DIE MUMIE KEHRT ZURÜCK Tief in der ägyptischen Wüste werden die mumifizierten Überreste von Imothep, dem verfluchten Ho...
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DIE MUMIE KEHRT ZURÜCK Tief in der ägyptischen Wüste werden die mumifizierten Überreste von Imothep, dem verfluchten Hohepriester des Osiris, von seinen Anhängern einmal mehr zum Leben erweckt. Gemeinsam mit seiner blutrünstigen Armee macht er sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen ersten Pharao - dem König der Skorpione ...
DAS ABENTEUER GEHT WEITER Zehn Jahre nach ihrer ersten schicksalhaften Begegnung mit dem Untoten begeben sich die inzwisch en verheirateten O'Connells mitsamt ihres frühreifen Sohnes Alex erneut zu Ausgrabungen in die Wüste. Als sie Spuren der geheimnisvollen Oase Ahm Shere mit der goldenen Pyramide entdecken, wissen sie nicht, dass dies der Beginn eines unglaublichen Abenteuers ist.
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MAX ALLAN COLLINS
DIE MUMIE KEHRT ZURÜCK™ Der Roman zum Film nach einem Filmdrehbuch von STEPHEN SOMMERS
Aus dem Amerikanischen von Uschi Graf
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
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HEYNE ALLGEM EINE REIHE Band-Nr. 01/20073 Titel der Originalausgabe
The MUMMY R E T U R N S 2. Auflage Redaktion: Werner Bauer Deutsche Erstausgabe 6/2001 Copyright © 2001 by Universal Studios Publishing Rights a division of universal Studios Licensing, In c. The Mummy Returns is a trademark and Copyright of Universal Studios All Rights Reserved. Copyright © 2001 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Hey ne Verlag GmbH & Co. KG, M ünchen Printed in Germany 2001 Umschlag- und Innenillustrationen: Copyright © 2001 Universal Studios Publishing Rights, a division of Universal Studios Licensin g, Inc. Umschlaggestaltung: Nele Schutz Design, M ünchen Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling Druck und Bindung: Ebner Ulm ISBN: 3-453-18589-7 http ://www.heyne.de
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Anmerkung des Herausgebers Der nachfolgende Ausschnitt stammt aus dem sechsten Kapitel von Dr. Evelyn O'Connells >Fluch der Pharaonen Mythos und Geheimnis< (Bembridge Press, London, 1930). Obwohl sie Doktor der Bibliothekswissenschaft war, galt sie als eine führend e Expertin ihrer Zeit auf den Gebieten der Archäologie und Ägyptologie. Dr. O'Connell, die Tochter des berühmten Ägypto logen Howard Carnahan - der 1922 mit Sir Gaston Maspero das Grab des Tut-Ench-Amun entd eckte -, war von 1925 bis 1927 Kuratorin des Museums von Kairo, bevor sie die Stelle aufgab, um mit ihrem Ehemann, dem berühmten Forscher Richard O'Connell, eine Familie zu gründen. In späteren Jahren war Mrs. O'Connell Kuratorin des Britischen Museums.
Obwohl es keine Artefakte gibt, die seine wahre Existenz bestätigen, und auch die Hieroglyphen, die seine Geschichte erzählen, erst Jahrhunderte später datieren, ist der König der Skorp ione für die Kinder d es modernen Ägypten eine wahre Gestalt. Was der Schwarze M ann für die westliche Welt, ist der König der Skorp ione für das Land d er Pharaonen. Er verkörp ert das Böse, mit dem Eltern ihren unartigen Kindern - oft zur Schlafenszeit - drohen. Doch die Hieroglyphen beschreiben den König der Skorp ione nicht als ein Un geheuer, sondern als ein e Gestalt, die majestätisch und furchterregend zugleich wirkt. Er ist ein muskulöser, äußerst brutal aussehender und auf seltsame Weise schöner Krieger, der ein Heer von über tausend akkad ischen Soldaten bef ehligte.
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Das Bild seines Namensvetters - jenes spinnenartige Wüstentier mit scharfen Scheren, knotig gegliedertem Schwanz und tödlichem Stachel - war in Reliefform auf seinem Schild abgebild et und zierte außerdem den goldenen Brustharnisch, der seine sehnige Gestalt verhüllte, die ansonsten nur von einem Lendenschurz, Tierhäuten und verschiedenen Kriegsandenken bedeckt war. Die Soldaten im Gefolge des Königs der Skorp ione dienten unter dem gleichen finsteren Symbol und kämpften unter Bannern, deren Stangen am Ende goldene Scheiben zierten, in die Skorpione eingraviert waren. Am auffälligsten kam das Symbol des Skorpions jedoch auf dem massiven Goldarmb and zur Geltung, das d er König der Skorp ione stets am rechten Handgelenk trug. Es hieß, dass dieser Armreif - auch das Armband des Anub is genannt - auf seltsame Weise v erschollen war und zu der sagenhaften Oase von Ahm Shere führte, die als unauffindbar galt. Nach Rechnung der Wissenschaftler dauerte der groß e Feldzug, in dem der König der Skorp ione die damals bekannte Welt vereinen wollte, fünf Jahre und endete 3112 v. Ch. Es heißt, dass der Soldatenkönig an der Spitze von fünftausend Soldaten marschierte, um einen Angriff auf Theben anzuführen; die von riesigen M auern umgebene Stadt wurde von fünfzehntausend Sumerern verteidigt. Der König der Skorp ione war kein General, der seine M änner von ein em weit entfernt liegenden Lager aus anführte, er war ein kühner Kämpfer, der Schwert schwingend und Befehle brüllend an der Spitze seiner Trupp e die Wüste durchquerte, um dem Feind gegenüberzutreten. Dabei blitzte ein fast wahnsinniger Ausdruck in seinen Augen, und seine lan ge M ähne schwang im Gleichklang mit seinem Schwert um seinen Kop f. Der König der Skorpione kämp fte wie ein Besessener, sein scharfes Schwert mähte den Feind wie Gras nieder, und sein Tun trieb seine Soldaten immer wieder zu größerer Tapferkeit, aber auch zu neu en grausamen
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Bluttaten an. Die Sumerer rückten jedoch un aufhaltsam nach, bis sie d ie Armee des Königs der Skorpione förmlich überrannt hatten. Bald war jene vom Wüstenstaub, den sie selbst so unvorsichtig aufgewühlt hatte, verschluckt, denn immer tiefer trieben die Verteidiger Thebens die geschlagene Armee in die heilige Wüste von Ahm Shere. Dort kämpften der König der Skorpione und seine M annen nun eine andere, viel hoffnun gsloser e Schlacht, denn ihre Gegner waren Sonne, Sand und Durst. Der kümmer lich e Rest einer Armee, die sich für unbesiegbar gehalten hatte, taumelte und stolperte in der unermesslichen Weite umh er und schleppte sich wie auf einer Expedition ins Nirgendwo Sanddünen h inauf und hinunter. Aus Stunden wurden Tage, und die Krieger starben einer nach dem anderen, ihre verstreuten Leichen dienten den Vögeln als Nahrung; nur die Knochen blieben in der bleichend en Sonne zurück. Sie boten eine schr eckliche Spur, der niemand zu folgen wagte. Am Ende blieb nur der König der Skorp ione übrig. Am Fuße einer Sanddüne, die einer riesigen Py ramide glich, starrte er zur Sp itze hinauf, die von der Sonne in goldenes Licht getaucht war. Sie sch ien ihm zuzuzwinkern, als versp reche sie ihm einen Schatz. Überzeugt davon, dass ihn hinter dieser Düne eine Oase erwartete, stolperte er taumelnd hinauf. Er kletterte und schwankte weiter und weiter, ohne auf alle viere zu fallen, bis er den Gipfel erklommen hatte ... ... wo er noch mehr Sand und noch mehr Dünen sehen konnte. In diesem M oment ließ sich der König der Skorpione doch auf die Knie sinken. So kräftig er auch war - die Tage in der glühenden Hitze ohne Wasser und ohne Nahrung hatten ihren Tribut verlangt, er war mit seinen Kräften am Ende. M it drohender Faust blickte er zum glüh enden Himmel; dabei funkelte sein Armband in der Sonne, und er stieß einen Fluch
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aus, der in den sandigen Tälern widerhallte. »Anubis!«, schrie er, und seine krächzende Stimme glich d em Rascheln, mit dem sich sein Namensvetter durch den Sand bewegte. »Verschone mich, schenk mir mein Leben und lass mich meine Feinde erobern - ich werde dir das geben, was die Götter mir versagten: ein e Py ramide aus Gold. Ich werde dir diesen wunderschönen Temp el bauen!« Der Himmel antwortete nicht, aber ein Rascheln neben ihm im Sand zog sein e Aufmerksamkeit auf sich. Er schaute nach unten und erblickte einen Skorpion - einen echten, lebendigen, nicht das gold ene Sy mbol, das direkt auf ihn zukroch, als verspotte er die pompösen Kriegsinsignien des Kriegers. Der König der Skorpione schickte ein verächtliches Schnaub en gen Himmel, er griff das zuckende Tier und ließ zu, dass es ihn stach. Er zuckte vor Schmerzen zusammen, schob sich den Skorpion in den M und, kaute darauf herum und schluckte ihn schließlich hinunter. »Eine Pyramide aus Gold und meine Seele!«, schrie er und forderte den Himmel heraus. »Das ist mein Angebot! Ich warte auf deine Antwort!« Plötzlich verwandelte sich der Sand um ihn herum in eine grüne Fläch e. Eine üpp ige Vegetation schoss explosionsartig aus dem Boden, und Pflanzen und Bäume wuchsen sekundenschnell in die Höhe, ein Vor gan g, der normalerweise M onate, wenn nicht Jahre dauerte. Das Geräusch von sanft plätscherndem Wasser zog den König der Skorp ione auf die Füße, und er verließ die mit exotischen Pflanzen bewachsene Düne und ging auf das Leben spendende, sprudelnde Wasser zu. Darin kühlte er seine aufgesp rungenen Lip pen und spülte den bitteren Nachgeschmack seines Namensvetters hinunter. Und so entstand, der Legend e nach, aus dem Pakt zwischen dem König der Skorpione und dem großen Gott Anubis die Oase von Ahm Shere.
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M it der Beute und den Sklaven, die eine vom König der Skorp ione angeführte, plündernde Armee sammelte, wurde ein goldener Tempel erb aut. Aber dieses Heer bestand nicht aus M ännern wie jene, deren Knoch en verstreut in der Wüste lagen und so die Niederlage der vorh erigen Schlacht symbolisierten. Diese Soldaten waren Dämonen, M onster, Krieger, die Anubis geschaffen hatte; Krieger von hünenhafter, hündischer Gestalt, deren Skelette nur mit M uskeln bedeckt waren. Ihre Augen waren glühende Kohlen in den haar igen, schrecklichen Köp fen, die denen von Schak alen glichen. Sie bellten und knurrten und jaulten vor hämisch er Freude, wenn ihre Schwerter Körper aufschlitzten, Köpfe rollen ließen, Körperteile zerschmetterten und überall Blut floss. Die letzte Stadt, die diesem höllischen Feldzu g zum Opfer fiel, war - wie kann es anders sein - Theben. Tausende der schrecklichen Anubis-Krieger schwärmten durch die einst prachtvolle Stadt und legten sie in Schutt und Asche. Dem König der Skorpione kam es schon lan ge nicht mehr auf die bloße Eroberun g an, sondern er wollte zerstören. Die Häuser wurden mit krachenden Rammböcken zum Einsturz gebracht, und M änner und Frauen schrien vor Angst und Entsetzen, als die sadistischen Soldaten ihren teuflischen Launen folgten. M itten in diesem Gemetzel, in einer Wolke aus Rauch so schwarz wie seine Seele, kostete der König der Skorpione - mit Blut und Schweiß bedeckt - seinen Triump h aus, und genoss die Vollendung seiner Rache. Seine kräftige, muskulöse Brust hob und senkte sich schwer unter dem gold enen Brustharnisch. Er drehte sich um und betrachtete seine grotesken Krieger diese Kreaturen, die wie eine große Sintflut alles hinweggef egt hatten - und schritt durch die Ruinen, die sie hinterlassen hatten. Diese hündischen Soldaten wirkten p lötzlich verloren, da niemand mehr zu töten, nichts mehr anzuzünden, keine
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Stadt zu erobern war. Sie hatten ihre Auf gabe erfüllt. Ein Kramp f - so unerwartet und elektrisch wie ein Blitz schüttelte den Körper des Königs der Skorp ione. Vor Schmerz sank er in die Knie, wie er es auf dem Gip fel der Sanddüne getan hatte. Er schrie vor ohnmächtigem Zorn, als der letzte Lebensfunke aus ihm heraus gesogen wurde und er regelrecht in sich zusammenfiel. Das go ldene Armband fiel von seinem Handgelenk auf den Boden. Um ihn herum hörte man die jämmerlichen Schreie der schakalähn lich en Kreaturen, die seine Armee gewesen waren. Sie lösten sich in ihr e Bestandteile auf und wurden zu schwarzem Sand. Dem Mythos nach schickte Anubis seine Armee zurück in den Wüstensand, aus dem sie geko mmen war und wo sie heute noch stumm auf den Tag wartet, an dem ein ander er Narr einen Handel mit den Göttern macht und sie wied er zum Leben erweckt. Es heißt jedo ch, wenn sie das nächste M al zum Leben erwacht, wird auch ihr Befehlshaber wieder lebendig. Und der nächste Feldzug des Königs der Skorp ione wird nicht nur eine Stadt wie Theben in Schutt und Asche legen, sondern d ie ganze Welt.
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TEIL 1: DAS LEICHENT UCH DER MUMIE
Kapitel 1. Der verhängnisvolle Tempel
Am linken Ufer des schimmernden blau en Nils - dem längsten Strom der Welt -, ein kurzes Stück nördlich von Luxor, der Stätte des antiken Thebens, lag die Steinru ine eines prachtvollen Tempels; drei Kamele warteten dort geduldig auf ihre Herren, die die von der Sonne aus gedörrten Überreste der Säulenhalle und unterirdischen Kammern erforschten, welche man einst zu Ehren von Amun, dem Gott der Toten, und von Amun Ra, dem Gott der Lebenden und der Toten, erschaffen hatte. Der Tempel war um 1280 v. Chr. vollendet worden. Imhotep persönlich - Großwesir des Djoser und Hohep riester Osiris -, ein M ann von großer Gelehrsamkeit und M acht, hatte den Temp el entworfen und den Bau überwacht. Angeblich hat er die M ethode erfunden, die schweren Steine, aus denen die großen Pyramiden gebaut wurden, zu transportieren und aufeinand er zu stapeln. Imhotep hatte jedoch den Pharao Sethos betrogen und zur Strafe den Fluch des Hom-dai erdulden müssen, d. h. die Erinnerung an ihn wurde im ganzen Königreich aus gelöscht. Und so kam es, dass der glorreiche Temp el des Imhotep lange vor der Geburt Christi verfallen war. Heute, im So mmer des Jahres 1933, konnte man sich seine Herrlichkeit nur noch
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annähernd vorstellen, so als untersuchte man eine vertrocknete M umie und versuchte sich ein Bild von dem großen Kriegerkönig zu machen, der er einst gewesen war. Im Innern des Temp els, in dessen Dunkelheit Sonnenstrahlen durch Risse in der Decke eindrangen, ragten riesige Säu len von dem mit Steinen übersäten Boden einer Totenkammer, in der Geschichte, Erinnerungen und v ielleicht auch Geister noch lebendig war en ... wie die kleine Gestalt, die einen langen Schatten warf, durch die Dunkelheit auf eine Wand auf der anderen Seite zuschlich, d ie mit Hieroglyphen geschmückt war, um dann in einen Spalt zu schlüpfen. In den darunter liegenden Katakomben blickte Richard O'Connell abrup t von seiner Arbeit auf. M it wachsamem Blick reagierte er auf das Geräusch zu seiner Linken über ih m, trat an eine Stelle unter der Decke, an der das Sonn enlicht durchsickerte, und schaute dorthin, wo die Bewegung, das Geräusch herkam ... O'Connell war kein Ägyptologe - die Zeitungen, Zeitschriften und die Wochenschau hatten ihm so einfallsreiche Namen wie >Forscher<, >Glücksritter< und >Abenteurer< verliehen, wobei sie häufig seinen Status als ehemaliger Colonel der französischen Fremdenlegion zitierten ... obwohl Letzteres ausschließlich dem Umstand zu verdanken war, dass Corporal O'Connell stellvertretend das Kommando übernommen hatte, als der eigentliche Co lonel d esertiert war. Das lag bereits zehn Jahre zurück und war der Beginn eines Abenteuers gewesen, das sein Leben verändern sollte - obwohl sich sein Leb en in letzter Zeit bei weitem nicht mehr so ereignisreich gestaltet hatte. Nichtsdestoweniger - selbst wenn ihm das nicht auffiel und ihm diese sentimentalen Bezeichnungen der Presse ziemlich lächerlich vorkamen - hatte Rick O'Connell immer noch das schneidige Auftreten eines modernen M annes der Tat. Das Alter konnte seinen kantigen
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Zügen, dem forschen Blick seiner blauen Au gen und seinem jungenhaften, guten Aussehen nichts anhaben. Sonnengebr äunt, mit dichtem, schwer zu bändigendem braunen Haar, das an den Sch läfen mit kaum sichtbaren Silberfäden durchzogen war, hatte O'Connell immer noch die gleiche durchtrainierte Figur wie in den Tagen bei der Fremdenlegion. M it seinem offenen Kragen, den auf gerollten Ärmeln und den in die Stiefel gesteckten Chinos - eine Hand auf dem Pistolenhalfter - hätte O'Connell es als Held jederzeit mit Douglas Fairb anks aufnehmen können. Und genau in diesem M oment wurde ein Held gebraucht. Schritte, die sich mit nicht erkennb aren Geräuschen vermischten, hallten durch die kalten Katakomben. Es war dieses gespenstische Geraschel, das jedem dunklen und unbewohnten Ort anhaftete. Verstohlen bewegte sich O'Connell die harte Felswand des Gangs entlang, öffnete das Pistolenhalfter und zog leise seinen Revolver her aus. Geräusche und Schritte hallten von den Wänden wider. Etwas kam näher. Was fiir eine tolle Idee, dachte O'Connell an gespannt, einen verdammten Tempel zu untersuchen, den unser alter Kumpel Imhotep gebaut hat ... Er blieb an ein er dunklen Wegbiegung stehen, jeder M uskel in seinem Körp er war angesp annt. Nun herrschte tödliche Stille. Dann stürzte er um die Ecke, den Revolv er im Anschlag ... ... und erschreckte seinen achtjährigen Sohn Alexand er zu Tode. »Hey!« rief der Kleine. Der en gels gleich aussehende Junge mit dem blonden Haarschop f, der mindestens genauso unbändig wie d er sein es Vaters war, griff sich teils sch erzhaft, teils ernsthaft ans Herz. »M ir wäre fast das Herz stehen geb lieb en.«
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»Bei mir war es nicht nur fast soweit«, entgegnete sein Vater und schluckte, dann steckte er die Waffe in das Halfter zurück. »Ich habe dir doch gesagt, dass du oben im Temp el warten sollst!« Alexander O'Connell, der ein kurzärmeliges weißes Hemd und dunkelblaue Shorts trug, antwortete in der typischen M anier eines Jungen in seinem Alter. »Aber Dad ...« »Kein aber, Junge. Es ist gef ährlich hier unten. Das ist noch unerforschtes Terrain.« Alex trat näher an seinen Vater heran. »Aber ich hab e etwas entdeckt! Etwas, das ich dir auf der Stelle erzählen wollte.« »Was hast du entdeckt?« »Deine Tätowierung!« O'Connell hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon sein Sohn sprach. Alex war schon seit langem von der kleinen Tätowierung auf d er Hand seines Vaters fasziniert, kein Wunder, d ass es dem Jungen sofort aufgef allen war. »Ich habe die gleiche Zeichnun g auf der Wand entdeckt«, erklärte ih m Alex rasch, und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Oben, am Eingang, ist ein e Kartusche gezeichnet, die genauso aussieht wie deine Tätowierung! Ehrlich.« »Das bezweifle ich auch nicht, Junge ...« »Sie sieht genauso aus wie das h ier«, sagte d er Junge und griff nach der Hand sein es Vaters. Er dr ehte sie, so dass sein Vater die Tätowierung betrachten konnte. O'Connell hatte selbst immer wieder darüber nachgedacht, warum sein eigener Vater sie ihm vor langer Zeit - er wusste nicht mehr wann hatte machen lassen. Die Tätowierun g zeigte den Kompass eines Seemanns, der in südliche Richtun g zeigte, und die Schwingen eines Falken, die nach oben zeigten und eine Py ramide formten. In der M itte befand sich das >Auge des Horus<. »Es ist eine Pyramide mit dem Au ge und all dem and eren«,
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fuhr Alex fort. »Klasse, mein Sohn, gute Arbeit ... Ich komme etwas sp äter nach, um es mir selbst anzusehen, okay?« Alex machte ein enttäuschtes Gesicht. »Kann ich nicht bis dahin hier unten bleiben und mit dir ausgraben?« »Nein.« »Aber ...« »Kein aber.« O'Connell legte seinem Sohn die Hände auf die Schultern und drehte ihn um. »Geh zurück zum Tempel und warte dort. Also, ab mit dir.« »Und was mach ich da solange?« Eine Ratte huschte an ihnen vorbei, den Gang hinunter; der Junge wurde blass und hielt sich am Arm seines Vaters fest. »Überrasch mich doch«, erwiderte er und zerzauste sein Haar. »Bau eine bessere M äusefalle.« Das Auftauchen der Ratte hatte offensichtlich Alex' Begeisterung, noch weiter in den Katakomben zu bleiben, gedämp ft. »M al sehen, was ich da machen kann«, sagte der Junge und eilte zurück in den Tempel, wobei er eine andere Richtung als die Ratte einschlu g. Aber genau diesen Weg nah m O'Connell, obwohl er weder nach der Ratte noch nach einer Sch lan ge Ausschau hielt; letztere bekam er jedoch zu Gesicht. Er betrat die Kartuschenkammer, in der er und seine Frau Evelyn die ganze Zeit gearbeitet hatten, bevor er die seltsamen Geräusche gehört hatte. O'Connell sah, dass Alex' M utter vor einer versiegelten Steintür stand und mit einer Bürste versuchte, die antiken Gravuren zu enthüllen - die Geschichte von zwei hübschen ägy ptischen Prinzessinnen, die miteinander rangen. Evelyn Carnahan O'Connell war so schön wie jed e ägyptische Prinzessin, Nefertiti eingeschlossen.
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Groß, dunkelhaarig, schlank, wohl geformt und tief gebräunt, wirkte sie auf bezaubernde Weise wie eine der Einh eimischen. Diese Wirkung wurde noch durch eine mehrr eihige Perlenkette und ein fließendes, schwarz-braunweiß gemustertes ägyptisches Kleid unterstrichen. Sie war wie immer ganz in ihre Arbeit vertieft, deshalb schien sie die große schwarze Schlange nicht zu bemerken, die sich n eben ihrem rechten Stiefel lan gsam ausstreckte. Als O'Connells Hand sein Pistolenhalfter berührte, zischte die Schlange und Evy sagte, ohne sich von der Stelle zu rühren: »Verschwinde und stör mich nicht.« Dann nahm sie d ie Schlange mit der Sp itze ihres Stiefels auf und schleuderte sie quer durch den Raum. O'Connell duckte sich, als das Tier über seinen Kopf hinweg flog. Während er in den Gang blickte, in den sich die Schlange hastig flüchtete, sagte er: »Das kannst du immer besser.« Ohne von ihrer Arbeit aufzusehen fragte Evelyn: »Habe ich dich und Alex red en gehört?« »Ja.« »Was wollte er?« Dann stand O'Connell neben ihr an d er versiegelten Steintür und bewunderte ihre Handarbeit. Die ein gravierten Schriftzeichen waren nun gut sichtbar und konnten ohne Probleme fotografiert werden. »Er wollte mir unbedin gt etwas erzählen, das er ger ade entdeckt hat«, entgegnete O'Connell. »Soll ich das Schätzchen jetzt aufbrechen?« Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, und ihre mandelförmigen b lauen Augen blitzten in ihrem ovalen, hübschen Gesicht auf. »Nein. Wir machen es auf die r ichtige Art und Weise.« »Die richtige Art und Weise«, wiederholte er, »heißt vermutlich, dass wir es auf deine Weise machen.« Sie nickte.
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Er seufzte, beugte sich zu dem Rucksack neb en ihr hinunter, holte die braune Ledertasche mit dem archäologischen Werkzeug hervor und reichte sie ihr. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, such dir was aus.« Evy entschied sich für die kleine Geologen-Spitzhacke, reichte sie ihm - wie eine OP-Schwester, die einem Chirur g assistiert - und sagte: »Spitzhacke.« Behutsam und vorsichtig hämmerte O'Connell am Rand der versiegelten Tür herum. Winzige Steinchen fielen wie Schuppen zu Boden. »Feile«, sagte er, ganz vertieft in seine Arbeit. Sie suchte die kleine M etallfeile und reichte sie ihm. Wie ein erfahrener Archäologe arbeitete O'Connell mit der Feile und glättete seine Arbeit. Das dürfte nich t allzu lange dauern, dachte er. Nicht länger als ein Jahrhundert ... »M eißel«, sagte er. Evelyn nahm den M eißel aus dem Rucksack und legte ihn ihrem Eh emann in die ausgestreckte Hand. Behutsam steckte O'Connell die Spitze des M eißels in die Öffnung, die er geschaff en hatte. Evy stieß einen tief en Seufzer aus und sagte: »Ach, zum Teufel damit - wir machen es auf deine Art.« Er gr inste sie an und ließ den M eißel fallen. »Brecheisen!« Sie zog das schwer e Brecheisen aus dem Rucksack, r eichte es ihm und hatte kaum das Wort »Brech ...« ausgesprochen, als O'Connell bereits das Werkzeug angesetzt und die Tür aufgebrochen hatte. M it einem bewundernden Schrei machte Evelyn einen Satz zurück, und der riesige Steinblock fiel krachend zwischen ihn en auf d en Boden; uralter Staub wirbelte in die Höhe. »Seit diese Träume an gefangen haben«, sagte Evy ziemlich
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feierlich und mit funkelnden Au gen, »h abe ich an nichts anderes mehr gedacht, als an diesen Augenblick.« Immer wiederkehr ende Träume von Ägypten, von diesem Imhotep -Temp el hatten das Paar und ihren kleinen Sohn zu diesen Ruinen geführt. O'Connell war schon lan ge klar, dass durch die Arbeit seiner Frau Ägypten - das uralte Land der Pharaonen - immer eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielen würde. Aber hier ging es um mehr als um Arbeit oder um die Forschung - lebhafte Träume aus der Ver gangenheit verfolgten die normalerweise so nüchterne, geradezu zurückhaltende ehemalige Archivarin. Solch eine fixe Idee entsprach für gewöhnlich nicht ihrer Art, aber O'Connell liebte seine Frau über alles und konnte ihr d iese Exp edition, die wohl seltsamste aller Forschungsreisen, nicht abschlagen, d enn es ging ihr nicht darum, die Geschichte der Pharaonen zu ergründ en, sondern die Bedeutung ihrer eigenen Träume. Und jetzt hatte sich ihnen die erste Tür geöffnet. »Also, so sehen meine Träume zum Glück nicht aus«, sagte O'Connell und beleuchtete die modrige Kammer mit einer Fackel. Vermoderte M umien lehnten an den Wänden, während Skorp ione vorbeihuschten und Schlan gen über den Steinboden glitten. Die Tiere zogen sich zurück, als Evelyn furchtlos in die Kammer trat. »Ich bin hier schon einmal gewesen«, sagte sie und ihre Worte hallten eigentümlich wid er. »Ausgeschlossen.« »Rick, ich weiß, dass ich hier schon einmal gewesen bin.« »Schätzchen, hier ist außer diesen Skorpionen und Schlangen seit dreitausend Jahren keiner mehr gewesen.« M it schlafwandlerischer Sicherheit griff sie nach, wie es
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aussah, einem Fackelhalter und zog daran. Eine im Fels verborgene Tür öffnete sich und enthüllte einen dunklen Gan g. »Wenn ich noch nie hier war, woher weiß ich dann, was ich tun muss?«, fragte sie ihren Ehemann kühl. Er schnallte sich den Rucksack auf den Rück en, reichte Evy eine Fackel und betrat die angrenzende dunkle Kammer ; sie blieb dicht hinter ihm. Währ end sie mit der Fackel den kleinen, leeren Rau m ableuchtete und die kaum noch zu erkennenden Schriftzeichen an den Wänden betrachtete, geschah etwas Seltsames mit seiner Frau, obwohl O'Connell selbst es nicht bemerkte ... ... Evelyns Blickwinkel des Raumes veränderte sich im Lichtzug der brennenden Fackel au f fantastische Weise, als würde sie schlagartig Tausende von Jahren zurück in die Vergangenheit befördert. Die kleine Nische erstrahlte plötzlich in ihrer alten Pracht, die Schriflzeichen waren wie neu, gold ene, glitzernde Möbel schmückten den Raum, ein offensichlich kostbar geschmücktes Vorzimmer. Eine wunderschöne Frau - eine jung e, wohl geformte, ägyptisch e Prinzessin in einem körperbetonten Gewand mit Kopfschmuck und goldenem, juwelenverziertem Schmuck - kam durch die Tür in das Vorzimmer. Die Frau hielt den Kopf gesenkt. Ev elyn konnte ihr Gesicht nicht erkennen, erhaschte aber einen Blick auf den größeren, weitaus prachtvoller eingerichteten Raum dahinter, in dem zwei kräftige, Furcht einflößende Krieger mit Schwertern und Schilden ein kleines, verziertes, vergoldetes Kästchen b ewachten. Die Prinzessin zog die Tür hinter sich zu und verschloss sie, in dem sie im Uhrzeigersinn der Sonne zwei Mal nach rechts und einmal nach links drehte. Rick kam auch in ihrer Vision vor, aber er war sich der Szenerie nicht bewusst, denn er ging geradewegs durch die Prinzessin hindurch, als sei sie ein Geist!
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... und dann stand Evely n wieder in dem dunklen, alten Vorzimmer mit den kaum noch lesbaren Schriftzeichen, und die wertvolle goldene Einrichtun g war verschwunden. O'Connell hatte weder etwas davon gesehen noch mitbekommen. Er näherte sich der Steintür, auf der scheinbar eine Sonnenuhr abgebildet war. Nicht darauf bedacht, die Prozedur mit Hacke, Feile und M eißel zu wiederho len, nahm er das Brecheisen aus sein em Rucksack und setzte es am unteren Türrahmen an. Während er mit aller Kraft an der Tür herumhebelte, leuchtete Evy gezielt mit der Fackel den Raum ab und machte dabei ein besonders ehrfurchtsvolles Gesicht. Angesichts ihres seltsamen Tuns blickte O'Connell schwer atmend über die Schulter und fragte: »Was machst du da? Schreibst du deinen Namen in die Luft?« »Ich versuche, es noch einmal geschehen zu lassen.« Er stützte sich auf das Brecheisen, schnappte nach Luft und fragte: »Was denn?« »Ach, dieser Raum - ich habe ihn and ers gesehen.« »Anders ...?« Sie beschrieb ihm, was sie gesehen, was sie erlebt hatte. »Es war so wie in meinen Träumen«, schloss sie, »ab er nur noch wirklicher, lebendiger ... als ob ich tatsächlich in der Ver gan genheit hier gestanden hätte.« »Aber das war kein Traum - das war eine Vision.« Ihre schönen Au gen blitzten ihn an und ihre Nasenflü gel bebten. »Ja. Ja! Eine Vision ... das ist das einzig richtige Wort dafür.« O'Connell starrte seine Frau an, der en Schönheit im or an gefarbenen Sch ein der Fackel schimmerte. Schatten umsp ielten die vollko mmen en Züge ihres Gesichts, die weichen Formen ihres Körpers. Er hoffte aufrichtig, dass sie nicht krank war, denn er liebte diese Frau über alles. »Gegen Träume habe ich nichts«, sagte er sanft. »Visionen
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machen mich nervös. Geht es dir gut?« »M ir ... geht es gut. Bestimmt.« Sie holte mehrfach tief Luft und hielt seinem Blick stand, sp ürte seine Besorgnis und fügte hinzu: »Bestimmt, Liebster, mir fehlt nichts.« O'Connell seufzte, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und wandte sich d ann wieder d er harten Aufgabe zu, die Steintür aufzuhebeln. »Na ja, Schätzchen«, sagte er ächzend, »wenn du tatsächlich vor ein p aar Tausend Jahren schon einmal hier gewesen bist, kannst du dich ja v ielleicht erinnern, wie sich diese verd ammte Tür öffnen lässt und es mir zeigen.« Sie trat an seine Seite, drehte beiläufig an der Sonnenuhr zwei M al nach rechts, einmal nach links. Nachdem das Sch loss ger äuschvoll n achgegeben hatte, öffnete sich die Tür knarrend und mit einem Zischen, so als ob Luft aus einem durchlöcherten Reif en entwich. O'Connell begegnete dem Blick seiner Frau - sie war genauso überrascht wie er selbst. »Okay«, sagte er. »Jetzt ist es offiziell. Ich bin beunruhigt.« Sie schluckte. »Ich fange selbst an, mir Sor gen zu machen.« O'Connell hielt das Br echeisen in der einen Hand, mit der anderen nahm er die Fackel seiner Frau. »Ich bin genau h inter dir.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Das ist nicht gerade sehr mutig.« »Hey, du bist doch diejenige, die sich in dem Laden auskennt.« Evy betrat die kalte, dunkle Kammer, während ihr Ehemann dicht hinter ihr blieb und ihr den Weg mit der brennenden Fackel wies. Als sie sich nach links drehte, sah sie sich plötzlich einer schrecklich en Fratze gegenüb er und stieß einen Schrei aus.
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O'Connell, dem Evys Schrei in den Ohren widerhallte, sah es ebenfalls, schwang das Brecheisen wie einen Säbel und schlug der bedrohlichen Gestalt den Kop f ab. Der Schädel prallte daraufhin mehrmals von den gegenüb erliegenden Stein mauern ab. »Was z um Teufel ...«, entfuhr es O'Connell. Er machte einen Schritt vorwärts und senkte die Fackel. Der Kopf hatte anscheinend zu ein er M umie gehört, aber nicht zu der wiederbelebten Sorte, mit der O'Connell es zu tun hatte, als Imhotep vor ungefähr zehn Jahren sein Comeback ins 20. Jahrhundert probiert hatte. Dies hier war nur eine ganz normale M umie, die man als eine Art Wache aufgestellt hatte. Schild und Schwert wiesen dar auf hin, dass der vor langer Zeit verstorbene Krieger ein Soldat gewesen war - wie einer von den Wächtern aus Evy s Vision, die das Kästchen bewacht hatten. Sie nahm ihrem Ehemann die Fackel aus der Hand und leuchtete in die andere Ecke der Kammer, zeigte ihm, dass dort tatsächlich zwei mumifizierte Soldaten standen, die ein verziertes Kästchen flankierten. »Hast du das in deiner Vision gesehen?«, fr agte O'Connell. Er kniete nieder, um sich d en Deckel des Kästchens gen auer anzusehen, und entdeckte eine goldene Scheibe, die das verzerrte Relief eines Skorp ions zeigte. Aber Evy antwortete ihm nicht, sondern sagte stattdessen: »Der König der Skorp ione!« O'Connell schaute sie an. »Wie du das schon sagst, gefällt mir gar nicht ...« »Diese Scheibe ziert ein Kriegsbanner ... der Armee des Königs der Skorpione.« »Aha.« »Der König der Skorpione ist eigentlich ein M ythos - es wurde bis heute kein Hinweis auf seine Existenz gefunden, und
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die Schriften wurden Jahrhunderte nach seinem angenommenen Tod verfasst ...« »Und weiter.« Rasch erzählte sie ihm den ganzen M ythos und als sie geendet hatte, meinte O'Connell: »Na ja, er ist wohl nicht in dem Kästchen, außer sie haben ihn dort eingeäschert.« M it aufgerissenen Augen sagte sie: »Liebster, begr eif doch, das ist eine gewaltige Entdeckung ... diese Scheibe ist der erste historische Nachweis, dass der König der Skorpione tatsächlich existiert hat. Was vor dem Betreten dieser Kammer noch Mythos war, ist nun Fakt.« Er stand auf und klop fte sich den Staub von den Knien. »Prima. Da hast du ja noch etwas, das du diesen dämlichen Bembridge Wissenschaftlern unter die Nase r eiben kannst.« Sie nickte aufgeregt, faltete die Hände und sagte: »Rick ..., Rick, mach es auf.« »Was, das Kästchen?« »Natürlich, das Kästchen. Wer weiß, welche Schätze ...« »Schätzchen, ich halte das für kein e gute Idee.« »Sei nicht kindisch, es ist doch nur ein Kästchen. Ein Kästchen hat noch niemals Schaden anger ichtet.« Er hob die Hand zum Widerspruch. »Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. War d a nicht mal dieses Buch? Und warst nicht auch du es, die sagte, dass ein Buch niemals Schaden anrichten könne, kurz bevor wir diese Plagen auslösten ...« In ihren strahlenden Augen tanzte der Widerschein der Fack el auf und ab. »O Richard, wir können doch jetzt nicht einfach aufhören! Wo bleibt dein Abenteuerdr an g?« Er seufzte ergeben und setzte das Brecheisen an. Es war sinnlos, mit ihr zu diskutieren, wenn sie ihn Richard nannte. »Okay, Schätzchen, aber ver giss nicht ...« Diesmal war Rick O'Connell die Stimme der Vernunft.
