Gruselspannung pur!
Ich gegen die goldene Mumie
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann »Dr. Röhricht, Dr. Röhricht...
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Gruselspannung pur!
Ich gegen die goldene Mumie
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann »Dr. Röhricht, Dr. Röhricht!« rief die fünfzehnjährige Gymnasiastin Steffi Brandels. »In Goethes Gartenhaus steht eine Mumie.« Zugleich erschollen Schreckensschreie aus dem Gartenhaus des Dichterfürsten. Dr. Röhricht, Klassenlehrer der 10b vom Leibnitz-Gymnasium in Leipzig und anläßlich einer Klassenfahrt in Weimar, runzelte die Stirn. Was ist denn das für ein Unfug? dachte er. Wollen die mich wieder vorführen? »Was soll dieser alberne Klamauk!« donnerte er dann los. Dann sagte ein Schüler hinter ihm: »Vielleicht ist es die Mumie vom alten Goethe!« »Müller!« rief Oberstudienrat Dr. Röhricht. »Das wird noch ein Nachspiel haben. - Sie sind bald erwachsen, da sollte man mehr Ernst erwarten können. Und wie die da drinnen schreien. - Was soll das überhaupt?« Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! 2
Schreiend flüchteten die Besucher des Gartenhauses ins Freie. Diese Leute waren schreckensbleich im Gesicht. Am Eingang des einstöckigen Gartenhauses im Norden von Weimar stand ein Angestellter des Fremdenverkehrsamts der Stadt. Der Uniformierte hatte aufzupassen, daß sich nicht zu viele Besucher auf einmal ins Gartenhaus drängten, in dem Goethe viele lauschige Stunden verlebt hatte. Es war der 13. April, die Woche nach Ostern, und es regnete. Dr. Röhricht hatte den Eintritt für seine Schulklasse bezahlt und peinlich darauf geachtet, daß er die ihnen zustehenden Ermäßigungen erhielt. Ein Teil seiner Klasse war bereits in das Gartenhaus gegangen. Dazu zählten die coolsten Schüler. Kaugummikauend, zwei sogar mit eingeschaltetem Walkman, schauten sie sich swingend das »Gerumpel« an, wie ihr Wortführer die antiken Möbel im gemütlich eingerichteten Gartenhaus bezeichnete. Dr. Röhricht deklamierte inzwischen dem Rest der Klasse den Anfang von Goethes Osterspaziergang. Sein Blick war verklärt. Goethe und Schiller waren die Idole des klapperdürren, langen, unverheirateten Oberstudienrats. Er ging ganz auf in seinem Beruf und liebte die Sprachen, die er lehrte. »Vom Eise befreit sind Strom und Bäche. Von des Frühlings holdem, belebendem Blick. Im Tale grünet Hoffnungsglück. Der alte Winter in seiner Schwäche... Nanu?« Bis hierher war er gerade mit seinem auswendig vorgetragenen Zitat gekommen, als Steffi Brandels losschrie. Für das naßkalte Wetter trug sie eine viel zu tief ausgeschnittener Bluse; bei ihrem Anblick wurde einem als Mann ganz schön heiß, trotzdem wärmte die Bluse nicht. Schreckensbleich und bibbernd stürzte die attraktive Steffi aus dem Gartenhaus und klammerte sich hilfesuchend an ihrem Lehrer fest. »Eine Mumie, beim Alkoven im Sessel! Sie sieht grauenvoll aus! Ich glaube, sie erwacht zum Leben!« Steffi erstickte fast an ihren Worten. Die Panik sah und hörte man ihr an. »Der Grindinger wird sie hingestellt haben - oder er hat sich verkleidet«, murmelte Dr. Röhricht und schob sich vor. Grindinger war der Klassenclown, ein Fabrikantensohn mit nichts als Dummheiten im Kopf. Dr. Röhricht teilte wie ein Leuchtturm den Strom der aus dem Gartenhaus eilenden Besucher. Der uniformierte Wärter am Eingang, ein älterer Mann, 3
wurde in die Ecke gedrängt. Echter Todesschrecken stand in den Gesichtern der fliehenden Besucher. Dr. Röhricht betrat nun das Gartenhaus. Die aus der Zeit um 1800 herum stammende Einrichtung nahm Dr. Röhricht kaum wahr. Absperrungskordeln verhinderten, daß die Besucher die antiken Stücke berühren konnten. Ein Teil von Dr. Röhrichts Schülern drängte sich in dem Gartenhaus. Wie eine gelähmte Schafherde stand die Gruppe da, darunter auch der berüchtigte Grindinger. Im weißen OverallDress gab er sich die Ehre und fuhr sich gelegentlich lässig durchs schwarze Haar. Ein seltsames goldenes Licht erfüllte das Gartenhaus. Dr. Röhricht hörte ein tiefes, dunkles Brummen. Beim Alkoven stand tatsächlich eine zwei Meter große, mit vergilbten Binden umwickelte Mumie. Ägyptisch, identifizierte sie der Oberstudienrat sofort. Rot glühten die Augen sogar durch die Stoffmassen am Kopf hindurch. Die Mumie strahlte eine derart schreckliche Aura aus, daß Dr. Röhricht jeden Gedanken an einen Schabernack sofort vergaß. Obwohl er bis ins Innerste erschrak, tappte er weiter vor. Schützend stellte er sich vor seine Schüler. Denn mutig war dieser schrullige Mann. »Geht alle, flieht!« forderte er die Schüler auf. Genau zwölf waren es, sechs Jungen und sechs Mädchen, zwei weniger als die Hälfte von seiner Klasse. Die Schüler standen jedoch wie gelähmt. Die übrigen Besucher waren allesamt aus dem Gartenhaus Goethes geflüchtet, als ob ihnen der Teufel im Nacken säße. Dr. Röhricht erbebte. »Lauft endlich!« Die Schüler schafften es nicht. Zwei Mädchen wandten sich zu dem Ausgang. Doch schon nach zwei Schritten hielten unsichtbare Kräfte sie zurück. »Dr. Röhricht«, stammelte eine, die sonst immer sehr keß war, fast hilflos. »Da ist etwas.« Die Mumie vibrierte. »Sie erwacht zum Leben!« rief jene kesse Schülerin. »Sie wird uns alle umbringen, wie in den Filmen im Fernsehen. Das gibt ein Gemetzel.« »Unsinn!« rief Röhricht. »Wir müssen die Nerven bewahren!« 4
Das Brummen wurde lauter und tiefer. Wie bei einem urgewaltigen Generator. Hier waren Kräfte am Werk, die weit über menschliche Vernunft und Wissenschaft hinausgingen. Die oberen vergilbten Binden der Mumie rissen und platzten ab. Sie kringelten sich wie die Schlangen und sanken vom Mumienkörper. Unter ihnen sah man eine goldfarbene Bindenschicht. Stechender Verwesungs- und Salbengeruch hing plötzlich in dem Gartenhaus. Das Gesicht der Mumie platzte regelrecht unter den wegspringenden Binden hervor. Die Schüler und Dr. Röhricht, der dreizehnte Mensch in dem Raum, schrien gellend auf. Das Gesicht war schwarz-grün, verwittert und wirkte unglaublich böse. Risse zogen sich durch die freiliegenden Gesichtszüge und über den Schädel, auf dem eine Doppelkrone erschien. Ein verwitterter Kinnbart, wie ihn die Pharaonen getragen hatten, zitterte am Kinn der Mumie. In der Hand hielt sie eine schlachtschwertgroße, goldene Sichel. Käfer und Insekten krabbelten auf dem Gesicht und dem Körper der Mumie herum. Sogar Mephisto, der Höllenteufel, wäre am Ende vor dieser Mumie erschrocken. Für Dr. Röhricht und seine Schüler war es, als ob sie mit der schrecklichen Mumie allein auf der Welt wären. »Amun Re bin ich«, tönte es. Lehrer und Schüler verstanden die Worte durch Magie, obwohl sie in altägyptischer Sprache gesprochen waren. »Priester des finsteren Seth! Die große Schlange ist mit Mephisto den Bund eingegangen. Cäsar stirbt auf dem Nil. Zweitausend Jahre vor eurer Zeit schon fällt die Entscheidung. Blutig rollt Mark Hellmanns Kopf in den Sand. Die Krokodile werden ihn fressen. Ihn, den Kämpfer des Lichts. Euch nehme ich, Amun Re, mit in die ferne Vergangenheit. Sterben werdet ihr in der Pyramide des Schreckens und eure Lebenskraft für den großen Plan geben. Amun Re.« »Ja, ja«, erwiderte Dr. Röhricht fahrig. »Wir wissen jetzt, wie Sie heißen. Ihre Privatangelegenheiten interessieren uns nicht. Wenn Sie mit diesem Hellmann eine Rechnung offen haben, klären Sie das gefälligst mit ihm. - Lassen Sie bitte mich und meine Schüler gehen. Wir haben damit nichts zu schaffen. - Ist das in Ordnung?« »Weg, du Wicht, oder Amun Re zerstampft dich, du Wurm!« grollte die Mumie. »Seth, Mephisto, ermögliche mir diese Reise. 5
Kommt her, Menschenwürmer, bildet mit mir einen Kreis. Horus, Anubis, erscheint !« Eine Art Wolke bildete sich in dem als Ausstellungsraum dienenden geräumigen Gartenhaus. Sie waberte durch den Raum. Dr. Röhricht vernahm ein Singen und Klingen. Körper, Geist und Seele erfaßte es. In Trance formierten sich seine Schüler um die schreckliche, sie hoch überragende Mumie. Im über dem Boden schwebenden Dunst erschienen die Köpfe von altägyptischen Götterfiguren. Der Falkenkopf von Horus, wie aus schwarzem Onyx, und ebenso der Schakalskopf des Totengottes Anubis. Ihre Augen leuchteten. In klauenartigen Händen hielten sie eine Doppelaxt und eine Dr. Röhricht unbekannte, röhrenförmige Waffe. Der Oberstudienrat konnte sich kaum bewegen. »Bleibt hier«, krächzte er seinen Schülern zu. Wie durch zähen Schlamm, der ihn festhalten wollte, kämpfte er sich vor zu der schrecklichen Mumie. »Laß sie in Ruhe, du Monster!« Amun Re, wie er sich selber genannt hatte, stieß die flache Hand in Dr. Röhrichts Richtung. Obwohl dieser mehrere Meter entfernt war, traf es ihn wie ein Huftritt, jedoch auf viel breiterer Fläche. Er wurde gegen die Wand geschleudert, daß ihm die Knochen krachten. Benommen sah er, wie sich seine Schülerinnen und Schüler bei den Händen faßten und den Kreis um die Schreckensgestalten bildeten. Grell leuchtete es auf. »Neinnnn!« brüllte der Lehrer, als eine Lichtflut aufbrandete und seine Schüler samt ihren Entführern wegtrug. Ins Jenseits, zur Hölle, ins alte Ägypten? Er wußte es nicht. Der Wärter, die restlichen Schüler der Klasse 10b sowie weitere Besucher und Zuschauer standen in respektvoller Entfernung von dem Gartenhaus. Sie sahen, wie aus den oberen Fenstern eine goldfarbene Lichtflut schoß, gen Himmel raste und in einiger Höhe zu einem Mahlstrom wurde. Er mündete glatt ins Nichts, löste sich auf. Gleich danach war alles wie zuvor. Sacht fiel der Nieselregen. Die Menschen erschauerten. *
6
Ich war gerade in meiner Dachgeschoßwohnung in der FlorianGeyer-Straße mit Tessa zugange, stemmte sie hoch und drückte sie gegen die Wand. Meine kleine Freundin verdrehte die Augen, stöhnte und jauchzte in den höchsten Tönen. Ein Schauer durchlief mich. Erst nach einer Weile hörte ich, wie heftig gegen die Tür geklopft wurde. Tessa hörte da nicht hin. Noch schwebte sie. »Das war gut. Man merkt, daß du Zehnkämpfer warst, Mark. Du hast die ganze Palette drauf: Sprint, Kugelstoßen, Stabhochsprung...« »Danke, danke. Sport hält fit«, scherzte ich und rief in Richtung Tür: »Ja, was ist denn?« Die mir grundsätzlich unsympathische Stimme meines Hauseigentümers und Vermieters Stubenrauch drang durch die Wohnungstür. »Herr Hellmann, die Polizeidirektion Weimar verlangt Sie ganz dringend. Man hat bei mir angerufen. Haben Sie denn einen Stromausfall, daß die bei mir angerufen haben?« Wir hatten die Handys ausgeschaltet und mein Telefon ausgestöpselt. Tessa und ich hatten endlich einmal ungestört sein wollen. Schon seit drei Tagen hatten wir keine Zeit mehr für einander gehabt. Da gab es viel nachzuholen. »Es ist gut, Herr Stubenrauch«, antwortete ich. »Ich rufe gleich bei der Kripo an. War Pit Langenbach am Apparat?« »Ja, Hauptkommissar Langenbach hat Sie verlangt. Sofort und ohne Aufschub. Dringend hat er's gemacht.« »Dringend war's bei uns auch«, flüsterte Tessa und sagte dann etwas lauter: »Jetzt haben Sie's uns ja gesagt, danke.« Sie saß nackt auf der Tischkante und ließ ihre hübschen Beine baumeln. »Dafür mußte ich zwei Treppen hochsteigen«, nörgelte Stubenrauch. »Soll ich die Störungsstelle anrufen?« »Der einzige, der hier nervt und stört...« vollendete Tessa leise, um dann wieder lauter zu antworten: »Danke, nein.« »Kann ich sonst noch was für Sie tun?« »Nein, er hat es schon getan.« Und dann wieder lauter: »Nein danke!!« Das klang sehr energisch. Wir hörten, wie Stubenrauch die Treppe hinunterstieg. Für Tessa Hayden, meine Lebensgefährtin, Fahnderin bei der Kripo Weimar, sexy und sexgierig, immer flott, immer fit, hegte er in der letzten Zeit eine Haßliebe. Sie hatte ihm jüngst gegen seine Kopfschmerzen eine auf harmlos getürkte 7
Viagra-Pille untergejubelt. Seitdem hatte ich Stubenrauch schon zweimal mit dem Playboy unterm Arm getroffen. Bei ihm schien da etwas bereits Totgeglaubtes wiedererwacht zu sein. Und seine Mathilde schien sich häufig äußerst aktiv mit ihm darüber zu freuen. Sie wirkte jedenfalls in jüngster Zeit viel ausgeglichener. Das Liebesleben der Stubenrauchs war meine geringste Sorge. Während Tessa ins Bad ging, sich frisch machte und anzog, schaltete ich mein Handy wieder ein und tippte Pit Langenbachs Kurzwahl. Peter Langenbach ist etwas älter als ich, Mark Nikolaus Hellmann, und Hauptkommissar bei der Weimarer Kripo. Mit seinem schwarzen Schnäuzer ist der großgewachsene, dunkelhaarige und sportive Zigarilloraucher Pit normalerweise die Ruhe in Person. Was bei seinem Job dringend notwendig ist. Er frotzelt mich gelegentlich wegen meinem zweiten Vornamen, über den er sich dann einfach nicht einkriegen will. Thema: Nikolaus mit seinem Sack auf dem Rücken... Diesmal war Pit nicht zum Scherzen zumute. Ich hatte ihn gleich am Apparat. Und er legte los: »Seit einer halben Stunde versuche ich alles, um dich oder Tessa zu kriegen. Sie hat Dienstbereitschaft und muß ständig erreichbar sein. Das kann sie ein Disziplinarverfahren kosten.« »Reg dich ab, Pit. Jetzt hast du mich ja am Apparat. Wo brennt's denn?« »In Goethes Gartenhaus!« bellte Pit. »Dann ruf doch die Feuerwehr.« »Laß deine Witze. Es ist todernst.« »Um welches Gartenhaus handelt es sich?« fragte ich. »Das echte oder das kopierte?« »Das echte. Alarmstufe ROT. Fall M, höchste Priorität. In fünf Minuten müßt ihr hier sein, okay?« »Ich sitze schon bei Tessa auf dem Sozius.« Damit schaltete ich ab. Handyfunkverkehr läßt sich abhören, da sagt man besser nicht zuviel. Seit ich der Kämpfer des Rings geworden war, hatte ich schon einige Sträuße mit meinem Erzfeind M = Mephisto austragen müssen. Er stank sozusagen aus allen Knopflöchern nach List und Tücke. Hätten ihn nicht magische Gesetze daran gehindert, er hätte mich schon längst erledigt gehabt. Doch auch er mußte sich an bestimmte Regeln halten, so wie 8
ein Schachspieler, der nicht mit einem Kinnhaken aufwarten oder die Spielfiguren unerlaubt verschieben oder gar damit werfen durfte. Ich hatte meinen Siegelring, dem magische Kräfte innewohnten, einige Freunde und Verbündete wie Tessa, Pit, Vincent sowie meine Adoptiveltern Lydia und Ulrich Hellmann. Und dann war da noch Nostradamus, der Seher aus dem 16. Jahr hundert, mein geheimnisumwitterter Mentor. Von ihm stammte mein Siegelring. Er wußte zudem das Geheimnis meiner Herkunft und kannte meine richtigen Eltern, die ich zu gern getroffen und mal kennengelernt hätte. Doch da war nichts zu machen. Als Hektiker wäre ich längst untergegangen. Den Mächten der Finsternis zu trotzen, war mein Lebensinhalt geworden. Dabei dachte ich grundsätzlich optimistisch. Hätte ich nämlich gejammert und gezittert, als armseliges Menschlein gegen die geballten Mächte der Hölle zu stehen, mit Mephisto und allen möglichen anderen Dämonen und Unholden als Gegner, würde ich mich überhaupt nicht mehr unter der Bettdecke vorgewagt haben. Mephisto oder Mefir, wie ich ihn gern nannte, hatte nicht bei allem die höllischen Schwefelstinkfinger im Spiel, für meinen Geschmack jedoch viel zu oft. Mir wollte eigentlich jeder ans Leder, der irgendwie mit der Hölle oder mit Schwarzer Magie zu tun hatte. Hart klopfte ich an die Badezimmertür. »Tessa, Beeilung, Mephisto will was von mir.« Die Tür klappte auf, und Tessa stand, jetzt vollständig angezogen, im Lederdress auf der Schwelle. Wie sie das in zwei Minuten geschafft hatte, war mir ein Rätsel. Sie klimperte mit den Wimpern. »Was stehst du denn nackt herum? Dienst ist Dienst, und Sex ist Sex. Beeil dich, Pit wartet. Der kleine Hellmann hat seinen Job getan. Jetzt hat der große seinen Auftritt.« Tessas Mundwerk ist waffenscheinpflichtig, manchmal bedauerte ich das. Wäre es jedoch nicht so gewesen, hätte mir sicherlich was gefehlt. Ich fuhr schleunigst in meine Kleider, schnappte den Einsatzkoffer, den Siegelring legte ich sowieso nie ab, und ergriff die Halfter mit meiner Pistole. Dann flitzten wir schon aus dem Haus. Tessas Kawasaki stand unter dem vorgezogenen Garagendach. 9
Wir sprangen aufs Motorrad. Tessa startete, und ab ging die Post! Im Nu hatten wir Goethes Gartenhaus, eine Weimarer Sehenswürdigkeit, und seine ein Stück entfernt stehende Kopie erreicht. Diese hatten die Stadtväter der 80.000-Einwohner-Stadt Weimar extra für das Jahr der Kulturstadt erbauen und feierlich enthüllen lassen. Eine Zuschauermenge sammelte sich bei den zwei Gartenhäusern im Parkgebiet. Mehrere Polizeiautos mit Blaulicht und quäkendem Funkverkehr sowie ein Einsatzbus der Polizei standen da. Ich sah grüne Uniformen und Dienstmützen. Uniformierte sperrten das echte Goethe-Gartenhaus aus der Zeit des Dichterfürsten in Weimar ab. Schäferhunde kläfften. Sie gehörten zur Staffel der Polizeihunde, ein Zeichen, wie ratlos und wie geschockt man war. Mein alter Freund Vincent von Euyen, seines Zeichens Bildreporter der »Weimarer Rundschau«, und andere Neuigkeitenjäger steckten im Getümmel. Tessa fuhr im Schritt bis zur Absperrung. Sie zeigte den Dienstausweis, und wir rollten bis zu dem Gartenhaus. Auf einer Bank saß mit einem Schock der Wärter, der am Eingang die Besucher dirigiert hatte. Außerdem standen da einige Schaulustige. Gerade als wir eintrafen und Tessa ihr Motorrad aufbockte, trat Pit aus der Tür des einstöckigen, großen gemauerten Gartenhauses. Ihm folgten der Polizeidirektor persönlich und ein führender Weimarer Kommunalpolitiker sowie ein Vertreter des Stadtrates. Den letzteren, der schon recht abgehoben war, kannte ich viel zu gut. Der Kommunalpolitiker raufte sich die spärlichen weißen Haare, die ihm lang in den Nacken fielen. »Eine ganze Schulklasse ist verschwunden«, sagte er. »Der größte Skandal seit der Wende!« hörten wir den lauten Kommentar eines Touristen aus Sachsen. Pit ging in seiner Lederjacke neben den anderen her und wirkte noch einigermaßen gelassen. Den Fremden redete er dabei cool an. »Die Wende war eine historische Notwendigkeit, die aus der Bankrotterklärung des sozialistischen Systems herrührte. Und der Zusammenschluß mit der BRD die schnellste Möglichkeit, um in die EU reinzukommen. Und das sofort.« Pit starrte den Sachsen an. »Oder hätten Sie sich mit anderen Staaten in die EU10
Warteschleife einreihen wollen? Oder gehören Sie etwa zu denen, die gerne noch heute singen würden, daß die Partei immer recht hat?« Den Argumenten hatte der Rufer nichts entgegenzusetzen. Er schwieg und war froh, daß Pit endlich vorüber war. »Ein Skandal ist es aber trotzdem«, sagte der Polizeidirektor, ein sehr nüchtern wirkender Mann. Er verdrängte meist sehr erfolgreich, daß es Mephisto gab und Weimar ein Zentrum magischer Kräfte war. »Zudem ist keine ganze Schulklasse weg.« »Dann eben eine halbe oder fast eine halbe.« Der Kommunalpolitiker tupfte sich trotz des kühlen Wetters den Schweiß von der Stirn. »Eine Mumie hat sie - geklaut. Der einzige direkte Zeuge ist ein Leipziger Oberstudienrat, ihr Klassenlehrer.« »Wo ist er?« fragte ich und trat vor. »Ich muß mit ihm sprechen.« »Da sind Sie ja endlich, Mark Hellmann«, empfing mich der kahlköpfige, bebrillte Polizeidirektor barsch. »Wir haben lange auf Sie gewartet. Einerseits führen Sie einen Riesenrummel auf, nennen sich Kämpfer des Rings, profilieren sich sogar in FernsehTalkshows und verschaffen Weimar ein Renommee, über das viele nicht glücklich sind.« »Er bringt Weimar in Mißkredit«, regte sich der Gremienleiter und Kulturdezernent von Weimar auf. »Ausbürgern sollte man ihn. Ausgerechnet im Jahr der Kulturstadt treibt Mark Hellmann sein Unwesen, diese verkrachte Existenz, dieser Profilneurotiker sondergleichen. Wenn es irgendwo im Gebälk knackt, behauptet er gleich, das sei ein Spuk, und er veranstaltet einen Wirbel. Ein Kreuz ist es mit ihm. Weimar, das heißt Klassik, Dichtkunst, die Blüte der Europäischen Kultur, die Goethe, Schiller und Liszt verkörpern. Wieland hat hier gelebt, Lucas Cranach, der Maler. Und jetzt dieser Hellmann...« »Ja, Goethe mußte sterben, aber Mark Hellmann lebt«, fuhr Tessa dazwischen. Wieder mal konnte sie ihren Mund nicht halten. »Sollen wir Ihnen helfen, oder wollen Sie selbst den Fall in die Hand nehmen, Herr Kulturdezernent?« »Ich bin Schöngeist, kein Kriminalist oder gar Dämonenjäger.« Wie er das Wort schon aussprach! »Ich diene dem Wahren, dem Guten, dem Schönen.« »Dann kümmern Sie sich darum und stiften hier kein Durcheinander«, wies ihn der Polizeidirektor unwirsch zurecht. »Die Angelegenheit ist viel zu ernst und zu wichtig, als daß wir 11
