Deborah Chiel
Und wieder
48 Stunden
Der Roman zum Film
Story by Fred Braughton
Screenplay by John Fasano
Jeb Stua...
14 downloads
585 Views
896KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Deborah Chiel
Und wieder
48 Stunden
Der Roman zum Film
Story by Fred Braughton
Screenplay by John Fasano
Jeb Stuart and Larry Gross
Ins Deutsche übertragen
von Edgar Bracht, Reinhard Rohn
und René Strien
Bastei-Lübbe
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH
Allgemeine Reihe Band 13 308
Erste Auflage: November 1990
ANOTHER 48 HRS.
A Novel by Deborah Chiel
Story by Fred Braughton
Screenplay by John Fasano & Jeb Stuart and Larry Gross
© Cover art 1990 by Paramount Pictures
© Copyright 1990 by Paramount Pictures
All rights reserved
Deutsche Lizenzausgabe 1990
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co.
Bergisch Gladbach
Originaltitel: ANOTHER 48 HRS.
Titelfoto: UIP
Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg
Satz: KCS GmbH, 2110 Buchholz/Hamburg
Druck und Verarbeitung:
Brodard & Taupin, La Flèche, Frankreich
Printed in France
ISBN 3-404-13308-0
Zwei Männer in äußerster Bedrängnis: Der eine heißt Jack Cates und gilt als der härteste Cop von ganz Los Angeles. Doch seine Zeit scheint abgelaufen zu sein. Fünf Jahre lang hat er auf eigene Faust einen Drogenboß gejagt, den nur er allein kennt. Der andere heißt Reggie Hammond und kommt frisch aus dem Knast. Er hat nur noch ein Ziel vor Augen: die halbe Million Dollar, auf die er kurz vor seiner Verurteilung gestoßen war. Die beiden Männer dürften eigentlich kein Wort miteinander reden, aber wenn sie überleben wollen, bleibt ihnen keine Wahl: Sie müssen sich noch einmal zusammenraufen. Deborah Chiel, Autorin solch gelungener Filmbücher wie »Angeklagt« und »Music Box«, hat den Roman zu dem neuen Eddie-Murphy-Film mit Spannung und Humor gewürzt.
1
Ein Tag verstreicht wie der andere, wenn man seine Strafe im Knast absitzen muß. Die Häftlinge, die den Durchblick haben, lassen sich einfach von der Disziplin und Monotonie des täglichen Trotts betäuben. Sie ignorieren die Schimpftiraden und kleinen Demütigungen der Wärter, die auch noch stolz darauf sind, sich den ganzen Tag die Beine auszureißen. Sie malen große schwarze Xe auf den Kalender, um genau Buch zu führen, wie viele Wochen sie noch auf jenen magischen Augenblick warten müssen, da ihr Name ausgerufen wird und das Tor zur Freiheit sich weit öffnet. Sie passen auf, was hinter ihrem Rücken vorgeht, drehen keine krummen Dinger und machen die Fliege, sobald Ärger naht. Ein Leben voll quälender, die Seele abstumpfender Langeweile, wie das eines Blues-Sängers, wartet vor allem auf die Häftlinge, deren Gefängnis irgendwo weit, weit draußen auf dem Lande liegt. Ringsum nichts als grüne, im Wind wiegende Felder. Unerträgliche Hitze am Tage, Eiseskälte in der Nacht. Der Falke, der auf der Suche nach Beute dahingleitet, eine Herde von Pferden, die sich zu nahe an die Gefängnismauern verirrt haben, sind in dieser Ödnis die einzigen Anzeichen von Leben. Bis dann eines Morgens irgendeine gottverlassene Kreatur so erbärmlich losschreit, daß man es über den halben Gefängnishof hinweg hört. Bald heult die Sirene auf. Im Zeilenblock werden knallend die Türen zugeschlagen. Die Gefängniswärter fluchen und schreien, sie rennen wie aufgescheuchte Hühner umher und legen sich voll auf die Nase. Schließlich wird für Ruhe und Ordnung gesorgt,
Strafmaßnahmen werden fällig, und die sogenannte Normalität kehrt wieder ein – was immer das für diejenigen bedeutet, die die Zeit hinter stacheldrahtbewehrten Mauern totschlagen müssen. An einem solchen Morgen war es auch, als ein Mann zu Boden stürzte, sich krachend überschlug und wie am Spieß schrie, gerade so, als tanze er auf dem Höllenrand. Die herbeieilenden Sanitäter waren rauhe Burschen, die sich einbildeten, alles schon mal erlebt zu haben. Aber dann verschlug es auch ihnen die Sprache: Das Blut schoß dem Häftling aus dem Oberschenkel, als er auf die Trage gehievt wurde. Wenige Sekunden zuvor hatten sie ihm ein Leinentuch über seine mittlere – gänzlich unbekleidete – Körperpartie geworfen, und jetzt war dieses Tuch nur noch ein einziger bluttriefender roter Fleck. Jemand mußte diesen Mann mit einem Truthahn verwechselt haben, wie man ihn zum Erntedankfest serviert, und hatte ihm mit dem Messer die ganze Leistengegend aufgeschlitzt. Der jüngere der beiden Sanitäter, der von seinem Job noch nicht restlos abgehärtet war, schüttelte ausdauernd den Kopf, ungläubig, wie arg sich vernunftbegabte Menschenwesen verstümmeln können. »Was, zum Teufel, ist denn hier passiert?« fragte er seinen erfahrenen Kumpel, während sie die Trage durch den schmuddeligen Korridor in Richtung Krankenhausstation schleppten. »Versuchte Vergewaltigung.« Der ältere Sanitäter hatte Mühe, das Wimmern und Kreischen des Verletzten zu übertönen. »Großer Gott«, entfuhr es seinem Kollegen. Was würde man da wohl nach einer richtigen Vergewaltigung zu sehen bekommen? Er wollte es lieber gar nicht erst erfahren und fragte nur: »Haben sie diesen Vergewaltiger denn erwischt?«
Unser kleiner Grünschnabel muß noch viel lernen, dachte der Ältere und lachte still in sich hinein. Er gluckste vergnügt vor sich hin, als er sich zu einer Antwort herabließ. »Der liegt hier auf unserer Trage.«
In einem handtuchschmalen, fensterlosen Raum der gleichen Haftanstalt saß ein Mann alleine an einem leeren Tisch. Die kahlen Steinwände waren unverputzt und klammfeucht. Eine 100-Watt-Glühbirne war so an der Decke angebracht worden, daß dem Häftling möglichst rasch die Nerven durchgingen. Der ansehnliche junge Schwarze an dem Tisch schien daran genauso wenig Anstoß zu nehmen wie an dem durchdringenden Geruch von Schimmelpilz, der sich von den Wänden ausbreitete. Und der Typ, der ihn durch das vergitterte Türfenster beobachtete, ließ ihn auch kalt. Die Augen halb geschlossen, die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schlug mit den Füßen sacht den Takt zu einer Melodie an, die ihm gerade durch den Kopf ging. Erst als die Tür aufsprang, schaute er kurz auf. Mit einem kaum merklichen Kopfnicken nahm er die Anwesenheit des Gefängniswärters zur Kenntnis; ein Mann mit schütterem Haar und einem grimmigen Gesichtsausdruck, der durch die mißmutig herabhängenden Mundwinkel noch unterstrichen wurde. Er hatte die letzte Nacht in seiner Stammbar durchgemacht. Bei dem Whisky, den er trotz leeren Magens in sich hineingeschüttet hatte, mußte er an diesem Morgen zwangsläufig mit einem entsetzlichen Kater aufwachen. Was soll’s, ich lass’ es heute langsam angehen, hatte er sich gesagt – bis dieser Wichser messergeil geworden war und ihm gründlich den Tag versaut hatte. Immer noch den schalen Geschmack von Alkohol auf der Zunge, hatte er jetzt
wenigstens ein Plätzchen außerhalb des grellen Lichtkegels gefunden, von dem aus er den Knacki anstarren konnte – etwa so, wie ein Oberstudienrat den ungezogenen Lümmel auf der hintersten Schulbank beäugt. Jetzt schlug der Wärter einen bombastischen Aktenordner auf und las laut vor: »Februar 1985. Zweitausendsiebenhundert Dollar aus dem Lohnbüro der Haftanstalt von San Quentin gestohlen.« Er schaute wieder auf, um zu überprüfen, ob der junge Schwarze ihm auch zuhörte. »Man fand das Geld in Ihrer Zelle, Ihre Strafe wurde um fünf Jahre verlängert, und Sie wurden an unsere Anstalt übergeben.« Reggie Hammond strengte sich nicht sonderlich an, sein gelangweiltes Gähnen zu unterdrücken. Wär’ schön, mal was Neues zu hören, dachte er. »Ja, ja, ich weiß schon«, sagte der Aufseher ungehalten, »man hat Sie hereingelegt, es war eine abgekartete Sache. Immer das gleiche mit euch – es sind immer die anderen gewesen. Nein, nein, diesmal ist es ganz allein Ihr Fehler! Eine Woche haben Sie noch abzusitzen, und da kommt Ihnen die phantastische Idee, schnell noch einen Mitgefangenen aufzuschlitzen. Das ist wirklich selten hirnverbrannt. Warum haben Sie das getan?« Reggie stützte seinen Oberkörper auf den Ellbogen ab und grub sein Kinn in die gefalteten Hände. »Mann, hören Sie auf!« protestierte er lautstark. »Mir blieb nichts anderes übrig. Ich hatte keine Wahl, das ist alles!« Er schaute zu dem Wärter auf. Hammonds braune Augen hatten diesen Hundeblick, der Aufrichtigkeit und Offenheit signalisiert, und seine Lippen formten jenes sanftmütige Lächeln, dem schon ganze Hundertschaften hübscher Frauen erlegen waren. In seinem blauen Anstaltskittel hätte er sich gut als Modell ein Zubrot verdienen können – Marke ›KnastPlayboy des Monats‹.
Da Reggie Hammond ihm mit seiner Großmäuligkeit und seiner Aufgeblasenheit durchaus ebenbürtig war, konnte der Aufseher ihn nicht besonders gut leiden. Und doch hatte er – widerwillig zwar – einen gewissen Respekt vor Hammond. Und verglichen mit den anderen Dumpfbacken und Vollnullen, die hier so hereinschneiten, war Hammond nachgerade ein Musterschüler und Waisenknabe. Ausgerechnet heute mußte er seine guten Manieren vergessen, und der Aufseher glaubte ihm kein Sterbenswort. Reggie merkte wohl, daß der andere eine genauere Erklärung brauchte; er glättete seinen Schnurrbart und fuhr fort: »Wenn man wie unsereiner mit mehreren in einer Zelle hockt, und die anderen auf einen zustürmen, ihren Schwengel in der einen Hand, das Messer in der anderen, bedeutet das, daß man ziemlich tief in der Scheiße sitzt. Und, verdammt noch mal! Ich hatte keine Lust, mich aufspießen zu lassen – weder auf die eine noch auf die andere Tour!« Er schnappte nach Luft und sah dem Wärter direkt in die Augen. »Ich bin auf eigenen Füßen in diesen elenden Bunker hereinmarschiert, und ich habe ernsthaft vor, ihn im gleichen Stil zu verlassen… Ist das klar?!« Auf einer Liste, was Reggie im Knast am meisten haßte, standen ganz oben diese Schwachköpfe, sonst Gefängniswärter genannt, die die Knarre auf ihren schönsten und wichtigsten Körperteil hielten. So zum Beispiel diese beiden Fieslinge, die ihn jetzt wie einen Kartoffelsack durch die Halle schleiften, obwohl er sehr wohl imstande war, sich ohne fremde Hilfe fortzubewegen. Sie behandelten ihn wie irgendeinen xbeliebigen Radaubruder, statt in ihm das Opfer eines Anschlags zu sehen, das er war oder beinahe geworden wäre. »Da hast du dich selbst ganz schön tief in die Scheiße geritten, Hammond«, raunte ihm der Wärter zu. »Versuchter Totschlag ist schon was anderes als Diebstahl.«
»Es war Notwehr!« Reggie versuchte seine Arme freizuwinden. Der Wärter schnaubte nur verächtlich. »Das kauft dir niemand ab!« Reggie fühlte, wie die Wut in ihm auf gefährliche Weise überkochte. Man konnte ihn für alles mögliche halten – ein Lügner war er nicht! »Verdammt, da ist jemand, der will mich tot sehen. Der läuft frei rum und hat ‘ne Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt: Zehntausend Dollar für den, der mich umlegt!« Während die Worte nur so aus ihm herauspurzelten, war es ihm völlig gleichgültig, daß er gerade gegen die wichtigste Grundregel des Knastlebens verstieß: Erzähl den Scheißwärtern nichts! Behalte alle Geheimnisse für dich! Dieses ungeschriebene Gesetz hatte er so lange befolgt, daß es ihm eigentlich schon zur zweiten Natur geworden war. Die Todesdrohung war auf den üblichen Schleichwegen an seine Zellentür gekommen. Daß sie ernst gemeint war, daran hatte Reggie nicht eine Sekunde gezweifelt. Er wußte, wer ihn unter der Erde haben wollte – und er wußte auch den Grund. Reggie war kein besonders furchtsamer Zeitgenosse, aber er hatte es sich zum Prinzip gemacht, auf der Hut zu sein. Diese Arschgeige da draußen hatte Verbindungen. Verdammt gute Verbindungen sogar! »Das klingt alles sehr danach, als wolltest du den Staat nur davon abhalten, deine Gefängnisstrafe noch einmal zu verlängern«, meinte der Wärter. Aber irgend etwas in seiner Stimme deutete an, daß er dem Schwarzen vielleicht wenigstens zuhören würde. Reggie war verzweifelt, aber nicht so verzweifelt, daß er diesen Bastard um einen Gefallen angebettelt hätte. Auf der anderen Seite dachte er auch nicht daran, kampflos aufzugeben. Er wand sich aus der Umklammerung, schaute
dem Wärter tief in die Augen und spielte seinen stärksten Trumpf aus. »Ich habe ein Verbrechen begangen, für das ich zwei Jahre verdient hätte. Das hab’ ich nie geleugnet«, sagte er erregt. »Aber ich habe schon fünf Jahre abgesessen, was wirklich nicht gerecht ist. Ich habe nie diese Lohngelder gestohlen, und diesem Obernarr mußte ich eins mit dem Messer geben, um mein Leben zu retten. Ihr habt Mörder im Knast, die brauchen nicht so lange sitzen wie unsereiner. Wenn ihr nicht das größte Arschloch der Welt seid, dann laßt ihr mich in einer Woche raus.« Dem Aufseher brummte der Schädel, als steckte er zwischen Schraubstockzwingen. Er wollte nur eins, sich in sein Büro zurückziehen, ein paar Aspirin-Tabletten schlucken und einen Sechser-Pack eiskaltes Bier mitnehmen. Hammond mit seinen abgedrehten Geschichten hatte ihm diesen Tag schon mehr als genug vermiest. Andrerseits, wenn Hammond erst einmal seinen Vorrat an großmäuligen Sprüchen aufgebraucht hatte, bereitete er einem in der Regel keine Sorgen mehr. Gewöhnlich tat er dann, was man von ihm verlangte, scherte sich nur um seine eigenen Angelegenheiten und ging jedem Ärger aus dem Weg. Dieses Blutbad heute morgen war eigentlich nicht sein Stil. Vielleicht gab es draußen wirklich irgendeinen Oberarsch, der ihn aus dem Weg zu räumen versuchte. Angenommen, es war tatsächlich so, wie Reggie behauptete, und die kleine Eskapade an diesem Morgen würde ihm ein paar weitere Jahre Bau einbringen? Was dann? fragte sich der Wärter. Zehntausend Dollar waren nicht von Pappe. Hammond wäre eine Art lebendes Sparschwein, das für jeden, der sich in diesem Gefängnis eine Waffe beschaffen konnte, zum Schlachten bereit stand.
Und wer würde dann diese Scheiße auslöffeln müssen? Wer würde den großen Tieren in Sacramento die unangenehmen Fragen beantworten müssen, wenn ein Knacki den Bunker im Sarg verließ, bevor seine Zeit abgelaufen war? Er natürlich, weil er der gottverdammte Wärter war! Teufel, er hatte wahrlich Besseres zu tun, als den Zeugen vor einer Sonderkommission für Reformen des Strafvollzugs zu machen. Nun, was machte es schon, wenn Hammond einem anderen Assi ein Stück von seinem Trompetenrohr abgeschnitten hatte? Es würde schon noch genug drangeblieben sein. Der Wärter kam zu einer wohlüberlegten Entscheidung. »Ich denke, es wäre am gescheitesten«, sagte er, und er konnte das kühle Bier schon in seinem Munde schmecken, »wenn du den Rest deiner Zeit hier in Einzelhaft verbringst.« Reggie verbarg sein triumphierendes Grinsen, als die Wärter ihn an den Armen griffen und wegschleiften. Seine Großmutter, die ihn fast von der Wiege an erzogen hatte, hatte seine Begabung, mit Worten umzugehen, früh erkannt. Wie oft hatte er sich damit herausgeredet, er müsse unbedingt noch in eine Gebetsversammlung gehen. Arme Oma! Nicht auszudenken, wenn sie noch am Leben wäre und ihn jetzt sehen würde. Sie hatte sich immer von ganzem Herzen gewünscht, daß aus ihm ein Prediger würde. Aber schon in jungen Jahren hatte Reggie herausgefunden, daß seine eigentlichen Talente auf einem anderen Terrain lagen. Und sie harrten immer noch darauf, voll ausgeschöpft zu werden. Die Zellentür wurde mit einem lauten Krachen zugeschlagen, und dieses Krachen hallte durch den ganzen Flur nach, der durch den sonst leeren Trakt der Isolationshäftlinge führte. Eigentlich das niederschmetterndste Geräusch, das einem Häftling an die Ohren dringen kann – aber für Reggie war es an diesem Tag die reinste Musik.
Er wollte allein sein, wenigstens für eine Woche, bis es soweit war. Allein war er in Sicherheit. Allein brauchte er nicht aufzupassen, ob ihm irgend jemand von hinten mit einem Messer oder sonstwie ans Leder wollte. Eine Woche Einzelhaft schien ihm ein ausnehmend günstiger Preis dafür zu sein, lebend aus dem Knast herauszukommen. Er sah sich prüfend um in seiner neuen Unterkunft. Dunkel und äußerst beengt war es hier. Eine matte Glühbirne und der helle Pfeil, der durch das Guckloch oben in der Tür hereindrang, waren die einzigen Lichtquellen. Die Ausstattung erschöpfte sich in einem Klosett, einem Spülstein und einer durchhängenden Matratze mit einer dünnen Decke obendrauf. In der Ecke neben dem Klosett hatten sich mehrere Generationen von Kakerlaken zwanglos zusammengefunden. Reggie hatte schon – wenn auch nicht sehr oft – Schlimmeres gesehen. Wozu sich aufregen? Noch sieben Tage in diesem schwarzen Loch, und er würde draußen sein. Und dann würde er sich wirklich was Gutes antun. Als erstes würde er sein Geld flüssig machen und seinen Wagen aus Jack Cates’ Garage holen. Vielleicht würde er sich die Zeit nehmen, dem Burschen mal ordentlich eine auf die Nuß zu geben. Dann würde er sich eine Braut anlachen, und mit der würde er es so oft und so lange treiben, wie er brauchte, um sich für fünf entsagungsvolle Jahre schadlos zu halten. Natürlich hatte man ihn kräftig verarscht. Ein anderer an seiner Stelle hätte vermutlich seine Wut gepflegt und raffinierte Rachepläne ausgetüftelt. Aber Rache hat etwas Zermürbendes an sich, und das einzige, was man am Ende davon hat und vorzeigen kann, ist das kleine harte Samenkorn der eigenen Verbitterung. Das war einfach nicht Reggies Stil. Cool bleiben, lautete seine Devise. Er streckte sich auf der Pritsche aus, schloß die Augen und stellte sich seine Traumfrau vor: hübsch, sexy, eine tolle
Tänzerin mit einem natürlichen Lächeln und appetitlich-prallen Titten. Sie hing am Tresen einer seiner Lieblingsbars herum, und sie wartete nur darauf, daß endlich ein Typ wie er zur Tür hereinspazierte. Er bestellte ihr einen Drink, und im Handumdrehen hatte er sie becirct, wie unzählige Frauen vor ihr auch. Sie kicherten immer, wenn sie sich mit ihm im Bett zusammenkuschelten. »Liebling, wo hast du bloß dein Lächeln her und diese patente hübsche Rute? Komm, Schatz, komm noch einmal zu mir«, flehten sie und langten unter die Bettdecke. Und natürlich konnte er ihnen diese Gefälligkeit niemals versagen, denn wenn es etwas gab, wovon ein Mann niemals genug haben konnte auf dieser Welt, dann war es genau das. Und Geld! Bald würde er im Geld schwimmen. Er wußte genau, wofür er es ausgeben würde: Kleider. Essen. Wein. Ein extravagant bestricktes Kissen. Reggie hatte einen teuren Geschmack, und er konnte es nicht erwarten, ihm freien Lauf zu lassen. Was übrigblieb, würde er investieren. Und dann: hinsetzen, die Beine hochlegen, und das Vermögen wachsen sehen. O ja, Reggie wußte jede Menge Sachen, für die es zu leben lohnte. Er seufzte ungeduldig, streifte die Schuhe ab und faltete die Hände hinter seinem Kopf. Und mit einer hemmungslos kreischenden und jammernden Falsettstimme stimmte er jenes Lied an, das ihn schon durch manche lange Nacht geholfen hatte, wenn er viel zu aufgegeilt war, um einschlafen zu können. Roxanne you don’t have to put on the red light… Roxanne, walk the street for money; you don’t even care if it’s wrong or if it’s right…
2
Eine gnadenlose Mittagssonne brannte auf die kahle, mit feinem Sand überzogene Landschaft nieder, und in der Ferne flimmerte die heiße Luft. Es war drückend schwül, und nur gelegentlich wirbelte ein Windstoß dicke Staubwolken auf. Eine unbefestigte Straße, kaum breit genug für ein Auto, erstreckte sich zum Horizont und schnitt einen gekrümmten Schwaden in die Treibsanddünen. Man konnte in einem Stück acht, neun Stunden durch die Wüste fahren, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das einzige Lebenszeichen im Umkreis von einigen Meilen war eine Art Rasthof – Tankstelle, Bar, Spielhalle und Imbißstube in einem. Ein niedriges, heruntergekommenes Gebäude mit einer baufälligen Veranda an der Vorderseite, einem altersschwachen Pfahl zum Anbinden der Pferde und einem Windrad, das sich bei jeder Böe bedrohlich zur Seite neigte. Von den seltenen Touristen abgesehen, die hier auf ihrem Rückweg in die Zivilisation vorbeikamen, waren die Gäste meist Cowboys und Banditen aus der Umgebung, denen es völlig ausreichte, wenn die Drinks hochprozentig und die Essensportionen so bemessen waren, daß man für wenig Geld ordentlich satt wurde. Es waren schweigsame Männer mit stahlharten Augen, an deren Vergangenheit man besser nicht rührte. Nur wenige Geheimnisse wurden an dem narbenübersäten Tresen aus rotem Holz ausgeplaudert. Auch der Wirt, ein dünner Mann mit hängenden Schultern, verriet mit keinem Wort, was ihn bewogen hatte, sein Glück in der Wüste zu suchen. Obwohl er immer einen gehetzten Blick hatte, ließ er sich durch nichts so
schnell aus der Fassung bringen. Er hatte eine Nase für Leute, die nur Ärger brachten – und der Fremde an dem Fensterplatz schien ihm besonders stark nach drohenden Gefahren zu riechen. Der große Bursche war auf einer Harley Davidson neueren Baujahrs aufgekreuzt, und er trug diese harte, verschlossene Miene zur Schau, die unweigerlich jede noch so harmlose Konversation im Keim erstickt. Während seine Finger immer wieder über den gepflegten Fu-Man-Chu-Schnurrbart strichen, schien er seinen Blick nicht von der Aussicht durch das verschmutzte Fenster abwenden zu können. Daraus, und aus der Art, wie er bei seiner Ankunft wenige Minuten zuvor den Blick über den leeren Rasthof hatte schweifen lassen, schloß der Wirt, daß dieser Mann Gesellschaft erwartete. »He, Mister, ein Bier gefällig oder sonst was, während Sie hier warten?« Keine Antwort. Der Wirt hätte genauso gut die Wand anreden können. »Also, können Sie mich verstehen, mein Herr?« Der Fremde, der sich Malcolm Price nannte, hatte gerade gefunden, was seine Augen draußen in der Wüste suchten. Er drehte sich vom Fenster weg und erteilte dem Wirt brummend seine Zustimmung. »Tequila. Aus der Flasche.« »Klar, geht in Ordnung.« Der Wirt lächelte zuvorkommend und schenkte großzügig aus. »Vielleicht sollte ich mich Ihnen anschließen«, fügte er hinzu und füllte ein zweites Glas. Ein Tequila war genau das Richtige an diesem stinklangweiligen Nachmittag. Weiter oben an der Straße, neben einem schäbigen alten Briefkasten, lehnte ein junger Bursche an einer schwarzen Harley Davidson und wartete auf seinen Freund. Willie Hickok trug fettiges schulterlanges Haar, einen totenkopfförmigen Ohrring am linken Ohr und einen Zweitagestoppelbart. Hinter
der dunkelgetönten Sonnenbrille weiteten sich seine blauen Augen erwartungsvoll, als er durch den Dunstschleier eine zweite Harley in sein Blickfeld kommen sah. Die Maschine ratterte die unbefestigte Straße entlang und entfachte wahre Wirbelstürme aus Sand, bis sie mit lautem Getöse vor dem Briefkasten zum Stehen kam. Hickok nahm die Satteltasche und winkte seinem Kumpel einen freudigen Gruß zu. Cherry Ganz war etwa so alt wie Hickok, nämlich Mitte Zwanzig, und ganz ähnlich gekleidet: schmuddelige verschlissene Jeans, ein mit Schwitzflecken besprenkeltes T-Shirt, ein buntes Halstuch und eine abgenutzte Lederjacke. Er war groß, drahtig und muskulös, und er hatte den finsteren Gesichtsausdruck eines Mannes, der es sich angewöhnt hat, immer das Schlimmste vom Leben zu erwarten. Er trug einen Vollbart, und an seiner linken Wange, ziemlich dicht unter dem Auge, war eine Tätowierung zu erkennen – eine einsame Träne. Er sprang kurz von seinem fahrbaren Untersatz und schüttelte Hickok die Hand. Ohne ein Wort zu wechseln, machten sie sich auf den Weg zum Rasthof. Was immer sie an Neuigkeiten mitgebracht hatten – es konnte warten, bis sie Price gesprochen hatten.
Der Wirt hatte sie schon von weitem kommen sehen und konnte sich denken, daß ihre Kehlen ausgetrocknet waren. »Na, Kameraden. Was kann ich für euch tun?« »Brewskis!« sagte Hickok, der seit dem Morgengrauen immer mit der Sonne im Gesicht gefahren war, so daß sich seine Augen nun erst an die matte Barbeleuchtung gewöhnen mußten. Während er das eiskalte Bier hinunterstürzte, wanderte sein Blick durch das Halbdunkel, bis er Price entdeckte.
Mit einem Kopfnicken bedeutete er Ganz, ihm zu folgen, und schlenderte gemächlich zu dem Tisch hinüber, an dem Price saß. »Burschen, die zu spät kommen, habe ich noch nie leiden können«, sagte er gedehnt und zog sich einen Stuhl heran. Price streckte Hickok die Hand entgegen. »Bin schon ‘ne Weile hier, Willie«, sagte er. Dann nickte er Ganz zu. »Montery. Der Sprit war billig, und wir haben es den Laumännern ganz schön gezeigt!« rief er den beiden zu. Diese Erinnerung löste bei Hickok nur ein kurzes Lächeln aus. Keiner der Männer war so weit in die Wüste hinausgefahren, um alte Erinnerungen wieder aufzuwärmen. Schließlich waren sie keine Freunde, sondern Geschäftspartner, und ihre wechselseitigen Sympathiebezeugungen waren reines Gehabe. Hickok wollte Price’ Geld sehen, und das wußte Price auch genau. Er griff nach seiner Satteltasche, die er mit in die Bar genommen hatte, und warf die Lasche zurück: Zum Vorschein kam ein ganzes Meer von Hundertdollarnoten, mit elastischen Bändern zu kleinen Päckchen zusammengeschnürt. »Fünfzig jetzt! Weitere fünfzig, wenn ihr eure Arbeit erledigt habt.« Ganz kam näher, wie ein Habicht, der seine Beute erspäht hat. »Wie viele?« »Nur einen.« Hunderttausend Dollar war verdammt viel Schotter, um einen einzigen Typen loszuwerden. »Ist es wieder… ein Bulle?« fragte Ganz. Price hatte sich schon lange darauf gefreut, Ganz in dieser Frage eine kleine Überraschung bereiten zu können. »Nein, kein Cop, wirklich nicht«, versicherte er ihm, »er ist ein Freund von dir. Dieser Auftrag wird dir gefallen.« Er entfaltete ein Blatt Papier. Ein Fahndungsfoto für die Polizei, mit der Nummer des Gesuchten direkt unter seinem wenig freundlichen Konterfei. Das Foto war zerknittert und
vollgekleckst, als hätte es jemand sehr lange mit sich herumgetragen. Ganz erkannte das Gesicht sofort wieder. »Wahnsinn«, sagte er bedächtig. Hickok warf ihm einen fragenden Blick zu. »Er gehörte zu der Gang meines Bruders«, erklärte Ganz. »Er hat meinen Bruder verpfiffen. Hat dem Bullen Infos gesteckt, der dann meinen Bruder umgenietet hat.« O ja, er kannte diese Ratte. Und Price war zu blind, um auf die Idee zu kommen, daß er diesem Kerl auch kostenlos das Licht ausblasen würde. »Drinnen hat er immer noch all seine Niggerfreunde, die ihn schützen«, sagte Price. »Aber sobald er draußen ist, gehört er dir.« Price beglückwünschte sich selbst zu dem glorreichen Einfall, Ganz für diesen Job vorgeschlagen zu haben. Hickok fand zunehmend Gefallen an diesem Auftrag. Noch ein paar Bier, und er wäre bereit, sich auf den Handel einzulassen. Er wollte gerade dem Wirt ein entsprechendes Zeichen geben, als draußen ein Wagen vorfuhr. Er rückte ans Fenster vor, Ganz folgte ihm und stieß kurz darauf einen markigen Fluch aus. Price deckte die Geldscheine sofort mit der Lasche zu und schob die Satteltasche unter den Tisch. Diese Gäste konnten sie nun wirklich überhaupt nicht gebrauchen. Ausgerechnet Bullen – von der California Highway Patrol. Hätten die schwarzen Motorräder sie in dem Sonnenlicht nicht so penetrant angefunkelt, während die Cops vermutlich einfach an dem Rasthof vorbeigefahren. Sie kamen gerade von einer ereignislosen Schicht zurück, und ihr Soll an Strafzetteln hatten sie für diesen Monat schon erfüllt. Aber die Motorräder lockten sie an wie zwei Huren auf dem Samstagabend-Strich. »Sehen irgendwie gefährlich aus«, meinte die Polizistin auf dem Beifahrersitz. Diese tapfere Frau mit dem trügerisch
süßen Gesicht war schon oft genug mit Motorrad-Freaks aneinandergeraten, um zu wissen, daß mehr als eine Harley Davidson an einem beliebigen Ort mit ziemlicher Sicherheit Ärger einbrachten. Ihr Kollege am Steuer nickte. »Am besten überprüfen wir schnell die Nummernschilder«, meinte er und fuhr von der Straße ab. »Ich werf’ mal einen Blick rein; bin gleich wieder zurück«, bot die junge Frau an, die sich selbst und allen begriffsstutzigen Männern beweisen wollte, daß sie genauso hart und robust wie ihre männlichen Kollegen war. »Soll ich ‘ne Soda mitbringen?« »Ja, tu das«, sagte der andere. Er griff nach dem Mikrophon und drückte auf die On-Taste an der Funkanlage. »Hier seventeen Adam ninety-one«, wies er sich aus, während seine Partnerin in dem Gebäude verschwand. Atmosphärische Störungen, dann die unwirkliche Stimme aus der Zentrale. »Schieß los, A-ninety-one.« »Wir sind auf Simmons Weg, ungefähr 15 Meilen westlich der Fernstraße 14. Ich brauche Auskunft über Antrag und Genehmigung von Zulassungsschildern. Das erste lautet: Kalifornien, sechs, David, acht, vier, Sam, neun.« »Wiederhole – sechs, D wie David, acht, vier, Sam, neun«, kam das Echo. »Zweites Zulassungsschild: Kalifornien, neun, Robert, zwei, sieben, Baker, eins.« »Wiederhole – neun, Robert, zwei, sieben, Baker, eins. Bleib dran und warte auf DMV/NCIC-Check.« »In Ordnung«, sagte der Cop. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, behielt mit einem Auge die Haustür im Auge und wartete darauf, daß der Computer ausspuckte, was er über die Besitzer dieser hübschen Maschinen wußte.
Schon beim Eintreten konnte die Polizistin die Spannung spüren, die in der Luft lag. Sie sah sich um und nickte dem Wirt zu. »Hallo, Tom!« Der Wirt brachte nur ein verkrampftes Lächeln zustande und sagte: »Schön, dich mal wieder zu sehen.« Die Frau betrachtete die drei Männer, die an dem Fenstertisch saßen. Ihre Schwester aus Bakersfield war vor ein paar Jahren von einem Rocker vergewaltigt worden. Seitdem hatte die Polizistin keine Gelegenheit ausgelassen, diesen tätowierten Klemmchauvis eins auszuwischen. Aber so ein widerliches Trio wie dieses hier war ihr noch nie über den Weg gelaufen. Sie sahen nicht so aus, als wären sie auf Gesellschaft aus. Aber mit ein bißchen Glück würde sie sich schon das Vergnügen verschaffen, die kleine Party der drei hochgehen zu lassen.
Hickok sah sie durch den Raum schlendern und malte sich aus, wie sie wohl unter der Uniform aussähe. »Gar nicht übel, das Gerät«, raunte er mit einem unverschämten Grinsen. »Gehören die Maschinen da draußen Ihnen?« fragte sie. »Jawohl, Madam«, antwortete Price eilfertig, denn er wollte möglichen Ärger im Keim ersticken. Es ging ihm gehörig gegen den Strich, daß Hickok immer so schnell explodierte. Sie durften sich jetzt nicht mit den Bullen anlegen. Nicht an diesem Ort. »Sind die Maschinen zugelassen und registriert?« »Nun«, sagte Hickok freundlich, »ist das nicht gesetzlich vorgeschrieben?« »Natürlich ist es das«, sagte die Polizistin in einem gemäßigten Tonfall, der niemanden vor den Kopf stoßen konnte.
»Nun, dann sind es die Maschinen vermutlich nicht«, behauptete Hickok. Er blinzelte seinen Kumpanen fröhlich zu und schlug sich mit der Hand aufs Knie. Die Polizistin musterte ausführlich sein Gesicht und besah sich die beiden anderen Männer ebenso genau. »Kenn’ ich Sie nicht irgendwoher?« fragte sie schließlich nach einer Weile. Ganz fand, er hatte lang genug stumm wie ein Fisch dagesessen. Jetzt war er an der Reihe. Wenn die Lady seine Bekanntschaft machen wollte, konnte er ihr diesen Gefallen gern erweisen. »Sie könnten uns kennenlernen, wenn Sie wollen«, sagte er und erhob sich. »Cherry Ganz.« »Und ich bin Willie Hickok, Madam.« Er gluckste und stand nun ebenfalls auf. Plötzlich fiel der Groschen, und die Polizistin stellte den Zusammenhang her zwischen den beiden Gesichtern, die boshaft-lüstern zu ihr herüberschielten, und einigen Polizeischreiben, die in jüngster Zeit ihren Schreibtisch passiert hatten. »Sie werden im Bezirk Mesa steckbrieflich gesucht. Autodiebstahl«, frischte sie die Erinnerung der beiden auf. Ihre Hand schwebte jetzt direkt über ihrer Waffe. »Erledigen wir diese Angelegenheit doch in aller Ruhe.« »Kein Problem«, versicherte ihr Ganz und grinste wie ein Einfaltspinsel. Dieses beschränkte Lächeln lag immer noch auf seinem Gesicht, als er plötzlich die blankgeputzte chromfarbene .44er Magnum zog und zweimal schnurgerade auf sein Ziel abfeuerte. Der Polizistin blieb kaum noch Zeit, entsetzt aufzuschreien, als die Kugeln sich auch schon in ihren Brustkasten bohrten. Die Frau taumelte zurück, direkt gegen die Fensterscheibe, die durch den Aufprall sofort zerbrach. »Später«, meinte Ganz und grüßte sie noch einmal hämisch mit dem Finger, der am Abzug gelegen hatte.
Dann rannte er Hickok nach, der schon zur Tür gesprintet war, um sich um den Partner der Lady zu kümmern. Der zweite Cop wollte den Männer mit seiner Knarre einen standesgemäßen Empfang bereiten. Aber Hickok war schneller. Mit seinem feuerschreienden Revolver stürmte er nach draußen und blies dem Cop die Lebenslichter aus, in einem Feuerhagel, der den Cop auf das Autodach katapultierte, so daß seine Beine über der Windschutzscheibe baumelten. »Er ist tot«, stellte Hickok fest. Ganz wollte auf Nummer Sicher gehen. Er zielte dem Cop direkt zwischen die Augen und feuerte ab. Nach der Schießerei kehrte plötzlich für einen Augenblick tiefe Stille ein. Dann ertönte aus dem Auto über Funk wieder die unwirkliche Stimme: »Kalifornien, sechs, David, vier, Sam, neun. Eingetragen Hickok, William. Ungültig geworden 8/87. Wird gesucht wegen zwei bewaffneter Überfälle im Bezirk Los Angeles. Bewaffneter Überfall im Bezirk Orange. Autodiebstahl im Bezirk Mesa. Gegenwärtig keine feste Adresse. Vermutlich bewaffnet.« Die Stimme holte kurz Luft, und leierte dann weiter: »Kalifornien, neun, Robert, zwei, sieben Baker, eins. Eingetragen unter Ganz, Richard alias ›Cherry‹. Zulassung ungültig 10/88. Drei bewaffnete Überfälle im Bezirk Orange. Fünf Überfälle im Bezirk Ventura. Autodiebstahl im Bezirk Mesa. Zweiundsiebzig nicht nachgekommene Vorladungen wegen Verkehrsdelikten. Gegenwärtig keine feste Adresse. Vermutlich bewaffnet und gefährlich.« Ganz hatte genug gehört. Wenn es ihm darum gegangen wäre, seine Referenzen und Zeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hätte er ja auch gleich eine Annonce in der Zeitung aufgeben können. Er hob seine Pistole und schoß die Funkanlage in tausend Stücke. Was die unwirkliche
Stimme ihrem toten Kollegen noch mitzuteilen hatte, ging in der Explosion für immer unter.
Price hatte die Schießerei von seinem Platz im Rasthof aus verfolgt. Zum ersten Mal erlebte er Ganz und Hickok in voller Aktion. Sie waren verrückt, diese Hurensöhne, so viel stand fest. Aber mit dem Schießeisen verstanden sie umzugehen, und zu Fuß waren sie verdammt fix. Nicht auszuschließen, daß sie den Job, für den man sie angemietet hatte, ordentlich erledigen würden. Es gab noch einen weiteren Zeugen dieser Schießerei – Tom, den Gastwirt. Aber der war mehr darauf bedacht, die eigene Haut zu retten, als die Schießkunst der Rocker zu bewundern. Kaum zischten die ersten Kugeln durch die Luft, ging er hinter dem Tresen in Deckung, duckte sich und betete zu Gott, daß sich keine Kugel in seine Richtung verirren möge. In dem Tohuwabohu hätte Price den Wirt beinahe ganz vergessen. Aber dann machte ein vertrautes Klicken ihn mißtrauisch: Jemand machte sich am Telefon zu schaffen. Er folgte dem Geräusch bis zu seiner Quelle und spähte über den Tresen auf den Fußboden hinunter, wo sich der Wirt zusammengekauert hatte. »Wen rufen Sie denn an, mein Freund?« Der Wirt schaute auf und mußte schlucken, als er die chromglänzende .44er Magnum in Price’ Hand entdeckte. »Niemanden, niemanden«, stammelte er mit zitternder Stimme. »Sicher würden Sie uns niemals die Bullen auf den Hals hetzen, oder?« fragte Price und brachte den Revolver in Anschlag.
»Nein, niemals!« stieß der Wirt mit ängstlichem Kreischen aus. »Ich würde niemals was ausplaudern! Ich hasse doch die Bullen!« »Ich kann dir nicht recht glauben«, spottete Price. Er spannte den Abzug, und mit einem lauten Klick entsicherte er sein Schießeisen. »Nein, Neeeiiiinn…« Unter dem entsetzlichen Knattern verstummte das Geschrei des Wirtes schlagartig. Das Geschoß explodierte in seiner Kehle und durchtrennte seine Stimmbänder. Price packte die Satteltasche mit den Dollarscheinen, steckte seine Pistole ein und schlenderte nach draußen, um sich seinen Freunden anzuschließen.
3
Ein typischer Tag an der Rennbahn Hunter’s Point, südöstlich von San Francisco, sechs Uhr morgens – die Sonne war gerade erst aufgegangen, und der Himmel war immer noch mehr grau als blau. Aber die Luft war schon ganz stickig von dem Benzingeruch der brüllenden, mit zu hoher Drehzahl laufenden Maschinen. Frisierte Motorräder drehten in dem ölverschmierten Oval ihre Halbmeilen-Runden. Tollkühne Fahrer in Lederjacken und dick gepolsterten Stiefeln donnerten mit schwindelerregender Geschwindigkeit in die Kurven, wo sie in Schräglage gingen, als wollten sie den Boden küssen. Einige hartnäckige Fans, größtenteils selbst Motorradfahrer, verliefen sich auf der Haupttribüne oder nahmen ihr Frühstück zu sich: Bier und Zigaretten. Wie üblich waren die Mechaniker sehr zeitig eingetroffen. Sie hatten sich an die großen Strohballen gelehnt, die die Strecke säumten, ihren Kaffee ausgetrunken und ihre Klatschsucht befriedigt. Nun hielten sie sich an den Boxen im Innenfeld auf, überprüften den Ölstand, wechselten die Reifen und zogen Schrauben nach. Diese Mechaniker, in der Regel junge Kerle mit rauhen Gesichtszügen und noch rauheren Händen, waren die heimlichen Helden der Rennpiste; von der Umsicht, mit der sie die Maschinen warteten, hing es wesentlich ab, ob der Fahrer ein sicheres Rennen hinlegte oder einen Unfall baute. Einer dieser Burschen aber stand müßig und allein an einer Tanksäule und hatte sich von der hektischen Betriebsamkeit an der Rennstrecke vollkommen abgewandt. Er war nicht sehr kräftig gebaut, hatte eine spitze Nase und das Gesicht eines
Wiesels. Er schien seinen Blick nicht losreißen zu können von dem Tor im Innenfeld, nur gelegentlich schaute er kurz auf die Sporttasche zu seinen Füßen. Die Motorräder donnerten ein ums andere Mal hinter seinem Rücken vorbei, bis er einen dünnen Schwarzen entdeckte, der jetzt durch das Tor zum Innenfeld schlenderte. Der Mann trug einen hellbraunen Regenmantel und nickte kurz, zum Zeichen, daß er den anderen erkannt hatte. Ja, das mußte er sein. Burroughs lautete sein Name, hatte der Schwarze ihm am Telefon gesagt. Einen Vornamen brauche er nicht. Wichtig sei nur, daß er für den Eismann arbeite. Er werde einen braunen Regenmantel tragen und eine Aktentasche mitbringen. »Sie werden mich erkennen«, hatte Burroughs mit einem unhöflichen Lachen gesagt. »Schließlich werden Sie da draußen am Hunter’s Point nicht sehr häufig mit einem Schwarzen zusammenstoßen.« Burroughs war ein cooler Zeitgenosse mit mißtrauischen, hinter einer Brille verborgenen Augen, einer schräg abfallenden Stirn und einem dünnen, zusammengekniffenen Mund, über den schon Ewigkeiten kein Lächeln mehr gehuscht war. Er hatte eine ganze Reihe übler Typen überlebt, und das simple Geheimnis seines Erfolges war, daß er niemanden traute, schon gar nicht dem Eismann. Aber er folgte dessen Anweisungen und wurde fürstlich entlohnt für seine Dienste. Übrigens hatte er den siebten Sinn für verborgene Gefahren, und das hatte ihn auf der Straße schon in einigen heißen Nächten vor dem Schlimmsten bewahrt. Und auch jetzt, als er sich umsah, waren seine Sinne ganz auf Gefahr eingestellt. Ein paar Mechaniker wechselten in Sekundenschnelle die Reifen einer Harley Davidson. Sie standen nur wenige Meter von ihm entfernt, und Burroughs starrte unverwandt in ihre Richtung. Aber der Mann, den zu treffen er hierhergekommen war, schüttelte den Kopf. Nein, kein Grund zur Sorge. Die
Mechaniker waren so sehr in ihre Arbeit vertieft, daß sie nicht einmal aufschauten, als ihr Kollege mit Burroughs zusammen an ihnen vorbeischlenderte, um sich ein ruhiges Plätzchen zum Reden zu suchen. In wortlosem Einverständnis hielten die beiden Männer kurz vor der Pyramide, deren trommelförmige 200-1-Ölbehälter die Zapfstationen versorgten, die in regelmäßigen Abständen die Rennstrecke säumten. Burroughs legte seine Aktentasche oben auf die Tanksäule und öffnete sie schnell, damit der Mechaniker den Inhalt bewundern konnte. Dann wiederholte er noch einmal die Geschäftsbedingungen. »Hunderttausend für den Job. Fünfzigtausend jetzt. Der Eismann ist sehr großzügig.« Im Zuge der komplizierten Reparaturarbeiten, die der Mechaniker zu erledigen hatte, hatte er es gelernt, die Hand ruhig zu halten. Aber als er jetzt in die Tasche griff und ein Bündel grüner Geldscheine herauszog, da zitterten seine Junger. Er rieb sich die feuchte Hand an seinem von Schmierflecken übersäten Overall, und rechnete sich aus, wieviel er dem Eisverkäufer wert war. »Hundertdollarscheine find’ ich nicht besonders«, sagte er mürrisch. »Ich habe Ihnen das vorher erzählt. Was soll also der Scheiß?« Er warf die Scheine in die Aktentasche zurück, starrte den Abgesandten des Eisverkäufers feindselig an. »Mann, ich könnte Ihnen eine hübsche kleine Überraschung bieten, indem ich das Geld nicht annehme. Ich brauchte Ihnen nur zu sagen, packen Sie’s wieder ein.« Aber von dieser gespielten Provokation ließ sich Burroughs nicht beeindrucken. Er wußte, daß der Mechaniker bis zum Hals in Spielschulden steckte und sein Gehaltskonto so gut wie blank war. Dieser Geck steuerte geradewegs auf seinen Ruin zu, vor dem ihm nur noch eine ordentliche Finanzspritze retten
konnte. Burroughs prüfte seelenruhig seine auf Hochglanz polierten Fingernägel. »Ach, tatsächlich? Schön.« Burroughs tat so, als müsse er gleich vor Langeweile gähnen. »Dann ziehen Sie ab. Ist Ihr Bier.« Der Bluff zog, der Mechaniker besann sich rasch eines Besseren und entschied, daß er mit dem, was der andere ihm gebracht hatte, leben konnte. »Hab’ nur Spaß gemacht!« Er ließ das Geld schnell von der Aktentasche in seine Sporttasche hinüberwandern. »Das hier ist der Typ«, sagte Burroughs und hielt dem Mechaniker die Fotokopie eines Paßfotos unter die Nase. »Den Rest gibt’s, wenn er unter der Erde ist, verstanden? Pech für dieses Großmaul, daß wir ihn lebend nicht gebrauchen können.« Der Mechaniker griff nach dem Foto und steckte es in seine Sporttasche. »Okay, wie auch immer. Wird erledigt«, versprach er. Das Bild konnte er sich später immer noch in alter Ruhe anschauen. Im Augenblick war es wichtiger, daß er das Geld beiseite schaffte und seine Arbeit wiederaufnahm, bevor irgend jemand unangenehme Fragen stellte. In einem Punkt hatte Burroughs wirklich ins Schwarze getroffen: Mit seinem wunderlichen Regenmantel und seiner schwarzen Hautfarbe fiel er an diesem Ort sofort auf. Wenn er sich nicht beeilte und möglichst rasch verschwand, würden sie bald mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken, als ihnen lieb sein konnte. Bedauerlicherweise hatten sie einen Zuhörer. Der Mann hatte schon an der Rennpiste gestanden, als der Mechaniker gerade erst unter seiner Bettdecke hervorgekrochen war. Der ungebetene Zeuge der Geldübergabe war ein Riese von einem Mann. Seine Nase sah stark danach aus, als hätte sie schon den einen oder anderen Faustschlag abbekommen, er hatte einen
Stiernacken, und die ausladenden Schultern spannten seine Jacke zum Zerreißen. Und doch bewegte er sich mit einer gewissen Grazie, als er sich im Schutz der stapelweise aufgehäuften Strohballen an die Männer heranschlich. Er hatte lange warten müssen. Aber nun, da das Geld die Hände gewechselt hatte, wußte er genug. Er war bereit, sich wie ein Raubvogel auf die beiden zu stürzen. Jetzt hatte er die Verdächtigen genau da, wo er sie haben wollte. Mit seinen Riesenpranken brachte er die nickelüberzogene .44er Magnum in Anschlag, warf seine muskulösen Arme nach vorne und stürmte aus dem Schatten der Strohballen nach vorn. »Keine Bewegung!« schrie der Mann, der Jack Cates hieß. »Polizei!« Burroughs und der Mechaniker drehten sich um und starrten ihn an – das nackte Grauen in den Augen. »Sie! Einen Schritt zur Seite!« Durch einen Wink mit seiner Knarre gab er zu verstehen, wen er meinte. »Sachte, ich nicht, daß irgend jemand verletzt wird…« Plötzlich legten die beiden Männer los. Mit der Aktentasche in der Hand sprintete Burroughs davon. Der Mechaniker zog einen Revolver hervor und zielte kurz, aber genau. Cates ließ sich gerade noch rechtzeitig auf den ölverschmierten Boden fallen, und wenige Sekundenteile darauf zischte die Kugel über seinem Kopf durch die Luft. Aber der Mechaniker hatte nicht den Hauch einer Chance, die zweite Runde zu erreichen. Cates legte an und feuerte die Magnum ab… einmal… ein zweites und schließlich ein drittes Mal. Die ersten beiden Geschosse trafen den Mann mit solcher Wucht am Brustkorb, daß er von seinen Füßen gerissen und wie eine schlaffe Puppe zurückgeschleudert wurde. Mit einem Aufschrei landete er auf dem Boden und spuckte Blut. Er schrie immer noch wie am Spieß, als Sekunden später die dritte Kugel in die Zapfsäule einschlug.