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»Ausnahmsweise mal«, sagte sie mit schelmischem Läch eln. »Und nun gib mir das Brecheisen.« Während sie d amit hantierte und ihr M öglichstes tat, um das Kästchen zu öffnen, untersuchte O'Connell im Schein der Fackel die umgestürzte kopflose M umie, die seit ein paar Tausend Jahren dort Wache gestanden hatte. Um ihren Hals beziehungsweise d as, was davon übrig geblieben war, tru g sie eine goldene Kette, an der - so wie es aussah - ein Schlüssel hing. O'Connell bediente sich. »Ach, zum Teufel«, ahmte O'Connell sie liebevoll spöttisch nach. »Wir machen es auf deine Art.« Er kniete sich vor das Kästchen, steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn herum. M it einem Klicken rutschte die alte Zuhaltung an ihren Platz. »Wo hast du nur den Schlüssel gefund en?«, fragte Evely n erstaunt. »Ich hatte eine Vision. Hör zu, geh einen Schr itt zurück, es wäre nicht das erste M al, dass wir in eine Falle tappen!« Sie n ickte zustimmend, machte einen großen Schritt zurück und sagte: »Sei aber bitte auch vorsichtig, Rick.« Er entfernte die goldene Scheibe und legte sie auf den Steinfußboden, d ann stieß er den Deckel auf und duckte sich, als mit einem leisen Zischen die Luft aus dem Kästchen entwich. Es kam ihnen weder ein Säurebad noch Giftgas, Speere oder eine andere tödliche Überraschun g ent gegen. O'Connell sp ähte in das Kästchen. Ein breites goldenes Armband lag sor gfältig p latziert auf einem Samtkissen und war mit dem gleichen Relief d es Skorp ions verziert wie die goldene Scheibe auf d em Deckel des Kästchens. Evy näherte sich und sagte ehrfurchtsvoll und ängstlich zugleich: »Das Armband des Anubis!« Dann schlug sie das Kästchen zu. O'Connell blinzelte erstaunt und stand auf.
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»Ein bisschen spät dafür, nicht wahr, Pandora?« Sie zitterte, aber sie schluckte und sagte: »Pack die Sachen in deinen Rucksack.« Sie sp rach von der Scheibe und dem Kästchen. »Hey, ich habe eine bessere Idee. Lassen wir diesen Kram einfach h ier.« Sie sah ihn an und zog sp öttisch eine Augenbrau e hoch. »Ein bisschen spät dafür, oder?« Wie zur Antwort - und eine negative dazu - dran g ein schreckliches Geräusch, eine Art Grollen von den äußeren Katakomben in die Kammer, in der sie sich befanden. Er schaute sie misstrauisch an. »Was, zum Teufel, ist das?« Sie runzelte die Stirn. »Kein menschlicher Laut ...« Das Knirschen wurde stärker und hallte in den unterirdischen Gängen wider. O'Connell sagte: »Da knirscht Stein gegen Stein! Ein Erdbeben?« »Wenn das wahr ist, werden die Ruinen einstürzen! Und Alex ist dort oben!« Er verstaute die goldene Scheib e im Rucksack, stop fte das Kästchen hinein - es passte haar genau hin ein -, schnallte sich den Rucksack um und sagte: »Los, raus hier, wir müssen zu Alex.« Sie nickte und streckte ihm die Hand entgegen. Er nah m sie, und zusammen rannten sie los, als wäre der Teufel h inter ihnen her. Genau in diesem Augenblick explodierte die Wand hinter ihnen; unter dem Druck eines Geysirs stürzten die Steine zu Boden. Sie hasteten durch die Vorkammer, in den Raum dahinter und hinaus in die Katakomben, während das Tosen des Wassers in ihren Ohren zu einem durchdrin genden Kreischen anschwoll;
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das Geräusch des immer näher kommenden Wassers trieb sie noch schneller voran. »Das ist die Vorkammer mit den Stufen, richtig?«, schrie er und zeigte vor sich auf einen Ein gang. Das reißende Wasser jagte sie durch die Katakomben. »Ich weiß es nicht!«, schrie sie über das tosende Wasser hinweg. » Vielleicht!« Er zog sie durch den Eingang und seine Fackel erhellte einen kleinen Raum ohne Aus gang - eine Sack gasse. Sie wollten zurück, doch das Wasser hatte sie bereits eingeholt. Es dran g wie eine Springflut durch die Tür, löschte die Fackel und füllte d en Raum in Schwindel erregender Schnelligkeit. »Das ist doch eine gottverdammte Wüste!«, schrie O'Connell über das Tosen hinweg. »Wo kommt denn nur all das verfluchte Wasser her ?« Eher gequält als än gstlich sah sie ihn an. »O Rick, was habe ich nur getan?« »Evy , hör auf. Es gibt einen Ausweg. Es gibt immer einen Ausweg.« Sie v ersuchten, durch das kalte, hüfthohe Wasser hinaus in den Gang zu gelan gen, um von dort aus unter der Wasseroberfläche entlang zu schwimmen, aber die reißende Kraft der Flut drückte sie zurück. Innerhalb von M inuten stand ihnen das Wasser bis zum Hals, und sie waren immer noch in demselben Zimmer und atmeten die muffige, immer dünner werdende Luft. »Evy ...« »Rick!« Dann waren sie auch schon unter Wasser. Sie h ielten sich eng umschlun gen, und ihre An gst und Verzweiflung ließen sich nur durch ihre Liebe ertragen.
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Kapitel 2. Die Rattenfalle
Unter der unerbittlichen Wüstensonne machten drei weiße Reiter auf dem Gip fel einer Sanddüne Halt; am Fuße lagen die steinernen Überreste des Tempels von Theben. Ihr Anführer Red Willits nahm das Fern glas zur Hand und suchte die Gegend nach Leben ab. Er erb lickte d ie drei wartenden Kamele und sagte: »Sie müssen dort unten sein - in den Katakomben.« So wie die drei mit ihren breitrandigen Hüten, Halstüchern und den Pistolenhalftern zu Pferde saßen, erinnerte d as Trio an den amerikanischen Wild en Westen. Die Krummschwerter an ihrer Hüfte waren jedoch der Beweis, dass sie sich n icht zum ersten M al in diesem Teil der Welt aufhielten. Ihre Kleidun g war voller Staub und Sand, sie war en unrasiert, und der Ausdruck in ihren Augen war so kalt, wie die Wüste heiß war. Red, eins achtzig groß und ein brutaler Kerl, war Amerik aner. Gegen den stämmigen, ein M eter neunzig großen Franzosen aus der Gruppe, Jacques Clemens, sah er ab er gerad ezu zierlich aus. Jake Sp ivey , eins achtzig groß, Brite und schlank und hinterhältig wie eine Schlange, wirkte im Vergleich geradezu unterernährt. Diese drei Gestalten waren der lebende Beweis für den Unterschied zwischen einem Fremdenlegionär wie Rick O'Connell und geld gierigen Söldnern wie ihnen. Red gab seinen Partnern mit einem Kop fnicken zu verstehen, dass es weiterging, und ritt ihnen voran die Düne hinunter. Beim Blick durch den Feldstecher hatte er jedoch den jungen Alex übersehen, der sich in der größten Halle des Temp els die Zeit vertrieb. Alex war so in seine Aufgab e vertieft, dass er sie nicht
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kommen hörte. Während der letzten Tage hatten seine Eltern eine M enge Artefakte aus der Ausgrabungsstätte gebor gen, sie in Grüppchen aufgeteilt, nicht weit von der Stelle, an der Alex beschäftigt war. Der flachsblonde Junge in kurzen Hosen hatte Bambussprossen, lose Bandagen und vermoderte Knochen gesammelt und war d abei, ein e käfigähnliche Kiste zu bauen, in die er bereits ein großes Stück Käse aus dem Proviantkorb gelegt hatte. Bau eine bessere Mäusefalle, hatte sein Vater gesagt. Hin und wieder warf Alex einen misstrauischen Blick auf die vorb eihuschenden Ratten in den Ecken des Tempels. Das waren ziemlich groß e M äuse! In diesem M oment hörte er die größeren Ratten - zumindest ihre Stimmen, denn Red, Jacques und Sp ivey hatten ihre Pferde angebunden und kamen zu Fuß näher. Der Junge hatte das Köpfchen seiner M utter und den M ut seines Vaters geerbt, aber er war erst acht Jahre alt und fürchtete sich, insbesondere als er eine Stimme (es war die von Red) flüstern hörte: »Wir brauchen sie nicht zu begraben wofür sind denn die verdammte Sonne und die Vö gel da?« Andere tiefe, raue Stimmen lachten, aber Alex war ber eits aufgesp rungen und schaute sich p anisch um. Sein Blick heftete sich auf ein zwölf M eter hohes Gerüst aus Holzbrettern und Stahlrohren, d as von einem eingestellten Restaurierungsp rojekt der ägyptischen Regierung übrig geblieben war. Er warf sich seinen Rücksack über die Schultern und lief zu dem Gerüst hinüber. Behände begann er hinaufzuklettern, so als handele es sich um ein Klettergerüst auf ein em Spielplatz. Trotz seines leichten Gewichts schwankte die instabile Konstruktion beunruhigend hin und her, doch b ald war er s icher oben angelangt und kroch auf dem Bauch über die Bretter, um einen Blick nach unten in den Tempel zu werfen. Er entdeckte drei verschmutzte, verwahrloste und finster
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aussehende M änner, die langsam und verstohlen den Tempel betraten. Jeder hatte ein Gewehr in der einen und ein Krummschwert in der anderen Hand, bereit, jemanden mit diesen Waffen Schad en zuzufügen. Der Sohn von Rick O'Connell wusste sofort, dass es sich hier um böswillige, käufliche Ganoven handelte, die nur aus einem Grund hier waren: seine Eltern und ihn zu töten. M it vor Angst weit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen sp ähte Alex über den Rand des Gerüsts und sah, wie der Rothaarige, scheinbar der Anführer der Gruppe, niederkniete, um die verschiedenen Anhäufungen von Artefakten zu untersuchen. »Spivey, Jacques«, rief er und zeigte darauf, »durchsucht den M üll da und seht zu, dass ihr das verdammte Armband findet.« Spivey schaute seinen Boss ratlos an. »Und was hast du vor, Red?« Red zeigte mit d em Kop f auf eine Wand, an der eine auffällige Felsspalte sichtbar war. Alex wusste, dass dies der Eingang zu den Katakomben war. »Ich werde mal nach den O'Connells schauen ... Während ihr eu ch den Kram hier vorknöpft, mache ich das Gleiche mit ihnen.« Seine Partner lachten, und Red zog mit einer Pistole in der Hand in Richtung Felsspalte davon. Jacques kniete sich vor die angehäuften Artefakte und begann sie durchzuwühlen. Zu Spivey gewandt, sagte er: »Was machst du da, du Hammel?« »Ich guck nur, was das hier ist,« entgegn ete er, und sein Rattengesicht verzog sich neu gier ig, als er vor Alex Kiste kauerte. »Hey ! Das ist ja Käse ...« Alex konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als der Söldner seine Hand hineinsteckte und nach dem Stück Käse lan gte, das auf einem Teller in dem Käfig lag. Dann zog Alex den Kopf ein und schaute weg. Er konnte nicht mit ansehen, was als Nächstes passieren würde: und schon bohrte sich der spitze Bambusstock mit einem ekelhaften
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Geräusch in Spiveys Hand. Spiveys Schrei hallte durch die Wüste, aber von Jacques wurde es lediglich mit einem Lachen quittiert. Red war in der Felssp alte verschwunden, und Alex fragte sich, ob der M ann und auch seine Eltern, tief unten in den Katakomben - den Schmerzensschrei wohl gehört hatten. Spivey fluchte leise vor sich hin und bandagierte seine Hand mit seinem Halstuch. Alex durchsuchte währenddessen schweigend seinen Rucksack und zog ein es seiner wertvollsten Besitztümer hervor: eine Steinschleuder. Eine Hand kr amte erneut im Rucksack und tauchte mit einer Hand voll Kieselsteine wieder auf, die er als M unition gesammelt hatte. Dass er sie auch würde einsetzen können, hätte er sich nie träumen lassen. Spivey hatte sich inzwischen immer noch fluchend zu dem stämmigen Franzosen gesellt. Beide wühlten sorglos, ja beinah ungestüm die wertvollen historischen Artefakte durch, die seine Eltern so mühsam aus gegrab en und fürsorglich behandelt hatten. Alex zielte, und sein Kieselstein traf Spiveys Hinterkopf. Ein ausgezeichneter Schuss! »Verflucht!« Spivey fuhr herum, die Hand an den Hinterkopf gep resst. »M ich hat irgendwas getroffen!« M isstrauisch blickte Jacques auf und hielt mit dem Durchwühlen der Artefakte inne. »Was hat dich getroffen, Schwachkopf?« »Keine Ahnung! Vielleicht ein Stein! Verdammt, ich blute!« Jacques zuckte mit den Achseln und widmete sich wieder seiner Arbeit. »Stell dich nicht an. M ach weiter, du Spinner, und hilf mir, das verdammte Armband zu finden.« Spivey seufzte, stieß noch ein paar obszöne Flüche aus, kauerte sich dann jedoch wieder hin und suchte weiter. Alex hatte währenddessen nachgeladen und visierte nun den
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knochigen Po des dürren Kerls an. Dieser war so einlad end in die Höhe gereckt, dass d er Jun ge nicht widerstehen konnte und ihn mit einem zielsicheren Schuss bedachte. »Au!«, rief Spivey, sprang auf und hüp fte umher, während er sich den Po hielt. »Verdammt, verdammt! Das hat wehgetan!« Alex lachte lautlos in sich hinein. Jacques brach in lautes Gelächter aus, aber dann wurde der Blick des Franzosen hart und er begann, sich langsam suchend umzusehen. »M ach weiter«, sagte Jacques. Widerwillig fü gte Spivey sich seinen Worten, auch wenn er hin und wieder einen misstrauischen Blick über die Schulter warf. Alex wartete nur zwei M inuten, bevor er den nächsten Kieselstein abfeuerte. Dieses M al fuhr Jacques, der scheinbar in seine Arbeit vertieft gewesen war, herum und fing den Stein, nur Zentimeter vor Spivey's Kop f, mitten in der Luft ab. Das alles ging so schnell, dass Alex es weder glauben noch hätte vorhersehen können. Wie konnte ein so dicker M ann so schnell sein? Alex gin g in Deckung, vermutete jedoch, dass der brutale Kerl dort unten ihn entdeckt hatte. Zitternd verharrte der Junge in geduckter Stellun g und hoffte, dass er sich irrte, dass der M ann ihn nicht geseh en hatte; andererseits war er sich jedoch sicher, dass er nicht unentdeckt geblieben war. Der Junge sah nicht, wie Jacques da stand und Sp ivey verwirrt zu ihm aufschaute. Jacques öffnete die Faust, in seiner Handfläche lag der kantige Stein. »Was zum Teufel ...?«, fragte Spivey. »Ein kleine M aus«, entgegnete Jacques, ballte die Hand zur Faust und drückte zu. Als der dicke Franzose seine Hand wieder öffnete, war nur noch Staub zu sehen. Er wischte sich den zermalmten Stein an seinem schmutzigen Hemd ab und erhob sich. Jetzt wagte Alex einen Blick über den Rand des Gerüsts.
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»Ich kümmer e mich darum!« sagte Jacques und riss das Krummschwert unheilverkündend aus der Scheide. M it vor Schreck geweiteten Augen zog Alex sich zurück, wie eine M aus - die allerdin gs kein Loch hatte, in das sie sich verstecken konnte. Nichts ahnend, was sich oben abspielte, erforschte der brutale Red, das Schwert in der einen, die Pistole in der anderen Hand, derweil die Katakomben. Er war jedoch ein Forscher, der keine Kunstschätze, sondern Op fer suchte, genauer gesagt die Eltern des Jungen. Während er in d ie v erschiedenen Kammern hin einblickte, brachte er keinerlei Interesse für die geschichtliche Bedeutung seiner Umgebung auf, und als er ein e von ihnen betrat, wusste er weder, dass er sich im Kartuschenraum einer Prinzessin befand, noch dass der ovale, am Boden liegende Gegenstand, auf den er trat, die heilige und wertvolle Kar tusche selber war. Aber vor allem war er sich anfangs nicht bewusst, dass er aus Versehen eine dieser sagenhaften ägyptischen Fallen ausgelöst hatte, die schon das Ende vieler Forscher bedeutet hatten, welche weitaus gebildeter gewesen waren als er selbst. Er vernahm nur ein sanftes, wenn auch schr eckliches Ächzen, das anfangs menschlich schien, sich jedoch mit zunehmender Lautstärke als das unangeneh me Quietschen von aufeinander reibenden Felsen herausstellte. Massiver Fels auf massivem Fels ... Dann bebte die Kammer, in der er sich befand, als ob d ie Gegenwart seiner widerwärtigen Person sie anekelte und krank machte. Als nun das ganze Tunnelsystem wie eine entfesselte Bestie zu grollen anfing, begriff Red endlich. Die Augen vor Entsetzen geweitet, vollbrachte er die erste intelligente Tat an diesem Tag ... er drehte sich um und rannte wie der Teufel los.
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Während er durch die Kammer raste, trat er wieder, ohne respektlos sein zu wollen, auf die Kartusche der Prinzessin. Die Götter kannten in diesem Punkt keine Nachsicht, denn die Katakomben schienen vor Zorn zu brüllen. Er floh noch rechtzeitig hinaus in den Gang und sah daher nicht mehr, auch wenn er es hörte, wie eine Wand einstürzte und das tosende Wasser durch eine enge, nun immer breiter werdende Spalte stürzte. Spivey und Jacques oben im Tempel hatten von diesen Dingen noch nichts mitbekommen. Das Schwert zwischen den Zähnen, kletterte Jacques gerade das Gerüst hinauf und sah dabei aus wie ein Pirat, der einen M ast hochklettert. Alex konnte ihn kommen sehen und schoss mehrmals mit der Steinschleuder auf den Fieslin g. Er v ersuchte, ihm ein Auge auszuschießen, aber der riesige Franzose lachte nur, duckte sich oder wehrte die winzigen Steine mit der Hand ab. »Weiter so, meine kleine M aus«, rief er Alex zu. »Schieß nur! Das macht mich nur noch wütender!« Alex beh agte das gar n icht und er zog sich bis an den äußersten Rand des Gerüsts zurück. Dann ging es nicht mehr weiter, und schon bald würde das Ungeheuer oben an gelangt sein. »Du wirst ein ganz besonders leckeres Filet abgeben, mein Sohn«, sagte der Franzose. Doch bevor Jacques oben an gekommen war, ertönte ein unterirdisches Grollen. Der Franzose warf just in dem Au genblick einen Blick nach unten, als sein Anführer Red panisch schreiend aus der Felssp alte kam und völlig auf gelöst durch den Tempel lief. »Weg hier!«, schr ie der Rothaarige. »Sofort!« »Wovon redest du?«, verlangte Spivey zu wissen und wies auf den Stap el Kunstschätze zu seinen Füßen. »Wir haben das verdammte Ding doch no ch gar nicht gefund en!« »Dann guck weiter und stirb!«
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Red raste aus d em Tempel auf die Pferde zu. Das reichte, um Spivey zu überzeugen. Er setzte ihm nach und sah zu, dass er wegkam. Nachdem Jacques dieses Gespräch mit angehört hatte, warf er erst einen Blick auf seine Partner, die aus dem Tempel rasten. Dann sah er zu dem ängstlichen k lein en Jungen hinüber, der entschlossen war, ihn weiter mit Steinen zu beschießen. »M ensch, hast du ein Glück, klein e M aus.« Sprach's und rutschte das Gerüst hinunter, wie ein Feuerwehrmann die Feu erwehrleiter. Unten angekommen, nahm sich der Bösewicht jedoch noch die Zeit, ein tragendes Zwischenstück aus dem unteren Teil des Gerüsts herauszutreten, bevor er sich davonmachte. Während der Franzose den Tempel verließ, sp ürte Alex bereits, wie sich das Gerüst erst bewegte und dann bedrohlich zu schwanken anfing. Als stünde er auf einer großen Wipp e, versuchte Alex mühsam sein Gleichgewicht zu halten, während die Welt unter ihm ebendieses verlor. Das Gerüst, das von vornherein nicht besonders stabil gewesen war, schwankte wild hin und her, krachte und ächzte, als ob es darum kämp fte, nicht umzustürzen, wie ein Betrunkener, der versucht, sein Gleichgewicht zu halten. Schreckliche Geräusche drangen aus den Katakomben, und Alex' Angst um sein eigenes Leben rang mit der tiefen Besorgnis um das Leben seiner armen Eltern. Er ritt auf dem schwankenden Gerüst wie auf einem Surfbrett, das erst noch standhielt, dann jedoch zusammenbrach, zur Seite kippte und in eine der massiven Temp elsäulen krachte. Der Druck schleuderte den Jungen vom Gerüst, das wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, und er landete auf der Säule, an der er sich sofort festklammerte. Als er merkte, dass er einen sicheren Halt hatte, glitt er an ihr nach unten. Fast machte es ihm so gar Sp aß, als rutsche er ein r iesiges
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Geländer hinunter. Glücklich am Boden angelan gt, schlu g ihm sein Herz bis zum Hals, aber er war trotz des verzerrten Grollens unter seinen Füßen erleichtert. Hilflos sah der Junge zu, wie die Säule, auf der er heruntergerutscht war, gegen die nebenstehende prallte, sie umriss und so eine Kettenreaktion auslöste, bis die Säulen wie Dominosteine umkippten. Unmengen alten und neuen Staubs wirbelte auf, und der Junge blieb in den mittlerweile vollends zerstörten Ruinen des einst so prachtvollen Temp els zurück, der nun für immer und ewig verwüstet war. Eine einzige Säule blieb noch stehen, wenn auch nur recht wackelig. Der Junge, der eine der wen igen Schwächen seiner M utter geerbt hatte - gelegentliche Tollpatschigkeit -, ließ ein »Huch« vernehmen, das zwar nicht ganz ausreichend schien, aber die Situation ganz gut auf den Punkt brachte. Das Rump eln unter seinen Füßen nahm langsam Formen eines Erdbebens an, der Boden vibrierte regelrecht; die letzte stehende Säule h atte Schlagseite und rutschte langsam nach unten weg. Alex kam der Gedanke, dass er zumindest versuchen sollte, diese eine zu retten, deshalb lief er zu der Säule hinüber. Wie ein winziger Samson, der seine M einung geänd ert hatte, tat er sein Äußerstes, um die Säule vor dem Umstürzen zu bewahren. Er wollte verhindern, dass sie das Wenige zermalmte, das vom Temp el noch übrig geblieben war. M it all seinen, wenn auch schwachen Kräften stemmte er sich gegen die wuchtige Säule. Es überrascht wohl kaum jemanden, dass der kleine Kerl den Kampf verlor. Die Säule fiel gegen die Wand mit der Hieroglyp he, die die Tätowierung sein es Vaters zeigte: den Kompass und die Schwingen des Falken, die eine Pyramide mit einem Auge in der M itte formen. Die Säule durchschlu g die M auer und zerstörte das Bild, das Alex gehofft hatte, seinem
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Vater zeigen zu können. Übrig blieb ein riesiges Loch in der Wand ... ... und so entstand ein Fluchtventil, durch das eine riesige Wasserflut geschossen kam. Eine riesige Fontäne spritzte aus dem Lo ch, das Alex und seine Säule hinterlassen hatten: eine Welle, die seine Eltern mit sich trug und auf den Boden des Temp els sp ülte. Sie waren völlig durchnässt und erschöpft, und sie zapp elten atemlos wie Fische auf dem Trockenen. Schließlich sch auten sie sich mit groß en, erstaunten Augen in dem zerstörten Tempel um. »M om ... Dad«, sagte Alex und hob beschwichtigend d ie Hände. Keuchend und trop fend setzten sie sich auf und betrachteten das gewaltige Chaos, das vor nicht allzu lan ger Zeit ein wunderschöner Überrest der Vergangenheit gewesen war. »Regt euch nicht auf ... ich kann alles erklären.«
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Kapitel 3 Eine Flieg e im Bernstein
Grelles Flutlicht glitt über die Ausgrabungsstätte in der Wüstenstätte Hamunap atra, als sei man auf der Suche nach entflohenen Gefangenen. Es verstärkte noch die Wirkung des Vollmonds, der in dieser sternklaren Nacht die Ruinen der Stadt der Toten in einen elfenbeinfarbenen Schimmer getaucht hatte. Einheimische Arbeiter suchten wie an Knochen nagende Parasiten die Überreste dieser einst prachtvollen Stadt heim, die zerbröckelten Pylonen, ausgehöhlten Säulen, verstümmelten M auern und Statuen mit Löwen und Bockköpfen. Diese Überbleibsel einer glanzvollen untergegan genen Gesellsch aft wurde von den Realitäten des modernen technischen Zeitalters befallen. Im toten Temp el mahlten laute Zahnräder, über den Ruinen erhoben sich Bulldozer und Kräne. Am Rand von verschied enen kleineren Aus grabun gsstätten innerhalb des großen Gesamtkomplexes bewachten Bewaffnete, meist arabische Krieger mit roten Turbanen, lockeren, weißen Gewändern und dunklen, flatternden Umhängen, die Anstrengungen der vielleicht hundert Einheimischen; ein ige der bewaffneten Aufpasser hatten den Befehl, die Grenzen des Lagers gegen Eindringlinge zu bewachen, die sich vielleicht die Dunkelheit der Nacht zu Nutze machen wollten. Die Aufpasser und auch die Arbeiter hörten auf einen kleinen dunkelhäutigen M ann mit rotem Fes und einem Anzug in gebrochenem Weiß. Sein kantiges Gesicht und der scharfe Blick aus seinen dunklen Augen straften sein vermeintlich sanftes Gebaren Lügen. M it gefalteten Händen, die auf seinem leichten Bauchansatz ruhten, stand Fuad Fachry selbstsicher
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am Rand einer tiefen Grube im Sand, in der Dutzende von Einheimischen unter seiner Aufsicht - und den wachsamen Blicken d er Aufp asser mit den roten Turbanen und erhobenen Gewehren - gruben. Fachry war Kurator des ägy ptischen Flügels des Britischen M useums - und an dieser Aus grabun gsstätte kannte man ihn auch nur unter diesem Namen - Kurator. Das Geräusch eines sich nähernden Fahrzeugs lenkte ihn ab. Er drehte sich um und sah, wie Red Willits einen Jeep zum Stehen brachte; Jacques und Spivey saßen mit im Wagen. Die M änner stiegen aus, und der Kurator ging ihnen entgegen. Die Ungeduld in seiner Stimme passte nicht zu seinem gelassenen Gesten. »Hatten Sie Erfolg?« »Na ja«, entgegn ete Red Willits und kratzte sich an seiner stoppeligen Wange, »d as hängt ...« »Haben Sie es? Haben Sie das Armband?« »Na ja ...« Ein Grollen unterbrach das Gespräch. Die Erde bebte ... dann hörte es auf. Die drei Söldner sahen sich misstrauisch an; der Kurator konnte ja nicht wissen, dass den dreien etwas Ähnliches im Temp el des Imhotep in Theben widerfahren war. Bevor sie ihr Gesp räch fortsetzen konnten, setzte das Grollen erneut ein. Der Sandboden vibr ierte nun heftiger unter ihren Füßen, als stünde ein Erdbeben bevor, als ob ... ein großes M onster sich unter der Erde lan gsam auf sie zu bewegen würde. Und wieder hörte es auf. Der Kurator drehte sich zu der Ausgrabungsstelle um, denn das Geräusch schien von dort zu kommen. Er trat an den Rand der Grube, und die Söldner folgten ihm neugierig. Von unten blickten ihnen die einheimischen Arbeiter mit großen Augen
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und offenem M und entgegen. Sie hatten aufgehört zu arbeiten, tauschten ängstliche Blicke und starrten auf die sandigen Wände. Die Aufp asser hatten ihre Gewehre auf sie gerichtet, damit sie sich nicht von der Stelle rührten. »Zurück an die Arbeit!«, fuhr sie der Kurator in ihrer Sprache an. Aber dazu kam es nicht mehr, denn in der M itte der Grube formte sich ein immer größer werdender Sandhü gel. Es schien, als wolle sich die Grube von selbst wieder füllen. Der Hügel wurde höher und höher wie ein auf gehender Kuchen im Backofen. Die Arbeiter wichen zurück und schauten sich sprachlos an. Wie gebannt standen sie da, die Schauf el in der Hand, und starrten auf dieses wundersame Phänomen. Dann brach die Hölle los. Der Hügel explodierte förmlich, und Tausende von jenen ranzigen M istkäfern, bekannt als Skarabäen, strömten hervor. Wie eine Welle überschwemmten sie die Grube. Die fleischfressenden Insekten fielen über die Arbeiter her und stillten ihren unersättlichen Appetit, und im Handumdrehen färbte sich die Grube schwarz und rot. Schmerzensschreie drangen aus dieser Höllen grube, während die Arbeiter verzweifelt versuchten, die Sandwände hochzuklettern. Ver geb lich suchten sie Halt, doch die sandigen Wänden gaben unter ihren Händen und Füßen nach. So kamen sie nur langsam voran, und die Käfer waren schnell. I m Licht der Suchscheinwerf er funkelten die schwarzen Chitinp anzer der Insekten, aber auch das Blut und die freigelegten Knochen der Arbeiter. »O mein Gott«, entfuhr es dem hart gesottenen Red Willits. Der Kurator, der diesen Vorfall mit wissenschaftlicher Distanz beobachtete (er hatte mit diesem seltsamen Ereignis ger echnet), nahm mit leichter Belustigun g zur Kenntnis, dass die drei hart gesottenen Verbrecher b lass geworden waren und
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wie ängstliche Schulkind er zitternd neben ihm standen. Hatten sie denn noch nie zuvor miterlebt, wie M änner bei lebendigem Leib von Skarabäen auf gefressen wurden? Die drei rannten zu ihrem Jeep und bestiegen das r elativ sichere Fahrzeug. Red war ber eit, au genblicklich loszufahren. Einem Arbeiter war es wie durch ein Wunder gelungen, aus der Grube zu klettern. Stellenweise waren ihm jedoch Fleischfetzen vom Körp er gefressen worden, und unter der verbliebenen Haut bewegte sich etwas: die Käfer krabbelten unter der Oberfläche vorwärts! Die drei Söldner schr ien entsetzt auf. Das wollte auch der Arbeiter, doch bei dem Versuch strömte ihm nur eine kleine Armee schwarzer Käfer aus d em Rachen, und es sah so aus, als erbreche er die Insekten. Als wollten sie die Unfähigkeit des Arbeiters zu schreien wettmachen, schrien die dr ei Söldner umso lauter. Schmunzelnd streckte der Kurator die Hand aus und stieß den armen Arbeiter zurück in die Grube. Dann brachte er sich durch ein paar Schritte in Sicherheit, da ein p aar der Skarab äen im Anzug waren. Anschließend nickte er den Aufpassern zu: »Jetzt.« M it wallenden Gewändern traten d ie Aufpasser vor und drängten die flüchtenden Käfer mit Flammenwerfern zurück in die Grube, aus der nur noch vereinzelte menschliche Schreie drangen. Dann setzten sie die gesamte Grube unter Feuer. Der Wind trug den Geruch nach verbranntem Fleisch mit sich, und der Kurator hielt sich die Nase mit einem Taschentuch zu. Während dieses widerwärtigen Treibens hörte man auf geregte Stimmen, die eine Entdeckung an einer der nahe gelegenen Stätten ankündigten. Ein er der Aufp asser wies in die Richtung, und der Kurator sah, wie ein Kran einen ganz besonderen Schatz in sein en Fängen h ielt. Es war ein riesiger Fels, und selbst aus dieser Entfernung konnte man sehen, dass er die
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Überreste eines M enschen in sich trug - wie eine Fliege im Bernstein. Der Kurator vergaß die Skarabäen - mit den Arbeitern hatte er das schon längst getan - klatschte in d ie Hände wie ein Kind, das ein lang ersehntes Geschenk erhält. Dann rannte er auf den Kran und dessen kostbare Fracht zu. »Ihr habt ihn gefunden!« platzte es aus ihm heraus. »Ihr habt unseren Herrn gefunden! Wir haben ihn gefunden!« Nur wenige M inuten zuvor hatte die M itarbeiterin des Kurators in einem Zelt neben dieser Aus grabungsstätte bereits zwei weitere Funde aus der Stadt der Toten untersucht; es war eine gewisse M eela Pasha und ihr treuer Leibwächter, bekannt als Lock-nah. Trotz ihres Interesses für die ferne Ver gangenheit war M eela eine mod erne Frau, gleichzeitig intelligent und verführerisch, zugleich gefährlich und leidenschaftlich. Sie war groß und hatte lange, schwarze Haare, die sie in einer Ponyfrisur im traditionellen, ägy ptischen Stil trug. Ihre schlanke, wohl gerundete Figur wurde von eng sitzenden Khakihosen unterstrichen, und ihr Verhalten war professionell und hoheitsvoll zugleich. Lock-nah war wie die anderen Aufp asser gekleidet, die dem Kurator und seiner Herrin M eela dienten. Er war größer als die anderen, von muskulöser Gestalt, mit kantigen Gesichtszügen und scharfblickenden, dunklen Augen. Gerade hatte er ein Bu ch auf den Tisch geworfen und dab ei einen kleinen Sandsturm aus gelöst. Es war nicht irgendein Bu ch. Es war sehr groß, unwahrscheinlich schwer und mit bronzenen Scharnieren verseh en. In den Einband aus Obsidian waren Unheil verkündend e Hiero gly phen eingeritzt. »Das Totenbuch«, verkündete Lock-nah mit klangvoller Baritonstimme. »Es schenkt unserem Herrn das Leben«, sagte M eela nüchtern
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mit ihrer melodischen Altstimme. »Und das Buch des Amun Ra - das Buch des Lebens - nimmt es wieder.« Lock-nah legte nun ein anderes Buch neben das schwarze und wirbelte dabei noch mehr Staub auf; der Tisch wackelte unter dem Gewicht. Dieses Buch war der gold ene Zwilling des schwarzen, aus ähnlichem M aterial, ähnlich aufgemacht und von unschätzbarem Wert, wenngleich diesem wertvollen Artefakt nichts unheilverkündendes anhaftete. M eela beugte sich über die goldene Ausgabe und formte ihre Lip pen zum Kuss, wie ein Kind, das die Kerzen seines Geburtstagskuchen auspustet. Dann blies sie den Staub von seinem Einband. Sie richtete sich auf und lächelte ihren Leibwächter an. »Wir kommen der Sache näher.« In diesem M oment drangen die Schreie der Arbeiter ins Zelt, die bei lebendigem Leib von den Käfern auf gefr essen wurden. M eela blickte Lock-nah bed eutsam an und sagte: »Wir kommen der Sache ber eits sehr nahe ...« Die Schön e und der gut aussehende Rohling, der sie bewachte, stürzten hinaus in die Nacht und durchquerten das Lager. Lock-nah tru g das Totenbuch und M eela mühte sich mit dem Buch der Lebenden ab. Ein Chauffeur mit Turban stand reglos neb en ein em beigefarbenen Rolls Royce. Er verbeugte sich vor seiner Herrin und öffnete die Wagentür, als M eela und ihr Leibwächter näher kamen. Der Fahrer schien die Schmerzensschreie nicht zu hören, die durch die Stadt der Toten hallten. »Noch nicht«, sagte sie und ging weiter auf die Grube zu, die der Kurator zuvor überwacht hatte. Sie konnte den kleinen M ann mit dem roten Fes an der angrenzenden Ausgrabungsstätte sehen, an d er ein Kran einen groß en Gegenstand, einen Felsbrocken, herunterließ. »Sie haben doch das golden e Buch benutzt, um Imhotep zu
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besiegen, nicht wahr? Um ihn zu verfluch en, richtig?«, fragte M eela ihren Leibwächter. »So ist es, Mylady!« »Dann ist es also das Einzige auf Erden, das unser em Herrn schaden kann, richtig?« »Ja, Mylady.« M eela blieb an der Grube stehen, aus der ihr der Gestank nach verbranntem Fleisch und verkohltem Käfer entgegenschlug. Als entsorge sie ein benutztes Taschentuch, warf sie das wertvolle Buch in die faulige, verrauchte Dunkelheit der Grube. Ohne au ch nur einen Gedanken an das metallische Knirschen der Skarabäen zu verschwenden, gingen die Frau und der Leibwächter weiter. M eela bemerkte au ch nicht die drei Söldner, die in der Nähe in ihrem Jeep saßen und ihr Tun beobachtet hatten und es kommentierten. »Habt ihr gesehen, was ich gesehen habe?« fr agte Jacques. »Dieses verdammte Ding ist aus Gold! Dieses Buch war aus purem Gold!«, antwortete Spivey. Red, ihr Anführer, saß immer noch bebend hinter dem Steuer des Fahrzeugs. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und wies mit dem Kop f auf die Grube. »Na dann, M ädels, warum klettert ihr nicht da rein und holt es euch?« Weder Jacques noch Spivey gingen auf das Angebot ein. Stumm saßen s ie da und beobachteten, wie ein Bulldozer näher kam und Sand in die Grube schüttete. Die gefan genen Käfer krabbelten auf geregt, und die dr ei M änner schauderten vor Entsetzen. Im grellen Schein des Flutlichts schritten M eela und Locknah auf den euphorischen Kurator zu, als der Kran gerade den Felsblock auf dem Boden absetzte. In den Stein war eine Leiche gegossen, sie schien mit dem Tod gerungen zu haben und während eines lautlosen Schreis erstarrt zu sein. Ob aus Todesangst oder Widerstand, das war schwer zu sagen.