uns streiten könnten.« Der Kulturdezernent meinte, er würde jede Verantwortung ablehnen. Damit entfernte er sich. Die Lücke, die er bei uns hinterließ, ersetzte ihn völlig. Ein Störenfried weniger, dachte ich. Ich erhielt in ausreichender Entfernung von den Zuschauern und der Presse eine erste Übersicht. Der Oberstudienrat Dr. Karl Röhricht war vom Malteser Hilfsdienst in einem Ambulanzkombi verarztet worden. Nun erschien er, blaß im Gesicht, mit einem Pflaster an der Stirn. Röhricht war groß, hager, trug dicksohlige Gesundheitsschuhe und eine Brille. Mir erschien er nicht gerade weltfremd, jedoch wie ein Typ, der sich in der schulischen Hierarchie und Laufbahn besser zurechtfand als in der freien Wirtschaft. Er schilderte mir, was geschehen war. »Ich habe von Ihnen gehört und gelesen und Sie sogar einmal im Fernsehen gesehen, Herr Hellmann«, sagte er dann. »Sie sind doch der Dämonenbekämpfer, der Störtebekers Schatz gefunden hat?« »Allerdings.« »Dann sind Sie die letzte und einzige Hoffnung, daß ich meine Schüler je wiedersehen werde. Es ist gräßlich, das Schrecklichste, was ich jemals erlebte. Amun Re hat sie verschleppt. - Wie soll ich denn ihren Eltern gegenübertreten, was zu ihnen sagen? Ich, ihr Klassenlehrer, habe versagt. Ich konnte sie nicht beschützen.« Ich klopfte dem Oberstudienrat mitfühlend auf die Schulter. »Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Herr Dr. Röhricht. Im Gegenteil, Sie sind äußerst tapfer gewesen. Sie haben alles getan, um Ihre Schüler und Schülerinnen der teuflischen Mumie zu entreißen.« Der Oberstudienrat wankte. »Sind Sie schwer verletzt?« fragte ich und stützte ihn. »Verdacht auf Gehirnerschütterung«, antwortete er mir. »Man hat mich in die Hufeland-Kliniken fahren wollen, aber ich habe abgelehnt. Ich kann jetzt nicht. Zwölf meiner Schüler sind weg. Es ist ungeheuerlich.« »Bitte beantworten Sie mir noch ein paar Fragen, Dr. Röhricht. Schildern Sie den Vorgang noch einmal in aller Ruhe. Was genau sagte die Mumie?« Der Oberstudienrat berichtete. Die große Schlange ist mit Mephisto den Bund eingegangen, hörte ich. Cäsar stirbt auf dem 12
Nil. Mark Hellmanns Kopf rollt blutig in den Sand. Zweitausend Jahre vor eurer Zeit fällt die Entscheidung. Das kündete mir von der höchsten Gefahr, und ich ahnte bereits in dem Moment nicht nur, nein, ich wußte es: Mir stand wieder ein Vergangenheitsabenteuer bevor. Tessa schien die gleiche Idee zu haben. Angst las ich in ihren grünen Augen, deren Blick sich in den meiner blauen bohrte. Pit Langenbach hielt sich zurück. Er wußte genau, wann er besser schwieg. »Erstellen Sie eine Liste der verschwundenen Schülerinnen und Schüler«, bat ich Dr. Röhricht. »Ich bringe Ihnen die Kinder zurück.« Es klang vollmundig und großspurig, doch insgeheim zweifelte ich daran, daß ich hier helfend einspringen konnte. War so ein komisches Gefühl, aber ich wollte niemandem die Hoffnung stehlen, der auf mich setzte. »Sie sind in die Pyramide des Schreckens verschleppt worden«, klagte der Oberstudienrat. »So interpretiere ich das. Dort sollen sie dem Bösen geopfert werden. - Wo mag diese Pyramide sein?« »Ich vermute im alten Ägypten«, erwiderte ich. »Im Nildelta. Und zwar zu der Zeit, als sich Cäsar dort aufhielt und nach Pompeius' Tod seine ägyptischen Feinde bekämpfte. Als er mit Kleopatra seine berühmte Kreuzfahrt auf dem Nil unternahm. Also ungefähr fünfzig vor Christus, die genauen historischen Daten habe ich jetzt nicht im Kopf.« »Das war Ende 48, Anfang 47 vor Christus«, erwiderte Dr. Röhricht wie aus der Pistole geschossen. Er war halt ein Pauker und froh, hier wenigstens helfend eingreifen zu können. »Mit Amun Re weiß ich nichts anzufangen. Cäsar ist damals nicht gestorben, sondern er hat alle Anschläge überlebt und seine Feinde glorreich besiegt. In Alexandria war es allerdings knapp. Da ist er fast ums Leben gekommen. Was sollen die Worte der Mumie bedeuten?« Ich seufzte, wie eine Zentnerlast sank es mir auf die Schultern. »Das heißt«, sagte ich, »daß Seth, der altägyptische Satan, mit Mephisto einen Deal abgeschlossen und die Mumie des Amun Re hierher entsandt hat.« Ich fuhr fort: »Sie wollen die Weltgeschichte ändern. Cäsar soll sterben und alles ganz anders verlaufen. Und Seth, die große Schlange, wird diese Welt umschlingen und nie wieder loslassen.« Plötzlich erwärmte sich mein Ring und fing an zu strahlen. 13
»Gut kombiniert, Hellmann«, ertönte eine Stimme aus dem Gartenhaus oder vielmehr Pavillon. »Eins weißt du nicht, aber das sag ich dir jetzt: Ich, Mephisto, habe schon von der Ersten Dynastie an im Alten Ägypten mein Wesen getrieben. Seth ist nur ein anderer Name von mir. Ich bin das Böse, das nimmer besiegt wird und letztendlich gewinnt. - Diesmal gelingt mir mein großer Coup. Amun Re ist einer meiner stärkster Diener, Dracomar dagegen nur ein Knabe gegen ihn. Zwölf ist die magische Zahl. Zwölf Schüler aus Leipzig, vom doppelten Ort in die Vergangenheit zurückgeworfen, gewähren die einmalige Chance, das zu erreichen, was ich schon immer versucht habe. Du wirst mich nicht daran hindern.« Die andern wichen zurück. Plötzlich fühlte ich mich sehr allein. Ein Wort meines Kampf Sportlehrers fiel mir ein: Wir werden allein geboren, und wir sterben allein. Im Grund genommen sind wir immer allein. »Doch, das werde ich, Mefir«, sagte ich, wobei Mefir Lügner bedeutete. Darüber ärgerte sich der Höllenfürst immer. »Du bist die Macht, die Böses will und Gutes schafft, steht es in Goethes Faust. Das Böse vernichtet sich selbst.« »Feindpropaganda. Geschwätz!« antwortete die unheimliche Stimme wie aus dem Schlund der Hölle. »So war es.« Tessa stellte sich an meine Seite. Ich war nicht allein. »So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein.« Höhnisches Gelächter erscholl. Wie Donner hörte es sich an, und in den Wolken war für einen Moment eine riesige Teufelsfratze zu sehen. Bedrohlich hob sie den Dreizack über Weimar. Dr. Röhricht schaute hinauf und rief: »Gib mir meine Schüler wieder, du Satan! Sie haben nichts getan, es sind unschuldige junge Menschen. Hol statt dessen mich in deine Pyramide und töte mich, wenn du unbedingt ein Opfer brauchst. Verschone aber meine Schüler!« Der ein wenig sonderbar wirkende Lehrer rührte mein Herz. Mephisto ließen die Worte kalt, denn der hatte keins. Er lachte noch lauter und donnernder. Wolkenfetzen trieben dahin, von einem plötzlich aufkommenden Sturm gepeitscht. Schwarzer Hagel fiel nieder. »Ich ziehe mich jetzt zurück und überlasse euch eurem Schicksal, ihr Jämmerlinge!« beschied uns Mephisto. »Geh in das 14
Gartenhaus, Mark Hellmann. Amun Re wartet. - Vielleicht kannst du ihn ja besiegen.« Es war klar, er wollte sich im Hintergrund halten. Goldenes Licht schimmerte aus dem Gartenhaus. Mein Ring wurde noch wärmer und schickte ein Pulsieren bis in meinen Oberarm. Ich schaute zur Tür des Gartenhauses. Dann öffnete ich meinen Einsatzkoffer und trat ein. * »Das ist eine Falle, Mark, geh nicht hinein!« hörte ich Tessas Stimme. Doch ich war bereits über der Schwelle. Goethes Gartenhaus hatte innen mit dem, was ich von Besichtigungen und Fotos kannte, nichts mehr gemein. Statt dessen fand ich mich in der Grabkammer einer ägyptischen Pyramide wieder. Grabgaben lagen da. Auf Steinbänken an langen, reliefund hieroglyphenverzierten Wänden saßen mumifizierte Gestalten. Ich sah Streitwagen, Pferde, Ochsen und andere Tiere, alle von einem goldenen Nebel umwabert. Trotzdem wirkten sie sehr makaber und schaurig tot. Sie waren jedoch gut erhalten. Mir fiel ein, daß die altägyptische Religion eine Totenreligion gewesen war, mit Hinwendung auf das Jenseits. Die Herrscher und Vornehmen jener Zeit, die dreitausend vor Christus begann und um dreißig vor Christus mit der Eroberung durch die Römer endete, hatten sich prachtvolle Pyramiden und Grabkammern gebaut. Wie auch später in anderen Kulturen, waren oft der ganze Hofstaat und viele Diener und Sklaven hingemordet worden, um mit dem verstorbenen Edlen bestattet zu werden. Im Jenseits sollten sie ihn dann bedienen. Hier sah ich also etliche dieser armen Teufel vor mir, Männer und Frauen. Im Hintergrund stand ein vergoldeter Mumiensarkophag. Im selben Augenblick, als ich hinschaute, klappte er auf! Das donnerte, als er am Boden aufschlug! Von draußen hörte ich nichts mehr. Ein starkes Brummen wie von einem gigantischen Transformator schirmte alle Außengeräusche ab. Ich befand mich in einer magischen Sphäre. Falls ich hier starb, soviel wußte ich, gab sie mich nicht mehr frei. 15
Aus dem Sarg trat Amun Re, die schreckliche Mumie, von der mir Dr. Röhricht vorhin berichtet hatte. Vergilbt waren jetzt wieder ihre Binden, das grün-schwarze Gesicht jedoch freigelegt. Die Augen glühten rot in der Mumienfratze. Käfer krabbelten auf dem hünenhaften Körper herum. Amun Re bewegte seine gewaltige Sichel. Der Boden erzitterte, als er auf mich zuschritt. Mehr noch, die Mumifizierten auf den Steinbänken erhoben sich und tappten wie die Zombies auf mich zu. Sie waren ihrer Innereien und Körperflüssigkeiten beraubt. Anschließend mit speziellen Harzen und Salben haltbar gemacht. Die Kunst der altägyptischen Präparatoren war hoch entwickelt gewesen. »Zerreißt diesen Wurm!« donnerte Amun Re. Mit dem Ring, der ohnehin schon leuchtete, berührte ich rasch das siebenzackige sternförmige Mal an meiner Brust. Ein Lichtstrahl sprang aus dem Ring hervor. Damit schrieb ich in keltischen Futhark-Runenbuchstaben Waffe auf meine Pistole sowie auf den armenischen Silberdolch aus dem Einsatzkoffer. Die Waffen leuchteten bläulich. Ich war gefordert, konnte jetzt nicht kneifen und eröffnete den Kampf! Menschliches Leben war es nicht, das ich vernichtete. Die Pistole krachte. Neun-Millimeter-Projektile schlugen in die untoten Körper der Dienerschaft des Amun Re. Das verschaffte mir erst einmal Luft. Eine geschminkte Untote mit edelsteinverziertem Brustschild legte mir ihren eiskalten Arm von hinten um den Hals. Sie erwürgte mich fast, ungeheuer stark, wie sie war. Diese mir unliebsame Art weiblicher Umarmung beendete ich, indem ich sie mit einem Judowurf über die Schulter schleuderte, genau vor die Füße von Amun Re. Nachladen konnte ich nicht, steckte die Pistole weg, schlug und trat um mich und fuhr mit dem Lichtstrahl aus meinem Ring wie mit dem Laserschwert drein. Damit erzielte ich jedoch schlechte Ergebnisse. Der Lichtstrahl irritierte die Untoten zwar kurzzeitig, vernichtete sie jedoch nicht. Aber es war schon einen Versuch wert gewesen. Amun Re lachte höhnisch. »Bringt ihn um!« befahl er seinen Dienerinnen und Dienern. Ich schlug und hackte mit dem bläulich leuchtenden Silberdolch drein. Er war lang genug, um ihn wie ein Kurzschwert führen zu können. Außerdem teilte ich wuchtige Faustund Handkantenschläge sowie Fußtritte aus. 16
Bald geriet ich ins Schwitzen und keuchte. Die Schar meiner Gegner wurde geringer. Mit klaffenden Wunden, aus denen kein Blut rann, sanken welche nieder. Andere fielen oder lösten sich gar in Staub auf. Ihre Bewegungen waren zum Glück schwerfällig, zum Glück, sonst hätten sie mich vielleicht erledigt. Die Mumie mit den vergilbten Binden beobachtete meinen Kampf. Ihr lippenloser Mund bewegte sich. Auf einen lautlosen Befehl und einen Wink mit der goldenen Sichel hin ließen die restlichen Gegner von mir ab und schlurften zu ihren Steinbänken im Halbschatten zurück. Kamele, Pferde und andere geopferte Tiere, die sich ebenfalls gegen mich erhoben hatten, nahmen ihre frühere Haltung wieder ein. »Was jetzt, Amun?« fragte ich. Die Mumie bewegte die umwickelte rechte Hand von links nach rechts. Das mußt du wissen, bedeutete diese Geste, die vielleicht so alt war wie die Menschheit selbst. Wag es, mich anzugreifen. Auf geht's, Mark! dachte ich, nahm einen kurzen Anlauf und sprang, mit den Absätzen voran, gegen die Brust der Mumie. Den bläulich leuchtenden Silberdolch behielt ich dabei in der Hand. Wenn Old Amun umfiel wie ein Kegel, wollte ich gleich auf die Füße federn und den Dolch gegen ihn aufbieten. Das gelang jedoch nicht. Die Mumie stand da wie ein Fels. Und ich prallte voll von ihr ab. Die Landung war genauso hart. Die goldene Sichel pfiff durch die Luft. Im letzten Moment rollte ich mich zur Seite. Jetzt begann ein Kampf, bei dem ich wieder den kürzeren zog. Amun Re trieb mich durch den magisch verwandelten Raum! Er brauchte dazu nicht mal die Sichel. Als ich auf ihn losging, flog mein Silberdolch Sekunden später in die Ecke. Unerreichbar für mich. Mit Füßen und Fäusten konnte ich wenig ausrichten, zumal mich Amun Re nicht mehr an sich heranließ. Er demonstrierte mir seine magische Kampfweise. Wenn er nur die Handfläche gegen mich einsetzte, traf es mich wie ein Schlag oder Schock! Dann kriegte ich kaum noch Luft und jede Menge blauer Flecken. Nun hängte die Mumie die Sichel an ihren Rücken und drückte die beiden umwickelten Handflächen zusammen. Eine Beschwörung, und ich fühlte mich, als sei ich mit dem Schädel in einen Schraubstock geraten. Grauenvoll waren die Schmerzen! Schon blutete ich aus Mund und Nase, bis es mir endlich gelang, 17
den Griff unsichtbarer Kräfte zu sprengen. Mit letzter Kraft. Amun Re hatte so etwas wie eine magische Verlängerung und Verstärkung seiner Arme und sonstigen Glieder. Für mich waren diese unsichtbar, ich spürte jedoch die Wirkung. Es war gräßlich. Ich, Mark Hellmann, bezog üble Dresche! Amun Re verfügte zudem über eine sadistische Ader. Als ich auf den Silberdolch zukroch, ließ er ihn mich fast erreichen. Dann senkte er in mehreren Metern Entfernung den Fuß, als ob er einen Käfer zertreten würde. Der Käfer war ich! Wie ein unsichtbarer Elefantenfuß senkte er sich auf mich herab. Unter Aufbietung aller Kräfte befreite ich mich, erreichte meinen Einsatzkoffer und schleuderte diesen gegen die Mumie. Sie hob nur lässig die Hand, und der Koffer klatschte auf mich zurück. »Armer Wurm«, dröhnte es mitleidig aus ihrem Mund. »Willst du es wirklich wagen, mich am Nil aufzusuchen? Dein Schicksal und das deiner Welt sind besiegelt.« Ich stöhnte vor Schmerzen. Auch eine Antwort. Blut rann mir aus Mund, Nase und Ohren. Ich lag am Boden. Doch ich hatte noch meine Pistole und lud sie nach. »Dir knalle ich was hinter die Binde!« rief ich, um mir Mut zu machen. Bevor ich schießen konnte, zuckten rote Feuerstrahlen aus Amun Res Augen. Sie setzten meine Kleidung in Brand! Die Pistole war plötzlich glühend heiß. Ohne meinen Ring wäre ich nun hoffnungslos verloren gewesen. So jedoch wankte ich dorthin, wo ich den Ausgang vermutete. Ich taumelte gegen die Wand. Hinter mir hörte ich ein Zischen, schaute zurück und sah die Mumie einen Hieb mit der gewaltigen Sichel führen. Im letzten Moment, mehr tot als lebendig, duckte ich mich. Die goldene Sichel rasierte haarscharf über meinen Kopf hinweg und schlug Funken aus der Wand. Dann fand ich die Tür und stürzte hinaus. Amun Re lachte hinter mir. »Deinen Kopf kriege ich noch, Wurm! Möge dich die Unterwelt auf immer verschlingen!« Herrlich kühl war die Luft draußen. Ich wälzte mich vor Goethes Gartenhaus über den Boden, um die Flammen an meinen Kleidern zu ersticken. Pit und Tessa sprangen hinzu. Pit warf seine Lederjacke über mich. Zuschauer schrien erschreckt auf. 18
Sanitäter eilten herbei. Aus Goethes Gartenhaus zuckte abermals ein goldener Lichtstrahl gen Himmel, wurde zu einem Mahlstrom und verschwand in einer anderen Dimension. Amun Re, da war ich sicher, hatte die Rückreise angetreten. Ich setzte mich auf, von Brandblasen übersät, mit glimmenden, versengten Haaren und dachte an meinen Friseurtermin. So konnte ich mich in der Öffentlichkeit ja nicht blicken lassen. »Was ist denn passiert?« fragte der Polizeidirektor von Weimar. »Allerhand«, antwortete ich. »Die ersten beiden Runden gingen jedenfalls an die Gegenseite.« Tessa umarmte und küßte mich. »Mark, ich hatte entsetzliche Angst um dich.« Pit Langenbach ordnete mit besorgter Miene an: »Schafft ihn in die Klinik, Notaufnahme! Er muß untersucht werden.« Ich protestierte, doch Pit wollte nichts davon hören. »Du siehst furchtbar aus, Mark.« »Nicht schlimmer als du am Sylvestermorgen.« »Reiß keine albernen Witze. Vielleicht hast du innere Verletzungen davongetragen. Man kann nie wissen. Ich will nicht meinen besten Freund verlieren, nur weil der zu faul oder zu stolz war, zum Arzt zu gehen.« »Mein Einsatzkoffer ist noch im Gartenhaus«, sagte ich, als mich die Sanitäter auf die Trage legten. Mit sorgenvoller Miene beugte sich die Notärztin über mich. Tessa lief neben mir und hielt meine Hand. Man sah ihr an, wie sehr sie mit mir litt. »Wir werden deine Waffen und den Koffer schon finden«, hörte ich Pit sagen. Ehe der Rettungswagen losraste, sah ich, wie Pit mit zwei weiteren Beamten das Gartenhaus betrat. Dort schien es wieder ruhig zu sein. Amun Re war verschwunden. Dr. Röhricht und seine Kollegin, die mit an der unheilvollen Klassenfahrt der 10b teilnahm, die Schüler, der Polizeidirektor, der Kommunalpolitiker, die Zuschauer, alle blieben zurück. * Vincent van Euyen versuchte vergeblich, ein Statement der 19
Polizei zu erhalten. »Warten Sie auf die offizielle Stellungnahme der Kripo«, wurde ihm gesagt. Da er Bildreporter war, schoß er einige Fotos vom Gartenhaus. Die in den Himmel fahrende Lichtsäule hatte er ebenfalls fotografiert. Doch auf diesen Fotos würde später nichts zu erkennen sein. * Der Rettungswagen raste zur Klinik. Tessa saß neben mir. Die Notärztin reichte mir eine Sauerstoffmaske und zog eine Spritze auf. »Was ist das für ein Mittel?« röchelte ich. »Ein kreislaufstabilisierendes Mittel. Sie werden ein paar Tage in der Klinik bleiben müssen, Herr Hellmann.« »Niemals«, hörte ich meine schwache Stimme. »Wenn ich mir nichts gebrochen und keine inneren Verletzungen habe, verlasse ich die Klinik sofort wieder.« Das tat ich dann auch zwei Stunden später. Auf eigene Verantwortung verließ ich sofort nach der Untersuchung das Krankenhaus. Die Ärzte konnten mich nicht dabehalten. So war die Rechtslage. Ein Taxi beförderte mich zu meiner Wohnung in der Florian-Geyer-Straße. Mein erster Anruf galt Pit. Ich bat ihn, zu mir zu kommen. Dann meldete sich die Rundschau. Versuchte mich auszuquetschen. Doch ich gab keine Erklärung ab. Was hätte ich auch sagen sollen? Noch war nichts entschieden. »Aber Mark, wir müssen doch etwas schreiben«, säuselte der Redakteur. »Tut mir leid, erst wenn die Sache beendet ist - und ich überlebt habe.« Diese Neugier gefiel mir im Augenblick gar nicht. Artur Stubenrauch hatte mir auch schon aufgelauert, als ich, von Tessa gestützt, die Treppe hochwankte. Und das in fremden Klamotten. Meine Waren ja verkohlt. »Ja, um Gotteswillen, was ist denn mit Ihnen passiert, Herr Hellmann?« hatte Stubenrauch wissen wollen, während er die Hosenträger schnalzen ließ. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« 20