Ein lautes, unheildrohendes Zischen und Knallen rumpelte aus den Tiefen der Kraftstoffpumpe. Dieses unverwechselbare Geräusch hatte Jack Cates zum letzten Mal vor über zwanzig Jahren gehört – als Gelegenheitsarbeiter auf einem Öltanker an der Küste von Louisiana. Kein halbwegs normaler Mensch würde sich wünschen, diesen Krach ein zweites Mal zu hören. Und all seinen persönlichen Eigenarten zum Trotz fiel Cates immer noch unter die klinische Definition compos mentis. Er lag der Länge nach im Staub, als die Benzinpumpe mit einem betäubenden Donnerschlag zerbarst. Die Erschütterung ließ ein Beben durch die Erde laufen. Drehende Flammen züngelten leuchtend rot in alle Richtungen. Ein wuchtiger Feuerball schlängelte sich über den Boden, geradewegs auf den schwer verwundeten Mechaniker zu, unbeirrbar wie eine Kompaßnadel. Der Mechaniker robbte zur Seite und versuchte, dem Feuerball aus dem Weg zu rollen. Aber die drei Meter hohe Flamme schluckte den Mann wie ein Drachen, der Nahrung braucht, einfach in ihre lodernde Tiefe. Irgendwie rappelte sich der Mechaniker wieder auf, eine Fackel, die um Hilfe schrie. Mit Feuerlöschern bewaffnet, kamen die für solche Unglücksfälle ausgebildeten Mechaniker herangestürmt, um die Flammenglut zu ersticken. Jack sprang hoch und jagte los, um Burroughs zu stellen. Ätzende schwarze Rauchwolken nahmen ihm fast den Atem. Er schnappte ununterbrochen nach Luft, während er sich in dem Areal umsah, und seine Augen tränten. Burroughs hatte einen soliden Vorsprung herausgelaufen. Als Kettenraucher, der zwei Packungen pro Tag verbrauchte, war Cates für Wettrennen nicht unbedingt geeignet. Er konnte Burroughs erst wieder durch die Rauchschwaden hindurch
sehen, als dieser schon auf das Tor am Ende des Innenfeldes zulief. Ein Schwarm heulender Motorräder brauste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit heran, dicke Staubwolken aufwirbelnd. Aufgebrachte Zuschauer warnten Cates lautstark, als er auf die Fahrbahn sprang. Aber für diese Gefahr hatte er jetzt kein Auge. Er legte an und zielte. »Stehengeblieben«, schrie er, »oder…« Der Rest seiner Drohung ging in dem donnernden Lärm der Motoren unter. Eine zweite Gruppe von Motorradfahrern bog in die Kurve und raste geradewegs auf Cates zu. Im gleichen Moment, als der erste Motorradfahrer seitlich ausweichen wollte, stolperte Cates von der Fahrbahn. Die Bremsen kreischten, und es roch nach verbranntem Gummi. Das nächste Motorrad prallte auf den Spitzenreiter und schleuderte funkensprühend quer über die Fahrbahn. Der nächste Fahrer versuchte sein Glück mit einer artistischen Einlage und landete mit dem Gesicht zuerst im Dreck. Als sich der Rauch gelegt hatte, lagen vier Menschen im Dreck, ein Knäuel aus Blech und Gummi. Von Burroughs war nichts mehr zu sehen. Jack kam mühsam auf die Beine und stieß eine ganze Reihe markiger Flüche aus. Er hatte sich beim Fallen einen Arm verstaucht, und seine Jacke war mit Ölflecken und Stroh abgedichtet. Er war viel zu wütend, diesen Lappalien überhaupt Beachtung zu schenken. Er war so nahe dran gewesen, so verflucht nahe daran, die beiden Schweinehunde hochzunehmen, und nun war ihm der eine entwischt, und der andere vermutlich tot. Oder vielleicht auch nicht? Immer noch lautstark fluchend, stampfte Cates zurück zu der großen Ölpyramide, wo die
Streckenhelfer die Feuersglut immer noch mit ihrem Chemieschaum bekämpften. »Weg da!« schrien sie ihn an. »Hauen Sie da sofort ab!« Cates zeigte ihnen nur den Vogel und starrte auf den Mann hinab, den er angeschossen hatte. Der Mechaniker lag auf dem Boden, mit einem silbern glänzenden Material abgedeckt, das ihn vor einem plötzlichen Kälteschock schützen sollte. Mehrere Streckenposten kauerten um ihn herum und warteten auf den Krankenwagen. Nach Lage der Dinge würde der Mechaniker in nächster Zeit nicht viel reden können – falls überhaupt noch einmal. Aus der Ferne ertönten die schrillen Polizeisirenen. In einer oder zwei Minuten würden die Cops über das ganze Areal ausschwärmen, Fragen stellen, die Ursache der Katastrophe suchen. Falls es Spuren und Hinweise zum Tathergang gab, wollte Cates sie als erster unter die Lupe nehmen – vor seinen Kollegen. Er bahnte sich seinen Weg durch Müll und Asche, den Flammen ausweichend, die seine verschlissenen Lederstiefel im Nu versengt hätten. »Was zum Teufel haben Sie vor, Mann?« schrie einer der Mechaniker. Cates ignorierte ihn. Er beugte sich nieder und durchstöberte die Sporttasche des Verdächtigen, die die Explosion mehr oder weniger unversehrt überstanden hatte. Oh, das große Los! Cates fischte das zerknüllte Stück Papier heraus, das Burroughs dem Mechaniker in die Hand gedrückt hatte. Es war eine Fotografie, an den Ecken schon ziemlich angesengt. Cates konnte nur mit Mühe ein Gesicht ausmachen. Er mußte noch einmal hinschauen, denn er konnte nicht glauben, was er da sah. Großer Gott! Es war niemand anders als sein alter Freund, Reggie Hammond.
Der Krankenwagen traf zuerst ein, aber zu spät für den verletzten Mechaniker. Dann rollten die Streifenwagen durch die Tore. Kurz darauf erschienen die Männer vom Morddezernat. Das Feuer war gelöscht, die große Benzinsäule auf einen kurzen angeschwärzten Stumpf hinuntergebrannt, der als modernes Kunstwerk vielleicht Beifall gefunden hätte. Jack saß abseits und beobachtete seine Kollegen, die wie Ameisen auf verschüttetem Zucker über das ganze Gelände ausschwärmten. Er schnitt eine Grimasse, als Inspector Blake Wilson aus seinem nicht gekennzeichneten braunen Sedan herausstieg. Natürlich war Wilson, kaum daß er über Funk Kenntnis von der Feuersbrunst erhalten hatte, auf kürzestem Weg zur Rennbahn gekommen. Nicht, daß er sich auch nur das geringste aus ein paar zertrümmerten Motorrädern oder einem toten Mechaniker gemacht hätte. Nein, seine Anwesenheit hing in erster Linie mit Jack Cates zusammen. Wilson war ein eitler Tropf, der damit angab, die besten Restaurants und erlesensten Weine zu kennen, und mit dieser Eigenschaft war er bei der Polizei so etwas wie ein schlechter Scherz. Dennoch – oder gerade deshalb – hatte er es geschafft, sich eine ziemlich einflußreiche Position zu sichern. Nur wenige seiner Kollegen waren mutig oder dumm genug, ihm die Meinung zu sagen. Jack war stolz, sich dieser radikalen Minderheit zurechnen zu dürfen. Natürlich war Wilson auch an diesem Morgen glatt rasiert und elegant gekleidet, in einem dunklen Anzug mit frisch gebügeltem weißen Hemd. Sein Seidenschlips wurde durch eine in der Sonne funkelnde Spange aus Gold und Diamant in Position gehalten. Das genaue Gegenstück zu Wilsons schneidigem Auftreten lieferte der Polizeibeamte Joe Stevens: Der Detective, der gerade einen der Rennfahrer aushorchte,
war nachlässig gekleidet, und sein Bauch hing über dem Gürtel. »Dann erklären Sie doch einmal genau, was passiert ist«, bat Stevens und nickte grüßend zu Wilson herüber. »Es lief etwa so ab«, meinte der Fahrer und streifte seine Lederhandschuhe ab. »Ich komme gerade an die große Kehre, und urplötzlich steht da dieser große Typ mitten auf der Rennbahn und wedelt wie ein Verrückter mit seiner Knarre herum. Das nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, daß mir plötzlich irgendein Auspuff im Maul hängt…« »Moment mal, nicht so hastig«, unterbrach Stevens, der sich Notizen machte. »Also, noch mal hübsch der Reihe nach!« Der Fahrer zuckte mit den Schultern und fing von vorne an. »Also, er stand da mitten auf der Fahrbahn, einen Revolver…« »Stevens!« Wilson platzte unvermittelt in das Gespräch und stellte sich zwischen die beiden. »Was zum Teufel ist hier vorgegangen?« »Ziemlich haarige Angelegenheit«, stammelte Stevens. »Ich brauche genauere Angaben, Details, bitte schön!« »Jack Cates hat einen der Mechaniker erwischt«, meinte Stevens widerstrebend. »Ein Schuß traf die Tanksäule… und hat den armen Burschen ziemlich versengt. Jack beteuert, daß er aus Notwehr geschossen hat.« »Wo liegt also die Schwierigkeit?« erkundigte sich Wilson. Stevens schien unangenehm berührt zu sein. Warum mußte ausgerechnet er sich von dem I.A.D.-Häuptling ausquetschen lassen? Schließlich gab er zu: »Bisher hat sich die Knarre des gerösteten Typen noch nicht auftreiben lassen.« Mit einem kurzen Kopfnicken forderte Wilson den Detective auf, seine Arbeit fortzusetzen, und entfernte sich. Unterdessen war der Rennfahrer ungeduldig geworden. »Sagen Sie mal«, erkundigte er sich, »wer kümmert sich denn um meine Maschine?«
Stevens schlug sein Notizbuch zu. Er hatte genug von diesem vollmotorisierten Schwachkopf. »Sie haben doch sicher eine Versicherung abgeschlossen, oder?« Ben Kehoe, ein Freund Jacks, hatte die Spurensuche in der Nähe der Feuerstelle beaufsichtigt. Ein sehr wichtiges Teil wurde vermißt. Falls es nicht mehr auftauchte, hätte Wilson den perfekten Vorwand, Cates zur Schnecke zu machen. Kehoe hatte eine Habichtsnase, führte gern zotige Reden und hatte ein Faible für schreiend grelle Krawatten und knalligen Schabernack. Jetzt aber ging er mit sehr ernster Miene zu Cates hinüber, der sich auf einem trommelartigen Ölbehältnis niedergelassen hatte. Kehoe platzte gleich mit den schlechten Neuigkeiten heraus. »Bisher konnten wir den Revolver nicht finden, Jack.« Cates zuckte gleichgültig mit den Achseln. In zwei Punkten war er sich vollkommen sicher. Erstens, der Mechaniker hatte einen Schuß auf ihn abgefeuert. Zweitens, Kugeln kommen nicht aus dem kleinen Finger eines Mannes herangezischt. Man brauchte also nicht die Polizeimarke, um sich denken zu können, daß der Mann eine Waffe getragen hatte. In dem Durcheinander nach der Explosion konnte der Revolver leicht verschwunden sein, aber Cates hatte keinen Grund zu zweifeln, daß er sich bald wiederfinden würde. Zwei Sanitäter marschierten mit einer Bahre vorbei, auf der das lag, was von dem Mechaniker übriggeblieben war. »Großer Gott. Du hast diesen Typen ja wirklich getoastet«, raunte Kehoe, mit einem Anflug von Verwunderung in der Stimme. Cates und Kehoe kannten sich schon sehr lange. Als Anfänger und Neulinge waren sie sich bei Polizei über den Weg gelaufen, sie waren gemeinsam die niedrigen Ränge aufgestiegen und hatten sich ihre Beförderungen mehr oder
weniger gleichzeitig verdient, so daß ihre Schreibtische nun in Hörweite standen. Wenn man ihn nach Kehoe gefragt hätte, so hätte Cates ihn als einen verdammt guten Cop bezeichnet, auf den man sich in der Not verlassen konnte. Und je nachdem, wer die Frage stellte, würde er vielleicht noch hinzufügen, daß Kehoe einen ganz eigenen Humor hatte und ein ziemlich nervender Sprücheklopfer sein konnte. Mit diesen Eigenschaften hatte er bei Cates schon oft angeeckt, der der Meinung war: je weniger gesagt wird, desto besser. Kehoes Witz über den Mechaniker war da ein treffendes Beispiel. Auch wenn er vermutlich nicht die reine Verkörperung höherer Humanitätsideale war, fiel Cates das Töten wahrlich nicht leicht. Wenn er es tat, dann nur, weil er als Cop keine Wahl hatte. Kehoes Bemerkung wurmte ihn, auch wenn Kehoe, wie jedermann wußte, ein Chaot war. »Verdammt und zugenäht, ich habe diesen Kerl nicht getoastet. Ich habe ihm nur eine Kugel verpaßt. Mein Gott, er hat sich selbst getoastet, Ben.« »Reg dich ab, Jack. Wir finden die Knarre schon noch. Zusammen werden wir diese Geschichte schon noch hinbiegen.« Was für eine Geschichte! dachte Jack. Es geht hier nicht um irgendwelche Märchen. Es geht nur um einen gottverdammten Revolver! »Also gut«, sagte Cates mürrisch und zog seine Zigarettenpackung aus der Jackentasche. »Ich habe ihn beschattet, ich war auf einer heißen Spur.« »He, Jack!« Frank Cruise, ebenfalls Detective, hatte offenbar etwas Wichtiges mitzuteilen. »Ich habe mir mal das Schließfach des Burschen näher angeschaut. Fünfzig Dollar in der Brieftasche. Wohnungs- und Autoschlüssel, eine Sonnenbrille. Nichts Ungewöhnliches auf seinem
Personalausweis. Er hat sein Hotel schon bezahlt. Arbeitet hier an der Rennbahn. Die Pistole habe ich immer noch nicht gefunden.« »Scheiße«, murmelte Kehoe, der einen gut gekleideten Herrn näherkommen sah. »Wilson, dieser Schweinehund! Laß mich mit ihm reden, Jack.« »Nein, das ist meine Angelegenheit. Darum kümmere ich mich selbst.« Cates’ Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Er wollte nicht, daß ein anderer für ihn die Kämpfe ausfocht. Schon gar nicht, wenn dieser andere Ben Kehoe hieß. »Verdammt, ich hasse diese Schaumschläger vom I.A.D.«, brummte Cruise. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden tiefer. Er zurrte nervös an seinem blaßroten Ring. Sein Vater, ebenfalls Polizist von Beruf, hatte ihm ein tiefes Mißtrauen gegen alle Bullen eingeimpft, die die Arbeit ihrer Kollegen sabotierten. Und was Cruise selbst anging, so hielt er die Abteilung für Interne Angelegenheilen – das Internal Affairs Department (I.A.D.) – für den letzten Ausruheplatz für Cops, die nicht Köpfchen genug haben, um als Detective zu arbeiten. So gab es keine warme Begrüßung, keinen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken, als Wilson zu den drei Kriminalbeamten stieß. Was Wilson aber nicht weiter störte. Er hatte nicht beim I.A.D. unterschrieben, um PopularitätsWettbewerbe zu gewinnen. Obwohl ihn doch jeder kannte, zückte er seinen Dienstausweis und sagte: »Blake Wilson, Interne Angelegenheiten. Oh, hallo, Jack. Es scheint, als würde ich überall mit Ihnen zusammenprallen.« »Ja«, murmelte Cates, der Wilsons ausgestreckte Hand einfach übersah. »Ich kann nicht mal auf den Abort verschwinden, ohne daß einer Ihrer Jungs mich beobachtet.«
»Laßt uns mal eine Minute allein, Kollegen, ja«, sagte Wilson, und sah Kehoe und Cruise an, die sich sofort entfernten. Wilson fischte sich eine Zigarette aus der Manteltasche und machte einen feierlichen Akt daraus, sich den Glimmstengel anzuzünden. Endlich sagte er, leicht gereizt: »Nun, Jack, was wissen Sie?« »Ich habe jemanden beschattet. Ich war kurz davor, ihm auf die Schliche zu kommen…« »O nein, bitte nicht wieder von dem Eismann anfangen, bitte.« »Doch, verdammt noch mal, der Eismann, ich bin ihm auf den Fersen«, beteuerte Jack, »ich werde diesen Typen zu fassen kriegen!« »Seit vier Jahren versuchen Sie jeden Fall, den Sie nicht lösen können, dem sogenannten Eismann anzuhängen.« Wilson schnaubte verächtlich. »Der größte Drogenhändler in ganz Kalifornien, nicht wahr, Jack? Abgesehen davon, daß wir keine Fingerabdrücke, keine Beschreibung haben – Sie sind der einzige auf dem ganzen Revier, der an die Existenz dieses Kerls glaubt!« Jack ballte die Fäuste in seinen Jackentaschen und sagte sich, daß man solche Typen wie Wilson, die nie über die eigene Nasenspitze hinaussahen, nur verachten konnte. Wilson interessierte sich immer erst dann für einen Fall, wenn alle Teile des Puzzles feinsäuberlich zusammenpaßten. Aber manchmal kam es darauf an, daß man seiner Intuition vertraute und die Phantasie anstrengte, um einer großen Sache auf die Spur zu kommen. Und Jack wäre bereit gewesen, seine Pension darauf zu verwetten, daß er einer sehr, sehr großen Sache auf der Spur war. »Ich verrate Ihnen mal ein kleines Geheimnis, Cates«, sagte Wilson, dessen Gesicht vor Ärger rot angelaufen war. »Es gibt
keinen Eismann. – Nun, lassen Sie uns zu den nackten Tatsachen dieses Falls hier zurückkehren.« Er deutete auf die Verwüstungen um sich herum. »Denn das hier ist keine Einbildung. Was zum Teufel ist hier vor sich gegangen?« »Ich wurde Zeuge einer Geldübergabe. Vermutlich in besagter Sache. Er hatte eine Waffe. Er schoß, ich schoß zurück«, sagte Cates schroff. Wilson sah gelangweilt aus. Wenn das wirklich so einfach wäre. »Haben Sie die Pistole des anderen?« Cates schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts angerührt. Sie muß da irgendwo zwischen dem ganzen niedergebrannten Zeug liegen.« »Dann werden Sie auch keine Schwierigkeiten bekommen – sofern sich die Waffe wirklich findet…« Kehoe, Cruise und die anderen Polizeibeamten stöberten immer noch in der Asche herum, in der Hoffnung, endlich fündig zu werden. »Was haben Sie entdeckt?« fragte Wilson den zurückkehrenden Cruise. Der Detective schaute auf seine leeren Hände hinab und brauchte eine Weile, bis er sich zu einer Antwort durchgerungen hatte. »Nichts, nur verkohltes Metall, das wohl von der Ölpumpe stammt.« »Keine Pistole?« »Nein«, gab Cruise widerstrebend zu. »Keine Pistole.« Wilson machte ein Pokergesicht, als er sich langsam wieder an Cates wandte. »Wissen Sie, was ich denke, Jack?« »Nun ja, ich kann’s mir ganz gut vorstellen«, gab Cates mürrisch zurück. »Ich denke, daß Sie hier entlanggegangen sind, gedacht haben, heute arbeiten wir mal etwas härter, und schon haben Sie einen groben Schnitzer gemacht.« Er zündete sich wieder eine Zigarette an. »Hab’ ich recht? Nun, sehen Sie, ein Cop ist
ein ganzer Kerl. Ein Kerl schießt schon mal einen Bock, und heute haben Sie mal ein bißchen heftig zugelangt, und da ist es auch schon passiert. Cates, arbeiten Sie jetzt mit mir zusammen! Wir stehen auf der gleichen Seite! Haben Sie einen Schnitzer gemacht?« Wilson genoß es sehr, daß er es war, der Cates zeigte, wie er den Kopf noch aus der Schlinge ziehen konnte. Er zündete sich abermals eine Zigarette und wartete darauf, daß der Cop nach dem ausgeworfenen Köder schnappte. Aber Jack dachte nicht daran anzubeißen. Heute nicht, und auch in Zukunft nicht. Dieser Eismann war kein Hirngespinst, und der einzige Cop, der es zu arg trieb, war Wilson. Er konnte sich seine hirnverbrannte Theorie an den Hut stecken. »Verdammt! So ist es nicht abgelaufen. Er hatte eine Waffe«, sagte Jack starrsinnig. »Er hat geschossen. Und ich hab’ zurückgeschossen.« Das Lächeln wich aus Wilsons Gesicht. »Ich erwarte, daß die Jungs vom Labor jeden Quadratzentimeter dieses Platzes umpflügen«, herrschte er Kehoe an. »Wenn da eine Pistole im Spiel war, will ich sie haben. Oder wenigstens eine Kugel. Irgend etwas. Egal was.« Er hatte für Cates getan, was er konnte, aber dieser armselige Polyp schien eine stark ausgeprägte Todessehnsucht zu haben. Cates war nicht nur ein Dummkopf, sondern auch ein sturer Bock – die gefährlichste Charaktermischung, die sich denken ließ. Jedermann wußte, daß Cates auf dem Revier mehr Feinde als Freunde hatte. Es würde nicht schwerfallen, ihn so sehr zu belasten, daß er bald niemanden mehr gefährlich werden könnte. Wilson wirbelte herum und entblößte seine Zähne in einer Art und Weise, die als Lächeln durchgehen mochte. »Wir seh’n uns noch, Cates.«
Daß der Mechaniker eine Pistole auf ihn gerichtet hatte, war für Jack eine Tatsache, an der es nichts zu rütteln gab. Unter der glühenden Asche jedoch schien sich die verdammte Knarre in Luft aufgelöst zu haben. Getreu Wilsons Befehl – und auch, weil kein Cop es gerne sieht, wenn ein Kollege der Lüge überführt wird – durchkämmte eines der besten Teams aus San Francisco mehrere Stunden lang gewissenhaft Schutt und Asche. Zu ihrer Enttäuschung fanden die Männer nichts als eine Handvoll benutzter Kondome, ein verrostetes Klappmesser, diverse Einzelteile von Motorrädern und einen Unterschlupf für Feldmäuse. Keine Pistole, keine Kugel. Nichts dergleichen! Nicht den geringsten Fetzen eines Beweisstückes, das Cates’ Aussage gestützt hätte. Wilson verbarg seine Schadenfreude kaum und verschwendete keine Zeit. Er präsentierte den Fall sofort dem zuständigen Ausschuß – dem Police Review Board. Die Mitglieder dieses Ausschusses brauchten nur ein paar Tage, um die Akte Cates zu prüfen, dann luden sie die Betroffenen zu einer Vernehmung in die Polizeizentrale vor. Ausnahmsweise tat Cates einmal das, was ihm geheißen worden war, und brachte seinen Rechtsanwalt Harry Bryant mit. Natürlich war Wilson auch erschienen, flankiert von seinem sehr jungen Assistenten, der die ganze Sitzung über angestrengt mitschrieb. Kehoe, Cruise und eine Reihe weiterer Kriminalbeamter, die an der Rennstrecke gewesen waren, hielten sich ebenfalls bereit, um auszusagen und Cates moralischen Beistand zu geben. Kehoe und mehr noch Cruise taten alles, um ihren Zeugenaussagen eine für Cates vorteilhafte Tendenz zu verleihen. Aber die sechs Mitglieder des Ausschusses stellten schwierige und gezielte Fragen, die Rechtsanwalt Bryant bald grimmig ausschauen ließen. Sein Klient strahlte tief
empfundene Wut aus. Als er hörte, was Wilson an jenem Morgen an der Rennbahn gesehen haben wollte, verengten sich seine grünen Augen zu Schlitzen; er preßte seine dünnen Lippen fest aufeinander, als fürchte er sich selbst vor dem, was er aussprechen könnte, wenn er nur erst einmal den Mund aufmachen würde. Er konnte sich zum Schweigen zwingen, aber die Körpersprache entzog sich seiner Kontrolle. Ständig verlagerte er sein Gewicht, krümmte und drehte sich, bis Bryant ihm ins Ohr zischte, ob er denn nicht einmal für fünf Minuten still sitzen könne. »Ficken Sie sich ins Knie«, brummte Jack sotto voce. Aber dann hielt er seinen Hintern doch ruhig und beschränkte sich darauf, eine finstere Miene zu dem bösen Spiel zu machen. Am Nachmittag wurde die Sitzung kurz unterbrochen. Die Pause war viel zu kurz, um eine wohlüberlegte Entscheidung zu treffen. Die Ausschußmitglieder saßen schon an der Stirnseite des Raumes, als die anderen Teilnehmer zurückkehrten und wieder ihre Plätze einnahmen. Der Vorsitzende, ein echter Gentleman mit schlohweißem Haar, räusperte sich kurz und streckte sich. Er machte den Eindruck eines Mannes, der schon so lange keine Polizeistation mehr von innen gesehen hat, daß er keine Ahnung mehr haben konnte, was einen guten Cop auszeichnet. »Die Sache Erschießung des Verdächtigen Arthur Brooks aus San Francisco, in die ein Polizist verwickelt ist!« sprach der Vorsitzende die Geladenen an, wobei er Cates’ Blick auswich. »Der Ausschuß hat das Beweismaterial und die Zeugenaussagen sorgfältig geprüft und entschieden, daß Inspector Jack Cates keinen hinreichenden Grund hatte, auf den Mann zu schießen. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte des Inspectors und der noch weiterlaufenden Nachforschungen der Abteilung für Interne Angelegenheiten
sieht der Ausschuß keine andere Möglichkeit, als zu entscheiden, daß der Inspector einen Fehler begangen hat.« Das struppige blonde Haar fiel ihm über ein Auge, als Jack Cates in ungläubigem Staunen den Kopf schüttelte. Sein Mund formte ein Wort, ohne es auszusprechen: Hurensohn! Als Rechtsanwalt Bryant nach seinem Arm griff, um ihn zu trösten, zog Cates blitzschnell die Hand zurück, denn er konnte jetzt kein Mitleid gebrauchen. Ein empörtes Stimmengewirr füllte den Saal. Frank Cruise schlug mit der Faust auf den Holztisch und fragte Kehoe, der neben ihm saß, warum in aller Welt Wilson mit Jack Cates so übel herumspringe. »Er haßt ihn. Schon seit Jahren«, klärte Kehoe ihn auf. »Jack hat sich einmal in einer Nacht vollaufen lassen und dann Wilson direkt ins Gesicht gesagt, daß er und seine ganze Abteilung ein unbedeutendes Häufchen seien.« »Jack hat verdammt recht! Bullen sollen nicht gegenseitig ihre Arbeit sabotieren. Wir sollten all diesen Typen der Internen Angelegenheiten mal einen Schuß vor den Bug geben. Wir sollten jedem einzelnen die Kniescheibe zerschießen.« Bryant fing schon an, seine Papiere in die Aktentasche zu stopfen. »Ich hätte nicht gedacht, daß man Sie so hart angeht«, sagte er seinem Klienten. In diesem Augenblick machte auch Wilson auf seinem Weg zur Tür vor Cates’ Tisch halt. »Nun, Jack, tut mir aufrichtig leid«, entschuldigte er sich, »aber ich fürchte, ich muß nun dem Staatsanwalt empfehlen, den Totschlag strafrechtlich zu verfolgen. Hätte man doch nur eine Pistole gefunden. Sorry, Jack, aber ich tue nur meine Pflicht. Viel Glück.« Cates’ Augen funkelten wütend, als Wilson sich eilig entfernte, aber er verkniff sich jede Bemerkung. Er ignorierte die ringsum angebrachten RAUCHEN-UNTERSAGT-Schilder und zündete sich eine Zigarette an.
»Wilson hat das Persönlichkeitsbild eines Cops entworfen, der von einer Obsession getrieben wird und der schon in der Vergangenheit immer wieder über die Stränge geschlagen hat«, sagte Bryant und versuchte, sich den Zigarettenqualm vom Halse zu halten. »Es sieht sehr danach aus, daß der I.A.D. vorschlagen wird, dich auf höchster Ebene strafrechtlich zu verfolgen.« »Mit anderen Worten«, sagte Kehoe, der auch seinen Beitrag leisten wollte, »du steckst voll in der Scheiße, Jack.« »Es sei denn, ich finde den Eismann«, erwiderte Jack trotzig. »Komm, Jack! Hör damit auf«, drängte Kehoe, »damit hast du dich doch erst in diese Lage gebracht…« »Du klingst schon haarscharf wie Wilson, Ben!« Cates starrte Kehoe ungläubig an. »Verdammt noch mal, willst du, daß ich diesen Kerl vergesse? Oder denkst du, ich wäre reif für die Klapse?« Sein Stuhl scheuerte sich an dem Fußboden, als Cates ruckartig aufstand. Er griff sich seinen Regenmantel und stürmte wortlos aus dem Saal. Kehoe rannte hinterher. »He, ich bin doch auf deiner Seite. Ich will dir doch nur helfen«, rief er erregt und versuchte, mit Cates Schritt zu halten. »Wir müssen doch von den Fakten ausgehen. Du hast keine Knarre gefunden, das Department auch nicht… das ist Totschlag! Paß auf dich auf!« Seine Worte hallten dumpf nach, als er Jack nachsetzte, die Spiraltreppe hinunter. Aber sie fielen auf taube Ohren. Während er mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal nahm, hörte Jack nur auf seine innere Stimme. Es war ihm völlig gleichgültig, was der Polizeiapparat herausgefunden hatte oder nicht. Sollte sich das ganze Department zehnmal selbst in die Luft jagen! Hatte es ihn doch schließlich auch reingelegt! Jack hatte seine ganz persönlichen Fakten. Und die würden ihn schnurstracks zum Eismann führen.
4
»Du mußt ein äußerst gemeingefährlicher Sträfling sein«, schrie Cates. Er stand mitten auf einem Übungsplatz, der die Größe eines Fußballfeldes hatte, nicht überdacht, aber von meterhohen Mauern umsäumt. Das Gelände war so gut wie leer, nur am anderen Ende des Platzes rührte sich etwas. Vier Wärter hatten sich auf die Ecken des Basketballfeldes verteilt und richteten ihre Schrotflinten auf den einsamen Häftling, der von der Spielfeldgrenze aus einen Korb nach dem anderen erzielte. Cates’ Stimme donnerte genau in dem Augenblick quer über den Platz, als der Gefangene wieder auf den Korb zielte. Der rote Ball stieg auf wie eine Kerze, sank leicht herab, als er auf den Korb zusegelte, und tanzte endlose Augenblicke lang auf dem Rand, bis er schwer gegen die Rückwand prallte und ins Feld zurücksprang. Reggie Hammond schüttelte angewidert mit dem Kopf, als er sich umdrehte, um Cates’ Gruß zu erwidern. »Sieh, was du angerichtet hast, Bulle! Wegen dir hab’ ich danebengelangt«, sagte er und bückte sich nach dem Ball. Er dribbelte elegant über den ganzen Platz, wobei die eigentliche Schwierigkeit dieser Übung darin bestand, nicht in der Taubenscheiße auszurutschen, mit der der Boden übersät war. Als er auf Spuckweite an Jack Cates herangekommen war, grüßte dieser ihn nochmals überschwenglich: »Mensch, Reggie, gut schaust du aus!« Reggie ließ den Ball fallen, stemmte die Hände in die Taille und musterte den Cop mit unverhohlenem Mißtrauen. Es war nicht Cates’ Art, unentgeltlich Komplimente zu verteilen. Und
sonst schien er sich nicht sehr verändert zu haben. Seine Stimme klang immer noch, als würde er jeden Morgen mit Kieselsteinen gurgeln, und bei seiner Tweedjacke schien es sich um einen Restposten aus den Beständen der Heilsarmee zu handeln. Und er hatte immer noch verdammt gute Nerven, daß er jetzt, da Reggie kurz vor der Entlassung war, auf einen kurzen Besuch hereinkam. »Das ist das erste Mal in fünf Jahren, daß du deinen müden Hintern hierherbewegst.« Damit erinnerte Reggie den Cop an ihre letzte Begegnung, als Reggie noch im Gefängnis von San Quentin gesessen hatte. Damals war Cates gekommen, um Reggie um Hilfe zu bitten. Es ging darum, zwei Typen zur Strecke zu bringen, die Kumpels von Jack ermordet hatten. »Dein Bier!« hatte Reggie damals gesagt, fest davon überzeugt, daß ihn diese Angelegenheit überhaupt nichts anging – bis Cates eine Bemerkung fallen ließ, daß Albert Ganz aus dem Knast ausgebrochen war. Mit einem Schlag war es Reggies Angelegenheit geworden. Er und Ganz hatten kurze Zeit bei der gleichen Gang mitgemacht. Bei einem bewaffneten Überfall waren die beiden und noch einige ihrer Kumpanen zufällig an einem Drogendeal geraten, das einen Batzen Geld einbrachte – »Geld von der Sorte, das niemand als gestohlen meldet«, so ungefähr erklärte Reggie es Cates. Reggie hatte fast eine halbe Million Dollar abkassiert. Und er war überzeugt gewesen, daß sein Geld sicher war, während er im Knast hockte. Denn Ganz hatte zwei Jahre mehr aufgebrummt bekommen als er. Aber wenn Ganz erst mal draußen war, konnte das Geld leicht in dessen Brieftasche landen. Reggie und Cates hatten damals nur 48 Stunden zusammen verbracht – aber, Mann! Was für 48 Stunden waren das gewesen! Reggie bekam schnell heraus, daß dieser Cop ein übel gelaunter Schluckspecht war, der nicht lange fackelte,
wenn es galt, hart durchzugreifen. Cates konnte sich wie das allerletzte Arschloch aufführen – aber er war ein Arschloch, das fair blieb. Wenn ihm die Sache wichtig schien, war ›aufgeben‹ ein Fremdwort für ihn. An diesen zwei erinnerungswürdigen Tagen jagten sie Ganz und seinen Kumpel Billy Bear quer durch San Francisco. Und in einer Schießerei, bei der alles oder nichts gespielt wurde, bliesen sie den beiden die Lebenslichter aus. Von diesem Zeitpunkt an hatte Reggie und Cates mürrisch und fast schon widerstrebend sich gegenseitig vertraut und sogar eine gewisse Sympathie füreinander entwickelt. Bei Reggie ging das immerhin so weit, daß er Jack seinen ganzen, frisch erworbenen Reichtum anvertraute. Natürlich hatte er damit gerechnet, daß Jack ihn das eine oder andere Mal im Knast besuchen würde. Aber erst heute sah er ihn wieder – zum ersten Mal, seit Cates ihn zurück nach San Quentin begleitet hatte, am Ende seines Zweitageurlaubs. Reggie war ziemlich sauer auf Cates, und er wollte das diesen Bastard auch wissen lassen. »Ich hab’ mal geglaubt, du wärst mein Freund«, sagte er und ließ den Ball ein paarmal aufspringen. »Nun ja, äh, tut mir leid. Ich hatte immer viel zu tun«, brachte Jack zu seiner Verteidigung hervor. »Ich auch.« »Ja, klar.« Cates grinste. »Wie ich hörte, warst du drauf und dran, einem Typen die Eier abzuschneiden.« Reggie lachte still in sich hinein. »Das wäre mir auch gelungen, wenn das Messer nicht so stumpf gewesen wäre. – Was hast du hier zu suchen, Jack?« Er war noch lange nicht willens, dem Cop zu verzeihen. »Da muß dich ja was schwer bedrücken, nachdem du so lange mit deinem Besuch warten konntest. Bist ja sogar beim Friseur gewesen.«
»Die Zeiten ändern sich«, sagte Cates und nuckelte heftig an seiner Zigarette. »Hast ein paar Pfund abgenommen.« »Ich hab’ das Trinken gesteckt.« »Also, was willst du?« Was für ein Spiel Cates da auch immer mit ihm spielte – Reggie hatte die Nase voll davon. »Haben sie dich hergeschickt, um mir beizubringen, daß man mir wieder die Haftzeit aufgestockt hat?« »Reg dich ab«, murrte Cates. Gut, er hatte Hainmond nicht besucht. Aber es ging doch um ihr großes Geschäft – nicht darum, daß sie wie echte Freunde zueinander standen. – Irgendwie nahm dieses Gespräch eine andere Wendung, als er es sich vorgestellt hatte. »Nein, du kommst nach wie vor morgen raus«, versicherte er Hammond. »Aber wenn du draußen bist, werden du und ich einen anderen kleinen Job…« Reggie schüttelte schon den Kopf, bevor Cates ausgeredet hatte. »Es gibt nichts, was wir zusammen erledigen müßten, wenn ich aus dem Knast komme. Ich habe einmal die Drecksarbeit für dich gemacht, und was ich davon hatte, war Zoff hoch drei. Alles, was du zu tun hast, ist, mir mein Geld zurückzugeben. Und anschließend mache ich mich vom Acker. Ich verlasse die Stadt. Ich verschwinde!« Er starrte Cates trotzig-herausfordernd an, aber der zeigte sich nicht im geringsten von dieser Ansprache beeindruckt. »Du irrst dich, Reggie«, sagte er, und alle Wärme war mit einem Schlag aus seiner Stimme gewichen. »Entweder hilfst du mir aus dieser Sache heraus, oder du siehst dein Geld nicht wieder.« Ein anderer an Reggies Platz hätte sich womöglich von dieser Drohung einschüchtern lassen. Aber nicht Reggie Hammond. Er wußte, wie hart Cates sein konnte, aber wenn es darauf ankam, würde Reggie ihm in puncto Härte nichts nachstehen.
»Ich habe dir den Schotter gegeben, damit du ihn sicher aufbewahrst. Du hast gesagt, das Geld wartet auf mich. Nun willst du mir erzählen, daß du es mir nicht zurückgibst?« fragte Reggie scharf. »Ins Schwarze getroffen, Schwager!« Cates sagte das mit dem Überschwang eines Showmasters, der einem Kandidaten die höchste Punktzahl zubilligt. Die Wut, die sich in fünf langen Jahren angestaut hatte, brach explosionsartig aus Reggie heraus. In einer einzigen fließenden Bewegung holte er aus und schleuderte Jack den Ball ins Gesicht, genauer: direkt vor den Mund. Der Cop stolperte zurück und kämpfte schwer, nicht die Balance zu verlieren. Reggie wußte die Gunst dieses Augenblicks zu nutzen und jagte Cates mit der Rechten einen scharfen Aufwärtshaken in die Eingeweide, daß ihm die Luft wegblieb. Jack überschlug sich zweimal und schrie vor Schmerz auf. Die Wärter kamen herbeigestürzt und packten den Häftling, preßten ihm seine Arme auf den Rücken. Jack richtete sich schwerfällig wieder auf und warf dem Häftling einen feindseligen Blick zu. Reggie wußte, daß er wegen dieser Sache jetzt wieder ins Loch gesteckt würde, aber er bereute es nicht. Er hatte fünf Jahre darauf gewartet, es Cates gründlich zu zeigen. Aber zu seiner nicht geringen Überraschung rief Cates den Wärtern zu, sie sollten ihn laufen lassen! Dann prüfte der Cop, ob seine Zähne noch halbwegs vollständig waren. »Diese kleine Gefälligkeit gebe ich dir als Vorschuß«, rief er Reggie im Weggehen über die Schulter zurück. »Der Vorschuß auf einen großen Scheißhaufen, was?!« Und dann, als wäre er plötzlich zur Besinnung gekommen, rief er dem Davonziehenden hinterher: »Wo gehst du hin, Cates? Komm zurück!«
Der Cop zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an und ging weiter seines Weges. »Ich komme morgen raus, Cates! Ich habe fünf Jahre auf dieses verdammte Geld gewartet! Ich will es haben, Cates!« Verzweiflung schwang in Reggies Stimme mit, die Cates immer noch hörte, als der Wärter die Tür zum Hauptausgang aufschloß. »Cates! Cates!« An den Umständen gemessen, war ihr erstes Wiedersehen nach langer Zeit ganz passabel gelaufen. Jack Cates würde ruhig schlafen in dieser Nacht, denn er hatte Reggie Hammond genau dort, wo er ihn haben wollte. Hickok, Price und Cherry donnerten durch San Francisco, als würde die Stadt ihnen allein gehören; sie fuhren geradewegs zum Barnstormer’s, einer heruntergekommenen Bar im Geschäftsviertel, südlich vom Markt und in der Nähe des Embarcadero. Nachts bebten hier die Wände vom pulsierenden Rhythmus der Rockmusik, die so laut war, daß die Gäste sich nicht einmal denken hören konnten. Aber so früh am Tag war das Lokal leer bis auf ein paar Arbeiter, die sich hier ordentlich abfüllen mußten, damit sie bis zum Mittagessen durchhielten. Die Wirtin, Terry, war Mitte Zwanzig und eine hübsche Frau mit blond gebleichtem Haar. Sie haßte die Arbeit auf diesem Schichtarbeiter-Friedhof, denn die traurigen Trinker, die ihre Verzweiflung über ihre ausgebüchsten Weiber und verlorenen Jobs in Bier und Schnaps versenkten, gaben bekanntlich nur lausige Trinkgelder. Als die drei äußerst abgebrüht wirkenden und in Wolken von Straßenstaub gehüllten Typen zur Tür hereinschneiten, setzte sie daher ihr freundlichstes Lächeln auf. »‘ne Flasche Tequila!« Price hielt ihr einen Zwanziger unter die Nase. Als nächster war Hickok an der Reihe. »Whisky!« verlangte er und taxierte Terry durch seine dunkelgetönten Brillengläser. »Und?« fragte sie.
»Und schütten Sie’s in ein Glas.« Er grinste und gab Cherry einen Knuff in die Rippen. »Reizend«, sagte Terry und ließ ihr Kaugummi platzen. Price arbeitete sich zum anderen Ende des Tresens vor, wo Burroughs auf ihn wartete. »Mr. Price«, sagte Burroughs ruhig. »Tequila gefällig?« Price hielt die Flasche hoch. Burroughs beobachtete schweigsam, wie der andere ihm das Glas großzügig füllte. Dann nahm er einen tiefen Schluck, der ihm nach dem Fiasko an der Rennbahn gut die Kehle hinunterlief, und platzte mit der schlechten Nachricht heraus: »Der Eismann ist beunruhigt. Nach dem, was Sie da in der Wüste angerichtet haben, möchte er gerne wissen, ob Ihre Jungs es nun noch schaffen, den Auftrag auszuführen.« »Kein Grund zur Sorge.« Price füllte beide Gläser noch einmal randvoll. Mit einer solchen Botschaft hatte er gerechnet, und er hatte auch eine Botschaft für Burroughs’ Boß vorbereitet. »Wenn die beiden Jungs da drüben auf einen Typen angesetzt werden, stirbt der Typ auch.« »Oh, echte Profis! Die kommen nicht aus meiner Ecke, was?« Burroughs schnitt eine verächtliche Grimasse. »Profis richten nicht eine solche Scheiße an, wie ihr es getan habt. Hoffentlich haben die beiden nicht schon ihr Pulver verschossen, wenn es an die eigentliche Arbeit geht.« Der Tequila hatte Price soviel Mut eingeflößt, daß er ganz verdrängte, für wen Burroughs arbeitete. »Sie sind zu bedauern«, erklärte er wütend. »Sie wollen ein Outlaw sein und doch nach Regeln spielen. Aber diese Regeln gibt es nicht. Es gibt nur die Bedingungen, die man selbst setzt.« »Sie wollen mich wohl in Ihre Lebensphilosophie einweihen, was?« Ein verächtliches Lächeln umspielte seine Lippen. »Klar! Wir sind die letzten echten Amerikaner, die hier herumlaufen. Darum machen sich die Leute auch schon in die
Hosen, sobald sie uns auch nur von weitem sehen. Denn wir machen das, wozu die anderen zu feige sind. Wir leben so, wie früher alle echten Kerle gelebt haben. Bevor es Großstädte gab und Rechtsverdreher und Computer, die alles erfassen. Ihr… ihr seid doch nur ein Haufen lumpiger Sklaven.« Je näher Price an sein Lieblingsthema gekommen war, desto heftiger und wilder waren seine Gesten geworden. Burroughs hätte ihm gerne in sein häßliches Gesicht geschlagen, sagte aber nur mit höhnischem Lächeln: »Hochinteressant, was Sie da von sich geben, Mr. Price. Äußerst interessant. Vielleicht sollten Sie sich um ein öffentliches Amt bewerben. Ich habe Ihnen nur eins auszurichten: Der Eismann wünscht, daß Sie Vorsichtsmaßnahmen treffen…« Unter dem Tisch zog Burroughs einen kleinen Nylonbeutel hervor und öffnete ihn, so daß Price einen Blick auf den Inhalt werfen konnte. »Wissen Sie, was man mit diesem Stoff anstellen kann?« Nachdem er den Inhalt genauer betrachtet hatte, meinte Price: »Kein Problem, mein Freund.« Er lächelte. Was Burroughs verlangte, war ein Kinderspiel. Er spendierte noch einmal eine Runde Tequila. Dann hob er das Glas zu einem nicht ausgesprochenen Toast auf den – wie er wußte – bald bestens ausgeführten Auftrag. Während Price den aufgebrachten Burroughs ein wenig beruhigte, ließen sich seine Partner hemmungslos vollaufen. Als Price über die Fehlentwicklungen im modernen Amerika dozierte, hatte Cherry gerade sein zweites Glas Whisky geleert. »Nachschub!« ordnete er an und schielte auf Terrys wohlgeformte Brüste, die aus ihrem knappen Oberteil herauszuplatzen drohten. Das dritte Glas stürzte er noch schneller hinunter als die ersten beiden. Er schleckte genüßlich die im Schnauzbart
aufgefangenen Whiskytropfen ab. Dann winkte er die Wirtin näher zu sich heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. »Ich glaube, Sie haben das falsche Mädchen erwischt«, sagte Terry, deren Lächeln mit einem Schlag erfroren war. »Das werde ich nicht tun«, sagte sie und wandte sich von ihm ab. »Komm schon, wo wir gerade mal wieder in der Stadt sind. Ich suche nach einer kleinen Hure, die hier arbeitet«, sagte Cherry, während Hickok das Geplänkel amüsiert verfolgte. »Ach, tatsächlich. Wie heißt sie denn?« fragte Terry, mißtrauisch ihre Brust vorstreckend. »Angel.« »Die arbeitet hier nicht mehr. Angel tanzt drüben im Tenderloin.« »Aber dafür bist du ja da«, stellte Cherry klar. Er lehnte sich über den Tresen und grabschte an ihrem Busen herum. »Wieviel macht’s, die näher zu betrachten?« »Jetzt reicht’s mir aber, Bursche!« Terry kochte vor Wut über und wich zurück. »Was immer du forderst, es ist angemessen und eine billige Nummer«, meinte Cherry und grabschte wieder nach ihr. »Hör sofort damit auf!« rief Terry. Hickok näherte sich von der anderen Seite, so daß das Mädchen hinter dem Tresen zwischen den beiden Männern in einer Falle saß. Mit einer Lüge versuchte sie ihre Angst zu überspielen. »Nun, hör doch mal, ich bin verheiratet.« »Nicht meine Mutter«, meinte Cherry mit rauher Stimme. »Das hat sie niemals davon abhalten können.« Nachdem er lange genug über seinen Mutterwitz gelacht hatte, meinte er schließlich: »Komm! Ich hab’ meinem Freund eine nette Unterhaltung versprochen.« »Nun, dann bums du ihn doch durch«, schnauzte Terry ihn an.