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M eela hatte gemischte Gefühle. Imhotep in diesem Albtraum aus Stein gef angen zu sehen, brach ihr einerseits das Herz, aber gleichzeitig schwoll es voller M itgefühl und Liebe für ihn an. Sie ging auf die Leiche in Stein zu und berührte lächelnd die kalte Wange. Ihr Lächeln war verschlagen und liebevo ll zugleich. Der muskulöse, äußerst gut aussehende Leibwächter, der das Totenbuch immer noch unter dem Arm hielt, trat neben seine Herrin und sagte: »Wir müssen nun jene zum Leb en erwecken, die unserem Herrn gedient haben.« Sie nickte zustimmend. »Die Urne«, sagte Lock-nah und wandte sich an einen Diener, der sofort in die Nacht hinaus eilte. In diesem Augenblick kamen die drei Söldner heran. »Das ist ja ein ziemlicher Brocken, den Sie da ausgegraben haben«, sagte Red etwas zu beiläufig. Er warf seinen noch glühenden Zigarrenstummel weg. Er und die anderen beiden Söldner waren gerade mit dem grotesken, erschreckend en Anblick des in Stein gegossenen M annes konfrontiert worden. Der Kurator runzelte die Stirn. Ihr e Gegenwart erinnerte ihn an das von Skarabäen unterbrochene Gespräch. Er hielt dem verwahrlosten Amerikaner d ie aus gestreckte Hand hin. »Das Armband! Wo ist es nun? Her damit!« »Ich habe es noch n icht richtig.« »Was soll denn das heißen?«, fragte der Kurator, bemüht, nicht die Fassung zu verlieren. Der Söldner zuckte mit den Achseln. »Es war so eine Art ... verpasste Gelegenheit.« Lock-nah, der mit seiner Wut nicht hinterm Berg hielt, ließ das Totenbuch in den Sand fallen und packte den Amer ikaner am Hemd. »Wir müssen dieses Armband haben!«
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Jacques und Spivey zogen ein finsteres Gesicht und traten, die Hände an ihren Pistolengurten, näher. Lock-nah ließ den Amerikaner los. Der brachte ein Lächeln zustande, um sein Gesicht zu wahren; seine beiden Begleiter grinsten überlegen. Da zog Lock-nah blitzschnell sein Krummschwert aus der Scheide und durchschnitt die Luft; Gott sei Dank traf er keinen der Anwesenden. Der Kurator trat vor und hob beschwichtigend die Hände wie ein Schiedsrichter. »M eine Herren! Bitte! Lassen sie uns das zivilisiert lösen.« M eela hatte bisher mit verschränkten Armen da gestanden und das alberne Gebar en der M änner beobachtet. Sie hob schweigend die Hand, und Lock-nah nickte ehrerbietig und trat einen Schritt zurück. Dann ging M eela auf den Kurator zu, berührte seinen Arm und sagte: »Ich habe dir doch geraten, Lock-nah und mir diese Sache zu überlassen.« »Ja, ich weiß, M ylady«, sagte der Kurator verlegen, » aber ich wollte nicht, dass - nennen wir es Ihre Vergangenheit - die Sach e überschattet.« Red Willits trat vor und streckte versöhnlich die Hände aus. »Kein Grund zur Aufregung. Hier hat niemand Schuld. Wir haben die Situation im Griff, wenn Sie mich nur erklären lassen.« »Reden Sie schon«, sagte M eela mit einer Stimme, die ebenso kalt war wie ihr Blick »Wir wissen, wo das Din g ist«, erwiderte Red achselzuckend. »Wir wissen auch, wo wir suchen müssen. Wir verstehen unser Geschäft. Wir nehmen uns der Sache an.« M eela ging auf ihn zu. »Wo ist das Armband?« »Auf dem Weg ins gute, alte En gland, nach London, um gen au zu sein.« Red erzählte ihnen, was passiert war.
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»Als die O'Connells erst mal auf uns auf merksam geworden waren, haben wir uns von ihnen fern gehalten. Nachdem das ganze Wasser in die Wüste zurückgesickert war, haben sie ihre Schmuckstücke eingepackt und das Schiff nach Hause genommen. Nach London.« M eela zog eine Augenbraue hoch. »Vermuten Sie das Armband unter diesen Schmuckstücken?« »Ja.« »Also haben Sie das Armband nicht gesehen.« »Nicht richtig ...« Der Kurator runzelte die Stirn. »Schon wied er nicht richtig!« Red lächelte M eela an. Seine Stimme bekam einen lieblichen, fast koketten Ton: »Hören Sie, wir können das regeln. Wir erledigen das für Sie.« Der Kurator wandte sich in scharfem Ton an Red: »Nein! Nein, wir nehmen d ie Sache selbst in die Hand.« Red blickte den Ägypter stirnrunzelnd an. »Was ist mit unserem Geld?« M it erhobenem Kinn entgegnete der Kurator: »Sie werden für Ihre Bemühungen r eich lich b elohnt.« »Haben Sie für mich und meine Kumpels etwas Anderes im Sinn?« Der Kurator lächelte rätselhaft, fast unheimlich. »So ist es.« Er wandte sich an M eela. »London ist jetzt wohl unser nächstes Ziel.« Der Diener, den Lock-nah nach einem bestimmten Gegenstand geschickt hatte, kam nun damit zurück. Es war eine schwarze Urne, die mit Schriftzeichen bedeckt war. M eela nahm dem Diener die Urne aus der Hand, umfasste sie liebevo ll und flüsterte der erstarrten Leich e im Stein zärtlich zu: »Bald, mein Herr, mein Geliebter. Schon bald.«
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In der Nähe hatte ein Arbeiter das meiste von diesem Gesp räch mitbekommen. Er war einer von diesen unbekannten Fellach en, von n iemandem beachtet, ein regelrecht unsichtbarer M ann. Weder der Kurator noch M eela, Lock-nah oder sonst jemand von ihnen vermutete auch nur ansatzweise, dass es Ardeth Bay war, der sich die ganze Zeit in ihrer M itte aufgehalten und ihn en nachsp ioniert hatte ... Ardeth Bay, der Anführer der M ed-jai-Krieger, ein er Sekte, die seit der Zeit der Pharaonen den Auftrag hat, die Stadt der Toten zu bewachen und die Rückkehr des Überbringers des Todes - Er, der nicht genannt werden soll - zu verhindern. Jene Kreatur, die nicht eher ruhen würde, bis die Erde von Pest und Flammen verzehrt worden war. Die Kreatur in dem Leichentuch aus Stein.
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Kapitel 4 Das Armband des Anubis
Die Dämmerung hat auf jede Stadt eine magische Wirkun g, doch in einer Stadt wie London ist sie von unübertroffenem Zauber, der ideale Zeitpunkt für einen Touristen, in der Nähe der Strand in den Bus einzusteigen und b is Bank of Eng land zu fahren, von dort aus die London Bridge zu überqueren und die Straßenbahn zu nehmen, um von der Swerrey-Seite den Blick auf die Themse zu genießen. Ob nun bei Tagesanbruch oder zu Beginn der Abenddämmerun g - es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um sich an Bord eines Ausflu gsdampfers zu begeben und die fantastische Aussicht auf die Themse und ihre Brücken mitzuerleben, das funkelnde Glitzern der Lichter auf dem Fluss zu betrachten, unter der Tower Bridge durchzufahren und den denkbar besten Blick auf das Parlament und St. Pauls auszukosten. Oder einfach nur auf der M all am St. James Park entlang zu spazieren, auf jener prächtigen Straße, die Bu ckingham Palace und die Admiralitätsgebäude verbindet. Doch in diesem Zwielicht fuhr kaum jemand mit dem Doppeldeckerbus, die Ausflugsdampfer lagen am Dock und nur wenige abgehärtete Seelen machten an diesem kühlen Abend einen Sp aziergang, um ihre Konstitution zu stärken. Die magisch wirkenden elektrischen Entladungen eines drohenden Gewitters hatten den Zauber der Abenddämmerun g aus gelöscht; der grau e Himmel färbte sich schwarz, während die Gewitterwolken näher kamen und Blitze aufleuchteten. Gegen diesen düsteren Hintergrund wirkte Big Ben wie eine winzige Taschenuhr. Ein paar Kilometer westlich, in der wohl grünsten Gegend so
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nahe der Stadt, bog ein Taxi eilig auf ein e lange Kiesauffahrt ein. Der Taxif ahrer hoffte, seine Fahrgäste, die er am Flugplatz in Croydon eingeladen hatte, so rasch es ging vor dem prächtigen Herrenhaus im Tudor-Stil abzusetzen, damit er noch vor Ausbruch des Gewitters zurück in London sein konnte. Das üppige Grün des gepflegten Grundstücks mochte den nahenden Sturm zu schätzen wissen, aber die O'Connells, denen dieses Haus gehörte, würden den Sturm schon bald lästig finden. Rick O'Connell sah hundemüde aus, er hatte neben Evelyns Schrankkoff er schon mehrere Taschen im Eingang abgestellt. Jetzt schleppte er auf Befeh l seiner Frau zwei Koffer, die randvoll mit Artefakten waren, in die Bibliothek. Evelyn, die in ihrem fließenden ägytischen Kleid absolut hinreißend aussah, folgte ihm mit leer en Händen. Sie hatte nur an ihrem überschwänglichen Enthusiasmus zu tragen, der die lange See- und Flugreise Lü gen strafte, die sie gerade hinter sich gebracht hatten. Die Bibliothek, die eher ein em Privatmuseum glich, war zwei Stockwerke hoch und verfügte über ein prachtvolles Oberlicht; an einer Seite des Raums hinter einem Türbogen befand sich der breite Treppenaufgang des Herrenhauses. In den Regalen standen nicht nur genügend Bücher, um zwei Universitätsbibliotheken zu füllen, sondern auch eine schwindelerregende Ansammlung von unschätzbaren ägy ptischen Artefakten, die Evy s Vater und sie selbst gefunden hatten. Die weißen Wände und das schwarzweiße Rautenmuster des M armorbodens ließen den riesigen Raum seltsam modern aussehen, obwohl die kostbare Täfelun g und die Regale aus Walnussholz auf ein e frühere, elegantere Zeit zurückgingen und den wertvollen Inhalten dieser Galerie eher geziemten. »M einen Nachforschungen zufolge«, sagte Evy , und ihre Stimme hallte in dem Raum wider, »führt uns dieses Armband direkt zu der verlorenen Oase von Ahm Shere.«
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Er setzte die Taschen unsanft auf dem Boden ab. »Vorsichtig!«, rief sie. »Was für ein guter Ratschlag«, erwiderte er und wandte sich ihr zu; er wollte sich endlich mal wieder richtig ausschlafen. »Evy , Liebe meines Lebens, Sonnenlicht meiner Seele. Ich weiß, was du denkst, und meine Antwort lautet: >Nein
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Wasser zum Schwimmen - ohne Badeanzug?« Sie schmiegte sich an ihn. »Jetzt verstehst du langsam, worauf ich hinaus will.« Er schob sie von sich und fragte mit hochgezogener Au genbraue: »Wo ist der Haken an der Sach e?« »Der Haken?« »Der Haken. Die Kehrseite der M edaille. Der Teil, für den ich teuer bezahlen muss.« Sie zuckte mit den Achseln, erhob sich von sein em Schoß und durchquerte ganz geschäftig und mit klappernden Absätzen die Bibliothek. Dann blieb sie stehen und zeigte auf d ie Koffer. »Wir können die Sachen morgen durchsehen ... angeblich ist die Oase die letzte Ruhestätte von Anubis' Armee. Das ist alles.« Er stand auf und folgte ihr. »Wusste ich's doch, dass die Sache einen Haken hat. Ist das nicht zufällig die Armee der Toten, die nur darauf wartet, von diesem Skorpion-Typ angeführt zu werden?« Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Darüber würde ich mir an deiner Stelle keine Sor gen machen. Er wacht nur alle fünf- oder sechstausend Jahre auf.« »Ja, aber eine innere Stimme sagt mir, dass dieser Weckanruf bald fällig ist.« »Sei nicht albern.« Fest packte er sie mit einer Hand an der Schulter. »Und wenn er doch aufwacht, was dann?« Diesmal blickte sie ihn n icht an und schwieg. »Wenn ihn kein er mehr in den Schlaf kriegt, vernichtet er d ie ganze Welt, nicht wahr?«, fragte O'Connell. Nun sah sie ihn stirnrunzelnd an. »Ich bin beeindruckt, Rick. Du hast dich zu einem Wissenschaftler gemausert.« »Nein, Schätzchen, aber ich habe so etwas schon einmal durchgemacht.«
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Nebeneinander gingen sie die br eite Treppe hinauf. »M uss es immer so ablaufen? Wie lauten die Einzelh eiten erzähl schon.« »1150 v. Chr.«, begann sie mit knapper, belehrender Stimme, »schickte Ramses IV. eine Expedition los, der es als Letzte gelan g, die Oase tatsächlich zu erreichen. Die Exp edition war tausend M ann stark.« »Sag jetzt nicht, dass keiner von ihnen je wieder auf getaucht ist.« Unschuldig schlug sie die Au gen nieder. »Bist du sicher, d ass du dich nicht doch in d iese Sach e eingelesen hast?« Seufzend schüttelte er den Kopf und sagte: »Ich hab' einf ach drauflosgeraten. Erzähl weiter.« »Habe ich bereits die golden e Pyramide erwähnt?« »Oh, wie nett. Juwelen sp ielen auch noch eine Ro lle. Gier gibt den Dingen do ch immer die richtige Würze.« Sie waren auf dem Trep penabsatz angekommen. Evy blieb stehen und lächelte ihn sp itzbübisch an. Inzwischen machte ihr die Unterhaltung richtig Spaß und sie wollte ihn noch stärker reizen. »Alexander der Große h at Truppen losgeschickt, um sie zu suchen.« »Was du nicht sagst.« »Und Julius Caesar.« »Nein, wirklich?« »Nicht zu vergessen Napoleon.« »Und nicht zu vergessen, den alten Nappy. Natürlich sind sie nicht selbst gegan gen. Sie waren klu g genu g, jemand anderen zu schicken, der niemals zurückkehren konnte.« »Richtig.« »Ich meine, wir würden das doch auch nicht tun, oder? Selber geh en? Weil wir es ja besser wissen.« »Du hast Recht ...«
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»Gut. Endlich hast du es begriff en.« »... keiner von ihnen ist zurückgekehrt.« Evy ging weiter die Stufen hoch, lief die Balustrade in der Bibliothek entlang, zog Bücher aus den Regalen und Karten aus den dafür vorgesehenen Schubladen. O'Connell folgte ihr erschöp ft. Er würde es zwar nie zugeben, aber er hatte außerdem Angst ... Angst davor, wohin sie die neueste Obsession seiner Frau führen würde. Seine Gedanken überschlugen sich, und er suchte fieberhaft nach einem Weg, zu ihr durchzudringen und ihre Entschlossenheit zu schwächen. Leider entging seiner Aufmerksamkeit, dass zwei Limousinen mit verhängten Fenstern und ausgeschalteten Sch einwerfern langsam die Einfahrt auf ihr Haus zurollten. Eine Tatsache, die ihm vielleicht in dieser Sache geholfen hätte. Eins der Fahrzeuge v erschwand um d ie Ecke, während das andere vor dem Haupteingang stehen blieb. Ein Vorhan g wurde zurückgezogen und ein dunkelhäutiger Fahr gast mit kantigen Gesichtszügen spähte hinaus: Lock-nah, M eelas Leibwächter. Und wie der unglückliche Zufall es so wollte, konnte Locknah durch das offene Fenster in die Bibliothek sehen, in der Alex O'Connell mit einem kleinen, aber schwer en Gegenstand hantierte. Es war ein höchst wertvoller Gegenstand: das verzierte Kästchen, in dem sich das Armband des Königs der Skorp ione befand. Der Junge schwankte unter dem überraschend schweren Gewicht des Kästchens; seine Eltern hatten ihm erlaubt, das Kästchen hereinzutragen, das, obwohl es nicht sehr groß war, in keinen Koffer passte. »Uff!«, stieß der Jun ge atemlos hervor und machte eine Pause. Er trug kurze blaue Hosen und die dazu passende Jacke. »Dieses gottverdammte Ding wiegt ja eine Tonne!« »Alex! Achte auf d eine Ausdrucksweise!«, schalt in seine M utter von oben.
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»Also, ich muss sagen, das ist ja erstaunlich schwer«, sagte er bemüht vornehm. Alex stellte das schwere Kästchen etwas unsanfter ab als beabsichtigt; dadurch löste er einen M echanismus aus, denn er hörte im Inneren ein lautes Klicken. Er schaute zur Galerie hinauf, wo sein e Eltern in ein angeregtes Gespräch vertieft waren; daraufhin suchte er in seiner Tasche nach einem bestimmten Schlüssel. Ein letzter Blick, ob seine Eltern auch wirklich abgelenkt waren, dann kniete sich der Junge hin und steckte den Schlüssel ins Schloss. Oben auf der Galer ie stand O'Connell dicht vor seiner schönen Frau. Er strich ihr eine Haarlo cke aus dem Gesicht und sagte: »Evy, den ersten dieser seltsamen Träume hattest du doch vor genau sechs Wochen, richtig?« Verblüfft antwortete sie: »Hm, ja. Vermutlich ja. Hier.« Sie drückte ihm ein en Stapel Bücher in die Arme und gin g weiter die Regale entlan g. O'Connell holte sie ein und versperrte ihr den Weg. »Sechs Wo chen, das fällt zufällig mit dem ägyptischen Jahreswechsel zusammen.« Beeindruckt meinte sie: »Ich wusste doch, dass du Recherchen angestellt hast ...« »Das Neue Jahr n ach ägy ptischer Zeitrechnung, Schätzchen, auch bekannt als das Jahr des Skorp ions.« Jetzt wurde ihr Gesichtsausdruck nachdenklich und zeigte sogar ein en Anflug von Besorgnis. »Ja ... das Jahr des Skorpions. Stimmt.« Sanft hob er mit dem Zeigefinger ihr Gesicht zu sich empor und schaute sie an. »Ev, ich bitte dich, lass uns zur Abwechslung mal etwas vorsichtiger sein.« Sie brachte ein kleines Läch eln zustande. »Wir waren noch n ie vorsichtig.« Unbemerkt hatte Alex das Kästchen geöffnet und herausge-
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funden, woher das Klicken gekommen war: Das goldene Armband mit dem Skorp ionsy mbol hatte sich geöffnet. Fasziniert starrte er auf den Gegenstand, der ihm im Schein des Lichts regelrecht zuzwinkerte. Sollte er ...? Vorsichtshalber schaute er zu sein en Eltern hinauf, die jedoch nicht auf ihn achteten. »Ich gebe ja zu, dass wir nicht immer vorsichtig waren«, sagte O'Connell zu seiner Frau, »aber du hast auch noch nie zuvor antike Prinzessinnen heraufbeschworen. Diese, d iese Halluzinationen ...« »Vielen Dank. Ich ziehe es vor, sie als Visionen zu bezeichnen.« »Wie immer du sie auch nennen willst, in diesem Temp el waren wir so dicht davor ...« Er maß mit Daumen und Zeigefin ger ein p aar Zentimeter ab. »...die Farm zu kaufen.« Verwirrt runzelte sie die Stirn » Warum sollten wir eine Farm kaufen, wenn wir dieses Haus haben ? Und außerdem ist vom Vermögen meiner Eltern nicht genu g übrig, um überhaupt etwas zu kaufen ...« »Ev, das ist doch nur eine Redewendung«, sagte er ein wenig ungeh alten. »Die Farm k aufen heißt sterben.« »Na ja«, entgegnete sie gereizt, »mir ist es lieber zu sterben als eine Farm zu kaufen.« So wie Alex n icht auf das Gesp räch seiner Eltern achtete, so schenkten sie ih m eb enfalls keine Beachtung. Alex, dessen Augen vor Ver gnü gen funkelten, wie das nur bei Kindern der Fall sein kann, krempelte seinen Ärmel hoch und legte sein Handgelenk behutsam in d as offene Armband ... das sofort zuschnappte wie ein beißendes Krokodil. Alex unterdrückte einen Überr aschungs laut und sprang entsetzt zurück. Er starrte auf das schwere, gold ene Armb and, das sich praktisch wie von selbst um sein Handgelenk geschlossen hatte.
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Währenddessen legte O'Connell den Stapel Bücher auf einem Stuhl ab, nahm seine Frau in die Arme und genoss es, ihren weichen Körp er an sich zu sp üren. »Du weißt doch«, sagte er leise und aufrichtig, »ich würde lieber sterben als zuzulassen, dass dir wieder etwas Schreckliches p assiert...« Sie strich ihm die Haare aus der Stirn und strahlte ihn an. »O Liebster, du weißt, dass ich genauso fühle.« »Du und Alex, ihr seid das Wichtigste für mich auf der Welt.« Sie schmiegten sich en g aneinander. Unterdessen durchlebte der ihnen so teure Sohn eine ähnliche Vision wie seine M utter im Tempel des Imhotep ... ein schwebendes dreidimensiona les Schaub ild der Gizeh-Eb ene drei Pyramiden, eine Sphinx, alle im makellosen Zustand wie eine frisch gedruckte Münze. Als er die Hand ausstreckte, um die geometrischen Figuren zu b erühren, entfernte sich das Bild von ihm - oder war es Alex, der davon schwebte? Er durchleb te das unglaubliche Gefühl, den Nil entlang zu rasen, als säße er in einem Autogiro. Er fegte durch die Wüste und hielt am Tempel von Karnak an. Es war ungefähr das Jahr 2000 v. Chr. (Alex wusste, dass es dieses Datum war, obwohl er nicht hätte sagen können, warum ...) Die Vision schien sich in nichts aufzulösen und ließ den Jungen leicht benommen zurück; er starrte auf das schwere goldene Armband, das sein Hand gelenk umschloss. Alex schüttelte den Kop f, als wolle er so seine Gedanken zurechtrütteln, und zerrte dann verzweifelt an dem Armband, um das verdammte Din g zu entfernen. Aber es hatte keinen Haken oder Verschluss - fast war es so, als sei das Armband mit seinem Handgelenk verbunden. Seine Eltern küssten sich - es war ein langer und zärtlicher Kuss, und als Evy sich schließlich von ihm löste, ohne ihn
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jedoch loszulassen, sagte sie: »Ich mag es nicht, wenn du das tust.« O'Connell blickte sie fragend an: »Was?« »Wenn du d as tust, habe ich immer das Gefühl, als würde ich dir in allem zustimmen.« O'Connell grinste sie an. »Auch dem Vorschlag, nichts zu tun? Für eine Weile mal nicht zu forschen und auszugraben?« »Nun ... die Bembrid ge Wissenschaftler drängen mich schon lange, den ägyptischen Flügel des Britischen M useums zu übernehmen. Dadurch wär en wir häufiger zu Hause und ich könnte eine gute M utter und moderne Frau sein.« »Das klingt gut ... wie war das noch gleich? Du wolltest mir doch in allem zustimmen ...?« Sie lachte und schmiegte sich noch enger an ihn. In diesem Augenblick fiel O'Connell der rosafarbene Büstenhalter auf, der an ein em Kronleu chter hing. »Das ist wohl kaum einer von dein en, oder?«, fr agte er sie. »Nein.« M it einem Seufzer ließ O'Connell seine Frau los und sagte: »Ich glaube, wir haben unseren Haushüter ver gessen.« »Ach ja«, sagte sie und starrte auf den herunterbaumelnden Büstenhalter. »Bruder Jonathan - das sieht ganz nach ihm aus.« »Ich sage ihm lieber Bescheid, dass wir wieder zu Hause sind«, knurrte O'Connell, »und rate ihm, sämtliche ... Besucher wegzuschicken.« Evy lachte und meinte: »Zum Glück hängt nur Wäsche vom Kronleuchter und nicht Jonathan selbst.« O'Connell beugte sich über das Geländer und schaute auf Alex hinunter, der neben dem kleinen goldenen Kästchen saß, dessen Inhalt Evy so unternehmungslustig machte. »Alex! Glaubst du, dass du dich ein p aar M inuten benehmen kannst?« »Klar!«, erwiderte der Jun ge und zog d en Ärmel über das
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Armband. Er betete, dass sein Vater nichts bemerkt hatte, was zum Glück der Fall war. O'Connell verschwand in einem Korridor und Ev ely n gin g d ie Treppe hinunter, da es an der Zeit war, mal n ach ihr em kostbaren Sohn zu sehen. Alex hörte die Schr itte, schloss rasch das Kästchen, hob es hoch und stellte fest, dass es ohne das Armband leicht wie eine Feder war. Rasch nahm er eine schwere Vase vom nahe gelegenen Tisch, stop fte sie in das mit Samt aus gelegte Kästchen und schlug den Deckel wieder zu. Genau in dem Augenblick bo g seine M utter um den Bücherschrank. Sie fuhr ihm durchs Haar und fragte: » Schön, wieder zu Hause zu sein, nicht wahr?« »Es ist himmlisch«, sagte der Jun ge und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. »Würdest du das für mich auf mach en?« bat sie ihn und zeigte mit dem Kopf auf das Kästchen. »Was aufmachen?« »Das Kästchen.« »Warum?« Seine M utter seufzte - offensichtlich bewies sie bei dieser Diskussion nicht viel Geduld. »Weil ich seinen Inhalt, nämlich das goldene Armband, in unseren Wandsafe tun möchte. Es ist von unschätzbarem Wert.« »Das würde ich ja tun, wenn ich den Schlüssel finden könnte.« »Du hast den Schlüssel verloren? Alex, wenn du den Schlüssel tatsächlich ver loren hast, kannst du dich von deinem Taschengeld verabschieden ...« »Ich habe ihn n icht verloren! I ch kann ihn nur n icht finden.« Er versuchte sein süßestes Lächeln. »Das ist etwas ganz anderes.« Ungewollt musste seine M utter lachen.
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»Nun, ich habe auch schon das ein e oder andere verlegt. Na gut, dann fang an zu suchen.« »Das mache ich, M um. Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen, also wirklich, ich bin ...« Er reckte die Arme und täuschte ein Gähnen vor, nahm die Hände jedoch rasch wieder herunter, als er bemerkte, dass er beinahe das goldene Armband an seinem Handgelenk entblößt hätte. »... bin ziemlich müde. Könnte ich n icht ins Bett gehen?« »Alex O'Connell fragt, ob er früh ins Bett gehen darf? Das ist ja ganz was Neues. Na gut. Die Sache kann ja auch bis morgen warten.« Als wolle sie dem widersprechen, ertönte am Eingan g zur Bibliothek eine tiefe Stimme: »I ch übernehme das Kästchen jetzt!« M utter und Sohn richteten gleichzeitig den Blick auf die große Gestalt mit dem rotem Turban, die mit riesigen Schritten auf sie zukam. Es war ein ausgesprochen gut aussehender Araber in ein em dunklen Umhang und einem weißen lockeren Anzug; letzeres Wüstengewand er innerte Alex stets an einen Py jama. »Bleiben Sie, wo Sie sind!«, befahl Evy. Der Araber gin g weiter. Seine Hand zog unter sein em Gewand ein Schwert hervor, das bedrohlich aufblitzte. »Geben Sie mir das Kästchen!« »Wer sind Sie?« Alex' M utter trat vor und stellte sich schützend vor ihren Sohn. Sie schob ener gisch ihr Kinn nach vorn, und ihr e Stimme verriet keine Furcht. »Ich verlange zu erfahren, was Sie in meinem Haus zu suchen haben!« Der Araber hatte sie fast erreicht. »Geben Sie mir das Kästchen!«
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An der Wand direkt hinter ihnen hing ein großes römisches Schwert; Evy nahm es mit einer f linken Bewegung herunter und stellte sich in Kampfp osition. »Hua!«, entfuhr es Alex. »Verschwinden Sie aus meinem Haus«, sagte seine M utter geb ieterisch zu dem Araber, der sicherheitshalber stehen geb lieben war. »M um...« Alex zup fte sie am Ärmel. »Das ist nicht unbedin gt eine deiner besten Ideen ...« »Pst«, entgegnete sie und wandte sich an den Araber: »Gehen Sie jetzt, bevor mein Ehemann Sie entdeckt ... und Sie tötet.« In dem M oment platzten drei weitere Wüstenkrieger mit Schwertern in den Händ en in die Bibliothek. Alex schluckte schwer und zog am Kleid seiner M utter. »Ich glaube, es wäre an der Zeit, nach Dad zu rufen ...« »Gehen Sie zur Seite«, bef ahl der Arab er, »dann nehme ich das Kästchen und lasse Sie und Ihr en Sohn am Leben.« »Nein«, erwiderte sie. Der Araber zuckte mir den Achseln. »Dann werde ich Sie jetzt beide töten und das Kästchen trotzdem mitnehmen.« »Das glaube ich kaum«, rief eine tiefe, rauchige Stimme. Alex schaute hinter seiner M utter hervor, die auch wissen wollte, wo diese Worte herkamen, und erblickte einen erhabenen, bärtigen Wüstenkrieger in einem dunklen Gewand und mit tief gebräunten, kantigen Zügen. Seine Wangen waren mit seltsamen puzzleähnlichen Tätowierungen bedeckt. Keiner wusste, wo er her geko mmen war, und es schien, als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht. »M ed-jai!«, rief einer der Turbanträger, während der Anführer wie erstarrt und schweigend den Neuankömmling musterte. »Sieh einer an«, sagte Evely n fast beiläufig zu diesem neuen M itsp ieler und hielt das Schwert so gleichgültig in die Höhe,
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als wäre es eine Taschenlamp e. »Rick würde jetzt sagen: >Lange nicht geseh en<. Was führt Sie hierher?« Ohne die Eindr inglinge aus den Augen zu verlieren, ver beugte er sich und sage: »Vielleicht sollten wir uns die Erklärungen besser für sp äter aufbewahren.« Der turbantragende Anführer machte vorsichtig einen Schritt nach vorne. Alex h atte den Eindruck, als starre er den dunk el gek leid eten Krieger hasserfüllt und gleichsam respektvoll an. Er deutete eine Verbeu gun g an und sagte: »Ardeth Bay .« Ardeth Bay nickte freundlich lächelnd und erwiderte: »Locknah.« Dann zog er rasch ein Schwert unter seinem Gewand hervor. Die Reaktion ließ n icht lan ge auf sich warten, und Lock-nah und seine drei Krieger stürmten, ihre Schwerter schwingend, vor. Ardeth Bay machte einen Satz nach vorne und parierte Locknahs Schläge und die eines zweiten Kriegers. Die Klin gen trafen klirrend aufeinander und hallten in der großen Halle wider. Währenddessen umklammerte Alex das wertvolle Kästchen und zog sich in eine Ecke zurück. Von dort aus beobachtete er mit sp rachlosem Stolz, wie seine M utter, das römische Schwert in der Hand, furchtlos vortrat und mit großem Selbstvertrauen d ie Schläge der ander en Araber wie ein weiblicher Zorro abwehrte. »M um! Wo hast du gelernt, so zu kämpfen?« »Ich ...« Sie wehrte einen Schlag ab und stöhnte auf, denn es kostete sie viel Kraft, mit dem schweren Schwert zu hantieren. »Ich habe keinen blassen Schimmer.« Ihr nächster Hieb schlug dem einen Krieger das Schwert aus der Hand, doch der andere dr ängte bereits nach. Seine überlegene Stärke zwang sie schließlich, zurückzuweichen. Er gab ihr einen heftigen Stoß, und sie prallte gegen die Bücherwand; vor Angst und Schmerz schrie sie auf.
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»M um!« Statt sie zu töten, beugte sich der Krieger vor und lachte ihr hämisch ins Gesicht; dabei enthüllte er gelbe, verfau lte Zähne. Alex sah, wie seine M utter das Gesicht verzog, was ihn nicht weiter erstaunte. Überrascht beobachtete er jedoch, wie sie ihr Knie dem Krieger zwischen die Beine stieß, so dass er, ebenfalls überrascht, vor Schmerzen aufschrie und sich zusammenkrümmte. Dann rammte sie ihm ihr Knie ins Gesicht und er richtete sich stöhnend auf wie ein h ässliches Schachtelmännchen. Zum Abschluss verpasste ihm Alex' M utter einen rechten Haken, worauf er bewusstlos zu Boden gin g. »Das«, sagte sie schwer atmend, »habe ich von deinem Vater gelernt.« Der andere Krieger hatte sich sein Schwert zurückgeholt und bedrängte sie erneut, wogegen sie sich mutig und gewandt zur Wehr setzte. Alex hatte schon immer gewusst, dass er eine bemerkenswerte M utter besaß - aber so bemerkenswert? Alex klebte in seiner Ecke, umklammerte das Kästchen und sah zu, wie die Kämp fenden die Bibliothek auf den Kopf stellten und viele der unersetzbaren Artefakte zerstörten. Als einer der Krieger b edrohlich auf ihn zukam, sauste Alex davon und stieß dabei gegen ein freistehendes Bücherregal, das daraufhin umkip pte und den Krieger unter sich begrub. Der Junge fragte sich, wo sein Vater bei all dem Lärm blieb? Das Haus war zwar sehr weitläufig, aber diesen ganzen Krach musste er doch hören ... Plötzlich war der andere Krieger über Alex, griff mit einer Hand hastig nach dem Kästchen und schwang mit der anderen Hand bedrohlich sein Schwert. Vielleicht brachte es der Krieger nicht fertig, ihn zu töten, da Alex noch ein kleiner Junge war, und so rangen der M ann und der Junge eine Weile um das Kästchen; schließlich gewann der Krieger und entriss dem Jungen d as Kästchen. Er grinste triump hierend, bevor ihn
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Ardeth Bay mit dem Schwert durchbohrte. Der sterbende Krieger ließ erst das Kästchen fallen und stürzte dann ebenfalls zu Boden. Alex wollte es sich wieder holen, aber zwischen ihm und dem Gegenstand wurde gek ämp ft, und er fürchtete sich. Er war erst acht Jahre alt, und da war es erlaubt, sich zu fürchten. M itten im Kampf mit Lock-nah schrie Ardeth Bay: »Mrs. O'Connell! Was ist in diesem Kästchen?« Alex sah, wie seine M utter einen großen Glasbehälter mit wertvollen Artefakten auf d em Kop f eines der Krieger zerschlug; dab ei ging das Glas und das meiste des Inhalts zu Bruch. Seine M utter war ganz außer Atem. »Das ... das Armband des Anubis'!« Der dunkel gekleidete Krieger war offensichtlich entsetzt. »Sie haben es?« Da sie gerade Atem holte, nickte sie nur. »Nehmen Sie es sich!«, schr ie Ardeth Bay. »Nehmen Sie es an sich und verschwinden Sie damit!« »Aber ...« »Jetzt! Die hier dürfen es auf keinen Fall b ekommen!« Alex sah, wie seine M utter das Schwert fallen ließ und das Kästchen aufhob. In diesem Augenblick trat ein Fleischberg mit rotem Turban und dunklem Gewand aus dem Schatten und packte sich Alex' M utter. Weder ihr verbaler noch körperlicher Protest konnten verhindern, dass er sie wegtrug. »Sie haben M um!« Abgelenkt wandte sich Ardeth Bay um; Lock-nah nutzte diese Unaufmerksamk eit und brachte ihm eine klaffende Wunde am linken Unterarm bei. Ardeth Bay taumelte zurück und landete in einer Vitrine. Lock-nah wirbelte herum und entdeckte Alex, der an der Wand kauerte. Er schleud erte das Schwert qu er durch den
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Raum, aber Alex sprang in letzter Sekunde zur Seite, bevor die Klinge, nur zwei Zoll vom Kopf des Jungen entfernt, in der Wand stecken blieb. Schwer atmend schloss Alex die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren die Krieger und seine M utter verschwunden.
