubt. • Alternativ nur prophylaktische Frequenzblockade mit Betablocker, z. B. Metoprolol (Retardform) 1 × 200 mg/d p. o. oder Verapamil 240 – 480 mg/d p. o. (in 1 – 3 Einzeldosen je nach Formulierung). Orale Antikoagulation (OAK). Evaluation der OAK bei jeder Form von Vorhofflimmern aufgrund der bestehenden Risikofaktoren für thromboembolische Ereignisse (CHADS2-Score) (Tab. 3.2): • OAK mit INR 2,0 – 3,0, sofern eine der folgenden Situationen vorliegt: – CHADS2-Score > 1, – rheumatisches Mitralvitium, – künstliche Herzklappe (je nach Klappentyp auch stärkere OAK mit Ziel-INR 2,5 – 3,5 oder 3,0 – 4,0) (EG-A). • Grundsätzlich Vorhofflattern bezüglich OAK wie Vorhofflimmern behandeln (EG-D).
Besondere Merkpunkte
•
Patienten mit Präexzitationssyndrom (WPWSyndrom) und Vorhofflimmern mit schneller Kammerfrequenz (> 220/min) und/oder Synkopen in der Anamnese sollten einem spezialisier-
CHADS2-Score zur Schtzung des Schlaganfallsrisikos bei Vorhofflimmern.
Risikofaktor
Risikopunkte
C
= recent cardiac failure (Herzinsuffizienz)
1
H
= hypertension (arterielle Hypertonie, auch wenn therapiert)
1
A
= age (Alter ‡ 75 Jahre)
1
D
= diabetes (Diabetes mellitus)
1
S
= stroke/TIA (Z. n. zerebrovaskulrem Insult oder transienter ischmischer Attacke)
2
Assoziiertes Risiko Punktezahl
Insultrate/Jahr (%)
0
0,8
1
2,2
2
4,5
3
8,6
4
10,9
5
12,3
6
13,7
Bei einer Punktezahl > 1 ist die orale Antikoagulation bei Vorhofflimmern und -flattern prinzipiell zur Embolieprophylaxe indiziert. Kontraindikation mssen natrlich bercksichtigt werden. CHADS: Cardiac failure, Hypertension, Age, Diabetes, Stroke
40
3
a
Kardiologie und Angiologie
Abb. 3.11 BreitkomplexTachykardien.
Unklare Breitkomplex-Tachykardie stabiler Patient
a Unklare BreitkomplexTachykardie.
Monitorüberwachung, i. v. Zugang, 12-Kanal-EKG
Rhythmusdiagnose: evtl. via epikardiale SM-Elektrode bei Patienten nach Herz-OP, sonst Brugada-Algorithmus
b Kammertachykardie. * vor Aufsttigung mit Amiodaron Rcksprache mit Kardiologe/Elektrophysiologe (wegen Beeintrchtigung der diagnostischen Aussagekraft einer elektrophysiologischen Untersuchung).
Kardioversion oder Amiodaron 150300 mg langsam i. v./Kurzinfusion* ( Lidocain 11,5 mg/kg KG i. v.)
b
* vor Aufsttigung mit Amiodaron Rcksprache mit Kardiologen/Elektrophysiologen (wegen Beeintrchtigung der diagnostischen Aussagekraft einer elektrophysiologischen Untersuchung).
Kammertachykardie (KT) stabiler Patient Monitorüberwachung, i. v. Zugang, 12-Kanal-EKG monomorph oder polymorph?
monomorphe KT
Kardioversion oder Amiodaron 150300 mg langsam i. v./Kurzinfusion* ( Lidocain 11,5 mg/kg KG i. v.)
polymorphe KT
QT normal Ischämie behandeln Elektrolyte korrigieren
QTc-Zeit
QTc im Ruhe-EKG verlängert Torsade-de-Pointes-Tachykardie Magnesium i. v. Herzfrequenz hoch halten (ca. 90/min) evtl. Isoproteronol-Infusion ggf. temporärer SM keine QT-verlängernden Medikamente
•
ten elektrophysiologischen Labor zur elektiven Radiofrequenzablation bzw. Überprüfung der Wirksamkeit einer antiarrhythmischen Prophylaxe (Verlängerung der Refraktärzeit des akzessorischen Bündels durch das Antiarrhythmikum) zugewiesen werden (EG-B). Cave! Kardioversionsversuche sind in folgenden Situationen gefährlich oder nicht sinnvoll: – Vorhofflimmern und langsame Kammerfrequenz (AV-Blockierung), – Digitalisintoxikation,
– Kombinationstherapie von Verapamil und Betablocker; ausgeprägte Sinusknotendysfunktion (Gefahr des Sinusstillstandes, Asystolie nach Konversion), – Rezidiv des Vorhofflimmerns trotz wiederholter Kardioversion und antiarrhythmischer Therapie, – permanentes Vorhofflimmern, – paroxysmales Vorhofflimmern, – Vorhofflimmern infolge unbehandelter Hyperthyreose.
Herzrhythmusstçrungen
P
P
Abb. 3.12 Kammertachykardie. Frequenz von 140/min. Nach dem 2., 5. und 8. Schlag sind Einkerbungen ersichtlich, die einer P-Welle entsprechen (P).
P
Breitkomplex-Tachykardien
•
(Abb. 3.11)
Kammertachykardien Definition und Einteilung Drei oder mehr konsekutive ventrikuläre Extrasystolen mit Frequenz > 100/min (Abb. 3.12). Einteilung nach Dauer, EKG-Morphologie, Entstehungsmechanismen: • anhaltend oder nichtanhaltend (länger/kürzer als 30 s), • monomorph (mit Links-/Rechtsschenkelblockbild) oder polymorph (d. h. wechselnde QRS-Morphologie und wechselnde Zykluslängen), • Re-entry-Tachykardie, abnorme Automatie, getriggerte Aktivität.
Pathophysiologie Mechanismus. Meist Re-entry-Kreis nach Infarkt, seltener Fokus mit getriggerter Aktivität oder abnormer Automatie bei nichtischämischer Herzkrankheit. Gelegentlich idiopathisch bei rechtsventrikulärer Ausflusstrakttachykardie (RVOT). Auftreten und Dauer. Eine Kammertachykardie kann plötzlich, ohne Vorwarnung oder nach gehäuften ventrikulären Extrasystolen auftreten. Sie kann rezidivierend und selbstlimitierend sein oder über Stunden bis Tage andauern, aber auch innerhalb von Sekunden oder Minuten in Kammerflimmern übergehen.
Typische Krankheitszeichen Symptome je nach Frequenz und Dauer der Kammertachykardie sowie nach Zustand des Herz-Kreislauf-Systems (Pumpfunktion, Ischämie, Hypovolämie etc.):
41
• •
Kurze Kammertachykardien können asymptomatisch verlaufen, während länger dauernde Kammertachykardien meist mit Zeichen des verminderten Herzminutenvolumens (Kaltschweißigkeit, Hypotonie, Dyspnoe, Angina pectoris) einhergehen. Langsamere, monomorphe Kammertachykardien sind oft lange hämodynamisch stabil, polymorphe meist instabil. Die Prognose wird im Wesentlichen von der zugrunde liegenden Herzkrankheit bestimmt.
EKG-Kriterien • QRS-Komplex verbreitert (> 120 ms), • P-Welle unabhängig von QRS-Komplex (AV-Dissoziation), selten regelmäßig sichtbar nach dem QRS-Komplex bei retrograder Vorhoferregung, Abb. 3.12, • gelegentlich fallen übergeleitete und ektope Impulse zeitlich zusammen (Fusionsschläge).
Differenzialdiagnose Zwischen monomorpher Kammertachykardie und supraventrikulärer Tachykardie mit Aberration (verbreitertem QRS-Komplex) wird im 12-Kanal-EKG differenziert (Abb. 3.13). • Für Kammertachykardie beweisend: (s. BrugadaKriterien in Abb. 3.13) – AV-Dissoziation (Abb. 3.14), – Fusionsschläge (F) (Abb. 3.15), – QS-Komplexe in allen Brustwandableitungen (V1–V6) bzw. jegliches Fehlen von RS-Komplexen. • Kammertachykardie wahrscheinlich, wenn: – QRS-Komplex > 160 ms, – atypischer Rechtsschenkelblock (z. B. monooder biphasischer QRS-Komplex in V1), – atypischer Linksschenkelblock (z. B. QR- oder QS-Komplexe in V6 oder R > 30 ms in V1).
Kardiologie und Angiologie
42
3
R S
Abwesenheit eines RS-Komplexes in allen präkordialen Ableitungen?
ja
VT
ja
VT
ja
VT
ja
VT
nein
> 100 msec?
R-zu-S-Intervall > 100 ms in einer präkordialen Ableitung? nein
AV-Dissoziation? Fusionsschläge (F)? nein F KT-Morphologiekriterien in V1 und V6? nein
SVT mit aberranter Leitung
Abb. 3.13 Brugada-Kriterien. Unterscheidung monomorpher Kammertachykardien von supraventrikulren Tachykardien mit Aberrans.
F
Abb. 3.14 Kammertachykardie. Frequenz von 170/min. Unabhngig von den QRS-Komplexen sind die P-Wellen (fl) mit einer regelmßigen Frequenz von 95/min sichtbar (AV-Dissoziation).
Therapie Notfallmanagement (Abb. 3.11) Pulslose Kammertachykardie (d. h. Kreislaufstillstand) • Reanimationssituation: Herzmassage, sofortige Defibrillation mit 200 J (biphasisch) bzw. 360 J (monophasisch) (s. S. 5)!
Abb. 3.15 Kammertachykardie. Frequenz von 140/min. Der zweite QRS-Komplex ist etwas schmaler und anders konfiguriert und entspricht einem Fusionsschlag (F). Hämodynamisch schlecht tolerierte Kammertachykardie (Hypotonie, Herzinsuffizienz, Dyspnoe, Myokardischämie, Angina pectoris, Bewusstseinstrübung, Synkope) • Therapie der Wahl: elektrische Kardioversion (synchronisiert) mit 200 J (biphasisch) bzw. 360 J (monophasisch). • Wenn erfolgreich: Evaluation einer antiarrhythmischen Therapie zur Rezidivprophylaxe (EG-C). • Wenn die Kardioversion nicht erfolgreich war oder der Erfolg nur von kurzer Dauer: zusätzliche antiarrhythmische Therapie und bei Bedarf erneute Kardioversion.
Herzrhythmusstçrungen
Abb. 3.16
43
Kammertachykardien.
a Schnelle, polymorphe Kammertachykardie (ca. 230/min).
b Polymorphe Kammertachykardie vom Typ „Torsade de Pointes“, induziert durch ventrikulre Extrasystolen in klassischer „Short-long-short“-Sequenz (kurz gekoppelte VES, gefolgt von postextrasystolischer Pause mit verlngertem QT-Intervall und erneuter kurz gekoppelter VES, welche die Torsade startet!).
•
• • •
Wahl des Antiarrhythmikums je nach Grundkrankheit, LV-Pumpfunktion (bei reduzierter Pumpfunktion meist primär Amiodaron; Lidocain nur im Rahmen der ischämischen Herzkrankheit dokumentiert) z. B.: – Amiodaron: 150 mg Bolus i. v. über 3 – 10 min (oder 5 mg/kg KG in 250 ml Glukose 5% über 20 min), danach weitere Sättigung 10 – 20 mg/ kg KG/24 h in 250 ml Glukose 5% (alternativ p. o. weiter). Cave! Weitere Aufsättigung mit Amiodaron beeinträchtigt die nachfolgende elektrophysiologische Diagnostik (EG-B). – Lidocain: 1 – 1,5 mg/kg KG als Bolus i. v., sofern nötig nach 3 – 5 min wiederholen mit 0,5 – 0,75 mg/kg KG i. v. (insgesamt maximal 3 mg/kg KG). Sofern erfolgreich evtl. anschließend Lidocain-Infusion 2 – 4 mg/min. Merke! Wirksamkeit von Lidocain nur ungenügend und vor allem für akute koronare Herzkrankheit dokumentiert (EG-C). Immer Korrektur auslösender bzw. begünstigender Faktoren: Hypoxie, Azidose oder Elektrolytstörung (Kalium, Magnesium substituieren). Je nach Situation: Sedation, Betablockade (Reduktion der adrenergen Stimulation). Bei rezidivierender Kammertachykardie evtl. Einlage einer provisorischen Schrittmacherelektrode zur Überstimulation. Cave! Nur durch in dieser Technik erfahrene Personen, nur in Defibrillationsbereitschaft wegen möglicher Akzeleration zu Kammerflimmern.
Hämodynamisch tolerierte, monomorphe Kammertachykardie (Patient wach, Blutdruck adäquat) • Medikamentöser Konversionsversuch mit Antiarrhythmika: Lidocain (EG-C bei ischämischer Herzkrankheit) oder Amiodaron i. v. (EG-B). Bei reduzierter LV-Pumpfunktion (EF < 40%) primär Amiodaron. Dosierungen und übrige Maßnahmen wie im Abschnitt „Hämodynamisch schlecht tolerierte Kammertachykardien“ bzw. Tab. 3.1, S. 35). • Wenn erfolglos: Kardioversion (synchronisiert) mit 200 J (biphasisch) bzw. 360 J (monophasisch) in i. v. Kurznarkose (z. B. O2 per Maske, zuerst Analgesie mit Alfentanil 0,0075 mg/kg KG i. v., gefolgt von Propofol 1 – 2 mg/kg KG i. v., titrieren je nach Effekt). Polymorphe Kammertachykardie (Abb. 3.16 a) • Cave! Polymorphe KT ist meist hämodynamisch instabil, oft repetitives Auftreten, Risiko der Degeneration in Kammerflimmern! • Hämodynamisch instabile Patienten mit polymorpher KT werden wie Patienten mit einer pulslosen Kammertachykardie bzw. Kammerflimmern mit Defibrillation behandelt (s. o. bzw. S. 5)! • Häufig assoziiert mit Myokardischämie, Elektrolytstörungen, anderen metabolischen Ursachen oder medikamentös-toxisch. Deshalb sind antiischämische Therapie (Betablocker) und die Korrektur von Elektrolytstörungen wichtig! • Therapie der hämodynamisch stabilen polymorphen Kammertachykardie richtet sich nach bestehender LV-Pumpfunktion/Herzinsuffizienz und
44
3
Kardiologie und Angiologie tiv, dort Kombination Schrittmacher und Betablocker (EG-C)!
danach, ob eine „Torsade de Pointes“ mit verlängertem QT-Intervall im Ruhe-EKG vorliegt. „Torsade de Pointes“ bei verlängertem QT-Intervall (Abb. 3.16 b) • Cave! Echte „Torsades de Pointes“ sind selten! Ischämisch bedingte – einer „Torsade“ ähnliche – polymorphe Kammertachykardien viel häufiger! • Absetzen von Antiarrhythmika (besonders Antiarrhythmika der Klasse I und III, bei Amiodaron nur selten) sowie aller anderen Pharmaka mit Potenzial zur QT-Verlängerung (Liste unter www.qtdrugs.org). • Korrektur einer Elektrolytstörung (Hypokaliämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie). • Therapie mit Magnesiumsulfat 8 mmol i. v. als Bolus, dann 40 mmol als Infusion über 24 h (EG-C). • Evtl. (v. a. bei Torsades im Rahmen eines primären hereditären Long-QT-Syndrom, LQTS) intravenöse Betablockade und Sedation (EG-C). • Wenn unwirksam bzw. insbesondere wenn die Torsades aus der Bradykardie bzw. jeweils nach postextrasystolischen Pausen starten: Einlage einer provisorischen Schrittmacherelektrode zur Beschleunigung der Herzfrequenz (100 – 140/min) mit Verkürzung der QT-Dauer und dadurch Suppression der Torsades. • Bei den sekundären QT-Verlängerungen (unerwünschte Arzneimittelwirkung, Überdosierung) kann die Herzfrequenz vorübergehend (bis Schrittmacherelektrode liegt) auch mit Isoproterenol-Infusion angehoben werden. Beim primären hereditären „Long-QT-Syndrom“ ist eine adrenerge Stimulation jedoch oft kontraproduk-
Weitere Maßnahmen
• •
Bei akuter koronarer Herzkrankheit (S. 55 ff). Bei anhaltender Kammertachykardie ohne akuten Myokardinfarkt (nach > 48 h) und ohne behebbare Ursache (z. B. Elektrolytstörung) ist eine antiarrhythmische Langzeittherapie oder die Einlage eines implantierbaren Cardioverter-Defibrillators (ICD) indiziert (EG-A).
Besondere Merkpunkte
• •
Im Zweifelsfalle muss eine Breitkomplex-Tachykardie immer als Kammertachykardie interpretiert und behandelt werden. Polymorphe Kammertachykardien und Torsade de Pointes sind fast immer medikamentös (Antiarrhythmika, H1-Antihistaminika, Makrolidantibiotika, Methadon, Intoxikation mit Antidepressiva) oder metabolisch (Ischämie, Myokarditis, Elektrolytstörungen) bedingt. Es gilt deshalb primär die Ursache zu beheben, während der Einsatz von Antiarrhythmika in der Regel nicht indiziert ist.
Rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie (RVOT) Pathophysiologie Ventrikuläre Extrasystolen (VES) sind auch bei herzgesunden Patienten häufig; bei asymptomatischen Patienten stellen sie keine Behandlungsindikation dar. Monomorphe Extrasystolen aus dem rechtsventrikulären Ausflusstrakt können jedoch auch als anhaltende KT auftreten. Das EKG ist typisch mit einer inferioren Achse und einer Linksschenkelblockmorphologie der KT (Abb. 3.17) Das Erkennen dieser RVOT ist wichtig, da sie bei Herzgesunden als häufigste Form einer idiopathischen Kammertachykardie eine sehr gute Prognose hat und durch die Radiofrequenzablation kurativ behandelt werden kann. Bei Synkopen oder positiver Familienanamnese für den plötzlichen Herztod sollte eine arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie ausgeschlossen werden.
Abb. 3.17 Rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie. Inferiore Achse, LSB-Morphologie.
Herzrhythmusstçrungen
45
Therapie
Pathophysiologie
•
Kammerflimmern ist die häufigste Ursache des plötzlichen Herztods. Es tritt gehäuft in den ersten Stunden eines akuten Infarktes auf.
•
Asymptomatische RVOT-ES: bedürfen in der Regel keiner Behandlung (außer der Behebung möglicher Ursachen). Symptomatische RVOT: mögliche medikamentöse Behandlung mittels Betablocker, Verapamil, Sotalol oder Amiodaron. Akute Therapie s. Abb. 3.11b, S. 40). Im Verlauf kurative Therapie mittels Radiofrequenzablation.
Besondere Merkpunkte Unerwünschte Wirkungen. Kein Antiarrhythmikum ist universell wirksam, zudem muss mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen, in 5 – 15% mit einem proarrhythmischen Effekt (mit Ausnahme von Amiodaron), gerechnet werden, weshalb Antiarrhythmika der Klasse I und III nur mit größter Zurückhaltung und entsprechender Vorsicht eingesetzt werden sollen. Wirksamkeit. Kontrolle der Wirksamkeit einer antiarrhythmischen Therapie erfolgt durch Anamnese (Nebenwirkungen, Schwindel, Synkopen, Palpitationen), Ruhe-EKG (PQ-, QRS-, QT-Verlängerung?), Langzeit- und Belastungs-EKG (Elimination bzw. signifikante Reduktion von VES oder Zunahme von VES?). Therapieeinstellung. Die Therapieeinstellung wird bei asymptomatischen Patienten ambulant vorgenommen, bei Patienten mit malignen Rhythmusstörungen (Kammertachykardie mit Synkope oder Kammerflimmern) stationär auf einer Überwachungsstation.
Kammerflimmern
Typische Krankheitszeichen Der Patient ist bewusstlos, pulslos und ohne Atmung.
Differenzialdiagnose Kammerflimmern und Asystolie können nur elektrokardiografisch, jedoch nicht klinisch differenziert werden.
Therapie Notfallmanagement Siehe S. 5 und Abb. 1.8, S. 10.
Bradykardien, Reizleitungsstörungen Asystolie Definition und Einteilung Nulllinie (absolute Asystolie) oder nur P-Wellen ohne Ventrikelüberleitung im EKG (ventrikuläre Asystolie).
Definition und Einteilung Serie hochfrequenter R-Wellen von bizarrer und multiformer Morphologie (Abb. 1.1 und 3.18).
Abb. 3.18 Kammerflimmern. In den ersten 2 s dieses Rhythmusstreifens noch geordnete ventrikulre Tachyarrhythmie mit einer Frequenz von ber 350/min, die in einen ungeordneten hochfrequenten Rhythmus von kleiner Amplitude bergeht.
46
3
Kardiologie und Angiologie
Pathophysiologie
Therapie
Ursachen. Bei ausgedehntem Myokardinfarkt (Prognose einer Reanimation bei Asystolie ungünstiger als bei Kammerflimmern); nach Kreislaufstillstand infolge Kammerflimmerns; bei AV-Block III. Grades ohne Ersatzrhythmus; bei krankem Sinusknoten mit Sinusstillstand; bei heftiger vagaler Reaktion.
Siehe S. 5 und Abb. 1.8, S. 10.
Besondere Merkpunkte Arterielle Blutdruckmessung forcieren!
Atrioventrikuläre Blockierungen Differenzialdiagnose
• •
Feinschlägiges Kammerflimmern, Artefakte (defektes EKG-Gerät, schlechter oder fehlender Elektrodenkontakt).
Therapie Siehe S. 5 und Abb. 1.8, S. 10.
Pulslose elektrische Aktivität (PEA)/ Elektromechanische Dissoziation (EMD)
Definition und Einteilung
• • •
AV-Block I. Grades: reine Verlängerung der PQZeit. AV-Block II. Grades Typ Wenckebach (= Typ Mobitz I): x P-Wellen, aber x–1 QRS-Komplexe (Abb. 3.19 a). AV-Block höheren Grades: – AV-Block II. Grades Typ Mobitz II (Abb. 3.19 b u. Abb. 3.20): 2/3/4 P-Wellen, 1 QRS-Komplex. – AV-Block III. Grades (Abb. 3.19 c u. Abb. 3.21): komplette Dissoziation von P-Wellen und QRSKomplexen.
Definition und Einteilung
Pathophysiologie
Adäquater Rhythmus im EKG, jedoch keine fassbare mechanische Herzfunktion (nicht messbarer Blutdruck, kein palpabler Karotis-/Femoralispuls), keine Myokardkontraktion in der Echokardiografie sichtbar.
Prognostisch günstig beim AV-Block sind ein stabiler Ersatzrhythmus mit schmalem QRS-Komplex, Herzfrequenz um 40 – 50/min, gute Erholungstendenz z. B. im Rahmen einer akuten koronaren Herzkrankheit, Ansprechen bei Bedarf auf Atropin. Höhergradige, infrahisäre AV-Blockierungen zeigen häufig nur einen langsamen oder überhaupt keinen Ersatzrhythmus (Frequenz 20 – 30/min, breiter QRS-Komplex) mit außerordentlicher Labilität fi große Gefahr der Asystolie!
Pathophysiologie Mögliche Ursachen. Ausgedehnter Myokardinfarkt, Ventrikelruptur, Perikardtamponade, schwere Hypovolämie, Spannungspneumothorax, zentrale Lungenembolie, Z. n. repetitiven ICD-Schocks, Z. n. längerer Reanimation.
Differenzialdiagnose Pulswelle aus anderen Gründen nicht palpabel: • vorhanden, aber sehr schwach, • anatomische Variante, • ausgeprägte Adipositas.
Typische Krankheitszeichen Leistungsintoleranz, neue oder sich verschlechternde Dyspnoe, Schwindel, Synkope.
Differenzialdiagnose Bei AV-Block II. Grades Typ Wenkebach auch an physiologisch blockierte SVES denken.
Herzrhythmusstçrungen
47
Abb. 3.19 Höhergradige Reizleitungsstörungen im AV-Knoten. a AV-Block II. Grades Typ Wenkebach: progrediente Zunahme der PQ-Zeit, bis eine P-Welle (Pfeil) nicht bergeleitet wird. b AV-Block II. Grades Typ Mobitz: 2 : 1-Blockierung, jede zweite Vorhofserregung wird nicht bergeleitet (Pfeile markieren P-Wellen). c Es besteht eine komplette Dissoziation von Vorhofserregung (Pfeile markieren P-Wellen) und dem Kammerersatzrhythmus.
Abb. 3.20
AV-Block II. Grades mit 2 : 1-Blockierung.
Abb. 3.21 AV-Block III. Grades mit bradykardem Kammerersatzrhythmus. P-Wellen (P) und QRS-Komplexe (QRS) erscheinen ohne feste Beziehung (AV-Dissoziation).
Notfallanamnese
• •
Medikamenteneinnahme, Symptome erfragen (Leistungsintoleranz, neue oder sich verschlechternde Dyspnoe, Schwindel, Synkope, Angina pectoris oder -äquivalent, Anamnese oder Symptome einer Myokarditis, in Endemiegebieten: Borrelieninfekt).
Notfalluntersuchung EKG. 12-Kanal-EKG, u. U. Vergleich mit Vor-EKG hilfreich (bereits AV-Block oder Schenkelblock vorhanden?). Labor. CK, Troponin, CRP.
Echokardiografie. Bei Patienten, die Kandidaten für einen ICD wären (Alter, Komorbiditäten, bekannte koronare Herzkrankheit oder dilatative Kardiomyopathie).
Therapie AV-Block I. Grades und asymptomatischer AV-Block II. Grades Typ Wenckebach erfordern in der Regel keine Therapie.
48
3
Kardiologie und Angiologie
Symptomatischer AV-Block • Klinikeinweisung zur Implantation eines provisorischen/definitiven Schrittmachers (EG-B). • Bei höhergradigen AV-Blockierungen, insbesondere bei Ersatzrhythmus mit breitem QRS-Komplex, bei Symptomen und im Rahmen eines akuten koronaren Syndroms auch prophylaktisch Einlage eines provisorischen Schrittmachers (evtl. Überbrückung mit transkutanem Pacing) erwägen, insbesondere dann, wenn Atropin 0,5 – 1,0 (maximal 2,5) mg i. v. oder Isoproterenol 1 – 10 µg/min i. v. (auch als Dauerinfusion möglich) ohne Erfolg sind. Cave! Denervierte, transplantierte Herzen reagieren nicht auf Atropin! • Absetzen von Medikamenten, welche die AVÜberleitung verzögern (Digitalis, Betablocker, Verapamil, Amiodaron, Klasse-1c-Antiarrhythmika). Höhergradiger oder kompletter AV-Block ohne Symptome • Keine notfallmäßige Therapie notwendig, jedoch Evaluation einer elektiven Schrittmachereinlage aus prognostischer Indikation (EG-B). AV-Block bei akutem Myokardinfarkt • Siehe S. 60 ff.
D1 – D3
aVR/L/F
V1 – V3
Abb. 3.22 Inkomplett trifaszikulärer Schenkelblock: kompletter Rechtsschenkelblock + linksanteriorer Hemiblock. Der begleitende AV-Block I. Grades spricht fr eine partielle Blockierung des verbleibenden linken hinteren Schenkels.
Schenkelblöcke
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Definition und Einteilung
Postoperative Überwachung • Nur falls kein Eigenrhythmus vorliegt: Intensivstation bis zur Kontrolle am Folgetag, • ansonsten Normalstation oder auch Entlassung am Operationstag möglich.
• • •
Besondere Merkpunkte
• • • •
Höhergradiger AV-Block auch bei Vorhofflimmern möglich (stabile RR-Abstände!). Erholungsphase des AV-Blocks im Rahmen eines Infarktes beträgt 5 – 10 Tage (vorbestehende Reizleitungsstörungen sprechen gegen Erholungstendenz). Möglichst Punktion der V. subclavia für provisorischen Schrittmacher vermeiden (V. subclavia wird für definitive Sondeneinlage benötigt). Möglichst keine EKG-Kleber im Bereich der künftigen Schrittmacherloge infraklavikulär anbringen.
V4 – V6
Monofaszikulärer Block: kompletter Rechtsschenkelblock (RSB) oder linksanteriorer Hemiblock (LAHB) oder linksposteriorer Hemiblock (LPHB). Bifaszikulärer Block: kompletter Linksschenkelblock (LSB) oder RSB + LAHB oder RSB + LPHB. Inkompletter trifaszikulärer Block: bifaszikulärer Block + AV-Block I. Grades (als indirekter Hinweis für eine partielle Blockierung im noch leitenden Faszikel) (Abb. 3.22).
Pathophysiologie Ursachen. Degenerativ; hoher Vagotonus (partieller RSB vor allem bei Sportlern); verlängerte Refraktärzeit im Alter. • LSB: bei akutem Vorderwandinfarkt. • RSB: bei akuter Rechtsherzbelastung, vor allem durch Lungenembolie.
Herzrhythmusstçrungen
Notfallanamnese und Notfalluntersuchung
49
Typische Krankheitszeichen Leistungsknick, Dyspnoe, Schwindel, Synkope.
Bei entsprechender Klinik Ausschluss eines akuten Infarktes bzw. einer Lungenembolie.
Therapie Schenkelblock bei akutem Infarkt • Siehe S. 60. Ansonsten • Im Wechsel Rechts- und Linksschenkelblock: Klasse-1-Indikation zur Schrittmachereinlage. • Bei inkomplett trifaszikulärem Block Schrittmacherimplantation nur bei Vorliegen von Symptomen wie Schwindel oder Synkopen.
Kranker Sinusknoten (Sick-Sinus-Syndrom) (Abb. 3.23)
Differenzialdiagnose Normalbefund bei jungen und/oder sportlichen Menschen.
Therapie
• •
Asymptomatische Patienten: keine Therapie notwendig, da Prognose quoad vitam gut ist (EG-C). Bei symptomatischen Patienten oder der Notwendigkeit einer antiarrhythmischen Therapie tachykarder Rhythmusstörungen: Implantation eines definitiven Schrittmachers (EG-C).
Notfallsituationen mit Herzschrittmachern
Definition und Einteilung
Definitionen
Obergriff für: • Sinusbradykardie < 40/min, • sinuatrialer Block (SA-Block), • Sinusstillstand (> 2 s), • häufig rezidivierende supraventrikuläre Tachykardien (v. a. Vorhofflimmern), dazwischen Sinusbradykardie bzw. Bradyarrhythmie (Tachykardie-Bradykardie-Syndrom), • chronotrope Inkompetenz (ungenügender Frequenzanstieg des Sinusknotens in Relation zur Belastung ohne gleichzeitige Betablockade).
Internationale Nomenklatur der Schrittmacherfunktion mit 4 Buchstaben (von links): • 1: Ort der Stimulation – A = Atrium – V = Ventrikel – D = double, Atrium und Ventrikel – 0 = keine Stimulation • 2: Ort der Impulswahrnehmung (Sensing) – A = Atrium – V = Ventrikel – D = double, Atrium und Ventrikel – 0 = kein Sensing • 3: Reaktion auf stimulierten/sensierten Schlag – I = Inhibition auf sensierten Impuls – D = double, Inhibition oder Stimulation, bei 2-Kammerschrittmacher abhängig von programmierter Überleitungszeit – 0 = keine Reaktion
Pathophysiologie Ursachen. Meist degenerative Veränderungen (Fibrose), selten Ischämie des Sinusknotens und des Reizleitungssystems.
Abb. 3.23 Rhythmusstreifen (25 mm/s) mit tachykardem Vorhofflimmern. Das Vorhofflimmern konvertiert spontan, gefolgt von einer Pause ber 4,6 s bis zum wieder einsetzenden Sinusrhythmus (Sinusstillstand i. S. einer pathologischen Sinusknotenerholungszeit).
50
Kardiologie und Angiologie
Abb. 3.24 Die 3 prinzipiellen Stimulationsweisen bei chronischem Pacing.
3
a Normal funktionierender Vorhof-Einkammer-Schrittmacher (AAI-Pacing). b Gleicher Patient im ventrikulr stimulierten Einkammer-Modus (VVI-Pacing). Beachte die Fusionserregung (F) zwischen stimuliertem Schlag und eigener Sinuserregung, die simultan mit dem Stimulus die Kammer aktiviert. c Gleicher Patient in ZweikammerStimulation (DDD-Modus) mit synchroner Vorhof- und Kammerstimulation durch den Schrittmacher.
Abb. 3.25 Ventrikulärer Sensing-Defekt. Es finden sich regelmßige Stimuli, die durch Eigenrhythmus nicht inhibiert werden, obwohl die Sinusfrequenz deutlich ber derjenigen des Schrittmachers liegt. Daneben kommt es auch zu Stimuli, denen keine Kammererregung folgt (*). Im Gegensatz zu Abb. 3.28 handelt es sich hier jedoch nicht um einen echten Exit-Block, sondern um eine ineffektive Stimulation innerhalb der ventrikulren Refraktrzeit (T-Welle). Immer wenn der Stimulus das Myokard in erregbarem Zustand trifft, kommt es zu einer ventrikulren Erregung.
•
4: Programmierbarkeit – R = Sensorfunktion eingeschaltet, frequenzadaptiv Die drei am häufigsten verwendeten Systeme (AAI/ VVI/DDD) sind in Abb. 3.24 im EKG dargestellt.
Undersensing (Abb. 3.25) Definition und Einteilung Fehlende Wahrnehmung einer P-Welle oder eines QRS-Komplexes mit verzögerter Ventrikelstimulation bzw. zusätzlicher Stimulation kurz nach dem intrinsischen QRS-Komplex.
Herzrhythmusstçrungen
51
Abb. 3.26 Ventrikuläres Oversensing. Obwohl der VVI-Schrittmacher das Myokard mit einer Frequenz von 60/min regelmßig stimulieren msste, kommt es zu einer Pause von 2,6 s, whrend der kein Stimulus abgegeben wird, sodass ein ventrikulrer Ersatzrhythmus anstelle des Schrittmachers einspringt. Die fehlende Stimulusabgabe erklrt sich durch Noise-Sensing, welches im Oberflchen-EKG nicht sichtbar ist und durch einen partiellen Kabelbruch zustande kommt.
Pathophysiologie
Pathophysiologie
Absinken des Sensing-Wertes durch Sondendislokation, Infarktnarbe, Myokarditis oder als Folge des flottierenden atrialen Pols bei einem VDD-System.
Zu niedrig programmiertes Sensing.
Typische Krankheitszeichen
Synkope, Schwindel, Leistungsschwäche.
• •
Plötzlich einsetzende Leistungsschwäche, Schwindel, Kammerflimmern (sehr selten als Folge einer Stimulation in die relative Refraktärzeit eines nicht sensierten QRS-Komplexes).
Notfallanamnese
• • •
Schwindel, Leistungsknick, Zeitpunkt der Schrittmacherimplantation (früh postoperativ am häufigsten), Programmierung.
Notfalluntersuchung und Therapie Schrittmacherkontrolle durch Fachperson, evtl. Sondenreplatzierung.
Oversensing (Abb. 3.26) Definition und Einteilung Wahrnehmung von „Artefakten“ (meist Muskelpotenziale) als P-Welle oder QRS-Komplex und konsekutiv korrekte Inhibition des Schrittmachers.
Typische Krankheitszeichen
Notfalluntersuchung und Therapie Schrittmacherkontrolle durch Fachperson.
Starre Stimulation im Bereich oder an der oberen Stimulationsfrequenz (Abb. 3.27)
Definition, Einteilung und Pathophysiologie
•
Schrittmacherinduzierte Tachykardie (PMT = pacemaker mediated tachycardia): Retrograd geleitete Ventrikelkontraktion führt zu einer nicht in der Refraktärzeit des Schrittmachers liegenden Vorhoferregung, die sofort wieder antegrad in den Ventrikel übergeleitet wird. • Ausbleibender „mode-switch“ bei Vorhofflimmern und -flattern: Algorithmus des Schrittmachers erkennt Vorhofflimmern/-flattern nicht oder ungenügend, so dass jede nicht in die Refraktärzeit fallende „P-Welle“ auf den Ventrikel übergeleitet wird. Beide Phänomene sind nur bei 2-Kammer-Schrittmachersystemen möglich!
52
Kardiologie und Angiologie
Abb. 3.27 Schrittmachertachykardie bei Vorhofflattern.
3
a Ventrikulr stimulierte Tachykardie bei DDD-Schrittmacher ohne sichtbare P-Wellen. Die Vorhofflatterwellen (b) werden vom Schrittmacher sensiert und aufgrund seiner Programmierung mit der maximal zulssigen Frequenz auf die Kammern bertragen (diese Frequenz muss nicht der oberen Grenzfrequenz entsprechen, da aus Refraktrzeitgrnden des Schrittmachers nicht alle Flatterwellen fr den Schrittmacher sensierbar sind). b Nach Aktivierung der ModeSwitch-Funktion erkennt der Schrittmacher nun die Vorhofarrhythmie und stellt automatisch in einen VVI-Modus um, solange das Flattern besteht. Bei erneutem Sinusrhythmus kehrt er wieder in seine programmierte DDD-Funktion zurck.
Typische Krankheitszeichen Herzrasen.
Differenzialdiagnose
• •
Sinustachykardie mit korrekter technischer Überleitung, supraventrikuläre Tachykardien mit Linksschenkelblock.
Sondenbruch/Reizschwellenanstieg/ Sondendislokation/Sondenperforation Pathophysiologie Ausbleibende Stimulation bei komplettem Sondenbruch fi keine Spikes sichtbar. Spikes ohne nachfolgende Vorhof- oder Ventrikelantwort („loss of capture“ „exit block“, Abb. 3.28) in den anderen Situationen.
Notfalluntersuchung
Typische Krankheitszeichen
Programmierung des Schrittmachers konsultieren (Ausweis): entspricht aktuelle Frequenz der maximalen Stimulationsfrequenz?
Wiederauftreten der vor der Schrittmacherimplantation vorgelegenen Symptome.
Therapie
• •
Differenzialdiagnose Ohne Kontrollgerät meist nicht zu beantworten.
Schrittmacherkontrolle durch Fachperson, Magnetauflage stellt Schrittmacher auf V00/D00 und unterbricht beide Phänomene für die Dauer der Auflage.
Therapie Schrittmacherkontrolle durch Fachperson.
Herzrhythmusstçrungen
53
Abb. 3.28 Exit-Block. Der VVI-Schrittmacher stimuliert die Kammern zeitgerecht mit einer Frequenz von 90/min, wobei dem 3. und dem 8. Stimulus (*) keine Kammeraktivierung folgt (intermittierender Exit-Block bei Reizschwellenerhçhung).
Operationen Pathophysiologie Elektrokauter, vor allem unipolar, kann zu Oversensing (s. o.) führen. Selten können auch Sonden bzw. der Schrittmacher beschädigt werden.
Notfallanamnese Besteht aktuell Schrittmacherstimulation oder Eigenrhythmus? Falls Eigenrhythmus vorliegt, kann großzügiger gehandelt werden (vor allem bei kleineren, peripher gelegenen Operationen).
Therapie Management häufig klinikintern geregelt.
Herzfrequenz unterhalb der vermeintlich programmierten Stimulationsfrequenz Pathophysiologie Es wurde eine sog. Hysterese programmiert, d. h. Eigenfrequenz muss bis zu einer definierten Frequenz abfallen (z. B. 50/min), erst dann stimuliert der
Schrittmacher mit einer höheren Frequenz (z. B. 60/min) (Abb. 3.29).
Notfalluntersuchung Schrittmacherausweis nach eingestellter Hysteresefrequenz konsultieren.
Notfallsituationen mit implantierbaren Cardioverter-Defibrillatoren (ICD) Definition Funktionen des ICD • Integration eines normalen Herzschrittmachers. • Frei programmierbare Interventionszonen – Kammertachykardiezone, in der zuerst mittels Überstimulation (= Anti-Tachykardie-Pacing) versucht wird, eine Kammertachykardie schmerzlos zu beenden, bei Misserfolg anschließend Kardioversion. – Kammerflimmerzone für schnelle Kammertachykardien und für Kammerflimmern, in der direkt kardiovertiert/defibrilliert wird. • Differenzierungsalgorithmen zur Unterscheidung supraventrikuläre/ventrikuläre Tachykardie. • Diagnostischer Speicher mit intrakardialem EKG für jede abgegebene Therapie; erlaubt retrospektive Diagnostik; erleichtert, die Therapieabgabe
54
Kardiologie und Angiologie
3
Abb. 3.29 Hysterese bei programmierbarem Schrittmacher. Der Schrittmacher setzt beim bergang von Eigenrhythmus in Schrittmacherrhythmus (*) nach einer postextrasystolischen Pause (SVES) ein, die lnger ist als das Stimulationsintervall (860 ms gegenber 600 ms, was in diesem Fall einer Hysterese von 260 ms entspricht). zu analysieren und eventuell eine Umprogrammierung vorzunehmen.
Besondere Merkpunkte
• •
Kardioversion/Defibrillation ist für Außenstehende, die den Patienten dabei berühren, ungefährlich. Magnetauflage inhibiert nur die ICD-Funktionen, nicht aber Schrittmacherfunktionen.
Schockabgabe Notfallanamnese
• •
Umstände des Auftretens (Ruhe, körperliche Belastung?). Begleitsymptome (Schwindel, Synkope, Angina pectoris?).
Electric Storm (elektrischer Sturm) Definition und Einteilung Häufung von Schockabgaben und Anti-TachykardiePacing innerhalb von 24 – 72 Stunden.
Notfallanamnese und -untersuchung
• •
Siehe „Schockabgabe“. Zusätzlich Bestimmung von Kalium/Magnesium (Hypokaliämie? Hypomagnesiämie?).
Therapie, Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Hospitalisation, ICD-Abfrage durch Fachperson, Elektrolytsubstitution, Sedation, Ausbau der Betablockade, Amiodaron i. v. erwägen, Ischämiesuche erwägen.
Notfalluntersuchung und Therapie
•
• • •
Operationen
•
Monitorisierung, ICD-Abfrage durch Fachperson, Überprüfung, ob adäquate Abgabe für Kammertachykardie/Kammerflimmern oder inadäquate Abgabe bei Sinustachykardie, Vorhofflimmern, „noise“, ggf. Umprogrammierung des ICD durch Fachperson.
Definition und Einteilung Kautern kann vom ICD als Kammerflimmern interpretiert werden und mit einer Schockabgabe „behandelt“ werden.
Akute koronare Herzkrankheit
Notfallanamnese und -untersuchung
Therapie
Präoperativ sind dieselben Abklärungen wie bei einem Herzpatienten ohne ICD notwendig.
• •
Therapie
• • •
Für die Operation muss der ICD deaktiviert werden (Umprogrammierung durch Fachperson). Ultima ratio: Auflegen eines Magnetes direkt auf den ICD für die gesamte Dauer der Operation (nur falls innerhalb nützlicher Frist ICD nicht deaktiviert werden kann). Cave! Strikte Monitorpflicht, solange ICD deaktiviert ist!
•
55
ICD-Abfrage durch Fachperson. Externe Kardioversion lege artis möglich, falls der Patient instabil ist. Anschließend korrekte ICD-Abfrage durch Fachperson notwendig.
3.2
Akute koronare Herzkrankheit C. A. Kaiser, M. E. Pfisterer
Definition und Einteilung
Alarmtöne Pathophysiologie Es gibt verschiedene Alarmtöne für verminderte Batteriespannung, für zu hohe oder zu tiefe Sondenimpedanz. In der Regel ertönen sie einmal pro Tag zu fixer Zeit.
Differenzialdiagnose Alarmtöne werden auch bei temporärer Magnetauflage abgegeben.
Therapie ICD-Abfrage durch Fachperson.
Anhaltende Kammertachykardie trotz ICD Pathophysiologie Die Detektionsgrenze des ICD ist zu tief programmiert oder die Differenzierungsalgorithmen diagnostizieren eine Kammertachykardie als supraventrikuläre Tachykardie und halten Anti-TachykardiePacing zurück.
Die akute koronare Herzkrankheit (akutes Koronarsyndrom) umfasst Durchblutungsstörungen des Herzmuskels aufgrund einer stenosierenden Atherosklerose der Koronararterien und deren Folgen. Die einzelnen Manifestationen sind Ausdruck der gleichen pathophysiologischen Prozesse und zeigen fließende Übergänge. Aus prognostischen und therapeutischen Gründen werden folgende Krankheitsbilder unterschieden (Abb. 3.30): Myokardinfarkt mit oder ohne ST-Strecken-Hebung. Beim Myokardinfarkt führt ein akuter Koronararterienverschluss meist auf thrombotischer, selten auf embolischer oder rein spastischer Grundlage zu einer totalen Ischämie eines bestimmten Myokardareals. Hält der Verschluss länger als 30 min an, kommt es zu einer partiellen, bei einer Dauer von mehr als 3 – 4 h zu einer transmuralen Nekrose. Je nach initialer Veränderung der ST-Strecken im EKG wird zwischen „STEMI“ (Infarkt mit ST-Strecken-Hebung) und „NSTEMI“ (Infarkt ohne ST-Strecken-Hebung) unterschieden (Abb. 3.30). Der Übergang zwischen „NSTEMI“ (Troponin erhöht) und instabiler Angina pectoris (Troponin normal) ist fließend. Instabile Angina pectoris. Sie wird definiert als neu oder nach einer stabilen Phase verstärkt und bei bereits geringer Belastung oder gar in Ruhe auftretende ischämische Brustschmerzen, die länger dauern (> 15 min), nicht mit einer Erhöhung der Biomarker einhergehen und weniger gut auf Medikamente (z. B. Nitroglyzerin) reagieren als die chronische stabile Angina pectoris. „Prinzmetal“-Angina (spastische Angina). Sie stellt eine Sonderform dar, bei der ischämische Brustschmerzen in Ruhe auftreten, meist nachts, verursacht durch einen erhöhten Koronartonus
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Kardiologie und Angiologie
3
akute koronare Herzkrankheit (akutes Koronarsyndrom)
keine ST-Streckenhebung
instabile Angina pectoris
ST-Streckenhebung
akuter Myokardinfarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI)
akuter Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI)
Prinzmetal-Angina
Abb. 3.30 Einteilung der akuten koronaren Herzkrankheit nach therapeutischen und prognostischen Gesichtspunkten (adaptiert nach ACC/AHH Guidelines 2007 sowie ESC Guidelines 2007). NSTEMI = Non-ST-Elevation Myocardial Infarction; STEMI = ST-Elevation Myocardial Infarction.
oder lokalisierten Spasmus, was sich im EKG in der Regel durch ST-Hebungen manifestiert. Plötzlicher Herztod. Ihm liegt fast immer ein ischämisch bedingtes Kammerflimmern und nur sehr selten ein totaler AV-Block zugrunde.
Pathophysiologie Formen der Gefäßeinengung. Atheromatöse Plaques in den Koronararterien können, unabhängig vom Stenosegrad, aufbrechen und durch lokale Thrombosierung rasch an Volumen zunehmen. Durch zusätzliche Bildung von Appositionsthromben, die evtl. wieder abgeschwemmt werden, oder durch vorübergehende Gefäßtonuszunahme („Spasmus“) kann es zu einer kritischen Gefäßeinengung kommen. Dieser Prozess kann phasisch ablaufen (fi klinisch vorübergehende Episoden von verstärkter Angina pectoris), kann akut zu einer hochgradigen Stenose oder einem kurzfristig reversiblen Verschluss führen (fi klinisch instabile Angina pectoris) oder einen länger dauernden, meist thrombotischen Gefäßverschluss nach sich ziehen (fi klinisch akuter Myokardinfarkt).
Typische Krankheitszeichen
• • •
Brustschmerz: typischerweise klemmend, brennend, drückend, in der Mitte der Brust gelegentlich mit Ausstrahlung bis Oberbauch, Unterkiefer und in beide Arme, oft verbunden mit Atemnot. Kreislauf: ab und zu Schwindel, Palpitationen und selten Synkope. Übelkeit und Erbrechen.
Differenzialdiagnose
• • • • • •
Aortendissektion (S. 81), Lungenembolie (S. 71), Perikarditis, Pleuritis, Ösophagusschmerz (Tab. 5.1, S. 126), „Chassis“-Schmerz, ossär, neuralgisch.
Notfallanamnese
• • • • • •
Schmerzcharakter und -dauer: anhaltend seit? crescendo, decrescendo? intermittierend? Erbrechen? Ansprechen auf Nitroglyzerin? Symptome von Rhythmusstörungen: Palpitationen? Schwindel? Symptome von Herzinsuffizienz: Atemnot? Bisherige Behandlung: Nitroglyzerin? Aspirin? Betablocker? intramuskuläre Injektionen? Risikoabschätzung: a) TIMI-Risk-Score – Maximum 7 Punkte; Ereignisrate (kombinierte Mortalität, Myokardinfarkt, schwere Ischämie mit Notwendigkeit der Revaskularisation) innerhalb von 14 Tagen: bei 0/7: 5 %, bei 3/7: 13 %, bei 5/7: 26 % und bei 6 oder 7/7: 41 %. Die 7 Kriterien sind: – Alter ‡ 65 Jahre, – ‡ 3 koronare Risikofaktoren, – vorbestehende Koronarstenose > 50%, – ST-Strecken-Veränderung, – ‡ 2 ischämische Schmerzereignisse in den letzten 24 h, – Einnahme von Azetylsalizylsäure (Aspirin) in den letzten 7 Tagen, – erhöhte Biomarker (Troponin, Kreatinkinase).
Akute koronare Herzkrankheit
•
b) alternativ: GRACE-Score: Wahrscheinlichkeit für Tod/Myokardinfarkt während der Hospitalisation sowie nach 6 Monaten (Berechnung/Auswertung unter: http://www.outcomes-umassmed.org/grace/).
• •
Notfalluntersuchung
Klinische Anzeichen für • Herzinsuffizienz: Tachykardie, 3. Herzton, Rasselgeräusche über den Lungenbasen, Halsvenenstauung, hepatojugulärer Reflux, • Mitralinsuffizienz: mitralsystolisches Geräusch, • Rhythmusstörungen: Extrasystolen,
Perikarditis: systolisch-diastolisches Geräusch, Ventrikelseptumdefekt: holosystolisches Geräusch.
Diagnostik
• Klinik
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• •
12-Kanal-EKG: ST-Hebung ‡ 1 mV in 2 oder mehr Ableitungen (Abb. 3.31)? ST-Senkung bei dominant positiver R-Zacke? Q- bzw. R-Verlust? Schenkelblock? AV-Block? Extrasystolie? Labor: Enzyme, vor allem CK, CK-MB (ggf. CKMB-Masse), Troponin-T oder -I (bereits über Norm erhöht?), Elektrolyte (Natrium, Kalium, Kalzium). Enzyme nach 6 h wiederholen. Echokardiografie: globale linksventrikuläre Pumpfunktion? regionale Motilitätsstörungen? Perikarderguss? Mitralklappeninsuffizienz?
Abb. 3.31 Typische EKGVeränderungen beim akuten ST-Hebungsinfarkt. a Inferoposteriorer STEMI bei Verschluss der rechten Herzkranzarterie (AV-Block III. Grades, STHebungen in II, III, aVF, spiegelbildliche Senkungen in V1–V5). b Anteroseptaler STEMI bei Verschluss des R. interventricularis anterior (ST-Hebungen V1–V5). c Lateraler STEMI bei Verschluss des R. diagonalis I (ST-Hebungen in I, aVL, spiegelbildliche Senkungen in III, aVF). d Neu aufgetretener kompletter Linksschenkelblock bei Vorderwandinfarkt.
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3
Kardiologie und Angiologie
Therapie Notfallmanagement
• • •
• • •
Bettruhe. Nitroglyzerin: 1- bis 2-mal 0,8 mg sublingual oder als Spray (außer bei BDsyst < 90 mmHg, Herzfrequenz < 50/min bzw. > 100/min) (EG-B). Azetylsalizylsäure (Aspirin): 250 mg p. o. oder i. v. (sofern nicht vorbehandelt). Bei nachgewiesener Aspirin-Unverträglichkeit Clopidogrel, bei primär konservativem Vorgehen initial 300 mg p. o., bei primär invasivem Vorgehen initial 600 mg p. o., dann 1 × 75 mg täglich p. o. (EG-A). O2 per Nasensonde (2 – 4 l/min, Ziel: arterielle Sättigung > 92%). Bei Brustschmerzen trotz Nitroglyzerin: Morphin 5 – 10 mg i. v. (bei Herzfrequenz < 60/min zusätzlich Atropin 0,5 mg i. v.). Sofortige Hospitalisation auf einer Intensivstation (EG-A).
Erste Maßnahmen auf der Intensivstation Basismaßnahmen • Nach Notfalluntersuchungen (s. o.) Installation der Rhythmusüberwachung und Legen eines periphervenösen Zugangs. • Notfallmaßnahmen (s. o.) ergreifen bzw. ergänzen: Nitroglyzerin sublingual oderals Spray (EG-B). • Bei andauernden ischämischen Brustschmerzen: Nitroglyzerin als Infusion (außer wenn BDsyst < 90 mmHg oder Herzfrequenz < 50/min bzw. > 100/min) – Beginn mit 20 µg/min, – evtl. nach 5 min Steigerung auf 40 µg/min, – dann – wenn nötig – alle 5 min Steigerung in Schritten von 40 µg/min, bis der Patient schmerzfrei wird (maximal 400 µg/min) (EG-B). • Bei Brustschmerzen trotz Nitroglyzerin: Morphin 5 – 10 mg i. v., bei Herzfrequenz < 60/min zusätzlich Atropin 0,5 mg i. v., bei Brechreiz Metoclopramid 5 mg i. v. • Azetylsalizylsäure (Aspirin) 250 mg p. o. oder i. v. (falls nicht schon verabreicht). Bei nachgewiesener Aspirin-Unverträglichkeit Clopidogrel, bei primär konservativem Vorgehen initial 300 mg p. o., bei primär invasivem Vorgehen initial 600 mg p. o., dann 1 × 75 mg täglich p. o. (EG-A). • Sedation mit Diazepam oder Lorazepam je nach Bedarf (Indikation großzügig) (EG-C). • Atropin 0,5 – 1,0 mg i. v. – bei Herzfrequenz < 60/min und BDsyst < 95 mmHg,
– bei inferiorem Infarkt und AV-Block höheren Grades mit Hypotonie, Brustschmerzen oder ventrikulären Rhythmusstörungen (EG-A). Instabile Angina sowie akuter Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung (Ruheschmerz, STStrecken-Senkung im EKG, evtl. reversibel nach Schmerzende, ± positive Infarktmarker) • Antikoagulation: mit niedermolekularem Heparin – Enoxaparin 1 mg/kg KG s. c. 12-stündlich (EG-B), – Kontraindikation: Kreatinin > 300 µmol/l (> 3,4 mg/dl), dann unfraktioniertes Heparin (EG-B), – Neuere Medikamente: Alternativ zu niedermolekularem Heparin können Bivalirudin (Thrombin-Inhibitor) oder – bei primär konservativem Vorgehen – auch Fondaparinux (selektiver Faktor-Xa-Hemmer) eingesetzt werden. Die Datenlage bezüglich dieser beiden Substanzen ist jedoch derzeit noch umstritten (EG-C). • Betablockade: falls keine Kontraindikation besteht – Metoprolol 25 – 50 mg 6-stündlich p. o. (bei persistierenden Schmerzen 3 × 5 mg i. v. im Abstand von 5 – 10 min), – ab 2. Tag 2 × 100 mg p. o., – Kontraindikationen: HF< 60/min, BDsyst < 90 mmHg, schwere Herzinsuffizienz, PQ-Zeit > 0,24 ms, höhergradiger AV-Block, schwere COPD, Asthma bronchiale (EG-B). • Frühzeitiger Einsatz von Statinen (EG-B). • GPIIb/III a-Blockade: – Abciximab-Infusion bei persistierender oder wiederholter Angina pectoris, EKG-Veränderungen und/oder positivem Troponin im Hinblick auf oder bei geplanter invasiver Diagnostik/Revaskularisation innerhalb von 12 – 24 h (EG-B), – falls innerhalb dieses Zeitraums keine invasive Diagnostik/Revaskularisation möglich: Tirofiban-Infusion (EG-C), – falls keine GPIIb/III a-Blocker verfügbar und keine Intervention innerhalb der nächsten 6 Tage geplant: zusätzlich Clopidogrel initial 300 mg, dann 1 × 75 mg p. o. (EG-D). • Invasive Abklärung: – schnellstmöglich bei therapierefraktären Schmerzen oder hämodynamischer Instabilität, – innerhalb 24 – 48 h bei Patienten mit positivem Troponin und hohem Risiko hinsichtlich Mortalität und nichttödlichem Myokardinfarkt
Akute koronare Herzkrankheit (gemessen an Koronaranamnese, Alter, Risikofaktoren, EKG-Veränderungen und Herzinsuffizienz) (EG-B). Infarkt mit ST-Strecken-Hebung (Abb. 3.31) • Rasche Reperfusion anstreben: akute perkutane transluminale Koronarangioplastie (PTCA) oder, falls nicht < 90 min verfügbar, Thrombolyse (EG-A). • Antikoagulation mit – unfraktioniertem Heparin: Bolus von 5000 IU i. v., gefolgt von 25 000 IU/24 h bei KG unter 80 kg, 30 000 IU/24 h bei KG von 80 kg oder mehr (EG-B), – alternativ mit niedermolekularem Heparin: Enoxaparin 1 mg/kg KG s. c. 12-stündlich (EG-C). • GPIIb/III a-Blockade: – Abciximab-Infusion im Rahmen der Akutintervention bei großer Thrombuslast und/oder peripherer Embolisation (EG-B). • Betablockade/Statine: s. instabile Angina pectoris (EG-B). Linksventrikuläre Dysfunktion • ACE-Hemmer (z. B. Captopril, Beginn 3 × 6,25 mg p. o.) bei linksventrikulärer Dysfunktion (LVEF < 40%, großer Vorderwandinfarkt) und/oder initialer Herzinsuffizienz ab 2. Tag (EG-A). Indikationen zur Akut-PTCA • Patienten mit frischem, ausgedehntem Infarkt < 12 h und/oder hämodynamischer Instabilität, falls PTCA innerhalb 90 min verfügbar (EG-A). • Patienten mit Kontraindikationen für eine Lyse oder erhöhtem Blutungsrisiko (EG-A). • Patienten mit kardiogenem Schock < 75 Jahre (EG-B). • Rescue-PTCA bei V. a. Lyseversagen (persistierende Schmerzen und/oder persistierende EKG-Veränderungen > 60 min nach Lyseende), bei großem oder anteriorem Infarkt oder bei hämodynamischer Verschlechterung (EG-B). Indikationen zur Thrombolyse (mittels Gewebeplasminogen-Aktivator Alteplase oder Reteplase i. v.) • Brustschmerzen < 6 h nach Schmerzbeginn (auch wenn aktuell schmerzfrei, sofern vorausgehender Schmerz > 30 min und EKG-Kriterien vorhanden) mit infarkttypischem EKG (EG-B). • Brustschmerzen > 6 und < 12 h nach Schmerzbeginn bei anhaltendem Schmerz und weiter vorhandenen EKG-Kriterien (EG-C).
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Weitere Maßnahmen Die weiteren Maßnahmen sind abhängig vom Verlauf bzw. von den auftretenden Komplikationen. Erneute Angina-pectoris-Symptomatik, erneute EKG-Veränderungen, Perikarditis • 12-Kanal-EKG! • Bei erneuter Angina-pectoris-Symptomatik: Nitroglyzerin-Infusion mit Perfusor (s. o.), wenn erfolglos Morphin 5 – 10 mg i. v.; bei Herzfrequenz < 60/min zusätzlich Atropin 0,5 mg i. v.; bei Brechreiz Metoclopramid 5 mg i. v. • Bei erneuten ST-Hebungen im Sinne eines Reinfarktes: Evaluation für akute Koronarografie/ Revaskularisation. • Bei erneuter ST-Senkung im Sinne einer instabilen Angina: Abciximab-Infusion, mit reduzierter Heparin-Dosierung (!); Evaluation für akute Koronarografie/Revaskularisation. • Bei Perikarditis (Geräusch!): Paracetamol 500 – 1000 mg p. o. bei fehlendem Ansprechen Diclofenac 50 – 100 mg p. o., wiederholen bei Bedarf. Herzinsuffizienz • Klinik: Tachykardie, 3. Herzton, Stauungszeichen links/rechts, Vorhofflimmern, Geräusche: mitralsystolisches Geräusch, VSD-Geräusch? • Echokardiografie: regionale Motilitätsstörungen, Pumpfunktion, Mitralinsuffizienz, Kammerseptumdefekt? • Röntgen-Thorax: wenn möglich stehend oder sitzend. • Pulmonaliskatheter (Rechtsherzeinschwemmkatheter): bei schwerer Insuffizienz/Lungenödem, kardiogenem Schock, bei Hypotonie, die auf Volumengabe nicht rasch anspricht sowie bei Verdacht auf mechanische Komplikationen des Infarktes wie Kammerseptumdefekt, Papillarmuskelabriss oder Perikardtamponade. • Arterielles (invasives) Druckmonitoring: bei Hypotonie £ 80 mmHg systolisch oder kardiogenem Schock. • Therapie bei Linksherzinsuffizienz/Lungenödem: – O2 per Nasensonde, – Nitroglyzerin als Infusion (s. o.), – Furosemid 20 – 40 mg i. v., – großzügige Sedation (Diazepam oder Lorazepam nach Bedarf), – Vasoaktiva gemäß Klinik und Hämodynamik, – wenn klinisch Zeichen des erhöhten Füllungsdrucks (Halsvenenstauung, 3. Herzton, pulmonale Rasselgeräusche) und erhaltene Organ-
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3
•
•
Kardiologie und Angiologie
perfusion: Nitroglyzerin i. v., Beginn mit 20 µg/min, rasche Steigerung nach Effekt und systolischem BD, – bei Hinweisen für ein erniedrigtes Herzminutenvolumen (Zentralisation, kühle Extremitäten, reduzierte Urinausscheidung): Dopamin i. v., Beginn mit 100 µg/min, – ACE-Hemmer (z. B. Captopril 6,25 mg p. o., im Folgenden zu steigern) vor allem bei großem Infarkt; außer bei Kontraindikationen, insbesondere BDsyst < 100 mmHg, – evtl. zusätzlich Nachlastsenkung mit Natriumnitroprussid. Therapie bei Herzinsuffizienz mit tachykardem Vorhofflimmern: – Betablockade, falls keine Kontraindikation: Metoprolol 3 × 5 mg i. v. im Abstand von 5 – 10 min), ab 2. Tag 2 × 100 mg p. o. oder – Amiodaron i. v. (s. S. 37), evtl. langsam Digoxin 0,5 mg i. v., evtl. Kardioversion. Therapie bei isolierter Rechtsherzinsuffizienz (v. a. bei Rechtsherzbeteiligung): – falls keine Schmerzen und kein Low Output: keine Therapie, – bei Low Output: Volumengabe, falls erfolglos Dobutamin. Cave! Diuretika und Nitrate wegen Gefahr des Blutdruckabfalls!
Kardiogener Schock • Klinik: BDsyst < 90 mmHg, HF > 100/min, Diurese < 20 ml/h, periphere Vasokonstriktion. • Therapie bei kardiogenem Schock: – O2 mit Maske, – Therapie wie bei Linksherzinsuffizienz/Lungenödem, – bei Verdacht auf Hypovolämie Volumengabe (200 – 500 ml NaCl 0,9 % als Bolus), sonst Beginn mit Dopamin 200 µg/min, – Akut-PTCA und ggf. mechanische Kreislaufunterstützung (IABP oder minimalinvasive Herzpumpe) bei Patienten mit Infarkt < 48 h und < 75 Jahre, wenn immer möglich), – evtl. Intubation und maschinelle Beatmung. • Falls keine rasche Stabilisierung, invasive Kreislaufüberwachung: – PCWP < 15 mmHg: 250 ml NaCl 0,9 % i. v. über 10 min, 10 min warten, erneute Messung und weitere Volumengabe, – PCWP > 15 mmHg: Steigerung von Dopamin evtl. zusätzlich Dobutamin.
Arterielle Hypertension • Klinik: BD > 160/110 mmHg (ersten Wert bzw. Wert bei ischämischen Schmerzen nicht mit einbeziehen) • Therapie der Hypertension: – Betablockade (s. o.), – wenn Betablockade kontraindiziert oder Patient bereits mit Betablockern behandelt wird: ACE-Hemmer. Rhythmusstörungen • Therapie nach ACLS-Algorithmen: Auch bei akutem Koronarsyndrom werden Rhythmusstörungen gemäß den ACLS-Algorithmen (Advanced Cardiac Life Support) diagnostiziert und behandelt. – Herz-Kreislauf-Stillstand bei Kammerflimmern, Asystolie und pulsloser elektrischer Aktivität (PEA): vgl. S. 5, – supraventrikuläre und ventrikuläre Tachykardien: vgl. S. 27 ff. Im Folgenden wird noch auf einige spezielle Situationen außerhalb der ACLS-Algorithmen eingegangen. Schenkelblockbilder (infranodale Reizleitungsstörung): • Jedes neue Schenkelblockbild muss mit 12-Kanal-EKG dokumentiert werden. • Neuer Schenkelblock (vor allem LSB) bedeutet eine mögliche Ischämie oder gar ein neuer Infarkt. Bei neuem RSB an Lungenembolie denken. • Indikation für provisorischen Schrittmacher: – bifaszikulärer Block (LSB, RSB + LAHB, RSB + LPHB) und AV-Block I. Grades, – wechselnde Blockbilder (z. B. alternierender LSB und RSB; RSB + alternierender LAHB oder LPHB). • Isolierte, nicht anhaltende monofaszikuläre oder bifaszikuläre Blockbilder (z. B. kompletter RSB oder LSB; LAHB; RSB + LAHB) ohne gleichzeitigen AV-Block brauchen keinen provisorischen Schrittmacher. Symptomatische Bradykardie • Allenfalls Überbrückung mit externer, transthorakaler Stimulation oder Adrenalin- bzw. Isoproterenol-Verabreichung. AV-Blockierungen • Asymptomatischer, stabiler AV-Block I. Grades oder II. Grades Typ Wenckebach: keine Therapie. • Höhergradiger AV-Block (AV-Block II. Grades Typ Mobitz 2 oder AV-Block III. Grades):
Akute koronare Herzkrankheit – Bei inferiorem Myokardinfarkt, Kammerersatz mit schmalem QRS-Komplex (= nodaler Block): Versuch mit Atropin 0,5 – 1 mg i. v., wenn erfolglos Adrenalin- oder Isoproterenol-Perfusor (Beginn jeweils mit 1 µg/min, ggf. Steigerung bis zum gewünschten Effekt). – Bei Vorderwandinfarkt, Kammerersatzrhythmus mit breitem QRS (= infranodaler/InfraHis-Block): Einlage eines provisorischen Schrittmachers (evtl. Überbrücken mit externer, transthorakaler Stimulation oder Adrenalin- bzw. Isoproterenol-Perfusor). Tachyarrhythmien (außerhalb der ACLS-Algorithmen) • Supraventrikuläre Extrasystolen: keine Therapie. Sie können Hinweis auf eine Elektrolytstörung oder eine Ischämie sein und werden gelegentlich durch eine bestehende Bradykardie begünstigt. • Ventrikuläre Extrasystolen: sofern hämodynamisch nicht relevant: keine Therapie; korrigierbare Ursachen wie Ischämie oder Kalium-/Magnesiummangel ausschließen. • Ventrikuläre Extrasystolen: wenn hämodynamisch schlecht toleriert – Antiarrhythmika: bei LVEF < 40% Amiodaron; bei erhaltener LVEF auch Lidocain oder Sotalol möglich, – Anheben der Grundfrequenz: Reduktion der Betablockade, Vorhofstimulation (z. B. via epikardialem Schrittmacher nach Herzchirurgie). • Akzelerierter Kammerrhythmus: insbesondere als Reperfusionsarrhythmie bis 24 h nach PTCA oder Lyse: keine Therapie. • Nichtanhaltende Kammertachykardien (Dauer < 30 s) – asymptomatisch, hämodynamisch toleriert: keine Therapie, – bei V. a. Reperfusionsarrhythmien (nach Lyse/ PTCA): keine Therapie. • Nichtanhaltende Kammertachykardien, wenn repetitiv und/oder schlecht toleriert – Kalium hochnormal einstellen (Ziel: 4,5 mmol/l), Magnesiummangel ausschließen, – Ischämie behandeln: Betablockade (Cave! Schwer reduzierte LVEF), – bei Persistenz Therapie mit einem der folgenden Antiarrhythmika: Lidocain, Sotalol oder Amiodaron; bei Herzinsuffizienz oder LVEF < 40% primär Amiodaron.
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Indikationen zur Therapie mit Vasopressoren oder Vasodilatatoren bzw. intraaortaler Ballonpumpe (IABP) oder minimalinvasiver Herzpumpe. Mechanische Komplikationen des Infarktes wie schwere akute Mitralinsuffizienz, Ventrikelseptumdefekt (vor Operation), kardiogener Schock zur Stabilisierung (vor Angiografie/Revaskularisation), hämodynamische Instabilität wegen wiederholter schwerer ventrikulärer Arrhythmien, evtl. refraktäre Postinfarktangina/Ischämie zur Stabilisierung (vor Angiografie/Revaskularisation).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Routinemaßnahmen sind • 12-Kanal-EKG: nach 12, 24 und 48 h wiederholen. • Enzyme: nach 6, 12, 18 und 24 h wiederholen (Verlauf). • Labor: Chemie, Gerinnungsstatus, Hämatologie, Lipidprofil. Die weiteren Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen richten sich nach den evtl. im Verlauf auftretenden Komplikationen.
Besondere Merkpunkte Die stationäre Einweisung ist in jedem Fall notwendig und zwar wegen der meist unvorhersehbaren und lebensgefährlichen Komplikationen wie Kammertachykardie/Kammerflimmern bzw. Herzinsuffizienz/kardiogener Schock. Zudem kann heute mit der sofortigen Reperfusionstherapie Myokard gerettet und die Prognose wesentlich verbessert werden. Mittels der Akut-PTCA kann im Gegensatz zur Lyse das verschlossene Gefäß signifikant häufiger wiedereröffnet werden (> 90% vs. 60%). Zudem kann auch die zugrunde liegende Stenose/Plaque behandelt werden. • Merke! Aufgrund der daraus resultierenden verminderten Mortalität und Reinfarktrate ist die Akut-PTCA heute bei Transferzeiten bis 90 min die Reperfusionsstrategie der Wahl! • Es zählt jede Minute! Deshalb: notfallmäßige Einweisung ohne Verzug! • Ziele der Notfallmaßnahmen sind beim akuten Infarkt: – gezielte Anamnese und klinische Untersuchung einschließlich 12-Kanal-EKG innerhalb von 10 min, – Zeit bis zur Akut-PTCA maximal 90 min! – Thrombolysebeginn nach spätestens 30 min!
Kardiologie und Angiologie
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3
3.3
Linksherzinsuffizienz und Lungenödem P. T. Buser
Definition und Einteilung Pathophysiologische Definition. Unvermögen des Herzens, genügend Blut zu den stoffwechselaktiven Geweben zu pumpen, um deren Sauerstoff- und Substratbedarf in Ruhe oder bei leichter Belastung zu decken. Klinische Definition. Auftreten von Symptomen wie Dyspnoe, Leistungsintoleranz und Ödemen in Ruhe oder bei Belastungen und objektiver Nachweis einer Herzkrankheit. Einteilung nach zeitlichem Verlauf • Chronische Herzinsuffizienz: typische Symptome wie Dyspnoe (NYHA-Klassifikation Tab. 3.3), Leistungsintoleranz/Müdigkeit, Ödeme, häufige Exazerbationen mit akuter Herzinsuffizienz. • Akute Herzinsuffizienz: akutes kardiogenes Lungenödem, kardiogener Schock. Pathophysiologische Einteilung • Systolische Herzinsuffizienz: verminderte myokardiale Kontraktilität wegen Nekrose, Entzündung, erhöhter Volumen- oder Druckbelastung der Ventrikel, toxischer Schädigung des Myokards. • Diastolische Herzinsuffizienz: Füllungsbehinderung vorwiegend des linken Ventrikels wegen verminderter myokardialer Compliance bei Hypertrophie oder Fibrosierung des Myokards. • Systolische und diastolische Herzinsuffizienz sind häufig kombiniert. Einteilung nach ventrikulärer Dominanz • Linksherzinsuffizienz: Stauungszeichen der Pulmonalvenen überwiegen, Manifestation als pulmonal-venöse Kongestion im Thorax-Röntgenbild und Dyspnoe als Symptom.
Tabelle 3.3 NYHA I
•
Rechtsherzinsuffizienz: Stauungszeichen der Systemvenen überwiegen, Manifestation als gestaute Halsvenen, Aszites, Anasarka.
Pathophysiologie Chronische Herzinsuffizienz. Eine diffuse oder lokalisierte Myokardschädigung, die zu einem Abfall des Schlagvolumens führt, aktiviert neurohumorale Regelkreise, deren Ziel es ist, über eine Zunahme der Herzfrequenz, der Vorlast und der Nachlast des Myokards das Herzminutenvolumen aufrecht zu erhalten. Die Chronifizierung dieser Kompensationsmechanismen bewirkt jedoch eine Zunahme des Myokardschadens und setzt einen Circulus vitiosus in Gang. Die wichtigsten neurohumoralen Regelkreise und ihre Reaktionen sind: • Aktivierung des Renin-Angiotensin-AldosteronSystems, ausgelöst durch die verminderte Nierenperfusion, • barorezeptorenvermittelte Sympathikusaktivierung, • vermehrte Endothelin-I-Ausschüttung. Ursachen der akuten Linksherzinsuffizienz • Dekompensation einer chronischen Herzinsuffizienz – Noncompliance: Arzneimittel, Diätfehler, – Arrhythmien: tachykardes Vorhofflimmern, Kammertachykardien, höhergradiger AV-Block, – „High-Output“-Zustand: Anämie, Infekt, Hyperthyreose, – iatrogen: negativ inotrope Arzneimittel, Glukokortikoide, parenterale Flüssigkeitszufuhr, NSAR. • Verminderung der myokardialen Kontraktilität – Myokardischämie, Myokardinfarkt, – Myokarditis, akute Abstoßungsreaktion nach Herztransplantation, – toxisch: Alkohol, Chemotherapeutika. • Abnorme Zunahme der linksventrikulären Druckbelastung – unkontrollierte Hypertonie, – dekompensierte Aortenstenose.
Klassifizierung der Herzinsuffizienz nach New York Heart Association (NYHA). keine Einschrnkung der Aktivitt
NYHA II
Dyspnoe bei grçßeren Anstrengungen (z. B. Treppen steigen)
NYHA III
Dyspnoe bei leichten Anstrengungen (im normalen Tempo geradeaus gehen)
NYHA IV
Dyspnoe bei geringster Anstrengung (z. B. beim Sprechen)
Linksherzinsuffizienz und Lungençdem
•
Abnorme Zunahme der linksventrikulären Volumenbelastung – akute oder schnell progrediente Aorteninsuffizienz (bei Endokarditis, Aortendissektion), – akute oder schnell progrediente Mitralinsuffizienz (bei Sehnenfadenabriss, Papillarmuskelinfarkt, Endokarditis), – Ventrikelseptumruptur als Komplikation eines Myokardinfarktes.
Typische Krankheitszeichen Dyspnoe. Klassifizierung nach New York Heart Association (NYHA) (Tab. 3.3). Bei akuter Linksherzinsuffizienz rasch zunehmende, heftige Dyspnoe. Trachealrasseln beim Atmen. Gelegentlich Austritt von schaumiger, blutig tingierter Flüssigkeit aus dem Mund. Leistungsintoleranz, Müdigkeit. Wegen des ungenügenden HMV inadäquate Perfusion der Skelettmuskulatur. Periphere Ödeme. Flüssigkeitsretention durch Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, Behinderung des systemisch-venösen Rückflusses.
Notfallanamnese
• • • • • • •
•
• • • •
Myokardiale Funktionsstörung – akute koronare Herzkrankheit, – Kardiomyopathie, – hypertensive Herzkrankheit, – schwere Aorteninsuffizienz, Aortenstenose, – Myokarditis. Nichtmyokardiale pulmonal-venöse Druckerhöhung – Mitralstenose, akute Mitralinsuffizienz, – Vorhofmyxom (obstruktiv), – Perikardkonstriktion. Permeabilitätszunahme der Lungenkapillaren – allergisch, toxisch, – Pneumopathien, – Höhenlungenödem (s. S. 520). Abnorm tiefer kolloidosmotischer Druck – Leber- und Nierenkrankheiten. Lymphatische Insuffizienz bei Karzinomen. Andere – Lungenembolie (s. S. 65), – nach Narkose, – nach Herz-Lungen-Maschine.
Vorbestehende chronische Herzinsuffizienz: zunehmende Anstrengungsdyspnoe, Orthopnoe, nächtliche paroxysmale Dyspnoe, Nykturie, Ödeme, Leistungsintoleranz. Koronare Herzkrankheit: Angina pectoris, frühere Myokardinfarkte, Koronarinterventionen, koronare Bypassoperation. Vitien: früher festgestellte Geräusche, Echokardiografiebefunde. Hypertensive Herzkrankheit: arterielle Hypertonie, frühere Befunde einer Linkshypertrophie. Arrhythmien: Palpitationen, Schwindel, Synkopen. Toxine: Alkohol. Arzneimittel: Arzneimittelanamnese, negativ inotrope, proarrhythmische, flüssigkeitsretinierende Pharmaka.
Notfalluntersuchung Klinik
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Differenzialdiagnose
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•
•
Inspektion – periphere Vasokonstriktion mit kühler, feuchter Haut, zentrale Zyanose, periphere Ödeme, gestaute Halsvenen. Palpation – Puls: Tachykardie/Bradykardie, Arrhythmie, celer und altus, tardus und parvus. – Herz: hebender, lateralisierter, verbreiterter Herzspitzenstoß als Hinweis auf eine linksventrikuläre Vergrößerung, palpabler rechter Ventrikel. Auskultation – Herz: nicht gespaltener oder paradox gespaltener 2. Herzton, 3. Herzton, diastolischer Galopp, Herzgeräusch. – Lungen: Rasselgeräusche.
Diagnostik
• • •
EKG: Arrhythmie, Q-Zacken (alter Infarkt), ST-Hebung (akuter Infarkt), Linkshypertrophiezeichen, Linksschenkelblock. Thorax-Röntgenbild: Kardiomegalie, zentrales Lungenödem mit meist symmetrischer Hilusverschattung (Schmetterlingsform, Abb. 3.32), Pleuraergüsse. Labor: B-natriuretisches Peptid, arterielle Blutgase (Hypoxämie, Normokapnie), Hämoglobin,
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Kardiologie und Angiologie
3
Therapie Klinische Patienteneinteilung nach aktuellem hämodynamischem Zustand (Abb. 3.33).
Notfallmanagement
• • • Abb. 3.32 Alveoläres Ödem. Symmetrische, schmetterlingsfçrmige Hilusverschattung.
• • • •
•
Natrium, Kalium, Kreatinin, Troponin, Kreatinkinase. Echokardiografie (wenn verfügbar): globale und regionale Motilität des linken und rechten Ventrikels, Vitien, Perikarderguss.
Lagerung: Oberkörper hoch, Beine tief (EG-D), Sauerstoff: 10 l/min per Maske, Ziel SaO2 94 – 96% (EG-D), oder nichtinvasive CPAP-Beatmung (EG-B), Nitroglyzerin: 1 – 2 Kapseln Nitroglyzerin 0,8 mg sublingual (EG-D), Diuretika: 40 – 80 mg Furosemid i. v. (EG-D), Sedation: 2,5 – 20 mg Morphin i. v., günstiger Nebeneffekt durch venöses Pooling (EG-D), Rhythmustherapie: bei tachykardem Vorhofflimmern 0,5 mg Digoxin i. v. (EG-D), immer Klinikeinweisung!
Weitere Maßnahmen Lungenödem. Sofern unter den o. g. Maßnahmen das Lungenödem persistiert, Therapie mit Vasodilatatoren:
normal
gut
Gewebeperfusion Cl 2,2 l/min/m2
Befund:
trocken, warm
Befund: trocken, kühl Therapie: Flüssigkeit
schlecht
Lungenödem Befund: Therapie:
feucht, kühl Befund: Therapie: BP normal: Vasodilatatoren Inotropika BP tief: Vasopressoren
Hypovolämie tief
feucht, warm Diuretika Vasodilatatoren
kardiogener Schock PCWP 18 mmHg pulmonalvenöse Stauung
hoch
Abb. 3.33 Klassifizierung der akuten dekompensierten Herzinsuffizienz anhand hmodynamischer Kennwerte. BP: Blutdruck, CI: Cardiac Index, PCWP: Pulmonary Capillary Wedge Pressure.
Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie
•
Nitroglyzerin-Infusion (bei Blutdruck systolisch über 90 mmHg): Beginn mit 50 µg/min, Steigerung in 15-minütigem Intervall um 25 µg/min unter strenger Blutdruckkontrolle (EG-B). • Nitroprussidnatrium: nur unter hämodynamischer Überwachung (s. Tab. 2.1, S. 18) (EG-C). • ACE-Hemmer (bei BDsyst über 100 mmHg): z. B. Captopril mit 6,25 mg p. o. beginnen und langsam über Tage bis zur maximal tolerierten Dosis (z. B. 3 × 25 – 50 mg/d Captopril) steigern. Cave! Hypotonie, Schwindel, Niereninsuffizienz (EG-C). Respiratorische Insuffizienz. Bei Entwicklung einer globalen respiratorischen Insuffizienz: Intubation und Überdruckbeatmung (S. 119 ff.) (EG-D). Kardiogener Schock. Bei Auftreten eines kardiogenen Schocks Therapie mit vasoaktiven Pharmaka: Dobutamin, Levosimendan, Milrinon, Enoximon (Tab. 2.1, S. 18) (EG-C). Tachykardes Vorhofflimmern. Bei persistierendem tachykardem Vorhofflimmern weitere Digitalisierung und/oder Elektrokonversion (nach Heparinisierung mit 5000 IU als Bolus i. v.) (EG-D). Grundkrankheit. Behandlung der Grundkrankheit, die zum Lungenödem geführt hat.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • • • •
Herzrhythmus: Monitor, Hämodynamik: Blutdruck, ZVD, evtl. pulmonaler Verschlussdruck, Respiration: arterielle Blutgasanalyse, Urinausscheidung: bei schwerem oder protrahiertem Lungenödem Blasenkatheter und Urin-Ausscheidungskontrollen alle 30 – 60 min, EKG: höhergradige ventrikuläre Arrhythmien, tachykardes Vorhofflimmern/-flattern, AV-Blockierungen, Labor: Elektrolyte (wegen Diuretika!), Kreatinin.
Besondere Merkpunkte Differenzialdiagnose zum Asthma bronchiale. Überwiegend trockene Rasselgeräusche, Fehlen der Zeichen der Linksherzinsuffizienz oder eines Mitralvitiums und überblähte, gefäßarme Lungenfelder im Röntgenbild sprechen für Asthma bronchiale.
3.4
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Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie M. Kelm, T. Lauer
Venöse thromboembolische Erkrankungen sind partielle oder vollständige Verlegungen oberflächlicher und tiefer Venen durch Blutgerinnsel, die zum appositionellen Wachstum und zur Embolisation in die Lunge neigen.
Thrombophlebitis Definition und Einteilung Thrombose oberflächlicher Venen mit Entzündung. Entzündung der Venenwand und Verlegung des Lumens epifaszialer oberflächlicher Venen durch Thromben. Pathologische Veränderungen an den oberflächlichen Venen können auf die tiefen Venen übergreifen und zu Thrombosen der tiefen Leitvenen (s. „Tiefe Venenthrombose“, S. 67) und zu Lungenembolien führen (s. „Lungenembolie“, S. 71). Sie treten an der oberen und unteren Extremität auf. Es werden klinisch zwei Formen der Thrombophlebitis unterschieden: • Primäre Thrombose: Varikothrombose, insbesondere an der unteren Extremität, oder Thrombose nichtvariköser Venen bei rezidivierendem Trauma, Gerinnungsstörung, paraneoplastischem Syndrom. • Primäre Phlebitis: infektiöse, chemisch-toxische, mechanische Phlebitis, insbesondere an der oberen Extremität (während Infusionstherapie) oder Phlebitis saltans oder migrans.
Pathophysiologie Primäre Thrombose. Initiale Stase mit thrombotischem Verschluss des Lumens, nachfolgend Entzündung der oberflächlichen Vene möglich. Häufigste Ursache primäre Varikose. Ferner bei rezidivierenden (Mikro-)Traumen, Gerinnungsstörungen und paraneoplastischen Syndromen. Primäre Phlebitis. Entzündung aller Venenwandschichten mit konsekutivem thrombotischem Verschluss.
66
3
Kardiologie und Angiologie
Phlebitis saltans und migrans. Immunologisch ausgelöste Sonderform der primären Phlebitis mit lymphohistiozytären Infiltraten und vereinzelten Riesenzellen vom Langhans- oder Fremdkörpertyp.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Rötung, Überwärmung und Schwellung der umliegenden Haut, in schweren Fällen mit erysipelartiger Ausdehnung (Periphlebitis), spontan schmerzhafter, druckdolenter Venenstrang, bei der Thrombophlebitis saltans sprunghafte Lokalisation mit unterschiedlichen Zeitintervallen (Wechsel im Verlauf von Tagen bis zu Monaten), bei der Thrombophlebitis migrans kontinuierliche Ausbreitung des Prozesses nach proximal und distal.
Differenzialdiagnose
• •
• • •
Thrombose der tiefen Venen: Schwellung und Umfangsdifferenz der Extremitäten, subfasziale Konsistenzvermehrung, lokal begrenzte Zyanose. Erysipel: Scharf begrenzte, flächige, von distal nach proximal fortschreitende Rötung und Überwärmung, Hinweise auf Mikrotraumen oder lokale Eintrittspforte der Streptokokken, Fieber und allgemeine Infektzeichen ( Abb. 9.3, Farbtafel XV). Lymphangitis: Rötung entlang der anteromedialen Lymphbahn, meist mehrere dünne Streifen sichtbar, aber nicht als Strang palpabel, Hautläsion als Eintrittspforte. Erythema nodosum: Noduläre, subkutane Entzündung. Thrombangitis obliterans: Akrale Dystrophien und Zeichen der arteriellen Durchblutungsstörung.
Notfallanamnese
• • • •
Traumata im Bereich der drainierenden Vene: Sportverletzung, Immobilisation, Infusionskanülen, intravenöser Drogenmissbrauch. Hereditäre Bindegewebsschwäche: familiäre Prädisposition für primäre Varikosis. Thrombophilie: Familienanamnese. Subfebrile oder febrile Temperaturen: Hinweise auf Kollagenosen, Vaskulitiden, lokale oder systemische Infektion.
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Sichtbarer und bei Palpation schmerzhafter, geröteter und überwärmter Venenstrang, bei primärer Varikose Untersuchung auf Zeichen der Beteiligung der tiefen Leitvenen (Umfangsdifferenz der Extremitäten), beim jugendlichen Raucher mit Phlebitis saltans oder migrans Untersuchung des arteriellen Systems, bei primär entzündlichen Phlebitiden Suche nach systemischen Zeichen der Vaskulitis.
Diagnostik Varikothrombose der unteren Extremität. Duplexsonografie der oberflächlichen und tiefen Leitvenen zum Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose (Thrombusnachweis, fehlende Kompressibilität). Primäre Thrombose nichtvariköser Venen (nach Ausschluss harmloser Mikrotraumen). Blutbild und Gerinnungsabklärung, besonders bei bekannter familiärer Thrombophilie. Bei V. a. paraneoplastisches Syndrom Malignomsuche. Primäre Phlebitiden. Blutbild, Senkungsreaktion, CRP, Rheumafaktoren und immunologische Parameter wie ANA (antinukleäre Antikörper) und ANCA (antineutrophile zytoplasmatische Antikörper), ggf. Histologie.
Therapie Notfallmanagement
• • •
•
Kompressionsverband, Verstärkung durch untergelegte Schaumgummipolster (EG-C). Mobilisation (EG-C). Bei schmerzhafter Thrombophlebitis symptomatische Analgesie mit nichtsteroidalen Analgetika und lokale Kühlung (Alkohol, kaltes Wasser). Heparinhaltige Salben sind nicht zwingend erforderlich (EG-D). Bei akuter, ausgeprägter Varikophlebitis ist durch lokale Stichinzision und Exprimieren des Thrombenmaterials eine schlagartige Schmerzreduktion zu erzielen (EG-C).
Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie
Weitere Maßnahmen
•
• •
Antikoagulation: Bei Varikophlebitis der V. saphena magna oder parva mit Befall der Mündungsklappe und Propagation des Thrombus in die tiefen Leitvenen ist die Antikoagulation, analog zur tiefen Beinvenenthrombose, einzuleiten, alternativ kann eine Ligatur der oberflächlichen Venen an den Mündungsklappen erfolgen (EG-C). Bei der Thrombophlebitis saltans oder migrans hoch dosiert Azetylsalizylsäure (bis zu 3 × 1 g/d) (EG-C). Gerinnungsabklärung (Thrombophiliediagnostik).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei Rückgang der Beschwerden sind keine Kontrollen notwendig mit Ausnahme der Thrombophlebitis saltans, hier sollten klinische Kontrollen alle 3 Monate erfolgen, um Spätrezidive zu erfassen.
Tiefe Venenthrombose Definition und Einteilung Thrombose tiefer Leitvenen. Die Venenthrombose entspricht einer akuten oder subakuten Thrombenbildung in den tiefen Leitvenen und wird daher auch unter dem Akronym TVT (tiefe Venenthrombose) aufgeführt. Ihre Bedeutung liegt in den möglichen Komplikationen: • in der Akutphase: Lungenembolie, Aufthrombosierung bis zur Phlegmasia coerulea dolens, • in der Spätphase: Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms (Ausbildung nach 10 – 20 Jahren). Am häufigsten tritt eine TVT isoliert oder aszendierend in unterschiedlichen Abschnitten der unteren Extremität auf und wird dort den diagnostischen und therapeutischen Notwendigkeiten entsprechend wie folgt eingeteilt: • (distale) Unterschenkelthrombose, • (proximale) Oberschenkelthrombose (Poplitealund Femoralvenen), • (stammnahe) Beckenvenenthrombose (Iliakalvenen und/oder V. cava inferior). Phlegmasia coerulea dolens. Seltener, perakuter Verlauf einer ausgedehnten Mehretagenthrombose mit heftigen Schmerzen, deutlicher Zyanose und massiver Schwellung. Die massive venöse Stase führt schließlich zur arteriellen Minderdurchblu-
67
tung akraler Teile bis zu Zehen- oder Vorfußnekrosen und endet nicht selten mit einer Amputation. Eine Phlegmasia coerulea dolens mit akralen Nekrosen ist häufig ein paraneoplastisches Geschehen.
Pathophysiologie Pathophysiologisches Prinzip. Stase, Gerinnungsstörung und Wandveränderungen (Virchow-Trias). Inzidenz 0,5 – 2 Fälle pro Jahr und 1000 Einwohner. Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Inzidenz um ein Vielfaches (Tab. 3.4).
Typische Krankheitszeichen Sehr variabel und abhängig vom Akuitätsgrad und vom Ausmaß. Insbesondere bei aszendierenden Thrombosen muss mit einem mehrzeitigen Geschehen gerechnet werden. Symptome nach Häufigkeit geordnet sind: • Schwellung mit Umfangsdifferenz, • Konsistenzunterschied (Verhärtung mit Spannungs- und Schweregefühl), • livide Verfärbung mit Zyanose, insbesondere im Stehen, • lokale Überwärmung, • vermehrte oberflächliche Venenzeichnung, • bei begleitender Lungenembolie: Dyspnoe, Tachykardie, Hypotonie, Husten, Pleuraschmerz, Fieber, • bei Phlegmasia coerulea dolens: rasch progrediente, massive, zyanotische, hoch schmerzhafte Schwellung mit Zeichen der begleitenden arteriellen Durchblutungsstörung.
Differenzialdiagnose Entsprechend dem führenden Kardinalsymptom sind zu differenzieren: • Beinschwellung: kardiogene und nephrogene Ödeme (einseitig vs. beidseitig), posttraumatisches Lymphödem, Morbus Sudeck. • Bein- und Druckschmerz: Muskelfaserriss und/ oder Hämatom und/oder rupturierte Baker-Zyste (S. 380), Myogelosen, Tibialis-anterior-Syndrom, Morbus Sudeck. • Zyanose: kardiale oder pulmonale Zyanose (lokal vs. systemisch), Morbus Sudeck.
68
3
Tabelle 3.4
Kardiologie und Angiologie
Risikofaktoren fr tiefe Venenthrombose.
Internistische Faktoren Immobilisation Malignom Forcierte Diurese mit Exsikkose Herzinfarkt Schock Herzinsuffizienz Erworbener AT-III-Mangel (exsudative Enteropathie, Leberzirrhose, Nephropathie) Ovulationshemmer Rauchen Chirurgische Faktoren TVT Niedriges OP-Risiko
2%
Lungenembolie
Tod
0,2%
0,02%
Mittleres OP-Risiko
10 – 40%
1 – 4%
0,1 – 04 %
Hohes OP-Risiko
40 – 80%
4 – 10%
1 – 5%
Thrombophilie Vorkommen (% der Thrombosepatienten) APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden-Mangel
30%
MTHFR67TT-Mutation
10%
Prothrombinmutation
7%
Protein-C-Mangel
3%
Protein-S-Mangel
2%
AT-III-Mangel
1%
Notfallanamnese
Notfalluntersuchung
•
Klinik
• • •
Frage nach Risikofaktoren (Tab. 3.4) und Abschätzen der klinischen Wahrscheinlichkeit für eine TVT (Tab. 3.5), Schmerzen, Schwellung, Zyanose: Dauer, Ausmaß und Lageabhängigkeit, Zeichen der Lungenembolie: Dyspnoe und Tachypnoe, Herzrasen, Schwindel (Hypotonie), Pleuraschmerz, Husten, Zeichen der Phlegmasia coerulea dolens: wie bei TVT, zusätzlich Kältegefühl, Ruheschmerz, rasch progrediente Symptomatik (< 24 h).
• • • • • • •
Umfangsdifferenz messen (Differenz der Oberschenkel > 2 cm, der Unterschenkel > 1 cm), Schmerzlinderung bei Hochlagerung, Druckschmerz an der Innenseite des Fußes (Payr-Zeichen), Wadenschmerz bei Dorsalflexion des Fußes (Homans-Zeichen), Druckschmerzhaftigkeit der Wade (Meyer-Zeichen), Zeichen der Lungenembolie, Zeichen der Phlegmasia coerulea dolens (fehlende Fußpulse).
Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie
Tabelle 3.5
Score zur Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit fr das Vorliegen einer TVT nach Wells.
Klinische Charakteristik
Score
Aktive Krebserkrankung
1,0
Lhmung oder krzliche Immobilisation der Beine
1,0
Bettruhe (> 3 Tage); große Chirurgie (< 12 Wochen)
1,0
Schmerz/Verhrtung entlang der tiefen Venen
1,0
Schwellung ganzes Bein
1,0
Schwellung Unterschenkel > 3 cm gegenber Gegenseite
1,0
Eindrckbares dem am symptomatischen Bein
1,0
Kollateralvenen
1,0
Frhere, dokumentierte TVT
1,0
Alternative Diagnose mindestens ebenso wahrscheinlich TVT
– 2,0
Wahrscheinlichkeit für LE
Score
• niedriges Risiko (3 % Wahrscheinlichkeit) • mittleres Risiko (17 % Wahrscheinlichkeit) • hohes Risiko (75 % Wahrscheinlichkeit)
1–2
£0 ‡3
Verdacht auf TVT KW
nicht hoch
hoch behandeln
69
pos
D-Dimere
neg
nicht behandeln
pos KUS
neg
nicht behandeln
Abb. 3.34 Diagnostischer Algorithmus bei V. a. tiefe Venenthrombose. KW: klinische Wahrscheinlichkeit, KUS: Kompressionssonografie, TVT: tiefe Venenthrombose, neg: negativ, pos: positiv.
nicht eindeutig behandeln
pos
Phlebografie
neg
Die klinischen Zeichen der TVT weisen zwar eine gute Sensitivität (60 – 90%) bei allerdings geringer Spezifität auf.
Diagnostik Die Abschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit, die Bestimmung der D-Dimere sowie ein bildgebendes Verfahren sind die Säulen des diagnostischen Algorithmus bei V. a. TVT (Abb. 3.34). Labor • D-Dimere: sehr hoher negativer Voraussagewert, ein positiver Befund ist demgegenüber nicht aussagekräftig. • Rotes Blutbild: zum Ausschluss möglicher Kontraindikationen einer Antikoagulation (Blutung). • Partielle Thromboplastinzeit (aPTT) als Basiswert für die einzuleitende Antikoagulation.
nicht behandeln
•
Weißes Blutbild und Thrombozytenzahl (Erhöhung bei myeloproliferativen Syndromen oder paraneoplastischbeinichthämatologischenMalignomen). • Kreatinin (Nierenfunktion?) zur Festlegung der Dosis einer Therapie mit Heparinderivaten. Bildgebung • Kompressionssonografie: Methode der Wahl: fehlende vollständige Komprimierbarkeit der Venen, aufgehobene Atemabhängigkeit im Dopplersignal. Die Kompressionssonografie ist geeignet, eine TVT auszuschließen oder nachzuweisen. Die 3 Monatsinzidenz einer Thrombose nach initialem Ausschluss beträgt zwischen 0 und 0,8%. • Phlebografie: Mit einer Phlebografie kann eine Thrombose sicher nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden. Sie ist aufgrund der Invasivität und der Verwendung von Kontrastmittel nur noch bei unklaren Fällen indiziert.
70
3
Kardiologie und Angiologie
•
Magnetresonanz-(MR-)/Computertomografie(CT-)Phlebografie: Vergleichbar sichere Diagnostik einer TVT in der popliteofemoralen Etage und Vorteile in der Beckenvenenstrombahn. Mit der CT-Phlebografie können zudem simultan mögliche Emboliequellen bei Lungenembolie eruiert sowie anatomische Ursachen bei Becken- und Beinvenenthrombose dargestellt werden. Umfelddiagnostik (Thrombophilie, Tumorsuche). Die Thrombophilie hat keine Bedeutung für die Diagnostik und initiale Therapie der akuten Venenthrombose. Sie kann aber für die Dauer der Sekundärprophylaxe Bedeutung haben. Eine Tumorsuche ist bei idiopathischer Venenthrombose zu empfehlen. Erweiterte internistische Diagnostik. Zur Erfassung der beiden Hauptkomplikationen einer TVT: • Lungenembolie: Blutdruck (Hypotonie), Herzfrequenz (Tachykardie), EKG und Echokardiografie (Zeichen der Rechtsherzbelastung), ABGA (Hypoxie). • Phlegmasia coerulea dolens: arterieller Pulsstatus (abgeschwächte Pulse), arterieller CW-Doppler (reduziertes arterielles Flusssignal, Pendelfluss).
Therapie Notfallmanagement Systemische Antikoagulation (EG-A). Ziel ist die rasche Antikoagulation nach Ausschluss möglicher Kontraindikationen (akute innere oder äußere Blutung, Unverträglichkeit von Heparin) zur Reduktion des weiteren Thrombuswachstums und zur Verhinderung von Lungenembolien. Mittel der Wahl sind Heparinderivate und Pentasaccharid: • Unfraktioniertes Heparin (UFH): – Vorteile: die gute Steuerbarkeit und die Möglichkeit der raschen Antagonisierung mit Protamin. Einsatz bei höhergradiger Niereninsuffizienz möglich. – Nachteile: die Notwendigkeit der täglichen aPTT-Kontrolle (Ziel: Verlängerung auf das 1,5- bis 2-fache der Norm) und das mögliche Auftreten einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) in 1 – 10 % (s. S. 235). – Dosierung: initial 5000 IE i. v. als Bolus (fakultativ), anschließend 400 IE/kg KG/d i. v. (obligat) unter täglicher aPTT-Kontrolle. – UFH wird in der Initialphase bei noch inkompletter Diagnostik der prädisponierenden Risikofaktoren und möglicher Grundkrankheiten (Tumorsuche) und dadurch anstehenden invasiven Prozeduren (Biopsien, Operationen) eingesetzt.
•
Low Molecular Weight Heparin (LMWH): – Vorteile: bessere Pharmakokinetik und Pharmakodynamik (reproduzierbarer Einfluss auf die plasmatische Xa-Aktivität) und geringeres Nebenwirkungsprofil: niedrige Rate an HIT und Osteoporose bei Langzeittherapie. – Dosierung: z. B. Certoparin 2 × 8000 IE/d s. c., Enoxaparin 2 × 1,0 mg/kg KG/d s. c., Tinzaparin 1 × 175 IE/kg KG/d s. c. • Pentasaccharid: z. B. Fondaparinux 1 × 7,5 mg/d s. c. Lokale Maßnahmen (EG-A). • Hochlagerung des Beines während Ruhephasen: Zur Beschleunigung des venösen Abstroms, zur Reduktion des Ödems und des Schmerzes. • Kompressionstherapie: Kompressionsverband vom Typ Fischer oder angepasster Kompressionsstrumpf. Die Kompressionsbehandlung reduziert die Inzidenz des postthrombotischen Syndroms um etwa 50%. • Mobilisation: Die Immobilisation des Patienten mit einer TVT jedweder Lokalisation ist nicht indiziert, es sei denn zur Linderung der Beschwerden bei stark schmerzhafter Beinschwellung, wenn begleitende Krankheiten dazu zwingen oder wenn thrombusbeseitigende Maßnahmen in Betracht kommen. Systemische Fibrinolyse und operative Thrombektomie (EG-D). Die systemische Fibrinolyse oder gefäßchirurgische Thrombektomie ist nur in ausgewählten Fällen unter strenger Beachtung der Kontraindikationen bei jungen Patienten, bei einer ersten und ausgedehnten TVT und bei kurzer Anamnese indiziert. Diese Maßnahmen sollten nur in spezialisierten Zentren erfolgen. Für die Phlegmasia coerulea dolens werden thrombusbeseitigende Verfahren mit dem Ziel des Extremitätenerhaltes empfohlen. Sekundärprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten (EG-A). Während der Therapie mit Heparinderivaten und nach Abschluss der internistischen Diagnostik Einleitung einer Sekundärprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten mit einer mindestens zweitägigen Überlappung zur Heparintherapie wegen möglicher passagerer Hyperkoagulabilität (Absetzen des Heparins erst, wenn INR > 2,0). Zielbereich des INR zwischen 2,0 und 3,0. Gesichert ist die therapeutische Effizienz der Sekundärprophylaxe nach TVT, unklar ist jedoch die Dauer, empfohlen werden: 3 Monate bei Erstereignis und transienten Risikofaktoren, 6 – 12 Monate bei idiopathischer Genese oder Thrombophilie, 12 Monate bei kombinierter Thrombophilie oder Antiphospholipid-AK-Syndrom und lebenslang bei persistierenden Risikofaktoren (EG-B).
Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Bei Verwendung von UFH tägliche Kontrolle der aPTT (1,5- bis 2-Faches der Norm), bei Verwendung von UFH und LMWH Kontrolle der Thrombozyten nach 3 – 5 Tagen zum Ausschluss einer heparininduzierten Thrombozytopenie. Wiederholung der bildgebenden Diagnostik, sofern klinisch Progredienz oder keine Regredienz beobachtet wird: – Duplexsonografie nach 3 und 7 Tagen bzw. bei eingeschränkter Beurteilbarkeit, – Phlebografie nach 7 – 10 Tagen oder bei gesicherter Beteiligung der Beckenvenen, – Kontroll-CT nach 7 – 10 Tagen.
Besondere Merkpunkte Die Symptome sind oft wenig ausgeprägt und treten nicht selten allmählich auf, so dass sie während längerer Zeit übersehen werden können. Besonders bei nicht okkludierenden Thromben können sie fast vollständig fehlen. Beinbeschwerden nicht bagatellisieren! Eine verpasste TVT hat schwerwiegende Konsequenzen (Lungenembolie, postthrombotisches Syndrom). Dennoch ist das Risiko einer Antikoagulation ohne gesicherte Diagnose der TVT nicht zulässig.
Lungenembolie Definition und Einteilung Verlegung des pulmonalen Gefäßquerschnittes mit thrombotischem Material, das dem venösen Gefäßsystem oder dem rechten Herzen entspringt. Hieraus resultiert eine akute Druckerhöhung im pulmonalen Kreislauf mit konsekutiver Rechtsherzbelastung und Störung des Gasaustausches. Beides kann zur Kreislaufinstabilität bis hin zum Schock führen. Mit zunehmender Größe der Thromboembolie steigt der prozentuale Anteil verschlossener Pulmonalgefäße.
Pathophysiologie Inzidenz der Lungenembolie (LE) zwischen 20 und 100/100 000 Einwohner/Jahr. 90% aller Todesfälle bei LE innerhalb von 1 – 2 h nach Symptombeginn.
71
Die Prävalenz einer LE beträgt in autoptischen Studien von hospitalisierten Patienten bis zu 15 %. Die teilweise oder totale Verlegung von Lungenarterien beeinflusst: • Hämodynamik: Druckanstieg im kleinen Kreislauf (primäre pulmonal-arterielle Hypertonie), mit akuter Rechtsbelastung (Afterload-Erhöhung) sowie eventuell akuter Rechtsherzinsuffizienz. • Gasaustausch: Hyperventilation infolge Shuntzunahme (gestörtes Perfusions-/Ventilationsverhältnis) und Hypoxämie. • Lungengewebe: Infarzierung v. a. bei peripherer LE, Infarktpneumonie. • Thoraxschmerz: Atemabhängiger Thoraxschmerz entspricht pleuritischer Reizung bei Lungeninfarkt, meist einige Tage nach Embolisierung beginnend. Starker retrosternaler Thoraxschmerz bei massiver zentraler LE durch rechtsventrikuläre Myokardischämie.
Typische Krankheitszeichen Meist plötzliches Auftreten von: Tachypnoe, Tachykardie, Hypotonie, Pleuraschmerz (Husten).
Differenzialdiagnose Im Prinzip sind die Diagnosen mit Thoraxschmerz, Dyspnoe und Kreislaufinsuffizienz durchzudenken: • Thoraxschmerz: alle im oder nahe beim Thorax liegenden Organe können im Prinzip schmerzen: – Myokardinfarkt: Brustschmerz evtl. gleich stark wie bei massiver LE, Beachte! Anamnese, EKG, CK, Troponin, – Aortendissektion (s. S. 81): Aorteninsuffizienz? Mediastinalverbreiterung im Röntgen-Thorax? – Perikarditis: oft lageabhängig, evtl. Reibegeräusch, EKG. • Dyspnoe/Tachypnoe: – Pneumothorax (s. S. 122): asymmetrisches Atemgeräusch, – Pleuritis anderer Genese: atemabhängig? Reiben? Erguss? Pneumonie? • Gastrointestinale Störungen: – Ösophagusentzündungen/-spasmen, Magenulkus, – Gallenblasen-, Nierenkoliken. • Kreislaufinsuffizienz: – andere obstruktive Schockformen: z. B. bei Perikardtamponade (s. S. 77), – nichtobstruktiver Schock (s. S. 21): kardiogen, septisch-toxisch, hypovolämisch.
72
3
Kardiologie und Angiologie
Notfallanamnese Meist plötzliche Atemnot, Thoraxschmerz und Synkope.
Notfalluntersuchung Klinik
• • • • • • • • •
Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie (Tab. 3.6), Pulsfrequenz (Tachykardie > 100/min), Blutdruck (evtl. Hypotension mit BDsyst < 90 mmHg), Tachypnoe, Einflussstauung (gestaute Halsvenen in 458-sitzender Stellung), Venenpuls am Hals (deutliche „a-Welle“), Zeichen einer tiefen Venenthrombose an unteren Extremitäten, Schleimhaut der Zungenunterseite (zentrale Zyanose), Herzauskultation (orthodox gespaltener 2. Herzton mit akzentuiertem Pulmonalanteil), Lungenauskultation (pleuritisches Reibegeräusch).
Diagnostik Das diagnostische Vorgehen richtet sich nach der klinischen Situation (stabil versus instabil) des Patienten (Abb. 3.35 u. Abb. 3.36). Schätzen der klinischen Wahrscheinlichkeit für LE (Tab. 3.6).
Tabelle 3.6
Labor • D-Dimere (hoher negativ prädiktiver Wert, geringe Spezifität). Bildgebung • Kompressionssonografie der Beinvenen: bei TVTNachweis Behandlung und Risikostratifizierung (s. u.). • Hoch auflösende CT des Thorax: Spiral-CT mit Kontrastmittel (Perfusionsdefekt, Infarkt des Lungengewebes und evtl. Pleuraerguss, Hinweise auf disseminierte und mehrzeitige LE). • Szintigramm: kombiniertes Perfusions-Inhalations-Szintigramm der Lunge (emboliebedingtes Perfusionsdefizit?) Hoher Anteil diagnostisch nicht verwertbarer Befunde, daher abnehmende und wesentlich geringere Bedeutung im Vergleich zum CT. Vorteile durch geringe Invasivität und niedrige Strahlenbelastung. • Pulmonalisangiografie: historischer Goldstandard, aufgrund der Invasivität und Strahlenbelastung heute nur selten angewendet. Ergänzende Basisdiagnostik • EKG: 12-Kanal-EKG (Abb. 3.37), typische Zeichen sind Tachykardie, P pulmonale, SI-QIII-Typ, Rechtsachse, neu aufgetretener RSB, Ischämiezeichen in V1–V3. • Arterielle Blutgasanalyse (Hypoxämie, meist respiratorische Alkalose). • Röntgen-Thorax: bei LE selten spezifisch. • Gerinnungsstatus und Blutbild (Kontraindikationen für Antikoagulation).
Bestimmung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie nach Wells.
Klinische Charakteristik
Score
Klinische Zeichen einer Venenthrombose (TVT)
3,0
LE wahrscheinlicher als eine andere Diagnose
3,0
Herzfrequenz > 100/min
1,5
Immobilisation oder Operation in den vergangenen 4 Wochen
1,5
Frhere TVT oder LE
1,5
Hmoptyse
1,0
Krebserkrankung aktiv oder in den vergangenen 6 Monaten
1,0
Wahrscheinlichkeit für LE
Score
• gering • mittel • hoch
< 2,0 2,0 – 6,0 > 6,0
Thrombophlebitis, Venenthrombose und Lungenembolie
V. a. Lungenembolie (stabiler Patient) gering
KW
D-Dimere
mittel, hoch
neg nicht behandeln
pos
bildgebendes Verfahren Szintigrafie nicht behandeln
neg
KUS
pos
pos
neg pos
Abb. 3.35 Diagnostischer Algorithmus bei V. a. Lungenembolie bei hämodynamisch stabilem Patienten. CT: Computertomografie, KW: klinische Wahrscheinlichkeit, KUS: Kompressionssonografie, neg: negativ, pos: positiv.
Spiral-CT neg
nicht behandeln
Behandlung, Risikostratifizierung
nicht eindeutig Spiral-CT nicht behandeln
neg
73
pos
neg
Abb. 3.36 Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf Lungenembolie bei hämodynamisch instabilem Patienten.
V. a. Lungenembolie (instabiler Patient) transthorakale Echokardiografie
keine akute rechtsventrikuläre Dysfunktion oder nichtdiagnostische Echokardiografie
weitere Diagnostik (Spiral-CT, ggf. Pulmonalisangiografie)
akute rechtsventrikuläre Dysfunktion
Behandlung
Risikostratifizierung • Echokardiografie (akute rechtsventrikuläre Dysfunktion: rechtsventrikuläre Kontraktionseinschränkung, paradoxe Septumbewegung, Trikuspidalklappeninsuffizienz, pulmonal-arterieller Druck durchschnittlich bis 40 mmHg, Erweiterung der V. cava inferior) • Kardiale Biomarker: Negatives Troponin sowie normales BNP und N-terminal-proBNP schließen mit hohem negativ prädiktivem Wert zwischen 90 und 100% einen komplizierten Verlauf einer LE in der Akutphase aus.
Therapie Strategie. Die Therapie richtet sich nach der hämodynamischen Stabilität des Patienten: • Hämodynamisch stabil ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion: – effektive Antikoagulation wie bei TVT (EG-A), Immobilisation nicht erforderlich. • Hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion: – effektive Antikoagulation, in geeigneten Fällen systemische Thrombolyse (EG-A), Intensivüberwachung und eingeschränkte Mobilisation.
74
Kardiologie und Angiologie – katheterbasierte Thrombusfragmentation mit und ohne lokale Fibrinolyse (EG-B) alternativ zur systemischen Thrombolyse. – Chirurgische Embolektomie: nur in besonderen Situationen und bei nicht zu umgehenden Kontraindikationen der systemischen Thrombolyse, z. B. Wochenbett (EG-D).
3
Weitere Maßnahmen
• • •
Nachholen diagnostischer Maßnahmen (z. B. Duplexsonografie, CT der unteren Extremitäten und des Beckens, Abklärung von Risikofaktoren), Kompressionstherapie der unteren Extremität, orale Antikoagulation planen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• Abb. 3.37 EKG-Veränderungen bei Lungenembolie. SI-QIII-Typ, Rechtsdrehung der Herzachse, ST-Hebungen mit terminal negativem T in III, Rechtsschenkelblock, T-Inversion rechtsprkordial, unspezifische Erregungsrckbildungsstçrungen linksprkordial.
• •
Schock (RR systolisch < 100 mmHg, Puls > 100/min): – systemische Thrombolyse, falls keine absoluten Kontraindikationen bestehen (EG-A). Reanimationspflicht: – systemische Thrombolyse (EG-A).
•
• •
Notfallmanagement
• • • •
Sauerstoff: mit Maske 2 – 10 l/min. Analgesie: z. B. 5 mg Morphin i. v. Heparin: 5000 IE UFH i. v. und Infusionsbeginn mit 400 IE/kg KG/d oder LMWH. Kreislaufschock (BDsyst < 100 mmHg, Puls > 100/min oder akute rechtsventrikuläre Dysfunktion: – Verlegung auf Intensivstation, – Behandlungsbeginn mit großzügiger intravenöser Volumengabe (bis zu mehreren Litern) zur Stützung des rechten Ventrikels, – danach erst Katecholamintherapie (Dopamin und Noradrenalin bei hypotensiven Patienten, bei niedrigem Schlagvolumen zusätzlich Dobutamin), – systemische Thrombolyse (rt-PA-Kurzinfusion: 100 mg i. v. über 2 h), alternativ Streptooder Urokinase,
•
Kreislauf: Blutdruck periodisch kontrollieren (beginnende bzw. zunehmende Kreislaufinsuffizienz? Indikation zur Thrombolyse oder Embolektomie?), Funktion des rechten Herzens, Halsvenen (sekundäres Rechtsherzversagen?), Hauttemperatur an den unteren Extremitäten (Zeichen der Kreislaufinsuffizienz?). Bei massiver zentraler LE: kontinuierliches EKGMonitoring (Arrhythmie), evtl. pulmonal-arterielle Drucküberwachung (Kathetereinlage in Kombination mit Pulmonalisangiografie) zur Verlaufskontrolle (Therapieeffekte, Rezidivfrüherfassung). 12-Kanal-EKG: in regelmäßigen Abständen wiederholen (Rechtsherzbelastung). Atmung: Atemfrequenz (drohender Erschöpfungszustand, wenn > 35/min), Schleimhaut der Zungenunterseite (zentrale Zyanose). Labor: arterielle Blutgasanalyse (Hypoxämie, respiratorische oder z. B. schockbedingte metabolische Azidose), wiederholt Gerinnungsstatus (Therapiekontrolle) und Hämoglobin (Blutung).
Besondere Merkpunkte Neben der zur Dyspnoe führenden Gasaustauschstörung steht – v. a. bei der massiven, zentralen LE – die Akutbelastung des rechten Herzens durch die Obstruktion im Vordergrund, möglicherweise mit Herztod innerhalb von Stunden. Der Faktor Zeit spielt die größte Rolle, rasches diagnostisches Vorgehen und rascher Behandlungsbeginn sind essenziell.
Dekompensierte Rechtsherzinsuffizienz
3.5
Dekompensierte Rechtsherzinsuffizienz P. T. Buser
Differenzialdiagnose
• •
Obere Einflussstauung: Obstruktion der V. cava superior (s. S. 79), Pericarditis constrictiva, Perikardtamponade.
Definition und Einteilung
Notfallanamnese
Herzinsuffizienz mit Zeichen der Stauung überwiegend im systemisch-venösen Rückstromgebiet.
•
Pathophysiologie
• • •
Akute, schwere Druck- oder Volumenbelastung des rechten Ventrikels, akute, mäßige Druckbelastung des rechten Ventrikels bei vorbestehender pulmonal-arterieller Hypertonie, Verminderung der rechtsventrikulären Myokardkontraktilität (Ischämie, Infarkt).
Ursachen der akuten Rechtsherzinsuffizienz • Akutes Cor pulmonale bei Lungenembolie. • Dekompensation eines chronischen Cor pulmonale bei: – chronisch obstruktiver Lungenkrankheit, – Lungenparenchymerkrankungen, – vaskulärer Lungenerkrankung, – alveolärer Hypoventilation. • Rechtsventrikulärer Myokardinfarkt. • Akute Volumenbelastung des rechten Ventrikels bei Links-rechts-Shunt: – Ventrikelseptumruptur, – Perforation eines Sinus-valsalvae-Aneurysmas. • Rechtsventrikuläre Dekompensation bei pulmonalvenöser Druckerhöhung: – Linksherzinsuffizienz, – Mitralstenose. • Rechtsventrikuläre Dekompensation bei Eisenmenger-Syndrom.
• • • • •
Lungenembolie: tiefe Venenthrombose, Immobilisation, stechender Thoraxschmerz, Husten, Hämoptoe, Malignom, Thrombophilie. Chronische Atemwegserkrankungen: Arzneimittelanamnese (Inhalationstherapie). Koronare Herzkrankheit: Angina pectoris, frühere Koronarinterventionen, aortokoronare Bypassoperation. Akuter Links-rechts-Shunt: subakuter Myokardinfarkt, vorbestehendes Aneurysma des Sinus valsalvae der Aorta ascendens. Dekompensation bei pulmonal-venöser Druckerhöhung: rheumatische Herzkrankheit, frühere Mitralklappenersatzoperation, zunehmende Linksherzinsuffizienzzeichen. Dekompensiertes Eisenmenger-Syndrom: komplexes kongenitales Vitium mit zunehmender Zyanose.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Inspektion: Stauung der Jugularvenen, positiver hepatojugulärer Reflux, hebender rechter Ventrikel. Palpation: palpabler rechter Ventrikel, palpabler Leberpuls, periphere Ödeme, Aszites, Anasarka. Auskultation: weit gespaltener 2. Herzton (Volumenbelastung des rechten Ventrikels), fix gespaltener 2. Herzton (Perikardtamponade), holosystolisches Geräusch rechts parasternal (Trikuspidalinsuffizienz).
Typische Krankheitszeichen
Diagnostik
•
•
• •
Flüssigkeitseinlagerung: Ödeme, Anasarka, Aszites, Pleuraerguss. Dyspnoe: bei Herzminutenvolumen flfl, großem Pleuraerguss. Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Erschöpfung, Schweregefühl in den Extremitäten, Anorexie, Nykturie.
75
• •
EKG: akuter Myokardinfarkt in den Rechtsherzableitungen (VR3, VR4) (Abb. 3.38), Rechtsherzüberlastung? Röntgen-Thorax: p.-a. und seitlich: rechter Ventrikel vergrößert, Pleuraerguss? Echokardiografie: Perikarderguss, Dimensionen des rechten Ventrikels, Trikuspidalinsuffizienz?
76
Kardiologie und Angiologie
3
Abb. 3.38
• •
EKG bei Rechtsherzinfarkt.
Labor: Hb, Thrombozyten, Prothrombinzeit, Natrium, Kalium, Kreatinin, Transaminasen, Kreatinkinase, arterielle Blutgasanalyse, D-Dimer (Ausschluss einer Lungenembolie). Spiral- oder Multislice-CT.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Siehe Therapie der Linksherzinsuffizienz (S. 64), zentralvenöser Druck, evtl. Pulmonaliskatheter.
Therapie
Besondere Merkpunkte
Grundsätzlich Behandlung der verursachenden Grundkrankheit: • Lungenembolie (s. S. 73), • dekompensiertes chronisches Cor pulmonale, • akuter Rechtsherzinfarkt (s. S. 57 ff.), • Links-rechts-Shunt: – möglichst rasch den optimalen Zeitpunkt einer chirurgischen Sanierung festlegen, – evtl. intraaortale Ballonpumpe zur Verminderung des Shuntvolumens einsetzen (s. S. 61). • Globale Herzinsuffizienz: s. Behandlung der Linksherzinsuffizienz (s. S. 64).
Cave! Bei akutem Rechtsherzinfarkt ist ein hoher rechtsventrikulärer Füllungsdruck notwendig, um das Schlagvolumen aufrechtzuerhalten. Nitrate und Diuretika können das Schlagvolumen kritisch vermindern!
Herztamponade – Perikarderguss
3.6
Herztamponade – Perikarderguss P. Rickenbacher
Definition und Einteilung Unter Herztamponade versteht man eine kritische Kompression des Herzens durch Flüssigkeit, Blutkoagel und/oder Gas im Perikardraum mit hämodynamischer Beeinträchtigung. Ursachen eines Perikardergusses oder einer Perikardtamponade • Perikarditis: neoplastisch (13 – 40%), idiopathisch (13 – 20%), urämisch (5 – 10 %), nach Myokardinfarkt (8 – 25%), infektiös (Viren, Bakterien, Tuberkulose, Pilze) (2 – 14%), nach Bestrahlung (4 – 7%), Postkardiotomie-Syndrom (2 – 16%), Lupus erythematodes und andere rheumatische Affektionen (2 – 11%), Dressler-Syndrom, Arzneimittel, Hypothyreose. • Trauma: stumpf, Stich- oder Schussverletzung. • Ruptur: Ruptur des Herzens bei Myokardinfarkt oder der Aorta bei Aortendissektion. • Iatrogen: Schrittmachereinlage, Herzkatheter, Myokardbiopsie, nach Herzoperation, unter Antikoagulation, nach Thrombolyse.
Pathophysiologie Ergussmenge und Akkumulationsgeschwindigkeit. Die hämodynamischen Auswirkungen eines Perikardergusses werden bestimmt durch die Menge der Flüssigkeit im Perikardraum und deren Akkumulationsgeschwindigkeit sowie durch die physikalischen Charakteristika des Perikards. Bei langsamer Entstehung des Ergusses kann durch Dehnung des Perikards eine Ergussmenge bis zu 2 Litern toleriert werden. Bei rascher Entstehung des Ergusses oder bei steifem Perikard, z. B. infolge Fibrosierung oder Tumorinfiltration, können bereits 150 – 200 ml zur Tamponade führen. Hämodynamische Auswirkungen. Der erhöhte intraperikardiale Druck führt zu einer Equilibrierung der atrialen und diastolischen ventrikulären Druckwerte, zur diastolischen Füllungsbehinderung der Ventrikel und zur Abnahme des Schlagvolumens. Bei weiterem Anstieg des intraperikardialen Drucks kommt es trotz verschiedener kompensatorischer
77
Mechanismen zu einem Abfall des Herzminutenvolumens und des Blutdrucks. Unbehandelt entstehen ein Schockzustand und schließlich eine pulslose elektrische Aktivität (PEA). Prognose. Die Kurzzeitprognose der Perikardtamponade hängt von der frühzeitigen Diagnostik und Therapie ab. Die Langzeitprognose wird vor allem durch die Grundkrankheit bestimmt. Nach Ruptur bei Myokardinfarkt oder Aortendissektion ist der Verlauf in der Regel rasch letal.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Patienten mit einem Perikarderguss ohne Erhöhung des intraperikardialen Drucks sind häufig asymptomatisch. Gelegentlich wird ein konstanter dumpfer Druck oder Schmerz thorakal verspürt. Bei großen Ergüssen können auch Symptome durch mechanische Kompression angrenzender Strukturen auftreten: Husten, Dyspnoe, Dysphagie, Singultus, Nausea, Heiserkeit. Die Tamponade äußert sich mit retrosternalen Schmerzen, Atemnot, allgemeiner Schwäche, Schwindel, Palpitationen und belastungsabhängigen Synkopen.
Differenzialdiagnose
• • • • • • •
Perikarditis, Pleuritis, Myokardinfarkt (s. S. 55), Aortendissektion (s. S. 81), Lungenembolie (s. S. 71), Pneumothorax (s. S. 122), obere Einflussstauung (s. S. 79), andere Schockzustände (s. S. 15), schwere obstruktive Lungenerkrankung (s. S. 107).
Notfallanamnese
• • • • •
Grundkrankheit: Tumor, Niereninsuffizienz, bekannte Perikarditis etc. Ursache: Trauma, akuter Myokardinfarkt, Aortendissektion, kardiologischer oder kardiochirurgischer Eingriff. Schmerzcharakter: als scharf empfundene, evtl. lage- und atemabhängige „pleuritische“ Brustschmerzen als Hinweis auf das Vorliegen einer Perikarditis. Fieber. Antikoagulation.
78
3
Kardiologie und Angiologie
Notfalluntersuchung Klinik Kein einzelner klinischer Befund ist spezifisch für das Vorliegen einer Perikardtamponade. Die Diagnose wird vermutet bei einer Kombination typischer Befunde: • Beck-Trias: arterielle Hypotonie, Halsvenenstauung und leise Herztöne. – Die Halsvenenstauung kann bei Hypovolämie fehlen. – Ein inspiratorischer Druckanstieg der Halsvenen (Kussmaul-Zeichen) weist auf eine epikardiale Konstriktion hin. • Pulsus paradoxus: inspiratorischer Abfall des systolischen Blutdrucks um mehr als 10 mmHg bei normaler Atmung. – Neben der Perikardtamponade kann ein Pulsus paradoxus auch bei obstruktiver Lungenerkrankung (s. S. 108), Lungenembolie (s. S. 71) und Spannungspneumothorax (s. S. 122) beobachtet werden. – Bei schwerer Hypovolämie kann der Pulsus paradoxus trotz Tamponade fehlen. – Der Pulsus paradoxus wird palpatorisch an der A. femoralis oder der A. carotis besser als an der A. radialis palpiert. Am besten kann die Paradoxie jedoch bei der Blutdruckmessung mit Manschette und Stethoskop diagnostiziert werden.
• • • •
Tachypnoe. Tachykardie. Oligurie. Cave! Ein Perikardreiben schließt einen Perikarderguss nicht aus!
Diagnostik EKG. Das EKG kann Hinweise auf die Grundkrankheit geben (z. B. Myokardinfarkt, Perikarditis). Eine Niedervoltage (Amplitude des QRS-Komplexes < 5 mm in den Extremitäten- und < 10 mm in den Brustwandableitungen) und vor allem ein elektrischer Alternans (zyklische Veränderung der Amplitude von P, QRS oder T-Welle) sind verdächtige, aber nicht pathognomonische Zeichen. Häufig sind unspezifische Repolarisationsstörungen. Konkave ST-Streckenhebung und PR-Streckensenkung deuten auf eine Perikarditis hin. Echokardiografie. Die Echokardiografie ist Technik der Wahl zur Diagnose von Perikardergüssen und zur Beurteilung von Ausdehnung und Lokalisation. Echokardiografische Zeichen einer Perikardtamponade im 2-D-Bild umfassen eine diastolische Kompression von rechtem Vorhof und Ventrikel (Abb. 3.39), seltener auch des linken Vorhofs, eine abnorme Septummotilität (inspiratorisch Vorwölbung nach links, exspiratorisch nach rechts), eine Dilatation der V. cava inferior ohne inspiratorischen Kollaps und typische Schaukelbewegungen des Herzens („swinging heart“). In der Doppleruntersuchung weisen eine Abnahme der mitralen und eine Zunahme der trikuspidalen Flussgeschwindigkeiten während der Inspiration auf eine Tamponade hin. Röntgen-Thorax. Es gibt keine spezifischen radiologischen Zeichen der Perikardtamponade. In akuten Fällen kann der Herzschatten normal groß sein. Bei Akkumulation von mehr als 250 ml Flüssigkeit ist der Herzschatten typischerweise kugelig verbreitert mit einem schlanken, kurzen Gefäßband („Wasserflaschen-Konfiguration“). Labor. Na, K, Kreatinin, Harnstoff, Hb, Hk, Leukozyten, Differenzialblutbild, Quick, CRP.
Therapie Notfallmanagement Abb. 3.39 Perikardtamponade. Typischer echokardiografischer Befund in der parasternalen Lngsachse. AO: Aorta ascendens, LA: linker Vorhof, LV: linker Ventrikel, PE: Perikarderguss, RV: rechter Ventrikel, Pfeil: diastolische Kompression des rechten Ventrikels.
Klinikeinweisung. Sofortige schon im Verdachtsfall!
Klinikeinweisung
Obere Einflussstauung – V.-cava-superior-Syndrom
Akut bedrohliche Tamponade. • US-gesteuerte Perikardiozentese: Bei der akut bedrohlichen Tamponade ist die einzig wirksame Maßnahme die Senkung des intraperikardialen Drucks durch Evakuation der akkumulierten Flüssigkeit. Methode der Wahl ist die ultraschallgesteuerte Perikardiozentese (Technik s. S. 85), in speziellen Fällen die chirurgische Drainage (EG-D). Schon die Entlastung von kleinen Flüssigkeitsmengen kann zu einer dramatischen klinischen Verbesserung führen. Bei Ergüssen von mehr als 1000 ml sollte die Entlastung stufenweise erfolgen, um eine akute rechtsventrikuläre Dilatation zu vermeiden. • Antihypotensive Therapie: Falls eine sofortige Punktion nicht möglich ist, vorübergehende Kreislaufunterstützung mit intravenöser Volumenexpansion (physiologische Kochsalzlösung oder Kolloid) sowie Dobutamin und/oder Noradrenalin (EG-D). Perikarderguss ohne Tamponade. Bei Perikardergüssen ohne Tamponade ist der diagnostische und therapeutische Nutzen einer Perikardpunktion außer bei Verdacht auf purulente Perikarditis und chronische, große, idiopathische Ergüsse umstritten (EG-D).
Weitere Maßnahmen Chirurgische Therapie. Indikationen zur chirurgischen Therapie umfassen (EG-D): • Gesicherte Tamponade, aber es kann keine Flüssigkeit aspiriert werden (z. B. lokalisierter Erguss) oder es tritt trotz Aspiration keine Verbesserung ein, • Rezidiv mit raschem Wiederauffüllen des Ergusses, • traumatische und z. T. iatrogene (z. B. nach Myokardbiopsie, Schrittmacherelektrodeneinlage etc.) Tamponade, • postoperative Tamponade, • Tamponade bei Aortendissektion oder durch Myokardruptur, • purulente Perikarditis. Abklärung der Ätiologie. Durch entsprechende Untersuchung des Aspirates: Protein, Glukose, Hb, Hk, Leukozyten, Gram-Präparat und Kulturen für Bakterien, Tuberkulose und Pilze, Zytologie. Behandlung bzw. Rezidivprophylaxe. Antiinfektiöse Therapie, Aufheben der Antikoagulation, Aspirin oder nichtsteroidale Antirheumatika zusammen mit Colchicin (EG-A) bei idiopathischer Perikarditis, Dialyse bei urämischer Perikarditis, Instillation
79
von Zytostatika bei neoplastischer Perikarditis, Behandlung der Grundkrankheit (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Basismaßnahmen: Überwachung auf einer Intensivstation für mindestens 24 h: Blutdruck, Herzfrequenz, klinische Zeichen der Tamponade. Echokardiografie: Kontrollechokardiografien nach Ergussentleerung und im Verlauf. Intraperikardialer Katheter: Der intraperikardiale Katheter kann zur wiederholten Aspiration oder zur Instillation von Arzneimitteln bei Bedarf für mehrere Tage in situ belassen werden.
Besondere Merkpunkte
• •
Bei arterieller Hypotonie, Halsvenenstauung, leisen Herztönen und Pulsus paradoxus besteht der dringende Verdacht auf eine Perikardtamponade. Die Echokardiografie ist die Methode der Wahl in der Diagnostik von Perikardergüssen/-tamponade und zur Steuerung einer Perikardiozentese.
3.7
Obere Einflussstauung – V.-cava-superior-Syndrom R. Herrmann
Definition und Einteilung Totaler oder subtotaler Verschluss der oberen Hohlvene durch Kompression und/oder Thrombose mit konsekutiver Stauung distal des Verschlusses.
Pathophysiologie Maligne Ursachen. Zentral wachsendes Bronchialkarzinom (ca. 2⁄3 der Fälle), maligne Lymphome, maligne Thymome, primär extragonadale Keimzelltumoren, Lymphknotenmetastasen anderer solider Tumoren. Durch kontinuierliches Wachstum der Neoplasie wird die Strombahn der V. cava superior zunehmend eingeengt. Zum Teil erfolgt auch eine Invasion der Gefäßwand. Häufig entstehen Thrombosen, die dann sehr rasch zum totalen Verschluss führen können.
80
3
Kardiologie und Angiologie
Benigne Ursachen. Thrombosen bei liegendem Zentralvenenkatheter mit venösem Port, postinfektiöse fibrosierende Mediastinitis. Relativ benigne Ursachen können eine retrosternale Struma und ein Aortenaneurysma sein. Umgehungskreisläufe. Das venöse Blut staut sich zurück in Hals, Kopf und obere Extremitäten. Es bilden sich Umgehungskreisläufe über subkutane Venen der Thoraxwand zum Drainagegebiet der unteren Hohlvene. Je schleichender die Entwicklung der Stenose, desto ausgeprägter die Venenzeichnung der Thoraxwand und desto geringer die Symptomatik.
Diagnostik
• • •
Therapie Notfallmanagement
Typische Krankheitszeichen
• • • •
•
•
• •
Bei akutem/subakutem Verschluss: Stauung der Halsvenen, Schwellung von Hals, Gesicht, Armen und Händen; Kopfschmerzen, Luftnot, Zyanose. Erleichterung durch aufrechte Position. Beginnende Venenzeichnung im oberen Thorakalbereich.
Differenzialdiagnose
• • •
Allergische Reaktion mit Gesichtsschwellung (keine Stauung der Armvenen!), Thrombose der V. subclavia (nur einseitige Armvenenstauung), Rechtsherzinsuffizienz (Stauung der Beine).
Notfallanamnese
• •
Erfragen der Symptome: Kopfschmerzen, Kopfdruck (besonders im Liegen), Dyspnoe, Spannungsgefühl in Kopf, Gesicht, Hals, oberen Extremitäten. Vorgeschichte: maligne Erkrankung?
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Halsvenenstauung im Sitzen, keine Entleerung der (durch Absenken der Arme) gefüllten Handvenen durch Heben der Arme über die Herzhöhe, orientierende Palpation der Lymphknotenstationen (Lymphom?).
Röntgen-Thorax in 2 Ebenen, CT Thorax und Hals mit i. v. Kontrastmittel, obere Cavografie ggf. kombiniert mit endovaskulärer Therapie.
•
Hochlagerung des Oberkörpers, O2 per Nasensonde bei Atemnot, Diuretika (EG-D) (Furosemid 20 mg i. v.), Chemotherapie bei neu diagnostizierten chemotherapieempfindlichen Tumoren (EG-A), endovaskuläre Therapie: Stent (EG-A), Fibrinolyse, Angioplastie, bei unbefriedigendem Erfolg Glukokortikoide (EG-D), z. B. Prednison 100 mg/d oral.
Weitere Maßnahmen
• •
Antikoagulation, Behandlung der Grundkrankheit durch Chemound/oder Strahlentherapie.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Klinische Kontrolle der Stauung (Hals-, Armvenen), ggf. Wiederholung der Thrombolyse.
Besondere Merkpunkte
•
•
Bei unbekannter Grundkrankheit konsequente Diagnostik (Bronchoskopie mit transbronchialer Biopsie, Lymphknotenbiopsie an anderem Ort, CT-gesteuerte Biopsie) zur histologischen Sicherung der Ursache. Cave! Erhöhte Blutungsgefahr im gestauten Gewebe!
Aortendissektion
3.8
Aortendissektion P. Rickenbacher
Definition und Einteilung Das akute aortale Syndrom umfasst verschiedene seltene, aber akut lebensbedrohliche Pathologien der Aorta: die klassische Aortendissektion, das intramurale Hämatom und die Ulzeration oder Ruptur einer arteriosklerotischen Plaque. Die Einteilungen der Aortendissektion basieren auf der Lokalisation des Intimarisses, der Ausdehnung der Dissektion und der Entstehungsdauer. Dissektionen von < 2 Wochen Dauer werden als akut, solche von ‡ 2 Wochen als chronisch bezeichnet. Die morphologischen Klassifikationen unterscheiden aus prognostischen und therapeutischen Gründen Aortendissektionen mit und ohne Beteiligung der Aorta ascendens (Abb. 3.40).
81
Klassifikation nach DeBakey • Typ 1 (Häufigkeit 60 – 70%): Beginn in der Aorta ascendens mit Ausdehnung in den Aortenbogen und häufig in die Aorta descendens. • Typ 2 (selten): Beginn und Ausdehnung auf die Aorta ascendens beschränkt. • Typ 3 (20 – 30%): Beginn in der Aorta descendens mit Ausdehnung nach distal oder selten nach proximal.
Pathophysiologie Nach Einriss der Intima (tear) (Abb. 3.41), seltener nach einer Ruptur von Vasa vasorum oder dem Aufbruch einer arteriosklerotischen Plaque wird die krankhaft veränderte Media durch die intramurale Blutung gespalten, was die weitere, meist antegrade Dissektion der Aortenwand über eine variable Ausdehnung bewirkt. Der blutgefüllte Raum zwischen den Wandschichten der Aorta wird zum „falschen Lumen“. Scherkräfte können zu weiteren Einrissen der dissezierten intimalen Wandschicht (flap, Dis-
Klassifikation nach Stanford • Typ A = proximal (Häufigkeit 65%): alle Dissektionen mit Beteiligung der Aorta ascendens unabhängig vom Ursprungsort. • Typ B = distal (35%): alle Dissektionen ohne Beteiligung der Aorta ascendens.
Typ I
Typ II Typ A
Typ III Typ B
Abb. 3.40 Gebräuchliche Klassifikationen der Aortendissektion. DeBakey (Typ 1 – 3), Stanford (Typ A und B) (modifiziert nach Braunwald E, Zipes DP, Libby P, eds. Heart Disease. A Textbook of Cardiovascular Medicine. 6th ed. Philadelphia: Saunders; 2001).
Abb. 3.41 MRT-Längsschnitt mit Aortendissektion Typ B. 1: Intimaeinriss (tear), 2: richtiges Lumen, 3: falsches Lumen, 4: Verlauf des Intimaflaps in die A. carotis (freundlicherweise zur Verfgung gestellt von Prof. G. Bongartz und P. Buser, Basel).
82
3
Kardiologie und Angiologie
sektionsmembran) (Abb. 3.41 u. Abb. 3.42) führen mit Aus- oder Eintrittsstellen für das Blut im falschen Lumen. Risikofaktoren. Prinzipiell führen alle Mechanismen, welche die Aortenwand und vor allem die Media (Mediadegeneration) schwächen, zu einer erhöhten Wandbelastung, die wiederum eine aortale Dilatation und Dissektion begünstigt. Prädisponierende Faktoren für eine Aortendissektion umfassen: • arterielle Hypertonie (70 – 80% der Patienten), • aortale Arteriosklerose, • bikuspide Aortenklappe, Koarktation der Aorta, • Z. n. Aortenklappenersatz, • verschiedene hereditäre Bindegewebserkrankungen: Marfan- und Ehlers-Danlos-Syndrom, annuläre Ektasie der Aorta, • Schwangerschaft, • Vaskulitis mit Beteiligung der Aorta, • Amphetamin- oder Kokainkonsum, • Trauma, • iatrogen: Katheterisierung der Aorta, Herzchirurgie.
Typische Krankheitszeichen
•
•
• • •
Kardinalsymptom der Aortendissektion ist in rund 90% der Fälle ein plötzlich und mit maximaler Intensität einsetzender, als scharf, reißend oder stechend beschriebener Thoraxschmerz. Im Gegensatz dazu zeigen die Schmerzen bei akutem Myokardinfarkt einen Crescendo-Charakter und werden eher als oppressiv und dumpf empfunden. Schmerzen im Bereich der Brust und des Kopfes weisen auf eine Beteiligung der Aorta ascendens, Schmerzen interskapulär, abdominal und in den Beinen auf eine Beteiligung der Aorta descendens hin. Die Schmerzen zeigen eine Tendenz zur Migration entlang der Dissektion. Bei einer chronischen Dissektion können Schmerzen evtl. ganz fehlen. Bis zu 20% der Patienten präsentieren sich mit einer Synkope (s. S. 432).
Differenzialdiagnose
• • • •
Akutes Koronarsyndrom (s. S. 55), akute Perikarditis, Pleuritis, nicht dissezierendes Aortenaneurysma, akute Aortenklappeninsuffizienz ohne Dissektion,
• • • • • • •
Lungenembolie (s. S. 71), Pneumothorax (s. S. 122), akuter arterieller Verschluss (s. S. 88), muskuloskelettale Schmerzen, Cholezystitis (s. S. 131), Mediastinaltumoren, Ösophagusruptur.
Notfallanamnese
• •
Schmerzbeginn und Schmerzcharakteristika, prädisponierende Faktoren (s. o.).
Notfalluntersuchung Klinik Variabel, entsprechend der Lokalisation der Dissektion und der Beeinträchtigung von Seitenästen der Aorta: • Arterielle Hypertonie: 70 % bei distaler, 30% bei proximaler Dissektion. • Arterielle Hypotonie: 25% bei proximaler, 4 % bei distaler Dissektion und Schock bei Perikardtamponade, schwerer Aorteninsuffizienz oder Ruptur in eine andere Körperhöhle. „Pseudohypotonie“ oder Blutdruckdifferenz links – rechts bei Dissektion in die brachiozephalen Gefäße (beidseitige Blutdruckmessung!). • Akute Aorteninsuffizienz: mit neuem aortodiastolischem Geräusch (50 – 66 % bei proximaler Dissektion), evtl. mit Herzinsuffizienz. • Pulsdefizite: v. a. Radialis-, Karotis- und Femoralispuls (20 – 50% bei proximaler, 15 % bei distaler Dissektion). • Neurologische Manifestationen: 6 – 19 %, bei proximaler Dissektion bis 40%; zerebrovaskuläre Ereignisse (3 – 6 %), Bewusstseinstrübung, Paraplegie. • Beteiligung abdominaler Gefäße: 3 – 8%, mit therapierefraktärer Hypertonie (renovaskuläre Kompression), Anurie, viszeraler Ischämie etc. • Selten: Pleuraerguss (vor allem links), Heiserkeit, Atemwegsobstruktion, Hämoptoe, Dysphagie, Hämatemesis, obere Einflussstauung, HornerSyndrom, Fieber.
Aortendissektion
Diagnostik Labor. Hb, Hk (Anämie), Leukozyten (Entzündung), Quick (Gerinnungsstörung), Na, K, Kreatinin, Harnstoff (Niereninsuffizienz), CK, Troponin (Myokardinfarkt), D-Dimere (Lungenembolie), C-reaktives Protein (Entzündung, Infekt), Blutgruppe und Austesten von 4 Blutkonserven. Röntgen-Thorax. Die Befunde sind unspezifisch und selten diagnostisch. Ein normales Röntgenbild schließt eine Aortendissektion niemals aus. Am häufigsten sieht man eine Verbreiterung der Aortensilhouette (80 – 90%) oder des oberen Mediastinums. Gelegentlich ist eine Doppelkontur der Aorta oder ein Pleuraerguss, typischerweise links, sichtbar. EKG. Akuter Myokardinfarkt bei Dissektion in die Koronararterien (1 – 2%), Ischämiezeichen (bis 20%), Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie (30%). Wichtige bildgebende Verfahren. Zur Bestätigung der Diagnose und zur Beurteilung der anatomischen Verhältnisse stehen drei bildgebende Methoden mit vergleichbar hoher Sensitivität und Spezifität zur Verfügung. Welches Verfahren zum Einsatz kommt,
83
hängt neben der klinischen Situation von der lokalen Verfügbarkeit ab (Tab. 3.7). • Echokardiografie (TTE, TEE): Die transthorakale Echokardiografie (TTE) eignet sich v. a. zur Beurteilung der Aorta ascendens. Häufig ist die Bildqualität durch extrakardiale Faktoren beeinträchtigt. Dagegen wird die transösophageale Echokardiografie (TEE) in manchen Institutionen als diagnostische Methode der Wahl angesehen. Die TEE ist rasch verfügbar und kann bei instabilen Patienten am Bett durchgeführt werden. Einschränkungen bestehen in der Beurteilbarkeit des Aortenbogens und der Aorta abdominalis. Eine Sedation des Patienten ist evtl. nötig, um Blutdruckspitzen zu vermeiden. • Computertomografie (CT): Wegen der weiten Verbreitung nach wie vor die am häufigsten eingesetzte Methode zur Diagnose der Aortendissektion (Abb. 3.42). Die Methode erlaubt eine dreidimensionale Rekonstruktion zur Planung von Eingriffen, ein Nachteil ist der notwendige Einsatz von nephrotoxischen Kontrastmitteln.
Tabelle 3.7 Vergleich des diagnostischen Nutzens und praktischer Aspekte verschiedener bildgebender Verfahren in der Diagnostik der Aortendissektion. TEE
CT
MRT
Sensitivitt (%)
95 – 99
96 – 100
95 – 99
Spezifitt (%)
92 – 97
87 – 99
95 – 100
Diagnostische Zeichen Ort des Intimaeinrisses
+++
+
++
Aorteninsuffizienz
+++
–
++
Perikarderguss
+++
++
++
Mediastinalhmatom
++
+++
+++
Beteiligung von Seitensten
+
++
++
Beteiligung der Koronararterien
++
++
+
nein
mßig
nein
Praktische Aspekte Strahlenexposition Patientenkomfort
+
++
+
Jodhaltiges Kontrastmittel
nein
ja
nein
Rasche Verfgbarkeit
+++
+++
+
Untersuchung am Bett
ja
nein
nein
Nichtinvasiv
ja
ja
ja
Kosten
tief
tief
mßig
+++ sehr gut, ++ gut, + mßig, – nicht erfasst/nicht geeignet. TEE: transçsophageale Echokardiografie, CT: Computertomografie, MRT: Magnetresonanztomografie
84
Kardiologie und Angiologie
3
Abb. 3.42 CT mit Aortendissektion Typ A. 2: richtiges Lumen, 3: falsches Lumen, Pfeile: Dissektionsmembran, asc: ascendens, desc: descendens (freundlicherweise zur Verfgung gestellt von Dr. C. Petralli, Bruderholz).
•
Magnetresonanztomografie (MRT): „Goldstandard“, aber weniger geeignet für instabile Patienten und vielerorts nicht notfallmäßig verfügbar (Abb. 3.41). Die Aortografie ist invasiv und heute speziellen Indikationen wie Beurteilung von Seitenästen und Steuerung von Interventionen vorbehalten. Die Koronarangiografie wird nicht mehr routinemäßig präoperativ durchgeführt.
Therapie Notfallmanagement
• • • •
Absolute Bettruhe (EG-D). Schmerztherapie: Morphin 2,5 – 10 mg i. v. (EG-D). Venenkatheter: Einlage von 2 peripheren Venenkathetern (zur möglicherweise erforderlichen raschen Volumenexpansion und Transfusion) (EG-D). Sofortige Klinikeinweisung, Therapieeinleitung (s. u.) und weitere Abklärung.
Weitere Maßnahmen Blutdrucksenkung. Ziel: Blutdruck systolisch 100 – 120 mmHg (Mitteldruck 60 – 75 mmHg), solange die Perfusion der vitalen Organe gewährleistet bleibt. Gleichzeitig soll die initiale Kontraktion des Myokards und damit die Belastung der Aortenwand vermindert werden. Einer kurz wirksamen intrave-
nösen Therapie (Steuerbarkeit) ist der Vorzug zu geben: • Betablocker (EG-D) – Propranolol 1 mg i. v. alle 3 – 5 min bis zum gewünschten Effekt (initiale Dosis maximal 0,15 mg/kg KG oder insgesamt 10 mg), dann 2 – 6 mg i. v. (0,05 – 0,15 mg/kg KG) alle 4 – 6 h oder – Labetalol (kombinierter a- und b-RezeptorenBlocker) 10 – 20 mg i. v. über 2 min, dann 20 – 80 mg i. v. alle 10 – 15 min bis zum gewünschten Effekt (insgesamt maximal 300 mg), dann Dauerinfusion 2 – 10 mg/min (maximal 160 mg/h) oder – Esmolol 500 µg/kg KG als Bolus i. v. über 1 min, dann Dauerinfusion 50 – 100 µg/kg KG/min, Steigerung bei Bedarf um 25 – 50 µg/kg KG alle 5 min bis maximal 300 µg/kg KG/min. – Alternativ können auch kardioselektive Betablocker wie Metoprolol oder Atenolol eingesetzt werden. – Ziel ist eine Senkung der Herzfrequenz auf 60 – 80 Schläge/min. Cave! Herzinsuffizienz! • Kalziumantagonisten: bei Kontraindikation zur Betablockade – z. B. Verapamil 5 mg langsam i. v., Dauerinfusion 5 – 10 mg/h oder Diltiazem (EG-D). • Natriumnitroprussid-Infusion: bei ungenügendem Effekt der Betablockade Kombinationstherapie; Beginn mit 20 µg/min, Dosiserhöhung um 10 – 20 µg/min alle 5 – 15 min bis zum gewünschten Effekt (maximal 800 µg/min) (EG-D). Hypotonie. Rasche Volumenexpansion, bei refraktärer Hypotonie evtl. Vasopressoren, vorzugsweise Noradrenalin. Suche nach Aortenruptur oder Perikardtamponade (EG-D). Chirurgische Therapie. Bei Beteiligung der Aorta ascendens ist die Therapie grundsätzlich operativ. Die ungünstige Spontanprognose wird durch eine frühzeitige chirurgische Intervention deutlich verbessert (Operationsletalität 10 – 20 %) (EG-D). Konservatives Vorgehen. Die Behandlung erfolgt in den übrigen Fällen, außer bei Auftreten von Komplikationen, konservativ. Bei distaler Dissektion ist der Spontanverlauf günstiger und das operative Risiko höher (EG-D). Operation/interventionelle Therapie bei Komplikationen. Eine Operation oder interventionelle Therapie wird empfohlen bei Zeichen der Aortenruptur, rascher Dilatation und Aneurysmabildung der Aorta, persistierenden oder wiederholten Schmerzen und Ischämie von Extremitäten oder vitalen Organen (EG-D).
Aneurysma der Aorta abdominalis
Perikardtamponade. Dies ist die häufigste Todesursache bei Aortendissektion. Wenn immer möglich, notfallmäßige Operation anstreben. Eine Perikardiozentese (s. S. 85) sollte wegen Gefahr einer sekundären letalen Ruptur nur bei ausgeprägter hämodynamischer Instabilität durchgeführt werden (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Aufnahme auf eine Intensivstation. Kontinuierliche Blutdruck- und Herzfrequenzüberwachung, bei signifikanter Seitendifferenz des Blutdrucks Messung auf der Seite mit dem höheren Druck. Blasenkatheter bei Oligurie/Anurie.
85
Einteilung nach morphologischen Kriterien • Aneurysma verum: Die Aufweitung betrifft alle 3 Wandschichten (Interna, Media, Adventitia): – spindelförmig, selten kugelig (erhöhtes Rupturrisiko), – proximale Begrenzung: suprarenal, juxtarenal, infrarenal, – distale Begrenzung: oberhalb der Bifurkation, einschließlich der A. iliaca communis, ganze Beckenachse. • Aneurysma spurium: Verletzung, Einriss der Gefäßwand, nur ein Teil der Gefäßwand oder sogar nur umgebende Strukturen bilden die äußere Begrenzung. • Aortendissektion: selten abdominal, meistens bereits thorakal beginnend (S. 81).
Besondere Merkpunkte
Pathophysiologie
•
Ursachen. Das Aneurysma der Aorta abdominalis wurde bisher meistens als Ausdruck einer Atherosklerose bzw. deren Risikofaktoren, besonders Nikotin und arterielle Hypertonie, betrachtet. Neuere Arbeiten unterstreichen die Bedeutung von Bindegewebsveränderungen, die auch auf genetische Faktoren und eine gewisse familiäre Häufung hinweisen. Blutdruck. Gemäß dem Laplace-Gesetz entspricht die Wandspannung dem Produkt aus Radius und arteriellem Blutdruck. Zur Verminderung der Wandspannung und damit des Risikos der Ruptur ist somit die Senkung erhöhter Blutdruckwerte vorrangig.
•
Die rasche Diagnostik und eine parallele Therapieeinleitung sind bei Aortendissektion lebensrettend. Die Behandlung ist bei Beteiligung der Aorta ascendens prinzipiell operativ, sonst – außer bei Komplikationen – konservativ.
3.9
Aneurysma der Aorta abdominalis K. A. Jger
Definition und Einteilung Die Aufweitung des Gefäßdurchmessers der Aorta auf > 3 cm wird üblicherweise als Aneurysma bezeichnet. Bei einer Aufweitung um weniger als 100% des normalen Durchmessers (1,5 ± 0,4 cm) spricht man von Ektasie. Das Gefäß weitet sich bei der dilatativen Arteriopathie nicht nur radial, sondern auch längs der Gefäßachse (Elongation) aus. Einteilung nach klinischen Gesichtspunkten • Asymptomatisches Aneurysma: Diagnostik und ggf. elektive Operation (falls Durchmesser > 5,5 cm). • Symptomatisches Aneurysma: notfallmäßige Abklärung und beschleunigte Operation. • Rupturiertes Aneurysma: minimale Diagnostik und notfallmäßige Operation.
Typische Krankheitszeichen
• •
•
Das asymptomatische Aortenaneurysma ist meistens ein Zufallsbefund. Beim symptomatischen Aneurysma klagt der Patient über gürtelförmige oder nach distal ausstrahlende Schmerzen. Ebenso häufig sind die Schmerzen in der Lumbosakralregion lokalisiert, was zu diagnostischen Irrwegen führen kann. Seltener ist ein Ausstrahlen in den thorakalen Raum. Bei Ruptur des Aneurysmas klagt der Patient über intensive, stechende Schmerzen.
Differenzialdiagnose
• •
Akute Lumbago (s. Kap. 10.3, S. 372). Akutes Abdomen (s. S. 127).
86
3
Kardiologie und Angiologie
Notfallanamnese
• •
Ektasie oder Aneurysma bereits bei früheren Schnittbildverfahren diagnostiziert? Bekannte arterielle Durchblutungsstörung bzw. entsprechende Risikofaktoren und/oder familiäre Belastung?
Notfalluntersuchung Klinik Kreislauf. Blutdruck, Puls, Hautfarbe, Schwitzen. Pulsierende Raumforderung. Aorta verbreitert und gelegentlich auch unterhalb des Nabels palpabel sowie über die Mittellinie nach rechts ausladend. Verbreiterter Inguinal- und/oder Poplitealpuls bei generalisierter dilatativer Arteriopathie. Zu achten ist v. a. darauf, ob die Palpation des Aortenaneurysmas als dolent empfunden wird (= symptomatisches Aneurysma).
Diagnostik Symptomatisches Aneurysma • Sonografie des Abdomens oder Duplexsonografie (Abb. 3.43a, b): – maximaler Durchmesser a.–p. und lateral, – Breite und Ausdehnung des wandständigen Thrombus bzw. Durchmesser des verbleibenden perfundierten Lumens, – proximale (infrarenal?) und distale Ausdehnung (gerade aortale Prothese oder Y-Prothese auf Aa. iliacae oder Aa. femorales), – Anhaltspunkte für Perfusionsstörung, – Gefäßwand (Abb. 3.43 c), Anhaltspunkte für Ruptur, umgebende Strukturen. • CT und CT-Angiografie (CTA) (Abb. 3.43 d): Wird durchgeführt, falls die an die Ultraschalltechnik gestellten Fragen nicht vollständig beantwortet sind. Falls eine Katheterbehandlung mittels Endoprothese vorgesehen ist, wird zur Planung des Prozedere üblicherweise eine CT- oder MR-Angiografie benötigt. • Konventionelle Angiografie: Keine Routineuntersuchung bei der Abklärung eines Aortenaneurysmas, ist jedoch vor der Operation indiziert bei zusätzlich viszeraler, renaler oder relevanter peripherer arterieller Durchblutungsstörung. • Abklärung der Operabilität: Die Mortalität ist beim symptomatischen Aneurysma deutlich höher als beim elektiven Eingriff und liegt beim
rupturierten Aneurysma um 50%. Die Mortalität wird vor allem bestimmt durch kardiale, zerebrovaskuläre und renale Komplikationen. Rupturiertes Aortenaneurysma. Das Vorgehen wird bestimmt durch die Stabilität des Kreislaufs. Sind bei der Sonografie Rupturzeichen nachgewiesen, wird ohne weitere Verzögerung operiert. Bei völlig stabilem Kreislauf und sonografisch unklaren Verhältnissen wird, nach Absprache mit dem Gefäßchirurgen, unter strikter Überwachung die CT durchgeführt. Zu beachten ist, dass die gedeckte Ruptur schlagartig in einen hämorrhagischen Schock übergehen kann.
Therapie Notfallmanagement
•
Kreislaufstabilisierung, Blutdruckkontrolle.
Weitere Maßnahmen Operation. Operative Sanierung gemäß morphologischem Befund und allgemeiner Operabilität des Patienten: • Bei symptomatischen Patienten ist die Operationsindikation unabhängig vom Durchmesser gegeben (EG-C). • Beim asymptomatischen Aneurysma mit einem Durchmesser > 5,5 cm ist die Indikation zur Sanierung gegeben (EG-A). • Bereits bei einem Durchmesser von 5,0 – 5,4 cm kann die Intervention angezeigt sein (EG-B). Endoluminale Kathetertherapie. Erhält an spezialisierten Zentren immer mehr Bedeutung. Bei sorgfältiger Patientenselektion sind die Resultate nahezu vergleichbar mit der offenen Chirurgie. Die notfallmäßige Behandlung des rupturierten Aneurysmas ist aber noch nicht routinemäßig möglich (EG-B).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
•
Die Blutdruckwerte sollen im tief normalen Bereich gehalten werden (EG-C). Ist bei asymptomatischen Patienten die Operationsindikation (> 5,5 cm) noch nicht gegeben, sind bei einem Durchmesser von 4,0 – 5,4 cm Nachkontrollen mittels Ultraschall oder CT alle 6 – 12 Monate angezeigt (EG-A). Bei Durchmessern < 4 cm sind Ultraschallkontrollen alle 2 – 3 Jahre angezeigt (EG-B).
Aneurysma der Aorta abdominalis
Abb. 3.43
87
Aortenaneurysmen.
a Retroperitoneal rupturiertes Aneurysma der Aorta abdominalis. Im Lngsschnitt aufgeweitete Aorta mit dorsalem Thrombensaum und an der Hinterwand aufgesetzte echoarme, homogene Raumforderung von 3,1 cm 1,9 cm, entsprechend einer retroperitonealen, nicht perfundierten Perforation. Perforationskanal dargestellt. b Aortenaneurysma im Querschnitt mit gedeckter retroperitonealer Perforation. c Inflammatorisches Aneurysma (Aortitis) als Differenzialdiagnose zum rupturierten Aneurysma: echoarme zirkulre Schicht außerhalb der echodichten Gefßwand. d Aortenaneurysma im Querschnitt mit gedeckter retroperitonealer Perforation (CT des in b dargestellten Befundes).
88
3
Kardiologie und Angiologie
3.10 Akuter Arterienverschluss K. A. Jger
Definition und Einteilung Unterbrechung des arteriellen Blutflusses durch ein plötzlich aufgetretenes thrombotisches oder embolisches Strombahnhindernis. Dabei kommt es zu einer partiellen oder totalen Ischämie des arteriellen Versorgungsgebietes. Thrombotischer Verschluss. Ein vorgeschädigtes, zumeist durch Atherosklerose hochgradig stenosiertes Arteriensegment wird durch ein lokal entstandenes Gerinnsel total verschlossen. Eine Verlängerung des Verschlusses (Aufthrombosierung) nach proximal und nach distal bis zur Mündung der nächsten Kollaterale ist wahrscheinlich. Embolischer Verschluss. Im Herzen (kardiale Embolie), in der Aorta oder in proximalen Arterien (arterioarterielle Embolie) entstandene Emboli verlegen die distal gelegene Arterie. Morbus embolicus. Rezidivierende Embolien, oft in verschiedene arterielle Versorgungsgebiete.
Pathophysiologie Druckverhältnisse. Plötzlicher, drastischer Abfall des distalen Drucks, gelegentlich auf nicht messbare Werte. Entscheidend ist, ob der für die Kapillarperfusion benötigte Perfusionsdruck unterschritten wird. Die Kapillarperfusion sistiert spätestens bei einem postokklusiven systolischen Druck, der dem Venendruck entspricht. Tonusbestimmende Faktoren (Sympathikus, extravasaler Gewebedruck usw.) und lokale rheologische Bedingungen heben jedoch das kritische Druckniveau an. An der unteren Extremität liegt es bei 50 mmHg. Differenzierung Embolie – Thrombose. In 5 – 10% der Fälle kann nicht zuverlässig zwischen Embolie und lokaler Thrombose differenziert werden. Vorbestehende Stenosen können wie ein Filter Embolien auffangen. Der akute thrombotische Verschluss und die arterioarterielle Embolie beruhen meistens auf vorher nicht erkannten atherosklerotischen Veränderungen. Dies betrifft neben den Extremitätenarterien (s. u.) und hirnversorgenden Arterien (S. 382) auch die viszeralen Gefäße (S. 136). Ursprung des Embolus. Die wichtigsten Emboliequellen sind in Tab. 3.8 in absteigender Häufigkeit dargestellt.
Tabelle 3.8
Emboliequellen.
Emboliequelle
Häufigkeit
Aus dem Herzen
85%
• Vorhofflimmern • Zustand nach Herzinfarkt • Klappenvitien
20%
Arterioarteriell
15%
• Aneurysma • Exulzerierte Plaque
10%
60% 5%
5%
Betroffene Regionen. Etwa 50% der Embolien verlegen Arterien der unteren Extremitäten, 20% das zerebrale Versorgungsgebiet, 15 % Arterien der oberen Extremitäten, 10% die mesenterialen und 5 % renale Arterien.
Akuter Verschluss von Becken- und Beinarterien Typische Krankheitszeichen Der akute Arterienverschluss ist charakterisiert durch die 6 „englischen P“: • bei partieller Ischämie: – Pain – Schmerz, – Paleness – Hautblässe, – Pulslessness – Pulslosigkeit; • bei der totalen Ischämie zusätzlich: – Paresthesia – Sensibilitätsstörung, – Paralysis – motorische Ausfälle, – Prostration – Erschöpfung, möglicher Schockzustand bei sehr proximalem Verschluss. Die Symptome beginnen meist plötzlich und sind umso eindrücklicher, je proximaler der Verschluss liegt. Proximale Verschlüsse. Dies sind Verschlüsse der Aortenbifurkation, Iliakalarterien oder A. femoralis communis. Sie führen oft zu einem dramatischen Bild mit heftigem Schmerz, ausgeprägter Blässe und einer gefühllosen und paretischen Extremität (Leriche-Syndrom). Distale Verschlüsse einzelner Unterschenkelarterien. In diesem Fall kommt es oft nur zu begrenzter Ischämie, die fälschlicherweise als Ischialgie, Muskelriss, Hämatom oder Thrombose gedeutet werden kann.
Akuter Arterienverschluss
89
Differenzialdiagnose
• •
•
Akute Diskopathie: Lasègue-Zeichen, Schmerz meist längs des Beines ausstrahlend, Pulse vorhanden, Ratschow-Lagerungsprobe (Abb. 3.44) normal. Akute tiefe Venenthrombose (s. S. 67): Zyanose im Stehen, Überwärmung, Konsistenzvermehrung, Kollateralkreislauf, Ödem, Pulse bei ausgeprägtem Ödem unsicher, aber Ratschow-Lagerungsprobe normal. Muskelriss oder rupturierte Baker-Zyste (s. S. 380): Kniegelenkerguss, Unterschenkelschwellung, evtl. Überwärmung.
Notfallanamnese Schmerz. Leitsymptom ist der plötzliche, gelegentlich peitschenschlagartig auftretende periphere Extremitätenschmerz. Oft kann der Patient den Zeitpunkt und die äußeren Umstände des Beginns genau angeben. Eine grobe Unterscheidung zwischen akutem thrombotischem Verschluss und Embolie ist bereits aufgrund der Anamnese möglich. Embolie. Für die Embolie sprechen: • peitschenschlagartiger Beginn, • bekanntes Vorhofflimmern, • bekanntes Herzvitium, • Z. n. Herzinfarkt, • bekanntes Aortenaneurysma. Thrombotischer Verschluss. Für einen thrombotischen Arterienverschluss sprechen: • bekannte periphere arterielle Verschlusskrankheit, • lokales Trauma, • keine Anhaltspunkte für Emboliequelle.
Notfalluntersuchung Die Notfalluntersuchung soll folgende Fragen beantworten: • Schweregrad der Ischämie (6P)? • Lokalisation und Ausdehnung des Verschlusses? • Ist der Verschluss embolisch oder thrombotisch bedingt?
Klinik Inspektion • Hautfarbe: Die Haut distal des Strombahnhindernisses ist anfänglich blass. Innerhalb weniger
Abb. 3.44 Ratschow-Lagerungsprobe. Die Ratschow-Lagerungsprobe ist ein Maß fr den Grad der Hautdurchblutungsstçrung. Fße hoch lagern, beugen und strecken im Sprunggelenk whrend 2 min. Blasst die Fußsohle der betroffenen Extremitt ab? Ist die Extremitt bereits zyanotisch, kann man das Abblassen u. U. nicht mehr erkennen. Bei sofortiger anschließender Tieflagerung kommt es zu verzçgerter Rçtung (> 20 s), bei schwerer Durchblutungsstçrung erst nach 1 – 2 min.
Stunden kann sie bei absoluter Ischämie marmoriert und zyanotisch werden oder in leichteren Fällen nahezu die gesunde Hautfarbe wieder annehmen. • Ratschow-Lagerungsprobe: Die Ratschow-Lagerungsprobe (Abb. 3.44) zeigt an, wie schwer die Hautdurchblutungsstörung ist. • Rekapillarisationszeit: Eine ähnliche Information gibt die Rekapillarisationszeit. Der Untersucher drückt mit einem Finger kurz plantar auf die Großzehe oder den Vorfuß. Die initial blasse Druckstelle rötet sich in < 3 s; je länger die Rekapillarisationszeit, desto ausgeprägter ist die Durchblutungsstörung. • Effektiver Perfusionsdruck: Durch Anheben der Extremität kann der effektive Perfusionsdruck abgeschätzt werden (10 cm » 7,5 mmHg). Palpation • Temperatur: Im Seitenvergleich ist die betroffene Extremität kälter, der Verschluss liegt aber deutlich proximaler als die Temperaturstufe. • Pulse: Im einfachen Fall fehlen nur an der betroffenen Extremität die Pulse. Fehlen diese auch auf der Gegenseite, so muss zwischen einer vorbestehenden peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und einer asymptomatischen Embolie differenziert werden. Emboli werden oft auf Bifurkationen (aortal, iliakal, femoral) zerschmettert, so dass auch immer die benachbarten Arteriensegmente mitbeurteilt werden müssen.
90
3
Kardiologie und Angiologie
Ausschlussdiagnostik. Ausschluss von zusätzlichen Embolien in andere arterielle Versorgungsgebiete (zerebral S. 382, mesenterial S. 136). Anhaltspunkte für paraneoplastisches Geschehen?
Diagnostik Labor. Blutbild, aPTT, Prothrombinzeit, Natrium, Kalium, Kreatinin (Nierenfunktion vor evtl. Kontrastmittelgabe). Kardiologische Untersuchung. Einschließlich EKG (abgelaufener Herzinfarkt, Arrhythmie). Transösophageale Echokardiografie. Bei Verdacht auf kardiale Emboliequelle. Ultraschalluntersuchung des Abdomens. Bei palpatorischem Verdacht auf Aortenaneurysma. Oszillografie. Die Segmentoszillografie gibt rasch und einfach einen qualitativen Hinweis auf den Schweregrad und die Lokalisation des Verschlusses. Dopplerdruckmessung. Quantitative Bestimmung des systolischen Knöchelarteriendruckes. Der normale Knöchelarteriendruck ist in liegender Position durchschnittlich 10 mmHg höher als der am Arm gemessene systolische Blutdruck. Je tiefer der Knöchelarteriendruck, desto ausgeprägter die Ischämie. Ein Wert von weniger als 50 mmHg entspricht einer ischämischen Gefährdung der Extremität. Ruheschmerzen sind dabei wahrscheinlich. Im akuten Stadium ist gelegentlich kein Druck mehr messbar. Duplexsonografie. Durch das Ultraschallbild, kombiniert mit dem gepulsten Doppler bzw. mit dem farbkodierten Dopplersignal, kann rasch und zuverlässig der Verschluss lokalisiert und in seiner hämodynamischen Auswirkung beurteilt werden. Als nichtinvasive Methode (keine Katheterisierung, keine Volumenbelastung durch Kontrastmittel) kann sie ohne Risiko auch beim schwer kranken Patienten eingesetzt werden und ersetzt häufig die Angiografie. Angiografie. (CT-Angiografie oder digitale Subtraktionsangiografie). Die angiografischen Bilder dokumentieren die Ausdehnung und Lokalisation des Verschlusses. Sie geben zudem oft auch Aufschluss über die Ätiologie: • charakteristischer Kontrastmittelabbruch beim embolischen Verschluss, • vorbestehende atherosklerotische Veränderungen an verschiedenen Gefäßsegmenten und Kollateralisation beim thrombotischen Verschluss. Cave! Risiken der Kontrastmittelgabe bei häufig gleichzeitig vorliegender Niereninsuffizienz! Magnetresonanz-Angiografie. Je nach lokalen Gegebenheiten wird die Magnetresonanz-Angiografie äquivalent zur digitalen Subtraktionsangiografie
eingesetzt. Die MR-Angiografie ist eine ideale Ergänzung zur Duplexsonografie. Cave! Risiken gadoliniumhaltiger Kontrastmittel bei Niereninsuffizienz (cave GFR < 30 ml/min)! Vorgehen bei absoluter Ischämie. Beim embolischen Verschluss wird in der Regel auf die Arteriografie verzichtet und basierend auf der klinischen Befunderhebung, evtl. ergänzt durch die Duplexsonografie, die Therapie geplant. Beim thrombotischen Verschluss mit absoluter Ischämie wird ebenfalls häufig basierend auf den nichtinvasiven Untersuchungen der thrombotische Anteil des Strombahnhindernisses beseitigt. Nach Beseitigung der absoluten Ischämie kann in Ruhe die notwendige Diagnostik und Therapie geplant werden. Vorgehen bei nicht gefährdeter Extremität. Bei nicht absolut ischämisch gefährdeter Extremität wird für die Planung des weiteren Prozedere die digitale Subtraktions- oder die Magnetresonanz-Angiografie herangezogen. Indikationen, Zugang (anterograd oder retrograd, von der betroffenen oder von der nicht betroffenen Seite) und Technik müssen individuell angepasst werden.
Therapie Von wenigen Ausnahmen abgesehen (moribunder Patient) sollen Patienten ins Krankenhaus eingewiesen werden. Dringlichkeit • Relative Ischämie (Schmerzen, Blässe, fehlende Pulse oder plötzliche Verschlechterung einer bekannten Durchblutungsstörung): beschleunigte eingehende Abklärung und Therapieentscheid innerhalb von 12 – 24 h. • Absolute Ischämie (Sensibilität und/oder Motorik vermindert oder aufgehoben): notfallmäßige dringliche Diagnostik und Behandlung innerhalb von weniger als 6 h. Auswahl der Klinik • Bei absoluter Ischämie und Verdacht auf einen proximalen embolischen Verschluss wird der Patient zur Embolektomie in die nächste Klinik überwiesen. • Bei einer akuten Thrombose hingegen ist die Eröffnung der Strombahn schwierig und aufwendig. Der Patient gehört dann in ein angiologisches Zentrum, selbst wenn damit ein längerer Weg verbunden ist. Auswahl der Therapie. Die Wahl der Therapie richtet sich nach der Ursache und nach dem Schweregrad der Ischämie. Daneben müssen Alter, Allgemeinzustand, begleitende Krankheiten und nicht
Akuter Arterienverschluss
91
zuletzt die lokalen Möglichkeiten berücksichtigt werden (Abb. 3.45).
Notfallmanagement Notfallmaßnahmen in der Praxis, vor und während des Transportes ins Krankenhaus: • Extremität tief lagern (EG-D): 10 cm Tieflagerung entsprechen im Idealfall 7,5 mmHg Gewinn an Perfusionsdruck; vor Wärmeverlust und Druckstellen schützen. • Unfraktioniertes Heparin: 5000 IE i. v. (EG-A) zur Vermeidung eines Appositionsthrombus bzw. weiterer Embolien. Keine lang wirksamen niedermolekularen Heparine, da diese die Durchführung der nachfolgenden Interventionen (Arteriografie, Kathetertherapie, Chirurgie) beeinträchtigen können. • Analgetika s. c. oder i. v.: Morphin oder Opioide (z. B. Pethidin 50 – 150 mg s. c.) sind oft unumgänglich. Intramuskuläre Injektion wegen Blutungsgefahr bei evtl. nötiger Antikoagulation vermeiden!
Weitere Maßnahmen Ziel der Behandlung. Wiedereröffnung der Strombahn. Wahl der Behandlung in Abhängigkeit von Verschlusslokalisation und Akuitätsgrad • Aortoiliakaler Verschluss: Der Verschluss proximal der Femoralisbifurkation wird im Allgemeinen chirurgisch behandelt: – embolischer Verschluss fi Embolektomie, – thrombotischer Verschluss fi Endarteriektomie oder Bypass. • Femoropoplitealer Verschluss: Bei schwerer Ischämie zur rascheren Lumeneröffnung chirurgisches Vorgehen: – embolischer Verschluss fi Embolektomie, – thrombotischer Verschluss fi autologer oder In-situ-Venenbypass. • Bei nicht absoluter Ischämie kann der morphologisch geeignete Verschluss kathetertechnisch behandelt werden (s. u.). • Trifurkation und Unterschenkelarterien: Embolische und thrombotische Verschlüsse werden, sofern notwendig, durch perkutane Thrombenaspiration, eventuell ergänzt durch die lokale Lyse, behandelt.
Lokalisation:
aortoiliakal + Femoralisgabel
femoropopliteal
Unterschenkel
Ischämie:
+++
++
+
Therapie:
Operation
lokale Lyse oder Operation
lokale Lyse
Abb. 3.45 Therapie des akuten thrombotischen Verschlusses. Die Therapie der Wahl bei akutem thrombotischem Verschluss von Beinarterien richtet sich u. a. nach dem Grad der Ischmie, nach der Lokalisation des Verschlusses und dem Allgemeinzustand und Alter des Patienten. Bei Verschlssen der Beckenachse und der Femoralisgabel ist die Ischmie ausgeprgt und eine rasche chirurgische Wiedererçffnung der Strombahn dringend. Bei femoropoplitealen Verschlssen kann chirurgisch oder kathetertechnisch vorgegangen werden, wohingegen der Verschluss distal der A. poplitea Domne der Kathetertherapie ist.
Kathetertherapie und Thrombolyse • Katheter zur mechanischen Entfernung der Gerinnsel, wie z. B. der Rotarexkatheter, haben weitgehend die Katheterlyse abgelöst, bzw. die Techniken werden kombiniert eingesetzt. Kritische Gefäßstenosen, die der akuten Okklusion zugrunde liegen, werden in der Regel gleichzeitig dilatiert (PTA). • Thrombolytische Therapie (EG-A): Sie erfolgt durch Kathetertherapie mit lokaler Lyse. Die lokale Fibrinolyse (Urokinase 100 000 – 300 000 IE
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3
Kardiologie und Angiologie
oder Gewebeplasminogen-Aktivator 5 – 10 mg während 1 – 3 h durch einen intraarteriellen Katheter) kann mit der perkutanen Thrombenaspiration (Absaugen) kombiniert werden. • Rethrombosierungsprophylaxe (EG-A): Anschließend wird Heparin (unfraktioniert, da bei Blutungsgefahr besser steuerbar) verabreicht, gefolgt von oraler Antikoagulation. Bei Kontraindikation zur Antikoagulation Azetylsalizylsäure 100 mg/d p. o. (s. u.). Konservative Therapie • Antikoagulation mit Heparin (EG-C): niedermolekulares Heparin (z. B. Dalteparin 200 IE/kg KG s. c.) oder unfraktioniertes Heparin (5000 IE als Bolus i. v. und 400 IE/kg KG/24 h i. v. als Infusion), sofern eine kathetertechnische oder chirurgische Intervention vorgesehen ist bzw. nach einer solchen mit einer Blutungskomplikation zu rechnen ist. • Orale Antikoagulation: gleichzeitig Beginn mit Kumarinderivat. • Absetzen des Heparins: sobald Prothrombinzeit im therapeutischen Bereich (INR 2 – 3). • Analgetika: sofern ischämischer Ruheschmerz vorhanden. • Tieflagerung des Beines: zur Erhöhung des hydrostatischen Drucks. Die Entstehung von Fußödemen sollte jedoch vermieden werden, da der erhöhte extravasale Druck die kapilläre Perfusion beeinträchtigt. • Lokale Maßnahmen: wärmeisolierender Strumpf, keine Bettflaschen oder Wärmekissen, Fersen polstern, Druckstellen vermeiden. • Frühmobilisierung: sobald als möglich. Amputation • Bei Patienten, die spät mit schwerer Ischämie oder bereits mit Nekrosen eingewiesen werden, ist eine Amputation oft nicht zu umgehen. Diese wird dringend, wenn der Ruheschmerz auch mit starken Analgetika nicht mehr zu beherrschen ist oder wenn Muskelnekrosen (CK-Anstieg, CrushSyndrom) oder Infekte das Leben bedrohen.
Weitere Maßnahmen Embolischer Verschluss. Bei embolischem Verschluss versucht man, die Emboliequelle auszuschalten (Kardioversion oder medikamentöse Behandlung einer absoluten Arrhythmie, Operation eines Vitiums, Resektion von Aneurysmen). Thrombotischer Verschluss. Bei thrombotischem Verschluss sind Elimination oder Behandlung der Risikofaktoren (Nikotin, Adipositas, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Hypertonie), Förderung der Kolla-
teralenbildung durch konsequentes Gehtraining sowie Prophylaxe akraler Läsionen angezeigt. Orale Antikoagulation. Beim embolischen Verschluss ist nach der Sanierung die Durchgängigkeitsrate sehr hoch, da im behandelten Segment die Arterienwand nicht vorgeschädigt war. Nach thrombotischen Verschlüssen ist mit einer höheren Rezidivrate zu rechnen. Im Allgemeinen wird, sofern keine Kontraindikationen bestehen, während 3 – 12 Monaten oral antikoaguliert. Anschließend wird bei nicht eliminierbarer Emboliequelle die Antikoagulation beibehalten; beim thrombotischen Verschluss kann nach klinischer Kontrolle bei günstiger, stabiler hämodynamischer Situation auf Thrombozytenaggregationshemmer gewechselt werden (Azetylsalizylsäure 100 mg/d) (EG-C).
Akuter Verschluss von Armarterien Der akute Verschluss an den oberen Extremitäten ist seltener als jener an den unteren Extremitäten und entspricht meistens einer Embolie.
Therapie
• •
Proximale Verschlüsse: Bei Verschlüssen der A. subclavia, A. axillaris oder A. brachialis ist der Gefäßchirurg sofort hinzuzuziehen. Distale Verschlüsse: Bei Verschlüssen distal der A. brachialis erübrigt sich oft ein aktives Vorgehen. Chirurgische Maßnahmen sind selten indiziert, evtl. ist eine lokale Lyse angezeigt. Die A. brachialis wird dabei nach Möglichkeit antegrad punktiert; der inguinale Zugang ist wegen längerer intravaskulärer Liegezeit der Katheter und damit erhöhter Komplikationsrate zu vermeiden.
Besondere Merkpunkte
•
•
Kardiale Embolien betreffen oft nicht nur die Extremitäten, sondern auch mesenteriale, renale und zerebrale Arterien. Zerebrale Embolien verlaufen oft so eindrücklich, dass gleichzeitige periphere Embolien nicht selten übersehen werden. Treten gleichzeitig an oberer und unterer Extremität Verschlüsse auf, sollte eine Aortendissektion ausgeschlossen werden.
Infektiçse Endokarditis
3.11 Infektiöse Endokarditis W. Zimmerli
Definition und Einteilung Die infektiöse Endokarditis ist eine Infektion der Herzklappen und viel seltener des septalen oder muralen Endokards. Die Diagnose kann aufgrund der Symptome und Befunde nur vermutet werden. Sie wird erhärtet durch den Nachweis positiver Blutkulturen und typische echokardiografische Befunde (Tab. 3.9). Duke-Kriterien. Die Duke-Kriterien gelten als Standard für die zuverlässige Diagnose der Endokarditis. Sie basieren auf der Mikrobiologie (Blutkulturen), der Echokardiografie, klinischen und Laborbefunden (Tab. 3.9). Die Diagnose gilt als gesichert, wenn entweder 2 Major-Kriterien oder 1 Major- und 3 MinorKriterien oder 5 Minor-Kriterien erfüllt sind. Sind nur ein Major- und ein Minor-Kriterium oder lediglich 3 Minor-Kriterien erfüllt, ist die Diagnose möglich.
93
Pathophysiologie Staphylococcus aureus kann eine akute Endokarditis auch auf einer nicht vorgeschädigten Klappe verursachen. Bei der subakuten Endokarditis liegt in der Regel ein Vitium vor. Prädispositionen sind die rheumatische Karditis, der Mitralklappenprolaps mit klinisch fassbarer Mitralinsuffizienz, kongenitale Vitien, eine künstliche Herzklappe oder eine früher durchgemachte Endokarditis. Für die Rechtsherzendokarditis prädisponierend sind intravenöser Drogenabusus, liegende Schrittmacherelektroden sowie Klappenläsionen nach zu weit eingeführtem zentralem Katheter oder Pulmonaliskatheter. In einer ersten Phase kommt es zu einer Endothelläsion und sterilen Vegetationen. Diese werden durch Bakteriämien kolonisiert, und es entsteht eine infizierte Vegetation, die nicht mehr spontan abheilt. Erreger. Die häufigsten Erreger sind Staphylococcus aureus (30 – 40%) und Streptokokken (30 – 40%, davon 20 – 25% Viridans-Streptokokken und 5% Streptococcus bovis), Enterokokken (5 – 10%) und selten koagulasenegative Staphylokokken (2 – 5%). Andere Keime, wie diejenigen der HACEK-Gruppe (Tab. 3.9) und Coxiella burneti, sind zwar typisch, aber selten.
Einteilungen Die infektiöse Endokarditis wird in vier Gruppen eingeteilt: • die Endokarditis auf Nativklappen, • die Endokarditis auf Klappenprothesen, • die Endokarditis bei intravenösem Drogengebrauch und • die nosokomiale Endokarditis. Zeitlicher Verlauf. Die zusätzliche Einteilung in akute und subakute Endokarditis ist wichtig für die Wahl der Antibiotika bei der empirischen Therapie. Die akute Endokarditis entsteht über wenige Tage und ist meist durch Staphylococcus aureus verursacht, die subakute Endokarditis entsteht oft über Wochen und wird am häufigsten durch ViridansStreptokokken, Enterokokken, Erreger der HACEKGruppe (Tab. 3.9) oder Streptococcus bovis verursacht. Bei der Prothesenendokarditis wird die frühe Manifestation (erste 2 Monate nach Klappenersatz) von der verzögerten (3. – 12. Monat) und der späten (> 12 Monate) unterschieden.
Typische Krankheitszeichen
•
•
Anamnese – Fieber (80 – 90%), Schüttelfrost (40%), – Schwächegefühl (40%), Atemnot (40%), Nachtschweiß (25%), – unspezifische Symptome wie Nausea, Myalgien, Arthralgien und Bauchschmerzen (10 – 30%). Klinische Befunde – Fieber (90%), – Klappeninsuffizienzgeräusche (80 – 95 %, meist Mitralinsuffizienz, seltener Aorteninsuffizienz), verändertes/neues Herzgeräusch (10 – 50%), – Hautund Schleimhautmanifestationen (15 – 50%) ( Abb. 3.46 a – e, Farbtafel I, II), – Splenomegalie (20 – 60 %), – neurologische Ausfälle (15 – 40 %), – Retinaläsionen (2 – 10%).
94
3
Tabelle 3.9
Kardiologie und Angiologie
Modifizierte Duke-Kriterien zur Diagnose der infektiçsen Endokarditis.
Major-Kriterien A. Positive Blutkulturen 1. ‡ 2 positive Blutkulturen mit endokarditistypischen Mikrooorganismen, nmlich: – Viridans-Streptokokken, Streptococcus bovis oder HACEK-Gruppe (Haemophilus spp., Actinobacillus actinomycetemcomitans, Cardiobacterium hominis, Eikenella corrodens, Kingella kingae) oder – ambulant erworbener Staphylococcus aureus oder Enterokokken ohne sonst erkennbaren primren Fokus oder 2. Persistierend positive Blutkulturen, definiert als: – 2 positive Blutkulturen, entnommen im Abstand von ‡ 12 Stunden oder – Wachstum in 3/3 oder in der Mehrzahl von 4 separaten Blutkulturen, wobei die erste und die letzte Kultur in mindestens 1 Stunde Abstand entnommen wurden oder 3. Coxiella burneti Anti-Phase I IgG-Antikçrper-Titer von ‡ 1 : 800 B. Endokardbeteiligung 1. Echokardiografiebefund vereinbar mit Endokarditis, mit Nachweis von – oszillierender intrakardialer Masse auf einer Klappe oder an Sehnenfden, im Strom eines Regurgitationsflusses oder auf implantiertem Material oder – Abszess oder – neue partielle Dehiszenz einer Prothesenklappe oder 2. neu aufgetretene Klappeninsuffizienz Minor-Kriterien 1. Prdisponierende Faktoren: vorbestehende Herzkrankheit, intravençser Drogenkonsum 2. Fieber ‡ 38 8C 3. Vaskulre Phnomene – arterielle Embolien, Vaskulitis ( Abb. 3.46 a, Farbtafel I) – septische Lungenembolien/septischer Lungeninfarkt – mykotisches Aneurysma – intrakranielle Einblutungen – konjunktivale Einblutungen ( Abb. 3.46 b, Farbtafel I) – Janeway-Flecken ( Abb. 3.46 c, Farbtafel I) – Splinterhmorrhagien ( Abb. 3.46 d, Farbtafel II) 4. Immunologische Phnomene – Glomerulonephritis – Osler-Knoten ( Abb. 3.46 e, Farbtafel II) – Roths spots – Rheumafaktoren positiv 5. Mikrobiologie – positive Blutkulturen (aber nicht Major-Kriterium erfllend) – serologischer Nachweis einer aktiven Infektion mit einem plausiblem Keim Eine Endokarditis gilt als sicher, wenn 2 Major-Kriterien oder 1 Major- und 3 Minor-Kriterien oder 5 Minor-Kriterien erfllt sind.
Infektiçse Endokarditis
Differenzialdiagnose Leitsymptome der Endokarditis sind Fieber, Leistungsknick und Dyspnoe. Da diese Symptome unspezifisch sind, ist die Differenzialdiagnose sehr breit. Sie umfasst: • chronisch konsumierende Krankheiten (Tuberkulose, Tumorleiden), • Polymyalgia rheumatica, Vaskulitis, Osteomyelitis, Abszesse, • Lymphome, • zerebrovaskulärer Insult, Meningitis, • Pneumonie, Glomerulonephritis, Pyelonephritis.
Notfallanamnese
• •
•
Prädisposition: bekanntes Klappenvitium, Z. n. Endokarditis, künstliche Herzklappe. Auslösende Bakteriämie: Zahnextraktion, Wurzelbehandlung, Dentalhygiene, Abszessmanipulation, Operationen im HNO-Bereich, Operationen im Bauchraum, Manipulationen an infektiösen Herden (Abszess, Furunkel), intravenöser Drogengebrauch, vorausgegangene Klinikaufenthalte (Venenkatheter). Krankheitszeichen: Leistungsknick mit Fieber, Unwohlsein, Krankheitsgefühl, Nachtschweiß und Atemnot.
Notfalluntersuchung Klinik Allgemeine Befunde. Fieber, Rechtsherzinsuffizienz (Rechtsherzendokarditis), Linksherzinsuffizienz (Linksherzendokarditis), Splenomegalie, fokalneurologische Zeichen. Hautläsionen. Osler-Knötchen (schmerzhafte rote Knötchen mit hellem Zentrum, meist plötzlich an Fingerspitzen auftretend) ( Abb. 3.46 e, Farbtafel II), Janeway-Läsionen (indolente, meist nicht palpable hämorrhagische Hautläsion an Handfläche oder Fußsohle) ( Abb. 3.46 c, Farbtafel I), Splinterhämorrhagien ( Abb. 3.46 d, Farbtafel II), Schleimhautläsionen (subkonjunktivale Blutung) ( Abb. 3.46 b, Farbtafel I). Auskultation. Klappeninsuffizienzgeräusch: 30–45% Mitralklappe, 5 – 35% Aortenklappe, ca. 15% Mitralund Aortenklappe und < 5% Trikuspidalklappe.
95
Diagnostik Labor. Blutkulturen mit Antibiogramm (> 95 % positiv, falls keine antibiotische Vorbehandlung), CRP (> 90% pathologisch), rotes Blutbild (70 – 90% Anämie), weißes Blutbild (20 – 30 % Leukozytose), Thrombozyten (5 – 15 % Thrombopenie), Proteinurie (50 – 65% positiv), Mikrohämaturie (30 – 50 % positiv). Echokardiografie. Fragestellung: Endokarditiszeichen (Klappenauflagerungen, Abszesse, paravalvuläres Leck bei Prothesen, Klappeninsuffizienz)? Die transthorakale Echokardiografie (TTE) hat eine schlechte Sensitivität von 40 – 60%. Somit kann mit dieser Methode eine Endokarditis nicht zuverlässig ausgeschlossen werden, insbesondere, wenn die mikrobiologischen und klinischen Befunde dafür sprechen (Tab. 3.9). Die transösophageale Echokardiografie (TEE) hat dagegen eine Sensitivität von 94 – 100 % und sollte bei negativer TTE und begründetem Endokarditisverdacht durchgeführt werden.
Therapie Notfallmanagement Die antimikrobielle Therapie der Endokarditis basiert zum größten Teil nicht auf randomisierten kontrollierten Studien, sondern auf Daten aus Tierexperimenten, nicht vergleichenden kontrollierten Studien, Fallserien und Expertenmeinungen. Die nachfolgenden Angaben sind eine international akzeptierte Synthese dieser Daten. Klinisch akute Endokarditis auf der Nativklappe (Symptomdauer: Tage) • Empirisch – Meist Staphylococcus aureus, seltener b-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A oder B, Pneumokokken: Flucloxacillin 6 × 2 g/d i. v. + Aminoglykosid. – Bei Penicilllinallergie oder V. a. Methicillin-resistente Staphylokokken: Vancomycin 2 × 15 mg/kg KG/d i. v. (max. 2 g/d) + Aminoglykosid. • Staphylococcus aureus – Oxacillinsensible Erreger: Flucloxacillin 6 × 2 g/d i. v. (Therapiedauer 4 – 6 Wochen) mit oder ohne Aminoglykosid für die ersten 3 – 5 Tage (EG-C/EG-D). – Oxacillinresistente Erreger: Vancomycin 2 × 15 mg/kg KG/d i. v. (max. 2 g/d) über 2 h (Therapiedauer 4 – 6 Wochen) (EG-D).
96
3 •
Kardiologie und Angiologie
– Penicillinsensible Erreger (keine Betalaktamasebildung: negativer Induktionstest): Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d (als Kurzinfusion) (EG-D). Hämolytische Streptokokken oder Streptococcus pneumoniae – Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d i. v. (Therapiedauer 4 Wochen) (EG-D).
Klinisch subakute Endokarditis (Symptomdauer: Wochen) • Empirisch – Viridans-Streptokokken, Enterokokken, Haemophilus sp.: Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d (Kurzinfusion) + Gentamicin (gemäß Körpergewicht und Kreatinin-Clearance) oder bei Penicillinallergie: Vancomycin 2 × 15 mg/kg KG/d (max. 2 g/d) plus Gentamicin. • Penicillinsensible (MHK £ 0,1 µg/ml) ViridansStreptokokken – Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d oder Ceftriaxon 2 g/d als Kurzinfusion + Gentamicin oder Netilmicin (gemäß Körpergewicht und KreatininClearance) als Einmaldosis/Tag (über 2 Wochen) (EG-A) oder – Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d oder Ceftriaxon 2 g/d als Kurzinfusion (über 4 Wochen) (EG-B). – Bei Penicillinallergie (Exanthem) soll Ceftriaxon, bei Penicillin-Sofortypallergie muss Vancomycin (2 × 15 mg/kg KG/d (max. 2 g/d) gewählt werden. • Sog. penicillinresistente (MHK > 0,1 µg/ml) oder tolerante Streptokokken – Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d als Kurzinfusion (über 4 Wochen) + Aminoglykosid (über 2 Wochen) (EG-C, EG-D). • Enterokokken – Penicillin G 4 × 5 Mio. IU/d als Kurzinfusion + Gentamicin (gemäß Körpergewicht und Kreatinin-Clearance) Synergismus prüfen, 2 × tägliche Applikation (Therapiedauer 4 – 6 Wochen) (EG-C, EG-D), – bei Penicillinallergie: Vancomycin 2 × 15 mg/ kg KG/d + Gentamicin. • Haemophilus spp. – Ceftriaxon 1 × 2 g/d i. v. (über 4 Wochen) (EG-C, EG-D). Intravenöser Drogenabusus • Empirisch – meist Staphylococcus aureus, seltener gramnegative Stäbchen einschließlich Pseudomonas: Flucloxacillin 6 × 2 g/d i. v. + Aminoglykosid. – Cave! Hinweise auf Candidasepsis (Herde auf der Haut oder im Augenfundus, Candida im
•
Urin, Drogenzubereitung mit Zitronen- oder Orangensaft) suchen. Gezielte Therapie wie bei Nichtdrogenabhängigen – Staphylokokken-Rechtsherzendokarditis: Flucloxacillin 6 × 2 g/d i. v. + Gentamicin (gemäß Körpergewicht und Kreatinin-Clearance) (EG-A). – Wegen schlechter Compliance ist häufig eine individuelle Therapie nötig.
Prothesenendokarditis • Empirisch – Frühendokarditis (30 – 50% koagulasenegative Staphylokokken, 20 – 25 % S. aureus) und verzögerte Endokarditis: Vancomycin 2 × 1 g/d i. v. über 2 h + Aminoglykosid + Rifampicin 2 × 450 mg/d p. o. oder i. v. (EG-D). – Spätendokarditis (15 – 40% Streptokokken, 10 – 25 % koagulasenegative Staphylokokken: wie Frühendokarditis, jedoch ohne Rifampicin (EG-D). • Gezielte Therapie – immer individuell multidisziplinär (Herzchirurgie, Kardiologie, Infektiologie) besprechen: Antibiotika? Klappenersatz? Therapie bei Penicillinallergie vom Soforttyp. Für jede Endokarditis mit grampositiven Erregern soll das Betalaktamantibiotikum durch Vancomycin (2 × 1 g/d i. v. über 2 h) ersetzt werden (EG-D).
Weitere Maßnahmen Klappenersatz. Nach Einleiten der Therapie muss das weitere Vorgehen gemeinsam mit dem Kardiologen, dem Infektiologen und dem Chirurgen besprochen werden. Der richtige Zeitpunkt für den evtl. notwendigen Klappenersatz ist entscheidend. Bei zu frühem Klappenersatz ist die Gefahr der Prothesenfrühinfektion erhöht und das paravalvuläre Leck häufig. Bei zu spätem Klappenwechsel ist die perioperative Letalität beträchtlich erhöht. In jedem Fall muss der Patient operiert werden, bevor er eine schwere Herzinsuffizienz (NYHA III oder IV) entwickelt.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Tägliche Visiten. Temperatur, Herzfrequenz, Zeichen einer Herzinsuffizienz, Suche nach neuer Klappeninsuffizienz, Embolien (Haut, Fundus, ZNS). Periodische Kontrollen. Urinstatus (Nephritis), EKG (persistierender oder neuer atrioventrikulärer
Hypertensive Krise und/oder Schenkelblock), bei persistierendem Fieber erneute Blutkulturen und transösophageale Echokardiografie mit der Frage nach Myokardabszess und Vegetationsgröße.
Besondere Merkpunkte Bei entsprechender Prädisposition und klinischen Zeichen muss der empirische Therapiebeginn sehr rasch erfolgen. Wenn sich jedoch mit den Duke-Kriterien die Diagnose nicht bestätigt, sollte die begonnene Therapie abgebrochen werden.
3.12 Hypertensive Krise
97
Hypertensive Gefahrensituation. Die hypertensive Gefahrensituation ist schwieriger einzugrenzen. Darunter wird ein massiv erhöhter, unkontrollierter Blutdruck verstanden, der unmittelbar zur Organdysfunktion führen könnte. Eine akute Organdysfunktion ist also noch nicht vorhanden, könnte aber innerhalb kurzer Zeit auftreten. Hypertensive Gefahrensituationen bedürfen innerhalb 24(– 48) Stunden einer Blutdrucksenkung, um drohende akute Endorganschäden zu verhindern. Häufigkeit. Bei 75% der Patienten mit hypertensiver Krise ist eine arterielle Hypertonie vorbekannt. 1% aller Hypertoniker ist irgendwann einmal von einer hypertensiven Krise betroffen. In bis zu 25% aller medizinischen Notfälle kann eine den Patienten gefährdende Blutdruckerhöhung vorliegen.
Pathophysiologie
E. Battegay, L. Zimmerli
Definition und Einteilung Die hypertensive Krise wird in eine hypertensive Notfallsituation (hypertensive emergency) und in eine hypertensive Gefahrensituation (hypertensive urgency) eingeteilt (Tab. 3.10). Hypertensive Notfallsituation. Bei der hypertensiven Notfallsituation führt ein unkontrolliert massiv erhöhter Blutdruck zu einem nachweisbaren akuten Endorganschaden, z. B. zum Lungenödem, zur hypertensiven Enzephalopathie oder akuten Niereninsuffizienz. Ohne Behandlung kommt es innerhalb von Minuten bis Stunden zu Morbidität und Mortalität infolge einer druckbedingten Organdysfunktion. Hypertensive Notfälle sind selten. Sie bedürfen einer sofortigen Blutdrucksenkung, um eine progressive, akute Endorganschädigung zu limitieren.
Hypertensive Krisen entstehen, wenn die physiologischen Kompensationsmechanismen einen Blutdruckanstieg nicht mehr zu kontrollieren vermögen und der unkontrollierte Blutdruck auf Organe schädigend wirkt. Sowohl essenzielle als auch sekundäre Hypertonieformen können sich als hypertensive Krisen manifestieren. Entscheidend ist auch die Geschwindigkeit des Blutdruckanstiegs. Je schneller der Blutdruckanstieg erfolgt, desto wahrscheinlicher ist eine hypertensive Krise, weil Autoregulationsmechanismen der Organe sich nicht schnell genug adaptieren können. Bei der essenziellen oder primären Hypertonie spielt das Endothel in der Blutdruckregulation eine zentrale Rolle. Substanzen wie Stickstoffoxid, Prostazyklin bzw. Angiotensin II und Adrenalin modulieren den vaskulären Tonus durch Vasodilatation bzw. -konstriktion. Initial zeigt sich bei der hyper-
Tabelle 3.10 Einteilung der hypertensiven Krise. Hypertensiver Notfall („hypertensive emergency“)
Hypertensive Gefahrensituation („hypertensive urgency“)
BD systolisch > 220 mmHg BD diastolisch > 120 – 130 mmHg und akute Endorganschden (vgl. Tab. 3.11)
BD systolisch > 220 mmHg BD diastolisch > 120 – 130 mmHg ohne akute Endorganschden (vgl. Tab. 3.11)
Hufigkeit 25 %
Hufigkeit 75%
Blutdrucksenkung rasch
Blutdrucksenkung innerhalb 24 (– 48) h
98
3
Tabelle 3.11
Kardiologie und Angiologie
Krankheitszeichen beim hypertensiven Notfall.
Akute hypertensive Endorganschäden
Häufigkeit (%)
Fokal-neurologisches, ischmisches Defizit (Stroke)
24
Akutes Lungençdem
23
Hypertensive Enzephalopathie1
16
Akute Herzinsuffizienz
14
Akuter Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris
12
Intrakranielle Blutung
5
Preklampsie oder Eklampsie
4
Aortendissektion
2
2 oder mehr Endorganschden 1
17
Papillençdem, Erbrechen, neurologische Defizite, vernderter Mentalstatus, Verwirrt- und Benommenheit. Keine Zeichen der Ischmie oder Blutung im Schdel-CT.
tensiven Krise eine Erhöhung des Gefäßwiderstandes durch ein Überwiegen von Vasokonstriktoren. Im Verlauf kommt es zu erhöhter Endothelpermeabilität, Hemmung der Fibrinolyse und Aktivierung der koagulatorischen Aktivität. Plättchenaggregation bzw. -degranulation fördern entzündliche, thrombotische und vasokonstriktorische Mechanismen. Hypertensive Enzephalopathie. Die hypertensive Enzephalopathie tritt auf, wenn infolge des massiv erhöhten Blutdrucks autoregulatorische Mechanismen der Blutgefäße des Gehirns zur Aufrechterhaltung einer konstanten Perfusion versagen. Die BlutHirn-Schranke ist gestört, es kommt zum diffusen Hirnödem. Fokal-neurologische Defizite, Papillenödem, Erbrechen, veränderter Mentalstatus kennzeichnen diese gefährliche Komplikation.
Typische Krankheitszeichen Hypertensiver Notfall. Die Krankheitszeichen entsprechen dem akuten Endorganschaden (Tab. 3.11). Hypertensive Gefahrensituation. Krankheitszeichen, welche die hypertensive Gefahrensituation (= drohender akuter Endorganschaden) definieren, sind wenig sensitiv und wenig spezifisch. • Nasenbluten kann Ausdruck eines erhöhten Blutdrucks oder einer hypertensiven Gefahrensituation sein. • Kopfschmerz ist kein Leitsymptom der hypertensiven Gefahrensituation. Lediglich morgendlicher Kopfschmerz nach dem Erwachen zeigt möglicherweise eine Korrelation mit der hypertensiven Gefahrensituation (DD Schlafapnoe-Syndrom).
•
Unspezifische Beschwerden wie Schwindel, allgemeines Schwächegefühl und psychomotorische Agitiertheit werden der hypertensiven Gefahrensituation zugeordnet, evidenzbasierte Daten fehlen jedoch.
Differenzialdiagnose
• • • •
Die häufigste Ursache (70%) einer hypertensiven Krise ist eine essenzielle Hypertonie (Exazerbation, mangelnde Therapieadhärenz). Selten (je 10%) tritt eine hypertensive Krise als Folge einer renovaskulären Hypertonie (atherosklerotische > fibromuskuläre Nierenarterienstenose) oder diabetischen Nephropathie auf. Phäochromozytome (0 – 10%) und primärer Hyperaldosteronismus (< 1 %) sind sehr selten. Weitere Ursachen sind andere renoparenchymatöse Erkrankungen (z. B. akute Glomerulonephritis), Cushing-Syndrom, Medikamente (MAOHemmer, Sympathomimetika) und Kokain.
Notfallanamnese
• • • •
Hypertonie bekannt? Wie lange, Ausmaß, Behandlung und Adhärenz hinsichtlich antihypertensiver Therapie? Hinweise für Nierenerkrankung (Hämaturie, Nykturie, Polyurie, Schmerzen in Nierenloge)? Schwangerschaft? Trias Kopfschmerz, Palpitationen, paroxysmales Schwitzen? (positive Likelihood Ratio + 15 für Phäochromozytom).
Hypertensive Krise
• • •
Blutdrucksteigernde Medikamente (MAO-Hemmer, Nasentropfen, kürzliches Absetzen von Clonidin, NSAR), Drogen (Kokain)? Bewusstseinszustand? Synkopen oder epileptische Anfälle? Brust-, Nacken-, Rücken- oder Bauchschmerz? Atemnot?
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Blutdruckmessung mit adäquater Manschettengröße an beiden Armen (Differenz > 20 mmHg unabhängiger Prädiktor für Aortendissektion), 2. Messung im Verlauf (nach 15 min und 30 min), Pulsstatus? (Aortendissektion?), pulsatile Masse im Abdomen (abdominales Aortenaneurysma), Fundoskopie (Papillenödem, retinale Blutungen?), fokal-neurologische Defizite? Zeichen der Links- oder Rechtsherzdekompensation?
99
Diagnostik Siehe Tab. 3.12.
Therapie Die Entscheidung zur Therapie und die Wahl der Therapieform (peroral/parenteral) basiert auf Vorhandensein bzw. bei der hypertensiven Notfallsituation auf der Art der Endorganschäden (Tab. 3.13 bis 3.15). Evidenzgrade werden bewusst nicht angegeben, da entsprechend große Studien, welche die Therapien miteinander vergleichen, nicht durchgeführt wurden und die Behandlung weitgehend auf Konsensusempfehlungen beruht. Hypertensive Enzephalopathie. Besondere Erwähnung verdient die Therapie der hypertensiven Enzephalopathie. Häufig erbrechen diese Patienten, was eine intravenöse Therapie unumgänglich macht. Medikamente der Wahl sind Nitroprussid, Urapidil oder Labetalol.
Tabelle 3.12 Labor- und apparative Untersuchungen. Untersuchung
Interpretation
Rotes und weißes Blutbild
Polycythaemia vera?
Kalium
Hyperaldosteronismus?
Kreatinin, Harnstoff
akute/chronische Niereninsuffizienz?
Kalzium
Hyperkalzmie? (Hyperparathyreoidismus?)
Glukose
Diabetes mellitus?
Urinstatus (Streifentest)
renoparenchymatçse Ursache unwahrscheinlich falls Hmoglobin £ +, Protein £ ++
EKG
akute koronare Herzkrankheit?, linksventrikulre Hypertrophie?
Falls akute koronare Herzkrankheit mçglich: Kreatinkinase, Troponin
akute koronare Herzkrankheit?
Falls Herzinsuffizienz oder Aortendissektion mçglich: konventionelles Thorax-Rçntgenbild CT oder MRT des Thorax
Lungençdem? Aortendissektion?
Falls neurologische Defizite, schwere neuartige Kopfschmerzen, Erbrechen: CT oder MRT des Schdels
intrakranielle Blutung/Ischmie/Hirnçdem?
100
3
Tabelle 3.13
Kardiologie und Angiologie
Therapieziel bei hypertensivem Notfall und hypertensiver Gefahrensituation.
Hypertensiver Notfall („hypertensive emergencies“)
Hypertensive Gefahrensituation („hypertensive urgencies“)
• Unmittelbar lebensbedrohlich • Stationre berwachung • Meist intravençse Therapie • Sofortige Blutdrucksenkung • Senkung des Mitteldrucks innerhalb Minuten
• Unbehandelt irreversible Organschden • Meist keine stationre berwachung nçtig • Perorale Therapie in den meisten Fllen • Blutdrucksenkung innerhalb 24(– 48) h • Initial spontaner Abfall des Blutdrucks innerhalb
•
bis 2 Stunden um nicht mehr als 25%, dann in den Bereich von 160/100 mmHg Ausnahme: Aortendissektion, schnellstmçgliche Blutdrucksenkung auf tiefstmçgliches Niveau ohne Beeintrchtigung der Organperfusion
Tabelle 3.14
1 – 2 Stunden ohne Therapie mçglich
Perorale Medikation bei hypertensiver Krise.
Substanz
Dosierung
Wirkungseintritt
Wirkungs- Kontraindikationen dauer
Nebenwirkungen
z. B. retardiertes 5 – 15 min Kalzium30 – 60 min antagonisten (!) Nifedipin 20 mg p. o. (Nifedipin, Felodipin, Isradipin)
3–6 h bis 24 h
unkontrollierte Angina Nifedipin s. l. soll nicht mehr verwendet werden
Myokardinfarkt, Angina pectoris, zerebrovaskulrer Insult, Synkope
Captopril
6,25 – 25 mg p. o.
15 – 60 min
6–8 h
Nierenarterienstenose, schwere Niereninsuffizienz, Schwangerschaft
akutes Nierenversagen, Angioçdem
Losartan
50 mg p. o.
60 min
12 – 24 h
Schwangerschaft, Hyperkalimie
Allergie
Nitroglyzerin
0,3 – 0,6 mg s. l.
5 min
5 – 10 min Aortenstenose keine anhaltende Wirkung bei Wiederholung
Kopfschmerzen
Labetalol
30 – 60 min 100 – 400 mg p. o., wiederholbar alle 2 – 3 h, Maximaldosis p. o. 2400 mg/d
2 – 12 h
Asthma, chronisch obstruktive Pneumopathie, berleitungsblçcke
Bronchokonstriktion, berleitungsblçcke
Clonidin
0,1 – 0,2 mg p. o., stndlich wiederholbar, Maximaldosis p. o. 0,6 mg/d
6–8 h
koronare Herzkrankheit, AV-Block II. und III. Grades
Benommenheit, Sedation, Tachykardie, trockener Mund
30 – 60 min
Hypertensive Krise
101
Tabelle 3.15 Parenterale Medikamente bei hypertensiver Krise. Substanz
Dosierung
Wirkungseintritt
Wirkungsdauer Nebenwirkungen
Spezielle Indikationen
Natriumnitroprussid
0,25 – 10 g/kg sofort KG/min als Dauerinfusion
Nachlassen der Wirkung 1 – 2 min nach Ende der Infusion
belkeit, Erbrechen, Hypotonie, Schwitzen, Thiocyanat- und Zyanidtoxizitt, Methmoglobinmie
verwendbar bei den meisten hypertensiven Notfllen, Vorsicht bei erhçhtem Hirndruck und Azotmie
Nitroglyzerin 5 – 100 g/min sofort als Dauerinfusion
Nachlassen der Wirkung 3 – 5 min nach Ende der Infusion
Kopfschmerzen, belkeit, Tachykardie, Erbrechen, Toleranzentwicklung, Methmoglobinmie
koronare Ischmie
Dihydralazin
6,25 mg i. v., wiederholbar nach 30 min
Labetalol
20 – 80 mg i. v. 2 – 5 min alle 10 – 15 min oder Dauerinfusion 0,5 – 2 mg/min
2–6 h
belkeit, Erbrechen, Benommenheit, Brennen der Kopfhaut, Bronchospasmus, Bradykardie, AV-Block I. – III. Grades
verwendbar bei den meisten hypertensiven Notfllen, nicht bei akuter Herzinsuffizienz, Asthma, COPD
Phentolamin
5 – 15 mg i. v.
3 – 10 min
Tachykardie, Flush, Kopfschmerzen, Angina
Katecholaminexzess
Esmolol
0,5 – 1 mg/kg nach 2 min KG ber 4 min, dann 50 – 300 g/kg KG/min
10 – 20 min
Aortendissektion, belkeit, Erbrechen, perioperativ Benommenheit, Brennen der Kopfhaut, Bronchospasmus, Bradykardie, AV-Block I. – III. Grades
Enalaprilat
0,625 – 1,25 mg i. v.
Urapidil
12,5 – 25 mg als Bolus, dann 5 – 40 mg/h
15 – 30 min 3 – 9 h
nach 4 – 12 h 30 – 60 min
4–6 h
Eklampsie Tachykardie, Kopfschmerzen, Flush, Erbrechen, Aggravation von Angina pectoris
Hypotonie, v. a. bei hohen Reninspiegeln, Niereninsuffizienz
Hypotonie, Kopfschmerzen, Benommenheit
akute Linksherzinsuffizienz, kontraindiziert bei Schwangerschaft
102
3
Kardiologie und Angiologie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Besondere Merkpunkte
•
Die Prognose eines hypertensiven Notfalls ist ernst, nicht aber diejenige der hypertensiven Gefahrensituation. 25 – 40% der Patienten mit hypertensiven Notfallsituationen sterben innerhalb von 3 Jahren, zumeist an einem zerebrovaskulären Ereignis. Prognostisch ungünstig sind hohes Alter, das Vorliegen einer essenziellen Hypertonie, eine Niereninsuffizienz und ein Papillenödem.
•
Hypertensive Notfälle sollten stationär behandelt werden, um invasives Monitoring und parenterale medikamentöse Therapie gewährleisten zu können. Hypertensive Gefahrensituationen können meist mittels peroraler Medikation ambulant behandelt werden. Der Blutdruck sollte innerhalb von Tagen um 25% des Initialwertes gesenkt werden. (ambulante Nachkontrolle sicherstellen). Zudem sollen die Patienten eingehend über die Wichtigkeit einer optimalen Compliance aufgeklärt werden.
103
4 Pneumologische Notfallsituationen
Übersicht 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Pneumologische Notfallsituationen Stenosen der oberen Luftwege Aspiration Akuter Asthmaanfall/Status asthmaticus Reizgasinhalation Pleuraerguss und -empyem Lungenblutung, Hämoptoe Respiratorische Insuffizienz – Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) – Maschinelle Beatmung 4.8 Pneumothorax
4.1
Stenosen der oberen Luftwege A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm
Definition und Einteilung Intraluminale, intramurale oder extramurale Obstruktion bis zum vollständigen Verschluss des Lumens von Pharynx, Larynx oder Trachea (Abb. 4.1). Die Obstruktion kann akut innerhalb von Minuten oder allmählich über Tage bis Wochen auftreten. Bei neuromuskulären Erkrankungen kann die Erschlaffung oder Lähmung der oropharyngealen Muskulatur zur Obstruktion führen. Intraluminale Obstruktion. Meist mechanische Verlegung von Larynx oder Trachea durch Fremdkörper. Intramurale Obstruktion. Bedingt durch ödematös-entzündliche Schleimhautschwellung oder Tumoren. Extramurale Obstruktion. Meist tumorbedingte Kompression der großen Atemwege.
Ce n t
a
b
Abb. 4.1 wege.
c
Ätiologie von Stenosen der oberen Luft-
a Intraluminale Obstruktion. b Intramurale Obstruktion. c Extramurale Obstruktion.
Pathophysiologie Die allmählich zunehmende Obstruktion bleibt bis zu sehr hochgradigen Stenosen (> 90%) wenig symptomatisch, führt dann via Hypoventilation und Hypoxie zu anstrengungsabhängiger Dyspnoe und zu Stridor (bei supraglottischer oder glottischer Obstruktion vor allem inspiratorisch, bei subglottischer Obstruktion in- und exspiratorisch). Bei subtotaler Obstruktion im Bereich der Hauptkarina oder der Hauptbronchien besteht die Gefahr der Mediastinalverdrängung infolge einseitiger Lungenüberblähung wegen Ventilmechanismus.
Typische Krankheitszeichen
• • •
In- und exspiratorischer Stridor mit oder ohne Husten und Auswurf, Erstickungsanfall, extreme Atemnot, ineffektive muskuläre Atemanstrengung mit suprasternalen, supraklavikulären und interkostalen Einziehungen,
104
Pneumologische Notfallsituationen
s. Stunden
Aspiration ? Bewusstsein ¯
Minuten
4
ACE-Hemmer repetitiv ?
Allergenexposition ?
+
+
Fremdkörper
+ Familienanamnese ?
+
+
Angioödem
Larynxödem
Quincke-Ödem s. Tage
Stridordauer
Stunden
Fieber ?
+
Röntgenthorax pathologisch
Spirometrie pathologisch
+ Achalasie, bronchiales oder ösophageales Malignom, Struma
Abb. 4.2
• • •
Reizgasödem
• •
+
+
Trachealstenose Stimmbandlähmung
Laryngoskopie pathologisch
+
Trauma
Bronchoskopie
+
Trachealstenose
Larynxkarzinom, Stimmbandlähmung, evtl. Fremdkörper
Diagnostisches Vorgehen bei Stridor.
Angst und motorische Unruhe, Zyanose bei insuffizienter Ventilation oder bei venöser Stauung, Unfähigkeit zu sprechen.
Differenzialdiagnose
•
Halstrauma ?
anamnestisch ?
+
Hämatom
Intubation
inhalation ?
+
Epiglottitis Abszess Laryngotracheitis
Tage
Toxin-
Antikoagulation ?
Status asthmaticus (dominant exspiratorische Dyspnoe) (S. 107), Exazerbation einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung, Spannungspneumothorax (Patient kann sprechen! Thoraxschmerzen) (S. 122).
Notfallanamnese Die Ätiologie der Stenose wird oft durch die Anamnese alleine klar: Vor allem das zeitliche Auftreten und die Dauer des Stridors lassen oft eine ätiologische Triage zu (Abb. 4.2).
• • • • • •
Aspiration von Erbrochenem oder Speisen während des Essens? Trauma von Mund, Nase, Zunge, Kehlkopf oder Luftröhre? Vorangegangener Insektenstich? Rauch- oder Reizgasexposition? Fieber (eitrige Tonsillitis/Pharyngitis, Retropharyngealabszess, Epiglottitis, eitrige Laryngotracheitis)? Arzneimittelanamnese (ACE-Hemmer, orale Kontrazeptiva? Östrogene)?
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Mundhöhle, Pharynx und Larynxeingang: Fremdkörper? Schwellung der Zunge, der Tonsillen, des Pharynx, der Epiglottis? Beläge an Tonsillen und Pharynx (Diphtherie! s. S. 302 und 559)? Palpation. Struma oder Strumektomienarbe? Vergrößerte Lymphknoten?
Aspiration
Exspiration
Auskultation. Thorax und Hals: Objektivierung des Stridors. Erfassen differenzialdiagnostischer Befunde (z. B. Pneumothorax, Status asthmaticus).
Therapie
• • • • •
•
Mundhöhle ausräumen: Falls möglich, immer zuerst Mundhöhle inspizieren und mit dem Finger Fremdkörper (Speisereste, Gebiss) entfernen (EG-D). Heimlich-Manöver: Bei Verdacht auf Fremdkörper: Heimlich-Manöver ausführen (Abb. 1.4) (EG-C). Notfalleinweisung: Transport in nächstgelegene Notfallambulanz und Sauerstoffgabe via Nasenbrille 8 – 10 l/min (EG-D). Laryngoskopie/Bronchoskopie: Bei Verdacht auf Fremdkörperaspiration zur Fremdkörperentfernung, bei Tumorstenosen zur Lasertherapie oder Stenteinlage (EG-D). Weitere Therapie gemäß Verdachtsdiagnose (Abb. 4.2): – Bei Verdacht auf allergische Reaktion und Lebensgefahr: Adrenalin 1 : 1000 0,5 ml s. c. (EG-C), Methylprednisolon 80 mg i. v. (EG-D), Clemastin 2 mg i. v. (EG-C), Inhalation mit Salbutamol (0,2 ml 0,5% mit 1,8 ml NaCl 0,9% im Vernebler oder mit Dosieraerosol) (EG-A). – Bei Verdacht auf hereditäres angioneurotisches Ödem: 500 IU C1-Esterase-Inhibitor in NaCl 0,9% langsam i. v., in schweren Fällen 1000 IU (EG-B). Bei Lebensgefahr oder Verschlechterung des initialen Zustandes Intubation oder Tracheotomie.
Normalkurve
Vitalkapazität
Volumen
Inspiration
Röntgen-Thorax. Struma? Fremdkörper? Einseitige Lungenüberblähung mit Mediastinal-Shift? Bronchuskarzinom? Mediastinaler Tumor? CT des Halses/Thorax. Tumor? Abszess? Fremdkörper? Struma? Pharyngo- und Laryngoskopie mit dem Laryngoskop. Fremdkörper? Entzündliche Schwellung? Tumor? Spirometrie. Typische Fluss-Volumen-Kurve bei Trachealstenose (Abb. 4.3). Bronchoskopie. Zur Lokalisation der Obstruktion und eventuellen Extraktion eines Fremdkörpers, zur Indikationsstellung von Stenteinlage oder Lasertherapie.
Fluss
Diagnostik
105
Abb. 4.3 Typische Fluss-Volumen-Kurve für zentrale Atemwegsstenosen. Infolge Limitierung des maximal erreichbaren Atemgasflusses sind bei anatomisch fixierter Stenosierung der inspiratorische und der exspiratorische Fluss eingeschrnkt.
4.2
Aspiration A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm
Definition und Einteilung Eindringen flüssiger oder fester Materialien in die Atemwege: Magensaft und -inhalt (Erbrechen, Regurgitation), Blut (bei frontobasalen Schädelfrakturen, massiver Hämatemesis, Hämoptoe), Speichel oder Nahrungsmittel (bei neurologischen Schluckstörungen, Zenker-Divertikel), Wasser (bei Ertrinkungsunfällen), Schnee (bei Lawinenverunglückten), Fremdkörper (v. a. bei Kleinkindern).
Pathophysiologie Voraussetzung. Erliegen der physiologischen Abwehrmechanismen (Husten, Schlucken). Gefährdet sind besonders Patienten mit Bewusstseinstrübung (Alkohol!), mit Ösophagusstenose oder Magenausgangsstenose, mit massiver Hämatemesis, mit neurologischen Schluckstörungen sowie geriatrische, bettlägerige Patienten. Aspiriertes Material. Bei Aspiration von festem Material steht die mechanische Obstruktion mit Reflexbronchospasmus, Atelektasebildung und konsekutiver Hypoxämie im Vordergrund. Bei Aspiration von Flüssigkeiten mit niedrigem pH-Wert (Magensaft!) kommt es zur akuten toxischen Pneumonitis
106
4
Pneumologische Notfallsituationen
mit Aktivierung der Zytokinkaskade, evtl. bis zum Vollbild des ARDS (S. 118). Werden pathogene Keime aus dem Oropharynx aspiriert, kann sich eine bakterielle Pneumonie oder ein Lungenabszess entwickeln (Anaerobier!).
Typische Krankheitszeichen Diese sind abhängig von der Art des aspirierten Materials. • Festes Material – abgeschwächtes Atemgeräusch, evtl. mit Stridor und Giemen, – selten einseitige Lungenüberblähungen bei Mediastinalverdrängung infolge Ventilmechanismus, – bei vollständiger Obstruktion: fehlendes Atemgeräusch, paradoxe Thoraxexkursionen, – Unruhe, Angst, verstärkte Salivation, Schwitzen, Hypertonie, Zyanose und Halsvenenstauung. • Saurer Mageninhalt – Dyspnoe, Tachypnoe, Zyanose, Tachykardie, Fieber, evtl. Hypotonie, – bei chronischer Aspiration evtl. nur Husten und Heiserkeit. • Aspiration von pathogenen Keimen (Flora des Oropharynx) – Fieber, Husten, evtl. pleuraler Schmerz, – gelbliches, oft übel riechendes Sputum (Anaerobier!).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Atemfrequenz, Blutdruck, Puls, Temperatur. Auskultation. Atemgeräusch (fehlend bei kompletter Obstruktion, abgeschwächt bei subtotaler Obstruktion, Bronchialatmen und Rasselgeräusche bei Bronchopneumonie). Perkussion. Klopfschall (hypersonor bei einseitiger Lungenüberblähung, gedämpft bei Pleuraempyem und Pneumonie).
Diagnostik Labor. Rotes und weißes Blutbild mit Differenzierung (Leukozytose mit Linksverschiebung), arterielle Blutgasanalyse (Hypoxie), CRP. Bakteriologie. Sputum bzw. Trachealsekret. Röntgen-Thorax. Atelektase, diffus-fleckige Lungeninfiltration bei Magensaftaspiration, bronchopneumonische Infiltrate oft im rechten Unterfeld bei Patienten in aufrechter Position, bilateral in den Oberfeldern bei liegenden Patienten, Hinweise für Lungenabszedierung oder Pleuraempyem. Bronchoskopie. In unklaren Fällen oder bei Verdacht auf distal liegende Fremdkörper oder massive Magensaftaspiration, evtl. Keimnachweis.
Therapie Differenzialdiagnose
•
• • • • •
•
Stenosen der oberen Luftwege (S. 103), Bronchopneumonien anderer Genese, Pneumothorax (S. 122), Lungenembolie (S. 71), Exazerbation von COPD oder Asthma bronchiale (S. 107).
Notfallanamnese
• • •
Prädisponierende Faktoren: Bewusstseinstrübung, Alkoholabusus, Opioidmissbrauch, rezidivierendes Erbrechen, Hämatemesis, neurologisches Grundleiden? Plötzlich auftretende Dyspnoe: Magensaftaspiration, Fremdkörper? Status febrilis: Bronchopneumonie, Lungenabszess, Pleuraempyem?
• • • • •
Vgl. auch „Stenosen der oberen Luftwege“ (S. 105). Ausräumen der Mundhöhle: Inspektion der Mundhöhle und Reinigen von Mundhöhle und Rachen (EG-D). Heimlich-Handgriff: Bei Aspiration eines großen Fremdkörpers (Abb. 1.4, S. 7) (EG-C). Sauerstoff: Zufuhr mit Nasensonde 2 – 4 l/min, mit Sauerstoffmaske 8 – 12 l/min, evtl. nichtinvasive Ventilation (CPAP, BiPAP) mittels dicht sitzender Gesichtsmaske (EG-D). Therapie eines evtl. Bronchospasmus: Inhalation von Salbutamol (0,2 ml 0,5% mit 1,8 ml NaCl 0,9%) 2-stündlich und 80 mg Methylprednisolon i. v. (EG-A). Atemphysiotherapie: zur Atelektaseprophylaxe (EG-D). Antibiotika: keine prophylaktische Gabe, nur indiziert bei Verdacht auf Pneumonie; bei unbekanntem Erreger: Amoxicillin/Clavulansäure
Akuter Asthmaanfall/Status asthmaticus
• • •
3 × 1,2 – 2,2 g/d i. v. oder 2 × 1 g/d p. o. (EG-B), alternativ Clindamycin 2 × 600 mg/d i. v. (EG-A). Therapeutische Bronchoskopie: zur Entfernung festen Materials (Bronchialtoilette), evtl. zur gezielten Infektlavage (EG-D). Steroide: Eine prophylaktische Gabe von Steroiden ist nicht indiziert (EG-A). Beatmung: Nichtinvasive oder invasive Beatmung bei globaler respiratorischer Insuffizienz (S. 119).
Besondere Merkpunkte Unklares Fieber, v. a. bei geriatrischen Patienten, ist oft durch eine Aspiration mit oder ohne Pneumonie bedingt („silent aspiration“).
4.3
Akuter Asthmaanfall/ Status asthmaticus A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm
Definition und Einteilung Anhaltender, schwerer, therapieresistenter Asthmaanfall.
Pathophysiologie Grundlage. Bronchiale Hyperreagibilität und Entzündung der Bronchialschleimhaut. Während der Anfälle. Diffuse Bronchialobstruktion durch muskulären Bronchospasmus, Schleimhautödem und Hypersekretion, verbunden mit einer massiv gesteigerten Atemarbeit bis zur Erschöpfung der Atemmuskulatur. Inhomogenes VentilationsPerfusions-Verhältnis mit venöser Beimischung führt zur respiratorischen Partialinsuffizienz (Hypoxämie). In schweren Fällen Übergang in eine respiratorische Globalinsuffizienz (Hypoxämie und Hyperkapnie) als Zeichen der atemmechanischen Dekompensation. Auslösende Faktoren. V. a. virale Infekte der oberen Luftwege, Medikamente (Aspirin, Betablocker, Lebensmittelfarbstoffe), emotionale Belastungen, Inhalationsnoxen, Exposition durch allgemein verbreitete (Hausstaub, Pollen, Tierhaare) oder berufsspezifische (z. B. Mehlstaub, Isocyanat etc.) Allergene.
107
Typische Krankheitszeichen
• • •
• • • •
Schwere in- und v. a. exspiratorische Dyspnoe, in Extremfällen Schnappatmung, sitzende Position, sichtbarer Gebrauch der Atemhilfsmuskulatur! verlängertes Exspirium mit Giemen und Pfeifen (oft auch ohne Stethoskop hörbar); bei schwerster Obstruktion sind Atemgeräusch und Nebengeräusche oft kaum mehr auskultierbar („silent chest“), vorwiegend trockener Husten, spärlicher Auswurf mit glasigem Sekret, gelegentlich auch gelblicher, eitriger Auswurf, psychomotorische Unruhe, Angst, Schwitzen, Zyanose, Tachykardie (> 120/min), in schweren Fällen arterielle Hypertonie, Pulsus paradoxus mit Absinken des systolischen Blutdrucks um mehr als 10 mmHg bei Inspiration.
Differenzialdiagnose
• • • • •
Stenose der oberen Luftwege (Fremdkörper, Aspiration, Laryngospasmus) (S. 103), Lungenembolie mit reaktivem Bronchospasmus (S. 71), kardiogenes Lungenödem (S. 62), Exazerbation einer chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung, Spannungspneumothorax (S. 122).
Notfallanamnese
• • • • • •
Frühere Anfälle? Erste Asthmamanifestation führt in der Regel nicht zum Status asthmaticus. Häufigkeit der Anfälle? Dauer der aktuellen Atembeschwerden? Husten? Auswurf? Infekt der oberen oder unteren Luftwege? Bisherige antiobstruktive Therapie? Compliance? Ansprechen auf Bronchodilatatoren? Bekannte Allergien und Unverträglichkeiten? Allergenexposition? Hinweise für schweres Asthma: frühere asthmabedingte stationäre Aufenthalte, früherer fast letaler Asthmaanfall, systemische Steroidtherapie wegen Asthma, Steigerung von Frequenz und Dosis der inhalativen Bedarfs- und Basistherapie, seit Tagen/Wochen progrediente Verschlechterung?
108
Pneumologische Notfallsituationen
Diagnostik
Notfalluntersuchung
4
Klinik (Tab. 4.1) Vitalzeichen. Bewusstsein (getrübt bei CO2-Retention), Puls (Tachykardie), Blutdruck (erhöht bei schwerem Anfall), Atemfrequenz, Temperatur (erhöht bei Infekt). Auskultation. Beidseitig abgeschwächtes Atemgeräusch, verlängertes Exspirium, über beiden Lungen kontinuierliche Nebengeräusche (Giemen, Pfeifen). Bei schwerstem Asthma „silent chest“. Perkussion. Hypersonorer Klopfschall bei Lungenüberblähung. Rechtsherzinsuffizienz. Halsvenenstauung, palpabler rechter Ventrikel, Pulsus paradoxus ‡ 10 mmHg. Zyanose. Bei respiratorischer Globalinsuffizenz. Hinweise für respiratorische Erschöpfung. Einsatz der akzessorischen Atemmuskulatur, geblähtes Abdomen infolge Aerophagie, Abnahme der Atemfrequenz, paradoxe Exkursionen der abdominalen Muskulatur.
Tabelle 4.1
Spirometrie. Bei jedem Patienten auch mit mildem Anfall durchführen, um den Schweregrad der Obstruktion abzuschätzen (erniedrigte Erstsekundenkapazität). Bei schweren Anfällen wegen fehlender Kooperationsfähigkeit des Patienten meist nicht durchführbar. Am schnellsten erhältlich und einfach messbar: Peak Expiratory Flow (PEF) (< 60% des Sollwerts oder des eigenen Normwerts). Arterielle Blutgasanalyse (ABGA). Immer indiziert bei schweren Anfällen. Pulsoxymetrie. O2-Sättigung meist erniedrigt, bei milden Asthmaattacken jedoch oft noch Normalwerte trotz beginnender CO2-Retention bzw. Azidose. Röntgen-Thorax. Vermehrte Lungentransparenz und tief stehende, flache Zwerchfellkuppen (Lungenüberblähung). Auf Pneumothorax und Atelektasen achten! EKG. Zeichen der akuten Rechtsüberlastung: P pulmonale, Drehung der QRS-Achse im Uhrzeigersinn, SI-QIII-Typ, Repolarisationsstörungen in V1–V3 (DD Lungenembolie!) (s. Abb. 3.37, S. 74). Labor. CRP, rotes und weißes Blutbild mit Differenzierung (häufig Eosinophilie, Linksverschiebung suggestiv für bakterielle Infektion). Serumelektrolyte und Kreatinin (Hypokaliämie als Folge der Inhalation mit Betasympathomimetika, Kreatininerhöhung bei Dehydratation).
Initiale Beurteilung des Schweregrades beim Asthmaanfall/Status asthmaticus.
Zeichen des schweren Asthmaanfalls Dyspnoe
Sprech- oder Ruhedyspnoe
Giemen
ganzer Atemzug oder „silent chest“
Atemhilfsmuskulatur
deutlich sichtbare und palpierbare Kontraktionen des M. sternocleidomastoideus
Zyanose
zentral mit PaO2 £ 60 mmHg (8 kPa)
Pulsus paradoxus
‡ 10 mmHg, Abfall des systolischen Blutdrucks bei Inspiration
Atemfrequenz
> 30/min
Herzfrequenz
> 120/min
PEF
< 30% Soll (< 100 – 120 l/min)
FEV1
< 25% Soll (< 0,7 – 1,0 l)
PaCO2
‡ 45 mmHg (6 kPa)
Lebensbedrohliche Zeichen Abnahme der Atemfrequenz Bradykardie oder Hypotonie Bewusstseinstrbung bis zum Koma PEF: Peak Expiratory Flow, exspiratorischer Spitzenfluss FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen in der 1. Sekunde (Erstsekundenkapazitt) PaCO2: arterieller Kohlendioxidpartialdruck PaO2: arterieller Sauerstoffpartialdruck
Akuter Asthmaanfall/Status asthmaticus
Tabelle 4.2
109
Maßnahmen bei Patienten mit Asthmaanfall nach initialer Therapie.
Ansprechen auf Ersttherapie
Kriterien
Maßnahmen
gut
• keine Dyspnoe • kein Giemen • PEF und/oder FEV1 > 70%
Entlassung
mßig
• Dyspnoe + • Giemen + • PEF und/oder FEV1 zwischen 40 und 70%
Beobachten
schlecht
• Dyspnoe ++ • Giemen ++ • PEF und/oder FEV1 < 40%
stationre Aufnahme
respiratorische Insuffizienz
• Dyspnoe +++ • Giemen +++/„silent chest“ • Bewusstseinsstçrungen • PEF < 25%, PaCO2 > 45 mmHg
Intensivstation
PEF: Peak Expiratory Flow, exspiratorischer Spitzenfluss FEV1: forciertes exspiratorisches Volumen in der 1. Sekunde (Erstsekundenkapazitt) PaCO2: arterieller Kohlendioxidpartialdruck
Therapie
•
Ziel der Akuttherapie ist die Beseitigung des muskulären Bronchospasmus, bis der antiinflammatorische Effekt der Glukokortikoide voll eintritt (6 – 12 h).
•
Bei akutem Asthmaanfall • O2-Zufuhr: 4 – 6 l/min über Nasenbrille (EG-D). • Repetitive Inhalation: kurz wirksame b2-Agonisten, z. B. Salbutamol, vorzugsweise mit Spacer (EG-A), evtl. mit Düsenvernebler (Salbutamol 0,2 ml 0,5% in 1,8 ml NaCl 0,9%). Formoterol (lang wirksamer b2-Agonist) ist ebenfalls effektiv. Evtl. Zugabe von Ipratropiumbromid (als Dosieraerosol oder 1 ml 0,025% in 2 ml NaCl 0,9% als Mischaerosol im Vernebler) (EG-A). • Steroide: Prednison 50 mg p. o. (EG-A). Alternativ hoch dosierte inhalative Steroide (z. B. Budenosid 4 × 800 µg) (EG-A) bei leichten bis mittelschweren Exazerbationen.
•
In schweren, lebensbedrohlichen Fällen (Tab. 4.1) oder Nichtansprechen der obigen Therapie • Katecholamine mit bronchospasmolytischer Wirkung parenteral: z. B. Adrenalin 0,25 – 0,5 mg s. c. (nur bei bedrohlichen Zuständen oder Anaphylaxie/Angioödem!) (EG-B). • Steroide: 80 mg Methylprednisolon als Bolus i. v., gefolgt von 40 mg i. v. 8-stündlich (EG-A). • Magnesiumsulfat: 1 – 2 g i. v. über 20 min (EG-A).
Salbutamol und Ipratropiumbromid: repetitive oder kontinuierliche Inhalation vorzugsweise mit Spacer (EG-A) oder Düsenvernebler (EG-A). Intensivversorgung: Bei anhaltendem, schwerem klinischem Bild, zunehmender respiratorischer Erschöpfung, Bewusstseinstrübung: Aufnahme auf Intensivstation zur evtl. Intubation und Beatmung. Aminophyllin: Die zusätzliche Therapie mit Aminophyllin ist nebenwirkungsreich und bringt keinen zusätzlichen Vorteil (EG-A).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Das weitere Management des Patienten, insbesondere die Entscheidung, ob ambulante Betreuung oder stationäre Einweisung, hängt vom Ansprechen auf die initiale Therapie ab (Tab. 4.2). Rechtzeitiges Erkennen weiterer schwerwiegender Komplikationen wie symptomatischer Spontanpneumothorax, Magen-Darm-Blutung, Hypovolämie, Hypervolämie.
Besondere Merkpunkte Sauerstoff soll bei globaler respiratorischer Insuffizienz (Hypoxämie und respiratorische Azidose) nur unter strenger Kontrolle der Blutgase und Intubationsbereitschaft verabreicht werden. Sedativa und Opiate sollten prinzipiell vermieden werden.
110
4.4
4
Pneumologische Notfallsituationen
Reizgasinhalation A. P. Perruchoud, L. Joos Zellweger, M. Tamm
Definition und Einteilung Reizgase oder Reizstoffe sind schädliche Beimischungen zur Atemluft (Dämpfe, Gase, Rauch und Staub) mit der Potenz, direkt toxisch auf die Schleimhäute der oberen und unteren Luftwege einzuwirken. Davon zu unterscheiden sind Inhalationsnoxen, die durch Erniedrigung der Sauerstoffspannung in der Einatmungsluft toxisch wirken (Methan, Propan) und solche, die nach inhalativer Resorption eine intrinsische systemische Toxizität aufweisen (Kohlenmonoxid, Zyanide).
• •
• • •
Schwefeldioxid, Selenverbindungen, Terpentinöl, Tetrachlorethan usw., Laryngitis: evtl. mit Laryngospasmus und Glottisödem, ausgelöst durch Ammoniak, Chromatdämpfe, Aldehyde, Äther, Chlorgas in höherer Konzentration, Formalin usw., Tracheitis und Bronchitis: ausgelöst durch Isocyanate, Azeton, Glykoläther, Heptan, Hexachlorcyclohexan, Joddämpfe, Kohlenwasserstoffgase, Methylisothiocyanat, Toluole, Oxalsäuredämpfe, Schwefeldioxid, Zinkdämpfe usw., Asthma: ausgelöst durch Chlordämpfe, Fluorverbindungen, Isocyanate, Phenylendiamin, Diazomethan usw., Pneumonitis: ausgelöst durch Äthylendichlorid, Benzin, Acetylen, Berylliumverbindungen, Seifenstaub usw., Lungenödem: ausgelöst durch Äthylenchloridhydrin, Chlor, Formaldehyd, Methanol, Methylchlorid, Phosgen, Phosphorwasserstoffe, Nitrosegase, Tetrachloräthylen usw.
Pathophysiologie Eigenschaften des Agens. Das Ausmaß der toxischentzündlichen Reaktion und deren Lokalisation innerhalb der Atemwege hängen ab von der Konzentration, der Menge, der Einwirkungsdauer sowie von den physikalischen und chemischen Eigenschaften des toxischen Agens. Gut wasserlösliche Gase (Chlorgas, Ammoniak). Diese führen zur Irritation der Konjunktiven und vor allem der oberen Luftwege. Schlecht wasserlösliche, lipophile Reizgase (Benzin, Acetylen, Chlorgas, Nitrosegase). Sie schädigen vor allem die unteren Luftwege und die Alveolen. Entsprechend sind klinisch verschiedene Reaktionstypen möglich (s. „Typische Krankheitszeichen“). Bei Schädigung der unteren Luftwege und v. a. der Alveolen kommt es oft zu einer symptomfreien Latenzzeit (< 48 h), bis sich eine Pneumonitis oder ein toxisches Lungenödem klinisch manifestiert.
Notfallanamnese
• • •
Art und Ort der Einwirkung der Inhalationsnoxe, Zeitpunkt und Zeitdauer der Reizstoffexposition, Beginn und Art der Symptome.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Entsprechend den möglichen Reaktionstypen (s. „Typische Krankheitszeichen“). Konjunktivale Reizung? Irritation der Schleimhäute von Mund, Nase, Mundhöhle, Pharynx? Auskultation. Stridor bei Laryngotracheitis? Klinische Zeichen für Bronchialobstruktion? Hinweise für Lungenödem?
Diagnostik
Typische Krankheitszeichen Die folgenden akuten Reaktionstypen sind je nach Art und Menge der Inhalationsnoxe möglich. Meistens kann das gleiche Agens mehrere Syndrome auslösen (Beispiel: Aldehyde, Chlorgas, Isocyanate usw.). • Rhinopharyngitis: ausgelöst durch Aldehyde, Chlorgas in niedriger Konzentration, Kohlenwasserstoffgase, Quecksilberdampf bzw. -staub,
Die Art der Inhalationsnoxe ist oft anamnestisch eruierbar. Röntgen-Thorax. Falls sichere Exposition oder Patient symptomatisch (Lungenödem? ARDS?). Cave! Radiologische Veränderungen treten meist mit einer zeitlichen Latenz auf! Arterielle Blutgasanalyse. Falls sichere Exposition oder Patient symptomatisch, immer bei V. a. Kohlenmonoxidexposition (Hypoxämie? Erhöhung des Carboxy- und Methämoglobins?).
Pleuraerguss und -empyem
Spirometrie. Mindestens Vitalkapazität, FEV1, PEF, falls möglich Plethysmografie, evtl. Diffusionskapazität. Wiederholung nach 10 Tagen aus arbeitsmedizinischen und rechtlichen Gründen. Bronchoskopie. Keine generelle Indikation außer bei lipophiler Reizgasinhalation zur Beurteilung des Ausmaßes des Schleimhautschadens und allenfalls zur gezielten endotrachealen Tubusplatzierung und Debridement.
Therapie Eine kausale Therapie existiert meistens nicht, die Maßnahmen sind symptomatisch gegen schwere Komplikationen der Lungen und Atemwege gerichtet.
Notfallmanagement Allgemeine Sofortmaßnahmen • Entfernen des Patienten aus dem Gefahrenbereich. • Bei pulmonalen Symptomen: Hospitalisation, Sauerstoff 4 – 10 l/min, engmaschige Kontrollen der Symptome und O2-Sättigung (EG-D). • Inhalation: bei Bronchoobstruktion Inhalation mit Sympathikomimetika und Parasympathikolytika, z. B. Salbutamol/Ipratropiumbromid 2 Hübe 4-stündlich (EG-A). • Steroide: keine eindeutige Evidenz zum Nutzen inhalativer oder systemischer Steroide. • Bei Hypoxämie: Verlegung auf die Intensivstation mit Bereitschaft zur Beatmung. Maßnahmen bei „Chemieunfall“ • Exposition möglich oder vorhanden, Patient asymptomatisch: keine prophylaktische Behandlung (EG-D). • Exposition vorhanden, Patient symptomatisch (Dyspnoe, Husten, Giemen, Lungenödem etc.): stationäre Einweisung, Inhalation mit Bronchodilatatoren, O2 (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Wasserlösliche Inhalationsnoxe, asymptomatischer Patient: nach Anamnese/Status, Spirometrie und Information des Patienten (verzögert einsetzender Symptombeginn!) Entlassung möglich. Wasserlösliche Inhalationsnoxe, symptomatischer Patient: Kontrollen klinisch und mit Peak-Flow-
•
111
Messung stündlich. Falls unter Therapie (s. o.) nach 6 h symptomfrei, Entlassung nach Information des Patienten (verzögert einsetzender Symptombeginn!) möglich. Lipophile Inhalationsnoxe (vor allem Nitrosegase, Phosgen): immer stationäre Aufnahme zur klinischen und spirometrischen Überwachung angezeigt.
Besondere Merkpunkte
• •
Nach Inhalation lipophiler Noxen können nach einer symptomfreien Latenzzeit von bis zu 48 h noch schwere Komplikationen (toxisches Lungenödem) auftreten. Nach Reizgasinhalation ist eine Lungenfunktionsprüfung als Ausgangswert und eine Wiederholung nach 10 – 14 Tagen angezeigt.
4.5
Pleuraerguss und -empyem M. Sol r
Definition und Einteilung Pathologische Ansammlung von Flüssigkeit im Pleuraraum. • Eiweißarm: Transsudat (Tab. 4.3), • eiweißreich: Exsudat (Tab. 4.3), • infiziert-eitrig: Empyem, • Einblutung: Hämatothorax, • Chylus: Chylothorax.
Pathophysiologie Transsudat. Filtration von Flüssigkeit in den Pleuraraum bei erhöhtem hydrostatischem oder vermindertem kolloidosmotischem Druck in den angrenzenden Gefäßen. Exsudat. Ansammlung von eiweißreicher Flüssigkeit bei pathologisch veränderter Pleura (Entzündung, Tumorbefall), selten Begleiterguss bei Aszites (z. B. Peritonealkarzinose, Meigs-Syndrom). Hämatothorax. Gefäßverletzung (Trauma, iatrogen nach Punktionen). Chylothorax. Ruptur des Ductus thoracicus (meist tumorbedingt). Empyem. Infizierter, oft eitriger Pleuraerguss, meist bei Pneumonie mit Durchwanderung der Erreger in
112
4
Pneumologische Notfallsituationen
einen begleitenden exsudativen Pleuraerguss. Im Erguss bilden sich rasch Fibrinsepten, es kommt zur Kammerung der Pleuraflüssigkeit. Schlechte Wirksamkeit der Antibiotika im Pleuraerguss infolge fehlender Komplementaktivität und Opsonisierung. Ausbildung einer starken Reaktion der Pleura parietalis mit Versuch der Abkapselung des Infektes, die zur Verschwartung führen kann. Das Pleuraempyem kann durch systemische Ausschwemmung von bakteriellen Toxinen zu einem septisch-toxischen Zustandsbild führen. Häufigste Ursachen sind: Pneumonien, Lungenabszesse, poststenotische Infekte bei zentralen Bronchustumoren, Bronchiektasen mit Pneumonien, seltener aspirierte Fremdkörper, subdiaphragmale Prozesse mit Durchwanderungspleuritis.
• •
Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose des Pleuraergusses basiert auf den Resultaten einer Probepunktion (50 ml) (Tab. 4.3).
Notfallanamnese
Typische Krankheitszeichen
•
ansonsten Symptome der Grundkrankheit, bei Empyem zusätzlich Hinweise für respiratorischen Infekt in der vorangegangenen Zeit: Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Husten, Auswurf, Fieber.
• • •
Dyspnoe? Brustschmerz? Hinweise für pulmonalen Infekt? Fieber? Hinweise für Tumorleiden?
Große Ergüsse verursachen Dyspnoe, seltener pleuritischen, atemabhängigen Brustschmerz, evtl. Reizhusten,
Tabelle 4.3
Differenzialdiagnose des Pleuraergusses.
Probepunktion Ergussmenge
Bestimmungen
10 ml fr Chemie
Protein, Albumin, LDH, Glukose, Amylase
30 ml fr Zytologie
Tumorzellen, Lymphozyten, Granulozyten, Mesothelzellen
10 ml fr Mikrobiologie
Gram, Ziehl-Neelsen, Kultur: Bakterien (aerob und anaerob) und Tuberkulose
5 ml fr pH
pH-Wert
Parameter
Transsudat
Exsudat
Protein: Quotient Erguss/Serum
< 0,5
> 0,5
LDH: Quotient Erguss/Serum
< 0,6
> 0,6 > 2⁄3 obere Serumnorm
LDH absolut Albumin: Differenz Serum – Erguss
> 12 g/l
< 12 g/l
Beispiele
• Herzinsuffizienz • Leberzirrhose • nephrotisches Syndrom • Peritonealdialyse
• Tumoren • Pneumonien • Lungenembolie • Tuberkulose • Kollagenosen • Pankreatitis
Zeichen des komplizierten (infizierten) parapneumonischen Ergusses (Indikation zur Einlage eines dicken Pleuradrains)
pH < 7,0 Glukose < 40 mg/dl (< 2 mmol/l) Erguss makroskopisch eitrig Erguss sonografisch septiert
Pleuraerguss und -empyem
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Bei Empyem oft verminderte Atembewegung der Brustwand bei beginnender Schwartenbildung oder Schmerzhemmung der Atemexkursionen. Perkussion und Auskultation. Dämpfung, aufgehobener Stimmfremitus und abgeschwächtes oder fehlendes Atemgeräusch meist posterobasal.
Diagnostik Röntgen-Thorax. p.–a./seitlich. CT-Thorax. Bei unklarem Befund im konventionellen Röntgenbild. Erlaubt genaue Lokalisation der pleuralen Verschattungen und der zugrunde liegenden pulmonalen Pathologie. Indirekte Hinweise auf Empyem: parietale Kontrastmittelanreicherung (späte Phase!) (Abb. 4.4 a). Bezüglich Ergussseptierung weniger sensitiv als Ultraschall. Sonografie des Pleuraergusses. Sensitiver als Röntgenaufnahme, genaue Lokalisation, gibt evtl. Hinweise auf Ätiologie (z. B. Septierung: eiweißreich, Tumorknoten). Septierung und Verdickung der Pleura parietalis sprechen für ein fortgeschrittenes Empyemstadium (Abb. 4.4 b). Sichere Steuerung der Ergusspunktion. Blutuntersuchung. Hämoglobin, Leukozyten, Differenzialblutbild, Thrombozyten, Prothrombinzeit, Eiweiß, Albumin, LDH, Glukose, CRP, Blutkulturen bei Infektverdacht, arterielle Blutgase bei Dyspnoe. Pleuraprobepunktion. Das Punktat wird in mehrere Fraktionen aufgeteilt und unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht (Tab. 4.3): • makroskopischer Aspekt, Geruch, • Labor (10 ml): Eiweiß, Albumin, LDH, Amylase, Glukose,
• • • •
113
pH-Untersuchung (5 ml), Mikrobiologie (10 ml): Gram-Präparat, Bakterienund Mykobakterienkultur; Gram-Präparat ist bei serösem Erguss nur selten positiv, Zytologie (30 ml): Tumorzellen, Differenzierung von Lymphozyten, Granulozyten, Mesothelzellen, Befunde beim Empyem: pH < 7,0, Glukose < 40 mg/dl, Eiweiß und LDH hoch. Diese Werte sind bei entsprechender Anamnese Hinweis für einen infizierten Erguss = Frühempyem. Ein Empyem ist in der Regel makroskopisch zu diagnostizieren (Eiter), bei Gestank nach faulen Eiern liegt ein Anaerobierinfekt vor.
Therapie Die Therapie richtet sich nach der Grundkrankheit und dem Resultat der Probepunktion.
Notfallmanagement Bei Dyspnoe durch den Erguss • Entlastungspunktion: maximal 1,5 l (Cave! Entfaltungsödem, Blutdruckabfall bei größerem Punktionsvolumen) (Technik S. 618). Erguss nur leerpunktieren bei bekannter Ätiologie der Pleurakrankheit (leerer Pleuraraum erschwert den Zugang für Diagnostik, Biopsie, Thorakoskopie und fördert Verklebungen). Bei Empyem • Drainage: Jedes Empyem (jeder infizierte Erguss) muss so rasch und so vollständig wie möglich drainiert werden! Einmaliges Leerpunktieren genügt nicht! Die Einlage eines Pleuradrains (Charrière 20 – 28) möglichst am Boden der Ergusshöhle ist indiziert (Sonografie zur Wahl des optimalen Zugangspunktes) (EG-C) (Abb. 4.4 b). Bei
Abb. 4.4 CT und Sonografie bei Empyem. a Computertomografie mit KM bei Empyem links mit liegender Drainage. Die parietale Pleura ist verdickt und nimmt KM auf. b Sonografisches Bild eines komplizierten parapneumonischen Ergusses/Empyems mit multiplen Septierungen der pleuralen Flssigkeit (so im CT nicht sichtbar!).
114
4
• • •
Pneumologische Notfallsituationen
sonografisch nachgewiesenen Septierungen evtl. thorakoskopische Einlage (EG-D). Röntgenkontrolle, sobald keine Flüssigkeit mehr nachfließt (Drainposition, verbleibender Erguss). Antibiose: systemische antibiotische Therapie, initial empirisch, nach Erhalt der Kulturresultate der Probepunktion anpassen (EG-B). Volumenersatz: ggf. Schockbehandlung (S. 21). Sauerstoffgabe: je nach arterieller Blutgasanalyse.
Weitere Maßnahmen bei Empyem
•
•
Pleurale Instillation: bei ungenügender Drainage und korrekter Drainlage pleurale Instillation von Streptokinase (100 000 – 250 000 IU) oder Urokinase (50 000 – 100 000 IU) in 50 – 100 ml NaCl, Verweildauer 2 h. Einmal täglich während 2 – 4 Tagen wiederholen (EG-B). Chirurgische Maßnahmen: bei persistierenden Infektzeichen chirurgisches Vorgehen (Frühdébridement/Frühdekortikation/Kostotomie) erwägen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
•
Nach großvolumiger Entlastungspunktion Blutdruck und Puls für 2 h überwachen. Röntgenkontrolle nach einfacher Ergusspunktion nur bei klinischer Indikation sinnvoll (Zunahme Atemnot, Schmerzen). Nach Einlage einer Thoraxdrainage immer Röntgenkontrolle vorsehen (EG-D).
Besondere Merkpunkte
• • •
Bei unklarer Ergussursache nie leerpunktieren! Bei großem Erguss mit Symptomen dürfen maximal 1 – 1,5 l abpunktiert werden. Ein Empyem verlangt nach sofortiger und vollständiger Drainage!
4.6
Lungenblutung, Hämoptoe M. Sol r
Definition und Einteilung Aushusten von Blut aus den unteren Luftwegen. • Leichte Hämoptoe: blutig tingiertes Sputum, Koagel, < 200 ml/24 h, • schwere Hämoptoe: > 200 ml/24 h.
Pathophysiologie Blut aus den unteren Atemwegen kann aus Bronchialarterien, Pulmonalarterien und selten aus Lungenvenen, der Aorta oder Missbildungsgefäßen stammen. Ursachen der leichten Hämoptoe. Oft Bronchitis, Bronchuskarzinom, Pneumonie, Lungeninfarkt, Herzinsuffizienz, Vaskulitiden, Lungenendometriose. Ursachen der schweren Hämoptoe. Bronchiektasen, Kavernen bei Tuberkulose, Abszesse, Myzetome (Pilzball in Kaverne), Aneurysma der Pulmonalarterie bei Vaskulitis, Aortenaneurysma mit Wühlblutung in die Lunge.
Typische Krankheitszeichen
• • • • • •
Husten, oft unstillbar, Aushusten von schaumigem, hellrotem Blut oder stark blutigem Sputum, evtl. Koagel, Angst und Unruhe, Dyspnoe bei starker Blutung, Atelektase oder Pneumonie, Zyanose, evtl. Thoraxschmerzen (bei Lungenembolie, Trauma, Pleuropneumonie, evtl. mit Abszess).
Differenzialdiagnose Wichtig ist festzustellen, ob das expektorierte Blut wirklich aus der Lunge stammt. Oft als Hämoptoe fehlinterpretiert werden: • Hämatemesis (v. a. bei Mallory-Weiss-Läsion, S. 142): verbunden mit Erbrechen, Husten nur Nebenphänomen, Blut nicht hellrot und schaumig, sondern dunkelrot bis schwärzlich, pH sauer, evtl. Speisereste, Magenanamnese,
Lungenblutung, Hmoptoe
•
Aspiration von Blut aus dem Nasenrachenraum: Nasenbluten meist offensichtlich.
Notfallanamnese
• • • • • •
Meist akutes Auftreten eines ungewohnten Reizhustens mit blutigem Auswurf; weitere Symptome abhängig von zugrunde liegender Erkrankung. Im Rahmen einer akuten Bronchitis werden oft geringe Blutbeimengungen im Sputum beobachtet. Meist ist die Ursache banal. Weitere Abklärungen bei Rauchern ab 40. Lebensjahr indiziert. Frühere Lungenblutungen in der Anamnese bei Bronchiektasen (z. B. zystische Fibrose), Tuberkulose, Vaskulitiden. Fragen nach Fieber, Thoraxschmerzen, bekannten kardiovaskulären Krankheiten, Antikoagulanzien, vorangegangenen Blutungen aus dem oberen Respirationstrakt oder Magen. Blutmenge, Intervalle. Die Blutmenge wird vom Patienten, aber auch vom Arzt meist überschätzt: objektivieren!
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Nasenostien und Mund-Rachen-Raum (evtl. posteriore Rhinoskopie und indirekte Laryngoskopie (s. S. 562): Blutungsquelle im HNO-Bereich (s. S. 556)? Teleangiektasien? Auskultation. Rasselgeräusche, oft grobblasig, auf der Blutungsseite, evtl. kombiniert mit einseitigem Giemen.
Diagnostik Röntgen-Thorax p.–a. und seitlich. Blutungsursache nur selten direkt sichtbar (z. B. Tumoren). Oft Verschattungen durch Blut in Bronchien und Alveolen. Aspirationspneumonie? Abszess? Kaverne? Hinweise für alte Tbc? Aortenaneurysma? CT mit gezielten Dünnschichten. Bei Bronchiektasenblutung oft diagnostisch, bei vielen anderen Blutungsursachen hilfreich. Ggf. Lokalisation eines Tumors. Falls möglich vor einer Bronchoskopie durchführen. Bronchoskopie. Identifikation der Blutungsursache: zentrale Tumoren, Lymphknotenperforationen. Lokalisation der Blutungsquelle: betroffene Seite, evtl. Lappen.
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Sputum (oder Bronchialsekret). Untersuchung auf Mykobakterien und Tumorzellen. Labor. Hb und Hk (Ausgangswerte zur Verlaufsbeobachtung), Prothrombinzeit, Thrombozytenzahl, evtl. Gerinnungsstatus, Blutgruppe, Testblut für Kreuzprobe, evtl. arterielle Blutgasanalyse. Arteriografie der Bronchialarterien. Bei Bronchiektasenblutungen, seltener bei Tumorblutungen diagnostisch und therapeutisch (Embolisation) hilfreich (EG-C).
Therapie Notfallmanagement
• • • • • •
•
Therapieziel: Verhinderung der Asphyxie, Blutstillung, Lokalisation der Blutungsquelle und Identifikation der Blutungsursache, sekundär kausale Therapie. Bettruhe: halb sitzend bis liegend. Falls Seitenlokalisation der Blutung bekannt: blutende Seite unten, damit die Atemwege der gesunden Seite möglichst freigehalten werden (EG-D). Hustenstillung bei starkem Hustenreiz: Hydrocodon 7,5 – 15 mg s. c. oder i. m., evtl. Morphin 10 mg s. c. oder i. m. (EG-D). Sputum: Sputumschale häufig wechseln, da größere Blutmengen den Patienten erschrecken. Leichte Blutungen: sistieren fast immer von selbst. Schwere Blutungen: leichte Sedierung (mit Hydrocodon oder Morphin); bei hämorrhagischer Diathese: spezielle Behandlung (S. 216); bei Antikoagulation mit Kumarinen: Aufhebung durch Vitamin K 10 mg i. v. oder p. o. evtl. Faktorenkonzentrat; bei Heparinisierung: Aufhebung mittels Protaminsulfat, z. B. 1000 – 2000 IU i. v. Blutstillung: Inhalation mit Terlipressin 1 Amp. à 5 IU (= 1 ml) verdünnen mit NaCl auf 10 ml, davon 1- bis 2-stündlich 2 ml inhalieren, alternierend mit Bronchodilatator-Lösung, bis Blutung steht (EG-D).
Weitere Maßnahmen
• •
Inhalation von Vasopressinanaloga: bis über 4 Stunden keine Hämoptoe auftritt (EG-D). Therapeutische Bronchoskopie: bei persistierender Blutung, evtl. mit starrem Bronchoskop, dabei lokale Applikation von Ornipressin endobronchial, Blockieren des blutenden Bronchus mit dem Endoskop oder mittels Ballonokklusion, bei einseh-
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4
• • •
Pneumologische Notfallsituationen
barer Blutungsquelle evtl. endoskopische Koagulation mittels Laser oder Argon-Beamer (EG-D). Arteriografie: evtl. Bronchialarteriografie und Embolisation der pathologischen, blutenden Gefäßregion (EG-C). Intubation: evtl. einseitige Intubation zum Schutz der nicht betroffenen Lunge. Operation: Resektion des blutenden Lungenlappens (v. a. bei Kavernen/Myzetomen), falls Blutung nicht stillbar und Lungenfunktionsreserven ausreichend.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
BD, Puls und Atemfrequenz. Hämoptoemenge 1- bis 2-stündlich, bis die Situation stabil ist.
Besondere Merkpunkte
• •
Blutung aus dem oberen Magen-Darm-Trakt und aus der Nase ausschließen. Blutmenge objektivieren, wird meist überschätzt.
Tabelle 4.4
4.7
Respiratorische Insuffizienz M. Sol r
Definition und Einteilung Versagen des pulmonalen Gasaustausches, erkennbar an der arteriellen Blutgasanalyse. Partialinsuffizienz • Hypoxämie (pO2 < 60 mmHg/< 8,0 kPa) bei gleichzeitiger • Normokapnie (oder kompensatorischer Hypokapnie) (pCO2 < 42 mmHg/< 5,33 kPa). Globalinsuffizienz (Tab. 4.4) • Hypoxämie (pO2 < 60 mmHg/< 8,0 kPa) bei gleichzeitiger • Hyperkapnie (pCO2 > 45 mmHg/> 6,0 kPa). Ursachen (pathophysiologische, mechanistische Einteilung) • Globale alveoläre Hypoventilation (macht immer eine Globalinsuffizienz), • Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörung (bis hin zum intrapulmonalen Rechts-links-Shunt), • Diffusionsstörung.
Varianten der respiratorischen Globalinsuffizienz.
Art
PaO2 PaCO2
pH BE
StBic
Bemerkung
Globalinsuffizienz mit akuter respiratorischer Azidose
fl
›
fl
n–fl
n–fl
stets Ausdruck einer akut aufgetretenen, schweren Ateminsuffizienz; erfordert unverzglich intensivmedizinische Notfallmaßnahmen!
Globalinsuffizienz mit chronischer kompensierter respiratorischer Azidose
fl
›
n
››
››
bereits seit lngerer Zeit vorbestehende respiratorische Insuffizienz mit renaler Kompensation der respiratorischen Azidose; keine dringlichen therapeutischen Maßnahmen zur Beseitigung der respiratorischen Insuffizienz erforderlich; optimale Behandlung der Grundkrankheit angezeigt
Globalinsuffizienz mit akut dekompensierter chronischer respiratorischer Azidose
fl
›
fl
›
›
akute Zunahme einer bereits seit lngerem bestehenden Ateminsuffizienz; je nach Ausmaß von Hyperkapnie und Hypoxmie sind intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen erforderlich
PaO2: arterieller Sauerstoffpartialdruck; PaCO2: arterieller Kohlendioxidpartialdruck BE: Basenexzess; StBic: Standardbikarbonat
Respiratorische Insuffizienz Die Partialinsuffizienz kommt vorwiegend durch Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörungen oder Diffusionsstörungen zustande, die Globalinsuffizienz durch sehr schwere Verteilungsstörungen oder eine alveoläre Hypoventilation.
Pathophysiologie und Differenzialdiagnose Globale alveoläre Hypoventilation. Insgesamt verminderte alveoläre Belüftung mit Abnahme der alveolären Konzentration an O2 und Zunahme an CO2. Entsprechend veränderte arterielle Blutgase mit Hypoxämie und Hyperkapnie (Globalinsuffizienz). Durch Sauerstoffgabe kann zwar die Hypoxämie gebessert werden, hingegen besteht die Gefahr eines hyperkapnischen Komas, falls zuvor der Hypoxiereiz relevant zum Atemantrieb beigetragen hat (chronische Störungen). Ursachen der alveolären Hypoventilation sind: • Verminderte Ventilation – Zentralnervöse Erkrankungen mit funktionell beeinträchtigtem Atemzentrum: Schlafmittelintoxikation, tiefe Narkose, Hirnödem, intrazerebrale Drucksteigerung, globale Kreislaufstörungen (etablierter Schock, Herz-KreislaufStillstand), schwere metabolische Alkalose, primäre alveoläre Hypoventilation (PickwickSyndrom). Oftmals reichen übliche Dosen zentral wirkender Schmerzmittel und Sedativa aus, wenn das respiratorische Systemvorbelastet ist. – Neuromuskuläre Erkrankungen mit Schwächung der Atemmuskulatur: Poliomyelitis, Polyradikulitis (Guillain-Barré), Tetanus, Myasthenia gravis, amyotrophe Lateralsklerose, Intoxikation mit Cholinesterasehemmern (Alkylphosphate), chronische Überlastung oder partieller Ausfall der Atemmuskulatur (z. B. bilaterale Zwerchfellparese, schwere Kyphoskoliose). • Schwerste Verteilungsstörung im Dekompensationsstadium – Bronchopulmonale Erkrankungen mit erhöhter Atemarbeit und Verteilungsstörung: schwere, akute und chronische obstruktive Atemwegserkrankungen: Status asthmaticus, Bronchiolitis, COPD-Exazerbation; ferner akute und chronische restriktive Erkrankungen: Spannungspneumothorax, Rippenserienfrakturen, ausgedehnte Pneumonien, schweres alveoläres und interstitielles Lungenödem, ARDS (Schocklunge), fortgeschrittene Lungenfibrose.
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Verteilungsstörung. Inadäquate Abstimmung von Ventilation und Perfusion. Minderbelüftete Alveolarregionen mit erhaltener Perfusion führen zu ungenügender Arterialisation des Blutes, zu einer partiellen venösen Beimischung mit arterieller Hypoxämie. Durch kompensatorische Hyperventilation intakter Alveolargebiete bleibt der arterielle CO2-Partialdruck normal oder erniedrigt (Partialinsuffizienz). Durch O2-Gabe kann die Hypoxämie vollständig korrigiert werden. Ursachen von Verteilungsstörungen sind: • Asthma bronchiale, Bronchiolitis, akute und chronische Bronchitis/COPD, Lungenemphysem, ARDS (Schocklunge), Lungenembolie, pulmonale Vaskulitiden etc. Intrapulmonaler Rechts-links-Shunt. Gewisse Anteile der Lungenstrombahn stehen nicht mit Alveolarluft in Kontakt (eine Extremform der Verteilungsstörung). Dadurch entsteht eine totale venöse Beimischung aus diesen Bezirken und konsekutiv eine arterielle Hypoxämie. Der arterielle CO2-Partialdruck bleibt dank reaktiver Hyperventilation im Bereich intakter Alveolen normal (Partialinsuffizienz). Durch O2-Gabe wird die Hypoxämie nicht oder nur unwesentlich beeinflusst. Ursachen für einen intrapulmonalen Rechtslinks-Shunt sind: • Atelektasen, Pneumonien, Bronchusverschluss (Tumor, Aspiration), alveoläres Lungenödem, pulmonale arteriovenöse Anastomosen bei akuter Rechtsherzüberlastung (z. B. Lungenembolie, Schocklunge). Diffusionsstörung. Behinderung des pulmonalen Gasaustauschs an der alveolokapillären Membran (sog. alveolokapillärer Block) durch Verdickung der diffusiblen Membran (interstitielle Lungenerkrankungen) oder Abnahme der alveolären Gefäßoberfläche mit konsekutiv verkürzter Kontaktzeit des Kapillarbluts mit der Alveolarluft (pulmonale Hypertonie, Rarefizierung der Lungenkapillaren z. B. bei Emphysem). Dadurch entsteht ein pathologisch erhöhter O2-Druckgradient zwischen Alveolarluft und Lungenkapillarblut mit ungenügender Arterialisation und arterieller Hypoxämie. Das Diffusionsvermögen von CO2 ist um ein Vielfaches größer als dasjenige von O2, so dass auch bei schweren Diffusionsstörungen keine Hyperkapnie auftritt (Partialinsuffizienz). Durch O2-Gabe wird die Hypoxämie beseitigt. Ursachen für Diffusionsstörungen sind: • Interstitielles Lungenödem (Inhalationsintoxikation mit Phosgen, HCl, Viruspneumonien, Linksherzinsuffizienz), akute fibrosierende Alveolitis (idiopathisch, Paraquatvergiftung, Zytostatika-
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4
Pneumologische Notfallsituationen
schaden), ARDS (Schocklunge), akute und chronische Vaskulitis (Goodpasture-Syndrom, mikroskopische Polyarteriitis), Pneumokoniosen, pulmonale Komplikationen bei AIDS (Pneumocystisjiroveci-Pneumonie, lymphozytäre Pneumonitis).
Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) Definition und Einteilung Akute sekundäre Lungenerkrankung mit respiratorischer Insuffizienz infolge eines diffusen Schadens an der alveolokapillären Membran mit Permeabilitätszunahme und eiweißreicher alveolärer und interstitieller Ödemflüssigkeit. Akuter Lungenschaden (acute lung injury) • Oxygenierungsstörung (PaO2/FiO2 £ 300, unabhängig vom PEEP!; PaO2 = arterielle Sauerstoffspannung in mmHg; FiO2 = inspiratorische O2-Fraktion [Zimmerluft = 0,21]), • bilaterale diffuse Infiltrate im a.–p. Röntgenbild, • pulmonalkapillärer Wedge-Druck £ 18 mmHg oder kein klinischer oder radiologischer Hinweis für erhöhten Druck im linken Vorhof. ARDS (acute respiratory distress syndrome, früher „Schocklunge“) • Obige Kriterien und • schwere Oxygenierungsstörung (PaO2/FiO2 £ 200, unabhängig vom PEEP).
Pathophysiologie Schädigung der alveolokapillären Membran mit Erhöhung der Permeabilität und Ausbildung eines interstitiellen und v. a. alveolären Lungenödems mit eiweißreicher Flüssigkeit (exsudative Phase), dadurch Verdünnung und Funktionsbeeinträchtigung des Surfactants. Ausbildung von hyalinen Membranen, interstitielle Ansammlung von neutrophilen Granulozyten. Über eine proliferative Phase mit Organisation des alveolären und interstitiellen Exsudats Übergang in eine fibrotische Phase mit Umbau der pulmonalen Gefäßstruktur mit Wandverdickungen und Reduktion des Gefäßbetts, oft auch Mikrothromben. Restitutio ad integrum ist möglich, oft aber mit fibrotischen Residuen.
Auswirkungen. Bereits in der exsudativen Phase finden sich eine ausgeprägte Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörung, eine erhöhte Shuntfraktion, eine Abnahme der Lungen-Compliance und damit eine respiratorische Partial- oder Globalinsuffizienz. Es kommt zu einer schweren Diffusions- und Verteilungsstörung durch die alveoläre Flüssigkeit. Progrediente Restriktion und Compliance-Abnahme im Verlauf. Konsekutiver Anstieg des pulmonal-arteriellen Druckes, Rechtsherzbelastung. Hohe Letalität durch Grunderkrankung, Sepsis oder Multiorganversagen. Prädisponierende oder auslösende Faktoren. Direkte oder indirekte Schädigung der alveolokapillären Membran, z. B. Magensäureaspiration, Inhalationsschaden, schwere Pneumonie, bakterielle Sepsis, Strahlenschaden, medikamentös-toxische Membranschädigung (Chemotherapien), Pankreatitis, Verbrennungen, schweres Trauma, Kreislaufschock, Fettembolie-Syndrom.
Typische Krankheitszeichen Charakteristische Trias • Akute, rasch progrediente Dyspnoe, • disseminierte interstitielle und alveoläre Lungenveränderung (radiologisch), • progrediente respiratorische Insuffizienz.
Differenzialdiagnose
• • •
Kardiogenes Lungenödem, Hypervolämie, diffuse Alveolarblutung bei Vaskulitis.
Notfallanamnese
•
Vorausgegangenes Ereignis wie Trauma, großer operativer Eingriff, Kreislaufstörung mit Schocksymptomatik? Transfusionen? • Persistierende schwere Erkrankung wie Sepsis, Pankreatitis, schwere Pneumonie? Das ARDS wird meist erst 24 – 72 h nach dem auslösenden Ereignis manifest! Dann ist der Schockzustand oft schon behoben.
Respiratorische Insuffizienz
Bronchoskopie und BAL oder Pleurasonografie. Evtl. zur Infektabklärung (BAL) bzw. zum Ausschluss eines bilateralen Pleuraergusses bei beidseitig weißer Lunge.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Tachypnoe, oberflächliche Atmung, kalter Schweiß, diskreter bis fehlender Auskultationsbefund (evtl. Knisterrasseln), Tachykardie, Hypotension möglich.
Diagnostik Röntgen-Thorax. Diffuse, bilaterale alveoläre und interstitielle Verschattung, typischerweise ohne Kardiomegalie und ohne Zeichen der Vergrößerung des linken Vorhofs. Arterielle Blutgasanalyse. Berechnung des Quotienten PaO2/FiO2. Labor. Blutbild, Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, CRP, BNP (ein normaler Wert schließt die Linksherzinsuffizienz als Ursache des ARDS-Bildes aus), Gerinnungsstatus, Fibrinspaltprodukte, Blutkulturen. Echokardiografie. Ausschluss einer linkskardialen Funktionsstörung, die ein Lungenödem erklären könnte. Pulmonaliskatheter (Swan-Ganz). In Ausnahmefällen zur Dokumentation eines normalen WedgeDruckes, Therapiesteuerung und Verlaufsbeurteilung.
Tabelle 4.5
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Therapie (globale respiratorische Insuffizienz oder ARDS) Nach wie vor ist keine kausale Therapie des ARDS möglich. Supportive Maßnahmen und Behandlung der Grundkrankheit stehen im Vordergrund. Primäres Ziel ist die Korrektur der Hypoxämie.
Notfallmanagement Korrektur der Hypoxämie • O2-Zufuhr per Nasensonde, bis Sättigung über 90% liegt (Pulsoxymeter) bzw. 2 – 4 l/min, maximal 6 l/min. Kontrolle der arteriellen Blutgase nach 20 – 30 min (EG-C). • Bei ungenügendem Effekt: O2-Zufuhr per Maske, 8 – 12 l/min, beachte ausreichende Befeuchtung der Inspirationsluft. • O2-Zufuhr unter Spontanatmung mit kontinuierlichem Überdruck in den Atemwegen (CPAP) mittels dicht sitzender Gesichtsmaske oder Nasenmaske, wodurch eine bessere Oxygenation mit niedrigerem inspiratorischem O2-Partialdruck möglich ist (EG-C).
Initiale Respiratoreinstellung bei akuter respiratorischer Insuffizienz (ARI).
Parameter
Hypoxämische ARI
Hyperkapnische ARI Typ Guillain-Barré
Hyperkapnische ARI Typ schwere Obstruktion
Modus
CMV (evtl. PCV)
CMV (evtl. PSV)
CMV (evtl. PSV/PCV)
Atemzugvolumen
6 – 8 ml/kg
12 – 15 ml/kg
so hoch wie mçglich Start mit 500 ml korrigieren bis Druck < 40 cmH2O
Atemfrequenz
12 – 16/min
6 – 8/min
20/min
Peak Flow
35 – 40 l/min
60 l/min
60 l/min
Limits fr maximalen inspiratorischen Druck
35 cmH2O
35 cmH2O
40 cmH2O
Maximaler Plateau-Druck
30 cmH2O
30 cmH2O
30 cmH2O
CMV: Controlled Mandatory Ventilation PSV: Pressure Support Ventilation PCV: Pressure Controlled Ventilation
120
•
4
Pneumologische Notfallsituationen
Evtl. Maskenbeatmung (mit Gesichts- oder Nasenmaske): CPAP mit zusätzlicher inspiratorischer Druckunterstützung (EG-C). • Intubation und maschinelle Beatmung zur Beseitigung der Hypoxämie (Tab. 4.5) indiziert (EG-C): – bei unbefriedigender Oxygenierung mit Sauerstoffmaske (pO2 < 50 mmHg [6,7 kPa]), – bei progredienter Atemdepression und Hyperkapnie trotz vorsichtiger und kontrollierter O2-Therapie, – bei übermäßiger und subjektiv unerträglicher Atemarbeit mit atemmotorischer Erschöpfung, – falls eine entscheidende Verbesserung des Grundleidens durch die Überdruckbeatmung zu erwarten ist (z. B. bei Bewusstseinsstörung mit Expektorationsschwäche und Sekretretention, rezidivierenden Atelektasen, refraktärem Lungenödem, etabliertem Kreislaufschock, ARDS). Hyperkapnie bei akuter respiratorischer Globalinsuffizienz mit Azidose • Intubation und kontrollierte mechanische Beatmung: – bei rasch progredienter Hyperkapnie mit zunehmender Bewusstseinseintrübung, – bei übermäßiger und subjektiv unerträglicher Atemarbeit mit atemmotorischer Erschöpfung, – falls eine entscheidende Verbesserung des Grundleidens durch die Intubation und Überdruckbeatmung zu erwarten ist (Sekretretention, Atelektasen). • Ausnahmen: – unmittelbare Besserung der respiratorischen Insuffizienz durch andere Maßnahmen möglich (Fremdkörperentfernung, Drainage eines Spannungspneumothorax, Kreislaufstillstand wegen elektrokonvertierbarer Herzrhythmusstörung etc.), – Vorliegen einer vollständig irreversiblen Funktionsstörung der Atmungsorgane, die eine spätere Rehabilitierung der Spontanatmung mit größter Wahrscheinlichkeit ausschließt (Vorsicht bei der Beurteilung, solange Situation nicht umfassend geklärt ist!). • Intermittierende, nichtinvasive mechanische Beatmung über eine Gesichts- oder Nasenmaske mit CPAP und inspiratorischer Druckunterstützung: – kann über eine kritische Phase hinweghelfen und langfristig eine Intubation unnötig machen (EG-A), – setzt Erfahrung, auch auf Seiten des Pflegepersonals voraus, zeitaufwendig, Überwachung vorwiegend durch klinische Beobachtung!
Hyperkapnie bei chronischer respiratorischer Globalinsuffizienz mit kompensierter Azidose Keine Notfallsituation. Durch effiziente Behandlung des Grundleidens sind allmählich eine Verbesserung der alveolären Ventilation und ein Rückgang der respiratorischen Azidose zu erwarten. Intubation und Beatmung oder medikamentöse Atemstimulation sind inadäquate Maßnahmen und verursachen lediglich unerwünschte Komplikationen! Immer ist auch an das Vorliegen einer chronischen alveolären Hypoventilation zu denken, die durch langfristige nächtliche (Heim-)Ventilation über eine Nasenmaske günstig beeinflusst werden könnte (chronische Atemregulationsstörungen, chronische Atemmuskelkrankheiten).
Besondere Merkpunkte
• •
Atemfrequenz und arterielle Blutgasanalyse sind einfache und wichtige Parameter zur Verlaufsbeurteilung bei ARDS. Bei akut dekompensierter, chronischer globalrespiratorischer Insuffizienz wird die Spontanatmung partiell über den Hypoxiereiz stimuliert. Bei Sauerstoffgabe unter Spontanatmung besteht die Gefahr eines abnehmenden Atemantriebes mit weiterer Zunahme der respiratorischen Azidose. Deshalb vorsichtige Sauerstoffzufuhr in geringen Dosen (1 l/min), die gerade zur Beseitigung der lebensbedrohlichen Hypoxie ausreicht, aber keine volle Oxygenierung bewirkt (pO2 um 50 – 60 mmHg [6,7 – 8,0 kPa], Sättigung 90 %). Patienten beobachten, ABGA bzgl. pH/pCO2 kontrollieren!
Maschinelle Beatmung Ziel. Sicherung der Oxygenierung, weitgehende Übernahme der Atemarbeit durch den Ventilator. Indikation. Prinzipiell ist zu entscheiden, ob eine nichtinvasive Beatmung (über eine Nasen- oder Gesichtsmaske appliziert) ausreicht (bei wahrscheinlich rasch reversibler akuter respiratorischer Insuffizienz, z. B. Status asthmaticus, exazerbierte COPD oder Lungenödem) oder ob eine tracheale Intubation notwendig ist (voraussichtlich länger dauernde Beatmung, Guillain-Barré-Syndrom, Aspirationsgefahr, schwere Sepsis bei Pneumonie). Nichtinvasive Beatmung. Die nichtinvasive Beatmung erfolgt mit einer Grundeinstellung von 5 cmH2O CPAP oder PEEP und zusätzlicher inspirato-
Respiratorische Insuffizienz rischer Druckunterstützung von 5 – 10 cmH2O. Klinische Verlaufsbeobachtung! • Vorteil: intermittierende Beatmung möglich, erlaubt bessere Kommunikation mit dem Patienten, hilft Intubation zu vermeiden (EG-A). • Kontraindikationen: Aspirationsgefahr, Bewusstseinseintrübung. Intubation. Falls eine Intubation vorgenommen wird, initiale Beatmung mit CMV (controlled mechanical ventilation) (Tab. 4.5); es sollte eine totale Atemunterstützung (vollständige Übernahme der Atemarbeit durch das Beatmungsgerät) angestrebt werden. Beim wachen Patienten mit nicht sehr hohem Sauerstoffbedarf (FiO2 < 0,6) evtl. PCV (pressure controlled ventilation).
tion, bei denen die Hypoxämie durch Sauerstoffgabe relativ leicht korrigierbar ist. Ähnliche Verhältnisse bestehen z. B. bei schwerer obstruktiver Ventilationsstörung (Status asthmaticus, exazerbierte COPD). Ziel. Genügende Oxygenierung. Bei schwerer Obstruktion mit Überschreiten der oberen Drucklimite bei Beatmung kann eine CO2-Erhöhung im arteriellen Blut toleriert werden (permissive Hypoventilation). Eine Korrektur des PaCO2 wird hier nur sehr langsam angestrebt.
Praktisches Vorgehen
•
Strategien Klinisch lassen sich 2 Haupttypen der globalen respiratorischen Insuffizienz unterscheiden, deren Beatmungsstrategien unterschiedlich sind: Hypoxämische akute respiratorische Insuffizienz. Bei Pneumonien, Lungenödem und ARDS steht die Hypoxämie im Vordergrund, die auf eine schwerste Verteilungsstörung mit hoher Shuntfraktion und Totraumventilation zurückzuführen ist und durch Sauerstoffgabe nur schlecht zu korrigieren ist. Ein Anstieg des PaCO2 ist als sicheres Indiz für eine Intubationsnotwendigkeit anzusehen. Hyperkapnische akute respiratorische Insuffizienz. Bei Guillain-Barré-Syndrom und anderen Krankheiten mit globaler alveolärer Hypoventila-
Tabelle 4.6
121
•
• • •
Initial FiO2 von 1,0 wählen, Reduktion unter Kontrolle der pulsoxymetrisch bestimmten Sättigung alle 15 min, solange die Sauerstoffsättigung über 92 % bleibt. Erste arterielle Blutgasanalyse, wenn nach Reduktion des FiO2 eine Sättigung von 92% erreicht ist oder spätestens nach 1 h. PEEP initial 5 cmH2O, bei hypoxämischer akuter respiratorischer Insuffizienz je nach Oxygenierung und Kreislaufverhalten steigern. Bei schwerer Obstruktion PEEP 5 cmH2O oder maximal 80% des gemessenen Auto-PEEP. Atemzugsvolumen (Tidal-Volume) < 6 ml/kg Idealgewicht, Plateau-Druck < 30 cmH2O. Falls das obere Drucklimit überschritten wird, Reduktion des Atemzugvolumens um 50 ml, Atemfrequenz entsprechend erhöhen, damit Atemminutenvolumen konstant bleibt. Überwachung: pulsoxymetrische Sättigung, ABGA.
Vorgehen bei hohem Inspirationsdruck (konstant ber 35 cmH2O).
Ursache
Diagnostik
Maßnahmen
Intubation des rechten Hauptbronchus
Thoraxrçntgenbild, Bronchoskopie
Korrektur der Tubuslage
Pneumothorax
Klinik, Thoraxrçntgenbild
Drainage
Atelektase
Klinik, Thoraxrçntgenbild
bronchoskopisches Absaugen
Ungengende Sedation
Klinik
Sedation verstrken, evtl. Relaxation erwgen
Persistierender Bronchospasmus
Klinik (Cave! „silent chest“!)
Inhalation von b2-Agonisten, falls kein Effekt Adrenalin 0,3 mg s. c., evtl. Ketamin 25 – 50 mg i. v.
Massives Lungençdem
Klinik: blutig-schaumige Flssigkeit im Tubus, Thoraxrçntgenbild
PEEP erhçhen bis 12 cmH2O, Nitroglycerin-Infusion, Furosemid i. v. (s. S. 64)
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4
Pneumologische Notfallsituationen
Probleme und Komplikationen bei Beatmungsbeginn • Unmittelbar nach Einleitung der Beatmung oft Blutdruckabfall: meist Hypovolämie und Verminderung des Preload, deshalb bei kritischem Kreislauf schon vor der Intubation Volumengabe beginnen (mindestens 500 ml NaCl 0,9% i. v.). • Urinproduktion beachten: Beatmung senkt die glomeruläre Filtration, daher Volumengabe erwägen. • Bei Patienten mit Hirndruck möglichst tiefen Atemwegsmitteldruck anstreben. Mini-PEEP von maximal 3 – 5 cmH2O anstreben. Kopf oder Oberkörper hoch lagern. • Vorgehen bei hohem Inspirationsdruck: Tab. 4.6.
Besondere Merkpunkte Fehlerquellen bei Pulsoxymetrie: Nagellack (bei Verwendung von Fingerproben entfernen!), Carboxyhämoglobin, Methämoglobin, starke Hautpigmentierung.
4.8
Pneumothorax M. Sol r
Definition und Einteilung
•
• •
Spontanpneumothorax: – idiopathisch, – symptomatisch: bei zugrunde liegender Lungenkrankheit (Emphysem, Fibrose, unter Beatmung u. a.). Iatrogener Pneumothorax. Traumatischer Pneumothorax: – geschlossen, – offen.
Pathophysiologie Spontanpneumothorax. Ruptur der Pleura visceralis über einer kleinen Bulla, evtl. nach Eintritt von Luft aus dem bronchoalveolären Raum ins Lungeninterstitium. Begünstigt durch Rauchen und Lungenkrankheiten wie Asthma, COPD/Emphysem oder Lungenfibrosen.
Geschlossener traumatischer Pneumothorax. Verletzung der Lunge durch Rippenfraktur, u. a. nach Herzmassage, stumpfem Thoraxtrauma. Iatrogener Pneumothorax. Verletzung der Pleura visceralis durch Punktion, z. B. Subclavia-KatheterEinlage (geschieht oft schon mit der Lokalanästhesienadel). Spannungspneumothorax. Überdruck im Pleuraraum durch ventilartigen Mechanismus an der bronchopleuralen Verbindung, der bei inspiratorischem Unterdruck im Pleuraraum Luft einfließen lässt, sie aber bei Exspiration und Druckerhöhung im Pleuraraum nicht entweichen lässt. Der betroffene Pleuraraum „pumpt sich auf“. Verlagerung des Mediastinums nach der Gegenseite, Kompression der Lunge, Kompression der großen Venen, Behinderung des venösen Rückstroms, lebensbedrohliche Situation durch Kreislaufkollaps und Ateminsuffizienz.
Typische Krankheitszeichen
• • • • •
Meist akuter Beginn mit stechendem, atemabhängigem Thoraxschmerz (90%) und Atembehinderung wechselnden Ausmaßes, in 25 % im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung (Heben schwerer Lasten, Husten, Niesen), in ca. 10% pleuraler Reizhusten, selten: Hämoptoe, kurz dauernde Synkope, bei Spannungspneumothorax: Zyanose, venöse Einflussstauung und Schocksymptomatik.
Differenzialdiagnose Ähnliche Angaben – insbesondere das plötzliche Auftreten von Brustschmerz und Atemnot im Anschluss an körperliche Belastung – finden sich auch bei: • Myokardinfarkt, • Lungenembolie, • dissezierendem Aortenaneurysma.
Notfallanamnese
• • • •
Verletzungen (Unfall, stumpfes Thoraxtrauma, Punktionen)? Körperliche Anstrengungen? Hustenanfall? Raucheranamnese? Frühere Ereignisse (wiederholtes Auftreten in > 25%, selten auch beidseitige simultane oder konsekutive Pneumothoraces).
Pneumothorax
Abb. 4.5
Notfalluntersuchung Klinik Perkussion. Auf der betroffenen Seite Klopfschall hypersonor bis tympanitisch. Auskultation. Atemgeräusch abgeschwächt bis aufgehoben (beim im Bett liegenden Patienten vergleichende Auskultation infraklavikulär beidseits). Bei kleinem Pneumothorax evtl. pleurales Reibegeräusch. Pleuroperikardiales Reiben über dem Herzen bei linksseitigem Pneumothorax (Hamman-Zeichen).
123
Pneumothorax links.
CT Thorax. Ohne Kontrastmittel (EG-C). Bei unklarem Befund im Röntgen-Thorax. Arterielle Blutgasanalyse. Zur Beurteilung der respiratorischen Situation, bei Spannungspneumothorax oder zugrunde liegender Lungenerkrankung.
Therapie Notfallmanagement
Diagnostik
Kleiner Pneumothorax (lateral < 2 cm, apikal < 5 cm) und Patient asymptomatisch • ambulante Beobachtung möglich; falls stationär 4 – 6 l/min O2 per Nasenbrille oder Nasensonde (EG-B).
Röntgen-Thorax p.–a. Wie üblich in Inspiration, keine Exspirationsaufnahmen (EG-B)! Betrachtung der retrahierten Lunge zur Beurteilung von Lokalisation und Ausdehnung des Pneumothorax (Abb. 4.5). Pleuraverwachsungen beachten (DD Bullae bei fortgeschrittenem Emphysem). Bei Spannungspneumothorax Verschiebung des Mediastinums nach der Gegenseite, Zwerchfelltiefstand, breite Interkostalräume.
Patient symptomatisch und/oder großer Pneumothorax • einmalige Luftaspiration oder Einlage eines Pleuradrains (Technik s. S. 618) erforderlich = Standardtherapie: • Klinikeinweisung, O2 4 – 6 l/min per Nasenbrille oder Nasensonde. • A: Bei idiopathischem oder iatrogenem Spontanpneumothorax mit geringer Symptomatik:
124
Pneumologische Notfallsituationen
•
zum Sog
4
vom Patienten
offen
Eintauchtiefe = Sog im System
• Sogregulierung
Luftflasche
Sekretflasche
Abb. 4.6 Pleurasaugdrainage. Schematische Darstellung der Pleurasaugdrainage mit Sekretflasche (zum Auffangen der pleuralen Flssigkeit) und Luftflasche (zur Kontrolle des Luftaustrittes aus dem Pleuraraum). Das System wird an ein regulierbares Vakuumsystem angeschlossen.
•
•
– Pleurapunktion und Aspiration der Pneumothoraxluft (2. ICR, Medioklavikularlinie), anschließend Röntgenkontrolle (maximal 2,5 l Luft aspirieren, falls danach weiterhin Luft aspiriert werden kann: weiter wie B), – klinische Beobachtung über 12 – 24 h, dann erneut Röntgenbild; falls stabil: ambulante Weiterbetreuung. B: Bei Pneumothorax mit zugrunde liegender Lungenkrankheit, traumatischem Pneumothorax oder nach erfolgloser Punktion und Aspiration: – Einlage eines Pleuradrains (Argyle-Trokar-Besteck Charrière 16 – 24) unter sterilen Kautelen, – anschließend Saugdrainage (Sog aufbauen, um 5 cmH2O alle 15 – 30 min, bis – 30 cmH2O) über ein Wasserschloss (modifizierte Bülau-Saugdrainage) (Abb. 4.6) (EG-C), – dünne Katheter vermeiden, da sie zu Verstopfung oder Abknickung neigen und bei größerem Leck in der Pleura visceralis zu wenig Luft fördern können (EG-D). C: Bei Spannungspneumothorax und respiratorischer Insuffizienz: – Entlastungspunktion mit dickkalibriger Nadel (kurzer Venenkatheter) als Soforttherapie (Technik S. 618) (EG-D).
Weitere Maßnahmen
•
•
Bei konservativer Therapie: ambulante Röntgenkontrolle nach 1 – 2 Tagen.
•
• •
Bei Drainage: Röntgenkontrolle nach 3 – 12 h (Lunge ausgedehnt? Lage des Drains?). Prozedere: Dauersog und regelmäßige Kontrollen mit Dokumentation bezüglich weiterem Luftaustritt. Falls über 12 h keine Luft austritt und die Lunge ausgedehnt ist, Abklemmversuch, zunächst für 30 min; Probesog, dann abklemmen für 6 h; Probesog. Falls beim Probesog keine Luft austritt, kann die Drainage entfernt werden. Kontrollröntgenbild nach weiteren mindestens 6 h, danach Entlassung (EG-D). Körperliche Aktivitäten: Körperliche Anstrengungen anschließend während 2 – 3 Wochen vermeiden, Sport erst ab 6 – 8 Wochen nach dem Ereignis (EG-D). Lebenslanges Tauchverbot nach idiopathischem Spontanpneumothorax, außer nach Pleurodese (EG-C)! Rezidivgefahr: Rezidivrate nach Erstereignis ca. 25 %, nach zweitem Ereignis etwa 50%! Bei einem Rezidivpneumothorax sollte deshalb eine Pleurektomie oder Pleurodese angestrebt werden. Thorakoskopische Talkpleurodese oder chirurgische (videothorakoskopische) parietale Pleurektomie (EG-C). Berufliches Risiko: Bei speziellen beruflichen Risiken (Piloten, Taucher, Entwicklungshelfer) Pleurodese bereits beim ersten Ereignis erwägen. Persistierendes Luftleck: Nach 2 – 3 Tagen thorakoskopische Talkpleurodese oder videothorakoskopische Pleurektomie einleiten (EG-C).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei ambulanter Betreuung: klinische und radiologische Nachkontrollen, bis vollständige Entfaltung der Lungen dokumentiert ist. Flugverbot, solange der Pneumothorax nicht vollständig resorbiert ist!
Besondere Merkpunkte
•
• •
Entfaltungsödem: Bei bereits längere Zeit bestehendem ausgedehntem Pneumothorax darf die Lunge nur langsam und unter leichtem Sog entfaltet werden (Gefahr des Entfaltungs- oder Reperfusionslungenödems!). Bronchoskopie: Gelegentlich verhindern bronchiale Sekretpfröpfe das Entfalten einer länger vorliegenden kollabierten Lunge. Hier ist eine Bronchoskopie indiziert. Pneumothorax am beatmeten Patienten: Es sind nur dicke Drains sinnvoll, da oft große Lecks bestehen. Einlage möglichst stumpf, um Lungenperforation zu vermeiden.
125
5 Gastroenterologie
Übersicht 5 5.1 5.2 5.3
5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9
Gastroenterologie Akute Dysphagie Akutes Abdomen Spezielle Formen des akuten Abdomens – Gallenkolik, Cholezystitis und Cholangitis – Akute Pankreatitis – Mesenterialinfarkt – Ileus – Perforation – Toxisches Megakolon Akute Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt Akute Blutung aus dem unteren Gastrointestinaltrakt Proktologische Notfälle Hepatische Enzephalopathie und Leberkoma Spontane bakterielle Peritonitis Akute Porphyrien (akut intermittierende Porphyrie, hereditäre Koproporphyrie, Porphyria variegata)
Entsprechend der Lokalisation unterscheidet man zwei Formen: • Oropharyngeale Dysphagie: Behinderung des Nahrungstransportes vom Oropharynx in die Speiseröhre. • Ösophageale Dysphagie: Behinderung der Passage durch die Speiseröhre.
Pathophysiologie Die akute Dysphagie entsteht bei vorbestehender organischer Stenose der Speiseröhre (z. B. Tumoren, entzündliche Stenosen) oder bei Motilitätsstörungen. Die kritische Einengung des Lumens, welche Dysphagiesymptome auslöst, beträgt etwa 12 mm. Eine häufige Ursache einer akuten Dysphagie bei älteren Patienten ist ein Nahrungsbolus bei ungenügendem Kauen, auch bei anatomisch normalem Ösophagus. In der Regel sind aber Motilitätsstörungen nachweisbar. Bei Kindern sind auch verschluckte Fremdkörper Ursache für eine akute Dysphagie.
Typische Krankheitszeichen
5.1
Akute Dysphagie C. Beglinger, L. Degen
Definition und Einteilung Unter Dysphagie versteht man primär eine schmerzlose Behinderung des Schluckaktes, doch wird der Begriff häufig für alle Schluckstörungen verwendet. Die akute Dysphagie entspricht der plötzlichen Behinderung des Schluckens, wobei bei vollständigem Verschluss des Speiseröhrenlumens weder Nahrung und Flüssigkeit noch Speichel geschluckt werden können.
Dysphagie ist ein Symptom: feste Nahrung und/oder Flüssigkeit oder Speichel kann nicht oder nur erschwert vom Oropharynx in den Magen transportiert werden. Die Dysphagie kann plötzlich ohne Vorgeschichte oder aber langsam progredient auftreten, indem zuerst nur feste Speisen (Fleisch, Brot), später auch weiche Speisen und zuletzt Flüssigkeit nicht mehr geschluckt werden können.
Notfallanamnese Bei Schluckstörungen erlaubt eine genaue Anamnese in vielen Fällen eine Verdachtsdiagnose (Tab. 5.1). • Begleitsymptome: Vorbestehende Dysphagie? Refluxsymptome? Schmerzhaftes Schlucken (Ody-
126 Tabelle 5.1
Gastroenterologie
Formen und Pathophysiologie der Dysphagie.
Form
Ursache
Begleitsymptome
Oropharyngeale Dysphagie
neuromuskulär • zerebrovaskulrer Insult • Myasthenie obstruktiv • Tumor • Entzndung • Traumen • großes Zenker-Divertikel
nasale Regurgitation tracheale Aspiration Husten Pneumonie
neuromuskulär
Odynophagie3 Thoraxschmerz Regurgitation tracheale Aspiration Gewichtsverlust
5
sophageale Dysphagie
• Achalasie • diffuse Spasmen • Sklerodermie obstruktiv
• Tumor • Entzndung • Schatzki-Ring1 • Fremdkçrper2 1 2 3
• • •
ringfçrmige Einschnrung am gastroçsophagealen bergang wichtigste Ursache der akuten Dysphagie schmerzhaftes Schlucken
nophagie), Dauerschmerz (Malignom)? Gewichtsverlust? Erbrechen? Blutungen? Husten (Aspiration, Fistel)? Heiserkeit (Rekurrensparese)? Wann ist die Dysphagie aufgetreten: Beim Essen? Beim Spielen? Schleichend? Wie lange besteht die Dysphagie? Welche Nahrungsformen sind betroffen: Probleme bei fester und flüssiger Nahrung?
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Initial werden Mundhöhle und Pharynx nach Fremdkörpern, Tumoren oder Pharyngitis abgesucht.
Diagnostik Laryngoskopie. Durch den HNO-Spezialisten ist empfehlenswert. Röntgen. Bei unauffälligem Laryngoskopiebefund ist bei Verdacht auf oropharyngeale Dysphagie als nächste Untersuchung eine Röntgenpassage mit wasserlöslichem Kontrastmittel zu empfehlen. Nach Möglichkeit soll der radiologische Befund
durch eine Videoaufzeichnung dokumentiert werden. Endoskopie. Bei Verdacht auf ösophageale Dysphagie ist die erste Untersuchung die Endoskopie. Die Endoskopie erlaubt eine genaue Diagnose, ermöglicht häufig gleichzeitig eine entsprechende Therapie. Bei eindeutigem Befund ist in der Regel keine weitere Diagnostik notwendig. Bei unklarem Befund werden spätere, elektive Untersuchungen (Manometrie, Cinematografie) empfohlen.
Therapie Die Therapie richtet sich nach dem Befund (Bolus, Tumor, Stenose bei Ösophagitis, Achalasie, ZenkerDivertikel).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Nach einer problemlosen Beseitigung einer Obstruktion durch einen Fremdkörper ist keine spezielle Überwachung erforderlich.
Akutes Abdomen
5.2
Kurzdefinition. Akute, heftige Bauchschmerzen (Hauptsymptom), häufig assoziiert mit: • Nausea, Erbrechen, • aufgetriebenem Abdomen, • evtl. Durchfall oder Verstopfung.
Akutes Abdomen C. Beglinger, L. Degen
Definition und Einteilung
Typische Krankheitszeichen
Der Begriff „akutes Abdomen“ bezeichnet plötzliche, akute, unklare, bedrohliche Bauchschmerzen. Die Schmerzen sind häufig mit einer Störung der Darmfunktion, in schweren Fällen mit Peritonismus und Schock verbunden. Kolikartige Schmerzen weisen auf eine Obstruktion hin. Die Kolik entspricht der Hyperperistaltik der glatten Muskulatur beim Versuch, Flüssigkeit gegen ein Hindernis (Obstruktion) vorwärts zu transportieren. Zwischen den kolikartigen Attacken geht der Schmerz zurück oder verschwindet sogar vollständig. Schmerzen, die durch entzündliche Prozesse ausgelöst werden (Appendizitis, Pankreatitis, Divertikulitis), sind in der Regel konstant; sie können bezüglich Intensität mit der Zeit zunehmen.