Cherrys whiskyumnebelter Verstand brauchte eine gute Sekunde, um diese Bemerkung zu begreifen. Dann schnellte er mit wutverzerrtem Gesicht auf Terry zu, hielt sie an ihrem knappen Oberteil fest und zog sie zu sich heran. »Laß das!« schrie Terry, »ich rufe die Polizei.« Hickok ließ den Lauf seiner Pistole auf den Tresen knallen. »Nur zu, meine Süße. Hol sie!« Er lächelte sie an, und seine Augen funkelten bösartig drohend. Cherry hatte gerade angefangen, die Situation zu genießen, als plötzlich Price hinzutrat, der die Party beenden wollte, weil er nur das Geschäft im Sinn hatte. »Kommt, Jungs, wir machen uns auf den Weg.« Hickok zuckte mit den Schultern, steckte seine Knarre wieder ein und stieß schließlich ins gleiche Horn wie Price. »Vergeß die Schnepfe da, Cherry.« Aber so leicht wollte Cherry nicht aufgeben. »Ich will sie nur kurz aufreißen…« »Ich habe gesagt, vergiß die Alte!« Hickok explodierte förmlich vor Wut und stieß Cherry kräftig gegen die Schulter. Der wandte sich daraufhin von Terry ab und zerrte Hickok am Hemd, als wollte er den Mann in Stücke reißen. Aber Hickok sah ihn nur kühl von oben herab an, bis Cherrys Wut verrauchte. Und doch: Was sich hier zutrug, war genau das, wovor Price am meisten Angst gehabt hatte. Cherry war ein Narr und ein sturer Bock dazu, der Burroughs in seinem Zweifel an ihren Fähigkeiten nur bestätigte. Und als wollte er die Sache mit aller Gewalt auf den Punkt bringen, wirbelte Cherry herum, fing Burrough’s feindseligen Blick auf und schnauzte ihn an: »Was haben Sie hier eigentlich zu suchen?« »Regt euch ab, Jungs«, rief Price. »Er arbeitet für den Boß.«
Burroughs hatte genug gesehen. Vielleicht waren es die richtigen Leute für diese Arbeit, vielleicht auch nicht. So lange er nicht im Kugelhagel stand, war es ihm schnuppe, wer am Ende von Schrotgeschossen durchsiebt wurde. Er griff nach seinem Regenmantel, und wandte sich mit einem förmlichen Nicken an Price: »Wenn Sie Probleme haben, kommen Sie zu mir. Einfach die Nummer wählen.« Ohne einen Gruß verließ er den Schuppen. Aber Cherry mußte auch diesmal wieder das letzte Wort behalten. Er hob den Arm und streckte den Zeigefinger in Terrys Richtung aus, als würde er eine Pistole anlegen. »Noch mal Schwein gehabt.« Da mußte sie ihm allerdings recht geben.
5
Reggie brauchte nicht viel Zeit, um seine Sachen für die Rückkehr in die Freiheit zu packen. Zurück ließ er eine Zahnbürste, einige Bücher, die er immer und immer wieder gelesen hatte, bis sie auseinandergefallen waren und die Aktfotos aus dem Penthouse, mit denen er die Wände tapeziert hatte. Nur den Walkman, der ihn durch unzählige einsame Tage und Nächte geführt hatte, nahm er mit. Jetzt war er bereit. Er mußte noch eine Weile warten, bis die Wärter eintrafen, um ihn aus dem Zellenblock zu geleiten. »Geh’n wir«, sagte einer von ihnen. Reggie ließ sich nicht zweimal bitten. Freiheit! Seit Jahren hatte er an nichts anderes gedacht, von nichts anderem geträumt. Die Freiheit, die sanfte Haut einer Frau zu spüren, erlesene Weine zu genießen, im Kerzenlicht eines noblen Restaurants Fünfgängemenüs zu zelebrieren, sich einen brandneuen Eintausenddollaranzug maßschneidern zu lassen, die Hände um das Lenkrad eines Porsches zu legen, den Fuß auf das Gaspedal zu setzen und in jede beliebige Himmelsrichtung davonzubrausen. Freiheit war ein Aroma, das man in den verschiedensten Duft- und Geschmacksnoten einsog, und nichts würde ihn davon abbringen, sie bis zum letzten auszukosten. Er wußte das Glück zu schätzen, das nötige Kleingeld zu haben. Nein, korrigierte Reggie sich selbst. Das hatte nichts mit Glück zu tun. Sondern damit, daß er ein gerissener Bursche war, der dann auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgetaucht war. Natürlich, zuerst mußte er sich erst einmal das Geld von Cates zurückbesorgen. Es war ihm völlig gleichgültig, was für
eine angeblich gemeinsam zu erledigende Arbeit der im Sinn hatte. Dieser beknackte Cop hatte ihm nachdrücklich bewiesen, daß er nicht sein Freund war. Cates müßte es selbst am besten wissen, daß er von Reggie keine Gefälligkeiten mehr erwarten konnte. Der Name Reggie Hammond stand jetzt für großes Geld. Er hatte es sich schwer verdient, hatte er sich seinen Hintern doch all die Jahre im Knast wundgesessen. Jetzt, da er in Richtung Freiheit aufbrach, sah er sich ein letztes Mal um. Als er an ihren Zellen vorbeikam, stichelten ihn die anderen Häftlinge und riefen ihm Zynisches zu: »Vergiß nicht zu schreiben!« höhnte einer. »Keine Bange, du bist schneller zurück, als du denken kannst«, prophezeite ein anderer. »Du wirst mir ‘ne ordentliche Bummspartie besorgen, klar!« schrie ein dritter. »Reggie!« Eine Stimme übertönte all die anderen. Das Lächeln verschwand aus Reggies Gesicht, und er blieb wie angewurzelt stehen. Durch die Gitterstäbe starrte ihn Kirkland Smith an, ein grauhaariger, kräftig gebauter Schwarzer mit einem kantigen Kinn und dem Ruf, hart und knauserig zu sein. »Du hast doch dein Versprechen nicht vergessen, Reggie, oder?« donnerte Kirkland los. »Ich würde es nur noch mal gerne aus deinem Mund hören…« Reggie trat näher an Kirklands Zelle heran und sagte in ausnehmend versöhnlichem Ton: »Klar, kein Problem.« Er brauchte keine weiteren Hinweise, sich zu erinnern, daß er bei Kirkland in der Kreide stand. Diese Schulden wollte er so rasch wie möglich begleichen. Sie stammten aus einem Spiel, das Überleben hieß. Und man hatte schlechte Karten, wenn man die Grenzlinie überquerte und sich – aus Kirklands Perspektive betrachtet – auf der falschen Seite wiederfand.
»Dieser große weiße Bulle, der dich gestern besucht hat, wird doch nicht irgend etwas verderben, oder?« fragte Kirkland argwöhnisch. »Nein, bestimmt nicht.« Reggie versuchte den Häftling mit seiner Gelassenheit zu beruhigen. »Ich meine, es könnte vielleicht etwas länger dauern, als ich dachte…« »Ich will keinen Zoff«, unterbrach Kirkland brüsk jeden Erklärungsversuch. »Du bekommst das Geld. Und du hältst Wort. Ich habe dich fünf Jahre lang am Leben gehalten. Und noch was muß ich dir sagen, du Hüpfer. Ich kann dich auch von hier aus kaltmachen. Ich kann dafür sorgen, daß du dir den Hals brichst. Vergiß das nicht!« »He, ich atme zu gern ein und aus, als daß ich es riskieren würde, mein Wort zu brechen. Das ist die Wahrheit.« Mehr zu sagen blieb Reggie keine Zeit mehr, denn die Wärter drängten ihn aus dem Zellenblock hinaus. Als sie ihn an der Maschinenhalle, den Lastwagen-Anlagen und den Abstellgleisen mit den Waggons vorbeiführten – die zusammen das Areal ausmachten, wo die Gefängnisarbeit geleistet wurde – sah sich Reggie ein letztes Mal um und schwor sich, daß er hierhin nie wieder zurückkehren würde. Er hatte seine Lektion gelernt! Keine Gewehre mehr! Keine schlechte Gesellschaft mehr! Und keinen Ärger mehr! Eine halbe Million Dollar waren ihm Grund genug, schon von dieser Minute an keine krummen Dinger mehr zu drehen, damit er nie wieder einen Fuß in ein Gefängnis setzen mußte. Unmittelbar hinter dem Maschinenpark erhob sich das Hauptgebäude, wo man seine Entlassungsunterlagen bearbeitete. Der Aufseher dort erwartete ihn schon; er stand direkt neben einem drahtgeschützten Fenster, hinter dem ein uniformierter Büroangestellter zu sehen war. Über dem Fenster war eine Aufschrift angebracht: Stellen Sie sich bitte auf die Markierung!
Das Herz hüpfte Reggie vor Lachen im Leib, als er nach vorne trat und seinen Fuß akkurat an der gekennzeichneten Stelle aufsetzte. »Hammond, Reggie A.«, sprach der Wärter und reichte Reggies Papiere durch die Fensteröffnung an den Büroschreiber weiter, der immer noch Reggies Habseligkeiten zusammensuchte, die bei seiner Einlieferung beschlagnahmt worden waren. Reggie grinste den Wärter über das ganze Gesicht an. »Kommt, nun macht schon. Ich will es jetzt wirklich hören.« »Was meinen Sie?« fragte der Wärter, der es gar nicht erwarten konnte, Hammond los zu sein. »Die Ansprache, daß ihr mich reinlegt und daß ich bald wieder zurückkomme. Daß ihr meine Zelle schön warm haltet in der Zwischenzeit, und wie viele ihr schon gehen und kommen gesehen habt. Seit sieben Jahren warte ich auf diese Festansprache. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn ich ohne sie verduften würde.« »Ich wollte Ihnen gerade mitteilen, daß Sie hundert Dollar bekommen und ein Busticket für die Fahrt nach San Francisco. Alles mit freundlicher Empfehlung des Bundesstaates Kalifornien«, beschied der Wärter Reggie schroff, überreichte ihm einen weißen Briefumschlag und schüttelte ihm die Hand. Mit fünf Zwanzigdollarscheinen kann ein Mann nicht viel ausrichten, dachte Reggie, nahm das Geld aber dennoch an. Aus Prinzip. Es war ja wohl das mindeste, was der Staat ihm schuldete. Der Schreiber tauchte wieder hinter dem mit einem Netz versehenen Fenster auf. »Hammond, Reggie A. Hier lang«, wies er den Schwarzen an und reichte ihm einen dicken Briefumschlag aus Manilapapier und ein Päckchen, das in braunes Metzgerpapier gewickelt war.
Reggie blies eine dicke Staubschicht von dem Briefumschlag, öffnete ihn und prüfte seinen Inhalt: ein goldener, kantig geschnittener pinkfarbener Ring, eine Rolex-Armbanduhr und eine Brieftasche. »Augenblick mal!« rief er. »Wo ist denn meine James Brown-Kassette abgeblieben? Als ich hier reinkam, hatte ich eine…« »Die steckt da drin«, sagte der Beamte gelangweilt. Reggie langte noch einmal tief in den Briefumschlag und zog die vermißte Kassette hervor. »Na also. Jeder versucht, James Brown im Gefängnis zu halten«, sagte er mit einem boshaften Grinsen. Er war froh, die vertrauten Sachen zurückbekommen zu haben, und nahm sich nun das Paket vor; hastig riß er das Papier auf – seine Zivilklamotten… was für ein knalliges Gewand! Sein Grinsen wurde breiter und breiter, als er den Anzug hochhielt. Reggie Hammond konnte es nicht erwarten, rauszukommen. Er lächelte immer noch, als er in jenem Armani-Anzug, den er auch bei seiner Einlieferung getragen hatte, durch eine Metalltür schlenderte, die zu dem großen zweiflügeligen Haupttor hinführte. Aber als er sah, wer ihn da lässig an die Mauer gelehnt erwartete, wurde das Lächeln augenblicklich von einem äußerst verärgerten Gesichtsausdruck abgelöst. »Ich glaube, wir haben unser Gespräch noch nicht ganz beendet«, sagte Cates und drückte mit der Stiefelspitze den Zigarettenstummel aus. »Geh mir aus dem Licht!« Reggie ging unbeirrt weiter. »Wir haben nichts miteinander zu bereden, bevor ich mein Geld zurückbekommen habe.« »Ich hab’ es dir gestern schon erklärt«, erwiderte Cates ruhig. »Wenn du mir nicht hilfst, siehst du keinen Dollar.«
Jetzt blieb Reggie stehen und zeigte wie ein Ankläger mit dem Finger auf Cates. »Das kann ich kaum glauben. Ich habe dir den Schotter und meinen Porsche anvertraut, weil ich dachte, du wärest ein anständiger Kerl. Was zum Teufel hast du vor?« Jack war froh, endlich ein wenig Interesse bei Reggie geweckt zu haben. »Seit vier Jahren jage ich einen Drogenhändler, den man den Eismann nennt. Letzte Woche habe ich herausbekommen, daß er dich unter der Erde haben will.« Er zog Reggies Foto aus der Tasche und hielt es dem Schwarzen direkt unter die Nase. »Das hab’ ich von einem Typen, der einem anderen Burschen vorab schon mal eine kleine Anzahlung für den Anschlag auf dich übergeben wollte. Jetzt bist du der beste Köder, den ich je hatte.« Reggie starrte den Polizisten an, als habe er den Verstand verloren. Sollte er diese Geschichte schlucken? Natürlich, sofort? Aber dann könnte er auch gleich glauben, daß über die Nacht die Hölle zugefroren sei. »Dir aus der Scheiße zu helfen, während du wie eine Glucke auf meinen Moneten sitzt, ist so ziemlich das letzte, was ich tun würde«, fauchte Hammond. Wie auf ein Stichwort öffnete sich nun das große eiserne Tor, und Reggie ging hinaus – ein freier Mann. Aber Jack Cates wich nicht von seiner Seite. »Ich versuche nur, dich am Leben zu halten, Reggie«, sagte er gekränkt. »Ich habe mich da drinnen fünf Jahre lang ganz gut selber am Leben gehalten und kann auf deine Hilfe verzichten«, gab Reggie zurück. Er hatte die Schnauze gestrichen voll von Jacks Gerede. Er sah die Straße entlang und richtete seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Umgebung. Ein paar Meter rechts von ihm parkte ein schwarzgrauer Bus mit der Aufschrift ›California, Dienststelle für Besserungsanstalten‹. Und während Reggie zum Bus eilte, rief er Cates zu: »Mich fünf Jahre lange im Knast versauern lassen, und dann noch
erwarten, daß ich dir helfe, das ist der absolute Oberhammer, das ist schon mehr – das ist ein Zeichen fortgeschrittener Gehirnverkalkung.« »Paß auf«, schrie Cates, der kaum noch mit Reggie Schritt halten konnte. »Ich habe achtundvierzig Stunden Zeit, um diesen Eismann zu erwischen – oder es ist aus mit mir.« Jack hatte richtig kalkuliert – diese Äußerung machte Reggie wenigstens hellhörig. »Du willst, daß ich noch mal achtundvierzig Stunden mit dir auf Achse gehe? Niemals! Diese Bullenscheiße habe ich einmal mit ausgelöffelt, und es hat mich fast um Kopf und Kragen gebracht.« Reggie schüttelte mit dem Kopf. Es war nicht zu fassen, welchen selbstgefälligen Illusionen sich dieser Cates hingab. »Nein, Reggie, einen Moment noch! Warte!« Cates zerrte Reggie am Arm und zwang ihn, einen Moment stehenzubleiben. »Ehrenwort, diesmal geht’s um was anderes. Ich verliere nicht nur mein Polizeiabzeichen…« Ein schwerer Seufzer verriet das ganze Ausmaß seiner Verzweiflung. »Ich soll in den Knast kommen.« »Oh, hast du dich mit dem Gesetz angelegt?« sagte Reggie höhnisch und zog seinen Arm weg. Allmählich fand er regelrecht Gefallen daran, zu hören, wie Cates der Blues in die Stimme fuhr. »Fein. Ausgezeichnet. Das wiegt ja fast meinen Schmerz darüber auf, daß du auf meinem Geld sitzt. Jetzt bin ich mir ganz sicher, daß ich dir nicht helfen will.« »Ich bin nicht als Bittsteller gekommen…also kehr hier bloß nicht den großen Macker heraus, du Mistkerl!« platzte es aus Cates heraus. Reggie lachte gellend auf. »Was hast du vor? Mir ‘ne Kugel verpassen? Willst du mir hier direkt vor der Anstalt den Garaus machen? Das ist aber nicht sehr schlau, so mit dem besten Köder herumzuspringen, den du je gehabt hast.«
Er atmete tief durch und sog gierig die frische Luft ein. Dann drehte er sich um und warf einen letzten Blick auf die hohen Steinmauern, die das Gefängnis umgaben. Aber sein Ausblick wurde getrübt durch die Verzweiflung, die Cates ins Gesicht geschrieben stand, eine Verzweiflung, die so stark sein mußte, daß selbst ein Mann wie der Cop sie nicht mehr verbergen konnte. »Mach dir keine Sorgen, Jack. In vier oder fünf Jahren komme ich hierhin zurück und statte dir einen Besuch ab«, sagte Reggie munter. Er hüpfte in den Bus, winkte Cates zum Abschied kurz zu und gab dem Busfahrer zu verstehen, daß er abfahren könne. »Ein paar Minuten noch«, sagte der Busfahrer, ein bulliger Typ namens Dick Reilly, der die Uniform der Gefängnisangestellten trug. Reggie warf dem Fahrer einen wütenden Blick zu. »Was sagen Sie da?« »Der Fahrplan. Es dauert noch ein paar Minuten, bis wir abfahren.« »Ich verfüge über meine Zeit, nicht der Staat«, machte Reggie geltend, der es nicht erwarten konnte, in die Zivilisation zurückzukehren. »Schreiben Sie doch eine Beschwerde!« brummte Reilly, der sich nicht von frisch entlassenen Häftlingen herumkommandieren lassen wollte und noch einmal die Uhren verglich. Er machte es sich auf seinem Sitz bequem und schloß die Augen. »Wie Weihnachten!« schrie Cherry, als er Cates durch die Linsen seines Fernglases entdeckte. Er und Hickok saßen rittlings auf ihren Maschinen. Sie waren einen Hügel heraufgefahren, der einen guten Überblick auf die Vorderseite des Gefängniskomplexes gewährte.
Cherry drückte Hickok den Feldstecher in die Hand und meinte: »Dieser Kleiderschrank da in dem blauen Caddy…« Er wartete, bis sein Kumpel das Fernglas auf die entsprechende Stelle gerichtet hatte – »das ist das Arschloch, das meinen Bruder zusammengeschossen hat. Das ist eine einmalige Chance. Ich werde beide auf einen Schlag erledigen.« Hickok ließ das Fernglas sinken und wog zweifelnd seinen Kopf hin und her. »Von einem Bullen hat der Eismann nichts gesagt.« »Dieses Schwein hat meine Familie zugrunde gerichtet.« Cherry nahm das Fernglas wieder an sich und steckte es in den Kasten. Dann rückte er seine Sonnenbrille zurecht. »Ich dachte immer, daß du deinen Bruder nicht ausstehen konntest«, sagte Hickok. »Mann, hier geht’s ums Prinzip!« Cherry hatte einen Tonfall angenommen, als würde er gerade Unterricht in Staatsbürgerkunde erteilen. »Jemand bringt deinen Bruder um, also erwartet man von dir, daß du dich darum in irgendeiner Weise kümmerst.« Hickok nickte. Das leuchtete ihm ein. Die zwei Männer ließen ihre Maschinen aufheulen, drehten einen Kreis und jagten den Hügel hinunter. »Auf geht’s!« brüllte Cherry, und seine Stimme übertönte noch das Knattern der Maschinen und das Rauschen des Windes. Die US 50 sah wie eine graue Schleife aus, die man um die sanft abfallenden Hänge des fruchtbaren Central Valley gewunden hatte. Meistens war hier kaum Verkehr, so daß ein Wagen wie Cates’ himmelblauer Cadillac – ein Cabrio – ziemlich auffiel. Mit seinen riesigen langen Flossen und seinen großzügigen Türfenstern im Stil der fünfziger Jahre war der Cadillac eine schreiende Abwechslung von den Autos und
Lastwagen, die diese zweispurige Fernstraße für gewöhnlich beherrschten. Da kümmerte es niemanden, daß die Karosserie mit Schmutzflecken gestreift, die Windschutzscheibe mit toten Insekten besprenkelt war und daß jede kleine Erschütterung das Auto förmlich erbeben ließ. Vor fünf Jahren, auf der Jagd nach Albert Ganz und Billy Bear, hatte der Cop einen himmelblauen Cadillac in ein spiegelblankes Glasfenster gesteuert. Totalschaden! Jack hatte ein halbes Jahr gebraucht, bis er den Zwillingsbruder dieses Modells gefunden hatte. Und dieser hübsche Schlitten hatte Cates’ Herz mehr gefesselt, als eine Frau es jemals vermocht hätte. Für ihn gab es nur wenige Dinge im Leben, die sich mit dem Vergnügen messen konnten, mit offenem Verdeck eine leere Autobahn entlangzubrausen und sich den Wind durch die Haare fahren zu lassen. Geschwindigkeitsbeschränkungen waren in Jacks Augen dazu da, übertreten zu werden, und in diesem Stil hatte er den Gefängnisbus abgehängt. Sein Magen knurrte, daher beschloß Jack, sich schnell einen Happen in dem Restaurant zu genehmigen, das direkt vor ihm auf der rechten Seite ins Blickfeld kam. Er fuhr von der Autobahn hinunter, stieg kräftig auf die Bremsen und wirbelte eine Staubwolke auf, die ihn noch begleitete, als er die Tür zum Restaurant aufstieß. Drinnen war es sauber, die Einrichtung freundlich anheimelnd – auf den Tischen Kerzenhalter aus Messing, chinesisches Porzellan und vor den Fenstern Gardinen mit durchbrochenem Muster. Obwohl das Niveau eine Klasse über den Imbißstuben mit fettigem Besteck lag, in denen Cates gewöhnlich einkehrte, verschwendete er kaum einen Blick auf die Inneneinrichtung. Er nahm an der Theke Platz, breitete einen Haufen Akten aus, die mit der Aufschrift ›Eigentum der Polizei von San
Francisco‹ versehen waren, und setzte sich die Lesebrille auf, um sich ein Menü auszuwählen. Es sollte ein Arbeitsfrühstück werden. Eine schwergewichtige Serviererin breitete vor ihm eine Tischdecke aus und fragte mit gezücktem Schreibblock: »Was kann ich für Sie an diesem Morgen tun, mein Herr?« »Haben Sie noch ein bißchen Essen übrigbehalten?« stichelte er. »Reichlich«, antwortete die Serviererin, die dergleichen schon oft genug gehört hatte. »Bringen Sie mir ein Corned-beef mit drei weich gekochten Eiern, einem harten Brötchen, Kaffee und ein Stück Schinken.« Mit einem Nicken wandte sich die Kellnerin ab, um sich in Richtung Küche zu entfernen. »Ich bin noch nicht fertig«, mäkelte Cates. »Ich hätte auch gern einen Kurzen und weiche Brötchen mit Fleischsauce.« »Ein paar Sachen auf der Rückseite unserer Speisekarte haben Sie ausgelassen«, merkte die Kellnerin scherzhaft an und goß ihm Kaffee ein. Jack ließ sich nicht mehr zu einer Antwort herab. Er hatte seine Nase schon tief in den obersten Aktenordner gesteckt und stürzte gedankenverloren den zu süßen Kaffee hinunter. Eine Minute später sah er auf, gerade noch rechtzeitig, um den Gefängnisbus vorbeidonnern zu sehen. Aber die beiden Motorradfahrer ziemlich dicht hinter dem Bus bemerkte er schon nicht mehr. Und so entging ihm auch, daß sie von der Straße fuhren, abbremsten und ihre Maschinen unmittelbar neben dem Cadillac abstellten. Völlig in die Lektüre versunken, nahm Cates nur langsam das kurze Klopfen und Pochen wahr, das nun laut wurde. Er schwenkte schnell herum auf seinem Stuhl und lugte über den Rand seiner Lesebrille. Er sah einen ihm vage bekannten Mann
an das Fenster klopfen, offensichtlich in der Absicht, Cates auf sich aufmerksam zu machen. Nach dem äußeren Aufzug mußte es ein Motorradfahrer sein. Die Augen des Mannes waren hinter einer Rundumbrille verborgen, aber er lächelte freundlich und winkte mit der rechten Hand. Cates überlegte immer noch, woher er den Mann kannte, als dieser plötzlich die rechte Hand hob. Eine chromglänzende .44er Magnum kam zum Vorschein, und sie war direkt auf Jacks Köpf gerichtet. Cates langte sofort nach der Pistole in seiner Jackentasche. Aber er hatte eine tödliche Sekunde Rückstand gegenüber Cherry, der noch einmal genau zielte und acht Kugeln durch die Fensterscheibe abfeuerte. Cates duckte sich, aber jede seiner Bewegungen kam diese eine Sekunde zu spät. Er jaulte vor Schock und Schmerz, als sich sechs Kugeln in seine Brust bohrten und ihn mit dem Rücken zuerst über die Theke katapultierten. Er fiel zu Boden, japste nach Luft, und zwei weitere Kugeln schlugen in der Spiegelwand hinter dem Tresen ein. Die Kellnerin, die gerade aus der Küche herauskam, schrie entsetzt auf, als das zersprungene Glas in der von Pulverrauch dicken Luft in alle Richtungen auseinanderbarst. Ihr Tablett mit dem Menü segelte durch die Luft, und sie sackte in panischem Kreischen zusammen. Cherry betrachtete sich fröhlich den Schaden, den er diesem Restaurant in zwei kurzen Minuten zugefügt hatte. Er war befriedigt, daß er seine Pflicht erfüllt hatte, den Tod seines Bruders zu rächen. Und er winkte noch einmal durchs Fenster. Bye, du mieser Schweinehund! Dann lenkte er seine Schritte zur Straße, wo Hickok auf ihn wartete. Er ersetzte das leere Magazin in seiner .44er Automatik durch ein volles. Dann gab er Hickok ein Zeichen, daß er zur Weiterfahrt bereit war. Es wurde Zeit, sich einen Batzen Geld zu verdienen. Auf ihren
Harley-Davidson-Maschinen donnerten sie zurück auf die Hauptstraße, um die Jagd auf Reggie Hammond fortzusetzen. Aber Cherry hatte seinen Gegner unterschätzt. Jack Cates lag am Boden, aber er war noch lange nicht tot. Während die hysterische Kellnerin hilflos vor sich hin starrte, ein Monument des puren Entsetzens, versuchte Jack, sich halb aufzurichten. Schwer verletzt und benommen, sammelte er seine letzten Kraftreserven und lenkte sie auf den sturen Vorsatz, um jeden Preis am Leben zu bleiben. Ein Gedanke hielt ihn wach: Er mußte an seine Waffe herankommen, für den Fall, daß der Rocker zurückkam. Seine Bewegungen gehorchten nur noch einem animalischen Instinkt, der ganz auf Überleben ausgerichtet war. Das Blut schoß sturzbachartig unter seinem Hemd hervor, während er, Zentimeter um Zentimeter, auf seine Pistole zurobbte. Schon einmal war Cates angeschossen worden, aber die Schmerzen, die er jetzt durchlitt, waren anders als alles, was er je mitgemacht hatte. Es war ein stechender und durchdringender Schmerz, der ihn so sehr auffraß, daß er kaum mehr atmen konnte. Er krabbelte langsam über den Boden, mit einem Gefühl, als würde er gegen einen dicken weißen Nebel ankämpfen, der ihn jeden Moment ganz aufzuschlucken drohte. Bis seine Hand endlich den kalten Stahl der Pistole berührte, hatte er nahezu alle seine übriggebliebenen Kräfte verbraucht. Der Nebel rollte schnell und in dicken Schwaden auf ihn zu, als seine zitternden Finger langsam den Griff umfaßten. Er versuchte aufzustehen, aber er konnte seine Bewegungen nicht mehr kontrollieren und stürzte wieder zu Boden. Die Kellnerin stolperte auf ihn zu, um ihn zu stützen, aber es war zu spät. Jack hatte schon das Bewußtsein verloren.
6
Obwohl er noch nicht dort war, wohin er wollte, fühlte sich Reggie schon pudelwohl. Durch die abgasverschmutzten Busfenster starrte er auf das saftig grüne, sich im Wind wiegende Gras und mußte an eine frühere Freundin denken, die immer so frisch wie der Sommer gerochen hatte. Vielleicht würde er diese Freundschaft in den nächsten Tagen noch einmal auffrischen. Sicher, es war schon eine Weile her… Zu seiner Rechten, in dem vogelkäfigartigen Stück hinter dem Fahrersitz, saßen Gefangene, denen man Handschellen angelegt hatte und die sich nun lauthals über das Fehlen einer Lüftung beklagten. Von dem Augenblick an, da sie eingestiegen waren, hatten sie in einer Weise genörgelt und gemeckert, daß Reggie es nun nicht mehr ertragen konnte. Er holte seinen Walkman hervor, legte die Kopfhörer an und drückte die Play-Taste. Und schon hörte er James Browns unvergleichliche Stimme: »Ow! I got the feeling, baby!…« Reggie stimmte sofort in den Refrain ein, und mit jeder Note paßte er sich dem Original mehr an. Die beiden Häftlinge versuchten, ihn zum Schweigen zu bringen, indem sie mit ihren Handschellen in seine Richtung klapperten. Und der Fahrer versuchte sich Reggies Sprechgesang zu entziehen, indem er sich ganz auf die Straße konzentrierte. Durch den Seitenspiegel sah Reilly zwei Motorradfahrer von einer Zufahrt auf die Hauptstraße einbiegen. Der Bus kletterte nun einen Hügel hinauf, und Reilly schaltete vom zweiten in den ersten Gang zurück. Hinter
ihm senkte sich die Straße, und mit ihr schienen auch die zwei Maschinen verschwunden zu sein. Eine halbe Meile weiter warf er wieder einen Blick in den Seitenspiegel und konnte die beiden Motorradfahrer nicht mehr finden. Er blinzelte, kniff die Augen halb zu und sah noch einmal hin – nichts. Er war sich ganz sicher, daß er ein paar Minuten davor zwei Typen gesehen hatte, die die typische schwarze Lederkluft wilder Motorradgangs trugen. Konnte es bloße Einbildung gewesen sein? Kaum, sagte er sich. Vermutlich hatten sie es sich einfach anders überlegt und waren umgedreht. Oder aber sie waren gestürzt, während er angestrengt nach vorne gestarrt hatte. Aber in Wahrheit hatte Reilly die Verfolger keinesfalls verloren. Cherry und Hickok erlaubten sich nur einen kleinen Spaß mit ihm. Sie fuhren so dicht auf die rechte Busseite auf, daß sie weder im Rück- noch im Seitenspiegel zu sehen waren. Aber nun wurde es Zeit, Ernst zu machen. Hickok beschleunigte plötzlich und setzte auf die Gegenfahrbahn über. Er fuhr parallel zum Bus, und während er langsam zur Busspitze aufschloß, reckte er sich fast den Hals aus, um jedes einzelne Fenster zu überprüfen. Wo zum Teufel steckte Hammond? Er beschleunigte noch einmal, immer noch auf der Gegenfahrbahn, und um ein Haar wäre er mit einem Wohnwagen kollidiert, in dem ein Rentnerpärchen saß, das seine Enkel in Berkely besuchen wollte. Der Wohnwagen brach zur Seite aus und verfehlte den Bus nur um Haaresbreite. »Dieser Vollidiot!« verfluchte Reilly den Motorradfahrer, aber schon hatte sich eine zweite Harley Davidson direkt vor den Bus gesetzt. Reilly drückte ausdauernd auf die Hupe, als die beiden die Geschwindigkeit drosselten, Schlangenlinien fuhren und die ganze Fahrbahn versperrten.
»Blödmänner!« schrie Reilly, der immer noch angestrengt hupte. Dieses Hupen war Musik in Hickoks Ohren. Es bestätigte ihm nur, was er immer schon gewußt hatte – auf den Straßen war er der König. Er schrie seine Lust an dieser Hetzjagd heraus und scherte plötzlich nach rechts aus, drosselte die Geschwindigkeit, ließ den Bus an sich vorbei, so daß er die Fenster der rechten Busseite inspizieren konnte. Er war schon fast ganz am Ende des Busses angelangt, als er endlich fand, was er suchte. Baby-baby-baby-baby-baby-ow! sang Reggie im Chor mit James Brown. Er ging so sehr mit diesem Lied mit, daß es einige Sekunden dauerte, bis er endlich den Motorradfahrer bemerkte, der Seite an Seite mit ihm durch die Landschaft brauste. Ihre Augen trafen sich. Hickok lächelte und winkte Reggie mit einer Hand zu, als würde er einen alten Freund grüßen. Reggie lächelte erst einmal versuchsweise zurück. Was war das für ein Geck, der so tat, als würden sie sich kennen? Im Knast hatte es haufenweise Motorradfreaks gegeben. Aber die hatten die gewöhnlichen Knastis nicht besonders gemocht, und umgekehrt hatte er ebenfalls zu diesen Rockern ebenfalls Distanz gewahrt. Während Hickok mit einer Hand die Lenkstange fest umklammerte, langte er mit der anderen in den zusammengerollten Schlafsack hinter seinem Rücken. Zum Vorschein kam eine Pistole. Hickok zielte direkt auf Reggies Augen und betete für einen Blattschuß. Er drückte den Abzug… Ohrenzerfetzender Lärm. Die Kugel krachte durch das Glas und pfiff durch den leeren Raum, der sich nun da auftat, wo eine knappe
Tausendstelsekunde vorher Reggies Kopf zu sehen gewesen war. »Nach unten! Auf den Boden!« schrie Reilly. Reggie war dieser Empfehlung schon zuvorgekommen. Dieser Hurensohn da draußen benutzte doch tatsächlich eine richtige Waffe. Und Reggie hatte immer schon einen gesunden Respekt vor Automatik-Pistolen empfunden, zumal wenn sie direkt auf sein Gesicht angelegt wurden. Während die Häftlinge mit den Handschellen panikartig aufschrien, Reilly ordentlich Gas gab, kroch Reggie auf allen vieren den Mittelgang entlang, um dem Sperrfeuer zu entgehen. Aber Hickok blieb immer auf gleicher Höhe mit ihm und durchsiebte systematisch ein Fenster nach dem anderen. In einem verzweifelten Versuch, den Motorradfahrern zu entgehen, schwenkte Reilly auf die Gegenfahrbahn über und verfehlte nur knapp einen Lieferwagen. Er fuhr im Zickzackkurs wieder auf seine angestammte Fahrbahn zurück und schrie wie außer sich in sein Funkgerät hinein: »Kommen Sie, CHP Central 21-20, hier Dick Reilly im FolsomGefängniswagen, Nummer sechs. Ich fahre die US 40 in Richtung Westen. Werde von Motorradfahrern angegriffen! Sie sind bewaffnet und nehmen den Bus unter Beschuß. Schicken Sie mir schnell Unterstützung! Ich brauche Hilfe!« Reilly versuchte weiter, rechts zu bleiben. Plötzlich weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. Der zweite Motorradfahrer, direkt vor dem Bus, hatte sich in seinem Sattel aufgerichtet und brachte ein Gewehr in Anschlag. Anders als kurz zuvor Reggie blieb Reilly keine Zeit mehr, sich zu ducken. Cherry feuerte seine .44er Magnum einmal ab… dann ein zweites Mal. Die erste Kugel erwischte Reilly am Hals und durchtrennte die Schlagader. Er prallte von dem Drahtgitter hinter seinem
Sitz ab, und die zweite Kugel traf die Stirn und bohrte sich durch sein Gehirn. Er sackte nach vorne und war schon tot, bevor er überhaupt begreifen konnte, wie ihm geschah. Der fahrerlose Bus schlingerte wie ein betrunkener Elefant in bizarren Linien über den Highway. Reggie hielt den Kopf immer unten; halb krabbelte er, halb stolperte er zur Spitze des Busses, wo er den toten Fahrer beiseite stieß. Er bekam das Lenkrad, an dem Blut klebte, zu fassen und drehte es kurz nach rechts. Sofort schoß der Bus in diese Richtung, und mit seiner Schwanzflosse erwischte er Hickok, stieß ihn von der Straße, so daß er in hohem Bogen durch die Luft segelte. Reggie riß das Lenkrad hastig nach links und versuchte so den Bus wieder auf die Fahrbahn zurückzubekommen. Durch die zersprungene Windschutzscheibe warf er einen Blick nach draußen und stieß einen schrillen Schrei aus. Er war im selben Augenblick wieder auf dem Boden, als die Kugeln aus Cherrys .44er Magnum die spärlichen Reste der Fensterscheibe aus dem Rahmen jagten. Der Bus schlingerte quer über beide Fahrbahnen, schaukelte unkontrollierbar hin und her und neigte sich schließlich gefährlich zu einer Seite. Das Übergewicht ließ die beiden rechten Reifen erzittern und schließlich mit einem ohrenbetäubenden Knall zerplatzen. Der Bus holperte wie ein verrücktes Monster über die Straße, dann rollte er seitwärts einem Sattelschlepper in die Quere, der gerade den Hügel heraufkroch. Der Lastwagenfahrer tat alles, was in seiner Macht stand, um dem Bus auszuweichen: Er drehte das Lenkrad herum, trat voll auf die Bremse – aber es war ein aussichtsloser Kampf. Das Lenkerhäuschen krachte in das Heckteil des Busses, der Anhänger klappte wie ein Taschenmesser zusammen, und die Ketten, die seine Fracht – Bewässerungsrohre – festbanden, barsten unter dem Druck des Aufpralls. Ein riesiger Stahlzylinder nach dem anderen fiel
krachend von der Ladefläche herunter und donnerte über die Wiesen zu beiden Seiten der Straße. Völlig verwirrt und durchgeschüttelt versuchte Reggie sich zu befreien. Er lag eingeklemmt hinter dem Metallkäfig, in unmittelbarer Nähe des toten Fahrers. So gut hatte er seinen Verstand noch beieinander, daß ihm klar war, daß die Motorradfahrer wohl nicht dem Sonnenuntergang entgegenfahren würden, ohne ihm vorher den Blattschuß zu verpassen. Und schon bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Durch die in Stücke auseinandergebrochene Vordertür sah er Cherry und seinen Kumpan näherkommen, die Pistolen im Anschlag; ihre Augen gierten förmlich nach Blut. Der Dienstrevolver des Fahrers steckte noch in seinem Gurt. Die Leiche lag nur wenige Zentimeter von Reggie entfernt. Aber solange Reggie noch eingeklemmt war und sich nicht freiwinden könnte, waren diese Zentimeter wie Kilometer. Der Schweiß rann ihm die Wangen herunter, als er sich streckte und dehnte, um an die Waffe heranzukommen. Mit jedem neuen Versuch verfehlten seine Finger knapp ihr Ziel. Vor Schmerz stöhnend, schlängelte er sich auf seinem Bauch voran, streckte seinen Arm so weit aus, wie er gerade noch konnte, und mit einer letzten verzweifelten Anstrengung bekam er den Revolver genau in dem Augenblick zu fassen, als die beiden Motorradfahrer in der Türöffnung erschienen. Reggie schoß zuerst. Die beiden Rocker warfen sich draußen auf den Boden und erwiderten das Feuer. Während ihnen Reggies Kugeln um die Ohren zischten, durchsiebten die beiden Männer den Bus. Einer gegen zwei – es war ein ungleicher Kampf, und Reggie war dicht dran, ihn zu verlieren. Die beiden Männer würden sich bald das Kopfgeld verdienen. Was Reggie davor bewahrte, die Reise in die Ewigkeit anzutreten, war das plötzliche Auftauchen zweier
Polizeiwagen, die mit flackerndem Blaulicht auf das Schlachtfeld zubrausten. »Nichts wie weg hier!« schrie Hickok und stürmte zu seinem Motorrad. Wild entschlossen, seine Arbeit zu Ende zu bringen, gab Cherry noch einen letzten Schuß ab, bevor er sich ebenfalls aus dem Staub machte. Und während die Cops schon auf sie zusteuerten, ließen sie die Kupplung kommen, rissen das Vorderrad hoch, so daß sie jeder nur auf einem Reifen starteten. Dann jagten sie die Straße hinunter.
Der Fernseher war den ganzen Nachmittag über gelaufen. Aber erst bei den Nachrichten wandte Price ihm seine Aufmerksamkeit zu. »Draußen auf der US 50 ist Central Valley der erste Stadtbezirk in unserem Land geworden, der als Opfer eines bewaffneten Überfalls auf der Straße einen Bus- bzw. einen Lastwagenfahrer zu beklagen hat«, verkündete die Fernsehreporterin, die sich live vom Unfallort meldete. Price hatte es sich in dem fensterlosen Raum eines Lagerhauses bequem gemacht, das am Hafenrand von Oakland lag. Jetzt drehte er den Ton des Fernsehers auf. Die Reporterin deutete auf das Chaos hinter ihr: Der Gefängnisbus und der Sattelschlepper waren umgekippt und lagen da wie gestrandete Wale. Helfer besprühten die Fahrzeuge mit chemischem Schaum. Weiter hinten sah man, wie die hinuntergepurzelten Bewässerungsrohre mit Schleppern eingesammelt und von der Straße gezogen wurden. »Die Kollision hatte zwei Schicksalsschläge zur Folge«, fuhr die Reporterin fort. »Der Busfahrer Dick Reilly aus Modesto und Andrew Scotto, ein Gefangener, der nach San Quentin
gebracht werden sollte, starben beide noch am Unfallort. Phil?« Jetzt meldete sich der Moderator zu Wort, der hinter seinem Tisch im Studio saß. »Vielen Dank für diesen Live-Bericht, direkt vom Unfallort, Phyllis«, sagte er, während das Bild von der Karambolage langsam auf die Wand hinter ihm übertragen wurde. »Die Polizei vermutet, daß es sich um einen mißglückten Fluchtversuch der Gefangenen handelt. Die Männer, die den Bus angegriffen haben, werden von der Polizei als Mitglieder einer Motorradgang beschrieben, vielleicht der gleichen Gang, die heute kurz zuvor das Restaurant am Highway überfallen hat.« Price starrte auf den Bildschirm und schüttelte angewidert den Kopf. »Die Polizei geht davon aus, daß die Aufräumarbeiten noch den ganzen Tag beanspruchen werden.« Der Moderator leitete zum nächsten Thema über. »Die Rechtsanwälte einer Koalition von Farmern und Umweltschützern haben…« Price langte nach dem Fernbedienungsgerät und drückte die ›Off‹-Taste. Nach dem stundenlangen Brummen des Fernsehers war es im Raum nun sonderbar still. »Jetzt solltet ihr euch aber mal die Spätnachrichten anschauen, Jungs«, riet Price wütend seinen nicht anwesenden Kumpanen. Dann nahm er seine Arbeit wieder auf – Bomben basteln.
Reggie fühlte sich äußerst mies. Die grelle Deckenbeleuchtung des Behandlungsraumes im Central-Valley-Krankenhaus blendete seine Augen und verstärkte noch seine Kopfschmerzen. Er hatte den Arzt alle Röntgenaufnahmen machen lassen, die dieser für nötig hielt. Er hatte sogar zugestimmt, hier auf dem Untersuchungstisch herumzuhängen,
während der Doktor die Röntgenaufnahmen prüfte und entschied, ob Reggie noch aus einem Stück war oder nicht. Und doch hätte Reggie beinahe die Geduld verloren, als nämlich schon kurz, nachdem ihn der Krankenwagen hier abgeliefert hatte, zwei örtliche Vertreter des Gesetzes in das Untersuchungszimmer hereingeplatzt waren. Wenn er vernünftig sei, würde er mit ihnen zusammenarbeiten, hatte ihm der große, abgemagerte Cop geraten. Und der andere, ein stämmiger, bierbäuchiger Mann, war natürlich der gleichen Ansicht. Reggie benahm sich ganz leidlich unter den gegebenen Umständen. Aber daß er ein Ex-Knacki war, hieß noch lange nicht, daß er auch die Verantwortung für eine Schießerei übernahm, die er nicht angefangen hatte. »He, Mann«, erklärte er dem fetten Cop wohl zum dritten Mal, »ich habe Ihnen schon gesagt, ich habe mich nur um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, da kamen diese Rocker vorbei und fingen an, auf den Bus zu ballern.« »Auf dem Röntgenbild sieht alles bestens aus«, unterbrach der Arzt, und es klang beinahe so, als sei Reggies gute körperliche Verfassung sein Werk. »Und warum habe ich dann immer noch Kopfschmerzen?« fragte Reggie. »Immerhin haben Sie in einem Bus gesessen, der sich überschlagen hat«, sagte der schlankere der beiden Cops und lachte vor sich hin. »Niemand würde behaupten, daß das nicht weh tut.« Der Arzt runzelte die Stirn und fuhr fort: »Es könnte eine leichte Gehirnerschütterung sein oder ein subdurales Hämatom. Wie dem auch sei, Sie haben Glück gehabt. Wir müssen Sie noch eine Nacht hierbehalten. Morgen früh werden wir mehr wissen.«
»Nein, ich bleibe die Nacht nicht hier«, protestierte Reggie und sah sich nach Hemd und Jacke um. »Ich und mein subdurales Hämatom gehen jetzt nach Hause. Ich werde meine erste Nacht draußen und nicht in einem Krankenhaus verbringen.« »Sie werden hübsch hier bleiben, bis Sie uns alle Fragen beantwortet haben«, drohte der fette Bulle. »Sind Sie sicher, diese Motorradfahrer vorher noch nie gesehen zu haben?« »Oh, ihr schweren Jungs seht mir irgendwie alle gleich aus«, sagte Reggie und lachte schallend los. Der fette Cop besann sich urplötzlich, daß er noch woanders Aufgaben zu erledigen hatte. »Mach du mit ihm weiter, Art. Ich komme gleich wieder zurück«, sagte er seinem Partner. »Phantastisch! Den ersten Tag, den ich aus dem Knast heraus bin, darf ich schon gleich mit Art, dem Heißsporn, verbringen«, murrte Reggie. Er rang sich zu einer Entscheidung durch. Was immer der Arzt auch sagen würde, er würde diesen Jungs hier noch fünf Minuten seiner kostbaren Zeit schenken. Danach würden sie ganz unter sich sein, denn er mußte fort, unbedingt. Es hätte ihn wohl ziemlich überrascht, wenn er gewußt hätte, daß sein alter Freund Jack Cates ganz in der Nähe war, in einem Behandlungszimmer auf der anderen Seite der Halle, wo er jetzt wie ein Schlot rauchte. Und Cherry Ganz hätte sicher einen Schock erlitten, wenn er gesehen hätte, wie Jack Cates, den er doch tot zurückgelassen hatte, wohlauf war und auf und ab ging, in der Erwartung, nun endlich entlassen zu werden. Die Ärztin hielt die Röntgenaufnahme hoch und sagte: »Ihr linkes Schlüsselbein ist gebrochen.« »Oh!« Jack wünschte, er hätte einen besseren Tag gehabt. Er sah sich nach einem Aschenbecher um, fand nichts Geeignetes und ließ die Asche in seiner hohlen Hand verglühen.