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Kapitel 5. Eine Party in Jonathans Zimmer
Der schlaksige, gut aussehende jungenh afte M ann in den Vierzigern lag auf dem Baldachinb ett in einem elegant eingerichteten Gästezimmer des O'Connell Hauses. Sein Smokin g war leicht zerknittert und er hielt eine hübsche junge Blondin e im Arm. Sie trug ein kurzes, eng sitzendes Glamourkleid, das die üpp ige Figur des Showgirls unterstrich. In der freien Hand hielt er ein unbezahlbar es, ägy ptisches Relikt, ein goldenes Zepter, mit dem er gegen einen unsichtbaren Feind kämpfte - Jonathan Carnahan, der nur äußerst ungern hörte, dass er den Ruf h atte, Evelyn O'Connells fauler und parasitärer Bruder zu sein, so zutreffend diese Bezeichnung auch sein mochte. »Und so«, gab Jonathan leicht lallend zum Besten, »habe ich die M umie und all ihre Anhänger getötet ... und dieses goldene Zepter gelangte in meinen Besitz!« Die Blondine kuschelte sich an ihn und gurrte: »O Jonathan, du bist wunderbar!« M ehr konnte sie zu einem Gespräch nicht beitragen, aber das störte Jonathan nicht weiter, da er Anita Loos Noel Coward vorzog. Angespornt sprang Jonathan vom Bett und kämpfte weiter mit unsichtbaren Feinden. »Du hättest sie sehen sollen, Süß e - mumifizierte Soldaten! Eine Armee von Untoten! Ein schwächerer M ann wäre ohnmächtig geworden, statt sich mächtig ins Zeug zu legen. Haha. Verstehst du ... ohnmächtig ... mächtig ...« Sie schaute ihn verständnislos an. Er nahm den Kamp f wieder auf. »Diese Wesen waren nicht
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von dieser Welt. Sie konnten an d er Zimmerdecke entlang laufen.« Entsetzt riss sie die Augen auf, und vor Angst blieb ihr der M und offen stehen. Jonathan lächelte selbstzufrieden, denn seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, versetzte das Showgirl stets in Angst, die sich allerdings kurieren ließ, sobald er sie wied er in seine Arme nahm. Doch zeigte sie jetzt auf etwas, das sich hinter seinem Rücken befand. Er schaute hinter sich und sah drei Wüstenkrieger mit roten Turbanen, dunklen Umhängen und fließenden Gewändern. Bis auf einen hatten alle einen Bart, waren groß und beeindruck end, und schien en sehr unangen ehme Typen zu sein. Hinter ihnen betrat ein kleiner, dunkelhäutiger M ann mit scharfkantigen Gesichtszügen den Raum. Er trug einen roten Fes und einen beigefarbenen Anzug. Seine Au gen waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen, und im gedämp ften Licht des Sch lafzimmers funkelten sie wie polierter Obsidian. Jonathan wandte sich ihnen zu und brachte ein gewinnendes Lächeln zustande. »M eine Herren, ich bitte um Verzeihung. M eine Freundin und ich haben einen langen, anstrengenden Abend hinter uns, wir haben wohl etwas zu viel getrunken und sind darüber offensichtlich in das falsche Haus geraten. Diese Herrenhäuser sind ja so leicht zu verwechseln ...« Die Blondine hatte sich auf gerichtet und saß nun auf der Bettkante. »Das ist nicht dein Haus? Du hast doch gesagt, dass es dir gehört!« Jonathan warf ihr einen Blick zu und flüsterte verärgert: »Ich habe mich geirrt.« »Ergr eift ihn«, sagte der kleine, dunkelhäutige M ann. »Ja, Kurator«, erwiderte einer der Turbanträger. Zwei der rauen Gesellen überwältigten Jonathan und p ackten ihn an d en Armen. Der Dritte drängte das Showgirl zu einem
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Wandschrank und stieß sie grob hinein - wie ein Bündel schmutziger Wäsche. Dann schlu g er die Tür zu, und ihr empörter Aufschrei ging fast in dem Knall unter. Der Kerl mit dem roten Fes - augenscheinlich der Anführer der finsteren Bande, der Kurator - gin g hinüber und sprach in Richtung Tür: »Junge Dame, verhalten Sie sich ruhig, dann werden Sie vielleicht überleb en.« »Das ist wohl etwas sehr schroff, finden Sie nicht?« Der Kurator kam zu Jonathan und schlug ihm hart ins Gesicht. Jonathan blinzelte ein, zwei Tränen weg und meinte nur: »Sie sind nicht zufällig ein Ehemann? Von Sheila oder Cynthia oder Priscilla ...?« »Ich bin ledig«, sagte der Kurator. »Kaum vorzustellen, dass ein so flotter Kerl wie Sie immer noch alleinstehend ist ... wenn Sie für Jimmy arbeiten, richten Sie ihm bitte aus, dass ich ihn am Dienstag b ezahlen kann.« »Ich kenne niemanden namens Jimmy.« »Nicht ihr Verein, wie?« Jonathan strich sich übers Kinn. »Na, dann bin ich leider mit meinem Latein am Ende. Ich habe mich in letzer Zeit eigentlich erschreckend gut benommen.« Der Kurator gab seinen M ännern ein Zeichen. Sie zerrten ihn grob zu einem Sessel herüber und zwangen ihn, auf höchst unwürdige Weise, darin Platz zu nehmen. Der Kurator stellte sich vor Jonathin hin und faltete die Hände über dem Bauch. »Wir wollen über das Armband des Anubis reden.« Jonathan zuckte mit den Achseln. »Gern.« »Wir suchen danach.« »Wonach?« »Nach dem Armband des Anubis.« »Na, fantastisch! Das klingt ja nach einem tollen Stück für eine Sammlung.«
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Die funkelnden Au gen verengten sich. »Wo ist es?« »Woher soll ich das wissen?« Jonathan zuckte erneut mit den Schultern. »Ich habe noch nie davon gehört. Wenn Sie hier danach suchen, bellen Sie den falschen Baum an. I ch habe nicht die leiseste Ahnung, worüber Sie eigentlich r eden.« Der Kurator seufzte. »M r. O'Connell, Sie stellen meine Geduld auf eine harte Probe.« »O'Connell?« Jonathan beugte sich vor. »Warten Sie mal, mein Freund. Sie haben den falschen M ann!« Der Kurator nickte dem Teufel zu Jonathans Rechten zu, und plötzlich spürte dieser die scharfe Spitze einer Klin ge neben seinem Adamsapfel. »Sie sind der weiße M ann, der in diesem Haus wohnt, nicht wahr?«, fragte der Kurator fast höflich. »Oder sind Sie nur ein Hindernis in unserem Weg, das beseitigt werden muss?« Die Klinge des M essers drückte gegen seine Haut, woraufhin Jonathan strahlte und sagte: »Oh, das Armband des Anubis! Wie dumm von mir. Leider habe ich es beim Glücksspiel verloren. Haben Sie schon mal Poker gespielt?« »Um Ihretwillen «, entgegn ete der Kurator, »hoffe ich, dass das nur eine Lü ge ist und die Wahrheit rasch ans Tageslicht kommt ...« »Ich kann Ihnen die Adresse des Kumpels geben, an den ich es verloren habe. Sie können dann mit ihm verh andeln, auf Ihre eigene, unnachah mliche Weise.« Jonathan hielt immer noch das golden e Zepter in einer Hand und gestikulierte mit dem unbezahlbaren Relikt. »Wer könnte Ihnen schon etwas abschlagen?« Der Kurator, dem das Zepter jetzt erst richtig auffiel, riss
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ungläubig die Augen auf und sagte in gedämpften Ton: »Das kann nicht wahr sein!« Der kleine M ann riss Jonathan den Gegenstand aus den Händen und betrachtete ihn mit den Augen eines Experten, als eine große, atemberaubend schöne Frau in das Schlafzimmer trat und die Tür hinter sich schloss. Sie hatte lan ges schwarzes Haar, das sie im Cleopatra-Stil trug. Ihre sch lanke, kurvenr eiche Figur steckte in einem schwarzen Kleid. Hals und Hand gelenke waren mit Gold und Diamanten behangen, die auf ihrer seidenweichen Haut glitzerten. Sie war passend zu einem formellen Anlass gek leid et, aber nicht zu dieser Entführungs gesch ichte. In einer Hand tru g sie ein verziertes Holzkästchen, das nicht größer als eine Zigarr enkiste war. Es war vielleicht kein Relikt, sah aber dennoch ägyptisch aus. Noch mehr Juwelen? Selbst mit einem M esser an seiner Kehle konnte Jonathan nicht umhin, die geschmeidigen Bewegungen dieser eleganten, sinnlichen Frau zu bewundern, die auf ihn zukam. »M eela«, grüßte sie d er Kurator respektvoll und geradezu ehrfürchtig. Sein Nicken kam fast einer Verbeugung gleich, und er trat zur Seite, damit sie sich vor Jonathan hinstellen konnte. M it einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken befahl sie dem Krieger, das bedrohliche M esser von Jonathans Kehle zu nehmen. »Hallo«, sagte sie mit samtiger und leiser Stimme. Das Holzkästchen immer noch in ihrer linken Hand, strich die Frau Jonathan mit ihrer freien Hand zärtlich und verführerisch über die Wan ge ... »Na, hallo«, sagte Jonathan und rutschte unruhig in sein em Sessel hin und her. Die Art der Frau, zu verhören und zu foltern, war ihm weitaus angeneh mer als die des Kurators. »Wo ist Ihre Frau?« »M eine Liebe, ich versich ere Ihnen, ich bin ledig.«
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Sie läch elte boshaft. »M r. O'Connell, falls wir ein e Beziehun g miteinander haben sollten, müssen wir ehrlich zueinander sein. Glauben Sie wirklich, dass die Tatsache Ihres Ehestands mich davon abbrin gen würde, einen so char manten M ann wie Sie kennen zu lernen?« »Ach, Sie meinen Evely n. Sie ist nach Baden-Baden gefahren.« »Das glaube ich n icht.« »Sie haben Recht. Ich glaube, es war Tibet. Das M ädchen hat schon immer gemacht, was sie wollte. Habe ich schon erwähnt, dass wir eine moderne Vereinbarun g haben, eine offene Ehe führen?« Immer noch lächelnd schüttelte M eela den Kopf und schnalzte tadelnd mit der Zun ge. Sie stellte das Holzkästchen auf einen nahe stehenden Tisch. Jonathan bemerkte, dass in den Deckel des Kästchens eine zusammengerollte Schlange geschnitzt war - ein unan genehmer Anblick. Es hätte ihn daher nicht überr aschen dürfen, als M eela das Kästchen öffnete und mit einer raschen Bewegung eine Natter hervorholte, die sie am Nacken gepackt hielt. Jonathan wich zurück. Wie er zu Recht vermutete, war sie von der giftigen Sorte. Plötzlich sehnte Jonathan sich nach den Aufmerksamkeiten des Kurators zurück. »Ägyptische Nattern sind die giftigsten der Welt«, sagte sie melodisch. »Aber auch die barmherzigsten.« »Ach, wirklich?« »Ja. Nach nur drei oder vier M inuten höllischer Schmerzen tritt bereits gnädig der Tod ein.« Sie trat näher an ihn heran. Die Natter zischte zornig unter ihrem Griff, anscheinend behagte es ihr gar nicht, dass sie ihren behaglichen Ruhep latz hatte verlassen müssen. »Wenn ich es recht bedenke«, sagte Jonathan, und Schweiß
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rann ihm übers Gesicht, »war es doch etwas Anderes, das ich beim Pokern verloren habe. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass sich das Armband hier im Haus befind et.« »Wo ist es?« zischte M eela; die Schlange zischte auch, sagte aber nichts. »In der Bibliothek gibt es einen Tresor, die Kombination lautet 3-20-58-3-9-3-4-5. Soll ich es noch einmal wiederholen? M öchten Sie sie gerne aufschreiben?« »Die Kombination lautet 3-20-58-3-9-3-4-5«, sagte M eela. »Wie Sie seh en, M r. O'Connell, habe ich ein gutes Gedächtnis.« »Na, das trifft sich ja prima. Ich habe nämlich auch ein gutes Gedächtnis, allerdings mehr p ornograf ischer Art. Und damit wäre unser Handel doch p erfekt.« M eela nickte. »Richtig.« Sie beugte sich vor, hielt den zischenden Kop f der Natter an Jonathans Kehle, fast genau an die Stelle, an der er zuvor mit dem M esser bedroht worden war. Jonathan bäumte sich auf, doch einer der Krieger drückte ihn zurück in den Sessel. »Also, jetzt muss ich aber wirklich p rotestieren. Habe ich Ihnen nicht gesagt, was Sie wissen wollten? So warten Sie doch.« M eela hielt inne und schaute ihn neugier ig an. »Was wollen Sie denn noch?« Die Natter rollte sich zusammen und Jonathan entspannte sich. »Was ich noch will? Ich habe Ihnen d iese Information gegeben, damit Sie mich nicht töten!« »Wann haben wir das denn vereinbart?« »Das ist ja wohl kaum fair ...« »M r. O'Connell«, sagte sie mit leisem Tadel in der Stimme, »in Zukunft, das heisst in Ihrem nächsten Leben, sollten Sie
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das vorher bedenken.« M eela drückte den Nacken der Natter, und der Kiefer des Tieres klap pte auf; lange, scharfe Giftzähne wurden sichtbar. Jonathan tat, was jeder andere Engländer mit Selbstachtung in dieser Situation getan hätte. Er schrie Zeter und M ordio. M eela wich für einen M oment zurück. Das war sein Glück, denn in diesem Augenblick flo g - begleitet von einem lauten Krachen - die Schlafzimmertür auf. M it wehendem Haar wirbelte M eela herum, ohne die Natter loszulassen, die immer noch bereit war, zuzubeißen. Zum Glück befand sie sich nicht mehr in Reichweite von Jonathans Hals. »Jonathan«, sagte Rick O'Connell und musterte wachsam die Eindringlinge, »habe ich dir nicht verboten, während unserer Abwesenheit Party s zu feiern?« »Es wird nicht mehr vorkommen«, antwortete Jonathan und grinste erleichtert. Evelyns Ehemann tat etwas Bemerkenswertes. Er gähnte. Jonathan wusste, dass niemand den früheren Fremd enlegionär bezwingen konnte, doch schien sein Schwager in diesem M oment nicht in der richtigen Verfassung für ein en Kampf. »Na gut, Herrschaften«, sagte O'Connell und hob beschwichtigend die Hände, »da ich Jonathan sehr gut kenne, bin ich mir ziemlich sicher, dass er es verdient, was Sie gerade mit ihm vorhaben.« »Also wirklich!«, r ief Jonathan empört und setzte sich in seinem Sessel auf. »Was soll das denn heißen?« Seufzend machte O'Connell langsam einen Schritt nach vorne und erklärte: »Sie befinden sich in meinem Haus, und hier gelten bestimmte Regeln. Erstens, keine Schlangen. Zweitens, Abschlagen von Gliedmaßen oder Köpfen muss mit der Geschäftsleitung ab gestimmt werden.« M eela verzog ihren M und zu einem hässlichen Grinsen und schleuderte unvermittelt die Natter in O'Connells Richtung. Er
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fing das Tier d irekt im Flug ab, und es gelang ihm so gar, die Natter direkt hinter dem Kop f zu packen. »Hey, toller Trick!«, lobte Jonathan seinen Schwager. O'Connell schaute die Schlange an, und die Schlange erwiderte seinen Blick. »Hübsche Natter«, sagte er zu der Frau. Ihre schönen Augen blitzten vor Wut, und sie schrie: »Tötet ihn!« Der Krieger zu Jonathans Linken zog eine Pistole aus seiner Schärpe und zielte auf O'Connell, der blitzschnell reagierte und die Natter in die Richtung des M annes schleuderte, an dessen Hals sie es sich augenblicklich bequem machte. Der Krieger schrie auf und versuchte, sie sich vo m Hals zu reißen. Sie reagierte nicht sehr freundlich und senkte ihre Giftzähne in die bärtige Wange des Kerls. Wieder entfuhr ihm ein Schrei, diesmal aber lauter. Dies lenkte den anderen ab - der, der Jonathan das M esser an die Kehle gehalten hatte, und Jonathan nutzte die Unaufmerksamkeit und entriss dem Kurator das goldene Zep ter, denn auch dieser verfolgte gebannt das sich b ietende Schauspiel. Jonathan kippte den Stuhl nach hinten, ließ sich auf den Boden fallen und brachte sich damit aus der Gefahrenzone. In der Zwischenzeit warf der Krieger mit dem M esser seine Waffe nach O'Connell, d er erneut sein Geschick bewies, das M esser abfing und es zurückschleuderte, als würden sie ein tödliche Version von Werf en und Fan gen spielen. Der Krieger zog es vor auszuscheiden und duckte sich, als die Klinge auf ihn zukam. Sie traf stattdessen seinen Kameraden in die Brust, der genau vor Jonathan tot zusammenbrach. Dieser kletterte über den leblosen Körper, um O'Connell zur Hilfe zu kommen, und setzte das Zepter als Knüppel ein. Doch bevor er richtig in die Gänge kam, sp ürte Jonathan, dass ihn etwas am Fußgelenk fest hielt. Er schaute nach unten und sah den Kurator, der nach dem wertvollen Zepter gierte und versuchte,
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es Jonathan aus der Hand zu reißen. Wenn der verdammte Idiot partout das Zepter haben wollte, dachte Jonathan, sollte er es kriegen. Jonathan wirbelte herum, brachte es außer Reichweite der gierigen Hände des Kurators, streckte das Relikt hoch in die Luft, holte aus und zog damit dem Kurator kräftig eins über den Schädel. Dieser schrie auf, und Jonathan kroch auf allen vieren weiter. Dabei entdeckte er, dass die Tür zum Badezimmer offen stand, das an das Schlafzimmer grenzte. Er entschied, dass es mutiger sei, sich dort einzuschließen und durch das Fenster die Flucht nach draußen anzutreten ... M eela erkannte jedo ch Jonathans Plan. Offensichtlich war d ie Natter nicht die einzige Schlange im Raum, denn die Frau schrie erneut: »Tötet ihn!« Kaum war dieser Befehl ausgesprochen, traf Verstärkung in Gestalt eines Kriegers ein, der als einzige Waffe eine M aschinenpistole in den Händen hielt, so als käme er direkt aus Al Cap ones Chicago. Jonathan, der das Bad fast erreicht hatte, rief: »Hier entlan g, Richard!« Als der Ganove mit der M aschinenpistole loslegte, hechtete O'Connell zu Jonathan hinüber. Gewehrsalven zerlegten derweil das Schlafzimmer, wobei auch ein Heizkörper durchlöchert wurde, aus dem sofort Damp f entwich. Die Schwaden versperrten den M ännern die Sicht, und Ausrufe in arabischer Sprache machten das Chaos p erfekt. In der allgemeinen Verwirrun g und unter dem Schutz der Dampfschwaden rollte O'Connell direkt hinter Jonathan ins Badezimmer und schlug die Tür zu. Sofort wurde das Feuer auf die Tür eröffnet und ließ das Holz zersp littern. Keine Sekunde zu früh sprangen Jonathan und O'Connell zur Seite. »Was hat das alles zu bedeuten?«, verlangte O'Connell über
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den ratternden Lärm des M aschinengewehrs hinweg von seinem Schwager zu wissen. »Das hat nichts mit mir zu tun! Sie waren hinter dir her! Ich bin unschuldig!« »Du bist unschuldig, Jonathan?« »Na ja, zumindest nicht schuldig.« Während das M aschinengewehrfeuer die Tür in Zahnstocher zerlegte, entdeckte O'Connell die groß e, zerkratzte Badewanne, in die ein Schaumbad ein gelassen war; daneben stand eine Flasche Champ agner in einem Eiskühler. »Ich habe dir doch gesagt, keine Partys, Jonathan«, schrie O'Connell und wartete darauf, dass der Schütze eine Pause machte, um nachzuladen. Dann zeigte er auf die großen Fenster auf der gegenüb erliegenden Seite des großen Badezimmers. Jonathan verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, aber O'Connell tat seine Ablehnung mit einer knapp en Kop fbewegun g ab. Als die Schüsse für einen Augenblick aufhörten, schrie O'Connell: »Los, jetzt!« Er packte Jonathan am Kragen seines Smok ings, und mit der Aufforderung »Bedeck dein Gesicht« rannten sie durch den Raum, sprangen durch die Glasscheibe und flogen aus dem zweiten Stock hinunter auf den Boden, wo sie in einem Scherbenhaufen auf dem Rasen landeten. »Lebe ich noch?«, fragte Jonathan. Sein Anzug war aufgeschlitzt und eingerissen, aber er entdeckte kein Blut. »Theoretisch ja!« O'Connell stand auf und schüttelte sich die Glassplitter vom Körp er wie ein Hund nach einem unerwünschten Wasserbad. Er riss seinen Schwager auf die Beine, d enn in dem Fenster, das sie so rüde geöffnet hatten, hockte der Araber mit dem M aschinengewehr und ließ Blei auf sie herunterregnen, das Grasnarben und Kies aus der Auffahrt aufwirbelte.
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Die Kugeln verwandelten dicht hinter ihnen Kieselsteine in Staub, während Jonathan und O'Connell um ihr Leben rannten und sich hinter eine Hausecke flüchteten. »Wir müssen zum Haupteingang«, sagte O'Connell. »Ich will in die Bib liothek, um sicher zu gehen, dass Evy und Alex nichts geschehen ist!« Jonathan hatte keine Einwände und folgte seinem Schwager, der mit schnellen Schritten um d as Haus rannte. Als sie um die letzte Ecke bogen, erblickten sie ein e schwarze Limousine, die mit halsbrecher ischer Geschwindigkeit anfuhr, so dass der Kies aufspritzte. Im Seitenfenster der Limousine erkannte er Evy, die sich heftig gegen ihre Entführer wehrte und verzweifelt nach draußen schaute. Einer der M änner hielt ihr mit der Hand den M und zu. »Evy !« schrie O'Connell verzweifelt. »Evy!« O'Connell lief h inter der Limousin e her, doch v er geblich, denn der Wagen mit Evelyn raste bereits in die dunkle, stürmische Nacht hinaus. O'Connell und Jonathan sahen als Letztes einen roten Vorhang, der vor das Fenster gezogen wurde und hinter dem Evelyn aus ihrem Blickfeld verschwand.
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Kapitel 6 Der falsche Kerl
Als wäre die Situation nicht schon schreck lich und dramatisch genug, brach in d iesem M oment am Himmel ein Gewitter los. Es blitzte und donnerte, was das Zeug hielt. Außer sich vor Sorge und furchtbar wütend wandte sich Rick O'Connell an seinen Schwager, als ein Blitzschlag alles um sie herum in gleißendes Licht tauchte. »Wo ist mein verdammtes Auto?«, schrie er und packte Jonathan an der Schulter, als wollte er ihn wie ein unartiges Kind schütteln. »Hinten, bei der Garage«, erwiderte dieser. »Gut.« O'Connell zeigte aufs Haus. »Sieh mal nach, wo Alex steckt ...« Wieder drang Lär m an ihre Ohren, aber diesmal war es kein Donnerschlag, sondern der röhrende M otor eines Wagens, und das gleißende Licht, das sie erfasste, stammte nicht von einem Blitz, sondern von den gr ellen Scheinwerfern einer weiteren Limousine, die um das Haus gefahr en kam und genau auf sie zusteuerte. O'Connell warf sich auf Jonathan und riss ihn zu Boden ; sie rollten zur Seite und entgin gen nur knapp dem Fahrzeug. Im ersten M oment saßen sie wie erstarrt und hilflos da und starrten der Limousine hinterher, die staub- und kiesaufwirbelnd die Auffahrt hinunterraste. Als O'Connell wied er auf den Beinen war, verschwanden die roten Augen der Rück lichter ger ade um d ie Ecke. »Verflucht!«, stieß O'Connell h ervor und lief mit geb allten Fäusten auf und ab; sein Schwager stand einfach nur mit hängenden Armen in seinem lädierten Smoking da, unfähig
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sich zu rühren. Blind vor Wut bemerkte O'Connell nicht, dass sein Sohn aus dem Vord erein gan g des Hauses gelaufen kam. Als er jedoch den Jungen seinen Namen rufen hörte, drehte er sich auf der Stelle um und rannte zu ihm hinüber, kniete sich ihm hin und nahm ihn fest in die Arme. »Gott sei Dank«, flüsterte O'Connell und drückte den Knirps fest an sich. »Gott sei Dank ...« »Dad ... Dad ... sie haben M um mitgenommen!« »Ich weiß, mein Sohn.« Er hielt Alex eine Armlänge von sich entfernt, so dass er ihm direkt in die tränenfeuchten Augen sehen konnte. »Deine M utter ist sehr tapfer und sehr, sehr stark ... Sie kann allein auf sich aufp assen, bis wir sie retten.« Der Junge brachte ein Lächeln zustande, aber man konnte sehen, dass es ihn einige M ühe kostete. »Du wirst sie doch retten, oder, Dad?« »Ja, das werde ich. Wir werden es.« In diesem Au genblick entdeckte O'Connell einen alten Freund, der über den Rasen auf sie zukam, nachdem Alex das Haus verlassen hatte. Es war ein alter Freund und ehemaliger Feind in dunklen fließenden Gewändern und mit einem gestutzten Bart; seine Wangen zierten bizarre rituelle Tätowierungen. O'Connell ließ seinen Sohn los, stand auf und sagte. »Ardeth Bay, lange nicht gesehen.« Ein mühsames Lächeln huschte über das Gesicht des M ed-jai. »Ihre Frau meinte schon, dass Sie das sagen würden.« O'Connell schlenderte zu seinem Freund hinüber und bemerkte beiläufig: »Hat sie das?« Dann packte er den Araber am Gewand, riss ihn förmlich vom Boden hoch und schrie ihm ins Gesicht: »Wer zum Teufel hat meine Frau entführt? Und was wollen sie von ihr?«
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Ardeth Bay blickte ihn eher mitleidig als ängstlich an. »M ein Freund, bitte ...« O'Connell stellte ihn unsanft auf dem Boden ab. Die Hände in die Hüften gestemmt, starrte er den Anführer der M ed-jai finster an und sagte gep resst: »Nein. Streichen Sie das, es interessiert mich nicht im Geringsten wer sie sind oder warum sie sie mitgenommen haben. Alles, was ich wissen möchte oder wissen muss, ist: Wohin haben sie sie gebracht?« Ardeth Bay zog ein Foto unter seinem Umhang hervor und reichte es O'Connell; sofort erkannte er den Kurator wieder sowie einige der Idioten, die in das Gästezimmer im ersten Stock eingedrungen waren. »Das scheint an einer Ausgrabun gsstätte aufgenommen worden zu sein«, sagte O'Connell. »Handelt es sich um ... sind sie in ...?« »Ja, in Hamanaptra. Die M ed-jai beobachten immer noch die Stadt der Toten. Und dieser M ann leitete die Expedition, die Ausgrabun g ...« »Ein Observationsbild«, bemerkte Jonathan, der einen schnellen Blick auf das Bild warf. »Gar nicht lange her, dass ihr wie die Wilden mit M essern und Gewehren angegriffen habt. Das nenn ich Fortschritt.« Ein Grollen war am Himmel zu hören. »Wir hätten diese M ethode auch jetzt wieder benutzt«, sagte Ardeth Bay zu Jonathan, »aber wir nehmen an, dass dieser M ann und seine Verbündete in Besitz eines gefährlichen Artefakts sind.« »Wer ist denn dieser Kerl?«, fr agte O'Connell und tippte mit dem Finger auf das scharf geschnittene Gesicht des Kurators. »Ich weiß es nicht. Aber wo auch immer sich dieser M ann aufhält, so werden wir dort auch Ihre Frau finden.« Alex stellte sich auf Zehenspitzen und versuchte ebenfalls einen Blick auf das Foto zu werfen.
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»Hey - ich weiß, wer dieser Typ ist!« »Du?«, versetzte Ardeth Bay , erstaunt, dass das Kind sich in die Unterhaltung der Erwachsenen eingemischt hatte. »Und wer ist das, mein Sohn?«, fragte O'Connell. »Ich kenne seinen Namen nicht, aber er ist einer der Kuratoren drüben im Britischen M useum!« Ardeth Bay legte d em Jungen eine Hand auf die Schulter und fragte mit gepresster Stimme: »Bist du dir sicher, mein Sohn?« »Er ist mein Sohn«, sagte O'Connell und streckte mit stolzem Lächeln eine Hand nach dem Jungen aus, »und wenn er sagt, dass er diesen Kerl kennt, dann kennt er ihn auch.« M anchmal kam es O'Connell so vor, als würde Alex mehr Zeit im M useum verbringen als zu Hause. Jonathan schaute zum Haus hinüb er und sagte: »Würd e es euch etwas ausmachen, wenn ich rasch hineinsp ringe und meiner Ver abredun g sage, dass sie nun aus dem Wandschrank kommen kann? Diese Scheusale haben sie dort hineinkomplimentiert.« »Sie bleibt, wo sie ist », erwiderte O'Connell und bog bereits um die eine Seite des Hauses. »Wir holen das Auto!« Ardeth Bay holte O'Connell ein und lief neben ihm her. »Sie sind hier«, sagte O'Connell, »und die bösen Jungs auch ... Die haben Evy entführt ...darf ich den Rest raten?« Der M ed-jai nickte ernst. »Die >bösen Jungs< haben die Kreatur aus seinem Grab befreit.« »Was, den König der Skorpione?« Entnervt blieb Ardeth Bay stehen und fragte: »Woher wissen Sie von ihm?« O'Connell, der keine Sekunde seinen Schr itt verlangsamte, packte den Araber am Ärmel und zog ihn weiter. »Sie haben gar nicht den König der Skorp ione gemeint, nicht
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wahr? Sie sprachen davon, dass diese Sp aßvögel Imhotep ausgegraben hab en.« Ardeth Bay nickte bedrückt. Sie waren bei O'Connells ganzem Stolz angekommen, ein em nagelneuen, taubenblauen Beuford, der schief vor der Garage gep arkt war. Jonathan hatte ihn so stehen lassen, als er mit seinem Showgirl nachts aus der Stadt gekommen war. Jonathan suchte in seiner Hosentasche nach den Schlüsseln und reichte sie einem missbilligend dr einschauenden O'Connell, der an Ardeth Bay gewandt sagte: »Sie haben einfach so daneben gestanden, als diese Ker le Imhotep aus der Erde gehob en haben? Gehört es nicht zu den Aufgaben der M ed-jai, so etwas zu verhindern?« »M ein Freund, etwas Schreckliches ist im Gange. Etwas, das wir nicht verhindern, dem wir nicht Einhalt gebieten können, bevor wir n icht ganz genau wissen, was dieser Kult im Schilde führt.« »Kult?« Ardeth Bay nickte. »Die dunkelhaar ige Frau ist ihre Anführerin. Sie weiß Dinge, die kein e lebende Person wissen kann.« »Zum Beispiel?« »Sie hat sie zu der Stelle geführt, an der Er, der nicht genannt werden soll beigesetzt wurde. Wir haben gehofft, dass sie uns zum Armband des Anubis führen würde. Wir spürten, dass sie es entweder hat oder zumindest weiß, in wessen Besitz es sich befindet.« »Wir hatten es«, sagte O'Connell und steuerte auf die Fahrerseite des Wagens zu. »Es war in dem go ldenen Kästchen, das sie sich geschn ap pt haben. Das ist auch der Grund, warum sie Evy entführt haben. Als Druckmittel, falls wir ihnen folgen.« O'Connell öffnete die Wagentür, doch Alex zerrte an seinem
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Ärmel. »Dad ... du irrst dich.« »Was?« »Wir haben das Druckmittel. Sie mögen zwar im Besitz des Kästchens sein, aber das Armband haben sie nicht.« »Nein?« »Nein, Dad ...« Der Junge schob den Ärmel seiner blauen Jacke hoch und enthüllte das schwere goldene Armband, das seinen Arm umschloss. Das Relief funkelte im Licht des Blitzstrahls, und fast schien es so, als bewege sich der Skorp ion an seinem Handgelenk. Rasch trat Ardeth Bay neben den Jungen, nahm behutsam dessen Arm und betrachtete das Armband. »Allah rette uns«, entfuhr es Ardeth Bay, und sein dunkles Gesicht wurde vor Entsetzen bleich. »Es ist tatsächlich das Armband des Anubis!« Nervös und aufgeregt sp rudelte es aus dem Jun gen hervor: »Ich habe es mir nur angesehen und das dumme Ding hat sich an mir festgemacht, als hätte es einen eigenen Willen. Jetzt kann ich es nicht mehr abmachen, so sehr ich es auch versuche.« Der M ed-jai packte den Jungen an den Schu ltern. »Hast du irgendetwas gesehen, Junge? Das ist wichtig! Hast du ...« »Ja, ich habe die Pyramiden von Gizeh gesehen, und p lötzlich schwebte ich über der Wüste nach Karnak. Das war besser als ein ViewM aster.« Ardeth Bay ließ den Arm des Jungen fallen, als stünde er in Flammen. Während er rückwärts taumelte, vollzog er rituelle Bewegungen mit den Händ en und murmelte: »Allah, sei gnäd ig ... Allah, sei gnädig.« »Los jetzt, alle ins Auto«, befahl O'Connell un geduldig. »Der Junge hat eine M utter, die ger ettet werden muss.«
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»M ein Freund«, sagte Ardeth Bay mit ernster Stimme. »Sie begreifen den Ernst der Lage nicht. Ihr Sohn hat durch das Anlegen d es Armbands eine Kettenreaktion aus gelöst, die der Welt die Ap okaly pse bringen kann.« Ein Blitz unterstrich diese Erklärung, aber O'Connell seufzte nur und sagte streng zu Ardeth Bay: »Regen Sie sich ab« An seinen Sohn gewandt, meinte er: »Und du, du steckst in großen Schwierigkeiten.« »Was ist mit mir?«, fragte Jonathan und wirkte in seinem lädierten Smoking wie ein billiger Oberkellner. »Du sitzt mit dem anderen Achtjähr igen h inten«, sagte O'Connell und klemmte sich hinter das Steuer. Ardeth Bay nahm auf dem Beif ahrersitz Platz. Der grollende, dunkle Himmel versprach die Fortsetzung des Gewitters, obwohl die Stadt bereits mehrere Wolkenbrüche über sich h atte ergehen lassen; die r egennassen und leeren Straßen, über die der Beuford r aste, funkelten wie Lackled er. »Es tut mir Leid, wenn ich Ihren Sohn beunruhigt habe«, sagte Ardeth Bay. O'Connell, der zu keiner weiteren Unterhaltun g auf gelegt war, nickte nur und bog auf zwei Reifen um die nächste Ecke. Der Krieger h ielt sich am Türgriff fest, beugte sich zu O'Connell hinüb er und f lüsterte: »Aber, mein Freund, Sie müssen eins begreifen: da der Junge nun das Armband des Anubis' am Handgelenk trägt, bleiben uns nur noch sieben Tage, bevor der König der Skorp ione erwacht.« »Ich sage Ihnen mal was, Kumpel«, erwiderte O'Connell bestimmt. »Dieses M al überlasse ich alle wieder erweckten Kreaturen Ihnen und den übr igen M ed-jai. Ich möchte nur meine Frau wiederhab en.« Ardeth Bay schüttelte den Kopf. »Wenn Er, der nicht genannt werden soll, nicht in sein Grab zurückgesperrt wird, wird er die Armee des Anubis zum Leben erwecken.«
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Jonathan beugte sich vor. »Ich nehme an, das ist nicht so gut, oder?« Ohne darauf einzugehen, wandte O'Connell sich wieder an Ardeth Bay: »Evy sagte, dass die Armee d es Anubis zu diesem König der Skorp ione gehört.« Der Anführer der M ed-jai nickte. »Aber wem es gelingt den König der Skorpione zu töten, kann die Armee zurück in die Unterwelt schicken ... oder sie für sich nutzen, um die M enschheit zu zerstören und die Erde zu beherrschen - nachdem er seine treuen Anhän ger am Leben gelassen hat.« »Das ist Imhoteps Kult, richtig?«, fragte O'Connell mit zusammengekniffenen Augen. »Vermutlich denken sie, dass er als Einziger stark genug ist, um es mit dem König der Skorp ione aufzunehmen?« »Das ist doch Wahnsinn!«, sagte Jonathan und warf resigniert die Hände in d ie Höhe; Alex dagegen hörte aufmerksam jedem Wort zu. Ardeth Bay fuhr fort: »Der König der Skorp ione muss zuerst getötet werden, bevor Er, der nich t genannt werden soll diese teuflische Armee anführen kann.« O'Connell bog erneut ab, und alle lehnten sich instinktiv in die entgegengesetzte Richtung. »Diese Narren haben also genau genommen vor, den König der Skorp ione aufzuwecken, damit Imhotep ihn töten kann?« Ardeth Bay nickte. »Das ist unseres Wissens ihr Plan.« Der Himmel unterstrich seine Worte mit einem gewaltigen Donnergrollen. »Das müssen doch Irre sein!«, bemerkte Jonathan. »Irre, die bereit sind, die Welt auszulöschen«, sagte O'Connell finster, »um ihr em Herrn zu dienen.« »Nicht schon wieder diese alte >Ich lösch die Welt aus<
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M asche«, sagte Jonathan, aber seinen Galgenhumor nahm ihm niemand im Wagen so recht ab. Auf der Great Russell Street kam der Beuford schleudernd vor einem schwarzen Eisengitter zum Stehen; d ahinter stand ein riesiges, graues Gebäude im klassizistischen Stil, in dem sich das berühmte Britische M useum befand. Zu dieser sp äte Stunde war keine M enschenseele zu sehen; die Treppe, auf der sich vor Stunden noch Touristen gedrängt hatten, war völlig leer. Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, an dessen streng ionischer Fassade einschüchternd Säulen in die Nacht ragten, beherber gte die bedeutendste und größte Kunst- und Antiquitäten-Sammlung der Welt - aber nichts war so wertvoll wie die Frau, die O'Connell liebte und die sich wahrscheinlich irgendwo hinter diesen dicken M auern aufhielt. O'Connell schaltete den M otor aus und drehte sich zu seinem Sohn um. »Du musst auf den Wagen aufpassen, Alex. Es könnte sein, dass wir uns ziemlich schnell aus dem Staub machen müssen.« Jonathan hob die Hand wie ein Schuljunge, der bittet, austreten zu dürfen, und sagte: »Das klin gt nach ein em passenden Job für mich.« »Du kommst mit uns, Jonathan. Wir können jeden M ann für diese Aufgabe brau chen, und wenn man es genau nimmt, schließt dich das mit ein.« Jonathan seufzte und lehnte sich zurück. Alex beugte sich vor und bemerkte mit sarkastischem Blick. »Du brauchst mich, um auf den Wagen aufzupassen? Komm schon, Dad, nur weil ich noch ein Kind bin, bin ich noch lange kein Trottel.« »Ich würde dich niemals für einen Trottel halten, mein Sohn.« O'Connell zerzauste ihm das Haar. »Bleib hier. Lass das Auto nicht aus den Augen.« Der Junge zog den Kopf weg. »Lass das bitte sein, Dad! Hör zu, ich kenne mich hier b esser aus als ...«
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»Du bleibst beim Wagen«, sagte sein Vater streng. Alex setzte sich mit verschränkten Armen zurück und schmollte. Jonathan sagte zu ihm: »Wenn du jemanden schreien hörst und wie der Blitz aus dem Gebäude rennen siehst, dann mach die Türe auf. Das bin nämlich nur ich.« O'Connell überlegte es sich anders und meinte: »Jonathan, du bleibst hier und sorgst dafür, dass Alex sich nicht von der Stelle rührt.« »Na endlich, jetzt denkst du mit«, sagte Jonathan. »Der Junge hat einen Hang zum Leichtsinn.« »Du hast doch auch einen Hang«, sagte Alex zu seinem Onkel. »Rat mal, wozu?« O'Connell stieg aus. »Benehmt euch - alle beide.« »Dad!« Alex beu gte sich rasch vor. »Lass mich dir doch wenigstens noch sagen, wo du nach ihr suchen musst.« Der Vater zog fragend ein e Augenbraue hoch. »Woher willst du denn das wissen?« »Ich sagte dir doch, ich kenne jed en Winkel da drinnen. Im Erdgeschoss, links von der Ein gangshalle, stehen diese riesigen Skulpturen der Pharaonen und ägyptischen Götter - du warst mal mit mir dort, erinn erst du dich noch, Dad? Ich habe d ir den Rosetta-Stein gezeigt?« O'Connell, der genau zuhörte, nickte. »Wahrscheinlich haben sie sie dorthin gebracht; wenn nicht, dann vielleicht im h interen Teil des oberen Stockwerks, in der Antiquitätenabteilung, Raum 60 und 61, dort befind en sich nämlich die M umien. Dann gibt es da no ch diesen großen Lagerbereich im Keller, d a h eben sie das besondere ägy ptische Zeug auf. Vielleicht haben sie M um dorthin gebracht ...« Rasch gab Alex seinem Vater Anweisungen, der sich im Geiste eine Karte nach den Angaben seines altklugen Sohns zeichnete.