»Ja, indem Sie mir meine Ruhe lassen. Bitte.« »Undank ist der Welten Lohn«, murmelte Stubenrauch. »Da meint man es gut mit ihm, und er antwortet unfreundlich. Unsolide ist er, ein aufgeblasener Wichtigtuer. Dämonenjäger, daß ich nicht lache! Was er verzapft, saugt er sich alles aus den Fingern und läßt sich in Wirklichkeit von Tessa Hayden durchfüttern, der er auf der Tasche liegt. Bei Honecker hätte es das nicht gegeben, daß ein Dutzend Schüler verschwinden. Kam grade im Radio.« Ich beachtete meinen Vermieter einfach nicht mehr. Hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Völlig geschlaucht torkelte ich in meine Wohnung. Tessa folgte mir. Kaum war ich drinnen, da leuchtete mein magischer Ring mit dem stilisierten Drachen und den Buchstaben M. und N. auf. Er zeigte mir eine magische Aktivität an. »Achtung, Tessa!« rief ich. »Gib mir deine Pistole!« Die Gegenseite wollte mir anscheinend keine Atempause gönnen. Ein Flimmern entstand in der Luft. Aus ihm entstand eine hochgewachsene Männergestalt mit langwallendem Haupt- und Barthaar. Der Besucher trug die Tracht eines Gelehrten aus dem 16. Jahrhundert. Talar und eine Art Barett. Seine Sternenaugen strahlten mich an. Tessa und ich entspannten uns. Zwischen dem Besucher und mir war eine Schwingung, die mir deutlich zeigte, daß es sich hier um keinen dämonischen Bluff handelte. Kein Mephisto in einer Verkleidung stand vor mir, sondern mein alter Freund und Mentor Nostradamus, der große Arzt und Seher. Er hatte von 1503 bis 1566 gelebt. Seine Centuries, wie seine berühmtesten Weissagungen hießen, reichten von seiner Zeit bis ins Jahr 3.797 nach Christus. Ich war Michel de Notre-Dame, wie er mit richtigem Namen hieß, schon mehrmals begegnet. Geheimnisumwittert, kleidete er sein Wissen in kryptische Sprüche und war auch sonst nicht leicht zu verstehen. Ein Magier, ein Überwesen, das, wie ich vermutete, in einer anderen Dimension lebte. Oder in einer magischen, mystischen Sphäre ähnlich Merlins sagenumwobener Feenwelt Avalon. Nostradamus trat auf, als ob wir uns erst gestern begegnet seien. Ohne Umschweife wandte er sich sofort an mich. 21
»Große Gefahr droht, mein Sohn.« So nannte er mich, obwohl er gewiß nicht mein leiblicher Vater war. »Du mußt in die Pyramide des Schreckens und Julius Cäsar retten, oder die Welt nimmt einen Verlauf, den auch ich nicht verhindern kann. Wenn Cäsar vor seiner Zeit ermordet wird, den Iden des März im Jahre 44 vor Christus, werden Dämonen die Welt beherrschen.« »Ich habe ja gar nichts dagegen, Gaius Julius unter die Arme zu greifen«, erwiderte ich, »aber kann ich mich nicht vorher ein wenig ausruhen?« Nostradamus schüttelte ernst den Kopf. »Nichts wirst du haben«, orakelte er. »Viel geschah, kleine Ursachen ergeben oft große Wirkungen. Die Duplizität mit der Verdoppelung jenes Gebäudes, in dem sich der Dichterfürst oft ergötzte, schuf eine Voraussetzung für die Mächte der Finsternis.« »Kannst du nicht mal ohne Umschweife und normal sprechen, Nostradamus? Du meinst Goethe und jenes unselige Gartenhaus, das als ein Gag kopiert oder nachgebaut worden ist.« »So ist es. Wo eines ist, sollen nicht zwei sein, wenn die Gestirne in einer bestimmten Konstellation stehen. Auch jenes Lager, in dem die braunen Schergen Unschuldige mordeten, wirkt wie ein magischer Reflektor.« Jetzt sprach er von dem KZ Buchenwand bei Weimar, das heute eine Gedenkstätte ist. »Wehe, wehe und dreimal wehe vor dem, was die Pyramide des Schreckens ausspeit. Ungeheure Kräfte erschüttern die Grundfesten des Kosmos. Mephisto und Seth bündeln ihre Energien durch Amun Re, der damals der verrufenste, schwärzeste, übelste Magier und Totenpriester von Ägypten war.« »Kleopatra ist die Schlange vom Nil. Sie buhlt mit vielen, doch ihr größtes Streben gilt nur der Macht. Ihr Bruder ist ein Verschwörer. Amun Re erhebt sich, uralt, doch mit unheiligem Leben erfüllt, eine Mumie des Grauens. Blut fließt durch die Straßen der ägyptischen Städte. - Die alten Götter werden gestürzt, und Amun Re wird Statthalter Seths und beherrscht das Land.« Nostradamus war nicht zu stoppen. »Die Schlange der Finsternis kriecht aus der Pyramide des Schreckens und umschlingt alle Welt«, prophezeite er. »Wenn du in der Pyramide bist, wirst du allein auf dich gestellt sein, Mark.« »Wie soll ich dann etwas ausrichten? Ich habe Amun Res Magie 22
und Kraft kennen- und fürchten gelernt.« »Ein Messer. In der Kammer hinter dem Sarkophag. Durch den Spalt in der Wand könnt ihr entrinnen. Der wird dich begleiten, den du nicht mitnimmst. Achte gut auf den Ring an der Mumienhand Amun Res. Wenn du ihn siehst, weißt du, was die Stunde dir schlug. - Wehe, wehe, wehe uns allen, solltest du versagen.« Ich saß im schweren Ledersessel. Tessa klammerte sich an mich. In Nostradamus' Augen flackerte nackte Panik, was bei ihm viel bedeuten wollte. Er schaute, so zeigte mir seine Miene, direkt in den tiefsten Abgrund der Hölle. Es mußte schlimm sein, soviel zu sehen und zu wissen wie er. Ein Seher wie Nostradamus kannte keinen Seelenfrieden mehr. Er war übers menschliche Maß hinausgewachsen, ein Übermensch und ein Verdammter zugleich. »Ich gehe«, sprach er. »Sei tapfer und gut, Sohn. Enttäusche Nostradamus nicht.« Damit neigte er sein Haupt. Nostradamus strich Tessa und mir übers Haar, als wären wir Kinder. »Wehe, wehe«, hörte ich ihn noch einmal sagen, ehe er durch die geschlossene Tür hinausging. Er war jetzt ein Geistwesen. Stoffliche Hindernisse beeindruckten ihn nicht. Mir stand, als er fort war, der kalte Schweiß auf der Stirn. »Was für eine Unke«, sagte Tessa. »Das ist ja ein Miesmacher ersten Ranges. Spricht von jemandem, den du nicht mitnimmst und der doch bei dir ist - und von einem Spalt in der Wand. - Wer soll das denn begreifen?« »Einfach zu verstehen ist das wirklich nicht«, antwortete ich. »Doch seine Worte sind wichtig und ernst. Vielleicht verschlüsselt er seine Aussagen deshalb so, damit man intensiv darüber nachdenkt und sie nicht unterbewertet.« Tessa, die Gute, lenkte mich von den düsteren Gedanken ab, die Nostradamus mir eingeflößt hatte. »Auf dem Feuer ohne Glut bereite ich dir das Fleisch dessen, der fleischlos in eisiger Kälte ruht. Unsichtbare Energie bannt des Todes Kälte, und neue Kraft strömt dir, o Hellmann, in deine müden Adern.« Ich schaute sie an. »Im Klartext«, sagte Tessa, »ich hole ein Steak aus der 23
Tiefkühltruhe, taue es in der Mikrowelle auf und brate es dir auf dem Elektroherd. Damit du wieder zu Kräften kommst. - Dann sehen wir weiter.« »Tessa, du bist respektlos. Aber ich liebe dich.« »Nur mich?« »Ist ja keine andere da.« Mein angeschlagener Zustand bewahrte mich vor einem Boxhieb. Eins war klar: Ich mußte von Goethes Gartenhaus in die Vergangenheit reisen, ins Jahr 47 oder 48 vor Christus. Dort würde ich, wenn ich Glück hatte, Cäsar und Kleopatra treffen. Oder mich holte in der Pyramide des Schreckens der Teufel. * Die zwölf Schülerinnen und Schüler von der 10b des Leipziger Leibniz-Gymnasiums erwachten aus ihrer Trance, als die Dimensionsreise begann. Vorher hatte die Hypnose der Mumie ihren Geist gelähmt und ihnen das Schreckliche gnädig verborgen. Jetzt hörten sie Sphärenklänge, sahen vorbeihuschende Lichter und gewahrten unter sich einen Abgrund mit scheußlichen Lebewesen und von Dämonen gequälten Verdammten. Sie hielten sich bei der Hand. Ein goldfarbenes Licht, zu dem die Mumie des Amun Re geworden war, führte sie. Wie lange die Reise dauerte, wußten die Schüler nicht. So plötzlich, wie sie begonnen hatte, endete sie. Die zwölf Jugendlichen landeten hart auf Teppichen, die über kühlem Steinfußboden lagen. Sie fielen alle hin und bildeten einen Knäuel. Sie hatten keine Möglichkeit gehabt, um sich abzufangen. Als sie sich erhoben, fanden sie sich in einem riesigen Saal wieder, der mit allerlei Statuen und Gegenständen aus dem alten Ägypten geschmückt war. Dämmrig war die Beleuchtung. Hoch an der Decke hing eine helle, runde Lichtquelle. Sie strahlte mattes Licht ab. Der riesige Saal war unterschiedlich hoch. Es gab Stufen, mit Reliefs versehene Säulen, Nischen und Seitengänge. Im hinteren Teil des Saals befand sich eine Pyramidenplattform, zu der Stufen hochstiegen. Oben auf der Plattform war eine sechseckige, schwarze Pyramide zu sehen. 24
Aus ihrer Spitze stieg ein goldener Lichtstrahl hervor, der über ihr eine kleine Wolke bildete. Ein Teil von der großen Pyramidenplattform mit der flachen Spitze war ausgespart. Darunter befanden sich zwei hochlehnige Thronsessel. Auf einem saß die Mumie, die die Schüler aus Weimar entführt und hergebracht hatte. Sie strahlte jetzt golden. Der zweite Thron war leer. Fremdartige Gestalten bevölkerten den großen Saal und bewegten sich in der Pyramide. Die Schülerinnen und Schüler standen dicht zusammen, sie suchten Schutz in der Gruppe. Was sie erblickten, hatte noch nie jemand aus ihrer Zeit gesehen. Bei der Mumie auf den Stufen der Plattform standen dunkelhäutige, fast nackte Sklaven. Sie wirkten wie Zombies. Zwei barbusige Sklavinnen, ebenfalls Farbige, mit LapislazuliSchmuckkragen und üppigen Frisuren, schwangen große Fächer über der Mumie. Neben der Mumie, bei einem mächtigen Gong, stand eine Gestalt, die halb Mensch und halb ein anderes Wesen war. Ungeschlacht, mit stumpfen Zügen, die nur entfernt an ein menschliches Gesicht erinnerten. Das war ein Lemur, ein Halbmensch, schwarzmagisch erzeugt oder aus einem anderen Zeitalter hergeholt, lange bevor die Menschheit die Erde erobert hatte. Weitere Sklaven und Diener, männlich und weiblich, sowie Soldaten, Arbeiter und Schreiber bewegten sich in dem Saal. Ein bleicher Sethpriester mit kahlgeschorenem Schädel, senffarbenem Umhang, Armreifen und einem halbrunden, haubenförmigen Kopfschmuck trat zu den zwölf Schülern. Er hielt einen Stab mit spiralenförmig gewundenem Oberteil in der ausgemergelten Hand. Ein fanatisches Feuer brannte in seinen Augen. »Auf, Opfer Seths, erhebt euch! Es gibt viel zu tun. Ihr sollt euch umkleiden und schmücken, damit die große Feier beginnen kann. Ohne euch geht es nicht, euch fällt dabei eine Ehrenrolle zu.« »Sagte die Spinne zur Fliegenfamilie, als sie sie ins Netz einlud«, kommentierte Oliver Grindinger, der Vorlauteste aus der Gruppe. Auch er war psychisch angeschlagen, doch er gab sich mutig und frech wie immer. »Warum verstehen wir diese Kreatur eigentlich?« fragte Diane Vesterhoff, ein Teenager im kurzem Rock. »Amun Res Jünger sprechen in allen Sprachen«, donnerte sie 25
der kahlköpfige Priester an. »Der Meister hat die babylonische Sprachverwirrung rückgängig gemacht. Wage es ja nicht noch einmal, so respektlos von mir zu sprechen! Ich lasse dich nackend peitschen, bis dir die Haut in Fetzen hängt, Weib! Ihr seid Sklaven von Amun Re.« »Ja, großer Meister, wir sind ja gehorsam«, dienerte Benedikt Schmitz, der dickliche, bebrillte Klassenprimus. Und er sagte zu den anderen: »Erzürnt bloß den Meister nicht.« Leiser fügte er hinzu: »Die anderen sind in der Überzahl, dazu noch bewaffnet. Wir müssen uns hier erst einmal orientieren. Aufmüpfigkeit ist in dem Fall mit Dummheit gleichzusetzen. - Auch du wirst deine vorlaute Klappe zügeln, Ollie. Und du ebenfalls, Fehlstundenkönigin.« Mit letzterem meinte er Claudia Göbel, auch das blonde Gift genannt. Ihr Nappalederanzug schmiegte sich hauteng um den Körper der hübschen Gymnasiastin. »Ph«, machte sie. Claudias Arbeitsmoral war sehr lax, was die Schule betraf. Ihr häufiges Fehlen hatte ihr ihren Spitznamen eingebracht. Was dem Lehrkörper drohte, wenn sie erst einmal volljährig war und sich ihre Entschuldigungen selber schreiben konnte, konnte sich jeder leicht ausrechnen. Benedikt Schmitz versuchte zu kooperieren. »Wie heißen Sie, Meister?« fragte er den kahlköpfigen Priester, hinter dem einige Sklaven sowie bewaffnete Soldaten standen. »Nennt mich Amenhotep.« Mit einem gebieterischen Wink forderte er die Gymnasiasten auf, ihm zu folgen. Schmitz meinte: »Besser, wenn wir gehorchen. Es widerstrebt mir, ordinär zu sein. Doch ich muß sagen, wir sitzen bis zum Hals in der Scheiße.« »Sogar bis Oberkante Unterlippe«, ergänzte Ollie Grindinger. »Leute, wenn wir das später erzählen, wird es uns kein Mensch glauben.« Verängstigt trotteten die Schüler hinter dem Seth-Priester her. Im Angesicht der goldfarbenen, strahlenden Mumie verlangte er, daß sie sich niederwerfen sollten. Die Soldaten mit den Speeren und Doppeläxten verliehen seinem Befehl Nachdruck. Als sich die Schüler wieder erhoben, führte Amenhotep sie zu einem Säulengang. Dort befand sich ein Durchgang. Es ging in Räume, die weniger 26
offiziell als jener große Saal mit den zwei Thronen waren. Hellund dunkelhäutige Diener und Dienerinnen erwarteten die Schüler. Die Mädchen wurden nach links geleitet, die Jungs nach rechts. Man führte sie zu den Baderäumen. Hier herrschte kein magischdiffuses Licht, hier brannten Fackeln. Das Fußvolk, nämlich die Sklaven und Diener, sprachen nicht in allen Zungen, wie Amenhotep es genannt hatte. Sie verständigten sich mit den Schülern in der Zeichensprache. Die Mädchen und Jungs mußten sich ausziehen. Sie wurden in Bottiche mit heißem Wasser gesteckt. Nackte Sklavinnen reinigten sie, was Ollie Grindinger trotz der prekären Lage antörnte. Kichernd tauchte eine dunkelhäutige Schönheit vom Nil zu ihm in den Bottich. Der Gymnasiast aus Leipzig machte aus seiner Begeisterung für die Sklavin keinen Hehl. Sie bestand durchaus aus Fleisch und Blut. Weniger begeistert war er, als sie ihm später die Körperhaare mit einer Pinzette auszupfte. Das geschah auch mit den anderen Schülern. Anschließend wurden die Entführten gekämmt, geschminkt und gesalbt. Zum Schluß erhielten die Jungen weiße Gewänder mit Goldborten, ähnlich der römischen Toga. Die Mädchen kriegten Schleiergewänder, die kaum etwas verbargen, und reichlich Schmuck. Besonders Diane Vesterhoff und Claudia Göbel erkannten sich kaum wieder, als sie in den Metallspiegel schauten. Dieser Ort und das, was mit ihnen geschah, erschien den Entführten unwirklich. Bald wurden sie alle zusammengerufen. In einem halbrunden Raum standen sie dann. Ein grauhäutiger, klobiger Lemur schlug den Gong. Wie hingezaubert erschien eine hochgewachsene Gestalt mit einem Falkenkopf. Sie trug einen metallenen Lendenschutz, Sandalen, Brustharnisch und war mit Pfeilköcher, Bogen und Kurzschwert sowie einer kurzstieligen Peitsche bewaffnet. »Ich bin Horus«, ertönte eine verzerrte Stimme. »Folgt mir.« Horus war der ägyptische Sonnengott. Er verkörperte eigentlich das Licht und die Stärke des Guten gegenüber dem bösen Seth. Daß Horus hier Amun Re unterstellt war und Seths oberstem Gefolgsmann diente, bedeutete eine Katastrophe. Sämtliche Werte waren auf den Kopf gestellt, die große Schlange und Amun 27
Re hatten schon fast gesiegt. Die Schüler trotteten hinter Horus her. Herrisch schritt er vor ihnen, ein Gott oder Halbgott, der sich unendlich erhaben über die Menschlein dünkte und nichts von ihnen fürchtete. Die zwölf Schülerinnen und Schüler tauschten Bemerkungen über ihr Aussehen. Sie redeten hier anders und benahmen sich zurückhaltender. Die fremde Umgebung und ihr verändertes Aussehen wirkten sich aus. Nur manchmal schlug noch die alte Identität durch. So als Ollie Grindinger Claudia Göbel ins Ohr flüsterte: »Hast du den Ameno-Depp noch mal gesehen?« »A-men-ho-tep heißt der Kerl!« »Sag ich doch.« »Nein.« »Claudi, die haben ein ganz linkes Ding mit uns vor. Hoffentlich kommen wir hier mit heiler Haut raus. Das war eine Schnapsidee, ausgerechnet nach Weimar zu fahren. Der Röhricht mit seinem Kulturfimmel hat uns das eingebrockt. Das haben wir nun vom Kulturjahr. Schöne Kultur, wenn man im alten Ägypten gegrillt wird.« Die Blondine Claudia, jetzt mit altägyptischer gedrehter Frisur, erschauerte. »Du meinst, Amun Re will uns alle töten?« »Du hast doch gehört, was die Mumie gesagt hat. Sterben werdet ihr in der Pyramide des Schreckens und eure Lebenskraft für den großen Plan geben. Was soll das denn sonst bedeuten?« Claudia fing an zu weinen, während sie durch die endlos erscheinenden Gänge schritten. Das Bauwerk, in dem sie sich befanden, mußte riesig sein. Die Gruppe, von Horus geführt und von Soldaten begleitet, gelangte zu einem Schacht. Die Steinplatte, auf der sie standen, schwebte mit ihnen hoch und beförderte sie in eine höhere Abteilung. Benedikt Schmitz, der bebrillte Klassenprimus, staunte. »Sogar Aufzüge haben die schon. Ich möchte wissen, welche Art von Energie sie betreibt. Elektrizität ist das nicht. Das ist keine Aufzugskabine mit einem Seil an einer elektrisch betriebenen Winde.« Es mußte Magie sein. Helles Licht fiel von oben her in den Schacht. Eine strahlende Kugel schwebte immer im gleichen Abstand über der Plattform, die hier als Aufzug diente und millimetergenau mit den völlig glatten, schwarzen Wänden 28
abschloß. Eine Schülerin fing an zu weinen. Es war Hüriye Yildirim, die einzige Türkin in der Klasse. Sie war völlig verstört. Schon die Kleider, die sie jetzt tragen mußte, beschämten und störten sie. Sonst hatte sie immer ein weites Gewand angehabt und einen Halbschleier vor dem Gesicht getragen. Jetzt fühlte sie sich wie nackt. »Es ist mir völlig egal, was für eine Energie sie hier haben!« rief sie jammernd. »Ich will nur weg hier und raus. Ich will wieder heim zu meiner Familie!« Sie wohnte in einer Plattenbausiedlung in beengten Verhältnissen. Dort hatte es ihr nie gefallen. Der strenge Vater, die verhärmte Mutter, drei jüngere Geschwister, die sie nervten... Daß sie das Gymnasium besuchte, war fast wie ein Wunder. Gegenüber der Realität, die sie jetzt erlitt, erschien dem schlanken, blonden Mädchen ihr Zuhause wie ein Paradies. Was war schon ein strenger Vater gegen die Mumie des Amun Re? * In der Klinik hatte man mir Brandsalbe aufgetragen und gesagt, die Brandblasen müßten verheilen. Pit Langenbach erschien mit sorgenvoller Miene und brachte mir meinen Einsatzkoffer nach Hause. Meine Pistole war ausgeglüht, ich mußte mir eine andere besorgen. Ein paar von meinen Waffen und Ausrüstungsgegenständen hatte Tessa schon dabeigehabt. Mittlerweile war die Sonne untergegangen. »Im Rathaus hat eine außerordentliche Sitzung stattgefunden«, erklärte uns Pit. »Das Thema ist, wie ihr euch denken könnt, das Verschwinden von zwölf Leipziger Schülern. Die Stadtväter und die Macher des Kulturjahrs sind entsetzt, daß wir eine derart negative Publicity haben.« »Könnt ihr denn nicht eine Nachrichtensperre verhängen?« fragte ich. »Haben wir schon. Du mußt eingreifen, Mark. Du mußt diese Schüler retten und zurückholen. Ihr Lehrer, dieser Dr. Röhricht, bestürmt uns in der Polizeidirektion. Wir sollen was unternehmen. Doch was soll ich tun? Die Mumie zur Fahndung ausschreiben?« 29
Ich stand auf. Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren. Es war gut gewesen, daß ich erst mal nach Hause fuhr und Kräfte sammelte. So war ich Nostradamus begegnet und hatte von ihm Hinweise erhalten. Tessa und ich waren nicht ans Telefon gegangen und hatten den Stubenrauchs gesagt, bei Besuchen außer von Pit Langenbach und meinen Eltern sollten sie erklären, wir seien nicht zu Hause. »Okay«, sagte ich zu Pit. »Fahr mich zu Goethes Gartenhaus.« Ich schnitt eine Grimasse. »Ein lauschiger Ort, führwahr, für Dichter und für Mumien.« Wir verließen das Haus. Eine neutrale Limousine der Weimarer Polizei wartete. Es wurde dunkel; stürmischer Wind pfiff durch die Straßen von Weimar. Aprilwetter. Der Wind konnte die dumpfe, bedrückende Atmosphäre über der malerischen Stadt nicht vertreiben. Mit dem Kulturprogramm ging es erst einmal weiter, als ob nichts gewesen sei. * Artur Stubenrauch hatte gerade zu Mark Hellmann gewollt, da schwebte Nostradamus an dem kleinwüchsigen Sachsen vorbei. Im Talar, mit Barett und wogendem Haar. »Das sind vielleicht Sitten«, murrte Stubenrauch. »Man kann ja wenigstens grüßen.« Er klopfte an Hellmanns Tür. Tessa öffnete. Im kurzen Rock und tief ausgeschnittene Bluse. Stubenrauch glotzte auf ihren halbverhüllten Busen. Wie gesagt, bei ihm war etwas wiedererwacht. »Fünf Leute haben bisher Ihren Freund sprechen wollen. Alle habe ich abgewimmelt. Aber einer ist mir wohl durch die Lappen gegangen. So ein altertümlich gekleideter Mann. Unhöflicher Bursche, irgendwie unheimlich. - Wer ist das denn gewesen? Ich möchte schon wissen, wer in meinem Haus aus und ein geht.« »Das war Nostradamus«, antwortete Tessa. »Der große Seher.« »Ha«, schnaubte Stubenrauch. »Sie wollen mich wieder mal auf den Arm nehmen.« Mark rief aus der Wohnung nach Tessa, da verabschiedete sie sich knapp von dem Vermieter und schloß die Tür. Der spießige Vermieter zog sich in den Keller zurück, wo er sich 30