»Durch das traumatische Erlebnis scheint ihre Haut unempfindlich geworden zu sein«, erklärte die Ärztin. »Klar doch.« Sie war jung und hübsch, und ihre Figur gefiel Jack. Sie hatte ihr blondes Haar mit einer Spange hinter dem Ohr zurückgesteckt. Jack versuchte, sie sich mit offenem Haar vorzustellen. An jedem anderen Tag hätte er sie wohl schwer angemacht. Aber heute fühlte er sich alt und müde. »Glück gehabt«, sagte sie und fächelte den dicken Zigarettenqualm von sich. »Tragen Sie immer eine kugelsichere Weste?« »Nur wenn ich mich mit Freunden treffe.« Er lachte matt und freudlos in sich hinein. Die Ärztin trat auf ihn zu, zog ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie mit dem Absatz ihres Schuhs aus. Dann gab sie ihm eine große Gazerolle. »Ich möchte, daß Sie ihren Brustverband stündlich oder sagen wir, jede anderthalb Stunde wechseln.« »In Ordnung.« Er nickte, aber die Verletzung beschäftigte ihn weniger als seine Sorge um Reggie. »Und Sie sollten den Arm nicht bewegen, also nehmen Sie am bestell diese Schlinge.« »Danke, Frau Doktor«, sagte Jack, nahm die Schlinge an, die er doch nicht tragen würde, und schob den rechten Arm in den Ärmel seiner Lederjacke. Die Ärztin machte ein besorgtes Gesicht. »Was haben Sie vor? Wir müssen noch auf die Laborbefunde warten.« Jack packte seine von Kugeln durchsiebte Weste und strebte zur Vorhalle. Als die Tür seinen lädierten Arm streifte, zuckte er kurz zusammen. »Ich habe noch einige dienstliche Angelegenheiten zu regeln«, rief er über die Schulter zurück, während er sich schon wieder eine Zigarette anzündete.
Ein Polizist der Highway-Streife hatte sich in der Mitte der Halle aufgebaut, wo er die Serviererin aus dem Restaurant aushorchte. »Nun, ich kam gerade aus der Küche heraus, die Arme voll mit dem Frühstück für den Mann«, sagte sie und schüttelte immer noch entsetzt den Kopf, »und ich beeilte mich, um den Mann nicht zu lange warten zu lassen, nicht, weil er so hungrig aussah – das tun sie ja alle –, sondern weil er wegen irgendeiner anderen Sache ganz außer sich zu sein schien.« Sie atmete tief durch und überzeugte sich davon, daß der Polizist auch jedes Wort notierte. »Und dann war da dieser Krach, wie von Gewehrschüssen, die Fenster an der Vorderseite gingen zu Bruch, und ich hörte jemanden schreien, und ich dachte schon, ich selbst wäre das. Aber dann sah ich, daß er, mein Gast, angeschossen worden war, und ich ließ vor Schreck das Tablett fallen, und die Teller zerdepperten und…« Ihr Schuldgefühl erwachte wieder, und sie rang verzweifelt die Hände: »Ich will ihm doch helfen, aber ich weiß nicht, was ich machen soll… und ich… ich helfe ihm nicht.« Die Kellnerin hatte sich immer einiges auf ihre Robustheit und Widerstandsfähigkeit eingebildet. Jetzt aber fiel ihr wieder ein, wie sich der Gast vor Schmerz auf dem Boden gewunden hatte, und sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Es mußte ein Wunder gewesen sein, das ihn bis zum Eintreffen des Krankenwagens am Leben gehalten hatte. Sie hatte kaum ihren Ohren getraut, als der Arzt ihr erklärt hatte, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, die Verletzungen des Mannes seien nicht gefährlich. Wie sollte das möglich sein? Sie hatte ihn doch in dem Kugelhagel zusammenbrechen… sie hatte ihn bluten sehen… Der Polizist wartete geduldig, bis die Kellnerin ihre Wangen mit einem Taschentuch trockengetupft hatte. Und plötzlich war ihr Gast da, er stampfte schweren Schrittes durch die Vorhalle. Ihre Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen. Ging es
hier noch mit rechten Dingen zu? Überhaupt, was war das für ein Kerl? Supermann? Sie versuchte, ihm am Ärmel zu erwischen, als er vorbeistürmte, aber Cates beachtete sie überhaupt nicht. »Reggie Hammond«, brüllte er den Cop an, der den ExHäftling ein paar Minuten zuvor ausgefragt hatte. »Wann kann ich ihn endlich sehen?« Der Cop zuckte mit den Achseln. »Wenn es nach mir ginge, würde ich Ihnen ja helfen, aber sie wollen ihn über Nacht hierbehalten und beobachten, Sie verstehen. Das ist ein Glückspilz. Würde mit dem gern mal auf die Rennbahn gehen, wenn Sie wissen, was ich meine?« Wenn Reggie observiert werden mußte, dachte sich Cates, dann ja wohl von mir. Ein Glückspilz? Ha, das war ja wohl zum Lachen. Reggie Hammonds Glückssträhne würde jetzt endgültig abreißen – wenn er nicht ganz schnell anfangen würde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er bedeutete dem Cop, ihn vorbeizulassen, und mit einem hastigen Blick zurück überzeugte Cates sich, daß sie keine Zuhörer hatten. »Wissen Sie, weswegen der Kerl im Knast war?« Der andere schüttelte den Kopf. »Dieser alte Hurenbock.« Cates sah sehr bedrückt aus, als er seine Bombe hochgehen ließ. »Der Typ ist ein Kinderschänder. Hängt voll im Kinder-Porno-Geschäft drin. Ich muß ihn noch heute nacht nach San Francisco zurückbringen, um den Obermacker dieser Organisation zu identifizieren, sonst macht der die Mücke. Sagen Sie mal«, fuhr er fort und beugte sich näher an den Cop heran, »haben Sie eigentlich Kinder?« »Klar«, sagte der Bulle, der sich jetzt ärgerte, daß Hammond so glimpflich bei dem Überfall davon gekommen war, »zwei kleine Mädchen. Fassen Sie ihn!«
Reggie stand vor dem Spiegel über dem Spülstein und band sich gerade seine Krawatte, als Cates in sein Zimmer kam. »Hallo, Reggie. Wie wär’s mit einer kleinen Spritztour in einem Cadillac?« Noch so ein paar Tage, und er würde es fast bedauern, aus dem Knast herausgekommen zu sein. Dabei war er nicht einmal sonderlich überrascht, daß ihn Cates anstrahlte wie eine bunte Kürbislaterne an Allerheiligen. Kein Wunder, daß die zwei Bullen ihn so plötzlich in Ruhe gelassen hatten und abgehauen waren. Reggie fragte sich nur, was für einen Bären Cates ihnen aufgebunden hatte, daß sie Cates so schnell das Feld überlassen hatten. Nun ja, diese waffengeilen Jungs vom Lande mochte Cates leicht beeindrucken, aber Reggie kam aus der Stadt und würde auf diese faulen Tricks nicht hereinfallen. »Laß mich gefälligst in Ruhe. Ich hatte einen unangenehmen Tag, und durch deine Anwesenheit wird er kaum besser.« Cates hob beschwichtigend die Hände. »Keine Panik, Reg. Ich versuche nur, dir hier rauszuhelfen«, sagte er sanft. »Aber natürlich kannst du dir auch wieder einen Bus nehmen, nachdem du mit dem letzten schon so gut gefahren bist.« Reggie bürstete sich das Haar zurück und rückte seine Krawatte zurecht. Noch ein Wort aus diesem fetten Mund, und Cates würde sich wünschen, niemals die Bullen bearbeitet zu haben, ihm ihren Stargefangenen zu überlassen. »Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Jack. Auf Wiedersehen.« »Entschuldigung, Reggie.« Cates hatte sich so aufgebaut, daß seine stämmigen Schultern den Eingang versperrten. Die zwei Männer taxierten einander. Reggie war jünger und besser in Form, aber Jack war größer und kräftiger gebaut. Reggie hatte kaum eine Chance, an dem Bullen vorbeizukommen, wenn der das nicht wollte, und beide wußten das.
»Sie haben dich mir zu Überwachung übergeben. Da bist du ganz schön gelackmeiert.« Reggie wich nicht zurück und verzog keine Miene. Wozu das ganze Theater? Hauptsache, er kam nach San Francisco zurück. Cates war kaum noch zurechnungsfähig, sobald er hinter dem Steuer saß, aber schlimmer als die Busfahrt konnte es bei ihm im Wagen auch nicht werden. Abgesehen davon, galt es immer noch, die Sache mit der halben Million zu klären. Er wischte sich mit der Hand den Dreck von der Jacke, zog an seinen Ärmeln und gestattete es Cates, ihm die Tür offenzuhalten. »Okay, nun zum Geschäftlichen«, sagte Jack barsch, der über Reggies Gesellschaft mehr erfreut war, als er jemals zugeben würde. »Hast du diese Rocker schon mal vorher gesehen?« »Mein Gedächtnis würde besser funktionieren, wenn ich Geld in meinen Taschen hätte«, erwiderte Reggie kühl, während sie den Krankenhauskorridor entlang gingen. »Die Spielregeln sind dir bekannt«, knurrte Jack. »Sobald du mir erzählst, warum der Eismann dich unter die Erde bringen will, kann ich darüber nachdenken, dir das Geld zu geben.« Aber Cates schien da eine Kleinigkeit zu übersehen. Letztes Mal war Reggie ein Häftling gewesen, der 48 Stunden Urlaub hatte. Er hatte kaum eine andere Wahl gehabt, als nach Cates’ Regeln zu spielen. Diesmal lag der Fall anders. Je früher Cates das kapieren würde, desto besser für sie beide. Wenn der Cop Reggies Hilfe in Anspruch nehmen wollte, hatte er dafür gefälligst im voraus zu zahlen. »Warum fragst du nicht einfach den Typen, von dem du mein Konterfei ergattert hast?« fragte Reggie. »Er kann nicht mehr besonders gut sprechen. Ich habe ihn getötet«, sagte Cates schroff. Reggie grinste Cates ziemlich dämlich an, als dieser ihm die Tür aufhielt. »Auch ‘ne Methode. Wie clever.«
Cates zog wütend an seiner Zigarette und folgte Reggie die Treppenstufen hinunter. »Er hat zuerst geschossen. Nur, seine Pistole ist nicht aufzutreiben. Und deswegen häng’ ich voll in der Scheiße.« Reggie konnte kaum glauben, was ihm da zu Ohren kam. »Du willst mein Mitleid? Da bist du an der falschen Adresse! Um diese Zeit wollte ich eigentlich mit dem Flugzeug unterwegs nach Miami Beach sein, um ein wenig mit den Autos meines Onkels durch die Gegend zu brettern. Porsche und andere klassische Flitzer. Und was passiert statt dessen? Ich werde unter Beschuß genommen, es regnet Glassplitter auf meinen Anzug, der Bus hebt ab, überschlägt sich, mein Walkman geht in die Brüche, und ich bekomme einen mächtigen Stoß von so einem breitarschigen Sattelschlepper.« »Ja und? Ich bin heute ebenfalls deinen Freunden begegnet. Hat mir sechs Kugeln in die Brust eingebracht.« »Ach, tatsächlich? Für eine Leiche hältst du dich ganz wacker.« »Ich wäre mausetot, hätte ich das nicht angehabt«, sagte Cates und ließ die kugelsichere Weste vor Reggies Augen hin und her baumeln. Reggie betrachtete sich den Schaden und gab einen langen, tiefen Pfiff von sich. Tatsächlich schien da jemand ganz scharf darauf zu sein, Cates unter der Erde zu haben. »Wie kommt’s, daß du dich so sorgsam gekleidet hast?« »Ich weiß, daß die Leute dich umlegen wollten. Verdammt noch mal, ich hatte wenig Lust, eine Kugel einzufangen, auf der dein Name steht. Das wär’ ein lausiger Abgang, oder?« »Dein Herz ist noch ganz«, meinte Reggie trocken und drückte ihm wieder die Weste in die Hand. »So was könnte ich eventuell auch gebrauchen.« »Klar doch. Kriegst du an jeder Straßenecke. Fachgeschäfte, Sportläden. Mit siebenhundertfünfzig Bucks bist du dabei. Ist,
glaub’ ich, etwas mehr, als sie dir im Knast zum Abschied in die Hand gedrückt haben, stimmt’s?« Reggie war zu mitgenommen, um die Witze, die der Cop auf seine Kosten riß, zu kontern. Er schwieg, bis sie den Parkplatz vorm Krankenhaus halb überquert hatten und er Jacks Cadillac entdeckte. So plump dieses Gefährt auch aussah, es erinnerte ihn doch an den hübschen Porsche, den er Cates zu treuen Händen überlassen hatte. Er hatte einige Nächte im Gefängnis von diesem Porsche geträumt… und von all den hübschen Frauen, die sich auf dem Vordersitz eng an ihn schmiegen würden. »Du hast doch noch mein Auto, Jack?« fragte Reggie, der Angst vor einer abschlägigen Antwort hatte. Wenn du ihn nicht mehr hast, sagte Reggie zu sich, wirst du mehr als eine kugelsichere Weste brauchen, um dich zu schützen. »Kein Problem, Reggie. Alles heil und gesund in der Stadt angekommen«, beteuerte Jack. »Ich habe wirklich gut für dich auf deine Sachen aufgepaßt. Wie ich es versprochen habe.« Genau wie er Reggie versprochen hatte, ihn im Knast zu besuchen? Wie er versprochen hatte, Reggie das Geld zurückzubringen? Und nun drohte er damit, es zu behalten, wenn Reggie ihm nicht half. Natürlich, es stimmte, sie hatten damals gut zusammengearbeitet. Aber man mußte sich auch auf den Partner verlassen können. Cates hatte ihn betrogen, und Reggie konnte keinen Grund sehen, warum er dem Cop jetzt wieder vertrauen sollte. »Jack, hör mal, ich kann das nicht glauben«, sagte er und fühlte plötzlich wieder den bitteren Geschmack auf der Zunge, den er fünf lange Jahre lang Tag für Tag heruntergeschluckt hatte. »Wir haben mal zusammen eine Sache durchgestanden. Nun benimmst du dich wie das letzte Arschloch und stiehlst mir meinen Schotter. Du bescheißt mich, Jack!«
Cates stierte Reggie wutentbrannt an. »Ich soll dich bescheißen?« Der Kerl stellte alles auf den Kopf. »Du hast dich selbst beschissen. Ich habe es nachgeprüft. Da gab es im Knast doch diese Lohnauszahlungen, die gestohlen worden sind. Man hat das Geld in deiner Zelle gefunden.« »Das war eine abgekartete Sache«, sagte Reggie gelangweilt und öffnete die Wagentür. »Ja, natürlich, man hat dich hereingelegt«, sagte Cates und ging zur Fahrertür. Fünf Jahre früher, als sie 48 Stunden lang ein paar wirklich üble Burschen gejagt hatten, hätte Jack Cates seine Hand dafür ins Feuer gelegt, daß Reggie Hammond ein aufrechter Kerl war. Ja, er hatte seinem Boß sogar ins Gesicht gesagt, daß dieser Reggie mehr drauf hatte als jeder andere, mit dem er je zusammengearbeitet hatte. Dann hatte Reggie ihn Lügen gestraft. Hatte sein Vertrauen mißbraucht. Und nun bat er Reggie nur deshalb um Hilfe, weil er keine andere Möglichkeit hatte. »Sie haben die Knarre dieses üblen Burschen nicht gefunden, nicht wahr, Jack? Dich haben sie also auch reingelegt.« Cates warf ihm einen bösen Blick zu, während er den Autoschlüssel aus der Hosentasche holte. »Das ist was anderes.« »Warum?« fragte Reggie und setzte sich auf den Beifahrersitz und streckte die Beine genüßlich aus. Der Caddy war ein häßliches Monster von einem Wagen, in das sich Reggie normalerweise nicht einmal tot hineinlegen würde. Aber diesen einen Vorzug hatte der Wagen doch: viel Platz, um sich auszubreiten. »Ich bin ein Bulle«, stellte Jack klar, »du bist ein Gauner.« »Ich wußte, daß du das sagen würdest.« Reggie spuckte auf seinen pinkfarbenen Ring und wischte ihn am Ärmel seines Jacketts blank. Seine Augen funkelten vor Wut, als er die
Arme vor seiner Brust kreuzte. »Ich bin ein Gauner, also kann man mich ruhig bescheißen, was?« »Genau!« Jack nickte, die Antwort war ihm sehr leicht über die Lippen gekommen. Tief in seinem Innersten war er sich nicht so sicher, ob die Sache so einfach lag. In Wahrheit war es so, daß er genug Leute kannte, denen er allen möglichen Ärger an den Hals gewünscht hätte – aber Reggie Hammond gehörte nicht zu ihnen. Aber wie auch immer, so wie die Dinge standen, gelang es Reggie Hammond so gut, sich selbst in Kalamitäten zu bringen, daß er niemanden benötigte, um ihn ins Unglück zu stürzen. Der Diebstahl der Lohnauszahlungen… Bis auf den heutigen Tag konnte Jack sich nicht erklären, warum Reggie sich zu diesem idiotischen Coup hatte hinreißen lassen. Der Kerl konnte bestimmt ein Riesenarschloch sein, aber immerhin hatte er sonst noch eine gewisse Raffinesse bewiesen. Er hatte sich doch einen fetten Batzen Geld unter den Nagel gerissen, warum also hatte er noch einmal zuschlagen müssen? Jack war vor Enttäuschung geradezu krank geworden, als er damals von dem fehlgeschlagenen Diebstahl gehört hatte. Diese Überraschung hatte ihn gezwungen, einer Tatsache, einer Lebenswahrheit ins Auge zu sehen: Ein Ganove blieb ein Ganove – auch wenn er Reggie Hammond hieß. Besonders, wenn er Reggie Hammond hieß. Okay, sollte er doch zur Hölle fahren. Was ging es ihn an? Aber erst mußte Reggie ein paar wichtige Dinge ausplaudern. Aber was Reggie ihm nun zu sagen hatte, war nicht das, was Cates hören wollte. »Ich will von dir nichts mehr wissen, Cates. Du und ich, wir stehen wieder genau da, wo wir standen, bevor wir uns über den Weg gelaufen sind. Jetzt bring mich nur zu meinem Wagen, Mann.« Jack zuckte wieder vor Schmerz zusammen, als er den Zündschlüssel umdrehte.
»Schmerzen?« »Ja«, brummte Jack, »an der Schulter. Das hab’ ich deinen Freunden zu verdanken.« »Tut es richtig schlimm weh?« Reggies Stimme klang mitfühlend. »Ja«, sagte Cates, der sich ärgerte, den Arzt nicht um Schmerztabletten gebeten zu haben. Reggie lehnte sich in seinem Sitz zurück und schloß die Augen. »Gut so«, sagte er mit einem Lächeln, und dann schlief er ein.
7
Eine Autostunde von San Francisco entfernt erwachte Reggie mit rasenden Kopfschmerzen; er fühlte sich verwirrt und orientierungslos. Wo zum Teufel war er? Dieser Wagen… dieser freie Highway… Cates krümmte sich über das Lenkrad und starrte die untergehende Sonne an. Plötzlich fiel Reggie alles wieder ein. Er fuhr nach Hause – wo immer das sein mochte. Kürzlich, in einem seltenen, wahrhaft philosophischen Augenblick, war Reggie klargeworden, daß es seine Nachteile hatte, wenn man mit den Frauen nur so herummachte. Keine bestimmte Lady, die für ihn zu Hause den Ofen in Gang hielt. Keine, die sich am Abend schön machte, während sie darauf wartete, daß er an ihrer Tür klingelte. Was seine Familie anging, war sein nächster Verwandter ein Onkel unten in Miami. Reggie hatte Cates erzählt, daß er und sein Onkel das Porsche-Geschäft zusammen betreiben würden, aber das stimmte nicht so ganz. Die Wahrheit war, daß sein Onkel nicht sonderlich begeistert gewesen war, nach all den Jahren von ihm zu hören. Halbherzig hatte er eingewilligt, Reggie einen Job zu geben – ›solange du dich aus allen Schwierigkeiten heraushalten kannst‹, hatte er geschrieben und seine Warnung dick unterstrichen. Hier war Reggie nun, ohne die leiseste Ahnung, wo er diesen Abend verbringen würde, eine sonderbare Vorstellung für einen Mann, der mehrere Jahre hinter Gittern gesessen hatte. Nicht, daß er sich Sorgen machte. Er würde gut zurechtkommen, wie immer, wenn er sich mit Cates einließ.
»Sag mal«, sagte Reggie und schreckte Cates aus seiner Träumerei auf, »wieviel von meinem Geld hast du denn schon ausgegeben?« »Ungefähr fünfundzwanzig Riesen. Du hast gesagt, ich könnte mir einen neuen Wagen kaufen«, erinnerte ihn Cates. Reggie bedauerte seine unangebrachte Großzügigkeit. »Wo ist denn der neue Wagen?« fragte er. Cates warf ihm einen bösen Blick zu. Was für ein Klugscheißer. »Dies ist der neue Wagen.« »Diese Karre?« Reggie rollte mit den Augen. Einige Leute lernten es nie. »Sieht aus wie derselbe beschissene himmelblaue Cadillac, den du davor hattest.« »Kaufte mir dasselbe Modell, selbes Jahr, selbe Farbe. Alles dasselbe«, sagte Jack. »Ich hänge an gewissen Dingen.« »Da wir gerade davon sprechen, wie geht es deiner Lady?« »Elaine. Sie heiratete mich. Vor fünf Jahren. Fuhr mit mir für eine schnelle, kleine Feier zum Rathaus. Wollte sich mit mir niederlassen. Wir kauften uns sogar ein verdammtes Haus.« Reggie kicherte. »Du mußt wirklich eine gute Figur abgeben, wenn du da den Rasen mähst.« »Klar«, knurrte Jack. Seine Zigarette glühte in der Abenddämmerung. »Jeden Abend ein anständiges Abendessen. Saubere Klamotten…« Das Bild von Elaine mit ihren roten, lockigen Haaren blitzte vor ihm auf. »Klingt genauso wie dort, wo ich war.« Jack bemerkte den bitteren Tonfall und sagte: »Es kam einem genauso vor. Sie verließ mich nach eineinhalb Jahren. Eigentlich will ich nicht darüber reden…« Seine Stimme verklang in der Dunkelheit. Damals hatte er angefangen, heftig zu trinken – nicht nur Scotch, sondern auch Bier, Wodka und alles andere, was seinen Schmerz betäuben konnte. Er hatte niemals geglaubt, daß er dazu bestimmt war, ein Ehemann zu sein, aber er hatte
Elaine genug geliebt, um sie zu heiraten. Er hatte sich selbst eine lange Zeit gehaßt, nachdem sie ihn verlassen hatte. »Das ist es, Jack, verberge deinen Kummer«, bemerkte Reggie sarkastisch, ohne zu ahnen, was noch kommen würde. Es war, als wäre eine Falltür zu Cates’ Gefühlen aufgesprungen, die einen Mahlstrom von Erinnerungen und Sorgen offenbarte, die er im hintersten Winkel seines Kopfes verborgen hatte. »Die ersten paar Wochen waren wirklich gut. Dann zog ihre Mutter bei uns ein«, klagte er. »Elaine fing an, diese Kleider zu kaufen. Sie wollte Kreditkarten – American Express, Visa, Mastercard…« Er schüttelte den Kopf, als er sich erinnerte, wie sie sich über diese Kreditkarten gestritten hatten. Und über alles andere. »Im ersten Monat kaufte sie zwei französische Pudel, die das ganze Haus zuschissen. Sie wollte immer Sex… Ich kam von einer Überwachung nach Hause, 24 Stunden ohne Schlaf, und sie wartete in Unterwäsche auf mich.« Klingt für meine Ohren nicht übel, dachte Reggie und wollte es auch sagen, aber nun raste Cates die Straße der Erinnerung hinunter, und da gab es kein Halten mehr. »Dann kaufte ich ihr dieses Haus auf einer Polizeiauktion. Es wurde vorher von Crack-Dealern benutzt«, erzählte Jack. »Dann sagte sie, daß es nicht groß genug wäre und nicht in der richtigen Gegend stände. Sie sagte auch, daß ich keine Geschenke mehr mitbrachte, nur noch Beweisstücke. Ich brachte ihr einen Diamantring, doch dann kam es zur Verhandlung, und sie wollte ihn nicht zurückgeben.« Sie waren sich darüber ziemlich in die Haare geraten. Aber wie sollte er annehmen, daß die Bastarde die Sache vor Gericht brachten, statt mit einer milden Strafe zufrieden zu sein? »Das Haus dröhnte wider vor Nettigkeiten: ›Schätzchen, tu das, Liebling, mach das.‹ Dann wurde die Sache schlechter. Sie nannte mich ein chauvinistisches Schwein. Einen
ungehobelten Kerl. Sie sagte, ich würde stinken und sähe zuviel Sport im Fernsehen. Sagte auch, ich wäre unempfindlich für ihre Bedürfnisse, ich wäre feindselig und verschlossen. Zum Teufel damit«, sagte Cates und faßte die Sache für Reggie zusammen, für den Fall, daß er die Geschichte nicht richtig kapiert hatte. »Sie war wirklich ein nettes Mädchen, aber vielleicht war ich nicht dafür geschaffen, so auf Dauer am Haken zu hängen.« Diesmal war Reggie sprachlos. Seit wann hatte er sich verpflichtet, für Cates den Psychiater zu mimen? Der Kerl hätte niemals heiraten sollen. Reggie hätte ihm das sofort sagen können. Zu dumm, daß Cates sich nie die Mühe gemacht hatte, ihn zu besuchen und um seinen Rat zu fragen. Während er seine schmerzhafte Stirn massierte, unterbrach er Cates’ Story mit einem lauten Gähnen. »Richtig«, sagte er und fiel sofort zurück in den Schlaf.
Als er das nächste Mal aufwachte, waren sie vom Highway abgebogen und fuhren eine Straße hinunter, dem Sonnenuntergang entgegen. Sie befanden sich nahe beim Strand, nicht weit vom Zoo entfernt. Cates sah, daß Reggie wach war, und wies auf ein kleines Haus mit einem großen Schild ›FOR SALE‹ davor. In einem großen Bogen fuhr er herum und hielt am Bordstein. »Da haben wir gewohnt, bis wir auseinandergingen und sie nach Mill Valley zog. Ich versuche, das Haus zu verkaufen«, sagte Jack und erklärte, was man ohnehin sah. Selbst bei dem schwachen Licht der Straßenlaternen konnte Reggie sehen, daß Cates nicht gerade dem Idealbild eines Hausbesitzers entsprach. Der Rasen stand zu hoch, die Büsche waren nicht geschnitten, und die Farbe des Hauses blätterte ab. In das Anwesen mußte man einige Arbeit stecken.
»Viel Glück«, sagte er zu Jack, während er das Haus betrachtete. »Wenn man sich diese Bruchbude so ansieht.« Jack grunzte. »Du solltest das Haus mögen. Zwölftausend von deinem Geld stecken als Anzahlung drin.« Reggie öffnete den Mund, um ihm eine Beschimpfung zu verpassen, als er seinen wunderschönen Porsche Speedster entdeckte, der in Cates’ Einfahrt stand. »Verdammt!« schrie er und lief über den Rasen. »Schaut sich einer meinen kleinen Wagen an. Weißt du, wie viele Pussies ich nur wegen des Wagens herumkriegte? Ich benutzte ihn sieben Tage in der Woche.« Er strich liebevoll über die Haube, als er Cates anblaffte. »Und du läßt den Wagen hier draußen stehen? Weißt du, wie viele Autodiebe hier herumschleichen? Ich weiß ja, daß du blöd bist, aber ein Bulle sollte es eigentlich besser wissen…« »Hey, keine Panik.« Jack unterbrach die Schimpftirade. »Niemand kann deinen verdammten Wagen klauen. Ich habe eine Alarmanlage eingebaut.« Er hatte sich umgehört, daß er das lauteste und wirkungsvollste System bekam, und die Alarmanlage hatte ihn schließlich eine Menge gekostet. Aber er hatte das Geld ausgegeben, weil er wußte, wieviel der Wagen Reggie bedeutete. Der Lärm der Alarmanlage würde einen Autodieb ganz sicher bis rauf nach Petaluma rennen lassen. Wenn Reggie daran irgendwelche Zweifel hatte, würde Jack ihm das gern demonstrieren, selbst wenn es die ganze verfluchte Nachbarschaft aufschreckte. Mit einer dramatischen Bewegung, die Reggie einen Eindruck von der Bedeutsamkeit der Anlage geben sollte, drückte er den Knopf auf seinem Schlüsselring und aktivierte den Alarm. Das erste, was sie hörten, war ein sonderbares Piep-Geräusch. Sofort darauf kam ein ohrenbetäubendes Donnern, das seine Schockwellen in die Nacht hinaus schickte. Jack und Reggie
warfen sich auf den Boden, dann beobachteten sie in erstauntem Schweigen, wie der Porsche in Flammen aufging. Glühende Metallteile sprühten über den Hof wie kleine römische Kerzen. Cates hatte seine Waffe entsichert und schußbereit. Aber das einzige, was aus den Büschen auftauchte, waren zwei Eichhörnchen, deren Schlaf durch die Explosion gestört worden war. Reggie stand da und starrte mit offenem Mund in das Feuer, das einmal sein Wagen gewesen war, und fragte sich, wie er mitten in diesen Alptraum geraten war. »Ich kann es nicht glauben«, murmelte er. »Diese Hundesöhne haben meinen Wagen in die Luft gesprengt.« Sirenen heulten in der Ferne. Einer der Nachbarn mußte die Polizei gerufen haben. Das war kein böser Traum. Das war die Wirklichkeit. Und sie stank zum Himmel. Für den Fall, daß er daran erinnert werden mußte, ging Cates die Dinge für ihn durch. »Kein Wagen. Kein Geld. Du machst dich wirklich gut.« Jack fühlte sich auch nicht gerade großartig. Er war auf seine verletzte Brust geprallt, als er zu Boden stürzte. Jetzt schmerzte seine Schulter, und was durch sein Hemd sickerte, war eindeutig Blut. Außerdem hatte er einen Porsche in seiner Einfahrt flambiert und gebraten, und ein Ex-Sträfling neben ihm schrie: »Die Hundesöhne haben meinen Wagen in die Luft gesprengt.« Er hoffte, daß wenigstens die Nachbarn die Show genossen.
Die Polizeiwagen tauchten zuerst auf, ein paar Momente folgten ihnen einige aufheulende Feuerwehrtrucks. Jack und Reggie machten ihre Aussage und fuhren dann zu Jacks Polizeirevier. Jack hatte es eilig, etwas über eine Verbindung
zwischen dem explodierten Porsche und dem Motorradfahrer herauszufinden, der ihn am Morgen für Schießübungen mißbraucht hatte. Während Reggie in dem Caddy wartete, der im Halteverbot parkte, ging Jack in den Bereitschaftsraum. Kehoe entdeckte ihn im Korridor. »Jack? Jack!« rief er ungläubig. »Mein Gott! Heute morgen bekamen wir einen Bericht, daß auf dich geschossen worden ist, und nun kriegen wir die Nachricht, daß dein Hausen die Luft geflogen ist…« »Nichts mein Haus«, sagte Cates und entfernte den blutigen Verband unter seinem Hemd. »Mein Wagen… eigentlich der Wagen eines anderen… Ach, vergiß es…« »Vergiß es? Die Feuerwehr hat drei Züge draußen. Was zum Teufel ist da los?« fragte Kehoe und blickte auf den blutdurchtränkten Verband. Cruise stürmte aus dem Raum, als Cates hineinstürmte. Er hielt lange genug, um seinen Arm zu packen und zu sagen: »Jack? Hab’ gehört, sie haben dir den Arsch weggeschossen und dein Haus in die Luft gesprengt…« »Nicht mein Haus, meinen Wagen… den Wagen von jemand anderem«, wiederholte er müde und versuchte, während er weiterging, seinen Verband zu wechseln. »Lieber Himmel! Was ist mit deinem Arm passiert?« fragte Cruise besorgt. »Bist du da angeschossen worden?« Wenn Cates Mitgefühl gewollt hätte, wäre er im Krankenhaus geblieben und hätte mit den Schwestern herumgeschäkert. »Hör zu!« Unvermittelt wechselte er das Thema. »Ist irgendwas über die Beschreibungen der Motorradfahrer hereingekommen, die auf den Gefängnisbus schossen?« Cruise war an die sonderbaren, dunklen Wege gewöhnt, auf denen sich Cates seiner Arbeit näherte. Das war eines der Dinge, die er an ihm bewunderte. Er schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht…«
Cates begann die Papiere auf seinem Schreibtisch durchzublättern, auf dem sich zwischen einem Computer und einem Laserdrucker Fahndungsfotos und Akten stapelten. »Ich brauche alles, was ich kriegen kann«, sagte Cates ungeduldig. »Ruf die CHP an und die Central Valley…« »Sie brauchen überhaupt nichts, Cates.« Captain Hadens tiefe, sonore Stimme brach in das laute Stimmenwirrwarr. Der fast zwei Meter große Officer war eine einschüchternde Gestalt, er überragte die meisten seiner Männer. In seiner Jugend hatte er als Halbprofi Basketball gespielt. Nie hatte er die Fähigkeit verloren, sich seinen Weg ins dickste Kampfgetümmel zu bahnen und unversehrt wieder herauszukommen. Jetzt schritt er zu Cates’ Schreibtisch hinüber und dröhnte: »Fangen Sie keinen Streit mit mir an, Cates. Nach der Vernehmung sollten Sie nicht verschwinden, erinnern Sie sich? Ich benötige Ihre Waffe, Jack.« »Ach, verdammt, Cap…« »Hören Sie auf«, brüllte Haden. »So ist es vorgeschrieben. Ich weiß, daß Sie zu Hause noch eine andere haben.« Widerstrebend händigte Cates dem Captain seine .44er, mit dem Griff zuerst. »Wollen Sie auch meine Dienstmarke?« fragte er und nahm das Unausweichliche vorweg. »Ja. Und Ihren Dienstausweis«, sagte Haden. Seine Stimme klang ein wenig weicher. Zu einem guten Polizisten gehörte, die Vorschriften der Abteilung zu befolgen, und er tat, was er tun mußte. »Hören Sie, Cap. Die ganze Sache stinkt«, wandte Kehoe lautstark ein. »Wer hat Sie gefragt?« Haden starrte Jacks selbsternannten Fürsprecher an. Indem er heftig auf Cates’ Schreibtisch klopfte, wandte er sich an alle Polizisten im Raum.
»Seht ihr, wie es euch ergeht, wenn ihr wie Cates versucht, eine eigene Show abzuziehen? Ihr werdet suspendiert. Auf euch wird geschossen, und ihr werdet in die Luft gesprengt. Ich weiß, daß keiner von euch so wie Cates werden will, und ich weiß, daß keiner von euch verrückt genug ist, um diesem Kerl bei seinen Ermittlungen helfen zu wollen.« Er machte eine Pause, um sicherzugehen, daß auch jeder seine Botschaft kapierte, dann erteilte er eine letzte Warnung, bevor er in sein Büro zurückging. »Aber wenn einer von euch doch so verrückt ist, soll er aufpassen, daß ich nichts davon erfahre.« Wenn er es nicht besser gewußt hätte, hätte Jack geschworen, daß der Captain ihm dabei zugeblinzelt hatte.
Während Jack seine Dienstmarke und seine Waffe übergab, besetzte Reggie ein Münztelefon und versuchte, einen Freund zu erreichen. Er war schon bis T in seinem kleinen schwarzen Büchlein gekommen, und niemand schien für ihn zu sprechen zu sein. Die Dinge hatten sich in den letzten fünf Jahren verändert. So hatte offenbar jeder einen Anrufbeantworter, und wenn man keine Lust hatte, bis zum Piep-Zeichen zu warten, hatte man eben Pech gehabt. Oder eine Menge Leute waren heute abend nicht in der Stimmung zu telefonieren, denn Reggie erlebte öfter eine Abfuhr – es wurde einfach aufgelegt. Während er die Straße im Auge behielt, wählte er eine neue Nummer und blickte auf seine Uhr, als er darauf wartete, daß abgenommen wurde. »Hey, Marvin!« grüßte er herzlich einen seiner Kumpels aus früheren Tagen. »Reggie Hammond… Hammond. H-A-M-… Richtig! Nein, ich bin nicht tot. Hör zu, ich bin draußen, und ich brauche… Was? Aus dem Gefängnis. Ja. Was? Du machst
nichts Krummes mehr?« Der Kerl wollte ihn auf den Arm nehmen! »Mein Gott! Du? Ich glaube es nicht… Nein, ich finde es prima, nur Hallo? Hallo?« Er brüllte in den toten Telefonhörer. »Du verdammtes Arschloch!« Er strich den Namen Marvin Thomas in seinem Büchlein durch und warf einen weiteren Quarter in den Metallschlitz. Mit den Leuten, die er anrufen konnte, ging ihm auch das Kleingeld aus. Zwei Polizeistreifen, die gerade ihren Dienst begannen, kamen aus der gewölbten Eingangshalle des Polizeigebäudes und gingen an Cates’ Caddy vorbei. »Irgend jemand hat den Nerv, unerlaubt vor dem Bezirksrevier zu parken«, bemerkte einer laut genug, daß Reggie es hören konnte. Reggie streckte seinen Kopf aus der Telefonzelle. »Er haßt Bullen«, sagte er launig. »Oh, tut er das?« Der Polizist runzelte die Stirn. »Ja. Hat mich bis hierhin mitgenommen. Er meint, alle Bullen sind Schlappschwänze, die sich hinter ihrer Dienstmarke verstecken. Ich hab’ ihm gesagt, daß er hier nicht parken sollte. Er wollte nicht hören, er hat keinerlei Achtung vor dem Gesetz.« In Reggies Stimme schwang der Respekt mit, den er für das Gesetz empfand. Das Telefon klingelte am anderen Ende der Leitung, als der Polizist begann, Cates einen Strafzettel zu schreiben. »Leroy?« sagte Reggie hoffnungsvoll. »Oh, Mrs. Womack. Hier ist Reggie Hammond. Könnte ich Leroy sprechen?… Nein, ich bin nicht tot… Es interessiert mich nicht, was Sie gehört haben. Hören Sie, ist Leroy zu Hause? Geben Sie ihn mir ans Telefon.« Während er auf Leroy wartete und sich fragte, wer dieses etwas verfrühte Gerücht von seinem Ableben in die Welt gesetzt hatte, drehte er sich wieder den Polizisten zu. »Was gibt das? Eine Hundertdollarstrafe?«
Der Polizist klappte sein Buch zu. »Nein, vierzig Dollar.« »Mehr nicht? Ich würde die Zulassung kontrollieren, wenn Sie schon dabei sind. Ich wette, sie ist abgelaufen«, sagte Reggie hilfsbereit. Der Polizist ging um den Wagen herum und kontrollierte das hintere Nummernschild. »Ja, ist abgelaufen.« Er nickte. »Danke.« Reggie grinste breit, als der Polizist sein Buch wieder öffnete und einen zweiten Strafzettel schrieb. »Keine Ursache«, sagte er. Er fühlte sich gleich viel besser, als sein Freund Leroy an den Apparat kam. »Leroy? Bist du es, Mann? Okay!« Er quietschte vor Freude. »Ich bin’s, Reggie Hammond. Ich bin draußen… Nein, ich bin in der Stadt… Ja, ich weiß, aber ich kann noch nicht rauskommen. Darum rufe ich an. Ich brauche ein wenig Knete. Nein, geliehen. Was? Wovon sprichst du, Sicherheiten?« Er konnte den Unsinn nicht glauben, den er da hörte. »Ich bin’s, Reggie. Hallo?« Leroy hatte eingehängt. »Miese Ratte«, sagte er und knallte den Hörer auf. Er ging den Rest seines Telefonbüchleins durch, aber auf jeder Seite standen die durchgestrichenen Namen von Leuten, die entweder dachten, er wäre tot oder Schnee von gestern. Offenbar hatte jemand die Nachricht in die Welt gesetzt, daß er höchst unerwünscht war. Reggie hatte auch eine ziemlich genaue Vorstellung, wer dieser Jemand war. Er warf sein Telefonbüchlein in den Müll, setzte sich wieder in den Caddy und beobachtete mit einiger Befriedigung, wie der Polizist den Strafzettel unter Cates’ Scheibenwischer klemmte. »Ihr Freund ist nicht besonders klug«, erklärte der Polizist Reggie.
»Da erzählen Sie mir nichts. Der kann sich gerade seine Schuhe zubinden.« Reggie kicherte selbstgefällig. »Er ist ein großer, blöder Bulle namens Jack Cates.« »Scheiße.« Der Polizist schlug mit seinem Buch gegen den Wagen. Er war verwirrt. Er hätte Cates’ großen, blauen Monsterschlitten eigentlich wiedererkennen müssen. Die Strafzettel waren schon geschrieben, also konnte er sie nicht zerreißen. Aber es bestanden keine Aussichten, daß Cates sie bezahlen würde. Und wer war überhaupt dieser große schwarze Typ, der es sich auf Cates’ Vordersitz bequem machte? Während er Reggie finster anblickte, sagte er: »Sagen Sie diesem Vollidioten, daß er aufhören soll, vor dem Revier zu parken. In ein paar Tagen wird er damit nicht durchkommen.« »Ich werde es ihm sagen«, stimmte Reggie eifrig zu. »Darauf können Sie sich verlassen.«
8
Noch Monate, nach dem das Computersystem installiert worden war, hatte sich Jack hartnäckig geweigert, sich von dessen eigentümlichem Charme einwickeln zu lassen. Während seine Kollegen pflichtgemäß lernten, wie sie sich in das landesweite Informationsnetz einschalteten, hatte Jack sich vom Unterricht befreit und war seinen eigenen Weg gegangen. Während die anderen glücklich auf der Tastatur herumtippten, Worte und Bilder auf dem Bildschirm abriefen, stierte er auf die Maschine auf seinem Schreibtisch, die es wagte, ihm Dinge zu sagen, die er nicht längst schon wußte. Schließlich hatte er eine Menge langer Nächte damit verbringen müssen, sich das Programm selbst einzupauken. Denn zu seinem Ärger hatte er schließlich entdeckt, daß der Computer zusammen mit einem Drucker Wunder wirken konnte. Er konnte ihm die Bilder von Verdächtigen geben, die überall im Land gesucht wurden, und sie mit den Bildern vergleichen, die er in der Hand hatte. Er konnte ganze Listen von Strafanzeigen und Zahlungsanweisungen ausspucken, die sich von unschätzbarem Wert erwiesen, wenn es darum ging, jemanden zu finden, der untergetaucht war. Der Computer konnte sogar Fahndungsfotos erstellen, die auf den Beschreibungen von Augenzeugen basierten. Wenn man die richtige Taste drückte, tauchte auf dem Bildschirm eine Skizze auf, die man zu einem erstaunlich genauen Abbild eines mutmaßlichen Täters verändern konnte. Heute abend drückte Jack eine Menge Tasten. Der Laserdrucker hatte schon das Fahndungsfoto des Motorradtypen ausgespuckt, der ihn überfallen hatte. Nun
arbeitete Jack daran, ein Bild des Schwarzen mit der Aktentasche zu erstellen, der zuletzt mit dem toten Monteur gesprochen hatte. Die Leiste oben am Bildschirm bezeichnete das Programm: National Crime Information Computer. Physical Description Form. Darunter zeigte sich auf der einen Hälfte des Bildschirms das grobe Bild eines Männergesichts. Die andere Hälfte bot eine Aufstellung von Gesichtsmerkmalen von Nase, Augen, Mund bis hin zu erkennbaren Narben und anderen unveränderlichen Kennzeichen. Jacks Lesebrille war von Zigarettenasche verschmiert, aber er war zu konzentriert, um es zu bemerken, als er aus den Variationsmöglichkeiten auswählte, die das Programm ihm anbieten konnte. »Schmaler?« fragte der Computer und zeigte einen Querschnitt der Nase auf dem Schirm. Jack tippte ein Ja. »Breitere Stirn?« fragte der Computer. Wieder tastete Jack sein Ja. Er ging die Aufstellung durch, verglich die Variationsmöglichkeiten mit den Gesichtszügen. Die Zeichnung auf dem Bildschirm änderte sich mit jeder Auswahl. Das Endergebnis war eine bemerkenswerte naturgetreue Wiedergabe des Gesichts des Schwarzen. Jack drückte den Knopf zum Ausdrucken und steckte sich eine Zigarette an. Während er auf die Kopie wartete, begann er die Fotos im Fahndungsbuch durchzugehen. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als Kehoe einen Bogen Endlospapier auf seinen Schreibtisch legte. »Hier, Jack«, sagte Kehoe. »Drei Anzeigen über Motorradfahrer in den letzten vier Tagen. Zwei Verkehrsübertretungen und einmal Trunkenheit und Ruhestörung.«
Jack warf einen Blick auf das Papier und stopfte es sich dann in die Tasche, danach riß er die fertigen Kopien aus dem Drucker. Er hielt die computergefertigten Fahndungsfotos des Motorradfahrers und dem Schwarzen hoch. »Danke. Gibst du diese Typen durch das NCIC-Programm?« »In Ordnung. Cruise kann sie durchgehen.« Kehoe nickte und blickte auf das Bild des Schwarzen. »Sieht nicht wie ein Rocker aus. Oder?« Jack war schon auf dem Weg zur Tür und hörte Kehoes letzte Frage nicht mehr. Zu viele eigene Fragen gingen ihm durch den Kopf. Die erste stellte er Reggie, als er ihn draußen neben dem Caddy stehen sah. »Bist du immer noch da?« knurrte er. »Ich dachte nicht, daß du noch herumhängen würdest.« »Du denkst, mir macht das Spaß?« murrte Reggie. »Ich sollte ein freier Mann sein, mit Geld in der Tasche, und in meinem Leben vorankommen. Das letzte, was sich wollte, war, wieder an deinen fetten, blöden, weißen Arsch gebunden zu sein.« Cates zuckte mit den Schultern. Wer hatte denn gesagt, daß das Leben fair wäre? Außerdem – es könnte Reggie viel schlechter gehen. »Willkommen bei uns, Reggie.« Reggie hatte die letzte Stunde damit verbracht, ziemlich heftig über seine – und Jacks – Situation nachzudenken. Das Schicksal hatte sie wieder zusammengebracht, zum Guten oder zum Schlechten, fast so, wie man es sich bei der Hochzeit versprach. Und wie in jeder guten Ehe, müßten sie beide Kompromisse schließen. Denn sie hatten beide eine Menge zu verlieren. Er hatte sich eine kleine Rede zurechtgelegt, um seine Bedingungen zu verkünden, von denen er erwartete, daß Jack sie erfüllte, wenn er Reggies Hilfe wollte. »Laß mich dir eines sagen, Jack«, sagte er und drohte Cates mit dem Finger. »Diesmal bin ich kein Häftling, der ein Wochenende Ausgang
hat. Ich bin ein freier Mann. Und du, du bist nur eine Winzigkeit von dem entfernt, wo ich gestern noch war – ein Nichts in einer Zelle. Du bestimmst nichts mehr. Ich arbeite nicht für dich. Ich traue dir nicht. Ich mag dich nicht einmal. Kapiert?« Gelangweilt von Reggies Vortrag, gähnte Cates übertrieben und verlangte: »Rede nur noch, wenn es was Gescheites ist.« »Na, gut. Probieren wir es damit«, sagte Reggie. »Der Eismann kaufte dein Haus.« Jack starrte ihn an. »Wovon, zum Teufel, sprichst du?« »Du hast es nicht rausgekriegt?« sagte Reggie, befriedigt über Cates’ Reaktion. »Der Eismann ist der Dealer, dem Ganz und ich und meine Gang die halbe Million Dollar abnahmen, die du für mich sicher aufbewahren solltest. Er ist noch immer ziemlich sauer. Ist es nicht entsetzlich, wie wichtig Geld für die Leute ist, Jack?« »Heilige Scheiße!« rief Jack, voller Zorn über das, was Reggie ihm da erzählte. Wenn irgendein anderer Häftling versucht hätte, ihm diese Information unterzujubeln, hätte er ihm die Geschichte niemals abgekauft; sie war zu weit hergeholt. Aber was Reggie sagte, roch verdammt nach Wahrheit. Es erklärte die sonderbare Serie von Zufällen, die begonnen hatte, als er Reggies Bild in der Sporttasche des toten Monteurs fand. Reggie schlug ihm aufs Knie und kicherte vor Vergnügen. »Ja, vier Jahre, in denen du den Eismann nicht in die Finger kriegen kannst, und er zahlte für dein Haus und deinen ScheißCadillac. Nicht übel, was?« »Wirklich gut«, räumte Cates ein, der die Information noch immer verarbeitete. »Es wird noch besser«, versprach Reggie. »Steig in den Wagen.«
Jack war drauf und dran, ihm zu sagen, daß er hier die Befehle gab. Dann entschied er, daß er diesmal eine Ausnahme machte und Reggie seinen billigen Nervenkitzel ließ. Aber Reggie war noch nicht damit fertig, Anweisungen zu erteilen. »Nein«, sagte er, als Cates auf die Fahrerseite des Wagens zustrebte. »Du steigst auf der anderen Seite ein. Ich fahre. Du hast nur einen Arm, und ich will nicht noch einen Trümmerhaufen. Ich bin nicht wie du. Ich habe eine Menge Dinge, für die ich lebe.« Bevor Cates noch den Mund aufmachen konnte, hatte Reggie schon die Fahrertür geöffnet und war hinter das Lenkrad geglitten. Jack zuckte die Achseln und ging auf die andere Seite des Caddy. »Ich wollte schon immer einen Chauffeur haben, Reggie«, sagte er mit einem Grinsen. Aber Reggie hatte den letzten Lacher, als er auf das Gaspedal trat und auf die Straße raste. Er hatte fünf Jahre gewartet, um Cates zu zeigen, wie man Auto fuhr. Und seinem Gesicht nach zu schließen, war Jack nicht sonderlich begeistert, daß er ihm den Schlitten überlassen hatte. »Einen dieser verrückten Motorradtypen, die heute auf den Bus schossen, hab’ ich erkannt«, sagte Reggie, während er vor einem Stop-Schild langsamer wurde. »Cherry, der Bruder von Albert Ganz. Er ist ein Psycho. Gegen ihn kommt einem sein Bruder wie Gandhi vor.« »Der Bruder von Ganz?« Cates’ Kiefer klappte nach unten. Wie viele Bomben wollte Reggie ihm heute noch ins Handgepäck legen? »Du hast es doch gehört.« Jetzt brauchte Jack ein wenig Denkhilfe. »Warum würde der Eismann den Bruder eines der Typen, die ihn ausraubten, anstellen, um uns zu töten?« fragte er. »Ich verpfiff seinen Bruder an dich, und du hast ihm den Arsch weggeschossen, als wir die letzten 48 Stunden
zusammen waren. Kennst du jemanden, der mehr darauf aus ist, uns umzulegen?« wollte Reggie wissen und fragte sich, ob Cates so alt geworden war, daß er eine weiche Birne bekam. »Eine gute Frage.« Cates erkannte die Logik im Vorgehen des Eismannes. »Ganz sagte, daß Cherry diese Hexe Angel hat«, fuhr Reggie fort. »Er hielt sich dran, was für ‘ne dufte Nummer sie wäre. Tanzte in einer Bar mit dem Namen Barnstormer’s – wenn man es Tanzen nennen will.« »Ich bekam eine Beschwerde, daß ein paar Rocker in einer Bar namens Barnstormer’s Randale machten«, berichtete Cates ihm und war sicher, jetzt auf dem richtigen Weg zu sein. Reggie hob skeptisch eine Augenbraue. »Du meinst, daß die Polizei einen Beitrag bei den Ermittlungen leistet? Ich bin verblüfft.« Cates hatte eine bessere Frage für ihn. »Warte mal«, sagte er argwöhnisch. »Du warst in einer Gang mit dem Bruder dieses Typs, und du erinnerst dich nach fünf Jahren Knast noch, wo seine Freundin arbeitet?« »Das stimmt«, erwiderte Reggie. »Geschichten von Pussies sind die einzigen, die im Knast einer Erinnerung lohnen.« Jack konnte dem nichts entgegenhalten. Er war auch nicht in der Stimmung zu reden. Sein Arm brachte ihn schier um, und sein Stolz war dadurch verletzt, daß er seine Waffe und seine Dienstmarke hatte abgeben müssen. Reggie schien den Weg zum Barnstormer’s zu kennen. Also legte Cates sich zurück und hielt den Mund, bis der Caddy vor der Bar zum Stehen kam. Er wollte gerade aus dem Wagen steigen, als er begriff, daß er etwas vergessen hatte. Er öffnete das Handschuhfach und zog eine glänzende, silberfarbene Marke heraus, die Elaine ihm einmal zum Spaß gekauft hatte.