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»Du könntest versuchen über das Oberlicht in der ägyptischen Ausstellung hineinzugelan gen«, riet ihm Alex. »Sie sind gerade dabei, es zu rep arieren und zu restaurieren. Ich wette, dass du so hineinkommst, ohne die Alarmanlage auszulösen.« Lächelnd musste O'Connell sich bremsen, ihm nicht voller Stolz erneut durchs Haar zu fahren. Kurz darauf stand O'Connell bereits hinter dem Beuford und ließ den Kofferraum aufschnap pen, der mehr als nur einen Ersatzreifen enthielt, nämlich einen Leinensack voller Waffen. O'Connell öffnete ihn und enthüllte Ardeth den tödlichen Inhalt: Revolver und Automatikwaffen sowie eine Schrotflinte, eine M aschinenpistole und andere Waff en. »Sie schein en für mehr als eine Fahrt aufs Land aus gestattet zu sein«, bemerkte M ed-jai. »Ja, nach dem, was wir das letzte M al durchgemacht haben, ziehe ich es vor, vorber eitet zu sein. M öchten Sie d ie 12Kalibrige haben?« »Nein, danke. M ir hat es das M ehrladegewehr angetan.« »Die Thomp son? Na dann, nehmen Sie sich die Waffe.« O'Connell griff sich ein Paar Pistolengurte, die er sich umhängen wollte, als Ardeth Bay ihn plötzlich so dramatisch am Handgelenk packte, als trüge er das Armband des Anubis und nicht sein Sohn. »Was ist?«, fragte O'Connell verärgert. »Sie tragen ein Zeichen!« Ardeth Bay starrte auf die Tätowierung mit der Py ramide und dem Auge des Horus, die O'Connell seit seiner Kindheit hatte. »Hey«, sagte O'Connell und zog seine Hand weg. Dabei starrte er den Araber an, dessen Wan gen schließlich auch mit bizarren Tätowierungen übersät waren. »Das sagen aus ger echnet Sie!« Geradezu ehrfürchtig und mit einer gespenstischen Intensität
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sagte der Krieger: » Wer b in ich, um dir zu sagen, mein Freund: >Ich bin ein Fremder aus dem Osten auf der Suche nach dem, was verloren ging< ...« Ohne nachzudenken vollendete O'Connell automatisch den Satz und hörte sich selbst wie von Ferne sagen: »Ich würde antworten: >Ich bin ein Fremder aus dem Westen, auf der Suche nach sein em Ich<.« »Woher wissen Sie das?« O'Connell hängte sich die Waffen um. »Keine Ahnung. Es ist ir gendeine Redewendung aus meiner Kindheit, an die ich mich schon seit einer Ewigkeit erinnere.« Länger als eine Ewigkeit ... Ardeth Bay verbeugte sich. »Dann ist es wahr ... Sie sind ein Temp elritter.« O'Connell blinzelte. »Was bin ich?« »Sie tragen ein Zeichen der Freimaurer.« »Dieses Ding hier?« Er hielt die Hand in die Höhe. »Das hat man mir während mein er Zeit im Waisenhaus in Hongkong verpasst.« Ardeth Bay zeigte auf die Tätowierun g. »Dieses heilige Zeichen b edeutet, dass Sie ein Beschützer der M enschheit sind, ein Krieger Gottes.« Wieder zuckte ein Blitzstrahl am Himmel, als ob Gott dieser Erklärung zustimmte. Im Gegensatz zu O'Connell; der grinste nur und sagte: »Kumpel, da sind Sie an den Falschen geraten.« Dann reichte er Ardeth Bay eine M aschinenpistole und nickte zu dem aufragenden M useum hinüber. »Fertig? Wollen wir nachsehen, ob diese Bastarde meine Frau als Ausstellungsstück haben?« Ardeth Bay nickte. »Ich folge Ihnen.« Irgendetwas gefiel O'Connell an dieser Formulierung nicht.
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Kapitel 7. Die Mumie kehrt zurück
Kenner behaupten, dass es mindestens eine Woch e dauert, um das Britische M useum mit seinen Elgin- Statuen, Ninive-Skulp turen, antiken Vasen und Bronzefiguren und einzigartigen ägy ptischen Ausstellungen zu erkunden. Außerd em gab es Orte in diesem M useum, Geheimnisse, die das riesige Gebäude beherber gte, von denen nur die eingeweihten M itglied er des Personals wussten. An einem dieser Orte - einem riesigen Lagerhaus, tief im Innern des M useums, voll gestop ft mit großen Kisten, antiken Säulen und verzierten Plastiken - war eine archaische und verruchte Zeremonie im Gan ge. Obwohl die schwache elektrische Beleuchtung des M useums das eigenartige Tun teilweise erh ellte, sp endete der rituelle Gebrauch von Fackeln das meiste Licht - ein flackerndes, gelb lich es und unwirkliches Licht. Der dunkle kleine M ann mit dem roten Fes, einer der geschätztesten Kuratoren des M useums, Lock-nah und ein halbes Dutzend Turbanträger bildeten einen Kreis und sangen Zauberformeln, die man seit dem Altertum nur noch sehr selten gehört hatte. In ihrer M itte lag jene prächtige Platte aus Obsidian, die d ie versteinerten, grotesk verzerrten Überreste von Imhotep barg. Diesem M ann, dem M öchtegerngott - der M umie, die in zwei verschiedenen Jahrhunderten die Erde betreten hatte - schienen sie zu huldigen. Wie ein schwarzer Sp iegel ref lektierte der Stein das unruhige Züngeln der Flammen, als würde Imhotep s Körp er nach der erlösenden Befreiun g aus dem Stein schreien. Ein wenig abseits stand ein großer Steinsarg, ein antiker Sarko phag, in dem ein mächtiges Feuer prasselte, das wohl einem
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zeremoniellen Zweck dienen mochte. In dieses Szenario platzte eine sich heftig sträubende Evelyn. Sie war gerade aus ihr er Betäubun g erwacht und wurde gegen ihren Willen, an Händen und Füßen gefesselt, von zwei Kriegern auf einer schwarzer Steinplatte hereingetragen, als würde sie auf einem Tablett serviert; ihre Gestalt in dem an manchen Stellen zerrissenen ägyptischen Kleid war in das orangefarbene Licht der Fackeln getaucht. Als sie das rituelle Schwin gen, den eindrin glichen Gesang des Kurators und seiner Anhän ger wahrnahm, wehrte sie sich nicht mehr. Nur wenige Gelehrte konnten es mit Evelyns Kenntnis der alten ägyptischen Sprache aufnehmen, und selbst in ihrem bekümmerten, leicht verwirrten Zustand verstand Evely n, was diese M änner sangen und - schlimmer noch - begriff, warum sie es taten, als sie mit weit aufger issenen Augen die schrecklich verzerrte Leiche in Obsidian erkannte. »Imhotep «, flüsterte sie, als habe sie An gst, den Namen laut auszusprechen. »Erhebe dich!«, befahl jemand in Altägyptisch. Der Kurator las aus dem Totenbuch. Wie ein Priester, der seiner Gemeind e aus der Bibel vorträgt, hielt der Kurator die schwere schwarze Ausgabe aufgeschlagen in seinen Händen, deren Einband aus Obsidian auf beunruhigende Weise dem Stein ähnelte, der Imhotep gefangen hielt. »Steh auf!«, befahl d er kleine M ann, und seine Stimme schallte durch den Raum. »Steh auf!« Eine schwächere Frau und - um ehrlich zu sein - auch viele starke M änner wären angesichts dessen, was Evelyn als Nächstes sah, ohne Zweife ohnmächtig geworden ... ... die Leiche Imhotep s begann, sich innerhalb seiner steinernen Hülle zu bewegen! Als Evely n in den Kreis der singend en Anhänger gebracht
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wurde, schlichen Rick O'Connell und Ardeth Bay gerade durch die Galerie im zweiten Stock des Britischen M useums. Das Geräusch eines Donnerschlags ließ sie beide erstarren und sie tauschten ein nervöses Lächeln. Kurz darauf durchfuhr ein Blitzstrahl das Oberlicht, durch das sie vor nur wenigen M inuten eingedrungen und sich an Seilen herunter gehangelt hatten; der Blitz erhellte d ie scharfen Konturen der Plastiken, die um sie herum emporragten. Durch die kellerähnlichen Räume d es M useums drang von weit entfernt der Gesang der M änner. »Sie sind hier«, sagte O'Connell erfreut. »Das bedeutet, Evy ist auch hier.« »Wie ich es befürchtet habe«, sprach der Anführer der M edjai und wirkte weniger erfreut. »Sie wollen Ihn, der nicht genannt werden soll wieder erwecken.« O'Connell schlug den Weg zu der unterirdischen Lagerhalle ein, den ih m sein Sohn beschr ieben h atte, und gab dem M ed-jai ein Zeichen, ihm zu folgen durch die Räume 60 und 61, wo die M umien ausgestellt waren. Sie bewegten sich ger ade lan gsam an ein em offenen Sarkop hag vorbei, dessen Deckel an die Wand lehnte, als ein Donnerschlag ertönte, ein Blitz den Raum erhellte und sich die M umie plötzlich aufsetzte. »Verflucht!«, entfuhr es O'Conell. Er riss sein Gewehr hoch, machte einen Schritt zurück und stieß gegen eine Glasvirr ine. Ardeth Bay hatte das Gleiche getan. Die M umie saß jedo ch nur aufrecht, als sei sie gerad e aus einem lan gen Schlaf erwacht, machte aber keine Anstalten, ihnen zu folgen. O'Connell warf Ardeth Bay einen Ach, was soll's Blick zu, als gen au hinter ihnen etwas hart gegen die Vitrine schlu g, an der sie lehnten. Sie waren wie vom Donner gerührt. Die beid en M änner wandten sich um und erblickten eine weitere erwachte M umie, die mit ihrem mumifizierten Körp er
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gegen den Glaskasten schlug. O'Connell und Ardeth Bay machten einen Schr itt zur Seite und tauschten entsetzte Blicke. Wieder erhellte ein Blitzstrahl den Raum. Alle M umien um sie herum saßen aufrecht in ihren Särgen und wanden und krümmten sich in ihr en Glaskäf igen. Es war wie eine schreckliche Tanzvorführung ohne jegliche M usik und Choreographie. Die Waffen im Anschlag, rasten sie wie der Teufel aus dem Raum und fanden die Treppe, von der Alex ihnen erzählt hatte. Von unten scholl ihn en der Gesan g ent gegen. Im Innern des Gebäudes, in den weit verzweigten Tiefen der Lagerräume hatte das Ritual d er Erneuerun g seinen Höhepunkt erreicht. Die M änner wiegten sich, ihre Fackeln flackerten und der Kurator, dessen Stimme von den Wänden widerhallte, las nach wie vor aus dem Totenbuch vor. Die Hitze der brennend en Fack eln und das prasselnde Feuer in dem nahe stehenden Sarkophag konnte nicht verhindern, das die gefesselte Evelyn vor Angst fröstelte. Von ihrem Tisch aus - der von zwei Kriegern bewacht wurde, die scheinbar auf weitere Anweisungen zu warten schien en, über die sie nicht weiter nachdenken wollte - beobachtete sie mit Entsetzen, wie Imhotep s versteinerte Leiche wieder zum Leben erwachte. Fleisch, einst zu Stein geworden, verwandelte sich in zerfetzte Lapp en und verfaulte Knochen. Der Kurator schaute von dem Buch auf und v erstummte. Evelyn bemerkte, wie der Kurator und Lock-nah irre, fanatische Blick e tauschten. Imhotep verließ sein Gefängnis aus Obsidian, und es schien so leicht, als wäre es ein M antel, aus dem ihm unsichtbare M änner heraushalfen, eine schaur ige Gestalt, die in rötliches Licht getaucht war. Blut drang aus ihren Poren, verweste M uskeln und zerfetztes Fleisch hingen von den Knochen
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herunter, und wenn die Kreatur atmete, bebten die modernden Organe. Imhotep s Anhänger hörten auf zu sin gen und fielen vor ihm auf die Knie; ehrfürchtig senkten sie ihren Blick. Vielleicht taten sie es auch nur, so dachte Evelyn, weil sie den schrecklichen Anblick ihres >Herrn< nicht ertragen konnten. Das Ungeheuer ließ sein en Blick durch den Raum schweifen, auch wenn sein Totenschädel nur zwei leere Augenhöhlen besaß. »Welches Jahr haben wir?«, fragte Imhotep mit krächzender Stimme in seiner alten Sprache. Erregt schlu g der Kurator das große Totenbuch vor seine Brust und trat freudig vor. »Herr, wir sind im Jahr des Skorp ions«, erwiderte er in der gleichen Sprache. Als er seinen Blick auf den kleinen M ann richtete, bewegte er den Schädel so r asch, dass Ev ely n mutmaßte, er werde ihm herunterfallen. »Wir haben wirklich das Jahr des Skorpions?«, fragte die M umie. »Ja, Herr!« Imhotep warf seinen Schädel zurück und stieß ein triumphierendes Gelächter aus. Ev ely n zitterte beim Anblick der halb verwesten, zuckenden, pulsierenden Organe, die sie durch das zerfranste Fleisch und die vermod erten Knochen erkannte. Das Gelächter der M umie verstummte. Ein seltsamer Gesichtsausdruck zeigte sich auf seiner grausigen Fratze. Hatte er etwas wahrgenommen? Imhotep richtete seinen Blick auf einen Gang zwischen riesigen Kisten, und Evelyn tat es ihm nach. Die Frau war schlank und elegant. Sie trug ein figurbetontes, mit Diamanten und goldenen Juwelen behan genes schwarzes Kleid und hatte die schwarzen Haare im ägy ptischen Stil geschnitten. M it geschmeidigen Bewegungen kam sie näher ...
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Ohne Vorwarnung befiel Evelyn ein e weitere Vision, und die elegante, moderne Frau, die den mit Kisten gesäumten Gang entlang kam, verwandelte sich in ein e ägyptische Schönheit aus der Vergangenheit. In einem Palast schritt sie mit den geschmeidigen Bewegungen einer Tänzerin über den Marmorboden, eine leibhaftige Göttin, die n ichts auß er ihre goldenen Körperbemalung trug. Evelyn blinzelte, und die schwarzhaarige Frau trug wieder ihr modernes Kleid, im Hier und Jetzt des zwanzigsten Jahrhunderts - selbst wenn die Frau tatsächlich vor der lebenden Leiche von I mhotep, dem Hohenpriester des Osiris stand. Der Kurator schaute die Frau an und sprach leise: »Hab' keine Angst, M eela.« Dieser Ratschlag war überflüssig, denn die junge Frau starrte Imhotep furchtlos und kühl an. »Ich fürchte mein en Herrn Imhotep nicht«, sagte sie in der alten Sprache und mit hoch erhobenem Kopf. »Wir kennen uns von früher ... ich bin Anck-su-namun.« Evelyn erinnerte sich nur allzu gut an d iese Namen. Anck-sunamum war die auserwählte Geliebte von Pharao Sethos gewesen. 1290 v. Chr. hatte ihre verbotene Liebe zueinander Tragödien ausgelöst, deren Auswirkungen b is zum heutigen Tage reichten. »Ich bin die wieder gebor ene Anck-su-namun«, sagte M eela. Imhotep starrte sie lange an. »Nur in Gestalt ...« Seine übel r iechenden Lipp en und verfaulten Wan gen brachten so etwas Ähnliches wie ein Lächeln zustande. »Aber schon bald werde ich dir deine Seele zurückgeben. Ich werde sie dir aus den Tiefen der Unterwelt holen.« Lock-nah kniete nieder, hob etwas hoch und stellte es auf einem hüfthohen Stapel von Kisten ab. Evelyn konnte zunächst
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nicht sehen, was es war, doch als Lock-nah sich abwandte, während er eine Phiole mit Flüssigkeit unter seinem Gewand hervorzog, konnte sie es erkennen. Es war das Kästchen, das kleine, goldene, mit Hierogly phen verzierte Kästchen, das sie und Rick in dem Tempel von Theben entdeckt hatten. Lock-nah schüttete Flüssigkeit aus der Phiole in das Schlüsselloch des Kästchens. Heißer Rauch entwich - Säure, die sich durch das Sch loss fraß. Der Kurator näherte sich Lock-nah, und Evelyn hörte ihn in Englisch flüstern. »Unser Herr wird äußerst erfreut sein.« Lock-nah lächelte und nickte. Dann öffnete er d as Kästchen, und auf seinem Gesicht machte sich augenblicklich ein Ausdruck des Entsetzens breit. Er holte eine Vase hervor, die Evelyn als die erkannte, die aus der Bibliothek in ihr em eigenen Haus stammte. Schlagartig war ihr klar, dass ihr Sohn das Armband durch die schwer e Vase ersetzt haben musste. Sollte das etwa heißen, dass Alex das Armband hatte? »Wo ist es?«, verlangte der Kurator mit aschfahlem Gesicht zu wissen. »Wo ist das Armband des Anubis?« Der Krieger starrte fassungslos auf die Vase, dann wurden seine Gesichtszüge hart. »Der Junge«, antwortete er. »Der O'Connell Junge.« Der Kurator starrte auf die nun zitternde Evelyn, die auf der Platte lag. M eela beugte sich näher zu Imhotep vor, seine verweste Gestalt stieß sie keineswegs ab. »Ich habe ein Geschenk für dich, mein Liebster.« »Ein Geschenk?«, kr ächzte er. Die Frau trat an seine Seite und machte eine Handbewegun g, als kündige sie d en nächsten Auftritt in einer Show an. In diesem M oment bemerkte Imhotep Evelyn. M it seinen schwarzen, leeren Augenhöhlen schien er tatsächlich sehen zu können, und seine fur chtbaren Gesichtszüge verzerrten sich vor
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Wut. »Sie!«, schrie er und die Kisten vibrierten. »Ja, die Frau von O'Connell«, b estätigte M eela beiläufig. Dann zeigte sich auf ihrem Gesicht ein katzenähnliches Grinsen. »Ich wusste, dass es dir gef allen würde, sie sterben zu sehen.« M eela schnipste mit den Fingern, ihre Anhänger gingen hinüber zu Evelyn und hoben sie mitsamt der Platte in die Höhe. Erneut versuchte sie ihre Fesseln zu lösen, doch vergeblich. Dann begr iff sie, wo man sie hinbrachte: zu dem großen, off enen Sarkop hag aus Stein, in dem die Flammen gierig züngelten. »O mein Gott«, wisperte Evelyn, und ihre Augen brannten von dem Rauch. Ihre Ohren füllten sich mit dem dumpfen, heiseren Dröhnen, das stets in einem Krematorium herrscht. Sie wurde an der üb el riechenden Gestalt Imhoteps vorbeigetragen, dessen Sch ädel sie angrinste und in Altägyp tisch sagte: »Die Unterwelt erwartet Sie.« Evelyn hob ihren Kop f und schrie ihn in der gleichen Sprache an: »Ich werde Sie wieder in Ihr Grab bringen, Sie Ungeheuer.« Die Träger hatten den flammenzüngelnden Sarkophag erreicht; der Kurator beu gte sich über sie und starrte sie mit dem gleichen verschlagenen Lächeln an wie I mhotep. »Nicht, wenn wir Sie zuerst in Ihr Grab bringen.« Die Flammen des steinernen Sar gs griffen nach ihr und tauchten sie in orangefarbenes Licht. »Verbrennt sie!«, erklang I mhoteps Stimme in der alten Sprache. M eela schaute mit unverhohlenem Vergnügen zu. Hinter den M auern des p rächtigen M useums krachte der Donner vom Himmel herunter wie die Peitsche der Götter. Die Träger brachten die Platte am Kopfende des Sarkophags
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in eine schräge Position, so dass sie unweiger lich in die Flammen rutschen musste. Evelyn gelang es jedoch, sich seitlich von der Platte rollen zu lassen ... doch bevor sie den Boden berührte, landete sie in Ricks Armen! Erleichterung, Liebe und hundert andere Gefühle bestürmten Ehemann und Ehefr au, während er sie in die Arme n ahm und sie in eine Nische zwischen diverse Kisten brachte, wo sie vorerst in Sicherheit war. Plötzlich hallte Gewehrfeuer durch den Lagerraum. Die Schüsse kamen von oben! Evelyn schaute hinauf und erb lickte auf einem kleinen Laufsteg Ardeth Bay , der mit einem M aschinengewehr Blei herunterregnen ließ. Die moderne Kriegswaffe war ein willkommener Anachronismus zu der Gestalt des Anführers der M ed-jai. Der Kurator, Lock-nah und die turbantragenden Spießgesellen gingen alle in Deckung, als die Kugeln die Holzkisten durchlöcherten, Artefakte zerstörten und die riesige Steinplatte durchschlu gen, unter der I mhotep hervorgekommen war; krachend stürzte sie zu Boden. Weitere Kugeln flo gen durch die Luft und trafen wiederholt eine Säule, in deren Nähe M eela stand. Die Luft war voller altem Staub, und die junge Frau schrie auf und gin g in Deckung. Rick beu gte sich über Evelyn. Während er mit dem M aschinengewehr in der einen Hand immer weiter schoss, holte er mit der anderen ein Klapp messer aus der Tasche. Er ließ die Klinge aufklappen und durchschnitt ihre Fesseln am Handgelenk. Der Lärm seines Gewehrs war ohrenbetäubend und es dröhnte in ihren Ohren, doch es störte sie nicht mehr. Solange die Schüsse diese Bastarde, die sie in den brennenden Sarkophag hatten stoßen wollen, ins Jenseits beförderten! Einer von ihnen stürzte, von einem Schuss getroffen, hinein, und der M ann schrie gellend auf, als die Flammen über ihm zusammen-
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schlugen. Sie zitterte angesichts des Gedankens, welchem Schicksal sie nur knapp entronnen war. Währenddessen war Ardeth Bay immer wieder den sch malen Laufsteg entlang gelaufen und hatte unzählige Salven hinuntergeschickt, um so ihre Gegner am Boden zu halten - bis auf eine Ausnahme. Die Kugeln konnten d em lebenden Toten nichts anhaben. Imhotep ließ seine schwarzen Augenhöhlen suchend durch den Raum schweif en, und dabei fiel sein Blick auf Rick O'Connell. Zornig und schmerzerfüllt gellte der Schrei der M umie durch den Raum: »Sie!« Wutentbrannt ging er auf eine große schwarze Urne zu, die nur eine von unzähligen Artefakten in diesem Lagerhaus zu sein schien. Und während ihn Ardeth Bay s M aschinengewehr ohne sichtliche Wirkung mit Kugeln durchsiebte, hob er die Urne in die Höhe, als wäre sie ein r iesiger Pokal, aus dem er trinken wollte. »Erhebt euch, meine Dien er!«, sagte die M umie. Da Rick inzwischen auch ihre Fußgelenke von den Fesseln gelöst hatte, nahm Evely n die Hand ihres Ehemanns und gemeinsam rannten sie d en mit Kisten gesäumten Gang entlang auf eine Trep pe zu. Evelyn behagte ganz und gar nicht, was sie hinter sich vernahm. I mhotep sprach Worte, uralte Worte ... »Sammelt eure Knochen! Holt eure Gliedmaßen!« Sie und Rick waren b ereits auf d er Trep pe, und Evelyn gefror das Blut in den Adern als sie Imhoteps leidenschaftlichen Gesang hinter sich hörte. »Streift die Erde von eurem Fleisch! Euer Herr ist zurückgekehrt!« Evelyn, die an der Seite ihres M annes die Stufen hinaufrannte, schaute nicht zurück, und das war auch gut so! Imhotep riss den Deckel von der schwarzen Urne. Eine Fontäne aus schwarzem Sand schoss in die Luft, als hätte die Urne unter Druck gestanden. Als der Sand den Boden berührte, formten
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sich auf mystische Weise vier Soldaten des Todes daraus. Sie nahmen d ie Gestalt von skelettartigen Soldaten, von M umiensoldaten an, die mit Rüstung und Helm bek leid et und mit Schwertern und Sp eeren bewaffnet erschien en. Imhotep zeigte auf die fliehend en O'Connells und schrie seinen Soldaten zu: »E-heeb y-uut Setna!« Die Treppe endete auf dem schmalen Laufsteg, wo die O'Connells auf den f liehenden Ardeth Bay trafen. Froh, sich lebend wieder zu sehen, gr insten sie sich freudig an. Die Begrüßung musste jedoch kurz ausfallen, da sie ein unheimliches Klirr en hinter sich hörten, das von einem unirdischen Kreischen begleitet wurde. Sie schauten zurück und sahen die Soldaten den Gang mit den Kisten entlang marschier en; sie war en in Angriffsstellung und k am direkt auf sie zu. »Ich hasse diese Kerle«, sagte Rick. »Du warst schon immer d er M eister der Untertreibung«, erwiderte Evelyne, als er sie durch die Tür zog. Sie stürmten durch einen Raum mit einer orientalisch en Ausstellung; Ardeth Bay übernahm zu ihrem Schutz die Rückendeckun g. »Wie kommen wir hier am schnellsten raus?«, fragte er sie. Kurz darauf stürzten sie durch eine Seitentür aus dem M useum und rannten die Gasse hinunter. »Ich glaube, wir haben sie abgehängt«, sagte Rick. In diesem Augenblick barst eine Seitenwand des M useums, Ziegelsteine flogen umher und die vier Soldaten sprangen behände durch den neuen Ausgang auf die Straße. Sie vollführten eine scharfe Kehrtwendun g und folgten ihren Op fern im perfekten Gleichschritt. Evelyn und Rick bogen um die Eck e auf die verlassene Strasse ein, während Ardeth Bay weiterhin die Rückendeckung übernahm und d as Gewehr nachlud. Die M umien waren nicht zu sehen, doch deuteten ihre klirrenden Bewegungen an, das
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sie nicht allzu weit weg war en. Sie rannten, so schnell sie konnten, um es bis zum Auto zu schaffen. Und da stand er endlich vor ihn en, der wunderschöne Beuford, doch er war genauso leer wie die Straße um sie herum. Weder Jonathan noch Alex waren ir gendwo zu sehen.
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Kapitel 8. Gefahr auf dem Doppeldecker
Während Rick O'Connell und der Anführer der M ed-jai sich in das Britische M useum schlichen, wo Evelyn O'Connell gezwungenermaßen ein em merkwürdigen Ritual der Erneuerung beiwohnte, plauderten Jonathan Carnahan und sein Neffe Alex unter einem grollenden, pechschwarzen Himmel. Die regennasse Straße war wie ausgestorben; sie standen auf dem Bürgersteig und lehnten an dem taubenblau en Beuford: ein für seine acht Jahre recht erwachsen wirkender Jun ge in kurzen Hosen und ein unreifer M ann in den Vierzigern, der in ein em leicht derangierten Smoking steckte. Es war ein langer Abend gewesen. Der Junge hatte seinen Onkel, der in r egelmäßigen Abständen aus einem silbernen Flachmann trank, mit dem Abenteuer unterhalten, das sie an der Ausgr abungsstätte in Theben erlebt hatten. Alex war gerade an dem Teil über das Armband des Anubis angekommen, das sich um sein Hand gelenk geschlossen hatte, und über die Vision, die er anschließend gehabt hatte. »Und oben auf der goldenen Py ramide«, fuhr der Junge fort, »saß ein riesiger Diamant.« »Bist du sicher?«, entfuhr es seinem Onkel, der wie hyp notisiert wirkte. »Entspricht >riesig< ungefähr der Größe des Verlobungsrings eines M illionärs? Einem Kohlkop f?« »Onkel Jonathan«, entgegnete der Junge und flüsterte dabei so eindrin glich, als erzählte er eine Gespenstergeschichte am Lagerfeuer. »Dieser Diamant war so groß, dass sich die Sonne in ihm sp iegelte und ihn Reisend e von fern sehen konnten, die durch ihn angelockt und in den sicheren Tod geführt wurden.«
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Jonathan runzelte die Stirn. Die Geschichte gefiel ih m, bis auf den Teil mit dem >sicheren Tod<. Es donnerte wieder, als ob Gott dem Onkel ans Herz legen wollte, die Worte seines Neffen ernst zu nehmen. Jonathan dachte noch darüber n ach, als der stärker werdende Donner die Aufmerksamkeit der beiden auf sich zog. Es war dieses M al jedoch nicht nur der Himmel, der den Lärm veranstaltete, sondern es handelte sich um Donner von M enschenhand, der aus dem M useum drang: das dumpfe Rattern von wiederholten Salven ein es M aschinengewehrs. Jonathan und Alex griffen gleichzeitig nach dem Türgr iff und kämpften in der ersten Panik einen Au genblick darum. »M ach auf!«, schrie Alex. »M ach die Tür auf!« »Lass los, und ich mach sie auf!« Dann hatte Jonathan die Tür endlich auf und sie stiegen ein; aus dem M useum dran gen ern eute Schussger äusche. O'Connell hatte Jonathan die Autoschlüssel gegeben, nach denen der nun in seiner Jackentasche kr amte. Während er suchte, drängte ihn sein Neffe un geduldig, sich zu beeilen! Angst und Adrenalin dur chströmten ihn, und Jonathan nahm den richtigen Schlüssel, r ammte ihn in das Zündschloss und drehte ihn mit einer f esten Bewegung herum. Der Schlüssel brach ab. »Du hast ihn abgebrochen!«, r ief Alex entsetzt, fassungslos über die Unfähigkeit seines Onkels. »Wie konntest du das tun?« Verlegen zuckte Jonathan mit den Achseln und stotterte: »Was kann ich d enn dafür, wenn ich so kräftig b in?« Wieder hörten sie das Rattern des M aschinengewehrs. Alex warf sich auf seinen Onkel und p ackte ihn am Kragen. »Etwas Schreckliches passiert gerade dort drinnen. Sie werden jeden M oment herausgerannt kommen, Onkel Jonathan. Und dann brauchen sie das Auto.«
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Jonathan saß nur da, die Hand auf die Stirn gelegt, so als wolle er seine Temperatur überp rüfen. »Um die Ecke gibt es eine Bushaltestelle - wir werd en es dort versuchen.« Alex schaute seinen Onkel an, als ob er den Verstand verloren hätte. »Wir nehmen den Bus?« »Hast du eine bessere Idee?« Sie rannten die Häuserblocks entlan g und bo gen um d ie Ecke. Am Ende der Straße stand ein leuchtend roter Omnibus, einer dieser klassischen Dopp eldeckerbusse, die so typisch für London waren. Ein korpulenter Fahrer mit Uniform und Schnauzer lehnte gegen einen Laternenpfahl; er rauchte und schien offensichtlich den Verlauf des Unwetters abzuwarten. »Sagen Sie mal, kennen wir uns nicht?«, fragte Jonathan den M ann. »Nicht dass ich wüsste, Sir.« »M ein Sohn und ich haben heute M orgen ihre interessante Tour mitgemacht. Ich habe versäumt, Ihnen ein Trinkgeld zu geb en.« Jonathan drückte ihm eine Pfundnote in die Hand. »Danke, Sir!« »Ich frage mich, ob Sie ein kleines Tom M ix-Heft in ihr em Bus gefunden haben? Gibt es ein e Fundstelle?« »Hm, nein, Sir ... Ich habe kein Heft gefunden. Und wir haben auch keine Fundstelle.« »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn mein Sohn und ich kurz im Bus nachschauen würden?« Jonthan hielt ihm eine zweite Pfundnote hin. »Wir wollen nur mal unter unseren Sitzen nachsehen. Vielleicht ist es ja druntergerutscht.« Der Fahrer gr inste verschlagen und entblößte gelbe Zähne. »M achen Sie nur, Sir«, sagte er und schnapp te sich das Geld. »Besten Dank«, erwiderte Jonathan und lächelte unterwürfig, dann stiegen Alex und er in den Bus. Der Fahrer steckte gerade die Pfundnoten in die Tasche, als der Doppeldecker ächzend startete. Dem M ann blieb der M und offen stehen, als Jonathan,
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der am Steuer saß, und der Junge ihm vergnügt zum Abschied zuwinkten, während der Bus die Straße runter fuhr und um die Ecke bog. Wütend lief Rick O'Connell auf dem Bürgersteig auf und ab. Evelyn war an seiner Seite, während Ardeth Bay ihnen Rückendeckun g gab. Das metallisch e Klirren der Rüstung verriet ihnen, dass Imhoteps tote Soldaten ihnen unerbittlich auf den Fersen waren. »Wo zum Teufel ist Jonathan? Was hat er mit Alex gemacht?« O'Connell zeigte auf den Beuford. »Warum sind sie nicht bei dem v erdammten Auto geblieben?« Wie zur Antwort auf O'Connells Frage raste der Dopp eldeckerbus um die Ecke. Ein p anisch blickender Jonathan saß hinter dem riesigen Steuer und bemühte sich krampfhaft, nicht die Kontrolle über das über große Fahrzeug zu ver lieren. Alex hüpfte an seiner Seite begeistert auf und ab und schien sich blendend zu amüsier en. Der Bus kam quietschend zum Stehen. Alex riss die Tür auf und hieß die Fahrgäste mit den folgenden Worten willkommen: »M om! Ich wusste es! Dad hat gesagt, dass er dich retten würde!« »Die Rettung ist noch nicht ganz beendet, Lieblin g!«, sagte seine M utter und sprang in den Bus. O'Connell war dir ekt hinter ihr, gefolgt von Ardeth Bay , der rückwärts einstieg und die M ündung seiner Waffe auf die Gasse neben dem Eingang des M useums gerichtet hielt. Evy umarmte Alex, während O'Connell Jonathan einen finsteren Blick zuwarf. »Ist etwas mit dem Auto nicht in Ordnung? Sag mir, dass mit dem Auto alles in Ordnung ist.« »Wir waren gezwungen, ein ander es Transp ortmittel zu finden«, erwiderte Jonathan und umklammerte mit beiden Händen das Steuer.
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O'Connells Augen starrten ihn un gläubig an. »Einen Dopp eldeckerbus?« »Das war die Idee deines Sohns.« Alex, der glücklich in den Armen seiner M utter lag, protestierte: »War es nicht!« »War es doch!«, gab Jonathan kindisch zurück. Und so gin g es zwischen den beiden Kindern hin und h er, bis O'Connell, der zu der Gasse hinüb erstarrte, aus der jeden Augenblick d ie M umien auftauchen konnten, schrie: »Fahrt endlich los!« »Jetzt fahr schon los, Jonathan!«, rief Evy und zo g Alex an sich. »Dann fahr ich eben los«, sagte Jonathan hochnäsig, trat aufs Gas, schaltete noch einen Gang höher, so dass der Bus ruckartig losfuhr. O'Connell r aste in den hinteren Teil des Fahrzeugs und schaute aus dem Rückfenster. Kurz darauf traten vier Soldaten des Todes in einer Zwei-und-zwei Angriffsformation aus der Gasse. Die skelettartigen Gestalten waren mit Schwertern und Speeren bewaffnet, sie drehten sich mit militärischer Präzision, marschierten üb er den Beuford hinweg und beschädigten dabei O'Connells wunderschönes n eues Auto am Kofferr aum, am Dach und an der M otorhaube. Am Boden zerstört murmelte O'Connell: »Diese verfluchten M umien.« Ardeth Bay war plötzlich an seiner Seite; schn eeweiße Zähne blitzten in seinem dunklen Bart auf, als er ihn anläch elte: » Sind Sie nicht doch froh, mich zu sehen?« Die zwei M änner, die vor lan ger Zeit durch gemeinsame Abenteuer zu Verbündeten geworden waren, konnten durch das Rückfenster des Busses beobachten, wie das Quartett der Untoten ausschwärmte, nebeneinander lief, immer schneller wurde und dem Bus hinterherrannte. O'Connell warf dem
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Anführer der M ed-jai einen kurzen Blick zu, in dem eine M ischung aus Sorge und Zuneigung lag. »Wie in alten Zeiten, Kumpel. Wir sollten uns viel Glück wünschen.« Während er bereits auf die Trepp e zum Oberdeck zusteuerte, hörte O'Connell, wie der M ed-jai, der sich am Rückfenster mit dem M aschinengewehr im Anschlag p ostierte, sagte: »Allah sei mit Ihnen, mein Freund.« Auf dem Oberdeck sah O'Connell aus dem Fenster, wie die Soldaten mit einer Geschwindigkeit hinter dem Bus herhasteten, die für so sp indeldürre Beine unbegreiflich war. Er drückte d as Fenster nach unten und schoss auf die Kreaturen. Dabei riss er Löcher in die alten Sch ilde und so gar in ihre Brustkörbe, doch auch das hielt diese Bastarde nicht auf! Alles, was er mit seinen Schüssen bewirkte, war, dass diese teuflischen Soldaten ihr e Strategie änderten. Die vier schwärmten weiter aus, teilten sich in zwei Paare auf und liefen, jedes Paar auf seiner Straßenseite, wie über große Spinnen an der Außenseite der Gebäude entlang. »Na gut«, sagte O'Connell zu sich selbst; er hatte diese Taktik bereits vor Jahren in Imhotep s unterirdischer Höhle gesehen. Inmitten des modernen Londons kam ihm diese Schwerkraft verneinend e Heldentat jedoch noch surrealer vor. Das Ausmaß ihrer übern atürlichen Kräfte hätte ihn in Verzweiflung gestürzt, wenn er die Zeit dazu gehabt hätte. In diesem Augenb lick sah er, wie eine der M umien zu seiner Linken vom Gebäude auf den Bus hinuntersprang und außerhalb von O'Connells Blickfeld landete. Auf dem unteren Deck hatte sich Ardeth Bay am geschlossenen Rückfenster in Stellun g gebracht. Er schien auf alles gef asst, doch als die M umie wie ein riesiger hässlicher Käfer gegen die Scheibe sp rang, machte sich der furchtlose M ed-jai fast in die Hose. Ardeth Bay eröffnete das Feuer mit der M aschinenpistole,
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zertrümmerte dabei die Scheibe und riss den Untoten in zwei Hälften. Der obere, immer no ch lebendige Teil der M umie klammerte sich an die Rückseite des Busses, während der untere Teil abfiel und wie ein Beutel Knochen auf den Bürgersteig knallte. Schwer atmend lud Ardeth Bay rasch nach, da er alle Kugeln in die Kreatur gefeuert hatte; dabei zitterten seine Hände und er war leicht benommen. Unvermittelt schwang sich der obere Teil der M umie, die er gerade in zwei Stücke zerteilt hatte, wie ein Trapezkünstler durch das Fenster und stürzte sich mit irrsinniger Wut auf d en M ed-jai, dem daraufhin das Gewehr aus der Hand fiel. Währenddessen feuerte O'Connell unentwegt aus dem oberen Rückfenster und hatte einen Soldaten im Visier, dessen Sp rung vom nahe gelegenen Gebäude mehr einem Flug glich. O'Connells Schüsse brachte die Kreatur jedoch nicht zu Fall, und er hörte, wie sie über ihm, auf dem Dach des dahin rasenden Fahrzeugs landete und das M etall eindrückte. M it fassungslosem Entsetzen beobachtete O'Connell wie sich Klauen durch die Decke bohrten und diese wie eine Konservendose aufrollte. Er eröffnete das Feuer auf das Wesen, dessen skelettartige Gestalt und Totenschädel durch die aufgerissene Decke zu sehen war, und versuchte das Ungeheuer vom Bus zu blasen, aber es war zwecklos. Das Ding sprang nach unten, griff ihn an und schlug ihm das Gewehr aus der Hand, das daraufhin mit Getöse zwischen den Sitzen entlangrutschte. Unvermittelt stürzten sich die nach Tod riechend en, verfaulten Gebeine des Skeletts auf O'Connell. Alsbald ragte ein Schwert über O'Connells Kopf auf, als der untote Henker bereit war, das Gebot seines Herrn Imhotep auszuführen. Irgendwie gelan g es O'Connell, seine Faust in die verweste Schulter zu bohren, und das Schwert fiel aus den knoch igen Fingern.