eine DDR-Gedächtnisstätte eingerichtet hatte. Eine Schaufensterpuppe mit Vopo-Uniform stand in der Ecke, SEDPropagandaplakate hingen an der Wand. Zuerst holte Stubenrauch sein altes SED-Parteibuch aus einer Schublade der Werkbank, dann eine Flasche Bier. Er trank erst mal einen Schluck. Dann setzte er sich die Vopo-Mütze von der Schaufensterpuppe auf und grüßte das Parteitagsgemälde von 1965, das Ulbricht beim Händeschütteln mit anderen DDR-Größen zeigte. Nostalgisch schaute Stubenrauch auf das Foto in seinem Parteibuch. Es zeigte ihn als ganz jungen Mann. Da hatte er noch viele Haare gehabt. Er überlegte, ob er sich eine Honecker-Rede vom Band anhören sollte... * Das historische Gartenhaus war immer noch abgesperrt. Es gab keinen Aufenthalt, als wir aus dem dunkelblauen Opel Vectra stiegen. Als ich mit Pit und Tessa zum Gartenhaus wollte, lief ein Mann auf uns zu. Ich erkannte Dr. Karl Röhricht, den Klassenlehrer der verschwundenen Schüler. Er hielt mich am Jackenärmel fest. »Bitte, Herr Hellmann, auf ein Wort. Sie sind meine letzte Hoffnung. Wie soll ich den Eltern der verschwundenen Schüler je wieder unter die Augen treten? Sie müssen sie retten.« »Ich tue, was ich kann.« Der Ring an meiner Hand prickelte. Der magische Einfluß war deutlich spürbar. Ich mußte in die Vergangenheit und zur Pyramide des Schreckens reisen. Dr. Röhricht ließ jedoch nicht locker. »Was immer Sie vorhaben, lassen Sie mich wenigstens in der Nähe bleiben. Es sind meine Schüler. Ich bin für sie verantwortlich.« Ich ließ mich erweichen und gestattete ihm, sich mit Tessa und Pit an den Eingang des historischen Bauwerks zu stellen. Sie sollten ihm die Erklärungen geben, die sie für notwendig hielten und verantworten konnten. Ohne weitere Zeit zu verlieren, betrat ich jenen Raum von dem Gartenhaus, in dem die Schüler verschwunden waren. Jetzt sah alles der historischen Überlieferung getreu aus, ein 31
Raum, in dem man zusammensitzen, musizieren und plaudern konnte. Um sich zu ergötzen, wie man zu Goethes Zeiten zum Relaxen gesagt hatte. Ich führte den Ring an das sternförmige Mal an der Brust, schaute mich kurz um und schrieb mit dem Lichtstrahl des Rings die Futhark-Runen für das keltische Wort »Reise« auf den Boden. Die Runen leuchteten. Ich hörte ein Singen und Klingen. Der Drache an meinem Siegelring bewegte sich. Ein leuchtender Dimensionsschacht entstand und nahm mich auf. Doch einen Moment zuvor hörte ich einen Schrei. Undeutlich, schon halb in dem Dimensionsschacht, gewahrte ich eine Männergestalt, die sich auf mich stürzte. »Ich will mit! Es sind meine Schüler. Ich trage die Verantwortung für sie.« Undeutlich vernahm ich Schreie und erkannte gerade noch, während die Umgebung bereits verschwamm und es mich wegriß, den Oberstudienrat Dr. Röhricht. Er befreite sich von Tessa, die ihn aufhalten wollten. Mit einem Sprung stürzte er zu mir und umklammerte mich. »Gehen Sie weg!« rief ich. Zu spät. Der Dimensionsstrudel riß uns beide fort. Ich spürte, obwohl ich mich schon fast aufgelöst hatte, die Nähe des Gymnasiallehrers. Da waren die Lichter, die Sphärenklänge, das Licht hoch über uns und der Abgrund mit dem Pfuhl der Verdammten. Wie lange so eine Zeitreise dauerte, wußte ich nie. Die Landung erfolgte abrupt und war schmerzhaft wie immer. Ich fiel auf harten Steinboden. Dr. Röhricht stürzte auf mich. Beide waren wir nackt und erst mal aktionsunfähig, während sich die Atome unserer Körper sortierten. Ein ziehender Schmerz und ein heftiger Kopfschmerz suchten mich heim. Ich kauerte mich zusammen und wartete ab. Bald würde ich wieder fit sein, doch in den ersten ein, zwei Minuten nach so einer Reise war ich recht hilflos. Dr. Röhricht stöhnte. »Au, mein Kopf. Wo sind wir gelandet? Ich habe mir den großen Zeh verstaucht. Das schmerzt.« Immerhin konnte er schon wieder sprechen. Ich trug nur meinen Siegelring am Finger, einen anderen toten Gegenstand konnte ich nicht bei der Zeitreise mitnehmen. Sogar meine Kleider blieben stets zurück, auch wenn ich sie wie diesmal nicht vorher auszog. Daß es möglich war, einen Menschen zu 32
befördern, hatte ich schon ein paarmal bewiesen. Wir lagen in einer Art Zelle. Die Tür glitt auf. Helles Licht fiel herein. Der schakalköpfige Anubis und der falkenköpfige Horus erschienen, gefolgt von Soldaten in antiken Rüstungen. Stumpfsinnig blickten die Soldaten. »Ich will seinen Ring!« brüllte da eine Donnerstimme. »Bringt ihn dem Amun Re!« Wir konnten die Mumie nicht sehen. Ihre Knechte packten mich jedoch. Trotz Schmerzen und meines schlechten Zustands versuchte ich mich zu wehren. Doch gegen die übermenschlichen Kräfte von Horus und Anubis blieb mir keine Chance. In ohnmächtigem Zorn mußte ich mit ansehen, wie sie mir den magischen Ring vom Finger zogen. Er glühte gewaltig auf. Das geschieht euch recht, ihr Bastarde, dachte ich und erwartete, der falkenköpfige Horus würde den Ring aufbrüllend fallen lassen. Doch nichts dergleichen geschah. Er hielt ihn. Der Schakalskopf Anubis fauchte. Er hielt ein Amulett mit einem auf Altägyptisch gestylten Teufelskopf über das Feuer des Rings. Das Abbild auf dem goldenen Amulett sah, mit Kinnbart und einer Pharaonenkrone, aus der zwei Hörner ragten, Mephisto verteufelt ähnlich. Zweifellos hatte ich ihn auf dem Amulett vor mir. Meinen alten Widersacher Mephisto, im alten Ägypten als Seth bekannt. Anubis malte mit seinem Krallenfinger leuchtende Hieroglyphen über den strahlenden Ring. Das Feuer von meinem Ring erlosch. Stumpf und tot sah er aus. Anubis grinste mich an. Er schlug mir ins Gesicht, daß es klatschte und mir die Lippe aufplatzte. Meine im Jahr 1999 erhaltenen Wunden hatte die Zeitreise geheilt. Jetzt wurde mir gleich eine neue Wunde zugefügt. »Wir haben den Ring, großer Amun Re!« rief Anubis. Was Amun Re antwortete, verstand ich nicht. Horus sagte: »Wir bringen euch zu den Opfern. Auch ihr werdet sterben.« Seine Stimme klang verzerrt und grollend. Es waren keine menschlichen Stimmwerkzeuge, die sie hervorbrachten. Magie ließ Dr. Röhricht und mich die Worte verstehen. Auf einen Wink der beiden gut zwei Meter großen Halbgötter oder Dämonen packten uns die Soldaten. 33
Plötzlich fing Dr. Röhricht gellend zu schreien an. »Nein, nein!« brüllte er, als ob es ihm ans Leben gehen würde. »Alles, nur das nicht!« Sein Geschrei ließ Horus und Anubis stutzen und sich umdrehen. Sie hatten die Kammer bereits verlassen und standen im Gang, der in einen Saal mündete. »Was brüllst du, du Menschenwurm?« fragte der Falkenkopf. Die Soldaten hatten den Oberstudienrat losgelassen. Der dürre, langaufgeschossene Mann bedeckte seine Blöße mit beiden Händen. »Ihr wollt mich zu meinen Schülern bringen«, sagte er. »Aber nicht nackt, auf gar keinen Fall dürfen sie mich ohne Kleider sehen. Das ist unsittlich. Und wo bleibt denn da meine Autorität?« Ich hatte mich inzwischen von der Zeitreise erholt und wischte mir das Blut vom Kinn. Ein Soldat gab mir ein Tuch. Ich preßte es auf die gespaltene Lippe und schwor Anubis Rache. Dr. Röhricht hatte Sorgen, die mir nicht einleuchteten. Für ihn war es unvorstellbar, von seinen Schülerinnen und Schülern nackt gesehen zu werden. Er sträubte sich mit Händen und Füßen. »Amun Re!« rief er. »Ich protestiere schärfstens. Das könnt ihr nicht machen. Wenn das im Lehrerkollegium bekannt wird, kann ich mich dort nie wieder blicken lassen. In ganz Leipzig nicht.« »Sie können froh sein, wenn Sie Leipzig überhaupt je wiedersehen«, sagte ich. Amun Re oder wer auch immer hatte ein Einsehen. Wir erhielten jeder einen Lendenschurz. Eine dunkelhäutige Sklavin brachte sie uns. Dr. Röhricht schlang sich den Schurz ungeschickt um die dürren Lenden und atmete auf. Da wollte ich nicht nachstehen und zog mir das Ding ebenfalls an. Amun Re stand im Saal, als wir vorbeigeführt wurden. Die Kolonne hielt inne. Anubis brachte der goldenen Mumie meinen Siegelring. Amun Re nahm ihn. Er betrachtete ihn mit seinen rotglühenden Augen in dem grün-schwarzen Fratzengesicht, auf dem Käfer herumkrochen. »Seth wird sich freuen«, frohlockte er. »Der Kreis zwischen Alexandria und Weimar schließt sich. Bald wird das erste Opfer gebracht.« Er legte den Kopf schräg, als ob er etwas hören würde. Dann schob er den Ring über einen seiner mumifizierten Finger, wobei 34
dieser die Binden zerschnitt. Anscheinend hatte Amun Re den Ring geschenkt oder als Leihgabe erhalten. Er winkte. Anubis kehrte zu uns zurück. Mit seinen Worten hatte mir Amun Re verraten, wo wir uns befanden, nämlich in Alexandria oder dessen näherer Umgebung. Die Hafenstadt war 332 vor Christus von Alexander dem Großen gegründet worden und zählte zu den Großstädten der Antike. An der Mittelmeerküste Ägyptens gelegen, war Alexandria die Residenzstadt der derzeit herrschenden Ptolemäer-Dynastie. Alexandria hatte eine halbe Million Einwohner, was für die Zeit 47 vor Christus - gewaltig war. Meine Zeitreise hatte Dr. Röhricht und mich in ein Zentrum antiken Geschehens und zugleich eine hochbrisante Zeit und eine Schlangengrube befördert. Die Frage war, ob wir viel davon mitbekommen würden. Im Moment sah es nicht so aus. Anubis, Horus und die Soldaten führten uns weiter. Wir mußten uns in der Pyramide des Schreckens befinden. Durch einen Schacht mit einer als Aufzug dienenden Steinplatte wurden wir eine ganze Strecke nach oben befördert. Dr. Röhricht staunte gewaltig. »Es kann nur so sein, daß Sklaven mit einer Winde den Aufzug nach oben ziehen«, sagte er. »Aber ich sehe nichts davon. Da ist kein Dach über uns.« »Es handelt sich hier um Magie«, entgegnete ich. »Welcher Teufel hat Sie geritten, Dr. Röhricht, sich mir bei der Zeitreise anzuschließen?« Ich gab ihm einige Erklärungen ab, damit der Leipziger Oberstudienrat wußte, wo und in welcher Zeit wir uns befanden. Ihm erschien alles wie ein Alptraum. »Ich kann es nicht glauben. Wir sind in der Gewalt von Dämonen. Wenn ich das meinen Lehrerkollegen erzähle, halten sie mich für verrückt.« »Beten Sie, wenn Sie fromm sind, daß Sie Ihre Kollegen jemals wiedersehen. Sie wollten ja unbedingt mit. Übrigens, müssen wir bei der förmlichen Anrede bleiben? Wir sitzen schließlich im selben Boot und stecken arg in der Klemme. Mein Name ist Mark.« »Hm. Sind Sie Akademiker?« »Ich habe Völkerkunde, Geschichte und Vorgeschichte studiert und legte mein Staatsexamen ab.« »Also kein Vollakademiker. Dann können wir uns nicht duzen.« 35
Ich trug es mit Fassung. Dr. Röhricht blinzelte kurzsichtig vor sich hin. Alles, was weiter als fünf Meter entfernt war, sah er verschwommen. Bei der Zeitreise war ihm seine Brille abhanden gekommen. Darüber beklagte er sich. Horus hatte ihn gehört. Als der magische Lift stoppte, legte er Dr. Röhricht die Hand auf die Augen. Verzerrte Worte drangen aus seinem übergroßen Falkenschnabel. »Ich kann klar und scharf sehen!« rief der Vollakademiker überrascht aus. »Ich sehe so scharf wie ein Adler.« Ich sagte: »Bei Horus brauchen Sie sich nicht zu bedanken. Er will nur, daß Sie Ihren Tod deutlich vor sich sehen.« Dr. Röhricht klappte den Mund zu und hörte zu lächeln auf. Der Falken- und der Schakalskopf sowie die zehn kräftigen, untersetzten Soldaten führten uns in eine Art Aufenthaltsraum. Er war mit Möbeln eingerichtet, wie sie um die Zeitenwende in Ägypten Mode gewesen waren. Polster, niedrige Tische, um die man lag, Räucherbecken, Fackelhalter an den Wänden, Regale und Truhen. Wandteppiche und Teppiche am Boden schmückten den Raum. Flöten, Zimbeln und Leiern erklangen, von nackten Sklavinnen und Sklaven gespielt. Um einen niederen Tisch lagen wie bei einem Gastmahl die zwölf Schüler der Klasse 10b, in togaartigen Gewändern und mit antiken Frisuren verfremdet. Die Mädchen waren geschminkt, wie man es von altägyptischen Tonkrügen und Mosaiken sowie Wandgemälden her kannte. Tänzerinnen wirbelten durch den Raum. Der Tisch bog sich unter Köstlichkeiten, Pokalen mit Wein, Leckerbissen und Früchten. Ein Wohlgeruch herrschte im Raum. »Dr. Röhricht!« riefen die Schüler. »Wie kommen Sie denn hierher? Sind Sie es wirklich?« »Ja, Kinder, äh, meine Damen und Herren.« Schließlich waren die meisten Schülerinnen und Schüler bereits sechzehn. Der Oberstudienrat wandte sich an Anubis: »Muß das Personal unbedingt nackt rumlaufen?« fragte er mißbilligend. »Das ist hier so Sitte«, antwortete die verzerrte Stimme des schakalköpfigen Dämons. »Nehmt teil an dem Gastmahl. Freut euch - solange ihr könnt. Zum Höhepunkt des Fests wird euch Amun Re die Ehre erweisen und eine Festkönigin wählen.« Wir ließen uns nieder. Während Horus und Anubis im Hintergrund warteten und sich die Soldaten vor die Tür begaben, 36
legten wir uns auf die Polster zu den in die Pyramide des Schreckens gekidnappten Schülern. Ich stellte mich vor und erklärte einiges, ohne allzusehr in die Details zu gehen. Wie spät es war, wußte keiner. Die Feier dauerte an. Die Tänzerinnen wirbelten und sprangen umher und zeigten unglaubliche Verrenkungen. Ich lernte derweil die Schülerinnen und Schüler kennen: Oliver Grindinger, den Frechsten der Klasse, Benedikt Schmitz, den dicklichen Primus, das rothaarige Sportas Paul Berthold, den stämmigen Dieter Ruland, Fritz Janda und Alex Priest. Die Schülerinnen Claudia Göbel, das blonde Gift, die auch in der ägyptischen Tracht sexy wirkende Diane Vesterhoff, die adrette Türkin, die kesse kleine Astrid Paulsen sowie die Zwillingsschwestern Nicole und Nadine Meixner. Endlich ertönte ein Gong. Der kahlköpfige Priester mit den kalten, stechenden Schlangenaugen erschien. »Da ist der Ameno-Depp«, zischte mir Ollie Grindinger zu. Der Seth-Priester rieb sich die spinnenfingrigen, mit spiralförmigen Ringen geschmückten Hände. Er klatschte dreimal. »Amun Re!« rief er. Ein Goldstaubregen ging hernieder, tanzte in der Mitte des Raums und manifestierte sich zu der Mumie. Alle wichen zurück, als sich Amun Re an die Tafel legte. Die goldene Mumie speiste und trank natürlich nicht. Während die Feier andauerte, schaute mich die Mumie an. Amun Re bin ich, erhielt ich eine Gedankenbotschaft, Hohepriester des Seth. Viele Jahrhunderte bin ich alt. Jetzt erreicht meine Laufbahn den Gipfel. Anubis und Horus näherten sich. Amun Re winkte Claudia Göbel zu. Während die Musikinstrumente lauter erklangen und die Tänzerinnen einen Schritt zulegten, rückte das Mädchen zu ihm. Licht aus unbekannter Quelle erhellte den Raum. Amun Re stand auf. Er hielt Claudia bei der Hand. Gebannt schaute sie ihn an. »Du bist die Königin dieses Fests«, ertönte eine blecherne Stimme. »Du bist das erste Opfer.« Claudia ergriff Amun Res Hand. »Nein!« rief ich und sprang auf. Anubis trat mir in den Weg. Soldaten näherten sich. Ich nutzte die Gelegenheit, Anubis die geplatzte Lippe heimzuzahlen. Mit 37
einem gewaltigen Tritt und einem Fausthieb erschütterte ich ihn. Doch der Schakalskopf blieb auf den Beinen. Da ergriff ich einen Hocker und schmetterte ihm den über den Schädel. Der Schakalskopf brach in die Knie. Soldaten packten mich. Ein Schwert wurde mir an die Kehle gesetzt. Ich schluckte und hielt den Atem an. Eine falsche Bewegung, und ich hatte eine Rasur, die mich den Kopf kostete. Horus bedrohte Dr. Röhricht und die übrigen Schüler mit der röhrenförmigen Waffe. Amun Re rief: »Gib mir deine Lebenskraft, Mädchen aus einer fernen Zeit! Diene der großen Sache.« Blitze sprühten aus seinen Augen. »Es soll weitere Opfer geben. Seth will es! Seth will es!« Der Raum verdunkelte sich. Wir sahen durch die transparent werdenden Wände hindurch den zentralen Saal mit der abgeplatteten Stufenpyramide, die oben den Goldregen ausspie. Riesige Skarabäen - Mistkäfer, heilig im alten Ägypten krabbelten darauf herum. Der klotzige graue Lemur rührte einen Kessel um, in dem Totenköpfe, Knochen, Schlangen und Eidechsen schwammen. Amun Res Mumienfratze näherte sich Claudia Göbels Gesicht. Das Mädchen erwachte aus ihrer Trance. Gräßlich gellte ihr Schrei. Ich schlug das Schwert zur Seite. Horus richtete die trichterförmige Waffe auf mich. Ein staubartiger Nebel quoll daraus hervor und hüllte mich ein. Ich konnte kein Glied mehr bewegen. Anubis war wieder aufgestanden und drohte mir mit der Doppelaxt. Claudia strampelte und wollte sich befreien. Doch gegen die gewaltigen Kräfte der riesigen Mumie hatte sie keine Chance. Dr. Röhricht und ihre Klassenkameraden schrien auf, als Amun Re seinen auf ihren Mund preßte. Die Mumie umarmte Claudia, preßte sie an sich. Rauch quoll auf. Das arme Mädchen schrie schrecklich - und mumifizierte innerhalb kürzester Zeit. Ihr junger Körper alterte, grau wurde das Haar, schlaff und faltig die Haut. Claudia, zur Greisin geworden, röchelte. Staubartig fiel ihr Gewand ab. Die lederartige Haut zerbröselte, legte die Knochen frei. Dunkel verfärbten sich ihre Gebeine. Ein Totenschädel und ein paar Knochenreste fielen klappernd zu Boden. 38
Mehr war von der blonden Schönheit Claudia Göbel nicht übriggeblieben. Sie starb wenige Tage vor ihrem sechzehnten Geburtstag, in der Pyramide des Schreckens Alexandria, 47 vor Christus! Schwerter, Speere und Doppeläxte der Soldaten bedrohten Dr. Röhricht und ihre Klassenkameraden. Der Triumphschrei der Mumie hallte. Amun Re war viel stärker geworden. Er deutete auf den rothaarigen Paul Berthold und den Klassenprimus Benedikt Schmitz. »Du!« schrie er. »Und du! Gebt euer Leben!« Ein Zeichen der goldenen Mumie, und sie wurden in jenen großen Saal mit der Stufenpyramide und den beiden Thronen gezaubert. Ein Sturmwind trug sie durch die transparent gewordenen Wände dahin. Die beiden landeten auf einer mittleren Stufe der Pyramide. Von allen Seiten krabbelten die riesigen Skarabäen herbei. Die beiden jungen Männer schrien gellend. * Ich konnte mich nicht rühren, sosehr ich es auch versuchte. Mit meinem Geist rief ich Nostradamus an, erhielt jedoch keine Antwort. Was ich hier erlebte, war ein magisches Gemetzel, eine schreckliche Opferung. Inszeniert wurde sie von der goldenen Mumie. Grimmige Freude stand in Amun Res schrecklicher Fratze. Und an der Hand hatte er meinen Siegelring, dessen Kräfte erstorben schienen. Schlechter war ich selten dran gewesen. Ein Kichern ertönte in meinem Kopf. Stammte es von Mephisto? In dem riesigen Saal mit der Stufenpyramide kämpften Paul Berthold und Benedikt Schmitz um ihr Leben. Die Skarabäen waren so groß wie Pferde. Der Primus Schmitz schrie entsetzlich, als zwei Käfer ihre Chitinzangen in ihn bohrten. Blut floß über die schwarzen Kieferzangen und Beißwerkzeuge. Schmitz starb unter Qualen. Der sportliche Paul Berthold konnte zunächst entkommen. Er schlug Haken, sprang in Todesangst von Stufe zu Stufe der Pyramide, wich Käfern aus. Es sah aus, als ob es ihm gelingen würde, einen Ausgang zu erreichen. Da warf ihm der grauhäutige Lemur den langen Schöpflöffel, mit dem er die gräßliche, 39