Reggie warf einen Blick auf die Plastikmarke in seiner Hand und sagte: »Was hast du da?« »Eine Marke. Kann nützlich sein. Besonders, wenn man jemanden befragt«, sagte Jack und versuchte, nicht verlegen zu klingen. »Jack, das Ding ist nicht echt.« Reggie wies auf die Marke, für den Fall, daß Cates das nicht kapiert hatte. »Na und?« knurrte Cates. »Die meisten Leute erkennen den Unterschied nicht, wenn du das Ding hervorziehst.« Der Kerl wurde tatsächlich etwas weich in der Birne. »Es ist ein Spielzeug«, sagte Reggie empört. »Räuber-und-GendarmScheiß.« Jack wußte, was er tat, und seine Antwort an Reggie war kurz und schmerzlos: »Das ist aber zu dumm«, sagte er, schob sich die Marke in die Brusttasche und steuerte auf die Bar zu. Im Innern stand der Schuppen kopf. Überall tanzten Paare ungestüm zu den Rhythmen einer Rockband, deren Leadsänger schlüpfrige Gesten vollführte, während er die Bühne auf und ab stolzierte. Zwei Frauen in spärlichem Flitterzeug und Cowboy-Hüten schoben sich auf einem Laufsteg herum, während eine Gruppe von Männern ihre Begeisterung herausjohlte. Jack und Reggie bahnten sich ihren Weg durch den Raum, der von Zigarettenqualm und abgestandenem Bier stank. Reggie suchte sich einen Platz an der Bar, wo er die Show auf der Tanzfläche überschauen konnte, während sich Cates geradewegs auf die Barkeeperin zu bewegte. Während er seine falsche Dienstmarke hervorzog, rief er über den Lärm: »Haben Sie wegen der Rocker angerufen?« Zum ersten Mal an diesem Tag war das Glück auf seiner Seite. »Das muß in die Sechsuhrnachrichten«, rief Terry und schaute kaum auf seine Marke. »Du rufst die Bullen an, und
tatsächlich kommt einer – wenn auch erst nach eineinhalb Tagen.« »Tut mir leid«, sagte Cates knapp. »Aber es gibt eine Menge Probleme in der Stadt.« Terry blieb unbeeindruckt. Sie war schließlich eine Steuerzahlerin – meistens jedenfalls – und sah nicht ein, warum ihre Probleme gegen die von einem anderen zurückstehen sollten. Während sie ein paar Whisky eingoß, sagte sie: »Ich werde daran denken, wenn ich das nächste Mal abstimme, ob ihr Jungs eine Gehaltserhöhung bekommt oder nicht.« »Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist, oder wollen Sie noch ein wenig herumjammern?« wollte Cates wissen. »Ich möchte noch ein wenig herumjammern«, sagte Terry, änderte aber im nächsten Moment ihre Meinung und erzählte ihre Geschichte. »Drei Motorradtypen kommen hier gestern nachmittag rein. Bestellen was zu trinken. Dann flüstert mir einer von ihnen was ins Ohr… sagt mir, daß ich ihm einen blasen soll. Na, ist das keine sexuelle Belästigung?« »Ziemlich gut. Ich würde sagen sechs auf einer Skala von zehn.« Terry warf ihm einen bösen Blick zu und fuhr fort: »Der Kerl mit den dunklen Haaren fragt nach dem Mädchen, das hier mal gearbeitet hat. Dann wird er grob und versucht, meine Titten zu grabschen. Nett, was? Dann zieht der Blonde eine Kanone. Knallt sie hier direkt auf den Tresen. Gibt das vielleicht neun von zehn?« »Was ist mit dem Mädchen?« »Angel? Sie hörte vor ungefähr einem Jahr auf. Jedenfalls tanzt sie jetzt in einem Schuppen im Tenderloin. Lebt auch da unten. Hey, sollten Sie das nicht aufschreiben?« »Ich habe ein fotografisches Gedächtnis«, versicherte Cates ihr. »Wissen Sie, wo Angel wohnt?«
»King Mei Hotel… Sie sind sicher, daß Sie ein Polizist sind?« fragte Terry zweifelnd und wußte nicht, ob sie noch einmal nach seiner Dienstmarke fragen sollte. Cates beugte sich zu ihr und blies ihr Zigarettenqualm ins Gesicht. »Machen Sie weiter! Ich will die ganze Geschichte hören.«
Währenddessen hatte sich Reggie so weit von Cates entfernt, wie es ihm möglich war. Nachdem er dem Kerl bei seiner Arbeit zugeschaut hatte, wollte er nicht in der Nähe des Feuers stehen, wenn die Funken aufsprühten. Der Kerl hatte kein Fingerspitzengefühl, keine Finesse. »Wodka«, bestellte er bei dem Barkeeper an seinem Ende der Bar. Während er langsam an seinem Drink nippte, weideten seine Augen sich an dem Anblick der wohlproportionierten Tänzerinnen, die sich zum Takt der pulsierenden Baßgitarre bewegten. Eine heftige Berührung an seinem Bein ließ ihn aufschauen und entdecken, daß sich seine Schenkel an einer üppigen schwarzen Lady rieben, die sich zwischen ihn und dem Gast auf dem nächsten Stuhl geschoben hatte. »Hallo! Nett, dich zu sehen«, sagte er und schaute sich ihr grell rotes, tiefausgeschnittenes Kleid an. Offensichtlich war die Kleine an ihm interessiert – und wer konnte ihr das verübeln? Wie oft zeigte sich ein so cooler, gutaussehender Typ in so einem Schuppen? Es würde nicht viel Mühe kosten, diese Lady herumzukriegen. Er konnte schon ihr Stöhnen unter seinen Berührungen hören. »Hi«, schnurrte sie. »Besorgst du mir einen Drink?« »Sorry, Kleine«, sagte Reggie und verschoß sein charmantestes Lächeln. Siegessicher versuchte er es mit der
Wahrheit und gab zu: »Ich bin fast pleite. Wie wär’s, wenn du mir einen Drink besorgst?« Das Leuchten in ihren Augen erlosch sofort. Ihr Lächeln verschwand ebenso schnell. »Fick dich selbst«, sagte sie knapp und war schneller gegangen, als Reggie gucken konnte. »Ehrlichkeit. Ich mag das an solchen Pussies«, bekannte er an niemanden Bestimmten. Er nippte an seinem Drink und bemerkte, daß das Mädchen sich einige Hocker weiter hingesetzt hatte und sich einem anderen Gast näherte. Der Mann, der wie Reggie einen teuren, gut geschnittenen Anzug trug, fuhr offenbar auf ihr Spielchen ab. Er nickte und hob die Hand, um den Barkeeper zu rufen. Er würde sich glücklich schätzen, ihr einen Drink auszugeben. Der Dummkopf merkte nicht, wie das Mädchen ihre Hand in seine Tasche schob und ihn geschickt um seine Brieftasche erleichterte. Einen Augenblick später, als er sich umwandte, um ihr einen Drink zu reichen, lächelte sie reizend und deutete auf die Damentoilette. Reggie kicherte, als er sich die Show ansah. Er wäre wirklich zu lange weg gewesen, wenn er auf diese alte Tour hereingefallen wäre. Kein Zweifel, sie war ein echter Profi, und er mußte sie wegen ihrer Geschicklichkeit bewundern. Mit dem Drink in der Hand arbeitete sich Reggie zu dem Opfer der Taschendiebin vor. Der Typ sah vor Vorfreude ganz träumerisch aus. »Wie geht’s so?« sagte er. Der Mann bedachte ihn mit einem schiefen Lächeln. Offensichtlich hatte er ganz andere Dinge im Kopf. »Haben Sie jemals diese Werbung über Traveler Checks gesehen, wo Karl Maiden einem diese dämlichen Touristen vorführt, denen in Zeitlupe die Taschen ausgeräumt werden?« fragte Reggie.
Der Mann starrte ihn verblüfft an, dann plötzlich kapierte er, worauf Reggie hinauswollte. Er steckte seine Hand in seine Tasche und zog sie leer wieder heraus. »Scheiße!« fluchte er. »Keine Panik. Regen Sie sich nicht auf. Ich kann Ihnen Ihre Brieftasche wieder zurückbringen«, sagte Reggie ruhig. »Wieviel?« fragte der Mann, der wußte, daß dieses Angebot seinen Preis haben mußte. »Die Hälfte von dem, was Sie haben.« »Aber…« Reggie ging zurück und hob die Hände, als wolle er sagen: Das ist mein Angebot, nimm es oder laß es! »Oh, Sie mögen es, ohne Geld dazustehen, was?« verspottete er den Typen. »Okay. Aber es ist ziemlich mühselig, Kreditkarten zu sperren, all die Leute anzurufen… Und die ganze Zeit laufen irgendwelche Kerle herum, machen hohe Rechnungen in Ihrem Namen, und die ganze Kreditwürdigkeit geht zum Teufel… Es dauert Monate, um all das wieder in Ordnung zu bringen.« Er sah den inneren Kampf in den Augen des Mannes. Reggie wandte sich ab. Das entschied die Sache. »Ist abgemacht«, sagte der Mann mürrisch und beugte sich zur Bar, um auf seine Brieftasche zu warten. Zwei Frauen verließen gerade die Damentoilette, als Reggie hineinging. Sie schenkten ihm kaum einen zweiten Blick. Barnstormer’s war nicht so ein Schuppen. Aber die Taschendiebin, die sich gerade vor dem Spiegel schminkte, warf nur einen Blick in sein Gesicht und wußte, daß er Ärger brachte. »Ich wollte dich nur ein bißchen besser kennenlernen«, sagte Reggie freundlich, während er sich zu ihr vor den Spiegel gesellte. »Das war ein geschicktes Ding, das du da draußen abgezogen hast. Ich habe nicht alles gesehen, aber das war wirklich große Klasse.« Er tätschelte ihr Haar. »Ich habe dem Typen draußen versprochen, ich würde ihm sein Geld
zurückbringen. Doch wenn du mir eine kleine Bestechung anbieten willst… Ich kann ihm sagen, daß du zu schnell für mich warst…« »Ich bin zu schnell für dich, Schwachkopf«, zischte sie und stach mit einem Klappmesser nach ihm. Reggie warf seine Arme hoch. »Zu meiner Zeit brauchte ein Taschendieb keine Gewalt«, sagte er. Die Frau schwang das Messer nach ihm und brüllte: »Die Zeiten ändern sich.« Vielleicht, aber Reggie war noch immer klüger und geschickter als eine x-beliebige Diebin. Bevor sie überhaupt wußte, was geschah, stürzte er sich auf sie und riß ihr das Messer aus der Hand. Die Frau schrie und setzte zu einem wilden Schwinger an, aber Reggie kam ihr zuvor. Er packte ihren Arm und preßte ihn gegen ihren Rücken, während er um sie herumwirbelte. »Ich wußte, wir würden gute Freunde sein«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Also, wo ist das Geld?« »Finde es selbst, Scheißkerl«, fauchte sie. »Okay«, sagte Reggie beglückt. Es würde ihm eine reine Freude sein. Er brauchte keine Straßenkarte, um herauszukriegen, wo sie es versteckt hatte. Während er an ihrer Vorderfront herum griff, ließ er seine Finger einen Moment auf ihren Brüsten, als er nach den Scheinen tastete. In dem Augenblick schwang die Tür auf. Ein Mädchen glotzte ihn an. Reggie imitierte ein Lächeln. »Fast fertig«, sagte er, seine Hände auf halben Wege unter dem Kleid der Taschendiebin. Die Frau drehte sich herum und verließ den Raum ohne ein Wort. Reggie setzte seine Jagd nach dem verborgenen Schatz weiter fort. »Aha!« rief er, als sich seine Hand um das Geld schloß. Während er die Scheine triumphierend unter ihrer Nase hin
und her wedelte, sah er sie schief an und sagte: »Ich bin ein paar Jahre im Knast gewesen. Hast du noch etwas dort unten?« An der Bar befragte Jack noch immer Terry und war hochzufrieden über das, was er bisher herausbekommen hatte. »War noch jemand bei den Rockern?« wollte er wissen. »Nur die drei kamen herein. Aber da war dieser magere, schwarze Typ… der älteste der Typen sprach zu diesem Schwarzen.« Jack unterdrückte seine Aufregung, als er das Bild von Burroughs auseinanderfaltete, das er auf dem Computer erstellt hatte. »Etwa so jemand?« fragte er. Sie erkannte ihn sofort. »Ja, das ist er. Er belästigte mich nicht. Er war okay.« »Gut. Vielen Dank«, sagte ihr Jack. »Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.« Er wandte sich zum Gehen, aber Terry packte seinen Arm. »Ich will Ihnen etwas sagen«, erklärte sie. »Dieser Kerl, der mich gepackt hatte, ist krank. Ich meine es ernst. Ich habe hier mit einer Menge Arschlöchern zu tun, aber dieser Typ war… etwas Besonderes. Darum rief ich sie an. Dieser Kerl sollte nicht auf der Straße herumlaufen. Er ist eine Gefahr.« Jack hätte ihr nicht mehr zustimmen können – und sie wußte nicht einmal zur Hälfte, was für ein besonderer Typ der Kerl war. Er nickte ihr zu und sah sich nach Reggie um, der verschwunden war. Das war keine Überraschung. Es war eine sichere Wette, daß er es auf ein armes, unverdächtiges Mädchen abgesehen hatte und sie jetzt irgendwo in eine Ecke drängte; und während er ihre Titten drückte, machte er ihr leere Versprechungen. Es sah Reggie ähnlich, daß er im passenden Moment vergaß, daß sie geschäftlich unterwegs waren. Auf der Suche nach seinem Partner ging Jack zur Bühne hinüber. Er gratulierte sich selbst, als er begriff, daß er nicht
einmal versucht gewesen war, sich einen Drink zu bestellen, als plötzlich irgend jemand in der Menge seinen Namen rief. »Jack Cates!« dröhnte eine Stimme hinter ihm. Jack drehte sich herum und fand sich einem kräftigen Kerl gegenüber, der von zwei übergroßen Schlägern flankiert wurde. »Erinnern Sie sich an mich?« knurrte der Mann betrunken. »Ja, klar«, sagte Cates und verzog das Gesicht, als die Whiskyfahne ihn traf. »Sie sind dieser verdammte Bastard, den ich dafür einbuchtet, daß er auf dem Rücksitz eines gestohlenen Camaro hockte, die Hose runter und mit einem fünfzehnjährigem Mädchen.« »Ich habe den Wagen nicht gestohlen. Mein Kumpel hat das gemacht.« »Suchen Sie sich Ihre Freunde besser aus«, erklärte Cates ihm. Wie er sich erinnerte, hatte der Mann dieselbe Ausrede auch vor Gericht gebraucht. Der Richter hatte sie ihm nicht abgenommen. Warum sollte Cates ihm jetzt glauben? »Ich kriegte zwei Jahre«, erinnerte ihn der Mann. »Persönliches Pech«, knurrte Jack und versuchte, sich vorbeizuschieben. »Ich bin in Eile.« Aber der Mann hatte zu lange auf diesen Moment gewartet, um Cates gehen zu lassen, ohne das ganze Ausmaß seiner Rache ans Licht zu bringen. Während er Jack am Ellbogen packte, sagte er: »Ich hab’ Sie im Fernsehen gesehen. Sie sind kein Bulle mehr. Sie sind suspendiert, stimmt’s?« »Ich sehe Sie später. Ich bin beschäftigt«, entgegnete Jack und machte einen Schritt nach vorn. Der Kerl packte Cates am Revers seiner Jacke. »Ich habe eine Menge mit Ihnen zu besprechen, Cates«, brüllte er. Der Typ hatte die Grenze von Verärgerung zu Wut eindeutig überschritten, und er hatte Cates an einem Tag erwischt, wo es mit seiner Geduld ohnehin nicht zum Besten stand.
»Hey, Mann, mach mal Pause. Ich habe keine Lust, in eine verdammte Kneipenschlägerei verwickelt zu werden, und ich habe erst recht keine Lust, mich mit jemandem zu streiten, den ich mal erwischt habe. Macht sich schlecht in meiner Personalakte. Außerdem geraten Leute immer in Bars oder Kneipen in Streit, das hört man immer wieder… schlagen andere Leute mit Flaschen, ziehen ihnen einen Stuhl über die Rübe…« Und wie zur Demonstration packte Cates eine Flasche in der einen und einen Stuhl in der anderen Hand und schlug sie dem Typen in einer Zweier-Kombination ins Gesicht und über den Kopf. Der Mann stürzte auf den Boden. Blut rann seine Stirn hinunter, und er starrte Cates giftig an, als seine Freunde ihn auf die Füße zogen. »Du hast deine Chance vertan«, sagte Cates und rieb seine kaputte Schulter. »Ich brauche nur einen Arm, um es so einem Haufen Scheiße wie dir zu besorgen.« Aber der Kerl war noch lange nicht am Ende. Während er vorwärtsstürmte, holte er zu einem wilden Schwinger aus, der nur knapp Cates’ Kopf verfehlte. Jack duckte sich und tänzelte auf den Kerl zu. Mit seinem gesunden Arm versetzte er dem Typen einen Kinnhaken. Der Mann schrie vor Zorn auf und taumelte zurück in die lärmenden, jubelnden Zuschauer. Vom Lärm angezogen, eilte Reggie gerade rechtzeitig genug zur Bar, noch mitzubekommen, wie Jack seinen zweiten Schlag plazierte. »Ich rufe die Bullen«, schrie Terry. »Keine Sorge«, brüllte Reggie zurück. »Er ist ein Bulle!« Er beobachtete, wie Cates nach vorne sprang und den Kampf mit einem weiteren, schnellen Schlag an den Kopf seines Gegners zu beenden versuchte. Der Kerl taumelte von dem Hieb, aber er erholte sich wieder und schlug Cates so heftig auf die Brust, daß ihm die Luft wegblieb. Bierflaschen flogen, als
Cates rückwärts über einen Tisch glitt. Er landete, den Kopf zuerst, unter einem Hagel von zerbrochenem Glas direkt vor Reggie. »Wie geht’s dir?« fragte Reggie. »Großartig. Ich hab’ ihn fertiggemacht«, knurrte Cates und rappelte sich wieder auf. Reggie kicherte. »Ja. Ich seh’ es, Mann.« Aber das Lachen verging ihm, als der Typ vorwärtsstürmte, mit einem wütenden Schrei wie ein verwundetes Rhinozeros. Cates schüttelte die Glasscherben ab und wich dem Schlag zur Seite aus, dann versuchte er dem Mann zwischen die Beine zu treten – und verfehlte. Mit zwei kraftvollen Schlägen an den Kopf des Mannes hatte er mehr Glück. Doch dann hatten die Schläger des Mannes entschieden, daß sie auch nicht ganz untätig bleiben wollten. Sie packten Cates an den Armen und schoben ihn vor ihren Freund, der sich anschickte, Cates den Rest zu geben. »Ich prügele dir meine zwei Jahre Knast aus dem Arsch«, brüllte er. Er bäumte sich zurück, spannte sich wie ein Werfer, der einen besonders schnellen Ball spielen wollte, und verpaßte Cates mehrere Schläge gegen Kopf und Brust. Als er sah, wie Jack sich vor Schmerzen krümmte, beschloß Reggie, daß es Zeit für ihn war, in diese Nummer mit einzusteigen. »Haben Sie eine Kanone unter dem Tresen?« wollte er von Terry wissen. »Was?« Sie stellte sich dumm. »Eine Kanone. Für den Fall, daß Sie ausgeraubt werden!« »Ja«, gab sie zu, »aber…« »Geben Sie sie mir!« »Ich glaube nicht…« »Nun geben Sie mir die gottverdammte Kanone!« schrie er. »Wollen Sie, daß er umgebracht wird?«
Überzeugt, daß er kein Nein als Antwort akzeptieren würde, zog Terry die Pistole aus einer Zigarrenkiste, wo sie für gewöhnlich versteckt war, und gab sie ihm. Während er die Waffe in der Luft hin und her schwang, sprang Reggie auf die Bar und schoß in die Decke. Und für den Fall, daß die Schläger nicht mitbekommen hatten, daß er der Bewaffnete war, feuerte er gleich noch einmal – und dann kurz danach ein drittes Mal. Im Raum wurde es still. Der Kampf kam abrupt zum Stillstand. Zufrieden, daß er die Aufmerksamkeit der Menge gewonnen hatte, schrie Reggie: »Okay. Hört mit dem Scheiß auf! Ich sag’ euch was, Leute, das war ein verdammt mieser Tag für mich. Bin heute morgen aus dem Knast gekommen. Seitdem ist auf mich geschossen worden, ein beschissener Truck ist auf mich losgerast, und irgend jemand hat meinen Porsche in die Luft gesprengt. Und dann heute abend, gerade eben, hat so eine Hexe versucht, mir mit einem Messer an die Kehle zu gehen.« Als er die Liste seiner Klagen durchging, wurde Reggie immer entrüsteter über den traurigen Empfang, den er erhalten hatte. »Ich habe Jahre darauf gewartet, aus dem Knast zu kommen«, fuhr er fort, wobei seine Stimme sich vor Ärger hob, »und ich komme in eine solche Scheiße zurück? Nun, wenn ihr Typen Jack Cates den Arsch aufreißen wollt, habe ich für gewöhnlich nichts dagegen. Aber jetzt habe ich mit ihm nun einmal einen Job zu machen, und er hat außerdem mein Geld. Also hört ihr besser mit der Sache auf, okay?« »Nur weil du eine Waffe hast?« schrie einer der Schläger. »Verdammt richtig.« »Ja?« Der Mann kicherte. »Nun, ich glaube nicht, daß du den Mumm hast, sie zu benutzen.«
Mehr brauchte Reggie nicht zu hören. Ohne eine Sekunde zu zögern, zog er den Abzug durch und schoß dem Schlägertypen in den Fuß. »Au!« heulte er. Seine Kumpel sprangen schnell zurück. »Der Kampf ist vorbei«, verkündete Reggie. Er gab Terry die Waffe zurück. »Vielen Dank.« »Laß uns gehen, Jack«, sagte er, richtete seine Krawatte und machte Anstalten zu gehen. Leider war Jack Cates niemand, der etwas auf sich beruhen lassen konnte. Er würde nicht weggehen, ohne den letzten Schlag zu haben. Reggie steuerte schon auf die Tür zu, als Cates seinen Köpf in den Schlägertypen hineinrammte und ihm dann mit der Rechten einen Schlag ans Kinn verpaßte. »Scheiße!« murmelte Reggie, als er sah, wie der große Mann zusammenklappte. Der Mann kam torkelnd wieder auf die Beine. Aber Jack erwartete ihn mit zwei Überhandschlägen, die ihn gegen einen Metallpfosten schickten. Nur um die Sache endgültig zu beenden, schlug Jack den Kopf des Mannes ein-, zweimal gegen eine Säule, bis der Kerl zu Boden glitt. Einer seiner Kumpel machte eine Bewegung auf Jack zu. Aber Reggie kümmerte sich mit einem Wirbel von schnellen, harten Schlägen um ihn, die damit endeten, daß der Typ neben seinem Boß zusammensackte. Der andere Kerl, der wegen der Kugel in seinem Fuß noch ein Hühnchen mit Reggie zu rupfen hatte, hinkte hinüber und wollte Reggie einen Barhocker über den Kopf ziehen. »Banzai!« schrie Reggie und erledigte ihn mit einem wohl plazierten Tritt auf den verletzten Fuß. Sein Sieg war allerdings nur von kurzer Dauer. Er wurde unliebsam überrascht, als der erste der Schläger nach vorne stürmte. Während er ihn gegen die Theke drückte, packte der
andere ihn an der Kehle und begann, ihn zu würgen. Reggie griff nach einem Glasständer über seinem Kopf. Die Hände des Typen umklammerten noch seine Kehle, als der Ständer hinunterkrachte und den Kerl bewußtlos schlug. Reggie keuchte und blickte zuerst auf den Typen, dann zu Cates. »Eine glatte Sache, Jack«, bemerkte er sarkastisch. »Ich hasse Barkämpfe«, beschwerte sich Jack, als sie hinausgingen. »Wo warst du?« »Ich hatte was in der Damentoilette zu erledigen.« »Was?« Hatte Reggie es mit irgendeinem Mädchen in einer der Toiletten getrieben? »Nachdem ich dann meine Sache bereinigt hatte, mußte ich deinen Arsch retten«, erinnerte Reggie, für den Fall, daß Jack vergessen hatte, wer gerade die meiste Arbeit erledigt hatte. »Danke. Ich brauchte deine Hilfe nicht«, gab Jack zurück. »Ich habe dir nicht geholfen. Ich habe mein Geld beschützt«, klärte Reggie die Sache auf. Wie konnte er es vergessen? Jack Cates brauchte nie die Hilfe von irgend jemandem. Er war ein Einzelgänger… ein Superheld… Wahrscheinlich gab es niemanden in seiner Abteilung, der mit ihm arbeiten wollte. Kein Wunder, daß er Reggie gebeten hatte, ihm aus der Patsche zu helfen. Aber von nun an sollte Cates besser auf das aufpassen, was er tat. Soweit es Reggie betraf, war er gewissermaßen auf Bewährung. Noch ein falscher Schritt, und Cates sähe seinen Traum, den Eismann zu finden, schneller verschwinden als ein Eisbällchen im August.
9
Ohne Reggies Ärger und Unwillen zu bemerken, öffnete Jack den Kofferraum und begann, all den Plunder durchzuwühlen, der sich dort angesammelt hatte. »Ich hätte wissen sollen, daß es nicht leicht sein würde«, murmelte er, als er einen Haufen schmutziger Lappen und einen völlig platten Ersatzreifen beiseite schob. Es dauerte eine Weile, bis er gefunden hatte, wonach er suchte… einen schäbigen Metallkasten, der sich quietschend öffnete und eine .44er Magnum enthielt. »Ich habe immer eine Ersatzknarre. Der Kampf da drinnen hat gezeigt, was einem passieren kann, wenn man keine Waffe dabei hat, um sich zu beschützen«, erklärte er und schob die Pistole ins Halfter. »Sagtest du was, Reggie?« Reggie sah auf, er erwartete eine Entschuldigung. »Was?« Mit der linken Hand schlug Cates den Kofferraum zu. Mit der Rechten schlug er Reggie ins Gesicht und schickte ihn auf den Asphalt. »Was soll der Scheiß?« schrie Reggie, sein Gesicht vor Zorn verzerrt. »Das ist für den Basketball. Nun sind wir quitt«, erklärte ihm Jack seelenruhig. »Quitt? Hau ab! Unser Geschäft ist geplatzt.« Reggie plagte sich auf, warf Cates einen haßerfüllten Blick zu und ging die Straße hinunter. Cates war verblüfft. Was meinte er damit, ihr Geschäft wäre geplatzt? Wegen eines einzigen Schlages? Konnte der Kerl nicht einen einzigen Schlag kassieren, ohne gleich verrückt zu
spielen? »Reggie, wohin gehst du?« schrie er ihm nach. »Was… Scheiße…« Er sprang eilig in seinen Wagen, raste auf die Straße und schloß leicht zu Reggie auf. Er bremste ab und kroch neben Reggie entlang. Reggie meinte, Dampf käme aus seinen Ohren. Zum Glück hatte er keine Waffe, sonst hätte er vielleicht noch auf Cates angelegt. Während er so tat, als bemerke er Cates nicht, ging Reggie immer weiter. Aber es war verdammt schwer, den babyblauen Cadillac zu übersehen. Schließlich wurde sein Zorn zu groß, um ihn zurückzuhalten. »Was zum Teufel ist mit dir los, Jack?« explodierte er. »Bist du als Schwachkopf auf die Welt gekommen, oder hast du Stunden in Schwachsinn genommen?« Cates atmete erleichtert auf. Er hatte wirklich gedacht, er hätte die Sache diesmal ruiniert. »Komm schon, Reggie, du nimmst das zu persönlich«, schrie er. »Ich mußte nur mit dir quitt werden, so bin ich nun mal. Nun steig in den Wagen.« Reggie hatte nicht vor, sich so leicht besänftigen zu lassen. Cates würde im wahrsten Sinne des Wortes vor ihm kriechen müssen, bevor er sich seinem Wagen nähern, geschweige denn seinen Arsch hineinbewegen würde. »Verpiß dich bloß. Ich habe es dir gesagt, ich bin fertig mit dir. Diesmal meine ich es auch«, sagte er kühl. »Sei nicht blöd. Das ist peinlich. Wohin gehst du?« »Irgendwohin, nur weit genug von dir weg.« »Komm schon, Reggie, mit mir zusammenzuarbeiten ist die beste Chance, die du hast, um am Leben zu bleiben«, sagte Jack und änderte seine Taktik. »Dann bin ich besser tot«, schoß Reggie zurück. »Du würdest nicht wollen, in diesem Anzug beerdigt zu werden«, sagte Cates.
»Ich kann mir keinen neuen kaufen. Irgend so ein großes, blödes Arschloch hat mein ganzes Geld.« »Komm schon, wir bringen die Sache zu einem Ende, und ich gebe dir dein Geld Zurück, und dann kannst du dir einen neuen Anzug kaufen…« »Wie weiß ich denn, daß du mein Geld überhaupt hast?« wollte Reggie wissen. Cates zuckte mit den Achseln. »Schätze, du mußt mir vertrauen.« Reggie starrte ihn an. »Auf Wiedersehen«, erklärte er. Ihm vertrauen! Zu spät dafür, Jack. »Schau, dein Tip hat sich als richtig erwiesen«, sagte Jack und versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. »Die alte Freundin von Ganz lebt im Tenderloin. King Mei Hotel.« »Ein weiter Weg bis dahin, gute Polizistenarbeit, Jack. Vielleicht bist du ja doch nicht so dumm, wie du aussiehst.« Jack war sicher, daß er Reggies Neugier geweckt hatte. Er beugte sich vor, um die Tür zu öffnen. »Ja«, sagte er, »du und ich fahren rüber, klären die Sache mit den Motorradtypen, und danach mußt du mich niemals wieder sehen. Komm schon, steig ein. Ich brauche dich, Reggie.« Das war zwar keine richtige Entschuldigung, aber näher heran an eine richtige Entschuldigung würde Jack nicht kommen, und Reggie wußte das. Er hielt inne und bewegte sich dann auf den Wagen zu. »Ich weiß, daß du es nicht so meinst, aber das waren die wahrsten Worte, die du jemals gesprochen hast«, sagte er, und seine Augen blitzten auf vor Zorn. »Okay, okay, ich werde mit dir kommen. Aber wenn du mich noch einmal anfaßt, wenn du mich schlägst, wenn du mir nur zufällig deinen Rotz auf meinen Mantel schniefst, bringe ich dich um. Rutsch rüber. Ich fahre.« »Klar, klar«, stimmte Jack zu und glitt auf den Beifahrersitz.
Reggie setzte sich hinter das Lenkrad und fingerte am Radio herum, bis er seinen liebsten Jazz-Sender gefunden hatte. Er checkte den Rückspiegel. Dann trat er durch und schlug Cates auf seinen kaputten Arm. »Ich möchte dir einen Schritt voraus sein, Jack«, sagte er mit einem erfreuten Grinsen, als er losraste. Obwohl es noch früh am Abend war, prangten und dröhnten schon überall in Tenderloin die Angebote von billigem Sex. Neonreklamen blinkten die Passanten an, lockten sie mit Versprechungen wie ›XXX! Nacktstars! XXX!‹ An den Straßenecken schrien Prediger ihre Botschaft vom Heil hinaus, im Wettstreit mit Bettlern und Händlern, die heiser ihre Waren anboten – von gestohlenen Uhren und Ringen bis hin zu Räucherstäbchen und religiösen Medaillen. Potentielle Kunden schlenderten die bevölkerte Straße hinunter, warfen taxierende Blicke auf die Porno-Buchläden, Oben-ohne-Nightclubs und billigen Kinos, die sie in dieses Viertel gezogen hatten. Die Fremden schauten sich nervös und verstohlen um, als sie sich in den Eingang ihrer Wahl wagten. Die regelmäßigen Besucher, von denen einige in dieser Gegend lebten, hielten inne, um mit den Händlern zu reden, bevor sie auf ihrer Suche nach Nervenkitzel werterzogen. Das Tenderloin hatte seinen grellen Charme, und beide, Jack und Reggie, kannten ihn gut. Heute abend aber hatten sie nur ihr Geschäft im Sinn, als sie auf der Straße entlang fuhren und nach dem King Mei Hotel Ausschau hielten. Reggie sah es zuerst – ein heruntergekommenes Backsteingebäude mit einer flackernden Leuchtreklame und einem Pappschild im Fenster, auf dem in Englisch und Chinesisch ›Zimmer frei‹ stand. Er trat auf die Bremse und rammte fast einen Müllwagen, der den Abfall aus der Seitenstraße abholte.
»Mein Gott!« rief Cates und hielt sich am Armaturenbrett fest. »Nervös, Jack?« Reggie kicherte, als er direkt vor dem Hotel parkte. »Nein«, log Jack, als er aus dem Caddy stieg. »Du zahlst für den Wagen.« Er kontrollierte seine Waffe, dann erteilte er Reggie eine Warnung. »Hör zu, wir gehen hinein, um das Mädchen zu befragen. Das ist eindeutig Sache eines Polizisten. Also treib da drinnen keinen Unsinn.« Reggie warf ihm einen finsteren Blick zu. Wie üblich tadelte Cates den Falschen. Für Reggie war klar, wer von ihnen, den Ruf verdiente, ein sicheres Ding zu verpatzen. »Verschone mich damit«, sagte er und begab sich zum Gehsteig. Jack wappnete sich gegen eine Enttäuschung. »Wahrscheinlich hat sie den Typen in letzter Zeit nicht mehr gesehen«, dachte er laut nach. »Er ist in der Stadt, um einen Mord zu begehen, wird er sich da die Zeit nehmen, seine alte Freundin zu vögeln?« »Nein, er würde sie an seinen Partner weitergeben«, erwiderte Reggie. »Unsinn.« »Kein Unsinn«, sagte Reggie ernst. »Du hast keine Ahnung, wie diese Rocker denken, Jack. Wenn ein Typ eine heiße Frau hat, liebt er es, sie herumzuzeigen. Und den Spaß mit anderen zu teilen. Sie sind wie Eskimos.« Cates’ einzige Erwiderung zu Reggies soziologischer Analyse war ein gelangweiltes Achselzucken, als er die Hoteltür aufschob. Die Halle bestand aus zwei schäbigen Lehnstühlen und einem wackligen Kaffeetisch, dessen Oberfläche mit Kratzern und Brandflecken von Zigaretten
übersät war. Ausgestreckt in einem der Lehnstühle saß ein alter, runzeliger Chinese. Reggie blickte den Mann neugierig an; er war entweder ohnmächtig geworden oder gerade gestorben. »Netter Ort«, kommentierte Reggie trocken. »Genau deine Kragenweite, Reggie.« Cates ging zu dem Schalter, der vom Boden bis zur Decke mit einem schmutzigen Plexiglasschild versehen war. Der Portier war hinter einem Gitter kaum zu sehen, das in das Plexiglas eingelassen war. »Wir mochten zu einem Mädchen, das hier wohnt – Angel Allen«, sagte Cates und klopfte gegen das Plastikfenster. Der Portier blickte von seiner Zeitung auf. »Nie von ihr gehört«, sagte er und fuhr dann fort zu lesen. Cates zog seine Spielzeugmarke hervor. »Haben Sie nun von ihr gehört?« »Hauen Sie ab.« Der Portier war völlig unbeeindruckt. »Mein Junge hat auch eines von diesen Dingern.« »Hat er auch eines von diesen Dingern?« Cates öffnete seine Jacke und zeigte seine .44er. Der Portier, der keinen Ärger haben wollte, erinnerte sich plötzlich, daß ihm Angel Allens Name bekannt vorkam. »Die Treppe hinauf«, erklärte er Cates, während er respektvoll die Waffe ansah. »Dritte Etage. 4-B. Die Treppe am Ende. Das Zimmer liegt auf der rechten Seite.« »Danke. Haben Sie einen Fahrstuhl?« fragte Cates. »Kaputt. Die Treppen sind der einzige Weg hinauf.« »Hören Sie zu, rufen Sie sie nicht an, okay«, sagte ihm Cates. »Wenn Sie nicht eine Menge Ärger bekommen wollen. Wir wollen sie überraschen.« Der Portier nickte. Er war immer für Überraschungen, solange nicht er das Opfer war. Er wies auf einen schmalen Korridor, der nur schwach von einer nackten Glühbirne erhellt wurde.
Sie hatten den Gang halb durchquert, als Reggie von einem surrenden Geräusch abgelenkt wurde, das hinter einem dicken, schwarzen Vorhang erklang. Er zog den Vorhang vorsichtig zurück – und mochte, was er sah: Eine schöne schwarze Frau tätowierte einen bunten Drachen auf die Brust eines jungen, orientalisch aussehenden Mädchens. Das Mädchen blickte zu Reggie mit halbgeschlossenen, Opium umwölkten Augen auf. »Jack, ich weiß, was ich mir zu Weihnachten wünsche«, sagte er und leckte sich die Lippen. Jack zog ihn von dem Vorhang weg und schob ihn auf die Treppe zu. »Bleib beim Geschäft, Reggie«, befahl er und kontrollierte den leeren Treppenaufgang. »In Ordnung. So weit hast du die Sache gut gemacht, Reggie. Das ist der einzige Weg hinauf. Du wartest hier, und ich gehe hinauf und sehe mir die Lady an«, sagte er. »Falsch«, erwiderte Reggie, der sich, schon einen Plan zurechtgelegt hatte. »Ich habe keine Waffe. Du wartest hier unten. Ich möchte nicht, daß die Motorradtypen hinter mir heraufkommen, und alles, mit dem ich sie vertreiben kann, ist mein Schwanz. Wenn sie drinnen ist, rufe ich dich.« Jack fand das sinnvoll. »Okay. Willst du die Marke?« »Nein danke, Mann. Ich glaube nicht, daß ich auf dem Weg nach oben irgendwelche kleinen Kinder treffe.« Reggie kicherte leise, als er auf die Treppen zusteuerte. Cates beobachtete, wie er ging, und hoffte, daß er keinen Fehler gemacht hatte. Als er sich gegen die Wand lehnte, entdeckte er, daß neben seinem Kopf ein Fenster lag, das mit schwarzer Pappe abgedeckt war. Er bog eine Ecke zurück und blickte auf eine mit Abfall übersäte Gasse hinaus. Sie war leer bis auf die Reihe großer Mülltonnen auf der anderen Seite. Enttäuscht, keine Rocker zu finden, die hinter dem Gebäude herumlungerten, steckte Cates sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück, um auf Reggie zu warten.
Cherrys Motorrad rollte um die Ecke und bremste ein kurzes Stück vom King Mei entfernt. Direkt vor dem Hotel hatte gerade ein Streifenwagen einen frisierten 32er Deuce geschnappt, der in einer 25-Meilen-Zone 60 gefahren war. Als der Bulle aus seinem Wagen stieg und zu dem Deuce hinüberging, dachte Cherry, daß es besser wäre, nicht durch den Vordereingang ins Hotel zu gehen. Er drehte die Maschine auf, fuhr über die Straße und hielt in der dunklen Gasse. Seine Scheinwerfer erfaßten Hickoks Harley, die von der Feuerleiter des Hotels verdeckt wurde. Cherry parkte seine Harley rechts neben Hickoks Maschine. Dann stieg er auf den Sitz eines Motorrads, griff hinauf und zog leise die Feuerleiter herunter. Auf der anderen Seite der Mauer rauchte Cates gerade seine dritte Zigarette und langweilte sich ziemlich, als er sicher war, ein lautes, metallisches Geräusch draußen vor dem Fenster zu hören. Er bog den Pappkarton zurück und spähte in die Nacht. Der Blick war plötzlich viel interessanter. Er ließ seine Zigarette fallen und griff nach seiner Pistole. Wie zum Teufel hatte er überhören können, daß Cherry seine Maschine abstellte. Laut fluchend rannte er die Treppe hinauf, Cherry nach.
Cherrys Freundin war im Bett und wollte es sich gerade mit Hickok gemütlich machen, als sie hörte, wie jemand gegen die Tür klopfte und ihren Namen rief. Ihre Rechnungen hatte sie alle bezahlt, und irgendwelche Besucher erwartete sie nicht. Also rief sie: »Ich kann nicht«, und hoffte, der Kerl würde kapieren und abhauen. Aber wer auch immer da draußen stand, schien sich vorgenommen zu haben, mit ihr zu sprechen. »Angel Allen?« schrie er wieder.
»Scheiße! Tut mir leid, Honey«, sagte Angel zu Hickok und löste sich widerwillig aus seinen Armen. Sie warf sich einen dünnen Kimono über, der ihre üppigen Reize kaum verbarg, zu denen nicht zuletzt der Schmetterling gehörte, der über ihren Brüsten eintätowiert war. »Warten Sie ‘ne Minute!« schrie sie. Hickok runzelte die Stirn, verärgert über diese Unterbrechung. Cherry hatte ihm eine Menge von Angel erzählt, und er freute sich darauf, ein wenig Spaß mit ihr zu haben. »Beeil dich!« maulte er, als sie zur Tür trottete. Sie sperrte auf, öffnete die Tür einen Spalt und war überrascht, einen attraktiven, jungen Schwarzen zu sehen. »Was wollten Sie?« fragte sie. »Es tut mir leid, Sie zu belästigen«, sagte Reggie, als er sich an ihr vorbeischob. »Ich… O Scheiße…« Seine Stimme verklang, als er durch den Raum Hickok anstarrte, der aus dem Bett gesprungen war und sich seine Hose anzog. Zwischen ihnen, aber ein wenig näher zu Reggie stand ein Stuhl, über dessen Lehne Hickoks Waffe und Halfter hing. Hickok griff nach der Pistole, aber Reggie bekam sie zuerst zu fassen. Hickok sprang über das Bett und floh aus der Tür. Während er den Hahn spannte, wandte sich Reggie herum, um ihm zu folgen, aber Angel packte ihn und kämpfte mit ihm um die Waffe. Er stieß sie aus dem Weg und stürmte in den Korridor, wo Hickok auf die Treppe zurannte. »Bleib stehen, verdammter Idiot!« schrie Reggie und zielte auf Hickoks Kopf. Hickok sah die Waffe; er begriff, daß Reggie ihn in die Enge getrieben hatte, und hörte auf zu rennen. Die Tür zu seiner Linken flog auf. Ein rotgesichtiger Mann stolperte heraus, während er den Reißverschluß seiner Hose
hochzog. »Was zum Teufel geht hier draußen vor?« rief er entrüstet. »Ich bezahle…« Es war die Chance, die Hickok brauchte. Er schnappte sich den Rotgesichtigen und schleuderte ihn herum. Indem er den Mann als Schutzschild gebrauchte, begann er, rückwärts zu der Treppe zu gehen. Reggie hielt sein Ziel und ging weiter. Plötzlich hörte er Cates, der irgendwo in der Nähe etwas rief. »Stehenbleiben! Hände zur Decke! Umdrehen! Gesicht zur Wand!« brüllte Cates Cherry an, den er erwischt hatte, als der Rocker durch das Fenster auf dem tiefer gelegenen Treppenabsatz kroch. Cherry fuhr herum und starrte den Polizisten erschreckt und verwirrt an. »Ich hab’ dich umge bracht…« stammelte er. »Rat noch einmal«, knurrte Cates, als er sich langsam die Treppe hinauf auf Cherry zubewegte. Cherry starrte ihn an. »Du hast meine Familie umgebracht…« »Gesicht zur Wand! Ich werde es nicht noch einmal sagen!« brüllte Cates, als Hickok mit dem rotgesichtigen Typen im Schlepptau auf den Treppenabsatz kam. Ungewollt lieferte Hickok die Ablenkung, die Cherry brauchte. Da Cates einen Moment die Sicht versperrt war, zog Cherry seine Pistole und feuerte zweimal in schneller Folge. Cates duckte sich und flog die Treppe hinunter. Cherrys Kugeln sausten an ihm vorbei und schlugen in die Wand, wo er noch einen Moment früher gestanden hatte. Als Cates um die Ecke glitt, kam Reggie zum Ende der Treppe. Mit Cherrys Ersatzwaffe feuerte Hickok eine Salve auf Reggie. Reggie sprang in den nächsten Raum und erwiderte das Feuer. Aber sein Ziel hatte sich davongemacht, und seine Kugeln prallten von der Wand ab. Dicke Staubwolken hingen in der Luft und vermischten sich mit dem Qualm der Pistolen, so daß Reggie kaum etwas sehen konnte. Er spähte umher… Zwei Kugeln
schlugen in den Türrahmen, und die Holzsplitter fuhren knapp an seiner Nase vorbei. Cherry zog den rotgesichtigen Typen aus Hickoks Griff und schoß um ihn herum auf Cates. Cates beugte sich um die Ecke, zielte – und schoß nicht, um die sich windende Geisel zu schonen. Von der Straße drangen Polizeisirenen herein. Hickok hörte sie zuerst und kletterte aus dem Fenster zur Feuerleiter. Er schrie Cherry zu, abzuhauen. Cherry schob seine Pistole in den Rücken des rotgesichtigen Mannes, dann drückte er ab. Der Mann starb schreiend, als zwei .44er Kugeln seine Brust durchschlugen. Er taumelte die Treppe hinunter, Fontänen von Blut spritzten gegen die Wände, während Cherry hinter Hickok aus dem Fenster sprang. Die Rocker hatten bereits einen Treppenabsatz zurückgelegt, als Cates und Reggie das offene Fenster erreichten. Reggie schoß zweimal. Um den Kugeln auszuweichen, schwangen sie sich über das Geländer und sprangen. Sie landeten auf den Müllcontainern drei Stockwerke tiefer in der Gasse. »Runter!« brüllte Cates. Er stürmte die Treppe hinunter, Reggie ihm dicht auf den Fersen. Hickok und Cherry waren inzwischen auf ihre Maschinen gesprungen und wirbelten herum. Sie rasten die Gasse hinunter, donnerten um die Ecke – und stiegen in die Bremsen. Der Müllwagen, der vor dem Hotel geparkt hatte, blockierte ihre einzige Ausfahrt. Hickok drehte den Finger in der Luft herum, deutete Cherry, zu drehen und ihm zu folgen. Sie beschleunigten und rasten die Gasse zurück. Ihre Maschinen machten gut und gerne hundert Meilen die Stunde, als sie das andere Ende der Gasse erreicht hatten, wo sie auf eine Ziegelsteinmauer stieß, in die bis zum Boden ein Fenster eingesetzt war.