Tabelle 5.2
Leitsymptom Schmerz. Schmerzen sind das Leitsymptom des akuten Abdomens. Das Muster und die Lokalisation der Schmerzen sind wichtige anamnestische Angaben (Tab. 5.2 und Tab. 5.3). Es gibt vier auslösende Faktoren für abdominale Schmerzen: • Dehnung, • Entzündung, • Ischämie, • Neoplasien. Schmerzcharakter. Kolikartige Schmerzen weisen auf eine Obstruktion hin (Gallenstein, Nierenstein). Bei der akuten Pankreatitis ist der Schmerz zu Beginn von leichter bis mittlerer Intensität. Der Patient hat oft Mühe, den genauen Beginn zeitlich zu definieren. Bei einer Perforation eines Hohlorgans oder eines abdominalen Aortenaneurysmas ist der Schmerzbe-
Schmerzlokalisation und anatomisches Korrelat.
Epigastrium
Magen, Querkolon
Rechter oberer Quadrant
Leber, Gallenblase, Pylorus, Duodenum
Hypogastrium
Kolon, Nieren
Flanken
Nieren, Pankreas
Nabelregion
Appendix, Darm
Sakrum, Lendengegend
Rektum, Uterus
Rechte Schulter
Leber, Pneumothorax
Linke Schulter
Milz, sophagus, Herz, Pneumothorax
Tabelle 5.3 I
127
Muster von Schmerzattacken.
akuter Beginn (Sekunden)
• Perforation oder Ruptur eines Hohlorgans/Abszesses/ Hmatoms
• Infarkt (Darm, Herz, Lungenembolie) II
rascher Beginn (Minuten)
• Koliken (Gallenstein, Nierenstein) • Entzndungsprozesse • ischmische Prozesse
III
langsamer, stetiger Beginn (Stunden)
• Entzndungsprozesse • Obstruktion • Neoplasie
Gastroenterologie
128
Schmerztyp
Beispiele
Ulkusperforation Gallenblasenperforation
5
Perforation
Nierenkolik Ileus (mechanisch) Kolik
Appendizitis Pankreatitis Cholezystitis Entzündung
Abb. 5.1
Schmerztypen.
ginn so heftig und plötzlich, dass Patienten genaue Zeitangaben machen können (schematische Darstellung der Schmerztypen in Abb. 5.1). Schmerzen können spontan empfunden, durch die Untersuchung ausgelöst oder verstärkt werden und können mit Abwehrspannung verbunden sein. Peritonismus und Peritonitis. Beim Peritonismus findet man eine Druckdolenz und einen Klopfschmerz ohne Abwehrspannung. Der Schmerz wird durch eine lokale oder diffuse Reizung des Peritoneums verursacht. Bei der Peritonitis kommt eine Abwehrspannung hinzu sowie in der Regel Allgemeinsymptome (Fieber). Darmfunktion. Änderungen der Darmfunktion sind primär von der Erkrankung abhängig. Motilitätsstörungen (z. B. Erbrechen, Ileus) sind aber häufig.
Differenzialdiagnose Siehe S. 131 ff.
Notfallanamnese Schmerzen • Art der Schmerzen: kolikartig, kontinuierlich? • Zeitpunkt des Auftretens: akut, langsam? • Lokalisation: Oberbauch, Unterbauch, rechts, links?
•
Ausstrahlung: rechte Schulter, linke Schulter, in den Rücken, in die Flanken, in die Leisten, hinter das Brustbein? Begleitsymptome. Verschiedene sonstige Symptome sind bei akutem Abdomen gehäuft zu finden: • Erbrechen: gehäuft bei Erkrankungen der Gallenwege, des Pankreas, typisch für Ileus, – Miserere = fäkulentes Erbrechen, deutet in der Regel auf tief sitzenden Ileus, – Hämatemesis = Bluterbrechen. • Fieber: akute, entzündliche Prozesse (z. B. Appendizitis, Cholezystitis, Divertikulitis). • Schüttelfrost: Hinweis für Sepsis (z. B. Cholangitis, Harnwegsinfekt). • Stuhlentleerung: Wann war der letzte Stuhlgang (flüssig, blutig)? Wann war der letzte Windabgang (Windverhalten bei Ileus!)? • Blasenentleerung: Wann war die letzte Entleerung? Harnverhaltung? Anurie? • Letzte Menses: Extrauteringravidität? Begleiterkrankungen • Bekannte Herzkrankheit? Bekannte Lungenkrankheit? • Stoffwechselleiden (z. B. Diabetes mellitus, Porphyrie, s. S. 153)? • Nierenkrankheiten (z. B. Nierensteine, s. S. 170)? Frühere Operationen • Frühere abdominelle Eingriffe: welche, wo, wann?
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Der erste wichtige Schritt in der Untersuchung ist die Begutachtung der Körperhaltung und des Gesichtsausdruckes des Patienten. Wenn der Patient mit angezogenen Beinen ruhig im Bett liegt und Lageveränderungen möglichst vermeidet, kann dies ein Hinweis auf eine Peritonitis sein. Im Gegensatz dazu sind kolikartige Schmerzen oft mit einer motorischen Unruhe und ständigem Positionswechsel verbunden. Abdomen • Inspektion des Abdomens: lokalisierte oder generalisierte Distension des Abdomens? Vorwölbungen? Rötungen? Zeichen für aktive Lebererkrankung?
Akutes Abdomen
129
Abb. 5.2 Abdomenleeraufnahme im Stehen. Dilatation der Dnndarmschlingen und Bildung von Flssigkeitsspiegeln bei Dnndarmileus.
Abb. 5.3 Abdomenleeraufnahme im Stehen. Stark dilatiertes Kolon, Flssigkeitsspiegel im Colon descendens und transversum bei Dickdarmileus.
•
Diagnostik
Physikalische Untersuchung des Abdomens: – Peritonismus (Druck- und Klopfdolenz ohne Abwehrspannung) oder Peritonitis (Abwehrspannung)? – Art der Darmgeräusche (klingend, fehlend, normal)? – Hepato- und/oder Splenomegalie? Palpable Masse (Tumor) im Bauchraum? Flankendämpfung (Nierenerkrankung, Pankreatitis)? – Gefäßströmungsgeräusche (ischämische Prozesse, Gefäßverengung)? Periphere Pulse (vorhanden, fehlend, einseitig)? – Rektalbefund (Tumor)? Zusätzliche klinische Untersuchung • Herz (Rhythmus? Links-, Rechtsherzinsuffizienz?), Lunge (Pneumonie? Erguss? Pleuritis?). • Meningismus (vor allem bei Kindern mit Meningitis ist ein bretthartes Abdomen mit Erbrechen möglich).
Röntgen • Leeraufnahmen des Abdomens, bevorzugt im Stehen (Abb. 5.2 und Abb. 5.3): Dilatation von Darmschlingen? Spiegelbildungen (Subileus, Ileus)? Dilatation des Magens (Retentionsmagen)? Freie Luft unter dem Zwerchfell? • Thoraxbild im Stehen und seitliche Aufnahme: Freie Luft unter dem Zwerchfell (Abb. 5.4)? Pleuropulmonale Erkrankung? Freie Luft ist im Thoraxbild häufig besser zu sehen als in der Abdomenaufnahme. Wenn die Patienten so krank sind, dass sie nicht mehr stehen können, sollte die Abdomenleeraufnahme im seitlichen Strahlengang (in Linksseitenlage) angefertigt werden. Obwohl nur 10% der Patienten mit einem akuten Abdomen einen wesentlichen pathologischen Befund auf diesen Röntgenaufnahmen zeigen, sind sie zur Beurteilung wichtig.
130
Gastroenterologie
Abb. 5.4 Thoraxaufnahme im Stehen. Luft unter den Zwerchfellkuppeln. Perforation.
5
Abdominale Sonografie. Geeignet zur Erfassung von Erkrankungen von Gallengängen, Leber, Pankreas, abdominaler Aorta oder entzündlichen Prozessen und Tumoren im Bauchraum. Folgende Fragen können mithilfe des Ultraschalls häufig beantwortet werden: • Abszess? Cholezystitis? Appendizitis (im Ultraschall Flüssigkeitskollektion, Kokarden etc.)? • Steine (Gallenblase, Niere)? • Hydronephrose? • Tumor? • Aortenaneurysma? CT des Abdomens. Als Ergänzung zum Ultraschall hilfreich, wenn die sonografische Untersuchung keinen eindeutigen Befund ergeben hat. Vor allem intraabdominale oder retroperitoneale Prozesse (Pankreaserkrankungen, Abszesse, Tumoren, Aortenaneurysma) können gut dargestellt werden. Endoskopie. Eine Endoskopie des oberen Gastrointestinaltraktes ist hilfreich zur Diagnose einer Ulkuskrankheit nach klinisch-radiologischem Ausschluss einer Perforation. Eine flexible Sigmoidoskopie oder Koloskopie ist selten notwendig; bei Verdacht auf Sigmavolvulus kann sie aber therapeutisch eingesetzt werden.
Abdominale Angiografie. Sollte bei Verdacht auf Mesenterialinfarkt verfügbar sein. Labor • Blutbild: Leukozyten und differenziertes weißes Blutbild (Leukozytose? Linksverschiebung?), Hämoglobin, Hämatokrit, Thrombozyten. • Gerinnung: Quick (Antikoagulation?). • Im Serum: Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff, ASAT, ALAT, Amylase (Hinweise für Niereninsuffizienz? Hepatopathie?), Glukose (Hyperglykämie?), CRP, CK, Troponin (Myokardinfarkt?). • Urinstatus: Eiweiß, Glukose, Sediment (Harnwegsinfekt?).
Therapie Siehe Kapitel 5.3, S. 131 ff.
Spezielle Formen des akuten Abdomens
5.3
kreatitis, Schrumpf- oder Porzellangallenblase bei chronischer Cholezystitis.
Spezielle Formen des akuten Abdomens C. Beglinger, L. Degen
131
Differenzialdiagnose
• Gallenkolik, Cholezystitis und Cholangitis
Gallenkolik: akute Gastritis, Ulkus- oder Refluxkrankheit, Pankreatitis, inferiorer Myokardinfarkt, Nephrolithiasis, Colon irritabile, Divertikulitis, vertebragene Schmerzen. Rechtsherzinsuffizienz. Cholezystitis, Cholangitis: zusätzlich rechtsseitige Pleuritis, Pneumonie, Hepatitis, Perihepatitis (Gonorrhö, Chlamydien), Leberabszess, Appendizitis.
Definition und Einleitung
•
5 – 10% der Bevölkerung sind Gallensteinträger. Bei 20% der Gallensteinträger kommt es zur Gallenkolik. Bei Obstruktion der Gallenwege kann sich eine Cholezystitis entwickeln. Eine bakterielle Entzündung der Gallengänge führt zur Cholangitis.
Notfallanamnese Siehe S. 128
Pathophysiologie Die Ursache der Obstruktion der Gallenwege sind meist Konkremente (bei der Kolik fast immer, bei der Cholezystitis in über 90%; bei der Cholangitis in 80 – 90%). Seltener sind Tumoren und Strikturen. Die Cholezystitis kann gelegentlich auch Folge eines systemischen Infektes oder einer Ischämie sein.
Typische Krankheitszeichen
•
•
•
•
Gallenkolik: allmählich, selten akut einsetzende, kontinuierliche Oberbauchschmerzen (nicht wellenförmig!) mit Ausstrahlung in Rücken, rechte Schulter und Thorax, begleitet von Nausea und Erbrechen. Dauer: 1 bis wenige Stunden. Lokalisation: Epigastrium > rechter Oberbauch > linker Oberbauch. Akute Cholezystitis: akut einsetzender, meist kontinuierlicher Schmerz von mehr als 3 Stunden. Beginn undefiniert im Epigastrium, konzentriert sich später in den rechten Oberbauch, rechtsseitiger Peritonismus, Nausea. Erbrechen und leichtes Fieber sind häufig. Akute Cholangitis: charakterisiert durch CharcotTrias: Oberbauchschmerzen wie bei Gallenkolik (60 – 90%), Ikterus (60 – 80 %) und Fieber (95%). Gelegentlich schweres septisch-toxisches Krankheitsbild. Komplikationen: Hydrops bei vollständiger Obstruktion oder Empyem bei bakterieller Superinfektion (oft palpabel), Perforation, biliodigestive Fistel, Gallensteinileus, Leberabszess, akute Pan-
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Siehe S. 128. Cholezystitis: Gallenblase bei einem Drittel der Patienten palpabel. Bei Inspiration palpatorisch auslösbarer Schmerz über der Gallenblase (Murphy-Zeichen), Fieber. Cholangitis: Druckdolenz im rechten Oberbauch, Ikterus, Fieber.
Diagnostik Labor. Leukozytose, CRP ›, Erhöhung der Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase, g-GT, Bilirubin). Ultraschall des Abdomens. Suche nach Konkrementen (Abb. 5.5), Verbreiterung der Gallenblasenwand, evtl. mit einem echoarmen, perivesikalen Flüssigkeitssaum (Abb. 5.6); diagnostische Wertigkeit: 90 – 95%. Abdomenleeraufnahme. Zum Ausschluss anderer abdomineller Erkrankungen (Ileus, Perforation). Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP). Bei Verdacht auf Verschlussikterus mit Möglichkeit zur endoskopischen Papillotomie („ERCP à chaud“ bei Verdacht auf Cholangitis). Evtl. vorher Magnetresonanzcholangiografie (MRC) zum Nachweis einer biliären Obstruktion.
132
Gastroenterologie
Abb. 5.5 Cholelithiasis. 2 Konkremente mit Schallschatten.
5
Therapie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Notfallmanagement
Entzündungsparameter (CRP, Leukozyten), Leberwerte, Cholestaseparameter (bei Sepsis und Schock: s. S. 16).
Bei Koliken • 20 – 40 mg Butylscopolaminiumbromid i. v. (EG-D). • 500 – 1000 mg Novaminsulfon (Metamizol) langsam i. v. Cave! Blutdruckabfall (EG-D).
Weitere Maßnahmen Bei Verdacht auf Cholezystitis, Cholangitis • Nahrungskarenz (Bereitschaft zur interventionellen Therapie und Operation erhalten!). • Antibiotika, z. B. Piperacillin/Tazobactam (EG-B), Tab. 9.1, S. 267. • Chirurgisches Konsilium zur Klärung der Operationsindikation.
Besondere Merkpunkte Die akuten Erkrankungen der Gallenwege sind interdisziplinär anzugehen und erfordern von Anfang an die Zusammenarbeit von Internisten und Chirurgen (Indikation zur zeitgerechten Operation abwägen).
Akute Pankreatitis Definition und Einteilung Das klinische Syndrom der „akuten Pankreatitis“ ist charakterisiert durch akute Oberbauchschmerzen und eine Erhöhung der Pankreasenzyme Amylase und Lipase im Blut. Die akute Pankreatitis im enge-
Spezielle Formen des akuten Abdomens
133
Abb. 5.6 Zeichen der Cholezystitis. Verdickung der Gallenblasenwand und Flssigkeitssaum.
ren Sinn zeigt eine Restitutio ad integrum. Das Syndrom kann aber auch im Rahmen einer chronischen Pankreatitis auftreten, die durch irreversible morphologische und funktionelle Schäden definiert ist.
Pathophysiologie Dem Syndrom der akuten Pankreatitis liegt ein autodigestiver Prozess zugrunde, dessen auslösender Mechanismus bislang nicht im Detail bekannt ist. Das Akute-Pankreatitis-Syndrom kommt vor bei: • Mechanischer Obstruktion: Gallensteine (> 50%), nach ERCP, Papillotomie, Trauma, postoperativ, Tumoren. • Toxisch-metabolischen Einflüssen: Alkohol (20 bis 30%), Medikamente (Tab. 5.4), Hypertriglyzeridämie. • Vaskulären Erkrankungen, Mangelperfusion: Vaskulitis, Schock. • Infekt: Mumps, Epstein-Barr-Virus (EBV), Zytomegalie-Virus (CMV), Coxsackie-Virus, HIV, Rubella, Varicella, Hepatitis A, B, C.
• •
Hereditären, genetischen oder anatomischen Varianten, z. B. Pancreas divisum. Idiopathisch.
Tabelle 5.4 Arzneimittel, die mit einer akuten Pankreatitis assoziiert worden sind.
• Nichtsteroidale Antirheumatika (Sulindac, Salizylate)
• Immunosuppressiva
(Azathioprin, 6-Mercaptopurin)
• Diuretika (Furosemid, Thiazide) • strogene • Antibiotika (Metronidazol, Sulfonamide,
Tetrazykline, Nitrofurantoin, Erythromycin)
• Antiretrovirale Arzneimittel (Didanosin), Pentamidin
• Antiepileptika (Valproat)
134
5
Gastroenterologie
Typische Krankheitszeichen
Notfalluntersuchung
In absteigender Häufigkeit finden sich folgende Symptome: • über kurze Zeit sich anbahnende, schlecht lokalisierbare, gürtelförmige, anhaltende Oberbauchschmerzen (95 – 100 %) mit Ausstrahlung in Flanken und Rücken (50%), verstärkt in Rückenlage, • schmerzhafte Palpation im Epigastrium, vermehrt links (60%), • Nausea, Erbrechen (60 – 90%), • Zeichen des Subileus (60%), • Schock (25%), • Fieber (10 %). Komplikationen • Systemisch: schwerer hämorrhagisch-nekrotisierender Verlauf mit hypovolämischem Schock, Nierenversagen, respiratorischer Insuffizienz, Hypokalzämie, Gerinnungsstörungen und Multiorganversagen. • Lokal: Nekrosen (23%), Pseudozysten (6%), Blutungen, Exsudate (Pleuraerguss, Aszites), Arrosion von Gefäßen, paralytischer Ileus, duodenale oder biliäre Obstruktion, Infektion von Pseudozysten und Nekrosen (7%).
Klinik
Differenzialdiagnose
• •
Siehe „Gallenkolik, Cholezystitis, Cholangitis“ (S. 131). Zusätzlich: akute Cholezystitis und Cholangitis, Ulcus ventriculi oder duodeni, Mesenterialinfarkt, Dünndarmstenose, toxisches Megakolon, Milzinfarkt, Aortenaneurysma, Adnexitis, inferiorer Myokardinfarkt, Angina abdominalis.
Notfallanamnese
• • • •
Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128), Alkohol, Medikamente, frühere Pankreatitis, Gallensteinleiden, Ulkusleiden, Vaskulitis, Kollagenosen.
• •
Druckdolenz im linken und mittleren Oberbauch („Gummibauch“), Abwehrspannung, Meteorismus, verminderte Darmgeräusche. Dyspnoe, Pleuraerguss, Fieber und sehr selten livide Verfärbung der Haut über Lenden (Grey-Turner-Zeichen) oder Umbilikalregion (Cullen-Zeichen), subkutane Fettgewebsnekrosen, Schock.
Diagnostik Labor. 2- bis 3-fache Erhöhung der Amylase (Sensitivität 75 – 92%, Spezifität 20 – 60%; wenn möglich, pankreasspezifische Isoamylase bestimmen) und Lipase (Sensitivität 86 – 100 %, Spezifität 50 – 99 %). Amylase und Lipase mindestens zweimal messen innerhalb von 6 – 8 h (verzögerter Anstieg). Die Amylase steigt üblicherweise innerhalb 6 – 12 Stunden nach Beginn einer akuten Pankreatitis an und normalisiert sich über 3 – 5 Tage bei unkompliziertem Verlauf. Die Lipase steigt innerhalb der ersten 24 Stunden an, bleibt aber länger erhöht. Evtl. Erhöhung der g-GT, alkalischen Phosphatase, Transaminasen und des Bilirubins. Laborparameter eines schweren Verlaufs. CRP > 150 mg/l, Leukozytose > 15 × 109/l, Hyperglykämie, Hypokalzämie, Anämie und tiefer Hämatokrit (Blutungen), pO2-Abfall (Pleuraerguss, ARDS), prärenale Niereninsuffizienz, erhöhtes Laktat. Cave! Nicht aber Erhöhung der Amylase oder Lipase! Abdomenleeraufnahme. Zum Ausschluss einer Perforation oder Nachweis einer chronischen Pankreatitis (Verkalkungen). Ultraschall des Abdomens. Gallensteine, Dilatation der Gallenwege und des Ductus Wirsungianus, Pankreasödem, Nekrosen, Pseudozystenbildung und Exsudate. Ultraschall oft unklar wegen Meteorismus. Computertomografie. Heute Methode der 1. Wahl für Diagnostik und Prognose bei Verdacht auf nekrotisierende Pankreatitis. ERCP. Bei Verdacht auf biliäre Pankreatitis und Cholangitis in Sonografie oder MR-Cholangiografie: bei Obstruktion-/Steinnachweis notfallmäßige ERCP diskutieren. Prognoseparameter. Verlaufsformen: Die akute Pankreatitis wird in eine ödematöse (leichte) Form und eine nekrotisierende (schwere) Verlaufsform eingeteilt. Die ödematöse Form hat in der Regel
Spezielle Formen des akuten Abdomens
Tabelle 5.5
135
Schweregrad einer akuten Pankreatitis anhand der CT-Morphologie (Balthazar-Score).
Schweregrad der akuten Pankreatitis A
normales Pankreas
0 Punkte
B
vergrçßertes Pankreas
1 Punkt
C
entzndliches Pankreas oder peripankreatische Entzndung
2 Punkte
D
pankreatische Flssigkeitskollektion (eine einzelne gengt)
3 Punkte
E
multiple Flssigkeitskollektionen
4 Punkte
Ausmaß der Nekrosen keine Nekrosen
0 Punkte
Nekrosen in einem Drittel des Pankreas
1 Punkt
Nekrosen in der Hlfte des Pankreas
2 Punkte
Nekrosen in mehr als der Hlfte des Pankreas
3 Punkte
einen problemlosen Verlauf ohne schwere Komplikationen (75 – 80% aller Fälle). Die nekrotisierende Pankreatitis ist ein ernsthaftes, lebensbedrohliches Krankheitsbild mit lokalen und systemischen Komplikationen. Ein nekrotisierender Pankreatitisverlauf kann mittels laborchemischer Parameter und bildgebender Verfahren vorausgesagt werden. Scores: Die üblichen Prognose-Scores (Ranson, Glasgow, Apache II) haben sich wegen ihrer Komplexität nicht überall durchgesetzt; die wiederholte Messung von CRP (alle 12 h) innerhalb der ersten 48 h ergibt ähnliche Resultate wie die Bestimmung der Scores (EG-B). Als prognostisch hilfreich hat sich ein bildgebender Score (Balthazar-Score) erwiesen. Dieser Score basiert auf einem Punktesytem, welches das Ausmaß der Entzündung und der Nekrosen sowie der Flüssigkeitskollektionen im CT gradiert (Tab. 5.5). Das Vorkommen von Nekrosen erhöht die Wahrscheinlichkeit für Infektionen, was wiederum mit einer schlechteren Prognose verbunden ist. Die Morbidität und Mortalität einer akuten Pankreatitis sind minimal mit einem BalthazarScore von < 2. Ein Score von 7 – 10 ist mit einer Morbidität von 92% und einer Mortalität von 17% verknüpft (EG-A).
Therapie
• •
• •
Weitere Maßnahmen
• • •
Notfallmanagement
• •
Nahrungskarenz bis Schmerzfreiheit eintritt (EG-D). Parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution in den ersten Tagen, oft sind mehrere Liter
innerhalb von 24 h nötig (EG-D), bei ödematöser (leichter) Pankreatitis orale Nahrungsaufnahme innerhalb 48 – 72 h. Engmaschige Kreislaufüberwachung; frühzeitiges Erkennen von respiratorischen Störungen (Pleuraergüsse, ARDS) oder Entgleisung der Stoffwechsellage (Hyperglykämie). Überwachung auf Intensivstation bei schwerem Verlauf mit systemischen Komplikationen, insbesondere bei respiratorischer Insuffizienz, systemic inflammatory response syndrome (S. 265), Ileus, Schock und bei polymorbiden Patienten. Schmerzbekämpfung (Pethidin: 50 – 100 mg i. v. 4- bis 6-stündlich oder 300 mg/24 h als Dauerinfusion). Kein Morphin wegen Spasmus des Sphinkter Oddi (EG-D). Enterale Ernährung innerhalb 72 h, bei Magenentleerungsstörung (Pankreaskopfschwellung!) endoskopische Einlage einer Jejunalsonde und Beginn mit enteraler Ernährung (EG-B).
•
Bei Subileus oder Ileus: nasogastrische Sonde (EG-D). Antibiotika bei septischem Fieber (> 38 8C), z. B. Imipenem 500 mg 8-stündlich oder Piperacillin/ Tazobactam 4,5 g 8-stündlich (EG-A). ERCP in den ersten 48 – 72 h bei Choledocholithiasis mit dilatierten Gallenwegen oder schwerer Pankreatitis. Papillotomie oder Cholezystektomie und Gallengangsrevision in Betracht ziehen (EG-A). Chirurgisches Konsilium (Operationsindikation?).
136
Gastroenterologie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
5
Wie bei drohendem septischen Schock (S. 24). 12-stündliche Messung der Leukozyten, Glukose, Kalzium und CRP in den ersten 24 h.
Besondere Merkpunkte
• •
• •
Bei ungeklärtem hypovolämischem Schock immer an akute Pankreatitis denken (in bis zu 20% Pankreasenzyme normal!). Eine Erhöhung der Pankreasenzyme kann auch bei anderen Abdominalerkrankungen auftreten (Mesenterialinfarkt, perforiertes Ulkus u. a.), nach ERCP, bei Speicheldrüsenerkrankungen und bei Makroamylasämie. Abschätzen des Schweregrades der Pankreatitis (s. Prognoseparameter)! Etwa ein Viertel der Fälle verläuft schwer, davon 22% tödlich. Patienten mit akuter Pankreatitis sollten interdisziplinär vom Internisten und Chirurgen betreut werden.
Mesenterialinfarkt Definition und Einteilung Mit dem Begriff Mesenterialinfarkt wird eine akute mesenteriale Ischämie arteriellen oder venösen Ursprungs mit partieller Nekrose (Schleimhautnekrose) oder totaler Nekrose des Darmes bezeichnet. Einteilung der akuten mesenterialen Ischämie: Arteriell (ca. 95 %; A. mesenterica superior: 85 – 90 %). • Okklusive Ischämie (ca. 70 – 80%): – Embolie oder Thrombose. • Nichtokklusive Ischämie (ca. 20 – 30%): – fokal segmental (10 – 15%) bei Embolie oder Vaskulitis. Venös (ca. 5 %; V. mesenterica superior), – fokal segmental bei Strangulation oder Obstruktion.
Pathophysiologie Meist bei Patienten über 60 Jahre. Die Auswirkungen der akuten Minderdurchblutung reichen je nach Ausmaß von reversiblen funktionellen Störungen
bis hin zur transmuralen, hämorrhagischen Darmwandnekrose. Für eine schwere Schädigung ist eine Reduktion des Blutflusses von über 80% über längere Zeit notwendig. Prädisponierende Faktoren der akuten mesenterialen Ischämie sind: Arterielle Ischämie • Embolien: meist Wandthromben des linken Herzens, Vorhofflimmern, • Arteriosklerotische Verengungen: meist am Abgang der A. mesenterica superior, • Nichtokklusive Ischämie: meist Folge splanchnischer Vasokonstriktion im Rahmen von: akutem Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Herzklappenvitien, Leberzirrhose, chronischer Niereninsuffizienz, Operationen; Auslöser: oft Lungenödem, Arrhythmien, Schock, • Systemerkrankung mit Gefäßbefall, • Aortenaneurysma. Venöse Ischämie • Thrombozytose, • Venenthrombose mit Abflussbehinderung, • Hyperkoagulabilität, • portale Hypertension, • intraabdominale Entzündungen, • Z. n. Operationen, Traumen.
Typische Krankheitszeichen Die Unterscheidung der verschiedenen Formen des Mesenterialinfarktes ist klinisch nicht möglich. • Akuter, schwer lokalisierbarer Abdominalschmerz bei primär blandem Abdominalbefund, • gelegentlich imperativer Stuhldrang und Defäkation, • balloniertes Abdomen, Darmgeräusche zu Beginn oft lebhaft, • okkultes Blut im Stuhl, Meläna, Frischblutabgang, • Entwicklung peritonitischer Symptome und Zeichen.
Differenzialdiagnose
• • • •
Gallenkolik, Cholezystitis, Cholangitis, akute Pankreatitis, Ileus, Perforationen, toxisches Megakolon, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Peritonitis, Aortenaneurysma.
Spezielle Formen des akuten Abdomens
137
Notfallanamnese
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Intensivmedizinische Überwachung ist obligat.
Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128). Besonderes Augenmerk ist auf die Anamnese kardiovaskulärer und abdominaler Begleiterkrankungen zu richten, insbesondere Arrhythmien.
Besondere Merkpunkte
• Notfalluntersuchung Klinik Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128).
Diagnostik Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 129). Labor. Leukozyten (meist > 15 × 109/l), LDH-Anstieg, Blut-pH (Azidose bei mehr als 50% der Patienten), Laktaterhöhung. EKG. Arrhythmien, Infarktzeichen. Abdomenleeraufnahme, CT. Zum Ausschluss anderer Ursachen des akuten bzw. subakuten Abdomens. Meist normal, falls noch nicht infarziert. Manchmal luftleerer Darm, weit gestellte Darmschlingen, Gefäßverkalkungen und Stenosen. Selektive Angiografie. Sofern vom Patienten und der Infrastruktur her sofort möglich (DD: okklusiver vs. nichtokklusiver Mesenterialinfarkt). Probelaparotomie. Durchführung durch einen in der Gefäßchirurgie erfahrenen Chirurgen. Eine Probelaparotomie ist immer indiziert bei Verdacht auf Mesenterialinfarkt und Entwicklung peritonitischer Symptome.
Therapie Notfallmanagement
• • • •
Intensivmedizinische Betreuung und Therapie von: Herzinsuffizienz, Hypotonie, Hypovolämie, eventuellen Arrhythmien. Operation so rasch wie möglich vor einer Infarzierung (falls bereits eine Infarzierung besteht, liegt die Mortalität bei 70 – 90%!) (EG-B). Breitbandantibiotika (z. B. Amoxicillin/Clavulansäure, Piperacillin/Tazobactam, Imipenem) (EG-D). Papaverin-Infusion durch Angiografiekatheter bei okklusivem und nichtokklusivem Mesenterialinfarkt: 30 – 60 mg/h; Konzentration = 1 mg/ ml, Dauer: 24 h oder bis zur Operation (EG-C).
• • •
Der Abdominalschmerz fehlt bei 25 % der nichtokklusiven Infarkte! Keine Zeit verlieren bei Verdacht auf Mesenterialinfarkt, sofort den Chirurgen hinzuziehen! Probelaparotomie bei dringendem klinischem Verdacht auf Mesenterialinfarkt, auch wenn die angiografische Untersuchung noch nicht durchgeführt werden konnte. Keine Antikoagulation bis 48 h nach Operation wegen Blutungsgefahr. Eine Ausnahme bildet die Mesenterialvenenthrombose.
Ileus Definition und Einteilung Unter einem Ileus versteht man eine Störung der peristaltischen Fortbewegung des Darminhaltes mit Distension, intraluminärem Druckanstieg und Stase. Formen des Ileus sind: Mechanisch (davon 20% Strangulation): • Extrinsisch: Adhäsionen (postoperativ) sind die häufigste Ursache des Dünndarmileus (60%); Hernien (Inkarzeration), Volvulus (Sigma, Zäkum, Dünndarm), Verdrängung (Kompression). • Mural: entzündlich (Morbus Crohn, ischämisch, Bestrahlungsenteritis, Medikamente), neoplastisch, traumatisch (Hämatom), Pneumatosis cystoides intestinalis, kongenital (Atresie, Striktur, Duplikatur u. a.). • Intraluminal (Obturation): Fremdkörper (Bezoar, Gallenstein), Invagination, polypoider Tumor.
Funktionell • Postoperativer paralytischer Ileus, • nichtoperativer paralytischer Ileus, einschließlich akute Pseudoobstruktion des Kolons (Ogilvie-Syndrom), • Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie), Stoffwechselstörung (Urämie, Coma diabeticum), • entzündlich: Peritonitis, Abszess, Pankreatitis, Pyelonephritis, Pneumonie, Sepsis, • Medikamente (z. B. Anticholinergika), • Schwermetallintoxikation (Quecksilber, Blei),
Gastroenterologie
138
Lokale Darmunwegsamkeit 1. Störungen der Resorption und Sekretion
•
5
2. Stase Bakterienwachstum 3. Distension Störungen der Mikrozirkulation
Schock
Wasser- und Elektrolytverlust Eiweißverlust
• •
Darmwandhypoxie Perforation
•
Peritonitis
– bei Dickdarmverschluss Spätsymptom (Tage), – bei paralytischem Ileus meist nach einigen Stunden. Obstipation bis Stuhlverhaltung: fehlender Windabgang, v. a. beim tief sitzenden Ileus; Windabgang und Stuhlgang bei mechanischem Dünndarmileus zu Beginn erhalten. Blutige Stühle: Mesenterialinfarkt oder Strangulation. Meteorismus/Distension: niemals bei hoch sitzendem Dünndarmileus; mäßig bis ausgeprägt beim distalen Dünndarm- und Kolonileus. Komplikationen: Schock, Nierenversagen, Durchwanderungsperitonitis und Perforation.
intraabdominale Drucksteigerung Zwerchfellhochstand
Differenzialdiagnose
Atembehinderung
Abb. 5.7 Ileus.
Pathophysiologische
• Vorgänge
beim
• •
chronische Pseudoobstruktion, intestinale Ischämie. Klinisch: Je nach Sitz des Verschlusses unterscheidet man: • Dünndarmileus mit hohem oder tiefem Sitz, • Dickdarmileus.
• •
Siehe S. 131, v. a. Cholezystitis, Pankreatitis, Appendizitis, Divertikulitis mit/ohne Perforation, gastroduodenales Ulkus mit/ohne Perforation, Rechtsherzinsuffizienz mit hepatischer Kongestion, Pyelonephritis, Adnexitis, andere retroperitoneale Erkrankungen.
Notfallanamnese Frühere abdominelle Eingriffe? Begleitsymptome? (s. S. 128).
Pathophysiologie Die pathophysiologischen Abläufe sind in Abb. 5.7 dargestellt.
Typische Krankheitszeichen
•
•
Abdominalschmerzen: – Mechanischer Ileus: diffus, kolikartig, mit Linderung nach Erbrechen und Einlage einer Magensonde. Klingende Darmgeräusche. Falls der Schmerz an Intensität zunimmt, sich lokalisiert und konstant wird, liegt eine beginnende Strangulation mit Perforationsgefahr vor. – Funktioneller, paralytischer Ileus: oft keine besonderen Schmerzen außer bei Peritonitis, Fehlen von Darmgeräuschen („Totenstille“). – Peritonitis: persistierender starker Schmerz, Abwehrspannung und bretthartes Abdomen. Erbrechen: umso eher und intensiver, je höher der Verschluss:
Notfalluntersuchung Klinik Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128). Alte Narben? Perkussion. Schmerzhafter Meteorismus. Palpation des Abdomens. Défense, gespanntes Abdomen. Auskultation des Abdomens. Klingende, hoch stehende Darmgeräusche; „Totenstille“ bei paralytischem Ileus.
Diagnostik Labor. Blutbild (Hinweise für entzündliche Veränderungen), CRP, Elektrolyte, Kreatinin (Flüssigkeitsverlust in dritten Raum), Blutgasanalyse (respiratorische Beeinträchtigung), Amylase, Lipase (Zeichen einer Pankreatitis), Gerinnungsstatus, Laktat, Urinstatus.
Spezielle Formen des akuten Abdomens
139
Bildgebung. Abdomenleeraufnahme und Thoraxaufnahme (im Stehen, falls möglich!): bei Perforation Luftsichel unter Zwerchfell (Abb. 5.4). Eine fehlende Luftsichel schließt allerdings die Perforation nicht aus!
• • • • •
Therapie
Pathophysiologie
Notfallmanagement
Diese ist abhängig von der Grunderkrankung: Akute Appendizitis. Obstruktion meist aufgrund von Fäkolithen, die zu venöser Stase, Ödem und Akkumulation von Bakterien und Mukus distal der Obstruktion und schließlich zur Gangrän und Perforation führen. Perforiertes gastroduodenales Ulkus. Helicobacter pylori, Magensäure und Inkompetenz der Mukosabarriere sind signifikante Faktoren in der Entwicklung des peptischen Ulkus. Das Ausmaß der lokalen Säureeinwirkung, Ischämie, Vaskulitis, Infektion und fibroblastischen Antwort im Rahmen der Ulkuserkrankung mag eine entscheidende Rolle dabei spielen, ob ein Ulkus perforiert oder nicht. Kolondivertikel. Ein Divertikel kann ohne vorausgehende Entzündung perforieren. Meist jedoch führt eine akute Divertikulitis mit foudroyantem Verlauf schließlich zur Perforation ins Mesenterium oder in die freie Bauchhöhle.
• •
•
Zentralvenöser Zugang: wegen Gefahr starker Flüssigkeits- und Elektrolytstörungen sowie der Notwendigkeit parenteraler Ernährung. Mechanischer Ileus: – Nahrungskarenz, – Magensonde zur Entlastung, – Behebung des Passagehindernisses: operativ oder bei Sigmavolvulus: Versuch mittels Koloskopie, – bei peritonitischen Zeichen Antibiotika (z. B. Amoxicillin/Clavulansäure, Piperacillin/Tazobactam oder Imipenem) (EG-B), – Flüssigkeits- und Elektrolytersatz. Funktioneller, paralytischer Ileus: – Behandlung konservativ außer bei Perforation, Peritonitis sowie bei Verschluss der Mesenterialgefäße, – Nahrungskarenz, – Entlastung des Darmes durch Magensonde, – parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr, – Anregung der Darmperistaltik mittels Neostigmin (0,5 mg s. c. oder i. v. alle 4 – 8 h), Distigminbromid (0,5 mg i. m. 1-mal in 24 h) (EG-C), – Behandlung des Grundleidens, – Entlastungsoperation.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Kreislaufmonitoring (siehe Kapitel 2, S. 20).
Perforation Definition und Einteilung Die Perforation eines viszeralen Organs führt je nach Schweregrad der peritonealen Reaktion früher oder später zum akuten Abdomen. Die Klinik kann perakut (Magensaft) oder schleichend sein (gedeckte Perforation). Perforationen treten auf bei: • akuter Appendizitis,
gastroduodenalem Ulkus, Divertikulitis, Meckel-Divertikel, toxischem Megakolon (s. S. 140), viszeraler Ischämie.
Typische Krankheitszeichen Es entwickelt sich akut oder schleichend eine Peritonitis bzw. ein akutes Abdomen mit heftigen Schmerzen und Abwehrspannung, primär lokal (Epigastrium, rechter oder linker Unterbauch) und schließlich generalisiert. Typische Krankheitszeichen bei speziellen Krankheitsbildern: • Appendizitis: Meist beginnt der Schmerz klassisch im Epigastrium und wandert dann in den rechten Unterbauch. Zeichen der Perforation sind stärkste Schmerzen im rechten Unterbauch, die anschließend im Rahmen der aufkommenden Sepsis praktisch vollständig verschwinden können. • Perforiertes gastroduodenales Ulkus: Klassisch ist das brettharte Abdomen, das in kürzester Zeit im Anschluss an die Perforation auftritt. • Perforierte Divertikulitis: Die Symptomatik beginnt im linken Unterbauch. Es entwickeln sich meist Zeichen des akuten Abdomens, das innerhalb von Stunden zur gramnegativen Sepsis führen kann.
140
Gastroenterologie
Differenzialdiagnose
•
5
•
Hauptdifferenzialdiagnose ist die akute intestinale arterielle Ischämie in der Spätphase (Stadium der Nekrose mit Peritonitis). Ebenfalls zu bedenken sind alle entzündlichen Erkrankungen ohne Perforation, die zur Peritonitis führen, wie z. B. Cholezystitis, phlegmonöse Appendizitis und akute Divertikulitis.
Notfallanamnese Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128).
Notfalluntersuchungen
Weitere Maßnahmen Diese sind abhängig vom perforierten Darmabschnitt und mit dem Chirurgen zu entscheiden: • Akute Appendizitis: Appendektomie und Antibiotika, z. B. Piperacillin/Tazobactam (EG-B). • Perforiertes gastroduodenales Ulkus: Übernähen des Ulkus, Hemmung der Magensäuresekretion (z. B. Pantoprazol, 80 mg über 2 – 5 min i. v. gefolgt von 8 mg/h als Infusion oder Esomeprazol 80 mg über 2 – 5 min i. v. gefolgt von 8 mg/h als Infusion) (EG-A). Evtl. konservative Therapie bei Hochrisikopatienten (Perforation vor über 24 h, fortgeschrittene Peritonitis, Multiorganversagen, Langzeitsteroidtherapie, systemic inflammatory response syndrome). • Perforierte Divertikulitis: Operation (Primäranastomose oder zweizeitiges operatives Vorgehen je nach Befund) und Antibiotika (EG-B).
Klinik Zeichen des akuten Abdomens.
Besondere Merkpunkte
Diagnostik
•
Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 129). Zusätzliche Untersuchungen: Thorax stehend. Freie Luft subdiaphragmal (Abb. 5.4). Abdomen stehend oder in linker Seitenlage. Freie Luft subdiaphragmal oder in der rechten Kolonrinne, Zeichen des paralytischen Ileus. CT oder Sonografie des Abdomens. Zur Diagnose der Appendizitis und Sigmadivertikulitis: Nachweis von freier Flüssigkeit im Abdomen und von Divertikeln. Chirurgisches Konsilium. Diagnostische Laparoskopie, Operation.
Therapie Notfallmanagement
• • •
Nahrungskarenz, Magensonde, zentralvenöser Zugang, Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution, Operabilität abklären.
•
Patienten mit akutem Abdomen und Nachweis von freier Luft im Abdomen sollten unverzüglich operiert werden. Bei akutem Abdomen unklarer Ätiologie und nicht nachweisbarer Perforation kann die Laparoskopie diagnostisch sein.
Toxisches Megakolon Definition und Einteilung Akute Dilatation und toxisches Megakolon. Das Megakolon wird definiert als akute Dilatation des Colon transversum und des Sigmoids von mehr als 6 cm (Durchschnitt ca. 9 cm). Kommen noch Symptome wie Fieber, Leukozytose, Peritonismus und Schock dazu, spricht man vom toxischen Megakolon. Es kommt im Verlaufe folgender mit Diarrhö einhergehenden Erkrankungen vor: • Colitis ulcerosa (6 – 13 % der Fälle), • Morbus Crohn (2 – 6 % der Fälle), • infektiöse Kolitis: Campylobacter jejuni, Shigellen, Salmonella typhi, Clostridium difficile, Amöbenkolitis, • ischämische Kolitis, • akute Pseudoobstruktion des Kolons (OgilvieSyndrom).
Spezielle Formen des akuten Abdomens
Pathophysiologie Ursache des toxischen Megakolons. Ursache ist eine schwere, die ganze Kolonwand umfassende Entzündung mit Verminderung der Wanddicke, Obstruktion der Gefäße, Ulzera und Gefahr der lokalen Peritonitis und Perforation. Begünstigende Faktoren. Medikamente (Laxanzien, Anticholinergika, Opioide, Sedativa), Hypokaliämie, Amyloidose, Sklerodermie, Chagas-Krankheit, Lupus erythematodes, multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus, Porphyrie, Schwermetallvergiftungen (Blei).
141
Cave! Maskierung der Symptomatik durch Kortikosteroidtherapie.
Diagnostik Labor. Blutbild (Leukozytose, tiefer Hämatokrit, Anämie), Elektrolyte, Blut-pH (metabolische Alkalose prognostisch ungünstig), Stuhlkultur (Salmonellen), Clostridientoxin. Abdomenleeraufnahme. Dilatation des Colon transversum oder des Sigmoids von mehr als 6 cm Durchmesser.
Therapie Typische Krankheitszeichen
•
Notfallmanagement
Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128). Besonderes Augenmerk gilt der Suche nach entzündlichen und infektiösen Darmerkrankungen (Erythema nodosum, Arthritiden, orale Aphthen, Gewichtsverlust) sowie der Einnahme von Motilitätshemmern, Opioiden und Anticholinergika.
Akute Dilatation • Beim Fehlen von toxischen Symptomen: Flüssigkeits- und Elektrolytersatz, nasogastrische Sonde oder Jejunalsonde, Nahrungskarenz. • Kortikosteroide systemisch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa (EG-C). • Opioide und motilitätshemmende Medikamente vermeiden. Toxisches Megakolon • Wie bei akuter Dilatation. • Breitspektrumantibiotika gegen gramnegative aerobe und anaerobe Bakterien (z. B. Amoxicillin/ Clavulansäure, Piperacillin/Tazobactam, Imipenem) (EG-C). • In Absprache mit dem Chirurgen bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa kurzfristiger Versuch mit hoch dosierten Kortikosteroiden (z. B. Hydrocortison 100 mg i. v. alle 6 h) (EG-C). • Falls keine deutliche Besserung innerhalb von 24 – 48 h, Operation erwägen (totale oder partielle Kolektomie). Weitere Maßnahmen • Abhängig vom Verlauf der Grundkrankheit. • Das toxische Megakolon ist eine lebensgefährliche Erkrankung (20% Mortalität), die interdisziplinär (Internisten und Chirurgen) angegangen werden muss.
Notfalluntersuchung
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Klinik
Kreislaufmonitoring (siehe Kapitel 2, S. 20).
• •
Lokale Symptome: Abdominalschmerzen mit meist ausgeprägter Diarrhö (> 10 Defäkationen/d), geblähtes und gespanntes Abdomen mit Klopf- und Druckdolenz. Allgemeine Krankheitszeichen: Fieber, Leukozytose, Tachykardie, Blässe, Lethargie und Schock. Komplikationen: lokale Peritonitis, Perforation, Kolonblutung, erhöhte postoperative Morbidität und Mortalität.
Differenzialdiagnose Als Differenzialdiagnosen kommen diejenigen des subakuten und akuten Abdomens infrage: Gallenkolik, Cholezystitis, Cholangitis, akute Pankreatitis, mesenteriale Ischämie, Ileus, Perforationen.
Notfallanamnese
• •
Siehe „Akutes Abdomen“ (S. 128). Geblähtes, schmerzhaftes Abdomen, 2 – 6 blutige Stuhlgänge pro Tag, Fieber, Tachykardie.
142
5
Gastroenterologie
Besondere Merkpunkte
Differenzialdiagnose
Die Symptome des toxischen Megakolons werden oft maskiert durch die chronische Kortikosteroidtherapie der Grundkrankheit.
Die relative Häufigkeit der verschiedenen Blutungsquellen ist abhängig von der Population des Versorgungsgebietes des betreffenden Krankenhauses. Folgende Verteilung ist typisch: • Ulkus (Magen, Duodenum): 45 %, • Erosion (Magen, Ösophagus, Duodenum): 15 %, • Varizen (vorwiegend Ösophagus, seltener Magen): 15 %, • Mallory-Weiss-Läsionen: 15 %, • Tumor und andere Ursachen: 5 %, • keine Blutungsquelle: 5 %.
5.4
Akute Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt C. Beglinger, L. Degen
Definition und Einteilung Akute Blutungen aus dem oberen Gastrointestinaltrakt gehen aus Läsionen hervor, die proximal des duodenojejunalen Übergangs (d. h. proximal des Ligamentum Treitz) liegen.
Typische Krankheitszeichen Blutverlust aus dem Gastrointestinaltrakt präsentiert sich auf 6 Arten: • Hämatemesis: Bluterbrechen (flüssiges rotes Blut, Koagel), • Kaffeesatzerbrechen: durch Magensäure umgewandeltes Hämoglobin, • Meläna: schwarz-roter, meist klebriger, stinkender Stuhl; entsteht durch bakterielle Zersetzung von Blut im Kolon, • Hämatochezie: Frischblutabgang per anum oder Stuhl vermischt mit frischem Blut und/oder Koagula, • okkulte Blutung: makroskopisch nicht erkennbare Blutbeimengung im Stuhl, • fehlende Blutungszeichen, aber Symptome, die einen Blutverlust suggerieren: Anämiesymptome, Kreislaufinstabilität. Die akute obere Gastrointestinalblutung präsentiert sich am häufigsten als Hämatemesis oder in Form von Meläna. Hämatochezie ist in der Regel eine Manifestation einer unteren Gastrointestinalblutung. Wenn Hämatochezie bei einer oberen Blutung auftritt, ist diese in der Regel massiv und kreislaufaktiv.
Notfallanamnese
• • •
•
Vorgeschichte: Frühere Blutungen? Grundkrankheit, die zu Blutungen prädestiniert (Leberzirrhose, Karzinom, Koagulopathie)? Voroperationen (Ulkusoperationen)? Arzneimittelanamnese: Nichtsteroidale Antirheumatika? Azetylsalizylsäure? Antikoagulanzien? Begleitsymptome: Oberbauchschmerzen (Ulkuskrankheit)? Sodbrennen/Refluxsymptome (erosive Ösophagitis)? Repetitives Erbrechen (Ulkuskrankheit, Tumorstenose)? Ikterus (Hepatopathie)? Gewichtsverlust (Tumorleiden)? Angaben zur Blutungsepisode: Einmaliges oder wiederholtes Erbrechen? Menge des Erbrochenen? Art des Erbrochenen: Frischblut, Koagula, Kaffeesatz? Begleitende Meläna? Zeichen einer Anämie? Zeichen von Kreislaufinstabilität (Schwitzen, kalte Peripherie, Schock mit Blutdruckabfall und Pulsanstieg, Schwindel, Bewusstseinsstörung, Ohnmachtsanfälle)?
Notfalluntersuchung Klinik Kreislauf. Puls, Blutdruck, Halsvenenfüllung, Blässe von Haut und Schleimhäuten, kalter Schweiß. Hinweise auf Leberkrankheiten. Ikterus, Spider Naevi, Palmarerythem, Aszites, Hepatosplenomegalie. Gerinnungsstörung. Hämatome, Petechien.
Akute Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt
Tabelle 5.6
143
Einteilung des Schweregrades der Ulkusblutung nach Forrest-Kriterien.
Aktive Blutung
Forrest Typ I
Ia = spritzende (arterielle Blutung) Ib = Sickerblutung
Sistierte Blutung
Forrest Typ II
II a = sichtbarer Gefßstumpf (nicht blutend) II b = Koagel auf Ulkus ohne spritzendes Gefß
Keine Blutung
Forrest Typ III
endoskopisch sichtbare Lsion (Ulkus), jedoch ohne Blutungszeichen
Diagnostik Labor. Blutbild, Prothrombinzeit, Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff, Blutzucker, Lebertests. Bestimmen der Blutgruppe und Bereitstellen von 3 – 6 Blutkonserven je nach Schweregrad der Blutung. Endoskopie. Die Endoskopie erfolgt nach Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse zur Diagnosestellung und Therapie. Bei schwerer Blutung sollte die Endoskopie innerhalb von 60 min durchgeführt werden, bei stabilen Kreislaufverhältnissen innerhalb von 12 h. Die Notfallendoskopie hat folgende Ziele: • Lokalisation und Identifizierung der Blutungsquelle, Beurteilung der Blutungsaktivität (wichtig für Prognose!) (Tab. 5.6). • Blutstillung (therapeutische Maßnahmen sind v. a. bei Ulkusblutung, Varizenblutungen oder Mallory-Weiss-Läsionen sinnvoll). Angiografie. Der Dünndarm ist endoskopisch nur beschränkt zugänglich. Im akuten Blutungsstadium ist von einer Kontrastmitteldarstellung des Dünndarmes mit Bariumfüllung abzusehen. Eine angiografische Darstellung des Gastrointestinaltraktes kann sinnvoll sein, doch ist eine Identifikation einer Blutungsquelle nur möglich bei einer aktiven Blutung von mehr als 2 – 3 ml/min. Die typischerweise nur intermittierenden Blutungen aus Divertikeln oder Angiodysplasien können so oft nicht erfasst werden (falsch negative Resultate).
Therapie Notfallmanagement Allgemeine Maßnahmen • Sauerstoff, falls notwendig (4 – 6 l O2/min). • Zwei periphervenöse Zugänge bei starker Blutung zur Volumenzufuhr. Bis zum Eintreffen von Blutkonserven Infusion von Ringer-Laktat. • Bei gestörter Gerinnung: Korrektur mit Vitamin K (5 – 10 mg i. v.), in schweren Fällen mit FFP (fresh frozen plasma) (s. S. 220).
•
Monitoring: Herzfrequenz, Blutdruck, Pulsoxymetrie kontinuierlich; Hämoglobin und Hämatokrit bei schwerer Blutung 4-stündlich. Weitergehendes Monitoring (Zentralvenendruck, Blasenkatheter zur Überwachung der Diurese) je nach Schweregrad der Blutung und nach klinischem Verlauf.
Notfallmanagement der Ulkusblutung (Abb. 5.8) Die akute Ulkusblutung ist die häufigste Ursache gastrointestinaler Blutungen. Die Aufgabe der Endoskopie liegt nicht nur in der Diagnosestellung, sondern auch in der Therapie. Endoskopische Blutstillung. Eine erfolgreiche endoskopische Blutstillung kann bei blutendem Ulkus in 90% erwartet werden. Eine Aspirationsgefahr ist bei jeder Notfallendoskopie vorhanden; in kritischen Fällen soll deshalb großzügig vor der Endoskopie eine tracheale Intubation erfolgen. • Ziele der endoskopischen Therapie sind: die Blutstillung (EG-B) und das Verhüten von Rezidivblutungen. • Die Blutstillung erfolgt durch Unterspritzung mit Adrenalin (1 : 10 000 verdünnt) oder mit speziellen Clips oder durch Thermokoagulation/Argonlaserung. • Wenn keine Hämostase erreicht werden kann, muss der Patient nach dem endoskopischen Therapieversuch sofort dem Chirurgen vorgestellt werden. Säuresekretionshemmung. Neben der endoskopischen Blutstillung sollte zusätzlich möglichst rasch eine effektive Säuresekretionshemmung etabliert werden. • Die Medikamente der Wahl sind heute Protonenpumpeninhibitoren (EG-A) wie Omeprazol/Esomeprazol (80 mg über 2 – 5 min i. v. gefolgt von 8 mg/h i. v. als Infusion) oder Pantoprazol (80 mg über 2 – 5 min i. v. gefolgt von 8 mg/h i. v. als Infusion). • Die intravenöse Therapie kann nach 48 – 72 h auf eine orale Therapie umgesetzt werden.
144
Gastroenterologie
Abb. 5.8 Behandlung der Ulkusblutung. PPI: Protonenpumpeninhibitor.
Ulkusblutung
Notfallendoskopie mit Blutstillung
5 Säuresekretionshemmung (PPI i. v. für 48 h, dann orale Behandlung
Blutung steht
Blutung nicht stillbar
frühe Rezidivblutung
konservative Therapie
Notfalloperation
endoskopische Blutstillung
konservative Therapie
•
Durch diese Therapie kann die Zahl der Blutungsrezidive verringert werden. Die Säuresekretionshemmung bildet gleichzeitig die Grundlage der Ulkusbehandlung. Helicobactertherapie. Bei Patienten mit positivem Helicobacternachweis wird mit Aufnahme der oralen Therapie gleichzeitig die Helicobactereradikation (EG-A) eingeleitet. • 2 Antibiotika, z. B. Amoxicillin 2 × 1000 mg/d p. o. plus Clarithromycin 2 × 500 mg/d p. o. für 7 Tage. Chirurgische Behandlung. Die chirurgische Behandlung der Ulkusblutung ist nur noch in Ausnahmefällen notwendig. Eine frühzeitige Operation ist indiziert bei erfolgloser endoskopischer Blutstillung; dies ist vorwiegend der Fall bei schweren arteriellen Blutungen aus Ulzerationen der Hinterwand des Bulbus duodeni, die technisch schwer zugänglich sein können.
Notfallmanagement der akuten Varizenblutung (Abb. 5.9)
Endoskopische Therapie. Ziel der Notfallendoskopie ist eine klare Diagnosestellung und eine endoskopische Therapie. Die Therapie bezweckt eine Blutstillung sowie das Verhüten von Blutungsrezidiven. Die akute Varizenblutung kann mittels endoskopischer Therapie in 90% der Fälle beherrscht wer-
den. Es stehen im Wesentlichen 2 endoskopischtherapeutische Verfahren zur Verfügung: • Sklerosierungstherapie: einfach und kostengünstig. Wird vielerorts in der Notfallsituation bevorzugt. • Ligatur („Banding“): Die Ligatur der Varizen durch Gummibandligaturen, die endoskopisch platziert werden, wird vor allem als Langzeitstrategie nach der akuten Phase eingesetzt (EG-A). Tamponade und medikamentöse Therapie. Bei erfolgloser endoskopischer Behandlung (oder falls keine notfallmäßige Endoskopie zur Verfügung steht) kommt die Ballontamponade in Kombination mit medikamentöser Therapie zum Einsatz. • Ballontamponade: Die Kompressionssonden (Sengstaken-Blakemore-Sonde oder LintonNachlas-Sonde) sollten immer dann verwendet werden, wenn eine endoskopische Blutstillung der Varizenblutung nicht möglich ist. Die Kompressionssonden sollten nicht länger als 8 – 12 h in situ bleiben (Technik vgl. S. 626). • Medikamentöse Therapie (EG-A): Falls eine Notfallendoskopie nicht durchführbar ist, zur Überbrückung bis die endoskopische Therapie verfügbar ist oder als adjuvante Behandlung nach erfolgreicher endoskopischer Therapie zur Vermeidung von frühen Rezidivblutungen können
Akute Blutung aus dem oberen Gastrointestinaltrakt
145
Abb. 5.9 Behandlung der Varizenblutung.
akute Varizenblutung
Octreotid i. v. oder Terlipressin i. v.
Notfallendoskopie
Octreotid i. v. für 5 Tage
Blutung steht
frühe Rezidivblutung
Prophylaxeprogramm
erneute Endoskopie mit Therapie
rezidivierende Blutungen oder nicht kontrollierbare Blutung
Ballontamponade für 8 – 12 h
evtl. TIPS-Einlage
verschiedene medikamentöse Therapien eingesetzt werden. – Terlipressin (initial 2 × 1 mg i. v., dann alle 4 h 1 – 2 mg i. v.) führt zu einer Kontraktion der splanchnischen Arterien und zu einer Abnahme des Pfortaderdruckes. Nebenwirkungen sind Ischämien (z. B. des Herzens), so dass gleichzeitig Nitrate verabreicht werden sollen (Nitroglycerin 40 – 70 µg/min i. v.). – Somatostatin oder länger wirkende Somatostatinanaloga (Octreotid) reduzieren ebenfalls die Durchblutung des Splanchnikusgebietes. Da diese Substanzen im Gegensatz zu Vasopressin/Terlipressin keine schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen aufweisen, sind sie vielerorts die Arzneimittel 1. Wahl (z. B. Octreotid 25 – 50 µg/h i. v. über 5 Tage).
Notfall-TIPS. Bei Versagen aller vorgenannten Therapieformen besteht die Möglichkeit einer notfallmäßigen TIPS-Einlage (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt) (EG-C). Bei diesem interventionell-radiologischen Verfahren wird unter Durchleuchtung und Ultraschallkontrolle intrahepatisch eine Verbindung zwischen Pfortader und einem Lebervenenast geschaffen. Ein fortgeschrittenes Leberversagen und eine schwere hepatische Enzephalopathie (unabhängig von der Blutung) sind Kontraindikationen zur TIPS-Einlage. Chirurgischer Notfallshunt. Als letzte Möglichkeit kommt der chirurgische Shunt in Betracht (EG-C). Da diese Operationen aufwendig und risikoreich sind, werden sie nur noch in Ausnahmefällen durchgeführt.
146
5
Gastroenterologie
Besondere Merkpunkte
Notfalluntersuchung
Die medikamentöse Therapie sollte aufgrund der geringeren Rate an unerwünschten Wirkungen in erster Linie mit Somatostatinanaloga wie Octreotid durchgeführt werden.
Klinik Siehe Kapitel 5.4, S. 142.
Diagnostik
5.5
Akute Blutung aus dem unteren Gastrointestinaltrakt C. Beglinger, L. Degen
Definition und Einteilung Die akute Blutung aus dem unteren Gastrointestinaltrakt entstammt einer Quelle distal des Ligamentum Treitz, meist Divertikelblutungen, von denen 80% spontan stoppen. Sie manifestiert sich als Hämatochezie oder Meläna mit oder ohne Blutkoagel. Bei schweren, in der Regel mit Schockzustand einhergehenden Blutungen kann die Ursache auch im oberen Gastrointestinaltrakt liegen.
Differenzialdiagnose Kolonblutungen • Divertikel, • Angiodysplasien (vorwiegend im rechten Kolon, häufig gleichzeitig auch im Dünndarm), • Tumoren, Polypen, • Ischämien, • chronisch entzündliche Darmkrankheiten (vor allem Colitis ulcerosa, seltener Morbus Crohn), • akute infektiöse Kolitis mit invasiven Keimen, • Strahlenkolitis. Blutungen aus dem Dünndarm • Angiodysplasien und andere Missbildungen, • Tumoren (vor allem Lymphome), • Meckel-Divertikel bei jüngeren Patienten.
Notfallanamnese
Labor. Siehe Kapitel 5.4, S. 143. Endoskopie • Rektoskopie: Bei einer Hämatochezie soll in der Regel zuerst eine Anoskopie/Rektoskopie durchgeführt werden, um distale Blutungsquellen (Hämorrhoiden!) auszuschließen. • Obere Panendoskopie: Bei einer anämisierenden, kreislaufaktiven rektalen Blutung muss zuerst eine Krankheit im oberen Gastrointestinaltrakt durch eine obere Panendoskopie ausgeschlossen werden. • Koloskopie: Falls die bisher angegebenen Untersuchungsschritte einen negativen Befund ergeben, folgt als nächste Untersuchung die Koloskopie. Die Blutungen aus dem unteren Gastrointestinaltrakt sind in der Regel weniger bedrohlich und lassen sich mit konservativen Maßnahmen beherrschen. Es lohnt sich deshalb, vor der Koloskopie eine gründliche Darmreinigung vorzunehmen (orthograde Spülung mit 3 – 4 l einer Polyethylenglykol-(PEG-)haltigen Lösung, sog. Fordtranlösung, s. S. 462). Nur ein gut vorbereitetes Kolon erlaubt eine klare Diagnosestellung und ist gleichzeitig Voraussetzung für endoskopischtherapeutische Maßnahmen (EG-B). Angiografie. Die notfallmäßige mesenteriale Angiografie muss in Betracht gezogen werden bei einer fortbestehenden aktiven Blutung und fehlender Blutungsquelle im oberen Magen-Darm-Trakt. Eine Identifikation der Blutungsquelle ist aber in der Angiografie nur möglich bei einer aktiven Blutung von mehr als 2 – 3 ml/min (EG-B).
Therapie Notfallmanagement Allgemeine Maßnahmen. Siehe Kap. 5.4, S. 143.
Siehe Kapitel 5.4, S. 142.
Proktologische Notflle
Weitere Maßnahmen
• •
•
Blutungen aus Angiodysplasien des Dünn- und Dickdarms sowie Divertikelblutungen sistieren meist spontan. Endoskopische Therapie: Blutungen aus Angiodysplasien/Gefäßmissbildungen können, falls zugänglich, endoskopisch behandelt werden. Die Blutstillung erfolgt durch Unterspritzen mit Adrenalin, mittels Thermokoagulation, Argonlaserung oder mithilfe von Clips. Blutende Polypen sollten endoskopisch abgetragen werden (EG-B). Operative Interventionen: sollten nur durchgeführt werden, wenn eine Blutungsquelle klar identifiziert worden ist. Die Eingriffe erfolgen in der Regel elektiv.
5.6
Proktologische Notfälle C. Beglinger, L. Degen
Definition und Einteilung Unter den proktologischen Notfallsituationen werden akute Befindlichkeitsstörungen im Analbereich verstanden. Im Vordergrund stehen Blutung und Schmerzen. Andere typische Symptome wie Sekretabgang, Jucken, Fremdkörpergefühl, falscher Stuhldrang und veränderte Stuhlgewohnheiten sind für den Patienten unangenehm, manchmal beängstigend, jedoch objektiv keine Notfälle.
Typische Krankheitszeichen Blutung. Blutspuren am Reinigungspapier finden sich bei Fissuren, bei leicht prolabierenden Hämorrhoiden, bei Ekzemen, seltener auch bei Analtumoren oder bei entzündlichen Darmkrankheiten. Diese Art von Blutung ist ein häufiger Befund in der täglichen Praxis, aber kein Notfall. Etwas ausgeprägter ist die Blutung, wenn Blutauflagerungen auf dem Stuhl beobachtet werden, insbesondere bei Koagelabgang. Tumoren des Rektums und Kolons sowie innere Hämorrhoiden oder eine floride Colitis ulcerosa sind die entsprechenden Ursachen. Wenn der Patient über eine spritzende Blutung in die Toilettenschüssel berichtet, sind in der Regel innere Hämorrhoiden die Ursache. Schmerzen. Akute Spannungsschmerzen sind bei äußeren Hämorrhoidalthrombosen und einem Abs-
147
zess das Leitsymptom, eher schneidende Schmerzen bei den Fissuren und dumpfe Schmerzen bei der Anitis.
Differenzialdiagnose
• •
Blutungen: Hämorrhoiden, Fissuren, Tumoren, Proctitis/Colitis ulcerosa, Verletzungen. Schmerzen: Fissuren, Perianalthrombosen, anorektale Abszesse, idiopathische Proktalgie (Proctalgia fugax).
Notfallanamnese
•
Blutung anal? Frischblut und Koagel? Bluttropfen oder Blutlache in der WC-Schüssel? Blutspuren auf dem Reinigungspapier? Blutauflagerungen auf dem Stuhl? • Blutungen mit Schmerzen? Tenesmen (schmerzhafter Harn- und Stuhldrang)? Häufige Entleerungen? • Schmerzen anal oder rektal? Starke Blutungen. Starke Blutungen mit Frischblut- und Koagelabgang sind am häufigsten durch eine Kolonerkrankung (Divertikulose, Polyp, Tumor) bedingt und selten durch innere Hämorrhoiden. Eine tiefe Fissur führt ganz selten zu einer starken, anämisierenden Blutung. Alle starken Blutungen müssen eingehend abgeklärt werden. Anale Schmerzen. Diese haben in der Regel eine Beziehung zur Defäkation; durch Defäkation werden die Schmerzen entweder verursacht oder aber verstärkt. Die häufigste Ursache von analen Schmerzen sind Fissuren oder Perianalthrombosen. Rektale Schmerzen. Sie sind häufig krampfartig, in der Regel verbunden mit einem verstärkten Stuhldrang (bis Tenesmen). Im Vordergrund stehen Abszesse, Proktalgien, Proktitiden oder Tumoren. • Eine häufige Spezialform der rektalen Schmerzen ist die idiopathische Proktalgie (Proktalgia fugax): heftige Schmerzen im Anus, Minuten dauernd (maximal ½ Stunde). Ursache unbekannt, wahrscheinlich Spasmus in der Ampulla recti. Attacken vorwiegend nachts, häufig im Schlaf, keine Blutung. Die proktologische Untersuchung ist unauffällig. • Anorektale Abszesse verursachen Dauerschmerzen. Oberflächliche, subkutane Abszesse sind bei der Untersuchung leicht zu diagnostizieren. Bei tief gelegenen Abszessen müssen oft zusätzliche Methoden in der Diagnostik eingesetzt werden (Endosonografie).
148
Gastroenterologie
Notfalluntersuchung Klinik
5
Lagerung. Die Untersuchung erfolgt meistens in Seitenlage, was für den Patienten in der Regel am angenehmsten ist. Inspektion. Livider Knoten am Anus (Verdacht auf Hämorrhoidalthrombose). Palpation. Starke Schmerzen beim Versuch der Palpation? Eine digitale Untersuchung bei Fissur sollte vermieden werden, da äußerst schmerzhaft; beim Spreizen des Anus ist die Fissur in der Regel zu sehen.
Diagnostik Ano-/Proktoskopie. Lokalisierung einer Blutungsquelle (Hämorrhoiden? andere Blutungsquelle?), Beurteilung der Mukosa (Tumor? Entzündung? Ulzera? Verletzung?). Endosonografie. Nachweis von tiefer liegenden und intersphinktären Abszessen, Tumorstaging. Die Endosonografie ist keine Notfalluntersuchung.
Therapie Notfallmanagement Sofortmaßnahmen bei starken analen Blutungen (EG-C oder EG-D) • Hämoglobin-/Blutdruckkontrolle, evtl. Blutersatz. • Akute Hämorrhoidalthrombose: Stichinzision und Entfernen der Restkoagula (bei einem einzelnen Knoten genügt nach Lokalanästhesie eine kleine Stichinzision mit dem Skalpell, wobei der Thrombus entweder spontan herausspringt oder ansonsten entfernt werden muss). Therapie der häufigsten proktologischen Notfälle • Analfissur: Primär Einsatz von Suppositorien und Salben. In unserem Krankengut haben wir gute Erfahrungen mit einer Salbe gemacht (Nystatin, Zinkoxid), die zweimal täglich aufgetragen wird. Manche Autoren empfehlen den Zusatz von Kortikosteroiden. Vor allem akute Fissuren, die bluten können, sind mit Suppositorien gut therapierbar. Bei starken Schmerzen müssen lokalanästhesierende Substanzen, z. B. 1%iges Lidocain-Gel, verwendet werden (EG-C).
• •
Perianale Abszesse: Jeder Abszess muss chirurgisch eröffnet werden. Bei Abszessverdacht muss ein Chirurg hinzugezogen werden. Proctalgia fugax: Es gibt keine etablierte Therapie. Gelegentlich wird Nitroglycerin empfohlen. Eine alternative Behandlungsempfehlung sind warme Bäder oder Lösen des Spasmus mithilfe eines Fingers.
5.7
Hepatische Enzephalopathie und Leberkoma M. Thumshirn
Definition und Einteilung Die hepatische Enzephalopathie ist eine metabolisch induzierte, prinzipiell reversible, komplexe neuropsychiatrische Störung mit Beeinträchtigung von Bewusstsein, Verhalten und neuromuskulärer Funktion, deren Ursache eine Leberkrankheit und/oder eine zirkulatorische Umgehung der Leber durch portosystemische Shunts ist. Das Leberkoma ist die extreme Manifestation dieses Syndroms. Akute und chronische Form. Die hepatische Enzephalopathie kann akut auftreten bei akutem Leberversagen oder chronisch vorhanden sein. Häufig sind akute Exazerbationen bei chronischer hepatischer Enzephalopathie infolge interkurrenter Erkrankungen. Der Schweregrad wird in 5 Stadien eingeteilt (Tab. 5.7). Der Enzephalopathiegrad ist ein Parameter der Child-Pugh-Klassifikation (Tab. 5.8) zur Prognoseabschätzung bei Leberzirrhose.
Pathophysiologie Das venöse Blut aus dem Gastrointestinaltrakt fließt über das Portalvenensystem durch die Leber, bevor es den systemischen Kreislauf erreicht. Die Leberarchitektur mit fenestrierten Sinusoiden erlaubt die Elimination zahlreicher endogener und exogener Substanzen aus dem Portalblut. Beim zirrhotischen Leberumbau kommt es zur Kapillarisierung der Sinusoide und zur Ausbildung funktioneller intrahepatischer und anatomischer portosystemischer Shunts. Toxische Substanzen aus dem Magen-DarmTrakt können so direkt in den großen Kreislauf gelangen.
Hepatische Enzephalopathie und Leberkoma
Tabelle 5.7
149
Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie.
Stadium
Bewusstsein
Verhalten
Neuromuskuläre Funktion
0
wach, allseits orientiert
intellektuelle Fhigkeiten normal
Reflexe und grobe Motorik normal
I
wach, allseits orientiert, Tag-Nacht-Umkehr
verminderte Aufmerksamkeit, Vergesslichkeit
Tremor, Handschrift verndert
II
schlfrig, zeitlich desorientiert
ausgeprgte Vergesslichkeit, Rechnen gestçrt
flapping Tremor, Sprache verwaschen
III
schlfrig, zeitlich und çrtlich desorientiert
Konversation nicht mehr mçglich
flapping Tremor, Rigiditt, gesteigerte Reflexe, Babinski positiv
IV
komatçs
Tabelle 5.8
Abwehr gezielt, dann ungezielt, dann Streckkrmpfe, Pupillen dilatiert
Child-Pugh-Klassifikation bei Patienten mit chronischem Leberleiden.
Faktor
Punktzahl 1
2
3
Albumin (g/l)
> 35
28 – 35
< 28
Bilirubin (mol/l) Bilirubin (mg/dl)
< 35 <2
35 – 50 2–3
> 50 >3
Quick (%) INR
> 60 < 1,7
40 – 60 1,7 – 2,2
< 40 > 2,2
Aszites (Ultraschall)
kein
gering
ausgeprgt
Enzephalopathie
keine
Grad I – II
Grad III – IV
Child A
Child B
Child C
5–6
7–9
10 – 15
Stadieneinteilung Punktsummen
Auslöser. Bei Patienten mit etablierter Zirrhose werden akute Exazerbationen der hepatischen Enzephalopathie häufig ausgelöst durch: • gastrointestinale Blutungen (Ösophagusvarizenblutung), • Therapie mit Sedativa (Benzodiazepine), • Infektionen (z. B. Pneumonie, spontane bakterielle Peritonitis, Urosepsis), • Azotämie (v. a., wenn durch Diuretika induziert und assoziiert mit hypokaliämischer Alkalose).
Typische Krankheitszeichen Die typischen Krankheitszeichen der hepatischen Enzephalopathie sind (Tab. 5.7): • Störung des Verhaltens, • Störung des Bewusstseins, • Störung der intellektuellen Funktionen,
• •
Sprachstörungen, neurologische Störungen (flapping Tremor, gesteigerte Reflexe, Rigidität).
Differenzialdiagnose
• • • • •
Intoxikation: Alkohol, Psychopharmaka, Paracetamol, Drogen. Intrazerebraler Prozess: Meningitis, Enzephalitis, Blutung, subdurales Hämatom. Andere Stoffwechselstörung und gleichzeitig Hepatopathie: Hypoglykämie, Urämie. Schwere Hyponatriämie (Natrium < 120 mmol/l), oft induziert durch Salzrestriktion und Diuretika (s. S. 196). Wernicke-Enzephalopathie: Alkoholismus und Malnutrition (s. S. 404).
150
Gastroenterologie
Notfallanamnese
5
Die Anamnese muss oft durch Befragen des Hausarztes und/oder der Angehörigen ergänzt werden: • Leberkrankheit bekannt? • Alkoholabusus? Drogenabusus? • Gastrointestinale Blutung (Meläna)? • Intoxikation möglich (Suizidäußerungen)? • Arzneimittel (Hypnotika, Antiepileptika, Paracetamol, Diuretika)? • Diätexzess (hohe Proteinzufuhr)?
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Klinische Zeichen der Hepatopathie (Ikterus, Spider naevi, Palmarerythem, Gynäkomastie, Abdominalglatze, Foetor hepaticus), Kollateralkreislauf. Palpation. Aszites, indurierte Leber, Milzvergrößerung. Neurologische Untersuchung. Neurologische Symptome (Tab. 5.7).
Röntgen-Thorax. Infekt? Ergüsse? Schädel-CT. Intrazerebrales Ereignis?
Therapie Notfallmanagement
•
• • • • • •
Diagnostik Labor. Rotes Blutbild (Anämie? Makrozytose?), Differenzialblutbild (Infekt? Leukopenie?), Thrombozyten (Thrombopenie?), Natrium (Hyponatriämie?), Kalium (Hyperkaliämie?), Kreatinin, Harnstoff (Niereninsuffizienz?), Bilirubin (Exkretionsstörung?), Aminotransferasen (Ausmaß der Leberzellschädigung?), alkalische Phosphatase, g-Glutamyl-Transpeptidase (Cholestase?), Glukose (Hypoglykämie?), Serumeiweiß, Albumin (Hypoproteinämie, Hypalbuminämie?), CRP (Infekt?), Amylase (zusätzliche Pankreas- oder Darmaffektion?), Ammoniak (Ausmaß der Erhöhung?), Prothrombinzeit, evtl. Fibrinogen sowie Faktoren V und VII (Lebersynthesestörung? Vitamin-K-Mangel?), evtl. Hepatitisserologie, evtl. Asservieren von Serum für spätere toxikologische Untersuchungen, Blutgasanalyse (Hypoxie?, Alkalose?, Azidose?). Urinuntersuchung. Natrium (tief?), Kalium (hoch?) (sekundärer Hyperaldosteronismus? hepatorenales Syndrom?), Sediment, Kultur (Infekt?), Urin asservieren für eventuelle spätere toxikologische Untersuchungen. Aszitespunktion und Kultur. Vgl. spontane bakterielle Peritonitis (SBP) (s. S. 151).
• •
•
Suche, Elimination und Behandlung von möglichen auslösenden Faktoren: gastrointestinale Blutung? Infekt (ZNS, Lunge, Urogenitaltrakt, Aszites)? Stoffwechselstörung (Natrium, Kalium, Glukose)? Dehydratation (Diuretika, Diarrhö)? Intrazerebrales Ereignis (CT, evtl. Lumbalpunktion)? Sedativa? Bei komatösen Patienten Intensivüberwachung. Cave! Aspiration (Lagerung), nasogastrische Sonde (EG-D). Glukose 10 – 20% i. v. 1000 – 3000 ml/24 h (EG-D). Elektrolytbilanz, evtl. Korrektur (bei Hyponatriämie Korrekturziel £ 10 mmol/24 h wegen Gefahr der zentralen pontinen Myelinolyse) (EG-C). Evtl. Antibiotika. Korrektur der Gerinnungsstörung (s. S. 226): – Vitamin K 10 mg langsam i. v. 1-mal in 24 h (EG-C), – Zufuhr von Gerinnungsfaktoren durch fresh frozen Plasma (FFP) mit dem Ziel, die Prothrombinzeit über 20 % (INR unter 2,5) zu halten (EG-C), – bei Blutung und/oder Thrombozytopenie unter 20 000/mm3 zusätzlich Frischblut oder Thrombozytenkonzentrate (EG-C). Suche nach intravaskulärer Gerinnung (DIC, s. S. 227). Therapie des Dickdarmmilieus: – bei intestinaler Blutung oder Obstipation: hohe Einläufe und evtl. nasogastrische Lavage mit Elektrolytlösung (wie Vorbereitung für Koloskopie) (EG-D), – Neomycin p. o. oder via Magensonde 1 g 6-stündlich (EG-B), beachte potenzielle Nephro- und Ototoxizität (bei gleichzeitig vorliegender Niereninsuffizienz), – Laktulose (10 – 30 ml) oder Laktitol (10 – 20 g) 6-stündlich via Magensonde (EG-A), Ziel: 2 – 3 weiche Stühle täglich. Bei Unruhe: vorsichtig Sedativa einsetzen: Clomethiazol (300 mg Clomethiazol-Edisilat p. o.) oder Oxazepam (15 mg p. o.) (EG-D); falls Auslösung durch Sedativa möglich: Flumazenil (0,4 – 2 mg i. v.) (EG-B).
Spontane bakterielle Peritonitis
•
Bei Unruhe und Verdacht auf Wernicke-Enzephalopathie: 100 mg Thiaminhydrochlorid (Vitamin B1) langsam i. v. (EG-C) (s. Kapitel 11.8).
5.8
• • •
Klärung der Ätiologie der Hepatopathie, falls nicht bekannt. Evaluation für Lebertransplantation. Diät mit Proteinrestriktion (40 – 60 g/d) (EG-D), Zusatznahrung mit verzweigtkettigen Aminosäuren, Diät mit pflanzlichen Proteinen (EG-D). Dauertherapie mit Laktulose oder Laktitol (EG-B).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Die Mortalität von Patienten mit fulminantem Leberversagen liegt über 80%. Diese Patienten bedürfen der Pflege auf einer Intensivstation. Die Prognose von Patienten mit akuter Exazerbation bei chronischer hepatischer Enzephalopathie ist relativ gut. Mehr als zwei Drittel der Patienten erwachen innerhalb weniger Tage aus dem Koma. • Periodische Kreislauf- und Temperaturüberwachung, • klinisch-neurologische Untersuchung 2 × täglich, • Labor: Hb, Leukozyten, Thrombozyten, Quick, Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff, Aminotransferasen, Bilirubin, alkalische Phosphatase, Glukose, Prothrombinzeit (Quick) täglich, • Flüssigkeitsbilanz.
Besondere Merkpunkte
•
• •
Wegen der kurzen Halbwertszeit der in der Gerinnungskaskade involvierten Proteine stellt die Bestimmung der Gerinnungsfaktoren ein sensitives Maß für die Syntheseleistung der Leber dar und ist ein sehr guter prognostischer Index. Eine verlängerte Prothrombinzeit beim Zirrhotiker, die nach i. v. Gabe von Vitamin K nicht ansteigt, ist ein prognostisch schlechtes Zeichen. Bei Leberzirrhose können bereits ParacetamolTagesdosen von 2 g hepatotoxisch sein. Viele Arzneimittel müssen bei Leberzirrhose in reduzierter Dosierung verabreicht werden (s. Tab. 25.10, S. 642).
Spontane bakterielle Peritonitis M. Thumshirn
Weitere Maßnahmen
•
151
Definition und Einteilung Die spontane bakterielle Peritonitis (SBP) ist eine bakterielle Infektion des Aszites ohne erkennbare Ursache bei Patienten mit Zirrhose (im Gegensatz zur sekundären Peritonitis, z. B. bei Darmperforation).
Pathophysiologie Ursachen. Eine Bakteriämie bei Patienten mit Aszites kann zur Besiedelung des Aszites führen. Der Gehalt an Opsoninen im Aszites ist gering, und bei defekter Makrophagenfunktion können Bakterien im warmen Aszitesmilieu rasch proliferieren. Etwa 10% der Zirrhotiker mit Aszites haben bei Klinikaufnahme oder entwickeln während des Klinikaufenthaltes eine SBP. Auslösende Faktoren sind Ereignisse, die mit einer Bakteriämie einhergehen (gastrointestinale Blutung, invasive Untersuchungen wie Sklerosierung oder Punktionen). Ein hohes Risiko besteht bei Patienten mit schwerer dekompensierter Zirrhose und bei Patienten mit sehr tiefem Eiweißgehalt im Aszites (< 10 g/l). In über 90% der Patienten mit SBP kann nur ein einziger Keim isoliert werden, am häufigsten gramnegative Stäbchen (E. coli) oder Enterokokken. Prognose. Die SBP ist eine schwere Komplikation der Zirrhose mit einer Letalität von 50%. Zwei Drittel der überlebenden Patienten mit SBP haben innerhalb eines Jahres ein Rezidiv, wobei die Letalität wieder 50% beträgt. Eine SBP sollte bei jedem neu hospitalisierten Patienten mit Zirrhose gesucht werden. Bei stationären Patienten mit Zirrhose muss nach einer SBP gefahndet werden bei neuen Abdominalsymptomen, Infektzeichen, Verschlechterung der Nierenfunktion oder Entwicklung einer Enzephalopathie.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Fieber, Bauchschmerzen, Verschlechterung der Nierenfunktion,
152
•
5
Gastroenterologie
Verschlechterung der Leberfunktion mit Zunahme des Aszites und Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie.
Differenzialdiagnose
• • •
Sekundäre Peritonitis (bei intestinaler Perforation). Bakteriaszites: positive Asziteskultur, jedoch wenig Granulozyten im Aszites (< 250/mm3); oft spontane Resolution, aber Übergang in SBP möglich. Leukozytärer Aszites: Aszites mit > 250 Granulozyten pro mm3 ohne Nachweis von Bakterien (Asziteskultur negativ). Behandlung indiziert wie bei SBP, Prognose oft besser.
Notfallanamnese
• • • •
Leberkrankheit bekannt? Bauchschmerzen? Zunahme des Bauchumfanges? Fieber? Eintrübung des Bewusstseins? Vorangegangene Eingriffe: – Sklerosierung von Ösophagusvarizen, Aszitespunktion, – andere Interventionen mit möglicher Bakteriämie (Zahnbehandlung, endoskopische Eingriffe, Punktionen).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Zeichen der Zirrhose mit Hautveränderungen (Spider naevi, Gynäkomastie, Abdominalglatze). Palpation, Perkussion und Temperatur. Suche nach Aszites, indurierter Leber, Splenomegalie, Kollateralkreislauf, Peritonismus, Fieber. Neurologische Untersuchung. Bewusstseinseinschränkung, gesteigerte Reflexe, flapping Tremor.
ist immer Ausdruck einer SBP. Auch wenn in der Asziteskultur kein Bakteriennachweis gelingt (bei 30 – 50% mit SBP können die Kulturen negativ bleiben), ist ein leukozytärer Aszites (> 250/mm3) eine Indikation für die antibiotische Behandlung („kulturnegative SBP“). Labor • Aszitespunktion und Kultur: – Gesamteiweiß (bei SBP tief, oft < 10 g/l), Albumin (tief), Wert wichtig für Bestimmung des Serum-Aszites-Albumingradienten (d.h Albuminkonzentration im Serum minus Albuminkonzentration im Aszites): bei Aszites infolge portaler Hypertension ist die Differenz > 11 g/l, bei peritonealer Erkrankung (z. B. Karzinose) ist die Differenz < 11 g/l, – Leukozytenzahl und Differenzierung (neutrophile Granulozyten > 250/mm3 (> 0,25 × 109/l): Inokulation des Aszites in ein Röhrchen für hämatologische Untersuchungen (EDTA-Röhrchen), – Asziteskultur: vorzugsweise mindestens 10 ml Aszites direkt am Bett in Blutkulturflaschen inokulieren. • Venöse Blutentnahme: – differenziertes rotes (Anämie? Makrozytose?) und weißes Blutbild (Leukozytose? Linksverschiebung?), Thrombozyten (Thrombopenie?), – CRP (Infekt?), Ammoniak (Enzephalopathie?), – Natrium (Hyponatriämie?), Kalium (Hyperkaliämie?), Kreatinin, Harnstoff (Niereninsuffizienz?), – Bilirubin (Ausmaß der Exkretionsstörung?), Aminotransferasen (Ausmaß der Leberzellschädigung?), alkalische Phosphatase, g-Glutamyl-Transpeptidase (Cholestase?), – Serumeiweiß, Albumin (Hypoproteinämie, Hypalbuminämie, Serum-Aszites-Albumingradient?), – Prothrombinzeit (evtl. Fibrinogen, Faktoren V und VII) (Lebersynthesestörung? VitaminK-Mangel?). Röntgen. Thorax- und Abdomen-Übersichtsaufnahme stehend (Perforation?).
Diagnostik
Therapie
Aszitespunktion. Der wichtigste diagnostische Schritt ist die Aszitespunktion mit Untersuchung und Differenzierung der Leukozyten im Aszites. Eine Granulozytenzahl im Aszites von > 250/mm3 (> 0,25 × 109/l) ist hoch verdächtig auf eine SBP und eine Granulozytenzahl von > 500/mm3 (> 0,5 × 109/l)
Notfallmanagement
•
Diagnostische Aszitespunktion, bei geringer Aszitesmenge sonografisch gesteuert. Therapeutische Punktion bei symptomatischen Patienten (ballo-
Akute Porphyrien
• •
niertes Abdomen, Atemnot), bis zu 10 l/Sitzung (EG-D). Ersatz der punktierten Flüssigkeit mit Albuminlösung i. v. 20 g pro 2 l entferntem Aszites (EG-A). Antibiotische Behandlung i. v.: z. B. Ceftriaxon 2 g/24 h oder Amoxicillin/Clavulansäure 1,2 g/8 h; nach Erhalt des Resultates der Asziteskultur gemäß Resistenz (EG-A).
Weitere Maßnahmen
• • •
Salzrestriktion bei der Diät (EG-D). Diuretika (Spironolacton, evtl. zusätzlich Furosemid) mit dem Ziel, die Urinnatriumkonzentration zu steigern (Urin-Natrium/Urin-Kalium > 1) (EG-A). Prophylaxe der Enzephalopathie: – eiweißarme Diät (40 g Eiweiß/d) (EG-D), – Laktulose (10 – 30 ml) oder Laktitol (10 – 20 g) 6-stündlich p.o oder via Magensonde (EG-A).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Klinik (täglich): Peritonismus, Enzephalopathie. Labor (täglich): Hämatologie: Leukozyten (Rückbildung der Leukozytose und Linksverschiebung); Chemie: CRP (Abnahme), Nierenfunktion (stabil oder Besserung). Aszitespunktion und Kultur: Kontrollpunktion 2 Tage nach Therapiebeginn mit Leukozytenzahl und Differenzierung (Abnahme der neutrophilen Granulozyten um mindestens 25% gegenüber der Erstuntersuchung; fehlende Abnahme kann Hinweis auf eine sekundäre Peritonitis sein).
5.9
153
Akute Porphyrien (akut intermittierende Porphyrie, hereditäre Koproporphyrie, Porphyria variegata) E. Minder
Definition und Einteilung Porphyrien sind vererbte Stoffwechselstörungen, verursacht durch partielle Enzymdefekte in der Häm-Biosynthese. Entsprechend ihrer klinischen Symptomatik werden sie in akute Porphyrien (Hauptmanifestation akute Attacken von Abdominalkoliken) und nichtakute Porphyrien (Hauptmanifestation Lichtdermatosen) eingeteilt. Akute Porphyrien sind nach Häufigkeit geordnet: akut-intermittierende Porphyrie (Hydroxyme• thylbilan-Synthase-[HMBS-]Mangel), • Porphyria variegata (Protoporphyrinogen-Oxidase-Mangel), • hereditäre Koproporphyrie (Koproporphyrinogen-Oxidase-Mangel), • Porphobilinogen-(PBG-)Synthase-Mangel (sehr selten). Alle anderen Porphyrien (Porphyria cutanea tarda, erythropoetische Protoporphyrie und die seltenen homozygoten Porphyrien) führen nicht zu einem akuten Abdomen. Diagnostisch für alle akuten Porphyrien sind mindestens 5-fach, meist 10- bis 50-fach erhöhte Porphyrinvorstufen (d-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen) im Urin.
Besondere Merkpunkte
Pathophysiologie
•
Der angeborene Enzymmangel der akuten Porphyrien bewirkt einen relativen Engpass der hepatischen Hämbiosynthese. Häm ist die aktive Gruppe der Arzneimittel abbauenden Cytochrom-P450-Enzyme in der Leber. Arzneimittelbedingte Cytochrom-P450-Induktion führt zu einem vermehrten Hämbedarf. Bei gesteigerter Hämsynthese manifestiert sich der Syntheseblock, was zu Porphyrieschüben führt. Diese sind gekennzeichnet durch Schädigung des autonomen, des peripheren und bei schwersten Schüben auch des zentralen Nervensystems.
• •
Die SBP ist eine gefährliche/bedrohliche Komplikation bei Patienten mit Zirrhose. Die Klinik ist oft minimal, sie kann sich auf eine unerklärte Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Zunahme der Enzephalopathie beschränken. Die Aszitespunktion mit Leukozytendifferenzierung ist der essenzielle diagnostische Schritt. Die Letalität ist hoch. Rezidive sind häufig (70% innerhalb eines Jahres) und können durch die prophylaktische antibiotische Langzeitbehandlung mit Norfloxacin 400 mg/d signifikant reduziert werden (EG-A).
154
Gastroenterologie
Typische Krankheitszeichen
•
5 • • •
• •
Abdominalschmerzen (> 90 %): stark, kolikartig, mehrere Stunden bis Tage dauernd ohne Peritonismus, oft bandförmig im Oberbauch, in den Rücken und in die körpernahen großen Extremitätenmuskeln ausstrahlend, verbunden mit Nausea, Erbrechen (ca. 80 %), Obstipation und allgemeinem Krankheitsgefühl, Tachykardie, Hypertonie, rotbraune Urinfarbe (frisch gelöst oder nach mehrstündigem Stehenlassen) bei ca. 75% der Schübe, schwere oder länger dauernde Schübe: periphere Paresen meist beginnend mit den großen, körpernahen Muskeln, Parästhesien, Hypomagnesiämie, epileptische Anfälle, bulbäre Symptome (Atemlähmung), psychische Störungen (Angstzustände, Aggressivität, Halluzinationen, Desorientiertheit, Koma) ausschließlich während der akuten Porphyriekrisen, meist keine Entzündungszeichen.
Differenzialdiagnose Urolithiasis (s. S. 170), akutes Abdomen (Pankreatitis, Gallenkolik, Appendizitis) (s. S. 127), Polyradikulitis Guillain-Barré (s. S. 402), Bleivergiftung (s. S. 483). Auch bei bekannter Porphyrie sollen jeweils andere Ursachen für Abdominalkoliken ausgeschlossen werden. Hilfreich dabei ist, dass die Patienten meist einen „Porphyrie-Schmerz“ von einem Schmerz anderer Ursache unterscheiden können!
Notfallanamnese
• • •
Frühere Schübe von Abdominalschmerzen und Obstipation oder neurologische Symptome? Rotbraune Urinverfärbung in den letzten Tagen? Schubauslösende Faktoren: – Kürzlich begonnene Arzneimitteleinnahme, z. B. Barbiturate, Carbamazepin, Phenytoin, Progesteron, Sulfonamide, Fungistatika, Antimalariamittel usw., s. unten), – Fasten, – Prämenstruum, – Alkoholexzess, – Stress (psychisch, physisch).
• •
Familienanamnese (obwohl die häufigeren akuten Porphyrien autosomal dominant vererbt sind, ist die Familienanamnese häufig unergiebig). Frauen im gebärfähigen Alter sind häufiger symptomatisch.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Abdomen (kein Peritonismus, spärliche Darmgeräusche, Zeichen für Koprostase, mäßige lokale Druckdolenz), Blutdruck, Puls, Neurostatus.
Diagnostik Urin. Diagnostisch ist die massive Erhöhung von Porphobilinogen quantitativ im Urin! • Hinweise bei der Urinuntersuchung: – Urinfarbe rotbraun, – Urobilinogen im Urin (Urinstatus) stark positiv bei normalem Bilirubin im Serum (unspezifisches Zeichen), – Porphobilinogen qualitativ erhöht, z. B. Hoeschoder Watson-Schwartz-Test, positiv ab 5- bis 10-fache Erhöhung, jedoch häufig falsch positiv, zuverlässiger ist der Trace-Test. • Bestätigung mit quantitativem Urin-Porphobilinogen: > 5-fach erhöht beweist die akute Porphyrie! Beachte! Bei Dringlichkeit Bestimmung in Urinportion (oberer Referenzgrenze 1,9 µmol/mmol Kreatinin) statt im 24-Stunden-Urin und Dringlichkeit dem Labor mitteilen! • d-Aminolävulinsäure im Urin stark erhöht, isolierte Erhöhung von Aminolävulinsäure bei Bleivergiftung. Blut. Keine Entzündungszeichen, Hämoglobin (normal), Leukozyten (normal bis leicht erhöht), Lebertransaminasen (normal bis leicht erhöht), Elektrolyte (Hyponatriämie, Hypomagnesiämie, evtl. SIADH).
Therapie Notfallmanagement Allgemeine Maßnahmen • Bei akuter Lebensbedrohung soll jedes lebensrettende Medikament eingesetzt werden! Porphyriekranke reagieren auf ein porphyrieauslösendes Medikament nicht unmittelbar wie bei einer Al-
Akute Porphyrien
Tabelle 5.9
155
Als ungefhrlich geltende Arzneimittel bei akuten hepatischen Porphyrien, alphabetisch.
Abciximab Acetylcystein Adrenalin Alfentanil Allopurinol Aluminiumsalz-Antazida Amikacin Amilorid Amoxicillin Amoxicillin/Clavulansure Ampicillin Atenolol Atropin Azetylsalizylsure Azithromycin Benzylpenicillin Betablocker Bumetanid Bupivacain Buprenorphin Cephalosporine Cetirizin Chinin Chloralhydrat Chlorpromazin Ciprofloxacin Clofibrat Clonazepam Codein Cromoglicinsure Dexamethason Dexchlorpheniramin Dextromethorphan
Diazepam (max. 10 mg i. v., bei Status epilepticus) Digitoxin Digoxin Dipyridamol Dobutamin Domperidon Dopamin Doxorubicin Droperidol Eisenprparate Enalapril Enfluran Fentanyl Fluoxetin Fluphenazin Flurbiprofen Folsure Furosemid Gabapentin Gentamicin Haloperidol Heparin Hydrochlorothiazid Ibuprofen Imipenem/Cilastatin Impfungen Indometacin Insulin Isofluran Isosorbiddinitrat Isosorbidmononitrat
Ketotifen Kortikosteroide Labetalol Levetiracetam Levomepromazin Lidocain (nur fr Lokalansthesie max. 6 ml 2 %ige Lçsung) Lisinopril Lithiumsalze Lorazepam Loperamid Magnesiumsalze Meropenem Metformin Methadon Metoprolol Mianserin Midazolam Milrinon Morphin Naloxon Naproxen Netilmicin Neostigmin Nitric Oxide Nitroglyzerin Noradrenalin Norfloxacin Ondansetron Oxazepam Oxytocin
Pancuroniumbromid Paracetamol Perphenazin Pethidin Phenoxymethylpenicillin Phentolamin Pholcodin Piperacillin/Tazobactam Pirenzepin Prazosin Procain Promethazin Propofol Propranolol Pseudoephedrin Quinapril Reserpin Reteplase Scopolamin Sevofluran Streptomycin Suxamethoniumchlorid Temazepam Tobramycin Triazolam Trihexyphenidyl Vancomycin Vecuroniumbromid Vigabatrin Vitamine
Bei akuter Lebensbedrohung soll jedes lebensrettende Arzneimittel eingesetzt werden. Ein Arzneimittel, dessen Vertrglichkeit nicht besttigt ist, gilt als unverträglich! Es handelt sich um eine Auswahl; weitere Arzneimittel: www.drugs-porphyria.org, http://web.uct.ac.za/depts/porphyria/ druginfo/drug-frameset-alpha.htm
• •
•
lergie, sondern innerhalb von Tagen. Dies erlaubt, eine spezifische Therapie einzuleiten (s. unten). Absetzen aller unnötigen Medikamente. Bei stabilem Zustand schubauslösende Arzneimittel durch ungefährliche ersetzen (Tab. 5.9 und Tab. 5.10 und: www.porphyria-europe.org, www.drugs-porphyria.org, Deutschland: „Rote Liste“ im Pharmakompendium). Beachte! Alle Medikamente, deren Verträglichkeit bei Porphyrie nicht bewiesen ist, gelten als unverträglich!
• • • •
Korrektur der Elektrolyte (Natrium, Magnesium), Behandlung der Hypertonie (z. B. mit Betablockern, ACE-Hemmern). Neigung zur Orthostase beachten! Schmerzbehandlung (meist Opiate notwendig), evtl. kombiniert mit bis zu 75 mg/d Chlorpromazin i. v. in Dauerinfusion. Weitere symptomatische Behandlung nach Notwendigkeit unter Beachtung der Verträglichkeit der Medikamente. Kohlehydratzufuhr, oral oder falls unmöglich parenteral (ca. 200 g/d).
156 Tabelle 5.10
5
Gastroenterologie
Als ungefhrlich geltende Arzneimittel bei akuten hepatischen Porphyrien, nach Indikationen.
Allergische Reaktionen
Adrenalin, Cetirizin, Cromoglicinsure, Dexchlorpheniramin, Kortikosteroide
Epileptische Anflle Anfallskoupierung
• Clonazepam, Gabapentin, Levetiracetam, Vigabatrin • Clonazepam, max. 10 mg Diazepam
belkeit, Erbrechen
Scopolamin, Domperidon, Droperidol, Chlorpromazin
Hypertonie und Tachykardie
• ACE-Hemmer: Lisinopril, Enalapril, Quinapril • Betablocker: Atenolol, Labetalol, Metoprolol, Propranolol
Diuretika
Bumetamid, Amilorid, Hydrochlorothiazid, Furosemid
Infektionen
• Penicilline: Amoxicillin, Ampicillin, Cloxacillin, Phenoxymethylpenicillin • Aminoglykoside: Amikacin, Gentamicin, Netilmicin, Streptomycin, Tobramycin
• Cephalosporine: Cefoxitin, Cefuroxim, Cefotaxim • Chinolone: Ciprofloxacin, Norfloxacin • Weitere: Vancomycin • Kombinationen: Amoxicillin/Clavulansure Herz-Kreislauf-Krankheiten
Adrenalin, Atropin, Digoxin, Dopamin, Dobutamin, Glyceryltrinitrat (Nitroglyzerin), Isosorbiddinitrat, Isosorbidmononitrat, Procain
Obstipation, Ileus
Loperamid, Neostigmin
Psychosen, Angst- und Erregungszustnde
Levomepromazin, Haloperidol, Fluphenazin, Perphenazin, Chlorpromazin, Triazolam, Temazepam
Schmerz
Azetylsalizylsure, Flurbiprofen, Ibuprofen, Indometacin, Naproxen, Paracetamol, Buprenorphin, Codein, Morphin, Pethidin
Schlaflosigkeit
Lorazepam, Oxazepam
Lokalansthetika
Bupivacain, Levobupivacain, Lidocain (max. 6 ml 2%), Procain, alle Lokalansthetika mit Adrenalin kombinieren, falls keine zustzliche Kontraindikation besteht
Impfungen
Grippeimpfung empfohlen, alle Impfungen gelten als zulssig
Antidepressiva
Fluoxetin, Lithiumsalze
Husten/Erkltung
Acetylcystein, Codein, Dextromethorphan, Pseudoephedrin, Pholcodin
Varia
Heparin, fraktioniertes Heparin, Vitaminprparate, Kortikosteroide (z. B. Dexamethason, Triamzinolon), Tetracosactid, Insulin, Metformin
Es handelt sich um eine Auswahl; weitere Arzneimittel: www.drugs-porphyria.org, http://web.uct.ac.za/depts/porphyria/ druginfo/drug-frameset-group.htm
Akute Porphyrien
Therapie mit Häm-Arginat • Bei stationärem Behandlungsbedarf Häm-Arginat 3 – 5 mg/kg KG (EG-A) als Kurzinfusion. Das Phlebitisrisiko wird vermindert, wenn Häm-Arginat in 100 ml 4%- oder 20%iger Albuminlösung statt in NaCl (EG-D) gelöst wird und wenn ausgiebig mit NaCl 0,9% oder Ringer-Laktat nachgespült wird. Häm-Arginat-Infusionen alle 24 h während 3 – 5 Tagen wiederholen. Ein früher Einsatz von Häm-Arginat wird von den Experten befürwortet (EG-C). • Bezug von Häm-Arginat: Schweiz: Stauffacherapotheke, Dr. Langer AG 8004 Zürich, Telefon: + 41 1 44 242 86 36, Deutschland, Österreich und osteuropäische Länder: Orphan Europe, MaxPlanck-Straße 6, 63128 Dietzenbach, Deutschland, Telefon: + 49 6074 914 090, Fax: + 49 6074 914 0918,
[email protected]). • Eine zwingende Indikation für Häm-Arginat ist das Auftreten von motorischen Paresen und weiteren neurologischen Symptomen (EG-D). • Häm-Arginat darf auch (entgegen anders lautenden Publikationen) bei Schwangerschaft eingesetzt werden, ohne dass eine fetale Schädigung befürchtet werden muss (EG-D). • Bei sehr häufigen Schüben (> 4/Jahr) eventuell Zahl der Infusionen auf 1 – 2 beschränken und Porphyrie-Zentrum hinzuziehen!
Weitere Maßnahmen
•
•
• •
Differenzialdiagnose der akuten Porphyrien mit folgenden Untersuchungen: – HMBS-Aktivität (früher genannt PBG-Deaminase-Aktivität): erniedrigt bei akut-intermittierender Porphyrie, während akuter Schüben oft falsch normal), – Plasmafluoreszenzscan: Peak bei 626 nm spezifisch für Porphyria variegata. – Stuhlporphyrine: massiv erhöhte Koproporphyrine (v. a. Isomer III) bei normalem Protoporphyrin: spezifisch für hereditäre Koproporphyrie, Patienten über Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung weiterer Porphyrieschübe aufklären. Patientenbroschüre in verschiedenen europäischen Sprachen unter www.porphyriaeurope.org. Familienmitglieder auf Porphyrieträgerschaft abklären. Kontakte zu nationalen oder nahe gelegenen Porphyrie-Zentren: www.porphyria-europe.org.
157
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • • •
Neurostatus (Auftreten von Paresen und/oder respiratorischer Insuffizienz ist eine zwingende Indikation für Häm-Arginat). Bei schweren Attacken Herzmonitoring, da fatale Rhythmusstörungen beschrieben sind. Laborkontrolle: Elektrolyte. d-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen normalisieren sich unter Häm-Arginat rascher als Klinik. Flüssigkeitsbilanz, evtl. Korrektur eines SIADH.
Besondere Merkpunkte
•
•
Bei starkem, Stunden bis Tage anhaltendem kolikartigem Bauchschmerz (mit weicher Bauchdecke, Nausea, Obstipation, keine Entzündungszeichen), verbunden mit Tachykardie, Hypertonie, Hyponatriämie und evtl. rotbraunem Urin an akute Porphyrie denken! Die Diagnose lässt sich stellen durch Nachweis eines mehr als 5-fach erhöhten, quantitativen Porphobilinogens im Spontanurin.
158
6 Nephrologie
6 Übersicht
•
6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
•
Nephrologie Akutes Nierenversagen Akuter Harnwegsinfekt und Pyelonephritis Harnverhalt Urolithiasis Notfallsituationen in der Peritonealdialyse – Notfallsituationen infolge des Peritonealdialysekatheters – Peritonitis bei Peritonealdialyse – Urmiespezifische Komplikationen 6.6 Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten – Notflle des Transplantates: prrenale Niereninsuffizienz – Notflle des Transplantates: postrenale Niereninsuffizienz – Notflle des Transplantates: renale Niereninsuffizienz – Notflle als Folge der Immunsuppression
6.1
Akutes Nierenversagen A. Bock
Definition und Einteilung Innerhalb von Stunden bis Tagen auftretendes Versagen von glomerulärer Filtration und renaler Ausscheidung. Oligurie. In etwa 50% der Fälle oligurisch (d. h. Diurese < 500 ml/24 h bzw. < 20 ml/h). Anurie. Definiert als Diurese < 100 ml/24 h. Absolute Anurie (gar kein Urin) ist stets verdächtig auf Zirkulationsstopp (Nierenrindennekrose, bilaterale Nierenarterienembolie).
•
Prärenales Nierenversagen: Nierenversagen aufgrund renaler Hypoperfusion (Unterschreiten der renalen Autoregulationskapazität oder renale Vasokonstriktion). Höchstens minimale strukturelle Läsionen fi rasche Reversibilität bei Behebung der Ursache (z. B. Anheben des Blutdrucks und/ oder Beseitigung der renalen Vasokonstriktion). Postrenales Nierenversagen: Nierenversagen infolge Urinabflussstörung, wodurch der Druck in den Harnwegen so weit ansteigt, dass er dem glomerulären Filtrationsdruck die Waage hält. Dies führt zum Sistieren der Filtration. Renales akutes Nierenversagen („intrinsisches akutes Nierenversagen“): Nierenversagen infolge komplexer funktioneller und struktureller Schädigung der Niere selbst (Abb. 6.1).
Pathophysiologie Prärenales Nierenversagen. Bei Absinken des arteriellen Mitteldrucks bis auf ca. 80 mmHg wird die glomeruläre Filtration dadurch aufrechterhalten, dass sich die afferenten Arteriolen autoregulatorisch erweitern. Bei noch tieferem Druck nimmt die Filtration rasch ab, unter 50 – 60 mmHg ist sie nicht mehr möglich. Bei beeinträchtigter Autoregulation (Prostaglandinsynthesehemmer, altersbedingte, hypertensive oder diabetische Arteriolosklerose, Nierenarterienstenose) tritt ein prärenales Nierenversagen bereits bei vergleichsweise geringer Hypotonie auf. Für ein klinisch relevantes Nierenversagen bei Nierenarterienstenose müssen allerdings beidseitige Läsionen oder Einnierigkeit vorliegen. In dieser Situation tritt ein Nierenversagen auch unter Therapie mit ACE-Hemmern/Angiotensin-Rezeptor-Blockern auf (efferente arterioläre Dilatation durch Blockade des Angiotensin II/fehlende präglomeruläre Vasodilatation infolge Stenose). Das Absinken des effektiven arteriellen Blutdrucks aktiviert physiologische Volumenkonservierungsmechanismen, woraus bei intakter Niere die
Akutes Nierenversagen
Prärenales Nierenversagen: Hypovolämie/Hypotonie
Renales Nierenversagen: Verschluss größerer Nierengefäße Aortendissektion bds. Niereninfarkt (Athero-/ Thromboembolie) Vaskulitis Cholesterinembolie
159
Abb. 6.1 Hauptformen des akuten Nierenversagens.
Hypotonie + beeinträchtigte Autoregulation (NSAR/ Sklerose) Renale Vasokonstriktion (Bilaterale) Nierenarterienstenose + ACE-Hemmer/ AT1-Rezeptor-Antagonist
Glomeruläre/arterioläre Krankheiten rapid progressive Glomerulonephritis IgA-Nephritis/SchoenleinHenoch hämolytisch-urämisches Syndrom Nierenrindennekrose Akute interstitielle Nephritis medikamentös-allergisch parainfektiös Tubulär-obstruktives Nierenversagen (akute Tubulusnekrose) protrahierte Hypovolämie/Hypotonie (Schockniere) Sepsis Nephrotoxine Rhabdomyo- /Hämolyse Myelom erhöhte Harnsäureproduktion (Tumorlyse-Syndrom)
Postrenales Nierenversagen: Obstruktion beider Nieren Blasenhalsobstruktion (Prostata, neurogen etc.) bilaterale Ureter-Ummauerung Obstruktion einer Niere bei Einnierigkeit (Transplantat) Ureterobstruktion (Steine, Koagel, Papillennekrose)
Produktion eines hoch konzentrierten, extrem natriumarmen Urins resultiert. Nach längerer Dauer geht das prärenale in ein renales Nierenversagen über. Die dafür nötige Zeit liegt in der Größenordnung von Stunden, variiert aber im Einzelfall stark. Postrenales Nierenversagen. Ein klinisch relevantes postrenales Nierenversagen tritt nur bei Obstruktion beider Nieren auf. Das Hindernis ist daher in der Regel vom Niveau Blase abwärts zu suchen. Nur bei Einnierigkeit (u. a. nach Nierentransplantation) führt auch eine Ureterobstruktion zu akutem Nierenversagen. Nach Erliegen der glomerulären Filtration folgt eine renale Vasokonstriktion, die länger persistieren kann. Deshalb kann auch nach Beseitigung einer Obstruktion die vollständige Wiederherstellung der Nierenfunktion einige Tage benötigen. Renales Nierenversagen (intrinsisches renales Nierenversagen). Die Schädigung ist Folge von: • Verschlüssen der großen und mittelgroßen Arterien (Vaskulitis, Embolie), • Krankheiten der Arteriolen und Glomeruli (z. B. Glomerulonephritis),
• •
einer akuten interstitiellen Nephritis, Tubulusschädigung und/oder tubulärer Obstruktion. Das letztgenannte Syndrom wird im Englischen als „acute tubular necrosis“ bezeichnet, obwohl (außer beim nephrotoxischen Nierenversagen) höchstens Einzelzellnekrosen vorliegen. Pathogenetische Mechanismen des tubulär-obstruktiven Nierenversagens sind: – Tubulusobstruktion durch abgeschilferte Partikel des Bürstensaums, tubulär „gelierendes“ Tamm-Horsfall-Protein (wird durch Schleifendiuretika gefördert!) oder durch Präzipitation anderer Proteine wie Immunglobulin-LightChains und Myoglobin, – Rückdiffusion von Glomerulusfiltrat durch Lecks in der Tubuluswand, – afferent arterioläre Konstriktion mit inadäquater Dilatation der efferenten Arteriole, – Behinderung der medullären Durchblutung und Tubulusobstruktion durch Blutanschoppung in der äußeren Medulla („medullary capillary congestion“).
Nephrologie
160
•
Typische Krankheitszeichen
6
Allgemeine Zeichen. Der rasche Anstieg von Harnstoff und Kreatinin ist das wegweisende Symptom. • Kreatinin: Es befindet sich zu Beginn des akuten Nierenversagens noch nicht im Steady State, weshalb eine Umrechnung auf die Nierenfunktion schwierig ist. Bei akutem vollständigem Ausfall beider Nieren steigt das Kreatinin pro Tag höchstens um 170 – 300 µmol/l (1,9 – 3,4 mg/dl) an! Selbst nach Stabilisierung der Nierenfunktion steigt das Kreatinin oft noch während Tagen weiter an! • Oligurie: Oligurie ist die Regel beim prärenalen und renalen Nierenversagen. • Polyurie: Diese kann vorkommen bei: – prärenalem Nierenversagen unter Diuretikaüberdosierung, – prärenalem Nierenversagen unter osmotischer Diurese (Glukose bei Diabetesentgleisung, Bikarbonatdiurese bei metabolischer Alkalose), – renalem Nierenversagen bei Kontrastmittelapplikation, – renalem Nierenversagen unter Aminoglykosidtherapie, – postrenalem Nierenversagen mit partieller oder intermittierender Obstruktion.
Tabelle 6.1
Je nach Entstehungsmechanismus Zeichen von – Überwässerung: Hypertonie, Lungenödem, periphere Ödeme oder – Hypovolämie: Hypotonie, Schock, periphere Minderperfusion. • Hyperkaliämie • Metabolische Azidose: Kussmaul-Atmung (Dyspnoe wird subjektiv unterschiedlich empfunden, kann fehlen) • Gastrointestinaltrakt: Inappetenz, Nausea, Erbrechen • Urämische Perikarditis • ZNS: Bewusstseinstrübung, flapping Tremor, Muskelzuckungen Für bestimmte Ursachen typische Zeichen • Urinnatrium/Osmolarität/Harnstoff/Harnsäure: nützlich zur Unterscheidung zwischen prärenalem und renalem Nierenversagen (Tab. 6.1). • Glomeruläre Erythrozyten ( Abb. 6.2 a – c, Farbtafel III) oder Erythrozytenzylinder ( Abb. 6.3 a, Farbtafel V): Glomerulonephritis, Vaskulitis. • Breite granulierte ( Abb. 6.3 b, Farbtafel V) oder Wachszylinder ( Abb. 6.3 c, Farbtafel VI): renoparenchymatöser Schaden. • Relativ hohes („normales“) Serumkalzium trotz hohem Phosphor: Myelom.
Unterscheidung von prrenalem und renalem Nierenversagen anhand von Urinindizes.
Indizes
Prärenal
Renal
Erfasste Funktion
U-Osmolaritt (mosm/l)
> 500
< 350 – 450
Urinkonzentrierung
U-Na+(mmol/l)
< 20
> 40
Na+-Retention
< 1%
> 3%
Na+-Retention
< 35%
> 35 %
proximal-tubulre Resorption
< 12%
> 20 %
proximal-tubulre Resorption
UNatrium UKreatinin : PNatrium PKreatinin
FENaþ =
FEHarnstoff =
UHarnstoff UKreatinin : PHarnstoff PKreatinin
FEHarns¨aure =
UHarns¨aure UKreatinin : PHarns¨aure PKreatinin
* FEHarnstoff, FEHarnsure, FENa+: fraktionelle Natrium-, Harnstoff- bzw. Harnsureexkretion Merke:
Alle Urinindizes außer FEHarnstoff und FEHarnsure werden durch vorherige Anwendung von Diuretika wertlos! Die Indizes sind nur fr das akute Nierenversagen (steigendes Kreatinin) validiert!
Achtung: tiefe FENa+ trotz renalen Nierenversagens bei: •akuter Glomerulonephritis, •Vaskulitis, •akuter interstitieller Nephritis (einige Flle), •bergang von prrenalem zu renalem Nierenversagen, •myoglobinurischem/hmoglobinurischem Nierenversagen.
Akutes Nierenversagen
Abb. 6.4 Differenzialdiagnose bei Nierenversagen. Initiale Differenzialdiagnose von postrenalem, prrenalem und renalem Nierenversagen.
Nierenversagen
Ultraschall Obstruktion ?
161
ja
postrenales Nierenversagen
nein
Urinsediment Urinanalyse ohne Diuretikum Volumen-Challenge nach behobener Hypovolämie leer < 20 <1% < 12 % < 35 % > 500 Diurese
Urinsediment U-Na+ FENa+ FEHarnsäure FEHarnstoff U-Osmolarität Volumen-Challenge
nephritisch > 40 >3% > 20 % > 35 % < 350 450
prärenales Nierenversagen
• • • • •
Eosinophilie im Blut: akute medikamentös-allergische interstitielle Nephritis, Cholesterin-Embolie-Syndrom. Eosinophilie im Urin (Nachweis mit „Hansel-Färbung“): allergische interstitielle Nephritis, Cholesterin-Embolie-Syndrom, z. T. auch bei rapid progressiver Glomerulonephritis. Erhöhte LDH: Hämolyse (z. B. bei hämolytischurämischem Syndrom, HUS), Niereninfarkt. Sonografisch geschwollene Nieren mit prominenten Papillen: sprechen für renales Nierenversagen (tubulär-obstruktive Form oder akute interstitielle Nephritis). Stark erhöhte Kreatinkinase, Myoglobinurie: Rhabdomyolyse.
Differenzialdiagnose Kreatininanstieg bei unveränderter glomerulärer Filtration (pharmakologische Hemmung der Kreatininsekretion). Arzneimittel, die die tubuläre Kreatininsekretion hemmen (Cotrimoxazol, Trimethoprim, Cimetidin), führen zu einer Verminderung der Kreatinin-Clearance mit Anstieg des Kreatinins, ohne dass eine Verminderung der glomerulären Filtration vorliegt. Bei normaler Nierenfunktion übersteigt dieser Kreatininanstieg in der Regel 20 – 30% nicht, bei erheblicher vorbestehender Niereninsuffizienz kann der Anstieg 100 % erreichen. Differenzialdiagnostisch muss bei Cotrimoxazol eine akute me-
renales Nierenversagen
dikamentös-allergische interstitielle Nephritis in Betracht gezogen werden. Hinweisend für die isolierte Hemmung der Kreatininsekretion sind: • Arzneimittelanamnese, • Fehlen eines gleichzeitigen Harnstoffanstiegs, • Fehlen anderer Zeichen des akuten Nierenversagens. Abgrenzung des post- und prärenalen vom renalen Nierenversagen. Wegen der unterschiedlichen Therapie ist diese Unterscheidung möglichst rasch zu treffen. Am besten gelingt dies anhand von (Abb. 6.4): • Blutdruck: Hypotonie/Schock? • Sonografie: Nieren+ und ableitende Harnwege, (Na , Osmolarität, fraktionelle • Urinindizes Na+-Elimination: FE-Na+ etc.) (Tab. 6.1), • Urinsediment, • Diureseantwort auf Volumenzufuhr: möglichst rasche Behebung jeglicher Hypovolämie (leere Halsvenen, ZVD < 15 mmHg) durch Zufuhr von Kristalloiden oder Albumin 5 %. Bei dann noch persistierender Oligurie „Volumen-Challenge“ mit 250 – 500 ml NaCl 0,9% oder Natriumbikarbonat 1,4% (v. a. bei metabolischer Azidose) innerhalb 30 min i. v. (evtl. wiederholt). Ursachen des prärenalen Nierenversagens (Abb. 6.1) • Hypovolämie und Hypotonie jeglicher Genese. • Leichte Hypotonie bei beeinträchtigter Autoregulation:
162
6
Nephrologie
– bei Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), – bei sklerotischen Veränderungen der Nierengefäße. • Renale Vasokonstriktion: (Endothelin-Freiset– Röntgenkontrastmittel zung), – Hyperkalzämie, – Sepsis (Endotoxin), – Ciclosporin A, Tacrolimus, Amphotericin B, Ergotamin, – Katecholamine (Noradrenalin, hoch dosiertes Dopamin) therapeutisch eingesetzt oder endogen. • Nierenarterienstenose beidseitig und ACE-Hemmer/AT1-Rezeptor-Antagonist oder Nierenarterienstenose bei Einnierigkeit/Transplantat und ACE-Hemmer/AT1-Rezeptor-Antagonist. Ursachen des postrenalen Nierenversagens • Obstruktion beider Nieren: – Blasenhalsobstruktion (Prostatahyperplasie, neurogen, anticholinerge Arzneimittel, selten Steine/Blutkoagel), – Ureterummauerung bds. (Tumoren im kleinen Becken, retroperitoneale Fibrose). • Obstruktion einer Niere bei Einnierigkeit: – Ureterstein, – Papillennekrose, – Blutkoagel (z. B. nach Biopsie). Ursachen des renalen Nierenversagens • Verschluss mehrerer großer/mittelgroßer Nierengefäße: – bei Dissektion der Aorta abdominalis, – bei Athero- oder Thromboembolien, – bei Vaskulitis (Makroform der Polyarteriitis nodosa, Sklerodermie), – bei Cholesterin-Embolie-Syndrom. • Krankheiten der Glomeruli und Arteriolen: – rapid progressive Glomerulonephritis (antiGBM-Glomerulonephritis, ANCA-assoziierte Glomerulonephritis, Immunkomplex-Glomerulonephritis, paraneoplastische Glomerulonephritis), – IgA-Nephritis oder Purpura Schoenlein-Henoch (Tubulusobstruktion durch massive glomeruläre Hämaturie), – hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, s. S. 184), – Nierenrindennekrose (Schwangerschaft mit Plazentakomplikationen, schwere Sepsis).
•
•
Akute interstitielle Nephritis: – medikamentös-allergisch: nichtsteroidale Antirheumatika (oft mit nephrotischem Syndrom einhergehend), b-Lactam-Antibiotika, Rifampicin, Cotrimoxazol, Ciprofloxacin, – parainfektiös: Leptospirose, Scharlach, Salmonellose, Legionellose sowie Hanta-, Zytomegalie- oder Epstein-Barr-Virusinfektion. Tubulusschädigung und/oder tubuläre Obstruktion: – bei protrahierter Hypovolämie/Hypotonie, – bei Sepsis, – durch Nephrotoxine („acute tubular necrosis“): Antibiotika/Antiinfektiva (Aciclovir, Aminoglykoside, Amphotericin B, Foscarnet, Pentamidin, Vancomycin), Zytostatika (Cisplatin, Ifosfamid), Lösungsmittel (Äthylenglykol, Methanol, Toluen), Gifte (Paraquat, Schlangengifte), – durch Rhabdomyolyse/Hämolyse plus Hypovolämie, – bei multiplem Myelom, – bei erhöhter Harnsäureproduktion: Tumorlyse-Syndrom, selten bei Harnsäure von 900 – 1200 µmol/l (10 – 13,5 mg/dl); nicht zu verwechseln mit der – im akuten Nierenversagen zu erwartenden – Hyperurikämie als Folge der Niereninsuffizienz.
Notfallanamnese
• •
Sofortige Therapie nötig? – Lähmungen: Hyperkaliämie? – Dyspnoe, Orthopnoe: Lungenödem, Azidose? Behandelbare Ursache? – Hypovolämie/Hypotonie: Trauma, Operationen, Blutverlust, Diuretika, Erbrechen, Verbrennungen, Herzinsuffizienz, Leberzirrhose? – Infektionen: vorausgegangene oder andauernde Sepsis, auslösende Ursachen eines Vaskulitis- oder IgA-Nephritis-Schubs, parainfektiöse Nephritis, diarrhöassoziiertes hämolytischurämisches Syndrom? – Medikation: Cotrimoxazol, Trimethoprim, nichtsteroidale Antirheumatika, ACE-Hemmer, Antibiotika/Fungistatika, Zytostatika? – Röntgenuntersuchungen mit Kontrastmittel? – Drogen- oder Arzneimittelabusus/-intoxikation: Rhabdomyolyse? – Hauteffloreszenzen, Polyarthritis, „Sinusitis“ (eitrig-blutige Nasensekretion, Sinusschmerz, radiologische Sinusverschattung), Lungenbefunde: Vaskulitis, Wegener-Granulomatose?
Akutes Nierenversagen
•
– Miktionsstörungen: Pollakisurie, schwacher Urinstrahl, Nachträufeln, Polyurie wechselnd mit Anurie: Obstruktion? – Makrohämaturie: Glomerulonephritis, Vaskulitis, Tumor? – Koliken: Steine, Obstruktion? – Blasentenesmen: Blasentumor, Obstruktion? – Knochenschmerzen: Tumor, Myelom? – Emboliedisposition: Status nach Herzinfarkt, Vorhofflimmern? – Aortendissektion: Nierenarterienverschluss? Akutes oder chronisches Nierenversagen? – Anamnese früherer Nierenkrankheiten, Heredität, – frühere Kreatininwerte, Hypertonie, Diabetes mellitus, abnorme Urinbefunde.
Notfalluntersuchung Klinik Gewicht. Abschätzen der Volämie, Vergleich mit Ausgangswerten. Blutdruck. Liegend plus sitzend oder stehend (Hypertonie, Hypovolämie). Halsvenen. In 458 und in Flachlage (Hypovolämie). Haut. Vaskulitisherde, Purpura, Livedo reticularis, “blue toes” (Cholesterin-Embolie-Syndrom). Herz. Perikarditis, Arrhythmie. Lungen. Lungenödem (urämisches Lungenödem oft auskultatorisch diskret oder als „Obstruktion“ imponierend), Kussmaul-Atmung. Abdomen. Palpable/perkutierbare Retentionsblase, druckdolente Nierenlogen, Zystennieren, Tumor, Geräusche über Nierengefäßen. Rektalbefund. Prostatahyperplasie, Uterustumor. Neurologie. Bewusstseinstrübung, flapping Tremor. Augen inklusive Fundus. Konjunktivalblutungen, Cholesterinembolien, Fundus hypertonicus.
Diagnostik Labor • Hb, Leukozyten, Thrombozyten, Prothrombinzeit/INR, • Differenzialblutbild (Linksverschiebung, Eosinophilie, Fragmentozyten), • Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, • Kalzium (Hypo-/Hyperkalzämie), Phosphor, • Chlorid (Anionenlücke bei metabolischer Azidose) (s. S. 209),
•
163
CRP (entzündlicher Prozess; Cave! BSG bei Nierenversagen fast immer erhöht!), • Kreatinin, Kreatinkinase (Rhabdomyolyse), • LDH (Hämolyse, Niereninfarkt), • Serumalbumin (nephrotisches Syndrom, zur rechnerischen Korrektur des Serumkalziums, s. S. 211), • arterielle Blutgasanalyse (metabolische Azidose/ Alkalose/Hyperventilation/Hypoxämie). Untersuchung des ersten verfügbaren Urins • Teststreifen (Protein, Hb [positiv auch mit Myoglobin!], Glukose), (glomeruläre Mikrohämaturie • Sediment [ Abb. 6.2 a – c, Farbtafeln III, IV], Zylinder [ Abb. 6.3 a – d, Farbtafeln V, VI], Leukozyturie [ Abb. 6.2 d, Farbtafel IV]), • Natrium, Kreatinin, Harnsäure, Harnstoff, Osmolalität (prärenales vs. renales Nierenversagen) (Tab. 6.1), • Urinbakteriologie. Blutkulturen. Bei Verdacht auf Sepsis. Röntgen-Thorax. Lungenödem? EKG. Hyperkaliämie-Veränderungen? (Abb. 7.5, S. 205). Abdomensonografie. Möglichst mit Duplexsonografie (Abflussbehinderung, Nierengröße, Durchblutung). Sobald möglich (und je nach Situation indiziert) • Falls Protein im Teststreifen positiv: Proteinurie quantitativ im 24-h-Urin, • V. a. Perikarditis: Echokardiografie (Erguss), • V. a. Glomerulonephritis/Vaskulitis: Komplement C3/C4, ANF, ANCA, anti-GBM-Antikörper, Kryoglobuline, Hepatitis-B- und -C-Serologie, • V. a. Rhabdomyolyse: Urinmyoglobin (mit speziellem Assay oder am Bett durch Filtrieren eines im Teststreifen hämoglobinpositiven Urins durch einen Filter mit 30 000 Dalton als Cut-off – Myoglobin passiert einen solchen Filter, Hämoglobin nicht – und Wiederholung des Streifentests mit dem Filtrat: bei Myoglobinurie wiederum positiv), • V. a. Myelom: Messung der freien Leichtketten im Serum, Immunelektrophorese, • V. a. auf akute interstitielle Nephritis: Eosinophile im Urin (Hansel-Färbung), • V. a. Urolithiasis: Abdomenleeraufnahme liegend, • V. a. auf diarrhöassoziiertes hämolytisch-urämisches Syndrom: Stuhluntersuchung auf Verotoxin produzierende E. coli.
164
Nephrologie
Therapie Notfallmanagement
6
Prärenales Nierenversagen • Therapie von Hypovolämie/Hypotonie (s. Kapitel 2.2, S. 22), – Hydroxyethylstärke führt bei Sepsis häufiger zu Nierenversagen als Gelatine. • Diuretika sind nicht sinnvoll, da sie das Volumendefizit verstärken (EG-B) – Ausnahmen: Hyperkaliämie, Hyperkalzämie (zusammen mit massiver Volumenzufuhr). • Absetzen potenziell aggravierender Arzneimittel (nichtsteroidale Antirheumatika, ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonisten) (EG-D). Postrenales Nierenversagen • Behebung der Obstruktion, je nach Ursache: – Einlage eines Blasenkatheters, – zystoskopische Einlage eines Ureterkatheters („Doppel-J“), – perkutane Nephrostomie. Allgemeine Maßnahmen bei renalem Nierenversagen • Kreislaufschock: Stabilisierung des Kreislaufs (s. Kapitel 2.2, S. 22). • Sepsis: antibiotische Therapie. • Blasenkatheter: Die Einlage eines Blasenkatheters zur Überwachung der Diurese ist initial meist sinnvoll (EG-D). Der Katheter kann nach Klärung der Situation und Stabilisierung des Zustands am 2. oder 3. Tag entfernt werden, um eine hämorrhagische Zystitis durch mechanische Irritation zu vermeiden. Das Wiederauftreten der Diurese kann durch Sonografie der Blase überwacht werden. • Hämodialyse oder Hämodiafiltration: Bei eindeutig renalem Nierenversagen frühzeitige Verlegung in eine Klinik mit der Möglichkeit zur Nierenersatztherapie. Einlage eines zentralvenösen Dialysekatheters, bevorzugt in die V. jugularis interna rechts, evtl. vorübergehend in die V. femoralis. Länger dauernde Dialyse via Subklaviakatheter verursacht häufig Stenosen der V. subclavia, was bei Patienten, die später chronisch hämodialysiert werden müssen, zu Shuntproblemen (Behinderung des venösen Abflusses mit konsekutivem Shuntverschluss) führt (EG-B).
Urämische Perikarditis • Tägliche Hämodialyse (mit minimaler oder ohne Antikoagulation) bis zum Verschwinden der Symptome (EG-D). • Bei Schmerzen einfache Analgetika (z. B. Paracetamol) oder Glukokortikoide, keine NSAR (EG-D)! • Keine Antikoagulation (Gefahr der hämorrhagischen Tamponade) (EG-D)! Rasche Intervention bei renalem Nierenversagen Diese ist nötig bei den folgenden Komplikationen: • Hyperkaliämie (S. 205): Intensität der Behandlung abhängig von Höhe des Kaliums, eventuellen EKG-Veränderungen und Ansprechen auf Diuretikatherapie: – Versuch mit maximaler Diuretikatherapie: Furosemid 250 mg i. v. plus Metolazon 5 mg p. o. alle 6 h (EG-D). – Insulin-Glukose-Infusion: 20 IE Normalinsulin in 200 ml Glukose 20% über 20 min i. v. oder 50 IE in 500 ml Glukose 20% über 60 min (EG-A); kann nach 4 – 6 h wiederholt werden. – Kationenaustauschharze (Natrium- oder Kalzium-Polystyren-Sulfonat): p. o. 20 – 40 g in 100 ml Wasser oder Sorbitol 20% alle 4 – 6 h oder als Einlauf 50 g in 200 ml Wasser oder Glukose 5 %, alle 2 – 4 h wiederholbar; wirkt nach etwa 1 h für 4 – 6 h. • Hyperkaliämie mit Kalium > 7,0 mmol/l plus EKG-Zeichen: – 10 ml Kalziumglukonat 10 % über 2 – 3 min i. v. unter EKG-Kontrolle (EG-C); in 5- bis 10-Minuten-Abständen 1 – 2 × wiederholbar, falls EKGZeichen wieder zunehmen; antagonisiert sofort die kardialen Wirkungen der Hyperkaliämie; wirkt 30 – 60 min; Cave! Kontraindikation: Digitalistherapie. – Salbutamol 0,5 – 1 mg i. v. oder 10 – 20 mg per Inhalation (EG-A); wirkt innerhalb von 5 min für 1 – 2 h; Cave! Kontraindikation: akutes koronares Syndrom (Tachykardie). – Beide Maßnahmen am besten gefolgt von Insulin-Glukose-Infusion (EG-A). – Hämodialyse einleiten, bei fehlender Verfügbarkeit auch venovenöse Hämodiafiltration. • Hypervolämie/Lungenödem: – Wenn renales Nierenversagen noch nicht voll etabliert bzw. nicht oligurisch ist: Furosemid 80 – 250 mg i. v., 6-stündlich wiederholen, Maximaldosis 1 g/24 h (EG-C); Zugabe eines Thiazids (z. B. Metolazon 5 mg p. o. alle 6 h) (EG-C), Mechanismus: Potenzierung der Schleifendiuretika durch Thiazide (EG-A).
Akutes Nierenversagen
•
– Als überbrückende Maßnahmen: Sauerstoff, Nitroglyzerin als Infusion, p. o. oder transdermal; Morphin (EG-D). – Bei Diuretikaresistenz: maschineller Flüssigkeitsentzug mit venovenöser Hämodiafiltration oder Hämodialyse (EG-C). Nur bei schwerer metabolischer Azidose (Bikarbonat < 10 mmol/l): Zufuhr von Natriumbikarbonat i. v. Die Plasmabikarbonatwerte sollen hierbei nicht wesentlich über 10 mmol/l angehoben werden (Cave! paradoxe intrazelluläre Azidose). – Schätzformel für Korrekturbedarf an Bikarbonat (in mmol): Bikarbonatdefizit [in mmol] = 0,5 × KG [in kg] × (Zielbikarbonat – gemessenes Bikarbonat [mmol/l])
– Es kann die 1-molare (8,4%, 10 ml = 10 mmol) oder die isotone (1,4%, 167 mmol/l) Natriumbikarbonatlösung verwendet werden. Mehr als 50 ml der 8,4%igen Lösung oder 300 ml der 1,4%igen Lösung sollten nicht nötig sein. – Hämodialyse ist das wirksamste Mittel zur Azidosekorrektur (EG-C)! Spezifische Therapien bei bestimmten Krankheitsbildern • Verdacht auf Vaskulitis oder rapid progressive Glomerulonephritis: frühzeitige Nierenbiopsie, überbrückend Methylprednisolon 0,5 g täglich i. v. bis zur Klärung der Situation. • Bei hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS): tägliche Plasmapherese von 3 – 4 l mit Ersatz durch FFP, evtl. kombiniert mit Hämodialyse zur Vermeidung von Volumenüberladung, evtl. kombiniert mit Steroiden bei Verdacht auf immunologische Genese. • Bei Rhabdomyolyse oder Myelomniere mit erhaltener Diurese: Urinalkalinisierung (EG-D) (Ziel: Urin-pH > 7): abwechselnd 1 l Natriumbikarbonat 1,4% und 1 : 1 Glukose-NaCl-Mischinfusion über je 4 h. Kontrolle der Blutgase: Plasmabikarbonat sollte nicht über 35 mmol/l steigen. • Bei Myelomniere mit Dialysebedürftigkeit: tägliche Plasmapherese von 3 – 4 l (EG-D).
165
Weitere Maßnahmen
• • •
Bei Oligurie/Überwässerung: limitierte Natriumund Flüssigkeitszufuhr (maximale Zufuhr: tägliche Ausfuhr plus 500 ml/d, so wenig NaCl wie möglich). Medikamente: Anpassung der Arzneimitteldosierung an die Nierenfunktion (s. S. 637). Hypertonie: Blutdrucksenkung in erster Linie via Flüssigkeitsentzug (Diuretika bzw. Hämofiltration). Bei Blutdruckwerten über 180 – 200 mmHg zusätzlich ACE-Hemmer (z. B. Enalaprilat 1 mg i. v.), Vasodilatatoren (z. B. Nifedipin retard 20 mg p. o., Dihydralazin 6,25-mg-weise i. v.) oder Alpha-Beta-Blocker (Labetalol) (s. S. 100 f.).
Besondere Merkpunkte
• •
•
• • •
Der vor Furosemid abgenommene Urin ist diagnostisch der nützlichste! Die Kunst der Behandlung des akuten Nierenversagens beruht auf der korrekten Einschätzung des effektiven arteriellen Blutvolumens: – übersehene Hypovolämie fi übermäßiger Vasoaktiva-Einsatz fi renale Vasokonstriktion fi Verstärkung des Schadens, – übersehene Hypervolämie fi Überfüllung des Kreislaufs fi zu frühe Dialysebedürftigkeit infolge Lungenödem. Indikationen für Schleifendiuretika im akuten Nierenversagen sind eine therapiebedürftige Hypervolämie oder Hyperkaliämie. Der „Aufrechterhaltung der Diurese“ mit Schleifendiuretika kommt darüber hinaus kein nachgewiesener Nutzen zu (EG-A). Die Anwendung von Dopamin in „Nierendosis“ (3 – 5 µg/kg KG/min) ist nicht von bewiesenem Nutzen (EG-A). Das dialysebedürftige akute Nierenversagen hat eine Letalität von 60 – 90 %, dies als Folge der meist gravierenden Grundkrankheit. Viele Arzneimittel müssen bei Niereninsuffizienz in reduzierter Dosierung verabreicht werden (s. S. 637).
166
6.2
Nephrologie
Akuter Harnwegsinfekt und Pyelonephritis U. Flckiger, M. Weisser
6
mit Linksverschiebung, ein erhöhtes CRP und eventuell positive Blutkulturen.
Differenzialdiagnose
Der akute Harnwegsinfekt (HWI) manifestiert sich als Zystitis oder im Rahmen einer Pyelonephritis. Man unterscheidet zwischen unkompliziertem und kompliziertem HWI. Ein komplizierter HWI hat das höhere Risiko eines Therapieversagens. In der Praxis ist die akute Infektion der sonst gesunden, nichtschwangeren Frau ein unkomplizierter HWI. Alle anderen Fälle sind komplizierte HWI. Risikofaktoren für einen komplizierten HWI sind: Schwangerschaft, männliches Geschlecht, funktionelle oder anatomische Anomalien des Urogenitalsystems, Langzeitkatheterismus, Immunsuppression, Anamnese von rezidivierenden HWI in der Kindheit.
Dysurie. Bei einer Dysurie muss differenzialdiagnostisch an eine akute Urethritis durch Chlamydia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, Ureaplasma urealyticum oder durch Herpes-simplex-Viren gedacht werden. Bei Frauen verursacht eine Vaginitis durch Candida spp. oder Trichomonaden dysurische Beschwerden. Bei Männern müssen eine Prostatitis und Epididymitis gesucht werden. Obstruktion. Eine Obstruktion durch eine benigne Prostatahyperplasie oder bei einer Urethrastriktur nach Operation, ein Blasenkarzinom oder Nierensteine müssen bei entsprechender Anamnese und Klinik gesucht werden. Akute Pyelonephritis. Die akute Pyelonephritis muss gegenüber einer Cholezystitis, Appendizitis, Kolondivertikulitis, Pankreatitis und einem retroperitonealen Abszess abgegrenzt werden.
Pathophysiologie
Notfallanamnese
Erreger. Die Bakterien gelangen aus der Perianalregion aszendierend über die Urethra in die Blase und Niere und gehören zur Darmflora. Beim unkomplizierten HWI ist in ca. 80% der ursächliche Erreger Escherichia coli (E. coli). Mit weniger als 5% folgen Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis. In einer Übersichtsarbeit mit über 3200 Patienten mit einer Pyelonephritis war bei Frauen in 82% und bei Männern in 73% der Fälle E. coli der ursächliche Erreger. Bei Patienten über 55 Jahre nahmen die E. coli leicht ab und Klebsiellen (6% bei Frauen und 11% bei Männern) und Enterokokken spp. (3% bei Frauen und 7% bei Männern) zu. Bei Patienten mit Langzeitkathetern und insbesondere nach wiederholten antibiotischen Therapien können Problemkeime wie Pseudomonas aeruginosa vorkommen.
Für die Abklärungen und das therapeutische Vorgehen sind folgende anamnestische Hinweise wichtig: • Alter, Geschlecht, Schwangerschaft, • Dysurie, Pollakisurie, Hämaturie, • kolikartige Schmerzen (Steine, Obstruktion), • sexuelle Aktivität, Homosexualität (ungeschützter Analverkehr prädisponiert zu HWI bei Männern), • fehlende Zirkumzision ist ein Risikofaktor für HWI bei jüngeren Männern, • vorangegangene Operationen (Strikturen), • Grundkrankheiten assoziiert mit einer komplizierten Infektion sind u. a.: Prostatahyperplasie, Tumoren, Blasenkatheter, Steine, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Nierentransplantation, neurogene Blase, vesikoureteraler Reflux.
Definition und Einteilung
Typische Krankheitszeichen
• •
Akuter HWI: Dysurie, Pollakisurie und Schmerzen in der Blasengegend; meist ohne Fieber und ohne starke Akutphasenreaktion (CRP). Akute Pyelonephritis: Fieber, häufig Schüttelfrost, Flankenschmerzen, manchmal Nausea und Erbrechen. Im Labor finden sich eine Leukozytose
Notfalluntersuchung Klinik Zystitis. Suprapubischer Druckschmerz? Vaginitis (weißlicher, vaginaler Ausfluss, Juckreiz)? Schmerzhafte Prostata bei Rektaluntersuchung weist auf eine Prostatitis, eine einseitig schmerzhafte Hodenschwellung auf eine Epididymitis hin.
Akuter Harnwegsinfekt und Pyelonephritis
Pyelonephritis. Klinische Untersuchung des Abdomens zum Ausschluss einer anderen Abdominalerkrankung (Zeichen einer Peritonitis? Darmgeräusche? Hepatosplenomegalie? Klopfschmerzen der Flanken?), Blutdruck (Hypotonie?), Puls (Tachykardie?) und Temperatur (Fieber?).
Diagnostik Urinstatus. Dies ist die einzige diagnostische Untersuchung, die immer durchzuführen ist! • Leukozyturie: Der sensitivste Laborparameter für einen Harnwegsinfekt ist die Pyurie (> 10 Leukozyten/Gesichtsfeld) ( Abb. 6.2 d, Farbtafel IV). – Ein positiver Leukozytenesterase-Streifentest entdeckt mit einer Sensitivität von 75 – 95% eine Pyurie. – Leukozytenzylinder weisen auf eine Pyelonephritis ( Abb. 6.3 d, Farbtafel VI). • Nitrit: Insbesondere gramnegative Bakterien – im Gegensatz zu grampositiven wie Enterokokken und Staphylococcus saprophyticus – konvertieren Nitrat im Urin zu Nitrit. Der positive prädiktive Wert ist sehr hoch (Spezifität > 90%, Sensitivität 30%). Urinkultur • Nicht indiziert bei der akuten, unkomplizierten Zystitis der Frau. • Positiv: quantitative Urinbakteriologie von 105 cfu (colony forming units)/ml, jedoch weisen auch bereits 102 cfu/ml bei entsprechenden Symptomen auf eine Infektion hin. • Antibiotikaüberprüfung und Anpassung nach Erhalt der Kultur und des Antibiogramms. Labor • Kein Labor indiziert bei der akuten, unkomplizierten Zystitis der Frau. • Blutbild: Leukozyten und Differenzialblutbild (Leukozytose oder Leukopenie, Linksverschiebung, toxische Granulationen). • C-reaktives Protein (CRP) und Kreatinin (Arzneimitteldosierung, s. S. 637). • Blutkulturen nur bei V. a. Pyelonephritis. Abdomenleeraufnahme im Liegen. Bei Verdacht auf Urolithiasis. Sonografie der Nieren. Bei V. a. Pyelonephritis (hypodense Zonen, die verdächtig auf Abszesse sind) oder zum Ausschluss einer Obstruktion. Spiral-CT oder, falls nicht vorhanden, i. v. Pyelografie (IVP). Bei Obstruktion oder Urolithiasis. CT der Nieren. Zum Ausschluss eines Abszesses bei Nichtansprechen auf die antibiotische Therapie.
167
Therapie Die Wahl und Dauer der Therapie ist abhängig von der Zugehörigkeit zu einer der Krankheitsgruppen, vom ursächlichen Keim, den lokalen Verhältnissen (Abszess? liegende Katheter?) und dem Bestehen einer Grundkrankheit (Tab. 6.2). Akuter unkomplizierter HWI bei der jungen Frau. Hier soll keine Erregerdiagnostik erfolgen und entsprechend Anamnese, Klinik und Urinstatus eine empirische Antibiotikatherapie für 3 Tage eingeleitet werden. Trimethoprim/Sulfamethoxazol (160/800 mg) 2 × 1/d oder Trimethoprim (200 mg) 2 × 1/d p. o. sind die Standardtherapien. Alle anderen Gruppen. Hier empfehlen sich eine Erregerdiagnostik und eine entsprechende Anpassung der empirischen Antibiotikatherapie (Tab. 6.2).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Nach Ende der antibiotischen Therapie eines HWI oder einer Pyelonephritis soll ein Urinstatus, der einen Normbefund zeigen muss, durchgeführt werden.
Besondere Merkpunkte Antibiotikaresistenz • Durch den häufigen Einsatz der Antibiotika nimmt die Resistenz auch bei den uropathogenen Keimen zu. Ungefähr 20 – 25 % der E.-coli-Stämme sind in den deutschsprachigen Ländern Europas resistent auf Chinolone und über 30% sind resistent auf Trimethoprim/Sulfamethoxazol. • Da die Antibiotikakonzentration von Trimethoprim/Sulfamethoxazol im Urin jedoch sehr hoch ist, übersteigt die In-vivo-Konzentration die Invitro-Resistenz. Eine Therapie bei der akuten unkomplizierten Zystitis der Frau ist deshalb trotz Resistenz möglich. • Eine Pyelonephritis durch einen auf Trimethoprim/Sulfamethoxazol resistenten E. coli kann jedoch nicht mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol behandelt werden. • Eine therapeutische Herausforderung ist das zunehmende Auftreten von ESBL (extended-spectrum Betalaktamase) bildenden E.-coli-Stämmen, die oft nur noch mit Carbapenemen intravenös zu behandeln sind. Aktuell liegt die Resistenzrate bei den getesteten E.-coli-Stämmen noch unter 5%.
168 Tabelle 6.2
Nephrologie
Empirische Therapie des Harnweginfektes.
Krankheitsgruppe Akuter unkomplizierter HWI bei der Frau
6 Rezidivierender HWI bei der Frau1
Akute Pyelonephritis bei der nichtschwangeren Frau und HWI bei Mnnern3
Akute Pyelonephritis in der Schwangerschaft4
HWI bei Langzeitkathetertrgern5
Empirische Therapie (Anpassung je nach Keim und Antibiogramm)
Evidenzgrad
3 Tage p. o. Trimethoprim/Sulfamethoxazol 2 160/800 mg
EG-A
Trimethoprim 2 200 mg
EG-A
Ofloxacin 2 200 mg
EG-A
Norfloxacin 2 400 mg
EG-A
7 – 10 Tage p. o. Trimethoprim/Sulfamethoxazol 2 160/800 mg2
EG-A
Trimethoprim 2 200 mg
EG-A
2
Ofloxacin 2 200 mg2
EG-A
Norfloxacin 2 400 mg2
EG-A
10 – 14 Tage (i. v. oder p. o.) Ciprofloxacin 2 500 mg p. o. oder 2 400 mg i. v.
EG-A
Ofloxacin 2 200 mg p. o.
EG-A
Trimethoprim/Sulfamethoxazol 2 160/800 mg p. o.
EG-B
Amoxicillin/Clavulansure 3 1,2 g i. v. oder 3 625 mg p. o.
EG-B
Ceftriaxon 1 2 g i. v.
EG-A
10 – 14 Tage Ceftriaxon 1 2 g i. v.
EG-A
Amoxicillin 4 2 g i. v. € Aminoglykosid i. v.
EG-A
Amoxicillin/Clavulansure 3 1,2 g i. v. oder 3 625 mg p. o.
EG-B
Cefuroxim-Axetil 2 500 mg p. o.
EG-B
10 – 14 Tage Ciprofloxacin 2 500 mg p. o. oder 2 400 mg i. v.
EG-B
Ofloxacin 2 200 mg p. o.
EG-B
Ceftriaxon 1 2 g i. v.
Asymptomatische Bakteriurie
bei Verdacht auf Pseudomonas aeruginosa: Cefepim 2 2 g i. v.
EG-B
3 – 7 Tage Therapie nur bei Schwangerschaft und vor urologischen Eingriffen; Antibiotika je nach Keim
EG-A
Alle Dosisangaben basieren auf einer normalen Nierenfunktion 1 Bei ca. 20 % der Frauen nach initialer Episode; falls > 3 Episoden pro Jahr: prophylaktische Behandlung entweder – postkoital (1 160/800 mg Trimethoprim/Sulfamethoxazol), falls HWI mit Geschlechtsverkehr verbunden oder – 3-Tage-Selbstbehandlung mit Standardtherapie bei Beginn der Symptome oder – 6-monatige Prophylaxe mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol 40/200 mg oder Nitrofurantoin 100 mg oder Norfloxacin 200 mg oder Trimethoprim 200 mg pro Tag 2 In der Schwangerschaft kontraindiziert (dann Amoxicillin € Clavulansure verwenden) 3 Orale Therapie mçglich bei gutem Allgemeinzustand; Hospitalisation und intravençse Therapie nçtig bei Erbrechen oder schlechtem Allgemeinzustand 4 Hospitalisation empfohlen, intravençse Therapie bis Fieberfreiheit, dann Wechsel auf orale Therapie 5 Behandlung nur bei symptomatischen Episoden; asymptomatische Bakteriurie: Behandlung nur nach Entfernung des Katheters empfohlen
Harnverhalt
6.3
Harnverhalt
Notfallanamnese
T. Gasser
•
Definition und Einteilung
•
Plötzliches Unvermögen, die volle Harnblase zu entleeren. Ursächlich wird unterschieden zwischen infravesikaler Obstruktion und detrusorbedingter (neurogener) Miktionssymptomatik.
•
169
Vorangegangene Miktionssymptome: Strahlabschwächung, initiales Warten, imperativer Harndrang, Pollakisurie, Nykturie? Frühere Ereignisse: früherer akuter Harnverhalt, vorausgegangene invasive urethrale Eingriffe (Katheterismus, Zystoskopie, transurethrale Prostataoperation), Traumata, Urethritiden, Hämaturie (Blasentumor!). Medikamentenanamnese: Antidepressiva, Anticholinergika.
Pathophysiologie Häufigste Ursache ist die akute Verlegung der prostatischen Harnröhre (meist benigne Prostatahyperplasie). Als Folge davon kommt es zur Überdehnung und schließlich Dekompensation des M. detrusor. Der akute Harnverhalt tritt meist spontan auf, wird aber gelegentlich durch Alkoholgenuss oder Medikamente (trizyklische Antidepressiva, Anticholinergika) ausgelöst.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Quälender Harndrang, Unterbauchschmerzen, Schwitzen, Unruhe. Gelegentlich kann ein Harnverhalt wenig Beschwerden verursachen und sich lediglich als Inkontinenz äußern („Überlaufblase“). Bei länger dauernder Retention Aufstau der Ureteren bis ins Nierenbeckenkelchsystem, Niereninsuffizienz. Bei geriatrischen Patienten ist eine Harnretention gelegentlich Auslöser eines Delirs (s. S. 451).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Inspektion des äußeren Genitales (Meatusstenose). Palpation und Perkussion. Durch Palpation und Perkussion der Blasengegend kann die Diagnose des Harnverhalts meist zweifelsfrei gestellt werden. Eine rektale Untersuchung ist obligatorisch (sie gibt zwar keinen Hinweis auf das Ausmaß der Abflussbehinderung, ist aber wichtig für die Diagnose des Prostataadenoms und -karzinoms).
Diagnostik Sonografie. Bei Unklarheit (z. B. sehr adipöser Patient) zur Unterscheidung zwischen Anurie und Harnverhalt. Gelegentlich ist ein transurethraler Blasenkatheter zum Nachweis oder Ausschluss eines Harnverhaltens nötig. Labor. Kreatinin (Niereninsuffizienz bei chronischer Stauung), Hb (renale Anämie).
Differenzialdiagnose
Therapie
•
Notfallmanagement
• •
Der Harnverhalt muss unterschieden werden von der Anurie (= leere Harnblase). Gelegentlich täuscht ein distaler Ureterstein durch ständigen Harndrang einen Harnverhalt vor. Weitaus häufigste Ursache des Harnverhaltens ist die benigne Prostatahyperplasie. Weitere Gründe: Blasenhalskontraktur („Narbe“), Urethrastriktur, Meatusstenose, Blasenstein, Prostatakarzinom, neurogene Blasenstörung.
• • •
Sofortige Entleerung der Blase hat – unabhängig von der Ursache – Vorrang vor ausgedehnter Diagnostik (EG-D). Blasenentlastung vorsichtig mit transurethralem Dauerkatheter (z. B. Tiemann Charrière 16) durchführen. Urin für Sediment und Bakteriologie entnehmen. Wenn die Kathetereinlage durch die Harnröhre nicht möglich und/oder eine lange Tragedauer
170
• •
6
Nephrologie
zu erwarten ist: suprapubische Zystostomie (Gerinnung beachten) (s. S. 622). Kein fraktioniertes Ablassen der Harnblase. Menge des Blaseninhaltes festhalten, da davon zum Teil das weitere Management abhängt (zu erwartende Katheterliegedauer) (EG-D). Bei nicht stark überfüllter Blase kann ausnahmsweise auch eine Therapie mit einem a1-Blocker (z. B. Tamsulosin, 0,4 mg 1 ×/d versucht werden (EG-D)).
Weitere Maßnahmen
• •
Dauerkatheter nicht zu früh entfernen (eine mit 1000 ml überdehnte Blase braucht 4 – 6 Wochen zur Erholung!). Beurteilung durch Urologen für weitere Diagnostik (Urethrogramm, Zystoskopie usw.) organisieren (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Elektrolytkontrolle (Hyponatriämie, Hypokaliämie nach Entlastung lang dauernder Retention). Exsikkose durch Polyurie nach Entlastung (viel Trinken, gelegentlich intravenöse Zufuhr).
gang, die iliakale Gefäßüberkreuzung sowie die Uretermündung in die Blase (Ureterostium) (Abb. 6.5).
Pathophysiologie Eine Kolik wird ausgelöst durch eine akut auftretende Obstruktion im oberen Harntrakt. Die Intensität der Schmerzen ist nur in geringem Maße von Steingröße und -lokalisation abhängig. Die renalen Schmerzen kommen vermutlich durch Dehnung der Nierenkapsel zustande. Ureterkoliken sind Folge von Spasmen und Tonuserhöhung im Ureter sowie lokalen Entzündungsprozessen. Gastrointestinale Begleitsymptome werden durch viszeroviszerale Reflexe ausgelöst.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Besondere Merkpunkte
• •
Palpation und Perkussion ermöglichen meistens die Diagnose. Die rasche Entlastung der Blase hat Vorrang vor langwieriger Diagnostik zur Klärung der Ursache.
Typische Koliken sind gekennzeichnet durch heftigste crescendoartige Schmerzen und treten häufig nachts und in Ruhe auf. Meist sind sie begleitet von Allgemeinsymptomen: Unruhe (Umherlaufen, Wälzen im Bett), Nausea bis Erbrechen, Darmatonie bis paralytischer Ileus, Schweißausbruch. Nierenkoliken äußern sich als Flankenschmerzen, manchmal ausstrahlend in Leiste und Hoden/Labia majora. Ureterkoliken verursachen eher Unterbauchschmerzen. Blasennahe Steine können Harndrang und Pollakisurie auslösen und werden gelegentlich mit Harnverhalt verwechselt.
Differenzialdiagnose
6.4
Urolithiasis
•
T. Gasser
• •
Definition und Einteilung Kolik. Als Kolik bezeichnet man plötzlich auftretende, vernichtende Schmerzen von an- und abschwellender Intensität, meist begleitet von Schweißausbrüchen, Übelkeit und Erbrechen. Steine. Nach der Lokalisation werden Kelch-, Pyelonund Uretersteine unterschieden. Entsprechend den physiologischen Engen sind Prädilektionsstellen für obstruierende Konkremente der pyeloureterale Über-
Akute Appendizitis, Kolitis, Divertikulitis, Gallenkolik, Adnexpathologie (z. B. Salpingitis), Pyelonephritis.
Notfallanamnese
• • •
Frage nach früheren Steinepisoden, urologischen Interventionen oder Operationen, familiäre Steinbelastung, Diabetes mellitus (Papillennekrosen).
Urolithiasis
171
Abb. 6.5 Abdomenleeraufnahme. Die Pfeile kennzeichnen die 3 Prdilektionsstellen fr eine Urolithiasis: pyeloureteraler bergang (oben), iliakale Gefßberkreuzung (Mitte) und Uretermndung in die Blase (unten).
Notfalluntersuchung Klinik Palpation. Im Akutstadium häufig Klopf- oder Druckdolenz in Flanke und Unterbauch. Untersuchung der Hoden und Rektalpalpation (bei Urolithiasis unauffällig, differenzialdiagnostisch wichtig). Temperatur messen. Gefahr der Urosepsis bei Obstruktion und infiziertem Urin.
Diagnostik Urinsediment und Urinbakteriologie. Hämaturie in 90% (meist mikroskopisch, selten makroskopisch; selten Konkrement mit Hämaturie ohne Koliken); geringe Leukozyturie häufig ( Abb. 6.2 d, Farbtafel IV), viele Leukozyten im Urin können Hinweis auf Infekt sein.
Labor. Kreatinin (bei einseitiger Obstruktion normal, erhöht bei Einnierigkeit oder beidseitiger Obstruktion); leichte Leukozytose häufig (stressbedingt), bei Infekt ausgeprägte Leukozytose und bei Urosepsis von Thrombopenie begleitet. Röntgen. Mit einer Abdomenleeraufnahme im Liegen werden kalkhaltige Konkremente erkannt. Information über Zahl, Lage, Konfiguration und Größe der Konkremente (Abb. 6.5). Sonografie. Die Sonografie orientiert über das Ausmaß der Stauung und ist gelegentlich bei der Steinlokalisation hilfreich. Eine unauffällige Sonografie schließt ein Konkrement nicht aus. CT oder i. v. Urogramm (IVP). Die Untersuchung der 1. Wahl ist heute das CT ohne Kontrastmittel („Uro-CT“, „Stein-CT“, „Nativ CT“). Es hat eine sehr hohe Genauigkeit und ist meist rasch verfügbar. Kontrastmittel ist nur bei unklaren Befunden nötig (Cave! Nierenfunktion). Das IVP wird nur noch selten verwendet (EG-A) (Abb. 6.6).
Nephrologie
172
6
Abb. 6.6
Uro-CT. Distaler Ureterstein rechts (Pfeil).
Therapie Notfallmanagement Steinlokalisation und -zusammensetzung sind für die Notfallbehandlung unerheblich. Sofortige analgetische Therapie. Die Schmerzbehandlung hat Vorrang vor langer Diagnostik (EG-D): • Metamizol 500 – 1000 mg (= 1 – 2 ml) i. v. langsam (wegen Brechreiz und Blutdruckabfall), bei weniger starken Koliken 1000 mg Metamizol rektal (1 Supp.); Cave! Agranulozytose beschrieben! (EG-D) oder • Diclofenac 75 mg i. m. (EG-B) oder • Ketorolac 30 mg i. m. (EG-B) oder • Piroxicam 40 mg i. m. (EG-B) oder • Desmopressin 40 µg Spray intranasal (EG-B). • Spasmolytika, z. B. Butylscopolaminiumbromid 20 mg i. v. als Bolus, dann auch 2 – 3 Amp. in 500 ml Infusionslösung werden heute seltener verwendet (EG-D). • Auf Opioide wegen unerwünschter Wirkungen auf Ureter- und Darmmotilität eher verzichten. Bei unbehandelbaren Schmerzen evtl. Pethidin 50 mg langsam i. v. (EG-D).
Weitere Maßnahmen Doppel-J-Katheter. Wenn medikamentös keine Schmerzfreiheit erreicht wird oder ein Infekt vorliegt, urologische Intervention zur Entlastung: in Schleimhautanästhesie transurethrales Einführen eines Doppel-J-Katheters (versenkte Ureterschiene zwischen Niere und Blase), evtl. perkutane Nephrostomie in Lokalanästhesie (EG-D).
Steinentfernung. Weiteres Management u. a. von Steingröße abhängig: • < 4 mm fi zuwarten, da 90%ige Chance des Spontanabganges, • > 6 mm fi urologische Therapie planen, da Spontanabgang unwahrscheinlich (EG-B). Ambulantes Vorgehen. Bei tolerablen Beschwerden ist häufig eine ambulante Behandlung möglich: Mobilisation des Patienten zur Anregung der Ureterperistaltik; bei distalen Steinen a1-Blocker (z. B. Tamsulosin, 0,4 mg/d), um den Steinabgang zu beschleunigen (EG-A), Urin sieben, um Konkrement für Analyse sicherzustellen; forcierte Diurese heute obsolet (Koliken werden verstärkt, Gefahr der Kelchruptur) (EG-D). Klinikeinweisung. Diese ist bei persistierenden Schmerzen erforderlich. Obstruktion mit Fieber ist ein zwingender Einweisungsgrund (Urosepsisgefahr) (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
• • •
Schmerzen: Mit guter Spasmoanalgesie sollte rasch Schmerzfreiheit erreicht werden. Temperaturkontrolle: Bei Verdacht auf Urosepsis (Temperaturerhöhung) sofortige urologische Entlastung des gestauten Nierenbeckenkelchsystems, unterstützt durch antibiotische Therapie: – bei gutem Allgemeinzustand: Ciprofloxacin 2 × 500 mg/d p. o. oder 2 × 200 mg/d i. v., – bei schlechtem Allgemeinzustand: Amoxicillin 3 × 2 g i. v. plus Amikacin 15 mg/kg KG/d (Anpassen bei eingeschränkter Nierenfunktion). Bei doppelseitigen Steinen oder funktioneller Einnierigkeit Gefahr der Niereninsuffizienz. Entlastung mit Doppel-J-Katheter oder Nephrostomie. Bei abgangsfähigen Steinen nach 2 – 4 Wochen Röntgenkontrolle planen (Steinabgang?). Bei Hämaturie Urinkontrolle planen (abklärungsbedürftig bei Persistenz).
Besondere Merkpunkte
• •
Ureterkoliken gehören zu den heftigsten Schmerzen überhaupt. Rasche Analgesie hat Vorrang vor ausführlicher Diagnostik. Bei Obstruktion und Fieber rasche urologische Entlastung des Nierenbeckenkelchsystems (Urosepsis mit Schockgefahr!).
Notfallsituationen in der Peritonealdialyse
6.5
Notfallsituationen in der Peritonealdialyse
173
Notfalluntersuchung Diagnostik
V. Schwenger, M. Zeier
Röntgen Abdomen im Stehen. Die Katheterlage kann durch eine Röntgenübersichtsaufnahme (ohne Kontrastmittel) ermittelt werden.
Definition und Einteilung Die Peritonealdialyse ist ein chronisches Dialyseverfahren, bei dem die Peritonealhöhle durch den Peritonealdialysekatheter permanent mit der „Außenwelt“ verbunden ist. Hieraus ergeben sich die wichtigsten Notfallsituationen. • Notfallsituationen, die direkt mit dem Peritonealdialysekatheter assoziiert sind. Diese betreffen den Transport der Peritonealdialyseflüssigkeit und Infektionen entlang des Peritonealkatheterkanals in der Subkutis. • Eintritt von Mikroorganismen durch den Peritonealdialysekatheter, die zur Peritonitis führen (häufigste Komplikation bei Peritonealdialyse). • Hydrostatische Komplikationen mit Dialysatleckagen, Hernien und Hydrothorax. • Dialysespezifische Komplikationen unabhängig vom Dialyseverfahren: Hyperkaliämie, Überwässerung.
Therapie Notfallmanagement
•
•
Bei intraluminaler Obstruktion Gabe von Heparin in das Dialysat (maximal 2000 IU/l) (EG-D) oder Versuch einer fibrinolytischen Therapie (5000 IU Urokinase) (EG-D), die unter sterilen Bedingungen in den Peritonealdialysekatheter eingebracht und für 1 Stunde belassen wird. Bei Dislokation infolge Obstipation abführende Maßnahmen, zusätzlich durch körperliche Aktivität (Hüpfen, Springen) den Katheter in die gewünschte Ausgangslage (Douglas) bringen.
Auslaufprobleme Pathophysiologie
Notfallsituationen infolge des Peritonealdialysekatheters Einlaufprobleme Typische Krankheitszeichen Blockierung beim Einlauf der Peritonealdialyselösung gleich zu Beginn des Einlaufs. Ursache ist ein abgeknickter Peritonealdialysekatheter oder eine intraluminale Blockade durch ein Fibrin- oder Blutkoagel.
Notfallanamnese Obstipation oder Diarrhö (Hyperperistaltik) sowie körperliche Aktivität (Sport) können zur Dislokation führen.
Ursache ist eine Teilobstruktion der Perforationen des Peritonealdialysekatheters, so dass eine Drainage für den Auslauf nicht vollständig oder gar nicht mehr möglich ist, allerdings mit erhaltenem Einlauf (noch offene Perforationen am Katheter, Netzanteile werden durch den Einlaufdruck des Dialysats vom Katheter weggedrückt und legen sich später wieder an, Prinzip des Einwegventils). Eine weitere Möglichkeit ist die Dislokation des Katheters subhepatisch oder subphrenisch.
Typische Krankheitszeichen
• •
Einlauf von Dialysat problemlos möglich, die Drainage der Peritonealdialyselösung ist allerdings nicht mehr vollständig oder völlig unmöglich. Gewichtszunahme (Vergleich der Tagesprotokolle mit Gewichtsverlauf), Spannungsgefühl im Abdomen (durch erhöhten intraabdominellen Druck).
174
Nephrologie
Typische Krankheitszeichen Infekte an der Austrittstelle sind durch Rötung und leichten Schmerz gekennzeichnet. Der subkutane Infekt entlang des Kathetertunnels kann oligosymptomatisch, aber auch schmerzhaft und mit Allgemeinreaktionen (Fieber) kombiniert sein.
6 Notfalluntersuchung Abb. 6.7 Tunnelinfekt eines Peritonealdialysekatheters. Flssigkeitsmarkierter Randsaum (+ +).
Notfalluntersuchung Diagnostik
Diagnostik Sonografie. Zur Notfalluntersuchung sollte in jedem Fall eine Kathetertunnel-Sonografie (Abb. 6.7) gehören, um subkutane Abszesse zu erfassen (Perforationsgefahr mit Eintritt von Mikroorganismen in das Peritoneum). Abstrich. Vor Antibiotikatherapie muss unbedingt ein Nasen-, Achsel- und Leistenabstrich erfolgen, um Staphylokokkenträger zu identifizieren.
Röntgen Abdomen. Eine Abdomenübersichtsaufnahme kann den dislozierten Katheter lokalisieren.
Therapie Therapie
Notfallmanagement
Notfallmanagement
Tunnelinfekt • Umgehend chirurgische Sanierung durch Katheterexplantation. • Systemische Antibiose: initial 2 × 2 g/d Cefotaxim (EG-B), nach 3 Tagen 1 × 2 g/d Cefotaxim i. v.; alternativ: Clindamycin 3 × 300 bis 3 × 600 mg/d (EG-C). Exit-Site-Infekt • Antibiose: Clindamycin 3 × 300 bis 3 × 600 mg/d (alternativ Rifampicin 2 × 300 mg/d) oder Levofloxacin 1 × 250 mg/d oral für mindestens 14 Tage (EG-D). • Bei Staphylokokkenträgern (gemäß Resultat des Nasen-, Achsel-, Leistenabstrichs) lokale Therapie mit Mupirocinsalbe erforderlich (EG-C). • Bei schweren purulenten Exitinfektionen kann die lokale Antibiotikabehandlung (z. B. Gentamicin-Creme) oder die Exitspülung mit einem farblosen Antiseptikum (z. B. Octenidin) hilfreich sein (EG-D). • Im Normalfall wird der Exit-Site-Infekt ambulant behandelt.
• •
Therapeutisch steht im Falle einer Einwegventilsituation nur die chirurgische Exploration und Neupositionierung des Katheters zur Verfügung. Im Falle einer vermuteten Katheterdislokation sollte zunächst ein Auslauf in Kopftieflage erfolgen. Danach sollte durch abführende Maßnahmen und körperliche Aktivität versucht werden, den Katheter in die gewünschte Position zu bringen (s. o.). Bei Erfolglosigkeit muss eine operative Katheterlagekorrektur erfolgen.
Infektionen entlang des Katheters Pathophysiologie Häufigste Ursache dieser Infektionen sind Staphylokokken (> 50% S. aureus, 20% S. epidermidis) und Pseudomonas ssp. (bis 15%). Die Lokalisation kann am Katheteraustritt aus der Haut (exit-site) oder – gefährlicher – entlang des Katheters in der Subkutis (Tunnelinfekt) sein.
Notfallsituationen in der Peritonealdialyse
Peritonitis bei Peritonealdialyse Pathophysiologie Eintritt von Mikroorganismen (grampositive Keime in 70%) entweder durch den Peritonealdialysekatheter in den Abdominalraum oder durch Perforation eines subkutanen Abszesses entlang des Peritonealdialysekatheters. Eine weitere Möglichkeit sind intraabdominelle Prozesse, die zu einer Peritonitis führen können (Cave! häufig anderes Keimspektrum, gramnegative Keime). Selten können Pilze und Mykobakterien für eine Peritonitis bei Peritonealdialyse verantwortlich sein (Anteil < 5% bzw. < 2%).
Typische Krankheitszeichen
• •
Trübes Dialysat (Patient berichtet dies und bringt häufig schon einen Dialysatbeutel mit trübem Dialysat mit). Weitere Symptome können diffuse Bauchschmerzen (ziehend über den gesamten Unterbauch), Durchfall oder Obstipation, Erbrechen und auch Fieber sein.
175
Notfalluntersuchung Klinik Häufig Abwehrspannung bei Palpation.
Diagnostik Labor • Im Dialysat: Die Diagnose wird mikroskopisch am Nativdialysat gestellt (> 100 Leukozyten/µl). Zusätzliche Asservierung von Nativdialysat für eine Gramfärbung (Dialysat zentrifugieren, z. B. 50 ml bei 3000 g für 10 min) und für Dialysatkulturen (je 10 ml in aerobe und anaerobe Blutkulturflaschen; wenn möglich Zentrifugation von 50 ml Dialysat über 10 min bei 3000 g, Resuspension des Sediments mit 10 ml steriler Kochsalzlösung). Im Falle einer Perforation können im Dialysatsediment u. U. Stuhlbestandteile (Muskelfasern etc.) nachgewiesen werden. • Im Blut: Blutbild, CRP, Leberwerte, Amylase, Gerinnung, Elektrolyte und Nierenfunktion (Kreatinin, Harnstoff). Sonografie. Sonografie des Kathetertunnels zum Ausschluss eines subkutanen Abszesses.
Differenzialdiagnose
Therapie
•
Die Therapie der Peritonitis erfolgt umgehend nach empirischen Erfahrungen und/oder gemäß den internationalen Leitlinien. In der Regel wird der Patient stationär aufgenommen. • Die Antibiose folgt keinem einheitlichen Standard, sondern ist durch ein zentrumsinternes Protokoll festgelegt. – Intraperitoneal 1 – 1,5 g Cefazolin/Beutel 1×/d (oder 15 – 20 mg/kg KG intraperitoneal verteilt auf 4 Dosen) (EG-C) und 1 – 1,5 g Ceftazidim/ Beutel/d. – Alternativ intraperitoneal 1 – 1,5 g Cefazolin/ Beutel 1×/d (oder 15 – 20 mg/kg KG intraperitoneal verteilt auf 4 Dosen) (EG-C) und Gentamicin 0,6 mg/kg KG/Beutel 1×/d (EG-D) (Plasmaspiegelkontrolle) über die Dauer von mindestens 14 Tagen (Tab. 6.3) (s. auch http:// www.ispd.org/2000_treatment_recommendations.html). • Steht eine Gramfärbung zur Verfügung und werden gramnegative Keime nachgewiesen, wird zusätzlich Metronidazol 2 × 400 mg p. o. (EG-D) ge-
•
•
Differenzialdiagnostisch sind das trübe Dialysat, bedingt durch Fibrin, Eiweiß oder Lymphe (Chylus), und das hämorrhagische Dialysat abzugrenzen (Ovarialblutung bei Ovulation, retrograde Menstruation oder Traumafolge). In jedem Fall kann eine Peritonitis (Leukozyten) durch das Dialysatsediment von einer Blutung (deutlich mehr Erythrozyten als Leukozyten) und trübem Dialysat (zellarm) abgegrenzt werden. Die Differenzialdiagnose der Ursache der Peritonitis ist von größter Wichtigkeit. Steht eine Gramfärbung zur Verfügung und werden gramnegative Keime gefunden, sind Darmentzündungen (mit/ohne Perforationen) zu bedenken (Divertikulitis, Appendizitis, Cholezystitis, perforiertes Ulcus ventriculi).
176 Tabelle 6.3
Nephrologie
Empirische Therapie der CAPD-assoziierten Peritonitis.
Initiale empirische Therapie Antibiotikum Cefazolin
6
Restdiurese < 100 ml/Tag
> 100 ml/Tag
1 g/Beutel 1/d oder
1,5 g/Beutel 1/d oder
15 mg/kg KG/d auf 4 Beutel verteilt
20 mg/kg KG/d auf 4 Beutel verteilt
1 g/Beutel 1/d
1,5 g/Beutel 1/d
plus Ceftazidim
Alternative empirische Therapie Antibiotikum
Restdiurese < 100 ml/Tag
Cefazolin
> 100 ml/Tag
1 g/Beutel 1/d oder
1,5 g/Beutel 1/d oder
15 mg/kg KG/d auf 4 Beutel verteilt
20 mg/kg KG/d auf 4 Beutel verteilt
0,6 mg/kg KG/Beutel 1/d
nicht empfohlen
plus Gentamicin
•
•
geben und ein chirurgisches Konsil (Probelaparotomie, Katheterexplantation?) veranlasst. Rascher Beutelwechsel (ohne Verweilzeit) nur bei ausgeprägten klinischen Symptomen wie starkem Abdominalschmerz (EG-D), um eine Symptomlinderung zu erreichen. Die raschen Beutelwechsel sind umstritten, da frisches Dialysat die peritonealen Abwehrmechanismen beeinträchtigt. Die orale Antibiotikatherapie ist zumindest initial zu vermeiden.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Neben der Therapie der Peritonitis muss der Patient auf seinen Volumenstatus überprüft werden (Halsvenen, Ödeme, Röntgen-Thorax). Infolge Änderung der Filtrationseigenschaften des Peritoneums kann es rasch zu einem Ultrafiltrationsverlust und Überwässerung kommen.
Urämiespezifische Komplikationen Hyperkaliämie Definition und Einteilung Die Hyperkaliämie (Kalium > 5,5 mmol/l; s. auch S. 204) ist im Vergleich zur Hämodialyse bei Peritonealdialyse selten.
Pathophysiologie Auslöser sind beim Dialysepatienten die Therapie mit einem ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker sowie Diätfehler mit zu hoher Kaliumzufuhr.
Typische Krankheitszeichen Die Krankheitszeichen sind Schwere der Extremitäten, bei sehr hohen Werten (Kalium > 7,5 mmol/l) kardiale Probleme (Bradykardie).
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
Notfalluntersuchung
Therapie
Diagnostik
•
Labor. Kalium. EKG. 12-Ableitungs-EKG (typische Hyperkaliämiezeichen: hohe, zeltförmige T-Wellen [s. Abb. 7.5, S. 205], AV-Überleitungs-Blockierung, Schenkelblockbilder).
Therapie Notfallmanagement Siehe S. 205.
•
177
Die Entwässerung erfolgt durch Einsatz von Peritoneallösungen mit höherer Glukosekonzentration (> 3 %). Besteht noch eine Restdiurese, kann mit hoch dosierten Schleifendiuretika (Furosemid 500 – 1000 mg als Kurzinfusion i. v. maximal 1,5 g/d) (EG-C) behandelt werden; Cave! Innenohrtoxizität!
6.6
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten J. Steiger
Überwässerung Pathophysiologie Infolge abnehmender Restausscheidung der Eigennieren kann es beim Peritonealdialysepatienten zur Flüssigkeitsretention kommen.
Typisches Krankheitszeichen Der notfallmäßige Vorstellungsgrund ist zumeist ein entgleister Blutdruck und Ruheatemnot, insbesondere beim flachen Liegen (Orthopnoe).
Notfalluntersuchung Klinik Typischerweise haben die Patienten Ödeme, gestaute Halsvenen und manchmal feinblasige Rasselgeräusche über den Lungen.
Diagnostik Röntgen-Thorax. Volumenüberladung (HerzTransversal-Durchmesser größer als der halbe knöcherne Thoraxdurchmesser, Kerley-B-Linien, Lungenarterien in den Oberfeldern sichtbar als Zeichen der Umverteilung). Abdomen-Ultraschall. Gestaute V. cava inferior. Labor. Kalium.
Definition und Einteilung Bei nierentransplantierten Patienten wird unterschieden zwischen Notfällen, die das Transplantat betreffen und solchen, die eine Folge der Transplantation und der Immunsuppression sind. Beiden gemeinsam ist häufig der Kreatininanstieg (Abb. 6.8). Durch einfache Untersuchungen (Klinik, Ultraschall des Transplantates und evtl. Duplex der Nierengefäße) kann zwischen prärenaler und postrenaler Niereninsuffizienz unterschieden werden (Tab. 6.4). Die Diagnose der renalen Niereninsuffizienz ist im Notfall häufig eine Ausschlussdiagnose und bedarf meist weiterer Abklärungen. Gewisse Folgekrankheiten der Immunsuppression wie systemische Infektionen können sowohl zu einer prärenalen (Dehydratation) wie auch renalen Niereninsuffizienz führen (Zytokine). Zeitfaktor. Akute Blutungen aus den Gefäßanastomosen, eine Nierenruptur und Gefäßverschlüsse sind bei fehlendem Kollateralkreislauf Notfälle, die das Transplantat innerhalb von 30 min zerstören können. Systemische Infektionen, schwere akute Abstoßungsreaktionen und Magen-Darm-Blutungen müssen innerhalb von Stunden behandelt werden. Eine akute Obstruktion, eine akute Kalzineurinhemmertoxizität oder Leuko-, Thrombopenie oder Anämie benötigen eine Korrektur innerhalb von Tagen. Untersuchung der Transplantatniere. Die Transplantatniere wird in die Inguina rechts oder links gelegt, an die A. iliaca externa angeschlossen, und der Ureter wird in die Blase des Empfängers implantiert
Nephrologie
178
Volumenverlust
ja
Diuretika stoppen evtl. ACE-Hemmer pausieren Volumengabe (NaCl 0,9 %)
ja
systemische Infektion
ja
Therapie des Infektes und Volumengabe (NaCl 0,9 %)
ja
Blutverlust
ja
Blutungsquelle suchen
ja
Stopp im Bereich des Transplantatureters
ja
Doppel-J-Einlage oder Nephrostomie
ja
postvesikales Problem z. B. Prostata
ja
Dauerkatheter
ja
Leukozyturie, evtl. Fieber
ja
Pyelonephritis/Urosepsis fi Antibiotikatherapie
ja
keine offensichtliche Ursache,
ja
akute Abstoßung fi Biopsie
keine offensichtliche Ursache
ja
hämolytischurämisches Syndrom fi Biopsie
keine offensichtliche Ursache
ja
akute Ciclosporin-/ Tacrolimus-Nephrotoxizität fi Biopsie
Kreatininanstieg (> 25 % der Baseline)
ja
prärenale Ursache ? Untersuchung: Volumenstatus
6
nein
Diarrhö Erbrechen renal (Diuretika)
Kreatininanstieg häufig auch renal bedingt
postrenale Ursache ?
Untersuchung: Ultraschall des Transplantates
nein renale Ursache ? ja Fieber, Krankheitsgefühl, schlechter AZ und evtl. Organmanifestation ja
aber Trend zu Volumenretention, Hypertonie, Eosinophilie, CRP ›
ja
Hämolyse und Trend zu Volumenretention, Hypertonie
systemische Infektion Kreatininanstieg häufig auch prärenal bedingt
fi Therapie des Infektes
ja
(antibiotische, antimykotische oder antivirale Therapie)
Abb. 6.8
Trend zu Hypertonie
Diagnostisches Vorgehen bei erhçhtem Serumkreatinin nach Nierentransplantation.
(Abb. 6.9). Die Transplantatniere ist für Palpation und Ultraschall inklusive Duplexsonografie oder eine Nierenbiopsie leicht zugänglich.
Notfälle des Transplantates: prärenale Niereninsuffizienz Volumenverlust Pathophysiologie Siehe Tab. 6.4.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Symptome der Orthostase, trockene Schleimhäute, evtl. Durst.
Notfalluntersuchung Klinik
•
Niedriger Blutdruck: Blutdruck immer liegend und stehend messen! (Blutdruckabfall systolisch ‡ 20 mmHg nach dem Aufstehen: Orthostase), bei Patienten mit arterieller Hypertonie kann ein „normaler“ Blutdruck bereits Zeichen eines Volumenmangels sein.
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
Tabelle 6.4
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten.
Notfälle des Transplantates Prärenale Niereninsuffizienz Volumenverlust • Diarrhç • Erbrechen • renal (Diuretika) • Blutverlust – akute Blutung aus Transplantatgefßen – primre sterile Nahtinsuffizienz (Risikofaktor: starke Arteriosklerose) – infektiçse Wandarrosionen (2. – 8. Woche nach Transplantation) – Magen-Darm-Blutung • Dehydratation, z. B. bei systemischer Infektion Mangelnde Flssigkeitszufuhr • zerebrovaskulrer Insult, • systemische Infektion (hufig kombiniert mit Verlust) Akuter Transplantatgefßverschluss • Thrombose der Transplantatnierenarterie (Abknickung, zu enge Naht, Kompression) • Intravasale Gerinnung durch thrombotische Mikroangiopathie – humorale Abstoßung durch – prformierte spenderspezifischen Anti-HLA-Antikçrper ohne Vorbehandlung – AB0-Blutgruppenantikçrper bei AB0-Inkompatibilitt ohne Vorbehandlung – hmolytisch-urmisches Syndrom (Rezidiv oder de novo unter Kalzineurinhemmertherapie) • Nierenvenenthrombose Postrenale Niereninsuffizienz Akute Abflussbehinderung
• Stopp im Bereich des Transplantatureters • postvesikales Hindernis Renale Niereninsuffizienz Akute Abstoßung Akute Kalzineurininhibitortoxizitt Hmolytisch-urmisches Syndrom (HUS) Pyelonephritis/Urosepsis Systemische Infektion Nierenvenenthrombose: durch zu enge chirurgische Naht, Abknickung, Kompression durch gestautes Nierenbecken Intravasale Gerinnung Notfälle als Folge der Immunsuppression + Transplantation Leuko-, Thrombopenie und Anmie Systemische Infektionen • virale tiologie: CMV-Infekt und -Krankheit (sehr hufig v. a. bei CMV-positivem Spender und CMV-negativem Empfnger), Herpesviren • bakterielle tiologie • Pilze • Parasiten Lokaler Infekt Hypertensive Krise Tiefe Phlebothrombose auf der Seite des Transplantates Nierenruptur Akute Magen-Darm-Blutung Akute Pankreatitis
179
180
Nephrologie
Akuter Transplantatgefäßverschluss Definition und Einteilung Siehe Tab. 6.4.
Typische Krankheitszeichen
6
• •
Rasche und erhebliche Nierenfunktionsverschlechterung, meist Anurie (Cave! Übersehen der Transplantatanurie wegen Restdiurese aus eigenen Schrumpfnieren!). Bei Venenthrombose oft Rindenrupturen mit schmerzhaften Hämatomen.
Notfalluntersuchung Klinik Abb. 6.9 Transplantatniere. Lage und Anschluss der transplantierten Niere.
Palpation. Geschwollenes, derbes Transplantat.
Diagnostik
•
Leere Halsvenen: Auch bei Überwässerung mit Ödemen kann intravasal ein Volumenmangel bestehen.
Diagnostik
•
Zentralvenendruck (ZVD): Bei Patienten mit Multiorganversagen und unklarem Volumenstatus ist aufgrund der Unsicherheit der klinischen Zeichen die Messung des ZVD oder des Wedge-Druckes hilfreich.
Therapie
• • •
Kausale Therapie der extrarenalen Ursachen des Volumenmangels (EG-D). Volumenersatz mit NaCl 0,9 % (EG-D). Bei Blutverlusten, wenn Hämoglobin £ 80 g/l oder eine aktive Blutung vorliegt: Erythrozytenkonzentrate (EG-D).
Duplexsonografie. Erhöhter Widerstand bis zu fehlendem Fluss, evtl. Stenose durch Abknickung der Transplantatarterie. Nierenszintigrafie. Keine Anreicherung des Isotops über dem Transplantat. Angiografie. Durchblutungsstopp. Nierenbiopsie. Nur falls in der Angiografie kein Durchblutungsstopp zu erkennen ist (Suche nach thrombotischer Mikroangiopathie).
Therapie
•
• • •
Falls Durchblutung noch vorhanden ist: wenn möglich Therapie des Grundproblems (Therapie der Abstoßung, des hämolytisch-urämischen Syndroms oder der Kalzineurinhemmertoxizität) (EG-D). Bei arterieller Abknickung: operative Replatzierung des Transplantats und der geknickten Arterie (EG-D). Falls nur ein Arterienast thrombosiert ist: zuwarten, Heparinisierung und evtl. Azetylsalizylsäure 100 mg/d (EG-D). Bei Dauer des Durchblutungsstopps > 60 min: Nephrektomie des nekrotischen Transplantats (EG-D).
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
Akute Blutung aus den Transplantatgefäßen Pathophysiologie Siehe Tab. 6.4.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Plötzlicher heftiger Lokalschmerz, rasch folgender Schock, fakultativ: innerhalb von Minuten wachsende Schwellung im Transplantatbereich (durch Hämatom).
Pathophysiologie Obstruktion. Verschluss im Bereich einer narbigentzündlichen Ureterstenose infolge Fibrosierung oder lokaler Abstoßungsreaktion; Kompression von außen durch Lymphozele oder Ureterstein. Urinfistel. Nekrose des Spenderureters infolge Abstoßung, Insuffizienz der Durchblutung des distalen Ureters, oder Nahtinsuffizienz der ureterovesikalen Anastomose.
Typische Krankheitszeichen
• •
Differenzialdiagnose Nierenruptur (in der Regel weniger dramatischer Verlauf, dafür häufig Makrohämaturie).
181
• •
Therapie
Urinvolumen: Rückgang des Urinvolumens bis zur Anurie, Schmerzcharakter: dumpfer Schmerz und Spannungsgefühl im Bereich des Transplantats, aber keine Koliken (Spenderharnwege schmerzen nicht!), Bei Leckbildung: subkutanes pastöses „Ödem“ über dem Transplantat oder Flüssigkeitsabgang aus der Operationsnarbe, Pseudoperitonismus: heftige Abdominalschmerzen durch Urinaustritt in die Peritonealhöhle (können diagnostisch irreführen!)
Notfallmanagement
• •
Volumenersatz auf dem Weg in den Operationssaal (EG-D). Sofortige operative Revision: bei infektiöser Arrosion: Nephrektomie, Drainage und Antibiotika (EG-D), bei steriler Nahtinsuffizienz: Nahtkorrektur (EG-D).
Notfälle des Transplantates: postrenale Niereninsuffizienz Akute Abflussstörung: Obstruktion, Fistel, Leck Der transplantierte Ureter ist nur von proximal vaskulär versorgt und wird an seinem Ende in die Blase implantiert. An dieser Stelle trifft eigenes Gewebe auf fremdes Gewebe. Zusammen mit der schlechten Durchblutung führt dies in 5 – 10 % zu einem Leck oder einer Vernarbung mit Obstruktion.
Notfalluntersuchung Diagnostik
•
•
Bei Verdacht auf Abflussbehinderung: – Ultraschall des Transplantats (gestaute ableitende Harnwege?), – Differenzialdiagnose: atonisch dilatiertes Nierenbecken bei akuter Abstoßung. Bei Verdacht auf Urinleck: – Kreatinin bestimmen in der durch die Fistel/ Operationswunde austretenden (in Kolostomiesack auffangen) oder in der Tiefe sequestrierten (Punktion) Flüssigkeit. Bei einem Urinleck entspricht die Kreatininkonzentration in dieser Flüssigkeit dem Urin und ist um ein Vielfaches höher als im Serum oder Plasma. – Bildgebende Verfahren: Urinleck nachweisen mittels Sonografie, Pyelografie, CT mit Kontrastmittel, Szintigrafie.
182
Nephrologie
Therapie Notfallmanagement
•
6
•
Zystoskopisch retrograde Einlage eines DoppelJ-Katheters zwischen Transplantatpyelon und Blase (EG-D). Falls dies scheitert, äußere Ableitung durch Nephropyelostomie, später durch anterograd eingelegten Doppel-J-Katheter ersetzen (EG-D).
Weitere Maßnahmen Operatives Vorgehen. Operative Beseitigung der Abflussstörung/des Lecks. Allerdings soll erst operativ saniert werden, wenn sich nach innerer oder äußerer Urinableitung die Nierenfunktion erholt hat und wenn trotz Ableitung und Zuwarten ein Leck persistiert (spontane Heilung bei Druckentlastung während 2 – 3 Monaten möglich). Methoden: • Neozystostomie des Transplantatureters (falls intakter Teil genügend lang) oder • Implantation des Eigenureters an Fremdnierenbecken mit oder ohne Eigennierennephrektomie.
Besondere Merkpunkte Trotz des liegenden Doppel-J-Katheters muss bei gleichzeitigen Miktionsproblemen (Urethrastriktur, Prostatahypertrophie, Psyche) eine kontinuierliche Urinableitung aus der Blase mit Katheter sichergestellt werden (Dauerkatheter oder suprapubische Ableitung, s. S. 622), da ansonsten Urin von der überdehnten Blase via Doppel-J-Katheter direkt oder durch vesikale Druckerhöhung während Miktionsversuchen ins Transplantatpyelon zurückgestaut wird.
Notfälle des Transplantates: renale Niereninsuffizienz Akute Abstoßung Pathophysiologie Abstoßungstypen. Zellulärer und humoraler Immunangriff des Wirtes gegen das fremde Organ. Histologisch wird zwischen interstitieller und vaskulärer Abstoßung unterschieden, wobei Letztere eine schlechtere Prognose hat. Bei der interstitiellen Ab-
stoßung liegt ein aggressives lymphozytäres Infiltrat vor, das in die Tubuli penetriert (Tubulitis). Bei der vaskulären Abstoßung sind vor allem die kleinen Gefäße und die Glomeruli (Transplantatglomerulitis) betroffen. Aufgrund der Gefäßveränderung und/ oder der Freisetzung von Zytokinen kommt es zu einer verminderten Perfusion der Niere, einer Nierenfunktionsverschlechterung und einem Kreatininanstieg.
Typische Krankheitszeichen
• • • • • • • •
Nierenfunktionsverschlechterung (Harnstoffund Kreatininanstieg, Abfall der Kreatinin-Clearance), Rückgang des Urinvolumens (früh nach Transplantation der sensitivste Parameter), Gewichtszunahme, Blutdruckanstieg, subfebrile Temperatur (oft fehlend oder nur diskret, selten hoch bei fulminanter vaskulärer Abstoßung), gelegentlich Schwellung und Verhärtung der Niere mit Druckgefühl im Transplantatbereich, Zunahme der Proteinurie, selten sind alle Symptome vorhanden, meistens nur einzelne – am häufigsten der Kreatininanstieg, ganz selten allgemeines Krankheitsgefühl.
Differenzialdiagnose Kreislaufbedingter Funktionsverlust des Transplantats infolge Dehydratation/Hypotonie, Urinabflussstörung, Ciclosporin-/Tacrolimus-Nephrotoxizität, Nierenarterienstenose, akute Pyelonephritis, medikamentös (NSAR, ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonist), Venenthrombose oder Arterienverschluss im Transplantat.
Notfalluntersuchung Labor. Kreatinin, CRP, Urinsediment (Leukozyten und Erythrozyten: Infekt?). Sonografie. Ultraschall des Transplantats: Abflussstörung? Typische Abstoßungszeichen? (plumpe Markpyramiden und verkleinerte, unscharfe, zentrale echodichte Zone = peripelvines Fettgewebe mit Nierenbecken und hilusnahen Gefäßen). Nierenbiopsie. Bei Abstoßungsverdacht innerhalb von 24 – 48 h.
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
Duplexsonografie. Nierenarterienstenose? Erhöhter intrarenaler Gefäßwiderstand? Arterieller Durchblutungsstopp? Angiografie. Nur bei Verdacht auf vaskuläre Abstoßung der großen Gefäße und Ausschluss der anderen Differenzialdiagnosen.
Therapie Notfallmanagement Bei interstitieller Abstoßung • Methylprednisolon 0,5 g in 100 ml NaCl 0,9% als Kurzinfusion über 20 – 30 min an 3 aufeinander folgenden Tagen. • Erhöhung der Basisimmunsuppression: Anheben der Konzentration von Ciclosporin/Tacrolimus oder Sirolimus (= Rapamycin) um 25% (EG-C). Bei Abstoßungsverdacht und fehlender Möglichkeit einer Biopsie • Methylprednisolon 0,5 g in 100 ml NaCl 0,9% als Kurzinfusion über 20 – 30 min an 3 aufeinander folgenden Tagen. Bei fehlendem Absinken des Kreatinins auf den Ausgangswert: Biopsie (EG-D). Bei glukokortikoidresistenter, interstitieller Abstoßung und bei vaskulärer Abstoßung • Anti-T-Lymphozyten-Globulin (ATG-F) 4 mg/kg KG/d als Infusion über 4 h an 7 aufeinander folgenden Tagen. • Als Prophylaxe des „Cytokine-Release-Syndroms“ 0,5 g Methylprednisolon 2 h vor der ersten, 0,25 g vor der 2. und 3. Infusion von ATG-F. Trotzdem am ersten Tag Fieber möglich (falls Schüttelfrost: 50 mg Pethidin i. v.); außerdem Leuko- und Thrombopenie möglich (zwingt kaum je zum Absetzen). • Erhöhung der Basisimmunsuppression: Anheben der Konzentration von Ciclosporin/Tacrolimus oder Sirolimus um 25% (EG-D). Bei humoraler Abstoßung • Intravenöse Immunglobuline 2 g/kg KG über 5 Tage (EG-C). • Rituximab (EG-C). • Weitere Alternative: Ergänzung der Basisimmunsuppression durch Sirolimus (EG-D).
183
Besondere Merkpunkte Beim Einsatz von polyklonalem ATG-F empfiehlt sich eine antiinfektiöse Prophylaxe. Pneumocystis jiroveci. Cotrimoxazol (160 mg Trimethoprim/800 mg Sulfamethoxazol) 3 × pro Woche 1 Tbl. oder Inhalation von Pentamidin 300 mg 1× pro Monat. CMV und Herpesviren. Bei Empfänger- oder Spender-CMV-Positivität empfiehlt sich als CMV-Prophylaxe Valganciclovir p. o. (450 mg/d, Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion) (EG-A). Bei Auftreten einer CMV-Krankheit (prädiktiv dafür sind pp65-Antigen-Positivität und Krankheitszeichen) muss die Valganciclovir-Dosis auf 2 × 450 mg/d p. o. gesteigert werden (Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion).
Akute KalzineurininhibitorNephrotoxizität Pathophysiologie Akute funktionelle Nephrotoxizität. Ciclosporinund Tacrolimus-Nephrotoxizität, zusammengefasst unter dem Begriff Kalzineurininhibitor-Nephrotoxizität, sind klinisch und morphologisch identisch. Ein gewisser Abfall der Nierenfunktion (Kreatininanstieg um 5 – 20%) unter Ciclosporin/Tacrolimus, bedingt durch eine leichte präglomeruläre arterioläre Tonuserhöhung, ist üblich und rein funktionell. Diese Tonuserhöhung kann aber bei Überdosierung zu einer erheblichen präglomerulären Vasokonstriktion eskalieren mit relevantem Funktionsabfall bis zum akuten Nierenversagen. Diese akute funktionelle Nephrotoxizität ist reversibel. Strukturelle Veränderungen. Weiter kann es zu erheblichen strukturellen Veränderungen kommen, die auch bei Transplantationen anderer Organe als der Niere zur terminalen Niereninsuffizienz führen und eine Nierenersatztherapie notwendig machen. Die morphologisch initial dominanten Veränderungen treten am proximalen Tubulus auf und an den Arteriolenwänden. Die strukturellen Veränderungen sind meist nicht mehr reversibel und können auch nach Absetzen des Kalzineurininhibitors progredient sein.
184
Nephrologie
Typische Krankheitszeichen
• • •
6
• •
Akute Verschlechterung der Nierenfunktion, keine Temperaturerhöhung, im Unterschied zur akuten Abstoßung: Transplantat normal groß und konsistent, häufig Blutdruckanstieg (aber nicht obligat), Ciclosporin-/Tacrolimuskonzentration: in der Regel erhöht (12-h-Talspiegel im Vollblut gemessen mit spezifischen monoklonalen Antikörpern: > 200 bzw. > 15 ng/ml).
Differenzialdiagnose
• •
Transplantatabstoßung (nur durch Nierenbiopsie sicherzustellen), postrenale Ursache (Ultraschall).
Therapie
•
•
Reduktion der Ciclosporin-/Tacrolimusdosierung, kontrolliert mit Konzentrationsmessungen im Vollblut (sollte 50 bzw. 3 ng/ml tiefer werden als der Ausgangswert bei vermuteter Ciclosporin-/ Tacrolimustoxizität) (EG-D). Vorsicht beim Unterschreiten eines Blutspiegels von 50 bzw. 4 ng/ml wegen der erhöhten Gefahr einer Abstoßung.
Besondere Merkpunkte
• •
•
Weitere Verschlechterung der Nierenfunktion trotz sinkender Spiegel: hoher Abstoßungsverdacht! Die Progression zu voller Ciclosporin-/Tacrolimus-assoziierter Arteriolopathie mit konsekutiver Tubulusatrophie und interstitieller Fibrose (strukturelle Veränderungen) ist ein langsamer Prozess (chronische Kalzineurininhibitor-Nephrotoxizität) und bedarf keiner Notfalltherapie. Individuelle Ciclosporin-/Tacrolimusintoleranz mit akuter Nephrotoxizität trotz normaler Spiegel ist möglich.
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) Definition und Einteilung Man unterscheidet HUS im Sinne eines Rezidivs der Grundkrankheit (Risiko eines Rezidivs im Transplantat 25 – 50%) und das Neuauftreten eines HUS nach Transplantation.
Pathophysiologie Es handelt es sich um eine Kombination von Ciclosporin- oder Tacrolimustoxizität mit einer Endothelschädigung in Vasa afferentia und Glomeruli. Typischerweise tritt das HUS in den ersten 2 – 3 Wochen nach Transplantation auf. Mit auslösend sind wahrscheinlich die Transplantatischämie bzw. nach Reperfusion freigesetzte Sauerstoffradikale, da HUS gehäuft bei Non-Heart-Beating-Donor-Nieren auftritt.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Funktionsverschlechterung ähnlich wie bei akuter Abstoßung (S. 182), Hämolysezeichen (Hämoglobinabfall, Retikulozytenanstieg, Fragmentozyten, LDH-Anstieg, Abfall von Haptoglobin auf unmessbare Werte, Anstieg von freiem Hämoglobin), Thrombozytopenie.
Differenzialdiagnose Schwere vaskuläre Abstoßung mit intravasaler Gerinnung.
Notfalluntersuchungen Diagnostik Labor. Hämoglobin, Thrombozyten, Retikulozyten, LDH, Haptoglobin. Biopsie. Sicherung der Diagnose durch Nierenbiopsie mit Nachweis einer thrombotischen Mikroangiopathie.
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
Therapie
• • •
Stopp des Kalzineurininhibitors unter Weiterführen der Therapie mit Mycophenolat und Prednison, evtl. neu Sirolimus (= Rapamycin). Plasmapherese mit FFP-Ersatz (5 Tage in der ersten Woche, dann jeden 2. Tag), evtl. in Kombination mit Glukokortikoiden (EG-C). Azetylsalizylsäure 100 mg/d (EG-C).
Besondere Merkpunkte Falls sich trotz Absetzen des Kalzineurininhibitors die Transplantatfunktion nicht bessert bzw. weiter verschlechtert, muss an eine vaskuläre Abstoßung als Ursache der intravasalen Gerinnung gedacht werden.
Urinbakteriologie. Keimzahl > 105/ml (bei Frauen ist Katheterurin empfehlenswert). Sonografie. Ausschluss einer Abflussbehinderung oder eines Konkrements.
Therapie
• •
•
Pathophysiologie
•
•
Mit Abflussbehinderung: Ureterstenose durch Fibrosierung im Anastomosenbereich, Lymphozele mit Kompression des Ureters oder Stein. Harnwegsinfekt und Immunsuppression können zu einer foudroyanten, abszedierenden Pyelonephritis des Transplantats führen. Ohne Abflussbehinderung: durch Reflux (beim an die Blase anastomosierten Ureter besteht meist ein geringer Reflux!)
Typische Krankheitszeichen
• • •
Asymptomatische (insbesondere schmerzlose!) Pyurie und Bakteriurie, starkes Krankheitsgefühl, dann rasches Auftreten von hohem Fieber, Rückgang des Urinvolumens, Verschlechterung der Nierenfunktion.
Notfalluntersuchung Diagnostik Urinsediment. Massive Leukozyturie ( Abb. 6.2 d, Farbtafel IV), gelegentlich granulierte Zylinder ( Abb. 6.3 b, Farbtafel V), selten Leukozytenzylinder ( Abb. 6.3 d, Farbtafel VI).
Frühe antibiotische Therapie: Geeignet sind Chinolone (z. B. Ciprofloxacin), da sie weder nephrotoxisch sind, noch Interaktionen mit Immunsuppressiva zu befürchten sind (EG-B). Bei Harnabflussstörung aus dem Transplantat muss diese zu Beginn der antibiotischen Therapie beseitigt werden (innere/äußere Ableitung: s. S. 182) (EG-D).
Besondere Merkpunkte
Akute (obstruktive) Pyelonephritis
•
185
Antibiotika haben bei Transplantatpyelonephritis mit persistierender Urinabflussstörung keine Aussicht auf Erfolg. Akute bakterielle Transplantatpyelonephritiden können auch hämatogen entstehen, z. B. bei infiziertem zentralvenösem Katheter. Die Pyurie kann dann zu Beginn fehlen, obwohl die Nierenfunktion sich schon verschlechtert hat.
Notfälle als Folge der Immunsuppression Leuko- und Thrombopenie unter Azathioprin, Mycophenolat und Sirolimus Pathophysiologie Knochenmarkhemmung. Azathioprin, Mycophenolat und auch Sirolimus (= Rapamycin) können zu einer medikamentös-toxischen Knochenmarkhemmung führen. Bei Azathioprin und Mycophenolat dominiert die Leukopenie, ist aber häufig begleitet von Thrombopenie und Anämie. Bei Sirolimus stehen vor allem die Anämie und die Thrombopenie im Vordergrund. Allopurinol. Allopurinol verstärkt die Wirkung des Azathioprins (Abbauhemmung) und damit auch die Knochenmarkhemmung und führt zur massiven Leukopenie bis hin zur Neutropenie < 500). Eine Interaktion vom Mycophenolat mit Allopurinol besteht nicht.
186
Nephrologie
Andere Einflussfaktoren. Die Knochenmarkverträglichkeit von Azathioprin, Mycophenolat und Sirolimus schwankt von Patient zu Patient, gelegentlich auch innerhalb der gleichen Person ohne erkennbare äußere Ursache. Bisweilen stehen virale Infekte und Änderungen der Nierenfunktion am Anfang solcher Toleranzverminderungen.
6
Differenzialdiagnose Leuko- und Thrombopenie können nach Nierentransplantation verschiedene Ursachen haben: • Zytomegalievirusinfektion, • Therapie mit ATG oder monoklonalen AntiT-Lymphozyten-Antikörpern, • schwere vaskuläre Abstoßung (vor allem Thrombopenie), • schwere bakterielle Sepsis, • andere Medikamente (s. unten).
Typische Krankheitszeichen Beginn symptomlos, dann häufig Fieber, Anämie, Stomatitis und hämorrhagische Diathese.
Notfalluntersuchung Labor. Rotes und weißes Blutbild, Thrombozyten. Arzneimittel. Suche nach mitverantwortlichen Arzneimitteln: Allopurinol, Valganciclovir, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Flucytosin, Ganciclovir, Anti-T-Lymphozyten-Globulin, monoklonale AntiCD3-Antikörper. Infektion. Suche nach auslösendem Infekt, v. a. Zytomegalie.
Therapie
•
•
Azathioprin, Mycophenolat und Sirolimus absetzen und übrige Basisimmunsuppression erhöhen (Dosiserhöhung oder Beginn des Kalzineurinhemmers und/oder Prednison), um den Wegfall der immunsuppressiven Wirkung von Azathioprin, Mycophenolat und Sirolimus auszugleichen (EG-D). Bei neutropenischem Fieber: Filgrastim (G-CSF), Startdosis 30 Mio. U/d i. v. als Kurzinfusion über 30 min 1×/d; Dauer: bis Leukozytenzahl > 1 × 109/l an 3 Tagen oder einmal > 10 × 109/l (EG-B).
• •
Außerdem bei neutropenischem Fieber: Antibiotikaprophylaxe (s. S. 270). Prophylaxe des Pilzinfekts bei neutropenischem Fieber: 50 mg/d Fluconazol p. o. (EG-D).
Systemische Infektion
Pathophysiologie Eintrittspforte und Erreger. Häufige Eintrittspforten sind: Harnwege, Ösophagus, infizierte Operationswunden, zentralvenöse Katheter und die Schleimhaut der oberen Luftwege. Erreger und Zeitablauf der Infektionen zeigt Abb. 6.10. Diese Infekte werden vor allem infolge therapieresistenter akuter oder chronischer Abstoßungen beobachtet, die lange intensiv immunsuppressiv behandelt wurden, insbesondere mit polyklonalem oder monoklonalem Anti-T-Lymphozyten-Globulin, der Kombination von Tacrolimus mit Mycophenolat oder häufigen Methylprednisolonstößen.
Typische Krankheitszeichen
• • • • •
Krankheitsgefühl, Fieber, wichtig! aufgrund der Immunsuppression kann das Fieber abgeschwächt sein oder ganz fehlen, Sinustachykardie (unproportional hoch zur Temperatur), absolute oder relative Leukopenie (Azathioprin, Mycophenolat), v. a. bei CMV, Organmanifestationen je nach Erreger: – nasoorale Ulzera (Herpes simplex), Ösophagogastritiden mit Singultus, Schluck- und Magenschmerzen (CMV, Pilze), – Bronchopneumonie (neben Bakterien: Candida, Cryptococcus, Aspergillus, Nocardia, Pneumocystis, CMV), – Infekte des ZNS (Listerien, Candida, Nocardia, Aspergillus, Cryptococcus, Herpes, Toxoplasma), – Ulkuskrankheit mit oder ohne Blutung (CMV, Helicobacter pylori), Ileokolitis (CMV in Dünnund Dickdarm).
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
unkonventionelle oder opportunistische Infektionen
konventionelle nosokomiale Infektionen
187
community-acquired oder persistierende Infektionen
HSV CMV-Retinitis oder -Colitis
Beginn CMV
Viren
EBV, VZV, Influenza, RSV, Adenovirus
Papillomavirus, EBV
Beginn Hepatitis B oder C Wund- und Katheterinfekte, Pneumonien Nokardien
Bakterien
Listerien, Mykobakterien Pneumocystis Pilze
Aspergillus
Kryptokokken
Candida
endemische Pilze Strongyloides Toxoplasmose
Parasiten
Leishmanien Trypanosoma cruzi
0
1
2
3
4
5
6
Monate nach Transplantation
HSV = Herpes-simplex-Virus; CMV = Zytomegalievirus; EBV = Epstein-Barr-Virus; VZV = Varizella-Zoster-Virus
Abb. 6.10 Zeiträume des Auftretens bestimmter Infektionen nach Nierentransplantation (adaptiert von Fishman u. Rubin 1998).
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor. Blutkulturen bereits bei subfebrilen Temperaturen. Virusnachweis und Serologie: Herpes simplex, Herpes zoster, CMV (Nachweis des pp65-Antigens in zirkulierenden Leukozyten mittels CMV-Antigenämie oder PCR), Serologie: Toxoplasmose. Urinkultur. Auf Bakterien. Bronchoskopie mit BAL. Bei Pneumonieverdacht in den ersten 6 Monaten nach Transplantation immer durchführen, sonst bei unklaren Pneumonien. Gesucht werden: Pneumocystis jiroveci (Direktpräparat), Mykobakterien (PCR und Kultur), Pilze (Histologie und Kultur). Ebenso muss immer eine bakterielle Kultur mit Resistenzprüfung angelegt werden. Lumbalpunktion. Bei ZNS-Symptomatik.
CT oder MRT des Schädels. Evtl. Hirnbiopsie (s. S. 312). Endoskopie. Bei gastrointestinalen Beschwerden obere Gastroduodenoskopie (CMV? Lymphom? Pilze? Helicobacter?) oder Koloskopie (CMV-Kolitis?).
Therapie Siehe S. 270. Generell bei Nierentransplantierten • Bei lebensbedrohlichem Infekt Immunsuppression rasch abbauen auf Kosten des Transplantats, zugunsten des Patienten! (EG-D): – Prednison unter 20 mg/d senken, – Azathioprin oder Mycophenolat stoppen, – Ciclosporindosis senken, so dass Vollblut-Talspiegel < 200 ng/ml,
188
Nephrologie
– Tacrolimusdosis senken, so dass Vollblut-Talspiegel < 8 ng/ml, – eventuelle Therapie mit polyklonalem AntiT-Lymphozyten-Globulin oder monoklonalen Anti-CD3-Antikörpern sistieren bzw. – auch bei erneuter Abstoßung – nicht wiederholen.
6
Therapie der CMV-Infektion bei Nierentransplantierten • Valganciclovir: Therapie indiziert bei: – CMV-Syndrom = CMV-Antigenämie (pp65-Antigen in mehr als 2 Granulozyten pro 250 000 Granulozyten oder positive PCR) plus mindestens zwei der folgenden Befunde: Temperatur > 38 8C ohne andere manifeste Ursache, gastrointestinale Symptome, Leukopenie < 3 × 109/l, Thrombopenie < 50 × 109/l, Myalgien/Arthralgien, Anstieg von ASAT/ALAT auf über das Zweifache der oberen Norm, – CMV-Organbefall: Pneumonie, gastrointestinaler Befall (Magen, Dünndarm, Kolon) oder Retinitis, – positiver CMV-Antigenämie (pp65-Antigen in mehr als 2 Granulozyten pro 250 000 Granulozyten oder positive PCR) bei CMV-negativem Empfänger, der ein CMV-positives Organ erhalten hat (Hochrisikokonstellation). • Die Verabreichung von Valganciclovir erfolgt p. o. Bei schwerem Krankheitsbild Ganciclovir i. v. während 14 Tagen. Die Dosierung ist gewichtsund nierenfunktionsabhängig (EG-C). Therapie des HSV und VZV bei Nierentransplantierten • Valaciclovir p. o.; bei schwerem Infekt i. v. Gabe von Aciclovir, beide müssen unbedingt an die aktuelle Nierenfunktion angepasst werden (s. S. 637). • Herpes simplex: oral Valaciclovir 2 × 500 mg/d p. o. (EG-D) oder Aciclovir 3 × 200 mg/m2/d oder 3 × 5 mg/kg KG (EG-A). • Herpes zoster: oral Valaciclovir 3 × 1000 mg/d p. o. für 7 – 14 Tage (EG-B) oder Aciclovir 5 × 800 mg/d während 7 Tagen (EG-A). Therapie von Pilzinfekten bei Nierentransplantierten • Je nach Bedrohlichkeit des Pilzinfekts kommen therapeutisch Fluconazol oder Amphotericin B infrage. Alternativ können neue Azole (z. B. Voriconazol) oder Echinocandine (z. B. Caspofungin) eingesetzt werden. • Fluconazol ist gut wirksam bei C. albicans, gering bei C. krusei, nicht bei Aspergillen.
•
•
– Hoch dosiertes Fluconazol ist indiziert bei katheterinduzierter Candidämie, Therapiedauer: 2 – 3 Wochen (sofern Candida-albicans-Infekt + Katheter entfernt), Dosierung: am 1. Tag 800 mg i. v. über 30 min, ab 2. Tag Anpassung an die aktuelle Nierenfunktion (EG-D). – Die angegebene Dosierung von Fluconazol gilt nur für eine Candidämie (bei Schleimhautbefall oder Prophylaxe niedriger dosieren). – Fluconazol interagiert – solange es niedrig dosiert wird (< 100 mg/d) – kaum mit Ciclosporin-, hingegen deutlich mit dem Tacrolimusabbau. Je nach Basisimmunsuppression muss deshalb die Dosis von Ciclosporin bzw. Tacrolimus anhand häufiger Konzentrationsmessungen angepasst (gesenkt) werden. Amphotericin B ist bei Nierentransplantierten mit Systemmykose die Therapie der Wahl. – Dosis 0,5 – 1 mg/kg KG. – Amphotericin B ist bei mit Ciclosporin oder Tacrolimus behandelten Nierentransplantierten problematisch, da sich die Nephrotoxizität beider Substanzen zu derjenigen von Amphotericin B addiert. Deshalb muss die Ciclosporin- bzw. Tacrolimusdosis entsprechend dem Kreatininanstieg gesenkt werden. – Lipidbasierte Amphotericin-B-Präparate sind bis 5-mal höher dosierbar mit weniger Nephrotoxizität. Dosierung: 3 – 5 mg/kg KG/d (EG-D). – Bei Soorbelägen im Mund genügen Amphotericin-B-Lutschtabletten 4- bis 5-mal täglich (EG-D). Cave! Bei endoskopisch dokumentierter Candidaösophagitis genügen Lutschtabletten nicht: Fluconazol 200 mg/d während 3 Tagen! Voriconazol kann als Alternative zu Amphotericin B bei Systemmykose verabreicht werden. Der Vorteil ist die mögliche p. o. Gabe. Zu beachten ist, dass keine messbare Konzentration im Urin erreicht wird.
Therapie des Pneumocystis-jiroveci-Infekts bei Nierentransplantierten • Wichtig! Bei Pneumocystis-jiroveci-Prophylaxe während der ersten 6 Monate nach Transplantation mit Cotrimoxazol (160 mg Trimethoprim/ 800 mg Sulfamethoxazol) 1 Tablette an 3 Tagen pro Woche oder alternativ mit Pentamidin-Inhalation 300 mg alle 4 Wochen kommt es praktisch nie zu einem Pneumocystis-jiroveci-Infekt! • Infekttherapie mit Cotrimoxazol: 15 mg/kg KG/d Trimethoprim + 75 mg/kg KG/d Sulfamethoxazol verteilt auf 3 Dosen täglich (i. v. Dosis = p. o. Do-
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
• • •
sis) für 21 Tage (in der Regel 3 × 3 bis 3 × 4 Ampullen/d). Prednison 40 mg/d für 5 Tage, dann 20 mg/d für 6 Tage, anschließend auf Erhaltungsdosis (= Prednisondosis vor Infekt) (EG-A). Dosierung: Anpassung von Trimethoprim und Sulfamethoxazol an Nierenfunktion nötig (s. S. 637). Alternative bei Cotrimoxazol-Unverträglichkeit: Atovaquon 2 – 3 × 750 mg/d über 21 Tage (EG-A). Wichtig ist die anschließende Prophylaxe während der Periode der intensiven Immunsuppression.
Bildgebung. Ultraschall und/oder CT zur anatomischen Lokalisation und Beurteilung der Ausdehnung der Flüssigkeitsansammlung.
Therapie
• • •
Bedrohlicher Lokalinfekt
•
Pathophysiologie Früh postoperativ begünstigt die Immunsuppression die Entstehung und lokale Ausbreitung von Wundinfekten mit Bildung tiefer, gekammerter Abszesshöhlen. Lymphansammlungen oder eine Ureternahtinsuffizienz fördern Lokalinfekte.
•
• •
Zu Beginn: banal wirkende, punktförmige Hautnahtdehiszenz mit wenig Sekret, später: allmähliche Vergrößerung der Dehiszenz mit Zunahme der Sekretion, Schmerzen: im Bereich des Transplantates durch Abszessbildung in der Tiefe.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Wunde in die Tiefe sondieren (Ausmaß?), Wundabstrich aus der Tiefe für Bakteriologie.
Antibiotika: rasche antibiotische Therapie nach dem ersten Abgang von infiziertem Sekret (EG-D). Dehiszenz: bei Zunahme der Dehiszenz frühes, breites Eröffnen und Drainieren (Sicherstellung einer Abflussmöglichkeit) (EG-D). Bei Abszess: Punktion und Einlage einer Drainage, evtl. operative Sanierung (EG-D). Bei Vorliegen eines Urinlecks: zusätzlich zur antibiotischen Therapie Doppel-J-Katheter und rascher Abbau von Prednison (oder Prednisolon) bis auf 25 mg/d (EG-D). Bei retroperitonealem Abszess: Operation (EG-D).
Besondere Merkpunkte
•
Typische Krankheitszeichen
•
189
•
Früh postoperativ liegen oft trotz Fieberfreiheit, guten Allgemeinbefindens, Fehlens von lokalen Entzündungszeichen (Schmerzlosigkeit, kaum gerötet, nicht druckdolent) bereits erstaunlich große Eiteransammlungen vor (Steroide!). Bei unklarem progredientem Muskelabbau, Schwäche, Subfebrilität: Abszess suchen, auch retroperitoneal (CT des Abdomens).
Hypertensive Krise Siehe Kapitel 3.12, S. 97.
Aszendierende tiefe Phlebothrombose des Beines auf der Seite der Transplantation
Diagnostik
Pathophysiologie
Labor. Differenzialblutbild (Linksverschiebung, toxische Granula und Vakuolen), CRP. Blutkulturen (2 aerob und 2 anaerob). Schon bei subfebrilen Temperaturen abnehmen. Sekret. Bakteriologie des Wundabstrichs, Kreatininbestimmung im aufgefangenen Sekret bei größeren Sekretmengen (Urinfistel?).
Der venöse Abfluss aus dem Bein auf der Seite der Transplantation ist durch die Operation im Bereich der Beckenvenen (Anschluss der transplantierten Nierenvene) erschwert. Vorkommen: vor allem in den ersten 6 Wochen nach Transplantation bei vorwiegend bettlägerigen Patienten (ohne Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin).
190
Nephrologie
• •
Typische Krankheitszeichen
• • •
Schmerzlose, afebrile und allmählich auftretende Schwellung des Beines, diskrete Zyanose beim Stehen, zum Zeitpunkt der Diagnose gelegentlich schon Kollateralkreislauf oberflächlich sichtbar.
6 Differenzialdiagnose Leichte, asymmetrische, auf der Seite der Transplantation stärker ausgeprägte Ödeme sind häufig bedingt durch durchtrennte Lymphbahnen auf Höhe des Leistenbandes.
Duplexsonografie
der
Beinvenen
Therapie
• •
Sofort Antikoagulation (Heparin und Kumarine) für 6 Monate (S. 70). Kompression des betroffenen Beins.
Spontane Nierenruptur Pathophysiologie Eine spontane Nierenruptur tritt meist in den ersten 2 Wochen nach Transplantation auf. Das Nierengewebe ist in diesem Zeitraum infolge ischämischer Schädigung noch weich und durch ein interstitielles Ödem stark gespannt. Die Ruptur kommt vor allem bei zusätzlich vorhandener venöser Abflussbehinderung (postoperativ oder Venenthrombose) vor.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Therapie
• •
Rasche operative Vernähung der Ruptur: gute Prognose (EG-D). Findet sich intraoperativ eine Nierenvenenthrombose: Nephrektomie (EG-D).
Akute Magen-Darm-Blutung Siehe Kapitel 5.4, S. 142.
Akute Pankreatitis
Notfalluntersuchung Sonografie. (s. S. 69).
perirenales Hämatom im Ultraschall, etwas später Blutdruck- und Hämatokritabfall.
Beginn mit Lokalschmerz, häufig palpable Zunahme und Verhärtung des Transplantats, Rückgang des Urinvolumens, plötzliche Hämaturie (oder Zunahme der vorbestehenden, meist banalen Frühhämaturie),
Pathophysiologie Die Häufigkeit akuter Pankreatitiden bei Nierentransplantierten beträgt rund 1 – 2 %, bis zu 50% können letal verlaufen. Nach Ausschluss einer biliären Ursache bei Nierentransplantierten an medikamentöse Genese denken: Azathioprin, Tacrolimus, Thiazide, Furosemid, Pentamidin. Als zusätzliche pathogenetische Faktoren spielen eine Rolle: virale Pankreasinfekte (u. a. CMV), Hypertriglyzeridämie (unter Sirolimus), hypertensive und immunologische Begleitvaskulopathie der Pankreasgefäße, Status nach Oberbaucheingriffen (Pyloroplastik, transabdominelle Nephrektomie).
Typische Krankheitszeichen Die klassische Symptomatik der akuten Pankreatitis (S. 134) kann nach Nierentransplantation abgeschwächt sein: • unbestimmte, wenig dramatische Oberbauchbeschwerden während Tagen bis Wochen (gemildert durch Glukokortikoide), • Kreislaufzeichen fehlend (Glukokortikoide), Leukozytose fehlend (Azathioprin, Mycophenolat), • erst spät das bekannte Bild der „abdominalen Katastrophe“ (hämorrhagische Pankreatitis), • evtl. Pankreaspseudozyste palpabel oder im Oberbauchsonogramm erkennbar, • evtl. begleitender cholestatischer Ikterus.
Notfallsituationen bei nierentransplantierten Patienten
191
Notfalluntersuchung
Interaktionen der Immunsuppressiva
Diagnostik
Interaktionen. Die meisten Immunsuppressiva interagieren mit diversen Arzneimittelgruppen. Aufgrund der Wichtigkeit der korrekten immunsuppressiven Therapie und der häufigen Interaktionen darf ein transplantierter Patient nur ein neues Arzneimittel bekommen, wenn der behandelnde Arzt weiß, ob und wie dieses Arzneimittel mit den Immunsuppressiva interagiert. Eine kurze Übersicht der häufigsten Interaktionen ist in Tab. 6.5 zusammengefasst. NSAR. Speziell zu erwähnen sind die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Diese dürfen bei nierentransplantierten Patienten unabhängig von der immunsuppressiven Therapie nur in äußerster Notsituation gegeben werden. Der Grund liegt in dem erhöhten Prostaglandinbedarf der transplantierten Niere, der mit den NSAR blockiert wird. Weiter verschlechtert sich die Durchblutung der Niere durch einen Synergismus der präglomerulären Vasokonstriktion der NSAR und der Kalzineurinhemmer. Das Gleiche gilt auch für die selektiven COX-2-Hemmer.
Labor. Amylase und Lipase: Erhöhung kann fehlen, oft findet sich bei Nierentransplantierten mit eingeschränkter Nierenfunktion eine erhöhte Amylase ohne Pankreatitis. Sonografie. Ultraschalluntersuchung des Pankreas (Volumenzunahme? Pseudozyste?). CT. CT des Oberbauchs.
Therapie
• • •
•
Stopp der oralen Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr, Ersatz durch parenterale Ernährung (Cave! Hyperglykämie) (EG-D). Reduktion (evtl. Absetzen) der Glukokortikoide (EG-D). Immunsuppressiva auf intravenöse Gabe umstellen: Azathioprin und Mycophenolat: i. v. Dosis = p. o. Dosis. Ciclosporin und Tacrolimus: i. v. Dosis = 1⁄5–1⁄3 der oralen Dosis; mit 1⁄5 beginnen (EG-D). Weiteres s. Therapie der akuten Pankreatitis (S. 135).
Nephrologie
192 Tabelle 6.5
Wichtige Arzneimittelinteraktionen immunosuppressiver Arzneimittel (fr NSAR s. Text).
Arzneimittel 1
Arzneimittel 2
Inhaltsstoff
K/W
Inhaltsstoff
Azathioprin
K›/W›
Allopurinol
Warfarin
6
Ciclosporin A
• ausgeprgte Leukopenie bis hin zur
Wfl
•
Agranulozytose; muss ein Patient mit Allopurinol behandelt werden fi Umstellung auf Mycophenolat Azathioprin kann die antikoagulierende Wirkung von Warfarin hemmen erhçhtes Risiko der Anmie und Leukopenie bei der Zugabe eines ACE-Hemmers; klinisch hufig nicht relevant
ACE-Hemmer
•
K›/W› K›/W› K›/W›
Makrolide Grapefruitsaft gewisse Kalziumantagonisten
• nach Mçglichkeit vermeiden • nach Mçglichkeit vermeiden • vor allem Diltiazem und Verapamil,
(enzyminduzierende) Antiepileptika Amphotericin B
•
W› K›/W› K›/W›
K›/W› K›/W› K(›)/W(›)
Azole viele HMG-CoAReduktase-Hemmer
weniger Amlodipin; falls Kalziumantagonist indiziert fi Amlodipin und Konzentrationsmessung von Ciclosporin betrifft Carbamazepin, Phenobarbital und Phenytoin erhçhte Nephrotoxizitt von Ciclosporin, Dosisanpassung notwendig
W›
•
K›/W›
• Kombination erhçht das Risiko fr Myopathie und Rhabdomyolyse (Ausnahme Fluvastatin)
• nach Mçglichkeit vermeiden • nach Mçglichkeit vermeiden • falls Kalziumantagonist indiziert
Makrolide Grapefruitsaft Kalziumantagonisten
Phenytoin Amphotericin B
Sirolimus/ Everolimus
K/W
W(›)
Kfl/Wfl
Tacrolimus
Bemerkungen
K(›)/W(›) W›
• •
fi Amlodipin und Konzentrationsmessung vermutet erhçhte Nephrotoxizitt von Tacrolimus, Dosisanpassung notwendig Dosisanpassung notwendig
K(›)/W(›)
Azole
•
K›/W›
Makrolide
• nach Mçglichkeit vermeiden
K(›)/W(›)
Kalziumantagonisten
• falls Kalziumantagonist indiziert
fi Amlodipin und Konzentrationsmessung
K(›)/W(›)
Ciclosporin Amphotericin B
W›
• erhçhte Nephrotoxizitt von Tacrolimus, Dosisanpassung notwendig
Mycophenolat
K(›)/W(›)
Azole
• Dosisanpassung notwendig
Wfl Kfl/Wfl
Ciclosporin A Cholestyramin
• vermindert Mycophenolatabsorption
K: Konzentration, W: Wirkung
193
7 Wasser-, Elektrolyt- und Säure-BasenGleichgewichtsstörungen
Na+ K+
Übersicht 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
7.7 7.8
7.1
Wasser-, Elektrolyt- und Säure-BasenGleichgewichtsstörungen Hypovolämie Hyponatriämie Hypernatriämie Hypokaliämie Hyperkaliämie Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts – Metabolische Azidose – Metabolische Alkakose – Respiratorische Azidose und Alkalose Hyperkalzämie und Kalziumintoxikation (hyperkalzämische Krise) Tetanie
Hypovolämie M. Dickenmann
Definition und Einteilung Hypovolämie = vermindertes Extrazellulärvolumen infolge kombinierten Wasser- und Elektrolytverlustes (engl.: volume depletion, hypovolemia) im Gegensatz zu Dehydratation = Verlust von freiem Wasser mit konsekutiver Hypernatriämie (engl. dehydration) (Tab. 7.1).
Pathophysiologie Hypovolämie entsteht, wenn mehr extrazelluläre Flüssigkeit verloren als zugeführt wird. Die Folge ist die Verminderung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens und – je nach Schweregrad – eine ungenügende Organ- und Gewebeperfusion.
Typische Krankheitszeichen
• •
Leichte Hypovolämie: Schwäche, Ermüdbarkeit, Schwindel beim Stehen und körperlicher Anstrengung, Muskelkrämpfe und Durst. Starke Hypovolämie: massive Orthostase, Zeichen des (hypovolämen) Schocks (s. S. 21), Bauchschmerzen, Thoraxschmerzen, Lethargie und Verwirrung wegen Ischämie im mesenterialen, koronaren oder zerebralen Kreislauf. Je nach Ursache zusätzlich Störungen des Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts: – Muskelschwäche bei Hypo- oder Hyperkaliämie, – Polyurie und Polydipsie bei Hyperglykämie, – Lethargie, Verwirrung, Krampfanfälle und Koma bei Hyponatriämie, Hypernatriämie und diabetischer Stoffwechselstörung, – Salzhunger nur sehr selten bei Patienten mit Morbus Addison.
Differenzialdiagnose Andere Ursachen eines verminderten Herzzeitvolumens: • Herzinsuffizienz, Perikarditis/Perikardtamponade, • Obstruktion im Bereich der großen Venen, • Obstruktion im Lungenkreislauf (Lungenembolie).
194 Tabelle 7.1
7
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Einteilung der Hypovolmie.
Gastrointestinale Verluste
Pro Tag Sekretion von 3 – 10 l Flssigkeit durch Magen, Pankreas, Galle und Dnndarm; normalerweise Rckresorption bis auf 100 – 200 ml. Verluste durch: Erbrechen, externe Drainage, vermehrte Sekretion (Diarrhç), Peritonitis. Zustzliche Symptome: • Sure-Basen-Stçrungen: Alkalose bei Erbrechen oder Magendrainage, Azidose bei Absaugen von Galle, Pankreassaft und Darmsekreten oder bei starken Durchfllen • Hypokalimie
Renale Verluste
Die Niere adaptiert die Ausscheidung von Salz und Wasser an die Zufuhr. Im Extremfall Produktion von weniger als 0,5 l fast NaCl-freien Urins pro Tag. Ursachen renalen Volumenverlusts: • bermßige Diuretikaeinnahme • vererbte oder erworbene Stçrungen der NaCl-Rckresorption (z. B. Bartter-Syndrom, Hypoaldosteronismus) • osmotische Diurese • Polyurie nach Obstruktion oder akutem Nierenversagen
Verluste über Haut und Lungen (Perspiratio insensibilis)
Pro Tag Verdunstung von 0,7 – 1 l Wasser (+ NaCl) ber die Haut und durch die Atmung. Grçßerer Verlust (bis mehrere Liter) durch: • hohe Lufttemperatur, kçrperliche Arbeit, vermehrte Wrmeproduktion • Fieber • Hyperthyreose • Delirium tremens
Sequestration in den dritten Raum
Vorkommen bei: • Ileus, Pankreatitis • Crush-Verletzungen • Verbrennungen
Notfallanamnese
• • • •
Art der Flüssigkeitsverluste: gastrointestinal, renal, Haut und Atmung, Sequestration in 3. Raum? Medikamente: Diuretikatherapie? Stoffwechsel: Fieber? Entgleister Diabetes mellitus? Orthostase?
Notfalluntersuchung Klinik Puls. Tachykardie bei geringer Anstrengung oder bereits in Ruhe. Halsvenen, Zentralvenendruck (ZVD). Bei völliger Flachlage des Patienten ist die V. jugularis externa normalerweise bis etwa zur Mitte der Überkreuzung des M. sternocleidomastoideus gefüllt. Um den Fül-
lungsgrad nicht zu überschätzen, wird die V. jugularis externa mit der einen Hand am Oberrand des M. sternocleidomastoideus gestaut. Nach Ausstreichen der Vene gegen das Jugulum mit der anderen Hand sollte sich diese von zentral her wieder füllen. Unterbleibt diese Füllung, ist der ZVD erniedrigt und eine Hypovolämie ziemlich sicher. Cave! Normale oder verstärkte Halsvenenfüllung trotz Hypovolämie bei: Rechtsherzinsuffizienz, Einflussstauung (Perikardtamponade, Perikardkonstriktion u. a.). Arterieller Blutdruck. Orthostatischer Blutdruckabfall (‡ 20 mmHg systolisch und/oder absolut unter 90 mmHg) bei scheinbar normalem Kreislauf im Liegen. Eingeschränkt verwertbar bei: autonomer Neuropathie, sympathikolytischen Arzneimitteln (Betablocker, Psychopharmaka, Parkinson-Therapeutika). Normaler Blutdruck im Liegen bei einem unbehandelten Hypertoniker weist ebenfalls in Richtung Hypovolämie.
Hypovolmie
Haut- und Schleimhäute. Beim Kind bedeutet verminderter Hautturgor Volumenmangel, beim älteren Erwachsenen ist der Hautturgor zur Beurteilung des effektiv zirkulierenden Volumens unbrauchbar. Trockene Zunge und Mundschleimhaut sind unzuverlässig (Atmung durch den offenen Mund, viele Arzneimittel wirken austrocknend)!
195
Urin-Na+-Konzentration. Bestimmung der Natriumkonzentration im Spontanurin, Differenzialdiagnose zeigt Tab. 7.2. Urinosmolalität • > 450 mosmol/kg: weist auf extrarenale Ursache der Hypovolämie hin, • < 450 mosmol/kg: Nierenerkrankung? Osmotische Diurese? Diuretikatherapie?
Diagnostik Labor. Das Notfalllabor umfasst: • Serum/Plasma: Natrium, Kalium, pH, Bikarbonat, Chlorid, Harnstoff, Kreatinin, Gesamtprotein, Albumin, Hb/Hk, evtl. BNP. • Urin: Natrium, Chlorid, evtl. Osmolalität, Status (Teststreifen, Sediment). Hämatokrit, Serumalbumin. Hämatokrit und Serumalbumin steigen im Allgemeinen bei Hypovolämie an, sind ohne Vorwerte aber schwierig zu beurteilen. Plasmaharnstoff und Kreatinin. Häufig erhöht, da die Nierenperfusion vermindert ist (= prärenale Niereninsuffizienz). Typisch ist ein überproportional hoher Harnstoff im Vergleich zum Kreatinin. Plasmakalium. Hypokaliämie infolge gastrointestinaler oder renaler Kaliumverluste. Hyperkaliämie bei Niereninsuffizienz, verminderter Nierenperfusion, Nebenniereninsuffizienz oder Einnahme kaliumsparender Diuretika. Säure-Basen-Störungen. Erbrechen und Magensonde sowie Diuretika bewirken Hypovolämie mit metabolischer Alkalose und Hypochlorämie. Intestinale Fisteln und schwere Durchfälle führen wegen Bikarbonatverlustes zu metabolischer Azidose mit Hyperchlorämie. BNP. Hinweis auf eine akute Herzinsuffizienz als Ursache des verminderten Herzzeitvolumens? Urinstatus (Teststreifen, Sediment). Bei unauffälligem Urinstatus ist eine extrarenale Ursache der Hypovolämie wahrscheinlich. Bei gleichzeitig erhöhtem Kreatinin ist dies ein Hinweis für eine prärenale Niereninsuffizienz. Bei Glukosurie entgleisten Diabetes mellitus ausschließen.
Tabelle 7.2
Therapie Therapieziel. Normalisierung des effektiv zirkulierenden Blutvolumens und Korrektur der Elektrolytund Säure-Basen-Störung. Rehydrierung, wenn möglich oral durch Trinken oder über Magensonde (z. B. Fleischbrühe) (EG-D). Schwere Hypovolämie: Rehydrierung intravenös.
Notfallmanagement Abschätzen des Volumendefizits. Schwierig: Eine Gewichtsabnahme über einen kurzen Zeitraum (Tage) ist ein Hinweis auf den entstandenen Volumenverlust. Das Ausmaß des Volumendefizits kann häufig erst anhand des Ansprechens auf die Therapie beurteilt werden. Wahl der Infusionslösung. Notfallmäßig empirische Therapie grundsätzlich mit NaCl 0,9%, bei abdominalen Erkrankungen mit Ringer-Lösung wegen des Bikarbonatverlustes (EG-B). Infusionsgeschwindigkeit • Schwere Hypovolämie: 1 – 2 l Kochsalz- oder Ringer-Lösung innerhalb einer Stunde. Cave! Bei Patienten mit Herzinsuffizienz muss die Rehydrierung wegen der Gefahr der akuten Linksdekompensation unter engmaschiger klinischer Kontrolle oder unter Kontrolle des ZVD erfolgen. • Anschließend Berechnung der Erhaltungsinfusion pro Stunde gemäß folgender Formel (EG-D):
Differenzialdiagnose der Natriumkonzentration im Spontanurin bei Hypovolmie.
< 20 mmol/l
> 40 mmol/l
Gastrointestinale Verluste
Akute Diuretikatherapie
Perspiratio insensibilis
Niereninsuffizienz
Sequestration in dritten Raum
Osmotische Diurese
Langzeitdiuretikatherapie
Renale Stçrung der Natriumrckresorption
Na+ K+
196
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Tabelle 7.3 Erhaltungsinfusion/h = 50 – 100 ml/h + Urinausscheidung/h + Perspiratio insensibilis (30 – 50 ml/h) + andere Verluste/h (z. B. Diarrhö)
Weitere Maßnahmen
7
Je nach Pathogenese des Flüssigkeitsverlustes, der Säure-Basen-Störung und der Elektrolytveränderungen muss die weitere Infusionstherapie individuell angepasst werden. • Beispiel: Hypovolämie + metabolische Azidose + normales Plasmanatrium: Ersatz mit Natriumbikarbonatlösung 1,4%.
Einteilung der Hyponatrimie.
Hyponatriämie verbunden mit erhöhter ADH-Ausschüttung Vermindertes zirkulierendes Blutvolumen (Verlust nach außen oder in „third space“)
• effektiver Volumenmangel (Erbrechen, Durchfall, Blutung)
• Therapie mit Thiaziddiuretika • Linksherzinsuffizienz • Leberzirrhose/Aszites Syndrom der inadquaten ADH-Sekretion (SIADH)
• ektope ADH-Produktion (Karzinome, v. a. kleinzelliges Bronchialkarzinom)
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
• •
Untersuchung der Halsvenenfüllung oder bei Patienten in kardiopulmonal kritischem Zustand Messung des ZVD (evtl. des pulmonalarteriellen Drucks) lässt abschätzen, ob die Hypovolämie adäquat behandelt wurde. Kontrolle des Blutdrucks, tägliches Wiegen. Messung der Urinausscheidung, Bestimmung des Urinnatriums (Anstieg von Werten unter 20 mmol/l auf Werte über 40 mmol/l spricht für adäquate Korrektur des Volumendefizits).
7.2
Hyponatriämie M. Dickenmann
• zerebrale Prozesse (Trauma, Infekte, Blutung, Tumor, Vaskulitis, Psychose)
• Lungenkrankheiten (Pneumonie, akute respiratorische Insuffizienz)
• Arzneimittel (Citalopram, Carbamazepin, Haloperidol, Vincristin, u. v. a.)
• Drogenabusus: Ecstasy (Methylendioxymethamphetamine)
• exogenes ADH: Vasopressintherapie, Oxytocintherapie
Hormonell bedingte Stçrungen
• Nebenniereninsuffizienz • Hypothyreose • Schwangerschaft Hyponatriämie verbunden mit normaler/erniedrigter ADH-Sekretion
Definition und Einteilung
Fortgeschrittene Niereninsuffizienz
Hyponatriämie = Plasma-Na+-Konzentration < 135 mmol/l (Tab. 7.3).
Ausdauersportler mit bermßiger Zufuhr hypotoner Getrnke
Primre Polydipsie
Starker Biertrinker mit/oder Malnutrition
Pathophysiologie Eine Hyponatriämie ist bedingt durch erhöhte Zufuhr und/oder verminderte Ausscheidung von freiem Wasser. Die renale Ausscheidungskapazität für Wasser ist sehr hoch, eine Hyponatriämie ist deshalb nur möglich, wenn die renale Wasserausscheidung gestört ist: stimulierte ADH-Sekretion bei Volumenmangel, inadäquate ADH-Sekretion (SIADH), Niereninsuffizienz. Ausnahme ist die primäre Polydipsie: Hier liegt eine Überlastung der renalen Was-
Intravençse Volumensubstitution mit hypotoner Lçsung (z. B. Glukose 5%)
serausscheidung vor. Die neurologische Symptomatik bei Hyponatriämie ist bedingt durch das sich entwickelnde Hirnödem.
Hyponatrimie
Abb. 7.1 Diagnostisches Vorgehen bei Hyponatriämie.
Differenzialdiagnose Hyponatriämie
Plasmaosmolalität
> 270 mosmol/kg
197
Pseudohyponatriämie
< 270 mosmol/kg
„effektive“ Hyponatriämie
Urinosmolalität ? > 300 mosmol/kg Urinnatrium ?
ausschließen! < 300 mosmol/kg: Diuretikatherapie und fortgeschrittene Niereninsuffizienz ausschließen < 100 mosmol/kg
< 20 mmol/l
Thiazidtherapie ? Niereninsuffizienz ? Nebenniereninsuffizienz ? Hypothyreose ? Schwangerschaft ?
primäre Polydipsie ? Malnutrition ? starker Biertrinker ? Volumenmangel
> 40 mmol/l SIADH, zusätzlich charakterisiert durch: – häufig (tief-)normale Plasmakreatininund -harnstoffkonzentration – Hypourikämie – normale Säure-Basen- und Kaliumhaushalte
Typische Krankheitszeichen
Notfallanamnese
•
• •
•
Leichte und sich langsam entwickelnde Hyponatriämie: in der Regel keine Symptome. Sich rasch entwickelnde Hyponatriämie (über wenige Tage): – Na+ < 125 mmol/l: Unwohlsein, Nausea, – Na+ < 120 mmol/l: Alarmzeichen! Gefahr von neurologischen Störungen (Kopfschmerzen, Apathie, Benommenheit, Koma, Krampfanfälle). Prämenopausale Frauen sind häufiger symptomatisch als Männer.
• • •
Differenzialdiagnose Die häufigsten Ursachen der Hyponatriämie sind ein vermindertes zirkulierendes Blutvolumen oder das SIADH (Abb. 7.1)!
Übelkeit? Kopfschmerzen? Krampfanfall? Volumenmangel (Erbrechen, Durchfall, Blutung)? Ausdauersportler mit übermäßiger Zufuhr hypotoner Getränke? Arzneimittel und Drogen: u. a. Thiaziddiuretika? Selektiver Serotonin-Reuptake-Inhibitor? Infusion mit hypotoner Lösung? Mannitoltherapie? Ecstasy? Grunderkrankungen: Tumorleiden? Lungenerkrankung? Psychiatrische Erkrankung? Urologischer Eingriff?
Notfalluntersuchung Klinik
•
Blutdruck (Hypotonie + Orthostase = Volumenmangel),
Na+ K+
198
• • •
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen – Herstellung NaCl 3 %: 800 ml NaCl 0,9% + 200 ml NaCl 11,7% oder 1000 ml NaCl 0,9% + 70 ml NaCl 29%. – Berechnung des Salzdefizits (Ziel: PlasmaNa+ 120 mmol/l):
Halsvenen (leer = Volumenmangel), Linksherzinsuffizienz? Aszites?
Diagnostik
7
Labor • Plasmaosmolalität: tief = Hyponatriämie, normal/ hoch = Pseudohyponatriämie, • Urinosmolalität: < 100 mosmol/kg = primäre Polydipsie, starker Biertrinker, Malnutrition, > Plasmaosmolalität = SIADH? • Urinosmolalität • Na+ im Spoturin: nicht verwertbar bei Diuretikatherapie, < 20 mmol/l = Volumenmangel, > 40 mmol/l = SIADH? 20 – 40 mmol/l = Grauzone, • Kreatinin: Niereninsuffizienz? • Stoffwechsel: Hyperglykämie, schwere Hyperlipidämie, Hyperproteinämie (= Hinweise für Pseudohyponatriämie).
Salzdefizit (Mann) = 0,6 × kg KG × (120 – gemessenes Plasma-Na+) Salzdefizit (Frau) = 0,5 × kg KG × (120 – gemessenes Plasma-Na+) – Beispiel: 60 kg schwere Frau mit gemessenem Plasma-Na+ 110 mmol/l: berechnetes Salzdefizit = 300 mmol NaCl. 2 ml NaCl 3 % sind 1 mmol Na, d. h. 600 ml NaCl 3 % müssen in 24 h zugeführt werden. Beginn mit 50(– 100) ml NaCl 3 %/h in den ersten 3 – 4 h. Die PlasmaNa+-Konzentration darf dabei um maximal 1 – 2 mmol/h ansteigen. – Veränderung der Plasma-Na+-Konzentration: Die Veränderung, die durch Infusion von 1 l NaCl 3 % erreicht wird, kann mit folgender Formel abgeschätzt werden:
Therapie Die Therapie richtet sich primär nach der Art der zugrunde liegenden Erkrankung, d. h. die auslösende Ursache der Hyponatriämie muss, falls möglich, behandelt werden.
+
Veränderung des Na Plasma/l Infusion = + + (Na infundiert – Na Plasma)/(Körperwasser + 1) +
Notfallmanagement
Infundiertes Na /l NaCl 3%: 513 mmol/l
Hyponatriämie bei Hypovolämie • Substitution mit NaCl 0,9% oder Ringer-LaktatLösung (s. S. 195). Asymptomatische Hyponatriämie (Plasma-Na+ meistens > 120 mmol/l) Patienten • Beim euvolämen oder hypervolämen + Anheben des Plasma-Na um < 10 mmol/l pro Tag durch Wasserrestriktion (ca. 800 ml/Tag) = Flüssigkeitszufuhr < Flüssigkeitsverlust (EG-D). • In Zukunft: Vasopressin-Rezeptorantagonisten beim euvolämen/hypervolämen Patienten (EG-A). Symptomatische, schwere Hyponatriämie (Plasma-Na+ meistens < 115 mmol/l) Ziel: Anheben der Plasma-Na+-Konzentration auf Werte ‡ 120 mmol/l, maximaler Natriumanstieg von 1 – 2 mmol/l/h in den ersten 3 – 4 h, maximaler Natriumanstieg von 8 – 10 mmol/l in den ersten 24 h oder maximal bis Plasma-Na+ 120 mmol/l, maximaler Natriumanstieg von 18 mmol/l in den ersten 48 h (EG-C). • Wasserrestriktion! (EG-C), • Infusion von 3%iger NaCl-Lösung (EG-C):
Körperwasser: Mann 0,6 × kg KG; Frau 0,5 × kg KG
• •
– Beispiel: 46 kg schwere Frau mit Plasma+ Na 112 mmol/l, Infusion von 1 l NaCl 3 % fi Anstieg des Plasma-Na+ um 16,7 mmol. Will man einen maximalen Anstieg von 1,5 mmol/h erreichen, dürfen 90 ml (1,5/16,7) NaCl 3 %/h gegeben werden. Falls nötig kann bei Hypervolämie unter der NaCl-Infusion ein Schleifendiuretikum eingesetzt werden (EG-D). Cave! Gleichzeitige Kaliumsubstitution vermindert die Menge der benötigten Natriumsubstitution!
Weitere Maßnahmen Plasma-Na+-Anstieg in den zweiten 24 h um maximal 10 mmol/l. Auf keinen Fall über 130 mmol/l (Gefahr der zerebralen osmotischen, meistens pontinen Myelinolyse).
Hypernatrimie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen +
Bestimmung der Plasma-Na -Konzentration unter Substitution mit NaCl 3% stündlich während der ersten 3 – 4 h, dann alle 3 h.
Besondere Merkpunkte Zu rasche oder überschießende Korrektur einer Hyponatriämie kann zu einer tödlich verlaufenden osmotischen (zentral pontinen) Demyelinisierung führen!
Tabelle 7.4
199
Einteilung der Hypernatrimie.
Verlust freien Wassers Perspiratio insensibilis
• Schweiß, Fieber, hohe Umgebungstemperaturen • Verbrennungen • Infektionen des Respirationstraktes • Patient „dursten“ lassen („trocken halten“) Renaler Wasserverlust
• zentraler Diabetes insipidus • nephrogener Diabetes insipidus • osmotische Diurese durch: Glukose (Hyper-
glykmie), Harnstoff (katabole Stoffwechsellage), Mannitoltherapie
7.3
Hypernatriämie
• osmotische Diarrhç: Laktulose-Therapie,
M. Dickenmann
Malabsorption, Infektion
Definition und Einteilung Hypernatriämie = > 145 mmol/l (Tab. 7.4).
Plasma-Na+-Konzentration
Pathophysiologie Hypernatriämie = Plasmahyperosmolalität + zelluläre Dehydratation bedingt durch: • überproportionalen Wasserverlust im Vergleich zum Elektrolytverlust oder • Salzüberladung oder • ungenügende Zufuhr von freiem Wasser bei Patienten, die nicht trinken können (iatrogene Hypernatriämie). Folgen. Zelluläre Dehydratation im Gehirn, Schrumpfung der Gehirnmasse mit Gefäßrupturen (intrazerebrale oder subarachnoidale Blutung). Osmotische Diurese. Osmotisch aktive Teilchen (Glukose, Harnstoff, Mannitol) „reißen“ in den Nierentubuli freies Wasser mit. Merke! Hypernatriämie ist praktisch nur möglich, wenn der Durstreflex beeinträchtigt ist!
Typische Krankheitszeichen
•
Gastrointestinaler Wasserverlust
Die Symptomatik ist abhängig von der Geschwindigkeit, mit der sich die Hypernatriämie entwickelt: Schwäche, Apathie, Agitiertheit, Krampfanfälle, Bewusstseinstrübung, Koma.
Hypothalamische Stçrungen (Stçrung des „Durstzentrums“)
• primre Hypodipsie • essenzielle Hypernatrimie Wasserverlust in Muskelzellen (akute intramuskulre Laktatproduktion)
• schwere Krampfanflle • schwerste kçrperliche Leistung Salzüberladung Hypertone NaCl–- oder NaHCO3-Infusion, v. a. auf Intensivstationen
• Sondennahrung ohne ausreichende Zufuhr von freiem Wasser
Massive orale Salzzufuhr
•
Schwere Symptome meist bei raschem PlasmaNa+-Anstieg über 158 mmol/l.
Differenzialdiagnose Die Ursache einer Hypernatriämie kann üblicherweise aufgrund der Anamnese gefunden werden! Bestehen Unsicherheiten, verschafft die Bestimmung der Urinosmolalität Klarheit (Abb. 7.2).
Na+ K+
200
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Abb. 7.2 Diagnostisches Vorgehen bei Hypernatriämie.
Differenzialdiagnose der Hypernatriämie Urinosmolalität > 800 mosmol/kg Urinnatrium < 25 mmol/l
Urinnatrium > 60 (– 100) mmol/l
Wasserverlust: Perspiratio insensibilis, gastrointestinal
Salzüberladung
7 Urinosmolalität 300 – 800 mosmol/kg Anstieg der Urinosmolalität > 60 mosmol/kg auf Desmopressin * Dehydratation bei zentralem Diabetes insipidus
kein Anstieg der Urinosmolalität auf Desmopressin * osmotische Diurese (Urinosmolalität > 1000 mosmol/24 h)
partieller nephrogener Diabetes insipidus
Urinosmolalität < 300 mosmol/kg Anstieg der Urinosmolalität ‡ 50 % auf Desmopressin *
kein Anstieg der Urinosmolalität auf Desmopressin *
zentraler Diabetes insipidus
nephrogener Diabetes insipidus
* Desmopressin: 40 mg intranasal oder 4 mg intravenös
Notfallanamnese
• • •
Durst? Schwitzen? Fieber? Durchfall? Bewusstseinsstörung (fehlender Durstreflex)? Postiktaler Zustand? Therapie mit hypertoner Lösung, Sondennahrung oder Mannitol?
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Fieber? Pneumonie? Verbrennungen?
Diagnostik Labor. Urinosmolalität, Urinvolumen, Natrium im Spoturin, Plasmaglukose (Hyperglykämie?). Bei V. a. Diabetes insipidus Desmopressin-Test (Abb. 7.2). Desmopressin 40 µg intranasal oder 4 µg i. v., vorzugsweise morgens um 8 Uhr nach nächtlichem Dursten, Bestimmung der Urinosmolalität nach 1, 3 und 5 h.
Therapie Ziel. Behandlung der zugrunde liegenden Ursache und gleichzeitig Korrektur einer bedrohlichen Hypernatriämie!
Hypernatrimie
(154 mmol/l) korrigiert dabei eine Hypernatriämie gefährlichen Ausmaßes (> 158 mmol/l) (EG-C).
Notfallmanagement Abschätzen des Wasserdefizits. Vor Therapiebeginn sollte das Wasserdefizit geschätzt werden. Andauernde Flüssigkeitsverluste müssen mitberücksichtigt werden (z. B. anhaltender Durchfall). Zielnatrium = 140 mmol/l. Wasserdefizit (Mann) = 0,5 × kg KG × [(Plasma-Na+/140) – 1] Wasserdefizit (Frau) = 0,4 × kg KG × [(Plasma-Na+/140) – 1]
•
Beispiel: 60 kg schwerer Mann mit Plasma-Na+ von 168 mmol/l: 6 l Wasserdefizit.
Infusionstherapie • Veränderung der Plasma-Na+-Konzentration: Veränderung, die durch die Infusion von 1 l einer Infusionslösung erreicht wird, kann mit folgender Formel abgeschätzt werden: +
Veränderung des Na Plasma/l Infusion = + + (Na infundiert – Na Plasma)/(Körperwasser + 1) Infundiertes Na+/l NaCl 0,45%: 77 mmol/l, infundiertes Na+/l NaCl 0,9%: 154 mmol/l, infundiertes Na+/l Ringer-Laktat: 130 mmol/l, infundiertes Na+/l Glukose 5%: 0 mmol/l Körperwasser: Mann 0,6 × kg KG; Frau 0,5 × kg KG
•
schwere Frau, PlasmaBeispiel: 50 kg Na+ 160 mmol/l, Infusion von 1 l NaCl 0,45%: Absinken des Plasma-Na+ um 3,19 mmol.
Reines Wasserdefizit (z. B. Perspiratio, Diabetes insipidus, Salzüberladung) • Rehydrierung mit freiem Wasser, am besten oral oder über eine Magensonde. Bei i. v. Rehydrierung wird Glukose 5% infundiert (EG-C). Hypernatriämie mit Salzdefizit (z. B. gastrointestinaler Verlust) • Infusion von NaCl 0,45% und Glukose 5% zu gleichen Teilen (EG-C). Hypernatriämie + schwere Dehydratation (hypovolämischer Schock) • Infusion von 1 – 2 l isotoner NaCl–- oder RingerLösung in der ersten Stunde, denn in dieser Situation ist die Normalisierung der Gewebeperfusion das wichtigste Anliegen. Isotone NaCl-Lösung
201
Zentraler Diabetes insipidus • Zusätzlich zur Rehydrierung Deckung der laufenden Verluste oder besser das fehlende Vasopressin i. v. (Desmopressin 1 µg alle 6 – 24 h) oder intranasal (Desmopressin 10 µg alle 6 – 24 h) ersetzen (EG-C).
Weitere Maßnahmen
• • •
Sobald der Patient wach ist und adäquat reagiert, orale, durstgesteuerte Flüssigkeitszufuhr anstreben! Liegt eine osmotische Harnstoffdiurese vor, muss eine ausreichende Kalorienzufuhr erfolgen. Korrektur zusätzlicher Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie) nicht vergessen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Die Korrektur einer Hypernatriämie muss umso langsamer erfolgen, je langsamer die Elektrolytstörung entstanden ist. Bei hypernatriämiebedingten Symptomen soll das Plasma-Na+ um maximal 0,5 mmol/l/h gesenkt werden. Die weitere Korrektur muss wegen der Gefahr des Hirnödems langsam erfolgen, d. h. eine Senkung von maximal 10 – 12 mmol/d.
Besondere Merkpunkte
• •
Zu rasche Korrektur einer Hypernatriämie kann ein Hirnödem, epileptische Krampfanfälle, irreversible Hirnschädigung und Tod verursachen! Hypernatriämie bei diabetischem Koma darf initial nicht mit hypotoner, sondern muss mit isotoner NaCl-Lösung behandelt werden, weil die Insulintherapie die Plasmaglukosekonzentration senkt und damit die effektive Plasmaosmolalität relativ rasch reduziert wird.
Na+ K+
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
202
7.4
Hypokaliämie
Differenzialdiagnose
M. Dickenmann
Diese ist in Tab. 7.5 und Abb. 7.3 dargestellt.
Definition und Einteilung +
Hypokaliämie = Plasma-K -Konzentration < 3,6 mmol/l (Tab. 7.5).
7
Typische Krankheitszeichen
• •
Die Symptomatik ist abhängig von der Geschwindigkeit, mit der sich eine Hypokaliämie entwickelt. Müdigkeit, Apathie, Schwäche, Verstopfung, paralytischer Ileus, Parästhesien, Muskelkrämpfe, Tetanie, Muskelschwäche bis Paralyse und Atemlähmung, selten Rhabdomyolyse, Herzrhythmusstörungen.
Tabelle 7.5
Einteilung der Hypokalimie.
Kaliumumverteilung nach intrazellulär
• respiratorische oder metabolische Alkalose • Insulintherapie • Stress oder Therapie mit b2-Sympathomimetika (z. B. Salbutamol, Dopamin)
• Hypothermie • stark gesteigerte Hmatopoese • hypokalimische paroxysmale Paralyse • Chloroquin, Verapamilintoxikation Gastrointestinaler Kaliumverlust
• Erbrechen • Durchfall • Laxanzienabusus Renaler Kaliumverlust
• Diuretikatherapie • Hypomagnesimie • Hyperaldosteronismus (primr oder sekundr) • Salzverlustnephropathien (interstitielle Nephropathien, Bartter-Syndrom, Gitelman-Syndrom)
• distale renal tubulre Azidose • Magensonde (metabolische Alkalose fi Kaliumverlust renal)
• Polyurie bei primrer Polydipsie • Amphotericin-B-Therapie Verminderte Kaliumzufuhr durch Nahrung Kaliumverlust durch starkes Schwitzen
Notfallanamnese
• • • •
Diuretika? Insulintherapie? Therapie mit b2-Sympathomimetika? Therapie mit Amphotericin B? Erbrechen/Bulimie? Durchfall? Laxanzienabusus? Diät? Familiäre Lähmungserscheinungen? Durst (Polydipsie)?
Differenzialdiagnose der Hypokaliämie Kaliumausscheidung im Urin < 25 mmol/Tag: extrarenaler Kaliumverlust ? + metabolische Alkalose
+ metabolische Azidose
(chronisches) Erbrechen ? Langzeitdiuretikatherapie ?
Laxanzienabusus ? Verlust aus unterem GI-Trakt ?
Kaliumausscheidung im Urin > 25 mmol/Tag: renaler Kaliumverlust ? + metabolische Alkalose
+ metabolische Azidose
Diuretikatherapie ? Bartter-Syndrom ? Hyperaldosteronismus ?
diabetische Ketoazidose ? renal tubuläre Azidose ? Salzverlustnephropathie ?
Abb. 7.3 ämie.
Diagnostisches Vorgehen bei Hypokali-
Hypokalimie
Notfallmanagement
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Hypovolämie (gastrointestinaler Flüssigkeitsund Kaliumverlust, Diuretika?). Hypertonie (Hyperaldosteronismus?). Verminderte Muskelkraft? Sehnenreflexe abgeschwächt? Generalisierte Paresen? Hypothermie?
Diagnostik Labor. pH, HCO3–, pCO2 (metabolische Azidose oder Alkalose); Magnesium (Hypomagnesiämie). EKG-Veränderungen bei Hypokaliämie. Am besten in V2–V4 erkennbar (Abb. 7.4). • Verzögerte ventrikuläre Repolarisation mit STSenkung, flachem oder inversem T, hohem U, • überhöhte P-Welle, • Extrasystolen? Paroxysmale supraventrikuläre oder ventrikuläre Tachykardie? Sinusbradykardie? Kammerflimmern?
Therapie Ziele. Ziel der Notfalltherapie ist in erster Linie die Verhinderung von gefährlichen Herzrhythmusstörungen. Da eine Hypokaliämie meistens mit einer metabolischen Alkalose assoziiert ist, wird durch Gabe von KCl allein auch die Säure-Basen-Störung korrigiert. Kaliumbikarbonat oder die zu Kaliumbikarbonat metabolisierten organischen Salze (Laktat, Azetat, Zitrat, Glukonat) korrigieren die Hypokaliämie weniger rasch, weil einerseits initial mehr Kalium zusammen mit Bikarbonat intrazellulär aufgenommen wird und andererseits die Bikarbonatausscheidung im Urin die distal-tubuläre Kaliumsekretion und damit die renalen Kaliumverluste massiv verstärkt.
T Plasma K+ mmol/l
4,0
U
203
T U
3,0
T
2,0
U
Leichte, asymptomatische Hypokaliämie (PlasmaK+ 3 – 3,5 mmol/l) • Kaliumbedarf für Zielplasmakalium von 4 mmol/l: 200 – 400 mmol. Die orale Therapie ist einfacher und weniger gefährlich als intravenös. • Substitution mit KCl: 50 – 100 mmol/d als Kaliumdiätsalz (1 – 2 Teelöffel) oder als Dragées (EG-C). Cave! KCl-Dragées können Ulzera im oberen Gastrointestinaltrakt verursachen! • Bei metabolischer Azidose: Verabreichung von 60 – 240 mmol Kalium als Glukonat oder Zitrat (EG-D). • Diuretikainduzierte Hypokaliämie: Amilorid 5(– 40) mg/d oder Spironolacton 50(– 100) mg/d oder KCl 40 mmol/d (EG-B). +
Symptomatische Hypokaliämie (Plasma-K meist < 2,5 mmol/l) • Intravenöse Substitution notwendig. • Die maximale Infusionsgeschwindigkeit für Kalium beträgt 20 mmol/h. Höhere Dosen bergen die Gefahr der Hyperkaliämie (EG-D). • NaCl-Lösung 0,45% mit 40 mmol/l KCl (20 ml KCl 15 % als Zusatzlösung pro Liter NaCl-Lösung 0,45%) nicht schneller als 0,5 l/h (bis maximal 1 l/h) infundieren. KCl nicht in Glukose geben, weil die Stimulation der Insulinsekretion die Hypokaliämie trotz Kaliumzufuhr vorübergehend verstärken kann! Durch periphere Venen applizierte Infusionslösungen dürfen höchstens 60 mmol/l Kalium enthalten, denn höhere Konzentrationen bewirken Schmerz und Venenverödung (EG-D). • Bei lebensgefährlichen Rhythmusstörungen und unter Intensivstationsbedingungen mit kontinuierlicher EKG-Überwachung wird KCl auch in höherer Konzentration zentralvenös über Infusionspumpen verabreicht. Dabei können – mit größter Vorsicht und sicherer Überwachung – hoch konzentrierte Kaliumlösungen bis 200 mmol/l (10 ml KCl 15 % in 100 ml isotoner Kochsalzlösung), maximal 20 mmol KCl/h verabreicht werden (EG-C).
T
U
1,0
Abb. 7.4 EKG bei Hypokaliämie (adaptiert aus Surawicz B. Am Heart J 1967; 73: 814).
Na+ K+
204
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Tabelle 7.6
Weitere Maßnahmen
• •
Einen gleichzeitig vorhandenen Magnesiummangel unbedingt korrigieren (Magnesiummangel führt zu renalem Kaliumverlust)! Grundkrankheit behandeln!
• •
Endogene Kaliumfreisetzung (Kaliumaustritt aus Zellen) Pseudohyperkalimie: mechanisches Trauma bei oder nach der Blutentnahme fi Kaliumfreisetzung Metabolische Azidose
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
7
Einteilung der Hyperkalimie.
Eine i. v. Kaliumsubstitution bei einer symptomatischen Hypokaliämie muss unter EKG-Überwachung und engmaschiger Bestimmung des Plasmakaliums erfolgen. Cave! Bei Kombination von Kaliumsubstitution + ACE-Hemmer + kaliumsparendem Diuretikum: Gefahr der Hyperkaliämie!
Gewebeuntergang: Trauma, Hmolyse, Rhabdomyolyse, Tumorlyse b-adrenerge Blockade Schwerste kçrperliche Anstrengung Hyperkalimische periodische Paralyse Digitalisintoxikation Muskelrelaxation mit Succinylcholin Verminderte renale Kaliumausscheidung
Besondere Merkpunkte
Akutes oder chronisches Nierenversagen
Die orale Substitution von Kalium ohne metabolische Azidose soll mit Kaliumchlorid und nicht mit Kaliumzitrat erfolgen!
7.5
Insulinmangel, Hyperglykmie
Hyperkaliämie
Kombinationstherapie: ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorantagonist € kaliumsparendes Diuretikum! Stark vermindertes effektives zirkulierendes Blutvolumen Hypoaldosteronismus:
• Nebennierenrindeninsuffizienz • Heparintherapie • Therapie mit ACE-Hemmer, Angiotensin-
M. Dickenmann
Definition und Einteilung
rezeptorantagonisten
Hyperkaliämie = Plasma-Kalium-Konzentration > 5,2 mmol/l (Tab. 7.6).
• Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR)
• diabetische Nephropathie (hyporeninmischer Hypoaldosteronismus)
Pathophysiologie
Kaliumsparende Diuretika (Amilorid, Triamteren, Spironolacton, Eplerenon)
Eine lebensgefährliche Hyperkaliämie kann selbst bei beträchtlicher exogener Kaliumzufuhr oder endogener Kaliumfreisetzung praktisch nur entstehen, wenn die renale Kaliumelimination gestört ist.
Trimethoprimtherapie
Differenzialdiagnose
Typische Krankheitszeichen
• • •
+
Symptome treten häufig erst bei Plasma-K -Werten über 8 mmol/l auf. Muskelschwäche, aufsteigende Lähmung wie bei Polyradikulitis, periorale Parästhesien, pelziges Gefühl auf der Zunge. Kardial: Bradykardie, Rhythmusstörungen, schließlich Kammerflimmern oder Asystolie.
Pseudohyperkaliämie. Diese muss zuerst ausgeschlossen werden. Ursachen: • Hämolyse bei Stehenlassen der Blutprobe. • Hämolyse bei schwieriger Venenpunktion: längere venöse Stauung und „Pumpen“ durch Faustschließen während der Blutentnahme steigert Kaliumkonzentration im gestauten Venenblut um 1 – 2 mmol/l.
Hyperkalimie
•
Thrombozytose/Leukozytose: pro 100 000/mm3 Thrombozyten werden 0,15 mmol/l Kalium freigesetzt. Auch bei Leukämie mit Leukozyten über 100 000/mm3 werden signifikante Mengen Kalium aus den Leukozyten freigesetzt. • Familiäre Pseudohyperkaliämie (Kaliumpermeabilität der Erythrozyten erhöht). Deshalb im Zweifel Blutentnahme wiederholen oder besser: Kalium aus arteriell entnommenem Blut bestimmen (Messung mit kaliumselektiver Glaselektrode)! Hypoaldosteronismus • Bei Verdacht auf Hypoaldosteronismus Bestimmung des transtubulären Kaliumkonzentrationsgradienten (TTKG) im Spoturin: TTKG = (Urin-Kalium/Plasma-Kalium)/ (Urinosmolalität/Plasmaosmolalität)
•
– TTKG > 10: kein Hypoaldosteronismus, – TTKG < 7: Hypoaldosteronismus wahrscheinlich. Bestimmung der Plasmareninaktivität (PRA): – PRA tief: hyporeninämischer Hypoaldosteronismus (Aldosteron tief, Kortisol normal), – PRA hoch: Hypoaldosteronimus bei primärer Nebenniereninsuffizienz (Aldosteron tief, Kortisol tief).
Notfallanamnese
• • •
•
Schwierige Blutentnahme? Diabetiker? Trauma? Kardiale Probleme? Bekannte Nierenerkrankung? Arzneimittelanamnese (Insulin, nichtsteroidale Antiphlogistika, Digitalis, Betablocker, ACE-Hemmer, Angiotensinantagonist, kaliumsparende Diuretika, Spironolacton, Eplerenon, Heparin, Trimethoprim, Succinylcholin)? Kombinationstherapie: Renininhibitor ± ACEHemmer ± Angiotensinantagonist ± kaliumsparendes Diuretikum?
205
Notfalluntersuchung Labor Azidose), • pH, pCO2 (metabolische (Hyponatriämie), • Plasma-Na+-Konzentration Plasmakalzium (freies Kalzium oder korrigiert mittels Albuminbestimmung (s. S. 211); Hypokalzämie?), • Plasmaglukose (Insulinmangel), • Harnstoff und Kreatinin (Nierenfunktion), • Digitalisserumkonzentration bei Behandlung mit Digitalisglykosiden, • LDH (Hämolyse), Kreatinkinase (Rhabdomyolyse). EKG-Veränderungen bei Hyperkaliämie. Je nach Höhe der Hyperkaliämie: • erstes Zeichen bei Plasma-K+ > 6 mmol/l: schmale T-Wellen mit verkürztem QT-Intervall, • bei Plasma-K+ über 7 – 8 mmol/l: zunehmende Verbreiterung der QRS-Komplexe, abnehmende Amplitude, Verschwinden der P-Welle, dann Sinuswellenmuster (wenn QRS und T-Welle verschmelzen) und schließlich Kammerflimmern oder Asystolie (Abb. 7.5).
Therapie Kardiotoxizität. Die Therapie der Hyperkaliämie richtet sich nach dem Grad der kardialen Toxizität der Elektrolytstörung. Deshalb sollte das EKG kontinuierlich monitorisiert werden. Hyperkaliämie über 7 mmol/l mit schweren EKG-Veränderungen oder ausgeprägter Muskelschwäche erfordert sofortige Therapie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Hyperkaliämie unter 7 mmol/l ohne EKG-Veränderungen benötigt keine Notfalltherapie, sondern kann mit Kationenaustauschharzen, Diuretika oder gelegentlicher Dialyse behandelt werden.
Notfallmanagement Ziel der Notfalltherapie ist die Antagonisierung der Membraneffekte (Kalziumgabe) und Senkung der Plasma-K+-Konzentration (Kaliumverschiebung nach intrazellulär).
Abb. 7.5 EKG bei Hyperkaliämie (adaptiert aus Surawicz B. Am Heart J 1967; 73: 814). Plasma K+ mmol/l
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
Na+ K+
206
•
•
7
•
•
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Kalziumglukonat 10%: 10 ml über 2 – 3 min langsam i. v. unter EKG-Kontrolle, kann nach 5 min wiederholt werden, falls die EKG-Veränderungen wieder zunehmen. Wirkung innerhalb weniger Minuten. Kalzium nur bei lebensbedrohlicher Hyperkaliämie anwenden. Cave! Hyperkalzämie verstärkt Digitalistoxizität! (EG-D). Insulin und Glukose: 10 – 20 EE rasch wirkendes Insulin in 200 ml Glukose 20% innerhalb 15 – 20 min i. v., evtl. nach 4 – 6 h wiederholen (EG-C). b2-adrenerge Agonisten: z. B. Salbutamol 0,5 – 1 mg langsam i. v. (oder 10 – 20 mg per inhalationem) senkt Plasma-K+ innerhalb von 30 min um 0,5 – 1,5 mmol/l (EG-C). Besonders wirksam bei mit Betablockern behandelten Patienten. Wegen Tachykardie und Auslösung von Angina pectoris bei aktiver koronarer Herzkrankheit zu vermeiden. Bei Digitalisintoxikation mit Hyperkaliämie über 5,5 mmol/l: Digitalisglykosid bindende Antikörper-Fab-Fragmente (s. S. 476). Dosierung nach Körpergewicht und Digitalisserumkonzentration (EG-C).
Weitere Maßnahmen Der protektive Effekt von intravenösem Kalzium verschwindet mit dem raschen Absinken der Plasmakalziumkonzentration. Die intrazelluläre Verschiebung von Kalium durch b2-adrenerge Stimulatoren und/oder Insulin, obschon länger und nachhaltiger wirksam als Kalzium i. v., dauert auch nur einige Stunden. Aus diesem Grund muss nach der Notfalltherapie Kalium aus dem Körper entfernt werden: • Schleifendiuretika (Furosemid, Torasemid): nur sinnvoll, wenn eine ausreichende Nierenfunktion vorhanden ist (EG-D). • Kationenaustauschharze: Natrium- oder Kalziumpolystyrensulfonat (EG-C) – p. o.: 20 g in Sorbitol oder besser mit Phenolphthalein (50 – 100 mg) alle 4 – 6 h (EG-C), – per Klysma: 50 g in 200 ml Glukose 5%, gehalten für mindestens 30 min, besser für 2 – 3 h, alle 2 – 4 h wiederholbar (EG-C). Cave! Klysmata früh postoperativ vermeiden, da Gefahr der intestinalen Nekrose! • Dialyse gegen kaliumarme oder kaliumfreie Lösung (EG-D). Hämodialyse ist wirksamer als Peritonealdialyse (EG-C). • Hyperkaliämie induzierende Arzneimittel absetzen.
• •
Kaliumarme Diät bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz verordnen. Azidose, Hypokalzämie und Hyponatriämie korrigieren (verstärken Kardiotoxizität der Hyperkaliämie).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Patienten mit symptomatischer Hyperkaliämie oder EKG-Veränderungen gehören auf eine Intensivstation. Korrektur ausschließlich unter kontinuierlicher EKG-Kontrolle! Initial stündliche Kalium- und, falls Insulin verabreicht wird, Glukosebestimmung. Cave! Gefahr der überschießenden Kaliumkorrektur mit Hypokaliämie!
Besondere Merkpunkte Die Kardiotoxizität der Hyperkaliämie wird verstärkt durch Azidose, Hypokalzämie und Hyponatriämie! Deshalb diese Störungen korrigieren!
7.6
Störungen des Säure-BasenGleichgewichts J. Steiger
Definition und Einteilung Säure-Basen-Störungen entstehen durch die Verschiebung des extrazellulären pH. Die Prozesse, die zu einem erniedrigten pH (Azidämie) bzw. einem erhöhten pH (Alkalämie) führen, werden Azidose bzw. Alkalose genannt. Respiratorische und metabolische Störungen. Primäre Veränderungen im pCO2 werden als respiratorische Azidose (hohes pCO2) und respiratorische Alkalose (tiefes pCO2) bezeichnet. Primäre Veränderungen im Plasmabikarbonat (HCO3–) werden metabolische Azidose (tiefes Bikarbonat) und metabolische Alkalose (hohes Bikarbonat) genannt. Demzufolge sind die wichtigen Messparameter zur Einordnung einer Säure-Basen-Störung: pH, Bikarbonat und pCO2, die in einem eng regulierten Verhältnis stehen (Abb. 7.6, blau markierter Bereich).
Stçrungen des Sure-Basen-Gleichgewichts
PaCO2 mmHg kPa 100 13,3
H+ arteriell nmol/l 120 100 80 70 pH arteriell 6,92 7,00 7,10
80
10,6
8,0 6,6 5,3
20
7,70
se ido Az e h sc oli ab et m C
os
p. A
ka l
es
Al
p.
10
ak
ch r. r
8,00
ut er
2,6
che
olis
e alos Alk
Abb. 7.6 Säure-Basen-Diagramm. A Chronische respiratorische Azidose mit akuter respiratorischer Verschlechterung oder akute respiratorische Azidose mit erst teilweise renaler Kompensation. B Primre metabolische Azidose mit primrer respiratorischer Azidose (alveolre Hypoventilation). C Metabolische Azidose kombiniert mit respiratorischer Alkalose (alveolre Hyperventilation) (adaptiert aus Harrington JT, Cohen JJ, Kassirer JP. In: Cohen JJ, Kassirer JP, eds. Acid/ Base. Boston: Little Brown; 1982).
B
es
20
30 7,52
tab me
e
4,0
40 7,40
lka l os e
40
7,30
A
9,3 60
50
7,22
akute respiratorisc he Azidose ch r on isch e re sp. Az i d ose
12,0
7,15
60
207
12
24
36
48
60
Plasma HCO3 mmol/l
Tabelle 7.7
Charakteristika der primren Sure-Basen-Stçrungen.
Säure-Basen-Störung
pH
[H+]
Primäre Störung
Kompensationsmechanismus
Metabolische Azidose
fl
›
fl [HCO3–]
fl pCO2
Metabolische Alkalose
›
fl
› [HCO3 ]
› pCO2
Respiratorische Azidose
fl
›
› pCO2
› [HCO3–]
Respiratorische Alkalose
›
fl
fl pCO2
fl [HCO3–]
–
Kompensationsmechanismen. Die metabolischen Störungen führen zu einer respiratorischen Kompensation, die respiratorischen Störungen zu einer metabolischen Kompensation (die Einteilung der Säure-Basen-Störung zeigt Tab. 7.7), mit dem Ziel, die Änderung in der H+-Konzentration minimal zu halten. Da die renale Kompensation einer respiratorischen Störung einige Tage benötigt, besteht ein Unterschied zwischen einer akuten und einer chronischen respiratorischen Alkalose bzw. Azidose. Liegen die Werte nicht im blau markierten Bereich (Abb. 7.6), handelt es sich um gemischte Säure-Basen-Störungen.
Metabolische Azidose Pathophysiologie Drei prinzipielle Mechanismen führen zur metabolischen Azidose (Abb. 7.7). • Verminderte renale H+-Ausscheidung: – chronische Niereninsuffizienz, – renal-tubuläre Azidose. • Vermehrte H+-Produktion: – Laktatazidose (am häufigsten vermehrte Laktatproduktion durch O2-Mangel, ferner: Biguanidtoxizität), – (meist diabetische) Ketoazidose,
Na+ K+
208
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
metabolische Azidose
metabolische Azidose
ja
ja gastrointestinaler HCO3–-Verlust
Niereninsuffizienz (Sulfat, Phosphat, Urat)
hohe Anionenlücke (> 11)
7
(Anion, das für hohe Anionenlücke verantwortlich ist)
Diarrhö
renaler HCO3–-Verlust
Laktatazidose (Laktat)
normale Anionenlücke (5 – 11)
Ketoazidose (b-Hydroxybuttersäure)
Intoxikation Rhabdomyolyse *
Abb. 7.7 Differenzialdiagnose der metabolischen Azidose. Nach der Anamnese und Bestimmung der Anionenlcke kann mithilfe des obigen Algorithmus die tiologie der metabolischen Azidose bestimmt
•
– Intoxikation mit Salizylaten, Methanol, Äthylenglykol, CO, Toluen, Zyanid, Paraldehyd (s. a. S. 458), – hochkalorische Ernährung. Bikarbonatverlust: – Diarrhö, – enterale Fistel, – Ureterosigmoidostomie.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Beschleunigte, vertiefte Atmung (Kussmaul-Atmung), unspezifische Symptome wie: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Nausea, Verwirrung bis hin zum Koma, bei pH < 7,1 besteht die Prädisposition zu ventrikulären Arrhythmien, verminderter Myokardkontraktilität und schlechtem Ansprechen auf Katecholamine.
Differenzialdiagnose Respiratorische Azidose: mithilfe des Säure-BasenDiagramms (Abb. 7.6) leicht zu unterscheiden.
renal tubuläre Azidose Typ 2 (proximal)
renale Dysfunktion Hypoaldosteronismus renal tubuläre Azidose Typ 1
hochkalorische Ernährung
werden. Zur weiteren Differenzierung helfen die Bestimmung des Kreatinins, des Laktats, des Blutzuckers und der Kreatinkinase (*Muskelnekrose/Rhabdomyolyse: Freisetzung von Myoglobin in die Zirkulation).
Notfallanamnese Anhaltspunkte über folgende Krankheiten sollten erhoben werden: • chronische Nierenerkrankung, • Schock, Sepsis, • Diabetes mellitus, • Intoxikation (Alkoholabusus, andere Noxen), • epileptischer Anfall, Status epilepticus, • Diarrhö, enterale Fistel, Kurzdarmsyndrom, • Glykogenspeicherkrankheit (Dysfunktion des proximalen Tubulus), • maligner Tumor.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Volumenstatus inklusive Blutdruck, Untersuchung der zerebralen Funktion, Suche nach einer der o. g. Krankheiten.
Diagnostik Arterielle Blutgasanalyse (falls nicht möglich venös). Inklusive pH, pCO2, Bikarbonat, Na+, K+ und Cl–. Berechnung der Anionenlücke zur Differenzierung
Stçrungen des Sure-Basen-Gleichgewichts der metabolischen Azidose (Abb. 7.7). Die Anionenlücke entspricht der molaren Differenz zwischen dem hauptsächlichen Kation (Na+) und den hauptsächlichen Anionen (Cl– und HCO3–). Sie beträgt normalerweise 5 – 11 und errechnet sich folgendermaßen:
•
209
hirn-Liquor-Raum) führen und damit den intrazellulären pH-Wert weiter senken! Besonders gefährdet sind Patienten mit Laktatazidose infolge Linksherzinsuffizienz. Rasche Korrektur der Azidose verstärkt die O2-Bindung an Hämoglobin und kann deshalb eine Gewebehypoxie verursachen.
Anionenlücke = [Na+] – [Cl–] – [HCO3–]
Weiterführendes Labor. Laktat (> 5 mmol/l: Laktatazidose? Sepsis?), Glukosurie bzw. Plasmaglukose (Diabetes mellitus?), Kreatinin (Niereninsuffizienz?).
Therapie Therapie des zugrunde liegenden Problems (EG-D): • Bei Bikarbonatverlust (gastrointestinal oder renal) und arteriellem pH < 7,2 soll Natriumbikarbonat verabreicht werden. – Die benötigte Menge Natriumbikarbonat errechnet sich nach folgender Formel: Bikarbonatdefizit (in mmol) = 0,5 × (KG in kg) × (Zielbikarbonat – gemessenes Bikarbonat [mmol/l])
•
– Bikarbonat am besten als isotone Lösung verabreichen (die ersten 50 – 100 mmol innerhalb von 15 – 30 min) (EG-C). K+-Zufuhr: – Bei metabolischer Azidose infolge renaler oder gastrointestinaler Bikarbonatverluste besteht häufig Kaliummangel. Trotz normalen oder sogar erhöhten Plasmakaliums bei diabetischer Ketoazidose ist Kaliumdepletion die Regel. Korrektur der Azidose darf in diesen Situationen deshalb nicht ohne Kaliumzufuhr erfolgen. – Bei einer anderen Ätiologie der metabolischen Azidose soll eine Korrektur nur vorgenommen werden, wenn der pH-Wert unter 7,1 liegt. Das Ziel ist dann, das Ansprechen auf die Katecholamine zu verbessern. Es soll ein arterieller pHWert von etwa 7,2 bzw. eine arterielle HCO3–-Konzentration von etwa 10 mmol/l erreicht werden (EG-C).
Besondere Merkpunkte
•
Rasche Infusion von Natriumbikarbonat kann durch Pufferung von H+ zu einem Anstieg der pCO2-Konzentration im Gewebe (Myokard, Ge-
Metabolische Alkalose Pathophysiologie Die metabolische Alkalose ist die Folge einer erhöhten Plasmabikarbonatkonzentration bei erhöhtem pH (bzw. tiefer H+-Konzentration). Folgende Mechanismen können zu einer metabolischen Alkalose führen: • Verlust von H+: – gastrointestinaler Verlust: Erbrechen, Absaugen von Magensaft, – renaler Verlust: Schleifen- oder Thiaziddiuretika, Mineralokortikoidüberschuss, Hyperkalzämie, – H+-Verschiebung nach intrazellulär: Hypokaliämie. • Bikarbonatüberladung: – massive Bluttransfusionen (Abbau von Zitrat zu HCO3–), – Natriumbikarbonatinfusion (iatrogen), – Milch-Alkali-Syndrom (Trias von Hyperkalzämie, metabolischer Alkalose und Niereninsuffizienz durch erhöhte Kalzium- und Alkalizufuhr). • Kontraktionsalkalose: – Mechanismus: Ein Chlorid- und Flüssigkeitsverlust ohne Bikarbonatverlust führt zu einer Volumenverminderung (Kontraktion) bei konstanter Menge Bikarbonat, wodurch das Plasmabikarbonat ansteigt. Eine Kontraktionsalkalose kann nur persistieren, wenn ein Chloriddefizit besteht oder das effektive arterielle Blutvolumen vermindert ist. – Auslöser sind: Schleifen- oder Thiaziddiuretika, Schweißverlust bei zystischer Fibrose (Cl–-Verlust im Schweiß) und Chloriddiarrhö (villöses Adenom, kongenital bei defekter Cl–-Reabsorption im Darm, VIPOM = neuroendokriner Tumor mit Produktion von vasoaktivem intestinalem Polypeptid).
Na+ K+
210
Typische Krankheitszeichen
Therapie
• •
Korrektur des Volumenmangels. Bei normaler Nierenfunktion korrigiert sich die metabolische Alkalose über eine HCO3–-Ausscheidung durch die Niere selbst. Eine solche Korrektur ist aber nicht möglich, wenn ein Volumen-, Cl–- und/oder K+-Mangel vorhanden ist. Die Therapie beruht deshalb auf einer Korrektur des Volumenmangels. Prinzipiell gibt es je nach Ätiologie und Labor in dieser Situation 3 Therapieansätze der metabolischen Alkalose: • Korrektur des Volumenmangels mit NaCl 0,9% (EG-C), • Korrektur des Kaliummangels mit KCl (EG-C), • Korrektur des Chloridmangels mit NaCl 0,9%. Generelle Hypervolämie und vermindertes arterielles Blutvolumen. Bei dieser Konstellation, wie sie z. B. bei Herzinsuffizienz, Cor pulmonale oder Zirrhose vorliegt, ist NaCl kontraindiziert. Falls der Patient gleichzeitig hypokaliämisch ist, kann KCl die Hypokaliämie und die Alkalose korrigieren, ansonsten Gabe von: • Acetazolamid 250 mg i. v. oder p. o. 1 – 3 ×/d (EG-C), • kaliumsparende Diuretika, ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker. Niereninsuffizienz. In diesem Fall ist die Therapie die Hämodialyse. Metabolische Alkalose bei Niereninsuffizienz ist aber äußerst selten, z. B. bei massivem H+-Verlust durch Sog an der Magensonde.
• •
7
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Häufig asymptomatisch, Symptome der Volumendepletion: Abgeschlagenheit, Muskelschwäche, Symptome der Hypokaliämie (s. S. 202): Polyurie, Polydipsie, Muskelschwäche, neurologische Symptome (Bewusstseinstrübung, Parästhesien an den Extremitäten, Krämpfe) sind wahrscheinlich die Folge des Abfalls des pCO2 im Gehirn und nicht Folge einer Erhöhung des Plasmabikarbonats; sie treten vor allem bei der respiratorischen Alkalose auf.
Differenzialdiagnose Respiratorische Alkalose: mithilfe des Säure-BasenDiagrammes (Abb. 7.6) leicht zu unterscheiden, klinisch unterscheidet sie sich durch Parästhesien, die bei der metabolischen Alkalose kaum vorhanden sind.
Notfallanamnese Anhaltspunkte über folgende Krankheiten, Arzneimittel oder Infusionen sollten eruiert werden: • Erbrechen (H+-Verlust durch erbrochene Magensäure), • Einnahme von Schleifen- oder Thiaziddiuretika (vor allem bei vermindertem arteriellem Blutvolumen), • Bluttransfusionen (Zitratzufuhr), • Natriumbikarbonatinfusion, • zystische Fibrose.
Notfalluntersuchung Klinik Volumenstatus inklusive Blutdruck. Suche nach Volumendepletion.
Diagnostik Arterielle Blutgasanalyse (wenn nicht möglich venös). Inklusive pH, pCO2, Bikarbonat, Na+, K+ und Cl–.
Besondere Merkpunkte Gefährlich ist die metabolische Kontraktionsalkalose bei Patienten mit Cor pulmonale und chronisch respiratorischer Azidose, die mit Thiazid- oder Schleifendiuretika behandelt werden. Die Kontraktionsalkalose bremst die Ventilation und bewirkt eine weitere Verschlechterung der Oxygenierung und einen Anstieg des pCO2.
Respiratorische Azidose und Alkalose Siehe Kap. 4, S. 116.
Hyperkalzmie und Kalziumintoxikation (hyperkalzmische Krise)
7.7
phome), Immobilisation, Sarkoidose (VitaminD-Bildung), Hyperthyreose, Zufuhr von Kalziumsalzen (Kalziumkarbonat als Phosphatbinder bei Niereninsuffizienz), Thiaziddiuretika.
Hyperkalzämie und Kalziumintoxikation (hyperkalzämische Krise) M. Krnzlin, C. Meier
Definition und Einteilung Hyperkalzämie. Eine Hyperkalzämie liegt vor bei einem Gesamtkalzium > 2,6 – 2,7 mmol/l oder einem ionisierten Kalzium > 1,3 mmol/l. Hyperkalzämische Krise. Akut lebensbedrohlicher Zustand mit einem Kalzium von meist > 3,5 mmol/l.
Pathophysiologie Albuminbindung. Zirka 40 % des Kalziums sind an Albumin gebunden. Veränderungen der Albuminkonzentration beeinflussen die Konzentration des „totalen Kalziums“, nicht aber des ionisierten Kalziums. Korrekturfaktor: 0,02 mmol/l Erhöhung bzw. Erniedrigung des Kalziums pro 1 g/l Abweichung des Albumins von 40 g/l: Korrigiertes Kalzium (mmol/l) = [(40,4 – Serumalbumin (g/l)) × 0,025] + Serumkalzium (mmol/l) Eine Azidose erhöht (verminderte Bindung von Kalzium an Albumin) und eine Alkalose vermindert die Konzentration des ionisierten Kalziums. Abnahme bzw. Zunahme des pH-Wertes um 0,1 führt zu einer Zunahme bzw. Abnahme des ionisierten Kalziums von 0,05 mmol/l. Ursachen der Hyperkalzämie. Die Hyperkalzämie beruht meistens auf der Zunahme des Knochenabbaus infolge gesteigerter Osteoklastenaktivität. Ursachen sind: • Maligne Tumoren (Bronchial-, Mamma-, Prostatakarzinom, multiples Myelom) – durch ektope Bildung des „Parathyroid Hormone related Peptide“, das zu einem osteoklasteninduzierten gesteigerten Knochenabbau führt (= humorale Hyperkalzämie) oder – durch lokale Freisetzung von Zytokinen durch Tumorzellen oder Makrophagen mit gesteigertem Knochenabbau bei Knochenmetastasen (= osteolytische Hyperkalzämie). • Primärer Hyperparathyreoidismus. • Andere, seltenere Ursachen: Vitamin-D-induzierte Hyperkalzämie (Vitamin-D-Intoxikation, Lym-
211
Typische Krankheitszeichen Hyperkalzämiesyndrom • Renal: Polyurie (Exsikkose!), Nierensteine, Nephrokalzinose, • neurologisch: Müdigkeit, Muskelschwäche, Pseudoparalyse, • kardial: EKG-Veränderungen: Verkürzungen der QT-Dauer, AV-Block I, Arrhythmien; Hypertonie, • gastrointestinal: Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation; selten: Ulcus ventriculi/duodeni, Pankreatitis, • zerebral: Adynamie, Delir, Somnolenz bis Koma, • metastatische Kalzifizierungen: Niere, Magen, Lungen. Kalziumintoxikation • Apathie, Adynamie, Erbrechen, • Delir, Somnolenz, Koma, • Polyurie, Exsikkose, • Niereninsuffizienz, • Tachykardie (Todesursache ist meist ein nicht beeinflussbarer Herzstillstand in Asystolie).
Differenzialdiagnose
• • •
Intoxikationen mit Arzneimitteln und Drogen, Komata anderer Ursache (s. S. 439), Hirntumoren und andere zerebrale Affektionen, Psychosen.
Notfallanamnese Fragen nach auslösender Ursache: • bekannter primärer Hyperparathyreoidismus, Hyperthyreose, chronische Niereninsuffizienz, • Tumorleiden, • Arzneimittel (Vitamin D, Vitamin-D-Metaboliten, Thiaziddiuretika, Lithium), • exzessive Milch- oder Kalziumkarbonatzufuhr, • Immobilisation.
Na+ K+
212
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Abb. 7.8
QT-Zeit-Verlängerung.
7 QT 0,28 s
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Halsvenenfüllung, Blutdruck (Hypovolämie und Exsikkose). Neurologische Untersuchung. Bewusstseinstrübung, psychische Veränderungen, Muskelschwäche, Pseudoparalyse, Hyporeflexie.
Diagnostik Labor im Serum. Kalzium, Phosphor, Gesamteiweiß/Albumin, Natrium, Kalium, Magnesium, Kreatinin, evtl. Amylase (Pankreatitis), pH. EKG. QT-Zeit-Verkürzung (Abb. 7.8), AV-Block I, Arrhythmien. Urinausscheidung. Polyurie. Röntgen-Thorax. Metastatische Kalzifizierung, Osteolysen, Tumoren, Sarkoidose.
Therapie Notfallmanagement Basistherapie der Kalziumintoxikation • Zentralvenöser Zugang (ZVD) und Blasenkatheter. • Rehydrierung und forcierte Diurese (= Eckstein der Therapie) (EG-D): – Infusion mit NaCl 0,9%, initial 3 – 6 l/24 h unter Kontrolle von ZVD und Diurese (stündlich),
Herzfunktion und Elektrolyten, v. a. Natrium und Kalium (4-stündlich) und Magnesium. – Kaliumzusatz, je nach Serumkalium: 20 – 40 mmol KCl/l Infusion (Infusionsrate von 20 mmol KCl/h nicht überschreiten). – Magnesiumzusatz je nach Serummagnesium. – Furosemid je nach Flüssigkeitsbilanz, ZVD und kardialer Situation, Dosis: 20 – 40 mg i. v. alle 4 – 12 h. Hemmung des Knochenabbaus in Ergänzung zur Rehydrierung und forcierten Diurese. Die Bisphosphonate sind erste Wahl, da sie die stärkste kalziumsenkende Wirkung aufweisen (Ansprechrate nach 5 – 10 Tagen bis > 80 %). Der Wirkungseintritt erfolgt nach 24 – 36 h und die Wirkungsdauer beträgt 7 – 30 Tage. Kalzitonin zeigt einen rascheren Wirkungseintritt (Stunden) und kann damit in der initialen Phase bei schweren Hyperkalzämien zusammen mit Bisphosphonaten eingesetzt werden. Die Wirkungsdauer von Kalzitonin ist aber kurz (2 – 3 Tage), und es kann nach einigen Tagen Verabreichung zu einer Tachyphylaxie kommen. • Bisphosphonate: – Zoledronat 4 mg in 50 ml NaCl 0,9% oder Glukose 5 % über 15 min (EG-A). – Ibandronat bei Serumkalzium < 3,0 mmol/l 2 mg, bei Serumkalzium > 3,0 mmol/l 4 – 6 mg in 500 ml NaCl 0,9% oder Glukose 5 % über 4 h (EG-A). – Pamidronat 60 – 90 mg (1,0 – 1,5 mg/kg KG) in NaCl 0,9% über 4 – 6 h (EG-A). – Clodronat 5 mg/kg KG in NaCl 0,9% über 4 h, für 3 – 5 Tage (EG-A).
Tetanie
•
Salmkalzitonin: 400 – 600 IE/24 h (5 – 10 IE/kg KG) in NaCl 0,9 % über 6 – 8 h (wirkt rasch, aber nicht sehr potent) (EG-B). • Glukokortikoide: bei Vitamin-D-bedingten Hyperkalzämien (Sarkoidose) oder bei Myelom, Lymphomen, Leukämien: Prednisolon 40 – 80 mg/d i. v. (EG-D). • Dialyse: bei Nichtansprechen Hämodialyse gegen kalziumarmes Dialysat (wirkt rasch, aber nur kurzfristig; nur selten notwendig) (EG-D). Therapie des Hyperkalzämiesyndroms • Nach den gleichen Prinzipien wie die Kalziumintoxikation, aber mit anderer Priorität. • Therapie von Anfang an kausal, d. h. erst die Ursache der Hyperkalzämie abklären, dann Therapie. • Diurese von täglich 3000 – 4000 ml erzwingen; Furosemid einsetzen, wenn Flüssigkeitsmenge kardial nicht toleriert wird (evtl. ZVD-Kontrolle). • Kalziumarme Kost. • Sonstige Maßnahmen s. Kalziumintoxikation. Bisphosphonate können auch oral und Kalzitonin kann s. c. oder nasal verabreicht werden.
Weitere Maßnahmen Ursache eruieren und kausale Therapie: • Tumorsuche, • im Serum: evtl. intaktes Parathormon (primärer Hyperparathyreoidismus), evtl. 1,25(OH)2-Vitamin-D (Sarkoidose), 25-OH-Vitamin-D (VitaminD-Intoxikation).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • • •
Herzrhythmus und Atmung kontinuierlich überwachen, Blutdruck, Puls, ZVD stündlich, Urinausscheidung stündlich (Flüssigkeitsbilanz), Natrium, Kalium, Kalzium im Serum 4- bis 6-stündlich, Gewicht täglich.
7.8
213
Tetanie M. Krnzlin, C. Meier
Definition Tetanie (beim Kind: Spasmophilie) ist eine gesteigerte neuromuskuläre Erregbarkeit.
Pathophysiologie Normokalzämische Tetanie • Bei Alkalose mit Verminderungen des ionisierten Kalziums: respiratorische Alkalose (= Hyperventilationstetanie) oder metabolische Alkalose (bei Erbrechen, Alkalizufuhr). Hypokalzämische Tetanie • Erniedrigtes Parathormon: Hypoparathyreoidismus nach Strumektomie oder Parathyreoidektomie, bei Magnesiummangel (Parathormonresistenz und verminderte Parathormonsekretion), idiopathischer Hypoparathyreoidismus, Neugeborenentetanie. • Erhöhtes Parathormon: Pseudohypoparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel bei Malabsorption, bei Rachitis und Osteomalazie (Rekalzifizierungstetanie in der Heilung der Rachitis), chronische Niereninsuffizienz. • Gewebesequestration von Kalzium bei Rhabdomyolyse, Pankreatitis (S. 134), Tumorlyse, osteoblastischen Metastasen. • Zitratvergiftung bei massiver Bluttransfusion (selten).
Typische Krankheitszeichen Tetanischer Anfall • Parästhesien an den Akren und perioral, • schmerzhafte tonische Kontraktionen der quergestreiften Muskulatur, • tetanische Äquivalente der glatten Muskulatur an Bronchien, Gallenwege, Magen etc., • zerebral: Krampfanfälle, extrapyramidale Symptome, Panikattacke.
Na+ K+
214
Wasser-, Elektrolyt- und Sure-Basen-Gleichgewichtsstçrungen
Abb. 7.9
QT-Zeit-Verkürzung.
7 QT 0,43 s
Latente (provozierbare) Tetanie • Allgemeinbeschwerden: Müdigkeit, Tachykardie, Erbrechen, Parästhesien, Bauchkrämpfe. • Tetanische Zeichen (durch Provokation auszulösen): – Chvostek-Fazialis-Phänomen: Zucken des Mundwinkels und der Gesichtshälfte bei Beklopfen des Fazialisastes, – Lust-Fibularis-Phänomen: Dorsalextension und Pronation des Fußes bei Beklopfen des N. fibularis über Fibulaköpfchen, – Trousseau-Zeichen: Pfötchenstellung der Hand, spontan oder provoziert durch Kompression des Oberarmes mit Blutdruckmanschette, evtl. mit Hyperventilationsversuch.
Differenzialdiagnose
• • • • • •
Epileptischer Anfall (S. 396), hysterischer Anfall (S. 397), Fieberkrampf (beim Kleinkind), Eklampsie, Strychninvergiftung, Tetanus (S. 289), Tollwut (S. 293).
Notfallanamnese
• • • • • •
Psychische Belastung (Hyperventilationstetanie), Strumektomie, Darmerkrankungen (lang dauerndes Erbrechen, Diarrhö, Malabsorption), Niereninsuffizienz, Alkalizufuhr, massive Bluttransfusionen, Vitamin-D-Therapie wegen Rachitis.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Diagnose der latenten Tetanie (s. typische Krankheitszeichen), Strumektomienarbe.
Diagnostik Labor. Im Serum: Kalzium, anorganischer Phosphor, Magnesium, Kreatinin, Gesamteiweiß, Albumin, intaktes Parathormon, ABGA (Alkalose?). EKG. QT-Zeit-Verlängerung (Abb. 7.9).
Tetanie
Therapie
Weitere Maßnahmen
• Notfallmanagement Sofortmaßnahmen bei Hyperventilationstetanie • Beruhigung, • Rückatmung in Plastikbeutel (dicht am Mund anschließen), • bei schwerem Anfall 20 ml 10% Kalziumglukonat langsam i. v. Sofortmaßnahmen bei hypokalzämischer Tetanie • 40 ml 10 % (0,23 mol/l) Kalziumglukonatlösung langsam i. v. (EG-B). Kalziuminfusion mit • Bei wiederholten Anfällen 15 mg (0,37 mmol) Ca2+/kg KG in 500 ml physiologischer Kochsalzlösung infundiert über 3 – 5 h (10 ml 10%ige Kalziumglukonatlösung = 90 mg Ca2+ » 2,25 mmol Ca2+).
215
•
Hyperventilationstetanie: im Anschluss an die Notfalltherapie erklärendes und beratendes Gespräch, evtl. psychosomatische Abklärung. Hypoparathyreoidismus: orale Gaben von Kalzium und Vitamin D (z. B. Dihydrotachysterol oder Kalzitriol) unter Überwachung des Serumkalziums und der Kalziumausscheidung im Urin (EG-B).
Besondere Merkpunkte
• •
Normokalzämische Tetanie (Hyperventilationstetanie) nicht mit Dihydrotachysterol oder Kalzitriol behandeln wegen der Gefahr einer Kalziumintoxikation! Kalzium und Digitalis wirken synergistisch! Vorsicht mit i. v. Verabreichung von Kalzium beim digitalisierten Patienten.