stinkende Brühe umrührte, zwischen die Beine. Der Gymnasiast stolperte und fiel. Schon krabbelten sechs, acht Käfer heran und stürzten sich auf ihn. Ich schloß die Augen. Ein Schrei ganz in meiner Nähe ließ sie mich wieder öffnen. »Du elendes Ungeheuer! Dreckiger Mörder! Verdammt sollst du sein, Schreckensmumie!« Dr. Röhricht griff Amun Re an. Der Oberstudienrat drehte durch! Die goldene Mumie stieß ihm die offene rechte Hand entgegen. Wie von einem Huftritt getroffen flog Dr. Röhricht nach dem magischen Treffer zurück und krachte gegen die Wand. Als er wieder aufzustehen versuchte, verpaßte ihm Amun Re noch ein paar Attacken. Dann erhielt er von Anubis einen Schlag mit der flachen Seite der Doppelaxt und sank ohnmächtig nieder. Amenhotep, der kahlköpfige Seth-Priester, rieb sich kichernd die Hände. Er erfreute sich an dem Tod. Ich haßte ihn in dem Moment, denn er war noch ein Mensch, nicht gebannt und hypnotisiert wie die Soldaten, Sklaven und Diener. Er hatte sich freiwillig für das Böse entschieden. Drei Schüler waren schon tot, entsetzlich ums Leben gekommen. Herrisch deutete Amun Re auf die brünette Diane Vesterhoff. Entsetzt schüttelte die attraktive junge Frau den Kopf. Die goldene Mumie winkte ihr. Die Schülerin mußte gehorchen. Amun Re ergriff ihre Hand. Mitschüler wollten eingreifen, doch Soldaten sowie Horus und Anubis trieben sie mit Gewalt zurück. Die Tänzerinnen hatten mit ihrer Darbietung aufgehört, die Musikanten waren verstummt. Jetzt fingen sie wieder an. Amun Re schritt gemeinsam mit der Schülerin durch die Wände, nach oben, zum großen Saal und den beiden Thronen hin. Diane mußte auf dem zweiten Thron Platz nehmen. Amun Re auf dem anderen. Er setzte sich eine Doppelkrone auf, ergriff eine zweite und stülpte sie der widerstrebenden Schülerin auf den Kopf. Wir sahen, wie die Krone mit dem Kopf des Mädchens verschmolz und ihr Körper mit dem hochlehnigen Thron. Die riesigen Skarabäen bildeten einen Halbkreis. Sie krabbelten näher. Eine Geste von Amun Re, und ein flammender Kreis in der Luft trieb sie zurück. Das Feuer brannte in der Luft. Diane saß da, und die Käfer warteten. Amun Re aber wurde zu einem goldenen 40
Nebel und Staub und verschwand. Undurchsichtig wurden die Wände. Ich glaubte, einen schrecklichen Schrei zu hören, war mir aber nicht sicher. Fielen die Riesenkäfer über Diane her? Welche Qualen litt sie, und starb sie nun als das vierte Opfer einen schrecklichen Tod? »Du bist meine Königin«, hörten wir Amun Res Stimme und vernahmen ein dröhnendes Lachen. Dann den Befehl: »Werft sie allesamt in den Kerker. Das Gastmahl ist vorbei. Bald wird die nächste Opferung fällig. - Seth freut sich. Für dich aber, Mark Hellmann, habe ich etwas Besonderes.« Die anderen wurden weggeschafft. Ich aber sah, wie bei einer Vision, ein völlig verändertes Weimar, in dem sich Tessa und Pit bewegten. Ich konnte mich noch immer nicht rühren. * Nachdem Mark mit Dr. Röhricht verschwunden war, schauten sich Tessa und Pit betreten an. »So ein verrückter Pauker!« entfuhr es dem Kripohauptkommissar. Es klang jedoch auch Bewunderung in seiner Stimme. »Mark wird schon auf ihn aufpassen«, sagte Tessa. Die Schüler der 10b standen im Regen geschlossen vor der Polizeiabsperrung. Als Tessa in ihrem schwarzen Lederdress und der schnauzbärtige Langenbach erschienen, wollten sie mit ihnen sprechen. Langenbach und Tessa nahmen sie auf die Seite. Die Presse war ausgeklammert. »Wo sind unsere Mitschüler?« fragte die stellvertretende Klassensprecherin, eine dunkelhaarige Brillenträgerin. Langenbach schluckte. »Im Jenseits«, antwortete er, was nicht ganz stimmte. »In einer anderen Zeit.« »Werden wir sie je wiedersehen?« fragte der Kleinste der Klasse. »Vielleicht. Hoffentlich. Ich glaube es fest.« Pit Langenbach wollte nicht lügen. Er war nicht der Typ, der wider besseres Wissen Hoffnung säte. Tessa tröstete die Schüler und die Lehrerin. »Mark Hellmann hat große Erfahrung in diesen Dingen. Er wird eure Klassenkameraden zurückbringen und retten.« 41
»Wir haben von ihm gehört und gelesen«, sagten ein Schüler und eine Schülerin gleichzeitig. »Ihn im Fernsehen gesehen. Er ist der Dämonenjäger. Wir glauben fest, daß es stimmt, was er sagt. Die Welt ist nicht so wissenschaftlich und so einfach, wie die Erwachsenen es uns immer weismachen wollen. Sie ist vielschichtiger.« »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als es sich eure Schulweisheit träumen läßt«, sagte die Lehrerin. »Wir stehen hier an einem historischen Platz. Goethe hat in seinem Faust die höheren Mächte beschrieben, das ewige Ringen zwischen Gut und Böse, Licht und Finsternis.« Sie zitierte: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. Möge Mark Hellmann Erfolg beschieden sein.« »Und unserem Klassenlehrer Dr. Röhricht«, sagte der kleine Schüler. »Das hätten wir ihm nicht zugetraut, daß er mit Mark ins Jenseits springt. Wir haben ihn oft verspottet, ihm Streiche gespielt, weil wir ihn für verknöchert hielten. Er kennt sich in der römischen Geschichte und im Rom von Cäsars Zeit besser aus als in der Gegenwart.« Altklug fuhr er fort: »Wahrscheinlich ist das eine Realitätsflucht. Dr. Röhricht ist mit Leib und Seele Lateiner.« Das wird er jetzt ausleben können, dachte Tessa. Vielleicht ist es nicht mal so schlecht, daß er dabei ist. Sie ermahnte die Schüler und die Lehrerin, der Presse gegenüber Stillschweigen zu bewahren. »Da sorgen Sie sich nicht«, sagte die stellvertretende Klassensprecherin. »Irgendeine unheimliche Kraft lähmt uns die Zunge. Wir können nicht mal unsere Eltern oder Freunde in Leipzig anrufen und ihnen Bescheid sagen. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.« Die Schüler und ihre Lehrerin wurden von der Polizei gegenüber der Presse und vor Neugierigen abgeschirmt. Sie wohnten in einer Jugendherberge. Dorthin sollten sie später zurückkehren. Ein Polizist in Zivil würde sie begleiten, und sie sollten, was sie sowieso nicht konnten, mit niemandem über die Vorfälle reden. * Ich sah ein verändertes, düsteres Weimar, bizarr und verzerrt. 42
Scharen von Fledermäusen flatterten durch die Stadt. Manche Gebäude erkannte ich wieder. Andere waren verfremdet. An Weimars Kulturmeile, wie die Strecke vom Deutschen Nationaltheater zum Herderhaus hieß, hatte sich einiges verändert. Aus der Vogelperspektive erkannte ich mein tausendjähriges Weimar nur mit Mühe - und mit Grausen. Statt dem Nationaltheater stand da eine gigantische Sphinx, die das Goethe-und-Schiller-Denkmal in ihren Klauen hatte. Das Cranachhaus war einer Pyramide gewichen, aus deren Spitze ein goldener Lichtstrahl stieg und zu einer Wolke über der Stadt wurde. Statt Goethes Haus am Frauenplan entdeckte ich einen Seth-Tempel. Weimarer Bürger, nach der Mode unserer Zeit -1999 gekleidet, wurden von ägyptischen Soldaten zum Tempel getrieben, wo sie Opfer darbringen mußten. Im Weimarer Schloß hatte sich Mephisto oder sein Statthalter eingenistet. Das Schloß war in einen Pharaonenpalast verwandelt worden. Ich sah in Weimar ägyptische Statuen. Anubis und Horus fuhren im Streitwagen durch die Straßen. Vor meinen Augen überfuhr der Schakalskopf ein Kind, das nicht schnell genug vor seinem donnernd dahinrasenden Streitwagen von der Straße floh. Soldaten schleppten die jammernde Mutter vom Leichnam weg. Die Weimarer Bürger gingen bedrückt einher. Die neuen Regenten trieben sie zu dem Seth-Tempel, um dort zu opfern. Grauen erfaßte mich. Denn das war erst der Anfang, die Veränderung schritt fort. Durch die Entführung der Schüler und die Opferung mehrerer von ihnen war Weimar zu einem Brückenkopf der Schwarzen Magie geworden. Wie eine Seuche konnte sich von dort der magische Keim ausbreiten. Und es würde, wenn sich Mephisto-Seths und Amun Res Intrige erfüllte, die Geschichte vollkommen umgeschrieben werden müssen. Dann würde Cäsar sterben, Rom dem Sethkult verfallen, das Römische Imperium zu einem Werkzeug Mephistos werden. Vielleicht schaffte er es sogar, Jesus' Geburt, Wirken und Kreuzigung zu verhindern, so daß das Christentum nie entstand. Es gruselte mich. Nie hatte ich vor einem tieferen Abgrund gestanden. Und ich, Mark Hellmann, der einzige Mensch, der diesen Schrecken verhindern konnte, befand mich in der Gewalt Amun Res! Ohne meinen Ring, gefangen und wehrlos in der Pyramide 43
des Schreckens! Die Vision verging. Meine Lähmung wich, ich konnte mich wieder bewegen. Doch ich war schweißgebadet. Soldaten packten mich und beförderten mich durch lange Gänge zu einem Verlies, in dem bereits Dr. Röhricht und die noch übrigen acht Schülerinnen und Schüler steckten. Sie weinten um ihre Klassenkameraden. Die Soldaten stießen mich in die Zelle. Horus, den ich in meiner Vision gesehen hatte, erschien. Die Stimme des falkenköpfigen Dämons dröhnte verzerrt von den Wänden. »Bald werden weitere Opfer fällig. Du, Mark Hellmann, und dieser magere Mann werden die letzten sein. Wenn alle anderen schon geopfert sind und sich erfüllt hat, was in den altägyptischen Totenbüchern steht, wird euch die goldene Flamme verzehren. Ewige Qualen warten auf dich in dem Abgrund der Hölle.« Donnernd schloß sich die Tür. Eine Steinplatte, fugenlos in die Wand eingelassen, glitt vor. Wir saßen im Dunkeln. Nur Schluchzen ertönte. Dann glomm ein Licht auf. An der Decke schwebte, kaum größer als ein Glühwürmchen, ein heller Lichtpunkt. Sein Schein reichte für ein magisches Dämmerlicht. Dr. Röhricht sprach seinen Schülern Trost zu, so gut er es konnte. Es ging ihm nach dem Niederschlag wieder einigermaßen. Obwohl er eine große Beule und bestimmt heftige Kopfschmerzen hatte, klagte er nicht. Der stämmige Fritz Janda schlug seinen Kopf gegen die Wand. Zwei Mädchen umarmten sich und schluchzten. Ich riß den jungen Mann von der Wand weg. »Willst du dir den Schädel einschlagen? Das nutzt nichts.« »Die Bilder«, stöhnte der Jugendliche. »Ich kriege die Bilder nicht aus meinem Kopf. Claudia, wie sie von dieser Mumie ausgesaugt und zum Skelett wurde. Benedikt und Paul, wie die Käfer sie umbrachten. Die mit dem Pharaonenthron verwachsene Diane, auf die die Mordkäfer lauern. - Mark, ich bin Horrorfilmfan. Den 'Tanz der Teufel' habe ich mir bis zum Gehtnichtmehr reingezogen, das 'Kettensägenmassaker' und all die anderen Blutund Monsterschinken. Aber das waren Kinderspiele gegen die Realität. Ich hab' solche Angst. - Bald holen sie uns, holen mich!« »Reiß dich zusammen, Junge«, sagte ich und schüttelte ihn. »Jammern hilft nichts. Wir müssen uns was einfallen lassen.« »Cool bleiben, Mann«, meldete sich Ollie Grindinger. Er biß fest die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten. »Denk einfach, 44
du hättest dir beim Techno-Dancing 'ne verkehrte Ecstasy eingepfiffen und hättest 'nen Horrortrip. Dann kannst du besser damit umgehen.« Grindinger war ein Früchtchen, kam mit der Situation auf seine Weise jedoch besser zurecht als die anderen. In Dr. Röhricht erwuchs ein Mut, den man dem Oberstudienrat und Lateinpauker nicht zugetraut hätte. Er drückte die magere Brust heraus. Tadelnd schaute er mich an. »Fällt Ihnen denn gar nichts ein, Hellmann? Bei Talkshows klopfen Sie Sprüche, nennen sich Störtebekers Freund. Jetzt, wo Sie gefordert sind, stehen Sie da wie der Ochse vorm Berg.« »Nun machen Sie aber halblang, Dr. Röhricht«, wies ich ihn zurecht. Fritz Janda löste sich von meiner Schulter, an der er geschluchzt hatte. Er nahm sich zusammen, so gut er konnte. »Keine Panik«, sprach Dr. Röhricht. »Denken Sie scharf nach, Herr Hellmann.« Nostradamus' verschlüsselte Worte fielen mir ein: »Ein Messer. In der Kammer hinter dem Sarkophag. Durch den Spalt in der Wand könnt ihr entrinnen. Der wird dich begleiten, den du nicht mitnimmst.« Der letzte Satz traf auf Dr. Röhricht zu. Was sollte jedoch das andere zu bedeuten haben? Nostradamus machte es einem nicht leicht. Ich dachte an die besondere Bauart der Pyramide, in der wir gefangen waren. Es war gut möglich, daß es hier Mechanismen gab, die durch eine Berührung ausgelöst wurden. Amun Res menschliche Diener, die Seth-Priester, Soldaten und Sklavinnen verfügten über keine übernatürlichen Kräfte wie Horus oder Anubis. Sie konnten nicht jedesmal, wenn sie den Aufzug fahren oder einen Geheimgang öffnen wollten, den Falken- oder den Horuskopf holen. Oder gar nach der goldenen Mumie selbst verlangen. Es galt, die Kammer hinter dem Sarkophag zu finden. Dann brauchten wir ein Messer und mußten es in einen bestimmten Spalt stecken. Vor allem aber mußten wir erst einmal aus dem Verlies heraus. Rasch schmiedete ich einen Plan und teilte ihn Dr. Röhricht und seinen Schülern mit. »Schreit wie am Spieß«, befahl ich den vier Mädchen. Hüriye Yildirim kreischte los.
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* Die steinerne Tür glitt auf. Vier stämmig gebaute Soldaten mit Brustpanzern und Lendenschutz standen draußen. Im Hintergrund krabbelte ein pferdegroßer Skarabäus umher, was mir überhaupt nicht gefiel. Ich stand links neben der Tür, Dr. Röhricht und der kräftige Fritz Janda links. Ollie Grindinger klemmte sich hinter mich. Die anderen Schülerinnen und Schüler wälzten sich zuckend und schreiend am Boden. Die Amun-Re-Schergen stutzten. Ich nutzte ihre Verwirrung aus, sprang vor und teilte aus, was ich konnte. Gottlob war ich wieder bei Kräften. Dem ersten Soldat versetzte ich einen Kinnhaken, daß ihm der Helm wegflog und er bewußtlos gegen die Wand krachte. Den nächsten schleuderte ein Karatetritt gegen den Brustpanzer meterweit zurück. Dem dritten trat ich die Beine weg, entriß ihm die Doppelaxt und schlug ihm die flache Seite auf den Helm, daß es dröhnte. Der vierte rannte mit dem Schwert auf mich los. Ollie Grindinger stellte ihm ein Bein. Der Soldat knallte auf den Bauch, und ich schlug mit der Doppelaxt zu. Abermals mit der flachen Seite, denn ich bin kein Mörder und schone selbst das Leben von Dämonenknechten wenn möglich. Der schwarze Skarabäus krabbelte rasend schnell heran. Sein Chitinpanzer raschelte an den Steinwänden. Die tödlichen Kieferzangen zuckten. Diese Käfer hatten zangenartige Beißwerkzeuge, mit denen sie Marmorplatten zerknacken konnten. »Mark, paß auf!« brüllte Fritz Janda. Ich sprang hoch. Der Käfer rannte unter mir weg. Es hatte ausgesehen, als ob er mich aufspießen würde. Ich landete auf seinem Rücken, rutschte herunter und packte ihn am Rumpf, noch ehe er sich umdrehte. Mit einem Ruck warf ich den Skarabäus auf den Rücken. Die Rechnung ging auf. Der Riesenkäfer zappelte mit den sechs Beinen in der Luft und konnte sich nicht aus eigener Kraft umdrehen. Rasch hob ich die Doppelaxt auf, die ich fallen gelassen hatte. Ein Soldat hackte mit seinem Schwert nach meinem Bein. Ich knallte ihm das flache Axtblatt auf den Kopf, den Helm hatte er verloren, und streckte ihn damit endgültig nieder. Die Mädels 46
und Jungs im Verlies hatten zu schreien aufgehört. Dr. Röhricht und Ollie Grindinger hatten das Verlies verlassen. Die anderen sieben Schüler steckten noch drinnen. Bevor sie aus dem Verlies konnten, glitt die schwere steinerne Schiebetür zu. Von innen hörten wir die Gefangenen schreien und gegen die massive Steinplatte schlagen und treten. »Holt uns raus! Holt uns raus!« Dr. Röhricht, Ollie und ich versuchten alles, um die Steinplatte abermals zu öffnen. Es gab keinen Griff oder Ansatzpunkt. Irgendwo mußte ein Mechanismus sein. Wir suchten nach einer Fuge, fanden jedoch keine. Mit der flachen Hand stemmte ich mich gegen die schwarze Steinplatte und drückte zur Seite. Schweiß brach mir aus. Die tonnenschwere Steinplatte bewegte sich keinen Millimeter. »Scheiße!« schimpfte ich. »Aber Herr Hellmann«, meinte der Dr. Röhricht, »wie reden Sie denn vor meinen Schülern? Sie sollten ein Vorbild sein.« »Recht hat er«, stimmte mir Ollie Grindinger in seinem kurzen Hemdchen, der goldbortenverzierten Toga, zu. »Da kommen Soldaten.« Sandalen trappelten auf dem Boden, die Treppe herunter. Ein ganzer Knäuel von Soldaten quoll in den schmalen Gang. Die Soldaten hatten eine Durchschnittsgröße von einssechzig, waren jedoch sehr kompakt gebaut. Fackelschein und Licht aus unbekannter Quelle erhellten den Gang. Die Soldaten hielten inne. Ihr Hauptmann, an seinem verzierten Harnisch und dem mit einem Federbusch geschmückten Helm erkenntlich, gab einen Befehl. Da kniete die erste Reihe nieder und legte mit Pfeil und Bogen an. Jetzt war guter Rat teuer. Wenn wir nicht flohen, durchbohrten sie uns mit den Pfeilen. Flohen wir aber, hatten wir keine Chance mehr, die im Verlies steckenden Schüler zu befreien. Zumindest jetzt nicht. Ich entschied mich innerhalb einer Sekunde. Tot oder schwerverletzt daliegend nutzen wir niemandem. Wir mußten erst einmal der unmittelbaren Gefahr entfliehen. Später konnten wir alles daransetzen, die sieben Schüler aus dem Verlies zu retten. »Ab um die Ecke!« schrie ich, packte den zappelnden Skarabäus und legte ihn quer in den schmalen Gang. Er zirpte und klapperte mit seinen Beißzangen. Wir duckten uns. 47
Die Pfeile trafen den Käfer oder flogen über ihn weg. Dem Skarabäus schadeten die Pfeilschüsse kaum. »Meine Schüler!« rief Dr. Röhricht. »Wir müssen sie aus dem Verlies holen.« »Das geht jetzt nicht.« Ich packte den Oberstudienrat am Arm. »Rennen Sie um Ihr Leben. Wir müssen die Kammer hinter dem Sarkophag finden - und dann ab zu Cäsar. Er muß sich auf unsere Seite stellen, dann werden wir's schaffen.« »Ave Cäsar. Er wird uns helfen«, stimmte mir Dr. Röhricht zu. Ollie Grindinger schaute skeptisch drein. Er versprach sich von Cäsar weniger als sein Lehrer. Geduckt liefen wir weg. Ägyptische Worte ertönten. Pfeile schwirrten in dem engen Korridor über uns hinweg. Dr. Röhricht hatte sich mit einem Schwert bewaffnet, Ollie Grindinger eine Doppelaxt ergriffen. »Wir holen euch später!« rief der schwarzhaarige Sechzehnjährige den Eingeschlossenen zu. »Hoffentlich früher als Amun Re«, ertönte kaum verständlich eine Mädchenstimme durch die Steinplatte. Wir flitzten ab um die Ecke. Ich spähte noch einmal zurück. Der Hauptmann und seine Soldaten rückten den Skarabäus weg. Dann sah ich, wie der Hauptmann die Handfläche gegen die Steinplatte drückte, nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt, wo ich zugepackt hatte. Die Steinplatte glitt zurück. Pech! dachte ich. Um ein Haar hätte ich die sieben Schüler befreit. Es mußten mindestens zwanzig Soldaten sein. Sie hielten die Schülerinnen und Schüler mit ihren Hieb- und Stichwaffen in Schach, verhinderten die Flucht aus der Zelle. Hörnerklang ertönte schrill in der riesigen Pyramide. Dann erklang ein gewaltiger Gong. Plötzlich war ein Goldregen in dem Gang. »Faßt sie!« hörte ich Amun Res Stimme in meinem Gehirn. »Laßt sie nicht entkommen.« Schon fürchtete ich, die goldene Mumie würde sich zeigen. Das geschah nicht. Dafür etwas anderes. Ollie Grindinger brüllte los: »Vor uns krabbeln von. allen Seiten Käfer heran. Soldaten kommen und Diener. Und der AmenoDepp.« Ich erschrak. Wir wurden gejagt. Wenn wir nicht schleunigst die Kammer hinter dem Sarkophag fanden, rissen sie uns in Stücke. »Nostradamus!« rief ich in höchster Not. »Zeige dich mir, 48
sprich, wo ist diese Kammer? Gib mir den Hinweis, sonst ist alles verloren.« Ich hörte nur Geschrei auf Ägyptisch. Nostradamus glänzte durch Abwesenheit, und er schwieg. Vor Zorn knirschte ich mit den Zähnen. Abstruse Prophezeiungen, das war alles, was er mir gab. Damit konnte ich zusehen, wie ich klarkam. »Nostradamus!« rief ich noch einmal. Der Skarabäus, den die Soldaten, die uns zuerst bedroht hatten, auf die Füße gestellt hatten, raste heran. Soldaten folgten. Stimmengewirr und Geschrei ertönten. Von Nostradamus keine Spur. Der Skarabäus stürzte sich auf mich. Noch einmal konnte ich ihm nicht auf den Rücken springen. Dr. Röhricht und sein Schüler Ollie Grindinger waren schon dreißig Meter von mir entfernt. Die Schiebetür vom Verlies, in dem die anderen Gymnasiasten steckten, wurde wieder geschlossen. Der Skarabäus griff mich an... * Haarscharf vor meinem Oberschenkel klappten die Kieferzangen zusammen. Es gab einen Laut, als ob ein Brett aufschlagen würde. Im letzten Moment war ich ausgewichen. Meine Doppelaxt pfiff durch die Luft, und ich haute dem Käfer mit aller Kraft eins zwischen die Facettenaugen. Er zirpte, war nicht besonders beeindruckt, breitete die Flügel aus und griff mit den Vorderbeinen nach mir. Dabei richtete er sich etwas auf. Das hätte er besser nicht getan. Er zeigte mir seine Unterseite. Ich schlug sofort wieder zu. Diesmal schnitt die Doppelaxt ein. Grünes Blut quoll hervor und lief über den Schuppenpanzer. Ich hackte dem Skarabäus ein Bein ab, hörte ihn schmerzvoll zirpen, wirbelte herum und flüchtete, so schnell mich die Beine trugen. Der verletzte Käfer, in dem ein paar Pfeile steckten, krabbelte langsamer hinter mir her. Ich hatte ihm ordentlich eins verpaßt. Rasch erreichte ich Dr. Röhricht und Ollie. Wir standen vor einer Säulenhalle, die eine Art Freizeitpark darstellen sollte. In der Mitte gab es einen Bambushain, da war ein Teich, auf dem zwei Papyrusboote mit Dienerinnen und 49