Hickok riß das vordere Rad hoch. Mit Cherry neben sich, brach er durch das Fenster, dann raste er durch die schäbige Kinoleinwand davor. Die Kinobesucher beobachteten völlig verdattert, wie zwei Motorräder zwischen den gespreizten Beinen eines Pornostars auftauchten. Sie fuhren den Mittelgang hinauf in das Foyer und krachten durch die Glastüren des Kinos. Cates und Reggie stürmten aus dem Hotel, gerade als die Rocker an dem Block vorbei waren. Sie hoben ihre Waffen, zielten… und hätten beinahe auf einen Straßenbahnwagen voller schreiender Japaner geschossen. Cherry und Hickok fuhren auf der anderen Seite des Straßenbahnwagens und verschwanden aus dem Blickfeld. Der Lärm ihrer Maschinen verklang in der Ferne. »Scheiße«, sagte Reggie und sah empört aus. Cates hatte im stillen die gleichen Gefühle, aber alles, was er sagte, war: »Reich besser die Kanone rüber, Reggie. Sieht nicht gut aus, wenn die Polizei auftaucht.« Reggie zuckte mit den Achseln und übergab den Revolver. »Gut. Ich will nicht, daß du auf irgendwelche großen Ideen kommst.« »Unser großer Held«, sagte Reggie und richtete seine Krawatte. »Ist aus der Schußlinie.« Inspector Wilson stand mitten im Bereitschaftsraum, fuchtelte mit den Armen und schrie seinen Leuten Befehle zu wie ein Viersternegeneral. »Um Himmels willen! Warum ist Cates nicht zur Vernehmung hier? Warum ist er auf der Straße? Der Mann ist suspendiert, und er hat mehr Aktionen in den letzten 24 Stunden erlebt als die ganze gottverdammte Abteilung!« Er wäre noch verärgerter gewesen, wenn er gewußt hätte, daß nur ein paar Schreibtische entfernt Kehoe über Funk mit Cates
in Verbindung stand und ihm aus einem Computerausdruck vorlas. »Ganz, Richard«, flüsterte Kehoe in sein Mikrofon. »Auch ›Cherry‹ genannt. Mitglied der Western Brotherhood Motorrad-Gang. Sieben Haftbefehle. 72 schwere Verkehrsverstöße.« Jack und Reggie wurden gegen Cruises Streifenwagen gedrückt, der ein Stück die Straße hinunter beim King Mei parkte. In dem Block hinter ihnen wimmelte es von Einsatzwagen, Krankenwagen und Polizeitransportern. Er mußte sich verdammt anstrengen, um Kehoe zu hören in diesem Tumult von Polizeiexperten, medizinischem Personal, Polizisten in Zivil und Reportern, die zum Schauplatz gerast waren. »Motorrad-Gangs aus L. A.?« fragte er und drückte das Mobiltelefon an sein Ohr. »Ja, LAPD faxte eine Menge Zeug vor ein paar Minuten herüber. Ziemlich viel Unfug«, erwiderte Kehoe. »Ich bin gleich da«, sagte Cates. Im Bereitschaftsraum tobte Wilson: »Wenn Cates auch nur einen Fuß in diesen Bezirk setzt, will ich seinen Arsch in meinem Büro haben. Ich will ihn direkt vor mir stehen sehen.« »Jack«, sagte Kehoe leise in sein Mikrofon, »auf das Revier zu kommen, ist keine so gute Idee. Wilson sucht dich.« Cates nickte. »Nimm alles, was du kriegen kannst, und sei in fünfzehn Minuten draußen. Fünfzehn Minuten, kapiert?« Er unterbrach die Verbindung, um Kehoe keine Gelegenheit zu einem Nein zu geben und reichte das Telefon an Cruise zurück. »Du sitzt tief in der Scheiße«, sagte Cruise. »Erzähl mir was Neues.« Cruise hatte noch mehr schlechte Nachrichten für Jack. Er zog das Fahndungsfoto von Burroughs aus der Tasche. »Ich
habe diesen Typen durch das NCIC-Programm laufen lassen. Konnte nichts Passendes finden.« Reggie hatte sich ein wenig zurückgelehnt, gelangweilt von der Ruhe. Nun versuchte er, sich in das Gespräch einzuschalten. »Hör zu, Jack…« »Eine Minute, Reggie«, sagte Jack, der immer noch über Burroughs nachdachte. Über diese Abfuhr verärgert, wandte sich Reggie um. Er blickte über die Straße, wo Angel in eine Decke gehüllt auf dem Rücksitz eines Streifenwagens saß. Schön, entschied er. Cates konnte herumtrödeln, wie er wollte. Hier war eine Situation, die geradezu nach einem Mann mit seinen Fähigkeiten verlangte. Während er seine Krawatte in die Jacke steckte, schlenderte er herüber, um ein wenig mit Cherrys Mädchen zu quatschen. »Wer ist dein Freund?« fragte Cruise und deutete auf Reggie. »Ein alter Kumpel«, sagte Jack, der froh war, daß Reggie den Hinweis kapiert und sich von hier verdrückt hatte, wo er nicht gebraucht wurde. »Was ist mit dem Mädchen?« »Sie sagt nichts«, antwortete Cruise, der sie mit jeder gesetzlichen Drohung, die ihm zur Verfügung stand, unter Druck gesetzt hatte. Sie sagt dir nichts, würde ihn Reggie korrigiert haben, wenn er Cruise’ Bemerkung mitbekommen hätte. Er hatte keine Zweifel, daß Angel seinen Überredungskünsten schnell nachgeben würde. Es gab kaum eine Frau, die ihm widerstehen konnte, wenn er sie mit seinem Charme überschüttete. Während er seine Stirn in Falten legte, um Besorgnis vorzuspielen, glitt er auf den Sitz neben Angel. »Also schön, Honey«, sagte er sanft. »Aus meiner Warte hattest du die Finger drin beim ersten Kill. Das macht wenigstens fünf bis zehn Jahre – selbst bei guter Führung. Wenn du aber mitspielst, mußt du vielleicht überhaupt nicht in den Knast.«
Angel starrte ihn an und zog die Decke enger um sich. »Ich habe es schon dem anderen Bullen gesagt. Ich habe nichts zu sagen, bis ich nicht mit meinem Anwalt gesprochen habe.« Aber Reggie wußte von der Art, wie sich ihr Mund vor Nervosität spannte, daß sie nicht so hart war, wie sie sich gab. Es mochte eine Weile dauern, aber er würde einiges aus ihr rauskriegen. Er zuckte mit den Achseln. »Okay, aber ich kann dir sagen, was die Zeit im Knast mit einer schönen Frau wie dir anstellt, eingesperrt mit all diesen Lesbierinnen und dem Fraß…« »Sie jagen mir wirklich eine höllische Angst ein.« Reggie begegnete ihrem Sarkasmus mit einer Prise von seinem. »Ich hab’s. Es ist Liebe. Ein Kerl wie Cherry Ganz, der ein- oder zweimal im Jahr in der Stadt auftaucht, der dich seine Freunde bespringen läßt, der dich gründlich durchprügelt, wenn er betrunken ist, so ein Kerl ist es wirklich wert, daß man in den Knast geht, um ihn zu beschützen. Du mußt den Kerl lieben. Jetzt hab’ ich den Durchblick.« Er langte nach dem Türgriff. »Ich weiß nicht, wo sie sind«, sagte Angel mit leiser Stimme. Reggie sah die Furcht in ihren Augen und machte ein ausdrucksloses Gesicht. »Sie ziehen die ganze Zeit umher«, erklärte sie. »Ich kann nie mit ihnen in Kontakt treten.« »Wer kann das denn?« »Nur… Ich weiß es nicht…« Sie zitterte. »Diese Kerle sind Idioten.« »Keine Sorge…« Sein Versuch, sie zu beruhigen, wurde unterbrochen, als plötzlich die Vordertür aufgerissen wurde. Cates steckte den Kopf herein und stierte sie beide auf dem Rücksitz an.
Angel zuckte zusammen, und Reggie verpaßte keine Regung. »Gut. Officer Cates«, sagte er munter. »Steigen Sie ein, und holen Sie Ihr Notizbuch heraus.« Jack warf ihm einen Blick zu: »Bist du übergeschnappt?« Er öffnete den Mund, aber Reggie schnitt ihm jede Entgegnung ab. »Miss Allen hat sich entschlossen, die Ermittlungen zu unterstützen.« Er hob eine Augenbraue, ein Zeichen an Cates: Verdirb die Sache nicht, Kumpel. Dann trieb er das Mädchen an. »Nun, Angel, Sie wollten mir gerade sagen, wer Cherrys Kontaktmann ist… Cates! Schreiben Sie mit!« »Ja… Inspector Hammond«, stotterte Cates und zog sein Notizbuch hervor. »Nun, Angel…« Angel riß an ihrer Nagelhaut und starrte ins Leere. »Der Name des Typen ist Malcolm Price«, sagte sie. »Ein großer Typ, langes Haar, gespenstische Augen. Niemand spricht mit Cherry, wenn er nicht zuerst mit ihm gesprochen hat.« »Wo finden wir ihn?« fragte Reggie. »Ich habe keine Ahnung.« Sie sah flehend zu ihm auf. »Ich schwöre. Ich kenne nur seinen Namen.« »Was? Das ist alles? Das ist nicht mal einen Haufen Scheiße wert!« schrie Reggie, verlor seine Beherrschung und fuhr für einen Moment aus der Haut. Schnell faßte er sich wieder, er senkte seine Stimme und sagte: »Ich meine, sind Sie sicher?« Cates hatte genug gehört. »Komm schon, Knastbruder, wir haben noch anderweitig zu tun«, knurrte er. Angel starrte Reggie an. »Was zum…« Die zuknallende Wagentür schnitt ihren Satz ab. Aber ihr Gesicht verriet, was sie fühlte, als die beiden Männer die Straße überquerten. Cates stieß Reggie in die Seite. »Du, mein Boß. Wenn ein Schwein fliegen könnte, was, Reggie?«
»Ich mag es, ein Bulle zu sein, Jack«, grinste Reggie. »Können wir uns jetzt Doughnuts und einen Kaffee besorgen?« »Ach, halt dein verdammtes Maul, Reggie.«
10
Dichte Dampfwolken hingen in der Luft des Gefängnisduschraums. Kleine Bäche kondensierter Feuchtigkeit rannen die grüngefliesten Wände hinunter. In dem Raum mit den Spinden direkt vor den Duschen wartete eine Gruppe nackter Häftlinge mit viel zu kleinen grauen Handtüchern um die Hüften ungeduldig darauf, endlich an die Reihe zu kommen. Sie konnten hören, wie nebenan das Wasser aus zwanzig Duschen in einem stetigen Schwall auf den Boden platschte. Jetzt war es noch heiß, aber es würde eiskalt auf die Haut all der Unglücklichen prasseln, die das Pech hatten, am Ende der Reihe zu stehen. Kirkland Smith brauchte sich um so etwas wie kaltes Wasser keine Sorgen zu machen. Als Teil des Handels, den er schon vor langer Zeit mit den Wärtern geschlossen hatte, war es sein Recht, als erster zu duschen – und zwar alleine. Im Gegenzug sorgte er dafür, daß es in dem Block, in dem seine Zelle lag, nicht zu Unruhen kam. Ein paar Sonderrechte für Smith waren ein niedriger Preis für ein ruhiges, friedliches Gefängnis. Für gewöhnlich haßte Kirkland es, wenn man ihn beim Duschen störte. Aber heute abend konnte er sich nicht entspannen und das Alleinsein genießen, wie er es sonst tat. Heute abend wartete er auf eine Nachricht, was mit seinem Geld war. Er seifte sich gerade ein, als der diensthabende Wärter seinen Kopf in den Duschraum steckte. »Smith!« »Was ist?« brüllte Kirkland über das Rauschen des Wassers zurück. »Der Anruf, den du erwartest. Der Geldmann!«
Kirkland bedachte den Wärter mit einem Grinsen. Er griff sich sein Handtuch von einem Haken an der Wand und rieb sich das Gesicht trocken. Die Häftlinge im Vorraum machten einen weiten Bogen für ihn frei, als er sich vorbeischob, wobei das Wasser noch immer von seinen mit schweren Muskelsträngen bepackten Körper tropfte. Draußen an der Waschstation im langen Flur nahm er den Hörer auf und sagte sofort: »Reggie?« Reggie rief aus einer Telefonzelle gegenüber vom King Mei an. »Ja, ich bin’s…« »Hast du’s erledigt?« »Also, die Sache ist ein wenig komplizierter. Da ist dieser Typ, Malcolm Price…« versuchte Reggie zu erklären. Kirkland Smith hatte keineswegs die Absicht, sich unter der schönen heißen Dusche wegholen zu lassen, bloß damit man ihm irgendwas von Komplikationen erzählte. Er wollte keine Ausflüchte. Er wollte Taten. Man hatte ihn vor Reggie Hammond gewarnt, aber er hatte sich nicht darum geschert und dem Mann eine Chance gegeben. Smith schätzte es gar nicht, herauszufinden, daß seine Entscheidung falsch gewesen war. »Du bist schon einen ganzen Tag draußen, und ich habe mein Geld noch nicht? Mach keinen Scheiß mit mir, Mann!« warnte er. »Denk daran, du bist kein normaler Bürger mehr. Du kannst nicht wählen, und niemand wird dir Arschloch einen Job geben. Du bist ein Outsider. Niemand will dich. Das einzige, was von Reggie Hammond noch übrig ist, ist sein Wort, und das willst du brechen, Reggie?« Er ließ die Folgen unausgesprochen, die es für Reggie haben würde, wenn ihr Deal tatsächlich platzte. Das überließ er ganz Reggies Phantasie. Statt dessen knallte er den Hörer auf die Gabel und stapfte zurück unter die Dusche.
Reggie starrte auf das tote Telefon und überlegte, wieviel Zeit ihm blieb, ehe Smith seine Gorillas aussandte. Dagegen stand Kirklands Gier, daß sich seine Investition auszahlte. Dafür stand die absolute Notwendigkeit für Smith, seinen Ruf zu verteidigen. Er konnte es sich nicht leisten, daß überall in der Stadt erzählt wurde, daß ihn jemand aufs Kreuz gelegt hatte. Reggie konnte es drehen, wie er wollte, das Ergebnis blieb unter dem Strich immer dasselbe: Er steckte bis zum Hals in der Scheiße. Dieser Gedanke beschäftigte ihn, als er über die Straße zurück zu Cates und Cruise schlenderte. Cates gab gerade jemandem im Bereitschaftsraum Anweisungen. »…und ruf Kehoe über Funk und sag ihm, daß er mir die Adresse von diesem Malcolm-Price-Typ besorgen soll. Ich will sie haben, sobald ich da bin«, sagte er ins Mikrofon. »Wir sind hier draußen…« Cruise machte sich immer noch Sorgen, wie er Wilson gegenüber seine Weste sauber halten könnte. »Was soll ich dem Kerl sagen? Er wird mir den Arsch aufreißen, wenn ich euch gehen lasse.« Den Atem hätte er sich sparen können. Cates war längst gegangen. Cruise gab sich selbst die Antwort. »Richtig, Jack. Sollen sie dich doch am Arsch lecken.«
Jack Cates wollte fahren, und zum Teufel mit den Schmerzen in seiner Schulter. Reggie wurde allmählich zu dreist, und es war an der Zeit, ihn zurechtzustutzen. Außerdem war es sein Wagen, oder etwa nicht? Er rutschte auf die Fahrerseite und wartete, bis Reggie einstieg. Reggie wollte sich gerade hinter das Lenkrad schieben, doch in letzter Sekunde merkte er, daß Cates schon da saß, den Kopf schüttelte und abwehrend die Hand hob. Das war kaum
mißzuverstehen. Reggie zuckte mit den Schultern und ließ die Schlüssel in Cates’ Handfläche fallen. Was soll’s? dachte er sich. Es war ein langer Tag gewesen, und er war müde. Sollte doch zur Abwechslung mal Jack ein bißchen was tun. Cates bog in die Washington ein und sagte: »Wir müssen zum Revier zurück.« »Ohne mich, Jack. Mir reicht diese ganze Bullen-Scheiße«, sagte Reggie entschieden. »Mann, schau doch mal, wir haben sie verloren. Diese Motorrad-Typen sind die einzige Spur, die wir haben. Auf dem Revier haben sie irgendwelchen neuen Mist über die beiden, der gerade aus L. A. gekommen ist. Vielleicht hilft uns das weiter.« Reggie hatte schon immer gewußt, daß Cates ein hoffnungsloser Fall war. Sein Glaube an seine Freunde war rührend, aber absolut fehl am Platze. Inzwischen würde Kirkland Smith längst in Folsom auf die Uhr starren und sich geistig darauf vorbereiten, den Preis auf Reggies Kopf auszusetzen. Sein Stolz hinderte ihn aber immer noch, seine Karten offen vor Jack auf den Tisch zu legen. Also sagte er bloß: »Und ich soll dann wohl brav im Auto sitzen, während du wieder den Bullen spielst?« Cates versuchte, mit Reggie einen Waffenstillstand zu schließen. »Komm schon, du kriegst auch eine Tasse Kaffee.« »Ich kann Polizeireviere nicht leiden. Zu viele Cops machen mich nervös. Und warum willst du überhaupt dahin? Deine Kumpel sind schließlich diejenigen, die dir den Arsch aufreißen wollen.« »Ich bin immer noch Polizist. Was hast du denn vorzuschlagen, was wir tun sollen?« »Du willst wirklich wissen, was ich denke?« fragte Reggie rhetorisch, denn Cates interessierte es augenscheinlich einen
Dreck, was er meinte. »Ich denke, wir sollten diese ganze Bullen-Scheiße vergessen, meine halbe Million holen, den ersten Flieger nehmen und ganz einfach verschwinden, Jack.« »Das ist alles? Bloß einen Flieger nehmen und verschwinden?« »Ganz genau.« Cates schien über den Vorschlag nachzudenken. »Okay«, sagte er schließlich. »Klingt gut. Das machen wir.« Er machte eine kleine Pause, dann brach er in dröhnendes Gelächter aus. »Wenn wir den Eismann haben.« Er lachte immer noch, als er ein paar Minuten später nach rechts in eine Straße einbog, bei deren Anblick irgendwo in Reggies Hinterkopf ein kleines, angenehmes Glöckchen klingelte. »Du kannst mich hier rauslassen«, verkündete er. »Hier in der Gegend wohnt ein Mädchen, das ich kenne. Da komm’ ich endlich zum Bumsen. Sie hat ein Apartment Richtung Fillmore.« Jack hatte noch nie jemanden getroffen, der so scharf war wie Reggie Hammond. Der Kerl dachte immer nur an das eine. »Reiß dich am Riemen, Reggie«, sagte er. Reggie schien ihn mißzuverstehen. »Ich hab’ mich die ganzen fünf Jahre an meinem Riemen gerissen. Jetzt will ich ‘ne Frau.« »Keine Chance«, sagte Jack trocken. »Ich hab’ dir die Knarre von dem Cowboy gegeben«, erinnerte ihn Reggie. Jack blieb unbeeindruckt. »Großartig. Es war keine Kugel mehr drin.« »Hör doch auf, Mann! Ich helfe dir hier und werde dabei wahrscheinlich draufgehen, und du gibst mir nicht einmal mein Geld. Dann gib mir wenigstens zwanzig Minuten.«
»Willst du ‘n neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen? Ach, Scheiße, okay«, gab Jack widerstrebend nach. Wenn der Kerl es so nötig hatte, daß er deswegen sogar bettelte, konnte er Reggie die paar Minuten Vergnügen doch nicht abschlagen. Außerdem konnte er sich die Mühe sparen, Kehoe die Anwesenheit Reggies zu erklären. »Aber sei bloß an der Ecke Sechste und Kearney, und zwar genau zwanzig Minuten, nachdem ich dich abgesetzt habe.« Reggie kicherte. »Ich fang’ am besten schon mal an mit dem Vorwärmen.« Jack fuhr an den Randstein. Reggie hatte die Tür schon offen und sprang hinaus, bevor Cates den Wagen zum Stehen gebracht hatte. Während Reggie die Häuserfront entlanglief, ging er im Geiste das Alphabet durch; er versuchte, sich an den Namen des Mädchens zu erinnern, bei dem er vorbeischauen wollte. Als er bei S angelangt war, grinste er. S stand für Suzy. Wake up, little Suzy, denn jetzt kommt Reggie. Sogar im Dunkeln konnte er sehen, daß das Apartmenthaus, in dem sie wohnte, deutlich heruntergekommener aussah als das letzte Mal, als er sie besucht hatte. Die Betonstufen bröckelten überall ab und waren mit Abfall übersät. Im Hausflur roch es nach verfaultem Fisch. Reggie rümpfte die Nase, als er durch den schäbigen Korridor ging und die richtige Nummer suchte. Wenn ihn sein Gedächtnis nicht täuschte… ja, hier mußte es sein… das Apartment ganz am Ende des Flurs. Er strich sich das Haar zurück, zupfte die Ärmel zurecht und klopfte an die Tür. Einen schrecklichen Augenblick lang hörte er nichts als tote Stille auf der anderen Seite. Dann ging die Tür auf, und da stand Suzy, in ihrer ganzen vierhundert Pfund schweren Herrlichkeit. Sie trug ein Nachthemd, das schon bessere Tage gesehen hatte, und ihr Haar hätte dringend einen
Friseur gebraucht. Aber sie war immer noch ein grandioser Anblick, wenn man nicht zu genau hinguckte. Vor langer Zeit hatte einmal einer der Brüder Reggie aufgezogen, weil er sich mit so einer fetten Wachtel abgab. »Schimpf nie über Hennen, ohne sie zu kennen«, hatte er dem Jungen gesagt. »Bei einem Mädchen wie Suzy hat ein Mann jedenfalls jede Menge Material, mit dem er arbeiten kann.« Es stimmte schon, Suzy war bestimmt nicht das schlankste Küken, das man sich vorstellen konnte. Aber sie hatte ihn nie enttäuscht, niemals. Jetzt griff sie sich mit einer Hand wie ein Plumpudding an den voluminösen Busen und rief aus: »Reggie Hammond! Ich dachte, du wärst tot.« Reggie zog die Tür hinter sich zu und gab ihr einen dicken, schmatzenden Kuß auf die Lippen. »Die Uhr läuft, Baby«, sagte er, ohne sich lange mit Vorreden aufzuhalten. »Drapier deine Pfunde schön ordentlich auf dem Bett, und laß uns nachsehen, ob noch alles da ist.« Während Reggie den Dingen bei Suzy auf den Grund ging, hielt Cates seine Verabredung mit Kehoe ein. Als er quietschend vor dem Revier zum Stehen kam, lief Kehoe schon nervös auf und ab, zog irritiert an einer Zigarette und wedelte mit einem dicken, braunen Umschlag. »Steig ein«, sagte Jack anstelle eines Grußes. Kehoe trat die Zigarette aus und setzte sich in den Wagen. »Was hast du?« fragte Jack ungeduldig. »Bist du verrückt?« Kehoe schaute ängstlich zurück auf den Eingang zum Revier. »Wir können doch nicht hier direkt vor dem Revier im Wagen sitzen und… Gleich da drinnen ist Wilson!« Jack hatte allmählich die Nase gestrichen voll davon, daß ihm alle fünf Minuten irgend jemand mit Wilson ankam. Er machte sich wegen diesem Arschloch keine Gedanken – was zur Hölle
war dann also das Problem für Kehoe und Cruise? Mit einem tiefen Seufzer trat er das Gaspedal durch, und der Wagen schoß mit protestierend kreischenden Reifen auf die Fahrbahn, ohne daß Cates sich auch nur einen Deut um den fließenden Verkehr gekümmert hätte. »Du hättest nach dieser Show im Tenderloin nicht abhauen sollen. Wilson ist vollkommen ausgerastet. Vollkommen«, sagte Kehoe. »Das paßt.« Jack zündete sich eine Zigarette an und wechselte das Thema. »Was hast du für mich?« »Cruise hat mir den Namen von diesem Typ durchgegeben, nach dem du suchst. Wir haben keine Adresse in unseren Unterlagen.« »Na, großartig.« Jack runzelte die Stirn. Jedesmal, wenn er glaubte, er hätte eine Spur, geriet er wieder in eine Sackgasse. Bei diesem Fall gab es mehr Sackgassen als in einem Neubaugebiet. »Aber wir haben eine eindeutige Identifizierung für den anderen Schützen«, sagte Kehoe eifrig und schob ihm den Umschlag hin. »Lenk du«, sagte Jack, griff sich den Umschlag und zog ein paar Fotos heraus, die offensichtlich im Knast gemacht worden waren. Er erkannte die Gesichter. »Hickok und Ganz.« »Dieser Typ ist der Bruder von Albert Ganz…« »Schon klar«, unterbrach ihn Jack. »Weiß ich.« Kehoe sah verblüfft aus, aber er versuchte nicht einmal, Cates zu fragen, woher er das wußte. Er hatte sowieso alle Hände voll zu tun, vom Beifahrersitz aus den anderen Autos auszuweichen. Dann fragte er: »Weißt du auch schon, daß es Polizistenmörder sind? Sie haben zwei von uns und einen unbeteiligten Zuschauer vor fünf Tagen einfach weggeblasen. Ich hab’ mit einem Typen von der Sonderkommission in L. A. gesprochen; er sagt, diese zwei reizenden Knaben sind in der
Gang fürs Grobe zuständig. In den vergangenen zwei Jahren scheinen sie für ihre Bruderschaft mindestens fünfzehn Morde begangen zu haben.« »Also eine Rocker-Killergruppe«, murmelte Jack vor sich hin. »Sie nehmen diese Scheiße vollkommen ernst«, erklärte ihm Kehoe. »Sie haben ein Erkennungszeichen. An ihren Motorradhandschuhen haben sie sich den Abzugsfinger abgeschnitten. Wenn sie auf einen Typen stoßen, der auch so einen Handschuh trägt und nicht zu ihrer Truppe gehört, schneiden sie ihm den Finger ab. Bremsen. Verdammt, brems doch!« schrie er, als sie nur um eine Handbreit das Heck eines Chrysler verfehlten, der sich beim Abbiegen etwas Zeit gelassen hatte. Jack stieg voll auf die Bremse, und Kehoe kurbelte am Steuerrad, so gut er konnte. Hinter der Kreuzung kamen sie zum Stehen, und das war kein Fehler, denn vor ihnen war der Verkehr zum Stillstand gekommen, weil ein paar hundert Meter weiter zwei Arbeiter in aller Ruhe die Straße teerten. Jack fluchte laut, ergriff das Lenkrad, schaltete in den Rückwärtsgang und schoß die Einbahnstraße in falscher Richtung zurück. Hupen protestierten wütend, und ein paar Fußgänger brüllten ihm Obszönitäten hinterher, weil er sie nur um Haaresbreite verfehlt hatte. Kehoe krallte sich in seinen Sitz, bis sie wie durch ein Wunder heil am Ende des Blocks angekommen waren. Er wartete, bis Cates den Wagen wieder vorwärts prügelte, und versuchte dann, seinem Freund begreiflich zu machen, in welcher Gefahr er sich befand. »Jack«, sagte er und wischte sich ein paar dicke Schweißtropfen aus den Augenbrauen, »diese Schleimklumpen würden einen Bullen schon für ein Strafmandat umlegen, und
du hast den Bruder von diesem Typen getötet. Das heißt, daß sie hinter dir her sein werden. Und zwar knallhart.« »Und?« Jack bog nach rechts in Richtung Revier ein. »Und ich will nicht, daß du irgend etwas riskierst, bloß um diese Typen lebend aufs Revier zu bringen. Wenn du diesen Scheißefressern noch mal gegenüberstehst, vergiß das mit dem Vorlesen ihrer Rechte. Blas ihnen einfach die Köpfe weg.« »Du hast ja ‘ne verdammt merkwürdige Art, mit einem Cop zu reden, den sie suspendiert haben, Ben.« »Scheiß auf suspendiert. Du bist mein Freund«, sagte Kehoe ernst. »Ich will dich noch ein bißchen länger lebend um mich haben.« Mit dem üblichen Quietschen hielt Jack vor dem Revier. »Außerdem«, versicherte ihm Kehoe, »kann die Scheiße, in der du sitzt, überhaupt nicht mehr tiefer werden. Du steckst ja schon bis zum Hals drin.« Jack wollte ihm gerade für seine aufbauende Ansprache danken, als Wilson aus dem Gebäude gestürmt kam. »Stellen Sie sofort den Wagen ab, Cates!« donnerte er. Sein Gesicht war scharlachrot vor Wut. Um ein Haar hätte er sich vor den Caddy gestürzt; er kam gerade noch zum Stehen. »Kehoe, Sie gehen nach oben. Mit Ihnen spreche ich später.« Kehoe warf Cates einen Blick zu, dann sprang er aus dem Wagen, huschte über den Bürgersteig und verschwand im Gebäude wie ein verschrecktes Kaninchen. Wilson stelzte hinüber zur Fahrerseite des Wagens und pflanzte sich direkt vor Cates’ Gesicht auf. Er war jetzt so nahe, daß Jack sehen konnte, wie eines seiner Augenlider vor nervöser Anspannung zuckte. »Sie sind zu weit gegangen, Cates«, sagte er, und seine Stimme triefte vor Verachtung. »Nach Ihrer Beteiligung an dieser Schießerei im King Mei-Hotel und nach dieser
Kneipenschlägerei werden Sie nie wieder als Polizist Dienst tun. Sie sind ja völlig außer Kontrolle. In genau vierundzwanzig Stunden werde ich in diesen Gerichtssaal gehen müssen und die Akte über Sie schließen. Und wissen Sie, was das Traurige dabei ist?« fragte er und fuchtelte dabei mit dem Zeigefinger. »Sie haben mir dabei geholfen.« Er machte eine kurze Pause, um Atem zu holen, und beugte sich dabei etwas zurück. Die Gelegenheit ließ Jack sich nicht entgehen. Er haute den Gang hinein, trat das Pedal durch und war auf und davon, ehe Wilson auch nur den Mund aufmachen konnte.
Auf einer völlig verlassenen Straße in einem anderen Teil der Stadt klingelte das Telefon in einer schmutzstarrenden Telefonzelle dreimal, ehe ein dünner, schwarzer Mann in einem Regenmantel den Hörer abnahm. »Ja, ich bin’s«, sagte Burroughs und starrte angestrengt durch die fast blinden Scheiben der Zelle. »Ja, habe ich gehört. Ich habe Sie ja gewarnt, sich mit diesen verrückten Arschlöchern einzulassen, Mann. Was? Nein, ich habe keine Knarre. So was liegt mir nicht. Das wissen Sie genau. Schauen Sie, ich bin auch ein Geschäftsmann. Ich will denen bloß nicht in den Weg geraten, okay? Mit solchen Leuten macht die ganze Arbeit keinen Spaß mehr… Klar, habe ich nicht vergessen, nur… Ich sage doch, Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Okay, machen Sie sich keine Sorge, ich werde das in Ordnung bringen.« Er hängte auf, ohne Auf Wiedersehen zu sagen. Dann sah er auf die Uhr, schaute sich wachsam nach allen Seiten um und verschwand in der Nacht.
Genau nach Plan tauchte Jack exakte zwanzig Minuten nachdem er Reggie abgesetzt hatte, an ihrem Treffpunkt auf. Reggie wartete schon. »Wie war’s?« fragte Jack, als wenn er es nicht genau wüßte. Reggies breites Grinsen sagte mehr, als jede lange Geschichte hätte erzählen können. »Wie Weihnachten«, sagte Reggie und sprang in den Caddy. »Man wartet so lange drauf, und dann ist es viel zu schnell vorbei.« »Und du warst großartig?« Reggie kicherte zufrieden. »Nun, laß es mich so sagen: Als ich ging, telefonierte sie gerade mit dem Guinness-Buch der, Rekorde.« »Na prima«, sagte Jack ohne großen Enthusiasmus. Er konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er das letzte Mal eine Frau gehabt hatte. Und dann kam dieser Reggie, war noch keine vierundzwanzig Stunden aus dem Knast und ließ sich so auf Fast-food-Manier bedienen. Wie willst du es haben, Reggie? Danke, du brauchst es nicht wieder einzupacken, ich vernasch’ es gleich hier. Jack wollte keine Einzelheiten hören, am allerwenigsten die Stelle, wie wild die Puppe gewesen war, und so lenkte er schnell die Unterhaltung in eine andere Richtung. »Sie hat dir nicht zufällig auch eine Kanone verkauft?« »Mann, Jack, du bist wirklich gut«, sagte Reggie mit echter Bewunderung. »Woher weißt du das?« Cates grinste, als er sich wieder in den langsam fließenden Verkehr einreihte. »Irgendwann wirst du rausfinden, daß du so lange im Knast gesessen hast, weil wir Bullen nicht halb so dämlich sind, wie du denkst. Zeig mal her.« Reggie griff in sein Jackett und zog die Glock 9 mm heraus, die er sich von Suzy geliehen hatte.
»Nett«, meinte Jack anerkennend. »Ich brauche dich ja nicht daran zu erinnern, daß du noch Bewährung hast.« »Ich brauche dich ja nicht daran zu erinnern, daß du suspendiert bist, du Plastikmarken-Bulle«, fauchte Reggie ihn an. Touché. Jack grinste. »Sieh bloß zu, daß du nicht gerade hinter mir stehst, wenn du sie benutzt.« »Und? Hast du nun die Adresse von Malcolm Price von deinen Polizei-Kumpeln gekriegt?« fragte Reggie und steckte die Pistole weg. Jack bog nach links von der Hauptstraße ab, ohne eigentlich genau zu wissen, wohin er fuhr. »Sie arbeiten noch dran.« »Na prima. Dann darf ich also davon ausgehen, daß ihr Heinis den Eismann an dem Tag hochnehmt, wenn er auf meiner Beerdigung auftaucht.« »Wenn der Eismann dich erwischt, werden wir wahrscheinlich nicht einmal deine Leiche finden.« »Du kannst einen richtig zuversichtlich machen, Jack.« Cates’ Art ging Reggie langsam auf die Nerven. Seine dämlichen Witze über den Eismann waren viel zu nahe an der Wahrheit, um lustig zu sein. Es konnte sich nur noch um ein paar Stunden handeln, ehe Cates für immer seinen Job los war – und Reggie würde vielleicht nicht einmal mehr so lange leben. Irgend jemand würde verdämmt schnell Price und Burroughs die Hölle heiß machen müssen, und Reggie war klar, daß die Bullen für diesen Job so geeignet waren wie die Kuh fürs Fliegen. »Die Sache ist doch die, daß wir mit vollem Tempo nach Nirgendwo abgehen. Wenn wir weiter nur durch die Gegend rasen, dann vergrößern wir lediglich das Verkehrschaos«, stellte Reggie fest. »Und ich war schon viel zu lange aus dem Verkehr gezogen, um mich dabei wohl zu fühlen, und du siehst
so aus, als hättest du auch schon lange keinen Verkehr mehr gehabt.« »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, du Klugscheißer?« wollte Jack wissen, den es ziemlich irritierte, daß Reggie der Wahrheit so nahe kam. »Wir müssen dahin, wo die Leute irgend etwas über diese ganze Scheiße wissen.« »Okay.« Jack zuckte mit den Schultern. Die Idee fand er ausgesprochen helle. »Wohin?« Reggie atmete tief durch und sog seine Lungen bis zum Bersten voll mit der scharfen, frischen Nachtluft. Die ganze Straße vibrierte und quoll über von den Geräuschen und den Gerüchen, die er am meisten liebte; die Geräusche und Gerüche der Stadt, der Leute, die das taten, was sie für richtig hielten, und so, wie sie es für richtig hielten. Die ganzen langen Jahre im Gefängnis hatte er von Nächten wie dieser geträumt. Aber es sah ganz so aus, als würde er nicht mehr allzu viele davon genießen können, wenn er und Cates es nicht schafften, den Eismann für immer auf Eis zu legen. Unglücklicherweise gab es nur einen Ort, wo sie die Information bekommen konnten, die sie so dringend brauchten. »In den Knast.«
11
Cherry schlug mit der Faust gegen die Wellblechwand des Lagerhauses in Oakland, wo er sich mit Price und Hickok versteckt hielt. »Ich hab’ diesem Arschficker doch sechs Kugeln in den Balg gejagt! Das nächste Mal schieße ich ihm die Augen aus«, versprach er knurrend seinem Kumpanen. Hickok ignorierte ihn. Er war damit beschäftigt, seine automatische Flinte nachzuladen, und schob die schweren .12er Schrotpatronen sorgfältig eine nach der anderen mit dem Daumen in das überlange Magazin. Price, der auf einer Couch hockte, die aussah, als beherbergte sie mehr als ein Rattennest, und auf den plärrenden Fernseher starrte, nahm noch einen tiefen Schluck Tequila und winkte Cherry mit der Flasche ab. Der Kerl hatte ununterbrochen dieses Zeug über Cates geplappert, seit er und Hickok vor einer Stunde durch die Tür gestürmt waren. Aber Cates war nicht das Problem. Reggie Hammond war das Problem. Price erkannte deutlich, daß Cherrys großer Fehler darin bestand, aus diesem Job eine persönliche Vendetta zu machen. Hickok und Cherry hatten die Sache in den Sand gesetzt, weil sie dieses Mädchen drüben im King Mei sehen wollten. Sie hätten es besser wissen müssen und nicht versuchen sollen, Geschäft und Vergnügen zu vermischen. Burroughs würde bestimmt von dem Chaos hören, das sie dort angerichtet hatten. Price gefiel die Idee gar nicht, daß es ihn seinen Arsch kosten könnte, bloß weil seine beiden Kumpels ihre Schwänze nicht unter Kontrolle hatten.
Cherry warf sich in den wackligen Sessel, der noch näher am Fernseher stand, und stierte die Sprecherin an, die gerade die Elf-Uhr-Nachrichten verlas. »Zahllose Stars gaben sich ein Stelldichein bei der Wohlfahrtsgala des Bürgermeisters zugunsten der Obdachlosen«, sagte sie strahlend. »Berühmtheiten von Film und Fernsehen und aus der bildenden Kunst ließen es sich nicht nehmen, an dem Dinner teilzunehmen, das eintausend Dollar pro Gedeck kostete. Nachdem letzten Dezember erbitterte Kritik laut geworden war, weil die Stadt vierzehn ihrer Obdachlosenasyle geschlossen hatten, wird nun…« Hickok schaute am Lauf seiner Flinte vorbei nach unten. »Ich will dir mal was sagen«, sagte er zu Price. »Für diesen Eismann da von dir zu arbeiten, das geht mir echt auf die Eier.« Price zuckte mit den Schultern. »Das ist einfach ein Job, Mann. Kohle. Keiner verlangt von dir, daß er dir gefällt. Du mußt ihn bloß machen.« »Nach Auskunft der Behörden kam es heute abend im Tenderloin-Distrikt zu einer solchen Explosion der Gewalt, daß der heutige Tag als einer der gewalttätigsten in der Geschichte Nord-Kaliforniens anzusehen ist«, sagte die Sprecherin und ging damit zur nächsten Nachricht über. »Sechzehn Streifenwagen-Besatzungen und mehrere Zivilbeamte waren im Einsatz, nachdem es zwischen einem suspendierten Polizeibeamten und einer nicht bekannten Zahl von Mitgliedern einer Rockerbande zu einem Feuergefecht gekommen war. Die Schießerei fand im King Mei Hotel am Broadway statt und ereignete sich nur wenige Stunden, nachdem sich auf dem Highway 50 zwei andere gewalttätige Zwischenfälle zugetragen hatten, an denen Mitglieder einer Motorrad-Gang beteiligt waren.«
Cherry lehnte sich in seinem Sessel nach vorne, als auf dem Bildschirm ein Film eingespielt wurde, der die Szene am King Mei kurz nach der Schießerei zeigte. Die Kamera schwenkte nur widerwillig von der blutüberströmten Leiche eines Mannes, die auf einer Bahre in einen Krankenwagen geschoben wurde, zu einer Nahaufnahme von Cates und Hammond, die gerade den Tatort verließen. »Die Angreifer lieferten sich das Feuergefecht«, fuhr die Sprecherin fort, »mit Inspector Jack Cates vom San Francisco Police Department, der seit fünfzehn Jahren dort Dienst tut und augenblicklich suspendiert ist, weil gegen ihn eine Untersuchung wegen einer weiteren Schießerei anhängig ist, die kürzlich auf der Motorrad-Rennbahn von Hunter’s Point stattfand.« Cherry hatte soviel gesehen und gehört, wie er gerade eben ertragen konnte. Er hob seine schwarzbehandschuhte Faust und schmetterte sie krachend durch den Bildschirm. Klirrend zerbarsten die Glassplitter auf dem Fußboden. Er stierte auf seine Hand, die wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war, und starrte dann Hickok und Price herausfordernd an. »Ihr Kerle quatscht zuviel«, sagte er.
Wie ein blaßblauer Streifen raste der Cadillac durch die nachtdunkle Landschaft. Zu dieser späten Stunde war er der einzige Wagen auf der Straße; nur ab und zu kam ihnen ein einsamer Lastwagen entgegengedonnert. Obwohl es kühler geworden war, hatte Jack sich nicht die Mühe gemacht, das Verdeck zu schließen, und der Wind blies eine einsame Melodie in Reggies Ohren.
»Weißt du überhaupt noch, wo du langfahren mußt? Du bist schließlich in den letzten fünf Jahren nur einmal hier herauf gefahren«, sagte er mit einem verbitterten Unterton zu Cates. Die Spitze von Jacks Zigarette glühte in der Dunkelheit. »Ich kenne den Weg«, sagte er. »Das ist okay so. Du wirst ja auch ziemlich bald eine ganze Menge Zeit hier in der Gegend verbringen. Das gibt ein Wiedersehen mit all den Brüdern, deren Rechte du verletzt hast.« Reggie grinste böse. »Mann, das gibt einen Tanz, bei dem ich gerne zusehen würde.« »Du vergißt, Reggie, daß ich nur Ganoven einbuchte. Ich habe keinen gezwungen, zum Ganoven zu werden.« »Du raffst es einfach nicht, Jack«, verteidigte Reggie hitzig sich und seine Freunde. »Wie du das sagst, klingt es so, als wären wir in der High-School beim Test von der Berufsberatung gewesen, und als Ergebnis wäre herausgekommen, der einzige Job, für den wir uns eigneten, wäre ›Ganove‹. Dabei konnte ich bei der Nachbarschaft, in der ich großgeworden bin, glücklich sein, daß ich überhaupt in die High-School gekommen bin. Ich hab’ in der Scheiße gewühlt, seit ich acht Jahre alt war, um mich und meine Familie am Fressen zu halten. Bist du etwa schon ein Bulle gewesen, als du acht Jahre alt warst?« »Immer die alte Leier, Reggie. Die Gesellschaft ist schuld.« Reggie merkte, daß er sich seinen Atem sparen konnte. Cates war ein Cop und dachte wie ein Cop. Es hatte keinen Zweck, auch nur den Versuch zu machen, ihm zu erklären, was es bedeutete, in einem Slum groß zu werden, wo die einzigen Typen, die sich wirklich für dich interessieren, die Dealer an der Ecke sind. Er gähnte, lockerte seinen Schlips und machte es sich bequem. »Jack«, sagte er und schloß die Augen, »wenn
irgendwann rauskommt, daß man aus Scheiße Geld machen kann, dann werden die Armen ohne Arschloch geboren.« Die ersten goldenen Strahlen der Morgensonne wagten sich gerade über die schroffen Steinmauern des Gefängnisses, das bis vor kurzem Reggie Hammonds Zuhause gewesen war. In den immer noch dunklen Zellenblocks waren trotz der frühen Stunde schon ein paar Gefangene wach. Andere husteten hingebungsvoll und versuchten, noch ein paar Minuten Schlaf und ungestörtes Alleinsein festzuhalten, ehe die schrille Morgenklingel sie endgültig zu dem Bewußtsein bringen würde, daß ein neuer Tag hinter Gittern begonnen hatte. In Block B wurde eine Tür aufgerissen. Ein Wärter stampfe in die Zelle, in der Kirkland Smith zusammengerollt auf seiner Pritsche lag und schlief. Der grobschlächtige Wärter starrte Smith an und hieb dann plötzlich mit seinem Schlagstock auf das Blech der offenen Toilette in der Ecke. Smith sprang hoch und war auf der Stelle hellwach. In seinen Augen glitzerte Mordlust. »Los, Mann«, sagte der Wärter. »Du hast Besuch.« Der Besucherraum war schmal und langgezogen und wurde in der Mitte von einer dicken Glaswand unterteilt. Auf der einen Seite der Panzerglasscheibe gab es eine Art von Käfigen, die vom jeweils nächsten durch eine hüfthohe Stahlschranke getrennt waren. In jedem dieser Käfige gab es einen kleinen Holztisch und ein paar harte Stühle. An der Rückwand hing ein schwarzer Telefonhörer. Der Wärter hatte Kirkland nicht einmal genug Zeit gelassen, sich anzuziehen. Er trug das Unterhemd, in dem er geschlafen hatte, und eine grobe Arbeitshose, als er in den Besucherraum schlurfte. »Scheiße«, sagte er, sobald er sah, wer auf der anderen Seite der gläsernen Trennwand wartete. Er ließ sich auf den Stuhl fallen, griff nach dem Telefonhörer hinter sich und starrte den
weißen Typ an, der sich neben Reggie Hammond in das Besucherabteil auf der anderen Seite gezwängt hatte. »Ich bin beeindruckt, Reggie«, sagte Kirkland in den Hörer. »Du bist also extra persönlich hergekommen, um mir zu sagen, daß du deine Schulden bezahlt hast, stimmt’s?« Er sprach laut genug, daß Jack ihn verstehen konnte, obwohl Reggie den Hörer hielt. Jack blickte verblüfft von einem Mann zum anderen. »Was für Schulden?« wollte er wissen. »Die hatten einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt, seit ich hier eingeliefert worden bin. Er hat mich beschützt. Wir haben eine Abmachung«, erklärte Reggie schnell. Er lehnte sich nach vorne und beantwortete Kirklands Frage. »Noch nicht, aber ich mach’ keinen Scheiß mit dir. Ich hab’ ein Problem.« Kirkland grunzte mißvergnügt. »Du hast sogar ein Riesenproblem – mich. Und ehe du nicht gelöhnt hast, gibt es nichts, worüber wir reden könnten.« Er nickte in Cates’ Richtung und fragte: »Wer ist der Bulle?« Reggie hatte die Frage erwartet und war darauf vorbereitet, Kirkland die Wahrheit zu erzählen… oder zumindest seine Version davon. Mit ein bißchen Glück würde Cates klug genug sein, den Mund zu halten, auch wenn ihm nicht gefiele, was er hörte. Sonst konnten sie sich für immer von der Vorstellung verabschieden, irgendeine Chance zu haben, ihre Rocker zu finden. Und nicht nur davon. »Er ist okay«, sagte Reggie zu Kirkland. »Er arbeitet für mich.« Kirkland rollte mit den Augen. »Du und ein Bulle? Da leckst du mich doch am Arsch, Mann.« Jack hatte die Nase gestrichen voll von diesem Hin und Her zwischen den beiden Knastbrüdern. Am wenigsten mochte er den Mist, den Reggie über ihn verzapfte. Die Sonne stand längst am Himmel, und die Zeit lief ihnen davon.