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Aber die gleichen knochigen Finger schnellten vor, p ackten O'Connell an der Kehle und hoben ihn so mühelos vom Boden hoch, als wäre der Abenteurer federleicht. Offensichtlich reichte es d er M umie nicht aus, O'Connell zu würgen, denn immer wieder rammte sie den Kop f des M annes gegen die Decke. Obwohl O'Connell völlig b enommen war, trat und schlug er um sich, doch es half alles nichts. Die Konturen verschwammen, ihm wurde rot, dann schwarz vor Augen, so schwarz wie der Obsidian des Totenbuchs ... Vorne im Bus, n eben Jonathan, b eobachtete Evelyn, die ihren Sohn fest umschlun gen hielt, mit fassungslosem Entsetzen, wie Ardeth Bay rückwärts den Gang entlan gtaumelte und von der oberen Hälfte einer M umie verfolgt wurde. Sie kletterte über die Sitze und benutzte dabei nur ihre Händ e wie ein verrückt geworden er, kreischender Affe. Evelyn schrie gellend. »Jonathan, bieg ab! Bieg scharf ab und zwar jetzt!« Jonathan riss das Steuer herum, und der Doppeldecker schwenkte hart nach links, nahm eine Straßenlaterne mit und schleuderte Ardeth Bay und die teuflische halbe M umie wie Pupp en quer durch den Gang. Auf dem Oberdeck hatte Jonthans scharfe Wende einen ähnlich e Wirkung auf O'Connell und die ihn wür gende M umie. Beide stürzten zu Boden, und der untote Soldat lockerte den Griff um die Kehle des Abenteurers. Am Ende des Gangs entdeckte O'Connell seine M aschinenpistole. Auf allen vieren kroch er rasch darauf zu, und schon bald berührten seine Fingerspitzen das Ende des Gewehrs ... Unter ihnen war Ardeth Bay unversehrt auf die Beine geko mmen, doch schon fand er sich wieder mit der halben M umie konfrontiert, die sich mit ihren Armen über einen Sitz zog und eine deformierte, skelettartige Hand hob.
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Unvermittelt verwandelten sich die Fingernägel der Kreatur auf übernatürliche Weise zu messerscharfen, zehn Zentimeter langen Waffen. Die klauenartige Hand schlug nach dem M edjai, riss den Ärmel seines Gewands auf und hinterließ auf seinem Arm vier blutige Risse. Schreiend legte der Krieger eine Hand auf d ie Wunde und ging zu Boden. Ev ely n und ihr Sohn liefen zu Ardeth Bay und zogen ihn zurück, weg von dieser Kreatur, die nicht weit von ihnen entfernt war. Evelyn schrie: »Jonathan, bieg noch einmal ab, ganz scharf, jetzt!« Und wieder riss Jonathan mit aller Kraft das Steuer herum. Dieses M al bog er scharf nach rechts und rammte dabei ein parkendes Auto. M etall knirschte gegen M etall und Funken stoben. Für O'Connell gin g bei dieser Taktik der Schuss nach hinten los. Die M aschinenp istole rutschte außer Griffweite und flog durch einen Luftschacht. O'Connell versuchte aufzustehen, als die M umie wieder auf ihm war und da weitermachte, wo sie aufgehört hatte. Sie p ackte den Abenteurer an der bereits wund gescheuerten Kehle und hob ihn in die Höhe. O'Connells M aschinenpistole war mit einem lauten Krachen auf die M otorhaube des Busses gefallen, wo sie hin- und herrutschte, jedoch nicht auf die Straße fiel. Evelyn bemerkte sie und streckte ihren Arm durch das geöffnete Fenster, kam aber nicht an die Waffe heran; erst ein Schlagloch auf der Straße beförderte das Gewehr ger adewegs in ihr e Hand. Ardeth Bay, dem die M umie inzwischen eine weitere Verletzung an der Brust beigebracht hatte, schlug gegen einen Sitz und stürzte atemlos, der Bewusstlosigkeit nahe, zu Boden. Die M umie rutschte auf den Krieger zu, gr iff mit der einen Hand nach der Kehle des M annes und hob die andere angr iffsbereit in die Höhe; dabei kamen ihre schr ecklichen,
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klauenartigen Finger besonders zur Geltung. Evelyn riss der Kreatur mit einem Schuss den Kop f ab. Unerschrocken trat sie näher, lud nach und schoss erneut auf das Ding. Immer wieder legte sie auf die M umie an, die in unzählige Stücke f log und sich im ganzen Bus verteilte. Ardeth Bay schaute Evelyn erleichtert und dankbar an. Alex hatte es die ganze Zeit beobachtet und war verblüfft über den M ut, den seine M utter gezeigt hatte. »O je«, sagte jemand. Jonathan. Alex, Evelyn und Ardeth Bay wandten sich um, schauten aus dem Fenster und sahen, was ihren Fahrer so beunruhigte. Vor ihnen tauchte ein e niedrige Fußgängerbrücke auf. Ein Sch ild wies die Höhe aus und forderte Busse und Lastwagen auf, einen anderen Weg zu benutzen. Jonathan trat auf die Br emsen, die kreischend und quietschend reagierten. Und auch der Fahrer kreischte: »Das schaffen wir nicht!« Auf dem Oberdeck versuchte O'Connell immer noch sein Äußerstes, sich aus dem tödlichen Griff der M umie zu befreien. Über d ie Schulter d es Ungeheuers hinweg sah er die Unterführung kommen. M it letzter Kraft schlug er um s ich und entkam dem Wür gegr iff der M umie. Geistesgegenwärtig warf er sich auf den Boden und bedeckte seinen Kopf. Die Kreatur stand nur da und schaute auf ein Opfer hinunter, das scheinbar auf sein Ende wartete. Dann, als ob sie etwas ahnte, drehte sich die M umie um und sah die Brücke auf sich zukommen, doch zu spät, um etwas dagegen zu tun. Der untere Teil des Dopp eldeckerbusses raste unter der Brücke h indurch, während das obere Drittel wegger issen wurde und das Ungeheuer mit sich nahm. O'Connell lag inmitten von M etall- und Glasscherben auf dem Boden des Oben-ohne-Busses und spürte den kalten
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Wind. Vorsichtig öffnete er die Augen kam ebenso vorsichtig auf die Beine, als der Bus gerade auf die Tower Bridge zuraste. Unten umarmte Alex seinen Onkel und sagte: »Du fährst großartig, Onkel Jon! Du bist wirklich toll!« Während er mit der einen Hand lenkte und mit der anderen den Jungen umarmte, meinte Jonathan, inzwischen ein alter Hase als Busfahrer: »Du bist auch nicht so übel.« Evelyn, die das beobachtete, bemerkte zum ersten M al, wie nah sich die beiden >Kinder< standen. Dann steckte plötzlich eine M umie ihren Kopf durch den offenen Spalt; sie hatte sich wie eine Sp inne an der Seite des Busses fest gehalten. Alex schr ie gellend auf, sein Onkel und auch die M umie taten es ihm nach. »Bedeck deine Ohren und geh in Deckung, Junge«, sagte eine bekannte Stimme hinter ihm. O'Connell hatte die hintere Trep pe genommen, u m sich zu seiner Familie zu gesellen. Der Jun ge tat wie ihm geheißen und duckte sich, sein Vater beu gte sich derweil mit seinem Gewehr vor und schob die M ündung in den M und der M umie. Dann betätigte er den Abzug und d as Skelett löste sich in seine Bestandteile auf. Der kopflose Körper der M umie löste sich vom Bus, flog über das Geländer der Tower Brid ge und fiel wie ein Stein mit lautem Platsch ins Wasser. Alex stand auf und schrie der Kreatur nach. »Wer ein Risiko eingeht, muss damit rechnen, verletzt zu werden, richtig, M um?« »Richtig, Alex«, sagte Evelyn und ließ sich erschöpft auf dem nächsten Sitz nieder. Jonathan schaltete einen Gang runter, doch der M otor hörte sich auch dann nicht allzu gesund an. Er gab merkwürdige Geräusche von sich, als ob ein Pfund Nägel lose unter der M otorhaube herumflogen. »Ich fürchte, d ieses alte Schätzchen macht es nicht mehr
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lange«, sagte Jonathan. O'Connell half Ardeth Bay, dessen Gewand in Blut getränkt war, auf die Beine. »Sind Sie in Ordnung, Kumpel?« »Ja«, erwiderte der Anführer d er M ed-jai und krümmte sich vor Schmerzen, »aber ich gebe zu, dass ich es vorziehe, auf einem Kamel zu reisen.« Schließlich ging O'Connell zu der Frau hinüber, die er liebte, zu der Frau, die er gerettet hatte. »Na, das war doch nicht schwer«, sagte er mit einem verwegen en Grinsen. »Komm her, du«, sagte sie und winkte ihn mit dem Zeigefinger zu sich. Er warf sich ihr in die Arme und sie küssten sich; Alex stöhnte genervt, es wäre ih m lieber gewesen, wenn sie auf diese rührselige Szene verzichtet hätten. Kop fschüttelnd gin g der Junge den Gang hinunter und suchte sich einen Platz weit weg von diesem Getue. Der Bus wurde langsamer, obwohl Jonathan die Geschwindigkeit nicht gedrosselt hatte; ächzend und stöhnend kam das Fahrzeug schließlich klapp ernd und unwiderruflich zum Stehen. Den Arm um die Taille seiner Frau gelegt, meinte O'Connell: »Für eine Archiv arin führst du ein ziemlich aufregendes Leben.« »Ohne dich wäre es einfach nur langweilig«, entgegnete Evelyn. Sie läch elten sich an, erleichtert, dass es nun vorbei war, doch dann hörten sie den unterdrückten Schr ei ihr es Sohnes. Sie wirbelten herum und erblickten den muskulösen Locknah, der gerade den Jungen aus der Hintertür zerrte. Dunkle Hände pressten sich auf Alex' blasses Gesicht, dessen Augen sie schreck geweitet anstarrten. »Alex!«, schr ie Evelyn.
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O'Connell stürzte den Gang entlang zum Rückfenster. Er sah noch, wie Alex mit Lock-nah und zwei anderen Turbanträgern kämpfte, die den Jun gen auf den Rücksitz der wartenden Limousine stießen. O'Connell riss die Tür des Busses auf. Der M otor der Limousine heulte auf, als d as große schwarze Fahrzeug an dem defekten Doppeldecker vorbei auf die Brücke hinausfuhr. Evy and Jonathan stiegen vorne aus und folgten O'Connell, aber der Vater des Jun gen war schneller und r aste ein gutes Stück vor ihnen hinter der Limousine her. In diesem Augenblick wurde die Zugbrücke des Towers hochgezogen; wie ein M eister im Hürdenlauf sprang O'Connell über die Schranke, rannte weiter hinter der Limousine her und lief die immer höher werdend e Brücke hinauf. Die Limousine schaffte es sp ielend auf die and ere Seite. O'Connell kämp fte gegen die Steigung an und gelangte ebenfalls nach oben, aber die Schwerkraft drohte ihn nach unten fallen zu lassen; in letzter Sekunde hielt er sich an der Kante fest und zog sich hoch. Aber es war sinnlos, denn für ihn führte der Weg lediglich nach unten ins Wasser. Er konnte auf die andere Seite sehen, wo die Limousine am ent gegengesetzten Ende der Brücke davonbrauste und in dunklen Straßen verschwand. Notgedrungen gab er auf und rutschte den rauen Belag der Brücke hinunter; unten angeko mmen, erwarteten ihn Evy und Jonathan mit verzweifelten Gesichtern. Er saß da wie ein M ann, dem man das Herz aus der Brust gerissen hatte, und wiederholte immer und immer wieder den Namen seines Sohnes. Er weinte nicht - als seine Frau ihm auf die Beine half, wusste O'Connell, dass es keine Tränen geben würde. Weinen war gleichb edeutend mit einer Niederlage, schlimmer noch, er würde damit zugeben, d ass sie ihren Sohn nicht nur vorüber gehend verloren hatten.
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Ardeth Bay , den seine Wunden arg geschwächt hatten, war inzwischen auch bei dem verzweifelten Trio angelangt. »Haben Sie keine Angst, meine Freunde - sie können d em Jungen nichts anhaben.« Evelyn, die den Arm ihres Ehemannes f est umklammert hielt, fragte: »Nein?« »Nein. Sie br auchen ihn, d ie Welt braucht ihn. Schließlich trägt er das Armband des Anubis.« Evelyn hörte das erste M al davon und zog fr agend d ie Augenbrau e in die Höhe. »Alex trägt das Armband?« O'Connell klärte sie rasch auf, dann meinte er zu Ardeth Bay : »M ein Sohn hat gesagt, dass er erst die Py ramiden von Gizeh und dann die von Karnak gesehen hat. Ist das unser Ziel?« Der Anführer der M ed-jai nickte. »Dort beginnt unsere, vielmehr die Reise Ihres Sohnes. Bei Karn ak. Das Armband wird ihm sein nächstes Ziel zeigen.« Verzweifelt umklammerte Ev ely n den Arm ihres M annes und sagte: » Wenn wir nicht vor I mhotep und seinen verrückt geworden en Anhängern dort sind, werden wir nicht wissen, wo wir als Nächstes hinfahren müssen!« »Unterschätz unseren Sohn nicht«, erwiderte O'Connell sanft. »Alex wird uns schon eine Spur aus Brotkrumen hinterlassen.« »Wir müssen uns sofort auf den Weg mach en«, mahnte Ardeth Bay. O'Connell starrte auf die Themse, die wie Obsidian in der trüben Nacht glitzerte. Das Donnern und Blitzen hatte aufgehört und ein sanfter Regen setzte ein, der den Tränen eines En gels glich. Bedrückt meinte Jonathan: »Wir könnten einen Zaubertep pich gebrau chen.« M it zusammengekniffenen Augen nickte O'Connell rätselhaft und sagte: »Vielleicht kenne ich ja einen, ab er inzwischen chartern wir erst mal ein Flugzeug nach Kairo.«
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»Wir haben b ereits gepackt«, erinnerte ihn Evely n. »Länger als eine Viertelstunde haben wir zu Hause nicht zu tun«, ließ O'Connell die ander en wissen. »Lange genu g, u m aus dem Smokin g zu steigen«, meinte Jonathan, »und um meine Ver abredung aus dem Wandschrank zu lassen.« Der Bus, der ihnen so gute Dienste erwiesen h atte, blieb zurück, während sie davoneilten, um sich ein Taxi zu rufen.
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Kapitel 9. Der Kuss der Mumie
Auf der höchsten Brüstung des Britischen M useums, umringt von mit Schimmel überzogenen Wasserspeiern, die fast so grotesk wie er selbst waren, stand Imhotep und schaute auf die Stadt hinunter. Obwohl der Himmel nach wie vor grau und bedrohlich wirkte, regn ete es nur noch schwach, doch Imhotep , der trotz seiner finsteren und halb zerfallenen Gestalt ein edles Gebaren zeigte, würde es donnern lassen, wenn der Himmel nicht mehr dazu geneigt wäre. »Und nun«, brüllte er in Altägyptisch, »werde ich mich auf den Weg zur Oase von Ahm Shere machen und den König der Skorp ione niedermetzeln.« M eela stand an seiner linken Seite, ihr schwarzes Kleid wehte sanft im Wind und ihr ägyptischer Haarschnitt war eine M ahnung, dass sie seine verlorene Liebe, Anck-su-namun verkörp erte. »Und gemeinsam«, sagte sie zu ihm, »werden wir die Welt regieren.« Dabei schaute sie ihn mit ein em verlangenden Blick an, der ihm zügelloses, sinnliches Ver gnügen versprach. Etwas entfernt stand zu seiner Rechten Faud Fachry , der Hohepriester und Kurator. Trotz der errungenen Siege in dieser Nacht wirkte der M ann mit dem roten Fes nervös, wenn nicht ger adezu beunruhigt. »M ein Herr«, sagte der Kurator und trat unsicher neben Imhotep . »Diese Leute, die O'Connells, und der Anführer der M ed-jai, sie haben das Zep ter des Osiris.«
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Vor Wut verzerrten sich die bereits grotesken Züge von Imhotep s vermodertem Knochengesicht, doch hütete er sich, sein M issfallen an diesem Diener auszulassen, denn er brauchte den M ann noch. Imhotep beruhigte sich und erwiderte: »Den Weg n ach Ahm Shere zu gehen ist gleichbedeutend mit der Einladung zum Tod. Sie mö gen zwar im Besitz des Zepters sein, aber sie werden nicht lange genu g leb en, um die Gelegenheit zu haben, es zu nutzen.« Der untote Imhotep beugte sich zu der schönen, lebendigen Frau hinunter, um sie zu küssen. Trotz ihrer Zuneigung gelang es M eela nicht, ihre An gst zu verbergen, ja ihren Abscheu vor seinem leichenähn lich en Gesicht im Zaum zu halten. Er wusste dies. »Vertrau auf deine Liebe zu mir, Anck-su-namun«, sagte er und starrte sie aus seinen leeren Augenhöhlen an. Weit gin g er in seinen Erinnerungen zurück, bis er der war, der er einst gewesen war ... ... beide waren sie wieder von Angesicht zu Angesicht im Palast des Pharaos vereint; die erwählte Schönh eit des Pharaos mit ohvfarbener Haut und der gut aussehende Priester - mit kahl geschorenem Kopf, kupferfarbener Haut und den edel gemeißelten Zügen eines Helden. Bald würden sie ihre verbotene Liebe mit einem Kuss besiegeln. Anck-su-namun, die Meela in der Vision verkörperte, stellte fest, dass ihr Zögern schwand, und willig beugte sie sich vor, um diesen unwiderstehlich schönen Mann zu küssen. Sie schloss die Augen und bot ihm ihre leicht geöffneten Lippen, ihre Zunge dar ... Und es war M eelas Glück, dass sie ihre Augen geschlossen hielt und einer Vision verhaftet war, denn sonst hätte sie die übel riechenden, von M aden zerfressenen Lippen ihres Herrn gesehen, die sich auf ihr en üppigen roten M und legten. Und sie hätte gesehen, wie sein Gesicht unter der körp erlichen
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Berührung weiter verfaulte, so als würde die Berührung eines Lebenden d em Untoten weiteren Verfall bringen. Bis zu seiner vollständigen Erneuerung war das der Preis für einen Kuss.
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TEIL 2: DIE BRAUT DER MUMIE Kapitel l Die Hölle auf Rädern
Hohe Türme und runde Kup peln bestimmten das Bild von Kairo, eine Stadt, deren Ausläuf er sich weit nach Norden und Süden erstreckten. Im Osten grenzte Kairo an eine steinige Wüste, im Westen säumte ein sagenhaft grünes Tal den breiten Nil; eine frische Br ise aus Norden trieb Hunderte von Seglern voran. Hinter dem grünen Land ragten die Pyramiden von Gizeh emp or. Am Ufer des Nils warteten Schiffe darauf, dass ihre Baumwollladung gelöscht wurde. Ihre lang gezogenen M asten ragten auf wie ein Wald aus totem Holz gegen den modernen Hintergrund einer Eisenbahnbrücke. Währ end sich die Bauweise der Schiffsbauer und die Kleidun g ihr er Dockarbeiter seit der Zeit der Pharaonen kaum geändert hatte, beförderten die Fracht- und Passagierwagen auf der Brück e M enschen, die moderne Kleidun g, vorwiegend europäische M ode trugen, abgesehen von dem heimischen Fes, der gelegentlich aufgesetzt wurde. Aus dem Rahmen f iel ein gewisser Privatzug, d er seit seiner Abfahrt aus dem Kairoer Bahnhof ein Kontingent von fünfzig bewaffneten Wächtern mit roten Turbanen und lockeren Gewändern transportierte. Sie saßen auf den Dächern der Waggons und verharrten schweigsam in beobachtender Haltung. Alex O'Connell, der für sein Leben gern mit Zügen fuhr,
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änderte gerade seine M einung. Seit einigen Tagen befand sich der Achtjährige, der immer noch die gleichen kurzen Hosen trug, in der mehr oder weniger liebevollen Obhut des starken Lock-nah. Der Krieger hatte den Jungen am Arm gepackt und zog ihn hinter sich her in ein en noblen Salonwagen. Der Kurator und die schöne, dunkelhaarige M eela, die ein aufreizendes schwarzes Kleid und goldenen Schmuck trug, standen dort und waren in ein Gespräch vertieft. »Als unser Herr das erste M al den ungläubigen O'Connells begegnet ist«, sagte der kleine, dunkelhäutige M ann, »verdammten sie seine unsterbliche Seele in die Unterwelt. Aus diesem Grund wird unser Herr verwundbar bleiben, selbst wenn er seine Kräfte vollständig wieder erlan gt hat.« »Erst wenn er an d er Sp itze der Anubis-Armee steht«, sagte sie zustimmend, »wird er wieder unbesiegbar sein.« »Jawohl, My lady.« Der Kurator nahm ein großes, schwarzes Buch vom Fensterp latz und überreichte es ihr ehrfür chtig. »Das dürfen Sie nicht aus den Augen lassen.« »Hey!«, sagte Alex und zeigte darauf; unb eabsichtigt enthüllte er dabei das goldene Armband an seinem Hand gelenk. »Das Totenbuch!« Lock-nah schlug die Hand des Jungen nach unten. Der Kurator und M eela drehten sich zu ihnen um; erst jetzt schienen sie zu bemerken, dass sie nicht mehr allein waren. »Lock-nah«, sch impfte sie ihn aus. »Nicht so grob mit ihm. Lass seinen Arm los.« M eela warf ihm einen v ermeintlich liebevollen Blick zu und kam mit gesch meid igen Bewegungen auf ihn zu. Sie war so schön und blickte ihn zärtlich an, doch irgendwie flößte sie ihm trotzdem Angst ein. Er beschloss, seine Furcht nicht zu zeigen. M ütterlich schaute sie zu ihm h inunter, befeuchtete ihre Fingerspitzen und glättete seine hellb londen Haare. »Oh, was für ein kluger kleiner Jun ge.«
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Er zuckte mit den Achseln. »Ägyp tologie interessiert mich eben. Das habe ich von meiner M utter.« »Ich bin überzeugt, dass sie dich schrecklich vermisst.« Zärtlich strich sie ihm über die Nase. »Doch wenn du sie wiedersehen willst, musst du nicht nur klug sein, sondern dich auch gut benehmen.« Er grinste sie frech an. »Lady, ich benehme mich schon nicht bei meinen Eltern. Was lässt Sie glaub en, dass ich mich bei Ihnen benehme?« Sie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Vielleicht, weil dir deine Eltern keine giftige Schlange ins Bett legen würden, nachdem du eingeschlafen bist.« Für eine Sekunde starrte Alex sie an und konnte seine Furcht nicht verbergen. Sie streichelte seine Wan ge und wandte sich wieder d em Kurator zu, wobei sie ihm mit einem Blick wortlos einen Befehl erteilte. Der Kurator wies Lock-nah an. »Unser Herr wird dem Jungen eine Audienz gewähren.« »Hey, das ist okay«, rief Alex ihr h interher, »ich möchte auch keine ...« Lock-nah verbeugte sich vor dem Kurator und packte wieder Alex' Arm, an d em er ihn durch den Raum in den nächsten Waggon zerrte. Dem Jungen kam es so vor, als wäre er in eine andere Welt getreten oder hätte wieder ein e dieser verrückten Visionen, was jedoch nicht der Fall war ; er befand sich bloß in einem gewöhnlichen Güterwagen, der in einen alten ägy ptischen Temp el verwandelt worden war. Dieser wurde von Fackeln erleuchtet und war mit Artefakten und Plastiken voll gestopft. Die Luft war mit Weihrauch erfüllt und waberte wie Nebel durch den Raum, über dem eine düstere und triste Stimmung lag. An der linken Seite der Wand war ein Altar auf gebaut.
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Dieses ganze Szenar io wurde von einer großen, unheimlichen Gestalt in einem dunkelblauen Gewand mit Kapuze beherrscht, die mit dem Rücken zu Lock-nah und Alex in seinem Schlepptau stand. Lock-nah verbeugte sich tief. Es war nicht nur eine angedeutete Verbeugung, wie Alex feststellte, sondern er ließ sich dabei sogar auf die Knie fallen. Die verhüllte Gestalt fuhr mit wirbelndem Gewand h erum; das Gesicht, das nun auf den Knaben hinunterschaute, war ein v erwester Schädel, an dem grünliches, verdorben es Fleisch herunterhing - ein makabrer Anblick. Alex war der Sohn von Rick O'Connell und von Natur aus kein Feigling; er war auch der Sohn von Evelyn O'Connell, deren Verstand und M ut er ebenfalls geerbt hatte. Letztlich aber war Alex ein erst acht Jahre alter Junge, der in das vertrocknete Gesicht einer lebendigen M umie starrte. Und so fing Alex an zu schreien. Der immer noch kniende Lock-nah hob die Hand, um den Jungen zu schlagen, doch die Kreatur, die Alex bereits als Imhotep erkannt hatte, streckte ebenfalls die Hand aus, um Lock-nah von dem Schlag abzuhalten. Eine weitere Geste der un geheuerlichen, gruseligen Gestalt gebot Lock-nah aufzustehen. Der Araber trat einige Schritte zurück, als gewähre er dem Jun gen und der M umie einige M omente der Ungestörtheit. Imhotep sprach ihn an, und Alex konnte zuerst nicht verstehen, was er zu ihm sagte... »Keetash issirian ihn ...« ... doch schien es ihm so, als hätte die Kreatur angef angen Englisch zu sp rechen, obwohl Alex wusste, dass er das nicht tat. Er verstand trotzdem jedes Wort, das Imhotep sagte. »Du, junger O'Connell, bist der Auserwählte. Du wirst mich nach Ahm Sh ere führen.«
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Alex war fassun gslos angesichts der unheimlichen Übersetzung, die in sein em Kopf stattfand, doch empfand er mittlerweile etwas weniger Angst, und der seltsam gütige Ton in der krächzenden Stimme der M umie machte ihm M ut. Der Junge schaute zu dem v erwesten Gesicht empor, ignorierte die M aden, die aus einem Loch her aus - und hineinkrabbelten, an dem sich normalerweise eine Wange befand, und sagte: »Was p assiert, wenn ich Sie nicht zu diesem ... Ahm Shere führe? Was passiert, wenn ich, sagen wir mal, irgendwie verloren gehe?« Alex war sich nicht bewusst, dass er wie Imhotep Altägyptisch sprach. »Du hast M ut, kleiner M ann«, erwiderte Imhotep und sein sehniges Gesicht verzog sich zu einem schrecklichen, schiefen Lächeln. »Du bist der Sohn dein es Vaters.« »Das stimmt, und das sollten Sie auch nie ver gessen.« Leere Au genhöhlen starrten auf Alex hinunter. »Das werde ich nicht. Aber es gibt etwas, das du noch nicht weißt, jedoch wissen solltest. Und ich verspreche dir, es ist etwas, das du nicht vergessen wirst.« »Ich weiß n icht, wovon Sie sp rechen«, ent gegnete Alex und versuchte nicht zu zittern. Die Kreatur strömte einen schrecklichen Geruch aus; das musste der Grund sein, warum die Luft so voller Weihrauch war. Unvermittelt griff Imhotep mit einer behandschuhten Hand nach Alex' Arm und zeigte auf das goldene Armband. »Das Armband des Anubis ist Segen und Fluch zugleich. Die Zeit läuft bereits gegen dich.« Die verhüllte M umie ließ den Arm des Jungen los und gin g zu einem klein en verzierten Tisch hinüber, auf dem eine mit schwarzem Sand gefüllte Stundenuhr stand; Imhotep drehte sie um. Alex schluckte, starrte auf den Sand, der durch das enge
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Halsstück sickerte, und sagte: »Ich weiß darüber Bescheid. Ich habe das Armband umgelegt und sieben Tage später wird der König der Skorp ione aufwachen. Das ist Ihr Problem.« »Nein, jun ger M ann, das ist mein Schicksal, aber dein Problem. Ich sage dir nun, was du noch nicht weißt. Wenn du die goldene Pyramide nicht betrittst, bevor ihre Sp itze von der Sonne geküsst wird, saugt dir das Armband das Leben aus.« Alex hatte das Gefühl, als habe ihn gerade jemand kräftig in den M agen geschlagen. Er schluckte und sagte: »Das ... also, diesen Teil kannte ich noch nicht ... heißt das, ich werde sterben?« »Tod ist ein Gedanke, der für jun ge M enschen nur schwer nachvollziehbar ist, aber so ist es.« Panik erfasste den Jungen. »Dann bleiben mir also nur noch fünf Tage?« Imhotep grinste und antwortete: »Fünf Tage. Und vielleicht wäre es unter diesen Umständen das Beste, wenn du nicht verloren gingst. Stimmst du mir zu?« Alex atmete tief durch und gewann seine Fassun g zurück; mit zusammengebissenen Zähnen starrte er die verwesende Kreatur an und sagte: »Ich glaube, mein Vater wird Ihnen eine verpassen. Stimmen Sie mir da nicht auch zu?« Imhotep schien über diese Frage nachzudenken, als er von männlichen Stimmen, die von dr außen zu hören waren, abgelenkt wurde. »Bring ihn hinaus«, bef ahl Imhotep Lock-nah. Sein Babysitter nahm ihn wieder in d en schmerzhaften Griff und zerrte ihn in den nächsten Wagen, zuvor erhaschte Alex allerdings noch einen Blick auf Imhotep, der zum Altar ging und sich von den Rauchwolken verhüllen ließ. Er wollte sich also vor jenen v erborgen halten, denen als Nächstes eine Audienz gewährt wurde ... Kurz bevor Alex von Lock-nah in den angrenzenden Güter-
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wagen gebracht worden war, hatte ein Klop fen an der Tür zu dem noblen Salonwagen die drei Söldner an gekündigt, die von M eela und dem Kurator erwartet wurden. Die drei M änner, Red Willits, der kräftige Anführer, Jacques Clemons, der stämmige Franzose und der spindeldürre Jake Spivey boten den Anblick ein er unrasierten, schmuddeligen Bande; sie trugen Cowboyhüte mit breiter Krempe und Waffen an den Hüften. Jacques und Sp ivey brachten ein Kästchen, das sie in eine schäbige Decke gewickelt hatten. Der Kurator wies auf das Kästchen. »Haben Sie bekommen, worum wir Sie gebeten haben ?« »O ja, wir haben es bekommen«, sagte Red. »Wir mussten ein paar Wächter in Ihrem M useum niederschlagen, aber wir haben es bekommen.« Wie ein Zauberer, der einen Trick vorführt, zog er die Decke weg und enthüllte ein fein gearbeitetes Holzkästchen, auf das bunte Hieroglyphen in den Farben Gold, Schwarz, Blau und Rot gemalt waren. M eela lächelte, und ein Gefühl d er Wär me durchströmte sie, als ihre Augen begierig die gef lügelten Sonnenscheiben, die Greife, die hockenden Götter, den falkenköpfigen Horus und den schakalköpfigen Anubis in sich aufnahmen. »Sie haben das Kästchen zurückgebracht«, flötete M eela. »Gute Arbeit.« »Dies ist kein gewöhnliches Kästchen, nicht wahr?«, fragte Jacques wütend. Seine Finger glitten über die Hiero gly phen. »Es ist verflucht, nicht wahr?« »Sie überraschen mich, Jacques«, erwiderte M eela und verschränkte die Arme vor d er Brust. »Können Sie Hieroglyphen entziffern?« »Nein«, sagte Red und trat vor. »Er liest M useumsführer. Sag ihr, was in dem Führer darüber geschrieben steht.« »Der Tod wird jeden auf sanften Flügeln ereilen, der dieses
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Kästchen entweiht«, erinnerte sich der Franzose. »Da gibt es dieses untote .. .Ding, das all jene tötet, die ...« »Die dieses Kästchen öffnen«, unterbrach ihn der Kurator verächtlich. »Ja, ja, es wird sie aussaugen und er wird wieder wie neugeboren sein. I ch habe diesen Artikel im Führer geschrieben, meine Herren. Ich weiß darüber Bescheid.« Red kam noch einen Schritt näher auf ihn zu, und sein Gesicht mit den roten Bartstoppeln verzog sich zu einer finsteren Grimasse. »Warum zum Teufel haben Sie uns nichts darüber erzählt? Warum haben Sie nicht mit einem Wort die drei Amerikaner erwähnt, die vor zehn Jahren dieses Kästchen entdeckt haben und einen schr ecklichen Tod gestorben sind?« »M eine Herren«, sagte der Kurator. »Auf geklärte M änner wie Sie werden doch solch einem primitiven Aberglauben keinen Glauben schenken.« »Wir wollen mehr«, sagte Jacques unumwunden. »Mehr?«, fragte der Kurator, »Mehr«, sagte Spivey. Red trat bedrohlich auf den Kurator zu und schlug ihm auf d ie Brust. »Zehntausend.« Der Kurator blickte ihn verblüfft an. »Wir haben nur fünftausend ver einbart!« Red beugte sich zu dem Kästchen hinunter und tätschelte den Deckel. »Ich hab e das Gefühl, dass dieses kleine Stück Geschichte hier sogar v iel mehr wert ist, als die zehn, die wir verlangen. Zahlen Sie unseren Preis oder wir stop fen Ihnen das M aul und suchen uns einen besseren Käufer.« M eela schaltete sich ein und legte dem Kurator die Hand auf die Schulter. Ihr Blick gebot ihm zu schweigen. M it ihrem verführerischsten und aufreizendsten Lächeln säuselte sie: »Zehntausend ist angemessen. Zehntausend geht in Ordnung.« Red grinste zurück und leckte sich zufrieden die Lip pen;
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selbstgefällig sch aute er seine beiden Kamer aden an. In seinem Blick stand die Zufriedenheit über sein Verhandlungs geschick geschrieben. M eela streckte einladend die Hände aus und sagte: »Folgen Sie mir, meine Herr en, und Sie werden all das bekommen, was Sie verdient haben.« Sie folgten ihr durch die Tür in den angrenzenden Wagen, den provisorischen Temp el, den M eela für Imhotep hergerichtet hatte. Sie stand in dem rauchigen und düsteren Wagen, deutete auf den Altar und sagte: »Ihre Belohnung erwartet Sie, meine Freunde.« Red trat als Erster ein. Er beugte sich nahe zu M eela vor, nah genu g, um ihr einen Kuss aufzudrücken. »Jetzt keine Tricks, Schätzchen. Wir rücken das Kästchen n icht eher raus, bis wir zufrieden gestellt sind.« Sie sch enkte ihm einen verführ erischen Blick und sagte: »Es ist genu g für alle da.« Als endlich auch Jacqu es und Spivey, der das Kästchen trug, in dem schwach erleuchteten Wagen waren, rauschte M eela hinaus und schloss die Tür von außen. Red hörte ein Klicken und begriff sofort, dass sie nun eingeschlossen waren. »Was zum Teufel soll das?« Er drehte sich um, als seine Partner das Holzkästchen absetzten. Umgeben von Artefakten, standen sie blinzelnd und hustend in dem Rauch, das Atmen fiel ihnen schwer. Sie inhalierten den ekelh aft süßen Geruch des Weihrauchs und den Gestank nach verwesendem Tierf leisch. Schatten schienen sich in der dampfenden Luft zu bewegen. Einer war größer als die anderen und kam auf sie zu ... »Was zum Teufel ist das?«, schrie Spivey. Seine Partner wussten keine ander e Antwort darauf, als ihre Pistolen zu ziehen.
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»Was haben wir denn hier?«, fr agte Red und ging vorsichtig auf den Schatten zu. Aber es war kein Schatten, sondern eine Gestalt in einem dunklen Kapuzengewand. Als Red glaubte, es sei nur ein M ann, kam die Gestalt ins Licht und enthüllte einen Totenschädel mit verwesendem Fleisch und v erfaulender, von M aden zerfressener Haut. »Allmächtiger!«, schr ie Red. Er und seine hart gesottenen Kumpane fuhren zu Tode erschreckt hoch; die Kreatur warf den Kopf zurück und kreischte sie an, halb Schrei, halb Gemurmel in ir gendeiner alten Sprache. Panisch rannte Spivey zur Tür und krallte sich dort fest. Schreiend bat er um Hilfe und starrte dabei auf ein M etalltürchen, das ein Guckloch bedeckte. Er betete um eine Antwort. Und bekam sie. Das Gesicht der schönen M eela tauchte vor ihm auf und riet ihm: » Er möchte, dass Sie das Kästchen für ihn öffnen! Schnell, öffnen Sie das Kästchen. Das wird ihn zufrieden stellen.« Die M etalltür wurde zugeschlagen. Das Guckloch und das schöne Gesicht waren verschwunden. Spivey, der keinen anderen Rat bekommen hatte, griff diesen auf und schlich zurück zu dem Kästchen. Die Kreatur hatte sich in den Schatten zurückgezo gen, Jaques und Red zielten nervös mit ihren Pistolen auf das rauchige Nichts in dem Wagen. Dann bemerkte Jacques Spivey, der vor dem Kästchen kniete und offensichtlich im Begr iff war, es zu öffnen. Der Franzose schrie: »Nein! Tu das nicht! Denk an den Fluch!« Doch Spivey befolgte den Ratschlag der schönen M eela, griff den Deckel des Kästchens und zerrte gewaltsam daran. »Hör auf damit!«, sagte Jacques.