Dienern fuhren. Statuen mit geschmückten Männern und vornehmen Frauen standen da. Im Hintergrund war ein kleiner Säulentempel. Unter der kuppelartigen Decke strahlte das magische Licht. Bei dem Tempel brannten Feuerbecken. Zudem sah ich Fackeln in Wandhaltern. Von verschiedenen Seiten rannten Soldaten herbei, Dienerinnen und Diener, Sklavinnen, Sklaven. Amenhotep und drei weitere Seth-Priester heulten wie die Verdammten. Ganze Käferscharen krabbelten herbei, über Boden und Wände. Als Krönung des Ganzen fuhr ein Streitwagen herbei, auf dem neben dem Lenker ein ägyptischer Offizier stand. Er war mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Sicherlich konnte er mit diesen Waffen gut umgehen. »Wir müssen zum Tempel!« rief ich Dr. Röhricht und Ollie zu. »Wie?« fragten sie. »Die Feinde kommen von allen Seiten.« In solchen Situationen bin ich eiskalt und habe eine erstklassige Übersicht. So etwas ist angeboren, man kann es nicht lernen. Ich sagte: »Wir nehmen den Streitwagen.« Und ich fuchtelte mit den Armen, um den Offizier auf mich aufmerksam zu machen. Tatsächlich gab er einen Befehl. Ein Lurenhorn dröhnte. Die übrigen Angreifer hielten inne. Nur die Käfer krabbelten weiter heran. Rasend schnell kamen sie näher. »Mistkäfer!« schimpfte Ollie. Das sagte er nicht nur, weil die Skarabäen im Deutschen so genannt wurden. Dr. Röhricht jammerte: »Darauf wurde ich bei meinem Studium nicht vorbereitet.« Der Streitwagen rumpelte näher. Im Hintergrund stapften drei grauhäutige, klotzige Lemuren mit Keulen bewaffnet heran wie die Neandertaler. Wenigstens waren Anubis und Horus noch nicht dabei. Der Offizier auf dem Streitwagen spannte den Bogen und zielte auf meine Brust. Ich schaute in seine kalt funkelnden Augen. Er trug einen Schmuckkragen als Abzeichen seiner Würde und eine bis in den Nacken reichende Kopfbedeckung. Herrisch deutete er auf mich und legte mit großer Geste an. Was er sagte, verstand ich nicht, konnte es mir jedoch ausmalen. Auf hundert Meter legte er an, was für einen geschulten Bogenschützen keine Entfernung war. Ich spurtete los. Der Pfeil 50
schnellte von der Sehne und raste genau auf mich zu. Doch ich hatte genau aufgepaßt, sah, wie der Bogenschütze die Sehne losließ - und warf mich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig. Der Pfeil verfehlte mich. Doch der Offizier hatte schon den nächsten Pfeil abgeschossen. Ein erstklassiger Bogenschütze jagte in der Minute bis zu zehn Pfeile hinaus. Ich spurtete los, entging auch diesem Pfeil und sprang den Offizier an, als er gerade einen weiteren Pfeil abschoß. Haarscharf zischte der Pfeil an meinem Hals vorbei. Mit einem Riesensprung, auf den der Schütze nicht gefaßt war, warf ich mich auf den Offizier und den Wagenlenker, der mich noch mit seinem kurzen Schwert attackieren wollte, doch da hatte ich ihn schon. Ich riß beide Männer vom Streitwagen. Wir schlugen hart auf. Schreie von den Zuschauern der Szene ertönten, auch von Dr. Röhricht und Ollie. Letztere spendeten mir Beifall. Ich stand auf. Der Wagenlenker blieb gleich liegen. Dem Offizier verpaßte ich noch einen Schwinger, da mußte auch er sich geschlagen geben. Seinen Dolch hatte er mir zwischen die Rippen stoßen wollen! Auf den Punkt getroffen, streckte sich der Offizier bewußtlos aus. »Das war's, Sinuhe«, sagte ich und lief los. Die Pferde wollten wegrennen. Ich packte sie zunächst am Zügel, stieg dann aber auf den Streitwagen. Dr. Röhricht und Ollie rannten herbei. Sie hatten einen Moment zu lange gezögert. »Auf!« rief ich. »Worauf wartet ihr denn? Rennt was ihr könnt!« Beide flitzten los. Wir Menschen aus dem 20. Jahrhundert waren alle barfuß dort in der Pyramide. Während Ollie spurtete wie ein Weltmeister, nacheinander zwei Skarabäen übersprang und weiteren auswich, hatte Dr. Röhricht Probleme. Er stieß sich den Fuß, fiel hin und humpelte dann. »Au, au«, jammerte er. »Mein Fuß, mein Fuß. Ich kann nicht mehr laufen.« Ein Skarabäus raste herbei und zwickte ihn ins Hinterteil. Da vergaß der Oberstudienrat, daß er angeblich nicht mehr laufen konnte. Wie ein junger Hirsch stürmte er los und überholte glatt den viel jüngeren, sportlichen Ollie, wich ein paar Dienern und Sklaven 51
aus und erreichte mich mit dem Streitwagen. »Steigen Sie auf, Dr. Röhricht.« Er klemmte sich hinter mich, und ich ließ die Zügel klatschen. Der antike Streitwagen raste los. Mit einiger Mühe gelang es mir, die beiden Pferde zu lenken. Amenhotep und seine drei Priesterkollegen standen auf einer kleinen Anhöhe, fuchtelten mit den Armen herum und schrien. »Amun Re«, hörte ich immer wieder in ihren Rufen. »Goldener, straf diese Frevler! Seths Fluch über sie!« und ähnliche Freundlichkeiten plärrten sie wohl. Die Soldaten, Diener und Sklaven hatten Ollie gepackt. Im Moment rettete ihn nur der Umstand, daß jeder ihm zuerst die Kehle durchschneiden wollte. Die Gegner behinderten sich gegenseitig. Dann setzte ihm ein herkulischer dunkelhäutiger Soldat das Schwert an die Kehle. Im nächsten Augenblick war ich mit dem Streitwagen da. Die Ägypter flogen weg wie die Kegel, teils umgefahren, teils zur Seite gerammt oder von den Pferden getreten. Innen am Wagen hingen Schwert, Doppelaxt, ein Dolch und zwei Schilde. Ich griff zu der Doppelaxt und ließ sie kreisen. Bei dem Gewicht kostete das viel Kraft. Dr. Röhricht ergriff ein Kurzschwert, sprang vom Streitwagen und stellte sich schützend vor seinen zu Boden gesunkenen Schüler. Ollie war unverletzt. Ein Huftritt hatte den Soldaten, der ihm die Kehle durchschneiden wollte, zur Seite geschleudert. »Laßt meinen Schüler in Ruhe, ihr Schurken!« donnerte Dr. Röhricht. »Ollie, steig auf den Wagen, ich decke dir den Rückzug.« So geschah es. Ollie erhob sich benommen, fing sich rasch und stieg auf. Dr. Röhricht wäre verloren gewesen, Pfeile und Speere hätten ihn sicher durchbohrt. Doch Amenhotep rief einen Befehl. Daraufhin senkten die Soldaten und Diener die Schuß- und Wurfwaffen. »Faßt ihn lebend!« hatte der Seth-Priester wohl gerufen. Die Feinde drängten nach. Dr. Röhricht stieg auf den Wagen und stieß einen gellenden Schrei aus. Zwei Skarabäen kamen von hinten. Sie hätten uns mit ihren Kieferzangen erwischt. Doch ich haute dem ersten reaktionsschnell die Doppelaxt so fest zwischen die Kieferzangen, daß sie darin steckenblieb. Dem zweiten rammte ich den Dolch ins Facettenauge. 52
Da biß das Biest in den Streitwagen, daß es knirschte. Ollie kauerte zu meinen Füßen. Es war ganz schön eng in dem Streitwagen. Aber wir waren ja nicht auf einer Luxuskreuzfahrt. »Gib Gas, Mark!« schrie Ollie. Ich trieb die Pferde an, schlug mit der Peitsche. »Lauft, ihr Biester!« Die beiden Ein-PS-Hafermotoren, wie Tessa Pferde scherzhaft nannte, rannten los. In donnerndem Galopp lenkte ich sie dem Tempel zu. Wir wurden durchgeschüttelt, die Streitwagen jener Zeit waren ungefedert. Der Boden zudem uneben. Wir fuhren auch über Stufen und rasten quer durch den Bambushain. Skarabäuskäfer und Soldaten stellten sich uns in den Weg. Augen zu und durch! dachte ich. Vor dem Streitwagen befanden sich Kriegspferde. Diese gepanzerten Streitrösser rannten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Räder dröhnten, und es gab Schläge, daß es durch die Halle donnerte und das Echo widerhallte. Skarabäuskäfer und Soldaten flogen zur Seite und wurden glatt überfahren. Ich konnte nicht auf direktem Weg zu dem Tempel und fuhr in der riesigen Halle mit dem Streitwagen umher. Plötzlich sah ich Amenhotep und die drei anderen Seth-Priester vor mir. »Amun Re« und »Seth!« heulte der Glatzkopf mit den stechenden Augen und hob eine schwarze Kugel empor, um sie auf uns zu werfen. Enthielt die Kugel eine Säure, oder war es eine magische Waffe? Jedenfalls war es nichts Freundliches, was er da mit uns vorhatte. Ich fuhr auf ihn los. Amenhotep sprang zur Seite und ließ die Kugel auf das rechte der beiden Wagenpferde fallen. Entsetzt verfolgte ich, wie sich die Kugel in eine große Spinne verwandelte, die das Pferd in den Hals biß, dort wo der Schutzpanzer aufklaffte. Schaurig wieherte das Pferd nach dem Giftbiß. Ollie hatte einen Schild gepackt und verpaßte Amenhotep im Vorbeifahren eins mit dem Rand. Der Seth-Priester spuckte Zähne. »Da hast du, Ameno-Depp! Das ist für den Tod meiner Klassenkameraden, du Teufelsknecht!« Das Pferd starb unter Qualen. Ich mußte anhalten, weiter ging es nicht mehr. Uns blieb keine Zeit, das tote Pferd aus dem Geschirr zu schneiden und mit einem Pferd weiterzufahren. 53
Diener und Sklaven liefen uns entgegen und stellten sich uns in den Weg. Die Frauen in der großen Halle hielten sich zurück, kreischten jedoch wie die Furien. Mit Fäusten und Waffen schlugen wir uns durch die Phalanx der Gegner und erreichten den kleinen Tempel. Es war höchste Zeit. Amenhotep konnte nicht mehr schreien, man sollte nicht auf uns schießen. Pfeile und Speere zischten heran. In dem kleinen Säulentempel brachten wir uns in Sicherheit. Von langer Dauer war dieser Schutz nicht. Skarabäen griffen uns an. Wir kippten Feuerbecken um. Brennendes Öl floß den Riesenkäfern und anderen Angreifern entgegen. Sie wichen zurück. Wir hatten eine Verschnaufpause, die wir auch dringend brauchten. Bald würde das Feuer niederbrennen. Dann mußten uns die Dämonendiener und Riesenkäfer überrennen. Dr. Röhricht lehnte sich mit dem Rücken an eine Säule. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das«, sagte er, »hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich die Klassenfahrt in die europäische Kulturstadt 1999 anmeldete.« »Ja«, sagte Ollie. »Statt auf den Spuren von Goethe und Schiller zu wandeln und einen auf Kultur zu machen, hätten wir lieber mal nach Paris fahren sollen. Ins Crazy-Horse-Kabarett, nackte Ärsche angucken.« Dr. Röhricht empörte sich. »Du hast nichts als Unsinn im Kopf, Grindinger. Nach Paris fahren allenfalls die Abiturklassen, als Abschlußfahrt. Ob du jemals das Abitur bestehst, wage ich zu bezweifeln. Und ins Crazy Horse geht kein Lehrer mit seiner Klasse.« »Ich weiß, da gehen die Lehrer allein hin«, sagte Ollie. »Aber trösten Sie sich, Dr. Röhricht, ich bin letztes Jahr schon dort gewesen. Mein Vater war auf Geschäftsreise in Paris und hat mich mitgenommen. Das Crazy Horse kann ich Ihnen sehr empfehlen.« »Ja, so wird die Jugend von ihren Vätern verdorben.« Ich sagte: »Hört auf, euch zu streiten. Das Öl brennt schon nieder. Gleich greifen die Feinde an.« Bitter dachte ich: Nostradamus hat mich hängengelassen. »Sie werden uns niedermetzeln. Jetzt gibt es für uns keine Gnade mehr.« Schon rückten die Feinde näher. »Es ist aus«, sagte Ollie. »Bevor es uns erwischt, möchte ich Ihnen noch manches abbitten, Dr. Röhricht. Ich habe oft 54
abschätzig von Ihnen gesprochen und Sie viel geärgert.« Der Oberstudienrat winkte ab. Schon schickten sich die Skarabäen an, durchs niederbrennende Feuer zu laufen. »Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr, Oliver«, sagte Dr. Röhricht. »Ich verzeihe dir.« »Ich bin es gewesen, der Ihnen Zucker in den Autotank schüttete, Dr. Röhricht. Und ich war es, der Buttersäure in Ihren Wartburg goß, was so stank, daß Sie ihn verschrotten mußten. Ich habe Ihnen auch die faulen Eier in Ihre Aktentasche geschmuggelt.« »Du warst das, Grindinger?« rief Röhricht. »Dafür fliegst du von der Schule, dafür sorge ich.« Dann fiel ihm ein, in welcher Lage wir waren. Matt schüttelte er den Kopf. »Ich akzeptiere deine Ehrlichkeit, Oliver. Die Zeit deiner Schülerstreiche ist vorbei. Könntest du doch weitere verüben. Doch ich fürchte, dazu wirst du nie wieder Gelegenheit haben. Wir werden hier alle sterben. - Gib mir deine Hand.« Ollie reichte ihm seine Rechte. Dr. Röhricht drückte und schüttelte sie und klopfte ihm auf die Schulter. »Du bist schon in Ordnung, Junge, wenn auch kein Musterschüler. Doch es kommt im Leben noch auf andere Dinge an als schulisches Wissen und Anpassungsfähigkeit.« »Dr. Röhricht«, sagte der Schüler, »Sie sind ein Pfundskerl. Ich bin stolz, Sie als Klassenlehrer zu haben, entschuldige mich hiermit in aller Form für meine Streiche und werde nie wieder ein schlechtes Wort über Sie sagen. Sie lassen Ihre Schüler nicht im Stich.« Der biedere, sonst steif wirkende Mann wischte sich die Augen. »Es freut mich, daß du das sagst, Oliver«, erwiderte er. »Dann habe ich doch den richtigen Beruf gewählt. Ehrlich gesagt, manchmal hatte ich Zweifel. Ich dachte, weil ich den Lehrstoff so trocken vermittele, finde ich nie den Weg zu den Herzen meiner Schüler.« Die beiden umarmten sich. Ich spähte nach draußen. Schon wogte die Flut unserer Feinde heran, die Tempeltreppen hoch. Da endlich hatte ich die Idee, mich in dem Tempel umzusehen. Auf einem kleinen Altar stand eine Seth-Statue, Mephisto in altägyptisch verfremdeter Form. Dahinter befand sich ein Vorhang. 55
Ich schlug ihn zur Seite - und sah einen aufrecht stehenden, offenen Sarkophag mit einer Figur darin, die sich in einer Schutzhülle befand. Die Sarkophage der Pharaonen hatten mehrere Särge enthalten. Jede Mumie steckte in verschiedenen Hüllen aus Edelmetall oder Holz. Im Innersten schließlich befand sich die Mumie selbst. Jene Mumie eines Vornehmen war in einer oberen Schicht ganz von Gold umhüllt. Sie hielt ein Zepter mit spiralenförmig gewundenem Oberteil in der Hand, ein Abzeichen hoher Würde. Hinter dem Sarkophag befand sich ein schmaler Durchgang, der in eine runde Kammer führte. Ich riß eine Fackel aus der Halterung und schwenkte sie. »Dr. Röhricht, Ollie, auf, hierher, hier ist die Kammer hinter dem Sarkophag! Hier muß es einen Fluchtweg geben.« Die beiden rannten herbei. Sie waren bewaffnet. Die Feinde folgten ihnen knapp auf dem Fuß. »Los!« befahl ich, »geht in die Kammer und sucht einen Ritz oder Schlitz in der Wand, in den man eine Messer- oder Schwertklinge stecken kann. Es geht um einen verborgenen Schließmechanismus. Er öffnet den Fluchtweg, laut Nostradamus. Ich verteidige den Durchgang. Beeilt euch!« Ollie reichte mir einen Schild, den er mitgeschleppt hatte. »Haben wir noch eine Chance, Mark?« »Vielleicht. Nimm die Fackel von der Wand, damit ihr Licht habt. Beeilt euch!« Der Oberstudienrat und sein Schüler schlüpften an mir vorbei in die Kammer. Ich stellte mich in den schmalen Durchgang, mit Doppelaxt, Fackel und Schild ausgerüstet. Leider hatte ich keine Rüstung, sondern trug nur den Lendenschurz. Brüllend und zirpend stürmten die Feinde an. Polternd fiel der Sarkophag um. Die inneren Hüllen platzten auf, eine verschrumpelte Mumie kam zum Vorschein. Die Angreifer trampelten über sie hinweg, ein Zeichen, wie fanatisch sie waren. Ich schwenkte die Fackel und schlug drein. * Hart kämpfte ich gegen die Skarabäen, die angreifenden Soldaten und die Diener des Amun Re. Bald hatte ich so viele 56
ausgeschaltet, daß die anderen nicht mehr an mich herankonnten. Ich entwickelte eine Technik, auch die gefährlichen Riesenkäfer zu erledigen. Doch immer neue brandeten heran. Immer wieder zogen sie die Erschlagenen oder Verletzten weg, sonst hätte sich vor mir ein Berg von besiegten Feinden aufgetürmt. Ich blockierte den schmalen Durchgang, steckte gewissermaßen wie ein Korken im Flaschenhals. Den »Korken« mußten die Angreifer erst einmal heraustreiben. Allmählich erlahmte mein Arm. Luren und Tuben ertönten. Das Geschrei und Gezirpe der Angreifer ließ nicht nach. Mir rann der Schweiß in Strömen über das Gesicht, obwohl es kühl war in der Pyramide. Der Durchgang verlief schräg und wies einen Knick auf, was mir Schutz gab vor Pfeilschüssen und Speerwürfen. Sonst wäre ich längst erledigt gewesen. Wenn die Wurfgeschosse heranzischten, mußte ich mich hinter dem metallenen Schutzschild verstecken. Die Soldaten setzten mir hart zu. Sie waren gut geschult, todesmutig und ausgezeichnete Kämpfer. Immer wieder fragte ich Dr. Röhricht und Ollie: »Habt ihr den Spalt endlich gefunden?« »Nein, noch immer nicht.« »Beeilt euch! Ich kann dieser Übermacht nicht mehr lange standhalten.« Dr. Röhricht fragte: »Soll ich Sie ablösen?« Ich konnte jetzt nicht antworten, war mitten im Gefecht. Ein zappelnder, verletzter Käfer und zwei niedergehauene Soldaten wurden weggezogen. Schon griffen andere an. Ich keuchte und sah meine Kräfte schwinden. Ich dachte an die armen Schüler, die grausam getötet worden waren. Der Zorn gab mir Kraft. Doch ich fragte mich, ob wir hier überhaupt an der richtigen Stelle waren. Die Kammer hinter dem Sarkophag! hatte Nostradamus gesagt. Es konnte aber noch mehr Sarkophage und Kammern in der gewaltigen Pyramide geben. Immerhin, irgendeinen Zweck mußte die runde Kammer haben. Sie sah wie ein Vorraum aus. »So beeilt euch doch!« rief ich. »So groß ist die Kammer nicht.« »Da ist keine Fuge!« rief Ollie. Dr. Röhricht sagte: »Man muß logisch denken. Die Fuge ist 57
unsichtbar. Der Mechanismus wird jedoch von Menschen bedient, die eine Körpergröße von durchschnittlich einssechzig haben. Sie müßte in einer bequemen Höhe sein.« Die beiden stocherten mit Schwert und Dolch die Mauer der runden Kammer ab. Dann schrie Ollie triumphierend: »Heureka, ich hab es.« Der Ausruf stammte von Archimedes. Er hatte ihn ausgestoßen, als er ein schwieriges mathematisches Problem löste. Dr. Röhricht sprach stolz: »Du hast doch etwas bei mir gelernt, Ollie. Herr Hellmann, kommen Sie. Die Wand öffnet sich. Da ist der magische Aufzug. Nichts wie raus hier.« Aufatmend wich ich zurück. Meine Fackel bestand nur noch aus einem Stumpf und war erloschen. Der Schild war zerbeult und zerhauen, die Doppelaxt schartig und mit Menschen- und Käferblut besudelt. Dr. Röhricht und sein Schüler Ollie standen bereits in dem Aufzugsschacht auf der schwarzen Steinplatte. Sie winkten mir zu. Ich taumelte zu ihnen. Käfer und Soldaten verfolgten mich in höchstem Zorn. Ich stellte mich in den Aufzug. Da hatten wir ein neues Problem. Wie setzte man denn den magischen Aufzug in Gang? Keiner von uns hatte gesehen, wie die Wesen in der Pyramide des Schreckens den Aufzug hinaufund hinabschickten. »Konzentriert euch!« rief ich. »Denkt: Nach oben!« Ich schützte mich mit dem Schild, gegen den Speere und Schwerter stießen. Ein Skarabäus biß eine weitere Ecke aus meinen Schild heraus. Ich überließ ihm den Schild. »Da hast du ihn, wenn er dir so schmeckt.« Das Biest zerknabberte ihn mit seinen Kieferzangen wie einen Keks. Speere und Pfeile zielten auf uns. »Oben!« Lautlos und schnell schloß sich die Steinplatte. Magisches Licht leuchtete uns. Der Aufzug setzte sich nach oben in Gang. Fuhr und hielt; die Steinplatte glitt zur Seite. Und ich sah Horus vor mir, der mich anstarrte, den Falkenschnabel aufriß und eine röhrenförmige Waffe auf uns richtete. Mit dem magischen Nebel aus dieser Waffe hatte mich Amun Re schon einmal gelähmt. Hinter Horus standen Soldaten. »Stirb, Hellmann, du Hund!« rief der Halbgott und Dämon. Ich schlug ihm die Trichterwaffe zur Seite, den Nebelwerfer, wie ich ihn nannte. Und drosch ihm die Doppelaxt gegen den Falkenkopf 58