Na+ K+
216
8 Hämostase und Hämatologie
Übersicht
8
8.0 Hämostase und Hämatologie 8.1 Hämorrhagische Diathesen – Allgemeines: Blutung und Blutungsneigung 8.2 Koagulopathien – Hereditre Koagulopathien (Hmophilie) – Erworbene Koagulopathien 8.3 Von-Willebrand-Krankheit 8.4 Vaskuläre hämorrhagische Diathesen 8.5 Thrombozytäre Dysfunktion mit hämorrhagischer Diathese oder Hyperkoagulabilität – Funktionsstçrungen der Thrombozyten (Thrombozytopathien) – Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) 8.6 Akute Transfusionsreaktionen 8.7 Hämolytische Anämien 8.8 Immunthrombopenische Purpura (ITP) 8.9 Agranulozytose 8.10 Aplastische Anämie 8.11 Sichelzellerkrankungen 8.12 Thrombotische Mikroangiopathien 8.13 Hyperviskositätssyndrom 8.14 Primäre Thrombozytose 8.15 Leukämien 8.16 Notfälle nach Stammzelltransplantation
8.1
Hämorrhagische Diathesen G. A. Marbet
Allgemeines: Blutung und Blutungsneigung Definition und Einteilung Klinisch-phänomenologisch. Klinisch-phänomenologisch werden hämorrhagische Diathesen definiert nach Lokalisation, Intensität, Zeitpunkt, Dauer, Ursachen und disponierenden Umständen spontaner und/oder provozierter Blutungen. Diese Daten charakterisieren das individuelle Krankheitsbild. Pathophysiologisch-analytisch. Pathophysiologisch-analytisch werden hämorrhagische Diathesen definiert nach Art und Ausmaß der Defekte der Blutstillungsmechanismen sowie ihren molekularen und genetischen Grundlagen. Diese Angaben erlauben die Zuordnung zu bestimmten Krankheitsbildern, nämlich: • Koagulopathien, • Von-Willebrand-Krankheit, • thrombozytäre hämorrhagische Diathesen, • vaskuläre hämorrhagische Diathesen.
Pathophysiologie Hauptkomponenten der Blutstillungsmechanismen. Bei hämostaseologischen Notfallsituationen stellen die Korrektur von ungenügenden Funktionen und von überschießenden Abläufen die entscheidenden Maßnahmen dar. Pathophysiologisch interessieren daher in diesem Zusammenhang die Hauptkomponenten der Blutstillungsmechanismen (Gerinnungsfaktoren, Von-Willebrand-Faktor, Thrombozyten und Gefäßintima). Eingeschlossen sind hier
Hmorrhagische Diathesen
Tabelle 8.1 funktion.
217
Hauptkomponenten der Blutstillung, Herkunftsgewebe und klinische Folge bei Mangel- oder Unter-
Hauptkomponente
Herkunft
Funktionen
Folgen bei Mangel/ Unterfunktion
Endothelzellen
Gefßintima
Zirkulationsfçrderung, Regulation
Thrombose, Hmostasepfropf
Subendothel (Kollagen, VWF etc.)
Gefßintima
Abdichten, Aktivieren, Sttzen
Blutung
Von-Willebrand-Faktor
Gefßintima
Plttchenhaftung, Plttchenpfropf
Blutung
Thrombozyten
Knochenmark
Plttchenpfropf
Blutung
Monozyten/Makrophagen
Knochenmark
Gerinnungsaktivierung (Gewebethromboplastin)
Blutung
Gerinnungssystem
Leber
Thrombinbildung, Fibringerinnsel
Blutung
Plasmatische Inhibitoren (Antithrombin III, Protein C, Protein S etc.)
Leber
Regulation (Gerinnungsbremse)
Thrombose, DIC
DIC = disseminierte intravasale Gerinnung (coagulation), VWF: Von-Willebrand-Faktor
auch die Monozyten/Makrophagen als wichtige Träger von Gewebethromboplastin zur Unterstützung lokaler und systemischer Gerinnungsaktivierungen. Überblick. In Tab. 8.1 sind die Hauptkomponenten mit ihren Funktionen, ihrer Herkunft und den Folgen bei Mangel und Unterfunktion aufgeführt. Abb. 8.1 zeigt das Gerinnungssystem im klassischen Format zum Verständnis der in der Notfallsituation verfügbaren Globaltests wie Prothrombinzeit (Quick, INR), APTT und Thrombinzeit. Die medikamentöse Beeinflussung und die Verminderung von Gerinnungsfaktoren bei wichtigen erworbenen Störungen sind in Abb. 8.2 dargestellt. Von-Willebrand-Faktor (VWF). Der VWF, produziert von Endothelzellen und Megakaryozyten, ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Subendothel der verletzten Gefäßintima und den Thrombozyten, die den Plättchenpfropf bilden. Gerinnungsregulierende antithrombotische Mechanismen (Antithrombin III, Thrombomodulin, Protein C, Protein S und das fibrinolytische System). Diese rücken bei Blutungsneigungen in den Hintergrund. Ihre Funktion ist in vivo eng mit der Endothelzelle verknüpft. Fibrinolyse. Plasmin, die aggressive Protease der Fibrinolyse, entsteht bei der Aktivierung von Plasminogen durch Gewebeplasminogenaktivator am Ort der Fibrinbildung. D-Dimere sind Fibrinspaltprodukte, die durch aktivierten Faktor XIII geknüpfte kovalente Bindungen enthalten und dadurch auf eine vorangegangene Gerinnungsaktivierung hinweisen.
Sie werden als Marker bei der Diagnostik der disseminierten intravasalen Gerinnung und zur Ausschlussdiagnostik venöser Thromboembolien verwendet.
Typische Krankheitszeichen
•
•
• •
Blutungen nach außen (Verletzungen) oder in Hohlorganen (oronasopharyngeal, gastrointestinal, tracheobronchial, urogenital): lang dauernd, anämisierend, mit Schockzustand einhergehend, oft inadäquate oder nicht auffindbare Läsion (z. B. Hämaturie). Abb. 8.3, FarbBlutungen nach innen (Gelenke, tafel VII, Muskulatur, subkutanes oder subfasziales Gewebe): Schwellung, heftige Schmerzen, Nervenkompression mit sensiblen und motorischen Ausfällen, Gefäßkompression („Kompartmentsyndrome“) mit Muskelnekrose und Kontraktur. Hämatoperitoneum durch Blutungen aus Follikel- und Corpus-luteum-Zysten. Spontanblutungen: häufigste Lokalisationen: Gelenke (besonders bei schwerer Hämophilie) ( Abb. 8.4, Farbtafel VII), Hämaturie, Epistaxis, Haut. Hautblutungen in Form von Flecken und Flächen unterschiedlicher Größe: Petechien (Stecknadelkopf) ( Abb. 8.5 u. Abb. 8.6, Farbtafel VIII), Ekchymosen (Münzen) ( Abb. 8.7, Farbtafel VIII), Purpura (Ansammlung von Petechien und Ekchy-
Hmostase und Hmatologie
Intrinsic-System: APTT
Extrinsic-System: Quick, INR
Kontakt HMK PK XII XIIa ay thw Pa sic rin int
XI
Gewebethromboplastin Ca2+
XIa
IX
VIIa
IXa
VIIIa
PL Ca2+ Xa
common Pathway
X
8
FSA PL Ca2+ t ex
X
rin
VII si
y wa th a cP
PL
Va
Ca2+
Prothrombin II
IIa Thrombin
Fibrinogen I
Umwandlung enzymatische Wirkung nichtenzymatische stimulierende Wirkung a = aktiviert PL = Phospholipide
FM Fibrinmonomer Fibrinpolymer
Thrombinzeit
218
XIIIa Fibrinpolymer (stabilisiert)
Angriffspunkte von Gerinnungshemmern UFH Plasmin
IXa
TF- VIIa
VIIIa
UFH, LMWH, Fondaparinux Danaparoid
Xa
direkte Xa-Hemmer: Rivaroxaban Va
Thrombin (IIa)
UFH, LMWH
Plasmin
UFH
Plasmin
direkte Thrombinhemmer: Hirudin, Bivalirudin, Argatroban Dabigatran
Fibrinogen
Plasmin
Fibrin XIIIa
•
mosen besonders bei Thrombozytopenie ( Abb. 8.8, Farbtafel IX), Suffusionen und Suggillationen (größere Flächen). Hämatome mit Tiefenausdehnung (Subkutis, Muskulatur). Intrakranielle Blutungen (besonders bei schwerer Hämophilie, Faktor-XIII-Mangel, schwerer Thrombozytopenie), ZNS-Affektionen bei hereditärer hämorrhagischer Teleangiektasie.
•
Abb. 8.1 Blutgerinnung: klassisches Schema der Gerinnungsaktivierung. Extrinsic-System = extrinsic Pathway + common Pathway; Intrinsic-System = intrinsic Pathway + common Pathway; extrinsic Pathway = Gewebethromboplastin (tissue factor, TF) + Faktor VII (FSA: verschiedene Faktor-VII-aktivierende Proteasen); intrinsic Pathway = Prkallikrein (PK), hochmolekulares Kininogen (HMK), Faktoren XII, XI, IX und VIII; common Pathway = Faktoren X, V, II und Fibrinogen. Test des Extrinsic-Systems = Prothrombinzeit (INR, Quick); Test des Intrinsic-Systems = APTT; Test auf Hemmung der Thrombinwirkung = Thrombinzeit (Heparin, Thrombininhibitoren, Fibrinogenprobleme).
Abb. 8.2 Medikamentöse und krankheitsbedingte Hemmung des Gerinnungssystems. Schnell wirkende Gerinnungshemmer und ihre Angriffspunkte. Die kursiv angegebenen Substanzen sind noch in klinischer Prfung. VitaminK-Mangel und die Vitamin-K-Antagonisten reduzieren die Faktoren des Prothrombinkomplexes (blau). Die Faktoren der Fibrinogengruppe (I, V, VIII) werden durch Thrombin und Plasmin (therapeutische Fibrinolyse!) gespalten. Synthesestçrung (Hepatopathie) und Hmodilution vermindern alle Faktoren. UFH: unfraktioniertes Heparin, TF: Tissue Factor, LMWH = niedermolekulares Heparin.
Dauerschäden nach Blutungen (besonders bei schwerer Hämophilie): Polyarthropathie der großen Gelenke mit Kontrakturen, Muskelatrophie, Gelenksdystrophie; neurologische Ausfälle, Pseudotumoren (chronifizierte Hämatome mit proliferierendem, komprimierendem Narbengewebe).
Hmorrhagische Diathesen
•
Differenzialdiagnose Blutungen durch Traumen und krankheitsbedingte Läsionen, Automutilationen, psychiatrischer oder krimineller Hintergrund.
•
Notfallanamnese
• •
Frage nach aktueller auslösender Blutungsursache, Begleitkrankheiten, Begleitumständen. Arzneimittel: Kumarinderivate (Ausweis!), niedermolekulares Heparin, Fondaparinux, Azetylsalizylsäure, Clopidogrel.
•
219
Malabsorption, Essgewohnheiten (Anorexie, K-Avitaminose), bekannte hämorrhagische Diathese (Bluterpass, betreuendes Hämophilie-Behandlungszentrum). Frühere Blutungsepisoden als mögliche Hinweise auf eine Blutungsneigung: Spontanblutungen (Gelenke!), prolongierte Schleimhautblutungen (Nase, Mund, Hämaturie), Hypermenorrhö, Menorrhagien, Blutungen und Nachblutungen bei Provokationen (Tonsillektomie, Zahnextraktionen, Zirkumzision, Schnittwunden, Unfälle, Operationen). Familienanamnese (Stammbaum).
Tabelle 8.2 Typische Globaltestresultate bei den Hauptgruppen hmorrhagischer Diathesen und Therapiemçglichkeiten bei Blutung. Blutungsneigung
Maßnahmen bei Blutung
APTT
Prothrombinzeit
Blutungszeit nach Ivy
[s]
INR
Quick (%)
[min]
+ + n + + + n + + +
n n n + + n n + + +
n n n – – n n – – –
n n n n n n oder + n n oder + n oder + n oder +
F, DDAVP (bei A), TX FFP, TX, (DDAVP?) FFP, F, TX K, F K, F Protamin Protamin FFP, AT, K FFP, UFH, AT, F, P TX, F, FFP
n +
n n
n n
+ oder n +
DDAVP, TX, F F, TX
Dysfunktion Mangel
n n
n n
n n
+ oder n +
P, TX, DDAVP, F P, TX
Vaskuläre Defekte
n
n
n
+ oder n
lokal, TX
Koagulopathien Hmophilie A, B Faktor-XI-Mangel Faktor-XIII-Mangel Vitamin-K-Mangel Orale Antikoagulation Unfraktioniertes Heparin Niedermolekulares Heparin Schwerer Leberschaden DIC (Verbrauchskoagulopathie) Thrombolyse Von-Willebrand-Krankheit Leicht Schwer (Typ 3) Thrombozyten
n = Test normal, + = Test positiv oder Messwert ber der Norm, – = Test negativ oder Messwert unter der Norm. AT = Antithrombin-III-Konzentrat, DDAVP = Desmopressin, F = spezifische Faktorenkonzentrate, FFP = Fresh Frozen Plasma, UFH = unfraktioniertes Heparin, K = Vitamin K, P = Plttchenkonzentrat, TX = Tranexamsure. Unterschiedliche Empfindlichkeit verschiedener Globaltestmodifikationen auf Faktorenverminderungen oder Plttchenfunktionsstçrungen bercksichtigen.
220
Hmostase und Hmatologie
Notfalluntersuchung Klinik
• •
•
8
• • • •
Haut-, Gelenk-, Muskel-, Schleimhautblutungen: Art und Ausdehnung. Arthropathie, Kontrakturen, Muskelatrophie, periphere neurologische Ausfälle; Hinweise auf retroperitoneale Blutungen, Psoasschmerzen (Differenzialdiagnose: Appendizitis!), Pseudotumor (häufig Beckenregion). Rektale Untersuchung (frisches Blut oder Pechstuhl?). Teleangiektasien (Lippen, Nasenschleimhaut, Zungengrund, Wangenschleimhaut) ( Abb. 8.9, Farbtafel IX). Hypovolämie. Auffällige Haut (überelastisch, brüchig, auffällige Narben), überstreckbare Gelenke und Linsenanomalien als Hinweise auf hereditäre Bindegewebsdefekte. ZNS-Störung (intrakranielle oder spinale Blutung?).
Diagnostik Labor. Thrombozytenzahl (Thrombozytopenie?), Blutbild mit Differenzierung (Anämie? Leukämie? auffällige Plättchen?), Gerinnungsstatus mit Quick (Prothrombinzeit), APTT, Thrombinzeit und Fibrinogen. Tab. 8.2 erlaubt eine erste grobe Lokalisation der Hämostasedefekte auf der Grundlage des Notfalllabors.
Therapie Störungsspezifisch.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Störungsspezifisch.
Besondere Merkpunkte Milde Formen der Von-Willebrand-Krankheit, der Hämophilie A oder B oder leichte Störungen der Plättchenfunktion werden mit Notfalltests oft nicht erfasst. Bei entsprechendem Verdacht sind Spezialanalysen erforderlich.
8.2
Koagulopathien G. A. Marbet
Hereditäre Koagulopathien (Hämophilie) Definition und Einteilung Hämophilie A (Mangel des Faktors VIII) und Hämophilie B (Mangel des Faktors IX) sind die häufigsten hereditären Koagulopathien, Inzidenz 1 : 10 000 bzw. 1 : 50 000 männliche Neugeborene (Vererbung X-chromosomal). Autosomal vererbte Defekte der anderen Gerinnungsfaktoren (Afibrinogenämie, Faktoren XIII, II, V, VII, X, XI, XII) sind wesentlich seltener (< 1 : 1 Mio). Bei den Ashkenazi-Juden ist der Faktor-XI-Mangel mit 9 % Heterozygoten und 0,2% Homozygoten die häufigste genetische Störung. Einteilung nach klinischem Bild und Faktorenaktivität im Plasma: • Schwere Hämophilie A oder B: Faktorenaktivität < 1 % der Norm; Spontanblutungen. • Mittelschwere, mäßige Hämophilie A oder B: Faktorenaktivität 1 – 5 % der Norm; wenig Spontanblutungen. • Leichte Hämophilie A oder B: Faktorenaktivität 5 – 40% der Norm; Blutung nur bei Provokation.
Pathophysiologie Gendefekte. Hämophilie A und B sind die Folge einer großen Vielfalt von Gendefekten auf dem X-Chromosom. Etwa 40% der Fälle mit schwerer Hämophilie A sind durch eine Inversion (Intron 22) bedingt. Konduktorinnen. Konduktorinnen der Hämophilie A oder B (heterozygote Frauen) haben in der Regel keine Blutungsprobleme. Faktoren VIII oder IX unter 25 % sind jedoch wegen unausgeglichener X-Chromosomen-Inaktivierung (extreme Lyonisierung) möglich und mit Blutungen verbunden (Hypermenorrhö, provozierte Blutungen). Stimulation von Faktor VIII. Bei Patienten mit leichter und mittelschwerer Hämophilie A (aber nicht B!) und den A-Konduktorinnen stimulieren Krankheiten, Stress, operative Eingriffe und Vasopressin bzw. sein Analogon Desmopressin-Azetat (DDAVP) die Freisetzung von Faktor VIII und führen
Koagulopathien zu einem Anstieg auf das 2- bis 4-fache des Ausgangswertes. Plasmahalbwertszeiten. Faktor VIII: 12 h; Faktor IX: 20 h. Faktor XII. Keine Blutungsneigung besteht bei Faktor-XII-Mangel trotz deutlich verlängerter APTT.
Typische Krankheitszeichen
• •
• •
Praktisch alle Blutungsmanifestationen, s. S. 217. Relative Häufigkeit der Lokalisation von Gelenkblutungen bei schwerer Hämophilie: 44% Knie ( Abb. 8.3 u. Abb. 8.4, Farbtafel VII), 25% Ellenbogen, 15% Sprunggelenk, 8% Schulter, 5% Hüfte, 3% andere. Muskelblutungen: Gefahr des Logen-Syndroms und von Nervenkompressionen! Bei Kopfschmerzen spontan oder nach Trauma immer Verdacht auf intrakranielle Blutung!
Differenzialdiagnose
• •
Andere hämorrhagische Diathesen und lokale Blutungsursachen. Differenzialdiagnosen bei weiblichem Geschlecht und vermindertem Faktor VIII : C (verminderte Faktor-VIII-Aktivität) sind: Konduktorin der Hämophilie A, Von-Willebrand-Krankheit, erworbene Hemmkörper gegen Faktor VIII (Autoantikörper bei Schwangerschaft/Puerperium oder Alter).
Notfallanamnese Wie S. 219.
Notfalluntersuchung Wie S. 220.
221
pharyngeal) und Gelenkblutungen. Jedes unklare Krankheitsbild ist bis zum Beweis des Gegenteils als Blutung zu betrachten und unverzüglich durch Faktorenersatz zu behandeln. Angaben des Hämophilen ernst nehmen, Bluterpass! • Faktor-VIII-Präparate: mittel- bis hochreine Faktor-VIII-Konzentrate aus Spenderplasma mit gesicherter Inaktivierung der HIV-, Hepatitis-Bund Hepatitis-C-Viren sowie gentechnologisch hergestellter, hochreiner Faktor VIII. • Faktor-IX-Präparate: hochreine Faktor-IX-Konzentrate aus Spenderplasma mit gesicherter Vireninaktivierung wie bei Faktor VIII sowie gentechnologisch hergestellter, hochreiner Faktor IX. • Regeln zur Behandlung der Hämophilie A und B: – Faustregel: Faktor VIII 1 E/kg KG i. v. erzielt bei Hämophilie A einen Anstieg um 2 % im Plasma, während Faktor IX 1 E/kg KG bei Hämophilie B zu einem Anstieg um 1 % führt. – Bei leichten Blutungen genügt in der Regel eine Dosis. Bei mittelschweren oder schweren Blutungen müssen die halben Initialdosen bei Hämophilie A 8- bis 12-stündlich und bei Hämophilie B 12- bis 24-stündlich bis zum Blutungsstopp wiederholt werden. – Zur Wirkungskontrolle Bestimmung von APTT (und wenn möglich der spezifischen Faktorenaktivität) 30 min nach dem ersten Bolus. – Operative Eingriffe erfordern mehrtägige bis mehrwöchige Substitutionen nach Absprache mit dem Hämophiliespezialisten. Dauerinfusionen sind möglich. – Anwendung und Dosierung der Präparate gemäß Tab. 8.3 (EG-C). – Zur Blutungsbehandlung anderer hereditärer Koagulopathien (EG-C) stehen folgende Faktorenpräparate zur Verfügung: Fibrinogen (Afibrinogenämie), Prothrombinkomplex (Mangel an Prothrombin oder Faktor X), Faktor VII (Faktor-VII-Mangel), Faktor XIII (Faktor-XIII-Mangel). – Tiefgefrorenes Frischplasma (Fresh Frozen Plasma, FFP) wird bei Mangel an Faktor V oder XI eingesetzt.
Therapie
Weitere Maßnahmen
Notfallmanagement
Systemische antihämorrhagische Therapie • Tranexamsäure (Fibrinolysehemmer): – bei Schleimhautblutungen (Mundhöhle, Zahnextraktionen, gastrointestinal, Uterus, Epistaxis). – Dosis: 3 × 20 mg/kg KG/d p. o. oder i. v. während 5 Tagen (EG-C).
Substitution. Blutungen bei Hämophilie erfordern den sofortigen Ersatz der fehlenden Faktoren. Die Substitution darf nicht durch die Diagnostik verzögert werden. Dies gilt besonders bei Blutungen mit bedrohlicher Lokalisation (ZNS, retroperitoneal,
222 Tabelle 8.3
8
Hmostase und Hmatologie
Approximative Initialdosis von Faktor VIII und IX je nach Blutung.
Blutung
Gewünschte Plasmakonzentration von Faktor VIII bei HA oder Faktor IX bei HB
Initialdosis in IE/kg KG Faktor VIII (HA)
Initialdosis in IE/kg KG Faktor IX (HB)
Leicht: Gelenkblutung ganz am Beginn, leichte Verletzungen
20 – 40%
15 – 25
20 – 40
Mittelschwer: Vollbild des Hmarthros, Muskelblutung (Wade, Vorderarm, Psoas), Zahnextraktionen
40 – 60%
25 – 40
40 – 60
Schwer: schwere Verletzung, intrakranielle Blutung, Blutung in Halsregion oder Zungengrund, grçßere Operationen
60 – 100 %
50 – 70
80 – 100
IE = Internationale Einheit, entspricht der Aktivitt des Faktors VIII bzw. des Faktors IX von 1 ml normalem Frischplasma. HA = Hmophilie A, HB = Hmophilie B. Bei der gewnschten Plasmakonzentration (in %) sollte der untere Wert zwischen den i. v. Injektionen nicht unterschritten werden
•
– Kontraindikationen: Hämaturie (Gefahr der Verstopfung der ableitenden Harnwege), Kombination mit Prothrombinkomplex-Präparaten (Thromboemboliegefahr). – Lokalbehandlung: 10 % Injektionslösung für Mundspülung oder Nasenschleimhaut. – Nutzen: Einsparung von Substitutionstherapie. Vasopressinanaloga (DDAVP = Desamino-D-Arginin-Vasopressin = Desmopressin): Einsatzmöglichkeit bei Hämophilie A mit basalem Faktor VIII > 5% oder bei Von-Willebrand-Krankheit Typ 1 zur Blutstillung und prophylaktisch bei kleineren chirurgischen Eingriffen (EG-C). – Dosis: 0,3 µg/kg KG aufgelöst in 50 ml 0,9% NaCl als i. v. Infusion in 20 – 30 min. Subkutane Verabreichung ist möglich (Ampulle zu 15 µg DDAVP in 1 ml). Wirkungsmaximum nach 1 h (i. v.) bzw. 2 h (s. c.). Dosiswiederholung in Abständen von 12 – 24 h möglich (Wirkung abnehmend, Wasserretention). Intranasale Verabreichung (Einmalpipette 300 µg DDAVP in 0,2 ml) durch den Patienten bei Blutung (Bioverfügbarkeit variabel, ca. 2%). Kombination mit Tranexamsäure (s. o.). – Kontraindikationen: Wegen möglicher kardiovaskulärer Effekte (Pulsanstieg, Blutdruckabfall, Hitzegefühl, Flush) nicht zu verwenden bei koronarer Herzkrankheit, Epilepsie,
Schwangerschaft, älteren Patienten und Kindern unter 5 Jahren. Schmerzbekämpfung • Substitution gilt als bestes Analgetikum bei Gelenk- und Muskelblutungen. • Erlaubte Schmerzmittel (EG-C): Paracetamol, Nimesulid, Propyphenazon, zentrale Analgetika (möglichst nur kurze Zeit wegen Suchtgefahr). • Verboten: Azetylsalizylsäure (Aspirin), nichtsteroidale Antiphlogistika. Lokaltherapie (EG-C) • Gelenk- und Muskelblutungen: neben Sofortsubstitution als Erstmaßnahme: Ruhigstellung in funktionell optimaler Lage (Schiene, Semiflexion), Eisbeutel, Gelenkpunktion nur bei großem Hämarthros (unter Substitution, strenge Asepsis); bei Gelenkblutungen frühe isometrische Übungen; bei Muskelblutung adäquate Ruhigstellung wegen Rezidivgefahr, dennoch immer frühe, möglichst schmerzfreie Mobilisierung unter physiotherapeutischer Anleitung. • Epistaxis: vordere Tamponade (möglichst durch HNO-Arzt) mit resorbierbarer Gaze, Tranexamsäure lokal und systemisch, Substitution bei protrahierter Blutung.
Koagulopathien
•
Mundhöhlenblutungen/Zahnextraktionen: in der Regel Substitution, Antifibrinolytika lokal und systemisch, lokale Blutstillung durch Spezialisten (HNO, Kieferchirurgie, Zahnarzt).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Individuelles Vorgehen mit dem Hämostasespezialisten besprechen. Bei leichten Blutungsepisoden (z. B. sofort behandelte Gelenkblutungen, Epistaxis, Hämaturie) ambulante Behandlung (Telefonkontakt und Nachkontrolle gewährleisten). APTT-Bestimmung (und wenn möglich die spezifische Faktorenaktivität) 30 min nach der ersten Präparatinjektion.
Besondere Merkpunkte
•
•
Blutungen bei Hämophilen mit Hemmkörpern gegen Faktor-VIII- oder -IX-Präparate erfordern besondere Maßnahmen. Bei Hemmkörpertiter £ 5 Bethesda-Einheiten erreicht man die Blutstillung mit hohen Dosen des fehlenden Faktors. Bei ‡ 10 Bethesda-Einheiten rekombinanter Faktor VII a oder FEIBA (Factor Eight Bypassing Activity) (EG-C). Hämaturien können in manchen Fällen durch Glukokortikoide ohne Faktorenersatz beseitigt werden (individuelle Erfahrung des Hämophilen berücksichtigen): beim Erwachsenen morgens und mittags je 15 mg Prednison für 5 Tage. Substitution, falls keine Wirkung (EG-C).
Erworbene Koagulopathien Definition und Einteilung Erworbene Koagulopathien werden eingeteilt in: • Antikoagulanzienblutung, • Vitamin-K-Resorptionsstörungen/-Mangel, • schwere Leberparenchymaffektion, • disseminierte intravasale Gerinnung (DIC), • Blutung unter fibrinolytischer Therapie, • Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren.
223
Antikoagulanzienblutung Definition und Einteilung
• •
Schwere Blutungen: intrakraniell, retroperitoneal, tödlicher Ausgang, hospitalisations- oder transfusionsbedürftig. Alle anderen Blutungsepisoden gelten als leicht.
Pathophysiologie Blutungsursachen • Zu hohe Antikoagulationsintensität: Überdosierungen sind die dominierenden Gründe für retroperitoneale und sublinguale Blutungen, intramurale Darmblutungen und Hämarthros. – Unfraktioniertes Heparin: APTT oder Thrombinzeiten über dem therapeutischen Bereich oder Heparinspiegel über 0,7 Anti-Xa-E/ml. – Niedermolekulares Heparin über 1,5 Anti-XaE/ml (4 h nach therapeutischer Tagesdosis). – Bei oraler Antikoagulation (OAK) INR > 4,5. • Vorbestehende Läsionen, auch bei optimaler Dosierung: Magen-Darm-Trakt (Ulzera, Polypen, Divertikel, Karzinome), Harnwege (Nephrolithiasis, Polypen, Neoplasma), Hypermenorrhö, intraperitoneale Ovulationsblutung (besonders bei starker Intensität der OAK), intrakraniell (angeborene Aneurysmen, Hypertonie, zerebrovaskuläre Ischämie). • Traumatische Einwirkungen: Muskelblutung (z. B. nach intramuskulärer Injektion), subdurales Hämatom; epidurale, spinale Blutung (rückenmarksnahe Anästhesie, Lumbalpunktion, spontan). • Potenzierung der OAK durch medikamentöse Interaktionen (z. B. Amiodaron, Chloralhydrat etc.), Verstärkung des Hämostasedefektes über andere Mechanismen, z. B. Plättchenfunktionshemmung durch Azetylsalizylsäure, Clopidogrel. • Unter den neueren Antikoagulanzien gibt es die erwähnten klassischen Blutungstypen ebenfalls. – Direkte Thrombinhemmer: Lepidurin, Bivalirudin, Argatroban, Dabigatran (in klinischer Prüfung). – Indirekte Xa-Hemmer: Fondaparinux, Danaparoid. Direkte Xa-Hemmer: Rivaroxaban. Angriffspunkte s. Abb. 8.2.
224
Hmostase und Hmatologie
Typische Krankheitszeichen
8
Es gibt keinen antikoagulanzienspezifischen Blutungstyp (s. S. 217). • Ungewöhnliche Kopfschmerzen, neurologische Ausfälle/Auffälligkeiten bei antikoagulierten Patienten als möglicher Hinweis auf intrakranielle Blutung. • Hämaturie als häufigste Antikoagulanzienblutung ist oft Hinweis auf Überdosierung, ebenso die selteneren Suffusionen, verstärkte Blutungen aus kleineren Hautläsionen, Gelenk- und Muskelblutungen. • Gastrointestinale Blutungen sind potenziell bedrohlich und Hinweis auf verborgene Läsionen. • Perikardiale oder pleurale Blutungen (Zusammenhang mit transmuralem Myokardinfarkt, Perikarditis, thoraxchirurgischen Eingriffen). • Hypermenorrhö, peritoneale Reizung (Ovulationsblutung).
Differenzialdiagnose Andere hämorrhagische Diathesen.
Notfallanamnese Siehe S. 219.
Notfalluntersuchung
• • • •
Siehe S. 220. In der Regel bei OAK Beschränkung auf die Prothrombinzeit (INR) und das Blutbild. Unter unfraktioniertem Heparin (und direkten Thrombinhemmern) Thrombinzeiten oder APTT. Unter niedermolekularem Heparin (und Fondaparinux oder Rivaroxaban) Anti-Xa-Aktivität im Plasma.
Therapie Notfallmanagement Krankenhauseinweisung bei Verdacht auf bedrohliche Blutung (intrakraniell, spinal, perikardial, gastrointestinal) und Aufhebung der Antikoagulation.
Maßnahmen bei oralen Antikoagulanzien (EG-C) • Leichte Überdosierung ohne Blutung, INR > 4,5: Dosisreduktion: Phenprocoumon-Wochendosis um ½–1Tbl. à 3 mg bzw. Acenocoumarol-Tagesdosis um ein Viertel reduzieren. • Leichte Blutungskomplikationen: Vitamin K (Phytomenadion) 1 – 2 mg p. o. und OAK in reduzierter Dosis weiter, wenn INR zu hoch oder Unterbrechung für diagnostische Maßnahmen notwendig (z. B. Endoskopie mit Biopsie). • Gefährliche Blutungen (Lokalisation und Stärke): – Phytomenadion 10 mg i. v. (langsam!), – Prothrombinkomplex (Faktoren II, VII, IX und X): 15 – 25 IE/kg KG i. v., – Erythrozytenkonzentrat nach Bedarf, – Wirkungskontrolle mit Prothrombinzeit (Quick, INR). • Anmerkung: Phytomenadion zeigt erst nach etwa 6 h eine Wirkung auf die Prothrombinzeit, weshalb bei gefährlicher Blutung der sofortige Ersatz der Gerinnungsfaktoren nötig ist. Die thrombogene Wirkung muss vorübergehend in Kauf genommen werden. Bei Stabilisierung der Blutung kommt eine prophylaktische Verabreichung von unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin in Betracht. Phenprocoumon wirkt wegen seiner langsamen Elimination noch lange nach, daher tägliche Quick-Kontrollen und Phytomenadion bei Bedarf. Maßnahmen bei unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin • Leichte Blutungen: Dosisreduktion oder Unterbrechung für einige Stunden. • Gefährliche Blutungen: Stopp der Heparinpräparate, Neutralisation mit Protaminhydrochlorid. – Bei Infusionen von unfraktioniertem Heparin mit therapeutischem Effekt genügen zur Neutralisation einmal 2 – 5 ml Protamin 1000 i. v. (langsam wegen Anaphylaxiegefahr!). – Bei subkutaner therapeutischer Heparinisierung initial gleiche Dosis i. v., gefolgt von 5 ml Protamin 1000 als i. v. Infusion über 6 h. – Analoges Vorgehen bei subkutanen therapeutischen Dosen von niedermolekularem Heparin. Dabei werden die kurzen Ketten durch Protamin nicht neutralisiert. Klinisch scheint dies nicht relevant zu sein. Die residuelle Anti-XaAktivität sollte nach 6 h weniger als 0,2 IU betragen, sonst weitere 3 ml Protamin 1000 i. v. (EG-C).
Koagulopathien
225
Maßnahmen bei neueren Antikoagulanzien • Thrombinhemmer und Xa-Hemmer: keine Neutralisationsmöglichkeit, aber Abklingen der Wirkung innerhalb Stunden. Ausnahme: Fondaparinux (Eliminationshalbwertszeit 13 – 21 h): Plasmapherese oder rekombinanter Faktor VII a (Eptacogum alfa) als Option.
Blutungen bei K-Avitaminose
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Pathophysiologie
•
Vitamin K ist wichtig als Koenzym des Carboxylasesystems in den Leberzellen zur g-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X (Abb. 8.1) und der Proteine C, S und Z, die erst dadurch ihre Funktionsfähigkeit erreichen. Die Zufuhr des fettlöslichen Vitamins erfolgt durch die Nahrung (grünes Gemüse) und aus der Darmflora des Dünndarms. Ungenügendes Vitamin-K-Angebot besteht bei lang dauernder Fehlernährung, parenteraler Ernährung ohne Vitamin-K-Ersatz und gleichzeitiger Antibiotikatherapie (Mangel nach wenigen Tagen), Resorptionsstörungen bei Verschlussikterus, verschiedenen Fettresorptionsstörungen (Sprue, Mukoviszidose) und nach ausgedehnter Dünndarmresektion.
• •
Bei leichten Blutungsproblemen engmaschige ambulante Kontrollen von klinischem Befund und Quick mit laufender Anpassung der OAK. Stationäre Überwachung bei gefährlichen Blutungen. Bei unfraktioniertem Heparin (und direkten Thrombinhemmern) Kontrolle von APTT oder Thrombinzeiten, bei niedermolekularem Heparin (und Xa-Hemmern) Kontrolle von Anti-Xa-Aktivität.
Besondere Merkpunkte Kumarinnekrose. Bei weniger als 1‰ der Patienten (> 90% Frauen) in den ersten Tagen der Behandlung mit OAK; kann initial ein Blutungsproblem vortäuschen. • Symptome: Beginn mit Rötung, Schwellung, Druckempfindlichkeit, Petechien, dann hämorrhagische Blasen und tiefe Nekrosen. • Lokalisation: Mammae, Abdomen, Hüfte, Gesäß, Oberschenkel, Waden. • Mechanismus: toxische Wirkung hoher Initialdosen, thrombogener Effekt durch massiven initialen Abfall des Vitamin-K-abhängigen Protein C, mikrovaskuläre Thrombosierung der Haut, begünstigt durch primäre Defekte von Protein C und S. • Therapie: beim ersten Verdacht OAK-Stopp, therapeutische Heparininfusion, Vitamin K 10 mg i. v., Hautpflege (EG-C). Heparininduzierte Thrombopenie. Diese präsentiert sich wegen der nur mäßig verminderten Plättchenzahl (Tiefstwerte um 40 – 60 × 109/l) praktisch nie als Blutungsneigung, sondern als schwere thromboembolische Komplikation (S. 235).
Definition und Einteilung Blutung durch ungenügende Verfügbarkeit von Vitamin K im Organismus.
Typische Krankheitszeichen
• •
Spontanblutungen, vermehrte Blutung aus vorbestehenden Läsionen. Das Grundleiden steht im Vordergrund, die Prothrombinzeit (Quick, INR) weist auf den VitaminK-Mangel hin.
Differenzialdiagnose Andere Blutungsursachen, insbesondere verheimlichte Einnahme von Phenprocoumon oder Acenocoumarol oder Intoxikation mit Superwarfarinen (Rodenticide mit Eliminationshalbwertszeiten von 3 – 4 Monaten).
Notfallanamnese Krankheitsumstände, Ernährung, Zugriffsmöglichkeit zu Kumarinpräparaten.
226
Hmostase und Hmatologie
Notfalluntersuchung
Differenzialdiagnose
• •
Andere Blutungsursachen, insbesondere VitaminK-Mangel, Einnahme von Kumarinderivaten.
•
Siehe S. 220. Typisch für Vitamin-K-Mangel oder Kumarinwirkung sind deutlich verminderte Faktoren II, VII, IX und X bei normalem Faktor V. Im Zweifelsfall Kumarinspiegel.
Notfallanamnese Siehe S. 219 und S. 148 (Leberkoma).
Therapie
8
Notfallmanagement
Notfalluntersuchung
•
Klinik
•
Bei Blutung oder vor blutigem Eingriff 10 mg Vitamin K i. v., evtl. zur raschen Korrektur gleichzeitig Prothrombinkomplex. Wenn kein Zeitdruck besteht, 2 – 5 mg Vitamin K p. o. als Resorptionstest (EG-C).
Weitere Maßnahmen Behandlung des Grundleidens.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Prothrombinzeit initial täglich.
Blutungen bei schweren Leberaffektionen
Siehe S. 220 und S. 148 (Leberkoma).
Diagnostik Labor. Prothrombinzeit (Quick, INR), APTT, Thrombinzeit, Fibrinogen, Faktoren II, V, VII, X. Fibrinspaltprodukte (D-Dimere), Antithrombin III. • Verminderungen von Fibrinogen, Faktor II und V, Antithrombin III und erhöhte D-Dimere als Hinweis auf DIC/Verbrauchskoagulopathie. • Tiefe Faktoren VII und II bei normalem Faktor V als Zeichen von Vitamin-K-Mangel. • Gleichmäßig verminderte Faktoren II, V, VII, X bei normalem Fibrinogen (hohe Synthesekapazität der noch funktionellen Hepatozyten) als Ausdruck der hepatischen Synthesestörung.
Pathophysiologie
Therapie
Schwer wiegende Leberschädigungen reduzieren die Synthese der meisten Gerinnungsfaktoren (Abb. 8.2). An der Blutungsneigung sind mehrere Komponenten beteiligt: Gerinnungsfaktorenverminderung, Thrombozytopenie, aktivierte Fibrinolyse bei unterschiedlich ausgeprägter Gerinnungsaktivierung (DIC mit Verbrauch besonders bei akuten Störungen), Vitamin-K-Mangel (z. B. fehlende Nahrungszufuhr bei mehrtägigem Erbrechen und Cholestase), Destabilisierung der Hämostase durch Störung der Kontrollmechanismen (Verminderung von Antithrombin III, Protein C und Protein S).
Notfallmanagement
Typische Krankheitszeichen Die Blutungsmanifestationen sind stark vom Grundleiden bestimmt.
Allgemeine und lokale Maßnahmen zur Blutstillung (s. S. 150, 221). Hämostasespezifisch (EG-C) • Ersatz fehlender Gerinnungsfaktoren mit FFP 15 – 20 ml/kg KG: – angestrebte Werte: Ziel-INR < 1,5; Faktoren II und V > 40%, Fibrinogen > 1,2 g/l, – evtl. Fibrinogen-Infusion 3 – 5 g, Zurückhaltung mit Prothrombinkomplex-Präparaten wegen Gefahr zusätzlicher Gerinnungsaktivierung (DIC). • Vitamin K1 (Phytomenadion) 10 mg langsam i. v. • Antithrombin-III-Konzentrat 30 IE/kg KG, wenn Plasmaaktivität < 50%.
Koagulopathien
• •
Thrombozytenkonzentrat, wenn Plättchenzahl < 20 × 109/l. Tranexamsäure 8-stündlich 20 mg/kg KG, wenn bisherige Maßnahmen erfolglos waren und keine eindeutige DIC vorliegt.
Weitere Maßnahmen
• •
Initial 6-stündlich Hämostasekontrollen: Quick, APTT, Thrombinzeit, Fibrinogen und Thrombozytenzahl. Nötigenfalls weiterer Ersatz von Gerinnungsfaktoren, Thrombozyten und Vitamin K.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Erweiterte Gerinnungskontrolle einmal pro Tag mit Faktoren II, V, VII und Antithrombin III. Bei zunehmenden DIC-Komponenten neben FFP und Fibrinogen wiederholt Antithrombin III substituieren, evtl. zusätzlich niedrig dosiertes Heparin (s. DIC), sofern die Blutungsquelle unter Kontrolle ist.
Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
227
(Lunge, Gehirn, Pankreas, Prostata, Leber), bei Abruptio placentae, intrauterinem Fruchttod und Fruchtwasserembolie. Die Exposition von Gewebethromboplastin durch Endothelzellen und Monozyten erfolgt als Reaktion auf Zytokine und durch direkte Schädigung (Endotoxine, Hypoxämie, Azidose). Intrinsic-System. Aktivierung über das IntrinsicSystem (Abb. 8.1) findet bei extrakorporalem Kreislauf und bei Hämolyse statt. Folgen. Die DIC führt lokal und systemisch zur Schwächung der physiologischen antikoagulatorischen Mechanismen (Verminderung von Thrombomodulin auf der Endotheloberfläche, Verbrauch von Protein C und Antithrombin III), zu Verschlechterung der Organperfusion durch Mikrothromben und Begünstigung von Thrombosen bei entsprechenden Flussbedingungen.
Typische Krankheitszeichen
•
•
Definition und Einteilung
Unstillbare Blutungen aus Unfall- und Operationswunden, vermehrte Blutung aus Punktionsstellen polytraumatisierter Patienten im Schockzustand oder schwer kranker Patienten als Hinweis auf dekompensierte Verbrauchskoagulopathie. Verschlechterung von Kreislauf, Nierenfunktion und Allgemeinbefinden ohne entsprechende Volumenverluste als Ausdruck von Mikrothrombosierungen. Petechien, Suffusionen, Schleimhaut- und gastrointestinale Blutungen, zerebrale Symptomatik bei schweren akuten Erkrankungen (Sepsis, Vergiftung) als Zeichen einer akuten, dekompensierten DIC. Unstillbare Haut- oder Schleimhautblutungen infolge chronischer dekompensierter DIC oder multiple oberflächliche oder tiefe Thrombosen bei chronischer kompensierter DIC als Erstmanifestationen eines Malignoms.
Verbrauchskoagulopathie. Als DIC („disseminated intravascular coagulation“) oder Verbrauchskoagulopathie wird eine lokalisierte, multifokale oder generalisierte Aktivierung von Gerinnung und Thrombozyten im zirkulierenden Blut mit reaktiver Fibrinolyse, Mikrothromben und erhöhtem Umsatz von Hämostasekomponenten definiert. Die Einteilung erfolgt phänomenologisch in akute und chronische sowie kompensierte und dekompensierte Verbrauchskoagulopathie.
•
Pathophysiologie
Differenzialdiagnose
Extrinsic-System. Die Aktivierung von Gerinnung und Thrombozyten erfolgt meistens in der Mikrozirkulation erkrankter, geschädigter oder minderperfundierter Organe über das Extrinsic-System (Abb. 8.1): Einschwemmung von Gewebethromboplastin bei Polytrauma, Schädel-Hirn-Trauma, Verbrennungen, aus Tumorgewebe und bei chirurgischen Eingriffen an thromboplastinreichen Organen
Andere Blutungsneigungen, Leberinsuffizienz, andere thrombohämorrhagische Störungen wie thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP, s. S. 253) und hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS, s. S. 184, S. 253).
•
228
Hmostase und Hmatologie
Notfallanamnese
•
•
8
Frage nach möglichen DIC-Ursachen: Sepsis, schwere Infekte, Schock, Malignome, Leukämie (v. a. Promyelozytenleukämie), Leberversagen, Hitzschlag, Polytrauma, geburtshilfliche Notfälle, schwere chirurgische Eingriffe, Verbrennungen, Intoxikationen, Malaria, Schlangenbiss, Aortenaneurysma, große arteriovenöse Missbildungen. Frage nach DIC-begünstigenden Umständen: chronische Leberaffektion (gestörte Elimination aktivierter Gerinnungsproteasen, reduzierte Inhibitoren), Schwangerschaft, hereditäre und erworbene Verminderung gerinnungshemmender Faktoren.
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor • Prothrombinzeit (Quick, INR): INR variabel erhöht. • APTT: verlängert bei dekompensierter, normal bis verkürzt bei kompensierter DIC. • Thrombinzeit: verlängert durch Fibrinspaltprodukte, Hypofibrinogenämie und Heparinwirkung. • Fibrinogen: deutlich vermindert bei dekompensierter, normal bis erhöht bei kompensierter DIC. • D-Dimere oder andere Fibrinspaltprodukte: erhöht. • Thrombozytenzahl: mäßig vermindert, bei massiver Thrombozytopenie (£ 20 × 109/l) nach zusätzlichen Mechanismen suchen (Grundkrankheit, Immunthrombopenie, hämolytisch-urämisches Syndrom, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura). • Antithrombin III: leicht bis stark vermindert.
Therapie Notfallmanagement (EG-C)
• • •
•
Bei persistierender Hypofibrinogenämie < 0,5 g/l trotz FFP: Fibrinogenkonzentrat 3 g in 1 h infundieren, bei Bedarf Wiederholung. Thrombozytenkonzentrat, wenn Plättchenzahl < 20 × 109/l; Zielanstieg auf ‡ 50 × 109/l. Besonders bei Sepsis mit Antithrombin-III-Aktivität < 70% erwartet man von Antithrombin-IIIKonzentrat 40 – 60 IE/kg KG i. v. einen Nutzen bei Zielaktivitäten > 120% durch 6- bis 12-stündliche Gabe von Erhaltungsdosen von 15 – 30 IE/kg KG. i. v. Zurückhaltung mit Tranexamsäure, da sie mit der Fibrinolyse einen wichtigen Schutzmechanismus gegen Mikrothrombosierungen bremst. Einsatz nur bei desperaten Blutungen.
DIC mit gut kontrollierbarer, ungefährlicher Blutung/Blutungsquelle • Wie oben und zusätzlich unfraktioniertes Heparin als Infusion 10 000 IE/d in steigender Dosierung unter Berücksichtigung von Blutung und Gerinnungsbefund. Bei Hinweis auf Thrombosierungen (Mikrozirkulation, Organschaden) möglichst therapeutische Heparinwirkung anstreben. Kompensierte oder nur leicht dekompensierte DIC ohne Blutung • Prophylaktische Dosen von unfraktioniertem Heparin (10 000 – 15 000 IE/d i. v. Dauerinfusion) oder von niedermolekularem Heparin (3500 – 5000 IE Anti-Xa/d s. c.). Therapeutische Dosen bei Thrombosierungszeichen.
Weitere Maßnahmen
•
•
Bei chronischer DIC infolge persistierender Ursache (z. B. metastasierender Tumor) Verbrauchskoagulopathie und Thromboserisiko durch individuell angepasste Gerinnungshemmung beeinflussen: unfraktioniertes oder niedermolekulares Heparin. Im Anschluss an akute DIC geeignete Thromboseprophylaxe, Art und Dauer nach Maßgabe des Grundleidens und des Mobilisationsgrades.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Behandlung der DIC-Ursachen. DIC mit schlecht beeinflussbarer, gefährlicher Blutung oder Blutungsquelle • Ersatz der reduzierten Faktoren und Inhibitoren mit FFP 15 – 20 ml/kg KG in 1 – 2 h, Wiederholung nach Bedarf (Gerinnungskontrolle).
Bei akuter DIC täglich mehrfache Kontrollen von Prothrombinzeit (Quick, INR), APTT, Thrombinzeit, Fibrinogen und Blutbild (Thrombozytenzahl, Hämoglobin), täglich D-Dimere und Antithrombin III mit entsprechender Therapieanpassung.
Koagulopathien
Besondere Merkpunkte
Differenzialdiagnose
Die mikroangiopathisch-hämolytischen Anämien, insbesondere das hämolytisch-urämische Syndrom und die thrombotisch-thrombopenische Purpura, sind vorwiegend Verbrauchsthrombopenien mit Mikrothrombosierungen und Hämolyse. Die Gerinnungsaktivierung ist sekundär und in der Regel geringgradig. Diagnostik und Therapie (s. S. 241, 245, 253).
Zerebrale Embolie, Gefäßläsion (Aneurysma).
Blutung unter fibrinolytischer Therapie
Notfalluntersuchung
Definition und Einteilung Die fibrinolytische Therapie (Thrombolyse) hat im Rahmen der Behandlung akuter Myokardinfarkte und ischämischer zerebrovaskulärer Insulte in den letzten 20 Jahren massiv zugenommen. Blutungen ereignen sich meistens an vorbestehenden Läsionen, insbesondere an Punktionsstellen. Lebensgefährlich sind intrakranielle Blutungen mit einer Inzidenz von etwa 5‰. Sie erfordern den sofortigen Abbruch der Therapie und die Korrektur der Hämostasestörung.
Pathophysiologie Thrombolytische Arzneimittel. Alle bisher eingeführten Thrombolytika wirken als Plasminogenaktivatoren. Angriffspunkte sind: Thrombus, hämostatisches Gerinnsel und zirkulierende Substrate des Plasmins (Fibrinogen, Faktoren V und VIII, Plättchenrezeptoren). Die systemische Gerinnungsstörung ist mit den partiell fibrinselektiven Aktivatoren Alteplase, Reteplase und Tenecteplase geringer als mit Streptokinase und Urokinase, die Blutungsgefahr bleibt aber und wird durch die gleichzeitige Verabreichung von Heparin und Plättchenfunktionshemmern verstärkt.
Typische Krankheitszeichen Blutung aus Punktionsstellen, vorbestehenden Läsionen während oder nach Thrombolyse, Kopfschmerzen und zentralnervöse Ausfälle als Hinweis auf intrakranielle Blutung.
229
Notfallanamnese
• •
Art, Zeitpunkt, Indikation der Thrombolyse. Grundleiden, Begleitumstände, vorbestehende Läsionen.
Klinik
• •
Gezielte Suche nach Blutungsquellen, Thrombolysestopp, wenn ernsthafter Verdacht auf intrakranielle Blutung besteht.
Diagnostik Labor. Gerinnungsanalyse: INR, APTT, Thrombinzeit, Fibrinogen, Thrombozyten. Schädel-CT, MRT. Neuroradiologische Untersuchungen zum Ausschluss intrakranieller Blutungen.
Therapie Notfallmanagement
•
Notfallmaßnahmen nur bei bedrohlichen Blutungen (EG-C).
Blutung während oder innerhalb von 8 h nach Beendigung der Thrombolyse • Thrombolytisches Arzneimittel, Heparin und Thrombozytenfunktionshemmer: Stopp! • Tranexamsäure 1 g i. v. und 5 g als Infusion über 5 h. • 3 ml Protamin 1000 langsam i. v. (mit Wiederholung nach 4 h bei niedermolekularem Heparin, LMWH). • Fibrinogen 2 g in 30 min (bei noch ausstehenden Gerinnungswerten), dann gemäß aktuellem Gerinnungsstatus. Wenn Fibrinogen < 0,8 g/l, zusätzlich 3 g in 1 h sowie FFP 800 – 1200 ml in 2 h (als Ersatz für die Faktoren V, VIII und a2-Antiplasmin). • Thrombozytenkonzentrat (falls mit Thrombozytenfunktionshemmer vorbehandelt). • Erythrozyten und Volumenersatz nach Bedarf.
230
8
Hmostase und Hmatologie
Bedrohliche Blutung 8 – 24 h nach Beendigung der Thrombolyse • Heparin oder LMWH und Thrombozytenfunktionshemmer stoppen! • 3 ml Protamin 1000 langsam i. v. (mit Wiederholung nach 4 h bei LMWH). • Fibrinogenkonzentrat 3 g in 1 h und FFP 800 – 1200 ml in 2 h, wenn Fibrinogen gemäß aktuellem Gerinnungsstatus < 0,8 g/l. • Thrombozytenkonzentrat (falls mit Thrombozytenfunktionshemmer vorbehandelt). • Erythrozyten und Volumenersatz nach Bedarf. • Nach diesen Maßnahmen sind chirurgische und neurochirurgische Eingriffe möglich.
Weitere Maßnahmen Wenn die Blutstillung trotz Notfallmaßnahmen (s. o.) ungenügend ist, Rücksprache mit Hämostasespezialisten, evtl. Desmopressin (DDAVP) oder Faktor-VIII/VWF-Konzentrat oder ein weiteres Thrombozytenkonzentrat verabreichen.
Pathophysiologie Autoantikörper gegen einzelne Gerinnungsproteine im Rahmen von Autoimmunkrankheiten (Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis), Neoplasien, post partum und in höherem Alter. Die Komplexbildung mit dem Gerinnungsfaktor stört dessen Funktion und beschleunigt seine Elimination in vivo, so dass im Plasma nur eine verminderte oder keine spezifische Aktivität mehr nachweisbar ist.
Typische Krankheitszeichen Alle auf S. 217 aufgeführten Blutungsmanifestationen sind möglich. Typisch ist das völlige Fehlen auffälliger Blutungen in früheren Jahren.
Differenzialdiagnose Bisher nicht erfasste hereditäre Blutungsneigungen, andere erworbene Blutungsneigungen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Intensivmedizinische Überwachung. Kontrolle von Prothrombinzeit (INR), APTT, Thrombinzeit, Fibrinogen und Blutbild 12-stündlich.
Besondere Merkpunkte In der Regel kein Abbruch der Thrombolyse wegen ungefährlicher Blutungen. Lokale Maßnahmen genügen bei blutenden Punktionsstellen.
Notfallanamnese Siehe S. 219.
Notfalluntersuchung Wie auf S. 220 dargestellt sowie spezielle Analysen nach Absprache mit dem Hämostasespezialisten (Einzelfaktorenanalysen, Globaltest-Mischversuche).
Blutung wegen Autoantikörpern gegen Gerinnungsfaktoren
Therapie
Definition und Einteilung
•
Immunkoagulopathien durch spezifische Autoantikörper gegen einzelne Gerinnungsfaktoren als seltene, aber gefährliche, erworbene Hämostasedefekte. Zu unterscheiden von Alloantikörpern gegen zugeführten Faktor VIII oder IX bei Hämophilie A oder B.
•
Notfallmanagement (EG-C)
•
Absprache mit dem Hämostasespezialisten, lokale blutstillende Maßnahmen. Nur bei niedrigem Antikörpertiter sind die spezifischen Faktorenkonzentrate oder FFP wirksam. Bei hohem Antikörpertiter: rekombinanter aktivierter Faktor VII (rFVIIa, Eptacogum alpha) oder FEIBA (Factor Eight Bypassing Activity) bei Antikörper gegen Faktor VIII oder IX, Tranexamsäure (S. 221).
Von-Willebrand-Krankheit
Weitere Maßnahmen
• •
Senkung des Autoantikörpertiters mit Immunglobulin i. v., Plasmapherese, Immunadsorption, immunsuppressiver Behandlung. Koordination aller Aktivitäten, insbesondere blutiger Eingriffe, da große Gefahr unstillbarer Blutung.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei bedrohlicher Blutung intensivmedizinische Betreuung. Hämostasetests zur Therapieüberwachung.
Besondere Merkpunkte
•
•
Autoantikörper gegen Gerinnungsfaktoren gehören mit den Alloantikörpern bei Hämophilie A oder B zu den schwierigsten therapeutischen Problemen der Hämostaseologie. Sie können monatelang persistieren. Die postpartalen Hemmkörper verschwinden in der Regel nach einigen Wochen. Von den spezifischen Hemmkörpern gegen Gerinnungsfaktoren ist das Lupusantikoagulans abzugrenzen. Es handelt sich um Autoantikörper, die mit gerinnungswirksamen Phospholipid-Protein-Komplexen interferieren und dadurch die Globaltests INR und APTT stören. In vivo wirken sie nicht gerinnungshemmend, sondern thrombogen (erworbene Thrombophilie).
8.3
Von-Willebrand-Krankheit G. A. Marbet
231
Pathophysiologie VWK Typ 3. Die eindrücklichste Hämostasestörung findet man bei der VWK Typ 3 (völliges Fehlen des VWF). Es treten schwere Störungen der Interaktion zwischen verletzter Gefäßintima und Thrombozyten mit stark verlängerter Blutungszeit auf. Der VWF ist immunologisch (VWF : Ag) und funktionell als Ristocetin-Kofaktor (VWF : RCo) im Plasma nicht nachweisbar, Faktor VIII ist wegen des fehlenden Trägers und Schutzfaktors auf 1 – 5 % vermindert. VWK Typ 1. Bei VWK Typ 1 besteht eine partielle Reduktion des normalen VWF im Plasma, in der Regel nur bei Provokation eine sichtbare Blutungsneigung. VWF : Ag und VWF : RCo im Plasma betragen unter 50% bei allerdings unscharfer Abgrenzung gegen Normalpersonen (tiefere Werte des VWF bei Blutgruppe 0, Akutphasenprotein, breite Überlappung). VWK Typ 2. Bei der VWK Typ 2 sind viele Punktmutationen bekannt, die die funktionellen Störungen erklären. • VWK Typ 2A: Mangel an großen VWF-Multimeren (Polymerisationsstörung oder verstärkte Proteolyse). • VWK Typ 2B: verstärkte Affinität der großen VWF-Multimere an das GP-Ib-Rezeptor-Protein, Verlust durch Sequestrierung mit den gebundenen Plättchen (leichte Thrombozytopenie). • VWK Typ 2 M: schlechte Plättchenaffinität der großen VWF-Multimere. • VWK Typ 2 N: Störung der Faktor-VIII-Bindungsstelle, dadurch Faktor VIII im Plasma < 10% und Konstellation wie bei milder Hämophilie A. Erbgang. Autosomal rezessiver Erbgang bei VWK Typ 3, Typ 2 N und vereinzelt Typ 2A, sonst autosomal dominant, d. h. bei der überwiegenden Zahl der VWK-Fälle.
Definition und Einteilung
Typische Krankheitszeichen
Die Von-Willebrand-Krankheit (VWK) umfasst autosomal vererbte Störungen des Von-Willebrand-Faktors (VWF). Einteilung in VWK Typ 1, Typ 2 und Typ 3. Die VWK Typ 2 beinhaltet die qualitativen Defekte des VWF und wird unterteilt in Typ 2A, 2B, 2 M und 2 N. Die Prävalenz aller VWK-Typen zusammen wird auf etwa 1% der Bevölkerung geschätzt, wovon die Hälfte auf VWK Typ 1, ein Drittel auf Typ 2A, der Rest auf die Typen 2B, 2 M und 2 N und auf Typ 3 (1 Fall pro 1 Mio.) entfallen.
• •
Qualitativ wie unter „Allgemeines“, s. S. 217. Spontane Gelenkblutungen bei VWK Typ 3 möglich, vorwiegend aber Blutungen und Nachblutungen bei Provokationen, Schleimhautblutungen (Nase, Mund), Hypermenorrhö.
232
Hmostase und Hmatologie
Differenzialdiagnose
• • •
Andere hämorrhagische Diathesen und lokale Blutungsursachen, erworbenes Von-Willebrand-Syndrom (Autoantikörper gegen VWF, Paraproteine, leicht verminderter VWF unter Behandlung mit Valproinsäure, Dextran, Hydroxyäthylstärke HES).
Notfallanamnese
8
• •
Siehe S. 219. Bluterpass, Ausweis, Rückfrage beim betreuenden Hämophiliezentrum.
Notfalluntersuchung
• • •
•
Weitere Maßnahmen Falls bisherige Diagnostik unvollständig, gründliche Abklärung veranlassen, auch wenn die aktuelle Blutungsepisode problemlos verlief.
Besondere Merkpunkte Sobald bei uterinen und ovariellen Blutungen VWFKonzentrat und Tranexamsäure wirksam geworden sind, gynäkologisches Konsilium bezüglich Östrogentherapie und Blutungsprophylaxe mit Ovulationshemmern anfordern.
8.4
Vaskuläre hämorrhagische Diathesen G. A. Marbet
Siehe S. 220. Verlängerte Blutungszeit (nach Ivy oder PFA-Blutungszeit) als Hinweis auf VWK oder Thrombozytenfunktionsstörung. Weiterführende Diagnostik (Ristocetin-Kofaktor oder/und Kollagenbindungsaktivität, VWF : Ag, Faktor VIII, VWF-Multimere, ristocetininduzierte Plättchenaggregation) nach Rücksprache mit Hämostasespezialist. Blutgruppe.
Therapie
Definition und Einteilung Mehrheitlich milde Blutungsneigungen, bedingt durch mikrovaskuläre Defekte. • Hereditäre Anomalien: hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie (Morbus Rendu-Osler-Weber), Ehlers-Danlos-Syndrom, Pseudoxanthoma elasticum, Marfan-Syndrom, Osteogenesis imperfecta. • Erworbene Anomalien: Purpura simplex, Purpura senilis, Amyloidose, Skorbut, Dysproteinämien und anaphylaktoide Purpura Schoenlein-Henoch.
Notfallmanagement (EG-C)
• • •
•
Lokale Blutstillung, Tranexamsäure, Schmerzbekämpfung, S. 221. Bei leichteren Blutungen bei VWK Typ 1 Desmopressin (DDAVP) s. S. 221, in der Regel sehr wirksam. Bei VWK Typ 2 und Typ 3 nicht zu verwenden. Blutungen bei VWK Typ 2 und Typ 3 sowie schwerere Blutungen bei VWK Typ 1 erfordern Ersatz des VWF mit virusinaktiviertem FaktorVIII-Konzentrat, das genügend hochmolekularen, funktionellen VWF enthält. Dosierung analog zur Hämophilie A (s. S. 222). Zukünftige Alternative: rekombinanter VWF, bei VWK Typ 2 N und VWK Typ 3 initial mit rekombinantem Faktor VIII zu kombinieren.
Pathophysiologie Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasien. Diese stellen die häufigste vererbte vaskuläre Blutungsneigung dar (autosomal dominant, 1 : 10 000) mit Ektasien von Venulen in Haut, Schleimhäuten und Gastrointestinaltrakt sowie arteriovenösen Missbildungen in Lungen, Gehirn und Rückenmark. Kreislaufeffekt durch intrapulmonale Rechts-linksShunts und systemische Embolien und Abszesse. ZNS-Komplikationen (Migräne, Ischämie, Abszess, Blutungen). Ehlers-Danlos-Syndrom. Dieses ist bedingt durch unterschiedliche Gendefekte, die zu abnormen Kollagenstrukturen führen.
Vaskulre hmorrhagische Diathesen
Erworbene Anomalien. Bei Purpura simplex, Purpura senilis (wie auch bei Purpura durch CushingSyndrom und Glukokortikoidbehandlung), bei Amyloidose und Skorbut ist die Blutungsneigung durch die mechanische Schwäche der subendothelialen Matrix, bei den Dysproteinämien und der anaphylaktoiden Purpura Schoenlein-Henoch hingegen durch die Vaskulitis bedingt. Keine Störungen von Gerinnung oder Plättchenfunktion.
Typische Krankheitszeichen
•
•
• • • • •
•
Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie: rezidivierende schwere Epistaxis, gastrointestinale Blutungen, rote bis violette Teleangiektasen ( Abb. 8.9, Farbtafel IX) an Gesicht, Lippen, Mund- und Nasenschleimhaut, Stamm, Arme, Finger- und Zehenspitzen. Eisenmangelanämie. Vermehrt Beschwerden mit zunehmendem Alter, Komplikationen durch arteriovenöse Missbildungen von Lungen und Gehirn. Ehlers-Danlos-Syndrom: in der Regel nur leichte Blutungen (Suffusionen, Schleimhaut), Wundverschluss und Wundheilung gestört, Zigarettenpapier-Narben (zerknitterte, dünne Haut), Überstreckbarkeit von Haut und Gelenken, arterielle Dissektionen/Rupturen. Purpura simplex: Neigung zu Suffusionen an Oberschenkeln, Hüften und Oberarmen ohne Trauma und ohne andere Blutungen, meistens bei Frauen. Purpura senilis: ältere Patienten mit rezidivierenden Ekchymosen ( Abb. 8.7, Farbtafel VIII) auf der Streckseite von Händen und Vorderarmen ohne Trauma und ohne andere Blutungen. Amyloidose: spontane Suffusionen (periorbital) oder nach leichtem Trauma (Reiben), Schleimhautblutungen, Hämaturie, Weichteilblutungen. Skorbut: perifollikuläre Petechien an Oberschenkeln, Hüften und Vorderarmen, Zahnfleischbluten, intramuskuläre Hämatome und Hämarthros möglich. Purpura Schoenlein-Henoch ( Abb. 8.10, Farbtafel X) und hämorrhagische Diathese bei Dysproteinämie: Petechien und Suffusionen der Haut, gastrointestinale Blutung bei entsprechender Vaskulitislokalisation. Allergische Purpura (Abb. 8.8, Farbtafel IX).
233
Differenzialdiagnose
• •
Thrombopenie/Thrombopathie, Von-WillebrandKrankheit, milde Koagulopathien. ZNS-Affektionen (bei Morbus Rendu-Osler-Weber).
Notfallanamnese
• •
Siehe S. 219. Hauterscheinungen als Auslöser von Abklärungen und normale Gerinnungsresultate.
Notfalluntersuchung
• • •
Siehe S. 220, Hautveränderungen bei meist unauffälligen Hämostasetests (evtl. verlängerte Ivy-Blutungszeit), bei Amyloidose evtl. Faktor-X-Verminderung (verlängerte APTT und Prothrombinzeit).
Therapie Notfallmanagement (EG-C)
• •
•
Sofern indiziert, lokale, blutstillende Maßnahmen. Bei bedrohlicher Epistaxis (Morbus Rendu-OslerWeber) Kompression der Nasenschleimhaut und Hinzuziehen des HNO-Spezialisten (Auffinden und Behandeln der Blutungsquelle). In seine Betreuung gehören auch alle Fälle mit rezidivierender Epistaxis. Tranexamsäure lokal und systemisch bei Schleimhautblutungen (S. 221).
Weitere Maßnahmen
• • •
Behandlung der Eisenmangelanämie, Vitamin C bei Skorbut, Prothrombinkomplex bei Amyloidose mit starker Blutung plus Faktor-X-Mangel (< 40%).
Besondere Merkpunkte Morbus Rendu-Osler-Weber. Suche nach arteriovenösen pulmonalen Missbildungen, bei positivem Befund Nachkontrollen alle 5 Jahre, Antibiotikaprophylaxe bei zahnärztlichen oder chirurgischen Eingriffen.
234
8.5
Hmostase und Hmatologie
Thrombozytäre Dysfunktion mit hämorrhagischer Diathese oder Hyperkoagulabilität G. A. Marbet
Funktionsstörungen der Thrombozyten (Thrombozytopathien)
8
Definition und Einteilung Hereditäre Defekte. Defekte der Plättchenmembran wie Bernard-Soulier-Syndrom (BSS) und Thrombasthenie Glanzmann (TG); andere Plättchenstruktur- und -funktionsdefekte. Erworbene Defekte. Medikamentöse, urämische, paraproteinämische, metabolisch-toxische und Thrombopathien bei myeloproliferativen und myelodysplastischen Erkrankungen sowie nach Einsatz der Herz-Lungen-Maschine.
• • • •
(ADP-Rezeptor), GP-II b/III a-Blocker, Betalaktamantibiotika (Penicillin G, Carbenicillin, einzelne Cephalosporine), Dextran, HES (Hydroxyäthylstärke), unfraktioniertes Heparin (Plättchenmembraninteraktionen). Urämische und andere metabolisch-toxische Einflüsse (Leberversagen) auf den Plättchenstoffwechsel. Paraproteine: bei multiplem Myelom, Morbus Waldenström etc. (Plättchenmembraninteraktionen). Strukturelle Thrombozytenanomalien: myeloproliferatives, myelodysplastisches Knochenmark. Herz-Lungen-Maschine.
Typische Krankheitszeichen
• •
Bei BSS und TG eindeutige Blutungsneigung seit Kindheit wie bei VWK Typ 3, eindrücklich ab Menarche durch Hypermenorrhö/Menorrhagie. Übrige Plättchendefekte in der Regel erst auffällig bei Provokationen oder in Kombination mit anderen Hämostasestörungen.
Pathophysiologie
Notfallanamnese
•
Siehe S. 219. Patienten mit TG oder BSS aus Industrieländern kennen ihre Diagnose in der Regel.
• •
Bernard-Soulier-Syndrom (BSS): autosomal rezessive Störung mit Mangel/Defekt des Rezeptorenkomplexes GP-Ib-V – IX für den Von-WillebrandFaktor (VWF), Riesenplättchen und leichte Thrombozytopenie, fehlende Bindung und Aktivierung durch den VWF (Adhäsionsdefekt) bei normaler Aktivierbarkeit/Aggregation durch die anderen Agonisten. Blutungsneigung wie bei VWK Typ 3. Thrombasthenie Glanzmann (TG): autosomal rezessiver Mangel des Fibrinogen-Rezeptors GP II b/ III a. Blutungsneigung wie bei BSS. Erworbene Funktionsstörungen durch Arzneimittel: Aspirin und reversible Cyclooxygenase-Hemmer (Arachidonsäuremetabolismus), Clopidogrel
Notfalluntersuchung
• •
Die Blutungszeit ist bei BSS und TG immer verlängert. Bei allen anderen Plättchendysfunktionen sind normale Blutungszeiten trotz abnormer Blutung möglich. Die normale Blutungszeit bei milder Plättchenfunktionsstörung (z. B. durch NSAR, Tab. 8.4) gibt keine Gewähr für eine problemlose Blutstillung während chirurgischer Eingriffe.
Tabelle 8.4 Nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente (NSAR, nicht abschließend) und Plttchenfunktionshemmung. Plättchenfunktionshemmung vorhanden
Keine Plättchenfunktionshemmung
Azetylsalizylsure Diclofenac, Ibuprofen, Indometacin Ketorolac, Mefenaminsure, Naproxen Piroxicam
Celecoxib Paracetamol
Cyclooxygenasehemmung durch Azetylsalizylsure irreversibel im Unterschied zu den anderen NSAR
Thrombozytre Dysfunktion mit hmorrhagischer Diathese oder Hyperkoagulabilitt
Therapie Notfallmanagement (EG-C)
• • • •
Lokale Blutstillung, Tranexamsäure und Schmerzbekämpfung (S. 221). Thrombozytenkonzentrat als wirksamste systemische Maßnahme bei bedrohlicher Blutung. Positive Erfahrungen mit rekombinantem aktiviertem Faktor VII (rFVIIa, Eptacogum alpha) bei BSS- und TG-Fällen mit Thrombozytenantikörpern. DDAVP oder Faktor-VIII/VWF-Konzentrat wie bei VWK Typ 1 (s. S. 221f., 232) für nicht bedrohliche, aber durch lokale Blutstillung nicht beherrschte Blutung.
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) Definition und Einteilung Die HIT ist eine durch unfraktioniertes (UFH) und niedermolekulares (LMWH) Heparin oder durch gewisse mit Heparin verwandte Substanzen ausgelöste, immunologisch bedingte Verminderung der Plättchenzahl, begleitet von einem hohen Risiko venöser oder arterieller Thrombosen. Bis vor einigen Jahren wurde das HIT-Syndrom auch als HIT Typ II bezeichnet, um es von der sog. HIT Typ I, einer geringgradigen und vorübergehenden, kurze Zeit nach dem Heparinstart auftretenden, nicht immunologischen Verminderung der Plättchenzahl ohne eigenen Krankheitswert, abzugrenzen. Die Bezeichnungen „HIT Typ I“ und „HIT Typ II“ sind heute obsolet.
Pathophysiologie HIT-Antikörper (HIT-AK). Komplexe von Heparin und heparinähnlichen Substanzen mit heparinbindenden Proteinen, vor allem Plättchenfaktor 4 (PF4), exponieren Neoantigene und können zur Bildung von IgM-, IgG- und IgA-Antikörpern, sog. HIT-AK führen. Nach mehrtägiger Verabreichung von UFH lassen sich mit ELISA-Methoden bei etwa 3% der internistischen, 15% der orthopädischen und 50% der herzchirurgischen Patienten gegen Heparin-PF4 (H – PF4) gerichtete AK nachweisen. Unter LMWH ist die Inzidenz dieser HIT-AK wesentlich niedriger.
235
Nur in einem Bruchteil der Fälle mit HIT-AK entwickelt sich eine HIT. An multimolekulares H-PF4 gebundene AK aktivieren die Thrombozyten über FcgRIIa-Rezeptoren und bewirken Plättchenaggregation und Abspaltung von gerinnungsfördernden Plättchenmikropartikeln. HIT-AK reagieren auch mit PF4-Heparansulfat-Komplexen auf der Endotheloberfläche und stimulieren die Gewebefaktorexpression. Daraus resultiert gleichzeitig eine mäßige Thrombozytopenie (Sequestrierung zirkulierender Plättchenaggregate in der Milz) und eine starke Hyperkoagulabilität. Ohne Reexposition verschwinden HIT-AK innerhalb von 100 Tagen.
Typische Krankheitszeichen Mäßige Thrombozytopenie unter UFH oder LMWH mit medianen Tiefstwerten um 60 × 109/l, je 10% der Fälle £ 20 × 109/l bzw. ‡ 150 × 109/l. Empfindliches Kriterium: Relative Reduktion der Plättchenzahl um 50% gegenüber Ausgangswert vor Heparin bzw. gegenüber dem postoperativen Maximum unter Heparinprophylaxe. • Typical-Onset HIT: 5 – 10(– 14) Tage nach Heparinstart. • Rapid-Onset HIT: Thrombozytenabfall bereits in den ersten Tagen der aktuellen Heparinbehandlung bei vorheriger Heparinzufuhr innerhalb der letzten 3 Monate. • Delayed-Onset HIT: Auftreten der HIT erst nach Heparinstopp (selten, Ausdruck einer starken, protrahierten Immunantwort). HIT-Prävalenz unter UFH in verschiedenen Patientengruppen: internistische 0,8 – 3 %, orthopädische 3 – 5 %, herzchirurgische Patienten 1 – 2 %, intensivmedizinische < 1 %. Unter LMWH generell seltener: < 1%. HIT mit Komplikationen • Venöse und/oder arterielle Thrombosen/Embolien unter Heparinbehandlung, gelegentlich mit atypischer Lokalisation (Nebennierenrinde, zerebral, renal, mesenterial). • Hautnekrosen an s. c. Injektionsstelle, akute anaphylaktische Reaktion auf Heparinbolus i. v.
Differenzialdiagnose
• •
Autoimmunthrombozytopenie (s. S. 243). Andere medikamentöse Thrombopenien, insbesondere nach GPIIb/III a-Blockern (Abciximab, oft mit UFH zusammen verabreicht).
236
Hmostase und Hmatologie falsch positive Diagnosen). Die verfügbaren Enzymimmunoassays (ELISA) und Partikel-Gel-Immunoassays erfassen IgG-, IgM- und IgA-Antikörper gegen H-PF4 mit hoher Sensitivität (> 95%) und guter Spezifität (> 90%). Wenige Referenzzentren verfügen über sensitive und zugleich hochspezifische (> 95 %) funktionelle, auf gewaschenen Normalspenderthrombozyten basierende Tests, die aber bisher nicht notfallmäßig angeboten werden.
Notfallanamnese
• • • •
8
Aktuelle Behandlung mit UFH, LMWH, Heparinoiden? Grund? Dauer? Heparinbehandlungen in den letzten 3 Monaten? Frühere Thrombozytenwerte, insbesondere vor Behandlungsbeginn? Anhaltspunkte für Ausdehnung bestehender und Auftreten neuer Thrombosen unter Heparin? Hautreaktionen?
Therapie
Notfalluntersuchung Siehe S. 244, Kap. 3.4, S. 68 (venöse Komplikationen) und Kap. 3.10, S. 89 (arterielle Komplikationen).
Notfallmanagement (EG-C)
•
Diagnostik Qualitative Schätzung der Vortestwahrscheinlichkeit einer HIT nach dem 4T-Score von Warkentin (Tab. 8.5). Labor • Blutbild, Blutausstrich (S. 244), • Gerinnungsanalyse wie bei DIC (S. 228), • Test auf HIT-Antikörper: Nur bei intermediärer und hoher Vortestwahrscheinlichkeit gemäß 4T-Score (Tab. 8.5). Bei niedriger Vortestwahrscheinlichkeit keine HIT-Tests anfordern (sonst
Tabelle 8.5
• •
Bei intermediärer und hoher Vortestwahrscheinlichkeit: Stopp von UFH oder LMWH und Ersatz durch ein alternatives Antithrombotikum (s. unten), wenn das HIT-Testresultat noch aussteht oder HIT-Test positiv ist oder wenn der HIT-Test negativ ist, aber eine hohe Vortestwahrscheinlichkeit besteht. Bei intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit (4T-Score: 4 – 5) und negativem HIT-Test: UFH oder LMWH weiter. Bei niedriger Vortestwahrscheinlichkeit: keine Unterbrechung von UFH oder LMWH und kein HIT-Test.
Kriterien zur Schtzung der Vortestwahrscheinlichkeit einer HIT (4T-Score nach Warkentin). Bewertungspunkte
HIT-Kriterium
2
1
0
Thrombozytenabfall
> 50% oder Nadir 20 – 100 109/l
30 – 50% oder Nadir 10 – 20 109/l
< 30% oder Nadir < 10 109/l
Zeitpunkt des Thrombozytenabfalls
Beginn eindeutig an Tagen 5 – 10 oder < 1 Tag, wenn bereits Heparin verabreicht vor < 100 Tagen
Verlauf vereinbar mit Immunisierung aber ohne Messwerte oder Abfallbeginn erst nach > 10 Tagen
Abfall zeitlich unpassend
Thrombose oder andere HIT-Folge
neue Thrombose, Hautnekrosen oder akute systemische Reaktion auf Heparinbolus
Thrombosewachstum oder Rezidiv, Hautrçtungen oder Thromboseverdacht (noch nicht besttigt)
keine
Thrombozytopenie ohne andere Ursachen als HIT
keine anderen Ursachen fr Thrombozytopenie
andere mçgliche Ursachen vorhanden
andere Ursachen eindeutig
Vortestwahrscheinlichkeit (nach 4T-Score): 6 – 8 = hoch, 4 – 5 = intermedir, 0 – 3 = niedrig
Akute Transfusionsreaktionen Dosierungshinweise für alternative Antithrombotika bei HIT • Danaparoid: Start mit i. v. Bolus (1250 E bei KG < 55 kg, 2500 E bei KG 55 – 90 kg, 3750 E bei KG > 90 kg), gefolgt von 400 E/h für 4 h, dann 300 E/h für 4 h, dann 150 – 200 E/h mit Anti-Xa-Zielwerten von 0,5 – 0,8 E/ml. • Lepirudin: Start mit 0,2 mg/kg KG Bolus i. v., dann 0,1 mg/kg KG/h, angepasst nach APTT (Bereich 1,5- bis 2,0-facher medianer APTT-Normwert) oder nach Hirudintest. Verzicht auf Bolus bei HIT ohne Thrombose, Niereninsuffizienz, Alter, zudem Reduktion der initialen Erhaltungsdosis (0,05 mg/kg KG/h und niedriger). • Argatroban: i. v. Infusion von 0,5 – 1,2 µg/kg KG/ min, angepasst nach APTT (1,5- bis 3,0-facher medianer Normwert). • Bivalirudin (HIT und koronare Katheterintervention): Start mit i. v. Bolus 0,75 mg/kg KG, dann 1,75 mg/kg KG/h für 4 h. • Fondaparinux (sehr begrenzte Erfahrung): 1 × 2,5 mg/d s. c. bei HIT ohne Thrombose, 7,5 mg/d s. c. bei HIT mit Thrombose (5 mg/d bei < 50 kg KG und 10 mg/d bei > 100 kg KG).
Weitere Maßnahmen Nach Erholung der Thrombozytenzahl auf über 100 – 150 × 109/l Beginn mit oralen Antikoagulanzien unter vorsichtiger Dosierung (Cave! Kumarinnekrose!) und mindestens 5 Tage überlappend mit den parenteralen Antithrombotika. INR-Werte und Antikoagulationsdauer richten sich nach den üblichen Empfehlungen zur Sekundärprophylaxe.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Tägliche Kontrolle der Thrombozytenzahl unter den parenteralen alternativen Antithrombotika, erwartete Erholung der Plättchenzahl innerhalb von 5 – 10 Tagen nach Heparinstopp. Überwachung der Dosierung von Danaparoid mittels Anti-Xa-Aktivität, von Lepirudin mit APTT oder Hirudintest und von Argatroban mit APTT.
Besondere Merkpunkte Wegen des Verschwindens der HIT-AK innerhalb von 3 Monaten sind später kurz dauernde Verabreichungen von UFH oder NMH bei negativem HIT-Test möglich, z. B. während einer Herzoperation.
8.6
237
Akute Transfusionsreaktionen A. Buser
Definition und Einteilung Definition. Unerwartete Reaktion auf Transfusion labiler Blutprodukte (= aus Einzelspenden gewonnene Erythrozyten-, Thrombozytenkonzentrate, fresh frozen plasma [FFP]). Einteilung. Man teilt die akuten Transfusionsreaktionen in hämolytische und nichthämolytische Transfusionsreaktionen ein (Tab. 8.6). Die initialen Symptome lassen jedoch keine zuverlässige Zuteilung zu einer dieser Formen zu.
Pathophysiologie Hämolytische Transfusionsreaktion. Transfusion von serologisch inkompatiblen Blutprodukten, die im Empfänger zu einem beschleunigten Abbau von Erythrozyten führt (meist AB0-Blutgruppeninkompatibilität). Die Hämolyse kann durch Antikörper des Empfängers gegen die transfundierten Erythrozyten (Major-Inkompatibilität) oder durch Antikörper im transfundierten Plasma gegen Erythrozytenantigene des Empfängers (Minor-Inkompatibilität) zustande kommen. Man unterscheidet zwei Mechanismen von Hämolyse: eine intravasale Hämolyse (rasch) kommt durch eine direkte Zerstörung der Erythroyzten zustande, nachdem die antierythrozytären Antikörper das Komplementsystem aktiviert haben. Die extravasale Hämolyse entsteht durch Phagozytose im retikuloendothelialen System der mit Antikörpern beladenen Erythrozyten (Beginn nach mehreren Stunden). Beide Mechanismen können ein Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS, s. S. 265) auslösen. Nichthämolytische Transfusionsreaktion. Reaktion auf leukozytäre, thrombozytäre oder sonstige Zellzerfallsprodukte, Plasmabestandteile, bakterielle Kontamination (Toxine). Bei IgA-Mangel anaphylaktoide Reaktion durch Anti-IgA-Antikörper. Hypervolämie durch Volumenüberlastung durch Transfusionen und Infusionen.
238 Tabelle 8.6
Hmostase und Hmatologie
Einteilung der akuten Transfusionsreaktionen.
Transfusionsreaktionen
Pathophysiologie
Hämolytische Transfusionsreaktionen Akute/verzçgerte hmolytische Transfusionsreaktion
Alloantikçrper des Empfngers gegen erythrozytre Antigene des Spenders
Nichthämolytische Transfusionsreaktionen
8
Anaphylaktische Transfusionsreaktion
Antikçrper des Empfngers gegen Plasmabestandteile
Febrile nichthmolytische Transfusionsreaktion
Antikçrper des Empfngers gegen Leukozyten, Thrombozyten; Zytokine/Pyrogene im Blutprodukt
Hypervolmie
Volumenberlastung durch Transfusionen
Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (Tranfusion related acute Lung Injury: TRALI)
wahrscheinlich antigranulozytre Antikçrper im Blutprodukt
Typische Krankheitszeichen
Notfallanamnese
Sie treten innerhalb Minuten bis Stunden nach erfolgter Transfusion auf. • Fieber, • Schüttelfrost, • Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, • Atemnot, Bronchospasmus, Zyanose, • Hauterythem, Urtikaria, • Hypotonie, Hypertonie, • Schock, • Lendenschmerzen.
•
Zeichen schwerer Komplikationen • Kreislaufschock, • Lungenödem, „weiße Lunge“ im Thoraxröntgenbild, • Oligurie, Anurie. Zeichen des beschleunigten Erythrozytenabbaus • Hämoglobinurie (bei der ersten Miktion), • Ikterus (erst nach Stunden).
Differenzialdiagnose
• • • •
Fieber anderer Ätiologie, Allergie anderer Ursache, Rhabdomyolyse, Hypertonie und Herzinsuffizienz infolge Volumenüberlastung.
• • •
Transfusionsanamnese (welches Blutprodukt wann transfundiert?), frühere Transfusionen und eventuelle Reaktionen, Allergien, bei Frauen: Schwangerschaften, Aborte, Morbus haemolyticus neonatorum (da bereits vorbestehende Antikörper vorhanden sein können).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Haut (Urtikaria, Exanthem, Zyanose, kalte Extremitäten), Halsvenen. Kreislauf. Blutdruck (Hypo-/Hypertonie, Schockzeichen?), Lungenauskultation (kardiale Dekompensation?). Urin. Urinmenge und Farbe (reduzierte Diurese, roter Urin).
Diagnostik Nachweis der Hämolyse. Direkter Coombs-Test (positiv), Haptoglobin (stark erniedrigt/nicht messbar), LDH (erhöht), freies Hämoglobin im Serum (erhöht), Bilirubin im Serum (erhöht), Nachweis von Hämoglobin im Urin (positiv).
Hmolytische Anmien
Weitere Untersuchungen. Blutbild (Anämie, Thrombopenie bei Verbrauchskoagulopathie), Blutkulturen (positiv bei bakterieller Kontamination) Gerinnungsstatus (DIC?). Thoraxröntgenbild (TRALI?). Sauerstoffsättigung, ABGA (Hypoxie?). Sicherstellung von Untersuchungsmaterial. Für weitere Abklärung beim Patienten und beim Blutspender (Blutprodukt). Bei Unklarheiten Rücksprache mit dem Labor. • Empfängerseite: – Blutprobe ohne Zusatz (Serumröhrchen) für Verträglichkeitsprobe und indirekten CoombsTest), – Blutprobe mit EDTA-Zusatz (für Blutgruppenbestimmung und direkten Coombs-Test). • Spenderseite (Blutprodukt): – Blutbeutel inklusive Transfusionsbesteck ins Labor schicken (bakteriologische Untersuchung), – im Labor nachkontrollieren: Blutgruppe, Verträglichkeitsprobe. Meldung an Hämovigilanz. Jede Transfusionsreaktion muss an die zuständige Hämovigilanzstelle gemeldet werden. Diese überwacht die gesamte Transfusionskette und registriert/analysiert unerwünschte Transfusionsnebenwirkungen vor (Blutspende), während und nach Verabreichen von Blut und Blutprodukten.
Therapie Notfallmanagement
• • • • • • • •
Sofortiges Unterbrechen der Transfusion (EG-A). Flüssigkeitszufuhr und falls ausgeprägte Hämolyse: Diuresesteigerung (> 100 ml/h) mit Kochsalzlösung, Schleifendiuretika, eventuell Mannitol (EG-C). Behandlung der disseminierten intravasalen Gerinnung (S. 228). H1-Antihistaminika bei Urtikaria und/oder Fieber, z. B. Clemastin 2 mg i. v. (EG-C). Bei schwere Reaktion (Beeinflussung des SIRS): Hydrocortison 100 mg mit H1-Antihistaminikum (z. B. Clemastin 2 mg i. v.) (EG-C). Schocktherapie gemäß Kap. 2, S. 25. Therapie des akuten Nierenversagens gemäß S. 164. Bei einer akuten hämolytischen Transfusionsreaktion sollten weitere Transfusionen vermieden werden, bis die Ursache eruiert wurde (AB0-Inkompatibilität?). Rücksprache mit Transfusionsmediziner.
239
Besondere Merkpunkte Falls weitere Transfusionen notwendig sind: • Hämolytische Transfusionsreaktion: Rücksprache mit Transfusionsspezialisten. • Nichthämolytische Transfusionsreaktion: Falls nach Verabreichen von leukozytendepletierten Blutprodukten erneut schwerwiegende Reaktionen auftreten, weitere Transfusionen unter H1-Antihistaminikaschutz (EG-D). Rücksprache mit Transfusionsspezialisten.
8.7
Hämolytische Anämien A. Tichelli, A. Gratwohl
Definition und Einteilung Hämolytische Anämien sind charakterisiert durch einen beschleunigten Abbau mit Verkürzung der Lebensdauer der Erythrozyten. Die Hämolysen werden in korpuskulär und extrakorpuskulär, intra- und extravaskulär (im retikuloendothelialen System, Milz und Leber) sowie hereditär und erworben unterteilt. Relevant in der Notfallmedizin sind besonders die • autoimmunhämolytischen Anämien (AIHA), • hämolytische Krisen bei chronischer Hämolyse, • akute Erythroaplasie bei chronischer Hämolyse, • Transfusionszwischenfälle (s. S. 237). Mit der heutigen Migration werden in Mitteleuropa zunehmend Patienten mit vorwiegend in Afrika oder Asien vorkommenden Erbkrankheiten (z. B. Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel) auf Notfallstationen gesehen.
Pathophysiologie Autoimmunhämolytische Anämien (AIHA). Die AIHA werden durch Antikörper verursacht, die gegen die eigenen Erythrozyten gerichtet sind. Man unterscheidet Wärmeantikörper (> 80%), Kälteantikörper (15 %) oder Donath-Landsteiner-Hämolysine (selten). Bei der AIHA durch Wärmeantikörper führt die Bindung inkompletter Antikörper (IgG, Komplement) an die Erythrozyten zu einer extravaskulären Hämolyse. Bei einer AIHA mit Kälteantikörpern binden sich komplette Antikörper (IgM) an die Erythrozyten und führen zu einer Agglutination der Erythrozyten und durch Komplementaktivierung zu
Hmostase und Hmatologie
240
Tabelle 8.7 Medikamente, die eine autoimmunhmolytische Anmie auslçsen kçnnen.
• Antibiotika (Penicilline, Cephalosporine, Erythromycin, Tetrazykline)
• Purinanaloga (Fludarabin, Cladribin) • Nichtsteroidale Entzndungshemmer (Sulindac, Ibuprofen)
• Chinin • Zytostatika (Methotrexat, Carboplatin) • Methyldopa • Cimetidin
8 Tabelle 8.8
Auslçsende Stoffe hmolytischer Krisen.
Antimalariamittel
Primaquin Pamaquin (in Mitteleuropa nicht erhltlich)
Sulfonamide
Sulfanilamid Sulfacetamid Sulfoxon Sulfapyridin Sulfamethoxazol
Sulfone
Thiazolsulfon Diaphenylsulfon (DDS, Dapson)
Nitrofurans
Nitrofurantoin
Verschiedene
Methylenblau Naphthalin Niridazol Phenylhydrazin Toluidinblau
Vegetalien
Favabohnen grne Bohnen Johannisbeeren
Mangel), Sichelzellerkrankungen (s. S. 250) oder paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH). Akute Erythroaplasie bei chronischer Hämolyse. Aplastische Krisen bei vorbestehender chronischer hämolytischer Anämie führen innerhalb kurzer Zeit zu einer schweren Anämie mit Retikulopenie. Die Anämie tritt sehr rasch auf, da die Lebensdauer der Erythrozyten durch die vorbestehende Hämolyse schon verkürzt ist. Die akute Erythroaplasie ist zeitlich limitiert und wird häufig im Rahmen eines Infektes (v. a. mit Parvovirus B19) beobachtet.
Typische Krankheitszeichen Das klinische Bild der Hämolyse ist geprägt durch das Ausmaß der Hämolyse und die Geschwindigkeit ihres Auftretens. • Im Vordergrund stehen Symptome/Zeichen der Anämie (Tab. 8.9) und Zeichen des Abbaus der Erythrozyten (Ikterus, Fieber, Schüttelfrost). • Akut bedrohlich werden Hämolysen, wenn durch Komplementaktivierung Schockzustand, Kreislaufversagen und Nierenversagen hinzukommen. • Bei vorbestehender chronischer Hämolyse ist häufig eine Splenomegalie mäßigen Grades zu finden. • Ein typisches Zeichen der AIHA mit Kälteantikörpern ist die Akrozyanose bei Kälteexposition.
Differenzialdiagnose Innere Blutung (Cave! antikoagulierter Patient), Sepsis, Transfusionshämolyse, akute extrahepatische Cholestase (Sphärozyten im peripheren Blut), Malaria.
Notfallanamnese einer intravaskulären Hämolyse. Diese Komplementaktivierung ist verstärkt bei reduzierter Temperatur (unter 25 8C). Bestimmte Medikamente können eine AIHA auslösen (Tab. 8.7). Hämolytische Krisen bei chronischer Hämolyse. Ausgelöst durch Infekte oder Einnahme bestimmter Arzneimittel (z. B. Primaquin) oder Vegetabilien (z. B. Favabohnen) (Tab. 8.8) kann sich durch akute Hämolyse bei vorbestehender chronischer hämolytischer Erkrankung rasch eine Anämie entwickeln. Vorkommen: instabile Hämoglobine, hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie), hereditäre Elliptozytose, nichtsphärozytäre hämolytische Anämien (Glucose6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel, Pyruvatkinase-
Zur Diagnose • Familienanamnese: Erfassung einer hereditären Hämolyse: Anämie, Ikterus, Cholezystektomie in ungewöhnlich jungem Alter (chronischer Hämoglobinabbau bei kongenitaler Hämolyse), Splenomegalie bei Familienmitgliedern; Erstmanifestation oder Rezidiv eines schon früher bekannten Leidens. Zur Ätiologie • Infekt 7 – 14 Tage zuvor, • Tropenaufenthalt (Malaria), • Transfusionen.
Hmolytische Anmien
Tabelle 8.9
241
Symptome und klinische Zeichen der Zytopenie. Anämie
Thrombopenie
Neutropenie
Primärsymptome
Mdigkeit, Schwche, Abgeschlagenheit, Erschçpfung, Depression, verminderte Leistungsfhigkeit, Leistungsknick
„rote“ („blaue“) Punkte, Zahnfleischbluten, Nasenbluten
keine!
Klinische primäre Zeichen
Blsse (Schleimhaut, Konjunktiven)
Petechien an Haut (untere Extremitten), Schleimhaut (Gingiva, Rachen) und Augenfundus
keine!
Sekundärsymptome
Atemnot, Herzklopfen, Kopfschmerzen
ausgedehnte blaue Flecken, Blutungen, Sehstçrungen (Blutungen), ZNS-Symptome
Fieber, Schttelfrost, allgemeines Unwohlsein; Lokalinfekte: Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Analschmerzen
Klinische sekundäre Zeichen
Tachykardie, hohe Blutdruckamplitude, Tachypnoe
Ekchymosen, Suffusionen, ausgedehnte Hmatome, Blutungen
„granulozytopenische Ulzera“, Rçtungen, Schwellungen oral und anal, nekrotisierende Tonsillitis, lokale Phlegmone Cave! kein Eiter (da keine Granulozyten)!
Unterscheide: Primrsymptome/klinisch primre Zeichen, die direkt durch Zytopenie (Anmie, Thrombopenie, Neutropenie) bedingt sind, von Sekundrsymptomen/klinisch sekundre Zeichen, die durch Adaptation (Anmie: gesteigertes Herzminutenvolumen) oder Folgen der Zytopenie (z. B. Organschdigung bei Blutung, Infekt bei Neutropenie) verursacht werden
Notfalluntersuchung
•
Klinik Haut-, Schleimhautkolorit (Blässe, Ikterus), Fieber, Splenomegalie, Akrozyanose (AIHA mit Kälteantikörpern), Schock.
Diagnostik Laboranalysen, deren Resultat notfallmäßig zur Verfügung stehen muss • Großes Blutbild (Anämie, evtl. Thrombopenie, MCHC erhöht) (Abb. 8.11), Retikulozytenzahl (gesteigert bei Hämolyse, fehlend bei aplastischer Krise). • Blutausstrich: Kugelzellen ( Abb. 8.12, Farbtafel X), Fragmentozyten; Agglutination der Erythrozyten bei AIHA mit Kälteantikörpern ( Abb. 8.13, Farbtafel X) bei Zimmertemperatur und Auflösen, wenn das Blut aufgewärmt wird,
• • •
Plasmodien in den Erythrozyten ( Abb. 9.16, Farbtafel XIX). Bilirubin (erhöht, vorwiegend indirektes), ALAT, ASAT, alkalische Phosphatase (normal), LDH (erhöht), Haptoglobin (fehlend). Coombs-Test direkt und indirekt (positiv bei AIHA besonders durch Wärmeantikörper, negativ bei angeborenen Hämolysen). Kälteagglutinine (positiv bei AIHA mit Kälteantikörpern). Type and Screen (Bestimmung der Blutgruppen und Suche von irregulären Antikörpern, ersetzt die Verträglichkeitsprobe).
Laboranalysen, deren Resultat später eintreffen kann • Heinz-Innenkörper (bei hämolytischer Krise im Rahmen eines Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels). • Serologie für Mykoplasma, Epstein-Barr-Virus (EBV) und Zytomegalievirus (CMV).
242
Hmostase und Hmatologie
Abb. 8.11 Verteilungsmuster der Erythrozyten bei normalem Befund und bei Sphärozytose. Die Erythrozyten werden nach Volumen und Hmoglobinkonzentration verteilt. a Normale Verteilung der Erythrozyten. b Bei Sphrozytose sind die Erythrozyten nach rechts verschoben, da Mikrosphrozyten ein zu hohes MCHC aufweisen. V: Volumen, HC: Hmoglobinkonzentration.
8 •
• • •
Bei Coombs-negativer Hämolyse: osmotische Resistenz der Erythrozyten (vermindert bei Kugelzellanämie), Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase, Pyruvatkinase (Mangel bei instabilen Hämoglobinen), HAM- und Sucrose-Test (positiv bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie), CD55- und CD59-Oberflächenmarker auf Neutrophilen und Erythrozyten (fehlen bei PNH). Hämosiderin im Urin (intravaskuläre Hämolyse bei AIHA mit Kälteantikörpern oder PNH). Knochenmarkpunktion nicht notfallmäßig! Evtl. später zur Abklärung der Ätiologie (Lymphom). Bei einer akuten Erythroaplasie (Anämie mit fehlenden Retikulozyten) muss die ParvovirusB19-Serologie (IgM und IgG) abgenommen werden.
Therapie Therapie der AIHA mit Wärmeantikörpern (EG-D) • Prednison 100 mg/d p. o. (1 – 2 mg/kg KG/d); mindestens 14 Tage gleiche Dosis; langsam reduzieren, sobald Hb-Wert > 100 g/l und Retikulozyten normalisiert. • Transfusionen nur bei bedrohlicher Anämie (anhand der Klinik entscheiden). Blutgruppengleiches Blut langsam transfundieren, gute Hydrierung. Wahrscheinlich treten bei der Verträglichkeitsprobe Schwierigkeiten auf (Coombs-positiv). • Bei Rezidiv oder refraktärem Zustand Splenektomie erwägen. Vor Splenektomie Impfung mit polyvalentem Pneumokokkenimpfstoff! • Evtl. Grundkrankheit behandeln (lymphoproliferative Erkrankung).
Therapie der AIHA mit Kälteantikörpern (EG-D) • Vermeidung von Kälte. • Bluttransfusionen, wenn Anämie symptomatisch. Blut und alle Infusionen aufwärmen (37 8C). • Bei schwerer Symptomatik Plasmapherese diskutieren. • Splenektomie und Prednison sind in der Regel nicht effektiv! • Evtl. Grundkrankheit behandeln (lymphoproliferative Erkrankung). Therapie der hämolytischen und aplastischen Krisen • Noxe vermeiden. • Transfusionen, wenn aufgrund der Symptomatik indiziert. • Schockbekämpfung, Hydrierung. Weitere Standards • Bei der Kugelzellanämie ist die Splenektomie Therapie der Wahl. Mindestens 14 Tage vor Splenektomie Impfung gegen Streptococcus pneumoniae (polyvalenter Pneumokokken-Impfstoff) und Meningokokken. Bei Kindern zusätzlich Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ B. • Bei Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel Aufklärung des Patienten über die Gefährdung bei Einnahme bestimmter Arzneimittel und Nahrungsmittel (Tab. 8.8). • Bei immunsupprimierten Patienten mit aplastischer Krise durch Parvovirus B19: Immunglobuline 0,5 g/kg KG i. v. an 2 aufeinander folgenden Tagen (EG-D).
Immunthrombopenische Purpura (ITP)
Lupus erythematodes; rheumatoide Arthritis), lymphoproliferativen Erkrankungen (CLL, Lymphom), soliden Tumoren oder HIV-Infekt.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Überwachung von Kreislauf und Nierenfunktion, besonders falls Transfusionen bei AIHA notwendig sind (Hypotonie, Schock, akutes Nierenversagen). Verlaufsparameter der Anämie (Hämoglobin) und der Hämolyse (Retikulozyten, evtl. LDH, Bilirubin). Der Coombs-Test ist ein schlechter Verlaufsparameter (wird selten ganz negativ).
Besondere Merkpunkte Lymphoproliferative Syndrome können zum Zeitpunkt der Hämolyse klinisch manifest sein oder aber erst Jahre später auftreten. Auch bei der idiopathischen AIHA Lymphom suchen (CT Thorax/Abdomen) und Follow-up sicherstellen.
8.8
Immunthrombopenische Purpura (ITP) A. Tichelli, A. Gratwohl
Definition und Einteilung Thrombopenien werden in megakaryozytär (peripherer Verbrauch) und amegakaryozytär (Produktionsstörung im Knochenmark) eingeteilt. Amegakaryozytäre Thrombopenie: s. Kap. 8.10 (S. 249) und Kap. 8.15 (S. 258). ITP. Die immunthrombopenische Purpura (ITP) ist die häufigste Form der megakaryozytären Thrombopenie und ist charakterisiert durch eine verminderte periphere Thrombozytenzahl bei normaler oder gesteigerter Megakaryozytendichte im Knochenmark. Häufig handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Man unterscheidet: • akute Form der ITP: tritt vorwiegend im Kindesalter nach viralem Infekt auf und ist zeitlich limitiert, • idiopathische ITP: eine chronische Autoimmunerkrankung ohne erkennbare Ursache, die meistens nach dem 20. Lebensjahr auftritt, • sekundäre ITP: klinisch ähnlich der idiopathischen ITP, aber assoziiert mit anderen Immunerkrankungen (in Kombination mit autoimmunhämolytischer Anämie, Evans-Syndrom genannt;
243
Pathophysiologie Plättchenspezifische Autoantikörper binden sich an zirkulierende Thrombozyten. Die immunglobulinbeladenen Thrombozyten werden durch den Fc-Rezeptor des retikuloendothelialen Systems in der Milz und/oder Leber gebunden, phagozytiert und abgebaut. Diese Autoantikörper können isoliert oder im Rahmen einer anderen Autoimmunerkrankung (Lupus erythematodes) oder einer lymphoproliferativen Erkrankung auftreten.
Typische Krankheitszeichen Hämorrhagische Diathese bei sonst unauffälligen Befunden! Vorwiegend finden sich petechiale Blutungen (Tab. 8.9). Schwere Blutungen (Hirnblutung, gastrointestinale Blutungen, Hämatemesis, Menometrorrhagie etc.) sind selten, können aber dramatisch verlaufen. • Häufig treten die ersten Manifestationen nach Einnahme eines Thrombozytenaggregationshemmers (z. B. Azetylsalizylsäure) oder von Alkohol auf. • Cave! Petechien „ Thrombopenie. Andere mögliche Ursachen: Thrombopathie, septische Embolien.
Differenzialdiagnose
• •
Differenzialdiagnose der Thrombopenien, unterteilt in Thrombopenien durch Produktionsstörung, peripheren Verbrauch und kongenitale Thrombopenien (Tab. 8.10). Die Pseudothrombopenie, ein Laborartefakt (Thrombozytenaggregate mit EDTA-Blut), muss mittels einer mikroskopischen Blutbildanalyse ausgeschlossen werden ( Abb. 8.14, Farbtafel XI).
Notfallanamnese Zur Diagnose • Blutungen, • Erstmanifestation oder Rezidiv eines schon früher bekannten Leidens, • Einnahme von Aggregationshemmern, Alkohol.
244 Tabelle 8.10
Hmostase und Hmatologie
Differenzialdiagnose der ITP beim Erwachsenen.
Produktionsstörung
Peripherer Verbrauch
• Aplastische Anmie • Myelodysplastisches Syndrom • Akute Leukmien • Knochenmarkverdrngung
• Hypersplenismus • Thrombotisch-thrombopenische Purpura (TTP) • Hmolytisch-urmisches Syndrom (HUS) • HELLP-Syndrom1 • Evans-Syndrom2 • Medikamentçs • Postransfusionell • Verbrauchskoagulopathie (DIC) • Isoimmune neonatale Thrombopenie • Infekt • Bakteriell (Meningokokken) • Viral (CMV, HIV, EBV) • Parasitr (Malaria)
(Tumor, Lymphom, Fibrose etc.)
• Megaloblastre Anmie (B12-, Folsuremangel) • Induziert durch Chemotherapie
8 1 2
hemolysis, elevated liver tests, low platelets autoimmunhmolytische Anmie und ITP gleichzeitig
Tabelle 8.11 Medikamente, die eine Thrombopenie auslçsen.
• Aciclovir • Betalaktamantibiotika • Carbamazepin • Chinin, Chinidin • Cimetidin • Goldprparate • GP-II b/III a-Inhibitoren (Abciximab, Tirofiban) • Heparine (s. HIT, S. 235) • Penicillamin • Phenytoin • Rifampicin • Trimethoprim/Sulfamethoxazol • Valproinsure • Vancomycin • Cave! immer auch nach Zytostatika fragen Zur Ätiologie • Arzneimittelanamnese: Eine Vielzahl von Medikamenten (Tab. 8.11) kann eine Thrombopenie auslösen. Die Mechanismen sind unterschiedlich und schließen immunologische (s. Agranulozytose) und nichtimmunologische (Thrombozytenaktivierung) mit ein. Abzugrenzen ist eine Thrombopenie im Rahmen einer Zytostatikatherapie. (Tab. 8.11). • Infekt 7 – 14 Tage zuvor.
• • • •
Tropenaufenthalt (Malaria). Transfusionen (posttransfusionelle Thrombopenien treten 7 – 10 Tage nach einer ersten Transfusion auf und Stunden bis Tage nach wiederholten Transfusionen). Maligne Erkrankung. Schmerzen, Fieber unklarer Ätiologie (TTP, HUS).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Petechien (Extremitäten, Augenfundus, Mundschleimhaut), Hämatome, Meläna. Palpation. Milz- und Lebergröße (bei der idiopathischen ITP nicht vergrößert; im Rahmen eines lymphoproliferativen Prozesses ist eine Splenomegalie und/oder eine Hepatomegalie möglich).
Diagnostik Labor • Blutbild (Thrombopenie, evtl. Anämie mit Mikrozytose wegen chronischer Blutungen). • Blutausstrich (Thrombozytenaggregate bei Pseudothrombopenie; morphologische Anomalien der Thrombozyten bei Bernard-Soulier-Anomalie oder myelodysplastischem Syndrom; Fragmentozyten bei thrombotisch-thrombopenischer Purpura, hämolytisch-urämischem Syndrom, HELLPSyndrom; Plasmodien bei Malaria ( Abb. 9.16, Farbtafel XIX); Veränderungen der Erythrozyten
Agranulozytose
• • • •
und Leukozyten bei malignen hämatologischen Erkrankungen). Falls eine Pseudothrombopenie vorliegt: Blutbild und Blutausstrich mit Zitratblut wiederholen. Knochenmarkzytologie und -histologie (Abgrenzung zwischen megakaryozytärer und amegakaryozytärer Thrombopenie). Gerinnungsstatus: Quick, APTT, Fibrinogen, D-Dimere (disseminierte intravasale Gerinnung). In einem zweiten Schritt (nicht notfallmäßig): plättchenspezifische Antikörper, Virusserologien (HIV, CMV, EBV, Parvovirus B19) und Rheumaserologie (Rheumafaktor, antinukleäre Antikörper, Antistreptolysintiter, CH50).
Therapie
• • • •
• •
Keine Salizylate oder andere Thrombozytenaggregationshemmer (s. Tab. 8.4, S. 234)! Indikation zu therapeutischem Eingreifen, wenn Thrombozyten £ 20 × 109/l und/oder bei hämorrhagischer Diathese (EG-D). Prednison 100 mg/d (1 – 2 mg/kg KG/d) (EG-D). Prednison mindestens 14 Tage in gleicher Dosis; langsam reduzieren, sobald Thrombozyten über 100 × 109/l. Immunglobuline als Infusion 0,4 g/kg KG an 2 – 4 Tagen (bis zum Anstieg der Thrombozyten, maximal 4 Tage). Das Ansprechen tritt häufig rasch ein, ist aber beim Erwachsenen transient. Deshalb Therapie mit Immunglobulinen nur bei aktiven Blutungen oder unmittelbar vor Splenektomie (EG-A). Im Prinzip Thrombozytentransfusion nur bei lebensbedrohlichen Blutungen! Keine prophylaktischen Transfusionen, da die transfundierten Thrombozyten unmittelbar verbraucht werden. Bei Rezidiv oder refraktärem Zustand steht die Splenektomie zur Diskussion. Vor Splenektomie Impfung mit polyvalentem Pneumokokkenimpfstoff!
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Klinische Überwachung auf Blutungen. Thrombozytenzahl initial täglich bis Thrombozyten ‡ 20 × 109/l. Bei geringer hämorrhagischer Diathese ist eine Klinikeinweisung nicht zwingend notwendig.
245
Besondere Merkpunkte Technische Besonderheiten können falsch hohe oder falsch tiefe Thrombozytenzahl ergeben: • Falsch niedrige Thrombozyten bei Pseudothrombopenie mit Thrombozytenaggregaten im Ausstrich ( Abb. 8.14, Farbtafel XI); Vorgehen: Blutentnahme mit Zitratblut anstelle von EDTABlut. • Falsch hohe Thrombozyten, wenn gleichzeitig mit der Thrombopenie mikrozytäre Erythrozyten vorliegen; die zu kleinen Erythrozyten werden fälschlicherweise als Thrombozyten gezählt. Vorgehen: Blutausstrich (Plättchen nachweisbar? Evtl. Kammerzählung).
8.9
Agranulozytose A. Gratwohl, A. Tichelli
Definition und Einteilung Fehlen der neutrophilen Granulozyten bei normaler Erythrozyten- und Thrombozytenzahl. Die untere Normgrenze der Neutrophilenzahl liegt bei 2,5 × 109/l; bei Werten unter 0,5 × 109/l besteht ein erhöhtes, bei Neutrophilenzahlen unter 0,2 × 109/l ein sehr hohes Infektionsrisiko.
Pathophysiologie Agranulozytosen werden bei individueller Empfindlichkeit durch eine Vielzahl von Arzneimitteln hervorgerufen (Tab. 8.12). Die Wirkung ist entweder eine direkt toxische Schädigung der Vorläuferzellen im Knochenmark oder immunologisch. Drei Immunmechanismen werden beschrieben. Das Arzneimittel kann als Hapten wirken, zu einer Immunkomplexreaktion führen oder direkt eine Autoimmunreaktion gegen die Neutrophilen auslösen. Letztere kann nach Absetzen des Arzneimittels persistieren. T-Zell-vermittelte immunologische Mechanismen (vgl. T-Zell-large-granular-lymphocyte-Leukämie [T-LGL], s. Tab. 8.16, S. 259) werden ebenfalls diskutiert.
246
Hmostase und Hmatologie
Tabelle 8.12 Hufig zu einer medikamentçs induzierten Neutropenie fhrende Arzneistoffklassen und Arzneistoffe. Antibiotika
8
• Amodiaquin • Cephalosporine • Dapson • Erythromycin • Penicilline • Terbinafin • Trimethoprim/Sulfamethoxazol
Antikonvulsiva
• Carbamazepin • Phenytoin
Thyreostatika
• Carbimazol • Propylthiouracil • Thiamazol
Analgetika, NSAID
• Diclofenac • Indometacin • Metamizol (Novaminsulfon) • Paracetamol • Sulfasalazin
Psychopharmaka
• Chlorpromazin • Clomipramin • Clozapin • Mianserin
Kardiaka
• Aprindin • Calciumdobesilat • Captopril • Chinidin • Digoxin • Dipyridamol • Propranolol • Spironolacton • Ticlopidine
Andere
• Prednison • Ranitidin • Rituximab
Differenzialdiagnose Angeborene Neutropenie • Kostmann-Syndrom, zyklische Neutropenie, benigne familiäre Neutropenie. Erworbene Neutropenie • Leukämien, myelodysplastisches Syndrom, T-Zell-large-granular-lymphocyte-Leukämie, Haarzellleukämie ( Abb. 8.16, Farbtafel XI). • Rheumatologische Erkrankungen, v. a. systemischer Lupus erythematodes, Felty-Syndrom. • Virusinfektionen, v. a. HIV, CMV, EBV, Rotavirus, Hepatitis, Influenza etc. • Fulminante bakterielle Infektion. • Neutropenien im Rahmen einer Panzytopenie. • Neutropenie nach einer zytostatischen Therapie.
Notfallanamnese Zur Diagnose • Erstmanifestation oder Rezidiv eines schon früher bekannten Leidens? • Komplikation einer zytostatischen Therapie? Zur Ätiologie • Arzneimittelanamnese (Tab. 8.12), • Dauer der Symptome.
Notfalluntersuchungen Klinik Untersuchung auf Infektzeichen (insbesondere Mund-/Rachen-, Perianal-/Genitalregion) und auf Organomegalie (fehlt bei Agranulozytose) (Tab. 8.13).
Diagnostik
Typische Krankheitszeichen
•
•
Das Fehlen der neutrophilen Granulozyten verursacht keine Symptome! Diese treten erst bei einer Infektion auf und führen dann zu den sekundären Symptomen und Zeichen der Neutropenie (Tab. 8.9, S. 241). Schmerzhafte orale, genitale und perianale Ulzerationen sind häufig. Sie wurden früher als „granulozytopenische Ulzera“ bezeichnet, sind aber bedingt durch Reaktivierung von Herpesviren ( Abb. 8.15, Farbtafel XI).
Labor • Blutbild (Abb. 8.17) mit Handdifferenzierung, Retikulozyten, Thrombozyten (Hämoglobin, Retikulozyten, Thrombozyten normal). • Cave! Leukozytenzahl allein reicht nicht, um Agranulozytose auszuschließen! Eine Lymphozytenzahl von 3,5 × 109/l kann „normales“ Blutbild vortäuschen. Immer Differenzierung bei Verdacht auf Agranulozytose oder bei Behandlung mit Arzneimitteln, die mit einem hohen Risiko einer Agranulozytose verbunden sind (z. B. Clozapin).
Agranulozytose
247
Tabelle 8.13 Symptome und Zeichen der Organomegalie bei Leukmien und myeloproliferativen Syndromen. Organ
Symptom
Typisch bei
Hepatomegalie
Oberbauchschmerzen
CML, PMF
Splenomegalie
Vçllegefhl nach Essen akute Oberbauchschmerzen
CML, CLL, PMF
• Milzruptur • Milzinfarkt
CML PV, ET
Lymphadenopathie
CLL, AML, ALL
• zervikal • axillr • intrathorakal
lokale Symptome
• intraabdominal • retroperitoneal • inguinal
Harnretention, diffuse lokale Beschwerden
Knocheninfiltration
Knochenschmerzen, Druckdolenz (Sternum!)
ALL
Hautinfiltration
diffus, lokalisiert (Chlorom)
AML, Szary-Syndrom, monozytre Formen
Hyperleukozytose
s. Hyperviskosittssyndrom, Priapismus
AML, CML, ALL (CLL auch bei sehr hohen Zahlen selten symptomatisch!)
lokale Symptome Schluckbeschwerden, Atemnot, diffuse lokale Beschwerden lokale Symptome Harnretention
CML: chronische myeloische Leukmie, CLL: chronische lymphatische Leukmie, AML: akute myeloische Leukmie, ALL: akute lymphatische Leukmie, PMF: primre Myelofibrose, PV: Polycythaemia vera, ET: essenzielle Thrombozythmie
• •
Chemogramm (üblicherweise normal). Virusserologie (HIV, Herpesviren, Parvovirus B19). • Blut- und Urinkulturen bei Fieber. • Knochenmarkpunktion nicht notfallmäßig, absprechen mit Hämatologen für detaillierte Diagnostik. Abstriche. Rachenabstrich, Abstriche aus Ulzerationen (Herpesviren?). CT-Thorax. Stille Infiltrate ohne Symptome (Aspergillen!) sind bei Patienten mit lang andauernder Neutropenie häufig.
• • •
Bei Fieber: Blutkultur abnehmen und sofortiger Beginn mit Breitspektrumantibiotika (EG-A). Bei Ulzerationen: Aciclovir 5 mg/kg KG 8-stündlich über 1 h als Kurzinfusion (Cave! Anpassung an Nierenfunktion, s. S. 637) (EG-D). Bei schwerem Infekt unter Neutropenie Gabe von Granulozytenkolonien-stimulierendem Faktor (G-CSF) 5 µg/kg KG s. c. für 5 Tage erwägen (EG-B).
Weitere Maßnahmen Kontaktaufnahme mit Hämatologen für Knochenmarkpunktion.
Therapie Notfallmanagement
•
Stopp aller bisherigen Arzneimittel: bei lebenswichtiger Indikation (Antibiotika, Antiepileptika): Ersatz durch anderes Präparat (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Überwachung von Kreislauf (Cave! septisch-toxischer Schock), Fieber, Ausscheidung.
248
Hmostase und Hmatologie
Abb. 8.17 Flowzytometrische Verteilungsmuster der Leukozyten. a Normaler Befund. b Neutrophilie mit Linksverschiebung. c Bei der Agranulozytose fehlen die neutrophilen Granulozyten. d Haarzellleukmie mit Zytopenie: Fehlen der Monozyten (s. a. Abb. 8.16, Farbtafel XI).
8
Aplastische Anmie
249
Besondere Merkpunkte
binurie und dem myelodysplastischen Syndrom. Bei den meisten Fällen ist die Ursache unbekannt; dann liegt eine sog. idiopathische erworbene Form vor.
Wenn die neutrophilen Granulozyten fehlen, bildet sich kein Eiter und Infektionen können lokal nicht abgegrenzt werden. Dies erschwert die klinische und radiologische Einschätzung des Schweregrades einer Infektion.
Typische Krankheitszeichen
8.10 Aplastische Anämie A. Gratwohl, A. Tichelli
Definition und Einteilung Periphere Panzytopenie bei Knochenmarkversagen. Es wird unterschieden zwischen angeborenen Formen (Fanconi-Anämie) und erworbenen Formen. Die aplastische Anämie wird eingeteilt anhand der peripheren Blutwerte in: • aplastische Anämie (Neutrophilenzahl < 1,0, aber > 0,5 × 109/l, Thrombozytenzahl < 100 × 109/l, Hb < 10 g/dl), • schwere aplastische Anämie (Neutrophilenzahl < 0,5 × 109/l, Thrombozyten < 20 × 109/l und Retikulozyten < 20 × 109/l), sehr schwere aplastische Anämie (Neutrophile • < 0,2 × 109/l, Thrombozyten < 20 × 109/l und Retikulozyten < 20 × 109/l).
Pathophysiologie Fanconi-Anämie. Die kongenitale Fanconi-Anämie wird rezessiv vererbt und ist häufig mit Wachstumsverzögerung sowie angeborenen Anomalien des Skelettes und der Haut assoziiert. Sie beruht auf einer auffälligen Empfindlichkeit der Zellen gegenüber alkylierenden Substanzen bei defekten DNAReparaturmechanismen. Erworbene aplastische Anämie. Die erworbene aplastische Anämie ist wahrscheinlich bedingt durch einen Autoimmunmechanismus, bei dem T-Lymphozyten des Patienten supprimierend auf die hämatopoetische Stammzelle wirken. Externe Faktoren wie Arzneimittel (z. B. Chloramphenicol), Viren (posthepatitische aplastische Anämie) oder hormonelle Umstellungen (schwangerschaftsassoziierte schwere aplastische Anämie) können die Krankheit auslösen. Es besteht eine enge Verbindung mit der paroxysmalen nächtlichen Hämoglo-
Die Symptome und klinischen Zeichen der schweren aplastischen Anämie werden verursacht durch das Fehlen der normalen Blutbildung, der Anämie, Thrombopenie und Neutropenie (Tab. 8.9, S. 241). Zeichen der Organomegalie (Tab. 8.13, S. 247) fehlen.
Differenzialdiagnose Abgegrenzt werden müssen andere Ursachen einer Panzytopenie: • zytostatische Chemotherapie oder Bestrahlung, • Leukämie, insbesondere myelodysplastische Syndrome, primäre Myelofibrose, Haarzellleukämie, • Knochenmarkinfiltration durch maligne Tumoren (Karzinom, Lymphom, Myelom), • Infektionen (Tuberkulose), • peripherer Verbrauch bei Splenomegalie: Pfortaderhochdruck, Felty-Syndrom, Speicherkrankheiten, • perniziöse Anämie (B12- oder Folsäuremangel). Diese Krankheitsbilder können durch eine Knochenmarkuntersuchung abgegrenzt werden.
Notfallanamnese Zur Diagnose • Arzneimitteleinnahme, vorhergehende Chemotherapie oder Strahlentherapie. Zur Ätiologie • Arzneimittelexposition, Toxinexposition (Benzol), • vorhergehende virale Erkrankung oder Schwangerschaft, begleitende Autoimmunerkrankung.
Notfalluntersuchungen Klinik Untersuchung auf hämorrhagische Diathese (einschließlich Augenfundus), Infektion, Organomegalie (Letztere schließt aplastische Anämie aus).
250
Hmostase und Hmatologie
Abb. 8.18 Verteilungsmuster bei aplastischer Anämie. Es finden sich ausschließlich quantitative, keine qualitativen Vernderungen.
• •
Bei hämorrhagischer Diathese und Thrombozytenwerten unter 10 – 20 × 109/l Ersatz mit Thrombozytentransfusionen (filtriert, bestrahlt). Bei Fieber: Blutkultur abnehmen und Beginn mit Breitspektrumantibiotika (s. S. 270).
Weitere Maßnahmen Kontaktaufnahme mit einem Hämatologen für Knochenmarkpunktion, Verlegung an Zentrum.
Besondere Merkpunkte
8
• •
Diagnostik Labor • Blutbild (Abb. 8.18) mit Handdifferenzierung, Retikulozyten, Thrombozyten (bestätigt die Diagnose). • Gerinnungsstatus mit Fibrinogen und Spaltprodukten (disseminierte intravasale Gerinnung?). • Chemogramm (sollte normal sein). • Blutgruppe, Erythrozytenantigene (Bestimmung vor erster Bluttransfusion), Vitamin B12, Folsäure (Bestimmung vor erster Bluttransfusion). • Tests auf paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie: flowzytometrische Bestimmung der Ankerproteine auf den Neutrophilen, Granulozyten und Erythrozyten. • Blutkulturen (bei Fieber). • Knochenmarkpunktion nicht notfallmäßig, Absprechen mit Hämatologen für detaillierte Diagnostik.
Therapie Notfallmanagement
• •
Bei klinisch stabilem Zustand: keine Maßnahmen, Überweisung an spezialisiertes Zentrum. Bei symptomatischer Anämie: Transfusion von 2 filtrierten bestrahlten Erythrozytenkonzentraten.
Keine Transfusionen von Familienmitgliedern, dadurch könnte durch Sensibilisierung eine spätere Stammzelltransplantation kompromittiert werden (Abstoßungsrisiko erhöht). Darauf hinweisen, dass die schwere aplastische Anämie heute eine gut behandelbare Krankheit geworden ist. Überlebenswahrscheinlichkeit 10 Jahre nach Behandlung: zwischen 70 und 80%.
8.11 Sichelzellerkrankungen A. Tichelli, A. Gratwohl
Definition und Einteilung Die Sichelzellerkrankungen sind hereditäre Hämoglobinstörungen, die zur Bildung eines abnormen Hämoglobin S führen. Die klinischen Manifestationen unterscheiden sich nach dem Genotyp der Krankheit in • homozygote Sichelzellerkrankung (homozygotes HbS), • Sichelzellerkrankungen mit kombinierter Anomalie (heterozygotes HbS mit zusätzlicher Anomalie des Hämoglobins vom Typ der b-Thalassämie, HbC, HbD oder HbE), • Sichelzellanomalie (heterozygotes HbS). Die Prävalenz einer Sichelzellanomalie (heterozygote Konstellation) ist in Europa sehr unterschiedlich. Sie beträgt im Mittelmeerraum zwischen 1 und 13 %, in der Türkei und in Griechenland kann sie bis zu 30 % ansteigen. In Deutschland wird die Zahl der heterozygoten Sichelzellanomalien auf 30 000, die der an Sichelzellerkrankung leidenden Personen auf 800 bis 900 geschätzt. Die Prävalenz in der Schweiz ist unbekannt, dürfte aber ähnlich sein wie in
Sichelzellerkrankungen Deutschland. Die heterozygote Sichelzellanomalie führt nicht zu klinischen Manifestationen.
Pathophysiologie Hämoglobin S. Das Hämoglobin S, bedingt durch eine Punktmutation im b-Globin-Gen, unterscheidet sich vom normalen Hämoglobin A durch die Substitution einer Aminosäure in der b-Globin-Kette des Hämoglobins (Valin anstelle von Glutaminsäure). Deoxygeniertes HbS polymerisiert und führt zur Bildung von Sichelzellen der Erythrozyten. Die klinischen Folgen des Sichelzellphänomens sind vasookklusive Episoden, sog. „Sichelzellkrisen“, mit akuten Schmerzepisoden, akuten zerebrovaskulären Ereignissen, Retinopathie, akutem Thoraxsyndrom und Priapismus. Chronische Anämie. Eine chronische Hämolyse ist die Regel bei einer Sichelzellerkrankung. Die chronische Anämie kann sich akut im Rahmen einer aplastischen Krise, einer akuten Milzsequestration (akuter Hämoglobinabfall wegen Retention der Erythrozyten in der Milz bei vasookklusiver Episode) oder einer hämolytischen Krise verschlechtern. Andere Ursachen für einen unerwarteten Abfall des Hämoglobins sind inadäquate Erythropoetinproduktion (Niereninsuffizienz) oder zusätzlicher Mangel von Eisen, Folsäure oder Vitamin B12 (megaloblastäre Krise).
251
Typische Krankheitszeichen Das klinische Bild der Sichelzellerkrankung ist geprägt durch Sichelzellkrisen auf der Basis einer chronischen Anämie (Tab. 8.14). Die akute Verschlechterung des Zustands kann Folge sein • einer vasookklusiven Episode (Gelenk- und KnoBauchschmerzen, Thoraxchenschmerzen, schmerzen, Atemnot, Hemiparese, Aphasie, Krampfanfälle, Bewusstseinsstörungen), • einer aplastischen oder hämolytischen Krise (Verschlechterung der Anämiesymptome), • einer Krise mit Milzsequestration (hypovolämischer Schock), • eines akuten Infektes (Fieber, Schockzustand, Meningitis). Die Milzsequestration ist ein akutes lebensbedrohliches Ereignis, das vorwiegend bei Kleinkindern mit Sichelzellanämie (bis zu 5 Jahren) auftritt. Es handelt sich um eine vorübergehende Sequestration von Blutzellen in die Milz und manifestiert sich mit einer akut auftretenden Anämie, Hypovolämie und Schocksyndrom. Der Bauchumfang nimmt dann messbar zu.
Differenzialdiagnose
• • •
Appendizitis, Cholezystitis, Pankreatitis (akutes Schmerzsyndrom des Abdomens), Myokardinfarkt (akutes Thoraxsyndrom), akute Blutung (Milzsequestration).
Tabelle 8.14 Klinische Manifestationen akuter Komplikationen bei Sichelzellerkrankung. Typ Komplikation
Klinische Manifestation
Vasookklusive Episoden
• Schmerzepisoden • Chest-Syndrom • Zerebrales Syndrom • Diverse
diverse Schmerzlokalisationen: hufig Abdomen, Thorax Husten, Atemnot, respiratorische Insuffizienz TIA, Zeichen eines CVI, Visusverlust Priapismus
Aplastische Krise Hmolytische Krise
akute Anmiesymptome und -zeichen (s. S. 240 und Tab. 8.9, S. 241)
Sequestration Milz/Leber
akute Anmiesymptome und -zeichen, Schockzustand, Kreislaufversagen und Nierenversagen
Akuter Infekt
Symptome/Zeichen einer Septikmie, bakteriellen Meningitis etc.
CVI: cerebrovaskulrer Insult, TIA: transiente ischmische Attacke
252
8
Hmostase und Hmatologie
Notfallanamnese
Therapie
Zur Diagnose • Die Diagnose einer Sichelzellerkrankung ist bei Auftreten einer Sichelzellkrise des Patienten bekannt. Bei Bewusstseinsstörungen Familie oder Begleitperson befragen.
Therapie der Schmerzepisoden • Prinzip: rasche Schmerzfreiheit, danach Reduktion der Behandlung (und nicht langsame Steigerung der Schmerztherapie). • Opioide: Morphin, Fentanyl oder Hydromorphon. • Nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAR). • Hydrierung (oral oder i. v.). • Methylprednisolon: 15 mg/kg KG i. v. am 1. Tag, wiederholen am 2. Tag (EG-B). • Ggf. Behandlung eines akuten Infektes.
Zur Ätiologie • Schmerzlokalisation und -intensität, • vorhergehender Infekt, • Information über frühere „Krisen“ und deren Verlauf, • Information über auslösende Faktoren (Höhenexposition, Stress, Dehydrierung, Hypoxie).
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Dehydrierung, Fieber (Infekt), Bewusstseinsstörungen, neurologischer Ausfall, Koma (Sepsis, Meningitis, CVI), Schockzustand (Sepsis, Milzsequestration), akute Anämiesymptome (aplastische oder hämolytische Krise, Milzsequestration), Atemnot, respiratorische Insuffizienz (Thoraxsyndrom).
Diagnostik Laboranalysen, deren Resultat notfallmäßig zur Verfügung stehen muss • Großes Blutbild (Anämie), Retikulozytenzahl (gesteigert bei Hämolyse oder Milzsequestration, fehlend bei aplastischer Krise). • Blutausstrich (Sichelzellen) ( Abb. 8.19, Farbtafel XI). • Im Serum: Bilirubin (erhöht, vorwiegend indirektes), ALAT, ASAT, alkalische Phosphatase (normal), LDH (erhöht), Haptoglobin (fehlend). • Blutkulturen, Kulturen von anderen Materialen (Infektabklärung). • Type and Screen (Bestimmung der Blutgruppen und Suche nach irregulären Antikörpern, ersetzt die Verträglichkeitsprobe). Laboranalysen, deren Resultat später eintreffen kann • Quantifizierung des HbS (Steuerung des Blutaustausches, Transfusionen). Thoraxröntgenbild. Infekt, akutes Thoraxsyndrom.
Transfusionen • Transfusionen sind indiziert (EG-C) zur: – Verbesserung des Sauerstofftransportes bei aplastischer Krise, Milzsequestration oder hämolytischer Krise, – Verbesserung der rheologischen Verhältnisse zur Verhinderung oder Behandlung von vasookklusiven Episoden. • Hämoglobinwerte sollen 100 g/l nicht überschreiten (Risiko der Verschlechterung von vasookklusiven Episoden). • Bei akutem Thoraxsyndrom und akuten ZNSKomplikationen wird ein Blutaustausch einfachen Transfusionen vorgezogen: – entweder mittels Apherese oder manuellem Blutaustausch. – Partieller manueller Blutaustausch: Aderlass 500 ml, gefolgt von NaCl-Infusion 300 ml, erneuter Aderlass von 500 ml, dann Transfusion von 4 – 5 Einheiten Erythrozytenkonzentrat (EG-D). – Ziel: HbS < 30% und Hämoglobin 100 g/l. Akuter Infekt • Risiko besonders hoch bei Patienten mit Hyposplenismus oder nach Splenektomie. • Sofortige adäquate Antibiotikatherapie: – bakterielle Meningitis: S. pneumoniae und H. influenzae abdecken, – akutes Chest-Syndrom: S. pneumoniae, H. influenzae, Mycoplasma pneumoniae und Chlamydia pneumoniae abdecken.
Thrombotische Mikroangiopathien
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Kreislaufüberwachung (Hypotonie, Schock), Verlaufsparameter der Anämie (Hämoglobin) und der Hämolyse (Retikulozyten, evtl. LDH, Bilirubin).
Besondere Merkpunkte Schmerzangaben des Patienten immer ernst nehmen. Sie sind häufig Vorläufer von schweren vasookklusiven Episoden. Frühzeitige adäquate Behandlung kann einen schweren, tödlichen Verlauf verhindern.
8.12 Thrombotische Mikroangiopathien A. Tichelli, A. Gratwohl
Definition und Einteilung Thrombotische Mikroangiopathien sind akute Syndrome mit Thrombopenie, mikroangiopathischer Hämolyse und diversen Organmanifestationen. Mehrheitlich handelt es sich um erworbene Krankheitsbilder. Seltene familiäre Formen sind auch beschrieben. Sekundäre thrombotische Mikroangiopathien werden im Rahmen eines Tumors, eines HIVoder E.-coli-Infektes (type O157:H7), nach hämopoetischer Stammzelltransplantation, nach Arzneimitteln (Clopidogrel, Ciclosporin, Mitomycin C, Östrogene) oder im Rahmen einer Schwangerschaft beobachtet. Unter dem Begriff thrombotische Mikroangiopathien werden drei wahrscheinlich verwandte Krankheitsbilder zusammengefasst. • Die thrombotisch-thrombopenische Purpura (TTP, Moschcowitz-Syndrom) ist ein seltenes Krankheitsbild, gekennzeichnet durch 5 Leitsymptome: mikroangiopathische Hämolyse, megakaryozytäre Thrombopenie, Fieber, neurologische Ausfälle und akutes Nierenversagen. • Beim Kind charakterisiert sich die mikroangiopathische Hämolyse vorwiegend durch eine Niereninsuffizienz und wird als hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) bezeichnet. • Bei Frauen im 3. Trimenon der Schwangerschaft äußert sich die Krankheit als HELLP-Syndrom (he-
253
molysis, elevated liver tests, low platelets) häufig in Zusammenhang mit einer Präeklampsie. Ohne Behandlung liegt die Letalität von Patienten mit thrombotischen Mikroangiopathien bei 90%. Die Prognose ist wesentlich besser bei unverzüglicher Therapie.
Pathophysiologie VWF-Multimere. Die thrombotische Mikroangiopathie wird durch die Bildung von ungewöhnlich langen Von-Willebrand-Faktor-Multimeren (VWF) verursacht. Bei der TTP fehlt die normale plasmatische VWF-Cleaving-Protease, was zur Bildung der ultralangen VWF-Multimeren führt. Das Ausfallen dieser Protease kann vererbt sein oder durch die Entwicklung eines Autoantikörpers (Inhibitor gegen die Protease) verursacht sein. Beim HUS und HELLPSyndrom konnte das Fehlen der Protease nicht nachgewiesen werden. Thrombosen der Mikrozirkulation führen zu den Manifestationen wie neurologische Symptome, Nierenversagen, Mesenterialinfarkt etc. Somit besteht das widersprüchliche klinische Bild einer hämorrhagischen Diathese, verursacht durch eine Thrombopenie (Purpura) mit gleichzeitiger Thromboseneigung.
Typische Krankheitszeichen Die Symptome sind sehr vielfältig. Zu den Symptomen und Zeichen der Anämie und Thrombopenie (Tab. 8.9, S. 241) kommen Folgeerscheinungen von Mikrozirkulationsstörungen, Mikrothromben und Blutungen. • Häufig stehen neurologische Symptome im Vordergrund (Epilepsie, abnormes Verhalten, Paresen, Aphasie, progressives Koma). • Andere Symptome sind Fieber, Niereninsuffizienz, viszerale Mikroinfarkte mit Schmerzsymptomen (Operation für Appendizitis, Cholezystitis). • Beim HELLP-Syndrom besteht neben der Mikroangiopathie und Thrombopenie das Bild einer Präeklampsie mit Hypertonie, Proteinurie, Ödemen und Niereninsuffizienz.
Differenzialdiagnose
• •
Sepsis mit Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung). Cholezystitis, Appendizitis.
254
• •
Hmostase und Hmatologie
Immunthrombopenie, Evans-Syndrom (autoimmunhämolytische Anämie und ITP gleichzeitig). Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH).
•
Notfallanamnese Zur Diagnose • Zeitpunkt der ersten Symptome, • Blutungszeichen, Fieber, Schmerzen, Anämiesymptome.
8
Zur Ätiologie • Arzneimittelanamnese (Östrogene), Schwangerschaft, • maligne Erkrankung.
Notfalluntersuchung
• •
•
Klinik Inspektion. Fieber, neurologische Ausfälle, Ikterus, Hautblässe, Petechien.
•
Diagnostik Labor • Blutbild: Thrombopenie obligatorisch! Anämie. • Blutausstrich: Fragmentozyten obligatorisch ( Abb. 8.20, Farbtafel XII), Erythroblasten. • Retikulozyten: gesteigert wegen der Hämolyse. • Bilirubin (erhöht, besonders die indirekte Form), LDH (erhöht), Kreatinin und Harnstoff (Anstieg). • Coombs-Test negativ. • Gerinnungsstatus normal (keine disseminierte intravasale Gerinnung). • Urin: Proteinurie und Mikrohämaturie. • Bestimmung der plasmatischen VWF-CleavingProtease ADAMTS 13 und Suche nach Inhibitoren gegen die Protease (Resultat für den Beginn der Behandlung nicht abwarten).
Therapie Das Ziel der Behandlung ist, fehlende Faktoren (Protease, enthalten im FFP) zu ersetzen und Autoantikörper (Inhibitoren) zu eliminieren. Dies gelingt mittels Plasmaaustausch und Ersatz des ausgetauschten Plasmas durch FFP. • Plasmaaustausch mit FFP-Ersatz: Therapie der Wahl. Vorgehen: 3 – 5 l/d mit 100%igem FFP-Er-
•
satz. Zuerst täglich und dann je nach klinischem Verlauf 3-wöchentlich wiederholen (EG-A). Infusion von Frischplasma (FFP): Falls ein Plasmaaustausch nicht sofort eingeleitet werden kann, muss mit Infusion von Frischplasma gestartet werden. Beginn mit 30 ml/kg KG/d FFP, d. h. bei einem Erwachsenen 1500 – 3000 ml/d (EG-A). Limitierender Faktor: Niereninsuffizienz mit Oligurie. Sie führt rasch zu einer Volumenüberlastung. Vollblutaustausch: Wenn kein Apheresegerät zur Verfügung steht, kann ein Vollblutaustausch von 2 – 3 l mit FFP- und Erythrozytenersatz durchgeführt werden (EG-D). Thrombozytenaggregationshemmung mittels 100 mg/d Azetylsalizylsäure p. o. ist bei chronischer TTP notwendig. In der Akutphase wird häufig bis zur Verbesserung der Thrombozytenzahl wegen des Risikos einer Blutung darauf verzichtet (EG-C). Beim HELLP-Syndrom: Einleitung der Geburt. Falls keine Besserung, gleiche Behandlung wie bei TTP/HUS (EG-D). Thrombozytentransfusion: Im Prinzip nur bei lebensbedrohlichen Blutungen, da die transfundierten Thrombozyten unmittelbar verbraucht werden und potenziell zu Thrombosen führen können (EG-D). Andere Therapien: Die Effektivität einer Behandlung mit Prednison, Vincristin, Cyclophosphamid, hoch dosierten Immunglobulinen sowie Splenektomie ist nicht bewiesen. Diese Arzneimittel und Maßnahmen gehören nicht zur Notfallbehandlung der TTP/HUS.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Die besten Verlaufsparameter sind Thrombozytenzahl, Fragmentozyten und LDH. Eine Verschlechterung der klinischen Symptome (neurologische Ausfälle) oder der Niereninsuffizienz muss als Progredienz betrachtet werden. Eine klinische Verbesserung tritt hingegen nur sehr langsam auf.
Besondere Merkpunkte Mikroangiopathische Hämolysen können zu jeder Zeit rezidivieren. Bei frühzeitigem Erkennen kann gelegentlich der Verlauf der Krankheit durch frühes Wiedereinsetzen einer Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern (s. o.) korrigiert werden (EG-C).
Hyperviskosittssyndrom
8.13 Hyperviskositätssyndrom A. Gratwohl, A. Tichelli
• • •
255
Hyperleukozytose (> 100 × 109/l), bekannte Grundkrankheit Typ Morbus Waldenström, multiples Myelom, Leukämie, Polycythaemia vera. Die Hyperkalzämie bei multiplem Myelom kann sich ähnlich präsentieren.
Definition und Einteilung Symptome und klinische Zeichen bei Beeinträchtigung der Fließeigenschaften des Vollblutes oder des Plasmas. Sie können bedingt sein durch eine erhöhte Zahl der Erythrozyten (Polyglobulie), der Leukozyten (Leukostasesyndrom) oder durch eine hohe Menge zirkulierender Paraproteine. Die häufigsten Ursachen eines Hyperviskositätssyndroms sind Paraproteinämien im Rahmen eines Morbus Waldenström (IgM) oder eines multiplen Myeloms (IgG oder IgA). Gemessen werden die Vollblutviskosität und die Plasmaviskosität.
Pathophysiologie Das Hyperviskositätssyndrom entsteht durch veränderte rheologische Eigenschaften des Blutes. Die verminderte Fließgeschwindigkeit führt zu einer gestörten Mikrozirkulation mit Stase und lokaler Hypoxie. Eine gestörte Plättchenfunktion kann zusätzlich zu Blutungen führen.
Typische Krankheitszeichen Unspezifisch. Verminderte Leistungsfähigkeit, Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Schwäche, neurologische Störungen (Kopfschmerzen, Schwindel, Verwirrtheit, Somnolenz, Koma, Nystagmus, Hörverlust, Sehstörungen). Bei Hyperleukozytose (arbiträr definiert als eine Leukozytose über 100 × 109/l) kann ein Priapismus auftreten. Charakteristisch. Veränderung des Augenfundus mit Venenstauungen, Blutungen, Exsudaten und unscharfen Papillen.
Differenzialdiagnose Sehr breit, da spezifische Krankheitszeichen fehlen. An ein Hyperviskositätssyndrom muss gedacht werden bei einem der folgenden Merkmale: • typische Augenfundusveränderungen, • hohes Serumprotein (Protein > 100 g/l), • Geldrollenbildung im Blutausstrich, • Polyglobulie (Hämatokrit > 60%),
Notfallanamnese
• • •
Erstmanifestation oder Ausdruck einer bekannten Grundkrankheit (s. o.)? Hinweise für Blutungen, Sehstörungen, Kopfschmerzen? Immer Angehörige fragen: Hinweise auf Wesensveränderungen?
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Untersuchung des Augenfundus (Venenstauung, Exsudate, Blutungen, unscharfe Papillen) ( Abb. 8.21, Farbtafel XIII). Hepatomegalie, Splenomegalie, Lymphadenopathie (Hinweise für Lymphom, Leukämie, Polycythaemia vera). Schleimhautblutungen.
Diagnostik Labor • Blutbild, Retikulozyten (Polyglobulie, Leukozytose), Geldrollenbildung bei Paraproteinämie ( Abb. 8.22, Farbtafel XIII). • Chemogramm (Kreatinin, Harnsäure, LDH), Kalzium. • Gesamteiweiß, Globuline (erhöht), Einweißelektrophorese mit Immunfixation (immer bestimmen vor Plasmaaustausch). • Blutgruppe, Type and Screen (Bestimmung der Blutgruppen und Suche von irregulären Antikörpern, ersetzt die Verträglichkeitsprobe). • Beachte: keine Bestimmung der Plasma- oder Vollblutviskosität. Die Laboruntersuchung ist speziellen Labors für spezifische Fragestellungen vorbehalten und ist keine Routineuntersuchung. Die Klinik gibt die besseren Verlaufsparameter ab.
256
Hmostase und Hmatologie
Therapie
•
8
Hängt ab von der Ursache des Hyperviskositätssyndroms. • Immer Hydrierung mit Infusion von 3 l NaCl 0,9%/Glukose 5% (1 : 1) in 24 h (EG-D). • Allopurinol 300 mg i. v. oder 2 × 300 mg p. o. (EG-D) (Vorbereitung der Zytostatikatherapie, die zu einer Zelllyse führen wird). Ggf. Reduktion der Dosis bei Niereninsuffizienz (s. S. 637). • Bei Polyglobulie: Aderlass von 500 ml, Ersatz mit 300 ml NaCl 0,9% i. v. Anstelle der Aderlasstherapie kann eine Erythrozytenapherese durchgeführt werden. Zielhämatokrit < 45% (EG-D). • Bei Hyperleukozytose: Hydroxyurea 2 g/d p. o. (EG-D) (selten notfallmäßig Leukapherese). • Bei symptomatischer Hyperviskosität durch Paraproteinämie: Plasmapherese (EG-D). Das Hyperviskositätssyndrom ist immer eine Notfallsituation. Die genannten Maßnahmen müssen deshalb unverzüglich eingeleitet werden. Diese Notfallmaßnahmen behandeln aber nicht die Ursache der Hyperviskosität. Die Therapie der Grundkrankheit soll deshalb rasch eingeleitet werden.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • • • • •
Überwachung neurologisch, Kreislauf und Urinausscheidung, Plasmaviskosität (bei Paraproteinämie), Gesamtproteine, Globuline, M-Gradient im Serum (bei Paraproteinämie), Hämatokrit bei Polycythaemia vera, Leukozytenzahl bei Leukämie, Kontrolle Augenfundus, gezielte Behandlung der Grundkrankheit nach korrekter Diagnose.
Besondere Merkpunkte Besondere Vorsicht ist geboten, wenn wegen ausgeprägter Anämie bei erhöhter Plasmaviskosität oder Leukostase Erythrozytentransfusionen notwendig sind. Durch rasche Transfusion können die Vollblutviskosität akut erhöht und Symptome provoziert werden. Erythrozyten nur langsam transfundieren, wenn möglich erst nach Plasmaaustausch oder nach Beginn der Hyperviskositätstherapie.
8.14 Primäre Thrombozytose A. Tichelli, A. Gratwohl
Definition und Einteilung Die normale Thrombozytenzahl liegt zwischen 150 und 450 × 109/l. Eine Thrombozytose wird arbiträr definiert, wenn die Werte über 500 × 109/l sind. Die primäre Thrombozytose ist charakterisiert durch eine abnorm hohe Thrombozytenzahl, verursacht durch ein myeloproliferatives Syndrom (MPS). Die primäre (klonale) Thrombozytose grenzt sich von den reaktiven Thrombozytosen ab (Tab. 8.15).
Pathophysiologie Die Differenzierung zwischen klonaler und reaktiver Thrombozytose ist oft schwierig, aber von klinischer Relevanz. Reaktive Thrombozytosen haben normale Thrombozyten und führen deshalb selten zu Blutungen (3%) und Thrombosen (1%). Die Ursache muss aber gesucht und wenn möglich behandelt werden. Die klonale Thrombozytose im Rahmen eines MPS führt häufig zu thromboembolischen Komplikationen und/oder zu Blutungen. Der Nachweis einer JAK-2-Mutation ist für ein MPS beweisend, ein negativer Befund schließt aber eine klonale Thrombozytose nicht aus.
Typische Krankheitszeichen Im Vordergrund stehen vaskuläre Komplikationen (Blutungen und Thrombosen). • Besonders gefürchtet sind Thrombosen der zerebralen, der Augen- und/oder peripheren Mikrozirkulation, die zu Wesensveränderung, Konzentrationsschwäche, Koma, Amblyopie und akralen Ischämien führen. • Hämorrhagische Diathese mit diffusen Schleimhautblutungen im Hals-Nasen-Bereich, gastrointestinal oder genital. • Bei kleinen chirurgischen Eingriffen oder Zahnbehandlungen können schwer stillbare Blutungen auftreten.
Primre Thrombozytose
Tabelle 8.15 Differenzialdiagnose Thrombozytose.
der
primren
Notfallanamnese
Primäre Thrombozytose
Reaktive Thrombozytose
•
Essenzielle Thrombozythmie Polycythaemia vera Chronisch myeloische Leukmie primre Myelofibrose im zellreichen Stadium Gewisse myelodysplastische Syndrome
• Entzndung
•
– rheumatische Arthritis – Periarteriitis nodosa – Morbus Wegener – ulzerçse Kolitis – Sarkoidose – Osteomyelitis – Morbus Crohn
• Infekt • Zellzerfall – – – –
Pankreatitis Myokardinfarkt Verbrennungen postoperativ/ posttraumatisch
• akute Blutung • hmolytische Anmie • Eisenmangel • maligne Erkrankung – – – –
Karzinom Morbus Hodgkin maligne Lymphome pleurales Mesotheliom
• Regeneration
– nach Chemotherapie – Alkoholentzug – Behandlung eines Vitamin-B12-Mangels
• Splenektomie/
Hyposplenismus
Differenzialdiagnose
• • •
Prinzipiell muss die primäre von der reaktiven Thrombozytose unterschieden werden (Tab. 8.15). Eine chronische Thrombozytose kann die Erstmanifestation eines soliden Tumors sein. Bestimmte myelodysplastische Syndrome (MDS) können mit Thrombozytose assoziiert sein: MDS mit der chromosomalen Anomalie Deletion 5 q (del(5 q)) und die refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten und Thrombozytose.
257
• •
Spontane Blutungen, schwer stillbare Blutungen bei kleinen Eingriffen. Ungewöhnliche Kopfschmerzen, Schwindel, Visusstörungen. Raynaud-Phänomen, akrale Schmerzen, Erythromelalgie (brennender Schmerz der Hände oder Füße mit Erythem und Überwärmung der Haut). Zum Ausschluss einer reaktiven Thrombozytose: Splenektomie? Chronische Entzündung? maligne Erkrankung?, Trauma?, chirurgischer Eingriff?
Notfalluntersuchung Klinik Neurologische Ausfälle, Mikrothromben und Blutungen im Augenfundus, akrale Ischämie, Schleimhautblutungen.
Diagnostik Labor • Blutbild: Thrombozytose; Zeichen eines MPS wie Leukozytose, Polyglobulie, Basophilie, Erythroblasten, Megakaryozytenkernreste, Tränenformen und Anisozytose der Thrombozyten; Zeichen der Splenektomie bzw. des Hyposplenismus wie Howell-Jolly-Körperchen (Kernreste im Erythrozyten). • Chemogramm: LDH erhöht bei MPS. • CRP, Fibrinogen: Entzündungszeichen als Hinweis einer reaktiven Thrombozytose. • Eisenstatus: Eisenmangel führt zu sekundärer Thrombozytose, kann aber auch Folge chronischer Blutungen bei MPS sein. • Knochenmarkpunktion nicht notfallmäßig! Absprache mit Hämatologen für detaillierte Diagnostik!
Therapie
•
Thrombozytenaggregationshemmer: Azetylsalizylsäure 100 mg/d p. o. – Absolute Indikation: zerebrale, ophthalmische oder akrale Ischämie durch Mikrozirkulationsstörung. – Kontraindikation: akute oder chronische Blutungen.
258
• •
•
8
• • •
•
Hmostase und Hmatologie
Hydroxyurea: Start mit 2 – 3 g/d p. o. (20 – 30 mg/ kg KG/d p. o.). Die Wirkung der Behandlung manifestiert sich nach 1 – 2 Wochen (EG-A) oder Anagrelid (EG-C): anstelle von Hydroxyurea, besonders bei Patienten < 60 Jahre ohne kardiovaskuläre Probleme. Start mit 1,5 – 2 mg/d p. o. verteilt auf 3 Tagesdosen. Die Wirkung der Behandlung manifestiert sich nach 1 – 2 Wochen. Einstellung mit Hydroxyurea oder Anagrelid nach Blutwerten (Zielwert der Thrombozyten 150 – 400 × 109/l, Leukozyten ‡ 3,5 × 109/l und keine therapieinduzierte, transfusionsbedürftige Anämie). Allopurinol 300 mg/d p. o. (EG-B) (aufgrund des erhöhten Risikos einer Gicht). Bei bedrohlichen Thrombosen oder Blutungssymptomen evtl. therapeutische Pherese (EG-D). Bei erhöhtem Hämatokrit: täglich Aderlass 350 – 500 ml mit Ersatz von 200 – 300 ml NaCl 0,9%, bis Hämatokrit < 45%. Bei älteren Patienten mit instabilen Kreislaufverhältnissen: Aderlass von 200 – 250 ml. Bei Patienten mit zerebralen Zirkulationsstörungen und einem Hämatokrit > 55% kann eine Erythrozytenapherese durchgeführt werden (raschere Normalisierung des Hämatokrits). Indikationen zur Antikoagulation: wie für Patienten ohne myeloproliferatives Syndrom.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
•
Klinische Verlaufsparameter sind die ischämischen Symptome (neurologisch, akral, ophthalmisch). Sie können sich nach Beginn mit Aggregationshemmern (Azetylsalizylsäure) dramatisch verbessern. Labor: Thrombozytenzahl.
Besondere Merkpunkte Keine Splenektomie, da die Thrombozytenzahl nach Splenektomie noch mehr ansteigt und oft sehr schwierig zu kontrollieren ist.
8.15 Leukämien A. Gratwohl, A. Tichelli
Definition und Einteilung Myeloische und lymphatische Leukämien. Der Begriff Leukämie (weißes Blut) steht für maligne Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzelle in ihrem Vorläuferkompartiment. Sie werden nach WHO in myeloische und lymphatische Leukämien und deren Untergruppen eingeteilt (Tab. 8.16). Akute und chronische Leukämien. Akute Leukämien entsprechen dabei undifferenzierten Malignomen mit fehlender oder nur minimaler Ausreifung, charakterisiert durch eine Vermehrung unreifer Vorläuferzellen (Blasten). Chronische Leukämien sind differenzierte Malignome mit initial normaler Ausdifferenzierung bis zur reifen Endzelle.
Pathophysiologie Leukämien entstehen durch Veränderung eines für die Zellproliferation und oder die Zelldifferenzierung wichtigen Gens, hervorgerufen durch chromosomale Translokation, Deletion, Inversion oder Mutation in einer hämatopoetischen Stammzelle oder Vorläuferzelle. Diese Zelle kann dadurch unkontrolliert durch normale Regelmechanismen monoklonal proliferieren. Meist ist damit zusätzlich eine Hemmung der normalen Hämatopoese verbunden.
Typische Krankheitszeichen Symptome und klinische Zeichen der Leukämien werden verursacht durch das Fehlen der normalen Blutbildung (Anämie, Thrombopenie, Neutropenie) (Tab. 8.9, S. 241), durch die Organomegalie des malignen Tumors (Tab. 8.13, S. 247) und durch die Gerinnungsstörungen (Blutungen, Thrombosen). Häufigkeit und Ausmaß der Symptome sind individuell und bei den einzelnen Leukämieformen unterschiedlich. Sie können Hinweise auf die Art der Leukämie geben. Ausgedehnte flächenförmige Blutungen sind verdächtig auf eine disseminierte intravasale Gerinnung, wie sie bei der akuten Promyelozytenleukämie mit PML/RARa (Fusionsgen, das einer Translokation t(15;17) entspricht) vorkommt.
Leukmien
259
Tabelle 8.16 Einteilung der Leukmien (adaptiert nach WHO). Myeloische Leukämien
Lymphatische Leukämien
Akute Leukmien
Akute myeloische Leukämie (AML) • mit spezifischer Zytogenetik, z. B. akute Promyelozytenleukmie mit PML/RARa • mit Multilineage-Dysplasie • sekundr nach Zytostatika • nicht nher charakterisiert
Akute lymphatische Leukämie (ALL) • der B-Zellreihe • der T-Zellreihe
Chronische Leukmien
Chronisch myeloproliferative Neoplasie • chronisch myeloische Leukmie mit t(9;22) • Polycythaemia vera • essenzielle Thrombozytose • primre Myelofibrose
Chronisch lymphatische Leukämie (CLL) • der B-Zellreihe • der T-Zellreihe • T-large-granular-lymphocyteLeukmie (T-LGL)
Andere
Myelodysplastisch/myeloproliferative Neoplasie • chronisch myelomonozytre Leukmie Myelodysplastisches Syndrom • refraktre Anmie • refraktre Anmie mit Sideroblasten • refraktre Zytopenie mit MultilineageDysplasie • refraktre Anmie mit Blastenexzess Typ I/II
• Haarzellleukmie • Szary-Syndrom
Nach: WHO classification of tumors; tumors of hematopoetic and lymphoid tissue. IARC Press, Lyon 2001
Differenzialdiagnose
Notfalluntersuchung
Die Differenzialdiagnose ist bei Vorliegen aller Zeichen (Zytopenie und Organomegalie) relativ eng. Infrage kommen paraneoplastische Krankheitsbilder bei solidem Tumor, virale hämorrhagische Erkrankungen oder eine aplastische Anämie (keine Organomegalie).
Klinik
Notfallanamnese Zur Diagnose • Erstmanifestation oder Rezidiv einer schon bekannten Leukämie. Zur Ätiologie • Familienanamnese, Strahlenexposition, Benzolexposition, frühere Behandlung mit Zytostatika (sekundäre akute Leukämie).
• • • •
Untersuchung auf Anämie: Blässe (Haut, Schleimhaut), Tachykardie. Hämorrhagische Diathese: nur Petechien (Haut, Schleimhaut, Fundus), ausgedehnte Hämatome (akute Promyelozytenleukämie mit PML/RARa). Infekt: oral, anal (Ulzera, nekrotische Tonsillitis), Pneumonie. Organomegalie: Haut, Schleimhaut, Gingiva ( Abb. 8.23, Farbtafel XIII), Lymphknotenstationen, Leber, Milz, Hyperviskositätszeichen (Fundus), Priapismus.
Diagnostik Labor • Großes Blutbild ( Abb. 8.24, Farbtafel XIV) mit Handdifferenzierung, Retikulozyten, Thrombo-
260
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8
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Hmostase und Hmatologie
zyten (Diagnose der Leukämie; Anhaltspunkt für Substitutionsbedarf). Gerinnungsstatus mit Fibrinogen und Spaltprodukten (disseminierte intravasale Gerinnung? akute Promyelozytenleukämie mit PML/RARa?), Afibrinogenämie (monozytäre Leukämien)? Substitutionsbedarf? Chemogramm (Kreatinin, Harnsäure), Nierenfunktion beeinträchtigt? Blutgruppe, Testserum, Erythrozytenantigene (vor erster Bluttransfusion!); wichtig für spätere Transfusionspolitik. Bei Fieber: Blutkulturen (Keimidentifikation). Knochenmarkpunktion nicht notfallmäßig, absprechen mit Hämatologen für detaillierte Diagnostik.
Therapie In der Notfallmedizin stehen die Behandlung von Komplikationen bis zur Einleitung der spezifischen Therapie und das Erkennen von speziellen Leukämieformen, wie z. B. der Promyelozytenleukämie mit PML/RARa im Vordergrund. Für alle Formen gilt:
Weitere Maßnahmen (EG-B)
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Kontaktaufnahme mit Hämatologen für Knochenmarkpunktion, Verlegung an Zentrum. Bei disseminierter intravasaler Gerinnung (s. S. 228): 6-stündlich 2 frisch gefrorene Plasmaeinheiten (FFP), Heparin diskutieren, Kontaktaufnahme mit Hämatologen wegen Frage, ob eine akute Promyelozytenleukämie mit PML/RARa vorliegt. Bei Defibrinierung Substitution mit 6-stündlich 2 frisch gefrorenen Plasmaeinheiten (FFP) oder Fibrinogen 3 × 1 g/d. Bei Verdacht auf PML/RARa-Variante notfallmäßige Verlegung an spezialisiertes Zentrum. Eine DIC kann fulminant verlaufen. Beginn mit All-trans-Retinsäure (ATRA) 45 mg/m2/d p. o. Sicherstellen adäquater und kompletter Diagnostik vor Beginn der zytostatischen Therapie. Bei Priapismus ist ein interdisziplinäres Vorgehen mit Urologen und Radioonkologen erforderlich. Erste Maßnahmen sind Schmerzbekämpfung (Opiate), Hydrierung, Leukapherese und Zytoreduktion mit Hydroxyurea 2 g/d p. o. Lokale Bestrahlung erwägen, keine primär chirurgische Intervention (EG-D).
Notfallmanagement
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Hydrierung mit 3 l Infusion (NaCl 0,9%/Glukose 5 % 1 : 1) pro 24 h (EG-C). Harnsäuresenkung mit Allopurinol (2 × 300 mg p. o.) oder Rasburicase 0,2 mg/kg KG/d in 50 ml NaCl 0,9% über 30 min (EG-B). Bei symptomatischer Anämie: Transfusion von 2 filtrierten bestrahlten Erythrozytenkonzentraten (EG-B). Bei hämorrhagischer Diathese und Thrombozytenwerten unter 10 – 20 × 109/l Ersatz mit Thrombozytentransfusionen (Blutprodukte filtriert oder CMV-negativ) (EG-A). Bei Fieber und Neutropenie: Blutkulturen abnehmen und Beginn mit Breitspektrumantibiotika (s. S. 270). Bei symptomatischer Organomegalie: Vorgehen abhängig von betroffenem Organ. Bei Hyperleukozytosesyndrom: s. S. 256. Bei klinischer lokaler Kompression (Luftwege, Speiseröhre, abheilende Harnwege): lokale Bestrahlung diskutieren, Leukapherese, Therapie mit Hydroxyurea 2 g p. o. (EG-C).
Besondere Merkpunkte
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Die Konfrontation mit der möglichen Diagnose „Leukämie“ bedeutet für den Patienten immer eine persönliche Katastrophe und ändert den Lebensablauf sofort. Daher im Gespräch darauf eingehen und offene Antworten auf alle Fragen geben. Darauf hinweisen, dass die vermutete Diagnose ernst ist, dass heute aber therapeutische Möglichkeiten bestehen. Gleiche Informationen an Patient und Angehörige. Cave! Keine Transfusionen von Familienmitgliedern; dies könnte spätere Knochenmarktransplantation erschweren (Sensibilisierung und erhöhte Abstoßungsgefahr)! Gezielte antileukämische Behandlung nur nach korrekter Diagnose und durch erfahrenen Hämatologen an für diese Behandlung eingerichteten Zentren.
Notflle nach Stammzelltransplantation
8.16 Notfälle nach Stammzelltransplantation A. Gratwohl, A. Tichelli
Definition und Einteilung Das Kapitel befasst sich mit Komplikationen nach Transplantation hämatopoetischer Stammzellen. Nach Stammzellquelle und Spendertyp unterscheiden wir: • Stammzellquelle: – Knochenmark: Knochenmarktransplantation, – peripheres Blut: periphere Stammzelltransplantation, – Nabelschnurblut: Nabelschnurbluttransplantation. • Spendertyp: – Patient selbst: autologe Transplantation, – Geschwister/Familie: allogene Familientransplantation, – Fremdspender: allogene Fremdspendertransplantation. Früh- und Spätkomplikationen. An Komplikationen unterscheiden wir zwischen Frühkomplikationen (bis Tag + 100 nach Stammzelltransplantation) und Spätkomplikationen. Frühkomplikationen werden hier nicht behandelt, sie treten praktisch immer während der Behandlungsphase im Zentrum auf.
Pathophysiologie Spätkomplikationen nach Stammzelltransplantation können durch unterschiedliche Mechanismen bedingt sein, isoliert oder kombiniert auftreten. Es gilt zu berücksichtigen: • Grundkrankheit: – vorbestehende Organschädigungen durch Krankheit, – Folgen der früheren Therapie (z. B. Kardiotoxizität, Lungenfibrose etc.), – Rezidiv. • Konditionierung (vorbereitende Chemo-/Strahlentherapie vor Transplantation): – Organtoxizität: fibrosierende Alveolitis, Kardiomyopathie, Hepatopathie, Katarakt, – endokrin: Sterilität, Hypothyreose, Nebenniereninsuffizienz. • Immunologisch: – Abstoßung (bei nichtidentischer Transplantation, nach niedrig intensiver Konditionierung),
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261
– erworbene Immunschwäche (unvollständige Erholung der Immunantwort), – akute oder chronische Graft-versus-HostKrankheit bei allogener Transplantation (Graftversus-Host-Krankheit: Abstoßung des Empfängers durch das neue transplantierte Immunsystem). Medikamentös: – Immunsuppressiva: Infekt, Niereninsuffizienz, epileptischer Anfall (Mg++ fl), – Antibiotika. Psychosozial: – Suizidversuch, Depression (Cave! Noncompliance!).
Typische Krankheitszeichen Die typischen Krankheitszeichen, die zu einer Notfallsituation führen können, sind abhängig von der Art der Komplikation. • Infektionen: Patienten nach Stammzelltransplantation bleiben anfällig für bakterielle, virale, Pilzoder parasitäre Infektionen, begünstigt durch chronische Graft-versus-Host-Krankheit und Behandlung mit Ciclosporin und Steroiden. Im Vordergrund stehen Fieber und Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Besonders gedacht werden muss in dieser Situation an: – Pneumokokkensepsis (seltener Hämophilus) nach Splenektomie, – disseminierter Varizella-Zoster-Virus-Infekt (VZV), – Aspergillus fumigatus (Lunge, Nasennebenhöhlen), – Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie. • Pulmonale Spätkomplikationen: – interstitielle Pneumonie (CMV, VZV, Pneumocystis jiroveci), – Bronchiolitis obliterans (Form der chronischen Graft-versus-Host-Krankheit). • Kutane Spätkomplikationen: – Exazerbation einer akuten oder chronischen Graft-versus-Host-Krankheit (Ursachen: Absetzen/Reduktion der Immunsuppression, fehlende Compliance): makulopapulöses Exanthem, stammbetont ( Abb. 8.25, Farbtafel XIV), an Hand- und Fußinnenflächen, – toxisch-allergische Reaktionen auf Arzneimittel, – Infektionen (Varizella-Zoster-Infekt), – Vaskulitiden, – Tumor: sekundär Hauttumor (Basaliom), Rezidiv (granulozytäres Sarkom).
262
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Hmostase und Hmatologie
Durchfall: – Exazerbation einer akuten oder chronischen Graft-versus-Host-Krankheit, – bakterielle oder virale Infektionen (Clostridium difficile bei Patienten mit Antibiotikatherapie, CMV, VZV, Rotaviren), – medikamentös-toxisch (z. B. verursacht durch orale Magnesiumsubstitution!). Endokrin: – Osteoporose: Spontanfraktur, – Diabetes mellitus: Hyperglykämie, – Hypo-, seltener Hyperthyreose, – Nebennierenrindeninsuffizienz (selten).
8 Notfallanamnese Zur Diagnose • Zeitpunkt und Art der Stammzelltransplantation? • Arzneimittelanamnese (aktuelle und letzte Änderung). • Frühere Komplikationen nach der Stammzelltransplantation? • Impfanamnese (Streptococcus pneumoniae?) • Z. n. Splenektomie (Streptococcus pneumoniae?) • Zuständiges Transplantationszentrum? • Fremdanamnese (Familienangehörige) über akute psychosoziale Ereignisse, Compliance.
Kardiopulmonal • Kreislaufsituation? Schock? • Hinweise für pulmonale Affektion?
Diagnostik Abhängig von Art der Komplikation. Labor • Ganzes Blutbild mit Handdifferenzierung: Zytopenie? Toxische Veränderungen? Rezidiv? Kernreste? (Splenektomie, funktionelle Asplenie). • Chemogramm: Niereninsuffizienz? Graft-versusHost-Krankheit der Leber (Bilirubin, g-GT ›). • Immunsuppressivaspiegel. • Bei Infektionsverdacht: Blutkulturen, Untersuchungen lokaler Befunde auf Bakteriologie, Pilze, Viren (Kultur von Bläscheninhalt bei Verdacht auf VZV). • Beachte: Es gibt keinen spezifischen Graft-versusHost-Krankheitstest. Synthese der Befunde: Haut (Schleimhaut), Leber, Darm. Biopsie (Haut, Leber, Darm) erwägen (Rücksprache mit Transplantationszentrum).
Therapie Notfallmanagement
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Notfalluntersuchung Klinik Haut • Arzneimitteleinnahme? Cushing-Gesicht (Prednison?), Hirsutismus (Ciclosporin?). • Akute Graft-versus-Host-Krankheit? Makulopapulöses Exanthem ( Abb. 8.25, Farbtafel XIV): Stamm, Hand-, Fußinnenflächen, Gesicht; Ikterus; Dehydratation bei Durchfall. • Chronische Graft-versus-Host-Krankheit? Lichenoides, schuppendes Exanthem; sklerodermiforme Fibrosierung; Enanthem (Mundhöhle, Vagina); Ikterus. • Hämorrhagische Diathese? Petechien, großflächige Hämatome, akrale Läsionen (Streptococcus pneumoniae). • Infektzeichen? Septische Herde (Streptococcus pneumoniae, Pilze); Bläschen (Varizellen); Soor (Candida); • Splenektomienarbe? Pneumokokkensepsis!
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Bei Verdacht auf Infektion: Blutkulturen abnehmen, Patienten als immunkompromittiert betrachten (s. S. 260) und Beginn mit Antibiotika: Amikacin und Cefepim oder Amoxicillin mit Clavulansäure i. v. (EG-A) (Pneumokokkensepsis!). Erste Maßnahme bei Splenektomierten mit Fieber! Bei Verdacht auf Exazerbation einer Graft-versus-Host-Krankheit, v. a. bei gastrointestinaler Lokalisation: Gabe der bisherigen Immunsuppression i. v. Richtgrößen: Methylprednisolon 2 mg/kg KG i. v., Ciclosporin 3 mg/kg KG als Infusion. Supportive Maßnahmen, abhängig von Art der Komplikation. Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Transplantationszentrum.
263
9 Infektionskrankheiten
Übersicht 9 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10 9.11 9.12 9.13 9.14 9.15 9.16 9.17 9.18 9.19 9.20 9.21 9.22 9.23
9.24 9.25 9.26 9.27
Infektionskrankheiten Fieber und Exanthem Sepsis Fieber bei Immunkompromittierten Fieber bei Drogenabhängigen Osteomyelitis und infektiöse Spondylodiszitis Schwere Hautinfektionen Nekrotisierende Weichteilinfektionen Infektionen nach Bissverletzungen Infektionen nach Zeckenstich Tetanus Botulismus Tollwut Malaria Pneumonie Tuberkulose Fokale intrakranielle Infektionen Akute bakterielle Meningitis Tuberkulöse Meningitis Akute lymphozytäre Meningitis Spinaler epiduraler Abszess Infektiöse Durchfälle Isolationsmaßnahmen Akzidentelle Stichverletzung und Kontamination durch potenziell infektiöse Körperflüssigkeiten Virale hämorrhagische Fieber (VHF) Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten Inkubationszeiten wichtiger Infektionen Meldepflichtige Infektionskrankheiten
9.1
Fieber und Exanthem W. Zimmerli
Definition und Einteilung Patienten, die akut an Fieber und einem Exanthem erkranken, werden in der Regel initial vom Internisten beurteilt. Gelegentlich ist der Hautbefund diskret im Verhältnis zum gestörten Allgemeinzustand. Da das Exanthem der Schlüssel zur systemischen Infektion des Patienten sein kann, ist die aktive Suche von Hautläsionen von großer Bedeutung. Infektiologisch wichtige Hautläsionen sind: • Makulöses Exanthem: flache, nicht palpable Läsionen, • papulöses Exanthem: bis maximal 1 cm große, erhabene, palpable Läsionen, • noduläre Läsionen: über 1 cm große, palpable Läsionen, • diffuses Erythem: Rötung, • Purpura: Überbegriff für Hautblutungen als Folge von Thrombopenie oder Thrombopathie, • Petechien: punktförmige Blutungen, • Ekchymosen/Suffusionen: großflächige Blutungen, • Vaskulitisläsion: palpable Purpura als Folge einer lokalisierten Blutung oder Nekrose durch Gefäßentzündung, • Vesikel, Bulla: kleine (bis ca. 1 cm) bzw. große Blase mit seröser Flüssigkeit, • Pustel: palpable Läsion mit Eiter, • Enanthem: Schleimhautläsionen (Petechien, Vesikel usw.).
Pathophysiologie Das Exanthem entsteht durch den systemischen Effekt von Mikroorganismen oder deren Toxine an der Haut:
264
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Infektionskrankheiten
Direkte Vermehrung der Mikroorganismen in der Haut: z. B. Herpes-simplex-Virus (HSV), VaricellaZoster-Virus (VZV), b-hämolysierende Streptokokken, tuberkulöse und nicht tuberkulöse Mykobakterien, Borrelia burgdorferi, Candida. Freisetzung von Toxinen, die auf die Haut wirken: z. B. Scharlach- oder Staphylokokkentoxine. Wirkung auf die Gefäße: Vasodilatation, z. B. unspezifisch bei Sepsis; Gefäßverschluss, z. B. bei disseminierter intravasaler Gerinnung (DIC) bei Sepsis; Vaskulitis bei Endokarditis.
Differenzialdiagnose
9
Für die Differenzialdiagnose ist es einerseits notwendig, die typischen Hautläsionen der einzelnen systemischen Infektionen zu kennen und anderseits, die zusätzlichen Krankheitszeichen der entsprechenden Infektionen zu suchen. Hautläsionen und Erreger. Entscheidend sind die Art des Exanthems, dessen Verteilung und das zeitliche Auftreten in Bezug auf das Fieber. Die folgende Differenzialdiagnose teilt die Erreger bzw. die Krankheiten gemäß der Art der Hautläsion ein. Die Zusatzsymptome und Befunde müssen in entsprechenden Standardwerken nachgesehen werden: • Makulopapulöses Exanthem – Viren: HIV (Primärinfekt), Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV), Masern, Röteln, Adenovirus, Hepatitis B, Parvovirus B19, humanes Herpesvirus 6, Chikungunya-Virus (Afrika, Indien, Südostasien, neu auch Italien), Dengue-Virus (bei entsprechender Reiseanamnese). – Bakterien: Mycoplasma pneumoniae, Rickettsien, Bartonella spp., Salmonella typhi, sekundäres Stadium der Lues, Borrelia burgdorferi, toxisches Schocksyndrom (S. aureus), b-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Scharlach oder toxisches Streptokokkensyndrom). – Pilze: Candida spp., Mukormykose, andere Pilze. • Bullös-vesikuläres Exanthem – Viren: Echoviren, Coxsackie-Viren, VZV, HSV. – Bakterien: Mycoplasma pneumoniae, Vibrio vulnificus. • Petechial-purpuriformes Exanthem – Viren: Echoviren, Coxsackie-Viren, atypische Masern, Röteln, Adenovirus, Dengue-Virus, Gelbfiebervirus, Erreger anderer viraler hämorrhagischer Fieberarten (s. S. 336), EBV.
– Bakterien und andere Mikroorganismen: Rickettsiose, Gonorrhö, Meningokokkämie (akut oder chronisch), Rattenbissfieber, Rückfallfieber, S. aureus, Capnocytophaga canimorsus, Malaria.
Notfallanamnese
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Arzneimitteleinnahme (Allergie). Sonnenexposition (Phototoxizität bei gewissen Arzneimitteln wie Chinolonen oder Tetrazyklinen). Impfungen (Allergie). Staphylokokkeninfektherd (Enteritis, Sinusitis, Menstruationstampongebrauch usw.) bei V. a. toxisches Schocksyndrom. Reiseanamnese (Erweiterung der Differenzialdiagnose je nach epidemiologischer Situation). Ungeschützter Geschlechtsverkehr mit Risikopartner (HIV, Lues, Gonorrhö). Immunstörung (Chemotherapie, Glukokortikoide, Transplantation, Splenektomie, Komplementdefekt, HIV-Infekt). Valvuläre Herzkrankheit (Endokarditis). Tierkontakt: Hundebiss (Capnocytophaga canimorsus), Rattenbiss (Streptobacillus moniliformis). Insektenstich (Dengue-Fieber, Rickettsiose, Borreliose etc.). Kontakt mit kranken Kindern oder Erwachsenen.
Notfalluntersuchung Klinik
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Schlechter Allgemeinzustand (v. a. bei Toxinkrankheit, z. B. toxisches Schocksyndrom: Fieber > 38,9 8C, BD < 100 mmHg syst., scarlatiformes Exanthem, Multiorganversagen), Vitalfunktionen, Sepsiszeichen (SIRS-Kriterien [s. S. 265]). Purpura (durch disseminierte intravasale Gerinnung an der Haut und Mundschleimhaut), Lymphadenopathie (Röteln, EBV, CMV), Enanthem (Masern), genitale Läsionen (Gonorrhö, Lues). Ikterus (Hepatitis B, Hepatitis C), Hepatosplenomegalie (EBV, CMV). Arthritis, Meningismus, Pneumonie (Varizellen, Masern, Mycoplasma pneumoniae). Tierbisswunde.
Sepsis
Diagnostik Je nach Verdachtsdiagnose: • CRP, Blutbild, Leberparameter, • Blutkulturen, Erregernachweis: Bakterienkultur aus Läsion oder Virus-PCR (HSV, VZV) aus Bläschen, • Serologien gezielt gemäß klinischem Verdacht, ansonsten nicht interpretierbar.
Therapie Notfallmanagement Abhängig vom klinischen Zustand und der vermuteten Diagnose: falls die vitalen Funktionen nicht gefährdet sind, kann eine ambulante Abklärung und Behandlung erwogen werden.
Weitere Maßnahmen
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Varizellen: Bei Vorliegen einer Varizelleninfektion muss der Erwachsene entweder ambulant antiviral behandelt werden (Valaciclovir 3 × 1000 mg/d) (EG-C) oder aber für die stationäre Therapie isoliert werden (Gefahr für nicht immunes Personal und immunkompromittierte Patienten). Viral-hämorrhagisches Fieber: Bei Verdacht auf ein viral-hämorrhagisches Fieber darf der Patient nicht via Notfallstation aufgenommen werden, sondern muss sofort in eine Klinik verlegt werden, in der ein Unterdruckzimmer zur Isolation verfügbar ist (s. S. 336).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei gestörten vitalen Funktionen (z. B. bei toxischem Schocksyndrom) ist eine Überwachung auf der Intensivstation notwendig.
Besondere Merkpunkte Patienten mit Fieber und einem unklaren Exanthem sollten interdisziplinär mit dem Dermatologen und ggf. Infektiologen/Tropenmediziner beurteilt werden.
9.2
265
Sepsis W. Zimmerli
Definition und Einteilung Die Sepsis ist ein systemisches Entzündungssyndrom, das durch Bakterien, Pilze, Viren, Protozoen oder deren Produkte/Bestandteile verursacht werden kann. Der Erreger, Bestandteile des Erregers oder Toxine zirkulieren im Organismus. Bakteriämie. Nachweis von Bakterien in der Blutkultur. Die Bakteriämie kann transient, kontinuierlich oder intermittierend sein. Die transiente Bakteriämie dauert wenige Minuten und wird z. B. während Endoskopien, Zahnextraktionen und Manipulation an infektiösen Herden beobachtet. Die kontinuierliche Bakteriämie dauert Stunden, Tage oder noch länger und ist ein Hinweis auf einen intravaskulären Herd, insbesondere eine Endokarditis. Intermittierende Bakteriämien werden vor allem bei extravaskulären Infektionsherden wie einer Cholangitis oder einer Pyelonephritis beobachtet. Vermutete Infektion. Für die Definition der folgenden vier Zustände ist zwar eine vermutete Infektion, jedoch keine positive Blutkultur notwendig. SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrome). Dieses Syndrom ist zwar unspezifisch, jedoch sensitiv. Vorliegen von mindestens 2 der 4 folgenden klinischen und labormedizinischen Entzündungszeichen: • Fieber > 38 8C oder eine Hypothermie < 36 8C, • Tachypnoe > 20/min, • Tachykardie > 90/min und • Leukozyten > 12 × 109/l oder < 4 × 109/l oder > 10% stabkernige Neutrophile. Sepsis. SIRS mit dokumentiertem Infekt (Bakteriämie nicht erforderlich). Schwere Sepsis. Sepsis mit Hypotonie oder Zeichen einer gestörten Organperfusion wie erhöhtes Laktat, Oligurie < 0,5 ml/kg KG während mindestens 1 h bei liegendem Blasenkatheter oder akute Bewusstseinsstörung. Septischer Schock. Sepsis mit Hypotonie (systolischer Blutdruck < 90 mmHg oder > 40 mmHg Abnahme), die nicht auf adäquate Rehydrierung anspricht. Zusätzlich Zeichen der Organminderperfusion (s. S. 15). Das Toxic-Schock-Syndrom, das durch Toxine von Staphylococcus aureus oder von b-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A verursacht wird, wird nach den heute gültigen Definitionen ebenfalls unter dem septischen Schock subsumiert.
266
9
Infektionskrankheiten
Pathophysiologie
Notfallanamnese
Toxine und endogene Mediatoren. Toxine, Mikroorganismen oder deren Bestandteile (z. B. Lipopolysaccharide) stimulieren sowohl Plasmabestandteile (Komplement, Gerinnungsfaktoren) als auch Zellen (Monozyten, Makrophagen, Neutrophile, Endothelzellen). Es kommt zur Aktivierung des Komplementsystems und der Gerinnung und zur Freisetzung verschiedener endogener Mediatoren, von denen die Zytokine (Tumor-Nekrose-Faktor, Interleukin-1, -2, -6, -8 usw.) und Stickoxid eine besondere Bedeutung haben. Diese und andere humorale Substanzen führen indirekt oder direkt zur Vasodilatation und initial zu einem erhöhten Herzminutenvolumen. Die inflammatorischen Zytokine aktivieren auch die Gerinnung und hemmen die Fibrinolyse, was zu diffusen endovaskulären Schäden und Multiorganversagen (Niere, Leber, Lunge und Gehirn) führt. Je nach Fortschreiten der Krankheit beträgt die Letalität der Sepsis bis > 50%.
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Typische Krankheitszeichen
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Leitsymptome der Sepsis sind die zentrale Hyperoder Hypothermie und eine warme Peripherie. Weitere Symptome sind Schüttelfrost, Tachypnoe, Tachykardie, Hautläsionen, Zyanose, Oligurie und neurologische Zeichen wie Agitiertheit oder Verwirrtheit. Symptome der fortgeschrittenen Sepsis sind Blutungen als Zeichen der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC), Zeichen des Multiorganversagens (Oligurie, Ikterus, Ateminsuffizienz oder zerebrale Symptome) und Schock. Hämodynamisch imponiert im frühen Stadium die Vasodilatation mit erniedrigtem peripherem Widerstand, tiefem zentralvenösem Druck und erhöhtem Herzminutenvolumen.
Differenzialdiagnose Anaphylaxie, malignes Neuroleptikumsyndrom, Serotoninsyndrom, nekrotisierende Pankreatitis, neurogener Schock (Periduralanästhesie) und AddisonKrise imitieren den septischen Schock.
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Symptome der bakteriellen Infektion wie Fieber, Schüttelfrost, Schmerzen, Organsymptome (Husten, Atemnot, Abdominalschmerzen, Dysurie, Flankenschmerzen, Gelenkschmerzen usw.). Besonders wichtig ist es, den wahrscheinlichsten Erreger und den Infektherd zu eruieren. Sepsis zu Hause oder im Krankenhaus erworben? Antibiotika, Zytostatika oder Immunsuppressiva? Vorbehandlung mit TNF-Antagonisten (Adalimumab, Etanercept, Infliximab) erhöht das Risiko für eine schwer verlaufende Infektion. Kürzliche invasive Manipulationen (Chirurgie, Zahnarzteingriffe, Endoskopien)? Grundkrankheiten (Asplenie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Divertikulitis, Neoplasie, Transplantation usw.)? Intravenöser Drogenkonsum? Reisen? (Endemiegebiete: http://www.tropimed. de/, nur registrierter Zugang). Tiere? (besonders gefährlich: Capnocytophagacanimorsus-Sepsis nach Hundebiss oder Belecken offener Hautstellen, Bartonella-henselaeEndokarditis nach Katzen- oder Hundebiss, Streptobacillus-moniliformis-Infekt nach Rattenbiss u. a. m.). HIV-Infektion? Aktuelle oder kürzliche Therapie mit Neuroleptika oder Serotoninaufnahmehemmern?
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Hautmanifestationen (primär als Infektherd oder sekundär als Sepsis-, Endokarditisoder DIC-Zeichen), Augenfundus (Candidasepsis, Endokarditis), Abdomen (Narben, Peritonismus), Extremitäten (Arthritis, Phlebitis, Einstichstellen), ZNS (fokal-neurologische Zeichen), Wunden (Entzündungszeichen, Gas). Auskultation. Herz (neues Klappeninsuffizienzgeräusch), Lungen (Zeichen für Pneumonie).
Sepsis
Tabelle 9.1
267
Antibiotikatherapie der Sepsis.
Klinische Situation
1. Wahl
2. Wahl
Kein fassbarer Herd oder i. v. Drogenkonsum
Amoxicillin/Clavulansure (3 1,2 g/d i. v.) (EG-D)
Ertapenem (1 1 g/d i. v.) (EG-C)
Pneumonie
Amoxicillin/Clavulansure (3 1,2 g/d i. v.) (EG-A)
Ceftriaxon (1 2 g/d i. v.) (EG-A) oder Levofloxacin (1 500 mg/d) (EG-A) oder Moxifloxacin (1 400 mg/d) (EG-A)
Pneumonie mit Verdacht auf Legionellose
Levofloxacin (1 750 g/d p. o.) (EG-B)
Amoxicillin/Clavulansure (3 1,2 g/d i. v.) + Clarithromycin (2 0,5 g/d i. v. oder p. o.) (EG-A)
Urosepsis
Ceftriaxon (1 2 g/d i. v.) (EG-B)
Chinolon, z. B. Ciprofloxacin (3 200 mg/d i. v. oder 2 500 mg/d p. o.) (EG-A) (in Deutschland 24%, in der Schweiz 14% E. coli chinolonresistent)
Kathetersepsis
Cefuroxim (3 1,5 g/d i. v.) (EG-C) oder Cefamandol (3 2 g/d i. v.)
Vancomycin (2 1 g/d per infusionem) (EG-C)
Schwere Diarrhç, Abdominalschmerzen (V. a. Salmonellen, Shigellen oder Yersinien)
Ceftriaxon (1 2 g/d i. v. (EG-D) oder falls V. a. C.-difficile-Kolitis: Metronidazol (3 500 mg/d p. o.) (EG-A)
Ciprofloxacin 2 400 mg/d i. v. (Cave! ca. 50% Campylobacter spp. und 15% Salmonella spp. resistent) (EG-D) Imipenem (3 0,5 g/d i. v.) oder Ertapenem (1 1 g/d i. v.) (EG-A)
Cholangitis, Leberabszesse, Piperacillin/Tazobactam Sepsis nach Geburt oder Abort (3 4,5 g/d i. v.) (EG-A) Abdominalsepsis bei proximalem Herd (Magen-, Duodenumperforation)
Amoxicillin/Clavulansure (3 2,2 g/d i. v.) (EG-B) + evtl. Aminoglykosid
Abdominalsepsis bei distalem Herd (Peritonitis bei Divertikulitis, perforiertem Tumor etc.)
Piperacillin/Tazobactam (3 4,5 g/d i. v.) oder Ertapenem (1 1 g/d i. v.) oder Meropenem (3 0,5 – 1 g/d) (EG-A)
Endokarditis
s. S. 95
Meningitis
s. S. 319
Neutropenie
s. Tab. 9.2, S. 271
HIV-Infektion
s. Tab. 9.23, S. 345
Diagnostik Labor • Blutbild: initial Leukozytopenie oder Leukozytose, in beiden Fällen Linksverschiebung und toxische Zeichen. Häufig Thrombozytopenie, ebenso ein initial erhöhter Hämatokrit als Folge eines Kapillarlecks.
• •
Ceftriaxon (1 2 g/d i. v.) (EG-B) + Metronidazol (3 0,5 g/d i. v.)
Gerinnungsanalyse: verlängerte Prothrombinzeit bei gleichzeitig tiefem Fibrinogen und erhöhten D-Dimeren als Zeichen einer DIC (s. S. 228). Blutgasanalyse: initial tiefe pO2-, pCO2- und pHWerte als Zeichen der partiell kompensierten metabolischen Azidose. Diese kann mit dem erhöhten Laktatwert quantifiziert werden.
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Infektionskrankheiten
Bakteriologische Untersuchungen von Blut, Urin, Sputum oder je nach Krankheitsbild Wunden, intravasalen Kathetern und Stuhl. Hautläsionen sollten punktiert werden, falls Flüssigkeit (Pustel-, Blaseninhalt) vorliegt, ansonsten kann der Erreger aus dem Hautbiopsat kultiviert werden. Leber- und Nierenfunktion sind wichtig für Antibiotikawahl und -dosierung.
9.3
Fieber bei immunkompromittierten Patienten M. Weisser, U. Flckiger
Definition und Einteilung Therapie Notfallmanagement
•
9
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Sicherung der vitalen Funktionen: Volumenzufuhr, Vasoaktiva und Sicherstellung der Ventilation (S. 16). Die antibiotische Therapie (Tab. 9.1) muss sofort nach Entnahme der Materialien für bakteriologische Kulturen eingeleitet werden. Die Wahl der Substanzen hängt von der klinischen Verdachtsdiagnose ab.
Fieber = Temperatur (Ohrthermometer) > 38,5 8C einmalig oder > 38,0 8C zweimalig. Die Art der Abwehrstörung lässt auf die häufigsten Erreger schließen und bestimmt deswegen Diagnostik und Therapie. Man unterscheidet: • Neutropenie: neutrophile Granulozyten < 1000/µl und Granulozytenfunktionsstörung. • Humorale Störung: Antikörper-, Komplementmangel. • Zellulärer Immundefekt: Störung der T-Lymphozytenzahl und/oder -funktion. • Immunmodulation: z. B. Therapien mit TNFa-Inhibitoren, IFNg, Antikörpern.
Weitere Maßnahmen
• •
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Volumenzufuhr und vasoaktive Substanzen: S. 16. Chirurgische Sanierung eventueller Herde muss notfallmäßig erfolgen, sobald der Zustand stabilisiert ist. Eine Inoperabilität zur Herdsanierung ist ein Widerspruch in sich (Herdsanierung verbessert Kreislaufsituation meist sehr rasch). Zusatztherapien bei schwerer Sepsis: – Intensivierte Insulintherapie: Senkung der Krankenhausletalität von 10,9% auf 7,2% durch intravenöse Insulingabe (unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes mellitus) durch Einstellen des Blutzuckers auf 4,4 – 6,1 mmol/l (EG-A). – Aktiviertes Protein C (24 µg/kg KG/h) über 4 Tage bei Patienten mit ‡ 3 SIRS-Kriterien, mindestens 2 Kriterien für Organdysfunktion und APACHE II ‡ 25 fi Senkung der Letalität von 30,8% auf 24,7% (EG-A). Bei APACHE II < 25 oder nur Einzelorganversagen unwirksam, nämlich 18,5% vs. 17% Letalität (EG-A). – Bei Patienten mit septischem Schock und pathologischem Tetracosactid Synacthen-Kurztest (250 µg i. v.): Gabe von 50 mg Hydrocortison (6-stündlich i. v.) und 50 µg 9a-Fludrocortison (1-mal/d nasogastral) über 7 Tage fi Senkung der Letalität von 63% auf 53% (EG-A). Bei Patienten mit geringer Letalität allerdings nicht wirksam (EG-A).
Pathophysiologie Neutropenien. Sie treten auf unter myelosuppressiven Chemotherapien oder als toxische Arzneimittelnebenwirkung (z. B. Carbimazol, Methotrexat). Selten sind sie kongenital (z. B. Kostmann-Syndrom, chronische Granulomatose). Das Infektionsrisiko nimmt mit dem Ausmaß (mäßiges Risiko: 500 – 1000/µl, hohes Risiko: < 100/µl) und der Dauer der Neutropenie (stark erhöhtes Risiko > 7 Tage) zu. Granulozytenfunktionsdefekte. Diese finden sich bei myelodysplastischen Syndromen, bei Leukämien und in den ersten Monaten nach Knochenmarkstransplantation. Neutrophile Granulozyten ermöglichen die Abwehr mittels Phagozytose. Fehlen sie, ist das Risiko für Infektionen mit Bakterien und Pilzen erhöht. Humorale Störungen mit gestörter Antikörperproduktion. Diese finden sich bei lymphatischen Leukämien, Plasmazellneoplasien, nach Splenektomie oder nach repetitiver Therapie mit AntiCD20-Antikörpern. Selten sind kongenitale Hypogammaglobulinämien. Komplementdefekte sind kongenital oder erworben bei entzündlichen Krankheiten mit erhöhtem Verbrauch (z. B. Lupus erythematodes). Die humorale Immunität ist verantwortlich für die Opsonisation von Keimen mit dem Ziel, die Phagozytose zu ermöglichen. Bekapselte Keime können nur phagozytiert werden, wenn ihre Ober-
Fieber bei immunkompromittierten Patienten fläche mit spezifischen Antikörpern bedeckt ist, während andere Erreger wie z. B. Meningokokken durch Komplement allein opsonisiert werden können. Zelluläre Immundefekte (T-Lymphozyten-Funktion). Zelluläre Immundefekte finden sich bei einer HIV-Infektion, bei Neoplasien des lymphatischen Systems, bei immunsuppressiven Therapien sowie bei angeborenen Störungen (z. B. SCID = severe combined Immunodeficiency). Größere Antigene (Bakterien, Pilze, Protozoen), die via Phagosom verarbeitet und MHC-II-gebunden sind, werden von CD4-T-Zellen erkannt, während kleine Antigene (Viren) MHC-I-gebunden sind, zytoplasmatisch verarbeitet und von CD8-Zellen erkannt werden. gd-T-Lymphozyten sind an der Abwehr intrazellulärer Erreger beteiligt, CD1-kontrollierte abT-Zellen an der Abwehr von Mykobakterien. Patienten mit zellulärer Immundefizienz sind vor allem gefährdet für Infektionen mit intrazellulären Bakterien (Mykobakterien, Salmonellen), Protozoen (Toxoplasma gondii, Kryptosporidien), Mykosen (Candida spp., Aspergillen, Kryptokokken, Pneumocystis jiroveci) sowie bestimmte virale Infektionen (HSV, CMV). Die Zahl der CD4-Lymphozyten hilft, das Infektrisiko abzuschätzen: Opportunistische Infektionen treten in der Regel bei einer CD4-Lymphozytenzahl < 200/µl auf. Immunmodulierende Therapien. Zum Beispiel Tumornekrosefaktor-a-Inhibitoren oder Interferone verändern das Immunsystem spezifischer. Unter TNFa-Inhibitoren wurden vor allem Tuberkulosereaktivierungen beobachtet.
Typische Krankheitszeichen Quantitativer oder qualitativer Granulozytendefekt. Häufigstes Symptom beim Patienten mit Neutropenie ist das unklare Fieber, da Infektherde aufgrund der fehlenden Eiterbildung klinisch nicht fassbar sind. Mögliche Eintrittspforten für Keime sind eine chemotherapieassoziierte Mukositis (Dysphagie und/oder Diarrhö), Hautverletzungen vor allem perianal (Analfissuren), Eintrittsstellen zentralvenöser Katheter (Schmerz, Rötung, Schwellung oder Sekretaustritt), Sinusitiden (Rötung, Schwellung und Klopfdolenz über den Nasennebenhöhlen) oder eine Pneumonie (Husten und pleurale Schmerzen). Störung der humoralen Immunität. Patienten mit fulminanter Pneumokokkensepsis verschlechtern sich rasch ohne Prodromi und ohne Primärherd. Oft sind schon initial Zeichen einer disseminierten intravasalen Gerinnung vorhanden. Eine Splenekto-
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mienarbe oder Grundkrankheiten lassen die Krankheit vermuten. Bei erworbenem Antikörpermangelsyndrom verläuft die Sepsis weniger fulminant und manifestiert sich typischerweise mit einer Pneumonie. Bei bekanntem hereditärem C5 – C8-Komplementdefekt muss eine Meningitis gesucht werden. Störung der T-Lymphozyten. Breites Spektrum an Infektionen mit vielfältigen Symptomen und Befunden (s. auch Kap. 8.16, S. 261; Kap. 6.6, S. 186; Kap. 9.25, S. 339).
Differenzialdiagnose Neutropenie • Häufigste Infektionen: Hautinfekt, Katheterinfekt, Periodontitis, Sinusitis, Pneumonie, Ösophagitis, nekrotisierende Enterokolitis. • Häufigste Erreger: S. aureus, Streptokokken, Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa, Candida spp. und Aspergillen. Bei Katheterinfektionen: koagulasenegative Staphylokokken. Gestörte humorale Immunität • Häufigste Infektionen: Pneumonie, Sinusitis, Meningitis und Enteritis. • Häufigste Erreger: Pneumokokken, Haemophilus influenzae und Meningokokken (bei hereditärem C5–C8-Mangel). Enteritis mit Giardia lamblia bei IgA-Mangel. Gestörte T-Lymphozyten-Funktion • Häufigste Infektionen: Mukokutane Candidiasis, Pneumonien mit opportunistischen Erregern (v. a. Pneumocystis jiroveci, CMV), ZNS-Infektionen (Toxoplasma gondii, Polyomavirus, EBV-assoziiertes Lymphom), Enterokolitis (CMV, Kryptosporidien, Mikrosporidien, Salmonellen, nichttuberkulöse Mykobakterien) (s. auch Kap. 8.16, S. 261; Kap. 6.6, S. 186; Kap. 9.25, S. 339). Immunmodulatoren • Unter TNFa-Inhibitoren sind Weichteilinfektionen, septische Arthritiden mit Hautkeimen (meist auf Basis einer vorbestehenden Arthropathie) sowie – bei entsprechender Expositionsanamnese – Reaktivierungen von Tuberkulose gehäuft.
270
Infektionskrankheiten
Notfallanamnese
9
Neutropenie. Ursache (Grundkrankheit, Medikamente, Sepsis), Ausmaß und Dauer der Neutropenie sowie erwartete Dauer bis Regeneration der Neutrophilen. Eingenommene Infektprophylaxe. Infektzeichen: Fieber, lokalisierte Schmerzen, Schluckstörung, Diarrhö, Husten, Schnupfen. Störung der humoralen Immunität. Ursache und Art (angeboren, Grundkrankheit, Splenektomie) der humoralen Störung, frühere Immunglobulingaben (Verträglichkeit, letzte Infusion), eingenommene Infektprophylaxe, Infektzeichen: rezidivierende Infektionen des Respirationstraktes. Störung der T-Lymphozyten-Funktion. Ursache und Art der Störung (hereditär, immunsuppressive Therapie bei Transplantation, Autoimmunerkrankung, Vaskulitis, kürzliche Abstoßungstherapien, Neoplasien des lymphatischen Systems, HIV-Infektion), eingenommene Infektprophylaxe, Infektzeichen: Schluckstörungen, Husten, Auswurf, Kopfschmerzen, Durchfall. Immunmodulatoren. Medikamentenanamnese, Grundkrankheit, Gelenkschmerzen, Husten, Gewichtsverlust, Nachtschweiß (Tuberkulose?).
Notfalluntersuchung Klinik Infektherde. Inspektion von Haut und Schleimhäuten (enoral, perianal), Kathetereinstichstellen, Porta-Cath-Loge, Lungenauskultation, Abdomenpalpation, neurologische Untersuchung, Splenektomienarbe.
Diagnostik Routinelabor. Blutbild mit Leukozytendifferenzierung, Hämoglobin, Thrombozyten, Kreatinin, Leberenzyme, CRP oder Prokalzitonin. Weitere Diagnostik je nach Leitsymptomen und Befunden (s. auch Kap. 8.16, S. 261; Kap. 6.6, S. 187; Kap. 9.25, S. 339): Mikrobiologie • Bakteriologie: Blutkulturen, Spitze von intravaskulärem Katheter, Sputum oder bronchoalveoläre Lavage (BAL), Urinkultur, Punktion von möglichen Infektherden. Legionellen-, PneumokokkenAg im Urin. Tbc: Direktpräparat, PCR und Kultur aus respiratorischen Materialien, Mykobakterienkultur im EDTA-Blut.
•
Pilzdiagnostik: Direktpräparat/Kultur/Resistenz für Hefe- und Schimmelpilz aus respiratorischen Materialien, Punktaten, Biopsien. Aspergillusantigen aus Serum. • Virologie (je nach klinischer Indikation): Blut: CMV-, EBV-PCR. BAL: respiratorische Viren (RSV, Influenza, Parainfluenza, Adeno) je nach Saison, CMV-PCR. HIV-Serologie bei Verdacht auf HIVInfektion, HIV-PCR (Viruslast) bei bekannter HIVInfektion und fehlendem aktuellem Wert. Liquor: PCR für JC-Virus, VZV, HSV, Toxoplasmose, EBV. Immunologie. Immunglobuline quantitativ und CH50 (gesamthämolytisches Komplement), falls der Immundefekt noch nicht abgeklärt ist. CD4/CD8-Zellen bei zellulärer Immundefizienz, falls aktuelle Werte nicht bekannt sind. Bildgebung. Lunge: Röntgen bzw. CT Thorax (sensitiver beim neutropenen Patienten). Nasennebenhöhlen: koronares CT. Bei intraabdominalem Fokus: CT Abdomen. Bei Verdacht auf Spondylodiszitis: MRT Wirbelsäule.
Therapie Notfallmanagement Neutropenie • Fieber in Neutropenie bedarf einer sofortigen Therapie. In der Regel soll nach Abnahme von Blutkulturen mit einer i. v. Antibiotikatherapie begonnen werden. Die initiale Therapie muss im Spektrum S. aureus und Pseudomonas aeruginosa einschließen (Tab. 9.2). Bei Vorliegen eines klinischen Infektfokus muss das entsprechende Keimspektrum berücksichtigt werden. • In Ausnahmefällen kann bei Patienten mit einem niedrigen Risiko für Mortalität oder schwere Komplikationen nach Rücksprache mit der Onkologie/Infektiologie eine perorale Therapie in Erwägung gezogen werden. In der Regel kommt dies nur bei soliden Tumoren infrage. Voraussetzung ist ein guter Allgemeinzustand, das Fehlen von Komorbiditäten sowie eine gewährleistete Antibiotikaeinnahme und -absorption. Engmaschige klinische Kontrollen sind unabdingbar. Eine perorale Therapie wird mit Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg/d und Ciprofloxacin 2 × 750 mg/d p. o. durchgeführt. • Der Nutzen einer protektiven Pflege (Einzelzimmer, Überschürze, Mundschutz, Handschuhe) ist nicht belegt, jedoch soll der Patient nicht zusammen mit anderen Patienten mit Infektionen das Zimmer oder die sanitären Anlagen teilen.
Fieber bei immunkompromittierten Patienten
Tabelle 9.2
271
Antibiotikawahl bei neutropenischen Patienten mit Fieber.
Klinik
Antibiotika
Fieber • ohne Fokus oder • mit Mukositis
Cefepim 3 2 g i. v. € Amikacin 1 15 mg/kg KG i. v./d (EG-A) oder Piperacillin/Tazobactam 3 4,5 g i. v./d (EG-A) oder Imipenem 4 500 mg i. v. bzw. Meropenem 3 1 g i. v./d (EG-A)
Pneumonie
idem + Clarithromycin 2 500 mg p. o./i. v. oder Levofloxacin 2 500 mg p. o./i. v. (EG-D)
Verdacht auf Schimmelpilzinfektion
Voriconazol 2 400 mg i. v. Loading Dose, dann 2 200 mg i. v./d, Wechsel auf perorale Therapie im Verlauf (EG-A)
Abdomineller Fokus
Piperacillin/Tazobactam 3 4,5 g i. v./d (EG-A) oder Imipenem 4 500 mg i. v. bzw. Meropenem 3 1 g i. v./d (EG-A)
Verdacht auf Clostridiumdifficile-assoziierte Diarrhç
zustzlich zum Regime fr Fieber ohne Fokus: Metronidazol 3 500 mg p. o. (EG-A)
Katheterinfekt mit Exit-site-Infektion
zustzlich zum Regime fr Fieber ohne Fokus: Vancomycin 2 1 g i. v./d
Meningoenzephalitis
Meropenem 3 2 g i. v./d
•
Supportive Maßnahmen: Ersatz von Thrombozyten (bei Fieber: falls Thrombozyten < 20 × 109/l; ohne Fieber: falls Thrombozyten < 10 × 109/l) und Erythrozyten (falls Hb < 8 g/l), sorgfältige Mundund Hautpflege. Volumentherapie und der Einsatz von Vasoaktiva, falls indiziert (s. Kap. 2 „Schock“ [S. 16]). Nach Erhalt mikrobiologischer Resultate Überprüfung der antibiotischen Therapie mit Anpassung an die Resistenzprüfung und evtl. Einschränkung des Spektrums (bei persistierender Neutropenie und Mukositis breites Spektrum belassen). Im Verlauf bei schwerer Neutropenie Granulozytentransfusionen und evtl. den Einsatz von Granulozytenwachstumsfaktoren (G-CSF/GM-CSF) erwägen. Gestörte humorale Immunität. In dieser Situation kann das Spektrum der empirischen antibiotischen Therapie relativ schmal gehalten werden: • Die Antibiotikatherapie muss bei splenektomierten Patienten mit Sepsis gegen Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae gerichtet sein und muss sofort nach Abnahme von Blutkulturen gestartet werden, da die Letalität stark vom Zeitpunkt des Therapiebeginns abhängt: Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) oder Ceftriaxon (1 × 2 g/d) (EG-C). Ansonsten soll gemäß Klinik und zu erwartendem Keimspektrum behandelt werden. • Bei Immunglobulinmangel ist die Gabe von intravenösen Immunglobulinen (0,3 – 0,6 g/kg KG)
sinnvoll, falls die letzte Gabe > 2 Wochen zurückliegt (EG-D). Gestörte T-Lymphozyten-Funktion. Aufgrund des sehr breiten Erregerspektrums (Bakterien, Pilze, Viren) soll die Diagnostik vor Therapiebeginn durchgeführt werden, wenn der Allgemeinzustand des Patienten dies zulässt. • Die empirische Therapie bei einer klinischen Sepsis ohne Organmanifestation entspricht derjenigen des Immunkompetenten unter Berücksichtigung möglicher vorhergegangener Antibiotikatherapien und sollte bei einer schweren Sepsis initial breit sein. • Bei Vorliegen von Leitsymptomen (Pneumonie, Enzephalitis usw.) soll die empirische Therapie gegen die wahrscheinlichsten bakteriellen Erreger des entsprechenden Syndroms gerichtet sein. • Eine Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie sollte bei hohem klinischem Verdacht und schlechtem Allgemeinzustand empirisch behandelt werden, ebenso eine zerebrale Toxoplasmose oder eine pulmonale Aspergillose. • Zu berücksichtigen sind möglicherweise durchgeführte Infektprophylaxen: Nach Solidorgantransplantation wird gegen die häufigsten opportunistischen Erreger (Pneumocystis jiroveci, Toxoplasma gondii, HSV, CMV) während der ersten 3 – 6 Monate eine Prophylaxe durchgeführt. Nach 6 Monaten nimmt das Infektrisiko deutlich ab, Ausnahmen sind Patienten, die im Rahmen der
272
Infektionskrankheiten
Induktionsimmunsuppression eine T-Zell-Depletion erhalten haben. Bei allogen stammzelltransplantierten Patienten werden die antimikrobiellen Prophylaxen (gegen Pneumocystis jiroveci, Toxoplasma gondii, HSV, Hefepilze) während der ersten 6 Monate – bei Vorliegen einer Graft-versus-Host-Disease länger – beibehalten.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
9
•
•
Der febrile immunsupprimierte Patient braucht bis zum Ansprechen der Therapie eine engmaschige Überwachung. Anpassung der Therapie an mikrobiologische Resultate und Resistenz sind essenziell. Bei Fieber in Neutropenie werden die in Tab. 9.2 beschriebenen Therapien weitergeführt bis zur Entfieberung und hämatologischen Regeneration. Bei anhaltendem Fieber und kreislaufstabilen Patienten muss nach 4 – 5 Tagen ein Therapiewechsel bzw. eine Spektrumserweiterung (Indikation für antifungale Therapie?) diskutiert werden, bei Kreislaufinstabilität früher. Siehe auch Kap. 2, S. 24.
9.4
Fieber bei Drogenabhängigen W. Zimmerli
Definition und Einteilung In diesem Kapitel werden nur Infektionen im Zusammenhang mit parenteraler Drogenabhängigkeit vorgestellt, da die Probleme bei der i. v. Injektion sich von denjenigen bei der intranasalen, inhalativen oder oralen Applikation unterscheiden. Die Konsumenten von i. v. Drogen sind eine Risikopopulation für infektiöse Komplikationen wie Bakteriämie, Candidämie, Endokarditis, septische Thrombophlebitis, Pneumonie, osteoartikuläre Krankheiten und blutübertragene Viruskrankheiten. Bei einem Drittel der hospitalisierten Drogenabhängigen ist eine Infektion das einzige oder hauptsächliche Problem. Die häufigste in Europa i. v. injizierte Droge ist Heroin. Seltener wird von i. v. Drogenabhängigen kein Heroin, sondern ausschließlich Kokain, Methadon, Barbiturate oder Amphetamine konsumiert.
Pathophysiologie Bei der i. v. Drogenapplikation kann es über die folgenden Wege zur intravasalen Keimeinschleppung kommen: • Hautflora bei ungenügender Desinfektion der Einstichstelle (v. a. bei S. aureus-Trägern), • Blutreste von benutzten ausgetauschten Injektionsutensilien (z. B. HIV, Hepatitis B und C), • unsterile Drogen (selten relevant kontaminiert), • unsteriles Lösungsmittel (z. B. Candida im Zitronensaft), • unsterile Manipulation (z. B. Schmutzkontamination mit Clostridium tetani). Gewisse Infektionen sind jedoch nicht direkt während der Drogenapplikation erworben, sondern Folgen der Bewusstseinsstörung nach Überdosierung (z. B. Aspirationspneumonie) oder der Drogenbeschaffung (z. B. sexuell übertragene Krankheiten).
Typische Krankheitszeichen
• • •
Fieber ohne Zusatzsymptome (Cave! Unzuverlässige Anamnese wegen vorausgegangener Drogeneinnahme). Fieber und Leitsymptom für eine Organinfektion: Husten, Auswurf, Atemnot, Ikterus, Thrombophlebitis, Abszesse, Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen u. a. m. Bei HIV-Infektion müssen Symptome und Befunde opportunistischer Infektionen aktiv gesucht werden: Husten, Atemnot, Durchfall, Visusstörungen und epileptische Anfälle bzw. fokal-neurologische Zeichen, pulmonale Rasselgeräusche, Splenomegalie, Lymphadenopathie und Retinitis (s. auch S. 339ff.).
Differenzialdiagnose Bei 1011 hospitalisierten drogenabhängigen Patienten am Universitätsspital Basel ergab sich in abnehmender Häufigkeit folgendes Infektionsspektrum: • HIV-seronegative Patienten: – Pneumonie (Lobär- und Aspirationspneumonie), – virale Hepatitis, – Haut- und Weichteilinfektionen, – eitrige Bronchitis, – disseminierte Candidiasis, – Endokarditis, – Bakteriämie,
Fieber bei Drogenabhngigen
•
– Fieberreaktion auf injizierte Substanzen (Partikel, Schmutz, Endotoxin). HIV-seropositive Patienten: – nichtopportunistische Pneumonie, – opportunistische Pneumonie, – eitrige Bronchitis, – nichtrespiratorische opportunistische Infektion, – Haut- und Weichteilinfektionen, – Tuberkulose, – Endokarditis, – Arthritis/Osteomyelitis, – virale Hepatitis.
Notfallanamnese
•
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HIV-Infektion: Die Frage nach einer möglichen HIV-Infektion und entsprechenden prophylaktischen und therapeutischen Behandlungen muss initial gestellt werden, weil die weitere Differenzialdiagnose davon abhängt. Allgemeine Fragen: Aktuelle i. v. Drogenabhängigkeit (wann letzte Injektion)? Welche Substanzen? Wie zubereitet (steril oder Zitronensaft)? Tausch von Injektionsutensilien? Wie lange i. v. Drogengebrauch, Ersatzdrogen (oral oder i. v.)? Sind epidemiologisch sog. „community-acquired methicillinresistente S. aureus“ (cMRSA) häufig?
Notfalluntersuchung Klinik Haut- und Schleimhautinspektion. Frische Einstichstellen besonders an Armen, Leisten und Fußrücken, Thrombophlebitis, Abszesse, Furunkulose, Follikulitis ( Abb. 9.1, Farbtafel XV), Endokarditisstigmata (subkonjunktivale Blutungen) ( Abb. 3.46 b, Farbtafel I), Osler-Knoten ( Abb. 3.46 e, Farbtafel II), Janeway-Flecken ( Abb. 3.46 c, Farbtafel I), subunguale streifenförmige Hämorrhagien ( Abb. 3.46 d, Farbtafel II), Mundsoor. Auskultation. Lungen: Dämpfung, Bronchialatmen, Rasselgeräusche; Herz: Klappeninsuffizienzgeräusch, Jugularisvenenpuls (Trikuspidalinsuffizienz). Palpation. Abdomen: Splenomegalie, Hepatomegalie; Bewegungsapparat: Arthritis, Stauchungs- oder Klopfschmerz der Wirbelsäule. Augenfundus. Candidaretinitis ( Abb. 9.2, Farbtafel XV).
273
Diagnostik Labor. Rotes und weißes Differenzialblutbild, Thrombozyten, Leberparameter, Urinstatus, evtl. Urinkultur. EKG. Rechtsherzüberlastung bei Rechtsherzendokarditis oder Ischämie nach Kokaineinnahme. Echokardiografie (je nach Beurteilbarkeit auch transösophageal). Bei V. a. Endokarditis. Röntgen. Thorax p.-a./seitlich bei Husten/Dyspnoe. Wirbelsäule a.-p./seitlich bei V. a. Spondylitis, bei pathologischem Befund: CT mit Punktion/Biopsie s. u. Andere bildgebende Verfahren. Als Suchtest für eine Spondylitis eignet sich das Technetium-Szintigramm und zur Bestätigung einer Spondylitis die MRT. Mikrobiologie. Blutkulturen und weitere Kulturen gemäß Leitsymptom und klinischem Befund: • 2 – 3 × 2 Blutkulturen, • Sputumkultur oder bei V. a. Lungentuberkulose bronchoalveoläre Lavage (Mykobakterienkultur). Diese dient auch der Suche nach opportunistischen Erregern bei bekannter HIV-Infektion mit CD4-Lymphozyten < 200/µl, • Kultur von möglichen Abszesspunktaten, • Injektion und anschließende Aspiration von physiologischer Kochsalzlösung bei nodulären Hautentzündungen ( Abb. 9.1, Farbtafel XV) (Suche von Candida), • Urinkultur, • Gelenkpunktion (Arthritis), • CT-gesteuerte Punktion/Biopsie bei radiologischem Verdacht auf Spondylitis. Serologien. HIV-Test, falls nicht schon bekannt (Einverständnis einholen). Serologie von persistierenden Infektionen, falls nicht bereits bekannt (HSV, VZV, CMV, EBV, Toxoplasma gondii, HBs-Ag und HBc-Ak, HCV-Ak und Luesserologie).
Therapie Notfallmanagement Die initialen therapeutischen Maßnahmen sind abhängig von der Verdachtsdiagnose: • Sepsis ohne fassbaren Herd (am ehesten S. aureus): Flucloxacillin (4 × 2 g/d i. v.) plus Aminoglykosid gemäß Nierenfunktion (Tab. 9.1, S. 267). Wenn epidemiologisch methicillinresistente Erreger (cMRSA) häufig sind: Vancomycin (2 × 1 g/d i. v.) statt Flucloxacillin (EG-C).
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• •
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Infektionskrankheiten
Pneumonie bei V. a. Aspiration: Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 1,2 g/d i. v.) (EG-C). Lobärpneumonie: Penicillin G (4 × 2,5 – 5 Mio. IE/d i. v.), falls grampositive Diplokokken im Sputum sichtbar, ansonsten Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 1,2 g/d i. v.) oder Ceftriaxon (1 × 2 g/d i. v.) (EG-A). Opportunistische Pneumonie bei HIV-Infektion: s. S. 345. Arthritis oder Spondylitis: Cefazolin (3 – 4 × 2 g/d i. v.) (EG-D). Wenn epidemiologisch cMRSA häufig sind: Vancomycin (2 × 1 g/d i. v.) plus Aminoglykosid gemäß Nierenfunktion (EG-D). Thrombophlebitis, Weichteilabszesse: Cefazolin (3 – 4 × 2 g/d i. v.) (EG-D). Hefepilz im Direktpräparat von nodulärer Läsion: Fluconazol (400 mg/d i. v.) (EG-C). Endokarditis: Flucloxacillin (4 – 6 × 2 g/d i. v.) plus Aminoglykosid gemäß Nierenfunktion (s. S. 95) (EG-A). Wenn epidemiologisch cMRSA häufig sind: Vancomycin statt Flucloxacillin (EG-A).
Weitere Maßnahmen
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Bei akuter HIV-Infektion: s. S. 343. Chirurgische Sanierung von Abszessen. Adäquater Drogenersatz (z. B. mit Methadon p. o. oder i. v.) ist Vorbedingung für eine TherapieCompliance. Cave! Kombinationstherapien mit Rifampicin sollten nach Möglichkeit wegen der Enzyminduktion (stark erhöhter Methadonbedarf) vermieden werden.
9.5
Osteomyelitis und infektiöse Spondylodiszitis W. Zimmerli
Definition und Einteilung Die Osteomyelitis ist eine hämatogene oder direkt inokulierte Infektion von Knochen, Knochenmark und Periost. Die Spondylodiszitis ist eine Sonderform der Osteomyelitis (vertebrale Osteomyelitis). Sie entsteht in der Regel hämatogen, beginnend im Intervertebralraum und an der angrenzenden Deckund Bodenplatte. Es werden folgende Arten von Osteomyelitis unterschieden: • Hämatogene Osteomyelitis: Altersgipfel im Kindesalter (Röhrenknochen) und beim älteren Menschen (Spondylodiszitis).
•
Direkt inokulierte Osteomyelitis: nach offener Fraktur, tiefem Weichteilinfekt oder chirurgischem Eingriff. Sie kann deshalb in jedem Knochen auftreten. • Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz oder Neuropathie (Malum perforans): in der Regel am Fuß. Der Übergang vom Weichteilinfekt zur Osteomyelitis ist fließend und klinisch nicht immer einfach diagnostizierbar. Erreger. Die häufigsten Erreger sind: S. aureus (80 – 90%) und gramnegative Enterobacteriaceae (10 – 15 %), beim Kind Haemophilus influenzae (seit Hib-Impfung selten) und b-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A. Bei der implantatassoziierten Osteomyelitis spielen koagulasenegative Staphylokokken eine wichtige Rolle. Die Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz und Neuropathie ist in der Regel durch eine Mischflora mit S. aureus und grampositiven und gramnegativen Anaerobiern und nach Vorbehandlung auch mit gramnegativen Aerobiern (z. B. Pseudomonas aeruginosa) verursacht. Bei i. v. Drogenabhängigen müssen auch ungewöhnliche Keime wie Pseudomonas aeruginosa oder Candida spp. und bei Patienten mit Sichelzellanämie Salmonellen erwartet werden.
Pathophysiologie Prädilektionsstellen. Die Osteomyelitis kann in jedem Knochen vorkommen. Trotzdem gibt es spezielle Prädilektionsstellen: • Für die Osteomyelitis des Kindes sind dies die Metaphysen der langen Röhrenknochen, die besonders gut durchblutet sind. Bei der chronischen Osteomyelitis wird die Infektion durch avitalen Knochen (Sequester) unterhalten. • Beim jungen Erwachsenen tritt die Osteomyelitis typischerweise im subchondralen Gewebe der Metaphyse langer Röhrenknochen auf. Über die Gefäße zwischen Metaphyse und Epiphyse kann es zur Begleitarthritis kommen. • Bei älteren Erwachsenen ist die Infektion der Wirbel häufiger. Der Wirbel wird von der Deckoder Bodenplatte her infiziert, entweder hämatogen bei Bakteriämie oder Fungämie oder bei Urogenitalinfektionen via hinteren Venenplexus. • Bei der posttraumatischen Osteomyelitis oder der Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz gelangen die Keime direkt durch die Wunde zum Knochen. In dieser Situation ist es therapeutisch entscheidend, ob ein Implantat den infizierten Knochen stabilisiert. Die implantatassoziierte
Osteomyelitis und infektiçse Spondylodiszitis Osteomyelitis ist wegen der bakteriellen Adhärenz am Fremdkörper sehr therapieresistent.
Typische Krankheitszeichen
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Hämatogene Osteomyelitis der Röhrenknochen: Fieber, lokaler Schmerz, später Schwellung und Rötung, gelegentlich gerötete Narbe oder sezernierende Fistel bei vorbestehender chronischer Osteomyelitis. Spondylodiszitis: Leitsymptome sind Fieber und Rückenschmerzen. Gelegentlich hat der Patient auch radikuläre Symptome. Nach Diskushernienoperation kann die Narbe gerötet sein oder sezernieren. Der Patient hat in der Regel Brückensymptome, d. h. er wurde nach der Operation nie schmerzfrei. Direkt inokulierte Osteomyelitis: Nach dem Trauma oder der Operation kommt es zu einer schmerzhaften Rötung und Schwellung der Wunde oder Narbe. Fieber ist seltener als bei der hämatogenen Osteomyelitis. Bei chronischem Verlauf bilden sich Fisteln oder alte Fisteln beginnen wieder zu sezernieren. Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz oder Neuropathie (Malum perforans): Der Patient realisiert die Infektion sehr oft nicht, da er keine systemischen Infektzeichen hat und infolge der Neuropathie keine Schmerzen verspürt. Sezernierende Wunden werden zunehmend tiefer. Im späteren Stadium kommt es zu einer Rötung, Überwärmung und zur Schwellung des ganzen Fußes. Bei erheblicher vaskulärer Insuffizienz können allerdings die Rötung und Überwärmung fehlen. Erst bei fortgeschrittener Infektion kommt es zu inguinaler Lymphadenopathie, Lymphangitis und Fieber als Zeichen der systemischen Infektion.
Differenzialdiagnose
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Hämatogene Osteomyelitis der Röhrenknochen: Wichtigste Differenzialdiagnose ist der Knochentumor, der gelegentlich durch eine offene Biopsie ausgeschlossen werden muss. Spondylodiszitis: Schwierige Diagnose, da nur unspezifische Symptome vorliegen. Häufig wird initial fälschlicherweise ein Lumbovertebralsyndrom, eine Diskushernie oder sogar ein grippaler Infekt (Fieber und Rückenschmerzen) diagnostiziert. Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz: Häufig ist die Diagnose der Osteomyelitis klinisch nicht
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von derjenigen des tiefen Weichteilinfektes zu unterscheiden. Wegen der unterschiedlichen Therapiedauer ist die Bestätigung der Osteomyelitis wichtig. Klinisch muss eine Osteomyelitis angenommen werden, wenn der Knochen sichtbar oder direkt sondierbar ist („probe to bone“).
Notfallanamnese Hämatogene Osteomyelitis • Vorangegangene febrile Infektion, • i. v. Drogenkonsum, Zubereitungsart der Drogen (s. S. 272), • bei kurz zurückliegender Hospitalisation (Wochen oder Monate) Hinweise auf eine Kathetersepsis oder einen durchgemachten Harnwegsinfekt in der Krankenakte suchen, • plötzliche Knochenschmerzen (ca. 90%) und eingeschränkte Beweglichkeit der befallenen Extremität (ca. 80%), • Fieber mit oder ohne Schüttelfrost (ca. 75%), • Nachtschweiß, Inappetenz, Krankheitsgefühl und Gewichtsverlust (ca. 50%), • Primärinfekt, insbesondere Wundinfekt oder Harnwegsinfekt, muss speziell erfragt werden, • Trauma bei Krankheitsbeginn wird häufig erwähnt, ist jedoch meist nicht kausal an der Osteomyelitis beteiligt, sondern es macht eine vorbestehende Osteomyelitis erstmals symptomatisch. Spondylodiszitis. Zusätzlich zu den oben erwähnten Symptomen: • Rückenschmerzen, • radikuläre Schmerzen, • Beinschwäche und lokalisierter Rückenschmerz (V. a. Epiduralabszess) (s. S. 324), • bei vorangegangener Diskushernienoperation: persistierende oder neu zunehmende postoperative Rückenschmerzen im Operationsgebiet.
Notfalluntersuchung Klinik Hämatogene Osteomyelitis. Lokalisierte spontane oder provozierbare Schmerzen sind das Leitsymptom. Fieber ist nur bei ca. 75 % der Patienten vorhanden. Bewegungseinschränkung, Schwellung, Rötung, Überwärmung und Schmerz auf Klopfen oder Palpieren deuten auf die Lokalisation der Osteomyelitis hin. Beim Säugling und beim Jugendlichen mit einer Osteomyelitis der Röhrenknochen kann eine Begleit-
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9
Infektionskrankheiten
arthritis das klinische Bild dominieren. Beim Rezidiv wird häufig eine Fistel zum Leitsymptom. Rezidive können bis über 50 Jahre nach der initialen Episode auftreten. Spondylodiszitis. Lokale Infektionssymptome wie Rötung und Schwellung fehlen in der Regel, meist ist jedoch Klopf- oder Stauchungsschmerz vorhanden. Zwei Drittel der Patienten haben kein Fieber (v. a. wegen Einnahme von Analgetika oder nichtsteroidalen Antirheumatika). Direkt inokulierte Osteomyelitis. Zeichen des tiefen Wundinfektes (Fieber, Rötung, Schwellung, eitrige Sekretion) oder beim Rezidiv lediglich Rötung und Fistel. Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz. Zeichen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (fehlende Pulse, pathologischer Ratschow-Test, Nekrose) und der Neuropathie (fehlende Reflexe, gestörte Tiefensensibilität) müssen gesucht werden. In der Regel wird ein tiefes Ulkus mit perifokaler Rötung und schmierig-gelbem Wundgrund gefunden. Ist der Knochen nicht direkt sichtbar oder kann er nicht sondiert werden, ist die Diagnose der Osteomyelitis klinisch nicht möglich.
Diagnostik Labor. Differenzialblutbild (Leukozytose, Neutrophilie, Linksverschiebung, toxische Zeichen), C-reaktives Protein, Blutkulturen. Mikrobiologie. Punktion von Weichteilabszessen oder von Gelenkerguss, tiefer Fistelgangabstrich (allerdings Korrelation Fistel – Knochenkultur schlecht außer bei S. aureus), keine Abstriche von oberflächlichen Ulzera, da keinerlei Korrelation mit Knochenkulturen. Bildgebende Verfahren. Je nach Art der Erkrankung: • Knochenszintigramm als initialer Suchtest (innerhalb einer Woche positiv, sensitiv, jedoch nicht spezifisch). • Konventionelle Röntgenaufnahmen des betroffenen Knochens (erst nach 2 – 3 Wochen pathologisch). • MRT (sensitiv und spezifisch) ist besonders bei der Spondylodiszitis der CT vorzuziehen, falls nicht eine CT-gesteuerte Biopsie geplant ist. • CT-gesteuerte Biopsie oder offene Biopsie für Kultur und Histologie.
Therapie Notfallmanagement
•
Klinikeinweisung zur raschen Abklärung und Therapie. • Entlastung (Bettruhe) bei Spondylodiszitis oder Arthritis. Bei Bettruhe Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (EG-D). Antimikrobielle Therapie. Für die antimikrobielle Therapie gibt es keine vergleichenden, kontrollierten, randomisierten Studien mit genügend langem Follow-up. Somit basieren die Vorschläge auf Fallserien und Expertenmeinungen. • Akute Osteomyelitis: Beginn einer hoch dosierten Antibiotikatherapie unmittelbar nach der mikrobiologischen Diagnostik: – empirisch z. B. Cefazolin (3 × 2 g/d i. v.) (EG-C), – gezielt abhängig vom Keim, nämlich Flucloxacillin (4 × 2 g/d i. v.) bei S. aureus (EG-D), – Penicillin G (20 – 24 Mio. IE/d i. v.) bei Streptokokken (EG-D), – Imipenem/Cilastatin (4 × 0,5 g/d i. v.) (EG-A), Ciprofloxacin (2 × 750 mg/d p. o.) (EG-A) oder Ofloxacin (2 × 200 – 300 mg/d p. o.) (EG-A) nur bei gramnegativen Keimen, obschon in den Studien auch Patienten mit grampositiven sensiblen Keimen eingeschlossen waren. Wegen Resistenzentwicklung der Staphylokokken unter der Therapie sollten diese ausgeschlossen werden. – Pseudomonas aeruginosa sollte initial kombiniert mit einem Pseudomonas-Betalaktam (z. B. Piperacillin/Tazobactam oder Ceftazidim) plus Aminoglykosid (z. B. Tobramycin 2 ×/d gemäß Nierenfunktion) behandelt werden (EG-B). • Chronische Osteomyelitis: keine Notfallsituation, chirurgischen Eingriff planen, Antibiotika erst sekundär, d. h. nach invasiver Diagnostik/Therapie beginnen. • Osteomyelitis bei vaskulärer Insuffizienz: Débridement, Clindamycin (4 × 300 – 600 mg/d i. v. oder p. o.) (EG-C), Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) oder Imipenem/Cilastatin (4 × 0,5 g/d i. v.) (EG-A). Bei antibiotischer Vorbehandlung ist wegen Selektion gramnegativer Keime häufig eine Kombination von Clindamycin mit Ciprofloxacin oder Ofloxacin (Dosis s. o.) notwendig (EG-C).
Schwere Hautinfektionen
Weitere Maßnahmen
•
•
Interdisziplinäres Vorgehen mit dem Infektiologen und Chirurgen/Orthopäden. Wichtigste Fragen sind die Stabilität bei Spondylodiszitis, die arthroskopische Spülung bei Arthritis, die Sequesterentfernung bei chronischer Osteomyelitis und die Art/Dauer der antibiotischen Therapie. Zusätzlich bei vaskulärer Insuffizienz: Maßnahmen zur Verbesserung der Durchblutung sofort evaluieren (Dilatation, Gefäßchirurgie).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • •
Infektparameter (Differenzialblutbild, C-reaktives Protein). Kontroll-CT besonders bei Spondylodiszitis mit Frage nach Instabilität bzw. Progression nach ca. 3 Wochen. Tägliche Kontrolle der Durchblutungssituation bei vaskulärer Insuffizienz. Tägliche Kontrolle der Ausdehnung und Verschlechterung des klinischen Befundes bei infektiöser Gangrän. Bei Verschlechterung des Lokalbefundes und systemischen Sepsiszeichen darf der geeignete Zeitpunkt für eine Amputation nicht verpasst werden.
9.6
277
dacht werden. Diese Erreger enthalten typischerweise das Panton-Valentine-Toxin (PV-Toxin), welches für nekrotisierende Haut-, Weichteilund Lungeninfektionen verantwortlich ist. Risikopopulationen sind junge, gesunde und sportliche Individuen mit sehr engem Körperkontakt und potenzieller Gefahr für Hautverletzungen (z. B. „Kontaktsportler“). • Erysipel: durch Gruppe-A-Streptokokken (selten S. aureus) verursachte tiefe, jedoch nur dermale Lokalinfektion mit Allgemeinsymptomen ( Abb. 9.3, Farbtafel XV). • Zellulitis (im angelsächsischen infektiologischen, nicht im deutschen dermatologischen Sinn definiert): akut fortschreitende Hautinfektion mit Befall der Subkutis (somit tiefer als Erysipel). Häufigste Erreger sind Streptokokken und S. aureus, aber auch andere Erreger sind möglich. Hautmanifestation von systemischen Infektionen. • Hautläsionen bei Endokarditis (s. Abb. 3.46 a, c, e, Farbtafel I, II), • Hautmanifestationen der disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) ( Abb. 9.4, Farbtafel XVI und Abb. 9.5, Farbtafel XVI), • disseminierte Candidiasis, • durch Toxin verursachtes Exanthem (z. B. bei Scharlach oder Toxin-Schock-Syndrom durch S. aureus bzw. Gruppe-A-Streptokokken).
Schwere Hautinfektionen
Pathophysiologie
W. Zimmerli
Lokalisierte Infektionen. Bei den lokalisierten bakteriellen Infektionen kommt es zur Hautinfektion durch direkte Keiminvasion. Häufig sind die Eintrittspforten nicht erkennbar. Hautmanifestationen von systemischen Infektionen. Nicht nur bakterielle, auch Pilz- und Virusinfektionen können direkte oder indirekte Hautmanifestationen haben. Sie werden durch folgende Mechanismen verursacht: • direkte bakterielle Absiedelung (vor allem bei S.aureus-Sepsis), • Immunkomplexkrankheit, Vaskulitis (z. B. bei Meningokokken- und S. aureus-Sepsis), • DIC (z. B. bei gramnegativer Sepsis oder Pneumokokkensepsis), • Toxinbildung (z. B. bei Scharlach, Toxic-SchockSyndrom durch S. aureus oder „Toxic-shock-like“Syndrom durch Gruppe-A-Streptokokken). Diese Mechanismen treten auch gemischt auf. So werden z. B. bei einer akuten Endokarditis nicht
Definition und Einteilung Lokalisierte bakterielle Hautinfektionen sind häufig. Das rasche und richtige Erkennen ist wichtig, wenn schwerwiegende Komplikationen vermieden werden sollen. Hautmanifestationen von systemischen Infektionskrankheiten sind seltener, liefern jedoch oft den Schlüssel zur Diagnose, beispielsweise deuten Janeway-Flecken ( Abb. 3.46 c, Farbtafel I) auf eine Endokarditis hin. Lokalisierte bakterielle Infektionen. • Impetigo: durch S. aureus und/oder Streptokokken verursachte kontagiöse, oberflächliche, eitrige Lokalinfektion, meist durch Kontakt übertragen. • Furunkel, Abszess: meist durch S. aureus verursacht, seit 2000 muss auch an ambulant erworbene methicillinresistente S. aureus (cMRSA) ge-
278
Infektionskrankheiten
selten nebeneinander Läsionen einer Vaskulitis und septische Embolien gefunden.
Typische Krankheitszeichen
9
Erysipel. Charakterisiert durch systemische Infektzeichen und eine schmerzhafte, leuchtend rote, scharf begrenzte, ödematöse und indurierte Hautläsion ( Abb. 9.3, Farbtafel XV). Typischerweise sind eine Lymphangitis und schmerzhafte regionale Lymphknoten nachweisbar. Hautläsionen wie Tinea pedis, Ekzeme, Verbrennungen oder Ödeme können die Eintrittspforte sein. Furunkel, Abszess. Einschmelzende Eiterpustel mit perifokaler Rötung, Überwärmung und lokaler Schmerzhaftigkeit. Typischerweise regionale Lymphadenopathie. Zellulitis. Lokale Schmerzhaftigkeit, Erythem, Fieber und Schüttelfrost, starke Rötung, Überwärmung und Schwellung. Im Gegensatz zum Erysipel kein scharfer Rand und Befall der Subkutis, regionale Lymphadenopathie. Impetigo. Oberflächliche Pyodermie, die mit Vesikeln und Pusteln auf erythematöser Haut beginnt. Meist zu Beginn Bagatelltrauma wie Insektenstich oder Schürfung. Gelegentlich auch vorausgegangene Rhinitis (vor allem bei Kindern). Nach Aufbrechen der Vesikeln oder Pusteln Freisetzung von seropurulentem Sekret, das gelbe Krusten bildet. Durch Ruptur der Blasen kann es zu Läsionen von mehreren Zentimetern Durchmesser kommen. Hautläsionen bei Endokarditis. Die typischen Hautsymptome bei Endokarditis sind: • Osler-Knoten ( Abb. 3.46 e, Farbtafel II): schmerzhafte Knoten an den Finger- und Zehenkuppen, • Janeway-Läsionen ( Abb. 3.46 c, Farbtafel I): schmerzlose Maculae auf Fußsohlen und Handflächen, • Splinterhämorrhagien ( Abb. 3.46 d, Farbtafel II): feine, braunrote, strichförmige Verfärbungen unter dem Nagel. DIC. Hautmanifestationen der DIC sind symmetrisch und treten meist peripher auf und zwar als Petechien an Haut ( Abb. 9.4, Farbtafel XVI) und Schleimhäuten ( Abb. 9.5, Farbtafel XVI). Eine typische frühe Manifestation ist auch die Akrozyanose ( Abb. 9.6, Farbtafel XVI). Später kann es zu peripherer Gangrän kommen (Abb. 9.7, Farbtafel XVII). Candidiasis. Sowohl bei neutropenischen Patienten als auch bei i. v. Drogenabhängigen können diskrete derbe, erhabene Knoten der Haut ( Abb. 9.1, Farbtafel XV) zusammen mit einer Vitritis ( Abb. 9.2,
Farbtafel XV) als Manifestation einer Candidasepsis auftreten. Diese Läsionen werden typischerweise im Bartbereich ( Abb. 9.1, Farbtafel XV) und auf der behaarten Kopfhaut gefunden. Toxisches Erythem/Exanthem. Krankheiten unterschiedlicher Ätiologie wie Scharlach, Toxin-SchockSyndrom (durch S. aureus verursacht, charakterisiert durch hohes Fieber, Exanthem, Schock, Organversagen), „Toxic-shock-like“-Syndrom (durch Gruppe-A-Streptokokken verursacht, charakterisiert durch hohes Fieber, Exanthem, Schock, Organversagen, Weichteilnekrosen), Kawasaki-Syndrom usw. erzeugen eine ähnliche diffuse, feinfleckige, sonnenbrandähnliche Erythrodermie, die durch den Gefäßeffekt des Toxins bedingt ist. Im Krankheitsverlauf kommt es typischerweise zur Desquamation. Therapeutisch am wichtigsten ist das Erkennen des ToxinSchock- und „Toxic-shock-like“-Syndroms. Bei Verdacht auf diese Syndrome muss der Primärherd mit S. aureus bzw. Gruppe-A-Streptokokken aktiv gesucht und saniert werden.
Differenzialdiagnose
• • •
Entscheidend ist es, zwischen einer lokalisierten bakteriellen Infektion und den Hautmanifestationen einer systemischen Infektion zu unterscheiden. Aus therapeutischen Gründen ist es wichtig, die Tiefe einer Infektion zu erfassen (s. Kap. 9.7, S. 280). Zur Unterscheidung einer Zellulitis und einer Streptokokkenmuskelgangrän sind in der Regel bildgebende Verfahren (Ultraschall, CT, MRT) notwendig.
Notfallanamnese
• • •
•
Fieber, Schüttelfrost, Schmerzen und schlechter Allgemeinzustand deuten auf eine systemische Infektion hin. Bei Vorliegen einer lokalisierten bakteriellen Infektion sollte die Eintrittspforte gesucht und wenn möglich saniert werden. Bei Hautmanifestationen, die für eine Endokarditis sprechen, müssen die entsprechenden Angaben zur Endokarditis erfragt (s. S. 95), bei V. a. eine systemische Candidiasis muss eine Drogenanamnese erhoben werden. Bei V. a. ein Toxin-Schock-Syndrom muss ein Infektionsherd gesucht werden (Tampongebrauch, Abszesssymptome, Diarrhö).
Schwere Hautinfektionen
279
Notfalluntersuchung
Therapie
Klinik
Notfallmanagement
•
Bei Vorliegen einer systemischen Infektion müssen die Notfallmaßnahmen der entsprechenden Infektion durchgeführt werden. Die antibiotische Therapie der lokalisierten und systemischen Hautmanifestationen ist in Tab. 9.3 zusammengefasst.
• • • •
Inspektion: lokalisierte Infektion versus systemische Infektion, Lymphadenitis/Lymphangitis, Augenfundus: Candidasepsis, Endokarditis, Herzauskultation: Hinweise für Klappeninsuffizienz, Extremitäten: Arthritis, Phlebitis, Stichstellen, Vitalparameter: Blutdruck, Herzfrequenz (ToxinSchock-Syndrome).
Diagnostik Labor. Rotes und weißes Blutbild (Differenzialblutbild), Thrombozytenzahl, CRP, Gerinnungsanalyse (DIC: Quick, aPTT, Thrombinzeit, Fibrinogen, D-Dimere), Blutkulturen, Leber- und Nierenfunktion (für korrekte Antibiotikawahl und Dosierung). Mikrobiologie. Evtl. Kultur vom Infektionsherd (Aspiration von Sekret aus Pustel oder Blase oder Biopsie). Bildgebende Verfahren. Beim Vorliegen einer Zellulitis muss mit Ultraschall, CT oder MRT die Tiefe der Infektion geprüft werden (Myositis?).
Tabelle 9.3
Weitere Maßnahmen Bei unklarem Befund konsiliarische Beurteilung durch den Dermatologen. Bei Verdacht auf tiefe Infektion im Rahmen einer Zellulitis: sofortige interdisziplinäre Besprechung des Vorgehens mit dem Chirurgen (s. Kap. 9.7, S. 280).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Wenn möglich fotografische Dokumentation zur Verlaufsbeurteilung.
Therapie der lokalisierten und systemischen Hautmanifestationen.
Diagnose
1. Wahl
2. Wahl
Erysipel
Penicillin G (4 2,5 Mio. IE/d i. v.) (EG-C) oder Amoxicillin (3 0,75 g/d p. o.) (EG-C)
Ceftriaxon (1 g/d i. v.) (EG-B) oder Cefuroxim-Axetil (2 0,5 g/d p. o.)
Impetigo (EG-C)
Flucloxacillin (4 1 g/d i. v.) oder Amoxicillin/Clavulansure (3 0,625 g/d p. o.)
Cefazolin (3 1 g/d i. v.)
DIC (Sepsis)
s. Tab. 9.1, S. 267
Endokarditis
s. S. 95
Toxin-Schock-Syndrom
Flucloxacillin (4 2 g/d i. v.)
Cefazolin (3 2 g/d i. v.)
“Toxic-shock-like”-Syndrom (Gruppe-A-Streptokokken)
Penicillin G (4 5 Mio. IE/d i. v.) plus Clindamycin (EG-D) plus i. v. Gammaglobuline (2 g/kg KG sofort und 1 nach 48 h) (EG-B)
Ceftriaxon (2 g/d i. v.) plus Clindamycin plus i. v. Immunglobuline (2 g/kg KG sofort und 1 nach 48 h)
280
9.7
Infektionskrankheiten
Nekrotisierende Weichteilinfektionen W. Zimmerli
Definition und Einteilung
9
Nekrotisierende Weichteilinfektionen sind in der Literatur unter verschiedenen Namen zu finden, nämlich nekrotisierende Fasziitis, synergistisch-nekrotisierende Gangrän, Gasgangrän oder Streptokokkenmyositis. Tiefe. Bei diesen Krankheiten handelt es sich um Weichteilinfektionen, die durch schnell progressive Nekrose des subkutanen Bindegewebes und der anliegenden Faszien mit weit reichender Unterminierung der Haut charakterisiert sind. Je nach Tiefe der Infektion handelt es sich um eine Zellulitis (nur Haut betroffen), um eine Fasziitis (Nekrose bis zur Faszie ohne Muskelbefall) oder eine Myositis (Nekrose der Muskulatur).
Pathophysiologie In der Regel wird die Infektion durch ein lokales Trauma oder einen chirurgischen Eingriff ausgelöst. Begünstigende Faktoren sind Diabetes mellitus, chirurgische abdominelle Eingriffe, intravenöser oder subkutaner Drogenabusus und Adipositas.
Typische Krankheitszeichen Nekrotisierende Fasziitis ( Abb. 9.8, Farbtafel XVII) • Leitsymptome: schwere systemische Krankheitszeichen und massive Schmerzen, • Fieber (30 – 100%, kann fehlen wegen Einnahme großer Mengen von Schmerzmitteln), • Rötung, Überwärmung, Glanz, Schwellung ohne scharfen Randsaum (70 – 100%), • Schmerzen stärker als Lokalbefund vermuten lässt, • innerhalb von ca. 36 h blau-graue Flecken, • nach 2 – 4 Tagen kutane Blasen (5 – 25%) und Hautnekrosen (30 – 70 %), • im späten Verlauf (mehrere Tage) Hypo- oder Anästhesie (15 – 40%) als Folge von Nervenschädigungen,
•
Gasbildung (Knistern bei Palpation; 5 – 60%) wird vor allem bei Mischinfektionen gesehen, jedoch nicht bei der Infektion mit Streptokokken der Gruppe A, • Delir (25 – 40%), • Schock (10 – 60%), • Ikterus (10 – 20 %). Die Ausbreitung der Krankheit mit Fasziennekrose und weitflächiger Unterminierung der Haut ist klinisch nicht gut fassbar. Die nekrotisierende Fasziitis kann jeden Teil des Körpers befallen, ist jedoch am häufigsten an den Extremitäten. Beim Vorkommen am männlichen oder seltener weiblichen Genitale wird die nekrotisierende Fasziitis als Fournier-Gangrän bezeichnet. Eine Eintrittspforte kann nicht immer entdeckt werden. Synergistisch-nekrotisierende Gangrän oder Zellulitis • Diese Infektion ist eine Variante der nekrotisierenden Fasziitis mit hauptsächlichem Befall der Haut und der Muskeln. Erreger sind Anaerobier und gramnegative aerobe Keime. • Die Krankheit beginnt mit kleinen Hautulzera mit putridem bräunlichem Exsudat. Häufig bestehen auch Hautnekrosen. • Der Patient hat starke lokale Schmerzen und in der Regel schwere systemische Krankheitszeichen. Gasgangrän (Clostridiennekrose) ( Abb. 9.9, Farbtafel XVII) • Der Gasbrand ist eine potenziell letale Krankheit und muss deshalb sofort erkannt werden. Symptome sind ein Ödem, bronzefarbene/bräunliche Hautverfärbung mit Blasen und reichlich wässrigem Sekret. • Zu Beginn steht lediglich der Schmerz im Vordergrund. Später kommen systemische Toxizitätszeichen mit Tachykardie und hohem Fieber sowie lokaler Krepitus durch Gasbildung im Gewebe dazu. • Die Inkubationszeit ist mit 12 – 24 h sehr kurz. Das lokale Fortschreiten ist so rasch, dass durch das Anzeichnen der Läsion auf der Haut die Progredienz innerhalb von 1 – 2 h festgestellt werden kann. Streptokokkenmyositis • Gewisse Stämme von pyogenen Streptokokken können eine fulminante Form der Myositis verursachen. Dieses Krankheitsbild verläuft progredient innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen mit einem „Toxic-shock-like“-Syndrom.
Nekrotisierende Weichteilinfektionen
• •
Lokal hat der Patient starke Schmerzen, die Haut ist meist gerötet, es sind in der Regel Petechien und Blasen nachweisbar. Wegen der sehr raschen Zerstörung der Muskulatur werden die ursächlichen Streptokokken der Gruppe A auch als „fleischfressende Bakterien“ bezeichnet.
Differenzialdiagnose Zusätzlich zu den 4 erwähnten Krankheitsbildern: • Erysipel ( Abb. 9.3, Farbtafel XV): erhabenes Exanthem mit scharf begrenztem Randsaum, oft mit Lymphangitis und Lymphadenopathie. Geringe Schwellung, keine Nekrose, wenig Schmerzen, guter Allgemeinzustand. • Ecthyma gangraenosum ( Abb. 9.10, Farbtafel XVIII): rundes Ulkus mit zentral grau-schwarzer Nekrose und rotem erhabenem Randsaum. In der Regel Manifestation einer systemischen Pseudomonasinfektion. • Pyoderma gangraenosum ( Abb. 9.11, Farbtafel XVIII): Pusteln, erythematöse Knoten, tiefe Ulzera ohne schwere systemische Zeichen. Keine infektiöse Ursache, sondern Autoimmunkrankheit (Vaskulitis). Typisch, jedoch nicht immer anzutreffen bei spezifischen Grundleiden (Colitis ulcerosa, chronische Polyarthritis). Somit sind zu Beginn der Krankheit alle mikrobiologischen Entnahmen aus der Tiefe steril. Meist ist die Krankheit an den unteren Extremitäten und am Abdomen lokalisiert. • Phlegmasia coerulea dolens. Dunkellivide Verfärbung des Beines, distale kalte Extremität, fehlende Pulse. Logensyndrom bei Massenthrombose des ganzen venösen Querschnittes mit akraler Gangrän infolge eines Anstiegs des Gewebedrucks über den Kapillardruck. Stärkste Schmerzen im betroffenen Bein (s. a. S. 67).
Notfallanamnese
• • •
Symptome der bakteriellen Infektion: Fieber, Schüttelfrost, Schmerzen. Auslösende Faktoren: chirurgischer Eingriff, Trauma, i. v. Drogengebrauch, Darmperforation, Fisteln von intraabdominellen Abszessen, Harnblasenkatheterisierung (Fournier-Gangrän). Risikofaktoren: Diabetes mellitus (synergistischnekrotisierende Gangrän), offene Fraktur (Gasgangrän) und Colitis ulcerosa oder chronische Polyarthritis (Pyoderma gangraenosum).
•
281
Anamnestische Hinweise oder Risiko für eine Thrombose (Phlegmasia coerulea dolens).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion der Haut. Farbe, Ausdehnung, Dynamik der Progression der Läsionen, Ödem, Schwellung, Überwärmung, Verfärbung, Blasen, Exsudat, Fistel, Krepitation, Operationswunde, mögliche Eintrittspforten. Systemische Zeichen. Schlechter Allgemeinzustand, Fieber, Tachykardie, Tachypnoe, Schock.
Diagnostik Labor. CRP, Differenzialblutbild, Gerinnungsanalyse, Blutgasanalyse, bakteriologische Untersuchung von Blut, Exsudat und nach Möglichkeit Hautbiopsie (Kultur auf Bakterien und Pilze, Histologie). Leberund Nierenfunktion geben Hinweise für Antibiotikawahl und Dosierung. Bildgebende Verfahren. Ultraschall, CT oder MRT: Je nach Verfügbarkeit muss bei schwerem Krankheitsbild notfallmäßig ein bildgebendes Verfahren zur Diagnose der Tiefe der Infektion und zum Nachweis von Gas eingesetzt werden. Die Fragestellungen sind: Gasbildung? Epi- oder subfasziale Infektion? Myositis? Abszesse? Mit der MRT kann die Ausdehnung der Infektion am besten beurteilt werden.
Therapie Notfallmanagement
• •
Bei schwerer systemischer Krankheit: Sicherung der vitalen Funktion mit Volumenzufuhr, Vasoaktiva und Sicherstellung der Ventilation (s. S. 16). Nekrotisierende Fasziitis (inklusive Fournier-Gangrän) oder synergistisch-nekrotisierende Gangrän: rasches chirurgisches Vorgehen und Antibiotikatherapie. – Da üblicherweise eine an-/aerobe Mischflora vorliegt: Breitspektrumantibiotikum wie z. B. Imipenem (4 × 0,5 g/d i. v.), Meropenem (3 × 0,5 g/d i. v.) oder Piperacillin/Tazobactam (3 × 4,5 g/d i. v.) (EG-D). – Falls die intraoperativen Entnahmen (Gewebe, nicht Abstriche) eine Reinkultur von GruppeA-Streptokokken ergeben, kann nachträglich auf Penicillin G gewechselt werden.
282
•
9
•
•
Infektionskrankheiten
Klinisch und seitens der Laborbefunde V. a. Gasbrand (verschmutzte tiefe Wunde, Klinik und Nachweis von grampositiven Stäbchen im Wundsekret): – Sofort chirurgische Fasziotomie und Débridement, bei fortgeschrittener Muskelnekrose und erheblicher systemischer Toxizität ist eine frühe Amputation nicht zu umgehen. – Gleichzeitig soll eine antibiotische Therapie mit Penicillin G (4 × 5 Mio. IE/d i. v.) eingeleitet werden (EG-D). – Die Antitoxintherapie wird heute nicht mehr durchgeführt. Der Nutzen der hyperbaren Sauerstofftherapie wird kontrovers beurteilt, sie sollte auf keinen Fall die chirurgische Intervention verzögern. Streptokokkenmyonekrose (b-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A): – Penicillin G (4 × 5 Mio. IE/d i. v.) kombiniert mit Clindamycin (3 × 600 mg/d i. v.) (EG-D, EG-C bei Kindern). – Die einmalige Therapie mit hoch dosierten Immunglobulinen (‡ 1 g/kg KG) wird gelegentlich empfohlen, ist jedoch nicht bewiesen wirksam (EG-D). Pyoderma gangraenosum: hat keine bakterielle, sondern eine immunologische Genese und muss deshalb nicht antibiotisch behandelt werden. – Die Hautläsionen können sehr großflächig sein und müssen steril abgedeckt werden. – Systemisch Glukokortikoide in initial hoher Dosierung (z. B. Prednison ‡ 1 mg/kg KG) (EG-C). Die Dosierung und Dauer sind abhängig vom Ansprechen der Hautläsionen.
Weitere Maßnahmen
• •
Bei den tiefen nekrotisierenden Weichteilinfektionen muss nach initialem chirurgischem Eingriff (Faszienspaltung, Lavage, Débridement) täglich eine erneute Revision evaluiert werden. Die antibiotische Therapie soll gemäß initialen Kulturen optimiert oder vereinfacht werden.
Besondere Merkpunkte
• •
Situation immer interdisziplinär mit dem Dermatologen, Infektiologen und Chirurgen beurteilen. Rasche bildgebende Diagnostik zur Beurteilung der Infektionstiefe (epi-, subfaszial) ist für das Vorgehen (konservativ vs. chirurgisch) entscheidend wichtig.
9.8
Infektionen nach Bissverletzungen W. Zimmerli
Definition und Einteilung Hundebiss. Die meisten Tierbisswunden werden durch Hunde zugefügt, in der Regel durch den eigenen Hund, meist an den Extremitäten. Bei ausgedehnter Gewebezerstörung oder tief penetrierenden Wunden, vor allem an den Händen, beträgt die Infektionsrate bis zu 40%. Aus diesem Grund ist eine Bisswunde nicht nur ein chirurgisches Problem. Katzenbiss. Bei Katzenbisswunden ist die Infektionsrate > 50%. Da die Zähne sehr dünn und scharf sind, können die Wunden bis zu den Knochen oder Gelenken penetrieren. Menschliche Bisse. Auch menschliche Bisswunden haben ein hohes Infektionsrisiko. Bei den menschlichen Bisswunden ist zwischen eigentlichen Bisswunden und Läsionen nach Faustschlag auf die Zähne zu unterscheiden. Letztere sind klinisch nicht unbedingt als Bisswunden zu erkennen, da lediglich kleine Lazerationen an den Fingergelenken bestehen.
Pathophysiologie Pathophysiologisch handelt es sich bei den Bisswunden um die Inokulation einer Mundflora. Erreger nach Hundebissen. Die häufigsten Erreger sind vergrünende Streptokokken. Pasteurella multocida und S. aureus sind für 20 – 30% der Fälle verantwortlich. Ein spezieller Keim der Mundflora des Hundes ist der Capnocytophaga canimorsus. Im Übrigen spielen auch anaerobe Bakterien wie Actinomyces spp., Bacteroides spp. und Peptostreptokokken eine Rolle. Erreger nach Katzenbissen. Der häufigste Erreger ist die Pasteurella multocida, die für mehr als 50% der Infektionen verantwortlich ist. Bartonella henselae, der Erreger der Katzenkratzkrankheit, führt eher nach Kratzern als nach Bissverletzungen zu einer lokalen Infektion mit regionärer Lymphadenopathie. Menschenbisse. Diese haben verschiedene Ursachen: Im Kindesalter kommen auch selbst verursachte Bissverletzungen an den Fingerendgliedern vor, die zur Infektion mit eigenen Keimen führen. Die Infektionen manifestieren sich in diesem Fall als
Infektionen nach Bissverletzungen Paronychie. Bei Erwachsenen kommen Bissverletzungen entweder beim Kampf oder bei sexueller Aktivität zustande. Die Bakteriologie dieser Wunden entspricht der normalen Mundflora, nämlich vergrünende Streptokokken, Eikenella corrodens, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae und Anaerobier.
Typische Krankheitszeichen Hundebisse • Meist lokalisierte Hautinfektion mit grauem, putridem Exsudat. • Selten regionale Lymphadenopathie, Lymphangitis und Fieber als Zeichen einer fortgeschrittenen Infektion. • Mit einer infektiösen Arthritis muss gerechnet werden, wenn der Hundebiss über einem Gelenk liegt (besonders bei Bisswunden an der Hand). • Seltenere Komplikationen: Osteomyelitis, Meningitis oder tiefe Abszesse. Katzenbisse • Klinisch häufig sehr unauffällig. • Da diese Bisswunden jedoch sehr tief sein können, muss eine Arthritis oder eine Osteomyelitis gesucht werden. Menschenbisse • In der Regel weniger tief als Tierbisswunden. • Aus forensischen Gründen muss der Befund klinisch sehr genau erhoben und, wenn möglich, fotografisch dokumentiert werden. • Bei Männern sind die Bisswunden vor allem an den Händen und Armen, bei Frauen an der Brust und am Genitale. • Bei Bisswunden an Fingern muss ebenfalls nach einer Osteomyelitis oder einer septischen Arthritis gesucht werden. • Bei Faustverletzungen (Faust gegen Zahn) ist der klinische Befund initial sehr unauffällig. Häufig ist nur eine kleine Lazeration über dem Metakarpophalangealgelenk sichtbar. Da es sich in der Regel um eine Kampfverletzung handelt, bei welcher der Täter selbst das Opfer ist, kommt der Verletzte meist erst spät in die ärztliche Behandlung. Zu diesem Zeitpunkt kann bereits ein massives Ödem bestehen mit tiefer Verletzung oder sogar Arthritis im Metakarpophalangealgelenk.
283
Differenzialdiagnose Wegen der meist klaren Anamnese stellen sich keine differenzialdiagnostischen Probleme. Wichtig ist lediglich, ob es sich nur um eine Wundkontamination (innerhalb der ersten 8 h), eine Hautinfektion (nach 8 h) oder eine tiefe Infektion mit Arthritis oder Osteomyelitis handelt.
Notfallanamnese Die präzise Anamnese ist aus forensischen und versicherungstechnischen Gründen sehr wichtig. Gezielt erfragt werden müssen: • die Umstände des Unfalles (provoziert oder nicht provoziert), • die Art des Tieres (bekanntes Tier, provoziertes Tier, streunendes Tier, unprovoziert angreifendes Tier usw.), • eventuelle Grundkrankheiten des Opfers. Bei Diabetes mellitus, vorbestehendem Lymphödem auf der Bissseite, Splenektomie, Leberleiden oder Immunsuppression muss mit einer höheren Infektionsrate und mit einer häufigeren systemischen Infektausbreitung gerechnet werden.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
• • • •
Um systemische Krankheitszeichen zu erfassen, muss eine vollständige körperliche Untersuchung durchgeführt werden. Besonders wichtig sind jedoch genaue Untersuchung und Protokollierung der Lokalisation, des Ausmaßes und der Tiefe der Verletzung. Schwellung, Gewebezerstörung und Größe müssen dokumentiert werden. Bei Verdacht auf Sehnen- oder Gelenkverletzung müssen die entsprechenden Funktionen geprüft werden. Sensible und motorische Nervenfunktion sollten bereits initial untersucht werden. Neben lokalen Zeichen der Infektion muss eine regionale Lymphadenopathie oder eine Lymphangitis gesucht werden. Aus Versicherungs- und forensischen Gründen sind auch negative Befunde zu protokollieren.
284
Infektionskrankheiten
Diagnostik Labor. CRP, rotes und weißes Blutbild, bei systemischen Infektzeichen Blutkulturen, Leber- und Nierenfunktion (für korrekte Antibiotikawahl und Dosierung). Mikrobiologie. Aerobe und anaerobe Wundkultur (Transportmedium für anaerobe Kultur). Röntgen. Bei V. a. Fraktur oder Fremdkörper.
9
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Engmaschige klinische Kontrollen und Prüfung des C-reaktiven Proteins. Abklärung der Tollwutsituation ist wichtig. Im Zweifelsfall sollte eine aktive und passive Immunisierung gegen Tollwut durchgeführt werden (s. S. 294).
Therapie
Besondere Merkpunkte
Notfallmanagement
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Spülung und Débridement sind in der Regel chirurgische Notfallmaßnahmen. Alle Patienten mit unsicherer oder unvollständiger Tetanusimpfanamnese oder mit letzter Impfdosis vor > 5 Jahren brauchen eine Auffrischimpfung (EG-D) und je nach Bisssituation eine Tollwutimpfung (s. Tab. 9.4, S. 294). Innerhalb der ersten 8 h besteht noch keine Wundinfektion. Da jedoch Infektionen nach Bissverletzungen häufig sind, wird in der Regel präemptiv antimikrobiell für 3 – 5 Tage behandelt. Mit diesem Vorgehen kann die Infektionsrate signifikant gesenkt werden (EG-A). – Bei Tierbissen muss ein Antibiotikum gegeben werden, das auf Pasteurella multocida und Anaerobier wirkt. Ideal im Spektrum ist Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 625 mg/d p. o.). Clindamycin ist nicht wirksam gegen Pasteurellen, und Chinolone (außer Moxifloxacin) wirken nicht gegen Anaerobier. – Bei einer Penicillinallergie (Exanthem) kann ein Cephalosporin (z. B. Cefuroxim-Axetil 2 × 500 mg/d p. o.) oder Ceftriaxon (1 g/d i. v.) (EG-C) gegeben werden. – Bei Penicillinallergie vom Soforttyp ist die Kombination eines Chinolons (z. B. Ciprofloxacin 2 × 500 mg/d p. o.) mit Clindamycin (3 × 300 mg/d p. o.) indiziert. Extremitäten mit Bisswunden müssen initial immobilisiert und hochgelagert werden. Bei Handverletzungen soll initial der Handchirurg hinzugezogen werden.
Weitere Maßnahmen
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Chirurgische Kontrolle nach 24 h, danach je nach Befund. Bei Vorliegen von Sehnen- oder Gelenksverletzungen sind u. U. chirurgische Eingriffe notwendig.
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Bissverletzungen sind in den ersten 8 h nicht als Infektionen erkennbar. Trotzdem sollte zu diesem Zeitpunkt bereits eine präemptive antibiotische Therapie durchgeführt werden. Noch wichtiger als die antibiotische Frühtherapie ist die adäquate chirurgische Revision. Aus diesem Grund müssen alle Wundverletzungen sofort dem Chirurgen überwiesen werden.
9.9
Infektionen nach Zeckenstich W. Zimmerli
Definition und Einteilung Zecken sind Vektoren für zahlreiche Infektionserreger. Für die Beurteilung der von Zecken übertragenen Infektionskrankheiten sind eine genaue Reiseanamnese und epidemiologische Kenntnisse notwendig. Wichtigste heimische Infektionen. Im deutschsprachigen Europa sind drei zeckenübertragene Infektionen wichtig, nämlich die Frühsommermeningoenzephalitis (FSME-Virus), die Lyme-Borreliose (Borrelia burgdorferi) und die Ehrlichiose (Ehrlichia spp.). Zudem kann auch die Babesiose sporadisch beim Menschen auftreten. Diese zeckenübertragenen malariaähnlichen Protozoen (Babesia microti) spielen allerdings beim Immunkompetenten keine relevante Rolle. Andere Erkrankungen. Je nach Reiseanamnese müssen auch andere Krankheiten nach Zeckenstich in Erwägung gezogen werden. Die wichtigsten sind: • Rickettsiosen: Diese Krankheiten haben je nach Übertragungsort verschiedene Namen. In der westlichen Hemisphäre findet sich das „Rocky Mountain spotted fever“, im Mittelmeerraum
Infektionen nach Zeckenstich
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das „Fièvre boutonneuse“. Erreger sind Rickettsien (Rickettsia rickettsii, Rickettsia conorii). Endemisches Rückfallfieber: Verschiedene Borrelienspezies, nicht jedoch die Borrelia recurrentis, werden durch Zecken übertragen. Endemiegebiete sind Teile von Afrika, West-, Mittel- und Südamerika, Asien, Süd- und Osteuropa. Tularämie: Die Tularämie (Francisella tularensis) ist weit verbreitet, insbesondere in der nördlichen Hemisphäre. Heute wird diese Krankheit vor allem in den Vereinigten Staaten erworben.
Pathophysiologie Übertragung der jeweiligen Erreger (Bakterien, Rickettsien, Viren, Parasiten) durch den Stich einer Zecke. Die Zecken dienen als Vektoren. Das Infektionsrisiko ist abhängig von der infektiösen Dosis und auch von der Dauer des Kontaktes zwischen der Zecke und dem Menschen.
Typische Krankheitszeichen Zeckenenzephalitis (FSME-Virus). Die Inkubationszeit liegt zwischen 3 und 30 Tagen. Zwei Drittel der Fälle verlaufen asymptomatisch. Bei symptomatischem Verlauf beginnt die Krankheit mit unspezifischen Allgemeinsymptomen (Fieber, Pharyngitis, Muskelschmerzen). Eine Woche später kommt es bei einem Teil der Patienten zu einem zweiten Fieberanstieg mit Zeichen einer Meningoenzephalitis. Lyme-Borreliose. Diese Krankheit ist durch 3 Stadien charakterisiert: • Stadium 1: 2 – 4 Wochen nach der Infektion kommt es zu unspezifischen Krankheitssymptomen und typischerweise zu einem Erythema migrans (randbetonte Rötung, zentrale Stichreaktion, darum herum Abblassen) ( Abb. 9.12, Farbtafel XVIII) oder einer Lymphadenosis cutis benigna (rotbrauner bis livider Knoten, weich bis prallelastisch an Kopf, Areola mammillae, Genitale oder Axillarfalten) ( Abb. 9.13, Farbtafel XIX). • Stadium 2: 2 – 3 Monate nach der Infektion kann es zu neurologischen, kardialen oder rheumatologischen Manifestationen kommen. Typische Symptome sind Meningitis, Meningoradikulitis, Hirnnervenparesen, Myokarditis oder Arthritis (in der Regel Mono- oder Oligarthritis). • Stadium 3: Monate bis Jahre nach der Infektion können Spätmanifestationen wie Acrodermatitis chronica atrophica (Hautatrophie mit zigarettenpapierartiger Fältelung), Arthritiden oder chroni-
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sche neuropsychiatrische Krankheitsbilder auftreten. Ehrlichiose. Die Ehrlichiose kommt vor allem in den Vereinigten Staaten, jedoch auch in Mitteleuropa vor. Die Krankheit ist charakterisiert durch Fieber, Kopfschmerzen, generalisiertes Exanthem und Myalgien, gelegentlich zusammen mit Nausea, Husten und Verwirrtheit. Möglicherweise kommen auch Doppelinfektionen mit Borrelia burgdorferi vor. Babesiose. In Europa erworbene Babesiosen kommen nur bei splenektomierten Patienten vor, in Amerika wurden auch Fälle bei nichtsplenektomierten Patienten beobachtet. Nach einer Inkubationszeit von 1 – 3 Wochen beginnen die Symptome unspezifisch mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien, Abdominalschmerzen und psychiatrischen Symptomen. Wegen der Hämolyse wird in der Regel ein dunkler Urin beobachtet. Im späteren Krankheitsverlauf kann sich ein ARDS entwickeln. Rickettsiosen. Nach einer Inkubationszeit von 7 – 12 Tagen erscheinen die klinischen Leitsymptome, nämlich hohes Fieber, Kopfschmerzen, Exanthem (makulopapulös mit Befall auch der Handflächen), Myalgien, Nausea und Erbrechen. Endemisches Rückfallfieber. Nach einer Inkubationszeit von 4 – 18 Tagen beginnt die Krankheit mit einem 3-tägigen Fieberschub. In Abständen von einer Woche treten neue Schübe auf. Splenomegalie und Exanthem (petechial, makulär oder papulös) sind häufig. Tularämie. Nach einer Inkubationszeit zwischen 3 und 21 Tagen beginnt die Krankheit mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Typischerweise besteht eine relative Bradykardie bei fast der Hälfte der Fälle. Zusätzliche Symptome sind Ulzera an Hautinokulationsstelle, Lymphadenitis, Konjunktivitis, Pneumonie und Pharyngitis.
Differenzialdiagnose Falls der Zeckenstich nicht gesichert ist, müssen auch andere durch Insekten übertragene Krankheiten in Erwägung gezogen werden.
Notfallanamnese
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Wo und zu welcher Jahreszeit wurde der Patient von der Zecke gestochen (Reiseanamnese, Endemiegebiete für FSME oder andere durch Zecken übertragene Erreger)? Endemiegebiete für FSME (Abb. 9.14) sind anhand einer jährlich aktualisier-
Infektionskrankheiten
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Abb. 9.14 Endemiegebiete für zeckenübertragene FSME. a In Deutschland.
ten Karte im Internet (http://www.rki.de, www.bag.admin.ch oder http://www.zecken.at/) unter den Suchbegriffen „FSME und Endemiegebiet“ abrufbar. Zecken stechen nur bei Temperaturen > ca. 8 8C, in Mitteleuropa in der Regel erst ab April. Borrelien sind in Mitteleuropa nicht auf fokale Endemiegebiete beschränkt, sondern ubiquitär < ca. 1200 m ü. M. verbreitet.
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Wann wurde der Patient von der Zecke gestochen? Die Inkubationszeit ist wichtig für die Beurteilung der möglichen Ätiologien. Ist innerhalb einiger Tage bis Wochen nach dem Zeckenstich eine Hautreaktion beobachtet worden (Erythema migrans) ( Abb. 9.12, Farbtafel XVIII)? Impfanamnese (FSME-Impfung?).
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Infektionskrankheiten
Gezielte Fragen je nach differenzialdiagnostischen Möglichkeiten (z. B. Ulzera, Lymphadenitis und Konjunktivitis bei Tularämie, Exanthem bei Rickettsiose usw.).
Notfalluntersuchung Klinik
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9 •
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Lokale Infektion an der Stichstelle. Suche nach spezifischen Symptomen der LymeBorreliose: – Tage bis wenige Wochen nach Zeckenstich: Erythema migrans ( Abb. 9.12, Farbtafel XVIII), Lymphadenosis cutis benigna ( Abb. 9.13, Farbtafel XIX), – bei Zeckenstich vor mehr als 3 Monaten: Suche nach neurologischen Manifestationen wie Myelitis, Polyneuritis, Radikulitis, Hirnnervenparesen, Meningitis oder Enzephalitis. Suche nach spezifischen Symptomen der FSMEEnzephalitis: 1 – 2 Wochen nach dem Stich mit einer FSME-infizierten Zecke Zeichen der Meningoenzephalitis wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Fieber und Bewusstseinsstörung. Für die seltenen Ätiologien müssen je nach Reiseanamnese die oben erwähnten typischen Krankheitszeichen gezielt gesucht werden.
Diagnostik
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• • •
Lyme-Borreliose: Serologie (IgM und IgG), bei Arthritis Nachweis des Erregers mittels PCR im Gelenkerguss. Zum Beweis der Neuroborreliose muss die intrathekale Antikörperproduktion nachgewiesen werden. Die PCR im Liquor soll wegen sehr schlechter Sensitivität nicht verlangt werden. FSME: Serologie (IgM, IgG). Babesiose: Blutausstrich (Giemsa-Färbung), Serologie. Rickettsiose: Serologie (IgM, IgG).
Therapie Notfallmanagement Entfernung der Zecke. Bei frischem Stich ist die Entfernung der Zecke der wichtigste und einzige therapeutische Schritt. Die Zecke wird am besten mit einer Pinzette oder geschütztem Finger möglichst nahe an der Stichstelle gefasst und durch
gleichmäßiges Ziehen oder Drehen mit ihren Mundteilen entfernt. Vor und nach der Entfernung soll die Stichstelle desinfiziert werden. Doxycyclin. Die prophylaktische Gabe einer Einzeldosis von 200 mg Doxycyclin ist zwar wirksam (EG-A), jedoch nicht sinnvoll, da ca. 100 Individuen behandelt werden müssen, um ein einziges Erythema migrans zu verhindern, und da das Erythema migrans ohne Residuen antibiotisch geheilt werden kann. Zeckenenzephalitis. Von der passiven postexpositionellen Prophylaxe wird bei Kindern abgeraten, da die Enzephalitis sogar ungünstiger verlaufen kann als ohne Hyperimmunglobuline. Bei Erwachsenen kann sie wegen fehlender Wirksamkeitsdaten ebenfalls nicht empfohlen werden. Lyme-Borreliose. Therapie der verschiedenen Manifestationen: • Erythema migrans: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. während 10 Tagen (EG-A) oder Amoxicillin 3 × 500 mg/d p. o. während 20 Tagen (EG-A). • Neurologische Manifestationen: Ceftriaxon 1 × 2 g/d oder Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d als Kurzinfusionen (2 – 4 Wochen) (EG-A) oder bei der isolierten Fazialisparese Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. (2 – 3 Wochen) (EG-A). • Arthritis: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. während 4 Wochen oder bei erstem Rezidiv Ceftriaxon 1 × 2 g/d i. v. während 3 – 4 Wochen (EG-B). • Karditis: Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion oder Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d als Infusion während 2 – 3 Wochen (EG-C). Seltene zeckenübertragene Infektionen. Für die Therapie der übrigen, seltenen von Zecken übertragenen Infektionen sei auf die Standardlehrbücher verwiesen. Meldepflicht. Siehe Tab. 9.25 – Tab. 9.32, S. 360ff.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Nach dem Entfernen einer Zecke Stichstelle in den folgenden Tagen durch den Patienten beobachten lassen. Beim Auftreten eines Erythema migrans antibiotische Therapie einleiten.
Tetanus
9.10 Tetanus W. Zimmerli
Definition und Einteilung Tetanus wird entsprechend dem klinischen Bild auch Starrkrampf genannt. Die Krankheit entsteht nur bei fehlender Immunität, somit in Europa praktisch nur bei älteren Leuten, besonders Frauen. Bisher wurden keine Fälle beschrieben bei Individuen, die mehr als 3 Impfungen erhalten haben. Tetanus wird verursacht von Toxinen von Clostridium tetani, einem obligat anaeroben grampositiven Sporen bildenden Stäbchen. Formen. Man kennt 4 Formen, die sich durch unterschiedliche Manifestation und Prognose unterscheiden: • Generalisierte Form: häufigste Manifestation, schlechte Prognose. • Lokalisierte Form: beschränkt auf Inokulationsstelle, günstige Prognose, jedoch gelegentlich Fortschreiten zur generalisierten Form. • Zephalische Form: betrifft die von Hirnnerven innervierte Muskulatur, Prognose variabel. • Neugeborenentetanus: generalisierte Form mit Eintrittspforte an der Nabelschnittstelle, prognostisch sehr schlecht, nur bei Neugeborenen, deren Mütter keine Antikörper haben.
Pathophysiologie Übertragung. Verursacht durch Tetanospasmin, ein Neurotoxin, das während dem Wachstum von Clostridium tetani produziert wird. Clostridiensporen sind sehr hitze- und austrocknungsresistent und können durch kontaminierte Instrumente oder Verletzung mit Schmutzeintritt (Gartenarbeit, Landwirtschaft, Unfall) übertragen werden. Die Eintrittspforte ist häufig eine Bagatellverletzung, die bei Krankheitsbeginn (Tage bis Wochen) bereits abgeheilt sein kann. Auch unsterile subkutane Injektionen (v. a. bei Drogenkonsumenten) oder Tierbisse können zu Tetanus führen. Ausbreitung. Der Infektionserreger bleibt in der Wunde lokalisiert und kann sich unter anaeroben Bedingungenvermehren unddas Toxinbilden.Das Toxin wird retrograd axonal transportiert, tritt ins ZNS über und schädigt hemmende Neurone, was sich dann als erhöhter Muskeltonus (Rigor) und unkontrollierte motorische Aktivität (Spasmen) manifestiert.
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Typische Krankheitszeichen Nach einer Inkubationszeit von wenigen Tagen bis 2 Wochen (seltener auch mehrere Wochen) Prodromalsymptome in Form von Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen und Schwäche. Je kürzer die Inkubationszeit ist, umso schwerer ist in der Regel der Verlauf. Generalisierte Form • Nach der Prodromalphase Progression mit Muskelrigidität v. a. zervikal, Reflexspasmen und Dysphagie. Die Muskelspasmen beginnen in der Regel im Bereich der Kaumuskulatur (Trismus, Kiefersperre) und der Gesichtsmuskulatur (Risus sardonicus). Spasmen der Schlundmuskulatur führen zu Schluckstörungen und jene der Nacken- und Rückenmuskulatur zu Opisthotonus. Fieber fehlt beim initialen Krankheitsbild. • Mit fortschreitender Krankheit kommt es zu Reflexspasmen, die durch Lärm, Licht und Berührung (Umlagerung) ausgelöst werden. Das Bewusstsein ist klar, und der Patient hat keine respiratorische Insuffizienz. Die Krankheit verschlechtert sich während etwa 2 Wochen, auch wenn Antitoxin verabreicht wird, da dies auf das ins Nervensystem eingedrungene Toxin keine Wirkung hat. • Im fortgeschrittensten Stadium kommt es zu lang dauernden Krämpfen, zur Ateminsuffizienz und zur Instabilität des autonomen Nervensystems mit Tachykardie, Tachyarrhythmie und extremen Blutdruckschwankungen. Auch in diesem Stadium ist der Patient noch bewusstseinsklar. Lokalisierte Form. Persistierende Muskelspasmen, die auf die Inokulationsstelle lokalisiert bleiben. Zephalische Form. Spezielle Form des lokalisierten Tetanus. In der Regel ausgehend von Otitis media oder Kopfverletzungen. Meist auf das Innervationsgebiet des N. facialis beschränkt. Neugeborenentetanus. Nabelwundeninfektion: rasche fatale Progredienz bei Neugeborenen von nichtimmunen Müttern. Praktisch nur noch in Entwicklungsländern.
Differenzialdiagnose Die Diagnose des Tetanus ist rein klinisch und kann nicht mit einer Laboruntersuchung nachgewiesen oder ausgeschlossen werden. Der Ausschluss von Zuständen, die Tetanus imitieren, ist deshalb wichtig:
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Infektionskrankheiten
Strychninvergiftung: klinisch sehr ähnliches Krankheitsbild. Bei Patienten mit i. v. oder s. c. Drogenmissbrauch kommen beim entsprechenden Krankheitsbild sowohl Tetanus (lokale Inokulation) als auch Strychninvergiftung (unreine Drogen) infrage. Neuroleptika und Antiemetika (zentrale Dopaminantagonisten): Muskeldyskinesien können sofort oder Stunden bis Tage nach Therapiebeginn auftreten und sich wie ein Tetanus mit Krämpfen im Gesicht- und Rumpfbereich manifestieren. Diese Dystonien können klinisch unterschieden werden: Beim Tetanus ist der Kopf im Rahmen des Opisthotonus nur dorsal rekliniert, während er bei den zentralen Dopaminantagonisten praktisch immer seitlich gedreht und rekliniert ist. Durch Gabe von Anticholinergika (Biperiden) verschwinden die medikamentösen Dystonien, während die Tetanusspasmen bleiben (s. „Therapie“). Zahninfektionen (Trismus). Hypokalzämische Tetanie (s. S. 213).
Notfallanamnese
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Impfanamnese (wenn möglich mit Impfausweis verifizieren, nicht dokumentierte Impfungen gelten als nicht durchgeführt!). Verletzung: Art, Lokalisation, Zeitpunkt (bei ca. 20% sind weder Verletzung noch Trauma eruierbar). Unfall: verschmutzte Wunde. Drogenabhängigkeit: s. c. Injektionen mit schmutziger Spritze/Nadel. Medikamente und Vergiftungen: Neuroleptika, Antiemetika, Strychnin.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Wunden, Stichstellen. Neurologische Untersuchung. Risus sardonicus, Trismus, Opisthotonus, Muskeltonus (Spasmen), Hyperreflexie, Sensibilität (intakt bei Tetanus), Bewusstsein (ungestört bei Tetanus). Herz-Kreislauf-System. BD-Messung (Hyper-, Hypotonie), Pulsfrequenz (Tachykardie und Tachyarrhythmie).
Diagnostik Die Diagnose muss klinisch gestellt werden (kein beweisender Labortest!). Kultur. Gelegentlich sind grampositive, Sporen bildende Stäbchen in Wunden nachweisbar. Allerdings sind die anaeroben Kulturen einerseits nur selten positiv, anderseits kann Clostridium tetani gelegentlich auch in Wunden von Patienten ohne Tetanus nachgewiesen werden. Antikörperbestimmung. Tetanusantikörper bei Tetanus meist unmessbar oder sehr tief (ungenügende Immunität). Labor. Nur zum Ausschluss von differenzialdiagnostischen Möglichkeiten: Serumkalzium, Strychnin im Serum und Urin.
Therapie Notfallmanagement Basiert auf Fallbeschreibungen (EG-D): Bei Verdacht sofortige stationäre Aufnahme auf die Intensivstation zur Sicherung der klinischen Diagnose, Ausschluss von Differenzialdiagnosen und Überwachung und Therapie von vitalen Funktionen („supportive care“). Reizarme Umgebung (dunkel und ruhig) (EG-C). Erste Priorität • Sicherung der Atemwege (Cave! Laryngospasmus). Eventuelle Intubation unter Benzodiazepinen, evtl. schon initial Tracheotomie notwendig (EG-C). • Versuchsweise Gabe von Biperiden (2,5 – 5 mg langsam i. v.) zum Ausschluss von Dyskinesien unter zentralen Dopaminantagonisten (EG-C). • Therapie der neuromuskulären Symptome: Sedierung, Muskelrelaxation, Analgesie. Dauerinfusion mit Midazolam (0,03 – 0,2 mg/kg/h, je nach klinischem Ansprechen) (EG-C). Innerhalb der ersten 24 Stunden • Antitoxintherapie: humanes Tetanushyperimmunglobulin z. T. lokal in Wundumgebung infiltrieren (500 IE), z. T. systemisch (5000 IE i. m.) verabreichen (EG-C). Die intrathekale Gabe von Hyperimmunglobulin (1000 IE gelöst in 4 ml H2O distillata intrathekal nach Entfernung von 4 ml Liquor) hat einen zusätzlichen Nutzen zum systemischen Hyperimmunglobulin (3000 IE i. m.) (EG-A).
Botulismus
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Wundversorgung (Débridement) erst nach Neutralisation des freien Toxins. Gewebe in anaerobem Transportmedium zur Kultur einsenden. Antibiotikatherapie der Clostridien: Penicillin G (4 × 3 – 5 Mio. IE/d als Kurzinfusion während 10 Tagen) oder Metronidazol (3 – 4 × 0,5 g/d i. v.) (EG-A). Relaxation: Bei protrahierten schmerzhaften klinischen Krämpfen trotz Benzodiazepinen muss der Patient relaxiert, intubiert und beatmet werden. Mit einer kontinuierlichen Magnesiumsulfat-Infusion (40 mg/kg KG über 30 min als Sättigungsdosis, dann 2 g/h für Patienten mit > 45 kg KG) können der Midazolambedarf und die hämodynamische Instabilität signifikant reduziert werden (EG-A). Immunisierung: Aktive Immunisierung mit Tetanusimpfstoff (initial 1 ml i. m.) sofort, anschließend während Hospitalisation weitere 2 – 3 Gaben von 0,5 ml i. m. (durchgemachter Tetanus führt nicht zur Immunität!). Sinnvollerweise wird eine kombinierte Diphtherie-Tetanus-Impfung verabreicht. Meldepflicht: s. Tab. 9.25 – Tab. 9.32, S. 360ff.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Überwachung und Behandlung in der Intensivpflegestation (ruhiger und abgedunkelter Raum). Engmaschige Kontrolle von Blutdruck, Puls und Atmung. Bei relaxierten Patienten: täglich einmal Relaxation unterbrechen zur Beurteilung der Krankheitsaktivität und Verhinderung der Kumulation. Frühe Tracheotomie, falls Langzeitbeatmung wahrscheinlich. Enterale Ernährung, Gastrostomie.
Besondere Merkpunkte Ein Tetanus hinterlässt keine genügende Immunität, deshalb aktive Immunisierung während der stationären Betreuung unbedingt vollständig (3 – 4 Dosen) durchführen. Eine kombinierte Diphtherie-TetanusImpfung ist sinnvoll.
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9.11 Botulismus W. Zimmerli
Definition und Einteilung Verursacht durch Neurotoxine von Clostridum botulinum. Die Typen A, B, E und F führen beim Menschen zur Krankheit. Im Gegensatz zum Tetanustoxin führen Botulinustoxine zu schlaffen Paresen. Formen. Klinische Formen sind der Nahrungsmittelbotulismus, der Säuglingsbotulismus, der Wundbotulismus und der Botulismus unklarer Ätiologie.
Pathophysiologie Übertragung. Vergiftung durch ungenügend erhitzte Nahrungsmittel (hausgemachte Konserven), die mit Botulinustoxinen kontaminiert sind. Das Toxin wird im oberen Dünndarm resorbiert und gelangt hämatogen zu den peripheren cholinergischen Synapsen. Beim Säugling und möglicherweise auch beim Erwachsenen mit fehlender Magensäure können aufgenommene Sporen keimen, den Gastrointestinaltrakt kolonisieren und die Toxine dort produzieren. Beim Wundbotulismus gelangen Sporen in die Wunde, wo sie keimen und Toxine produzieren. Das Toxin kann auch via Inhalation resorbiert werden, z. B. beim Öffnen von kontaminierten Konserven oder im Rahmen von Bioterrorismus. Wirkung. Das Toxin gelangt an die Synapse und verhindert dort die Freisetzung von Azetylcholin. Beim Befall des motorischen Systems kommt es zu Paresen, bei Toxinwirkung auf parasympathische Nervenendigungen oder auf autonome Ganglien zu autonomer Dysfunktion.
Typische Krankheitszeichen
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Inkubationszeit: wenige Stunden bis 1 Woche, je kürzer, umso schwerer der Verlauf. Beim Wundbotulismus länger, nämlich 4 – 18 Tage (im Durchschnitt 1 Woche). Neurologische Symptome: häufig (70 – 100 %) sind: Dysphagie, Mundtrockenheit, Diplopie, verschwommenes Sehen, Dysarthrie, Schwäche der oberen und/oder unteren Extremitäten; seltener (25 – 30%) Harnretention. Selten (10 – 20%): Parästhesien.
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Infektionskrankheiten
Respiratorische Symptome: Dyspnoe, respiratorische Insuffizienz (20%). Gastrointestinale Symptome: häufig (50 – 80%): Obstipation, Erbrechen; selten (10 – 35%): Nausea, Abdominalkrämpfe, Diarrhö. Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Schwindel, fehlende Pulsregulation, Orthostase, selten hohes Fieber oder Hypothermie, gelegentlich kein Fieber.
Differenzialdiagnose
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Myasthenia gravis: nicht fulminant und keine Symptome des autonomen Nervensystems. Guillain-Barré-Syndrom: beginnt nur sehr selten mit Hirnnervenparesen und macht keine Pupillenanomalien (s. S. 402). Hirnstamminsult. Intoxikationen: mit CO, Magnesium, Rodentizid, Methylchlorid, organischer Phosphorsäure. Poliomyelitis: Fieber und asymmetrische Schwäche.
Notfallanamnese
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Nahrungsmittelanamnese: verdächtige Speisen: hausgemachte Gemüsekonserven (gewölbter Deckel durch Gasbildung!), geräuchertes oder gepökeltes Schweinefleisch, Würste, Wildpasteten. Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme und der ersten Symptome (Inkubationszeit). Zustand der Personen, welche die gleichen Speisen eingenommen haben. Oben erwähnte neurologische und gastrointestinale Symptome. Vorangegangenes Trauma mit offener Wunde (insbesondere offene Fraktur). I. v. oder s. c. Drogenapplikation.
und unteren Extremitäten. Seltener (20 – 50%): weite reaktionslose Pupillen, Nystagmus, Ataxie, abgeschwächte Reflexe, Pupillenweite und -motorik. Vitalkapazität. Atmung (Ateminsuffizienz), als Verlaufsparameter soll initial und periodisch die Vitalkapazität gemessen werden.
Diagnostik Toxinnachweis. Die Diagnose des Botulismus wird aufgrund der Anamnese und der typischen Befunde klinisch gestellt. Es gibt keinen beweisenden Test, außer Toxinnachweis im Serum, im Mageninhalt oder bei Kleinkinderbotulismus im Stuhl. Sicherstellen der verdächtigen Nahrungsmittel oder von Erbrochenem für den Toxinnachweis (Toxinneutralisation im Mäuseversuch). Lungenfunktion. Vitalkapazität und arterielle Blutgasanalyse zur Erfassung der globalen respiratorischen Insuffizienz.
Therapie Notfallmanagement
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Notfalluntersuchung Klinik Allgemeine Symptome. Erhaltenes Bewusstsein, kein Fieber, gelegentlich sogar Hypothermie, trockene Schleimhäute durch vollständiges Fehlen der Speichelsekretion, fixe Herzfrequenz ohne Anpassung an Lagewechsel und Hypotonie. Neurologischer Status. Häufig (80 – 95%): Ptose, gestörter Schluckreflex, Augenmuskelparesen, Fazialisparese, Zungenschwäche, Paresen der oberen
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Supportive intensivmedizinische Maßnahmen: Intubation und Beatmung bei Ateminsuffizienz, in der Regel bei Abfall der Vitalkapazität unter 12 ml/kg. Laxativa und Darmspülungen: beim Verdacht auf residuelle kontaminierte Nahrungsmittel (nur wenn kein Ileus besteht). Antitoxin: Das polyvalente Serum gegen Toxin A, B und E ist in der Schweiz über das Schweizerische Toxikologische Informationszentrum erhältlich. In Deutschland ist das Antitoxin (Botulismus-Antitoxin Behring) im Handel (Stand 8/2008). Kontrollierte Studien über den Nutzen fehlen, früh verabreicht kann jedoch die Krankheitsdauer und Prognose wahrscheinlich verbessert werden (EG-C). Die Zeit am Respirator kann durch die frühe Gabe von Antitoxin signifikant verkürzt werden (EG-B). Die Dosis muss gemäß Angaben des Herstellers gewählt werden, i. d. R. einmalig je 1 Amp. i. v. und i. m. nach einer subkonjunktivalen Testdosis. Da es sich um ein Fremdeiweiß handelt, müssen Maßnahmen zur Bekämpfung eines evtl. anaphylaktischen Schocks prophylaktisch getroffen werden: i. v. Zugang und Adrenalin, H1-Antihistaminika und Methylprednisolon in Bereitschaft (s. S. 25). Antibiotika: Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d als Kurzinfusion oder Metronidazol 3 × 0,5 g/d i. v. (nur bei
Tollwut Kleinkind- und Wundbotulismus wirksam, da es sich ansonsten um eine reine Toxinkrankheit handelt).
Weitere Maßnahmen Frühzeitige Tracheotomie, wenn voraussichtlich längere Beatmung nötig ist.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Initial immer intensivmedizinische Überwachung und Behandlung.
Pathophysiologie Das Tollwutvirus ist sowohl beim Tier als auch beim infizierten Menschen auf das Nervengewebe limitiert. Es tritt durch die peripheren Nerven ein und gelangt via Axon ins ZNS. In der initialen Phase vermehrt es sich in der Nervenendplatte. Während dieser Zeit bleibt der Patient asymptomatisch (Inkubationszeit) und die Krankheit ist durch passive und aktive Immunisierung verhinderbar.
Typische Krankheitszeichen
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Besondere Merkpunkte
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Botulismus hinterlässt keine Immunität, eine Impfung steht nicht zur Verfügung. Meldung an Gesundheitsbehörden (s. Tab. 9.25 – Tab. 9.32, S. 360ff.). Untersuchung der anderen an der Mahlzeit beteiligten Personen.
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9.12 Tollwut W. Zimmerli
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Definition und Einteilung Tödlich verlaufende Infektion durch verschiedene Stämme eines neurotropen Virus (Lyssa-Virus) nach Übertragung durch ein infiziertes Säugetier. Epidemiologie. Tollwut ist eine Zoonose, die nur in Gebieten vorkommt, wo es infizierte Tiere gibt (enzootisches Gebiet). In Industrienationen sind Katzen, andere Haustiere, wildlebende Karnivoren und Fledermäuse die wichtigsten potenziellen Überträgertiere, da Hunde und Füchse geimpft sind. Als tollwutfrei gelten nach WHO Gebiete, in denen bei wirksamer Überwachung während 2 Jahren kein Fall von lokal erworbener und bestätigter Tollwut aufgetreten ist. Die entsprechende aktuelle Epidemiologie kann im Internet abgerufen werden (http://www.rbe.fli.bund.de/). In den Jahren 2006/ 2007 sind in der Schweiz keine Fälle, in Deutschland 13 Fälle (3 Wildtiere, 10 Fledermäuse) und in Österreich 1 Fall (Wildtier) beobachtet worden.
293
•
Inkubationszeit: in der Regel zwischen 3 Wochen und 3 Monaten, abhängig vom Schweregrad der Wunde (Inokulum) und der Nähe der Wunde zum ZNS. Prodromalstadium (2 – 10 Tage): Fieber, Inappetenz, Nausea, Erbrechen, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Lethargie, Schmerz oder Parästhesien an der Bissstelle, Ängstlichkeit, Unruhe, Depression. Exzitationsstadium (2 – 7 Tage): Hyperventilation, Hyperaktivität, Angst, Hyperästhesie, Spasmen von Pharynx, Larynx und Ösophagus, Hydrophobie (Spasmen ausgelöst durch Sehen oder Berühren von Wasser), erhöhte Speichelsekretion, Konfusion, Delirium, Halluzinationen. Lähmungsstadium (0 – 14 Tage): Heiserkeit bis Aphonie, Augenmuskelparesen, fehlender Kornealreflex, schlaffe Paresen der Extremitäten, Hypoventilation, Hypotonie, Arrhythmie, Herzstillstand, Koma. Verlauf: Die Tollwut verläuft praktisch immer tödlich, meist durch Atemstillstand, Herzstillstand oder Komplikationen.
Differenzialdiagnose
• • • • •
Andere Enzephalitiden, Tetanus: keine Hydrophobie, länger dauernde Spasmen, keine Bewusstseinsstörung, normaler Liquor (s. S. 289), Psychose: Hysterie, Poliomyelitis: kein Fieber, Guillain-Barré-Syndrom: keine Exzitation, keine Hydrophobie, keine Spasmen, keine Bewusstseinsstörung (s. S. 402).
Infektionskrankheiten
294
Notfallanamnese
Notfalluntersuchung
•
Klinik
•
9 • •
Klärung der epidemiologischen Situation beim zuständigen Veterinäramt oder im Internet (http://www.who-rabies-bulletin.org/). Art der Unfallumstände: Welches Tier war beteiligt? Tier krank oder entwichen? Tierhalter bekannt? Expositionsgrad?: Gemäß WHO werden 3 Grade der Exposition unterschieden: – (I) Berühren oder Füttern von Tieren, Lecken der intakten Haut, – (II) oberflächliche Hautläsionen ohne Blutung, Lecken von lädierter Haut und – (III) perkutane Biss- oder Kratzwunden, Speichelauftrag auf Schleimhäute beim Lecken. – Bei zuverlässiger Anamnese gilt Grad I nicht als Exposition, bei unklarer Anamnese muss immer der nächsthöhere Grad angenommen werden. Wann hat die Exposition stattgefunden? Ist exponierte Person geimpft und gibt es Dokumente davon? Welches sind bisherige Maßnahmen? Hat eine Exposition Grad II oder III nach WHO stattgefunden? War es ein Kontakt mit terrestrischem Säugetier aus enzootischem Gebiet, mit Fledermaus, mit tollwutverdächtigem Patienten, mit virushaltigem Labormaterial oder mit Impfviren. Für Details kann www.bag.admin.ch/themen/ konsultiert werden.
• • • •
Inspektion der Wunde, Hyperventilation, Bewusstseinszustand, neurologische Befunde (schlaffe Paresen, Hirnnervenparesen).
Diagnostik Labor. Weißes Blutbild (Leukozytose mit Neutrophilie, relative Lymphozytopenie und Fehlen von Eosinophilen), Hämoglobin und Hämatokrit (erniedrigt im Verlauf der Krankheit), Serum: Natrium, Kalium, Harnstoff, Glukose (Hyperglykämie). Serologie. Virusantikörper im Serum (ab 8. – 25. Tag nach Erkrankung. Cave! Nicht verwertbar bei vorheriger Schutzimpfung!). Liquor. Geringe Vermehrung von Eiweiß und Zellzahl (bis 100 × 106 Zellen/l). Mikrobiologie. Virusnachweis im Speichel, Urinsediment, Trachealsekret, Hirngewebe.
Therapie Notfallmanagement Die Risikoevaluation und das Vorgehen bei Tollwutexposition (Grad II – III nach WHO) ist im Algorithmus (Abb. 9.15) zusammengefasst. Die Postexpositionsprophylaxe (PEP) umfasst die Wundbehand-
Tabelle 9.4
Standardschema fr die postexpositionelle aktive Impfung gegen Tollwut.
Anwendung Vollstndig geimpft
a
Ungeimpft/teilgeimpftb
a
b c
Impfschema
Weitere Maßnahme
2 1 Dosis i. m. an den Tagen 0 und 3
Serokontrolle am Tag 14, ggf. weitere Impfungen und Serokontrollen 1 /Woche, bis Titer 0,5 IE/ml bersteigt
5 1 Dosis i. m. an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 30
Serokontrolle an Tag 21, ggf. weitere Impfungen und Serokontrollen 1 /Woche, bis Titer 0,5 IE/ml bersteigt Die 5. Dosis am Tag 30 ist in jedem Fall angezeigt; immer simultan humanes Tollwutimmunglobulin am Tag 0: 1 20 IE/kg KGc, mçglichst um die Wunde, restliche Menge im kontralateralen Deltoid oder anterolateralen Oberschenkel i. m.
Prexpositionelle (‡ 3 Dosen) oder postexpositionelle (5 Dosen) Impfung mit einem in Europa zugelassenen oder quivalenten Impfstoff oder Impfung mit jeglichem Tollwutimpfstoff, wenn postvakzinal adquate Antikçrper dokumentiert sind weniger als 3 Dosen Equine Ig: 40 IE/kg KG
Tollwut
295
apperzept: Biss inapperzept: im Schlaf in einem Raum
PEP
kein Biss: Kontakt im Wachzustand und im Freien
keine Maßnahmen
krank oder entwichen oder Halter unbekannt
PEP
in oder aus Gebiet mit Landtollwut (begründeter Verdacht)
PEP beginnen und Tier 10 Tage lang beobachten
PEP stoppen, falls Tier nach 10 Tagen gesund
unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen, dass aus Gebiet mit Landtollwut
Tier 10 Tage lang beobachten
PEP beginnen, falls Tier krank wird
nicht in oder aus Gebiet mit Landtollwut (Halter bekannt)
keine Maßnahmen außer Wundbehandlung
in oder aus Gebiet mit Landtollwut
PEP
nicht in oder aus Gebiet mit Landtollwut
keine Maßnahmen außer Wundbehandlung
Patient oder Material Test positiv
PEP
Patient oder Material Test negativ
Test wiederholen
Fledermaus
Hund und Katze
andere Landsäugetiere
Test positiv oder klinischer Verdacht PEP
Krankenhaus, Labor
Test negativ, keine Maßnahmen
Abb. 9.15 Risikoevaluation und Vorgehen bei Tollwutexposition (Grad II – III nach WHO) (genehmigter Nachdruck aus BAG-Bulletin Juli 2004). PEP: Postexpositionsprophylaxe.
lung, postexpositionelle aktive Immunisierung und ggf. simultane passive Immunisierung mit Tollwutimmunglobulin. Alle Maßnahmen: EG-C. • Wundbehandlung: großzügige Wundexzision, keine Wundnaht, Wunddesinfektion z. B. mit reichlich Polyvidon-Jod, bei Bedarf Tetanusprophylaxe. • Impfung: Tab. 9.4 zeigt das Standardschema für die postexpositionelle Impfung gegen Tollwut.
Dabei ist das Vorgehen unterschiedlich ja nachdem, ob der Patient vollständig geimpft, lediglich teilgeimpft oder gar nicht geimpft ist: – Aktiv: In der Schweiz sind zurzeit (12/2007) zwei Tollwutimpfstoffe (Tollwutimpfstoff Mérieux, Rabipur) und ein humanes Tollwutimmunglobulin (Berirab, 150 IE/ml) zugelassen. Impfschema für ungeimpfte/unvollständig geimpfte Personen: Impfung an Tag 0, 3, 7, 14
296
Infektionskrankheiten
und 30; Kontrolle des Antikörpertiters an Tag 21 (‡ 0,5 IE/ml = Impferfolg). Impfschema für präexpositionell vollständig geimpfte Personen: Impfung an Tag 0 und 3, Kontrolle des Antikörpertiters an Tag 14. – Passiv: Bei ungeimpften oder nur teilgeimpften Personen: Berirab (humanes Antitollwutimmunglobulin): sofort 20 IE/kg Körpergewicht (Hälfte i. m., Hälfte um Wunde infiltrieren). Bei vollständig geimpften Personen ist die passive Immunisierung nicht notwendig.