Er riß Reggie den Hörer weg und knurrte Smith an wie ein wütender Hund. »Hör zu, Mann, ich weiß nicht, was ihr zwei am Laufen habt, und es ist mir auch scheißegal. Aber wenn du ihm nicht helfen willst, mir zu helfen, dann ist er tot.« Es gab eine kurze Pause, als wäre die Verbindung abgerissen. Dann sagte Kirkland: »Was willst du, Reggie?« »Wer ist der Eismann?« Kirkland zuckte mit den Schultern. »Alles, was ich weiß, ist, daß er die totalen Verbindungen hat. Die Bullen können ihm nichts.« Jack zog das zerknitterte Foto von Burroughs aus der Tasche und knallte es flach gegen die Glasscheibe vor sich. »Was ist mit diesem Typ?« »Ein kleiner Dealer, heißt Burroughs. Der Eismann hat ihn vor ein paar Monaten angeheuert.« Die Geschichte mit Burroughs war neu für Reggie, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Die Jungs, die mich umlegen wollen«, sagte er zu Kirkland, »haben einen Hauptmacker namens Malcolm Price.« »Kenne ich. Westliche Bruderschaft. Wenn du diese Typen für einen Hit anheuern willst, mußt du die Sache mit Price arrangieren.« »Wo ist der zu finden?« fragte Reggie. »In Oakland. Sein Stützpunkt ist ein Motel am Beltway. Schon seit Jahren. Das Sunset Motel.« »Sunset Motel? Hast du die Adresse?« fragte Jack. Kirkland fühlte sich gedrängt, und das konnte er auf den Tod nicht leiden. Es ging ihm schon verdammt gegen den Strich, hier so zu singen wie ein Kanarienvogel, aber es schien ihm der einzige einigermaßen sichere Weg, etwas von Reggies Geld zu sehen. Der Bulle dagegen schuldete ihm nichts – und er ihm schon gar nichts.
»Seh’ ich vielleicht aus wie ein beschissenes Telefonbuch?« brüllte er in den Hörer. »Das Sunset Motel am Beltway. Such es verdammt noch mal selbst.« Er lehnte sich dicht an das Glas und winkte Reggie, dasselbe zu tun. »Reggie«, sagte er, »ich hab’ was Privates mit dir zu besprechen…« Reggie rückte näher an die Scheibe, so weit weg wie möglich von Cates. »Wo ich dir jetzt zum zweiten Mal was gegeben habe, was du dringend brauchst, Reggie«, sagte Kirkland mit leiser, drohender Stimme, die keinen Zweifel über seine Absichten übrig ließ, »wirst du deine Schulden bei mir bezahlen.« Er lehnte sich plötzlich zurück. Mit der gesamten Kraft seiner ungeheuren Armmuskeln schlug er zu. Seine riesige Faust traf das Glas genau an der Stelle, wo zwei Scheiben zusammengefügt waren, und brach in einem sauberen, runden Loch durch das, was bis dahin als Panzerglas gegolten hatte. Scharfe Splitter flogen überall durch die kleine Besucherzelle und rieselten auf Jack und Reggie. Beide sprangen auf, bereit, Smith abzuwehren, aber der aufheulende Alarm hatte schon die Wärter zusammengerufen. Von überall her stürzten sie sich auf ihn, aber sie hatten alle Mühe, ihn zu bändigen. »Du bist nicht unverletzbar, Reggie!« schrie Kirkland, als sie ihn aus dem Raum schleiften. »Denk daran! Vergiß es bloß nicht!«
Um Punkt halb zehn am selben Morgen marschierte Inspector Wilson in Captain Hadens Büro, einem kleinen, aber sauberen Raum, dessen Wände übersät waren mit Hadens offiziellen Belobigungen, zwischen denen irgendwo verloren das Ölgemälde hing, das ihm seine Frau zum fünfzehnten
Hochzeitstag geschenkt hatte. Haden saß hinter seinem Schreibtisch, auf dem mit der üblichen Sorgfalt seine Kaffeetasse, eine Schreibgarnitur (auch ein Geschenk seiner Frau) und ein Stapel unerledigter Akten arrangiert waren. Haden sah gequält auf, als er erkannte, daß Wilson der ungebetene Besucher war. Ihr Gespräch war kurz und scharf. Wilson nickte. »Captain.« »Hallo, Wilson.« »Sie sehen nicht besonders glücklich aus über meinen Besuch«, bemerkte Wilson und ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß ihm nichts weniger wichtig war als Hadens Gefühle. »Bin ich auch nicht.« »Wir sind beide in derselben Mannschaft, Captain… oder etwa nicht?« »Sparen wir uns diese ganze Scheiße, okay?« sagte Haden. Er lockerte seinen Hemdkragen, der ihm immer enger zu werden schien, und wünschte sich, seine Frau würde daran denken, daß er gestärkte Kragen nicht ertragen konnte. »Was wollen Sie?« Wilson beugte sich über den Schreibtisch und warf einen großen Umschlag auf Hadens Seite. »Hier haben Sie Cates’ Dienstakte zurück«, sagte er, »ich habe alles fotokopiert.« Haden warf einen flüchtigen Blick darauf und sagte: »Ich kann mich nicht daran erinnern, sie Ihnen zur Verfügung gestellt zu haben.« »Das haben Sie auch nicht. Ich habe sie mit meiner Sondervollmacht requiriert«, sagte Wilson sanft. »Ich habe nichts Neues darin gefunden, aber das ist egal. Cates ist so oder so am Ende.« »Heben Sie sich Ihren Mist für den Staatsanwalt auf. Ich will nichts davon hören«, knurrte Haden. Wilson kniff die Augen zusammen und fuchtelte wütend mit dem Zeigefinger. »Sie reden so, als hätten Sie mit der ganzen
Sache nichts zu tun«, fuhr er Haden an. »Sie und Kehoe und Cruise und jeder andere Hurensohn in dieser Abteilung, der schön weggesehen hat, während Cates jede einzelne Vorschrift in seinem Dienstbuch mit Füßen getreten hat…« Haden schlug mit der Faust auf den Tisch. Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, daß er viel lieber in Wilsons selbstgerechte Visage geschlagen hätte. »Sie wollen meine Leute beschuldigen, Wilson?« explodierte er. »Sie kommen also tatsächlich in mein Büro marschiert und werfen mit Beschuldigung um sich…« Sein Telefon schrillte. Er schnappte sich den Hörer und bellte: »Was ist?« »Captain, ich bin’s«, sagte Jack, der von einem Telefon im Aufenthaltsraum der Gefängniswärter anrief. »Ach, einen Moment, Schatz«, sagte Haden und legte die Hand auf die Muschel. Er drehte sich zu Wilson um und sagte: »Es ist meine Frau.« Dann sprach er wieder in den Hörer. »Das ist jetzt ein schlechter Augenblick, Schatz.« Jack fragte sich, ob Haden noch ganz richtig im Kopf war. »Ich bin im Gefängnis…« »Das ist ja großartig, Schatz«, unterbrach ihn Haden. »Aber ich habe gerade Mister Wilson von der Disziplinarabteilung hier. Der kaut mir ein Ohr ab… ja, genau, wegen diesem Arschloch Jack Cates.« Er legte wieder die Hand auf den Hörer, starrte Wilson bedeutungsvoll an und sagte: »Sie entschuldigen?« Wilson blieb nichts anderes übrig. »Natürlich.« Er zeigte noch einmal auf Cates’ Akte, als wollte er Haden erinnern, daß in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Dann stand er auf, ging widerstrebend aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. »Wo zur Hölle sind Sie, und was zur Hölle machen Sie?« brüllte Haden ins Telefon, sobald Wilson draußen war. »Ich
sollte nicht einmal mit Ihnen reden. Wilson hat wahrscheinlich jede verdammte Leitung im Revier angezapft, dank Ihrer Eskapaden.« Jack tat so, als hätte er gar nicht gehört, was Haden gesagt hatte. »Hören Sie«, sagte er eindringlich, »rufen Sie bei den Kollegen in Oakland an, und sagen Sie ihnen, sie sollen ein paar Streifenwagen rüber zum Sunset Motel am Beltway schicken und einen Typen namens Malcolm Price hochnehmen. Ich wette meinen Kopf darauf, daß er uns zum Eismann führen kann.« Haden verzog das Gesicht. Cates war nicht annähernd auf dem laufenden. »Das würde ich lassen. Malcolm Price haben sie längst.« Jack konnte kaum glauben, daß seine Pechsträhne endlich zu Ende war. Er gab Reggie, der im Hintergrund herumlungerte, ein Zeichen: Gute Neuigkeiten. »Na, großartig! Ich fahr’ sofort hier los und mach’ mich auf den Weg nach Oakland.« »Lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Haden. »Der geht nirgendwo mehr hin.«
Das Leichenschauhaus von Oakland war ein Kellerraum mit nackten Betonwänden und enthielt endlose Reihen von Bahren, unter deren weißen Laken sich die Umrisse von dem abzeichneten, was die Gerichtsmediziner noch aufzuarbeiten hatten. Der durchdringende, süßliche Geruch nach Formaldehyd hing überall in der Luft. Überhelle Neonlampen beleuchteten erbarmungslos die in die Wand eingelassenen, stählernen Kühlfächer, von denen eins offenstand und den Blick auf den überaus toten Körper von Malcolm Price freigab. »Das muß eine verdammt gute Spur gewesen sein, Jack. Jemand hat ihm sechzehn Dinger verpaßt«, sagte Haden trocken.
»Das sieht ganz nach deiner Arbeitsweise aus«, meinte Reggie zu Cates, nachdem er einen kurzen Blick auf die übel zugerichtete Leiche geworfen hatte; dann drehte er sich schnell weg. Jack fühlte mit einemmal die ganze Last der vergangenen vierundzwanzig Stunden. Erschöpft und entmutigt von dieser neuesten Entwicklung ließ er seine Enttäuschung an Reggie aus. »Wahnsinnig komisch. Scheint so, als wär’ deine riesige heiße Spur nur ein riesiger Haufen warmer Scheiße.« »Ohne mich hättest du doch nicht mal die Spur einer Spur«, schnauzte Reggie zurück. »Der ganze riesige KlugscheißerPolizeiapparat mit all der Ausbildung und Computern für eine Milliarde Dollar – Scheißdreck, ihr könnt ja nicht mal ‘ne Fliege fangen.« »Immerhin waren wir gut genug, dich zu fangen, Reggie«, erinnerte Jack ihn. »Träum weiter, Cates«, zischte Reggie. »Ihr Typen seid ja noch zum Bumsen zu blöde. Seit wir angefangen haben, hast du jede verdammte Stunde bei deinen Kumpels angerufen, und was hast du vorzuweisen? Einen Scheißdreck.« »Denkst du vielleicht, ich wär’ glücklich darüber? Schließlich habe ich mir vier Jahre lang den Arsch aufgerissen, bloß um jetzt…« Aber Reggie hörte ihm überhaupt nicht zu. Er starrte Cates mit weit aufgerissenen Augen an. Ihm war auf einmal etwas Unglaubliches eingefallen. »Mann, Mann, Mann, wart doch mal, Jack!« unterbrach er ihn. »Warte mal! Ich glaub’, ich hab’s.« »Was denn?« fragte Jack stocksauer. »Mir ist gerade aufgegangen, warum der Eismann mich tot sehen will«, sagte Reggie und schnippte mit den Fingern. »Es ist gar nicht die halbe Million – das ist für ihn ein Fliegendreck. Er muß mich aus dem Weg räumen lassen, weil
ich ihn gesehen habe. Ich kann ihn identifizieren!« sagte er aufgeregt. Jack schüttelte langsam den Kopf. »Ich versteh’ dich nicht.« »Da denke ich die ganze Zeit, ihr Bullen seid Trottel, dabei seid ihr Gangster.« Reggie grinste. Haden wirbelte zu ihm herum; die Mordlust stand ihm in den Augen. »Du achtest besser darauf, was du sagst, Knastbruder.« Reggie kümmerte sich nicht um ihn. »Mann, begreifst du denn nicht, Jack?« sagte er und stolperte fast über die Worte, weil ihm mit einemmal alles klar wurde. »Solange ich im Knast war, konnte ich ihm nichts tun. Aber jetzt, wo ich wieder draußen bin, kann ich jederzeit über ihn stolpern. Ihn identifizieren. Jack! Der Kerl, der mich tot sehen will, ist derselbe Kerl, der die ganze Zeit dafür sorgt, daß unsere Nachforschungen immer wieder in einer Sackgasse enden. Der Eismann ist ein Bulle!« »Ein Cop, der Dreck am Stecken hat?« Haden faltete seine Arme vor seiner breiten Brust und starrte Reggie an. »In meiner Abteilung? Niemals.« »Denken Sie darüber nach«, sagte Reggie und sprach dabei so langsam, als versuchte er, ein störrisches Kind zu überzeugen. »Jack fragt nach der Adresse von Price – und der Eismann ist vor uns da.« »Scheiße«, murmelte Jack. »Ich wollte es einfach nicht glauben.« Haden warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Glauben Sie etwa, dieser kleine Dieb weiß, wovon er redet?« »Verdammt, warum glauben Sie denn, daß ich die ganze Zeit alleine gearbeitet habe?« fragte Jack und rieb sich mürrisch über die Stoppeln seines Zweitagebarts. »Moment mal. Einen Moment, verdammt noch mal«, protestierte Haden. »Das ist eine verflucht ernste Sache, von der Sie da reden, Jack. Ich will kein Wort mehr davon hören.«
»Hören Sie doch, Captain…« »Sie hören jetzt«, fuhr Haden ihn an und stach mit seinem Zeigefinger nach Cates’ Brust. »Sie haben ja keine Ahnung, wie oft ich Ihnen den Rücken freigehalten habe, Cates. Wilson versucht, mich rauszudrängen; ich soll mich vorzeitig pensionieren lassen. Ja«, er nickte heftig mit dem Kopf, »das haben Sie nicht gewußt. Nun, so ist es jedenfalls. Aber ich bin schon zu lange dabei, um mich von Ihnen und diesem ganzen Scheißdreck ruinieren zu lassen. Hier liegt ein toter Mann, und Sie wissen etwas darüber. Ich werde dafür sorgen, daß die Kollegen von Oakland Sie so lange festhalten, bis sich die Sache geklärt hat.« Er klatschte in die Hände, als könnte er so den ganzen Dreck loswerden, den Cates aufgerührt hatte, und sagte: »Ende der Geschichte.« Aber für Reggie war die Geschichte noch längst nicht zu Ende. Die Lösung des ganzen Rätsels stand von Sekunde zu Sekunde klarer vor seinen Augen. »Mann, sehen Sie es denn nicht?« kreischte er fast, als er versuchte, Haden endlich wachzurütteln. »Der Eismann muß ein schlechter Cop sein. Schauen Sie sich Jack an. Er ist ein guter Cop, stimmt’s?« Aufgeregt lief Reggie den Flur auf und ab und zählte Haden die Argumente an seinen Fingern vor. »Da haben wir ihn also, wie er jeder Spur folgt. Er sitzt sich in kalten Nächten den Arsch platt und kriegt Hämorrhoiden, um irgendwelche Wichser zu überwachen. Er trifft sich hinter schmierigen Pornotheatern mit noch schmierigeren Spitzeln. Alles, um den Eismann zu kriegen. Und Sie wollen mir erzählen, daß einer Ihrer Besten diesen Mann nicht ans Kreuz nageln kann? Nein, das wollen Sie bestimmt nicht. Das alles konnte nur so laufen, weil jemand von innen gegen ihn arbeitete. Jemand, der Berichte zurechtbiegen und Beweisstücke verschwinden lassen konnte. Der auch Cops versetzen lassen konnte, die nicht
mitspielen wollten. Jemand in einer Stellung, die ihm genug Macht gab.« Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Er hatte gerade ziemlich genau Haden beschrieben. »Ich meine nicht Sie«, sagte er schnell. »Ich meine, was Sie jetzt tun müssen, ist nachdenken. Wer von Ihren Leuten hat versucht, Jack daran zu hindern, den Eismann zu erwischen?« Jack und Haden sahen sich an. Wie ein Blitz war ihnen beiden derselbe Gedanke im selben Moment gekommen. »Wilson«, sagten sie im Chor. »Dieser Wichser Wilson mit seiner Disziplinar-Scheiße steht mir seit Jahren auf den Füßen. Von dem Moment an, wo ich angefangen habe, den Eismann zu suchen. Die ganze Zeit«, sagte Cates langsam, dem so einiges klarwurde, während er noch sprach. Haden gefiel die Idee. »Ja«, stimmte er ein. »Wilson. Und er gehört nicht zu meinen Leuten. Er muß es sein…« »Bist du sicher, daß du diesen Kerl identifizieren kannst?« wollte Cates von Reggie wissen. »Und ob, ein ziemlich großer Weißer. Was hast du vor?« »Wenn Wilson der Eismann ist, dann muß ich dafür sorgen, daß du bei dem Hearing dabei bist, und dann kannst du ihn identifizieren und…« »Das Hearing, das vor zehn Minuten anfangen hat?« unterbrach ihn Haden. Cates sah auf die Uhr. »Scheiße«, sagte er und packte Reggie am Arm. Er würde zu seiner eigenen gottverdammten Verhandlung zu spät kommen.
12
Das erste Indiz dafür, daß es hier nicht um ein gewöhnliches Hearing ging, waren die beiden Reihen uniformierter Polizisten auf der Besuchertribüne im ersten Stock des Gerichtsgebäudes. Ein paar von den Polizisten, die gerade von der Nachtschicht kamen, saßen da und dösten vor sich hin, während sie warteten, bis die Verhandlung begann. Es ging um den Kopf eines Kollegen. Sie mochten müde sein, wie sie wollten, sie würden ihn auf jeden Fall unterstützen. Es war auch ein ganzer Haufen von Zeitungs- und Fernsehreportern gekommen. Jack Cates war noch nichts für die erste Seite oder einen großen Aufmacher, aber er hatte das Potential dafür. Das Hearing, das vor dem eigentlichen Verfahren stand, würde in jedem Fall zu spät beginnen. Zwar saß der Richter schon an seinem Platz, aber der Angeklagte, Jack Cates, war noch nicht erschienen. Soeben war sein Anwalt an den Richtertisch getreten und versuchte zu erreichen, daß Seine Ehren dem Klienten noch ein paar Minuten bewilligte, bevor er die Sitzung für eröffnet erklärte. Der Richter hatte ihm schon eine Gnadenfrist von zehn Minuten gewährt, doch wo jetzt noch immer keine Spur von Cates zu sehen war, schlug er mit seinem Hämmerchen auf den Tisch und verkündete ungehalten, daß es an der Zeit wäre, den ersten Zeugen aufzurufen. Der Staatsanwalt stand auf und sagte: »Der Staat Kalifornien ruft Inspector Ben Kehoe in den Zeugenstand.« Während Harry Bryant, der Anwalt von Jack Cates, auf seine Uhr schaute und versuchte, möglichst cool auszusehen, ging Kehoe langsam nach vorne und wurde vereidigt.
Der Staatsanwalt trat an den Zeugenstand. »Würden Sie uns bitte genau die Ereignisse schildern, die sich nach der Schießerei an der Rennbahn von Hunter’s Point zugetragen haben?« fragte er Kehoe. Kehoe hatte gehofft, mit Cates sprechen zu können, bevor er seine Aussage machen mußte. Nun blickte er sich im Gerichtssaal um und fragte sich, wo zum Teufel der Kerl stecken mochte. Gab es eine neue Entwicklung in dem Fall? Und wenn, warum hatte Cates ihm nichts gesagt? Diese Fragen gingen ihm noch durch den Kopf, als er sich räusperte und antwortete: »Fünfzehn Beamte, ich eingerechnet, haben die Rennbahn zwölf Stunden lang abgesucht.« »Wie gründlich war die Suche?« »Wir haben jeden einzelnen Strohballen an der Bahn geöffnet und jeden Halm umgedreht«, antwortete Kehoe. »Wir haben die Gitter über den Altölgruben entfernt und alles mit Metalldetektoren abgesucht. Es gibt nicht einen Zentimeter Erde um die Bahn herum, den wir nicht durchgeharkt hätten.« »Und es wurde keine Waffe gefunden.« Der Staatsanwalt tippte sich mit dem Zeigefinger an die Unterlippe, dann fuhr er fort: »Wo waren die Rennbahnleute während dieser Zeit? Die Mechaniker von den Boxen, die Fahrer und so weiter?« »Wir haben sie außerhalb der abgesperrten Zone gehalten, sobald unsere Einheiten am Tatort eingetroffen waren«, sagte Kehoe und nahm einen Schluck Wasser. Der Staatsanwalt nickte nachdenklich. »Könnte irgendeiner der bei der Rennbahn Beschäftigten in der Zeit zwischen der Schießerei und der Ankunft der Beamten in den Boxenbereich gelangt sein?« »Möglich. Aber Jack… äh, Inspector Cates… er hat versichert, daß er den Tatort gleich nach dem Vorfall abgesperrt und dafür gesorgt hat, daß bis zu unserer Ankunft niemand Zugang bekam. Er sagt auch, er hat nichts berührt,
nachdem er sich überzeugt hat, daß für den Verdächtigen jede Hilfe zu spät kam.« »Was machte er für einen Eindruck?« »Häh?« Verständnislos warf Kehoe dem Staatsanwalt einen schiefen Blick zu. »Wie wirkte er?« »Er war so ganz cool. Ich meine«, Kehoe zuckte mit den Schultern, »er wirkte nicht auffällig betroffen.« »Nicht auffällig betroffen darüber, daß er ein Menschenleben ausgelöscht hatte?« sagte der Staatsanwalt und hob dabei die Stimme, um die letzten drei Worte zu betonen. »Das habe ich nicht gemeint. Ich habe gemeint…« Sein Gesicht lief rot an; Kehoe suchte nach den passenden Worten. »… er schien nicht unter Schock zu stehen.« Der Staatsanwalt nickte. »Keine weiteren Fragen, Kehoe«, sagte er und entließ ihn mit einer Handbewegung. Kehoe verließ den Zeugenstand. Immer noch gab es kein Zeichen von Cates. Nicht einmal Jack konnte dumm genug sein, sein eigenes Hearing zu verpassen. Oder etwa doch? Kehoe war ratlos. Er überlegte, ob er sich auf die Suche nach ihm machen sollte, dann entschied er sich dagegen, lief aus dem Gerichtssaal und fuhr zum Revier zurück. »Der Staat Kalifornien ruft Sergeant Frank Cruise in den Zeugenstand«, verkündete der Staatsanwalt. Cruise wäre überall lieber gewesen als in diesem Gerichtssaal, aber man hatte ihm keine Wahl gelassen. Er war genauso neugierig wie Kehoe, wo Cates stecken mochte. Seine Hände waren klamm vor Schweiß, als der Gerichtsdiener zu ihm trat, um ihn zu vereidigen. Während Cruise versprach, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit, blickte Bryant verstohlen über die Schulter nach hinten; er hoffte, Cates durch die Türe stürzen zu sehen.
Aber er war auch noch nicht da, als der Staatsanwalt Cruise die erste Frage stellte. »Sergeant Cruise«, sagte er, »wie lange sind Sie schon bei der Polizei von San Francisco?« »Zwölf Jahre«, antwortete Cruise und spielte nervös mit seinem kitschigen Ring. »Und wie lange kennen Sie Inspector Jack Cates?« »Da muß ich nachdenken… so etwa acht Jahre. Und ich möchte feststellen«, erklärte er und wandte sich dabei dem Richter zu, »daß er so ziemlich der beste Polizist ist, mit dem ich jemals zusammengearbeitet habe, und der am härtesten arbeitende…« Der Richter starrte ihn an und pochte zweimal mit seinem Hammer auf den Tisch. »Sergeant Cruise«, ermahnte er den Zeugen, »beschränken Sie Ihre Antworten bitte strikt auf das, wonach man Sie fragt. Wir sind nicht an Ihren Lebenserinnerungen interessiert.« »Ja, Euer Ehren«, sagte Cruise und hatte Mühe, seinen Unmut zu unterdrücken. Der Staatsanwalt, dem auch nicht verborgen blieb, daß er es mit einem eher feindlich eingestellten Zeugen zu tun hatte, forderte Sergeant Cruise brüsk auf, die Fakten über den Zwischenfall an der Rennbahn vorzutragen, ohne sie zu kommentieren. Die Zeugenaussage von Cruise entsprach genau der von Kehoe, und der Staatsanwalt entließ ihn ziemlich schnell. Sein nächster Zeuge war weitaus kooperativer. Inspector Wilson war nur zu glücklich, die Ereignisse des betreffenden Morgens mit dem Staatsanwalt erörtern zu können. »Und Ihr Büro hält Inspector Cates seitdem unter strenger Überwachung?« wollte der Staatsanwalt wissen. »Ja.« Wilson lehnte sich im Zeugenstand vor und erklärte, wie es zu seinem besonderen Interesse für Cates gekommen
war. »Nach einem Zwischenfall im Mission-Distrikt hat sich Cates diese Theorie von einem Super-Kriminellen zusammengezimmert, der den gesamten Drogenhandel in der Stadt kontrolliert. Die letzten vier Jahre hat er, meiner Meinung nach, die Arbeitskraft und den Einsatz der Abteilung verschwendet; ja, er hat das Leben von Kollegen riskiert, um sich selbst und seine Theorie zu bestätigen.« »Können Sie die Berufsauffassung des in Rede stehenden Beamten beschreiben?« fragte der Staatsanwalt, dem Wilsons Antwort ganz offensichtlich behagte. Da mußte man Wilson nicht zweimal fragen. Auf diesen Moment hatte er lange gewartet. »Jack Cates ist ein Anachronismus«, brach es aus ihm heraus; er rieb seine Hände aneinander und spielte mit den Fingern, während er zu dozieren begann. »Wenn ein Polizeibeamter sich für berechtigt hält, die Dienstvorschriften zu verletzen und sogar die Bürgerrechte von Verdächtigen, dann wird es für die ›guten‹ Beamten verdammt schwer, die versuchen, ihre Arbeit zu tun.« Bryant sprang auf die Füße. »Einspruch, Euer Ehren. Diese Bemerkungen haben nichts mit dem Gegenstand der Verhandlung zu tun.« »Im Gegenteil, Euer Ehren«, argumentierte der Staatsanwalt. »Ich versuche, ein bestimmtes Verhaltensmuster von Inspector Cates aufzuzeigen, das die Ereignisse in Hunter’s Point erhellen kann.« Der Richter nickte. »Einspruch abgelehnt.« »Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, Euer Ehren«, führte Wilson weiter aus, der sich seiner Bedeutung sichtlich bewußt war. »Der Unterschied zwischen einem guten Beamten und einem schlechten. Ein guter Beamter ist jemand, der sich selbst als ein kleines Rädchen in einem wichtigen Getriebe sieht… ein Diener der Öffentlichkeit, dessen oberstes Gebot der Schutz der Belange des durchschnittlichen Bürgers ist. Ein
schlechter Beamter ist jemand, der glaubt, das Recht zu haben, das Gesetz zu beugen, wie es ihm beliebt.« Der Richter hörte sich die Aussagen der Zeugen an und unterbrach dann die Sitzung für einen kurzen Augenblick. Er hatte soeben begonnen, mit der Verhandlung fortzufahren, als draußen vor dem Gerichtsgebäude der Caddy schleudernd zum Stehen kam. Die beiden Männer sprangen aus dem Wagen und hasteten die Stufen hinauf. Wie immer sah Reggie aus wie aus dem Ei gepellt. Jack fuhr sich mit den Fingern durch die ungebändigten Haare und versuchte, sich das Hemd in die Hose zu stecken, während er den Flur hinunterlief. »Unter Berücksichtigung der im Vorverfahren bislang von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise und in Übereinstimmung mit den Gesetzen, Statuten und Verordnungen des Staates Kalifornien erklärt dieses Gericht…« Der Richter blieb mitten im Verlesen seiner Entscheidung stecken, als die beiden durch die Tür des Gerichtssaals hereingestürzt kamen. Unter den Zuschauern erhob sich ein aufgeregtes Raunen. Ein paar von den Polizisten brachen in Hochrufe aus, als sie Cates erblickten. »Ruhe! Bitte!« rief der Richter und schlug erbost mit dem Hammer auf den Tisch. »Dies ist ein offizielles Hearing. Wenn nicht sofort Ruhe einkehrt, lasse ich den Saal räumen. Wer sind diese Männer?« »Das ist Inspector Cates, Euer Ehren«, flötete der Staatsanwalt zuckersüß. Mühsam nach Luft schnappend und knallrot im Gesicht, achtete Jack kein bißchen auf das wütende Blaffen des Richters. Er warf einen schnellen Blick durch den Raum, bis er den gefunden hatte, den er suchte. »Ist er das?« wollte er wissen und zeigte auf Wilson, der in der ersten Reihe saß.
Der Richter hämmerte zornig auf sein Pult ein und versuchte vergeblich, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. »Ruhe! Mr. Cates, entweder nehmen Sie jetzt sofort Platz, oder ich lasse Sie aus dem Saal entfernen«, drohte er und brüllte dabei fast. Das brachte Bryant auf die Füße, der mit den Armen fuchtelte und rief: »Nein, Euer Ehren, bitte, ich bin sicher, Inspector Cates hatte nicht vor, das Gericht zu mißachten…« Währenddessen waren Cates und Reggie in ein Privatgespräch vertieft, als bekämen sie überhaupt nicht mit, was sich um sie herum abspielte. Sie hätten genausogut auf einem anderen Planeten sein können. Reggie starrte Wilson ratlos an und schüttelte dann den Kopf. »Nein, es ist ein anderer Kerl«, erklärte er Cates. »Schau doch hin, da drüben!« schrie Cates, als hätte Reggie seine Frage nicht längst beantwortet. Der Staatsanwalt, der insgeheim hoch zufrieden war, daß Jack Cates endlich sein wahres Gesicht zeigte, tat entrüstet. »Was geht da vor? Euer Ehren«, protestierte er wortreich, »ich muß aufs schärfste gegen dieses ungebührliche Benehmen und die Mißachtung des Verfahrens Einspruch erheben!« Der Richter machte sich nicht einmal die Mühe, auf diesen Einspruch einzugehen. Er hielt seinen Hammer wie eine Waffe und rief mit donnernder Stimme: »Inspector Cates, Sie machen sich der Mißachtung des Gerichts schuldig!« Jack sah seine letzte Hoffnung schwinden wie das schmutzige Wasser durch den Abfluß der Badewanne. »Also?« knurrte er. »Mach schon, Reggie!« »Das ist er nicht, Jack!« sagte Reggie störrisch. »Was soll das heißen, das ist er nicht? Das muß er sein!« krächzte Cates ungläubig. »Ich sage doch, der Kerl ist es nicht.«
»Bis du sicher?« fragte Cates noch einmal; er klang verzweifelt. »Verflucht, er muß der Eismann sein! Leute ändern schließlich ihr Aussehen…« »Herr Verteidiger«, schnauzte der Richter wutentbrannt, »bringen Sie Ihren Zeugen unter Kontrolle, oder ich werde ihn durch den Gerichtsdiener aus dem Saal entfernen lassen!« »Euer Ehren«, flehte Bryant, »mein Klient ist durch die besonderen Umstände einem unzumutbaren Druck ausgesetzt…« »Euer Ehren, ich muß erneut Einspruch erheben. Das ist doch vollkommener Blödsinn!« fuhr der Staatsanwalt dazwischen, der Mühe hatte, mit seiner Stimme den Tumult im Gerichtssaal zu übertönen. »Man vergißt keinen Kerl, dem man eine halbe Million Dollar geklaut hat«, zischte Reggie Cates an. »Er ist es nicht.« Cates fühlte sich so, als wäre er in Treibsand geraten und ginge unaufhaltsam unter. »Verdammt, er muß es sein!« sagte er düster. »Er muß einfach der Eismann sein!« Der Richter gab jetzt jeden Anschein eines Versuches auf, den Saal wieder unter Kontrolle zu bringen, sprang auf und verkündete mit schriller Stimme, wobei er mühsam darum kämpfte, wenigstens einen Rest Würde zu bewahren: »Das ist zuviel! Dieses Gericht erklärt, daß das Beweismaterial für ausreichend zu erachten ist, um ein formales Strafverfahren gegen Inspector Jack Cates einzuleiten. Das Verfahren wird für den frühestmöglichen Termin angesetzt. Damit ist das Hearing beendet.«
Noch lange, nachdem der Richter den Saal verlassen hatte, konnte Jack Cates sich nicht mit der Enttäuschung wegen Wilson abfinden. Bryant war bei ihm und versuchte, seinen
Klienten zu beruhigen, aber es war sinnlos. Jack schob ihn zur Seite, als wäre er ein lästiger Moskito. Hilflos schlug Bryant die Hände vors Gesicht, schüttelte resigniert den Kopf und schlurfte gebeugt aus dem Gerichtssaal. Auch Jacks Kollegen wußten nicht so recht, was sie zu ihm sagen sollten, um ihm Trost zu spenden. Ein paar von ihnen klopften ihm auf die Schulter, während sie hinausgingen. Ihr Gesichtsausdruck sagte überdeutlich genug, was sie von den Chancen hielten, seinen Namen reinzuwaschen. Endlich hatte Jack genug Dampf abgelassen; er ließ enttäuscht die Schultern sinken, er seufzte tief und stapfte mit schweren Schritten aus dem Gerichtsgebäude. Sogar Reggie hielt diesmal den Mund, als sie langsam zum Wagen gingen. Er wußte nicht, wohin sie unterwegs waren, aber ihm war klar, daß er jetzt besser nicht fragte. Jack fuhr in ungutem Schweigen, langsamer als sonst, und rauchte eine Zigarette nach der anderen, während sie sich dem Revier näherten. Sein Gesicht zeigte tiefe Furchen, die die Müdigkeit und die Enttäuschung der letzten Tage eingekerbt hatten, als er sich schwer aus dem Caddy wuchtete. Obwohl er Reggie nicht aufforderte mitzukommen, stieg er gleichzeitig aus und folgte ihm in das Gebäude. Erst als sie drinnen waren, ergriff Reggie das Wort. Er warf Cates von der Seite einen Blick zu und sagte: »Wohin schleppst du mich? Wir sollten auf der Straße sein und…« »Wozu?« fragte Jack, und es klang trostlos. »Sie haben meine Marke so gut wie sicher. Nach einem Strafverfahren bin ich bloß noch ein Knastbruder, so wie du, Reggie.« Na prima, dachte Reggie. Sein wunderschöner schwarzer Hals steckte immer noch in der Schlinge, und Mister Macho erlaubte sich einen kleinen Nervenzusammenbruch. »Heh, tut
mir ja leid, daß der Kerl da nicht drinnen war«, sagte er leicht irritiert. »Aber sieh mal, es ist noch nicht vorbei. Ich hab’ Connections. Noch sind wir im Rennen.« »Vergiß es. Es ist vorbei. Ich bin am Arsch. Laß es gut sein…« Jack bog um eine Ecke und ging in den Umkleideraum, der dringend einen neuen Anstrich gebraucht hätte und nach alten Socken und verschwitzter Unterwäsche roch. Er blieb vor seinem Spind stehen und öffnete zögernd das Vorhängeschloß. Dafür brauchte er die Zahlen der Kombination gar nicht erst einzustellen; das Schloß war schon offen. Jack grinste freudlos. »Ich hab’ die Kombination vergessen«, erklärte er. Reggie wurde klar, daß Cates sich tatsächlich aufgegeben hatte. Er hatte keinen Kampfeswillen mehr. Was sollte er tun? Das, was er am besten konnte: cool bleiben und die Sache knallhart durchziehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sagte betont angewidert: »Was soll das sein, Jack? Meinst du, ich hätte Lust, dir zuzusehen, wie du deinen beschissenen Spind ausräumst? Beweg deinen Arsch gefälligst raus auf die Straße. Da haben wir noch eine Rechnung offen.« Jack achtete gar nicht auf ihn. Er öffnete die Spindtür und fing an, sich durch die paar Besitztümer zu wühlen, die sich über die Jahre angesammelt hatten. Er zog ein Knäuel schmutziger Hemden heraus, dann einen völlig ruinierten schwarzen Schuh, und schließlich eine große Einkaufstüte aus Papier, die ziemlich prall gefüllt war und mit ordentlich zusammengefalzter Öffnung zuunterst gelegen hatte. »Ich bin einmal draußen gewesen«, sagte Jack in den Spind hinein. Reggie war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. »Wovon redest du, Mann? Wo draußen gewesen?«
»Als du in Quentin warst«, sagte Jack und drehte sich zu ihm um. »Bevor sie dich verlegt haben. Ich bin rausgefahren, um nach dir zu stehen.« Reggie lehnte sich gegen den Spind und schaute gelangweilt. »Ich kann mich nicht daran erinnern, deinen weißen Arsch da draußen gesehen zu haben.« Jack schob die Hände in die Hosentaschen und starrte zu Boden. »Ich war ja auch nicht drinnen. Ich konnte es nicht über mich bringen, es zu tun«, gestand er unbeholfen. »So, konntest du nicht«, sagte Reggie und ließ keinen Zweifel daran, daß er nicht ein Wort von der ganzen Geschichte glaubte. »Ich fühlte mich irgendwie betrogen«, fuhr Jack fort und versuchte, Reggie in die Augen zu sehen. »Ich hatte das Gefühl, daß ich dir vertraut hatte, und du hast mich draufgesetzt.« »Ich dich draufgesetzt?« Reggie rollte die Augen zum Himmel: O Herr, laß mich stark sein. »Das ist ja echt ‘n Hammer.« »Verdammt, ich hatte gedacht, das, was wir gemacht hatten, wie wir Ganz erwischt haben und so, das hätte irgendwas bedeutet«, gestand Jack. »Daß es vielleicht sogar etwas in dir verändert hätte… in uns beiden. Dann fahr’ ich da raus zum Knast, und sie erzählen mir, daß du da drinnen ein neues Ding gedreht hast. Was glaubst du wohl, wie ich mich da hätte fühlen sollen?« »Na, ich glaube, du hättest einfach Vertrauen zu mir haben sollen«, schnappte Reggie. »Ja.« Jack nickte schwermütig. »Das hätte ich vielleicht. Ich lag eben schief.« Er reichte Reggie die Papiertüte. Reggie hielt sie auf Armlänge von sich weg und überlegte, ob sie die Reste von Jacks Fertigmahlzeiten des letzten Monats
enthalten mochte oder seine schmutzige Wäsche. »Was ist das?« fragte er mißtrauisch. Jacks Augen waren rotunterlaufen und entzündet, aber er schaffte es immer noch zu lächeln. Er sagte: »Deine vierhundertfünfundsiebzigtausend.« Reggie starrte Cates einen kurzen Moment sprachlos an. Dann faltete er mit spitzen Fingern die Tasche auseinander und riskierte einen Blick hinein. Diesmal hatte Cates ihn nicht auf den Arm genommen. Die Tasche war vollgestopft mit Hundertern, fein säuberlich mit Gummibändern gebündelt, genauso, wie Reggie sie zurückgelassen hatte. Reggie stieß hörbar die Luft aus, stierte auf das Geld, dann zu Cates und dann wieder auf das Geld. »Ich hab’ es für dich aufbewahrt, Reggie«, sagte Jack und begann, den übrigen Inhalt seines Spindes zu sortieren. Reggie hatte es getroffen wie ein Keulenschlag. »Du hast mein Geld in deinem Spind aufbewahrt?« fragte er ungläubig. »Klar.« »In einem Polizeispind?« »Ja, sicher, und jetzt ist es wieder deins«, sagte Jack schlicht und warf eine Handvoll Wäsche auf den Boden. »Du bist nicht mehr an mich gebunden. Du bist ein freier Mann, Reggie.« Reggie seufzte zufrieden und umarmte liebevoll die Papiertüte. Das Leben konnte so schön sein. Die Zukunft mit ihren unendlichen Möglichkeiten kam ihm auf einmal so vor wie ein williges, süßes Mädchen in einer Sommernacht. Doch seine Euphorie war von kurzer Dauer; sie verpuffte abrupt, als es ihm dämmerte, daß immer noch ein paar Rocker da draußen warteten, gefährliche Killer, die es auf ihn und Cates abgesehen hatten. »Moment mal, Jack. Bloß, weil ich das Geld habe, bin ich doch mit der Sache noch nicht fertig«, protestierte er.
»Vielleicht arbeitet der miese Bulle ja nur für den Eismann. Wir können ihn noch immer erwischen.« Doch Jack war einfach zu verdammt müde und entmutigt. »Die Spur ist kalt, eiskalt, Reggie. Wir haben keinen Dampf mehr. Wir haben unser Bestes gegeben«, sagte er heiser. Aus alter Gewohnheit trat er die Spindtür zum letzten Mal zu und schlurfte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Reggie starrte ihm hinterher. Für jemanden, der so reich war, fühlte er sich mit einemmal verdammt armselig.
13
Burroughs lebte im ersten Stock eines Apartmenthauses in Mission. Als er vor drei Jahren eingezogen war, hatte er sich ein teures Spezialschloß gekauft, das nach Aussage des Verkäufers so einbruchsicher war wie nur irgendeines auf dem Markt. Dummerweise hatte er vergessen, den Mann zu fragen, ob es auch schußsicher war. Als Hickok und Cherry vorbeikamen, machten sie sich nicht erst die Mühe zu klingeln. Eine volle Ladung aus Hickoks Schrotspritze reichte völlig aus, um das Schloß in seine Bestandteile zu zerlegen. Burroughs lag ausgestreckt auf der Couch und sah fern. Er hatte gerade eine Büchse Bier geöffnet, als ihn der ohrenbetäubende Krach der automatischen Flinte aufspringen ließ. Schaumiges Bier lief ihm vorne das Hemd herunter, als die beiden Rocker die Tür auftraten und in sein Wohnzimmer gestürmt kamen. Hickok machte Burroughs mit dem Daumen ein fröhliches Zeichen, daß alles okay sei. »Na, wie geht’s denn so?« fragte er und ließ die Mündung seiner abgesägten Automatik wie zufällig zu Burroughs hinüberwandern. Er blickte sich in dem schäbig möblierten Raum um. Er war unaufgeräumt und schmutzig. Ganz offensichtlich erwartete Burroughs keinen Besuch. Burroughs blinzelte von ihm zu Cherry, der eine Pistole in der Hand hielt, die auch in seine Richtung wies. »Mir ist es schon mal besser gegangen«, gab er zu. Cherry erzählte Burroughs eine Neuigkeit, die keine mehr war. »Der Eismann hat Price ausgeknipst.«
»Möchtest du darüber reden?« fragte Hickok. »Der Mann hatte keine Wahl«, sagte Burroughs und versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. »Eure Tussi hatte Price schon bei den Bullen verpfiffen.« Hickok schüttelte den Kopf. »Einen Scheißdreck hat sie.« Burroughs sah das Aufschimmern eines Zweifels in seinen Augen und fühlte sich wieder ein wenig zuversichtlicher. »Es stimmt aber, Mann«, sagte er. »Ihr kennt sie beide. Sie jobbt als Tänzerin und wohnt im King Mei-Hotel. Ihr beide solltet ein bißchen vorsichtiger sein, wenn ihr euch so ein Stück Fleisch sucht.« Die beiden Rocker warfen sich einen Blick zu und starrten dann wieder Burroughs an. »Wer hat Price erledigt – du?« fragte Hickok. Die Antwort war ja, aber für keinen Preis der Welt hätte Burroughs das zugegeben. »Was macht das für einen Unterschied, wer dabei am Abzug war?« fragte er cool und hoffte, sie wären vernünftigen Argumenten zugänglich. »Die Bullen standen ihm schon direkt auf den Füßen. Und das ist die Art, wie der Mann sein Geschäft durchzieht. Ein Geschäft, nichts Persönliches. Es wäre besser, wenn ihr den Unterschied lernen würdet.« »Wäre es das?« Hickok schien für einen Moment über die Sache nachzudenken. Dann grinste er breit und zog den Abzug durch. Statt Schrot hatte er offensichtlich einen soliden Klumpen Blei geladen, der jetzt quer durch den Raum sirrte und Burroughs das Ohr vom Kopf fetzte. Burroughs fiel auf die Knie und heulte vor Schmerz und Entsetzen auf. Er fuhr sich mit der Hand zum Kopf und versuchte, das heraussprudelnde Blut aufzuhalten. Ein großer, bizarrer Hautfetzen war alles, was von dem Ohr übriggeblieben war. Knochenfragmente stachen durch die blutende Wunde.
»Dann ist das auch Geschäft«, sagte Cherry. Burroughs griff sich ein paar Unterhosen, die auf dem Boden lagen, preßte sie gegen seinen Kopf und stolperte auf die Füße. »Fühlt ihr euch jetzt besser?« fragte er und schaffte es, etwas wie den Schatten eines Lächelns zustande zu bringen. »Es ist immer noch euer Job… an dem Job hat sich nichts geändert. Ihr müßt immer noch Hammond wegblasen.« »Und wie sollen wir das tun?« wollte Hickok wissen. »Kirkland Smith. Das ist der Name von dem Kerl, der Reggie im Knast am Leben gehalten hat, obwohl der Preis auf seinen Kopf ausgesetzt war.« Burroughs Notverband war schon durchnäßt, und das Blut sickerte in dicken Tropfen auf den Boden. Er redete schneller und hoffte verzweifelt, sie würden sich beeilen und abhauen, bevor er vor Schmerzen ohnmächtig wurde. »Reggie schuldet ihm was, und ich glaube, ich habe herausgefunden, wo er es ihm zurückzahlen wird. Kirklands Tochter arbeitet in einem Laden der Wohlfahrt in Haight Ashbury, gleich beim Bahnhof.« Cherry spielte mit der Träne, die auf seiner Wange eintätowiert war, beugte sich dann ganz dicht zu Burroughs hinüber und sagte, als wollte er ihm ein Geheimnis anvertrauen: »Weißt du, was wir tun werden? Wir werden uns Hammond schnappen und den Bullen und den Eismann, und wir werden sie alle wegblasen und das Geld nehmen. Wie klingt das?« »Ihr haltet euch an Hammond. Das ist euer Job.« Hickoks Ohrring hüpfte fröhlich, als er mit dem Kopf schüttelte und Burroughs angrinste. »Das ist eine Party, und du bist nicht eingeladen«, sagte er. Dann ballerte er ohne Vorwarnung los und erwischte Burroughs mit einer doppelten Ladung grobem Schrot, die den
Handlanger des Eismannes gegen die Wand schmetterte. Er war schon tot, noch ehe er auf den Boden hinabgeglitten war.