über der Prunkrüstung. Horus' Kopfbedeckung verrutschte. Er verdrehte die Augen und taumelte zurück. Aufwärts! dachte ich, dachten wir. Die Steinplatte zuckte vor, schloß den Schacht. Wir fuhren hinauf. Das über uns schwebende Licht leuchtete. Dann hatte ich den Eindruck, die Steinplatte, die uns trug, würde stehenbleiben und zittern. Wir konzentrierten uns. Sie bewegte sich sprungweise etwas höher, wurde dann wieder runtergeholt. Sie stoppte, und die Wand öffnete sich. Ich sah Horus sowie viele Soldaten. Der altägyptische Gott hielt ein Schwert in der einen und eine Doppelaxt in der anderen Hand. Ich verpaßte ihm wieder eins. Mit einer nichtmagischen Waffe konnte ich nicht töten, aber doch hart anschlagen, wenn ich sie mit der eigenen Hand führte. Horus wankte und schrie. Wir dachten Aufwärts! Die Wand schloß sich, und wir fuhren hoch. »Konzentriert euch«, befahl ich. Diesmal ging es ein wenig höher. Dann wurden wir wieder heruntergeholt. Die Feinde stoppten uns mit mentaler Kraft, wir fuhren hinab. Die Wand klaffte auf. »Nicht schon wieder der Horus!« riefen Dr. Röhricht und Ollie wie aus einem Mund. Da stand er, mit zwei Sicheln bewaffnet, brüllte, verwünschte uns und haute drein. Dr. Röhricht und Ollie halfen mir, seine Attacken abzuwehren. Mit einem Tritt warf ich ihn zurück. »Aufwärts! Raus hier!« Die Wand schloß sich, die Steinplatte fuhr hinauf, zitterte, stoppte. Unsere Konzentration arbeitete gegen die des Horus und seiner Konsorten. Und es ging wieder abwärts. Diesmal lauerte ich schon, und sowie die Wand aufklaffte, schlug ich dem Dämon mit aller Kraft mit der Doppelaxt vor den Kopf und in den Bauch. Horus sank nieder. Wir warfen uns hin, denn es zischten von den Soldaten Pfeile und Speere heran. »Aufwärts!« Sechsmal ging es so noch hin und her. Als einzige Abwechslung entriß ich einem Soldaten, der kühn vordrängte, den Schild. Und ein Skarabäus, den Horus vorschickte, drang halb in den Aufzugsschacht ein. Die sich schließende tonnenschwere Steinplatte zerteilte ihn! Sein stinkendes Blut besudelte uns. Es war immer das gleiche Spiel. Aufwärts - gestoppt - zurück 59
dem Horus einen verpaßt - Tür zu - auf und ab... »Es bereitet mir keinen Spaß mehr, Horus immer vors Hirn zu schlagen«, sagte ich zu meinen beiden Gefährten. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« »Wie wäre es, wenn wir zur Abwechslung einmal abwärts fahren würden?« fragte Ollie. »Gemacht.« Da gerieten wir jedoch vom Regen in die Traufe. Horus holte uns wieder. Skarabäen drängten vor. Er stand etwas zurück und hob seine Trichterwaffe. Blitzschnell warf ich die Doppelaxt, die ihm genau zwischen die Augen fuhr. Er brüllte, daß der Boden bebte. Die Doppelaxt prallte ab. Horus taumelte, der Nebel aus der Trichterwaffe stieg nach oben. Reihenweise sanken die Soldaten nieder, als er sich senkte. Horus und die Skarabäen, die wir zurückschlugen, wurden jedoch nicht gelähmt. Die Tür schloß sich. Einem weiteren Skarabäus wurde der Kopf abgequetscht. »Abwärts!« Die Steinplatte senkte sich. Auf und nieder, immer wieder, fiel mir der Text dieses albernen Liedes. Es gab wirklich andere Tätigkeiten, bei denen es ebenfalls auf und nieder ging - und die viel reizvoller waren. Luftmangel und Anstrengung erzeugten bei mir eine Euphorie, die mich die Gefahr fast verkennen ließ. Besser jedoch, als vor Todesangst zu zittern und bibbern. Du schaffst es, Mark! hämmerte ich mir ein. Du entrinnst dieser Falle. Der Aufzug raste abwärts, stoppte. Ich sah ein goldenes Symbol an der Wand. Die Tür öffnete sich, und da war Amun Re persönlich, die goldene Mumie. Wir befanden uns bei einem prunkvoll eingerichteten Saal. Amun Re hob die Hand. Ich schloß die Augen, konzentrierte mich, dachte Aufwärts!, und im letzten Moment gelang uns die Flucht. Irgendein Grund hinderte Amun Re, uns anderswo aufzulauern. Die Etage mit dem goldenen Symbol mieden wir von nun an. Jetzt stellten wir fest, daß bei jeder Haltestelle des magischen Aufzugs Hieroglyphen in die schwarze Schachtwand eingemeißelt waren. Wir konnten sie jedoch nicht entziffern. Der Aufzug stoppte. Die Tür öffnete sich. Ollie schrie: »Der schon wieder!« Horus stand schon in Positur. Unser Gedankenbefehl schloß den 60
Aufzug, diesmal brauchte ich ihm keine zu langen. Jedem anderen hätte ich längst den Schädel gespalten. Horus war so nicht zu töten. Ich wußte nicht, ob altägyptische Götter Kopfschmerzen hatten. Wenn es so war, mußte Horus der Falkenkopf dröhnen wie einem Kampftrinker nach einem Wettsaufen. Der Aufzug fuhr nieder, und da war Anubis. Also wieder dreingeschlagen, zu, Aufzug hoch, Tür öffnete sich. Schrilles Gezirpe scholl uns entgegen. Vor uns drängten sich lauter Käfer. Wir flüchteten vor den Skarabäen, begegneten noch einmal Anubis, dem ich mit dem Schwert eine Hand abschlug. Sie wuchs sofort nach. Wir fuhren hinunter, sahen Horus, als die Tür sich zur Hälfte geöffnet hatte, und seine Trichterwaffe, und flüchteten gleich. Jetzt fuhr der Aufzug hinunter. Immer tiefer. Als er endlich stoppte, waren wir auf der Hut. Wir lugten hinaus, und sahen keineswegs Dämonen oder Geister, sondern Tänzerinnen und Sklavinnen, manche splitternackt, andere mit Schleiern spärlich bekleidet, was ihre Reize noch betonte. Flöten und Zimbeln, von Eunuchen gespielt, erklangen. Der Raum war hübsch eingerichtet, eine wahre Liebeswiese und Lustgrotte mit einem Springbrunnen in der Mitte, Kissenlagern und Matten, erotischen Wandmalereien, die an Deutlichkeit kaum noch zu übertreffen waren. Die Schönheiten tanzten, wiegten sich verführerisch in den Hüften und lockten. Dr. Röhricht streckte den Kopf vor und gaffte. Ich wollte ihn noch zurückreißen, denn ich rechnete nach der ersten Verblüffung mit einer Falle. Doch es war schon zu spät. Von der Seite packten klobige, graue Fäuste zu. Lemuren lauerten, an die Wand gepreßt, Gestalten, gegen die der Glöckner von Notre-Dame noch als Schönheit durchgehen konnte. Sie packten Dr. Röhricht. »Zu Hilfe, rettet mich!« zeterte er. Ollie hatte zu schnell gedacht! Die Tür schloß sich, der Aufzug raste wieder in die Tiefe und stoppte bei einer Art Hölle oder Folterkammer. Lava brodelte hier in Schächten und betrieb eine Art Hochöfen und Schmelzkessel, von denen ich lieber nicht wissen wollte, was darin gebraut wurde. Es roch ätzend. Groteske dunkle Gestalten und Lemuren näherten sich in dem Halbdämmer, das glosender Feuerschein matt erhellte. 61
»Weg da!« rief und dachte ich. »Aufwärts.« Allmählich hatten wir fast alle Etappen der Pyramide durch. Nur deren Ausgang kannten wir noch nicht. Wir fuhren hoch. »Wir können Dr. Röhricht nicht im Stich lassen«, sagte Ollie. Wir konzentrierten uns. Tatsächlich hielt der Aufzug in jener Etappe, wo sich die Tänzerinnen und Lustsklavinnen befanden. Mehrere waren über Dr. Röhricht hergefallen und hatten ihm den Lendenschurz vom Leib gerissen. Diese Lustsklavinnen verstanden ihren Job und heizten dem Pauker ordentlich ein. »Wir holen ihn raus, Ollie!« rief ich. »Für solche Abenteuer haben wir jetzt keine Zeit.« Wir stürzten vor, schlugen uns mit den Lemuren herum, die plump ihre Keulen schwangen. Die nackten Liebesdienerinnen stellten sich uns entgegen, und sie vertrauten fest auf ihre Waffen: die Waffen einer Frau. Ich riß Dr. Röhricht, der völlig verzückt war, von einer Sklavin weg. »Ich gebe euch meine Telefonnummer!« rief ich den entfesselten Sirenen zu. »Ruft mich an, wir können uns ja mal treffen, doch heute haben wir keinen Termin mehr frei.« Das verstanden sie natürlich nicht, blieben jedoch stehen. Sie gurrten und lockten. Dr. Röhricht war völlig weggetreten. Ollie stach einem Lemur das Schwert in den Leib. Das Ungetüm brach zusammen. Ich zerrte Dr. Röhricht in den magischen Aufzug und kam mir vor wie Odysseus, der seinen Gefährten die Ohren mit Wachs verschloß, um sie vor den Verlockungen der Sirenen zu bewahren. Ollie stieg in den Aufzug. Die Lemuren drängten nach und behinderten sich gegenseitig. Die Lustsklavinnen warfen Kußhände und zeigten sich in Posen, daß einem der Kamm schwoll. Sie lockten und gurrten. Der Oberstudienrat war hin und weg; er wollte unbedingt zu ihnen. Ich wußte mir keinen anderen Rat, als den Becircten mit einem Kinnhaken von seinem Hormonrausch zu erlösen. Die Tür schloß sich endlich. Der Aufzug fuhr hoch. Ollie grinste. »Immer cool bleiben, Mark. Ohne den Amun Re und die Tierköpfe wäre das hier eine flotte Disco.« Ich schlug ihm auf die Schulter und sah mich nach etwas um, das man Dr. Röhricht als Lendenschurz anziehen konnte.
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* Dr. Röhricht erwachte wieder. Er flüsterte versonnen: »Diese Tänzerinnen benahmen sich aber ganz anders, als es Goethe in Hermann und Dorothea beschrieb.« Wenn er sich an den Klassikern orientierte, würde er sich bei den Frauen sehr schwer tun. Noch dreimal stoppte der magische Aufzug. Mit der Sexetage, aus der wir Dr. Röhricht retteten, war jedoch die größte Gefahr gebannt. Nachdem ich Anubis und Horus erneut ein Ding verpaßt hatte, fiel plötzlich Tageslicht herein. Die Steinplatte beförderte uns nach oben. Frische Luft wehte uns entgegen, geschwängert mit Räucherdunst. Wir fanden uns alle drei auf der Steinplatte eines Freilufttempels wieder, mitten in einer antiken Großstadt. Über uns ragte eine Seth-Statue auf. Vor uns lagen auf einer Stufenplattform Hähne, denen kahlköpfige Seth-Priester gerade die Hälse durchschnitten. Ein Säulenrondell umgab uns. Die SethAnbeter, an die dreißig Männer, Frauen und Kinder in ägyptischen Gewändern, warteten vor dem Altar. Drei Priester gafften uns an. Einer, ein Fettwanst mit einem aufwendigen Kragen sowie zahlreichen Ringen und Armbändern, brüllte los. Er verwünschte uns und regte sich mächtig auf. Schon rannten Priesterschüler herbei und hetzten die Gläubigen im Tempel, die Opfergaben gebracht hatten, gegen uns. Wir stiegen von dem Seth-Altar. Der Aufzug endete hier. Die Pyramide des Schreckens war unterirdisch mitten unter der Stadt gebaut, was beachtlich war. Flüche erschollen, die wir nicht verstanden, deren Bedeutung jedoch offensichtlich war. Zurück konnten wir nicht mehr. Dr. Röhricht hatte seine intensiven Gedanken an die Lustsklavinnen unter einem Umhang versteckt. »Sie bezeichnen uns als Gotteslästerer«, kombinierte er. »Sie sagen, wir haben den Seth-Tempel entweiht. Das kann böse enden.« Tatsächlich glühten die Augen der riesigen Seth-Statue. Rauch quoll aus ihrem Mund. Eine dröhnende Stimme sagte: »Tötet die Frevler, die meinen Tempel geschändet haben, oder ich vernichte die ganze Stadt! Bürger von Alexandria, zerreißt die Schakale!« Es wurde geschrien, das Volk rottete sich zusammen. Wir waren 63
da, wo wir hinwollten, nämlich in der Hafen- und Großstadt Alexandria im Jahr 47 vor Christus. Cäsar mußte da sein. Kleopatra, die Königin und Schlange vom Nil, umgarnte ihn, allerdings mit geringem Erfolg. Denn die Vernunft und die Machtgier beherrschten den großen Cäsar mehr als die Leidenschaft. Wir waren der Pyramide des Schreckens entronnen und riskierten, vom Pöbel von Alexandria in Stücke gerissen zu werden. Der Seth-Statue schoß der Dampf aus den Ohren. Die Seth-Priester zerkratzten sich ihre Glatzköpfe und führten sich auf wie toll. Die Lage spitzte sich zu. Zurück in die Pyramide des Schreckens konnten und wollten wir nicht. In die Stadt fliehen ebenfalls nicht. Die Massen rotteten sich zusammen. Noch griffen sie uns nicht an, denn wir waren bewaffnet, und unsere Größe flößte den Aufgebrachten Respekt ein. Doch die Seth-Priester gifteten. Der Tempel befand sich auf einer kleinen Anhöhe. Wir waren umstellt. Steine und andere Wurfgeschosse hagelten gegen uns. Wohlweislich blieben wir in dem Tempel. Besonders der fette Seth-Priester hetzte das Volk auf. »Das ist so einer wie der Ameno-Depp«, sagte Ollie. Wir standen hinter den Säulen und waren allein im Tempel. »Dem würde ich auch gern in die Zähne schlagen.« Dr. Röhricht fürchtete sich. »Oh, oh, das sieht schlimm aus. Bei Gotteslästerungen kannten die Völker der Antike kein Erbarmen. In Ägypten...« »Halten Sie jetzt keine Vorträge«, bat ich ihn. »Wir haben hier Geschichtsunterricht in der anschaulichsten Form. - Ja, wir schreiben sogar die Geschichte mit.« »Es sind große Augenblicke«, sagte Ollie ernst. »Ich hätte nie geglaubt, jemals ins Land der Pharaonen zu gelangen. Durch eine Zeitreise. - Kneif mich, Mark, damit ich merke, daß es die Realität ist. Oder habe ich nur in der Techno-Disco den verkehrten Trip eingeworfen?« »Das treibst du also am Wochenende«, empörte sich Dr. Röhricht. »Du weißt doch, daß Drogen schaden. Das werde ich deinem Vater mitteilen.« »Sie haben es nötig, Sie Lustmolch!« fuhr Ollie ihn an. »Was haben Sie denn mit den Lustsklavinnen treiben wollen? Eine 64
Orgie? Ich dachte, Sie wären für Latein zuständig und nicht fürs Bum...« Ollies Stimme riß ab. Ein Stein hatte ihn hart an der Schulter getroffen. »Streitet euch nicht«, sagte ich. »Die greifen an.« Brüllend rannte die Menge herbei, aufs Äußerste erzürnt. Wie konnten wir da mit heiler Haut davonkommen? So vielen Gegnern widerstehen? Ein letztes Mal schaute ich mich um, sah das Meer und ein paar Galeeren, die ausgedehnten Hafenanlagen, die Stadt mit den Palästen der Reichen... Palmen wiegten sich im Mittelmeerwind. Weich wirkte der Himmel, die Nachmittagssonne schien. Die polierten, mosaikverzierten Mauern des Pharaonenpalastes, eine Stadt in der Stadt, glänzten in der Sonne. Kleopatra war dort, gab sich vielleicht gerade mit Cäsar der Lust hin. Ich packte Schwert und Schild fester. Jetzt werde ich sterben, dachte ich. Von einem Lynchmob ermordet! Schon waren die ersten Angreifer da, und die Massen drängten nach. Wir standen vor den Säulen. Wußten nicht wohin. Da ertönten plötzlich Befehle. Ein Horn erscholl, und metallbeschlagene Sandalen eilten über die Steine. Pfiffe und Rufe waren zu hören. »Die Römer!« ertönte es. Der Mob stoppte. Eine römische Kohorte marschierte heran. Ein Centurio führte die gut ausgerüsteten Soldaten. Ein rechter Kinderschreck und ein Schlagetot, den ich jedoch vor lauter Freude, ihn zu sehen, am liebsten geküßt hätte. Noch war Ägypten, die Kornkammer Roms, keine römische Provinz, doch mit dem Römischen Imperium eng verflochten. Die Ptolemäer-Dynastie kämpfte ums Überleben, um ihre Selbständigkeit. Die Römer waren in Alexandria präsent. Cäsar war mit ein paar Tausend Mann gelandet. Es war eigentlich ein Unding, wie sie in der 500.000-Einwohner-Stadt auftraten, doch es sprach für ihr Selbstbewußtsein und Selbstverständnis. Unter Roms Militärstiefeln erzitterte die antike Welt. Wer einen Römer tötete, stellte sich gegen das römische Recht und mußte mit schärfsten Repressalien rechnen. Die Römer griffen hart durch, sonst hätten sie ihr Riesenreich nie regieren und im Griff 65
halten können. Cäsar hatte Befehl gegeben, Aufruhr und Zusammenrottungen in der Stadt zu unterbinden. Dem Seth-Kult und den SethPriestern waren seine Soldaten sowieso nicht grün. Sie wußten genau, daß die Seth-Priester gegen sie waren und ein Zentrum des Widerstands gegen Rom bildeten. Als daher die Stimmung eskalierte und die Massen losstürmten, um Leute im Seth-Tempel zu töten, rückte der narbengesichtige Centurio mit seiner Kohorte sofort aus. Im Laufschritt waren sie herbeigeeilt, mit Speeren und Schwertern bewaffnet, zähe, kleine, durchtrainierte Männer, Teil einer Macht, der die damalige Welt nichts entgegenzusetzen hatte. Die Römer teilten den Mob, als würde ein Keil in eine weiche Masse eindringen. Ein paar Alexandriner wurden niedergeschlagen, verletzt oder gar getötet. Wehgeschrei erscholl. Der Mob floh, die Verwundeten oder gar Toten nahm er mit. Die Seth-Priester, allen voran der eifernde Fettwanst, waren als erste gerannt, als die Römer erschienen. Die Soldaten umringten uns. Der Centurio stellte eine Frage. Natürlich hätte ich antworten können, schließlich habe ich Latein gelernt, doch ich schob den Lehrer vor. Seine Schüler würden stolz auf ihn sein. »Reden Sie mit ihm, Dr. Röhricht«, sagte ich. »Sie haben doch das große Latinum.« »Ja, jetzt zahlt es sich aus!« sprach der Oberstudienrat stolz. Er hob seine Reichte. »Salve!« rief er aus Leibeskräften. Sei gegrüßt! In fließendem Latein stellte er sich vor und bat, zu Cäsar geführt zu werden. Der narbengesichtige Centurio stellte sich uns vor. »Ich bin Metellus. Tullus Valerius.« Er schlug sich mit der rauhen Hand auf die Brust, daß der Harnisch dröhnte. Dr. Röhricht interessierte ihn wenig. Er schaute mich an und nickte anerkennend. Mein Körperbau imponierte ihm. Dann winkte er uns, ihm zu folgen. Wir atmeten auf, zu früh, wie sich herausstellen sollte. Die Kohorte nahm uns in die Mitte, und wir marschierten quer durch die Stadt, zu einem runden Monumentalbau. Er erinnerte mich an ein anderes Gebäude, doch im Moment konnte ich mich nicht erinnern, an welches. 66
* Daß etwas schieflief, merkten wir deutlich, als wir in einen dunklen Gang geführt wurden. Schwerter bedrohten uns. Man steckte uns in einem Gewölbe in eine Zelle mit lauter Elendsgestalten. Der Schlüssel klirrte, die Gittertür schloß sich. Tiergestank empfing uns. Jetzt wußte ich, woran mich das Bauwerk erinnert hatte: an das Kolosseum in Rom, die größte Arena des Altertums, Schauplatz blutiger Gladiatorenkämpfe. Wir befanden uns in einem Verlies eines Amphitheaters. Die Arena von Alexandria war kleiner als die von Rom, die Schauspiele, die dort stattfanden, jedoch ziemlich die gleichen. Centurio Valerius schaute uns durch die Gitterstäbe an. Er deutete auf mich. Als er dann klirrend abmarschierte, wußten wir, was die mit uns vorhatten. Wir sollten den Löwen vorgeworfen werden! Morgen schon. Und Valerius wollte auf mich setzen, daß ich wenigstens einen Löwen mit dem Schwert töten würde. Schöne Aussichten. Wir schliefen wenig in jener Nacht. Wir fragten uns, was mit den restlichen Schülern in der Pyramide des Schreckens war und ob sie noch lebten. Wie es der armen Diane ging, die mit Amun Res Thron verschmolzen war, und auf die die Skarabäus-Käfer lauerten. Ollie war nicht kleinzukriegen. Vielmehr sein Mundwerk. »Die Todgeweihten grüßen dich«, sagte er und versuchte mir damit etwas Mut zu machen. »Vielleicht sehen wir Cäsar und Kleopatra, wie sie uns bei unserem Überlebenskampf zuschauen.« Er sollte recht behalten. * In der Arena ging es bereits zur Sache. Die Vorkämpfe waren abgeschlossen, als man uns nach einer Henkersmahlzeit in die Arena trieb. Blutflecken waren im Sand zu sehen. Eine große Lärmkulisse empfing uns; die Arena war bis auf den letzten Platz besetzt. 67
Die Leichen und Tierkadaver wurden jeweils gleich weggeschleift. Das Sonnenlicht blendete uns drei, die wir allein in die Arena traten. Wir trugen Sandalen und Lendenschurze, hatten jeder ein Kurzschwert und einen runden Lederschild, der aber gegen die Löwen nicht viel helfen würde. Aus dem unterirdischen Käfig klang ihr Gebrüll. Die Arena hatte mehrere Hundert Meter Durchmesser Hier konnten Wagenrennen stattfinden. In der Ehrenloge entdeckte ich einen purpurroten Mantel. Neben ihm, reizvoll, stark geschminkt, mit Schmuckkragen und lackschwarzem Haar, saß Kleopatra. Cäsar hatte die Hand auf ihrem Schenkel liegen, was ihn nicht hinderte, nebenher noch mit seinen Beratern zu sprechen und Anweisungen zu diktieren. Er war immer sehr beschäftigt gewesen, ein Mann, der mehrere Dinge gleichzeitig erledigen konnte. Seine Soldaten umringten und schützten die Loge. Die Löwen wurden hereingetrieben, auf unseren Gladiatorengruß legte Cäsar keinen Wert. Sechs Löwen waren es. Dr. Röhricht erzitterte. Ich fragte mich, wie ich gleich mit sechs Bestien fertig werden sollte. Eine hätte ich mir hoch zugetraut, aber sechs waren entschieden zuviel. Trotzdem gab ich nicht auf. Die Menge murmelte und raunte. »Wir sollten die Herrscher und Cäsar grüßen«, sagte Dr. Röhricht. »Die Sitte verlangt es.« »Schöne Sitten, wenn man hernach aufgefressen wird«, murrte Ollie. »Wir müssen zur Loge und Cäsar... O je - geht nicht mehr. Da kommen sie schon, die Löwen. Sind wohl tagelang nicht gefüttert worden. Das sind Berberlöwen, wahre Prachtexemplare.« Sie näherten sich uns. Dr. Röhricht zitterte wie Espenlaub. Ollie war totenblaß. Ich atmete tief durch. Kalte Entschlossenheit erfüllte mich. Der Tod ist nur ein kurzer Augenblick, dachte ich. Lebenslanges Zurückweichen und Feigheit sind schlimmer. »Freunde«, sagte ich, »Ich lenke die Aufmerksamkeit der Löwen auf mich. Ihr legt euch hin und stellt euch tot. Rührt euch nicht, ganz egal, was geschieht.« »Es sei denn, sie knabbern uns an«, sagte Ollie. »Dann verpasse ich einem noch was, bevor...« Die Zuschauer waren verstummt. Gespannt schauten sie her. Cäsar diktierte immer noch seinem Schreiber. 68