Weitere Maßnahmen
9
Manifeste Tollwut. Bei manifester Tollwut ist die Therapie symptomatisch. Sie umfasst Intensivpflege, Tracheotomie, Beatmung, Ernährung, Sedation und Schutz des Personals vor Kontamination. Menschliche Exposition mit dem Tierimpfvirus. Eine Exposition des Menschen mit in einem Köder enthaltenem attenuiertem Virus ist gegeben, wenn der Inhalt der Kapsel auf Schleimhäute (Mund, Augen usw.) oder offene Wunden gelangt. Wird ein Köder bzw. eine intakte Impfstoffkapsel nur berührt, so besteht keine Gefahr. Personen, die mit dem Lebendimpfstoff in Kontakt gekommen sind, sollten die kontaminierte Haut und eventuell vorhandene Wunden unverzüglich und gründlich mit Seife und Wasser reinigen und desinfizieren. Die Gefahr einer Erkrankung an SAG1-Tierimpfvirus wird aufgrund der Resultate in Tierversuchen als minimal beurteilt. Da seine Wirkung beim Menschen jedoch nicht bekannt ist, empfiehlt die WHO, Expositionen mit dem Impfstoff gleich wie diejenigen mit dem Wildvirus zu behandeln. Falls eine relevante Exposition von Impfvirus mit Wunde oder Schleimhaut stattgefunden hat, soll die aktive und passive Immunisierung mit Tollwutimpfstoff und Berirab (20 IE/kg KG) eingeleitet werden. Meldepflicht. Gemäß Tab. 9.25–Tab. 9.32, S. 360ff.
9.13 Malaria Ch. Hatz
Definition und Einteilung Fünf humanpathogene Plasmodien verursachen Malaria. Mischinfektionen kommen vor. • Plasmodium falciparum (früher Malaria tropica): Fieber in der Regel unregelmäßig, • Plasmodium vivax, P. ovale: Malaria tertiana; Fieberschübe alle 48 h, • Plasmodium malariae: Malaria quartana; Fieberschübe alle 72 h, • Plasmodium knowlesi: Fieberschübe wahrscheinlich unregelmäßig (Zyklus: 24 h). Die Falciparum-Malaria ist die lebensgefährliche Form (Letalität bis 20% ohne oder bei inadäquater Therapie). Die Mehrzahl der Infektionen betrifft Touristen und Langzeitaufenthalter, doch wird in industrialisierten Ländern ein zunehmender Anteil bei Migranten registriert. Über 80% der Falciparum-Fälle treten innerhalb von 3 Monaten nach Rückkehr aus einem Endemiegebiet auf. Die meisten Malariafälle werden aus Afrika (über 90% Falciparum-Infektionen) eingeschleppt. Ein verzögerter Ausbruch der Krankheit ist bei regelmäßiger Chemoprophylaxe möglich (über 12 Monate). In den letzten Jahren wurde wiederholt auf humane Infektionen der früher nur bei Affen beschriebenen P.-knowlesi-Malaria in Südostasien hingewiesen, die in seltenen Fällen letal verlaufen und leicht mit P. falciparum und P. malariae verwechselt werden kann.
Pathophysiologie Entwicklungszyklus des Erregers • 1. Phase: Stich der weiblichen Überträgermücken (Anopheles spp.) am späten Abend und in der Nacht: Injektion der Sporozoiten ins Blut. Vermehrung in der Leber: Freisetzung der Merozoiten nach 5 – 15 Tagen. • 2. Phase: Eindringen der Merozoiten in die Erythrozyten. Asexuelle Vermehrung zu Trophozoiten mit periodischer Freisetzung von Hämozoin (Auslösung der Fieberschübe) und Merozoiten (Hämolyse, Befall neuer Erythrozyten) ( Abb. 9.16, Farbtafel XIX). • 3. Phase: Nach einigen Vermehrungszyklen von P. falciparum (je 48 h) entwickeln sich einige Parasiten zu Gametozyten, welche durch die Mücken
Malaria bei einem weiteren Stich aufgenommen werden und sich durch sexuelle Vermehrung in der Mücke wieder zu infektiösen Sporozoiten entwickeln. Mechanismen. Folgende Mechanismen spielen bei der schweren Falciparum-Malaria eine Rolle: • Spätstadien der Trophozoiten blockieren kleinste Gefäße durch Adhärenz an das Endothel und setzen Toxine frei (sog. Sludging), • Freisetzung von Zytokinen, • metabolische Vorgänge (Glykogenmangel, Azidose) und • immunologische Hyperergie. Anämie und Thrombozytopenie sind Folgen der Hämolyse und der Sequestrierung der Blutzellen in der Milz. Blutungen werden auch bei tiefen Thrombozytenzahlen (< 15 × 109/l) selten beobachtet. Komplikationen wie Schock, Lungenödem, zerebrale Symptome oder Nierenversagen sind multifaktoriell bedingt. Ursachen der Hypoglykämie sind gestörte Glukoneogenese in der Leber, reduzierte Nahrungsaufnahme (Erbrechen), erhöhter Glukoseverbrauch des Wirts (Fieber) und des Parasiten sowie Chininwirkung über die Stimulation der Inselzellen des Pankreas.
• •
Lungenödem meistens in Spätphase (acute lung injury infolge capillary leak), Schock: bedingt durch Malaria oder gramnegative Sepsis bei Schädigung des Darmepithels.
Differenzialdiagnose Abhängig von Reiseanamnese: • Virale Infektionen: grippale Infekte, Dengue- und Chikungunya-Fieber, Meningitis, Enzephalitis, Hepatitis, hämorrhagische Fieber (Gelbfieber, Lassa, Ebola: s. S. 336). • Bakterielle Infektionen: Sepsis, Meningitis, Typhus abdominalis, Leptospirose, Rickettsiosen. • Parasitäre Infektion: Amöbenabszess (meist in der Leber).
Notfallanamnese
•
Typische Krankheitszeichen Fieber. Fieber ist das Leitsymptom und tritt in 97% aller Malariafälle auf, doch kann es bei der Konsultation fehlen. Zyklische Fieberschübe werden bei den Tertiana- und Quartana-Formen beobachtet. Eine typische Falciparum-Infektion setzt sich aus drei oder mehr Falciparum-Stämmen zusammen, die sich zu Beginn der Erkrankung nicht synchron vermehren. Sie verursacht deshalb meistens unregelmäßiges Fieber oder eine Kontinua. Unspezifische Zeichen. Absolute Erschöpfung (98%), Schüttelfrost (78%), Kopfschmerzen (74%), profuses Schwitzen (64%), Myalgien (34%) und Übelkeit mit Erbrechen (27%, bei Kindern häufiger) sind die häufigsten, unspezifischen Zeichen der Malaria. Zeichen einer schweren Malaria • Parasitämie > 5%, • zerebrale Malaria (Hypoxie): Bewusstseinseintrübung bis Koma, Krampfanfälle, • akutes Nierenversagen: oligurisch, selten Zeichen der Hämolyse (dunkelbrauner Urin wegen Hämoglobinurie: „Schwarzwasserfieber“), • Hyperpyrexie, • schwere Anämie,
297
• •
Reiseanamnese – Aufenthalt in einem Malariaendemiegebiet (Endemiegebiete einsehbar unter: www.who.int oder www.safetravel.ch) innerhalb der letzten 2 – 3 Monate. – Länger zurückliegende Aufenthalte in Endemiegebieten: Malaria tertiana (P. vivax/ovale) kann bis zu mehreren Jahren nach Tropenaufenthalt wegen der Leberformen (Hypnozoiten) zu Malariaschüben führen. – Frage nach Chemoprophylaxe, Mückenstichen, Selbstmedikation mit Antibiotika oder Malariamedikamenten. Erfragen der Symptomatik (inkl. Fieberperiodik) und der Dauer der Krankheit (je länger, desto höher die Gefahr eines komplizierten Verlaufs). Bluttransfusionen, Organtransplantation, i. v. Drogenkonsum (Übertragungsrisiko von infiziertem Individuum), Aufenthalt oder Wohnort in der Nähe eines internationalen Flughafens.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Vitalzeichen (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz), Bewusstseinszustand, Temperatur. Palpation von Leber und Milz (Hepatomegalie).
298
Infektionskrankheiten
Diagnostik
9
Hämatologie und Chemie. Blutbild (Thrombopenie, normochrome Anämie, Hämoglobin initial wegen Exsikkose oft normal oder erhöht!, Leukozytose mit Linksverschiebung nicht immer vorhanden), Glukose fl, Na, K, Cl (Elektrolytstörung), Bilirubin › (Subikterus), ALAT ›, Laktat › (Azidose), HCO3– fl (Azidose), Kreatinin › (Niereninsuffizienz), LDH › (Hämolyse). Mikrobiologie • Der „dicke Tropfen“ ist 20-mal sensitiver als der Blutausstrich, aber technisch schwieriger, und die Typisierung der Erreger ist nicht möglich. Zum Ausschluss einer Malaria sind drei negative Blutuntersuchungen (im Abstand von einigen Stunden, wenn möglich im Fieberanstieg abgenommen) notwendig. • Parasitämie: im Referenzlabor bestätigen lassen. Sie kann in den ersten 24 Stunden nach Therapiebeginn ansteigen, eine Medikamentenresistenz muss in diesem Fall nicht angenommen werden. • Schnelltests können im Notfall hilfreich sein, falls nicht sofort eine korrekte parasitologische Diagnostik durchgeführt werden kann. Die Diagnose muss durch ein spezialisiertes Labor bestätigt werden. Wegen des Prozonenphänomens (hohe Antigenkonzentrationen) kommen falsch negative Resultate bei hoher Parasitämie vor. Urin. Ausscheidung (Flüssigkeitsbilanz), Bestimmung des Urinnatriums zur Erfassung der tubulären Nekrose (< 20 mmol/l, Tab. 6.1, S. 160), Hämoglobinurie.
Therapie Grundlagen. Bei hochgradigem klinischem Verdacht wird die Therapie empirisch begonnen, falls eine zuverlässige Labordiagnostik nicht innerhalb von 1 Stunde möglich ist. Vor dem Einsatz eines Medikamentes wird EDTA-Blut zum Parasitennachweis abgenommen. Mit Ausnahme von Zentralamerika (nördlich des Panamakanals) und einiger nordafrikanischer Gebiete darf Chloroquin nicht mehr zur Therapie einer Falciparum-Malaria eingesetzt werden. Bei einer Notfallsituation wird im Zweifelsfall eine Falciparum-Malaria angenommen und entsprechend therapiert. Falls eine Malaria tertiana oder eine Malaria quartana vorliegt, dürfen neben Chloroquin alle unten genannten Medikamente eingesetzt werden. Die Therapie der Leberformen stellt keine Notfallindikation dar und wird hier nicht vorgestellt.
Die optimale Therapie einer P.-knowlesi-Infektion ist nicht bekannt, doch darf man davon ausgehen, dass die unten genannten Medikamente wirksam sind. Eine rasche Behandlung ist wegen der kurzen Zyklusdauer essenziell.
Notfallmanagement Patienten mit Falciparum-Malaria werden in der Regel stationär behandelt. Verdacht auf komplizierten Verlauf. Bei Zeichen einer zerebralen, renalen oder pulmonalen Komplikation und/oder Fieberanamnese von mehr als drei Tagen wird eine parenterale Therapie mit Chinindihydrochlorid eingeleitet. Bei Hinweisen auf einen bevorstehenden schweren Verlauf (eingeschränktes Bewusstsein etc.) wird mit einer oralen Chinintherapie begonnen, welche bei Verschlechterung nahtlos in eine parenterale Therapie übergeführt werden kann. Klinisch unkomplizierter Verlauf. Hier kommen folgende orale Therapien (Erwachsenendosis) in Betracht: • Artemether/Lumefantrin 80/480 mg 2 × 4 Tbl./d für 3 Tage (EG-B), • Atovaquon/Proguanil 250/100 mg 1 × 4 Tbl./d für 3 Tage (EG-B), • Mefloquin 250 mg initial 3 Tbl., nach 8 und 16 h je 2 Tbl. (EG-B), falls Gewicht < 60 kg: dritte Dosis nur 1 Tbl. (EG-B), • Chininsulfat (Salz) 3 × 500 mg/d plus Doxycyclin 2 × 100 mg/d für 7 Tage (EG-B) oder (für Schwangere) plus Clindamycin 3 × 300 mg/d für 7 Tage (EG-B). • Nach Chemoprophylaxe wird das gleiche Arzneimittel nicht wieder zur Therapie eingesetzt, obwohl das Auftreten einer Malaria unter Prophylaxe keine eigentliche Resistenz beweist. Bei unkompliziertem Verlauf kann eine ambulante Therapie einer Falciparum-Malaria erwogen werden, wenn • die Parasitämie < 2 % beträgt, • keine Hyperpyrexie besteht, • die Krankheitsdauer < 3 Tage beträgt, • der Patient < 65 Jahre ist, • eine durchgehende Betreuung durch Angehörige zu Hause garantiert ist und • eine Kontaktmöglichkeit mit einer ärztlichen Stelle verfügbar ist (EG-C). Klinisch schwere Malaria. Bei klinisch schwerer Malaria sowie bei jeder Parasitämie von ‡ 2% P. falciparum ist eine i. v. Therapie indiziert:
Pneumonie
•
•
•
• •
Chinindihydrochlorid (Salz): Sättigungsdosis 7 mg/kg KG über 30 min, unmittelbar anschließend 10 mg/kg KG über 4 h, abwechselnd mit 4 h Pause. Diesen Zyklus zweimal wiederholen, d. h. insgesamt 3 Chinindosen zu 10 mg/kg KG über 24 h (EG-C); zusätzlich Doxycyclin 2 × 100 mg/d i. v. wegen Teilresistenz der Parasiten gegen Chinin (EG-B). Unter folgenden Bedingungen wird eine Austauschtransfusion empfohlen: – initiale Parasitämie > 30% generell empfohlen oder – initiale Parasitämie ‡ 5 – 30% und eines der folgenden Kriterien: keine andere Erklärung für einen Glasgow Coma Score < 10 oder Laktat > 4 mmol/l oder HCO3– < 20 mmol/l oder Kreatinin > 250 µmol/l oder PaCO2 < 32 mmHg, – initiale Parasitämie > 15% und Alter > 65 Jahre. Sobald wie möglich, jedoch frühestens nach 48 h Umstellung auf eine orale Therapie mit Chininsulfat 3 × 500 mg/d plus Doxycyclin 200 mg/d über insgesamt 7 Tage einschließlich i. v. Phase (EG-D). Alternativ kann nach frühestens 48 h mit 12-stündigem Intervall eine der oben genannten oralen Medikationen in voller Dosierung eingesetzt werden. Artemisininderivate mit sehr raschem Wirkungseintritt stehen in westlichen Ländern noch nicht in parenteraler Form zur Verfügung. In Endemiegebieten wurden eine 35% Reduktion der Letalität und eine signifikante Senkung der Nebenwirkungen unter Artesunat gegenüber Chinin belegt (EG-A). Demnächst wird ein entsprechendes Präparat in Europa verfügbar sein.
Weitere Maßnahmen Meldepflicht s. Tab. 9.25–Tab. 9.32, S. 360ff.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
• • •
Jeder Patient mit einer schweren Falciparum-Malaria (zerebrale Form, Niereninsuffizienz, Hyperthermie, Lungenödem, Hämoglobinurie, Zeichen einer disseminierten Gerinnung) ist intensivstationspflichtig. Vitalfunktionen (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz). Bei zerebraler Malaria: evtl. Epilepsieprophylaxe (Abb. 11.8, S. 399). Urinbilanz : Gefahr der Fluid Lung in der Spätphase.
•
299
Hypoglykämie durch wiederholte Glukosebestimmungen frühzeitig erkennen und therapieren, speziell unter Chinintherapie (Blutzucker senkende Wirkung).
Besondere Merkpunkte
• • •
•
Bei Malariaverdacht im Zweifelsfall Therapie beginnen, bevor die definitive Diagnose vorliegt. Cave! Unter Chemoprophylaxe oder Antibiotika ist ein abgeschwächter Krankheitsverlauf möglich. Bei semiimmunen Migranten und in seltenen Fällen auch bei nichtimmunen Patienten kann eine Malaria ohne Fieber bestehen. Im Zweifelsfall ist bei unklarem Krankheitsbild und bei entsprechender Expositionsanamnese eine Malaria auszuschließen. Eine Malaria tritt in der Regel spätestens 3 Monate nach Ausreise aus einem Endemiegebiet auf. Bei jeder fieberhaften Erkrankung bis zu mindestens 2 Jahren (speziell nach Chemoprophylaxe oder typischerweise bei Malaria tertiana und quartana) muss an eine Malaria gedacht und die entsprechende Diagnostik veranlasst werden.
9.14 Pneumonie W. Zimmerli
Definition und Einteilung Die Pneumonie ist eine Infektion der Lunge. Sie ist häufig (12 Fälle pro 1000 Personen pro Jahr) und betrifft v. a. Kinder und ältere Menschen. Aus praktischen Gründen ist es sinnvoll, die Pneumonien in 3 Arten einzuteilen, die unterschiedliche Erreger und unterschiedliche Prognosen haben: • Ambulant erworbene Pneumonien (community acquired pneumonia, CAP), • in der Klinik oder in einer Institution erworbene (nosokomiale) Pneumonien, • Pneumonien beim immunkompromittierten Patienten. Die klassische Einteilung in typische und atypische Pneumonien oder in Lobärpneumonie und Bronchopneumonie bringt für die erste Beurteilung wenig, da diese Unterscheidung nur selten klinisch möglich ist. Viel wichtiger ist die Unterscheidung
300
Infektionskrankheiten
der Pneumonie des Patienten mit einem Grundleiden (Alkoholabusus, i. v. Drogenabhängigkeit, Immunsuppression, Tumorleiden, HIV-Infektion, chronische Bronchitis, Bronchiektasen, Mukoviszidose usw.) von derjenigen des Patienten ohne Grundleiden.
9
Ambulant erworbene Pneumonien. • Die meisten Pneumonien bei Patienten unter 60 Jahren und ohne Grundleiden können ambulant behandelt werden. Bei ambulant erworbenen Pneumonien sind die häufigsten Erreger sog. atypische Erreger wie Mycoplasma pneumoniae (33%), Chlamydia spp. (11%), Coxiella burneti (3%), ferner Viren wie z. B. Influenza (22%) und schließlich Bakterien wie S. pneumoniae (Pneumokokken) (20%), H. influenzae (4 %), Legionella pneumophila (4%) und in Einzelfällen verschiedene andere Keime. • Ältere Patienten oder solche mit einem Grundleiden müssen in der Regel stationär behandelt werden. In dieser Population sind die häufigsten Erreger Pneumokokken, H. influenzae, gramnegative Aerobier (z. B. Klebsiella pneumoniae), S. aureus, Moraxella catarrhalis und Legionella pneumophila. Nosokomiale Pneumonien. • Wird eine Pneumonie im Krankenhaus erworben (später als 48 h nach Beginn des stationären Aufenthalts), wird sie als nosokomial bezeichnet. • In der ersten Hospitalisationswoche überwiegen – auch beim beatmeten Patienten – die Keime der physiologischen Rachenflora (Pneumokokken, H. influenzae, S. aureus). • Später sind die häufigsten Erreger dieser Pneumonien Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa, S. aureus, Anaerobier aus der Mundflora (Aspiration) oder selten Legionellen. • Wird eine Pneumonie in einer Institution (z. B. Pflegeheim) erworben, entsprechen die Erreger eher denjenigen der nosokomialen als jenen der ambulant erworbenen Pneumonie. Pneumonie beim immunkompromittierten Patienten. Entscheidend ist die Art der Immunstörung: • Bei gestörter T-Lymphozyten-Immunität (HIVInfektion, Lymphom, Transplantation) überwiegen Viren (Zytomegalievirus, Herpes-simplex-Virus, Varicella-Zoster-Virus), intrazelluläre Bakterien (Mykobakterien, Legionellen) und Pilze (Pneumocystis jiroveci, Cryptococcus neoformans).
•
•
Patienten mit einer Neutropenie oder einer geGranulozytenfunktion (Zytostatika, störten Knochenmarktransplantation, myelodysplastisches Syndrom, fortgeschrittene HIV-Infektion) haben ein erhöhtes Risiko für Pneumonien mit pyogenen Keimen (S. aureus, Enterobacteriaceae, P. aeruginosa) und Pilzen (Aspergillus ssp., seltener Candida albicans). Eine gestörte humorale Immunität liegt vor bei Dysgammaglobulinämie (HIV-Infektion, multiples Myelom, lymphatische Leukämie), angeborener Störung (Agammaglobulinämie, Komplementdefekt) oder bei Z. n. Splenektomie. Diese Patienten haben rezidivierende Pneumonien mit gekapselten Keimen (Pneumokokken, H. influenzae).
Pathophysiologie Pneumonien entstehen durch Aspiration, durch Inhalation oder hämatogen. Sie können entweder primär auftreten (z. B. Pneumokokken, Mycoplasma pneumoniae, Influenzavirus) oder als Superinfekt bei vorbestehender Epithelschädigung entstehen (z. B. S. aureus oder H. influenzae nach viralem Infekt der unteren Luftwege). Gewisse Erreger können bei jedem Wirt eine Pneumonie erzeugen (z. B. Pneumokokken), andere nur bei solchen mit einer Immundefizienz (z. B. Zytomegalievirus, Pneumocystis jiroveci usw.).
Typische Krankheitszeichen
• • •
•
Leitsymptome der Pneumonie sind Fieber, Schüttelfrost, atemabhängige Schmerzen (bei Pleuritis) und trockener oder produktiver Husten. Der perakute Beginn mit sehr hohem Fieber, Schüttelfrost und produktivem Husten ist suggestiv für Pneumokokken-, H. influenzae- und Legionellenpneumonie. Im Gegensatz dazu ist bei subakutem Beginn mit trockenem Reizhusten und weniger hohem Fieber und Schnupfen sowie Halsschmerzen oder Heiserkeit als Begleitsymptome eher an Pneumonien durch Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae und Viren zu denken. Typische Symptome und Befunde für eine Pneumonie sind Fieber > 37,8 8C, Tachykardie > 100/min, Bronchialatmen, Rasselgeräusche und das Fehlen von Asthma. Beim Patienten mit Husten ist beim Vorliegen von 3 dieser Faktoren die
Pneumonie
• •
Wahrscheinlichkeit einer Pneumonie 10% und bei 5 Faktoren 50%. Bei Befall mehrerer Lungenlappen haben auch Patienten ohne Grundkrankheit Atemnot. Begleitsymptome können für die ätiologische Diagnose nützlich sein. – Für die Legionellenpneumonie sind Diarrhö und neurologische Symptome typisch. – Der Herpes labialis ist ein häufiges Zusatzsymptom besonders bei Pneumokokkenpneumonie.
Differenzialdiagnose
• • • • • • • • • •
Lungenembolie und Infarkt (S. 71), Bronchialkarzinom, Lungenödem bei Linksherzinsuffizienz (S. 62), toxisches Lungenödem (Chlorgasinhalation usw., S. 110), Tuberkulose (S. 306), Sarkoidose, Morbus Wegener (S. 376), exogen-allergische Alveolitis, allergische bronchopulmonale Aspergillose, cryptogenic organizing Pneumonia (COP): meist reversible, glukokortikoidsensitive, restriktive Lungenerkrankung mit Infiltraten. Diese sind meist milchglasartig, multifokal konsolidierend und immer bilateral. Das sog. umgekehrte „HaloZeichen“ im HR-CT (weniger dichter Herd innen, dichterer Herd ringförmig außen) ist ein dafür zwar wenig sensitives (20%), jedoch sehr spezifisches radiologisches Zeichen gegenüber einer Vaskulitis, einem Alveolarzellkarzinom oder einer chronischen eosinophilen Pneumonie.
Notfallanamnese Ambulant erworbene Pneumonien. Bei diesen sind abhängig von der Situation gewisse Erreger häufiger, oder es muss an spezielle Erreger gedacht werden: • Chronische Bronchitis, chronisch obstruktive Pneumopathie, Nikotinabusus: S. pneumoniae, H. influenzae, Moraxella catarrhalis. • Mukoviszidose, Bronchiektasen nach multiplen Antibiotikatherapien: Pseudomonas aeruginosa, S. aureus. • Bronchialkarzinom mit poststenotischer Pneumonie oder Abszess: Anaerobier (putrider Auswurf).
301
•
Alkoholabusus: S. pneumoniae, Klebsiella pneumoniae, H. influenzae, Mycobacterium tuberculosis. • Aspiration (Schluckstörung, Epilepsie, Intubation, Alkoholexzess, Drogen, Bewusstseinsstörung): Anaerobier (Mundflora). • Epidemisches Auftreten (z. B. in Schulklassen): Mycoplasma pneumoniae, Influenza, Adenoviren. • Reisen in Endemiegebiete (z. B. Südamerika, Südwesten von USA): Histoplasma capsulatum. • Besondere Exposition: Bacillus anthracis (Bioterror, Tierhaarverarbeitung), Coxiella burnetii (Kontakt mit Schafen, Kühen, Ziegen), Chlamydia psittaci (Kontakt mit Ziervögeln/Papageien). • Vorbehandlung mit Antibiotika: multiresistente, besonders gramnegative Keime. • Intravenöser Drogenmissbrauch: Anaerobier (Aspiration), S. aureus (Rechtsherzendokarditis). • Immunschwäche (Neutropenie, Lymphom, Leukämie, Immunsuppressiva, Z. n. Splenektomie, Steroide, Therapie mit Anti-TNF-a [Etanercept, Infliximab], Z. n. Transplantation, HIV-Infektion): multiple, auch ungewöhnliche Erreger (s. in entsprechenden Kapiteln und unter Therapie). Nosokomiale Pneumonien. Diese sind erkennbar am Zeitpunkt des Auftretens der Symptome (s. o.). Immunkompromittierte Patienten. Hier ist v. a. nach der Art des Grundleidens zu fragen.
Notfalluntersuchung Klinik Allgemein. Vitalzeichen: Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Zyanose, Körpertemperatur. HNO-Untersuchung. Pharyngitis, Sinusitis, Otitis. Perkussion und Auskultation der Lunge. Dämpfung, verstärkter Stimmfremitus, Bronchialatmen und Rasselgeräusche, Pleurareiben oft nur flüchtig (vor der Ergussbildung). Bei schwerer Hypoxie Zyanose und Tachypnoe. Bei Patienten mit sog. atypischer Pneumonie (Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia pneumoniae, Viren) oder mit Neutropenie sind diese Befunde typischerweise diskret oder fehlen sogar. Inspektion und Auskultation des Herzens. Rechtsherzüberlastung (gestaute Halsvenen, positiver hepatojugulärer Reflux: an Lungenembolie denken), Linksherzinsuffizienz (Orthopnoe, symmetrische Rasselgeräusche, 3. Herzton). Hinweise auf Zusatzerkrankung. Je nach klinischer Situation Zusatzerkrankung suchen: Emphysem, Bronchospasmus, zerebrovaskulärer Insult,
302
Infektionskrankheiten
Abb. 9.17 Interstitielles Infiltrat beidseits. Pneumonie mit Mycoplasma pneumoniae.
9
Stichstellen bei i. v. Drogengebrauch, Splenektomienarbe usw.
Diagnostik Röntgen-Thorax p.-a./seitlich. Bei einer klinischen Wahrscheinlichkeit einer Pneumonie von > 10% (s. o.) sollte mittels Röntgenbild (neu aufgetretenes Infiltrat) die Diagnose erhärtet werden. Ohne Infiltrat kann die Diagnose Pneumonie in der Regel nicht gestellt werden. Ausnahmen sind Pneumonien beim neutropenischen Patienten (nur diskretes Infiltrat) oder beim HIV-Patienten (Pneumocystis-jiroveciNachweis in bronchoalveolärer Lavage und klinische Pneumoniesymptome ohne Infiltrat im Thoraxbild genügen für die Diagnose einer Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie). In der Regel kann die ätiologische Diagnose nicht aus dem Röntgenbild erfolgen. Trotzdem gibt es typische radiologische Veränderungen bei gewissen Erregern: • Infiltrat mit Einschmelzung: Mycobacterium tuberculosis, Anaerobier, Nocardia, Rhodococcus equi, Actinomyces, S. aureus, Klebsiella pneumoniae. • Kaverne im Oberlappen und vergrößerte hiläre Lymphknoten: Tuberkulose (S. 306). • Multiple einschmelzende Herde: hämatogene S.aureus-Pneumonie (V. a. Rechtsherzendokarditis) (s. S. 93). • Interstitielles Infiltrat: Mycoplasma pneumoniae (Abb. 9.17), Chlamydia psittaci, Pneumocystis jiroveci, Viren.
•
Lobäre oder segmentale Verschattung und Luftbronchogramm: Pneumokokken (Abb. 9.18). Infektionsparameter. Weißes Differenzialblutbild (Leukozytose > 12 × 109/l mit Linksverschiebung), C-reaktives Protein, sensitives Prokalzitonin (> 0,25 ng/ml ist ein Hinweis für bakterielle Ursache). Rotes Blutbild und Chemogramm. Anämie (Hämolyse bei Mykoplasmen), Nierenfunktion, Leberwerte (Dosierung und Wahl der Antibiotika, Begleithepatitis). Die Hyponatriämie ist ein Hinweis auf eine inadäquate ADH-Sekretion, welche bei verschiedenen Erregern, insbesondere bei Legionellose, auftreten kann. ABGA. In schweren Fällen als Verlaufsparameter und Hinweis für Sauerstoff- bzw. Intubationsbedürftigkeit notwendig. Blutkulturen. Ungefähr 10% der Pneumonien sind bakteriämisch, bei den Pneumokokkenpneumonien sogar 40 – 50%. Sputumdirektpräparat und Kultur. Nur korrekte Sputumproben sind für die Diagnose nützlich (Sputum mit > 25 Granulozyten, < 10 Epithelzellen pro Gesichtsfeld und prädominantem Keim im Grampräparat). Häufig ist eine Sputumprovokation mittels Inhalation von hyperosmolarer Kochsalzlösung (3%) notwendig. Bei entsprechendem Verdacht (klinisch oder radiologisch) müssen Kulturen auf Mykobakterien und Legionellen speziell angefordert werden. Pleurapunktion. Bei jedem Pleuraerguss diagnostisch oder therapeutisch indiziert. Ein Empyem muss drainiert werden. Definition: makroskopischer
Pneumonie
303
Abb. 9.18 Alveoläres Infiltrat mit Luftbronchogramm. Erreger: Streptococcus pneumoniae.
Eiter, pH < 7,2, Glukose < 40% der Blutglukose (geringe Sensitivität), Erregernachweis im Direktpräparat (Gramfärbung), positive Kultur oder Antigennachweis (Pneumokokkenantigen) im Pleurapunktat. Serologien. Antikörpertests sollten nicht routinemäßig gemacht werden. Sinnvoll ist allenfalls die Serologie auf Mykoplasmen oder Influenzaviren A oder B. Die Legionellenserologie ist nicht hilfreich, da sie in der Regel erst nach Wochen positiv wird oder häufig falsch positiv sein kann. Antigentests. Der Urinantigentest auf Legionella pneumophila (nur Serotyp 1) ist bei schwerer Pneumonie sensitiv (80 – 99%) und spezifisch (99%), bleibt allerdings nach durchgemachter Pneumonie lange positiv. Der Urinantigentest auf Pneumokokken ist mit 50 – 80% deutlich weniger sensitiv. Invasive Abklärung (Bronchoskopie, BAL). Je nach Art der Pneumonie: • Bei der außerhalb des Krankenhauses erworbenen Pneumonie ist in der Regel keine invasive Abklärung notwendig außer beim Verdacht auf eine Tuberkulose (S. 306). • Bei nosokomialen Pneumonien ist die invasive Diagnostik in der Regel beim beatmeten Patienten notwendig. Zur ätiologischen Diagnose wird eine BAL oder eine Bürstenbiopsie mit quantitativer Kultur vorgenommen. • Bei immunkompromittierten Patienten muss die Diagnose fast immer mithilfe einer BAL gestellt
• •
•
werden. Ausnahmen sind Patienten mit purulentem Sputum. Patienten mit gestörter T-Lymphozyten-Funktion: s. S. 339. Bei Patienten mit Neutropenie, z. B. unter Zytostatika, nach Knochenmarktransplantation, bei Leukämie, bei fortgeschrittener HIV-Infektion: BAL zur Suche von Bakterien, Candida spp. und Aspergillus spp. Bei Patienten mit gestörter humoraler Immunität: keine Indikation für BAL, falls Patient produktiven Husten mit purulentem Sputum hat.
Therapie Notfallmanagement Die Prognose der Pneumonie ist abhängig vom Grundleiden des Patienten. Der Zustand des Patienten kann sich auch nach Beginn der korrekten antimikrobiellen Therapie noch verschlechtern. Indikation für die Klinikeinweisung. Patienten mit Grundleiden wie Alkoholabusus, i. v. Drogenmissbrauch, Immunsuppression, Tumorleiden, HIVInfektion, chronische Bronchitis, Bronchiektasen, Mukoviszidose sollten in der Regel hospitalisiert werden. Dasselbe gilt für alleinstehende Patienten, deren Pflege zu Hause nicht gewährleistet ist.
Infektionskrankheiten
304
Patient mit Pneumonie
Ist der Patient älter als 50 Jahre?
ja
nein
9
Wurde beim Patienten in der Vergangenheit eine der folgenden Begleitkrankheiten diagnostiziert? Neoplasma Hepatopathie Herzinsuffizienz zerebrovaskuläre Erkrankung Nephropathie
ja
Patient den Risikoklassen IIV zuteilen (s. rechts)
nein Weist der Patient einen der folgenden Befunde auf? Bewusstseinstrübung Puls £ 125/min Atemfrequenz £ 30/min systolischer BD <90mmHg Temperatur <35°C oder £ 40°C nein Patient der Risikoklasse I zuweisen
Abb. 9.19
Alter Mann Frau Alters-/Pflegeheimbewohner Komorbidität Neoplasma Hepatopathie Herzinsuffizienz zerebrovaskuläre Erkrankung Nephropathie Klinik veränderter mentaler Zustand Atemfrequenz £ 30/min systolischer Blutdruck <90mmHg Temperatur < 35°C oder £ 40°C Puls £125/min Labor- und radiologische Befunde arterieller pH < 7,35 Harnstoff £ 30mg/dl (11mmol/l) Natrium < 130 mmol/l Glukose £ 250mg/dl (14mmol/l) Hämatokrit < 30% arterieller O2-Partialdruck <60 mmHg Pleuraerguss
Alter (J) Alter (J)10 +10 +30 +20 +20 +10 +10 +20 +20 +20 +15 +15 +30 +20 +20 +10 +10 +10 +10
ja PSIKlasse
Punkte
Mortalität
Behandlungsort
Klasse I Klasse II Klasse III
keine Faktoren £ 70 7190
0,1 % 0,6% 2,8%
Klasse IV Klasse V
91130 > 130
ambulant ambulant ambulant oder kurz stationär stationär stationär
8,2% 29,2 %
Fine-Score (PSI). Algorithmus zur Beurteilung des Schweregrades einer Pneumonie.
Objektiver sind Scoring-Systeme, welche für die Entscheidung hilfreich sind. Einer davon ist der „Pneumonia Severity Index“ (PSI oder Fine-Score) (Abb. 9.19), der andere der CURB-65-Score (Tab. 9.5). Patienten mit einem PSI Klasse IV und V oder mit einem CURB-65-Score ‡ 2 sollten hospitalisiert werden. Indikation für Intensivstation. Patienten mit einem PSI Klasse V oder einem CURB-65-Score ‡ 4 haben eine Letalität > 20% und sollten deshalb auf einer Intensivstation engmaschig überwacht werden, damit der Zeitpunkt der Intubation und Beatmung nicht verpasst wird. Dasselbe gilt auch für Patienten mit schwerer Sepsis oder septischem Schock, mit multilobärer Pneumonie > 2 Lappen und schwerer Hypoxie (SaO2 < 90% mit 6 l/min O2). Empirische Therapie. In den meisten Fällen ist der Erreger bei der Erstbeurteilung nicht bekannt, die
Therapie muss somit empirisch erfolgen. Es stehen mehrere publizierte internationale Leitlinien zur Verfügung, die sich auf lokal unterschiedliche Resistenzlagen stützen. Nachfolgend wird die empirische Therapie abgestützt auf die europäischen Leitlinien vorgestellt: Ambulant erworbene Pneumonie • Leicht (PSI I – III oder CURB-65 0 – 1): – Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg/d p. o. oder Doxycyclin (1 × 200 mg/d p. o.) oder Makrolid, z. B. Clarithromycin 2 × 250 – 500 mg/d p. o. (EG-A). • Moderat (PSI IV oder CURB-65 2): – Amoxicillin/Clavulansäure initial 3 × 1,2 g/d i. v. ± Clarithromycin (2 × 500 mg/d p. o.), nach Ausschluss einer Legionellose anschließend Amo-
Pneumonie
Tabelle 9.5 Akronym
305
CURB-65-Score. Parameter
Punktzahl
C
Confusion (Verwirrtheit)
1
U
Urea (Harnstoff) > 7 mmol/l
1
R
Respiratory Rate (Atemfrequenz) > 30
1
B
Blood Pressure (Blutdruck) systolisch < 90, diastolisch < 60 mmHg
1
65
Age (Alter) > 65 Jahre
1
Letalität gemäß Punktzahl 0 – 1 Punkt 2 Punkte 3 – 5 Punkte
•
xicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg/d p. o. oder 2 × 1 g/d p. o. (EG-A) oder – Levofloxacin (1 × 500 mg/d p. o.) oder Moxifloxacin (1 × 400 mg/d p. o.) (EG-A). Schwer (PSI V oder CURB-65 ‡ 3): – Ceftriaxon (1 × 2 g/d als Kurzinfusion) plus Makrolid, z. B. Clarithromycin 2 × 500 mg/d als Kurzinfusion (Legionellen) oder – Levofloxacin (1 × 500 mg/d) oder Moxifloxacin (1 × 400 mg/d) (EG-A).
Nosokomiale Pneumonie • Aspiration in der ersten Woche des stationären Aufenthaltes: – Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 1,2 g/d i. v. (EG-D). • Aspiration nach längerem stationärem Aufenthalt: – Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-B). • Postoperative Pneumonie: – Amoxicillin/Clavulansäure oder Ceftriaxon in obiger Dosis (EG-B). • Intubierter Patient in den ersten 3 – 5 Tagen: – Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 1,2 g/d i. v. (EG-D). • Intubierter Patient nach > 5 Tagen Intubation: – Imipenem oder Meropenem (3 × 0,5 g/d i. v.) oder Piperacillin/Tazobactam (3 × 4,5 g/d i. v.) oder – gemäß Überwachungskulturen (bei Pseudomonas aeruginosa: resistenzgerechte Kombination von Betalaktam mit Aminoglykosid, z. B. Amikacin 15 mg/kg KG/d als Einmaldosis (Kurzinfusion) (EG-B).
1,5% Letalitt 9,2% Letalitt 22% Letalitt
Pneumonie beim immunkompromittierten Patienten (vgl. Kap. 9.3 und 9.25) • Gestörte T-Lymphozyten-Immunität (s. o.): – Cotrimoxazol (vgl. Kap. 9.25, S. 345). – Falls die BAL nicht sofort durchgeführt werden kann, muss die empirische Therapie gegen Pneumocystis jiroveci bereits vor der Diagnostik begonnen werden. Die Pneumozysten können auch nach mehreren Therapietagen noch nachgewiesen werden. – Wird beim Transplantierten ein Zytomegalievirus mittels Antigenämie, PCR oder Virämie nachgewiesen, wird die Therapie mit Ganciclovir (2 × 5 mg/kg KG/d als Kurzinfusion) ebenfalls bereits empirisch eingeleitet. • Neutropenie: Bei einer Granulozytenzahl < 1 × 109/l muss das Spektrum der Therapie wirksam gegen S. aureus und gramnegative Keime einschließlich Pseudomonas aeruginosa sein: – Cefepim 2 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-A) oder Imipenem 3 × 1 g/d i. v. (EG-A) oder Piperacillin/Tazobactam 3 × 4,5 g/d als Kurzinfusion (EG-A) oder Meropenem 3 × 1 g/d i. v. (EG-B). – Bei schwerer (< 0,1 × 109/l) und voraussichtlich prolongierter (> 1 Woche) Neutropenie ist die Kombination mit einem Aminoglykosid, z. B. Amikacin 15 mg/kg KG/d als Einmaldosis (Kurzinfusion) sinnvoll (EG-B). • Gestörte humorale Immunität: Die empirische antibiotische Therapie muss wirksam gegen Pneumokokken und H. influenzae sein: – Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-B).
306
Infektionskrankheiten
Weitere Maßnahmen
• • • • • • • •
9
Sauerstoff gemäß Blutgasanalyse, Analgetika bei Bedarf: Vorsicht wegen Atemdepression, Therapie der Herzinsuffizienz (S. 64), Pleurapunktion bei Erguss (diagnostisch und therapeutisch) (S. 112), Pleuradrainage bei Empyem (therapeutisch), CPAP-Atmung bei schlechter Oxygenierung (S. 120), evtl. Intubation/Beatmung (S. 121), „Supportive Care“ wie bei Sepsis (S. 268).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • • •
Intensivstation bei schwerer Pneumonie, Sauerstoffsättigung kontinuierlich messen bei Hypoxämie, Atemfrequenz 2- bis 4-stündlich, Temperatur, Blutdruck, Pulsfrequenz 2- bis 4-stündlich, radiologische Kontrolle bei V. a. Progression oder Komplikation (Empyem oder Einschmelzung).
Besondere Merkpunkte Bei Nichtansprechen und/oder sekundärer Verschlechterung soll nicht das Antibiotikum blind gewechselt werden, sondern es muss eine erneute Beurteilung stattfinden: • Kommt ein nicht behandelter Erreger infrage, z. B. Mykobakterien, opportunistischer Keim, resistenter Keim? • Ist eine Komplikation aufgetreten, z. B. Pleuraerguss, Empyem, Lungenabszess, Sekundärherd (z. B. Arthritis, Endokarditis)? • War die Diagnose „Pneumonie“ falsch, liegt eine andere Krankheit vor, z. B. Lungentumor, Lymphangiosis carcinomatosa, Lymphom, leukämisches Infiltrat, toxische Arzneimittel (Busulfan, Methotrexat, Bleomycin, Amiodaron), Lungeninfarkt, Sarkoidose?
9.15 Tuberkulose W. Zimmerli
Definition und Einteilung Erreger. Die Tuberkulose ist eine Infektion, die im Wesentlichen durch drei verschiedene Bakterien, nämlich durch Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium bovis oder Mycobacterium africanum verursacht werden kann (Mycobacterium-tuberculosis-Komplex). Ohne Therapie persistiert der Erreger lebenslang und kann bei gestörter T-Lymphozyten-Immunität reaktiviert werden. Organmanifestationen. M. tuberculosis und M. bovis können fast jedes Organ infizieren, am häufigsten manifestiert sich die Tuberkulose jedoch in der Lunge. 95% der HIV-negativen Patienten mit Tuberkulose haben einen pulmonalen Befall, nur 34% eine zusätzliche oder ausschließliche (6 %) extrapulmonale Manifestation. Die relative Häufigkeit der extrapulmonalen Manifestationen ist gemäß größeren Studien wie folgt: • Lymphknotentuberkulose (20%), • Miliartuberkulose (20%), • Urogenitaltuberkulose (18 %), • Knochentuberkulose (5 %), • Meningitis tuberculosa (9%), • Peritonealtuberkulose (8%), • Nebennierentuberkulose (3 %), • Perikardtuberkulose (3%), • verschiedene Manifestationen (4 %). Organmanifestationen bei HIV. Die genannte Häufigkeitsverteilung stammt aus Serien ohne HIVInfizierte. HIV-infizierte Patienten mit Tuberkulose haben zu 72% einen pulmonalen und zu 80% zusätzlich oder ausschließlich (28%) einen extrapulmonalen Befall. Die Lymphknoten- und Urogenitaltuberkulose sind die häufigsten extrapulmonalen Manifestationen. Offene Tuberkulose. Eine offene Tuberkulose besteht, wenn in einer Probe aus dem Respirationstrakt im Direktpräparat säurefeste Stäbchen sichtbar sind, mit der PCR M.-tuberculosis-Komplex nachweisbar ist oder die Kultur Wachstum von M.-tuberculosis-Komplex zeigt.
Tuberkulose
Pathophysiologie Übertragung. Die Tuberkulose wird typischerweise mit Tröpfchen, seltener mit kontaminierter Milch (v. a. M. bovis) übertragen. Entsprechend sind die Lungen- und die Lymphknotentuberkulose die häufigsten Manifestationen. Ausbreitung. Die Infektion beginnt subpleural, meist im unteren Ober- oder oberen Unterlappengebiet. Zusätzlich sind regionale Hiluslymphknoten infiziert. Diese Herde können entweder abheilen, oder es kann zur frühen Generalisierung kommen (oligosymptomatisch oder als Miliartuberkulose). In der Folge können Organherde im ganzen Körper entstehen. Zu einem späteren Zeitpunkt können Mykobakterien sowohl in Lungenherden als auch in Lymphknoten oder anderen infizierten Organen reaktiviert werden. Neben der tuberkulösen Meningitis (S. 321) und der Miliartuberkulose ist die Lungentuberkulose insofern ein Notfall, als der Patient mit einem hochgradigen Verdacht auf eine offene Tuberkulose sofort, also vor dem diagnostischen Beweis, isoliert werden muss.
Typische Krankheitszeichen Offene Lungentuberkulose • Leistungsknick, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Fieber, Frösteln, Nachtschweiß. • Husten, Auswurf (mukopurulent, gelegentlich blutig), atemabhängige Schmerzen bei Pleuritis. • Die klinischen Befunde sind unspezifisch, gelegentlich kann überhaupt kein pathologischer Lungenbefund erhoben werden, es ist somit zusätzlich der radiologische Verdacht erforderlich. Cave! Als Notfall zu behandeln wegen Notwendigkeit der sofortigen Isolation (s. S. 333). Lymphknotentuberkulose • Schmerzhafte Lymphknotenschwellung meist zervikal, supraklavikulär oder submandibulär. • In fortgeschrittenem Stadium Fistel mit Eiterausfluss. In der Regel keine Notfallsituation. Allerdings bei sezernierenden Fisteln im Falle einer Hospitalisation Isolation notwendig.
307
Miliartuberkulose • Fieber, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß, Leistungsknick, Hepatosplenomegalie. • Zusätzliche Symptome/Befunde je nach Organbefall. Cave! Als Notfall zu behandeln wegen des ungünstigen Verlaufs ohne rasche Therapie. Knochentuberkulose • Rückenschmerzen, Gibbus, Psoaszeichen (Schmerzen beim Heben des Beines von der Unterlage), inguinale Schwellung (Senkungsabszess), Paraplegie, lokale Knochenschmerzen (z. B. an Rippen, Femur usw.). • Fistel mit Eitersekretion (besonders bei Rippentuberkulose). Tuberkulöse Meningitis • Siehe S. 321. Nebennierentuberkulose • Zeichen der Nebenniereninsuffizienz (s. S. 498): Fieber, Schwäche, Gewichtsverlust, Hypotonie, Hyperpigmentation. Perikardtuberkulose • Allgemeinsymptome, Dyspnoe, Halsvenenstauung, Perikardreiben, paradoxer Puls.
Differenzialdiagnose Die Differenzialdiagnose ist abhängig vom Organbefall. • Lungentuberkulose: Pneumonie oder Pleuritis anderer Ursache, Histoplasmose bei entsprechender Exposition. • Lymphknotentuberkulose: Katzenkratzkrankheit, Lymphom, andere bakterielle Lymphadenitis, nichttuberkulöse Mykobakteriose (v. a. bei Kindern und HIV-Infizierten). • Miliartuberkulose: Tumorleiden. • Gelenk-/Knochentuberkulose: andere subakute Infektionen, besonders Bruzellose. • Meningitis: virale Meningitis, Listerienmeningitis usw. (s. S. 323). • Nebennierentuberkulose: Nebenniereninsuffizienz anderer Ursache (Metastasen, Zytomegalievirusinfektion bei HIV-Infizierten). • Perikardtuberkulose: Urämie, Neoplasie, systemischer Lupus erythematodes, virale Perikarditis, eitrige Perikarditis (v. a. S. aureus, Meningokokken).
308
Infektionskrankheiten
Notfallanamnese
• • •
•
9
• •
Bei der Anamnese müssen die oben erwähnten Leitsymptome erfragt werden. Zusätzlich sind Angaben zu einer evtl. früher durchgemachten Tuberkulose und deren Therapie sowie zu Kontakt mit Tuberkulosefällen wichtig. Auch die Frage nach dem Konsum von roher Milch (vor der Elimination der bovinen Tuberkulose, d. h. bis Anfang der 50er-Jahre) kann bei einer reaktivierten Tuberkulose von Bedeutung sein. HIV-Status bzw. -Risiko vor allem bei jungen Patienten mit Tuberkulose. Angaben zu Herkunft und Reisen geben Hinweise auf das epidemiologische Risiko. BCG-Impfung schließt eine Tuberkulose nicht aus, ist jedoch wichtig zur Beurteilung der Tuberkulinreaktion.
Notfalluntersuchung Klinik Lymphknoten. Palpation v. a. am Hals, supraklavikulär und axillär. Haut. Rote Knoten, Fisteln, Hyperpigmentierung. Lungen. Perkussion, Auskultation. Knochen. Arthritis, Klopf- und Stauchungsschmerz an der Wirbelsäule.
nützlich zum Nachweis einer latenten Tuberkulose oder einer vor kurzem erfolgten Ansteckung, nicht jedoch zum Beweis einer aktuellen Krankheit. Mikrobiologie. Sekret, Liquor, Urin oder Biopsiematerial: Direktpräparat, Kultur (heute immer radiometrischer Nachweis zur raschen Diagnose und Resistenzprüfung), PCR (immer wenn sehr rasche Diagnose notwendig, Sensitivität noch nicht klar etabliert). Die Kultur von Biopsiematerial ist besonders bei Perikarditis und Pleuritis viel sensitiver als die Kultur von Erguss. Bei Verdacht auf Urogenitaltuberkulose der Frau sollte Kürettagematerial kultiviert werden. Mykobakterienkultur im Blut (heute nichtradiometrische Flüssigmediumkultur). Bei fast der Hälfte der HIV-Infizierten ist diese Kultur positiv. Bei Immunkompetenten ist diese Untersuchung nur bei Verdacht auf Miliartuberkulose sinnvoll. Sputum oder BAL. Bei V. a. Lungentuberkulose (die Magensaftuntersuchung ist beim Erwachsenen obsolet). Urinstatus. Leukozyturie ohne Bakteriennachweis. Punktate. Abhängig von der Manifestation: Lumbal-, Aszites-, Pleura-, Perikard-, Gelenkpunktion (Zellen, Glukose, Laktat, Eiweiß, Direktpräparat, Kultur, evtl. PCR: allerdings unbefriedigende Sensitivität). Röntgen-Thorax p.-a./seitlich. Einen typischen Befund zeigt Abb. 9.20. CT. Bei Lungen-, Perikard-, Nebennieren-, Urogenital-, Peritonealtuberkulose. MRT. Bei Knochentuberkulose.
Diagnostik
Therapie
Labor. Weißes (Lymphopenie, Monozytose) und rotes Blutbild (Anämie), Chemogramm mit Leberfunktion, Transaminasen, alkalische Phosphatase (Begleithepatitis bei Lebergranulomen, evtl. chronische Hepatitis B, C oder alkoholischer Leberschaden), Elektrolyte (Hyponatriämie, Hyperkaliämie, Hypoglykämie bei Nebennierentuberkulose), HIV-Test (bei entsprechendem Verdacht). Tuberkulintest. Der Tuberkulintest ist in der Notfallsituation nicht hilfreich, er dient v. a. der Abklärung von Kontaktpersonen. Spezifische Lymphozytentests. Mit den neuen Bluttests kann unabhängig vom Impfstatus innerhalb von 16 – 24 h das Vorliegen einer durchgemachten Tuberkulose nachgewiesen werden. Zwei Tests stehen zur Verfügung, nämlich der Vollbluttest (Quantiferon-TB) und ein Test mit aus Vollblut isolierten Lymphozyten (T-Spot-TB). Beide Tests sind
Notfallmanagement
•
• • •
Bei nachgewiesener oder klinisch und radiologisch vermuteter offener Lungentuberkulose: Isolation in Einzelzimmer mit Unterdruck (s. Tab. 9.14, S. 332). Falls kein Unterdruckisolationszimmer zur Verfügung steht, müssen Patienten mit Verdacht auf multiresistente Tuberkulose in ein entsprechendes Zentrum überwiesen werden. Beginn der tuberkulostatischen Therapie immer erst nach Entnahme der mikrobiologischen Proben. Bei geringem Verdacht auf eine Tuberkulose kann in der Regel mit der Therapie zugewartet werden, bis die Kultur oder das Direktpräparat positiv ist. Tuberkulostatika: Beginn mit einer 4er-Kombination.
Tuberkulose
309
Abb. 9.20 Reaktivierte Lungentuberkulose. Befund im linken Oberfeld bei 30-jhriger Patientin.
•
– In der Initialphase (2 Monate) wird in der Regel ein Kombinationspräparat (z. B. Rifater mit 50 mg Isoniazid, 120 mg Rifampicin und 300 mg Pyrazinamid pro Dragée) gegeben. Ein über 65 kg schwerer Patient erhält 6 Dragées. Bei leichteren Patienten wird die Dosis reduziert (1 Dragée pro 10 kg KG/d). Bis zum Nachweis der Keimempfindlichkeit sollte die Therapie durch Ethambutol 25 mg/kg KG/d p. o. ergänzt werden (EG-A). – Beim Nachweis von M. bovis oder eines M. kansasii sollte Pyrazinamid, worauf die Erreger intrinsisch resistent sind, weggelassen werden. Steroide: bei gewissen Formen der extrapulmonalen Tuberkulose, wie z. B. Meningitis, Perikarditis und Urogenitaltuberkulose wird eine entzündungshemmende Begleittherapie mit Glukokortikoiden (initial Prednison 0,5 mg/kg KG/d während 2 Wochen, dann ausschleichend) empfohlen. Kontrollierte Studien über den Nutzen der Glukokortikoide fehlen jedoch (EG-C).
Weitere Maßnahmen Die weiteren Maßnahmen hängen von der Art der Tuberkulose ab. • Bei konstriktiver Perikarditis evtl. Perikardektomie, • bei ausgedehnter Nierentuberkulose Nephrektomie, • bei ausgedehnter Lymphknotentuberkulose chirurgische Sanierung, da Heilung bedeutend schneller und Rezidivgefahr geringer, • bei Spondylitis chirurgisches Vorgehen (nur notwendig bei Instabilität oder begleitendem Psoassenkungsabzess). • Zur Meldepflicht: s. Tab. 9.25 – Tab. 9.32, S. 360ff.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Isolation. Bei offener Tuberkulose ist eine Isolation während mindestens 2 Wochen notwendig: bis zur Besserung des klinischen Zustandes (afebril, weniger Husten, kein Auswurf) und des C-reaktiven Proteins.
310
9
Infektionskrankheiten
Arzneimittelwirksamkeit und -toxizität. Durch periodische Kontrolle werden Arzneimittelwirksamkeit (Sputumkontrollen, Thoraxbild) und -toxizität monitorisiert: Transaminasen, weißes und rotes Blutbild, Harnsäure (Pyrazinamid) und ophthalmologische Kontrollen (Ethambutol). Bei der Therapie mit Rifampicin muss wegen der Enzyminduktion mit medikamentösen Interaktionen gerechnet werden. Insbesondere werden hormonelle Kontrazeptiva, Kumarine, Antikonvulsiva, HIV-Protease-Inhibitoren, Methadon, Digoxin und Ciclosporin rascher abgebaut bzw. ausgeschieden. Die Dosis dieser Arzneimittel muss deshalb nach einigen Behandlungstagen erhöht werden oder sie sollten vermieden werden. Vorgehen bei Lebertoxizität. Leichtere asymptomatische Leberenzymerhöhungen können ohne Therapiewechsel toleriert werden. Beim Transaminasenanstieg über das 5-Fache der oberen Norm sollten die lebertoxischen Arzneimittel (Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid) gestoppt werden. Bei wenig aktiver Tuberkulose kann eine Behandlungspause gemacht werden. Bei aktiver Tuberkulose und nur kurzer bisheriger Therapiedauer ist eine Therapie mit Ersatzpräparaten (z. B. Rifabutin, Moxifloxacin, Levofloxacin, Ethambutol oder Streptomycin) sinnvoll. Die potenziell hepatotoxischen Substanzen können in 3-tägigem Abstand wieder eingeführt werden. Dabei muss darauf geachtet werden, dass stets zusätzlich 2 aktive Tuberkulostatika verabreicht werden. Wenn die Toxizität wieder auftritt, muss die entsprechende Substanz durch ein anderes Tuberkulostatikum ersetzt werden, ansonsten kann die ursprüngliche Therapie wieder fortgeführt werden.
Besondere Merkpunkte
• • •
Umgebungsprophylaxe außerhalb der Klinik über Amtsarzt/Gesundheitsamt einleiten. Umgebungsprophylaxe in der Klinik bei Bedarf über Personalarzt einleiten. Mikrobiologische Untersuchungen immer in spezialisierten Labors mit Schnelldiagnostik durchführen lassen.
9.16 Fokale intrakranielle Infektionen W. Zimmerli
Definition und Einteilung Fokale intrakranielle Infektionen sind meist raumfordernd und können durch Gewebenekrosen, verminderten Blutfluss oder erhöhten Hirndruck sehr rasch zu irreversiblen Schäden führen. Diagnostik und Therapie müssen deshalb schnell erfolgen. In der Regel steht initial noch keine Diagnose des Erregers zur Verfügung, so dass die Behandlung möglichst zielgerichtet empirisch erfolgen muss. Hirnabszess. Fokale Hirneinschmelzung durch bakteriellen Abszess von parameningealem oder peripherem Infektionsherd ausgehend. Ein Hirnabszess kann auch postoperativ oder nach offener Hirnverletzung auftreten. Beim Immunkompetenten sind die Erreger Streptokokken (32%), gramnegative aerobe Stäbchen (16 %), S. aureus (13 %), Bacteroides (11 %), anaerobe Streptokokken (10 %) und verschiedene andere Keime (18 %). Subduralempyem. Abszess zwischen Dura und Arachnoidea, meist als Folge einer Sinusitis (v. a. frontal und ethmoidal) oder Otitis media, seltener ist der Primärherd peripher (z. B. Lunge). Das Subduralempyem kann auch postoperativ oder nach offenem Schädeltrauma entstehen. Die häufigsten Erreger sind aerobe Streptokokken (35%), S. aureus (17 %), Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und anaerobe Streptokokken. Kranial-epiduraler Abszess. Abszesse zwischen dem Schädelknochen und der Dura sind praktisch immer Komplikationen einer Sinusitis frontalis, einer Mastoiditis oder einer tiefen Wundinfektion nach Kraniotomie. Die Erreger sind die gleichen wie beim Subduralabszess. Zusätzlich muss bei entsprechender Klinik an einen Abszess ausgehend von einer rhinozerebralen Mukormykose gedacht werden. Septische Sinusvenenthrombose. Die septische intrakranielle Thrombophlebitis ist meist eine Komplikation einer Sinusitis, einer Otitis media, einer Mastoiditis oder einer Infektion im Gesicht oder im Oropharynx. Häufigster Erreger ist S. aureus. Enzephalitis. Fokale oder generalisierte Entzündung des Gehirns, verursacht durch Viren, Bakterien, Parasiten oder Pilze. Auch postinfektiöse, immunologische Reaktionen können zu einer Enzephalitis führen. Für die Ätiologie entscheidend sind der Im-
Fokale intrakranielle Infektionen munzustand (s. auch S. 349) und das Alter des Patienten. Meist liegt nicht eine isolierte Enzephalitis, sondern eine Meningoenzephalitis vor.
Pathophysiologie Ausbreitung. Die Pathogenese der erwähnten fokalen intrakraniellen Infektionen ist unterschiedlich je nach Krankheitsbild. Prinzipiell kann die Infektion durch hämatogene Streuung von einem peripheren Fokus entstehen oder sie kann sich direkt von einem benachbarten Herd (HNO-Infektion, Schädelosteomyelitis) ins ZNS ausbreiten. Die postinfektiöse Enzephalitis ist kein infektiöses, sondern ein immunologisches Geschehen. Das Erkennen der Pathogenese ist entscheidend, weil davon die Therapieprinzipien abhängen: Sanierung eines peripheren oder parameningealen Fokus.
Typische Krankheitszeichen Hirnabszess. Beginn perakut innerhalb von Stunden bis subakut über Wochen mit durchschnittlicher Symptomdauer von 10 Tagen. Die wichtigsten Symptome und Befunde sind: Kopfschmerzen (70%), Fieber (40 – 50%), fokal-neurologisches Defizit (50%), Nausea/Erbrechen (20 – 50%), Epilepsie (25 – 45%), Meningismus (25%), Papillenödem (25%). Subduralempyem. Beginn meist akut mit Fieber und Kopfschmerzen, gelegentlich jedoch subakut, v. a. bei Patienten mit vorangegangener antibiotischer Therapie. Bei 60 – 90% der Patienten wird eine asymptomatische oder symptomatische Sinusitis oder Otitis media gefunden. Die Symptome des Subduralempyems unterscheiden sich nicht wesentlich von denjenigen des Hirnabszesses: Fieber, fokale Kopfschmerzen, Erbrechen, Meningismus, Bewusstseinstrübung, Hemisyndrom, Papillenödem. Kranial-epiduraler Abszess. Häufig initial nur Zeichen der Sinusitis oder Otitis. Gleiche Symptome wie Subduralempyem. Bei Infekt im Bereich des Felsenbeins kann es zu Läsionen von Hirnnerven mit einseitigen Gesichtsschmerzen (N. trigeminus) und Abduzensparese kommen. Septische Sinusvenenthrombose. Symptome und Befunde sind abhängig vom betroffenen Venensinus: • Sinus cavernosus: einseitiges periorbitales Ödem, Exophthalmus mit Chemose, Papillenödem, Augenmuskelparesen, gestörter Kornealreflex und Hypästhesie im Trigeminus-V1- und -V2-Bereich.
311
•
Sinus sigmoideus und transversus: Hörverlust, Tinnitus und Kopfschmerzen. • Lateraler Sinus: Abduzensparese, Gesichtsschmerz, Papillenödem, evtl. Gaumensegelparese, gestörter Schluckreflex und Schwäche des M. trapezius und M. sternocleidomastoideus. • Oberer sagittaler Sinus: beidseitige Beinschwäche und Hirndruckzeichen. • Oberer Felsenbeinsinus: einseitiger Schmerz und Hyposensibilität. • Unterer Felsenbeinsinus: wie oben, zusätzlich Abduzensparese. Enzephalitis. Meist akuter Beginn mit Fieber, Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörung, Desorientiertheit, Verhaltens- oder Sprachstörung. Später Auftreten von fokal-neurologischen Zeichen und epileptischen Anfällen. Gelegentlich Zeichen der Begleitmeningitis.
Differenzialdiagnose Die oben erwähnten verschiedenen Infektionen sind ohne Bildgebung häufig nicht voneinander abgrenzbar. Zusätzlich müssen nichtinfektiöse Ätiologien wie Subduralhämatom, Subarachnoidalblutung, ischämischer Insult, Hirnblutung oder Hirntumor differenzialdiagnostisch erwogen werden. Auch diese Erkrankungen können mit Fieber einhergehen.
Notfallanamnese Hirnabszess. Je nach Pathogenese des Hirnabszesses müssen unterschiedliche Fragen gestellt werden: • per continuitatem von benachbartem Infektionsherd: Symptome von Otitis media, Sinusitis, Zahninfekt oder -extraktion, Gesichtsinfekt, • hämatogener Infektionsherd: Pneumonie, Lungenabszess, Bronchiektasen, akute Endokarditis, Herzvitium mit Zyanose, • nach Schädel-Hirn-Trauma oder neurochirurgischem Eingriff: offene Hirnverletzung, transsphenoidale Chirurgie, Wundinfekt. Subduralempyem. Suche nach parameningealem Herd (Sinusitis frontalis und ethmoidalis, Otitis media, seltener abszedierende Pneumonie). Frage nach vorangegangenem offenem Schädeltrauma oder neurochirurgischem Eingriff. Kranial-epiduraler Abszess. Suche nach einer Sinusitis frontalis (frontale Kopfschmerzen), einer Mastoiditis (retroaurikuläre Schmerzen). Frage nach vorausgegangener Kraniotomie.
312
9
Infektionskrankheiten
Septische Sinusvenenthrombose. Frage nach Sinusitissymptomen, Ohrenschmerzen (Otitis media), retroaurikulären Schmerzen (Mastoiditis), Zellulitis (Rötung, Schwellung im Gesicht), traumatisiertem Gesichtsfurunkel, Halsschmerzen (Infekt im Oropharynx). Enzephalitis. Fragen, die Rückschlüsse auf den Erreger zulassen: • Immunitätslage: HIV-Infektion, Transplantation, immunsuppressive Therapie bei Tumor oder Vaskulitis (Differenzialdiagnose S. 349). • Zeckenstich: Frühsommermeningoenzephalitis. • Reiseanamnese: Malaria, Dengue-Fieber, tropische Enzephalitisformen im Rahmen eines viralen hämorrhagischen Fiebers (s. S. 337), unterschiedliche Enzephalitisformen je nach Reiseland. • Andere Erkrankungen: durchgemachte Syphilis, Tierbiss (Tollwut), Durchfall/Malabsorption (Morbus Whipple), Pneumonie (Mycoplasma pneumoniae), Varizellen oder Herpes zoster, Masern. Cave! Bei der Herpes-simplex-Enzephalitis besteht keine Korrelation mit einem simultanen Herpesinfekt der Haut!
Notfalluntersuchung Klinik Hirnabszess. Fieber, Neurostatus (fokal-neurologische Ausfälle, Hemiparese, Aphasie, selten Meningismus usw.), Fundoskopie (Papillenödem), Primärherdsuche (Wunde nach Zahnextraktion, Sinusitis, Otitis media, Mastoiditis, Lungenabszess, Endokarditis, Hautläsion, z. B. rote Knoten bei Nokardiose, Wunden/Narben nach neurochirurgischem Eingriff oder Schädel-Hirn-Trauma). Subduralempyem. Fieber, Meningismus, Bewusstsein, Neurostatus und Fundoskopie, fokal-neurologische Zeichen (Hemiparese, Hemianopsie, hemisensorische Ausfälle), Hirndruckzeichen (Stauungspapillen, Erbrechen, Bradykardie), in 60 – 90% begleitende Sinusitis oder Otitis media. Kranial-epiduraler Abszess. Wie Subduralempyem, zusätzlich bei Abszess im Bereich des Felsenbeines Hirnnervenparesen (N. trigeminus, N. abducens). Septische Sinusvenenthrombose. Unilaterales periorbitales Ödem, Exophthalmus, Chemose, Papillenödem, Augenmuskellähmungen, abgeschwächter Kornealreflex, Sensibilitätsstörung im Gesicht, Kopfdrehen und Schulterheben gestört. Je nach betroffenem Sinus liegen nur einzelne dieser Befunde vor.
Enzephalitis. Fieber, Bewusstsein (Verwirrtheit, psychische Alteration, inadäquate Handlungen), leichter Meningismus. Neurostatus: fokal-neurologische Zeichen (Hemiparese, Aphasie, kortikale Blindheit usw.), extrapyramidale Symptome, Ataxie, epileptische Anfälle, Hirndruckzeichen (Erbrechen, Bradykardie). Lungenauskultation (Pneumonie bei Mycoplasma pneumoniae, Aspergillenpneumonie bei Neutropenie).
Diagnostik Hirnabszess • Labor: Differenzialblutbild (Neutrophilie, Linksverschiebung), C-reaktives Protein als Verlaufsparameter, Elektrolyte (Hyponatriämie bei inadäquater ADH-Sekretion), Blutkulturen (nur 10% positiv). • CT: Schädel ohne/mit Kontrastmittel: Hirnabszess (Ödem und Ringanreicherung) (Abb. 9.21), Sinusitis, Mastoiditis. • MRT: in der Regel nicht notwendig, da keine wesentlichen Zusatzinformationen und Vorteile außer größerer Sensitivität. • HNO-Abklärung. • Röntgen-Thorax. • Stereotaktische Biopsie: zur Gewinnung einer Kultur, falls eine Operation wegen ungünstiger Lage oder multipler Herde nicht möglich ist (aerob, anaerob, Pilze, Mykobakterien). • Lumbalpunktion: Sie ist im Prinzip kontraindiziert. Falls im CT keine Hirndruckzeichen nachweisbar sind, kann aber eine Liquoruntersuchung vorgenommen werden: – Typisch sind eine Pleozytose mit wenigen Zellen (100 – 500 × 106/l, vorwiegend Neutrophile), eine tiefe Liquorglukose und ein hohes Eiweiß. Die Kultur ist in 90% der Fälle negativ. – Falls der Abszess in den Liquorraum durchgebrochen ist, besteht eine sehr starke Liquorpleozytose (> 3000 × 106/l), und die Kultur ist positiv. • Mikrobiologie: Kultur eines eventuellen Primärherdes. Subduralempyem und kranial-epiduraler Abszess • Gleiche Abklärungen wie bei Hirnabszess. Septische Sinusvenenthrombose • Infektabklärung: wie bei Hirnabszess. • CT: Sinusitis, Mastoiditis, Sinusvenenthrombose mit Spiral-CT-Angiografie zuverlässig diagnostizierbar.
Fokale intrakranielle Infektionen
Abb. 9.21 Hirnabszess. CT mit Kontrastmittel eines 32-jhrigen Patienten mit einem Hirnabszess mit Streptococcus intermedius (dem mit Ringanreicherung).
• • •
MRT: erlaubt Unterscheidung zwischen normalem Blutfluss und Thrombose, zusätzlich Hinweise auf subduralen oder epiduralen Abszess, Hirninfarkt, Blutung und Ödem. Angiografie: meist nur notwendig, wenn MRT oder Spiral-CT nicht verfügbar oder nicht schlüssig ist. Lumbalpunktion (falls keine wesentlichen Hirndruckzeichen): erhöhter Druck, leichte lymphozytäre Pleozytose, Proteinerhöhung, Kultur meist negativ.
Enzephalitis • CT oder MRT: MRT ist die sensitivere Untersuchung. Bei der Herpesenzephalitis ist typischerweise der Temporallappen beteiligt (Abb. 9.22). • EEG: Es finden sich charakteristische (bitemporale) Veränderungen bei Herpes-simplex-Enzephalitis, ansonsten unspezifische Allgemeinveränderungen. • Labor: Differenzialblutbild, C-reaktives Protein als Verlaufsparameter, Blutkulturen (Listerien, Pilze). • Lumbalpunktion. Sie sollte durchgeführt werden, falls keine wesentlichen Hirndruckzeichen vorliegen: Zellen mit Verteilung, Laktat, Glukose, Al-
313
Abb. 9.22 Herpes-simplex-Enzephalitis. MRT (T2gewichtet) eines 45-jhrigen Mannes mit Herpes-simplex-Enzephalitis. Typisch ist das dem temporal rechts.
•
buminquotient und IgG-Index, isoelektrische Fokussierung (oligoklonale Banden als Zeichen der intrathekalen IgG-Produktion). Die breite Differenzialdiagnose macht gezielte serologische und PCR-Abklärungen notwendig. Tab. 9.6 zeigt die Liquoruntersuchungen gemäß klinischer Situation.
Therapie Notfallmanagement Hirnabszess • Chirurgische vs. konservative Therapie: Jeder Patient sollte zur initialen Beurteilung und notfallmäßigen stereotaktischen Aspiration oder Exzision einem neurochirurgischen Zentrum zugewiesen werden. Bei Vorliegen multipler Abszesse oder solchen an anatomisch kritischer Lokalisation kann die Therapie auch konservativ durchgeführt werden. Etwa 1⁄4 aller Hirnabszesse wird ausschließlich antibiotisch behandelt. Unter regelmäßigen Kontrollen mit der CT kann die konservative Therapie in ausgewählten Fällen versucht werden. Allerdings muss in dieser Situation
314 Tabelle 9.6
9
Infektionskrankheiten
Liquoruntersuchungen bei Meningoenzephalitis beim immunkompetenten Wirt.
Erreger
Typische Situation
Ätiologische Diagnostik im Liquor
Herpes-simplex-Virus
temporale Enzephalitis
Varicella-Zoster-Virus
Hautlsionen, Zerebellitis
PCR1 fr entsprechende Erreger, IgG-Titer und Albumin im Liquor und im Serum2
Zytomegalievirus
Mononukleose, Hepatitis
Epstein-Barr-Virus
Mononukleose, Angina, Lymphadenitis colli
Borrelia burgdorferi
Zeckenstich
HIV
Risikoexposition
PCR1
Listeria monocytogenes
Hirnstammenzephalitis (Hirnnervenparesen)
Gramprparat (selten positiv) und Kultur (nur 23 % positiv)
FSME-Virus
Zeckenstich
Mycoplasma pneumoniae
Ataxie, Hirnnervenparesen, Psychose, Guillain-Barr-Syndrom, Pneumonie
IgG-Titer und Albumin2 im Liquor und im Serum
Treponema pallidum
frhere Syphilis
Mycobacterium tuberculosis
frhere Tbc, verkalkte Herde im Gehirn
Ziehl-Neelsen (selten positiv), PCR1 und Kultur
Enteroviren (Coxsackieund Echoviren)
evtl. Zusatzsymptome (Herpangina, Perikarditis, Exanthem)
Viruskultur, PCR1
1 2
•
•
Fr PCR-Untersuchung wird unzentrifugierter Liquor bençtigt. Mit dem Verhltnis der IgG-Titer im Liquor und Serum und der Albuminkonzentration im Liquor und Serum kann eine intrathekale Antikçrperproduktion von einer gestçrten Blut-Hirn-Schranke abgegrenzt werden.
die Therapie häufig monatelang durchgeführt werden. Abszesspunktion und Keimidentifikation: In der Regel sollte die Therapie erst nach diagnostischer oder therapeutischer Abszesspunktion eingeleitet werden, damit eine Keimidentifikation gemacht werden kann. Dies ist wichtig, weil nur eine begrenzte Anzahl von Antibiotika mit genügend guter Hirnpenetration zur Verfügung steht. Die beste Penetration ins Hirngewebe haben Metronidazol, Ceftriaxon, Rifampicin, Fusidinsäure und Chloramphenicol (obsolet). Ebenfalls akzeptable Konzentrationen erreichen Penicillin G und Flucloxacillin. Empirische Therapie: beim Immunkompetenten gemäß Fokus: – Primärherd im Hals-Nasen-Ohren-Bereich (EG-C): Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion plus Metronidazol 3 × 0,5 g/d als Kurzinfusion. – Dentogener Hirnabszess (EG-C): Penicillin G 4 × 6 Mio. IE/d als Infusion plus Metronidazol 3 × 0,5 g/d als Kurzinfusion. – Nach neurochirurgischem Eingriff oder offenem Schädel-Hirn-Trauma (EG-D): Ceftriaxon
•
•
2 × 2 g/d als Kurzinfusion plus Rifampicin 2 × 0,6 g/d als Infusion. – Lungeninfekt (Bronchiektasen, abszedierende Pneumonie) (EG-C): Penicillin G 4 × 6 Mio. IE/d als Infusion. Therapie nach Keimidentifikation: Die Therapie kann dann aus den oben erwähnten Substanzen mit adäquater Hirngewebepenetration ausgewählt werden. Chloramphenicol ist heute von Ceftriaxon (gegen gramnegative aerobe Keime) und Metronidazol (Anaerobier) abgelöst worden. Therapiedauer: Sie beträgt in der Regel 4 – 6 Wochen parenteral und weitere 2 – 6 Monate peroral (falls möglich) oder i. m. oder via Port-System. Die Therapie wird in der Regel weitergeführt, bis die Ringanreicherung im CT vollständig verschwunden ist, ansonsten muss mit Rezidiven gerechnet werden (EG-D).
Subduralempyem und kranial-epiduraler Abszess (EG-D) • Neurochirurgische Notfälle: Beide Situationen sind neurochirurgische Notfälle. In jedem Fall ist im Minimum eine Probetrepanation zur Gewin-
Fokale intrakranielle Infektionen
•
nung einer mikrobiologischen Probe notwendig. Ein früher epiduraler Abszess kann konservativ behandelt werden. Beim Subduralempyem genügt jedoch in der Regel eine Bohrlochtrepanation mit Spülung nicht, sondern es muss eine Kraniotomie durchgeführt werden. Antibiotische Therapie: Die Antibiotika werden gleich ausgewählt wie bei der Behandlung des Hirnabszesses (s. o.). Allerdings ist bei operativer Sanierung meist eine Therapiedauer von 3 – 4 Wochen mit parenteralen Antibiotika ausreichend. Vor Therapieabschluss muss die Heilung mit einer Bildgebung nachgewiesen werden.
Septische Sinusvenenthrombose • Antikoagulation: Die sofortige therapeutische Antikoagulation (initial Heparin oder niedermolekulares Heparin, anschließend für 3 Monate orale Antikoagulation) ist indiziert. In zwei Studien sind die Langzeitresultate bei Patienten mit Sinusvenenthrombose (allerdings nicht infizierter!) tendenziell bzw. signifikant besser mit Antikoagulation als ohne (EG-A). Daten zu Patienten mit infizierter Thromobose fehlen. • Antibiotische Therapie: Häufig ist der Keim, der die septische Sinusvenenthrombose verursacht, unbekannt. Die antimikrobielle Therapie erfolgt deshalb empirisch. Da die häufigsten Erreger S. aureus, Streptokokken und Anaerobier sind, sind folgende Therapien sinnvoll (EG-C): – Flucloxacillin 6 × 2 g/d als Kurzinfusion plus Metronidazol 3 × 0,5 g/d als Kurzinfusion. – Alternative bei Penicillinallergie (Typ Exanthem): Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion plus Metronidazol 3 × 0,5 g/d als Kurzinfusion. – Alternative bei Penicillinallergie vom Soforttyp: Vancomycin 2 × 1 g/d Infusion über 1 – 2 h plus Metronidazol 3 × 0,5 g/d als Kurzinfusion. Enzephalitis. Bei der Abklärung der Enzephalitis müssen möglichst bald die behandelbaren von den nicht behandelbaren Formen abgegrenzt werden. Behandelbare Ursachen sind: • Viren – Herpes simplex: Aciclovir 10 mg/kg KG 8-stündlich als Kurzinfusion (EG-A). – Varicella-Zoster: Aciclovir 10 – 15 mg/kg KG 8-stündlich als Kurzinfusion (EG-A). – Zytomegalie: Ganciclovir 5 mg/kg KG 12-stündlich als Kurzinfusion (EG-D). – HIV-Enzephalopathie (s. S. 349). • Bakterien – Mycoplasma pneumoniae: Clarithromycin 500 mg 8-stündlich als Kurzinfusion (EG-D).
• • •
•
315
– Listeria monocytogenes: Amoxicillin 6 × 2 g/d als Kurzinfusion plus Aminoglykosid (z. B. Gentamicin 2 mg/kg KG 12-stündlich als Kurzinfusion) oder bei Penicillinallergie: Cotrimoxazol (160 mg TMP/800 mg SMZ) 8-stündlich als Kurzinfusion oder p. o. (EG-C). – Mycobacterium tuberculosis: s. Meningitis tuberculosa (S. 322). – Treponema pallidum: Penicillin G 6 × 4 Mio. IE/ d i. v. oder Ceftriaxon 1 × 2 g/d i. v. (EG-C). Pilze – Cryptococcus neoformans: s. Tab. 9.23. Parasiten – Toxoplasma gondii: s. Tab. 9.23, S. 347. – Plasmodium falciparum: s. S. 298. Klinische oder bildgebende Hinweise auf die Ätiologie: – Akute Bewusstseinsveränderung, Fieber, bitemporaler Herd und typische EEG-Veränderungen im Temporallappen: PCR-Untersuchungen im Liquor (falls Punktion nicht kontraindiziert ist) und anschließend Beginn mit Aciclovir (10 mg/kg KG i. v. 8-stündlich). – Klinische Varizellen- oder Zosterinfektion: Aciclovir (10 – 15 mg/kg KG i. v. 8-stündlich). – Rhombenzephalitis (Hirnstammenzephalitis): Blutkulturen und Liquor auf Listeria monocytogenes, anschließend Beginn mit Amoxicillin (6 × 2 g/d als Kurzinfusion) plus Aminoglykosid (z. B. Gentamicin 2 mg/kg KG 12-stündlich als Kurzinfusion). – Begleitpneumonie (V. a. Mycoplasma pneumoniae): Clarithromycin 3 × 0,5 g/d als Infusion. – Enzephalitis bei bekannter HIV-Infektion: PCRUntersuchungen im Liquor und Beginn einer empirischen Toxoplasmosetherapie (Tab. 9.23, S. 346). Unklare Ätiologie, fehlendes Ansprechen auf empirische Therapie: Absprache mit Neurochirurgen/Neurologen im Hinblick auf eine stereotaktische Hirnbiopsie, besonders wenn differenzialdiagnostisch ein Tumor möglich ist.
Weitere Maßnahmen Bei allen erwähnten Ursachen der fokalen intrakraniellen Infektionen müssen folgende Zusatzmaßnahmen getroffen werden: • Suche eines Primärherdes: ggf. rasche operative Sanierung (HNO-Spezialist). • Therapie/Prophylaxe mit Phenytoin: falls epileptische Potenziale im EEG oder Krampfanfälle (S. 400).
316
•
Infektionskrankheiten
Hirnödemtherapie: bei entsprechenden Zeichen im CT Kopfhochlage (458-Lage), Sicherung der Atmung und bei Bedarf Intubation, Barbituratnarkose und Hyperventilation, Dexamethason 12 mg initial, dann 6-stündlich 4 – 8 mg i. v., Flüssigkeitseinschränkung, bei akuter Verschlechterung notfallmäßige Mannitolinfusion (20% 200 ml über 10 min) (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
9
• • •
In der Regel ist die initiale Therapie auf einer Intensivstation notwendig, damit Hirndruckzeichen und epileptische Anfälle rechtzeitig erkannt werden können. Zu Beginn der Krankheit engmaschige (1- bis 4-stündlich, je nach Zustand) Kontrollen der vitalen Funktionen (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz) und des Bewusstseins. Bei neurologischer Verschlechterung ist eine CT des Schädels mit der Frage nach Hirnödem durchzuführen. Bei klinischen und radiologischen Hirndruckzeichen antiödematöse Therapie (s. o.).
Besondere Merkpunkte
• • •
Das Management von Immunkompetenten und HIV-Infizierten oder Transplantierten ist prinzipiell unterschiedlich, da die häufigsten Ursachen sich unterscheiden. Die Reiseanamnese ist für die Beurteilung der möglichen Ätiologien entscheidend! Bei der Therapie mit hoch dosiertem Aciclovir muss die Kreatinin-Clearance regelmäßig geprüft und die Dosis ggf. angepasst werden (s. S. 637). Eine Verschlechterung des neurologischen Zustandes kann durch eine Aciclovirüberdosierung zustande kommen.
9.17 Akute bakterielle Meningitis W. Zimmerli
rielle sowie akute und subakute Meningitiden unterschieden werden. Patienten mit einer subakuten Meningitis kommen meist erst verzögert in medizinische Betreuung. Akute Meningitis. Die akute Meningitis ist eine medizinische Notfallsituation, die meist durch Bakterien oder Viren bedingt ist. Subakute Meningitis. Erreger der subakuten bakteriellen Meningitis sind Mycobacterium tuberculosis oder Mycobacterium bovis, Listeria monocytogenes, Cryptococcus neoformans, Borrelia burgdorferi oder Treponema pallidum. Auch die HIV-Infektion kann sich initial als subakute Meningitis manifestieren. Besonders bei Verdacht auf eine behandelbare Ursache muss die subakute Meningitis notfallmäßig abgeklärt und behandelt werden.
Pathophysiologie Infektionen des ZNS finden in einem anatomisch abgeschlossenen Kompartiment statt, wo wichtige Abwehrfunktionen (Phagozyten, Komplement, Immunglobuline) initial fehlen und durch die begrenzten Platzverhältnisse sehr rasch Druckschäden entstehen. Ausbreitung. Die Meningitis beginnt in der Regel mit einer asymptomatischen nasopharyngealen Kolonisation mit dem Erreger (Neisseria meningitidis, Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae). Nach lokaler Invasion kommt es zur Bakteriämie und zur meningealen Absiedelung der Keime. Im Liquor können sich die Bakterien sehr rasch vermehren. Durch die Freisetzung von bakteriellen Produkten wie Lipopolysacchariden oder Kapselbestandteilen kommt es zu einer intrathekalen Entzündung mit Akkumulation von Leukozyten, Serumproteinen und Zytokinen. Diese Entzündung ist wichtig für die Keimelimination, kann jedoch zu Sekundärschäden durch Hirnödem, Hydrozephalus und vermindertem zerebralem Blutfluss führen. Folgen. Die körpereigene Abwehr ist bei der bakteriellen Meningitis immer ungenügend, ohne adäquate antimikrobielle Therapie sterben die meisten Patienten. Bei verzögerter Therapie muss mit neurologischen Folgeschäden gerechnet werden.
Definition und Einteilung
Typische Krankheitszeichen
Die Meningitis ist initial durch eine Infektion und Entzündung der Hirnhäute charakterisiert, die zu einer Liquorpleozytose führt. Aufgrund der Erreger und des Verlaufs können bakterielle und nichtbakte-
•
Die bakterielle Meningitis beginnt in der Regel hochakut mit Fieber und Kopfschmerzen, die nicht auf die üblichen Analgetika ansprechen (meningitisches Syndrom).
Akute bakterielle Meningitis
• •
•
•
Später treten qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen auf (enzephalitisches Syndrom). Hautsymptome wie Petechien, Purpura und Suffusionen sprechen für eine fulminant verlaufende Meningokokkensepis bzw. -meningitis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) (s. Abb. 9.4 und Abb. 9.5, Farbtafel XVI). Bei Klinikaufnahme haben die Patienten folgende Symptome und Befunde: – Meningismus (81%), – Bewusstseinsstörung (77%), – Kopfschmerzen (70%), – Erbrechen (46%), – Fieber > 37,8 8C (45 %), – Petechien/Suffusionen (26%), – Lichtscheu (15%), – positives Lasègue-Zeichen (13%), – Grand-Mal-Anfall (10 %), – Pupillenanomalie (6%), – Rhinoliquorrhö (6%). Nicht einmal die Hälfte der Patienten mit bakterieller Meningitis ist also hochfebril (Analgetika)! Außerdem kann der Meningismus fehlen (v. a. bei komatösen Patienten).
317
rasch die Unterscheidung zwischen viraler und bakterieller Ursache getroffen werden (Tab. 9.7). Bei der akuten bakteriellen Meningitis ist die Liquorzellzahl stark erhöht, die Neutrophilen dominieren, das Laktat ist erhöht und die Glukose erniedrigt. Die nichtbakterielle Meningitis ist durch eine mäßige lymphomonozytäre Pleozytose charakterisiert. Nichtinfektiöse Meningitiden. Vor der Annahme einer nichtinfektiösen Ursache, wie medikamenteninduzierter Meningitis (v. a. Cotrimoxazol), Lupus erythematodes oder Mollaret-Meningitis (rezidivierende lympho-/granulozytäre Meningitis durch HSV), muss eine bakterielle Meningitis ausgeschlossen werden. Abszesse. Besonders wichtig ist das Erkennen eines spinalen epiduralen Abszesses (vgl. Kap. 9.20, S. 324), da in dieser Situation ein neurochirurgisches Vorgehen in der Regel notwendig ist. Auch ein Hirnabszess oder eine Enzephalitis kann sich als Meningitis manifestieren, besonders wenn der Abszess durchbricht oder eine Begleitmeningitis besteht. Subarachnoidalblutung. Bei der Subarachnoidalblutung hat der Patient meist weniger hohes Fieber, jedoch ebenfalls sehr starke Kopfschmerzen und einen ausgeprägten Meningismus.
Differenzialdiagnose
Notfallanamnese
Andere infektiöse Meningitiden. Die akute bakterielle Meningitis muss abgegrenzt werden von der akuten lymphozytären (meist viralen) Meningitis und von der tuberkulösen (meist subakuten) Meningitis. Mit der Liquoruntersuchung kann in der Regel
Gewisse Angaben aus der Anamnese geben Hinweise auf die Ätiologie der Meningitis oder weisen auf einen möglichen infektiösen Herd hin, der saniert werden muss:
Tabelle 9.7
Charakteristische Liquorbefunde. Normal
Bakterielle Meningitis
Tuberkulöse Meningitis
Virale Meningitis
Aspekt
wasserklar
trb
klar bis trb
klar
Druck (cmH2O)
5 – 12
> 20
normal oder ›
normal oder ›
Leukozyten ( 106/l)
1–4
> 1000
< 1000
< 500
Anteil Granulozyten
0%
> 70 %
< 40 %
< 30 %
Glukose: Liquor/Serum
0,5 – 0,8
< 0,4
< 0,4
0,5 – 0,8
Laktat (mmol/l)
<2
>4
>4
<2
Protein (g/l)
0,1 – 0,45
> 0,45
> 0,45
normal oder ›
Direktprparat
–
80% positiv
35% positiv
–
318
Infektionskrankheiten
Zeichen für Hirndruck: Koma, Epilepsie, Stauungspapille ja
nein
*
evtl. Dexamethason evtl. Dexamethason
Abb. 9.23 Algorithmus zum Vorgehen bei Verdacht auf Meningitis. LP: Liquorpunktion, BK: Blutkultur, AB: Antibiotika, * s. Text.
* BK
empirisch AB
LP und BK
notfallmäßig CT-Schädel Hirnödem
empirisch AB nein
9
ja
LP
Optimierung gemäß Liquorkultur oder BK
• • • • • • • •
keine LP
Optimierung AB gemäß BK
vorangegangene Infektion im HNO-Bereich (v. a. Sinusitis und Otitis media): Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae, vorangegangene Pneumonie: Streptococcus pneumoniae, Spondylodiszitis: S. aureus (Epiduralabszess suchen), gestörte T-Zell-Immunität (Transplantation, HIVInfekt): Cryptococcus neoformans, M. tuberculosis, Listerien, vorangegangenes Schädel-Hirn-Trauma (Liquorfistel): Streptococcus pneumoniae, vorangegangener neurochirurgischer Eingriff: S. aureus, neurochirurgischer Shunt (ventrikuloperitoneal oder -atrial): koagulasenegative Staphylokokken, S. aureus, Impfstatus: Meningokokkenimpfung, Pneumokokkenimpfung, Haemophilus-influenzaeb-Impfung.
Bewusstseinsstörung. Diese muss für die Beurteilung des Verlaufes periodisch mit dem Glasgow-Coma-Scale (GCS, s. Tab. 13.5, S. 439) protokolliert werden. Der GCS ist zudem entscheidend wichtig zur Beurteilung der Notwendigkeit von Glukokortikoiden (s. u.). Orientiertheit. Zeitlich, örtlich, situativ, autopsychisch. Neurologische Untersuchung. Hirnnerven (Augenmuskelparesen), Sehnenreflexe, Kraft, Sensibilität, Babinski-Reflex (fokal-neurologische Zeichen, Querschnittsläsion). Haut. Purpura, Petechien, Suffusionen, Staphylokokkeninfekt als Primärherd, Narben am Schädel (nach Unfall oder Kraniotomie) oder am Abdomen (ventrikuloperitonealer Shunt). Auskultation. Herz und Lunge: Pneumonie, Vitium. Nasennebenhöhlen. Druck- und Klopfdolenz, eitriges Nasensekret.
Diagnostik
Notfalluntersuchung Klinik Meningismus. Nackensteifigkeit, Kernig-Zeichen (bei liegendem Patienten können gestreckte Beine nicht bis 908 gehoben werden, sie werden vorher im Knie gebeugt), positives Lasègue-Zeichen.
Lumbalpunktion und Blutkulturen. Abb. 9.23 zeigt das diagnostische Vorgehen bei einem Patienten mit akuter Meningitis. Da bei Vorliegen von Hirndrucksymptomen (fokal-neurologischen Zeichen, Epilepsie oder Stauungspapillen) die Gefahr der Einklemmung besteht, soll die Lumbalpunktion entsprechend diesem Algorithmus durchgeführt werden.
Akute bakterielle Meningitis
Liquor. Folgende Untersuchungen sollten veranlasst werden: Liquordruck, Zellzahl und Verteilung, Proteine, Glukose, Laktat, Direktpräparat (Notfall) und Kultur, evtl. immunologischer Direktnachweis (Antigentest) von Streptococcus pneumoniae, H. influenzae-b, N. meningitidis (falls antibiotisch vorbehandelt) und von Cryptococcus neoformans (bei gestörter T-Zell-Immunität: HIV-Infekt, Transplantation). Tab. 9.7, S. 317 zeigt die typischen Liquorbefunde bei verschiedenen Arten von Meningitis. Labor. C-reaktives Protein, weißes Blutbild (Leukozytose, Leukopenie, Linksverschiebung und toxische Zeichen), Gerinnungsstatus (disseminierte intravasale Gerinnung), Laktat und Glukose im Serum und im Liquor simultan. Schädel-CT. Bei Verdacht auf Sinusitis. Dünnschicht-CT. Bei Verdacht auf Liquorfistel. Röntgen-Thorax. Bei Verdacht auf Pneumonie.
Therapie Notfallmanagement Die Prognose der bakteriellen Meningitis ist stark vom Zeitpunkt des Therapiebeginns abhängig, weshalb die mikrobiologischen Abklärungen die Therapie nicht wesentlich verzögern dürfen. Glukokortikoide. Bei Kindern mit einer bakteriellen Meningitis können durch die Gabe von Dexamethason (0,15 mg/kg KG alle 6 Stunden während 2 – 4 Tagen) die neurologischen Schäden reduziert werden (EG-A). Bei Erwachsenen zeigt eine kontrollierte Studie mit Dexamethason (10 mg vor der ersten Dosis Antibiotikum, anschließend 4 × 10 mg für 4 Tage) einen signifikanten Nutzen gegenüber Plazebo. (EG-A). Die Letalität und die neurologischen Spätschäden konnten auf weniger als die Hälfte reduziert werden. Allerdings profitierten nur Patienten mit einer GCS < 11 und solche mit einer Meningitis durch Streptococcus pneumoniae. Somit Verzicht auf Dexamethason bei antibiotisch anbehandelten Patienten, bei gramnegativen Diplokokken oder Stäbchen im Liquor oder bei einem GCS > 11. Dexamethason kann gestoppt werden, wenn die Kultur einen anderen Erreger als Streptococcus pneumoniae ergibt. Antibiotika. Für viele neue Antibiotika gibt es kontrollierte Studien mit kleinen Fallzahlen (EG-A). Die beschriebenen Therapien entsprechen z. T. nur Expertenmeinungen (EG-D), basierend auf pharmakokinetischen Überlegungen, Tierversuchen und Fallserien (EG-C). Die antibiotische Therapie muss während der ganzen Therapiedauer i. v. mit liquorgängigen Präparaten durchgeführt werden. Die em-
319
pirische Therapie ist abhängig von der lokalen Resistenzsituation und muss somit angepasst werden, falls sich diese Resistenzlage ändert. Kein Erreger im Direktpräparat sichtbar oder noch kein Grampräparat verfügbar • Beim Erwachsenen ohne Zusatzleiden muss am ehesten mit N. meningitidis oder Streptococcus pneumoniae, viel seltener mit H. influenzae gerechnet werden. Beim Erwachsenen über 60 Jahre werden selten auch Enterobacteriaceae (z. B. E. coli) gefunden: – Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-A), – falls mit resistentem Streptococcus pneumoniae (Penicillin MHK ‡ 2 µg/ml) gerechnet werden muss, sollte zusätzlich Vancomycin 2 × 1 g/d gegeben werden. • Nach neurochirurgischem Eingriff sind S. aureus und gramnegative Bakterien zusätzliche mögliche Erreger: – Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion + Rifampicin 2 × 0,6 g/d als Infusion (EG-D). • Bei ventrikuloperitonealem oder -atrialem Shunt sind koagulasenegative Staphylokokken und S. aureus die häufigsten Erreger: – Vancomycin 2 × 1 g/d als 1-stündige Infusion + Rifampicin 2 × 0,6 g/d als Infusion (EG-D). • Bei gestörter T-Lymphozyten-Immunität (Transplantation, Lymphom, HIV-Infektion, s. auch S. 349) kommen neben den üblichen Keimen auch Listeria monocytoges als Erreger infrage: – Amoxicillin 6 × 2 g/d als Kurzinfusion + Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-B). Erreger im Grampräparat sichtbar • Grampositive Kokken – Penicillin G 4 × 6 Mio. IE/d als Infusion über 2 h (EG-B) oder – bei Verdacht auf penicillin-intermediär-resistenten Streptococcus pneumoniae (MHK 0,1 – 1,0 µg/ml): Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-B) oder – bei Verdacht auf penicillinresistenten Streptococcus pneumoniae (s. o.) oder bei Penicillinallergie vom Soforttyp (Anaphylaxie): Vancomycin 2 × 1 g/d ± Rifampicin 2 × 0,6 g/d als Infusionen über 1 h (EG-D). • Gramnegative Kokken – Penicillin G 4 × 6 Mio. IE/d als Infusion über 2 h (EG-C) oder – als Alternative (Verdacht auf penicillinresistente N. meningitidis oder Nicht-Soforttyp-Penicillinallergie) Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-C) oder
320
•
•
9
Infektionskrankheiten
– bei Penicillinallergie vom Soforttyp (Anaphylaxie): nach Rücksprache mit Spezialisten, z. B. Moxifloxacin 1 × 400 mg p. o. (EG-C). Grampositive Stäbchen – Amoxicillin 6 × 2 g/d + Gentamicin 2 mg/kg KG 12-stündlich als Kurzinfusionen (EG-C) oder – bei Penicillinallergie: Cotrimoxazol 3 × 2 Amp. (80 mg TMP/400 mg SMX pro Ampulle als Kurzinfusion) (EG-C). Gramnegative Stäbchen – Ceftriaxon 2 × 2 g/d oder – Meropenem 3 × 2 g/d (EG-A).
Gemäß Kulturresultat unter Berücksichtigung der Resistenzprüfung • S. pneumoniae: wie oben bei grampositiven Kokken. • N. meningitidis: wie oben bei gramnegativen Kokken. • H. influenzae: Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion. • Listeria monocytogenes: wie oben bei grampositiven Stäbchen. • Enterobacteriaceae: Ceftriaxon 2 × 2 g/d als Kurzinfusion oder Meropenem 3 × 2 g/d i. v. (EG-A). • Pseudomonas aeruginosa: Cephalosporin der 3./4. Generation (Ceftazidim 3 × 2 g/d oder Cefepim 3 × 2 g/d) + Aminoglykosid (z. B. Amikacin 15 mg/kg KG 24-stündlich als Kurzinfusion). • Gramnegative Keime mit Cephalosporinresistenz: Meropenem 3 × 2 g/d als Kurzinfusion. Intrathekale Antibiotikatherapie • Seit Einführung der Cephalosporine der 3. Generation gibt es kaum mehr Indikationen für eine intrathekale Therapie. • Die einzige Indikation ist eine neurochirurgische Shuntinfektion mit Methicillin- und Rifampicinresistenten Staphylokokken. In dieser Situation kann die systemische Glykopeptidgabe (Vancomycin 2 × 1 g/d als Infusion über 1 h oder Teicoplanin 400 – 800 mg für die ersten 2 Dosen 12-stündlich, anschließend alle 24 h) mit Teicoplanin intraventrikulär ins Ventil (20 mg alle 48 h) kombiniert werden (EG-C).
Weitere Maßnahmen
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In der Regel ist die Therapie bei liegendem neurochirurgischem Shunt nicht wirksam, so dass eine Entfernung oder der Ersatz mit dem Neurochirurgen besprochen werden muss.
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Bei septischem Patienten muss die Begleittherapie (Flüssigkeit, Vasoaktiva, Intubation/Beatmung usw.) wie bei der Sepsis durchgeführt werden (S. 268). Antiemetika bei Bedarf, z. B. Thiethylperazin 6,5 mg langsam i. v. Antiepileptika bei Bedarf (S. 398). Sedierung bei Bedarf: Sedativa und Hypnotika sollten nur bei absoluter Notwendigkeit verabreicht werden, damit der Bewusstseinszustand beurteilbar bleibt. Bei Schock, Purpura, Petechien und Suffusionen (V. a. akute Nebenniereninsuffizienz): Hydrocortison und Volumentherapie gemäß Kapitel 16 (S. 499). Bei disseminierter intravasaler Gerinnung: s. S. 228.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
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• •
Patienten mit Meningokokkenmeningitis müssen während der ersten 24 h nach Therapiebeginn isoliert werden: Einzelzimmer, Mundschutz und Überschürzen (s. Kap. 9.22, S. 333). Indikation für Antibiotikaprophylaxe nach Exposition s. u. In der Regel erfolgt die stationäre Therapie auf einer Intensivstation zur Überwachung der vitalen Funktionen. BD, Puls, Atemfrequenz 1- bis 2-stündlich. Bewusstsein und kursorischer Neurostatus (Pupillen, fokal-neurologische Zeichen) alle 2 – 4 h: Bei neurologischer Verschlechterung muss ein CT des Schädels mit der Frage nach Hirnödem, Hirnabszess oder Subduralempyem durchgeführt werden. Temperatur 12-stündlich. Übrige Kontrollen je nach Allgemeinzustand (Schock, S. 20).
Besondere Merkpunkte
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Der Zeitpunkt der adäquaten Antibiotikatherapie ist der wichtigste prognostische Faktor. Die initiale empirische Antibiotikatherapie muss die lokale Resistenzlage berücksichtigen (resistente Pneumokokken oder Meningokokken?). Bei wachem Patienten ohne fokal-neurologische Symptome und ohne Stauungspapillen (Abb. 9.23, S. 318) kann die Lumbalpunktion immer ohne vorherige CT des Schädels durchgeführt werden.
Tuberkulçse Meningitis
• • •
•
Der Zustand kann sich nach Einleiten der antibiotischen Therapie initial noch verschlechtern (Endotoxinfreisetzung mit Zunahme der Liquorentzündung). Parameningeale Herde (Sinusitis, Mastoiditis, Otitis media) müssen nach Einleitung der antibiotischen Therapie radiologisch und fachärztlich (HNO-Spezialist) gesucht und saniert werden. Bei Meningokokkenmeningitis müssen Personen, die sehr nahen Kontakt (Haushaltsmitglieder, Reanimationsteam) hatten, prophylaktisch geschützt werden: Ciprofloxacin 500 – 750 mg p. o. (beide Dosen EG-B) als Einmaldosis oder Rifampicin 600 mg p. o. alle 12 h, insgesamt 4 Dosen. Die Meningokokkenmeningitis ist meldepflichtig (s. Tab. 9.25–Tab. 9.32, S. 360ff.)!
9.18 Tuberkulöse Meningitis
321
Tabelle 9.8 Symptome und Befunde bei tuberkulçser Meningitis. Symptome Kopfschmerzen
86%
Fieber, Nachtschweiß
52%
Erbrechen
41%
Verwirrtheit
34%
Lethargie
24%
Nackensteifigkeit
24%
Andere Symptome
< 20 %
Befunde Fieber
55%
Meningismus
36%
Bewusstseinsstçrung
57%
Respiratorische Symptome
28%
Fokal-neurologische Zeichen
16%
W. Zimmerli
Definition und Einteilung
Typische Krankheitszeichen
Stadien. Zur Abschätzung der Prognose ist es sinnvoll, die Patienten in 3 Stadien (nach Gordon und Parsons) einzuteilen: • Stadium 1: wach, keine fokal-neurologischen oder Hydrozephaluszeichen. • Stadium 2: verwirrt oder fokal-neurologische Zeichen. • Stadium 3: stuporös, komatös, delirant oder vollständige Hemiplegie oder Paraplegie. Letalität. Die Letalität steigt von Stadium 1 bis Stadium 3 von 9% über 24% auf 78%, weshalb die Behandlung schon bei Verdacht auf eine tuberkulöse Meningitis nach Entnahme der notwendigen Proben zur mikrobiologischen Abklärung sofort empirisch eingeleitet werden muss.
Die Dauer der Symptome ist bei der tuberkulösen Meningitis sehr variabel zwischen einem Tag und mehreren Monaten. Bei der Hälfte der Fälle ist die Anamnese allerdings kürzer als 2 Wochen. In einer Serie von 58 Patienten wurden die in Tab. 9.8 aufgeführten Symptome und Befunde erhoben. Leitsymptome. Die Leitsymptome Nackensteifigkeit und basale Hirnnervenparesen sind zwar typische, jedoch späte Zeichen der tuberkulösen Meningitis. Hirnnervenparesen treten in lediglich 5 % der Fälle auf!
Pathophysiologie Die tuberkulöse Meningitis entsteht entweder in der Kindheit als frühes postprimäres Ereignis oder beim Erwachsenen durch Ruptur eines subependymalen Tuberkuloms oder im Rahmen einer hämatogenen Streuung bei einer Miliartuberkulose.
Differenzialdiagnose Andere Ätiologien der subakuten oder chronischen Meningitis (virale Meningitis, Listerienmeningitis, Kryptokokkenmeningitis, syphilitische Meningitis, Borrelienmeningitis), Meningitis carcinomatosa, Sarkoidose mit ZNS-Befall.
Notfallanamnese
• •
Früher durchgemachte Tuberkulose (antimikrobiell behandelt)? Gestörte T-Lymphozyten-Immunität (Transplantation, HIV-Infekt, Lymphom)?
322
Infektionskrankheiten
Notfalluntersuchung
•
Klinik Meningismus. Nackensteifigkeit, Kernig-Zeichen (bei liegendem Patienten können gestreckte Beine nicht bis 908 gehoben werden, sie werden vorher im Knie gebeugt), pathologisches Lasègue-Zeichen. Neurologische Untersuchung. Bewusstseinsstörung, basale Hirnnervenparesen (Doppelbilder, Fazialisparese, Ptose).
•
Tuberkulostatika: Beginn mit einer 4er-Kombination (EG-C): – Rifampicin 900 – 1200 mg/d in 2 Dosen p. o. oder als Infusion, – Isoniazid 10 mg/kg KG/d (maximal 300 mg/d) in einer Dosis p. o. oder als Infusion, – Pyrazinamid 25 mg/kg KG/d (maximal 2,5 g/d) in einer Dosis p. o., – Ethambutol 25 mg/kg KG/d p. o. oder als Infusion. Glukokortikoide – Dexamethason (0,4 mg/kg KG/d) mit Beginn der Reduktion nach 2 Wochen (EG-A).
Diagnostik
9
Liquor. Mikroskopie nach Färbung mit Auramin (sensitive Fluoreszenzmikroskopie) und Ziehl-Neelsen), molekularbiologischer Direktnachweis (95 – 100% sensitiv bei positivem Direktpräparat, 60 – 80% sensitiv bei negativem Direktpräparat), Kultur im Flüssigmedium mit BACTEC 460TB oder mit nichtradiometrischer Methode; weitere Befunde zeigt Tab. 9.7. Labor. Differenzialblutbild (Monozytose ist charakteristisch, jedoch selten), normozytäre, normochrome Anämie, Glukose und Laktat simultan mit Liquoranalyse (Tab. 9.7, S. 317), Hyponatriämie (inadäquate ADH-Sekretion), Leberwerte (Miliartuberkulose, Ausgangswert vor Therapie). Blutkulturen auf Mykobakterien. Mykobakterienkultur von Vollblut im Flüssigmedium mit radiometrischer (BACTEC 460TB) oder nichtradiometrischer Methode. Urinstatus. Leukozyturie bei Nierentuberkulose. CT oder MRT. Hirnödem, Hydrozephalus, Entzündungszeichen an der Hirnbasis.
Therapie Notfallmanagement Empirische Therapie. Muss schon bei begründetem Verdacht sofort eingeleitet werden. Argumente für einen Therapiebeginn sind: Anamnese einer Tuberkulose, subakute lymphozytäre Meningitis mit tiefer Glukose und hohem Eiweiß im Liquor, aktive oder residuelle Tuberkulose im Thoraxröntgenbild. Das Direktpräparat im Liquor ist nur bei einer Minderheit (ca. 20 – 30%) positiv. Schnelluntersuchungen wie PCR oder Tuberkulostearinsäure sind hilfreich für die rasche Diagnose.
Weitere Maßnahmen
• •
Bei Hirndruckzeichen muss per Schädel-CT ein Hydrozephalus gesucht werden. Beim Nachweis eines Hydrozephalus evtl. Ventrikeldrainage. Antiepileptische Therapie/Prophylaxe bei Bedarf (s. S. 398).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Wie bei der akuten bakteriellen Meningitis.
Besondere Merkpunkte
• • •
Therapie muss bei hochgradigem Verdacht empirisch begonnen werden. Hydrozephalus und neurologische Schäden sind häufiger als nach akuter bakterieller Meningitis. Wiederholte Lumbalpunktionen sind im Gegensatz zur akuten bakteriellen Meningitis häufig notwendig zur Beurteilung der Therapiewirksamkeit. Die Liquorkultur sollte nach einem Monat negativ sein, die Normalisierung der tiefen Glukose benötigt 2 Monate und die Normalisierung des Proteins sogar 1 Jahr.
Akute lymphozytre Meningitis
9.19 Akute lymphozytäre Meningitis W. Zimmerli
•
•
Definition und Einteilung Bei der akuten lymphozytären Meningitis müssen die behandelbaren von den nicht behandelbaren Formen abgegrenzt werden. Behandelbare Erreger • Herpes-simplex-Virus, • Varicella-Zoster-Virus, • Zytomegalievirus, • HIV (Primärinfektion) (S. 339), • Borrelia burgdorferi (S. 284), • Tropheryma whippeli, • Mycoplasma pneumoniae, • Mycobacterium tuberculosis oder bovis (S. 306), • Leptospira spp., • Treponema pallidum (Syphilis), • Cryptococcus neoformans. Nicht behandelbare Erreger • Mumpsvirus, • Enteroviren (v. a. ECHO-Viren, Coxsackievirus A und B, Poliovirus), • Adenovirus, • Epstein-Barr-Virus, • lymphozytäre Choriomeningitis. • FSME-Virus (Meningitis v. a. bei Kindern, bei Erwachsenen: Meningoenzephalitis).
Pathophysiologie Die lymphozytäre Meningitis ist meist viral bedingt. Viren erreichen das ZNS auf zwei Wegen. Entweder disseminieren sie nach primärer Replikation in den peripheren Organen (Gastrointestinaltrakt, Respirationstrakt, Haut etc.) hämatogen (z. B. Enteroviren, FSME-Virus) durch die Blut-Hirn-Schranke oder sie erreichen das ZNS neuronal (z. B. Herpes-simplexVirus).
Typische Krankheitszeichen
•
Starke Kopfschmerzen, hohes Fieber, Meningismus, in der Regel relativ guter AZ.
323
Bei den meisten Formen keine Bewusstseinstrübung, Ausnahmen sind die Meningoenzephalitis mit Herpes-simplex- oder Varicella-Zoster-Virus sowie die syphilitische und tuberkulöse Meningitis. Gelegentlich ist das Krankheitsbild durch andere Manifestationen wie z. B. Parotitis bei Mumps oder Exanthem bei Varicella-Zoster-Infektion dominiert.
Differenzialdiagnose Wie bei akuter bakterieller Meningitis, zusätzlich Subarachnoidalblutung, Migräne, Meningeosis carcinomatosa.
Notfallanamnese
•
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Immunsuppression/Transplantation, Impf- und Reiseanamnese (Poliomyelitis), Sexualanamnese (HIV-Infektion, Syphilis), Kontakt mit Varizellen oder Mumps, Zeckenstich in den letzten Tagen (FSME), Wochen bis Jahren (Lyme-Borreliose), ansonsten wie bei akuter bakterieller oder tuberkulöser Meningitis.
Notfalluntersuchung Klinik Zunächst wie bei akuter bakterieller oder tuberkulöser Meningitis. Haut. Makulopapulöses Exanthem (akute HIV-Infektion), Parotitis (Mumps), Varizellen- oder Zosterläsionen. Sonstige Zeichen. Herpangina (Ulzera am Gaumenbogen bei Coxsackie-Infektion), Pneumonie (Mycoplasma pneumoniae), Ikterus (Leptospirose).
Diagnostik Liquorpunktion. Interpretation der Analyse s. Tab. 9.7 (S. 317), PCR-Analyse im Liquor s. Tab. 9.6 (S. 314), z. B. Herpes-simplex-Virus, Varicella-ZosterVirus, Zytomegalievirus, Mycoplasma pneumoniae, Leptospira spp., Tropheryma whippelii. Die Sensitivität der PCR auf Borrelia burgdorferi ist nur in den ersten Wochen nach Infektion befriedigend (ca. 50%). Serologie. Serologie der behandelbaren Erreger im Liquor und im Serum sollte gezielt gemäß anamnes-
324
9
Infektionskrankheiten
tischem oder klinischem Verdacht veranlasst werden, z. B. Mycoplasma pneumoniae, Borrelia burgdorferi, Treponema pallidum (VDRL, FTA-ABS), Leptospira, Mumpsvirus. HIV-Serologie. Die HIV-Serologie ist zum Zeitpunkt der initialen Meningitis noch negativ. Bei berechtigtem Verdacht sollte das p24-Antigen oder die HIVRNA bestimmt werden und/oder die Serologie nach 2 – 4 Wochen wiederholt werden. Kryptokokken-Antigen. Dieses Antigen muss nur bei immunkompromittierten Patienten gesucht werden (HIV-Infekt, Transplantation, Lymphom). Nicht behandelbare Virusinfekte. Nach nicht behandelbaren viralen Ätiologien muss nicht gesucht werden, da die Untersuchung bzw. das Ergebnis nur epidemiologische Bedeutung hat.
Therapie Notfallmanagement Die Therapie der meisten lymphozytären Meningitiden ist symptomatisch. In der Regel kann der Patient ambulant behandelt werden. • Analgetika: Paracetamol, Azetylsalizylsäure, Ibuprofen, Tramadol. • Kausale Therapie der behandelbaren Meningitiden: – Varizellen-Zoster- oder Herpes-simplex-Meningoenzephalitis: Aciclovir 10 mg/kg KG 8-stündlich als Kurzinfusion (EG-A). – Zytomegalievirusinfektion: Ganciclovir 5 mg/ kg KG 12-stündlich als Kurzinfusion. Wirksamkeit nicht in Studien belegt (EG-D). – HIV-Infektion: Primärinfekttherapie im Rahmen von Therapieprotokollen (s. S. 343). – Borreliose: Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-A) (s. S. 288). – Tropheryma whippelii: Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d als Kurzinfusion) plus Streptomycin (1 g/d) für 2 Wochen, gefolgt von Cotrimoxazol (2 × TMP/SMX 160/800 mg/d p. o.) für 1 – 2 Jahre (EG-D). – Mykoplasmose: Doxycyclin 2 × 100 mg/d i. v. oder p. o. (EG-D) (keine Daten zur Wirksamkeit). – Leptospirose: Doxycyclin 2 × 100 mg/d i. v. oder p. o. oder Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d als Kurzinfusion (EG-D) (keine Daten zur Wirksamkeit). – Lues: Penicillin G 4 × 5 Mio. IE/d oder Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion (EG-A). – Kryptokokkenmeningitis: s. Tab. 9.23 (S. 347).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Bei der viralen Meningitis sind keine speziellen Überwachungsmaßnahmen notwendig (ambulante Therapie möglich). Bei der Meningoenzephalitis mit Herpes simplex- oder Varicella Zoster-Virus ist eine engmaschige Kontrolle des Bewusstseins und der vitalen Funktionen notwendig.
Besondere Merkpunkte Die wichtigste Aufgabe ist das Erkennen der behandelbaren lymphozytären Meningitiden.
9.20 Spinaler epiduraler Abszess W. Zimmerli
Definition und Einteilung Der akute spinale epidurale Abszess ist eine seltene und behandelbare Ursache der Querschnittslähmung. In den letzten Jahren ist diese Infektion scheinbar häufiger geworden, da mit der modernen nichtinvasiven Bildgebung der Epiduralabszess bereits bei diskreten neurologischen Symptomen, nicht erst bei einer Querschnittslähmung diagnostiziert werden kann.
Pathophysiologie Entstehung. Spinale Epiduralabszesse entstehen meistens durch hämatogene Streuung, können jedoch auch durch einen Durchbruch einer Spondylodiszitis in den Epiduralraum, postoperativ nach Diskushernienoperation oder nach der Einlage eines spinalen Epiduralkatheters entstehen. Lokalisationen. Die meisten Abszesse sind lumbal oder lumbosakral (48%), seltener thorakal oder thorakolumbal (32%), am seltensten zervikal oder zervikothorakal (20%) lokalisiert. Posteriore Abszesse sind häufiger als anteriore, nur selten umfassen sie den ganzen Duralsack. Im Durchschnitt erstrecken sich die Abszesse über 4 Wirbel. Erreger. S. aureus ist mit 60% bei weitem der häufigste Erreger, gramnegative Stäbchen 10% und Streptococcus spp. 9 %. Koagulasenegative Staphylo-
Spinaler epiduraler Abszess
Tabelle 9.9
Klinische Stadien des Epiduralabszesses.
Stadium
Symptomatik
Stadium I
Rckenschmerzen, Fieber, Klopfdolenz
Stadium II
Radikulre Schmerzen, Meningismus, pathologische Reflexe
Stadium III
Sensorische Abnormitten, motorische Schwche, Stuhl- und Urininkontinenz
Stadium IV
Paresen
kokken werden v. a. bei liegendem Epiduralkatheter oder postoperativ gefunden (4,5 %); sämtliche anderen Erreger, die Bakteriämien erzeugen, können ebenfalls gefunden werden.
Differenzialdiagnose
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Typische Krankheitszeichen
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•
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• •
325
Sehr unterschiedlicher Krankheitsverlauf, von perakut innerhalb von Stunden bis chronisch über Wochen, in der Regel jedoch kurze Anamnese. Die Stadien gemäß klinischer Progression sind in Tab. 9.9 zusammengefasst: – Im Stadium I werden typischerweise stärkste lokale Schmerzen angegeben, – im Stadium II werden radikuläre Schmerzen gelegentlich als elektrische Schocks bezeichnet, – Stadium III und IV sind Notfälle, welche eine Abklärung und Intervention innerhalb Stunden erfordern. In einer Untersuchung an 23 Patienten fanden wir folgende Symptome und Befunde: – lokalisierte Rückenschmerzen in 96%, – Fieber > 37,5 8C in 74%, – Systemic inflammatory Response Syndrome (S. 265) in 65%, – neurologisches Defizit in 57%, – Meningismus in 43%. Die Symptome des spinalen Epiduralabszesses sind somit unspezifisch, solange noch kein Querschnittssyndrom besteht. Die häufigsten Primärherde oder Prädispositionen sind Haut- und Weichteilinfektionen, Harnwegsinfektionen, Spondylodiszitis, i. v. Drogenabusus und Epiduralkatheter. Diese Herde müssen aktiv gesucht und saniert werden.
• • •
Metastasen im Epiduralraum: wahrscheinlichere Diagnose bei entsprechendem, evtl. bereits bekanntem Primärtumor. Spondylodiszitis: Leitsymptome initial identisch (Fieber, Rückenschmerzen). Meningitis: ähnliche Symptome und Liquorpathologie. Sepsis: subtile neurologische Symptome werden während der schweren Sepsis nicht erkannt. Guillain-Barré-Syndrom (S. 402). Diskushernie: radikuläre Schmerzen, auch bei Epiduralabszess in der initialen Phase.
Notfallanamnese
• • • • •
Umschriebene Rückenschmerzen? Fieber? Radikuläre Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Paresen? Stuhlinkontinenz, Harnverhalten? Frage nach möglichen Primärherden: – Hautinfektion (Furunkel, traumatisierte Akne), – Weichteilinfektionen (i. m. Injektionen), – Harnwegsinfektion (Dysurie, Pollakisurie, Flankenschmerz).
Notfalluntersuchung Klinik Internistischer Status. Meningismus, Primärherd suchen (besonders Haut, Lunge, Nierenlogen). Rheumatologischer Status. Insbesondere Klopfschmerz an der Wirbelsäule suchen. Neurologischer Status. Insbesondere radikuläre Ausfälle suchen (Lasègue-Zeichen, Reflexanomalien, Paresen, Sensibilitätsstörung), Querschnittssyndrom suchen (Paraparese, Tetraparese, Analsphinktertonus).
326
Infektionskrankheiten sistierend hochgradigem Verdacht sollte die MRT zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden. Die CT ist deutlich weniger sensitiv, nur in 40 – 70% der Fälle wird die Diagnose gestellt. Bildgebende Verfahren können in der Frühphase negativ sein. Die MRT muss möglichst gezielt den verdächtigen Abschnitt der Wirbelsäule erfassen. Eine CT mit intrathekaler Kontrastmittelgabe (Myelo-CT) sollte nur durchgeführt werden, wenn kein MRT gemacht werden kann.
Therapie Notfallmanagement
9
Abb. 9.24 Epiduraler Abszess. MRT (T1-gewichtet) eines 54-jhrigen Mannes mit einem dorsalen spinalen (C2/3–Th5) epiduralen S. aureus-Abszess.
Diagnostik Die ätiologische Diagnose erfolgt in der Regel aus dem Epiduralabszess direkt (90% positive Kulturen), kann jedoch auch aus dem Blut (82 % positive Blutkulturen) oder seltener aus dem Liquor (25% positive Kulturen) gestellt werden. Labor. Differenzialblutbild, CRP, Chemogramm (inklusive Glukose und Laktat, falls eine simultane Liquorpunktion durchgeführt wird). Liquor. Nicht routinemäßig durchführen, da potenziell gefährlich wegen lokaler Infektausbreitung. Falls nicht lumbale Lokalisation: Punktion für Zellen, Grampräparat, Protein, Glukose, Laktat, Kultur. Eine leichte bis massive Liquorpleozytose mit Prädominanz der Neutrophilen ist die Regel (73%), ebenso eine deutliche Erhöhung der Proteine. Das Grampräparat ist nur sehr selten (< 5%) und die Kultur nur in 25% der Fälle positiv. Mikrobiologie. Blutkulturen, Liquorkultur, Kultur von CT-gesteuerter Abszesspunktion anstreben, Kultur eventueller Primärherde. Bildgebende Verfahren. MRT hat eine Sensitivität und Spezifität > 90% und ist somit die Methode der Wahl beim Verdacht auf einen spinalen Epiduralabszess (Abb. 9.24). Bei negativem Befund und per-
Bereits beim klinischen Verdacht sollte der Neurochirurg zugezogen werden, da die Prognose bezüglich neurologischer Restschäden vom Zeitpunkt der Dekompression abhängig ist. Operative Therapie. Eine neurochirurgische Intervention ist immer indiziert, wenn der Patient neurologische Ausfälle hat (EG-C). Konservative Therapie. Beim Patienten ohne neurologische Ausfälle und mit minimalem Befund im bildgebenden Verfahren kann eine konservative antibiotische Therapie unter ständiger neurologischer Kontrolle versucht werden (EG-C). Antibiotika. Die antibiotische Therapie muss zwar rasch, jedoch erst nach Entnahme der mikrobiologischen Proben (Blut, Liquor, Abszesspunktat) begonnen werden. Für die empirische antibiotische Therapie müssen liquorgängige Antibiotika eingesetzt werden. Die Wahl der Substanz ist abhängig von der klinischen Situation (EG-D). • Fehlender Primärherd oder Hautinfekt (S. aureus): – Flucloxacillin (6 × 2 g/d als Kurzinfusion) oder Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) oder Cefuroxim (3 × 1,5 g/d i. v.) (EG-C). • Pyelonephritis: – Ceftriaxon (2 × 2 g/d als Kurzinfusion) (EG-C). • Epiduralkatheter: Katheterentfernung und Antibiotika: – Vancomycin (2 × 1 g/d Infusion über 1 – 2 h) plus Ceftriaxon (2 × 2 g/d als Kurzinfusion) (EG-C). Therapiedauer. Die Dauer der Therapie ist abhängig von der Vollständigkeit der operativen Sanierung. Sie muss in der Regel 4 – 6 Wochen parenteral durchgeführt werden.
Infektiçse Durchflle
Weitere Maßnahmen Behandlung des Primärherdes bzw. der Sepsis (Tab. 9.1, S. 267).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
•
Solange keine neurochirurgische Dekompression erfolgt ist, müssen engmaschige neurologische Kontrollen (Kraft, Sensibilität, Sphinkterfunktion, Harnretention) stattfinden. Eine intensivmedizinische Überwachung ist deshalb absolut notwendig. Die übrigen Kontrollen sind identisch wie bei der Sepsis oder – bei klinischem Verdacht auf einen Durchbruch in den Liquorraum – wie bei der Meningitis.
Besondere Merkpunkte Ein spinaler Epiduralabszess kann mit einer CT oder einer Myelografie nicht vollständig ausgeschlossen werden. Bei hochgradigem klinischem Verdacht (Sepsis, lokalisierte Rückenschmerzen, radikuläre Ausfälle oder Querschnittssyndrom) muss die Bildgebung ergänzt werden: MRT nach negativem Nativ-CT.
Pathophysiologie Die infektiöse Diarrhö wird entweder durch die Bildung von Enterotoxinen, Zytotoxinen, Neurotoxinen oder durch die direkte Invasion von Erregern verursacht. Nichtinflammatorische bzw. sekretorische Durchfallerkrankungen (Typ Cholera). Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen ins Darmlumen durch Zunahme der enterotoxininduzierten Sekretion von Cl– und HCO3– aus den Krypten, Hemmung der Natrium- und Wasserresorption an den Zottenspitzen. Die Mukosa bleibt intakt. Inflammatorische bzw. invasiv-zytotoxische Durchfallerkrankungen. Entzündliche Mukosaveränderungen mit Zerstörung des Epithels durch Invasion der Erreger in die Enterozyten mit Zelluntergang (z. B. Shigellen) oder zytotoxininduzierte Nekrose der Enterozyten (z. B. Clostridium difficile). Neurotoxin bildende Durchfallerreger. Clostridium botulinum, Staphylococcus aureus (Enterotoxin B) und Bacillus cereus (Vomitustoxin) bilden Neurotoxine. Die Folge ist ein emetisches Syndrom.
Typische Krankheitszeichen
• •
9.21 Infektiöse Durchfälle N. E. Gyr
Definition und Einteilung Der infektiöse Durchfall wird durch ein infektiöses Agens und/oder dessen Toxine verursacht und ist wie folgt definiert: • Akute infektiöse Diarrhö: plötzliches Auftreten von 3 oder mehr wässrigen oder ungeformten Stuhlentleerungen pro Tag, begleitet von Fieber, Bauchkrämpfen, Nausea und Erbrechen. • Persistierende infektiöse Diarrhö: infektiöse Durchfallerkrankung, die länger als 14 Tage dauert. • Chronische infektiöse Diarrhö: infektiöse Durchfallerkrankung, die länger als 30 Tage dauert. • Dysenterie: blutig-eitrige Durchfälle.
327
Siehe Tab. 9.10. Komplikationen: Dehydratation mit Oligurie, Anurie, Schock, Azidose (Cholera); toxisches Megakolon (inflammatorische Durchfälle); Perforation des Magen-Darm-Kanals (Clostridium difficile, S. typhi); SIRS oder Sepsis, mykotisches Aneurysma, Dauerausscheider (Salmonellen); postinfektiöse Malabsorption („tropical sprue“).
Differenzialdiagnose
• •
Inflammatorische Diarrhö: entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa), ischämische Kolitis, Tumoren des Kolons. Nichtinflammatorische Diarrhö: Laxanzien, Malabsorptionssyndrome (Laktasemangel, Gallesäuremalabsorption, Sprue u. a.), hormon- und peptidinduzierte Diarrhö (gastroenteropankreatische Tumoren wie VIPOM), Status nach gastrointestinalen Resektionen, Status nach Vagotomie, kollagene/mikroskopische Kolitis, Dünndarmlymphom, villöses Adenom (Rektum), Medikamente (Chinidin, Mg-haltige Antazida), Nahrungsmittelallergien u. a.
328 Tabelle 9.10 rhç.
Infektionskrankheiten
Symptome, Charakteristika und Erreger der inflammatorischen und nichtinflammatorischen DiarInflammatorische Diarrhö
Nichtinflammatorische Diarrhö
Dysenterie-Syndrom invasiv-toxische Diarrhç
Cholera-Syndrom nichtinvasive Diarrhç
klein blutig linker Unterbauch selten ja ja
groß wssrig periumbilikal hufig nein gelegentlich
Elektrolytstçrungen Leukozyten im Stuhl
selten ja
ja selten
Involvierter Darmabschnitt
Kolon, Ileum
Dnndarm
Erreger
Shigellen Salmonellen Campylobacter E. histolytica EIEC, EHEC, EAggEC Yersinia enterocolitica Clostridium difficile (Vibrio parahaemolyticus, Aeromonas, Plesiomonas)
Vibrio cholerae ETEC EPEC EAggEC Viren Staphylococcus aureus Bacillus cereus Giardia lamblia Cryptosporidium parvum Isospora belli Cyclospora enterotoxigene Bacteroides fragilis
Synonym
Klinik Stuhlvolumen Stuhlcharakteristik Schmerzlokalisation Vomitus Tenesmen Fieber Labor
9
Pathogenese noch unsicher Laribacter hongkongensis Klebsiella oxytoca Abklärung
ja
bei schwerer Dehydratation
ETEC: enterotoxigene E. coli, EPEC: enteropathogene E. coli, EAggEC: enteroaggregative E. coli, EIEC: enteroinvasive E. coli, EHEC: enterohmorrhagische E. coli
•
Malaria: in ca. 20% der Fälle mit Diarrhö assoziiert).
Notfallanamnese
• • •
Beginn und Dauer der Symptome (weniger oder mehr als 5 Tage), Stuhlbeschaffenheit (wässrig-voluminös, schleimiger, fettiger oder blutiger Stuhl), Stuhlhäufigkeit und -quantität, Fieber,
• • • • •
Dehydratationssymptome: Durst, Kollapsneigung im Stehen und Sitzen, Tachykardie, Oligurie/Anurie, Hospitalisationen, Hautexanthem (Roseola: systemische Salmonellosen; Erythema nodosum: Shigellen, Yersinia enterocolitica; Purpura: enterohaemorrhagische E. coli, Shigella dysenteriae), Reiseanamnese (Endemiegebiete), Einnahme kontaminierter Speisen (speziell rohes Fleisch, nichtpasteurisierte Milch, Eier, Krustentiere, Fruchtsäfte),
Infektiçse Durchflle
• • • • •
Beruf, Information über weitere Beteiligte und Verpflegungsstätte (Kantine etc.), Kontakt mit Tieren (Zoo, Bauernhof: Salmonellen, Campylobacter, Yersinia enterocolitica) oder Personen, die an Diarrhö erkrankten, Alter, reduzierte Abwehrlage (HIV), Vorbehandlung mit Arzneimitteln: Antibiotika (pseudomembranöse Kolitis: gehäuft nach Behandlung mit Penicillinen, Cephalosporinen oder Clindamycin), Antazida, motilitätssteigernde Medikamente, Laxanzien (bei HIV-Infekt s. a. S. 353).
Therapie Notfallmanagement
• •
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Bewusstseinszustand, Temperatur, Exanthem, Exsikkosezeichen: Puls, Blutdruck, evtl. ZVD, Gewicht (Vergleich zu anamnestischem Gewicht), Hautturgor, Stimme (Heiserkeit bei Exsikkose), Harnmenge kontrollieren.
Diagnostik Labor. Hämoglobin, Hämatokrit, Leukozyten, Blutausstrich bei Verdacht auf Malaria, CRP, Natrium, Kalium, Kreatinin, pH (Azidose), Bikarbonat. Stuhluntersuchung. Leukozyten und/oder okkultes Blut im Stuhl (sprechen eher für inflammatorische Diarrhö), Bakterien bei Epidemieverdacht, Parasiten nach Reisen in Risikogebiete und bei persistierender Diarrhö (Dauer > 14 Tage) sowie bei immundefizienten Patienten (AIDS), Toxinnachweis bei Clostridium difficile (bei vorausgegangener Antibiotikatherapie).
329
•
Notfallmaßnahmen je nach Schweregrad (Tab. 9.11). Bei leichten und mäßig schweren Krankheitsbildern: ambulante Behandlung (falls Überwachung garantiert und keine zusätzlichen Risikofaktoren vorhanden): – Rehydratation durch Einnahme gezuckerter Lösungen mit Kochsalzzusatz (z. B. Salzstangen) oder Haferschleim, perorale Ernährung (leichte, fettarme Kost) (EG-A). – Motilitätshemmer, z. B. Loperamid bis maximal 16 mg innerhalb 24 h, sollten aber vermieden werden bei blutiger Diarrhö oder bei Infektion mit enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) (EG-A). – In der Regel keine Antibiotika außer bei Cholera (EG-A). – Übliche fäkalhygienische Vorsichtsmaßnahmen, Einhalten der persönlichen Hygiene. Bei schwerem Krankheitsbild mit Dehydratation und/oder Blut im Stuhl oder bei Choleraverdacht (s. S. 331): – In der Regel Klinikeinweisung (sicher bei Patienten über 60 Jahren und bei Kindern unter 5 Jahren), fäkalhygienische Maßnahmen, Einhalten der persönlichen Hygiene. – Ersatz des Flüssigkeits- und Elektrolytdefizites bei Aufnahme sowie Ersatz der andauernden Verluste im Stuhl (evtl. Stuhlgewicht messen) gemäß Tab. 9.12 (EG-A). – Antibiotika gemäß Tab. 9.13 (EG-A).
Tabelle 9.11 Schweregrad der infektiçsen Diarrhç. Leicht bis mäßig
Schwer
Nichtinflammatorische Diarrhç (Cholera-Syndrom)
Fieber £ 38 8C keine bis mßige Dehydratation (< 10 % des KG)
Fieber > 38 8C schwere Dehydratation (> 10% des KG) Elektrolytentgleisung Volumenschock
Inflammatorische Diarrhç (Dysenterie-Syndrom)
Hmoccult positiv im Stuhl Leukozyten positiv im Stuhl Fieber £ 38 8C Tenesmen
makroskopisch Blut im Stuhl Eiter im Stuhl Fieber > 38 8C schwere Bauchkrmpfe septisch-toxisches Bild
330 Tabelle 9.12
Infektionskrankheiten
Richtlinien der Rehydrierungsbehandlung (gelten auch fr Cholera).
Grad der Dehydratation
Flüssigkeit
Menge
Zeitraum
Nicht relevant (Flssigkeitsverlust 5 % des KG)
ORL
nach Durstgefhl und Klinik
so rasch wie mçglich
Leicht bis mßig (Flssigkeitsverlust 5 – 10 % des KG)
ORL
Menge [ml] = KG 75
in den ersten 4 h
Schwer (Flssigkeitsverlust > 10 % des KG)
initial Ringer-Laktat i. v. (evtl. 0,9 % NaCl)
100 ml/kg KG i. v. (30 ml/kg KG in 30 min, 70 ml/kg KG in 150 min) 5 ml/kg KG/h zustzlich
3h
sobald trinkfhig: ORL
9
berwachung: alle 3 h Neubeurteilung und Therapieanpassung gemß obigem Schema. Falls keine Dehydratation mehr besteht: Erhaltungstherapie mittels ORL zur Kompensation der Stuhlverluste, ca. 100 – 200 ml pro Stuhlentleerung (Erwachsene). ORL= orale Rehydrierungslçsung: 2,6 g/l NaCl; 1,5 g/l KCl; 2,9 g/l Trinatriumzitratdihydrat; 13,5 g/l unhydrierte Glukose = Na 75 mmol/l; Glukose 75 mmol/l; Chlorid 65 mmol/l; Kalium 20 mmol/l; Zitrat 10 mmol/l. Gesamtosmolaritt: 245 mOsmol/l (EG-A)
Tabelle 9.13 Richtlinien zur Antibiotikatherapie bei infektiçser Diarrhç mit unbekanntem Erreger (Notfallsituation). Typ
Schweregrad der Durchfallerkrankung (s. Tab. 9.11) leicht bis mäßig
schwer
Nichtinflammatorische Diarrhç
in der Regel keine Antibiotika
Fluorochinolone fr 5 Tage: Ciprofloxacin 2 500 mg/d Norfloxacin 2 400 mg/d
Cholera
Azithromycin 1 1 g p. o. (Einmaldosis) bei Erwachsenen, 1 20 mg/kg KG bei Kindern (Einmaldosis)
Azithromycin 1 1 g p. o. (Einmaldosis) bei Erwachsenen, 1 20 mg/kg KG bei Kindern (Einmaldosis)
Inflammatorische Diarrhç
in der Regel keine Antibiotika Ausnahmen: Risikopatienten, z. B. Kinder, Betagte, Immunkompromittierte, Prothesentrger, bei Aneurysma usw.
Fluorochinolone fr 5 Tage (s. o.)1 Pivmecillinam 4 400 mg/d fr 5 Tage (Shigellen)2
Parasiten
spezielle Antiparasitika
Sobald Erreger feststeht, auf adquate Antibiotika umstellen. 1 berwachung wegen mçglicher Resistenz angezeigt. 2 In der Schweiz und Deutschland nicht im Handel.
Metronidazol 3 500 mg/d fr 10 Tage; Alternative: Vancomycin 4 125 mg/d oral fr 10 Tage (Clostridium difficile)
Infektiçse Durchflle
Weitere Maßnahmen
• •
Je nach Erreger Meldung an Gesundheitsbehörden (s. Tab. 9.25–Tab. 9.32, S. 360ff). Bei Verdacht auf Clostridium difficile-Infektion evtl. Sigmoidoskopie (Kolitis).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Im Falle einer schweren Dehydratation (z. B. bei Cholera): stündlich Blutdruck, Puls, ZVD und Bewusstsein; 6-stündlich Natrium und Kalium, Bikarbonat im Serum, Blutgase (Azidose). Bei Patienten, die in der Nahrungsmittelindustrie oder im Gastgewerbe tätig sind: Stuhlkontrolle nach Sistieren des Durchfalls (3-mal). Schutz des Pflegepersonals durch Händedesinfektion, Wechseln der Kleider; bei Cholera: Impfung des Personals (Pflege, Ärzte).
Besondere Merkpunkte Jede Diarrhö bei einem Reiserückkehrer kann Ausdruck einer Malaria sein!
Cholera Definition Die Cholera ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung mit wässriger Diarrhö, Erbrechen, Dehydratation und Elektrolytverlusten. Unbehandelt kann die Krankheit zu Azidose, Anurie, Schock und Tod führen. Erreger sind V. cholerae O1 und O139 (klassischer und El-Tor-Biotyp).
331
Typische Krankheitszeichen
• • •
Inkubation: 1 – 3 Tage (bis 5 Tage), Leichte Fälle (Mehrzahl): leichte, nichtinflammatorische Durchfallerkrankung, selbstlimitierend, Dauer 5 – 8 Tage. Schwere Erkrankungsfälle: plötzlicher Beginn mit profusen, reiswasserähnlichen Durchfällen, Durst, Kreislauflabilität und Kollaps, Erbrechen, Bauch- und Muskelkrämpfe als Folge der rasch auftretenden Dehydratation, metabolische Azidose, Anurie. Der Tod kann innerhalb von Stunden eintreten, 50% Letalität bei Kleinkindern.
Differenzialdiagnose
• •
Bei der leichten Krankheitsform sind alle anderen Ursachen der nichtinflammatorischen Diarrhö (s. dort) in Erwägung zu ziehen. Bei der schweren Krankheitsform kommen Clostridium difficile und das VIPOM infrage.
Notfallanamnese und Notfalluntersuchung Sie entsprechen dem Vorgehen bei jeder infektiösen Diarrhö (s. S. 328).
Diagnostik
• • •
Stuhl und Rektalabstrich gekühlt transportieren. Dunkelfeldmikroskopie. Kultur in alkalischem Peptonwasser.
Therapie Pathophysiologie Die Cholera ist der Archetyp der toxininduzierten Diarrhö. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral oder durch kontaminierte Speisen und Flüssigkeiten. Folgende drei Toxine sind von Bedeutung: Choleratoxin, Zonula-occludens-Toxin und akzessorisches Toxin. Das Enterotoxin stimuliert die Adenylatcyclase, erhöht das intrazelluläre cAMP und führt zur Sekretion von isotoner Flüssigkeit.
• • •
Sofortige Rehydratation (Tab. 9.12) (EG-A). Zusätzlich Antibiotika (Doxycyclin, Ciprofloxacin, oder Cotrimoxazol über 5 Tage) zur Verkürzung des Krankheitsverlaufes und der Ausscheidung der Vibrionen (Tab. 9.13) (EG-A). Isolation ist nicht notwendig.
9
Verschiedene Formen der Isolation.
Typ der Isolation
Übertragung
Beispiel
Isolierzimmer
Überschürze
Handschuhe
332
Tabelle 9.14
Maske Chirurgischer Mundschutz
Tbc-Schutzmaske
ja (bei Kolonisation nein der oberen Luftwege)
ja, mit negatinein vem Innendruck
bei direktem Kontakt
nein
nur bei Personen mit negativer Serologie
RSV*, Influenza
ja
nein, nur bei direktem Kontakt
ja
nein
aerogen
offene Tuberkulose
ja, mit negatinein vem Innendruck
(nein) bei Kontakt mit Auswurf (ja)
nein
ja
Hmorrhagisches Fieber
aerogen, Trçpfchen Kontakt
Ebola
ja, mit negatija vem Innendruck
ja
nein
ja
Diarrhç
Kontakt, Trçpfchen
Norovirus
ja
ja
ja
ja, bei Erbrochenem
nein
Kontakt
C. difficile ja Ribotype 027**
ja
ja
nein
nein
Kontakt
MRSA, ESBL
ja
Isolation bei luftbertragenen Infektionen
aerogen
Varizellen, Masern
Isolation zur Vermeidung von Trçpfcheninfektionen
Trçpfchen
Tuberkulose
ja
nein, nur bei direktem Kontakt
MRSA: methicillinresistente Staphylococcus aureus, ESBL: extended-spectrum-beta-lactamase, RSV: Respiratory syncytial Virus * Bei schwer immunsupprimierten Patienten ist die Kombination Trçpfchen- und Kontaktisolation notwendig **Bei schwerem Verlauf von allen Typen von C. difficile ist eine Kontaktisolation sinnvoll
Infektionskrankheiten
ja
Kontaktisolation
Isolationsmaßnahmen
9.22 Isolationsmaßnahmen
Differenzialdiagnose
A. F. Widmer
•
Definition und Einteilung
•
Die Isolation ist eine Abgrenzung von Patienten mit Infektionskrankheiten, die auf andere Patienten und/oder auf das Personal übertragen werden können. Die Isolationsmaßnahmen unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Übertragungsweg. Es werden 3 Arten von Übertragungen infektiöser Erreger unterschieden: Einteilung nach Übertragungsweg • Übertragung durch Kontakt – bei multiresistenten Bakterien, z. B. methicillinresistente S. aureus (MRSA), Vancomycinund teicoplaninresistente Enterokokken (VRE), gramnegative Erreger mit Breitspektrumbetalaktamasen (ESBL = extended spectrum betalactamase), – Respiratory syncytial Virus (RSV). • Übertragung durch Luft – bei offener Lungentuberkulose (Arbeitsdefinition: Nachweis von säurefesten Stäbchen im Direktpräparat oder positive PCR auf M.-tuberculosis-Komplex oder offene Drainagen bei Organtuberkulose), – bei Varizellen/Masern. • Übertragung durch Tröpfchen – Meningokokken, Influenza, Mumps, Röteln, Scharlach/Streptokokkenangina. Einteilung nach Entität • Durchfall: Norovirus, Clostridium difficile, Salmonellen, Hepatitis A. • Virales hämorrhagisches Fieber (s. Kap. 9.24, S. 336).
Pathophysiologie Das Risiko einer Übertragung multiresistenter Erreger kann mit der Kontaktisolation um einen Faktor > 15 reduziert, bei anderen Isolationsformen fast immer verhindert werden. Basis für die Verhinderung der Ausbreitung multiresistenter Keime sind korrekte Frühdiagnostik, die Isolation und der restriktive Einsatz von Antibiotika.
333
Für multiresistente Keime: MRSA: nur mecA-Genpositive MRSA müssen isoliert werden, nicht z. B. Borderline resistant S. aureus (BORSA). Für Tuberkulose: nichtoffene Tuberkulose, nichttuberkulöse Mykobakterien.
Notfallanamnese
• • • • •
Wann war der letzte Nachweis von MR-Bakterien? Patienten können mit MRSA oder ESBL über Monate und Jahre kolonisiert bleiben. Wurde eine Dekolonisation durchgeführt? In einigen Kliniken werden Patienten mit MRSA systematisch dekolonisiert. Bei Verlegungen vom Ausland: Aus welchem Land wurde der Patient repatriiert? MRSA oder ESBL sind in Südeuropa häufig. Welche Körperstellen sind betroffen (Ausmaß der Kolonisation)? Für Tuberkulose: bisherige Kontaktpersonen privat und beruflich, Dauer des Kontaktes, Husten, Auswurf mit Menge.
Notfalluntersuchung Diagnostik Bei MR-Bakterien. Die mikrobielle Diagnostik von multiresistenten Keimen ist schwierig, eine Rückfrage beim mikrobiologischen Labor vor Auslösen der Isolationen von Patienten wird empfohlen. Bei MRSA sind Schnelltests verfügbar, die innerhalb 4 – 5 h ein Resultat mit gutem negativem prädiktivem Wert liefern. • Bei MRSA ist der Nachweis des mecA-Resistenzgens der Goldstandard. • Bei Verdacht auf MRSA ist ein Abstrich von Nase, Rachen und sofern vorhanden, Wunden (z. B. Ulkus) und Einstichstellen bei Kathetern zu veranlassen. Weitere Abstriche sind für ein NotfallScreening nicht notwendig. • Eine Isolation auf Verdacht hin ist fakultativ, aber eine Unterbringung im Einzelzimmer sinnvoll. Bei Durchfallerregern. Bei akutem, schwallartigem Erbrechen und Durchfall notfallmäßige Diagnostik auf Norovirus mittels PCR im Stuhl.
334
9
Infektionskrankheiten
Bei Verdacht auf Tuberkulose. • Direktpräparat auf säurefeste Stäbchen: Ein positives Direktpräparat mit säurefesten Stäbchen im Sputum weist in ungefähr 90 % auf eine offene Tuberkulose hin, auch wenn die Prävalenz von nichttuberkulösen Mykobakterien in einem Krankenhaus hoch ist. • Kultur mit Antibiogramm: Das Antibiogramm sollte innerhalb von 3 Wochen verfügbar sein. Bei Verdacht auf multiresistente Tuberkulose kann eine PCR den genotypischen Nachweis der Rifampicin- und INH-Resistenz rasch erbringen. Falsch negative PCR bei INH-Resistenzen kommen allerdings vor, da die PCR nicht alle Mutationen, die zur INH-Resistenz führen, erfasst. • PCR auf M.-tuberculosis-Komplex.
Isolationsmaßnahmen und Umgebungsbehandlung Siehe Tab. 9.14. • Kontaktisolation – MR-Bakterien und Norovirus: Einzelzimmer (im Notfall optische Abgrenzung innerhalb eines Mehrbettzimmers), Pflege mit Überschürze, Handschuhen und chirurgischem Mundschutz mit Qualität EN 12791. Bei Kontaktisolation darf im Patientenzimmer nur ein Minimum an Utensilien und Verbrauchsgegenständen gelagert und der Raum muss täglich desinfiziert werden (Scheuer-Wisch-Desinfektion). • Luftisolation – Offene Tuberkulose: Einzelzimmer mit negativem Innendruck bei klimatisierten Kliniken. Bei Tuberkulose: Tuberkulose-Schutzmaske vom Typ FFP2 (oder FFP3 bei multiresistenter Tbc). Patienten mit atypischen Mykobakteriosen müssen nicht isoliert werden. Chirurgische Masken sind gegen luftübertragene Infektionskrankheiten unwirksam. – Varizellen/Masern: Pflege ausschließlich durch immunes Personal ohne Mundschutz. Exponiertes, nicht immunes Personal muss bei Masern innerhalb 3 Tagen nach Exposition geimpft werden, die Kontagiosität strebt gegen 100%. Patienten mit Herpes zoster müssen nur bei generalisierter Form isoliert werden. • Tröpfchenisolation – Einzelzimmer, chirurgischer Mundschutz. – Meningokokkenmeningitis: Tröpfchenisolation bis 24 h nach Therapiebeginn. Prophylaxe der Personen, die im gleichen Haushalt leben, sowie der nächsten Angehörigen und des hoch-
exponierten Personals (z. B. bei Intubation) mit Ciprofloxacin 250 – 500 mg Einmaldosis p. o. (EG-B) oder Rifampicin (bei Kindern und Schwangeren) sowie Impfung mit konjugiertem Impfstoff, falls Serotyp C oder unbekannt.
Besondere Merkpunkte Für gewisse Infektionskrankheiten besteht eine Meldepflicht an die Gesundheitsbehörden durch den behandelnden Arzt (s. S. 360).
9.23 Akzidentelle Stichverletzung und Kontamination durch potenziell infektiöse Körperflüssigkeiten A. F. Widmer
Definition und Einteilung Akzidentelle Kontamination mit potenziell infektiösen Körperflüssigkeiten, meist als Stichverletzung beim Krankenhauspersonal mit Blut eines Patienten oder nach Sexualkontakten bei Personen außerhalb des Gesundheitswesens.
Pathophysiologie Die häufigste Verletzungsart ist ein Stich mit einer mit Blut eines Patienten kontaminierten Nadel. Hohlnadeln bedeuten ein sehr viel höheres Infektrisiko als kompakte chirurgische Nähnadeln, da Hohlnadeln wie eine Mikroinjektion wirken können. Handschuhe reduzieren das Inokulum bei Hohlnadeln um 1⁄3, da bei der Penetration des Handschuhs der von der Hohlnadel durchstoßene Gummi als Stopfen dient und das Blut vor sich herstößt. Diese pathophysiologischen Daten werden durch die klinische Beobachtung unterstützt, dass vorwiegend Pflegepersonal und nicht Chirurgen von berufsbedingter HIV-Übertragung betroffen sind. Transmissionsrisiko nach Stichverletzung. Vereinfachte Dreier-Regel für Übertragungsrisiko bei Exposition mit entsprechendem Virus und Stichverletzung: HIV 0,3% (0,1% bei Schleimhautexposition), HCV (Hepatitis-C-Virus) 3 %, HBV (Hepatitis-B-Virus) 30%.
Akzidentelle Stichverletzung und Kontamination durch potenziell infektiçse Kçrperflssigkeiten
335
Tabelle 9.15 Geschtztes HIV-Transmissionsrisiko nach ungeschtztem Geschlechtsverkehr (adaptiert vom Robert-Koch-Institut (RKI). Art des Kontaktes/Partners
Transmissionsrisiko
Ungeschtzter rezeptiver Analverkehr • mit bekannt HIV-positivem Partner • mit unbekanntem HIV-Serostatus
0,82% 0,27%
Ungeschtzter insertiver Analverkehr mit Partner von unbekanntem HIV-Serostatus
0,06%
Ungeschtzter rezeptiver Vaginalverkehr (falls Viruslast unter Nachweisgrenze: Transmissionsrisiko fast null)
0,05 – 0,15%
Ungeschtzter insertiver Vaginalverkehr*
0,03 – 5,6%
Oraler Sex
Einzelne Fallberichte
* bertragung von HIV-positivem Patienten mit unmessbarer Viruslast nicht mehr nachgewiesen.
Tabelle 9.16 Risiko nach Exposition. Virus
Viruskonzentration (pro mm3) „viral load“ Risiko einer Serokonversion
HIV
• avirmisch • Virmie
< 101 – 102
unklar
10 – 10
0,2 – 0,4%
2
8
HBV
• HBe-Ag negativ • HBe-Ag positiv
101 – 106
2–6%
106 – 109
30 – 40 %
nicht nachweisbar
0,5 – 3%
10 – 10
2 – 10%
HCV
• avirmisch • Virmie
3
6
Merke! Exposition mit Fäzes, Urin, Nasensekret, Sputum, Speichel, Schweiß und Tränen eines infizierten Patienten ohne Blutbeimengung gelten als nicht infektiös (Ausnahme: Hepatitis B) und erfordern daher grundsätzlich keine Therapie. HIV-Transmissionsrisiko nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Siehe Tab. 9.15
• • •
Notfallanamnese
Indexpatient (falls bekannt) • HIV, Hepatitis-B- und -C-Status. • Antiretrovirale Therapie, Viruslast und bekannte Resistenzen, falls HIV-positiv.
Patient • Genauer Unfallhergang und Zeitpunkt, Exposition mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten, Stichverletzung oder Kontamination der Mukosa, Tiefe der Verletzung?
•
Bei Blut: Hohlnadel? Blut an Nadel vorhanden? Sofortige Desinfektion erfolgt? Genaue Anamnese des Indexpatienten: Serostatus oder Risikofaktoren des Patienten, Abschätzen des Inokulums (Tab. 9.16). Impfstatus des Klinikmitarbeiters, vor allem Hepatitis B einschließlich HBs-Antikörper-Titer, Schwangerschaft?
336
Infektionskrankheiten
Notfalluntersuchung Klinik
•
Sichtbare Einstichstelle? Blutung?
Diagnostik
• •
9
•
•
Vorschriften der Landesbehörden und Empfehlungen der Fachgesellschaften sind primär zu beachten. Beim betroffenen Mitarbeiter sind zurzeit empfohlen: HIV-Ak, HBs-Ak, HCV-Ak, ALAT und – falls Impfstatus mit Antikörper < 10 IU/l und/oder HBs-Ak nicht bekannt: HBs-Ag, HBc-Ak. Falls Indexpatient als Quelle eruierbar: HIV-Serologie und p24 (Duotest) notfallmäßig sowie Serologie auf Hepatitis B und C innerhalb 24 h. Das Übertragungsrisiko kann online mithilfe von www.hivpep.ch abgeschätzt werden. Heute darf beim Indexpatienten ein HIV-Test veranlasst werden, auch wenn das Einholen des Einverständnisses nicht möglich ist.
Therapie (Postexpositionsprophylaxe, PEP) Notfallmanagement Allgemeine Richtlinien • Sofortmaßnahmen: Sofortige Desinfektion mit Hautdesinfektionsmittel durch Mitarbeiter am Arbeitsplatz, evtl. wiederholen. Bei Spritzern, Reinigen mit Wasser (EG-C). • Eindeutige Therapieindikationen: perkutane Verletzung mit blutkontaminiertem Gegenstand bei HIV-positivem Indexpatienten (außer behandelte Patienten mit supprimiertem Viral Load) oder Exposition mit HI-Virus-Suspension (Labor). • Nicht gesicherte Indikationen: Exposition von Schleimhäuten, lädierte Haut, die mit Blut in Kontakt gekommen ist. Exposition mit Blut unbekannter Herkunft. • Keine Indikation: Exposition der intakten Haut mit Körperflüssigkeiten. • Nebenwirkungsrate bei berufsbedingter PEP um 50% führt häufig zum vorzeitigen Abbruch der Therapie. Vor Beginn der Therapie komplettes Blutbild, Kreatinin und Leberenzyme.
HIV (EG-C) • Antiretrovirale Therapie gemäß Richtlinien der nationalen Fachgesellschaften, z. B. Kombination von 1 Tbl./d Tenofovir und Emtricitabin (Truvada) und Lopinavir/Ritonavir 2 × 400/100 mg/d (Kaletra). • Die Therapie mit Zidovudin allein kann das Risiko einer HIV-Infektion um 80% reduzieren, bei der Vierer- oder Dreierkombination ist eine noch höhere Reduktion zu erwarten. • Die Frühtherapie ist in den ersten 1 – 2 h nach Exposition am erfolgreichsten, Dauer 4 Wochen, auch bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen sollte die Therapie nicht unter 2 Wochen liegen. Ein Beginn einer antiretroviralen Therapie mehr als 72 h nach Exposition ist wahrscheinlich nicht mehr sinnvoll. Hepatitis B • Falls Mitarbeiter-HBs-Ak > 100 UI/l: keine Therapie; falls 10 – 100 UI/l: Auffrischimpfung; falls < 10 UI/l: Beginn der aktiven Impfung und passive Impfung mit Anti-HB-Immunglobulinen (z. B. 800 IU i. m.), falls Indexpatient HBsAg positiv. • Wenn Indexpatient HBsAg negativ oder unbekannt, keine Immunglobuline. Hepatitis C • Keine Notfalltherapie möglich. • Falls in den ersten Monaten eine Serokonversion diagnostiziert wird, muss mit einem hepatologischen Zentrum eine Frühtherapie diskutiert werden.
9.24 Virale hämorrhagische Fieber (VHF) A. F. Widmer Allgemeine Definition. Virale hämorrhagische Fieber sind Krankheiten, die durch einen der in Tab. 9.17 erwähnten Erreger verursacht werden und klinisch ähnliche Krankheitsbilder hervorrufen können. Engere Definition (meist verwendet in Europa und USA). VHF durch die Viren Lassa, Marburg, Ebola und Krim-Kongo. Bei diesen ist eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch nachgewiesen, meist durch direkten Kontakt oder Tröpfchen.
Virale hmorrhagische Fieber (VHF)
337
Tabelle 9.17 Die klinisch wichtigsten Formen viraler hmorrhagischer Fieber (VHF). Familie
Krankheit
Überträger
Inkubationszeit Vorkommen
Übertragung von Mensch zu Mensch
Flaviviridae
Gelbfieber
Stechmcken (Aedes aegypti)
3 – 6 Tage
Sd- und Mittelamerika, Afrika sdlich der Sahara bis Norden Angolas
nein
Dengue-Fieber
Stechmcken (Aedes species)
4 – 7 Tage
Asien, Sdpazifik, Sd- und Mittelamerika, Karibik
nein
Rift Valley Fever Stechmcken (Aedes species)
3 – 12 Tage
Afrika
nein
Krim-KongoVHF
Zecken
1 – 3 Tage
sehr selten Krim, Kasachstan, Usbekistan, Bosnien, Herzegowina, Bulgarien, Irak, Pakistan, tropisches Afrika
Hanta pulmonary Syndrome
Nager
2 – 4 Wochen
weltweit, verschie- nein dene Typen je nach Region, einige Flle auch in Deutschland
Lassa-VHF
Nager
6 – 21 Tage
West- und teilweise Zentralafrika
selten nosokomial, meist von Mensch zu Mensch
SouthAmerican-VHF
Nager
7 – 16 Tage
Sdamerika
sehr selten, nicht vollstndig geklrt
Marburg Ebola
Flughund (fruit bat) mçglich
2 – 21 Tage
Kongo, Uganda, Sudan, Gabun, Elfenbeinkste
5 – 25% bei ungeschtztem Kontakt mit Kçrperflssigkeiten
Bunyaviridae
Arenaviridae
Filoviridae
Pathophysiologie Alle VHF im engeren Sinne sind systemische, virale Infektionen, die zum septisch-toxischen Schock führen können.
Typische Krankheitszeichen
• •
Nach einer Inkubationszeit von wenigen Tagen bis maximal 3 Wochen plötzlicher Beginn mit Fieber um 39 8C und grippeartigen Beschwerden. In schweren Fällen gefolgt von hämorrhagischer Diathese mit Hämatomen, vorwiegend an den
•
Extremitäten sowie Hämatemesis durch Thrombozytopenie und Gerinnungsstörungen. Die meisten Todesfälle treten innerhalb von 6 – 10 Tagen nach Erkrankungsbeginn auf (Letalität bei Lassa- und Filoviren 50 – 80%).
Differenzialdiagnose
• • • •
Malaria (S. 296). Bakterielle Sepsis (S. 265). Typhus, Gastroenteritis durch enterohämorrhagische E. coli, Salmonellen, Shigellen (S. 327). Leptospirose, Rickettsiose.
338
• •
Infektionskrankheiten
VHF der erweiterten Definition: In Deutschland ist Hantavirus ohne Reiseanamnese am häufigsten. Leitsymptome sind Fieber und Niereninsuffizienz. Schistosomiasis, Katayama-Syndrom.
Notfallanamnese
9
Falldefinition. Da bei VHF im engeren Sinne eine ernsthafte Gefährdung des Krankenhauspersonals und von Kontaktpersonen besteht, müssen Präventionsmaßnahmen bereits im Verdachtsfall getroffen werden. Dies sollte bei folgenden Voraussetzungen erfolgen (Falldefinition nach Centers for Disease Control and Prevention http://www.cdc.gov): • „Febriler Patient, der sich innerhalb der vergangenen 3 Wochen in einem Gebiet in Äquatorialafrika aufgehalten hat, in dem bestätigte oder vermutete Fälle von VHF epidemisch oder im Zusammenhang mit Tieren aufgetreten sind.“ Für Hantavirus ohne Reiseanamnese: Kontakt durch Einatmen von Partikeln von Nagerexkreten, z. B. Übernachtung im Heu. • Gleichzeitig muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein: – Kontakt mit einem VHF-Erkrankten bzw. dessen Körperflüssigkeiten, – Kontakt mit Tieren, vor allem Affen, bzw. deren Körperflüssigkeiten, – hämorrhagische Diathese oder ungeklärter Schock.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Makulopapulöser Ausschlag, vor allem am Stamm (typisch für VHF durch Ebola, Marburg oder Lassa), Suffusionen, Petechien an den Extremitäten. Blutige Diarrhö oder Hämatemesis.
Diagnostik Labor • Hämato- und Chemogramm mit Differenzialblutbild (Leukozyten, Linksverschiebung, Thrombozytopenie, erhöhte Leberwerte. • 3 × Blutkulturen. • Schnelltest auf Malaria sowie Malariaausstrich mit dickem Tropfen. • Stuhlkultur.
Bildgebende Verfahren • Röntgen-Thorax. Spezialuntersuchungen • Asservieren von ‡ 2 Röhrchen mit Serum und Nativblut in Kühlschrank und Tiefkühler (Labor über Verdachtsdiagnose informieren) für weitere Diagnostik. • Spezifische Diagnostik nur in Speziallaboratorien: – PCR innerhalb von 24 h für die wichtigsten Erreger von hämorrhagischem Fieber verfügbar. – Liste europäischer Referenzlaboratorien unter www.enivd.de. Anfrage bei Zentrum wegen Transportmedien und Sicherheitsbestimmungen während Transport.
Therapie Notfallmanagement Sofortige Einleitung von Schutzmaßnahmen, falls Falldefinition (s. o.) beim Patienten zutrifft • Isolierung im Einzelzimmer mit negativem Innendruck (soweit vorhanden) und maximale persönliche Schutzmaßnahmen mit 2 Paar chirurgischen Handschuhen, flüssigkeitsdichten Plastikschürzen, Einwegschutzbrille und Maske Typ FFP3, chirurgische Haube. • Ausschließliche Verwendung von Einwegmaterialien und -wäsche, Entsorgung der Einwegmaterialien im Zimmer. • Sofortige Meldung an die ärztliche Leitung und an die lokalen Gesundheitsbehörden sowie an das betreffende Personal und Labor (meldepflichtige Erkrankung innerhalb maximal 24 h; s. Tab. 9.25 – Tab. 9.32, S. 360ff). • Information aller exponierten Personen und Erstellen einer Liste des exponierten Krankenhauspersonals. Therapeutische Maßnahmen • Supportive Care. • Breitspektrumantibiotika (z. B. Carbapenem) in Kombination mit Doxycyclin als empirische initiale i. v. Therapie evtl. indiziert, wenn Malaria ausgeschlossen ist. Bescheidene Wirkung von Ribavirin (EG-D) auf Lassa-Virus, Cave! Kontraindikation von Ribavirin in der Schwangerschaft. • Keine spezifische Therapie gegen Filoviren wie Ebola und Marburg. • Verlegung von Patienten mit hohem Verdacht in Referenzzentren indiziert (Deutschland: Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Berlin; Schweiz und Österreich: alle Universitätskliniken).
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
339
Tabelle 9.18 Differenzialdiagnostische berlegungen bei Patienten mit bekannter HIV-Infektion und neuen, akuten Symptomen.
Besondere Merkpunkte
•
Asymptomatische Patienten in der Inkubationszeit sind wahrscheinlich nicht infektiös. • In > 95% aller Verdachtsfälle liegt eine behandelbare, nicht hochkontagiöse Erkrankung vor. Kontaktadressen deutschsprachiger Referenzzentren: Deutschland http://www.bni-hamburg.de und Robert-Koch-Institut www.rki.de Österreich www.univie.ac.at/virologie Schweiz www.swiss-noso.ch Deutschsprachiges Referenzzentrum in Deutschland (Stand: Januar 2008): Bernard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Bernard-Nocht-Straße 74 20 359 Hamburg Telefon: 0049-40-42 818-0 (24 h/365 Tage)
9.25 Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten R. Nesch, S. Bassetti, M. Battegay
Allgemeines
Bedingt durch die HIV-Infektion selbst? • Diarrhç, Fieber, Demenz, Wasting, Zytopenien Neue definierte, HIV-assoziierte Erkrankung?
• Opportunistische Infektionen, Tumoren (Tab. 9.20) Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS)? Komplikationen der antiretroviralen Therapie? • Nebenwirkungen, Interaktionen Nicht-HIV-assoziierte Komorbiditt?
• Hepatitis C, kardiovaskulre Komplikation
CD4-Lymphozytenzahl zusätzlich opportunistische Erreger. Latente Infektionen können noch nach Jahren reaktiviert werden (Reiseanamnese!). Wegen der gestörten Abwehr kann die klinische Symptomatik atypisch sein. Klassifikation. Die Klassifikation der HIV-Infektion der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) von 1993 berücksichtigt durchgemachte HIVassoziierte Erkrankungen und die tiefste je gemessene CD4-Zellzahl (Tab. 9.19 und Tab. 9.20).
Pathophysiologie
Definition und Einteilung In Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten sind prinzipiell die in Tab. 9.18 aufgeführten ätiologischen Möglichkeiten durchzudenken. Das Keimspektrum bei Infektionen umfasst wegen der HIVinduzierten Immunsuppression mit Abfall der
CD4-Zellzahl. Das Krankheitsrisiko für opportunistische Infekte und Tumoren korreliert mit der CD4-Zellzahl. Eine Anamnese einer bestimmten opportunistischen Erkrankung gibt über die Immunlage des Patienten Auskunft (Tab. 9.19 und Abb. 9.25). Zum Zeitpunkt der Diagnose einer AIDS-definierenden Erkrankung haben mehr als 90% der Patienten
Tabelle 9.19 Klassifikation der HIV-Infektion. Klinische Kategorien
CD4-Zellzahl [pro l]
A
B
C
akute HIV-Infektion, asymptomatisch, Lymphadenopathie
weder A noch C
AIDS-definierende Krankheiten (Tab. 9.20)
‡ 500
A1
B1
C1
200 – 499
A2
B2
C2
< 200
A3
B3
C3
AIDS = C1–C3; in den USA: AIDS = C1 – C3, A3, B3
340
Infektionskrankheiten
eine CD4-Zellzahl < 200/µl. Allerdings treten die pulmonale Tuberkulose und Lymphome auch bei einer CD4-Zellzahl > 200/µl auf.
Typische Krankheitszeichen
•
Tabelle 9.20 AIDS-definierende Krankheiten (1993 revidierte CDC-Klassifikation).
• Candida-sophagitis • Kokzidioidomykose, disseminiert • Kryptosporidiose mit Durchfall fr > 1 Monat • HIV-assoziierte Enzephalopathie • Herpes-simplex-Infektion mit persistierenden
(> 1 Monat) Ulzera auf Haut oder Schleimhuten oder mit Befall von Bronchien, Lunge oder sophagus
9
• •
• Histoplasmose, disseminiert • Isospora belli: Infektionen mit chronischem (> 1 Monat) Durchfall
• Kachexie: Gewichtsverlust von mindestens 10 %
des vorherigen KG und Durchfall von > 3 Wochen oder Fieber > 3 Wochen
•
• Kaposi-Sarkom • Kryptokokkose: Meningitis oder disseminiert • Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML)
• Lymphome des ZNS • Immunoblastische oder Burkitt-Lymphome • Disseminierte Infektionen mit nichttuberkulçsen Mykobakterien
• Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PcP) • Salmonellensepsis, rezidivierend • Toxoplasmose (zerebral) • Tuberkulose (pulmonal und extrapulmonal) • Zervixkarzinom, invasiv • CMV-Retinitis oder Zytomegalievirus-Infektionen außer Befall von Leber, Milz, Lymphknoten
Akute HIV-Infektion: In 50 – 90% unspezifische „grippale“ Symptome mit Fieber, Lymphadenopathie, Pharyngitis, diskretem makulopapulösem Exanthem, Myalgien, Schleimhautulzera (Mund, Ösophagus, Genitalbereich); Inkubationszeit: 2 – 8 Wochen. Selten (5 – 10 %) ist die akute HIVInfektion von Krankheiten des Stadiums B oder C begleitet (Tab. 9.21). Chronische HIV-Infektion: Häufig asymptomatisch. Sonst Wochen bis Monate dauerndes Fieber, Nachtschweiß, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Lymphadenopathie. Opportunistische Infektion (OI): In Abhängigkeit von CD4-Zellzahl (Abb. 9.26) und vorangegangener Exposition (Reiseanamnese, Tuberkulose) manifestieren sich die unterschiedlichen OI mit unterschiedlichen Symptomen. Häufig sind Fieber, Dyspnoe, Husten, Kopfschmerzen, Diarrhö. Immunrekonstitution: Mit der antiretroviralen Therapie (ART) kommt es zu einer Erholung der pathogenspezifischen Immunität. In der Folge stärkere entzündliche Reaktionen mit Fieber und klinischer Verschlechterung. Typisch ist die Reihenfolge von tiefer CD4-Zellzahl, OI, antiretroviraler Therapie und danach verstärkten klinischen Beschwerden. Bei initial tiefer CD4-Zellzahl entwickeln bis zu 30% eine Immunrekonstitution nach ART. Das Syndrom kann wenige Tage bis mehrere Wochen nach Beginn einer ART auftreten. Die Mortalität ist gering. Bei CMV, progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML), Kaposi-Sarkom und Krypto- oder Mikrosporidiose sollte der Beginn der ART innerhalb von Tagen erfolgen. Bei anderen OI Risiko (Immunrekonstitution) und Nutzen (bessere Kontrolle der OI, Verhinderung von sekundären OI, Besserung des AZ) abwägen. Allenfalls ART 2 – 6 Wochen nach Behandlung der OI starten.
• Rezidivierende Pneumonien (‡ 2 in einem Jahr)
Tabelle 9.21
Symptome und Befunde bei HIV-Primoinfektion.
Symptom
Dauer (Tage)
Minimum–Maximum
Häufigkeit in %
Fieber > 38 8C
17
3 – 184
77
Mdigkeit
24
1 – 184
66
Exanthem
15
1 – 73
56
Myalgien
18
2 – 184
55
Kopfschmerzen
26
2–kontinuierlich
51
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
341
CD4 (Zellzahl/ml)
Akute HIV-Krankheit (in 30 – 70 % Fieber, Lymphadenopathie, Pharyngitis, Exanthem) 750 700 650 600
Lungentuberkulose Herpes zoster orale Candidiasis Kaposi-Sarkom Non-Hodgkin-Lymphome
550
Pneumocystis-carinii-Pneumonie AIDS-Demenz Wasting-Syndrom
500 450 400 350
bakterielle Pneumonie bakterielle Durchfälle
CMV-Retinitis zerebrale Toxoplasmose Kryptokokkose
300
nicht tuberkulöse Mykobakteriose Kryptosporidiose progressive multifokale Leukenzephalopathie primäres ZNS-Lymphom
250 200 150 100 50 0
Abb. 9.25
Jahre
Verlauf der HIV-Infektion allgemein.
moderate Immundefizienz 500
CD4-T-Zellen/ml
200
100
Lymphadenopathie Thrombopenie oral hairy leukoplakia Herpes zoster Candidastomatitis zervikale Dysplasie Zervixkarzinom rezidivierende bakterielle Pneumonie Tuberkulose Kaposi-Sarkom
schwere Immundefizienz Candidaösophagitis Pneumocystis-carinii-Pneumonie maligne Lymphome chronisch ulzeröse H. simplex-Infektion zerebrale Toxoplasmose Kryptosporidiose HIV-Enzephalopathie Histoplasmose
schwerste Immundefizienz progressive multifokale Leukenzephalopathie Kryptokokkose Zytomegalie-Virusretinitis disseminierte M. avium-Infektion disseminierte M. genavenseInfektion Zeit
Abb. 9.26 CD4-Zellzahl und Risiko von opportunistischen Krankheiten (adaptiert von Antivir Ther 2007; 12: 841 – 851).
342 Tabelle 9.22
Infektionskrankheiten
Unterscheidung der wichtigsten neurologischen Krankheitsbilder in Klinik und Bild.
Diagnose
Klinik
Neuroradiologie (CT oder MRT)
Zeitlicher Vigilanz Ablauf
Fieber
Anzahl der Läsionen
Typ der Läsionen
Lokalisation
Zerebrale Toxoplasmose
Tage
reduziert
hufig
multipel
Masseneffekt, ringfçrmige KMAnreicherung
Basalganglien, Kortex
Primres ZNS-Lymphom
Tage bis Wochen
variabel
nein
eine bis wenige
Masseneffekt, schwache ringfçrmige KMAnreicherung
periventrikulr, weiße Substanz
Progressive multifokale Leukenzephalopathie
Wochen
erhalten
nein
multipel
kein Masseneffekt, keine KM-Anreicherung, MRT: weißes T2-, schwarzes T1-Signal
weiße Substanz, meist subkortikal
HIVEnzephalopathie
Wochen erhalten bis Monate
nein
keine bis diffuse kleine Herde
Atrophie, kein Masseneffekt, keine KM-Anreicherung, MRT: flockiges T2-Signal
zentrale weiße Substanz, Basalganglien
9
•
•
Interaktionen, Nebenwirkungen: Gefährlich können Hypersensitivitätsreaktionen mit Abacavir und Nevirapin sein. Viele antiretrovirale Medikamente interagieren mit verschiedenen Cytochrom-P450-Isoenzymen. Interkurrente Erkrankungen: Nicht vergessen: Bei HIV kommen auch alle anderen Differenzialdiagnosen infrage. Kardiovaskuläre Krankheiten, metabolische Störungen und Tumorerkrankungen sind gehäuft.
• • •
Persönliche Anamnese: Durchgemachte HIV-assoziierte Erkrankungen, letzte CD4-Zellzahl, Virusmenge. Systemanamnese: Gewichtsverlust von über 10%, Durchfall von über einem Monat Dauer, persistierendes Fieber, Reisen. Arzneimittel: Einnahme antiretroviraler Arzneimittel? Regelmäßige Einnahme (Compliance)? Antibiotikaprophylaxe (z. B. Cotrimoxazol als PcP-Prophylaxe)? Sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgetreten?
Differenzialdiagnose
•
Akute HIV-Infektion: Akute EBV- oder CMV-Infektion, akute virale Hepatitis, virale Meningitis, Röteln, Masern, Toxoplasmose, Lues II, Katzenkratzkrankheit.
Notfallanamnese
• •
HIV-Test: Bei passender Klinik immer HIV-Test vorschlagen, auch ohne klare Risikoanamnese. Risikoverhalten und -situationen: Aus einem HIVEndemiegebiet, ungeschützter Geschlechtsverkehr, häufiger Partnerwechsel, Status nach Geschlechtskrankheit, i. v. Drogenabhängigkeit, Erhalt von Blutprodukten vor 1985.
Notfalluntersuchung Klinik Allgemein. Temperatur, Gewicht, Lymphadenopathie. Dermatologische Untersuchung. Xerodermie, seborrhoische Dermatitis, orale Haarleukoplakie, Soorstomatitis, Gingivitis, Herpes labialis oder genitalis, Geschlechtskrankheiten. Bei der akuten HIVInfektion makulopapulöses Exanthem. Neurologische Untersuchung. Meningismus, periphere Neuropathie, Myelopathie (Tab. 9.22).
CD4 (Zellzahl/ml)
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
750
343
akute HIV-Krankheit respiratorische Manifestation: Pharyngitis
700 pulmonale Tuberkulose primäre pulmonale Hypertension
650 600 550 500
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie Kaposi-Sarkom der Lunge Nokardiose
450 400 350 300 250
Kryptokokkose Kokzidioidomykose Histoplasmose lymphoide interstitielle Pneumonie nicht-tuberkulöse Mykobakteriose CMV-Pneumonitis
rezidivierende bakterielle Pneumonien (v.a. S. pneumoniae, H. influenzae)
200 150 100 50 0
Abb. 9.27
Jahre
HIV-Infektion und pulmonale Krankheiten.
Diagnostik Bei V. a. akute HIV-Infektion. HIV-Antikörper (evtl. noch fehlend!, aber zum Ausschluss einer bereits vorbestehenden HIV-Infektion) und quantitative Plasma-HIV-RNA-Bestimmung (Sensitivität 100%, Spezifität 97%) oder p24-Antigen-Nachweis (Sensitivität 89%, Spezifität 100%). Bei bekannter HIV-Infektion. HIV-RNA quantitativ und CD4-Zellzahl.
Therapie Antiretrovirale Therapie. Der Beginn oder Wechsel einer antiretroviralen Therapie ist keine Notfalltherapie (außer bei der Postexpositionsprophylaxe [S. 336]). Die antiretrovirale Therapie der akuten HIV-Infektion soll mit einem HIV-Spezialisten diskutiert werden.
Besondere Merkpunkte Akute HIV-Infektion. Ein negativer Befund des p24-Ag und der HIV-Antikörper schließt eine akute HIV-Infektion nicht aus. Erst ein fehlender Nachweis von HIV-Antikörpern nach 3 Monaten ist ein sicheres Ausschlusskriterium.
Pneumologische Notfallsituationen bei HIV-Infizierten Definition und Einteilung Respiratorische Symptome sind bei HIV-Patienten häufig und können durch viele nicht opportunistische und opportunistische Infektionen (Abb. 9.27) sowie durch nicht HIV-assoziierte Krankheiten bedingt sein. Da Klinik, Laboruntersuchungen und Thoraxröntgenbild meistens nicht spezifisch sind, sollte insbesondere bei Patienten mit CD4-Zellzahl < 200/µl eine sichere mikrobiologische oder histologische Diagnose angestrebt werden (Sputum, Blut), falls nötig durch invasive Diagnostik (z. B. Bronchoskopie, Pleurapunktion, Lungen- oder Lymphknotenbiopsie).
Typische Krankheitszeichen
• •
Pneumonie: Fieber, Schüttelfrost, trockener oder produktiver Husten, atemabhängige Schmerzen bei Begleitpleuritis, Dyspnoe. Bei deutlicher Immundefizienz (CD4-Zellzahl < 200/µl) können diese Symptome zum Teil fehlen. Nicht selten ist Fieber oder Dyspnoe das einzige Symptom einer Pneumonie.
344
•
Infektionskrankheiten
Die CD4-Zellzahl und das Thoraxröntgenbild helfen am besten, das differenzialdiagnostische Spektrum einzugrenzen.
• •
Differenzialdiagnose
9
Alveoläres Infiltrat (unabhängig von CD4-Zellzahl) (s. a. S. 299) • Pneumonie durch S. pneumoniae: 35 – 70%, • H. influenzae: 3 – 40%, • S. aureus: bei i. v. Drogenabusus, • Legionellen: bei AIDS gehäuft; Hinweise sind Diarrhö, sehr hohes Fieber, neurologische Symptome und bilaterale Infiltrate im Thoraxröntgenbild. Pneumonien mit diesen Keimen beginnen meist, aber nicht immer, akut. Nichtalveoläres Infiltrat, nicht einem Segment oder Lobus zuzuordnen (unabhängig von CD4-Zellzahl) • Verdacht auf Mycobacterium tuberculosis: Bei CD4-Zellzahl > 400/µl sind die Infiltrate wie bei Immunkompetenten meist im Oberlappen lokalisiert. Bei CD4-Zellzahl < 400/µl können die Infiltrate überall auftreten. Manchmal zusätzlich hiläre Lymphadenopathie. Typisch chronischer Verlauf mit Husten, reduziertem Allgemeinzustand, wenig Fieber. CD4-Zellzahl < 200/µl und zentrales, diffuses Infiltrat • Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PcP): Die PcP tritt meist subakut auf mit trockenem Husten, Fieber und progressiver Atemnot. Meist bilaterales, diffuses, symmetrisches, feinretikuläres Infiltrat, weniger häufig ein unilaterales. Selten sind dickbewandete Zysten, Pneumatozelen oder Pneumothorax. 5 – 10% der Patienten, vor allem diejenigen mit PcP-Prophylaxe, haben ein unauffälliges Röntgenthoraxbild. Bei 80% der Patienten ist die Sauerstoffsättigung reduziert und der paO2 < 70 mmHg (< 9,3 kPa). Die LDH ist bei 2⁄3 der Patienten pathologisch erhöht. • Lymphoid-interstitielle Pneumonie (LIP): LIP tritt vor allem bei Kindern auf. Hauptbefunde: Dyspnoe, diffuses oder fokales, retikuläres, interstitielles Infiltrat im Thoraxröntgenbild. CD4-Zellzahl < 100/µl und bilaterale, interstitielle, retikulonoduläre Infiltrate • Kryptokokkose (Cryptococcus neoformans): Weltweites Vorkommen. Befall: v. a. Zerebrum. Die Eintrittspforte ist der Respirationstrakt.
• •
Kokzidioidomykose (Coccidioides immitis): Vorkommen endemisch in den Südstaaten der USA und in Südamerika. Histoplasmose (Histoplasma capsulatum): Vorkommen in den Südstaaten der USA, in Südamerika und in Asien. Typisch für Histoplasmose ist eine Hepatosplenomegalie. Alle drei zeigen typischerweise ein diffuses bilaterales, retikulonoduläres Infiltrat, manchmal mit hilären oder mediastinalen Lymphknotenvergrößerungen. Die Hauptbeschwerde ist Dyspnoe. Sehr selten ist ein Befall der Lunge mit Blastomykosis, Mycobacterium kansasii, Toxoplasma gondii, und bei CD4-Zellzahl < 50/µl selten mit Zytomegalievirus oder Mycobacterium avium-intracellulare, Rhodococcus equi.
Spezielle Situationen • Hiläre oder mediastinale Lymphadenopathie: M. tuberculosis, M. avium-intracellulare, Histoplasmose, Kokzidioidomykose, Kryptokokkose, Lymphom, Kaposi-Sarkom. • Pleuraerguss: bakterielle Pneumonie (31 %), PcP (15%), M. tuberculosis (8 %), nichtinfektiös (31 %). • Pneumothorax: selten (< 2%) bei PcP, v. a. bei Prophylaxe mit Pentamidin-Inhalationen. • Kavernen: M. kansasii, M. tuberculosis, Pseudomonas aeruginosa, Nocardia asteroides, Rhodococcus equi. Selten bei Pilzen (Kryptokokkose, Kokzidioidomykose, Histoplasmose). • Dyspnoe ohne Infiltrat: PcP (5 – 10% aller PcP zeigen ein unauffälliges Röntgenthoraxbild), selten HIV-assoziierte, pulmonal-arterielle Hypertonie (erweiterte Pulmonalarterien, klinisch und echokardiografisch Zeichen der Rechtsherzüberlastung). • Hautläsionen (ähnlich wie Mollusca contagiosa) und Anamnese eines Aufenthaltes in Südostasien: Penicillium marneffei.
Notfallanamnese
• • • •
Klinik: Fieber, Schüttelfrost, Husten mit oder ohne purulenten Auswurf, Atemnot, evtl. atemabhängige Thoraxschmerzen. Auftreten der Symptome: akut: typisch für bakterielle Pneumonien; subakut (Tage bis Wochen): typisch für PcP; chronisch (Monate): typisch für Mykobakteriosen, Lymphome, Pilzinfekte. Reiseanamnese: Südstaaten der USA, Mittel- und Südamerika oder Asien: Pilzinfekte. I. v. Drogenkonsum: S. aureus in die Differenzialdiagnose einbeziehen.
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
Notfalluntersuchung Klinik Allgemein. Fieber, Gewichtsverlust bei allen chronischen Infekten. Lungenauskultation. Oft unauffällig. Palpation. Hepatosplenomegalie bei Histoplasmose, Lymphadenopathie bei Lymphomen.
345
Röntgen-Thorax. Neu aufgetretenes Infiltrat. Bronchiallavage (BAL). Bei Verdacht auf Tuberkulose oder PcP, fehlender Sputumproduktion und einer CD4-Zellzahl < 200/µl. Bei Verdacht auf PcP soll die Therapie ohne Gefahr der Verfälschung der Diagnostik unverzüglich eingeleitet werden, falls die BAL nicht notfallmäßig durchgeführt werden kann.
Therapie Diagnostik Labor. Blutbild (eine Anämie ist bei Mykobakteriosen häufig). Das C-reaktive Protein ist ein schlechter diagnostischer Parameter, da es bei HIV ohne zusätzlichen Infekt erhöht sein kann. Falls es vor dem Infekt nicht erhöht war, ist es hingegen als Verlaufsparameter nützlich. LDH: häufig erhöht bei PcP, korreliert mit der Schwere der PcP (Verlaufsparameter), ist aber nicht spezifisch. Blutkultur auf Bakterien, Pilze und Mykobakterien. Arterielle Blutgasanalyse. PcP zeigt in 80 % der Fälle einen pO2 < 70 mmHg (< 9,3 kPa). Direktpräparat des Sputums. Gram- und säurefeste Stäbchen. Ein verwertbares Sputum hat > 25 Granulozyten und < 10 Epithelzellen pro Gesichtsfeld. Bei Bedarf kann Sputum mittels Inhalation von hyperosmolarer (3%) Kochsalzlösung provoziert werden. Sputumkultur und -zytologie. Pneumocystis jiroveci.
Notfallmanagement
•
• •
Bakterielle Pneumonie – Ambulante Patienten: Amoxicillin/Clavulansäure 3 × 625 mg/d p. o. oder Cefuroxim-Axetil 2 × 500 mg/d p. o. oder Moxifloxacin 1 × 400 mg/d, Levofloxacin 2 × 500 mg/d (EG-B). – Hospitalisierte Patienten: s. S. 305. PcP-Verdacht: sofort Therapie gemäß Tab. 9.23 beginnen. Patienten, die nicht schwer hypoxisch sind (Sauerstoffsättigung > 90%) können ambulant betreut werden. Mykobakterioseverdacht: Kombinationstherapie gegen M. tuberculosis (Tab. 9.23) bis die Differenzierung der Mykobakteriose in tuberkulöse oder nichttuberkulöse Formen durchgeführt ist. Patienten mit offener Tuberkulose (säurefeste Stäbchen im Direktpräparat) isolieren (s. S. 334).
Tabelle 9.23 Notfalltherapie fr die wichtigsten opportunistischen Krankheiten. Krankheit
Initiale Therapie
Dosis
Dauer
3 5 mg/kg KG/d TMP i. v./p. o. + 3 25 mg/kg KG/d SMX i. v./p. o.
3 Wo, anschließend
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PcP) 1. Wahl
TMP/SMX (EG-A)
+ zustzlich Prednison 2 40 mg/d p. o. fr 5 Tage, (bei arteriellem pO2 1 40 mg/d p. o. fr 5 Tage, < 10 kPa oder < 70 mmHg, 1 20 mg/d p. o. fr 10 Tage 15 – 30 min vor TMP/SMX) (EG-A) Alternative bei TMP/SMX-Allergie und schwerer PcP
Pentamidin (EG-A)
Sekundrprophylaxe bis CD4 > 200/l ber 3 Mo
1 4 mg/kg KG/d i. v. (Verabreichung ber 60 min) zustzlich Inhalation whrend der ersten 3 Tage Fortsetzung nächste Seite
346 Tabelle 9.23
Infektionskrankheiten
Notfalltherapie fr die wichtigsten opportunistischen Krankheiten (Fortsetzung).
Krankheit
Initiale Therapie
Dosis
Alternativen bei milder PcP (nur falls ambulante Therapie mçglich)
1. Pentamidin 8 l O2/min Flow (EG-D) oder
600 mg in 6 ml Aqua dest. 1 Inhalation/d
2. Primaquin
1 15 – 30 mg Base/d p. o.
+ Clindamycin (EG-A) oder
3 600 – 900 mg/d p. o.
3. Atovaquon (EG-D) (nur wenn keine Diarrhç) oder
2 750 mg/d p. o. (mit dem Essen)
4. Diaphenylsulfon
1 100 mg/d p. o.
+ Trimethoprim (EG-A)
3 5 – 7,5 mg/kg KG/d p. o.
9
Dauer
bei Exanthem fi Trimethoprim reduzieren (50 %), zustzlich H1-Antihistaminika Toxoplasma-gondii-Enzephalitis Standardtherapie
Falls nur i. v. Therapie mçglich
1. Pyrimethamin
1 75 mg/d (1. Tag 200 mg)
6 Wo, anschließend
+ Sulfadiazin
4 1000 – 1500 mg/d p. o./i. v.
Sekundrprophylaxe bis CD4 > 200/l ber > 3 Mo
+ Leucovorin (EG-A) oder
2 5 mg/d p. o.
PcP-Prophylaxe entfllt
2. Pyrimethamin
1 75 mg/d (1. Tag 200 mg)
+ Clindamycin
4 600 – 900 mg/d p. o./i. v.
+ Leucovorin (EG-A) oder
2 5 mg/d p. o.
3. Atovaquon
3 1000 mg/d p.o
+ Leucovorin (EG-D)
1 5 mg/d p. o.
4. TMP/SMX (EG-A)
2 5 mg TMP/kg KG p. o. 2 25 mg SMX/kg KG p. o.
5. Pyrimethamin
1 75 mg (1. Tag 200 mg)
6 Wo, anschließend Sekundrprophylaxe
+ Clarithromycin
2 1000 mg
+ Leucovorin (EG-A)
1 10 mg
Clindamycin
4 600 – 900 mg/d i. v.
+ Clarithromycin (EG-D)
3 500 mg/d i. v.
1. Fluconazol (EG-A) oder
150 – 200 mg p. o.
Einmaldosis oder bis Erfolg (ca. 5 – 7d)
2. Itraconazol (EG-A)
1 – 2 100 – 200 mg/d p. o. (Tbl. mit dem Essen, Lçsung nchtern)
bis Erfolg (1 – 2 Wo)
1. Fluconazol (EG-A) oder
400 mg p. o. oder 400 mg Sttigungsdosis, anschließend 200 mg/d p. o.
3d bis Erfolg (ca. 10 – 14 d)
2. Itraconazol (EG-A)
1 – 2 200 mg/d p. o. (Tbl. mit bis Erfolg (ca. 10 – 14 d) dem Essen, Lçsung nchtern)
keine klinischen Daten
Candidiasis Candidastomatitis
Candidaçsophagitis
Fortsetzung nächste Seite
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
347
Tabelle 9.23 Notfalltherapie fr die wichtigsten opportunistischen Krankheiten (Fortsetzung). Krankheit
Initiale Therapie
Dosis
Dauer
KryptokokkenMeningitis
Amphotericin B + Flucytosin
0,7 – 1 mg/kg KG/d i. v. 4 25 mg/kg KG/d
2 Wo dann Liquorkontrolle: falls Kultur negativ, Umstellung auf p. o. Therapie
anschließend Fluconazol (EG-A)
1 400 mg/d p. o. (Sttigungsdosis 800 mg am 1. Tag)
8 Wo (oder lnger bis Liquorkulturen steril), dann Sekundrprophylaxe Cave! Wiederholung Liquorpunktion tglich bis intrakranieller Druck < 20 cmH2O oder 50% des initialen Wertes
Valaciclovir (EG-A) oder
2 1000 mg/d p. o.
7 – 10 d, evtl. Sekundrprophylaxe
Famciclovir (EG-A) oder
2 500 mg/d p. o.
Aciclovir (EG-A) oder
5 200 – 400 mg/d p. o.
7 – 10 d, evtl. Sekundrprophylaxe
Aciclovir (EG-A)
3 5 mg/kg KG/d i. v.
individuell, evtl. Sekundrprophylaxe
Aciclovir (EG-A)
3 10 mg/kg KG/d i. v.
14 – 21 d
Valaciclovir (EG-A) oder
3 1000 mg/d p. o.
10 d
Famciclovir (ED-A) oder
3 500 mg/d p. o.
10 d 7d
Herpes simplex-Virus-(HSV-)Infektionen
• mukokutane
HSV-Infektion
• HSV-Enzephalitis
Varicella zoster-Virus-(VZV-)Infektionen
• Herpes zoster:
Brivudin (EG-B)
125 mg/d p. o.
Aciclovir (EG-A)
3 5 mg/kg KG/d i. v.
Aciclovir (EG-A)
3 10 mg/kg KG/d i. v.
1 – 2 Wo
2 5 mg/kg KG/d i. v.
3 Wo, anschließend Sekundrprophylaxe fr CMV-Retinitis
disseminiert
Zytomegalievirus-(CMV-)Infektionen
• CMV-Retinitis • CMV-Enterokolitis • CMV-Pneumonie
Ganciclovir (EG-A) oder Valganciclovir (EG-A)
• CMV-Enzephalitis
Alternative:
2 900 mg p. o. Dosis an Nierenfunktion anpassen!
Foscarnet (EG-A) oder
2 90 mg/kg KG i. v.
2 – 3 Wo, anschließend Sekundrprophylaxe
Cidofovir (EG-A)
5 mg/kg KG i. v. + Probenecid + Hydrierung 1 /Wo
2 Wo, dann Sekundrprophylaxe Fortsetzung nächste Seite
348 Tabelle 9.23
9
Infektionskrankheiten
Notfalltherapie fr die wichtigsten opportunistischen Krankheiten (Fortsetzung).
Krankheit
Initiale Therapie
Dosis
Dauer
Bazilläre Angiomatose (Bartonella henselae, Bartonella quintana)
Clarithromycin oder Doxycyclin
2 250 mg/d p. o.
bis Erfolg (bis 2 Mo)
2 100 mg/d p. o.
bis Erfolg (bis 2 Mo)
Tuberkulose
Isoniazid
5 mg/kg KG/d (max. 300 mg/d) meist als Rifater p. o.
Cave! Interaktionen mit HIV-Therapie (Proteasehemmer/PI), bei Patienten unter PI muss Rifabutin dem Rifampicin vorgezogen werden!
+ Rifampicin1 oder
10 mg/kg KG/d (max. 600 mg/d) p. o.
Rifabutin2
5 mg/kg KG (max. 300 mg) p. o.
+ Pyrazinamid
25 mg/kg KG/d (max. 2 g/d) p. o.
+ Ethambutol (EG-A)
15 – 25 mg/kg KG/d p. o.
+ Ethambutol bis Resistenz bekannt oder 2 Mo (Initialphase)
Anschließend 4 Mo Konsolidierungstherapie mit Isoniazid + Rifampicin, meist als Rifinah. Bei offener Tuberkulose Patienten isolieren! Voraussetzungen fr Therapiedauer 6 Mo: Immunrekonstitution und klinisches Ansprechen! Ausnahme: bei ZNS-Tuberkulose: immer 12 Monate; bei Lymphknotentuberkulose: 9 Monate Nichttuberkulöse Mykobakteriosen
• Mycobacterium-
Clarithromycin
2 500 mg/d p. o.
+ Ethambutol (EG-A)
1 15 mg/kg KG/d p. o.
evtl. + Rifabutin (EG-A)
450 mg/d p. o.
avium-intracellulare(MAI-)Komplex
evtl. + Levofloxacin (EG-D) 1 500 mg/d p. o. oder
• Mycobacterium
Amikacin (EG-C)
1 10 – 15 mg/kg KG i. v.
Rifampicin1
600 mg/d p. o.
12 Monate, dann Sekundrprophylaxe bis CD4 > 100/l whrend 6 Mo zustzlich Rifabutin, falls CD4 < 50/l, hohe Keimdichte falls schwerer disseminierter Befall 15 – 18 Mo
kansasii
Kryptosporidiose
+ Isoniazid
1 300 mg/d p. o.
+ Ethambutol (EG-C) oder
20 mg/kg KG/d p. o.
Rifampicin1 + Clarithromycin + Ethambutol (EG-C)
600 mg p. o. 2 500 mg p. o. 20 mg/kg KG/d p. o.
Paromomycin (EG-C) Nitazoxanide (EG-C) (in USA erhltlich)
4 500 mg/d p. o. 2 500 – 1500 mg
2 Wo
Fortsetzung nächste Seite
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
349
Tabelle 9.23 Notfalltherapie fr die wichtigsten opportunistischen Krankheiten (Fortsetzung). Krankheit
Initiale Therapie
Dosis
Dauer
Mikrosporidiose
2. Albendazol (EG-A)
2 400 mg/d p. o.
3 Wo
Isospora belliEnteritis
symptomatisch, TMP/SMX (EG-A) oder
2 2 Tbl. forte 320/1600 mg/d p. o.
10 d
Ciprofloxacin (EG-A)
2 500 mg
Cyclospora cayatensis-Enteritis
symptomatisch, Versuch mit TMP/SMX (EG-A)
2 160/800 mg/d p. o.
7d
Blastocystis hominis-Enteritis
Metronidazol (EG-B)
3 750 mg/d p. o.
10 d
Die aufgefhrten Dosierungen gelten fr normale Nieren- und Leberfunktion und ohne Interaktionen! Rifampicin ist zusammen mit Proteaseinhibitoren kontraindiziert. 2 Dosis von Rifabutin muss bei gleichzeitiger Gabe von Indinavir oder Nelfinavir halbiert werden. Die gleichzeitige Gabe von Saquinavir ist kontraindiziert. Dosis von Indinavir muss bei gleichzeitiger Gabe von Rifabutin auf 3 1000 mg erhçht werden. Fr Interaktionen: siehe www.hiv-druginteractions.org. 1
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
Die Indikationen zur stationären Therapie sind die gleichen wie im Kapitel Pneumonie beschrieben (S. 303).
Besondere Merkpunkte
• •
Bakterielle Pneumonien: gehäuftes Auftreten von gekapselten Keimen (S. pneumoniae, H. influenzae) bei HIV-infizierten Personen. Unter einer korrekt eingenommenen Trimethoprim-Sulfamethoxazol-Prophylaxe ist die PcP selten, verläuft aber dann oft mitigiert und kann sich ausschließlich durch Verschlechterung des Allgemeinzustandes oder durch Dyspnoe äußern.
Zerebrale Notfallsituationen bei HIV-Infizierten
Typische Krankheitszeichen und Differenzialdiagnose
•
•
•
Definition und Einteilung Zerebrale Erkrankungen bei HIV-infizierten Personen können durch Infektionen (Bakterien, Viren, Protozoen, Pilze), durch Tumoren (Lymphome) oder durch das HI-Virus selbst verursacht werden (Abb. 9.28).
•
Veränderung des Bewusstseins oder der Persönlichkeit: zerebrale Toxoplasmose, KryptokokkenMeningoenzephalitis (typischerweise mit Fieber, oft ohne Meningismus), CMV-, HSV-Enzephalitis, primäres Hirnlymphom. HIV-Enzephalopathie (AIDS Dementia Complex): Trias: kognitive Störungen, motorische Störungen und Verhaltensstörungen (bei erhaltener Vigilanz). – Frühsymptome: Kognition: Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Verlangsamung der Gedanken; Motorik: Ataxie, verlangsamte Bewegungen; Verhalten: Apathie, Stimmungsschwankungen, Veränderungen der Persönlichkeit. – Spätsymptome: Demenz, Paraplegie, Mutismus. Epileptische Anfälle, fokal-neurologische Ausfälle: zerebrale Toxoplasmose, primäres Hirnlymphom, progressive multifokale Leukenzephalopathie (verursacht durch JC-Virus), tuberkulöser Hirnabszess. Kopfschmerzen und Fieber: Kryptokokken-Meningitis mit Begleitenzephalitis, Toxoplasmose-, CMV-, HSV-Enzephalitis; selten: Neurosyphilis, tuberkulöse Meningitis, Meningitis bei Kokzidioidomykose oder bei Histoplasmose.
Infektionskrankheiten
CD4 (Zellzahl/ml)
350
750
akute HIV-Krankheit neurologische Manifestationen: Kopfschmerzen, Photophobie, milder Meningismus
700 650 600
Herpes zoster Mononeuritis multiplex
550 500 450
HIV-Enzephalopathie
400 350 300 250 200 150
9
Toxoplasmose-Enzephalitis Kryptokokken-Meningoenzephalitis
bakterielle Meningitis (S. pneumoniae, H. influenzae, N. meningitidis) Tbc-Meningitis Neurosyphilis virale Meningitis
progressive multifokale Leukenzephalopathie primäres ZNS-Lymphom CMV-Mononeuritis multiplex oder -Myelitis
100 50 0
Abb. 9.28
Jahre
HIV-Infektion und neurologische Krankheiten.
Notfallanamnese
• • • •
Frühere Toxoplasmose-Serologie, ToxoplasmoseProphylaxe, frühere Syphilis oder Syphilistherapie, frühere Tuberkulose, Reisen (Kryptokokkose in Afrika gehäuft; Endemiegebiet der Kokzidioidomykose: Südwesten der USA, Mexiko, Zentral- und Südamerika; Histoplasmose gehäuft in den Ohio- und Mississippi-Tälern).
Notfalluntersuchung Klinik Allgemein. Fieber, Meningismus (KryptokokkenMeningoenzephalitis macht typischerweise keinen Meningismus!). Neurologische Untersuchung. Stauungspapillen, fokale sensible oder motorische Ausfälle, Ataxie.
Diagnostik MRT oder CT des Schädels mit Kontrastmittel (Tab. 9.22, S. 342). Toxoplasmose-Rundherd weist eine Kontrastmittelanreicherung auf (Abb. 9.29); HSV-Enzephalitis imponiert im CT oder MRT als temporale Enzephalitis (Abb. 9.22, S. 313).
Lumbalpunktion. Bei Fieber oder zerebralen Läsionen (falls keine Hirndruckzeichen im CT oder MRT). • Messung des Liquordrucks: 65% der Patienten mit Kryptokokken-Meningitis haben einen Liquordruck > 20 cmH2O. • Untersuchungen des Liquors: Zellzahl und -differenzierung, Glukose, Laktat, Eiweiß, Bakteriologie (inkl. Pilzkultur), Zytologie, KryptokokkenAntigen, Giemsa-Färbung des Direktpräparates, TPHA, VDRL. • PCR (aus unzentrifugiertem Liquor): auf Toxoplasma, VZV, HSV, EBV und JC-Virus (evtl. auch M. tuberculosis und CMV). Falls die PCR-Reaktion nicht sofort durchgeführt werden kann, muss der Liquor im Kühlschrank (4 8C) aufbewahrt werden. Labor. Toxoplasma-Serologie.
Therapie Probatorisch gemäß Tab. 9.23 bei klinischem Verdacht auf Toxoplasmose- oder HSV-Enzephalitis. Patienten mit einer zerebralen Toxoplasmose ohne Epilepsie können ambulant betreut werden, falls die Arzneimitteleinnahme gewährleistet ist. Patienten mit neurologischen Ausfällen sollten stationär therapiert werden.
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
Abb. 9.30 tion.
351
Retinale Hämorrhagien bei HIV-Infek-
Differenzialdiagnose
Abb. 9.29 tion.
Zerebrale Toxoplasmose bei HIV-Infek-
„Cotton-wool“-Flecken (benigne): kleine, scharf begrenzte retinale Herde, keine Hämorrhagien. Sie sind gehäuft bei HIV-infizierten Personen zu finden, führen aber nie zu Visusverminderung.
Besondere Merkpunkte
Notfallanamnese
Die CT ist bei HIV-Enzephalopathie und progressiver multifokaler Leukenzephalopathie häufig ohne eindeutige pathologische Befunde.
Gesichtsfeldausfälle, Sehunschärfe.
Sehstörungen bei HIV-Infizierten Definition und Einteilung HIV-assoziierte Krankheiten, die das Sehvermögen beeinträchtigen, treten fast nur bei CD4-Zellzahlen < 100/µl auf.
Typische Krankheitszeichen Gesichtsfeldausfälle: retinale Hämorrhagien (Abb. 9.30), CMV-Retinitis, Toxoplasma-Retinitis, selten HSV-Retinitis, VZV-Retinitis oder „progressive outer retinal necrosis syndrome“.
Notfalluntersuchung Fundoskopie. Flaue, weiße oder gelbliche Exsudate oder perivaskuläre Hämorrhagien. Kammerwasserpunktion. Durchführung bei nicht eindeutiger Fundoskopie. PCR auf CMV, HSV, VZV, Toxoplasma. Sehstörungen müssen notfallmäßig abgeklärt werden.
Therapie Therapie einer möglichen CMV-Retinitis (Tab. 9.23, S. 347), da diese mit Abstand die häufigste HIV-assoziierte Augeninfektion darstellt.
Besondere Merkpunkte Visusverminderung durch eine CMV-Retinitis ist ein Notfall und bedarf einer sofortigen Therapie (Tab. 9.23). Der Visusverlust ist meist irreversibel.
352
Infektionskrankheiten
Das Ziel der Therapie ist, eine weitere Verschlechterung und ein Übergreifen der Infektion auf das andere Auge zu verhindern.
Notfalluntersuchung Diagnostik
Fieber ohne Organmanifestationen bei HIV-Infizierten Definition und Einteilung
9
Ursachen. Fieber ist eines der häufigsten Symptome, die bei HIV-infizierten Personen auftreten. „Fever of unknown origin“ (FUO) kann eine PcP (14%), nichttuberkulöse Mykobakterien (11%), eine bakterielle Pneumonie (9%), eine Sinusitis (6%), ein Lymphom (5%), eine Arzneimittelunverträglichkeit oder die HIV-Infektion per se zur Ursache haben. Ungeklärt bleibt ein FUO in 15 – 30 %, 80 – 90% dieser Patienten entfiebern jedoch innerhalb von 2 Wochen spontan. Nach Beginn einer antiretroviralen Therapie (Tage bis Wochen) muss differenzialdiagnostisch an ein Immunrekonstitutionssyndrom gedacht werden.
Röntgen. Thoraxaufnahme, evtl. CT der Nasennebenhöhlen mit Frage nach Sinusitis, falls keine andere Fieberursache identifiziert wurde. Labor. Blutbild, CD4-Zellzahl, Viral Load, Blutkulturen auf Bakterien (einschließlich Mykobakterien) und auf Pilze, CMV-Antigenämie (wenn CD4-Zellzahl < 100/µl), Urinstatus. Sonografie. Abdomen (z. B. Lymphome bei Mykobakteriosen und bei Non-Hodgkin-Lymphom).
Therapie Spezifische Therapie erst, wenn Ätiologie bekannt ist. Keine ungezielte breite antimikrobielle Therapie. Evtl. Fiebersenkung mit Paracetamol.
Gastroenterologische Notfallsituationen bei HIV-Infizierten
Typische Krankheitszeichen und Differenzialdiagnose
Dysphagie
•
Differenzialdiagnose
•
Akut aufgetretenes Fieber, Lymphadenopathie: Akute HIV-Infektion (ungefähr 2 – 8 Wochen nach Inokulation, s. Tab. 9.21, S. 340) akuter CMV-, EBV-Infekt, Toxoplasmose. Chronisches Fieber, Gewichtsverlust, reduzierter Allgemeinzustand: Wasting-Syndrom (Ausschlussdiagnose, Fieber > 38 8C über einen Monat und Gewichtsverlust > 10%), nichttuberkulöse Mykobakteriose, Salmonellenbakteriämie, Kryptokokkensepsis, Leishmaniose, Pilzinfekte (Histoplasmose, Kokzidioidomykose, Kryptokokkose), arzneimittelinduziertes Fieber (Tuberkulostatika).
Notfallanamnese
• • • •
Reisen: Südstaaten der USA, Südamerika oder Asien: Pilzinfekte. Feucht-heiße Klimazonen inklusive Mittelmeerländer (Leishmaniose). Insektenstiche: Leishmaniose. Hauskatzen: Toxoplasmose. Therapie: antiretrovirale Therapie, CotrimoxazolProphylaxe, Tuberkulostatika.
Differenzialdiagnosen in absteigender Häufigkeit: • Soorstomatitis und -ösophagitis, • HSV-Ulzera, idiopathische Ulzera, • sehr selten sind Ulzera durch Histoplasma capsulatum, Nocardia asteroides, tuberkulöse und nichttuberkulöse Mykobakterien, Kryptosporidien und Pneumocystis jiroveci.
Notfallanamnese Odynophagie (Schmerzen beim Schluckakt), Dysphagie (Obstruktionsgefühl), Ösophagusspasmen, Nausea, Arzneimittel.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion des Rachens. Soorstomatitis, periorale Herpesläsionen, Ulzera im Mund. Bei klinischer Candidiasis-Diagnose: primär keine weitere Diagnostik.
Notfallsituationen bei HIV-infizierten Patienten
Diagnostik Endoskopie. Bei Verdacht auf andere Genese (periorale Herpesläsionen, schlechter AZ, orale Ulzera und fehlende orale Candidiasis): obere Endoskopie mit Abstrich des Ulkusgrundes für bakteriologische und virologische Untersuchungen, bei Tumorverdacht Biopsie.
• •
353
Stuhlbeschaffenheit: blutig und kleinvoluminös (u. a. Mikrosporidien, Kryptosporidien) oder wässrig und voluminös (Isospora belli)? Malignome: Kaposi-Sarkom mit Darmbefall.
Notfalluntersuchung Diagnostik
Therapie
• •
Bei Verdacht auf Soorstomatitis und -ösophagitis: probatorisch gemäß Tab. 9.23 (S. 346). Bei erfolgloser probatorischer Therapie: Endoskopie und spezifische, gegen nachgewiesene Ursache gerichtete Therapie.
Diarrhö Definition und Einteilung Eine Diarrhö bei HIV-infizierten Patienten hat üblicherweise eine infektiöse oder medikamentöse Ursache. Gegenüber immunkompetenten Patienten sind die Beschwerden häufig schwerer und eine Bakteriämie und metastatische Infekte in darmfernen Organen sind häufiger. Clostridium difficile-Infekte werden auch ohne vorausgegangene antibiotische Therapie beobachtet. Als Ursachen kommen infrage: • Bakterien: Campylobacter, nichttyphöse Salmonellen, Shigellen, Clostridium difficile, Mykobakterien, Aeromonas. • Viren: CMV, Adenoviren, HSV, HIV. • Protozoen: Kryptosporidien, Mikrosporidien, Entamoeba histolytica, Giardia lamblia, Isospora belli, Cyclospora cayetanensis. • Helminthen: Strongyloides stercoralis. • Pilze: Histoplasma capsulatum (nach Aufenthalt in Endemiegebieten). • Arzneimittel: z. B. Tenofovir, Emtricitabin, Didanosin, 3TC, Stavudin, Indinavir, Lopinavir, Fosamprenavir, Trimethoprim-Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol).
Notfallanamnese
•
Verlauf: akut (eher bakteriell, Clostridium difficile- oder CMV-Kolitis) oder subakut bis chronisch (> 3 Wochen) aufgetreten (Medikamente, Parasiten)?
Stuhluntersuchung • Bei CD4-Zellzahl > 200/µl: Stuhlkulturen auf Bakterien (Campylobacter, Salmonellen, Shigellen, Aeromonas, Clostridium difficile-Toxinnachweis). • Bei CD4-Zellzahl < 200/µl: zusätzlich 3 Stuhluntersuchungen auf Parasiten (Giardia lamblia, Entamoeba histolytica, Kryptosporidien, Isospora belli, Cyclospora) und, je nach Anamnese, Baermann-Konzentrations-Methode für Strongyloides stercoralis und Pilznachweis für Histoplasma capsulatum. • Bei CD4-Zellzahl < 100/µl: Mikrosporidien, Kryptosporidien und Mykobakterien suchen. Koloskopie. Bei schwerem toxischem Zustandsbild und CD4-Zellzahl < 50/µl ist eine CMV-Kolitis möglich, deshalb bei blutiger Diarrhö Koloskopie mit Biopsie.
Therapie
•
• •
•
Patienten mit schwerer blutiger Diarrhö: Ciprofloxacin 2 × 500 mg/d, Azithromycin bei V. a. Campylobacter; bei CMV-Kolitis: Ganciclovir gemäß Tab. 9.23 (initiale Therapie wie bei CMV-Retinitis, S. 347). Zusätzlich bei schwerer Diarrhö symptomatische Therapie: Loperamid, Tinctura opii. Bei mehr als 10 wässrigen Stühlen/Tag ohne identifizierbare Ursache: Versuch mit Octreotid s. c. – Beginn mit 3 × 50 µg/d für 2 Tage, – falls kein Erfolg: Dosissteigerung (jeweils nach 2 Tagen) auf 3 × 100 µg/d, dann 3 × 250 µg/d bis maximal 3 × 500 µg/d. Erfolgsrate ca. 50% (EG-A). Bei Identifikation eines Erregers: gezielte Therapie.
354
Infektionskrankheiten
Nephrolithiasis/Urolithiasis
Obstruktive Gallenwegserkrankungen Pathophysiologie
9
Abnorme Leberfunktionstests sind bei HIV häufig und stellen kaum eine Notfallsituation dar, eine Obstruktion der Gallenwege hingegen muss notfallmäßig abgeklärt werden. Viele dieser Patienten haben Infekte der Gallengänge: CMV und Kryptosporidien machen den Hauptteil aus, seltene Ursachen sind Mikrosporidien, nichttuberkulöse Mykobakterien, ein Kaposi-Sarkom oder ein Lymphom. Zur Differenzialdiagnose gehört auch die akalkulöse Cholezystitis. Leichte Erhöhungen der alkalischen Phosphatase werden bei allen granulomatösen Lebererkrankungen beobachtet: typischerweise bei einer Infektion der Leber mit Mycobacterium aviumintracellulare und isolierten Granulomen durch Cryptococcus, Histoplasma und Coccidioides immitis (selten). Bei fast der Hälfte der Patienten liegt eine Stenose des Sphinkter Oddi vor. In der Notfallsituation müssen in erster Linie akute Gallenwegserkrankungen (Gallenkolik, Cholangitis, Cholezystitis) erkannt und behandelt werden (vgl. S. 131).
Pathophysiologie und Differenzialdiagnose
• •
Indinavir und seltener Atazanavir können in den Nierentubuli ausfallen und zu einer Urolithiasis führen. Die Differenzialdiagnose beinhaltet alle Ätiologien der Ureterkoliken (S. 170).
Therapie
• • •
Für das Notfallmanagement ist die Flüssigkeitszufuhr (evtl. Infusion) wichtig. Das Medikament muss nicht unbedingt abgesetzt werden: genügend trinken (mindestens 1,5 l/d)! Bei starken Schmerzen oder Ureterstauung: Therapie ändern. Die übrigen Maßnahmen sind gleich wie bei Urolithiasis anderer Ätiologien (S. 172).
Laktatazidose
Notfallanamnese
Definition und Einteilung
Schmerzen im rechten Oberbauch, Ikterus, Fieber, bei Obstruktion: Gallenkoliken.
Persistierende Erhöhung der Laktatkonzentration im venösen Plasma (in der Regel > 5 mmol/l oder > 2-faches der oberen Norm) mit Azidose (pH < 7,35). Es handelt sich um eine seltene Komplikation der antiretroviralen Therapie (Inzidenz 1,3 – 3,9 Fälle pro 1000 Personen/Jahr) mit einer hohen Mortalität, falls sie unerkannt bleibt (‡ 50%). Die Laktatazidose wird hauptsächlich durch Stavudin ausgelöst. Häufiger sind asymptomatische, leichtere Erhöhungen des Plasmalaktats (bis 3,5 mmol/l) unter antiretroviraler Therapie. In diesen Fällen sind keine Maßnahmen nötig.
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor. Alkalische Phosphatase, g-GT, Transaminasen und Bilirubin (Der Proteasehemmer Atazanavir führt zu einer benignen Erhöhung des unkonjugierten Bilirubin). Sonografie. Ultraschall des Abdomens mit Frage nach Erweiterung der intra- und extrahepatischen Gallenwege sowie nach entzündlicher Veränderung der Gallenblase. ERCP. Bei Obstruktion der Gallenwege endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP) diskutieren.
Therapie Notfallmäßige Therapie der akuten Erkrankungen der Gallenwege: vgl. S. 132.
Pathophysiologie Es wird eine Schädigung der Mitochondrien durch Nukleosidanaloga-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI: Stavudin, Zidovudin, Didanosin, Abacavir, Lamivudin, Emtricitabin) angenommen. Stavudin scheint mit einem höheren Risiko einer Laktatazidose assoziiert zu sein als die anderen NRTI.
Inkubationszeiten wichtiger Infektionen
Typische Krankheitszeichen
• • •
Am häufigsten sind Adynamie, Nausea, Erbrechen und Abdominalschmerzen. Weitere Symptome sind: Gewichtsverlust, Tachypnoe und Dyspnoe (bei normaler Sauerstoffsättigung), evtl. chemische Pankreatitis. Typisch sind eine Hepatomegalie mit Steatose und eine große Anionenlücke in der arteriellen Blutgasanalyse (S. 209).
Differenzialdiagnose Sepsis, Pankreatitis, Leberversagen (z. B. fulminante Hepatitis) oder Multiorganversagen anderer Ätiologie, Laktatazidose anderer Ätiologie (s. S. 506).
Notfallanamnese Eingenommene antiretrovirale Therapie?
355
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und -interaktionen bei der antiretroviralen Therapie UAW. Die Liste der unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist groß. www.hiv.ch gibt eine Übersicht über die häufigsten UAW antiretroviraler Arzneimittel. Arzneimittelinteraktionen. Bei vielen antiretroviralen Arzneimitteln (insbesondere Protease-Inhibitoren) muss auf z. T. lebensbedrohliche Interaktionen mit anderen Arzneimitteln geachtet werden. Eine aktuelle Übersicht dieser Interaktionen ist am einfachsten via Internet erhältlich, z. B. auf: http://www.hiv-druginteractions.org/oder http://www.hiv.ch.
9.26 Inkubationszeiten wichtiger Infektionen M. P. Strchler, W. Zimmerli
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor. Plasma-Laktat-Bestimmung (Cave! Blutentnahme muss ohne Stauschlauch durchgeführt werden!), arterielle Blutgasanalyse, Transaminasen, Bilirubin, alkalische Phosphatase, Quick, Amylase, Lipase. Blutkulturen (Ausschluss einer Sepsis). Sonografie. Abdomen (Hinweise auf Lebersteatose?).
Therapie
• •
Symptomatische, leichte Hyperlaktatämie (Laktat < 4,1 mmol/l): Anpassung der antiretroviralen Therapie mit Wechsel des NRTI (Ersatz mit einem anderen NRTI möglich) (EG-C). Laktatazidose: sofortiges Absetzen aller NRTI. Bei schweren Fällen Verlegung auf eine Intensivstation. Einzelne Patienten wurden erfolgreich behandelt mit Riboflavin (1 × 50 mg), Thiamin (1 × 200 mg i. v.) oder L-Carnitin (50 mg/kg KG/d als Infusion für 15 Tage), meistens in Kombination mit Hämodialyse (EG-C).
Die Inkubationszeit ist die Zeit zwischen dem Eindringen eines Erregers in den Körper und dem ersten Auftreten von Symptomen, z. B. Fieber, Schmerzen, Diarrhö usw. Tab. 9.24 zeigt die Inkubationszeiten von Infektionskrankheiten, gruppiert nach Leitsymptomen beziehungsweise Erregern. Folgende Faktoren tragen zur Unsicherheit bei der Bestimmung der Inkubationszeit bei: • Der Zeitpunkt der Infektion wird anhand der Exposition eruiert (z. B. Hundebiss, Zeckenstich, Restaurantbesuch, Reiserückkehr, Injektion). Bleibt deren Datum unbekannt, kann die Inkubationszeit nicht bestimmt werden. • Die ersten Krankheitszeichen sind häufig vage, und ihr Beginn ist zeitlich nicht immer eindeutig. Bei Trägern und latent Infizierten und nach Reaktivierung ist eine Inkubationszeit nicht bestimmbar. Bandbreite und Mittelwerte. Alle Angaben zu Inkubationszeiten sind mit Vorsicht zu interpretieren. Es sollte stets die Bandbreite beachtet werden (Minima und Maxima nicht immer bekannt). Angaben aus der Literatur wie „einige Tage“ sind in der Tabelle mit „< 7 d“ wiedergegeben. Aufgrund mangelnder oder zusammengefasster Einzeldaten entsprechen die angegebenen Bandbreiten nicht Vertrauensintervallen. Bei nur einer Zahl ist der Median oder Mittelwert gemeint. Ist nur die Bandbreite angegeben, sind
356 Tabelle 9.24
Infektionskrankheiten
Inkubationszeiten nach Leitsymptomen und Erreger.
Organ/Leitsymptom
Erreger/Toxin (Krankheit)
Minimum
Übliche Inkubationszeit
Maximum
11 d
21 d
Allgemeinsymptome Fieber
9
Anaplasma phagocytophila
5d
Arboviren (Chikungunya, Dengue, Gelbfieber, Rifttal, West-Nil)
1d
Aspergillus
3d
Babesia
1w
Bartonella quintana (Schtzengrabenfieber)
6d
Borrelia recurrentis (Rckfallfieber)
2d
4–8 d
Brucella abortus, B. melitensis, B. suis
Tage
3–8 w
Burkholderia pseudomallei (Melioidosis)
21 d
3w 3w
38 d
2d
Candida (invasive Candidiasis)
9w
10 d 5 Mo >1a
2–5 d
Cytomegalovirus (= HHV-5)
3w
12 w
Epstein-Barr-Virus (= HHV-4)
4w
7w
humanes Immunodefizienzvirus (Primoinfekt) (HIV)
<7 d
90 d
Influenzavirus Leishmania donovani, L. infantum (viszerale Leishmaniose)
1d £ 10 d
2d
4d
2 – 3 Mo
‡2 a
Leptospira
1d
7 – 14 d
24 d
Plasmodium falciparum
5d
14 – 21 d
1a
8d
28 – 49 d
210 d
12 d
14 – 84 d
>1a
12 d
35 d
Plasmodium malariae Plasmodium vivax Poliomyelitisvirus Typen I – III
2d
Salmonella paratyphi
6h
1–2 d
27 d
Salmonella typhi
3d
7 – 28 d
60 d
Schistosoma (akut: Katayama-Fieber)
14 d
56 d
Spirillum minus (Sodoku, Rattenbissfieber)
1w
2 Mo
Staphylococcus aureus (toxischer Schock)
2,5 h
6h
Streptobacillus moniliformis
1d
2 – 10 d
30 d
12 h
1–2 d
6d
Trichinella spp.
1d
1–2 w
4w
Trypanosoma b. gambiense, Westafrika
5d
Streptococcus pyogenes (invasive Infektion)
21 d Fortsetzung nächste Seite
Inkubationszeiten wichtiger Infektionen
357
Tabelle 9.24 Inkubationszeiten nach Leitsymptomen und Erreger (Fortsetzung). Organ/Leitsymptom
Fieber und Exanthem
Erreger/Toxin (Krankheit)
Maximum
5d
Trypanosoma cruzi (Chagas-Krankheit)
1d
Enteroviren: Coxsackie-, Echo-, Enterovirus spp.
2d
7d
10 d
15 d
21 d 24 d
Jahre
Morbillivirus (Masern)
6d
13 d
19 d
Parvovirus B19
4d
12 – 14 d
28 d
Rickettsia spp.
1d
Rubellavirus (Rçteln)
7d
14 – 21 d
27 d
10 d
14 – 17 d
20 d
Variolavirus (Pocken)
7d
10 – 14 d
17 d
Congo-Crim hmorrhagisches Fiebervirus
1d
Ebola- und Marburg-Viren
2d
Hanta-Virus
1w
6w
Lassa-Virus
5d
16 d
Bartonella henselae (Katzenkratzkrankheit)
3d
Francisella tularensis (Tularmie)
1d
2–5 d
Orientia tsutsugamushi (Scrub Typhus)
5d
7 – 10 d
Toxoplasma gondii
3d
1–2 w
3w
Yersinia pestis (Pest)
0,5 d
2–3 d
8d
Varicella-Zoster-Virus (= HHV-3) (Windpocken)
Fieber und Lymphadenitis
Übliche Inkubationszeit
Trypanosoma b. rhodesiense, Ostafrika
HHV-6 (Roseola infantum, Exanthema subitum, Dreitagefieber)
Fieber und Hmorrhagie
Minimum
16 d
7d 5 – 14 d
14 d
21d
50 d 1 Mo 21 d
Respirationstrakt Pharyngitis, Otitis, Sinusitis
Adenovirus
5d
5–8 d
14 d
Bordetella pertussis, B. parapertussis
4d
7 – 10 d
21 d
Corynebacterium diphtheriae
2d
5d
Haemophilus influenzae
4d
5d
Parainfluenzavirus (Pseudocroup)
1d
8d
Respiratory-Syncytial-Virus
2d
8d
10 h
16 h
Rhinovirus
Fortsetzung nächste Seite
358 Tabelle 9.24
Infektionskrankheiten
Inkubationszeiten nach Leitsymptomen und Erreger (Fortsetzung).
Organ/Leitsymptom
Erreger/Toxin (Krankheit)
Minimum
Pneumonie
Chlamydia pneumoniae
7d
30 d
Chlamydia psittaci (Ornithose) 5 d
21 d
Coccidioides immitis
9
Übliche Inkubationszeit
Maximum
1–3 w
7w
Coxiella burnetii (Q-Fieber)
1w
2–3 w
6w
Histoplasma capsulatum
4d
7 – 14 d
18 d
Legionella pneumophila
0,5 d
3–7 d
10 d
Mycobacterium tuberculosis
1 Mo
2 Mo
12 Mo
Mycoplasma pneumoniae
2w
4w
Pneumocystis carinii
2w
12 w
Streptococcus pneumoniae
1d
14 d
Bacillus cereus
0,5 h
Campylobacter
1d
Magen-Darm-Trakt Akute Gastroenteritis
Clostridium difficile
Hepatitis
Abdominalbeschwerden
24 h 3d
10 d
> 2 w (?)
Clostridium perfringens
2h
Cryptosporidium
2d
24 h
Cyclospora cayetanensis
1d
Escherichia coli: EAEC, EHEC, EIEC, EPEC, ETEC
Stunden
Norovirus
7h
Rotavirus
1d
Salmonella non-typhi
7h
1d
14 d
Shigella (Ruhr)
Stunden
2d
8d
Staphylococcus aureus
0,5 h
2–5 h
6 – 10 d 7–8 d 24 – 48 h 1–2 d
28 d 13 d 14 – 30 d 5d 6d
12 h
Vibrio cholerae
4h
0,5 – 5 d
Yersinia enterocolitica, Y. pseudotuberculosis
1d
3–7 d
8,5 d
Giardia lamblia
1d
1–2 w
3 Mo
Hepatitis-A-Virus
2w
4w
7w
Hepatitis-B-Virus
4w
Hepatitis-C-Virus
6w
Hepatitis-E-Virus
2w
10 d
10 w 4 – 10 w
26 w 9w
Angiostrongylus costaricensis
24 d
Anisakis (Anisakiose)
1h
Echinococcus granulosus, E. multilocularis
2a
Entamoeba histolytica
Tage
Fasciola hepatica
Tage
Strongyloides stercoralis
14 (?) d
< 7 – 12 d
14 d 15 a
3w
Jahre Monate
Fortsetzung nächste Seite
Inkubationszeiten wichtiger Infektionen
359
Tabelle 9.24 Inkubationszeiten nach Leitsymptomen und Erreger (Fortsetzung). Organ/Leitsymptom
Erreger/Toxin (Krankheit)
Minimum
Übliche Inkubationszeit
Maximum
Haut, Sexualorgane Effloreszenz
Bacillus anthracis
9h
1 – 12 d
100 d
Borrelia burgdorferi (Erythema migrans, Lyme-Arthritis)
1d
10 – 21 d
180 d
Clostridium perfringens (intestinal, Gasbrand)
2h
Erysipelothrix rhusiopathiae
2d
Herpes-simplex-Virus 1
2d
4d
12 d
Mycobacterium leprae
3 Mo
3 – 10 a
30 a
7d
‡ 2 Mo
Onchocerca volvulus Sexuell bertragen
24 h
Vacciniavirus
5d
10 – 11 d
19 d
Chlamydia trachomatis, (Genitalinfektion)
3d
4w
6w
Haemophilus ducreyi (Ulcus molle, Chancroid)
1d
7d
25 d
Herpes-simplex-Virus 2
2d
4d
12 d
Klebsiella granulomatis (Donovanosis)
1d
2–8 w
Neisseria gonorrhoeae
2d
8d
14 d
Treponema pallidum
10 d
21 d
90 d
Trichomonas vaginalis
4d
1a
28 d
Nervensystem Demenz
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
16 Mo
Enzephalitis
Acanthamoeba (chronische Enzephalitis)
Wochen
Arboviren wie JapanischesEnzephalitis- und Westernequines-Enzephalitis-Virus
4d
FSME-Virus (Zeckenenzephalitis)
2d
7 – 14 d
28 d
30 – 60 d
10 a
Lyssa-Virus (Tollwut)
5d
Konvulsionen
Taenia solium (Zystizerkose)
4a
Lhmung
Cigua und andere Toxine von Meeresfrchten
Meningitis
4 – 10 a
30 a Monate 28 d
5a <1 d
Clostridium botulinum
1h
1d
Clostridium tetani
2d
5 – 15 d
Angiostrongylus cantonensis
1d
Enteroviren: Coxsackie-, Echo-, Enterovirus spp.
2d
Listeria monocytogenes
5d
14 d
3w 60 d 45 d 7d
2 – 6 Mo
3 Mo Fortsetzung nächste Seite
360 Tabelle 9.24
Infektionskrankheiten
Inkubationszeiten nach Leitsymptomen und Erreger (Fortsetzung).
Organ/Leitsymptom
Erreger/Toxin (Krankheit)
Minimum
Übliche Inkubationszeit
Maximum
Lymphocytic-Choriomeningitis-Virus
1,5 d
21 d
Naegleria fowleri
1d
3–7 d
21 d
Neisseria meningitidis: Serogruppen A – C
2d
3–5 d
10 d
Arthritis
Arboviren wie Ross-River und Chikungunya
1d
Auge
Acanthamoeba (Keratitis)
Auge
Chlamydia trachomatis (Trachom)
Bissverletzungen
Pasteurella multocida, Capnocytophaga canimorsus u. a.
Lymphadenopathie
Wuchereria bancrofti
Mumps
Mumpsvirus
Andere
9
21 d Tage
5d
10 d £1 d
3 Mo 14 d
18 Mo 21 d
24 d
Abkrzungen: h: Stunde, d: Tag, w: Woche, Mo: Monat, a: Jahr, EHEC: enterohmorrhagische E. coli, EPEC: enteropathogene E. coli, ETEC: enterotoxigene E. coli, spp.: Spezies, HF: hmorrhagisches Fieber, (?): in der Literatur nicht klar definierter Wert
Abweichungen darüber hinaus kaum zu erwarten oder nicht bekannt. Vortestwahrscheinlichkeit und Ausschluss. Zusammen mit der Anamnese kann die Inkubationszeit die Vortestwahrscheinlichkeit, d. h. die Erkrankungswahrscheinlichkeit vor Laborabklärungen präzisieren. Bei bekannter Exposition kann die Inkubationszeit die Zahl möglicher Erreger einengen. Virale hämorrhagische Fieber z. B. fallen außer Betracht, wenn ein Patient seit mehr als 3 Wochen aus einem Endemiegebiet heimgekehrt ist. Bei Brechdurchfall Minuten bis 2 Stunden nach Einnahme eines verdächtigen Nahrungsmittels kommen in erster Linie Toxine in Betracht, z. B. Staphylokokkenenterotoxin. Eine gute (Expositions-)Anamnese ist Voraussetzung für eine rationale Abklärung.
9.27 Meldepflichtige Infektionskrankheiten M. P. Strchler, W. Zimmerli
Definition und Einteilung Bestimmte Infektionskrankheiten sind laut Gesetz meldepflichtig. Die vom Gesetzgeber getroffene Auswahl ist je nach Land unterschiedlich. In Tab. 9.25 – Tab. 9.32 wurden Krankheiten, die ausschließlich nach (Labor-)Nachweis des Erregers meldepflichtig sind, sowie Ergänzungsmeldungen weggelassen. Die Einteilung erfolgt nach Land, Meldefrist und Krankheit. Auf den Webseiten der für das Meldewesen verantwortlichen Institutionen findet sich eine Fülle an Informationen.
Meldepflichtige Infektionskrankheiten
361
In der Schweiz meldepflichtige Infektionskrankheiten
Tabelle 9.25 In der Schweiz innerhalb von 2 Stunden telefonisch und nur fr im Spital ttige rzte zu meldende Infektionskrankheiten. Krankheit (Erreger)
Meldekriterien und benötigte weitere Angaben
Anthrax, Milzbrand (Bacillus anthracis)
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
Botulismus (Clostridium botulinum)
klinischer Verdacht mit Veranlassung einer Labordiagnostik bei hospitalisierten Patienten
nV
Influenza A HxNy (neuer Subtyp)
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
Pest (Yersinia pestis)
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
Pocken (Variola)
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom)
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
Virale hmorrhagische Fieber: Ebola, Marburg, Krim-Kongo-Fieber, Lassa und andere Arenaviren
klinischer Verdacht nach Rcksprache1 und Veranlassung einer erregerspezifischen Labordiagnostik
nV
mit einem Kollegen mit einem FMH-Facharzt-Titel in Infektiologie (oder Tropen- und Reisemedizin), n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, V: Verdacht
1
Tabelle 9.26 In der Schweiz innerhalb von 24 Stunden zu meldende Infektionskrankheiten. Krankheit (Erreger)
Meldekriterien und benötigte weitere Angaben
Hufung
‡ 2 unerwartete (wegen Saison, Person u. a.) oder bedrohliche Flle vom gleichen Ort, auch wenn der Erreger nicht meldepflichtig ist; Einzelheiten unten angeben: was, wer, seit wann, wie viele Patienten
i
Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae)
Antitoxingabe
n
Epiglottitis
Trias: 1. Fieber, 2. makulopapulçses Exanthem, 3. Husten, Rhinitis oder Konjunktivitis
n
Masern (Morbillivirus)
Trias: 1. Fieber, 2. makulopapulçses Exanthem, 3. Husten, Rhinitis oder Konjunktivitis
n
Poliomyelitis
klinischer Verdacht
nV
Tollwut (Lyssa-Virus)
klinischer Verdacht
nV
Tularmie (Francisella tularensis)
klinischer Verdacht
nV
Verdacht auf invasive Meningokokkenerkrankung
Meningismus oder Stçrung der Gerinnung (insbesondere Hautblutungen) oder anderer Organsysteme (z. B. Bewusstseinstrbung, Blutdruckabfall)
nV
Gelbfieber- und andere (als oben erwhnte) hmorrhagische Fieberviren
klinischer Verdacht, Diagnose und besuchte Lnder angeben
nV
i: Initialen, n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, V: Verdacht
362 Tabelle 9.27
9
Infektionskrankheiten
In der Schweiz innerhalb einer Woche zu meldende Infektionskrankheiten.
Krankheit (Erreger)
Meldekriterien und benötigte weitere Angaben
AIDS (human immunodeficiency virus)
positiver HIV-Test und erste AIDS-definierende Krankheit nach Eurokriterien (u. a. Candidiasis, P. jiroveci-Pneumonie, rezidivierende bakterielle Pneumonie); AIDS-Todesfall
iT
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit stationr-neurologisch abgeklrt und Eurokriterien fr sporadische/ (Prionen) weitere CJD-Formen (z. B. sporadische CJD: 1. progressive Demenz, 2. > 2 von 4 klinischen Zeichen, 3. Dauer < 2 Jahre)
n
Malaria (Plasmodium spp.)
Fieber und positiver Malariatest (Mikroskopie oder Schnelltest)
i
Rçteln (Rubella)
laborbesttigte Infektion bei: schwangerer Frau, Neugeborenem
i
Tetanus (Clostridium tetani) klinische Diagnose
i
Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis)
n
Beginn einer Behandlung mit > 3 verschiedenen Tuberkulostatika oder kultureller Nachweis von Mykobakterien des Tuberkulosekomplexes (prventive Chemotherapie oder positive Tuberkulinreaktion nicht melden)
i: Initialen, n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, T: Tod
In Deutschland meldepflichtige Infektionskrankheiten
Tabelle 9.28
In Deutschland innerhalb von 24 Stunden zu meldende Infektionskrankheiten.
Krankheit (Erreger)
Erläuterungen
Avire Influenza A/H5N1
–
nVET
Bedrohliche andere Krankheit
wenn dies auf eine schwerwiegende Gefahr fr die Allgemeinheit hinweist und Krankheitserreger als Ursache in Betracht kommen, die nicht in § 7 (Labormeldungen) genannt sind
nVET
Botulismus (Clostridium botulinum)
–
nVET
Cholera (Vibrio cholerae)
–
nVET
Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae)
–
nVET
Gesundheitliche Schdigung nach Impfung
der Verdacht einer ber das bliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schdigung; zustzliche Informationen werden ber gesonderten Meldebogen erhoben, der beim Gesundheitsamt zu beziehen ist
nVET
Hmorrhagisches Fieber, virusbedingt
–
nVET
Hufung anderer Erkrankungen
• ‡ 2 Flle mit wahrscheinlichem oder vermutetem •
nVET
epidemiologischem Zusammenhang mit Gefhrdung fr die Allgemeinheit
Hepatitis, akute virale
–
nVET
Humane spongiforme Enzephalopathie
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK)/vCJK), außer familir-hereditrer Formen
nVET Fortsetzung nächste Seite
Meldepflichtige Infektionskrankheiten
363
Tabelle 9.28 In Deutschland innerhalb von 24 Stunden zu meldende Infektionskrankheiten (Fortsetzung). Krankheit (Erreger)
Erläuterungen
HUS
hmolytisch-urmisches Syndrom, enteropathisch
nVET
Masern (Morbillivirus)
–
nVET
Meningokokken-Meningitis/-Sepsis
–
nVET
Mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung oder akute infektiçse Gastroenteritis
a) bei Personen, die eine Ttigkeit im Sinne des § 42 Abs. 1 IfSG im Lebensmittelbereich ausben b) bei 2 oder mehr Erkrankungen mit wahrscheinlichem oder vermutetem epidemiologischem Zusammenhang
nVET
Milzbrand (Bacillus anthracis)
–
nVET
Paratyphus (Salmonella paratyphi)
–
nVET
Pest (Yersinia pestis)
–
nVET
Poliomyelitis
als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lhmung, außer wenn traumatisch bedingt
nVET
Tollwut (Lyssa-Virus)
–
nVET
Tollwutexposition, mçgliche
die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdchtiges oder -ansteckungsverdchtiges Tier sowie die Berhrung eines solchen Tieres oder Tierkçrpers
nVET
Tuberkulose
Erkrankung/Tod an einer behandlungsbedrftigen Tuberkulose, auch bei fehlendem bakteriologischem Nachweis; Therapieabbruch/-verweigerung
nVET
Typhus abdominalis (Salmonella typhi) –
nVET
E: Erkrankung, n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, T: Tod, V: Verdacht
In Österreich meldeplichtige Infektionskrankheiten
Tabelle 9.29 In sterreich innerhalb von 24 Stunden zu meldende Infektionskrankheiten. Krankheit (Erreger)
Erläuterungen
Bakterielle und virale Lebensmittelvergiftungen
–
VET
Brucellose (Brucella spp.)
–
ET
Cholera (Vibrio cholerae)
–
VET
Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae)
–
ET
Gelbfieber (Gelbfiebervirus)
–
VET
Hmorrhagisches Fieber, virusbedingt
–
VET
Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis)
–
VET Fortsetzung nächste Seite
364 Tabelle 9.29
9
Infektionskrankheiten
In sterreich innerhalb von 24 Stunden zu meldende Infektionskrankheiten (Fortsetzung).
Krankheit (Erreger)
Erläuterungen
Infektion mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus
–
VET
Hepatitis, infektiçse (Hepatitis A, B, C, D, E, G)
–
VET
Invasive bakterielle Erkrankungen
Meningitiden und Sepsis
ET
Keuchhusten, Pertussis (Bordetella pertussis)
–
ET
Kinderlhmung, Polio
–
VET
Legionellose (Legionella pneumophila)
–
ET
Lepra (Mycobacterium leprae)
–
VET
Leptospirose (Leptospira interrogans)
–
VET
Malaria (Plasmodium spp.)
–
ET
Masern (Morbillivirus)
–
VET
Milzbrand, Anthrax (Bacillus anthracis)
–
VET
Paratyphus (Salmonella paratyphi)
–
VET
Pest (Yersinia pestis)
–
VET
Pocken (Variola)
–
VET
Psittakose (Chlamydia psittaci)
–
VET
Puerperalfieber und Wutkrankheit (Lyssa = Tollwut = Rabies) und Bissverletzungen durch wutkranke oder -verdchtige Tiere
–
VET
Rickettsiose durch R. prowazekii
–
VET
Rçteln (Rubella)
–
ET
Rotz, Malleus (Burkholderia mallei)
–
VET
Rckfallfieber (Borrelia recurrentis und weitere Borrelien spp.)
–
ET
SARS
schweres akutes respiratorisches Syndrom
VET
Scharlach (b-hmolysierende Streptokokken der Gruppen A und B)
–
ET
Trachom (Chlamydia trachomatis)
–
ET
Trichinose (Trichinella spiralis)
–
ET
Tuberkulose durch Mycobacterium bovis
–
ET
Tularmie (Francisella tularensis)
–
VET
Typhus, Abdominaltyphus (Salmonella typhi)
–
VET
Ruhr, bertragbare (Entamoeba histolytica, Shigella spp.)
Amçbenruhr
VET
Meningoenzephalitiden, virusbedingte
–
ET
E: Erkrankung, T: Tod, V: Verdacht
Meldepflichtige Infektionskrankheiten
365
Tabelle 9.30 In sterreich innerhalb von 3 Tagen zu meldende Infektionskrankheiten. Krankheit
Meldekriterien, sofern angegeben
Tuberkulose durch Mycobacterium tuberculosis
jede Erkrankung und jeder Todesfall an Tuberkulose (hervorgerufen durch Mycobacterium tuberculosis), die rztlicher Behandlung oder berwachung bedarf; zu melden sind Name, Anschrift, Geburtsdatum
nET
E: Erkrankung, n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, T: Tod
Tabelle 9.31 In sterreich innerhalb einer Woche zu meldende Infektionskrankheiten. Krankheit (Erreger)
Meldekriterien, sofern angegeben
AIDS
jede manifeste Erkrankung an AIDS (Nachweis einer HIV-Infektion und zumindest einer Indikatorerkrankung gemß VO BGBl. Nr. 35/1994) und jeder Todesfall, wenn anlsslich der Totenbeschau oder Obduktion festgestellt wurde, dass im Zeitpunkt des Todes eine Erkrankung an AIDS bestanden hat (ein Todesfall ist auch dann zu melden, wenn bereits eine Meldung ber den vorausgegangenen Krankheitsfall erfolgt ist); zu melden sind Anfangsbuchstabe des Vor- und Familiennamens, Geburtsdatum, Geschlecht, relevante anamnestische und klinische Angaben
iET
E: Erkrankung, i: Initialen, n: namentlich zu melden nach den unter Meldekriterien aufgefhrten Kriterien, T: Tod
Tabelle 9.32 In sterreich beschrnkt meldepflichtig. Krankheit (Erreger)
Meldekriterien, sofern angegeben
Gonorrhç, Syphilis, Ulcus molle, Lymphogranuloma inguinale
wenn eine Weiterverbreitung der Krankheit zu befrchten ist oder sich die/der Kranke der rztlichen Behandlung bzw. Beobachtung entzieht, ist Meldung an die zustndige Bezirksverwaltungsbehçrde zu erstatten
Vorgehen in den einzelnen Ländern Schweiz (CH) (inkl. Fürstentum Lichtenstein) fi www.bag.admin.ch/infekt/d • Formular: Für die Meldungen zu verwenden ist das Formular für die Arzt-Erstmeldung, das beim Bundesamt für Gesundheit, CH-3003 Bern, Tel. + 4131322 2111, Fax + 4131322 95 07, E-Mail
[email protected] oder elektronisch unter http:// www.bag.admin.ch/infreporting/forms/d/index.htm als PDF-Datei erhältlich ist. • Meldeweg: Ärzte und Laboratorien melden an den Kantonsärztlichen Dienst. Maßgebend ist der Wohnkanton des Patienten. Die aktuelle Adressliste der Kantonsärzte ist auf derselben Webseite wie das Meldeformular als PDF abrufbar. Ergänzungsmeldungen nach Erstmeldung sowie Ergänzungsmeldungen aufgrund einer Laborbestätigung sind in den Tabellen nicht enthalten.
?
Deutschland (D) fi www.rki.de • Meldeweg: Gemäß § 9 des IfSG hat die namentliche Meldung unverzüglich, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach erlangter Kenntnis gegenüber dem für den Aufenthalt des Betroffenen zuständigen Gesundheitsamt zu erfolgen. Unter http://www.rki.de/cln_048/nn_209240/DE/Content/Infekt/IfSG/Meldeboegen/Arztmeldungen/ arztmeldung__node.html?__nnn=true findet sich ein Link zu den Meldebögen gewisser Bundesländer, sowie ein Mustervorschlag des RKI. • Falldefinitionen: Diese sind unter http://www. rki.de/cln_048/nn_200710/DE/Content/Infekt/ IfSG/Falldefinition/IfSG/Falldefinition.html erhältlich. Unter http://www.rki.de des Robert Koch Instituts finden sich weitere Angaben zu Infektionsschutz sowie Gesetzestexte und Formulare. • Kontaktdetails des RKI: Robert Koch-Institut, Postfach 65 02 61, D-13302 Berlin; Tel. + 49 3018 75 40.
366
Infektionskrankheiten
Österreich (AU) fi www.bmgf.cms.apa.at/cms/site/ Unter http://bmgf.cms.apa.at/cms/site/detail.htm? thema=CH0019&doc=CMS1038915287272 des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend findet sich eine Übersicht zu den meldepflichtigen übertragbaren Krankheiten in Österreich. Die Anzeige ist binnen 24 Stunden unter Angabe des Namens, des Alters, der Wohnung und, soweit tunlich, unter Bezeichnung der Krankheit an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Gebiet sich der Betroffene aufhält bzw. der Tod eingetreten ist, zu erstatten. • Tuberkulose: Die Anzeige ist innerhalb von 3 Tagen an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten. (Name, Anschrift, Geburtsdatum).
9
•
•
AIDS: Bei AIDS ist die Meldung innerhalb einer Woche nach Feststehen der Diagnose schriftlich an das Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend (http://www.bmgfj.gv.at) zu erstatten (Anfangsbuchstabe des Vor- und Familiennamens, Geburtsdatum, Geschlecht, relevante anamnestische und klinische Angaben). Adresse: Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend, Radetzkystraße 2, 1030 Wien, Tel. + 43-1/71100-0, Fax + 43-1/71100-143 00. Bestimmte Geschlechtskrankheiten: Wenn eine Weiterverbreitung der Krankheit zu befürchten ist oder sich die/der Kranke der ärztlichen Behandlung bzw. Beobachtung entzieht, ist Meldung an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten. Eine Frist ist nicht angegeben.
367
10 Rheumatologie A. Tyndall, P. Hasler
Übersicht 10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5
Rheumatologie Akute Arthritiden Akute periartikuläre Schmerzen Akute Rückenschmerzen Notfallsituationen bei Vaskulitis Gelenkkapselruptur des Knies („Baker-Zysten-Ruptur“)
10.1 Akute Arthritiden Definition
• • •
Monarthritis: 1 Gelenk befallen, Oligoarthritis: 2 – 4 Gelenke befallen, Polyarthritis: ‡ 5 Gelenke befallen.
Einteilung
• •
•
Akute infektiöse Arthritis. Akute Arthritis durch Kristalle: – Gicht: Natriumuratkristalle, – Pseudogicht (Pyrophosphatarthropathie, Chondrokalzinose): Kalziumpyrophosphatkristalle, – theoretisch möglich: andere Kristalle, z. B. nach Injektion kristalliner Substanzen wie Kortikosteroide; Cholesterinkristalle (sehr selten). Akute Arthritis anderer Ursache: parainfektiös, reaktiv, Autoimmunerkrankung. Sie ist von sofort zu behandelnden Infektionen abzugrenzen.
Pathophysiologie Septische Gelenkinfekte. Oft sind Schmerzen lange das einzige Symptom, bevor es unvermittelt zu einer Sepsis mit Schock kommen kann. Septische Gelenkinfekte entstehen durch hämatogene Streuung, z. B. bei Bronchitis, Bronchopneumonie, Urogenitaloder Hautinfektion. Besonders gefährdet sind: Diabetiker, Alkoholkranke, Immunabwehrgeschwächte und mit Glukokortikoiden behandelte Patienten. Auch unter der Behandlung mit biologischen Therapeutika wie TNFa-Blockern können die klinischen und Laborbefunde einer bakteriellen Arthritis oder Sepsis maskiert bleiben, um im Verlauf umso akuter zu exazerbieren. Betroffen sind oft vorgeschädigte Gelenke, in erster Linie Knie- und Hüftgelenke. Iatrogene Gelenkinfekte nach Gelenkpunktionen sind selten. Eine besondere Bedeutung hat die Gonokokkenarthritis, die bei Frauen nicht mit manifesten urogenitalen Symptomen einhergehen muss. Gicht. Bei einer Hyperurikämie kann es zur Aufnahme von Monouratkristallen durch Phagozyten kommen. Dies führt zur Freisetzung von Zytokinen und lysosomalen Enzymen, die eine Entzündung und damit einen Gichtanfall des betroffenen Gelenks auslösen. • Primäre Gicht: genetisch bedingte, vererbte Hyperurikämie mit vermehrter De-novo-Purinsynthese und/oder Defekt in der renalen Harnsäureausscheidung. • Sekundäre Gicht: Hyperurikämie durch vermehrten Anfall von Harnsäure aus Zellabbau bei hämatologischen Erkrankungen, besonders unter zytostatischer Behandlung. Ferner bei chronischer Niereninsuffizienz, Uratretention durch Arzneimittel, z. B. niedrig dosierte Salizylate und besonders Diuretika, durch Krankheiten wie Hyperparathyreoidismus oder durch erhöhte Werte organischer Säuren wie bei Hunger, Ketoazidose etc.
368
Rheumatologie
Pseudogicht, Pyrophosphatarthropathie. Pyrophosphatkristalle lösen Entzündungen aus, die ähnlich wie eine Gicht verlaufen. Häufig sind die bei älteren Patienten durch Kalziumpyrophosphatablagerungen (Chondrokalzinose) befallenen Knieund Handgelenke betroffen. Selten ist die familiäre Chondrokalzinose, deren Genese nicht geklärt ist. Sekundär kommt die Chondrokalzinose bei Hämochromatose, chronischer Hämodialyse, Hyperparathyreoidismus, Morbus Wilson und Ochronose vor. Eine akute Exazerbation ist bei Chondrokalzinose durch Injektion von Hyaluronsäureprodukten auslösbar und muss von einer iatrogenen bakteriellen Infektion abgegrenzt werden.
Typische Krankheitszeichen
10
Septische Infekte. Mehr oder weniger ausgeprägte, gelegentlich auch fehlende Allgemeinerkrankung. • Temperatur: subfebrile bis septische Temperaturen (unter Antipyretika), bei älteren oder immunsupprimierten (Glukokortikoide, TNFa-Inhibitoren, Chemotherapie, Immundefizienzen) Patienten oft ohne Fieber. • Lokalbefund: meist perakute, intensive Schmerzen des betroffenen Gelenks mit Überwärmung, Rötung, Schwellung (im Hüftgelenk schwierig festzustellen). Unter Glukokortikoiden, TNFa-Inhibitoren oder anderweitiger Immunsuppression Schmerzen und Entzündung gelegentlich gering! Bei Infektion von Bandscheiben (Spondylodiszitis) praktisch immer umschriebene starke Klopfempfindlichkeit und Druckdolenz, blockierte Wirbelsäule. • Gonokokkenarthritis: fast immer Polyarthritis, hohes Fieber, Befall besonders des Ellenbogens, einzelner Fingergelenke, Beugesehnenscheiden der Hohlhand, Kniegelenke, oft zusätzlich mit pathognomonischem Exanthem: Pusteln mit zentraler Nekrose oft an den Vorderarmen, aber auch an den unteren Extremitäten. Gicht. Akute, meist innerhalb von Stunden auftretende Gelenkentzündung. • Lokalbefund: helle Rötung, Schwellung auch der periartikulären Weichteile, besonders ausgeprägte Schmerzen bei Bewegung und Berührung (Bettlaken wird nicht ertragen). Am häufigsten ist das Großzehengrundgelenk betroffen (70%, Podagra), relativ selten Hüft- und Schultergelenke. Möglich ist ein polyartikulärer Befall mit chronischem Verlauf vornehmlich bei Befall der Hüftgelenke.
•
Temperatur: oft subfebrile Temperaturen mit gestörtem Allgemeinbefinden. • Tophi (Gichtknoten): in schlecht perfundierten, der Kälte ausgesetzten Geweben (Ohrmuscheln, periartikulär an Hand- und Fußgelenken, Sehnen etc.). Treten im Allgemeinen erst nach jahrelanger Arthritis urica auf. Pseudogicht. Akute Arthritis durch Kalziumpyrophosphatkristalle, ähnliches Bild wie bei der Gicht, wobei eher ein polyartikulärer Befall mit subakutem bis chronischem Verlauf gesehen wird.
Differenzialdiagnose
•
• •
• •
Anamnese und typische Krankheitszeichen lassen die Differenzierung zwischen Infekt und Kristallsynovitis zu, wobei die Diagnose durch die notfallmäßige Punktion auch bei erstmaligem typischem Befall des Großzehengrundgelenkes bei vermuteter Gicht bestätigt werden muss. Die akute Arthritis beim rheumatischen Fieber beginnt immer mit einer Allgemeinerkrankung und führt kaum zu einer akuten Notfallsituation. Steht ein akuter Gelenkschmerz im Vordergrund, ist als erstes an einen Infekt zu denken. Besonders beim Jugendlichen kann eine gelenknahe Osteomyelitis eine primäre Gelenkbeteiligung vortäuschen. Parainfektiöse Arthritiden treten auf nach Infektionen der oberen Luftwege, des Gastrointestinaltraktes oder des Urogenitaltraktes. Ein Hämarthros kann einen Infekt oder eine Kristallsynovitis vortäuschen (Hämophile, hämodialysierte Patienten besonders unter Antikoagulation, auch ohne Angabe eines Traumas, bei vorgeschädigten Gelenken auch ohne Gerinnungsstörung möglich).
Notfallanamnese
• • •
Vorangegangene Krankheiten, Allgemeinzustand und Lebenssituation des Patienten, vorgeschädigte Gelenke, frühere anfallsweise Gelenkschmerzen, besonders bei der Gicht auslösende Faktoren wie akute Infekte, Thiazid- oder Schleifendiuretika, operative Eingriffe, Allgemeinerkrankungen (Herzinfarkt), körperliche Überanstrengung oder Diätexzesse.
Akute Arthritiden
Notfalluntersuchung
369
akute Arthritis
Klinik
Monarthritis
Bei septischem Gelenkinfekt. Allgemeinzustand, Herzgeräusche (Endokarditis?) und septisch-embolische Manifestationen (Nagelfalz, Nagelrand, Akren, Konjunktiven, Fundus) suchen (Abb. 10.1).
Allgemeinsymptome ? Organbefall ? nein
ja
Kristalle Infekt mechanisch
systemische Erkrankung ?
Diagnostik Gelenkpunktion. Bakteriologische Kulturen auf Aerobier und Anaerobier, bei Verdacht auf Gonokokken rascher Transport und Spezialmedium (Absprache mit dem Labor). Gerinnungshemmendes (EDTA-) Röhrchen für Leukozytenzahl und Zelldifferenzierung, Nativröhrchen für Harnsäure- und Pyrophosphatkristalle ( Abb. 10.2, Farbtafel XX), Punktatinterpretation: Tab. 10.1. Blutkulturen. Mindestens 3 × 2 (aerob und anaerob) auch ohne Fieber! Labor. BSG und/oder C-reaktives Protein. Differenzialblutbild (Linksverschiebung). Harnsäure, Kalzium, Phosphat, alkalische Phosphatase. Bildgebung. Röntgen: bei Extremitäten auch Gegenseite für den Vergleich: Osteolysen, Transparenzminderung gelenknah (Abb. 10.3)? Chondrokalzinose (Abb. 10.4)? Evtl. Skelettszintigrafie.
Gelenkpunktion Entzündungsparameter
Notfallmanagement Gelenkinfekte • Antibiotische Therapie: – Breitspektrumantibiotikum, z. B. Cefazolin 2 g in Kurzinfusion 6-stündlich i. v. (EG-D). – Wenn die Gramfärbung vorliegt, bei grampositiven Keimen Flucloxacillin (2 g in Kurzinfusion 6-stündlich i. v.), bei gramnegativen Kei-
septische Arthritis entzündliche Erkrankung reaktiv
weitere Abklärung
Abb. 10.1 Abklärung akuter Arthritiden.
•
Therapie
Oligo-/Polyarthritis
•
•
men Ciprofloxacin (2 × 750 mg/d, falls möglich p. o.) (EG-D). – Bei Gonokokken im Gelenk: Ceftriaxon 1 × 2 g/d in Kurzinfusion i. v. über 14 Tage (EG-D). – Sobald die bakteriologische Resistenzprüfung vorliegt, gezielte antibiotische Medikation (EG-D). Lagerung des Gelenks: in funktionell günstiger Stellung (nicht völlig gestreckt), keine Fixierung nötig (EG-D). Entlastungspunktionen: Eitrige Ergüsse müssen regelmäßig, evtl. täglich, durch Punktion entleert und u. U. mit NaCl 0,9% gespült werden, bis kein entzündliches Exsudat mehr vorhanden ist (Leukozytenzahl < 2000/mm3). Operation: in resistenten Fällen ist eine arthroskopische Spülung, u. U. auch eine offene Synovektomie zur Entfernung abszedierender, nekrotischer Gewebe indiziert (EG-C).
Tabelle 10.1 Interpretation des Gelenkpunktats. Nichtentzündlich
Entzündlich
Septisch
Makroskopisches Aussehen
transparent, hellgelb
trbe
eitrig
Leukozytenzahl gesamt pro l
< 2 000
2 000 – 50 000
20 000 – 300 000
Polymorphkernige
< 50 %
> 50%
> 80 %
Rundzellen
> 50 %
< 50%
< 20 %
Viskositt (Fadenlnge beim Abtropfen aus der Nadelspitze)
> 8 cm
< 8 cm
kein Abtropffaden
370
Rheumatologie
Abb. 10.4 Chondrokalzinose. Chondrokalzinose des Cartilago triangularis rechts, ausgeprgte Arthrose zwischen Scaphoid und Trapezium/Trapezoideum sowie des Os metacarpale I, wie sie hufig bei Hmochromatose zu sehen ist.
10
Weitere Maßnahmen Abb. 10.3 Chronische tophöse Gichtarthritis. Typische Erosionen mit berhngenden Ecken am lateralen Großzehengrundgelenk und medialen Interphalangealgelenk. Hier ist eine Transparenzminderung der Weichteile erkennbar, die einem Tophus entspricht.
Gicht • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), z. B. Di(3 – 4 × 50 mg/d), Naproxen (2 × clofenac 550 mg/d) (EG-B). • Bei Risikofaktoren für gastrointestinale Komplikationen kann zu einem nichtselektiven NSAR zusätzlich ein Protonenpumpenblocker (z. B. Omeprazol 1 – 2 × 20 mg/d) gegeben werden (EG-A). • Bei Kontraindikationen gegen NSAR oder bei deren Versagen Glukokortikoide systemisch, z. B. 2 – 3 × 10 mg/d Prednison p. o. für die akute Phase (EG-C). • Evtl. intraartikuläre Kortikosteroide (z. B. Methylprednisolon 40 mg) (EG-D). • Evtl. Colchicin 1 mg p. o. initial, dann 0,5 mg 2 – 3 ×/d (Cave! gastrointestinale Nebenwirkungen) (EG-C).
Gelenkinfekte. Die antibiotische Behandlung weiterführen bis zum Abklingen der entzündlichen Veränderungen, Normalisierung von BSG oder CRP. Ggf. arthroskopische Spülung und Débridement je nach Verlauf. Gicht. Therapie der Hyperurikämie, wenn mehr als 2 gesicherte Gichtanfälle aufgetreten sind (Nachweis von Uratkristallen im Punktat). Die Hyperurikämie ohne Gicht und ohne Harnsäurekonkremente (myeloproliferative Erkrankung) bedarf keiner Therapie. Arzneimittel: • Xanthinoxydasehemmer: Allopurinol 150 – 300 mg/d (EG-C). Allopurinol erst nach Abklingen des akuten Schubs in einschleichender Dosierung einsetzen, da sonst ein Gichtschub ausgelöst werden kann. • Prophylaxe für weitere Anfälle: Colchicin 0,5 – 1 mg/d p. o. (EG-C). Pseudogicht. Intraartikuläre Glukokortikoide (z. B. Methylprednisolon 40 mg). NSAR wie bei Gicht, bei älteren Patienten Vorsicht mit NSAR (EG-C).
Akute periartikulre Schmerzen
Besondere Merkpunkte Jedes unklar geschwollene Gelenk muss punktiert und das Punktat untersucht werden: • bakteriologisch (Gramfärbung, Kultur), • Nachweis der Entzündung mit Zellzahl, Differenzierung der Zellen und Kristalle (Tab. 10.1, Abb. 10.2, Farbtafel XX).
• • •
• 10.2 Akute periartikuläre Schmerzen Definition und Einteilung Akute Schmerzen, die von den periartikulären Strukturen wie Sehnenansätzen oder Schleimbeuteln ausgehen. Sie müssen von eigentlichen Arthritiden abgegrenzt werden. An der Schulter sind oft die Rotatorenmanschette, die Bursa subacromialis und Sehnenansätze für Schmerzen verantwortlich. Andere Beispiele sind die Sehnenansätze am Epicondylus medialis und lateralis (Golfer- bzw. Tennisellbogen), die Bursa trochanterica, die Bursa praepatellaris, der Ansatz des Pes anserinus.
• •
Die neuralgische Schulteramyotrophie kann eine periartikuläre Schmerzursache vortäuschen, ebenso eine zervikale Wurzelreizung (HWS-Bewegungen meist schmerzauslösend). Die „frozen shoulder“ („adhäsive Kapsulitis“), eine selbstlimitierende Schulteraffektion mit reduzierter Gelenkbeweglichkeit, zeigt eine lange Schmerzanamnese und eine Einschränkung der Außenrotation des Oberarmes im Gelenk. Die Polymyalgia rheumatica mit diffusen Schulter-Nacken-Beschwerden ist durch die (allerdings nicht immer klassische) Anamnese mit morgens akzentuierter Steifigkeit bei älterem Patienten, vermindertem Allgemeinzustand, akutem Beginn, Befall auch des Beckengürtels bis in die Oberschenkel, abzugrenzen. Sie kann in Überlappung mit einer Riesenzellarteriitis auftreten. Durch Trauma der Rotatorenmanschette oder bei vorgeschädigtem Gelenk ist ein akuter Hämarthros, besonders des Schulter- oder des Hüftgelenkes, möglich. Eine Polymyositis zeigt eine Kraftverminderung der Muskulatur von Rumpf und proximalen Extremitäten. Sie ist meist schmerzfrei, wird als Müdigkeit empfunden. Oft bestehen weitere Zeichen einer Autoimmunerkrankung (Dermatitis, Sklerodermie, systemischer Lupus erythematodes).
Pathophysiologie
Notfallanamnese
Ursachen. Lokales Trauma, lokale Tendinitis/Peritendinitis, Einklemmung („Impingement“) der Rotatorenmanschette, Bursitis (Druck, Kristalle, rheumatoide Arthritis, Kollagenose, Infektion), Kalziumapatitablagerung.
• • •
Typische Krankheitszeichen
• •
Akute Schmerzen, eindeutig belastungs-, bewegungs- und lageabhängig, an der Schulter Ausstrahlung der Schmerzen in die Mitte des Oberarms, gelegentlich durch Schmerzen akut blockierte Schulter.
Differenzialdiagnose
•
Bei plötzlichen, sehr starken Schmerzen muss an eine lokale bakterielle Infektion gedacht werden (z. B. bei HIV-Infizierten).
371
Ausschluss einer Allgemeinerkrankung, Ausschluss von Infektzeichen, Eruieren einer Vorschädigung der Gelenke, eines Traumas, einer akuten mechanischen Überbelastung, Auslösung der Schmerzen (Bewegung, Lage), Besserung (Analgetika, Lage), zeitliches Auftreten, Dauer der Schmerzen.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Inspektion: Symmetrie im Vergleich mit Gegenseite, Schwellung, Rötung, Muskelatrophien, z. B. M. supraspinatus. Bewegungsumfang eingeschränkt, z. B. Rotation der Schulter in Neutralstellung, die auf eine Affektion des Glenohumeralgelenkes selbst oder der Kapsel hinweist; schmerzhafte Abduktion und Flexion als Ausdruck eines „Impingements“
372
•
•
•
Rheumatologie
bei Rotatorenmanschettenaffektion/Bursitis subacromialis. Passiver Bewegungsschmerz, aktiver Bewegungsschmerz, Schmerz bei Bewegung gegen Widerstand, z. B. bei Abduktion als Hinweis auf eine Supraspinatusläsion, Innenrotation in Endstellung als Hinweis auf eine Läsion der Sehne des M. subscapularis. Palpation (Druckdolenzen, Schwellung, Erguss?) der Weichteile, des Sulkus der langen Bizepssehne, des Rotatorenmanschettenansatzes am Tuberculum majus, des Schulter- und Akromioklavikulargelenks und der angrenzenden Knochen. In der Regel kann bei fehlenden Zeichen einer Beteiligung des Schultergelenkes selbst von einem periartikulären Prozess ausgegangen werden. Umgekehrt sind bei einer Gelenkpathologie die gelenknahen Strukturen häufig mitbeteiligt.
10 Therapie Notfallmanagement
• • • •
•
Lagerung der Schulter im Liegen nachts in möglichst schmerzfreier Stellung, evtl. Armschlinge tagsüber (EG-D). Wiederholte kalte Kompressen, z. B. Eispackungen für 10 – 15 min (EG-D). Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), z. B. Diclofenac (bis 3 × 50 mg/d), Naproxen (2 × 550 mg/d). Bei Risikofaktoren für gastrointestinale Komplikationen kann zu einem nichtselektiven NSAR zusätzlich ein Protonenpumpenblocker (z. B. Omeprazol 1 – 2 × 20 mg/d) gegeben werden (EG-A). Bei anhaltenden Schmerzen Lokalanästhesie (5 ml Lidocain 1%), evtl. lokale Glukokortikoide (Methylprednisolon 40 mg). Bei Verdacht auf Impingement der Rotatorenmanschette oder Bursitis subacromialis empfiehlt sich eine Infiltration mit Lokalanästhetikum und Glukokortikoid zwischen Humeruskopf und Akromion in den Bereich der Bursa subacromialis, für die übrigen Lokalisationen an die lokalen Druckpunkte (EG-B).
Weitere Maßnahmen
• •
Falls keine Besserung: Röntgenbild (knöcherne Läsion?) und Entzündungsparameter im Blut (Infekt?) nach 3 – 4 Wochen. Aktive schultermobilisierende und zentrierende Physiotherapie.
Besondere Merkpunkte Die akuten periartikulären Schmerzen, besonders der Schulter, klingen häufig spontan nach einigen Tagen auch ohne Behandlung ab.
10.3 Akute Rückenschmerzen Definition und Einteilung Schmerzbilder, die im Achsenskelett oder seinen umgebenden Gewebestrukturen ihren Ursprung haben, mit oder ohne Ausstrahlung (Letztere meist von einem kaudalen Segment zervikal C5/6/7 oder lumbal L4/L5/S1 ausgehend). Bei der Spondylodiszitis sind Schmerzen oft lange das einzige Symptom, und es kann plötzlich zu einer septischen Streuung oder zur Querschnittsläsion kommen. Anderseits lassen sich auch bei intensiven Schmerzen oft keine Ursachen nachweisen.
Pathophysiologie Schmerzursprung sind meist eine Bandscheibe oder benachbarte segmentale Strukturen wie Facettengelenke oder Ligamente. Nervenwurzeln können sekundär mitbetroffen sein. Die Schmerzen können auch durch ossäre Läsionen verursacht werden, so bei Frakturen, Tumoren, Infekten. Neurologische Krankheitsbilder sowie entzündliche Gelenkaffektionen (Iliosakralgelenke) müssen in Betracht gezogen werden.
Typische Krankheitszeichen Bandscheibe und assoziiertes Bewegungssegment. Schmerzprovokation über der Wirbelsäule medial oder nach lateral, bewegungs- oder lageabhängig. Schmerzverminderung durch Hinlegen. Nachts typischerweise schmerzfrei außer beim Drehen im Bett („mechanischer“ Schmerz). Radikuläre Schmerzen. Meistens lumbal L4/L5/S1 oder zervikal C5/6/7. Schmerz wird oft als „elektrisierend“ beschrieben mit Par-, Hyp- und Dysästhesien sowie motorischen und/oder sensiblen Paresen unterschiedlichen Ausmaßes. Schmerzausstrahlung von lumbal bis unterhalb des Knies (Abb. 10.5), Schmerzcharakter oft intensiver und unerträglicher
Akute Rckenschmerzen
373
C2 C3 C4 C5 C6
C2 C3 C4 C5
T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12
C7 C8
T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10
C6
C6 T1
C5 C8
T11 T12 L1
C6 C8
C8
S2 S1
C7
L2
S3 S4 S5
L1 L2 L3 L4 L5
L3 L1 L2 L3 L4
S1 S2 L5 L4 S1
S1 L5
L4 L4
Abb. 10.5 Die Dermatome.
als beim bewegungssegmentassoziierten („mechanischen“) Schmerz. Störungen der vegetativen Sphinkterfunktionen (meist Harnretention) sind in der Regel schmerzfrei und werden vom Patienten oft nicht bemerkt. Schmerzen des Iliosakralgelenks oder durch anderweitige entzündliche Wirbelsäulenaffektionen. Typisch sind nächtliche und frühmorgendliche, schlafstörende, lumbosakrale und/oder tieflumbale Schmerzen, die zum Aufstehen und Umhergehen zwingen. Oft morgendliche Steifigkeit (länger als 30 min).
Schmerzen bei osteoporotischen Frakturen der Wirbelsäule. Meist abrupt einsetzend, einschießend, evtl. sehr intensiv, ohne adäquates Trauma. Ausstrahlung nach gluteal möglich, kaum aber in die Beine. Hinlegen beruhigt den Schmerz, Exazerbation durch kleinste Lageänderungen. Frühere Schmerzepisoden, evtl. bekannte Osteoporose. Anamnestisch Frakturen (Radius, Femur, Rippen), Glukokortikoidtherapie. Lokalisation im Becken, am distalen Unterschenkel, am Fuß (Ermüdungs- oder „Stressfraktur“).
374
Rheumatologie
Differenzialdiagnose
Notfalluntersuchung
•
Klinik (Tab. 10.2)
• • • • •
10 • • •
Läsionen der Wirbelkörper, der Bandscheibe und der assoziierten Bewegungssegmente: degenerativ, neoplastisch, infektiös, Frakturen: traumatische Wirbelbogenfraktur, osteoporotische Beckenfraktur, Instabilität: Wirbelsäule (Wirbelgleiten bei Olisthesis), Becken (z. B. posttraumatisch, postpartal), entzündliche Veränderungen: seronegative Spondylarthropathien (Morbus Bechterew, Psoriasisarthropathie) betreffen besonders die Sakroiliakalgelenke, neurologische Erkrankungen: diabetische Plexopathie, (para-)infektiöse Radikulitis, retroperitoneale Prozesse: Antikoagulanzienblutung, Aortenaneurysmaruptur, Nierenerkrankungen, Abszesse, retroperitoneale Fibrosen, Hüftgelenkerkrankungen: Arthrose, Chondrokalzinose (Pseudogicht), unspezifische Rückenschmerzen: ausstrahlend bis in die dorsalen Oberschenkel oberhalb der Knie, Fibromyalgie: typische Druckpunkte an Okziput, oberem Skapulawinkel, Oberrand des M. trapezius, AC-Gelenk, Ansatz der 2. Rippe am Sternum, lateralem Epicondylus humeri, dorsalem Beckenkamm, Trochanter major sowie medialem Femurkondylus.
Notfallanamnese
• •
•
Akute neurologische Ausfälle, besonders neu aufgetretene Lähmungen, Miktionsstörungen mit Harnretention (Mühe beim Wasserlassen). In letzter Zeit aufgetretene Allgemeinsymptome wie Fieber, Schüttelfrost, evidente Infektherde, z. B. an der Haut, können auf septische Spondylodiszitis, Osteomyelitis oder epiduralen Abszess hinweisen. Auf unspezifische Rückenschmerzen deuten mehrfache Episoden ähnlicher Rückenschmerzen in der Vergangenheit. Mögliche psychosoziale Belastungsfaktoren sind zu erfragen.
Wirbelsäule • Schmerzlokalisation, Haltung, Ausmaß der Bewegungseinschränkung. • Auslösbarkeit der Schmerzen durch Reklination und Rotation (je nach Intensität an LWS und HWS nicht prüfbar), evtl. mit Provokation von Wurzelschmerzen mit dermatomaler Ausstrahlung. • Lasègue-Zeichen (Wurzelreizung L5 und S1) und umgekehrter Lasègue (hochlumbale Wurzelreizung, wenig zuverlässig). • Eruieren von schmerzerleichternden Stellungen und Lagerungen (Abb. 10.6). • Spezielle Hinweise: – umschriebener Schmerz über 1 – 2 Wirbelkörpersegmente auf sanftes Klopfen und Rütteln: Verdacht auf entzündliche Schmerzursache oder Wirbelkörperfraktur, – Schmerzprovokation bei BWS-Rotation mit vor der Brust verschränkten Armen: Hinweis auf in der BWS lokalisierte Schmerzursache, – „Leg Rolling Test“ (Rotation des gestreckten Beines im Hüftgelenk) schmerzhaft: Hinweis auf Hüftgelenkaffektion. • Iliosakralgelenktests: Vierer-(Patrick-)Zeichen, Mennell-Test, Beckenkompression in Seitenlage, Kompression des Sakrums in Bauchlage. Neurologischer Status • Zeichen der Cauda-equina-Kompression: Sensibilitätsausfall perianal („Reithose“), Retentionsblase, Analsphinkterhypotonie, Miktionsstörungen,
Abb. 10.6 Oft schmerzvermindernd empfundene Lagerungen bei Diskushernien. Zervikal gebeugt und gegen die schmerzhafte Seite gerichtet, lumbal mit Entlastung der LWS-Lordose durch Untersttzung der Kniekehlen mit Kissen.
Akute Rckenschmerzen
375
Tabelle 10.2 Nervenwurzelbezug der wichtigsten Reflexe und Krafttests von Muskeln. Reflexe
Muskeltests
Nervenwurzeln
Bizepsmuskel
C5 und C6
Zervikal Bizepssehnenreflex Radiusperiostreflex Trizepssehnenreflex
C5 und C6 Trizepsmuskel
C6 und C7
Dorsalflexion der Hand
C7
Fingerspreizen
C8
Thorakal Bauchhautreflexe
Th8 – Th12
Lumbal Kremasterreflex
Hochziehen des Skrotums
L1 und L2
Iliopsoasmuskel (Hftbeugung)
L2 und L3
Quadrizepsmuskel (Unterschenkelstreckung)
L2 – L4
Gluteus medius (Abduktion Hfte)
L5
Tibialis posterior (Adduktion Fuß)
L5
Hftadduktorenreflex Patellarsehnenreflex
Achillessehnenreflex
• •
L2 und L3
Peroneusmuskel (Fußhebung)
L5
Vorfuß- und Großzehenheber
L5
Plantarflexion
S1
Zeichen thorakaler oder zervikaler Myelonkompression: Hyperreflexie, erhöhter Muskeltonus, Babinski-Zeichen, L5-Wurzel-Ausfälle: Großzehen- oder Vorfuß-Heberschwäche, evtl. Fallfuß, Trendelenburg-Phänomen im Stehen (Absinken der kontralateralen Beckenseite bei Einbeinstand auf der paretischen Seite) (Tab. 10.2).
Diagnostik Labor. Blutbild, BSG oder C-reaktives Protein, bei Sepsisverdacht 3 × 2 Blutkulturen (aerob und anaerob) vor jeder antibiotischen Therapie. Röntgen. Wirbelsäule in 2 Ebenen und Becken a.–p. bei Personen über 40 Jahre oder klinischem Verdacht auf spezifische, nichtdiskogene oder „nichtmechanische“ Schmerzursache. Diese umfassen Osteolysen, „Verschwinden“ des Bandscheibenraumes ohne Sklerosereaktion, Auflösung der Konturen von Deck- und Bodenplatten, Sakroiliakalgelenkveränderungen, Syndesmophyten der Wirbelkörper, osteoporotische (Ermüdungs-)Frakturen des Beckens, der distalen Tibia, der Metatarsalia. Zu beachten ist, dass diese radiologisch bis zu 2 Wochen unsichtbar bleiben können. Im Zweifel Skelettszintigrafie.
CT und MRT. Bei klinischem Verdacht auf Spondylodiszitis oder Neoplasie, oder falls eine neurochirurgische Intervention dringlich ist, wird im Allgemeinen eine MRT, je nach Indikation mit Kontrastmittel, bevorzugt. Dies gilt vor allem für die Diagnostik der HWS und bei jüngeren Personen. Bei komplexen oder im Nativröntgenbild nicht sichtbaren Frakturen ist die CT gängig.
Therapie „Mechanische Rückenschmerzen“ und Wurzelaffektionen • Jede Lage, die die Schmerzen vermindert, ist korrekt (Unterstützung mit Kissen oftmals günstig (Abb. 10.6) (EG-D). • Ausreichend dosierte Analgesie mit: – Paracetamol (bis zu 4 × 1 g/d), – NSAR (EG-A), – Tramadol (bis zu 4 × 50 mg/d) (EG-B) oder – Pethidin (bis zu 3 × 50 mg s. c./d) in Reserve. • Diazepam 3 × 2 mg p. o./d oder Tizanidin 3 × 2 bis 3 × 4 mg p. o./d initial als unterstützendes Muskelrelaxans (EG-B).
376
•
Rheumatologie
Je nach Schmerzverlauf Mobilisation mit elastischem Lendenmieder oder zervikal Schanz-Kragen (weich) nach wenigen Tagen (EG-D).
Sphinkterdysfunktion und andere Zeichen der Cauda-equina-Kompression • Operative Dekompression (EG-C). L5-Parese • Je nach Schweregrad und Progredienz relative Operationsindikation (EG-C). Osteoporotische Wirbelkörperfrakturen • Ähnliches Vorgehen, zusätzlich Gabe von Kalzitonin-Nasenspray (2 × 100 IU/d) zur Analgesie und Osteoklastenhemmung, maximal über 2 Wochen, frühe Mobilisation nach 2 – 3 Tagen Bettruhe (EG-B).
10 Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Veränderungen des neurologischen Status, insbesondere Progression von initial leichten Lähmungen, je nach Läsion bis ½-stündlich, (Orthostatische) Hypotonie unter obiger Analgesie und Sedierung, Thromboembolieprophylaxe, z. B. mit Enoxaparin 1 × täglich s. c., 20 mg für niedriges Risiko, 40 mg für hohes Risiko (EG-B).
Tabelle 10.3 „Red Flags“ bei Rckenschmerzen.
• Alter bei Beginn < 20 oder > 55 Jahren • Systemische Krankheitszeichen
(Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß)
• Trauma • Konstanter oder progredient zunehmender
Besondere Merkpunkte Cave! Warnzeichen gefährlicher Wirbelsäulenaffektionen („red flags“) bedürfen einer besonders sorgfältigen Abklärung (Tab. 10.3). Cave! Bei Verdacht auf höher liegende Wurzelkompressionen oder anderweitige Pathologie muss der Einbezug kranialer liegender Abschnitte sichergestellt werden (Strahlenbelastung). Patientenaufklärung und -führung. Akute „mechanische“ Rückenschmerzen mit oder ohne Wurzelirritation haben einen gutartigen Spontanverlauf, eine vollständige Ausheilung ist innerhalb von Tagen bis Wochen zu erwarten. Dies sollte von Anbeginn dem Patienten und den Angehörigen in Ruhe dargelegt werden trotz des initial oft sehr eindrücklichen Schmerzbildes („Der Schmerz beeinträchtigt, ist aber nicht Ausdruck von Gewebeuntergang oder Zerstörung“). Im Verlauf bleibende Behinderung kommt leider öfter vor und ist u. a. Folgeerscheinung pessimistischer Verlaufsbeurteilung des erstbehandelnden Arztes gegenüber dem Patienten.
10.4 Notfallsituationen bei Vaskulitis Definition und Einteilung Entzündung der Blutgefäßwand, die sich je nach Art und Lokalisation der Entzündung klinisch unterschiedlich manifestiert. Von den Klassifikationssystemen ist jene von Chapel Hill am gebräuchlichsten, die vornehmlich die Größe der befallenen Gefäße berücksichtigt. Gefährliche Situationen entstehen wie bei Kollagenosen auch bei Vaskulitiden durch Beteiligung kritischer Organe.
nichtmechanischer Schmerz
• Thoraxschmerzen • Karzinom in der Anamnese • Systemische Kortikosteroide • Drogenabusus • HIV-Infektion • Starke Einschrnkung der LWS-Flexion • Ausgedehnte Neurologie • Strukturelle Deformitt
Klassifikation nach der Größe der Gefäße • Große und mittelgroße Gefäße: Riesenzellarteriitis (Überlappung mit Polymyalgia rheumatica), Takayasu-Arteriitis. • mittelgroße bis kleine Gefäße: klassische Panarteriitis nodosa (cPAN), eosinophile Arteriitis ChurgStrauss, Wegener-Granulomatose, • kleine Gefäße: primäre granulomatöse Arteriitis des ZNS, mikroskopische Polyangiitis (mPAN), Purpura Schoenlein-Henoch, leukozytoklastische Vaskulitis.
Notfallsituationen bei Vaskulitis Nicht nach Größe der Gefäße klassifizierbar • Morbus Behc¸et, Kawasaki-Syndrom, Cogan-Syndrom, • Vaskulitiden im Rahmen einer bekannten Autoimmunerkrankung (rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes, primäres SjögrenSyndrom, systemische Sklerose, Polymyositis/ Dermatomyositis).
Pathophysiologie Entzündungen der Gefäßwände werden durch verschiedene Mechanismen ausgelöst. Zytokine und andere Faktoren fördern die Expression von Adhäsionsmolekülen durch Endothelzellen. Dies erlaubt den Leukozyten, auf ihnen zu rollen und zu haften. In dieser Situation ist vor allem die Intima betroffen. Wenn die Leukozyten durch die Gefäßwand migrieren, dehnt sich die Entzündung auf die tieferen Wandschichten und schließlich auf das perivaskuläre Gewebe aus. Immunkomplexe, Komplement, Antikörper, Phagozyten, T-Lymphozyten und mechanische Faktoren spielen bei der Entwicklung einer Gefäßwandentzündung eine Rolle. Vaskulitiden können assoziiert sein mit Infektionen mit Bakterien, Viren, Pilzen, Neoplasien und Arzneimittelunverträglichkeiten, Kryoglobulinämien, Antiphospholipid-Antikörpern oder KomplementMangel-Syndrom.
Typische Krankheitszeichen
•
• •
An eine Vaskulitis ist immer zu denken bei unerklärtem allgemeinem Krankheitsgefühl, Auffälligkeiten der Haut, Fieber ungeklärter Herkunft, gleichzeitigen Veränderungen an mehreren Organen. Vaskulitische Krankheitszeichen ergeben sich gemäß Organbefall (Tab. 10.4). Bei etablierter Vaskulitis sind im Verlauf Rezidivschübe von Infekten unter Immunsuppression abzugrenzen.
Differenzialdiagnose Primär gilt es, zwischen einem septischen Geschehen und einer entzündlichen Vaskulitis zu differenzieren, da diese Differenzierung entscheidend für die Therapie ist. • Bakterielle Endokarditis (S. 93), Sepsis (S. 265), • hämorrhagische Diathesen, DIC (S. 216, 227),
• • • •
377
Vorhofmyxome, Atheroembolien (Cholesterinkristalle, Kalziumaggregate), Intoxikation mit vasoaktiven Substanzen (ergotaminhaltige Präparate, Kokain), i. v. Drogenabusus (Phlebitiden, Embolien).
Notfallanamnese
• •
• •
Zeitlicher Verlauf der aktuellen Symptomatik, Grunderkrankung, Art der früheren Manifestationen, bisherige Medikation, Symptome vor der jetzigen Episode: virale Infekte, HNO-Symptome (Wegener-Granulomatose), Pleuroperikarditiden, Ischämiesymptome (ZNS, Herz, Abdomen), zentrale Paresen, Mononeuritis multiplex (Beteiligung peripherer Nerven mit sensiblen und/oder motorischen Paresen bei Morbus Wegener oder Panarteriitis nodosa), Hautsymptome, Photosensitivität, Raynaud-Phänomen neu aufgetreten, Alopezie (SLE), Augenund Mundtrockenheit (Sjögren-Syndrom, SLE), neue Kopfschmerzen, Kau-Claudicatio, Kopfhautüberempfindlichkeit, Steifigkeit/Schmerzen in Nacken/Schultern und Beckengürtel (Riesenzellarteriitis).
Notfalluntersuchung Klinik Die klinische Untersuchung soll die involvierten Organe identifizieren. Es sind somit die entsprechenden klinischen Zeichen zu suchen für (Tab. 10.4): • Hautbefunde (Livedo reticularis, Exantheme, Papeln, Ulzerationen/Nekrosen) (Abb. 10.7 u. Abb. 10.8, Farbtafel XXI) und Schleimhautmanifestationen (Aphthen, Ulzerationen, auch genital), • Nierenbefall, • Pleuroperikarditiden, Pneumonie, • Myokarditis (Rhythmusstörungen, Herzinsuffizienz), • HNO-Affektionen (Sinusitiden, Nekrosen), • Augenbefall (rotes Auge, Fundusveränderungen), • ZNS-Befall und Symptome des peripheren Nervensystems (Kognition, Paresen), • Verschlüsse/Stenosen großer Gefäße, Druckdolenzen und Verhärtungen (A. temporalis bei Riesenzellarteriitis), Seitendifferenz des Blutdrucks, Rechtsherzinsuffizienz, Thrombosen,
378
Rheumatologie
Tabelle 10.4 Organvernderungen als Hinweis auf Vaskulitis.
10
Haut
Hypermie des Nagelfalzes, „Splinterhmorrhagien“ im Nagelbett als Ausdruck der Kapillarischmie, Fingerkuppennekrosen, palpable Purpura am Unterschenkel, Vernderungen an Ellenbogenspitzen, Livedo racemosa, scharf begrenzte Ulzera besonders der Unterschenkel, Lsionen an druckexponierten Stellen
Nervensystem
Mononeuritis multiplex, socken- oder handschuhfçrmige Hyp- und Parsthesien an den Extremitten (Panarteriitis, Wegener) ZNS: Migrne, Depression, Epilepsie, fokale Ausflle; Rckenmark: Lhmungen
Magen-Darm-Trakt
Abdominalschmerzen, blutiger Stuhl (besonders bei Panarteriitis nodosa und Vaskulitis bei rheumatoider Arthritis)
Herz
Perikarditis, Myokarditis, Rhythmusstçrungen, Koronarinsuffizienz (Riesenzellarteriitis, Panarteriitis)
Nieren
nephritisches oder nephrotisches Urinsediment, Niereninsuffizienz erst im fortgeschrittenen Stadium
Lungen
pneumonische Symptomatik, Pleuritis, Asthma (Churg-Strauss), Infiltrate (kavernçs: Morbus Wegener)
HNO-Bereich
blutige Rhinitis mit Krusten, Sinusitis, Laryngitis (Morbus Wegener)
Augen
Kopfschmerzen, Okklusion der A. centralis retinae (Riesenzellarteriitis), vaskulitische Fundusvernderungen, Uveitis, Episkleritis (Morbus Wegener)
Bewegungsapparat
Arthralgien, Arthritiden, Myalgien, Myositiden
Genitale
rezidivierende Frhaborte (Antiphospholipid-Syndrom), Hodenschmerzen bei Palpation (Panarteriitis)
Gefäßsystem
neue Verschlsse oder Stenosen peripherer Arterien bei jngeren Patienten (Takayasu) oder bei lteren Patienten (Riesenzellarteriitis im Kopf-Hals-Bereich)
• • • •
Myositis: Kraftverlust, Aufsitzen in den Langsitz aus dem Liegen ohne Abstützen möglich? Kraft der proximalen Extremitäten vermindert? Synovitiden der Gelenke, Hodenschmerz bei Palpation, Fieber.
Diagnostik Die weitere Diagnostik soll Art und Ausmaß des Organbefalls erfassen und andere Ursachen (Infektionen) ausschließen, damit rasch (spätestens innerhalb von 24 h nach Aufnahme) zur Rettung befallenen Gewebes und zur Verhütung weiterer Organschäden die adäquate Therapie begonnen werden kann. Weiterführende interdisziplinäre Abklärungen und Vorgehen nach Tab. 10.5 sind empfehlenswert.
Muskelbiopsie. Bei Panarteriitis-nodosa-Verdacht und Mononeuritis multiplex ist zur Diagnosesicherung eine (tiefe) Biopsie der Wadenmuskulatur und des N. suralis vorzusehen, bei Abdominalsymptomatik evtl. ein Mesenterialarterienangiogramm. Bei primärer Myositis mit Schwäche der proximalen Extremitätenmuskulatur gehören eine CK-Bestimmung, ein EMG und u. U. eine Muskelbiopsie involvierter Areale zum Abklärungsgang. Dopplersonografie. Bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis sollte der hintere Ast der A. temporalis dopplersonografisch identifiziert, ein extra-/intrakranieller Shunt über die A. temporalis ausgeschlossen und die Entnahmestelle für eine Biopsie markiert werden (s. „Besondere Merkpunkte“).
Notfallsituationen bei Vaskulitis
379
Tabelle 10.5 Abklrungen bei Verdacht auf systemische Vaskulitis. Organe
Klinik
Weitergehende Untersuchungen
Biopsie
Blutgefäße
Seitendifferenz Pulse/ Blutdruck, Ektasien/Aneurysmata, Druckdolenzen, Phlebitis/Thrombophlebitis
Dopplersonografie
A. temporalis (vorher Dopplersonografie), N. suralis
Haut, Schleimhaut
Erytheme, Exantheme, Pustulosis, Ulzerationen
evtl. Abstrich, Kultur
(Stanz-)Biopsie
Augen
Konjunktivitis, Episkleritis, Protrusio
Fundoskopie, Fluoreszenzangiografie, evozierte Potenziale
Nervensystem
Par- und Dyssthesien, Paresen, Mononeuritis multiplex, ZNS-Zeichen
MRT des Schdels mit KM, Liquorpunktion, evtl. Angiografie
Obere Atemwege
Schleimhautlsionen, Sinusitis
Rçntgen (evtl. CT), Endoskopie, Abstrich, Kultur
tiefe Biopsie Ulkusgrund
Thorax
Hmoptyse, Pleuritis, Perikarditis, respiratorische Insuffizienz, Herzinsuffizienz
Rçntgen (evtl. CT), EKG, Echokardiografie, Bronchoskopie
bronchoskopisch
Abdomen
Angina abdominalis, Diarrhç, Peritonismus, Ileus
Rçntgen, Sonografie, evtl. CT oder Angiografie, Endoskopie, Hmoccult
endoskopisch
Nieren
Hmaturie, deme
Sonografie, Clearance
Feinnadelbiopsie
Gelenke, Muskeln
Arthralgie/Arthritis, Myalgie, proximale Schwche
Rçntgen, Punktion, Sonografie, evtl. EMG
Muskelbiopsie, evtl. kombiniert mit N. suralis
Infektion/Neoplasie
Lymphknotenstationen
Sonografie
evtl. Biopsie
Labor CRP, BSG, Hmatologie inkl. Differenzialblutbild, Kreatinin, Harnsure, Leberenzyme, Albumin, Protein, Immunglobuline, CK, CK-Isoenzyme, Blutkulturen, ANCA (c und p, Immunfluoreszenz und ELISA), antinuklere Antikçrper (wenn positiv anti-dsDNA, ENA-Screen), Rheumafaktoren, Anti-CCP-(cyclisch citrullinierte Peptide)Antikçrper, Anticardiolipin-IgG und -IgM, Gerinnungsstatus, Blutgase, Urinstatus, Urinkultur (bei Bedarf Einmalkatheter bei Frauen), Frischurinsediment (glomerulre Erythrozyten, Zylinder?), Kreatinin-Clearance, Eiweißausscheidung im Urin
Therapie Notfallmanagement Im Prinzip ist möglichst rasch die Indikationsstellung für einen Therapiebeginn mit Glukokortikoiden zu erarbeiten. Sobald ein anderweitiges Geschehen (Infektion) ausgeschlossen ist und die Diagnose
einer Vaskulitis gestellt ist, kann mit einer Immunsuppression begonnen werden. Glukokortikoide • Hoch dosiert: Prednison, bei bedrohlichen Situationen (ZNS, Augen, Herz, Lunge, Abdomen, Niere, bei drohenden Fingernekrosen) 1 mg/kg KG Anfangsdosis (einzelne Morgendosis oder aufgeteilt auf ca. 2⁄3 morgens und 1⁄3 abends). Nach Re-
380
• •
10
Rheumatologie
mission vorsichtige Dosisreduktion um jeweils rund 1⁄4 der Dosis wöchentlich innerhalb von 4 Wochen unter entsprechender klinischer und Laborkontrolle (Cave! Rebound-Effekt) (EG-C). Evtl. an 3 aufeinanderfolgenden Tagen Methylprednisolon i. v. (500 – 1000 mg in 250 ml NaClKurzinfusion) als rasch wirksame Einleitung (EG-C). Niedrig dosiert: bei nicht bedrohlicher Situation, besonders bei der rheumatoiden Arthritis, 7,5 – 15 mg/d Prednison (konstante Dosierung notwendig, da ein Dosiswechsel und auch eine neue hoch dosierte Glukokortikoidbehandlung bei seropositiver rheumatoider Arthritis eine Vaskulitis auslösen können) (EG-D).
Immunsuppressiva • Wirkungseintritt unter Cyclophosphamid (bei täglicher Gabe) nach 5 – 10 Tagen, bei anderen Immunsuppressiva nach mehreren Wochen. Bei der Wegener-Granulomatose und anderen nekrotisierenden Vaskulitiden Cyclophosphamid 2 mg/kg KG/d p. o., als Alternative kann Cyclophosphamid in gleicher Dosierung i. v. gegeben werden (EG-C). • Später im Verlauf nach Induktion einer Remission oder bei nicht lebensbedrohlichen Zuständen Azathioprin 2,5 mg/kg KG/d p. o. oder Methotrexat niedrig dosiert 1×/Woche p. o. oder parenteral (EG-C).
Weitere Maßnahmen
• •
Bei arterieller Hypertonie Optimierung des Blutdrucks: ACE-Hemmer, Diuretika, retardiertes Nifedipin usw. Evtl. Thrombozytenaggregationshemmer, z. B. Azetylsalizylsäure 325 mg/d, zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse oder bei Thrombosen orale Antikoagulation (EG-B).
Besondere Merkpunkte Biopsien von A. temporalis, Niere, Muskel oder Nerven müssen nicht notfallmäßig erfolgen, sie können auch 1 – 8 Tage nach Beginn der Therapie durchgeführt werden. Im akuten Zustand sind Vaskulitiden durch Kortikosteroide immer günstig zu beeinflussen.
10.5 Gelenkkapselruptur des Knies („Baker-ZystenRuptur“) Definition und Einteilung Die Ruptur einer Gelenkzyste ist meist nur am Kniegelenk von Bedeutung. Bei intraartikulärer Ergussbildung infolge degenerativer Erkrankungen, Trauma, entzündlicher Grunderkrankung (Anfangsstadium einer chronischen Polyarthritis) oder stärkerer Belastung kann eine dorsale Protrusion der Gelenkkapsel entstehen. Diese ist in der Kniekehle als Baker-Zyste palpabel, die vor allem Venen komprimieren kann.
Pathophysiologie Ruptur der Baker-Zyste, Austreten des entzündlichen Ergusses mit hochaktiven synovialen Enzymen in die Wadenweichteile.
Typische Krankheitszeichen
• Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • •
Enge Überwachung der klinischen Symptomatik (Cave! rapide Verschlechterung der pulmonalen, renalen und evtl. der neurologischen Situation), initial tägliche Kontrollen der Entzündungsparameter, des Blutbildes, der Leber- und Nierenparameter, geringe Schwelle für weitere Abklärungen, z. B. radiologische Kontrollen des Thorax bei Lungenbeteiligung bzw. bei Infektverdacht, Kontrollen der Glukose und des Blutdrucks unter Glukokortikoiden.
• •
Akute Wadenschwellung bis in die Fußgegend, bei entzündlichen Ergussbildungen Überwärmung und Rötung, evtl. akutes Kompartmentsyndrom, Lokalbefund nicht von einer tiefen Wadenvenenthrombose zu unterscheiden, Erguss im Kniegelenk mit tanzender Patella.
Differenzialdiagnose
• •
Tiefe Wadenvenenthrombose (S. 67), lokaler Infekt (Erysipel, Abszess) (S. 277).
Gelenkkapselruptur des Knies („Baker-Zysten-Ruptur“)
Notfallanamnese
Therapie
•
•
• •
Popliteale Schwellung, akute Schmerzen und Schwellung der Wade, vorangehende Beschwerden, Verletzungen des Knies, Allgemeinsymptome, Infektzeichen.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion und Palpation. Kniegelenkerguss, Beurteilung subkutaner Venen auf Stasezeichen, Thrombosezeichen, Zeichen der Rechtsherzinsuffizienz. Eintrittspforten für bakterielle Erreger, Erythem, inguinale Lymphknoten. Auskultation. Pleurareiben, Infarktpneumonie.
Diagnostik Labor. Leukozytose, Linksverschiebung, CRP, D-Dimere. Bei akuter Arthritis Abklärung wie oben aufgeführt. Farbdopplersonografie. Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose, ggf. einer Beckenvenenthrombose. Röntgen. Thoraxbild bei Verdacht auf systemische Genese (z. B. Sarkoidose).
• • •
381
Hochlagern, elastische Binde Fuß/Unterschenkel, Ruhigstellung je nach Schmerz, evtl. nur Teilbelastung des Kniegelenks (EG-D). Entlastungspunktion des Knies, evtl. intraartikuläre Glukokortikoide (Methylprednisolon 40 mg) (EG-D). Behandlung der zugrunde liegenden Gelenkaffektion (EG-D). Falls wegen der Immobilisation indiziert, niedermolekulare Heparinprophylaxe.
Besondere Merkpunkte Das Unterschenkelödem bildet sich innerhalb von 1 – 2 Wochen ohne weitere Maßnahmen zurück, selten sekundäre Ausbildung einer Wadenzyste.
382
11 Neurologie
Übersicht 11 11.1 11.2 11.3 11.4
11
11.5 11.6 11.7 11.8 11.9
11.10 11.11
Neurologie Schlaganfall Spontane Subarachnoidalblutung Chronisch subdurales Hämatom Thrombosen intrakranieller Venen und Sinus Intrakranielle Drucksteigerung Epileptischer Anfall/Epilepsien/ Status epilepticus Akute idiopathische Polyradikulitis (Guillain-Barré-Syndrom, GBS) Wernicke-Enzephalopathie (Wernicke-Korsakow-Syndrom) Isolierte Nervenausfälle, Entrapment-Syndrome – Allgemeines – Periphere Fazialisparese (VII. Hirnnerv) – N. trigeminus (V. Hirnnerv) – N. oculomotorius (III. Hirnnerv) – Armplexusparesen – N. medianus (Karpaltunnelsyndrom, CTS) – N. ulnaris – N. radialis – Beinplexusparesen – N. femoralis – N. cutaneus femoralis lateralis (Meralgia paraesthetica) – N. ischiadicus, N. peronaeus und N. tibialis Akuter spinaler Prozess (nichttraumatisches Querschnittssyndrom) Schwindel
11.1 Schlaganfall P. Lyrer
Definition und Einteilung Schlaganfall oder Hirnschlag. Der Schlaganfall (engl. „stroke“) ist eine fokale neurologische Ausfallserscheinung infolge einer umschriebenen Störung der zerebralen Durchblutung. Schlaganfall und transitorisch ischämische Attacke (TIA). Bestehen die Symptome länger als 24 Stunden, spricht man von einem Schlaganfall, bei einer Dauer < 24 Stunden von einer TIA. Karotideale und vertebrobasiläre Syndrome. Für die Notfallbeurteilung ist die Unterscheidung in karotideale und vertebrobasiläre Syndrome sinnvoll. Bei den karotidealen Infarkten werden Territorialinfarkte (Verschluss des Hauptstamms der A. cerebri media oder der A. carotis interna) von Partialinfarkten (Verschluss distaler Gefäßäste) unterschieden. Aufgrund ihrer spezifischen Symptomatik und Pathogenese werden lakunäre Syndrome abgegrenzt. Diese entstehen durch Infarkte infolge Okklusion kleiner penetrierender zerebraler Arterien, die zur Entstehung von pathologisch-anatomisch erkennbaren Lakunen führen. Häufigkeit. Die Häufigkeiten der verschiedenen Infarkte mit den entsprechenden klinischen Syndromen verteilen sich wie folgt: 17 % ausgedehnte Infarkte im karotidealen Kreislauf (TACS = total anterior circulation syndrome), 34 % partielle karotideale Syndrome (PACS = partial anterior circulation syndrome), 24 % vertebrobasiläre Syndrome (POCS = posterior circulation syndrome) und 25% lakunäre Syndrome (LACS = lacunar circulation syndrome).