Reggie hatte nicht eine Minute verschwendet und Kirkland sofort angerufen, um zu fragen, wohin er sein Geld gebracht haben wollte. Kirklands Antwort verblüffte ihn. Er hatte eine Tochter, die in einem Laden der Wohlfahrt arbeitete. Er wollte, daß sie das Geld bekam. Irgendwie paßte das Bild von dem bösartigen alten Bastard nicht, der großzügig seine Verwandtschaft bedachte. Reggie zuckte mit den Schultern. Lebe und lerne. Klar konnte er den Laden finden, erklärte er Kirkland. Er würde sofort hingehen. Es waren nur wenige Kunden im Verkaufsraum, als Reggie auftauchte. Er blickte sich suchend um. Wo mochte Kirklands Tochter sein? Außer einem älteren Mann, der damit beschäftigt war, die ärmlichen Waren in Regale zu ordnen, war nur noch eine Angestellte im Laden: das hübsche, junge, schwarze Mädchen hinter der Kasse. Sie hatte eine wunderbar weich aussehende dunkle Haut, eine entzückende Unterlippe, die so aussah, als wolle sie unbedingt geküßt werden, und gelocktes braunes Haar, das sich um ihr Gesicht schmiegte. Kirklands Tochter? Nein, beschloß Reggie. Unmöglich. Seine Augen fielen ihm beinahe aus dem Kopf, als er das Namensschildchen auf der süßen kleinen Brust las. Amy Smith. O Wunder über Wunder. Das Mädchen kassierte bei dem Kunden vor Reggie und wandte sich dann mit einem wunderbaren offenen Lächeln ihm zu. Reggie wuchtete seine braune Ledertasche auf den Tresen und öffnete sie. Sie warf einen Blick hinein und erwartete, einen Haufen Sachen zu sehen, die dem Laden gespendet werden sollten.
Beim Anblick von soviel Geld verschlug es ihr den Atem. »Was ist das?« fragte sie entgeistert und runzelte die Stirn. »Fünfundsiebzigtausend Dollar. Ihr Vater will, daß Sie das Geld bekommen«, erklärte ihr Reggie. Er schätzte sie auf Anfang Zwanzig, und sie hatte eine Stimme, bei der ihm warm wurde. Kirklands Tochter! So ein Hurensohn! »Ich will es nicht«, sagte sie und schob die Tasche unwillig zu ihm zurück. »Wenn dieses Geld von Kirkland Smith kommt, muß es schmutziges Geld sein. Ich will kein gestohlenes Geld.« Reggie dachte über das nach, was sie gerade gesagt hatte. Es war gestohlenes Geld, das wohl, aber nicht von ihrem Vater. Die Sachen, die das Mädchen anhatte, waren hübsch und sauber, aber offensichtlich billig. In einem Wohlfahrtsladen konnte sie wohl kaum viel verdienen. Zur Hölle, entschied er. »Wir wissen beide, daß Ihr Vater kein Heiliger ist, aber er hat nichts Illegales getan, um an dieses Geld zu kommen«, versicherte ihr Reggie. »Er hat sein Wort gehalten und mein Leben geschützt da oben im Gefängnis, fünf Jahre lang. Jetzt will er, daß Sie von dem Geld etwas haben.« »Und wird das irgend etwas ändern? Soll dieses Geld mir einen Vater ersetzen, der nie bei mir war?« fragte Amy Smith verletzt. »Er weiß, daß es das nicht kann. Es ist bloß Geld. Aber es hilft. Sehen Sie, ich hatte auch nie Familie und so, aber Ihr alter Herr gibt sich wenigstens Mühe. Eine ganze Menge Typen versuchen nicht einmal das.« Ihre Augen wurden weich, und sie drehte sich abrupt um. Als sie ihn wieder ansah, glaubte Reggie, eine Spur von Tränen zu sehen. »Entschuldigen Sie«, sagte er sanft. »Ich kenne Ihren Vater schon seit einer ganzen Menge Jahre, und ich… ich weiß, das klingt albern, aber Sie sind ein sehr attraktives Mädchen.«
Sie lächelte. Ihr Lächeln war wie ein Sonnenaufgang. »Schwer zu glauben, oder?« Reggie lächelte zurück. »Wenn ich so an Ihren Vater denke, dann würde ich eher sagen, absolut unglaublich.« Amy griff nach der Tasche. »Ich…« Ihre Stimme versagte. Dann nahm sie sich zusammen und sagte: »Danke, Mister…?« »Hammond. Reggie Hammond. Nett, Sie kennengelernt zu haben.« Widerstrebend ging er auf die Tür zu, aber sie rief ihn zurück. »Hammond?« »Ja?« sagte er und blieb wie angewurzelt stehen. »Wie geht es ihm?« »Gut. Er wird alt. Sie könnten ihn ja vielleicht mal besuchen fahren«, schlug Reggie vor. Sie spielte mit einer ihrer Locken. »Vielleicht.« »Sehen Sie, ich fahre sowieso andauernd rauf, um ihn zu besuchen«, log Reggie schamlos. »Ich könnte Sie ja vielleicht mal mitnehmen.« Sie lächelte wieder. »Vielleicht.« Reggie wandte sich wieder zum Gehen. Im selben Moment wurde die Tür aufgestoßen, und er starrte direkt in die Mündung von Cherrys Automatik. »Dreimal hast du Glück gehabt, Reggie«, schnarrte Cherry. »Jetzt ist es vorbei mit deinem Glück.« Die Kunden stießen erschreckte Schreie aus, und der ältere Verkäufer kroch hinter einen Stapel Töpfe. Der Rocker kümmerte sich nicht um sie, als er Reggie mit dem Lauf seiner Pistole in den Laden zurückstieß. »Hey, Cherry, lange nicht gesehen«, sagte Reggie fröhlich und tastete unter seinem Jackett nach seiner Pistole. »Denk nicht einmal daran.« Hickoks Stimme war direkt hinter ihm. Reggie wirbelte herum und sah, daß Hickok hinter dem Tresen stand. Er zielte genau auf Amy Smiths Kopf.
Die Jungs hatten ihn ausgetrickst. Reggie gab sich geschlagen und hob die Hände hoch über den Kopf. »Zeit für die Abrechnung, Reggie«, sagte Cherry und trat vor. »Du weißt, was ich meine?« Er hob seine Pistole und schlug mit dem Kolben Reggie seitwärts gegen die Schläfe. Reggie grunzte, als er zu Boden glitt. Dann wurde alles um ihn herum dunkel.
Jack räumte sein Pult aus. Es kam ihm so vor, als wäre er schon Tage damit beschäftigt, dabei waren es noch nicht einmal Stunden. Das meiste, was er in seinen Schubladen fand, war irgendwelcher Müll, der gleich in den Papierkorb wanderte. Es gab ein paar alte Akten, die dick mit Staub bedeckt waren, ein Bild von Elaine, das vor ihrer Hochzeit aufgenommen worden war, als sie noch lächelte, einen schmutzstarrenden Turnschuh, der einmal in einem Fall das entscheidende Beweisstück gewesen war. Warum zur Hölle hatte er diesen ganzen Krempel aufbewahrt, fragte er sich selbst. Er hatte gerade mit der letzten Schublade begonnen, als Kehoe herübergeschlendert kam und sich in Cates’ Stuhl fallen ließ. »Tut mir leid, daß ich nicht helfen konnte, Cates«, sagte er. Kehoe war ein Arschloch, aber vielleicht auch irgendwo ganz okay. Jack war für den Zuspruch dankbar. »Da gab es nicht viel, was du hättest tun können«, sagte er rauh. »Mann, ist das vielleicht beschissen.« Kehoe wuchtete sich wieder auf die Füße. »Wollen wir uns ein Bier reinziehen?« Jack warf einen ganzen Stoß Papiere in den Abfallkorb. »Nee«, sagte er. »Na ja, sieh mal alles von der positiven Seite. Du mußt dir jetzt nicht mehr jeden Morgen meinen Mist anhören.«
Haden steckte den Kopf aus seinem Büro und brüllte: »Cates, zu mir!« Jack war dankbar für die Unterbrechung. Noch mehr Mitgefühl konnte er nicht ertragen. »Ich erwisch’ dich später noch«, versprach er Kehoe und machte dann Haden ein Zeichen, daß er schon unterwegs war. Als Kehoe ging, lief Frank Cruise hinter ihm her, zögerte dann und setzte sich an seinen eigenen Schreibtisch. »Du hast einen ganzen Haufen Anrufe«, rief Joe Stevens quer durch den Raum. Cruise blätterte gerade seine Notizzettel durch, als Cates an seinem Schreibtisch vorbeikam. Er sah auf und machte eine bedauernde Geste. Jack nickte ihm freundlich zu. Cruise war auch ganz okay. Auf seinem Weg in Hadens Büro entging ihm der besorgte Blick auf Cruises Gesicht. Nicht, daß es ihn gekümmert hätte. Jack Cates hatte selbst genug Ärger, ohne sich noch Gedanken über die Sorgen anderer Leute zu machen. Haden schraubte gerade eine Whiskyflasche auf, als Jack hereinkam. »Auf diese ganze Sache muß ich einen trinken, Jack.« Er lachte völlig humorlos. »Wollen Sie einen Schluck?« Jack wunderte sich jedesmal darüber, daß die Jungs immer noch nicht begriffen hatten, daß er mit dem Trinken längst aufgehört hatte. »Nein, danke«, sagte er und ließ sich in einen Stuhl fallen. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und versuchte, sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal geduscht hatte. Verdammt, war es wirklich erst ganze achtundvierzig Stunden her, seit er losgefahren war, um Reggie vom Gefängnis abzuholen? Er sah Haden zu, wie er einen tiefen Schluck aus dem Glas nahm, und erinnerte sich an die Zeit, als seine Taschenflasche sein bester Freund gewesen war und ihm ein Schluck Scotch als die beste Lösung für jedes Problem erschienen war. Nun
war er schon seit zwei Jahren nüchtern, und es gab für ihn keinen Kater mehr und keinen Blackout. Aber dafür würde er sich vermutlich zu Tode rauchen. Er zog seine Zigaretten heraus und sagte zu Haden: »Ich habe mich geirrt, was Wilson angeht, aber ich weiß genau, daß wir recht haben und der Eismann ein Cop ist.« »Verdammt, Sie melken bloß noch eine tote Kuh, Jack«, sagte Haden und goß sich noch einen großzügigen Schluck ein. Jack ließ hörbar die Luft entweichen. Der Rauch wirbelte über Hadens Schreibtisch. »Denken Sie denn, daß ich das gerne glaube? Himmel, ich bin seit fünfzehn Jahren Polizist. Nach so langer Zeit möchte man sich selbst einreden, daß Cops etwas Besonderes sind. Daß sie nicht genauso wie die verdammten Zivilisten Dreck am Stecken haben können…« Er schüttelte den Kopf. Verdammt, war das Leben beschissen.
Hickok hatte vor einer Telefonzelle an einer Straßenecke auf den Anruf des Eismanns gewartet. Er schnappte sich den Hörer beim ersten Klingeln und sparte sich alle Formalitäten. »Wir haben Hammond«, sagte er. »Ist er tot?« fragte Frank Cruise und beugte sich dichter über sein Telefon im Aufenthaltsraum des Reviers. Er blickte sich um, um sicherzugehen, daß niemand mithörte. »Es gibt eine kleine Änderung in unserem Plan«, teilte Hickok ihm mit. »Einen von uns umzulegen gehörte nicht zu unserem Deal. Wenn Sie diesen Kerl aus dem Weg haben wollen, dann wollen wir fünfhundert Riesen. Das ist der Preis dafür, daß Sie einen von der Bruderschaft allegemacht haben.« »Moment mal, was soll der Scheiß? Wovon redest du überhaupt?« fuhr Cruise ihn an. Diese Typen waren diejenigen, die hier Befehle entgegenzunehmen hatten. Er hatte weder die
Zeit noch die Geduld, sich mit irgendwelchen Quertreibern abzugeben. »Tun Sie’s oder lassen Sie’s. Fünfhundert Riesen, oder wir lassen Hammond los, und der erwischt Sie bestimmt. Es gibt da eine Geisterstadt an der Nationalstraße 15, ein gutes Dutzend Meilen hinter Modesto…« »Kommt nicht in Frage. Ich will keinen Hinterhalt«, fuhr Cruise ihm dazwischen. »Ihr wollt mehr Geld, ich will einen anderen Ort. Irgendwo drinnen. Ohne Motorräder. Jede Menge Leute… Ja, das ist okay.« Er griff sich ein Stück Papier und kritzelte die Adresse hin, die Hickok ihm durchgab. »Okay, ich werde dasein. In einer Stunde.«
Stevens klopfte an Hadens Tür und betrat mit einer Entschuldigung das Büro. »Verzeihen Sie, Captain, aber das ist gerade gekommen.« Er hielt ein Blatt Papier hoch. »Ein Typ namens Burroughs; das könnte genau der Kerl sein, hinter dem Jack her war. Sie haben ihn gerade unten in Mission gefunden, erschossen. Es muß ausgesehen haben wie im Saustall. Hier ist sein Vorstrafenregister… ungefähr eine Meile lang.« Bevor Haden noch einen Blick darauf werfen konnte, hatte Jack schon Stevens das Papier aus der Hand gerissen. Hastig überflog er den Bericht. Was er da las, brachte ihn dazu, sich entgeistert an die Stirn zu schlagen. »Verdammte Scheiße«, rief er, als ihm schlagartig alles klar wurde. Er sprang auf und spähte durch die Jalousie, die vor dem Fenster zum Aufenthaltsraum hing. Nur ein paar Meter weiter machte sich Cruise gerade fertig, um irgendwohin zu gehen. Er schob seinen Dienstrevolver in das Schulterhalfter, zog sich den Regenmantel über und ging zur Tür. »Was ist los?« wollte Haden wissen.
»Ich habe das Bild von diesem Typ gestern abend überall im Revier herumgezeigt – nichts ist rausgekommen.« »Und?« »Und«, sagte Jack und rannte fest aus Hadens Büro, »Cruise hat ihn letzten Juli hochgenommen.« Er war schon halb aus der Tür und hinter Cruise her, als Wilson vor ihm auftauchte und sich ihm wie ein böser Geist in den Weg stellte. »Cates, ich habe Ihnen – etwas zu sagen«, fing er an und hinderte ihn gleichzeitig am Weitergehen. Unterdessen lief Cruise hastig den Flur hinunter zu den Aufzügen. Nur noch ein paar Sekunden, und er würde verschwunden sein. Jack machte sich gar nicht erst die Mühe, Wilson zu antworten, und versuchte, sich einfach an ihm vorbeizuschieben. »Sehen Sie«, sagte Wilson und griff nach Cates verletztem Arm, »niemand könnte behaupten, daß wir beide viel für einander übrig hätten. Ich möchte nur, daß Sie wissen, daß es mir immer noch weh tut, wenn ich sehe, wie ein Mann so einfach seine Karriere wegwirft…« »Schon in Ordnung. Ich verstehe Sie«, versicherte Jack und versuchte, über Wilsons Schulter Cruise im Auge zu behalten. »Irgendwie sind wir beide ja im selben Team.« Wilson lächelte noch immer, als Jacks Faust sein Kinn traf. Das unverkennbare Geräusch von Knochen auf Knochen krachte durch den ganzen Aufenthaltsraum. Wilson sackte zusammen wie ein billiger Anzug, der vom Bügel gefallen ist. Er war schon bewußtlos, noch ehe er auf den Boden rutschte, was ihm ersparte, den Applaus all der anwesenden Polizisten mitanhören zu müssen. Captain Haden schob seinen Kopf aus seinem Büroverschlag. Er hob sein Whisky-Glas und verabschiedete Cates mit einem Trinkspruch, der von Herzen kam: »Ich werde Sie vermissen, Jack.«
14
Der Schuppen war eine vier Stockwerke umfassende, riesige Gemischtwarenhandlung in Sachen Sex. Tief im Herzen des Tenderloin-Distrikts fand man hier harte Sex-Videos, ein Porno-Theater, Peepshows und einschlägige Attraktionen, bei denen man jede nur erdenkliche sexuelle Kombination sehen konnte. Quer über die Vorderfront des Gebäudes verkündete eine schreiende Neonreklame in grellem Rot und Gelb GIRLS! GIRLS! GIRLS! Cruise kannte den Ort, er parkte seinen nicht gekennzeichneten dunkelblauen Polizeiwagen und überzeugte sich, daß die Türen verriegelt waren. Dann warf er sich seinen ledernen Beutel über die Schulter und ging hinein. Drinnen war es übervoll und laut; die ganze Atmosphäre war sorgfältig darauf abgestimmt, daß die Kunden das Gefühl bekamen, hier wäre die Gelegenheit für eine kleine Sünde. Der erste Raum war angefüllt mit ordentlich aufgereihten Peepshow-Kabinen. Dicke Plastikvorhänge verdeckten die Türöffnungen, um neugierige Augen daran zu hindern, einen Gratisblick auf die action zu erhaschen. Laute Rockmusik mit stark übersteuerten Bässen dröhnte im Hintergrund und versuchte ohne größeren Erfolg, das lustvolle Keuchen und Stöhnen der Kundschaft zu übertönen. Cruise ging zu der Videothek mit den Pornokassetten, ›Heute im Angebot: Nur $ 9.95‹, die verlockend hinter einer abgeschlossenen Glastür prangten. Die roten und pinkfarbenen Neonlichter warfen hier drinnen einen blassen, an Blut erinnernden Schimmer über das Gesicht des dürren, kahl werdenden Mannes, der hinter der Theke saß.
»Wo ist die Show?« fragte Cruise; er mußte schreien, um sich bei dem Lärmpegel verständlich zu machen. »Was für eine Besetzung? Mann-Frau?« Der Mann schaute auf die Uhr. »Sparky und Manuel legen in ein paar Minuten los. Ein heißes Paar… verdammt heiß.« Er musterte Cruise einen Moment mit seinen tief in den Höhlen liegenden, ausdruckslosen Augen. »Warten Sie, ich weiß, wonach Sie suchen – Frauen, die keine sind. Tussis ohne Pussies, mit ‘nem Schwanz unter dem Rock, stimmt’s? Erste Etage.« »Falsch.« Cruise zog einen Fetzen Papier hervor und las, was er sich im Revier notiert hatte. »Der Hauptraum, Mädchen mit Mädchen.« Der Mann gähnte. »Mädchen mit Mädchen. Verdammt voll da oben heute abend. Sind Sie sicher, daß Sie nicht mal was Neues versuchen wollen? Ihren Horizont erweitern?« »Ich bin sicher.« »Vierter Stock. Nehmen Sie den Aufzug und folgen Sie dem rechten Flur.« Der Verkäufer erforschte sein rechtes Ohr mit dem Zeigefinger und untersuchte dann eingehend, was er zutage gefördert hatte. Als Cruise gegangen war, sagte er »Scheißbullen«. Dann widmete er sich wieder der neuesten Ausgabe von oui. Als vorsichtiger Mensch, der er war, entschloß sich Cruise, lieber die Treppe als den Aufzug zu nehmen. Am Treppenaufgang fand er einen Pfeil, der nach oben wies und verkündete: LIVE SHOW – OBEN. Ein Mann stolperte an ihm vorbei, rieb sich die edelsten Teile und stank nach Alkohol. »Verfickt und zugenäht, sind die vielleicht verrückt da oben«, sagte er lallend.
Cruise zupfte sein Jackett zurecht, um sicherzugehen, daß er jederzeit an seinen Revolver kam. Dann stieg er langsam die dunklen Stufen hinauf. Flackerndes Rotlicht und kreischende Rockmusik bestimmten das Ambiente im Showroom im vierten Stock. Unzählige Spiralen aus glitzernder Silberfolie hingen von der verspiegelten Decke und schimmerten durch den dichten Schleier von Zigarettenrauch, der in der Luft stand. Die Mitte des Raumes wurde von einem runden Podest von etwa drei Metern Durchmesser beherrscht, an dessen Seite zwei dicke Glasröhren vom Boden bis zur Decke reichten. Sechs massive Säulen, die mit einem glitzernden Mosaik winziger Spiegel verkleidet waren, welche die pinkfarbenen und roten Lichter überallhin zurückwarfen, waren über den Raum verteilt. Kleine Cocktailtische, die zumeist schon von gierigen Kunden besetzt waren, die sich große Mühe gaben, desinteressiert zu wirken, nahmen den Rest des Raumes ein. Reggie saß an einem Tisch im Hintergrund, wo er von Cherry bewacht wurde, der seine Pistole streichelte, während er darauf wartete, daß die Show anfing. »Bald, ganz bald«, sagte Cherry und gab sich damit die Antwort auf seine eigene unausgesprochene Frage. Reggie verschränkte seine Arme und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du reitest dich hier total in die Scheiße, Cherry«, sagte er und versuchte, weniger nervös zu klingen, als er war. »Die Sache kannst du nicht gewinnen. Glaubst du etwa, der Eismann marschiert hier so einfach rein, damit du ihn abknallen kannst?« »Na, klar doch.« Cherry grinste. »Dein Bruder hat immer gesagt, du hättest nicht genug Sauerstoff gekriegt, als du geboren wurdest, aber ich hätte doch gedacht, daß du ein bißchen mehr Hirn hättest«, stichelte Reggie. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß Wut einen Mann
unvorsichtig machen konnte, also machte er weiter. »Du und dein Kumpel, ihr werdet vielleicht fünf Meter weit kommen, bevor euch der Eismann wegputzt. Und schau dich doch mal an – du bist ja nicht mal clever genug, um überhaupt einen Plan zu haben.« Wenn er ins Schwarze getroffen hatte, ließ Cherry es sich zumindest nicht anmerken. »Na, klar doch«, sagte er noch einmal. Reggie trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Mann, das ist ja brillant. Du hast schon immer brillante Konversation gemacht«, sagte er sarkastisch; er hoffte immer noch, Cherry zu einer Reaktion verleiten zu können. »Konversation… das kannst du im Lexikon nachsehen. Sag mal, ich hab’ mir schon immer überlegt – hattet ihr eigentlich bei euch zu Hause irgendwelche dressierten Viecher oder so etwas? Ich meine, irgendwer mußte doch auch bei euch wenigstens ein bißchen Hirn haben.« »Sicher, Reggie«, antwortete Cherry mit demselben, auf die Nerven gehenden leeren Lächeln. »Ganz wie du sagst.« Reggie starrte auf die Träne, die der Rocker auf der Wange hatte – zweifellos die einzige, die er je vergossen hatte. Alles, was ihm einfiel, war: »Na prima.«
Cruise schob sich, langsam durch den labyrinthartigen Korridor, der von dem Treppenhaus im vierten Stock abging. Das Schimmern verschiedenfarbiger Lichter quoll unter den Türen zu beiden Seiten hindurch. Der Typ unten hatte gesagt, daß der Raum mit der Mädchen-Mädchen-Show auf der rechten Seite lag, aber er hatte sich nicht darüber ausgelassen, wie weit er den Flur entlanggehen sollte. Der Raum hinter der ersten Tür war in grünes Licht gebadet. Eine gelangweilt blickende Frau tanzte oben ohne; eine
lebendige Python ringelte sich um ihren Nacken und ihre Brüste, während eine Handvoll Männer auf Klappstühlen jede ihrer Bewegungen mit den Augen zu verschlingen schienen. Cruise, der schon früher Schlangennummern gesehen hatte, war nicht beeindruckt. Er ging schnell weiter zum nächsten Raum, der offensichtlich für die Sado- und Maso-Typen gedacht war. Ein nackter Mann mit einer unglaublichen Erektion kroch auf Händen und Knien über den Boden. Auf ihm ritt eine junge Frau mit riesigen Brüsten, die nur einen Cowboyhut und Stiefel trug. Unter den Zurufen des begeistert mitgehenden Publikums, »Mach ihn fertig, Cowboy«, grub sie ihre Sporen in die Hüften des Mannes und tat so, als wäre das der Ritt ihres Lebens. Abartige Perverse, dache Cruise. Als er sich abwandte, stand direkt hinter ihm eine nackte Kellnerin mit einem Tablett voll leerer Gläser. Sie nickte ihm freundlich zu und verschwand den Flur hinunter. Cruise wollte gerade feststellen, ob ihr Hintern so gut aussah wie ihr Gesicht, aber sie war schon um die Ecke gebogen. Aufwogender Applaus hinter der nächsten Tür erregte seine Aufmerksamkeit. Drinnen verbog eine nackte Frau ihren Rücken so weit, daß ihr Kopf von hinten durch ihre eigenen Beine kam und nur noch wenige Zentimeter von einer Packung Zigaretten entfernt war, die auf dem Boden lag. Cruise konnte den Blick nicht losreißen, als die Frau sich mit einer letzten Anstrengung noch ein Stück tiefer bog und ihr Mund schließlich so dicht über dem Boden schwebte, daß sie mit den Zähnen eine Zigarette aus der Packung ziehen konnte. Verdammt! dachte er und schaute auf die Uhr. Was mochte die Frau wohl als Zugabe machen? Vor der letzten Tür am Ende des Flures hing ein Vorhang aus schweren Plastikschnüren. Cruise schlüpfte hinein und wurde augenblicklich von dem hämmernden, überlauten Rock
attackiert. Als sich seine Augen an die glitzernden roten Lichter gewöhnt hatten, sah er, daß drei Wände des Raumes weitere mit Vorhängen kaschierte Türen aufwiesen, hinter denen sich vermutlich Peepshow-Kabinen befanden. Oben ohne-Kellnerinnen huschten hin und her und verteilten die Biergläser, die zum ›Mindestverzehr‹ gehörten und zunächst von kaum einem der gierig starrenden Zuschauer angerührt wurden. Auf der Bühne hatte die Hauptshow schon begonnen. Das grelle pinkfarbene Licht eines Scheinwerfers wurde von der Spiegelkugel über der groß angekündigten Attraktion in hundert Fragmenten zurückgeworfen. Zwei kräftig eingeölte und stark geschminkte nackte Frauen rangen miteinander und rieben sich in einer schlechten Karikatur orgiastischer Ekstase aneinander. Für diejenigen Zuschauer, die von dieser Vorstellung nicht zufriedengestellt wurden, hatte das Management noch eine Nebenshow aufgeboten: In jeder der beiden seitlichen Glasröhren neben der eigentlichen Bühne gab es jetzt eine ganz hübsche junge Frau, die tapfer zu der Musik tanzte. Cruise blinzelte zu den Tänzerinnen hinüber, während er weiterging, und erkannte in einer von ihnen Cherrys Freundin, Angel Allen. Er sah sich um und erblickte schließlich Hickok an einem Tisch bei einem der Pfeiler. Er schlenderte hinüber und wollte sich gerade einen Stuhl heranziehen, als Hickok verlangte: »Zeigen Sie mir die Kohle.« »Wo ist Hammond?« wollte Cruise wissen; er mußte sichergehen, daß Hickok seinen Teil der Abmachungen einhielt. »Genau da drüben«, sagte dieser und zeigte auf einen Tisch auf der anderen Seite des Raumes.
Reggie bekam mit, wie Hickok auf ihn zeigte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er den Cop erkannte, den er mit Cates im King Mei getroffen hatte. »Und warum läuft er nicht weg?« fragte Cruise, der sich auf einmal verunsichert fühlte und gewünscht hätte, Hammond wäre endlich tot. Hickok zeigte wieder, diesmal zu dem Tisch direkt neben dem von Reggie, wo Cherry liebevoll eine Hand um Amy Smiths Nacken gelegt hatte. Seine andere Hand lag auf dem Abzug der abgesägten Schrotflinte, die verborgen auf seinem Schoß lag und genau auf Amys Seite zielte. »Was ist los mit dir, Reggie?« fragte Cherry strahlend. »Du siehst irgendwie nicht so richtig glücklich aus.« Reggie starrte zu Cruise hinüber und fragte sich, was er wohl hier tun mochte. Und wo war Cates? Er hatte sich eine verdammt beschissene Zeit ausgesucht, wenn er mal wieder einen Auftritt verpatzen wollte. »Was soll diese Scheiße?« sagte er zu Cherry. »Was hat dieser Typ hier zu suchen? Du hast gesagt, der Eismann würde euch das Geld bringen. Ich weiß, wie er aussieht. Das ist er nicht.« »Du versuchst ja bloß, deinen Arsch zu retten«, sagte Cherry mit einem wissenden Grinsen. »Ich hab’s dir doch gesagt«, beharrte Reggie. »Die werden euch linken.« Während Cherry anfing, sich Gedanken darüber zu machen, wer hier log, Hammond oder der Bulle, war Cruise bereit, das Geschäft zu Ende zu bringen. »Okay«, sagte er zu Hickok und öffnete seine Schultertasche. »Fünfhundert Riesen, okay? Jetzt nehmt ihn mit nach draußen und blast ihn weg. Legt sie beide um.« Aber Hickok und Cherry hatten ganz andere Pläne.
»Was zur Hölle…« zischte Cruise, als Hickok eine Pistole zog und sie Cruise in den Bauch rammte. »Du begreifst auch gar nichts«, fuhr Hickok ihn verächtlich an. »Du legst nicht so einfach einen von uns um, wie du das mit Malcolm gemacht hast. Wir werden richtigen Spaß mit dir haben, Mr. Eismann.« Cruise schluckte hart, als er fühlte, wie sich der Lauf der Pistole tiefer in seinen Bauch bohrte. Hickok nickte Cherry zu, der lächelte und seine Flinte spannte. Amy Smith hörte das Klicken und wußte, daß sie sterben würde. Sie schloß die Augen und ballte ihre Fäuste… »Ihr habt den falschen Hurensohn«, dröhnte eine Stimme hinter Hickok. Er wirbelte herum. Jack stand hinter dem Pfeiler neben seinem Tisch. Sein .44er zielte genau auf Hickoks Kopf. »Sag deinem Freund, er soll von dem Mädchen weggehen, oder ich blase dir den Kopf weg«, befahl er Hickok. »Sie bluffen ja nur.« »Versuch’s doch.« Jack spannte den Hahn. Hickok glaubte ihm plötzlich. »Geh da weg, Mann«, rief er Cherry zu. »Was machst du denn da, Willie?« schrie Cherry, der aufgesprungen war und seinen Stuhl weggeschleudert hatte. »Das ist doch hier wie Weihnachten. Wir können sie alle haben. Hammond, den Bullen, den Eismann – die ganze beschissene Bande von Hurensöhnen.« Hickok schaute von Cates zu Cruise; in seinem Kopf arbeitete es schwer. »Dieser Kerl hier ist nicht der Eismann«, sagte er schließlich. »Richtig«, stimmte ihm Jack zu. Irgendwo zwischen dem Revier und diesem Bumsschuppen war ihm klargeworden, daß Cruise weder genug Hirn noch genug Mumm hatte, um wirklich der Kopf der ganzen Sache sein zu können. »Das
einzige, was wir tun müssen, ist auf den richtigen Eismann zu warten. Der wird bestimmt hier auftauchen.« Wie auf sein Stichwort trat in diesem Moment Ben Kehoe durch den Vorhang einer der Peepshow-Kabinen. In der Hand hielt er eine 9-mm-Beretta. Er starrte Cates an. »Wirklich gut, Jack. Du bist schon immer ein heller Cop gewesen.« »Jack, das ist er!« kreischte Reggie aufgeregt. »Das ist der Eismann… der Arsch, den ich ausgenommen habe…« Kehoe zuckte mit den Schultern; es wäre ihm lieber gewesen, wenn es nicht so weit gekommen wäre. »Es tut mir leid, wenn ich dich enttäusche, Jack.« Sobald er Cruise als seinen Hauptverdächtigen ausgeschaltet hatte, war Jack auf der Stelle klargeworden, daß Kehoe derjenige sein mußte, der die Fäden zog. Doch diesmal fühlte er kein bißchen Befriedigung, recht gehabt zu haben. Eine Welle weißglühender Wut stieg in ihm hoch. »Ich will den Eismann«, sagte er zu Hickok. »Ihr könnt das Geld nehmen und verschwinden.« »Jack! Ich will das Geld!« schrie Reggie. »Auf keinen Fall«, sagte Hickok. Der Eismann hatte Price umgelegt. Dafür würden sie ihn bezahlen lassen. Niemand bewegte einen Muskel. Zu viele Waffen zielten in zu viele Richtungen. Nur wenige Meter entfernt stürzten lüsterne Männer ihr verwässertes Bier hinunter und starrten fasziniert auf die Tänzerinnen, ohne daß einer von ihnen mitbekam, daß der Showdown zwischen den drei Cops und den beiden Rockern unmittelbar bevorstand. Es war Angel Allen, die dieser Pattsituation ein Ende bereitete. Von ihrem Ausguck in dem riesigen Reagenzglas hatte sie einen guten Überblick über den Raum. Sie schaute von Hickok zu Cruise, von Cates zu Kehoe, von Cherry zu Amy. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, um alles zusammenzubringen. Als ihr klar wurde, was los war, stieß sie
einen so schrillen Entsetzensschrei aus, daß er jedes andere Geräusch im Raum übertönte. Sofort sprang Cherry auf die Füße, zielte kurz und feuerte. Angels Röhre explodierte in einem Regen von Glas. Hickok wollte seinem Beispiel folgen und riß die Pistole hoch, aber Kehoe war schneller. Er jagte zwei Schüsse in Hickoks Schulter, die ihn rücklings über den Tisch schleuderten. Die Menge, die für einen Sekundenbruchteil vom Geräusch der Schüsse paralysiert war, drehte jetzt völlig durch und versuchte unter hysterischem Schreien, die Tür zu erreichen. Zuschauer, Kellnerinnen und Tänzerinnen kämpften rücksichtslos darum, wenigstens irgendwo ein Stückchen trügerischer Deckung zu finden. Kehoe griff jetzt in seinen Regenmantel und zerrte eine UziMaschinenpistole heraus. Er zog den Abzug durch und jagte eine Salve 9-mm-Geschosse durch den Raum. Jack sprang hinter den Pfeiler. Flirrend prallten die Querschläger direkt neben seinem Kopf ab und flogen in alle Himmelsrichtungen. »Amy!« schrie Reggie, als er sah, wie Cherry auf ihren Kopf zielte. Sie warf sich zu Boden. Cherrys Schuß ging fehl und zertrümmerte die andere Glasröhre. Die zu Tode erschreckte Tänzerin sprang hinaus und raste kreischend zur Tür. Reggie hatte es satt, daß er nicht mitmachen sollte, bloß weil er unbewaffnet war. Doch jetzt kam auch seine Chance, und er ergriff sie. Mit einem Riesensatz hechtete er über den Tisch und landete auf Cherrys Rücken. Er riß ihn mit sich zu Boden, und Cherrys Kopf schlug so hart auf, daß er für einen Moment völlig benommen liegenblieb. Reggie schnappte sich die bösartig aussehende Waffe und richtete sie zufrieden grinsend auf seinen Gegner.
Aber Hickok, aus dessen Schulterwunde das Blut in Stößen sickerte, taumelte auf die Füße und schoß zuerst. Reggie tauchte in genau dem Moment unter einen Tisch, als Hickoks Kugel die Luft an der Stelle zerriß, wo eben noch sein Kopf gewesen war. Ein Kerl wie ein Schrank, offensichtlich einer der Rausschmeißer, stürmte durch die Tür und brüllte! »Hey! Was zur Hölle ist…« Hickok und Cherry drehten sich beide zu ihm um, zielten kurz und schickten ihn mit zwei Schüssen wieder stolpernd nach draußen wie einen betrunkenen Truthahn. Die Luft war dick vor Pulverqualm. Ein Bleihagel ergoß sich quer durch den Raum und zerspritzte an den verspiegelten Wänden, als die Schießerei ihren Höhepunkt erreichte. Cates schob vorsichtig seinen Kopf hinter der Säule hervor und feuerte zweimal auf Hickok. Seine .44er-Geschosse erwischten den Rocker am Bein. Hickok knickte ein und stürzte schwer zu Boden. Er verfehlte Cates meterweit, traf aber den Spiegelball über der Bühne, der in tausend glitzernde Scherben zerbarst. Gleichzeitig schoß Cruise auf Cates. Seine Kugel traf nur Zentimeter neben Cates’ Kopf auf den Pfeiler; Cates hatte das Gefühl, den glühenden Hauch des Bleis spüren zu können. Er tauchte weg, und im selben Augenblick sprang Reggie hinter dem Tisch hoch, wo er Deckung gesucht hatte. Er erwischte Cruise voll in der Seite; die grobe Schrotladung ließ ihn herumwirbeln wie einen verrückten Kreisel. Als wäre das noch nicht genug, stürzte sich Jack jetzt mit einer Hechtrolle hinter seinem Pfeiler hervor, kauerte sich hin und jagte Cruise zwei .44er-Geschosse in die Brust. Die Wucht der Treffer war so groß, daß sie Cruise rückwärts auf die erhöhte Bühne schleuderten, wo er in einer fettigen Lache von Schweiß, Blut und Babyöl liegenblieb.
»Hammond!« kreischte Cherry mit überschnappender Stimme und jagte einen unkontrollierten Kugelhagel in Reggies Richtung. Eins der Geschosse erwischte ihn am Oberschenkel. Reggie zog den Abzug der Flinte durch… aber er hatte seine ganze Munition verschossen. Er versuchte, sein verwundetes Bein möglichst zu entlasten, humpelte hinter einen umgestürzten Tisch und kroch in Deckung. Cherry feuerte weiter, ohne Reggie noch einmal zu treffen; dafür erwischte er ein paar von den Kunden, die weiter verzweifelt versuchten, den Eingang zu erreichen. Hickok lag in einer großen Blutlache und hielt immer noch seinen Revolver umklammert. Während die Kugeln dicht über seinen Kopf pfiffen, kroch Reggie hinter seiner Deckung hervor zu dem Rocker und versuchte, ihm die Waffe aus den Fingern zu winden. Zu seinem maßlosen Entsetzen zog Hickok sich plötzlich in eine sitzende Position hoch. Sein Gesicht war zu einer grinsenden Totenmaske verzerrt, und er griff mit beiden Händen nach Reggies Hals und schloß seine Finger wie einen Schraubstock darum. Reggie zog den Abzug durch und leerte den Rest der Trommel in Hickoks Herz. Er rieb sich die Kehle und versuchte, tief durchzuatmen, um sich zu beruhigen. Dann öffnete er mit zitternden Fingern die Trommel und warf nacheinander die leeren Hülsen aus. Als er in fiebernder Hast nachlud, spürte er, daß jemand direkt hinter ihm war. Er blickte sich um und starrte geradewegs in das Gesicht von Cherry. Mit einer Geschwindigkeit, die ihn hinterher selbst erstaunte, riß er Hickoks schweren Revolver hoch und feuerte, so schnell er nur spannen und den Abzug durchziehen konnte. Die Kugel traf Cherry mitten in die Brust. Er taumelte rückwärts durch die Vorhangschnüre, brach dann durch eine gläserne
Trennwand und stürzte in den Schoß einer hysterisch schreienden Nackten. Kehoe hatte inzwischen Cates hinter seinem Pfeiler festgenagelt, den er mit kurzen Salven aus seiner Uzi bestrich, die ganze Brocken aus dem Beton rissen. Da ließ ihn eine Bewegung zu seinen Füßen nach unten blicken. Die leise in sich hineinschluchzende Amy Smith kroch über den Fußboden und versuchte, von der Leiche eines Zuschauers wegzukommen, den eine von Kehoes Kugeln erwischt hatte. »Na dann los, Knackarsch«, brüllte Kehoe. Er packte das Mädchen bei den Haaren und riß sie brutal auf die Füße. Er preßte sie hart an sich und zog sie mit sich in Cates’ Blickfeld. Sobald Cates sie sah, hörte er abrupt auf zu feuern. Als sich der Rauch etwas gelegt hatte, blinzelte Reggie seitlich über einen Tisch. Kehoe und Cates hielten sich gegenseitig in Schach. Cates starrte Kehoe über das verwüstete Schlachtfeld hinweg an. »Du hast mich von Anfang an reingelegt«, rief er dem anderen Cop wütend zu. »Du hast nie irgendwas von dem ganzen Zeug durch den Computer gejagt. Du hast dafür gesorgt, daß Cruise an dem Tag auf der Rennbahn die Pistole hat verschwinden lassen.« Sorgfältig darauf bedacht, daß er das Mädchen dicht an sich gepreßt hielt, damit Cates nicht auf dumme Gedanken kam, rief Kehoe zurück: »Ich brauchte irgendeine Handhabe gegen dich, Jack. Du kamst mir zu verdammt nahe.« Jack schüttelte den Kopf. Wenn er eins nicht verstehen konnte, dann war das ein unehrlicher Polizist. Ein einziger mieser Bulle konnte ein ganzes Revier verderben. »Warum, Ben?« fragte er mit echtem Erstaunen. »Ach, komm schon, Jack«, sagte Kehoe ungeduldig. Allmählich ging ihm Jacks Naivität auf die Nerven. »Wir sollen doch einen Krieg führen, den wir niemals gewinnen
können. Ich bin eben bloß auf die Seite der Sieger übergelaufen. Wenn du einen Job machst, dann mach ihn richtig. Von Anfang bis Ende. Du hast mir das beigebracht. Ich habe eine Menge Geld gemacht. Und jetzt werde ich hier rausgehen – oder das Mädchen stirbt.« Aus den Augenwinkeln konnte Jack sehen, wie sich Reggie langsam hinter Kehoe vorarbeitete. »Dann leg sie doch um«, sagte er, um Zeit zu gewinnen. »Das ist mir scheißegal. Ich kenne sie nicht einmal.« »Als Versuch gar nicht schlecht, Jack«, sagte Kehoe, der sich nicht sicher war, ob Cates nicht doch meinte, was er sagte. »Eismann!« Kehoe wirbelte herum. Reggies Revolver zielte auf seinen Kopf. »Es ist vorbei!« rief Reggie. So dachte er. Aber plötzlich packte ihn eine blutige Hand an der Schulter und riß ihn herum. Da stand Cherry – triefend vor Blut, ein entsetzlicher Anblick, ganz offensichtlich von den Toten auferstanden. Er stieß seine Pistole in Reggies Gesicht und sagte gurgelnd: »Fahr zur Hölle, Hammond.« Dann zog er den Abzug durch. Klick. Die Waffe war leer. Reggie grinste. »Nein«, sagte er. »Du fährst zur Hölle.« Klick. Noch eine leere Waffe. Cherry grinste. Mit der ganzen Kraft seiner angestauten Wut stürzte sich Reggie kopfüber auf den Rocker. Cherry stolperte rückwärts und fuchtelte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Aber Reggie landete einen sauberen, gut plazierten Karatetritt, der Cherry krachend durch das Fenster beförderte. Er schrie gellend den ganzen Weg nach unten, vier Stockwerke, bis er auf dem Asphalt aufschlug. Als ihn der Busfahrer sah, war es schon zu spät, um noch zu bremsen.
Reggie lehnte sich aus dem Fenster und starrte nach unten auf die Überreste von Cherry Ganz. Dieser kurze Moment war alles, was Kehoe brauchte. Er stieß Amy zu Boden und griff sich Reggie. »Hier habe ich jemanden, um den du wohl was gibst, Jack«, sagte er und stieß Reggie die Uzi in den Nacken. Jack schob sich langsam näher, den Revolver im Anschlag. »Du bist eine Schande, Ben«, knurrte er. »Nichts ist schlimmer als ein krimineller Cop. Daneben ist alles andere ein Fliegendreck.« »Jack, wir können uns irgendwie verständigen«, sagte Kehoe, der daran dachte, daß Cates den Ruf hatte, so verrückt zu sein, daß ihn nichts von seinem Ziel abbringen konnte. »Hör nicht auf ihn, Jack. Denk nicht an mich, Mann. Schieß. Erschieß das Arschloch«, schrie Reggie, der hoffte, Kehoe täuschen zu können. »Das wird er nicht«, rief Kehoe. Jack ging blitzschnell seine Alternativen durch. Dann hatte er sich entschieden und sagte: »Ich mach’ dich unschädlich, Ben. Für immer.« Er zog den Abzug durch. Reggies Mund verzog sich zu einem großen, erstaunten Kreis, als er fühlte, wie in seinem Magen ein heißer Schmerz explodierte, und ihm wurde klar, daß er getroffen war. Kehoe merkte, daß er Cates unterschätzt hatte. »Du bist verrückt!« schrie er und riß seine Maschinenpistole herum. Aber Jack war schneller. Er jagte seine letzten fünf Kugeln in Kehoes Brust. Er war tot, noch ehe er auf dem Boden aufschlug.
Jack sprintete zu Reggie hinüber, der gekrümmt auf dem Boden lag und sich die rechte Seite seines Bauches hielt, aus
dem Blut quoll. Amy kniete schon neben ihm und schluchzte fassungslos. »Du hast mich verdammt noch mal angeschossen«, sagte Reggie und preßte die Zähne zusammen, um den Schmerz auszuhalten. »Ich kann’s einfach nicht fassen.« »Ich hab’ dich bloß aus der Schußbahn geschossen«, sagte Jack viel fröhlicher, als er sich fühlte. »Sie werden dich schon wieder zusammenflicken.« »Du hast mich verdammt noch mal angeschossen«, schimpfte Reggie immer noch ungläubig, aber seine Stimme hatte fast so etwas wie einen bewundernden Unterton. Jack bemerkte zum ersten Mal richtig das Mädchen, das neben Reggie kniete. »Wer zum Teufel bist du?« frage er irritiert. »Eine Freundin von Reggie«, sagte sie und biß sich auf die Lippen, um nicht wieder loszuweinen. Reggie griff nach oben und krallte sich an Cates’ Jackett fest. »Jack, laß bloß die Finger von meinen Frauen. Hast du mich gehört?« Jack grinste. Reggie würde wieder ganz okay sein.
Man hatte Reggie auf einer Trage festgeschnallt, und überall war er an irgendwelche Schläuche und Kanülen angeschlossen. Aber immer noch konnte er Cates nicht in Ruhe lassen. »Ich kann es einfach nicht glauben, daß du auf mich geschossen hast, verdammt noch mal«, sagte er. Er wimmerte auf, als ihn die Sanitäter auf seiner Trage in den Rettungswagen schoben. »Verdammt, Mann. Das tut weh.« »Ach, du hältst dich gut, Reggie. Der Doc sagt, du kommst wieder ganz in Ordnung«, versprach Jack, als er sich über ihn beugte. »Ich finde, ich bin kein schlechter Schütze. Du wirst es eben bloß eine Zeitlang etwas langsamer angehen lassen müssen.«
Reggie hustete, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. »Ich wollte es ja langsam angehen lassen. Ich wußte genau, daß es so enden würde, als ich mit dir losgezogen bin, Cates. Jetzt bin ich halbtot, und du hast meinen schönen Anzug kaputtgeschossen.« Jack, dessen Gesicht echte Sorge ausdrückte, sagte: »Du hättest sowieso einen neuen Anzug gebraucht.« »Und wie soll ich mir einen kaufen? Diese Scheiß-Rocker haben mein ganzes Geld geklaut«, jammerte Reggie, dem das verlorene Geld viel mehr zu schaffen machte als die Wunde in seinem Bauch. »Vielleicht bringt dich das wieder etwas hoch.« Jack grinste und hielt Kehoes Schultertasche hoch. »Die hab’ ich Kehoe abgenommen, eine neue halbe Million für dich.« Reggies Gesicht entspannte sich zu einem Grinsen, das buchstäblich von einem Ohr zum anderen reichte. Jack grinste zurück. »Ich seh’ dich drüben im Krankenhaus«, meinte er; er war froh, daß Reggie wieder obenauf war. »Wir reden darüber.« Dann stand er auf und wollte gehen. Aber Reggie griff nach seinen Jackettaufschlägen und zog ihn zurück. »Warte noch einen Moment«, sagte er. »Es tut mir leid, daß du deinen Freund erschießen mußtest, Jack.« Jack sah ihn ein paar lange Sekunden an. Schließlich sagte er rauh: »Das ist schon in Ordnung. Ich mußte schließlich meinen Partner retten.« Reggie lächelte immer noch, als die Sanitäter die Türen schlossen, die Sirene einschalteten und losjagten. Jack schaute dem Krankenwagen hinterher. Dann holte er eine Schachtel Zigaretten hervor und griff in seine Tasche, um das Feuerzeug zu suchen. Er tastete tiefer, versuchte es mit einer anderen Tasche, dann mit einer dritten.
Jack starrte den Lichtern des Krankenwagens nach, die im Dunkeln der Nacht Richtung Krankenhaus verschwanden. Manche Dinge änderten sich eben nie. Reggie Hammond hatte den letzten Lacher. Er grinste in sich hinein, schlug sich auf den Schenkel und sagte laut: »Dieser Hurensohn hat mir doch tatsächlich mein Feuerzeug geklaut!«
ENDE