Blutige Schauspiele wie dieses gehörten für sie zur Unterhaltung und regten sie nicht mehr auf wie die Fernsehzuschauer meiner Zeit ein Actionfilm. Die Löwen umkreisten mich. Ich stand ziemlich in der Mitte von der Arena. Der größte Berberlöwe hatte mich als sein Opfer ausersehen. Es war ein riesiges, stattliches Tier mit gewaltiger Mähne. Als er brüllend den Rachen aufriß, ein wahrer Wüstenkönig, sah ich fingerlange Reißzähne in seinem Rachen. Es handelte sich um vier männliche und zwei weibliche Löwen. Der Rudelführer sprang auf mich los. Wie ein Pfeil schnellte er durch die Luft. Ich duckte mich und stieß das eine Schwert schräg nach oben. Es war haarscharf geschliffen. Ich spürte den Widerstand. Dann wurde mir das Schwert aus der Hand gerissen. Der Löwe brüllte schmerzvoll und furchtbar. Er sprang über mich hinweg. Die Klinge hatte ihm den Bauch aufgerissen und steckte in seinem vorquellenden Gedärmen. Rasend vor Zorn und Schmerz wälzte sich der Löwe am Boden. Ich hatte ihn gut getroffen und warf mich nun neben Dr. Röhricht und Ollie nieder. Ich schielte zu den anderen Löwen. Meine Rechnung ging auf. Der Blutgeruch machte sie rasend. Sie stürzten sich auf ihren schwerverletzten Artgenossen... Der mächtige Löwe wehrte sich mit Reißzähnen und Pranken. Ein furchtbarer Bestienkampf tobte in der Arena. Die Zuschauer waren aufgesprungen. Centurio Valerius klatschte in die Hände und sprang vor Begeisterung in die Luft. Sein Sold war gerettet, er hatte gewonnen und freute sich. »Auf!« rief ich meinen zwei Freunden zu. »Zu Cäsars Loge!« Während die Löwen ihren Rudelführer zerfleischten, rannten wir zu der Loge. Selbst der kaltblütige Cäsar hatte aufgehört zu diktieren. Aus fünf Meter Höhe schaute er auf uns nieder. Ich sah sein hageres Gesicht und den Lorbeerkranz, mit dem er gern sein schütteres Haar bedeckte. Zweiundfünfzig war er damals, auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er schaute uns an. Bogenschützen legten auf uns an. Das Volk tobte, während die Löwen kämpften. »Gnade!« schrien die einen. Und »Tod!« die anderen. Jetzt hing alles von Cäsar ab. Er hob die Hand. Wenn sein Daumen nach oben zeigte, waren wir begnadigt. Wenn er ihn nach unten senkte, töteten uns die Bogenschützen. Cäsars kalter Miene entnahm ich, daß ihm an einer Begnadigung nichts lag. 69
Er wollte gerade den Daumen senken, da zitierte ich ihn mit den Worten »Veni, vidi, vici!« Ich kam, ich sah, ich siegte, hieß das. Ein Lächeln überspielte die Kälte in seinen Zügen. Es gefiel ihm, daß ich damit an seine großen Triumphe erinnerte. Nun betrachtete er uns gewissermaßen als seine Fans. Gnädig hob er seinen Daumen. Die Zuschauer jubelten. Sie waren schon längst von ihren Sitzen aufgesprungen. Kleopatra lächelte wie eine hungrige Katze und schaute mich lüstern an. Wir waren gerettet. Jetzt setzte ich meine Lateinkenntnisse ein und berichtete Cäsar, daß ihm eine Verschwörung und ein Attentat durch Amun Re drohte. Er schaute mich an. Begriff sofort. Wir kamen ins Geschäft. Nachdem wir die Arena verlassen hatten, zitterte Dr. Röhricht so, daß er sich hinsetzen mußte. Ein Krug Wein belebte ihn. * Wir wurden in den Pharaonenpalast gebracht, wo wir ein Luxusleben hatten. Cäsar wollte eine Aufklärung über den Anschlag des Amun Re. Die Unterredung bei dem Gastmahl war zwar kurz, doch in der Nacht hatte ich im Palast ein besonderes Erlebnis. Eine bildhübsche Sklavin huschte zu mir in die Kammer. Den tapferen Kämpfer wollte sie verwöhnen. Ich hatte nichts dagegen und wehrte mich nicht, obwohl ich natürlich wußte, daß ich hier getestet werden sollte. Ich bestand. Kaum war sie weg, als eine andere erschien. Ich roch Kleopatras betörenden Duft, sah ihre Schönheit. Kleopatra lächelte verlockend, während mich ihre Sklavinnen wuschen, massierten und salbten. Dann sank ich mit Kleopatra auf das Lager. Alles, was die antiken Schriftsteller von ihren Reizen und Liebeskünsten berichteten, entsprach der Wahrheit. Ich vergaß alles um mich herum. Drei ganze Tage und Nächte verbrachten wir auf einem Mattenlager. Ich lernte noch einiges und lehrte so manches. Kleopatra konnte sich wie eine Schlangentänzerin verrenken. Ihr Schoß 70
pulsierte. Bestimmt gab man mir Aphrodisiaka ins Essen, denn ich war ständig potent. Und Cäsar war abgemeldet. Dann jedoch, Kleopatra war gerade weg, rannten Dr. Röhricht und Ollie in meine Liebeslaube. »Amun Re greift den Palast an!« rief Dr. Röhricht. »Es ist ein Aufstand gegen die Römer im Gange. Die Bibliothek von Alexandria brennt, wie es die Geschichte überliefert. Hunderttausende von Papyrusrollen, unersetzliches Wissen, wird vernichtet. Wenn wir nichts unternehmen, wird Cäsar hingemetzelt. Vor der goldenen Mumie, Anubis und Horus ducken sich alle. Die paar Römer können nichts ausrichten. Cäsar stirbt, die Weltgeschichte wird umgeschrieben.« »Wie?« fragte ich. »Liegt er denn schon im Sterben?« »Nein«, antwortete Dr. Röhricht. »Noch ist er unversehrt. Aber die Angreifer werden den Palast überrennen. Sie kommen schon über die Mauern. Cäsar kann sich nicht halten. Er ist verloren.« Amun Re hatte gesagt, Cäsar würde auf dem Nil sterben. Das mußte jedoch nicht wörtlich gemeint sein. Vielleicht handelte es sich auch um eine wissentliche Falschaussage und Finte. Ich stürmte zur Tür und rief nach Waffen und einer Rüstung, um mit zu kämpfen. »Dr. Röhricht, sorgen Sie dafür, daß ich Waffen erhalte und mich gegen Amun Re stellen kann. Ich werde an Cäsars Seite kämpfen. Wehrlos abschlachten lasse ich mich nicht.« Kurz darauf standen wir auf den Palastwällen, bis an die Zähne bewaffnet. Die Römer hatten die Angreifer noch einmal zurückgeschlagen. Cäsar befehligte den Widerstand. Doch auch seine Feldherrnkunst hatte hier keine Chance. Der Mann, der bei Alesia den Gallierführer Vercingetorix eingeschlossen und zugleich mit einem Wall nach hinten ein gallisches Ersatzheer von 120.000 Mann abgewehrt hatte, war hier ohne Chance. Amun Re, Horus und Anubis fuhren mit Sichelwagen vor dem Palast und trieben mit den Seth-Priestern zusammen die Angreifer vor. Lauter Ägypter. Auf Lemuren und Skarabäen verzichtete man. Trommeln ertönten. Leitern wurden an die Palastmauern gestellt, die Bronzetore mit Rammböcken berannt. Cäsars Purpurmantel leuchtete. Pfeil- und Speerhagel zischten durch die Luft. Die goldene Mumie entdeckte mich. Höhnisch hob sie die Hand mit meinem magischen Siegelring. 71
In meinem Kopf hörte ich ihre Worte: »Die Hölle siegt, Seth gewinnt. Ich, Amun Re, bin sein Statthalter. In deiner Zeit und in meiner werde ich herrschen.« Mit Amun Re als Anführer mußten die Feinde gewinnen. Cäsars Mut sank. Der Mann, der zahllose Intrigen gemeistert und viele Schlachtfelder als Sieger verlassen hatte, wollte verzweifeln. Doch da ertönte über den Trommeln und Hörnern der Gegner ein heller Ton. Vor dem Palast tauchte in der Luft ein goldener Nebel auf, in dem Nostradamus übergroß erschien. Endlich! Der Seher mit dem löwenmähnigen Haupt und den strahlenden Sternenaugen saß auf einer geflügelten Sphinx. Seine Stimme hallte, jedem verständlich. »In den Abgrund mit dir, Amun Re. Aton, der größte Sonnengott, wird dich stürzen. Der großen Schlange Seth wird der Kopf zertreten.« Amun Re brüllte: »Ich habe den Ring!« Die goldene Mumie hob ihre Hand. Der Siegelring strahlte. Und zerfiel auf einen Wink Nostradamus' zu Staub. Der Seher hob seine Hand. In ihrer Fläche lag strahlend mein Siegelring, der echte, mit dem stilisierten Drachen und den Buchstaben M. und N. Sie standen für Markus und Nostradamus; nach ihnen waren auch meine Vornamen ausgesucht worden. Da der zweite Buchstabe als N und als H gedeutet werden konnte, ergab sich noch eine weitere Deutung: die Initialen für Mark Hellmann. Nostradamus hatte mir ein Falsifikat untergejubelt, als ich die Zeitreise antrat, und den echten magischen Ring in seine Verwahrung genommen. Amun Re stahl mir also eine Fälschung, die jetzt alle Kraft verlor. Mein Siegelring aber wurde von einem Falken, den Nostradamus unter seinem Gewand vorholte, zu mir getragen. Ich streifte meinen Ring über. »Kämpfe, mein Sohn«, hörte ich Nostradamus' Stimme. Ich stieg von dem Wall, verließ den Palast und trat Amun Re und seinen beiden tierköpfigen Dämonengöttern entgegen, mit Schild, zwei Speeren und einem Schwert bewaffnet. Amun Re richtete die röhrenförmige Waffe auf mich und auf die Verteidiger in der Festung. Doch Nostradamus hob seine Hand. Ein Blitz zuckte hervor, und die Fetzen von seinem Nebelwerfer flogen der goldenen Mumie um die Ohren. 72
Rasch verwandelte ich meine Waffen in magische. Anubis griff an. Ich packte die Zügel seiner Pferde und riß sie um. Der Sichelwagen des Schakalskopfes stürzte um. Mein bläulich leuchtendes Schwert beendete Anubis' Dasein. Nostradamus verblaßte. »Warum bist du nicht eher erschienen?« fragte ich noch. »Ich wußte, das schaffst du allein«, hörte ich seine Stimme in meinem Gehirn. »Siege und kehre sofort zurück. Die Gefangenen aus der Pyramide folgen dir.« Damit verschwand er. Anubis löste sich auf. Sein Wagenlenker floh. Niemand griff ein. Noch hing Nostradamus' Goldnebel in der Luft. Amun Re deutete auf Horus, den Falkenkopf. Dieser verschwand von einem Augenblick zum anderen. Die goldene Mumie fuhr mit ihrem Sichelwagen auf mich zu. »Horus ist in deiner Zeit!« rief Amun Re. »Er tötet Tessa Hayden, die Frau, die du liebst. Er hackt ihr das Herz aus der Brust. Ich aber töte dich.« Cäsar, Dr. Röhricht und Ollie schauten von der Palastmauer herab, als Amun Re im Sichelwagen auf mich zuraste. Ihn würde ich nicht überrumpeln und austricksen können wie Anubis. Der Endkampf begann. * Die goldene Mumie fuhr auf mich zu. An dieser Stelle hielt der Kampf um den Palast inne. Alle schauten dem Zweikampf zu, bei dem ich schlechte Karten hatte. Amun Re stand hochragend auf dem Streitwagen mit den langen Messern rund um die Räder und schwang seine goldene Sichel, mit der er mein Leben beenden wollte. Sein Pferdelenker, ein dürrer Lemur, ließ die beiden Rosse traben. »Los!« schrie die Mumie. Der Streitwagen schoß auf mich zu. Selbst Cäsar krampfte die nervigen Finger vor lauter Spannung in die Palastmauerbrüstung. Ich wich im letzten Moment aus und stieß mit einem Speer nach Amun Re. Daneben! Die Sichel des Goldenen pfiff durch die Luft und rasierte mir ein paar Haare weg, so knapp verfehlte sie mich im 73
Gegenzug. Fast wäre ich einen Kopf kürzer gewesen. Der Sichelwagen wendete. Amun Re ließ sich Zeit. Er wollte mit mir spielen wie die Katze mit der Maus. »Ich bringe Seth deinen Kopf«, hörte ich seine Donnerstimme in meinem Gehirn. »Er wird sich ein Trinkgefäß daraus machen und auf seinem Thron in der Unterwelt Blut daraus schlürfen.« »Wohl bekomm's!« knirschte ich grimmig. Den Schild auf der Schulter, einen Speer in einer Halterung an der Seite, das kurze Schwert in der Linken und den zweiten Speer in der Rechten, erwartete ich den zweiten Angriff der höllischen Mumie. Gewiß beobachtete Mephisto von irgendwo mit magischen Mitteln den Kampf, griff aber nicht ein. »Mark, hinter dir!« rief Dr. Röhricht. Ich wirbelte herum. Ein Bogenschütze bei den Angreifern legte auf mich an. Geduckt entging ich dem Pfeilschuß. Auf einen Befehl Amun Res metzelten die ihm zunächst Stehenden den Bogenschützen nieder. Die Mumie wollte den Kampf gegen mich selber bestreiten und den Ruhm ernten. Ich war einen Moment abgelenkt, was mich fast das Leben gekostet hätte. Gerade noch rechtzeitig wurde ich auf den Wagen mit den rotierenden Messerrädern aufmerksam. Amun Re hatte den Ton weggehext. Man hörte weder die Pferdehufe auf dem Pflaster noch die Räder. Ich sprang hoch und entging den rotierenden Sicheln. Sonst hätten wir Hellmann-Schaschlik gehabt. Amun Res Sichelschlag verletzte mich an der Seite. Ich landete geschickt und warf beide Speere nach der Mumie und nach ihrem Wagenlenker. Während ich Amun Re verfehlte, bohrte sich mein anderer Speer dem Lemur zwischen die Schultern. Mit gellendem Todesschrei stürzte er von dem Wagen. Die Zügel verhedderten sich. Der Sichelwagen fuhr in die Zuschauermenge. Blut spritzte, und Glieder flogen. Schreckliche Schreie gellten. Amun Re störte das nicht im geringsten. Er entwirrte die Zügel, fuhr in Positur und hielt an. Wieder stieß er die Handfläche gegen mich. Mit magischen Schocks hatte er mich schon in Weimar in Goethes Gartenhaus zusammengedroschen. Doch ich hatte gelernt. Als die goldene Mumie die Handfläche vorstieß, wich ich aus. Der Hieb verfehlte mich. Mehrmals versuchte es Amun Re. Jedesmal war ich flinker. Dann setzte er seinen bindenumwickelten Fuß auf den 74
Streitwagenboden. Wie ein unsichtbarer Elefantentritt senkte es sich auf mich herab. Doch ich hatte längst meinen Ring aktiviert. Rasch schrieb ich die keltische Rune für »Schutz« in die Luft. Der Druck hörte auf. Jetzt preßte die Mumie die Handflächen zusammen. Von der Palastmauer schoß niemand auf den Goldenen oder warf einen Speer. Atemlos schauten Cäsar und all die anderen, deren Schicksal hier auf dem Spiel stand. »Schutz«, schrieb ich wieder mit Futhark-Runen und malte flammende Zeichen in die Luft. Amun Re sah, daß auch diese Attacke ihn nicht zum Ziel führte. Er verlor die Geduld. Jetzt wollte er es wissen. Mit seinem Sichelwagen raste er auf mich los. Dabei schrie er aus Leibeskräften, laut wie ein Urzeitsaurier. Käfer und anderes Krabbelgetier flog weg von seinem Gesicht. Ich stand geduckt da. Den Schild hatte ich immer noch auf dem Rücken. Amun Re lenkte den Wagen mit einer Hand meisterlich. Mehrmals brachte er mich in Bedrängnis. Im letzten Moment wich ich den Rädermessern, magischen Stößen und Tritten sowie seiner Goldsichel aus. Allen magischen Schlägen konnte ich nicht entgehen. Ich wankte und blutete aus der Nase. Im Gegenzug fügte ich der goldenen Mumie eine tiefe Schwertwunde an der Seite zu. Der Kampf tobte hin und her. Amun Re gewann nun die Oberhand. Ich verlor mein bläulich leuchtendes Schwert, als ich einen Hieb mit der Sichel parierte. Die Wucht des Hiebs ließ es wegfliegen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, es zu halten. Amun Res Kräfte erlahmten nie, meine schon. Die Rosse vor dem Streitwagen bäumten sich auf. Um ein Haar hätten sie mich zertrampelt. Schreie der Zuschauer, je nach Partei zustimmend oder ablehnend, erschollen. Cäsar rief mir zu, daß ich mutig sein sollte. Die goldene Mumie wendete. Wohlweislich hatte ich auch den Schild in eine magische Waffe verwandelt. Mein Ring strahlte. Jetzt ging es ums Ganze. Die Pferde der Mumie konnte ich nicht mit dem Strahl aus dem Ring blenden, das hatte ich schon probiert. »Jetzt zerhacke ich dich!« drohte mir Amun Re. Ich wartete kaltblütig. Im letzten Moment warf ich den Schild wie einen Diskus nach seiner Fratze und sprang vor den Pferden 75
weg. Die Messer säbelten an mir vorbei. Vom Schild getroffen, brüllte Amun Re fürchterlich. Der halbe Schädel flog ihm horizontal weg, und aus dem Innern der goldenen Mumie quoll und flog ein riesiger Schwarm gräßliches Ungeziefer: Fiebermücken, Mistkäfer, Läuse und Wanzen. Allesamt ekelhaft. Selbst Amun Res Gefolgsleute wandten sich ab. Die Mumie sank in sich zusammen. Nur vergilbte, zerfallende Binden blieben von ihr übrig. Die Verteidiger des Palasts, allen voran Cäsar, Dr. Röhricht und Ollie, spendeten mir Beifall. Ich winkte nach allen Seiten, ging zu dem Streitwagen, der jetzt harmlos dastand, und steckte mir ein paar von Amun Res Mumienbinden in den Gürtel. Die goldene Sichel des Amun Re verlor ihren Glanz. Stumpf, matt und aller magischen Kräfte beraubt, lag sie da. Das Ungeziefer, das der Mumie entfleucht war, bildete eine dunkle Wolke am Himmel. Der immer noch anwesende Goldnebel, jene Staubpünktchen, aus denen sich Nostradamus manifestiert hatte, sandte leuchtendes Licht aus, das sie verzehrte. Ich hörte die Stimme des Meisters: »Kehre zurück in deine Zeit, Mark. Die Schüler aus der Pyramide des Schreckens werde ich senden.« Im Laufschritt eilte ich zum Palasttor. Eine schmale Tür öffnete sich. Im Palasthof umarmte mich Kleopatra und küßte mich ab, was Cäsar die Stirn runzeln ließ. Dr. Röhricht klopfte mir auf die Schultern. Jetzt galt es, schleunigst ins Weimar des Jahrs 1999 zurückzukehren. Ich hatte Angst um Tessa. Vor dem Palast und den Wällen ertönte Lärm. Der Sturm auf den Palast begann wieder. Rauchwolken von der brennenden Bibliothek von Alexandria zogen über die Stadt. Bevor es uns in den Dimensionsschacht riß, grüßte ich Cäsar. »Leb wohl! Ave!« Er streckte die rechte Hand zum altrömischen Gruß aus. Doch was er entgegnete, hörten wir nicht mehr * In Weimar stellte sich heraus, daß ein Kampf gegen Horus nicht mehr nötig war. Tessa hatte ihn kurz gesehen, wie vor einem 76
Dimensionstor als Hintergrund. Der Schlingel hatte sich aber gleich wieder aus dem Staub gemacht. Anscheinend hegte er andere Pläne, als sich nach dem Scheitern seines Meisters Amun Re und von Mephisto-Seths großem Plan noch auf aussichtslose Dinge einzulassen. Oder er hatte Manschetten vor mir, weil ich ihn in der Pyramide des Schreckens verprügelt hatte und jetzt wieder über meinen Ring verfügte. Dr. Röhricht, Ollie und ich landeten im Innern von Goethes originalem Gartenhaus. Man gab uns Kleider. Kurz darauf erschienen die anderen Schüler, auch Diane Vesterhoff, die mit Amun Res Thron verwachsen gewesen war. Drei Schüler jedoch fehlten und stellten sich nicht mehr ein: Benedikt Schmitz, Paul Berthold und Claudia Göbel. Amun Re hatte sie grausam geopfert. Ich war erfolgreich gewesen. Die Weltgeschichte nahm ihren Verlauf, wie sie sollte. Traurig kehrte Dr. Röhricht mit der um drei Schüler dezimierten 10b von der Klassenfahrt zurück. Es war kaum Zeit vergangen, seit ich mit ihm die Zeitreise angetreten hatte. Die Vision, die ich in Amun Res Pyramide gehabt hatte, was ein magisch verändertes Weimar betraf, erfüllte sich nicht. Die drei Schüler wurden als unbekannt vermißt gemeldet, die wirklichen Vorfälle den Medien unterschlagen. Bis heute, aber wohl nicht für immer. In den historischen Quellen tauchen mein Wirken im Alexandria des Jahres 47 vor Christus sowie die goldene Mumie nicht auf. Tessa fragte mich, ob ich Kleopatra persönlich kennengelernt hätte. Da ließ mich mein Mut im Stich. »Ja, ich habe sie gesehen. Eine wunderschöne Frau.« »Sie soll die größte Verführerin der Antike gewesen sein.« »Ja...?«
ENDE Es klang wie Donnergrollen, doch es war der Hufschlag von
Attilas Mörderhorden Sie stürmten in einem atemberaubenden Tempo herbei. »Die Zombies werden ein Massaker veranstalten!« rief Tessa. »Wir 77
müssen Verstärkung anfordern!« »Die halten uns doch für verrückt«, bemerkte ihre Mannheimer Kollegin. »Wir werden beurlaubt und für unzurechnungsfähig erklärt. Und die Karriere ist im Eimer.« »Das müssen wir riskieren, denn es gibt etwas Wichtigeres als Karriere und Geld, nämlich das Leben. Und das gibt es zu retten!« Horror-Fans! Holt Euch in einer Woche C.W. Bachs 47. >Mark Hellmann<-Roman! Eure wöchentliche Gruseldosis!
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