Schlaganfall
Pathophysiologie Ätiologisch liegt 85% der Schlaganfälle eine Ischämie (lokale Minderung der zerebralen Perfusion), in 15% eine Blutung (Hämorrhagie) zugrunde. Ursachen der Ischämie • Embolische Infarkte durch arterioarterielle Embolien (z. B. bei hochgradiger Stenose der A. carotis interna), kardiogene Embolien (z. B. bei Vorhofflimmern, Vorderwandinfarkt) oder durch Embolisation atheromatöser Plaquebestandteile (z. B. bei Aortensklerose). • Arteriosklerotisch thrombotisch bedingte Gefäßverschlüsse. • Lakunäre Infarkte bei zerebraler Mikroangiopathie. • Hämodynamisch bedingte Endstrom- oder Grenzzoneninfarkte (bei Stenosen großer extrakranieller Hirnarterien). • Selten: Vaskulitiden, Gerinnungsstörungen, Hyperviskosität oder Dissektion großer zerebraler Arterien. • Kann die Infarktursache trotz eingehender Diagnostik nicht ermittelt werden oder kommen mehrere Ursachen infrage, spricht man von fokaler zerebraler Ischämie „unbestimmter Ätiologie“. Sind alle Untersuchungen unauffällig, wird der Begriff „kryptogenetischer Hirnschlag“ verwendet. Ursachen der Hämorrhagie • Häufig hypertensive Stammganglienblutungen aufgrund einer Ruptur von penetrierenden Arterien. Pathogenetisch besteht eine Lipohyalinose oder hyaline Nekrose als Langzeitfolge von arterieller Hypertonie. • Subarachnoidalblutungen, meist bedingt durch Ruptur eines Aneurysmas einer intrakraniellen Arterie (s. S. 388).
Typische Krankheitszeichen Eine intrazerebrale Blutung kann klinisch wie ein ischämischer Schlaganfall imponieren und nur durch bildgebende Diagnostik sicher davon abgegrenzt werden. TIA. Die meisten TIA sind aufgrund der anamnestischen Angaben zu diagnostizieren: 70 % der TIA dauern weniger als 60 Minuten. Die Symptome sind somit anlässlich einer folgenden Konsultation meist nicht mehr nachweisbar.
383
Eine TIA kann ein Vorbote eines Hirninfarktes sein. Ein erhöhtes Risiko besteht dann, wenn die Symptome mehr als 10 Minuten andauerten, eine Aphasie oder Hemiparese bestanden, die betroffene Person eine arterielle Hypertonie oder einen Diabetes mellitus aufweist und über 65 Jahre alt ist. Das Risiko, einen Hirninfarkt in den folgenden 3 Monaten zu erleiden, beträgt dann bis zu 25 %. Schlaganfall. Charakteristisch für einen Schlaganfall ist der akute Beginn der Symptome. Häufig ist eine TIA vorangegangen. Die klinischen Zeichen einer zerebralen Ischämie hängen vom betroffenen Gefäßgebiet und dessen Ausdehnung ab. Am häufigsten (mit etwa 60%) ist das Versorgungsgebiet der A. cerebri media betroffen. Anhand des klinischen Befundes kann folgende Einteilung verwendet werden: TACS. Konjugierte Blickabweichung (zur betroffenen Hemisphäre), Plegie und Sensibilitätsausfall des kontralateralen Gesichtes und der Extremitäten, kognitive Defizite wie Aphasie bei Infarkt der sprachdominanten oder Hemineglekt bei Infarkt der nicht dominanten Hemisphäre und eine Hemianopsie zur Seite der gelähmten Extremitäten. PACS. Nur partielle Ausprägung (nur zwei der drei Regionen) des oben beschriebenen TACS, mit kognitiven Einbußen. Häufig ist eine brachiofazial betonte Hemiparese. LACS. Lakunäre Syndrome im karotidealen Versorgungsgebiet führen zu Symptomkombinationen wie: rein motorische Hemiparese, halbseitige Gefühlsstörung, Dysarthrie und Ungeschicklichkeit der Hand oder ataktische Hemiparese. Kognitive Störungen fehlen. POCS. Vertebrobasiläre Infarkte weisen eine Vielfalt von Syndromen auf. Wichtig ist es, mesenzephale, pontine und medulläre Symptome zu erkennen: Schwindel, Bewusstseinsveränderungen, vertikale Blickparese (mesenzephal), Doppelbilder, horizontale Blickparesen (pontin), Nystagmus, Dysarthrie, Ataxie (pontin oder zerebellär), gekreuzte Syndrome (ipsilaterale Hirnnerven- und kontralaterale Extremitätenparese) sowie Tetraparese (medullär). Cave! Gelegentlich sind sie von einem lakunären Syndrom allein klinisch nicht zu unterscheiden. Eine besondere klinische Form stellt das Lockedin-Syndrom dar, bei dem Patienten infolge eines ausgedehnten pontinen Infarktes bei klarem Bewusstsein bis auf eine erhaltene Lidmotorik vollständig gelähmt sein können.
384
Neurologie
Differenzialdiagnose
• • • •
Fokale epileptische Anfälle mit nachfolgender Parese (Todd-Parese) (S. 397). Subarachnoidalblutung, Sinusvenenthrombosen, Hirnabszesse, Hirntumoren, akute Hypoglykämie, chronisches Subduralhämatom (S. 387). Kompressionssyndrome peripherer Nerven (Karpaltunnelsyndrom!) (S. 408). Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten können TIA bei einer Migräne mit Aura bereiten, insbesondere wenn Kopfschmerzsymptome fehlen („Migraine sans Migraine“).
Notfallanamnese
•
11
• •
Erfragt werden sollten neue neurologische Symptome, der zeitliche Ablauf und Hinweise auf frühere zerebrovaskuläre Symptome. Bei Verdacht auf Ischämie im Karotiskreislauf sind einseitige Sehstörungen (Amaurosis fugax oder monokuläres Blendgefühl nach Blick in helles Licht) zu beachten. Ggf. muss eine Fremdanamnese erhoben werden.
Abb. 11.1 Akute intrazerebrale Hämorrhagie. CT des Schdels nativ: akutes intrazerebrales Hmatom mit Ventrikeleinbruch und Mittellinienverlagerung (Aufnahme: Neuroradiologie, Universittsspital Basel).
Notfalluntersuchung Klinik Neurologische Untersuchung • Prüfung der Bewusstseinslage, der Orientierung und wichtiger kognitiver Funktionen: – Aphasie: Störung der Sprachfunktionen, – Neglekt: Vernachlässigung einer Raum- oder Körperhälfte, – Anosognosie: Nichtwahrnehmen der Symptome. • Kopf-Hals-Bereich: Ausschluss eines Meningismus, Auskultation der Karotiden, Untersuchung von Augenmotilität, Gesichtsfeld, Zungenbeweglichkeit, Sprechen, Würg- und Schluckreflex, Gesichtsmuskulatur. • Motorik: Bei der Prüfung der Motorik sollen Paresen (Positionsversuch) und Koordinationsstörungen (Finger-Nase-Versuch, Knie-Hacken-Versuch) erfasst werden. • Sensibilität: Die sensorischen Qualitäten sind auf Ausdehnung von Sensibilitätsstörungen (nur Gesicht oder Extremität, halbseitige Ausdehnung) und deren Qualität (alle sensiblen Qualitäten oder dissoziierte Sensibilitätsstörung) zu prüfen.
Kardiologisch/internistische Untersuchung. Um prädisponierende Faktoren wie Arrhythmien, Herzgeräusche, Fehlen von peripheren Pulsen bei systemischen Embolien, eine arterielle Hypertonie und Infekte zu erfassen, ist eine ausführliche internistische Untersuchung notwendig.
Diagnostik Labor. Elektrolytveränderungen (Na, K), Blutzucker, Blutbild, Gerinnungsanalyse und Entzündungsparameter (bis ca. 30 % der Patienten leiden bei Auftreten der Schlaganfallsymptome unter einem Infekt). EKG. Myokardinfarkt, Rhythmusstörung? Röntgen-Thorax. Herzgröße, Herzerkrankung? CT. Die notfallmäßige Schädel-CT (ohne Kontrastmittel) ist notwendig, um intrakranielle Blutungen (Abb. 11.1) und Frühzeichen des zerebralen Infarktes festzustellen, das Alter eines Infarktes einzuschätzen und frühere, evtl. auch asymptomatische Infarkte zu erkennen (Abb. 11.2). Sofern verfügbar, kann eine CT-Perfusionsmessung schwer- von leichtgradig perfusionsgestörten Arealen abgrenzen und so die Prognose einer Thrombolysetherapie abschätzen helfen.
Schlaganfall
Abb. 11.2 Akuter Hirninfarkt. CT des Schdels nativ: akuter Infarkt im Versorgungsgebiet der A. cerebri media (Pfeile), ltere Infarkte parietookzipital bds. (Grenzzonengebiet) und im Marklager rechts bei hochgradigen Karotisstenosen bds. (Aufnahme: Neuroradiologie, Universittsspital Basel).
MRT. Es ist nicht notwendig, bei allen Patienten systematisch in der Notfallsituation eine MRT durchzuführen. Bereits wenige Minuten nach Auftreten der Symptome sind Zonen fokaler zerebraler Ischämie aufgrund der gestörten Diffusion nachweisbar. Die Perfusion kann ebenfalls mittels MRT abgeschätzt werden und in Relation zur Diffusionsstörung gebracht werden. Bei Patienten mit TIA ist die MRT diagnostisch besonders hilfreich, da bei Nachweis einer Läsion in der Diffusionswichtung ein erhöhtes Hirnschlagrisiko besteht und die diagnostische Sicherheit im Hinblick auf die Pathogenese der Symptome erhöht wird (Abb. 11.3). Sonografie. Hämodynamisch wirksame Stenosen der Hirnarterien können bereits im Akutstadium mittels extrakranieller und transkranieller Dopplerund Duplexsonografie mit hoher Sensitivität erkannt werden.
385
Abb. 11.3 Magnetresonanztomografie bei TIA. Diffusionsgewichte Abbildung des Gehirns. Zustand nach transitorisch ischmischer Attacke mit Nachweis einer rechts hochfrontalen Diffusionsstçrung als Ausdruck einer fokalen zerebralen Durchblutungsstçrung (Aufnahme: Neuroradiologie, Universittsspital Basel).
Therapie Notfallmaßnahmen Das Ziel ist eine möglichst rasche Rekanalisation okkludierter Hirnarterien. • Venöser Zugang zur Hydratation: Infusion von 1000 – 1500 ml 0,9 % NaCl/d ohne Zusätze oder Ringer-Lösung (kein freies Wasser) (EG-D). • Bei Aspirationsgefahr nüchtern lassen, umgehende Abklärung der Schluckfähigkeit. • Eine Hypoxie erfordert die Gabe von Sauerstoff und bei eingeschränktem Bewusstsein ggf. assistierte Beatmung. • Hypertensive Blutdruckwerte bei Ischämie sollen nicht gesenkt werden, sofern Werte von 130 mmHg Mitteldruck oder 220 mmHg systolisch nicht überschritten werden (EG-D). – Bei Therapienotwendigkeit: Labetalol p. o. (Beginn mit 2 – 3 × 100 mg/d) oder Labetalol parenteral (in Fraktionen von 5 – 10 mg i. v.), alternativ Captopril (2 – 3 × 6,25 – 25 mg/d) oder Candesartan 8 – 16 mg/d (EG-C) oder transder-
386
Neurologie
Tabelle 11.1 Kontraindikationen fr Thrombolyse bei akutem ischmischem Hirnschlag.
•
• Symptombeginn mehr als 3 h vor mçglichem Therapiebeginn
• Intrazerebale oder intrakranielle Hmorrhagie in der Bildgebung
• Ausdehnung der frhen Infarktzeichen in der
Bildgebung > 1⁄3 des vermuteten Versorgungsgebietes der A. cerebri media
• Rasch regrediente Symptome oder geringes neurologisches Defizit
• Schdeltrauma oder Hirnschlag innerhalb der
•
letzten 3 Monate
• Herzinfarkt innerhalb der letzten 3 Monate • Blutung gastrointestinal oder urogenital innerhalb der letzen 21 Tage
• Großer operativer Eingriff innerhalb der letzten 14 Tage
11
•
• Anamnese von intrazerebraler Blutung • Blutdruck systolisch > 185 mmHg oder diastolisch > 110 mmHg
•
Offensichtliche Blutung oder klinische Hinweise auf akutes Trauma in der klinischen Untersuchung (Cave! Patienten nach Sturz!)
• Orale Antikoagulation mit INR ‡ 1,5 • Einsatz von Heparin innerhalb der letzten 48 h
Weitere Maßnahmen
•
mit verlngerter PTT
• Blutzuckerwert < 2,7 mmol/l
•
• • •
males Nitroglyzerin 10 mg/d unter wiederholter engmaschiger BD-Kontrolle. – Cave! Eine übermäßige Blutdrucksenkung kann die spontane Rückbildung der Symptome nachhaltig beeinträchtigen (EG-C). Bei intrakranieller Hämorrhagie: vorsichtige Blutdrucksenkung. Blutdrucklimits sind individuell anzupassen. Eine arterielle Hypotonie ist selten und meist Folge einer Hypovolämie. Nach Ausschluss einer Hämorrhagie im CT: Thrombozytenaggregationshemmer (Azetylsalizylsäure 300 mg/Tag p. o.) (EG-A). Die systemische i. v. Heparinisierung ist – nach Ausschluss einer Blutung – speziellen Indikationen vorbehalten: bei rezidivierenden kardiogenen Embolien (z. B. nach Myokardinfarkt), bei hochgradigen Stenosen der großen Hirnarterien oder bei progressiver zerebraler Ischämie („progressive stroke“), Hirnvenenthrombose (s. S. 391), Basilaristhrombose, Karotisdissektion (EG-B).
Systemisch applizierter rekombinanter Plasminogenaktivator (rt-PA) kann bis 3 h nach Symptombeginn bei zerebraler Ischämie im Karotiskreislauf eingesetzt werden (EG-A). rt-PA wird in einer Dosis von 0,9 mg/kg KG eingesetzt und nach einem initialen Bolus als Infusion über 1 h verabreicht (10% der Dosis als Bolus in den ersten 2 min). Die Therapie kann zu intrakraniellen Hämorrhagien führen und sollte nur in Zentren verabreicht werden, die über die entsprechende Expertise verfügen. Kontraindikationen zeigt Tab. 11.1. Intraarterielle Thrombolyse mit Urokinase (bzw. Pro-Urokinase) kann bis 6 h nach Symptombeginn eingesetzt werden (EG-A). Ihr Einsatz ist an entsprechend ausgerüstete Zentren gebunden. Bei Thrombose der A. basilaris ist diese Therapieform Mittel der ersten Wahl (EG-B). Patienten mit TIA sollen hospitalisiert werden, wenn sie aufgrund der Untersuchungen ein erhöhtes Hirnschlagrisiko (s. o.) aufweisen. Das Ziel ist eine rasche pathogenetische Abklärung und die möglichst rasche Einleitung präventiver Maßnahmen.
•
• •
•
Überwachung der Vitalfunktionen: BD, Puls-, und EKG-Monitoring sowie Pulsoxymetrie stündlich in den ersten 24 h; in den folgenden 24 h alle 3 h, wenn keine Komplikationen auftreten. Flüssigkeitsbilanz. Regelmäßige Kontrolle des neurologischen Befundes, um eine Progredienz der Symptome und Vigilanzminderung zu erfassen. Bei Symptomverschlechterung bei normo- oder hypotonen Blutdruckwerten: insbesondere bei Patienten mit hochgradigen Stenosen oder Vasospasmen evtl. Hämodilution als empirische Therapie (EG-D). Thromboseprophylaxe (EG-A): grundsätzlich niedermolekulares Heparin (Dalteparin 2500 IE s. c. 1 ×/d, Nadroparin 2850 IE s. c. 1 ×/d oder Enoxaparin 40 mg 1 ×/d s. c.). Physiotherapie: passives/aktives Bewegen der Extremitäten, Anlegen von Kompressionsstrümpfen. Bettruhe, solange die neurologischen Symptome fluktuieren (EG-D), nachfolgend vorsichtige Mobilisation koordiniert mit Therapieteam unter BD-Kontrolle; Lagerung, z. B. nach Bobath-Konzept; darüber hinaus Logopädie und Ergotherapie. Blasenkatheter: Legen eines Blasenkatheters nur bei Bewusstseinstrübung, Retentionsblase oder Inkontinenz.
Spontane Subarachnoidalblutung Weitere Diagnostik • Neurovaskuläre Ultraschalluntersuchung: mit Doppler- und Duplexsonografie (extra- und intrakranielle Arterien). • Weitere bildgebende Verfahren: je nach klinischer Fragestellung. • EEG: zur Differenzialdiagnose epileptischer Anfälle. • Langzeit-EKG, Echokardiografie (transthorakal, transösophageal): zum Nachweis von Herzrhythmusstörungen und kardialen Emboliequellen. • Erweiterte Labordiagnostik: Vaskulitis-Screening (C-reaktives Protein, antinukleäre Antikörper etc.), Gerinnungsanalysen (Hyperkoagulabilität?), metabolische Störungen (Ausschluss eines Diabetes mellitus und von Kollagenosen). Therapie neurologischer Komplikationen • Bei progressiven neurologischen Symptomen nach Ausschluss einer Blutung: Antikoagulation mit 1000 IE Heparin i. v./h (Initialbolus 5000 IE Heparin i. v.) unter engmaschiger Kontrolle des Blutdruckes (EG-C). • Hirnödem und intrakranieller Druckanstieg erreichen ihr Maximum nach 3 – 5 Tagen. Therapieoptionen bei klinischer Verschlechterung: – Osmotherapie mit Mannitol 0,25 – 0,5 g/kg KG i. v. über ca. 20 min, bis 6-stündlich, unter Kontrolle der Serumosmolarität (oberer Grenzwert 320 mosm/l). – Hyperventilation nur in Ausnahmefällen wegen Gefahr einer zerebralen Perfusionsminderung durch Vasokonstriktion. – Ventrikeldrainage bei Hydrozephalus. – Als u. U. lebensrettende Maßnahme bei zerebellären Infarkten ist die Kraniotomie zur Entlastung des Hirnstammes zu erwägen. Die Kraniotomie kann auch bei ausgedehnten supratentoriellen Infarkten zur Druckentlastung vorgenommen werden. – Bei hämorrhagischer Transformation oder Hämatombildung kann die chirurgische Evakuation erforderlich sein. • Bei epileptischen Anfällen (s. a. S. 398): Antikonvulsiva bei wiederholten epileptischen Anfällen: Valproat (1000 – 1800 mg/d, nach initialer Aufsättigung individuelle Dosisanpassung anhand von Konzentrationsmessungen) oder Carbamazepin (600 – 800 mg/d). Hoch dosierte Initialbehandlung nur bei häufigen Anfällen (Anfallserie) oder Status epilepticus. Keine antiepileptische Prophylaxe.
387
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Stroke Unit. Die initiale Behandlung und Überwachung in einem Intensivbereich ist zu empfehlen. Die Behandlungsergebnisse bei der Betreuung von Schlaganfallpatienten durch ein spezialisiertes Team unter Anwendung eines Behandlungsalgorithmus (sog. Stroke Unit) sind langfristig besser als eine nicht konzeptualisierte Abklärung und Therapie (EG-A).
Besondere Merkpunkte
•
•
Entscheidend ist die frühe Verhinderung von Komplikationen. Der Behandlungserfolg wird durch die Berücksichtigung aller Maßnahmen garantiert, wie: Vermeidung unnötiger Blutdrucksenkungen, frühe Infektbehandlung und Hydrierung. Es ist zu beachten, dass manche Schlaganfallpatienten ihre Beschwerden wie Durst, Schmerzen, Angst wegen kognitiver Defizite nicht mitteilen können.
11.2 Spontane Subarachnoidalblutung P. Lyrer
Definition und Einteilung Eine Subarachnoidalblutung (SAB) ist die Folge einer Hämorrhagie in den Subarachnoidalraum. Es werden 5 Schweregrade (nach Hunt/Hess) unterschieden: • Grad I: Kopfschmerzen, leichter Meningismus. • Grad II: mäßige bis starke Kopfschmerzen, deutlicher Meningismus, Hirnnervenparesen, ansonsten keine schwergradigen neurologischen Ausfälle. • Grad III: Somnolenz, kognitive Einschränkungen, fokal-neurologische Symptome. • Grad IV: Hemiparese oder -plegie, vegetative Dysregulation, soporöser Zustand. • Grad V: Koma, Streckspasmen. Cave! Meningismus kann bei steigendem Schweregrad fehlen!
388
11
Neurologie
Pathophysiologie
Notfallanamnese
Sakkuläre Aneurysmen. Häufigste Ursache sind rupturierte sakkuläre Aneurysmen mit Veränderung der Lamina elastica und der muskulären Tunica media der intrakraniellen zerebralen Arterien. Auch arteriosklerotische, traumatische oder mykotische dissezierende Aneurysmen sowie Sinusvenenthrombosen können eine Subarachnoidalblutung verursachen. Lokalisationen. Häufigste Lokalisation sakkulärer Aneurysmen ist die A. communicans anterior (34%), gefolgt von der A. carotis interna supraklinoidal (26%), der A. cerebri media (17%), der A. cerebri anterior (5 %) und den vertebrobasilären Arterien (3 %). Eine besondere Form stellt die perimesenzephale Blutung dar, bei der Blut in die präpontinen und perimesenzephalen Zisternen eintritt und bei der in der Regel angiografisch ein Aneurysma nicht nachgewiesen werden kann. Es wird postuliert, dass diese Art der SAB durch eine venöse Blutung bedingt ist.
•
Typische Krankheitszeichen Leitsymptom. Leitsymptom ist der akut auftretende, intensive, oft okzipital betonte Kopfschmerz mit nachfolgender Nackensteifigkeit. Weitere Symptomatik. Bewusstseinsminderung unterschiedlicher Ausprägung. Hinzu kommen vegetative Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Tachyoder Bradykardie, arterielle Hypo- oder Hypertonie, Atemstörungen, Schwitzen. Fokal-neurologische Symptome weisen in der akuten Phase auf ein simultanes intrazerebrales Hämatom hin. Warnsymptome. Wichtig ist das Erkennen von Warnsymptomen, die einer ausgeprägten, manifesten SAB vorausgehen: akute Kopfschmerzen („sentinel headache“), kurze Bewusstseinsstörungen und Kollapse sowie fokal-neurologische Symptome, die durch Kompression von Aneurysmen auf neurogene Strukturen verursacht werden. Beispiel: Parese der vom N. oculomotorius innervierten Muskulatur bei einem Aneurysma der A. communicans posterior.
Differenzialdiagnose
• • •
Akute eitrige oder virale Meningitis, Sinusvenenthrombose mit hämorrhagischer Infarzierung, Migräne.
• •
Erstmaliger, heftigster bis vernichtender Kopfschmerz? Kurze Bewusstseinsverluste und Kollapse? Vorausgegangene Synkopen, epileptische Anfälle, fokal-neurologische Symptome oder Kopfschmerzattacken weisen auf frühere SAB hin.
Notfalluntersuchung Klinik Neurologische Untersuchung. Erfassen des Bewusstseinszustandes mittels Glasgow Coma Scale (Tab. 13.5, S. 439; < 8 Punkte entspricht einem Koma), Meningismus, Prüfen des Lasègue-Zeichens, der Okulomotorik, der rohen Kraft der Extremitäten, Erheben von Pyramidenbahnzeichen (Babinski-Phänomen).
Diagnostik CT des Schädels (ohne Kontrastmittel). In der Akutphase der SAB gelingt der Blutungsnachweis in den ersten 12 Stunden in über 95 % der Patienten (Abb. 11.4). Zudem gelingt damit die Dokumentation des Ausmaßes der Blutung, der Nachweis eines Ventrikeleinbruchs, einer intrazerebralen Blutung oder eines Hydrozephalus. Lumbalpunktion. Bei zweifelhaftem oder negativem CT-Befund (z. B. bei verzögerter Abklärung) sollte eine Lumbalpunktion durchgeführt werden (blutiger Liquor in 4 konsekutiven Röhrchen, evtl. xanthochromes Punktat, Messung des Ferritins). Zudem ist an das Labor (Hämatologie!) die Frage nach Siderophagen (Hämosiderin enthaltende Leukozyten im Liquor) zu richten, wobei diese bis zu 4 Wochen nach der SAB nachweisbar bleiben. Angiografie. Bei nachgewiesener SAB rasche zerebrale, konventionelle oder digitale Subtraktionsangiografie, in ausgewählten Fällen auch eine computertomografische Angiografie (Spiral-CT). Diese Untersuchung dient der Diagnosestellung und Planung des operativen Prozedere.
Spontane Subarachnoidalblutung
•
389
Ggf. Revertierung der Effekte von Thrombozytenaggregationshemmern mit Thrombozytenkonzentraten oder von Antikoagulanzien mit den entsprechenden geeigneten Maßnahmen (s. S. 224) (EG-C).
Weitere Maßnahmen
• •
• • Abb. 11.4 Akute Subarachnoidalblutung (SAB). CT des Schdels nativ. Spontane SAB bei Ruptur eines Aneurysmas der distalen A. basilaris. Erkennbar sind die blutgefllten basalen Zisternen und erweiterte Temporalhçrner (Pfeile) der Seitenventrikel bei Okklusivhydrozephalus (Aufnahme: Neuroradiologie, Universittsspital Basel).
Je nach CT- und Angiografiebefund Vorbereitung des Patienten zum operativen Clipping oder zum interventionellen, endoluminalen Coiling des Aneurysmas (EG-A). Prophylaxe oder Behandlung von Vasospasmen mittels Nimodipin 6 × 60 mg/d p. o. (EG-A) und hypervolämische Hypertensivtherapie (Volumenzufuhr und pharmakologische Anhebung des arteriellen Blutdrucks) (EG-C). Bei Patienten, die operiert werden sollen, können Glukokortikoide verordnet werden: Dexamethason 6 × 4 mg/d i. v., Dosisreduktionen in Absprache mit den Neurochirurgen (EG-D). Evtl. Prophylaxe epileptischer Anfälle: Phenytoin (Schnellaufsättigung) 5 mg/kg KG i. v. über 4 h. Anschließend Erhaltungsdosis von 2 × 175 mg/d (2 × 200 mg/d bei Körpergewicht > 70 kg). Bestimmung der Serumkonzentration nach 2 – 3 Tagen (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Therapie Notfallmanagement
• •
•
Bei Hypertonie sollte der Blutdruck auf systolische Werte um 120 – 160 mmHg gesenkt werden, z. B. mit Labetalol i. v. in 5- bis 10-mg-Dosen (bis max. 100 mg). Nimodipin 6 × 60 mg/d p. o. oder per Magensonde (unabhängig vom Blutdruck) (EG-A). Wenn eine perorale Therapie nicht möglich ist: i. v. Therapie mit 15 µg/kg KG/h Nimodipin in der ersten Stunde, dann 30 µg/kg KG/h unter Kontrolle des Blutdrucks. Behandlung des akuten Hydrozephalus: frühzeitige externe Liquordrainage (neurochirurgischer Eingriff mit Ventrikelpunktion und Liquorableitung) zur Verbesserung des reduzierten zerebralen Blutflusses und Herabsetzung der intrakraniellen Drucksteigerung.
• • • • • • •
Bettruhe und Vermeiden äußerer Stimuli, Sedation bei Agitation (z. B. mit Diazepam 5 – 10 mg, Lorazepam 1 – 2 mg i. v. oder Haloperidol 2 – 5 mg i. v.). Blutdruckeinstellung auf systolische Werte von 120 – 160 mmHg. Bei epileptischen Anfällen symptomatische Therapie (s. S. 398). Thromboseprophylaxe ab dem 2. postoperativen Tag mit niedermolekularem Heparin. Analgesie mit Opioiden, z. B. mit Tramadol 3 × 50 mg. Magenulkusprophylaxe mit Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol 1 × 20 mg/d p. o.). Zur Erfassung zerebraler Vasospasmen (fluktuierende Hemiparesen, psychomotorische Verlangsamung, Aphasien, fokale Myoklonien, epileptische Anfälle) ist die transkranielle Dopplersonografie die Methode der Wahl.
390
Neurologie
Besondere Merkpunkte
• • •
Die Mortalität nach einer ersten SAB liegt bei 20%, nach einer 2. Blutung bereits bei 50%. Es ist deshalb entscheidend, Warnsymptome zu erkennen und abzuklären! Patienten mit akuter SAB müssen in eine Klinik verlegt werden, welche über Mittel verfügt, die Blutungsquelle zu eruieren sowie die entsprechende Therapie einzuleiten. Für Patienten mit einem Schweregrad von I – III ist die operative oder endoluminale Behandlung innerhalb von 3 – 4 Tagen nach der Blutung von Nutzen (EG-A).
11.3 Chronisch subdurales Hämatom
11
P. Lyrer
Definition und Einteilung
• •
Ca. 40% haben geringgradige Vigilanzstörungen und fokal-neurologische Symptome wie Hemiparesen und Aphasie. Wenige Patienten sind komatös oder weisen kurzzeitige Symptome wie TIA auf.
Differenzialdiagnose
• • •
Fokale zerebrale Ischämie infolge Stenose großer Arterien, Hirntumor, Hirnabszess, fokale epileptische Anfälle.
Notfallanamnese
• • •
Wenig lokalisierte Kopfschmerzen gepaart mit zunehmender Gebrauchsunfähigkeit der oberen oder unteren Extremität, Müdigkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Frage nach Bagatelltrauma.
Notfalluntersuchung
Venös bedingte, subdurale Hämorrhagie.
Klinik
Pathophysiologie Das chronische Subduralhämatom entsteht durch venöse Blutungen subdural. Wiederholte Mikroblutungen können zum Hämatomwachstum führen. Prädisponierende Faktoren. Chronischer Alkoholismus, Epilepsie, orale Antikoagulation, Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern, Dialyse und drastische Senkung des intrakraniellen Drucks nach Anlage von Liquorshunts. Oft geht ein leichtgradiges Schädel-Hirn-Trauma voraus. Männer sind 3-mal häufiger betroffen als Frauen, und es handelt sich in 80 – 90% um Patienten über 50 Jahre.
Typische Krankheitszeichen Die Symptome sind uncharakteristisch und oft diskrepant zur Ausdehnung des nachgewiesenen Hämatoms: • 20 – 30% der Patienten sind wach und voll orientiert, klagen allenfalls über geringgradige Kopfschmerzen und fokal-neurologische Symptome.
Neurologische Untersuchung. Eingeschränkte Vigilanz. Fluktuierende Hemiparese, gelegentlich gering ausgeprägt, am besten zu erkennen an der Pronationstendenz im Positionsversuch der oberen Extremitäten. Reflexasymmetrien mit kontralateral zur betroffenen Seite betonten oder gesteigerten Reflexen.
Diagnostik CT. Das subdurale Hämatom ist als breitflächige, sichelförmig konfigurierte, extrazerebrale, das Hirn verdrängende Läsion zu erkennen (Abb. 11.5). Gelegentlich sind die Hämatome hypodens, isodens oder weisen gemischte Dichtewerte auf (Abb. 11.6).
Therapie Notfallmanagement
•
Operative Therapie: Bei raumfordernder Wirkung mit Verdrängung des Gehirns (Mittellinienverlagerung) ist die operative Hämatomentleerung die Therapie der Wahl. 80 – 90% der Patienten
Thrombosen intrakranieller Venen und Sinus
Abb. 11.5 Chronisch subdurales Hämatom bds. CT Schdel nativ. Deutlich erkennbar verstrichene Hirnfurchen, die subduralen Hmatome selbst sind hypodens (Aufnahme: Neuroradiologie, Universittsspital Basel).
•
können mit einer Drainage über eine Bohrlochtrepanation behandelt werden (EG-C). Alternativ bei inoperablen Patienten: Dexamethason bis maximal 16 mg p. o./d über mehrere Tage) (EG-D).
Weitere Maßnahmen Bei epileptischen Anfällen Behandlung gemäß den im Kap. 11.6, S. 398 festgehaltenen Richtlinien.
391
Abb. 11.6 Chronisch subdurales Hämatom links. CT Schdel nativ. Ausgedehntes isodenses links parietales Hmatom mit akuten Anteilen (hyperdens), ausgeprgte Raumforderung mit Verlagerung der Mittellinie (Aufnahme: Neuroradiologie Universittsspital Basel).
11.4 Thrombosen intrakranieller Venen und Sinus P. Lyrer
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Definition und Einteilung
•
Unter Sinusvenenthrombosen versteht man die blande oder septische Thrombosierung der großen intrakraniellen venösen Blutleiter.
•
Vermeidung von NSAR (nichtsteroidale Antiphlogistika) (s. Tab. 8.4, S. 234), insbesondere Azetylsalizylsäure (Thrombozytenaggregationshemmung). Blutdruckkontrolle bis zur Operation 1- bis 2-stündlich und ggf. vorsichtige Senkung des Blutdrucks: Zielblutdruck 120 – 160 mmHg systolisch, z. B. mit Labetalol i. v. in 5-mg-Dosen, repetitiv unter Kontrolle des neurologischen Befundes.
Pathophysiologie Die Thrombosierung der venösen Blutleiter führt zu einer Erhöhung des intrakraniellen Drucks und durch Stase zu einer Erhöhung des kapillären Drucks. Dies prädisponiert zu hämorrhagischen Infarzierungen.
392
Neurologie
• •
Auch der zunächst als Pseudotumor cerebri diagnostizierten intrakraniellen Druckerhöhung kann eine Sinusvenenthrombose zugrunde liegen. Septische Sinusvenenthrombosen sind gekennzeichnet durch die infektiöse Grunderkrankung (s. S. 310).
Differenzialdiagnose
• • Abb. 11.7 Fundoskopie. Stauungspapille mit radiren papillren Blutungen und erweiterten pulslosen Venen bei Thrombose eines Sinus transversus (Aufnahme: Augenklinik, Universittsspital Basel).
11
Unterformen. Sind kleinere, zuführende Äste betroffen, spricht man von kortikaler Phlebothrombose. Septische Thrombosen (s. S. 310) entstehen infolge von fortgeleiteten eitrigen Infektionen und sind wesentlich seltener als die blanden Sinusvenenthrombosen. Risikofaktoren. Prädisponierend für die Entstehung zerebraler Venenthrombosen sind: Thrombophilie, Z. n. Entbindung oder Abort, Morbus Behc¸et, Otitis media, Malignom.
Typische Krankheitszeichen
• • • • • •
Die Symptome entwickeln sich meistens subakut, ihr Verlauf ist fluktuierend. Anamnese von Kopfschmerzen, Stunden bis Wochen vor dem Auftreten neurologischer Ausfallssymptome, häufig mit Vomitus. Fokale und sekundär generalisierte epileptische Anfälle. Paresen der Extremitäten, Sehstörungen bis zur Erblindung, Stauungspapillen (Abb. 11.7), Verwirrtheits- und psychotische Zustände sowie Vigilanzstörungen bis Koma. Die Patienten sind afebril, Meningismus ist möglich. Die selteneren Thrombosen der inneren Hirnvenen können unter dem Bild eines dienzephalen Tumors oder einer Thalamusblutung symptomatisch werden.
•
Diese richtet sich nach dem klinischen Erscheinungsbild und reicht somit von der Migräne bis zur intrakraniellen Massenblutung. Bei epileptischen Anfällen ist deren Differenzialdiagnose zu berücksichtigen (s. S. 397). Besondere Differenzialdiagnosen mit unterschiedlichem Therapieansatz bei ähnlichem Krankheitsbild stellen Hirnabszesse (s. S. 310), arterielle kortikale zerebrale Infarkte, Enzephalitis oder Meningoenzephalitis dar.
Notfallanamnese
• • • •
Dauer und Art der Kopfschmerzen? Frühere epileptische Anfälle? Mnestische Episoden als Hinweise für Absenzen (Temporallappenanfälle)? Hinweise auf Mittelohrerkrankungen, Aphthen (Morbus Behc¸et), Gelenkschmerzen, rezidivierende Beinvenenthrombosen, Aborte, kürzliche Niederkunft? Einnahme von Kontrazeptiva? Vorbestehendes Malignom?
Notfalluntersuchung Klinik Neurologische Untersuchung. Zeichen der intrakraniellen Drucksteigerung können mit der Fundoskopie erkannt werden (Abb. 11.7). Erfassen von Bewusstseinsminderung, Verwirrtheitszuständen mit Desorientierung, aphasischen Symptomen, anderen kognitiven Störungen wie visuell-räumliche, apraktische Defizite, Hemianopsie, Hemiparesen oder Reflexasymmetrien, Meningismus und Pyramidenbahnzeichen.
Diagnostik CT. Ödematös verquollene Gyri, vorwiegend temporal und temporookzipital, hämorrhagische Transformationen ödematöser Hirnrindenareale. Gelegent-
Intrakranielle Drucksteigerung lich kann ein sog. „Empty-Delta-Sign“ computertomografisch dargestellt werden, bei dem der Thrombus, von Kontrastmittel umspült, hypodens im distalen Sinus sagittalis superior oder Confluens sinuum erscheint. Im Spiral-CT weisen Kontrastmittelaussparungen in der Darstellung der Sinus auf Thromben hin. MRT. Fehlende Darstellung eines Sinusanteiles und der Nachweis eines Thrombus weisen stark auf eine Sinusvenenthrombose hin. Angiografie. Die Durchführung einer zerebralen Angiografie mit Darstellung der Venen und Sinus muss in Zweifelsfällen erwogen werden. Labordiagnostik. Blutentnahme für umfassende Gerinnungsanalyse (AT III, Faktor-V-Leiden, Protein S und C, Antikardiolipin-Antikörper, Lupus-Antikoagulans, Homocystein etc.). Liquordiagnostik. Die Befunde der Liquoruntersuchung können normal sein. Es können jedoch auch eine Pleozytose, eine Schrankenstörung oder hämorrhagische Veränderungen (besonders bei hämorrhagischer Infarzierung) sowie ein erhöhter intrakanieller Druck nachgewiesen werden.
393
Thrombose, Verlegung zur lokalen Thrombolyse, bei intrakranieller Hämorrhagie zur eventuellen operativen Evakuation, bei Status epilepticus zur assistierten Beatmung.
Besondere Merkpunkte
• • •
Vor Einleitung der Antikoagulanzientherapie sollten alle notwendigen gerinnungsphysiologischen Untersuchungen veranlasst worden sein. Bei ausgedehnten Thrombosen kann die lokale katheterapplizierte intravenöse Fibrinolyse erwogen werden. Die orale Antikoagulation wird über 3 – 6 Monate fortgesetzt. Nach 4 Monaten sind 40 – 90% der thrombosierten Sinus rekanalisiert.
11.5 Intrakranielle Drucksteigerung P. Lyrer
Therapie Notfallmanagement
•
• •
Antikoagulation: zunächst Heparinisierung unter Anwendung einer initialen Bolusinjektion (Heparin 5000 IE i. v.). Steuern der Vollheparinisierung durch Messung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit, im Allgemeinen 1000 – 1200 IE/h per infusionem (EG-B). Später orale Antikoagulation. Epileptische Anfälle: Behandlung gemäß entsprechender Richtlinien (s. Kap. 11.6, S. 398). Schmerztherapie: Paracetamol in genügend hoher Dosierung (3 × 1000 mg/d). Bei ungenügender Wirkung: Metamizol p. o. (bis 4 × 1000 mg/d). Alternativ sind Opioide einsetzbar, z. B. Pethidin 25 – 100 mg i. v. bis 4 ×/d (EG-D).
Weitere Maßnahmen
• • •
Bei Zeichen eines zunehmend erhöhten Hirndrucks sind Maßnahmen gemäß Kap. 11.5 (S. 393) zu ergreifen. Auch bei hämorrhagischer Transformation von Infarktarealen kann die Antikoagulanzientherapie fortgesetzt werden. Verlegung in ein Zentrum: Bei zunehmender Bewusstseinsminderung infolge zunehmender
Definition und Einteilung Die intrakranielle Drucksteigerung ist Symptom und Folgeerscheinung verschiedener neurologischer Erkrankungen, also kein eigenständiges Krankheitsbild. Klinisch-therapeutisch ist die Unterteilung in akute und langsam progrediente Verlaufsformen wichtig.
Pathophysiologie Erhöhter intrakranieller Druck entsteht bei intrakraniellen Läsionen mit Volumenexpansion innerhalb des starren Schädels. Damit verbunden sind Massenverschiebungen von Hirngewebe mit lokaler Druckschädigung von Hirnstamm, Di- und Mesenzephalon sowie abrupt auftretende Phasen zerebraler Mangeldurchblutung bei Absinken des zerebralen Perfusionsdrucks. Eine zerebrale Minderdurchblutung tritt auf, wenn der Perfusionsdruck unter ca. 40 mmHg sinkt (Perfusionsdruck = Blutdruck – intrakranieller Druck). Eine Liquorabflussbehinderung mit akutem Okklusionshydrozephalus kann auch durch erhöhten Hirndruck verursacht werden. Ursachen. Schädel-Hirn-Trauma, intrazerebrale Blutungen, zerebrale und meningeale Tumoren, fokale zerebral-ischämische Läsionen, Sinusvenenthrombose, SAB, hypertensive Enzephalopathie, me-
394
Neurologie
tabolische oder entzündliche zerebrale Erkrankungen, Okklusivhydrozephalus (z. B. bei Aquäduktstenose, Tumor oder Blutung im III. oder IV. Ventrikel), Zustand nach generalisierter zerebraler Hypoxie (z. B. nach Herzstillstand, schwergradiger Hypoglykämie oder CO-Intoxikation) und auch Pseudotumor cerebri (charakterisiert durch eine allgemeine Hirnschwellung, über 15 mmHg erhöhten intrakraniellen Druck und Papillenödem ohne Vorliegen einer intrakraniellen Raumforderung).
Notfallanamnese
• •
Ungewöhnliche, konstante, ggf. lageabhängige Kopfschmerzen? Nausea? Schwallartiges Erbrechen?
Notfalluntersuchung Klinik
Typische Krankheitszeichen
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11 •
•
•
•
Frühsymptome: unspezifische Beschwerden, Kopfschmerzen, Visusstörungen infolge von Stauungspapillen, Übelkeit, selten schwallartiges Erbrechen (vorwiegend bei Lagewechsel) und Verwirrtheit. Bei einer Läsion der hinteren Schädelgrube treten heftige Kopfschmerzen, Nausea, Erbrechen, Vigilanzstörungen, ggf. Ataxie und Drehschwindel sowie Blickparesen (insbesondere Blickheberparesen, Parinaud-Syndrom = dorsales Mittelhirnsyndrom) auf. Ätiologie: Der weitere Verlauf ist abhängig von der Ätiologie des erhöhten Hirndrucks: – Infarktödeme und Ödeme nach Hirntraumata nehmen über 3 – 10 Tage zu. – Hypoxische Hirnödeme beginnen nach wenigen Stunden und erreichen ein Maximum nach 3 – 5 Tagen. – Hirnödeme bei Intoxikation und metabolischem Koma bilden sich nach kausaler Therapie rasch zurück. Lokalisation: Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Lokalisation: temporale Kontusionsblutungen und Infarkte führen häufiger zu transtentorialen Einklemmungen als frontale oder okzipitale Raumforderungen. Einklemmung (Raumforderung der hinteren Schädelgrube) droht bei rasch zunehmender Bewusstseinsminderung, Nackenstarre, hyperextendierter Kopfzwangshaltung, Störung der Pupillenmotorik, Hypertonie und Bradykardie. Supratentorielle Raumforderung: Eine einseitige supratentorielle raumfordernde Läsion verursacht die klassische Trias der unkalen Einklemmung mit Bewusstseinsminderung, ipsilateral abgeschwächter Reaktion der meist erweiterten Pupille und kontralateraler Streckhaltung. Eine weitere Symptomvariante bei diffuser supratentorieller Hirnschwellung ist eine „Beruhigung“ des Patienten nach vorheriger psychomotorischer Unruhe.
Neurologische Untersuchung. Bei der Untersuchung des wachen Patienten sind wichtig: Meningismus, Anisokorie (meist mit abgeschwächter Lichtreaktion der weiten Pupille), ggf. Pyramidenbahnzeichen, ipsilaterale Strecksynergismen.
Diagnostik Fundoskopie. Stauungspapillen? (Abb. 11.7, S. 392). CT. Nativ und mit Kontrastmittel. Bei supratentoriellen Läsionen korreliert die horizontale Mittellinienverschiebung mit dem Ausmaß der Bewusstseinsminderung. Prognostisch ungünstige Zeichen sind Obliterationen der perimesenzephalen Zisternen (Cisterna ambiens und Cisterna laminae quadrigeminae). Beim okkludierenden Hydrozephalus kann als sensitives Zeichen eine Erweiterung der Temporalhörner der Seitenventrikel beobachtet werden (Abb. 11.4, S. 389). Wenn ein Spiral-CT verfügbar ist, kann der Einsatz von Kontrastmittel zur Darstellung der Sinus verwendet werden. Ferner können so Tumoren, Lymphome und Metastasen besser erkannt werden. Labordiagnostik. Elektrolyte (Na, K), Glukose, evtl. Blutgasanalyse (Oxygenierung), sofern eine assistierte Beatmung nötig ist. Hirndruck. Die Messung des Hirndrucks ist bei anhaltend komatösen Patienten zur Steuerung der Therapie wichtig. Die Hirndruckmessung ist besonders hilfreich bei Schädel-Hirn-Trauma.
Therapie Notfallmanagement
• •
Notfallmaßnahmen: Reanimation und Intubation zur Sicherung der Atemwege bei Zeichen der Hirnstammkompression. Venöser Zugang, Behandlung arterieller Hypotension und Intubation mit Hyperventilation.
Intrakranielle Drucksteigerung
• • •
Mannitol: Bereits in dieser Phase kann Mannitol 20% 250 ml in einer Kurzinfusion über 10 min verabreicht werden (EG-C). CT: dann Durchführung der Notfall-CT und Entscheidung über eine evtl. operative Behandlung. Osmotherapie: 0,35 g/kg KG Mannitol in einer Infusion über 10 min (EG-C). Wiederholung der Infusion nach Maßgabe der Hirndruckmessung, wenn eine solche nicht vorliegt, nach klinischen Gesichtspunkten. Die Applikation kann nach 2 – 4 h wiederholt werden. Entscheidend ist die Messung der Serumosmolarität. Bei einer Serumosmolarität von ‡ 320 mosm/l Reduktion der Mannitoldosis, bei Werten über 340 mosm/l Abbruch der Mannitoltherapie.
•
• •
Weitere Maßnahmen
• •
• •
•
Die Therapie richtet sich nach der Ätiologie, meistens im Rahmen einer Intensivstation. Allgemeines: Zur Prophylaxe eines weiteren Hirndruckanstiegs ist eine Sedation notwendig. Die Hyperventilation wird so gesteuert, dass der pCO2 28 – 35 mmHg beträgt. Der Oberkörper wird um ca. 308 hochgelagert. Hirndruckmessung: Die Indikation richtet sich nach der Grunderkrankung und wird z. B. bei schwerwiegenden Schädel-Hirn-Traumen mit epiduralen Sonden durchgeführt. Glukokortikoide: Bei Tumoren, Metastasen und Lymphomen sowie bei Abszessen unter Antibiotika: initial 3 × 8 mg Dexamethason i. v., im Verlauf genügen 3 – 4 × 2 mg/d (EG-D). Bei ischämischen Hirninfarkten, intrakraniellen Hämatomen und Schädel-Hirn-Traumen sind Glukokortikoide nicht indiziert. Sollten die o. g. Maßnahmen unwirksam bleiben, evtl. i. v. Barbiturat-Dauernarkose (Thiopental) erwägen (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
Allgemeine Maßnahmen: Überwachung auf Intensivstation ist obligat. Hirndrucksteigernde Umstände (wie Kopftieflage, obere Einflussstauung, Husten etc.) vermeiden. Hypoventilation und Hypoxie können durch Intubation und Beatmung behoben werden. Zufuhr von freiem Wasser vermeiden.
•
• •
395
Arterielle Hyper- und Hypotension: Grundsätzlich soll der systolische BD 120 – 160 mmHg betragen. Zur Blutdrucksenkung sind geeignet: Labetalol, Clonidin (Vasodilatanzien sind wenig geeignet, da sie zu Hirndrucksteigerung führen können). Zur Anhebung des Blutdrucks sollen Vasoaktiva (Dopamin, Dobutamin oder Noradrenalin) eingesetzt werden. Hyperglykämie: Diese führt zu einer verstärkten lokalen Laktatazidose, weshalb die Blutzuckereinstellung mit Insulin erfolgen sollte. Vermeidung hohen Drucks: Hohe Beatmungsdrücke sollen vermieden werden. Schmerzen, Husten und Pressen sind durch ausreichende Analgesie und Sedierung zu behandeln. Geeignet sind Opioide (Fentanyl) und kurz wirksame Benzodiazepine (Midazolam). Ggf. muss zusätzlich relaxiert werden. Hyperthermie vermeiden wegen des dadurch erhöhten Metabolismus. Geeignet sind physikalische Kühlung mit Eisbeuteln, Ventilator etc. und die Anwendung von Antipyretika wie Paracetamol (bis 3 × 1000 mg/d). Antiepileptische Prophylaxe: Epileptische Anfälle führen zu Hypoxie und Hirndruckanstieg. Deshalb ist frühzeitig eine antiepileptische Prophylaxe, z. B. mit Phenytoin, indiziert. Hyponatriämie: Diese Störung und die dadurch bedingte Hypoosmolarität verstärken die Bildung von Hirnödemen, daher müssen Elektrolytverluste ausgeglichen werden. Cave! Zentrale pontine Myelinolyse bei zu raschem Ausgleich einer Hyponatriämie.
Besondere Merkpunkte Patienten mit großen zerebellären Infarkten oder großen Infarkten im Versorgungsgebiet der A. cerebri media sowie Schädel-Hirn-Traumen können eine Hirndrucksteigerung mit einer Latenz von bis zu 72 h entwickeln!
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Neurologie
11.6 Epileptischer Anfall/ Epilepsien/Status epilepticus C. E. Elger
Definition und Einteilung
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Epilepsie. Epilepsien sind heterogene Erkrankungen des Gehirns, bei denen wiederholt epileptische Anfälle ohne akute Ursache auftreten. Epileptischer Anfall. Ein epileptischer Anfall ist ein Symptom. Er kann Symptom einer Epilepsie sein oder auch durch eine akute Ursache hervorgerufen werden. So ist der epileptische Anfall in der akuten Phase einer Enzephalitis nicht Ausdruck einer Epilepsie, sondern Symptom der Entzündung. Tritt nach Ausheilung der akuten Enzephalitis später ein Anfall auf, ist er der Beginn einer Epilepsie als Folge der abgelaufenen Enzephalitis. Status epilepticus. Von einem Status epilepticus geht man aus, wenn ein epileptischer Anfall • eine Dauer von 5 min bei generalisiert tonischklonischen Anfällen oder von 20 – 30 min bei fokalen Anfällen oder Absencen überschreitet oder • wenn eine Folge epileptischer Anfälle mit gleicher Mindestdauer auftritt, die im Intervall keine klinische oder enzephalografische Erholung zeigen. Nichtkonvulsiver Status epilepticus. Ein nichtkonvulsiver Status epilepticus ist durch eine sehr symptomarme Phänomenologie charakterisiert. Häufig sind die Patienten nur verwirrt. Mittels EEG lässt sich differenzieren, ob ein Absence-Status im Rahmen einer primär generalisierten Epilepsie oder ein nichtkonvulsiver Status fokaler Anfälle vorliegt. Generalisierte und fokale Anfälle. Epileptische Anfälle können als generalisierte Anfälle oder fokale Anfälle auftreten (Tab. 11.2). Die bekannteste Form des generalisierten epileptischen Anfalls ist der tonisch-klonische Grand-Mal-Anfall. Aber auch Absencen sind generalisierte Anfälle. Sie treten meist im Kindes- und Jugendalter auf. Fokale Anfälle können in jeder Region des Gehirnes entstehen. Es werden Anfälle mit einfacher Symptomatik (ohne Bewusstseinsverlust) von fokalen Anfällen mit komplexer Symptomatik (mit Bewusstseinsverlust) unterschieden. Die Grenze zwischen beiden Anfallsformen ist fließend. Entsprechend dem Ursprungsort finden sich Anfälle mit primär sensorischem Charakter, motorischem Charakter oder komplexem (nicht zu verwechseln mit dem komplexen Anfall bei der Definition) Ablauf. Nach der zurzeit geltenden inter-
Tabelle 11.2 Stark vereinfachte Darstellung der Klassifikation der epileptischen Anflle in Anlehnung an die Empfehlung der Internationalen Liga gegen Epilepsie von 1981. Generalisierte Anfälle
• Absencen • myoklonische Anflle • klonische Anflle • tonisch-klonische Anflle • atonische und tonische Anflle Fokale Anfälle
• einfache und komplexe fokale Anflle • sekundr generalisierte tonisch-klonische Anflle Unklassifizierbare Anfälle
nationalen Klassifikation der epileptischen Anfälle unterscheidet man in der Gruppe der fokalen Anfälle einfach fokale (partielle, lokale) Anfälle, komplex fokale Anfälle und fokale sekundär generalisierte Anfälle. In der Gruppe der generalisierten Anfälle unterscheidet man Absencen, myoklonische Anfälle, klonische Anfälle, tonisch-klonische Anfälle, tonische Anfälle und atonische Anfälle. Unklassifizierbare Anfälle und Syndrome. Eine dritte Gruppe mit unklassifizierbaren Anfällen existiert ebenfalls. Darüber hinaus werden Epilepsien und Syndrome voneinander differenziert. Bei fokalen Epilepsiesyndromen gibt es fokale idiopathische und symptomatische Anfälle, bei den generalisierten Epilepsiesyndromen idiopathische, kryptogene bzw. symptomatische Epilepsien sowie spezielle Syndrome wie Reflexepilepsien.
Pathophysiologie Beim epileptischen Anfall weisen Neuronenverbände oder die ganze Hirnrinde synchrone paroxysmale Entladungen in den einzelnen Nervenzellen auf. Die Ursachen der pathologischen neuronalen Entladungen sind vielfältig. Neben genetisch definierten Kanalrezeptorveränderungen kommen Störungen des neuronalen Netzwerkes, Modifikation der Kaliumpuffereigenschaften der Gliazellen sowie epileptogene Einlagerungen von Fremdsubstanzen (z. B. Blut) in Betracht.
Epileptischer Anfall/Epilepsien/Status epilepticus
Typische Krankheitszeichen Generalisierte Anfälle. Diese sind in der Regel durch Verkrampfungen oder Zuckungen der kompletten Muskulatur, mehr oder weniger symmetrisch, gekennzeichnet (tonisch-klonische und tonische Anfälle). Sie zeigen aber auch nur einzelne Zuckungen (klonische Anfälle, myoklonische Anfälle). Auch ein Tonusverlust kann in seltenen Fällen das klinische Bild dominieren (atonische Anfälle). Absencen. Hier handelt es sich um Aussetzer von wenigen Sekunden mit teilweise sehr milder Symptomatik („Augenklimpern“ oder Zurücknehmen des Kopfes). Fokale Anfälle. Die Symptomatik eines fokalen Anfalles wird vom Ursprungsort bestimmt: • Anfälle unmittelbar posterior der Zentralregion zeigen sensorische Phänomene wie Kribbelparästhesien oder Dysästhesien. • Entstehen die Anfälle im motorischen Kortex, treten Kloni der entsprechend betroffenen motorischen Region auf. • Liegt der Ursprung im frontalen Kortex (präfrontaler Kortex), zeigen sich bevorzugt dystone Haltungsschablonen (z. B. Fechterstellung). • Bei Anfallsursprung im frontalen Polbereich oder im anterioren Gyrus cinguli treten komplexe Bewegungsautomatismen mit Vokalisationen auf. Die Reorientierung erfolgt bei frontalen Anfällen relativ rasch. • Häufig und sehr charakteristisch sind die Anfälle des Temporallappens. Hier wird das Ereignis oft durch eine sog. Aura eingeleitet. Führend sind aufsteigende Übelkeiten von kurzer Dauer (epigastrische Auren). Weiterhin dominieren starrer Blick, Verharrreaktion, Kau- und Schluckautomatismen sowie manuelle Automatismen, gefolgt von einer längeren Reorientierungszeit. • Anfälle im parietalen oder okzipitalen Kortex können mit akustischen oder visuellen Sensationen beginnen und zeigen dann häufig eine Ausbreitung in andere Hirnregionen. Alle fokalen Anfälle können sekundär generalisieren. Sie münden dann in eine in der Regel tonisch-klonische Symptomatik, wie sie auch beim generalisierten Grand-Mal-Anfall zu beobachten ist. Nach dem Anfall finden sich bei einigen Patienten postiktale Phänomene, die, wenn sie – wie im höheren Alter häufig – prolongiert sind, differenzialdiagnostisch Probleme aufwerfen. Dazu gehören die postiktalen unilateralen Paresen (Todd-Parese), Aphasien und Verwirrtheitszustände.
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Zeichen nach dem Anfall. Zeichen am Patienten können auch später noch auf einen stattgefundenen Anfall verweisen: Zungenbiss lateral (medial spricht für psychogenen Anfall), Petechien im Gesichtsbereich. Zusätzlich gibt eine CK-Erhöhung auch 24 h nach einem Ereignis noch einen harten Hinweis auf einen Grand-Mal-Anfall.
Differenzialdiagnose Bei exakter Beschreibung des Anfallsereignisses ist die differenzialdiagnostische Einordnung in der Regel nicht schwierig. Häufig liegen jedoch nur rudimentäre Beschreibungen des Ereignisses vor, so dass die Zuordnung nur mithilfe von EEG- oder gar Video-EEG-Langzeit-Aufzeichnungen möglich ist. Die wichtigsten Differenzialdiagnosen sind: Synkopen mit konvulsivem Ablauf („konvulsive“ Synkope). Bei einem Teil der Patienten mit Synkopen treten tonische Abläufe, Kloni oder auch komplexere Bewegungsabläufe auf, die auch über 1 Minute dauern können. Charakteristisch sind hier im Vergleich zum epileptischen Anfall die rasche Erholung des Patienten und die blasse Gesichtsfarbe mit in der Regel kaltem Schweißausbruch. Dissoziative (psychogene) Anfälle. Dies ist ein häufiges Problem bei Epilepsiepatienten (mindestens 10 % aller Epilepsiepatienten). Hauptcharakteristikum aller psychogenen Anfälle sind die geschlossenen Augen während des (phänomenologisch vielfältigen) Anfallsablaufes, die sich auch gut von beobachtenden Personen eruieren lassen. Zusatzuntersuchungen auf Erhöhung des Prolaktins (etwa 20 – 30 min nach dem Anfall; Spezifität > 90%, Sensitivität ca. 50%) und Erhöhung des CK-Wertes (bis zu 24 – 48 h nach dem Anfall) helfen, sind aber bei negativem Ergebnis nicht zu verwerten. Bei während des Anfalls geschlossenen Augen sollte so lange von einem dissoziativen Krankheitsbild ausgegangen werden, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Notfallanamnese
•
•
Der epileptische Anfall kann ein Symptom praktisch jeder zentralnervösen Erkrankung sein, so dass vom Patienten die Abläufe vor dem Anfall eruiert werden müssen. Im Falle des Status epilepticus muss auch auf die Fremdanamnese zurückgegriffen werden. Entscheidend sind die Fragen, ob der Patient als Anfallspatient bekannt ist, antiepileptische Arzneimittel einnimmt (oder gar weggelassen hat)
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Neurologie
oder mit prokonvulsiven Arzneimitteln (z. B. Trizyklika, Lokalanästhetika, Phenothiazine, Antibiotika, wie z. B. Imipenem, Theophyllin oder Mefenaminsäure) exponiert war, ob Akuterkrankungen wie fieberhafte Infekte und Ähnliches vorliegen oder ob eine Alkoholanamnese bekannt ist.
Notfalluntersuchung
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Klinische Untersuchung. Neurologischer und internistischer Status. Labor • Differenzialblutbild, Elektrolyte, Leberenzyme, Kreatinin. • Zusatzuntersuchungen wie Schilddrüsenhormone, CK, CRP, Blutzucker, Vitamin B1, B6 (schwer zu beherrschende Anfälle haben manchmal einen Vitamin-B6-Mangel als Ursache, der selten erkannt wird), B12, Folsäure, Toxikologie und Drogen-Screening (vgl. Kapitel 15, S. 456). • Bei bekannter Epilepsie Konzentrationsmessung des eingenommenen Antiepileptikums. MRT (CT). Zum Ausschluss einer primär behandelbaren Ursache (Hirntumor, Enzephalitis, Sinusvenenthrombose [s. S. 391]) etc.: MRT. Ein CT ist kein vollwertiger Ersatz. Frühphasen eines ischämischen Insultes, einer Herpesenzephalitis (s. S. 313), eines basalen Hirntumors oder eines niedriggradigen Astrozytoms sind u. U. nicht sichtbar. Das Schädel-CT ist nur ein Ersatz für den Notfall, wenn kein MRT zur Verfügung steht. Ein MRT muss in jedem Fall nachgeholt werden. Weitere Untersuchungen. In Abhängigkeit vom Untersuchungsbefund sind weitere Maßnahmen (insbesondere Lumbalpunktion zum Enzephalitisausschluss) und apparative Untersuchungen bei entsprechendem Verdacht zum Ausschluss einer Sinusvenenthrombose (s. S. 391) indiziert.
Therapie Therapie eines einzelnen Anfalls Allgemeines • Akuttherapie nur, wenn Anfallsdauer > 5 min! • Dann: 10 mg Diazepam oder ein anderes Benzodiazepin in vergleichbarer Dosis (s. u.) i. v. • Bei Grand-Mal-Anfällen ist die Seitenlage zur Aspirationsvermeidung sinnvoll. Ein „Beißkeil“ ist obsolet.
Gelegenheitsanfall • Wird ein einzelner Anfall als sog. Gelegenheitsanfall ohne akute Krankheitsursache eingestuft, z. B. nach Schlafentzug und Alkoholmissbrauch, Exposition mit einem anfallsprovozierenden Arzneimittel (z. B. Theophyllin) etc., erfolgt keine Therapie. • Die Situation bei Alkoholgenuss und -missbrauch muss näher erläutert werden: Handelt es sich um ein einmaliges Ereignis und besteht kein dringender Verdacht auf eine Alkoholkrankheit, erfolgt definitiv keine Therapie. Liegt bei dem Patienten eine Alkoholkrankheit vor und/oder wiederholen sich die Gelegenheitsanfälle im Rahmen von Alkoholmissbrauch, ist die Therapieentscheidung schwierig. Erfahrungsgemäß zeigen diese Patienten eine unzuverlässige Arzneimitteleinnahme, so dass durch Weglassen der Arzneimittel plus Alkoholmissbrauch ein Status epilepticus entstehen kann. Eine Therapie sollte daher nur erfolgen, wenn der Patient, z. B. zur Durchführung eines akuten Entzuges, stationär kontrolliert werden kann. Therapieindikation beim ersten epileptischen Anfall. Wird der erste epileptische Anfall als Symptom einer bereits bestehenden Epilepsie diagnostiziert, kann eine antikonvulsive Therapie erfolgen. Eine bestehende Epilepsie liegt dann vor, • wenn das EEG des Patienten ein für primär generalisierte Epilepsien typisches Muster (SpikeWave-Abläufe) zeigt oder • wenn ein hochaktiver epileptischer Fokus mit spezifischen Entladungen im EEG vorhanden ist oder • wenn weitere Hinweise auf mit großer Wahrscheinlichkeit auftretende Anfälle und damit auf eine Epilepsie vorliegen (Vorgeschichte einer Hirnschädigung, Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis, Hirnoperation etc. und/oder im Rahmen der Diagnostik nachgewiesene strukturelle Veränderung des Gehirns). Bei allen diesen Patienten ist die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung epileptischer Anfälle so groß, dass eine Therapie mit Antiepileptika bereits beim ersten Anfall initiiert werden sollte. Keine Therapieindikation beim ersten epileptischen Anfall. Beim ersten Anfall wird keine Therapie eingeleitet, wenn • ein negativer MRT-Befund vorhanden ist, • das EEG keine Auffälligkeiten aufweist und • es sich um einen Grand-Mal-Anfall handelt. In Ausnahmefällen kann bei besonderer sozialer Situation des Patienten auch hier eine prophylaktische Therapie begonnen werden. Das Wiederholungsrisi-
Epileptischer Anfall/Epilepsien/Status epilepticus
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keine Therapie
Epilepsietherapie
1. Anfall
EEG/MRT: kein pathologischer Befund Anfall: GM
Diagnose: Epilepsie EEG/MRT positiver Befund
Gelegenheitsanfall Schlafentzug etc. Alkoholmissbrauch Enzephalitis etc.
2. Anfall innerhalb 12 Monaten
medikamentöse Therapie
erfolgreich
generalisiert
fokal
VPA LTG TPM
VPA, CBZ, LTG, PHT, TPM, GBP
nicht erfolgreich Absetzversuch, anfallsfrei fokal: 3 bis 5 Jahre generalisiert > 10 Jahre
2. Monotherapie nicht erfolgreich Kombinationstherapie
nicht erfolgreich
lebenslange Therapie
Kandidat
chirurgische Epilepsietherapie
nicht erfolgreich
anfallsfrei 2 Jahre
nicht erfolgreich Epilepsiespezialist
Abb. 11.8 Schematische Darstellung der Vorgehensweise bei der Epilepsietherapie. MRT: Magnetresonanztomogramm, GM: Grand-Mal-Anfall, VPA: Valproinsure, LTG: Lamotrigin, TPM: Topiramat, CBZ: Carbamazepin, PHT: Phenytoin, GBP: Gabapentin. Die
unter „medikamentçse Therapie“ angegebenen Medikamente sind im Wesentlichen gleichwertig. Bei einer primr generalisierten Epilepsie sollten nur VPA, LTG oder TPM eingesetzt werden.
ko innerhalb der nächsten beiden Jahre ist bei dieser Patientengruppe aber unter 30%. Es sollte dann mit der Therapie begonnen werden, wenn innerhalb der nächsten 6 – 12 Monate ein weiteres Ereignis auftritt. Der weitere Verlauf der Therapie und der Einsatz der Arzneimittel sind der Abb. 11.8 zu entnehmen. Medikamentöse Therapie der Epilepsie. Zur medikamentösen Therapie der Epilepsie steht eine Vielzahl von Arzneimitteln zur Verfügung. Alphabetisch aufgezählt sind dies: • Carbamazepin (CBZ), Phenobarbital (PB), Phenytoin (PHT), Primidon (PRM) und Valproinsäure (VPA) als Arzneimittel der älteren Generation sowie Gabapentin (GBP), Lamotrigin (LTG), Levetiracetam (LEV), Oxcarbazepin (OXC), Pregabalin (PGB), Tiagabin (TGB), Topiramat (TPM) und Zo-
nisamid als Arzneimittel der neueren Generation (zum Zeitpunkt der Drucklegung waren Pregabalin, Tiagabin und Zonisamid nicht als Monotherapie, sondern nur als Add-on-Therapie zugelassen). • Die Arzneimittel Felbamat, Rufinamid, Brom, Ethosuximid, Mesuximid, Acetazolamid, Sultiam, Stiripentol und die Benzodiazepine weisen enge Indikationsgrenzen auf. Für Benzodiazepine gilt, dass sie in der Regel keine guten Langzeiteffekte haben. Hier dominieren in der Epilepsietherapie das Clobazam (CLB) und das Clonazepam (CLN). Auswahl der Arzneimittel. Die Entscheidung, welches Arzneimittel in der Ersttherapie eingesetzt wird, kann unter verschiedenen Gesichtspunkten getroffen werden:
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• •
•
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• •
•
Neurologie
Prinzipiell sind alle Arzneimittel, die zur Monotherapie zugelassen sind, auch einsetzbar. Wirksamkeitsstudien bei fokalen Epilepsien haben gezeigt, dass keine Unterschiede zwischen den dafür zugelassenen Arzneimitteln bestehen (EG-A). Die Pharmakokinetik und -dynamik der Arzneimittel sollten jedoch neben den Kosten in die Entscheidung einbezogen werden, da diese Parameter wesentlich das Interaktionspotenzial mit anderen Medikamenten bestimmen, die der Patient, der in 2⁄3 der Fälle lebenslang therapiert wird, irgendwann einmal einnehmen muss. Besonders kritisch ist dies bei Zytostatika (EG-B). Darüber hinaus ist die Syndromklassifikation entscheidend. Alle primär generalisierten Syndrome und unklassifizierbaren Epilepsien sollten lediglich mit den Arzneimitteln Valproinsäure, Lamotrigin oder Topiramat in Monotherapie und mit Levetiracetam als Add-on-Medikament therapiert werden (EG-B). Ein Wegweiser für das therapeutische Vorgehen ist in Abb. 11.8 dargestellt. Bei erfolgloser Therapie muss die Diagnose überprüft werden, da bei Patienten mit schwer zu behandelnden Epilepsien auch psychogene Anfälle oder Anfallsereignisse nichtepileptischer Ätiologie auftreten. Der zunehmende Einsatz von Generika in der Epilepsietherapie hat auch kritische Aspekte. Gegen eine konstante Therapie mit einem bestimmten Generikum ist nichts einzuwenden. Der Präparatewechsel birgt vor allem bei anfallsfreien Patienten Risiken des Rückfalls mit erheblichen persönlichen und sozialen Folgen (EG-C). Der Arzt ist verpflichtet, über diese Risiken aufzuklären.
Therapie des Status epilepticus Konvulsiver Status epilepticus generalisierter oder komplex partieller oder partieller Anfälle. Eine schematische Vorgehensweise bei den verschiedenen Status epileptici ist in Abb. 11.9 dargestellt. • Entscheidend sind ein rascher i. v. Zugang (wegen der motorischen Aktionen möglichst nicht in der Ellenbeuge) und vor der Arzneimittelgabe eine Blutentnahme zur Konzentrationsbestimmung von Antikonvulsiva bei vorbehandelter Epilepsie (bei niedrigen Serumkonzentrationen kann die Gabe des subtherapeutischen Antiepileptikums einen Status, der u. U. sonst schwer behandelbar ist, sehr rasch durchbrechen).
•
Diazepam: 10 – 20 mg i. v. (EG-A), alternativ: Lorazepam (0,1 mg/kg KG; 2 mg/min, bis maximal 10 mg) oder Clonazepam (1 – 2 mg; 0,5 mg/min; bis maximal 6 mg) (EG-A). Gelingt es nicht, einen i. v. Zugang zu legen, kann Diazepam auch rektal verabreicht werden; alternativ Midazolam i. m. 0,2 mg/kg KG (EG-C). • Bei jedem Verdacht auf einen alkoholassoziierten Grand-Mal-Status ist die Gabe von Thiamin (B1) 100 mg langsam (!) i. v. indiziert sowie bei Verdacht auf Hypoglykämie die Gabe von hochprozentiger Glukose i. v. (EG-C) (s. S. 510). • Bei Versagen der Benzodiazepine über einen separaten Zugang (!) Phenytoininfusionskonzentrat (15 – 20 mg/kg KG; initial 50 mg/min über 5 min, Rest über 20 – 30 min, maximal 30 mg/kg KG) (EG-A). • Bei Versagen der Maßnahmen sollte ein EEG durchgeführt werden, um die Natur des Status zu beweisen (DD: Status dissoziativer Anfälle). • Nach erfolgloser Benzodiazepin- und Phenytoingabe ist Phenobarbital (20 mg pro kg KG i. v.) das Arzneimittel der Wahl, das unter Intensivüberwachungsbedingungen (Intubation) gegeben werden muss. Zeigt sich hier nicht innerhalb einer halben Stunde ein Erfolg und ist ein Status dissoziativer Anfälle ausgeschlossen, kann bei gleichzeitiger EEG-Überwachung Phenobarbital so hoch dosiert werden, dass ein sog. Burst-Supression-Muster im EEG entsteht oder gar eine isoelektrische Aktivität. • Alternativ kommt beim Versagen der Phenobarbitaltherapie unter intensivmedizinischen Bedingungen die Gabe von Thiopental oder Propofol in Betracht. Nichtkonvulsiver Status und Absence-Status. Die Therapie erfolgt nach oder unter EEG-Kontrolle (DD fokaler versus Absencen-Status, dissoziative Anfälle): • Ein nichtkonvulsiver Status fokaler Anfälle wird ebenso wie oben angegeben mit Phenytoin oder einem Benzodiazepin durchbrochen (Abb. 11.9). Alternativ (weniger belegt, aber nebenwirkungsärmer): Valproat oder Levetiracetam i. v. 2000 – 3000 mg (zurzeit außerhalb der Zulassung) (EG-D). • Beim nichtkonvulsiven Status epilepticus besteht kein notfallmäßiger Handlungsbedarf. Es gibt Hinweise, dass Patienten sich Jahre in einem solchen Zustand befunden haben. • Beim Absence-Status ist die i. v. Gabe von Valproat bis 3000 mg innerhalb von 30 min sinnvoll, EEG-Kontrolle bis zum Sistieren (Cave! Gleichzeitige Barbiturattherapie).
Epileptischer Anfall/Epilepsien/Status epilepticus
tonisch-klonisch komplex partiell (partiell) Stufen
min.
I
10
03
nichtkonvulsiv Diagnose
persistierende oder wiederkehrende Anfälle (> 10 min.)
0
I
Alkoholabusus Hypoglykämie Zyanose
Diazepam 0,25mg/kg (5mg/min) ggf. bis 30 mg i. v.
Clonazepam 12mg i.v. oder rektal oder Valproat 10002000mg i.v.
Clonazepam 12mg (0,5mg/min) ggf. bis 5 mg i. v.
oder
Phenytoin 1520mg/kg i.v. (50mg/min über 5min Rest über 2030 min, max. 30 mg/kg)
Levetiracetam 10002000mg i.v.
1460
Erfolg: normales Verhalten und EEG
und/oder Phenobarbital 20mg/kg (10mg/min) i.v.
IV
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
Intensivstation
IV
Thiopental, Propofol, möglichst unter EEG-Kontrolle bis Burst-Suppression-EEG
Abb. 11.9 Status epilepticus. Schematische Darstellung der Vorgehensweisen bei der Therapie der verschiedenen Status epileptici. Die rçmischen Ziffern
Da vor allem der konvulsive Status epilepticus eine lebensbedrohliche Situation darstellt, ist die Verlegung auf eine Intensivstation notwendig.
oder
oder
oder
III
initial Lorazepam 2,5mg i.v. oder oral
Diazepam 10mg i.v. oder rektal
oder
413
Verhaltensauffälligkeiten, rhythmische und kontinuierliche EEG-Abnormitäten
bei Verdacht auf 100mg Thiamin B1 langsam i.v. 20 % oder 50 % Glukose i. v. O2-Gabe Lorazepam 0,1 mg/kg (2mg/min) ggf. bis 10 mg i. v.
II
401
I – IV geben Therapiestufen an. In Stufe II sollte zunchst 10 min abgewartet werden, um festzustellen, ob die bisherige Therapie erfolgreich war.
• •
Sowohl aus differenzialdiagnostischen Gründen, aber auch zur Therapieüberwachung ist der Einsatz des EEG sinnvoll (Therapiesteuerung bei Phenobarbital oder Narkosetherapie). Gleichzeitig muss bei weitgehend unauffälligem EEG oder lediglich durch Pharmaka verändertem
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Neurologie
EEG die Differenzialdiagnose eines psychogenen Status epilepticus in Erwägung gezogen werden.
Besondere Merkpunkte
• •
•
11
•
Ein epileptischer Anfall ist ein Symptom, das zur Diagnose oder zum Ausschluss einer zentralnervösen Erkrankung führen muss. Eine Therapie wird dann begonnen, wenn die Diagnose einer Epilepsie feststeht, d. h. entweder wiederholt oder ohne akute Ursache epileptische Anfälle aufgetreten sind, oder wenn die Konstellation der Befunde erwarten lässt, dass in absehbarer Zeit (Monate) weitere epileptische Anfälle auftreten werden. Ein Status epilepticus tonisch-klonischer Anfälle ist eine Notfallsituation, die zur augenblicklichen Therapie führen muss. Ein Status fokaler Anfälle kann sich dorthin entwickeln. Auch ein Status epileptisch erscheinender Anfälle kann ein Status nichtepileptischer Anfälle sein. Diese Differenzialdiagnose ist insbesondere bei therapierefraktären Status epileptici zu prüfen.
11.7 Akute idiopathische Polyradikulitis (GuillainBarré-Syndrom, GBS) A. J. Steck
Definition und Einteilung Das GBS ist eine akut, innerhalb von 4 Wochen auftretende, in der Regel symmetrische, inflammatorische, demyelinisierende Polyradikulitis (AIDP), beginnend mit Parästhesien und/oder schlaffen Paresen. Die chronisch progrediente bzw. chronisch rezidivierende inflammatorische, demyelinisierende Polyneuritis (CIDP) unterscheidet sich von der akuten Form durch ihren langsamen subakuten oder chronischen Beginn (> 4 Wochen). Eine Sonderform ist das Miller-Fisher-Syndrom, eine akute Polyradikulitis cranialis mit Augenmotilitätsstörungen, Ataxie, Areflexie und guter Prognose. Unerlässliche Merkmale • Progrediente, vorwiegend motorische Symptome, • fehlende oder deutlich abgeschwächte Muskeleigenreflexe.
Wichtige Merkmale • Progression bis zu maximal 4 Wochen, • vorwiegend symmetrischer Befall der Extremitäten, • gering ausgeprägte sensible Ausfälle, • Mitbeteiligung von Hirnnerven, • initial Fehlen von Fieber, • Liquoreiweiß nach der ersten Woche erhöht, Liquorzellzahl < 50 Zellen/µl (= zytoalbuminäre Dissoziation), • elektrophysiologisch: Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit, Leitungsblocks, Amplitudenreduktion.
Pathophysiologie Das GBS ist eine entzündliche postinfektiöse Polyradikulitis. In etwa 3⁄4 der Fälle gehen dem neurologischen Krankheitsbild meist banale grippale oder gastrointestinale Infekte (insbesondere Campylobacter jejuni) oder eine Impfung voraus. Ein GBS kann bei HIV-infizierten Patienten zur Zeit der Serokonversion auftreten. Wichtige Antigene scheinen Ganglioside zu sein. Beim Miller-Fisher-Syndrom werden in über 90 % der Fälle Anti-Gangliosid(GQlb-)Antikörper im Serum nachgewiesen.
Typische Krankheitszeichen
• • • • •
Progrediente, häufig aufsteigende, symmetrisch schlaffe Paresen mit Sensibilitätsstörungen und oft mit Beteiligung der Hirnnerven (N. oculomotorius, N. facialis, kaudale Hirnnerven). Häufig schmerzhafte sensible Reizerscheinungen. Areflexie innerhalb von Tagen, an den unteren Extremitäten beginnend. Bei Mitbeteiligung der oberen zervikalen Wurzeln und der Hirnnerven kann es zu einer Beeinträchtigung der Atemmuskulatur kommen (1⁄6 der Fälle). Oft vegetative Symptome (Hypo- und Hypertonie, Tachykardie, Thermoregulationsstörungen).
Differenzialdiagnose
•
Akute Polyneuropathie bei Porphyrie, „CriticalIllness“-Neuropathie bei Sepsis, akute Intoxikationen; infektiöse Polyneuritiden bei Herpes, Mononucleosis infectiosa, Varicella-Zoster-Virus, CMV, HIV, Borreliose.
Akute idiopathische Polyradikulitis (Guillain-Barr-Syndrom, GBS)
• • •
Akute Polyneuritis bei Periarteriitis nodosa, Lupus erythematodes. Akute entzündliche spinale Erkrankungen (Poliomyelitis, gewisse ECHO- und Coxsackie-Viren). Lumbago-Ischias-Syndrom (falls Beginn des GBS mit Rückenschmerzen).
• •
Anamnese
• • •
Der neurologischen Symptomatik vorangehende Infekte der oberen Luftwege, des Magen-DarmTraktes und Impfungen erfragen. Progression der Symptome über Stunden bis Tage. Ausschluss einer Intoxikation und eines Diabetes mellitus.
•
Notfalluntersuchung Klinik Neurostatus. Mit Untersuchung der Hirnnerven, Abgrenzung der Paresen, Sensibilitätsstörungen, Reflexe.
•
Diagnostik Liquor. Protein erhöht (Cave! Bei 50% der Patienten erst nach > 1 Woche), Zellzahl < 10(– 50)/µl. Labor. Serologische Tests zum Nachweis von durchgemachten viralen oder bakteriellen (Campylobacter jejuni) Infekten. Gelegentlich angezeigt ist die Suche nach vaskulitisch-rheumatologischen Erkrankungen und Anti-Gangliosid-Antikörpern. EKG. Arrhythmien, Reizleitungsstörung. Lungenfunktion. ABGA und Peak-Flow-Messung zur Erfassung einer respiratorischen Insuffizienz.
Therapie Notfallmanagement
•
•
Atmung: intensive Überwachung auch bei milden Verlaufsformen, um rechtzeitig eine beginnende Ateminsuffizienz zu erkennen. Eine Beatmungspflicht kann sich innerhalb kurzer Zeit entwickeln. Bei respiratorischer Insuffizienz ist eine assistierte Beatmung indiziert. Thromboseprophylaxe: mit niedermolekularem Heparin, z. B. Enoxaparin 40 mg s. c. 1 ×/d (EG-D), anschließend evtl. orale Antikoagulation.
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Autonomes Nervensystem: Symptome des autonomen Nervensystems werden medikamentös symptomatisch behandelt. Herz-Kreislauf-System: bei hypertensiven Krisen Labetalol- oder Nitroglyzerin-Infusion, bei Tachykardie Betablocker, bei Hypotonie Dopamin oder Noradrenalin. Bei pathologischer Sinusbradykardie oder AV-Block II. und III. Grades ist die Indikation zur passageren Schrittmachereinlage gegeben (EG-D). Immunmodulation: mit i. v. Immunglobulinen (IVIG) oder Plasmaaustausch (PE): – frühzeitig bei deutlicheren Ausfällen. Die Wirkung von IVIG und PE ist statistisch gleich (EG-A). Da besser verfügbar und weniger belastend, ist IVIG die Therapie der ersten Wahl (IVIG: 0,4 g/kg KG/d an 5 aufeinander folgenden Tagen). – Eine primäre Sequenztherapie (PE, dann IVIG) ist den Einzeltherapien statistisch nicht überlegen (EG-A). – Glukokortikoide sind bei GBS unwirksam, auch in Kombination mit IVIG (EG-A). Physiotherapie: frühzeitige physiotherapeutische Behandlung zur Vermeidung von Kontrakturen. Sorgfältige Lagerung mit Verhinderung von Nervendruckläsionen und Dekubitalulzera der Haut. Atemtherapie.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei Patienten, die nicht stark behindert sind, aber unter progredienten oder noch nicht regredienten Symptomen leiden, sind Kontrollen und Überwachung dem klinischen Krankheitsbild anzupassen. In jedem Fall notwendig sind regelmäßige (alle 2 – 3 h) Kontrollen des Blutdrucks, der respiratorischen Funktionen (Atemfrequenz, Peak-Flow-Messung) und des neurologischen Befundes.
Besondere Merkpunkte
• •
Das GBS ist die häufigste Ursache akut auftretender nichttraumatischer Lähmungen. Die jährliche Inzidenz beträgt 1 – 2 pro 100 000. Eher gegen ein GBS sprechen: deutliche Asymmetrie der Paresen, persistierende Blasen-Mastdarm-Störungen, sensibles Querschnittsniveau, Liquorpleozytose über 50/µl.
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Neurologie
11.8 Wernicke-Enzephalopathie (Wernicke-KorsakowSyndrom) A. J. Steck
Definition und Einteilung Die Wernicke-Enzephalopathie ist die schwerwiegendste neurologische Alkoholfolgekrankheit. Sie kommt durch einen Vitamin-B1-Mangel zustande. Das Korsakow-Syndrom stellt ein schweres, amnestisches Syndrom (Gedächtnisstörungen, Konfabulation) dar. Die Wernicke-Enzephalopathie wird zusammen mit dem amnestischen Syndrom als Wernicke-Korsakow-Syndrom bezeichnet.
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Pathophysiologie Die Erkrankung beruht auf einem Thiaminmangel und kommt nicht nur bei Alkoholismus vor, sondern auch bei anderen Zuständen mit Mangelernährung, z. B. bei der Anorexia nervosa, oder bei Resorptionsstörungen, z. B. nach bariatrischen Operationen. Da eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr den Thiaminbedarf steigert, kann die Wernicke-Enzephalopathie auch nach Glukoseinfusionen beobachtet werden. Der Ausfall von Thiamin als Koenzym im Kohlenhydratstoffwechsel der Ganglienzellen verursacht neuronale und vaskuläre Schädigungen mit punktförmigen Hämorrhagien im Hirnstamm.
Typische Krankheitszeichen
• • • • •
Delir, Desorientiertheit, Unruhe. Subakutes Auftreten von neuroophthalmischen Störungen (horizontale, seltener vertikale Augenmuskel- und Blickparesen und Nystagmus, Miosis). Stand- und Gangataxie. Vegetative Symptome (Tachykardie, Hypothermie). Quantitative Bewusstseinsstörungen sind selten.
Differenzialdiagnose
• • • •
Anfangs kann die Symptomatik von einem Delirium tremens überlagert sein. Augenbewegungs- und Pupillenstörungen mit Vigilanzstörungen sind auch charakteristisch bei Hirnstamminfarkt oder Hirnstammeinklemmung. Visusstörungen bei Abusus von Alkohol und Tabak sind Symptome einer Optikusneuropathie (Tabak-Alkohol-Amblyopie). Das Korsakow-Syndrom kommt auch bei Temporallappenerkrankungen (Tumor, Enzephalitis), bei hepatischer Enzephalopathie oder einer Kohlenmonoxidvergiftung vor.
Notfallanamnese Alkoholabusus (Fremdanamnese!), Magen-DarmErkrankungen mit Resorptionsstörungen, Mangelernährung.
Notfalluntersuchung Klinik Neurostatus. Augenmotilitätsstörungen, Nystagmus, Zeichen der Polyneuropathie (mit feuchter Haut bei äthylischer Polyneuropathie!), Flapping Tremor, Ataxie. Internistischer Status. Ikterus, Spider-Nävi, Leberpalpation (vergrößerte Leber, Zirrhose?).
Diagnostik MRT. Hämorrhagien und Ödemzonen in Mesenzephalon und Thalamus. Liquor. Evtl. leichte Pleozytose und leichte bis mäßige Eiweißvermehrung. Labor. Leberenzyme (Erhöhung von g-GT, ASAT, ALAT), Bilirubin (erhöht), Quick-Wert (vermindert), Elektrolyte (tiefes Natrium).
Therapie
• •
Thiamin 50 mg i. v. (langsam!), anschließend 50 mg/d i. m., bis die orale Gabe möglich ist (EG-C). Multivitaminpräparat, insbesondere mit B-Komplexen und Glukose-Elektrolyt-Lösung (EG-D).
Isolierte Nervenausflle, Entrapment-Syndrome
Besondere Merkpunkte
Typische Krankheitszeichen
•
•
•
Glukose und Fruktose erhöhen den Umsatz an B-Vitaminen und sollten deshalb nicht ohne Vitamin-B1-Zusatz infundiert werden. Bei jedem Patienten mit Zeichen des chronischen Alkoholabusus sollte zur Prophylaxe der Wernicke-Enzephalopathie vom Zeitpunkt der stationären Aufnahme an Thiamin (300 mg/d p. o.) verabreicht werden.
11.9 Isolierte Nervenausfälle, Entrapment-Syndrome A. Czaplinski
•
•
Allgemeines Definition und Einteilung Die Läsion einzelner Nerven (Mononeuropathie) kommt bevorzugt an exponierten anatomischen Stellen vor. Die häufigste Ätiologie von Mononeuropathien sind mechanische Einwirkungen im Sinne von Verletzungen (Stich- und Schnittverletzungen, Quetschungen, Zerrungen) oder Druckschädigungen der Nerven (Kompressionssyndrome). Weitere Ursachen sind fokale Ischämie (Kompartment-Syndrome) und toxische Einwirkungen (bei Injektionen). Die „Femoralisneuropathie“ bei Diabetes oder die „neuralgische Schulteramyotrophie“ stellen spezielle proximale Lokalisationen dar.
405
Motorische schlaffe Parese: entsprechend dem anatomischen Innervationsgebiet der gemischten sensomotorischen peripheren Nerven mit entsprechender Reflexabschwächung bzw. -aufhebung; Muskelatrophien, die meist etwa 3 Wochen nach Läsion deutlich in Erscheinung treten; Faszikulationen sind nur ausnahmsweise zu beobachten. Sensibilitätsausfälle: oft für alle Qualitäten entsprechend dem anatomischen Ausbreitungsgebiet. Durch den Befall der sympathischen Fasern können Störungen der Schweißsekretion nachgewiesen werden. Schmerzen: Eine Nervenläsion löst häufig Schmerzen aus, die sich später als Hyperpathie oder Allodynie manifestieren können. Daneben besteht oft eine Druckdolenz am Läsionsort, und auch ein Dehnungsschmerz ist nachweisbar. Anamnestisch und durch die Untersuchung lässt sich vielfach eine lokale Ursache für die Läsion eines Nervs finden (Trauma, Fraktur, anatomischer Engpass, Tumor usw.).
Notfalluntersuchung
• •
Körperliche Untersuchung, Abgrenzung gegenüber Wurzelläsionen, Feststellung der Schädigungshöhe und des Schädigungsgrads.
Periphere Fazialisparese (VII. Hirnnerv)
Pathophysiologie
Pathophysiologie
Ischämie der Vasa nervorum und direkte Schädigung durch mechanischen Druck auf den peripheren Nerv. Bei der traumatischen Nervenschädigung werden unterschieden: • eine umschriebene Leitungsstörung bei morphologisch intaktem Nerv (Neurapraxie), • eine axonale Läsion ohne Kontinuitätsunterbrechung der Hüllstrukturen (Axonotmesis), • eine Kontinuitätsunterbrechung von Axon und Hüllstrukturen (Neurotmesis).
Die idiopathische Fazialisparese (Bell-Lähmung) macht zwei Drittel der Fazialisparesen aus. Man vermutet eine immunologische oder ischämische Nervenschädigung, die jeweils eine ödematöse Schwellung des Nervs im Fazialiskanal verursacht. Diabetes mellitus ist ein Risikofaktor. Verlauf. Der Spontanverlauf ist in über 80% der Fälle günstig. Die Prognose ist besser, wenn klinisch eine Restinnervation feststellbar ist.
406
Neurologie
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Ipsilaterale Lähmung der mimischen Muskulatur, bei kompletter Parese häufig Störung des Geschmacks sowie der Tränen- und Speichelsekretion, bei Lähmung des M. stapedius Hyperakusis, tränendes Auge durch den mit dem seltenen Lidschlag entstehenden kornealen Reiz und den durch das schlaffe Unterlid erschwerten Tränenabfluss.
Differenzialdiagnose
• •
11
Stets sollte eine virale oder bakterielle Genese ausgeschlossen werden. Andere Ursachen sind: Akustikusneurinom (zugleich mit Gehörstörung), meningeale Karzinomatose, Guillain-Barré-Syndrom, Lyme-Borreliose, Sarkoidose, Otitis, Tumor des Mittelohrs, Felsenbeinfrakturen.
Notfalluntersuchung Klinik Neurologischer Status. Klinisch-neurologische Untersuchung mit für eine periphere Läsion charakteristischer homolateraler Parese der mimischen Muskulatur (Stirnmuskulatur mitgelähmt) und inkomplettem Lidschluss mit positivem Bell-Phänomen (beim Augenschließen wird die physiologische Aufwärtsbewegung des Bulbus oculi sichtbar). Schmerzen im äußeren Gehörgang und postaurikulär können Vorboten einer viralen Infektion sein. HNO-Untersuchung. Eine Inspektion des äußeren Gehörgangs ist immer notwendig, um Zoster-Eruptionen nicht zu übersehen; im Zweifelsfalle empfiehlt sich die Bestimmung des Varizella-Zoster-Titers im Serum (ELISA) oder bei Verdacht auf eine durch Zecken übertragene Infektion des BorrelienAntikörper-Titers (borrelienspezifische IgG- und IgM-Antikörper).
Diagnostik Lumbalpunktion. Indiziert bei Verdacht auf eine infektiöse Ursache (Zellzahl, Zelldifferenzierung, Eiweiß, Glukose, ggf. PCR für Herpes simplex- und Zoster-Viren, IgG- und IgM-Antikörper bei Verdacht auf Borreliose).
Röntgen. Schädel-CT, MRT mit Darstellung des Meatus acusticus internus nur bei Persistenz der Symptome, atypischem Verlauf oder Symptomen, die über die Beteiligung des N. facialis hinausgehen (Ausschluss eines Kleinhirnbrückenwinkeltumors, v. a. eines Akustikusneurinoms).
Therapie Notfallmanagement
• •
• •
Glukokortikoide: in den ersten 72 h Prednison (1 mg/kg KG/d für 7 – 10 Tage), falls keine Kontraindikationen (z. B. Diabetes, Infektion) vorliegen. Aciclovir: Aciclovir in Kombination mit Prednison bringt keinen zusätzlichen Benefit verglichen mit Prednison alleine. Bei Patienten mit einer sehr schweren Parese kann eine Kombination von Prednison mit Valaciclovir sinnvoll sein. Keine Evidenz für die operative Dekompression. Künstliche Tränenflüssigkeit und/oder Augensalbe und bei schweren funktionellen Ausfällen Augenschutzklappe/Uhrglasverband (EG-D).
Weitere Maßnahmen Nach der ersten Woche kann der Schweregrad der Läsion mittels Elektroneurografie beurteilt werden.
N. trigeminus (V. Hirnnerv) Siehe Kap. 12 (S. 430).
N. oculomotorius (III. Hirnnerv) Definition und Einteilung Okulomotoriusparesen sind oft partiell und zeigen eine variable Kombination von innerer und äußerer Ophthalmoplegie. Zentrale und periphere Parese. Je nach Läsionsort wird eine zentrale Okulomotoriusparese (nukleär, faszikulär) von einer peripheren Parese (Subarachnoidalraum, Fissura orbitalis superior, Orbitaspitze, Orbita) unterschieden. Bei nukleärer Okulomotoriusläsion findet sich häufig eine bilaterale diskrete Ptose.
Isolierte Nervenausflle, Entrapment-Syndrome
Typische Krankheitszeichen
• • •
Bei peripherer Schädigung des Nervs ausgeprägte einseitige Ptose, bei kompressionsbedingter Okulomotoriusparese tritt zuerst die Ophthalmoplegia interna auf, erst später die Ophthalmoplegia externa, bei der oft schmerzhaften diabetischen Okulomotoriusparese kann die Pupille ausgespart bleiben.
Differenzialdiagnose
• •
Häufigste Ursache: Diabetes mellitus. Seltenere Ätiologien: Infarkte, Blutungen, Tumoren, Entzündungen im Mittelhirn (nukleäre Lokalisation) oder Aneurysma (A. communicans posterior), Polyradikulitis cranialis, Tumoren mit parasellärer Ausdehnung (Sinusitis sphenoidalis), Tolosa-Hunt-Syndrom (Schmerzen oder Lähmungserscheinungen im Gebiet des III., IV. oder VI. Hirnnervs durch Granulom im Bereich der Fissura orbitalis superior), Herpes zoster, Trauma der Orbita.
Notfallanamnese
• •
Frage nach retroorbitalen Schmerzen und dem Zeitpunkt des Auftretens, Zeitpunkt und Art des Auftretens von Doppelbildern (horizontale/vertikale Abhängigkeit der Blickrichtung).
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Ophthalmoplegia externa: Ptose (Lähmung des M. levator palpebrae) und Augenbewegungsstörungen mit Diplopie, Abweichen des Auges nach außen und unten. Ophthalmoplegia interna: Mydriase mit Pupillenstarre und subjektiv Lichtempfindlichkeit. Komplette Ophthalmoplegie: die Symptome sind kombiniert.
Diagnostik
•
Bildgebende Untersuchungen und weitere Abklärungen je nach Ätiologie.
•
407
Eine MRT ist geeignet zum Nachweis eines parasellären Tumors oder eines Aneurysmas.
Therapie Die Therapie richtet sich nach der Ätiologie.
Armplexusparesen Definition und Einteilung Je nach Ausmaß der Plexusläsion finden sich komplette oder partielle schlaffe Paresen der SchulterArm-Muskulatur, z. T. mit heftigen Schmerzen verbunden. Sensibilitätsstörungen stehen im Hintergrund.
Pathophysiologie Am häufigsten traumatische Läsionen (Zerrung oder Quetschung), bei schwerer Zerrung mit Wurzelausrissen, neoplastische Infiltration (Metastasen, Mamma- oder Bronchialkarzinom [Pancoast-Tumor], maligne Lymphome) und strahlenbedingte Läsionen, die mit einer Latenz von Jahren auftreten können. Drucklähmung des Armplexus bei Engpasssyndromen (Thoracic-Outlet-Syndrom) oder durch chronische Druckwirkung von außen (Rucksacklähmung). Neuritis. Eine Armplexusneuritis tritt entweder ohne erkennbare Ursache (neuralgische Schulteramyotrophie) oder nach viralen bzw. bakteriellen Infektionen (z. B. Borreliose) auf. Typische Abfolge: akuter intensiver Schmerz, nach vielen Stunden bis Tagen gehen die Schmerzen und kommen die Paresen, gefolgt von Atrophien. Obere Plexusparesen überwiegen mit 60 – 70 %, bilateral in 20 – 30 % der Fälle.
Typische Krankheitszeichen
•
Läsion des oberen Armplexus: Armschwäche mit Gefühlsstörung. Parese der Abduktoren und Außenrotatoren des Schultergelenks, der Oberarmbeuger, des M. supinator und Teilausfall der Strecker des Ellbogens und der Dorsalextensoren der Hand. Sensibler Ausfall: Außenseite Oberarm, Radialseite Unterarm, Daumen. Bizepssehnen- und Radiusperiostreflex abgeschwächt oder fehlend.
408
•
•
Neurologie
Läsion des unteren Armplexus: Handschwäche mit Gefühlsstörung. Parese der kleinen Handmuskeln, der langen Fingerbeuger, der Beuger des Handgelenks. Manchmal liegt auch ein Ausfall des Halssympathikus mit einem Horner-Syndrom vor. Sensible Ausfälle im ulnaren Handbereich. Evtl. Abschwächung oder Ausfall des Trizepssehnenreflexes. Komplette Armplexusparese: alle Anteile des Armplexus sind betroffen.
•
N. medianus (Karpaltunnelsyndrom, CTS)
Differenzialdiagnose Die Unterscheidung von Karzinom und strahlenbedingter Plexusläsion nach Radiatio eines Mammakarzinoms ist schwierig. Metastasen verursachen fast immer heftige Schmerzen und in der Regel eine untere Armplexusläsion (Pancoast-Tumor der Lungenspitze).
11
Notfalluntersuchung Klinik Anamnese und klinische Zuordnung. Plexusparesen gehen oft mit heftigen Schmerzen einher, und frühzeitig treten Atrophien auf. Die obere Armplexuslähmung betrifft die von C5 und C6 versorgte Schulter-Arm-Muskulatur, die untere Armplexusparese die Wurzeln C7 und C8. Bei Engpasssyndromen sind die Zeichen einer Gefäßkompression zu beachten (Verschwinden des Radialispulses bei Reklination und Drehung des Kopfes zur kranken Seite: Adson-Manöver).
Diagnostik Röntgen. HWS und Thorax. MRT. MRT-Untersuchungen können Verletzungen der Wurzeln oder Läsionen des Plexus selbst darstellen.
Vorgehen nur bei Anomalien der oberen Thoraxapertur. Neuralgische Schulteramyotrophie: im akuten Stadium zur Schmerzbehandlung Paracetamol 3 × 1000 mg/d oder Diclofenac 3 × 50 mg/d oder Prednison (50 mg/d) (EG-D). Physikalisch-therapeutische Maßnahmen (wegen Gefahr einer Kontraktur des Schultergelenkes).
Definition und Einteilung Wichtigstes Kompressionssyndrom der oberen Extremität und häufigste fokale periphere Neuropathie. Es entsteht durch Kompression des N. medianus im Bereich des Lig. carpi transversum (Abb. 11.10).
Pathophysiologie Meist idiopatisch. Symptomatische Formen bei Hypothyreose, Z. n. Radiusfraktur, Amyloidose, Gicht, Diabetes mellitus oder rheumatoider Arthritis, selten auch bei Paraproteinämie (Myelom). Andere Risikofaktoren: Schwangerschaft, Klimakterium, Gewichtszunahme.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Die Störungen sind anfänglich oft rein subjektiv und treten als Brachialgia paraesthetica nocturna auf (nächtliche Schmerzen und Parästhesien). Initial ist eine Besserung durch Schütteln der Hände charakteristisch. Bei lang dauernder Kompression kommt es zu Sensibilitätsstörungen, Paresen und Atrophie der Daumenballenmuskulatur.
Therapie
Notfalluntersuchung
•
Klinik
Traumatische Armplexusparese: Lagerung, evtl. Abduktionsschiene, passive Bewegungsübungen. Operative Behandlung beim Nachweis eines Wurzelausrisses erwägen. Beim Kompressionssyndrom in der Regel Haltungsgymnastik mit Stärkung der Schultermuskulatur, operatives
Neurologische Untersuchung. Druckdolenz des Medianusstammes im Karpalkanal, Tinel-Zeichen (das Beklopfen des Lig. carpi transversum löst Dysästhesien der Hand aus). Abduktionsschwäche des
Isolierte Nervenausflle, Entrapment-Syndrome
a
b
N. ulnaris Läsion im Sulcus ulnaris am Ellbogen „Tinel-Phänomen“
N. medianus distal Läsion im Karpaltunnel „Tinel-Phänomen, Phalen-Test“
N. radialis Läsion im mittleren Drittel des Humerus, dorsal „Parkbanklähmung mit Fallhand“
409
Abb. 11.10 Nervenläsionen der oberen Extremität.
sensibles Innervationsgebiet des N. radialis sensibles Innervationsgebiet des N. ulnaris
sensibles Innervationsgebiet des N. ulnaris sensibles Innervationsgebiet palmar des N. medianus
Daumens (Daumen-Kleinfinger-Opposition prüfen). Sensibilitätsausfälle in den Fingern 1 – 3. Provokationstest. Forcierte Dorsalextension oder Volarflexion des Handgelenks kann die typischen subjektiven Beschwerden auslösen (Phalen-Test).
Diagnostik Die Elektroneurografie dient der Diagnosesicherung: Verlängerung der distalen motorischen Latenz. Verminderte sensible Nervenleitgeschwindigkeit. Sinnvoll zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung von einem sensiblen radikulären Reiz- oder Ausfallsyndrom C6 bzw. von einer Polyneuropathie.
Therapie
•
•
Im Stadium der Brachialgia paraesthetica nocturna ohne nennenswerte objektive Ausfälle wird eine Ruhigstellung des Handgelenks während der Nacht auf einer gepolsterten Volarschiene empfohlen (EG-D). Weitere Optionen bei der Brachialgia paraesthetica nocturna sind NSAR (EG-D), Diuretika (EG-D) oder Injektion von Prednison in den Karpaltunnel (EG-B).
sensibles Innervationsgebiet palmar des N. medianus
•
•
Versagen diese Maßnahmen oder finden sich schon zum Zeitpunkt der Diagnosestellung motorische Ausfälle, so ist die Therapie der Wahl die operative Dekompression des Nervs. Nach frühzeitiger Operation ist mit einer vollständigen Rückbildung zu rechnen (EG-B). Nicht selten kommt es jedoch zu Rezidiven oder Ausbildung eines Karpaltunnelsyndroms der anderen Hand.
N. ulnaris Definition und Einteilung Die Ulnarisparese ist gekennzeichnet durch ein Taubheitsgefühl der Finger V und IV, Atrophie und Paresen der kleinen Handmuskeln außer Thenar. Bei ausgeprägten Paresen kommt es zur „Krallenhand“.
410
Neurologie
Pathophysiologie
Typische Krankheitszeichen
Meist handelt es sich um Quetsch- oder Druckverletzungen in der Höhe des Ellbogens (Frakturen, Narkoselähmung) (Abb. 11.10). Gelegentlich Luxation des N. ulnaris in seinem Sulkus. Läsionen des N. ulnaris sind auch in der Loge de Guyon und in der Vola möglich.
Bei oberer Radialisläsion in der Axilla oder am Oberarm kommt es zur typischen „Fallhand“.
Notfalluntersuchung Klinik
Typische Krankheitszeichen
•
•
11
Schwäche der Mm. interossei mit Hyperextension in den Grundgelenken und Flexion in den interphalangealen Gelenken, besonders von Finger 4 und 5; darüber Muskelatrophie, besonders im ersten Spatium interosseum und Hypothenar. Sensibilitätsstörungen des 5. und der ulnaren Seite des 4. Fingers.
Diagnostik Die Elektroneurografie ist bei der Lokalisation der Läsionsstelle behilflich.
Therapie
• •
Je nach ätiologischen Faktoren weitere Druckschädigung vermeiden. Bei chronischer Ulnarisschädigung durch pathologische Gelenkveränderungen ist eine operative Dekompression des Nervs am Ellbogen erforderlich (EG-D).
N. radialis Pathophysiologie Als Lähmungsursache am häufigsten traumatische Läsion (Humerus-, Radiusfrakturen). Ein isolierter Sensibilitätsausfall am Handrücken (Cheralgia paraesthetica) kann durch Druck am Handgelenk (Uhrarmband) verursacht werden. Drucklähmungen kommen bei chronischem Druck in der Axilla vor (Krückenlähmung) und bei Druckauswirkung in der Mitte des Oberarms (Parkbanklähmung, tiefer Schlaf bei Gebrauch von sedierenden Suchtmitteln oder Schlafmitteln) (Abb. 11.10).
Neurologische Untersuchung. Bei Verdacht auf Radialisparese ist die Funktion des M. triceps, des M. brachioradialis sowie der Strecker des Handgelenks und des Fingergrundgelenks zu prüfen.
Diagnostik EMG. Das EMG dient zur Verlaufsbeobachtung, ermöglicht häufig eine prognostische Aussage.
Therapie Evtl. Schiene zur volaren Abstützung der Hand. Die meisten Radialisparesen am Oberarm zeigen einen günstigen Spontanverlauf.
Beinplexusparesen Pathophysiologie Ursachen von Beinplexusparesen können sein: retroperitoneale tumoröse Läsionen (Tumormetastase, Lymphom, lokales Malignom des urogenitalen Systems) oder Hämatome (z. B. als Komplikationen von Wirbel- oder Beckenringfrakturen). Selten können während einer Schwangerschaft oder infolge des Geburtsvorgangs Läsionen des lumbosakralen Plexus auftreten. Auch Schädigungen durch Röntgenstrahlungen kommen vor. Ähnlich wie die neuralgische Schulteramyotrophie ist auch eine progressive lumbosakrale Plexopathie bekannt, die bei i. v. Drogenkonsumenten als allergische Plexitis beschrieben wurde.
Typische Krankheitszeichen
•
Plexus lumbalis: Bei Läsion des Plexus lumbalis (L1–L4) kommt es zu Paresen der Hüftbeuger, Kniestrecker, Außenrotatoren und Adduktoren
Isolierte Nervenausflle, Entrapment-Syndrome
•
des Oberschenkels mit Sensibilitätsausfall an der Vorderseite des Oberschenkels. Abgeschwächter oder fehlender Patellarsehenreflex. Plexus sacralis: Bei Läsion des Plexus sacralis (L5–S3) treten Paresen der Hüftstrecker, Kniebeuger sowie der gesamten Unterschenkel- und Fußmuskulatur und Sensibilitätsstörungen am dorsalen Oberschenkel auf. Abgeschwächter oder fehlender Achillessehnenreflex.
Differenzialdiagnose Lumbosakrale Diskushernie mit Wurzelkompression oder Kaudasyndrom.
Notfalluntersuchung
Typische Krankheitszeichen Wenn die Hüftgelenksbeugung oder Kniegelenksstreckung paretisch ist, der Patellarsehnenreflex abgeschwächt ist oder fehlt und eine ausgedehnte Sensibilitätsstörung der Vorderseite der unteren Extremität vorliegt (Abb. 11.11), ist eine N.-femoralisLäsion zu postulieren. Subjektiv wird ein Einsinken im Knie wahrgenommen. Patient kann nicht mehr oder nur erschwert Treppensteigen.
Differenzialdiagnose
• •
Klinik Erfassen des Ausmaßes der Paresen und Sensibilitätsstörungen, um die Lokalisation der Läsion vornehmen zu können.
Diagnostik Sonografie des Abdomens, CT oder MRT von LWS, Retroperitonealraum und Becken (Psoashämatom bzw. -abszess?).
411
•
Abzugrenzen sind ein radikuläres L3/L4-Syndrom und eine Läsion des Plexus lumbosacralis. Eine isolierte (beidseitige) Atrophie und rein motorische Parese der Oberschenkelstreckmuskulatur können selten Ausdruck einer Myopathie sein. Die proximale diabetische Neuropathie kann als Femoralislähmung imponieren.
Notfalluntersuchung Diagnostik Diagnostisch sind Ultraschall, CT und MRT, aber auch elektrophysiologische Untersuchungen indiziert, um die Ätiologie zu klären.
Therapie Je nach Grundkrankheit Operation, Chemo- oder Radiotherapie.
Therapie Die Behandlung richtet sich nach der Grunderkrankung (Behebung der Kompressionsursache).
N. femoralis Pathophysiologie Der Nerv kann durch einen intrapelvinen Prozess komprimiert (Tumor, Psoashämatom bei antikoagulierten Patienten, abdominales Aortenaneurysma, Abszesse) oder bei operativen Eingriffen geschädigt werden (Totalprothese des Hüftgelenks, Appendektomie, Herniotomie, Hysterektomie).
N. cutaneus femoralis lateralis (Meralgia paraesthetica) Definition und Einteilung Brennende Schmerzen und Missempfindung infolge Reizung des N. cutaneus femoralis lateralis am Lig. inguinale.
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Neurologie
N. cutaneus femoralis lateralis Läsion beim Durchtritt durch das Leistenband
Abb. 11.11 Nervenläsionen der unteren Extremität.
Innervationsgebiet der Hautäste des N. femoralis Innervationsgebiet des N. cut. fem. lat. (dunkelblau das Hauptinnervationsgebiet)
N. tibialis Läsion in der Poplitea
N. peronaeus communis Läsion am Fibulaköpfchen „Schmerz, Tinel-Phänomen“
11
sensibles Innervationsgebiet der Äste des N. tibialis
Innervationsgebiete des N. peronaeus superficialis des N. peronaeus profundus
Pathophysiologie Am häufigsten ist eine chronische mechanische Schädigung im Sinne eines Kompressionssyndroms im Leistenband für die Symptomatik verantwortlich (Abb. 11.11). Als zusätzliche Faktoren spielen beengende Kleidungsstücke oder Gurte, Fettansatz, Bettlägerigkeit, Schwangerschaft oder anstrengende Märsche eine Rolle. Gelegentlich iatrogen bei Hüftoperation.
Typische Krankheitszeichen
• •
Charakteristisch ist eine hypästhetische Zone am lateralen Oberschenkel. Die Beschwerden sind fast immer bei Streckstellung des Hüftgelenks ausgeprägter und verschwinden teilweise bei Beugung.
•
Häufig Druckdolenz an der Durchtrittstelle des Nervs durch das Leistenband zwei Querfinger medial von der Spina iliaca anterior superior.
Therapie
• • •
Wenn die subjektive Beeinträchtigung nur gering ist, Spontanverlauf abwarten. Daneben Vermeiden der erwähnten zusätzlichen äußeren Momente. Infiltration mit einem Lokalanästhetikum, selten operative Revision des komprimierten Nervs.
Akuter spinaler Prozess (nichttraumatisches Querschnittssyndrom)
N. ischiadicus, N. peronaeus und N. tibialis
•
Definition und Einteilung Die Symptomatologie bei Ischiadikusläsion setzt sich in unterschiedlichem Verhältnis aus den Symptomen einer Peronäusparese und einer Tibialisläsion zusammen. Zusätzlich kann allerdings noch eine Parese der Kniebeuger erwartet werden. Bei der Spritzenlähmung (unsachgemäße i. m. Injektion ins Gesäß) kommt es fast immer unmittelbar nach der Injektion zu heftigen Schmerzen und einer peronäusbetonten Lähmung.
Pathophysiologie und Klinik Ischiadikusläsion. Für eine Ischiadikusläsion ist am häufigsten ein Trauma (Beckenfrakturen oder Luxation des Hüftgelenks) oder eine iatrogene Schädigung (Spritzenlähmung) verantwortlich. Läsion des N. peronaeus. Der N. peronaeus wird am häufigsten durch eine Druckläsion im Bereich des Fibulaköpfchens geschädigt (Gipsverband, Lagerung eines Bewusstlosen, längeres Sitzen mit gekreuzten Beinen) (Abb. 11.11). Klinisch finden sich eine Hypästhesie am lateralen Rand des Unterschenkels und über dem Fußrücken sowie ein „Fallfuß“ mit daraus resultierendem Steppergang. Läsion des N. tibialis. Eine isolierte Läsion des N. tibialis in der Kniebeuge ist selten. Sie entsteht meist infolge eines Traumas des Kniegelenks, einer Druckschädigung durch z. B. eine Baker-Zyste (s. Kap. 10, S. 380), bei Gonarthrose oder durch einen Nervenscheidentumor. Bei Läsion des N. tibialis ist der Fußspitzengang undurchführbar, da der M. triceps surae paretisch ist, und der Achillessehnenreflex fehlt.
Differenzialdiagnose
• • •
Eine N.-peronaeus-Läsion muss von einer radikulären L5-Läsion abgegrenzt werden (hier ist auch eine Parese des M. tibialis posterior und M. glutaeus medius zu erwarten). Bei einer Tibialisläsion muss an einen Bandscheibenvorfall mit radikulärem S1-Syndrom gedacht werden. Eine Mononeuropathia multiplex, selten eine Muskeldystrophie oder eine amyotrophe Late-
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ralsklerose können sich unter dem Bild einer Peronäus- bzw. Tibialisparese manifestieren. Beim Tibialis-anterior-Syndrom handelt es sich um eine ischämische Nekrose der Muskeln in der Tibialisloge.
Therapie
• • •
Die Therapie richtet sich jeweils nach der Ursache. Traumatisch bedingte Läsionen sind im Rahmen der chirurgischen Versorgung zu behandeln. Bei einer Druckläsion des N. peronaeus am Fibulaköpfchen wird eine Polsterung angelegt und der Fuß durch eine dorsale Schiene fixiert (EG-D).
Besondere Merkpunkte Bei Tibialis-anterior-Syndrom Spaltung der Fascia cruris anterior innerhalb der ersten 24 h, um die Muskeln vor einer irreversiblen ischämischen Nekrose zu bewahren.
11.10 Akuter spinaler Prozess (nichttraumatisches Querschnittssyndrom) R. Herrmann
Definition und Einteilung Akute, zumeist segmentale Funktionsstörung des Rückenmarks durch Kompression.
Pathophysiologie Metastasen. Am weitaus häufigsten (70 – 80%) ist eine Tumorerkrankung die Ursache eines nichttraumatischen Querschnittssyndroms. Ursache sind zumeist Wirbelkörpermetastasen mit epiduraler Ausdehnung (ventrale Kompression) und Kompressionen durch Anteile frakturierter Wirbelkörper. Häufigste Ursachen sind Mamma-, Bronchial- und Prostatakarzinome. Paraspinale Tumoren (Lymphknotenmetastasen, maligne Lymphome) können auch durch die intervertebralen Foramina wachsen und dadurch eine Rückenmarkkompression verursachen. Eine wichtige Rolle spielt auch die tumor-
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Neurologie
bedingte Kompression von Blutgefäßen, insbesondere der spinalen Venen. Die seltenen intraspinalen oder intramedullären Metastasen oder Primärtumoren können ähnliche Symptome verursachen.
Typische Krankheitszeichen
11
Typisch bei tumorbedingtem Querschnittssyndrom sind: • Schmerzen: bei 70 – 95%, lokal am Rücken oder radikulär, zumeist Tage bis Monate der neurologischen Symptomatik vorausgehend, oft zunehmend im Liegen sowie bei Bewegungen, Husten oder Niesen. • Schwäche: bei ca. 80% der Patienten, Probleme beim Treppensteigen oder Aufstehen. Häufig zusammen mit Parästhesien bis zur Höhe der Kompression. Verlust der Tiefensensibilität (Ataxie). • Harnverhalt, Harndrang, Obstipation und Impotenz sind späte und prognostisch ungünstige Manifestationen.
Differenzialdiagnose
• • • •
Vaskuläre Rückenmarkläsionen: Rückenmarkinfarkte, spinale Blutungen (v. a. als Komplikation der Antikoagulanzientherapie). Die akute Querschnittsmyelitis ist assoziiert mit einer Reihe von Viruserkrankungen, mit multipler Sklerose, mit bakteriellen Infektionen und mit Impfungen. Querschnittssyndrom bei Bestrahlungsmyelopathie. Abszesse bei Spondylodiszitis (s. S. 274, 324).
Notfalluntersuchung Klinik Neurologische Untersuchung • Vergleichende Prüfung der Kraft, der Fuß- und Zehenheber und -senker und der proximalen Beinmuskulatur durch Kniebeugen und aktives Heben des gestreckten Beines. • Hyperreflexie und ein positives Babinski-Zeichen bestätigen eine Beteiligung der kortikospinalen Bahnen. • Fehlende Sehnenreflexe und eine schlaffe Parese finden sich bei einer Kompression der Cauda equina. Schmerzprovokation und -lokalisation durch Klopfen auf die thorakale und lumbale Wirbelsäule sowie durch Heben des gestreckten Beines.
Diagnostik Röntgen. Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule zeigen Hinweise für Knochenmetastasen bei über 70% der Patienten mit Rückenmarkkompression. Bei Lymphomen oder pädiatrischen Tumoren finden sich jedoch häufig keine knöchernen Veränderungen. MRT. Die MRT ist die diagnostische Methode der Wahl. Sie ist in der Lage, mehrere Etagen (ca. 30% der Fälle) von Rückenmarkkompression nachzuweisen und erlaubt eine gute Therapieplanung. CT und Myelo-CT. Die CT ist lediglich von Vorteil bei der Beurteilung der knöchernen Stabilität. Falls kein MRT zur Verfügung steht, kann auch ein MyeloCT durchgeführt werden.
Notfallanamnese
Therapie
• •
Das Behandlungsergebnis ist abhängig vom Ausmaß der bereits vorliegenden neurologischen Veränderungen und von der Geschwindigkeit ihrer Entwicklung. Eine notfallmäßige Diagnostik und Therapie ist daher zwingend!
Tumorerkrankung mit Knochenmetastasierung. Fragen nach Rückenschmerzen, lokal oder radikulär, Hinweise für neurologische Ausfälle (Paresen), Störung der autonomen Funktionen (Blasen- und Mastdarmfunktion, Potenz)?
Notfallmanagement Dexamethason (EG-A) • Bolus 20 – 100 mg i. v., gefolgt von 16 – 32 mg/d (Einleitung bereits bei dringendem klinischem Verdacht).
Akuter spinaler Prozess (nichttraumatisches Querschnittssyndrom)
•
Bei Patienten ohne neurologische Symptome ist eine Dexamethasongabe nicht erforderlich (EG-B). Die Wahl der Therapie wird beeinflusst von der zugrunde liegenden Erkrankung, der Vorbehandlung und der Prognose. Operation • Bei soliden Tumoren ist die operative zirkumferenzielle Dekompression gefolgt von einer Bestrahlung der alleinigen Bestrahlung hinsichtlich motorischer Funktionalität überlegen (EG-A). • Bei der häufig durchgeführten Laminektomie werden der Processus spinosus und die Lamina eine Etage oberhalb bis eine Etage unterhalb der Kompression entfernt, dabei wird für das Rückenmark Platz geschaffen. Der zumeist von ventral her einwachsende Tumor oder Knochenstücke von frakturierten Wirbelkörpern können dabei nicht oder nur unvollständig entfernt werden. • Die anteriore Dekompression ist bei von ventral her einwachsendem Tumor vorteilhaft und ermöglicht zusätzlich eine mechanische Stabilisierung, während nach Laminektomien auf mehreren Etagen häufig instabile Situationen vorherrschen, die zum Teil einen sekundären Eingriff erfordern.
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Vorgehen bei intraspinalen oder intramedullären Tumoren • Das Vorgehen ist bei Metastasen bezüglich Strahlentherapie dem bei epiduraler Manifestation gleichzusetzen. • Intraspinale Primärtumoren sollten operativ entfernt werden und ggf. nachbestrahlt werden. Weitere Maßnahmen • Im Anschluss an eine Operation sollte, wenn möglich, eine Bestrahlung der befallenen Region erfolgen zur Vermeidung eines Lokalrezidivs (EG-C). • Bei bereits eingetretenen motorischen Störungen sind im Anschluss an die Operation bzw. bereits während der Bestrahlung Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit erforderlich. • Gabe eines Bisphosphonats.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Während der Bestrahlung einer Rückenmarkläsion müssen andere Metastasenlokalisationen im Auge behalten werden. Bei diffuser Knochenmetastasierung besteht im Zusammenhang mit einer Immobilität ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Hyperkalzämie.
Strahlentherapie • Die Bestrahlung ist eine wichtige Notfalltherapie bei wenig ausgeprägter Symptomatik, bei Inoperabilität, bei Myelokompression auf mehr als einer Höhe und bei strahlenempfindlichen Tumoren (EG-C). Ziel ist die Entlastung des Rückenmarks durch Verkleinerung der Tumormasse.
Besondere Merkpunkte
Chemotherapie • Voraussetzung für den Einsatz in der Akutsituation ist das Vorhandensein eines chemotherapiesensiblen Tumors (malignes Lymphom, Keimzelltumor, kleinzelliges Bronchialkarzinom, multiples Myelom), der nicht bereits erheblich medikamentös vorbehandelt ist. • Vorteile der Chemotherapie sind die rasche Verfügbarkeit, der rasche Wirkungseintritt bei chemotherapieempfindlichen Tumoren und die Wirkung auch außerhalb der betroffenen Region. • Die Chemotherapie kann auch mit einer Bestrahlung kombiniert werden.
•
•
Jeder Tumorpatient mit Rückenschmerzen ist gefährdet, ein Querschnittssyndrom zu erleiden. Bei beginnendem Querschnittssyndrom notfallmäßige Einberufung eines interdisziplinären Konsils (Neurologie, Radiologie, Neurochirurgie, Radioonkologie und medizinische Onkologie). Gleichzeitige Veranlassung der Diagnostik (MRT). Unmittelbar danach Festlegung der Therapie. 80% der Patienten mit fehlenden oder nur geringen motorischen Dysfunktionen behalten ihre Gehfähigkeit. 20 – 60% der paraparetischen Patienten werden wieder gehfähig. Weniger als 15 % der paraplegischen Patienten können eine Verbesserung ihrer motorischen Funktionen erwarten.
416
Neurologie
11.11 Schwindel L. Kappos
Definition und Einteilung
11
Schwindel ist ein unspezifischer Begriff, der eine unangenehme Sensation von Ungleichgewicht oder veränderter Orientierung im Raum beschreibt. Er entsteht aus einer gestörten Interaktion der an der Raumorientierung beteiligten Sinnessysteme (visuell, vestibulär, somatosensorisch), die zu folgenden klinischen Symptomen führt: • Vertigo (Störung der Raumwahrnehmung), • Nystagmus (Störung der Blickstabilisierung durch den vestibulookulären Reflex [VOR]), • Stand- und Gangataxie (Störung der Gleichgewichtsregulation), • autonome Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch, Blässe, Angst). Beim akuten Schwindelanfall werden diese Symptome als höchst bedrohlich empfunden und können ausgeprägte Angst bis zu phobischen Reaktionen bzw. Tendenz zur Chronifizierung auslösen (phobischer Schwindel). Handelt es sich primär um eine Störung der Afferenz aus dem Vestibularorgan, spricht man von peripher-vestibulären Formen, bei Störung der zentralen Verarbeitung von zentral-vestibulärem Schwindel. Die wesentlichen Krankheitsbilder sind Tab. 11.3 zu entnehmen.
Pathophysiologie Entscheidender Auslöser für Schwindel ist die Inkongruenz (Mismatch) der Bewegungsmeldungen aus verschiedenen Sinneskanälen bzw. die Inkongruenz von erwarteter und tatsächlicher Sinnesreizung. Vestibularsystem. Endorgan des Vestibularsystems sind die im Innenohr gelegenen drei Bogengänge und der Otolithenapparat (Utriculus und Sacculus). Die Bogengänge vermitteln über Bewegungen der Endolymphe und Reizung der Haarzellen Winkelbeschleunigungen, während die Otolithen lineare Beschleunigung und statische Schwerkraftwirkungen aufnehmen. Über den VIII. Hirnnerv werden die dort generierten Impulse an den Hirnstamm geleitet, wo die Hauptprojektionen zu den Hirnnerven III, IV und VI (Okulomotorik), zum Rückenmark, zum zerebralen Kortex und zum Zerebellum führen.
Tabelle 11.3 Ursachen vestibulren Schwindels nach Hufigkeit geordnet. Ursachen peripher-vestibulären Schwindels
• paroxysmaler gutartiger Lagerungsschwindel • Neuronitis vestibularis (akuter einseitiger Labyrinthausfall)
• Morbus Mni re • Autoimmuninnenohrerkrankungen • Perilymphfistel Ursachen zentral-vestibulären Schwindels
• migrneassoziierter Schwindel (Basilarismigrne) • transient ischmische Attacken im posterioren Stromgebiet („vertebrobasilre Insuffizienz“, oft kombiniert peripher-/zentral-vestibulr) • Wallenberg-Syndrom, andere Hirnstammsowie Kleinhirninfarkte • multiple Sklerose mit infratentoriellen Herden • Tumoren der hinteren Schdelgrube • Wernicke-Enzephalopathie • Intoxikationen (Antikonvulsiva, Morphin etc.) • Schdel-Hirn-Trauma mit Hirnstammbeteiligung • zerebellre degenerative Krankheiten (sporadisch, hereditr) • kongenitale Anomalien der Schdelbasis, Syringobulbie (Arnold-Chiari, Dandy-Walker)
Drei sensorische Systeme. Das vestibuläre System ist eines von drei sensorischen Systemen, die der Raumorientierung und Haltung dienen. Mit den anderen beiden (dem visuellen mit Retina und okzipitalem Kortex sowie dem somatosensorischen mit Afferenzen aus Haut, Gelenken und Muskeln) überschneiden sie sich so weit, dass sie gegenseitig Störungen im jeweils anderen System meist ausgleichen können. Schwindel kann durch pathologische Stimulation oder Dysfunktion in jedem dieser drei Systeme entstehen. Labyrinthausfall. Bei gerader und unbewegter Haltung des Kopfes generieren die Vestibularorgane gleichmäßige Entladungen. Bei jeder Beschleunigung werden mindestens zwei der dreidimensional angeordneten Bogengänge beeinflusst, wobei vom einen Labyrinth eine Zunahme, vom anderen eine Abnahme der tonischen Grundaktivität erfolgt. Aufgrund dieser Impulse kommt es zu passender Bewegungsänderung der Augen, so dass die Umwelt optisch konstant bleibt. Fällt nun ein Labyrinth aus oder feuert aus anderem Grunde ungleichmäßig, tritt eine Scheinbewegung der Umwelt zur Gegen-
Schwindel
Tabelle 11.4 Schwindel.
417
Wichtigste Symptome und neurologische Untersuchungsbefunde bei peripherem und zentralem
Symptome und Befunde
Zentraler Schwindel
Peripherer Schwindel
Nystagmus
oftmals vertikal oder rotatorisch, mçgliche nderung bei Blickrichtungsvernderung, Zunahme bei Blick zur Lsionsseite
meist horizontal, manchmal rotatorisch, unidirektional und konjugiert, Zunahme beim Blick weg von der Lsionsseite
Nystagmus: Latenz des Auftretens und Dauer nach Kopfbewegung
keine Latenz, persistierend und Dauer > 60 s
tritt mit Latenz auf, schwcht ab und dauert < 60 s
Kalorische Testung
kann normal sein
pathologisch auf geschdigter Seite
Hirnstamm- oder Hirnnervendysfunktion
oftmals vorhanden
nein
Hçrverlust, Tinnitus
nein
oftmals vorhanden
belkeit und Erbrechen
normalerweise fehlend
normalerweise vorhanden
Schwindel
normalerweise leicht
schwer, oftmals Drehschwindel
Fallneigung
hufig Fallneigung zur Lsionsseite
hufig Fallneigung zur Gegenseite der schnellen Komponente des Nystagmus
Fixieren eines Objekts oder Augenschluss
keine Vernderung oder Zunahme der Symptome
Inhibition von Nystagmus und Schwindel
seite und eine Fallneigung zur kranken Seite auf, die von ausgeprägtem Schwindelgefühl begleitet ist. Innerhalb mehrerer Wochen kann diese Störung durch zentrale Kompensation ausgeglichen werden. Diese zentrale Kompensation versagt meist bei bilateralen Vestibularisläsionen und auch bei Vorschädigung von Hirnstamm bzw. Zerebellum.
Einteilung Akute unilaterale Labyrinthdysfunktionen. Diese können durch Entzündung, Trauma oder Ischämie bedingt sein. Da eine spezifische Ätiologie meistens nicht eruierbar ist, wurden Begriffe wie akute Labyrinthitis, Neuronitis vestibularis oder akute periphere Vestibulopathie geprägt. Akute bilaterale Labyrinthdysfunktionen. Deren Ursachen sind meist toxisch (Alkohol, Arzneimittel: z. B. Aminoglykoside). Rezidivierende einseitige Labyrinthdysfunktionen. In Verbindung mit Zeichen der Kochleadysfunktion (abnehmendes Hörvermögen, Tinnitus) sind sie meist durch einen Morbus Ménière bedingt.
Transitorisch ischämische Attacken oder manifeste Insulte im Bereich des hinteren Hirnkreislaufs („vertebrobasiläre Insuffizienz“) sind in der Regel von anderen neurologischen Ausfällen durch Schädigung benachbarter Kerne und Leitungsbahnen begleitet. Lagerungsabhängiger Schwindel. Diese Form des Schwindels wird durch Kopfreklination oder Kopfseitenlagerung zum Läsionsort ausgelöst. Es kommt mit Latenz von wenigen Sekunden zu einem lateralen, zum unten liegenden Ohr schlagenden Nystagmus mit rotatorischer Komponente, der innerhalb von 10 bis maximal 60 s abklingt.
Typische Krankheitszeichen Tab. 11.4 gibt charakteristische Symptome und Befunde bei zentralem und peripher-vestibulärem Schwindel wieder.
418
Neurologie
Differenzialdiagnose
11
Nichtvestibulärer Schwindel • Okulärer Schwindel: bei gestörtem binokularem Sehen, akuter Refraktionsänderung, okulärem Nystagmus. • Präsynkopaler Schwindel: bei globaler zerebraler Hypoperfusion (z. B. Orthostase, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen). • Gleichgewichtsstörung bei Ausfall der Propriozeption (akute Polyneuropathie), motorischer Schwäche, bilateralen kortikalen oder subkortikalen Läsionen, Basalgangliensyndromen. • Psychophysiologischer Schwindel: Übergang in psychogenen Schwindel nach vestibulärem Schwindelereignis oder auch primär psychiatrisch begründet. Fast immer mit Panikattacken (s. S. 540) und/oder Agoraphobie assoziiert. Ausschlussdiagnose bei normaler neurootologischer Untersuchung und vorhandenen psychiatrischpsychosomatischen Symptomen.
Einzelne Krankheitsbilder Ménière-Krankheit („Hydrops des Labyrinths“). Akute Drehschwindelanfälle (Abb. 11.12 a) mit Brechreiz und Erbrechen, Ohrensausen, einseitiger Gehörabnahme. Die Anfälle dauern Minuten bis Stunden, selten Tage; der Patient legt sich „auf das kranke Ohr“. • Objektive Befunde: – Im Anfall: horizontaler, richtungsbestimmter Nystagmus (Abb. 11.13 a), Fallneigung zur kranken Seite, Dysmetrie im Finger-Nase-Versuch, einseitige Gehörabnahme. – Im Intervall: kein Nystagmus, keine Fallneigung, einseitige Gehörabnahme (von Anfang an oder erst nach vielen Anfällen). – HNO-Befund: Innenohrschwerhörigkeit (vorwiegend tiefe Frequenzen), Untererregbarkeit des N. vestibularis. Akuter peripherer Vestibularisausfall. Synonyma: Neuritis oder Neuronitis vestibularis, Vertigo epidemica. Akut oder subakut einsetzender, innerhalb von Tagen bis Wochen (Monaten) abklingender Dauerschwindel (Abb. 11.12 b) mit Brechreiz und Erbrechen, kein Ohrensausen, keine Gehörabnahme. • Objektive Befunde: – während der ganzen Krankheitsdauer horizontaler, richtungsbestimmter Nystagmus (Abb. 11.13 a), Fallneigung, Gangabweichung zur kranken Seite, intaktes bzw. altersentsprechendes Gehör.
– HNO-Befund: einseitige Untererregbarkeit des N. vestibularis. • Ursachen: Virusinfektion des Ganglion vestibulare? Durchblutungsstörung der A. labyrinthi? Autoimmun? Akuter Labyrinthausfall (periphere kochleovestibuläre Störung). Synonyma: akuter kochleovestibulärer Ausfall, Labyrinthitis. Dauerschwindel (Abb. 11.12 b) mit akutem oder subakutem Beginn, Tinnitus, Gehörabnahme, Erbrechen. • Objektive Befunde: – richtungsbestimmter Horizontalnystagmus (Abb. 11.13 a). – HNO-Befund: Schallperzeptionsstörung (besonders für hohe Töne). • Ursachen: fortgeleitete Otitis media, Cholesteatom, infektiös-toxisch (Masern, Mumps usw.), Schädelbasisfraktur, vaskulär: Verschluss der A. labyrinthi oder Blutung ins Labyrinth (labyrinthäre Apoplexie). Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel. Kurzer, heftiger Drehschwindelanfall beim Hinlegen, Drehen im Bett und Bücken (Abb. 11.12 d) während Sekunden bis maximal 1 Minute. Kein Tinnitus, keine Gehörminderung. • Objektive Befunde: Normalbefund. In Seitenlagerung oder Kopfhängeseitenlage: Mit Latenz von einigen Sekunden flüchtiger Horizontalnystagmus mit rotatorischer Komponente zum unten liegenden Ohr (Frenzel-Brille) mit Schwindel (Abb. 11.13 c), spontane Besserung innerhalb von Wochen bis Monaten. • Ursache: Läsion des Otolithenapparates traumatischer oder degenerativer Genese. Schwindel bei Panikattacke. Häufig! Sekunden dauernd, situationsabhängig. • Objektive Befunde: keine. • Ursache: s. S. 540. Toxische Schädigung. Schädigung des N. vestibulocochlearis oder der Sinneszellen im Innenohr. • Akut: Überdosierung mit Phenytoin (Epileptiker), Chinin, Salizylaten, Nikotin, Alkohol, Barbituraten. • Subakut, chronisch: Aminoglykoside, Vancomycin, Cisplatin. Unbestimmtes Schwindelgefühl (beidseitige Läsion), Oszillopsien (= Schwanken des Blickfeldes). • Objektive Befunde: bei Hydantoinüberdosierung obligat Nystagmus und Gleichgewichtsstörungen, bei den anderen Ätiologien oft kein Nystagmus, nur schwankender Gang, evtl. Gehörstörungen, Oszillopsien beim Gehen. Schwindel bei multipler Sklerose. Fluktuierender Schwankschwindel (Abb. 11.12 c) gelegentlich als
Schwindel
a Attackenschwindel Meniere ´ ´ (intermittierende Vertebralisinsuffizienz)
419
Abb. 11.12 Charakteristische Verläufe von vestibulärem Schwindel.
b Abklingender Dauerschwindel (Anfallschwindel) akuter Vestibularisausfall Labyrinthitis = kochleovestibulärer Ausfall Zoster oticus Felsenbeinfraktur c Fluktuierender Dauerschwindel multiple Sklerose Kleinhirnbrückenwinkeltumor Syringobulbie Hirnstammtumoren d Paroxysmaler Lagerungsschwindel (beim Hinlegen, Drehen, Bücken)
0
1
2 Wochen
Erstsymptom, jüngeres Alter (20 – 40 Jahre), kein Tinnitus, keine Gehörabnahme, ausnahmsweise akuter Dreh- oder Schwankschwindelanfall. Meistens andere Symptome oder Vorgeschichte die auf multiple Sklerose hinweisen. • Objektive Befunde: Nystagmus meistens vorhanden (Blickrichtungsnystagmus, horizontal oder vertikal oder dissoziiert bei internukleärer Ophthalmoplegie) (Abb. 11.13 b). Intermittierende vertebrobasiläre Ischämien. Anfallsweiser Dreh- oder Schwankschwindel, oft ausgelöst durch Drehen und/oder Reklination des Kopfes, mit oder ohne Tinnitus, in der Regel ohne Gehörabnahme. • Evtl. mit Übelkeit, Kollapsneigung, Synkopen („drop attacks“), Kopfschmerzen. • Evtl. flüchtige Lokalsymptome: Dysarthrie, Schluckstörungen, Diplopien, Schwäche der unteren Extremitäten. • Objektive Befunde: In der Regel wird ein Normalbefund erhoben, gelegentlich Auslösung von Schwindel und Nystagmus durch eine bestimmte Kopfhaltung.
•
Ursachen: atheromatöse Gefäßstenosen, orthostatisch, Vertebraliskompression oder „Subclavian-Steal-Syndrome“. Hirnstamminsulte einschließlich WallenbergSyndrom. Akuter, langsam abklingender Drehoder Schwankschwindel. Fallneigung auf eine Seite, verbunden mit anderen Hirnstammsymptomen: Dysarthrie, Schluckstörungen, Hemiataxie, ipsilaterales Horner-Syndrom, Sensibilitätsstörungen. Zoster oticus. Fakultative kochleovestibuläre Symptome, Drehschwindel, Ohrensausen und Gehörabnahme. • Hauptsymptome: periphere Fazialisparese, Schmerzen im Trigeminusbereich, Herpes im äußeren Gehörgang. Schwindel als epileptische Aura. Sehr selten! Kurz dauernder, unbestimmter Schwindel oder Drehschwindel, gefolgt von Bewusstseinstrübung oder epileptischem Anfall (S. 396). Akustikusneurinom. Wegen des langsamen Vestibularisausfalles ist anfallsweiser Schwindel die Ausnahme. Führendes Symptom ist eine fortschreitende einseitige Schwerhörigkeit mit oder ohne leichten
Neurologie
420
• • • • • • a
b
• • • •
c
11
Abb. 11.13 Wichtige Typen des vestibulären Nystagmus. a Richtungsbestimmter vestibulrer Nystagmus. b Blickrichtungsnystagmus: rasche Komponente in Blickrichtung. c Kopfhngelagerungsnystagmus: flchtig zum unteren Ohr oder persistierend.
• • •
Schwindelbeschreibung: Drehschwindel, in welcher Richtung? Schwank-, Lift- oder unbestimmter Schwindel? Beginn: akut, subakut, unbestimmt? Verlauf: frühere Episoden, Frequenz, Dauer der Schwindelsymptomatik? Auslösung: Aufstehen (Orthostase), Kopfdrehen oder Kopf reklinieren, Hinlegen? Ohrgeräusche: einseitig? Gehörabnahme: im Anfall, schon vorher, andauernd? Pfropfgefühl im Ohr (Morbus Ménière)? Stürzen oder Fallneigung: auf welche Seite? Begleitende oder vorausgehende neurologische Ausfälle (Hirnstamminsult), flüchtige zerebrovaskuläre Ischämie (TIA)? Schmerzen: im Ohr? Auf einer Gesichtsseite (Zoster oticus)? Kopfweh (Migräne)? Schädel-Hirn-Trauma? Arzneimittel: Phenytoin, Chinin, Salizylate, Antibiotika, Antihypertensiva, Antikoagulanzien (Blutung ins Innenohr)? Infektionen: Mumps, Masern, chronische Otitis media?
Notfalluntersuchung Klinik
Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen, Nystagmus, einseitige Abschwächung des Kornealreflexes. MRT indiziert. Andere Typen von Schwindel (relativ häufig!) • See- und Reisekrankheiten mit Reizung beider Labyrinthe, • sporadischer Dreh- oder Schwankschwindelanfall: bei (intellektuellem) Stress, Erschöpfung, vegetativer Labilität, vor Migräne, • bei Ohrpfropf, • posttraumatischer Schwindel: nach Schädeloder HWS-Trauma.
Notfallanamnese Es gilt zu klären, was die Betroffenen mit „Schwindel“ wirklich meinen: Oft werden auch Benommenheit, Ohnmachtsgefühl und vieles andere als Schwindel bezeichnet. Handelt es sich um vestibulären Schwindel, wird zunächst nach Begleitsymptomen gesucht, die für eine Ischämie oder eine behandelbare systemische Erkrankung sprechen. Dabei sind im Einzelnen folgende Fragen zu klären:
• • • •
Herz-Kreislauf-System: Blutdruck (im Seitenvergleich, Subclavian-Steal-Syndrom)? Herzrhythmus? Gehör: einseitige Abnahme? (Flüstersprache, Weber-Stimmgabel-Versuch). Otoskopie: Ohrpfropf, Trommelfellperforation, chronische Otitis, Herpesbläschen im äußeren Gehörgang? Nystagmusprüfung (spontan, richtungsbestimmt, Blickrichtungsnystagmus) (Abb. 11.13). – Spontannystagmus bei Fixation und mit der Frenzel-Brille, um Fixation zu unterdrücken (peripher-vestibulär generierter Spontannystagmus nimmt bei Fixation ab; rein rotatorischer oder jeder vertikale Spontannystagmus sind pathognomonisch für zentrale Läsionen). – Kopfschüttelnystagmus: Kopf etwa 20-mal schnell hin- und herdrehen (danach tritt bei peripher-vestibulärem Ausfall ein Nystagmus mit schneller Komponente zur gesunden Seite auf). – Lagerungsnystagmus: Patient wird rasch zur Seite (etwa 1058 von sitzender Position) gekippt (tritt mit Latenz von wenigen Sekunden
Schwindel
• •
ein kürzer als eine Minute dauernder horizontaler Nystagmus mit schneller Komponente nach unten und rotatorischem Anteil auf, spricht dies für einen benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel; sofort einsetzender, länger dauernder Nystagmus spricht für zentrale Läsion). – Eine Reihe anderer Nystagmusprüfungen („ocular tilt reaction“, Nystagmus bei ValsalvaManöver bzw. bei Hyperventilation, Kopfimpulstest) sind ebenso wie die Drehstuhluntersuchung dem Spezialisten vorbehalten. Fallneigung (Romberg), Extremitätenataxie (Finger-Nase-Versuch, Diadochokinese) (V. a. Hirnstamm- oder Kleinhirnschädigung). Zeichen eines Hirnstamminsults? (Dysarthrie, andere Hirnnerven, Dysphagie usw., S. 382).
Diagnostik Neurootologische bzw. HNO-Abklärung einschließlich Audiometrie. Bei Verdacht auf peripher-vestibuläre, otogene Störung (fortgeleitete Labyrinthitis, Morbus Ménière), unsicherer Differenzierung zentral-/peripher-vestibulär. MRT mit diffusionsgewichteten Aufnahmen. Bei Verdacht auf Hirnstamm-/Kleinhirnischämie oder -blutung, Kleinhirnbrückenwinkeltumor, kraniozervikale Übergangsanomalie (selten). Ultraschall der hirnversorgenden Gefäße im Halsbereich und/oder MR-Angiografie. Bei Verdacht auf Hirnstammischämie, Vertebralisdissektion (Halstrauma nicht obligat, ggf. Begleitsymptome wie Nackenschmerzen, Horner-Syndrom). Labor. Prothrombinzeit bei antikoagulierten Patienten, Phenytoinspiegel bei Epileptikern. Serologien auf Viren, Rickettsien, Lues, Borrelia (bei Neuronitis vestibularis).
Therapie
•
•
Der nicht selbstlimitierende, akute, subjektiv deutlich beeinträchtigende Schwindel sollte mit vestibulären Sedativa (H1-Antihistaminika, Phenothiazinderivate, Benzodiazepine), v. a. bei Vorhandensein von Übelkeit und Erbrechen, unterdrückt werden. Parallel dazu Aufklärung und Beruhigung des Patienten, um rechtzeitig Angst abzubauen und einer pathologischen Verarbeitung entgegenzuwirken. Vestibuläre Sedation und Immobilisierung sollten nicht länger als 2 – 3 Tage erfolgen, danach muss der Schwindel im Rahmen vestibulärer
421
Physiotherapie dosiert provoziert werden, um zentrale Kompensationsmechnismen rascher zu aktivieren. • Im Übrigen richtet sich die Therapie nach dem einzelnen Krankheitsbild. – Bei benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel wird man eines der gängigen Repositionsmanöver durchführen; Erfolgsraten bis zu 80% (EG-B) (Abb. 11.14). Die Ergebnisse sind besser bei Canalolithiasis des hinteren Bogengangs, schlechter bei der selteneren Canalolithiasis des lateralen Bogengangs. – Bei Morbus Ménière kann zusätzlich Betahistin (3 × 8 – 16 mg p. o.) (EG-B) verabreicht werden. – Bei vaskulär bedingten Erkrankungen wird man je nach Ätiologie ähnlich wie bei TIA und Hirnstamminsulten vorgehen. Kupieren eines akuten Schwindelanfalls • Bei begleitendem Erbrechen Arzneimittel parenteral oder rektal. • Thiethylperazin 6,5 mg i. m. oder langsam i. v. oder als Suppositorium alle 4 – 6 h. • Diazepam 5 – 10 mg alle 6 – 12 h i. v. oder oral. • Metoclopramid 2 – 3 × 10 mg/d i. v. oder 20 mg als Supp. • Nur oral erhältlich: Sulpirid 3 × 50 – 100 mg oder Dimenhydrinat 50 mg. • Bei Hirnstamminsult Vorgehen entsprechend den Richtlinien zur Behandlung des Schlaganfalls (s. S. 385). • Bei benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel: keine Arzneimittel indiziert, Repositionierungsmanöver (Abb. 11.14).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei ausgeprägtem, länger anhaltendem Schwindel und Erbrechen auf Elektrolythaushalt achten, ausreichende Flüssigkeitszufuhr evtl. parenteral gewährleisten.
Besondere Merkpunkte Vestibuläre Sedativa nur kurz (in der Regel nicht länger als 2 – 3 Tage) geben, Gleiches gilt für strenge Bettruhe. Sobald die akute Phase überwunden ist, sollte mit der vestibulären Rehabilitation, d. h. der langsamen Exposition mit Vestibularisreizen, begonnen werden (EG-B).
Neurologie
422
Position des Körpers und Kopfes
Position des Labyrinthes im Raum
Position und Bewegung der freien Otolithen im hinteren Bogengang
Richtung des auftretenden Nystagmus
1 A
P P
A
H
UT
UT
UT
Cup
R
A
A
P
H
H
L UT
P 3
Cup
105
2
11
L
R
H
UT
195 P L H
A
4
90
P
Cup
UT
A
UT
A
R
P H
UT
P
A UT
H
Abb. 11.14 Semont-Manöver bei einem Patienten mit typischem benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel mit Kupulolithiasis des linken Ohres. Der Patient wird mit nach rechts gedrehtem Kopf von der sitzenden Position rasch um 1058 auf die linke Seite gekippt. Typischerweise treten mit einer Latenz von wenigen Sekunden ein rotatorischer Nystagmus nach links und ein deutliches Schwindelgefhl auf. In dieser Lage wird der Patient whrend ca. 3 min gehalten, damit sich alle gelçsten Otolithen nach unten bewegen kçnnen. Danach wird der Patient unter Beibehaltung der Kopfwendung nach rechts mit einer raschen Bewegung um 1958 auf die Gegenseite gekippt. Dabei tritt in der Regel ein rotatorischer Nystagmus nach links auf, der ebenfalls von Schwindel begleitet wird. Auch in dieser Position verharrt der Patient fr ca. 3 min. Danach wird er langsam wieder in die auf-
Cup
R
L
rechte Position zurckgefhrt, wobei idealerweise die Otolithen dabei noch den letzten Teil ihrer Bewegung um die gesamte Lnge des Bogenganges abschließen. Der Patient wird angewiesen, in den nchsten 24 Stunden abrupte Bewegungen und mçglichst auch Lagerung nach links zu vermeiden. Falls mit diesem Mançver nur eine vorbergehende oder unvollstndige Besserung erreicht wird, kann es am nchsten Tag wiederholt werden. Der therapeutische Erfolg korreliert mit der Heftigkeit der whrend des Mançvers ausgelçsten Schwindelsensationen (EG-D) (modifiziert nach Brandt T. Management of vestibular disorders. J Neurol 2000; 247: 491 – 499). Abkrzungen: A: anteriorer Bogengang, P: posteriorer Bogengang, H: horizontaler Bogengang, Cup: Cupula, UT: Utriculus, R: rechtes Auge, L: linkes Auge.
423
12 Kopfschmerzen L. Kappos
Übersicht
• •
12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6
• • • •
Kopfschmerzen Allgemeines Migräne Kopfschmerzen vom Spannungstyp Cluster-Kopfschmerzen Gutartiges Anstrengungskopfweh Neuralgien im Kopfbereich – Trigeminusneuralgie – Andere Gesichtsneuralgien
12.1 Allgemeines
Definition und Einteilung Man unterscheidet benigne primäre Kopfschmerzerkrankungen, die ihren Krankheitswert über die Symptomatik selbst beziehen, von sekundären Kopfschmerzen, die ein Warnsymptom für zum Teil bedrohliche Erkrankungen darstellen. Primäre Kopfschmerzsyndrome. Die wichtigsten primären Kopfschmerzsyndrome sind: • Migräne mit und ohne Aura, • Cluster-Kopfschmerzen, • Spannungskopfschmerz, • gutartiges Anstrengungskopfweh einschließlich Kopfweh bei sexueller Aktivität, • Gesichtsneuralgien. Sekundäre Kopfschmerzen. Wichtigste Ursachen sekundärer oder gefährlicher Kopfschmerzen sind: • erhöhter intrakranieller Druck verschiedener Ätiologien (s. S. 393), • Infektionen des Zentralnervensystems (Meningitis, Enzephalitis) (S. 310, 316, 321, 323), • Subarachnoidalblutungen (S. 387), • Sinusvenenthrombosen (S. 391),
• •
Riesenzellarteriitis (S. 376), Kopfschmerzen aufgrund metabolischer Störungen (z. B. Hypoglykämie) oder Intoxikationen (CO) (s. S. 479), hypertensive Krise (S. 97), Schädel-Hirn-Trauma, intrakranielle oder intrazerebrale Hämorrhagien, fokale Ischämien des Gehirns (meist im hinteren Hirnkreislauf, im karotidealen Kreislauf äußerst selten Ursache von Kopfweh), Sinusitis, akutes Glaukom.
Pathophysiologie Schmerzempfindliche Strukturen. Im Kopfbereich: Gesicht, Nasennebenhöhlen, Augen, Zähne, Gelenke, Periost des Schädels. Intrakraniell: Teile der basalen Dura, zerebrale und durale Arterien sowie Sinus und deren größere zuführende Venen. Das Gehirn selbst verfügt über keine Schmerzrezeptoren. Schmerzleitung. Erfolgt über Afferenzen des N. trigeminus (vor allem 1. Ast für intrakranielle Strukturen), der zervikalen Wurzeln C1–C3, in geringem Ausmaß für die hintere Schädelgrube der Nn. IX und X. Da die Afferenzen aus den oberen zervikalen Nervenwurzeln mit dem Tractus spinalis des N. trigeminus im oberen Halsmark konvergieren, können okzipital und im oberen Zervikalbereich aufgenommene Reize frontal ausstrahlen und umgekehrt.
Typische Krankheitszeichen In der Akutsituation ist die erste und wichtigste Aufgabe die Differenzierung zwischen primären und sekundären Kopfschmerzen. Primäre Kopfschmerzen. Die diagnostischen Kriterien für primäre Kopfschmerzen sind in den einzelnen Abschnitten wiedergegeben.
424
Kopfschmerzen
Tabelle 12.1 Warnzeichen fr sekundre, gefhrliche Kopfschmerzen. In der Anamnese
• neu aufgetretene oder in ihrem Charakter
12
deutlich unterschiedliche Kopfschmerzen v. a. bei Kindern (Liquorzirkulationsstçrung, Tumor) und ber 50-Jhrigen (Tumor) • plçtzliche, sehr intensive (vernichtende) Kopfschmerzen (Subarachnoidalblutung) • zunehmende Intensitt ber Tage, Wochen, Monate (Tumor) • konstante Lokalisation (Tumor, Kalottenprozess) • Beginn mit Anstrengung, Husten, sexueller Aktivitt (Subarachnoidalblutung) • Schwche, Ungeschicklichkeit, Gleichgewichtsstçrungen (Tumor, Enzephalitis) • Bewusstseinsalterationen, neuropsychologische Stçrungen (Tumor, Enzephalitis) • reduzierter Allgemeinzustand, Myalgien, Arthralgien (Riesenzellarteriitis, andere systemische Erkrankungen) • Fieber (Meningitis, Enzephalitis) • zunehmende und anhaltende Sehstçrungen (Hydrozephalus, Pseudotumor cerebri) • Auftreten nach Trauma einschließlich Bagatelltrauma (Subduralhmatom) Therapieresistenz • Im Befund
• erhçhter Blutdruck (hypertensive Enzephalopathie)
• Bewusstseins- oder Hirnleistungsstçrungen
(Tumor, Enzephalitis) • Meningismus (Subarachnoidalblutung, Meningitis) • Papillençdem, Fundusblutungen (Hirndruck bei Tumoren, Blutung, Enzephalitis, Pseudotumor cerebri, Hypertension) • Anisokorie bzw. trge Pupillenreaktion • andere neurologische Ausflle (Raumforderung) • verhrtete, wenig pulsierende Kopfarterien (Riesenzellarteriitis, aber auch Migrne)
Sekundäre Kopfschmerzen. Tab. 12.1 fasst die Warnzeichen bei gefährlichen sekundären Kopfschmerzen zusammen. Trotz einer Vielzahl von möglichen Ursachen gibt es eine überschaubare Zahl von Kopfschmerzphänotypen. Die meisten entsprechen phänomenologisch den im Weiteren beschriebenen primären Kopfschmerzerkrankungen
Migräne, Kopfschmerzen vom Spannungstyp sowie Cluster-Kopfschmerzen mit dem Unterschied, dass sie erstmals in engem zeitlichem Bezug zu einer anderen Störung aufgetreten sind. Darüber hinaus werden die im Folgenden dargestellten Kopfschmerztypen unterschieden. • Bei erhöhtem intrakraniellem Druck: kontinuierliche Zunahme der Schmerzintensität, Schmerzmaximum am Morgen oder nach längerem Liegen, Besserung nach dem Aufstehen (Bsp.: Hirntumoren). • Liquorunterdrucksyndrom: bilaterale Kopfschmerzen, häufig mit Übelkeit, Erbrechen, evtl. leichtem Meningismus; deutliche Verstärkung bei aufrechter Körperhaltung, Linderung oder Sistieren beim Liegen (Bsp.: nach Lumbalpunktion, nach Trauma oder – sehr selten – spontan). • Schmerzen bei lokaler Läsion: Dauerschmerz von nicht pulsierendem Charakter, deutliches Maximum in einem Areal von bis zu 5 cm Durchmesser (Bsp.: Plasmozytomherd, Knochenmetastase). • Vasodilatatorischer Typ: pulsierende bifrontale, bitemporale Schmerzen ohne Aura, Nausea oder Erbrechen. Häufig als Medikamentennebenwirkung (Nitroglyzerin, Histamin, Prostazyklin, auch nach Einnahme von nitrithaltigen Nahrungsmitteln, Natriumglutamat oder bei Hypoxie). • Stechender Typ (Eispickel-Kopfschmerz): kürzer als 1 s dauernde stechende Kopfschmerzen entweder als Einzelstich oder als Serie von Stichen in einem kleinen, eng begrenzten Gebiet; werden von manchen Autoren noch zur Migräne gezählt.
Differenzialdiagnose Der diagnostische Algorithmus (Abb. 12.1) basiert auf dem zeitlichen Verlauf der Symptomatik und dem Vorhandensein von Hirndruckzeichen und neurologischen Auffälligkeiten.
Notfallanamnese Meistens ist die Anamnese diagnostisch entscheidend! Sie sollte Aufschluss geben über: • auslösende Faktoren, Art des Beginns, Tempo der Progression der Schmerzen, • Lokalisation, Qualität des Schmerzes, Dauer, verstärkende und evtl. mildernde Faktoren, • Begleiterscheinungen, psychische Alterationen, Vorhandensein anderer Erkrankungen, Vorgeschichte ähnlicher Kopfschmerzen,
Allgemeines
425
Vereinfachter Diagnose-Algorithmus bei Kopfweh I Plötzlich auftretender Kopfschmerz (Sekunden, Minuten)
II Zunehmender Kopfschmerz kurze Anamnese (Stunden, Tage, Wochen)
III Chronische oder intermittierende Kopfschmerzen ohne neurologische Ausfälle (Monate, Jahre)
Ausschluss Trauma meningeale Irritation
lokale Pathologie im Kopfbereich? Glaukom, Sinusitis, HWS, Zahnerkrankung, Trauma systemische Erkrankung ? z.B. RR , pulmonale Insuffizienz, Niereninsuffizienz Zeichen intrakranieller Druckerhöhung ? ja nein
lokale Pathologie im Kopfbereich? Glaukom, Sinusitis, HWS, Zahnerkrankungen
ja
nein
Blutung? Meningitis? Hydrozephalus ?
Hospitalisation CT oder MRT1
neurologische Ausfälle?
ja
nein
zerebraler Prozess2
primäre Kopfweherkrankung
pathologisch normal LP3
CT oder MRT1 neurologisch-neurochirurgische Abklärung
CT oder MRT1, ggf. LP
ja zerebraler Prozess2
nein primäre Kopfweherkrankung
CT oder MRT1 neurologisch-neurochirurgische Abklärung
Abb. 12.1 Diagnostisches Vorgehen bei Kopfschmerzen. 1 mit CT- oder MR-Angio (Aneurysma? Sinusthrombose? vaskulre Missbildung?), 2 DD Migr-
•
neurologische Ausfälle?
aktuelle Medikation und mögliche toxische Faktoren (z. B. Alkohol, Drogen, Lösungsmittel).
Notfalluntersuchung Klinik Internistischer und neurologischer Status. Unter besonderer Berücksichtigung von: Bewusstseinslage, Ophthalmo- und Otoskopie, Hirndruckzeichen (bei Raumforderung, Blutung, hypertensiver Krise), Kiefergelenke, Zähne, Sinus, Augen, Palpation der Kopfschwarte (von benachbarten Strukturen ausgehende Kopfschmerzen), Arterien, Venen, Prüfung des Meningismus (Meningitis, Subarachnoidalblutung), Prüfung des zervikalen Muskelhartspanns und der Beweglichkeit der Halswirbelsäule.
primäre Kopfwehsyndrome wenn kontinuierlich, eher dumpf: vermutlich Spannungskopfweh; Analgetikakopfweh wenn intermittierend, eher pulsierend, mit Übelkeit, oft einseitig, Photo- und Phonophobie: vermutlich Migräne mit oder ohne Aura Hinweise: auf Cluster-Kopfschmerz (immer einseitig, evtl. HornerSyndrom, Nasenlaufen)? kraniale Neuralgien (dolente Nervenaustrittspunkte) ? andere Kopfwehsyndrome ? (s.Text)
neaura, 3 auch nach Wochen Subarachnoidalblutung ber Xanthochromie oder Zytologie erkennbar.
Diagnostik (Abb. 12.1) Nur wenn Anamnese und Klinik auf sekundäres Kopfweh hinweisen (Tab. 12.1). Labor. Blutbild (Anämie, Infekt), Nieren- und Leberwerte (Niereninsuffizienz, Alkohol), Kalzium (Knochenmetastasen, Myelom, Hyperparathyreoidismus), Alkohol- oder Arzneimittelkonzentration (bei Verdacht auf Intoxikationen), BSG und CRP (Infektionen, Riesenzellarteriitis), Blutgasanalyse (respiratorische Insuffizienz, CO-Vergiftung), Natrium (Hyponatriämie bei SIADH, Subarachnoidalblutung, Enzephalitis). Schädel CT. Wichtigste Untersuchung bei V. a. sekundäre Kopfschmerzen: Raumforderung? Gefäßmissbildung? Blutung? Liquorzirkulationsstörung? Knochenprozess? Sinusitis? CT-Angiografie (arteriell, venös) zum Nachweis mittelgroßer und größe-
426
12
Kopfschmerzen
rer Aneurysmen, Dissektionen der Karotiden oder A. vertebralis und Sinusvenenthrombosen. Magnetresonanztomografie. Oft als Notfalluntersuchung nicht erhältlich. Bessere Aussage als CT bei V. a. Prozesse der hinteren Schädelgrube, am kraniozervikalen Übergang (z. B. Arnold-Chiari-Malformation) und bei demyelinisierenden Erkrankungen. MR-Angiografie (bei V. a. Sinusthrombose, Aneurysma, Angiom). Alternative zu Spiral-CT oder bei Kontrastmittelunverträglichkeit. Liquoruntersuchung. In der Regel nach der CT bei fehlender Erklärung für Kopfschmerzen nach der initialen Abklärung. Indiziert insbesondere bei klinischem V. a. eine im CT nicht nachweisbare Subarachnoidalblutung oder eine Meningitis/Enzephalitis. Sie sollte auch eine Liquordruckmessung (Hypoliquorrhö-Syndrom oder erhöhter Druck bei Pseudotumor cerebri) beinhalten (Norm 12 – 18 cmH2O). Bei länger als 6 – 8 h zurückliegenden Blutungen können die Xanthochromie des Überstandes sowie der zytologische Nachweis von Siderophagen die einzigen Hinweise auf eine Subarachnoidalblutung sein (bis zu > 8 Wochen nach dem Ereignis). EEG. Bei V. a. Enzephalitis, sonst durch oben erwähnte Untersuchungen inzwischen ersetzt. Sonografie von Hals- und Schädelbasisgefäßen. Nachweis von Stenosen (Kopfschmerzen bei Ischämie im Mediastromgebiet sehr selten, jedoch bei > 50% der Ischämien im vertebrobasilären Stromgebiet), insbesondere auch bei V. a. Karotis- oder Vertebralisdissektion (Nacken- und okzipitale Kopfschmerzen mit fokalen Ausfallsymptomen, HornerSyndrom, Halstrauma nicht zwingend). Halswirbelsäule und Dens-Spezialaufnahmen. Schädel-Hirn-Trauma, degenerative Veränderungen, Osteolysen (im Zweifelsfall ist spinales CT/MRT überlegen).
Therapie
• •
Richtet sich nach Primärerkrankung. Bei Hypoliquorrhö-Syndrom: neben der Gabe von nichtsteroidalen Analgetika, Bettruhe mit vorsichtiger Mobilisation und vermehrte Flüssigkeitsaufnahme (über 2 – 3 l/d p. o. oder hypotone Infusionslösung, z. B. NaCl 0,45 % 1 – 2 l/d) (EG-C).
12.2 Migräne Definition und Einteilung Idiopathisches Kopfschmerzleiden mit mindestens 5 wiederkehrenden Attacken von 4 – 72 h Dauer. Es müssen mindestens 2 der folgenden Kopfschmerzcharakteristika vorhanden sein: • einseitige Lokalisation, • pulsierender Schmerzcharakter, • mäßige bis starke Schmerzintensität, • Verstärkung durch körperliche Aktivität sowie mindestens eines der folgenden Begleitsymptome: • Übelkeit, • Photo- und Phonophobie. Aura. Man unterscheidet Migräne ohne und Migräne mit Aura. Unter Aura versteht man dem Schmerz meist vorausgehende, zerebrale Ausfallserscheinungen (Sehstörung, sensible oder motorische Hemisymptomatik, Aphasie, Schwindel etc.), die sich innerhalb von 5 – 20 min entwickeln und bis zu einer Stunde andauern. Für die Diagnosesicherung der Migräne müssen sekundäre Kopfschmerzen ausgeschlossen werden. Typen. Je nach Ausprägung der Symptomatik werden noch ophthalmoplegische und retinale Migräne, atypische Migräne sowie Migränekomplikationen (Status migrainosus und Migräneinfarkt) unterschieden.
Pathophysiologie Eine angeborene Variante der Reizverarbeitung im Gehirn führt nach bestimmten Triggerfaktoren (Stress, Alkohol, hormonelle und Stoffwechselstörungen) zu überschießender Aktivierung von Schmerzabwehrmechanismen mit Ausschüttung exzitatorischer Neurotransmitter (Serotonin, N-Methyl-D-Aspartat etc.) und Vasokonstriktion (Aura), dann reaktiv über Vasodilatation, Gefäßwandentzündung, Reizung des Nucleus caudalis n. trigemini zu den ausgeprägten Schmerzen sowie über Verbindungen zu Hypothalamus und Chemorezeptorentriggerzone zu Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Übelkeit und Erbrechen.
Migrne
Typische Krankheitszeichen
•
•
•
Siehe Definition. Oft familiäre Häufung, Beginn häufig in der Jugend, Triggerfaktoren (Stress, Stressentlastung, Alkohol, bestimmte Speisen, Menstruation, Änderungen des Schlaf-WachRhythmus). Häufig Vorbotensymptome wie sensorische Überempfindlichkeit, Gereiztheit, Depressivität, auch Konzentrationsstörungen oder Nackenverspannungen. Diese sind nicht zu verwechseln mit der eigentlichen Aura, die bei ca. 15% der Migränepatienten auftritt. Am häufigsten sind visuelle Aurasymptome (Flimmerskotome, Gesichtsfelddefekte bis hin zur kurzfristigen Erblindung). Am zweithäufigsten sind positive (Parästhesien) und negative (Hypästhesien) sensorische Phänomene, bei einem Teil kombiniert mit motorischen Ausfällen. Sind diese bilateral, spricht man von Basilarismigräne, die auch mit ausgeprägtem Schwindel, Ataxie, Dysarthrie, sehr selten mit Synkopen auftritt.
Differenzialdiagnose Die Anamnese (typischer Anfallsablauf) und Fehlen von Warnsymptomen für sekundäre Kopfschmerzen (Tab. 12.1) sichern die Diagnose und erfordern keine Bestätigung mit apparativen Untersuchungen. Probleme können Unterformen der Migräne bereiten: • Migräne mit verlängerter Aura: > 60 min bis maximal 7 Tage. Für eine Migräne mit Aura spricht die langsamere Entwicklung der Symptome sowie ein räumliches Fortschreiten, oft über einzelne Gefäßversorgungsgebiete hinaus. Bei erstem Anfall und/oder Vorliegen zerebrovaskulärer Risikofaktoren ist trotzdem ein Ausschluss eines ischämischen Insultes, insbesondere einer Arteriendissektion oder einer Sinusvenenthrombose (CT, MRT, Ultraschall, Labor) erforderlich. • Ophthalmoplegische Migräne: meist periorbitaler Kopfschmerz mit Parese der Hirnnerven III, IV oder VI, inkomplettem Horner-Syndrom; Kopfschmerz und Ausfälle dauern meist mehrere Tage. Hier müssen kompressive Prozesse parasellär sowie ein Aneurysma der A. communicans posterior (MRT, MR-Angiografie) ausgeschlossen werden, ebenso eine Mononeuropathie bei Diabetes mellitus oder ein Tolosa-Hunt-Syndrom (anhaltender Kopfschmerz, oft auch andere Hirnnerven betroffen, gelegentlich Entzündung im Sinus cavernosus im MR nachweisbar).
• • •
427
Retinale Migräne: monokulärer Visusverlust (Abgrenzung Zentralarterienverschluss, retinale oder Glaskörperblutung, ischämische Retinopathie). Status migrainosus: Kopfschmerzphase dauert länger als 72 h an: Hier ist eine besonders eingehende Abgrenzung gegenüber sekundären Kopfschmerzen erforderlich. Migräneinfarkt: bleibendes neurologisches Defizit und im CT/MRT nachweisbarer Infarkt nach typischer Migräneattacke mit Aura.
Therapie Notfallmanagement
•
•
•
Bei leichter Attacke genügt oft die Gabe eines Antiemetikums möglichst früh im Anfallsverlauf, z. B. Metoclopramid 20 mg als Tropfen oder Suppositorium (Cave! bei Jugendlichen Frühdyskinesie), ca. 15 min später ein Analgetikum, z. B. 1 g Azetylsalizylsäure als Brauselösung, alternativ 1 g Paracetamol p. o. oder rektal oder 400 – 600 mg Ibuprofen p. o. (EG-A). Bei Therapieresistenz bzw. schon initial stärkerem Anfall sind Triptane (oral, als Spray oder s. c.) indiziert (EG-A): – Rizatriptan 10 mg s. c. oder Eletriptan 80 mg oder Sumatriptan 100 mg p. o. Bei initialem Ansprechen, aber Wiederauftreten von Kopfschmerzen zweite Dosis nach frühestens 2 – 4 h (maximale Tagesdosis Sumatriptan 300 mg p. o.). – Alternativ bei ausgeprägter Übelkeit: Sumatriptan 6 mg s. c. Mit fast genauso schnellem Wirkungseintritt Sumatriptan Nasenspray 20 mg 1 – 2 Hübe). Sumatriptan kann auch bei im Verlauf des Anfalls späterem Einsatz gut wirken, meist sind Antiemetika nicht erforderlich. Alternativ zur Behandlung mit Triptanen werden immer noch Ergotalkaloide verabreicht (EG-A): – z. B. Dihydroergotamin 1 – 1,5 mg als Suppositorium oder als Nasenspray, 2 Hübe. – Merke! Ergotalkaloide wirken nur, wenn sie sehr früh im Anfall genommen werden, sollten wegen ihrer teilweise Übelkeit verstärkenden Wirkung nur nach Einnahme von Metoclopramid oder Domperidon (jeweils 20 mg als Tropfen oder Suppositorium) gegeben werden. – Die zu häufige Einnahme kann Migräneattacken in Häufigkeit und Intensität schnell verschlechtern (arzneimittelinduzierter Dauer-
428
•
Kopfschmerzen
kopfschmerz), deshalb nicht häufiger als an 10 Tagen pro Monat, nicht mehr als 2 mg Ergotamin pro Tag, nicht mehr als 6 mg pro Woche. Kontraindikationen: Sowohl Triptane als auch Ergotalkaloide sind bei koronarer Herzkrankheit, schlecht eingestellter arterieller Hypertonie, Morbus Raynaud, arterieller Verschlusskrankheit der Beine kontraindiziert. Zwischen Ergotalkaloid- und Sumatriptaneinnahme sollte wegen möglicher additiver Nebenwirkungen ein 24-Stunden-Abstand eingehalten werden. Besondere Vorsicht ist bei (prophylaktischer) Einnahme von Arzneimitteln, die auf 5-Hydroxytryptamin-Rezeptoren wirken, geboten.
Weitere Maßnahmen
• •
12
Ausreichende Hydrierung, evtl. parenteral, Reizabschirmung (dunkles, ruhiges Zimmer) (EG-D). Status migrainosus: – stationäre Aufnahme, Metoclopramid 10 mg i. v. und Lysin-Azetylsalizylat 1 g über 5 min langsam i. v. (EG-D). – Sedation mit Neuroleptikum (z. B. Levomepromazin 3 × 25 mg p. o.) oder Benzodiazepin (z. B. Diazepam 3 × 10 mg p. o.) oder einem sedierenden Antidepressivum (z. B. Doxepin 50 – 75 mg/d p. o. oder i. v. über 4 – 6 h) (EG-C). – Falls nach 1 – 2 h keine ausreichende Wirkung eintritt: Prednisolon 100 – 250 mg in 1 – 2 Dosen p. o. oder i. v. über maximal eine Woche fortzusetzen (EG-D). – Alternativ wird auch die Gabe von Furosemid 10 – 20 mg über 3 – 4 Tage empfohlen (EG-D).
Besondere Merkpunkte
12.3 Kopfschmerzen vom Spannungstyp Definition und Einteilung Häufigster Kopfschmerztyp. Man unterscheidet episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (Dauer zwischen 30 min und 7 Tagen, nicht mehr als 180 Tage pro Jahr) und chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp (mindestens 15 Tage pro Monat bzw. mindestens 6 Monate pro Jahr anhaltend). Die Kopfschmerzen sind meist beidseitig, drückend, ziehend, von leichter bis mäßiger Intensität, verstärken sich nicht bei normaler körperlicher Aktivität, ohne Übelkeit oder Photophobie oder Phonophobie.
Pathophysiologie Ursächlich werden muskuläre Anspannung, psychosozialer Stress, Angst, Depression, Funktionsstörungen des Kauapparates sowie Arzneimittelmissbrauch (Analgetika, Ergotalkaloide) angeführt.
Typische Krankheitszeichen Die Kopfwehmerkmale sind relativ unspezifisch, können auch bei sekundären Kopfschmerzen vorhanden sein. Deshalb ist deren sorgfältiger Ausschluss erforderlich. Kombination mit Migräne ist möglich.
Differenzialdiagnose Siehe sekundäre Kopfschmerzen (Tab. 12.1).
Während der Auraphase bzw. bei verlängerter Aura ist es ratsam, auf potenziell vasokonstringierende Arzneimittel, insbesondere Triptane oder Ergotalkaloide zu verzichten, da das Auslösen eines Migräneinfarktes möglich ist (EG-D).
Therapie Oft ist die Abgrenzung gegenüber Migräne schwierig; die Übergänge sind fließend. Im Zweifelsfall kann ein Therapieversuch mit Triptanen auch differenzialdiagnostisch helfen.
Notfallmanagement
•
Analgetika: Azetylsalizylsäure 500 – 1000 mg (EG-A) als Brausetablette oder Metamizol 500 – 1000 mg (EG-A) oder Paracetamol 500 – 1000 mg als Tablette oder Ibuprofen 400 – 600 mg + Coffein (EG-B).
Cluster-Kopfschmerzen
•
Zusätzlich bei Exazerbationen – auch zur Prophylaxe neben nichtmedikamentösen Maßnahmen – Antidepressiva, z. B. Amitriptylin 25 – 75 mg/d (EG-A).
12.4 Cluster-Kopfschmerzen (auch Erythroprosopalgie, Bing-Horton-Syndrom)
Definition und Einteilung Attacken eines sehr schweren, streng einseitig lokalisierten orbitalen, supraorbitalen und/oder temporalen Schmerzes von 15 – 180 min Dauer und einer Frequenz von 1 Attacke jeden zweiten Tag bis zu 8 pro Tag. Mit den Kopfschmerzen sollte mindestens eines der nachfolgenden Zeichen auftreten: konjunktivale Injektion, Lakrimation, Kongestion der Nase, Rhinorrhö, starkes Schwitzen der Stirn oder im Gesicht, Miose, Ptose, Lidödem. Je nachdem, ob schmerzfreie Intervalle von mindestens 14 Tagen vorkommen, unterscheidet man episodischen Cluster-Kopfschmerz und chronischen (keine entsprechenden Remissionen).
Pathophysiologie Angenommen werden entzündliche Prozesse im Sinus cavernosus und im Bereich der V. ophthalmica superior mit Übergreifen auf den N. ophthalmicus und Reizung sympathischer Fasern der benachbarten A. carotis interna.
Differenzialdiagnose
• •
•
Prinzipiell können die gleichen Zeichen auch durch frontobasale und mittelliniennahe Prozesse sowie Prozesse im Bereich der Nasennebenhöhlen ausgelöst werden. Die Trigeminusneuralgie unterscheidet sich durch blitzartige Schmerzepisoden von maximal 2-minütiger Dauer und häufigere Wiederholungen sowie das Triggern durch Reize wie Kauen und Sprechen. Die chronische paroxysmale Hemikranie ist phänomenologisch gleich wie der Cluster-Kopfschmerz, jedoch sind die Attacken kürzer (2 – 45 min), sind häufiger (> 5/d), kommen überwiegend bei Frauen vor und sind zuverlässig mit Indometacin zu kupieren.
Notfalluntersuchung Bei Manifestation vor dem 25. und nach dem 60. Lebensjahr, bei allmählich zunehmendem Verlauf oder uncharakteristischen Begleitstörungen ist eine Bildgebung (MRT) unabdingbar (vaskuläre Missbildung, Blutung, Tumor?).
Therapie Notfallmanagement
• •
Typische Krankheitszeichen Männer sind häufiger betroffen, Manifestationsalter zwischen 30 und 40 Jahren. Anfälle treten gehäuft nachts aus dem Schlaf heraus auf. Die Cluster-Phasen dauern meistens zwischen 1 und 2 Monaten, Auslösefaktoren sind Alkohol, Histaminexposition, Nitroglyzerin (auch diagnostisch einsetzbar). Die Patienten laufen im Anfall umher, im Gegensatz zum Ruhebedürfnis des Migränikers.
429
•
Akutbehandlung: 100 % O2 über eine Gesichtsmaske über mindestens 15 min (EG-D). Alternativ: 4 % Lidocain-Lösung in um 308 reklinierter und zur betroffenen Seite leicht rotierter Kopfposition zwischen oberer und mittlerer Nasenmuschel mit einem Wattetupfer instillieren (EG-D). Auch Arzneimittel zur Kupierung des Migräneanfalls (v. a. parenteral und nasal applizierte Triptane) sind unter Beachtung der Kontraindikationen und Interaktionen gut wirksam (EG-C). Antiemetika sind nicht erforderlich.
Weitere Maßnahmen Wegen der hohen Attackenfrequenz ergibt sich auch in der Notfallsituation bei gesicherter Diagnose die Notwendigkeit zur Prophylaxe. Bei episodischem Cluster-Kopfschmerz geeignet: • Kalziumantagonisten: Verapamil 3 × 80 mg/d (EG-A).
430
• • • •
Kopfschmerzen
Pizotifen: 3 × 0,5 – 1 mg/d. Lithium: v. a. bei über 40-Jährigen, 400 – 800 mg/d, Zielkonzentrationen wie in der Prophylaxe der bipolaren Störung bei etwa 0,7 mmol/l (EG-C). Glukokortikoide: z. B. Prednison, 100 mg täglich für 3 – 5 Tage, dann langsame Reduktion in 10-mg-Schritten alle 3 – 4 Tage (EG-D). Indometacin: bei chronischer paroxysmaler Hemikranie Behandlung der Wahl, beginnend mit 3 × 25 mg/d bis zu 3 × 50 mg/d. Der Therapieerfolg sollte sich innerhalb von Stunden bis maximal nach 5 Tagen zeigen (EG-C).
12.5 Gutartiges Anstrengungskopfweh (einschließlich Kopfweh bei sexueller Aktivität, Hustenkopfschmerz)
12
Definition In der Regel bilaterale, entweder dumpfe oder plötzlich explosiv sehr intensiv auftretende Kopfschmerzen mit einer Dauer von 5 min bis 24 h. Treten entweder bei Husten, verschiedenen Formen von Anstrengung oder bei sexueller Aktivität, speziell während des Orgasmus auf.
Differenzialdiagnose
• •
Intrakranielle Prozesse (Raumforderung, Angiom, Blutung) müssen mittels CT ausgeschlossen werden. Bei dem explosiven Schmerztyp (Subarachnoidalblutung) evtl. auch Lumbalpunktion.
12.6 Neuralgien im Kopfbereich Trigeminusneuralgie Definition Kurze, stromstoßartige Schmerzen, einseitig auf das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus begrenzt. Sie werden meist durch Stimuli wie Waschen, Rasieren, Sprechen, Zähne putzen, Essen ausgelöst, können aber auch spontan auftreten. Sie beginnen und enden plötzlich, Remissionen über unterschiedlich lange Perioden sind möglich.
Pathophysiologie Die frühere Einteilung in idiopathisch und symptomatisch ist ins Wanken gekommen, da bei einem Großteil der Patienten eine vaskuläre Kompression des N. trigeminus durch Gefäßschlingen angenommen wird. Andere Ursachen können Raumforderungen (Meningeome, Akustikusneurinome) oder demyelinisierende Prozesse wie die multiple Sklerose, aber auch Infekte oder granulomatöse Prozesse sein.
Typische Krankheitszeichen Dauer der Attacken (Sekunden bis maximal 2 Minuten), Einseitigkeit, sehr intensive Schmerzen lassen an der Diagnose wenig Zweifel. Zwischen den Attacken kann ein dumpfer Dauerschmerz bestehen. Fokal-neurologische Ausfälle fehlen. Falls doch vorhanden, muss mittels Bildgebung nach anderen Ursachen gesucht werden.
Therapie Therapie
• •
Symptomatisch Analgetika, häufig ist Indometacin wirksam. Bei Kopfschmerzen bei sexueller Aktivität prophylaktisch Propranolol 40 – 200 mg/d p. o. Vermeiden starker sexueller Aktivität vor dem Orgasmus (EG-D).
Notfallmanagement
•
Eines der folgenden Antiepileptika bis zum Erreichen von Schmerzfreiheit. Bei Schmerzfreiheit über einige Tage langsame Reduktion auf noch Schmerzfreiheit ermöglichende Erhaltungsdosis. – Pregabalin: initial 2 × 75 mg/d, dann bis zu 3 × 200 mg/d (EG-A). Cave! eingeschränkte Nierenfunktion. – Gabapentin: initial 3 × 100 mg/d, dann Steigerung bis 2400 oder 3600 mg/d (EG-A).
Neuralgien im Kopfbereich
• • • •
• •
– Carbamazepin: initial 100 – 200 mg/d, dann einschleichend, am besten in retardierter Form, Maximaldosis 1600 mg/d (EG-A) oder Oxcarbazepin 3 × 150 mg/d, einschleichend bis 2400 mg/d (Cave! Hyponatriämie). Alternativ Baclofen: 3 × 10 mg/d, weitere Dosiserhöhung alle 2 – 3 Tage um 5 mg bis zur Schmerzfreiheit (Maximaldosis 4 × 25 mg/d) (EG-B). Bei Therapieresistenz ist die Kombination eines der Antiepileptika mit Baclofen möglich. Bei Carbamazepin-Unverträglichkeit Phenytoin (EG-C): beginnend mit 100 mg/d, Dosiserhöhung bis auf 300 – 500 mg/d (bei Dosen > 300 mg/d Spiegelbestimmungen). Ist unter diesen Maßnahmen keine Schmerzfreiheit zu erzielen, können zusätzlich Neuroleptika, z. B. Quetiapin 50 mg/d, innerhalb 3 – 4 Tagen auf 300 mg steigern, Haloperidol 3 × 0,5 – 1 mg/d, langsam steigern (EG-C), sowie Antidepressiva (z. B. Amitriptylin 3 × 10 – 50 mg/d) gegeben werden (EG-C). Bei schlechter Verträglichkeit dieser Medikation oder unzureichendem Effekt chirurgische Maßnahmen erwägen (z. B. Kryoläsionen oder Glycerolinjektion in das Ganglion Gasseri) (EG-C). Merke! NSAR sowie Opiate/Opioide sind in der Regel nicht wirksam, Letztere verstärken bei den oft betagten Patienten die Nebenwirkungen (Verwirrtheit, Delir).
431
Okzipitalneuralgie. Gekennzeichnet durch Schmerzen im Nackenbereich, Druckschmerz der Nervenaustrittspunkte im Nackenbereich, gelegentlich begleitende Hyp- oder Dysästhesie im Versorgungsbereich des N. occipitalis. Neben nichtsteroidalen Antirheumatika (z. B. Ibuprofen 600 – 1800 mg/d) können lokale Infiltrationen mit Anästhetika und evtl. auch Glukokortikoide rasche Erleichterung bringen (EG-C). Postherpetische Neuralgie. Tritt bei etwa 10% der Patienten nach einem akuten Herpes zoster auf. Häufiger bei alten Menschen, bei Vorhandensein von Diabetes mellitus und bei Befall des ersten Trigeminusastes. Meist basaler Schmerz mit kontinuierlichem, mehr brennendem Charakter und überlagerte Dysästhesien (Kribbeln, Stechen). Oft besteht eine Allodynie, d. h. Berührungen, Wind, Temperaturänderungen werden als schmerzhaft empfunden.
Therapie
• • •
Andere Gesichtsneuralgien Pathophysiologie
•
Glossopharyngeus-, N.-intermedius- und N.-laryngeus-superior-Neuralgie. Die mindestens um den Faktor 100 selteneren Neuralgien wie Glossopharyngeusneuralgie (Schmerzen im Bereich des Ohres und neben dem Kieferwinkel), N.-intermedius-Neuralgie (Schmerzen in der Tiefe des Ohres) und N.-laryngeus-superior-Neuralgie (Schmerzen im Rachen und der Submandibularregion) sind therapeutisch ähnlich anzugehen (EG-C).
•
Vorsichtig aufdosierte Antidepressiva (z. B. Amitriptylin 3 × 10 – 25 mg/d oder Clomipramin 3 × 10 – 20 mg/d) (EG-B). Bei unzureichendem Effekt Pregabalin 2 × 75 mg/d bis zu 3 × 100 mg/d oder Gabapentin 3 × 100 mg/d bis maximal 3 × 1200 mg/d (EG-B). Kombination von Antidepressivum mit Gabapentin oder Carbamazepin hilft in therapieresistenten Fällen, auch die Zugabe eines Neuroleptikums (Quetiapin 50 – 300 mg in 1 – 2 Dosen/d, Levomepromazin 3 × 10 mg/d oder Haloperidol 3 × 0,5 mg/d) (EG-C). Opioide wie Tramadol 3 – 5 × 50 mg/d sind gelegentlich wirksam (EG-D). Stehen schmerzhafte Dysästhesien im Vordergrund, wird bevorzugt Carbamazepin 2 × 200 – 400 mg/d (EG-A) oder Amantadin 3 × 100 mg/d p. o. (EG-D) bzw. 2 × 200 mg als Infusion über 3 h i. v. (EG-D) eingesetzt.
432
13 Synkopen, Koma R. A. Schoenenberger
13.1 Synkopen
Präsynkope. Mit Präsynkope werden vegetative (Schwitzen, Hitze- oder Kältegefühl, Nausea etc.) und neuropsychiatrische (Schwindel, Verschwommensehen, Gesichtsfeldeinschränkung, Angst, Depersonalisation) Prodromalsymptome beschrieben, die der Synkope vorausgehen, unabhängig davon, ob der Bewusstseinsverlust eintritt oder nicht. Ursachen. Nach den Ursachen werden Synkopen in 5 (Tab. 13.1) und nichtsynkopale Anfälle in 2 Hauptgruppen eingeteilt (Tab. 13.2).
Definition und Einteilung (Abb. 13.1)
Pathophysiologie
Eine Synkope ist ein rasch einsetzender, transienter (Dauer Sekunden bis Minuten) und selbstlimitierender Bewusstseinsverlust mit Verlust des Muskeltonus infolge einer globalen zerebralen Minderperfusion. Nichtsynkopale Anfälle. Von Synkopen im Sinne dieser Definition abzugrenzen sind nichtsynkopale Anfälle, die nicht auf Grund einer zerebralen Hypoperfusion zur transienten Bewusstlosigkeit führen (Bsp.: epileptischer Anfall) oder bei denen nur scheinbar eine Bewusstlosigkeit vorliegt (Bsp.: psychogene Pseudosynkope).
Die globale zerebrale Minderdurchblutung entsteht durch inadäquate systemische Vasodilatation und/ oder Bradykardie bei neurogen-reflektorischen Synkopen, durch Versagen der autonomen Gegenregulation auf Lagewechsel oder bei Reduktion des effektiv zirkulierenden Volumens bei orthostatischen Synkopen oder durch einen plötzlichen Abfall des HMV bei kardialen Synkopen. Oft spielen mehrere Mechanismen bei der Synkopenentstehung zusammen.
Übersicht 13 Synkopen, Koma 13.1 Synkopen 13.2 Koma
13
echter oder scheinbarer transienter Bewusstseinsverlust
Synkope neurogen-reflektorisch orthostatisch kardiale Arrhythmien strukturelle Kardiopathie zerebrovaskulär
nichtsynkopaler Anfall synkopenähnliche Störungen ohne Bewusstseinsstörung (z.B. Stürze, psychogene Pseudosynkope) Störungen mit partiellem oder vollständigem Bewusstseinsverlust (z. B. epileptische Anfälle)
Abb. 13.1 Klassifikation des transienten Bewusstseinsverlusts.
Synkopen
Tabelle 13.1 Ursachen von Synkopen.
Tabelle 13.2 Ursachen nichtsynkopaler Anflle.
Neurogen-reflektorische Synkopen
Erkrankungen ohne Bewusstseinsverlust
• • •
• Strze • Narkolepsie/Kataplexie • Drop Attacks • psychogene Pseudosynkope
•
vasovagale Synkope Karotis-Sinus-Syndrom situative Synkope – Husten-, Niessynkope – Postmiktionssynkope – Synkope nach Darmstimulation (Schlucken, Defkation, viszeraler Schmerz) – postprandiale Synkope – andere (Lachen, Blasinstrument, Gewichtheben) Glossopharyngeusneuralgie
Orthostatische Synkope
• Dysfunktion des autonomen Nervensystems
• •
– primre autonome Dysfunktion (z. B. Morbus Parkinson, Multisystematrophie) – periphere autonome Neuropathie (z. B. diabetische Neuropathie, Amyloidose) arzneimittel- (und alkohol-) induzierte orthostatische Synkope volumenmangelinduzierte orthostatische Synkope (z. B. Blutung, Diarrhç, Morbus Addison)
Kardial-rhythmogene Synkope
Erkrankungen mit teilweisem oder vollständigem Bewusstseinsverlust
• metabolische Stçrungen: Hypoglykmie,
Hypoxie, Hyperventilation mit Hypokapnie
• Epilepsie (atonische Anflle, Temporallappen-
epilepsie, nicht beobachteter Grand-Mal-Anfall)
• Intoxikationen • transiente ischmische Attacke im vertebrobasilren Stromgebiet
• Basilarismigrne • massive Subarachnoidalblutung Typische Krankheitszeichen
• •
• Sinusknotenerkrankung/BradykardieTachykardie-Syndrom
• Stçrung der Erregungsberleitung im AV-Knoten • paroxysmale supraventrikulre und ventrikulre Tachykardien • medikamenteninduzierte Rhythmusstçrungen • Schrittmacher- oder ICD-Dysfunktion • familire Syndrome (Long-QT-Syndrom, Brugada-Syndrom) Synkope bei struktureller kardialer oder kardiopulmonaler Erkrankung
• Aortenstenose • hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie • Vorhofmyxom • massive Lungenembolie, schwere pulmonal•
arterielle Hypertonie akuter Myokardinfarkt, Perikardtamponade, Aortendissektion
Zerebrovaskuläre Synkope
• vaskulre Steal-Syndrome
433
• •
Oft fehlend, da die Episode beim ersten Arztkontakt vorbei ist. Allen Symptomen gemeinsam: rasch auftretender, transienter Bewusstseinsverlust (Sekunden bis Minuten). Sturz, in bis zu 35 % mit Verletzungsfolgen: Hautlazerationen, Hämatome, Frakturen. Dominante Begleitsymptome bei bedrohlichen Erkrankungen, die mit Synkopen einhergehen können: Kreislaufschock (akute Blutungen), Abdominalschmerz (Ruptur Aortenaneurysma oder viszeraler Hohlorgane, Extrauteringravidität), Thoraxschmerz und Atemnot (Herzinfarkt, Lungenembolie, Pneumothorax, Perikardtamponade), vernichtender Kopfschmerz (Subarachnoidalblutung).
Differenzialdiagnose Mit Synkopen oft verwechselt und von diesen zu unterscheiden sind nichtsynkopale Anfälle mit oder ohne Bewusstlosigkeit (Abb. 13.1 und Tab. 13.2). Die wichtigsten Formen sind: Epileptischer Anfall vom Grand-Mal-Typ (s. S. 396). (Nicht obligate) sensible, sensorische oder vegetative Aura, (lateraler) Zungenbiss, Urinabgang, tonisch-klonische Krämpfe, Zyanose, langsames Erwachen mit Somnolenz, Verwirrtheit, Kopfschmerz, Nausea (postiktaler Dämmerzustand), an-
434
13
Synkopen, Koma
terograde Amnesie. Bei typischer Symptomatik ist die Abgrenzung zur Synkope einfach. Allerdings können Myoklonien und unwillkürliche Bewegungen auch bei mehr als 10 s dauernden kardialen und Reflexsynkopen vorkommen (= sog. konvulsive Synkopen). Vertebrobasiläre Insuffizienz. Oft durch Kopfdrehen oder Reklination ausgelöste transiente ischämische Attacken im vertebrobasilären Stromgebiet, typischerweise mit fokal-neurologischen Hirnstammsymptomen: Drehschwindel, Doppelbilder, Nystagmus, kortikale Sehstörungen, lateralisierte Sensibilitätsstörungen im Gesicht und an den Extremitäten, zuweilen atonisches Hinstürzen („drop attacks“) ohne eigentliche Bewusstlosigkeit. Psychogene Pseudosynkope. Meist im Rahmen von Panikattacken (s. S. 540) oder einer Konversionsstörung unwillentlich vorgetäuschte „Ohnmacht“. Oft in Anwesenheit von Publikum und ohne Verletzungsfolgen bei Stürzen. Typischerweise spürt man beim passiven Öffnen der Lider einen Widerstand und die Augen blicken den Untersucher sehend an. Hypoglykämisches Koma (s. S. 508). Kann plötzlich auftreten. Typische neuroglykopenische und adrenerge Symptome können vor allem bei älteren Patienten fehlen. Charakteristisch ist promptes Erwachen auf i. v. Gabe von Glukose (s. S. 444, 508). Narkolepsie/Kataplexie. Selten. Zwangsweises Einschlafen am Tag. Oft kombiniert mit von Emotionen ausgelöstem plötzlichem Verlust des Muskeltonus mit Hinstürzen (kataleptischer Anfall).
Notfallanamnese Siehe Abb. 13.2. Auslösende Faktoren? • Schreck, Angst, Ekel, intensiver Schmerz, medizinischer Eingriff (vasovagale Synkope). • Wärme, überfüllte Räume, Menschenmenge (vasovagale Synkope). • Während oder nach Miktion, Defäkation, Husten, Schlucken, Lachen, viszeralem Schmerz (situative Synkope). • Während oder nach üppiger Mahlzeit (postprandiale Synkope). • Nach längerem Stehen, v. a. in warm-feuchter Umgebung (orthostatische Synkope). • Nach Wechsel von liegender zu stehender Körperposition (orthostatische Synkope). • Nach kürzlichem Wechsel oder Dosissteigerung der Medikation (orthostatische und kardiale Synkope).
• • • • •
Körperliche Anstrengung (kardiale Synkopen: Aortenklappenstenose, hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie). Unabhängig von der Körperlage, auch im Liegen (rhythmogene Synkopen). Bestimmte Körperstellungen: Vornüberneigen, Sichkrümmen (Vorhofmyxom). Drehung und Reklination des Kopfes, Manipulation am Hals (vertebrobasiläre Insuffizienz, Karotissinussyndrom). Rhythmische Arbeitsbewegungen des Armes (Subclavian-Steal-Syndrom).
Beginn der Synkope? • Allmählich, mit vegetativen Prodromalsymptomen (vasovagale Synkope). • Mit neurologischen Ausfallssymptomen (vertebrobasiläre Insuffizienz). • Aura (epileptischer Anfall). • Mit Palpitationen, Herzrasen (kardiale Synkope). Art und Verlauf des Erwachens? • Rasch, klares Bewusstsein, keine Begleitsymptome (kardiale Synkope). • Rasch, Phase mit Nervosität, Kopfschmerz, Übelkeit, Schwitzen etc. (vasovagale Synkope). • Langsam, verwirrt, Somnolenz (postiktaler Dämmerzustand). Familiäre und persönliche Anamnese? • Familiäres Vorkommen von plötzlichem Herztod (langes QT-Syndrom). • Bekannte strukturelle Herzkrankheit (kardiale Synkope). • Erkrankung mit möglicher autonomer Dysregulation: Diabetes mellitus, Amyloidose, Parkinsonismus, Multisystematrophie (orthostatische Synkope). • Bekannte neurologische Erkrankung (Epilepsie, Narkolepsie). • Bekannte Panik- oder Konversionsstörung (psychogene Pseudosynkope). • Arzneimittelanamnese: Antihypertensiva, Nitrate, Diuretika, Antidepressiva, Neuroleptika, AntiParkinson-Mittel (orthostatische Synkope); Digoxin, Betablocker, Verapamil (Bradykardie); Antiarrhythmika (Tachyarrhythmien); QT-Zeitverlängernde Substanzen: Amiodaron, Sotalol, Citalopram, Haloperidol, Clarithromycin, Methadon etc. (Torsade de Pointes); Insuline/Sulfonylharnstoffe (Hypoglykämie).
Synkopen
435
transienter Bewusstseinsverlust
Anamnese, Status, EKG, Orthostasetest
Aura tonisch-klonischer Krampf postiktaler Zustand neurologischer Ausfall heftiger Kopfschmerz Angst, Hyperventilation
+
nichtsynkopaler Anfall s.Tab. 13.2
Synkope
dominante Begleitsymptome
+ Schock ? Thoraxschmerz ? Atemnot ? Abdominalschmerz?
auslösender Faktor Prodromalsymptome (Präsynkope)
+
vasovagale Synkope
DD akute Blutung Myokardinfarkt Lungenembolie Ruptur Aortenaneurysma Ruptur Hohlorgane ektope Schwangerschaft
typische Tätigkeit beim Auftreten?
+
situative Reflexsynkope
Orthostasetest pathologisch?
+
orthostatische Synkope
s. Abb. 13.3
Synkope unklarer Ätiologie
beweisendes EKG s. Tab. 13.3
Abb. 13.2 Initiale klinische Evaluation beim transienten Bewusstseinsverlust. Anamnese, Status, Ruhe-EKG und Orthostasetest ermçglichen in der Regel
Notfalluntersuchung Klinik Vitalzeichen. Bewusstseinszustand (Glasgow Coma Scale, s. Tab. 13.5, S. 439) (postiktaler Dämmerzustand), Blutdruck (Hypotonie bei Hypovolämie/Dehydratation oder vasovagaler Reaktion), Pulsfre-
+
rhythmogene Synkope
die Differenzierung von Synkopen und nichtsynkopalen Anfllen. Bestimmte Synkopen kçnnen mit der initialen Evaluation abschließend diagnostiziert werden.
quenz, Pulsqualität (Pulsus parvus et tardus bei Aortenstenose und hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie). Blutdruckdifferenz an den Armen bei Stenose der A. subclavia (Subclavian-StealSyndrom). Ausschluss eines akuten Blutverlusts. Mögliche Ursache einer orthostatischen oder vasovagalen Synkope. Blutdruck systolisch < 90 mmHg, periphere Vasokonstriktion, rektale Untersuchung (Blut am
436
Synkopen, Koma
Fingerling!), schmerzhafte Abdominalpalpation (Aortenaneurysma, ektope Schwangerschaft). Orthostaseversuch. Ausgangs-BD/Puls nach 5 min im Liegen, danach rasches Aufstehen und nach 3 min im Minutenabstand Messungen wiederholen. Der Orthostasetest ist positiv bei einem Abfall des BDsyst um mindestens 20 mmHg oder bei einem Abfall des BDsyst absolut unter 90 mmHg. Auskultation. Lautes systolisches Austreibungsgeräusch (Aortenstenose, hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie), Mitralinsuffizienzgeräusch mit wechselnder Lautstärke (Vorhofmyxom), Strömungsgeräusch über A. subclavia (Subclavian-StealSyndrom). Suche nach Verletzungen. Riss-/Quetschwunden, Hämatome, Frakturen; am häufigsten bei älteren Patienten: Schenkelhals-, Rippen-, Schambeinast-, Wirbelkörper-, subkapitale Humerus- und Radiusfrakturen. Prüfung des Hydratationszustands. Halsvenenfüllung in Flachlage? (fehlt bei Dehydratation, massivem Blutverlust). Tachypnoe? Rasselgeräusche? Dämpfung bei Pleuraerguss? Gestaute Halsvenen bei 458 oder positiver hepatojugulärer Reflux? Beinödeme? (strukturelle Herzerkrankung, Lungenembolie).
13
Initiale Diagnostik Labor. Elektrolyte, Kreatinin, Blutzucker, Hämoglobin. Die Werte tragen fast nie zur Klärung der Synkopenursache bei, bestätigen aber gelegentlich die Diagnose bei nichtsynkopalen Anfällen (Hypoglykämie bei hypoglykämischem Koma, Hyponatriämie als Mitursache bei epileptischen Anfällen, tiefes Hämoglobin bei massiver Blutung). EKG (Tab. 13.3). Meistens normal und damit Ausdruck einer Synkope mit günstiger Prognose! In 2 – 4% kann die Synkope im initialen EKG als gesichert kardial diagnostiziert werden. Häufig liegen Veränderungen vor, die eine strukturelle Kardiopathie oder eine Arrhythmie als Synkopenursache vermuten lassen. In diesen Fällen ist die Prognose ungünstig und eine weiterführende Diagnostik indiziert. Beurteilung. Die initiale Evaluation (Anamnese, Status, EKG, Orthostasetest) erlaubt in der Regel die Unterscheidung von Synkopen und nichtsynkopalen Anfällen. Eine weitere Diagnostik ist nicht angezeigt bei (Abb. 13.2): vasovagalen Synkopen mit typischer auslösender Situation und Prodromalsymptomen, situativen Synkopen (Miktion, Defäkation, Hustenschlag), orthostatischen Synkopen mit pathologischem Orthostasetest und kardial-rhythmogenen Synkopen mit diagnostischem EKG (Tab. 13.3).
Tabelle 13.3 Synkope.
EKG-Vernderungen bei Patienten mit
Kardial-rhythmogene Synkope gesichert
• Sinusbradykardie < 40/min oder wiederholter
sinuatrialer Block oder Sinuspausen > 3 s ohne negativ chronotrope Medikation • AV-Block II. Grades Typ Mobitz II oder AV-Block III. Grades • alternierend Links- und Rechtsschenkelblock • rasche paroxysmale supraventrikulre Tachykardie oder Kammertachykardie • Schrittmacherdysfunktion mit kardialen Pausen Synkope bei Myokardischämie gesichert
• ST-Hebungen oder dynamische ST-T-Bewegungen mit typischem koronarem Schmerz
Suggestiv für kardial-rhythmogene Synkope
• bifaszikulrer Block (entweder kompletter
• • • • • •
Linksschenkelblock oder Rechtsschenkelblock mit linksanteriorem oder linksposteriorem Hemiblock) andere intraventrikulre Reizleitungsstçrung mit einer QRS-Dauer ‡ 0,12 s AV-Block II. Grades Typ Mobitz I asymptomatische Sinusbradykardie (< 50/min), sinuatrialer Block oder Sinuspause £ 3 s ohne negativ chronotrope Medikation verlngertes QT-Intervall (,: QTc > 470 ms; <: QTc > 450 ms) Rechtsschenkelblockbild mit ST-Hebungen in Ableitungen V1–V3 (Brugada-Syndrom) Q-Zacken als Zeichen einer Myokardinfarktnarbe
Weitere Diagnostik (Abb. 13.3) Wenn die Ursache einer Synkope nach der initialen Diagnostik nur vermutet werden kann oder unklar bleibt, erfolgt die weitere Diagnostik in Abhängigkeit von suggestiven Symptomen (Tab. 13.4) und der Häufigkeit der Synkopen. In der Notfallsituation geht es in erster Linie darum, prognostisch ungünstige kardiale Synkopen von prognostisch günstigen Formen (neurogen-reflektorischen) abzugrenzen. Vermutete kardiale Synkopen. Bei vermuteten kardialen Synkopen sollen in der Notfallsituation folgende Untersuchungen geplant werden: Echokardiografie. Immer angezeigt, wenn die initiale Beurteilung (Anamnese, Status, EKG) auf eine strukturelle Herzkrankheit hinweist, um die Kardiopathie zu charakterisieren und das Risiko für weitere
Synkopen
437
Synkope
Ursache sicher (s. Abb.13.2)
Ursache vermutet (s. Tab.13.4)
Ursache unbekannt
ja eher kardial oder rhythmogen
eher Reflexsynkope oder Orthostase
Echokardiografie 24-h-EKG Event-Recorder Belastungstest nein
häufig (1x/Woche bis 1 x/3 Monate) oder Verletzungen
> 60 Jahre: Karotissinusmassage Kipptischtest Event-Recorder ja
nein
erstmalig oder selten (<1x/3 Monate)
Stopp der Abklärung
ja
Stopp der Abklärung
Therapie
Abb. 13.3 Weiterführende Abklärung bei Synkopen. Nach Abgrenzung nichtsynkopaler Anflle durch Anamnese, Status, EKG und Orthostasetest richtet
sich die weitere Abklrung nach der durch die initiale Evaluation vermuteten Synkopenursache bzw. nach der Hufigkeit der Synkopen.
Synkopen abzuschätzen. Eine definitive Ursache für die Synkope wird aber nur selten gefunden: schwere Aortenstenose, Vorhofmyxom. 24-h-EKG. Angezeigt bei unklaren Synkopen, bei denen Anamnese, Status sowie die Echokardiografie die Diagnose einer strukturellen Herzerkrankung ergeben haben. Essenziell ist ein vollständiges Symptomprotokoll. Findet sich im Langzeit-EKG keine relevante Rhythmusstörung und der Patient gibt keine Symptome an, kann die Suche nach einer rhythmogenen Ursache der Synkope beendet werden. Finden sich Rhythmusstörungen als potenzielle Erklärung von Synkopen, ist die Therapie von der Korrelation mit den aufgezeichneten Symptomen abhängig. Ist das Langzeit-EKG nicht diagnostisch, besteht aber weiterhin eine hohe Vortestwahrscheinlichkeit für rhythmogene Synkopen (kurze Bewusstlosigkeit, keine Prodromalsymptome, Palpitationen, abnor-
mes Ruhe-EKG, strukturelle Herzerkrankung), sind die nächsten Schritte ein Event-Recorder oder eventuell eine elektrophysiologische Stimulationsstudie. Belastungs-EKG. Angezeigt bei Synkopen, die während oder nach einer körperlichen Belastung aufgetreten sind. Eine Echokardiografie muss zuvor eine Ausflusstraktobstruktion ausgeschlossen haben. Es können Tachy- oder Bradyarrhythmien manifest oder eine anstrengungsabhängige Reflexsynkope provoziert werden. Vermutete neurogen-reflektorische Ursachen. Nach Ausschluss einer strukturellen Herzkrankheit sollen bei häufigen (1-mal/Woche bis 1-mal in 3 Monaten) Synkopen oder solchen mit Verletzungsfolgen neurogen-reflektorische Ursachen gesucht werden. Folgende Untersuchungen können in der Notfallsituation bereits geplant werden:
438
Synkopen, Koma
Tabelle 13.4 tiologische richtungsweisende klinische Zeichen bei unklaren Synkopen. Neurogen-reflektorische Synkope
• lange Anamnese von Synkopen • Fehlen einer strukturellen Herzkrankheit • belkeit und Erbrechen vor/nach Synkope • whrend oder nach (ppiger) Mahlzeit • nach Kopfdrehung oder Druck am Hals • Synkope in warmer, berfllter Umgebung Kardiale Synkope
• bekannte strukturelle Herzkrankheit • Synkope bei Belastung oder im Liegen • Palpitationen oder Thoraxschmerz • positive Familienanamnese fr plçtzlichen Herztod
Orthostatische Synkope
• nach Lagewechsel in die Aufrechte • nach Wechsel oder Dosiserhçhung von Medikamenten
• bekannte Erkrankung mit autonomer Neuropathie
13
Zerebrovaskuläre Synkope
• bei Anstrengung der Arme • Blutdruck- oder Pulsdifferenz der Arme
Event-Recorder. Tragbare (bis 7 Tage) oder implantierbare (implantable loop recorder: bis 6 Monate) Einrichtung, mit der der Herzrhythmus kontinuierlich aufgezeichnet, kurzzeitig gespeichert und automatisch wieder gelöscht wird. Der Patient kann nach einer Synkope mit Knopfdruck das definitive Speichern des vorhergehenden und nachfolgenden Zeitintervalls auslösen. Zudem können aufzuzeichnende Rhythmusstörungen automatisch programmiert werden. Diese Methode wird bei Patienten empfohlen, bei denen eine strukturelle Herzkrankheit ausgeschlossen wurde und die häufig Synkopen erleiden oder bei denen die bisherige Evaluation weiterhin suggestiv für eine kardial-rhythmogene Synkope ist. Karotissinusmassage. Angezeigt bei Patienten > 60 Jahre mit unklarer Synkope. Unter Monitorkontrolle soll einseitig auf die Teilungsstelle der A. carotis (2 – 3 cm unterhalb des Kieferwinkels) während 5 bis maximal 10 s ein leichter Druck ausgeübt werden. Bei BDsyst-Abfall ‡ 50 mmHg und/oder Auftreten
einer Asystolie ‡ 3 s ist der Versuch pathologisch. Der Test soll sowohl liegend als auch in aufrechter Körperposition durchgeführt werden. Bei Patienten mit vorwiegend kardioinhibitorischer Hypersensitivität des Karotissinus kann ein Schrittmacher indiziert sein. Kipptischtest. Angezeigt vor allem bei jüngeren Patienten. Der Patient wird nach Messung von Ausgangsblutdruck und -puls mit und ohne Isoproterenol-Infusion aus einer liegenden Position in eine 608–708 aufrechte Position gebracht. Er sollte nur dann als positiv betrachtet werden, wenn die typische Symptomatik des einzelnen Patienten reproduziert werden kann und ist der Zentrumsklinik vorbehalten.
Therapie Abhängig von der Ätiologie: Vasovagale Synkope • Vermeiden auslösender Faktoren. • Isometrische Gegendruckmanöver der Beine (kräftiges, angespanntes Übereinanderschlagen) (EG-C). • Bei rezidivierenden Synkopen Midodrin 3 × 5 – 10 mg/d (EG-A). • Nur in bedrohlichen Fällen mit kardioinhibitorischen Synkopen nach Kipptischuntersuchung: Schrittmachertherapie (Typ DDI) (EG-D). Orthostatische Synkope • Liegende Position, Beine hochlagern. • Grundkrankheiten mit Verminderung des Extrazellulärvolumens behandeln. • Medikation überprüfen (Dosisreduktion und/ oder Weglassen von Diuretika, Antihypertensiva, Antidepressiva, Neuroleptika). • Instruktion des Patienten: langsames Aufstehen aus der liegenden Position. • Bei Orthostase infolge autonomer Neuropathie: Midodrin 3 × 10 mg/d (EG-A) oder Fludrocortison Beginn mit 0,1 mg/d (EG-C). Kardiale Synkopen • Therapie gemäß zugrunde liegender Erkrankung: z. B. operativer Klappenersatz bei Aortenstenose (EG-D), Weglassen proarrhythmogener Arzneimittel (EG-D), Herzschrittmacher bei bradykarden Rhythmusstörungen (EG-D), medikamentöse Therapie, Katheterablation oder implantierbarer Kardioverter/Defibrillator bei malignen Tachyarrhythmien (EG-A).
Koma
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Besondere Merkpunkte
Die Entscheidung stationäre Aufnahme oder ambulante Abklärung hängt weniger von der Ursache der Synkope ab als von Begleiterkrankungen und Verletzungen sowie der sozialen Situation der Patienten.
•
Indikationen zur Hospitalisation von Patienten mit Synkope (EG-D) • Vermutete oder bekannte signifikante strukturelle Kardiopathie, • Synkopen infolge kardialer Ischämie oder Arrhythmien, • Synkopen mit Verletzungen, Palpitationen oder nach Anstrengungen, • Synkopen mit pathologischem Ruhe-EKG (Tab. 13.3), • häufige Synkopen (mehrfach pro Tag bis 1 ×/Woche), • positive Familienanamnese für plötzlichen Herztod.
•
•
439
20% aller Synkopen bleiben ätiologisch ungeklärt. Anamnese, Status, Ruhe-EKG und Orthostasetest sind die wichtigsten Instrumente zur Differenzierung der Synkopen nach Ursache. Verletzungen als Sturzfolge bei Synkopen sind häufig und sollen aktiv gesucht werden.
13.2 Koma Definition und Einteilung Ein Koma ist eine quantitative Beeinträchtigung des Bewusstseins mit gradueller Abnahme bis zum Fehlen der Selbstwahrnehmung und der Reaktionen auf externe Stimuli wie Anruf oder Schmerz. Der Schweregrad traumatischer und nichttraumatischer Komata wird nach der Glasgow Coma Scale (GCS) eingeteilt (Tab. 13.5). Diese Einteilung ermöglicht – im Gegensatz zu den Begriffen Somnolenz, Stupor und Sopor – eine reproduzierbare Beurteilung der Koma-
Tabelle 13.5 Glasgow Coma Scale (GCS) – Einteilung des Schweregrades der Bewusstseinstrbung. Prüfung
Reaktion
Augençffnung (eye opening)
• çffnet Augen spontan • çffnet Augen auf Ansprechen • çffnet Augen auf Schmerzreiz • çffnet Augen nicht
Beste motorische Reaktion (best motor response)
Bewertung/Punkte
• bewegt sich auf Aufforderung • gezielte Abwehr auf Schmerzreiz • ungezielte Abwehr auf Schmerzreiz • abnorme Flexion auf Schmerz und/oder spontan
4 3 2 1 6 5 4 3
(Dekortikationshaltung)
• Streckmechanismen auf Schmerz und/oder spontan
2
• keine Reaktion
1
• Patient orientiert, beantwortet Fragen • Patient desorientiert, antwortet auf Fragen • inadquate verbale Reaktion auf Anruf • unverstndliche Laute auf Anruf • keine verbale Reaktion
5
(Dezerebrationshaltung)
Beste verbale Reaktion (best verbal response)
Gewertet wird die Summe aller 3 geprften Reaktionen; der hçchste Score ist 15, der tiefste 3 Punkte
4 3 2 1
440
Synkopen, Koma
tiefe. Sie erlaubt auch eine objektive Verlaufsbeurteilung sowie in gewissen Fällen prognostische Aussagen.
•
Pathophysiologie Zum Koma führen strukturelle Erkrankungen oder funktionelle Störungen des Gehirns entweder durch eine bilaterale Dysfunktion des Kortex oder durch eine Läsion des Hirnstamms. Hirnstammschädigung. Diese kann durch 3 Mechanismen erfolgen: • transtentorielle Herniation von Temporallappenanteilen und dadurch Hirnstammkompression bei einseitiger supratentorieller Massenläsion oder bei diffusem Hirnödem, • Kompression des Hirnstamms durch infratentorielle Massenläsion, • intrinsische Hirnstammläsion. Bilaterale Kortexläsionen haben fast stets eine toxisch-metabolische Ursache, Schädigungen des Hirnstamms sind häufiger Folge struktureller Läsionen des Gehirns.
13
Differenzialdiagnose Die folgende Übersicht gliedert die quantitativen Bewusstseinsstörungen nach pathophysiologischen Hauptkategorien. • Diffuse metabolische oder toxische Schädigung des Cortex cerebri: – Intoxikation mit Sedativa/Hypnotika (S. 463), – Intoxikation mit Alkohol (S. 487), – Intoxikation mit Opioiden (S. 471), – Hypoglykämie (S. 508)/Coma diabeticum (S. 500), – Hypoxämie/Hyperkapnie, – Störung der Elektrolyte/Osmolalität (Hyponatriämie, S. 196/Hyperkalzämie, S. 211), – hepatisches Koma (S. 148), – urämisches Koma, – Hypothermie (S. 515)/Hyperthermie (S. 511), – selten: Wernicke-Enzephalopathie (S. 404)/ Kohlenmonoxidintoxikation (S. 479). • Diffuse entzündliche oder funktionelle Erkrankung des Gehirns: – Status epilepticus/postiktaler Dämmerzustand (S. 396), – Meningoenzephalitis (S. 316), – Subarachnoidalblutung (S. 387), – hypertensive Enzephalopathie (S. 98), – hypoxämische Enzephalopathie.
•
•
•
Supratentorielle Massenläsion (mit möglicher Hirnstammkompression): – intrazerebrale Blutung (S. 382), – ischämischer zerebrovaskulärer Insult (S. 382), – chronisch-subdurales Hämatom (S. 390), – Hirntumor (mit/ohne Einblutung), – Hirnabszess (S. 310). Infratentorielle Massenläsionen: – ischämischer Hirnstamminsult (S. 382), – Hirnstammblutung, – zerebellare Blutung oder ischämischer Insult, – infratentorielles subdurales Hämatom. Trauma: – Commotio cerebri, – Contusio cerebri, – akutes subdurales Hämatom, – epidurales Hämatom. Hysteriforme Bewusstseinstrübung (S. 397).
Notfallanamnese Folgende 5 Punkte sollten bei jedem Patienten mit Koma evaluiert werden: • Vorangegangenes Schädel-Hirn-Trauma (auch wenn scheinbar banal). Oft liegt neben der eigentlichen Komaursache simultan ein SchädelHirn-Trauma vor. • Hinweise für Arzneimittel- und/oder Drogengebrauch (einschließlich Alkohol): Fundort und Fundsituation (in Wohnung, im Freien, vor Gaststätte)? Zeichen für Suizidversuch (Abschiedsbrief, leere Medikamentenblister)? Zeichen für Alkohol- oder i. v. Drogenmissbrauch (leere Flaschen, Utensilien zur i. v. Injektion)? • Medizinische Anamnese: Epilepsie (Status epilepticus/postiktaler Dämmerzustand)? Diabetes mellitus (Hypo- oder Hyperglykämie)? Arterielle Hypertonie (intrakranielle Blutung)? Leberzirrhose (hepatische Enzephalopathie, Leberkoma)? Nierenerkrankung (urämisches Koma)? Schwere Lungenerkrankung (Hypoxie, Hyperkapnie)? Metastasierendes Malignom (Wasserintoxikation, Hyperkalzämie)? Psychiatrische Erkrankung (Tentamen, hysteriformes Koma)? • Symptome vor Auftreten des Komas: Suizidankündigung, Depression (Intoxikation)? Schwitzen, Tremor, Agitation, Aggressivität (Hypoglykämie)? Polyurie, Polydipsie, Gewichtsverlust (diabetisches Koma, Hyperkalzämie)? Kopfschmerz (Subarachnoidalblutung, intrazerebrale Massenblutung)? Hemiparese, Hemihypästhesie (supratentorielle Massenläsion)? Fieber, Delirium (Meningitis, Enzephalitis, Mischintoxikation)? We-
Koma
•
sensveränderung, Gangstörung (Hirntumor, chronisch-subdurales Hämatom, Wasserintoxikation)? Seelisch belastende Konfliktsituation (hysteriformes Koma)? Zeitliches Auftreten des Komas: Plötzlich (Subarachnoidalblutung, Epilepsie)? Allmählich mit fokal-neurologischem Ausfall (supratentorielle Massenläsion)? Allmählich ohne fokal-neurologische Ausfälle (metabolische oder toxische Enzephalopathien, Meningoenzephalitis)? Nach Tropenreise (zerebrale Malaria)?
Notfalluntersuchung Klinik Prüfung der Vitalzeichen. Prüfung von Atmung, Blutdruck, Puls, Temperatur rektal oder im Gehörgang) vor Untersuchung auf spezifische Komaursachen. Schädel-Hirn-Trauma. Jeden Patienten auf das Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas hin untersuchen! Kopfwunde, Hinweise für Kalottenfraktur (Cave! Epidurales Hämatom!); Brillenhämatom, Hämatotympanon oder blutiger Ohrausfluss bei Schädelbasisfraktur. Bei Hinweisen auf ein Schädel-HirnTrauma an das gleichzeitige Vorliegen einer Verletzung der HWS bzw. des Zervikalmarks denken! Einteilung der Schwere der Bewusstseinstrübung nach GCS. Tab. 13.5. Atmung. Beurteilung der Zyanose von Lippen und Schleimhäuten (Cave! CO-Vergiftungen führen zu einem rosa Hautkolorit und spiegeln eine gute Oxygenation vor, Vergiftungen mit Methämoglobin bildenden Substanzen können eine Zyanose imitieren trotz genügender Oxygenation!). Messung der O2-Sättigung (Cave! Pulsoxymetrie bei CO-Intoxikation falsch hoch). Zwei Atemmuster können wichtige Hinweise geben: • Kussmaul-Atmung (anhaltend verstärkte und vertiefte Atmung): respiratorische Kompensation bei metabolischer Azidose (diabetisches oder urämisches Koma, Laktazidose bei Sepsis). • Hypoventilation mit erniedrigter Atemfrequenz und normalem Atemzugvolumen: Opioidintoxikation. Meningismus. Ausgeprägt bei Meningitis und Subarachnoidalblutung, oft auch bei intrazerebraler Blutung sowie infratentoriellen Massenläsionen. Cave! Vor Prüfung des Meningismus muss eine Verletzung der Halswirbelsäule ausgeschlossen werden! Bei tiefem Koma kann der Meningismus fehlen!
441
Augenhintergrund. Zur Diagnose eines erhöhten intrakraniellen Drucks (Stauungspapille?) (Abb. 11.7, S. 392). Vor Applikation eines Mydriatikums Pupillengröße und -reaktion prüfen und dokumentieren.
Neurologische Untersuchung Eine 3 Punkte umfassende neurologische Untersuchung ermöglicht in den meisten Fällen eine Zuordnung in eine von 4 Hauptkategorien des Komas (Tab. 13.6): • Pupillengröße und Lichtreaktion, • okulozephaler Reflex (OZR = reflektorische Bulbusbewegungen bei Kopfbewegung) sowie • motorische Reaktion auf Schmerzreiz. Pupillen. Vor Beurteilung der Pupillen Ausschluss einer lokalen Augenaffektion. • Normale Pupillen: 3 – 4 mm im Durchmesser, isokor, reagieren prompt und symmetrisch auf Licht. • Fixierte, dilatierte Pupillen: in der Regel > 7 mm im Durchmesser, reagieren nicht auf Licht und sind meistens Folge der (uni- oder bilateralen) Kompression des N. oculomotorius auf seinem Weg vom Mittelhirn zur Orbita. Kommen auch vor bei Intoxikationen mit Anticholinergika und Sympathomimetika. Die häufigste Ursache uni- oder bilateral fixierter, dilatierter Pupillen ist die transtentorielle Herniation des medialen Temporallappens bei einer supratentoriellen Massenläsion oder bei diffusem Hirnödem. • Stecknadelpupillen: 1 – 1,5 mm im Durchmesser, ohne mit bloßem Auge sichtbare Lichtreaktion. Meistens entweder Folge einer Opioidintoxikation oder einer strukturellen Läsion im Ponsbereich (Ischämie, Blutung, Kompression durch zerebelläre Massenläsion). Seltene Ursache: Intoxikation mit Cholinesterasehemmer. • Asymmetrische Pupillen (Anisokorie): Eine Asymmetrie von 1 mm oder weniger ist normal (bei 20% der Bevölkerung). Beide Pupillen kontrahieren dann aber auf Licht im gleichen Maß. Eine ausgeprägtere Anisokorie und/oder einseitig verzögerte Lichtreaktion sind immer pathologisch und weisen auf eine Läsion des Mittelhirns oder des N. oculomotorius (Kompression an der Clivuskante) bei supratentorieller Massenläsion hin. Okulozephaler Reflex. Der OZR (Abb. 13.4) prüft die reflektorischen Bewegungen der Augenbulbi bei Kopfdrehung. Er wird ausgelöst durch ruckartiges Drehen des Kopfes zur Seite oder nach unten/oben bei geöffneten Augen. Bei einer nichtkomatösen, gesunden Person ist wegen der erhaltenen kortikalen Kontrolle der Blickrichtung ein OZR nicht auslösbar.
442
Synkopen, Koma
Tabelle 13.6 Pathophysiologische Beurteilung des komatçsen Patienten.
13
Untersuchung
Supratentorielle strukturelle Läsion
Infratentorielle strukturelle Läsion
Diffuse Enzephalopathie (toxisch oder metabolisch)
Hysteriformes Koma
Pupillengrçße und Lichtreaktion (LR)
normal groß (3 – 4 mm), LR symmetrisch; weit (> 7 mm), keine LR nach transtentorieller Herniation (uni- oder bilateral)
mittelgroß (ca. 5 mm), keine LR bei Mittelhirnlsion; Stecknadelgrçße (1 – 1,5 mm), keine LR bei Ponslsion
normal groß (3 – 4 mm), LR symmetrisch; Stecknadelgrçße (1 – 1,5 mm) bei Opioidintoxikation; weit (> 7 mm), keine LR bei Intoxikation mit Anticholinergika
normal groß, normale LR
OZR (reflektorische Bulbusbewegungen)
OZR auslçsbar
OZR nicht auslçsbar, keine Adduktion, normale kontralaterale Abduktion bei Mittelhirnlsion oder Lsion des Okulomotoriuskerns; Fehlen von Adduktion und Abduktion bei Ponslsion
OZR meist auslçsbar; abgeschwcht bis fehlend bei Intoxikation mit Sedativa/ Hypnotika
OZR auslçsbar
Motorische Reaktion auf Schmerzen
asymmetrisch; symmetrisch nach transtentorieller Herniation
asymmetrisch bei unilateraler, symmetrisch bei bilateraler Lsion
symmetrisch symmetrisch, kann asymmetrisch sein bei hypoglykmischem Koma oder hyperglykmischem, hyperosmolarem Koma oder bei hepatischem Koma
•
•
Positiver OZR (Abb. 13.4 a): Durch Wegfall der optischen Gegenregulation kommt es zu einer konjugierten Gegenbewegung des Blickes entgegen der Kopfdrehrichtung. Wird der Kopf nach rechts gedreht, bewegen sich die Bulbi nach links (= Adduktion für das rechte Auge, Abduktion für das linke Auge). Beim positiven OZR hat das Großhirn seine Funktion eingestellt, der Hirnstamm ist aber intakt (strukturelle supratentorielle Läsion oder diffuse, toxisch-metabolische Enzephalopathie). Negativer OZR (Abb. 13.4 b): Die Bulbi drehen sich mit dem Kopf in dieselbe Richtung mit. Voraussetzung: Unterbrechung der Verbindung zwischen den Vestibularis- und den Okulomotoriuskernen. Vorkommen vor allem bei struktureller Läsion des Hirnstamms auf Höhe der Pons. Bei diffusen Enzephalopathien mit bevorzugtem Be-
fall des Hirnstamms (z. B. Intoxikationen mit Sedativa) kann der OZR ebenfalls negativ sein. • Bei Mittelhirnprozessen (Abb. 13.4 c) mit Schädigung des Fasciculus longitudinalis medialis oder Läsionen der Okulomotoriuskerne wird der ipsilaterale Bulbus nicht der Kopfdrehrichtung entgegengesetzt bewegt (adduziert), der kontralaterale Bulbus zeigt aber eine normale Abduktion. Motorische Reaktion auf Schmerzen (in GCS integriert) (Tab. 13.5, S. 439). Eine gezielte oder ungerichtete Abwehrreaktion auf Schmerz weist auf ein Koma mit besserer Prognose hin. Die Dekortikationsstellung nach Schmerz (Flexion des Armes im Ellbogengelenk, Adduktion der Schultern und Extension der Beine) sowie die Dezerebrationshaltung (Streckung im Ellbogengelenk, Innenrotation in den Schultern und Vorderarmen und Extension der Beine) deuten auf eine schwerwiegende Störung hin.
Koma
443
Diagnostik
a
b
c
Abb. 13.4 Okulozephaler Reflex (OZR) beim bewusstlosen Patienten. a OZR positiv (Hirnstamm intakt, kortikale Kontrolle fehlt): konjugierte Blickbewegung, der Kopfdrehrichtung entgegengesetzt, vorhanden. b OZR negativ (Hirnstammlsion): fehlende konjugierte Blickbewegung, die Augenbulbi bleiben in der Kopfdrehrichtung fixiert (positives „Puppenaugenphnomen“). c Bilaterale Lsionen der Fasciculi longitudinales mediales (Mittelhirnlsionen): Bei Kopfdrehung nach rechts fehlt die Adduktion des rechten (ipsilateralen Bulbus), der linke (kontralaterale) Bulbus wird abduziert. Bei Kopfdrehung nach links umgekehrtes Verhalten der Bulbi.
Beide sind jedoch zur Lokalisation der Komaursache wenig sensitiv. Ein besseres Maß ist die Symmetrie der motorischen Reaktion auf Schmerzen (Tab. 13.6).
Labor • Glukose, Natrium, Kalium, Kalzium, Kreatinin, Harnstoff, Leberenzyme, C-reaktives Protein, Laktat, Arzneimittelplasmakonzentration bei Epileptikern. • Rotes und weißes Blutbild mit Differenzierung, Carboxyhämoglobin bei Verdacht auf CO-Vergiftung. • Gerinnung: Prothrombinzeit. • Toxikologie: Alkoholspiegel; Tox-Screen: Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva, Barbiturate. Jeder toxikologische Screening-Test hat für bestimmte Arzneimittel Lücken, diese muss der Notfallarzt für seine Institution kennen. • Blutkulturen bei Verdacht auf Infektion/Sepsis. • Immer 10 ml Serum asservieren für eine spätere toxikologische Analyse. Arterielle Blutgasanalyse. pO2 und pCO2 (respiratorische Insuffizienz als Komaursache?), pH-Wert zur Diagnose metabolischer Komaursachen (Tab. 13.7). Urinanalyse. Einlage eines Blasenkatheters, Urinsediment und Bakteriologie, immer Urin asservieren für spätere toxikologische Analyse. EKG. Bereits mit einer Ableitung am Monitor Erfassen lebensbedrohlicher Rhythmusstörungen (Kammertachykardie, AV-Block III. Grades); diagnostische Zeichen bei speziellen Komaursachen, z. B. SI-QIIITyp bei Lungenembolie, hohe, spitze T-Wellen bei Urämie mit Hyperkaliämie, Verbreiterung des QRSKomplexes und QT-Verlängerung bei Intoxikation mit Antidepressiva und Neuroleptika. Radiologie. Die CT des Schädels (intrakranielle Blutung? Raumforderung?) ist die wichtigste radiologische Untersuchung beim komatösen Patienten. Insbesondere bei folgenden 3 Situationen Indikation großzügig stellen: • Anamnese und Klinik deuten auf ein SchädelHirn-Trauma hin, • Anamnese, Klinik, Labor sowie die Reaktion auf therapeutische Notfallmaßnahmen (s. u.) ergeben nicht eindeutig die Diagnose eines toxischen oder metabolischen Komas, • wenn sich bei gesichertem toxisch-metabolischem Koma trotz gezielter Therapie keine Verbesserung oder eine Verschlechterung des Bewusstseinszustands einstellt, da simultan mehrere Komaursachen vorliegen können! Lumbalpunktion (LP). Bei Verdacht auf Meningitis/Enzephalitis oder Hirnabszess (Technik S. 620). Ohne Schädel-CT ist eine LP kontraindiziert, falls:
444
Synkopen, Koma
Tabelle 13.7 Sure-Basen-Haushalt in der Differenzialdiagnose des metabolisch-toxischen Komas. Respiratorische Azidose
• Intoxikationen mit atemdepressiven Substanzen •
( thylalkohol, Barbiturate, Sedativa/Hypnotika/Opioide) akute oder chronische respiratorische Insuffizienz bei Lungenerkrankung
Respiratorische Alkalose
• hepatische Enzephalopathie • hysteriformes Koma (Hyperventilation) • Salizylatintoxikation (Frhphase) • septischer Schock (Frhphase)
Metabolische Azidose
• hyperosmolares Koma bei Diabetes mellitus • diabetische Ketoazidose • urmische Enzephalopathie • Salizylatintoxikation (Sptphase) • Intoxikationen mit Methanol oder thylenglykol • septischer Schock (Sptphase)
•
13
die Fundoskopie ein Papillenödem zeigt (Abb. 11.7, S. 392), • fokal-neurologische Ausfälle vorliegen (z. B. Hemiparese), • andere fokale Zeichen (z. B. fokaler epileptischer Anfall) auf eine intrakranielle Raumforderung hinweisen. Falls sich die Durchführung des CT verzögert: Die Entnahme von Blutkulturen und rasche Gabe von Antibiotika bei Verdacht auf Meningitis haben immer Vorrang vor der LP!
Therapie Beim komatösen Patienten laufen Diagnostik und Notfalltherapie parallel. Informationen aus der Diagnostik steuern die weitere Therapie, und aus dem Ansprechen des Patienten auf erste schematische Therapiemaßnahmen ergeben sich oft entscheidende diagnostische Hinweise.
Notfallmanagement Der Ablauf der Notfallmaßnahmen ist in Abb. 13.5 dargestellt. Von der Komaursache unabhängige Maßnahmen • Sicherung der Atemwege: Seitenlagerung, sofern keine HWS-Fraktur (Aspirationsgefahr), Mundhöhle reinigen, Kopf nach hinten flektieren, Einlage eines Wendel- oder Guedel-Tubus, O2-Zufuhr.
•
Sicherung der Ventilation: bei ungenügender Atmung (O2-Sättigung) Intubation und Beatmung. • Sicherung des Kreislaufs: Karotispulse vorhanden? Falls fehlend: Beginn mit Reanimation (s. S. 5), Schocktherapie (s. S. 16). • Venöser Zugang: wenn möglich zentral (V. subclavia, V. jugularis interna: Technik S. 623), Blutentnahme (s. Diagnostik). • Blasenkatheter: Urindiagnostik, Flüssigkeitsbilanz. • Magensonde: erst nach Intubation wegen Aspirationsgefahr, Asservieren von Mageninhalt für spätere toxikologische Analyse. Therapie rasch reversibler Komaursachen. Diese Maßnahmen sollen bei jedem Koma unklarer Ätiologie auch diagnostisch durchgeführt werden: • Hypoglykämie: 50 ml Glukose 50% in 3 – 4 min i. v. (EG-B). Falls Blutzucker schon bekannt und normal, keine Glukosegabe, da der Schaden bei zerebraler Ischämie durch eine Hyperglykämie verstärkt werden kann. Cave! Bei Therapie oder Intoxikation mit oralen Antidiabetika oder Insulinen kann die Hypoglykämie wiederkehren. • Wernicke-Enzephalopathie: 100 mg Thiaminhydrochlorid (Vitamin B1) langsam i. v. (EG-C). Thiaminmangel ist selten alleinige Komaursache, doch bei Unterernährung (Drogenabhängige, Alkoholiker) oft vorhanden. Hier kann Gabe von Glukose ohne Thiaminzusatz eine Wernicke-Enzephalopathie auslösen bzw. verstärken. • Opioidintoxikation: 0,4 mg Naloxon i. v., evtl. wiederholen bis maximal 2 mg i. v. (EG-C). Falls keine Verbesserung von Bewusstsein oder Atemde-
Lumbalpunktion (vorher CT-Schädel, ohne CT nur nach Kontrolle Augenfundus)
Koma
Seitenlage Atemwege sichern, evtl. Intubation
Karotispuls?
Schädel-CT
nein
Reanimation (Kapitel 1)
Meningoenzephalitis subarachnoidale Blutung
Diazepam 510mg i.v. ja
nein Patient erwacht rasch (24 min) ja
nein
ABGA pO2 <8kPa pCO2 >8kPa ja O2-Zufuhr Intubation Ventilation
nein Kerntemperatur <32°C oder >41°C ja Therapie der Hypo- oder Hyperthermie (Kapitel 18)
nein
Meningismus? nein Stecknadelpupillen
nein
Re-Evaluation Anamnese? Trauma? Neurologie? Pupillen okulozephaler Reflex motorische Reaktion auf Schmerz
ja pontine Blutung zerebellärer Prozess Intoxikation mit Cholinesterasehemmer
Diffuse Enzephalopathie allmählicher Beginn Pupillen normalgroß Lichtreaktion erhalten okulozephaler Reflex + , symmetrische Schmerzreaktion
Hysteriformes Koma Liderkneifen, Hyperventilation Pupillen normalgroß Lichtreaktion erhalten Schmerzreiz unbestimmt EEG normal
445
Erste diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei unklarer quantitativer Bewusstseinstrübung (Koma).
Infratentorielle Massenläsion plötzlicher Beginn mittelgroße oder enge Pupillen lichtstarr okulozephaler Reflex , symmetrische Schmerzreaktion
Koma
Hypoglykämie Opioidintoxikation Benzodiazepinintoxikation
Abb. 13.5
ja
ja epileptische Anfälle
1. Vitalzeichen 2. i.v. Zugang 3. Blutentnahme 4. 50 ml 50 % Glukose i.v. 100mg Thiamin i.v. 0,4mg Naloxon i.v. 0,3mg Flumazenil i.v.
Supratentorielle Massenläsion allmählicher Beginn Anisokorie weite, lichtstarke Pupille(n) okulozephaler Reflex + , asymmetrische Schmerzreaktion
446
•
• •
Synkopen, Koma
pression auftritt, ist eine Intoxikation mit einem Opioid als alleinige oder Mitursache des Komas weitgehend ausgeschlossen. Cave! Die Halbwertszeit von bei Intoxikationen häufig vorkommenden Opioiden (Kodein, Methadon) ist bedeutend länger als diejenige des spezifischen Antagonisten Naloxon. Die toxische Wirkung der Opioide kann nach kurzer Zeit wiederkehren. Benzodiazepinintoxikation: 0,3 mg Flumazenil i. v., evtl. wiederholen bis maximal 1 mg i. v. (EG-A). Tritt ein deutlicher Vigilanzsprung auf, so ist eine alleinige oder Mischintoxikation mit Benzodiazepinen bewiesen. Cave! Die Halbwertszeit praktisch aller Benzodiazepine ist länger als diejenige des spezifischen Antagonisten Flumazenil. Die toxische Wirkung der Benzodiazepine kann nach kurzer Zeit wiederkehren. Epileptischer Anfall: Diazepam 5 – 10 mg i. v. in 2 – 3 min (EG-A) (S. 398). Wird die Ursache des Komas durch die bisherigen Maßnahmen nicht klar: Schädel-CT veranlassen!
Weitere Maßnahmen
13
Diese richten sich nach der im Verlauf der Abklärung und ersten therapeutischen Maßnahmen festgestellten Komaursache (s. entsprechende Kapitel).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Jeder bleibend bewusstseinsgetrübte Patient gehört auf eine Intensivüberwachungsstation. Kontinuierliche Überwachung der Atmung (Sauerstoffsättigung) sowie der Kreislaufparameter (Blutdruck, Herzrhythmus, ZVD). Wichtig ist die engmaschige Überwachung des Bewusstseinszustands mithilfe des GCS. Ein Abfall um 2 oder mehr Punkte muss die sofortige neurologische Re-Evaluation nach sich ziehen und macht oft ein zweites CT erforderlich.
Besondere Merkpunkte
• •
Bei jedem Komapatienten an das Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas denken! Bei fehlendem Ansprechen auf die adäquate Therapie einer bekannten Komaursache an das gleichzeitige Vorliegen einer zweiten Ursache denken!
447
14 Geriatrie
Übersicht 14 Geriatrie 14.1 Sturz im Alter 14.2 Delir im Alter
14.1 Sturz im Alter J. Lory, A. E. Stuck
Definition und Einteilung Ein Sturz ist eine plötzliche, unbeabsichtigte Positionsänderung, in deren Folge ein Individuum auf einer niedrigeren Ebene, auf einem Objekt oder dem Boden zu liegen kommt, die aber nicht Folge einer plötzlichen Lähmung oder einer außergewöhnlichen äußeren Kraft ist. Risikofaktoren. Stürze bei alten Menschen sind meistens multifaktoriell bedingt. Man unterscheidet folgende Sturzrisikofaktoren: • intrinsische (beziehen sich auf altersphysiologische bzw. krankheitsbedingte, potenziell reversible Veränderungen des alternden Körpers), • extrinsische (Faktoren der Wohn- und Lebensumgebung wie Licht, Geländer, Teppiche, freilaufende Kabel), • Verhaltensfaktoren (risikoreiches, den körperlichen Ressourcen nicht adäquates Verhalten).
Pathophysiologie Folgende Faktoren sind unabhängige Sturzrisikofaktoren: • Alter > 80 Jahre, • muskuläre Schwäche, • Stürze in der Anamnese,
• • • • • • • •
Gang- und Gleichgewichtsstörungen, Arthrosen, Fußprobleme, Benutzung von Gehhilfen, Parkinson-Erkrankung, Z. n. Schlaganfall, Sehstörung, kognitive Einschränkung, Depression, Defizite in den Aktivitäten des täglichen Lebens, Einnahme von mehr als vier Arzneimitteln oder von Psychopharmaka.
Typische Krankheitszeichen Das Phänomen Sturz ist oft versteckt hinter den bei Notfallkonsultationen im Vordergrund stehenden Sturzfolgen. Sowohl der Patient als auch Angehörige bzw. Erstbehandelnde neigen dazu, die Sturzproblematik zu ignorieren und lediglich Sturzfolgen zu thematisieren. Bei mehrfach gestürzten alten Menschen: • Zeichen des „Postfall-Syndroms“: Gehstörung, Angst und Unsicherheit bei Mobilisation, Depression, Einschränkung des Aktionsradius. • In der Anamnese mehrere Frakturen, Kontusionen.
Differenzialdiagnose Sturz als Sekundärphänomen tritt auf bei: • kardialen Synkopen (S. 432, Cave! Anamnese oft inkonklusiv wegen Amnesie für Bewusstseinsverlust), • Epilepsie (s. S. 396), • Hirnschlag/transienter ischämischer Attacke (s. S. 382), • außergewöhnlichen äußeren Einwirkungen (Cave! Diese sind besonders in hohem Alter selten; solche einem Kausalitätsbedürfnis entsprechenden Erklärungen immer kritisch hinterfragen!), • Hypoglykämie,
448
•
Geriatrie
Betagtenmisshandlung (insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Hirnleistung).
Notfallanamnese
14
Einschließlich Fremdanamnese erheben: • Ort, Zeit und Situation des Sturzes, Tätigkeit vor und nach dem Sturz. • Genaue Sturzbeschreibung: Plötzlicher Bewusstseinsverlust (Synkope)? Zusammensacken mit Vorzeichen (Kollaps)? Einknicken ohne Bewusstseinsverlust (Drop Attack)? Akuter Schwindel? Gangstörung (Straucheln)? Gleichgewichtsverlust? Äußere Einwirkung (Stoß)? • Sturzprodromi: Angst? Schwäche? Schwindel? Atemstörung? Gestörtes/verändertes Bewusstsein? Sehstörung? Schwitzen, Blässe? Angina pectoris, Palpitationen? Gefühlsstörungen? Lähmung? • Einflüsse der Umgebung: Licht, Treppen, Handläufe, Boden? • Liegedauer nach Sturz. • Frühere Stürze/Beinahestürze in den letzten 6 Monaten. • Sturzfolgen bei Mehrfachstürzern: Sturzangst, Depression, eingeschränkter Lebensradius, Isolation. • Systemanamnese: akute und chronische medizinische Probleme: zerebrovaskuläre Leiden, Parkinsonismus, Epilepsie, Depression, Angst, Schwindel, kürzliche Änderung des mentalen Zustandes (Delir!, s. S. 451), letzte Visuskontrolle, Meläna. • Arzneimittelanamnese: insbesondere Psychopharmaka, Schlafmittel, Kardiaka, Antidiabetika. • Alkoholanamnese: auch in kleinen Mengen kann Alkohol das Sturzrisiko bei Polymorbidität und Einnahme von Arzneimitteln deutlich erhöhen. • Fragen nach funktioneller Selbstständigkeit vor dem Sturz: Essen, Gehen, Treppensteigen, Toilettenbenutzung, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Einkaufen, Kochen etc. • Soziale Verhältnisse, Bezugspersonen. • Gehhilfsmittel.
Notfalluntersuchung Die Abklärung von gestürzten alten Menschen zeigt Abb. 14.1.
Klinik Körperliche Untersuchung • Vitalzeichen: Blutdruck, Puls, Fieber, Hypothermie. • Verletzungen, Wunden, Frakturen: Kopf, Wirbelsäule, Becken, Rippen, Hüfte, Handgelenke. • Zeichen des langen Liegens: Decubiti, Unterkühlung. • Neurologie: veränderter Mentalstatus (MiniMental-Status), fokale Defizite, periphere Neuropathie, Muskelschwäche, Rigidität, Tremor. • Hydratations- und Ernährungszustand. • Kopf/Hals: Seh- und Hörstörung, Karotisgeräusche, Schwindel bei Kopfdrehung, Nystagmus. • Kardiovaskulär: Arrhythmien, Herzgeräusche. • Muskuloskelettal: Gelenkstatus der unteren Extremitäten, Fußdeformitäten, Gelenkbeweglichkeit. Funktionelle Untersuchung. Zur Erfassung und Gradierung der Gang- und Gleichgewichtsstörung sowie eventueller Gehhilfen (Stock, Gehgestell, Rollator, Rollstuhl). • Orthostasetest: Nach 5 min ruhigem Liegen, Messung von BD und Puls; Wiederholung der Messungen im Stehen nach 1, 2 und 5 min (Blutdruckabfall systolisch ‡ 20 mmHg entspricht orthostatischer Hypotonie). • Timed Get-up-and-go-Test: Patienten werden beobachtet, wie sie in normalem Tempo von einem Stuhl mit Seitenlehnen aufstehen, 3 Meter gehen, sich umdrehen, zurück zum Stuhl gehen und sich wieder setzen. Bewertung qualitativ durch Beobachtung, quantitativ durch Zeitmessung vom Beginn des Aufstehens bis zum Hinsetzen. Benötigte Zeit über 20 s ist ein Hinweis auf Mobilitätsstörung.
Diagnostik Labor. Elektrolyte, Kreatinin, Glukose, CRP, Kreatinkinase (Rhabdomyolyse?), Urinstatus (Harnwegsinfekt?), Blutbild. EKG. Rhythmusstörungen? Bildgebende Verfahren. Zu erwägen, je nach klinischer Fragestellung z. B. Thoraxröntgenbild (Pneumonie?), Schädel-CT bei Kopftrauma oder anamnestisch zerebraler Verschlechterung (Subduralhämatom?).
449
Sturz beim älteren Menschen
geriatrisches NotfallAssessment Sturz
Gang- und/oder Gleichgewichtsstörung mit Hinweis auf Synkope
Gang- und/oder Gleichgewichtsstörung ohne Hinweis auf Synkope
Synkopenabklärung (S. 432) Therapie der Sturzfolgen und Mobilitätsstörung Risikofaktorenbehandlung
erneute Gang- und Gleichgewichtstestung
normal
pathologische Befunde oder anamnestische Hinweise auf rezidivierende Stürze
keine Intervention
Intervention
zu Hause lebende Patienten: Einzelintervention evtl. multifaktorielle Intervention
Pflegeheimpatienten: multifaktorielle Intervention
Abb. 14.1 Abklärung von gestürzten alten Menschen.
Therapie Notfallmanagement Primäre Ziele. Ziele der ersten Maßnahmen bei gestürzten alten Menschen sind: • Diagnose und Behandlung der Sturzfolgen, • Klärung des Sturzablaufs (Anamnese, auch Fremdinformationen), • Erfassung der Sturzrisikofaktoren oder -ursachen,
•
Verankerung des Problems „Sturz“ als Problem (als Grundlage sekundärprophylaktischer Interventionen). Behandlung der Sturzfolgen bzw. der dem Sturz zugrunde liegenden Erkrankungen (Abb. 14.1): • Bei allen Patienten: Geriatrisches Notfall-Assessment Sturz (s. „Notfallanamnese“ und „Notfalluntersuchung“). • Bei Patienten mit Hinweisen auf Synkope: Synkopenabklärung (s. S. 432).
450
Geriatrie
Weitere Maßnahmen
14
Bei Patienten mit behandlungsbedürftigen Verletzungen oder Erkrankungen. Nach Erreichen somatischer Stabilität: systematische Sturz-Risikofaktor-Erfassung und Testung des Gleichgewichts und der Gangsicherheit (Tinetti-Test). Bei gestürzten zu Hause lebenden alten Menschen. Intervention bezüglich einzelner Erkrankungen oder Risikofaktoren oder in komplexen Fällen umfassende multifaktorielle Intervention. Einzelinterventionen • Langzeittraining unter Einbezug von Kraft und Gleichgewicht (EG-B). • Gleichgewichtstraining mittels Tai Chi C’uan (traditionelles chinesisches Bewegungssystem) (EG-C). • Hausumgebungs-Assessment für Patienten mit erhöhtem Sturzrisiko, die aus dem Krankenhaus entlassen werden (EG-B). • Modifikation der Medikation, insbesondere bei Patienten, die mehr als vier verschiedene Arzneimittel einnehmen, bei Einnahme von Psychopharmaka und Medikamenten mit Beeinflussung des Herz-Kreislauf-Systems (EG-B). • Überweisung zu Ophthalmologen bei Sehschwäche (EG-D). • Arzneimittel zur Erhöhung der Knochendichte (Kalzium, Vitamin D, Bisphosphonate) sind bei Osteoporose indiziert (EG-B), senken aber die Sturzrate nicht! • Vitamin-D-Supplementation alleine (800 IE/d) scheint das Sturzrisiko bei älteren Menschen in stabilem Gesundheitszustand zu senken (EG-B). • Schuhwerk: Geschlossene Schuhe mit niedrigem Absatz und dünnerer Gummisohle scheinen geeignet zu sein (EG-D). • Freiheitseinschränkende Maßnahmen vermeiden (es gibt keine Evidenz, dass diese die Sturzrate senken). • Verordnung von Hilfsmitteln (Tele-Alarm, Gehhilfsmittel, Hüftprotektoren) nur sinnvoll im Rahmen einer multifaktoriellen Intervention (EG-C). Multifaktorielle Intervention bei zu Hause lebenden Hochrisikopatienten. Eine multifaktorielle Intervention bei zu Hause lebenden Hochrisikopatienten umfasst gemäß den Erkenntnissen aus dem vorangehenden multidimensionalen Sturz-RisikoAssessment folgende Maßnahmen: • Physiotherapeutisches Gehtrainingsprogramm bzw. Kraft- und Gleichgewichtstraining (EG-B) und Beratung bezüglich richtigen Gebrauchs von Gehhilfsmitteln (EG-B).
•
Modifikation der Medikation, insbesondere bei Polypharmazie und Einnahme von Psychopharmaka (EG-B). • Behandlung einer orthostatischen Dysregulation (EG-B). • Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen (EG-D). • Modifikation der Umgebungsgefahren zu Hause (EG-C). • Verordnung von geeigneten Hilfsmitteln wie Tele-Alarm, Gehhilfsmittel, Hüftprotektoren (EG-C). Multifaktorielle Intervention bei gestürzten Pflegeheimpatienten. Eine multifaktorielle Intervention umfasst (in Zusammenarbeit mit dem Heimarzt): • Information des Pflegeheims zur Sturzproblematik. • Gehtraining und Beratung bezüglich des richtigen Gebrauchs von Gehhilfsmitteln (EG-B). • Modifikation der Medikation, insbesondere bei Polypharmazie und Einnahme von Psychopharmaka (EG-B). • Verordnung von Hüftprotektoren (EG-B): Diese haben sich in Pflegeheimpopulationen als wirksam erwiesen zur Prävention von Hüftfrakturen. • Medikation zur Erhöhung der Knochendichte: 800 IE Vitamin D und 1000 mg Kalzium pro Tag (EG-B).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
•
Sturzproblematik dem Pflegedienst (SpitIn, Spitex) bzw. Hausarzt kommunizieren! „Unauffällige“ Röntgenbilder von Becken/Hüften sind bei persistierenden Beschwerden und Mobilitätsdefiziten nach 2 – 3 Tagen zu wiederholen („okkulte Frakturen“) bzw. weitere Diagnostik mittels CT/MRT. Verletzungsmuster, die nicht zwanglos einem Sturzgeschehen zugeordnet werden können, sind verdächtig auf Betagtenmissbrauch, v. a. bei kognitiv eingeschränkten Menschen.
Besondere Merkpunkte Bei gestürzten, auch bei nicht schwer verletzten, alleine lebenden geriatrischen Patienten soll bei Entlassung spezielles Augenmerk darauf gelegt werden, dass die Alltagsfunktionalität und Selbstständigkeit im häuslichen Setting ausreichend ist oder angemessene Unterstützung vorhanden ist.
Delir im Alter
451
Abb. 14.2 Diagnostik und Therapie bei deliranten Patienten.
über 70-jähriger Patient, notfallmäßig hospitalisiert
Delir-Screening (Confusion Assessment Method, Tab.14.3 )
klinischer Verdacht auf Delir
kein Hinweis für Delir vorhanden
Delir oder Verdacht auf Delir (DD gemäß Tab.14.1)
Screening Delirrisikofaktoren (Tab. 14.5)
falls £ 1 Delirrisikofaktor vorhanden, Maßnahmen zur Reduktion des Delirrisikos (Tab.14.5)
Maßnahmen zur Reduktion des Delirrisikos (Tab. 14.5) Anpassung der bestehenden Medikation (Tab.14.2)
Pharmakotherapie
Delir ohne Agitation: evtl. Haloperidol 13mg/Tag
Delir mit Agitation: Haloperidol 13mg/Tag evtl. Clomethiazol evtl. Lorazepam selten Chlorpromazin
14.2 Delir im Alter D. Grob, B. Truttmann
Definition und Einteilung Delir ist eine sich in Stunden bis Tagen entwickelnde, transiente Funktionsstörung des Gehirns, die im Zusammenhang mit einer Erkrankung oder infolge eines Unfalls, bei einer Intoxikation, einem Alkoholbzw. Drogenentzug oder als unerwünschte Arzneimittelwirkung auftritt. Das Delir ist gekennzeichnet durch folgende akut auftretende, im Tagesverlauf fluktuierende, psychopathologische Symptome: • Störung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit,
•
Störung kognitiver Fähigkeiten wie Orientierung, Gedächtnis oder Denken sowie Störung der Wahrnehmung (Halluzinationen, Verkennungen). Die Manifestation ist sehr unterschiedlich: von einer oligosymptomatischen Form (Diagnose kann nur durch gezieltes Screening gestellt werden) (Abb. 14.2) über das apathisch-hypoalerte Delir bis zur schweren Agitation.
Pathophysiologie Vermutet wird als Ursache eine Reduktion verschiedener Neurotransmitter (z. B. der Azetylcholinkonzentration) bzw. auch ein Überschuss an Neurotransmittern (z. B. Dopamin) im Gehirn. Zustände, die dazu führen können:
452
Geriatrie
Tabelle 14.1 Wichtigste Unterscheidungskriterien zwischen Delir, Demenz und Depression. Kriterium
Delir
Demenz
Depression
Beginn
Stunden/Tage
Monate/Jahre
Wochen/Monate
Verlauf
fluktuierend
kontinuierlich
kontinuierlich
Aufmerksamkeit
reduziert
meist klar
gestçrt
Halluzinationen
hufig
mçglich
selten
Orientierung
meist gestçrt
gestçrt
normal
Psychomotorik
verndert
meist normal
oft verndert
Tabelle 14.2 Arzneimittel, die auch in normaler Dosierung ein Delir auslçsen oder verstrken kçnnen. Kategorie Antibiotika
insbesondere Chinolone
Anticholinerg wirksame Substanzen
trizyklische Antidepressiva, Atropin, H1-Antihistaminika, Neuroleptika
Antikonvulsiva
Carbamazepin, Phenytoin, Valproinsure
Anti-Parkinson-Mittel
Amantadin, Bromocriptin, Levodopa
Herz-Kreislauf-Mittel
Betablocker, Kalziumantagonisten, Digoxin, Diuretika
Tranquilizer, Hypnotika
Barbiturate, Benzodiazepine
Weitere
Antidiabetika, Kodein, H2-Antihistaminika, Glukokortikoide, Lithium, Morphin, Theophyllin
•
14
Beispiele
• • •
jede akute Krankheit (u. a. durch Aktivierung von Zytokinen), Anticholinergika, höheres Lebensalter (altersphysiologisch verminderte Neurotransmitterkonzentrationen), vorbestehende Demenz.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Bewusstseinsstörung qualitativ (ablenkbar, verliert den Faden im Gespräch) und quantitativ (Somnolenz, Sopor, Koma), zeitliche und örtliche Desorientierung, akuter Beginn, Entwicklung in einer kurzen Zeitspanne, veränderte psychomotorische Aktivität (verstärkt, aber auch vermindert beim apathisch-hypoalerten Delir), gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus (Tag-NachtUmkehr).
Differenzialdiagnose
• • •
Demenz, Depression (Tab. 14.1), Psychosen, wahnhafte Störungen im Alter, Aphasie, amnestisches Syndrom. Insbesondere die Unterscheidung des Delirs von einer Demenz oder einer Depression ist in der Notfallsituation schwierig, da oft ungenügende Angaben über den Verlauf vorliegen. Bestehen gleichzeitig ein Delir und eine Demenz (die „rasch progrediente Demenz“ ist häufig ein Delir bei vorbestehender Demenz!), ist eine Abgrenzung manchmal unmöglich. Im Zweifelsfall deshalb die Differenzialdiagnose offen lassen, aber das Problem in der Beurteilung festhalten (z. B. „kognitive Beeinträchtigung bei DD Delir, Demenz“)! Differenzialdiagnose der Ursache des Delirs • Jede akute Erkrankung oder Unfälle (Infekte, Stoffwechselstörungen, Diarrhö mit Dehydratation, Sauerstoffmangel, z. B. bei Pneumonie, Harnverhalt, Verstopfung), • iatrogene Faktoren (z. B. Operation), • Arzneimittel (Tab. 14.2), welche Delirien auslösen können, insbesondere bei Polypharmazie, • Entzug von Arzneimitteln oder Alkohol (s. S. 543), • oft mehrere Ursachen gleichzeitig.
Delir im Alter
Tabelle 14.3 Delir-Screening: Confusion Assessment Method (CAM). ja/nein 1 Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf: Gibt es Hinweise dafr, dass die in 2 bis 4 beschriebenen Stçrungen akut aufgetreten sind? Gab es Tagesschwankungen innerhalb der qualitativen oder quantitativen Bewusstseinsstçrung? 2 Störung der Aufmerksamkeit: Hat der ja/nein Patient Mhe, sich zu konzentrieren? Ist er leicht ablenkbar oder hat er Mhe, dem Gesprch zu folgen? 3 Denkstörungen: Hat der Patient Denkstçrungen im Sinne von inkohrentem, paralogischem oder sprunghaftem Denken?
ja/nein
4 Quantitative Bewusstseinsstörung: jeder Zustand außer „wach“ wie hyperalert (berspannt), schlfrig, soporçs, komatçs
ja/nein
Delirium vorhanden, wenn 1. und 2. mit „ja“ beantwortet sind und zustzlich 3. oder 4. mit „ja“ beantwortet ist
453
Tabelle 14.4 Orientierungs-Score (erste 10 Fragen des Mini-Mental-Status). Frage
Richtige Antwort
Welcher Wochentag ist heute?
1
Kçnnen Sie mir das heutige Datum sagen (ohne auf den Kalender/die Uhr zu schauen)? • Tag (korrekt ist € 1 Tag) • Monat • Jahr
1 1 1
Welche Jahreszeit ist jetzt?
1
Wo befinden wir uns hier? (richtig ist die eindeutige Bezeichnung des Krankenhauses/Spitals)
1
Auf welcher Abteilung (oder: auf welchem Stockwerk) des Krankenhauses befinden wir uns?
1
In welcher Ortschaft befinden wir uns?
1
In welchem Bundesland/Kanton befinden wir uns?
1
In welchem Land befinden wir uns?
1
Beurteilung: pathologisch, wenn Summe der richtigen Antworten < 8 Punkte
Notfallanamnese
Notfalluntersuchung
•
Klinik
• •
•
Eigen- und Fremdanamnese zum Verlauf (Letztere aktiv einholen): Beginn, erste Symptome, Fluktuation, Störung des Tag-Nacht-Rhythmus, Schlaf, Hilfsbedürftigkeit, Selbst- oder Fremdgefährdung, Wahnvorstellungen, Halluzinationen. Überprüfung der Medikation: von zu Hause mitgebrachte Arzneimittel zeigen lassen, Arzneimittelplan verlangen, evtl. mit Fremd- oder Hausarztanamnese ergänzen (Tab. 14.2). Eigen- und Fremdanamnese zu Ursachen (u. U. Schwerpunkt auf Fremdanamnese, bei Delirien ist die Eigenanamnese häufig nicht konklusiv): sorgfältige Systemanamnese zur Aufdeckung nicht erkannter internistischer oder iatrogener Probleme. Confusion Assessment Method (CAM): Diese eignet sich zum Screening bei allen über 70-jährigen hospitalisierten Patienten (Sensitivität > 90%, Spezifität > 90%) (Tab. 14.3).
Klinische Untersuchung. Vitalparameter (Atemfrequenz, Pulsoxymetrie, Blutdruck, Puls und Temperatur), kardiopulmonale Dekompensationszeichen, Anhaltspunkte für Dehydratation (Halsvenen im Liegen, Hautturgor), Hinweise für Infektfokus (Haut, Lymphknotenstationen, Nackenstarre, Lunge, Herzgeräusche, Abdomen, Harnwege), Neurostatus (Anhaltspunkte für fokale neurologische Defizite oder Insult), Verletzungszeichen (DD Sturz, Misshandlung). Funktionelle Untersuchungen. Transfer und Gehfähigkeit (Hilfsmittel, mit Hilfsperson, kleinschrittig, unsicher, breitbeinig, nicht möglich). Visus binokulär ggf. mit Korrektur (mittels Nahvisuskarte oder Zeitung; entspricht bei guter Beleuchtung einem Visus binokulär besser/schlechter als 0,3). Hörfähigkeit ggf. mit Hörgerät (Flüsterzahlen links und rechts). Kurzer Mentalstatus. Die Beurteilung mittels Orientierungs-Score identifiziert das Vorhandensein und den Schweregrad der Desorientierung und lässt somit eine kognitive Störung vermuten (Tab. 14.4).
454
Geriatrie
Diagnostik Labor • Glukose (Hypo-/Hyperglykämie), Natrium (Hypo-/Hypernatriämie), Kalium (Hypo-/Hyperkaliämie), Kalzium (Hypo-/Hyperkalzämie), Harnstoff (Dehydratation), Kreatinin (Niereninsuffizienz), Hämoglobin (Anämie), CRP und Differenzialblutbild (Infekt, maligne Knochenmarkserkrankung) sowie evtl. BSG (chronische Entzündung, Abszess, Polymyalgie), Leberwerte (Leberinsuffizienz, Hinweis für Äthylabusus), TSH (Hypo-/Hyperthyreose), Albumin (Malnutrition), Folsäure und Vitamin B12 (Hypovitaminosen). • Urinstatus (Infekt). • Blutkulturen bei Fieber (Bakteriämie). • Evtl. ABGA (Hypoxämie). • Evtl. Blutspiegelbestimmungen bei V. a. Intoxikation (z. B. Digoxin, Lithium, Antikonvulsiva). EKG. (z. B. Myokardinfarkt, Lungenembolie). Radiologie. Thoraxröntgen (Pneumonie, Linksherzinsuffizienz), Schädel-CT (z. B. Subduralhämatom, Schädel-Hirn-Trauma) oder ggf. Schädel-MRT (akuter zerebrovaskulärer Insult, Tumor, Metastasen, zerebrale Vaskulitis).
14
Evtl. EEG. (Epilepsie). Evtl. Lumbalpunktion. (Enzephalitis, Meningoenzephalitis).
Therapie Notfallmanagement bei Delir oder Verdacht auf Delir In jedem Fall • Maßnahmen gemäß Tab. 14.5 (EG-A). • Allgemein-medizinische Maßnahmen: adäquate Flüssigkeits- und Elektrolyt- sowie Sauerstoffzufuhr, Schmerztherapie, Vitaminsubstitution (B-Vitamine), Ernährung (EG-D). • Behandlung ursächlicher Faktoren und Anpassung der Medikation (EG-D). • Bezugsperson informieren (Risiko der Selbstgefährdung, Urteilsunfähigkeit des Patienten, u. U. Therapie gegen aktuelle Willensäußerung des Patienten) (EG-D). Individuelle Pharmakotherapie • Basistherapie bei Delir: auch bei geringen Symptomen niedrig dosiert Haloperidol, z. B. 5 – 5 – 10 – 10 Tropfen p. o. (Tropfen à 2 mg/ml,
Tabelle 14.5 Die 6 wichtigsten Risikofaktoren fr das Auftreten eines Delirs bei ber 70-jhrigen Patienten sowie dringlich indizierte Maßnahmen nach Hospitalisation. Risikofaktor
Maßnahmen
Dehydratation
orale Rehydratation, s. c. Infusion, i. v. Infusion
Hçrbehinderung
vorhandenes Hçrgert richtig einsetzen (Hçrgert fr Anamnese einsetzen, Batterien berprfen) Kommunikation mit deutlicher (nicht lauter) Stimme von vorne (damit Lippen ablesen mçglich ist) nach Stabilisierung evtl. Zeruminalpfropf entfernen
Immobilitt
mobilisierende Maßnahmen (Bettruhe nur, falls wirklich indiziert, Verordnung von Bewegungsbungen im Bett, geeignete Gehhilfsmittel)
Kognitive Einschrnkung
Orientierungshilfen (Namensschild, Zimmer anschreiben, Zugang zu Uhr/Kalender etc.) Angehçrige einbeziehen (Information)
Schlafstçrung
Maßnahmen zur Fçrderung des Tag-Nacht-Rhythmus (Aktivitt tagsber, warmes Getrnk zum Einschlafen etc.) bisherige Schlafmittel nicht abrupt verndern (Cave! Entzug, niedrig dosiert weiterfhren) keine neuen Schlafmittel verordnen (nur Baldrian oder Chloralhydrat, falls erforderlich)
Sehbehinderung
Sehhilfen organisieren (Brille, Lupe, Beleuchtung, Telefon mit großen Tasten)
Delir im Alter
• •
•
d. h. 1 mg sind 10 Tropfen) für die ersten zwei Tage, kurzfristige Steigerung auf 10 – 10 – 10 – 10 Tropfen möglich, innerhalb 2 Wochen ausschleichen (EG-A), evtl. 1 – 2 mg i. v. Alternativ atypische Neuroleptika, z. B. Risperidon 1 – 2 × 1⁄ –1 mg/d oder Quetiapin 2 × 12,5 – 25 mg/d bis 4 max. 3 × 50 mg/d oder sedierende Neuroleptika wie Pipamperon z. B. 20 – 20 – 40 – 40 mg/d bis max. 4 × 40 mg/d. Bei Angst: niedrig dosiert kurz wirksames Benzodiazepin, z. B. Lorazepam bis 3 × 0,5 – 1 mg/d p. o. oder sublingual (EG-C). Bei Unruhe: Clomethiazol, z. B. 3 × 300 – 600 mg/d oder als Mixtur p. o.: 3 × 10 ml/d (entspricht 3 × 500 mg). UAW: bronchiale Hypersekretion, insbesondere bei Dosen über 900 mg/d. Anmerkung: In Ausnahmesituationen ist die rektale Verabreichung eine Alternative, z. B. Clomethiazol Kapseln 300 mg oder Diazepam Rektiolen à 10 mg, allerdings ist im Vergleich zur oralen Gabe mit einem verzögerten Wirkungseintritt zu rechnen (EG-D). Bei schwerster Agitation: hoch dosiert Neuroleptika, z. B. Chlorpromazin i. m.: bis max. 3 × 25 – 50 mg/d, in Ausnahmefällen i. v., dabei muss das Medikament vorher verdünnt werden (Blutdruckabfall!) (EG-D).
Notfallmanagement bei Patienten mit Risiko für Delir Hat ein über 70-jähriger hospitalisierter Patient einen oder mehrere der in Tab. 14.5 aufgelisteten Risikofaktoren, beträgt das Risiko für die Entwicklung eines Delirs 15% in den folgenden Tagen. Durch gezieltes Verordnen der angeführten Maßnahmen zu Beginn der Hospitalisation kann dieses Risiko auf 10% reduziert werden (EG-B). Deshalb ist es wichtig, dass diese Maßnahmen innerhalb von 24 h nach Hospitalisation umgesetzt werden.
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Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Bei schwerer Agitation Eins-zu-eins-Überwachung (inklusive Sitznachtwache) wegen potenzieller Selbst- und Fremdgefährdung. Fixierungen mit Körpergurten oder Spezialdecken als isolierte Maßnahme außerhalb einer kritischen Pflegeplanung sind nicht indiziert, sie können die Angst- und Unruhesymptomatik verstärken und das Sturz- und Verletzungsrisiko erhöhen.
Besondere Merkpunkte Die frühzeitige Delirprophylaxe und -behandlung helfen, Komplikationen zu vermeiden und die Prognose des Patienten zu verbessern. Das Delir ist häufig: Etwa 10 % der notfallmäßig hospitalisierten älteren Patienten haben bei Aufnahme ein Delir (oft eine nicht erkannte Diagnose). Zusätzlich entwickeln 10 – 15 % der älteren Patienten im Verlauf der Hospitalisation neu ein Delir.
456
15 Akute Vergiftungen H. Kupferschmidt, C. Rauber-Lthy
Übersicht
15
15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6 15.7 15.8 15.9 15.10 15.11 15.12 15.13 15.14 15.15 15.16 15.17 15.18
Akute Vergiftungen Allgemeines Schlafmittel und Tranquilizer Antidepressiva Neuroleptika Analgetika Atropin und Derivate H1-Antihistaminika Digoxin, Digitalisglykoside Theophyllin Pestizide Kohlenmonoxid (CO) Zyanide Schwermetalle Ätzstoffe (Korrosiva) Kohlenwasserstoffe (KW) Alkohole und Glykole Pilze Schlangenbisse
15.1 Allgemeines Definition und Einteilung Gifte sind Substanzen, die durch ihre physikalischen oder chemischen Eigenschaften im Körper schädliche Wirkungen und Reaktionen hervorrufen. Nach Paracelsus (1493 – 1541) sind alle Substanzen giftig, wenn sie nur in genügend großer Menge eingenommen werden („Dosis sola facit venenum“). Bei Arzneimitteln unterscheiden wir unerwünschte Arzneimittelwirkungen (bei therapeutischer Dosis) von Vergiftungen (bei supratherapeutischer Dosis). Akute Vergiftungen können eingeteilt werden: • Nach Vergiftungsumständen (STIZ 2006): Akzidentelle Vergiftungen im häuslichen Milieu 68%, akzidentelle Vergiftungen am Arbeitsplatz 3,6%, an-
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dere akzidentelle Vergiftungen 4 %, beabsichtigte Vergiftungen in suizidaler Absicht 15 %, beabsichtigte Vergiftungen durch Missbrauch 2 %, andere beabsichtigte Vergiftungen 4 %. Nach Noxen (STIZ 1998 – 2006): Arzneimittel 36,6% (Veterinärarzneimittel 0,3%), Haushaltsprodukte 24,2%, Pflanzen 11,0 %, Pilze 1,6%, chemisch-technische und berufliche Stoffe 6,9%, Produkte zur Körperpflege 4,6%, Nahrungsmittel 3,6%, Genussmittel und Drogen 3,6%, Schädlingsbekämpfungsmittel 3,1 %, Gifttiere 1,8%, unbekannte Noxen 2,8%. Nach Eintrittspforte: Gifte können peroral, inhalativ (pulmonal), perkutan und/oder durch intravenöse, intramuskuläre oder subkutane Injektion in den Körper gelangen. Nasaler, vaginaler und rektaler Aufnahmeweg sind selten. Die Eintrittspforte von Giften in den Körper bestimmt wesentlich die therapeutischen Maßnahmen.
Pathophysiologie Eine Vergiftung kann sich als schädliche Wirkung an der Eintrittspforte (z. B. Reizgase, Ätzstoffe), als vorübergehende Beeinträchtigung von Organfunktionen (z. B. Bewusstseinsverlust durch Schlafmittel, Blutdruckabfall durch Kardiaka, Konvulsionen durch Krampfgifte) oder als Schädigung bis zum Untergang von Zellen in Zielorganen (z. B. Multiorganversagen durch Kolchizin, Lebernekrose durch Paracetamol, Lungenfibrose durch Paraquat) auswirken.
Typische Krankheitszeichen Die meisten Gifte greifen mehrere Organsysteme gleichzeitig an und verursachen neben wenigen spezifischen auch zahlreiche unspezifische Symptome. Die erste Aufmerksamkeit muss den Vitalfunktionen wie Kreislauf (Puls, Blutdruck), Atmung, Temperatur und den zerebralen Funktionen (ZNS-Depression oder Exzitation) gelten.
Allgemeines
Differenzialdiagnose Die Ursache akuter Intoxikationen ist oft nicht völlig klar. In solchen Fällen ist die Art der akuten Symptome differenzialdiagnostisch wegweisend. Da ähnliche Vergiftungsmechanismen zu klinisch ähnlichen Vergiftungserscheinungen führen, und diese wiederum dieselben therapeutischen Maßnahmen nach sich ziehen, ist die Erkennung der Vergiftungssyndrome (sog. „Toxidrome“) differenzialdiagnostisch von hohem Wert. Anticholinerges Syndrom • Klinik: Es werden zentrale Symptome (ZNS-Depression, Agitation, Halluzinationen, generalisierte Krampfanfälle) von peripheren Symptomen (Mydriase, trockene Schleimhäute, trockene, warme Haut, Tachykardie, Obstipation/Ileus, Harnverhalt) unterschieden. • Ursachen: Atropin, Scopolamin, Antihistaminika, Antidepressiva (v. a. trizyklische), Neuroleptika, Anticholinergika, Pflanzen (Datura spp.). Cholinerges Syndrom • Klinik: ZNS-Depression, generalisierte Krampfanfälle, Muskelfaszikulationen, Miose, erhöhte Sekretionen (Schwitzen, Tränen- und Speichelfluss, Bronchorrhö), Bradykardie, erhöhte Darm- und Blasentätigkeit (Urin- und Stuhlinkontinenz). Oft ist neben Krampfanfällen die starke Bronchorrhö für den unmittelbaren Verlauf verantwortlich (Erstickung, Cave! Verwechslung mit Lungenödem!). Im Anfangsstadium und bei leichten Vergiftungen können eine Tachykardie und Mydriase vorliegen. • Ursachen: Cholinergika, Cholinesterasehemmer (Insektizide, Nervengase), gewisse Pilzvergiftungen. Opioid-Syndrom • Klinik: Miose, ZNS- und Atemdepression. • Ursachen: Opiate und Opioide; Clonidin und Olanzapin verursachen ein sehr ähnliches Vergiftungsbild. Narkotika-Syndrom • Klinik: ZNS-Depression mit oder ohne Kreislaufund Atembeteiligung. • Ursachen: Äthanol, Barbiturate, Benzodiazepine, Gammahydroxybutyrat (inkl. seiner Vorstufen Gammabutyrolacton, 1,4-Butandiol).
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Sympathomimetika-Syndrom • Klinik: Agitation, Hypertonie, Tachykardie, oft Mydriase. • Ursachen: Stimulanzien (Amphetamine und Derivate inkl. Methylphenidat), Kokain, Appetitzügler, Theophyllin, Koffein. Alkohol-Syndrom • Klinik: ZNS-Depression, Rauschsymptome, im Labor metabolische Azidose, erhöhte osmotische Lücke; bei Methanol: Neuropathie (N. opticus); bei Äthylenglykol: Niereninsuffizienz. • Ursachen: Äthanol, toxische Alkohole und Glykole (inkl. Isopropylalkohol, Methanol, Äthylenglykol). Zellgift-Syndrom • Klinik: Störung der sauerstoffempfindlichen Gewebe und Organe (ZNS-Depression, Kardiodepression, Stenokardie), Krampfanfälle, gestörter Sauerstofftransport und verminderte Sauerstoffausschöpfung im Gewebe, schwere Laktatazidose. • Ursachen: Zyanide und Blausäure, Schwefelwasserstoff, Kohlenmonoxid. Extrapyramidales Syndrom • Klinik: Akute Dystonie, Parkinson-Syndrom, Tremor, orale Hyperkinesien, Schlundkrämpfe, Torticollis. • Ursachen: Neuroleptika. Malignes Neuroleptika-Syndrom • Klinik: Hyperthermie, Rigidität, fluktuierender Bewusstseinszustand, autonome Instabilität. • Ursachen: Neuroleptika. Serotonin-Syndrom • Klinik: Verwirrung, Hypomanie, Hyperthermie, Tachykardie, autonome Instabilität, Diarrhö, Agitation, Diaphoresis, Myoklonien, Schüttelfrost, Tremor, Delirium, Krampfanfälle, Tod. • Ursachen: Serotonerge Wirkstoffe und Drogen (v. a. in Kombination), wie z. B. Antidepressiva (alle), Tramadol, Lithium. Neben den Toxidromen wichtige Leitsymptome und mögliche Ursachen • Koma: alle Sedativa/Hypnotika (einschließlich Gammahydroxybuttersäure GHB sowie deren Vorstufen Gammabutyrolacton GBL und 1,4-Butandiol), Antihistaminika, Carbamazepin, Äthanol, Äthylenglykol, Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoffe, Methanol, Neuroleptika, Opiate/ Opioide, Zyanide.
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Akute Vergiftungen
Krampfanfälle: zyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Reuptake-Hemmer, Lithium, Neuroleptika, Antiarrhythmika, Carbamazepin, Antihistaminika, Anticholinergika, Theophyllin, Mefenaminsäure, Salizylate, Cholinesterasehemmer, Zyanide, Kohlenmonoxid, Kokain, Kohlenwasserstoffe. Delirien: anticholinerg wirksame Substanzen wie Antidepressiva, H1-Antihistaminika, Atropin, Neuroleptika. Lungenfibrose: Paraquat. Arrhythmien: Aconitin, Antiarrhythmika, trizyklische Antidepressiva, Chloralhydrat, Digoxin, Kohlenwasserstoffe, Neuroleptika, Oleander, Theophyllin. Leberzellnekrosen: Amanita phalloides, Paracetamol, Paraquat, Schwermetalle (inkl. Eisen). Nierenschädigung: Äthylenglykol, Paraquat, Schwermetalle. Metabolische Azidose (s. S. 208): Eisen, Äthylenglykol, Kohlenmonoxid (CO), Mefenaminsäure, Metformin, Methanol, Salizylate, Säuren, Zyanide, massive Paracetamolvergiftung.
Notfallanamnese
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15 •
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Welche und wie viel Fremdsubstanz wurde eingenommen? Möglichst genaue Angaben zum Produkt. Falls Patient zum Arzt kommt, Packung mitbringen, Reste sicherstellen für Analytik. Bei Ätzstoffen: Wirkstoffkonzentration bzw. prozentualer Säure- oder Laugengehalt der eingenommenen Lösung erfragen. Von wem wurde die Noxe eingenommen? Alter, Geschlecht, Körpergewicht und Größe des Patienten berücksichtigen. Vorbestehende Krankheiten, berufliche Expositionen und Lebensgewohnheiten (z. B. chronischer Alkohol- und Drogenkonsum) können den Vergiftungsverlauf beeinflussen. Wann wurde die Noxe eingenommen? Der zeitliche Ablauf der Vergiftung ist für die Beurteilung des Schweregrads und für das Festlegen des therapeutischen Vorgehens von Bedeutung. Wie wurde die Noxe eingenommen? Eintrittspforte des Giftes bestimmt entscheidend den Krankheitsverlauf und die Therapie. Welche Maßnahmen wurden bereits vorgenommen? Der behandelnde Arzt muss wissen, was bereits gemacht wurde, um diese Maßnahmen zu überprüfen, falls nötig zu ergänzen und bereits durchgeführte Maßnahmen nicht unnötigerweise zu wiederholen.
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Welche Leitsymptome sind beim Patienten zu beobachten? Leitsymptome (s. „Differenzialdiagnose“) können wichtige Hinweise für Art und Menge der eingenommenen Noxe sein und beeinflussen die ersten therapeutischen Maßnahmen des Arztes. Konsultation eines toxikologischen Informationszentrums: Tab. 15.1
Notfalluntersuchung Diagnostik Koma unklarer Genese (hypoglykämisches • Blutzuckerbestimmung [S. 508] oder diabetisches Koma [S. 500]), Kreatinin (urämisches Koma), Blutalkoholkonzentration, Tox-Screening. • Diagnostische Verabreichung von Naloxon 0,4 – 2,0 mg i. v. (Opiatintoxikation). • Auffällige Gerüche beachten (z. B. Bittermandelgeruch bei Zyanidintoxikation). • Bei auffälligen Symptomen und unbekannter Noxe: toxikologische Auskunftsdienste konsultieren (Tab. 15.1). Labor • Kontrolle der Elektrolyte, Säure-Basen-Haushalt (Anionenlücke s. S. 209), Blutzucker, • arterielle Blutgasanalyse, • Kreatinin, Transaminasen (ASAT, ALAT), Prothrombinzeit, Blutbild (Hämolyse?), Kreatinkinase (Rhabdomyolyse?) Osmolalität zur Ermittlung der osmotischen Lücke = gemessene Osmolalität – (2 × [Na] + [Glukose] + [Harnstoff]). Alle Bestimmungen im Plasma (alle in mmol/l). Norm: 0 ± 5 mOsm/l).
EKG • Dokumentation von Tachy- oder Bradykardie, Nachweis von QRS-Verbreiterung und QT-Verlängerung, Repolarisationsstörungen. Röntgen • Röntgendichte Noxen (Schwermetalle) oder Fremdkörper (z. B. Drogenpakete bei Bodypackern) können gelegentlich radiologisch nachgewiesen und lokalisiert werden.
Allgemeines
459
Tabelle 15.1 Wichtige Telefonnummern. Toxikologische Informationszentren Schweiz
Zrich (www.toxi.ch)
145 oder 00 41-44-251-51-51
Deutschland
Berlin (http://bbges.de/content/index28aa.html)
00 49-30-1 92 40
Bonn (www.meb.uni-bonn.de/giftzentrale/index.html)
00 49-228-1 92 40
Erfurt (www.ggiz-erfurt.de)
00 49-361-73 07 30
Freiburg i.Br. 00 49-761-1 92 40 (www.uniklinik-freiburg.de/giftberatung/live/index.html) Gçttingen (www.giz-nord.de)
00 49-551-1 92 40
Mainz (www.giftinfo.uni-mainz.de/)
00 49-6131-1 92 40
Mnchen (www.toxinfo.org)
00 49-89-1 92 40
Nrnberg (www.giftinformation.de)
00 49-911-3 98 24 51
sterreich
Wien (www.giftinfo.org)
00 43-1-406 43 43
Sektion Klinische Tropenmedizin, Universittsklinikums Heidelberg* (Montag bis Freitag 8.00 – 17.00 Uhr)
Heidelberg
00 49-62 21-5 63 49 04
* bei Bissvergiftungen durch außereuropische Schlangen
Spezielle toxikologische Analytik • Blut, Urin (Tox-Screen!) und – falls vorhanden – Magensaft (Erbrochenes, erste Portion bei der Magenspülung). Die Therapie soll vor Erhalt der Resultate beginnen und bei negativen Resultaten wieder abgesetzt werden. • In ausgewählten Fällen (z. B. Paracetamol-, Salizylat- oder Lithiumintoxikationen) sind quantitative Blutkonzentrationsbestimmungen für die Therapie und Prognose wichtig.
Therapie Eine schematische Übersicht über das Vorgehen bei akuten Vergiftungen gibt der Entscheidungsbaum (Abb. 15.1). Bei telefonischer Benachrichtigung über einen Notfall muss der Arzt bereits am Telefon erste
Anweisungen zu Notfallmaßnahmen erteilen. Er muss sich somit auch im Klaren sein über die Möglichkeiten der Laienhilfe. Evidence-based Medicine. In der klinischen Toxikologie fehlen evidenzbasierte Outcome-Daten zu Therapien fast vollständig. Die Therapieempfehlungen beruhen weitgehend auf Expertenmeinungen (EG-D). Die European Association of Poisons Centres and Clinical Toxicologists (EAPCCT) und die American Academy of Clinical Toxicology (AACT) haben Position Statements zur gastrointestinalen Dekontamination herausgegeben, nach denen sich die spezifische Therapie bei akuten Vergiftungen richtet.
460
Akute Vergiftungen
akute orale Intoxikation
Sicherstellen der Vitalfunktionen Diagnostik: Hypoglykämie ? Naloxon, Tox-Screening
ja
ja
Noxe an Aktivkohle absorbierbar? (Noxen, die nicht an Aktivkohle absorbieren: Alkohole inkl. Ethylenglykol, Schwermetalle, Lithium, organische Lösungsmittel, starke Säuren und Laugen)
nein
Koma?
1. potenziell schwere Intoxikation ? 2. frühzeitige Dekontamination noch möglich? 3. Kontraindikation zur Dekontamination fehlen? (siehe Text)
Retardpräparat ?
nein
Noxenidentifikation anamnestisch
nein
abwartendes Vorgehen
nein
Magenspülung (nicht bei Alkoholen und starken Ätzstoffen)
ja orthograde Darmspülung
ja
15
Aktivkohle verabreichen sekundäre Dekontamination bei enterohepatischem oder enteroenteralem Kreislauf, bei Retardpräparaten, v.a. bei Phenobarbital, Carbamazepin, Dapson, Theophyllin, Oleander
bei Salizylaten, Chlorophenoxyessigsäuren, (Phenobarbital)
bei Alkoholen, Glykolen, Lithium, Salizylaten, schweren Vergiftungen mit Valproinsäure
Aktivkohle repetitiv
Alkalinisierung des Urins
Hämodialyse
Abb. 15.1 Dekontamination bei akuten peroralen Vergiftungen.
Allgemeines
Sofortmaßnahmen durch Laien Bei Kontakt mit Ätzstoffen (z. B. Säuren, Laugen oder starken Oxidationsmitteln) • Haut: Entfernen der kontaminierten Kleider. Waschen der Haut mit viel Wasser während mindestens 10 min (wenn möglich Handschuhe tragen). • Auge: Sofort und während mindestens 10 min (manche Autoren empfehlen 20 – 30 min) unter Offenhalten der Lider mit Wasser spülen(s. S. 602). • Orale Einnahme: Verdünnung der Noxe durch Trinken von Wasser oder Milch (Erwachsene: 2 – 3 dl; Kinder: ca. 1 dl) innerhalb der ersten 10 bis maximal 30 min nach Gifteinnahme. Später als 30 min nach Gifteinnahme ist eine Noxenverdünnung nicht mehr indiziert. Gänzlich kontraindiziert ist die Induktion von Erbrechen. Orale Einnahme von nichtätzenden Stoffen • Induzierte Emesis: Das induzierte Erbrechen mithilfe von Ipecac-Sirup hat sich als weit weniger wirksam erwiesen als ursprünglich angenommen und wird heute nicht mehr empfohlen. • Aktivkohle: Die Verabreichung von Aktivkohlesuspension ist durch Laien möglich, soll aber nur nach Absprache mit dem Giftinformationszentrum oder einem Arzt vorgenommen werden (Dosierung s. unten). Warnung vor zusätzlicher Schädigung • Bei fettlöslichen Stoffen (z. B. Lösungsmittel, ätherische Öle) keine Milch geben (Resorptionsbeschleunigung!). • Bewusstlosen Patienten nichts p. o. geben (Aspirationsgefahr!). • Bei Erbrechen sofort Seiten- oder Bauchlage, Kopf tief, Mund von Speiseresten reinigen, Zahnprothesen entfernen. • Bei Atemdepression künstliche Beatmung, wenn die Methode beherrscht wird. Bei Herzstillstand Herzmassage. Bei Krampfanfällen oder Delirien Selbstschädigung des Patienten verhüten. • Abkühlung oder Überhitzung des Patienten vermeiden. • Bei kontaminierter Umgebung Patient rasch aus der Gefahrenzone bringen (Selbstschutz beachten). Spezielle Maßnahmen • Bei schwerer Zyanidvergiftung soll durch den geschulten Laien sofort eine Inhalationstherapie mit Amylnitrit eingeleitet werden (S. 481). • Bei schwerer Methanol- oder Äthylenglykolvergiftung soll beim wachen und kooperativen Patien-
461
ten nach Absprache mit dem Giftinformationszentrum Äthanol in Form von Spirituosen verabreicht werden (S. 489).
Weitere Maßnahmen durch den Arzt Primäre Dekontamination (Hemmung der gastrointestinalen Giftaufnahme) • Aktivkohle: Da die meisten Giftstoffe sehr effizient an Aktivkohle adsorbieren, ist die frühzeitige Verabreichung von Aktivkohle die wichtigste Maßnahme zur Verhinderung der gastrointestinalen Giftresorption nach oraler Gifteinnahme. – Präparate: In Klinikapotheken und öffentlichen Apotheken können standardisierte und pyrogenfreie Aktivkohlesuspensionen (25%ig) und ein Medizinalkohle-Hydrogel (Kohle-Suspension KSA 0,15 g/ml) bezogen werden. Dosierung: Erwachsene 25 – 100 g, Kinder 0,5 – 1,0 g/kg KG Aktivkohle in Suspension oder Hydrogel. – Kontraindikationen: Einnahme von schlecht oder gar nicht an Aktivkohle adsorbierenden Noxen (Abb. 15.1), rezidivierendes Erbrechen, fehlende Darmgeräusche (Ileus?), intestinale Obstruktion oder Perforation, gastrointestinale Blutungen, Intoxikationen mit Ätzstoffen und aliphatischen Kohlenwasserstoffen. – Komplikationen: Erbrechen, Aspiration, Abrasio corneae. Bei intubierten Patienten soll vor der Extubation zur Aspirationsprophylaxe die noch im Magen befindliche Aktivkohle abgesaugt werden. • Magenspülung: Die Magenspülung hat bezüglich Giftentfernung aus dem Magen eine limitierte Wirksamkeit. Sie ist nur noch innerhalb 1 h nach Einnahme einer gefährlichen Dosis und nach vorheriger Intubation indiziert. Besteht der Verdacht auf verlängerte Verweildauer im Magen (z. B. durch Bezoarbildung oder starker Verlangsamung der Magenpassage), so kann nach endoskopischer Abklärung eine Magenspülung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll sein. – Bei Ingestion großer Tabletten oder Bezoarbildung (Pharmakobezoar, Phytobezoar) ist die Noxenentfernung nur mit gastroskopischer Hilfe oder chirurgisch möglich. In solchen Fällen ist meist die Gabe von Aktivkohle, unter Umständen sogar in mehreren Gaben, vorzuziehen. Liste stark toxischer Pflanzen s. www.toxi.ch. – Nach der Magenspülung sollte immer Aktivkohle verabreicht werden (Ausnahme: nicht an Kohle adsorbierende Noxen) (Abb. 15.1).
462
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15
Akute Vergiftungen
– Technik: S. 625. – Kontraindikationen: längere Latenzzeit zwischen Gifteinnahme und ärztlicher Behandlung, Krampfanfälle, Vergiftungen mit Ätzstoffen und flüchtigen Kohlenwasserstoffen, vorbestehende Herzrhythmusstörungen; bei Kleinkindern Zurückhaltung aus technischen Gründen. Katharsis: Die obstipierende Wirkung von Aktivkohle wird durch die gleichzeitige Verabreichung eines Laxativums nicht antagonisiert. Es gibt keine Daten, die den Nutzen von Laxativa in der Behandlung von akuten Vergiftungen belegen. Auf die Verabreichung von salinischen Laxativa wie z. B. Natriumsulfat (Glauber-Salz) kann deshalb verzichtet werden. Orthograde Darmspülung („whole bowel irrigation“): Diese Dekontaminationsmethode hat den Vorteil, dass alle Darmabschnitte von der Noxe gereinigt werden, ist aber zeit- und arbeitsaufwendig. Die Wirksamkeit ist also auch noch vorhanden, wenn sich die Noxe bereits im Dünndarm befindet. – Als Indikationen gelten: schwere Vergiftungen mit nicht an Aktivkohle adsorbierbaren Metallionen (v. a. Eisen und Lithium) oder mit langsam resorbierten Retardpräparaten, Einnahme von multiplen Drogenpaketen (Kokain bei Bodypackern). – Technik: Verabreichung von elektrolytbalancierter Polyäthylenglykol-Lösung („FordtranLösung“, Zusammensetzung in g/l: Na2 SO4 12,8; NaCl 1,4; KCl 0,75; NaHCO3 1,7; Polyethylenglykol-4000 59) entweder oral oder besser via nasaler Magensonde bis als Darmentleerung klares Wasser erscheint. Dosierung der „Fordtran-Lösung“: Kinder < 5 Jahre: 40 ml/kg KG/h; Kinder > 5 Jahre, Jugendliche und Erwachsene: 1 – 2 l/h. – Kontraindikationen: Hämatemesis, Ileus, intestinale Obstruktion, Perforation und Peritonitis.
Sekundäre Dekontamination (beschleunigte Elimination) • Repetitive Gabe von Aktivkohle: Die Wirksamkeit wiederholter oraler Verabreichung von Aktivkohle beruht auf der Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs und der kontinuierlichen Adsorption der aktiv und passiv in das Darmlumen sezernierten Noxen („gastrointestinale Dialyse“). Für Carbamazepin, Chinin, Dapson, Phenobarbital und Theophyllin wurde eine Reduktion der Eliminationshalbwertszeit (z. T. bis über 60%), für gelben Oleander (Thevetia peruviana) eine
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Reduktion der Mortalität in klinischen Studien nachgewiesen. Für Amitriptylin, Dextropropoxyphen, Digitoxin, Digoxin, Phenylbutazon, Phenytoin, Piroxicam und Sotalol konnte eine beschleunigte Elimination in Freiwilligenstudien gezeigt werden, klinische Studien mit Patienten fehlen aber. Für Salizylate sind die Daten widersprüchlich, und für Chlorpropamid, Doxepin, Imipramin, Meprobamat, Methotrexat, Phenytoin, Valproinsäure, Tobramycin und Vancomycin ist die repetitive Kohlegabe zur beschleunigten Elimination wirkungslos und wird nicht empfohlen. – Dosierung: Nach einer Initialdosis von 50 – 100 g (Kinder: 10 – 25 g) weitere Dosen alle 2 – 4 h entsprechend 12,5 g/h (Kinder 0,25 – 0,5 g/kg KG/h) als Medizinalkohle-Suspension oder -Hydrogel. Osmotische Laxativa sollen nicht routinemäßig verabreicht werden. – Komplikationen: prinzipiell gleich wie bei einmaliger Verabreichung von Aktivkohle, zudem Obstipation. Repetitive Dosen dürfen nur bei erhaltener Darmtätigkeit verabreicht werden (Prüfung der Darmgeräusche vor jeder Gabe!). Alkalinisierung des Urins: Sie fördert die renale Elimination von Noxen, die unverändert oder als toxische Metaboliten in wesentlichem Ausmaß über die Nieren ausgeschieden werden und die leichte Säuren sind. Alkalinisierung des Urins ist nur bei der schweren Salizylatintoxikation klar indiziert. Der Patient soll gut hydriert sein. Ziel ist ein UrinpH zwischen 7,5 und 8,5. Bei Vergiftungen mit Chlorophenoxy-Herbiziden (2,4-D, Mecoprop) ist zusätzlich zur Alkalinisierung des Urins ein hohes Urinvolumen anzustreben („forcierte Diurese“). Bei Vergiftungen mit Phenobarbital ist die repetitive Kohlegabe vorzuziehen; ist diese nicht möglich, ist die Alkalinisierung des Urins eine Alternative (die Kombination beider Methoden bringt indessen keinen Vorteil). Die klinische Bedeutung der verbesserten Ausscheidung weiterer Substanzen (Diflunisal, Fluorid und Methotrexat) in alkalischem Urin ist unklar. – Technik: gute Hydrierung mit physiologischer NaCl-Lösung. Einlage eines Blasenkatheters. Infusion von 1 l Glukose 5 % mit 100 mmol NaHCO3 und 40 mmol KCl (Infusionsgeschwindigkeit 200 ml/h, nach Urin-pH anpassen). – Komplikationen: möglich sind Elektrolytstörungen (Hypokaliämie!) und Überwässerung. Hämoperfusion (HP), Hämodialyse (HD) und Hämofiltration (HF): Diese extrakorporalen Eliminationsverfahren haben ihr Einsatzgebiet bei Vergiftungen mit Noxen, die wasserlöslich sind, renal eliminiert werden, ein kleines Molekularge-
Schlafmittel und Tranquilizer wicht aufweisen und ein geringes Verteilungsvolumen (< 1 l/kg) haben. Substanzen, die zudem eine geringe Plasmaeiweißbindung haben, sind für die Hämodialyse geeignet, Substanzen mit hoher Eiweißbindung eher für die Hämoperfusion. Da die modernen Dialysemethoden der Hämoperfusion für die Giftelimination praktisch ebenbürtig sind, ist Letztere heute praktisch verlassen worden. Die Hämofiltration ist besser für die Elimination großer Moleküle geeignet, während die Hämodialyse kleine Moleküle viel effizienter entfernt. – Typische Indikationen (für die HD) sind schwere Intoxikationen mit Lithium, Salizylaten, Theophyllin, Phenobarbital, Chloralhydrat, Methanol, Äthylenglykol und Äthanol (s. Spezialkapitel). Andere Maßnahmen • Extrakorporale Verfahren: Bei schwerer vergiftungsbedingter Beeinträchtigung des Kreislaufs und der Oxygenierung muss im Einzelfall geprüft werden, ob invasive unterstützende Maßnahmen wie intraaortale Ballonpumpe, Herz-Lungen-Maschine oder extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) zur Anwendung kommen sollen, da bei Vergiftungen in den meisten Fällen eine gute Reversibilität der Symptome besteht. • Antidottherapie: s. Spezialkapitel. Das Sortiment der verfügbaren alten und neuen Antidote wird durch die Toxikologischen Informationszentren ständig überwacht und auf den neuesten Stand gebracht (Antidot-Liste). Deshalb im Zweifelsfall immer Nachfrage bei einem Tox-Zentrum (Telefonnummern s. Tab. 15.1). Bezüglich Antiseren gegen Schlangenbissvergiftungen existiert in der Schweiz das Netzwerk der Schweizerischen Antivenindepots (ANTIVENIN-CH), in Deutschland führt das Giftinformationszentrum München eine Liste der verfügbaren Antivenine (Tab. 15.1).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Die notwendige medizinische Überwachung ergibt sich aus dem Vergiftungsbild und aus möglichen Spätschäden. Daneben darf bei Unfällen, bei chronischen Vergiftungen und bei Suizidversuchen die Rezidivprophylaxe nicht außer Acht gelassen werden. Nach einem Suizidversuch ist eine psychiatrische Abklärung angezeigt. Patienten mit toxisch bedingten Psychosen müssen internistisch, nicht psychiatrisch betreut werden.
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Besondere Merkpunkte 50% der Anrufe beim Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrum (STIZ) betreffen Giftunfälle von Kleinkindern. Zu deren Prävention gilt es deshalb zu beachten, dass Arzneimittel und Chemikalien gesichert aufbewahrt und vor deren Gebrauch Warnaufschriften und Gebrauchsanweisung sorgfältig gelesen und beachtet werden.
15.2 Schlafmittel und Tranquilizer Definition und Einteilung Häufigste Ursache von akuten Vergiftungen mit Arzneimitteln (meist Suizidversuche, evtl. akzidentelle Vergiftungen bei Kindern). Die Letalität ist bei früher Erkennung und Behandlung aber gering (< 1 %). Bezüglich der klinischen Gefährdung müssen zwei pharmakologische Gruppen unterschieden werden: • Barbiturate (v. a. Phenobarbital) sowie ähnlich wirkende Sedativa/Hypnotika (z. B. Chloralhydrat, Meprobamat, Methaqualon). • Benzodiazepine und die neuen Substanzen Zaleplon, Zolpidem, und Zopiclon, die heute als Tranquilizer und Schlafmittel zunehmend häufiger eingesetzt werden. Entsprechend ihrer Verschreibungshäufigkeit sind Benzodiazepine die häufigste Ursache von akuten Schlafmittelvergiftungen (v. a. Suizidversuche). Zu lebensgefährlicher Atemdepression kommt es praktisch nur bei Kombinationsvergiftungen mit anderen Sedativa/Hypnotika (z. B. Alkohol, Opioide) oder bei gleichzeitigen kardiopulmonalen Vorerkrankungen. Die akute Toxizität von Zolpidem und Zopiclon ist deutlich geringer als diejenige der kurz wirksamen Benzodiazepine Triazolam und Midazolam. Dies gilt aber nicht bei Kombinationsintoxikation mit anderen zentral dämpfenden Arzneimitteln, Alkohol oder Drogen (Gammahydroxybutyrat).
Pathophysiologie Barbiturate und Derivate. Die zentralnervöse Depression ist nur teilweise durch Aktivierung des neuroinhibitorischen GABAergen Neurotransmittersystems bedingt. Besonders gefährlich ist die Atemdepression. Barbiturate vermindern zudem die myo-
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Akute Vergiftungen
kardiale Kontraktilität und bewirken eine Vasodilatation und Blutdruckabfall (Schock). Chloralhydrat. Chloralhydrat (HWZ 4 min) wird durch die Alkoholdehydrogenase in der Leber rasch in den aktiven Metaboliten Trichlorethanol (HWZ 8 – 12 h) abgebaut. Trichlorethanol sensibilisiert das Myokard gegenüber Katecholaminen. Benzodiazepine, Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon. Benzodiazepine und die neuen, mit den Benzodiazepinen chemisch nicht verwandten Substanzen Zolpidem und Zopiclon aktivieren selektiv das neuroinhibitorische GABAerge Transmittersystem. Sie haben aber am GABA-Benzodiazepin/Chloridkanal-Rezeptorkomplex nicht exakt dieselben Bindungsstellen. Trotzdem wirkt Flumazenil als spezifischer Antagonist für alle diese Wirkstoffe.