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Der Deckel sprang auf, ein Zischen war zu hören, das von einem Schwall weißen Dampfs begleitet wurde. »Hier«, sagte Spivey und erhob sich. Die Kreatur war plötzlich an seiner Seite und ragte bedrohlich neben ihm auf. M it ihren schwarzen Augenhöhlen starrte sie ihn an, hängte ihren Kiefer aus und das Schädelgesicht riss seinen M und zu unvorstellbarer Größe auf. Spivey stieß einen Schrei aus, einen schrillen Schr ei, der d ie Artefakte zum Klirren brachte. Red hatte sich von diesem seltsamen Anblick zurückgezogen; der Rauch verhü llte, was nun genau mit seinem Partner geschah. Jacques stand nicht weit von ihm entfernt. Beide M änner schauten sich entsetzt an und versuchten zu verstehen, was es mit dem tornadoähnlichen Geräusch, dem saugenden Wind auf sich hatte, der von der verhüllten Gestalt kam. Sie konnten es nicht riskieren zu schießen, ohne dabei Spivey zu gef ährden! Doch das war bald geklärt. Die ausgetrocknete Hülle von Jack Sp ivey flog über ihre Köpfe, schlug gegen die Wand und fiel zu Boden. Red und Jacques brüllten vor Zorn und Angst. Sie eröffneten das Feuer auf die verhüllte Gestalt, die sich umwandte, um sie in Augenschein zu nehmen, doch sie grinste sie nur an. Es war ein teuflisches Grinsen, aber ihre Gesichtszüge waren nicht mehr so knochig wie zuvor. Die Kreatur hatte sich veränd ert, irgendwie schien sie mehr M ensch als Kreatur zu sein. Die Kugeln dur chlöcherten sie und richteten nichts aus. Sie konnten dem Ding n ichts anhaben! Im angrenzenden Wagen wandte sich M eela von dem verschlossenen Guckloch ab, und ihr Blick spiegelte nur leichte Besorgnis. Der Kurator hockte auf einem der bequemen Sitze und las einen Gedichtband. Sie hörten Schüsse aus zwei feuernden Pistolen.
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M eela schüttelte den Kopf und setzte sich ihm gegenüber. »Kein Grund zur Beunruhigung.« Jetzt waren nur noch Schüsse aus einer Pistole zu hören. Red wich weiter zurück und hörte nicht auf zu feuern, während die Kreatur auf ihn zukam. Er sah, wie sie ihren Kiefer aushän gte, sah, wie ein höllischer Wind aus den Tiefen dieses Dings emp orstieg und ihn zur Beute wollte. Red begriff viel zu sp ät, dass er besser bei den vereinbarten 5000 geblieben wäre ... Kurz darauf ging die Kreatur um die aus getrockneten Hüllen der einst gefähr lichen M änner herum, nicht länger mehr eine schäbige Kreatur, sondern ein gut aussehender, muskulöser, braun gebr annter M ann, von den Füßen in Sandalen bis zu seinem kahl geschorenen Kopf. Imhotep war so lebendig, wie die Söldner tot waren.
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Kapitel 2. Ist Izzy ein Pilo t?
Fünf M eilen hinter Fort Stack, das sich im hintersten Winkel von Kairo bef and, lag das ehemalige Hauptquartier der Royal Air Force. Vor zehn Jahren war der verstorbene Winston Havlock dafür zuständig gewesen, und b ereits zu diesen Zeiten stellte es nur eine Geisterstadt aus ramponierten Nissenhütten dar. Neben einer mit Schlaglöchern übersäten Landebahn stand die ar mselige Ausgabe eines Hangars. Ein Kontrollturm war weit und breit nicht zu sehen, umgeben war das Gebiet nur von Sahar adünen. Nach Havlocks Heldentod war der Flugp latz in Privatbesitz übergegan gen, und sein Zustand hatte sich seitdem noch weiter verschlechtert, so dass einem das schäbige Holzschild, auf dem in primitiv gep inselten Buchstaben Fluggesellschaft Fliegender Teppich zu lesen war, wie ein schlechter Witz vorkam. »Dies hier ist dein fliegender Teppich?«, fragte Evy ihren Ehemann. O'Connell, seine Frau und sein Schwager waren mit Jonathans Düsenberg quer durch die Wüste hierher gezockelt. Jahrelang h atte er den Cabr io gepflegt und in der Garage des Carnahan Familienhauses in Kairo untergestellt. Auch nach dem Kauf des Herrenhauses in London hatte Evelyn dieses Haus nicht verkauft, da sie wegen ihrer Arbeit so häufig in Ägypten war. »Izzy ist vielleicht kein Genie«, meinte O'Connell, »aber er ist ein Profi. Das wird schon gut gehen.« Er kletterte vom Fahrersitz des staubigen Wagens, die anderen stiegen ebenfalls aus. Beim Anblick des herunter gekommenen M öchtegern-Flu ghaf ens machten sie alle große
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Augen. Das Trio sah in sein en Khakis wie ein e Forscher gruppe aus. Jonathan trug einen Tropenhelm und Evely n einen weißen Hut mit breiter Kremp e. O'Connell ging ohne Kopfbekleidung, aber in voller Abenteurer montur und mit einem Pistolengurt unter jedem Arm. Die Tür öffnete sich, und ein kleiner M ann in einem ölverschmierten Overall kam aus der Flughalle. Die Haare fielen ihm wirr ins Gesicht, Wan gen und Hände waren mit schwarzem Öl befleckt. Unter einem dünnen Schnurrbart blinkte ein silberner Zahn in dem gelblichen Gebiss. Sein Blick wurde so wild wie seine Frisur, als er O'Connell erspähte. Augenblicklich erstarrte der M echaniker. »Izzy!« O'Connell grinste seinen alten Freund an und streckte ihm beide Arme entgegen. »Alter Junge! Freust du dich denn gar nicht?« »Nö!«, entgegnete Izzy und rannte zurück in d ie Halle. Er schlug die Tür zu und verriegelte sie. In der trockenen Wüstenhitze verschaffte sich Evy mit einem Fächer etwas Wind. Sie musterte ihren Ehemann fragend von der Seite. »Und das ist dein >alter Freund<, der Pilot?« O'Connell zuckte mit den Achseln. »Izzy ist schon immer ein bisschen schüchtern gewesen. Jonathan, lad den Düsenber g aus und hol unsere Taschen.« »Ich habe ber eits beide Hände voll«, erwid erte Jonathan. O'Connell warf einen Blick zu seinem Schwager hinüber und sah, wie er lächelnd das goldene Zep ter des Osiris hoch hielt. Die ganze Fahrt über hatte Jonathan das wertvolle Artefakt nicht aus der Hand gelegt. O'Connell riss Jonathan das Ding aus der Hand und fuhr ihn an. »Aber jetzt nicht mehr! Oder glaubst du ernsthaft, dass wir durch Trödeln weiterkommen ?« Jonathan ließ den Kopf hängen und trat mit den Schuhen in den Sand. »Schon gut, schon gut. Ich bin dein ergebener
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Diener.« »Gut. Ich kümmere mich um den Flug.« Seufzend hastete Jonathan zum Auto. O'Connell schlenderte in Evys Begleitung zum Büro des Hangars. M it dem goldenen Zepter in der einen Hand, zog er mit der anderen einen Revolver aus dem Schultergurt. So beiläufig wie ein M ann grüßend an den Hut fasst, schoss er den Türgriff ab. Evy machte einen Satz, fasste sich jedoch rasch wieder. »Taktgefühl scheint nicht deine stärkste Eigenschaft zu sein, Lieblin g.« »Dazu haben wir keine Zeit, Liebes«, ent gegnete er und trat die Tür auf. Kaum hatte O'Connell den Han gar betreten, bemerkte er sogleich, wie überflüssig sein Schuss gewesen war. Der Hangar hatte keine Wand auf der anderen Seite und gab den Blick frei auf eine handvoll malerischer Hütten um eine k lein e Oase. Der kleine M ann mit der wirren Frisur und dem ölverschmierten Overall stand an einem Schalter und raffte schnell ein p aar Karten zusammen. Er schaute beunruhigt drein, wie jemand, d er ein en eiligen, aber notwendigen Rückzug plant. Evy trat hinter ihrem Ehemann in die Halle. »Dein Genie ist wohl nicht gerade über glücklich, dich zu sehen, und wohl auch nicht bereit, dir deine Wünsche zu erfüllen.« »Er hat mich b isher noch nie im Stich gelassen«, sagte O'Connell. »Wie jedes ander e gute Genie«, bemerkte sie. »Fick dich, O'Connell«, platzte Izzy heraus. »Entschuldigen Sie, M a'am, aber jedes M al, wenn ich mit diesem Scheißker l zu tun habe, kriege ich ein paar Kugeln ab! Das letzte M al hat man mir den Arsch ab geschossen!« Er drehte sich herum, u m ihr das zu demonstrieren. Und tatsächlich, die Stelle, auf die er zeigte, wirkte irgendwie flach. »M einer M einung nach schein en Sie immer noch einen ganz
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brauchbaren Hintern zu haben«, meinte Evely n liebenswürdig. »Da bin ich anderer Ansicht, Gnädigste! Selbst in hundert Jahren werde ich noch um mein hinteres Viertel trauern!« Evy schaute ihren Ehemann an. »Sehr anschaulich. Aber ist er wirklich ein Pilot?« »Der beste ... Izzy , genug jetzt mit diesem sentimentalen Gerede. Wir können später immer noch über alte Zeiten quatschen, dazu ist bloß jetzt keine Zeit. Wir müssen los.« Izzy knallte die Karten wieder zurück auf den Schalter. »Nicht mit mir. Wenn ich mit dir fliege, werde ich an geschossen. Es ist immer das Gleiche. Ursache und Wirkun g.« O'Connell verschr änkte die Arme, als sei er das Genie und hielt das Zepter in der Hand. »Dann erzähl mal.« Izzy fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Der Bankjob in M arrakesch? Na? Wie war's denn zum Beispiel damit?« Evy blickte ihren Ehemann von der Seite an. »Bankjob?« Er schenkte ihr ein bemitleidenswertes Lächeln. »Ist nur halb so schlimm, wie es klingt.« »Nein«, entgegnete Izzy und kam auf O'Connell zu. Er schr ie ihm ins Gesicht: »Schlimmer!« Anschließend wandte sich der kleine M echaniker an Evy, als wär e sie einer vernünftigen Argumentation eher zugän glich als ihr M ann. »Ich fliege ziemlich hoch, gegen die Sonne. Unser O'Connell hier signalisiert mir mit einem Sp iegel, die Luft sei rein, ich solle landen. Ich gleite sanft nach unten, um ihn mitzunehmen, da sehe ich plötzlich, dass er auf einem Pferd reitet und ihm die halbe Polizei von M arrakesch, ebenfalls zu Pferde, auf den Fersen ist. Sie eröffn en das Feuer. Ich drehe mitten auf der Straße um und p latze fast vor Wut. Und unser groß er Held h ier galoppiert an mir vorbei, mit einer Bauchtänzerin an seinem Hals.« Evelyn zog sp öttisch eine Augenbraue hoch und fragte ihren Ehemann: »Ein e Bauchtänzerin?«
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»Das war, bevor wir uns kannten«, entgegnete O'Connell lahm, »und auß erdem war d ie ganze Sach e nur halb so wild.« »Ganz im Gegenteil«, meinte Izzy, »es wurde ziemlich turbulent, als diese Bullen aus M arrakesch anfin gen, auch auf mich zu schießen.« Evy fand eine saubere Stelle auf Izzys Schulter und klop fte ihm beruhigend auf dieselbe. »Beruhigen Sie sich, Izzy. Sie und ich werden gute Freunde.« Sie blitzte ihren M ann an. »Anscheinend haben wir eine M enge zu bereden.« »Ist schon okay«, erwiderte Izzy. »Das Hobby, angeschossen zu werden, habe ich auf gegeben.« O'Connell, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, holte ein dickes Geldbündel aus seiner hinteren Hosentasche und knallte es auf einen Tisch. »Hör auf zu winseln«, sagte er zu dem Piloten. »Dieses M al kriegst du Geld dafür.« Izzy zögerte. Das Geld schien ihn zu reizen, aber er winkte ab. »Das wäre ja mal was ganz Neues, aber ich brauche dein Geld nicht. Wofür brauche ich mitten in der Wüste Geld? Außerdem habe ich eine Oase in meinem Hinterhof.« »Izzy, ich sag dir, worum es geht«, versuchte O'Connell es weiter und schwenkte das goldene Zepter. »Ich habe einen Sohn, einen kleinen Jungen, der acht Jahre alt ist. Das hier ist seine M utter. Er ist entführt worden und jetzt da draußen in der Wüste. Außerdem bleiben ihm nur noch wenige Tage zum Leben.« »Das ist ja ... oh, das ist ja schrecklich ...« Izzys Blick saugte sich an dem goldenen Zepter fest. O'Connell bemerkte es und schwenkte es langsam wie ein Pendel vor den eng sitzenden Augen des M echanikers hin und her. »Ich tue alles, um meinen Sohn wiederzubekommen, Izzy«,
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sagte O'Connell sanft, »und du tust alles, um mir dabei zu helfen.« Seine ölverschmierte Hand zitterte, als er auf das Zep ter zeigte. »Der alte Izzy kriegt dieses goldene Dingsbums da und ich werde alles tun, worum du mich bittest. Zum Teufel, dafür würde ich sogar unbeschreibliche Dinge mit einem Kamel im Kairoer Opernhaus hin!« »Hast du das nicht schon am Silvesterabend 1923 getan?« Grinsend hielt O'Connell dem kleinen Piloten das Zep ter hin. »Oder war es in Trip olis?« Izzy griff gier ig nach dem Zepter des Osiris und machte sich durch die offene Wand der Flughalle davon. In diesem Augenblick kam Jonathan mit dem Gep äck hereingestolpert und sah, wie sein großes goldenes Zep ter von Izzys gieriger und schmutziger Hand umschlossen wurde. Vor Wut und Enttäuschung ließ Jonathan die Taschen auf den Boden fallen und fragte: »Warum kriegt dieser Kerl meinen goldenen Stab?« »Um Alex zu retten«, antwortete O'Connell. »Äh, natürlich, aber ...« »Wenn Rick das für nötig hielt, Jonathan, dann war es nötig«, schaltete Evy sich ein. Jonathan schien ihre M einung nicht ganz zu teilen. Er guckte wie ein Kind, das sein Geschenk mit einem der Geschwister teilen muss. O'Connell ging wieder nach draußen in die brütende Hitze der Wüstensonne, Evy und Jonathan folgten ihm. Auf der anderen Seite d er Flughalle tauchte Izzy ohne Zepter auf, er wischte sich die schmutzigen Hände am Oberteil seines schmier igen Overalls ab und schlich sich an die hübsche Evy ran. Kokett grinsend sagte der kleine Pilot: »Wenn Sie so unangemeldet bei mir reinschneien, kr iegen Sie mich nicht gerade von meiner besten Seite zu sehen.«
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Dabei funkelte sein Silberzahn in der Sonne. »Ach Unsinn«, entgegnete Evy höflich lächelnd und trat einen Schritt zurück. »Sie sind ausgesprochen charmant. Und wir sind Ihnen sehr dankb ar, dass Sie uns in dieser Sache behilflich sind.« »Verflucht nochmal!«, schr ie der Pilot. Evy war völlig perp lex angesichts der unangemessenen Reaktion auf ihre Nettigkeiten, doch Izzy hatte ja gar nicht sie gemeint. M it seinem schmutzigen Fin ger zeigte er auf etwas. Evy wandte sich um und war durchaus nicht überrascht, Ardeth Bay zu sehen, denn sie waren mit ihm verabredet; er trug den bekannten dunklen Turban und die Gewänder des M ed-jai-Kriegers. Zusammen mit zwölf seiner Stammeskrieger kam er an geritten, bis an die Zähne bewaffnet, Gewehre in Satteltaschen, Schwerter und Pistolen um die Hüfte. Sie saßen regungslos auf ihren Pferden, als warteten sie darauf, bemerkt zu werden. »Ich wusste es!«, sagte Izzy und schüttelte den Kopf. »M ich erwischt's. Erst wird mir mein restlicher Arsch abgeschossen, dann ist es ganz aus mit mir.« Ardeth Bay stieg ab und rief zu O'Connell hinüber: »Dies sind die Anführer der zwölf M ed-jai-Stämme.« Der Araber ging auf die kleine Gruppe zu; auf halb em Weg blieb er stehen und stellte die Füße fest in den Sand, streckte seinen Arm aus und rief: »Horus!« Auf dem ausgestreckten Arm eines ander en Anführers der M ed-jai saß ein großer, schöner Falke, d er sich auf Ardeth Bay s Befehl in die Lüfte erhob und auf ihn zugeflo gen kam; behände landete er auf dem wartenden Arm. Jonathan sagte zu dem Krieger: »Sie haben einen Hausvogel. Das macht Sie ja ger adezu menschlich.« Liebevoll strich Ardeth Bay dem Falken über die Federn. »Horus ist kein Haustier. Er ist mein bester und klügster
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Freund. Horus wird den Anführern darüber berichten, wie weit wir kommen, und sie werd en uns in sicher em Abstand folgen.« O'Connell nickte und sagte: »Eine gute Strategie.« Ardeth Bay wandte sich den anderen Anführern zu, berührte mit einer Hand sein Herz und grüßte anschließend die brennende Sonne. Es schien ein Ritual zu sein. »Harum bad shad!«, rief der Anführer. Sie erwiderten seinen Gruß und riefen ihm die gleichen Worte zu. Anschließend rissen sie ihre Pferd e heru m und galoppierten sand- und staubaufwirbelnd davon. Ardeth Bay schaute ihnen nach und sagte zu O'Connell: »Wenn die Armee des Anubis von den Toten aufersteht, werden die M ed-jai alles tun, was in ihren Kräften steht, um sie aufzuhalten.« Izzy lachte und sagte zu Evy: »Ich könnte schwören, er hat Armee der Toten gesagt.« »Ja«, flüsterte sie dem Piloten zu und belohnte ihren neuen Freund mit einem Lächern. »Diese Primitiven haben oft so lustige Ideen.« O'Connell unterbrach die beiden: »Izzy, hör auf mit Smalltalk, die Zeit drängt. Wo ist dein Flu gzeug?« »Komm mit«, sagte der Pilot und führte sie auf die and ere Seite des Hangars; dabei grinste er so stolz, als wäre er gerade Vater geworden. Izzys Passagiere blieben jedoch beim Anblick des >Flugzeugs< wie an gewurzelt stehen. »Scheiße«, mur melte O'Connell. »Ist sie nicht wundervoll?« Izzy gestikulierte wild. »Ein Traum?« Der Traum war ein golden schattiertes Luftschiff, zwar etwas klein, aber dennoch beeindruckend ; mit M uringseilen hatte Izzy es am Boden verankert. Am Bauch hin g ein b aufälliger Trawler, ein gewaltiger Propeller erstreckte sich am hinteren Teil des M otors. In der gesamten Geschichte der M enschheit
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hatte wohl noch kein Luftschiff so notdürftig zusammen geschraubt ausgesehen. »Es ist ein beschissener Ballon«, bemerkte O'Connell und ging vor dem Ding auf und ab. Ivy fuchtelte wie ein Zirkusdirektor bei seiner Starattraktion und sagte: »Es ist ein Luftschiff!« »Es ist ein beschissener Luftballon, an dem ein altes Fischerboot hängt. Und aus seinem Arsch ragt ein Prop eller.« Izzy runzelte die Stirn; er war verletzt. »Rick, das ist nicht fair ...« »Was ist mit deinem Flugzeug passiert?« »Flugzeuge gehör en der Ver gangenheit an.« »Was ist mit deinem Flugzeug passiert, Izzy?« »Ich habe es ver loren.« »Wie kann man denn ein Flugzeug verlegen?« »Ich habe nicht gesagt, dass ich es verlegt habe. Ich habe gesagt, dass ich es verloren habe. Beim Pokern.« Kopfschüttelnd und Verzweiflung niederkämpfend meinte O'Connell. »Izzy, du hattest Recht.« »Wirklich?« O'Connell nickte und zog eine seiner Pistolen. Er richtete sie auf den schmierigen kleinen Piloten. »Du stirbst.« Izzy hielt die Hände hoch. »Hey! Warte, Rick! Sie ist schneller als sie aussieht.« O'Connell richtete den Revolver auf d en großen Ballon. »Vielleicht schieße ich ja am besten auf das Ding da und befreie es aus seinem Elend ... Und du erinnerst dich besser daran, wo du dein Flugzeug ver loren hast, und besorgst uns die Fahrgelegenh eit, die wir brauchen. Und zwar sofort.« Izzy hüpfte auf der Stelle und fuchtelte mit den Händen: »Rick, sie ist genau richtig für den Job. Du musst doch Entführer aufspüren, richtig? Dieses Schätzchen ist so lautlos
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wie ein Schatten, geradezu ideal dafür, um Leute aufzuspüren.« O'Connell dachte darüber n ach und steckte seinen Revolver wieder ein. »Natürlich nur, wenn du dich benimmst«, fügte Izzy mit spöttischem Grinsen hinzu und zeigte auf die Pistolenhalfter, »und nicht wild ballernd irgendwo reinp latzt. Dann wird uns wie üblich d er Arsch auf gerissen.« O'Connell erwiderte bloß : »Bist du sicher, dass du n icht doch noch ein Flugzeu g hast?« Izzy hob die Arme. »Hast du eins in der Flughalle gesehen?« Der Abenteurer seufzte. »Dann wird uns das hier wohl reichen müssen.« Entgeistert hatte Ardeth Bay diesem Gespräch gelauscht. Er war ein Veteran d er letzten Flugzeugreise, die den vorher igen Verwalter dieses Flugh afens, Winston Havlock, das Leben gekostet hatte. Der Anführer der M ed-jai schien mit dem Falken auf seinem Arm zu sp rechen, als er sagte: »Können diese Abendländer nicht mit den Füßen auf dem Boden bleiben ?«
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Kapitel 3. Reisende in der Wüste
Seit Ewigkeiten verbünden sich der Wind und der Sand, um im Gesicht der Sahara sämtliche Sp uren der M enschheit zu tilgen. Sie verwischten die Fährten der Eroberer zur Zeit der Pharaonen und der britischen Forscher, sie machten weder Halt vor den Gläubigen noch vor den Ungläubigen, ob sie nun Sonnenanb eter waren oder Prozessionen zu verschiedenen Propheten. Eine endlose Anzahl M enschen war hier verdurstet, ihre Skelette und die ihrer Kamele verblichen unter der unnach giebigen Sonne am strahlend blauen Himmel. Der Wind zermahlte die Knochen zu Staub, sie wurden Teil des orangefarbenen Sands in der trockenen, endlosen Wüste. Nur die Nacht war noch uner gründlicher als die Sahara. Die untergehend e Sonne, der große Gott Amun-Ra in Gestalt eines flammend roten Balls, malte rote und purp urne Streifen in die karge Landschaft - ein imp ressionistisches M eisterwerk, schon bald vom Dunst der Abenddämmerung verschluckt. Nach nur kurzer Zeit verwandelte sich der Wüstenboden in schimmerndes Schwarz und am Himmel erstrahlten unzählige Sterne: Sirius, Kassiopeia, Vega und andere Planeten schienen greifbar nah. Der Vollmond beherrschte dieses funkelnde Aufgebot, er tauchte die Dünen in elfenbeinfarbenes Licht. Unter diesem unglaub lich groß en M ond glitt der unansehnliche, motorisierte Apparat - Izzys Luftschiff – dahin, ein schwankender Trawler, der am Sternenhimmel entlang navigierte. An Bord befanden sich Jonathan Carnahan und sein gegensätzlicher Freund Ardeth Bay . Jonathan, der sich davon überzeugt hatte, dass Kap itän Izzy auf der anderen Seite dieses
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fliegenden Albtraums war, angelte im offen en Bullauge der Kapitänskajüte. Das goldene Zepter des Osiris lag auf einem Tisch und lud ihn zum Diebstahl ein. »Dem Ehemann Ihr er Schwester«, sprach Ardeth Bay, »widerstrebt es, sein Schicksal anzunehmen.« »Ist das so?«, fragte Jonathan, den d as nicht sonderlich interessierte. M it einem Arm hing er im Bullau ge und suchte darin herum. Ardeth Bay, dessen Falke zufrieden auf seinem linken Arm saß, nickte. »Dennoch f liegt O'Connell wie Horus seinem Schicksal entgegen.« »Wirklich faszinierend.« Jonathan stöhnte, denn seine Finger hatten nun das Zepter berührt. Seine glatte Oberfläche lockte ihn und verbot ihm doch gleichzeitig, es an sich zu nehmen. »Aber was hat das denn mit der gold enen Py ramide zu tun?« »Es steht geschrieben, dass seit der Zeit des Königs der Skorp ione kein menschliches Auge je die golden e Py ramide erblickte und niemand zurückkehrte, um d avon zu erzählen.« »Na ja, wenn bisher niemand von dort zurückgekehrt ist, um diese verfluchte Geschichte zu erzählen, woher wissen Sie dann davon?« Liebevoll streichelte Ardeth Bay den Falken, der angesichts dieser Aufmerksamkeit gurrte. »Es steht geschrieben ...« »Wo steht es geschrieben? Wer schreibt das denn auf ? Das ist doch alles nur Unsinn, wenn Sie mich fragen. Ich bin überzeugt davon, dass ... Ah! Da! Ich hab's!« Jonathan zog aus dem Bullau ge das goldene Zepter; dessen glänzende Oberfläche schimmerte im M ondlicht. »Nicht übel, was?« meinte Jonathan und zeigte dem M ed-jai seine Prämie. M it zusammengekn iffenen Augen betrachtete Ardeth Bay das Artefakt. »Wenn schon dieser Kurator beim Anblick des Zepters so reagiert hat wie Sie ...«
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»Das hat er.« »... dann muss es sich um einen wichtigen Gegenstand handeln. Vielleicht … übersteigt seine Bedeutung bei weitem seinen Geldwert. Ich würde Ihnen raten, mein Freund, es nah bei ihrem ... Unterhemd zu halten!« Jonathan lehnte sich gegen die Außenwand der Kabine, hielt seine Prämie in d ie Höhe und sagte mit stolz geschwellter Brust: »Den möchte ich sehen, der mir das wegnimmt! Die Götter selbst könnten ...« In diesem Augenblick kam Izzy vorbei und riss es ihm aus der Hand. »Hey!« Jonathan sprang auf und r ief entrüstet: »Kommen Sie sofort damit zurück!« Izzy wandte sich um, hielt dabei das Zepter wie einen Knüppel. Er entblößte seine gelblichen Zähne und das M ondlicht spiegelte sich in seinem Silberzahn. »Dieses Schmuckstück gehört mir, mein kleiner Lord Fauntleroy . Hände weg davon oder Sie f liegen über Bord!« Izzy ging seines Weges, schwenkte dabei das Zepter wie ein Polizist seinen Schlagstock. Jonathan ließ sich nieder geschlagen neb en den leise lachenden Ardeth Bay fallen, der immer noch seinen Falken streichelte. »Na, das gef ällt mir!«, maulte Jonathan. Ardeth Bay schaute den Briten neugierig an. »Wirklich?« Oben am Bug des Schiffes starrte Evy schweigend in d ie blaue Nacht hinaus. Hin und wieder warf sie einen Blick hinunter auf die traumhafte Landschaft, an der sie vorbeizogen. Der Schatten ihres Schiffes jagte sich in den elfenbeinfarbenen Dünen. O'Connell, der sie aus respektvollem Abstand ansah, trat an ihre Seite und legte ihr ein en Arm um die Taille; liebevo ll zog er sie an sich heran. »Wie kann sie nur so schön sein?«, fragte sie. »Wenn sie
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doch so tödlich ist?« »Die Wüste?« Sie nickte und zeigte auf den Sand unter ihnen. »Als die großen Armeen der Pharaonen durch die Hügel dieser Wüste zogen, kamen sie in Wirbelstürmen um, und Geier labten sich an ihrem Aas.« »Evy ... ich h abe dir das nie gesagt, aber als wir uns das erste M al begegnet sind ... an dem Tag, als du und dein Bruder mich in der Zelle des Kairoer Gefän gn is besucht habt ...« Sie lachte. Es war ein bittersüßes Lachen. »Ich war so grässlich zu dir.« »Und ich zu dir ... und doch, als ich dich sah, hatte ich das seltsamste Gefühl, es war unlogisch, verrückt. Ich war zum Tode verurteilt, mein Kopf steckte schon fast in der Schlinge, doch als ich dich traf, wusste ich, dass ich nicht sterben würde. Ich wusste, dass wir füreinander bestimmt waren. Dah er hatte ich keine Angst mehr. Ich wusste, ich konnte einfach noch nicht sterben.« Jetzt nickte sie, sie lächelte sogar, wenn auch bittersüß. Er seufzte und sagte: »Ich fühlte, dass du und ich, na ja, dass wir einfach zusammen sein mussten. Es war ein hirnverbrannter Gedanke, v ielleicht nur die Wahnvorstellun g eines sterbenden M annes.« »Aber du bist nicht gestorben.« »Nein, das bin ich nicht, dank dir. So verrückt es auch klingen mag. Die Archivarin und der Fremdenlegionär waren füreinander bestimmt.« Unerschrocken strahlte sie ihn an. »Es klingt nicht verrückt, Rick. Es klingt ... es klin gt einfach richtig. Wir gehören zusammen, Liebster, so verschieden wir auch sind - wie Puzzleteile, von ungleicher Form, doch wir passen zusammen, wie angegossen, einfach p erfekt.« Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Ich mag deine Form, ich
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mag die Art, wie wir zusammenpassen.« Sie umarmte ihn fest, legte ihren Kopf auf seine Brust, den Blick hinaus zu dem klaren Himmel mit den unzähligen Sternen und dem M ond ger ichtet. »Ich hole unseren Sohn zurück, Evy«, sagte O'Connell sanft in ihr weiches Haar. »Ich verspreche es dir.« Obwohl ihr die Tränen in den Augen standen, sagte sie mit ruhiger und fester Stimme: »Ich weiß, dass du es tun wirst. Wir werden es tun.« So standen sie lange Zeit zusammen, während das Schiff durch die Nacht segelte. Die Vorstellung, die Sahara sei flach, war unzutreffend, die Wüste eine weglose Öde, einem immer währenden Wandel unterworfen. Der Wind schuf Hügel und Täler, die gewaltsam durch einen Schirokko oder einen Samum umgeformt wurden. Und dennoch drang d er M ensch immer wieder in diese sich ständig verändernd e Welt ein und meinte, ihr den Stempel des Unveränderlichen aufdrücken zu müssen. Als am nächsten M orgen die Sonne strahlend am Horizont stand und auf einen Zug hinunterlächelte, der zwischen riesigen goldenen Sanddünen die Schienen entlangtuckerte, hätte Amun-Ra sicherlich seinen Spaß an der Zähigkeit dieser Kreaturen geh abt. In einem kleinen engen Abteil dieses Zuges sp ielte ein Krieger Kindermädchen für einen gewissen achtjähr igen Jungen und war keineswegs glücklich darüb er. Alex saß Lo ck-nah gegenüber, seine Finger trommelten auf die Fensterbank; dabei starrte er den Araber an, der genauso unerbittlich zurückstarrte. Gerade hatte der Junge ihn zum xten M al gefragt, wann sie d enn end lich da seien, diese immer wiederkehrend e Frage, die Kinder auf Reisen zu stellen pflegen.
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Lock-nah, der nicht bemerkte, dass seine Geduld auf die Probe gestellt wurde, hatte jedes M al mit >Nein< geantwortet, als wäre die nervtötende Frage berechtigt. »Sind wir ...« setzte der Junge an. Lock-nah sprang auf. Wie durch Zauberei ersch ien ein M esser in seiner Hand. Der Araber schleuderte die funkelnde Waffe auf die trommelnden Finger des Jungen, die Klinge schlug in das Holz der Fensterbank und b lieb zitternd zwischen Alex' Zeige- und M ittelfinger stecken. Auch Alex zitterte. Er vollendete seine Frage nicht, eine Frage, die er auf dieser Reise nie wieder stellen würde. Der Junge zog seine Hand aber auch n icht vom Fensterbrett, sondern bemühte sich krampfhaft, ruhig zu bleiben und sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Er starrte auf die kalten, kantigen Züge des Arabers und bemerkte beiläuf ig: »Hübsche Zielscheibe.« »Ich habe daneben getroffen.« Ungewollt riss Alex die Augen auf. Lock-nah musterte den Jungen bedrohlich, zog die Klinge aus dem Fensterbrett und setzte sich wieder ; dann benutzte er die Klinge als Zahnstocher. Alex wusste, dass der M ann versuchte, ihn einzuschüchtern, und es ärgerte ihn am meisten, dass es auch noch funktionierte. Er starrte Lock-nah an und sagte: »Ich muss aufs Klo.« »Nein.« »Nein? Sie entscheid en nicht, ob ich zum Klo muss oder nicht!« Der Araber warf ihm einen kalten Blick zu. »Gehen zu müssen ist deine Entscheidun g. Es dir zu erlauben, das ist meine.« »Dann mache ich in die Hose. Ich p inkle mir in die Hosen und erzähle deiner Herrin, dass Sie mich nicht zum Klo gehen ließen. Dann können Sie ja versuchen, ein paar Sachen für
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mich auf zutreiben, die mir passen, und …« Lock-nah sp rang ern eut auf. Alex schluckte. Dieses M al warf der Araber nicht die Klin ge nach ihm, sondern zeigte nur auf die Toilette am Ende des Wagons. Alex stand rasch auf und ging in die Richtun g. Er öffnete die Tür und erblickte das schmutzigste Scheißhaus in ganz Ägypten, noch dazu fensterlos. »Vielleicht sollte ich direkt in die Hose machen«, sagte der Junge. »Los, rein da!« schn arrte Lock-nah und schob ihn in das stinkende Loch. Die Tür ließ er offen. Alex öffnete die Knöpfe seiner kurzen Hosen. Dann blickte er zu Lock-nah, der hinter ihm eingetreten war und nun mit vor der Brust verschränkten Armen wie ein zorniger Haremswächter da stand. Über die Schu lter hinweg sagte Alex: »Wollen Sie etwa die ganze Zeit da stehen und mir zusehen?« »Beeil dich!« Na ja, dachte Alex, zumind est hat diese Toilette eine Klofrau. »Hören Sie«, sagte der Junge. »Ich kann nicht pinkeln, wenn mir jemand dabei zusieht ...« »Okay«, knurrte Lock-nah, gin g hinaus und schlu g die Tür zu. Alex schaute sich in der absch eulichen Umgebung um. Dann sah er in den Topf und musste sich fast über geben. Wusste denn hier niemand, wie man eine Toilettenspülung bedient? Während er versuchte, den Gestank nicht einzuatmen, langte der Junge vorsichtig nach der rostigen Kette der alten Toilettenspülung und zog daran - obwohl er ansonsten bemüht war, nichts in diesem Raum zu berühren. Während er sich abwandte, hörte er ein lautes, glucksendes Geräusch. Er sah hinunter und entdeckte, wie das Din g funktionierte. Der Boden
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öffnete sich, und die Spülung er goss sich mit dem Unrat auf die Zugschienen. Alex pinkelte, knöpfte sich die Hose zu und zog erneut die Spülung; dabei dachte er üb er ein en Plan nach. Er schaute zurück zu der verschlossenen Holztür, hinter der Lock-nah wartete. Entschlossen packte er die rostige Toilette und verbannte sämtliche Gedanken an Bazillen aus seinem Kop f. Er zerrte daran und stellte fest, dass sie nur locker am Boden befestigt war, so wie er vermutet hatte. Er zog sie so weit von ihrem Platz bis eine Öffnung zu sehen war, durch die er sich zwän gen konnte. Was sonst noch durch dieses Loch gegangen war, interessierte nicht. Dieses Scheißhaus war Alex' Fluchtmöglichkeit ... ... wenn nur die Schienen nicht so n ah daran vorbeiführen würden. Wenn er durch die Öffnun g sprang, würde er Leib und Leben riskieren. Lock-nahs gedämpfte Stimme dran g durch die Tür: »Beeil dich!« »Ich bin noch nicht fertig«, rief der Junge und stöhnte überzeugend; dadurch konnte er etwas Zeit gewinnen. Wenn doch nur der Zug anhielt oder wenigstens langsamer fahren würde ... Als ob sein Flehen erhört worden sei, blieb der Zug plötzlich stehen. M etall quietschte auf M etall. Alex konnte nicht ahnen, das der Zug in der Nähe des Tempels von Karnak, ihrem Bestimmungsort, an gelangt war und deshalb anhielt. Doch die Gründe spielten keine Rolle. Er dachte noch nicht einmal darüber nach, dass er dann in der Wüste auf sich allein gestellt war. Er wusste nur, dass sich eine Fluchtmöglichkeit bot, ob nun durch ein Scheißloch oder nicht, er musste die Gelegenheit nutzen. Er schob die rostige Toilette noch etwas weiter zur Seite und ließ sich durch das Loch auf die Sch ienen fallen. Auf allen
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vieren kroch er unter dem Zug hervor und lief auf den Sandhügel zu. Dort erblickte er den riesigen Temp el mit seiner unermesslichen Anzahl von Säulen. Er wusste sofort, dass dies der große Armin-Temp el von Karnak war. Selbst als er unter der unbarmherzigen Sonne über den heißen Sand um sein Leben rannte, wusste der Junge, das sein verstorbener Großvater als Erster diese Ruinen erforscht hatte und sein Tod dem Fluch des Königs Tut-Ench-Amun zugeschrieben worden war. Hinter ihm schrien die M änner auf Arabisch und in gebrochenem Englisch. Er hörte Lock-nah brüllen: »Der Junge ist entwischt!« Doch am schrecklichsten war das Geräusch des Gewehrfeuers, das die Wächter auf dem Dach des Zuges eröffneten. Kugeln schlugen neben ihm ein, doch Alex wich aus und rannte durch die Ruinen auf den großen Tempel zu. Hinter sich hörte er etwas zu Boden krachen, wusste aber nicht, was es war. Das Geräusch, das der Junge nicht deuten konnte, kam von der Tür des Güterwagens, die gewaltsam auf gerissen wurde. Der erneuerte Imhotep trat mit der schönen M eela an seiner Seite an die geöffn ete Tür. Die Aufregung um ihn herum hatte ihn aufmerksam gemacht, deshalb wollte er sich draußen umschauen. Er hörte über sich die Schüsse auf dem Dach des Güterwagens. Imhotep, dessen dunkle Gewänder den größten Teil seiner unbehaarten, muskulösen Brust freiließ, lehnte sich aus dem Wagon und schaute zu den Wächtern hinauf, die auf den flieh enden Jun gen zielten. Imhotep war erfüllt mit Zorn. Hatte er nicht den Befehl gegeben, dass dem kleinen O'Connell unter keinen Umständen etwas zustoßen dürfe? Langsam, ganz lan gsam hob die M umie die Arme. M it großen Augen beobachtete M eela, wie der go lden
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schimmernd e Imhotep etwas Unsichtbares von großem Gewicht in die Höhe hob. Über ihr schrien M enschen, und sie beugte sich vor, um nach oben zu schauen. Sie sah, wie die Wächter in die Luft gehoben wurden. Die Gewehre fielen ihnen aus den Händen und kr achten auf das Dach. Unvermittelt prallten die M änner zusammen und das unerträgliche Geräusch brechender Knochen ließ ihr e Schreie verstummen. Wie Pupp en flogen sie von ihrem Hochsitz in den Sand und in die Ruinen. Beeindruckt von diesem Beweis seiner M acht schmiegte sich M eela an den Arm Imhotep s, der allerdings gegen die Tür des Güterwagens fiel. Anscheinend h atte ihn dieser Aufwand an körp erlicher Energie erschöp ft; sie legte einen Arm um ihn und tröstete ihn liebevoll. Doch so müde Imhotep auch war, richtete er seinen Blick auf den Kalksteintempel, in welchem der Junge verschwunden war. Alex war tatsächlich, auf der Suche nach ein em Versteck, in eine d er großen Hallen des Temp els gelaufen; doch dort suchte ihn eine Vision heim, die das goldene Armband an seinem Handgelenk aus gelöst hatte. Er befand sich in einem Raum, so neu wie die Zukunft, umgeben von teuren, feing earbeiteten Reliefs, die der triumphalen Züge des Pharaos Sethos gedachten. Dann raste die Vision mit dem Jungen davon, durch d ie Wüste zu einem anderen Tempel, der Tempelinsel von Philä, ca. 2000 v. Chr., wo ein Mann, ein muskulöser, großer Mann von edlem Gebaren direkt auf Alex zukam ... ... der plötzlich wieder im Tempel von Karnak war. Der M ann kam immer noch auf ihn zu und dieser M ann war der wieder geboren e Imhotep , dessen Blick Alex fixierte und ihn davon abhielt zu fliehen. Die würdevolle, in schöne Kleidung gehü llte M umie blieb vor dem Jungen stehen und hob die
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Hand. Aber nicht um den Jungen zu schlagen, im Gegenteil. Alex schwebte vom Boden wie Peter Pan, bis er auf Augenhöhe mit Imhotep war, dessen schönes Gesicht sich vor Anstrengung b ei d ieser bemerkenswerten Tat hässlich verzerrte. Dann atmete Imhotep aus, entsp annte sich und entließ Alex aus seiner p sychischen Umarmun g. Der Junge fiel unsanft auf den harten Steinboden. Imhotep läch elte, als sei er geradezu stolz auf den Jungen, und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Böse, böse«, sagte er und streckte seine Hand aus. Alex schluckte und kam nur widerwillig auf die Füße. Er klop fte seine kurzen Hosen ab und ergriff die Hand der M umie.