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Typische Krankheitszeichen
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Barbiturate, Meprobamat, Methaqualon: kurz und lang wirksame Barbiturate verursachen qualitativ die gleichen Symptome. Unterschiedlich sind deren Beginn und Dauer. Maximale Wirkungen treten bei kurz wirksamen Substanzen nach 2 – 4 h und bei lang wirksamen nach 6 – 18 h auf. Das heute noch am häufigsten verwendete Phenobarbital hat eine Halbwertszeit von 44 – 144 h (Komadauer bis 3 Tage möglich). Schweregrad und Dauer der Symptome hängen auch von der Barbiturattoleranz des Patienten und einer evtl. zusätzlichen Einnahme von anderen Hypnotika (z. B. Alkohol) ab. – ZNS: Somnolenz, Dysarthrie, Ataxie, Nystagmus, Schwindel, Verwirrtheit, Sopor, Koma (vorerst mit, dann ohne Schmerzreaktionen), EEG-Veränderung (bis hin zur „Nulllinie“). Pupillen in Frühstadien eng, dann dilatiert, aber in der Regel auf Licht reagierend. – Atmung: Eine potenziell lebensgefährliche Atemdepression kann schon in frühen Komastadien auftreten. – Kreislauf: arterielle Hypotonie, Schock (hypovolämisch, neurogen, S. 26). – Haut: bullöse Hautläsionen (4 – 7% der Fälle) und Drucknekrosen bei komatösen Patienten (meist innerhalb 24 h). – Bewegungsapparat: Rhabdomyolyse. Methaqualon: Die atemdepressorische Wirkung von Methaqualon ist geringer als die der Barbiturate. Charakteristisch ist ein erhöhter Muskeltonus mit Hyperreflexie, klonischen Muskelzuckungen und evtl. Krampfzuständen.
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Chloralhydrat: Die akuten Vergiftungssymptome gleichen weitgehend jenen der Barbituratintoxikation. Speziell zu erwähnen sind die arrhythmogene Potenz toxischer Chloralhydrat-Dosen (supraventrikuläre und ventrikuläre Tachykardien, Kammerflimmern) und die schleimhautreizende Wirkung im Gastrointestinaltrakt (Ösophagitis, Gastritis, Magenschleimhautnekrosen und Perforationsgefahr). Benzodiazepine (BZD) – ZNS: Sedation, Somnolenz, Sehstörungen, Muskelhypotonie, Dysarthrie, Ataxie, Verwirrtheit, Koma, EEG-Veränderungen. Bei Koma mit fehlenden Schmerzreizen handelt es sich selten um eine reine BZD-Intoxikation. Gelegentlich (v. a. bei Kindern) kann eine Agitation auftreten (sog. paradoxe Reaktion). – Atemdepression mit Hypoventilation, Hypoxämie und respiratorischer Azidose ist bei Monointoxikationen selten. Ein akuter Atemstillstand kann bei zu rascher i. v. Verabreichung auftreten. – Kardiovaskulär: Hypotonie, Tachykardie, selten Bradykardie. Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon – Zolpidem: Somnolenz bis Koma, EEG-Veränderungen, Atemdepression, Schwindel, Erbrechen, Tremor, Muskelzuckungen und Myoklonien, Diplopie, Abdominalschmerzen, Schluckstörungen. – Zopiclon: Somnolenz bis Koma, Amnesie, Ataxie, EEG-Veränderungen, Agitation, Bradyoder Tachykardie, Hypotonie, Erbrechen. Einzelberichte von AV-Block I. Grades, Hyperkaliämie, Hyperglykämie, Hyperbilirubinämie. – Zaleplon: Klinische Effekte vergleichbar mit denen von Zolpidem und Zopiclon.
Differenzialdiagnose Koma. In unklaren Fällen sollen andere Komaursachen möglichst rasch ausgeschlossen werden s. S. 439.
Notfalluntersuchung
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Glukose, Kreatinin, Kreatinkinase, Elektrolyte. Barbiturate und Benzodiazepine können qualitativ im Urin (Tox-Screening notfallmäßig) und quantitativ im Serum nachgewiesen werden. Nicht alle Benzodiazepine werden gleichermaßen erfasst (Labor anfragen!).
Schlafmittel und Tranquilizer
Therapie Barbiturate, leichte Fälle • Primäre Dekontamination: evtl. Gabe von Aktivkohle, • genügende Flüssigkeitszufuhr und kardiopulmonale Überwachung. Barbiturate, mittlere und schwere Fälle • Primäre Dekontamination: Aktivkohle innerhalb von 1 – 2 h nach Einnahme (Dosis S. 461). Bei sehr großen Tablettenmengen Magenspülung als Frühmaßnahme innerhalb von 1 h nach Einnahme (Technik S. 625). Bei Bewusstlosen immer intubieren. Spülwasser zur evtl. Untersuchung aufbewahren. Anschließend an Magenspülung Verabreichung von Aktivkohle. • Sicherstellen einer adäquaten Ventilation (Bronchialtoilette, Intubation, evtl. mechanische Beatmung) und Kreislauffunktion (Schockbekämpfung, S. 16). Bekämpfung einer Hypothermie (langsame Erwärmung!). Korrektur von Elektrolytstörungen und Azidose, gute Hydrierung. • Sekundäre Dekontamination: bei lang wirksamen Barbituraten (Phenobarbital) repetitive Gabe von Aktivkohle während ca. 3 Tagen. Die Alkalinisierung des Urins ist die Methode zweiter Wahl und kommt nur bei Phenobarbital infrage. Die zusätzliche Hämodialyse oder Hämoperfusion kommen nur bei Patienten mit Komagrad IV (fehlende Schmerzreaktion, keine Reflexe, zentrale Atemdepression und/oder Kreislaufstörung) mit fortschreitender klinischer Verschlechterung sowie bei Patienten mit Niereninsuffizienz und/ oder Leberzirrhose infrage. Kritische Plasmakonzentrationen: Phenobarbital > 430 µmol/l. Chloralhydrat • Primäre Dekontamination: wie bei Barbituratintoxikation (s. o.). – Kardiopulmonale Überwachung und Therapie: bei Arrhythmien oder Lidocain; bei Torsade de pointes Magnesiumsulfat (S. 44). • Sekundäre Dekontamination: Hämodialyse ist indiziert bei Trichloräthanolkonzentrationen im Plasma > 200 µmol/l und/oder bei rascher Verschlechterung des klinischen Zustandes trotz adäquater symptomatischer Therapie. Meprobamat, Methaqualon • Primäre Dekontamination: wie bei Barbituratintoxikation. Wegen verzögerter Magenentleerung und möglicher Klumpenbildung (Bezoar) ist die
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Magenspülung möglicherweise bis 12 h nach Vergiftung indiziert und sollte unter endoskopischer Kontrolle durchgeführt werden. Sekundäre Dekontamination: Die Wirksamkeit einer repetitiven Verabreichung von Aktivkohle ist unbekannt. Die forcierte Diurese ist wegen erhöhter Gefahr eines Lungenödems kontraindiziert. – Hämoperfusion: indiziert in schweren Fällen (Meprobamatkonzentration im Plasma > 450 µmol/l); Methaqualon ist wegen seines höheren Verteilungsvolumens für diese Eliminationstechnik weniger geeignet.
Benzodiazepine • Primäre Dekontamination: Bei gefährlichen Dosen bei noch asymptomatischen Patienten einmalige Verabreichung von Aktivkohle, sofern die Gabe ohne Aspirationsrisiko möglich ist (ist sehr selten nötig). Antidottherapie: Flumazenil • Spezifische 0,3 – 2,0 mg i. v. Bei reinen BZD-Intoxikationen erwacht der Patient innerhalb von 1 – 2 min. Wegen seiner kurzen HWZ (ca. 60 min) muss Flumazenil bei Intoxikationen mit lang wirksamen BZD wiederholt (alle 2 – 3 h) oder als Dauerinfusion verabreicht werden. Mit Flumazenil sind auch BZDbedingte Agitationszustände (paradoxe Reaktionen) reversibel. – Cave! Bei Kombinationsvergiftungen (v. a. mit trizyklischen Antidepressiva) können infolge Wegfall der neuroinhibitorischen Benzodiazepinwirkung Krampfanfälle auftreten (Therapie: intravenöse Benzodiazepine, z. B. Diazepam, Midazolam, Clonazepam, Lorazepam). Daher in diesen Fällen kein Flumazenil anwenden! Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon • Primäre Dekontamination: wie Benzodiazepine (s. o.). • Spezifische Antidottherapie: wie Benzodiazepine (s. o.).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Herzrhythmus und Atmung möglichst fortlaufend überwachen (Lungenödem, Aspirationspneumonie?) bis zur eindeutigen Erholung. Blutdruck, ZVD und Urinmenge alle 30 – 60 min. Kalium alle 3 – 6 h, Kreatinkinase kontrollieren wegen möglicher Rhabdomyolyse.
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Akute Vergiftungen
Entzugssymptome: bei Barbituratabhängigkeit Angstzustände, Erregung, Verwirrtheit, Halluzinationen, Tremor, Ataxie und Hyperreflexie; bei Benzodiazepinabhängigkeit Angstzustände, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Zittern, Erbrechen, Erregung und evtl. Psychose. Nach Entzug von Benzodiazepinen, Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon können vereinzelt Rebound-Insomnie und Konvulsionen auftreten. In der Rekonvaleszenzphase ist auf eine mögliche Suizidalität zu achten (s. S. 531).
15.3 Antidepressiva Definition und Einteilung
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Zyklische Antidepressiva. Trizyklische (z. B. Amitriptylin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Trimipramin) und tetrazyklische (z. B. Maprotilin, Mianserin, Mirtazapin) Antidepressiva werden trotz der Einführung neuer Substanzklassen weiter breit eingesetzt. Lithiumsalze. Lithiumsalze werden vor allem zur Prophylaxe bei zyklischem (biphasischem) Verlauf von depressiven Psychosen eingesetzt. Andere Substanzklassen. Die folgenden Substanzen haben alle eine höhere therapeutische Breite als die zyklischen Antidepressiva und Lithiumsalze. • Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI): Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin, Citalopram und Escitalopram. • Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer: Reboxetin. • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer: Venlafaxin, Duloxetin. • Andere: Bupropion, Trazodon.
Pathophysiologie Zyklische Antidepressiva. Praktisch allen Substanzen gemeinsam ist eine verstärkte Wirkung von Monoaminen (Serotonin, Noradrenalin) an den zentralen Nervenendigungen und eine veränderte Funktion der zentralen Monoaminrezeptoren. Die klassischen trizyklischen Derivate blockieren cholinerge, H1-histaminerge, a1-adrenerge, serotonerge und GABAA-Rezeptoren und haben anticholinerge und kardiotoxische (chinidinähnliche) Wirkungen. Letztere sind bei Mianserin, Trazodon und bei den selektiven Wiederaufnahmehemmern gering. Mirtazapin hat noradrenerge und serotonerge Wirkung.
Lithiumsalze. Lithium vermag Natrium in den Körperflüssigkeiten zu ersetzen und beeinflusst dadurch die Erregbarkeit von Nervenzellen. Lithium hat eine geringe therapeutische Breite, es wird renal ausgeschieden. Eine Lithiumintoxikation tritt bei therapeutischer Dosierung vor allem bei kochsalzarmer Diät, Diuretikabehandlung, verminderter Flüssigkeitszufuhr, extrarenalen Natrium- und Flüssigkeitsverlusten (z. B. Diarrhö), interkurrenten Infektionen und Niereninsuffizienz auf. Selektive Reuptakehemmer (SSRI, Noradrenalin, Serotonin/Noradrenalin). Im Unterschied zu den zyklischen Antidepressiva hemmen die SSRI spezifisch die Wiederaufnahme von Serotonin und/oder Noradrenalin in die präsynaptischen Neurone. Damit ist deren Wirksamkeit an den postsynaptischen Rezeptoren verstärkt und verlängert. Andere. Bupropion hemmt den neuronalen Reuptake von Dopamin, Noradrenalin und (weniger) Serotonin. Trazodon hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin und hat ausgeprägte Affinität zu a1-Adrenorezeptoren.
Typische Krankheitszeichen Zyklische Antidepressiva • ZNS: Mydriase, Sehstörungen, Sedation, Erregung, Halluzinationen, erhöhter Muskeltonus (gesteigerte Sehnenreflexe, Fußklonus, BabinskiReflex), Krampfanfälle, Koma (selten bei Mianserin, Mirtazapin und Trazodon), Atemdepression. • Kardiovaskulär: Tachykardie, EKG-Veränderungen (QT-Verlängerung, QRS-Verbreiterung, Veränderung der ST-Strecke und T-Welle), AV-Blockierungen, Bradykardie, ventrikuläre und supraventrikuläre Arrhythmien, arterielle Hypotonie, Schock, evtl. Herzstillstand. Die Kardiotoxizität von Mianserin, Mirtazapin und Trazodon ist relativ gering. • Weitere anticholinerge Symptome: Mundtrockenheit, Obstipation, evtl. Harnretention. Maprotilin, Mianserin, Mirtazapin und Trazodon haben nur geringe anticholinerge Aktivität. Lithiumsalze • Erbrechen, Diarrhö, Polyurie, Tremor, Schwindel, Sehstörungen, Ataxie, Muskelzuckungen, Rigidität, Hyperreflexie, Krampfanfälle, kardiale Arrhythmien, Kreislaufkollaps, Sopor, Koma. • Drei Situationen müssen bei der Lithiumvergiftung aufgrund der pharmakokinetischen Eigenschaften unterschieden werden:
Antidepressiva
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– chronische Lithiumvergiftung (relative Überdosierung bei vorbehandeltem Patienten), – akute Lithiumvergiftung (akute Überdosis bei nicht mit Lithium vorbehandeltem Patienten), – Kombination von beidem (“acute-on-chronic”). Die chronische Lithiumvergiftung verläuft bei vergleichbaren Spiegeln (s. u.) schwerer als die akute. Lang anhaltend hohe Spiegel bergen das Risiko der (evtl. irreversiblen) zerebellären Toxizität.
Selektive Reuptakehemmer • Die selektiven Wiederaufnahmehemmer sind recht sichere Antidepressiva. Monointoxikationen führen kaum je zu Todesfällen. Sie haben eine deutlich geringere Kardiotoxizität als die zyklischen Antidepressiva und weniger anticholinerge Eigenschaften. • Überdosierung: Als Symptome bei Überdosierung treten Benommenheit, Somnolenz, Nausea, Erbrechen, erhöhte Leberwerte, Diarrhö, Tremor, leichte Hypo- oder Hypertension und mäßige Sinustachykardie oder seltener -bradykardie auf. Bei Citalopram, Fluvoxamin und Fluoxetin besteht das Risiko von generalisierten Krampfanfällen. SSRI können das QT-Intervall verlängern. Reboxetin verursacht sympathische Effekte (Tachykardie, Hypertonie). Venlafaxin produziert ein Vergiftungsbild, das demjenigen der trizyklischen Antidepressiva und dem der SSRI gleicht. Es treten anticholinerge Wirkungen neben Krampfanfällen und kardiotoxischen Effekten (Tachykardie, QRS-Verbreiterung, QT-Verlängerung) auf. • Bei Kombinationsvergiftungen mit zyklischen Antidepressiva und/oder Monoaminoxidasehemmern kann infolge Hyperstimulation der 5-HT1A-Rezeptoren ein Serotoninsyndrom auftreten. Es ist charakterisiert durch Hyperthermie, Tachykardie, Diarrhö, Agitation, Verwirrtheit und Delir (s. S. 457). In schweren Fällen kann es zusätzlich zu einer disseminierten intravaskulären Gerinnung, Rhabdomyolyse und akuter Niereninsuffizienz kommen. Andere • Bupropion: Tachykardie, Hypertonie, Krampfanfälle, Agitation und gastrointestinale Symptome, zudem ZNS-Depression, Halluzinationen, Delir und Tremor.
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Differenzialdiagnose Bei Koma unklarer Genese sollen andere Komaursachen möglichst rasch ausgeschlossen werden. Bei Krampfanfällen ist auch an Vergiftungen mit Neuroleptika, Antihistaminika, Theophyllin, Kokain, Mefenaminsäure, Salizylaten, Cholinesterasehemmern, Zyaniden und Kohlenwasserstoffen zu denken.
Notfalluntersuchung Diagnostik Zyklische Antidepressiva • EKG: Bei QRS-Verlängerung über 100 ms besteht erhöhte Gefahr für zerebrale Krampfanfälle und/ oder ventrikuläre Rhythmusstörungen. • Labor: Elektrolyte, Säure-Basen-Status. Plasmakonzentrationen korrelieren schlecht mit dem Schweregrad der Intoxikation. Lithiumsalze Identifikation der auslösenden Ursache (s. o.). Therapeutische Konzentration: 0,5 – 1,2 mmol/l. • Bei der chronischen Lithiumvergiftung korreliert die Konzentration gut mit dem Schweregrad: – milde Intoxikation: 1,2 – 2,0 mmol/l, – schwere Intoxikation: > 2,5 mmol/l, – potenziell letale Intoxikation: > 3 mmol/l. • Bei der akuten Lithiumvergiftung werden oft höhere Konzentrationen als bei der chronischen Form toleriert.
Therapie Zyklische Antidepressiva • Primäre Dekontamination: Die Magenspülung erhöht das Krampfpotenzial und sollte nur innerhalb 1 h nach schweren Intoxikationen und vorheriger Intubation durchgeführt werden. Für Präparate mit langer Verweildauer im Magen muss eine gastroskopisch kontrollierte Tablettenentfernung erwogen werden. In den meisten Fällen ist die Verabreichung von Aktivkohle genügend. In Spätfällen mit schweren Intoxikationen mit Retardpräparaten ist eine orthograde Darmspülung (s. S. 462) zu erwägen.
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Akute Vergiftungen
Spezielle Maßnahmen: – Bei ventrikulären Arrhythmien und/oder QRSVerbreiterung > 100 ms Alkalinisierung des Blutes mit Natriumbikarbonat (1 mmol/kg KG) als Bolus (Kurzinfusion) über 5 min, wiederholen bis Effekt eintritt (pH-Wert: 7,45 – 7,55 nicht überschreiten!). Evtl. zusätzlich Lidocain i. v. – Bei polymorpher Kammertachykardie mit verlängertem QT (Torsade de pointes) Magnesiumsulfat 2 g i. v. als einmalige Injektion, evtl. gefolgt von einer Dauerinfusion 0,6 – 4,8 mmol/h (s. S. 44). – Bei Bradyarrhythmien/AV-Block: provisorischer Schrittmacher. – Bei Krampfanfällen: Diazepam (5 – 10 mg langsam i. v.) oder ein anderes intravenöses Benzodiazepin; Azidose korrigieren (Natriumbikarbonat). – Bei Koma und Atemlähmung: Intubation und künstliche Beatmung. Hyperventilation zur Erhöhung des Blut-pH (7,45 – 7,50) nur, wenn gleichzeitig kein Natriumbikarbonat verabreicht wird (Gefahr der massiven Alkalose). – Periphere anticholinerge Symptome (z. B. Ileus) können mit Pyridostigmin 1 – 2 mg langsam i. v. unter kontinuierlicher EKG-Kontrolle antagonisiert werden. Physostigmin sollte wegen möglicher Verstärkung der Kardiotoxizität der zyklischen Antidepressiva (Bradykardie, Asystolie) nicht verabreicht werden.
Lithiumsalze • Behandlung der auslösenden Ursache (s. o.). • Primäre Dekontamination: möglichst frühzeitige Magenspülung. Verabreichung von Aktivkohle ist nicht wirksam, da Lithium nicht an Kohle bindet. Dagegen kann nach akuter Lithiumingestion die orale Verabreichung von 30 g des Kationenaustauschers Polystyrolsulfonat die Lithiumresorption vermindern (Cave! Hypokaliämie!). Bei gefährlichen Dosen, v. a. in Retardform, ist eine orthograde Darmspülung (s. S. 462) zu erwägen. • Spezielle Maßnahmen: Kontrolle und Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushaltes, insbesondere Infusion von 0,9 %iger NaCl-Lösung bis zur Normalisierung von Plasmanatrium und Urinvolumen. Forcierte Diurese und Diuretika sind unwirksam, Thiaziddiuretika kontraindiziert (Verzögerung der Lithiumausscheidung).
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Sekundäre Dekontamination: Therapie der Wahl ist die Hämodialyse. Sie ist indiziert: – in jedem Fall bei Lithiumkonzentration > 6 mmol/l, – bei Lithiumkonzentration > 4 mmol/l bei chronischer Lithiumintoxikation, – bei Lithiumkonzentration 2,5 – 4,0 mmol/l bei Patienten mit schweren neurologischen oder kardiovaskulären Symptomen, Niereninsuffizienz, – bei Lithiumkonzentration < 2,5 mmol/l ist die Hämodialyse nur indiziert bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz, bei weiter ansteigender Konzentration, oder wenn die Konzentration innerhalb 30 h nicht unter 1,0 mmol/l sinkt.
SSRI • Bei Monointoxikationen mit tiefen Dosen reicht eine klinische Überwachung aus. Bei höheren Dosen ist Aktivkohle indiziert. • Bei Kombinationsintoxikationen ist therapeutisch in der Regel die begleitende Noxe wegweisend. • Bei Krampfanfällen intravenöse Benzodiazepine. • Zur Behandlung eines Serotoninsyndroms werden neben Benzodiazepinen nichtselektive Serotonin-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Cyproheptadin, Chlorpromazin, Olanzapin) und Betablocker (z. B. Propranolol) empfohlen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Zyklische Antidepressiva: Eine kontinuierliche EKG-Überwachung ist bis 24 h nach Rückbildung der Vergiftungssymptome notwendig, um verzögert auftretende Rhythmusstörungen nicht zu verpassen. Lithiumsalze: wiederholte Kontrollen der Lithiumkonzentration. Stopp der Hämodialyse bei bleibendem Abfall der Konzentration auf < 1,0 mmol/l. Vor allem bei chronischer Lithiumintoxikation kommt es nach Abschluss der Hämodialyse typischerweise zu einem Wiederanstieg der Lithiumkonzentration (Rebound-Phänomen). Selektive Reuptakehemmer: Überwachung bis zur Rückbildung der klinischen Symptome.
Neuroleptika
15.4 Neuroleptika Definition und Einteilung
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Phenothiazine (z. B. Levomepromazin, Fluphenazin, Trifluoperazin), Thioxanthene (z. B. Chlorprothixen), Butyrophenone (z. B. Haloperidol, Pimozid), Benzepine (Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Clotiapin), Indole (z. B. Ziprasidon, Sertindol, Risperidon), Benzamide (z. B. Amisulprid), Chinoline (Aripiprazol), andere (Zotepin).
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grund (v. a. bei Phenothiazinen und Butyrophenonen). – Unter chronischer Neuroleptikatherapie können zudem Akathisien (motorische Unruhe, Hyperaktivität, Schlafstörungen), parkinsonähnliche Störungen (Hypokinesie, Rigor und/ oder Tremor), tardive Dyskinesien und das gefürchtete maligne Neuroleptikasyndrom (Rigor, Tremor, Mutismus, Hyperthermie, Tachykardie, Hypertonie, Hyperreflexie, Kreislaufkollaps, Rhabdomyolyse) auftreten. Weitere Symptome: Hypothermie, periphere anticholinerge Symptome wie Mundtrockenheit, Mydriase (bei Olanzapin typisch Miose), Hautrötung, Tachykardie, Ileus, Harnverhalt.
Pathophysiologie
Differenzialdiagnose
Alle Neuroleptika hemmen mehr oder weniger ausgeprägt dopaminerge Rezeptoren (v. a. den Rezeptorsubtyp D2). Sie wirken in der Regel zentral dämpfend, seltener erregend, und induzieren in unterschiedlichem Ausmaß anticholinerge, extrapyramidale (v. a. Haloperidol) und kardiotoxische (v. a. Thioridazin) Wirkungen. Letztere gleichen den chinidinähnlichen Wirkungen der trizyklischen Antidepressiva und können sich schon bei therapeutischen Dosierungen in EKG-Veränderungen (z. B. Verlängerung der QT-Dauer, ST-Senkungen, Abflachung der T-Wellen) manifestieren.
Bei Koma unklarer Genese sollen andere Ursachen möglichst rasch ausgeschlossen werden. Bei Krampfanfällen ist auch an Vergiftungen mit Anticholinergika, trizyklischen Antidepressiva, Antihistaminika, Carbamazepin, Cholinesterasehemmern, Kokain, Kohlenwasserstoffen, Lithium, Mefenaminsäure, Salizylaten, Theophyllin und Zyaniden zu denken.
Typische Krankheitszeichen
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ZNS: Sedation, Sopor, Koma (v. a. Phenothiazine, Quetiapin, Clozapin) oder Erregung, Hyperaktivität, Hyperreflexie, Delirien, Konvulsionen (v. a. Thioxanthene und Haloperidol). Kardiovaskulär: orthostatische Hypotonie, seltener transiente Hypertonie (z. B. Chlorpromazin, Haloperidol, Trifluoperazin), kardiale Arrhythmien (Erregungsleitungsstörungen, ventrikuläre Tachykardien; v. a. Phenothiazine vom Thioridazintyp), Schock. Atmung: Eine schwere Atemdepression kommt praktisch nur bei Kombinationsvergiftungen mit Sedativa/Hypnotika vor. Extrapyramidale Reaktionen: Alle Reaktionsformen können schon bei therapeutischer Dosierung auftreten. Extrapyramidale Reaktionen sind bei atypischen Neuroleptika sehr selten. – Bei akuten Vergiftungen stehen die akuten Dyskinesien im Kopf-Hals-Bereich im Vorder-
Notfalluntersuchung EKG. QRS-Verbreiterung und QT-Verlängerung können auftreten. Labor. Elektrolyte, Säure-Basen-Status. Die Bestimmung von Neuroleptikakonzentrationen hat keine klinisch-therapeutischen Konsequenzen.
Therapie
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Primäre Dekontamination: Bei potenziell gefährlichen Dosen Verabreichung von Aktivkohle innerhalb der ersten Stunde. Magenspülung nur bei sehr großen Tablettenmengen in Erwägung ziehen. Spezielle Maßnahmen: – Kardiale Arrhythmien und/oder Krampfanfälle werden wie bei Vergiftungen mit zyklischen Antidepressiva behandelt (S. 468). Die Wirksamkeit einer Alkalinisierung des Blutes ist aber bei Neuroleptikavergiftungen wenig gesichert und beruht auf grundsätzlichen Überlegungen.
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Akute Vergiftungen
– Blutdruckabfall: Infusion von Elektrolytlösung, Plasma oder Plasmaexpander. Die Wirksamkeit von Vasopressoren (z. B. Dopamin 2 – 5 µg/kg KG/min) ist umstritten. – Atemdepression: rechtzeitige Intubation und Beatmung. – Akute Dyskinesien: Biperiden 2,5 – 5 mg langsam i. v. oder i. m. bzw. 10 mg p. o. – Anticholinerge Symptome (periphere): Pyridostigmin 1 – 2 mg langsam i. v. Sekundäre Dekontamination: repetitive Verabreichung von Aktivkohle.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Asymptomatische Patienten sollen überwacht werden, bis die maximale Plasmakonzentration sicher überschritten ist. Symptomatische Patienten sind bis zum vollständigen Rückgang der Symptome zu überwachen. Bei kardialen Problemen ist eine EKGÜberwachung bis 24 h nach Rückbildung der Symptome angezeigt. Extrapyramidale Symptome treten typischerweise in der Phase abfallender Plasmaspiegel auf.
15.5 Analgetika Definition und Einteilung
15
Gefährlich sind vor allem hohe Dosen von Salizylaten und von Paracetamol (Acetaminophen) unter den NSAR (nichtsteroidale antiinflammatorische Substanzen, nichtsteroidale Entzündungshemmer), v. a. die Mefenaminsäure sowie die Gruppe der Morphinabkömmlinge und deren Ersatzpräparate (z. B. Pethidin). Gefährliche Opioidvergiftungen kommen v. a. bei Drogensüchtigen (Heroin) vor. Besonders bedrohlich sind Kombinationsvergiftungen (z. B. Methadon und Flunitrazepam). Überdosierungen von Opioidanalgetika kommen als Suizid bei medizinischem Personal und im Rahmen einer Schmerztherapie v. a. bei älteren Leuten und Kindern vor.
Pathophysiologie Salizylate. Die klinischen Komplikationen der Salizylatvergiftung sind einerseits durch direkte ZNSToxizität der Salizylate und andererseits durch die ausgeprägten metabolischen Störungen bedingt.
Paracetamol. Paracetamol wird in der Leber durch CYP2E1 zu dem reaktiven toxischen Metaboliten N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) aktiviert, der durch Bindung an intrazelluläres Glutathion (GSH) inaktiviert wird. Die Hepatotoxizität von Paracetamol ist deshalb theoretisch erhöht bei Induktion von CYP2E1 (z. B. chronische Einnahme von Rifampicin, Äthanol u. a.) und/oder Verminderung der hepatozellulären GSH-Konzentration (z. B. chronischer Alkoholismus, Leberzirrhose, Malnutrition). Der Effekt der Induktion wird aber wahrscheinlich überschätzt. Das Antidot N-Acetylcystein ist eine Vorstufe von GSH, das im Unterschied zu GSH gut in die Leberzellen eindringt. NSAR. Nichtsteroidale Entzündungshemmer hemmen die Prostaglandinsynthese durch Inhibition einer (COX2) oder mehrerer Cyclooxygenasen. Ihre Toxizität beruht auf der Entkopplung der mitochondrialen oxidativen Phosphorylierung und der Hemmung der Prostaglandinsynthese. Opioide. Alle analgetisch wirksamen Opioide wirken als Agonisten an enkephalinergen Rezeptoren. Der Schweregrad einer Vergiftung hängt wesentlich von der Opiattoleranz (Gewöhnung bei chronischem Missbrauch) des Patienten ab.
Typische Krankheitszeichen Salizylate • Die metabolischen Störungen umfassen vor allem eine initiale respiratorische Alkalose (Hyperventilation), die rasch in eine metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke (S. 209) übergeht, sowie Dehydratation, Elektrolytstörungen (z. B. Hyponatriämie oder Hypernatriämie, Hypokaliämie, Hypokalzämie), Hyperthermie, erniedrigte Prothrombinzeit und Hypo- oder Hyperglykämie. • Leichte Intoxikation: Tinnitus, Nausea, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Hyperventilation, Lethargie. • Mittelschwere Intoxikation: zusätzlich Übererregbarkeit, Hörverlust, Desorientiertheit. • Schwere Intoxikation: zusätzlich Halluzinationen, Bewusstseinstrübung, Krampfanfälle, metabolische Azidose und Elektrolytstörungen, Lungenödem, selten Koma (v. a. bei Kindern). Paracetamol • Initialstadium (0 – 24 h nach Ingestion): Anorexie, Nausea, Erbrechen. Bei massiven Dosen und sehr hohen Plasmakonzentrationen (> 800 mg/l) sind auch Koma und Laktatazidose beschrieben wor-
Analgetika
• •
den, bevor sich ein Leberversagen etablieren konnte. Mittleres Stadium (24 – 48 h nach Ingestion): Anstieg der Transaminasen infolge Leberzellnekrosen, Nierenfunktionsstörung. „Leberstadium“ (1 – 4 Tage nach Ingestion): Zeichen der zunehmenden Leberinsuffizienz mit Erbrechen, Ikterus, Foetor hepaticus, Blutgerinnungsstörungen, flapping Tremor, Verwirrtheit, Lethargie, Koma (hepatische Enzephalopathie) und Tod im Leberversagen.
NSAR • Bei Überdosierung verursachen sie Abdominalbeschwerden, Koma, metabolische Azidose, Bradykardie, Hypotension, reversibles Nierenversagen, Konvulsionen und Apnoe. • Während die meisten NSAR verhältnismäßig wenig toxisch sind und diese Symptome erst bei massivster Überdosierung, die kaum je erreicht wird, auftreten, kann es bereits ab 3,5 g Mefenaminsäure zu Azidose, Konvulsionen und Koma kommen. Opioide • ZNS: enge, lichtstarre Pupillen (bei schwerer Hypoxie und Azidose: Mydriase), Somnolenz, Stupor, Koma (selten Krampfanfälle, v. a. bei Pethidin und Tramadol), Hypothermie. • Kardiovaskulär: Blutdruckabfall (via ZNS-Depression und Histaminfreisetzung), Schock. • Pulmonal: Atemdepression, toxisches Lungenödem (v. a. bei Heroin), Atemstillstand. • Muskulatur: Rhabdomyolyse infolge Drucknekrosen bei tiefem Koma.
Differenzialdiagnose Bei Koma unklarer Genese sollen andere Komaursachen möglichst rasch ausgeschlossen werden (s. S. 439). Zur Differenzialdiagnose der metabolischen Azidose bei Intoxikationen s. S. 207. Bei Krampfanfällen ist auch an Vergiftungen mit zyklischen Antidepressiva, Antihistaminika, Cholinesterasehemmern, Kohlenwasserstoffen, Lithium, Neuroleptika, Theophyllin und Zyaniden zu denken.
471
Tabelle 15.2 Einnahmemenge und Krankheitsverlauf bei Salizylaten. Überdosis (mg/kg KG)
Krankheitsverlauf
< 150
leicht, oft symptomlos
150 – 300
mittelschwer
300 – 500
schwer
> 500
potenziell letal
Notfallanamnese
• •
•
•
Salizylate: Aus der Einnahmemenge kann bei akuter Überdosierung der Krankheitsverlauf abgeschätzt werden (Tab. 15.2). Bei chronischer Intoxikation liegen die toxischen Dosen niedriger. Paracetamol: Der Schweregrad der Hepatotoxizität hängt von der Einnahmemenge ab. Minimale hepatotoxische Dosen liegen bei Lebergesunden zwischen 7,5 und 15 g. Potenziell letale Dosen werden zwischen 13 und 25 g angegeben. NSAR: Akute Intoxikationen mit NSAR verlaufen meistens leicht. Ausnahme: Im Gegensatz zu den übrigen NSAR sind bei Mefenaminsäure bereits bei Dosen ab 3,5 g eine metabolische Azidose und schwere Symptome wie Konvulsionen und Koma möglich. Opioide: Liegt eine Gewöhnung an Opioide vor?
Notfalluntersuchung Salizylate. Blutgasanalyse, Elektrolyte, Glukose, Prothrombinzeit, Salizylatkonzentration im Plasma. Paracetamol. Da die exakten Einnahmemengen oft nicht bekannt sind, hat die Plasmakonzentrationsbestimmung von Paracetamol eine wichtige prognostische Bedeutung. Das zur Abschätzung des Vergiftungsverlaufes nützliche Nomogramm ist in Abb. 15.2 dargestellt. Transaminasen und Quick/INR als Ausgangswert für den Verlauf. NSAR. Arterielle Blutgasanalysen bei sehr hohen Dosen; bei Mefenaminsäure immer bei Dosen > 3,5 g. Opioide. Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung im arteriellen Blut.
Paracetamol-Plasmakonzentration (mmol/l)
10 000
1 mg/l = 6,62 mmol/l; 1 mmol/l = 0,151 mg/l
1000
potenziell hepatotoxisch
1000 100
subtoxisch
100 10 „treatment line“
10 0
4
8
12
20 24 16 Stunden nach Einnahme
Therapie Salizylate, leichte Fälle • Bei Einnahmemengen unter 150 mg/kg KG sind außer einer adäquaten Flüssigkeitszufuhr in der Regel keine besonderen Maßnahmen notwendig.
15
Salizylate, mittelschwere und schwere Fälle • Primäre Dekontamination: Da toxische Dosen von Salizylaten die Magenentleerung verzögern und einen Pylorospasmus hervorrufen können, kann eine Magenspülung bei schweren Vergiftungen noch später als eine Stunde nach Einnahme sinnvoll sein. Dies gilt auch, wenn magensaftresistente (enteric coated) Tabletten lange im Magen verweilen. In diesen Fällen ist eine endoskopisch kontrollierte Tablettenentfernung ratsam. Anschließend Aktivkohle verabreichen. • Spezielle Maßnahmen: Rehydrierung (Urinvolumen – Intravenöse > 2 ml/kg KG/h oder 100 – 200 ml/h bei Erwachsenen). Kontrolle und Ausgleich der Elektrolyte (v. a. Kalium). Korrektur der metabolischen Azidose mit Natriumbikarbonat bis BlutpH 7,4 (Cave! Hypokaliämie). – Alkalinisierung des Urins (pH 8,0 – 8,5). – Schweres Lungenödem: Intubation, Sauerstoff und Beatmung mit PEEP.
•
Paracetamol-Plasmakonzentration (mg/l)
Akute Vergiftungen
472
Abb. 15.2 Nomogramm zur Risikoabschätzung bei Intoxikationen mit Paracetamol. Mit einer Leberschdigung muss gerechnet werden, wenn die Serumkonzentration oberhalb einer Linie liegt, die 200 mg/l (1320 mol/l) bei 4 h und 50 mg/l (330 mol/l) bei 12 h nach Ingestion verbindet. Maßgebend fr die Therapie mit N-Acetylcystein ist die sog. „treatment line“, die 25% unter der potenziell hepatotoxischen Grenze liegt. Fr die Plasmakonzentration frher als 4 h nach Ingestion liefert das Nomogramm keine zuverlssigen Aussagen. Das Nomogramm gilt nur fr einmalige akute Ingestionen bei lebergesunden Personen und fr Zustnde ohne Induktion der Enzyme des oxidativen Metabolismus in der Leber (Cytochrom P450).
– Hypokalzämische Tetanie: 20 ml Kalziumglukonat 10 % i. v. – Krampfanfälle: Diazepam 5 – 10 mg i. v. oder anderes Benzodiazepin. – Hypoglykämie: zentralvenöse Gabe von 50 ml Glukose 50 %, gefolgt von Glukoseinfusionen nach Bedarf. Sekundäre Dekontamination: – Repetitive Verabreichung von Aktivkohle. – Hämodialyse: bei Plasmakonzentrationen > 500 mg/l (> 3,5 mmol/l) und Azidose (pH < 7,34), therapierefraktärer Azidurie und bei fehlender klinischer Besserung unter optimaler konservativer Therapie oder Niereninsuffizienz.
Paracetamol • Primäre Dekontamination: Verabreichung von Aktivkohle bei sehr hohen Dosen innerhalb 1 h nach Einnahme. • Antidottherapie mit N-Acetylcystein (NAC): NAC ist das Antidot der Wahl in allen Fällen mit Paracetamoleinnahmen > 7,5 g oder einer Plasmakonzentration von Paracetamol über der kritischen Grenzlinie („treatment line“ im Nomogramm, nur brauchbar bei akuter einmaliger Einnahme bei Patienten ohne hepatische Risikofaktoren) (Abb. 15.2). Die Therapie (oral oder i. v.) soll bei Verdacht auf Überdosierung sofort begonnen und später evtl. abgesetzt werden, wenn die Plas-
Atropin und Derivate
•
makonzentration nicht im toxischen Bereich liegt. – Intravenöse Therapie: N-Acetylcystein-Bolus von 140 mg/kg KG über 15 min, dann 70 mg/kg KG über 1 h 4-stündlich, 12 × wiederholen. Bei Präsentation < 10 h nach Einnahme kann auch das Schema nach Prescott verwendet werden: Bolus von 150 mg/kg KG über 15 min, dann 50 mg/kg KG über 4 h, gefolgt von 100 mg/kg KG über 16 h. – Orale Therapie: N-Acetylcystein als 5%ige Lösung in Getränken (z. B. Fruchtsaft) 140 mg/kg KG initial, dann 70 mg/kg KG 4-stündlich, 17 × wiederholen. Bei vorheriger Verabreichung von Aktivkohle sollte die NAC-Dosis um ca. 30% erhöht werden. Bei fortgeschrittenem Leberversagen Therapie des Coma hepaticum (S. 150). Frühzeitige Verlegung in ein Transplantationszentrum zur Evaluation einer Lebertransplantation. Die Verabreichung von N-Acetylcystein bei bereits eingetretenem Leberversagen verbessert die Prognose (gleiches Schema wie oben, aber fortgeführt bis zur Erholung, Transplantation oder Tod).
Nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAR) • Leichte Fälle: keine Dekontamination. • Schwere Fälle: Aktivkohle, evtl. Magenspülung innerhalb der ersten Stunde nach Ingestion, gefolgt von Aktivkohle p. o., Azidosekorrektur, symptomatische Therapie einschließlich intravenösem Benzodiazepin bei Konvulsionen (v. a. bei Intoxikationen mit Mefenaminsäure). Opioide • Primäre Dekontamination: Bei den seltenen oralen Vergiftungen genügt meist Aktivkohle allein. • Antidottherapie: Naloxon 0,4 – 2 mg langsam i. v. Wenn keine Besserung des Zustandes innerhalb von 2 – 3 min (Pupillenerweiterung, Bewusstseinsaufhellung, Normalisierung der Atmung) eintritt, wiederholte Verabreichung (evtl. Naloxoninfusion: 5 mg/h) bis zur Normalisierung des pCO2 im Blut. Cave! Die Wirkungsdauer einer Bolusinjektion von Naloxon beträgt lediglich 10 – 20 min, also kürzer als die Halbwertszeit der meisten Opioide. Es muss deshalb mit einem Wiederkehren der Intoxikationssymptome gerechnet werden. • Weitere Maßnahmen: – Hypotonie: Volumenersatz (entsprechend ZVD), positiv inotrope Substanzen. – Krampfanfälle: rasche Korrektur der Hypoxie.
473
– Rhabdomyolyse: adäquate Hydrierung und forcierte alkalische Diurese zur Verhinderung der Präzipitation von Myoglobin in den Nierentubuli. Weiteres s. S. 158. – Lungenödem: Intubation und mechanische Beatmung mit PEEP.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • •
Salizylate: engmaschige Kontrollen des Säure-Basen-, Elektrolyt- und Flüssigkeitsstatus, allenfalls der Salizylatkonzentration im Serum. Paracetamol: ALAT, ASAT, Bilirubin und Prothrombinzeit initial und danach täglich für mindestens 3 Tage. Initial Paracetamolkonzentration (frühestens 4 h nach Ingestion). NSAR: klinische Überwachung, Kontrollen des Säure-Basen-, Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushaltes. Opioide: Die Wirkungsdauer des Opioidantagonisten Naloxon ist kürzer als die Halbwertszeit der zu Intoxikationen führenden Opioide. Deshalb muss immer mit einem Wiederauftreten der Vergiftungssymptome nach Abklingen der Naloxonwirkung gerechnet werden. Entsprechend muss die Dauer der Überwachung angepasst werden. Je nach Abhängigkeitsgrad können in der Rekonvaleszenzphase Entzugssymptome auftreten (Angst, Unruhe, Tremor, Schlaflosigkeit, Tachykardie, Schwitzen, Erbrechen, Bauchkoliken u. a.). Entzugsbehandlung (Tab. 19.7, S. 544).
15.6 Atropin und Derivate Definition und Einteilung Atropinvergiftungen können iatrogen (akzidentelle Überdosierung) oder durch Einnahme von Belladonna-Alkaloiden (z. B. Tollkirsche [Atropa belladonna], Bilsenkraut [Hyoscyamus niger], Stechapfel [Datura stramonium], Engelstrompete [Datura suaveolens]) bedingt sein.
Pathophysiologie Atropin ist das Razemat von D- und L-Hyoscyamin. Es blockiert mit großer Selektivität die peripheren und zentralnervösen Muskarinrezeptoren. Atropin und Scopolamin (L-Hyoscin) penetrieren die BlutHirn-Schranke gut.
474
Akute Vergiftungen
Typische Krankheitszeichen Anticholinerges Syndrom. Mit steigender Dosierung entwickelt sich das typische anticholinerge Syndrom in etwa folgender Reihenfolge: • Hemmung der Speichel- und Schweißsekretion (Mundtrockenheit), Mydriase (keine Lichtreaktion!), Tachykardie, Akkommodationsstörungen, Sprachstörungen, Schluckbeschwerden, Ruhelosigkeit, Kopfschmerzen, heiße/trockene Haut (Hyperthermie), verminderte Darmperistaltik (Obstipation), Harnverhalt, Ataxie, Halluzinationen, Delirium, Krampfanfälle, Koma, Atemdepression.
•
ridostigmin die Blut-Hirn-Schranke nicht und eignen sich deshalb nicht zur Antagonisierung von zentralnervösen Atropinsymptomen. Kontraindikationen für Physostigmin s. S. 475. Sekundäre Dekontamination: keine.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Kontinuierliche EKG-Überwachung während 12 – 24 h. Häufige Kontrollen der Körpertemperatur, der Kreatinkinase (Rhabdomyolyse?) und der Nieren- und Leberfunktion.
15.7 H1-Antihistaminika Differenzialdiagnose Toxikologische Differenzialdiagnose des anticholinergen Syndroms: Antidepressiva, Neuroleptika, H1-Antihistaminika.
Therapie
•
15
•
•
Primäre Dekontamination: Verabreichung von Aktivkohle, evtl. wiederholt (langsame Freisetzung der Wirkstoffe aus pflanzlichem Material); Magenspülung (innerhalb der ersten Stunde) ist bei faserigem Pflanzenmaterial evtl. nicht effektiv (hier endoskopische Entfernung erwägen). Symptomatische Maßnahmen: – Stabilisierung von Atmung und Kreislauf, gute Hydrierung (Blasenkatheter!) und externe Kühlung bei Hyperthermie. – Bei Krampfanfällen oder Agitation Diazepam 5 – 10 mg langsam i. v. oder anderes intravenöses Benzodiazepin. – Alle Arzneimittel mit anticholinerger Wirkkomponente (v. a. Phenothiazine, H1-Antihistaminika, trizyklische Antidepressiva) müssen vermieden werden. Dies gilt insbesondere auch für Klasse-IA-Antiarrhythmika wie Chinidin und Disopyramid, die atropinähnliche Wirkungen auf Vorhöfe und AV-Knoten des Herzens haben. Antidottherapie: Physostigmin parenteral (Erwachsene 1 – 2 mg i. v. oder i. m.; Kinder 0,5 mg langsam i. v.) alle 15 – 20 min bis zum Verschwinden der gefährlichsten anticholinergen Symptome wie Koma, Arrhythmien, Halluzinationen, Hypertonie und/oder Krampfanfälle. Im Gegensatz zu Physostigmin penetrieren Neostigmin und Py-
Definition und Einteilung H1-Antihistaminika gehören den verschiedensten chemischen Stoffklassen an und haben ein weites Indikationsspektrum wie Allergien, Erkältungskrankheiten, Schlafstörungen, Erbrechen, Schwindel und Reisekrankheit.
Pathophysiologie Mit Ausnahme von einigen wenigen neueren Substanzen (z. B. Fexofenadin, Cetirizin, Loratadin) haben die meisten H1-Antihistaminika ausgeprägte anticholinerge und zentralnervös dämpfende Wirkungen. Bei Überdosierungen steht aber insbesondere bei Kindern oft eine ZNS-Stimulation im Vordergrund.
Typische Krankheitszeichen
•
• • •
ZNS: Somnolenz, Ataxie, Stupor, Koma oder (v. a. bei Kindern) Erregung, Hyperaktivität, Verwirrtheit, Halluzinationen, Hyperreflexie, tonisch-klonische Krämpfe; Mydriase (keine Lichtreaktion der Pupillen), Sehstörungen. Kardiovaskulär: Tachykardie, QT-Verlängerung, Extrasystolen, arterielle Hypo- oder Hypertonie. Gastrointestinaltrakt: Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö oder Obstipation. Weitere mögliche anticholinerge Symptome: Hautrötung, trockene Haut und Schleimhäute, Hyperthermie, Harnretention.
Digoxin, Digitalisglykoside
475
Differenzialdiagnose
15.8 Digoxin, Digitalisglykoside
Toxikologische Differenzialdiagnose von Koma (s. S. 457) und anticholinergem Syndrom (s. S. 474).
Definition und Einteilung
Therapie
• •
•
Primäre Dekontamination: Verabreichung von Aktivkohle, evtl. auch Magenspülung bei gefährlich hohen Dosen (z. B. Diphenhydramin > 750 mg) in Frühfällen (< 1 h). Antidottherapie: bei schweren anticholinergen Symptomen (z. B. arterieller Hypertonie, Arrhythmien, Halluzinationen, Delirien, Krampfanfälle, Koma) Physostigmin langsam i. v. (Erwachsene 1 – 2 mg, Kinder 0,5 mg). – Cave! Neostigmin oder Pyridostigmin antagonisieren nur die peripheren anticholinergen Symptome. – Physostigmin ist kontraindiziert bei Asthma, kardiovaskulären Krankheiten, Obstruktion des Gastrointestinal- und/oder Urogenitaltraktes. Symptomatische Maßnahmen: – Stabilisierung von Atmung und Kreislauf. – Bei Krampfanfällen Diazepam oder anderes Benzodiazepin i. v. (Diazepam: Erwachsene 5 – 10 mg, Kinder 0,25 – 0,4 mg/kg KG, wenn notwendig: Wiederholung alle 20 – 30 min; Cave! Additive Wirkung von Diazepam und Antihistaminika auf die Atemdepression). – Bei kardialen Rhythmusstörungen im Sinne von Torsade de Pointes: Magnesiumsulfat 2 g i. v. als einmalige Injektion. – Vermeidung von Arzneimitteln mit anticholinergen Wirkkomponenten (z. B. Phenothiazine, trizyklische Antidepressiva, Klasse-IA-Antiarrhythmika wie Chinidin und Disopyramid).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei schweren Intoxikationen kontinuierliche EKGÜberwachung während 12 – 24 h.
Intoxikationen mit Digitalisglykosiden kommen am häufigsten mit Digoxin, seltener mit Digitoxin und noch seltener mit digitalisglykosidhaltigen Pflanzen wie Fingerhut (Digitalis purpurea), Oleander (Nerium oleander, Thevetia peruviana) und Maiglöckchen (Convallaria majalis) vor.
Pathophysiologie Die toxischen Symptome sind direkte Folgen der übersteigerten pharmakodynamischen Wirkungen (Hemmung der Na+-K+-ATPase in Myokard, glatter Muskulatur und ZNS; Vagusstimulation). Sie treten bisweilen mit mehrstündiger Verzögerung auf. Risikofaktoren. Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hyperkalzämie, Hypomagnesiämie), vorbestehende (v. a. koronare) Herzkrankheit, Niereninsuffizienz, gleichzeitige Verabreichung anderer Arzneimittel (z. B. Chinidin, Verapamil, Amiodaron, Propafenon, Diuretika).
Typische Krankheitszeichen
• •
• •
Gastrointestinaltrakt (50 – 60% aller Fälle): Appetitlosigkeit, Nausea, Erbrechen, Diarrhö. Herz (ca. 90% aller Fälle): Sinusbradykardie, AVBlockierungen I. – III. Grades, paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie, Vorhofflimmern/-flattern, ventrikuläre Extrasystolen, Kammertachykardie u. a. Prinzipiell kann jede Art von Rhythmusstörung auftreten. Zentrales und peripheres Nervensystem (10 – 15% der Fälle): Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Neuralgien, Farbsehstörungen, Halluzinationen. Empfindlichkeit auf Digoxin: Erwachsene mit Herzkrankheit sind empfindlicher als Kinder (Kinder sind oft erstaunlich tolerant gegenüber hohen Digoxindosen).
Differenzialdiagnose Andere Ursachen von endogenen und exogenen Herzrhythmusstörungen.
476
Akute Vergiftungen
Notfalluntersuchung Digoxin- bzw. Digitoxinkonzentration. Toxischer Bereich für Digoxin > 2,0 ng/ml (> 2,6 nmol/l), für Digitoxin > 25 ng/ml (> 32 nmol/l). Es besteht keine verlässliche Korrelation zwischen Plasmakonzentration und Schweregrad des Krankheitsverlaufs. Kalium. Das Auftreten einer Hyperkaliämie (Folge der Na+-K+-ATPase-Hemmung) ist Ausdruck der schweren Vergiftung und ein prognostisch schlechtes Zeichen.
Therapie
• • •
15
Primäre Dekontamination: Verabreichung von Aktivkohle, (bei Pflanzen evtl. endoskopische Entfernung). Sekundäre Dekontamination: repetitive Kohlegabe bei Intoxikationen mit Nerium oleander. Antidottherapie: Bei lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, die auf konventionelle Therapie nicht oder nur ungenügend ansprechen, oder intoxikationsbedingter Hyperkaliämie (Kalium > 5,0 mmol/l) ist die Verabreichung digoxinspezifischer Fab-Antikörper-Fragmente indiziert, ebenso bei chronischer Digitalisintoxikation mit Arrhythmien, signifikanten gastrointestinalen Symptomen, akutem Beginn von Bewusstseinsstörungen, Niereninsuffizienz. Bei Digoxinspiegeln ‡ 15 ng/ml zu irgendeiner Zeit oder ‡ 10 ng/ ml 6 h nach Ingestion (Cave! Spiegel können initial falsch hoch sein wegen kleinem Verteilungsvolumen während der Verteilungsphase) oder Ingestion von > 10 mg beim Erwachsenen (> 4 mg beim Kind) ist die Antidottherapie indiziert. Gewisse Autoren empfehlen heute bei Vorliegen von Risikofaktoren (Alter, Herzkrankheiten, AVBlock jeden Grades, Hyperkaliämie) auch ohne lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen eine frühzeitige prophylaktische Gabe von DigitalisFab (½ Dosis), um die Prognose zu verbessern. – Dosierung bei unbekannter Einnahmedosis: Leichtere Intoxikationen: 400 – 500 mg Fab (DigiFab) i. v. über 15 – 30 min. Wiederholung bis zum Verschwinden der Rhythmusstörungen. Schwere Intoxikationen (> 10 mg Glykosid, Hyperkaliämie, lebensbedrohliche Arrhythmien): 800 – 1000 mg Fab i. v. über 15 – 30 min. Wiederholung bis Therapieerfolg. Aus pharmakokinetischen Gründen schlagen manche Autoren vor, die Hälfte der so errechneten Dosis als Bolus, den Rest als Dauerinfusion zu verabreichen.
Eingenommene Dosis bekannt: Fab (mg) = 64 pro mg Digoxin, Fab (mg) = 80 pro mg Digitoxin. Glykosidkonzentration im Serum (CDig) bekannt: Fab (mg) = Digoxin CDig (nmol/l) × 0,35 × KG (kg), Fab (mg) = Digitoxin CDig (nmol/l) × 0,034 × KG (kg). Umrechnung: Digoxin 1 ng/ml = 1,267 nmol/l, Digitoxin 1 ng/ml = 1,307 nmol/l.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Nach erfolgreicher Therapie mit Fab-Antikörpern muss der Patient noch für 24 – 48 h auf der Intensivstation bezüglich Herzrhythmus (EKG-Monitor) überwacht werden.
Besondere Merkpunkte Nach Verabreichung von Fab-Antikörpern steigt die Digoxin- bzw. Digitoxingesamtkonzentration (freies und gebundenes) im Serum stark an, was jedoch ohne pathophysiologische Bedeutung ist. Falls notwendig, müssen dann freie Konzentrationen gemessen werden.
15.9 Theophyllin Definition und Einteilung Akute und chronische Intoxikationen. Es müssen akute und chronische (Überdosierung) Intoxikationen unterschieden werden: Bei der chronischen Überdosierung sind die Gewebe bereits vorgesättigt und es kommt bereits bei geringeren Dosen zu toxischen Manifestationen als bei der akuten, einmaligen Überdosis (v. a. Krampfanfälle).
Pathophysiologie Die toxischen Effekte sind weitgehend Folgen der Hemmung der Phosphodiesterase und des daraus resultierenden Katecholaminexzesses und/oder der intrazellulären Anreicherung von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP). Im ZNS kommt es
Pestizide durch die Inhibition des Adenosinrezeptors zu Konvulsionen.
Bei Intoxikationen mit Retardpräparaten können toxische Symptome bis 24 h nach Einnahme auftreten. • Gastrointestinaltrakt: Nausea, Erbrechen, Diarrhö (v. a. bei akuten Intoxikationen). • ZNS: Zittern, Agitation, Krampfanfälle. Letztere können bei chronischen Intoxikationen unerwartet als Erstmanifestation auftreten. • Kardiovaskulär: Sinustachykardie, supraventrikuläre Tachykardien, Hypotonie, ventrikuläre Arrhythmien (v. a. bei vorbestehender Herzkrankheit).
Differenzialdiagnose Siehe Differenzialdiagnose (S. 396).
von
Therapie
•
Typische Krankheitszeichen
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•
•
Primäre Dekontamination: bei akuten Intoxikationen frühzeitige (< 1 h) Verabreichung von Aktivkohle, evtl. vorher Magenspülung. Weitere Maßnahmen: – bei Erbrechen Metoclopramid (20 – 50 mg i. v.), – Krampfanfälle sind oft resistent auf Diazepam oder Phenytoin und machen evtl. eine Narkose erforderlich. Sekundäre Dekontamination: – repetitive Gabe von Aktivkohle, – Hämodialyse (oder Hämoperfusion) nach folgenden Richtlinien: akute Intoxikation > 440 µmol/l, chronische Intoxikation > 330 µmol/l, chronische Intoxikation bei über 60-jährigen Patienten, Patienten mit Herzoder Leberinsuffizienz, Krampfanfällen: > 220 µmol/l.
Krampfanfällen
Notfallanamnese Begleitmedikation. Theophyllin wird hepatisch vor allem durch CYP1A2 metabolisiert und unterliegt verschiedenen Interaktionen. Induktoren wie Phenytoin, Barbiturate, Zigarettenrauch, Rifampicin erhöhen die Clearance; Inhibitoren wie Ciprofloxacin, Erythromycin, Fluvoxamin oder Cimetidin vermindern sie und erhöhen das Intoxikationsrisiko.
Notfalluntersuchung Theophyllinkonzentration • Therapeutische Konzentration: 10 – 15 µg/ml (55 – 83 µmol/l). • Toxischer Bereich: > 20 µg/ml (> 110 µmol/l). • Schwere akute Intoxikationen: ab 80 – 100 µg/ml (440 – 550 µmol/l). • Chronische Intoxikationen: Bei chronischen Intoxikationen können schon bei 40 – 70 µg/ml (220 – 385 µmol/l) lebensgefährliche Arrhythmien auftreten. Krampfanfälle werden vereinzelt aber schon bei erheblich tieferen Konzentrationen gesehen. • Merke: Die Einnahme von 10 mg Theophyllin erhöht die Konzentration um ca. 2 µg/ml (11 µmol/l).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Kontinuierliche EKG-Überwachung bis die Konzentration von Theophyllin unter 20 µg/ml (110 µmol/l) abgesunken ist.
15.10 Pestizide Definition und Einteilung Akut am gefährlichsten sind die Cholinesterasehemmer (organische Phosphorsäureester, Carbamate). Chlorierte Kohlenwasserstoffe (z. B. DDT) akkumulieren im Fettgewebe und können zu schweren chronischen Intoxikationen führen. Bei den Pflanzenextrakten (z. B. Rotenon, Pyrethrin) beeinflussen die jeweiligen Lösungsmittel (z. B. Xylol) die Vergiftungssymptomatik stark. Synthetische Pyrethrinderivate (Pyrethroide) sind heute wegen ihrer geringen akuten Toxizität für den Menschen weit verbreitet (tödliche Dosis bei oraler Einnahme durch den Menschen > 1 g/kg KG). Diese Substanzen finden in der Regel als Insektizide ihren Einsatz.
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Akute Vergiftungen
Pathophysiologie Organische Phosphorsäureester (z. B. Parathion, Malathion). Sie bewirken eine irreversible Hemmung der Azetylcholinesterase und damit eine Tage bis Wochen andauernde Blockierung des endogenen Azetylcholinabbaus. Azetylcholin akkumuliert an den muskarinischen (peripher parasympathomimetischen) und nikotinischen (autonome Ganglien, motorische Muskelendplatten) Rezeptoren und in den cholinergen Synapsen im Gehirn. Die Giftresorption kann über Haut und Schleimhäute (gastroenteral, konjunktival, pulmonal [Spray]) erfolgen. Carbamate. Diese hemmen die Azetylcholinesterase reversibel. Im Vergleich zu den Organophosphaten ist die cholinerge Krise weniger stark und von kürzerer Dauer. Zudem penetrieren die Carbamate die Blut-Hirn-Schranke schlecht (geringe ZNSSymptome). Pyrethrinderivate, Pyrethroide. Sie verlängern die Aktivierung der spannungsabhängigen Natriumkanäle durch Bindung in deren offenem Zustand und führen dadurch zur Verlängerung der Depolarisation.
Typische Krankheitszeichen
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Cholinesterasehemmer. Die Symptome treten meist innerhalb von 12 h nach Vergiftung auf (bei hohen Dosen innerhalb Minuten). Bei einigen stark lipophilen Organophosphaten (z. B. Parathion, Malathion, Fenthion) kann die cholinerge Krise bis zu 48 h verzögert sein. • Muskarinische (cholinerge) Symptome: Miose, Tränenfluss, Rhinorrhö, Salivation, Erbrechen, Diarrhö, Harninkontinenz, Schwitzen, vermehrte Bronchialsekretion, Bronchokonstriktion, Lungenödem, Bradykardie und Blutdruckabfall, AVBlockierungen. • Nikotinische Symptome: Muskelfaszikulationen, Muskelschwäche, Paralyse, Dyspnoe, reflektorische Tachykardie und Blutdruckanstieg (sympathische Gegenregulation), QT-Verlängerung. • ZNS-Symptome: Angstzustände, Kopfschmerzen, Unruhe, Verwirrtheit, Sprachstörungen, Ataxie, tonisch-klonische Krämpfe, Atemdepression, Koma, kardiovaskulärer Kollaps. Der Schweregrad der Symptome hängt von der aufgenommenen Dosis ab.
Pyrethroide • Die Inhalation von Pyrethroiddämpfen verursacht eine Reizung der Schleimhäute des oberen Respirationstraktes. Bei Personen mit hyperreagiblem Bronchialsystem kann es zu asthmoiden Beschwerden bis hin zu einem akuten Asthmaanfall kommen.
Differenzialdiagnose Überdosierung von Cholinergika wie z. B. Neostigmin, Physostigmin und Pyridostigmin. Gewisse Pilzvergiftungen (muskarinhaltige Pilze wie Risspilze [Inocybe sp.] oder Trichterlinge [Clitocybe sp.]).
Notfallanamnese Mögliche Vergiftungssituationen und Expositionsquellen eruieren. Typisch sind die unsachgemäße Anwendung von Insektiziden bei der Insektenvertilgung in Beruf und Heim sowie Suizidversuche.
Notfalluntersuchung Cholinesterase. Am verlässlichsten bei Vergiftungen mit Cholinesterasehemmern ist die Erythrozytencholinesterase (= „echte“ Azetylcholinesterase). Diagnostisch ist die Bestimmung der Pseudocholinesterase (Butyrylcholinesterase) im Plasma ausreichend, hingegen ist sie zum Monitoring des Therapieerfolges ungeeignet, weil sie nicht reaktivierbar ist.
Therapie Cholinesterasehemmer • Primäre Dekontamination: – rasche Dekontamination: Kleider entfernen, Haut mit viel Wasser und Seife waschen, – nach oraler Einnahme möglichst rasch Magenspülung und Verabreichung von Aktivkohle (bis spätestens innerhalb 1 h nach Einnahme). Die Antidottherapie darf durch die Dekontamination nicht verzögert werden! • Antidottherapie: – Atropin 2 – 5 mg i. v. (Kinder 0,5 – 2 mg). Keine Zeit verlieren! Bei fehlendem Ansprechen Verdoppeln der Atropindosis i. v. alle 5 – 10 min bis zum Versiegen der Hypersekretion (trockene Schleimhäute). Einzelne Patienten brauchen
Kohlenmonoxid (CO) sehr hohe Dosen von Atropin (bis mehrere 100 mg in 24 h). – Bei Organophosphatvergiftungen können zusätzlich zur Atropintherapie Oxime verabreicht werden. Sie reaktivieren substanzabhängig bis maximal innerhalb der ersten 24 h die durch Organophosphate inaktivierte Azetylcholinesterase teilweise. Oxime dürfen aber nur als Ergänzung zur Atropintherapie verwendet werden, da sie vorübergehend selbst an die Cholinesterase binden. Oxime regenerieren v. a. die Azetylcholinesterase an den motorischen Muskelendplatten, wo Atropin nicht wirkt. – Obidoxim (Toxogonin): 250 mg i. v. als Infusion (Kinder 4 – 8 mg/kg KG). Erhaltungstherapie (solange Reaktivierbarkeit vorhanden) 750 mg/24 h (Kinder 10 – 20 mg/kg KG/24 h, max. 750 mg). – Pralidoxim (Contrathion, Protopam): 2 g i. v. als Infusion (Kinder 25 – 50 mg/kg KG) über 20 – 30 min. Erhaltungstherapie von 0,5 – 1 g/h i. v. (Kinder 10 – 25 mg/kg KG/h). – Cave! Bei Intoxikationen mit Carbamaten wird die Verabreichung von Oximen kontrovers beurteilt (reversible Enzymhemmung), bei der Carbarylvergiftung ist sie wegen der transienten Verstärkung der Cholinesterasehemmung kontraindiziert. • Weitere Maßnahmen: Freihalten der Atemwege! Wiederholtes Absaugen, evtl. Intubation und künstliche Beatmung, O2-Zufuhr; kardiovaskuläre Überwachung (EKG-Monitoring). Bei Torsade de pointes Magnesiumsulfat 2 g i. v. als einmalige Injektion, evtl. gefolgt von einer Dauerinfusion 0,6 – 4,8 mmol/h. • Sekundäre Dekontamination: Eine große randomisierte kontrollierte klinische Studie hat für die wiederholte Verabreichung von Aktivkohle nach Einnahme von Organophosphaten keinen Nutzen zeigen können (EG-B). Ein klinischer Nutzen der Hämoperfusion ist nicht bewiesen. Pyrethroide • Nach Exposition mit Pyrethroiden nur symptomatische Behandlung. Nach Einnahme einer potenziell letalen Dosis Magenspülung nach trachealer Intubation innerhalb 1 h nach Ingestion, Aktivkohle nach potenziell toxischen Dosen (EG-D). • Cave! Lösungsmittel können die Intoxikation mit pyrethroidhaltigen Insektiziden erheblich mitbeeinflussen.
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Überwachung und Kontrollmaßnahmen Cholinesterasehemmer. Die spontane Enzymregeneration im Nervensystem kann durch Bestimmung der Erythrozytenazetylcholinesterase oder der Pseudocholinesterase im Plasma abgeschätzt werden. Eine intensivmedizinische Überwachung ist bis mindestens 48 h nach der letzten Atropindosis angezeigt.
Besondere Merkpunkte Cave! Keine Anwendung von Morphinpräparaten oder Analoga (verstärkte Atemdepression); keine Neuroleptika (erhöhte Krampfbereitschaft) und keine Parasympathomimetika geben.
15.11 Kohlenmonoxid (CO) Definition und Einteilung CO-Vergiftungen bleiben trotz der Entgiftung des Leuchtgases und trotz der Einführung des Erdgases eine wichtige Ursache von letalen Intoxikationen. Gefährdet sind vor allem Risikopatienten wie Kinder (v. a. Neugeborene), ältere Leute und Patienten mit koronarer Herzkrankheit, Anämie, Lungenkrankheiten und hypermetabolischen Zuständen (z. B. Hyperthyreose, körperliche Anstrengung). Die häufigsten Vergiftungsquellen sind Brände (Rauch: bis zu 10 Vol% CO), Autoabgase (ohne Katalysator 5 – 20 Vol% CO; mit Katalysator < 1 Vol% CO), unvollständige Verbrennung bei Gasbrennern (z. B. Durchlauferhitzer), defekte Öfen oder Kamine sowie Dämpfe von Methylenchlorid-(CH2 Cl2-)haltigen Abbeizmitteln (Methylenchlorid wird endogen in CO umgewandelt).
Pathophysiologie CO bindet mit ca. 300-mal stärkerer Affinität an Hämoglobin (COHb) als Sauerstoff und verschiebt die Sauerstoffsättigungskurve nach links. Je höher die COHb-Konzentration im Blut, desto schlechter die O2-Versorgung des Gewebes. Am empfindlichsten sind die Organe mit hohem O2-Verbrauch (z. B. Herz, Gehirn). Der COHb-Gehalt des Blutes hängt nicht nur vom CO-Gehalt der Einatmungsluft, sondern auch von der Expositionszeit und dem Atemzeitvo-
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Akute Vergiftungen
lumen ab. So wird z. B. bei einem CO-Gehalt der Luft von 0,1% eine lebensgefährliche COHb-Konzentration von über 65% bei Ruheatmung erst nach 3 – 5 h, bei körperlicher Arbeit mit dreifach erhöhtem Atemvolumen aber schon nach 2 h erreicht.
•
Typische Krankheitszeichen Mit steigenden COHb-Konzentrationen im Blut kommt es zu Anstrengungsdyspnoe, Angina pectoris oder Herzinfarkt (v. a. bei vorbestehender koronarer Herzkrankheit), Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Bewusstseinsstörungen, Koma, Kreislaufkollaps, Atmungs- und Kreislaufstillstand.
Differenzialdiagnose Nach Rauchgasexposition liegt u. U. nicht nur eine CO-Vergiftung vor, sondern zusätzlich eine Vergiftung mit Zyaniden (s. u.), Reizgasen und toxischen flüchtigen Pyrolyseprodukten. Zur Differenzialdiagnose des Komas s. S. 457 und S. 440.
Notfallanamnese
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Die Erhebung der Vergiftungssituation und Expositionsquelle(n) ist nicht nur für die Bestätigung der Diagnose, sondern auch für die Verhütung zukünftiger Expositionen wichtig (z. B. bei defekten Öfen).
Weitere Maßnahmen
• Notfalluntersuchung
• •
Arterielle Blutgasanalyse mit Bestimmung des COHb im Blut (CO-Oxymetrie). Kontrolle des Säure-Basen-Haushalts (metabolische Azidose).
Therapie Notfallmanagement
•
Patient sofort an die frische Luft bringen (Cave! Selbstschutz!). Beatmung mit 100% O2 via Maske (es muss eine Maske angewandt werden, die die Zufuhr von Außenluft ausschließt) oder endotrachealem Tubus (100% O2 reduziert die Halbwertszeit des COHb von 3 – 5 h auf 0,5 – 1 h). Die O2-Therapie kann beendet werden, wenn der Patient asymptomatisch geworden ist und die
COHb-Konzentration unter 5 % abgefallen ist, sollte aber mindestens 6 h dauern (EG-C). Hyperbare O2-Therapie (HBO): Bei schweren Vergiftungen rascher Transport (Helikopter) in ein Zentrum mit Überdruckkammer zur hyperbaren O2-Therapie (~ 3 atm). – Die hyperbare O2-Therapie reduziert die Halbwertszeit des COHb weiter auf 20 – 30 min mit dem Ziel, die akuten Symptome rasch zu beheben und – noch wichtiger – das Auftreten neurologischer Spätfolgen zu verhüten. Leider gelingt Ersteres selten innerhalb nützlicher Frist, und die Wirksamkeit bei der Prophylaxe der Spätfolgen im Vergleich mit der normobaren Sauerstoffbehandlung konnte bis heute nicht bewiesen werden. Die Indikation zur HBO beruht daher auf einem empirischen Ansatz (EG-D). – Indikationen für eine hyperbare O2-Therapie: Bei COHb-Konzentrationen > 40%, allen Patienten mit Bewusstseinsverlust und/oder anderen neurologischen Symptomen (Krampfanfälle), schwangeren Patientinnen mit COHb-Werten > 20% oder bei Anzeichen für eine fetale Schädigung sowie bei anhaltenden kardialen Ischämiezeichen. Sie kann beendet werden, wenn der Patient asymptomatisch geworden ist oder die COHb-Konzentration unter 15 % abgefallen ist.
• •
Bei schwerer metabolischer Azidose (pH < 7,2) Korrektur mit Natriumbikarbonat. Prophylaxe bzw. Therapie des Hirnödems (z. B. Mannitolinfusionen: 20 – 40 g Mannitol = 100 – 200 ml einer 20%igen Lösung über 30 min alle 4 h). Hoch dosiertes Dexamethason ist umstritten.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Akutes Stadium. COHb, arterielle Blutgase, SäureBasen-Haushalt, Laktatkonzentration, kardiale Überwachung mittels kontinuierlichem EKG und Myokardenzymen (Gefahr der Myokardischämie!), engmaschige neurologische Kontrollen (Hirnödem!).
Zyanide
15.12 Zyanide Definition und Einteilung Zyanide sind Verbindungen, die das Zyanid-Ion (CN–) freisetzen. Die bekanntesten Quellen der Zyanidvergiftung sind Blausäure (HCN) und Kaliumzyanid (Zyankali, KCN). Chlorzyan (ClCN) und Bromzyan (BrCN) verursachen neben der Zyanid- auch eine Reizgasvergiftung (Lungenödemgefahr). Als weitere Ursachen kommen infrage: Überdosierung oder mehrtägige kontinuierliche Verabreichung von Nitroprussid, Rauchgase von Polyurethan- und Polyacetonitrilverbrennung sowie zyanogene Glykoside pflanzlicher Herkunft (z. B. Kirschlorbeer [Prunus laurocerasus], Bittermandeln, Pfirsich- und Aprikosenkerne; ca. 30 aufgebissene Aprikosenkerne vermögen eine symptomatische Vergiftung herbeizuführen).
Pathophysiologie CN– bindet mit großer Affinität an die Cytochrome der mitochondrialen Atmungskette. Damit wird die Zellatmung gehemmt („innere Erstickung“). Infolge anaerober Glykolyse kommt es zur ausgeprägten metabolischen Azidose (Laktatazidose).
Typische Krankheitszeichen Blausäure und Zyanidsalze führen innerhalb von Minuten zu Symptomen. Verbindungen, die das Zyanid-Ion langsam abspalten (Nitrile, zyanogene Glykoside, komplexe Zyanidsalze), führen zu verzögertem Wirkungseintritt. • Leichte Zyanidvergiftung: Kopfweh, Schwindel, Atemnot, Herzklopfen, Engegefühl, Erbrechen, Kratzen im Hals. • Schwerer Verlauf: zusätzlich Bewusstseinsverlust, Atem- und Kreislaufversagen, Azidose, Lungenödem, Krampfanfälle, Tod. Durch die fehlende periphere Sauerstoffausschöpfung kann die Haut ein kirschrotes Kolorit haben (ist typisch, aber nicht immer vorhanden).
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Differenzialdiagnose Das Syndrom der „inneren Erstickung“ kann neben Zyaniden auch durch Schwefelwasserstoff (H2S) ausgelöst werden. Zur Differenzialdiagnose von Koma s. auch S. 457 und S. 440.
Notfallanamnese Bei Unfällen oder Suiziden ist die Ursache häufig aus der Situation ersichtlich. Bei Rauchgasintoxikationen handelt es sich oft um kombinierte CO-CN-Vergiftungen (Verlauf häufig rasch letal).
Notfalluntersuchung Auf Bittermandelgeruch achten (aber: 20 – 40% der Bevölkerung können diesen Geruch nicht wahrnehmen). Die wichtigsten Untersuchungen sind die Blutgasanalyse und das Laktat (Laktatazidose korreliert mit Schweregrad der Vergiftung). Die Zyanidkonzentration und Nachweis der Zyanide im Mageninhalt (nach oraler Einnahme) dienen mehr der Bestätigung der Diagnose.
Therapie
•
Sofortige Notfallmaßnahmen: Sicherung der Vitalfunktionen. Azidosekorrektur mit Natriumbikarbonat. Beatmung mit 100 % O2. Bei schweren Vergiftungen Amylnitrit inhalieren lassen (EG-D). • Primäre Dekontamination: Kleider entfernen, Haut gründlich waschen (Handschuhe tragen), bei oraler Vergiftung frühzeitige Magenspülung und Verabreichung von Aktivkohle. • Sekundäre Dekontamination: Bei protrahiertem Verlauf hyperbare O2-Therapie erwägen (EG-D). Prinzipien der Antidottherapie Die Antidottherapie muss so rasch wie möglich (d. h. schon am Unfallort) initiiert werden und beruht auf folgenden Prinzipien: von Methämoglobin • Induktion der Bildung (MetHb), dessen Fe3+ eine höhere Affinität für CN– hat als die mitochondriale Cytochromoxidase. Methämoglobinbildner sind Amylnitrit, Natriumnitrit und 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP). Nitrite scheinen eine von der Methämoglobinbildung unabhängige Wirkung zu haben.
482
•
15
Akute Vergiftungen
Entgiftung des CN– durch Bildung von Thiozyanat: Natriumthiosulfat. • Förderung der renalen Ausscheidung durch Bindung von CN– an Kobalt: Hydroxocobalamin. • Bei oraler Einnahme von Zyaniden zusätzlich Aktivkohle p. o. Therapieschema der Antidotgabe • Notfallmäßig Amylnitrit: Solange keine intravenöse Therapie angewandt werden kann, 1 Amp. (= 0,3 ml) auf ein Tuch tropfen und dem Opfer unter die Nase halten. Alle 2 min für 30 s einatmen lassen (wenn keine Spontanatmung vorhanden, Amylnitrit in den Atembeutel geben) (EG-D). Amylnitrit darf nicht gegeben werden bei: Rauchvergiftungen, Kreislaufschock (systolischer Blutdruck unter 80 mmHg), nicht gesicherter Diagnose, leichten Symptomen. • Gleichzeitige Verabreichung in separaten Infusionen: Natriumthiosulfat 12,5 g (50 ml 25%ige oder 125 ml 10%ige Lösung) langsam i. v. während 10 – 20 min (EG-D) und Hydroxocobalamin (Cyanokit) 2 Amp. (5 g) in 200 ml Kochsalzlösung 0,9% während 30 min i. v. (Infusion vor Licht schützen, z. B. mit Alufolie) (EG-C). – Falls kein Hydroxocobalamin vorhanden ist und eine vitale Indikation bei gesicherter Zyanidvergiftung besteht: Dicobalt EDTA (Kelocyanor) 300 mg für Erwachsene (= 1 Amp. zu 20 ml in 1,5%iger Lösung) rasch i. v. Anschließend 50 ml hochprozentige Glukoselösung (EG-D). Nebenwirkungen: Schwere Anaphylaxie, Gesichts-, Larynx- und Lungenödem, Kopfschmerzen, Erbrechen, Diarrhö. Anwendung ohne gesicherte Diagnose unter allen Umständen vermeiden. • Bei ungenügender Wirkung oder schweren Vergiftungen (Koma): 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP) 5 ml 5%ige Lösung i. v. (oder i. m.) (EG-D), Cave! Gewebenekrosen. – Falls kein 4-DMAP vorhanden: Natriumnitrit 1 Amp. = 300 mg oder 10 ml einer 3%igen Lösung langsam i. v., für Kinder 4 – 10 mg/kg KG langsam i. v. Die Methämoglobinämie soll 30% erreichen, aber nicht übersteigen (EG-D). • Cave! Bei kombinierter Vergiftung mit Kohlenmonoxid (Rauchgase) dürfen keine Methämoglobinbildner gegeben werden. • Therapie der Zyanidvergiftung durch Natriumnitroprussid: Absetzen des Natriumnitroprussids, Sicherstellen der Vitalfunktionen, Sauerstoff 100%, im Übrigen vorgehen wie oben. – Zur Prophylaxe der nitroprussidinduzierten Zyanidvergiftung kann Thiosulfat gleichzeitig mit Nitroprussid verabreicht werden (1 g Na-
triumthiosulfat pro 100 mg Natriumnitroprussid als Dauerinfusion; die Mischung ist stabil über mindestens 24 h). – Als (teurere) Alternative kommt auch Hydroxocobalamin infrage (25 mg/h bis 10 h nach Ende der Therapie mit Natriumnitroprussid).
Besondere Merkpunkte Cave! Bei Mund-zu-Mund-Beatmung kann pulmonal ausgeschiedenes CN– theoretisch auch beim Helfer eine CN-Vergiftung verursachen! Daher sicherheitshalber nur mit Beutel beatmen.
15.13 Schwermetalle Definition und Einteilung Blei. Akute Bleivergiftungen sind im Gegensatz zur chronischen Bleiüberlastung des Organismus selten. Sie können vorkommen nach Inhalation von bleihaltigem Staub und Dämpfen (organische Bleiverbindungen) am Arbeitsplatz, z. B. Schweißarbeiten, Abschleifen bleihaltiger Anstriche. Orale Ingestion (z. B. Trinken von Fruchtsäften aus bleihaltigen Keramikgefäßen) führt wegen beschränkter gastrointestinaler Absorption eher zur chronischen Bleivergiftung. Quecksilber. Akute Exposition gegenüber metallischem Quecksilber geschieht meistens durch das Zerschlagen quecksilberhaltiger Thermometer. Gelegentlich kommt es zur Ingestion oder (Selbst-)Injektion von metallischem Quecksilber in suizidaler Absicht. Eine chronische Exposition tritt vor allem im beruflichen Umfeld auf. Eine minimale Quecksilberbelastung stellt das Amalgam aus Zahnfüllungen dar. Zu einer Massenvergiftung mit organischem Methylquecksilber kam es 1950 in Minamata, Japan, bei der rund 2500 Personen an meist bleibenden neurologischen Symptomen erkrankten.
Pathophysiologie Blei. Metallisches Blei bindet an SH-Gruppen vieler Enzyme. Insbesondere wird die Hämbiosynthese im Knochenmark gestört. Weitere Zielorgane der Bleitoxizität sind der Gastrointestinaltrakt und das Nervensystem. Bei Erwachsenen sind nach Abschluss der Verteilungsvorgänge rund 95 % des Körperbleis im Knochen eingelagert, bei Kindern rund 70 %.
Schwermetalle
Quecksilber. Während metallisches Quecksilber aus dem Magen-Darm-Trakt kaum resorbiert wird, tritt inhaliertes Quecksilber aus den Atemwegen rasch ins Blut und ins Gehirn über. Organisch gebundenes Quecksilber überwindet noch leichter die Blut-Hirn-Schranke.
Typische Krankheitszeichen Blei • Akute Intoxikation: Erbrechen, Darmkoliken, Hypertonie, schwere Leber- und Nierenschädigung, schlaffe Lähmungen, akute Enzephalopathie (v. a. Kinder) mit Verwirrtheit, Krampfanfällen und Koma. • Chronische Intoxikation: Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Nervosität, Muskelschwäche, Arthralgien, Anämie (basophil getüpfelte Erythrozyten), motorische Neuropathie und Extensorenschwäche (v. a. der Hand), Niereninsuffizienz. Quecksilber (inhalativ) • Akute Intoxikation: – Erste Phase (Tage): Metalldampffieber oder grippeähnlicher Zustand. – Intermediärphase (nach 2 Wochen): Multiorganmanifestation mit toxischem Lungenödem, Pneumothorax, Nierenversagen, Leberfunktionsstörung, Konvulsionen. – Spätphase mit persistierenden neurologischen Symptomen: Persönlichkeitsveränderungen, Tremor, Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen, Appetitverlust, Insomnie, Parästhesien, Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit, Schwäche. • Chronische Intoxikation: Die typischen Symptome sind Intentionstremor, Eretismus (gesteigerte Reizbarkeit, Ängstlichkeit, emotionale Labilität, Vergesslichkeit, Schlaflosigkeit, Inappetenz mit Gewichtsverlust, Delirium), Gingivitis (mit Metallsaum), vor allem bei Kindern Akrodynie, arterielle Hypertonie. • Die orale Einnahme elementaren Quecksilbers ist wegen der fehlenden enteralen Resorption praktisch ungiftig.
Differenzialdiagnose Blei. Die akute Bleivergiftung verursacht ähnliche Symptome wie die akute intermittierende Porphyrie (S. 154). Quecksilber. Bei Kindern Phäochromozytom.
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Notfallanamnese Vergiftungssituation und mögliche Expositionsquellen (Arbeitsplatz?) eruieren.
Notfalluntersuchung Blei • Blutbild, Urinstatus, Nierenfunktion. • Bleikonzentration im Vollblut. Erythrozytenporphyrin oder freies Erythrozytenprotoporphyrin (EP, FEP). d-Aminolävulinsäure im Urin. Quecksilber • Blutbild, Nierenwerte, Urinstatus. • Quecksilberkonzentration im Vollblut (Akutstadium bei Vergiftungen mit anorganischem/elementarem Quecksilber oder chronische Vergiftung mit organischen Quecksilberverbindungen). Quecksilber im 24-h-Urin (chronische Vergiftung mit anorganischem/elementarem Quecksilber).
Therapie Blei • Antidottherapie: Die Indikation für die Chelatortherapie basiert auf der Klinik und den Bleikonzentrationen im Vollblut (PbB) (Tab. 15.3). Eingesetzt werden 3 Chelatoren, nämlich DMSA (2,3-Dimercaptosuccinat = Succimer = Succicaptal, Chemet), CaNa2-EDTA (Calcium edetate de sodium, SERB) und Dimercaprol (BAL), das als einzige Substanz auch das Blei aus dem ZNS zu chelieren vermag (EG-D). BAL ist nicht mehr überall verfügbar. Bei chronischer Bleibelastung vermag ein Durchgang einer Chelatortherapie maximal 1 – 2 % des Körperbleis zu entfernen. • Sekundäre Dekontamination: Förderung der Diurese (Cave! Toxizität von CaNa2-EDTA bei Niereninsuffizienz!). Quecksilber • Antidottherapie: DMPS (2,3-Dimercaptopropan1-sulfonat = Unithiol = Dimaval) initial 300 mg p. o., dann 2-stündlich 200 mg am 1. und 2. Tag, ab dem 3. Tag 4 × 100 mg/24 h; i. v.: erste 48 h 250 mg 4-stündlich, nächste 48 h 250 mg 6-stündlich; danach 250 mg 8-stündlich oder Wechsel auf orale Gabe (EG-D).
484
Akute Vergiftungen
Tabelle 15.3 Therapie der Bleivergiftung. Betroffene
Bleispiegel und Symptome
Vorgehen
Kinder
PbB 100 – 199 g/l ohne Symptome PbB 200 – 449 g/l ohne Symptome
• keine Chelatortherapie, Expositionsprophylaxe • keine routinemßige Chelatortherapie, Exposi-
PbB 450 – 700 g/l ohne Symptome
• DMSA 30 mg/kg KG/d p. o. in 3 Dosen fr 5 Tage,
PbB > 700 g/l ohne Symptome
•
PbB > 700 g/l mit Symptomen, aber ohne Enzephalopathie
• Dimercaprol 6 75 g/m2/d i. m. (bzw. 25 mg/kg
PbB > 700 g/l mit Enzephalopathie
• Dimercaprol 6 75 mg/m2/d (bzw. 25 mg/kg
PbB < 700 g/l ohne Symptome
• keine Chelatortherapie • DMSA 20 – 30 mg/kg KG/d p. o. in 3 Dosen fr
Erwachsene
PbB 700 – 1000 g/l oder leichte Symptome
15
tionsprophylaxe, Nachkontrollen des PbB
danach 20 mg/kg KG/d in 2 Dosen fr 14 Tage
CaNa2-EDTA 1500 g/m2/d i. v. fr 5 Tage plus DMSA (Dosierung wie oben) KG/d) fr 3 Tage plus (Beginn 4 h nach BAL) CaNa2-EDTA 1500 g/m2/d i. v. fr 5 Tage
KG/d) i. m. plus (Beginn 4 h nach BAL) CaNa2EDTA 1500 mg/m2/d i. v. fr 5 Tage, dann 2 Tage Pause, dann wiederholen bis PbB < 500 g/l; dann DMSA ber 2 Wochen
5 Tage, danach 20 mg/kg KG/d in 2 Dosen fr 14 Tage
PbB > 1000 g/l oder Verdacht auf Enzephalopathie
• Dimercaprol 6 50 – 75 g/m2/d (bzw. 25 mg/kg
Enzephalopathie
• Dimercaprol 6 75 mg/m2/d (bzw. 25 mg/kg
KG/d) i. m. fr 3 Tage plus (Beginn 4 h nach BAL) CaNa2-EDTA 1000 – 1500 g/m2/d i. m. fr 5 Tage KG/d) i. m. plus (Beginn 4 h nach BAL) CaNa2EDTA 1500 mg/m2/d fr 5 Tage i. v., dann 2 Tage Pause, dann wiederholen bis PbB < 500 g/l; dann DMSA ber 2 Wochen
PbB: Bleispiegel im Blut Ist kein Dimercaprol verfgbar, sollen DMSA und CaNa2-EDTA kombiniert werden
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Blei. Kontrolle der Nierenfunktion (Kreatinin täglich). Tägliche Kontrolle des Bleigehaltes im Vollblut und der Bleiausscheidung im Urin. Stopp der Chelatortherapie bei Abfall der Bleikonzentration im Blut unter 400 µg/l oder Urinausscheidung unter 2 mg/d. Nachkontrolle des Serumbleigehalts nach 7 – 12 Tagen.
15.14 Ätzstoffe (Korrosiva) Definition und Einteilung Hochprozentige Säuren, Laugen und Oxidationsmittel finden sich in einer Vielzahl von Gewerbe- und Haushaltsprodukten (z. B. Backofenreiniger, Abflussreiniger, Wasch- und Bleichmittel).
Pathophysiologie Art der Aufnahme. Orale Einnahme von Säuren führt durch Verätzung v. a. zu Koagulationsnekrosen im Magen (v. a. Pylorus-/Antrumbereich), jene von Laugen v. a. zu Kolliquationsnekrosen im Ösophagus
tzstoffe (Korrosiva) (Perforationsgefahr!). Perkutane und inhalative Vergiftungen kommen ebenfalls vor. Gefährlichkeit. Laugenverätzungen sind generell gefährlicher als Säureverätzungen, da Laugen tiefer ins Gewebe eindringen. Eine wichtige Ausnahme bildet allerdings die Flusssäure (HF), die auch bei Fehlen von initialen Symptomen infolge langsamer kontinuierlicher Penetration ins Gewebe infolge Kalziumausfällung zu schweren Spätläsionen von Hautund Schleimhäuten führen kann ( Abb. 22.14, Farbtafel XXXI). Oxidationsmittel führen zu einer der Säureverätzung vergleichbaren Läsion. Vor allem bei massiven Säureverätzungen ist an die systemische Toxizität des Anions zu denken (Hypokalzämie bei Flusssäure, Hyperphosphatämie bei Phosphorsäure, Methämoglobinämie bei Salpetersäure, Hämolyse bei Ameisensäure).
Typische Krankheitszeichen
•
• • •
•
Orale Vergiftung: lokale Entzündung, Dysphagie, Odynophagie (schmerzhaftes Schlucken), Erbrechen, Hämatemesis, retrosternale und abdominale Schmerzen, Ulzerationen im Mund, Pharynx/Larynx, Ösophagus und/oder Magen, Meläna. Inhalation/Aspiration: Laryngitis, inspiratorischer Stridor, Bronchospasmus, Tracheobronchitis, chemische Pneumonitis, ARDS. Haut: Verätzungen 1. – 3. Grades. Akute Komplikationen (innerhalb 2 – 4 Tagen): Säureingestion fi evtl. Magenperforation mit Peritonitis; Laugeningestion fi evtl. Ösophagusperforation mit Mediastinitis, Septikämie und Kreislaufschock. Bei schweren systemischen Säurevergiftungen metabolische Azidose, Hämolyse und Niereninsuffizienz. HF und andere fluoridfreisetzende Verbindungen führen zu einer Hypokalzämie. Chronische Komplikationen (innerhalb von Wochen bis Monaten): Säureingestion fi Pylorusobstruktion; Laugeningestion fi Ösophagusstriktur (Stenose).
Notfallanamnese Identifikation des involvierten Produktes, der eingenommenen Menge und der Einnahmezeit. Das Ausmaß der Gewebeschädigung hängt von pH- und pKa-Wert, Viskosität, Konzentration des Produktes sowie von der Einnahmemenge und der Kontaktzeit mit dem Gewebe ab.
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Notfalluntersuchung Endoskopie. Notfallmäßige Endoskopie aus prognostischen Gründen in allen symptomatischen Fällen (Ausdehnung und Tiefe der Läsionen?). Aber auch bei Fehlen von initialen Symptomen können selten Ösophagus- bzw. Magenschleimhautläsionen vorhanden sein (großzügige Indikationsstellung für Endoskopie). Cave! Wegen der Perforationsgefahr Endoskop nicht weiter als bis zur ersten tiefen, zirkumferierenden Verätzung vorschieben!
Therapie Notfallmanagement
•
•
Primäre Dekontamination: – Auge: sofort und während mindestens 10 min reichlich mit Wasser spülen (s. a. S. 601). – Haut: Entfernen der kontaminierten Kleider. Haut mit viel Wasser während mindestens 10 min waschen. – Orale Einnahme: Verabreichung von Wasser (Erwachsene: 2 – 3 dl; Kinder: ca. 1 dl) innerhalb der ersten 10 min nach Einnahme. Kontraindiziert sind: Emesis, Magenspülung (Verschlimmerung durch erneuten Kontakt des Ösophagus mit der Noxe), Neutralisationstherapie (Gasentwicklung; Bedeutung der Hitzeentwicklung umstritten) und die Gabe von Aktivkohle (unwirksam). – Flusssäure: bei Einnahme großer Mengen Einlegen einer flexiblen Magensonde (nasal), Mageninhalt absaugen, Instillation oder trinken lassen von 20 – 100 ml 5 – 10 % Kalziumglukonatlösung zur Bindung des Fluorids. Antidottherapie: Kalziumglukonat bei Flusssäureverätzung: – Haut: 2,5 – 3,0%iges Kalziumglukonat-Gel („Anti-Flusssäure-Gel FH“) auf betroffene Hautstelle streichen (ca. 0,5 cm dick). Nach 2 min Gel abwaschen und die Behandlung wiederholen. Die zweite Schicht lässt man eintrocknen. Bei persistierenden Schmerzen Infiltration der betroffenen Hautpartien mit 4 ml 10%iger Kalziumglukonatlösung (s. a. S. 593). Bei ausgedehnten Verätzungen an Händen und/oder Füßen intraarterielle Infusion von Kalziumglukonat (20 ml der 10 %igen Lösung in 40 ml NaCl 0,9% über 4 h) (EG-D).
486
Akute Vergiftungen
– Inhalative Vergiftung: Inhalation von 2 – 3%igem Kalziumglukonat mithilfe eines Verneblers.
• •
halogenierte KW (z. B. Tetrachlorkohlenstoff, Chloroform, Methylenchlorid) und polyhalogenierte Verbindungen (z. B. Dioxine, polychlorierte Biphenyle [sog. PCB]).
Weitere Maßnahmen
• •
•
Überwachung und Stabilisierung von Atmung, Kreislauf, Säure-Basen-Haushalt und Elektrolyten (v. a. Kalzium und Magnesium bei Flusssäureund Oxalatvergiftung). Ernährung: je nach Schweregrad der gastrointestinalen Verätzungen; Grad 1 (Rötung): pürierte Kost; Grad 2 (oberflächliches Ulkus) und Grad 3 (tiefes, penetrierendes Ulkus): parenterale Ernährung. Adjuvante Therapie: Die systemische Glukokortikoidprophylaxe zur Verhinderung von gastrointestinalen Stenosen ist umstritten, wahrscheinlich aber unwirksam oder gar schädlich (möglicherweise gehäuft Perforationen bei schweren Verätzungen). Antibiotika nur bei etablierter Infektion (keine Prophylaxe). Bei ausgedehntem Gewebeschaden oder akuter Perforation von Ösophagus oder Magen chirurgische Therapie frühzeitig.
Pathophysiologie KW-Gemische mit niedriger Viskosität und hoher Flüchtigkeit führen bei oraler Einnahme besonders leicht zu Aspiration und chemischer Pneumonitis. Bei resorptiver und inhalativer Vergiftung steht die ZNS-Depression im Vordergrund. Einige Substanzen haben zusätzlich eine präferenzielle Organtoxizität für die Leber (z. B. Tetrachlorkohlenstoff), Knochenmark (z. B. Benzol), Herz und Nieren. Methylenchlorid (in Abbeizmitteln) führt zur Bildung von COHämoglobin (s. S. 479). Die orale Einnahme von hochviskösen KW-Gemischen (z. B. Motorenöl) hat eine geringe Toxizität.
Typische Krankheitszeichen
•
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
15
Strenge Kontrolle auf mögliche gastrointestinale Perforation in den ersten Tagen. Radiologische oder endoskopische Nachkontrolle von Ösophagus und Magen zum Ausschluss von Strikturen vorsehen (nach 3 – 4 Wochen).
• • •
15.15 Kohlenwasserstoffe (KW)
Lunge: Zeichen der Aspiration sind Husten, Tachypnoe, Bronchospasmus, Atemnot, Zyanose, evtl. Apnoe (v. a. Kleinkinder). Auch bei asymptomatischen Patienten können innerhalb von 12 – 72 h nach Ingestion von niedrigviskösen KWGemischen radiologische Zeichen der Aspiration auftreten (v. a. bilaterale basale Lungeninfiltrate). ZNS: Lethargie, Übererregbarkeit, Krampfanfälle, Stupor, Koma. Gastrointestinaltrakt: Brennen im Mund-/Pharynxbereich, Nausea, Erbrechen. Herz/Kreislauf: Rhythmusstörungen (Sensibilisierung des Myokards auf Katecholamine).
Definition und Einteilung
Notfallanamnese
KW umfassen eine Vielzahl von lipophilen chemischen Verbindungen. Sie bilden die Grundlage von zahlreichen Lösungs- und Reinigungsmitteln, Brennstoffen und modernen chemischen Produkten. Die Toxizität hängt einerseits von der chemischen Struktur und andererseits von der Molekülgröße ab. Beispiele sind: • aliphatische KW (z. B. Petrole, Benzin, Lampenöle), • aromatische KW (z. B. Benzole, Toluol und Xylol, Phenole),
Vergiftungsumstände und Expositionsquelle eruieren.
Notfalluntersuchung
• • •
Thoraxröntgenbild, arterielle Blutgasanalyse (Hypoxämie), EKG.
Alkohole und Glykole
Therapie
•
• •
•
Primäre Dekontamination: Der Stellenwert einer gastrointestinalen Dekontamination ist wegen der Aspirationsgefahr umstritten. Nach Einnahme kleiner Mengen von Petroldestillaten (Erwachsene < 2 ml/kg KG; Kinder < 30 ml) soll darauf verzichtet werden. Nach suizidaler Einnahme größerer Mengen: Magenspülung bzw. Magensondierung nach Intubation bei Bewusstseinsstörungen. Die Wirksamkeit von Aktivkohle ist umstritten. Antidottherapie bei Tetrachlorkohlenstoff: Prophylaxe der Leberschädigung mit N-Acetylcystein wie bei Paracetamol (S. 472). Weitere Maßnahmen: bei Ateminsuffizienz Intubation und Beatmung mit PEEP. Glukokortikoide sind nicht indiziert. Antibiotika erst bei etablierter Infektion (keine Prophylaxe). Intoxikation mit Methylenchlorid: Therapie der CO-Hämoglobinämie wie bei CO-Intoxikation (S. 480). Sekundäre Dekontamination: Die Elimination von KW, die pulmonal ausgeschieden werden können, kann theoretisch durch Hyperventilation gefördert werden (chlorierte Kohlenwasserstoffe). Die Bedeutung dieser Eliminationsmaßnahme ist jedoch unklar.
15.16 Alkohole und Glykole Definition und Einteilung Die wichtigsten Substanzen sind Äthylalkohol (Äthanol), Methanol und Äthylenglykol. Äthylenglykol wird weit verbreitet als Gefrierschutzmittel verwendet und dient bei verzweifelten Alkoholikern gelegentlich als Äthanolersatz.
Pathophysiologie Äthanol. Äthylalkohol wird im Magen und oberen Dünndarm innerhalb 30 – 60 min resorbiert. Er verteilt sich im Gesamtkörperwasser mit einem Verteilungsvolumen bei Erwachsenen von 0,6 l/kg KG und bei Kindern von 0,7 l/kg KG. Die Elimination erfolgt zu 85 – 95% durch saturablen metabolischen Abbau in Azetaldehyd (Alkoholdehydrogenase) und Azetat (Aldehyddehydrogenase) in der Leber. Die maximale Abbaurate beträgt bei nichttoleranten Individuen
487
100 – 125 mg/kg KG/h (Abnahme der Plasmakonzentration ca. 0,2‰/h), bei chronischen Alkoholikern (Enzyminduktion!) bis zu 180 mg/kg KG/h (Blutkonzentrationsreduktion 0,3 – 0,4 ‰/h). Die mit dem Äthanolabbau einhergehende Abnahme von intrazellulärem Nikotinadenindinukleotid (NAD+) hemmt die hepatische Glukoneogenese (Hypoglykämie) und Fettsäureoxidation. Äthanol ist in höheren Dosen ein typisches Narkosegift (ZNS- und Atemdepression). Die letale Dosis liegt für nichttolerante Erwachsene zwischen 5 und 8 g/kg KG (Blutalkoholkonzentration > 5 ‰) und für Kinder bei ca. 3 g/kg KG (1 g Äthanol = 21,7 mmol). Tolerante Individuen (chronischer Alkoholmissbrauch) überleben aber oft beträchtlich höhere Einnahmemengen. Gefährlich sind vor allem Kombinationen von Alkohol mit Schlafmitteln und Tranquilizern sowie mit Opioiden (Heroin) oder Gammahydroxybutyrat. Methanol. Methanol wird über die Alkoholdehydrogenase in Formaldehyd und Ameisensäure abgebaut. Letztere ist hauptsächlich verantwortlich für die metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke und für die Neurotoxizität (N. opticus). Äthylenglykol. Auch Äthylenglykol wird über die Alkoholdehydrogenase in organische Säuren (Glykolsäure, Oxalat) abgebaut. Als Folge resultieren bei schwerer Vergiftung eine metabolische Azidose mit erhöhter Anionenlücke und eine Nierenschädigung (Oxalatkristallurie).
Typische Krankheitszeichen Äthanol. Die akute Alkoholintoxikation verläuft in 4 Phasen: • Exzitatives Stadium: Euphorie, Erregung, Affektlabilität, Kritiklosigkeit, Verwirrtheit, Verlust der Muskelkoordination, Ataxie. • Hypnotisches Stadium: Apathie, Erbrechen, Urinund Stuhlinkontinenz, Somnolenz, Stupor. • Narkotisches Stadium: Koma, Hyporeflexie, Hypothermie, Hypotonie/Kreislaufschock. • Asphyktisches Stadium: Atemdepression, Tod. Methanol. Metabolische Azidose, Sehstörungen (v. a. Photophobie, Visusdefekt), Kopfschmerzen, Schwindel, Desorientiertheit, Erbrechen, Abdominalschmerzen, metabolische Azidose, Sopor, Koma (evtl. Krampfanfälle), Atemdepression. Äthylenglykol. • Stadium 1: (1 – 12 h nach Einnahme) Nausea, Erbrechen, Nystagmus, Ophthalmoplegie, ZNS-Depression (Somnolenz, Stupor, Koma), metabolische Azidose, Hypokalzämie.
488
Akute Vergiftungen
•
Stadium 2: (12 – 24 h nach Einnahme) Tachykardie, Tachypnoe, Hypertonie, Atemdepression, Schock. • Stadium 3: (24 – 72 h nach Einnahme) Oligurie, Niereninsuffizienz (akute tubuläre Nekrose), Kristallurie (Oxalatkristalle). Sowohl bei Methanol als auch Äthylenglykol steht in den ersten Stunden die Toxizität der Muttersubstanz im Vordergrund (Rauschzustand, Agitation, Ataxie, ZNS-Depression). Es besteht eine erhöhte osmotische Lücke. In dem Maß, in dem die Muttersubstanz metabolisiert wird, tritt zunehmend die Toxizität der Metabolite in den Vordergrund, und die erhöhte osmotische Lücke wird von der Erhöhung der Anionenlücke abgelöst.
Äthanol • Alkoholbestimmung im Blut (Widmark-Formel zur Schätzung der Blutalkoholkonzentration): Alkoholkonzentration (‰, g/l) = Alkohol ðmlÞ €rpergewicht ðkgÞ Ko spezifisches Gewicht des Alkohols (= 0; 8 g=ml) Verteilungsvolumen (r, l=kgÞ
Differenzialdiagnose
Alkohol (ml) = eingenommene Menge reinen Alkohols, r = Verteilungsvolumen: rFrauen = 0,6; rMänner = 0,7
•
•
•
Differenzialdiagnose von Koma (s. S. 457 und S. 440). Differenzialdiagnose der Azidose mit erhöhter Anionenlücke: Salizylate, Metformin, Ketoazidose.
Notfallanamnese
15
Notfalluntersuchung
Vergiftungssituation und Expositionsquelle eruieren (reines Methanol oder Methanol in Farben, Lösungsmittelgemischen, Modellflugbenzin, Scheibenwischerflüssigkeit, Frostschutzmitteln, selbstgebranntem Schnaps).
Glukose, Elektrolyte inkl. Magnesium, Harnstoff und Osmolalität. • Die Abweichung der osmotischen Lücke („osmolar gap“ s. S. 458) von der Norm ergibt eine gute Schätzung der Äthanolkonzentration im Plasma (Umrechnung in ‰) (Tab. 15.4). Methanol • Zeichen der Angetrunkenheit, Fötor, vertiefte Atmung als Zeichen der Azidose. • Methanol- und Ameisensäurebestimmung im Blut. • Anionenlücke (S. 209) und Osmolalität (S. 458), osmotische Lücke, Kontrolle des Säure-BasenHaushaltes. Äthylenglykol • Zeichen der Angetrunkenheit, vertiefte Atmung als Zeichen der Azidose. Elektrolyte • Kontrolle Säure-Basen-Haushalt. + + (einschließlich Ca2 und Mg2 ), Anionenlücke (S. 209) und Osmolalität (S. 458), Kreatinkinase. • Urinstatus, Oxalatkristalle im Urin suchen.
Tabelle 15.4 Umrechnung der Einheiten fr Alkohole und Glykole. Substanz
Molekulargewicht (mg/mmol)
1 ‰ = 1 g/l = 100 mg/dl =
1 mmol/l =
thanol
46
21,74 mmol/l
0,046‰
Methanol
32
31,25 mmol/l
0,032‰
thylenglykol
62
16,13 mmol/l
0,062‰
Isopropanol
60
16,67 mmol/l
0,06‰
Azeton
58
17,24 mmol/l
0,058‰
Propylenglykol
72
13,89 mmol/l
0,072‰
Alkohole und Glykole
Therapie Äthanol • Notfallmanagement: – Kontrolle und Stabilisierung von Atmung, Kreislauf und Wasser-/Elektrolythaushalt. – Bei vermindertem Bewusstsein und tiefer oder normaler Plasmaglukosekonzentration Infusion von Glukose (0,5 – 1,0 g/kg KG als 50%ige Glukose bei Erwachsenen, bei Kindern höchstens 25%) und Thiamin (Vitamin B1) 50 – 100 mg langsam i. v. oder i. m. zur Vermeidung einer akuten Wernicke-Enzephalopathie (s. S. 404). – Naloxon und Flumazenil haben bei rein durch Äthanol induziertem Koma keine Wirkung. – Bei Atemdepression/Lungenödem: Intubation und Beatmung. • Sekundäre Dekontamination: Hämodialyse bei Blutalkoholkonzentration > 5‰ und sich verschlechterndem klinischem Zustand (EG-D). Methanol • Primäre Dekontamination: Eine Magenspülung bzw. Absaugung durch Magensonde ist nur in ausgesprochenen Frühfällen (deutlich unter 1 h nach Intoxikation) und bei hohen Einnahmedosen sinnvoll. Aktivkohle ist unwirksam. • Antidottherapie: – Fomepizol (4-Methylpyrazol = Fomepizole, Antizol) gilt heute als Antidot erster Wahl. Es hemmt ebenfalls die Alkoholdehydrogenase. Dosierung: 15 mg/kg KG i. v. initial, dann 10 mg/kg KG alle 12 h. Ab der 5. Dosis wegen Autoinduktion wieder 15 mg/kg KG (EG-C). – Steht kein Fomepizol zur Verfügung, soll eine Äthanolinfusion zur Hemmung der Alkoholdehydrogenase und Verhinderung der metabolischen Azidose und ophthalmologischen Toxizität (verminderte Bildungsrate von Ameisensäure) verabreicht werden. Dosierung: 10% Äthanol in Glukose 5% infundieren (0,6 – 1,0 g/kg KG in 20 – 30 min); angestrebte Äthanolblutkonzentration 1,0 – 1,5‰. Stopp der Infusion, wenn Methanolblutkonzentration < 0,25 g/l (EG-D). – Folsäure: Zur Begünstigung des Abbaus von Ameisensäure in CO2. Dosierung: 50 mg i. v. alle 4 – 6 h für 2 – 3 Tage (EG-D). • Weitere Maßnahmen: Korrektur der metabolischen Azidose mit Natriumbikarbonat. Sicherstellen von Atmung und Kreislauf.
489
•
Sekundäre Dekontamination: Hämodialyse bei Methanolblutkonzentration > 16 mmol/l (0,5 g/l = 0,5‰), schwerer metabolischer Azidose (pH < 7,2), Sehstörungen, Niereninsuffizienz. Äthylenglykol • Primäre Dekontamination: Eine Magenspülung bzw. Absaugung durch Magensonde ist nur in ausgesprochenen Frühfällen (unter 1 h nach Intoxikation) und bei hohen Einnahmedosen sinnvoll. Aktivkohle ist unwirksam. • Antidottherapie: – Äthanolinfusion oder Fomepizol wie bei Methanolintoxikation. – Gabe von Pyridoxin (Vitamin B6) und Thiamin (Vitamin B1) (Dosierung wie bei Äthanol) (EG-D). Bei Hypomagnesiämie 1 g Magnesiumsulfat i. v. • Weitere Maßnahmen: Korrektur der metabolischen Azidose mit Natriumbikarbonat (s. S. 209). Sicherstellen von Atmung und Kreislauf. • Sekundäre Dekontamination: Hämodialyse bei Äthylenglykolblutkonzentration > 8 mmol/l (50 mg/dl = 0,5‰), schwerer metabolischer Azidose (pH < 7,2), Kristallurie, Niereninsuffizienz.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Äthanol. Elektrolyte (Cave! Hypomagnesiämie). Auf gute Hydrierung achten. Frühzeitige Diagnose und Therapie von Entzugssymptomen: • Allgemeines Abstinenzsyndrom (nach 6 – 8 h): Tremor, Agitation, Schlafstörungen, Erbrechen, Kopfschmerzen, Gesichtsrötung. Therapie: Oxazepam 15 – 60 mg alle 6 – 8 h. • Alkoholische Halluzinose (nach 24 – 36 h): visuelle und auditive Halluzinationen bei meist voller Orientierung. Therapie: Haloperidol 5 – 10 mg p. o. • Krampfanfälle (nach 7 – 48 h): Generalisierte Anfälle. Therapie: Meist keine antikonvulsive Therapie notwendig (s. S. 398). Blutentnahme zur Magnesiumbestimmung, dann 1 g Magnesiumsulfat i. v. Bei persistierenden Konvulsionen: Diazepam i. v. (s. S. 401) • Delirium tremens (nach 3 – 5 d): Desorientierung, Halluzinationen, autonome Hyperaktivität (Schwitzen, Tachykardie, Mydriase, Hypertonie) Erregtheit, Krampfanfälle. • Wernicke-Korsakoff-Syndrom: Nystagmus, Ataxie, vestibuläre Parese, Krampfanfälle, Hypotonie, Hypothermie, evtl. Koma. Weiteres s. S. 404.
490
Akute Vergiftungen
15.17 Pilze
Differenzialdiagnose
Definition und Einteilung
Andere Ursachen einer nekrotisierenden Hepatopathie (z. B. Paracetamol, Virushepatitiden etc.).
Prognostisch wichtig ist die Zeit zwischen Pilzmahlzeit und Auftreten von Symptomen (Latenzzeit): • Pilzvergiftungen mit kurzer Latenzzeit (< 4 h): Verlauf meist gutartig mit einer leichten bis mittelschweren Gastroenteritis. Nur bei Exsikkose ist eine Hospitalisation notwendig. • Pilzvergiftungen mit langer Latenzzeit (> 4 h): Verdacht auf eine schwere, potenziell letale Pilzvergiftung (Phalloides-Syndrom). • Cave! Ausnahmen von dieser Regel sind möglich, d. h. auch bei kurzer Latenzzeit sind lebensbedrohliche Pilzvergiftungen möglich (z. B. bei Mischpilzvergiftungen), und nicht jede Pilzvergiftung mit langer Latenzzeit ist gefährlich.
Pathophysiologie
15
Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) ( Abb. 15.3 a, Farbtafel XXII). Toxisch sind die Amatoxine (zyklische Peptide). Die letale Dosis für einen Erwachsenen beträgt 0,1 mg/kg KG (ca. 50 g Frischpilz). Die Amatoxine hemmen die Transkription von Desoxyribonukleinsäure (DNA) in Botenribonukleinsäure (mRNA) v. a. in den Leberzellen. Sie unterliegen einem effizienten enterohepatischen Kreislauf und werden bei systemischer Bioverfügbarkeit durch die Nieren ausgeschieden.
Typische Krankheitszeichen Diese zeigt Tab. 15.5. Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) • Phase I (5 – 24 h nach Pilzeinnahme): symptomlose Latenzphase. • Phase II: Gastroenteritis mit heftigem Erbrechen, Diarrhö, Exsikkose, evtl. Blutdruckabfall. • Phase III: symptomarmes Intervall (scheinbare Erholung!), ansteigende Leberenzyme im Serum. • Phase IV (24 – 48 h nach Pilzeinnahme): Leberdystrophie, Coma hepaticum, Nierenversagen.
Notfallanamnese Fundort der Pilze? Wurden die Pilze kontrolliert? Wie und wie lange wurden die Pilze aufbewahrt (d. h. waren die Pilze evtl. verdorben)? Zeitpunkt der Pilzmahlzeit (wie lange war die Latenzzeit zwischen Mahlzeit und Auftreten der Symptome)? Wie viele Pilzsorten wurden gegessen? Gleichzeitiger Alkoholgenuss (gewisse Pilzarten wie z. B. der Faltentintling [Coprinus atramentarius] [ Abb. 15.3 b, Farbtafel XXII] verursachen eine Antabusreaktion)? Wurden die Pilze roh oder gekocht gegessen? Haben auch andere Personen davon gegessen? Handelt es sich um Lamellenpilze? (amanitinhaltige Pilze sind Lamellenpilze).
Notfalluntersuchung Allgemeines. Bestimmung der übrig gebliebenen Pilze und rohen Pilzabfälle durch einen Mykologen (in der Schweiz: Pilzkontrolleur). Toxikologie. Sporenidentifikation aus Resten, Erbrochenem, Magenspülflüssigkeit, Stuhl (in der Schweiz: durch einen Spitaldiagnostiker). Nachweis von spezifischen Toxinen (Amatoxine) im Urin. Die Tox-Zentren geben darüber Auskunft, welche Laboratorien den Nachweis anbieten. Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Nachweis von a-Amanitin im Urin. Kontinuierliche Kontrolle der Leberenzyme, Bilirubin, Gerinnungsfaktoren (Prothrombinzeit), Kreatinin, Elektrolyte.
Therapie Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) • Primäre Dekontamination: Magenspülung innerhalb einer Stunde nach Pilzmahlzeit und/oder Verabreichung von Aktivkohle. Bei Verdacht auf Verbleib von Pilzresten im Magen ist die Magenspülung nach endoskopischer Kontrolle auch später noch nützlich. • Antidottherapie: Silibinin i. v. 20 mg/kg KG/d, verabreicht in 4 Dosen während 3 – 5 Tagen (EG-C). Gabe von N-Acetylcystein erwägen (Dosierung wie bei der Paracetamolvergiftung s. S. 472).
Pilze
491
Tabelle 15.5 Typische Syndrome und Prognosen bei Pilzvergiftungen. Art der Pilzvergiftung
Toxin
Symptome
Prognose
Phalloides-Syndrom z. B. Amanita phalloides (Knollenbltterpilz) u. a. ( Abb. 15.3 a, Farbtafel XXII)
Amanitine
Gastroenteritis nach 4 – 14 h, Leberzellnekrosen nach 2 – 4 Tagen
Letalitt 10 – 20 % (Kinder < 10 Jahren bis zu 50%)
Gastrointestinale Pilzintoxikation durch zahlreiche Pilzarten
diverse
schwere Gastroenteritis nach 15 min bis 4 h
Todesflle sehr selten
Pilzindigestion zahlreiche Pilzarten
keine
leichte Gastroenteritis nach 15 min bis 24 h
Todesflle sehr selten
Coprinus-Syndrom z. B. Coprinus atramentarius (Faltentintling) ( Abb. 15.3 b, Farbtafel XXII)
Coprin
Antabusreaktion bei Alkoholgenuss 24 h nach Pilzgericht: Gesichtsrçtung, Kopfschmerzen, Erbrechen, Blutdruckabfall
Letalitt sehr gering
Pantherina- oder Fliegenpilz-Syndrom z. B. Amanita pantherina (Pantherpilz) ( Abb. 15.3 c, Farbtafel XXII) oder Amanita muscaria (Fliegenpilz) ( Abb. 15.3 d, Farbtafel XXII)
Muscimol, Ibotensure, Muscazon
Halluzinationen, Delir, ZNS-Depression, Krmpfe nach weniger als 4 h
Letalitt 1 – 5%*
Muskarin-Syndrom z. B. Inocybe patouillardii ( Abb. 15.3 e, Farbtafel XXII), Clitocybe dealbata (Risspilz) ( Abb. 15.3 f, Farbtafel XXIII)
Muskarin
Gastroenteritis, Miose, Bradykardie
Letalitt ca. 8%*
Psilocybin-Syndrom z. B. Psilocybe semilanceata ( Abb. 15.3 g, Farbtafel XXIII)
Psilocybin, Psilocin
Psychotrip mit Halluzinationen nach 15 – 120 min, Blutdruckabfall, Kopfschmerzen, Benommenheit
Letalitt sehr gering
Orellanus-Syndrom z. B. Cortinarius orellanus (orangefuchsiger Rauhkopf) ( Abb. 15.3 h, Farbtafel XXIII)
Orellanin
Gastroenteritis nach 4 – 12 h, hepatorenale Phase nach 2 – 17 Tagen
Letalitt 10 – 15 %*
Gyromitrin-Syndrom z. B. Gyromitra esculenta (Frhjahrslorchel) ( Abb. 15.3 i, Farbtafel XXIII)
Gyromitrin, Monomethylhyrazin (MMH)
Gastroenteritis nach 6 – 24 h, Leberzellnekrosen, Anurie
Letalitt bis 30%*
Paxillus-Syndrom z. B. Paxillus involutus (Kahler Krempling)
„Pilzantigen“
Immunhmolyse nach wiederholtem Genuss desselben Pilzes
gut
Equestre-Syndrom durch Tricholoma equestre (Grnling)
unbekanntes Myotoxin
Rhabdomyolyse 24 h nach wiederholtem Genuss
gut
Acromelalga-Syndrom z. B. Clitocybe amoenolens (wohlriechender Trichterling)
Acromelsure
intermittierendes Kribbeln, Brennen, Schmerzen und Hautrçtung an Hnden und Fßen
gut
* Die Letalittsangaben beruhen z. T. auf alten Quellen und sind bei den heutigen notfall- und intensivmedizinischen Behandlungsmçglichkeiten wahrscheinlich deutlich geringer
492
•
•
Akute Vergiftungen
Sekundäre Dekontamination: wiederholte Verabreichung von Aktivkohle oder Duodenalsonde einlegen zum kontinuierlichen Absaugen der Galle (Entzug der Amatoxine aus dem enterohepatischen Kreislauf). Weitere Maßnahmen: Aggressive Rehydratation, Korrektur von Elektrolytstörungen (s. S. 193). Prophylaxe und Therapie des Leberkomas s. S. 150. Bei schwerer Leberschädigung Lebertransplantation als Ultima Ratio.
Differenzialdiagnose Bissvergiftungen durch außereuropäische Schlangen und andere Gifttiere.
Notfallanamnese Ort und Umstände der Bissverletzung? Art der Schlange? Zeitpunkt der Bissverletzung? Entwicklung und Schweregrad der Symptome?
15.18 Schlangenbisse Definition und Einteilung Die in unseren Breitengraden vorkommenden Giftschlangen gehören ausschließlich zur Familie der Viperiden mit den wichtigsten Vertretern Vipera aspis (Aspisvipern) und Vipera berus (Kreuzotter).
Pathophysiologie
15
Schlangengifte sind eine Mischung von Polypeptiden und hydrolytischen Enzymen (Proteasen, Hämorrhagine, gerinnungsaktive Enzyme, Kinogenasen, Phospholipasen), die eine Reihe von biologischen Schädigungen verursachen können (lokal zytotoxisch, neurotoxisch, hämatotoxisch, myotoxisch). Bei den europäischen Vipern stehen lokale Gewebsläsionen, kardiovaskuläre Symptome und anaphylaktische Reaktionen im Vordergrund. Selten können Störungen der Blutgerinnung auftreten. Neurotoxische Reaktionen sind sehr selten und wurden v. a. bei Vipernbissen in Südeuropa beobachtet.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Lokal: Schmerzen, Bissmarke (wie Doppelpunkt), Ödem (kann sich regional über die ganze Extremität ausbreiten), Suffusionen. Gastrointestinaltrakt: Nausea, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö. Kreislauf: Hypotonie, evtl. anaphylaktischer Schock. Lunge: Bei sensibilisierten Personen können akute Asthmabeschwerden auftreten.
Notfalluntersuchung Klinische Untersuchung. Bissmarke eruieren. Ausbreitung der Gewebsläsionen (lokal? regional? Körperstamm?). Puls, Blutdruck, neurologischer Status. Labor. Quick, Kreatinkinase.
Therapie Notfallmanagement
•
•
Sofortmaßnahmen: Ruhe bewahren, Patienten beruhigen, Ruhigstellung der gebissenen Extremität (Schiene), bei Bissen in die obere Extremität Fingerringe und Armbänder entfernen, Desinfektion der Bissstelle, Schmerzbekämpfung. Antivenintherapie: Heute stehen in erster Linie Fab-aufgereinigte Antiseren aus Schaf (ViperaTab) oder Pferd (Viperfav) zur Verfügung, die im Vergleich zum traditionellen Pferdeantiserum deutlich weniger allergische Nebenwirkungen verursachen. Indikationen für eine Behandlung: – therapieresistente arterielle Hypotonie und Kreislaufschock, – protrahierte schwere gastrointestinale Symptome, – Schleimhautschwellung mit Gefahr der bronchialen Obstruktion, – rasche Ödemausbreitung auf die ganze Extremität und den Stamm, – neurologische Symptome wie ZNS-Depression, periphere und zentrale Paresen. – Folgende Befunde sprechen in Grenzfällen eher für eine Antiveninbehandlung: Leukozytose > 15 – 20 × 109/l, metabolische Azidose, Hämolyse, EKG-Veränderungen (T-Inversion, STStrecken-Senkung, AV-Block), Gerinnungsstörung; kleine Kinder, schwangere Frauen.
Schlangenbisse
Weitere Maßnahmen
•
• • • •
Lokale Schwellung: kühlende Umschläge, Ruhigstellung, bei Störung der peripheren Zirkulation (Logensyndrom) perkutane Inzisionen; aktive Tetanusimpfung; Antibiotika zur Infektionsprophylaxe; Schockbekämpfung. Erregungszustände: Diazepam 10 – 20 mg p. o. oder i. v. Schwere Gerinnungsstörungen: Frischbluttransfusion, FFP, Fibrinogen (s. S. 227). Gerinnungsfaktoren nie ohne Antivenintherapie! Nierenversagen: Hämodialyse. Atemlähmung: Intubation (s. S. 627), Beatmung.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Alle Patienten, bei denen sich eine progrediente Schwellung oder systemische Vergiftungszeichen entwickeln, sollten für mindestens 24 h hospitalisiert werden. Ein komplizierter, antiveninbedürftiger Verlauf kann ausgeschlossen werden, wenn innerhalb einer 24-stündigen Beobachtungszeit die Größenzunahme des Ödems zum Stillstand gekommen, eine arterielle Hypotension nicht eingetreten, die Hämostase unbeeinträchtigt geblieben ist und keine kardialen Probleme oder EKG-Veränderungen beobachtet worden sind.
493
Besondere Merkpunkte In Zweifelsfällen und bei Bissvergiftungen durch außereuropäische Schlangen geben die in Tab. 15.1 genannten Einrichtungen weitere Auskünfte.
494
16 Endokrinologie C. Meier, B. Mller
Übersicht 16 16.1 16.2 16.3
Endokrinologie Thyreotoxische Krise – „Thyroid Storm“ Myxödemkoma Akute Nebennierenrindeninsuffizienz
16.1 Thyreotoxische Krise – „Thyroid Storm“ Definition und Einteilung
16
Die thyreotoxische Krise ist eine seltene, schwer verlaufende Komplikation der manifesten Hyperthyreose mit hypermetabolischer Krise und Multiorganversagen. Sie hat trotz frühzeitiger Erkennung und Behandlung eine hohe Letalität von 20 – 50%. Die Schilddrüsenhormonkonzentration korreliert nur sehr beschränkt mit der Schwere des Krankheitsbildes, weswegen die Diagnose klinisch gestellt werden muss.
Pathophysiologie Die pathophysiologischen Mechanismen der thyreotoxischen Krise sind weitgehend unbekannt. Doch scheint die erhöhte Konzentration der frei zirkulierenden Schilddrüsenhormone eine Grundvoraussetzung in der Krankheitsentstehung zu sein. Als wichtige Begleitfaktoren werden die Aktivierung des adrenergen Systems, verstärkte intrazelluläre Oxidationsvorgänge und eine verminderte hepatische Elimination von Schilddrüsenhormonen angenommen. Auslösende Faktoren. Häufigste Ursachen sind: • akute Infektionen (vor allem Pneumonien), Blutungen, • zerebrovaskulärer Insult, diabetische Ketoazidose,
• • •
Operationen, Anästhesie, Schwangerschaft, Trauma bei unbehandelter Hyperthyreose, Jodexposition, frühzeitiges Absetzen von Thyreostatika, Radiojodbehandlung oder Thyreoidektomie nach ungenügender thyreostatischer Vorbehandlung.
Typische Krankheitszeichen
• • • • • • • •
Rascher Beginn mit extremer Unruhe und Agitiertheit. Fieber bis über 40 8C, Exsikkose. Nausea, Erbrechen, Diarrhö, Ikterus. Tachykardie bis 200/min, oft tachykardes Vorhofflimmern, ventrikuläre Arrhythmien, Herzinsuffizienz (high output failure). Anfänglich systolische Hypertonie mit großer Blutdruckamplitude. Ein späteres Absinken des Blutdrucks weist auf Kreislaufversagen hin. Delir, übergehend in Stupor bis Koma. „Apathetic thyrotoxicosis“: bei älteren Patienten atypischer, oligosymptomatischer Verlauf mit Apathie, Kachexie und raschem Übergang in Stupor und Koma. Symptome der manifesten Hyperthyreose, in verstärkter Form (Nervosität, Schlaflosigkeit, Tremor, Muskelschwäche, Dyspnoe, vermehrtes Schwitzen mit feucht-warmer Haut, Gewichtsverlust).
Differenzialdiagnose Akute Infekte, Sepsis, Phäochromozytom, gastrointestinale Erkrankungen, akute Psychosen, Malignom.
Notfallanamnese
• •
Vorbestehende Hyperthyreose. Auslösende Faktoren (s. o.).
Thyreotoxische Krise – „Thyroid Storm“
Notfalluntersuchung Klinik
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Zeichen der Hyperthyreose in übersteigertem Maße. Ungeklärtes Fieber bei Hyperthyreose. Oft extreme Hyperthermie und in fortgeschrittenem Stadium Trübung des Sensoriums. Struma oder endokrine Orbitopathie (bei Morbus Basedow).
•
Diagnostik Labor. TSH, fT4, T3, evtl. T4 und fT4-Index (Abnahme vor Therapiebeginn!), rotes und weißes Blutbild (Anämie, Thrombozytopenie, Leukozytose), Natrium, Kalium, Kreatinin, Harnstoff (prärenale Niereninsuffizienz), Glukose (Hyperglykämie), Leberparameter (Hepatopathie), Prothrombinzeit. EKG. Mit Rhythmusstreifen (Sinustachykardie, ventrikuläre und supraventrikuläre Rhythmusstörungen). Röntgen-Thorax. (Herzinsuffizienz, Infiltrat). Sonografie der Schilddrüse. Nodöse (bei toxischem Adenom, toxischer Knotenstruma) oder diffuse Struma (bei Morbus Basedow).
•
Therapie
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Es gibt keine kontrollierten Studien über die ideale Therapie der thyreotoxischen Krise (EG-D). Alle Maßnahmen zur Behandlung der thyreotoxischen Krise verfolgen das Ziel, die Schilddrüsenhormonwirkung auf verschiedenen Ebenen (Synthese, Sekretion, periphere Effekte an Zielorganen) zu unterdrücken. Aufgrund der Schwere der Erkrankung und der meist lebensbedrohlichen Situation ist ein „multidrug approach“ mit allen unten genannten Substanzen angezeigt. Wesentlich ist, dass eine Jodtherapie frühestens eine Stunde nach Beginn einer thyreostatischen Behandlung eingeleitet wird (s. unten).
Notfallmanagement
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Flüssigkeit: 1000 ml isotone NaCl-GlukoseMischlösung i. v. in 2 h, danach gemäß Zentralvenendruck und Diurese. Betablocker: – Propranolol: 4-stündlich 20 – 80 mg p. o. oder 6- bis 8-stündlich 1 – 3 mg langsam i. v. (1 mg/
•
•
495
min in 2-minütigen Intervallen), evtl. wiederholt, bis zum Erreichen des Therapieeffektes (Zielparameter: Puls < 100/min). – Esmolol (kurz wirksamer Betablocker): initial 0,25 – 0,5 mg/kg KG i. v., anschließend Infusion mit 0,05 – 0,1 mg/kg KG/min. – Falls Betablocker kontraindiziert: Diltiazem initial 0,3 mg/kg KG langsam über 2 – 3 min i. v., evtl. nach 30 min wiederholen oder p. o. 8-stündlich 60 – 120 mg. Thyreostatische Behandlung: – 1. Wahl: Propylthiouracil (PTU) initial 600 mg, dann 4-stündlich 200 mg p. o. bzw. über nasogastrische Sonde. – 2. Wahl: Carbimazol initial 60 mg, dann 4-stündlich 20 mg p. o. Jodtherapie (Hemmung der Schilddrüsenhormonsekretion): Cave! Die Jodapplikation darf erst eine Stunde nach eingeleiteter Thyreostatikatherapie angewendet werden, um eine zusätzliche, evtl. fatale Stimulation der Schilddrüsenhormonsekretion zu verhindern. – Lugol-Lösung (5 g J2 + 10 g KJ ad 100 ml H2O) 8-stündlich 15 Tropfen (1 Tropfen = ca. 6,3 mg Jodid) p. o. oder – Natrium-Iopodate (Gallenkontrastmittel; Bezug Laboratorio Estedi SL, Barcelona, Spanien) 12-stündlich 1000 mg p. o. am 1. Tag, dann 500 mg 1×/d oder – Lithium (bei bekannter Jodallergie) initial 6-stündlich 536 mg Lithiumazetat p. o., dann gemäß Serumlithiumspiegel (Ziel 0,6 – 1,0 mmol/l). Hydrocortison (Blockierung der peripheren T4/T3-Konversion, Therapie einer möglichen begleitenden NNR-Insuffizienz bei kombiniertem Autoimmunsyndrom) initial 100 mg i. v., dann 8-stündlich 100 mg i. v. oder 10 mg/h per infusionem. Allgemeinmedizinische Maßnahmen: – Sauerstoff: 6 l/min, per Nasensonde. – Antipyretika: Paracetamol (keine Salizylate wegen ASS-induzierter T4-Verdrängung vom Transportprotein); physikalisch kühlen. – Herzglykoside bei Vorhofflimmern; Diuretika, evtl. ACE-Hemmer bei Herzinsuffizienz. – Antibiotika bei Infekt (zuvor Blut-, Sputum-, Urinkultur). – Hohe Kalorienzufuhr (ca. 35 – 40 kcal/kg KG/d) per Magensonde oder parenteral. – Evtl. Sedativa (Diazepam 2 – 20 mg langsam i. v.).
496
Endokrinologie
Weitere Maßnahmen
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Behandlung auslösender Krankheiten (Infekt usw., s. o.). Evtl. Plasmapherese bei klinischer Verschlechterung trotz adäquater Therapiemaßnahmen (EG-D). Evtl. Planung einer subtotalen Thyreoidektomie (unter Betablockade). Vorsichtige Reduktion der flankierenden Maßnahmen (Betablocker, Steroide, Diuretika, Jod) gemäß klinischem Verlauf. Cave! Rezidiv.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Engmaschige, ½- bis 1-stündliche Kontrollen von Blutdruck, Herzfrequenz, Zentralvenendruck, Atemfrequenz; Temperatur (4-stündlich).
Besondere Merkpunkte
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•
16
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Nur durch eine rasche Diagnose und Therapie kann die hohe Mortalität gesenkt werden. Mit der Therapieeinleitung sollte nicht bis zum Erhalt der Schilddrüsenhormonspiegel zugewartet werden, umso mehr als die Höhe von T4/T3 keine Aussage über den Schweregrad der thyreotoxischen Krise zulässt. Die ausschließliche Behandlung der Hyperthyreose nur mit Betablockern ist gefährlich und nicht angezeigt. Betablocker maskieren zwar die adrenergen Symptome, korrigieren aber den zugrunde liegenden hyperthyreoten Zustand nicht. Unter adäquater Behandlung ist eine klinische Besserung nach 12 – 24 h zu erwarten.
Pathophysiologie Durch Mangel an Schilddrüsenhormonen werden dem Organismus im hypometabolen Zustand physiologische Adaptationsvorgänge unmöglich gemacht, speziell bei geriatrischen Patienten. Neben neurovaskulären Veränderungen (periphere Vasokonstriktion, diastolische Hypertonie), bedingt durch den verminderten O2-Verbrauch und die Senkung der Körpertemperatur, liegt auch ein Defekt des sympathischen Nervensystems mit Endorganresistenz für Katecholamine vor. Es besteht häufig eine respiratorische Insuffizienz bei alveolärer Hypoventilation (Gefahr der CO2-Retention). Erhöhte Konzentrationen von antidiuretischem Hormon (SIADH) führen zu Wasserintoxikation mit weiterer zerebraler Verschlechterung und Koma. Auslösende Faktoren. Häufigste Ursachen sind: • Infektionen (Pneumonie, Harnwegsinfekt), • zerebrovaskulärer Insult, Myokardinfarkt, Gastrointestinalblutung, • Trauma, Operationen, • Hypothermie (Wintermonate), • Intoxikationen (Arzneimittel), • Medikamente (Sedativa, Opioide, Diuretika).
Typische Krankheitszeichen
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16.2 Myxödemkoma
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Definition und Einteilung
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Das Myxödemkoma ist ein seltenes, lebensbedrohliches Krankheitsbild, das sich meist langsam aus einer vorbestehenden, unbehandelten Hypothyreose entwickelt. Es ist klinisch charakterisiert durch Hypothermie, Hypoventilation und Bewusstseinseintrübung bzw. Koma. Meist führen aggravierende Faktoren zu einer klinischen Dekompensation.
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Hypothermie (bis 24 8C); eiskalte, blasse, trockene Haut. Hypoventilation mit respiratorischer Azidose. Lethargie mit progredienter Bewusstseinseintrübung, Koma. Depression, progrediente kognitive Veränderungen. Bradykardie, QT-Verlängerung, Niedervoltage (EKG). Herzinsuffizienz, leichte bis mäßige diastolische Hypertonie (im Verlauf sinkende Blutdruckwerte können Ausdruck einer Dekompensation sein). Perikard-, Pleuraerguss, Aszites (Exsudat). Muskelschwäche, teigige Schwellung der Subkutis. Normochrome, normozytäre Anämie; Leukopenie. Symptome der manifesten Hypothyreose, in verstärktem Maße (Müdigkeit, depressive Verstimmung, Kälteintoleranz, Obstipation, Zyklusunregelmäßigkeiten, Gewichtszunahme).
Myxçdemkoma
Differenzialdiagnose Panhypopituitarismus, „Euthyroid-sick-Syndrom“, SIADH, zerebrovaskuläre Erkrankungen, diabetische Ketoazidose, Arzneimittelintoxikation, akute Alkoholintoxikation.
Notfallanamnese
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Vorbestehende Schilddrüsenkrankheiten bzw. unbehandelte Hypothyreose, Autoimmunsyndrom (perniziöse Anämie, Diabetes mellitus), auslösende Faktoren (s. o.).
den. Die Höhe des TSH ist nicht aussagekräftig zur Beurteilung des Schweregrades der Hypothyreose. Dafür sind die klinische Bewertung und die peripheren Schilddrüsenhormone (fT4, T3) aussagekräftiger.
Notfallmanagement
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Notfalluntersuchung Klinik
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Zeichen der Hypothyreose in extremem Ausmaß, eiskalte Haut mit tiefer Kerntemperatur (Spezialthermometer mit Messskala bis 25 8C). Bradykardie, Rhythmusstörungen (Kammerflimmern), evtl. Herzinsuffizienz sowie Eintrübung des Sensoriums. Perikard- bzw. Pleuraerguss? Auslösende Infektionsherde?
Diagnostik Labor. TSH, fT4, T3 (Abnahme vor Therapiebeginn!), rotes und weißes Blutbild (Anämie, Leukopenie), ABGA (respiratorische Azidose), Natrium (Hyponatriämie), Kreatinin, Harnstoff, Glukose (Hypoglykämie), Kreatinkinase (erhöht), Kortisol (begleitende NNR-Insuffizienz), Urinstatus, Blut-, Sputum- und Urinkulturen auf Bakteriologie (je nach Klinik). EKG. Mit Rhythmusstreifen (Bradykardie, Rhythmusstörungen). Evtl. Echokardiografie. (Perikarderguss). Röntgen-Thorax. (Herzinsuffizienz, Kardiomegalie, Pleuraerguss).
Therapie Es gibt keine kontrollierten Studien über die ideale Therapie des Myxödemkomas (EG-D). Da die Prognose entscheidend vom unverzüglichen Therapiebeginn abhängig ist, sollte der Patient bereits bei klinischem Verdacht auf ein Myxödemkoma intensiv überwacht werden und die Therapie eingeleitet wer-
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Flüssigkeit: 1000 ml isotone NaCl-GlukoseMischlösung i. v. gemäß Zentralvenendruck und Natrium (Cave! SIADH). Atemüberwachung: evtl. Intubation und kontrollierte mechanische Beatmung. Schilddrüsenhormonsubstitution: – Levothyroxin 500 µg (bzw. 300 µg/m2) initial einmalig i. v., dann vom 2. Tag an 100 µg/d i. v., Umstellung auf perorale Therapie nach Stabilisierung des Patienten und Normalisierung von fT4. Volle Substitutionsdosis 75 – 100 µg/d p. o. oder – Levothyroxin oral bzw. via nasogastrische Sonde, falls kein i. v. zu verabreichendes Präparat vorhanden ist (Cave! Schlechte, inkonstante Resorption): initial 500 µg, dann 8-stündlich 75 µg p. o. (Erhaltungsdosis 75 – 100 µg/d p. o.; langfristig [> 1 Monat] Levothyroxin-Dosis an TSH anpassen). – Die Anwendung von Trijodthyronin (Liothyronin) wurde in der Akutbehandlung der Hypothyreose aufgrund der Kinetik (rasche Änderung der Serumspiegel, mehrere Tagesdosen) und des hohen Nebenwirkungspotenzials (Arrhythmien, kardiale Ischämie) weitgehend verlassen (EG-D). Hydrocortison: 8-stündlich 100 mg i. v. (begleitende NNR-Insuffizienz, bei kombiniertem Autoimmunsyndrom gehäuft). Antibiotische Behandlung i. v. (empirisch) bis zum Erhalt der Kulturen, dann evtl. gezielte Therapie (Infekte sind häufige Auslöser, Temperatur und Leukozyten nicht verwertbar!). Diuretika, evtl. ACE-Hemmer bei Herzinsuffizienz. Transfusionen bei Hämatokrit < 30%. Endogene Wärmezufuhr (Decken), kein externes Aufwärmen (Cave! Periphere Vasodilatation und Schock).
Weitere Maßnahmen
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Behandlung auslösender Krankheiten. Eine erste klinische Besserung kann anhand von Klinik, Bewusstseinslage, Körpertemperatur und Atemfrequenz abgeschätzt werden und ist 12 – 24 h nach Therapiebeginn zu erwarten.
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Endokrinologie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
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Regelmäßige Kontrolle der Vitalzeichen: Herzfrequenz, Atmung, Blutdruck, Zentralvenendruck Diurese, Rektaltemperatur 4-stündlich, Elektrolyte und Glukose 12-stündlich, bei SIADH Natrium 1- bis 2-stündlich.
Besondere Merkpunkte Aufgrund verzögerter Medikamenten-Clearance besteht bei hypothyreoten Patienten die Gefahr der Wirkstoffakkumulation; stets ist eine Dosierungsanpassung verabreichter Medikamente erforderlich (z. B. Digitalis, Diuretika, Sedativa, Narkotika).
16.3 Akute Nebennierenrindeninsuffizienz Definition und Einteilung
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Die akute Nebennierenrinden-(NNR-)Insuffizienz (NNR-Krise, Addison-Krise) ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild infolge eines Mangels an endogenem Kortisol und Aldosteron. Dabei kann es sich um eine primäre NNR-Insuffizienz (= Morbus Addison) handeln, die sich zuerst oft schleichend entwickelt und dann durch auslösende Faktoren (Stress) akut dekompensiert. Der sekundären Insuffizienz liegen hypophysär-hypothalamische Läsionen oder eine lang dauernde Glukokortikoidtherapie (häufigste Ursache) zugrunde.
Pathophysiologie Bei der akuten NNR-Insuffizienz kann ein absoluter Hormonmangel (völlige Destruktion des endokrinen Organs) oder ein relativer Mangel (ungenügende Hormonproduktion bei erhöhtem Bedarf durch Stress) vorliegen. Die primäre NNR-Insuffizienz führt zum Ausfall des Kortisols (Glukokortikoidmangel) und Aldosterons (Mineralokortikoidmangel). Letzteres hat Veränderungen der Elektrolyte (Hyponatriämie und Hyperkaliämie) sowie Exsikkose und Hypotonie zur Folge. Bei der sekundären NNR-Insuffizienz (ACTHMangel) sind die Mineralokortikoide weniger be-
troffen (häufig normale Elektrolyte und insbesondere keine Hyperkaliämie). Auslösende Faktoren. Häufigste Ursachen sind: • Stress (Infekt, Operation, Trauma) bei latenter NNR-Insuffizienz, die wiederum Folge ist von – ACTH-Mangel (meist infolge vorangehender Glukokortikoidtherapie, seltener Hypophysenläsionen), – vorbestehender NNR-Pathologie (meist autoimmun, beidseitige Tumormetastasen, seltener Tuberkulose, AIDS, sehr selten akute NNRBlutungen bei Sepsis, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, Gerinnungsstörungen), – verminderter Steroidsynthese (Mitotan, Ketoconazol, Etomidat), – verstärktem Steroidkatabolismus durch hepatische Enzyminduktion (Rifampicin, Phenytoin, Phenobarbital).
Typische Krankheitszeichen Der Verdacht aufgrund der Anamnese ist diagnostisch wegweisend (dran denken!). Die klinische Symptomatik ist mannigfaltig, oft oligosymptomatisch und kann beinhalten: • Gastrointestinal: Abdominalschmerzen, Nausea, Erbrechen, Diarrhö. • Asthenie und Adynamie („Fatigue“), Myalgien, Arthralgien, depressives Zustandsbild. • Hypoglykämie, Hypotonie (evtl. nur orthostatisch), evtl. Hyperthermie. • Exsikkose, Gewichtsverlust, Salzhunger, verstärkte Pigmentierung (primäre Formen). • Übergang in Schock mit Bewusstseinsverlust oder Exitus.
Differenzialdiagnose
• • • •
Gastroenteritis, akute Infektion bzw. Sepsis, andere Schock- und Komaursachen, pathologische Pigmentierung anderer Ursache (Hämochromatose, Arzneimittel), Differenzialdiagnose der Hyperkaliämie, Hyponatriämie und prärenalen Niereninsuffizienz.
Notfallanamnese
• •
Vorbestehende primäre oder sekundäre NNR-Insuffizienz, auslösende Faktoren (s. o.), Einnahme von Glukokortikoiden oder NNR-supprimierenden Medikamenten (s. o.),
Akute Nebennierenrindeninsuffizienz
•
kombinierte Autoimmunsyndrome (u. a. Dysthyreose, Diabetes mellitus Typ 1, Gastritis).
Notfalluntersuchung
Weitere Maßnahmen
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Klinik
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Bewusstsein, Blutdruck (evtl. Schock), Hydratationszustand (Halsvenen), Pigmentierung (Handlinien, Areolen, Narben, Mundschleimhaut), Pubes- und Axillarbehaarung bei Frauen (Haarverlust), Vitiligo, Muskelschwäche, allgemeine Adynamie, Temperatur (erhöht).
Diagnostik Labor. Kortisol (< 550 nmol/l vor Therapiebeginn!), Natrium (Hyponatriämie), Kalium (Hyperkaliämie), Harnstoff, Kreatinin (prärenale Niereninsuffizienz), Glukose (Hypoglykämie), Kalzium (Hyperkalzämie), Blutbild (Eosinophilie > 3%), Urinstatus. ABGA. (metabolische Azidose). EKG. (selten Rhythmusstörungen). Röntgen-Thorax. (Tuberkuloseresiduen). CT. Nebennieren (Raumforderungen, Metastasen, Blutung, Verkalkungen?).
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• •
• •
Blutentnahme für Kortisol (noch vor Therapiebeginn, jedoch Resultat nicht abwarten!). Hydrocortison initial 100 mg i. v. (falls kein venöser Zugang: i. m. Injektion), danach 10 mg/h per infusionem bis orale Zufuhr möglich ist, alternativ 100 mg i. v. 8-stündlich. Flüssigkeit: 1000 ml isotone NaCl-GlukoseMischlösung über 30 – 60 min i. v. (Zentralvenenkatheter); total 1000 – 3000 ml über 2 h gemäß Zentralvenendruck.
Engmaschige Kontrolle der Vitalparameter, speziell Kreislaufüberwachung, ZVD, Gewicht. Regelmäßige Kontrolle von Glukose und Elektrolyten.
Besondere Merkpunkte
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Notfallmanagement
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Weiterer Flüssigkeits- und Elektrolytersatz (im Allgemeinen 1000 ml alle 3 – 4 h in den ersten 12 – 24 h) je nach Klinik und ZVD. Sobald orale Zufuhr möglich, Umstellung auf Hydrocortison (z. B. 50 – 30 – 10 mg/d), stufenweiser Abbau auf Erhaltungsdosis (z. B. 15 – 10 – 0 mg/d) (EG-D). Bei Morbus Addison in der Erhaltungsphase Gabe von Fludrocortison (0,1 mg/d) (EG-C).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Therapie Es gibt keine kontrollierten Studien über die ideale Dosis der Kortisolersatztherapie bei der AddisonKrise (100 – 400 mg Hydrocortison/24 h) (EG-D). Empirisch kann Folgendes empfohlen werden:
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•
•
Diagnostik: Auch bei unsicherer Diagnose im Zweifelsfall immer als NNR-Krise behandeln! Unnötige Kurztherapie mit Hydrocortison schadet nicht, verpasste Diagnose kann fatal sein. Zur Diagnosesicherung wird bei Erstdiagnose in der Erholungsphase die Messung von Serumkortisol 30 min nach Gabe von 1 µg ACTH1–24 (Low-Dose-Tetracosactid-Test) oder die elektive Durchführung eines Insulinhypoglykämietests empfohlen (Facharzt). Hyperkaliämie: Durch Rehydratation und Hydrocortisongabe wird das Kalium praktisch immer gesenkt. Cave! Keine Insulingabe! (vermehrte Insulinsensitivität: Hypoglykämierisiko). Mineralokortikoide: in der Notfalltherapie nicht etabliert (hohe Hydrocortisondosis hat mineralokortikoiden Effekt, keine i. v. Galenik für Fludrocortison). Intensivpflegebedürftige, nebennierengesunde Patienten erreichen z. B. im septischen Schock Kortisolwerte von > 1000 nmol/l. Deshalb wird von einigen Autoren eine relative, substitutionsbedürftige Nebenniereninsuffizienz postuliert, wenn Kortisolwerte bei intensivpflegebedürftigen Patienten < 414 – 1000 nmol/l sind oder sich 30 min nach i. v. Gabe von 250 µg im ACTH1–24-Test um weniger als 250 nmol/l erhöhen. Ob in dieser Situation eine parenterale Kortisolsubstitution sinnvoll ist, ist umstritten. Rezidivprophylaxe: Notfallausweis, Patientenaufklärung, Stressprophylaxe.
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17 Diabetes mellitus
Übersicht 17 Diabetes mellitus 17.1 Hyperglykämische Entgleisungen (diabetische Ketoazidose und hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung) 17.2 Laktatazidose 17.3 Hypoglykämien
17.1 Hyperglykämische Entgleisungen (diabetische Ketoazidose und hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung) U. Keller
Definition und Einteilung
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Es werden 2 Formen der akut bedrohlichen diabetischen Stoffwechselentgleisung unterschieden: • Die diabetische Ketoazidose (DKA) ohne oder mit Koma (typisch für den Typ-1-Diabetes). Die Mortalität hat in den letzten Jahrzehnten abgenommen; sie liegt heute bei ca. 5%. • Die hyperosmolare hyperglykämische Entgleisung (HHE) ohne Ketoazidose (typisch für den Typ2-Diabetes) hat eine schlechtere Prognose (Mortalität um 15%).
Pathophysiologie Das Ausmaß des Insulindefizits beeinflusst wesentlich, ob sich eine Ketoazidose oder eine hyperosmolare Entgleisung ohne Ketoazidose entwickelt.
Ketoazidose. Bei der Ketoazidose führt die fehlende oder massiv eingeschränkte Insulinsekretion bei Typ-1-Diabetes einerseits zu einer gesteigerten Lipolyse und Freisetzung von freien Fettsäuren aus dem Fettgewebe, andererseits zu einer gesteigerten Ketogenese aus den Fettsäuren in der Leber mit Anhäufung von sauren Ketonkörpern (b-Hydroxybutyrat und Azetoazetat). Die gesteigerte Ketogenese und die gleichzeitig verminderte Clearance von Ketonkörpern führen zu einem mehr als tausendfachen Anstieg der Ketonkörperkonzentration im Blut. Die zwei häufigsten Ursachen sind das Auslassen der Insulintherapie und eine Infektion. Stresszustände (und dazu gehören auch Infekte) bedingen eine Stresshormonausschüttung (Katecholamine, Kortisol, Glukagon und Wachstumshormon). Diese wirken lipolytisch und ketogen. Zudem ist eine Glykogenverarmung der Leber Voraussetzung für eine Ketoazidose. Die Ketoazidose kommt vor allem bei Typ-1-Diabetikern vor, vereinzelt und in jüngster Zeit zunehmend betrifft sie auch Typ-2-Diabetiker, wobei es sich dann eher um jüngere, adipöse, oft auch schwarze Patienten handelt. Hyperosmolare hyperglykämische Entgleisung. Bei der hyperosmolaren hyperglykämischen Entgleisung des Typ-2-Diabetes genügt die vorhandene Insulinrestsekretion, um eine Ketoazidose zu verhindern. Auch hier sind der relative Insulinmangel und der Überschuss an Gegeninsulinhormonen Ursachen einer massiv gesteigerten Glukoseproduktion von Leber und Niere und einer verminderten Glukoseverwertung, vor allem im Muskel. Hyperosmolalität. Sowohl bei der DKA als auch bei der HHE führt die Hyperglykämie zur osmotischen Diurese. Wenn die Betroffenen nicht genügend trinken – was besonders bei älteren Patienten der Fall ist – entwickelt sich eine Dehydratation mit Hyperosmolalität und damit verbunden eine Bewusstseinstrübung. Die Polyurie führt zu renalen Verlusten von Natrium, Kalium und Phosphat. Bei einer Ketonurie ist der Verlust an Natrium und Kalium beson-
Hyperglykmische Entgleisungen ders groß, weil die Ketonkörper zusammen mit Kationen ausgeschieden werden. Auslösende Ursachen. Dies sind in der Reihenfolge der Häufigkeit: • Infektionen (50%), vor allem der oberen Luftwege und der ableitenden Harnwege. • Behandlungsfehler infolge von Weglassen von Insulin (25%) oder wegen unterbrochener Insulinzufuhr bei einer Insulinpumpe (führt besonders rasch zur Entgleisung, da kein Depotinsulin im Körper ist). • Unerkannter Diabetes (15%). • Arzneimittel (Glukokortikoide, Diuretika, atypische Neuroleptika). • Begleiterkrankungen wie Herzinfarkt, zerebrovaskulärer Insult, Gangrän oder Mesenterialinfarkt. • Häufige Kausalkette: Die beginnende Ketoazidose führt zu Appetitlosigkeit und Magen-Darm-Störungen, weshalb der Patient das Insulin und die Kohlenhydratzufuhr reduziert in der Meinung, bei mangelnder Nahrungszufuhr weniger oder kein Insulin zu benötigen.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Ketoazidose: Tachypnoe (Kussmaul-Atmung), Geruch der Ausatmungsluft nach Azeton (fruchtig, „Green Apple“), Nausea und Erbrechen. Klassische Symptome der Hyperglykämie: Durst, Polyurie, Polydipsie, Nykturie. Allgemeine Symptome: Schwäche, Malaise, Lethargie, Müdigkeit, Somnolenz bis zum Koma, Abdominalschmerzen. Zeichen bei der Untersuchung: trockene Haut und Schleimhäute, verlangsamte Sehnenreflexe, Tachykardie, arterielle Hypotonie (bei HHE prognostisch ungünstig), Hypothermie (durch periphere Vasodilatation, prognostisch ungünstig), evtl. Fieber (bei Infekt).
Differenzialdiagnose Nicht diabetesbedingte metabolische Azidosen • Fastenketose: Eine Fastenketose führt zu Ketonurie (+++), aber nicht zu einer erheblichen Ketoazidose; das Serumbikarbonat fällt nicht unter 18 mmol/l ab. • Alkoholische Ketoazidose: Auch ohne Vorliegen eines Diabetes mellitus kann sich bei chronischem Alkoholismus eine Ketoazidose entwickeln. Der Blutzucker kann dabei erniedrigt, normal oder
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leicht erhöht sein. Die Ketoazidose besteht oft aus einer massiven Erhöhung von b-Hydroxybutyrat. Dieses ist mit der Ketonkörper-Streifenmethode nicht nachweisbar (Keto-Stix oder Nitroprussid werden nur durch Azetoazetat und Azeton violett verfärbt). Oft besteht neben der Ketoazidose eine Laktatazidose. • Laktatazidose (s. S. 505): Kußmaul-Atmung und tiefer pH-Wert ohne oder mit nur geringer Blutketose (Schockzustand, Leberversagen, evtl. Biguanidintoxikation), Plasmalaktat > 5 mmol/l. • Weitere metabolische Azidosen (s. S. 207). Nicht diabetesbedingte Komaursachen. Bei Blutzuckerwerten < 16 mmol/l und fehlender oder lediglich schwach ausgeprägter Blutketose ist eine diabetische Stoffwechselstörung als alleinige Ursache für ein Koma ausgeschlossen. In diesen Fällen muss nach einer anderen Komaursache gesucht werden (s. S. 439), z. B. intrazerebrale Blutung, Intoxikationen, Urämie, Leberversagen, hypoglykämisches Koma (s. S. 508). Akutes Abdomen. Die Ketoazidose kann ein akutes Abdomen vortäuschen („Pseudoperitonitis diabetica“). Eine Abgrenzung gegenüber Cholezystitis, Appendizitis, Mesenterialinfarkt, Pankreatitis ist klinisch oft nicht möglich.
Notfallanamnese
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Typische Vorboten der Ketoazidose und des hyperosmolaren Komas: Polyurie, Polydipsie, Anorexie, Nausea und Erbrechen (besonders bei der Ketoazidose), Müdigkeit, Schwäche, Gewichtsabnahme (oft > 10 % des Körpergewichts innerhalb von 2 – 3 Wochen). Die Anamnese bei DKA ist meist viel kürzer (Stunden bis Tage) als bei HHE (Wochen). Bei Insulin spritzenden Patienten: Wann war die letzte Insulininjektion? Wurde die Insulindosis reduziert und aus welchem Grund? Bestehen Hinweise für eine Essstörung? Beim medikamentös behandelten Typ-2-Diabetes: Weglassen der oralen Antidiabetika? Frage nach auslösenden Ursachen: Infektionen (Pneumonie, Sinusitis, Grippe, Harnwegsinfektionen), Einnahme von Arzneimitteln, die eine Verschlechterung der diabetischen Stoffwechsellage verursachen können (Glukokortikoide, Diuretika, Östrogene, Phenytoin), Pankreatitis: ist nicht selten Ursache des nichtketotischen hyperosmolaren Komas.
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Diabetes mellitus
Notfalluntersuchung Klinik Bewusstseinszustand (GCS, S. 439), Exsikkose (Halsvenen in horizontaler Lage nicht gefüllt), Hypotonie; Fötor (Azetongeruch), Atmung bei Ketoazidose vertieft und beschleunigt.
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Diagnostik Labor (Tab. 17.1). Die hyperglykämischen Entgleisungen werden aufgrund der Laborwerte in milde, mäßig schwere und schwere Ketoazidosen (DKA) und in hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisungen (HHE) eingeteilt. • Plasmaglukosebestimmung (in Notfallsituation Teststreifen-Blutglukose aus Kapillarblut); bei der DKA kann die Plasmaglukose auch nur mäßig erhöht sein (normoglykämische Ketoazidose). • Urin- und Plasmaketontest: Eine stark positive Urinketonprobe weist lediglich auf eine Ketose hin – zum Beweis der Diagnose einer Ketoazidose ist der direkte Nachweis von Ketonkörpern im Plasma (b-Hydroxybutyrat) erforderlich. Die Bestimmung von Azetoazetat ist wegen Instabilität dieses Moleküls nicht praktikabel. • Falls die quantitative Ketonkörperbestimmung (b-Hydroxybutyrat) im Plasma nicht verfügbar ist, kann im Plasma ein semiquantitativer Plasmaketontest durchgeführt werden: – Eintauchen eines Keto-Diabur-Streifens in ein Röhrchen mit Plasma; Reaktion nach 2 – 3 min ablesen. Eine mäßig starke bis violette Verfärbung zeigt eine erhebliche Blutketose an.
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• • •
– Mithilfe einer Verdünnungsreihe kann der Test semiquantitativ durchgeführt werden. Bei einer Ketoazidose fällt die Ketonprobe auch in einer 1 : 4-Verdünnung von Plasma mit Wasser noch stark positiv aus. Serum: Osmolalität, Natrium, Kalium, Chlorid (bei diabetischer Ketoazidose kann auch eine hyperchlorämische Komponente vorliegen, insbesondere im Verlauf nach Behandlungsbeginn durch die Zufuhr von NaCl-Infusionen). Phosphat, Harnstoff, Kreatinin (Letzteres ist bei Ketoazidose artefiziell erhöht, wenn bei der Kreatininanalyse die sog. Jaffé-Reaktion angewendet wird), Laktat (DD Laktatazidose, s. S. 505), Hämoglobin, Leukozyten, weißes Blutbild, CRP. Schwierigkeiten bei der Interpretation von Laborwerten bei DKA: Transaminasen, Kreatinkinase sowie Amylase (Speichel-Amylase) sind u. a. im Blut massiv erhöht, ohne dass ein Myokardinfarkt oder eine Pankreatitis vorliegt. Eine Leukozytose kann als Stressleukozytose vorkommen; sie verschwindet nach der Rehydrierung und nach Beseitigung der Azidose rasch. Im Gegensatz dazu bleibt die infektbedingte Leukozytose bestehen. Blutkulturen bei Infektverdacht. Blutgase: arterielle oder venöse Blutgasanalyse. Urin: Sediment, Urinbakteriologie.
Röntgen. Thoraxaufnahme.
17 Tabelle 17.1 Laborwerte und Bewusstseinstrbung bei verschiedenen Schweregraden von DKA und bei HHE. DKA mild
DKA mittelschwer
DKA schwer
HHE
Plasmaglukose (mmol/l)
> 14
> 14
> 14
> 33
Arterieller pH
7,25 – 7,30
7,0 – 7,24
< 7,0
> 7,3
Bikarbonat (mmol/l)
15 – 18
10 – 15
< 10
> 15
Urin-Ketonkçrper-Streifentest
+++
+++
+++
+
Effektive Osmolalitt* (mOsm/kg)
variabel
variabel
variabel
> 320
Anionenlcke**
> 10
> 12
> 12
variabel
Bewusstsein
wach
benommen
Stupor/Koma
Stupor/Koma
* Effektive Osmolalitt (mOsm/kg) = 2 [Na (mmol/l)] + Glukose (mmol/l); Norm 280 – 290 mOsm/kg + **Anionenlcke = Na – (Cl– + HCO3–); Norm < 12 mmol/l DKA: diabetische Ketoazidose, HHE: hyperglykmische hyperosmolare Entgleisung
Hyperglykmische Entgleisungen
503
(1)2-stdl. Kontrollen: Glukose, Elektrolyte (K+-Defizit beachten), Kreatinin, Osmolalität, pH, Therapie auf Intensivstation (EKG-Monitoring) während initialer Evaluation: 1000 ml NaCl 0,9% i.v. in erster Stunde (Cave! Herzinsuffizienz) Volumenmanagement
Insulin
Kaliumsubstitution
Hydratationsstatus bestimmen hypovolämer Schock
leichte Hypotonie
kardiogener Schock
Bolus: 0,15 IE/kg KG Actrapid i.v.
Flüssigkeitszufuhr unter hämodynamischem Monitoring
Perfusor: 0,1 IE/kg KG/h Actrapid
>290 mOsm/kg
£290 mOsm/kg
0,45% NaCl (414 ml/kg KG/h) je nach Hydratationsstatus maximal 10% des KG/erste 12h
0,9% NaCl (414 ml/kg KG/h) je nach Hydratationsstatus maximal 10% des KG/erste 12h
Normalinsulindosis stündlich verdoppeln, falls Plasmaglukose nicht um 34 mmol/l pro Stunde sinkt (Ziel: gleichmäßige Abnahme 34 mmol/h)
0,9% NaCl 1 l/h
Substitution via Perfusor: Serum-K+ Menge K+ Menge K+ (mmol/l) mmol/h mmol/h bei pH < 7,1 bei pH > 7,1
<3* 3,03,9 4,04,9 5,05,5 > 5,5
30 20 15 10 0
20 15 10 5 0
Cave! Anpassung bei Niereninsuffizienz
wenn Serumglukose <14 mmol/l Glukose 5% (1 l über 5 h) und Normalinsulin 0,050,1 IE/kg KG/h (Ziel: Glukose 812 mmol/l bis metabolische Kontrolle erreicht) *Insulinpause bis K+ > 3,3 mmol/l
Azidosekorrektur, wenn pH<6,9: Start Natriumbikarbonat (1 3½ des HCO3 -Defizits über 2h) [HCO3 -Defizit in mmol/l = 0,5 x (KG in kg) x (Ziel-HCO3 ) -gemessenes HCO3 ] PO4--Substitution, wenn < 0,3 mmol/l oder Symptome: 15 Amp. à 15 ml PO4 -Puffer in 850 ml 0,9% NaCl über 4h (entspr. 65 mmol PO4 )
Abb. 17.1 Therapie der HHE und der mittelschweren und der schweren DKA. ICU: Intensivstation
Therapie Notfallmanagement bei DKA und HHE des Erwachsenen Die mittelschwere und die schwere DKA und die HHE bedürfen einer intensivmedizinischen Überwachung (Insulinperfusor) (Abb. 17.1). Die milden Ketoazidosen können auf Normalstationen behandelt werden (s. c. Insulintherapie) (Abb. 17.2).
Erste Maßnahmen • Flüssigkeitsersatz mit 1 l NaCI 0,9% während der ersten Stunde (EG-A).
•
Insulintherapie: – Es besteht eine massive Insulinresistenz; diese nimmt nur langsam – nach Stunden und Tagen – ab. Aus diesem Grund ist die Insulinperfusortherapie (bessere Steuerbarkeit, raschere Rekompensation) grundsätzlich die Therapie der Wahl. – initial: 0,15 IE/kg KG lösliches Insulin (z. B. Actrapid) als Bolus i. v. (bei Kindern kein initialer Bolus) (EG-A), – danach: Insulininfusion (Perfusor): 0,1 IE/kg KG/h i. v. (EG-A). – Bei milden Ketoazidosen: 0,1 IE/kg KG Insulin lispro oder Normalinsulin alle 1 – 2 h s. c. (EG-A). Mit dieser Therapie können bei leich-
504
Diabetes mellitus
Kontrollen: Glukose (1- bis 2-stdl.), Elektrolyte (K+-Defizit beachten), PO4, Kreatinin, venöser pH-Wert (2- bis 6-stdl.) während initialer Evaluation: 5001000 ml NaCl 0,9% i.v. in erster Stunde Volumenmanagement nach Hydratationsstatus Serum-Osmolalität = 2 x [Na (mmol/l)] + Glukose (mmol/l) > 290 mOsm/kg
£290 mOsm/kg
0,45 % NaCl
0,9 % NaCl
Insulin
Kaliumsubstitution
initial: 0,3 IE/kg KG Insulin lispro
2030 mmol KCl pro Liter NaCl-Lösung Beginn bei K+<4,5 mmol/l* Ziel: Serum K+ 45 mmol/l Cave! Anpassung bei Niereninsuffizienz
0,1 IE/kg KG/h Insulin lispro s.c. 1- bis 2-stdl.
meist 3(6) l in ersten 24 h; z. B. 500 ml/h in ersten 4 h, dann 250 ml/h und Reduktion nach Hydratationsstatus (regelmäßig kontrollieren)
Kriterien für Resolution der DKA: Glukose < 11 mmol/l HCO3 > 18 mmol/l venöser pH > 7,3
Umstellung auf individuelles Insulinschema mit Nachspritzschema reduzierte Volumengabe mit reduzierter KCI-Substitution
*Insulinpause bis K+ > 3,3 mmol/l
Abb. 17.2 Therapie der milden DKA.
17
ten Fällen Kosten gespart werden. Cave! Kein s. c. Insulin geben bei schwerer Entgleisung mit Dehydratation und/oder Hypotonie, da Insulinresorption dann unsicher (EG-B). – Falls Plasmaglukose innerhalb 2 h nicht um 3 – 4 mmol/l abfällt: Insulindosis im Perfusor verdoppeln (EG-A).
Weitere Maßnahmen Flüssigkeitssubstitution (Abb. 17.1 u. Abb. 17.2). Die Zusammensetzung ist abhängig von der Osmolalität. Die effektive Osmolalität kann errechnet werden (Tab. 17.1). • Bei Kindern: 4 – 14 ml/kg KG/h je nach Hydratationszustand (EG-A). • Falls der Blutzucker unter 14 mmol/l abfällt oder spätestens nach der 8. Stunde: 1 l/5 h. • Die zugeführte Flüssigkeitsmenge soll in den ersten 12 h maximal 10% des KG betragen.
•
Bei Herzinsuffizienz sind geringere Mengen indiziert. Bei kardialer Vorbelastung und bei Hypotonie ist ein hämodynamisches Monitoring angezeigt. Die Flüssigkeitszufuhr soll dann nach dem zentralvenösen Druck gesteuert werden. • Glukoseinfusionen bei Absinken der Plasmaglukose auf < 14 mmol/l: zur Vermeidung von Hypoglykämien dann 1 l Glukose 5% über 5 h. • Bei HHE und bei Kindern wird empfohlen, die Plasmaglukose auf einen Wert von 8 – 15 mmol/l (nicht tiefer) einzustellen, bis sich das Bewusstsein erholt hat (EG-C). Kaliumsubstitution (Abb. 17.1 u. Abb. 17.2). Durch die Insulinwirkung und durch Beseitigung der Azidose kommt es regelmäßig zu einem markanten Abfall des Serumkaliums. Die frühzeitige genügende Kaliumsubstitution ist deshalb wichtig. Eine intensive Kaliumsubstitution ist nur bei erhaltener Nierenfunktion (Diurese) erlaubt. Eine Rhythmusüberwachung mittels EKG-Monitor ist angezeigt.
Laktatazidose Tab. 17.2 zeigt die Gesamtkörperdefizite an Wasser und Elektrolyten bei DKA und HHE. Die Defizite können beträchtlich sein, und es bedarf oft mehrerer Tage, bis das Flüssigkeits- und Elektrolytgleichgewicht wiederhergestellt ist. Azidosekorrektur. Bikarbonatzufuhr nur bei schwerer Azidose: • Die Metabolisierung von Ketonkörpern produziert Alkaliäquivalente, deshalb ist bei DKA – außer bei schwerer Azidose – eine Bikarbonatzufuhr nicht nötig. • Allerdings kann eine schwere Azidose (pH < 6,9) eine Hypotonie verstärken (vermindertes Ansprechen auf endogene Katecholamine). Die vermehrte Atemarbeit (Kussmaul-Atmung) kann für den Patienten belastend sein. Es wird daher empfohlen, Bikarbonat zu infundieren, falls der Blut-pH unter 6,9 liegt (EG-C). Bikarbonatdefizit (in mmol) = 0,5 × (KG in kg) × (Zielbikarbonat – gemessenes Bikarbonat [mmol/l]). Der Faktor 0,5 entspricht der Bikarbonatverteilung im Körper bei einer Azidose.
Phosphatsubstitution. Gelegentlich sinkt das Phosphat unter Insulintherapie auf Werte < 0,3 mmol/l. In diesem Fall und bei klinischem Verdacht auf Symptome einer Hypophosphatämie (Muskelschwäche, Parästhesien, qualitative Bewusstseinsstörungen auch nach Korrektur der Hyperosmolalität bzw. Ketoazidose) ist eine Phosphatsubstitution angezeigt (EG-A) (Abb. 17.1).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • •
505
Tabelle 17.2 Typische Gesamtkçrperdefizite von Wasser und Elektrolyten bei DKA und HHE. DKA Wasser total (l)
6
Wasser (ml/kg KG)
100
HHE 9 100 – 200
Na+ (mmol/kg)
7 – 10
5 – 13
Cl– (mmol/kg)
3–5
5 – 15
K+ (mmol/kg)
3–5
4–6
PO4– (mmol/kg)
5–7
3–7
Mg2+ (mmol/kg)
1–2
1–2
Ca2+ (mmol/kg)
1–2
1–2
ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen. Es empfiehlt sich eine Prophylaxe mit fraktioniertem Heparin (z. B. Enoxaparin 40 mg s. c. 1×/d) (EG-D), bei Koma und/oder bei Risikofaktoren für Thromboembolien evtl. eine i. v. Vollheparinisierung (EG-D). • Begleitinfektionen: Bei etwa der Hälfte der Patienten mit DKA oder HHE liegt eine Begleitinfektion vor, weshalb bei Zeichen einer Infektion ein Antibiotikum indiziert ist (EG-D). • Dekubitusneigung: vor allem an den Fersen, erfordert entsprechende prophylaktische pflegerische Maßnahmen (EG-D). Gefahren der Behandlung. Ursachen und Prophylaxe von Komplikationen im Verlauf der Behandlung zeigt Tab. 17.3.
17.2 Laktatazidose U. Keller
Kontinuierliche Herzrhythmusüberwachung am Monitor (Rhythmusstörungen infolge Hypokaliämie), Diurese (2-stündlich), zentralvenöser Druck (Volämie?), Labor: Plasmaglukose 2-stündlich, Kalium 1- bis 2-stündlich, Natrium 2-stündlich, venöser pHWert 4- bis 6-stündlich.
Besondere Merkpunkte Häufige Begleitkrankheiten. Bei Patienten mit DKA und HHE sind dies: • Thromboembolische Komplikationen: Hyperglykämische hyperosmolare Entgleisungen bedeuten
Definition und Einteilung Metabolische Azidose mit pH < 7,25 und Plasmalaktat > 5 mmol/l. Patienten mit Laktatazidose haben eine hohe Mortalität und sind gefährdet für ein Multiorganversagen. Die Sterblichkeit von Intensivpatienten mit einem Plasmalaktat > 5 mmol/l liegt bei 75 % nach 6 Monaten.
506
Diabetes mellitus
Tabelle 17.3 Ursache und Prophylaxe von Therapiekomplikationen bei DKA und bei HHE. Komplikation
Ursache
Prophylaxe
Hypoglykmie
laufende Insulininfusion ohne Glukosezufuhr
glukosehaltige Infusionen bei einem Abfall der Plasmaglukose < 15 mmol/l
Hypokalimie
ungengende Kaliumsubstitution, v. a. bei hoher Insulindosierung und bei Azidosetherapie
frhzeitige Kaliumsubstitution, unnçtige Bikarbonattherapie vermeiden
Hypovolmie
ungengende Flssigkeitssubstitution, ungengender onkotischer Druck
rasche Rehydrierung mit NaCI 0,9%, ZVD-Monitoring, evtl. Kolloide
Kardiogener Schock
meist bei vorbestehender Herzkrankheit
unbekannt, jedenfalls Hypokalimie vermeiden
Fluid Lung
interstitielle Flssigkeitszunahme meistens mit Ketoazidose assoziiert, erhçhte Kapillarpermeabilitt, rascher Abfall des onkotischen Drucks, Lungençdem eher bei HHE
Vermeidung von berhydrierung
Hirnçdem
entsteht v. a. bei zu aggressiver Flssigkeitszufuhr und zu rascher Osmolalittssenkung; Auftreten v. a. bei Kindern mit DKA, gehuft bei vorher nicht bekanntem Diabetes; bei Zunahme der Bewusstseinstrbung unter Therapie soll ein CT des Gehirns durchgefhrt werden
zu rasche Plasmaglukose- und Osmolalittssenkung vermeiden
Pathophysiologie
17
Bei einer Laktatazidose wird übermäßig viel Pyruvat in Laktat konvertiert. Diese Umwandlung wird beschleunigt bei Hypoperfusion/Hypoxie. Eine Azidose entsteht, wenn die Laktatverwertung (vor allem in der Leber, weniger auch in Nieren und in der Muskulatur) bei gesteigerter Laktatproduktion dekompensiert. Bei intakter Leberfunktion kommt es wegen der großen hepatischen Kapazität zur Laktatverwertung kaum zu einer Laktatazidose. Es werden folgende zwei Hauptgruppen von Laktatazidosen unterschieden: Gruppe A. Durch Hypoxämie/Hypoperfusion verursachte Laktatazidose (z. B. bei Schock, nach GrandMal-Anfall). Gruppe B. Übermäßige Laktatproduktion und/oder verminderte Laktatverwertung ohne Hypoxämie/ Hypoperfusion. In der Gruppe B werden 3 Typen unterschieden: • Typ-B1-Laktatazidosen sind bedingt durch zugrunde liegende Erkrankungen (z. B. Leberversagen, Diabetes mellitus, Tumoren). Eine D-Laktatazidose kann bei Kurzdarmsyndrom durch Laktatproduktion durch Milchsäurebakterien entstehen.
•
Typ-B2-Laktatazidosen sind bedingt durch Arzneimittel und Toxine: – Biguanide (s. unten). – Antiretrovirale Therapien (insbesondere Dideoxynukleoside/NRTI, z. B. Zidovudin, Delavirdin, Didanosin, Lamivudin, Stavudin, Zalcitabin). Risikofaktoren: weibliches Geschlecht, Grad der Immunosuppression, evtl. Ethnizität. – Linezolid (Antibiotikum gegen Vancomycin-resistente Enterokokken). – CO blockiert die O2-Abgabe des Hämoglobins. – Hoch dosierte parenterale Verabreichung von Sorbit, Xylit oder Fruktose: Diese sog. Ersatzzucker wirken reduzierend und fördern die Laktatproduktion in der Leber. Bei gestörter Laktatverwertung in der Leber (z. B. Schock) kann es nach Verabreichung dieser Substanzen zu einer gefährlichen Hyperlaktatämie kommen. – Alkoholintoxikation: Alkohol hemmt die Laktatverwertung in der Leber u. a. durch Hemmung der Glukoneogenese und durch Bildung von Reduktionsäquivalenten. Zusätzlich kann ein Vitamin-B1-Mangel eine Laktatazidose fördern. – Intoxikation mit Paracetamol, Propylenglykol, b-adrenergen Substanzen (Adrenalin, Terbuta-
Laktatazidose lin), Kokain, Zyanid, aliphatischen Nitrilen, Nitroprussid, Diäthyläther, 5-Fluorouracil, Eisen, Isoniazid, Propofol, Strychnin, Sulfasalazin und Valproat können die Laktatproduktion steigern. – Methanol oder Äthylenglykol: Toxische Metabolite von Methanol und Äthylenglykol führen zu mitochondrialen Schädigungen mit Beeinträchtigung der Gewebsatmung. – Salizylatintoxikation: Eine Salizylatintoxikation bewirkt eine Störung der Zellatmung durch Hemmung der oxidativen Phosphorylierung. • Typ-B3-Laktatazidosen werden durch kongenitale Enzymdefekte verursacht, die entscheidende Schritte in der Glukoneogenese oder in der Laktatverwertung beeinträchtigen. Biguanidinduzierte Laktatazidose • Biguanide (Metformin) hemmen die Glukoneogenese und blockieren den Elektronentransport in der Atmungskette und dadurch die Endoxidation. Eine Biguanidintoxikation tritt in der Regel nur bei Überdosierung oder bei Nierenfunktionsstörung, oft kombiniert mit schweren Allgemeinerkrankungen, auf. • Die Häufigkeit der biguanidinduzierten Laktatazidose wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Kontrollierte Studien beobachteten eine niedrige Inzidenz, wahrscheinlich weil Patienten mit erhöhtem Risiko in den Studien ausgeschlossen worden waren. Man geht von einer Inzidenz von ca. 3 Fällen pro 100 000 Patientenjahre aus. Risikofaktoren sind neben Niereninsuffizienz hohes Alter, Myokardinfarkt, Infekte, Hypoxämie sowie Leberfunktionsstörung. Wegen der häufigen Verschreibung von Metformin (am meisten verwendetes orales Antidiabetikum) ist es allerdings möglich, dass eine beträchtliche Dunkelziffer vorliegt, da die Laktatazidose insbesondere bei älteren, polymorbiden Patienten verkannt wird. • Die Mortalität ist hoch (ca. 50 %). Bei der Feststellung einer metformininduzierten Laktatazidose sollte unverzüglich eine Hämofiltration, ggf. in Kombination mit Hämodialyse, durchgeführt werden – diese kann lebensrettend sein.
Typische Krankheitszeichen Die Laktatazidose ist in der Regel ein schweres Krankheitsbild, oft mit Zeichen der Hypoperfusion (Schock) und beschleunigter Atmung (Kussmaul-Atmung).
507
Differenzialdiagnose Von metabolischen Azidosen mit erhöhter Anionenlücke: • Ketoazidose (Bestimmung der Plasmaketonkörper), • Salizylatintoxikation (Exzess-Anionen: Salizylsäure, Laktat) (s. S. 470), • Methanolintoxikation (Exzess-Anionen: Ameisensäure, Laktat) (s. S. 487), • Äthylenglykolintoxikation (Frostschutzmittel, Oxalessigsäure, Laktat) Exzess-Anionen: (s. S. 487), • Paraldehydintoxikation (Exzess-Anionen: Laktat und andere) (s. S. 477), • urämische Azidose (Exzess-Anionen: Phosphate, Sulfate).
Notfallanamnese Anamnese entsprechend Pathophysiologie und Differenzialdiagnose.
Notfalluntersuchung Klinik Variiert je nach zugrunde liegender Ursache der Laktatazidose. Typisch sind Zyanose, kalte Extremitäten, Tachykardie, Hypotonie, Zeichen der Dehydratation, Fieber, Hyperventilation, Lethargie. Bei der Biguanidintoxikation finden sich häufig Angaben über Durchfälle, Abdominalbeschwerden und Erbrechen in den vergangenen 24 – 48 h.
Diagnostik Bestimmung des pH-Werts und des Laktats im Blut, Bestimmung der Anionenlücke (Tab. 17.1).
Therapie
• • •
Sauerstofftherapie, Behebung einer Herzinsuffizienz bei schockbedingter Laktatazidose (EG-C). Elimination von Biguaniden durch forcierte Diurese und durch Hämodialyse (EG-C). Bei Methanol- und Äthylenglykolvergiftungen soll ebenfalls eine Hämodialyse in Betracht gezogen werden (s. S. 487) (EG-C).
508
• • •
• •
Diabetes mellitus
Vitamin B1 bei der durch Alkohol und VitaminB1-Mangel verursachten Laktatazidose (Thiamin 50 – 100 mg langsam i. v., gefolgt von 50 mg/d oral während 1 – 2 Wochen) (EG-C). Die Verabreichung von Bikarbonat soll außer bei schwerer Azidose vermieden werden (EG-A). Natriumbikarbonat verursacht die Bildung von CO2, was zur intrazellulären Azidose führt. Der Laktatspiegel wird durch Bikarbonatgabe paradoxerweise gesteigert. Prospektive Studien mit Bikarbonat haben keine Verbesserung der Prognose gezeigt. Allerdings werden bei schwerer Azidose (pH < 7,20) das Herzminutenvolumen und die Laktatverwertung vermindert. Schwere Azidosen sowie toxische Ursachen einer Laktatazidose wie Methanol-, Äthylenglykol- und Zyanidvergiftung können eine Bikarbonattherapie rechtfertigen (EG-C). Bei der Bikarbonattherapie sind folgende unerwünschte Wirkungen zu beachten: Hypokaliämie, Volumenüberlastung (Natriumzufuhr), sekundäre Alkalose, Verstärkung der Hirnazidose. Die Startdosis des Bikarbonats soll 1⁄3 bis ½ des berechneten Bikarbonatdefizits sein (innerhalb 2 h infundieren). Der pH-Wert soll bis auf einen Wert von 7,25 gesteigert werden.
Bikarbonatdefizit (in mmol) = 0,5 × (KG in kg) × (Zielbikarbonat – gemessenes Bikarbonat [mmol/l]).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
17
Regelmäßige Kontrollen des Serumbikarbonats und des Blut-pH-Werts, der Kreislaufparameter einschließlich EKG, da eine Azidose Arrhythmien auslösen kann; zudem Kontrolle der Elektrolyte, der Nieren- und Leberfunktion.
17.3 Hypoglykämien M. Stahl
Definition und Einteilung Biochemische Definition. Hypoglykämien werden beim Erwachsenen definiert als Plasmaglukosewerte unter 2,8 mmol/l (bei Kindern etwas tiefere Werte). Allerdings sind die Definitionen uneinheitlich, denn erste hormonelle gegenregulatorische Mechanismen (Verminderung der endogenen Insulinsekretion, Glukagon- und Adrenalinanstieg) sind bereits bei Plasmaglukosewerten um 4,0 mmol/l nachweisbar. Klinische Definition. Da Hypoglykämiesymptome jedoch selbst bei tiefen Blutzuckerwerten fehlen können, gibt es auch eine rein klinische Definition. Von einer Hypoglykämie spricht man dann, wenn typische Hypoglykämiesymptome vorliegen. Diese können bei Diabetikern, wenn sie chronisch hyperglykämisch sind und die Plasmaglukose rasch abfällt, bereits bei höheren, sehr variablen Plasmaglukosewerten auftreten. Einteilung (Tab. 17.4) • Nüchternhypoglykämien: treten definitionsgemäß mehr als 6 h nach der letzten Mahlzeit auf; zu ihnen gehören die meisten Hypoglykämien. • Reaktive postprandiale Hypoglykämien. • Hypoglycaemia factitia. Schweregrade • Leichte Hypoglykämien sind Hypoglykämien, die der Patient selbst durch Einnahme von rasch wirksamen Kohlenhydraten wie z. B. Traubenzucker oder Orangensaft beheben kann. • Schwere Hypoglykämien sind vom Patienten selbst nicht mehr behebbar und bedürfen der Hilfe von Fremdpersonen (qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen).
Pathophysiologie Glukosehomöostase. Hypoglykämien sind Folge eines Ungleichgewichts zwischen dem Glukoseverbrauch in peripheren Geweben (u. a. Muskulatur, Fettgewebe, Gehirn) und der hepatischen Glukoseproduktion (Glykogenolyse und Glukoneogenese). Die Glukosehomöostase bewirkt eine Regulation der Plasmaglukosekonzentration in einem sehr engen Bereich; sie wird durch ein feines Wechselspiel von glukosesenkendem Insulin und glukosestei-
Hypoglykmien
Tabelle 17.4 Einteilung, tiologie und Differenzialdiagnose der Hypoglykmien. Nüchternhypoglykämien
509
gernden Hormonen (Glukagon, Adrenalin, Wachstumshormon und Kortisol) aufrechterhalten. Diese wirken zum Teil synergistisch, Glukagon ist dabei das primäre Hormon für die Glukosehomöostase.
Verminderte Glukoseproduktion Endokrinopathien
Enzymdefekte Substratmangel
• Hypopituitarismus • Nebennierenrindeninsuffizienz • Katecholaminmangel • Glukagonmangel • z. B. Glucose-6-Phosphatase • schwere Malnutrition
Typische Krankheitszeichen
• Sptschwangerschaft • massive Stauungsleber • Leberzirrhose • schwere Hepatitis • Niereninsuffizienz • Sepsis • Hypothermie • Alkohol (!) • Salizylate • Propranolol • ACE-Hemmer • Trimethoprim • trizyklische Antidepressiva • Lithium
•
•
(Kachexie)
Lebererkrankungen und andere internistische Erkrankungen
Arzneimittel
Vermehrter Glukoseverbrauch Hyperinsulinismus
• exogene Insulinzufuhr • Sulfonylharnstoffe, Glinide • Autoimmunerkrankungen • • •
mit Insulin- oder Insulinrezeptorantikçrpern Insulinome Arzneimittel: Chinolone, Chinin, Antiarrhythmika, Pentamidin toxischer Schock
Große extrapankreatische Tumoren Postprandiale Hypoglykämien
• Alimentrer Hyperinsulinismus, v. a. postoperativ • •
nach Gastrektomie, Gastrojejunostomie, Pyloroplastik Hereditre Fruktoseintoleranz, Galaktosmie Idiopathisch
Hypoglycaemia factitia
• „heimliche“ exogene Insulin- oder Sulfonylharnstoff- bzw. Glinidzufuhr
•
Frühsymptome: Typischerweise kommt es initial zu Symptomen, die eine Folge der erhöhten gegenregulatorischen Katecholaminausschüttung sind: Zittern, Heißhunger, kalter Schweiß, blasse Haut, Herzklopfen, Unruhe und Schwäche. Spätsymptome: Diese sind Folgen des zerebralen Glukosemangels (neuroglykopenische Symptome): abnorme Müdigkeit, Apathie, Reizbarkeit, Agitiertheit, Wutausbrüche, Diplopie, gestörte Feinmotorik, Bewusstseinsstörungen bis zu Koma und Tod. Häufig besteht eine Willenshemmung, die es den betroffenen Patienten unmöglich macht, Gegenmaßnahmen rechtzeitig durchzuführen. Nach schweren Hypoglykämien besteht oft eine retrograde Amnesie.
Differenzialdiagnose
• • • •
Intoxikationen: v. a. Intoxikationen mit Alkohol und Drogen können Hypoglykämien vortäuschen. Zerebrovaskuläre Ereignisse: v. a. bei älteren Patienten können Hypoglykämien alle Formen des apoplektischen Insults nachahmen. Endokrinopathien: Eine Nebennierenrindeninsuffizienz oder eine Hypothyreose kann sich hinter einer Hypoglykämie verbergen. Anorexia nervosa und langes Fasten.
Notfallanamnese Suche nach auslösenden Faktoren (Tab. 17.4): • Insulin: Hypoglykämien werden am häufigsten bei Diabetikern gesehen, die mit Insulin behandelt werden, z. B. bei vermehrten körperlichen Aktivitäten. • Sulfonylharnstoffe und Glinide: bei Auslassen von Mahlzeiten oder bei außergewöhnlichen körperlichen Aktivitäten. • Medikamentöse Interferenzen (Tab. 17.4): wichtig v. a. bei Sulfonylharnstoffen.
510
• • • •
Diabetes mellitus
Alkoholexzess. Infektionen: v. a. gastrointestinal. Niereninsuffizienz. Überdosierung von Salizylaten: unabhängig von Insulin- und Sulfonylharnstoffbehandlungen.
•
Notfalluntersuchung Klinik
•
•
Unspezifisch: möglicherweise Hypothermie, Tachykardie (Bradykardie beim Neugeborenen), Hypertonie oder Hypotonie, Dyspnoe oder Tachypnoe, Nausea und Erbrechen, Dyspepsie. Haut: evtl. kaltschweißig am ganzen Körper oder verminderter Turgor. Neurologisch (alkoholrauschähnlicher Bewusstseinszustand): möglich sind fokal-neurologische oder generalisierte Anfälle, aber auch Verwirrtheit, Somnolenz und Koma.
Diagnostik
17
Labor • Plasmaglukose: Entscheidend ist der Nachweis eines tiefen Plasmaglukosewertes. Initial genügt ein Streifentest. Es müssen wiederholte Plasmaglukosebestimmungen durchgeführt werden, da Hypoglykämien rezidivieren können. • C-Peptid: Bei Verdacht auf eine Hypoglycaemia factitia bzw. bei Insulinomen muss, bevor i. v. Glukose gegeben wird, das C-Peptid gleichzeitig mit der Plasmaglukose bestimmt werden. Bei Sulfonylharnstoffeinnahme bzw. bei Insulinomen ist trotz tiefer Plasmaglukosewerte das C-Peptid messbar, bei exogener Insulinzufuhr hingegen ist es supprimiert. Zusätzlich kann die Bestimmung der Konzentration von Sulfonylharnstoffen von Nutzen sein. • Kreatinin (Niereninsuffizienz?), Leberwerte, TSH, Thyroxin (Hypothyreose?) und evtl. Plasmakortisol (NNR-Insuffizienz?).
Therapie Notfallmanagement
•
Glukose: sofort Glukose i. v., mindestens 10 – 20 g, d. h. 50 – 100 ml Glukose 20% (EG-D). Diese Therapie muss bereits dann begonnen werden, wenn ein tiefer Streifen-Blutzuckerwert vorliegt, und nicht erst nach Erhalt der Plasmaglukose!
•
Bei Kindern beträgt die Dosis 0,5 g Glukose pro kg Körpergewicht. Glukagon: Bei einer insulininduzierten Hypoglykämie kann anstelle von Glukose zur akuten Behebung der Hypoglykämie auch 0,5 – 1 mg Glukagon i. m., s. c. oder i. v. verabreicht werden (auch bei Kindern). Die Blutzuckeranstiege sind damit jedoch schlechter beeinflussbar; zudem ist Glukagon bei alkohol- und sulfonylharnstoffinduzierten Hypoglykämien nur wenig wirksam (Glukagon fördert die Glykogenolyse) (EG-D). Bei Hypoglykämien infolge einer Nebennierenrindeninsuffizienz müssen neben Glukose i. v. auch 1000 ml NaCl 0,9 % sowie initial 100 mg Hydrocortison i. v. zugeführt werden (EG-B).
Weitere Maßnahmen Bei Verdacht auf ein Insulinom sind weitere Abklärungen erforderlich (Insulinbestimmungen, 72Stunden-Fastentest, CT des Abdomens etc.).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Patienten mit einer schweren Hypoglykämie müssen überwacht werden, bis die Plasmaglukosewerte stabil sind. Bei jedem Patienten muss sorgfältig nach der Ursache der Hypoglykämie gesucht werden (insbesondere bei Diabetikern: Therapiefehler, Arzneimittelwechsel, Umstellung der Ernährung, andere Erkrankungen).
Besondere Merkpunkte Rezidive. Patienten mit sulfonylharnstoffinduzierten Hypoglykämien müssen während 1 – 2 Tagen engmaschig überwacht werden, da nach Behebung der initialen Hypoglykämie Rezidive auftreten können. Regelmäßige Nahrungszufuhr alle 2 – 3 h oder eine Dauerinfusion mit Glukose 5 % während der ersten 24 – 48 h verringern die Rezidivneigung.
511
18 Notfälle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Übersicht 18 18.1 18.2
18.3 18.4 18.5 18.6 18.7 18.8
Notfälle aufgrund physikalischer Einwirkungen Hitzschlag Kälteschäden – Lokale Erfrierungen – Akzidentelle Hypothermie Beinahe-Ertrinken Höhenkrankheiten Dekompressionsunfall Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenunfall) Elektrounfall Blitzschlag
18.1 Hitzschlag W. Ummenhofer
Schwere Formen. Der Hitzschlag hingegen ist ein bedrohliches Krankheitsbild und tritt bei nicht hitzeadaptierten Menschen v. a. bei anhaltender körperlicher Anstrengung (Sport, militärische Märsche, Unter-Tage- oder Hüttenarbeit, Feuerwehrleute im Schutzanzug), meist in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit, Windstille und ungenügender Flüssigkeitszufuhr auf. Vom Anstrengungshitzschlag wird noch der klassische Hitzschlag unterschieden, der unabhängig von körperlicher Aktivität, in gemäßigtem Klima aber sehr selten, auftritt (z. B. Säugling im heißen Auto). Jahreszeitliche Hitzewellen sind, wie epidemiologische Studien aus verschiedenen Ländern Europas gezeigt haben, mit einer Übersterblichkeit von 7 – 60% verbunden. Dabei sind Hitzeperioden im Frühling oder Frühsommer offensichtlich gefährlicher als Hitzewellen, die später im Sommer eintreten. Einzelne Hitzetage sind weniger bedrohlich als Serien mehrerer aufeinander folgender heißer Tage, bei denen exponierte Individuen keine physiologische Erholungspause haben.
Definition und Einteilung
Pathophysiologie
Der Übergang zwischen den verschiedenen Formen des Hitzeschadens ist fließend. Im Gegensatz zu der schweren Form, dem Hitzschlag, bleibt bei den leichteren Formen die Thermoregulation des Körpers intakt. Leichtere Formen. Es werden Hitzestress und Hitzeerschöpfung unterschieden (Tab. 18.1) sowie Hitzesynkope (orthostatische Hypotension bei Wärmebelastung), Insolation (lange Sonnenbestrahlung des ungeschützten Kopfes) und Hitzekrämpfe (schmerzhafte Muskelkrämpfe nach wärmebedingtem Salzverlust). Hitzeerschöpfung kann schnell in einen Hitzschlag übergehen.
Zentrale Steuerungseinheit der Körpertemperatur ist der Hypothalamus, dem die Aufgabe zufällt, unabhängig von aktuellen Umgebungsbedingungen die thermische Homöostase sicherzustellen. Thermoregulation. Hitzeschäden entstehen, wann immer die Balance der Thermoregulation gestört ist (bei Fieber ist die Temperaturregelung intakt); Ursache kann sowohl eine gesteigerte Wärmeproduktion als auch eine reduzierte Wärmeabgabe sein. Bei einer Kerntemperatur von > 40 8C werden Enzymsysteme beeinträchtigt, und die oxidative Phosphorylierung wird behindert. Die zellulären Energiespeicher leeren sich, Membranpermeabilität und Natriumfluss nach intrazellulär nehmen zu. Mit zu-
512
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Tabelle 18.1 Hitzestress und Hitzeerschçpfung. Symptome
Therapie
Hitzestress
• Kçrpertemperatur normal oder leicht › • Hitzeçdem: Schwellung Fße/Sprunggelenke • Hitzesynkope: Vasodilatation fi Hypotension • Hitzekrmpfe: Natriummangel
Ruhe Hochlagerung der Beine Khlen orale Rehydratation, Salzersatz
Hitzeerschçpfung
• systemische Reaktion auf prolongierte
s. o. Infusionen und Khlelemente erwgen
Hitzeexposition (Stunden bis Tage) • Kçrpertemperatur > 37 8C und < 40 8C • Kopfschmerzen, Schwindel, belkeit, Erbrechen, Tachykardie, Hypotension, Schwitzen, Muskelschmerzen, Schwche und Krmpfe • Hyponatrimie oder Hypernatrimie • schnelles Fortschreiten zu Hitzschlag mçglich
nehmendem Membranschaden versagen die Mechanismen der Thermoregulation; die Körpertemperatur steigt weiter an und bewirkt Denaturierung von Proteinen, Zellnekrosen und Multiorganversagen.
Typische Krankheitszeichen
• • • • • • •
18
Hyperthermie > 40 8C, trockene und überwärmte Haut, Schwitzen ist möglich, Unruhe, Verwirrtheits- und Erregungszustände, zunehmende Bewusstseinstrübung, Streckkrämpfe, Koma, Tachykardie, Hypotension, u. U. hyperdynamer Schock, Tachypnoe, Spätstadium Brady-/Apnoe, Hypoxämie, akutes Nierenversagen, Rhabdomyolyse, Leberversagen, disseminierte intravasale Gerinnung.
Differenzialdiagnose
• • •
Hitzesynkope: inadäquates Herzminutenvolumen (HMV) bei peripherer Vasodilatation, keine Hyperthermie, rasch reversibel. Insolation (Sonnenstich): meningeale Symptome dominieren; hochroter, heißer Kopf, aber meist keine Hyperthermie. Hitzekrämpfe: treten meist erst nach Beendigung der Aktivität auf; sehr schmerzhaft, aber ungefährlich. Auftreten in großen Muskelgruppen (Waden, Oberschenkel, Gesäß, Abdomen).
• • • • • • •
Hitzeerschöpfung: Prodromi des Hitzschlags, aber noch ohne extreme Hyperthermie und Schock. Sepsis, Meningitis, Enzephalitis, Hirnabszess, zerebrovaskulärer Insult. Malaria. Drogenintoxikation: Kokain, Phencyclidinhydrochlorid („angel dust“), Ecstasy, Amphetamin, LSD, trizyklische Antidepressiva. Psychose. Hyperthyreote Krise. Maligne Hyperthermie.
Notfallanamnese Wärmeexposition, v. a. bei länger dauernder körperlicher Anstrengung; unzureichende Flüssigkeitszufuhr, allgemeine körperliche Erschöpfung, Kopfschmerzen und Benommenheit. Bei bewusstseinsgetrübten Patienten Umgebungsinformationen einholen (Angehörige, Rettungsdienstpersonal).
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Allgemein: Kreislaufparameter (Tachykardie, Hypotension), Körperkerntemperatur: rektal, tympanisch, ösophageal; O2-Sättigung (SaO2 fl). Neurologischer Status: Glasgow Coma Scale (GCS), s. S. 439. Möglich sind leichte Einschränkungen (GCS 13 – 14) bis tiefes Koma (GCS 3).
Klteschden
Diagnostik Labor. Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CK, Transaminasen, Blutzucker, Serumosmolalität, Hb, Hk, Leukozyten. Gerinnungsstatus (Gerinnungsaktivierung), Urinstatus (Myoglobin). ABGA. Respiratorische Alkalose + metabolische Azidose möglich: metabolische Azidose dominiert; Anionenlücke. EKG. Rhythmusstörungen (elektrolytbedingt?).
Therapie Notfallmanagement
• • • • •
Sofortiger Beginn der Kühltherapie: Entkleiden, Lagerung an schattiger Stelle, Bedecken mit kühlen, feuchten Tüchern (EG-B). Prognose: Senken der Kerntemperatur < 38,9 8C innerhalb 30 min verbessert die Überlebenschancen (EG-B). Wache Patienten: kühle Getränke, peripher venöse Flüssigkeits- und Volumensubstitution (Ringer-Laktat, NaCl 0,9%) (EG-B). O2-Gabe (EG-B). Koma, respiratorische Insuffizienz: endotracheale Intubation, Beatmung (FiO2 > 0,5) (EG-B).
Weitere Maßnahmen
•
• • • • •
Fortsetzung der Oberflächenkühlung: – Ziel: Kerntemperatur < 39 8C. Besprühen mit Feuchtigkeit und „Föhnen“ (Konvektion + Evaporation) oder Kaltwasserimmersion bzw. geschützte Kühlbeutel inguinal/axillär (Konduktion). – Ideal: Temperaturreduktion um 1 8C pro 10 – 15 min (EG-B). Cave! Aktive Kühlung einstellen, wenn Kerntemperatur < 38 8C (Gefahr der Unterkühlung!). Intensivüberwachung. Kreislaufunterstützung mit Katecholaminen (s. Tab. 2.1, S. 18). Korrektur von Elektrolytentgleisung (Hypernatriämie?, S. 199) und Säure-Basen-Haushalt. Bei Oligurie: Flüssigkeitssubstitution. Bei Myoglobinurie: forcierte Diurese.
513
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • • •
Kreislauf: EKG-Dauerüberwachung, Blutdruck nichtinvasiv oder arteriell gemessen, ggf. ZVDMessung. Atmung: Pulsoxymetrie, ABGA. Temperaturkontrolle: Körperkerntemperatur. Diurese: früh Blasenkatheter legen.
Besondere Merkpunkte
• •
Oberstes Prinzip: Kühlen (Absenken der Kerntemperatur in sicheren Bereich) und Reanimation. „Golden hour“ des Hitzschlags: Prognose korreliert mit Dauer der Hyperpyrexie.
18.2 Kälteschäden W. Ummenhofer
Lokale Erfrierungen Definition und Einteilung Vorkommen v. a. bei Bergsteigern, Skiläufern, insbesondere nach Unfällen mit konsekutiver Immobilisation: • Leichte Erfrierung: meist untere Extremitäten, Hände, Ohren oder Nase betroffen; Haut weiß und unempfindlich, nach Wärmezufuhr ist eine Normalisierung der Durchblutung innerhalb von Minuten möglich, einhergehend mit Parästhesien, Rötung und Schmerz. • Schwere, oberflächliche Erfrierung: weiße, gefrorene Haut mit wachsartigem Aspekt bei noch elastischem darunterliegendem Gewebe. Nach Wiedererwärmen Zyanose, Schwellung, Schmerzen, u. U. Blasenbildung. • Schwere, tiefe Erfrierung: bis zum Knochen durchgefrorenes Gewebe; der betroffene Körperteil ist von harter Konsistenz. Nach Auftauen Blasenbildung mit Ödem; die Haut bleibt kalt, Gangrän möglich, starke Schmerzen in der Übergangszone zum gesunden Gewebe.
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Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Pathophysiologie
Therapie
Determinierend für den Schweregrad der Läsion sind die absolute Kälte, Expositionszeit, Windeinwirkung, Luftfeuchtigkeit, Erschöpfungsgrad, Inaktivität und Hypoxie.
Notfallmanagement
Typische Krankheitszeichen
• • •
Hautfarbe (weiß), Haut-/Gewebetemperatur, Konsistenz (harte, „durchgefrorene“ Extremität), Schmerzfreiheit (typisch für jede unbehandelte Erfrierung).
Differenzialdiagnose
• •
•
• • •
•
•
Längere Kälteexposition, bei zusätzlicher Einwirkung von Wind und Feuchtigkeit Gefährdung bereits bei Temperaturen zwischen 0 und + 10 8C. Immobilisation (Lawinenunfall, Frakturen, Erschöpfung).
Vor stationärer Aufnahme können leichte Erfrierungen durch improvisierte Maßnahmen wie aktive Bewegung, Kameradenwärme oder externe Wärmezufuhr (Wärmflasche) aufgewärmt werden. Schwere Erfrierungen sollten erst unter klinischen Bedingungen aufgetaut werden. Cave! Wiedergefrieren des Gewebes unter erneuter Kälteexposition.
Weitere Maßnahmen
Notfallanamnese
•
18
Gefäßverschlüsse, Begleitverletzungen mit kritischer Perfusionseinschränkung der betroffenen Extremität (Frakturen, Hämatome, Kompartmentsyndrom).
•
Schnelles Erwärmen: z. B. durch warme Tücher oder im Wasserbad von 34 – 41 8C (mindestens 30 min oder bis komplett aufgetaut) (EG-D). Analgetika: z. B. Morphin 2 mg fraktioniert i. v. bis ca. 10 mg; starke Analgetika sind notwendig, da das Auftauen schwerer Erfrierungen extrem schmerzhaft ist. Wundversorgung: Desinfektion, steriler Verband, Tetanusprophylaxe. Rheologische Maßnahmen, z. B. isovolämische Hämodilution oder Sympathikusblockaden, wenn trotz Auftauen die Durchblutung marginal bleibt (fehlende Pulse); u. U. regionale Fibrinolyse (EG-D).
Notfalluntersuchung
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Klinik
Ein erfolgreiches Wiederauftauen einer schweren Erfrierung ist zu erkennen an der stufenweisen Rötung der Haut, evtl. verbunden mit wiederkehrender Sensibilität und Schmerzempfindung. Cave! Sekundärinfektion, Gangrän, Tetanus.
•
•
Allgemein: Lokalbefund (einschließlich Umfangmessung, Sensibilitätsprüfung), Palpation der Pulse an der betreffenden Extremität, Temperaturstufe (Übergangsbereich zwischen kältegeschädigter und normal perfundierter Region). Ausschluss einer generalisierten Hypothermie (rektale Temperatur).
Diagnostik Doppleruntersuchung. Pulse der betroffenen Extremität.
Besondere Merkpunkte Die Therapie der akzidentellen generalisierten Hypothermie hat absolute Priorität vor der Behandlung lokaler Gewebeschäden.
Klteschden
Akzidentelle Hypothermie
Typische Krankheitszeichen
•
Definition und Einteilung Absinken der Körpertemperatur unter 35 8C. Vorkommen bei Ertrinkungsfällen (S. 518), Lawinenund anderen Gebirgsunfällen, Liegenbleiben in der Kälte infolge Bewusstseinsstörung durch Intoxikation (Alkohol, Pharmaka) oder häufig bei älteren Patienten durch Immobilisation nach Apoplexie oder sturzbedingten Frakturen.
•
Pathophysiologie Unter Normalbedingungen Konstanz der Körperkerntemperatur durch Balance von Wärmeverlust und Wärmeproduktion. Physiologischer Wärmeverlust durch Konduktion (direkter Kontakt mit kalter Oberfläche, z. B. einer kalten Schaufeltrage), Konvektion (Luftzug, Wind, kalte Umgebungsbedingungen), Strahlung und Evaporation. Die Auskühlung ist insofern nicht nur eine Funktion der Umgebungstemperatur: Wind und Feuchtigkeit können den Temperaturverlust extrem beschleunigen (der Körper verliert weniger Wärme bei – 10 8C in Windstille als bei + 10 8C und einer Windgeschwindigkeit von 30 km/h).
515
•
Die Symptome (Tab. 18.2) sind sehr variabel und lassen im Einzelfall keine Rückschlüsse auf die Körpertemperatur zu. So wird allgemein von einem Sistieren des Kältezitterns bei einer Kerntemperatur unter 30 8C und Eintreten von Bewusstlosigkeit im Bereich zwischen 33 8C und 27 8C ausgegangen – für beide Symptome sind allerdings zahlreiche Ausnahmen beschrieben. Von einer Hypothermie sollte daher unter praktischen Gesichtspunkten immer ausgegangen werden, wenn ein Patient eine kalte, „marmorierte“ Haut und insbesondere eine kalte Axillarregion aufweist. Bei einer Kerntemperatur von < 30 8C muss mit einem unmittelbar bevorstehenden Herz-Kreislauf-Stillstand gerechnet werden.
Differenzialdiagnose Bei hypothermen Patienten muss nach Begleitverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma, Polytrauma) oder Begleiterkrankungen wie Intoxikation, primäres kardiovaskuläres Ereignis, zerebrovaskulärer Insult (s. S. 382), Hypothyreose (s. S. 496), Hyperglykämie (s. S. 500), hypoglykämischer Schock (s. S. 508) gesucht werden.
Tabelle 18.2 Zeichen der Hypothermie. Stadium
Kerntemperatur Pathophysiologie
Mild
35 – 32 8C
• O2-Verbrauch, Metabolismus › • Vasokonstriktion • Tachykardie, Hypertonie, HMV › • Tachypnoe
Klinik
• Patient wach, aber agitiert/ desorientiert
• Kltezittern • Dysarthrie • kalte, blasse Haut,
kalte Extremitten
Mßig
Schwer
32 – 30 8C
< 30 8C
• O2-Verbrauch, Metabolismus fl • zerebraler Blutfluss fl • Hypotonie, HMV fl • Bradypnoe
• Bewusstseinstrbung › (Delir) • Kltezittern fl • Muskel-/Gelenksteife › • Herzrhythmusstçrungen,
• Verlust der Thermoregulation • Bradypnoe • extreme Bradykardie, -arrhythmie,
• Koma (GCS 3) • Muskel-/Gelenksteife ›› • Areflexie • Pupillen weit und lichtstarr • Herzrhythmusstçrungen ››,
HMV flfl, kardiale Irritabilitt ›, Herzstillstand
Auftreten von J-Wellen („Osborn waves“, Abb. 18.1 und Abb. 18.2)
Kammerflimmern
516
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Abb. 18.1 Die Osborn-Welle – der hypotherme „Kamelhöcker“ (mit freundlicher Genehmigung aus: Hoffmann M, Hasse B, Widmer F. Hypothermer „Kamelhçcker“ – die Osborn-Welle. Schweiz Med Forum 2006; 6: 907).
Abb. 18.2 Temperaturabhängigkeit der Osborn-Wellen. Beim Aufwrmen eines hypothermen Patienten werden die Osborn-Wellen sukzessive kleiner (mit freundlicher Genehmigung aus: Gertsch M. The ECG. A Two-Step Approach to Diagnosis. Heidelberg: Springer; 2004: 559).
Notfallanamnese
• • •
18
Art und Dauer der Kälteexposition: schnelles oder langsames Abkühlen (s. Beinahe-Ertrinken, S. 518), bei Lawinenunfall Vorhandensein einer Atemhöhle, Faktoren einer beschleunigten Auskühlung (Alkoholintoxikation, Wind und Nässe).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion/Palpation. Haut (Zyanose, Marmorierung; Axilla!). Bewusstsein. Glasgow Coma Scale, S. 439. Kreislauf. Initial Sinustachykardie im Rahmen der allgemeinen Stressreaktion, dann Hypotension, Bradykardie und Pulslosigkeit. Atmung. Bradypnoe, Apnoe. Diurese. Oligurie, Anurie.
Diagnostik Labor. Blutzucker, Natrium, Kalium (Hyperkaliämie u. U. Prognosefaktor: Serum-K+ von ‡ 10 mmol/l spricht für infauste Prognose; bei Lawinenopfern legt eine exzessive Hyperkaliämie eine Asphyxie vor der Hypothermie nahe), Kreatinin, Hämoglobin, Hämatokrit; Blutalkoholgehalt, Drogen-Screening im Urin (zusätzliche Intoxikation). EKG • Sinusbradykardie mit zunehmender Verlängerung des PR-Intervalls, QRS-Komplexes und QTIntervalls. • Vorhofarrhythmie und VHF. • Bradyarrhythmie, Kammerflimmern, Asystolie. • Osborn-Wellen: Charakteristische Anhebung des J-Punktes (* in Abb. 18.1 a) am Übergang des QRSKomplexes zur ST-Strecke. Dadurch entsteht ein Bild, das an den Höcker eines Kamels erinnert (Abb. 18.1 b). Die hypothermiespezifischen Osborn-Wellen treten v. a. in den inferolateralen Brustwandableitungen auf und vergrößern sich signifikant mit zunehmender Hypothermie. Abb. 18.2 zeigt den Verlauf beim Aufwärmen eines hypothermen Patienten. ABGA. Respiratorische/metabolische Azidose.
Klteschden
517
Abb. 18.3 Vorgehen bei Hypothermie.
Erstmaßnahmen (alle Patienten) feuchte Kleidung entfernen Schutz vor weiterer Auskühlung Flachlagerung vorsichtig bewegen Kerntemperatur messen EKG-Monitoring Atmung, Puls, Bewusstsein überprüfen Puls + Atmung vorhanden
Puls oder Atmung fehlen
Kerntemperatur ?
Beginn CPR Defibrillation (Kammerflimmern, pulslose Kammertachykardie) Atemweg freimachen, sichern beatmen: O2 warm (42 46 °C), feucht i. v. Zugang warme Infusion (Kristalloidlösung 43 °C)
34 36 °C (leichte Hypothermie) passives Aufwärmen aktives äußeres Aufwärmen 30 34 °C (mäßige Hypothermie) passives Aufwärmen aktives äußeres Aufwärmen auf die Stammregion beschränken < 30 °C (schwere Hypothermie) aktives internes Aufwärmen (s. u.) aktives internes Aufwärmen warme Infusionen (43 °C) O2 warm (42 46 °C), feucht Peritoneallavage (warm, KCl-frei) extrakorporaler Bypass
Körperkerntemperatur ? < 30 °C CPR fortsetzen keine i. v. Medikamente Defibrillation auf 3 Schocks beschränken Kliniktransport
> 30 °C CPR fortsetzen i. v. Medikamente nach Schema; Intervalle Defibrillation mit Kerntemperatur wiederholen
aktives internes Aufwärmen fortsetzen, bis Kerntemperatur > 34 °C oder Einsetzen Spontankreislauf oder Wiederbelebung abgebrochen wird
Therapie
•
Therapieziel = Aufwärmen des hypothermen Patienten unter Vermeidung typischer Komplikationen, die bei zu schnellem, aggressivem Erwärmen auftreten können: „After-drop“ = Anfluten kalten „Schalenblutes“ aus der Peripherie in den Körperkern.
•
Vermeiden unnötiger mechanischer Irritation (begünstigt Kammerflimmern): sanfte Bergung und Lagerung.
Notfallmanagement
•
Wiederaufwärmen bereits vor stationärer Aufnahme: trockenes Zudecken, keine Massagen etc., Schutz vor weiterer Auskühlung, spontanes
518
• • •
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Erwärmen abwarten, Erwärmen der Atemluft, vorsichtige Oberflächenerwärmung. O2-Zufuhr. Infusion: möglichst warme Elektrolyt-/Kolloidlösungen. Reanimation entsprechend Standardrichtlinien. Besonderheiten: hypothermes Myokard weist häufig therapieresistentes Kammerflimmern auf. Das Auslösen von Kammerflimmern wird oft mit trachealer Intubation in Verbindung gebracht. Ein Zusammenhang wird aber unwahrscheinlich, wenn vorher ausreichend präoxygeniert wurde. Abb. 18.3 fasst den Hypothermiebehandlungsablauf zusammen (EG-B).
Besondere Merkpunkte
• • •
Initiale Strategie ist nicht die aktive Wiedererwärmung, sondern der Schutz vor weiterer Auskühlung. Kardiopulmonale Reanimation muss sofort vor Ort einsetzen und während des Transports fortgesetzt werden. Verzögerungen führen zu hoher Mortalität. Junge Patienten, v. a. Kinder, weisen unter Hypothermie extreme Hypoxietoleranz auf. Todesfeststellung bei diesem Kollektiv nicht vor der stationären Aufnahme!
Weitere Maßnahmen
•
• • • •
•
18
•
Fortsetzen der spontanen Wiedererwärmung = Isolierung und Schutz vor weiterem Wärmeverlust. Auch der Kopf muss isoliert werden, da v. a. bei Kindern bis zu 70 % der Wärmeproduktion über diesen Weg verloren werden. Oberflächenerwärmung: warme Tücher, Wärmelampe. Infusionswärmer. Peritonealdialyse: warme NaCl-Lösung. Extrakorporaler Kreislauf: effektivste Form bei hypothermen Patienten mit Kreislaufstillstand. Femorofemorale Kanülierung und Flow von 2 – 3 l oxygeniertem, 38 – 40 8C warmem Blut bewirkt eine Kerntemperaturerhöhung von ca. 15 8C/h. Keine schnelle Korrektur von Säure-Basen-Störungen: Sowohl rasche Hyperventilation als auch Gabe von Bikarbonat zur Korrektur einer respiratorischen oder metabolischen Azidose können Kammerflimmern auslösen. Bei Hypothermiedauer > 45 min ist Azidose v. a. perfusionsbedingt. Volumentherapie (warme Kristalloide 200 ml/h) zur Kompensation der Vasodilatation während Wiedererwärmung. Fortsetzung der O2-Gabe, ggf. kontrollierte Beatmung.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen EKG, BD, Pulsoxymetrie, Kapnografie, Diurese, ABGA: nicht die Absolutwerte, sondern die Tendenz ist entscheidend.
18.3 Beinahe-Ertrinken W. Ummenhofer
Definition und Einteilung Weltweit betreffen 70 – 90% aller Ertrinkungsunfälle Kleinkinder im Vorschulalter. Unterschieden wird zwischen Salz- und Süßwasser-Ertrinken (wenig klinisch relevante Konsequenzen) sowie zwischen Warm- und Kaltwasser-Ertrinken. Das Warmwasser-Ertrinken hat eine ausgesprochen schlechte Prognose, während bei KaltwasserErtrinken (< 10 8C), v. a. bei Kindern, immer wieder über erstaunliche Submersionzeiten und Überleben ohne neurologisches Defizit berichtet wird.
Pathophysiologie „Diving-Reflex“. Beim Eintauchen des Gesichts in kalte Flüssigkeit kann es zum sog. „Diving-Reflex“ kommen, einer reflektorischen Bradykardie und Vasokonstriktion der Peripherie und des Splanchnikusgebietes, sodass sich eine verbesserte Durchblutung der vitalen Organe Herz und Hirn einstellt. Durch die verminderte Perfusion der Peripherie kann die Kerntemperatur länger aufrechterhalten werden. Dieser Reflex ist v. a. bei Kindern ausgeprägt. Hypothermie. Allerdings kommt es gerade bei Kleinkindern aufgrund ihres großen Körperoberflächen-Gewichts-Quotienten und ihres dünnen Unterhautfettgewebes zu einer raschen Abkühlung. Eine signifikante Protektion der vitalen Organe durch die Hypothermie (S. 515) stellt sich allerdings erst in einem sehr tiefen Temperaturbereich ein: Die meisten
Beinahe-Ertrinken Patienten, die eine längere Hypothermie überlebten, wiesen eine Körpertemperatur < 28 8C auf. „Trockenes Beinahe-Ertrinken“. Das sog. „trockene Beinahe-Ertrinken“ beschreibt den reflektorischen Verschluss der Stimmritze bei Submersion (in 10 – 15% der Fälle persistierend), wodurch ein Eindringen größerer Wassermengen in die Lungen verhindert wird. In den meisten Fällen wird allerdings Wasser und Erbrochenes aspiriert, was den intrapulmonalen Shunt und die Hypoxämie erhöht. Sekundär Aspirationspneumonie und ARDS.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Fehlende Vitalzeichen (Apnoe, Pulslosigkeit, Bewusstlosigkeit). Lungenödem. Hypothermie (kalte, marmorierte Haut; kalte Axilla). Wichtiger prognostischer Faktor: Zeit zwischen Bergung aus dem Wasser und erstem spontanem Atemzug. Die meisten überlebenden Patienten wiesen nach 2 min und nahezu alle Überlebenden nach 5 min eine Eigenatmung auf. Die reine Submersionszeit, soweit überhaupt exakt rekonstruierbar, korreliert dagegen weniger mit der Prognose.
Differenzialdiagnose Schädel-Hirn-Trauma beim Sprung in seichtes Gewässer oder kausales kardiales oder zerebrales Ereignis bei älteren Schwimmern. An Begleitverletzungen der Halswirbelsäule (HWS) muss gedacht werden (in 0,5 % der Ertrinkungsopfer vorhanden). Dennoch sollte eine HWS-Immobilisation nur bei entsprechendem Unfallmechanismus durchgeführt werden und die unmittelbaren Reanimationsbemühungen nicht verzögern.
Notfallanamnese
• •
Wassertemperatur am Unfallort: Die Hypothermie des Patienten allein trägt wenig zur Prognose bei – entscheidend ist die Schnelligkeit des Abkühlens, d. h. die Submersion in Kaltwasser (< 10 8C). Rekonstruktion der Submersionsdauer (im Einzelfall oft schwierig): bei Kindern mit Kaltwasser-Ertrinken sind folgenlose Submersionszeiten von > 40 min beschrieben.
•
519
Zeit bis zur kardiopulmonalen Reanimation, Transportzeit.
Notfalluntersuchung Klinik Vitalzeichen. Atmung, Puls. Neurologische Untersuchung. Bewusstsein (Glasgow Coma Scale, s. S. 439), Pupillen (Mydriasis? Lichtreaktion? Entrundung? Änderung im Verlauf einer Reanimation?). Körperkerntemperatur. Rektal, ösophageal, tympanisch.
Diagnostik EKG • < 30 8C Körpertemperatur: Bradykardie, sog. Osborn-Welle = J-Punkt-Elevation (Abb. 18.1 und Abb. 18.2, S. 516), • < 29 8C Körpertemperatur: Vorhofflimmern häufig, • weitere Auskühlung: Kammerflimmern. ABGA. Metabolische Azidose. Röntgen-Thorax. Lungenödem, Aspiration, Atelektasen? Körpertemperatur. Vor der stationären Aufnahme oft mangels geeigneter Thermometer nicht zu messen. Labor. Elektrolyte (Hyperkaliämie > 6,8 mmol/l u. U. ungünstige Prognose), Serumosmolalität (Salzwasser ›, Süßwasser fl), Hämoglobin, Hämatokrit (u. U. Hämolyse, Hämodilution, Hämoglobinurie), Gerinnungsstörungen (Fibrinspaltprodukte?).
Therapie Notfallmanagement
• • • •
Laienreanimation entsprechend den Richtlinien des Basic Life Support (BLS) (s. S. 6). Herzmassage im Wasser ist ineffektiv. Verhindern weiterer Auskühlung (Entfernen der nassen Kleidung, Transport in geheiztem Rettungsmittel). Advanced Cardiac Life Support (ACLS) (s. S. 9). Intubation und Beatmung, wenn nötig: PEEP, FiO2 1,0. Ein PEEP (5 – 10 cmH2O) verhindert das Kollabieren der Alveolen und erhöht die funktionelle Residualkapazität mit dem Ziel eines verbesserten Ventilations-Perfusions-Verhältnisses.
520
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Tabelle 18.3 Prognosefaktoren fr Beinahe-Ertrinken. Primär nicht schlecht Wassertemperatur
< 10 8C
> 10 8C
Kerntemperatur
< 30 8C
> 30 8C
Submersionszeit
< 15 min
> 15 min
CPR-Dauer
< 60 min
> 60 min
Zeit ohne CPR nach Bergung
< 10 min
> 10 min
Weiteres Vorgehen
• CPR fortsetzen • Transport in Zentrum • Herz-Lungen-Maschine
• Abbruch der CPR erwgen • im Zweifelsfall: CPR fortsetzen • Transport in Zentrum • Herz-Lungen-Maschine
• •
• •
Venöser Zugang (Kinder: intraossär). Magensonde: beim Beinahe-Ertrinken werden häufig große Mengen Wasser verschluckt, die im weiteren Verlauf zu erheblichen Flüssigkeitsverschiebungen führen können, wenn sie nicht frühzeitig entfernt werden. Gerade bei Kindern ist eine effektive Beatmung erst nach Entleeren des Magens möglich. Transport: boden- oder luftgebunden unter Vermeidung weiterer Temperaturverluste. Wahl des Zielkrankenhauses: bei Hypothermie, Koma und fehlendem Kreislauf: Klinik mit Möglichkeit der notfallmäßigen Installation eines extrakorporalen Kreislaufs; bei wachen Patienten: Klinik mit Intensivstation (pädiatrische Intensivstation!): Beinahe-Ertrunkene erholen sich primär, können aber nach einigen Stunden respiratorisch insuffizient werden.
Weitere Maßnahmen
•
18
Primär schlecht
• •
Spätestens in der Klinik: Intubation, Beatmung mit 100% O2, venöser Zugang. Bei Bedarf: Analgosedierung, Relaxation, medikamentöse Unterstützung mit Vasoaktiva (s. Tab. 2.1, S. 18). Wiedererwärmung mittels Herz-Lungen-Maschine (HLM) oder aktive externe Erwärmung (evtl. Peritoneallavage).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Arterielle invasive Druckmessung, ABGA, kontinuierliche Messung der Kerntemperatur, Diurese (Blasenkatheter). EEG:
•
– gute prognostische Zeichen = mäßige Hintergrundsaktivität, Schlafmuster, Antworten auf akustische oder Schmerzreize, Betarhythmen; – schlechte prognostische Zeichen = hohe Voltage, rhythmische Deltawellen, „biphasic sharp waves“ und ein monotones EEG. ICP: die Überwachung des intrakraniellen Drucks und eine aggressive Therapie des Hirnödems bringen kein verbessertes Outcome und werden nur bei begleitendem Schädel-Hirn-Trauma eingesetzt.
Besondere Merkpunkte Zusätzliche prognostische Faktoren sollten bei adäquat durchgeführtem BLS und ALS das weitere therapeutische Prozedere mitbestimmen (Tab. 18.3).
18.4 Höhenkrankheiten P. Brtsch
Definition und Einteilung Akute Höhenkrankheiten treten bei nicht akklimatisierten Personen innerhalb von wenigen Stunden bis einigen Tagen nach schnellem Aufstieg in Höhen über 2000 m auf. Man unterscheidet akute Bergkrankheit (AMS = acute mountain sickness), Höhenhirnödem (HACE = high altitude cerebral edema) und Höhenlungenödem (HAPE = high altitude pulmonary edema). In der Regel geht dem HACE und meist auch dem HAPE eine sich progredient verschlechternde AMS voraus. Ein schweres, länger bestehendes HAPE führt meist zu einem begleitenden HACE.
Hçhenkrankheiten
Pathophysiologie Akute Bergkrankheit (AMS). Magnetresonanztomografien (MRT) zeigen, dass bei der AMS kein pathophysiologisch relevantes Hirnödem besteht. Die meisten Symptome können mit Aktivierung des trigeminovaskulären Systems erklärt werden. Erhöhter zerebraler Blutfluss und erhöhte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke werden als Trigger für die Aktivierung des trigeminovaskulären Systems diskutiert. Natrium- und Wasserretention sind keine pathogenetisch wichtigen Faktoren, können aber Folge der Erkrankung sein. Höhenhirnödem (HACE). MRT zeigen ein vasogenes Hirnödem mit Mikroblutungen im Corpus callosum als Folge eines erhöhten Kapillardrucks bei ausgeprägter hypoxischer Vasodilatation, möglicherweise einer gestörten Autoregulation der Hirndurchblutung und einer erhöhten kapillären Permeabilität, zu der Sauerstoffradikale und der Wachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) beitragen. Höhenlungenödem (HAPE). Es handelt sich um ein druckinduziertes Lungenödem als Folge einer überschießenden hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion, die zu einem erhöhten Kapillardruck führt. Erythrozyten und hohe Eiweißkonzentrationen ohne Entzündungsmarker in der bronchoalveolären Lavage in Frühstadien belegen die hämodynamische Genese des Höhenlungenödems. Eine sekundäre inflammatorische Reaktion kann zur Progredienz beitragen.
Typische Krankheitszeichen Akute Bergkrankheit (AMS) • Kopfschmerzen, • Inappetenz, Nausea, in fortgeschrittenen Fällen Erbrechen, • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwindelgefühl, • Schlafstörungen, • periphere Ödeme. Höhenhirnödem (HACE) • In der Regel ausgeprägte Symptome der akuten Bergkrankheit, • Rumpfataxie, • Bewusstseinstrübung, die sich rasch zum Koma weiterentwickeln kann, • Fieber um 38 8C, • fakultativ variable fokal-neurologische Symptome.
521
Höhenlungenödem (HAPE) • Beginnendes HAPE: Anstrengungsdyspnoe, Leistungsabfall, Husten, • fortgeschrittenes HAPE: Ruhedyspnoe, Orthopnoe, Tachypnoe, Tachykardie, Expektoration von farblosem oder blutig tingiertem schaumigem Sekret.
Differenzialdiagnose
•
• • •
Erstmanifestation oder Dekompensation einer vorbestehenden kardiopulmonalen Krankheit, Symptome treten in der Regel sofort nach Höhenexposition auf, bei der AMS besteht eine Latenzzeit von 4 – 12 h, beim HACE und HAPE eine von 1 – 4 Tagen. CO-Vergiftung (Kocher in kleinem Zelt, s. S. 479). HAPE: Infektion der oberen Luftwege, kann Entstehung eines HAPE auch begünstigen. HACE: Transiente ischämische Attacke (TIA, s. S. 382), zerebrovaskulärer Insult (CVI, s. S. 382), zerebrale Blutung (s. S. 382), Hypoglykämie (s. S. 508).
Notfallanamnese
• • • •
Erhöhte Anfälligkeit bei früheren Höhenaufenthalten? Aufstiegsgeschwindigkeit? Vorakklimatisation (= Aktivität in den vorangegangenen Wochen)? Vorbestehende Krankheiten? Typische Symptome (s. o.)?
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Inspektion: Dyspnoe, Zyanose. Kardiopulmonal: Herzfrequenz? Blutdruck? Akzentuierter Pulmonalton? Rasselgeräusche? Neurologisch: Verhalten? Ataxie? Bewusstseinslage? Fokal-neurologische Symptome? Fundus: Stauungspapille bei HACE (s. S. 392, Abb. 11.7), Retinablutungen? (in Höhen > 5000 m oft ohne Zusammenhang mit Höhenkrankheiten).
522
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Diagnostik EKG. Zeichen der Rechtsherzbelastung (QRS-Achse, P-Welle, Rechtsschenkelblock). Bildgebende Verfahren. Thorax-Röntgen/LungenCT (fleckförmige, zufällig verteilte Transparenzminderungen), MRT Gehirn (AMS: keine abnormen Befunde; HACE: Ödem- und Mikroblutungen im Corpus callosum, evtl. indirekte Hirndruckzeichen). Pulsoxymetrie (im Feld) schwierig. Falsch tiefe Werte bei Zentralisation und bei SaO2 unter 80%. Normwerte abhängig von absoluter Höhe und Dauer des Aufenthalts in einer bestimmten Höhe. Bei beginnendem HAPE kann die SaO2 für die Höhe und Expositionsdauer normal sein.
Therapie Notfallmanagement
18
AMS • Ruhetag, körperliche Schonung wichtig, kein weiterer Aufstieg (EG-C). • Wenn Verdacht auf beginnendes HACE oder HAPE: sofortiger Abstieg (EG-C), wenn Abstieg nicht möglich, s. Therapieoptionen unter HACE und HAPE. • Gegen Kopfschmerzen: Azetylsalizylsäure 500 mg (EG-B), Ibuprofen 400 mg (EG-A) oder 500 mg Paracetamol (EG-C). • Schwere AMS: 4 mg Dexamethason (EG-A) oder 25 mg Prednison (EG-C) und/oder 100 – 120 mmHg Überdruck über mehrere Stunden im portablen Überdrucksack (EG-A). • Wenn AMS trotz Ruhetag persistiert, Abstieg um 500 – 1000 m. Wiederaufstieg nach Abklingen der Symptome möglich (EG-C). • Wenn anschließend weiterer Aufstieg > 1000 m über die Höhe, in der AMS auftrat, geplant ist, evtl. Prophylaxe mit Acetazolamid (2 × 125 – 250 mg/d) (EG-B). HACE und HAPE • Sofortigen Abstieg aus eigener Kraft anstreben (EG-C). • Wenn Abstieg nicht möglich, Abtransport mittels Hubschrauber veranlassen (EG-C). • Wenn Abtransport und Abstieg nicht möglich, stehen folgende Therapieoptionen zur Verfügung, die alle das Ziel haben, die Abstiegsfähigkeit herzustellen: – 2 – 4 l O2/min via Nasensonde oder Maske (EG-B),
– Behandlung im portablen Überdrucksack: wiederholte 1- bis 2-stündige Expositionen bei 100 – 120 mmHg Überdruck (EG-C), – Medikamente bei HACE: Dexamethason 8 mg initial und alle 4 h 4 – 8 mg i. v. (EG-B) oder p. o., alternativ kann die Äquivalenzdosierung Prednison (25/50 mg p. o.) (EG-C) eingesetzt werden, – Medikamente bei HAPE: Nifedipin retard 20 mg p. o. alle 6 h (EG-B), Tadalafil 10 mg p. o. alle 12 h (EG-C).
Weitere Maßnahmen AMS • Verschwindet während des Abstieges, keine Nachbehandlung nötig. • Wenn AMS bei langsamem Aufstieg bzw. guter Vorakklimatisation auftrat, für zukünftige Expositionen Prophylaxe mit Acetazolamid 2 × 125 – 250 mg/d empfehlen (EG-A). HACE • In der Regel protrahierte Erholung im Tiefland, sodass mehrtägige Hospitalisation nötig sein kann. Dort Weiterführung von Dexamethason, O2 nach Blutgasen (gleichzeitiges HAPE?). • CT und MRT zur Bestätigung der Diagnose HACE und zum Ausschluss anderer Ursachen (Blutung, CVI). • Für zukünftige Expositionen auf Prophylaxe der AMS achten. HAPE • Im Tiefland in der Regel in Ruhe beschwerdefrei, über einige Tage persistierende Anstrengungsdyspnoe, Restitutio ad integrum innerhalb von 5 – 7 Tagen, in fortgeschrittenen Fällen Hospitalisation nötig. • Zukünftige Expositionen: langsamen Aufstieg empfehlen, d. h. ab einer Höhe von 2000 m durchschnittliche Schlafhöhe 300 – 400 m/Tag steigern (EG-C). Wenn dies nicht möglich, Prophylaxe mit Nifedipin retard 3 × 20 mg/d (EG-A) oder Tadalafil 2 × 10 mg/d (EG-A) empfehlen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Puls, Blutdruck, Pulsoxymetrie (falls vorhanden), Bewusstseinslage, Ataxiezeichen.
Dekompressionsunfall
18.5 Dekompressionsunfall W. Ummenhofer
10 m/min kommt die Caisson-Krankheit normalerweise nicht vor.
Typische Krankheitszeichen
Definition und Einteilung
•
Mit der zunehmenden Popularität des Tauchsports steigt die Inzidenz von Tauchunfällen. Typische Druckluftunfälle ereignen sich aber auch auf Druckluftbaustellen, die z. B. für Kanalisations- oder Brückenbauarbeiten eingerichtet werden. Betroffene Organe. Das Barotrauma betrifft luftgefüllte, starrwandige Körperhöhlen, v. a. Lunge, Mittelohr, Sinus des Gesichtsschädels und Zahnhohlräume. In der Lunge kann die direkte massive Volumenzunahme bei rascher Dekompression zur Überdehnung und Ruptur von Alveolen und größeren Lungenarealen mit Auftreten eines Pneumothorax führen. Dekompressions- oder Caisson-Krankheit. Die akute schwere Dekompressions- oder CaissonKrankheit ist ein komplexes Krankheitsbild mit pulmonaler, neurologischer, gastrointestinaler oder kardialer Symptomatik.
• • •
Pathophysiologie Bei einer Zunahme des Umgebungsdruckes nimmt das Volumen von Gasen umgekehrt proportional ab, während Flüssigkeiten keine wesentlichen Volumenänderungen aufweisen. Für einen Menschen unter Druckluft von 3 bar (entspricht einer Tauchtiefe von 20 m) verdreifachen sich Sauerstoff- und Stickstoffpartialdrucke. Stickstoffblasen. Im Gegensatz zum Sauerstoff wird der inerte Stickstoff dabei nicht metabolisiert, sondern strömt beim Auftauchen schnell in Form von Gasblasen zurück. Im Kontakt mit Blut werden die Stickstoffblasen durch eine Proteinhülle und Thrombozytenadhäsion so stabilisiert, dass sie bereits nach wenigen Stunden kaum noch aufgelöst werden können. Diese Gasblasen lagern sich im Gewebe (v. a. Muskulatur und Gelenken) ab oder führen zu multiplen Emboli im sich verengenden peripheren Gefäßsystem (v. a. Lunge und Gehirn, aber auch gastrointestinal). Kritische Tiefe. Die Dekompressionskrankheit tritt meist nur nach Tauchgängen über 10 m Tiefe, insbesondere über 30 m auf, wenn der Organismus sich mit Stickstoff unter hohem Druck sättigen konnte. Bei Einhalten einer Aufstiegsgeschwindigkeit von
523
• •
„Bends“ = stechende Gelenk- oder Muskelschmerzen, Pruritus, Erythem, Hautemphysem, Nausea, Schwindel, Nystagmus, bei spinaler Lokalisation Rückenschmerzen, u. U. Paraplegie oder Miktionsstörungen, apoplexähnliches Bild mit kortikaler Funktionseinschränkung, Hemiplegie, Bewusstlosigkeit, bei pulmonaler Lokalisation Husten, Dyspnoe, retrosternaler Druck, Tachykardie, Pneumothorax.
Differenzialdiagnose
• • • •
Ertrinken. Hypoxie, CO2-Intoxikation: bei schadhaftem Tauchgerät mit kontaminierter Druckluft oder möglicher Rückatmung. „Nitrogen-Sickness“: euphorisierende und kortikale Funktionen einschränkende Wirkung des Stickstoffs bei tiefen Tauchgängen. Myokardinfarkt beim Tauchen.
Notfallanamnese
• •
Zeitlicher Zusammenhang der Symptome mit einem Tauchgang oder Arbeit auf einer Druckluftbaustelle? Überprüfen von Tauchtiefe, Tauchzeit und Einhalten der Dekompressionszeiten (Probleme v. a. bei Panik- oder Notaufstiegen auch aus geringeren Tiefen).
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Bewusstsein (GCS, s. S. 439), motorische Ausfälle. Respiratorische Funktion: Atemmechanik, Auskultation, Perkussion, Pneumothorax: Auftreten sofort. Bläschenembolie ZNS/Lunge: Auftreten schnell, 90% innerhalb 60 min.
524
• •
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Schmerzen in Gelenken/Muskulatur („Bends“): Intervall zwischen Auftauchen und Eintreten der Beschwerden kann etliche Stunden betragen. Körperkerntemperatur.
Besondere Merkpunkte Nächstgelegene Druckkammer über Rettungsleitstellen erfahr- und alarmierbar.
Diagnostik Röntgen-Thorax. Pneumothorax? EKG. Zeichen der Rechtsherzbelastung (Änderung der Herzachse, SIQIII). Labor. Blutzucker. ABGA. Sauerstoffsättigung (Hypoxämie, respiratorische Azidose).
Therapie Notfallmanagement
18
Beim schweren Tauchunfall: • Rettung aus dem Wasser, Flachlagerung (EG-B). • Reanimation entsprechend BLS/ACLS-Richtlinien, S. 6. Atmung/Beatmung 100% Sauerstoff (EG-B). • Infusion von initial 1000 – 2000 ml Kristalloiden (Ringer-Laktat oder NaCl 0,9%): Ausgleich der sog. „Taucherdiurese“ (multikausale überschießende Urinproduktion während eines Tauchgangs fi Reduktion des intravasalen Volumens). Weitere Rehydrierung unter entsprechendem Monitoring 500 – 1000 ml/h (EG-C). • Alarmierung der nächstgelegenen Behandlungsdruckkammer (EG-B). • Organisation des Transportes: in der Regel Helikoptertransport (Flughöhe sollte 150 m nicht überschreiten). Bei Intervallen von < 2 – 4 h zwischen Unfall und definitivem Behandlungsbeginn können auch bei schweren neurologischen Ausfällen wesentliche Verbesserungen bis zur vollständigen Remission erreicht werden.
Weitere Maßnahmen
• • • •
Pneumothorax: Entlastung mittels Drainage (s. S. 619). Fortsetzung der Volumentherapie; bei Gasembolien niedermolekulare kolloidale Plasmaersatzmittel zur Verbesserung der Gewebeperfusion. Blasenkatheter: Diurese 1 – 2 ml/kg KG/h als Zielgröße. Azetylsalizylsäure (Hemmung der Aggregation der Thrombozyten an die entstandenen Gasblasen) (EG-D).
18.6 Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenunfall) W. Ummenhofer
Definition und Einteilung Die Gefahrvon Strahlenschäden istim Umfeldnuklearer Anlagen, bei Nukleartransporten, Nuklearwaffen und zunehmend bei terroristischen Anschlägen („dirty bombs“, Pollonium-210-Attentat) gegeben. In Abhängigkeit von der Intensität der Strahlung und dem zeitlichen Verlauf der Symptomatik können 3 akute Syndrome unterschieden werden: • Zerebrales Syndrom: tritt nach extrem hoher Strahlenbelastung mit einer Ganzkörperdosis über 10 Gray (Gy) auf. Beginn bereits nach 5 min mit Nausea, quälendem Kopfschmerz, unstillbarem Erbrechen, Gehörverlust; dann Tremor, Ataxie, Krämpfe. Verlauf immer letal. • Gastrointestinales Syndrom: bereits bei geringerer Strahlendosis. Nausea, Erbrechen, Diarrhö, oft hämorrhagisch, gefolgt von Dehydrierung, hypovolämem Schock, u. U. Exitus. • Hämatopoetisches Syndrom: Anorexie, Nausea und Erbrechen nach 6 – 12 h maximal ausgeprägt (Prodromalphase). Nach 24 – 36 h sind die Patienten subjektiv meist asymptomatisch (Latenzphase). Im peripheren Blutbild Lymphozytopenie. Progressive Atrophie von Lymphknoten, Milz und Knochenmark. Bei letalen Dosen hochgradige Granulozytopenie und Thrombozytopenie nach 7 – 10 d, bei subletalen Dosen nach 4 – 6 Wochen. Aplastische Anämie nur nach sehr hohen Dosen. Exitus möglich durch Blutung oder Infektion.
Pathophysiologie Schädigung betrifft abgesehen vom zerebralen Syndrom nach extremer Exposition v. a. Organe mit hoher Mitoserate (lymphatisches Gewebe, Knochenmark, Dünndarmepithel) sowie Störungen der Gefäßpermeabilität.
Elektrounfall
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Abgeschlagenheit, Nausea, Erbrechen, Kopfschmerz (ab 3 Gy ständig), Diarrhö. Zentrale Symptome: Tremor, Ataxie, Koma. Früherythem (ab 1 Gy). Knochenmarkdepression: zeitlich verzögert.
Notfallanamnese
•
•
Eruierung der Strahlendosis: Zeitdauer und Nähe zur Strahlungsquelle. Schutzanzug? Einheit für die absorbierte Strahlendosis = Gray (Gy). Sie ist erforderlich, um die Wirkung verschiedener Strahlenarten miteinander vergleichen zu können. Bei Ganzkörperexposition: – 0 – 1 Gy: keine oder wenige Symptome, – 1 – 3 Gy: reversible Symptome, – 3 – 6 Gy: evtl. tödlich, – 6 – 10 Gy: Mortalität 50 – 100%, – ab 10 Gy: Mortalität 100%.
Notfalluntersuchung Labor. Messung der induzierten Radioaktivität in Körperflüssigkeiten. Bestimmung von Serumelektrolyten, -osmolalität (›), Kreatinin (›), Harnstoff (›), weißes Blutbild (Leukopenie, v. a. Lymphopenie), Hämoglobin (initial Dehydrierung, daher ›, später Anämie), Thrombozyten (fl), Quick (fl).
Therapie
• • •
Symptomatisch nach letalen Dosen. Elektrolyt- und Flüssigkeitssubstitution. Therapie der Knochenmarkaplasie entsprechend den medikamentösen bzw. idiopathischen Formen.
Besondere Merkpunkte Einzig wirksame Maßnahme: Unfallverhütung und Strahlenschutz. Rettungsdienst und Notarzt können in der Regel mangels Ausrüstung und fehlendem technischem Know-how nicht eingesetzt werden. Cave! Eigene Kontamination – Selbstschutz oberstes Prinzip!
525
18.7 Elektrounfall W. Ummenhofer
Definition und Einteilung Direkte Wirkung von elektrischem Strom auf Zellmembranen und glatte Gefäßmuskulatur sowie Konversion elektrischer Energie in Wärme bei Exposition von Körperteilen in einem elektrischen Feld. Schädigung in Abhängigkeit von akquirierter Energiemenge, Spannung, Widerstand, Spannungsart, Kontaktdauer und Stromfluss durch den Körper (Ein- und Austritt). Wechsel- und Gleichstrom. Wechselstrom verlängert die Kontaktzeit mit der Stromquelle und ist daher gefährlicher als Gleichstrom (s. u.). Hochspannungsunfall. Die unter technischen Gesichtspunkten vorgenommene Einteilung in Hochund Niederspannungsunfälle ist in der Notfallmedizin wenig hilfreich. Allerdings treten beim Hochspannungsunfall häufig ausgedehnte thermische Schädigungen mit tiefen Gewebenekrosen und Stürze oder Schleudertraumen auf (Tab. 18.4). Lichtbogen. Ohne direkten Kontakt zur Stromquelle und ohne Stromfluss durch den Körper kann es in unmittelbarer Nachbarschaft eines starken elektrischen Feldes zum Auftreten eines Lichtbogens mit erheblichen Verbrennungen kommen. Elektrische Distanzwaffen. Neue Gefahren scheinen sich durch die zunehmende Verbreitung von elektrischen Distanzwaffen (CED = conductive energy device, z. B. Taser) zu ergeben. Dabei werden druckgesteuert kurze Stromstöße mit hoher Spannung und niedriger Stromstärke verabreicht, die Personen für eine kurze Zeitspanne immobilisieren. Dabei sollen sich bereits mehr als 200 Todesfälle ereignet haben. Betroffene. Die Mehrzahl der Stromunfälle betrifft berufstätige Erwachsene; bei den Hausunfällen sind meist Kinder oder Kleinkinder Opfer durch Kontakt mit Steckdosen oder Kabeln.
Pathophysiologie Widerstand der Gewebe. Knochen und Haut bieten von allen Geweben den höchsten Widerstand gegenüber elektrischem Strom; Muskulatur, Blutgefäße und Nerven leiten ihn am besten. Besonders gefährlich ist die Stromexposition bei gleichzeitig reduziertem Hautwiderstand, beispielsweise bei feuchter
526
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
Tabelle 18.4 Schdigung durch elektrischen Strom.
18
Niederspannung
Hochspannung
Blitz
Energieniveau
< 1000 Volt Stromfluss sehr variabel
1000 – 70 000 Volt < 1000 Amp re
ca. 30 Mio. Volt ca. 2 Mio. Amp re
Stromart
Wechselstrom Kontaktzeit ›
Wechselstrom Kontaktzeit ›
Gleichstrom
Expositionszeit
variabel
variabel
sehr kurz (0,0002 s)
Stromweg
variabel, abhngig vom Hautwiderstand
tief, durch den Kçrper, u. U. „Lichtbogen“
oberflchlich, „Flashover“
Verbrennungen
meist nur Strommarken an Ein- und Austrittsstellen
tiefe Nekrosen
oberflchlich
Herzschdigung
Rhythmusstçrungen, R-auf-T-Phnomen, Kammerflimmern schon bei 100 mAmp re mçglich
Rhythmusstçrungen, Asystolie hufiger als Kammerflimmern
Asystolie hufiger als Kammerflimmern
Myoglobinurie
selten
blich
selten
Stumpfe Verletzungen
selten direkt, Sturzfolgen mçglich
hufig sekundre Sturzfolgen, Muskelkontrakturen fi Frakturen
hufig direkt Druckwelle fi Ruptur innerer Organe
Haut. Hierzu gehört der häufig in suizidaler Intention stattfindende „Fönunfall in der Badewanne“. Horizontaler und vertikaler Stromfluss. Nach Überwinden des Hautwiderstands folgt der Stromfluss weniger anatomischen Strukturen als vielmehr der Verbindungslinie zwischen Eintritts- und potenzieller Austrittsstelle. Dabei ist der horizontale Stromfluss („Hand-zu-Hand“) gefährlicher als der vertikale („Hand-zu-Fuß“) oder der von „Fuß-zuFuß“. Störungen der Herzfunktion. Da bei der häufigsten Exposition über die Hand sowohl bei einem Austritt über die kontralateralen oberen wie auch die unteren Extremitäten das Herz im Stromkreis liegt, sind Störungen der Herzfunktion die häufigsten Komplikationen des Stromunfalls. Neben direkt elektrisch ausgelösten Rhythmusstörungen bis hin zum Kammerflimmern sind Koronarspasmen und Myokardischämien möglich. Unfälle mit Wechselstrom. Wechselstrom- und Niederspannungsunfälle führen häufiger zu Kammerflimmern, während bei Hochspannungsunfällen meist eine Asystolie auftritt. Ausschlaggebend ist,
dass der bei uns verwendete Wechselstrom zu einer Muskeltetanie der exponierten Flexoren der Hände führt, was ein aktives Loslassen der Stromquelle verhindert. Durch die verlängerte Kontaktzeit ist die Überwindung des Hautwiderstands bereits beim gebräuchlichen Haushaltsstrom möglich und die Gefahr eines Stromeinfalls in die vulnerable Phase des Herzens gegeben. Respiratorische Probleme. Respiratorische Probleme können sich durch eine zentrale Atemlähmung oder durch eine Paralyse der Atemmuskulatur ergeben. Dieser Atemstillstand kann Minuten bis Stunden anhalten; möglich ist daher auch bei initial wieder einsetzendem Spontankreislauf (kardialer Automatismus) ein sekundärer hypoxischer Herzstillstand. ZNS-Beteiligung. Eine ZNS-Beteiligung äußert sich auch häufig durch Bewusstlosigkeit, Krampfanfall, Verwirrtheit und Lähmung, die bei kranialer Lokalisation Halbseitensymptomatik, bei Rückenmarklokalisation Querschnittssymptomatik annehmen kann.
Elektrounfall
Typische Krankheitszeichen
Therapie
•
Notfallmanagement
• • • •
Bei fortbestehendem Stromkontakt: spastische Muskelkontraktionen. Haut- und Weichteilverbrennungen: v. a. beim Hochspannungsunfall. Alle Arten von Rhythmusstörungen: Sinustachykardie, Vorhofflimmern, AV-Block I. – III. Grades, VES, Kammertachykardie, Kammerflimmern. Dyspnoe, Angina pectoris. Bewusstlosigkeit, generalisierte Krampfanfälle, Atemstillstand.
Differenzialdiagnose
• •
Primäre Stromschädigung in der Regel durch Anamnese und typische Strommarken eindeutig objektivierbar. Sekundärtrauma durch Wegschleudern von Leiter oder Gerüst genau evaluieren.
• •
527
Bergung aus dem Gefahrenbereich nach Unterbrechung des Stromkreises. Bei Pulslosigkeit: Vorgehen entsprechend Richtlinien des ACLS, s. S. 9. Sofortige Defibrillation bei Kammerflimmern (EG-A).
Weitere Maßnahmen
• • •
Stabilisierung der Kreislauffunktion (EG-A). DD: Hypovolämie (Crush-Syndrom), myokardiales Pumpversagen. Prophylaxe des akuten Nierenversagens (Flüssigkeitssubstitution, Osmodiurese): Bei thermoelektrischen Verletzungen ist der Volumenbedarf aufgrund der tiefen Läsionen größer als bei reinen Verbrennungen. Diurese monitorisieren (EG-B).
Notfallanamnese
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Für die Beurteilung der häufigen Sekundärschäden nach strombedingten Stürzen ist bei Arbeits- und Haushaltsunfällen das individuelle Tätigkeitsprofil vor Ort exakt zu protokollieren.
•
Notfalluntersuchung Klinik Wichtig! Keine Untersuchung, bevor der Verletzte nicht mit Sicherheit außerhalb des Stromkreises ist! Vitalparameter. Atemweg, Atmung, Puls. Inspektion und Palpation. Strommarken, Frakturen (Wirbelfrakturen?), Luxationen, Distorsionen. Neurologie. GCS (s. S. 439), Lähmungen.
Diagnostik EKG. Herzrhythmusstörungen? Labor. CK (›), Troponin T (›), Harnstoff (›), Kreatinin (›), Serumelektrolyte (K+ ›), Urinstatus (Myoglobin?). ABGA. Metabolische/respiratorische Azidose.
•
Bei symptomfreien Patienten ist eine ambulante Behandlung zu erwägen. Kinder, die am Notfallort keinen Herzstillstand oder ventrikuläre Rhythmusstörungen hatten und auf der Notfallstation unauffällig sind, haben ein sehr geringes Risiko für später auftretende Rhythmusstörungen (EG-C). Bei symptomatischen Patienten (Synkope, Stenokardie) oder bei dokumentierter EKG-Veränderung/Rhythmusstörung: Überwachung am Monitor während 24 h notwendig.
Besondere Merkpunkte Selbstschutz des Rettungspersonals! Kein Kontakt mit dem Opfer, bevor der Stromkreis nicht sicher unterbrochen ist. Bei Betriebs- oder Verkehrsunfall im Hochspannungsbereich erst Freischalten des Stromkreises durch Betriebsfeuerwehr oder Versorgungsunternehmen abwarten!
528
Notflle aufgrund physikalischer Einwirkungen
18.8 Blitzschlag W. Ummenhofer
Definition und Einteilung Neben den kardiovaskulären Auswirkungen bieten Opfer eines Blitzschlags ein weites Spektrum neurologischer Symptome (Myelinzerstörung). Waren früher v. a. Landarbeiter oder Briefträger betroffen, so hat sich heute das Spektrum entsprechend unseren geänderten Freizeitaktivitäten verlagert: Opfer werden in erster Linie Mountainbike-Fahrer und Golfspieler.
Pathophysiologie Im Gegensatz zum Wechselstrom des Elektrounfalls handelt es sich beim Blitz um Gleichstrom, wenngleich mit extrem hoher Spannung und Stromstärke (Tab. 18.4, S. 526). Aber die kurze Dauer des Stromflusses beim Blitz reicht meist nicht aus, um die isolierende Wirkung der Haut zu zerstören. Durch das sog. „Flashover“, ein explosionsartiges Verdampfen von Feuchtigkeit auf der Hautoberfläche, wird die Kleidung der Opfer buchstäblich in Fetzen gerissen. Kommt es zum Stromfluss durch den Körper, so wird durch den massiven Gleichstrom simultan das ganze Myokard depolarisiert. Im Gegensatz zum Elektrounfall ist beim Blitzschlag deshalb meist die Asystolie die Ursache des primären Herzstillstands.
• • •
Weite, lichtstarre Pupillen, Anisokorie, auch Horner-Syndrom möglich (Ausdruck einer autonomen Dysfunktion). Katarakte. Knalltraumen, Trommelfellrupturen.
Differenzialdiagnose
• •
Endogenes Ereignis (plötzlicher Herztod). Bei wieder vorhandenem Kreislauf, aber persistierender Hypotension denken an: Ruptur innerer Organe, Wirbelfrakturen + Rückenmarkverletzung, Becken- und Extremitätenfraktur.
Notfallanamnese Ungeschützte Aktivität im Freien, nicht selten Personengruppen betroffen (Triage!).
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Vitale Funktionen überprüfen. Neurologischer Status: Paresen, Parästhesien. Haut: „Lichtenberg-Figuren“ = typische farnkrautartige Figuren, Folge von Elektronenfluss über der Hautoberfläche; spontanes Verschwinden innerhalb von 24 h. Frakturen?
Diagnostik
Typische Krankheitszeichen
18
•
• •
Asystolie: oft spontanes Wiedereinsetzen der Herzaktion. Primärer Herzstillstand, oft nur kurze Apnoe. Bei fortbestehender Atemlähmung sind hypoxisch bedingte Arrhythmien und sekundäres Kammerflimmern möglich. Bewusstlosigkeit, Parästhesien, Paresen. „Keraunoparalyse“ = typische blitzbedingte ZNSStörung: Ursache ist wahrscheinlich eine vasomotorische Störung infolge der hohen Potenzialdifferenz zwischen den Beinen beim Stromfluss in die Erde: – Pulslosigkeit der Extremitäten, – Sensibilitätsstörung, – vorübergehende Parese beider Beine.
EKG. Asystolie, Kammerflimmern, Sinus- oder Kammertachykardie, unspezifische Veränderungen (QTIntervall ›, transitorische T-Inversion). Labor. CK (›), Troponin T (›); Hb, Hk (u. U. fl bei Begleitverletzung); Natrium, Kalium (Hyperkaliämie bei Gewebezerstörung); Urinstatus (Myoglobin ›?); Blutgruppe. ABGA. Metabolische/respiratorische Azidose. Röntgen. Becken, Extremitäten, Wirbelsäule. Sonografie oder CT. Je nach klinischem Bild. Otoskopie, Fundoskopie.
Blitzschlag
Therapie Notfallmanagement Kardiopulmonale Reanimation, s. S. 6 (EG-A).
Besondere Merkpunkte Entscheidend sind gute Triage und schnelle kardiopulmonale Reanimation. Im Gegensatz zur Asystolie beim kardialen Ereignis oder nach Polytrauma ist die Prognose beim Blitzunfall ausgesprochen günstig. Also: effektiv und lange reanimieren. Weite, lichtstarre Pupillen sind kein Prognosekriterium!
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19 Psychiatrie
Übersicht 19 19.1 19.2 19.3 19.4 19.5 19.6
Psychiatrie Anorexia nervosa und Bulimie Der suizidale Patient Der erregte Patient Der delirante Patient Panikattacken Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome
19.1 Anorexia nervosa und Bulimie
Typische Krankheitszeichen
• •
Kachexie (oft durch weite Kleider kaschiert!). Die meist weiblichen Patienten sind über ihren Zustand nicht beunruhigt, im Gegensatz zu ihrer Umgebung. Patienten mit akuter Dilatation des Magens klagen über ein schmerzhaftes Abdomen und die Unfähigkeit, die verschlungene Nahrung wieder zu erbrechen.
Differenzialdiagnose Körperliche Erkrankungen (z. B. Karzinom) mit massiver Gewichtsabnahme.
A. Kiss
Definition und Einteilung Anorexia nervosa und Bulimie sind Essstörungen. Anorexia. Panische Angst dick zu sein, führt zu radikaler Nahrungsbeschränkung und damit zu massivem Gewichtsverlust. Oft keine Krankheitseinsicht. Bulimie („Fressattacken“). Aufnahme von großen Essmengen innerhalb kurzer Zeit, meist gefolgt von selbstinduziertem Erbrechen. Oft normalgewichtig. Kombination mit Anorexie möglich.
Notfallanamnese
•
• •
19 Pathophysiologie Extremer Gewichtsverlust durch fehlende Nahrungszufuhr. Elektrolytstörungen (K, Na, Cl, Mg, Phosphat) infolge rezidivierenden Erbrechens und häufigen Medikamentenmissbrauchs (Laxanzien und Diuretika). Risiko: Plötzlicher Herztod. Das Verschlingen großer Nahrungsmengen führt selten (dann aber lebensbedrohlich!) zu einer akuten Dilatation/Perforation des Magens.
Es ist oft schwierig, von den Betroffenen zu erfahren, dass sie kaum Nahrung zu sich nehmen bzw. einen Arzneimittelabusus betreiben. Sie sind getrieben von der panischen Angst, dick zu sein trotz ihres elenden körperlichen Zustandes. Bulimische Attacken werden oft verheimlicht, das Ausmaß der verschlungenen Nahrungsmengen verniedlicht. Fremdanamnese ist wichtig: Wie viel Gewicht wurde in welchem Zeitraum verloren?
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Patienten sind meist bradykard, hypoton und zeigen selten Beinödeme. Erfassung von Größe und Gewicht zur Berechnung des Body Mass Index:
BMI = Körpergewicht [kg]/(Körpergröße [m])2
Der suizidale Patient Kritisch ist ein BMI < 13, wobei zusätzliche Elektrolytstörungen sowie rascher Gewichtsverlust auch eine lebensbedrohliche Situation bei höherem BMI verursachen können.
Diagnostik Die Diagnose wird durch die Anamnese und den Status (Anorexie) gestellt. Labor. Elektrolyte (Mg normal, P normal, Na fl; bei Erbrechen: K flfl, Cl flfl), Nierenparameter (Kreatinin und Harnstoff normal), Glukose fl, Leberenzyme (ASAT, ALAT, alkalische Phosphatase und g-GT normal), Blutbild (Leukozyten fl, Erythrozyten fl, Thrombozyten normal), Albumin fl bis normal. EKG. Bradykardie, Elektrolytstörung! QT-Verlängerung. Röntgen. Abdomenleeraufnahme (im Stehen) bei Verdacht auf akute Magendilatation (Perforation: freie Luft subphrenisch).
Therapie “Start low and go slow”.
Notfallmanagement
• •
•
Ausgleich der Elektrolytstörungen: bei geringer Abweichung orale Substitution, bei wesentlicher Abweichung i. v. Substitution (s. Kap. 7, S. 193). Kalorienzufuhr: In der Regel kann mit der Kalorienzufuhr abgewartet werden, bis unter Beteiligung psychosomatischer oder psychiatrischer Fachpersonen eine Vereinbarung über das weitere Prozedere erreicht wurde (Verhandlungen sind meist langwierig und frustran, Nahrungszufuhr gegen den Willen der Patientin lokal und national sehr unterschiedlich geregelt). Falls Kalorienzufuhr in den ersten 24 h unumgänglich ist, sollten 35 kcal/kg KG (Ist-Gewicht) in 24 h nicht überschritten werden, da sonst die Gefahr eines Refeeding-Syndroms (Phosphat flfl, Hypervolämie, Beinödeme, kardiale Insuffizienz) besteht. Eine orale Zufuhr ist zu bevorzugen; falls dies nicht möglich ist, ist eine enterale Zufuhr, z. B. mit dünner Nasensonde und Pumpe, angezeigt. Akute Magendilatation: Falls kein Zeichen einer Perforation oder Peritonitis vorhanden ist, versucht man, den Mageninhalt endoskopisch oder mittels Magensonde abzusaugen. Andernfalls ist ein sofortiges chirurgisches Vorgehen notwendig.
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Weitere Maßnahmen Kooperation mit Spezialisten (Psychiatrie, Psychosomatik).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• • •
Vor neuerlicher Elektrolytsubstitution (i. v.) Kontrolle der aktuellen Werte. Gewicht (vermeide Gewichtszunahmen von mehr als 1 – 2 kg in den ersten 24 h). Kontrolle des Patientenverhaltens: Manche Patienten manipulieren an medizinischen Geräten, um eine Kalorienzufuhr zu verhindern und gefährden damit ihre Sicherheit.
Besondere Merkpunkte Je tiefer das Gewicht und je ausgeprägter die Elektrolytstörungen (K!), desto größer ist die Gefahr eines plötzlichen Todes (Herzrhythmusstörungen).
19.2 Der suizidale Patient W. Herzog, C. Nikendei
Definition und Einteilung Suizidalität. Suizidalität ist die Summe der Denkund Verhaltensweisen von Menschen oder Gruppen von Menschen, die in Gedanken, durch aktives Handeln, Handeln lassen oder passives Unterlassen den eigenen Tod anstreben bzw. als Möglichkeit in Kauf nehmen. Suizid. Vorsätzliches selbstschädigendes Verhalten mit tödlichem Ausgang. Suizidversuch. Absichtliche Selbstschädigung mit dem Ziel des tödlichen Ausgangs, auch wenn die Handlung von außen betrachtet nicht zum Tod führen kann. „Präsuizidales Syndrom“. Geht der Suizidhandlung oft voraus und ist charakterisiert durch • zunehmende Einengung des Erlebens und Denkens mit Blockade einer alternativen Situationsbewältigung mit nachfolgender sozialer Isolierung und Vereinsamung, • angestaute Aggressionen, die in einer Aggressionsumkehr gegen die eigene Person gewendet werden, und • Flucht in Todes- und Suizidphantasien.
?
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Psychiatrie
Mit dem Entschluss zum Suizid kann sich ein Erleben innerer Ruhe einstellen, das der Ausführung der Suizidhandlung vorausgeht: persönliche Angelegenheiten werden geordnet, Abschiedsbriefe verfasst, angefangene Suizidvorbereitungen abgeschlossen. „Parasuizidales Verhalten“. Ein Suizidversuch, verstanden als „parasuizidales Verhalten“, hat oft eine doppelte Funktion, einerseits innerpsychische Spannungen abzubauen (z. B. Wut, Leeregefühle) und andererseits bestimmte Verhalten anderer Menschen zu bewirken (z. B. fürsorgliche oder bestrafende Zuwendung) und damit eine belastende Lebenssituation zu verändern. Eine „weiche“ Suizidmethode und die Art der Ankündigung (appellative Komponente) erhöhen die Möglichkeit einer Rettung, dürfen jedoch nicht über die Ernsthaftigkeit der Suizidabsicht hinwegtäuschen.
Pathophysiologie Auf der physiologischen Ebene fallen auf: niedrige präsynaptische Serotonin-Rezeptor-Dichte, hohe postsynaptische Rezeptordichte, niedrige 5-Hydroxyindolessigsäure-Konzentration im Liquor, womit Impulsivität und Aggressivität im Zusammenhang stehen. Unter psychodynamischen Aspekten wird von einem Einbruch im Selbstwerterleben ausgegangen (narzisstische Krise). Verhaltenstherapeutisch gesehen steht der Person in einer Situation nur ein eingeengtes Denk- und Verhaltensrepertoire (Coping) zur Verfügung. Risikogruppen. 90% der Suizidenten leiden an einer psychischen Störung: Depression 40 – 60%, Alkoholabhängigkeit 20%, Schizophrenie 10 %. Ein Drittel der Personen mit Suizidversuchen in der Vorgeschichte begehen einen erneuten Suizidversuch, 10% suizidieren sich erfolgreich innerhalb der folgenden 10 Jahre. Besonders suizidgefährdet sind isolierte, alte und einsame Menschen sowie Personen mit chronischen oder unheilbaren Erkrankungen.
19 Typische Krankheitszeichen Prägnanztypen • Freud-, hoffnungslos: depressive Stimmung, Hoffnungslosigkeit, resignative Gleichgültigkeit, Wertlosigkeit, Insuffizienzgefühle und psychomotorische Hemmung (stille, nach innen gewandte Krise: „Implosion“ bei chronifizierter Depression, schizophrener Minussymptomatik).
• •
Ängstlich-agitiert: psychomotorische Unruhe, verzweifelte Ängstlichkeit (bei schwerer Depression, Angststörung). Impulsiv-aggressiv: Reizbarkeit, zurückweisendes Verhalten, Aggressivität (laute Krise: „Explosion“ bei Verlust der Impulskontrolle bei Persönlichkeitsstörung, Alkoholabhängigkeit).
Differenzialdiagnose
• • • •
(Auslösende) Belastungssituation: Konflikte in Beziehung und Familie, Arbeitsplatzprobleme, finanzielle Sorgen, verschuldeter Unfall, Mitteilung über eine schwere Erkrankung. Psychische Störung: Depression (Tab. 19.1), Angststörung, Alkoholabhängigkeit, Drogenabhängigkeit, Schizophrenie. Pharmakogene Ursachen (Tab. 19.2). Somatogene (Mit-)Verursachung: chronische und schwere körperliche Erkrankungen können eine Depression im Rahmen der Krankheitsverarbeitung auslösen oder durch zentralnervöse Beeinflussung bedingen.
Tabelle 19.1 Diagnostische Kriterien der depressiven Episode nach ICD-10 (Major-Depression). Symptomatik Hauptsymptome • gedrckte, depressive Stimmung • Freudlosigkeit, Interessenverlust • Antrieb vermindert, erhçhte Ermdbarkeit, energielos weitere Symptome
• geringes Selbstvertrauen, Gefhl der Wertlosigkeit, berhçhte Schuldgefhle
• suizidale Gedanken/Handlungen • Konzentration vermindert, gehemmtes Denken, Entscheidungen fallen schwer
• psychomotorische Unruhe oder Gehemmtsein • Schlafstçrungen • Appetitminderung, Gewichtsabnahme Mindestdauer 2 Wochen Schweregrade leicht, mittel, schwer ohne/mit psychotischen Symptomen (Wahnideen: Verarmung, Versndigung, hypochondrisch; Stupor) Bei Vorliegen von mindestens 2 Hauptsymptomen und mindestens 2 weiteren Symptomen ist von einer behandlungsbedrftigen Depression auszugehen.
Der suizidale Patient
533
Tabelle 19.2 Arzneimittel, die eine Depression mit auslçsen kçnnen. Antihypertensiva, Antiarrhythmika
a-Methyl-Dopa, Betablocker, Clonidin, Digitalis, Prazosin, Reserpin
Hormone
adrenokortikotropes Hormon (ACTH), Danazol, Gestagene, Glukokortikoide, strogene
Antibiotika, Zytostatika
Chloroquin, Metronidazol, Ofloxacin, Procarbazin, Sulfonamide, Tetrazykline, Vinblastin
Analgetika, Antirheumatika
Indometacin, Opioide
Psychopharmaka
Benzodiazepine (Langzeiteinnahme bzw. Entzugsreaktion), Neuroleptika
Parkinson-Mittel
Amantadin, L-Dopa
Sonstige
Disulfiram, Flunarizin, Interferon, Metoclopramid
Abschiedsbriefe? Anwesende Angehörige gezielt zur aktuellen Krise, Lebenssituation, Erkrankungen, Behandlungen (Arzneimittel) befragen.
Notfallanamnese
• •
•
•
Klären, ob ein Suizidversuch tatsächlich begangen wurde oder der Patient „lediglich“ die Absicht hatte sich zu suizidieren, ohne das Vorhaben in die Tat umgesetzt zu haben. Verletzter oder intoxikierter Patient: Bewusstseinszustand durch ruhige direkte Ansprache überprüfen. Mit einfachen Fragen Zeitpunkt und Art eingenommener Substanzen erfragen. Suizidversuch als solchen vorwurfsfrei erfragen und Verständnis für ausweglos erscheinende Lebenssituationen signalisieren. Kann der Patient Auslöser benennen? Bewusstseinsklarer und gesprächsbereiter Patient: nach früheren Suizidversuchen fragen, Erkrankungen eruieren: Depression, Drogen, Alkohol, Psychosen, Impulsdurchbrüche, chronische körperliche Erkrankungen, somatoforme Schmerzstörung (kontinuierlicher, schwerer und belastender Schmerz in einem Körperteil, der nicht adäquat somatisch erklärt werden kann), chronische Schlaflosigkeit, Vorbehandlungen, aktuelle Lebenssituation (Verlusterlebnisse bzw. Jahrestage verlorener Angehöriger, soziale Isolation, Beziehungskonflikte, finanzielle Situation, Arbeitslosigkeit). Fremdanamnese: Angehörige und das einweisende Notfallteam befragen, da Patientenangaben oft ungenau und lückenhaft sind. Wo wurde der Patient gefunden und was befand sich in seiner Umgebung, z. B. Tabletten, Flaschen, Drogenbesteck, Putz-, Lösungs-, Pflanzenschutzmittel oder
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Kreislaufparameter und Atmung (Suppression bei Benzodiazepin- und Barbituratintoxikation, s. S. 463). Bewusstseinszustand (Glasgow Coma Scale s. S. 439): reagiert Patient auf Ansprache, Schmerzreize? Orientiertheit zu Zeit, Ort, Person, Amnesie? Fötor (Alkohol, Chemikalien). Körperliche Untersuchung: Verletzungen (Wunden und alte Narben), Einstichstellen (Drogen).
Diagnostik Labor • Im Blut: Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, Blutbild, Alkoholkonzentration im Blut. • Drogen-Screening im Urin: Opioide, Tetrahydrocannabinol (THC), Met-, Amphetamine, Kokain, Benzodiazepine, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva. Testdiagnostik nach der akuten Aufnahmesituation. PHQ (Patient Health Questionnaire, deutsche Version) als Screening-Instrument für psychische Störungen nach ICD-10 (ca. 10 min Ausfüllzeit durch Patienten).
?
534
Psychiatrie
Therapie Notfallmanagement Bei Intoxikation oder Verletzung: somatische Akutversorgung. Wenn nicht notwendig, dann: Gespräch (EG-D) • Kontaktaufnahme in ruhiger Umgebung (Reizschutz und persönliche Gesprächssituation herstellen). Die Botschaft ist: Ich bin bereit, Sie zu akzeptieren. Cave! Sich bewusst sein, dass Angst und verborgene Aggressivität das innere Erleben des Patienten bestimmen. Dies überträgt sich auf die Umgebung, auch auf den Arzt. Sich dessen bewusst sein hilft, zwischen der Situation des Patienten und dem eigenen fachgerechten Auftreten und Handeln zu unterscheiden. • Zeit nehmen und vermitteln: Ich bin bereit, Ihnen zuzuhören. Dieses Gesprächsangebot ist wesentlicher Bestandteil der antisuizidalen Behandlung, auch in der Akutsituation. • Informationen vom Patienten erfragen und den Patienten berichten lassen. Hierbei nicht schnell erklären oder gar bagatellisieren, sondern verständnisvoll ernst nehmen. • Einschätzen, ob ein Symptom so ausgeprägt ist, dass eine unmittelbare medikamentöse Behandlung indiziert ist. Hierbei ist eine laufende Psychopharmakotherapie bzw. eine kurz zuvor erfolgte unklare Substanzeinnahme zu berücksichtigen.
19
Medikation (EG-D) • Bei Angst, innerer und psychomotorischer Unruhe sowie Depression: Benzodiazepine mit schnellem Wirkungseintritt: – z. B. Diazepam sublingual (in flüssiger Form) oder oral 10 mg, Tagesdosierung 3 × 15 mg, maximale Tagesdosierung stationär 60 mg (i. v. Applikation von Diazepam 5 – 10 mg ist möglich, wegen der Gefahr einer Atemsuppression, insbesondere auch bei alkoholisierten Patienten, wird jedoch ein sehr restriktiver Einsatz empfohlen), – alternativ Lorazepam oral oder sublingual 1 mg, schnell absorbierende Darreichungsform, Tagesdosierung 4 × 1 mg, maximale Tagesdosis stationär 7,5 mg. • Bei psychotischen Symptomen, wie Wahnideen oder paranoide halluzinatorische Syndrome: – Haloperidol oral 10 – 20 mg; i. v. oder i. m. 5 – 10 mg.
Prozedere klären • Patient soweit möglich einbeziehen, was ihm gegenüber Geduld, Einfühlungsvermögen und Entschiedenheit verlangt. Angst, Ambivalenz und Scham erschweren es dem Patienten oft, sich aktiv und klar für die indizierte Behandlung zu entscheiden. • Suizidalität einschätzen (Tab. 19.3): ausgeprägte Suizidalität: geäußerte Suizidabsichten, konkrete Pläne und Vorbereitungen, deutliche Symptomatik einer psychischen Erkrankung, Risikogruppenzugehörigkeit und als stärkster Prädiktor: bereits stattgehabte Suizidversuche. Bei fehlender Behandlungseinsicht des Patienten ist eine stationäre psychiatrische Einweisung gegen den Willen des Patienten einzuleiten. • Je mehr Fragen wie in Tab. 19.3 angegeben mit ja bzw. nein beantwortet werden, desto höher ist das Suizidrisiko. Ort der Behandlung • Muss der Patient aus internistischen Gründen stationär behandelt werden? • Wann kann ein Psychiater hinzugezogen werden? Mit diesem ist abzusprechen, ob der Patient in eine psychiatrische Abteilung zur fachspezifischen Diagnostik und zur Einstellung einer spezifischen Medikation verlegt wird oder eine verbindliche, kurzfristige und engmaschige ambulante Behandlung verfügbar ist. Nach Suizidversuch besteht in den ersten 3 Tagen die größte Gesprächsbereitschaft, was therapeutisch genutzt werden sollte. • Bei internistisch erkrankten Patienten mit Suizidabsichten ist in Absprache mit einem Psychiater die Priorität der internistischen und psychiatrischen Behandlungsschritte abzusprechen.
Weitere Maßnahmen Benzodiazepine sollten frühzeitig wieder reduziert werden und ggf. durch Antidepressiva ersetzt werden.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Bei persistierender Suizidalität ist eine dauerhafte Beobachtung des Patienten notwendig (allzeit einsehbarer Raum oder Sitzwache). Fenster sollen nicht zu öffnen sein, Gegenstände mit denen eine Selbstverletzung leicht möglich ist, sind zu entfernen. Kleidung und persönliche Sachen sollten im Beisein
Der erregte Patient
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Tabelle 19.3 Fragen zur Einschtzung der Suizidalitt. Haben Sie in letzter Zeit daran denken mssen, sich das Leben zu nehmen?
ja
Hufig?
ja
Haben Sie auch daran denken mssen, ohne es zu wollen? Haben sich Selbstmordgedanken aufgedrngt?
ja
Haben Sie konkrete Ideen, wie Sie einen Suizid durchfhren wollten?
ja
Haben Sie Vorbereitungen hierzu getroffen?
ja
Haben Sie schon mit jemandem ber Ihre Selbstmordabsicht gesprochen?
ja
Haben Sie bereits einmal einen Selbstmordversuch unternommen?
ja
Hat sich in Ihrer Familie, Ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis schon einmal jemand das Leben genommen?
ja
Halten Sie Ihre Situation fr aussichts- und hoffnungslos?
ja
Fllt es Ihnen schwer, an etwas anderes als an Ihre Probleme zu denken?
ja
Haben Sie in letzter Zeit weniger Kontakte zu Ihren Verwandten, Bekannten und Freunden?
ja
Haben Sie noch Interesse daran, was in Ihrem Beruf und in Ihrer Umgebung vor sich geht? Interessieren Sie sich noch fr Ihre Hobbys?
nein
Haben Sie jemanden, mit dem Sie offen und vertraulich ber Ihre Probleme sprechen kçnnen?
nein
Wohnen Sie zusammen mit Familienmitgliedern oder Bekannten?
nein
Fhlen Sie sich unter starken familiren oder beruflichen Verpflichtungen?
nein
Fhlen Sie sich in einer religiçsen bzw. weltanschaulichen Gemeinschaft verwurzelt?
nein
Anzahl entsprechend beantworteter Fragen: (maximal 16)
des Patienten durchsucht werden. Gang zur Toilette ausschließlich in Begleitung. Nicht nur im Erstkontakt, sondern auch im weiteren Behandlungsverlauf ist die persönliche Beziehung die entscheidende Behandlungsmaßnahme. Auf dieser Basis sollte mit dem Patienten vereinbart werden, dass sich dieser bei erneut auftretenden und aufdrängenden Suizidgedanken und -impulsen jederzeit melden kann und soll. Vorteilhaft ist hierzu eine Konstanz der Behandler sowohl im Pflegeteam als auch von Seiten der Ärzte. Da Schichtarbeit dies nicht kontinuierlich gewährleisten kann, sollte dem Patienten der neue zuständige Behandler persönlich vorgestellt werden.
19.3 Der erregte Patient W. Herzog, C. Nikendei
Definition und Einteilung Ein Erregungszustand ist ein Syndrom unterschiedlicher Ätiologie, das durch psychomotorische Unruhe, Agitiertheit und Antriebssteigerung gekennzeichnet ist.
Typische Krankheitszeichen Äußerlich zeigt sich ein gesteigerter, zielloser Bewegungsdrang, der zusammen mit aggressiven Verhaltensweisen auftreten und zu selbst- und fremdgefährdendem Verhalten führen kann. Innerlich wird die Erregung vom Patienten als Unruhe erlebt, verbunden mit Angstgefühlen bis hin zur Panik, oder aber es besteht eine starke affektive Gespanntheit
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Psychiatrie
mit Misstrauen bis hin zum Gefühl der Bedrohung. Qualitative Bewusstseinsstörungen im Sinne einer Orientierungsstörung zu Zeit, Ort und Person können begleitend bestehen.
Differenzialdiagnose
• •
Verwirrtheit (stärkere qualitative Bewusstseinsstörung mit ausgeprägter kognitiver und Orientierungsstörung). Delir (sympathikotone vegetative Symptome und Wahnerleben) (s. S. 538).
Ursächlich sind zu unterscheiden: Endogene Ursachen • Schizophrenie: Wahngedanken, Sinnestäuschungen, abnorme Leibessensationen, Beeinflussungsideen, Verfolgungswahn; katatone Verlaufsform der Schizophrenie (selten) mit Wechsel von Erregungszustand zu stuporösem, gehemmtem Zustand bis zur lebensbedrohlichen perniziösen/ febrilen Katatonie mit Fieber, Akrozyanose, Bewusstseinstrübung, Petechien; malignes neuroleptisches Syndrom (s. S. 469 und S. 540). • Manie: anhaltend gehoben bis gereizte Stimmung, gesteigertes Selbstbewusstsein/Selbstüberschätzung, Rededrang, Ideenflucht, Ablenkbarkeit, vermindertes Schlafbedürfnis, wortgewandte und aggressive Ablehnung der Therapienotwendigkeit. • Agitierte Depression: bis zum Wahn gesteigerte Befürchtung, zu verarmen, schuldig zu sein, körperlich unrettbar krank zu sein. • Angststörungen: Panikerleben, Hyperventilation, Angst vor Herzkrankheit. • Persönlichkeitsstörung, Minderbegabung.
19
Reaktion auf ein psychisch traumatisierendes Ereignis • Unfall, Gewaltereignis (akute oder posttraumatische Belastungsreaktion), Mitteilung einer schweren Krankheit etc. Exogene Ursachen • Intoxikation: Drogen, Alkohol und Arzneimittel. • Zerebrale Erkrankungen: entzündliche ZNS-Erkrankungen, Epilepsie, Demenz. • Internistische Erkrankungen: Exsikkose, Hypooder Hyperglykämie, Hyperthyreose. • Iatrogene Ursachen: anticholinerg wirkende trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika und
H1-Antihistaminika, Biperiden, paradoxe Reaktion auf Benzodiazepine und Hypnotika.
Notfallanamnese Kontaktaufnahme zum Patienten. Trotz gespannter Atmosphäre ist ein ruhiges, langsames Zugehen auf den Patienten, das sich Vorstellen und Erklären des Hilfsangebotes wichtig. Weder ein zu forsches (verstärkt Bedrohungserleben und Aggression) noch ein zu unentschlossenes Vorgehen (steigert ängstliche Verunsicherung) sind hilfreich. Den Patienten fragen, was er im Moment erlebt, was ihm Angst macht. Wenn die Fortführung einer Anamnese überhaupt möglich ist, gilt es, sich kurz nach Substanzeinnahmen oder bekannten Erkrankungen und Behandlungen zu erkundigen. Fremdanamnese der Angehörigen. Akute Situation (psychisches Trauma, Auseinandersetzung), Erkrankungen, Medikation und Lebenssituation einschließlich Alkohol und Drogen.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Im Erstkontakt ist eine körperliche Untersuchung oft nicht möglich. Wesentlich sind die psychische Beurteilung der Bewusstseinsklarheit, Orientiertheit und Hinweise auf Wahnerleben und delirante Symptome. Nach Sedation internistischer und neurologischer (Pupillen, Reflexdifferenz, Lähmung) Status.
Diagnostik Labor. • Im Blut: Blutbild (Leukozytose, Anämie), CRP (Infektion), Elektrolyte, Glukose (Hypo- oder Hyperglykämie), Leberenzyme (Insuffizienz), Kreatinin (Nierenfunktion), Schilddrüsenwerte (Hyperthyreose), Alkoholspiegel. • Drogen-Screening im Urin: Opioide, Tetrahydrocannabinol, Met-, Amphetamine, Kokain, Benzodiazepine, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva. Technik. EKG, Liquorpunktion bei Hinweis auf entzündliche ZNS-Erkrankung.
Der erregte Patient
Therapie Die symptomatische Erstbehandlung basiert auf folgenden Grundschritten: Kontakt herstellen. Den Patienten und die umgebende Situation durch ruhiges, Verständnis zeigendes, entschiedenes und wohlwollendes Auftreten beruhigen. Die Behandler müssen sich der Übertragung von Aufregung und Aggressivität („ansteckende“ Atmosphäre) bewusst sein, um nicht durch Gegenaggressionen die Situation zu eskalieren. Geduldig versuchen, den Patienten in ein Gespräch zu binden („talking down“). Medikation (EG-D) • Bei Angst, Panik, agitierter Depression, akuter Belastungsreaktion, Persönlichkeitsstörung, Intoxikation mit Kokain, Amphetaminen, Halluzinogenen, Phencyclidin, („Horrortrip“): – 10 mg Diazepam sublingual (in flüssiger Form) oder oral. Wenn Patient zu unruhig, 5 – 10 mg Diazepam i. m. oder i. v. – Keine Gabe von Benzodiazepinen bei Intoxikation mit Alkohol, Sedativa, Hypnotika und Opioiden wegen verstärkter Atemdepression. • Bei psychotischen Symptomen, Manie, Demenz, geriatrischen Patienten und organisch bedingten psychischen Störungen, Intoxikation mit Alkohol, Sedativa, Hypnotika und Opioiden: – Haloperidol 5 – 10 mg oral, i. v. oder i. m. – Wenn die Kooperation mit dem Patienten nicht möglich, jedoch Selbst- und Fremdgefährdung (Verletzungsgefahr) besteht, frühzeitig mit mindestens 6 Personen (nötigenfalls Polizei hinzuziehen) den Patienten festhalten und das indizierte Arzneimittel verabreichen. – Die Arzneimittelgabe kann unter Beachtung der Atmung und Kreislaufparameter nach 30 min wiederholt werden. • Klinisch und anamnestisch Anhalt für eine Schizophrenie oder Manie: – Zur stärkeren Sedierung kann statt Haloperidol oder in Kombination mit Haloperidol Levomepromazin 25 – 50 mg i. m. oder oral (50% höhere Dosierung) gegeben werden. Cave! Keine i. v. Applikation wegen starker Hypotonie! • Epilepsie (Dämmerzustand): nichtkonvulsiver Petit-Mal-Status bzw. konvulsiver Status psychomotoricus („Dämmerattacke“): s. S. 400.
•
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Bei internistisch erkrankten intoxikierten oder exsikkierten Patienten: i. v. Flüssigkeitszufuhr unter Kreislauf- und Elektrolytkontrolle sowie Bilanzierung und therapeutische Maßnahmen der jeweiligen Erkrankung.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
• •
Kreislauf- und Atemkontrolle, besonders nach Einsatz einer medikamentösen Therapie. Den Patienten in einen ruhigen, hellen, leicht einsehbaren Raum (reizarme Umgebung) begleiten, durch Kontakt beruhigen. Bei weiterer Befragung des Patienten beachten, dass dies zu erneuter Unruhe führen kann. Die Anamnese muss dann auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Fremdanamnestische Angaben von Angehörigen und sobald möglich von ambulanten Behandlern (Hausarzt, Facharzt) einholen. Nach Abklärung einer akut zu behandelnden internistischen Erkrankung ist die Verlegung in eine neurologische Klinik bei Hinweis auf entzündliche ZNS-Erkrankung oder Epilepsie (EEG, Schädel-CT, MRT) vorzunehmen bzw. die Verlegung in eine Psychiatrische Klinik bei psychischer Störung mit dem Psychiater zu planen.
Besondere Merkpunkte Der momentane Querschnittsbefund wird gegenüber der Verlaufsbeurteilung überbewertet (fluktuierender Verlauf). Die unruhige und angespannte Situation kann dann zu einer iatrogenen Überdosierung von Arzneimitteln führen. Psychopharmaka brauchen Zeit zu wirken. Frühdyskinesien. Eine Neuroleptikagabe kann insbesondere bei nicht damit vormedizierten Patienten, bei schneller Gabe und plötzlicher Dosissteigerung zu Frühdyskinesien führen: • Symptome: krampfartiges Herausstrecken der Zunge, Blickkrämpfe, Hyperkinesien der Gesichtsmuskulatur, kloßige Sprache, Opisthotonus, tortikollisartige, choreatische Bewegungsabläufe der Muskulatur an Hals und Armen. Selten, jedoch sehr bedrohlich erlebt, sind laryngeale und pharyngeale Spasmen. • Soforttherapie: 2,5 – 5 mg Biperiden langsam i. v. (EG-D).
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Psychiatrie
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19.4 Der delirante Patient W. Herzog, C. Nikendei
Definition und Einteilung Das Delir stellt eine in der internistischen Notfallmedizin relevante Ausprägung akuter organischer/exogener Psychosyndrome dar. Das Delir tritt relativ plötzlich auf und ist grundsätzlich reversibel.
• • • • • •
Typische Krankheitszeichen Eine Übersicht zeigt Tab. 19.4. Delir. Beim Delir bestehen: • Bewusstseinsveränderungen mit Störung: des formalen Denkens (verworren, unzusammenhängend, Haften an Gedanken, Perseveration), der Auffassung (eingeschränktes kritisches Einschätzungsvermögen), Aufmerksamkeit und Konzentration. • Gestörte Orientiertheit zu: Zeit, Ort und Person.
Tabelle 19.4 ICD-10.
Diagnostische Kriterien des Delirs nach
Symptomatik 1. Stçrung des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit 2. Stçrung der Kognition (Immediatgedchtnis und Kurzzeitgedchtnis) 3. Desorientiertheit zu Ort, Zeit und Person 4. Psychomotorische Stçrungen (rascher, nicht vorhersagbarer Wechsel zwischen Hypo- und Hyperaktivitt; verlngerte Reaktionszeit; vermehrter oder verminderter Redefluss; verstrkte Schreckreaktion)
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5. Stçrung des Schlaf-Wach-Rhythmus; nchtliche Symptomverschlimmerung; Albtrume, die nach dem Erwachen als Halluzinationen oder Illusionen weiter bestehen kçnnen 6. Plçtzlicher Beginn und im Tagesverlauf schwankende Symptomausprgung Dauer Weniger als 6 Monate Ein Delir liegt vor, wenn die Symptome 1, 2, 3 und 6 erfllt sind und eines der beiden oder die beiden Symptome 4 und 5 vorliegen.
Benommenheit kann bestehen, jedoch keine höhergradige quantitative Bewusstseinsstörung. Zusätzlich können Ratlosigkeit, Angst, Dysphorie und Bewegungsdrang, motorische Unruhe bis zur Erregung vorkommen. Sympathikotone Dysregulation: Blässe, Erröten, Schwitzen, Tachykardie, Wechsel von Hypo- und Hypertonie, Tachypnoe, Übelkeit, Erbrechen. Neurologisch: Tremor, Ataxie, Dysarthrie. Psychisch: Halluzinationen (meistens optische, einhergehend mit Nesteln zur „Abwehr“) oder illusionäre Verkennung (starke Schreckhaftigkeit). Verlauf: Die Symptome treten zumeist plötzlich binnen Stunden auf und unterliegen starken, oft stündlichen Schwankungen. Nach Abklingen der Symptomatik besteht eine Amnesie für das Erlebte.
Differenzialdiagnose Das Delir tritt bei akuten körperlichen Schädigungen oder Erkrankungen auf: • chronische zerebrale Durchblutungsstörungen, • Hirntraumata (Hypoxie, Hirninfarkt, Hirnblutung, subdurales Hämatom, Hirntumor, Enzephalitis, Meningitis), • schwere internistische Erkrankungen, • Intoxikationen (Alkohol, Drogen, Benzodiazepine, Barbiturate), • unerwünschte Arzneimittelwirkungen: Anticholinergika (trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika, H1- und H2-Antihistaminika, Clozapin), Lithium, Aminophyllin, Glukokortikoide, ACTH, Digitalis, Antiparkinsonmittel (Amantadin, Biperiden, Bromocriptin, L-DOPA), • bei älteren Patienten paradoxe Benzodiazepinwirkung oder Überdosierung durch Fehleinnahme bzw. begleitende Leber- und Niereninsuffizienz, • malignes neuroleptisches Syndrom (s. S. 540), • demenzielle Erkrankungen (Tab. 19.5).
Notfallanamnese
•
Den Patienten ansprechen, um Bewusstseinszustand und Orientiertheit zu prüfen. Kann er Angaben zur aktuellen Situation machen? Substanzeinnahme, Stürze oder sonstige Unfallereignisse erfragen bzw. aus der Umgebungssituation erschließen. Evtl. kann der Patient bestehende Schmerzen nicht ausdrücken.
Der delirante Patient
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Tabelle 19.5 Differenzialdiagnose Delir – Demenz. Merkmal
Delir
Demenz
Bewusstseinstrbung
ja
nein
Beginn
plçtzlich, bekannter Zeitpunkt
schleichend
Verlauf
akut, Tage bis Wochen
chronisch fortschreitend
Orientierungsstçrung
frh im Verlauf
erst spt im Verlauf
Befundschwankungen
ausgeprgt
gering
Psychomotorische Vernderungen
wechselnd hypo-/hyperaktiv
spt im Verlauf
Kçrperliche Befunde
ausgeprgt
meist gering
•
Fremdanamnese, in der Akutsituation nötig: Dauer des Zustandes, Erkrankungen und Behandlungen erfragen.
Therapie Notfallmanagement
Notfalluntersuchung Klinik Internistischer Status. Herz- und Lungenerkrankung? Fieber oder andere Infektionszeichen? Ist der Patient kaltschweißig, tachykard, exsikkiert? Gerade bei älteren Patienten können typische Infektionszeichen fehlen. Wunden oder Prellmarken suchen oder ertasten (Schwellung, Schmerzreaktion). Neurologischer Status. Pupille, Reflexe, Nackensteife.
• • • • •
Diagnostik Labor • Im Blut: Glukose (Hypo-, Hyperglykämie), Herzenzyme (Infarkt), Leberenzyme (Insuffizienz), Kreatinin (Niereninsuffizienz), Elektrolyte, Blutbild (Leukozytose, Anämie, Polyglobulie), CRP (Infektion), BSG (Vaskulitis), Schilddrüsenwerte (Hypo-, Hyperthyreose), Alkoholspiegel. • Drogen-Screening im Urin: Opioide, Tetrahydrocannabinol, Met-, Amphetamine, Kokain, Benzodiazepine, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva. EKG. Infarktausschluss. Röntgen. Thorax (Pneumonie), Schädel-CT (Insult, Raumforderung).
•
Den Patienten in einen ruhigen, hellen Raum bringen, durch Zuwendung beruhigen, Sicherheit vermitteln. Venöser Zugang, Flüssigkeitssubstitution. Absetzen aller auslösenden Arzneimittel (Antidepressiva, Neuroleptika, Anticholinergika) und kritische Durchsicht aller Arzneimittel mit dem Ziel, nur die geringste nötige Dosis zu verabreichen. Behandlung bestehender Grundkrankheiten. Verwirrtheit: symptomatische medikamentöse Therapie (EG-D): – bei älteren Patienten oder unklarer Intoxikation: Haloperidol 2,5 mg p. o. oder i. v.; sonst können Haloperidol 5 mg oral oder i. v. gegeben werden, – bei Ausschluss einer Intoxikation (wegen Atemdepression) alternativ Diazepam 5 – 10 mg p. o. oder 5 mg i. v. Delir: Gabe von Clomethiazol (EG-D): – Therapiebeginn mit 2 – 4 Kapseln à 192 mg. – Wenn nach 30 min keine ausreichende Sedation erreicht ist, können in den ersten 2 h insgesamt 6 – 8 Kapseln gegeben werden, dann 1bis 2-stündlich jeweils 2 weitere Kapseln bis zu maximal 20 Kapseln/d. – Nach Plateauphase von 3 – 5 Tagen über weitere 8 – 10 Tage ausschleichend absetzen. – Wegen des Suchtpotenzials keine Behandlung länger als 14 Tage. Während der gesamten Behandlung ist eine fortlaufende Kreislauf- und Atemkontrolle nötig. Auf Verschleimung der Bronchien achten, ggf. Dosis reduzieren.
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Psychiatrie
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Kreislaufparameter, Atmung, Bewusstsein engmaschig kontrollieren. Bei quantitativer Bewusstseinsstörung oder neuen neurologischen Ausfällen Bildgebung durch Schädel-CT.
Besondere Merkpunkte
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Malignes neuroleptisches Syndrom. Seltene (Inzidenz ca. 0,07 – 0,5%, häufiger bei Männern und Patienten unter 40 Jahren), jedoch gefährliche unerwünschte Neuroleptikanebenwirkung (tödlicher Verlauf in ca. 20%). Auslösezeitpunkt meistens in den ersten 2 Wochen nach Beginn einer Neuroleptikatherapie oder bei starker Dosissteigerung, grundsätzlich jedoch immer möglich, durch alle Neuroleptika und bei jeder Dosierung. In Kombination mit Lithium ist das Risiko vermutlich höher. Symptome entwickeln sich binnen 24 – 72 h. Besserung nach Absetzen der oralen Neuroleptika nach 5 – 15 Tagen, bei i. m. Gabe (Depotpräparate) 2- bis 3-fach verlängert. • Hauptsymptome: Fieber, Rigor, CK-Erhöhung. • Begleitsymptome: Tachykardie, Blutdrucklabilität, Tachypnoe, Schwitzen, Leukozytose, Bewusstseinsstörung. • Diagnosestellung: 2 der Hauptsymptome und 4 der Begleitsymptome, ein zeitlicher Zusammenhang zu einer Neuroleptikagabe muss bestehen. • Fakultative Symptome: Akinese, Dys- und Hyperkinesien, Stupor, wechselnde Bewusstseinslage bis zum Koma, Leukozytose (bei ca. 50 %), Lebertransaminasen und alkalische Phosphatase erhöht, metabolische Azidose. • Differenzialdiagnose: Schwierig ist die Differenzialdiagnose zur febrilen Katatonie als seltene Verlaufsform der Schizophrenie mit Erhöhung der Neuroleptikagabe („katatones Dilemma“). • Therapie (EG-D): – Kühlung zur Temperaturreduktion, Flüssigkeitszufuhr, initial 50 mg Dantrolen oral, Wiederholung nach 2 – 3 h. Orale Dosis bis 4 – 10 mg/kg KG pro 24 h. – Bei schwerer Symptomatik: i. v. Gabe von 2,5 mg/kg KG Dantrolen in Kurzinfusion. Dauerinfusion je nach Klinik bis 10 mg/kg KG in den ersten 24 h. Danach bei i. v. Therapie 2,5 mg/kg KG als Dauerinfusion. – Überwachung der Vitalparameter. Therapieerfolg unter Dantrolen zeigt sich zuerst in Ab-
nahme der Körpertemperatur, Atem- und Herzfrequenz, dann erst in Abnahme der Muskelrigidität und CK-Abfall. – Alternativ bzw. in Kombination mit Dantrolen wird der Dopaminagonist Bromocriptin in Dosen von 10 – 30 mg/d bis maximal 60 mg/d eingesetzt.
19.5 Panikattacken W. Langewitz
Definition und Einteilung Panikattacken bezeichnen das plötzliche, unvorhergesehene Auftreten intensiver Angst, die von körperlichen Symptomen begleitet wird (Tab. 19.6). Körperliche Erkrankungen, die zum aktuellen Zeitpunkt die schwere anfallsartige Angst erklären könnten, schließen die Diagnose einer Panikattacke aus. Eine Panikattacke mit Agoraphobie liegt vor, wenn die Angst situativ ausgelöst wird, z. B. im Bus, bei der Durchfahrung eines Tunnels oder in Momenten öffentlicher Aufmerksamkeit. Körperliche Symptome. Patienten, die aufgrund körperlicher Symptome Angst von so großer Intensität entwickeln, dass sie eine Notfallstation aufsu-
Tabelle 19.6 Hufigkeit kçrperlicher Symptome bei Patienten mit Panikattacken (n = 1168). Symptome
• Palpitationen • Schwindel • Hitze- oder Kltegefhl • Zittern • Schwitzen • Atemnot • Schwchegefhl • Erstickungsangst, Lufthunger • Angst zu sterben • Brustschmerzen/Unwohlsein • Angst, verrckt zu werden,
Häufigkeit in % 88 83 80 76 75 75 64 63 63 60 56
die Kontrolle zu verlieren
• belkeit, Bauchbeschwerden • Kribbeln, Taubheitsgefhle • Depersonalisation/Derealisation
55 53 49
Panikattacken chen, zeigen vor allem Symptome, die in Laienvorstellungen mit großen Gesundheitsrisiken verbunden sind: Brustschmerzen, die als „Herzschmerzen“ wahrgenommen werden und respiratorische Probleme.
Pathophysiologie Wie Abb. 19.1 zeigt, lassen sich körperliche Wahrnehmungen und Gedanken der Patienten in einem Teufelskreis anordnen, der durch die Einengung der Aufmerksamkeit auf Körperwahrnehmungen und durch die vegetativen Begleitreaktionen der Angst angetrieben wird: Die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf internale Signale aus dem Körper erhöht die Wahrscheinlichkeit, Veränderungen zu spüren. Diese werden im Sinne einer Bedrohung interpretiert; die daraus resultierende Angst führt zu meist diskreten körperlichen Phänomenen wie Mundtrockenheit, Zunahme von Herz- und Atemfrequenz etc., die aufgrund der Verschiebung der Aufmerksamkeit wie durch ein Vergrößerungsglas wahrgenommen werden. Die katastrophale Interpretation dieser Wahrnehmungen verstärkt wiederum die Angst. Eine zusätzlich bestehende Hyperventilation verlängert die Angstattacke, da sich hyperventilationsbedingte und eigentliche Angstsymptome überlagern.
Typische Krankheitszeichen Anamnestisch • Schnelles Abflauen der Symptome und der Angst, sobald die Patienten sich im Schutz der Notfallstation befinden. • Trotz der dramatisch erlebten Angst selten gravierende Tachykardie oder erhöhte Blutdruckwerte. • Kurze Dauer der bestehenden Beschwerden (in der Regel unter 1 h) und wiederholte Episoden mit ähnlicher Symptomatik in den letzten Wochen. • Manche Patienten zeigen Symptome, die für eine Hyperventilation sprechen (s. S. 214). • Verlauf: steiler Anstieg der Intensität von Angst und körperlichen Beschwerden binnen Minuten, Persistenz der intensiven Angst für 10 – 30 min, langsames Abflauen der Angst für weitere 30 min; Angst vor einer erneuten Attacke (Angst vor der Angst) über Wochen bis Monate (bis Jahre).
541
Wahrnehmungen: Herz klopft, Hals wird eng, Schwindel
Physiologie der Angst
Psychologie der Angst: Fokussieren auf ängstigende Signale (im Körper)
Interpretationen: „Herz setzt aus“ „Ich ersticke“ „Ich falle um“
Emotion: Unruhe Angst Panik
Abb. 19.1 Kognitives Modell der Panikattacke. Kçrperliche Wahrnehmungen werden katastrophal interpretiert. Dies fhrt zu Unruhe und Angst. Die Patienten fokussieren ihre Aufmerksamkeit auf weitere Signale aus dem Kçrper. Dies erhçht – zusammen mit dem Auftreten physiologischer Angstreaktionen – die Wahrscheinlichkeit, weitere kçrperliche Signale wahrzunehmen, die wieder katastrophal interpretiert werden etc.
Grundelemente. Aus der spontanen Schilderung des aktuellen Anfalls lassen sich häufig die wesentlichen Grundelemente einer Panikattacke rekonstruieren: • körperliche Wahrnehmungen, • katastrophale Interpretation dieser Wahrnehmungen, • emotionale Reaktion: panische Angst oder intensives Unbehagen.
Differenzialdiagnose Sekundäre Angstsyndrome. Bei körperlichen Grunderkrankungen (z. B. bei Lungenödem), psychiatrischen Grunderkrankungen, z. B. akute Psychose (z. B. Angst verfolgt zu werden), nach Arzneimitteloder Drogeneinnahme oder im Rahmen einer Entzugssymptomatik. Andere primäre Angstsyndrome. Generalisierte Angststörung (weniger Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, eher Angst vor unbestimmten Schicksalsschlägen), Zwangsstörung (wenn der Patient an der Ausführung von Zwangshandlungen gehindert wird), posttraumatische Belastungsstörung (nach dem Erleben von Situationen, die an das ur-
?
542
Psychiatrie
sprüngliche Trauma anknüpfen, z. B. Polizeikontrolle), situations- oder objektbezogene Angststörungen (z. B. soziale Phobie oder Spinnenphobie).
Therapie Notfallmanagement
Notfallanamnese
•
Die Elemente des oben beschriebenen Teufelskreises lassen sich anamnestisch meist sichern. Bei Patienten mit kardialer Symptomatik ist es nicht möglich, aus der Schmerzlokalisation oder -beschreibung auf eine organische oder nichtorganische Ursache zu schließen. Auffallend ist vielmehr das weitgehende Fehlen körperlicher Belastungssituationen, die einen typischen Ischämieschmerz auslösen könnten! Panikattacken beginnen meist einige Zeit nach einer seelischen Belastung.
•
Notfalluntersuchung
•
Weitere Maßnahmen
•
Klinik Manchmal bestehen klinische Hinweise auf eine Hyperventilation, die die Dauer und Intensität einer Panikattacke verlängert: Parästhesien, Schwindelgefühl (oft eher als „Mattscheibe“ beschrieben), Erschöpfung, Engegefühl in der Brust, Probleme, tief durchzuatmen, Atemnot, innere Unruhe/Anspannung, Zittrigkeit, Wärmegefühl im Kopf, Übelkeit, verschwommenes Sehen, das Gefühl von Steifigkeit in der Muskulatur.
•
•
Diagnostik
19
Eine technische Diagnose der Panikattacke ist mangels beweisender physiologischer Abweichungen unmöglich. Spezifische Fragen machen aber das Vorliegen einer Panikstörung wahrscheinlich: • Ist die Angst jetzt plötzlich und unerwartet aufgetreten? • Ist die Angst so intensiv, dass Sie womöglich Angst haben, Sie könnten sterben oder verrückt werden? • Bemerken Sie mehrere der folgenden Symptome: Herzklopfen? Schwindel? Hitze- oder Kältegefühle? Zittern? Schwitzen? Atemnot? Schwächegefühl? Erstickungsangst? Lufthunger? Brustschmerzen/Unwohlsein?
Die wichtigste, unmittelbar wirksame Maßnahme ist das Gespräch mit dem Patienten. Bei manifester Hyperventilation sollte jemand den Patienten ermutigen, langsam zu atmen und darauf achten, dass die Atemzugvolumina kleiner werden. Eine pharmakologische Interventionsmöglichkeit besteht in der Verabreichung eines Benzodiazepins (EG-B), z. B. Lorazepam 1 mg mit rasch freisetzender Galenik.
Es ist nicht sinnvoll, Patienten zu versichern, dass sie keine wesentliche organische Erkrankung haben: Über die Hälfte der Patienten, die nach untypischen Herzschmerzen entsprechende Informationen erhalten haben, haben weiter Beschwerden, auch ein negatives Belastungs-EKG führt nicht zum Sistieren der Symptome. Wesentlich ist das explizite Mitteilen einer positiven Diagnose, sei es einer Panikstörung oder einer Agoraphobie mit Panikstörung. Beide Erkrankungen haben bei fachgerechter psychotherapeutischer Behandlung eine exzellente Langzeitprognose (EG-B). Eine alleinige Pharmakotherapie (i. W. mit Antidepressiva über Monate) ist im Langzeitverlauf sinnvoll, aber weniger Erfolg versprechend (EG-B). Neuere Übersichtsarbeiten zeigen keine wesentlichen Unterschiede in der Effektivität von SSRI untereinander oder von SSRI im Vergleich zu herkömmlichen Antidepressiva.
Besondere Merkpunkte
• • •
Die Diagnose einer Panikattacke im Rahmen einer Panikstörung oder im Rahmen einer Agoraphobie kann positiv gestellt werden. Die Anamnese ist wegweisend, eine typische physiologische oder Laborbefundkonstellation gibt es nicht. Panikstörungen sind gut behandelbar.
Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome
19.6 Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome W. Herzog, C. Nikendei
Definition und Einteilung Rausch. Rausch ist ein verändertes Erleben und Befinden durch psychotrope Substanzen, welches subjektiv als angenehm oder helfend empfunden wird. Verändert sind dabei: Wachheit, Reaktionsgeschwindigkeit, Stimmung, Grob- und Feinmotorik, Selbstkritik, Sozialdistanz und Realitätswahrnehmung. Der Rausch stellt die Motivation und das Ziel der Drogeneinnahme dar, sieht man von der seltenen akzidentellen Einnahme psychotroper Substanzen ab. Die Abgrenzung des Rausches zur Intoxikation ist fließend. Intoxikation. Von einer Intoxikation spricht man dann, wenn das initial erwünschte veränderte Erleben fremdartig und psychisch bedrohlich wird oder lebensbedrohliche körperliche Symptome auftreten. Komplizierter Rausch. Vom beabsichtigten Rausch und der Intoxikation ist der komplizierte Rausch abzugrenzen. Dieser ist gekennzeichnet durch das Auftreten von – für die jeweilige Substanz untypischen – ausgeprägten psychopathologischen Syndromen wie z. B. psychomotorischen Erregungszuständen, deliranten, paranoid-halluzinatorischen oder schweren depressiven Syndromen mit Suizidalität, kognitiver Beeinträchtigung und Ratlosigkeit wie bei einer Demenz oder Dämmerzuständen. Abhängigkeit. Die Abhängigkeit manifestiert sich als ein zwangartiges Bedürfnis eine Substanz zu konsumieren mit eingeengtem Konsummuster, Kontrollverlust, Toleranzentwicklung mit Dosissteigerung, Entzugssymptomen, Vernachlässigung anderer Interessen sowie einem anhaltenden Konsum trotz des Hinweises auf schädliche Folgen. Entzug. Entzugsymptome sind charakterisiert durch das starke Verlangen nach der Droge („Craving“) mit psychischen und körperlichen Symptomen je nach Abhängigkeitspotenzial der Droge.
543
stanzspezifische Dysregulation von Transmittersystemen) und genetische Faktoren.
Typische Krankheitszeichen
• •
Rausch/Intoxikationssymptome (Tab. 19.7). Die Entzugssymptomatik der Drogen korreliert mit dem psychischen und körperlichen Abhängigkeitspotenzial einer Substanz. Entzugssymptome entstehen nicht erst bei vollständiger Elimination der Substanz aus dem Körper, sondern können bereits bei einem relativen Mangel auftreten, wenn die Substanz über längere Zeit oder in großen Mengen konsumiert wurde. Eine Übersicht über die Entzugssymptomatik der einzelnen Substanzen gibt Tab. 19.7 (vgl. zudem Tab. 25.13, S. 645, für andere Entzugssyndrome).
Differenzialdiagnose Rauschzustände, Intoxikationen bzw. ein Delir können durch Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva, Anticholinergika, H1- und H2-Antagonisten, Fieber und Exsikkose sowie Stoffwechselstörungen (Diabetes mellitus, Nebenschilddrüsen-, Schilddrüsenerkrankungen, Leber- und Niereninsuffizienz) und Traumafolgen (Sturz mit intrakraniellem Hämatom) bedingt sein. Wichtig ist es, an eine mögliche Kombination unterschiedlicher Faktoren zu denken (s. Tab. 25.13, S. 645)!
Notfallanamnese
• •
•
Bewusstseinszustand und Orientiertheit durch Ansprache klären. Wenn möglich Art und letzten Einnahmezeitpunkt der Drogen erfragen. Aktiv die Einnahme unterschiedlicher Drogen erfragen (oft zusätzlicher Alkoholund Arzneimittelkonsum) (Tab. 19.8, S. 548). Besteht eine Teilnahme an einem Methadonsubstitutionsprogramm (tägliche Dosierung? Wie ist der Behandler erreichbar?)?
Pathophysiologie
Notfalluntersuchung
Die Ätiologie der Sucht oder einer spezifischen Abhängigkeit wird multifaktoriell gesehen: soziale, individuell-psychologische, neurobiologische (sub-
Klinik
•
Kreislauf- und Atemfunktion: Temperatur: Fieber, Unterkühlung; Lunge: Pneumonie, Lungenödem.
?
19 Intoxikation- und Entzugssymptome illegaler Drogen sowie deren Therapie. Therapie der Intoxikation
Entzug
Pharmakologische Therapie des Entzuges
Abhängigkeit
Besonderheiten
(meist) Miosis, Hypotonie, Bradykardie, Hypothermie, belkeit, Erbrechen, Obstipation bis paralytischer Ileus, Atemdepression, Hypoxmie, toxisches Lungençdem, Krampfanflle, Kreislaufversagen, Koma
Naloxon: initial 0,4 – 2 mg i. v.; Halbwertszeit von Naloxon (ca. 60 min) ist krzer als die der Opioide: Nachinjektion je nach klinischem Verlauf alle 2 – 5 min indiziert. Cave! Bei zu hoher Naloxongabe Auslçsen einer plçtzlichen starken Entzugssymptomatik, u. U. nur durch Opioidgabe gegenregulierbar. Flssigkeit, Azidoseausgleich, Schutz vor Unterkhlung (EG-D)
Beginn nach 4 – 6 h, maximal nach 32 – 72 h Stadium I: Rhinorrhç, Trnenfluss, Niesen, Schwitzen, Ghnen, Dysphorie, „Opioidhunger“, Angst Stadium II: Mydriasis, Gnsehaut, Bewegungsunruhe, Appetitlosigkeit, Muskelschmerzen. Stadium III: Tachykardie, Hypertonie, Tachypnoe, Hyperthermie. Stadium IV: vitale Bedrohung mit anhaltendem Erbrechen und Diarrhç, Muskelkrmpfen, Hyperglykmie, Schock
vegetative Symptome: Clonidin oral 3 0,075 mg/d bis maximal durchschnittlich oral 0,8 – 1,2 mg/d (Cave! Hypotonie, Bradykardie); stufenweise Reduktion ber 3 – 5 Tage Dysphorie, Angst: Doxepin oral 3 25 mg/d bis maximal 3 100 mg/d; bei zu starker Symptomatik bzw. langjhrigem Abusus und hoher Therapieambivalenz kann ein fraktionierter Entzug mit Methadon alternativ durchgefhrt werden, oral 10 – 20 mg Methadon alle 2 – 4 h, bis die Symptome unterdrckt sind, dann gleichmßig verteilte tgliche Reduktion dieser Gesamtdosis um 10 – 20%; zu beachten ist dabei ein protrahierter Entzug (EG-D)
psychisch und kçrperlich stark ausgeprgt
Stadium III wird selten, Stadium IV fast nie erreicht; Substitutionsbehandlung mit Methadon und neuerdings Buprenorphin (kombinierter Opioidrezeptoragonist/-antagonist) bei spezifischen Indikationen in Fachabteilungen
Fortsetzung nächste Seite
Psychiatrie
Opioide (Morphin, Opium, Heroin, Methadon, Pethidin, Tilidin, Buprenorphin)
Intoxikation
544
Tabelle 19.7
Tabelle 19.7
Kokain
Intoxikation- und Entzugssymptome illegaler Drogen sowie deren Therapie
(Fortsetzung).
Therapie der Intoxikation
Entzug
Pharmakologische Therapie des Entzuges
Abhängigkeit
Besonderheiten
zuerst Stimulationsphase: Euphorie, Unruhe, Agitation, Krampfanflle, Psychose, dann Depressionsphase: Schlaflosigkeit, Verwirrtheit, Dmmerzustand, Mydriasis, Tachykardie, Hypertonie, Herzrhythmusstçrungen, Schwitzen, Erbrechen, Hyperglykmie, Hyperthermie, Laktatazidose, Rhabdomyolyse, Lebernekrose, eosinophile Myokarditis, Gerinnungsstçrung, Vasokonstriktion, bis zu Kokainschock mit Kreislaufkollaps, Krampfanfllen und Koma
Erregungszustand und Krampfanfälle: Diazepam i. v. (Cave! Atemdepression) (EG-C) Psychose: Haloperidol i. v. (Cave! Setzt Krampfschwelle herab) (EG-D) Kokaininduzierter Thoraxschmerz: Nitrate oder Benzodiazepine (EG-A) Kokaininduzierte Myokardischämie: neben Standardbehandlung bei Myokardischmie: Nitroglyzerin s. l., je nach Beschwerdebild zustzlich Kalziumantagonist (EG-D) (Cave! Betablocker wegen paradoxer Vasokonstriktion nicht empfohlen!). Kokainschock: Adrenalin 0,5 – 1,0 mg verdnnt i. v., Prednisolon 500 – 1000 mg i. v., Sauerstoff, evtl. Intubation und Beatmung (EG-D)
Dysphorie, Rebound-Hypersomnie, Angst, Depression, akute Suizidalitt, kein typisches Entzugssyndrom
Entzugssymptome und depressives Syndrom: Imipramin oral 3 25 bis 3 75 mg/d oder Desipramin oral 3 25 bis 3 75 mg/d (vereinzelt paradoxe Wirkung mit Zunahme des Cravings beobachtet) (EG-A). Angst und Erregungszustand: kurzzeitig Diazepam oral oder i. v. (EG-D)
psychisch stark, kçrperlich gering ausgeprgt
Entzugssymptome kçnnen Wochen bis Monate andauern
Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome
Intoxikation
545
Fortsetzung nächste Seite
?
19 Intoxikation- und Entzugssymptome illegaler Drogen sowie deren Therapie
(Fortsetzung).
Therapie der Intoxikation
Entzug
Pharmakologische Therapie des Entzuges
Abhängigkeit
Besonderheiten
Cannabis (Haschisch = Harz, Marihuana = getrocknete Bltter der Hanfpflanze)
Angstzustnde, Agitation, Wahnzustnde, Atemstçrung (nicht lebensbedrohlich), Tachykardie, Hypertension, dann Hypotension
beruhigendes Gesprch („Talking down“), selten Diazepam oder Haloperidol oral
nach chronischem hohem Konsum: Ruhelosigkeit, Angst, Schlafstçrung, Schwitzen, Konjunktivitis, Bronchitis (wie „leichter Infekt“), Erbrechen, Tremor
symptomgerichtete pharmakologische Therapie selten erforderlich
psychisch mittelgradig, kçrperlich gering
Entzugssymptome treten wegen der langen Halbwertszeit des Tetrahydrocannabinols oft erst nach 1 Woche auf; Horrortrip mit Angst und paranoiden Inhalten, Flash-back mit Echopsychose ber Minuten bis Stunden treten noch nach Tagen bis Monaten auf
Amphetamine (inkl. Ecstasy)
I. Mydriasis, Erregung, Hyperreflexie, Insomnie, Flush, Unruhe, Irritabilitt II. Hypertonie, Hyperthermie, Tachykardie, Verwirrtheit III. Delir, Halluzinationen, Angst, Agitation IV. Krampfanflle, Hyponatrimie, Hirnçdem, Koma, Herz-KreislaufVersagen in allen Stadien: Vasospasmen, Erbrechen, Diarrhç, Leberinsuffizienz
Erregungszustand und Krampfanfälle: Diazepam i. v. (Cave! Atemdepression) (EG-A) Psychose: Haloperidol i. v. (Cave! setzt Krampfschwelle herab) (EG-D) Cave! Neuroleptika sind bei Ecstasy nicht indiziert, da sie das Zustandsbild verschlechtern kçnnen (EG-D) Thoraxschmerz: Nitrate oder Benzodiazepine (EG-D)
Apathie, Depression mit Suizidalitt, lange Schlafphasen, Muskelschmerzen, Darmkrmpfe, Appetitsteigerung; der Entzug dauert 2 – 3 Tage, die psychischen Symptome mit Suizidalitt bestehen ber 1 Woche
depressives Syndrom: Imipramin oral 3 25 bis 3 75 mg/d oder Desipramin oral 3 25 bis 3 75 mg/d (EG-C) Angst und Erregungszustand: kurzzeitig Diazepam oral (EG-D)
psychisch ausgeprgt, kçrperlich gering
Intoxikation und Entzugssymptome sind dem Kokain durch die zentrale sympathikomimetische Wirkung hnlich
Fortsetzung nächste Seite
Psychiatrie
Intoxikation
546
Tabelle 19.7
Tabelle 19.7
Intoxikation- und Entzugssymptome illegaler Drogen sowie deren Therapie Intoxikation
Therapie der Intoxikation
Entzug
(Fortsetzung). Pharmakologische Therapie des Entzuges
Abhängigkeit
Besonderheiten
psychisch ausgeprgt, kçrperlich gering
„Flash-back-Psychosen“ und Stçrung des Farbsehens treten noch nach Monaten auf
Myokardischämie: neben Standardbehandlung bei Myokardischmie: Nitroglycerin s. l., je nach Beschwerdebild zustzlich Kalziumantagonist (EG-D) geringe periphere Toxizitt, „Horrortrip“ mit abruptem Auftreten psychotischer Situationsverkennung, die zu suizidalen oder fremdaggressiven Handlungen fhren kann; Krampfanflle, Hyperreflexie, Mydriasis, Anisokorie, Hypertonie, Tachypnoe, Gerinnungsstçrung
psychische Symptomatik: Diazepam (5 – 10 mg oral oder i. v.) Cave! Neuroleptika sind nicht indiziert, da sie hufig zu einer Zunahme der dysphorischen Reaktion fhren (EG-C)
es tritt kein spezifisches zu behandelndes Entzugssyndrom auf
Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome
Halluzinogene (LSD, Mescalin, Psilocybin, Phencyclidin/ PCP)
547
?
548
Psychiatrie
Tabelle 19.8 Drogen-Jargon. A Abgewrackt
19
durch exzessiven Drogengebrauch erschçpft Acid LSD Adam Ecstasy Affe schieben auf Entzug sein Afghane Haschischsorte Anfixen/anturnen jemanden zur i. v. Drogeneinnahme bewegen Angels Dust PCP (Phencyclidin) B Base Kokain und Ammoniak Besteck Utensilien zum Drogen spritzen Blanko Kokain oder weißes Heroin C Clean frei von Drogen Cocktail Heroin und Kokain Cold Turkey Entzug von Heroin ohne Arzneimittel (kalter Entzug) D Downers Substanz mit dmpfender Wirkung, z. B. Benzodiazepine, Barbiturate Dealer Drogenhndler Drcken Drogen i. v. injizieren E E Ecstasy E-Film Ecstasy-Trip Einwerfen orale Drogeneinnahme Eve Ecstasy F Feeling ausgeglichenes Wohlseingefhl nach Drogeneinnahme Fixen i. v. Drogeneinnahme G Goldener Schuss tçdliche Einnahme einer berdosis einer Rauschdroge (meist Heroin) Gras Marihuana H H (engl.) Heroin Hasch Cannabis/Haschisch High Euphorie nach Drogeneinnahme (besonders fr Cannabis) J Joint Zigarette mit Marihuana Junkie i. v. Drogenkonsument K Kate Ketamin
Tabelle 19.8 Fortsetzung Kick Kiffen Koks L Libanese M Meter P Pack Peace Po/Pola Pot Pumpe R Roches/Rohyps S Szene Schießen, Schuss Schnee Schnffeln Schore Shake
Shit Sniefen Special-K Speed Speed Ball Stoff Strecken Sugar T Tinke Trip U User V Vitamin K X XTC
Flash bei der i. v. Einnahme von Kokain Haschisch rauchen Kokain Haschischsorte Mengenangabe fr Levomethadon-Lçsung (ml)
⁄10 g Heroin Haschisch Levomethadon (Polamidon) Marihuana Injektionsbesteck 1
Flunitrazepam (Rohypnol) Drogenmilieu i. v. injizieren Kokainkristalle Inhalieren von Lçsungsstoffen Heroin schttelfrosthnlicher Zustand nach (verunreinigter) i. v. Drogeneinnahme Haschisch nasale Drogeneinnahme Ketamin Methylamphetamine, Weckamine Heroin gemischt mit zumeist Kokain Rauschmittel Rauschgift mit anderen Stoffen mischen Heroin Lçsung von Morphinbase in hochprozentiger Essigsure Intoxikation mit einem Halluzinogen Drogenkonsument Ketamin Ecstasy
Drogenbedingte Intoxikation und Entzugssyndrome
• • • •
Abdomen: paralytischer Ileus. Neurologischer Status: Pupillenstatus und Pupillenreaktion. Einstichstellen an den Extremitäten suchen (Spritzenabszesse). Verletzung: Kopf oder andere Lokalisationen.
Diagnostik Labor • Im Blut: Elektrolyte (Elektrolytentgleisung), Leberenzyme (Insuffizienz), Kreatinin (Niereninsuffizienz), CRP (Infektion), Blutbild (Leukozytose, Anämie), Lipase (Pankreatitis), Alkohol, Infektionsserologie (Hepatitis B, C, HIV). • Drogen-Screening im Urin: Opioide, Tetrahydrocannabinol (THC), Met-, Amphetamine, Kokain, Benzodiazepine, Barbiturate, trizyklische Antidepressiva. EKG. Rhythmusstörungen. Röntgen. Thorax (Pneumonie), Abdomen (Ileus); bei neurologischer Symptomatik: Schädel-CT.
Therapie Bei den hier beschriebenen Substanzen wird ein abrupter Entzug durchgeführt, also kein Ausschleichen wie bei Benzodiazepinen (Ausnahme: Opioide mit Teilnahme an Methadonprogramm). Es tritt bei diesen Substanzen äußerst selten ein Delir auf. Immer kann der Entzug verbunden sein mit einer ausgeprägten Depressivität und Suizidalität. Die Behandlung der Intoxikation und Entzugssyndrome ist Tab. 19.7 zu entnehmen.
549
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Regelmäßige Atmungs- und Kreislaufkontrolle, Bewusstseinszustand prüfen. Grundsätzlich sollte frühzeitig die Motivation des Patienten zu einer qualifizierten Entzugsund spezifischen Entwöhnungsbehandlung geklärt werden.
Besondere Merkpunkte Polytoxikomanie. Die Polytoxikomanie ist durch eine Abhängigkeit von einer Mehrzahl unterschiedlicher Substanzen definiert (multipler Substanzmissbrauch). Sie kann z. B. dadurch entstehen, dass der Patient auftretende Entzugssymptome, besonders illegaler Drogen, durch leichter verfügbare Benzodiazepine und Alkohol „selbstbehandelnd“ zu kaschieren versucht. Daher sollte immer ein umfassender laborchemischer Nachweis der Substanzen angestrebt werden. Bei Polytoxikomanie sind Mischintoxikationen häufig. Methadonsubstitution. Bei methadonsubstituierten Patienten ist der beschleunigte Methadonabbau (kürzere Wirkungszeit durch Enzyminduktion) durch Rifampicin, Phenytoin, Phenobarbital, Carbamazepin zu beachten. Verzögert wird der Abbau durch Cimetidin, Chinidin, Betablocker, Antidepressiva, Antimykotika, Antiarrhythmika, Kontrazeptiva.
?
550
20 Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Übersicht 20 20.1 20.2 20.3 20.4 20.5 20.6 20.7 20.8 20.9 20.10 20.11 20.12 20.13 20.14
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Otitis externa acuta Otitis media acuta Cerumen obturans Hörsturz Tubenbelüftungsstörung Barotrauma des Ohrs Akutes Lärmtrauma Epistaxis Sinusitis acuta Schwere Gesichtsinfektionen Pharyngotonsillitis Para- und Retropharyngealabszess Epiglottitis Laryngitis
Pathophysiologie Bakterielle Infektionen entstehen meist aufgrund einer chronischen Hautaffektion (Ekzem), einer Verletzung (Manipulation, Gehörgangsreinigung) oder einer Störung der Hauthomöostase (chemische Auflösung des Zerumens, Feuchtigkeit nach Baden). Erreger sind in erster Linie Pseudomonas, Proteus und Streptokokken bei der diffusen Form, Staphylokokken beim Furunkel. Bei der Otitis externa bullosa vermutet man eine toxische Kapillarschädigung im Bereich von Trommelfell und angrenzender Gehörgangshaut durch (Influenza)viren.
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1)
• • 20.1 Otitis externa acuta
•
Leitsymptom: heftige Ohrschmerzen. Schwerhörigkeit: nur bei vollständiger Verlegung des Gehörgangs oder Befall des Trommelfells. Ausfluss: je nach Erreger wässrig, eitrig bis blutig (Grippeotitis).
M. Wolfensberger, D. Bodmer
Definition und Einteilung
20
Akute Infektion von Haut und Hautanhangsgebilden des äußeren Gehörgangs und des Trommelfells. Formen • Otitis externa diffusa (bakterielle Infektion der Gehörgangshaut), • Otitis externa circumscripta (Gehörgangsfurunkel), • Otitis externa bullosa (Grippeotitis).
Notfallanamnese
• • •
Dauer und Art von Schmerzen und ggf. Ausfluss, Schwerhörigkeit, Schwindel (Verdacht auf Innenohrbeteiligung).
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2) Palpation und Inspektion. Pathognomonisch ist der Tragusdruck- oder Ohrmuschelzugschmerz. Rötung, möglicherweise Sekret am Eingang des äußeren Gehörgangs. Otoskopie. Gehörgang gerötet, verengt bis komplett verschlossen; Trommelfell bei der diffusen Form meist nicht einsehbar, bei Furunkel normal, bei Grippeotitis mit blutigen Blasen.
Otitis externa acuta
551
Tabelle 20.1 Differenzialdiagnose der Ohrerkrankungen. Schwerhörigkeit
Schwindel
Schmerz
Sekretion
Tinnitus
Cerumen obturans
SLSH
–
–
–
–
Hçrsturz
SESH
–
–
–
oft +
Otitis externa
keine oder SLSH (falls SESH = *)
–
+ bis +++ (Tragusdruckschmerz)
meist +
–
Tubenstçrung
SLSH
–
– (evtl. Druckgefhl)
–
–
Barotrauma
SLSH
–
Druckgefhl
–
(+)
Otitis media
SLSH (falls SESH = *)
– (+ = *)
+ bis +++
– – (+ nach Spontanperforation)
SLSH: Schallleitungsschwerhçrigkeit, SESH: Schallempfindungsschwerhçrigkeit * Zeichen fr Innenohrbeteiligung, bedingen notfallmßige berweisung an Facharzt
Tabelle 20.2 Untersuchung bei Ohrsymptomen. Symptom
Untersuchungsmethode
Schwerhçrigkeit (SH)
Stimmgabelprfung nach Weber* • Schallleitungsschwerhçrigkeit: Lateralisation ins betroffene Ohr • Schallempfindungsschwerhçrigkeit: Lateralisation ins gesunde Ohr Otoskopie von Gehçrgang und Trommelfell
Sausen (Tinnitus)
keine Notfalluntersuchung
Schmerzen
Tragusdruck- bzw. Ohrmuschelzugschmerz
Sekretion
Otoskopie
Schwindel
Nystagmusprfung (Frenzel-Brille), Falltendenz, Gangprfung
* Aufsetzen der Stimmgabel mit krftigem Druck auf den Scheitel. Falls keine Stimmgabel vorhanden ist, kann die Untersuchung nach Weber dadurch ersetzt werden, dass man den Patienten summen lsst: Die Lateralisation der eigenen Stimme entspricht dann der Lateralisation der Stimmgabel
Stimmgabelprüfung nach Weber. Meist Lateralisation ins kranke Ohr (Zeichen der Schallleitungsstörung). Fehlende Lateralisation bei bullöser Otitis weckt Verdacht auf Innenohrbeteiligung!
Therapie
•
Bei allen Formen der Otitis externa wichtig: ausreichende analgetische und antiphlogistische Behandlung (EG-C).
•
•
Reinigung des äußeren Gehörgangs und Einlage eines Gazestreifens oder Schaumstofftampons mit Ohrtropfen (enthalten meist Desinfiziens, Antibiotikum und Steroid). Bei Furunkel ggf. zusätzlich Eröffnen des Abszesses. Orale Antibiotikagabe nur bei Allgemeinsymptomen oder sehr ausgeprägter lokaler Symptomatik (Lymphadenitis, Mitbeteiligung der Ohrmuschel = Perichondritis).
552
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2, S. 551)
Bei Verdacht auf Innenohrbeteiligung (Schallempfindungsschwerhörigkeit und Schwindel) notfallmäßige Zuweisung zum HNO-Facharzt.
Klinik
20.2 Otitis media acuta M. Wolfensberger, W. Zimmerli
Definition und Einteilung Entzündung aller Mittelohrräume mit akutem Beginn und kurzem Krankheitsverlauf.
Pathophysiologie Vorausgehend meist viraler Atemwegsinfekt. Sekundäre bakterielle Besiedelung über Tuba auditiva, vor allem mit Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis. Beim Kind gehäuft wegen kurzer Tube und Erregerreservoir in Adenoiden.
Otoskopie. Primär unauffälliger Gehörgang, vorgewölbtes, gerötetes und entdifferenziertes Trommelfell. Nach Spontanperforation Sekretaustritt aus Mittelohr, oft pulsierend. Stimmgabelprüfung nach Weber. Lateralisation ins kranke Ohr (Cave! Bei Lateralisation ins gesunde Ohr besteht Verdacht auf Labyrinthitis, sofortige Überweisung an Facharzt).
Diagnostik Labor. Differenziertes weißes Blutbild, CRP (dient auch als Verlaufsparameter). Bakteriologische Untersuchung: nur bei Therapieresistenz. Röntgen. Konventionelles Röntgen: nicht indiziert; CT: bei Verdacht auf Komplikation oder protrahierten Verlauf.
Therapie
• • •
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1, S. 551)
• • • •
Tief sitzende, stechende, meist heftige Schmerzen, Hörstörung, (meist) reduzierter Allgemeinzustand und Fieber, nach Spontanperforation rasches Nachlassen der Schmerzen und Otorrhö.
Notfallanamnese
20
• • •
Vorbestehendes Ohrleiden? Vorangegangener respiratorischer Infekt? Otalgie, Otorrhö, Schwerhörigkeit, Schwindel?
•
Abschwellende Nasentropfen. Analgetika und Antiphlogistika. Primäre Antibiotikatherapie umstritten: – Antibiotika rezeptieren mit der Instruktion, sie nur einzunehmen, falls innerhalb von 2 Tagen keine Besserung eintritt. Dies ist ebenso wirksam wie sofortige Gabe von Antibiotika und kann den Antibiotikaverbrauch halbieren (EG-A). – Antibiotika jedoch immer bei beidseitiger Otitis media, einzig hörendem Ohr oder Immundefizienz: Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 625 mg/d p. o.) oder Cefuroxim-Axetil (2 × 250 mg/d p. o.) während 5 – 10 Tagen (EG-D). Parazentese bei Therapieresistenz und Verdacht auf Komplikation.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
Auf Zeichen von Komplikationen achten (dringende Überweisung an Facharzt!): – Mastoiditis: druckdolente Schwellung retroaurikulär und abstehendes Ohr, – Innenohrbeteiligung: Schwindel, Innenohrschwerhörigkeit.
Hçrsturz
20.3 Cerumen obturans M. Wolfensberger, D. Bodmer
553
Therapie
•
Definition und Einteilung
•
Komplette Verlegung des Gehörgangs durch einen Zeruminalpropf.
• •
Pathophysiologie
Ohrspülung (nur bei ansonsten blander Ohranamnese): Wasserstrahl nach hinten oben richten, Wassertemperatur 37 8C. Hartes Zerumen kann durch 3%iges Wasserstoffperoxid aufgeweicht werden. Instrumentelle Entfernung (Häkchen und Sauger), in der Regel nur durch den HNO-Facharzt. Die prophylaktische Anwendung von zerumenlösenden Tropfen ist umstritten (EG-C).
Zerumen wird von Zeruminaldrüsen und Talgdrüsen des häutigen Gehörgangs gebildet und durch Epithelmigration nach außen transportiert. Wird der Migrationsmechanismus gestört (z. B. durch den Gebrauch von Wattestäbchen) oder verändert sich die Zusammensetzung des Zerumens (z. B. Morbus Parkinson) kann das Zerumen akkumulieren und durch Wattestäbchen in die Tiefe geschoben werden. Nach Wasserkontakt quillt es auf und verlegt den Gehörgang. Gelegentlich besteht der „Pfropf“ lediglich aus Hautschuppen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1, S. 551)
Definition und Einteilung
• •
Akut aufgetretene Innenohrschwerhörigkeit. Analog zu betrachten ist auch ein akuter, nicht abklingender Tinnitus.
Plötzliche Schwerhörigkeit, unter Umständen Druckgefühl im betroffenen Ohr.
Nach erfolgreicher Entfernung Otoskopie zum Ausschluss einer vorbestehenden oder iatrogenen Trommelfellperforation.
20.4 Hörsturz M. Wolfensberger, L. Kappos
Differenzialdiagnose
Pathophysiologie
•
Notfallanamnese
Kochleäre Schwerhörigkeit. Ursächlich werden Mikrozirkulationsstörungen, Embolien, Einblutung bei Antikoagulation, virale Infekte, Stoffwechselstörungen diskutiert.
• •
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1, S. 551)
Hörsturz, Tubenstörung.
Umstände des Auftretens der Hörstörung. Begleitsymptome wie Schwindel, Otorrhö, Schmerzen.
•
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2, S. 552) Otoskopie. Gehörgang verlegt durch Zerumen oder Hautschuppen. Stimmgabelprüfung nach Weber. Lateralisation ins betroffene Ohr.
• • •
Meist einseitige, plötzlich (innerhalb Sekunden bis Stunden) aufgetretene Schwerhörigkeit oder Taubheit (Cave! Beidseitiger Hörsturz weckt immer Verdacht auf nichtorganische Störung), oft gleichzeitig Druckgefühl im Ohr, oft Tinnitus, Schwindel nur bei gleichzeitigem Labyrinthausfall (S. 417).
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
554
Notfallanamnese
• • •
Mögliche Grunderkrankungen wie Hypertonie, vorausgegangener oder synchroner oberer Luftwegsinfekt, Trauma? Extremer Lärm, ototoxische Substanzen, Antikoagulation? Vorbestehende Hörstörung?
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2, S. 551)
Funktionsstörung oder Verlegung der Tube durch vergrößerte Adenoide. Beim Erwachsenen stehen ursächlich Vernarbungen und Neoplasien im Nasopharynx im Vordergrund.
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1, S. 551)
• • •
Hörstörung (oft eher schleichend aufgetreten), Druck- oder Völlegefühl, weder Schmerzen noch Otorrhö.
Otoskopie. Unauffällig. Stimmgabelprüfung nach Weber. Lateralisation ins gesunde Ohr.
Notfallanamnese
Therapie
•
•
•
•
Zur Anwendung kommen rheologische Substanzen (Anti-Sludge-Therapie), antientzündliche Medikamente (Kortison), hyperbare O2-Therapie und andere Maßnahmen. Die Angaben zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen sind jedoch widersprüchlich (EG-B). Absprache mit lokaler HNO-Klinik.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Grundsätzlich sollte jeder Hörsturz und jeder persistierende Tinnitus audiologisch abgeklärt werden.
•
Umstände des Auftretens der Hörstörung (vorausgegangener oberer Luftwegsinfekt, Flug, Tauchen?). Begleitsymptome wie Schwindel, Otorrhö, Schmerzen? (Einseitig) behinderte Nasenatmung, Rhinorrhö?
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2, S. 551) Otoskopie. Erguss hinter intaktem Trommelfell, evtl. mit Luftblasen. Beim Valsalva-Manöver oft (aber nicht zwingend) fehlende Trommelfellbewegung. Stimmgabelprüfung nach Weber. Lateralisation ins betroffene Ohr (Lateralisation ins nicht betroffene Ohr ist ein Hinweis auf Innenohrstörung).
Therapie
20.5 Tubenbelüftungsstörung
•
M. Wolfensberger, D. Bodmer
Definition und Einteilung
20
Trommelfellretraktion oder Mittelohrerguss hinter intaktem Trommelfell ohne akute Ohr- oder Allgemeinsymptome.
Pathophysiologie Verschluss der Tuba Eustachii führt zu Minderbelüftung und Ergussbildung im Mittelohr (Synonyme: Tubenmittelohrkatarrh, seröse Otitis media, Seromukotympanon). Beim Kind v. a. bedingt durch
•
Bei akutem Auftreten evtl. kurzzeitiger Einsatz von abschwellenden Nasentropfen. Anleitung zum Valsalva-Manöver („Druckausgleich“) (EG-C). Bei Persistenz: Zuweisung zum HNO-Facharzt zur Parazentese und evtl. Einlage eines Paukenröhrchens.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Beim Erwachsenen muss bei einseitigem Tubenmittelohrkatarrh an eine Neoplasie des Nasopharynx gedacht werden. Deshalb ist eine Endoskopie des Nasopharynx in diesen Fällen obligatorisch!
Akutes Lrmtrauma
20.6 Barotrauma des Ohrs M. Wolfensberger, D. Bodmer
Stimmgabelprüfung nach Weber. Lateralisation ins betroffene Ohr.
Therapie
Definition und Einteilung
•
Mittelohrerguss oder -hämatom als Folge einer raschen Veränderung des Umgebungsdrucks (Tauchen, Fliegen).
•
Pathophysiologie Bei Absenkung des Umgebungsdrucks entsteht ein relativer Überdruck in der Paukenhöhle. Dieser ist meist leicht über die Tube auszugleichen (kann unterstützt werden durch Schlucken, Gähnen). Bei Erhöhung des Umgebungsdrucks entsteht ein relativer Unterdruck in der Paukenhöhle. Falls dieser nicht durch Valsalva-Manöver korrigiert werden kann, kommt es in der Pauke zu einem Schleimhautödem mit Hyperämie und konsekutiver Bildung eines Transsudats. Nimmt der Unterdruck weiter zu, kommt es zu Kapillarrupturen und Einblutung in die Pauke, unter Umständen zur Trommelfellruptur. Bei Ruptur der runden Fenstermembran entsteht eine Perilymphfistel. Da die rasche Erhöhung des Umgebungsdrucks (Abstiegsphase beim Tauchen, Landephase beim Fliegen) wesentlich schwieriger auszugleichen ist als die rasche Absenkung, treten Probleme häufiger bei Erhöhung als bei Absenkung des Umgebungsdrucks auf.
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.1, S. 551)
• • •
Otalgie, Druck-/Völlegefühl im Ohr, Schwerhörigkeit, Schwindel deutet auf Innenohrbeteiligung hin (Perilymphfistel).
555
Abschwellende Nasentropfen und nichtsteroidale Antiphlogistika. Anleitung zum Valsalva-Manöver.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Bei Verdacht auf Perilymphfistel (Schwindel, Lateralisation ins gesunde Ohr) notfallmäßige Überweisung zum HNO-Facharzt. In der Regel rasche Rückbildung der Symptome. Bei Persistenz der Symptome über mehrere Tage Überweisung zum HNO-Facharzt.
20.7 Akutes Lärmtrauma M. Wolfensberger, D. Bodmer
Definition und Einteilung Schädigung von Innenohr (und eventuell Mittelohr) durch extreme akute Lärmeinwirkung. • Akute Lärmschwerhörigkeit: Belastung des Ohrs durch Schallereignisse mit hohem Pegel für wenige Sekunden (Presslufthammer) bis Stunden (Rockkonzert). • Knalltrauma: Schallereignis mit Lautstärkepegel von mehr als 140 dB SPL (Sound Pressure Level) und Zeitdauer weniger als 1,5 ms (Airbags, Knallpetarden). • Explosionstrauma: Druckwelle bei Explosion (Lautstärkepegel mehr als 140 dB SPL, Zeitdauer mehr als 1,5 ms).
Notfallanamnese
Pathophysiologie
Fliegen oder Tauchen in den vergangenen Tagen?
•
Notfalluntersuchung (Tab. 20.2, S. 551)
•
Otoskopie. Retrahiertes Trommelfell, Erguss, Einblutung (Hämatotympanon).
•
Akute Lärmschwerhörigkeit: mechanische Schädigung der Innenohrstrukturen (Schädigung der Stereozilien der Haarzellen). Knalltrauma: stärkere mechanische Schädigung intrakochleärer Strukturen, wie Einriss der Basilarmembran. Explosionstrauma: Druckwelle führt zu Trommelfellruptur, Luxation oder Fraktur der Gehörknö-
556
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
chelchen und Einblutung in die Paukenschleimhaut. Dazu mechanische Schädigung der intrakochleären Strukturen.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Akute Lärmschwerhörigkeit: meist bilaterales Vertäubungsgefühl („Watte im Ohr“) und Tinnitus. Knalltrauma: ein- oder beidseitiges Vertäubungsgefühl mit Tinnitus, evtl. stechende Ohrschmerzen. Explosionstrauma: intensives Vertäubungsgefühl beider Ohren, evtl. Blutung aus dem Gehörgang. Möglicherweise vestibuläre Symptome (Schwindel oder Gangunsicherheit).
Notfallanamnese
• •
Art und Intensität der Schalleinwirkung? Vorbestehende Ohrkrankheit, analoge Ereignisse in der Vergangenheit?
Notfalluntersuchung Otoskopie. Normal bei akuter Lärmschwerhörigkeit und Knalltrauma, Trommelfellperforation bei Explosionstrauma. Stimmgabeluntersuchung nach Weber. Da meist ein beidseitiger Befall vorliegt, nicht aussagekräftig außer die Stimmgabel wird nicht gehört (Hinweis auf sehr schwere Schädigung). Nystagmus. Nystagmus suchen (Frenzel-Brille).
Therapie
• • •
Keine kausale Therapie möglich. Evtl. Versuch mit Glukokortikoiden (z. B. Prednison 1 × 50 mg p. o. für 5 Tage) (EG-D). Bei Explosionstrauma steriles Abdecken des Ohrs und konsequenter Wasserschutz.
20 Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Bei Trommelfellperforation, Schwindel oder ausgeprägter Schwerhörigkeit (Kommunikation erschwert) sofortige Überweisung zum Facharzt. Ansonsten nichtnotfallmäßige Überweisung zum Facharzt zur audiologischen Untersuchung.
Besondere Merkpunkte Patienten auf Wichtigkeit der primären Prophylaxe hinweisen; Hörschutz bei Rockkonzerten!
20.8 Epistaxis M. Wolfensberger, D. Bodmer
Definition und Einteilung Blutaustritt aus der Nase oder in den Nasen-RachenRaum (posteriore Epistaxis).
Pathophysiologie Lokale Ursachen. Schleimhaut- bzw. Gefäßschädigung durch trockene Luft, Rhinitis, Nasenbohren oder Fremdkörper sowie bei endonasalen Neoplasien oder Septumperforationen. Systemische Ursachen. Arterielle Hypertonie, Antikoagulation oder Koagulopathie, thrombozytäre Störungen, Vaskulopathien (z. B. Morbus Osler).
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Austritt von Blut aus der Nase, bei posteriorer Epistaxis Blutspucken, Erbrechen von Altblut, Blässe und Kaltschweißigkeit.
Notfallanamnese
• • •
Dauer und Quantität der Blutung (tropfend oder fließend), geschätzter Blutverlust (Anzahl Taschentücher, Schalen aufgefangenen Bluts)? Antikoagulation oder Thrombozytenaggregationshemmer? Bekannte zur Blutung prädisponierende Grunderkrankung?
Sinusitis acuta
557
Notfalluntersuchung
Pathophysiologie
Klinik
Meist aufsteigende virale Rhinitis. Kann über Schleimhautödem, Zilienstörung, Steigerung der Sekretproduktion, pH-Senkung und Gewebshypoxie bei Präsenz pathogener Keime zu eitriger Sinusitis führen. Betroffen sein können alle Sinus, mit absteigender Häufigkeit: Sinus ethmoidalis/maxillaris > frontalis/sphenoidalis (Pansinusitis = Befall aller Sinus). Wichtigste Erreger: Streptococus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis. Dentogene Sinusitis maxillaris. Ausgehend von Zahninfekt oder nach Zahnextraktion infolge Perforation. Erreger v. a. Anaerobier. Akute invasive Pilzsinusitis. Bei Immundefizienz, v. a. Neutropenie auftretende, innerhalb von Stunden lokal destruktive Form der Sinusitis mit orbitalem oder intrakraniellem Befall. Erreger Mucor, Aspergillus spp. (bei immunkompetenten Personen macht Aspergillus spp. meist nur eine harmlose, oligosymptomatische chronische Sinusitis).
• •
Inspektion der Nase: Blutung ein- oder beidseitig? Blutspur im Rachen? Blutdruck, Puls.
Diagnostik Labor. • Hämoglobin und Thrombozytenzahl; bei Patienten unter oraler Antikoagulation Bestimmung des INR-Werts.
Therapie
•
•
Allgemeine Maßnahmen: Oberkörper hochhalten (nicht hinlegen, da dies den Blutdruck in der Nase erhöht), kalter Umschlag in den Nacken, Kompression der Nasenflügel, Patient instruieren, kein Blut zu schlucken (führt zu Erbrechen, erschwert Abschätzen des Verlusts). Bei größerem Blutverlust i. v. Zugang legen. Lokale Maßnahmen: Nasentamponade (primär nur auf Seite der Blutung). Für den Notfallarzt eignen sich vorgefertigte Tamponaden (z. B. Rapid-Rhino oder Merocel Tamponaden).
Typische Krankheitszeichen
• •
Schmerzen in Oberkiefer (Sinus maxillaris), Stirn (Sinus frontalis), zwischen/hinter den Augen (Ethmoid), Hinterhaupt (Sphenoid). Allgemeines Krankheitsgefühl, evtl. Fieber.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Notfallanamnese
• •
•
Blutdruckkontrolle und -einstellung. Bei Persistenz der Blutung HNO-Facharzt hinzuziehen.
20.9 Sinusitis acuta M. Wolfensberger, W. Zimmerli
Definition und Einteilung Infektion einer oder mehrerer Nasennebenhöhlen. Genese meist viral, nur 5% bakteriell, selten Pilze.
•
Typisch zweiphasiger Verlauf: oberer Luftwegsinfekt, Abklingen der Beschwerden, dann Sinusitis. Zahnbehandlung oder -schmerzen.
Notfalluntersuchung Klinik Druck- und Klopfdolenz. Prüfen von Sinus und Nervenaustrittspunkten (Achtung! N. infraorbitalis liegt 1 cm unterhalb Orbitarand über dem 1. Prämolaren). Rhinoskopie. Eiter im mittleren Nasengang.
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
558 Diagnostik
Röntgen. Konventionelles Röntgen: nicht indiziert; CT (in koronarer Schnittführung): bei Therapieresistenz oder Komplikationen. Labor. Differenziertes weißes Blutbild, CRP (dient auch als Verlaufsparameter). Bakteriologische Untersuchung (Sinuspunktion!): nur bei Therapieresistenz. Biopsie. Nur bei Verdacht auf invasive Pilzsinusitis.
Therapie
• • • • •
Abschwellende Nasentropfen, Schmerzmittel. Nutzen von Antibiotika in randomisierten plazebokontrollierten Studien bei immunkompetenten erwachsenen Patienten mit akuter Sinusitis nicht nachgewiesen (EG-A). Falls Antibiotikatherapie: Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 625 mg/d p. o.) oder Cefuroxim-Axetil (2 × 250 mg/d p. o.) während 5 – 10 Tagen. Bei Komplikationen: chirurgische Drainage. Bei invasiver Pilzsinusitis oft aggressive chirurgische Ausräumung nötig.
Infekte (Furunkel) im Bereich von Oberlippe, Wange und äußerer Nase können durch Keimverschleppung über V. angularis und V. ophthalmica zu septischer Sinus-cavernosus-Thrombose und zu Meningitis führen. Häufigste Erreger sind S. aureus und b-hämolysierende (pyogene) Streptokokken.
Typische Krankheitszeichen
•
Dolente Rötung, Schwellung, evtl. Eiteraustritt.
Notfallanamnese
•
Manipulation (Pickel ausdrücken, Haare zupfen)?
Notfalluntersuchung
•
Auf Druckdolenz im medialen Augenwinkel achten.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Therapie
•
• •
Auf Zeichen von Komplikationen achten (dringende Überweisung an Facharzt!): – orbital: Lidschwellung (orbitale Zellulitis), Chemose, Exophthalmus, Doppelbilder (subperiostaler Abszess), – intrakraniell: Meningitis (S. 310).
20.10 Schwere Gesichtsinfektionen M. Wolfensberger, W. Zimmerli
20
Pathophysiologie
Definition und Einteilung Hautinfekte, die aufgrund ihrer besonderen Lage lebensgefährlich werden können.
Evtl. Inzision und Drainage. Antibiotika mit Wirkung gegen Staphylokokken und Streptokokken – z. B. Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) oder – Cefuroxim-Axetil (3 × 1,5 g/d i. v.) für 5 – 7 Tage (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Zeichen der septischen Sinus-cavernosus-Thrombose (S. 312) nicht verpassen.
Pharyngotonsillitis
20.11 Pharyngotonsillitis M. Wolfensberger, W. Zimmerli
Definition und Einteilung Infektiöse Erkrankung der Tonsillen und/oder der Pharynxschleimhaut.
Pathophysiologie Virale oder bakterielle Lokalinfektion. Die Streptokokkentonsillitis hat besondere Bedeutung wegen der immunologischen Folgekrankheiten (rheumatisches Fieber, Glomerulonephritis). • Klassische Angina: häufigster Erreger b-hämolysierende Streptokokken (v. a. Gruppe A). • Mononukleose: EBV-Infektion. • Plaut-Vincent-Angina: Spirochäten und Fusobakterien. • Virale Pharyngotonsillitis: v. a. Adeno- und Influenzaviren. • Herpangina: Coxsackie A. • Diphtherie: Corynebakterien (extrem selten geworden).
oder einseitige, schmierig belegte Ulzeration (PlautVincent, Abb. 20.3, Farbtafel XXIV) bzw. die Tonsillen aussparende, aphthöse Läsionen von Gaumen und Uvula (Herpangina, Abb. 20.4, Farbtafel XXIV). Halspalpation. Vergrößerte Lymphknoten v. a. bei Mononukleose und Streptokokkenangina.
Diagnostik Labor. Weißes Differenzialblutbild (Leukozytose, Linksverschiebung bei bakterieller Tonsillitis, atypische Lymphozyten bei Mononukleose), Thrombozyten und ASAT/ALAT bei Verdacht auf Mononukleose. Mikrobiologie. Abstrich und Schnelltest auf Streptokokken, Mononukleoseschnelltest und IgM/IgG bei Verdacht auf Mononukleose. Sonografie Abdomen. Bei klinischer Milzvergrößerung.
Therapie
•
•
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Schluckschmerzen, reduzierter Allgemeinzustand, Fieber, vergrößerte Halslymphknoten, je nach Erreger auch Scharlachexanthem (Streptokokken), Milzvergrößerung (EBV).
•
Notfallanamnese
• •
Kontakt mit Angina- oder Mononukleosepatienten? Diphtherie-Impfstatus.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Abwischbare, nicht konfluierende Beläge (Streptokokken, Abb. 20.1, Farbtafel XXIV) oder adhärente, konfluierende weiß-gelbliche Beläge (Mononukleose, Abb. 20.2, Farbtafel XXIV)
559
•
b-hämolysierende Streptokokken: z. B. Amoxycillin (3 × 750 mg/d p. o.) für 10 Tage. Alternativ Cefuroxim-Axetil (2 × 250 mg/d p. o.) für 5 Tage, das bzgl. der Keimeradikation wirksamer ist als 10 Tage Penicillin V (EG-A). Mononukleose: symptomatisch (Schmerzmittel, z. B. Paracetamol), kontraindiziert sind Aspirin, nichtsteroidale Antirheumatika (Gefahr der Milzblutung) und Aminopenicilline (Exanthem). Diphtherie (Indikation für spezifische Therapie aufgrund des klinischen Bildes und des fehlenden Impfstatus) (EG-D): – Isolation (S. 333), – humanes Anti-Diphtherie-Hyperimmunoglobulin 20 000 – 40 000 IU i. m. oder i. v. innerhalb von 48 h (z. Z. nicht im Handel erhältlich), – Penicillin G (4 × 2,5 Mio. IU/d als Kurzinfusion) oder Clarithromycin (2 × 250 mg/d als Kurzinfusion) für 7 – 10 Tage, – Schmerztherapie: keine Sedativa oder Hypnotika, – Freihalten der Atemwege, Inhalation, – supportive Maßnahmen bei Komplikationen (Lähmungen, Herzinsuffizienz). Plaut-Vincent- und Herpangina: symptomatische Therapie mit nichtsteroidalem Antirheumatikum oder Paracetamol (s. a. S. 568).
560
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Typische Krankheitszeichen
Achtung auf lokale Komplikationen (Zuweisung zum Facharzt!): • Peritonsillarabszess: einseitige, ödematöse Schwellung der Tonsillen und des weichen Gaumens, massive Schmerzen, Kieferklemme. – Therapie: Penicillin G (4 × 5 Mio. IU/d als Kurzinfusion), Ceftriaxon 1 × 2 g/d als Kurzinfusion oder Clindamycin (4 × 300 mg/d p. o.) (EG-C). • Lemierre-Syndrom: tonsillogene, septische Thrombose der V. jugularis interna mit schmerzhafter Induration entlang der Vene (unter dem M. sternocleidomastoideus), massive AZ-Verschlechterung. Erreger in der Regel Fusobacterium necrophorum. – Therapie: wie Peritonsillarabszess außer Clindamycin, da es resistente Erreger gibt. Metronidazol (3 × 500 mg/d p. o.) ist eine adäquate Alternative zu den Betalaktamantibiotika. Wegen der septischen Thrombose ist eine 4- bis 6-wöchige Antibiotikatherapie notwendig (EG-C).
• •
20.12 Para- und Retropharyngealabszess M. Wolfensberger, W. Zimmerli
• •
Notfallanamnese
• • •
Vorausgegangener Infekt im Bereich der oberen Luft- und Speisewege (oft inzwischen abgeklungen oder oligosymptomatisch abgelaufen)? Hinweise auf Drogenkonsum (Spritzenabszess)? Atemnot? Dysphagie?
Notfalluntersuchung HNO-Status. Einschließlich Spiegelung von Larynx und Hypopharynx zur Diagnose einer Infektquelle. Bildgebende Verfahren. Ultraschall des Halses, um Abszedierung auszuschließen/nachzuweisen. CT des Halses bei klinischem oder Ultraschallverdacht auf Abszedierung sowie bei Therapieresistenz. Labor. Weißes Differenzialblutbild, CRP. Mikrobiologie. Ggf. Abszesspunktion vor Beginn der antibiotischen Behandlung.
Definition und Einteilung
Therapie
Infektion im para- oder retrorpharyngealen Raum (entlang dem zervikalen Gefäß-Nerven-Strang). Gefährlich, da in Kontinuität mit Mediastinum.
•
Pathophysiologie
20
Dolente Schwellung des Halses, starke Schluckschmerzen, oft ohne oral erkennbaren Grund, progrediente Dysphagie, besonders gefährlich Dyspnoe (laryngeales Ödem).
Abszedierung meist ausgehend von retropharyngealen oder tief zervikalen Lymphknoten im Rahmen eines bakteriellen Infekts der oberen Luft- und Speisewege (nicht selten auch nach Verletzungen durch Fremdkörper). Erreger meist Staphylokokken oder Streptococcus milleri.
• •
Solange keine eindeutige Abszedierung vorliegt und bei Fehlen von Dyspnoe ist Abwarten ohne chirurgische Intervention unter antibiotischer Therapie, z. B. mit Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) oder Cefuroxim-Axetil (3 × 1,5 g/d i. v.) unter stationärer Überwachung sinnvoll, ansonsten Abszessdrainage (meist von innen möglich bei retropharyngealem Abszess, von zervikal bei Parapharyngealabszess) und antibiotische Therapie gemäß Resistenzprüfung (empirische Therapie). Flüssigkeitszufuhr (i. v. bei Schluckunfähigkeit), keine Magensonde.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
•
Kontrolle der Atemwege,
Laryngitis
•
Verlaufskontrolle mittels Laryngoskopie, Ultraschall und CRP.
561
Notfalluntersuchung Laryngoskopie. Vorsichtige Durchführung, wenn immer möglich durch Facharzt. Auf keinen Fall Niederdrücken der Zunge mit Spatel (Gefahr, dass Epiglottis in Kehlkopf hineingedrückt bzw. „aspiriert“ wird). Hochrote, ödematöse Epiglottis, gelegentlich Mikroabszesse ( Abb. 20.5, Farbtafel XXIV). Labor. Weißes Differenzialblutbild, CRP.
20.13 Epiglottitis M. Wolfensberger, W. Zimmerli
Definition und Einteilung Abszedierende, raumfordernde bakterielle Infektion der Epiglottis und des supraglottischen Raums. Gefährlich wegen der Gefahr der Atemwegsobstruktion.
Therapie
• •
Pathophysiologie Sporadisches Auftreten. Früher bei Kindern zwischen 2 und 8 Jahren häufig, heute als Folge der wirksamen Routine-Hib-Impfung bei Kindern sehr selten geworden. Erreger bei Kindern fast ausschließlich Haemophilus influenzae b, bei Erwachsenen zusätzlich auch Streptokokken, Staphylokokken und Pneumokokken.
•
Ggf. Sicherung der Atemwege durch Intubation (heute selten nötig). Antibiotika, z. B. Ceftriaxon (1 × 2 g/d als Kurzinfusion) (EG-A) oder Amoxicillin/Clavulansäure (3 × 2,2 g/d i. v.) (EG-C). Glukokortikoide: oft gegeben aber bis heute keine kontrollierte Studie.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Unbedingt stationäre Überwachung in Intubationsbereitschaft (Intensivstation).
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.3)
• • • •
AZ-Verschlechterung und hohes Fieber, starke Schluckschmerzen, Speicheln (v. a. bei Kindern), kloßige Sprache, Atemnot mit (inspiratorischem) Stridor, juguläres Einziehen bei Inspiration, meist keine wesentliche Heiserkeit, meist auch kein Husten (im Gegensatz zu Laryngitis und Pseudokrupp).
20.14 Laryngitis M. Wolfensberger, D. Bodmer
Definition und Einteilung Entzündung der Stimmlippen (Glottis).
Notfallanamnese
Pathophysiologie
Akute Erkrankung mit Fieber und obigen Symptomen (Leitsymptom akute Odynophagie und Dysphagie).
Meist in Zusammenhang mit viraler Infektion der oberen Luftwege auftretend. Bakterielle Superinfektion sehr selten.
Tabelle 20.3 Differenzialdiagnose Epiglottitis – akute Laryngitis – Laryngotracheitis (Pseudokrupp). Atemnot
Heiserkeit
Husten
Dysphagie
Fieber, Schmerz
Epiglottitis
++
(+)
–
++
++
Akute Laryngitis
–
++
(+)
–
–
Laryngotracheitis
+
+
+++
–
(–)
562
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Typische Krankheitszeichen (Tab. 20.3)
Therapie
• •
•
•
Heiserkeit bis Aphonie, Kratzen, Fremdkörpergefühl, Husten (Reiz auf laryngealer Höhe), keine Dyspnoe.
Notfallanamnese
•
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
Oberer Luftwegsinfekt?
Notfalluntersuchung Laryngoskopie. Oft unauffällig (kaum sichtbares minimales Ödem im Reinke-Raum verursacht bereits Heiserkeit), sonst Rötung, Verdickung der Stimmlippen, Auflagerung von zähem Schleim. Bei eindeutigem Befund keine weitere Untersuchung nötig.
20
• • •
Symptomatisch (Befeuchten durch Inhalation z. B. mit Salzlösung). Stimmschonung. Evtl. Antitussiva. In der Regel keine Antibiotika (EG-D).
Üblicherweise Abklingen der Beschwerden nach wenigen Tagen, ansonsten Überweisung an Facharzt zum Ausschluss einer anderen Genese (Neoplasie).
563
21 Mund und Zähne
Übersicht 21 Mund und Zähne 21.1 Akute Zahnschmerzen 21.2 Akute Mundschleimhautveränderungen – Aphthen – Akut nekrotisierende ulzerierende Gingivitis – Parodontaler Abszess – Dentitio difficilis 21.3 Zahnverletzungen 21.4 Akute Funktionsstörungen des Kiefergelenks
Tabelle 21.1 Wichtige Formen von Zahnschmerzen. Vitale Pulpa
• Schmerzen wegen freiliegenden Dentins ohne
Entzndungszeichen der Pulpa, meist verursacht durch karies- oder nichtkariesbedingten Zahnhartsubstanzverlust (z. B. Karies im Anfangsstadium, Verlust oder Desintegration einer Zahnfllung, berempfindliche Zahnhlse)
• Schmerzen aufgrund akuter Entzndungs-
zeichen der Pulpa, meist kariesbedingte Pulpitis (z. B. Karies im fortgeschrittenen Stadium, Pulpagewebe noch vital, Entzndung hat sich noch nicht auf das periapikale Parodont ausgebreitet)
• Schmerzen durch Infektionen oder Verletzungen des marginalen Parodontiums ohne Entzndungszeichen der Pulpa
21.1 Akute Zahnschmerzen M. J. Koch, J. Mente, H.-J. Staehle
Definition und Einteilung Man unterscheidet vorwiegend zwischen Dentin-/ Pulpaschmerzen (ausgehend vom Zahnmark = Pulpa) und Parodontalschmerzen (ausgehend vom Zahnhalteapparat = Parodontium). Ein weiteres Einteilungsmerkmal ist die Frage, ob das Pulpagewebe vital oder nekrotisch ist. Ursachen. Wichtige Ursachen von Zahnschmerzen sind freiliegendes Dentin, Pulpitis, akute Infektionen des marginalen Parodonts (= der zur Mundhöhle gerichtete Teil des Zahnhalteapparats) und des (peri)apikalen Parodonts (= der um die Wurzelspitze eines Zahns gelegene Teil des Zahnhalteapparats). Bei Letzteren spricht man von apikaler Parodontitis bzw. Ostitis (mit der Gefahr der Ausbildung eines odontogenen Abszesses). Seltener können auch Traumata des marginalen Parodontiums für Schmerzen verantwortlich sein (Tab. 21.1).
Nekrotische Pulpa
• Schmerzen aufgrund akuter Entzndungszeichen des periapikalen Parodontiums (meist kariesbedingt), z. B. Karies im fortgeschrittenen Stadium ( Abb. 21.1, Farbtafel XXV), Pulpagewebe nicht mehr vital; Entzndung hat sich auf das periapikale Parodontalgewebe ausgebreitet (apikale Parodontitis), evtl. mit beginnender Abszessbildung
Pathophysiologie Zähne schmerzen unter ganz verschiedenen Voraussetzungen: Verlust der protektiven Funktion der Zahnhartsubstanzen (freiliegendes Dentin). Dentin wird von der Pulpa aus innerviert und ist schmerzempfindlich auf thermische, aber auch osmotische Reize, wenn es nicht durch Zahnschmelz oder Restaurationsmaterial adäquat vom Mundmilieu isoliert wird. In diesem Fall können Zahnschmerzen auftreten, ohne dass eine Entzündung der Pulpa oder eine Schädigung des Parodontiums vorliegt.
564
Mund und Zhne
Pulpitis. Häufigste Ursache sind Bakterien oder ihre Stoffwechselprodukte (z. B. im Verlauf eines progredienten kariösen Prozesses). Aber auch physikalische oder chemische Noxen können eine Pulpitis verursachen. Das Pulpagewebe reagiert mit einer Entzündung, die zunächst reversibel, später irreversibel ist. Akute Infektionen des Parodontiums (Parodontalabszess). Siehe Kap. 21.2, S. 568. Verletzung des Parodontiums. Siehe Kap. 21.3, S. 570. Periapikale Infektion/odontogener Abszess. Wird eine Pulpitis nicht adäquat behandelt, kann es zur Nekrose der Pulpa kommen. Die Nekrose schafft einen idealen Lebensraum für Bakterien, da in dem umschlossenen Kompartiment keine Abwehrzellen oder humoralen Abwehrproteine mehr durch die Blutbahn herbeitransportiert werden können. In vielen Fällen kommt es zu einer Entzündungsreaktion in dem umgebenden (periapikalen) Gewebe (apikale Parodontitis).
Typische Krankheitszeichen Typische Krankheitszeichen (Begleitsymptome/Befunde) von Zahnschmerzen sind (in Abhängigkeit vom jeweiligen Krankheitsbild) in Tab. 21.2 aufgelistet.
Differenzialdiagnose DD von Zahnschmerzen • Otitis media (s. S. 552), • Sinusitis maxillaris (s. S. 557), • Retinitis (z. B. Zytomegalieretinitis, mögliche Manifestation von AIDS) (s. S. 351), • Schmerzen der Mundschleimhaut oder des Parodontiums (s. Kap. 21.2, S. 566), • Erkrankungen des Kiefergelenks (z. B. Arthritis, Diskusverlagerung), Myoarthropathien (siehe Kap. 21.4, S. 576), • Trigeminusneuralgie (einschießender Schmerz, zum Teil salvenartig) (s. S. 430), • Herpes zoster (s. S. 588), (einschießender • Glossopharyngeusneuralgie Schmerz) (s. S. 431), • Arteriitis temporalis (Riesenzellarteriitis): oft lange Schmerzanamnese (Jahre), • Cluster-Kopfschmerz (anfallsartig, begrenzte Dauer) (s. S. 429), • atypischer Gesichtsschmerz (einschließlich neuropathische Schmerzen): meist lange Schmerzanamnese, • Zahnschmerzen, die sich aber in einen anderen Zahn projizieren (schwierig zu diagnostizieren!), • Schmerzen durch forcierte kieferorthopädische Zahnbewegung (Anamnese), • Prothesendruckstellen (Lokalbefund, Prothese herausnehmen!).
Tabelle 21.2 Typische Begleitsymptome/Befunde bei Zahnschmerzen.
21
Begleitsymptom/Befund
Typisch für Krankheitsbild
Sichtbarer Zahnhalsdefekt
berempfindlicher Zahnhals mit freiliegendem Dentin
Kavitation („Loch“)
Karies, Verlust oder Desintegration einer zahnrztlichen Restauration (z. B. Zahnfllung)
Zahnverfrbung
Pulpanekrose
Klopfempfindlichkeit
Parodontalabszess (ebenfalls: Verletzungen des marginalen Parodontiums, s. Kap. 21.3, S. 570), apikale Parodontitis
Schwellung, Rçtung, lokale berwrmung
odontogener Abszess
Zahnlockerung
Parodontalabszess (s. Kap. 21.2, S. 568) oder Zahntrauma (s. Kap. 21.3, S. 570)
565 Tabelle 21.3 Notfallanamnese bei Zahnschmerzen. Typische Angabe in der Anamnese
Vermutungsdiagnose
• Schwacher bis mittelstarker Schmerz ohne
Dentinfreilegung bei gesunder Pulpa oder reversible Pulpitis (z. B. nach Desintegration einer zahnrztlichen Restauration, bei berempfindlichem Zahnhals, bei Karies im Anfangsstadium
• •
vorausgegangene Verletzung Verschlimmerung des Schmerzes durch osmotischen (sß) oder thermischen (kalt/heiß) Reiz Schmerz tritt nur auf ußeren Reiz hin ein und berdauert ihn nicht lange
• Mittelstarker bis starker Schmerz ohne vorausgegangene •
Verletzung Schmerz tritt auf ußeren Reiz oder auch spontan ein und kann lang anhaltend sein
• Schwacher bis mittelstarker Schmerz nach erlittener •
Trauma des marginalen Parodontiums (z. B. nach Sportunfall)
Verletzung Schmerz tritt nur auf ußeren (vorwiegend) mechanischen Reiz (einschließlich Aufbissschmerz) ein und kann lang anhaltend sein
• Mittelstarker bis starker Schmerz ohne •
•
apikale Parodontitis bei Pulpanekrose, beginnender Abszess (z. B. bei progredienter Karies)
vorausgegangene Verletzung Verschlimmerung des Schmerzes durch ußeren (vorwiegend) mechanischen Reiz (einschließlich Aufbissschmerz) oder auch spontan, kann lang anhaltend sein gelegentlich Verschlimmerung der Schmerzen durch Wrme (aber nicht durch Klte)
• Starker Schmerz mit variabler Schwellung der •
umgebenden Weichgewebe oft zunchst nur geringe Schwellung (subperiostale Phase), danach vorbergehend nachlassende Schmerzen, die langsam gemeinsam mit progredienter Schwellung wieder zunehmen (submukçse Phase)
DD des odontogenen Abszesses • Erkrankungen der Speicheldrüsen (Mumps, bakterielle Sialadenitis, Speichelstein): Typischerweise werden die Beschwerden nach dem Essen stärker, • Emphysem oraler Weichteile (gelegentlich nach Zahnbehandlung!), • Tumoren (Schmerzen sind eher untypisch, eher Hypästhesie), • Kieferfrakturen (v. a. Unterkiefer, typisch Bewegungseinschränkung und Okklusionsstörung nach vorangegangener Gewalteinwirkung).
irreversible Pulpitis (z. B. bei progredienter Karies)
odontogener Abszess (z. B. bei progredienter, lange Zeit unbehandelter Karies)
Notfallanamnese Die Notfallanamnese von Zahnschmerzen erlaubt oft eine weitgehende diagnostische Eingrenzung (Tab. 21.3).
Notfalluntersuchung
• • •
Inspektion: Ist eine Kavität oder Frakturlinie am Zahn erkennbar? Palpation: Druckdolenz im Vestibulum, Schwellung? Zahnlockerung? Perkussion: Ist ein Zahn empfindlich, wenn man mit einem stumpfen Instrument leicht daran klopft?
566
•
•
Mund und Zhne
Kältetest zur Vitalitätsprüfung: Chloräthyl (auf einem Schaumstoff- oder Watteträger) wird auf die Zahnoberfläche gehalten, um die Kälteempfindlichkeit zu testen. Nicht selten falsch positiv/ falsch negativ! Cave! Perkussions- und Kältetest sind ohne entsprechende Erfahrung nicht leicht zu interpretieren; es empfiehlt sich, verschiedene Zähne zu untersuchen und die Befunde zu vergleichen.
Therapie (durch „Nichtzahnmediziner“) Vermeiden von Triggerreizen. Da Zahnschmerzen je nach Genese durch verschiedene Reize verschlimmert werden können, sollten für die kurzfristige Überbrückung, bis eine zahnärztliche Versorgung möglich ist, entsprechende Reize identifiziert und vermieden werden. Dies kann etwa kalte (oder heiße) Getränke betreffen. Generell sollten warme Umschläge oder Infrarotbestrahlungen vermieden werden. Medikamentöse Schmerztherapie. Orale Schmerzmedikation bei akuten dentalen Schmerzzuständen (Empfehlung für Erwachsene): • Milde Schmerzen: Ibuprofen 200 mg, bei Kontraindikation Paracetamol 500 mg. • Moderate Schmerzen: Ibuprofen 400 mg alle 4 h oder Paracetamol 1000 mg alle 6 h. • Massive Schmerzen: Ibuprofen 800 mg alle 6 h (EG-A) oder Flurbiprofen einmalig 100 mg, dann alle 6 h 50 mg – in Kombination mit zentral wirksamem Analgetikum (Tramadol 100 mg alle 6 h) (EG-A). Grundsätzlich ist Ibuprofen das Mittel der Wahl im Notdienst und durch zahlreiche Studien für den Bereich dentaler Schmerzen als sehr wirkungsvoll erwiesen (EG-A). Die ausschließlich medikamentöse Schmerztherapie von Zahnschmerzen ist meist unzureichend. Cave! Paracetamol-Überdosierungen nach Selbstmedikation aufgrund von Zahnschmerzen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
21
Eine rein medikamentöse Intervention bei akuten Zahnschmerzen ist nur angezeigt, wenn eine Vorstellung bei einem Zahnarzt, der eine kausale Therapie einleitet, kurzfristig nicht möglich ist. Bei Verdacht auf odontogenen Abszess muss baldmöglichst ein Zahnarzt oder Kieferchirurg hinzugezogen werden.
21.2 Akute Mundschleimhautveränderungen T.-S. Kim, H.-J. Staehle
Aphthen Definition Kleine, entzündete Bereiche der Mundschleimhaut, die für den Betroffenen äußerst schmerzhafte Reaktionen hervorrufen können. Sie treten hauptsächlich an der Wangenschleimhaut auf, können aber auch die Zunge, den Gaumen, das Zahnfleisch und in seltenen Fällen die Augen und den Genitalbereich befallen ( Abb. 21.2, Farbtafel XXV).
Pathophysiologie Ungeklärt, Belastungsfaktoren wie Stress, Depression, Schlafmangel, Überarbeitung, Krankheiten oder reduzierte Immunlage können Aphthen begünstigen. Mechanische Irritationen in der Mundhöhle durch Zahnspangen, Zahnersatz oder spitze Zähne können zu kleinen Verletzungen der Mundschleimhaut führen. Diese Stellen sind prädestiniert zum Ausbilden einer Aphthe.
Typische Krankheitszeichen Aphthen entstehen plötzlich. Den Betroffenen fallen meist zuerst die äußerst starken Schmerzen auf, die Essen und Schlucken, zum Teil auch das Sprechen sehr stark beeinträchtigen. Lymphknotenschwellungen sind teilweise zu beobachten. Aphthen können auch jucken und brennen. Sie lassen sich durch ihr typisches Aussehen schnell identifizieren: eine linsenkerngroße (meist 1 – 5 mm) weiße oder gelbliche Läsion, umgeben von einem stark geröteten Hof. Meist treten Aphthen einzeln auf, manchmal sind 2 – 3 gleichzeitig vorhanden. Bei stärkerem Befall muss man an eine Stomatitis aphthosa denken. Typischerweise verschwinden Aphthen nach spätestens 7 – 14 Tagen ohne therapeutische Intervention.
Akute Mundschleimhautvernderungen
Differenzialdiagnose
•
Einfache Verletzungen der Mundschleimhaut können eine Aphthe imitieren. • Stomatitis aphthosa (hohe Anzahl an Aphthen im Mund), durch Herpesviren verursacht, behandlungsbedürftig. • Varizellen mit Mundschleimhautbefall: Aufgrund des für die Varizelleninfektion typischen Ganzkörperexanthems bereitet die Differenzialdiagnose in der Regel keine Schwierigkeiten. Es gibt aber auch atypische Verläufe der Varizelleninfektion, die erst serologisch erkannt werden können. • Aphthenähnliche Läsionen bei Erythema exsudativum multiforme (mit Fieber und starkem Krankheitsgefühl) (s. S. 580). • Bei einem verstärkten Auftreten von Aphthen: Grundkrankheit suchen (Morbus Behc¸et: Gelenkbeteiligung; Morbus Crohn: gastrointestinale Symptome). Durch das typische Aussehen und die typischen Symptome kann man meist die Diagnose durch Blick in den Mund stellen. Wenn Aphthen chronisch rezidivierend auftreten, kann es sinnvoll sein, eine weitere Diagnostik einzuleiten. Bleibt eine Aphthe länger als 2 Wochen bestehen, sollte eine Gewebeprobe entnommen werden, um mögliche andere Ursachen auszuschließen.
•
567
durch aber nicht zu einem schnelleren Abheilen der Aphthe. In sehr schweren Fällen kann eine Glukokortikoidsalbe (0,1 %iges Triamcinolonacetonid) helfen, die Entzündung abzuschwächen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Falls es begünstigende mechanische Reizfaktoren gibt (spitze Zahnumrisse, kieferorthopädische Apparatur, scharfkantiger herausnehmbarer Zahnersatz), ist es sinnvoll, diese durch den Zahnarzt beseitigen zu lassen.
Akut nekrotisierende ulzerierende Gingivitis (ANUG) Definition Progrediente, schmerzhafte Entzündung mit Ulzerationen, Schwellung und Abstoßung nekrotischen Gewebes aus Mund- und Rachenraum infolge einer sich ausbreitenden bakteriellen Infektion des Zahnfleisches ( Abb. 21.3, Farbtafel XXV).
Pathophysiologie Notfallanamnese Auf Berührung extrem schmerzhafte Ulzeration der Mundschleimhaut mit einem Durchmesser zwischen ca. 1 und 5 mm seit in der Regel 1 – 3 Tagen.
Notfalluntersuchung Durch das typische Aussehen und die typischen Symptome ist die Diagnose nach Inspektion der Mundhöhle möglich.
Therapie
• •
Da man im Normalfall die Ursache nicht kennt, ist eine zielgerichtete Therapie nicht möglich. Es empfiehlt sich die Applikation z. B. eines Gels oder Sprays mit einer oberflächenanästhesierenden Wirkung (2%iges Lidocain-Gel) zur symptomatischen Schmerzbehandlung. Es kommt da-
Die Ätiologie der ANUG (Synonyme: Angina Plaut Vincenti, akute membranöse Gingivitis, fusospirilläre Gingivitis, Fusospirillose, nekrotisierende Gingivitis, Vincent’s Stomatitis etc.) ist nach wie vor noch nicht genau geklärt. Hinsichtlich der bakteriellen Genese ist vor allem das typische Auftreten von fusiformen Bakterien und Spirochäten anzuführen.
Typische Krankheitszeichen
• • • •
Häufig betroffen sind immungeschwächte Menschen, z. B. bei HIV-Infektionen/AIDS. Die Erkrankung beginnt meistens plötzlich mit einer sehr schmerzhaften Entzündung des Zahnfleischs in den Zahnzwischenräumen. Später ist auch das restliche Zahnfleisch betroffen. Die Patienten leiden unter starkem Foetor ex ore und haben meistens einen fauligen Geschmack im Mund. Die örtlichen Lymphknoten können als Zeichen der heftigen Entzündung geschwollen sein. Bei
568
•
Mund und Zhne
schwer verlaufender ANUG kann es auch zu Allgemeinsymptomen mit Fieber kommen. Heilt eine ANUG ab, so bleiben oft Vertiefungen und Nischen im Zahnfleisch zurück.
Differenzialdiagnose Aufgrund der typischen Kombination der schmerzhaften, akuten gingivalen Infektion in Kombination mit dem durch die Gewebsnekrosen ausgeprägten Foetor ex ore bereitet die Differenzialdiagnose in der Regel keine Schwierigkeiten. Analog zur Gingivitis (ANUG) kann es auch zu einer akut nekrotisierenden und ulzerierenden Parodontitis (ANUP) kommen, was allerdings im Notfall nicht von Bedeutung ist, da die Primärtherapie (s. u.) bei beiden Erkrankungen identisch ist.
Notfallanamnese
•
•
Extrem schmerzhafte Schwellung, in der Regel mehrerer Interdentalräume mit deutlich erkennbaren Nekrosen der interdentalen Papillen und extremer Blutungsneigung bei Berührung, z. B. mit einer Zahnbürste. Starker Fötor und fauliger Geschmack seit wenigen Tagen.
Notfalluntersuchung
•
In schweren Fällen mit Allgemeinsymptomen ist eine adjuvante antibiotische Behandlung zu empfehlen: Metronidazol (3 × 400 mg/d für 7 Tage).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Baldige Vorstellung beim Zahnarzt, dort Vornahme von professionellen Reinigungen und lokal desinfizierenden Maßnahmen.
Parodontaler Abszess Definition Unter einem Parodontalabzess (Synonym: Zahnfleischtaschenabszess oder Taschenabszess) versteht man die Ansammlung von Pus in einer akut infizierten parodontalen Tasche ( Abb. 21.4, Farbtafel XXVI).
Pathophysiologie Verursacht werden Parodontalabzesse durch Erreger in der Tiefe einer pathologischen Zahnfleischtasche. Parodontale Abszesse treten häufig vestibulär (zur Umschlagfalte hin gerichtet), seltener palatinal (zum Gaumen gerichtet) bzw. lingual (zur Zunge gerichtet) auf, begünstigt durch ausgeprägte Knochendefekte, Immunschwäche oder Schwangerschaft.
Klinik Inspektion der Mundhöhle, Palpation der regionalen Lymphknoten, Körpertemperatur.
Typische Krankheitszeichen
•
Diagnostik Wegen des akuten Verlaufs und der Schwierigkeit des kulturellen Nachweises von Spirochäten ist eine Therapie nach klassischer Erregerdiagnostik bei dieser Erkrankung nicht sinnvoll.
21
Therapie
•
Wegen des für die ANUG typischen Auftretens von Spirochäten lässt sich die Infektion in den meisten Fällen mit lokal desinfizierenden Maßnahmen wie Wasserstoffperoxyd, ChlorhexidinSpülungen oder Applikation von ChlorhexidinGel beherrschen.
• •
Rötung, Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der vestibulären (zur Umschlagfalte gerichteten) oder oralen (zum Gaumen bzw. zur Zunge gerichteten) Gingiva eines meist parodontal geschädigten Zahnes. Zahnlockerung, Eiterentleerung bei Sondierung der parodontalen Tasche oder Palpation der Schwellung. Eine schmerzhafte Schwellung der regionären Lymphknoten kann hinzukommen, evtl. Fieber.
Akute Mundschleimhautvernderungen
Dentitio difficilis
Differenzialdiagnose
• • •
Apikaler, von der Wurzelspitze eines Zahnes ausgehender Abszess, akut infizierte Endo-Paro-Läsion (kombinierte Ursache mit Beteiligung des Endodonts/Zahnmarks und des Zahnhalteapparats/Parodonts), nichtentzündliche Schwellungen vor allem bei palatinaler (zum Gaumen gerichteter) Lokalisation im Molarenbereich (pleomorphes Adenom, Adenokarzinom).
Notfallanamnese Schmerzhafte Schwellung in der vestibulären oder oralen Gingiva mit Pusentleerung bei Palpation.
Notfalluntersuchung Klinische Inspektion, (vorsichtige) Palpation der Schwellung, Sondierung der ursächlichen Tasche, Prüfung des Zahnlockerungsgrades. Die Diagnose ist in der Regel eindeutig bei sichtbarer Pusentleerung.
Therapie
•
• •
Drainage: Primäres Therapieziel ist die Drainage des Abzesses. In aller Regel ist dies durch einen Nichtzahnmediziner nur unzureichend zu realisieren. Die Drainage kann evtl. durch vorsichtige Palpation ausgelöst werden, da der Eiter dann meist über den Parodontalspalt zur Mundhöhle hin abfließt. Reinigung: Wiederholte Taschenreinigung mit Chlorhexidin-Spüllösung oder -Spray, Applikation von Chlorhexidin-Gel (1%ig), evtl. Analgetika-Gabe. Wenn trotz Palpation keine Pusentleerung stattfinden sollte und eine baldige Vorstellung beim Zahnarzt nicht möglich ist, wird eine systemische antibiotische Therapie mit Aminopenicillin eingeleitet, bis die lokale Therapie durch einen Zahnarzt fortgeführt werden kann.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Eine baldige Vorstellung beim Zahnarzt ist erforderlich.
569
Definition Als Dentitio difficilis (lateinisch:„schwerer Zahndurchbruch“) bezeichnet man vor allem die akute Exazerbation einer chronischen perikoronaren Entzündung (um die Krone des nicht durchgebrochenen Zahnes herum, s. u.). Sie kommt am häufigsten vor bei teilretinierten unteren, seltener oberen Weisheitszähnen. Bei normal durchbrechenden Zähnen entsteht eine Dentitio difficilis nur in Ausnahmen.
Pathophysiologie Der perikoronare Raum bildet sich am Beginn des Zahndurchbruchs, wenn sich das Schmelzepithel von der Zahnoberfläche ablöst und zwischen Zahnkrone und Zahnsäckchen ein zur Mundhöhle hin offener Spaltraum entsteht. Dieser stellt einen Schlupfwinkel für Bakterien und Zelldetritus dar und kann Ausgangspunkt einer Entzündung sein. Nach vollendetem Zahndurchbruch reduziert sich der Spaltraum auf die physiologische Zahnfleischfurche mit einer Tiefe von einem Millimeter. Eine perikoronare Entzündung kann sich bei normal durchbrechenden Zähnen daher nur während des Zahndurchbruchs ausbilden. Anders ist die Situation jedoch bei teilretinierten Zähnen, die sich nicht regelrecht einstellen. Hier besteht eine perikoronare Entzündung als Dauerzustand. Besonders betroffen sind hier die unteren, seltener die oberen Weisheitszähne.
Typische Krankheitszeichen
•
• • •
Rötung, Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit der über dem betroffenen Zahn gelegenen Schleimhaut, nicht selten auch etwas Eiterentleerung sowie ein bisweilen ausgeprägter Foetor ex ore. Breitet sich die Entzündung bis in die Kaumuskulatur aus, so resultiert eine Kieferklemme. Es kann eine schmerzhafte Schwellung der submandibulären Lymphknoten hinzukommen, evtl. Fieber. Häufig klagt der Patient auch über Schluckschmerzen auf der betroffenen Seite.
570
Mund und Zhne
Differenzialdiagnose
• • •
Periapikale Parodontitis eines zweiten Molaren, odontogener Abszess, Tonsillarabszess/Angina tonsillaris (dann Schmerzen auf beiden Seiten).
Notfallanamnese
• • •
Schmerzhafte Schwellung im Bereich eines durchbrechenden (dritten) Molaren, Schluckschmerzen, Kieferklemme? Fieber?
Notfalluntersuchung Inspektion. Klinische Inspektion der Mundhöhle kann erschwert sein durch Kieferklemme. Bei der subakuten Form findet man Rötung, Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit der über dem betroffenen Zahn gelegenen Schleimhaut, nicht selten auch etwas Eiterentleerung. Bei der akuten Form ist die den Zahn bedeckende Gingiva stärker gerötet, geschwollen und äußerst druckschmerzhaft. Häufig Fötor. Palpation. Meistens entleert sich bei Palpation der perikoronaren Weichteile – besonders bei Fingerdruck auf die retromolare Region – eitriges Sekret aus dem perikoronaren Raum. Im Wangenbereich und im retromandibulären bzw. retromaxillären Bereich findet man ein weiches, nicht schmerzhaftes kollaterales Ödem. Ferner kann eine schmerzhafte Schwellung der submandibulären Lymphknoten hinzukommen.
Therapie Notfallmanagement
•
21
•
•
Bei subakuter Form: Wiederholte Taschenreinigung mit Chlorhexidin-Spüllösung oder -Spray, Applikation von Chlorhexidin-Gel (1 %ig) (EG-D), evtl. Analgetika. Bei akuter Form: Behandlung durch Zahnarzt oder Kieferchirurgen: Inzision, bei Weisheitszähnen mit Schnittführung wie bei der operativen Zahnentfernung und Ablösung der perikoronaren Weichteile in Lokalanästhesie. Tamponade der Inzisionswunde durch Gazestreifen. Bei akuter Form und fehlender Möglichkeit der Inzision: adjuvante Gabe eines Breitspektrumpeni-
•
cillins (Amoxycillin 3 × 1 g/d für 3 Tage, bei Penicillinallergie Clindamycin 1200 mg/d) (EG-D). Entscheidend ist eine lokale Therapie, die Verordnung von Antibiotika sollte bei diesem Krankheitsbild sehr zurückhaltend erfolgen.
Weitere Maßnahmen Die operative Entfernung des Zahnes wird erst vorgenommen, wenn die akute Entzündung abgeklungen ist.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Patient wird zu häuslichen Spülungen mit Chlorhexidin-Lösung instruiert. Wiedervorstellung des Patienten nach 24 h. Professionelle Spülung des perikoronaren Raumes mit Chlorhexidin-Lösung, ggf. systemische Antibiotikagabe.
21.3 Zahnverletzungen J. Mente, T. Pfefferle, H.-J. Staehle
Definition und Einteilung Dentale Verletzungen sind durch äußere Gewalteinwirkung entstandene Schäden der Zahnhartsubstanzen, wobei zusätzlich oft Strukturen des Zahnhalteapparates (knöcherne Alveole – Zahnfach, Desmodont – Wurzelhaut, Gingiva – Zahnfleisch) mit betroffen sind.
Pathophysiologie Bei Verletzungen der Zahnhartsubstanzen ist je nach Frakturverlauf Schmelz, Dentin und/oder Wurzelzement beteiligt. Bei traumatischer Freilegung der Pulpa ist neben den verletzungsbedingten Schäden deren sekundäre bakterielle Infektion möglich. Geringe Traumata des Zahnhalteapparats sind durch ein parodontales Ödem gekennzeichnet. Bei starken Traumata kommt es zur Zerreißung von Desmodontalfasern und/oder der apikalen neurovaskulären Versorgung. Je nach Art und Stärke der Gewalteinwirkung sind Frakturen der knöchernen Alveole vor allem bei lateralen Luxationsverletzungen möglich. Bei Verletzung von Weichgewebe sind je nach Trau-
Zahnverletzungen ma epitheliales und subepitheliales Gewebe, Blutgefäße, Nerven, Muskeln oder auch Speicheldrüsen betroffen. Sie stellen sich bei scharfer/spitzer Traumaeinwirkung als blutende Schnittwunde, bei stumpfen Traumata als Hämatome dar.
Typische Krankheitszeichen
571
Im Verdachtsfall sollte man konsiliarisch einen weiteren Arzt, bei Kindern einen Kinderarzt hinzuziehen. Gute Dokumentation ist unabdingbar. Bei Verdacht auch direkte Ansprache des Patienten in Erwägung ziehen mit Darlegung von Unterstützungsmöglichkeiten (Hilfs- und Schutzeinrichtungen, Beratungsstellen). Unter Umständen auf Aufheben der Schweigepflicht hinwirken (siehe www.mvregierung.de/fg).
Siehe Tab. 21.4.
Differenzialdiagnose Zahnhartsubstanzschäden und parodontale Erkrankungen nichttraumatischer Ursache sind vielfältig. Eine Abgrenzung im Notfall erlaubt Tab. 21.4.
Notfallanamnese Allgemeinmedizinische Anamnese • Frage nach Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz, Amnesie (Hinweis auf Schädelhirntrauma). • Gibt es Verletzungen an anderen Körperregionen (Einschätzung der Dringlichkeit)? • Frage nach schweren Allgemeinerkrankungen (Bluter)? • Nimmt der Patient regelmäßig Medikamente ein (Antikoagulanzien, Insulin, Immunsuppressiva)? • Besteht ein ausreichender Tetanusschutz? Spezielle Anamnese • Fragen zum Unfall: – Wann? (wichtig ist der Zeitraum vom Unfall bis zum Behandlungsbeginn) – Wie? (Hinweis auf Begleitverletzungen) – Wo? (Schul- oder Arbeitsunfall? Einschätzung der Kontamination der Wunden) • Hinweise auf Misshandlung: – Zeitraum Unfall bis zur Vorstellung des Patienten unplausibel lang, – differierende Angaben zum Unfallgeschehen zwischen Eltern und Kind bzw. Patient und Begleitperson, – Anamnese passt nicht zum klinischen Befund, – auffällige Interaktionen zwischen Eltern und Kind bzw. Patient und Begleitperson, – ältere Verletzungen (Hämatome) am Patienten erkennbar.
Notfalluntersuchung Klinische Untersuchung • Erst extraorale Untersuchung, dann intraorale Untersuchung. • Weichteilverletzungen (Platzwunden, Schürfwunden, penetrierende Verletzungen, Fremdkörper)? • Monokelhämatom oder Brillenhämatom, Blutung aus Nase oder Ohr (Blow-out-Fraktur, Schädelbasisfraktur)? • Bestehen persistierende Blutungen (Hinweis auf Gefäßverletzung)? • Okklusionsstörungen (Patient fragen, ob die Zähne noch genauso wie vor dem Unfall ineinander beißen – Hinweis auf Alveolarfortsatz- oder Kieferwinkelfraktur)? • Bestehen seit dem Unfall Zahnlockerungen (Hinweis auf Wurzelfraktur, laterale Dislokationsverletzung oder Alveolarfortsatzfraktur)? • Fehlen seit dem Unfall Zähne? Wurden diese gesucht und mitgebracht? (sofort in physiologische Lösung legen, Zahnrettungsbox s. unter „Therapie“). • Durch vorsichtige Palpation des Alveolarknochens prüfen, ob Zähne und ggf. auch ein Teil des Alveolarknochens (Alveolarfortsatzfraktur) beweglich sind. • Gibt es Längs- oder Trümmerfrakturen an den Zähnen? (ungünstige Prognose). Cave! Bei traumatischen Schäden ist in aller Regel neben der klinischen Untersuchung eine Röntgenuntersuchung durch den Zahnarzt zum Ausschluss weiterreichender Verletzungen (auch aus forensischen Gründen) dringend geboten.
572
Mund und Zhne
Tabelle 21.4 Typische Krankheitszeichen und Notfallmanagement von Zahnverletzungen. Verletzung
Definition/typische Krankheitszeichen/Klinik
Notfallmaßnahmen
Verletzungen der Zahnhartsubstanzen (Schmelz, Dentin, Wurzelzement) Schmelzinfraktur
Schmelzfraktur
Unkomplizierte Kronenfraktur
Schmelzriss, oftmals nur durch vernderte Lichtbrechung erkennbar
• Vorstellung bei Hauszahnarzt
oberflchige Absprengung von Zahnhartsubstanz (Schmelz)
• Vorstellung bei Hauszahnarzt
Absprengung von Zahnhartsubstanz (Schmelz und Dentin); das Zahnmark (Pulpa) wurde nicht freigelegt
• Kronenfragment in steriler Koch-
ohne akute Dringlichkeit
ohne akute Dringlichkeit
• Komplizierte Kronenfraktur (mit Freilegung der Pulpa)
Unkomplizierte Kronen-Wurzel-Fraktur
salzlçsung oder Zahnrettungsbox (Abb. 21.5) mitgeben zeitnahe Vorstellung bei Hauszahnarzt
Absprengung von Zahnhartsubstanz von der Zahnkrone (Ecke, Schneidekante, Zahnhçcker); das Zahnmark (Pulpa) ist freigelegt
• Kronenfragment in steriler Koch-
Frakturlinie verluft durch Kronenund Wurzelbereich (ohne Freilegung der Pulpa)
• Kronenfragment in steriler Koch-
•
• Komplizierte KronenWurzel-Fraktur (mit Freilegung der Pulpa) ( Abb. 21.6, Farbtafel XXVI)
Frakturlinie verluft oft schrg durch Kronen- und Wurzelbereich; das Zahnmark (Pulpa) ist freigelegt
Wurzelfraktur
Fraktur, welche nur die Zahnwurzel betrifft; die Frakturlinie kann horizontal, vertikal oder schrg verlaufen; tritt mit oder ohne Dislokation des koronalen Zahnfragmentes auf, koronales Fragment ist oft geringfügig extrudiert
salzlçsung oder Zahnrettungsbox (Abb. 21.5) mitgeben schnellstmçgliche Vorstellung bei Hauszahnarzt
salzlçsung oder Zahnrettungsbox (Abb. 21.5) mitgeben zeitnahe Vorstellung bei Hauszahnarzt
• Kronenfragment in steriler Koch•
salzlçsung oder Zahnrettungsbox (Abb. 21.5) mitgeben schnellstmçgliche Vorstellung bei Hauszahnarzt
• zeitnahe Vorstellung bei
Hauszahnarzt empfehlen
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen
Verletzungen des Zahnhalteapparats/Parodontalligaments Konkussion (frhere Bezeichnung: Kontusion)
keine Blutung aus dem Sulkus des betroffen Zahnes (z. B. nach Stoß gegen ein Trinkglas)
• Vorstellung bei Hauszahnarzt empfehlen
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen
21
Traumatogene Lockerung (frhere Bezeichnung: Subluxation)
Blutung aus dem Sulkus des betroffenen Zahnes, Zahn aber nicht disloziert (z. B. nach Sturz beim Gehen)
• zeitnahe Vorstellung bei
Hauszahnarzt empfehlen
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen Fortsetzung nächste Seite
Zahnverletzungen
Tabelle 21.4 Typische Krankheitszeichen und Notfallmanagement von Zahnverletzungen
573
(Fortsetzung).
Verletzung
Definition/typische Krankheitszeichen/Klinik
Notfallmaßnahmen
Extrusive Dislokation (Extrusion)
Zahn in Relation zu den Nachbarzhnen elongiert und zustzlich gelockert, Blutung aus Sulkus
• zeitnahe Vorstellung bei Hauszahnarzt
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen Intrusive Dislokation (Intrusion)
Zahn ist durch Trauma in den Kiefer hineingetrieben (intrudiert) worden, Wundflche (z. B. nach Beschleunigungstrauma, Unfall auf Wasserrutsche)
• zeitnahe Vorstellung bei Hauszahnarzt
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen Laterale Dislokation
Avulsion ( Abb. 21.7, Farbtafel XXVI) (frhere Bezeichnung: Totalluxation)
Zahnkrone in Relation zu den Nachbarzhnen nach palatinal, labial oder seltener lateral verlagert, dabei aber im Unterschied zur Kronen-WurzelFraktur nicht mobil
• zeitnahe Vorstellung bei
Zahn wurde vollstndig herausgeschlagen, Patient stellt sich mit leerer Zahnalveole vor
Zahn suchen (!) und in Zahnrettungsbox (Abb. 21.5) „best choice!“ oder in steriler Milch (Tab. 21.5) gelagert mitgeben und schnellstmçgliche Vorstellung bei Zahnarzt veranlassen! Zahn nur an der Zahnkrone anfassen. Die sofortige Replantation eines „sauberen“ Zahnes ist mçglich, wenn die zeitnahe Vorstellung bei einem Zahnarzt nicht gewhrleistet ist. Zahn zuvor mit steriler physiologischer Lçsung absplen (keine Desinfektionsmittel, kein H2O2). Wurzeloberflche nicht mechanisch reinigen! Bei starken Verschmutzungen des avulsierten Zahnes Reinigung und Replantation nur durch Zahnarzt!
Hauszahnarzt
• 2 /d Chlorhexidin-Mundspllçsung (0,12%)
• weiche Kost empfehlen
Verletzungen der knöchernen Alveole Kompression (Stauchung)
in der Regel in Verbindung mit Konkussion, Dislokation oder Avulsion eines Zahnes
• Vorstellung bei Hauszahnarzt oder
Fraktur
vernderte Okklusion (Patient kann nicht so zusammenbeißen wie vor dem Unfall), abnorme Beweglichkeit des Alveolarfortsatzes
• schnellstmçgliche Vorstellung
vernderte Okklusion (Patient kann nicht so zusammenbeißen wie vor dem Unfall), abnorme Beweglichkeit des Alveolarfortsatzes, evtl. tastbare Kontinuittsunterbrechung und sichtbare Dislokation von Zahn- und/oder Knochenfragmenten
• schnellstmçgliche Vorstellung
Fraktur und Dislokation
Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg
bei Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg
bei Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg
Fortsetzung nächste Seite
574
Mund und Zhne
Tabelle 21.4 Typische Krankheitszeichen und Notfallmanagement von Zahnverletzungen Verletzung
Definition/typische Krankheitszeichen/Klinik
(Fortsetzung).
Notfallmaßnahmen
Verletzungen der Gingiva oder der oralen Mukosa Lazeration (Zerreißung)
heftig blutende Weichteilwunde mit scharf verlaufendem Wundrand, meist an Lippe, aber auch an Zahnfleisch oder Zunge
Grundsatz: Untersuchung von außen nach innen – Behandlung von innen nach außen; umgehende Vorstellung des Patienten in Fachabteilung, wenn Facharzt in absehbarer Zeit jedoch nicht erreichbar ist, Maßnahmen unter Lokalansthesie: • Reinigung (physiologische Kochsalzlçsung) • Entfernung von Fremdkçrpern (Gaze) • Blutstillung (Aufbisstupfer, Khlung) • Wundverschluss (Pflaster-Strip), Naht an Lippe ausschließlich durch oralchirurgisch versierten Zahnarzt oder Chirurgen!
Kontusion
Hmatom im Bereich der traumatisierten Gingiva
keine Behandlung nçtig, wenn Verletzung sich auf Weichgewebe beschrnkt, jedoch ist radiologische Untersuchung zum Frakturausschluss (u. a. Kiefergelenk) indiziert fi schnellstmçgliche Vorstellung beim Chirurgen
Abrasion/Ablederung
oberflchlich gelegene blutende Schrfwunde
unter Lokalansthesie:
• Reinigung (physiologische, sterile Kochsalzlçsung)
• Entfernung von Fremdkçrper (Gaze,
Splitterpinzette, Brstchen, Skalpell), ggf. Vorstellung in Fachabteilung • evtl. Wundverschluss (Verband) Patienteninstruktion: vor Sonnenlicht schtzen um Hyperpigmentation zu vermeiden
21
Ein- oder Abbissverletzungen
akute im Rahmen von Kollisionsvorgngen (Straßenverkehrsunflle, Kontaktsportarten) entstandene Traumata
• starke oder anhaltende Blutungen
Pfhlungsverletzungen
meist kleinere, streng lokalisierte Wunde der oralen Gingiva (oft Gaumenschleimhaut); hufig bei Kindern, z. B. durch plçtzliches Abrutschen beim Hantieren mit einem langen, scharfen Gegenstand (z. B. Malstift)
• wichtig ist die Untersuchung des ver-
machen sofortige Vor-Ort-Maßnahmen erforderlich: am Unfallort kann die initiale Blutstillung durch konservative Maßnahmen (Kompression, Tamponade, Eis) erfolgen • umgehende Vorstellung des Patienten in Fachabteilung
•
•
ursachenden Gegenstandes um das Verbleiben eines frakturierten Anteils in der Schleimhautwunde sicher ausschließen zu kçnnen; ggf. Rçntgenkontrolle genaue Wundinspektion ist in der Regel ausreichend, da diese meist kleinen Wunden ohne adaptierende Maßnahmen sehr gut verheilen Vorstellung bei Zahnarzt
Zahnverletzungen
575
Therapie Einzelne Therapiemaßnahmen sind in Tab. 21.4 aufgeführt. Zusammenfassend ist dabei folgendes zu beachten: • Initiale Blutstillung durch konservative Maßnahmen (Kompression, Tamponade, Eis). Evtl. zusätzlich Tranexamsäure als Fibrinolysehemmer verordnen. • Herausgeschlagene (avulsierte) Zähne sind feucht in einem sterilen, physiologischen Medium aufzubewahren. Ideal ist die Lagerung von avulsierten Zähnen oder Zahnfragmenten in einer Zahnrettungsbox, welche ein steriles Zellnährmedium enthält (Abb. 21.5). Zahnrettungsboxen sind in Apotheken erhältlich und werden auch oft an Schulen oder Sporteinrichtungen bereitgehalten. • Bei fehlendem oder nicht ausreichendem Schutz Tetanusimpfung veranlassen. • Umgehende Vorstellung des Patienten beim Zahnarzt/Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen. Anmerkung: Die dentalen Traumata können durch den Zahnarzt ambulant behandelt werden. Der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg behandelt weiterführende Verletzungen (Kieferfrakturen, ausgedehnte Weichteilverletzungen etc.).
Abb. 21.5 Dentosafe Zahnrettungsbox zur temporren Aufbewahrung avulsierter Zhne oder von Zahnfragmenten.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Siehe Tab. 21.4.
•
Besondere Merkpunkte
•
Ziel: Vitalerhaltung und Regeneration der geschädigten Zellen des Zahnhalteapparates bis zur Replantation. Merke! Zahn nur an Zahnkrone, nicht an der Wurzel anfassen!
Lagerungsmöglichkeiten von herausgeschlagenen Zähnen oder Zahnfragmenten zeigt Tab. 21.5 (EG-D).
Tabelle 21.5 Eignung von Medien zur Lagerung herausgeschlagener Zhne in absteigender Reihenfolge. Medium
Maximale Lagerungszeit
Dentosafe Box (Abb. 21.5) (EG-D)
bis zu 24 h (gekhlt)
Milch (UHT) (EG-D)
bis zu 3 h
Physiologische Kochsalzlçsung
bis zu 3 h
Speichel (Wangentasche)
bis maximal 1,5 h
Wasser ist ungeeignet! (EG-B)
unter 1 h
576
Mund und Zhne
21.4 Akute Funktionsstörungen des Kiefergelenks A. Schulte, M. Schmitter, H.-J. Staehle
Definition und Einteilung Das Kiefergelenk weist zur Gewährleistung der Kaufunktion komplexe Bewegungsabläufe mit Rotations- und Translationsbewegungen auf. Zu Beginn einer Kieferöffnungsbewegung steht die Rotation des Kondylus im Vordergrund, bei weiterer Kieferöffnung (> 20 mm) dominiert die Translationsbewegung. Diese Komplexität ist dafür verantwortlich, dass Störungen in diesem Gelenk häufig vorkommen. Im Folgenden wird nur auf die akuten Störungen der Kiefergelenke, die einer schnellen Notfalltherapie bedürfen, eingegangen. Sie sind durch folgende Befunde gekennzeichnet: • Schmerzen, insbesondere bei Bewegungen/Belastungen der Gelenke und/oder • Bewegungseinschränkungen, z. B. limitierte(r) Kieferschluss/Kieferöffnung und/oder • ungewöhnlicher Zusammenbiss der Zähne mit Okklusionsstörungen.
Pathophysiologie
21
Kiefergelenksluxation. Bei der Kiefergelenksluxation rutscht der Processus condylaris ossis mandibulae aus der Fossa mandibularis über das Tuberculum articulare nach ventral. Das Tuberculum articulare verhindert dann ein selbstgesteuertes Zurückgleiten des Kondylus in die Fossa articularis. Insbesondere bei prädispositionierten Patienten (abgeflachtes Tuberkulum) wie z. B. Trägern von totalen Zahnprothesen tritt die Luxation häufiger auf („habituelle“ Luxation). fi Kiefersperre: Der Patient ist nicht in der Lage, den Kiefer zu schließen. Akute anteriore Diskusverlagerung. Bei der akuten anterioren Diskusverlagerung ohne Reposition ist der Discus articularis nach anterio-kaudal vor den Kondylus verlagert und ist somit nicht mehr zwischen Kondylus und Tuberculum articulare interponiert (Folge: Translationsbewegung des Kondylus ist durch den verlagerten Discus articularis behindert). fi Kieferklemme: Der Patient ist nicht in der Lage, den Kiefer weit zu öffnen (< 30 mm).
Kiefergelenkskontusion. Bei der Kontusion des Kiefergelenks kommt es zur vermehrten Flüssigkeitsansammlung im Kiefergelenk. Dies kann durch ein Makrotrauma (z. B. Sturz oder Schlag auf das Kinn), aber auch ein Mikrotrauma (z. B. nächtliches Zähneknirschen) verursacht werden. Der Gelenkerguss verursacht bei der Bewegung des Kondylus Schmerzen und führt auch dazu, dass der Diskus und der Kondylus nicht vollständig in die Fossa mandibularis zurückgleiten können. fi Nonokklusion: Der Patient ist nicht in der Lage, die Seitenzähne in Kontakt zu bringen. Kollumfraktur. Bei der (meist traumatischen) Kollumfraktur kommt es zu einer Fraktur unterhalb des Kollums, wobei eine Dislokation der Fragmente eintreten kann.
Typische Krankheitszeichen Kiefergelenksluxation. Ohne Vorankündigung und spontan auftretende Kiefersperre, d. h. es entsteht kein Zahnkontakt. Diskusverlagerung. Spontan auftretende Kieferklemme, d. h. der Patient kann den Mund nur minimal öffnen. Zumeist ist die Diskusverlagerung nicht mit makrotraumatischen Ereignissen (Sturz, Schlag) verbunden (im Gegensatz zur Kollumfraktur). Wenn nur ein Kiefergelenk betroffen ist, weicht der Unterkiefer bei der Kieferöffnung zur betroffenen Gelenkseite ab. Kiefergelenkskontusion. Laterale Bewegungseinschränkung des Unterkiefers nach Mikro- oder Makrotrauma, Bewegungsschmerz, Nonokklusion im Seitenzahnbereich (der Patient kann seine Oberund Unterkieferzähne dort nicht oder nur mit Mühe und unter Schmerzen in Kontakt bringen). Die Kieferöffnung ist zumeist nicht eingeschränkt. Kollumfraktur. Reflektorische Kieferklemme, d. h. der Patient kann den Mund nur wenig öffnen. Die Öffnungsbewegung ist mit starken Schmerzen im Bereich der Frakturregion und dem Kiefergelenk der betroffenen Seite verbunden. Es besteht eine Okklusionsstörung im Bereich der Seitenzähne. Bei einseitigen Kollumfrakturen weicht der Unterkiefer zur erkrankten Seite ab. Daneben können auch traumatische Begleitverletzungen im Bereich der Zähne und/oder der Weichteile vorhanden sein.
Akute Funktionsstçrungen des Kiefergelenks
Differenzialdiagnose Das Leitsymptom der Kieferklemme kann neben der Diskusverlagerung oder der Kollumfraktur auch als Folge der entzündlichen Dentitio difficilis (s. Kap. 21.2, S. 569) oder eines Abszesses auftreten. Außerdem kann sich eine Kieferklemme auch nach einer intraoralen Leitungsanästhesie am Foramen mandibulare als Folge eines Spritzenhämatoms ausbilden. Diese Ursachen einer Kieferklemme sind häufig mit Schluckbeschwerden verbunden.
Notfallanamnese Bei der Notfallanamnese wird zunächst geklärt, ob die Patienten den Kiefer nicht schließen oder nicht öffnen können. • Bei Patienten, die den Kiefer nicht schließen können: – Tritt die Störung öfter auf (Hinweis auf sog. habituelle Kiefergelenksluxation)? • Bei Patienten, die den Kiefer nicht öffnen können: – Trat die Störung spontan oder als Folge einer Gewalteinwirkung auf (Abgrenzung Kollumfraktur – Diskusverlagerung)? – Bei spontanem Auftreten: Seit wann wird die Störung bemerkt? (Ist eine Reposition bei der Diskusverlagerung noch möglich?) – Welcher Art war die Gewalteinwirkung (z. B. Sturz, bei Sportausübung, Verkehrsunfall, körperliche Auseinandersetzung mit einer anderen Person, gewalttätiger Angriff)? Bei Gewalteinwirkung stets an eine Kollumfraktur denken. – Bestehen Schluckbeschwerden? – Wurde zuvor eine intraorale Leitungsanästhesie durchgeführt?
Notfalluntersuchung Klinik Extraorale Untersuchung. Kieferöffnungseinschränkung bei vorausgegangenem Trauma: Inspektion des Gesichts- und Kopfbereichs in Bezug auf Schwellungen, Hämatome oder Weichteilverletzungen. Danach vorsichtige Palpation des gesamten Unterkiefers und des Kiefergelenks, um ggf. druckschmerzhafte Stellen oder kleine Schwellungen oder Stufenbildungen in der Kontinuität des Knochens ausfindig zu machen.
577
•
Kieferbewegungseinschränkung ohne vorangegangenes Trauma: Der Patient wird aufgefordert, den Mund so weit wie möglich zu öffnen. Dabei werden beide Kiefergelenke palpiert (symmetrische Bewegung beider Kondylen? Abweichung des Unterkiefers?). Dann wird der Patient aufgefordert, den Mund zu schließen. Danach wird der Patient gebeten, den Unterkiefer vorzuschieben und nach beiden Seiten zu bewegen. – Bei der Diskusverlagerung kann der Unterkiefer zur kontralateralen Seite nur in geringem Maße (< 7 mm) bewegt werden. – Bei einer Bewegungseinschränkung infolge eines Spritzenhämatoms ist im Gegensatz zur Diskusverlagerung vor allem die Rotationsbewegung infolge von Muskelschmerzen (M. pterygoideus medialis) eingeschränkt. Deshalb ist in diesen Fällen die Medial-/Lateral- und Vorschubbewegung unauffällig. Intraorale Untersuchung. Hier muss festgestellt werden, ob der Patient die normale Okklusion der Zähne, insbesondere im Seitenzahnbereich einnehmen kann oder nicht. Hierdurch kann eine Kontusion identifiziert werden.
Diagnostik Röntgen. Für die eindeutige Diagnosestellung einer Kollumfraktur ist eine röntgenologische Abklärung erforderlich.
Therapie Kiefergelenksluxation. Hippokrates-Handgriff zur Reposition des Kondylus in die Fossa mandibularis (möglichst durch einen Zahnarzt, im Notfall auch durch Nichtzahnmediziner): – Hierfür wird der Unterkiefer von vorn so umfasst, dass der Daumen auf den Kauflächen der Seitenzähne des Unterkiefers und die übrigen Finger am Unterkieferrand liegen. – Dann wird der Unterkiefer zunächst nach kaudal gedrückt, damit der Kondylus tiefer steht als das Tuberculum articulare. – Danach kann der Kondylus nach dorsal in die Fossa mandibularis geführt werden (Abb. 21.8). • Häufig ist für diese Therapie eine Schmerzausschaltung nötig, in einigen Fällen eine Narkose.
578
Mund und Zhne
Abb. 21.8 Reposition bei einer Kiefergelenksluxation. Erst Unterkiefer nach unten (1), dann nach dorsal (2) fhren.
Abb. 21.9 Reposition einer anterioren Diskusverlagerung. Erst Unterkiefer nach unten (1), dann nach vorn (2) fhren.
21
Akute anteriore Diskusverlagerung. In den ersten Stunden nach dem Eintreten der Kieferöffnungseinschränkung ist ein manueller Repositionsversuch (möglichst durch einen Zahnarzt) sinnvoll: – Hierbei wird der Unterkiefer von vorn umfasst, sodass der Daumen auf den Kauflächen der Seitenzähne des Unterkiefers und die übrigen Finger am Unterkieferrand liegen. – Dann wird der Unterkiefer zunächst nach kaudal gedrückt. – Danach kann der Kondylus nach anterior auf den verlagerten Diskus positioniert werden (Abb. 21.9). • Nach der Reposition ist darauf zu achten, dass der Patient den Kiefer nicht ganz schließt. Dies verhindert, dass der Kondylus wieder nach dorsal vom Diskus abgleitet. Daher muss ein Aufbiss (z. B. Watterollen o. Ä.) zwischen die Zahnreihen des Patienten gelegt werden. • Zeitnah sollte dann vom Hauszahnarzt eine konservative Therapie eingeleitet werden.
Kontusion des Kiefergelenks (mit Nonokklusion). Als Notfalltherapie muss innerhalb von wenigen Stunden eine dental getragene Schiene angefertigt werden. Da hierfür eine Abformung der Zähne erforderlich ist, muss ein solcher Patient rasch zu einem Zahnarzt überwiesen werden. Kollumfraktur (vorausgegangenes Trauma). Bereits bei Verdacht auf eine Kollumfraktur muss eine unverzügliche Überweisung an einen Kieferchirurgen erfolgen.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Kiefergelenksluxation. Nach erfolgter Reposition soll der Patient zu normalen Sprechstundenzeiten an einen Zahnarzt überwiesen werden, damit dieser eine spezifische Diagnostik, Beratung und Verlaufskontrolle vornehmen kann.
Akute Funktionsstçrungen des Kiefergelenks
Akute anteriore Diskusverlagerung. Nach einer manuellen Reposition soll der Patient zu normalen Sprechstundenzeiten an einen Zahnarzt überwiesen werden, der nach einer spezifischen Diagnostik ggf. eine Schienenbehandlung einleitet.
579
Besondere Merkpunkte Im Fall von akuten Kiefergelenksluxationen und akuten anterioren Diskusverlagerungen ist eine Reposition als ärztliche Notfallbehandlung möglich. In allen anderen Fällen müssen Zahnärzte bzw. Kieferchirurgen zur Akutbehandlung herangezogen werden.
580
22 Haut und Haare
Übersicht 22 22.1 22.2 22.3 22.4 22.5 22.6 22.7 22.8 22.9
Haut und Haare Erythema exsudativum multiforme Toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) Anaphylaxie (allergische Reaktion) Hereditäres Angioödem Akute Urtikaria Kontaktekzem Herpes zoster Eczema herpeticatum Verätzung durch Laugen und Säuren, speziell Flusssäure 22.10 Verbrennung (Combustio) und Verbrühung (Ambustio)
Schleimhautbeteiligung, schwerer verlaufende, überwiegend medikamentös induzierte Form).
Pathophysiologie Zelluläre zytotoxische Immunreaktion gegen Keratinozyten, die virale Antigene exprimieren – wahrscheinlich auf Grund einer Störung in der Elimination des Virusgenoms – mit Apoptose der betroffenen Zellen.
Typische Krankheitszeichen
• •
22.1 Erythema exsudativum multiforme K. Scherer, A. J. Bircher
22
•
Definition und Einteilung
•
Das Erythema exsudativum multiforme (EM) ist eine distinkte, in der Regel selbstlimitierende, rezidivfreudige kutane Reaktion auf eine Vielzahl von Auslösern mit Kokardenläsionen (Target-Läsionen) als typische Morphe. Ein ausgedehnter Schleimhautbefall unterscheidet die Majorform von der Minorform. Bei der Majorform des EM, dem Stevens-JohnsonSyndrom (SJS) und der toxisch epidermalen Nekrolyse (TEN, Lyell-Syndrom), handelt es sich um ein Kontinuum zunehmenden Schweregrades. Von manchen Autoren wird die Unterscheidung in Minor- und Majorvariante des EM abgelehnt zugunsten einer Unterscheidung in EM (rein kutane, überwiegend parainfektiöse Form) und SJS/TEN (mit
• • • • •
Vor allem junge Erwachsene, selten Kinder betroffen, typische Schießscheibenläsionen mit 2- bis 3-zonigem Aufbau (Abb. 22.1, Farbtafel XXVII), zentral mit Papel/Bläschen/Blase/Erosion und konzentrischen erythematösen Ringen in symmetrischer akraler Verteilung, jedoch auch erythematöse, stationäre Papeln, abrupter Beginn mit maximaler Ausprägung innerhalb von 24 h, teilweise leichter Schleimhautbefall enoral oder der Lippen, gelegentlich geringes Fieber bei parainfektiösem Verlauf, keine Lymphadenopathie oder Hepatosplenomegalie, guter Allgemeinzustand, Abheilung narbenlos, in nahezu 100% in der Folge, parallel zu oder vor einem Herpes labialis, seltener HSV-2-Reaktivierung, aber auch nach Staphylokokkeninfektionen, anderen Virusinfekten oder Histoplasmose, sehr selten als Reaktion auf Mykoplasmeninfekt oder Medikamente.
Toxisch epidermale Nekrolyse (TEN)
Differenzialdiagnose
• • • •
SJS/TEN: ausgedehnter Schleimhautbefall, schlechter Allgemeinzustand, Fieber. Urtikaria, insbesondere Urticaria geographica. Multilokuläres fixes Arzneiexanthem (einzelne, asymmetrische Läsionen). Targetoide Läsionen ( Abb. 22.2, Farbtafel XXVII) kommen auch bei diversen anderen Hauterkrankungen vor, z. B. beim subakuten kutanen Lupus erythematodes, Erythema anulare centrifugum, manchen Formen der Vaskulitis, insbesondere Urtikariavaskulitis.
Notfallanamnese
• • •
Herpes labialis oder genitalis in den letzen 14 Tagen? Fieber, Infektzeichen? Medikamenteneinnahme.
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Gründliche körperliche Untersuchung mit Inspektion aller zugänglichen Schleimhäute.
Diagnostik Labor. Blutbild, BSG, CRP, Natrium, Kalium, Kreatinin.
Therapie
• •
Nichtsedierende Antihistaminika zur Reduktion von Juckreiz und Brennen der Läsionen über mehrere Tage, z. B. Cetirizin 10 mg/d oder Loratidin 10 mg/d (EG-D). Bei HSV-assoziiertem EM mit häufigen Rezidiven kann eine Prophylaxe mit Aciclovir (2 × 400 mg/d) für 6 – 12 Monate erwogen werden (EG-A). Beginn der antiviralen Therapie nach Auftreten der EM-Läsionen ist ineffektiv (EG-C).
Besondere Merkpunkte Zu achten ist auf Alarmzeichen für schwere bullöse Hautreaktionen (s. Tab. 22.1).
581
22.2 Toxisch epidermale Nekrolyse (TEN) K. Scherer, A. J. Bircher
Definition und Einteilung Die toxisch epidermale Nekrolyse (TEN, Lyell-Syndrom, Syndrom der verbrühten Haut) ist die Maximalform eines bullösen Arzneimittelexanthems. Sie stellt die schwerste Form eines Kontinuums von arzneimittelinduzierten Reaktionen der Haut und Schleimhäute dar, bestehend aus der Majorform des Erythema exsudativum multiforme (s. S. 580), des Stevens-Johnson-Syndroms (6 Fälle/Mio./Jahr) und der TEN (2 Fälle/Mio./Jahr). Pathognomonisch sind atypische Kokardenläsionen (Target-Läsionen) mit Konfluenz als typische Morphe, Blasenbildung und ausgedehnter Befall mehrerer Schleimhäute sowie ein schweres allgemeines Krankheitsgefühl mit hohem Fieber. Betroffene Körperoberfläche (KOF). Die Einteilung erfolgt nach Prozent betroffener Körperoberfläche in: SJS (1 – 10%), SJS-TEN-Overlap (10 – 30%), TEN (> 30%) mit zunehmender Letalität (SJS: 5 %; TEN: 20 – 30%).
Pathophysiologie Nicht vollständig geklärte, arzneimittelinduzierte Fas-Ligand-Hochregulation auf Keratinozyten mit dadurch initiierter Apoptose unter Beteiligung von CD8+-Lymphozyten, aktivierten T-Zellen, Makrophagen und Neutrophilen sowie löslichen Faktoren wie TNFa, Perforin und Granzyme. Möglicherweise besteht eine genetische Prädisposition zur Entwicklung schwerer bullöser Arzneimittelexantheme.
Typische Krankheitszeichen (Tab. 22.1)
•
•
Rumpfbetonte, atypische Target-Läsionen mit dunklem, purpuriformem Zentrum, konfluierende hämorrhagische Maculae mit Vesikelbildung, zunehmend großflächigere Blasen/Epidermolysen auf erythematösem Grund, schmerzhaft ( Abb. 22.3, Farbtafel XXVII). Nikolski-Zeichen I und II positiv als Zeichen einer gestörten Basalmembranzone (Nikolski I: Epidermis lässt sich auf klinisch unbefallener Haut durch schiebenden Druck von der Dermis ab-
582
bersicht
Tabelle 22.1 Alarmzeichen fr schwere bullçse Hautreaktionen. Einzelläsion
Lokalistation und Ausdehnung
Allgemeinsymptome
Hmorrhagische/nekrotische Lsionen
zentrofaziales dem
Zytopenien und/oder Eosinophilie, Neutrophilie
Atypische targetoide Lsionen
Schleimhautbeteiligung, Organbeteiligung
Fieber, Malaise
Epidermolyse, Vesikel, Blasen, Nikolski-Zeichen positiv
großflchige Hautbeteiligung
Berhrungsempfindlichkeit
• • • •
schieben; Nikolski II: eine bestehende Blase lässt sich durch leichten seitlichen Druck verschieben/ ausdehnen). Ausgedehnter Befall von mehr als einer Schleimhaut ( Abb. 22.4, Farbtafel XXVIII). Allgemeinsymptome mit schwerem Krankheitsgefühl, Schmerzen, Fieber. Frauen, Betagte, HIV- und Malignompatienten sind häufiger betroffen. Wichtigste Auslöser: Allopurinol, Antikonvulsiva, Sulfonamide, nichtsteroidale Antirheumatika, Penicilline, Makrolide, Barbiturate, Tetrazykline, Rituximab, Imatinib, Nevirapin, u. a.
Differenzialdiagnose
• •
•
Erythema exsudativum multiforme (Minorform): kaum Schleimhautbefall oder Allgemeinsymptome, keine Alarmzeichen (Tab. 22.1). Staphylococcal scalded Skin Syndrome (SSSS), v. a. bei Kleinkindern und Immunsupprimierten, klinische Ähnlichkeit mit TEN, jedoch kaum Schleimhautbeteiligung und relativ gute Prognose. Andere bullöse Dermatosen (Pemphigus, Pemphigoid, fototoxische/allergische Exantheme).
Notfalluntersuchung Klinik Inspektion. Gründliche körperliche Untersuchung mit Inspektion aller zugänglichen Schleimhäute unter Beachtung der Alarmzeichen. Abschätzen der betroffenen KOF (s. a. Tab. 22.6, S. 595).
Diagnostik Labor. Blutbild, BSG, CRP, Natrium, Kalium, Kreatinin, Transaminasen, gGT. Mikrobiologie. Bakteriologische Abstriche von Haut und Schleimhäuten. Biopsie. Ggf. histologische Untersuchung des Blasendachs zur Differenzierung zu SSSS.
Therapie
• • •
Notfallanamnese
•
22
• •
Medikamentenanamnese der letzen 10 Tage (insbesondere aromatische Antiepileptika, Sulfonamide, Oxicame, Allopurinol, antiretrovirale Substanzen), Fieber, Infektzeichen, Grundkrankheiten (HIV, Malignom).
• • •
Absetzen verdächtiger Medikamente. Intensive Überwachung, Flüssigkeitsersatz und Wundversorgung meistens durch Wund- oder Verbrennungsspezialisten. Intravenöse Immunglobuline (IVIG): 6 von 7 Studien zur Gabe hoch dosierter IVIG (> 2 g/kg KG) zeigen einen schnellen Stillstand der epidermalen Ablösung und einen möglichen Überlebensvorteil (EG-C), es sind jedoch auch gegenteilige Berichte vorhanden. Hoch dosierte Glukokortikoide: umstritten bei TEN, höchstens einzusetzen bei SJS oder bei im frühen Anfangsstadium befindlicher TEN (EG-C). Ciclosporin: wenige Berichte über kurzfristige hoch dosierte Therapie (3 – 5 mg/kg KG) (EG-C). Third-Line-Therapien: Plasmapherese (EG-C), Cyclophosphamid (EG-D), Pentoxifyllin (EG-D).
Anaphylaxie (allergische Reaktion)
• •
Keine empirische antibiotische Therapie. Antibiotische Therapie erst bei Sepsiszeichen! Frühzeitiges Hinzuziehen von Ophthalmologen, Otorhinolaryngologen.
Besondere Merkpunkte Siehe Tab. 22.1 Alarmzeichen, v. a. schmerzhafte Haut, zentrofaziales Ödem.
22.3 Anaphylaxie (allergische Reaktion) K. Scherer, A. J. Bircher
Definition und Einteilung
583
Pathophysiologie Allergische Anaphylaxie. Allergeninduzierte, IgEvermittelte Degranulation von Mastzellen und basophilen Leukozyten oder Immunkomplexanaphylaxie bei hohen Konzentrationen zirkulierender IgG- oder IgM-Antikörper mit Komplementaktivierung und Bildung von Anaphylatoxinen. Mastzelltryptase im Serum 1 – 3 h nach akuter Anaphylaxie erhöht als Zeichen der Mastzelldegranulation oder als Marker für eine erhöhte Mastzelllast im Rahmen einer Mastozytose. Nichtallergische Anaphylaxie. Histaminliberation durch direkte pharmakologische Wirkung von Medikamenten (z. B. Kontrastmittel, Narkotika, Opioide, nichtsteroidale Antirheumatika), durch Anstrengung oder Kälte/Hitze.
Typische Krankheitszeichen
Eine Anaphylaxie ist eine schwere, lebensbedrohliche, generalisierte oder systemische Hypersensitivitätsreaktion. Es wird unterschieden zwischen allergischer Anaphylaxie, wenn ein immunologischer Mechanismus nachweisbar ist, und nichtallergischer Anaphylaxie. Die Einteilung erfolgt nach klinischer Symptomatik in 4 Schweregrade nach Ring und Messmer (Tab. 22.2).
• •
Die Zuordnung erfolgt nach dem schwersten aufgetretenen Symptom (Tab. 22.2). Die Symptome können einzeln, kombiniert, sukzessive oder gleichzeitig auftreten. Kein Symptom ist obligat. Begleitende Allgemeinsymptome: Schwindel, Kopfschmerz, Angst, metallischer Geschmack.
Tabelle 22.2 Klinische Einteilung der Anaphylaxie in 4 Schweregrade nach Ring und Messmer. Grad
Haut
Abdomen
Respirationstrakt
Herz/Kreislauf
I
Juckreiz Flush Urtikaria Angioçdem
–
–
–
II
Juckreiz Flush Urtikaria Angioçdem
Nausea Krmpfe
Rhinorrhç Heiserkeit Dyspnoe Arrhythmie
Tachykardie (Anstieg ‡ 20/min) Hypotonie (Abfall ‡ 20 mmHg systolisch)
III
Juckreiz Flush Urtikaria Angioçdem
Erbrechen Defkation
Larynxçdem Bronchospasmus Zyanose
Schock
IV
Juckreiz Flush Urtikaria Angioçdem
Erbrechen Defkation
Atemstillstand
Kreislaufstillstand
584
bersicht
Differenzialdiagnose
• • • • • • •
Andere Schockformen, Synkopen, Krampfanfall, Panikattacke, Hyperventilationssyndrom, Intoxikation (Alkohol, Medikamente), Hypoglykämie, Freisetzung vasoaktiver Peptide durch neuroendokrine Tumoren (Karzinoid, Phäochromozytom etc.), Vocal Cord Dysfunction: anfallsartige, selbstlimitierende Atemnot durch Larynxdysfunktion mit paradoxem, intermittierendem Glottisverschluss irritativer oder psychosomatischer Ursache.
Notfallanamnese
• • • • • •
Bereits bekannte Allergien (insbesondere Insektengifte, Nahrungsmittel, Medikamente, Latex)? Hymenopterenstich (Bienen, Wespen etc.)? Mastozytose? Was wurde vor den ersten Symptomen eingenommen (Medikamente, Nahrungsmittel, Alkohol)? Psychische Faktoren? Mögliche Kofaktoren: Anstrengung, Infekt, Alkohol, Azetysalizylsäure, hormonell (weiblicher Zyklus), Temperatur (Kälte/Wärme).
Beine hochlagern, Atemwege sichern, Sauerstoffgabe (6 – 8 l/min), intravenöser Zugang, Volumengabe (EG-B) (s. Kap. 2, S. 16). Falls nötig, weitere Maßnahmen • Adrenalininfusion (nur bei Herz-Kreislauf-Stillstand oder schwerster Hypotension, die auf Volumengabe und Adrenalin i. m. keine Besserung zeigt). • H1-Antihistaminika, z. B. 2 mg Clemastin i. v. oder Diphenhydramin 1 – 2 mg/kg KG i. v., ggf. wiederholen. • H2-Antihistaminika (z. B. Ranitidin 50 mg i. v.). • Bei Bronchospasmus trotz Adrenalingabe: Albuterol-Inhalation. • Glukokortikoide (nicht wirksam im Akutfall, jedoch zur Verhinderung eines biphasischen oder protrahierten Verlaufs): Methylprednisolon 1 – 2 mg/kg KG i. v. alle 6 h oder in weniger schweren Fällen Prednison p. o. 0,5 – 1 mg/kg KG.
Überwachung und Kontrollen Über die Dauer der Überwachung muss im Einzelfall entschieden werden. Es besteht kein verlässlicher Parameter, der eine Voraussage über das Auftreten eines biphasischen oder protrahierten Verlaufs ermöglicht.
Besondere Merkpunkte
Notfalluntersuchung
•
Klinik
•
Atemwege frei? Vitalparameter überprüfen, Bewusstseinsstörung?
Diagnostik Labor. Mastzelltryptase im Serum (innerhalb von 6 h).
Therapie
22
•
Erstmaßnahmen • Allergenzufuhr unterbrechen. • Adrenalin: 0,2 – 0,5 ml (1 mg/ml) i. m. oder s. c. in den Oberschenkel alle 5 – 10 min nach Bedarf (EG-A), alternativ Adrenalininhalation bei Larynxödem und/oder Bronchospasmus (EG-D).
• •
Ein biphasischer Verlauf ist nach Rückbildung der Symptome nach einigen Stunden möglich. Abgabe eines Notfallsets: 2 Tabletten eines nichtsedierenden H1-Antihistaminikums, z. B. Cetirizin 10 mg oder Loratadin 10 mg, und 2 Tabletten à 50 mg Prednison. Abklärung bei Facharzt veranlassen. Abgabe eines provisorischen Allergiepasses.
Hereditres Angioçdem
22.4 Hereditäres Angioödem K. Scherer, A. J. Bircher
• •
Atemnot bis zur respiratorischen Insuffizienz durch Ödeme der oberen Luftwege/des Larynx. Vorzeitige Wehen in bis zu 60% der Schwangeren mit bekanntem hereditärem Angioödem.
Definition und Einteilung
Differenzialdiagnose
Angioödeme sind Stunden bis Tage anhaltende Schwellungen des tiefen Koriums. Das hereditäre Angioödem ist eine autosomal dominant vererbte Erkrankung mit wenig schmerzhaften, anfallsartig rezidivierenden, prallelastischen Schwellungen der Hände, Füße, des Gesichts, des Gastrointestinalund Urogenitaltrakts sowie des Larynx. Ursachen. Die Einteilung erfolgt nach der Ursache des zugrunde liegenden Mangels an C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) in 3 Formen: • Typ 1 (80 – 85%): mangelnde Produktion eines intakten C1-INH-Moleküls. • Typ 2 (10 – 15%): Produktion normaler oder erhöhter Mengen eines funktionseingeschränkten C1-INH-Moleküls. • Typ 3 (selten): normale Konzentration und Funktion von C1-INH, jedoch funktionssteigernde Mutation im Faktor XII-(Hageman-Faktor-)Gen, nur bei Frauen unter erhöhtem Östrogeneinfluss. Weitere seltene Subtypen sind wahrscheinlich.
• •
Pathophysiologie Mangel an funktionellem C1-INH und dadurch fehlende Hemmung der Aktivierung des Komplementund fibrinolytischen Systems sowie weiterer Proteasen bzw. Funktionssteigerung von Faktor XII. In der Folge Überangebot von Bradykinin mit Vasodilatation, Permeabilitätserhöhung der Gefäßwände, Kontraktion von glatter Muskulatur gastrointestinal und des Uterus.
Typische Krankheitszeichen
•
•
Lang anhaltende, unscharf begrenzte, nicht juckende, teigig-elastische, nicht wegdrückbare Schwellungen der Haut oder der Schleimhaut. Prädilektionsstellen: Gesicht (perioral und periokulär), Hände, männliches Genitale, Zunge, enoral, seltener Pharynx, Larynx und Gastrointestinaltrakt ( Abb. 22.5, Farbtafel XXVIII). Krampfartige Bauchschmerzen, Erbrechen durch ödembedingte Passagestörung des Darms.
• • •
585
Allergisches Angioödem, pseudoallergisches/pharmakologisches Angioödem: vor allem bei Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer-Therapie, direkte Histaminliberation, erworbenes Angioödem (höheres Lebensalter, häufig bei lymphoproliferativen oder Autoimmunerkrankungen), akutes Abdomen, Gastroenteritis.
Notfallanamnese
• •
Familienanamnese. Triggerfaktoren: Trauma, Infektionen, Operation, Narkose, zahnärztlicher Eingriff, emotionaler Stress, Menstruation, orale Kontrazeption, Schwangerschaft, Hormonersatztherapie.
Notfalluntersuchung Klinik Vitalparameter? Atemwege frei?
Diagnostik Labor. Diagnostisch, aber nicht als Notfalluntersuchung verfügbar sind die Bestimmung der Konzentration und der Aktivität des C1-INH. Cave! Höhe der Werte korreliert nicht mit der Schwere des Angioödems!
Therapie
• • • •
First-Line-Behandlung: Substitution von C1-INH aus Humanplasma: 500 – 1000 IE i. v., ggf. wiederholen bis zur Besserung der Klinik, Wirkungseintritt nach ca. 30 min (EG-A). Second-Line-Behandlung: Humanplasma (EG-D). Flüssigkeitssubstitution, Schmerztherapie. Bei ausgeprägtem Angioödem von Pharynx/Larynx: Tracheotomie/Intubation und Beatmung.
586
•
bersicht
Der Bradykininantagonist Icatibant steht kurz vor der Einführung.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Stationäre Überwachung bis zum Abklingen der Symptome.
Besondere Merkpunkte
• •
Antihistaminika und/oder Glukokortikoide sind ohne Effekt! Abklärung durch Facharzt sobald wie möglich anstreben.
22.5 Akute Urtikaria K. Scherer, A. J. Bircher
Definition und Einteilung
• • •
Differenzialdiagnose
• • • • • •
Multiple Insektenstiche, kutane Mastozytose, akute Exantheme mit urtikarieller Komponente, Urtikariavaskulitis (Quaddeln persistieren > 24 h in loco, Abheilung mit diskreter Hyperpigmentierung), Initialstadium eines bullösen Pemphigoids oder einer Dermatitis herpetiformis Duhring, Erythema exsudativum multiforme (s. S. 580).
Flüchtige, weniger als 24 h persistierende, einzelne oder disseminierte, teils konfluierende Quaddeln. Die Quaddel (erythematös, zentral oft abgeblasst) ist definiert als Ödem der oberen Dermis mit Erythem und Pruritus ( Abb. 22.6 und Abb. 22.7, Farbtafel XXVIII). Die klinische Einteilung erfolgt nach der Verlaufsform (akut £ 6 oder chronisch > 6 Wochen) oder nach der Pathophysiologie.
Notfallanamnese
Pathophysiologie
•
Allergische Sofortreaktion infolge einer IgE-vermittelten Freisetzung von Entzündungsmediatoren aus Mastzellen oder pseudoallergische Reaktion auf der Basis nichtimmunologischer oder pharmakologischer Mechanismen, wie z. B. Freisetzung der Mediatoren durch physikalische Reize, direkte pharmakologische Histaminliberation oder Histaminintoxikation.
• •
Typische Krankheitszeichen
22
•
< 24 h ( Abb. 22.6 und Abb. 22.7, Farbtafel XXVIII, XXIX). Auftreten in Schüben von Stunden bis Tagen Dauer. Isoliert oder als Teilsymptom einer Anaphylaxie. Mit oder ohne Angioödem. Prädilektionsstellen: Gesicht (perioral, periokulär), Hände, männliches Genitale, Schleimhäute (enoral, Zunge, selten Pharynx, Larynx). Keine Schuppung, Erosionen, Krustenbildung. Kratzartefakte nur in Ausnahmefällen.
• •
Meistens massiver Pruritus. Einzelne oder disseminierte, evtl. konfluierende Quaddeln ohne Persistenz am Ort, d. h. Migration
• • • • •
Bekannte Allergien? Bekannte Mastozytose? Was wurde wann (bis zu 6 – 12 h) vor den ersten Symptomen eingenommen (insbesondere Medikamente, Nahrungsmittel, Alkohol)? Hymenopterenstiche (Wespen, Bienen etc.)? Anhalt für bakterielle, virale, parasitäre Infektionen prüfen. Körperliche Belastung, physikalische Reize (Kälte, Wärme)? Psychische Belastungssituationen? Bei Frauen: hormoneller Status (Zyklusphase, Kontrazeptiva, Schwangerschaft).
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Atemwege: evtl. durch begleitendes Angioödem verlegt! Urtikaria im Rahmen einer Anaphylaxie: Konjunktivitis, gastrointestinale Symptome, Atmung, Kreislauf.
Kontaktekzem
Diagnostik Labor • Bei akuter Urtikaria ohne eindeutigen Auslöser: Blutbild, Chemogramm, CRP, BSG. • Bei ausgedehnter Urtikaria mit oder ohne Angioödem und Verdacht auf allergische Ursache: Bestimmung der Mastzelltryptase (nur sinnvoll innerhalb der ersten 1 – 6 h): Erhöhung bei normalem, im Intervall gemessenem Basalwert spricht für eine Mastzelldegranulation als Ursache der Urtikaria. Bei erhöhtem Basalwert ist eine zugrunde liegende Mastozytose zu vermuten.
Therapie Akute Urtikaria • nichtsedierendes H1-Antihistaminikum der 2. Generation, z. B. Cetirizin 10 mg/d oder Loratadin 10 mg/d, evtl. in bis zu 4-facher Einzeldosis (EG-D). Bei mangelndem Ansprechen • Prednison 2 × 20 mg/d für 4 Tage (EG-D). • H2-Antihistaminika, z. B. Ranitidin 2 × 150 mg/d (EG-D).
587
22.6 Kontaktekzem P. Itin
Definition und Einleitung Das Ekzem ist die häufigste Dermatose bei notfallmäßig zugewiesenen Patienten und umschreibt eine entzündliche Hautreaktion auf exogene Noxen. Meist handelt es sich um ein allergisches oder irritativ-toxisches Kontaktekzem. Es entsteht in der Regel 12 – 48 h nach dem Kontakt mit der verantwortlichen Substanz.
Pathophysiologie Kontaktekzeme werden durch die direkte Schädigung der Haut oder eine hypererge Antwort des Immunsystems auf die spezifische Erkennung eines Allergens ausgelöst. Für die Auslösbarkeit einer allergischen Reaktion ist vorab eine in der Regel unbemerkt verlaufene Sensibilisierung erforderlich.
Typische Krankheitszeichen Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Beobachtung bis Regredienz der Urtikaria erkennbar, weitere Abklärung bei Hausarzt, Dermatologe, Allergologe. Urtikaria im Rahmen einer Anaphylaxie oder Urtikaria mit Angioödem der oberen Luftwege: stationäre Überwachung.
Besondere Merkpunkte
• •
Abgabe eines Notfallsets (z. B. 2 Tabletten eines wenig sedierenden Antihistaminikums, z. B. Cetirizin 10 mg/d oder Loratadin 10 mg/d und 2 Tabletten Prednison à 50 mg). Allergologische Abklärung durch den Facharzt bei Urtikaria im Rahmen einer Anaphylaxie, mit ausgedehnten Angioödemen oder chronischer Urtikaria anstreben.
•
• • • •
Das akute Stadium der Ekzemreaktion ist gekennzeichnet durch eine flächenhafte Rötung und kleine, wassergefüllte, stark juckende Bläschen (Papulovesikel) ( Abb. 22.8, Farbtafel XXIX). Starker Juckreiz bis brennende Empfindungen. Bei größeren Blasen kommt es rasch zur Krustenbildung und Superinfektion. In der Regel nicht beeinträchtigter Allgemeinzustand. Reaktive regionäre Lymphknotenschwellung möglich.
Differenzialdiagnose
•
•
Morphologisch ähnliche Ekzemformen anderer Ursachen sind primär voneinander abzugrenzen. Bei den meisten Ekzemen sind die unterschiedlichen Manifestationen und Lokalisationen für die Spezifizierung der Diagnose ausschlaggebend. Auch ein Erysipel führt zu einer flächenhaften Rötung, die jedoch keine Papulovesikel erkennen lässt ( Abb. 9.3, Farbtafel XV).
588
bersicht
22.7 Herpes zoster
Notfallanamnese
• •
Zeitlicher Verlauf der Krankheitsentwicklung, Mögliche Noxenexposition.
Definition und Einteilung
Notfalluntersuchung
Klinik Genaue Inspektion, Lymphknoten.
Palpation
der
regionären
Diagnostik Biopsie. Eine Biopsie ist nur in besonderen Fällen notwendig. Epikutantestung. Gezielte Epikutantestung nach Abklingen der akuten Symptome kann das auslösende Agens ermitteln.
Therapie
• •
Wichtigste therapeutische Maßnahme: Beendigung der ursächlichen Exposition. Die lokale Behandlung mit einem starken Glukokortikoid der neueren Generation (Mometasonfuroat [Elocom] 2 ×/d) ist die Therapie der Wahl. Dabei spielt die richtige Galenik eine wichtige Rolle. Das nässende Ekzem wird mit einer Lotio oder einer Creme behandelt (EG-D).
Überwachung und Kontrollen
• •
Durch Weglassen des auslösenden Agens und Applikation eines starken Lokalsteroids bessert sich die Symptomatik innerhalb von 24 – 72 h. Eine Epikutantestung soll erst nach Abklingen der Symptome durchgeführt werden.
Besondere Merkpunkte Bei einem Rezidiv ist die allergologische Abklärung zwingend.
22
P. Husermann, P. Itin
Virusinduzierte Hautkrankheit mit Reaktivierung von neurotropen Varizella-Zoster-Viren (VZV) Jahre bis Dekaden nach durchgemachten Varizellen (Primärinfektion). Klassische Präsentation mit charakteristischer Halbseitensymptomatik in einem oder mehreren Dermatomen. Der Herpes zoster ist meistens eine Krankheit des Erwachsenen. Die Inzidenz nimmt nach dem 50. Lebensjahr deutlich zu. Sehr selten, meist beim immunkompromittierten Patienten kann der Herpes zoster rezidivieren, dann meistens im gleichen Dermatom.
Pathophysiologie Die Varizelleninfektion führt zur latenten Infektion der dorsalen Spinalganglien. Reaktivierung durch Triggerfaktoren wie Infektionen, Malignome, Alter. Es kommt zur Ganglionitis mit deszendierender kutaner Erkrankung im entsprechenden Nervensegment. Die Reaktivierung führt beim Immunkompetenten zur Boosterung der Immunabwehr. Damit bleibt die Eruption auf ein einziges oder wenige Dermatome beschränkt. Generalisierte oder nekrotisierende Formen sind Ausdruck einer verminderten zellulären Abwehr und Folge einer protrahierten Virusreplikation.
Typische Krankheitszeichen Prodromalphase: (1 – 5 Tage) • Einseitige, meist auf ein Dermatom beschränkte neuralgiforme Schmerzen (akuter Zosterschmerz). • Einseitige Par-, Hyp-, Dys- und Hyperästhesien. • Fieber Kopfschmerzen, einseitige Lymphknotenschwellung. • Schmerzprojektion oft auf innere Organe (Zahnweh, Gallen- und Nierenkoliken, akute Appendizitis). Nach einigen Tagen • Auftreten von mehreren erythematösen entzündlichen Herden, später mit gruppierten kla-
Herpes zoster
• • • •
•
ren Bläschen im betreffenden Dermatom ( Abb. 22.9, Farbtafel XXX). Bläschen in einer Gruppe im gleichen Stadium, das Alter der Bläschen in verschiedenen (spinalnahen/spinalfernen) Gruppen ist unterschiedlich. Spinalgangliennahe Läsionen treten früher als ferne Läsionen auf (längerer Weg!). Ipsilaterale Lymphadenopathie. Klassischerweise ist ein Dermatom befallen. Selten bilateraler Befall – in ca. 30% im Trigeminusbereich sowie gelegentlich thorakal (Zoster bilateralis). Sehr selten Befall zweier voneinander entfernter Segmente (Zoster duplex). Übergreifen der klassischen Halbseitensymptomatik (gürtelförmig) zur Gegenseite möglich (Ausdruck der überlappenden Nervenversorgung).
Spezielle Velaufsformen • Bei Immundefizienz: nekrotisierende Form (Zoster gangraenosus), hämorrhagische Form (Zoster haemorrhagicus). • Die Augenbeteiligung des 1. Trigeminusastes zeigt sich u. a. mit einer Konjunktivitis, Keratitis, Ulcus corneae, Iritis mit Sekundärglaukom, Chorioretinitis, Neuritis des N. opticus. • Der Befall des N. nasociliaris des 1. Trigeminusastes (Nerv entlang des Nasenrückens) erhöht das Risiko eines Augenbefalls (Hutchinson-Zeichen). • Periphere Fazialisparese, Schwindel, Hörverlust mit Zosterläsionen im äußeren Gehörgang, Trommelfell, Zungenseite und weichem Gaumen gehen auf einen Befall der Nn. facialis und statoacusticus (7. und 8. Hirnnerv) zurück (Ramsay-HuntSyndrom). • Motorische Ausfälle durch lokale Ausbreitung der Varizella-Zoster-Viren in das Vorderhorn möglich. Typisch im Gesicht die Fazialisparese. Aszendierende Myelitis als Maximalform.
589
Differenzialdiagnose
• •
Herpes-simplex-Infektion, Erysipel.
Notfallanamnese
• • • •
Impfanamnese erheben. Bei früher durchgeführter Varizella-Zoster-Impfung muss der Impfschutz überprüft werden und ggf. eine erworbene Immundefizienz ausgeschlossen werden. Nach halbseitiger Schmerzsymptomatik, Dysästhesien und Prodromalsymptomen fragen. Frage nach durchgemachten Varizellen und nach durchgemachtem Herpes zoster. Frage nach immunsuppressiver Medikation oder Krankheiten mit Immundefizienz.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Ganzkörperuntersuchung inkl. Schleimhäute mit Fokus auf Suche nach halbseitigen erythematösen Hautläsionen mit oder ohne gruppierte Bläschen. Der generalisierte Herpes zoster (Virämie mit generalisiertem Hautbefall) zeigt im Gegensatz zu den Varizellen (Sternenhimmel) alle Bläschen im gleichen Stadium. Bei Verdacht auf Zoster oticus/ophthalmicus und assoziierter ZNS-Symptomatik spezialärztliche Beurteilung veranlassen.
Diagnostik Erregernachweis. Die Methoden zeigt Tab. 22.3.
Tabelle 22.3 Charakteristika verschiedener Nachweismethoden des Varizella-Zoster-Virus. Methode
Spezielles
Immunfluoreszenz (Detektion infizierter Zellen)
Material
Sensitivität
Spezifität
Blschenabstrich • nur floride Lsionen mit Blschengrund • spezialisierte Labors • Resultat in Stunden erhltlich
80 %
90%
PCR
• Resultat in 24 – 48 h • sensitivste Methode
Blscheninhalt, Abstrich Blschengrund
> 95%
> 95 %
Kultur
• nur floride Lsionen • spezielles Transportmedium • Resultat in 5 – 14 Tagen
Blscheninhalt, Blschengrund
16 – 29 %
> 95 %
590
bersicht
Tabelle 22.4 Antivirale Therapie des Herpes zoster. Indikation
Medikament
Dosierung
Bemerkungen
Immunkompetente
EG-B
Prophylaxe Therapie
nicht empfohlen Aciclovir*
5 800 mg/d p. o. fr 7 d
Valaciclovir*
3 1000 mg/d p. o. fr 7 d
Famciclovir*
2 – 3 500 mg/d p. o. fr 7 d
Dosis abhngig von Alter und Lokalisation
Brivudin
1 125 mg/d p. o. fr 7 d
absolute KI zusammen mit Fluoropyrimidinen, 5-Fluorouracil und Capecitabin
Immunkompromittierte
EG-B
Prophylaxe Therapie
VZV mit Resistenz gegenber Aciclovir
nicht empfohlen Aciclovir*
500 mg/m2 oder 10 mg/kg KG alle 8 h i. v. fr 7 – 10 d oder 5 800 mg/d p. o.
Valaciclovir*
3 1000 mg/d p. o. fr 10 d
Famciclovir*
3 500 mg/d p. o. fr 10 d
Foscarnet*
60 mg/kg KG 2 – 3 /d i. v. fr 7 – 14 d
Therapie in der Schwangerschaft
topische symptomatische Behandlung; antivirale Therapie nicht empfohlen (EG-D)
* Dosis muss an Nierenfunktion angepasst werden; VZV: Varizella-Zoster-Virus, KI: Kontraindikation
Optional • Tzanck-Test: Mikroskopischer Nachweis von mehrkernigen Keratinozyten (Tzanck-Zellen) nach Giemsa-Färbung in Bläscheninhalt/Bläschenboden: Resultat sofort. • Histologie: ballonierende Degeneration mit Tzanck-Zellen: Resultat in 12 – 24 h. • Immunhistochemie: Darstellung der Virusproteine: Resultat in 48 h. • Serumantikörper (Herpes zoster sine herpete!).
Therapie
22
Allgemeine Indikationen für antivirale Therapie (Tab. 22.4) • Alter: (‡ 50 Jahre). • Schmerzen: mittelstarke bis starke Schmerzen vor Auftreten der Hautläsionen. • Lokalisation: Zoster ophthalmicus, Zoster oticus, zervikaler Herpes zoster (motorische Defizite). • Immunstatus: Immundefizite jeder Ursache.
•
Zusätzlich zur antiviralen Therapie: systemische Schmerzbehandlung, desinfizierende topische Therapie: Silbersulfadiazin Creme/Paste, Zinkschüttelmixtur u. a.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Gefahr droht bei • Zoster ophthalmicus und oticus, • Dissemination in innere Organe: Zoster-Meningoenzephalitis, Zosterpneumonie, Guillain-Barré-Syndrom, aufsteigende Myelitis, Zosterradikulitis, granulomatöse Vaskulitis der Hirnarterien. Cave! In allen diesen Situationen ist interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich. Komplikationen • Bakterielle Superinfektion (Impetiginisation, selten Erysipel, Phlegmone). • Varizellenpneumonie, ZNS-Befall (Kopfschmerzen, Fieber, Photophobie, Erbrechen, selten granulomatöse Vaskulitis mit kontralateraler Hemi-
Eczema herpeticatum
Ulzerationen. Seltener disseminierte, monomorphe, kleine, gedellte Bläschen. Bevorzugte Lokalisation ist das Gesicht, der Hals mit Übergang auf den Stamm ( Abb. 22.10, Farbtafel XXX). Hautläsionen fast ausschließlich im Bereich des Ekzems.
plegie, aufsteigende Myelitis mit/ohne motorische Paralyse), Thrombopenie, Arthralgien, Nierenbeteiligung.
Besondere Merkpunkte
• •
• •
Herpes zoster bei sehr jungen Patienten kann Hinweis für eine HIV-Infektion sein. Postzosterische Neuralgie (postherpetische Neuralgie – PHN): tritt in etwa 10 – 20% aller Fälle Tage bis Wochen nach Abheilung des Herpes zoster auf, vor allem im Trigeminusbereich und in höherem Alter (ab 70 Jahren). Zoster in der Gravidität: führt im Gegensatz zu den mütterlichen Varizellen nicht zu einer nachgewiesenen Fruchtschädigung. Die Herpes-zoster-Inzidenz bei Immunsupprimierten ist deutlich höher. Hier gehäuft Befall von Schleimhäuten und inneren Organen.
Differenzialdiagnose
• •
Definition und Einteilung Akute, disseminierte Infektion durch Herpes-simplex-Virus (HSV) bei Patienten mit vorbestehenden ekzematösen Hautkrankheiten, besonders mit atopischem Ekzem.
Pathophysiologie Meistens endogene Aktivierung von HSV, sehr selten Primärinfektion. Im Rahmen von Hautkrankheiten mit defekter epidermaler Barriere (v. a. bei atopischem Ekzem) kommt es zur raschen HSV-Ausbreitung entweder von Zelle zu Zelle, lymphogen oder hämatogen.
Typische Krankheitszeichen
• • •
Akutes Auftreten ohne Prodromalerscheinungen. Allgemein: Kopfschmerzen, Temperaturanstieg, Müdigkeit, Spannungsgefühl und Schmerzen an betroffenen Stellen. Haut: Multiple kleine, schlitzförmige, hämorrhagisch-verkrustete Erosionen und oberflächliche
Impetiginisiertes Ekzem (Ekzem mit sekundärer bakterieller Hautinfektion meist durch Staphylokokken). Neuerdings tierische Pockeninfektionen (Katzenpocken, Affenpocken).
Notfallanamnese
• • •
22.8 Eczema herpeticatum P. Husermann, P. Itin
591
• • •
Bekannte HSV-Infektion (Herpes labialis rezidivans)? Bekanntes vorbestehendes atopisches Ekzem? Andere primäre Hautkrankheiten mit ekzematoiden Hautveränderungen und epidermalen Barrieredefekten (u. a. Morbus Darier, Morbus Hailey-Hailey)? Immunsuppressive Medikation? Erworbene Immundefekte (u. a. HIV)? Aktuelle Schwangerschaft?
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Ganzkörperuntersuchung inklusive Schleimhäute mit Fokus auf Suche nach HSV-Infektion (u. a. Herpes labialis). Meningismuszeichen prüfen. Schwangerschaftstest.
Diagnostik Klinisches Bild in aller Regel charakteristisch und diagnostisch. Labor • PCR auf HSV von verkrusteten/hämorrhagischen Stellen oder Bläschenboden (inklusive VarizellaZoster-Viren zur Abgrenzung von VZV-Infektionen). • Tzanck-Test (dauert nur Minuten!): Suche nach multinukleären synzytialen Riesenzellen. • Bakteriologischer Abstrich (Superinfektion). • Differenzialblutbild, CRP, Kreatinin.
592
bersicht
Therapie
•
•
• • • •
•
Erwachsene: Aciclovir i. v.: 3 × 5 – 10 mg/kg KG/d über 7 Tage bzw. bis zur klinischen Abheilung (EG-B). Perorale Alternativen bei leichtem Verlauf: Aciclovir 5 × 400 mg/d oder Famciclovir 3 × 250 mg/d über 5 – 10 Tage oder Valaciclovir 3 × 500 mg/d über 7 Tage; Dosierung an Nierenfunktion anpassen (EG-D). Kinder unter 12 Jahren: Aciclovir i. v. 3 × 750 mg/ m2/d. Bei bakterieller sekundärer Hautinfektion zusätzliche Antibiotikum: topisch 2 ×/d Fusidinsäure, systemisch ggf. Amoxycillin in altersentsprechender Dosierung (EG-D). Bei Aciclovir-Resistenz (fast ausschließlich bei HIV-Patienten): Foscarnet i. v. 120 – 180 mg/kg KG/d in 3 Einzeldosen für mindestens 10 Tage (EG-D). Keratitis herpetica: zusätzlich zur internen Therapie topisch 3%ige aciclovirhaltige Augensalbe 3 – 5 ×/d (EG-D). Bakterielle Superinfektionen: systemische Antibiotika mit penicillinasefesten Penicillinen oder Cephalosporinen (EG-D). Topische Therapie: bei schmerzhafter Haut mit Spannungsgefühl: lokale Cremebehandlung 2 – 3 ×/d (u. a. fusidinsäurehaltiger Creme, Silbersulfadiazin-Salbe (EG-D). Bei nässenden, juckenden Hautveränderungen zinkhaltige Lotio oder Zinkschüttelmixtur 2 – 3 ×/d (EG-D). Prophylaxe bei häufig rekurrierendem Eczema herpeticatum: Aciclovir 3 × 200 mg/d über mehrere Monate (EG-D).
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Komplikationen • Bakterielle Superinfektion, Lidödem, Bronchopneumonie, zerebrale Symptome (aseptische Meningitis/Enzephalitis) oder virale HSV-Enzephalitis (Cave! Hohe Mortalität). • Intrauterine Infektion (erhöhte Abortrate bis zur 20. Schwangerschaftswoche). • Keratitis herpetica.
22
22.9 Verätzung durch Laugen und Säuren, speziell Flusssäure A. Arnold, P. Itin
Definition und Einteilung Hochprozentige Säuren und Laugen finden sich in einer Vielzahl von Gewerbe- und Haushaltsprodukten (z. B. in Zement, Wasch- und Bleichmitteln, Abflussreiniger). Laugenverätzungen sind gefährlicher als Säureverätzungen, weil Laugen tiefer ins Gewebe eindringen. Eine Ausnahme bildet die Flusssäure (= Fluorwasserstoffsäure). Sie ist eine stechend riechende, farblose, stark ätzende Flüssigkeit, welche v. a. in der Glas-, aber auch in der Elektro-, metallverarbeitenden und chemischen Industrie zur Anwendung kommt. In niedriger Dosierung kommt sie auch in Haushaltschemikalien, Stein- und Fassadenreinigern vor. Sie löst die meisten Metalle, Quarz, Glas und Silikate. Konzentrationen < 5 % zählen zur Giftklasse 2, Konzentrationen > 5 % zur Giftklasse 1.
Pathophysiologie Laugen führen zu einer Kolliquationsnekrose, Säuren zu einer Koagulationsnekrose. Bei der Flusssäure gibt es 2 toxische Mechanismen: zum einen die Ätzwirkung der Säure und zweitens die Toxizität der Fluoridionen, welche als starkes Zellgift wirken. Zudem kommt es zu einer Ausfällung des Kalziums und Magnesiums, welche sich mit dem Fluoridion verbinden. Es kommt zur Kolliquationsnekrose auch von tieferen Hautschichten, da die Fluoridionen leicht und schnell penetrieren können.
Typische Krankheitszeichen Säuren und Laugen. Sie führen zu Verätzungen I. – III. Grades ( Abb. 22.11 bis Abb. 22.13, Farbtafel XXXI). Flusssäure. • Das Leitsymptom bei der Flusssäureverätzung ( Abb. 22.14, Farbtafel XXXI) ist ein starker anhaltender Schmerz am Ort der Kontamination. Es • ist möglich, dass keine Verätzung sichtbar ist, ansonsten treten Rötung, Blasenbildung und Nekrosen auf.
Vertzung durch Laugen und Suren, speziell Flusssure
• • •
Das zeitliche Auftreten hängt von der Konzentration der Flusssäure ab und kann sich mit einer Latenz bis zu 24 h verzögern. So kann das Ausmaß der Schädigung unterschätzt werden! Der Schweregrad der Schädigung ist abhängig von Konzentration der Säure, Temperatur, Einwirkdauer und Flächenausdehnung. Systemische Zeichen können bei einer Konzentration > 50 % und/oder einer Kontamination von > 5% der Körperoberfläche (KOF) auftreten. Es sind dies: Azidose, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie, Hyperkaliämie, EKG-Veränderungen, kardiale Arrhythmien, Lungenödem, Gerinnungsstörungen und Schock.
593
Diagnostik Flusssäureverätzung • Blutentnahme: Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Albumin, ASAT, ALAT, gGT, alkalische Phosphatase, Kreatinin, Harnstoff. • Arterielle Blutgasanalyse (Azidose). • Kontinuierliches EKG-Monitoring (Rhythmusstörungen). • Thoraxröntgen (Lungenödem). • Bei Augenkontakt: ophthalmologisches Konsilium. • Bei Ingestion: gastroenterologisches Konsilium mit Endoskopie.
Differenzialdiagnose
Therapie
Bei klarer Anamnese keine.
Bei jeder Säuren- und Laugenverätzung • sofort Kleider entfernen (Selbstschutz nicht vergessen!), • Spülung der betroffenen Fläche mit Wasser (ca. 30 min). Bei Flusssäureverätzungen zusätzlich (s. a. S. 485) • 2,5%iges Kalziumglukonat-Gel einmassieren bis Schmerz regredient sowie 15 min darüber hinaus (EG-C). • Bei Schmerzrezidiv wiederholen. • Falls kein Erfolg: lokale Infiltration von Kalziumglukonat 10% (0,5 ml/cm2) (EG-C). • Bei großflächigen Verätzungen an Extremitäten: 10 ml Kalziumglukonat 10% + 5000 IE Liquemin + 40 ml NaCl 0,9% i. v. unter Tourniquet-Manschette (25 min) oder über 4 h i. a. in versorgende Arterie (ohne Liquemin) (EG-D). • Ultima Ratio: Exzision der verätzten Stelle (EG-D). Systemische Wirkung bei Flusssäureverätzung. Bei erwarteter systemischer Wirkung bei Flusssäureverätzung (Hautkontakt > 5 % KOF und/oder Flusssäurekonzentration > 50% und/oder Dyspnoe und/ oder Ingestion) zusätzlich zu oben Genanntem: • sofort 20 ml Kalziumglukonat 10 % i. v. über 10 min (ohne auf die Laborresultate zu warten!) + 4 g Magnesium i. v. (EG-C). • Verlegung auf Intensivstation. • Kalziumbestimmung alle 30 min: – Kalzium tief: 10 ml Kalziumglukonat 10% i. v. über 5 min (EG-D), – Kalzium persistierend tief: 40 ml Kalziumglukonat 10% i. v. über 1 h (EG-D). • Ultima Ratio: Exzision ± Dialyse (EG-D).
Notfallanamnese Säure oder Lauge • pH-Wert, Viskosität, Konzentration, Kontaktzeit, • Produktinformation einholen (sog. „Safety Sheet“). Flusssäure • In welcher Konzentration (< 50% oder > 50%)? • Wann genau geschah die Kontamination? Wurden die Kleider kontaminiert? • Wurde die Säure geschluckt? Kam es zur Kontamination der Augen? Atemnot?
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Ausdehnung der Verätzung (bei Flusssäure wichtig, ob < 5% oder > 5% der KOF). Ausdehnung des Schmerzes (bei Flusssäure wichtig, ob < 5% oder > 5% der KOF). Kopf oder Hals betroffen? Wirkungseintritt bei Flusssäureverätzungen je nach Konzentration: – < 20% bis nach 24 h möglich, – 20 – 50% nach 1 – 8 h, – > 50% sofort.
594
bersicht
Überwachung und Kontrollen Bei Flusssäureverätzung • EKG-Monitoring, • Kalziumbestimmung alle 30 min, • Schmerzprotokoll.
Besondere Merkpunkte Bei Flusssäureverätzung • Die Ausdehnung der Schädigung kann den sichtbaren Schaden deutlich übersteigen. • Wichtigster Parameter für die Ausdehnung und das Ansprechen auf die Therapie ist der Schmerz! • Anstelle von Kalziumglukonat kann auch Kalziumglubionat in der gleichen Konzentration äquivalent eingesetzt werden.
22.10 Verbrennung (Combustio) und Verbrühung (Ambustio) S. Fistarol-Bohn, P. Itin
Definition und Einteilung Verbrennungen sind akute Hitzeschäden der Haut durch direkte Flammeneinwirkung, Gasexplosionen, heiße Metalle, elektromagnetische Strahlung, Teer/ Asphalt, elektrischen Strom, Reibung, Flüssigkeiten oder Dämpfe (Verbrühung). Schweregrade und Fläche. Verbrennungen/Verbrühungen werden in 4 Schweregrade unterteilt, abhängig von Tiefe und Intensität des Gewebeschadens (Tab. 22.5 und Abb. 22.15, Farbtafel XXXII). Die Flächenausdehnung wird in Prozenten der Körperoberfläche (KOF) nach der „Neunerregel“ geschätzt (Tab. 22.6).
Pathophysiologie
22
Bei Temperaturen ab 45 8C kommt es zur Denaturierung mit Struktur- und Funktionsverlust von zellulären Eiweißen. Durch Endothelschädigung mit Permeabilitätsstörung der Gefäße entsteht ein Ödem. Es kommt zur Aktivierung des Gerinnungs- und Komplementsystems, zur Thrombozytenaktivierung und -aggregation, zur Einwanderung und Aktivie-
rung von Granulozyten und Makrophagen und zur Immunmodulation durch Interleukine. Zonen. Eine Brandwunde weist in der Regel 3 Zonen auf: • zentral die Koagulationsnekrose mit endgültiger Zerstörung der Zellstrukturen, • anschließend die Stasezone mit teils reversibler Beeinträchtigung der Zellfunktionen und Ischämie • und peripher die Hyperämiezone.
Typische Krankheitszeichen (Tab. 22.5) Eine Verbrennung II. – III. Grades kann ab 10% KOF beim Erwachsenen und ab 5% KOF beim Kind zu lebensbedrohlichen Komplikationen, Kreislaufschock, „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) und Sepsis führen.
Differenzialdiagnose Vorgeschichte und klinisches Bild sind meist klar. Schwierigkeiten können auftreten bei Patienten, die sich nicht artikulieren können: Bewusstlose, Kinder, Demenzkranke. Differenzialdiagnosen sind toxische epidermale Nekrolyse, „staphylococcal scalded skin syndrome“, fixes Arzneimittelexanthem, akute Verätzung, akute Kontaktdermatitis, bullöses Erysipel, Drucknekrose und bullöses Pemphigoid.
Notfallanamnese
• • •
Auslösendes Agens, Zeitpunkt und Umstände (Alkoholintoxikation, Bewusstlosigkeit, Misshandlung) der Verbrennung. Risiko eines Inhalationstraumas. Schmerzen, Tetanusimpfstatus.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Beurteilung des Schweregrades (Tab. 22.5). Beurteilung der Ausdehnung der Verbrennung in Prozenten der KOF (Tab. 22.6). Als grobe Faustregel gilt außerdem, dass die Handfläche des Patienten ungefähr 1 % der KOF entspricht.
Verbrennung (Combustio) und Verbrhung (Ambustio)
595
Tabelle 22.5 Gradierung und typische Krankheitszeichen von Verbrennungen. Grad
Tiefenausdehnung
Klinik
Sensibilität
Heilung
I
betrifft nur die Epidermis ( Abb. 22.15 a, Farbtafel XXXII)
Rçtung und Schwellung der Haut ohne Blasen
schmerzhaft
Restitutio ad integrum innerhalb weniger Tage
II a
oberflchliche dermale Verbrennung ( Abb. 22.15 b, Farbtafel XXXII)
Rçtung und Blasen; der Blasengrund ist rçtlich, glnzend, feucht nssend
stark schmerzhaft
heilt innerhalb von 1 – 3 Wochen ohne Narbenbildung, gelegentlich jedoch mit Pigmentverschiebungen
II b
tiefe dermale Verbrennung ( Abb. 22.15 c, Farbtafel XXXII)
Rçtung und Blasen; unter der Blase weißlich feuchter Wundgrund
heilt innerhalb von Berhrungsemp3 – 6 Wochen, meist findlichkeit durch ohne Narbenbildung Schdigung der Nervenendigungen teils vermindert
III
gesamte Dermis betroffen ( Abb. 22.15 d, Farbtafel XXXII)
weißlich trockene Nekrosen; die Konsistenz des Wundgrundes ist erhçht; Zerstçrung aller Hautadnexe
keine Schmerzen
Abheilung immer mit Narbenbildung
IV
Verkohlung aller Hautschichten und der tiefer liegenden Gewebe (Faszien, Muskeln und Knochen)
die Wunde ist trocken, wchsern-weiß, ledrig-grau oder schwarz-verkohlt
keine Schmerzen
keine Spontanheilung, bedarf meist einer Hauttransplantation
Tabelle 22.6 Neunerregel zur Schtzung des Verbrennungsausmaßes (in % der Kçrperoberflche). Neugeborenes
Kleinkind bis 1 Jahr
Kind 1 – 5 Jahre
Erwachsener
Kopf
21
18
14
9
Rumpf ventral
16
18
18
18
Rumpf dorsal
16
18
18
18
Arm
9
9
9
9
Bein
14
14
16
18
1
1
1
1
Genitale
Therapie
•
Notfallmanagement
•
•
•
Unverzügliche Kühlung mit kaltem Wasser (10 – 20 8C) während 10 – 30 min reduziert Schmerz und Wundödem und vermindert möglicherweise das Fortschreiten des Verbrennungsprozesses. Cave! Nicht mit Eis kühlen (Gefahr von Erfrierungen oder Unterkühlung).
•
Bei Verbrühungen durch Kleidungsstücke hindurch müssen diese, sofern sie nicht an der Haut haften, sofort entfernt werden. Wundreinigung mit NaCl 0,9 % oder mit Leitungswasser und milder Seife. Verbrennungen I. Grades werden mit topischen Emollienzien behandelt (z. B. Dexpanthenol Salbe, Fettsäurenemulsion). Intakte Blasen werden belassen, da dies den Wundschmerz und die Gefahr einer Superinfektion reduziert (EG-C). Große dünne oder bereits
596
•
• •
bersicht
rupturierte Blasen oder Blasen mit trübem Inhalt werden abgedeckelt (EG-C). Die Wunde wird feucht gehalten (EG-A) mit einem Hydrokolloidverband (EG-A) oder einer silikonbeschichteten Wundauflage (EG-A) oder Paraffingazen (EG-D). Silbersulfadiazin enthaltende Hydrokolloidverbände oder Crèmes sollten vermieden werden, da sie die Wundheilung verzögern können (EG-A). Analgesie mit Paracetamol, NSAR, bei Bedarf mit Opioiden. Hochlagern der Extremität bei Verbrennung an Hand oder Fuß.
Überweisung an ein Verbrennungszentrum bei • Verbrennung ab II. Grades von > 5% KOF bei Kindern, > 10% KOF bei Erwachsenen, • Verbrennung ab II. Grades im Gesicht, an Händen, Füßen, Perineum, Genitale, in Gelenkbeugen, • Verbrennung ab II. Grades der ganzen Zirkumferenz einer Extremität, des Stammes oder des Halses, • schweren Infektzeichen, Sepsis, Schock, • Inhalationstrauma, • Elektrounfall, • chemischer Verbrennung von > 5% der KOF, • fehlender Epithelialisation nach 14 Tagen, • Verbrennung III. oder IV. Grades mit einer Tiefenausdehnung von > 2 cm.
22
Weitere Maßnahmen
• • •
Der Tetanusschutz wird überprüft, im Bedarfsfall (letzter Booster vor > 5 Jahren) geimpft. Im Verlauf Débridement von Nekrosen. Wenn klinisch Zeichen einer Infektion vorliegen, wird nach Abstrich primär empirisch mit Flucloxacillin 4 × 500 mg/d oder bei Penicillinallergikern mit Erythromycin 4 × 500 mg/d und im Verlauf entsprechend des Kulturresultates systemisch antibiotisch behandelt.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Kontrolle nach 24 h und 48 h zur Überprüfung der Verbrennungstiefe, da diese im Verlauf noch zunehmen kann, sowie zur Anpassung der analgetischen Therapie. Überwachung bezüglich Infektzeichen.
597
23 Auge J. Messerli, P. Meyer
Übersicht 23 Auge 23.1 Verletzungen – Lidverletzungen und Abriss der Trnenwege – Kontusionsverletzungen von Orbita und Augenbulbus – Hornhautfremdkçrper – Vertzung, Verbrennung – Schweißblende, Schneeblindheit 23.2 Das „Rote Auge“ – Allgemeines – Herpes-simplex-Keratitis 23.3 Augenerkrankungen mit Konjunktivitis – Allgemeines – Virale Konjunktivitiden – Bakterielle Konjunktivitiden – Infektiçses Hornhautulkus 23.4 Doppelbilder 23.5 Plötzlicher Visusverlust – Transiente ischmische Attacke (Amaurosis fugax) – Migraine ophtalmique – Zentralarterienverschluss, Arterienastverschluss – Papillenapoplexie (Morbus Horton) – Zentralvenenverschluss – Optikusneuritis – Netzhautablçsung (Amotio retinae) – Akuter Glaukomanfall 23.6 Ophthalmologika
Vorbemerkung. Diese Übersicht beschränkt sich auf die Darstellung des Untersuchungsweges beim ophthalmologischen Notfall und auf wichtige Krankheitsbilder. Die Dringlichkeitseinschätzung ist in Tab. 23.1 zusammengestellt, das generelle Vorgehen bei ophthalmologischen Notfällen zeigen Abb. 23.1 und Abb. 23.2.
23.1 Verletzungen Lidverletzungen und Abriss der Tränenwege Pathophysiologie Da bei Gewalteinwirkung auf das Lid der mediale Winkel die schwächste Stelle ist, betreffen Rissverletzungen an den Augenlidern häufig die Tränenkanälchen. Werden diese nicht chirurgisch korrekt versorgt, entwickeln sich Stenosen und eine stark störende Epiphora (Tränenlaufen). Verletzungen der hinteren Lidkante müssen exakt adaptiert werden, damit es nicht zu Benetzungsstörungen der Hornhaut kommt.
Typische Krankheitszeichen Riss- und Quetschverletzung im Bereich des medialen Lidwinkels. Bei zusätzlichen Verletzungen der Hornhautoberfläche oder des Bulbus verspürt der Patient ein Fremdkörpergefühl und hat starke Schmerzen. Die Lider bleiben krampfartig geschlossen (Blepharospasmus).
Notfalluntersuchung
• • • • •
Beidseitige Untersuchung von Orbita, Lider, Tränendrüse und Bulbus. Bei starkem Blepharospasmus Applikation von anästhesierenden Augentropfen (Oxybuprocain, Proxymetacain). Prüfung der Sehschärfe. Suche nach Lidkantenverletzung bei Lupenvergrößerung. Auf Kontusions- oder Perforationsverletzung des Augenbulbus achten. Hinweise dafür können
598
Auge
Tabelle 23.1 Dringlichkeit der Notfallsituationen am Auge. Hochdringlich
Dringlich
Bedingt dringlich
Diagnose und Therapie innerhalb Minuten
Diagnose und Therapie innerhalb Stunden
Diagnose und Therapie innerhalb Tagen
• chemische Vertzungen
• Verletzungen
• Optikusneuritis • Augentumoren • akuter Exophthalmus • bisher undiagnostiziertes
•
von Bindehaut und Hornhaut (Laugen, Suren) Zentralarterienverschluss
•
• •
• • • •
– perforierende Bulbusverletzung – Hornhautfremdkçrper – Hornhauterosion – Lidverletzung – Blow-out-Fraktur des Orbitabodens Entzndungen – Endophthalmitis – Orbitaphlegmone – akute Iritis akutes Engwinkelglaukom Netzhautablçsung – akuter Netzhautriss – akute Amotio retinae – akute Glaskçrperblutung Keratitis/Hornhautulkus UV-Keratitis Amaurosis fugax Papillenapoplexie (Arteriitis temporalis Horton)
sein: subkonjunktivale Blutungen, Perforationsstellen, Trübungen in Hornhaut und Vorderkammer, veränderte Tiefe der Vorderkammer, eine entrundete Pupille.
Therapie Lidverletzungen und ein Abriss der Tränenwege müssen dem Facharzt zur chirurgischen Versorgung zugewiesen werden.
Kontusionsverletzungen von Orbita und Augenbulbus
23
bei Suglingen
Typische Krankheitszeichen
• •
Die Augenlider sind geschwollen und evtl. unterblutet (Monokel-Hämatom). Bei einer Blow-out-Fraktur ist der Augenbulbus nach hinten und eventuell nach unten verlagert. Insbesondere Auf- und Abblick des Auges sind eingeschränkt und schmerzhaft.
Notfalluntersuchung Klinik
•
Pathophysiologie Stumpfe Gewalt, wie z. B. ein Faustschlag oder ein kleiner Ball, kann am Auge und in der Augenhöhle Blutungen und Gewebszerreißungen verursachen, welche mit Früh- und Spätkomplikationen behaftet sind (Sekundärglaukom, Katarakt, Netzhautablösung). Eine Fraktur der Orbitawände (Blow-outFraktur) kann einen Enophthalmus und Störungen der Augenmotilität bewirken.
Glaucoma chronicum simplex
• alte Netzhautablçsung • neu aufgetretener Strabismus
• •
Unter seitlicher Beleuchtung mit einer Taschenlampe werden nacheinander Orbita, Lider, Tränendrüsen und Bulbus inspiziert. Die Stellung der Augen in der Orbita wird verglichen, d. h. geprüft, ob ein Exophthalmus oder Enophthalmus vorliegt. An den Lidern interessieren Lidfehlstellungen und Lidverletzungen. Prüfung der Sehschärfe. Prüfung und Vergleich der aktiven Augenmotilität: Dem Patienten wird ein Fixationsobjekt präsentiert und die Augenmotilität in allen 9 Blickrichtungen überprüft.
Verletzungen
599
Notfall/Trauma
Notfallanamnese
vertiefte Augenanamnese
Funktionsprüfung
nein
Verätzung
ja
sofort + lange spülen
Zuweisung zu Augenarzt
Pupillenreaktion rel. afferente Pupillenstörung Visus Konfrontationsgesichtsfeld Augenmotilität
äußeres Auge
Ex-/Enophthalmus Lidverletzung Tränenwege
Augenbulbus
Perforationsstelle Irisprolaps entrundete Pupille tiefe Vorderkammer aufgehobene Vorderkammer
Inspektion
Diagnose Bagatellverletzung
Behandlung durch Grundversorger
andere Verletzung
Zuweisung zu Augenarzt
Verletzung
Dringlichkeit
Entzündung
Diagnoseschema rotes Auge
Abb. 23.1 Vorgehen bei ophtalmologischem Notfall.
•
Inspektion mit der Lupe auf Kontusions- oder Perforationsverletzung des Augenbulbus. Hinweise dafür können sein: subkonjunktivale Blutungen, Perforationsstellen, Trübungen in Hornhaut und Vorderkammer, veränderte Tiefe der Vorderkammer, eine entrundete Pupille.
Diagnostik CT. Eine CT-Bildgebung ist bei Verdacht auf eine Orbitawandfraktur indiziert.
Therapie Das Ausmaß und der Schweregrad einer Kontusionsverletzung im Bereich der Orbita und des Bulbus können nur von Fachärzten beurteilt werden. Darum soll der Patient innerhalb Stunden weitergewiesen werden.
600
Auge
Sehschärfe
äußere Untersuchung Lider/Orbita
Pupillen
Augenmotilität
Lesetext Fingerzählen Lichtwahrnehmung
Lid-/Orbitakante Tränenkanal Ektropionieren
Swinging Flashlight direkte/indirekte Reaktion
Hornhautfremdkörper Pathophysiologie Staub, Glas, Metall, anorganische oder organische Materialien. Insbesondere Letztere können zu Infektionen führen. Metallfremdkörper können im Gewebe eingebrannt sein und „rosten“. Dies hat eine persistierende Entzündung zur Folge. Cave! Bei Arbeiten an schnell drehenden Maschinen und bei Hammer-Meißel-Arbeiten muss immer ein penetrierendes Trauma in Betracht gezogen und entsprechend ausgeschlossen werden (Röntgenaufnahme).
mindestens 4 Richtungen
Notfalluntersuchung
vorderes Augensegment
Sklera, Konjunktiva, Kornea, Vorderkammer
Ophthalmoskopie
keine Mydriase bei Kopfverletzungen/Bewusstlosigkeit
Intraokulardruck
Gesichtsfeld
digitale Palpation
Konfrontationsmethode
Abb. 23.2 Ablauf der Notfalluntersuchung der Augen.
• •
•
Therapie
• • • •
Besondere Merkpunkte
•
23
•
Eine Orbitawandfraktur bei einem Kind ist ein absoluter Notfall und muss innerhalb Stunden chirurgisch versorgt werden, damit es nicht zu ischämischen Spätschäden an den Augenmuskeln kommt. Die eingeschränkte Beweglichkeit des Auges bei einem Kind kann alleiniges Zeichen einer Blowout-Fraktur sein.
Prüfung der Sehschärfe. Suche nach Fremdkörpern bei Lupenvergrößerung im Bindehautsack und auf der Hornhaut. Bei vermuteten Verletzungen wird der Tränenfilm mit einem Fluoreszein-Filterpapierstreifen angefärbt. Epitheldefekte an der Hornhaut färben sich an. Dies lässt sich besonders gut im Blaulicht beobachten. Subtarsale Fremdkörper werden erst nach Ektropionieren des Oberlides erkannt (Abb. 23.3).
•
Gabe eines topischen Anästhetikums. Unter Lupenvergrößerung kann versucht werden, mit einem Wattestäbchen oder mit einer Injektionskanüle (25 – 30 G) den identifizierten Fremdkörper zu entfernen oder herauszuhebeln. Wenn ein Rosthof vorhanden ist, sollte dieser durch den Augenarzt ausgebohrt werden. Bis zur Abheilung des Epithels sollen prophylaktisch antibiotische Augentropfen 3 – 4 ×/d verordnet werden (z. B. Polymyxin-B + Neomycin + Gramicidin, Neomycin + Bacitracin, Polymyxin B + Neomycin oder Tobramycin) (EG-B). Schmerzbekämpfung mit systemischen Analgetika.
Verletzungen
a
c
b
d
601
Abb. 23.3 Ektropionieren des Oberlides zur Inspektion und Fremdkörperentfernung. a Patienten nach unten schauen lassen. Leichtes Drehen des Wattetrgers zum Aufrichten der Wimpern. b Fassen der Wimpern. Einlegen eines Stbchens (Wattetrger). c Lid nach unten ziehen. Leichter Druck aufs Stbchen. d Das Lid wird um die Oberkante des Tarsus gedreht.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen
• •
Bis zur vollen Abheilung tägliche Kontrollen. Bei Auftreten eines weißlichen Hornhautinfiltrates (Ulkus?) sofortige Zuweisung zum Augenarzt.
Verätzung, Verbrennung Pathophysiologie Chemische und thermische Verletzungen und Verbrennungen stellen am Auge die dringendste Notfallsituation dar. Die Schädigung führt zu irreversiblen Nekrosen an Bindehaut und Hornhaut. Folgen sind Hornhautnarben und schwerste trophische Störungen wegen der Zerstörung der Hornhautlimbusstammzellen und der Becherzellen in der Bindehaut.
Notfallanamnese Die genaue Anamneseerhebung ist sekundär. Zeitpunkt der Verätzung und Art der Chemikalien sind erst nach den Notfallmaßnahmen zu erfragen. Generell machen alkalische Substanzen stärkere Verätzungen. Die Art der Chemikalie hat aber auf die Erste Hilfe durch Laien und Grundversorger keinen Einfluss.
Notfalluntersuchung
• •
Für den Nichtophthalmologen ist es schwierig, den Schweregrad einer Verätzung abzuschätzen. Bei der Inspektion ist streng auf retinierte Substanzbröckel (Kalk, Zement, Ablaufreiniger) zu achten. Diese sind mechanisch zu entfernen.
602
Auge
Abb. 23.4 Improvisierter Lidhaken zum Öffnen der Augenlider. Aus einer Broklammer kann durch Umbiegen eines Endes ein improvisierter Lidhaken gemacht werden, mit dem die Lider ohne Verletzungsgefahr geçffnet werden kçnnen (nach G. Eisner, mit freundlicher Erlaubnis).
• •
•
Mit einem pH-Papier kann der pH-Wert im Bindehautsack geprüft werden. Anzustreben ist ein pH-Wert um 7,5. Wenn der Patient Schwierigkeiten hat, die Augen offen zu halten, müssen die Lider mit Lidhaken auseinander gezogen werden (Abb. 23.4), oder es muss am temporalen knöchernen Orbitarand eine Lidakinesie mit Lidocain gesetzt werden (Abb. 23.5). Fremdkörper müssen sofort mechanisch vollständig entfernt werden. Dies gilt insbesondere für Zement- und Kalkbröckel.
Weitere Maßnahmen Abb. 23.5 Akinesie des M. orbicularis oculi. In der Ersten Hilfe nach Vertzungen muss bei starkem Blepharospasmus zum atraumatischen ffnen der Lider eine Akinesie des M. orbicularis oculi gesetzt werden: ber der lateralen knçchernen Orbitakante wird ein Depot Lokalansthetikum infiltriert, z. B. 2 – 3 ml Lidocain 1 % (nach G. Eisner, mit freundlicher Erlaubnis).
Kontakt mit dem Toxikologiezentrum und/oder dem Ophthalmologen erst nach durchgeführter Erster Hilfe.
Besondere Merkpunkte Die Erste Hilfe entscheidet über das Schicksal des Auges!
Therapie
23
Spülen • Laienhelfer sollen angewiesen werden, am Unfallort selbst die Augen während 15 min zu spülen. • An die Spülflüssigkeit wird keine besondere hygienische Eigenschaft geknüpft. Sorgfältiges Spülen mit jedweder neutraler Flüssigkeit (z. B. NaCl 0,9%, destilliertes Wasser, möglichst keine phosphathaltigen Spüllösungen (EG-D). Spüldauer 15 – 30 min. Gut eignet sich dazu eine handelsübliche Infusionsflüssigkeit; der Wasserstrahl wird mit dem Infusionsbesteck geleitet.
Schweißblende, Schneeblindheit Pathophysiologie Schädigung des Hornhautepithels durch UV-Strahlen bei Schweißen, Schneesport oder Höhensonne ohne Schutzbrille.
Das „Rote Auge“
Typische Krankheitszeichen
• •
Die äußerst starken Schmerzen treten typischerweise 4 – 6 h nach Exposition auf. Die Patienten weisen in der Regel einen starken Blepharospasmus und ein massives Tränenlaufen (Epiphora) auf.
Notfalluntersuchung
• • •
Zur Untersuchung muss in der Regel ein lokales Anästhetikum getropft werden (z. B. Oxybuprocain oder Proxymetacain). Mit Lupenvergrößerung und beim Anfärben mit Fluoreszein kann nicht sicher ein Epitheldefekt nachgewiesen werden. Die Diagnose richtet sich hauptsächlich nach der Anamnese.
Therapie Notfallmanagement
• •
Die Ultraviolettkeratitis ist extrem schmerzhaft. Lokal können evtl. nichtsteroidale Entzündungshemmer 2-stündlich) getropft werden, z. B. Diclofenac, Ketorolac (EG-B). Schmerzstillung vor allem aber durch systemische Analgetika.
Weitere Maßnahmen
•
Lokale Antibiotika sind nur nötig, wenn die Diagnose unsicher ist: 3 – 4 ×/d lokale Antibiotika (z. B. Polymyxin-B + Neomycin + Gramicidin, Neomycin + Bacitracin, Polymyxin B + Neomycin oder Tobramycin) (EG-C).
Besondere Merkpunkte Dem Patienten sollten keine Lokalanästhetika mitgegeben werden (Epitheltoxizität).
603
23.2 Das „Rote Auge“ Allgemeines Definition und Einteilung Das rote Auge ist ein vielschichtiges Symptom. Lokalisation und Charakter der dilatierten Blutgefäße können helfen, die Differenzialdiagnose einzugrenzen (konjunktivale versus ziliare Injektion).
Pathophysiologie Konjunktivale Injektion. Eine konjunktivale Injektion (Vasodilatation der oberflächlich gelegenen Bindehautgefäße) tritt bei mechanischen Irritationen (Lidstellungsanomalien, Fremdkörper, Trichiasis) auf zusammen mit Schmerzen vom Typ „Fremdkörpergefühl“. Häufig ist die konjunktivale Injektion im Zusammenhang mit einer Konjunktivitis. Ziliare Injektion. Bei der ziliaren Injektion sind dagegen die tief gelegenen, episkleralen Gefäße um den Limbus erweitert. Eine ziliare Injektion ist in der Regel mit einer schwerwiegenden, tiefer gelegenen Augenentzündung kombiniert. Beispiele dafür sind tiefe Hornhautentzündungen, Skleritiden und Uveitiden.
Typische Krankheitszeichen
• •
Konjunktivale Injektion: oft kombiniert mit „Fremdkörpergefühl“. Ziliare Injektion: vergesellschaftet mit ziliaren Schmerzen, also tiefer gelegenen, schwierig zu lokalisierenden Schmerzen.
Notfalluntersuchung Konjunktivale Injektion. Nach der diagnostischen Gabe eines Tropfens eines Vasokonstriktors (Phenylephrin 5 %, Nafazolin, Xylometazolin) normalisieren sich die konjunktivalen Gefäße (Weißmacher-Effekt). Ziliare Injektion. Bei der Untersuchung im Tageslicht erkennt man einen dunkelroten Ring direkt hinter dem Limbus. Die einzelnen Gefäße sind durch die darüber liegende ödematöse Bindehaut etwas verwaschen gezeichnet und reagieren nicht auf einen oberflächlichen Vasokonstriktor. Die oben be-
604
Auge
Rotes Auge
nein
Injektion
diffuse konjunktivale Injektion
Lider abnormal
ja
Schmerzen?
lokalisierte konjunktivale Injektion
Lider normal
diffuse gemischte Injektion
Konjunktivaveränderung
keine Konjunktivaveränderung
Kornea normal
Pinguecula subkonj. Blutung Pterygium Episkleritis Tumor noduläre Episkleritis
Blepharitis Trichiasis Entropium Ektropium Lagophthalmus Molluscum contagiosum
follikuläre Konjunktivitis
papilläre Konjunktivitis
virale Konjunktivitis Allergie Herpes simplex Medikamente
Injektion
neurotrophe Keratitis
Skleritis
Engwinkelglaukom posteriore Uveitis posteriore Skleritis Pseudotumor orbitae Myositis
Uveitis
bakterielle Konjunktivitis trockenes Auge Kontaktlinsen
ziliare Injektion
Hypopyon
intermed./post. Uveitis Retinitis Vaskulitis Endophthalmitis
Kornea abnormal Fremdkörper HornhautInfiltrat HSV-Keratitis Keratitis sicca HornhautDystrophien
Hyphäma Trauma Neovaskularisation Tumor
Abb. 23.6 Flussdiagramm zur Untersuchung des „Roten Auges“.
schriebenen ziliaren Schmerzen gehen auf die Gabe eines Tropfens Lokalanästhetikum nicht weg. Abb. 23.6 fasst den diagnostischen Weg und mögliche Ursachen beim roten Auge zusammen.
Therapie Die Therapie des „Roten Auges“ richtet sich nach der Ursache (Abb. 23.6).
23
Herpes-simplex-Keratitis Pathophysiologie Keratitiden durch Herpes simplex Typus 1 (selten Typus 2) zeigen ganz unterschiedliche klinische Bilder und Verläufe.
Differenzialdiagnose Hat ein Patient anamnestisch eine Herpesentzündung an einem Auge gehabt, dann gilt bis zum Beweis des Gegenteils, dass jedes rote Auge einen Rückfall der Herpeskeratitis darstellt. Die Behandlung gehört in die Hand des Augenarztes, aber der
Augenerkrankungen mit Konjunktivitis Grundversorger muss die Herpeskeratitis immer als Differenzialdiagnose mit einbeziehen.
Notfalluntersuchung Ein epithelialer Herpes kann mit zwei Untersuchungen vermutet werden: • Nach Anfärben des Tränenfilms mit Fluoreszein stellt sich ein typisches „Bäumchen“ (dendritisches Ulkus) dar (besonders deutlich in Blaulicht). • Eine akute oder abgelaufene Herpeskeratitis hat eine verminderte Hornhautsensibilität zur Folge.
605
Typische Krankheitszeichen
• • •
Im Unterschied zu einer Skleritis oder einer Episkleritis befällt die Konjunktivitis in der Regel die ganze Bindehaut und nicht nur einen Sektor. Der Ausfluss ist beträchtlich: bei viralen Infektionen eher von wässrigem Charakter, bei bakteriellen Konjunktivitiden mit Eiter und verklebten Lidern. Üblicherweise machen Konjunktivitiden Beschwerden, aber keine besonderen Schmerzen.
Virale Konjunktivitiden Therapie
• •
Exakte Diagnose und Therapie können nur durch einen Augenarzt erfolgen. Die Herpeskeratitis wird unter anderem lokal mit Aciclovir-Augensalbe und oral mit Valaciclovir behandelt.
Besondere Merkpunkte
Pathophysiologie Häufig durch Adenoviren verursachte, hochkontagiöse, akute Konjunktivitis. Das zweite Auge kann nach wenigen Tagen folgen. Die viralen Konjunktivitiden sind selbstlimitierend und dauern meist 1 – 2 Wochen. Vielfach liegt begleitend eine Infektion des Nasen-Rachen-Raums vor.
Glukokortikoide können im Falle einer epithelialen Herpeskeratitis zu einer massiven Ausbreitung der Infektion führen.
Typische Krankheitszeichen
23.3 Augenerkrankungen mit Konjunktivitis
Notfalluntersuchung
Rötung, Tränen und Brennen, allgemeine Beschwerden.
•
Allgemeines Einteilung und Pathophysiologie Viele Erkrankungen des Auges und seiner Adnexe können sekundär mit einer Augenrötung auftreten. Pathologien der Bindehaut und der Lider haben üblicherweise eine konjunktivale Injektion zur Folge. Hornhautulzera, Engwinkelglaukom, Endophthalmitis und Uveitis hingegen weisen eine ziliare Mitentzündung auf. Tab. 23.2 zeigt wichtige Augenerkrankungen mit Begleitkonjunktivitis.
•
•
Conjunctiva tarsi und bulbi zeigen eine diffuse Rötung, zusammen mit wässrigem Ausfluss. Die Bindehaut weist in der Regel eine follikuläre Reaktion auf. In schweren Fällen sind die Karunkel, die Plica semilunaris und die Lider geschwollen. Die Hornhaut darf bei seitlicher Beleuchtung mit der Stablampe keine Trübungen aufweisen. Die Färbung des Tränenfilms mit einem FluoreszeinFilterpapierstreifen zeigt keinen Defekt des Hornhautepithels an. Bei viralen Konjunktivitiden gibt es – im Unterschied zu bakteriellen Bindehautentzündungen – häufig vergrößerte präaurikuläre Lymphknoten.
606
Auge
Tabelle 23.2 Verschiedene klinische Formen von Entzndungen des ußeren Auges. Verlauf
Ein-/beidseitig
Hauptsymptome
Rötung
Ausfluss
Besonderes
Jucken, Brennen, Schmerz
++++
wssrig
praurikulre Lymphknoten
Brennen, allgemeine Irritation
+++
mukopurulent
evtl. verklebte Lider
+ bis ++
–
evtl. Dendritica auf Hornhaut, Blschen an Lidern
allgemeine Irritation, ++ Brennen
wenig, mukopurulent
eher bei jngeren Patienten
bilateral
Jucken
++
fdig, mukoid
evtl. Atopie, Heufieber
bilateral
Fremdkçrpergefhl, Brennen, Jucken
+ bis ++
meist keiner
Rçtung und Verkrustung der Lidkanten
bilateral
Fremdkçrpergefhl
+
manchmal mukoid
Fluoreszein: Hornhaut-Stippung
Virale Konjunktivitis akut
ein- oder beidseitig
Bakterielle Konjunktivitis akut
ein- oder beidseitig
Herpes-simplex-Konjunktivitis/Keratitis akut
einseitig
Fotophobie, milde Irritation
Chlamydien-Konjunktivitis (Erwachsene) subakut/ chronisch
meist einseitig betont
Allergische Konjunktivitis chronisch
Blepharitis chronisch
Trockenes Auge chronisch
Therapie
•
•
23
Symptomatisch, d. h. Linderung der Beschwerden mit künstlichen Tränen (z. B. Hypomelose, Paraffine, Polyvinyl-Alkohol, Carbomere und Hyaluronsäure mehr als 4 ×/d) (EG-B), mit kalten Umschlägen und mit topischen nichtsteroidalen Entzündungshemmern (Diclofenac, Ketorolac). Lokale Vasokonstriktoren (z. B. Phenylephrin 5%, Nafazolin, Xylometazolin) sollten höchstens kurzfristig verschrieben werden.
Bakterielle Konjunktivitiden Pathophysiologie Die häufigsten Erreger einer akuten bakteriellen Konjunktivitis sind Staphylococcus aureus, Haemophilus, Streptococcus pneumoniae und Moraxella. Neisseria gonorrhoeae und Chlamydien verursachen die Neugeborenen-Keratokonjunktivitis. Die meisten Bakterien können das intakte Hornhautepithel nicht durchdringen. Wenn aber eine Erosion vorliegt, ist mit einem rasch progredienten Hornhautulkus zu rechnen. Bei wiederholten bakteriellen Konjunktivitiden muss an eine Tränenabflussstörung gedacht werden. Bei abstehenden Tränenpünktchen oder einer postsakkalen Tränengangsstenose funktioniert der physiologische Auswaschmechanismus der Augenoberfläche nicht mehr.
Doppelbilder
607
Notfalluntersuchung
Typische Krankheitszeichen
Klinik
Der Patient beklagt ziliare Schmerzen, Visusminderung und Fotophobie.
• • •
Mukopurulentes Exsudat im Fornix und auf den Lidkanten, Bindehaut und Lider diffus gerötet und geschwollen. Das Anfärben der Tränenflüssigkeit mit einem Fluoreszein-Filterpapierstreifen ermöglicht, einen möglicherweise gefährlichen Hornhautepitheldefekt zu erkennen. Mit einer fokussierten Taschenlampe oder im regredienten Licht werden die vorderen Augenabschnitte auf Trübungen der Hornhaut und in der Vorderkammer untersucht. Solche Befunde weisen immer auf eine bedrohliche Augenerkrankung hin, z. B. ein Hornhautulkus.
Diagnostik Labor. In schweren und unklaren Fällen: Bindehautabstrich und Gramfärbung.
Notfalluntersuchung Untersuchung mit Lupenvergrößerung und Anfärben des Tränenfilms mit Fluoreszein: • lokale oder diffuse ziliare Injektion, • dichtes, weißliches Infiltrat im Hornhautstroma mit darüberliegendem Epitheldefekt (Anfärbung mit Fluoreszein), • Hypopyon in der Vorderkammer (bei bakterieller Mitinfektion der vorderen Augenabschnitte).
Therapie Notfallmanagement
•
Therapie Notfallmanagement
• • •
Die antibiotische Behandlung erfolgt lokal mit einem Breitspektrumpräparat (z. B. Polymyxin-B + Neomycin + Gramicidin, Neomycin + Bacitracin, Polymyxin B + Neomycin oder Tobramycin) (EG-B). Topische Fluorochinolone (z. B. Ofloxacin) sind Reserveantibiotika. Die galenischen Formen Augentropfen und Augensalbe haben kaum therapeutische Unterschiede.
•
Hornhautulzera sollten sofort an den Augenarzt weitergeleitet werden. Ist eine rasche Übernahme durch den Augenarzt gewährleistet, sollte keine lokale oder systemische antibiotische Therapie eingeleitet werden, um die spätere Diagnostik nicht zu kompromittieren. Wenn eine rasche augenärztliche Betreuung nicht möglich ist, erfolgt ein Bindehautabstrich und anschließend eine lokale Therapie mit Fluorochinolon-Augentropfen (z. B. Ofloxacin) halbstündlich (EG-B).
23.4 Doppelbilder Definition und Einteilung
Infektiöses Hornhautulkus Pathophysiologie Bakterielle Hornhautulzera sind bedrohliche Krankheitsbilder. Sie haben meistens einen Zusammenhang mit einem vorangegangenen Trauma, einer Lidfehlstellung oder mit Kontaktlinsen. Durch Pilze verursachte Hornhautulzera kommen vor allem nach Verletzungen mit organischem Material und nach chronischem lokalem Gebrauch von Glukokortikoiden vor. Bei Kontaktlinsenträgern muss auch an eine Akanthamöbenkeratitis gedacht werden.
Monokulare Doppelbilder. Sie treten auf, wenn die Lichtstrahlen im Auge unterschiedlich gebrochen werden und unfokussiert auf die Netzhaut treffen. Häufige Ursachen sind unkorrigierte Refraktionsfehler, trockenes Auge mit unregelmäßiger Hornhautoberfläche, Hornhautnarbe oder Katarakt (Verdichtung des Linsenkerns). Binokulare Diplopie. Sie tritt auf, wenn die beiden Augen nicht parallel ausgerichtet sind, und verschwindet bei Abdeckung eines Auges. Ursachen sind Augennervenlähmungen, Augenmuskelerkrankungen, Autoimmunerkrankungen und Orbitabodenfrakturen.
608
Auge
Pathophysiologie Bei einer traumatischen Orbitawandfraktur können Augenmotilitätsstörungen und entsprechend Doppelbilder resultieren. Diplopien durch Hirnnervenparesen sind im höheren Alter meist bedingt durch mikrovaskuläre Infarkte (vor allem Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie). Stets soll bei Doppelbildern an die Möglichkeit von Aneurysmata, Tumoren oder einer Hirndrucksteigerung (Okulomotorius, Abduzens) gedacht werden. Selten ist die Motilitätsstörung bei Arteriitis temporalis Horton (Abduzens).
Trochlearisparese. Der N. trochlearis regelt vertikale Augenbewegungen. Die Symptome sind manchmal gering, z. B. nur Leseschwierigkeiten. Das betroffene Auge liegt höher. Abduzensparese. In Geradeausstellung besteht höchstens ein leichtes Einwärtsschielen. Beim Blick zur gelähmten Seite folgt das Auge aber praktisch nicht, und die Distanz zwischen den Doppelbildern nimmt zu.
Therapie
•
Typische Krankheitszeichen Monokulare Diplopie • Die Sehschärfe ist bei Refraktionsfehler für Ferne und Nähe meist unterschiedlich vermindert. • Im Rahmen einer Katarakt klagen die Patienten gleichzeitig über ein getrübtes Bild und vermehrte Blendung. Binokulare Diplopie • Die Doppelbilder liegen in verschiedenen Blickrichtungen unterschiedlich weit auseinander (Lähmungsschielen). • Die Myasthenia gravis, die endokrine Orbitopathie und der orbitale Pseudotumor weisen komplexe Motilitätsmuster auf.
23
• • •
Akut aufgetretene binokulare Doppelbilder bedürfen vor allem bei jüngeren Patienten einer raschen (innerhalb Stunden) neurologischen oder neuroophthalmologischen Abklärung. Wenn aufgrund des Alters und der Anamnese ein mikrovaskuläres Geschehen wahrscheinlich ist, kann mit einer Bildgebung zugewartet werden. Das Abdecken des schlechteren Auges vermeidet die Doppelbilder. Wenn monokulare Doppelbilder vorliegen, ist eine ophthalmologische Untersuchung nötig.
23.5 Plötzlicher Visusverlust Allgemeines
Notfalluntersuchung
Definition und Einteilung
• •
Ein plötzlicher Visusverlust ist immer bedrohlich und muss genau abgeklärt werden. Er kann unmittelbar vor der Konsultation eingetreten sein, oder aber der Patient hat den Visusverlust erst jetzt zufällig bemerkt. Diese beiden Situationen können manchmal anamnestisch unterschieden werden (Abb. 23.7).
Prüfung der Sehschärfe. Inspektion der Orbitae (Exophthalmus, Enophthalmus?). • Prüfung der Augenmotilität: Dem Patienten wird ein Fixationsobjekt präsentiert und die Augenmotilität in allen 9 Blickrichtungen überprüft. Bei einer Orbitabodenfraktur ist die Motilität nach oben und teilweise nach unten eingeschränkt, und es besteht häufig eine Hyposensibilität im Bereich des N. infraorbitalis. • Prüfung der direkten und indirekten Pupillenreaktion: bei einer mikrovaskulären Okulomotoriusparese ist die Pupillenreaktion in der Regelim Unterschied zu Aneurysmata – nicht mitbetroffen. Okulomotoriusparese (s. a. S. 406). Die Motilität ist nach verschiedenen Richtungen eingeschränkt. Das Auge ist meist nach unten und außen gerichtet. Die Okulomotoriusparese kann mit einer Ptose vergesellschaftet sein.
Pathophysiologie Ein akuter Visusverlust beim älteren Patienten deutet in erster Linie auf eine akute Durchblutungsstörung hin, beim jüngeren Patienten auf eine Optikusneuritis oder eine Migräne.
Plçtzlicher Visusverlust
plötzlicher Visusverlust
609
Anamnese und Symptome
transienter Visusverlust
Amaurosis fugax
Migraine ophtalmique
vasookklusive Erkrankungen
Zentralvenenverschluss
Zentralarterienverschluss
Erkrankungen des N. opticus
Optikusneuritis
Papillenapolexie, Morbus Horton
Netzhautablösung
Abb. 23.7 Plötzlicher Visusabfall.
Notfallanamnese Zwei Fragen zielen auf ein Refraktionsproblem ab: • Wird die Sicht beim Blick durch eine stenopäische Lücke besser? • Ist die Sehstörung für Ferne und Nähe qualitativ und quantitativ gleich? Wenn diese Frage bejaht wird, liegt vermutlich kein Refraktionsfehler (Myopie, Hyperopie, Presbyopie) vor.
Notfalluntersuchung Sehschärfeprüfung. Die Prüfung erfolgt für jedes Auge einzeln. Dazu muss das andere Auge gut abgedeckt werden. Die Abstufung der Sehschärfe erfolgt im Notfall in groben Schritten: Handbewegung – Fingerzählen – Zeitungstext – feine Einzelheiten. Kann Zeitungsdruck gelesen werden, beträgt die Sehschärfe mindestens ca. 0,3.
Prüfung der Pupillenreaktion. Vor allem beim bewusstseinsgestörten Patienten ist der Ausschluss eines relativen afferenten Pupillenreaktionsdefizites (RAPD) essenziell. Dies erfolgt mit dem SwingingFlashlight-Test. Ein RAPD liegt vor, wenn ein Auge bei direkter Beleuchtung dilatiert, nachdem es vorher eine konsensuelle Pupillenkonstriktion aufgewiesen hatte. Ein RAPD ist das Resultat einer verminderten Transmission im betroffenen Sehnerv. Die Prüfung auf ein RAPD erfolgt durch eine helle, fokussierte Taschenlampe: sie wird abwechselnd auf das eine und dann das andere Auge gerichtet. Der Wechsel soll schnell erfolgen, und das Licht soll dann jeweils ca. 5 s auf einem Auge liegen. Wenn beide Sehnerven gleichmäßig funktionieren, zeigen die Pupillen höchstens kleine Einstellschwankungen. Prüfung des Konfrontationsgesichtsfeldes. Es wird überprüft, ob der Patient in allen 4 Quadranten größere Gegenstände wahrnimmt. Dafür eignet sich z. B. die Präsentation der Hände des Untersuchers. Gesichtsfeldausfälle können auf einen peripheren oder einen zentralen Schaden hinweisen.
610
Auge
Transiente ischämische Attacke (Amaurosis fugax) Definition Einseitiger Visusverlust, der üblicherweise Sekunden bis Minuten dauert.
Pathophysiologie Ursache ist eine retinale Ischämie, welche meist durch einen Embolus, seltener durch einen Vasospasmus verursacht wird. Bei der Amaurosis fugax normalisiert sich die Sehschärfe nach kurzer Zeit. Wenn die gleichen pathophysiologischen Mechanismen im Bereiche der Sehrinde auftreten, resultiert ein beidseitiger identischer Visusverlust.
Notfalluntersuchung Klinik
• •
Meist normaler Augenfundus, gelegentlich ophthalmoskopisch retinale Emboli erkennbar. Neurologische Zeichen einer Durchblutungsstörung (s. S. 382).
Diagnostik
Notfallanamnese
• • •
Der Patient klagt über eine im Verlauf häufig zuund abnehmende Visustrübung von 5 – 15 min Dauer, meist nur an einem Auge. Klassisch sind flickernde Skotome oder wellenförmige Linien über das zentrale Gesichtsfeld. Die Ränder des relativen Skotoms erscheinen gezackt (Fortifikationslinien). Der Charakter der Visusstörung und ihre Dauer sind typisch für eine Migräne. Begleitende Kopfschmerzen sind möglich, häufig aber fehlend.
Notfalluntersuchung
• •
Bei typischer Anamnese und bei funktioneller Restitutio ad integrum sind Zusatzuntersuchungen nicht nötig. Bei gehäuften und atypischen Manifestationen sollen zum Ausschluss einer Grunderkrankung innerhalb Wochen eine Fundusuntersuchung und eine Gesichtsfelduntersuchung (Perimetrie) erfolgen.
Suche nach kardiovaskulären Risikofaktoren und Emboliequellen (Karotissonografie, Echokardiografie).
Therapie
Therapie
Die Therapie der Migraine ophtalmique entspricht der Behandlung der klassischen Migräne (s. S. 426).
Behandlung der Risikokonstellation. Evtl. Plättchenaggregationshemmer.
Migraine ophtalmique Pathophysiologie
23
bei Patienten auf, die unter einer klassischen Migräne leiden. Nicht selten aber ist bei Patienten mit Augenmigräne keine klassische Migräne bekannt. In der Regel ist die ophthalmische Migräne harmlos. Ganz selten kommen schwere retinale Gefäßverschlüsse vor (Arterienastverschluss).
Die Symptomatik kommt durch vaskuläre Spasmen und Minderdurchblutung in der Choroidea und Retina zustande. Wenn die Gefäßspasmen im Gebiet der Sehrinde ablaufen, werden die Manifestationen beidseitig wahrgenommen. Die Migraine ophtalmique ist eine häufige Erkrankung. Vermehrt tritt sie
Zentralarterienverschluss, Arterienastverschluss Definition Verschluss der retinalen Zentralarterie oder eines Arterienastes.
Plçtzlicher Visusverlust
Pathophysiologie Pathophysiologisch kommen bei der nichtarteriitischen Form als Ursache ein Gefäßspasmus, eine Embolie (Herzklappen, Karotisatheromatose) und eine Ischämie (bei Störungen der Blutgerinnung und bei lokaler arterieller Hypotension) infrage. Der arteriitischen Form liegt meist eine Arteriitis temporalis Horton mit Papillenapoplexie zu Grunde, seltener andere Vaskulitiden und Kollagenosen (z. B. SLE).
•
611
Embolischer Verschluss: Innerhalb von 4 – 6 Stunden kann versucht werden, eine intravasale Lyse mit Urokinase vorzunehmen (EG-D). Die notfallmäßige Zuweisung zum interventionellen Radiologen und Ophthalmologen ist in diesem Zeitintervall möglich. Die Resultate sind trotz schnellster Behandlung häufig schlecht. Später erfolgt eine Risikoabklärung wie bei der transienten ischämischen Attacke.
Papillenapoplexie (Morbus Horton) Notfallanamnese Der Patient berichtet klassisch über einen plötzlichen und schmerzlosen Visusverlust. Häufig tritt er am frühen Morgen auf.
Notfalluntersuchung Klinik
• • •
Sehschärfeprüfung: Visus in der Regel unter 0,1. Prüfung der Pupillenreaktion: relatives afferentes Pupillenreaktionsdefizit (RAPD) (s. S. 609). Fundusuntersuchung: Die typische blasse Netzhaut mit dem kirschroten Fleck zeigt sich erst einige Stunden nach dem akuten Ereignis. Arterien und Venen haben verengte Kaliber.
Pathophysiologie Betrifft meistens Patienten > 50 Jahre. Bei der Arteriitis temporalis Horton kommt es in der Regel zur Papillenapoplexie in Folge von entzündlichen Verschlüssen der kurzen ziliaren Arterien, welche die Papille versorgen.
Typische Krankheitszeichen Die Patienten klagen häufig über Schläfenschmerzen, schmerzhafte Kopfhaut, Kau-Claudicatio, Gewichtsabnahme, Fieber, Nachtschweiß und generalisierte, schulterbetonte Muskelschmerzen.
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor. BSG und CRP (stark erhöht bei Arteriitis temporalis). Bildgebung. Bei hinsichtlich einer Polymyalgie blander Anamnese und bei normaler BSG ist eine Arteriitis temporalis Horton als Ursache wenig wahrscheinlich. Sonografische Untersuchungen von Karotis und Herz zeigen nur selten eine Quelle für Embolien. Nächtliche Blutdruckabfälle sind als Ursache in Erwägung zu ziehen.
Therapie
•
Arteriitis temporalis: sofortiger Beginn einer hoch dosierten Glukokortikoidtherapie (EG-C). Häufig wird eine Dosierung von 1 mg/kg KG Prednison gewählt. Diese Glukokortikoidtherapie hat vor allem auch zum Ziel, einen arteriitischen Verschluss am zweiten Auge zu verhindern.
Klinik Die Befunde können unterschiedlich stark ausgeprägt sein: • Der Visus ist in der Regel massiv reduziert, z. B. auf Fingerzählen. • Entsprechend ist das afferente Pupillenreaktionsdefizit (s. S. 609) deutlich vorhanden. • Am Fundus ist die Papille blass und stark ödematös, die Netzhaut praktisch normal. • Die Schläfenarterien sind oft verhärtet und manchmal pulslos.
Diagnostik Labor. BSG und CRP (meist stark erhöht, normale Resultate schließen allerdings eine Riesenzellarteriitis nicht ganz aus).
612
Auge
Therapie Notfallmanagement Es kommen immer wieder beidseitige Erblindungen bei verzögertem Therapiebeginn vor! Darum bei Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis (Anamnese und/oder Labor) sofortiger Beginn mit Prednison 100 mg/d p. o. (EG-C). Die Soforttherapie soll primär das zweite Auge vor einem Mitbefall schützen. Die Kortikosteroide beeinflussen innerhalb von 10 Tagen das Resultat einer Biopsie der A. temporalis nicht.
Zentralvenenverschluss Pathophysiologie Die Pathogenese des retinalen Zentralvenenverschlusses ist unklar. Hauptrisikofaktoren sind Alter, arterielle Hypertonie, arterielle (vor allem nächtliche) Blutdruckabfälle, Diabetes mellitus.
Notfallanamnese Plötzlicher oder häufiger subakuter, schmerzloser Visusverlust.
Notfalluntersuchung
•
•
Sehschärfeprüfung: Die Sehschärfenminderung und das relative afferente Pupillenreaktionsdefizit (s. S. 609) sind unterschiedlich ausgeprägt, je nach Stärke und Ausdehnung der Perfusionsstörung. Fundoskopie: Man erkennt große Areale mit dunklen, streifenförmigen Blutungen.
Therapie Notfallmanagement
•
23
•
Wenn die Diagnose der Durchblutungsstörung nicht eindeutig ist, soll der Patient notfallmäßig dem Ophthalmologen gezeigt werden (Differenzierung gegenüber einem arteriellen Verschluss). Es kann versucht werden, mit isovolämischen Hämodilutionen die Rheologie und die Prognose zu verbessern (EG-C).
Weiteres Management
• •
Screening auf Hypertonie und Blutdruckschwankungen. Da die Gefahr eines späteren Sekundärglaukoms besteht, muss der Patient dem Ophthalmologen zugewiesen werden.
Optikusneuritis Pathophysiologie Entzündlich bedingte Visusveränderung meist im Rahmen einer parainfektiösen Entzündung oder demyelinisierenden Erkrankung (Multiple Sklerose). Bei parainfektiösen Entzündungen kommt es in der Regel und bei der Multiplen Sklerose meist zur Erholung der Funktion. Die Prognose ist abhängig von der Aktivität der Grunderkrankung.
Notfallanamnese Schmerzloser Visusverlust über Stunden bis Tage. Meist ist nur ein Auge betroffen. Der Patient beobachtet eine verminderte Sehschärfe, Störungen des Farben- und des Kontrastsehens. Das Ausmaß der Visusstörung kann sehr unterschiedlich sein. Häufig ist die Augenmotilität schmerzhaft.
Notfalluntersuchung Klinik
• • • •
Immer ist ein relatives afferentes Pupillenreaktionsdefizit (s. S. 609) vorhanden. Die Sehschärfe ist unterschiedlich stark vermindert, häufig besteht eine Farbsinnstörung (rot/ grün). Gesichtsfeldprüfung: Zentrale Gesichtsfeldausfälle werden vom Patienten bemerkt, periphere hingegen nicht. Die Papille kann normal aussehen oder blässlich, selten mit Papillenödem.
Diagnostik MRT. Die MRT-Untersuchung erfolgt zur Darstellung des entzündeten und geschwollenen N. opticus, hauptsächlich aber zur Suche nach für eine demyelinisierende Erkrankung typischen periventrikulären
Plçtzlicher Visusverlust Herden. Ist aufgrund der radiologischen Untersuchung eine demyelinisierende Krankheit wahrscheinlich, wird die Zusammenarbeit mit dem Neurologen gesucht. Die Diagnose einer multiplen Sklerose kann mit einer Lumbalpunktion erhärtet werden (oligoklonale Banden in der isoelektrischen Fokussierung).
Therapie Hoch dosiertes Methylprednisolon i. v. (500 – 1000 mg) kann die Entzündungsdauer reduzieren (EG-C), den weiteren Verlauf und die Rezidivhäufigkeit einer demyelinisierenden Optikusneuritis aber nicht beeinflussen.
Netzhautablösung (Amotio retinae)
Notfalluntersuchung
•
•
Notfallanamnese
• •
Blitzen ist ein Symptom für eine Traktion an der Netzhaut. Blitzerscheinungen sind aber kein Zeichen der eigentlichen Netzhautablösung, sondern verschwinden dann häufig. Hauptsymptom einer Netzhautablösung ist ein Schatten, der sich von der Peripherie her ausbreitet. In etwa 90% der Fälle beginnt der Schatten von unten her. In den frühen Stadien ist die Sehschärfe noch nicht reduziert.
Es ist sehr schwierig, mit direkter Ophthalmoskopie eine periphere Netzhautablösung zu diagnostizieren. Im durchfallenden Licht kann allenfalls eine Änderung des retinalen Lichtreflexes gesehen werden (Schatten). Ausschlaggebend ist die subjektive Symptomatik des Patienten.
Therapie
• • •
Pathophysiologie Bei der Netzhautablösung kommt es zur Trennung der sensorischen Netzhaut vom retinalen Pigmentepithel. Ursache ist meist eine Lochbildung in der Netzhaut. Eine Traktion und ein verflüssigter Glaskörper sind weitere Vorbedingungen zur Ausbildung einer rhegmatogenen (d. h. mit Netzhautforamen) Netzhautablösung. Kurzsichtige Patienten haben ein erhöhtes Risiko einer Netzhautablösung, ebenso Patienten mit einem stärkeren Augenkontusionstrauma in der Anamnese.
613
Notfallmäßige Zuweisung zum Augenarzt zur exakten Diagnose und Therapie. Lochbildungen in der Netzhaut ohne Netzhautablösungen können durch Laserkoagulationen abgeriegelt werden. Sobald die Netzhaut wirklich abgehoben ist, ist ein ophthalmochirurgischer Eingriff nötig. Die operative Versorgung der Netzhautablösung ist anzustreben, solange die Makula noch nicht abgehoben und somit die makuläre Sehschärfe noch uneingeschränkt ist.
Akuter Glaukomanfall Pathophysiologie Ein akuter Glaukomanfall tritt meist im Rahmen einer Engwinkelsituation auf. Bei mittelweiter Pupillenstellung können der Kammerwinkel und das Trabekelwerk verlegt werden, was zur massiven Augendrucksteigerung führt. Prädisponiert sind Patienten mit einer starken Hyperopie und kurz gebautem Auge. Augendrucksteigerungen sind auch im Rahmen eines Sekundärglaukoms möglich.
Typische Krankeitszeichen
• •
Der Patient hat meistens starke, dumpfe und schlecht lokalisierbare Schmerzen. Nausea, Erbrechen und eine vegetative Symptomatik sind möglich.
614
Auge
Notfalluntersuchung
• • •
Das Auge weist eine diffuse ziliare Injektion auf. Die Hornhaut kann ödematös sein und die Sichtbarkeit der Iris einschränken. Sehschärfeprüfung. Bimanuelle Prüfung des Augeninnendrucks (aber nur, wenn eine perforierende Augenverletzung ausgeschlossen ist). Mit den beiden Zeigefingern wird der Augenbulbus im Sklerabereich durch das Oberlid hindurch abwechselnd leicht eingedellt und dabei der Widerstand geschätzt. Der Augendruck wird mit der Gegenseite verglichen. Der palpatorisch gemessene Augendruck ist erhöht.
Therapie
kann auch aus einer Ampulle eines üblichen Lokalanästhetikums getropft werden, z. B. Lidocain 1%. Nichtsteroidale Entzündungshemmer. Nichtsteroidale Entzündungshemmer wie Diclofenac, Ketorolac oder Indometacin bewirken eine starke Schmerzstillung, wenn sie bei Epitheldefekten 5 – 7 ×/d eingetropft werden. Diese Therapie soll sich auf wenige Tage beschränken. Bei starken Augenschmerzen sind systemische Analgetika indiziert.
Fluoreszein Topisches Fluoreszein ist meist als gefärbte Papierstreifen im Handel. Mit den etwas angefeuchteten Streifen wird der Tränenfilm angefärbt. Im Blaulicht können Defekte am Hornhautepithel besonders gut erkannt werden.
Mydriatika Notfallmanagement
• •
Notfallmäßige Zuweisung des Patienten zum Augenarzt. Nur wenn dies nicht innerhalb nützlicher Frist möglich ist: Gabe von 250 – 500 mg Acetazolamid p. o. oder 250 ml Glycerol p. o. oder 100 ml Mannitol i. v.
Besondere Merkpunkte Anticholinergika und Mydriatika sind nur in Engwinkelsituationen kontraindiziert. Beim häufigen Glaucoma chronicum simplex mit normal tiefer Vorderkammer besteht keine erhöhte Gefahr eines akuten Glaukomanfalls (EG-B).
23.6 Ophthalmologika Therapie Analgetika
23
Lokalanästhetika. Ins Auge getropfte Lokalanästhetika befreien den Patienten kurzfristig von seinen Schmerzen und verbessern so die Untersuchungsbedingungen. Die Wirkdauer beträgt 20 – 30 min. Die anästhesierenden Augentropfen sind aber epitheltoxisch und dürfen nie dem Patienten nach Hause mitgegeben werden. Handelsübliche Präparate enthalten Oxybuprocain und Proxymetacain. Im Notfall
Kurz wirksame Mydriatika (Wirkdauer wenige Stunden) werden diagnostisch zur Pupillenerweiterung und Fundusuntersuchung verwendet (z. B. Tropicamid 0,5 – 1 %). Eine relative Kontraindikation besteht nur bei sehr enger Vorderkammer und damit Disposition zum akuten Winkelblockglaukom (selten!). Durch die weiten Pupillen wird die Verkehrstauglichkeit eingeschränkt.
Lokale Antibiotika Lokale Antibiotika werden eingesetzt bei einer akuten bakteriellen Konjunktivitis und prophylaktisch gegen bakterielle Infektionen nach einem oberflächlichen Augentrauma. Die galenischen Formen Augentropfen und Augensalbe haben kaum therapeutische Unterschiede. In der Ophthalmologie werden lokal Breitbandkombinationen und ältere Aminoglykoside eingesetzt: z. B. Polymyxin-B + Neomycin + Gramicidin, Neomycin + Bacitracin, Polymyxin B + Neomycin, Tobramycin etc. Beachte! Gyrasehemmer (z. B. Ofloxacin) sind ophthalmologische Reservepräparate und nur indiziert bei schweren Keratitiden.
Virostatika Die häufigste virale Augeninfektion ist die Herpessimplex-Keratitis. Die Behandlung gehört in die Hand des Augenarztes, aber die Grundversorgung muss eine Herpeskeratitis immer als Differenzialdiagnose mit einbeziehen. Die Herpeskeratitis wird
Ophthalmologika
615
unter anderem lokal mit Aciclovir-Augensalbe und oral mit Valaciclovir behandelt.
H1-Antihistaminika und Membranstabilisatoren (Antiallergika)
Tränenersatzpräparate
Bei saisonaler oder immerwährender Allergie sind H1-Antihistaminika und/oder Membranstabilisatoren indiziert. Gabe 2 – 3 ×/d. Typische Substanzen sind: Ketotifen, Olopatadin, Azelastin, Nedocromil u. a.
Befeuchtende Augentropfen, Gele und Salben werden als physikalisch wirkende Präparate beim trockenen Auge und bei Konjunktivitiden eingesetzt. Es gibt eine Vielzahl von Präparaten. Hauptsächliche Inhaltsstoffe sind Hypromellose, Paraffine, Polyvinyl-Alkohol, Carbomere und Hyaluronsäure. Bei einer Applikationsfrequenz über 4 ×/d sollen wegen der Epitheltoxizität der Konservierungsmittel nach Möglichkeit konservierungsmittelfreie Präparate gewählt werden.
Glaukommedikamente Glaukommedikamente werden üblicherweise vom Ophthalmologen verschrieben. Es ist aber wichtig, daran zu denken, dass auch die lokalen Glaukomtropfen lokale und systemische Nebenwirkungen auslösen können. Bei den Betablockern geht es vor allem um kardiovaskuläre und respiratorische Wirkungen, bei Sulfonamidabkömmlingen um Überempfindlichkeitsreaktionen und Parästhesien (Acetazolamid).
Lokale Glukokortikoide Lokale Glukokortikoide sind potenziell gefährlich, weil sie nach mehreren Wochen vor allem ein Steroidglaukom auslösen und eine Herpeskeratitis zum Exazerbieren bringen können. Der Nichtophthalmologe sollte daher in der Regel lokale Glukokortikoide nur verordnen, wenn er entsprechende Kontrollen gewährleisten kann. Bei vielen immunologischen und auch infektiösen Krankheitsbildern ist die Anwendung lokaler Glukokortikoide durch den Ophthalmologen aber obligat.
616
24 Technische Maßnahmen in Notfallsituationen R. A. Schoenenberger
Übersicht
Technik
24
Punktion der A. radialis (Abb. 24.1)
24.1 24.2 24.3 24.4 24.5 24.6 24.7 24.8 24.9 24.10 24.11 24.12 24.13
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen Arterielle Punktion Perikardpunktion Pleurapunktion Pneumothoraxpunktion Bülau-Drainage Aszitespunktion Lumbalpunktion Gelenkpunktionen Suprapubische Blasenpunktion Zentralvenöser Katheter (ZVK) Magenspülung Einlegen einer Sengstaken-BlakemoreSonde Endotracheale Intubation
•
• • • • •
24.1 Arterielle Punktion • • •
•
24
Indikation: arterielle Blutgasanalyse (ABGA). Kontraindikationen: schwere Koagulopathie, lokale Hautinfektion; bei Radialispunktion: Z. n. Anlage einer arteriovenösen Fistel, insuffizienter Kollateralkreislauf der Hand. Material: Desinfektionsmittel, spezielle ABGASpritze oder heparinisierte 2- bis 5-ml-Spritze mit einer Kanüle mit 24 G × 16 mm Durchmesser für die A. radialis bzw. 20 G × 40 mm für die A. femoralis, Handschuhe. Komplikationen: Hämatom, bei A.-femoralisPunktion selten Verletzung des N. femoralis (Merkwort: IVAN: innen – Vene – Arterie – Nerv!).
• • •
Zuerst Allen-Test zur Prüfung des Kollateralkreislaufs zwischen A. radialis und A. ulnaris (beide Arterien manuell abdrücken, Patient soll mehrfach Hand zur Faust schließen, Hand blasst ab, A. ulnaris freigeben, Hand rötet sich innerhalb 5 – 15 s bei suffizienten Kollateralen). Handgelenk leicht überstrecken (z. B. Lagerung auf Handtuchrolle). Handschuhe, Desinfektion. A. radialis mit Zeige- und Mittelfinger der nichtdominanten Hand ca. einen Querfinger proximal der großen Handgelenksfalte palpieren und fixieren. Mit aufgesetzter Spritze Arterie zwischen den aufgesetzten Fingern im 308-Winkel zur Haut von distal nach proximal punktieren. Gelingt die Punktion, pulsiert Blut aus der Kanüle in die Spritze. Kanüle entfernen. Spritze sofort von Lufteinschlüssen befreien und verschließen. Punktionsstelle ca. 5 min komprimieren, bei erhöhter Blutungsneigung länger.
Punktion der A. femoralis
• • • •
Patient auf harter Unterlage mit gestreckter, leicht außenrotierter Hüfte lagern. Handschuhe, Desinfektion. A. femoralis mit Zeige- und Mittelfinger der nichtdominanten Hand ca. 2 Querfinger unter dem Leistenband palpieren. Arterie zwischen den aufgesetzten Fingern senkrecht zur Haut punktieren.
Perikardpunktion
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Abb. 24.1 Punktion der A. radialis.
• • • •
Gelingt die Punktion, pulsiert Blut aus der Kanüle in die Spritze. Falls nicht, Kanüle langsam zurückziehen (Arterie evtl. durchstochen). Kanüle entfernen. Spritze sofort von Lufteinschlüssen befreien und verschließen. Punktionsstelle ca. 5 min manuell, danach falls möglich ca. 30 min mit Sandsack komprimieren, bei erhöhter Blutungsneigung länger oder Kompressionsverband für 4 – 6 h.
Abb. 24.2 Perikardpunktion. Punktionsstelle: Winkel zwischen Xiphoid und linkem Rippenbogen. Punktionswinkel: 108 ab Thoraxoberflche. Punktionsrichtung: Klavikulamitte links.
Technik
24.2 Perikardpunktion • • •
• •
Indikation: Perikarderguss mit Tamponade (S. 77). Kontraindikationen: keine. Material: Desinfektionsmittel, sterile Tücher und Handschuhe, Mundschutz, Lokalanästhesie, Lanzette, Punktionskanüle (18 G), evtl. Krokodilklemme und Verbindungskabel zu EKG/Monitor, Dreiwegehahn, 50-ml-Spritze, evtl. Verweilkatheter mit Führungsdraht (Seldinger-Technik), EKG-Gerät oder Monitor, wenn möglich: Echokardiografiegerät. Reanimationsbereitschaft (Defibrillator, Intubationsset), Analyseröhrchen. Komplikationen: Verletzung des Myokards, akzidentelle Punktion einer Herzkammer, ventrikuläre Rhythmusstörungen, Pneumothorax, selten Verletzung einer Koronararterie. Bei blutigem Erguss: Bestimmung und Vergleich des Hämatokrits im Punktat und im Blut, um akzidentelle Punktion einer Herzkammer auszuschließen.
• • • • • •
• • •
Oberkörper 30 – 458 hochlagern. Echokardiografische Darstellung des Ergusses (falls verfügbar). Handschuhe, Mundschutz, Desinfektion, Lokalanästhesie, steriles Abdecken. Verbindungskabel zu EKG/Monitor an Punktionskanüle befestigen (Krokodilklemme). Ideal ist die Ableitung V5. Stichinzision der Haut. Punktionsort (Abb. 24.2): im Winkel zwischen Processus xiphoideus und linkem Rippenbogen. Nadel 10 – 208 zur Hautoberfläche, unter steter Aspiration in Richtung linke Medioklavikularlinie vorschieben, bis Flüssigkeit aus Perikardsack aspiriert werden kann. Gleichzeitig EKG beobachten: Bei plötzlichen Hebungen der ST-Strecke (Verletzungsstrom) liegt die Nadelspitze am Myokard, dann Nadel zurückziehen! Mit Dreiwegehahn und 50-ml-Spritze Erguss entleeren. Alternativ: Einlage eines 18-G-Verweilkatheters in Seldinger-Technik:
618
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen
Technik
• • •
• •
• Abb. 24.3 Pleurapunktion. Patientenlagerung und Punktionsstelle. – Neuere Spezialsets weisen eine in der Punktionskanüle integrierte Elektrode auf (macht Krokodilklemme überflüssig), – Kontrolle der Katheterlage durch Injektion von wenig Kontrastmittel unter Durchleuchtung oder von Luft-Flüssigkeit-Gemisch („bubbles“) unter echokardiografischer Kontrolle.
24.3 Pleurapunktion • •
•
•
24
Indikation: diagnostisch oder, bei Atemnot, therapeutische Punktion eines Pleuraergusses. Kontraindikation: schwere Koagulopathie, Hautinfektion im Punktionsgebiet. Hämatothorax, Empyem: sollten wegen Gefahr der späteren Lungenrestriktion mit großvolumiger Drainage (Bülau-Drain) evakuiert werden. Material: Desinfektionsmittel, sterile Tücher und Handschuhe, Mundschutz, Lokalanästhesie, Punktionskanüle (14 G × 50 mm) Typ Kunststoffkatheter mit interner Führungsnadel, Dreiwegehahn, 50-ml-Spritze mit Luer-Lock, Auffangsack mit Luer-Lock. Komplikationen: Pneumothorax, Verletzung der Pleura und Lungenoberfläche, Hypotonie bei Entfernung zu großer Ergussmengen.
• • • •
Patient sitzt am Bettrand, Arme und Kopf abgestützt; Patient wenn möglich von einer Hilfsperson halten lassen. Pleuraerguss lokalisieren: Perkussion (Dämpfung); besser: Ultraschall. Punktionsort (Abb. 24.3): im Interkostalraum, 2 Querfinger unterhalb der oberen Begrenzung der Dämpfung, zwischen hinterer Axillarlinie und senkrechter Linie ab Skapulaspitze, am oberen Rand der Rippe, nicht tiefer als 6. Interkostalraum. Desinfektion, steriles Tuch als Arbeitsfläche. Lokalanästhesie (z. B. mit 10 – 15 ml Lidocain 1 %) der ganzen Thoraxwanddicke, unter wiederholter Aspiration (Cave! Blutgefäße) bis zur Aspiration von Flüssigkeit (Nadelstärke 20 G × 70 mm). Nadelführung horizontal im Kontakt mit oberem Rippenrand. Einführen der Punktionskanüle analog Lokalanästhesie. Wenn Erguss abtropft, Kunststoffkatheter über die Nadel vorschieben, Nadel entfernen. Dreiwegehahn anschließen, 50-ml-Spritze und Auffangsack aufsetzen. Erguss abpunktieren bis 1500 ml pro Eingriff (falls Kreislauf und Respiration stabil: maximal 2000 ml). Grund für Beschränkung: Entlastungslungenödem. Material für pH, Chemie, Bakteriologie und Zytologie gewinnen. Hustet der Patient wiederholt und stark, ist ein Großteil des Ergusses entleert (Pleurareiz!).
24.4 Pneumothoraxpunktion • • •
Indikation: bedrohlicher Spannungspneumothorax (Hypotension, Atemnot, einseitig abgeschwächtes bis fehlendes Atemgeräusch, hypersonorer Klopfschall). Kontraindikation: keine. Material: Desinfektionsmittel, Lokalanästhesie, Punktionskanüle (16 G × 45 mm) Typ Kunststoffkatheter mit innerer Führungsnadel.
Technik
•
Lokalanästhesie (z. B. mit 10 – 15 ml Lidocain 1 %, falls die Punktion nicht notfallmäßig erfolgen muss).
Aszitespunktion
• • •
Bei lebensbedrohlicher Situation: oberhalb der 3. Rippe in der Medioklavikularlinie senkrecht zur Thoraxwand Kanüle einstechen (Abb. 24.4). Bei erfolgreicher Punktion entweicht rasch Luft, dann Kunststoffkatheter vorschieben. Anschließend definitive Versorgung mit großkalibriger (22 – 26 French) Drainage (Typ Bülau).
619
1 2 3
24.5 Bülau-Drainage • • •
•
Indikation: Folgebehandlung bei Spannungspneumothorax, ausgedehnter Pneumothorax (> 2 cm ab Thoraxwand), Hämatothorax, Empyem. Kontraindikationen: keine. Material: Mundschutz, Desinfektionsmittel, Lokalanästhesie, sterile Tücher und Handschuhe, Nadel (20 G × 70 mm) mit 10-ml-Spritze, spitze Lanzette, stumpfe Präparierklemme, Thoraxdrain (20 – 26 French) mit Trokar, Nahtmaterial. Komplikationen: Verletzung der Interkostalgefäße (darum immer dem oberen Rippenrand entlang Drainage einlegen), Verletzung der Lunge, subkutane Lage des Drains, später Infektion.
Abb. 24.4 Notfallmäßige Pneumothoraxentlastung. Punktionsstelle: oberer Rand der 3. Rippe. Kanle senkrecht einstechen.
Technik
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• • •
Prämedikation mit Midazolam 2 – 5 mg i. v. und Pethidin 50 mg i. v. Seitenlagerung, Arm angewinkelt unter den Kopf legen lassen. Lokalanästhesie (z. B. mit Lidocain 1%, ausgedehnt: Haut, Subkutis, Interkostalraum, Rippenperiost und Depot an Pleura parietalis), steriles Abdecken. Punktionsort: vordere Axillarlinie, im 4. oder 5. Interkostalraum, am oberen Rippenrand. Hautinzision parallel zur Rippe ca. 1 – 2 cm. Mit einer mit der nichtdominanten Hand gesicherten, stumpfen Klemme unter Spreizen derselben einen Kanal durch den Interkostalraum präparieren bis Pleura parietalis durchstoßen wird (Luft entweicht hörbar!). Thoraxdrain mit Trokar ansetzen und unter Gegenhalten durch die nichtdominante Hand mit „sanfter Gewalt“ durch Kanal in Pleuraraum einführen. Sobald Trokarspitze im Pleuraraum liegt, diesen nach kranial abwinkeln und Thoraxdrain über den fixierten Trokar einschieben. Trokar entfernen, Drain abklemmen.
• •
An Wasserschloss (evtl. mit Sekretflasche) anschließen, Klemme öffnen. Patient husten lassen, um Luftaustritt im Wasserschloss zu beobachten. Drain annähen. Thorax-Röntgen-Kontrolle zur Lagekontrolle des Drains.
24.6 Aszitespunktion •
• •
Indikation: diagnostisch bei Verdacht auf spontane bakterielle Peritonitis, therapeutisch als Entlastung (Schmerzen, Atembehinderung) bei massivem Aszites, der nicht auf Bettruhe und Diuretika angesprochen hat. Kontraindikation: ausgeprägte Koagulopathie. Keine großvolumige Entlastung bei ausgeprägter Zirrhose (Child Klasse C) und/oder Niereninsuffizienz. Material: Desinfektionsmittel, Handschuhe, Mundschutz, Lokalanästhesie, Punktionskanüle (14 G × 50 mm) Typ Kunststoffkatheter mit innerer Führungsnadel, Dreiwegehahn, 50-ml-Spritze mit Luer-Lock, Auffangsack mit Luer-Lock.
620
•
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen
Komplikationen: Hämatom der Bauchdecke, sehr selten: akzidentelle Punktion des Darms.
•
Technik
• • • • • • • •
Lagerung des Patienten auf dem Rücken, leicht nach links gedreht. Punktionsort: zwischen Nabel und Crista iliaca anterior superior links, Übergang vom mittleren zum unteren Drittel. Desinfektion und Lokalanästhesie. Punktion mit Kanüle senkrecht zur Haut. Sobald Aszites austritt, Nadel entfernen und Kunststoffkatheter vorschieben. Dreiwegehahn anschließen, in 50-ml-Portionen in Auffangsack abpunktieren. Abnahme von Material für Diagnostik (Zellzahl, Bakteriologie, Zytologie). Bei therapeutischer Punktion maximal 5 – 8 l ablassen. Pro Liter entfernten Aszites 10 g Albumin i. v. infundieren (EG-A).
24.7 Lumbalpunktion •
• •
Indikation: Verdacht auf Meningitis, Enzephalitis oder Guillain-Barré-Syndrom, Verdacht auf Subarachnoidalblutung mit negativem Schädel-CT, zur Applikation intrathekaler Zytostatika. Selten bei Hydrocephalus malresorptivus. Cave! Lumbalpunktion nur nach Schädel-CT oder zumindest Augenfunduskontrolle zum Ausschluss einer Stauungspapille (s. Abb. 11.7, S. 392)! Kontraindikation: schwere Koagulopathie, Verdacht auf intrakranielle Raumforderung mit er-
•
Technik
•
•
• • • • •
• • Abb. 24.5 Lumbalpunktion. Lagerung und Punktionsstelle (senkrechte gestrichelte Linie verbindet die Beckenkmme).
24
höhtem Hirndruck (Gefahren: Temporallappenherniation oder sogar Hirnstammeinklemmung). Material: Desinfektionsmittel, sterile Tücher und Handschuhe, Mundschutz, Lokalanästhesie, Lumbalpunktionsnadel mit Mandrin (20 G × 70 mm oder 22 G × 90 mm), Plastikverlängerungsschlauch mit Luer-Lock zur Druckmessung, Messband, sterile Röhrchen. Komplikationen: postpunktioneller Kopfschmerz (verstärkt in aufrechter Position) bis zum Hypoliquorrhö-Syndrom. Nicht immer vermeidbar, Auftreten geringer bei Verwendung dünner geschliffener Kanülen oder von „Pencil-Point“-Kanülen, atraumatischer Punktion und Einhalten einiger Stunden Bettruhe in Rückenlage nach Punktion.
• •
Patient in Seitenlage mit Rücken zum Bettrand, mit maximal gekrümmtem Rücken, gebeugtem Nacken und angezogenen Knien („Katzenbuckel“). Becken und Schultergürtel senkrecht zum Bett. Punktionsort (Abb. 24.5): Kreuzung der Linien entlang der Dornfortsätze und derjenigen zwischen den Cristae iliacae posteriores superiores (Beckenkämme). Kommt meistens zwischen die Dornfortsätze L3 und L4 zu liegen. Anderer möglicher Punktionsort: zwischen Dornfortsätzen L4 und L5. Stelle markieren! Desinfektion und Lokalanästhesie (z. B. mit 5 – 10 ml Lidocain 1 %) der Haut und Subkutis. Steriles Tuch unterhalb vorgesehener Punktionsstelle als Arbeitsfläche, Material bereitlegen. Punktion an vorgesehener Stelle, streng in Sagittalebene, Vorschieben leicht kranialwärts zwischen 2 Dornfortsätzen. Evtl. spürbarer Durchstich durch das Lig. longitudinale posterius. Nach ca. 4 cm Mandrin entfernen, Liquor sollte spontan heraustropfen, falls nicht: Mandrin wieder einführen und Nadel schrittweise um 2 mm weiterschieben. Immer wieder Mandrin entfernen, um evtl. Liquorfluss festzustellen. Tropft Liquor, Druckmessung mit Verlängerungsschlauch und Messband in cmH2O. Queckenstedt-Versuch zur Prüfung der freien Liquorpassage zwischen Gehirn und Lumbalsack: äußere Kompression der Jugularvenen führt normalerweise zu sichtbarem Druckanstieg. Liquorentnahme für Laboruntersuchungen. Entfernung der Nadel, Verband, Bettruhe in Rückenlage für 4 – 6 h.
Gelenkpunktionen
621
45
Abb. 24.6 Punktionsstelle des Schultergelenks. Ansicht von vorn.
• •
Alternativ: Lumbalpunktion beim sitzenden Patienten mit aufgestützem Kopf und Armen. Bei akzidentellem Durchstechen einer Vene wird der Liquor initial blutig sein, dann immer klarer werden. Bei echter Subarachnoidalblutung bleibt der Liquor konstant blutig, nach Zentrifugation ist der Überstand xanthochrom.
Abb. 24.7 Punktionsstelle des Ellenbogengelenks.
•
Punktion des Schultergelenks
• •
24.8 Gelenkpunktionen
•
•
•
•
Indikation: diagnostisch; therapeutisch (Entlastung, Injektion von Arzneimitteln). Material: Desinfektionsmittel, Lokalanästhesie, Punktionsnadel mit aufgesetzter steriler Injektionsspritze, Röhrchen für Laboruntersuchungen.
Allgemeines
• • • • •
Desinfektion der Haut spiralförmig, ausgehend von Punktionsstelle. Immer Mundschutz, sterile Handschuhe. Lokalanästhesie mit Lidocain 1% (Hautquaddel). Einstich mit Punktionsnadel unter fortgesetzter, leichter Aspiration. Bei Gewinn von Ergussflüssigkeit je nach Indikation: Aspiration von Material oder Abpunktieren
Patient in Rückenlage. Palpation von Processus coracoideus und Tuberculum minus. Punktionsort: zwischen Processus coracoideus und Tuberculum minus (Abb. 24.6). Nadelführung: leicht schräg nach medial gerichtet.
Punktion des Ellbogengelenks
• Technik
zur Entlastung oder Injektion von Medikamenten. Steriler Verband, evtl. Druckverband und Fixation des Gelenks.
• • •
Patient sitzend, Ellbogen rechtwinklig auf dem Tisch. Palpation der Olekranonspitze. Punktionsort: in der Mitte, unmittelbar oberhalb der Olekranonspitze (Abb. 24.7). Nadelführung: mit Winkel von 458 zur Tischoberfläche nach unten gerichtet. Trizepssehne durchstechen.
Hüftgelenkpunktion (Zugang von vorn)
• •
Patient in Rückenlage, Bein gestreckt und außenrotiert. Palpation von Spina iliaca anterior superior und A. femoralis (Abb. 24.8).
622
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen
Abb. 24.8 Punktionsstelle des Hüftgelenks. Ansicht von vorn.
Abb. 24.9 Nadelführung bei der Kniegelenkpunktion.
•
•
•
Punktionsort: 2 cm unterhalb der Spina iliaca superior und 3 cm lateral der A. femoralis. Nadelführung: mit Winkel von 608 zur Unterlage nach medial gerichtet. Kapsel durchstechen bis Knochenfühlung, dann leicht zurückziehen.
•
Kniegelenkpunktion
• • • •
Patient in Rückenlage mit gestrecktem Knie. Palpation der Patella. Punktionsort: der proximale, mediale oder laterale Patellarrand. Nadelführung: von medial proximal nach lateral distal bzw. von lateral proximal nach medial distal unter die Patella in den Gelenkspalt vorschieben (Abb. 24.9).
24.9 Suprapubische Blasenpunktion •
24
Indikationen: Entnahme einer sterilen Urinprobe; Dauerkatheter bei akutem Harnverhalt, falls Einlage eines Katheters via Urethra nicht möglich (Urethrastrikturen und -verletzungen, Prostata nicht passierbar).
•
Kontraindikationen: absolute keine; relative bei Verdacht auf Blasenkarzinom, bei schweren Koagulopathien, Antikoagulation. Material: Mundschutz, Desinfektionsmittel, Rasierapparat, steriles Tuch und Handschuhe, Lokalanästhesie, 10-ml-Spritze, Punktionsnadel (20 G × 70 mm), für suprapubischen Dauerkatheter handelsübliches Zystostomie-Set (z. B. Cystofix). Komplikation: lokales Hämatom, Darmverletzung.
Technik
• • • • •
Lokalisation der gefüllten Blase durch Palpation und Perkussion (evtl. Ultraschall). Rasieren der suprapubischen Region. Desinfektion der Haut zwischen Symphyse und Nabel, Lokalanästhesie von Haut und Subkutis z. B. mit 5 – 10 ml Lidocain 1 % (evtl. Punktion der Blase bereits mit Lokalanästhesienadel). Punktionsort: 3 cm oberhalb der Symphyse, exakt in der Medianlinie. Punktionsrichtung: von kaudal nach kranial, ca. 108 von der Senkrechten abgewinkelt. Unter Aspiration Punktionsnadel einstechen bis Urin kommt.
Zentralvençser Katheter (ZVK)
•
• •
Bei Einlage eines Katheters: Stichinzision der Haut, Punktionsbesteck bis in die Blase einstechen, Katheter durch Besteck (z. B. Cystofix) vorschieben, Punktionskanüle zurückziehen und an vorperforierter Stelle aufklappen und entfernen. Suprapubischen Katheter annähen. Steriler Verband.
Unabhängig vom verwendeten System sollte dessen Aufbau und Handhabung vor Kathetereinlage bekannt sein!
Seldinger-Technik
• •
24.10 Zentralvenöser Katheter (ZVK) •
• •
Indikation: intravenöser Zugang bei Patienten ohne adäquate periphere Leitung, Zufuhr großer Mengen oder von hypertoner Flüssigkeit, Überwachung des ZVD, Einlage eines transvenösen Schrittmachers oder eines pulmonal-arteriellen Einschwemmkatheters. Kontraindikationen: keine absoluten; bei schwerer Koagulopathie Zugang via V. jugularis interna, da eine direkte Kompression bei Blutung möglich ist. Material: Desinfektionsmittel, Lokalanästhesie, sterile Tücher und Handschuhe, Mundschutz, 10-ml-Spritze mit physiologischer Kochsalzlösung (Spüllösung), ZVK-Set, Nahtmaterial.
Technik Allgemeines Prinzipiell gibt es 2 Techniken zur Punktion und Kanülierung der zentralen Venen: • Punktion der Vene mit einer Kunststoffkanüle mit dünnerer starrer innerer Kanüle. Nach erfolgreicher Punktion wird die innere Stahlkanüle entfernt und der Verweilkatheter durch die Plastikkanüle vorgeschoben. – Vorteil: Katheter kann hin und her manipuliert werden. – Nachteil: Kompression der weichen Kunststoffeinführkanüle durch Umgebungsstrukturen. • Seldinger-Technik: mit einer dünnen starren Punktionsnadel Vene punktieren, J-förmig endenden Draht mit weichem Ende durch die Nadel vorschieben, Entfernen der Punktionsnadel, über den Draht Katheter einlegen. – Vorteil: sicherste Methode, weniger Fehlplatzierungen nach kranial bei Subklaviakatheter. – Nachteil: teurer, größere Zahl von Manipulationen erhöht Gefahr der Infektion.
623
• • •
• • • • • • • • • • • •
Hautdesinfektion, Abdecken des Arbeitsfeldes mit sterilen Tüchern. Lokalanästhesie der Haut und der darunter liegenden Strukturen mit 10-ml-Spritze und Nadel mit 20 G × 70 mm Durchmesser (z. B. mit 10 ml Lidocain 1 %). Einführnadel an mit 0,9 %iger NaCl-Lösung gefüllter 10-ml-Spritze befestigen. Punktion der Vene mit Einführnadel. Durch 2- bis 3-malige Aspiration und Reinjektion sichere Lage der Einführkanüle in der Vene bestätigen. Spritze von der Nadel entfernen und mit Daumen Nadelende verschließen, um Lufteintritt zu verhindern (moderne Systeme erlauben den Vorschub des Drahtes durch einen Kanal im Stempel der Spritze). Vorsichtig den Seldinger-Führungsdraht durch die Nadel oder den Stempel ins Gefäß vorschieben. Nach ca. 10 – 15 cm Vorschub Nadel über den Draht entfernen. Kleine Stichinzision der Haut an der Drahteintrittstelle und über den Draht einen mitgelieferten Dilatator bis ins Gefäß vorschieben. Dilatator entfernen. Katheter über den Draht zügig ins Gefäß einführen. Zu jeder Zeit muss der Draht zwischen 2 Fingern oder mit einer Klemme festgehalten werden! Nach Einlage des Katheters Draht entfernen. Aspiration durch den Katheter, um sicheren Blutfluss festzustellen. Vorgesehene Infusion anschließen, Katheter annähen. Röntgen-Thorax zur Lagekontrolle des Katheters und zum Ausschluss eines eventuellen Pneumothorax. In der Regel muss bei der Punktion der rechten V. subclavia bzw. V. jugularis interna der Katheter 13 – 15 cm vorgeschoben werden, bei der linken V. subclavia und V. jugularis interna 15 – 17 cm. Idealerweise liegt die Katheterspitze bei der Röntgenkontrolle in der V. cava superior bzw. ± 1 cm auf Höhe der Tracheabifurkation. Bei Lage der Katheterspitze im rechten Vorhof bzw. nach kranial gerichtet in der V. jugularis muss der Katheter zurückgezogen bzw. umplatziert werden.
624
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen
„Dreieck“ Jugulum
Klavikula klavikulärer Teil sternaler Teil
M. sternocleidomastoideus Klavikula V. subclavia
Abb. 24.10 clavia.
Infraklavikuläre Punktion der V. sub-
Abb. 24.11 Medialer Zugang bei Punktion der V. jugularis interna. Die Fossa supraclavicularis minor bildet das „Dreieck“ fr die Punktion.
Infraklavikuläre Punktion der V. subclavia (Abb. 24.10) Punktion stets auf der erkrankten oder – bei beidseitiger Pathologie – stärker betroffenen Seite! • Patient in 208-Kopftieflage (Trendelenburg): bessere Venenfüllung und geringere Gefahr der Luftaspiration. • Kleines Kissen oder gerolltes Handtuch zwischen die Schulterblätter legen. • Kopf des Patienten von der Punktionsstelle wegdrehen. • Arme parallel zum Körper legen. • Hautdesinfektion, steriles Abdecken, Handschuhe, Mundschutz. • Anästhesie der Haut und der tieferen Strukturen, insbesondere des Klavikulaperiosts (z. B. mit 10 ml Lidocain 1%), mit einer 10-ml-Spritze und einer Nadel mit 20 G × 70 mm Durchmesser. Ziel: Probepunktion der V. subclavia mit der Lokalanästhesienadel. Bei Rückzug der Nadel weitere Infiltration des Stichkanals. • Punktionsort: unmittelbar infraklavikulär in der Medioklavikularlinie. • Punktionsrichtung: zuerst senkrecht Haut durchstechen, dann Punktionskanüle abdrehen und mit Winkel zur Hautoberfläche von 308 am unteren Klavikularand entlang in Richtung Jugulum vorschieben unter ständiger Aspiration. • Falls nach ca. 5 cm Vorschub die Vene nicht punktiert wird, Kanüle bis auf Hautniveau zurückzie-
24
• • • • •
hen und erneut – ca. 1 cm weiter kranialwärts – vorschieben. Intraluminale Lage durch mehrfache Blutaspiration und -reinjektion sichern. Je nach Katheterset, Draht oder direkt Katheter durch Punktionskanüle einführen. Stößt man auf Widerstand, keine Kraft anwenden. Besser V. subclavia erneut punktieren. Weiteres Vorgehen s. „Seldinger-Technik“. Komplikationen: akzidentelle Punktion der A. subclavia (in diesem Fall Nadel sofort zurückziehen, manuelle Kompression ca. 5 min), Pneumothorax, Hämatothorax.
Punktion der V. jugularis interna
• • • • •
Patient in ca. 208-Kopftieflage (Trendelenburg): bessere Venenfüllung und geringere Gefahr der Luftaspiration. Kopf des Patienten auf die der Punktion entgegengesetzte Seite drehen. Hautdesinfektion, steriles Abdecken, Handschuhe, Mundschutz. Lokalisation und Fixation der A. carotis communis mit zwei Fingern der nichtdominanten Hand. Punktionsort: – Medialer Zugang (Abb. 24.11): Identifikation des durch den anterioren bzw. posterioren Bauch des M. sternocleidomastoideus und durch die Klavikula gebildeten Dreiecks. Einführen der Lokalanästhesienadel (20 G ×
Magensplung
• •
70 mm) an der Spitze des Dreiecks 30 – 458 abgewinkelt zur Hautoberfläche. Vorschieben der Nadel in Richtung der ipsilateralen Mamille bis maximal 5 cm. Kann die Vene nicht punktiert werden, Rückzug der Nadel bis zur Haut und erneutes Vorschieben mehr nach lateral gerichtet. – Lateraler Zugang: Alternative bei schwierigen anatomischen Verhältnissen. Lokalisation des hinteren Randes des M. sternocleidomastoideus. Vorschieben der Lokalanästhesie- bzw. Punktionsnadel unter dem Hinterrand des M. sternocleidomastoideus unter ständiger Aspiration bis maximal 6 cm in Richtung Jugulum. Falls Vene nicht punktiert werden kann, Rückzug bis zur Haut und erneutes Vorschieben in Richtung der kontralateralen Mamille. Einlage des Jugulariskatheters gemäß Abschnitt „Seldinger-Technik“. Komplikationen: Punktion der A. carotis communis, Hämatom, Pneumothorax.
24.11 Magenspülung • • • •
Indikation: Entgiftung bei oraler Intoxikation, sinnvoll nur bei Einnahme großer Toxinmengen innerhalb 1 h vor Aufnahme ins Krankenhaus (EG-B) (s. auch S. 461). Kontraindikationen: Säure- oder Laugeneinnahme, Verdacht auf Ösophagus- oder Magenperforation. Material: Magenschlauch, Lidocain-Gel, Trichter, Klemme, Kessel, Absauggerät in Bereitschaft. Komplikationen: Aspiration, besonders falls Patient bewusstseinsgetrübt ist und nicht intubiert, selten: Verletzung von Rachenschleimhaut, Ösophagus, Magen.
Technik Keine Magenspülung bei bewusstseinsgetrübten Patienten ohne Intubation zum Schutz vor Aspiration. Bei wachen Patienten sich vergewissern, dass Husten- und Würgereiz vorhanden sind. • Lagerung: nach Intubation Rückenlage; beim wachen Patienten Seitenlage, Kopf tief. • Beim wachen Patienten: Magenschlauch mit Lidocain-Gel bestreichen. • Einführen eines großlumigen Magenschlauchs (Erwachsene: 1 cm äußerer Durchmesser) durch
Abb. 24.12
• • • • • • • • •
625
Vorgehen bei der Magenspülung.
den Mund und 2- bis 3-cm-weise vorschieben bis auf eine Gesamtlänge von etwa 50 cm. Intragastrische Lage des Schlauches durch Insufflation von Luft mit einer Spritze unter Auskultation des Abdomens kontrollieren. Aufsetzen eines großen Trichters an das freie Ende des Magenschlauchs. Durch Tiefhalten des Trichters unter das Niveau des Magens fließt oft schon spontan Mageninhalt aus (diese Portion asservieren). Tief gehaltenen Trichter mit 300 – 400 ml lauwarmem H2O füllen (größere Volumina evtl. kontraproduktiv, da Tablettenreste orthograd weggespült werden können). Trichter hoch halten, Wasser fließt in den Magen ein (Abb. 24.12). Erneutes Senken des Trichters: Spülflüssigkeit – mit Mageninhalt vermischt – wieder ausfließen lassen. Wiederholen des Vorgangs, bis Spülflüssigkeit völlig klar zurückgewonnen wird (insgesamt mindestens 20 l, ungefähre Flüssigkeitsbilanz bedenken). 50 – 100 g Aktivkohle, in H2O aufgelöst, per Magenschlauch applizieren bei Intoxikation mit großen Toxinmengen £ 1 h (EG-D). Schlauch mit Klemme abdichten (Aspirationsgefahr) und entfernen.
626
Technische Maßnahmen in Notfallsituationen
Magen
zum Magen
zum Ösophagus Ösophagus
24.12 Einlegen einer SengstakenBlakemore-Sonde • • • •
Indikation: mit anderen Mitteln (Octreotid-Infusion und/oder endoskopische Sklerosierung/Banding) nicht beherrschbare Ösophagusvarizenblutung (EG-A). Kontraindikationen: keine Material: Sengstaken-Blakemore-Sonde (Abb. 24.13), Gleitmittel, Oberflächenanästhetikum (Spray), Heftpflaster, Druckmanometer und Klemmen, 50-ml-Spritze. Komplikationen: Aspiration, Verletzung von Nasenschleimhaut, Ösophagus, Magen.
• • • • • •
Technik Im Prinzip keine Einlage einer Ösophaguskompressionssonde ohne Intubation zum Schutz vor Aspiration! • Lagerung (des wachen Patienten) mit 458-Neigung des Kopfes nach vorn. • Kontrolle von Ösophagus- und Magenballon auf Dichtigkeit. • Sonde und Ballons mit Gleitmittel (z. B. Glyzerin, Silikonspray) versehen. • Nasenschleimhaut des Patienten mit Anästhesiespray unempfindlich machen. • Restluft aus beiden Ballons auspressen. • Sonde durch die Nase einführen und 2- bis 3-cmweise vorschieben bis auf eine Gesamtlänge von mindestens 50 cm. • Intragastrische Lage des Magenschlauchs durch Insufflation von Luft mit einer Spritze unter Auskultation des Abdomens kontrollieren.
24
Abb. 24.13 SengstakenBlakemore-Sonde.
Aufblasen des Magenballons mit 200 ml Luft und Zuleitung mit Klemme dichten. Zurückziehen der Sonde, bis Magenballon an Kardia ansteht (federnder atemsynchroner Widerstand bei leichtem Zug an der Sonde spürbar: Ösophagusballon kommt dabei richtig zu liegen). Fixation der Sonde mit Heftpflaster an Nasenöffnung unter leichtem Zug. Evtl. auch Fixation an vorbereitetem (Motorrad-)Helm mit Bügel. An Zuleitungsschlauch zum Ösophagusballon Druckmanometer mit Aufblasballon eines üblichen Blutdruckgerätes anschließen. Ösophagusballon bis auf einen Manometerdruck von 40 mmHg aufblasen und Zuleitungsschlauch mit Klemme dichten. Ösophagusballon muss intermittierend – spätestens nach 24 h – entblockt werden (Vermeiden von Drucknekrosen der Ösophagusschleimhaut).
24.13 Endotracheale Intubation •
• •
Indikation: anhaltende Hypoxie trotz Sauerstoffmaske (pO2 < 50 mmHg [6,7 kPa]); progrediente Atemdepression und Hyperkapnie trotz kontrollierter O2-Therapie. Übermäßige und subjektiv unerträgliche Atemarbeit mit motorischer Erschöpfung; Atemwegschutz bei Bewusstseinstrübung mit fehlenden Schutzreflexen. Kontraindikation: nur relativ: schwere Verletzung oder Obstruktion der Atemwege (dann Notfall-Krikotomie); Verletzung der oberen Halswirbelsäule. Material: Laryngoskop, Endotrachealtubus mit Führungsstab (Innendurchmesser nach Möglichkeit 8 mm), 10-ml-Spritze, Magill-Zange, AmbuBeutel, Verbandsmaterial zur Fixation des Tubus, Stethoskop.
Endotracheale Intubation
•
627
Komplikationen: Verletzung von Zähnen, Mund, Rachen und Kehlkopf. Intubation des Ösophagus, Intubation eines Hauptbronchus, starker Vagusreflex (Laryngospasmus, Blutdruckabfall, Bradykardie).
Technik Die Methode der Wahl im Notfall ist die oropharyngeale Intubation (Abb. 24.14). • Vorbereitung: Freimachen der Atemwege, manuelles Reinigen des Mund- und Rachenraumes, Entfernung von Fremdkörpern. Oxygenierung durch Beatmung mit Maske und Ambu-Beutel. • Legen eines venösen Zugangs. • Ist der Patient bei Bewusstsein: Analgesie und Sedation, z. B. mit Fentanyl 0,1 – 0,5 mg i. v. und Etomidat 0,2 – 0,3 mg/kg KG i. v. • Lagerung des Patienten in „Schnüffelstellung“: Rückenlage, Hinterhaupt leicht angehoben und Kopf nach hinten gekippt (keine Hyperextension, kein Überhängen des Kopfes!). • Überprüfen der Funktion des Laryngoskops (brennt Lampe?) und probeweises Aufblasen des Cuffs des Tubus. • Öffnen des Mundes mit der rechten Hand, Laryngoskop in der linken Hand. • Einführen des Laryngoskops unter Verdrängung der Zunge nach links, bis die Epiglottis sichtbar wird. • Spatel des Laryngoskops in die epiglottische Falte einführen. • Laryngoskop als Ganzes ohne Änderung des Winkels nach ventral und kranial anheben, bis die Stimmbänder sichtbar sind. Mit der rechten Hand Tubus durch die Glottis schieben, bis der Cuff die Glottis passiert hat. • Bei schwieriger Intubation: Vorgang nach erneuter Maskenbeatmung mit eingeführtem, vorgebogenem Führungsstab wiederholen oder Tubus unter Sicht mit Magill-Zange fassen (nicht auf dem Cuff!) und durch die Glottis vorschieben.
a
b
Abb. 24.14 Oropharyngeale Notfallintubation. Patient in Rckenlage. Durch Unterlegung des Kopfes wird die Halswirbelsule leicht anteflektiert, der Kopf wird im Okzipitalgelenk leicht nach hinten berstreckt. Es resultiert die sog. „Schnffelstellung“. Das Laryngoskop wird mit der linken Hand von rechts eingefhrt, sodass die Zunge nach links weggeschoben wird. Die Spitze des Laryngoskopspatels wird in die epiglottische Falte eingefhrt und nach ventral und kranial angehoben (Pfeil).
• • • • •
Blocken des Cuffs mit 10 ml Luft. Kontrolle der Tubuslage durch Beutelbeatmung und Auskultation: Sind beide Lungen seitengleich belüftet? Auskultation im Epigastrium, um Lufteinstrom bei falsch liegendem Tubus (im Ösophagus) zu erkennen. Fixation des Tubus. Nach jeder Intubation Röntgen-Thorax oder Bronchoskopie zur Kontrolle der Tubuslage (ideal: Spitze 2 – 4 cm oberhalb der Hauptkarina).
628
25 Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin W. E. Haefeli
Übersicht 25 25.1 25.2 25.3 25.4 25.5 25.6
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft Arzneimitteltherapie in der Stillzeit Arzneimitteltherapie bei Niereninsuffizienz Arzneimitteltherapie bei Leberzirrhose Arzneimitteltherapie bei Betagten Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin – Arzneimittelapplikation in der Mundhçhle – Orale Arzneimittelapplikation – Rektale Arzneimittelapplikation – Inhalative Arzneimittelapplikation – Parenterale Arzneimittelapplikation – Arzneimittelapplikation am Ohr – Ophthalmische Arzneimittelapplikation – Nasale Arzneimittelapplikation – Kutane Arzneimittelapplikation
bekannte Allergie gegen einzusetzenden Wirkstoff
anamnestisch möglich
therapeutische Alternative suchen
anamnestisch unwahrscheinlich bekannt
Schwangerschaft möglich
SS-Test
+
s. S. 628
nein ja
stillende Mutter
s. S. 634
nein
Niereninsuffizienz: (150-Alter)´Gewicht (kg) 0,9 ( ´ Clearance = Serum-Kreatinin (mmol/l) 1,1 (
) )
< 50 ml/ min
s. S. 637
> 50ml/min
Leberzirrhose
ja
s. S. 640
ja
s. S. 644
nein
Sieben wichtige Situationen (Abb. 25.1) müssen grundlegenden Einfluss auf die Verwendung von Arzneimitteln haben, da sie Dosismodifikationen und die restriktive Wahl bestimmter Arzneimittel erfordern bzw. den Einsatz gewisser Substanzen verbieten.
25.1 Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft Definition und Einteilung Die Konsequenzen einer Arzneimittelexposition auf die fetale Entwicklung hängen unter anderem vom verabreichten Arzneimittel (bzw. der Arzneimittelkombination), der Dosis und dem Entwicklungssta-
25
Alter > 70 Jahre nein
interagierende Begleitmedikation
ja
nein
normale Dosierung
angepasste Dosierung
Abb. 25.1 Dosismodifikation. Algorithmus zur raschen Identifikation von Situationen, die Dosismodifikationen oder eine restriktive Verwendung von Arzneimitteln erfordern.
Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft
Tabelle 25.1
629
Schwangerschaftsrisikokategorien von Arzneimitteln (FDA, Schweiz).
E vi d e n z
K a t e g o ri e A
Kontrollierte Humanstudie (1. Trimenon)
Nichtkontrollierte Erfahrungen beim Menschen
Kontrollierte Fortpflanzungsstudien (Tier)
B
C
D
entweder
oder
entweder
oder
?
?
?
1
X
2
entweder oder TOX
TOX
oder TOX
(TOX)
TOX
?
TOX
oder TOX
Nichtkontrollierte Erfahrungen bei Tieren
oder TOX
Bemerkungen Studien zeigten kein erhçhtes Risiko fr Nachkommen ? Es liegen keine entsprechenden Studien bzw. nicht ausreichend Erfahrung vor (TOX) Gewisse, wahrscheinlich unbedeutende embryotoxische/teratogene Effekte sind nachgewiesen TOX Embryotoxische/teratogene Effekte sind nachgewiesen 1 Therapeutischer Nutzen fr die Mutter kann berwiegen 2 Kontraindiziert in der Schwangerschaft: Risiken berwiegen den therapeutischen Nutzen
dium des Embryo/Fetus zum Zeitpunkt der Exposition ab. Risikokategorien. Alle Arzneimittel werden deshalb nach ihrem Risiko klassifiziert, mit der normalen kindlichen Entwicklung zu interferieren. In Ermangelung prospektiver kontrollierter Studien erfolgen Zuteilungen zu einer Risikokategorie oft mithilfe von (nicht strikt übertragbaren) Fortpflanzungsversuchen beim Tier oder mit retrospektiv erhobenen, selektionierten oder unkontrollierten Erfahrungen am Menschen (Tab. 25.1 und Tab. 25.2). Diese Risikokategorien erlauben einen raschen Einblick in die möglichen Gefahren einer Arzneimittelexposition für das Kind, sind jedoch für die meisten Stoffe so vorsichtig definiert (Kategorie C, Gruppe 4 oder 5), dass sie keine echte Entscheidungshilfe bieten. Sie dürfen deshalb nicht vom Grundsatz ablenken, nur Therapien zu verordnen, deren Vorteile ein noch unbekanntes teratogenes Risiko übertreffen würden. Risikokategorien sind in den meisten Beipackzetteltexten, der Fachinformation, dem Schweizerischen Arzneimittelkompendium (Tab. 25.1) oder der Deutschen Roten Liste publiziert (Tab. 25.2).
P a t h o p h y si o l o g i e Gestaffelt nach der zeitlichen Verabreichung in der Schwangerschaft können Arzneimittel embryotoxisch (fi Abort), teratogen (fi Abort oder bleibende Missbildung) oder entwicklungshemmend sein (fi funktionelle Störungen) oder den Geburtsvorgang (fi Blutungskomplikation, Wehenbeeinflussung) bzw. die Postpartalphase beeinflussen (fi Vigilanzstörungen, Atemdepression, Entzugssyndrome). Die Risiken einer Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft sind deshalb nicht nur abhängig von den Stoffeigenschaften und der Dosis, sondern sehr wesentlich von Expositionszeitpunkt und -dauer.
N o t f a ll a n a m n e s e Bei allen Frauen in gebärfähigem Alter: • Schwangerschaft möglich? • Welches Trimenon?
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
630
Tabelle 25.2 Schwangerschaftsrisikokategorien von Arzneimitteln (Deutschland). Evidenz
Kategorie 1
2
3
4
5
6
7
Teratogenitt/Embryotoxizitt (Mensch)
?
?
?
TOX
Teratogenitt/Embryotoxizitt (Tier)
(TOX)
Fetotoxizitt (Mensch)
8
9
TOX TOX
Unerwnschte Hormonwirkungen auf die Frucht (Mensch)
TOX
Mutagenitt/Karzinogenitt
TOX
Studien zeigten kein erhçhtes Risiko fr Nachkommen Es liegen keine entsprechenden Studien bzw. nicht ausreichend Erfahrung vor Gewisse, wahrscheinlich unbedeutende embryotoxische/teratogene Effekte sind nachgewiesen Embryotoxische/teratogene Effekte sind nachgewiesen
Notfalluntersuchung
Besondere Merkpunkte
Diagnostik
•
Schwangerschaftsschnelltest im Urin oder Plasma. Bei unklarer Anamnese oder Unsicherheit über Schwangerschaft.
•
Therapie Siehe Tab. 25.3 – Tab. 25.5.
25
11
TOX
Risiko perinataler Komplikationen (Mensch)
? (TOX) TOX
10
Ebenso wie Röntgenexpositionen muss jede vermeidbare Arzneimittelexposition in der Schwangerschaft verhindert und stets die kleinstmögliche Dosis gewählt werden. Das Risiko der unbehandelten Grundkrankheit muss demjenigen der kindlichen Arzneimittelexposition gegenüber gestellt werden (z. B. ist eine unbehandelte generalisierte Epilepsie risikoreicher als die potenziell teratogene antiepileptische Therapie).
Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft
Tabelle 25.3
631
In der Schwangerschaft kontraindizierte Arznei- und Suchtstoffe.
Substanz/Substanzgruppe
Risikokategorie1
Risiken für Kind
ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Blocker
D
schwere Nierenfunktionsstçrungen, Oligohydramnion
Alkohol
D
fetales Alkoholsyndrom
Antiçstrogene
X
Entwicklungsstçrungen der Geschlechtsorgane, Karzinogenitt (?)
Antigestagen (Mifepriston)
X
Abort
Carbamazepin
D
kraniofaziale Anomalien, Neuralrohrstçrungen
Chenodesoxycholsure
X
Hepatotoxizitt (?)
Chinolone
C
Knorpelmissbildungen (?)
Diazepam
D
Inguinalhernien, Gaumenspalten (?)
Dicoumarole
X
Missbildungen (Kumarin-Syndrom), ZNS-Blutungen
Efavirenz
D
Missbildungen (?)
Ergotaminderivate
D
oxytocinhnliche Wirkungen, Vasospasmen
Fluconazol
D
multiple Missbildungen (?)
Folsureantagonisten
D
Missbildungen
HMG-CoA-Reduktase-Hemmer
X
Missbildungen (?)
Lebendimpfstoffe: Masern, Mumps, Rçteln
X
Infektion, Missbildungen (?)
Jodsalze, jodhaltige Kontrastund Desinfektionsmittel
D
Hypothyreose, Kropfentwicklung
Lithium
D
Herzmissbildungen
Methadon, Morphin
D
Entzugssyndrom bei chronischer Einnahme, niedriges Geburtsgewicht
Methotrexat
D
Aborte, Missbildungen
Metronidazol
D
Fehlbildungen, Kanzerogenitt (?)
Orale Antidiabetika
X
fetale Hypoglykmie (?), bergewicht (?)
Penicillamin
D
Bindegewebsstçrungen (z. B. Cutis laxa)
Phencyclidin
X
Verhaltensstçrungen, Missbildungen (?)
Phenytoin
D
fetales Hydantoin-Syndrom (kraniofaziale Missbildungen)
Prostaglandine (z. B. Misoprostol)
X
Uteruskontraktionen, Abort
Ribavirin
X
Teratogenitt (?), Embryotoxizitt (?)
(?) vermutete, mçgliche Komplikation 1 Therapeutischer Nutzen fr die Mutter kann berwiegen. Fortsetzung nächste Seite
632
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Tabelle 25.3 In der Schwangerschaft kontraindizierte Arznei- und Suchtstoffe
(Fortsetzung).
Substanz/Substanzgruppe
Risikokategorie
Sexualsteroide, strogene, Gestagene, Testosteron (und Analoga, Danazol), Kontrazeptiva, selektive strogenrezeptormodulatoren (Raloxifen)
X
Entwicklungsstçrungen der Geschlechtsorgane
Spironolacton
D
Missbildungen (?)
Streptomycin
D
Gehçrschden
Tetrazykline (z. B. Doxycyclin, Minocyclin)
D
Zahnverfrbungen
Thalidomid, Lenalidomid
X
Phokomelie
Valproinsure
D
kraniofaziale Anomalien, Neuralrohrstçrungen
Vitamin-A-Sure-Derivate (z. B. Acitretin, Isotretinoin)
X
multiple Missbildungen (inkl. ZNS)
Zytostatika
C–X
Teratogenitt, Fetotoxizitt
1
Risiken für Kind
(?) vermutete, mçgliche Komplikation 1 Therapeutischer Nutzen fr die Mutter kann berwiegen.
Tabelle 25.4 Unmittelbar vor der Geburt kontraindizierte Arzneimittel. Substanz/Substanzgruppe
Risikokategorie1
Risiken für Kind
Azetylsalizylat
C
Reye-Syndrom
Atenolol
C
Bradykardie
Chloramphenicol
C
Gray-Baby-Syndrom
NSAR
B–C
Prostaglandinsynthesehemmung (Verschluss des Ductus arteriosus Botalli mit konsekutiver pulmonalarterieller Hypertonie, Nierenfunktionsstçrung)
Metoprolol
B
Bradykardie
Nitrofurantoin
B
hmolytische Anmie (?)
Opioide
B–D
Atemdepression bei Neugeborenen
Sulfonamide
B
Hyperbilirubinmie, Kernikterus (?)
Trizyklische Antidepressiva
C–D
Entzugssymptome nach Geburt
(?) vermutete, mçgliche Komplikation 1 Therapeutischer Nutzen fr die Mutter kann berwiegen.
25
Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft
Tabelle 25.5 (Auswahl).
633
Arzneimittel, die bei zwingender Indikation in der Schwangerschaft verabreicht werden kçnnen
Substanz
Risikokategorie6
Substanz
Risikokategorie6
B
Naloxon
B
B
Dimetinden
B
Adenosin
C
Chinidin
C
Digoxin
C
Lidocain
C
B
Ampicillin
B
(Azithromycin)
B
Cefalexin
B
(Clarithromycin)
C
Erythromycin
B
Penicillin G
B
Antagonisten/Antidota Flumazenil Antiallergika Clemastin Antiarrhythmika
Antibakterielle Substanzen Amoxicillin/Clavulansure
Antiepileptika1 Carbamazepin
D
Phenytoin2
D
Valproinsure
D
Vigabatrin
C
Antihypertensiva Dihydralazin
C
a-Methyldopa
C
Metoprolol3
B
(Nifedipin)
C
B
(Heparin)
C
C
Theophyllin
C
Antikoagulanzien Dalteparin Bronchodilatatoren Salbutamol Hormone Beclometason4
C
Fluticason
C
Insulin
B
Prednison
B
Prednisolon
B
Thyroxin
A
B
Laktulose
B
Al-Mg-Hydroxid (z. B. Magaldrat)
C
(Omeprazol)
C
Ranitidin
B
Sucralfat
B
Laxativa Laktitol Magensäurehemmer
Mukolytika Acetylcystein
B Fortsetzung nächste Seite
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
634
Tabelle 25.5 Arzneimittel, die bei zwingender Indikation in der Schwangerschaft verabreicht werden kçnnen (Auswahl) (Fortsetzung). Substanz
Risikokategorie6
Substanz
Clotrimazol5
B
Fluconazol5
C
Nystatin
B
Terbinafin
B
Azetylsalizylsure3
C
Diclofenac3
B
Ibuprofen3
C
Paracetamol
B
Codein3
C
Methadon3
B
B
Pethidin
B
C
Oxazepam
C
Aciclovir
C
Didanosin (ddI)
B
Lamivudin
C
Zalcitabin (ddC)
C
Zidovudin (AZT)
C
Risikokategorie6
Pilzmittel 5
5
Schmerzmittel
Morphin
3
3
Sedativa Diphenhydramin Virostatika
Prparate in Klammern sind Arzneimittel der zweiten Wahl 1 Mçglichst niedrige Plasmakonzentrationen anstreben 2 Siehe auch Tab. 25.3 3 Siehe auch Tab. 25.4 fr Risiken unmittelbar vor Geburt 4 Topische Verabreichung 5 Lokale Anwendung 6 Therapeutischer Nutzen fr die Mutter kann berwiegen
25.2 Arzneimitteltherapie in der Stillzeit Pathophysiologie Milch-Plasma-Ratio und Gesamtaufnahme. Die meisten Substanzen gelangen in mehr oder weniger großem Ausmaß in die Muttermilch. Da jedoch die mütterlichen Plasmakonzentrationen wegen der ausgeprägten Verteilungsvorgänge meist klein sind, sind die mit der Muttermilch aufgenommenen Arzneimittelmengen klinisch selten relevant. Eine Anreicherung gewisser Stoffe in der Muttermilch ist zwar möglich, wird aber selten den Faktor 4 (Ausnahme ist Jod: bis Faktor 23) überschreiten. Wesentlicher als diese Milch-Plasma-Ratio ist die insgesamt durch den Säugling aufgenommene Substanzmenge, die in der Regel klein ist. Zeitpunkt des Stillens. Grundsätzlich sind die Milchkonzentrationen zum Zeitpunkt der tiefsten Arzneimittelkonzentration im mütterlichen Plasma (Talkonzentration unmittelbar vor der nächsten Arzneimitteleinnahme) am kleinsten, weshalb das Stil-
25
len zu diesem Zeitpunkt mit der geringsten Exposition des Säuglings einhergeht. Je kürzer die Halbwertszeit der Substanz in der Mutter ist, umso geringer wird die kindliche Exposition sein. Akkumulation. Die meisten handelsüblichen Arzneimittel können kurzzeitig an stillende Mütter verabreicht werden, ohne dass nachteilige Folgen für das Kind entstehen. Einige wenige vom Säugling resorbierte Substanzen gelangen aber in genügender Menge in die Muttermilch und können wegen der eingeschränkten kindlichen Eliminationsprozesse besonders bei Langzeittherapien im Säugling akkumulieren und Nebenwirkungen verursachen. Dies äußert sich oft in Trinkfaulheit, Sedation bzw. substanztypischen Symptomen.
Notfallanamnese
• •
Anteil der Muttermilch an der Gesamternährung des Säuglings (je weniger Muttermilch, desto geringere Exposition des Säuglings). Symptome der Arzneimittelwirkung beim Säugling (Trinkfaulheit, Vigilanzstörungen etc.).
Arzneimitteltherapie in der Stillzeit
635
Tabelle 25.6 Arzneimittel, auf deren Verabreichung in der Stillzeit bzw. bei deren Verabreichung auf das Stillen verzichtet werden sollte. Arzneimittel
Bemerkung, Risiken für den Säugling bzw. Laktation
Alkohol
psychomotorische Entwicklungshemmung
Amiodaron
Jodgehalt: theoretisches Risiko von Schilddrsenstçrungen
Azetylsalizylsure
theoretisches Risiko eines Reye-Syndroms
Benzodiazepine
Trgheit, Sedation
Bromocriptin
hemmt Milchsekretion
Carbimazol
niedrigste wirksame Dosierung, um Hypothyreose beim Sugling zu vermeiden
Chloramphenicol
Potenzial idiosynkratischer Knochenmarksdepression
Cyproteron
Risiko antiandrogener Wirkung
Drogen • Amphetamin • Kokain • Heroin • Rauchen • Phencyclidin
Reizbarkeit, Schlafstçrungen Kokainintoxikation Essstçrung, Tremor, Ruhelosigkeit, Erbrechen Tachykardie, Erbrechen, Diarrhç Halluzinogen
Ephedrin
Gereiztheit
Ergotamine
bereits bliche Migrnedosierungen kçnnen zu kindlichem Ergotismus fhren
Jod
Risiko von Schilddrsenstçrungen
Lithiumsalze
kontraindiziert bei Langzeittherapien
Metronidazol
Behandlung mit Einzeldosen und 24-stndiger Unterbrechung des Stillens
strogene
Proteingehalt der Milch fl, Milchproduktion fl
Phenobarbital/Primidon
Schlfrigkeit
Povidon-Jod
außer bei Desinfektion kleiner Flchen, Hypothyreose
Radioaktive Substanzen (v. a. Jod)
Stillen vorbergehend unterbrechen, Halbwertszeit des Radionuklids beachten (Schilddrsenfunktionsstçrungen)
Tetracyclin, Doxycyclin
theoretisches Risiko einer Zahnverfrbung
Tinidazol
Stillpause von 3 Tagen nach Einzeldosis
Zytostatika/Immunsuppressiva mçgliche Probleme sind Immunsuppression und Neutropenie kontraindiziert:
• Cisplatin • Cyclophosphamid • Hydroxycarbamid • Cyclosporin A • Doxorubicin • Methotrexat Andere
nach Abklrung mçglicherweise erlaubt
636
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Tabelle 25.7 Arzneimittel, die in der Stillzeit eingesetzt werden kçnnen. Stoffklasse
Substanz
Analgetika/Antipyretika/Antiphlogistika Ibuprofen Mefenaminsure Paracetamol Pethidin Antiasthmatika
Prednison, (Methyl-)Prednisolon (Kurzzeittherapie) topische Glukokortikoide topisches Salbutamol
Antibiotika
Aminoglykoside Aminopenicilline Cephalosporine Roxithromycin
Antidepressiva/Neuroleptika
Chlorprothixen Imipramin
Antidiarrhoika
Loperamid
Antiemetika
Cyclizin Meclozin
Antihypertensiva
Kalziumantagonisten (Diltiazem, Nifedipin, Nitrendipin, Verapamil) a-Methyldopa
Antikoagulanzien
Acenocoumarol, Phenprocoumon, Warfarin (mit Vitamin-K-Prophylaxe beim Sugling: 3 1 mg/Woche p. o.) niedermolekulare Heparine (LMWH) Heparin
Antitussiva
Kodein
Kontrazeptiva
Gestagenmonoprparat (Minipille)
Laxativa
Laktitol Laktulose
Magensurehemmer
Magaldrat Sucralfat
Migrnemittel
Dihydroergotamin Metoclopramid
Sedativa
Diphenhydramin
Thrombozytenaggregationshemmer
niedrig dosierte Azetylsalizylsure
Therapie
•
25
Wegen der Gefahr von schädigenden Einflüssen auf den Säugling sollte von den in Tab. 25.6 aufgelisteten Therapien in der Stillzeit abgesehen werden.
•
Sind diese nicht zu umgehen und stehen keine therapeutischen Alternativen zur Verfügung (Auswahl in Tab. 25.7), so muss zum Abstillen geraten werden.
Arzneimitteltherapie bei Niereninsuffizienz
Kreatinin-Clearance
unbekannt
bekannt
Alter < 70
ja
637
Dettli-Formel (Schätz-Clearance berechnen in ml/min) 150 Alter (Jahre) × Gewicht (kg) × k Serumkreatinin (mmol/l)1 k=1,1 ( ), 0,9 ( )
nein oder unbekannt
MDRD-Formel (Schätz-Clearance berechnen in ml/min/1,73m2) 30849 × Serumkreatinin (mmol/l)1,154 × Alter (Jahre)0,203 × k k = 1 ( ), 0,742 ( )
Kreatinin-(Schätz-)Clearance<50ml/min ja
nein nein
Phenytoin Valproat
nein
Q0 < 0,3 (> 70% unverändert renal eliminiert)
ja normale Dosierung
Dosierung nach freier Konzentration
nein
ja Dosierung gemäß Gleichung oder Nomogramm (Abb. 25.3)
Substanz aus Tab. 25.9 ja meiden, Indikation kritisch prüfen
Abb. 25.2 Arzneimitteldosierung bei Nierenfunktion. Algorithmus zur Ermittlung der Arzneimitteltherapien, die unbedingt an die Nierenfunktion angepasst werden mssen. 1 Multiplikation mit dem Korrekturfaktor 88,4, sofern Serumkreatinin in mg/dl verfgbar ist.
Besondere Merkpunkte
•
•
Detaillierte Information zum Arzneimittelgebrauch in der Stillzeit kann Standardwerken (Briggs et al. 2005, Schaefer et al. 2006) oder den Fachinformationen (z. B. Deutsche Rote Liste, Schweizerisches Arzneimittel-Kompendium) entnommen werden. Stillende Mütter müssen auch über mögliche Risiken nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Selbstmedikation) aufgeklärt werden (z. B. Azetylsalizylsäure).
25.3 Arzneimitteltherapie bei Niereninsuffizienz Definition und Einteilung Etwa 15% aller Arzneimittel werden wesentlich (zu mehr als 70%) durch die Nieren ausgeschieden (Filtration und/oder aktive Sekretion). Um unerwünsch-
te Wirkungen und unnötige Kosten zu vermeiden, sollten diese Arzneimittel bei Niereninsuffizienz in reduzierten Erhaltungsdosen verabreicht werden. Das Ausmaß der renalen und extrarenalen Elimination eines Stoffes kann an der substanzspezifischen Konstanten Q0 (extrarenal eliminierte Dosisfraktion) abgeschätzt werden: • Q0 < 0,3 fi > 70 % wird renal eliminiert fi Anpassung bei Niereninsuffizienz unabdingbar. • Q0 > 0,3 fi < 70% wird renal eliminiert fi meist keine Anpassung erforderlich. Die wichtigsten, vorwiegend renal ausgeschiedenen Arzneimittelgruppen sind in Tab. 25.8 zusammengestellt. Q0-Werte für die Dosisanpassung sind in Kapitel 26 (S. 659 ff.) aufgeführt. Je kleiner Q0 und je stärker die Nierenfunktion eingeschränkt ist, desto eher muss eine Dosisreduktion erfolgen (Abb. 25.2).
Dosisanpassung Therapiebeginn. Die erste Dosis (ggf. auch als Sättigungsdosis verabreicht) ist weitgehend unabhängig von der Funktion der Eliminationsorgane und kann deshalb meist in üblicher Höhe verabreicht werden.
638
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Tabelle 25.8 In der Notfallsituation wichtige Arzneimittel, bei deren Dosierung unter allen Umstnden die Nierenfunktion bercksichtigt werden muss. Gruppe
Arzneimittel
Ausnahmen
Antibiotika
• Aminoglykoside • Carbapeneme • Cephalosporine • Chinolone • Glykopeptide • Monobactame • Penicilline • Sulfonamide • Tetrazykline • Makrolide • Tuberkulostatika Antiepileptika
alle Imipenem, Meropenem die meisten viele
Moxifloxacin, Norfloxacin
Teicoplanin, Vancomycin Aztreonam alle Cotrimoxazol (TMP/SMZ) Tetracyclin
Doxycyclin, Minocyclin
Ethambutol
Isoniazid, Rifampicin, PAS, Pyrazinamid
Gabapentin
brige
alle
Levetiracetam Topiramat Vigabatrin Antihistaminika (H1)
Fexofenadin
Antihistaminika (H2)
Cimetidin, Famotidin, Ranitidin
Antikoagulanzien/gerinnungsaktive Substanzen
Fondaparinux (niedermolekulare) Heparine
brige
Dicoumarole (z. B. Warfarin)
Tranexamsure Antimykotika
Fluconazol, Flucytosin
viele
• ACE-Hemmer • Antiarrhythmika • Betablocker
die meisten
Fosinopril, Spirapril
Bretylium, Prajmaliumbitartrat
viele
Atenolol, Bisoprolol, Sotalol
meiste andere Betablocker (z. B. Metoprolol)
• Diuretika
Schleifendiuretika (z. B. Furosemid): Dosis erhçhen; Thiazide (z. B. Hydrochlorothiazid): bei GFR < 30 ml/min nicht verabreichen
• Digitalisglykoside • Inotropika
Digoxin, Metildigoxin
Lipidsenker
Acipimox
Kardiaka
Digitoxin
Milrinon brige
Bezafibrat, Fenofibrat Muskelrelaxanzien
Alcuronium, Baclofen
Atracurium, Vecuronium Fortsetzung nächste Seite
25
Arzneimitteltherapie bei Niereninsuffizienz
639
Tabelle 25.8 In der Notfallsituation wichtige Arzneimittel, bei deren Dosierung unter allen Umstnden die Nierenfunktion bercksichtigt werden muss (Fortsetzung). Gruppe
Arzneimittel
Ausnahmen
Opioide
Morphin, Pethidin
viele
Virostatika
(Val-)Aciclovir, Amantadin, Famciclovir, Foscarnet, (Val-)Ganciclovir, Lamivudin, Ribavirin, Stavudin
viele
Varia
Carboplatin Lithium Methotrexat Metoclopramid Piracetam Tiaprid
Zur Dosisanpassung kçnnen die Q0-Werte der einzelnen Substanzen im Anhang oder unter www.dosing.de nachgeschlagen werden.
Eine Ausnahme bildet Digoxin bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 25 ml/min), dessen Sättigungsdosis wegen einer Verkleinerung des Verteilungsvolumens um 25% reduziert werden sollte. Erhaltungsdosis. Die nachfolgenden Dosen (Erhaltungsdosis) müssen angepasst werden an die individuellen Ausscheidungsfunktionen, was mit folgender Gleichung in 2 oder dem unten stehenden Nomogramm in 4 Schritten geschehen kann. Mathematische Anpassung 1. Berechnung von Q (aktuelle individuelle Ausscheidungsfraktion): Q = Q0 + (([1– Q0] × Kreatinin-(Schätz-)Clearance)/ 100) 2. Dosisanpassung: Wenn das übliche Dosierungsintervall beibehalten wird, muss die Erhaltungsdosis wie folgt reduziert werden: Erhaltungsdosis = Erhaltungsdosis eines Nierengesunden × Q und Dosierungsintervall t = t eines Nierengesunden
•
Falls die Einzeldosis nicht reduziert werden kann (oder soll: z. B. Aminoglykoside), muss das Dosierungsintervall wie folgt verlängert werden:
Erhaltungsdosis = Erhaltungsdosis eines Nierengesunden und Dosierungsintervall t = t eines Nierengesunden/Q
Anpassung mit Nomogramm (Abb. 25.3) 1. Eintragen der Kreatinin-(Schätz-)Clearance (Berechnung Abb. 25.2) auf dem Nomogramm. 2. Übertragen von Q0 aus Kap. 26, S. 659 ff und Bestimmen des Schnittpunktes zwischen Kreatinin(Schätz-)Clearance und der Q0-Diagonalen. 3. Bestimmung des Schnittpunktes auf der rechten y-Achse (Q). 4. Dosisanpassung (meiste Substanzen: Reduktion der Erhaltungsdosis und/oder Verlängerung des Dosierungsintervalls t; Ausnahme Aminoglykoside: nur über t anpassen). Einige Arzneimittel müssen bei schwerer Niereninsuffizienz wegen unerwünschter oder fehlender Arzneimittelwirkungen gemieden werden (Tab. 25.9), andere müssen wegen Veränderungen der Proteinbindung durch Messung der freien Konzentration angepasst werden (Abb. 25.2).
Besondere Merkpunkte Eine Datenbank mit ca. 700 Inhaltsstoffen und der Berechnungsalgorithmus stehen auch im Internet zur Verfügung (www.dosing.de).
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
640
3. Schritt
0,50 0,45 0,45
0,35 Q0: extrarenale Dosisfraktion
0,35 0,30 0,30 2. Schritt
0,25
0,25
0,20
0,20
0,15
0,15
0,10
0,10
0,05
0,05 0,00
Q: individuelle Dosisfraktion
0,40 0,40
0,00 0
10
20
30
40
50 ml/min
1. Schritt
Kreatinin-(Schätz-)Clearance
Abb. 25.3 Berechnung der individuellen Dosisfraktion bei Nierenfunktionsstörung. Nomogramm zur grafischen Ermittlung der individuellen Dosisfraktion (Q) eines hauptschlich renal eliminierten Arzneimittels in 3 Schritten. Im mit Pfeilen eingezeichneten Beispiel wird die Digoxindosis einer Patientin mit einer
Kreatinin-Clearance von 15 ml/min ermittelt. Digoxin hat einen Q0-Wert von 0,3; der ermittelte Q-Wert betrgt 0,4, was bedeutet, dass bliche Konzentrationen mit Verabreichung einer auf 40% reduzierten Erhaltungsdosis erzielt werden kçnnen.
25.4 Arzneimitteltherapie bei Leberzirrhose
•
Pathophysiologie
•
Die Reduktion der funktionierenden Leberzellmasse durch zirrhotischen Umbau kann zu mindestens 4 wesentlichen pharmakokinetischen Veränderungen führen: • Der First-Pass-Metabolismus wird reduziert fi mehr Substanz gelangt nach oraler Gabe in den Kreislauf fi jede Einzeldosis muss kleiner gewählt werden.
25
•
Die Elimination hepatisch metabolisierter Substanzen wird verzögert fi Substanzen bleiben länger im Körper fi die Erhaltungsdosis muss kleiner gewählt werden. Das Hauptträgerprotein Albumin ist reduziert fi die freie (wirksame) Fraktion stark albumingebundener Substanzen steigt an fi Akutwirkungen können verstärkt sein fi die Einzeldosis muss kleiner gewählt werden. Die Bioverfügbarkeit kann erhöht (reduzierter First-Pass) oder vermindert sein (Malabsorption durch Cholestase).
Arzneimitteltherapie bei Leberzirrhose
641
Tabelle 25.9 Arzneimittel, die bei schwerer Niereninsuffizienz nicht verabreicht werden sollten. Arzneimittel
Grund
Azetazolamid
Verstrkung der metabolischen Azidose
Aluminiumhaltige Antazida
Aluminiumeinlagerung
Aminoglykoside
Ototoxizittsrisiko
Biguanide (Metformin)
Risiko der tçdlichen Laktazidose
Cidofovir
(teilweise irreversible) Nephrotoxizitt, Tubulusschdigung
Lipidsenkende Fibrate
Myopathierisiko
Methotrexat
Zytotoxizitt
NSAR
Risiko des akuten Nierenversagens
Pethidin
Akkumulation des ZNS-toxischen Metaboliten Normeperidin (proepileptogen)
Rçntgenkontrastmittel
Risiko des akuten Nierenversagens
Spironolacton
Hyperkalimien
Sulfonylharnstoffe (z. B. Gliquidon, Glibenclamid, Gliclazid)
Akkumulation mit Hypoglykmieneigung
Dosisanpassung Besonders bei Langzeitverabreichung von hepatisch wesentlich metabolisierten und/oder stark proteingebundenen Arzneimitteln, bei oraler Gabe und bei Verabreichung von Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite muss deshalb die Dosis vorsichtig gewählt werden. Dosisreduktion. Die wichtigsten Arzneimittel, welche bei Zirrhotikern in reduzierter Dosierung verabreicht werden sollen, sind in Tab. 25.10 zusammengestellt. Kontraindizierte Substanzen. Wegen des Risikos, die Hepatopathie zu verschlechtern oder eine hepatische Enzephalopathie auszulösen, müssen einige Stoffe besonders bei fortgeschrittener Leberzellinsuffizienz ganz gemieden werden (Auswahl in Tab. 25.11).
Notfalluntersuchung Diagnostik Labor. Albumin, Prothrombinzeit, Kreatinin, Bilirubin (Beurteilung des aktuellen Schweregrades der Hepatopathie); Serumkonzentrationsmessung (optimaler Entnahmezeitpunkt: unmittelbar vor nächster Verabreichung = Talkonzentration) bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite, z. B. Theophyllin.
Überwachung und Kontrollmaßnahmen Nach Beginn einer Arzneimitteltherapie und nach jeder Dosiserhöhung soll bei Patienten mit Leberzirrhose nach unerwünschten Arzneimittelwirkungen gesucht werden. Wegen der häufig erheblich verzögerten Elimination (verlängerte Halbwertszeit) kommt es über längere Zeit zum Anstieg der Serumkonzentrationen, weshalb sich unerwünschte Arzneimittelwirkungen auch erst nach Tagen manifestieren können.
642
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Tabelle 25.10
Arzneimittel, deren Dosierung bei Leberzirrhose reduziert werden muss.
Gruppe
Analgetika • NSAR
• Opioide1
• andere
Dosisreduktion sicher notwendig
Dosisreduktion wahrscheinlich notwendig (v. a. bei schwerer Leberfunktionsstörung)
Unveränderte Dosierung (falls Nierenfunktion normal)
Naproxen
Mefenaminsure Metamizol Tramadol
Etodolac Tenoxicam Fentanyl
Buprenorphin Hydromorphon Morphin Oxycodon Pethidin Naratriptan Rizatriptan Paracetamol2,3
Eletriptan Zolmitriptan
Antidepressiva
SSRI Trizyklika Moclobemid
Antiemetika
Ondansetron
Metoclopramid
Dolasetron Granisetron
Antiepileptika
Carbamazepin Lamotrigin Phenobarbital Phenytoin Valproinsure
Topiramat
Gabapentin Levetiracetam Pregabalin
Antihistaminika (H1)
Fexofenadin
Diphenhydramin Loratadin
Cetirizin
Cimetidin
Ranitidin Famotidin
Antihistaminika (H2) Antiinfektiva
• Antibiotika Cefotaxim Ceftazidim
Ofloxacin Roxithromycin
Erythromycin
Ornidazol
Metronidazol
Ampicillin Cefetamet Cefprozil Cetriaxon Cefuroxim Ciprofloxacin Norfloxacin Azithromycin Linezolid Aminoglykoside Fortsetzung nächste Seite
25
Arzneimitteltherapie bei Leberzirrhose
Tabelle 25.10
643
Arzneimittel, deren Dosierung bei Leberzirrhose reduziert werden muss (Fortsetzung).
Gruppe
Dosisreduktion sicher notwendig
Dosisreduktion wahrscheinlich notwendig (v. a. bei schwerer Leberfunktionsstörung)
Unveränderte Dosierung (falls Nierenfunktion normal)
• Antimykotika • Tuberkulostatika
Caspofungin Isoniazid Rifampicin Indinavir Zidovudin
Itraconazol
Voriconazol p-Aminosalicylsure
• Virostatika Antikoagulanzien
Phenprocoumon Warfarin
Benzodiazepine/ Tranquillanzien
Diazepam1, 3 Lorazepam1, 3 Midazolam Nitrazepam Triazolam Clomethiazol Zolpidem1 Zopiclon1
Bronchodilatatoren
Theophyllin
Diuretika
Bumetanid4 Furosemid1, 4
Oxazepam
Triamteren
Spironolacton Torasemid
Hormone
Testosteron
Prednisolon
Immunsuppressiva
Ciclosporin A5
Kardiaka • Antiarrhythmika
Chinidin Lidocain Mexiletin
• ACE-Hemmer • •
AT1-Rezeptor-Blocker Betablocker
Acebutolol Propranolol
• Kalziumantagonisten • Digitalis • Varia
fast alle
ProtonenpumpenInhibitoren
brige
1 2 3 4 5
Propafenon Ivabradin Prajmaliumbitartrat Captopril Lisinopril alle Bisoprolol Labetalol Metoprolol Nitrendipin Digitoxin Urapidil
Cave! Erhçhtes Risiko, hepatische Enzephalopathie auszulçsen Cave! Erhçhtes Hepatotoxizittsrisiko Sollte bei fortgeschrittener Zirrhose vermieden werden Hçhere Dosen mçglicherweise notwendig, um den gewnschten Effekt zu erzielen Bei Ikterus und oraler Gabe evtl. hçhere Dosen notwendig wegen Absorptionsstçrung
Adenosin
brige Atenolol Esmolol
Rabeprazol
644
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Tabelle 25.11 Arzneimittel, die bei fortgeschrittener Leberzirrhose vermieden werden mssen.
• Azetylsalizylsure (insbesondere in analgetischen Dosen) • Benzodiazepine (insbesondere Diazepam und Midazolam) • Chloramphenicol • Chlorpromazin • Dextropropoxyphen • Ibuprofen • Isoniazid (INH) • Methadon • Paracetamol • Phenylbutazon • Tranylcypromin • Valproinsure • Zopiclon, Zolpidem Tabelle 25.12
25
25.5 Arzneimitteltherapie bei Betagten Pathophysiologie Bei geriatrischen Patienten (> 70 Jahre) ist die Variabilität der Arzneimitteleffekte größer, was durch folgende Veränderungen zustande kommt: • Einschränkung der Funktion der Haupteliminationsorgane (Niere, Leber) fi Arzneimittelakkumulation bei üblicher Dosierung fi kleinere Erhaltungsdosis wählen; unerwünschte Arzneimittelwirkungen halten länger an. • Die homöostatischen (Gegen-)Regulationsmechanismen sind weniger aktiv (z. B. Barorezeptorreflex) fi Wirkungsverstärkung (z. B. Orthostaseneigung), Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Tab. 25.12).
Arzneimittel, die bei Betagten hufig zu unerwnschten Arzneimittelwirkungen fhren.
Arzneimittel/-gruppe
Symptomatik
Anticholinergika
anticholinerge Effekte (Harnretention, Mundtrockenheit, Sehstçrungen, Glaukom, Obstipation)
Benzodiazepine
Verwirrungszustnde, prolongierte Sedation, paradoxe Agitation, Strze
Betablocker
Hypotonie, Herzinsuffizienz, supraventrikulre Blockbilder, Stoffwechselstçrungen (z. B. Lipide), Schlafstçrungen, Depression, Lethargie
Digoxin, Digitoxin
Verwirrungszustnde, Arrhythmien, gastrointestinale Beschwerden
Diuretika
Hypotonie (Sturz- und Frakturgefahr), Blasenfunktionsstçrungen (Nykturie, Inkontinenz), Stoffwechselstçrungen (z. B. Lipide, Glukose, Harnsure), prrenale Niereninsuffizienz
H1-Antihistaminika
orthostatische Hypotonie (Sturz- und Frakturgefahr), anticholinerge Effekte (Harnretention, Mundtrockenheit, Sehstçrungen, Glaukom, Obstipation)
Metoclopramid
Parkinson-Symptomatik
Neuroleptika
Parkinson-Symptomatik, orthostatische Hypotonie (Sturz- und Frakturgefahr), kognitive Verschlechterung, anticholinerge Effekte (Harnretention, Mundtrockenheit, Sehstçrungen, Glaukom, Obstipation)
NSAR (v. a. in hçheren Dosen und Langzeitverabreichung)
gastrointestinale Ulzerationen und Blutungen, Niereninsuffizienz, Verwirrungszustnde
Theophyllin
Tremor, kardiale Arrhythmien, epileptische Anflle
Trizyklische Antidepressiva
orthostatische Hypotonie (Sturz- und Frakturgefahr), Sedation, anticholinerge Effekte (Harnretention, Mundtrockenheit, Sehstçrungen, Glaukom, Obstipation)
Arzneimitteltherapie bei Betagten
Tabelle 25.13
645
Arzneimittel, deren akutes Absetzen zu Entzugssyndromen fhren kann.
Gruppe
Symptomatik
Zentrale a2-Agonisten
Sympathikushyperaktivitt, hypertensive Krisen
Antipsychotika
gastrointestinale Beschwerden (Nausea, Emesis, Diarrhç, Anorexie), Schlafstçrungen, Agitation, Myalgien)
Benzodiazepine
Tremor, Unruhe, epileptische Anflle
Betablocker
Koronarischmien, Blutdruckanstieg
Glukokortikoide
Lethargie, Anorexie, Gewichtsverlust, Addison-Krise
MAO-Hemmer
Agitation, Depression, Angstzustnde, Schlafstçrungen, Suizidalitt, Halluzinationen, psychosomatische Verlangsamung, Ataxie
Neuroleptika
grippehnliche Symptome, gastrointestinale Beschwerden (Nausea, Emesis, Diarrhç, Anorexie), Schlafstçrungen, Angstzustnde, Tremor, Parsthesien
Opioide
Schwitzen, Trnen, Mydriasis, Nausea, Tremor, Unruhe
Trizyklika
grippehnliche Symptome, gastrointestinale Beschwerden (Nausea, Emesis, Diarrhç, Anorexie), extrapyramidale Stçrungen (Tremor, Zahnradphnomen, Akathisie), Schlafstçrungen, paradoxe Manie
Selektive Serotonin-ReuptakeInhibitoren (SSRI)
grippehnliche Symptome, gastrointestinale Beschwerden (Nausea, Emesis, Diarrhç, Anorexie), Schwindel, Parsthesie, Tremor, Sinnesstçrungen
• •
Die Sensitivität der Zielorgane (z. B. ZNS) kann erhöht sein fi unerwünschte und paradoxe Arzneimittelwirkungen (z. B. auf Anticholinergika) treten häufiger auf (Tab. 25.12). Neigung zu Nonadherence, z. B. durch gleichzeitige Verschreibung mehrerer Arzneimittel, Schwierigkeit komplexe Therapien durchzuführen.
Notfallanamnese Genaue Arzneimittelanamnese, um Interaktionen mit neu verabreichten Arzneimitteln, Entzugssyndrome durch (unbeabsichtigtes) Absetzen von chronischen Therapien (Tab. 25.13) und Reexpositionen mit schlecht tolerierten Substanzen zu vermeiden; nach Möglichkeit durch Fremdanamnese ergänzen (Angehörige, Hausarzt, Apotheke).
Besondere Merkpunkte Prinzipien der Pharmakotherapie bei Betagten: • Absetzen unnötiger Therapien (ggf. durch langsames Absetzen über viele Tage), • kleine Initialdosis, • kleine Dosissteigerungen, • langsame Dosistitration, • Adherence-Förderung durch bessere Information, Vereinfachung des Therapieplans: – einmal (maximal zweimal) tägliche Verabreichung, z. B. durch Verschreiben von Retardformulierungen, – Verschreiben von (sinnvollen) Kombinationspräparaten, – Informationsverbesserung: schriftliche Abgabe eines Therapieplans, Prüfung der Durchführbarkeit (Handhabung, ggf. Teilen), – Einbeziehen und Instruktion von Angehörigen, – Verschreiben von Tablettenbehältern für den Wochenbedarf.
646
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
25.6 Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin Definition und Einteilung Arzneimittelapplikation beinhaltet alle Prozesse, die erforderlich sind, um dem Körper ein Arzneimittel zuzuführen. Dabei wird nach dem Wirkort zwischen systemischer (ganzer Körper) und topischer Applikation (nur Teile sollen erreicht werden) sowie nach dem Verabreichungsweg unterschieden. Der Applikationsweg soll sich danach richten, ob systemische Wirkungen angestrebt werden, wie schnell die Anflutung erfolgen soll und ob die aktuellen Kreislaufverhältnisse am Applikationsort die gewünschte Verteilung zum Zielort zeitnah erlauben.
Arzneimittelapplikation in der Mundhöhle Definition und Einteilung Die Arzneimittelapplikation in der Mundhöhle erfolgt zur lokalen Behandlung oder – bei systemischer Wirkung – zur Beschleunigung des Wirkungseintritts bzw. zur Umgehung des enteralen FirstPass-Metabolismus des Arzneistoffs. Arzneimittel werden bukkal (über die Wangenschleimhaut), sublingual (unter der Zunge) oder über den harten Gaumen (palatal) verabreicht.
Allgemeine Anwendungshinweise Nach Arzneimittelapplikation soll die Substanz möglichst lange in der Mundhöhle gehalten werden und unmittelbar (d. h. während mindestens 5 min) nicht gegessen oder getrunken werden, da sonst der Resorptionsprozess gestört werden kann. Mundsprays • Atem anhalten. • Sprühkopf nach oben halten und Auslöser herzhaft drücken, damit gesamte Dosis verabreicht wird. • Auf oder unter Zunge sprühen (Abb. 25.4). • bei Verabreichung mehrerer Dosen Mund zwischen den Hüben schließen, um Schwebstoffe absetzen zu lassen.
25
Abb. 25.4 Mundspray zur raschen systemischen Wirkung (z. B. Nitroglyzerin).
Zerbeißkapseln • Weichgelatinekapsel zerbeißen und austretende Flüssigkeit möglichst lange unter der Zunge halten. • Kapsel ggf. mit Nadel aufstechen, falls Patient nicht in der Lage ist, sie zu zerbeißen. • Leere Kapselhülle schlucken oder ausspucken. Sublingual- und Bukkaltabletten • Ohne Flüssigkeit verabreichen. • Unter Zunge bzw. in Wangentasche legen. • Weder zerbeißen noch lutschen, langsam zergehen lassen. Gefriergetrocknete Plättchen (Schmelztabletten) • Vorsichtig aus Blisterpackung entnehmen (Durchdrücken führt zur Zerstörung). • Unter Zunge oder in Wangentasche zergehen lassen, ohne Flüssigkeit schlucken.
Besondere Merkpunkte Insbesondere nitroglyzerinhaltige Zerbeißkapseln verlieren Wirkstoff bei Temperaturen > 25 8C, weshalb sie nicht auf dem Körper getragen werden sollten.
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
647
a
b
c
Abb. 25.5 Techniken zum Teilen von Tabletten. a Teilen von Tabletten ohne berzug (links mit Schlsselgriff, rechts mit Spitzgriff). b Teilen sog. Snap-Tabs (durch Druck in die Bruchkerbe). c Teilen von Tabletten mit Doppelbruchkerben durch Druck auf die kleine Bruchkerbe.
Orale Arzneimittelapplikation Pathophysiologie Schlucken. Orale Verabreichung eignet sich nur für Patienten mit erhaltenem Bewusstsein und sollte grundsätzlich in aufrechter Körperlage erfolgen (Ausnahme: Schmelztabletten). Feste galenische Darreichungsformen sollen mit 150 – 200 ml Wasser eingenommen werden. Andere Flüssigkeiten (z. B. Milch, Orangensaft) können durch Komplexbildung oder durch pH-Änderung (z. B. Cola-Getränke) die Absorption von Stoffen hemmen bzw. erhöhen. Tabletten sollten nur geteilt werden, wenn sie eine Bruchkerbe haben (Technik des präzisen Teilens: Abb. 25.5). Verabreichung durch Magensonde. Arzneimittel sollen nur durch Magensonden verabreicht werden, wenn sie vor der Verabreichung aufgelöst oder zermörsert und suspendiert werden können. Grundsätzlich nicht zermörsert werden dürfen: retardierte oder magensäureresistente Präparate (Zerstörung der Galenik), kanzerogene, mutagene oder reproduktionstoxische (CMR-)Präparate (Risiko für Umgebung), die meisten Dragees, OROS-Präparate (Zerstörung der Galenik und Intoxikationsgefahr).
Allgemeine Anwendungshinweise Kapseln • Mit nach vorn geneigtem Kopf und Oberkörper schlucken, da sie meist auf der Flüssigkeit schwimmen (Vermeiden von Würgreiz). • Bei Schluckbeschwerden können Hartgelatinekapseln geöffnet und auf Nahrung gegeben werden. Die Nahrung sollte nicht zum Kauen animieren (z. B. Joghurt), damit die Galenik (z. B. retardierte oder beschichtete Mikropellets) nicht zerstört wird. • Nicht geöffnet werden dürfen Kapseln – mit magensaftresistentem Film, – mit zytotoxischen (CMR-)Substanzen, – mit flüssigem oder halbfestem Inhalt und – Kapseln, die an der Stecknaht versiegelt sind. Magensaftresistente Formen • Monolithisch beschichte Formen sollten bevorzugt nüchtern eingenommen werden, da sonst die Passage in den Dünndarm und dadurch die Freisetzung um viele Stunden verzögert werden kann. • Multipartikulär formulierte Darreichungsformen zerfallen im Magen und die kleinen beschichteten Partikel (Granulat, Pellets, Mikrotabletten)
648
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
a 90°
•
45°
können in den Dünndarm passieren, selbst wenn der Pylorus sich stundenlang nicht öffnet. Nicht gleichzeitig mit Antazida schlucken (vorzeitige Freigabe der Substanz).
Retardierte Arzneimittel • Nie zerbeißen oder mechanisch zerkleinern, z. B. monolithische Matrixformulierungen, filmbeschichtete Tabletten, osmotische (OROS-)Systeme, Manteltabletten, da es sonst zur akuten Freisetzung ungewollt großer Wirkstoffmengen (= Dose Dumping) kommen kann. • Ausnahmsweise können sie geteilt werden oder in Wasser aufgelöst werden (z. B. multipartikuläre Pelletfomulierungen) und dann per Sonde appliziert werden. Tropfen • Bei der Entnahme von Tropfen aus entsprechenden Flaschen hängt die Dosiergenauigkeit von der Tropfflaschenhandhabung (Neigung der Flasche) und dem Füllungszustand der Tropfflasche ab. • Grundsätzlich sollte eine Tropfflasche nie geschüttelt werden (Füllung der Luftansaugöffnung). Falls der Tropfvorgang gestört ist, kann sanft auf den Boden des Fläschchens getippt werden bzw. das Fläschchen auf eine Unterlage mehrmals hart aufgesetzt werden (Entleerung der Lufteinlassöffnung). • Tropfflaschen mit Zentraltropfer müssen beim Tropfvorgang senkrecht gehalten werden, da es sonst zur Bildung kleinerer Tropfen kommt (Unterdosierung) (Abb. 25.6 a).
25
Abb. 25.6 Richtige Anwendung von Tropfflaschen. a Zentraltropfer, der senkrecht gehalten werden muss. b Randtropfer, dessen optimale Tropfengrçße bei 458 Schrglage entsteht.
b
•
Tropfflaschen mit Randtropfer bilden optimale Tropfengrößen bei 458 Schräglage (Abb. 25.6 b). • Trotz identischer Wirkstärke müssen Tropfen verschiedener Generika mit gleichem Inhaltsstoff nicht gleich groß sein (z. B. durch Unterschiede in der Oberflächenspannung), weshalb für jedes einzelne Präparat die benötigte Tropfenzahl jeweils aus der Fachinformation entnommen werden muss. Arzneimittelapplikation über Magensonden. Die Applikation von suspendierten Arzneimitteln ist ein aufwendiger, fehleranfälliger Prozess, der mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden muss, um Komplikationen (Verstopfung von Sonden) zu vermeiden. Nasale Ernährungssonden haben meist nur seitliche Öffnungen und enden blind, was mit einer größeren Verstopfungsgefahr einhergeht. Vor jeder Arzneimittelapplikation soll die Sonde mit 10 – 15 ml Wasser (nicht Tee oder Fruchtsaft) gespült werden (Durchgängigkeit?). • Idealerweise werden über Sonden flüssige Arzneimittel verabreicht. • Feste Arzneimittel dürfen nur verabreicht werden, wenn die dispergierten Partikel kleiner sind als die engsten Sondenstellen und wenn sie nicht durch Quellung die Sonde verstopfen können (sofort nach Suspendierung verabreichen und reichlich nachspülen). • Tablettenzerkleinerung: Statt offener Mörser eher geschlossene Tablettenzerkleinerer verwenden (homogenere Pulverisierung, geringere Exposition des Pflegepersonals), Farb- oder Hüllenreste verwerfen (Verstopfungsgefahr). Tabletten ohne Filmüberzug können meist in wenigen Mi-
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
649
Abb. 25.7 Torpedoförmige Rektalzäpfchen bleiben lnger im Rektum, wenn sie mit dem stumpfen Ende voraus eingefhrt werden.
•
•
nuten in Wasser aufgelöst werden (kein Mörsern erforderlich). Alle anderen Präparate einzeln zerkleinern (Vermeidung von chemischen Wechselwirkungen). Filmtabletten und Dragees dürfen nicht zerkleinert werden, wenn der Überzug als Magensäureschutz, zur Retardierung oder zum Schutz der Umgebung (CMR-Substanzen) dient. Verschiedene Arzneimittel zerfallen in Flüssigkeit spontan, manchmal sogar in säuregeschützte oder retardierte Pellets. Solche Formulierungen werden zum Auflösen direkt in die applizierende Spritze gegeben und in 10 – 15 ml Wasser aufgelöst. Pulverisierte Tabletten entweder in Spritze suspendieren oder in Sondenadapter geben und getrennt von Sondennahrung verabreichen (außer bei lipophilen Partikeln, die anderenfalls an Spritzen kleben).
Rektale Arzneimittelapplikation Definition und Einteilung Geeignete galenische Formen für die rektale Anwendung in der Notfallmedizin sind Suppositorium, Rektaltube, Rektalkapsel (systemische Wirkung unter weitgehender Umgehung des First-Pass-Metabolismus) sowie Klysma (Einlauf) und Analtampons (topische Anwendung). Außerdem kommen Schäume und Anorektalsalben zur Anwendung.
Allgemeine Anwendungshinweise Patienten in linke Seitenlage bringen (insbesondere bei Applikation von lokal wirkenden Einläufen). Applikation wie unten beschrieben, anschließend Gesäßbacken des Patienten einige Zeit zusammendrü-
cken und Patienten auffordern, den Stuhldrang für 30 min zu unterdrücken. Suppositorien • Um Suppositorien gleitfähig(er) zu machen, dürfen die oft im Kühlschrank gelagerten Zäpfchen kurz in heißes Wasser getaucht werden. Das Auftragen von Vaseline oder anderen Gleitmitteln (außer Wasser) soll vermieden werden, da dadurch die Arzneistofffreisetzung beeinträchtigt werden kann. • Torpedoförmige Suppositorien sollen mit dem stumpfen Ende voran tief eingeführt werden, sodass das zugespitzte Ende distal im Rektum liegt, wodurch das Hinausgleiten besser verhindert wird (Abb. 25.7). • Soll ein Zäpfchen in reduzierter Dosis verabreicht werden (Kinder), so wird es nicht quer sondern in der Längsachse halbiert (genauere Dosierung). Klysma, Mikroklysma, Rektaltube, Rektiole • Größere Volumina (> 50 ml) vor Verabreichung auf Körpertemperatur bringen. • Insbesondere Suspensionen gut mischen (durchkneten oder schütteln). • Entfernung der Verschlusskappe und ggf. Perforation der Applikatorspitze (mit beigefügtem Dorn), ggf. mit Vaseline einfetten, um Spitze gleitfähiger zu machen. • Spitze nach unten halten und der ganzen Länge nach (ca. 5 cm tief) in den After einführen. • Den Inhalt durch kräftigen Druck mit Daumen und Zeigefinger komplett entleeren (Ziel möglichst vollständige Applikation) (Abb. 25.8), größere Volumina langsam instillieren (weniger Stuhldrang). • Unter fortgesetztem Zusammendrücken Applikator herausziehen (Verhindern von Zurücksaugen der Rektallösung).
650
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Abb. 25.8 Einführen einer Rektiole in den Analkanal.
3. vollständig entleeren durch Druck mit Daumen und Zeigefinger
2. bis zum Anschlag einführen
1. Nase stets nach unten halten
4. unter fortgesetztem Druck zurückziehen
Analtampons (Suppositorien mit eingeschmolzenem Gazestreifen) • Da sie zur lokalen Behandlung gedacht sind, sollten sie lange liegen bleiben (Einführen morgens nach Defäkation oder/und vor dem Zubettgehen). • Nur so weit in den Analkanal einschieben, dass sie noch tastbar sind.
Inhalative Arzneimittelapplikation Definition und Einteilung Inhalative Arzneimittel werden über Vernebler, Dosieraerosolsysteme oder Pulverinhalatoren verabreicht. In den meisten Fällen ist das Ziel, den Arzneistoff tief in die Lungen (Bronchiolen, Alveolen) zu transportieren, was mit Partikelgrößen zwischen 2 und 4 µm am besten gelingt. Neben der Partikelgröße spielt die Inhalationstechnik (Körperhaltung, Koordination mit Atemzug) die wohl wichtigste Rolle für die Bioverfügbarkeit der Substanz.
Pathophysiologie Dosieraerosolsysteme setzen die Wirkstoffpartikel mit großer kinetischer Energie frei, weshalb Maßnahmen zur Verringerung der Flussgeschwindigkeit sinnvoll sind (Mundstückverlängerung, Spacer). Dadurch kann die pulmonale Bioverfügbarkeit erhöht werden (Reduktion der Substanzverluste durch Aufprallen an Atemwegswänden). Außerdem ist die Koordination von Applikation und Einatmung bei diesen Systemen besonders wichtig, aber auch schwierig für die Patienten. Keine Synchronisation ist erforderlich bei Pulverinhalatoren.
25
Allgemeine Anwendungshinweise Inhalationstechnik mit Druckluft- oder Ultraschallverneblern • Insbesondere bei Verwendung von Mehrdosenbehältnissen Verneblerkammer unter strikter Beachtung hygienischer Kriterien mit 1 – 2 ml Lösung befüllen. • Verneblerkammer senkrecht halten und Gerät einschalten. • Lieber Mundstück als Maske verwenden (Bioverfügbarkeit ›). • Patienten anweisen, langsam einzuatmen, in Inspirationsstellung Atem jeweils für 5 – 10 s anzuhalten und langsam auszuatmen. • Übliche Inhalationsdauer < 15 min. Verwendung von Inhalierhilfen für Dosieraerosole. Bei Verwendung von Dosieraerosolen sind verschiedene Inhalierhilfen nützlich. • Mit einer Mundstückverlängerung, einer ca. 10 cm langen, oben gespaltenen Rohrverlängerung zwischen Ventil und Mund, kann eine Verlangsamung der Partikelgeschwindigkeit und Reduktion der Partikelgröße (fi pulmonale Verfügbarkeit ›) erreicht werden. Die Arzneistoffapplikation erfolgt technisch gleich wie ohne Mundstückverlängerung. • Spacer (= Vorschaltkammer) sind 50 – 900 ml fassende Kunststoff- oder Metallbehälter zur Abtrennung großer, nicht bronchiengängiger Partikel. Vorteile der Spacer-Anwendung sind der geringere Koordinationsaufwand, bessere Bioverfügbarkeit sowie Reduktion von Dysphonie und Schleimhautmykosen durch Glukokortikoide. Es dürfen aber nicht mehrere Hübe gleichzeitig in den Spacer gegeben werden (pulmonale Bioverfügbarkeit fl).
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
651
Abb. 25.9 Richtige Anwendung eines Dosieraerosols.
1. abhusten ausatmen
2. Aerosol gut schütteln
3. Kopf reklinieren
4. langsam und tief einatmen und Spraystoß auslösen
5. Atem 10s anhalten
6. langsam ausatmen
Inhalationstechnik bei intermittierender Wirkstoffverneblung mit Dosieraerosol (Abb. 25.9) • Abhusten. • Dosieraerosol senkrecht mit Mundstück nach unten halten und schütteln (besonders bei Suspensionen wichtig). • Langsam und tief ausatmen. • (Sofern Spacer verwendet wird: Hub jetzt in Spacer applizieren.) • Reklination des Kopfes zur Streckung der Atemwege (Verminderung der Partikeldeposition an Rachenwand). • Langsame (über 3 s) und tiefe Einatmung durch den Mund, gleichzeitig Betätigen des Ventils (Hubapplikation), sofern Freisetzung nicht automatisch ausgelöst wird (z. B. Easyhaler) oder in Spacer erfolgte. • Atem 10 s in Inspiration anhalten (besonders wichtig zur Deposition fettlöslicher Glukokortikoide). • Langsam durch Nase oder gegen Lippenbremse ausatmen. • Bei Inhalation von Glukokortikoiden: Mund mit warmem Wasser spülen, sofern nicht anschließend Nahrungsaufnahme erfolgt (Vermeidung von Schleimhautmykosen). Inhalationstechnik bei intermittierender Wirkstoffverneblung mit Pulverinhalator • Pulverinhalatoren funktionieren nur, wenn ausreichend hohe Atemstromstärken erzielt werden (z. B. 40 l/min), um die mikronisierten Pulveraggregate in die 1 – 5 µm große Primärpartikel zu zerlegen. Zu geringe Flussraten setzen kleinere Dosen frei.
• • • • • • •
Ladevorgang des Systems durchführen bzw. bei beladbaren Pulverinhalatoren Kapsel in das Reservoir geben. Abhusten und vollständig ausatmen. Reklination des Kopfes. Mundstück mit den Lippen dicht umschließen, forciert einatmen und Atem für einige Sekunden anhalten. Applikator absetzen und erst dann ausatmen. Bei beladbaren Pulverinhalatoren ggf. Inhalation wiederholen, bis die Kapsel leer ist. Schutzkappen wieder zurückklappen.
Besondere Merkpunkte
• •
•
Regelmäßiges Waschen von Inhalierhilfen und Mundstücken mit warmem Wasser ist zur Erhaltung der Funktionstüchtigkeit und aus hygienischen Überlegungen wichtig. Aufbewahrung von Dosieraerosolen bei Temperaturen > 40 8C kann zu Wirkstoffverlust und Funktionseinbußen führen. Bei Verwendung bei Temperaturen < – 15 8C werden geringere Dosen pro Hub freigesetzt. Pulverinhalatoren sind feuchtigkeitsempfindlich und müssen deshalb nach Gebrauch stets wieder verschlossen werden.
652
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Parenterale Arzneimittelapplikation
Definition und Einteilung Die Verabreichung parenteraler Arzneistoffe erfolgt in der Regel über ein Nadelsystem und nur ausnahmsweise nadelfrei. Die Wahl der Nadellänge hängt vom Injektionsweg, der gewählte Nadeldurchmesser (Gauge [G]), von der angestrebten Flussrate und den Flüssigkeitscharakteristika (Viskosität) ab (Tab. 25.14). Die Notwendigkeit einer Desinfektion vor i. m. (z. B. Vakzinierung) oder s. c. (z. B. Insulin) Applikation ist gegenwärtig umstritten, in einem Krankenhausumfeld (besonderes Keimspektrum) jedoch zu empfehlen. Ampullen, die ohne Feile geöffnet werden können, sind durch einen (Druck-)Punkt am Ampullenkopf oder einen Brechring am Hals gekennzeichnet (Abb. 25.10). Sie können durch raschen axialen Zug oder durch Biegung (Abb. 25.11) oder eine Kombination beider Techniken aufgebrochen werden. Zuvor sollte Flüssigkeit aus dem Ampullenspieß durch eine drehende Zentrifugalbewegung Richtung Ampullenboden geschleudert werden.
Tabelle 25.14
Allgemeine Anwendungshinweise Subkutane Verabreichung • Geeignetes Hautareal wählen (narbige oder entzündete, hyperämische Stellen meiden). • Hautdesinfektion (mind. 30 s einwirken und trocknen lassen). • Injektionsinhalt prüfen (Verfärbung, Ausflockung, Trübung). Beachte! Manche Injektionslösungen (z. B. Insuline) sind trüb. Schaum zusammenfallen lassen, Luft entfernen (außer bei Heparin-Fertigspritzen). • Für subkutane Injektion mit 3 Fingern Hautfalte am lateralen Oberschenkel, Bauch oder Oberarm (Trizeps) bilden (Abb. 25.12, S. 654). • Einstichwinkel (abhängig von Nadellänge) 458 (– 908 bei 5 – 8 mm langen „Insulinnadeln“). • Aspiration nicht notwendig. • Haut rasch durchstechen und Inhalt langsam über mehrere Sekunden injizieren. • Spritze rasch und gerade herausziehen, Nadel sicher entsorgen. Injektionsstelle inspizieren und mit trockener Gaze 30 s sanft komprimieren. Pflaster auf Einstichstelle kleben. Intramuskuläre Verabreichung • Geeignete Stelle wählen (bis 1 ml in Deltoideus, größere Volumina in größere Muskeln injizieren, bevorzugt M. vastus lateralis). • Hautdesinfektion (mindestens 30 s einwirken und trocknen lassen).
Nadeldurchmesser und -lngen fr verschiedene parenterale Applikationswege.
Nadelaußendurchmesser (Gauge)
Farbe
Gebräuchliche Längen (mm)
Verabreichungsweg
18
rosa
40, 50, 70
Aufziehnadel
20
gelb
38
i. v.
21
grn
30, 35, 40, 50
i. v., i. m.
22
schwarz
16, 30, 32
i. v., i. m., s. c.
23
dunkelblau
16, 26, 30
s. c. (i. v., i. m.)
24
purpur
26
s. c.
25
orange
16, 24, 26
s. c.
26
braun
10, 16, 23
s. c.
27
grau
6, 8, 10, 12, 20, 22
s. c., intrakavernçs
28
blau-grn
6, 8, 10, 12, 20, 22
s. c.
29
rot
6, 8, 10, 12, 20, 22
s. c.
30
gelb
6, 8, 10, 12, 20, 22
s. c., i. c.
i. c.: intrakutan, i. m.: intramuskulr, i. v.: intravençs, s. c.: subkutan
25
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
Druckpunkt
Brechring
653
Abb. 25.10 Ampullen mit vorgefertigten Sollbruchstellen. Sie tragen entweder einen aufgemalten Druckpunkt oder sind durch einen Brechring am Ampullenhals gekennzeichnet.
Sollbruchstelle
Abb. 25.11 Techniken zum Brechen einer Ampulle. Links mit Schlsselgriff, rechts mit Spitzgriff. Zum Schutz vor Verletzungen soll ein Tupfer zwischen Ampulle und Finger gelegt werden.
• •
• • •
•
Injektionsinhalt prüfen (Verfärbung, Ausflockung, Trübung). Schaum zusammenfallen lassen, Luft entfernen. Für intramuskuläre Injektion Hautfalte mit 5 Fingern am lateralen Oberschenkel, Glutaeus oder Deltoideus bilden (Abb. 25.12) oder tiefe Hautfalte mit Daumen und Zeigefinger bilden. Ggf. vor der Punktion Haut über dem Muskel durch Zug etwas verschieben (Z-Track-Technik), sodass nach erfolgter Injektion der Stichkanal durch Zurückgleiten der Haut geknickt wird (Verschluss, weniger Schmerz bei Punktion). Einstichwinkel i. m. 72 – 908. Haut rasch durchstechen und Nadel tief einführen. Aspirieren während mehrerer Sekunden (Blut?); falls kein Blut zurückfließt, Inhalt langsam (1 ml/10 s) injizieren, 10 s warten und dann Spritze rasch und gerade herausziehen, Nadel sicher entsorgen. Injektionsstelle inspizieren und sanft mit trockener Gaze 30 s komprimieren (nicht massieren!). Pflaster auf Einstichstelle kleben. Falls Blut zurückfließt, Spritze rasch und gerade herausziehen. Injektionsstelle mit trockener Gaze 30 s komprimieren, neues Spritzenset aufziehen, neuer Punktionsversuch an anderer Stelle.
Intravenöse Verabreichung • Aufziehen des Arzneimittels in eine Spritze mit geeigneter Skala, Injektionsinhalt prüfen, Nadel wechseln, Luft entfernen. • Staubinde (oder BD-Manschette) proximal der Injektionsstelle anlegen und mit Drucken zwischen systolischem und diastolischem Druck stauen. • Geeignete Vene wählen und großflächige Hautdesinfektion (mindestens 30 s einwirken und trocknen lassen). • Handschuhe tragen, Haut durch Zug spannen (Fixation der Vene) und Nadelsystem mit nach oben gerichtetem Schliff in einem Winkel von 308–458 einführen. • Prüfung, ob Nadel im Lumen liegt (Rückfluss von Blut, ggf. Aspiration). • Stauung lösen und langsam injizieren. • Spritze rasch und gerade herausziehen. Nadel sicher entsorgen, Injektionsstelle mit trockener Gaze 30 s fest komprimieren. Pflaster auf Einstichstelle kleben. Verabreichung über Dreiwegehahn • Falls über einen Dreiwegehahn in eine laufende Infusion ein weiteres Arzneimittel gegeben werden soll, muss vorher abgeklärt werden, ob die beiden Lösungen mischbar sind (Kompatibilität).
654
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Subkutis Muskulatur subkutane Injektion
Abb. 25.12
•
Bildung einer Hautfalte fr die subkutane Injektion und intramuskulre Injektion.
Im Zweifelsfall sollten Infusionslösungen als nicht mischbar betrachtet und getrennt verabreicht werden. Mit vielen Präparaten nicht mischbar sind Lösungen, welche die folgenden Stoffe enthalten: – Heparin, – Erythromycin, Imipenem/Cilastatin, Piperacillin/Tazobactam, Metoclopramid, – Glukokortikoide, – Furosemid, Midazolam, Phenytoin, – Kalium-, Aminosäure- und Fettlösungen.
Besondere Merkpunkte Bei Heparin-Fertigspritzen zur subkutanen Injektion ist oft eine kleine Luftblase in der Spritze enthalten, die ebenfalls appliziert wird. Dadurch wird ein Rückfluss durch den Stichkanal verhindert und die Hämatombildung reduziert.
Arzneimittelapplikation am Ohr Pathophysiologie Arzneimittelapplikationen am Ohr (z. B. antimikrobielle Substanzen) haben ihren Wirkort im äußeren Gehörgang und sollten deshalb nur bei intaktem
25
intramuskuläre Injektion
Trommelfell verabreicht werden (Cave! Ototoxizität).
Allgemeine Anwendungshinweise Die Arzneimittelverabreichung ist erfolgreicher, wenn die Krümmung des Gehörgangs ausgeglichen wird durch Zug an der Ohrmuschel nach hinten und oben. Dies ist einfacher durch eine Hilfsperson als durch den Patienten selbst auszuführen. Ohrtropfen (Abb. 25.13) • Seitenlage einnehmen, krankes Ohr oben. • Ohrmuschel nach hinten und oben ziehen. • Verabreichende Hand auf Kopf des Patienten abstützen. • 2 – 5 Ohrtropfen einträufeln, ohne Pipette in Gehörgang einzuführen (Verletzungsgefahr). • Evtl. Tragusmassage (rasches Bewegen des Tragus nach kranial und kaudal zur rascheren Verteilung). • 1 – 2 min mit Kopf in Seitenlage verharren.
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
655
Abb. 25.13 Korrekte Verabreichung von Ohrtropfen.
1. Ohrmuschel nach dorsal und kranial ziehen
2. Ohrtropfen einträufeln
3. Tragus nach kranial und kaudal bewegen
Ophthalmische Arzneimittelapplikation Pathophysiologie Das Auge verfügt über wirksame Mechanismen zur Spülung der Konjunktiva (Tränenfluss, Lidschlag), weshalb ein Hauptproblem der Verbleib des Wirkstoffs in den vorderen Augenabschnitten ist. Die Verweildauer nimmt mit abnehmender Tränenproduktion (Alter) zu und kann weiter erhöht werden, wenn der Tränenabfluss temporär durch Druck auf das Tränenpünktchen am nasalen Unterlidrand unterbrochen wird. Solche Maßnahmen verringern die systemische Verfügbarkeit und damit die unerwünschten Wirkungen topischer Ophthalmika (z. B. Timolol).
Allgemeine Anwendungshinweise Es sollten möglichst geringe Volumina verabreicht werden, da überschüssige Flüssigkeitsmengen rasch nasal drainiert werden und deshalb lokal nicht mehr Wirkung entfalten. Müssen verschiedene Arzneimittel ins Auge gegeben werden, sollte zwischen 2 Applikationen mindestens 10 min gewartet werden, damit der Tränenfluss nicht stimuliert und der erste
Wirkstoff nicht weggespült wird. Bei Mehrdosenbehältnissen (Tropfen, Salben) muss eine Kontamination mit Keimen unter allen Umständen verhindert werden (nicht für verschiedene Patienten verwenden). Einige Behälter müssen bei erstmaliger Verwendung mit einem im Schraubdeckel enthaltenen Dorn durchstochen werden. Augentropfen (Abb. 25.14) • Patienten auffordern, Kopf zu reklinieren und Blick mit beiden Augen nach oben zu richten. • Mit nichtdominanter Hand Unterlid sanft nach unten ziehen (Öffnen des Konjunktivalsacks). • Tropfenspender in dominanter Hand senkrecht halten (Schräglage verringert oft die Tropfengröße), gleichzeitig auf Stirn des Patienten abstützen. • Durch Druck auf das Fläschchen Tropfen verabreichen (Schlüsselgriff anwenden, wenn Kraft nicht ausreicht), ohne das Auge zu berühren (Kontamination!). • Vorzeitigen Abfluss aus dem Auge verhindern: Auge für mindestens 2 min schließen (zusätzlich ggf. für 1 min sanft auf Tränenpünktchen drücken). Falls Augen z. B. schmerzbedingt nicht geöffnet werden können, können Augentropfen (z. B. Lokalanästhetika) auch in den medialen Augenwinkel getropft werden (kanthale Applikation), von wo sie sich in die Konjunktiva verteilen.
656
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
Abb. 25.14 Applikation von Augentropfen. Durch sanften Druck auf das Trnenpnktchen whrend 1 – 2 min nach Applikation kann die lokale Bioverfgbarkeit wesentlich verbessert werden.
1. Reklination des Kopfes
2. Blick nach oben Zug am Unterlid
90°
3. Tropfflasche senkrecht halten und drücken
4. sanfter Druck auf Tränenpünktchen
Augensalben • Einzeldosenbehältnisse schleudernd mit Spitze nach unten bewegen, um Luft aus der Applikatorspitze zu entfernen. • Patienten auffordern, Kopf zu reklinieren und Blick mit beiden Augen nach oben zu richten. • Mit nichtdominanter Hand Unterlid sanft nach unten ziehen (Öffnen des Konjunktivalsacks). • Hand an Kopf abstützen und 5 mm langen Salbenstrang von Augeninnenwinkel zum -außenwinkel in den Konjunktivalsack geben. • Salbenstrang durch Drehen der Tube abreißen lassen (Verhinderung der Kontamination). • Auge schließen und Bulbus in alle Richtungen bewegen, Auge geschlossen halten um Verweildauer des Arzneistoffs zu verlängern.
Besondere Merkpunkte
•
25
Kontaktlinsen müssen vor der Verabreichung von Ophthalmika entfernt werden (Veränderung der Arzneimittelfreisetzung, Störung der Linsenmobilität, Linsenverfärbung).
•
Einige Minuten nach Verabreichung von Augentropfen kann es entlang des Tränenabflussweges zu (unangenehmen) Geschmacksempfindungen im Nasen-Rachen-Raum kommen.
Nasale Arzneimittelapplikation Pathophysiologie Zur Anwendung in der Nase werden meist flüssige oder halbfeste Darreichungsformen verwendet, deren Wirkort lokal oder systemisch liegt. In beiden Fällen ist ein langer Kontakt mit einer möglichst großen Schleimhautoberfläche anzustreben, weshalb nach nasaler Applikation Maßnahmen gegen den allzu raschen Abfluss aus der Nasenhöhle getroffen werden müssen.
Arzneimittelapplikation in der Notfallmedizin
657
Abb. 25.15 Applikation von Nasentropfen mit vornber gebeugtem Kopf oder im Liegen. Nach Applikation soll der Kopf jeweils 30 s auf die rechte und die linke Seite gedreht werden.
1. Applikation im Stehen
1. Applikation im Liegen
Allgemeine Anwendungshinweise Nasalia dürfen nicht für mehrere Patienten verwendet werden (Keimübertragung). Bei Nasensprays ist vor der ersten Anwendung der Applikator durch mehrere Pumpbewegungen zu befüllen, sodass ein homogener Sprühnebel entsteht. Übliche Applikationsmengen pro Nasenöffnung liegen zwischen 0,05 – 0,15 ml (~ 1 – 3 Tropfen). Nasentropfen • Nasenwege sanft frei schnäuzen. • Applikation in aufrechter Lage (Abb. 25.15): Festhalten oder besser hinsetzen lassen und Kopf vornüber weit nach unten beugen (erhöht die lokale Verfügbarkeit). • Applikation im Liegen: Kopf reklinieren. • Applikatorspitze möglichst ohne Schleimhaut zu berühren etwa 5 mm in eine Nasenöffnung einführen, die andere Öffnung mit Finger verschließen. • Leicht einatmen und Tropfen verabreichen. • Bei gedrücktem Applikator Fläschchen aus Nase herausziehen und durch Mund ausatmen. • Ggf. Applikation auf der anderen Seite wiederholen (topische Präparate). • Schnüffelnd den Kopf für jeweils 30 s auf beide Seiten wenden (optimale Benetzung der Schleimhäute). Nasensprays • Nasenwege sanft frei schnäuzen. • Applikatorspitze möglichst ohne Schleimhaut zu berühren etwa 5 mm in die Nasenöffnung einführen, leicht einatmen. • Applikation mit Quetschsprühfläschchen (Abb. 25.16): Applikatorspitze senkrecht nach oben halten (sonst tritt reiner Wirkstoff statt Aerosol aus) und einmal herzhaft zudrücken (zöger-
90°
Abb. 25.16 Applikation von Nasensprays in aufrechter Kçrperposition (optimale Spraybildung). Nach Applikation soll der Kopf leicht nach hinten gebeugt werden.
• • •
liches Drücken führt zu reduzierter Wirkstoffabgabe). Applikation mit Dosiersprayfläschchen: Applikatorspitze senkrecht nach oben halten und zudrücken. Dann Fläschchen in gedrücktem Zustand aus Nase herausziehen (um Zurücksaugen von kontaminiertem Schleim zu vermeiden) und durch Mund ausatmen. Ggf. Applikation auf der anderen Seite wiederholen (topische Präparate).
658
Arzneimittelverabreichung in der Notfallmedizin
•
Reklination des Kopfes für 30 s (optimale Benetzung der Schleimhäute). Nasensalben • Nasenwege sanft frei schnäuzen und Kopf reklinieren. • Tubenspitze möglichst ohne Schleimhaut zu berühren etwa 5 mm in die Nasenöffnung einführen. • Eine linsengroße Arzneimittelmenge in die betroffene Nasenseite applizieren und Salbe durch äußeres Massieren und/oder Schnüffeln verteilen.
Kutane Arzneimittelapplikation Allgemeine Anwendungshinweise Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Dermatika hängt u. a. von den folgenden Faktoren ab, weshalb die Packungsbeilagen diesbezüglich stets konsultiert werden müssen: • Auftragen vs. Einmassieren, • Okklusion vs. eintrocknen lassen, • Applikationsfläche, • Abstand zur nächsten Waschung (mindestens 30 – 60 min einhalten), • Auftragungsort (Stamm wird bevorzugt gegenüber schlechter durchbluteten Hautarealen an den distalen Extremitäten). • Auch langsam freisetzende Pflaster (transdermale therapeutische Systeme) sollten an der vorgeschriebenen Körperregion aufgebracht werden und nicht auf Knochen (erhebliche Resorptionsunterschiede), vernarbte oder mit Kosmetika vorbehandelte Bereiche. • Da Kosmetika und Dermatika Resorption und Verträglichkeit gegenseitig beeinflussen können, sollen Hautstellen stets nur mit einem Präparat exponiert werden. Die lokale Durchblutung kann Einfluss auf die systemische Verfügbarkeit haben (Cave! Anwendung von Heizkissen über transdermalen Systemen).
25
Besondere Merkpunkte Einige transdermale therapeutische Systeme erzeugen unterhalb des Pflasters ein Arzneimitteldepot, sodass es nach der ersten Applikation Stunden dauern kann, bis die Wirkung eintritt, und gelegentlich noch während Stunden nach der Pflasterentfernung Wirkstoff in die systemische Zirkulation gelangt.
659
26 Pharmakaverzeichnis W. E. Haefeli
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Abacavir (ABC)
1
Ziagen
Ziagen
Ziagen
Abciximab
n. d.
ReoPro
ReoPro
ReoPro
Acebutolol
0,8
–
Prent
–
Acenocoumarol
1
Sintrom
–
Sintrom
Aciclovir
0,1
Zovirax
Zovirax
Zovirax
Acipimox
0,01
Olbetam
Olbemox
Olbetam
Acitretin
1
Neotigason
Neotigason
Neotigason
ACTH1–24= Tetracosactid
n. d.
Synacthen
Synacthen
Synacthen
Adalimumab
n. d.
Humira
Humira
Humira
Adenosin
1
Krenosin
Adrekar
Adrekar
Adrenalin = Epinephrin
0,95
Adrenalin IMS
Suprarenin
Suprarenin
Aktiviertes Protein C = Drotrecogin alfa
n. d.
Xigris
Xigris
Xigris
Aktivkohle
n. d.
Kohletabletten Hnseler
Ultracarbon
Carbo medicinalis
Albendazol
hoch
Zentel
Eskazole
Eskazole
Albuterol = Salbutamol
n. d.
Ventolin
Bronchospray
Sultanol
Alcuronium
0,2
–
Alloferin
Alloferin
Alfentanil
1
Rapifen
Rapifen
Rapifen
Allopurinol
0,1
Zyloric
Zyloric
Zyloric
Alltrans-Retinsure = Tretinoin (ATRA)
n. d.
Vesano d
Vesanoid
Vesanoid
Al-Mg-Hydroxid
n. d.
Alucol
Maalox
Alucol
Alteplase = Plasminogen-Aktivator (rt-PA)
n. d.
Actilyse
Actilyse
Actilyse
Amantadin
0,1
PK-Merz
PK-Merz
PK-Merz-Schoeller
Amikacin
0,02
Amikin
Biklin
Biklin
Amilorid
0,25
Midamor
in Moduretik
Midamor
Aminophyllin
0,8
Euphyllin
Theophyllamin
Euphyllin
p-Aminosalicylsure (PAS)
0,99
–
Pas-Fatol N
–
Amiodaron
1
Cordarone
Cordarex
Sedacoron
Amisulprid
n. d.
Solian
Solian
Solian
Amitriptylin
1
Saroten
Saroten
Saroten
660
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH) Norvasc
Deutschland (D)
Österreich (A)
Amlodipin
0,95
Norvasc
Norvasc
Amoxicillin/Clavulansure = Amoxiclav
0,06/0,55 Augmentin
Augmentan
Augmentin
Amoxicillin
0,12
Clamoxyl
Clamoxyl
Clamoxyl
Amphotericin B (liposomal)
0,95
Fungizone (AmBisome)
Amphotericin B (Ambisome)
Amphotericin B (Ambisome)
Ampicillin
0,06
–
Binotal
Ampicillin Grnenthal
Anagrelid
0,99**
Xagrid
Xagrid
Xagrid
Anti-CD3-Antikçrper (Muronomab)
n. d.
Orthoclone OKT3
Orthoclone OKT3
–
Anti-CD20-Antikçrper (Rituximab)
n. d.
MabThera
MabThera
Mabthera
Anti-(Human)-T-LymphozytenGlobulin
n. d.
ATG
ATG
ATG
Antithrombin-III-Konzentrat
n. d.
ATenativ
Atenativ
Atenativ
Argatroban
0,84
–
Argatra
Argatra
Aripiprazol
0,99
Ability
Ability
Abilify
Artemether/Lumefantrin
n. d.
Riamet
Riamet
Riamet
Aspirin = Azetylsalizylsure (ASS)
1
Aspirin
Aspirin
Aspirin
Atazanavir
hoch
Reyataz
Reyataz
Reyataz
Atenolol
0,12
Tenormin
Tenormin
Tenormin
Atovaquon
> 0,9
Wellvone
Wellvone
Wellvone
Atovaquon/Proguanil
> 0,9/> 0,6 Malarone
Malarone
Malarone
Atracurium
1
Tracrium
Tracrium
Tracrium
Atropin
0,45
Atropinum sulfuricum Streuli
Atropinsulfat Braun
Atropinsulfat Lannacher
Azathioprin
1
Imurek
Imurek
Imurek
Azelastin
n. d.
Allergodil
Allergodil
Allergodil
Azetazolamid
0,2
Diamox
Diamox
Diamox
Azetylcystein (NAC)
0,7
Fluimucil
Fluimucil Antidot
Fluimucil
Azetylsalizylsure = Aspirin (ASS)
1
Aspirin
Aspirin
Aspirin
Azithromycin
0,8
Zithromax
Zithromax
Zithromax
Aztreonam
0,2
Azactam
Azactam
Azactam
Baclofen
0,3
Lioresal
Lioresal
Lioresal
Beclometason
1
Becotide
Bronchocort
Becotide
Benzbromaron
1
Desuric
Allomaron
Uricovac
Benzylpenicillin = Penicillin G
0,4
Penicillin G Hoechst
Penicillin G Grnenthal
Penicillin G
Betahistin
n. d.
Betaserc
Vasomotal
Betaserc
Bezafibrat
0,15
Cedur
Cedur
Bezacur
Biperiden
1
Akineton
Akineton
Akineton
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
661
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) Concor
Bisoprolol
0,48
Concor
Concor
Bivalirudin
0,8**
Angiox
Angiox
Angiox
Bleomycin
0,45
Bleomycin
Bleomycin
Bleomycin
Botulismus-Antitoxin
n. d.
–
BotulismusAntitoxin
–
Brivudin
0,99
Brivex
Sostext
Mevir
Bromocriptin
1
Parlodel
Parlodel
Parlodel
Budesonid
1
Pulmicort
Pulmicort
Pulmicort
Bumetanid
0,35**
Burinex
Burinex
Burinex
Bupivacain
0,95
Bupivacain
Carbostesin
Carbostesin
Buprenorphin
1
Temgesic
Temgesic
Temgesic
Bupropion = Amfebutamon
0,99
Wellbutrin
Elontril
Wellbutrin
Butylscopolamoniumbromid
0,55
Buscopan
Buscopan
Buscopan
Calcitonin
0,95
Miacalcic
Miacalcic
Miacalcic
Calcitriol
n. d.
Rocaltrol
Rocaltrol
Rocaltrol
Calciumchlorid
n. d.
–
Calciumchlorid
Calciumchlorid
Calciumdobesilat
0,5
Doxium
Dexium
Doxium
Calciumgluconat
0,8
Calcium-Sandoz
Calcium-Sandoz
Calcium Fresenius
Calciumgluconat-Gel
n. d.
Anti-FlusssureGel
–
–
Calcium-Polystyren-Sulfonat
n. d.
–
Calcium-Resonium Sorbisterit
C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH)
n. d.
Berinert P
Berinert P
Berinert P
CaNa2-EDTA
n. d.
Calcium edetate de sodium SERB
EDTA-Lçsung GPU Hameln
–
Candesartan cilexetil
0,4
Atacand
Atacand
Atacand
Capecitabin
1
Xeloda
Xeloda
Xeloda
Captopril
0,4
Lopirin
Lopirin
Lopirin
Carbamazepin (CBZ)
1
Tegretol
Tegretal
Tegretol
Carbimazol
1
No-Mercazole
Carbimazol
Carbistad
Carbomer (Augentropfen)
n. a.
Lacryvisc
Thilo-Tears
Liposic
Carboplatin
n. d.**
Paraplatin
Carboplat
Paraplatin
Caspofungin
0,99
Cancidas
Cancidas
Cancidas
Cefalexin
0,04
–
Oracef
Keflex
Cefazolin
0,06
Kefzol
Elzogram
Kefzol
Cefamandol
0,04
Mandokef
Mandokef
Mandokef
Cefepim
0,07
Maxipime
Maxipime
Maxipime
Cefetamet
0,12
Globocef
Globocef
–
Cefotaxim
0,35
Claforan
Claforan
Claforan
Cefprozil
0,22
Procef
–
–
662
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Ceftazidim
0,05
Fortam
Fortum
Fortum
Ceftriaxon
n. d.
Rocephin
Rocephin
Rocephin
Cefuroxim
0,1
Zinacef
Zinacef
Cefuroxim
Cefuroxim (Axetil)
1 (0, 1)
Zinat
Zinnat
Zinnat
Celecoxib
1
Celebrex
Celebrex
Celebrex
Certoparin
n. d.
Sandoparin
Mono-Embolex
Sandoparin
Cetirizin
0,4
Zyrtec
Zyrtec
Zyrtec
Chenodeoxycholsure
1
in Lithofalk
Chenofalk
–
Chinidin
0,8
Kinidin-Duriles
Chinidin
Chinidin-duriles
Chininsulfat
0,85
–
Limptar
Limptar
Chininhydrochlorid
0,85
–
Chininum hydrochloricum
–
Chlorthyl = Chlorethan
n. d.
Chloraethyl Adroka
Chloraethyl Dr. Henning
–
Chloralhydrat
1
Chloraldurat
Chloraldurat
–
Chloramphenicol
0,95
–
Paraxin
–
Chlorhexidin
n. d.
Chlorhexamed
Chlorhexamed
Chlorhexamed
Chloroquin
0,3
Nivaquine
Resochin
Resochin
Chlorpromazin
1
Chlorazin
Propaphenin
–
Chlorprothixen
1
Truxal
Truxal
Truxal
Ciclosporin A
0,99
Sandimmun (Neoral)
Sandimmun (Optoral)
Sandimmun (Neoral)
Cidofovir
0,13
Vistide
Vistide
Vistide
Cimetidin
0,3
Cimetidin
Cimetidin
Cimetag
Ciprofloxacin
0,5
Ciproxin
Ciprobay
Ciproxin
Cisplatin
n. d.**
Platinol
Cisplatin
Cisplatin
Citalopram
0,85
Seropram
Cipramil
Seropram
Cladribin
hoch
Leustatin
Leustatin
Leustatin
Clarithromycin
0,65
Klacid
Klacid
Klacid
Clemastin
0,99
Tavegyl
Tavegil
Clemastin
Clindamycin
0,9
Dalacin
Sobelin
Dalacin
Clobazam (CLB)
1
Urbanyl
Frisium
Frisium
Clodronat
0,4
Ostac
Ostac
Bonefos
Clofibrat
0,1*
–
–
Arterioflexin
Clomethiazol
0,95
Distraneurin
Distraneurin
–
Clomipramin
1
Anafranil
Anafranil
Anafranil
Clonazepam (CLN)
1
Rivotril
Rivotril
Rivotril
Clonidin
0,4
Catapresan
Catapresan
Catapresan
Clopidogrel
n. d.
Plavix
Plavix
Plavix
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
663
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) Canesten
Clotrimazol
n. d.
Canesten
Canesten
Clotiapin
0,9
Entumin
–
–
Clozapin
1
Leponex
Leponex
Leponex
Codein
1
Makatussin
Makatussin
Tricodein
Colchicin
0,7
–
Colchicum Dispert
Colchicin
Colestyramin
n. d.
Quantalan
Quantalan
Quantalan
Cortison
0,99
Cortison Ciba
–
–
Cotrimoxazol = Trimethoprim/ Sulfamethoxazol (TMP/SMZ)
0,45/0,8
Bactrim
Kepinol
–
Cromoglicinsure
0,6
Lomudal
Cromoratiopharm
Intal
Cyclizin
0,99
Marzine
–
Echnatol
Cyclophosphamid
0,5
Endoxan
Endoxan
Endoxan
Cyclosporin = Ciclosporin A
0,99
Sandimmun (Neoral)
Sandimmun (Optoral)
Sandimmun (Neoral)
Cyproheptadin
1
–
Peritol
Periactin
Cyproteron
1
Androcur
Androcur
Androcur
Dabigatran
gering
–
Pradaxa
–
Dalteparin
n. d.
Fragmin
Fragmin
Fragmin
Danaparoid
n. d.
Orgaran
Orgaran
Orgaran
Danazol
1
Danatrol
–
Danokrin
Dantrolen
0,95
Dantrolen i. v. P&G
Dantrolen
Dantrolen i. v. P&G
Dapson = Diaphenylsulfon (DDS)
0,9
–
Dapson-Fatol
–
Desipramin
> 0,95
–
Petylyl
–
Desmopressin (DDAVP)
1
Minirin
Minirin
Minirin
Dexamethason
0,9
Fortecortin
Fortecortin
Fortecortin
Dexchlorpheniramin
n. d.
Polaramine
Polaronil
Polaramin
Dexpanthenol
n. d.
Bepanthen
Bepanthen
Bepanthen
Dextromethorphan
0,8
Bexin
NeoTussan
Wick Formel 44
Dextropropoxyphen
n. d.
–
–
in APA
Diaphenylsulfon = Dapson (DDS)
0,9
–
Dapson-Fatol
–
Diazepam
1
Valium
Valium
Valium
Dibenzepin
0,99
Noveril
–
Noveril
Diclofenac
1
Voltaren
Voltaren
Voltaren
Dicobalt EDTA
n. d.
Kelocyanor
–
–
Didanosin (ddI)
0,5
Videx
Videx
Videx
Diflunisal
0,95
–
–
Fluniget
Digitalis Fab-Antikçrper
n. d.
DigiFab
–
–
664
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) Digimerck
Digitoxin
0,7
–
Digimerck
Digoxin
0,3
Digoxin-Sandoz
Lanicor
Lanicor
Dihydralazin
0,99
–
Nepresol
–
Dihydroergotamin
0,95
Dihydergot
DHE ratiopharm
DHE ratiopharm
Dihydrotachysterol
n. d.
A. T. 10
A. T. 10
A. T. 10
Diltiazem
1
Dilzem
Dilzem
Dilzem
Dimenhydrinat
‡ 0,7
Trawell
Vomex
Vertirosan
2,3-Dimercapto-1-propansulfonat (DMPS) = Unithiol
n. d.
Dimaval
Dimaval
–
4-Dimethylaminophenol (4-DMAP)
n. d.
DMAP Kçhler
4-DMAP
–
Dimetinden
0,9
Fenistil
Fenistil
Fenistil
Diphenhydramin
0,9
Benocten
Emesan
Noctor
Diphtherie-Tetanus-Impfung
n. d.
Revaxis
REVAXiS
Di Te Anatoxal
Dipyridamol
1
in Asasantin
Aggrenox
Persantin
Disopyramid
0,4
Norpace
Norpace
–
Distigminbromid
0,15
Ubretid
Ubretid
Ubretid
Disulfiram
0,5
Antabus
Antabus
Antabus
DMPS (2,3-Dimercaptopropan-1sulfonat) = Unithiol
n. d.
Dimaval
Dimaval
–
DMSA (2,3-Dimercaptosuccinat) = Succimer
n. d.
Succicaptal
–
TechneScan DMSA
Dobutamin
1
Dobutrex
Dobutamin
Dobutamin
Dolasetron
1
Anzemet
Anemet
Anzemet
Domperidon
1
Motilium
Motilium
Motilium
Dopamin
0,95
Dopamin
Dopamin
Dopamin
Doxepin
1
Sinquan
Doxepin
Sinequan
Doxorubicin = Adriamycin
0,95
Adriblastin
Adriblastin
Adriblastin
Doxycyclin
0,7
Vibramycin
Doxycyclin
Vibramycin
Droperidol
1
Droperidol
–
Dehydrobenzperidol
Duloxetin
hoch
Cymbalta
Cymbalta
Cymbalta
Efavirenz (EFV)
0,9
Stocrin
Sustiva
Stocrin
Eisen
n. d.
Tardyferon
Tardyferon
Tardyferon
Eletriptan
0,9**
Relpax
Relpax
Relpax
Emtricitabin
0,3
Emtriva
Emtriva
Emtriva
Enalapril
0,1*
Reniten
Xanef
Renitec
Enfluran
n. d.
–
–
Ethrane
Enoxaparin
n. d.
Clexane
Clexane
Lovenox
Enoximon
0,99
–
Perfan
–
Ephedrin
0,3
Ephedrin Streuli
–
–
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
665
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Eplerenon
0,98**
Inspra
Inspra
Inspra
Eptacog alfa = Gerinnungsfaktor VII a
n. d.
NovoSeven
Novoseven
Novoseven
Ergotamin
0,5
in Cafergot
Ergo-Kranit
Ergokapton
Ertapenem
0,6
Invanz
Invanz
Invanz
Erythromycin
0,9
Erythrocin
Erythrocin
Erythrocin
Escitalopram
n. d.
Cipralex
Cipralex
Cipralex
Esmolol
1
Brevibloc
Brevibloc
Brevibloc
Esomeprazol
> 0,9
Nexium
Nexium
Nexium
Etanercept
n. d.
Enbrel
Enbrel
Enbrel
Ethambutol
0,2
Myambutol
Myambutol
Myambutol
Ethosuximid
0,8
Petinimid
Petnidan
Petinimid
Etomidat
1
Etomidat
Etomidat
Etomidat
Etodolac
1
Lodine
–
–
Famciclovir
0,14
Famvir
Famvir
Famvir
Famotidin
0,2
–
Pepdul
Famotidin
FEIBA = Faktor-VIII-InhibitorBypass-Aktivitt
n. d.
FEIBA
FEIBA
FEIBA
Felbamat
1
Taloxa
Taloxa
Taloxa
Felopidin
1
Plendil
Munobal
Munobal
Fenofibrat
0,2
Lipanthyl
Lipidil
Lipcor
Fentanyl
0,9
Fentanyl
Fentanyl
Fentanyl
Fexofenadin
0,9
Telfast
Telfast
Telfast
Fibrinogen = Faktor I
n. d.
Haemocomplettan
Haemocomplettan
Haemocomplettan
Filgrastim = G-CSF
n. d.
Neupogen
Neupogen
Neupogen
Flecainid
0,7
Tambocor
Tambocor
Aristocor
Fleroxacin
0,35
Quinodis
Quinodis
Quinodis
Flucloxacillin
0,3
Floxapen
Staphylex
Floxapen
Fluconazol
0,2
Diflucan
Diflucan
Diflucan
Flucytosin
0,03
Ancotil
Ancotil
–
Fludarabin
n. d.
Fludara
Fludara
Fludara
Fludrocortison
n. d.
Florinef
Astonin
Astonin-H
Flumazenil
1
Anexate
Anexate
Anexate
Flunarizin
1
Sibelium
Sibelium
Sibelium
Flunitrazepam
1
Rohypnol
Rohypnol
Rohypnol
Fluoreszein (Augentropfen)
n. a.
Fluoresceine
Fluoreszein SE
Minims Fluorescein
5-Fluorouracil (5-FU)
1
Fluoro-uracil
5-FU
5-Fluorouracil
Fluoxetin
0,85
Fluctine
Fluctin
Fluctine
Fluphenazin
1
Dapotum
Dapotum
Dapotum
666
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Flurbiprofen (Augentropfen)
n. a.
–
Ocuflur
–
Fluticason
1
Axotide
Flutide
Flixotide
Fluvastatin
0,99
Lescol
Locol
Lescol
Fluvoxamin
1
Floxyfral
Fevarin
Floxyfral
Folinsure = Calciumfolinat
ca. 0,9
Leucovorin
Leucovorin
Calciumfolinat
Folsure
0,98
Folvite
Folsure
Folsan
Fomepizol
0,98
Fomepizole
Fomepizole
Fomepizole
Fondaparinux
0,23
Arixtra
Arixtra
Arixtra
Formoterol
n. d.
Foradil
Foradil
Foradil
Fordtranlçsung
n. d.
Fordtran Streuli
Oralav
–
Foscarnet
0,1
Foscavir
Foscavir
–
Fosamprenavir
0,99
Telzir
Telzir
Telzir
Fosinopril
0,5*
Fositen
Fosinorm
Fositens
Furosemid
0,25**
Lasix
Lasix
Lasix
Fusidinsure
1
Fucidin
Fucidin
Fucidin
Fusidinsurehaltige Creme
n. d.
Fucithalmic
Fucithalmic
Fucithalmic
Gabapentin (GBP)
0,08
Neurontin
Neurontin
Neurontin
Gammaglobuline (IVIG)
n. d.
Octagam
Octagam
Octagam
Gammahydroxybuttersure (GHB)
0,95
Xyrem
Xyrem
Xyrem
Ganciclovir
0,1
Cymevene
Cymeven
Cymevene
Gelatine
n. d.
Physiogel
Gelafundin
Gelofusin
Gentamicin
0,02
Garamycin
Refobacin
Refobacin
Gerinnungsfaktor I = Fibrinogen (Spender)
n. d.
Haemocomplettan
Haemocomplettan
Haemocomplettan
Gerinnungsfaktor VII
n. d.
Faktor-VII-Konzentrat S-TIM 4
Faktor-VII S-TIM 4
Faktor VII
Gerinnungsfaktor VII a (gentechnisch) = Eptacog alfa
n. d.
NovoSeven
Novoseven
Novoseven
Gerinnungsfaktor VIII (Spender)
n. d.
Immunate STIM plus
Immunate STIM plus
Immunate
Gerinnungsfaktor VIII (gentechnisch) = Octocog alfa
n. d.
Kogenate
Kogenate
Kogenate
Gerinnungsfaktor VIII-InhibitorBypass-Aktivitt (FEIBA)
n. d.
FEIBA
FEIBA
FEIBA
Gerinnungsfaktor IX (Spender)
n. d.
Berinin HS
Berinin HS
Immunine
Gerinnungsfaktor IX (gentechnisch) = Nonacog alfa
n. d.
BeneFIX
BeneFIX
BeneFIX
Gerinnungsfaktor X (Spender)
n. d.
in Prothromplex
in Prothromplex
in Prothromplex
Gerinnungsfaktor XIII (Spender)
n. d.
Fibrogammin
Fibrogammin
Fibrogammin
Gewebeplasminogen-Aktivator (rt-PA, Alteplase)
n. d.
Actilyse
Actilyse
Actilyse
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
667
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Glibenclamid
1
Euglucon
Euglucon
Euglucon
Gliclazid
0,8
Diamicron
Diamicron
Diamicron
Gliquidon
0,95
–
Glurenorm
Glurenorm
Glucagon
n. d.
GlucaGen
GlucaGen
Glucagen
Granisetron
0,85
Kytril
Kevatril
Kytril
HAES = Hydroxyethylstrke
n. d.
HAES steril
HAES steril
Hemohes
Haloperidol
1
Haldol
Haldol
Haldol
Hm-Arginat = Hmin
n. d.
Normosang
Normosang
Normosang
Heparin
1
Heparin
Heparin
Heparin
Hib-Impfstoff (Haemophilus influenzae b)
n. d.
Hiberix
Act-HIB
Act-HIB
Hyaluronsure (Augentropfen)
n. a.
Fermavisc
Xidan EDO
–
Hydralazin
0,85
–
in Treloc
in Triloc
Hydrochlorothiazid
0,05**
Esidrex
Esidrix
–
Hydrocodon
n. d.
Hydrocodeinon
–
–
Hydrocortison
1
Hydrocortone
Hydrocortison
Hydrocortone
Hydromorphon
1
Palladon
Palladon
Hydal
Hydroxocobalamin
n. d.
Cyanokit
Cyanokit
Hepavit
Hydroxyethylstrke (HAES)
n. d.
HAES-steril
HAES-steril
HAES-steril
Hydroxycarbamid = Hydroxyurea
0,5
Litalir
Litalir
Litalir
Hypromellose (Augentropfen)
n. d.
Isopto Tears
Lacri-Vision
Prosicca
Ibandronat
0,4
Bonviva
Bonviva
Bonviva
Ibuprofen
1
Brufen
Ibuprofen
Brufen
Ibutilid
0,95
Corvert
–
Corvert
Ifosfamid
0,5
Holoxan
Holoxan
Holoxan
Imatinib
0,87
Glivec
Glivec
Glivec
Imipenem/Cilastatin
0,3/0,1
Tienam
Zienam
Zienam
Imipramin
1
Tofranil
Tofranil
–
Immunglobulin (IVIG)
n. d.
Octagam
Octagam
Octagam
Indinavir (IDV)
0,8
Crixivan
Crixivan
Crixivan
Indometacin
0,85
Indocid
Indo
Indocid
Infliximab
n. d.
Remicade
Remicade
Remicade
Insulin (rasch wirksam, Normalinsulin) n. d.
Actrapid
Insuman Rapid
Actrapid
Intravençse Immunglobuline (IVIG)
n. d.
Octagam
Octagam
Octagam
Ipecac-Sirup
n. d.
–
Sirupus Ipecacuanhae
–
Ipratropiumbromid
n. d.
Atrovent
Atrovent
Atrovent
Isofluran
n. d.
Isofluran
Isofluran
Isofluran
Isoniazid
0,6
Rimifon
Isozid
INH
668
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) –
Isoproterenol = Isoprenalin
n. d.
Isuprel
–
Isosorbiddinitrat
1
Isoket
Isoket
Isoket
Isosorbidmononitrat
0,8
Corangin
Corangin
ISMN
Isotretinoin
1
Roaccutan
Isotretinoin
Roaccutan
Isradipin
1
Lomir
Lomir
Lomir
Itraconazol
1
Sporanox
Sempera
Sporanox
Ivabradin
0,75
Procoralan
Procoralan
Procoralan
Kalziumglukonat
0,8
Calcium-Sandoz
Calcium-Sandoz
Calcium Fresenius
Ketamin
1
Ketalar
Ketamin
Ketamin
Ketoconazol
1
Nizoral
Nizoral
Nizoral
Ketorolac (Augentropfen)
n. a.
Acular
Acular
Acular
Ketotifen
1
Zaditen
Zaditen
Zaditen
Labetalol
0,95
Trandate
–
Trandate
Lactitol
n. d.
Importal
Importal
Importal
Lactulose
n. d.
Duphalac
Bifiteral
Lactulose
Lamivudin (3TC)
0,03
Zeffix
Zeffix
Zeffix
Lamotrigin (LTG)
0,9
Lamictal
Lamictal
Lamictal
L-DOPA = Levodopa
0,93
in Madopar
in Madopar
in Madopar
Lenalidomid
0,3
Revlimid
Revlimid
Revlimid
Lepirudin
0,6
Refludan
Refludan
Refludan
Leucovorin = Calciumfolinat = Folinsure
ca. 0,9
Leucovorin
Leucovorin
Calciumfolinat
Levetiracetam (LEV)
0,34
Keppra
Keppra
Keppra
Levobupivacain
n. d.
Chirocain
–
Chirocain
Levodopa (L-DOPA)
1
in Madopar
in Madopar
in Madopar
Levofloxacin
0,23
Tavanic
Tavanic
Tavanic
Levomepromazin
1
Nozinan
Neurocil
Nozinan
Levomethadon
0,4
–
L-Polamidon
–
Levosimendan
n. d.
–
Simdax
Simdax
Levothyroxin
1
Eltroxin
L-Thyroxin
L-Thyroxin
Lidocain
0,95
Xylocard
Lidocard
Xylocard
Linezolid
0,65
Zyvoxid
Zyvoxid
Zyvoxid
Lisinopril
0,2
Zestril
Acerbon
Acemin
Lithium
0,02
Quilonorm
Quilonum
Quilonorm
Loperamid
1
Imodium
Imodium
Imodium
Lopinavir (LPV)
0,98
in Kaletra
in Kaletra
in Kaletra
Loratadin
1
Claritine
Lisino
Clarityn
Lorazepam
1
Temesta
Tavor
Temesta
Losartan
0,95
Cosaar
Lorzaar
Cosaar
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
669
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Lysin-Acetylsalicylat
1
Aspgic
Aspirin
–
Magaldrat
n. d.
Riopan
Magaldrat
Riopan
Magnesiumsulfat
n. d.
Mg 5-Sulfat 10 %
Mg 5-Sulfat 10 %
Magnesium
Mannitol
0,05
Mannitol
Osmosteril
Mannit
Maprotilin
1
Ludiomil
Ludiomil
Ludiomil
–
Meclozin
n. d.
in Itinerol B6
Medizinal-Kohle = Aktivkohle
n. d.
Carbo medicinalis Ultracarbon
Carbo medicinalis
in Contravert B6
Mefenaminsure
0,95
Ponstan
–
Parkemed
Mefloquin
0,90
Lariam
Lariam
Lariam
Meprobamat
0,9
Meprodil
–
Miltaun
6-Mercaptopurin
0,8
Puri-Nethol
Puri-Nethol
Puri-Nethol
Meropenem
0,24
Meronem
Meronem
Optinem
Mesuximid
1
Petinutin
Petinutin
–
Metamizol = Novaminsulfon
‡ 0,8
Novalgin
Novalgin
Novalgin
Metformin
< 0,1
Glucophage
Glucophage
Glucophage
Methadon
0,25
Ketalgin
Methaddict
Heptadon
Methotrexat
0,06
Methotrexat
Methotrexat
Methotrexat
a-Methyldopa
0,4
Aldomet
Dopegyt
Aldometil
Methylphenidat
0,95
Concerta
Concerta
Concerta
Methylprednisolon
1
Solu-Medrol
Urbason
Solu-Medrol
4-Methylpyrazol = Fomepizol
0,98
Fomepizole
Fomepizole
Fomepizole
Metildigoxin
0,35
–
Lanitop
Lanitop
Metoclopramid
0,7**
Paspertin
Paspertin
Paspertin
Metolazon
0,2
Metolazon
–
–
Metoprolol
0,95
Lopresor
Belok-Zok
Seloken
Metronidazol
0,85
Flagyl
Clont
Metronidazol
Mexiletin
0,8
–
Mexitil
–
Mianserin
0,95
Tolvon
Tolvin
Tolvon
Midazolam
1
Dormicum
Dormicum
Dormicum
Midodrin
0,4
Gutron
Gutron
Gutron
Mifepriston
> 0,9
Mifegyne
Mifegyne
Mifegyne
Milrinon
0,2
Corotrop
Corotrop
Corotrop
Minocyclin
0,85
Minocin
Minocyclin
Minostad
Mirtazapin
n. d.
Remeron
Remergil
Remeron
Mitotan
n. d.
–
Lysodren
Lysodren
Moclobemid
1
Aurorix
Aurorix
Aurorix
Mometason-Furoat
n. d.
Elocom
Ecural
Elocon
Monoklonale Anti-CD3-Antikçrper (Muromonab)
n. d.
Orthoclone OKT 3
Orthoclone OKT 3
–
670
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) Vendal
Morphin
0,9
Morphin
Morphin
Moxifloxacin
0,8
Avalox
Avalox
Avelox
Muromonab-CD3
n. d.
Orthoclone OKT 3
Orthoclone OKT 3
–
Mycophenolat
> 0,7
CellCept
CellCept
CellCept
NAC = N-Azetylcystein
0,7
Fluimucil
Fluimucil Antidot
Fluimucil
Nadroparin
n. d.
Fraxiparine
Fraxiparin
Fraxiparin
Naloxon
1
Naloxon
Naloxon
Narcanti
Naphalozin
n. d.
in Antistin-Privin
Privin
Coldan
Naproxen
0,9
Apranax
Proxen
Proxen
Naratriptan
n. d.
Naramig
Naramig
Naramig
Natrium-Iopodate
n. d.
Biloptin (Laboratorio Estedi)
–
–
Natriumnitroprussid (SNP)
> 0,9
–
Nipruss
–
Natriumthiosulfat
n. d.
–
Natriumthiosulfat –
Nedocromil (Augentropfen)
n. a.
Tilavist
Irtan
Tilavist
Nelfinavir (NFV)
0,99
Viracept
–
Viracept
Neostigmin
0,45
Prostigmin
Neostigmin
Prostigmin
Netilmicin
0,01
Netromycin
Certomycin
Certomycin
Nevirapin (NVP)
0,95
Viramune
Viramune
Viramune
Nifedipin
1
Adalat
Adalat
Adalat
Nimesulid
1
Aulin
–
Aulin
Nimodipin
1
Nimotop
Nimotop
Nimotop
Nitrazepam
1
Mogadon
Mogadan
Mogadon
Nitrendipin
1
Baypress
Bayotensin
Baypress
Nitric oxide
n. d.
INOmax
Inomax
–
Nitrofurantoin
0,7
Furadantin
Furadantin
Furadantin
Nitroglycerin, transdermal
1
Nitroderm TTS
Nitroderm TTS
Nitroderm TTS
Nitroglycerin
1
Perlinganit
Perlinganit
Perlinganit
Nitroprussidnatrium (SNP)
> 0,9
–
Nipruss
–
Nonacog alfa = Faktor IX
n. d.
BeneFIX
BeneFIX
BeneFIX
Noradrenalin = Norepinephrin
‡ 0,8
Noradenaline
Arterenol
–
Norfloxacin
0,7
Noroxin
Bactracid
Zoroxin
Normalinsulin
n. d.
Actrapid
Insuman Rapid
Actrapid
Novaminsulfon = Metamizol
1
Novalgin
Novalgin
Novalgin
Nystatin
n. d.
Mycostatin
Nystatin
Mycostatin
Obidoxim
0,85
Toxogonin
Toxogonin
Toxogonin
Octocog alfa = Faktor VIII
n. d.
Kogenate
Kogenate
Kogenate
Octreotid
0,8
Sandostatin
Sandostatin
Sandostatin
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
671
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Octenidin
n. d.
Octenisept
Octenisept
Octenisept
Ofloxacin
0,1
Tarivid
Tarivid
Tarivid
Olanzapin
‡ 0,7
Zyprexa
Zyprexa
Zyprexa
Olopatadin (Augentropfen)
n. a.
Opatanol
Opatanol
–
Omeprazol
1
Antramups
Antra MUPS
Antra
Ondansetron
0,95
Zofran
Zofran
Zofran
Ornidazol
0,95
Tiberal
–
–
Oxazepam
1
Seresta
Adumbran
Adumbran
Oxcarbazepin (OXC)
1
Trileptal
Trileptal
Trileptal
Oxybuprocain (Augentropfen)
n. a.
Novesin
Novesine
Novain
Oxycodon
n. d.
Oxycontin
Oxygesic
OxyContin
Oxytocin
0,99
Syntocinon
Syntocinon
Syntocinon
Pamidronat
> 0,5
Aredia
Aredia
Aredia
Pancuroniumbromid
0,33
Pavulon
Pancuronium
–
Pantoprazol
‡ 0,7
Pantozol
Pantozol
Pantoloc
Papaverin
1
–
Paveron
–
para-Aminosalicylsure (PAS)
0,9
–
Pas-Fatol N
–
Paracetamol = Acetaminophen
1
Panadol
Ben-u-ron
Ben-u-ron
Paromomycin
n. d.
Humatin
Humatin
Humatin
Paroxetin
0,95
Deroxat
Seroxat
Seroxat
PAS (= 4-Aminosalicylsure)
0,9
–
PAS Fatol
–
Penicillamin
0,85
Mercaptyl
Metalcaptase
Artamin
Penicillin G (= Benzylpenicillin)
0,4
Penicillin Grnenthal
Penicillin G
Penicillin G
Penicillin V (= Phenoxymethylpenicillin)
0,6
Ospen
Penicillin V
Ospen
Pentamidin
0,95
Pentacarinat
Pentacarinat
–
Pentoxifyllin
1
Trental
Trental
Trental
Perphenazin
n. d.
Trilafon
Decentan
Decentan
Pethidin (= Meperidin)
0,9**
Pethidin
Dolantin
Alodan
Phenobarbital (PB)
0,7
Luminal
Luminal
–
Phenoxymethylpenicillin (= Penicillin V)
0,6
Ospen
Penicillin V
Ospen
Phenprocoumon
1
Marcoumar
Marcumar
Marcoumar
Phentolamin
0,85
Regitin
–
–
Phenylbutazon
1
Butadion
Ambene
–
Phenylephrin 5 % (Augentropfen)
n. a.
Phenyleprin 5%
Neosynephrin
Visadron
Phenytoin (PHT)
1
Phenhydan
Phenhydan
Epanutin
Physostigmin
n. d.
–
Anticholium
Anticholium
672
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Phytomenadion = Vitamin K1
0,95
Konakion
Konakion
Konakion
Pimozid
1
–
Orap
Orap
Pipamperon
n. d.
Dipiperon
Dipiperon
–
Piperacillin
0,3
–
Piperacillin
–
Piperacillin/Tazobactam
0,3/0,17
Tazobac
Tazobac
Tazonam
Piracetam
0,02
Nootropil
Nootrop
Nootropin
Pirenzepin
0,6
–
Gastrozepin
Gastrozepin
Piroxicam
0,9
Felden
Piroxicam
Felden
Pizotifen
0,99
Mosegor
–
–
Polystyrolsulfonat
n. a.
Resonium A
Resonium
Resonium A
Polyvalenter Pneumokokkenimpfstoff
n. d.
Pneumovax-23
Pneumovax 23
Pneumo 23 Vaccine
Povidon-Jod
n. d.
Betadine
Betaisodona
Betaisodona
Prajmaliumbitartrat
n. d.
–
Neo-Gilurytmal
Neo-Gilurytmal
Pralidoxim
n. d.
Contrathion, Protopam
–
–
Pravastatin
0,5
Selipran
Mevalotin
Pravastatin
Prazosin
1
–
Prazosin
Minipress
Prednisolon
‡ 0,7
Prednisolon
Solu-Decortin H
Solu-Dacortin
Prednison
1
Prednison
Prednison
–
Pregabalin
0,01
Lyrica
Lyrica
Lyrica
Prilocain
0,99
Prilocaine
Xylonest
–
Primidon (PRM)
0,6
Mysoline
Mylepsinum
Mysoline
Probenecid
0,9
Santuril
Probenecid
–
Procain
n. d.
–
Procain
Novanaest
Procarbazin
0,95
Natulan
Natulan
–
Progesteron
0,95
Utrogestan
Utrogest
Utrogestan
Promethazin
1
in Rhinathiol
Atosil
–
Propafenon
1
Rytmonorm
Rytmonorm
Rytmonorma
Propofol
1
Disoprivan
Disoprivan
Diprivan
Propylthiouracil (PTU)
0,9
Propycil
Propycil
Prothiucil
Propranolol
1
Propranolol
Dociton
Inderal
Propyphenazon
0,9
–
Demex
in Tonopan
Protaminhydrochlorid
n. d.
Protamin
Protamin
Protamin
Protaminsulfat
n. d.
–
Protaminsulfat
–
Protein C
n. d.
Ceprotin
Ceprotin
Ceprotin
Protein C, aktiviert (gentechnisch) = Drotrecogin alfa
n. d.
Xigris
Xigris
Xigris
Prothrombinkomplex
n. d.
Beriplex
PPSB human
Beriplex
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
673
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) –
Proxymetacain (Augentropfen)
n. a.
Alcaine
Proparakain
Pseudoephedrin
n. d.
Otrinol
in Rhinopront
in Aspirin Complex
Pyrazinamid
1
Pyrazinamid
Pyrazinamid
Pyrazinamid
Pyridoxin = Vitamin B6
n. d.
Benadon
Vitamin B6
Vit. B6 Agepha
Pyridostigmin
0,2
Mestinon
Mestinon
Mestinon
Pyrimethamin
1
Daraprim
Daraprim
–
Quetiapin
0,95
Seroquel
Seroquel
Seroquel
Quinapril
0,2*
Accupro
Accupro
Accupro
Rabeprazol
1
Pariet
Pariet
Pariet
Raloxifen
~ 0,95
Evista
Evista
Evista
Ranitidin
0,25
Zantic
Zantic
Zantac
Rasburicase (rekomb. Uratoxidase)
n. d.
Fasturtec
Fasturtec
Fasturtec
Reboxetin
0,9
Edronax
Edronax
Edronax
Reserpin
1
in Brinerdin
in Briserin
in Brinerdin
Reteplase
n. d.
Rapilysin
Rapilysin
Rapilysh
Ribavirin
0,83**
Rebetol
Rebetol
Rebetol
Riboflavin = Vitamin B2
0,9
Vitamin B2
Vitamin B2
–
Rifabutin
0,9
Mycobutin
Mycobutin
Mycobutin
Rifampicin
0,85
Rimactan
Rifa
Rimactan
Risperidon
0,97
Risperdal
Risperdal
Risperdal
Ritonavir (RTV)
0,7
Norvir
Norvir
Norvir
Rizatriptan
0,7
Maxalt
Maxalt
–
Rituximab (Anti-CD20-Antikçrper)
n. d.
MabThera
MabThera
Mabthera
Roxithromycin
0,7
Rulid
Rulid
Rulide
rt-PA = Alteplase (tissue plasminogen activator)
n. d.
Actilyse
Actilyse
Actilyse
Rufinamid
0,95
–
Inovelon
Inovelon
Salbutamol
n. d.
Ventolin
Sultanol
Sultanol
Salm-Calcitonin = Calcitonin
0,98
Miacalcic
Karil
Calcitonin
Saquinavir (SQV)
0,95
Invirase
Invirase
Invirase
Scopolamin (Augentropfen)
n. a.
Scopolamine
Boro-Scopol
–
Sertindol
0,99
Serdolect
Serdolect
Serdolect
Sertralin
1
Zoloft
Zoloft
Gladem
Sevofluran
1
Sevorane
Sevorane
Sevorane
Silbersulfadiazin (Salbe)
n. d.
Flammazine
Flammazine
Flammazine
Silibinin
n. d.
Legalon SIL
Legalon SIL
Silibinin
Simvastatin
1
Zocor
Zocor
Zocord
Sirolimus = Rapamycin
0,98
Rapamune
Rapamune
Rapamune
Somatostatin
n. d.
Stilamin Merck
Somatostatin
Somatostatin
674
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Sotalol
0,15
Sotalex
Sotalex
Sotacor
Spirapril
0,27*
–
Quadropril
Quadropril
Spironolacton
1**
Aldactone
Aldactone
Aldactone
Stavudin (d4T)
0,6
Zerit
Zerit
Zerit
Stiripentol
n. d.
–
Diacomit
–
Streptokinase
1
Streptase
Streptase
–
Streptomycin
0,35
–
Streptomycin
–
Succimer (= DMSA)
n. d.
Succicaptal
–
TechneScan DMSA
Succinylcholin = Suxamethonium
1
Lysthenon
Lysthenon
Lysthenon
Sucralfat
n. a.
Ulcogant
Ulcogant
Ulcogant
Sulfacetamid (Augensalbe, -tropfen)
n. a.
in Blephamide
in Blephamide
Cetazin
Sulfadiazin
0,45
Sulfadiazin
Sulfadiazin
–
Sulfadoxin/Pyrimethamin
0,6/1
Fansidar
–
–
Sulfamethoxazol (SMZ)
0,8
in Bactrim
in Co-Trimoxazol
in Bactrim
Sulfasalazin
n. d.
Salazopyrin
Azulfidine
Salazopyrin
Sulpirid
0,3
Dogmatil
Dogmatil
Dogmatil
Sultiam
~ 0,5
Ospolot
Ospolot
Ospolot
Sumatriptan
0,8
Imigran
Imigran
Imigran
Suxamethonium (chlorid) = Succinylcholin
1
Lysthenon
Lysthenon
Lysthenon
Tacrolimus (FK506)
1
Prograf
Prograf
Prograf
Tadalafil
hoch
Cialis
Cialis
Cialis
Tamsulosin
0,9
Pradif
Alna Ocas
Alna
3TC (= Lamivudin)
0,03
Zeffix
Zeffix
Zeffix
Teicoplanin
0,3
Targocid
Targocid
Targocid
Temazepam
1
Normison
Remestan
–
Tenecteplase
n. d.
Metalyse
Metalyse
Metalyse
Tenofovir (PMPA)
0,2
Viread
Viread
Viread
Tenoxicam
1
Tilcotil
–
Tilcotil
Terbinafin
0,29
Lamisil
Lamisil
Lamisil
Terbutalin
0,45
Bricanyl
Bricanyl
Bricanyl
Terlipressin
0,99
Glypressin
Glycylpressin
Glycylpressin
Testosteron
n. d.
Andriol
Andriol
Andriol
Tetanus-Immunglobulin
n. d.
Tetagam
Tetagam
Tetagam
Tetanustoxoid-Impfstoff
n. d.
Tetanol pur
Tetanol
Tetanus-AdsorbatImpfstoff
Tetracosactid
n. d.
Synacthen
Synacthen
Synacthen
Tetracyclin
0,12
–
Tetracyclin
–
Theophyllin
0,8
Euphyllin
Euphylong
Euphyllin
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
675
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A) Thiamazol
Thiamazol
0,9
–
Favistan
Thiamin = Vitamin B1
n. d.
Benerva
Betabion
Beneuran
Thiethylperazin
0,97
Torecan
–
–
Thiopental
1
Pentothal
Trapanal
Thiopental
Thioridazin
1
–
Melleril
–
Thyroxin = Levothyroxin (T4)
1
Eltroxin
Euthyrox
Euthyrox
Tiaprid
0,25
Tiapridal
Tiapridex
Delpral
Tiagabin (TGB)
1
Gabitril
Gabitril
Gabitril
Ticlopidin
1
–
Tiklyd
Ticlodone
Tilidin
0,95
Valoron
Valoron
–
Timolol
0,8
Timoptic
Dispatim
Timolol
Tinidazol
0,8
Fasigyn
–
–
Tinzaparin
n. d.
–
Innohep
–
Tirofiban
0,6
Aggrastat
Aggrastat
Aggrastat
Tizanidin
1
Sirdalud
Sirdalud
Sirdalud
Tobramycin
0,02
Obracin
Gernebcin
Tobrex
Tollwut-Immunglobulin
n. d.
Rabuman
Berirab
Berirab P
Tollwut-Impfstoff
n. d.
Lyssavac N Berna
Rabipur
Rabipur
Topiramat (TPM)
n. d.**
Topamax
Topamax
Topamax
Torasemid
0,75**
Torem
Torem
Torasemid
Tranexamsure
0,3
Cyclokapron
Cyclokapron
Cyclokapron
Tramadol
0,6
Tramal
Tramal
Tramal
Tranylcypromin
0,95
–
Jatrosom
–
Trazodon
1
Trittico
Thombran
Trittico
Triamcinolon
1
Kenacort
Volon
Volon
Triamteren
0,95
in Dyrenium
in Dytide
in Dytide H
Triazolam
1
Halcion
Halcion
Halcion
Trihexyphenidyl
n. d.
–
Artane
Artane
Trijodthyronin = Liothyronin (T3)
1
in Novothyral
Thybon
Trijodthyronin
Trimethoprim (TMP)
0,5
Monotrim
Infectotrimet
Motrim
Trimethoprim/Sulfamethoxazol = Cotrimoxazol (TMP/SMZ)
0,5/0,8
Bactrim
Kepinol
Bactrim
Trimipramin
0,9
Surmontil
Stangyl
–
Tropicamid
n. d.
Tropicamide 0,5 %
Mydriaticum Stulln
Mydriaticum Agepha
Unithiol = 2,3-Dimercapto-1propansulfonat (DMPS)
n. d.
Dimaval
Dimaval
–
Urapidil
0,85
Ebrantil
Ebrantil
Ebrantil
Urokinase
n. d.
Urokinase HS medac
Urokinase
Urokinase
676
Pharmakaverzeichnis
Wirkstoff
Q0
Präparat Schweiz (CH)
Deutschland (D)
Österreich (A)
Valaciclovir
0,1
Valtrex
Valtrex
Valtrex
Valganciclovir
0,25*
Valcyte
Valcyte
Valcyte
Valproinsure = Valproat (VPA)
0,95
Depakine
Orfiril
Depakine
Vancomycin
0,05
Vancocin
Vancomycin
Vancomycin
Vasopressin = Argipressin
1
–
Pitressin
–
Vecuroniumbromid
0,8
Norcuron
Norcuron
Norcuron
Venlafaxin
0,45
Efexor
Trevilor
Efectin
Verapamil
1
Isoptin
Isoptin
Isoptin
Vigabatrin (VGB)
0,01
Sabril
Sabril
Sabril
Vincristin (VCR)
0,95
Oncovin
Vincristin
Oncovin
Vinblastin
0,95
Velbe
Velbe
Velbe
Vitamin B1
n. d.
Benerva
Betabion
Vit. B1 Agepha
Vitamin B2
0,9
Vitamin B2
Vitamin B2
–
Vitamin B6
n. d.
Benadon
Vitamin B6
Vit. B6 Agepha
Vitamin C = Ascorbinsure
0,75
Vitamin C
Cebion
Cevitol
Vitamin D3 = Colecalciferol
n. d.
Vi-De 3
Ospur
in Cal-D-Vita
Vitamin K1 = Phytomenadion
> 0,9
Konakion
Konakion
Konakion
Voriconazol
0,98
Vfend
Vfend
Vfend
Warfarin
1
–
Coumadin
–
Xylometazolin
n. d.
Otrivin
Otriven
Otrivin
Zalcitabin (ddC)
0,3
Hivid
Hivid
Hivid
Zaleplon
1
Sonata
Sonata
–
Zidovudin (AZT)
0,85
Retrovir
Retrovir
Retrovir
Zinkoxid
n. d.
ZinCream
Pantederm
Myko Cordes
Ziprasidon
0,99
–
Zeldox
Zeldox
Zoledronat
~ 0,5
Zometa
Zometa
Zometa
Zolmitriptan
0,7
Zomig
AscoTop
Zomig
Zolpidem
1
Stilnox
Stilnox
Stilnox
Zonisamid
0,7
Zonegran
Zonegran
Zonegran
Zopiclon
0,95
Imovane
Ximovan
Somnal
Zotepin
0,99
–
Nipolept
Nipolept
Pharmakaverzeichnis
677
Legende
• Q0 (extrarenal ausgeschiedene, bioverfgbare Dosisfraktion): Diese Zahl gibt Auskunft ber das Ausmaß der • • • •
Ausscheidung ber die Nieren; je nher die Zahl bei 1 liegt, desto geringer ist der renal eliminierte Anteil. Daraus kann geschlossen werden, dass bei Patienten mit Nierenfunktionsstçrungen insbesondere bei Arzneimitteln mit Q0-Werten < 0,3 eine Anpassung erfolgen sollte (s. S. 637) n. d. (nicht determiniert): Der Wert wurde nicht mit ausreichender Genauigkeit bestimmt oder ist in der Literatur nicht verfgbar n. a. (nicht anwendbar): Der Wert ist irrelevant (z. B. wegen topischer Anwendung der Substanz) * Die Zahl bezieht sich auf den aktiven (Haupt-)Metaboliten ** Eine Dosisanpassung (ggf. auch Absetzen) sollte bei Niereninsuffizienz trotz hohen Q0-Werts erfolgen oder (z. B. bei Diuretika) das Dosisanpassungskonzept (S. 637) sollte nicht angewandt werden oder Q0 ist zwar nicht bekannt, eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz ist jedoch erforderlich.
Viele der angegebenen Inhaltsstoffe sind in mehreren Produkten enthalten; in diesen Fllen wurde ein typisches Beispiel gewhlt, wobei Prparaten mit mehreren galenischen Formulierungen oder schon lange eingefhrten Produkten der Vorzug gegeben wurde. Fr einige Substanzen (hufig Antidota) ist keine registrierte Form im Handel, was aber nicht bedeuten muss, dass die Substanzen in Zentren nicht doch erhltlich sind bzw. importiert werden kçnnen.
678
Literaturverzeichnis
Das Literaturverzeichnis des Buches finden Sie unter www.thieme.de Auf den Detailseiten für „Internistische Notfälle“, 8. Aufl., finden Sie das vollständige Inhaltsverzeichnis. In welchem Buchkapitel wurde die von Ihnen gesuchte Literaturstelle zitiert?
Benötigen Sie weitere Informationen über diese Literaturstelle?
1. Schritt: Gehen Sie auf die Thieme Homepage unter www.thieme.de, geben Sie hier unter Schnellsuche ein: Schoenenberger. 2. Schritt: Klicken Sie dann auf Werkinfo Internistische Notfälle, hier finden Sie das Inhaltsverzeichnis für das gesamte Buch. 3. Schritt: Wählen Sie durch Anklicken das entsprechende Buchkapitel, in dem die von Ihnen gesuchte Literatur zitiert wurde. Unser Extra-Bonbon für Sie: 4. Schritt: Durch Anklicken der gesuchten Literaturstelle wird automatisch das Suchprogramm der Medline (Pubmed) gestartet – die gesuchte Literaturstelle, inklusive Abstract und weiterer Serviceangebote, wird Ihnen angezeigt.
679
Sachverzeichnis
A AAI-Pacing 50 ABC, kardiopulmonale Reanimation 1 ABCD-Schema, kardiopulmonale Reanimation 7, 10 Abciximab-Infusion 58 f Abdomen – akutes s. Akutes Abdomen 127 ff – balloniertes 136, 152 f – bretthartes 139 Abdomenleeraufnahme 131, 134 – Ileus 129, 139 – Megakolon, toxisches 141 – Mesenterialinfarkt 137 – Urolithiasis 171 Abdominalsepsis 267 Abduzensparese 608 Abhängigkeit 543 Absaugen, tracheobronchiales, Bradykardie 11 Absence 397 Absence-Status 400 Abszess 277 f – anorektaler 147 – epiduraler 275 – – kranialer 310 ff – – spinaler 317 f, 324 ff – – -empirische Therapie 326 – – -Liquoruntersuchung 326 – – -Magnetresonanztomografie 326 f – – -Punktion 326 – – -Rückenmarkdekompression 326 f – odontogener 563 ff – parodontaler 564, 568 f – perianaler 148 – retroperitonealer, nach Nierentransplantation 189 Abwehrspannung, abdominale (Défense) 128, 138 Abwehrstörung, Fieber 268 ACE-Hemmer 59 f, 65, 159, 162, 165, 204 Acenocoumarol 225 Acetazolamid 522 – Dosierung 210, 614 – bei Glaukomanfall 614 Acetyleninhalation 110 Achillessehnenreflex 375 – fehlender 411 Aciclovir 347, 406, 581, 590, 592
– Dosierung 188, 315, 324 – hoch dosiertes, KreatininClearance 316 Aciclovir-Augensalbe 605 Aciclovir-Resistenz 592 ACLS (Advanced cardiac Life Support) 1 ACLS-Algorithmus 9 f, 60 Acrodermatitis chronica atrophica 285 Acromelalga-Syndrom 491 ACTH-Mangel 498 Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) 118 ff – Sauerstoffgabe 119 f Acute tubular Necrosis 159, 162 Addison-Krise s. Nebennierenrindeninsuffizienz, akute 498 f Adenosin 32, 35 – Dosierung 11, 30, 35 – Termination einer paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie 32 Aderlass 256, 258 ADH-Sekretion, inadäquate (SIADH) 196 f Adrenalin 18 f, 24 f – bei akutem Asthmaanfall 109 – bei Anaphylaxie 584 – Applikation, endotracheale 9, 11 – Dosierung 18, 25 – unerwünschte Wirkung 18 Adrenalininfusion 584 Adson-Manöver 408 Advanced cardiac Life Support (ACLS) 1, 9 f, 60 Adynamie 498 f AED s. Defibrillation, externe automatische 1, 5, 6 f, 9 Agitiertheit 455, 535 b2-Agonisten bei Hyperkaliämie 206 b2-Agonisten-Inhalation, repetitive 109 Agranulozytose 245 ff, 248 AICD (automatischer implantierbarer Cardioverter-Defibrillator) 9 AIDS-definierende Krankheiten 340 AIDS Dementia Complex 349 Akathisien, neuroleptikabedingte 469 Akrozyanose 240 Aktivkohle bei Vergiftung 460 ff – Kontraindikation 461
– repetitive Gabe 462 Akustikusneurinom 419 Akutes Abdomen 127 ff, 154 – Abdomenleeraufnahme 129 – Begleitsymptome 128 – Cholangitis, akute 131 f – Cholezystitis, akute 131 f – Definition 127 – Endoskopie 130 – Gallenkolik 131 f – Ileus 137 ff – Ketoazidose 501 – Labordiagnostik 130 – Megakolon, toxisches 140 ff – Mesenterialinfarkt 136 f – Organperforation 139 f – Pankreatitis, akute 132 ff – Peritonismus 127 f – Schmerzbeginn 127 – Schmerzcharakter 127 – Schmerzlokalisation 127 – Sonografie 130 – Thorax-Röntgenbild 129 f Akut-PTCA 23, 59 ff Albendazol 349 Albumin 17 Albuminkonzentration im Serum – Child-Pugh-Klassifikation 149 – Hypovolämie 195 – Kalziumkonzentration im Serum 211 Albuminlösung, Flüssigkeitsersatz nach Aszitespunktion 153, 620 Alkalämie 206 Alkalose 206 – Kalziumkonzentration im Serum 211 – metabolische 195, 206 f, 209 f – – Hypokaliämie 202 f – – Niereninsuffizienz 210 – respiratorische 206 f, 210 – – Koma, metabolischtoxisches 444 – – Salizylatvergiftung 470 – Säure-Basen-Diagramm 207 – Tetanie 213 Alkoholabstinenzsyndrom 489 Alkoholabusus 487 – Gelegenheitsanfall 398 – Ketoazidose 501 – Pneumonieerreger 301 – Vorhofflimmern, paroxysmales 37 – Wernicke-Enzephalopathie 149 f, 404 f
680
Sachverzeichnis
Alkoholelimination 487 Alkoholintoxikation 487 ff, 506 Alkoholkonzentration im Blut 488 Alkohol-Syndrom 457 Allergische Reaktion, Luftwegstenose 105 Allopurinol 260 – Dosierung 256, 258 – bei Gicht 370 Allopurinol-AzathioprinInteraktion 185 All-trans-Retinsäure 260 Alphasympathomimetika bei Schock 17 Alteplase 59 Amanita – muscaria (Fliegenpilz) 491 – pantherina (Pantherpilz) 491 – phalloides s. Knollenblätterpilz 490 ff a-Amanitin im Urin 490 Amantadin 431 Amaurosis fugax 384, 609 f Ambustio s. Verbrühung 594 ff Amikacin 271, 305 d-Aminolävulinsäure-Konzentration im Urin 154 Aminophyllin 25, 109 Amiodaron 34 f, 38 ff – Arzneimittelinteraktion 35 – Dosierung 11, 35, 40, 43 – Kontraindikation 35 Amitriptylin 431 Ammoniakinhalation 110 Amotio retinae s. Netzhautablösung 609, 613 Amoxicillin 172, 288, 319 f, 559 – Dentitio difficilis 570 – Helicobactereradikation 144 Amoxicillin/Clavulansäure 326, 558 – Dosierung 106 f, 168, 267, 276 – bei Pneumonie 304 f Amphetaminentzugssymptome 546 Amphetaminintoxikation 546 f Amphotericin B 347 – lipidbasiertes 188 – bei Systemmykose nach Nierentransplantation 188 Ampulle 652 f Amputation 67, 92 AMS (Acute Mountin Sickness; akute Bergkrankheit) 520 ff Amylaseerhöhung 134, 191 Amylnitrit 481 f Amyloidose, Blutungen 233 Anagrelid 258 Analfissur 147 f Analgetika – Erfrierung, lokale 514 – erlaubte, bei Hämophilie 222 – Kopfschmerzen 428 f – Ophthalmologie 614
– Zahnschmerzen, akute 566 Analgetikavergiftung 470 ff Analtampon, Arzneimittelapplikation 650 Analytik, toxikologische 459 Anämie – akute 251 – aplastische 249 ff – autoimmunhämolytische 239 f – – auslösende Medikamente 240 – – mit ITP 254 – Bleivergiftung, chronische 483 – chronische, Sichelzellerkrankung 251 – hämolytische 239 ff – – Erythrozytenverteilungsmuster 242 – – Verlaufsparameter 243 – Leukämie 258, 260 – Malaria 297 f – mikroangipathischhämolytische 229 – perniziöse 249 – Primärsymptome 241 – refraktäre, mit Ringsideroblasten 257 – Sekundärsymptome 241 – Sirolimus-bedingte 185 Anaphylaktische Reaktion auf Heparinbolus 235 Anaphylaktoide Reaktion 25 Anaphylatoxin 583 Anaphylaxie 583 f – allergische 583 – biphasische 584 – nichtallergische 583 – Notfallset 584 Anasarka 75 Aneurysma – Clipping 389 – endoluminales Coiling 389 – sakkuläres, intrakranielles 388 – spurium 85 – verum 85 Anfall – dissoziativer 397 – epileptischer 396 ff – – fokaler 396 f – – generalisierter 396 f – – HIV-Infektion 349 – – Magnetresonanztomografie 398 – – postiktale Zeichen 397 – – nach Schlaganfall 387 – – Sinusvenenthrombose 392 – – nach Subarachnoidalblutung 389 – – Therapieindikation 398 – – unklassifizierbarer 396 – nichtsynkopaler 432 f, 435 – psychogener 397 – tetanischer 214
Angina – pectoris – – AV-Block 47 – – erneut auftretende 59 – – instabile 55 f – – – medikamentöse Therapie 58 f – – invasive Abklärung 58 – – Kammertachykardie 42 – – spastische (PrinzmetalAngina) 56 – tonsillaris 559, 570 Angiodysplasie, Darmblutung 146 f Angiografie 86, 90 – koronare 23, 59, 61 – mesenteriale, bei Hämatochezie 146 Angiomatose, bazilläre 348 Angioödem – Anaphylaxie 583 – erworbenes 585 – hereditäres 585 f – pseudoallergisches/pharmakologisches 585 Angioplastie, koronare, nach kardiopulmonaler Reanimation 13 Angiotensin-I-RezeptorAntagonist 159, 162, 204 Angst, schwere, anfallsartige 540 Angststörung 536 Angstsyndrom 540 ff Anionenlücke 487 f – Azidose, metabolische 208 f, 507 Anisokorie 394, 424, 441 Anorexia nervosa 530 f – Elektrolytsubstitution 531 – Kalorienzufuhr 531 – kritischer BMI 531 Anoskopie 148 Anosognosie 384 Anstrengungskopfweh, gutartiges 430 Antabusreaktion, alkoholbedingte, nach Pilzgericht 491 Antiallergika 615 Antiarrhythmika – zur intravenösen Applikation 35 f – bei Kammertachykardie 43 – Therapieeinstellung 45 – Wirksamkeitskontrolle 45 – Wirkung, proarrhythmische 34, 45 – bei WPW-Syndrom 29 Antibiotika – Abszess, epiduraler, spinaler 326 – Bissverletzung 284 – Cholera 331 – Dentitio difficilis 570 – Diarrhö, infektiöse 330 – Enzephalitis 315
Sachverzeichnis Antibiotika, Hirnabszess 314 – Hirngewebepenetration 314 – Meningitis, bakterielle, akute 319 f – neutropenischer Patient mit Fieber 271 – Osteomyelitis 276 – Otitis media acuta 552 – Peritonitis bei Peritonealdialyse 175 f – Pneumonie 304 f – schwere Gesichtsinfektion 558 – Sepsis 267 – septischer Schock 20 – Sinusvenenthrombose, septische 315 Antibiotikaresistenz 167 Antibiotikatherapie, intrathekale 320 Anticholinerges Syndrom 457, 470, 474 Antidepressiva 431 – Vergiftung 466 ff – zyklische 466 ff Anti-Diphtherie-Hyperimmunglobulin, humanes 559 Antidot 463 – Atropinvergiftung 474 – Benzodiazepinintoxikation 465 – Bleivergiftung 483 – Cholinesterasehemmervergiftung 478 f – Digoxinvergiftung 476 – H1-AntihistaminikaVergiftung 475 – Knollenblätterpilzvergiftung 490 – Methanolvergiftung 489 – Opioidintoxikation 473 – Paracetamolvergiftung 472 f – Quecksilbervergiftung 483 – Tetrachlorkohlenstoffvergiftung 487 – Zyanidvergiftung 481 f Antidot-Liste 463 Antidottherapie 463 Antiemetika 290 Antiepileptika 399 f, 430 f Anti-Flusssäure-Gel 485 Anti-Gangliosid-Antikörper 403 Antihistaminika 25, 584 – nichtsedierende 581 – bei Transfusion 239 Antikoagulanzien 223 ff – Arzneimittelinteraktion 223 – neue 223, 225 – Überdosierung 223 f Antikoagulanzienblutung 223 ff Antikoagulation – Aufhebung bei Lungenblutung 115 – Epistaxis 556 – nach Kardioversion 38 – bei Lungenembolie 73
– orale (OAK) 29 – – nach Arterienverschluss 92 – – Reduktion bei Blutung 224 – – Vorhofflattern 29 – – Vorhofflimmern 29, 39 – Sinusvenenthrombose 393 – – septische 315 – bei tiefer Venenthrombose 70 – Überwachung 71 – bei WPW-Syndrom 29 – Ziel-INR 29 Antikörper-Fab-Fragmente, Digitalisglykosid-bindende 206 Antikörpermangelsyndrom 269 Antikörperproduktionsstörung 268 Antiphospholipid-AntikörperSyndrom 70 Antiretrovirale Therapie 340, 343 – Interaktionen 342 – Laktatazidose 354 f, 506 – unerwünschte Wirkung 355 – Urolithiasis 354 Antirheumatika, nichtsteroidale (NSAID; Nonsteroidal antiinflammatory Drugs) 234, 370, 372 – Interaktion mit Immunsuppressiva 191 – Ophthalmologie 614 – Überdosierung 471, 473 Anti-Sludge-Therapie bei Hörsturz 554 Anti-Tachykardie-Pacing 53 f Antithrombin-III-Konzentrat 226, 228 Antithrombotika 237 Anti-T-Lymphozyten-Globulin (ATG-F) 183 Antivenine 463, 492 Anti-Xa-Aktivität unter Danaparoid 237 Antriebssteigerung 535 ANUG (akut nekrotisierende ulzerierende Gingivitis) 567 f Anurie 158, 169 – nach Nierentransplantation 180 f – Schock 15 Aortales Syndrom, akutes 81 Aortenaneurysma 84 ff – abdominales 85 ff – – Operationsindikation 86 – asymptomatisches 85 – rupturiertes 85 f – symptomatisches 85 f Aortendilatation 82, 84 Aortendissektion 71, 81 ff – Aorta-ascendensBeteiligung 84 f – Blutdrucksenkung 84 – chronische 82 – Computertomografie 83 f – DeBakey-Klassifikation 81 – Echokardiografie 83 – EKG 83
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– Herzfrequenzsenkung 84 – Magnetresonanztomografie 81, 83 f – Stanford-Klassifikation 81 – Thorax-Röntgenbild 83 Aortenintimaeinriss 81 Aorteninsuffizienz – schwere 63 Aortenklappeninsuffizienz – akute 82 Aortenlumen, falsches 81 Aortenruptur 84 Aortenstenose 63 Apathic thyrotoxicosis 494 APC-Resistenz 68 Aphasie 383 f Aphonie 562 Aphthen 566 f – Vaskulitis 377 Apoplexie s. auch Schlaganfall 382 ff – labyrinthäre 418 Appendektomie 140 Appendizitis 128, 139 f – akute, Perforation 139 f – Schmerzlokalisation 139 APTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit) 69 f, 217 ff – Antikoagulanzienblutung 225 – unter Argatroban 237 – disseminierte intravasale Gerinnung 228 – Hämophilie 219, 223 – unter Lepirudin 237 ARDS s. Acute Respiratory Distress Syndrome 118 ff Areflexie, Guillain-BarréSyndrom 402 Argatroban 237 ARI s. Respiratorische Insuffizienz, akute 118 ff Armarterienverschluss, akuter 92 Armgefäßkompression 408 Armplexusneuritis 407 Armplexusparese 407 f – komplette 408 – obere 407 – traumatische 408 – untere 408 Arrhythmie 63, 137 – absolute 37 f – Herzinsuffizienzdekompensation 62 f – nach kardiopulmonaler Reanimation 11 – ventrikuläre 468 – Vergiftung 458, 468 Artemether/Lumefantrin 298 Artemisinderivat 299 Arteria – femoralis, Punktion 616 f – labyrinthi, Verschluss 418 – mesenterica superior, Ischämie 136
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Sachverzeichnis
– radialis, Punktion 616 f – temporalis, Biopsie 379 f Arterienastverschluss, retinaler 610 f Arterienstenose, Vaskulitis 377 f Arterienverschluss, akuter 88 ff – aortoiliakaler 91 – embolischer 88 f, 92 – femoropoplitealer 91 – thrombotischer 88 f, 92 – Vaskulitis 377 f Arteriitis temporalis 611 Arteriopathie, Ciclosporin/ Tacrolimus-assoziierte 184 Arthritis – akute 367 ff – – Gelenkpunktat 369 – – durch Kristalle 367 f – – parainfektiöse 368 – nach Bissverletzung 283 – infektiöse, akute 367 ff – Lyme-Borreliose 285, 288 Arzneiexanthem, fixes, multilokuläres 581 Arzneimittel – Akkumulation in der Muttermilch 634 – albumingebundene 640 – Anämie, autoimmunhämolytische 240 – anaphylaktischer Schock 25 – antiretrovirale 340 – – Interaktion 342, 355 – – unerwünschte Wirkung 355 – AV-Überleitung, verzögernde 48 – Bioverfügbarkeit 640 – Delir 452 – Dosisanpassung – – Leberfunktion 641 ff – – Nierenfunktion 637 ff – Elimination 637, 640 – embryotoxische 629 – entwicklungshemmende 629 – Entzugssyndrom beim Betagten 645 – First-Pass-Metabolismus, Leberzirrhose 640 – hepatisch metabolisierte, Elimination 640 – Interaktion mit Immunsuppressiva 191 – Krise, hämolytische 240 – Neutropenie 246 – Nierenversagen, akutes 162 – Pankreatitis, akute 133 – präpartal kontraindizierte 632 – retardiertes 648 – Schwangerschaftsrisikokategorien 629 f – teratogene 629 – unerwünschte Wirkung 456 – – bei Betagten 644
– ungefährliche, bei akuter Porphyrie 155 f Arzneimittelabusus 530 Arzneimittelapplikation 646 ff – Dreiwegehahn 653 f – Druckluftvernebler 650 – endotracheale 9, 11 – inhalative 650 f – intramuskuläre 652 f, 654 – intravenöse 9, 653 – Kapsel 647 – kutane 658 – in der Mundhöhle 646 – nasale 656 ff – am Ohr 654 f – ophthalmische 654 – orale 646 ff – parenterale 652 ff – – Nadeldurchmesser 652 – – Nadellänge 652 – rektale 649 f – subkutane 652, 654 – Tropfen 648 – Tropfflaschenanwendung 648 – Ultraschallvernebler 650 Arzneimittelform, magensaftresistente 647 f Arzneimittelgebrauch, Koma 440 Arzneimitteltherapie – bei Betagten 644 f – – Adherence-Förderung 645 – Dosismodifikation 628 – Leberzirrhose 640 ff – – Dosisanpassung 641 ff – – kontraindizierte Arzneimittel 644 – Niereninsuffizienz 637 ff – – Dosisanpassung 637 ff – – – mathematische 639 – – – Nomogramm 639 f – – kontraindizierte Arzneimittel 641 – Schwangerschaft 628 ff – – erlaubte Arzneimittel 633 f – – kontraindizierte Arzneimittel 631 f – Stillzeit 634 ff – – erlaubte Arzneimittel 636 – – kontraindizierte Arzneimittel 635 – – Milch-Plasma-Ratio 634 Arzneimittelvergiftung 26, 456 Aspergillus-fumigatus-Infektion nach Stammzelltransplantation 261 Aspiration 105 ff – festes Material 105 f – Prädisposition 106 Aspirationspneumonie 106, 305 – Erreger 301 – nach trockenem Ertrinken 519 Aspirin s. Azetylsalizylsäure 57 f Asthenie 498
Asthma bronchiale – Differenzialdiagnose zum Lungenödem 65 – schweres 107 Asthmaanfall, akuter 107 ff – Ansprechen auf Ersttherapie 109 – Intensivversorgung 109 – lebensbedrohliche Zeichen 108 – nach Pyrethroidinhalation 478 – reizgasbedingter 110 Asystolie 1 f, 45 f – ACLC-Algorithmus 10 – Ätiologie 2, 46 – Blitzschlag 528 – Hyperkaliämie 205 – Hyperkalzämie 211 – ventrikuläre 45 Aszites 75 – Granulozytenzahl 152 – Infektion, bakterielle 151 ff – leukozytärer 152 Asziteskultur 152 Aszitespunktion 619 f – diagnostische 152 f, 619 – Flüssigkeitsersatz 153 – Kontraindikation 619 – therapeutische 152 f, 619 f Ataxie, Wernicke-Enzephalopathie 404 Atazanavir 354 Atelektase 106, 117, 121 Atemanstrengung, muskuläre, ineffektive 103 Atemdepression, Vergiftung 461 Atemfrequenz, Acute Respiratory Distress Syndrome 120 Atemgeräusch, aufgehobenes 123 Atemhilfsmukulatureinsatz 108 Ateminsuffizienz (s. auch Respiratorische Insuffizienz) 402 f Atemlähmung 468 Atemnot s. Dyspnoe 62 f, 77 Atemstillstand 1 f, 4 – Anaphylaxie 583 – Elektrounfall 526 Atemwege freimachen 5 ff, 12 Atemwegserkrankung, chronisch obstruktive, Exazerbation 104 ATG-F (Anti-T-LymphozytenGlobulin) 183 Äthanolinfusion bei Methanolvergiftung 489 Äthanolintoxikation s. Alkoholintoxikation 487 ff Atheroembolie 377 Äthylenglykolmetabolite, Laktatazidose 507 Äthylenglykolvergiftung 461, 487 ff, 507 Atovaquon 189, 298, 346 AT1-Rezeptor-Antagonist (Angiotensin-I-RezeptorAntagonist) 159, 162
Sachverzeichnis Atropin – Applikation, endotracheale 9, 11 – bei Cholinesterasehemmervergiftung 478 f – Dosierung – – endotracheale 11 – – intravenöse 11, 26, 61 – Indikation 58 Atropinvergiftung 473 f – Antidottherapie 474 – Dekontamination 474 Attackenschwindel 419 Ätzstoffkontakt 461, 484 ff – Antidottherapie 485 – Dekontamination 485 – inhalativer 485 f – kutaner 592 ff – oraler 485 Auge – Ätzstoffkontakt 485 – Notfallsituation, Dringlichkeit 598 – rotes 603 ff – trockenes 606 Augenbulbuskontusion 598 ff, 613 Augenbulbusperforation 598 Augenfundusblutung, Kopfschmerzen 424 Augenfundusveränderung 255, 257 Augeninnendruckprüfung 614 Augeninnendrucksteigerung, akute (s. auch Glaukomanfall) 613 f Augenmotilitätsprüfung 608 Augenmotilitätsstörung 608 – posttraumatische 598, 608 – – beim Kind 600 Augenöffnung, Glasgow Coma Scale 439 Augensalbe 656 Augentropfen 655 f – anästhesierende 597 – antibiotische 600 Augenverätzung 485, 601 f Augenverbrennung 601 f Augenverletzung 597 ff Augenwinkel, medialer – Druckdolenz 558 – Verletzung 597 f Aura – epileptische 419 – Migräne 426 f – visuelle 427 Ausflusstrakttachykardie, rechtsventrikuläre (RVOT) 41, 44 f Austauschtransfusion bei Malaria 299 auto-PEEP 13 Autoantikörper, plättchenspezifische 243 Autoimmunkrankheit 230, 243 AV-Block (atrioventrikulärer Block) 46 ff
– akute koronare Herzkrankheit 60 f – Digoxinvergiftung 475 – Echokardiografie 47 – EKG 47 – Ersatzrhythmus 46, 48, 61 – I. Grades 46, 60 – II. Grades 46 f – – Typ Mobitz I 46 – – Typ Mobitz II 46 – – Typ Wenckebach 32, 46, 60 f – III. Grades 46 f, 60 f – – intermittierender, Adenosinbedingter 32 – bei Guillain-BarréSyndrom 403 – höhergradiger 46 ff – symptomatischer 48 – totaler 3 – Vorhofflattern 33 f – Vorhofflimmern 40 AV-Knoten-Dissoziation, longitudinale 31 AV-Knoten-Re-entryTachykardie 30 ff – Dauerprophylaxe 32 AV-Re-entry-Tachykardie 30 ff – Dauerprophylaxe 33 AVNRT (AV-Knoten-Re-entryTachykardie) 30 ff AVRT (AV-Re-entry-Tachykardie) 30 ff Azathioprin 380 – Arzneimittelinteraktion 192 – Knochenmarkhemmung 185 Azathioprin-AllopurinolInteraktion 185, 192 Azetylsalizylsäure 57 – hochdosierte, bei Thrombophlebitis 67 – Kontraindikation 495 – bei primärer Thrombozytose 257 – nach Schlaganfall 386 – bei thrombotischer Mikroangiopathie 254 – bei Vaskulitis 380 Azetylsalizylsäure-Unverträglichkeit 58 Azidämie 206 Azidose 206 – Kalziumkonzentration im Serum 211 – bei kardiopulmonaler Reanimation 2 – metabolische 195, 206 ff – – akutes Nierenversagen 160 – – Anionenlücke 208 f, 507 – – Hypokaliämie 202 f – – Kohlenmonoxidvergiftung 480 – – Koma, metabolischtoxisches 444 – – Methanolvergiftung 487
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– – – – – – – –
– nicht diabetesbedingte 501 – Salizylatvergiftung 470 – bei Schock 19 f – Vergiftung 458 renal-tubuläre 207 respiratorische 120, 206 f – akute 116 – chronische, akut dekompensierte 116 – – Koma, metabolischtoxisches 444 – – kompensierte 116, 120 – Säure-Basen-Diagramm 207 – urämische 507 Azotämie, Enzephalopathie 149
B Babesiose 284 f Babinski-Zeichen 414 Baclofen 431 Baker-Zyste 413 – Ruptur 89, 380 f Bakteriämie 265 – Endokarditis, infektiöse 95 – intermittierende 265 – kontinuierliche 265 – Meningitis 316 – Peritonitis, bakterielle, spontane (SBP) 151 – Pneumonie 302 – transiente 265 Bakteriaszites 152 Bakteriologie, Fieber beim immunkompromittierten Patienten 270 Bakteriurie, asymptomatische 168 – nach Nierentransplantation 185 BAL s. Lavage, bronchoalveoläre 302 f BAL (Dimercaprol) 483 f – beim Kind 484 Ballonpumpe, intraaortale 24, 61 Balthazar-Score, Pankreatitis, akute 135 Bandscheibenläsion, Schmerz 372 Barbituratvergiftung 463 ff Barotrauma 551, 555 Basic Life Support (BLS) 1, 5 Bauchhautreflex, Nervenwurzelbezug 375 Bauchschmerzen 127 ff – akute, bedrohliche s. Akutes Abdomen 127 ff – Angioödem, hereditäres 585 – Begleitsymptome 128 – Lokalisation 127 – bei Peritonealdialyse 175 – Porphyrie, akute 154, 157 BCG-Impfung 308 Beatmung 5 ff, 120 ff
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Sachverzeichnis
– chronisch obstruktive Lungenerkrankung 13 – Indikation 19 – Komplikation 12 – maschinelle 120 ff – – Acute Respiratory Distress Syndrome 120 – – hoher Inspirationsdruck 121 f – – Indikation 120 – – Intubation 121, 626 f – – Komplikation 122 – – nichtinvasive 120 f – bei Schock 19 Becken-Bein-Arterienverschluss, akuter 88 ff – Analgesie 91 – Antikoagulation 91 f – Dopplerdruckmessung 90 – Duplexsonografie 90 – Embolektomie 90 – embolischer 90 f – Kathetertherapie 91 – Lagerung 91 f – Lokalisierung 90 – MagnetresonanzAngiografie 90 – Oszillografie 90 – Perfusionsdruck, effektiver 89 – proximaler 88 – Ratschow-Lagerungsprobe 89 – Rekapillarisationszeit 89 – Therapiedringlichkeit 90 – Thrombolyse 91 f – thrombotischer 90 f Beckenvenenthrombose 67 Beck-Trias 78 Bedarfstachykardie 28 Behc¸et, Morbus 567 Beinahe-Ertrinken 518 ff – Advanced Cardiac Life Support 519 – EKG-Zeichen, prognostische 520 – Hypothermie 518 f – Magenentleerung 520 – Prognose 519 f – Submersionsdauer 519 – Transport 520 – trockenes 519 – Wassertemperatur 519 – Zielkrankenhauswahl 520 Beinplexusparese 410 f Beinschmerz 67 Beinschwellung 67 Beinvenen-Kompressionssonografie 69, 72 f Beinvenenvarikophlebitis, Antikoagulation 67 Belastungs-EKG, Synkope 437 Belastungsstörung, posttraumatische 541 Belladonna-AlkaloidVergiftung 473 f Bell-Lähmung 405
Bends 523 Benzininhalation 110 Benzodiazepine 399 – nach Suizidversuch 534 Benzodiazepinintoxikation 446, 463 ff – Antidottherapie 465 Bergkrankheit, akute (AMS) 520 ff Bernard-Soulier-Syndrom 234, 244 Betablocker 35 f, 58, 84 – Glaukom 615 – Interaktion mit Kalziumantagonisten 35 f – Kontraindikation 58 – thyreotoxische Krise 495 f – Vorhofflattern 34 – Vorhofflimmern 38 f Betahistin 421 Betasympathomimetika bei Schock 17 Beutel-zu-Masken-Beatmung 8 Bewegungssegment, Schmerzentstehung 372 Bewusstlosigkeit 1 f, 4, 515, 526 – ACLS-Algorithmus 10 – Kammerflimmern 45 Bewusstseinsstörung – Enzephalitis 311 f – bei HIV-Infektion 349 – Kopfschmerzen 424 – Meningitis 317 f – qualitative 452 – quantitative 440 – Sichelzellkrise 252 Bewusstseinsstrübung – Asthmaanfall, akuter 108 – Hyperosmolalität bei Diabetes mellitus 500 – Kammertachykardie 42 – Schock 15 Bewusstseinsverlust, transienter (s. auch Synkope) 432 ff Biguanide, Laktatazidose 507 Bikarbonatdefizit 209, 505, 508 – Schätzformel 165 Bikarbonatkonzentration im Plasma 206 f, 209 Bikarbonatüberladung 209 Bikarbonatverlust 208 Bikarbonatzufuhr 505, 508 – unerwünschte Wirkung 508 Bilirubinkonzentration im Serum, Child-Pugh-Klassifikation 149 Bindegewebsschwäche, hereditäre, Thrombophlebitis 66 Bindehautverätzung 598 Bing-Horton-Syndrom 425, 429 f Biomarker, kardiale 73 Biperiden 290, 470 Bisphosphonate 213 Biss, menschlicher 282 f Bissverletzung 282 ff – Infektion 266, 282 ff
– präemptive Antibiotikatherapie 284 Bivalirudin, Dosierung 237 Bivaluridin 58 Bizepsreflex, Nervenwurzelbezug 375 Blasenblutung 21 Blasenentleerung 169 Blasenkatheter 5, 164, 623 Blasenpalpation 169 f Blasenperkussion 169 f Blasenpunktion, suprapubische 622 f Blasenschmerz 166 Blasensonographie 169 Blastocystis-homonisEnteritis 349 Blausäure 481 Bleitoxizität 482 Bleivergiftung 482 ff – Antidottherapie 483 f – – beim Kind 484 Blendgefühl, monokuläres 384 Blepharitis 606 Blepharospasmus 597, 602 Blickabweichung, konjugierte 383 Blickrichtungsnystagmus 420 Blitzschlag 526, 528 f Block – atrioventrikulärer s. AV-Block 46 ff – sinuatrialer (SA-Block) 49 a1-Blocker bei Harnverhalt 170 Blow-out-Fraktur 598 – beim Kind 600 BLS (Basic Life Support) 1, 5 BLS-AED-Maßnahmen 5 f Blut – nasopharyngeales, Aspiration 115 – im Stuhl 136 Blutdruck, arterieller – Blutverlust 21 f – Drucksteigerung, intrakranielle 395 – Hypovolämie 194 – nach intrazerebraler Blutung 386 – mittlerer 14 – nach Schlaganfall 385 f – Subduralhämatom, chronisches 391 – Überwachung bei Schock 20 Blutdruckanstieg, unkontrollierter s. Krise, hypertensive 97 ff Blutdruckmessung – hypertensive Krise 99 – Pulsus paradoxus 78 Blutdruckregulation 97 Blutfluss, koronarer, Wiederherstellung 24 Blutgasanalyse – Acute Respiratory Distress Syndrome 120
Sachverzeichnis Blutgasanalyse, Asthmaanfall, akuter 108 – Azidose 208 f – Botulismus 292 – Kohlenmonoxidvergiftung 480 – Koma 443 – Lungenembolie 72 – Reizgasinhalation 110 – Schock 20 – Sepsis 267 – Zyanidvergiftung 481 Blutgase 2 Blutgerinnung s. Gerinnung 218 Blutgruppenantikörper, irreguläre 241 Blutkonserve 17 Blutkultur – Abszess, epiduraler, spinaler 325 – Arthritis, akute 369 – Endokarditis, infektiöse 93 ff – Fieber bei Drogenabhängigen 273 – Infektion nach Nierentransplantation 187 Blutprodukt, leukozytendepletiertes 239 Blutstillung 216 f – endoskopische 143 f – Gastrointestinalblutung, obere, akute 143 – bei Lungenblutung 115 – Ulkusblutung 143 Bluttransfusion (s. auch Transfusionsreaktion) 17 Blutung – akute – – oberer Gastrointestinaltrakt 142 ff – – – Begleitsymptome 142 – – – Blutstillung 143 – – – Blutungsquellenlokalisierung 143 – – – Endoskopie 143 – – – Monitoring 143 – – – Ulkusblutung s. Ulkusblutung 142 ff – – – Varizenblutung s. Varizenblutung 142, 144 ff – – unterer Gastrointestinaltrakt 142, 146 f – – – Angiografie 146 – – – Endoskopie 146 – – – endoskopische Therapie 147 – anale 147 f – bei Antikoagulation 223 ff – nach außen 217 – Dauerschaden 218 – bei fibrinolytischer Therapie 229 – nach fibrinolytischer Therapie 229 f – mit Fieber 357
– gastrointestinale 142 ff – – antikoagulanzienbedingte 224 – – Enzephalopathie 149 – – okkulte 142 – Gerinnungsfaktorenautoantikörper 230 f – bei Heparinisierung 224 – nach innen 217 – ins Labyrinth 418 – intrakranielle 218, 221 – – antikoagulanzienbedingte 224 – intraperitoneale 21 – intrazerebrale 383 ff – – Blutdruck 386 – – Hypernatriämie 199 – – unter rt-PA 386 – – Ventrikeleinbruch 384 – perikardiale, antikoagulanzienbedingte 224 – perimesenzephale 388 – petechiale 217, 233, 243, 263, 317 – pleurale, antikoagulanzienbedingte 224 – posttraumatische, unstillbare 227 – retinale 351 – retroperitoneale 21 – Sepsis 266 – subkonjunktivale 95, 273 – thrombotische Mikroangiopathie 254 – Thrombozytose, primäre 256 f Blutungsneigung s. Hämorrhagische Diathese 216 ff Blutungszeit 219 Blutverlust 17, 21 f – gastrointestinaler 21 – Schock 21 – Synkope 435 – Volumenersatz 22 – Volumenverlustabschätzung 21 f Blutvolumen – arterielles, effektives 165, 210 – zirkulierendes, effektives 193, 196 f BMI (Body-Mass-Index) 530 f Body Mass Index 530 f Borrelia burgdorferi 284 Borreliose (s. auch Lyme-Borreliose), Meningitis, lymphozytäre, akute 324 Botulinustoxin 291 Botulismus 291 ff – Meldepflicht 293, 362 Botulismus-Antitoxin 292 Brachialgia paraesthetica nocturna 408 f Bradyarrhythmie, postdefibrillatorische 11
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Bradykardie 27, 45 ff – akute koronare Herzkrankheit 60 – Asthmaanfall, akuter 108 – nach kardiopulmonaler Reanimation 11 – nach Kardioversion 34, 38 – neurogener Schock 26 – bei tracheobronchialem Absaugen 11 Bradykinin 585 Bradykininantagonisten 586 Brandblase 595 f Breitkomplex-Tachykardie 27 f, 40 ff Breitspektrumantibiotika – bakterielle Konjunktivitis 607 – Fieber, hämorrhagisches, virales 338 – infektiöse Arthritis 369 – toxisches Megakolon 141 Breitspektrumbetalaktamase 333 Brivudin 347, 590 Bronchialarteriografie 115 f Bronchialkarzinom, Vena-cavasuperior-Syndrom 79 Bronchialobstruktion, diffuse 107 Bronchialtoilette 107 Bronchiektasenblutung 114 f Bronchiolitis obliterans nach Stammzelltransplantation 261 Bronchitis – chronische, Pneumonieerreger 301 – reizgasbedingte 110 Bronchokonstriktion, anaphylaktischer Schock 25 Bronchopneumonie nach Nierentransplantation 186 Bronchoskopie 105, 106 – Indikation nach Reizgasinhalation 111 – Lungenblutungsursache 115 – bei Pneumothorax 124 – therapeutische 107, 115 Bronchospasmus – Anaphylaxie 583 – Aspiration 106 – persistierender 121 Brugada-Algorithmus 40, 42 Brustschmerz (s. auch Angina pectoris) 57 f Bukkaltablette 646 Bülau-Drainage 619 – modifizierte 124 Bulimie 530 f Bupropionvergiftung 467 Bursitis subacromialis 372 Butylscopolaminiumbromid 132 B-Vitamin-Umsatz, Kohlenhydratwirkung 404 f
686
Sachverzeichnis
C Caisson-Krankheit 523 f CAM (Confusion Assessment Method) 453 CaNa2-EDTA 483 f – beim Kind 484 Canalolithiasis 421 Candesartan 385 Candidaösophagitis 346 Candidaretinitis 273 Candidasepsis 96, 278 Candidastomatitis 346 Candidiasis 278 – bei HIV-Infektion 346 Cannabisentzugssymptome 546 Cannabisintoxikation 546 CAP (Community acquired Pneumonia; ambulant erworbene Pneumonie) 299 ff Capnocytophaga canimorsus 264, 282 Capnocytophaga-canimorsusSepsis 266 Captopril – Dosierung 59, 65, 100, 385 – Kontraindikation 100 – unerwünschte Wirkung 100 Carbamazepin 399, 431 Carbamazepin-Unverträglichkeit 431 Carbarylvergiftung 479 Carbimazol 495 Cardioverter-Defibrillator, implantierbarer (ICD) 44, 53 ff – Alarmtöne 55 – automatischer (AICD) 9 – diagnostischer Speicher 53 – Differenzierungsalgorithmen für Tachykardieformen 53, 55 – Electric Storm (elektrischer Sturm) 54 – Funktion 53 f – Kammertachykardiebeendigung 53 – programmierbare Interventionszonen 53 – Schockabgabe 54 f – – beim Kautern 55 Cauda-equina-Kompression 374, 376, 414 – Schmerzprovokation 414 CD4-Zellzahl – HIV-Infektion 339 f, 343 f – Lungeninfiltrat 344 – Stuhluntersuchung bei Diarrhhö 353 CED (Conductive Energy Device; elektrische Distanzwaffe) 525 Cefazolin 276, 279 – intraperitoneale Applikation 175 f Cefepim 168, 271
Ceftazidim, intraperitoneale Applikation 175 f Ceftriaxon 168 – Dosierung, intravenöse 96, 267, 279 Ceftriaxon-Kurzinfusion 288, 319 f – Gonokokkenarthritis 369 Cefuroxim 279 Cefuroxim-Axetil 168, 558 f Certoparin, Dosierung 70 Cerumen obturans 551, 553 C1-Esterase-InhibitorMangel 585 C1-Esterase-InhibitorSubstitution 585 CHADS2-Score, Schlaganfallrisikoschätzung 39 Chassis-Schmerz 56 Chelatortherapie bei Bleivergiftung 483 f – beim Kind 484 Chemieunfall 111 Chemose 558 Cheralgia paraesthetica 410 Chest-Syndrom 251 f Child-Pugh-Klassifikation bei chronischem Leberleiden 148 f Chinidin 37 Chinindihydrochlorid 299 Chininsulfat 298 f Chlamydien-Konjunktivitis 606 Chloralhydratvergiftung 464 f Chlorgasinhalation 110 Chlorhexidin 570 Chloriddiarrhö 209 Cholangiopankreatikografie, endoskopische retrograde (ERCP) 131, 134, 354 Cholangitis – akute 131 f – Antibiotikatherapie bei Sepsis 267 Cholelithiasis, Sonografie 132 Cholera 327 ff, 331 – Antibiotikatherapie 330 – Meldepflicht 362 – Rehydrierungsbehandlung 330 Choleratoxin 331 Cholesterin-Embolie-Syndrom 161, 163 Cholezystitis – akute 131 f – – Sonografie 133 – Schmerztyp 128 Cholinerges Syndrom 457, 478 Cholinergikaüberdosierung 478 Cholinesterasehemmervergiftung 477 ff – Antidottherapie 478 f – Dekontamination 478 Chondrokalzinose 368 ff – Gelenkpunktat 369 Churg-Strauss, Morbus 378
Chvostek-Fazialis-Phänomen 214 Chylothorax 111 Ciclosporin 183 – Arzneimittelinteraktion 192 – Exazerbation einer Graft-versusHost-Krankheit 262 – Nephrotoxizität 183 f – toxisch epidermale Nekrolyse 582 Ciclosporin/Tacrolimus 183 f Ciclosporin/TacrolimusIntoleranz 184 Cidofovir 347 Ciprofloxacin 168, 172, 267, 276, 330, 349 – bei infektiöser Arthritis 369 Clarithromycin 271, 315, 346, 348 – Diphtherie 559 – Helicobactereradikation 144 Clemastin 105, 239, 584 Clindamycin 107, 276, 279, 282, 346 – Dentitio difficilis 570 Clodronat 213 Clomethiazol bei Delir 539 Clonazepam 400 Clonidin 100 Clopidogrel 58 Clostridiennekrose 280 f Clostridium – botulinum 291 – difficile 327 ff Clostridium-difficile-Kolitis 267, 331 Clostridium-tetani-Toxin 289 Cluster-Kopfschmerz 425, 429 f CMV (Controlled mechanical Ventilation) 121 CMV (Zytomegalievirus), Nachweis 183, 305 CMV-Antigenämie 188 CMV-Enterokolitis 347 CMV-Enzephalitis 315, 347 CMV-Infektion – bei HIV-Infektion 347 – Meningitis, lymphozytäre, akute 324 – nach Nierentransplantation 186, 188 CMV-Organbefall 188 CMV-Pneumonie 347 CMV-Pneumonitis 343 CMV-Positivität, Nierentransplantation 183, 305 CMV-Prophylaxe 183 CMV-Retinitis 347, 351 CMV-Syndrom 188 CO-Hämoglobin 479 f, 486 Colchicin 370 Colitis ulcerosa – Blutung 146 – Megakolon, toxisches 140 ff Coma hepaticum, Knollenblätterpilzvergiftung 490
Sachverzeichnis Combustio s. Verbrennung 594 ff Community acquired pneumonia (ambulant erworbene Pneumonie) 299 ff Computertomografie – abdominale 130, 134 – bei akuten Rückenschmerzen 375 – kranielle – – Blutungsnachweis 388 – – Empty-Delta-Sign 393 – – Hirnabszess 312 f – – Koma 443, 446 – – Kopfschmerzen 425 – – Ringanreicherung 313 f – – Schlaganfall 384 f – – Subarachnoidalblutung 388 f – – Subduralhämatom, chronisches 390 f – thorakale s. CT-Thorax 113 – Tuberkulose 308 f – Urolithiasis 171 f – Weichteilinfektion, nekrotisierende 281 Computertomografie-Phlebografie, tiefe Venenthrombose 69 f Confusion Assessment Method (CAM) 453 Contrathion 479 Controlled mechanical Ventilation (CMV) 121 Coombs-Test 241, 243 CO-Oxymetrie 480 COP (Cryptogenic organizing Pneumonia) 301 Coprinus-Syndrom 491 Cor pulmonale 75 – chronisches, Dekompensation 75 Cortex cerebri, Schädigung – metabolische 440 – toxische 440 Cotrimoxazol (Trimethoprim/ Sulfamethoxazol) 167 f, 183, 188, 320 Cotrimoxazol-Unverträglichkeit 189 COX-2-Hemmer, Interaktion mit Kalzineurininhibitor 191 CPAP-Beatmung 119 f C-Peptid, Hypoglycaemia factitia 510 CPR s. Kardiopulmonale Reanimation 1 ff Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 359 Crohn, Morbus, Megakolon, toxisches 140 ff CRP (C-reaktives Protein) – Asthmaanfall, akuter 108 – Aszites 152 – Endokarditis, infektiöse 95 – Harnwegsinfekt, akuter 167 – Pankreatitis, akute 135
Cryptogenic organizing Pneumonia (COP) 301 CT-Angiografie – Aortenaneurysma, abdominales 86 – Becken-Bein-Arterienverschluss, akuter 90 CT-Perfusionsmessung, zerebrale 384 CT-Thorax 113 Cullen-Zeichen 134 CURB-Score, Pneumonieschweregrad 304 f Cyclooxygenasehemmung 234 Cyclophosphamid bei Vaskulitis 380 Cyclospora-cayatensisEnteritis 349 Cytokine-Release-Syndrom, Prophylaxe 183
D Dalteparin 386 Dämmerzustand, postiktaler 433 f, 537 Danaparoid 218, 237 – Anti-Xa-Aktivität 237 Darmdilatation, akute 141 Darmdistension 138 Darmperistaltikanregung 139 Darmspülung, orthograde, bei Vergiftung 460, 462 Darmwandnekrose, hämorrhagische, transmurale 136 Dauerkatheter, transurethraler 169 f Dauerkopfschmerz, arzneimittelinduzierter 428 Dauerschwindel 418 f Daumenballenmuskulatur, Atrophie 408 D-Dimere 69, 72 f, 76 – disseminierte intravasale Gerinnung 228 – Entstehung 217 DeBakey-Klassifikation, Aortendissektion 81 Defäkation, schmerzhafte 147 Défense s. Abwehrspannung, abdominale 138 Defibrillation 53 f – biphasische 9 – externe automatische (AED) 1, 5, 6 f, 9 – Komplikation 12 – bei liegendem Schrittmachersystem 9 – bei pulsloser Kammertachykardie 42 – Zeitfaktor 2 Dehydratation 193 – Cholera 331
687
– Delir im Alter 454 – Diabetes mellitus 500 – Diarrhö, infektiöse 328 ff – Strahlenunfall 524 – zelluläre 199 Dekompressionskrankheit 523 f Delayed-Onset HIT 235 Delir 451 f, 538 ff – im Alter 451 ff, 538 – – Prophylaxe 455 – – Risikofaktoren 454 f – mit Angst 455 – arzneimittelinduziertes 452 – Grunderkrankungen 538 – Krise, thyreotoxische 494 – Orientierungs-Score 453 – Pharmakotherapie 454 f – Screening 453 – mit Unruhe 455 – Unterscheidung – – von Demenz 452, 539 – – von Depression 452 – Vergiftung 458 – Wernicke-Enzephalopathie 404 Delirium tremens 404, 489 Demenz, Unterscheidung vom Delir 452, 539 Dengue-Fieber 337 Dentin, freiliegendes 563 ff Dentitio difficilis 569 f Depression – agitierte 536 f – arzneimittelinduzierte 533 – Unterscheidung vom Delir 452 Depressive Episode, ICD-10Kriterien 532 Depressives Syndrom – Amphetaminentzug 546 – Kokainentzug 545 Dermatika 658 Dermatome 373 Dermatose, bullöse 582 Desmopressin (DDAVP; s. auch Vasopressin) 222, 230, 232, 235 – Dosierung 201 – Urinosmolalität 200 Desmopressin-Test 200 Dexamethason – bakterielle Meningitis 319 – chronisches Subduralhämatom 391 – Hirnödem 316 – nichttraumatisches Querschnittssyndrom 414 f – tuberkulöse Meningitis 322 Dextran 17 Dextran 40 17 Dextran 70 17 Diabetes insipidus – nephrogener 200 – zentraler 200 f Diabetes mellitus 500 ff – hyperglykämische Entgleisung 502
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Sachverzeichnis
– Hyperosmolalität 500 – hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung 500 ff – – Begleitkrankheiten 505 – – Elektrolytdefizite 505 – – therapeutischer Algorithmus 503 – – Therapiekomplikation 506 – – Wasserdefizit 505 – Hypoglykämie 508 ff – Ketoazidose 500 ff – Laktatazidose 505 ff – Okulomotoriusparese 406 f Dialysekatheter, zentralvenöser 164 Dialyselösung, kaliumarme 206 Diarrhö – blutige 338, 353 – Clostridium-difficileassoziierte 271 – HIV-Infektion 353 – infektiöse 327 ff – – akute 327 – – Antibiotikatherapie 330 – – chronische 327 – – Erreger 327 f – – Isolationsmaßnahmen, Indikation 332 f – – Komplikation 327 – – persistierende 327, 329 – – Rehydrierungsbehandlung 329 f – – Schweregrad 329 – – Stuhluntersuchung 329 – inflammatorische 327 f – invasiv-zytotoxische 327 f – Malaria 328, 331 – Megakolon, toxisches 141 – nichtinflammatorische 327 f – reiswasserähnliche 331 – sekretorische 327 f – nach Stammzelltransplantation 262 – Strahlenunfall 524 – toxininduzierte 327 f, 331 Diät, kaliumarme 206 Diathese, hämorrhagische s. Hämorrhagische Diathese 216 ff Diazepam 375, 398, 400 – Erregungszustand 537 – Schwindelanfallkupierung 421 – nach Suizidversuch 534 – thyreotoxische Krise 495 – Verwirrtheit 539 DIC s. Disseminierte intravasale Gerinnung 227 ff Dickdarmileus 138, 150 – Abdomenleeraufnahme 129 Dicker Tropfen 298 Diclofenac 59, 372 Dicobalt-EDTA (Kelocyanor) 482 Diffusionsstörung, alveolokapilläre 116 ff Digitalisglykosidvergiftung 475 f
Digitalistoxizität bei Hyperkaliämie 206 Digitoxinkonzentration im Serum, toxischer Bereich 476 Digoxin – Dosierung 64 – Kontraindikation 30, 38 Digoxinkonzentration im Serum, toxischer Bereich 476 Digoxinvergiftung 475 f – Antidottherapie 476 – Dekontamination 476 – Risikofaktoren 475 f Dihydralazin 101 Dihydroergotamin 427 Dilemma, katatones 540 Diltiazem 495 Dimaval 483 Dimenhydrinat 421 Dimercaprol 483 f – beim Kind 484 2,3-Dimercaptosuccinat 483 f – beim Kind 484 4-Dimethylaminophenol (4-DMAP) 481 f Diphtherie 559 – Meldepflicht 362 Diplopie 607 f Diskopathie, akute 89 Diskushernie – lumbosakrale 411 – postoperativ persistierende Schmerzen 275 – schmerzvermindernde Lagerung 374 Diskusverlagerung, anteriore, akute 576 ff – Reposition 578 Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) 227 ff, 253 – Blutungen 227 f – chronische 228 – fulminante 260 – Hautmanifestation 277 f – kompensierte 228 – Leukämie 258, 260 – Sepsis 228, 266 – Ursache 228 Dissoziation, zytoalbuminäre, im Liquor 402 Distanzwaffe, elektrische 525 Diurese – forcierte, bei Kalziumintoxikation 212 – osmotische, bei Hypernatriämie 199 f – Schock 20 Diureseantwort auf Volumenzufuhr 161 Diuretika – Alkalose 209 f – kaliumsparende 204 – Schlagvolumenverminderung 76
– Schock, kardiogener 23 Diuretikatherapie, maximale, bei Hyperkaliämie 164 Divertikelblutung 146 f Divertikulitis, Perforation 139 f Diving-Reflex 518 4-DMAP (4-Dimethylaminophenol) 481 f DMPS (2,3-Dimercaptopropan-1-sulfonat) 483 DMSA (2,3-Dimercaptosuccinat) 483 f – beim Kind 484 Dobutamin 18 f, 23 – Dosierung, intravenöse 18 – unerwünschte Wirkung 18 Domperidon 427 Dopamin 18 f, 23 – Dosierung 18, 60 – Nierendosis 165 – unerwünschte Wirkung 18 Doppelbilder 607 f Doppel-J-Katheter 164, 172 – nach Nierentransplantation 182 Dopplerdruckmessung 90 Dopplersonografie 378, 385 – transkranielle 389 Dosieraerosol 650 f – Inhalationstechnik 651 – Inhalierhilfe 650 f Doxycyclin 288, 299, 348 Dreiwegehahn, Arzneimittelapplikation 653 f Drogenabhängigkeit 543 Drogenabusus, intravenöser 377 – Endokarditis 93, 96 – Fieber 272 ff – – Mikrobiologie 273 – Hautinspektion 273 – Infektion 272 ff – Koma 440 – Plexitis, allergische 410 – Pneumonieerreger 301 – Schleimhautinspektion 273 – Sepsis 267 – Tetanus 289 f Drogenentzug 543 ff, 549 Drogenintoxikation 512, 543 ff Drogen-Jargon 548 Drogen-Screening im Urin 549 Drop attacks 419, 434 Druckbelastung – linksventrikuläre, Herzinsuffizienzdekompensation 62 – rechtsventrikuläre 75 Druckgradient, myokardialer 2 Druckmonitoring, arterielles 59 Druckschmerz – abdomineller 128 f – epigastrischer 134 – medialer Augenwinkel 558 – suprapubischer 166 – untere Extremität 67
Sachverzeichnis Drucksteigerung – intrakranielle (s. auch Hirndruck) 393 ff – – antiepileptische Prophylaxe 395 – – Blutdruck 395 – – Einklemmung 394 – – Frühsymptome 394 – – Fundoskopie 392 – – Hirndruckmessung 395 – – Kopfschmerztyp 424 – – nach Schlaganfall 387 – – Sinusvenenthrombose 391 f – pulmonal-arterielle 73 – pulmonal-venöse 63, 75 Duke-Kriterien, Endokarditis 93 f Dünndarmileus 138 – Abdomenleeraufnahme 129 Duplexsonografie 66 Durchfall s. Diarrhö 327 ff Durstreflexstörung 199 Dysenterie-Syndrom 327 ff Dysfunktion – linksventrikuläre 59 – rechtsventrikuläre, akute 73 Dysgammaglobulinämie, Pneumonie 300 Dyskinesien, neuroleptikabedingte 290, 469 f, 537 Dysphagie – akute 125 f – Botulismus 291 f – HIV-Infektion 352 f – neuromuskuläre 126 – obstruktive 126 – oropharyngeale 125 f – ösophageale 125 f – Röntgenpassage 126 Dysplasie, rechtsventrikuläre, arrhythmogene 44 Dyspnoe – Acute Respiratory Distress Syndrome 118 – Asthmaanfall, akuter 107 – AV-Block 46 f – dominant exspiratorische 104 – Endokarditis, infektiöse 95 – Herztamponade 77 – bei HIV-Infektion 343 f – Linksherzinsuffizienz 62 f – Lungenblutung 114 – Lungenembolie 71 – Pleuraerguss 112 f – plötzliche 106 – Rechtsherzinsuffizienz 75 Dysproteinämie, hämorrhagische Diathese 233 Dysregulation, sympathikotone, Delir 538 Dystonie, neuroleptikabedingte 290 Dystrophien, akrale 66 Dysurie 166
E Ebola-hämorrhagischesFieber 337 Echokardiografie – Aortendissektion 83 – Endokarditis, infektiöse 94 f – Synkope 436 – transthorakale, Verdacht auf Lungenembolie 73 Ecthyma gangraenosum 281 Eczema herpeticatum 591 f EEG s. Elektroenzephalogramm(-grafie) 313 Ehlers-Danlos-Syndrom 232 f Ehrlichiose 284 f Einflussstauung, obere 72, 75, 79 f Einklemmung bei intrakranieller Drucksteigerung 394 Eisenmangel 257 Eisenmenger-Syndrom 75 Ekchymose 217, 263 24-h-EKG, Synkope 437 Ektropionieren, Oberlid 600 f Ekzem, impetiginisiertes 591 Electric Storm (elektrischer Sturm), Cardioverter-Defibrillator, implantierbarer (ICD) 54 Elektroenzephalogramm(-grafie) – Enzephalitis 313 – Status epilepticus 400 f Elektrokardiogramm(-grafie) 5 – Alternans, elektrischer 78 – Flatterwellen, negative 33 – Hyperkaliämiezeichen 177, 205 – Hypokaliämiezeichen 203 – intrakardiales, CardioverterDefibrillator, implantierbarer (ICD) 53 – J-Punkt-Elevation 516, 519 – kardiopulmonale Reanimation 2f – Koma 443 – Niedervoltage 78 – Osborn-Welle 516, 519 – P pulmonale 72, 108 – Pseudo-S-Zacke 31 – P-Wellen 2 f – – retrograde 31 f – – überhöhte 203 – – vor QRS-Komplex 31 f – QRS-Komplex 2 – – breiter, bei Tachykardie 28, 38 – – schmaler 27 ff, 34, 46 – QT-Intervall – – verkürztes 205, 212 – – verlängertes 40, 44, 214 f – ST-Strecken-Hebung 55 f, 59, 74 – ST-Strecken-Senkung 58 f, 203 – Synkope 436 – T-Welle, schmale 205 Elektrolythaushaltsstörung bei Hypovolämie 193 Elektroneurografie 409
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Elektrounfall 525 ff – Sekundärschäden 527 – Stromfluss 526 – Verletzung, stumpfe 526 Eletriptan 427 Ellenbogengelenkpunktion 621 Embolektomie, chirurgische – Becken-Bein-Arterien 90 f – Pulmonalarterie 74 Embolie – arterielle – – Differenzierung von Thrombose 88 – – bei Vorhofflimmern 37 f – arterioarterielle, Hirninfarkt 383 – unter Heparintherapie 235 – kardiogene 37 f, 90, 383 – mesenterialarterielle 136 – zerebrale 92 Embolusquelle, kardiale 37 f, 90, 383 – Ausschaltung 92 Emollienzien, topische 595 Empty-Delta-Sign, computertomografisches 393 Enalapril 101 Enanthem 263 Endarteriektomie 91 Endo-Paro-Läsion, akut infizierte 569 Endokarditis – infektiöse 93 ff, 377 – – akute 93 – – Auskultationsbefund 95 – – auslösende Bakteriämie 95 – – Blutkultur 93 ff – – Duke-Kriterien 93 f – – Echokardiografie 94 f – – Erreger 93, 95 f – – Hautmanifestationen 93, 95, 277 ff – – immunologische Phänomene 94 – – bei intravenösem Drogengebrauch 93, 96 – – Prädisposition 93, 95 – – Schleimhautmanifestationen 93, 95 – – subakute 93 – – vaskuläre Phänomene 94 – Stigmata 273 Endokrine Störung nach Stammzelltransplantation 262 Endophthalmitis 604 Endorganschäden, hypertensive 98 Endoskopie – akutes Abdomen 130 – nach Ätzstoffaufnahme 485 – Dysphagie 126 – Gastrointestinalblutung, obere, akute 143 Endosonografie, peranale 148
690
Sachverzeichnis
Endstrominfarkt 383 Engpasssyndrom, Armplexusparese 407 Enoxaparin 58 f, 70, 376 Enterobakterienmeningitis 319 f Enterokokkenendokarditis 96 Enterotoxin 327, 331 Entfaltungsödem der Lunge 124 Entzündung, intrathekale 316 Entzündungsmediatorenfreisetzung, plötzliche 25 Enzephalitis 310 ff – Erreger 312 – bei HIV-Infektion 315 – postinfektiöse 311 Enzephalitisches Syndrom 317 Enzephalopathie – Bleivergiftung 484 – diffuse 442 – hepatische 148 ff – – auslösende Faktoren 149 f – – chronische, Exazerbation 149, 151 – – Paracetamolvergiftung 471 – – Peritonitis, bakterielle, spontane 151 f – – Sedierung 150 – hypertensive 98 – postischämische 12 – spongiforme, humane, Meldepflicht 362 Eosinophilie 108, 161 Ephedrin 26 Epidermolyse 581 f Epiduralabszess s. Abszess, epiduraler 310 ff, 317 f, 324 ff Epiduralanästhesie 26 Epiduralkatheter, Abszess 326 Epiglottitis 561 Epilepsie (s. auch Anfall, epileptischer) 396, 537 – Arzneimittelwahl 399 f – Therapieindikation 398 Epilepsiesyndrom 396 Epistaxis 222, 556 f – Gefahrensituation, hypertensive 98 – posteriore 556 Equestre-Syndrom 491 Erblindung 612 Erbrechen – akute Pankreatitis 134 – akutes Abdomen 128 – akutes Nierenversagen 160 – Ileus 138 – induziertes, bei Vergiftung 461 – selbstinduziertes 530 Erbrochenes, bluthaltiges 142 ERCP à chaud 131 ERCP (endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie) 131, 134, 354 Erethismus, Quecksilbervergiftung 483
Erfrierung, lokale 513 f – Analgetika 514 – Erwärmung 514 Ergotalkaloide 427 f – Kontraindikation 428 Erregungszustand 535 ff – amphetaminbedingter 546 – arzneimittelinduzierter 536 – Kontaktaufnahme mit dem Patienten 536 f – Medikation 537 Ersatzzucker, Laktatazidose 506 Erschöpfung, respiratorische 108 Erstickungsanfall 103 – Heimlich-Handgriff 5, 7 Erstsekundenkapazität, erniedrigte 108 Ertapenem 267 Ertrinkungsunfall 518 ff Erysipel 66, 277 ff, 281 Erythem 263 – toxisches 278 Erythema – exsudativum multiforme 567, 580 f – – HSV-assoziiertes 580 f – – Majorform 580 f – – Schleimhautbeteiligung 580 f – migrans 285, 288 – nodosum 66, 328 Erythroaplasie, akute, bei chronischer Hämolyse 240 Erythromelalgie 257 Erythroprosopalgie 425, 429 f Erythrozyten, glomeruläre 160 Erythrozytenabbau, beschleunigter, nach Transfusion 238 Erythrozytenagglutination, kälteantikörperbedingte 239, 241 Erythrozytenapherese 256, 258 Erythrozytenkonzentrat 17, 22 Erythrozytentransfusion, Vollblutviskosität 256 Erythrozytenzylinder 160 Escherichia coli – chinolonresistente 267 – Diarrhö 328 Esmarch-Handgriff 5 Esmolol 34, 36, 84, 101, 495 – unerwünschte Wirkung 101 Esomeprazol 143 Essstörung 530 f ETCO2 (nichtinvasiv gemessenes endexspiratorisches Kohlendioxid) 2 Ethambutol 309, 322, 348 Evans-Syndrom 254 Event-Recorder, Synkope 438 Everolimus, Arzneimittelinteraktion 192 Evidence-based Medicine, Vergiftung 459
Exanthem 263 – akute lymphozytäre Meningitis 323 – bullös-vesikuläres, Erreger 264 – bei Diarrhö 328 – erregerspezifisches 264 – Fieber 263 ff, 357 – – hämorrhagisches, virales 338 – generalisiertes 285 – Gonokokkenarthritis 368 – Infektionskrankheit 263 ff – petechialpurpuriformes, Erreger 264 – toxisches 277 f – Vaskulitis 377 Exophthalmus 558 Explosionstrauma 555 f Exspirium, verlängertes 107 f Exsudat, pleurales 111 f Extrapyramidales Syndrom 457 Extrasystolen 57, 61 – supraventrikuläre 61 – Tachykardie, supraventrikuläre, paroxysmale 32 – ventrikuläre 41, 44 f, 61 Extremität – obere (s. auch Arm), Nervenläsion 407 ff – untere (s. auch Bein) – – Ischämie 88 f – – – absolute 90 – – Nervenläsion 410 ff – – peitschenschlagartiger Schmerz 89 – – tiefe Venenthrombose 67 Extremitäten, Umfangsdifferenz 66, 68 Extremitätenarterienverschlüsse, gleichzeitige 92
F Fab-Antikörper-Fragmente, digoxinspezifische 476 Factor Eight Bypassing Activity (FEIBA) 223 Faktor V 218 – Mangel 221 Faktor VII, aktivierter, rekombinanter 230, 235 Faktor VIII 218, 220 ff – Aktivität, verminderte, beim Mädchen/bei der Frau 221 – Hemmkörper, erworbene 221, 223 – Initialdosis 222 – Mangel/Störung 220 f – Stimulation 220 f – verminderter, bei VWF Typ 3 231 Faktor IX 218, 220 ff – Initialdosis 222 – Mangel/Störung 220 f
Sachverzeichnis Faktor XI 218 – Mangel 221 Faktor XII 218 – Mangel 221 Faktor-VIII-Konzentrat, virusinaktiviertes 232 Faktor-VIII-Präparat 221 Faktor-IX-Präparat 221 Faktor-VIII/VWF-Konzentrat 230, 235 Fallfuß 413 Fallhand 410 Fallneigung 417 f Faltentintlingvergiftung 491 Famciclovir 347, 590 Fanconi-Anämie 249 Fastenketose 501 Fasziennekrose 280 f Fasziitis, nekrotisierende 280 f Fasziotomie bei Gasgangrän 282 Faustschlag auf die Zähne 283 f Fazialisparese – Botulismus 291 f – Herpes zoster 589 – Lyme-Borreliose 288 – Meningitis, tuberkulöse 322 – periphere 405 f – – idiopathische 405 – Zoster oticus 419 FEIBA (Factor Eight Bypassing Activity) 223 Felsenbeinregion, epiduraler Abszess 311 Felsenbeinsinusthrombose, septische 311 Femoralislähmung 411 Femoralisneuropathie 405 Fenster, rundes, Membranruptur 555 Fettgewebsnekrose, subkutane 134 Fever of unknown origin s. Fieber unklarer Genese 327 FFP (Fresh-frozen Plasma) 17, 228 ff – nach Blutverlust 22 – bei disseminierter intravasaler Gerinnung 228 – bei fibrinolysebedingter Blutung 229 f – Gerinnungsfaktorenersatz 221, 226 – bei hepatischer Enzephalopathie 150 – unerwünschte Wirkung 17 Fibrinogen-Infusion 226 Fibrinogenkonzentrat 229 f Fibrinogenspiegel, disseminierte intravasale Gerinnung 228 Fibrinolyse 217 Fibrinolysehemmung, Sepsis 266 Fibrinolytische Therapie (Thrombolyse) 70, 73 f, 91 f – Blutung 229 f
– intravenöse, katheter applizierte 393 – nach kardiopulmonaler Reanimation 13 – Kontraindikation, CPR-spezifische 13 – koronare 59 – lokale 91 f – retinale Arterie 611 – nach Schlaganfall 386 – Sinusvenenthrombose 393 – systemische 70, 73 f Fibromyalgie 374 Fibulaköpfchen, Nervusperonaeus-Druckläsion 412 f Fieber 356 f – Abszess, epiduraler, spinaler 325 – akutes Abdomen 128 – bei aplastischer Anämie 250 – Definition 268 – bei Drogenabhängigen 272 ff – Endokarditis, infektiöse 93, 95 – mit Exanthem 357 – mit Hämorrhagie 357 – hämorrhagisches, virales 265, 336ff – – Indikation für Präventionsmaßnahmen 338 – – Isolation 332 f – – Meldepflicht 362 – – Referenzzentren 338 f – – Speziallaboratorien 338 – Harnwegsobstruktion 172 – bei HIV-Infektion 349, 352 – immunkompromittierter Patient 268 ff – Immunologie 270 – Infektherd 270 – Infektionskrankheit 263 ff – mit Lymphadenitis 357 – Malaria 296 f – Meningitis 317 – – lymphozytäre, akute 323 – – tuberkulöse 321 – Mikrobiologie 270 – neutropenisches 186, 247, 268 ff – nach Nierentransplantation 185 – Pneumonie 300 – rheumatisches 368 – SIRS 265 – unklarer Genese 269, 377 – – bei HIV-Infektion 352 – Vaskulitis 377 Filgastrim 186 Fine-Score, Pneumonieschweregrad 304 Fistelbildung 276, 307 Flankenschmerz 170 Flapping Tremor 149, 160 Flash-back-Psychose 547 Flashover, Blitzschlag 528 Flecainid 33 f, 37 f Fliegenpilz-Syndrom 491 Flucloxacillin 95, 276, 279
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– Kurzinfusion 326, 369 Fluconazol 188, 346 f Fludrocortison 268 Fluid Lung, therapiebedingte 506 Flumazenil 465 Fluorchinolone 330 Fluoreszein 614 Flurbiprofen 566 Flush, Anaphylaxie 583 Flüssigkeit, freie, intraabdominelle 140 Flüssigkeitsmediumkultur, nichtradiometrische, Tuberkuloseerregernachweis 308 Flüssigkeitsspiegel, intraabdominelle 129 Flüssigkeitsverlust 21 f Flüssigkeitszufuhr 499, 503 f Flusssäureverätzung 485, 592 ff – Antidottherapie 485 – Ausdehnung 593 f – systemische Wirkung 593 Foetor ex ore 567 ff Fokus, abdomineller, neutropenischer Patient mit Fieber 271 Folsäure bei Methanolvergiftung 489 Fomepizol 489 Fondaparinux 58, 218, 237 – Blutung 225 Formoterol 109 Forrest-Kriterien, Ulkusblutungsschweregrad 143 Foscarnet 347, 590 Fournier-Gangrän 280 f Fragmentozyten 241, 244, 254 Fraktur, okkulte, Sturz im Alter 450 Fremdkörper – Aspiration 106 – Hornhaut 600 f – verschluckter 125 Fresh-frozen Plasma s. FFP 17 Frischblutabgang, peranaler 136 Frozen Shoulder 371 Frühdefibrillation 9 Frühdyskinesien, neuroleptikabedingte 290, 537 Frühjahrslorchelvergiftung 491 Frühsommermeningoenzephalitis 284 ff – Endemiegebiete 286 f FSME s. Frühsommermeningoenzephalitis 284 ff Fundoskopie 392, 441, 611 f Funktionsstörung, myokardiale 63 FUO (Fever of unknown Origin) s. Fieber unklarer Genese 352 Furosemid 59, 428 – Dosierung 64, 164 f, 212 Furunkel 277 f – im Gesicht 558 Fusospirillose 567 Fußpulse, fehlende 68
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Sachverzeichnis
G Gabapentin 399, 430 f Gallenblasenempyem 131 Gallenblasenhydrops 131 Gallenblasenpalpationsschmerz bei Inspiration 131 Gallenblasenperforation 128, 131 Gallenkolik 131 f Gallenstein, Sonografie 132 Gallensteinträger 131 Gallenwegsobstruktion 133 – HIV-Infektion 354 Ganciclovir 188, 315, 347 Gangataxie 416 Ganglioside 402 Gangrän, synergistischnekrotisierende 280 f Gas, wasserlösliches, Inhalation 110 Gasbildung im Gewebe 280 Gase, nitrose, Inhalation 110 Gasgangrän 280 ff Gastroenteritis 358, 491 – infektiöse, Meldepflicht 363 Gastrointestinalblutung – obere, akute 142 ff – untere, akute 142, 146 f Gastrointestinales Syndrom, Strahlenunfall 524 G-CSF (Granulozytenkolonienstimulierender Faktor), Dosierung 247 GCS (Glasgow Coma Scale) 388, 439 Gefahrensituation, hypertensive 97 f, 100 – Überwachung 102 Gefäßpermeabilität, erhöhte 25 Gehörabnahme – Delir im Alter 454 – Labyrinthausfall, akuter 418 – Mènière-Krankheit 418 Gehörgangsfurunkel 550 Gehörverlust – Schwindel 417 – Strahlenunfall 524 Gelatinekolloide 17 Gelbfieber 337 Geldrollenbildung im Blutausstrich 255 Gelegenheitsanfall 398 Gelenkblutung 217, 222, 368 – akute 371 – Hämophilie 221 – Von-Willebrand-Krankheit 231 Gelenkerguss, eitriger, Entlastungspunktion 369 Gelenkinfekt, septischer 367 ff Gelenkpunktat 369 Gelenkpunktion 369, 371, 621 f Gelenkschmerz, akuter 367 f Gelenkspülung, arthroskopische 369
Gentamicin, intraperitoneale Applikation 175 f Geriatrischer Patient, Arzneimitteltherapie 644 f Gerinnung – Extrinsic-System 218, 227 – intravasale, disseminierte s. Disseminierte intravasale Gerinnung 327 – Intrinsic-System 218, 227 Gerinnungsfaktoren 217 – Autoantikörper 230 f – Bestimmung, Leberfunktion 151 – hepatische Synthesestörung 226 – plasmatische Inhibitoren 217 – verminderte 226 Gerinnungsfaktorenpräparate 221 Gerinnungsfaktorensubstitution 17, 150 Gerinnungshemmer 218 Gerinnungsregulierende antithrombotische Mechanismen 217 Gerinnungsstörung 150, 258 Gerinnungssytem – Globaltests 217 – Hemmung 218 Gesamteiweiß bei Aszites 152 Geschlechtsverkehr, ungeschützter, HIV-Transmissionsrisiko 335 Gesichtsfeldausfall bei HIVInfektion 351 Gesichtsinfektion, schwere 558 Gesichtsmaske, Beatmung 120 f Gesichtsneuralgie 431 Gesichtsschwellung 80 Gewebehyperkapnie 2 GewebeplasminogenAktivator 92 Gewebethromboplastin 218, 227 Gicht 367 ff – Anfallsprophylaxe 370 – auslösende Faktoren 368 – primäre 367 – sekundäre 367 Gichtarthritis, tophöse, chronische 370 Gichtknoten 368 Giemen, exspiratorisches 107 f Giftelimination 462 f – extrakorporale 462 f Giftresorption, gastrointestinale, Verhinderung 460 f Gingivaabrasion 574 Gingivaabrissverletzung 574 Gingivaeinriss 574 Gingivalazeration 574 Gingivaschwellung 569 Gingivaverletzung 574 Gingivitis
– Quecksilbervergiftung 483 – ulzerierende, akut nekrotisierende (ANUG) 567 f Glanzmann-Thrombasthenie 234 Glasgow Coma Scale 388, 439 Glaucoma chronicum simplex 614 Glaukomanfall, akuter 613 f Glaukommedikamente 615 Gleichstromunfall 525 f Glenohumeralgelenkaffektion 371 f Globalinsuffizienz, respiratorische 107 f, 116 f – hyperkapnische 120 – Sauerstoffgabe 109, 119 f Glomeruläre Krankheit, akutes Nierenversagen 159, 162 Glomerulonephritis, rapid progressive 159, 165 Glossopharyngeusneuralgie 431 Glucose-6-phosphat-dehydrogenase-Mangel 241 f Glukagon 510 Glukokortikoide s. Kortikosteroide 109, 370, 379 ff, 611 Glukosehomöostase 508 f Glukoseinfusion – Äthanolintoxikation 489 – hepatische Enzephalopathie 150 – Wernicke-Enzephalopathie 404 Glukosekonzentration – Peritoneallösung 177 – im Plasma 502, 508, 510 Glukosemangel, zerebraler 509 Glukoseproduktion, verminderte 509 Glukoseverbrauch, vermehrter 509 Glukosezufuhr bei Hypoglykämie 510 Glykolvergiftung 487 ff Glykoside, zyanogene 481 Golferellbogen 371 Gonokokkenarthritis 367 ff – Gelenkpunktat 369 GPIIb/III a-Blockade 58 f GRACE-Score 57 Graft-versus-Host-Krankheit 261 f Grand-Mal-Anfall 397 f, 433 f Grand-Mal-Status, alkoholassoziierter 400 Granulozytenfunktionsdefekt 268 f Granulozytenkolonien-stimulierender Faktor, Dosierung 247 Granulozytenzahl im Aszites 152 Granulozytopenie, Strahlenunfall 524 Grenzzoneninfarkt 383 Grey-Turner-Zeichen 134 Grippeotitis 550 Grünlingvergiftung 491
Sachverzeichnis Guillain-Barré-Syndrom 292, 402 f Gummibauch 134 Gyromitrin-Syndrom 209 f, 491
H Haarzellleukämie 248 HACE (High Altitude cerebral Edema; Höhenhirnödem) 520 ff Haemophilus-Endokarditis 96 Haemophilus-influenzaeEpiglottitis 561 Haemophilus-influenzaeMeningitis 320 HAES (Hydroxyethylstärke) 17, 164 Halluzination 491, 538 Halluzinogenintoxikation 547 Halluzinose, alkoholische 489 Haloperidol 454 f, 537, 539 – nach Suizidversuch 534 Halsvenenfüllung 194, 198 Halsvenenpuls 72 Halsvenenstauung 59, 72, 79 f Häm-Arginat-Infusion 155, 157 Hämarthros s. Gelenkblutung 221, 231, 368 Hämatemesis 114, 142 – Fieber, hämorrhagisches, virales 338 Hämatochezie 142, 146 Hämatokrit – nach Blutverlust 22 – erhöhter 258 – Hypovolämie 194 Hämatom 218 – chronifiziertes 218 – intrazerebrales 384 – subdurales, chronisches 390 f Hämatopoesehemmung, Leukämie 258 Hämatopoetisches Syndrom, Strahlenunfall 524 Hämatothorax 21, 111 Hämatotympanon 555 Hämaturie – antikoagulanzienbedingte 224 – nach Nierentransplantation 190 – bei Urolithiasis 172 Hamman-Zeichen 123 Hämochromatose 370 Hämodiafiltration 164 Hämodialyse 164 – Äthanolintoxikation 489 – Azidosekorrektur 165 – Lithiumvergiftung 468 – Methanolintoxikation 489 – Salizylatvergiftung 472 – Theophyllinvergiftung 477 – Vergiftung 460, 462 f Hämodilution, isovolämische, bei lokaler Erfrierung 514
Hämofiltration bei Vergiftung 463 Hämoglobin S 250 f Hämoglobinabfall, Ursache 251 Hämoglobinkonzentration nach Blutverlust 22 Hämoglobinurie 297 – paroxysmale, nächtliche 249 f Hämolyse 237 f – Babesiose 285 – chronische 240, 251 – extravasale 237 – hereditäre 240 – intravasale 237 – Malaria 297 – mikroangiopathische 253 f – – beim Kind 253 – Transfusionsreaktion, akute 237 f Hämolytisch-urämisches Syndrom 159, 165, 253 – diarrhöassoziiertes 163 – Kalzineurininhibitorbedingtes 184 f – Meldepflicht 363 – nach Nierentransplantation 184 f – Rezidiv im Transplantat 184 Hämoperfusion bei Vergiftung 463 Hämophilie 217 f, 220 ff – Dauerschaden 218 – Faktorsubstitution 221 – Konduktorin 220 – operativer Eingriff 221 – Schmerzbekämpfung 222 Hämophilie A 220 Hämophilie B 220 Hämoptoe 114 ff – Blutstillung 115 – Hustenstillung 115 Hämorrhagie (s. auch Blutung), subunguale 273, 278 Hämorrhagische Diathese 216 ff, 377 – Anämie, aplastische 250 – Autoantikörper, plättchenspezifische 243 – Maßnahmen bei Blutung 219 – Thrombozytose, primäre 256 f – vaskuläre 219, 232 f Hämorrhagisches Fieber s. Fieber, hämorrhagisches Hämorrhoidalthrombose 147 f Hämorrhoidenblutung 147 Hämovigilanz 239 Hanta pulmonary Syndrome 337 H1-Antihistaminika-Vergiftung 474 f – Antidottherapie 475 – Dekontamination 475 HAPE (High Altitude pulmonary Edema; Höhenlungenödem) 520 ff
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Harnableitung nach Nierentransplantation 182 Harnblase s. Blase 169 Harnretention 169 f, 373 f Harnsäurekonzentration im Urin, akutes Nierenversagen 160 Harnsäureproduktion, erhöhte 162 Harnstein 170, 172 Harnstoffdiurese, osmotische 201 Harnstoffkonzentration – im Plasma, Hypovolämie 195 – im Urin, akutes Nierenversagen 160 Harnwegsinfekt (HWI) 166 ff – akuter 166 ff – – Antiotikaresistenz 167 – – Urinkultur 167 – – Urinstatus 167 – komplizierter 166 – rezidivierender 168 Harnwegsobstruktion – mit Fieber 172 – Infektionsrisiko 166 – infravesikale 169 – konkrementbedingte 170 – nach Nierentransplantation 179, 181 f, 185 – Nierenversagen, akutes 159, 162 Harnzylinder 160 Haut, kirschrote, bei Vergiftung 481 Hautblutungen 217 f – unstillbare 227 Hautinfektion 277 ff – bakterielle, lokalisierte 277 Hautinfiltration, Leukämie 247 Hautnahtdehiszenz nach Nierentransplantation 189 Hautnekrosen 235 Hautturgor, verminderter 195 Heimlich-Handgriff (HeimlichManöver) 5, 7, 105 f Heinz-Innenkörper 241 Heiserkeit 562 HELLP-Syndrom 253 f Helicobactereradikation 144 Hemianopsie 383 Hemiblock – linksanteriorer 48 – linksposteriorer 48 Hemikranie, paroxysmale, chronische 429 Hemineglekt 383 Hemiparese, brachiofazial betonte 383 Hemiplegie 321, 383 Heparin – disseminierte intravasale Gerinnung 228 – Fertigspritze 654 – niedermolekulares 59, 70, 92 – – Angriffspunkt 218 – – nach Schlaganfall 386
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Sachverzeichnis
– Überdosierung 223 f – unfraktioniertes 58 f, 70, 91 f – – Angriffspunkt 218 – – aPTT-Kontrolle 70 – – HIT-Antikörper 235 Heparinbolus, anaphylaktische Reaktion 235 Heparinisierung – Aufhebung bei Lungenblutung 115 – Indikation nach Schlaganfall 386 – Sinusvenenthrombose 393 – Überwachung 71 – Vorhofflimmern 38 Hepatitis-B-Virus, Übertragungsrisiko bei Stichverletzung 334 f Hepatitis-C-Virus, Übertragungsrisiko bei Stichverletzung 334 f Hepatomegalie – HIV-Infektion 355 – Leukämie 247 Heroinabhängigkeit, Fieber 272 ff Herpangina 559 Herperkoagulabilität, HIT-Antikörper 235 Herpes – labialis 580 – simplex, nach Nierentransplantation 186, 188 – zoster 588 ff – – antivirale Therapie 590 – – Augenbeteiligung 589 – – nach Nierentransplantation 188 – – Organbeteiligung 590 Herpes-simplex-VirusEnzephalitis 313, 315, 347 Herpes-simplex-VirusInfektion 591 f – bei HIV-Infektion 347 – mukokutane 347 Herpes-simplex-VirusKeratitis 604 ff Herpes-simplex-VirusKonjunktivitis 606 Herpes-simplex-Virus-Meningoenzephalitis 324 Herzfrequenz, fixe 292 Herzgeräusch 57 Herzinsuffizienz 59 f – akute 62 – akute koronare Herzkrankheit 57, 59 f – chronische 62 f – – Dekompensation 62, 64 – diastolische 62 – Echokardiografie 59 – Kammertachykardie 42 – Krise, thyreotoxische 494 – NYHA-Klassifizierung 62 f – Pulmonaliskatheter 59 – Rehydrierung 195 – systolische 62
– Vorhofflattern 34 Herzklappe, künstliche 39 Herzklappeninsuffizienz, Endokarditis, infektiöse 93, 95 Herzklappenprothese, Endokarditis 93, 96 Herzkrankheit – hypertensive 63 – koronare, akute s. Koronare Herzkrankheit, akute 55 ff Herz-Kreislauf-Stillstand 1 ff – Antiarrhythmika 35 f – Begleitkrankheiten 3 – Blutuntersuchung 4 – bradyasystolischer 11 – Differenzialdiagnose 2 f – EKG-Beurteilung 2 f – Herzrhythmus 3 – Hypothermie 515 – Notfallmanagement 5 ff – Patientenalter 3 – Patientenverlegung auf die Intensivstation 11 – Symptomentrias 2 – Zeitintervalle 3 Herzmassage, offene 8 Herzminutenvolumen 14 f – vermindertes 41, 60 – – Kreislaufversagen 22 Herzpumpe, minimalinvasive, Indikation 61 Herzrhythmusstörung 27 ff – ACLS-Algorithmus 60 – akute koronare Herzkrankheit 57, 60 – anaphylaktoide Reaktion 25 – Digoxinvergiftung 475 – EKG-Differenzialdiagnose 2 – Elektrounfall 527 – Hyperkaliämie 204 – Hypokaliämie 203 – Theophyllinvergiftung 477 Herzschädigung, Elektrounfall 526 Herzschrittmacher 49 ff – DDD-Modus 50 – Einkammer-Modus, ventrikulär stimulierter 50 – Funktion, Nomenklatur 49 – Hysteresefrequenz 53 f – Impulswahrnehmungsort 49 – Mode-Switch 52 – – ausbleibender 51 – Notfallsituation 49 ff – Oversensing 51 – – bei Operation 53 – Programmierbarkeit 50 – provisorischer 43, 48, 60 f – Reaktion – – auf sensierten Schlag 49 – – auf stimulierten Schlag 49 – Reizschwellenanstieg 52 – Sensing-Defekt, ventrikulärer 50
– – – –
Sondenbruch 52 Sondendislokation 51, 52 Sondenperforation 52 Stimulationsfrequenz, obere 51 f – Stimulationsort 49 – Stimulationsweisen 50 – transkutaner 11 – transösophagealer 11 – Undersensing 50 f – Zweikammer-Stimulation 50 Herzstillstand, Blitzschlag 528 Herztamponade 77 ff – Aortendissektion 85 – Auskultationsbefund 75 – Echokardiografie 78 f – EKG 78 – Perikardiozentese 79 – Pulsus paradoxus 78 Herztod – Diagnose 13 – nach Lungenembolie 74 – plötzlicher 1 ff, 44 f, 56 – – Anorexia nervosa 530 – – familiäres Vorkommen 434 2. Herzton, Spaltung 72, 75 Herzzeitvolumen, vermindertes 193 High-Output-Zustand, Herzinsuffizienzdekompensation 62 Hinstürzen, atonisches 434 Hippokrates-Handgriff 577 f Hirnabszess 310 ff – Biopsie, stereotaktische 312 – dentogener 314 – HNO-Herd 311 ff – Keimidentifikation 314 – konservative Therapie 313 – Liquoruntersuchung 312 – Primärherdsuche 312 – Punktion 314 – Therapiedauer 314 Hirnarterienrekanalisation 385 f Hirnarterienstenose, Dopplersonografie 385 Hirndruckmessung 395 Hirndruckzeichen (s. auch Drucksteigerung, intrakranielle) 312, 318, 322 Hirninfarkt 382 ff – Computertomografie 384 f – embolischer Gefäßverschluss 383 – karotidealer 382 – Kraniotomie 387 – thrombotischer Gefäßverschluss 383 – vertebrobasilärer 382 f Hirninfarkte, lakunäre 382 f Hirnläsion – infratentorielle 442 – supratentorielle 442 VII. Hirnnerv, Parese s. Fazialisparese 288, 291 f, 405 f
Sachverzeichnis Hirnnervenläsion, Abszess in der Felsenbeinregion 311 Hirnnervenparese 321 f, 387, 608 – Guillain-Barré-Syndrom 402 – Lyme-Borreliose 285 – Migräne 427 – Tollwut 294 Hirnödem 98, 196, 387 – fokale intrakranielle Infektion 315 f – Osmotherapie 387 – Prophylaxe bei Kohlenmonoxidvergiftung 480 – therapiebedingtes 506 Hirnstammenzephalitis 315 Hirnstammhämorrhagien, punktförmige 404 Hirnstamminsult 419 Hirnstammkompression 394, 440 Hirnstammschädigung 440, 443 Hirnvenenthrombose 392 Hirudin, Angriffspunkt 218 Hirudintest 237 His-Block, infranodaler 61 Histaminliberation 583 HIT s. Thrombozytopenie, heparininduzierte 70, 235 ff HIT-Antikörper 235 Hitzeerschöpfung 511 f Hitzekrämpfe 512 Hitzestress 511 f Hitzesynkope 512 Hitzschlag 511 ff – Kühltherapie 513 HIV-Enzephalopathie 342, 349 HIV-Infektion 273 – akute 340, 343 – CD4-Zellzahl 339 f, 343 f – chronische 340 – Enzephalitis 315 – Erregerübertragungsrisiko bei Stichverletzung 334 f – Fieber 352 – Gallenwegsobstruktion 354 – Guillain-Barré-Syndrom 402 – Herpes zoster 591 – Immunrekonstitution 340 – Infektion, opportunistische 340 f – Klassifikation 339 – Laktatazidose 354 f – Lungeninfiltrat 344 – Lymphadenopathie, mediastinale 344 – Meningitis, lymphozytäre, akute 323 f – Nephrolithiasis 354 – neurologische Krankheit 349 ff – Notfallsituation 339 ff – – gastroenterologische 352 ff – – pneumologische 343 ff – – zerebrale 349 ff – opportunistische Krankheit 345 ff
– Pleuraerguss 344 – Pneumonie 274, 343 f – Postexpositionsprophylaxe nach Stichverletzung 336 – pulmonale Krankheiten 343 ff – Sehstörung 351 – Tuberkulose, Organmanifestation 306 – Urolithiasis 354 – Verlaufsparameter 341 HIV-Primoinfektion 340 HIV-Serologie 324 HIV-Test 273 HMBS-Aktivität 157 HMV s. Herzminutenvolumen 14 f Hochspannungsunfall 525 f Höhenhirnödem (HACE) 520 Höhenkrankheit 520 ff Höhenlungenödem (HAPE) 520 Hohlorganperforation 127 f, 139 f Holiday Heart 37 Homann-Zeichen 68 Horizontalnystagmus 418 Hornhautepitheldefekt 607 Hornhautfremdkörper 600 f Hornhautulkus, infektiöses 607 Hörsturz 551, 553 f – Anti-Sludge-Therapie 554 – beidseitiger 553 Horton, Morbus 609, 611 f Howell-Jolly-Körperchen 257 Hüftadduktorenreflex, Nervenwurzelbezug 375 Hüftgelenkbeugung, paretische 411 Hüftgelenkpunktion 621 f Humanalbuminlösung 17 Hundebiss 264, 266, 282 f Hustenkopfschmerz 430 Hustenstillung bei Lungenblutung 115 Hutschinson-Zeichen 589 + H -Verschiebung nach intrazellulär 209 HWI s. Harnwegsinfekt 166 ff Hyaluronsäureprodukt, Chondrokalzinoseexazerbation 368 Hydratation nach Schlaganfall 385 Hydratationszustand, Synkope 436 Hydrocodon 115 Hydrocortison – akute Nebennierenrindeninsuffizienz 499 – Myxödemkoma 497 – septischer Schock 268 – thyreotoxische Krise 495 Hydroxocobalamin 482 b-Hydroxybutyrat 501 f Hydroxyethylstärke 17, 164 Hydroxyurea 256, 258, 260 Hydrozephalus 322, 389 – akuter 389
695
Hyperakusis 406 Hyperaldosteronismus 202 Hyperglykämie 395, 501 Hyperkaliämie 204 ff – akute Nebennierenrindeninsuffizienz 499 – akutes Nierenversagen 164 – arzneimittelbedingte 205 – Digoxinvergiftung 476 – EKG-Veränderung 205 – Herzrhythmusstörung 204 – bei Peritonealdialyse 176 f – therapiebedingte 204 Hyperkalzämie 211 ff, 255 – EKG-Veränderung 212 – osteolytische 211 – Vitamin-D-induzierte 211 Hyperkalzämiesyndrom 211, 213 Hyperkapnie 107, 116 – venöse 2 Hyperkleukozytose 255 f Hyperkoagulabilität, therapiebedingte 70 Hyperleukozytose 247 Hypermenorrhö 224, 231 Hypernatriämie 193, 199 ff – diabetisches Koma 201 – iatrogene 199 – Infusionstherapie 201 – Korrekturgeschwindigkeit 201 – Urinosmolalität 200 – Wasserdefizit 201 Hyperosmolalität, Diabetes mellitus 500 Hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung 500 ff Hyperreflexie 414 Hypersekretion, bronchiale 107 Hypertensive Krise 97 ff, 403 – Diagnostik 99 – Endorganschäden 98 – Medikation 100 f Hyperthermie 395, 512 Hyperthyreose 494 f – Krise 494 ff Hypertonie – arterielle – – akute koronare Herzkrankheit 60 – – akutes Nierenversagen 165 – – Aortendissektion 82 – – Epistaxis 556 – – Exazerbation s. Hypertensive Krise 97 ff – – Kopfschmerzen 424 – – renovaskuläre 98 – – Stammganglienblutung 383 – pulmonal-arterielle 71, 75 Hyperurikämie 367, 370 Hyperventilation, Lungenembolie 71 Hyperventilationstetanie 213 Hyperviskositätssyndrom 255 f
696
Sachverzeichnis
Hypervolämie – bei akutem Nierenversagen 164 – transfusionsbedingte 238 – vermindertes arterielles Blutvolumen 210 Hyphäma 604 Hypoaldosteronismus 204 f, 208 – hyporeninämischer 205 Hypofibrinogenämie 228 Hypoglycaemia factitia 508 f – C-Peptid 510 Hypoglykämie 508 ff – auslösende Faktoren 509 – Definition 508 – Frühsymptome 509 – Glukosezufuhr 510 – Grand-Mal-Status, alkoholassoziierter 400 – unter Insulintherapie 509 – Malaria 297, 299 – Nebennierenrindeninsuffizienz 510 – postprandiale, reaktive 508 f – Spätsymptome 509 – sulfonylharnstoffinduzierte 509 f – therapiebedingte 506 Hypokaliämie 202 ff – asymptomatische 203 – diuretikainduzierte 203 – EKG-Veränderung 203 – symptomatische 203 – therapiebedingte 506 Hypokapnie, arterielle 2 Hypoliquorrhö-Syndrom 426, 620 Hyponatriämie 149, 196 ff, 395 – Anheben der Natriumkonzentration im Plasma 198 – asymptomatische 198 – neurologische Störungen 196 f – Plasmaosmolalität 197 – Salzdefizitberechnung 198 – Urinosmolalität 198 Hypoparathyreoidismus 213 f Hypoperfusion, Laktatazidose 506 Hypopyon 604 Hypothenaratrophie 410 Hypothermie 514, 517 ff – Beinahe-Ertrinken 518 f – extrakorporaler Kreislauf 518 – generalisierte, akzidentelle 514 ff – Kerntemperatur 515, 517 – beim Kind 518 – Myxödemkoma 496 – Oberflächenerwärmung 518 – Osborn-Welle 516, 519 – Reanimation 518 – Wiedererwärmung, spontane 517 f Hypothyreose 496 f Hypotonie, arterielle – akutes Nierenversagen 161
– Amiodaron-bedingte 35 – Aortendissektion 82, 84 – Asthmaanfall, akuter 107 f – Herztamponade 79 – Kammertachykardie 42 – Lungenembolie 72 – neurogener Schock 26 – nach Nierentransplantation 178 – Schock 15 – – septischer 24 – Sepsis 265 – Vorhofflattern 34 Hypoventilation 441, 496 – alveoläre, globale 116 f Hypovolämie 64, 193 ff – akutes Nierenversagen 160, 161 – Blutdruck 194 – extrarenal bedingte 195 – Infusionstherapie 195 f – therapiebedingte 506 – Urinosmolalität 195 – Volumendefizit 195 – Zentralvenendruck 194 Hypoxämie – Acute respiratory Distress Syndrome 119 f – Asthmaanfall, akuter 107 – Laktatazidose 506 – respiratorische Insuffizienz 116 Hysteresefrequenz, Herzschrittmacher 53 f
I Ibandronat 213 Ibuprofen 566 Ikterus 264 Ileokolitis nach Nierentransplantation 186 Ileus 137 ff – Abdomenleeraufnahme 129, 139 – funtioneller 137 ff – mechanischer 137 ff – paralytischer 137 ff – Schmerztyp 128, 138 – Schock 138 Iliosakralgelenk, Schmerzen 373 Imipenem 267, 271 Imipenem/Cilastin 276 Immobilität, Delir im Alter 454 Immunadsorption bei Gerinnungsfaktorenautoantikörpern 231 Immundefekt – humoraler 268 ff – Pneumonie 300, 305 – zellulärer 268 f Immunfluoreszenz, VaricellaZoster-Virus-Nachweis 589 Immunglobuline, hoch dosierte 282, 582 Immunglobulininfusion 245
Immunhämolyse, Pilzvergiftung 491 Immunkoagulopathie 230 f Immunmodulation 268 f, 403 Immunrekonstitution bei HIV-Infektion 340 Immunsuppression – Abbau bei lebensgefährlichem Infekt 187 f – Folgekrankheit 177, 179 – Herpes zoster 589 f – Notfälle 179, 185 ff – Pneumonieerreger 301 – systemische Infektion 179, 186 ff Immunsuppressiva – Arzneimittelinteraktion 191 f – bei Vaskulitis 380 Impetigo 277 ff Impfung, gesundheitliche Schädigung, Meldepflicht 362 Impingement 371 Indinavir 354 Indometacin 430 Infarktpleuritis 71 Infektion – bakterielle 266 – – Exanthem 264 – Bissverletzung 264, 266, 282 ff – Enzephalopathie, hepatische 149 – Hautmanifestationen 263 f, 277 ff – intrakranielle, fokale 310 ff – bei intravenöser Drogenapplikation 272 f – lokale, nach Nierentransplantation 189 – bei Neutropenie 247 – Nierenversagen, akutes 162 – opportunistische 340 f – bei Sichelzellerkrankung 252 – nach Stammzelltransplantation 261 f – systemische, unter Immunsuppression 179, 186 ff – unter TNFa-Inhibitoren 269 – durch Zeckenbiss 284 ff Infektionserrger – multiresistente, Isolation 333 – Übertragungswege 333 Infektionsherd, parameningealer 311 Infektionskrankheit 263 ff – Häufung, Meldepflicht 362 – Inkubationszeit 355 ff – Meldepflicht 360 ff – sexuell übertragene 359 – Vortestwahrscheinlichkeit 360 Infektionsrisiko für Ersthelfer 12 Influenza, aviäre, Meldepflicht 362 Informationszentren, toxikologische 459 Infra-His-Block 61
Sachverzeichnis Infusionsgeschwindigkeit bei Hypovolämie 195 Infusionslösung 195 Inhalationsnoxe 110 Injektion – konjunktivale 603 f – ziliare 603 f, 614 Innenohrschädigung – Lärmtrauma 555 f – toxische 418 Innenohrschwerhörigkeit 418, 552 f – akute 553 INR (International normalized Ratio; s. auch Thromboplastinzeit) 217 ff – Child-Pugh-Klassifikation 149 Insektizidvergiftung 477 ff In-situ-Venenbypass bei femoropoplitealem Arterienverschluss 91 Insolation 512 Insuffizienz – lymphatische 63 – respiratorische s. Respiratorische Insuffizienz 116 ff Insulin-Glukose-Infusion 164, 206 Insulinom 509 f Insulintherapie – Auslassen 500 – bei diabetischer Ketoazidose 503 f – bei hyperosmolar-hyperglykämischer Entgleisung 503 – Hypoglykämie 509 – intensivierte, bei Sepsis 268 Intimaeinriss, aortaler 81 Intoxikation s. Vergiftung 456 ff Intubation 121 – endotracheale 626 f – Komplikation 12, 627 – oropharyngeale 627 – bei Schock 19 – schwierige 627 Ipecac-Sirup 461 Ipratropiumbromid 109 Ischämie – absolute 90 – arterielle, intestinale 140 – fokale, Nervenläsion 405 – mesenteriale 136 – relative 90 – untere Extremität 88 f – vertebrobasiläre, intermittierende 419 – zerebrale 383 – – fibrinolytische Therapie 386 – – fokale, unbestimmter Ätiologie 383 – – progressive 386 Ischiadikusläsion 413 Isolation 307 ff, 332 ff Isoniazid 309, 322, 348 Isoproterenol 18 f
Isospora-belli-Enteritis 349 ITP (immunthrombopenische Purpura) 243 ff Itraconazol 346
J JAK-2-Mutation 256 Janeway-Läsionen 95, 273, 278 Jodtherapie bei thyreotoxischer Krise 495
K Kachexie, Anorexia nervosa 530 Kaffeesatzerbrechen 142 Kahler-Krempling-Vergiftung 491 Kaliumausscheidung, renale 202 – verminderte 204 Kaliumchlorid-Gabe 203, 212 Kaliumdiätsalz 203 Kaliumfreisetzung, endogene 204 Kaliumkonzentrationsgradient, transtubulärer (TTKG) 205 Kaliumsubstitution 203 f, 209, 212, 503 f Kaliumumverteilung nach intrazellulär 202 Kaliumverlust 202 Kaliumverschiebung nach intrazellulär 205 f Kaliumzitrat 203 f Kaliumzyanid 481 Kalorienzufuhr – bei Anorexia nervosa 531 – bei thyreotoxischer Krise 495 Kälteantikörper 239 f, 242 Kälteschaden 513 ff Kältetest, Zahnvitalitätsprüfung 566 Kältezittern 515 Kaltwasser-Ertrinken, Kind 519 Kalzineurininhibitor – Arzneimittelinteraktion 191 – Nephrotoxizität, akute 183 f Kalzium – Albuminbindung 211 – ionisiertes 211 Kalziumantagonisten 84 – Cluster-Kopfschmerz 429 – hypertensive Krise 100 – Interaktion mit Betablockern 35 f – Kontraindikation 36, 100 – unerwünschte Wirkung 100 Kalziumglubionat 594 Kalziumglukonat 164, 206, 214 Kalziumglukonat-Gel 485, 593 Kalziumglukonat-Infiltration 593 Kalziumintoxikation 211 ff – Knochenabbauhemmung 213 – Rehydrierung 212 Kalzium-Sensitizer 19
697
Kammerersatzrhythmus, bradykarder 47 Kammerflimmern 1 ff, 45 – ACLS-Algorithmus 10 – Hyperkaliämie 205 – hypothermes Myokard 518 – unbehandeltes 1 – Undersensing bei Herzschrittmacher 51 Kammerflimmerzone, Cardioverter-Defibrillator, implantierbarer (ICD) 53 Kammerrhythmus, akzelerierter, nach Reperfusion 61 Kammertachykardie (s. auch Tachykardie) 1 f, 28, 40 ff – akute koronare Herzkrankheit 61 – EKG-Kriterien 41 f – ICD-Einlage 44 – idiopathische 44 – bei implantiertem Cardioverter-Defibrillator 55 – Kardioversion 42 f – medikamentös bedingte 43 f – monomorphe 40 ff, 43 – – Brugada-Kriterien 42 – polymorphe 40 f, 43 f – – Torsade-ähnliche 44 – – Vergiftung mit zyklischen Antidepressiva 468 – pulslose 42 – rezidivierende 43 Kammertachykardiezone, Cardioverter-Defibrillator, implantierbarer (ICD) 53 Kaposi-Sarkom, pulmonales 343 Kapsulitis, adhäsive 371 Kardiomegalie 63 Kardiomyopathie 63 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) 1 ff – Abbruch 13 – ABC 1 – ABCD-Schema 7 – Algorithmus 9 f – Anwesenheit von Angehörigen 13 – Arzneimittelapplikation 9, 11 – nach Blitzschlag 529 – Blutgase 2 – Blutuntersuchung 4 f – Dauer 13 – Diagnostik 4 f – EKG-Beurteilung 2 ff – erfolglose 13 – Hypothermie 518 – Infektionsrisiko für Ersthelfer 12 – Komplikation 12 – Myokardperfusion 2 – Organspende, potenzielle 13 – Position der Hände 8 – prähospitale 1
698 – – – –
Sachverzeichnis
Reperfusionsstrategie 13 Säure-Basen-Haushalt 2 bei Schwangerschaft 12 wenig wirksame Maßnahmen 13 – ZNS-Perfusion 2 Kardioversion 28, 40 – elektrische 29, 34, 37, 42 f, 54 – gefährliche 40 – medikamentöse 29, 34, 38, 43 Karditis, Lyme-Borreliose 285, 288 Karies 563 Karotideales Syndrom 382 Karotissinusmassage 32 – bei unklaren Synkopen 438 Karpaltunnelsyndrom 408 f Kataplexie 434 Katatonie, febrile 540 Katecholamine bei akutem Asthmaanfall 109 Katheter – intraperikardialer 79 – zentralvenöser s. Zentralvenenkatheter 84, 623 ff Katheterinfektion, neutropenischer Patient mit Fieber 271 Kathetersepsis, Antibiotikatherapie 267 Kathetertherapie bei BeckenBein-Arterienverschluss 91 Kathetertunnel-Sonografie 174 Katheterüberstimulation bei Vorhofflattern 34 f Kationenaustauschharze 164, 468 – bei Hyperkaliämie 206 Katzenbiss 266, 282 f K-Avitaminose, Blutung 225 f Keime, pathogene, Aspiration 106 Kelocyanor (Dicobalt-EDTA) 482 Keratinozyten, mehrkernige 590 f Keratitis herpetica 592, 604 f Keraunoparalyse 528 Kernig-Zeichen 318, 322 Kerntemperatur – Hitzschlag 513 – Hypothermie 515, 517 Keto-Diabur-Streifen 502 Ketoazidose 207 f – alkoholische 501 – diabetische 500 ff – – akutes Abdomen 501 – – auslösende Ursachen 500 f – – Azidosekorrektur 505 – – Begleitkrankheiten 505 – – Flüssigkeitszufuhr 503 f – – Insulintherapie 503 f – – Kaliumsubstitution 503 f – – Phosphatsubstitution 505 – – therapeutischer Algorithmus 503 f – – Therapiekomplikation 506 – – Vorbotensymptome 501
– – Wasser-ElektrolytDefizit 505 – normoglykämische 502 Ketogenese, gesteigerte 500 Ketonkörper, saure 500 Ketonkörperbestimmung im Plasma 502 Ketonurie 500 Kieferbewegungseinschränkung ohne Trauma 577 Kiefergelenkfunktionsstörung, akute 576 ff Kiefergelenkskontusion 576 – Schienenanfertigung 578 Kiefergelenksluxation 576 ff – Kondylusreposition 577 f Kieferklemme 569, 576 f – reflektorische 576 – Ursache 577 Kieferöffnungseinschränkung, posttraumatische 577 Kiefersperre 576 f Kipptischtest, Synkope 438 Klasse-I-Antiarrhythmika 36 f, 39 – unerwünschte Wirkung 36 Kleinhirninfarkt, Kraniotomie 387 Klopfdolenz – abdominelle 128 f – vertebrale 276 Klysma 649 Knalltrauma 555 f Kniegelenkbeugerparese 413 Kniegelenkerguss 380 f – Entlastungspunktion 381 Kniegelenkkapselruptur 380 f Kniegelenkpunktion 622 Kniegelenkstreckung, paretische 411 Knocheninfiltration, Leukämie 247 Knochenmarkaplasie, Strahlenunfall 524 f Knochenmarkhemmung unter Immunsuppression 185 Knochenmarkinfiltration 249 Knochenmarkpunktion 250 – Leukämie 260 Knochenszintigramm 276 Knochentuberkulose 307 Knollenblätterpilzvergiftung 490 ff – Antidottherapie 490 – Dekontamination 490, 492 Koagulopathie 220 ff – erworbene 223 ff – Globaltestresultate 219 – hereditäre 220 ff Kochleovestibuläre Störung, periphere 418 Kognitionseinschränkung, Delir im Alter 454 Kohlendioxid, endexspiratorisches, nichtinvasiv gemessenes 2
Kohlenhydrate, B-VitaminUmsatz 404 f Kohlenmonoxidvergiftung 479 f – Hirnödemprophylaxe 480 – Sauerstofftherapie, hyperbare 480 Kohlenwasserstoffe – chlorierte 477, 486 f – Toxizität 486 Kohlenwasserstoffvergiftung 477, 486 f – Dekontamination 487 Kokainentzugssymptome 545 Kokainintoxikation 545 Kokainschock 545 Kokken – gramnegative 319 f – grampositive 319 Kolektomie 141 Kolik 127, 154, 170 Kolitis, infektiöse, Megakolon, toxisches 140 ff Kolloide 16 Kollumfraktur, mandibuläre 576 f Kolondivertikel, Perforation 139 Kolonpseudoobstruktion 137 – Megakolon, toxisches 140 ff Koloskopie 146 – bei HIV-Infektion 353 Koma 439 ff, 501 – Atemwegesicherung 444 – Atmung 441 – Augenhintergrund 441 – diabetisches, Hypernatriämiekorrektur 201 – hyperkapnisches 117 – hyperosmolar-hyperglykämisches (s. auch Diabetes mellitus, hyperosmolar-hyperglykämische Entgleisung) 501 – hypoglykämisches 434, 444 – hysteriformes 442 – Intensivüberwachung 446 – Lumbalpunktion 443 f – metabolisch-toxisches, Säure-Basen-Haushalt 444 – neurologische Untersuchung 441 ff – Paracetamolvergiftung 470 f – Pupillenbeurteilung 441 f – unklarer Genese 445, 458, 469, 471 – venöser Zugang 444 – Vergiftung 457 f, 468 – Vitalzeichen 441 – vorangehende Symptome 440 f – zeitliches Auftreten 441 Kombinationsvergiftung 465, 487 – Serotoninsyndrom 467 Kompartmentsyndrom 217, 405 Kompresse, kalte 372 Kompressionssonografie der Beinvenen 69, 72
Sachverzeichnis Kompressionssyndrom, Nervenläsion 405, 407 ff Kompressionstherapie 70 Kompressionsverband 66 Konfrontationsgesichtsfeld 609 Konjunktivitis 604, 605 ff – allergische 606 – bakterielle 606 f – virale 605 f Kontaktekzem 587 f Kontaktisolation 332, 334 Kontraktionsalkalose, metabolische 209 f Kontusionsverletzung, orbitale 598 ff Kopfhängelagerungsnystagmus 418, 420 Kopfschmerzen 423 ff – Bergkrankheit, akute (AMS) 521 f – Bleivergiftung, chronische 483 – Cholinesterasehemmervergiftung 478 – chronische 425 – Computertomografie 425 – diagnostischer Algorithmus 424 f – Digoxinvergiftung 475 – einseitige 426, 429 – Enzephalitis 311 – frontale 311 – Gefahrensituation, hypertensive 98 – gefährliche 424 – Gefäßuntersuchungen 426 – Hirnabszess 311 – bei HIV-Infektion 349 – intermittierende 425 – Liquoruntersuchung 426 – lokalisierte 424 – Meningitis 316 f, 321, 323 – Migräne s. Migräne 426 ff – periorbitale 427 – plötzliche 425 – postpunktionelle 620 – primäre 423 f – pulsierende 424, 426 – Quecksilbervergiftung 483 – Schmerzleitung 423 – sekundäre 423 f – bei sexueller Aktivität 430 – Sinusvenenthrombose 392 – Spannungstyp 425, 428 f – stechende 424 – Strahlenunfall 524 – Subarachnoidalblutung 387 f – Subduralempyem 311 – vasodilatatorische 424 – zunehmende 425 – Zyanidvergiftung 481 Kopfschüttelnystagmus 420 Kopfstrukturen, schmerzempfindliche 423 Koproporphyrie, hereditäre 153 ff
Koronarangiografie 23, 59, 61 Koronarangioplastie, transluminale, perkutane (PTCA; s. auch Akut-PTCA) 59 ff Koronararterienspasmus 56 Koronararterienstenose 56 Koronararterienverschluss, akuter 55 Koronare Herzkrankheit 63, 75 – akute 55 ff – – Antikoagulation 58 – – Differenzialdiagnose 56 – – Echokardiografie 57 – – EKG 57 – – Enzymdiagnostik 57 – – medikamentöse Therapie 57 f – – Risikoabschätzung 57 – – Schmerzcharakter 56 – – Sedation 58 – – Überwachung 61 – Vorhofflattern 34 Koronarsyndrom, akutes s. Koronare Herzkrankheit, akute 55 ff Körperauskühlung 515 Körpergewichtszunahme bei Peritonealdialyse 173 Korrosivakontakt s. Ätzstoffkontakt 484 ff Korsakow-Syndrom 404 Kortikosteroide – akuter Asthmaanfall 109 – Anaphylaxie 584 – Cluster-Kopfschmerz 430 – extrapulmonale Tuberkulose 309 – Fazialisparese 406 – Gicht 370 – hoch dosierte 379 f, 611 – Höhenkrankheit 522 – inhalative, hochdosierte 109 – intraartikuläre Applikation 370, 381 – Kontaktekzem 588 – lokale, Ophthalmologie 615 – Maskierung eines toxischen Megakolons 141 f – niedrig dosierte 380 – Schock 20 – Schultergelenkinfiltration 372 – Vaskulitis 379 f Kortisolersatztherapie, akute Nebennierenrindeninsuffizienz 499 Krallenhand 409 Krampfanfälle – amphetaminbedingte 546 – bei Äthanolintoxikation 489 – Elektrounfall 526 – Kokainintoxikation 545 – Theophyllinvergiftung 477 – Vergiftung 458, 468, 477, 545 Krämpfe, Tetanus 289 Kraniotomie 387 Kranker Sinusknoten 49
699
Kreatinin-Clearance bei hoch dosierter Aciclovir-Therapie 316 Kreatininkonzentration im Serum – Enoxaparinkontraindikation 58 – erhöhte 161 – – nach Nierentransplantation 177 f, 182 – Hypovolämie 195 – Nierenversagen, akutes 160 f Kreislauf, extrakorporaler, bei Hypothermie 518 Kreislaufinsuffizenz, Lungenembolie 71 Kreislaufstillstand (s. auch HerzKreislauf-Stillstand) 42, 583 Kreislaufüberwachung, invasive 60 Kreislaufunterstützung, mechanische 24, 60 Kreislaufzentralisation 21, 60 Kremasterreflex 375 Krim-Kongo-hämorrhagischesFieber 337 Krise – aplastische 240, 242, 251 – hämolytische 240, 242, 251 – – auslösende Stoffe 240 – – Glucose-6-phosphatdehydrogenase-Mangel 241 f – hyperkalzämische 211 ff – hypertensive s. Hypertensive Krise 97 ff – thyreotoxische 494 ff – – auslösende Faktoren 494 – – beim älteren Menschen 494 – – Jodtherapie 495 – – multi drug approach 495 – – thryreostatische Behandlung 495 Kristalloide 16 Kryptokokken-Antigen 324 Kryptokokken-Meningenzephalitis 350 Kryptokokken-Meningitis 324, 347 Kryptosporidiose 348 Kugelzellen 241 f Kühltherapie bei Hitzschlag 513 Kühlung bei Verbrennung/ Verbrühung 595 Kumarinnekrose 225 Kurzdarmsyndrom, Laktatazidose 506 Kussmaul-Atmung 160, 208 – Ketoazidose 501 – Koma 441 – Laktatazidose 507
L Labetalol 100 – Dosierung – – intravenöse
84, 101, 385, 389
700
Sachverzeichnis
– – perorale 100, 385 Labyrinthausfall 416 ff Labyrinthdysfunktion 417 Labyrinthhydrops 418 Labyrinthitis 418, 552 LACS (Lacunar Circulation Syndrome) 382 f Lagerungsmedien für ausgeschlagenen Zahn 575 Lagerungsnystagmus 420 f Lagerungsschwindel, paroxysmaler, benigner 418 f, 421 – Repositionsmanöver 421 f Laktatakkumulation 2 Laktatazidose 207 f, 501, 505 ff – arzneimittelbedingte 506 f – biguanidinduzierte 507 – bei HIV-Infektion 354 f – Hypoxämie/Hypoperfusion 506 – kongenitaler Enzymdefekt 507 – Paracetamolvergiftung 470 – Vergiftung 481, 506 f Laktatkonzentration im Serum, erhöhte 505 Laktitol 150 Laktulose 150 Lakunäres Syndrom 382 Laminektomie 415 Lamotrigin 399 Langzeitkatheter, Harnwegsinfekt 168 Lärmschwerhörigkeit, akute 555 f Lärmtrauma, akutes 555 f Laryngitis 110, 561 f Laryngoskopie 105, 562 Laryngotracheitis 561 Larynxdysfunktion 584 Larynxödem 25, 583 Lasègue, umgekehrter 374 Lasègue-Zeichen 317 f, 322, 325, 374 Laserkoagulation, Netzhautloch 613 Lassa-hämorrhagischesFieber 337 Laugeningestion 485 Laugenverätzung 484 ff, 592 ff Lavage – bronchoalveoläre (BAL) 302 f, 305 – – bei Pneumonieverdacht nach Nierentransplantation 187 – – Tuberkulosediagnostik 308 – nasogastrische 150 Laxativa 462 LDH-Spiegel, akutes Nierenversagen 161 Lebensmittelvergiftung, mikrobiell bedingte 327 f, 331 – Meldepflicht 363 Leber, Kohlenwasserstofftoxizität 486 Leberabszess 267
Leberdystrophie, Knollenblätterpilzvergiftung 490 Leberenzymerhöhung 310, 490 Leberkoma 148 ff Leberpuls, palpabler 75 Leberschädigung – Gerinnungsfaktorenbestimmung 151 – Blutungsneigung 226 f Lebertransplantation 473 Leberversagen 471 – fulminantes 151 Leberzellnekrose 458 Leberzirrhose 152 – Arzneimittel, kontraindizierte 644 – Arzneimitteltherapie 640 ff – – Dosisanpassung 641 ff – Child-Pugh-Klassifikation 148 f – intrahepatische Shuntbildung 148 – Paracetamoltoxizität 151 – Peritonitis, bakterielle, spontane (SBP) 151 ff Left ventricular Assist Devices, katheterbasierte 24 Legionella pneumophila, Urinantigentest 303 Legionellose 267 Leitungsbündel, kardiales, akzessorisches 30 ff, 38 Leitvenenthrombose s. Venenthrombose, tiefe 65 ff, 72, 89 Lemierre-Syndrom 560 Lepirudin 237 Leptospirose, Meningitis 324 Leriche-Syndrom 88 Leucovorin 346 Leukämie 249, 258 ff – akute 258 f – chronische 258 f – Harnsäuresenkung 260 – Hydrierung 260 – Knochenmarkpunktion 260 – lokale Kompression 260 – lymphatische 259 – myeloische 259 – Organomegalie 247 Leukenzephalopathie, multifokale, progressive 340, 342 Leukostasesyndrom 255 f Leukozytopenie 185 f Leukozytose, Pseudohyperkaliämie 205 Leukozyturie 167 Levofloxacin 267, 271 Levosimendan 19 Levothyroxin 497 Lichtbogen, Verbrennung 525 Lichtdermatose 153 Lichtenberg-Figuren 528 Lidhaken, improvisierter 601 Lidocain 429 – Applikation, endotracheale 9, 11 – Dosierung 11
– – endotracheale 11, 36 – – intravenöse 11, 36, 43 Lidschluss, inkompletter 406 Lidverletzung 597 f Linksherzinsuffizienz 62 ff – akute 62 f – Auskultationsbefund 63 – Echokardiografie 64 – Lungenödem 64 f – respiratorische Insuffizienz 65 – Therapie 59 f – Thorax-Röntgenbild 63 Links-rechts-Shunt 75 f Linksschenkelblock 44, 48, 57 – atypischer 41 Linton-Nachlas-Sonde 144 Lipaseerhöhung 134 Liquor cerebrospinalis, blutiger 388 Liquorabflussstörung bei intrakranieller Drucksteigerung 393 Liquordrainage, externe 389 Liquordruckmessung 350 Liquoreiweiß, erhöhtes, bei verminderter Zellzahl 402 f Liquorkultur, Abszess, epiduraler, spinaler 325 Liquorpleozytose 312, 316 Liquorunterdrucksyndrom 424 Liquoruntersuchung – Kopfschmerzen 426 – Meningitis 319 – bei Meningoenzephalitis 314 – neurologische Krankheit bei HIV-Infektion 350 Listeria monocytogenes – Enzephalitis 315 – Meningitis 319 Lithium 540 – Dosierung 430 – bei thyreotoxischer Krise 495 Lithiumsalze 466 Lithiumsalzvergiftung 466 ff – Dekontamination 468 Livedo reticularis 377 Lobärpneumonie 274 Locked-in-Syndrom 383 Lokalanästhesie 618, 620, 622 Lokalanästhetika, Ophthalmologie 614 Lokalanästhetikuminfiltration 372, 602 – Schultergelenk Lokalinfekt, bedrohlicher, nach Nierentransplantation 189 Long-QT-Syndrom, hereditäres (LQTS) 44 Loperamid 329, 353 Lorazepam 400, 455 – bei Panikattacke 542 – nach Suizidversuch 534 Losartan 100 Lösung, erythrozyteinfreie, nach Blutverlust 22
Sachverzeichnis Low molecular Weight Heparin s. Heparin, niedermolekulares 70 LQTS s. Long-QT-Syndrom, hereditäres 44 Lues, Meningitis 324 Luft, freie, subdiaphragmale 129 f Luftbronchogramm 302 f Luftisolation 332, 334 Luftwegstenose 103 ff, 107 – allergische Reaktion 105 – extramurale 103 – intraluminale 103 – intramurale 103 Lugol-Lösung 495 Lumbago, akute 85 Lumbalpunktion 312 f, 318, 320, 620 f – bei Fazialisparese 406 – Indikation 620 – Koma 443 f – Komplikation 620 – Kontraindikation 620 – neurologische Krankheit bei HIV-Infektion 350 – Patientenlagerung 620 – Punktionsort 620 – Sinusvenenthrombose 393 – Subarachnoidalblutung 388 – bei tuberkulöser Meningitis 322 Lungenblutung 114 ff Lungen-Compliance, verminderte 118 Lungenembolie 48, 70, 71 ff, 107 – Antikoagulation 73 – Beinvenen-Kompressionssonografie 72 f – chirurgische Embolektomie 74 – Computertomografie 72 f – diagnostischer Algorithmus 73 – Echokardiografie 73 – EKG 72, 74 – Hämodynamik 73 – klinische Wahrscheinlichkeit 72 – Labordiagnostik 72, 74 – Pulmonalisangiografie 72 – Risikostratifizierung 73 – Schock 74 – systemische Fibrinolyse 73 f – Szintigramm 72 f – Thrombusfragmentation, katheterbasierte 74 – Zeichen 68, 71 – zentrale, massive 74 Lungenentfaltungsödem 124 Lungenerkrankung, chronisch obstruktive 13 Lungenfibrose, Vergiftung 458 Lungeninfarkt 71 Lungeninfiltrat – alveoläres 303, 344 – CD4-Zellzahl 344
– – – – –
diffuses, zentrales 344 mit Einschmelzung 302 interstitielles 302 nichtalveoläres 344 retikulonoduläres, diffuses, bilaterales 344 – stilles, bei Neutropenie 247 Lungeninsuffizienz, akute, transfusionsassoziierte 238 Lungenkapillaren, Permeabilitätszunahme 63 Lungenkaverne 302, 344 Lungenlappenresektion 115 Lungenödem 62 ff, 64 – alveoläres 64, 117 – anaphylaktoide Reaktion 25 – Beatmung, maschinelle 121 – Differenzialdiagnose zum Asthma bronchiale 65 – EKG 65 – interstitielles 117 – kardiogenes 62 ff, 107 – Malaria 297 – medikamentöse Therapie 64 f – reizgasbedingtes 110 f – toxisches 111, 483 – Transfusionsreaktion, akute 238 – Überwachung 65 – urämisches 163 f – Urinausscheidung 65 – zentrales 63 f Lungenschaden, akuter 118 Lungentuberkulose 306 ff – bei HIV-Infektion 343 Lungenüberblähung, Asthmaanfall 108 Lungenverschattung, Schmetterlingsform 63 f Lupusantikoagulans 231 Lust-Fibularis-Phänomen 214 L5-Wurzel-Ausfall 375 f Lyell-Syndrom 580 ff Lyme-Borreliose (s. auch Borreliose) 284 f, 288 – Serologie 288 Lymphadenitis mit Fieber 357 Lymphadenopathie – HIV-Infektion 352 – Leukämie 247 – mediastinale 344 – regionale, Bissverletzung 283 Lymphadenosis cutis benigna 285 Lymphangitis 66, 283 Lymphknotenatrophie, progressive, Strahlenunfall 524 Lymphknotentuberkulose 307 Lymphödem 67 Lymphozytentest, Tuberkulosenachweis 308 Lymphozytopenie, Strahlenunfall 524 Lysin-Azetylsalizylat 428 Lyssa s. Tollwut 293 ff
701
M Magendilatation, akute, Bulimie 530 f Mageninhalt, Aspiration 106 Magensonde 520 – Arzneimittelapplikation 647 ff Magenspülung 625 – bei Vergiftung 460 f – – Kontraindikation 462 Magenulkus 71 Magnesiummangel 204 Magnesiumsulfat 11, 36, 109 – Infusion 291 Magnetresonanzangiografie, Becken-Bein-Arterien 90 Magnetresonanzcholangiografie (MRC) 131, 134 Magnetresonanztomografie (MRT) – akute Rückenschmerzen 375 – Aortendissektion 83 f – Enzephalitis 313 – epiletische Anfälle 398 – Optikusneuritis 612 f – Osteomyelitis 276 – Querschnittssyndrom 414 – bei Schwindel 421 – TIA (transitorisch ischämische Attacke) 385 – tiefe Venenthrombose 69 f – Weichteilinfektion, nekrotisierende 281 Major-Depression, ICD-10-Kriterien 532 Makro-Re-entry, rechtsatriales 33 Mal perforans 275 f Malabsorption, postinfektiöse 327 Malaria 296 ff – Austauschtransfusion 299 – Blutuntersuchung 298 – Chemoprophylaxe 298 – Diarrhö 328, 331 – empirische Therapie 298 f – Erregerentwicklungszyklus 296 f – komplizierte 298 – ohne Fieber 299 – quartana 296 – Schnelltest 298 – tertiana 296 – tropica 296 – zerebrale 297 Malathionvergiftung 478 Mallory-Weiss-Läsion 142 f Mandibulakollumfraktur 576 f Manie 536 f Mannitolinfusion 316, 387, 395 – Hirnödemprophylaxe bei Kohlenmonoxidvergiftung 480 Marburg-hämorrhagischesFieber 337 Masern 334 – Meldepflicht 363
702
Sachverzeichnis
Massenläsion – infratentorielle 440 – supratentorielle 440 Massenverschiebung, intrakranielle 391, 393 Mastoiditis 552 Mastozytose 583 Mastzelltryptase 583 f, 587 Mediastinumverlagerung 122 Mediatoren, endogene 266 Mefloquin 298 Megakolon, toxisches 140 ff – Perforation 139 Meläna 136, 142, 146 Meldepflicht 360 ff – Deutschland 362 f, 365 – Österreich 363 ff, 366 – Schweiz 361 f, 365 Mènière-Krankheit 418, 421 Meningismus 317 f, 321 f, 394, 424 – Koma 441 – Subarachnoidalblutung 387 Meningitis 558 – bakterielle – – akute 316 ff – – Antibiotikatherapie 319 f – – beim Kind 319 – – Kulturresultat 320 – – Liquorbefund 317 – – parameningealer Herd 321 – – subakute 316 – chronische 321 – Dexamethason-Wirkung 319 – fokal-neurologische Zeichen 318 – Hautsymptome 317 f – Hirndrucksymptome 318 – Liquoruntersuchung 319, 322 f – Lyme-Borreliose 285 – lymphozytäre, akute 317, 323 f – – behandelbare 323 – – HIV-Serologie 324 – – nicht behandelbare 323 – nichtinfektiöse 317 – subakute 321 – tuberkulöse 307, 317, 321 f – – Letalität 321 – – Schnelluntersuchung 322 – – Theapiebeginn 322 – virale 323 – – Liquorbefund 317 – Vorgehen bei Verdacht 318 Meningitisches Syndrom 316 Meningoenzephalitis 271, 314 Meningokokkenmeningitis 319 ff – Kontaktpersonenbehandlung 321 – Meldepflicht 321, 363 – Patientenisolation 320, 334 Meningokokkensepsis, fulminante 317 Meningoradikulitis 285 Meprobamatvergiftung 464 f Meralgia paraesthetica 411 f
Meropenem 267, 271, 320 Mesenterialangiografie 130 Mesenterialinfarkt 136 f – Probelaparotomie bei Verdacht 137 Mesenterialvenenthrombose 136 f Metalldampffieber 483 Metamizol 393 Metaphysenosteomyelitis 274 Metformin, Laktatazidose 507 Methadonsubstitution 549 Methämoglobinbildung, Induktion bei Zyanidvergiftung 481 Methanolmetabolite, Laktatazidose 507 Methanolvergiftung 461, 487 ff, 507 – Antidottherapie 489 – Dekontamination 489 Methaqualonvergiftung 464 f Methotrexat bei Vaskulitis 380 Methylenchloridvergiftung 486 f Methylprednisolon – akuter Asthmaanfall 109 – anaphylaktischer Schock 25 – Anaphylaxie 584 – Dosierung, intravenöse 25 – Exazerbation einer Graft-versusHost-Krankheit 262 – hoch dosiertes 613 – Nierentransplantatabstoßung 183 – Optikusneuritis 613 – Vaskulitis 380 Methylquecksilbervergiftung 482 f Metoclopramid – Dosierung 58, 421, 427 f – Migräne 427 f – Schwindelanfallkupierung 421 Metoprolol 35 – Dosierung – – intravenöse 32, 34 f – – orale 58 Metronidazol 330, 349, 568 – Dosierung 267, 271, 291, 330, 349, 568 – intraperitoneale Applikation 175 – bei Tetanus 291 Meyer-Zeichen 68 Midazolam-Dauerinfusion 290 Midodrin 438 Migraine ophtalmique 609 f Migraine sans Migraine 384 Migräne 426 ff – Aura 426 f – Kopfschmerztyp 426 – ophthalmoplegische 427 – retinale 427 – TIA (transitorisch ischämische Attacke) 384 – Vorbotensymptome 427 Migräneinfarkt 427
Mikroangiopathie, thrombotische 253 f – Plasmaaustausch 254 – Vollblutaustausch 254 Mikroklysma 649 Mikrosporidiose 349 Mikrothrombosierungen, disseminierte intravasale Gerinnung 227 Mikrozirkulationsstörung 257 Miktionsstörung, detrusorbedingte 169 Milch-Alkali-Syndrom 209 Milch-Plasma-Ratio, Arzneimitteltherapie 634 Miliartuberkulose 307 f, 321 Miller-Fisher-Syndrom 402 Milrinon 18 Milzbrand, Meldepflicht 363 Milzsequestration 251 Minderdurchblutung, zerebrale – globale 432 – bei intrakranieller Drucksteigerung 393 Minderperfusion, kapilläre, generalisierte 14, 24 Mini-Mental-Status 453 Misshandlung 571 Mitralinsuffizienz 57 Mitralstenose 63 Mitralvitium, rheumatisches 39 Mittelhirnläsion, Reflex, okulozephaler 443 Mittellinienverschiebung, intrakranielle 391, 394 Mittelohrerguss 554 f Mittelohrhämatom 555 Mobilisation bei tiefer Venenthrombose 70 Mometasonfuroat 588 Monarthritis 369 Monokel-Hämatom 598 Mononeuritis multiplex 378 Mononeuropathie 405 ff Mononukleose 559 Morbus embolicus 88 Morbus Sudeck 67 Morphin 514 – Dosierung 58 f, 64 Moschcowitz-Syndrom (thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) 229, 253 Motorische Reaktion, Glasgow Coma Scale 439, 442 Moxifloxacin 267, 320 MRC (Magnetresonanzcholangiografie) 131, 134 MRSA s. Staphylococcus aureus, methicillinresistenter 333 MRT s. Magnetresonanztomografie 83 f, 276, 313, 414 MTHFR67TT-Mutation 68 Mukoviszidose, Pneumonieerreger 301
Sachverzeichnis Multiorganversagen 266 Multiple Sklerose 418 f, 612 f Mundflora, Bisswundeninfektion 283 Mundhöhle, Arzneimittelapplikation 646 Mundhöhlenblutung 223 Mund-zu-Masken-Beatmung 6 f Mund-zu-Nase-Beatmung 6 f Mundschleimhautverletzung 574 Mundspray 646 Mupirocinsalbe 174 Murphy-Zeichen 131 Musculus – orbicularis, Akinesie 602 – stapedius, Lähmung 406 Muskarin-Syndrom 478, 491 Muskelbiopsie 378 ff Muskelblutung 217, 221 f Muskeleigenreflexe, fehlende 402 Muskelriss 89 Muskulatur, mimische, Lähmung 406 Muttermilch, Arzneimittelakkumulation 634 Myasthenia gravis 292 Mycobacterium-tuberculosisKomplex 306 Mycophenolat 185, 192 Mycoplasma-pneumoniaeEnzephalitis 315 Mydriatika 614 Myelinolyse, zerebrale, osmotische 198, 395 Myelodysplastisches Syndrom 249, 259 Myelom, multiples 159 f, 162, 255 Myelomniere 165 Myeloproliferatives Syndrom 256 f Mykobakterienkultur im Blut 308, 322 Mykobakteriose bei HIV-Infektion 348 Mykoplasmose, Meningitis 324 Myogelosen 67 Myoglobinkonzentration im Urin 163 Myoglobinurie 161, 526 Myokard, hypothermes 518 Myokardfunktionsstörung 63 Myokardinfarkt 71 – akuter 55 f – – Antikoagulation 58 – – Notfallmaßnahmenziel 61 – bei Aortendissektion 83 – Asystolie 46 – AV-Block 48 – drucksensitiver Zustand 23 – EKG 57, 60 – inferiorer, AV-Block 61 – Komplikation, mechanische 61 – linksventrikulärer 23 – rechtsventrikulärer 23 f, 75 – Reperfusionstherapie 61 – Schock 23 f
– mit ST-Strecken-Hebung (STEMI) 55 ff, 59 – – anteroseptaler 57 – – lateraler 57 – ohne ST-Strecken-Hebung (NSTEMI) 55 f, 58 – volumensensitiver Zustand 23 f Myokardischämie 34, 436 – amphetaminbedingte 547 – kokaininduzierter 545 Myokarditis 47, 377 f Myokardperfusion bei kardiopulmonaler Reanimation 2 Myokardschädigung, Kompensationsmechanismus 62 Myxödemkoma 496 ff – Arzneimitteldosierung 498
N N-Acetylcystein 472 f, 487, 490 Nachlast 14 – Erhöhung 71 – Optimierung 23 – rechtsventrikuläre 24 – Verminderung 19 Nackensteifigkeit 318, 322, 388 Nadeldurchmesser, Arzneimittelapplikation 652 Nadellänge, Arzneimittelapplikation 652 Nahrungsbolus 125 Nahrungsmittelbotulismus 291 f Naloxon 473, 544 Naproxen 372 Narkolepsie 434 Narkotika-Syndrom 457 Nasen-Rachen-Abstrich, MRSA-Nachweis 333 Nasenmaske, Beatmung 120 f Nasennebenhöhleninfektion 557 f Nasennebenhöhlenprozess 429 Nasensalbe 658 Nasenspray 657 Nasentamponade 557 Nasentropfen 657 Nasopharynxneoplasie, Tubenmittelohrkatarrh 554 Natrium-Iopodate 495 Natriumbikarbonat 20, 165 – Bedarfsberechnung 20, 209 Natriumbikarbonatinfusion 209 Natriumchloridlösung-GlukoseInfusion 201 Natriumchloridlösungsinfusion – bei Kalziumintoxikation 212 – Natriumkonzentrationsveränderung im Plasma 198 ff Natriumexkretion, fraktionelle, tiefe 160 Natriumkonzentration – im Plasma, Veränderung bei NaCl-Infusion 198 ff
703
– im Urin 160, 298 – – Hypovolämie 195 – – bei Rehydrierung 196 Natriumnitrit 481 Natriumnitroprussid 18 f, 23, 65 – Infusion 84, 101 – unerwünschte Wirkung 18, 101 – Zyanidvergiftung bei Überdosierung 481 f Natriumretention 160 Natriumthiosulfat 482 Nebennierenrindeninsuffizienz – akute 498 f – Hypoglykämie 510 – primäre 498 – sekundäre 498 – substitutionsbedürftige, relative 499 Nebennierentuberkulose 307 Neglekt 383 f Neisseria meningitidis s. Meningokokken 319 f Nekrolyse, epidermale, toxische 580 ff – Alarmzeichen 582 Nekrose, akrale 67 Neomycin 150 Neostigmin 139 Nephritis, interstitielle, akute 159, 162 Nephrolithiasis bei HIV-Infektion 354 Nephrostomie 164, 172 Nephrotoxin 159, 162 Nervenkompressionssyndrom 405 Nervenläsion, traumatische 405 ff Nervenwurzelaffektion 372 f, 375 f Nervus – cutaneus femoralis lateralis, Läsion 411 f – facialis – – Befall bei Herpes zoster 589 – – Parese s. Fazialisparese 405 – femoralis, Läsion 411 – intermedius, Neuralgie 431 – ischiadicus, Läsion 413 – laryngeus superior, Neuralgie 431 – medianus, Kompression 408 f – nasociliaris, Befall bei Herpes zoster 589 – oculomotorius – – aneurysmabedingte Kompression 388 – – Parese s. Okulomotoriusparese 406 f – peronaeus, Läsion 413 – radialis, Parese 410 – statoacusticus, Befall bei Herpes zoster 589 – suralis, Biopsie 379 f – tibialis, Läsion 413
704 – – – –
Sachverzeichnis
trigeminus 423 – Neuralgie 429 ff ulnaris, Parese 409 f vestibularis, Untererregbarkeit 418 – vestibulocochlearis, toxische Schädigung 418 Netzhautablösung 609, 613 – Dringlichkeit 598 Netzhautloch 613 Neugeborenentetanus 289 Neunerregel, Verbrennung 595 Neuralgie – kraniale 425, 430 f – postzosterische 431, 591 Neuritis vestibularis 418 Neuroglykopenie 509 Neuroimaging, Notfalldiagnostik 5 Neuroleptika – atypische 455 – bei Delir 455 – extrapyramidale Reaktion 469 – bei Neuralgie 431 – unerwünschte Wirkung 290, 537 Neuroleptika-Syndrom, malignes 457, 469, 540 Neuroleptikavergiftung 469 f Neuroophthalmische Störung 404 Neuropathie – autonome, Orthostase 438 – diabetische, proximale 411 – Osteomyelitis 275 f Neurotoxin 327 Neutropenie 241 – Allopurinol-bedingte 185 – angeborene 246 – erworbene 246 – Infektion 268 ff – Leukämie 258, 260 – medikamentös induzierte 246 – Pneumonie 300, 305 – protektive Pflege 270 – Thrombozytenersatz 271 Neutrophile, Autoimmunreaktion 245 Neutrophilenzahl 245, 249 Neutrophilie mit Linksverschiebung 248 Niederspannungsunfall 526 Nierenarterienstenose 159 – beidseitige 162 Nierenbiopsie bei Verdacht auf Transplantatabstoßung 182 Nierenblutung 21 Nierenfunktion, Arzneimitteldosierung 637 ff Nierengefäßverschluss 159, 162 Niereninsuffizienz – Alkalose, metabolische 210 – Arzneimittel 637 ff – – Dosisanpassung 637 ff – – – mathematische 639
– – – – –
– – Nomogramm 639 f – Erhaltungsdosis 637 – kontraindizierte 641 chronische, Azidose 207 f Hämolyse, mikroangipathische 253 – nach Nierentransplantation 177 ff, 181 ff – postrenale 179, 181 f – prärenale 178 ff, 195 – renale 179, 182 ff Nierenkolik 128, 170 Nierenruptur, spontane, nach Transplantation 190 Nierenschädigung, Vergiftung 458 Nierentransplantat s. Transplantatniere 159, 182 f Nierentransplantation 177 ff – CMV-Positivität 183 – Immunsuppression, Notfälle 179, 185 ff – Infektion, systemische 186 ff – Niereninsuffizienz 177 ff, 181 ff Nierentuberkulose 309, 322 Nierenversagen, akutes 158 ff – Acute tubular Necrosis 159 – arzneimittelbedingtes 162 – Blutvolumen, arterielles, effektives 165 – Malaria 297 – postrenales 158 f, 161 f, 164 – prärenales 158 ff, 161 f, 164 – Prophylaxe nach Elektrounfall 527 – renales 159 f, 161 f, 164 – Schleifendiuretikaindikation 165 – tubulär-obstruktives 159 – Urinindizes 160 f Nifedipin, retardiertes 100, 522 Nikolski-Zeichen 581 f Nikotinisches Syndrom 478 Nimodipin 389 Nitazoxanide 348 Nitrate 76 Nitrit im Urin 167 Nitrogen-Sickness 523 Nitroglyzerin 18 f, 23 – Dosierung – – intravenöse 18 – – sublinguale 57 f, 64, 100 – Kontraindikation 100 – bei Linksherzinsuffizienz 59 – transdermales 386 – unerwünschte Wirkung 18, 100 f Nitroglyzerin-Infusion 58 f, 59 f, 65 Nitroglyzerin-Spray 57 Nitroglyzerinsystem, transdermales 9 Nitroprussidnatrium s. Natriumnitroprussid 18 f, 23, 65
Nitrose-Gase-Inhalation 110 Nonokklusion 576, 578 Noradrenalin 18 f, 24 Noradrenalin-WiederaufnahmeHemmer 466 f Norfloxacin 153, 168, 330 Norovirus-Diarrhö 332 ff – Isolation 334 Notfallanamnese 3, 15 Notfallendoskopie 143 Notfallintubation, oropharyngeale 627 Notfallmanagement 5 ff, 16 ff Notfallmaßnahmen, erweiterte 9 ff Notfallschrittmacher 11 Notfallset – Anaphylaxie 584 – Urtikaria 587 Notfallshunt, portosystemischer, chirurgischer 145 Notfallsituation – hypertensive 97 f, 100, 102 – ophthalmologische 598 f – pneumologische 103 ff – proktologische 147 f Notfall-TIPS 145 Notfalluntersuchung 4 Notsectio 12 Novaminsulfon 132 NSAR s. Antirheumatika, nichtsteroidale 191, 234, 473 NSTEMI s. Myokardinfarkt ohne ST-Strecken-Hebung 55 f Nüchternhypoglykämie 508 NYHA-Klassifizierung, Herzinsuffizienz 62 Nystagmus 416 ff – Prüfung 420 f – vestibulärer 420 – – richtungsbestimmter 418, 420
O OAK s. Antikoagulation, orale 29, 39 Oberbauchschmerz, akuter 132, 134 Oberflächenkühlung bei Hitzschlag 513 Oberkieferschmerz 557 Oberlid, Ektropionieren 600 f Oberlippenfurunkel 558 Oberschenkel – Hypästhesie, laterale 412 – Streckmuskulaturatrophie 411 – Streckmuskulaturparese 411 – Umfangsdifferenz 68 Oberschenkelvenenthrombose 67 Obidoxim 479 Octreotid 145 f – Dosierung 145, 353
Sachverzeichnis Ödem – angioneurotisches, hereditäres 105, 585 f – generalisiertes 25 – bei Kristalloidzufuhr 16 – Linksherzinsuffizienz 62 – periorbitales, unilaterales 312 – peripheres 62 – bei Peritonealdialyse 177 – Rechtsherzinsuffizienz 75 – zentrofaziales 582 f Odynophagie 352, 559 Ofloxacin 168, 276 Ogilvie-Syndrom 137 Ohrschmerzen 550 ff – Barotrauma 555 Ohrspülung 553 Ohrtropfen 551, 654 f Okklusivhydrozephalus 389, 394 Okulomotoriusparese 406 f, 608 Okzipitalneuralgie 431 Oligoarthritis 369 Oligurie 158, 160, 165 – Schock 15 Omeprazol 143 Ophthalmologika 614 f Ophthalmoplegia – externa 406 f – interna 406 f Ophthalmoskopie 613 Opioidentzug 544 Opioidintoxikation 444, 471, 544 – Antidottherapie 473, 544 – Atmung 441 – Dekontamination 473 – Pupillenbeurteilung 441 Opioid-Syndrom 457 Opisthotonus 289 f Opportunistische Krankheit, Notfalltherapie 345 ff Optikusneuritis 609, 612 f O2-Ratio-Optimierung 12 Orbitakontusionsverletzung 598 ff Orbitawandfraktur 608 – beim Kind 600 Orellanus-Syndrom 491 Organminderperfusion 14 Organomegalie 246 f, 258 Organophosphatvergiftung 477 ff – Antidottherapie 479 Organperforation 139 f Orientierungsstörung 536 Ornipressin 115 Orthostase 438 Orthostase-Test 436, 448 Osborn-Welle 516, 519 Osler-Knoten 95, 273, 278 Osmotherapie 387, 395 Ösophagusmotilitätsstörung 125 Ösophagus – Entzündung/Spasma 71 – Schmerz 56 – Stenose 125
Ösophagusvarizen – Ligatur (Banding) 144 – Sklerosierungstherapie 144 Ösophagusvarizenblutung 144 f, 626 – Enzephalopathie 149 – medikamentöse Therapie 144 f – Notfall-TIPS 145 – Ballontamponade 144, 626 Osteomyelitis 274 ff – antimikrobielle Therapie 276 – Begleitarthritis 275 f – beim Kind 274 – chronische 276 – direkt inokulierte 275 – hämatogene 275 – Mikrobiologie 276 – posttraumatische 274 – Prädilektionsstellen 274 Osteoporose, Rückenschmerzen, akute 373 Oszillografie 90 Othostaseversuch 435 f Otitis – externa – – acuta 550 ff – – bullosa 550 – media 551 – – acuta 552 – – beidseitige 552 – – seröse 554 Otorrhö 551 f Otoskopie 420, 551 ff Oxazepam 489 Oxcarbazepin 431 Oxidationsmittelkontakt 461, 485 Oxime 479 Oxygenierungsstörung 118
P Pacemaker mediated Tachycardia (PMT) 51 f Pacing, transkutanes 48 PACS (Partial anterior Circulation Syndrome) 382 f Palpitationen 98 Pamidronat 213 Panarteriitis nodosa 378 Pancoast-Tumor 407 f Panendoskopie, obere, bei Hämatochezie 146 Panikattacke 535, 540 ff – kognitives Modell 541 – körperliche Symptome 540 – Schwindel 418 Pankreasenzyme, erhöhte 132, 134, 136 Pankreaspseudozyste 134, 190 Pankreatitis, akute 127 f, 132 ff – arzneimittelbedingte 133, 190 – hämorrhagisch-nekrotisierende 134, 190
705
– Intensivüberwachung, Indikation 135 – nekrotisierende 134 f – nach Nierentransplantation 190 f – ödematöse 134 – Prognose-Scores 135 – Schmerzbekämpfung 135 – Schweregrad 135 f Pansinusitis 557 Pantherina-Syndrom 491 Pantherpilzvergiftung 491 p24-Antigen-Bestimmung 324 Pantoprazol 143 Panzytopenie 249 Papaverin-Infusion 137 Papillenapoplexie 609, 611 f Papillenödem 98 f, 311 f – Kopfschmerzen 424 Papillotomie, endoskopische 131, 135 Paracetamol 59, 375, 393 – Hepatotoxizität 151 – Überdosierung 566 – Zahnschmerzen, akute 566 Paracetamolvergiftung 470 ff – Antidottherapie 472 f – Leberstadium 471 – Risikoabschätzung, Nomogramm 472 Paraldehydintoxikation 507 Parameter, hämodynamischer 15 Paraneoplastisches Syndrom 67 Parapharyngealabszess 560 Paraplegie 321 Paraproteinämie 255 f Paraproteine, Thrombozytendysfunktion 234 Parasitämie 297 ff Parathionvergiftung 478 Parathormonspiegel 213 Parathyroid Hormone related Peptide 211 Paratyphus, Meldepflicht 363 Parazentese 402 f, 552, 554 Parese 291 f – Elektrounfall 526 – Porphyrie, akute 154 – schlaffe 405 – symmetrisch schlaffe, aufsteigende 402 – Tollwut 293 – unilaterale, postiktale 384, 397 Parodontalabszess 564, 568 f Parodontitis 563 – apikale 563 ff Parodontiumtrauma 565 Paromomycin 348 Paronychie 283 Partial anterior Circulation Syndrome (PACS) 382 f Partialinfarkt, zerebraler 382 Partialinsuffizienz, respiratorische 107, 116 f
706
Sachverzeichnis
Parvovirus B19, aplastische Krise 242 Patellarsehnenreflex 375 – fehlender 411 Patientenverfügung 3 Pause, postextrasystolische 54 Paxillus-Syndrom 491 Payr-Zeichen 68 PCR (Polymerasekettenreaktion) – bei Fazialisparese 406 – Fieber, hämorrhagisches, virales 338 – HSV-Nachweis 591 – Liquoruntersuchung 314 – neurologische Krankheit bei HIV-Infektion 350 – Tuberkuloseerregernachweis 308 – Varicella-Zoster-VirusNachweis 589 PCV (Pressure controlled Ventilation) 121 PEA s. Pulslose elektrische Aktivität 1 f, 46 Peak expiratory Flow 108 Penicillin 279, 282, 315, 320 – bei Diphtherie 559 – Dosierung 96, 276 Penicillinallergie 95, 284, 320 Penicillin-Infusion 288 Penicillin-Kurzinfusion bei Tetanus 291 Penicillium marneffei 344 Pentamidin 345 f Perfusions-InhalationsSzintigramm 72 Perfusionsdruck – effektiver 89 – myokardialer, invasiv gemessener 2 – zerebraler 393 Perianalthrombose 147 Perichondritis 551 Perikarderguss 77 ff – Akkumulationsgeschwindigkeit 77 – blutiger 617 – Myxödemkoma 496 f Perikardiozentese 79, 85 Perikarditis 59, 71 – akute koronare Herzkrankheit 57 – konstriktive, Tuberkulose 75, 309 – urämische 160, 164 f Perikardpunktion 79, 617 f Perikardreiben 78 Perikardtamponade s. Herztamponade 77 ff Perikardtuberkulose 307 Perilymphfistel 555 Periphlebitis 66 Peritonealdialysat, trübes 175 Peritonealdialyse – Flüssigkeitsretention 177
– Notfallsituation 173 ff – Peritonitis 175 f – urämiespezifische Komplikation 176 f Peritonealdialysekatheter 173 ff – Auslaufproblem 173 f – Dislokation 173 f – Einlaufproblem 173 – Exit-Site-Infekt 174 – Infektion 174 – Tunnelinfekt 174 Peritoneallösung, Glukosekonzentration 177 Peritonismus 127 f Peritonitis 128 – bakterielle, spontane (SBP) 151 ff, 619 – bei Peritonealdialyse 175 f – – Antibioseprotokoll 175 f Peritonsillarabszess 560 Peronäusparese 413 Perspiratio insensibilis 194, 199 ff Pest, Meldepflicht 363 Pestizidvergiftung 477 ff Petechien 217, 233, 243 f, 263 – Meningitis 317 Pethidin 375 – Dosierung 91, 393 Pfählungsverletzung, gingivale 574 Pflaster, Arzneimittelapplikation 658 Pfötchenstellung der Hand 214 Phalen-Test 409 Phalloides-Syndrom 490 f Phäochromozytom 98 Pharyngitis 559 f Pharyngotonsillitis 559 f – Komplikation 560 – virale 559 Phenobarbital 399 f Phenprocoumon 225 Phentolamin 101 Phenytoin 399, 431 Phenytoininfusionskonzentrat 400 Phlebitis 65 f – migrans 66 – saltans 66 Phlebografie 69, 71 Phlebothrombose s. auch Venenthrombose, tiefe 65 ff – aszendierende, Nierentransplantationsseite – kortikale 392 Phlegmasia coerulea dolens 67 f, 70, 281 – Zeichen 68 Phosphatsubstitution 505 Phosphodiesterasehemmer 23 Phosphodiesterasehemmung, theophyllinbedingte 476 f Phosphorsäureester, organische, Vergiftung 477 ff – Antidottherapie 479
pH-Wert 206 f Physostigmin 474 f Phytomenadion 224, 226 Pilzdiagnostik, Fieber beim immunkompromittierten Patienten 270 Pilzindigestion 491 Pilzinfektion 186, 188 – systemische, Hautmanifestation 277 Pilzsinusitis, invasive, akute 557 f Pilzvergiftung 490 ff – Letalität 491 Pipamperon 455 Piperacillin/Tazobactam 267, 271 Pivmecillinam 330 Pizotifen 430 Plasmafluoreszenzscan 157 Plasmahyperosmolalität 199 Plasmaketontest 502 – semiquantitativer 502 Plasmaosmolalität, Hyponatriämie 197 f Plasmapherese 231, 256 – mit FFP-Ersatz 254 Plasminogenaktivator, rekombinanter (rt-PA) – Kurzinfusion bei Lungenembolie 74 – bei zerebraler Ischämie 386 Plasmodienentwicklungszyklus 296 f Plasmodium-knowlesiMalaria 296, 298 Plaut-Vincent-Angina 559, 567 Pleuradrain 123 f Pleuraempyem 111 ff – Bakterientoxinausschwemmung 112 – chirurgisches Vorgehen 114 – Drainage 112 ff – pleurale Instillation 114 – Sonografie 113 Pleuraerguss 111 ff – Entlastungspunktion 113 f, 618 – exsudativer 111 f – bei HIV-Infektion 344 – Menge 112 – Myxödemkoma 496 f – parapneumonischer, infizierter 112 f – Probepunktion 112 f – Rechtsherzinsuffizienz 75 – Sonografie 112 Pleurapunktion 302, 618 – Patientenlagerung 618 Pleurasaugdrainage 124 Pleuraschmerz, plötzlicher 71 Pleuritis 56 Plexitis, allergische 410 Plexopathie, lumbosakrale 410 Plexus – lumbalis, Läsion 410 f – sacralis, Läsion 411
Sachverzeichnis PMT (Pacemaker mediated Tachycardia) 51 f Pneumocystis-cariniiInfektion 188 f – Prophylaxe 183, 188 Pneumocystis-cariniiPneumonie 261, 343 – Nachweis 302 – Notfalltherapie 345 f Pneumokokken, Urinantigentest 303 Pneumokokkenimpfstoff, polyvalenter, Impfung vor Splenektomie 245 Pneumokokkenpneumonie 300 Pneumokokkensepsis 261, 269 Pneumonia Severity Index 304 Pneumonie 299 ff – ambulant erworbene 299 ff – Antibiotikatherapie 267, 304 ff – – Nichtansprechen 306 – Antigentest 303 – nach Aspiration 106 – Begleitsymptome 301 – epidemische 301 – Erreger 300 – expositionsbedingte 301 – bei Grundleiden 300 – bei HIV-Infektion 274, 343 f – immunkompromittierter Patient 299 ff, 305 – Infektionsparameter 302 – Inkubationszeit 358 – Intensivüberwachung, Indikation 304 – interstitielle, nach Stammzelltransplantation 261 – intubierter Patient 305 – Klinikeinweisung, Indikation 303 – Lungenuntersuchungsbefund 301 f – – radiologischer 302 f – neutropenischer Patient mit Fieber 271 – nach Nierentransplantation 187 – nosokomiale 299 ff – opportunistische 274 – Pleuraerguss 302 – postoperative 305 – poststenotische 301 – Schweregrad 304 f – Serologie 303 – nach Splenektomie 300 – Sputumdirektpräparat 302 – subakuter Beginn 300 – Zusatzerkrankung 301 Pneumonitis, reizgasbedingte 110 Pneumothorax 122 ff, 524 – beatmeter Patient 124 – Beatmung, maschinelle 121 – berufliches Risiko 124 – Drainage 123 – iatrogener 122
– Luftaspiration 123 f – Punktion 124, 618 f – Rezidivgefahr 124 – traumatischer 122 Pockeninfektion, tierische 591 POCS (Posterior Circulation Syndrome) 382 f Podagra 368 Poliomyelitis 292 – Meldepflicht 363 Pollakisurie 166 Polyarthritis 369 Polyglobulie 255 f Polymerasekettenreaktion s. PCR Polymyalgia rheumatica 371 Polymyositis 371 Polyradikulitis – cranialis, akute 402 – idiopathische, akute 292, 402 f Polystyrolsulfanat 468 Polytoxikomanie 549 Polyurie 211 f, 500 – akutes Nierenversagen 160 Ponsinfarkt 383 Porphobilinogenkonzentration im Urin 154, 157 Porphyria variegata 153 ff – Plasmafluoreszenzscan 157 Porphyrie – akut intermittierende 153 ff – akute 153 ff – – Differenzialdiagnose 157 – – Häma-Arginat-Behandlung 155, 157 – – Kohlehydratzufuhr 155 – – Schmerzbehandlung 155 – – ungefährliche Arzneimittel 155 f – – Urindiagnostik 154 Porphyrie-Schmerz 154 Posterior Circulation Syndrome (POCS) 382 f Postfall-Syndrom 447 Postthrombotisches Syndrom 67 Präeklampsie 253 Präexzitationssyndrom 38 f Pralidoxim 479 Präsuizidales Syndrom 531 f Präsynkope 432 Prednisolon 428 Prednison 245 – bei Anaphylaxie 584 – Asthmaanfall 109 – Cluster-Kopfschmerz 430 – hoch dosiertes 379 f – Pyoderma gangraenosum 282 – Vaskulitis 379 f Pregabalin 430 f Pressure controlled Ventilation (PCV) 121 Priapismus 255, 259 f Primaquin 346 Prinzmetal-Angina 56
707
Probelaparotomie bei Verdacht auf Mesenterialinfarkt 137 Proctalgia fugax 147 f Proktalgie, idiopathische 147 f Proktoskopie 148 Promyelozytenleukämie, akute 258 ff Propafenon 34, 37 f – Dosierung 36, 38 Propranolol 495 Propylthiouracil 495 Prostata, schmerzhafte 166 Prostatahyperplasie, benigne 169 Protaminhydrochlorid 224, 229 f Protaminsulfat, Antikoagulationsaufhebung 115 Protein, C-reaktives s. CRP 95, 108, 135 Protein C, aktiviertes 268 Prothesenendokarditis 93, 96 Prothrombinkomplex-Präparat 221 f, 224 Prothrombinzeit 152, 217 ff – Vitamin-K-Mangel 225 Protonenpumpeninhibitoren 143 f, 370, 372 Protopam 479 Pseudoallergische Reaktion 586 Pseudogicht 368, 370 Pseudohyperkaliämie 204 f Pseudohyponatriämie 197 Pseudohypoparathyreoidismus 213 Pseudohypotonie 82 Pseudokrupp 561 Pseudomonas aeruginosa – Harnwegsinfekt 168 – Meningitis 320 – Osteomyelitis 276 Pseudomonas-Betalaktam 276 Pseudoperitonismus nach Nierentransplantation 181 Pseudoperitonitis diabetica 501 Pseudosynkope, psychogene 434 Pseudothrombozytopenie 243 ff Pseudotumor cerebri 392 PSI (Pneumonia Severity Index) 304 Psilocybin-Syndrom 491 Psoaszeichen 307 PSVT s. Tachykardie, supraventrikuläre, paroxysmale 28, 31 ff Psychose, amphetaminbedingte 546 6-P-Symptome 88 PTCA s. Koronarangioplastie, transluminale, perkutane, s. Akut-PTCA 23, 59 ff Ptose 406 f Puffersubstanzen 2 Pulmonalarteriendruck 20 f Pulmonalarterienembolie s. Lungenembolie 71 ff Pulmonalisangiografie 72
708
Sachverzeichnis
Pulmonaliskatheter 20 f, 59, 119 Pulmonalkapillardruck, Schock 15 Pulmonalvenenstauung 62 Pulpa – nekrotische 563 – vitale 563 Pulpafreilegung, traumatische 570 Pulpanekrose 564 Pulpitis, kariesbedingte 563 ff Pulsdefizit 82 Pulslose elektrische Aktivität (PEA) 1 f, 46 – ACLC-Algorithmus 10 – Ätiologie 2, 46 Pulslosigkeit 2, 4, 88 f Pulsoxymetrie 108, 522 – Schock 20 Pulsus paradoxus 78 f, 107 f Pulswelle, nicht palpable 46 Pulverinhalator 651 Punktion, arterielle 616 f Pupillen – asymmetrische s. Anisokorie 394, 424, 441 – dilatierte, fixierte 441 Pupillenreaktion 4, 609 Pupillenreaktionsdefizit, afferentes, relatives (RAPD) 609, 611 f Purpura 217, 233, 263 – immunthrombopenische (ITP) 243 ff – bei infektiöser Diarrhö 328 – Meningitis 317 – palpable 378 – Schoenlein-Henoch 233 – senilis 233 – simplex 233 – thrombotisch-thrombozytopenische 229, 253 – – mit autoimmunhämolytischer Anämie 254 Pyelonephritis 166 ff, 326 – akute, nach Nierentransplantation 185 – Antiotikatherapie 168 Pyoderma gangraenosum 281 f Pyrazinamid 309, 322, 348 Pyrethroidvergiftung 477 ff Pyridostigmin 470 Pyrimethamin 346 Pyrophosphatarthropathie 368 f Pyurie nach Nierentransplantation 185
Q Quantiferon-TB 308 Queckenstedt-Versuch 620 Quecksilberkonzentration im Vollblut 483 Quecksilbervergiftung 482 f – beim Kind 483
Querschnittsmyelitis, akute 414 Querschnittssyndrom 413 ff – Abszess, epiduraler, spinaler 325 – nichttraumatisches 413 ff – tumorbedingtes 413 ff Quetiapin 455 Quick-Wert 217 ff – Child-Pugh-Klassifikation 149 – Vitamin-K-Mangel 225
R Radialisparese 410 Radiofrequenzablation, elektive 32, 34, 40, 44 Radiusperiostreflex, Nervenwurzelbezug 375 Ramsay-Hunt-Syndrom 589 RAPD (afferentes relatives Pupillenreaktionsdefizit) 609, 611 f Rapid-Onset HIT 235 Ratschow-Lagerungsprobe 89 Rauchgasvergiftung 480 f Rauhkopf, orangefuchsiger, Vergiftung 491 Raumforderung – hintere Schädelgrube 394 – intraabdominelle, pulsierende 86 – supratentorielle 394 Rausch 543 – komplizierter 543 Raynaud-Phänomen 257 Reanimation, kardiopulmonale s. Kardiopulmonale Reanimation 1 ff Rechts-links-Shunt, intrapulmonaler 116 f Rechtsherzbelastung, akute 48, 71, 74, 108 Rechtsherzendokarditis 93, 96 Rechtsherzinfarkt, akuter 60, 75 f Rechtsherzinsuffizienz 75 ff, 107 – akute 75 – Definition 62 – dekompensierte 75 ff – isolierte 60 Rechtsschenkelblock – atypischer 41 – kompletter 48 Red Flags 376 Re-entry-Kreise, atriale, simultane 37 Re-entry-Tachykardie 41 Reflex, okulozephaler 441 ff – negativer, bei Koma 442 f – positiver 442 f Reflexe, Nervenwurzelbezug 375 Reflexspasmen 289 f Reflexsteigerung 149 Reflexsynkope, situative 435
Rehydrierung 195 – bei Hypernatriämie 201 – bei infektiöser Diarrhö 329 f – bei Kalziumintoxikation 212 – bei Salizylatvergiftung 472 – nach Taucherdiurese 524 Reibegeräusch – pleurales 123 – pleuritisches 72 – pleuroperikardiales 123 Re-Infarkt mit ST-StreckenHebung 59 Reizgas 110 f Reizgasinhalation 110 f Reizgasvergiftung 480 f Reizhusten, pleuraler 122 Reizleitungsstörung, kardiale 27 f, 45 ff Rekapillarisationszeit 89 Rektaltube 649 Rektiole 649 f Rektoskopie 146 Relaxation bei Tetanus 290 f Reninaktivität im Plasma 205 Reperfusionsarrhythmie 61 Rescue-PTCA 59 Respiratorische Insuffizienz 116 ff – akute 118 ff – – hyperkapnische 119 f – – hypoxämische 119 – Beatmungsstrategie 121 – – Respiratoreinstellung 119 – progrediente 118 Reteplase 59 Rethrombosierungsprophylaxe 92 Retroperitonealprozess, Schmerz 374 Retropharyngealabszess 560 Rettungskette 1 b-Rezeptoren-Blocker s. Betablocker 35 f, 58, 84 Rhabdomyolyse 163, 165 – Opioidintoxikation 473 – Pilzvergiftung 491 Rhinitis, virale, aufsteigende 557 Rhinopharyngitis, reizgasbedingte 110 Rhinoskopie 557 Rhombenzephalitis 315 Rickettsiose 284 f Riesenzellarteriitis 377 f, 611 Rifabutin 348 Rifampicin 309, 319, 322, 348 Rift Valley Fever 337 Risperidon 455 Risspilzvergiftung 491 Ristocetin-Kofaktor 231 f Risus sardonicus 289 f Rivaroxaban, Angriffspunkt 218 Rizatriptan 427 Röhrenknochenosteomyelitis 274 ff – Lokalisierung 275
Sachverzeichnis Röntgen-Thorax s. ThoraxRöntgenbild 5, 301 ff Roseola 328 Rotatorenmanschetteneinklemmung 371 rt-PA s. Plasminogenaktivator, rekombinanter 74, 386 Rückatmung in Plastikbeutel 214 Rückenmarkdekompression 415 Rückenmarkkompression 375, 413 ff Rückenschmerzen – Abszess, epiduraler, spinaler 325 – akute 372 ff – – Analgesie 375 f – – Lähmungsprogression 376 – – neurologischer Status 374 f – – Patientenaufklärung 376 – – Red Flags 376 – – Röntgenbefunde 375 – – schmerzvermindernde Lagerung 374 f – – Thromboembolieprophylaxe 376 – – Ursprung 372 – – Wirbelsäulenuntersuchung 374 – frakturbedingte 373 – lumboskrale 373 – mechanische 372, 375 f – Querschnittssyndrom, tumorbedingtes 414 – tieflumbale 373 – Tumorpatient 415 – unspezifische 374 Rückfallfieber, endemisches 285 RVOT (rechtsventrikuläre Ausflusstrakttachykardie) 41, 44 f
S SA-Block 49 Salbutamol – Dosierung, intravenöse 164 – bei Hyperkaliämie 206 – Inhalation 105, 109 – unerwünschte Wirkung 206 Salizylatüberdosierung, Hypoglykämie 510 Salizylatvergiftung 470 ff, 507 – Dekontamination 472 – Rehydrierung 472 Salmonelleninfektion 327 ff Salzüberladung 199 f Sauerstoffgabe 8 – Acute Respiratory Distress Syndrome 119 f – Asthmaanfall 109 – chronische respiratorische Globalinsuffizienz 120 – Cluster-Kopfschmerz 429
– globale alveoläre Hypoventilation 117 – Höhenhirnödem 522 – Höhenlungenödem 522 – Kohlenmonoxidvergiftung 480 – mit kontinuierlichem Überdruck 119 f – Linksherzinsuffizienz, akute 64 – Maske 119 – Nasensonde 119 – bei Schock 19 Sauerstoffsättigung 20 Sauerstofftherapie, hyperbare 480 f Säuglingsbotulismus 291 ff Säure-Basen-Gleichgewicht, Störung (s. auch Alkalose; s. auch Azidose) 19 f, 193, 206 ff – metabolische 206 ff – respiratorische 206 f Säure-Basen-Haushalt 2 – Koma, metabolischtoxisches 444 Säureingestion 485 Säuresekretionshemmung 143 Säureverätzung 484 ff, 592 ff – systemische Toxizität des Anions 485 SBP (bakterielle spontane Peritonitis) 151 ff, 619 Schädel-Hirn-Trauma – beim Sprung ins Wasser 519 – Infektion, intrakranielle, lokale 310 ff – Koma 440 f – Meningitis 318 Schafantigene, Fab-aufgereinigte, gegen Schlangengift 492 Schallperzeptionsstörung 418 Schenkelblock 48 f – akute koronare Herzkrankheit 60 – bifaszikulärer 48, 60 – Indikation für provisorischen Schrittmacher 60 – monofaszikulärer 48 – trifaszikulärer, inkompletter 48 f – wechselnder 60 Schießscheibenläsionen 580 f – rumpfbetonte 581 Schilddrüsenhormonsubstitution 497 Schimmelpilzinfektion, neutropenischer Patient mit Fieber 271 Schizophrenie 536 f Schlafmittelvergiftung 463 ff Schlafstörung, Delir im Alter 454 Schlaganfall 382 ff – Blutdruck 385 f – fibrinolytische Therapie 386 – Hirnarterienrekanalisation 385 f – ischämischer 382 ff
– – – – – –
709
kognitive Funktionen 383 f kryptogenetischer 383 Motorik 384 neurologische Symptome 383 f – progressive 387 neurologische Untersuchung 384 – Sensibilitätsprüfung 384 – Symptomverschlechterung 386 – Thromboseprophylaxe 386 – Vitalfunktionen 386 Schlagvolumen, Einflussfaktoren 14 Schlangenbissvergiftung 492 f – Antivenine 463, 492 Schlangengift 492 Schleifendiuretika 177 – Alkalose 209 f – bei Hyperkaliämie 206 – Indikation bei akutem Nierenversagen 165 Schleimhautblutungen – Thrombozytose, primäre 256 f – unstillbare 227 – Von-Willebrand-Krankheit 231 Schluckschmerz 352, 559 Schluckstörung s. Dysphagie 125 f Schmalkomplex-Tachykardie 27 f – supraventrikuläre 30 Schmelztablette 646 Schmerz – abdominaler s. Akutes Abdomen; s. Bauchschmerzen 127 ff, 154 – analer 147 – iliosakraler 373 – mechanischer, bewegungssegmentassoziierter 372 f – Nervenläsion, traumatische 405 – neuralgiformer, im Dermatom 588 f – peitschenschlagartiger, untere Extremität 89 – periartikulärer, akuter 371 f – radikulärer 372 – – Querschnittssyndrom, tumorbedingtes 414 – retroorbitaler 407 – retrosternaler 77 Schmerzepisode 251 f Schnappatmung 107 Schneeblindheit 602 f Schock 14 ff – anaphylaktischer 15, 25 f, 583 – – biphasischer 26 – – Botulismus-Antitoxin 292 – Beatmung 19 – Blutdruck, mittlerer 14 – Blutgasanalyse 20 – Definition 14 – Diagnostik 16 – Differenzialdiagnose 15 – distributiver 14 f, 24 ff – Diurese 20 – Endorganschädigung 14
710
Sachverzeichnis
– hämorrhagischer 21 f – hypovolämischer 15, 21 f, 23, 193, 201, 503 – – akute Pankreatitis 136 – – infektiöse Diarrhö 329 – – Milzsequestration 251 – Ileus 138 – kardiogener 15, 22 ff, 64 f, 503, 506 – – Therapie 60 – klinische Untersuchung 15 – Labordiagnostik 16 – Lagerung 16 – Lungenembolie 74 – Malaria 297 – medikamentöse Therapie 17 ff, 23 f – Myokardinfarkt 23 f – neurogener 15, 26 – Notfallanamnese 15 – Notfallmanagement 16 ff – obstruktiver 14 f, 23, 71 – Oxygenierung 19 – Pulsoxymetrie 20 – Sauerstoffzufuhr 19 – septischer 15, 24 f, 265 – – Antibiotika 20 – – Kortikoidtherapie 268 – – Sauerstoffsättigung 20 – Transfusionsreaktion, akute 238 – Überwachung 20 f – Vasoaktiva 17 ff – vasoplegischer, therapierefraktärer 19 – Ventilation 19 – Volumenersatz 16 f, 22, 24 – Zeichen 15 – Zentralvenendruck 15 f, 20 Schocklunge s. Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) 118 ff Schocksyndrom, toxisches 264 Schoenlein-Henoch-Purpura 233 Schrittmacher s. Herzschrittmacher 49 ff Schulteramyotrophie, neuralgische 371, 405, 408 Schulter-Arm-Muskulatur, Atrophie 408 Schultergelenk – Lokalanästhetikuminfiltration 372 – Punktion 621 Schulterschmerz, periartikulärer 371 Schüttelfrost – akutes Abdomen 128 – Endokarditis, infektiöse 93 – Malaria 297 – nekrotisierende Weichteilinfektion 281 – Pneumonie 300 Schwangerschaft – Arzneimittel
– – erlaubte 633 f – – kontraindizierte 631 f – – präpartal kontraindizierte 632 – Arzneimitteltherapie 628 ff – – Risikokategorien 629 f – kardiopulmonale Reanimation 12 – Pyelonephritis 168 Schwarzwasserfieber 297 Schwefelwasserstoffvergiftung 481 Schweißblende 602 f Schwerhörigkeit 550 f, 553 – akute, einseitige 553 – einseitige, fortschreitende 419 Schwermetallvergiftung 482 f Schwindel 416 ff, 551 – Anfallkupierung 421 – arzneimittelbedingter 420 – Aura, epileptische 419 – autonome Symptome 416 – AV-Block 46 – Beschreibung 420 – Gefahrensituation, hypertensive 98 – lagerungsabhängiger 417 – multiple Sklerose 418 f – okulärer 418 – Oversensing bei Herzschrittmacher 51 – Panikattacke 418 – peripher-vestibulärer 416 f – phobischer 416 – posttraumatischer 420 – präsynkopaler 418 – psychophysiologischer 418 – toxisch bedingter 418 – Undersensing bei Herzschrittmacher 51 – Untersuchung, neurootologische 421 – vestibulärer 416, 419 – zentral-vestibulärer 416 f – zentrale Kompensation 417, 421 Schwitzen, paroxysmales 98 Scopolaminvergiftung 473 f Sedativa 428 – vestibuläre 421 Sehschärfeprüfung 609 Sehstörung 351, 392 – Delir im Alter 454 – Methanolvergiftung 487 Seldinger-Technik 623 Semont-Manöver 421 f Sengstaken-Blakemore-Sonde 144, 626 Senkungsabszess 307 Sensibilitätsausfall 405 – Schlaganfall 383 Sepsis 265 ff – Antibiotikatherapie 267 – bakteriologische Untersuchung 268
– bei Drogenkonsum 267 – Hautmanifestationen 266 – ohne fassbaren Herd 273 f – postpartale 267 – Schock 24 f Septumbewegung, paradoxe 73 Seromukotympanon 554 Serotoninantagonisten 430 Serotonin-NoradrenalinWiederaufnahme-Hemmer, selektive 466 – Überdosierung 467 Serotoninsyndrom 457 – bei Kombinatioinsvergiftung 467 f Serotonin-WiederaufnahmeHemmer, selektive 466 ff – Überdosierung 467 f Serum-Aszites-Albumingradient 152 Shunt – portosystemischer, funktioneller 148 – transjugulärer intrahepatischer portosystemischer (TIPS) 145 – ventrikuloperitonealer 318, 320 SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion) 196 f Sichelzellerkrankung 250 ff Sichelzellkrise 251 ff Sick-Sinus-Syndrom 49 Siderophagen im Liquor 388 Silent Chest 107 f Silibinin 490 Sinusbradykardie 49, 403 Sinusitis – acuta 557 f – eitrige 557 – frontalis, epiduraler Abszess 311 – maxillaris, dentogene 557 Sinusknoten, kranker 49 Sinusknotenerholungszeit, pathologische 49 Sinusstillstand 49 Sinustachykardie 28 ff Sinusvenenthrombose 391 ff, 558 – Antikoagulation 315, 393 – Computertomografie 392 f – Fundoskopie 392 – intravenöse Fibrinolyse 393 – Magnetresonanztomografie 393 – Risikofaktoren 392 – Schmerztherapie 393 – septische 310 ff, 392 – – antibiotische Therapie 315 Sirolimus 183, 185 – Arzneimittelinteraktion 192 SIRS (Systemic inflammatory Response Syndrome) 265 – Abszess, epiduraler, spinaler 325
Sachverzeichnis SIRS (Systemic inflammatory Response Syndrome), Transfusionsreaktion, akute 237, 239 – Verbrennung/Verbrühung 594 Skorbut 233 Sofortreaktion, allergische 586 Somatostatin 145 Somatostatinanaloga 145 f Sonde, nasogastrische 5 Sonnenstich 512 Sonografie 113 – abdominale 86, 130 f, 134 – Aortenaneurysma 86 – Transplantatniere 182 Soorstomatitis 352 f Sotalol 33 South-American-hämorrhagischesFieber 337 Spacer 650 f Spannungskopfschmerz 425, 428 f Spannungspneumothorax 104, 122 – Punktion 124, 618 f – – notfallmäßige 619 Sphärozytose 241 f Spiral-CT, thorakale 72 f Spirometrie 108, 111 Splenektomie 242, 245 Splenomegalie 249, 285 – Endokarditis, infektiöse 93 – Hämolyse, chronische 240 – Leukämie 247 Splinterhämorrhagien 95, 278, 378 Spondylitis – infektiöse 274 ff – tuberkulöse 309 Spondylodiszitis 275, 368, 372 Spontanblutung 217, 225 f Spontannystagmus 420 Spontanpneumothorax 122 Spritzenhämatom, Kieferklemme 577 Sputum, blutiges 114 Sputumdirektpräparat 302 SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) 466 – Überdosierung 467 SSSS (Staphylococcal scalded Skin Syndrome) 582 Stäbchen – gramnegative 320 – grampositive 320 Stammganglienblutung, hypertensive 383 Stammzelltransplantation 250, 261 f – Konditionierung 261 Standataxie 416 Stanford-Klassifikation, Aortendissektion 81 Staphylococcal scalded Skin Syndrome 582
Staphylococcus aureus – Endokarditis 93, 95 f – methicillinresistenter (MRSA) 333 – – Endokarditis 95 – – Furunkel 277 – – Nachweis 333 – – Patientenisolation 333 – – Shuntinfektion 320 Staphylokokken 264 – Rechtsherzendokarditis 96 – Rifampicin-resistente, Shuntinfektion 320 Stärkekolloide 17 Starrkrampf s. Tetanus 289 ff Status – asthmaticus 104, 107 ff – epilepticus 396, 400 f – – EEG 400 f – – nichtkonvulsiver 396, 400 – – tonisch-klonischer Anfälle 402 – febrilis, nach Aspiration 106 – migrainosus 427 f – nichtepileptischer Anfälle 402 Stauchungsschmerz 276 Stauungspapille 318, 392 Stecknadelpupillen 441 Stein-CT 171 STEMI s. Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung 55 f, 57 Steroide s. Kortikosteroide 109, 370, 379 ff, 611 Stevens-Johnson-Syndrom 580 Stichverletzung, akzidentelle 334 ff – antiretrovirale Therapie 335 f – Postexpositionsprophylaxe 336 Stickstoffblasenbildung beim Auftauchen 523 Stillzeit, Arzneimittel – erlaubte 636 – kontraindizierte 635 Stimmgabelprüfung 551 ff Stomatitis aphthosa 566 f Strahlen, ionisierende, Ganzkörperexposition 525 Strahlendosis 524 f Strahlenunfall 524 f Strahlentherapie, tumorbedingte Rückenmarkkompression 415 Streptococcus-pneumoniaeMeningitis 319 f Streptokinaseinstillation, pleurale 114 Streptokokken, b-hämolysierende, Antibiotika 559 Streptokokkenendokarditis 96 Streptokokkenmyositis 280 f Streptokokkentonsillitis 559 Stressfraktur 373 Stridor 103 f Stroke s. auch Schlaganfall 382 ff Stroke Unit 387
711
Stromexposition s. auch Elektrounfall 525 ff – Widerstand der Gewebe 525 Strychninvergiftung 290 Stuhl, blutiger 137 f Stuhlporphyrine 157 Stuhluntersuchung bei Diarrhö 329, 353 Stuhlverhaltung 138 Sturz – im Alter 447 ff – – Algorithmus 449 – – Orthostase-Test 448 – – Pflegeheimpatient 450 – – Prodromi 448 – – Risikofaktoren 447 – – Timed Get-up-and-goTest 448 – – zu Hause lebender Mensch 450 – Synkope 433 Subarachnoidalblutung 317, 383, 387 ff – Angiografie 388 – Blutdrucksenkung 389 – Hypernatriämie 199 – Lumbalpunktion 388, 621 – Schädel-CT 388 f – Schweregrade 387 – spontane 387 ff – Vasospasmusprophylaxe 389 – Warnsymptome 388 Subduralempyem 310 ff Subduralhämatom, chronisches 390 f Subileus 134 f Sublingualtablette 646 Suffusion 218, 233, 263 – Meningitis 317 Suggillation 218 Suizidalität 531 ff – Einschätzung 534 f – Risikogruppen 532 Suizidversuch 532 ff – Gespräch 534 – Medikation 534 – Testdiagnostik 533 Sulpirid 421 Sumatriptan 427 Superwarfarinintoxikation 225 Suppositorien 649 Surviving-Sepsis-CompaignRichtlinien 25 SVES, physiologisch blockierte 46 Swinging-Flashlight-Test 609 Sympathektomie, Schock 26 Sympathomimetika bei Schock 17 Sympathomimetika-Syndrom 457 Synacthen-Kurztest, pathologischer 268 Syndrom – der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) 196 f – der inneren Erstickung 481 – der verbrühten Haut 581
712
Sachverzeichnis
Synkope 42, 44, 432 ff – arzneimittelbedingte 434 – auslösende Faktoren 434 – AV-Block 46 f – Begleitsymptome 433 – Belastungs-EKG 437 – belastungsabhängige 77 – Echokardiografie 436 – EKG-Veränderung 436 f – Event-Recorder 438 – Herzauskultation 436 – Hospitalisation, Indikation 439 – Ischämie, vertebrobasiläre, intermittierende 419 – kardiale Erkrankung 433, 438 – kardial-rhythmogene 433, 435 f, 438 – Karotissinusmassage 438 – Kipptischtest 438 – konvulsive 397 – Myokardischämie 436 – neurogen-reflektorische 433, 437 f – orthostatische 432 f, 435, 438 – Oversensing bei Herzschrittmacher 51 – Prädromalsymptome 432 – pulmonale Erkrankung 433 – Schrittmachertherapie, Indikation 438 – vasovagale 435, 438 – Vitalzeichen 435 – zerebrovaskuläre 433, 438 Szintigramm, Lungenembolie 72 f
T Tabak-Alkohol-Amblyopie 404 Tablettenteilung 647 Tachyarrhythmie 61 – ACLS-Algorithmus 61 Tachykardie (s. auch Kammertachykardie) 27 ff – Anaphylaxie 583 – atriale 30 ff – Blutverlust 21 f – Hyperkalzämie 211 – Hypovolämie 194 – nach kardiopulmonaler Reanimation 11 – Krise, thyreotoxische 494 – orthodrome 31 – Pneumonie 300 – Schock 15 – schrittmacherinduzierte 51 f – SIRS 265 – supraventrikuläre 41 f – – paroxysmale 28, 31 ff – – – Dauerprophylaxe 32 f – – – Termination 32 – – regelmäßige 30 – – rezidivierende 49
Tachykardie-BradykardieSyndrom 49 Tachypnoe 71 Tacrolimus 183 – Arzneimittelinteraktion 188, 192 – Nephrotoxizität 183 f TACS (Total anterior Circulation Syndrome) 382 f Tadalafil 522 Takayasu-Arteriitis 378 Talkpleurodese, thorakoskopische 124 Tamsulosin 172 Tasche, parodontale, Eiterbildung 568 f Taser 525 Taucherdiurese 524 Tauchunfall 524 Teicoplanin 320 Teleangiektasie, hämorrhagische, hereditäre 218, 232 f Temporallappenteilherniation, transtentorielle 440 Tennisellbogen 371 Terlipressin 115, 145 Territorialinfarkt, zerebraler 382 Tetanie 213 ff – hypokalzämische 213 f – latente 214 – normokalzämische 213, 215 Tetanischer Anfall 214 Tetanospasmin 289 Tetanus 289 ff – Antibiotikatherapie 291 – generalisierter 289 – Immunisierung 290 f – – nach Bissverletzung 284 – lokalisierter 289 – Meldepflicht 291 – Relaxation 291 – supportive Care 290 – zephalischer 289 Tetanusantitoxin 290 Tetanushyperimmunglobulin 290 Tetanusimpfstoff 291 Tetrachlorkohlenstoffvergiftung 487 Tetraparese 383 Theophyllin, Arzneimittelinteraktion 477 Theophyllinvergiftung 476 f – akute 476 f Thermoregulation 511 f Thiamin 150, 400, 404, 444 – bei alkoholbedingter Laktatazidose 508 – bei Äthanolintoxikation 489 Thiaminmangel 149 f, 404 Thiaziddiuretika 209 f Thiethylperazin 421 Thoracic-Outlet-Syndrom 407 Thorax-Computertomografie, hochauflösende 72
Thoraxkompression 5 ff, 8 f – Ein-Helfer-Technik 8 – Komplikation 12 – Zwei-Helfer-Technik 8 Thorax-Röntgenbild – Acute Respiratory Distress Syndrome 119 – Aortendissektion 83 – Hilusverschattung, symmetrische 63 f – bei Ileus 139 – Kongestion, pulmonalvenöse 62 – Pneumonie 302 f – Pneumothorax 123 – subdiaphragmale freie Luft 129 f – Tuberkulose 308 f – bei Überwässerung 177 – umgekehrtes Halo-Zeichen 301 – weiße Lunge 238 Thoraxschmerz 71 – amphetaminbedingter 546 – Aortendissektion 82 – atemabhängiger 71, 112 – – Pneumonie 300 – – Pneumothorax 122 – kokaininduzierter 545 – Lungenblutung 114 – maximaler, plötzlicher 82 Thrombangitis obliterans 66 Thrombasthenie Glanzmann 234 Thrombektomie, operative 70 Thrombinhemmer, direkte 218, 223, 225 Thrombinzeit 217 ff, 228 Thromboembolie 256 f – Prophylaxe 376 – pulmonale s. Lungenembolie 71 ff Thrombolyse s. Fibrinolytische Therapie 70, 73 f, 229 f Thrombophilie 66, 68, 70 – erworbene 231 Thrombophlebitis 65 ff – Analgesie 66 – migrans 66 f – saltans 66 f Thromboplastinzeit (INR) 149, 217 ff – partielle 69 f – – aktivierte s. APTT 69 f, 217 ff Thrombose 79, 235 – arterielle, Differenzierung von Embolie 88 – mesenterialvenöse 136 – venöse s. Venenthrombose Thrombosen, multiple, bei DIC 227 Thromboseprophylaxe 228, 386, 403 Thrombozytenaggregation 25 Thrombozytenaggregationshemmung 17, 254, 257, 556
Sachverzeichnis Thrombozytenaggregationshemmung, nach Schlaganfall 386 – bei Vaskulitis 380 Thrombozytendysfunktion 219, 234 f Thrombozytenkonzentrat 235, 271 – Indikation 227 f, 245, 254 Thrombozytenzahl 228, 235 f, 256 – falsch hohe 245 – falsch niedrige 245 Thrombozytopathie 234 f Thrombozytopenie 150, 218 f, 241, 297 f – arzneimittelbedingte 235, 244 – heparininduzierte 70, 225, 235 ff – – Antikörper 235 – – Vortestwahrscheinlichkeit 236 – unter Immunsuppression 185 – Knochenmarkzytologie 245 – Leukämie 258, 260 – megakaryozytäre 253 – Mikroangiopathie, thrombotische 253 f – nach Nierentransplantation 186 – posttransfusionelle 244 – Strahlenunfall 524 Thrombozytose 256 ff – chronische 257 – Pseudohyperkaliämie 205 – reaktive 256 f Thyreostatika 495 Thyroid Storm s. Krise, thyreotoxische 494 ff TIA (transitorisch ischämische Attacke) 382 ff – Amaurosis fugax 609 f – Hirninfarktrisiko 383, 386 – Schwindel 417 – vertebrobasiläre Insuffizienz 434 Tibialis-anterior-Syndrom 413 Tierbiss 264, 266, 282 – Tetanus 289 Tierimpfvirus, menschliche Exposition 296 Timed Get-up-and-go-Test 448 TIMI-Risk-Score 57 Tinel-Zeichen 408 Tinetti-Test 450 Tinnitus 417 f, 551, 553 f TIPS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt) 145 Tirofiban-infusion 58 Tizanidin 375 T-Lymphozyten-Immunität, gestörte 268 f – Infektion 269, 271 – Meningitis 318 – Pneumonie 300, 305
– Tuberkulose 306 TNFa-Inhibitoren 269 Todd-Parese 384, 397 Tollwut 293 ff – Exzitationsstadium 293 – Immunisierung 293 ff – – aktive 293 ff – – passive 293, 296 – – postexpositionelle 284, 294 ff – – präexpositionelle 294 ff – Inkubationszeit 293 – Meldepflicht 363 – Prodromalstadium 293 – Überträgertiere 293 Tollwutexposition 294 f – Meldepflicht 363 – Risikoevaluation 295 Tollwutimmunglobulin, humanes 294 ff Tollwutimpfstoff 294 f Tolosa-Hunt-Syndrom 407 Tonsillarabszess 570 Tonsillitis 559 f Tophi 368 Torsade de Pointes 2, 40, 44, 466, 468 – Unterdrückung 36 Totenstille, intraabdominelle 138 Toxic-shock-like-Syndrom 278 ff Toxidrome 457 Toxikologische Informationszentren 459 Toxin-Schock-Syndrom 265, 278 f Toxinfreisetzung 264, 277 Toxogonin 479 Toxoplasmose 350 f – zerebrale 342, 346 Trachealstenose, Spirometrie 105 Tracheitis, reizgasbedingte 110 Tramadol 375, 431, 566 Tränenabflussstörung 597, 606 Tränenersatzpräparat 615 Tränenwegabriss 597 f Tranexamsäure 221 f, 227 ff Tranquilizervergiftung 463 ff Transaminasenanstieg 310, 471 Transdermales therapeutisches System 658 Transfusionsreaktion 237 ff – akute 237 ff – anaphylaktische 238 – febrile 238 – hämolytische 237 f – nichthhämolytische 237 f Transitorisch ischämische Attacke s. TIA 382 ff, 610 Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS) 145 Transplantatniere (s. auch Nierentransplantation) 177 ff – Abstoßung, akute 182 f – – systemische Infektion 186 – Biopsie 182
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– Blutung 181 – Gefäßverschluss, akuter 179 f – Glomerulonephritis 182 – Lage 180 – Notfallsituation 177 ff – Pyelonephritis 185 – Ruptur, spontane 190 – Sonographie 182 – Ureterobstruktion 159 – Venenthrombose 179 f Transsudat, pleurales 111 f Tremor 149 Treponema-pallidumEnzephalitis 315 Trichterling, wohlriechender, Vergiftung 491 Trigeminusneuralgie 429 ff Trijodthyronin 497 Trikuspidalklappeninsuffizienz 73, 75 Trimethoprim 167 f Trimethoprim/Sulfamethoxazol 167 f, 183, 188, 345 f, 349 Triptane 427 f Trismus 289 f Trizepssehnenreflex 375 Trochlearisparese 608 Trommelfellperforation 555 f – spontane 552 Trommelfellretraktion 554 f Tröpfchenisolation 332, 334 Tropheryma-whippelii-Infektion, Meningitis 324 Troponin 71 Troponinspiegel, erhöhter 55, 58 Trousseau-Zeichen 214 T-Spot-TB 308 TTKG (transtubulärer Kaliumkonzentrationsgradient) 205 Tubenmittelohrkatarrh 554 Tubenstörung 551, 554 Tuberkulom, subependymales, Ruptur 321 Tuberkulose 306 ff, 321 – Antibiogramm 334 – Arzneimittelwirksamkeit 310 – Direktpräparat 334 – bei HIV-Infektion 348 – Isolation 307 f, 309, 332, 334 – Kultur 308, 334 – Lymphozytentest 308 – Meldepflicht 363 – Nebennierenrindeninsuffizienz 498 f – offene 306 f – Organmanifestation 306 f – Punktate 308 – Umgebungsprophylaxe 310 Tuberkulostatika 308 ff, 322 – Toxizität 310 Tubulitis, Transplantatniere 182 Tubulusatrophie 184 Tubulusnekrose, akute 159, 162 Tularämie 285
714
Sachverzeichnis
Tumor – intramedullärer 415 – intraspinaler 415 – maligner 211, 228 – neuroendokriner 584 – paraspinaler 413 ff – retroperitonealer, Beinplexusparese 410 f – Rückenmarkkompression 413 ff – nach Stammzelltransplantation 261 – Thrombozytose, chronische 257 – Vena-cava-superiorSyndrom 79 Tumorlyse-Syndrom 162 Tunnelinfekt bei Peritonealdialysekatheter 174 Typ-1-Diabetes, Ketoazidose 500 ff Typ-2-Diabetes, hyperosmolarhyperglykämische Entgleisung 500, 503 Type and Screen 241, 255 Typhus abdominalis, Meldepflicht 363 Typical-Onset HIT 235 Tzanck-Test 590 f T-Zell-large-granular-lymphocyteLymphozytose 245, 259
U Überdrucksack, portabler 522 Überlaufblase 169 Überwässerung 160, 165 – bei Peritonealdialyse 177 UFH s. Heparin, unfraktioniertes 70 Ulkusblutung 142 ff – Blutstillung, endoskopische 143 – Forrest-Kriterien 143 – Säuresekretionshemmung 143 Ulkuskrankheit nach Nierentransplantation 186 Ulkusperforation 128, 139 f Ulnarisparese 409 f Ultraviolettkeratitis 603 Ulzerationen – nasoorale 186 – bei Neutropenie 246 f – Vaskulitis 377 Unithiol 483 Unruhe, psychomotorische 535 Unterbauchschmerzen, linksseitige 139 Unterschenkel – Arterienverschluss, akuter, distaler 88, 91 – Hypästhesie, laterale 413 – Umfangsdifferenz 68 – Venenthrombose 67 Untersuchung, digitale, rektale, schmerzhafte 148, 166, 169
Urämie, Komplikation 176 f Urapidil 101 Ureterkatheter, zystoskopische Einlage 164 Ureterkolik 170 Ureterobstruktion bei Einnierigkeit 159, 162 Ureterstauung 169 Urinalkalinisierung 460, 462 Urinbakteriologie 167, 171, 185 Urinfistel nach Nierentransplantation 181, 189 Urinketontest 502 Urinkultur 167 Urin-Natrium/Urin-KaliumQuotient 153 Urinosmolalität 195, 198, 200 – Desmopressinwirkung 200 Urin-Porphobilinogen, quantitatives 154, 157 Urinsediment 161, 171 Urinstatus 167, 195 Uro-CT 171 f Urografie, intravenöse 171 Urokinase 91, 114 Urolithiasis 170 ff – Abdomenleeraufnahme 171 – Computertomografie 171 f – bei HIV-Infektion 354 – Schmerzbehandlung 172 – Sonografie 171 Urosepsis 171, 172, 267 Urticaria geographica 581 Urtikaria 25, 581 – akute 586 f – Anaphylaxie 583 – Notfallset 587 – Transfusionsreaktion, akute 238 Urtikariavaskulitis 586 Uveitis 604
V Vagale Manöver 30, 32 Vaginitis 166 Vagusreizung 30, 32 Valaciclovir 188, 347, 590 Valganciclovir 183, 188 Valproat 399 ff Valsalva-Manöver 554 f Vancomycin 319, 320 – Dosierung – – intravenöse 95, 271 – – perorale 330 Varicella-Zoster-Virus 588 ff Varicella-Zoster-VirusEnzephalitis 315 Varicella-Zoster-VirusInfektion 261, 347 Varicella-Zoster-VirusMeningoenzephalitis 324 Variconazol 271
Varikophlebitis, Stichinzision 66 Varikothrombose 65 f Varizellen 265, 567, 588 – Isolation 334 Varizenblutung, akute 142, 144 ff – Notfall-TIPS 145 Vaskulitis 66, 159, 165, 376 ff – Abklärung 379 – Hautsymptome 377 – Immunsuppression 379 f – Muskelbiopsie 378 – Organveränderungen 377 f Vaskulitisläsion 263 Vasoaktiva 18 – arrhythmogenes Potenzial 18 – Intoxikation 377 – Schock 17 ff, 24 f – unerwünschte Wirkung 18 Vasodilatation 24 f – generalisierte 25 Vasodilatatoren 19, 23, 61, 165 Vasokonstriktion, renale 162 Vasookklusive Episode 251 Vasopressin (s. auch Desmopressin) 11, 222 Vasopressinanaloga 222 Vasopressinderivat 19, 115 Vasopressin-RezeptorAntagonisten 198 Vasopressoren 61 Vasospasmus nach Subarachnoidalblutung 389 Vena – jugularis interna – – Punktion 624 f – – tonsillogene septische Thrombose 560 – mesenterica superior, Ischämie 136 – saphena – – magna, Varikophlebitis 67 – – parva, Varikophlebitis 67 – subclavia – – infraklavikuläre Punktion 624 – – Thrombose 80 Vena-cava-superior-Syndrom 79 f Venenkatheter 84 – zentraler s. Zentralvenenkatheter 623 ff Venenthrombose – akute 70 – intrakranielle 391 ff – oberflächliche, mit Entzündung s. Thrombophlebitis – primäre 65 f – tiefe 65 ff, 72, 89 – – aszendierende, Nierentransplantationsseite 189 f – – diagnostischer Algorithmus 69 – – Komplikation 67 – – Risikofaktoren 68 – – Sekundärprophylaxe 70 – – systemische Fibrinolyse 70
Sachverzeichnis Venenthrombose, tiefe, Thrombektomie 70 – – Wells-Score 69 – Transplantatniere 179 f Venöse thromboembolische Erkrankung 65 Ventilations-PerfusionsVerteilungsstörung 107, 116 ff Ventrikelseptumdefekt 57 Verapamil – Dauerinfusion 84 – Dosierung, intravenöse 32, 36, 84 – Kontraindikation 30, 32, 38 Verätzung 484 ff, 592 ff – Auge 601 f Verbale Reaktion, Glasgow Coma Scale 439 Verbrauchskoagulopathie 253 – dekompensierte 227 Verbrauchsthrombozytopenie 229 Verbrennung 594 ff – Auge 601 f – Elektrounfall 526 f – Lichtbogen 525 – Schweregrad 594 f – Wundbehandlung 596 Verbrennungszentrum 596 Verbrühung 594 ff – Schweregrad 594 f – Wundbehandlung 596 Vergiftung 149, 292, 456 ff – akute 456 ff – Antidottherapie 463 – Azidose, metabolische 208 – beim Kleinkind 463 – Dekontamination – – primäre 460 ff – – sekundäre 460, 462 f – Erregungszustand 536 – Evidence-based Medicine 459 – Informationszentren 459 – Laktatazidose 506 f – Leitsymptome 457 f – medikamentöse 26, 456 – perorale 460 – zusätzliche Schädigung 461 Verhalten – fremdgefährdendes 535, 537 – präsuizidales 532 – selbstgefährdendes 535, 537 Verletzung, dentale s. Zahnverletzung 570 ff Verschlusskrankheit, arterielle, periphere 276 Vertebrobasiläre Insuffizienz 417, 434 Vertebrobasiläres Syndrom 382 Verteilungsstörung, pulmonale 117 Vertigo 416 – epidemica 418 Verwirrtheit 539
Vestibularisausfall, peripherer, akuter 418 Vigilanzstörung 390 Viper, europäische 492 VIPOM 209 Virologie, Fieber beim immunkompromittierten Patienten 270 Virostatika, Ophthalmologie 614 Virushepatitis – akute, Meldepflicht 362 – Inkubationszeit 358 – Postexpositionsprophylaxe nach Stichverletzung 336 Virusinfektion 264 – systemische, Hautmanifestation 277 Visusverlust 608 f – monokulärer 427 Vitamin B1 150, 400, 404, 444 – bei alkoholbedingter Laktatazidose 508 Vitamin K 225 – Antikoagulationsaufhebung 115, 224 – Mangel 218, 225 f Vitamin K1 224, 226 Vitamin-K-Antagonisten 70, 218 Vitritis 278 Vocal Cord Dysfunction 584 Vollblutaustausch 254 Vollblutviskosität 255 Vollheparinisierung 393 Volumenbelastung – linksventrikuläre, Herzinsuffizienzdekompensation 63 – rechtsventrikuläre 75 Volumendefizit 195 Volumenexpander 17 Volumenexpansion, intravenöse 79 Volumenmangel 209 f Volumenüberladung, Thorax-Röntgenbild 177 Volumenzufuhr 16 f, 22 f – Diureseantwort 161 Von-Willebrand-Faktor (VWF) 217, 231 f – arzneimittelbedingte Verminderung 232 – Ersatz 232 – fehlender 231 – rekombinanter 232 Von-Willebrand-FaktorMultimere 231 Von-Willebrand-Krankheit 231 f – Globaltestresultate 219 Von-Willebrand-Syndrom, erworbenes 232 Vorderwandinfarkt 57, 61 – akuter 48 – linksventrikuläre Dysfunktion 59 Vorfußnekrose 67
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Vorhof-EinkammerSchrittmacher 50 Vorhofflattern 28 f, 33 ff – AV-Blockierung 33 f – hämodynamisch schlecht toleriertes 34 – isthmusabhängiges 33 – Klasse-I-AntiarrhythmikaWirkung 37 – Mode-Switch, ausbleibender, bei Schrittmacher 51 – paroxysmales 33 – reverse-typisches 33 – Termination 34 f – Überleitung 33 f Vorhofflimmern 2, 28 f, 37 ff – Antikoagulation 29, 39 – hämodynamisch schlecht toleriertes 37 f – Langzeittherapie 39 – Mode-Switch, ausbleibender, bei Schrittmacher 51 – paroxysmales 37 – permanentes 37, 40 – persistierendes 37, 40 – Schlaganfallrisikoschätzung 39 – tachykardes 65 – Wolff-Parkinson-WhiteSyndrom 38 f Vorhofmyxom, obstruktiv 63 Vorhofthrombus 38 Voriconazol 188 Vorlast 14 – Optimierung 23 – rechtsventrikuläre 24 VVI-Pacing 50 f VWF s. Von-WillebrandFaktor 217, 231 f
W Wachszylinder 160 Wadenschwellung, akute 380 Wallenberg-Syndrom 419 Wärmeantikörper 239, 242 Wasser-Elektrolyt-Verlust 193 f – gastrointestinaler 194 – renaler 194 – Sequestration in den dritten Raum 194 Wasserdefizit 201 Wasserverlust 199 f – gastrointestinaler 199 – renaler 199 Wasting-Syndrom 352 Waterhouse-FriderichsenSyndrom 317, 498 Weber-Stimmgabelprüfung 551 ff Wechselstromunfall 525 f Wedge-Druck, pulmonalkapillärer 118
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Sachverzeichnis
Wegener-Granulomatose 378, 380 Weichteilinfektion, nekrotisierende 280 ff Wells-Score, Venenthrombose, tiefe 69 Wernicke-Enzephalopathie 149 f, 404 f, 444 Wernicke-Korsakow-Syndrom 404 f, 489 Wirbelfraktur, osteoporotische 373, 376 Wirbelkörpermetastasen 413 ff Wirbelosteomyelitis 274 Wirbelsäule, Klopfempfindlichkeit 368 Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom) 29 f, 32, 38 f WPW-Syndrom (Wolff-ParkinsonWhite-Syndrom) 29 f, 32, 38 f Wundbotulismus 291 ff Wurzelreizung, zervikale 371
X Xa-Hemmer 218, 223, 225 Xanthinoxydasehemmer 370
Z Zahnalveolenverletzung 573 Zahnavulsion 573 – Zahnlagerungsmedien 575 Zahndislokation 573 Zahndurchbruch, schwerer 569 f Zahnextraktionsblutung 223, 256 Zahnfleischtaschenabszess 564, 568 f Zahnhalsdefekt 564
Zahnhalteapparat, Trauma 570, 572 f Zahnhartsubstanz, Verletzung 570 ff Zahnkavitation 564 Zahnkronen-Wurzel-Fraktur 572 Zahnkronenfraktur 572 Zahnlockerung 564, 568 – traumatogene 572 Zahnreplantation 573 Zahnrettungsbox 573, 575 Zahnschmelzfraktur 572 Zahnschmerzen, akute 563 ff – Medikation 566 Zahnverfärbung 564 Zahnverletzung 570 ff Zahnvitalitätsprüfung 566 Zahnwurzelfraktur 572 Zaleplonvergiftung 464 Zeckenentfernung 288 Zeckenstich 284 ff Zehennekrose, Phlegmasia coerulea dolens 67 Zellgift-Syndrom 457 Zellulitis 277 f, 280 f – orbitale 558 Zenker-Divertikel, Meigs-Syndrom 105 Zentralarterienverschluss, retinaler 598, 609 ff Zentralvenendruck 15 f, 20, 266 – Hypovolämie 194 – bei Rehydrierung 196 Zentralvenenkatheter 20, 623 ff Zentralvenenverschluss, retinaler 612 Zerbeißkapsel 646 Zerebrales Syndrom, Strahlenunfall 524 Zerumenauflösung 550, 553 Ziliararterienverschluss 611
Zisternen, perimesenzephale – Bluteintritt 388 – Obliteration 394 ZNS-Hypoxie 1 ZNS-Infektion 186, 316 ZNS-Lymphom, primäres 342 ZNS-Perfusion bei kardiopulmonaler Reanimation 2 ZNS-zentrierte Behandlung 12 Zoledronat 213 Zolpidemvergiftung 464 Zonula-occludens-Toxin 331 Zopiclonvergiftung 464 Zoster – gangraenosus 589 – ophthalmicus 590 – oticus 419, 590 Zugang, venöser 12 – Arzneimittelapplikation 9 Zwangsstörung 541 Zyanidvergiftung 461, 481 f – Antidottherapie 481 f – nitroprussidinduzierte 481 f – – Prophylaxe 482 Zyankali 481 Zyanose 67, 104 – Asthmaanfall, akuter 107 f – Koma 441 – Spannungspneumothorax 122 – zentrale 4, 72 Zystitis 166 ff – der Frau 167 Zystostomie, suprapubische 170 Zytokinfreisetzung 266, 377 Zytomegalievirus s. CMV 186 ff Zytopenie 241 – Leukämie 248, 258 f Zytotoxin 327