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Kapitel 4. Visionen
In den rot glühenden Sonnenuntergan g segelte Izzys Luftschiff hoch über dem Nil; d ie unter geh ende Sonne spiegelte sich in der glitzernden Oberfläche des Flusses, der in Flammen zu stehen schien. In all den Jahr en von Evelyns Kindheit in Ägypten an hatte sie die klare Schönheit der Wüste und die wissende Stille des Nils immer wieder tief berührt. Während sie ihrem Bruder Jonathan half, die Sachen zusammenzupacken, die sie für die Fortsetzung ihrer Reise an Land benötigten, befiel sie ein seltsames, prickelndes Gefühl. Stimmen r iefen n ach ihr. Stimmen aus der Ver gangenheit, doch nicht unbedingt aus ihrer eigenen. In ihrer Nähe reinigten der Anführer der M ed-jai und ihr Ehemann die Waff en, luden sie nach und machten sich für die unvermeidbare Schlacht bereit, die vor ihnen lag. »Wenn ein M ann seine Vergangenheit nicht annimmt«, sagte Ardeth Bay zu Rick, »ist er nicht auf seine Zukunft vorbereitet.« »Na gut«, sagte Rick seufzend. »Angenommen, ich bin irgendein wieder gebor ener Tempelritter der Freimaur er ...« »Das ist nicht genau, was ...« »Wie auch immer. Dann bin ich also ein Tempelritter, na und? Was bringt uns das denn jetzt hier?« »Es ist eine geistige Einstellung. Es ist der fehlende Teil Ihres Herzens, Ihrer Seele. Wenn Sie es annehmen, es beherzigen, ist nichts unmöglich, sogar der Sieg über das nah ende Unglück.« »Na gut«, sagte Rick und zuckte mit den Achseln. »Dann sagen Sie mir doch mal, mit welcher Art von Unglück wir von unserem alten Freund Er, der nicht genannt werden soll rechnen könn en?«
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Ardeth Bay lächelte zagh aft; anscheinend war ihm auf gefallen, dass Rick ihn auf d en Arm nahm. »Da er mit Sicherheit nun vollkommen erneuert ist, gibt es keinen Grund mehr, warum wir ... ich ... ihn nicht bei seinem Namen nennen sollte.« »Imhotep .« »Imhotep «, bestätigte der M ed-jai nickend »Da er seine mächtigen Kräfte rasch wiedererlangt, wird selbst der König der Skorpione ihm bei seiner Ankunft in der Oase von Ahm Shere nicht gefährlich sein könn en.« »Und der König der Skorp ione ist kein Weichei, richtig?« Ardeth Bay schaute ihn verwirrt an. »>Weichei« »Ein harter Kerl, härter als ein tanzender Derwisch.« »Ja, viel härter. Kein Weichei, k ein Schwächling.« Evelyn schaute von dem Rücksack auf, den sie gerade packte und sagte: »Die Legende besagt, dass der König der Skorpione den großen Gott Anubis hintergan gen hat, nachdem er ihm seine Seele gesch enkt hatte. Dafür wurde er bis in alle Ewigkeit verflucht.« »Als der alte Imhotep verflucht wurde«, meine Jonathan trocken, »hat es nur seine Kräfte verstärkt. Eine komische Art, einen M enschen zu bestrafen, indem man ihm stärkere Kräfte verleiht.« »Die Götter haben ihre Gründe«, sagte Ardeth Bay, »und geh en ihre Wege.« »Jonathan hat Recht«, sagte Rick, während er seinen M unitionsgürtel mit Patronen füllte. »Warum frönen Ihre Götter diesen ewigen Flüch en? Warum zerschmettern sie nicht einfach die blasphemischen Bastarde und lassen es damit gut sein?« Ardeth Bay wusste darauf keine Antwort, aber Evelyn bot eine Erklärung: »I ch kann nur eins dazu sagen. Der König der Skorpione hat einen so scheußlichen, so schrecklichen Fluch erlitten, dass die Einzelheiten weder nieder geschrieben
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noch mündlich weiter gegeben wurden.« Jonathan grinste Ardeth Bay an. »Das heißt, es steht nicht >geschrieben« Ardeth Bay zog ein düsteres Gesicht. »Die Lady hat Recht. Es ist niemals auf geschr ieben worden, doch erzählt man sich, dass der König der Skorpione eine schreckliche, nicht ganz menschliche Gestalt annehmen wird.« Evelyn lächelte zaghaft. »Er ist der >Schwarze M ann< in Ägypten. Eltern und ältere Geschwister necken und ängstigen ihre kleinen Kinder damit.« Diese Bemerkung ließ Evelyn und all die anderen an Alex denken, und eine beklommene Stille machte sich breit. Bruder und Schwester waren fertig mit Packen, do ch Ardeth Bay und Rick hatten immer no ch mit ihren Waffen zu tun. Evelyn gin g zur Sp itze des Schiffs, beugte sich vor und schaute hinunter auf die Welt der Wüste im orangefarbenen Licht, das sich nun mit dunkelroten Strahlen mischte. Izzy saß vorne im Cockpit. Als Rick aufstand, um sich zu seiner Frau zu gesellen, sah der Pilot seinen v erär gerten Blick und sagte: »Ich fliege so schnell ich kann! Böse Blicke werden dieses Ding n icht in ein e Rakete verwandeln.« Rick nickte und ging zu Evelyn hinüber. Izzy rief hinter ihm her: »Rick, wir werden noch vor Sonnenaufgang da sein. Du hast mein Wort. M ein Ehrenwort! So hoffe ich ...« Rick blickte über die Schulter zu Izzy . »Na ja«, meinte der kleine M ann. »Ehrenwort.« Rick stellte sich neb en Evy . Er schien zu wissen, dass sie nicht reden wollte; nun, es gab ja auch nichts mehr zu sagen. Jetzt galt es nur noch, den Jungen zu finden und ihn zu retten. Er begegnete ihrem besorgten Blick mit einem Zwinkern, legte einen Arm u m ihrer Taille und drückte sie liebevoll. Dann ging er zurück zu seinen Waffen und zu seinem M itkrieger Ardeth Bay.
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Evelyn bemerkte nicht, wie ihr Ehemann sich neben den Araber hockte; im selben Augenblick nämlich hörte sie etwas, etwas, das über den glitzernden Nil zu tönen schien - ein altägy ptischer Gesang einer allzu vertrauten, klangvollen, schrecklichen Stimme. I mhoteps Stimme ... Als sie sich Rick und den anderen zuwandte, um ihnen etwas zu sagen, wusste sie sofort, dass nur sie diese unheimlichen, rhythmischen Worte gehört hatte. Zunächst lehnte sie gegen die Reling des Schiffs, unter ihr die finstere Oberfläche des Nils. Dann torkelte sie, als wäre sie betrunken oder vielleicht hypnotisiert; mit glasigem Blick h ing ihr Körp er gefährlich schwankend an der Reling. Zur selben Zeit befand sich Imhotep in einer nebelverhangenen Kammer im Tempel von Karnak. In seinen p rächtigen Gewändern, die sein e bronzene Brust nicht ganz verhüllten, stand er neben einem kleinen Teich, einem geweihten Teich, üb er dem der Nebel zu wabern schien. An seiner Seite stand die gehorsame M eela in einem eng geschnittenen, goldbestickten dunkelroten Gewand mit hauchdünnen Ärmeln und einem tief aus geschnittenen M ieder, über dem ein e goldene Halskette lag. Es war ein modernes Kleidungsstück, doch erinnerte es stark an die alten Zeiten. Als Imhotep die Hände hob und die alten Worte aussprach, die in der Kammer wid erhallten, wurde M eelas Blick glasig wie auch Evelyns Blick in dem Luftschiff über dem Nil. In Trance gefangen, wiegte sie sich sanft hin und her. Imhotep wandte sich ihr zu, feierlich und liebenswürdig sagte er auf Altägyp tisch: »Es ist nun an der Zeit, M eela, dass du wieder die wirst, die du warst und die du bist.« Imhotep fuhr mit der ausgestreckten Hand über den Teich. Der Nebel teilte sich, und auf der funkelnden Oberfläche des Teiches erschien ein Bild des alten Ägyptens, der riesige
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Kalksteinp alast des Pharaos. M eela hatte diese Vision, aber auch Evelyn! »Für unsere Liebe«, erklan g Imhotep s Stimme und drang in das Bewusstsein der beiden Frauen. »Es ist eine wahr e Liebe, eine ewige Liebe, unsere Seelen sind für immer verbunden.« Im hohen königlich en Saal mit den z ahlreichen Säulen saß der Pharao Sethos auf seinem Thron. Er war eine p rächtige Erscheinung mit seiner kapp enähnlichen, hohen goldenen Krone, in die eine Schlan ge ein geprägt war, und einem eckigen Ziegenbart, der an seinem Kinn wie ein schwarzer Fleck aussah. Neben ihm stand sein er gebener Hoher Priester, der gut aussehende, kahl geschor ene Imhotep; gemeinsam sch auten sie sich eine eindrucksvolle Vorführun g an. Zwei Prinzessinnen - mit Kopfschmuck, goldenen Insignien, in figurbetonten Kleidern, die Gesichter verbor gen hinter verzierten Goldmasken - waren in einen Zweikampf verwickelt. Als Waffe diente ein Dreizack. Sethos und sein getreuer Hoher Priester lachten und jubelten. Sie sp ornten die beiden wohl geformten Frauen an, die gekonnt Schläge, Boxhiebe und Tritte austeilten. Selbst gut trainierte Krieger würden sie um ihre Rückhand ben eiden. Das metallische Klirren der Waffen, das Klatschen von Fleisch auf Fleisch, das Stöhnen, die Seufzer waren komisch und erotisch zugleich. Das Publikum, das aus zwei lebenden Göttern - einem König und einem Priester - bestand, verwandelte sich zurück zu echten M ännern und genoss das Spektakel. Obwohl diese Vision sie berauschte, war Evelyn eines klar: die Schriftzeichen auf der versiegelten Steintür im Tempel von Theben, wo dieses Abenteuer begonnen hatte, erzählten von diesem Zweikampf, diesen Kämpferinnen. Eine der reizenden Kämp ferinnen wurde brutal auf den Boden geschleudert. Die golden e M aske öffnete sich und
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enthüllte das Gesicht der hübschen Frau ... .. .sie sah genauso aus wie Evelyn. Die brutale Gegner in, die diese Prinzessin mit Evelyns Gesicht auf den Boden geworfen h atte, hielt mit den scharfen Spitzen des Dreizacks nur wenige Zentimeter vor der pulsierenden Kehle der zu Boden gegan genen Frau inne. Die Siegerin öffnete die goldene M aske, und das strahlende, selbstzufriedene Gesicht von Anck-su-namun kam zum Vorschein. Sie war die Geliebte des Pharao, d ie Frau, für die Imhotep eines Tages sein Leben und seine Seele hergeben sollte, nur um sie zu besitzen. In den Augen dieser Frau en brannte eine unaus gesp rochene Feindseligkeit. Die Lehrerin für Selbstverteidigung Anck-sunamun hätte wohl nichts lieber getan, als diesen Dreizack in den Hals der Prinzessin zu rammen, die ihre Schüler in war; diesen Gefallen hätte die Prinzessin nur allzu gern erwid ert. Doch Anck-su-namun lächelte ihre Schülerin an und half der schlanken jungen Frau auf die Füße. »Sie haben große Fortschritte gemacht, Prinzessin Nefertiti.« M it einem kurzen Nicken entgegnete die Prinzessin: »Ihr Lob ehrt mich, Anck-su-namun.« Applaus erscholl in dem M armorsaal, als Sethos, Imhotep und die Höflinge den beiden jungen Kriegerinnen zujubelten. Der Pharao trat vor und sagte: »Ausgezeichnet! Wunderbar! Du hast meine Tochter gut unterrichtet, Anck-su-namun.« Sein zärtlicher Blick ruhte auf Prinzessin Nefertiti. »Wer ist wohl besser dazu geeign et, das Armband des Anubis zu beschützen, als die Tochter des Pharao?« Die Prinzessin deutete eine Verbeugung an und sagte: »Ich bin Ihre Dienerin, Vater.« Sethos wandte sich Anck-su-namun zu. »Und welch besseren Schutz könnte sich ein Pharao wünschen als eine Königin, die seinen Rücken vor allen Verrätern beschützen kann?«
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Das offensichtlich verführerische Lächeln, das Anck-sunamun dem Pharao schenkte, war eine Beleidigung für die Prinzessin. Es war emp örend, dass ihre verstorbene M utter durch eine gewöhnliche Konkubine ersetzt wurde. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Die Prinzessin umarmte ihren Vater. M it einem herzlichen Lachen erwiderte Sethos, der Pharao, darüber hinaus aber auch ein stolzer und bewundernder Vater, ihr e Umarmun g. In den Armen ihr es Vaters sah die Prinzessin über seine Schulter hinweg, dass der Hohe Priester und ihre zukünftige Stiefmutter einen merkwürdigen Blick tauschten. Es war ein wissender, vertrauter und ein Geheimn is ber gender Blick ... … Evelyn und Meela teilten diese Vision, die in die Dunkelheit zu entschwinden schien. Doch plötzlich ... ... war es Nacht, der Himmel ein sap hirblauer Vorhan g mit einer Hand voll Diamanten, und Prinzessin Nefertiti stand auf ihrem Balkon und genoss die Süße der warmen, nilgetränkten Brise. Eine plötzliche Bewegung scheu chte sie aus ihrem verträumten Blick auf. Die Prinzessin schaute über den Hof zu Anck-su-namuns palastähnlichem Wohnsitz, wo sie Anck-sunamuns vertraute Gestalt erblickte, die durch eine Wand von Vorhängen ins Schlafzimmer trat. Dann tauchte eine andere bekannte Gestalt auf, eine männliche, muskulöse, kupferfarbene Gestalt: Imhotep. Die beiden umarmten und küssten sich. Wut und Entsetzen packten die Prinzessin, doch war sie auf seltsame Weise auch erleichtert. Sie zog sich zurück und wusste nicht, was sie tun sollte. Hufgetrapp el kündigte die Ankunft des Streitwagens an, aber die Liebenden hörten weder die Ankunft ihres Vaters noch das Echo seiner Schritte, als er wutentbrannt den Hof durchquerte.
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Die Prinzessin schmunzelte in sich hinein. Sie war froh darüber, dass ihr Vater seine Verräter entdeckt hatte. Der Schmerz, der ihm zugefügt wurde, tat ihr weh, aber sie war zufrieden, dass das an ihm b egan gene Unrecht wieder einmal gesühnt wurde ... Als sie sich von diesem Szenario abwandte, hörte sie die Stimme ihres Vaters rufen, die über den Hof scholl: »Welcher M ann hat es gewagt, dich anzufassen?« Es war nur menschlich, dass sie zurückschaute. Sie wollte miterleben, wie die verr äterische Anck-su-namun und der betrügerisch e Imhotep auf diese Anschuldigung reagieren würden. Doch waren nur die Konkubine und der Pharao durch das Sch lafzimmerfenster zu sehen. Wo war der Hohe Priester hingegan gen? Inzwischen war auch die Phalanx der königlichen Garde eingetroffen, die der Pharao hinter sich zurückgelassen hatte. Verzweifelt schrie Nefertiti: »Rasch! M ein Vater braucht euch. Er ist in Gefahr. Beeilt euch!« M it den Händen hielt sie die Brüstung umklammert und sah, wie Imhotep auf dem gegenüberliegend en Balkon stand und etwas in der Hand hielt. Das M ondlicht fiel darauf. Es war ein M esser. Plötzlich hatten beide ein M esser in der Hand und stachen auf ihn ein. Die gellenden Schreie ihres Vaters sp rachen nicht nur von Schmerz, sondern auch von Wut über diesen Verr at. Nefertiti biss sich in die zur Faust geballten Hand, ihre Au gen füllten sich mit Tränen und fassungslosem Schmerz. Das grausame Gemetzel ging weiter. Ohne Unterlass hackten sie auf ihn ein, als müssten sie ihn immer und immer wieder töten. Die Prinzessin schwankte vor Schock und Übelkeit... ... und im zwanzigsten Jahrhundert erlebte Evelyn O'Connell auf Izzys baufälligem Luftschiff unter blutrotem Himmel die
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gleich en Gefühle, sie durchlitt die Erinnerun g d er vor so langer Zeit verstorbenen Prinzessin. Sie schwankte vor Übelkeit und Schock und b eu gte sich gegen die Reling des fliegenden Fischtrawlers. Rick O'Connell schaute von seiner Arbeit auf und sah, wie seine hübsche Frau gefährlich schwankend über der Reling des Schiffs hing. »Evy !«, schrie er und rapp elte sich auf, doch sie hörte ihn nicht. Dann ging sie über Bord, war in ihrer Vision gefangen und verlor sich in der Ver gangenheit. Er machte ein en Hechtsprung nach vorne und fasste nach ihrer Hand, die sie im Sturz über die Reling noch geistesgegenwärtig er griff und ihn mit sich über Bord zog. O'Connell spürte, wie er über eine harte Oberf läch e rutschte und stellte fest, dass es sich um ein Fischnetz handelte, welches am Bauch des baufälligen Boots gespannt war. M it seiner freien Hand hielt er sich an dem Netz fest und bewahrte sich und seine Frau, zumindest vorübergehend, vor dem Tod. Die Haken, mit denen das Netz an das alte Schiff befestigt waren, rissen einer nach dem anderen von der Reling, bis es irgendwo hängen blieb ; die zwei hingen daran wie ein schwerer Ohrring an einem lang gezogen en Ohrläp pchen. Evy hielt sich mit beid en Händen an O'Connells aus gestrecktem Arm fest und bangte um ihr Leben, verwirrt und zu Tode erschrocken schaute sie ihn an. Gegen die Schwerkraft kämp fend, hielt er sich kramp fhaft mit der einen Hand an dem Netz fest und warf einen Blick in die weit aufger issenen Augen seiner Frau. Dann fragte er beiläuf ig: »Wo soll's denn hin gehen?« Schon bald hatten Ardeth Bay und Jonathan das Paar wie zwei große Fische zurück an Bord gehievt. Kurz darauf saßen sie alle um eine Tonne, in der ein wärmendes Feuer brannte; es
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tauchte ihre Gesichter in ein warmes Rot. Evy erzählte ihnen, was sie geseh en und erlebt hatte. Nachdem die Angst vorbei war, schien Evy aufgeregt, ihr war ger adezu schwindelig zumute. »Heißt das«, fragte sie und richtete ihre Frage an den M ed-jai Krieger, »dass ich die wieder geboren e Prinzessin Nefertiti bin?« »Ja«, entgegnete Ardeth Bay ohne einen Hauch des Zweifels in der Stimme. »Und die Frau, M eela, ist Imhoteps wiedergeborene Geliebte Anck-su-namun.« »Von vor dreitausend Jahren?«, fr agte O'Connell und zog beide Au genbrauen skep tisch hoch. »Dann bin ich der Bruder einer Prinzessin«, bemerkte Jonathan. »Ich vermute mal, d ass es hier kein Erbe anzutreten oder ir gendeine Form der Wieder gutmachung gibt ...« Niemand machte sich die M ühe, darauf zu antworten, doch O'Connell sagte zu seiner Frau. »Verzeih mir, Lieb es, aber solltest du das wirklich so uneingeschr änkt akzeptieren? Als Tatsache?« Ihre groß e Augen schauten ihn fragend an. »Warum nicht?« »Evy , du hattest diese Träume, diese Visionen, und ...« »Genau! Und diese Träume und Visionen er geben nun einen Sinn. Sie sind Erinnerungen an ein früheres Leben.« »Du bist als Tochter eines Ägyptologen auf gewachsen, d ein ganzes Leb en ist von Fakten und Überlieferungen dieses Landes durchdrungen. Könnten dieses Wissen und deine Interessen diese Visionen nicht genährt haben?« Überhaupt nicht verärgert, fragte sie: »Glaubst du, dass ich mir etwas vormache? Dass ich besessen bin?« »Nein, es ist nur ... denk do ch mal daran, was wir vor zehn Jahren durchgemacht haben. Denk an den wahren Albtraum, den wir erlebt haben. Wie sollte es einen da erstaunen, wenn dein Unterbewusstsein deine Träume mit diesen Erfahrungen
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füttert?« »Fragen Sie Dr. O'Connell«, bemerkte Jonathan. »Rick«, sagte Evelyn geduldig und ergr iff seine Hände. »Dies erklärt alles. Es er gibt nun alles einen Sinn.« »Du meinst, das ist der Grund, warum wir das Armband des Anubis entdeckt haben?« »Genau! Prinzessin Nefertiti war die Wächterin des Armbands. Das ist der Grund, warum ich es finden musste.« Betrübt sagte Ardeth Bay : »Vielleicht wurden Sie beide dazu gebr acht, es zu finden. Sicherlich werden Sie mir nun glauben, mein Freund!« M it beiden Händen zeigte er auf Evelyn. »Es ist offensichtlich Ihr Schicksal, diese Frau zu lieben und zu beschützen.« O'Connell schüttelte den Kop f und grinste. »Ja, richtig. Sie ist eine wieder gebor ene Prinzessin und ich bin ein Krieger Gottes.« »So lautet die Antwort, die ich von Ihnen erwarten würde, wenn Sie nicht zum zweiten M al den Kampf gegen ein e wiederbelebte M umie anstreben würden.« O'Connell konnte d arauf nicht viel sagen, und Ardeth Bay fuhr fort: »Wie sonst erklären Sie sich die Träume und Visionen Ihrer Frau, ganz zu schweigen von ihren frisch erworbenen Kampffähigkeiten? Und wie erklären Sie sich das Zeichen des Temp elritters, das Sie seit Ihrer Kindheit tragen?« Der rote Himmel verdunkelte sich, es wurde Nacht. O'Connell zuckte mit den Achseln. »Dort, wo ich herkomme, nennt man das Zufall.« »Dort, wo ich herkomme«, sagte Ardeth Bay, »nennt man das Kismet.« »Schicksal, meinen Sie.« »Schicksal.« Ardeth Bay legte eine Hand auf O'Connells Schulter. »Sie mö gen vielleicht einwenden, d ass das nicht das Gleiche
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ist, mein Freund, aber in jeder Sprache, in jeder Kultur gibt es einen feinen Unterschied zwischen Zufall und Schicksal.« Im Tempel von Karnak, an dem nebelverhan genen Teich, wo sie neben Imhotep stand, hatte sich M eelas Trancezustand nicht zur gleichen Zeit aufgelöst wie die Hyp nose von Evelyn O'Connell. Die Vision der ägyptischen Frau hatte angedauert. Sie war in der Ver gangenheit geblieben und beobachtete, erinn erte sich an eine weitere Tragödie. »Du musst gehen, Liebster«, redete Anck-su-namun eindrin glich auf Imhotep ein. »Du musst dich retten!« Sie hatte gesehen, wie Imhotep s Priester ihn in Sicherheit brachten, und blieb nun allein an der schrecklich zugerichteten Leiche des Pharaos zurück. »Nur du kannst mich ins Leben zurückholen!«, hatte sie ihm zugerufen, kurz bevor die Türen aufgebroch en wurden und die königliche Garde des Pharao Sethos, die M ed-jai, mit gezückten Schwertern und Speeren her eingestürmt kam. Sie stieß einen Fluch aus und rammte sich Sethos' Schwert ins Herz; ihr Todesschrei erfüllte den Tempel von Karnak. M eela schlug die Augen auf. Ihr Blick war so leer wie d ie Augen eines Toten, erstarrt in Trance stand sie d a, während Imhotep aus den verbotenen Seiten des riesigen Totenbuchs vorlas. Der Nebel hob sich von der Oberfläche des kleinen funkelnden Teiches. Etwas Seltsames, Schwarzes, fast M enschliches gluckerte unter der weichen Oberf läch e und kam empor. Schwarzer Schlamm, der d ie Form ein er wohl geformten Frauenfigur annahm, erhob sich aus dem Teich und schwebte wie ein seltsames schwarzes Sp iegelbild hinauf, bis es auf einer Augenhöhe mit M eela war. Dann kollidierte der Schlamm mit
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der Frau, bedeckte sie, so d ass sie zu einer glitzernden Statue aus Obsidian wurde. Plötzlich war der Schlamm in ihr em Körper verschwunden, er trat durch jede Pore und Öffnung ein und verschmolz mit ihr. M eela blinzelte mehrere M ale, und in ihre Augen trat Leben. Sie starrte Imhotep an und langsam lächelte sie ihn zärtlich an. Die lebendige M umie erwiderte den zärtlichen Blick und flüsterte fast träumerisch: »Anck-su-namun.« »Imhotep «, erwiderte sie mit der gleich en träumerischen Stimme. »Unsere Liebe währte länger als die Tempel unserer Götter«, sagte er und zeigte auf die Ruinen um sich herum. »Und sie wird noch viel länger andau ern«, entgegnete sie, »als die du mmen M enschen glauben, die uns aufhalten wollen.« Sie umar mten und küssten sich. Es war ein langer und leidenschaftlicher Kuss, ein Kuss zwischen zwei M enschen, zwei Göttern. Imhoteps Fleisch faulte nicht mehr dahin durch die menschliche Berührun g, denn nun war er selbst ein M ensch, so wie Anck-su-namun nicht mehr länger M eela war.
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Kapitel 5. Sandburgen
Unter dem strahlend blauen Nachthimmel lenkten die Krieger ihre Kamele durch das Lager von Karnak. Runde, kup pelförmige Zelte wurden um den Tempel aufgebaut, bis auf die Sterne und das Katzenlächeln des M ondes erhellten nur Lagerfeuer und Fackeln die Stätte. Schatten tanzten auf den harten, ebenerdigen Kalksteinflächen, und flackerndes orangefarbenes Licht erleuchtete die prächtigen Säulen. Im Innern d es Tempels gin g ein acht Jahre alter Gefan gener im Kreis herum; teils aus Angst, aber auch weil er an eine dicke, tief in den sandigen Erdboden ger ammte Eisenstange gef esselt war und ihm nicht mehr Bewegungsfreiheit blieb. Schritte und das Rascheln von Gewändern kündigten jemand en an. Alex schaute hoch und sah einen angestrengt blickend en Lock-nah, der um d ie Ecke bog. In einer Hand trug er eine Tasse, aus der Wasser schwappte. »Vorsicht Partner!«, rief Alex. » Sie verschütten ja die Hälfte.« Lock-nah hielt ihm die Tasse hin, die der Junge n ahm. »Es wird dein Blut sein, das ich eines Tages verschütten werde«, sagte der Araber kalt und bedroh lich, »wenn die Zeit dafür gekommen ist.« Der Junge schaute in die Tasse. »Was, keine Eiswürfel?« Die Hände zum Würgegriff geformt, trat Lock-nah einen Schritt vor. Sein Schatten fiel bedrohlich auf das Kind, und seine Stimme war ein heiser es Flüstern. »Es wird mir ein Ver gnü gen sein, dich zu töten ...« Alex hob die linke Hand, an der das verzierte Skorp ion-
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armband hin g, und klimperte damit. Der Araber wich zurück, als der Junge sagte: »Vielleicht kriegen Sie ja eines Tages Ihre Chance, Lock-nah, ab er bis dahin sind Sie besser nett zu mir.« Lock-nahs Augen funkelten, seine Nasenflügel bebten - er zitterte vor Wut. Seitdem Alex aus dem Zug geflohen war, hatte der Krieger, aus dem ein Babysitter geworden war, unter dem Zorn Imhoteps zu leiden. »Oder«, bemerkte Alex unschuldig, »vielleicht gef ällt es Ihnen ja auch, wenn ich Ihrem Boss erzähle, dass Sie mir wieder eine runtergehauen haben.« Lock-nah stieß einen Laut aus, der knurrend aus den Tiefen seiner Brust kam und sich als markerschütternder Schrei von seinen Lip pen löste. Alex lächelte. Wieso sollte er den Araber fürchten, wenn ihn in fünf Tagen ein Todesurteil erwartete, das an seiner Hand festklemmte? Er drehte sich um und schaute nach, ob ihn jemand beobachtete. Schließlich hatte er Lock-nah ja nur ärgern wollen, damit er ihn endlich in Ruhe ließ. Er ließ sich auf alle viere n ieder. Nachdem er ein paar Schlucke genommen hatte, kippte er die Tasse um und schüttete das Wasser in den Sand; dann setzte er sich im Indianersitz auf den Boden und formte aus dem feuchten Sand einen Haufen, aus dem er eine Sandbur g baute. Dabei machte er den Eindruck eines achtjährigen Jungen, der am Strand spielte. Doch Alex war weder ir gend ein achtjähriger Junge, noch war er am Strand und baute irgendeine Sandbur g. Die Sonne war eine große goldene Scheibe und zeigte M ittag an; sie brannte unbarmherzig auf Rick O'Connell und Ardeth Bay hernieder, die - mit ihr en Waff en im Anschlag - verstohlen und rasch durch d ie Ruinen von Karnak kletterten, während die Wüstenhitze grausam wie ein alter Fluch auf ihnen lastete. Die schmalen Linien der fein geschnitzten Reliefs wurden durch
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das gr elle Sonnenlicht krass hervorgehoben, warf en scharf umrissene Sch atten, während der Abenteurer und der Krieger sich vorsichtig ihren Weg durch die Ruinen bahnten, die von vergangener Größe künd eten. Kameldun g, erkaltetes Lagerf euer und Löcher für Zeltstäbe verrieten ihnen, dass diese alten Ruinen vor nicht allzu langer Zeit als Lagerstatt vieler M änner gedient hatten. »Weniger als hundert«, flüsterte Ardeth Bay . »M ehr als fünfzig.« Aber diese M änner, wie viele es auch gewesen sein mochten, waren offensichtlich schon weiter gezogen. Die kleine, gut bewaffnete Befreiun gstruppe, die nach Karnak in einem Luftschiff gesegelt war, kam scheinbar zu spät ... O'Connell musste aber no ch nachsehen, was mit dem Zug los war, der scheinbar ver lassen auf d en Schienen lag. Er rannte zu einer Säule hinüber und suchte Deckung. M it einem Kopfnicken gab er dem Anführer der M ed-jai ein Zeichen und dieser rannte daraufhin mit wehenden Gewändern zu dem still liegend en Zug. O'Connell folgte. Als Ardeth Bay in den Salonwagen stürmte, rannte O'Connell zu dem angrenzenden Güterwagen. Die große Tür stand weit offen. Beide M änner machten sich auf das Schlimmste gefasst - aber es war nichts zu sehen. Der Salonwagen war leer, der Güterwagen, sorgfältig ausgestattet wie ein ägy ptischer Tempel, stand voller Artefakte, aber niemand war zu sehen. Auch kein kleiner Junge. Auf einem kleinen Tisch, der mit Schriftzeichen verziert war, liefen die letzten schwarzen Sandkörner in die untere Hälfte eines Stundenglases; die Zeit war ihnen d avon gelaufen. Enttäuscht sp rang O'Connell aus dem ver lassenen Güterwagen und traf auf Ardeth Bay , der verneinend den Kop f schüttelte. Auch er hatte niemanden entdeckt. »Zu spät«, sagte O'Connell und schlug mit der Faust gegen
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die Wand d es Güterwagens. Eine Welle der Verzweiflun g überkam ihn, die so gar die Wüstenhitze verdrängte. »Verflucht, M ann, wir sind zu spät gekommen.« Ergeben starrte Ardeth Bay auf die verlassene Temp elanlage, die Säulen, d ie Ruinen. »Wir haben ihre Sp ur verloren. Sie sind weg.« Dies war das Rennen, das sie hätten gewinn en müssen. Jetzt hatten sie keine Ahnung, wo das Armband des Anubis, diese übernatürliche Karte an Alex' Hand gelenk, Imhotep und seine Gefolgsleute hin geführt hatte. Es gab keinen Hinweis, wo Alex zu finden war, keine Aussicht darauf, ihn zu retten. Der Sand verwischte jede Spur. Plötzlich ertönte eine Stimme qu er durch die Ruinen. »Riiiick!« Hoffnung machte sich in O'Connells Brust breit, denn in diesem einen Wort aus Evely ns M und lag aufgeregte Begeisterung und keine Verzweiflun g. Er stürmte durch den Sand, fegte durch die Ruinen, Ardeth Bay folgte ihm dicht auf den Fersen. Evy wiederholte seinen Namen, und sie folgten ihrer Stimme in den Tempel. Dort war sie in ihrer Verzweiflung hingelaufen, sich wie eine Ertrinkende an den Strohhalm klammernd, dass sie doch noch einen Hinweis auf Alex fand en. Der freudige Ausdruck auf ihr em Gesicht zeigte, dass sie mehr als nur einen Strohhalm entdeckt hatte. Sie hatte eine Krawatte entdeckt, Alex' kleine Jun genkrawatte, die er an den Arm einer Statue gebunden hatte. Es war die Statue von Pharao Sethos, dem Erbauer des Tempels. »Schaut mal«, verkündete sie lächelnd und zeigte auf d ie baumelnd e Krawatte, »was Alex >verloren< hat.« »Es ist ein Hinweis«, sagte O'Connell und sein Herz raste. Jetzt zeigte Evy auf den sandigen Temp elboden, wo eine kompliziert angelegte, präzis umrissene Sandburg gebaut
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worden war. Es handelte sich jedoch keineswegs um die Sandburg eines Kindes ... »Dies ist die Temp elinsel von Philae«, erklärte sie. O'Connells Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen und stolz fuchtelte er mit der Faust aufgeregt in der Luft herum. »Das ist jetzt unser nächstes Ziel, der Weg zu unserem Sohn. Kommen Sie, Ardeth. M achen wir uns auf!«' Ardeth Bay deutete eine Verbeugung an und erwiderte: »Ich muss mich für kurze Zeit entschuldigen, bevor wir aufbrechen.« O'Connell fragte nicht weiter, wusste er doch, dass der M edjai seine Gründe dafür hatte. Er und Evy würden zu Izzy stoßen, der hinter einer hohen Düne lagerte und das Luftschiff fertig zur Abfahrt machte. Rasch hatte der M ed-jai eine Nachricht auf Papier gekritzelt, sie zusammengerollt und in ein winziges M etallröhrchen geschoben. Er stand neben seinem Pferd, der Falke hockte auf dem Sattelknauf. Ardeth Bay streckte den Arm aus, und Horus nahm seine Position zwischen Handgelenk und Ellbogen ein. Er befestigte das Röhr chen mit ein em magnetisierten Verschluss an einem Bein des Falken; der Vogel nahm diese unwürdige Hand lung ohne Krächzen oder Flügelschlagen hin. Anschließend schickte Ardeth Bay ihn mit einer kurzen Armbewegun g in den sonnigen Himmel. O'Connell sah, wie der schöne Falke an mutig üb er den Tempel flog, auf seinem Weg, den M ed-jai Stämmen ihren nächsten Halt mitzuteilen. Dieser nächste Halt, die Insel von Philae, d ie sie am folgenden Tag erreichten, erwies sich als genauso verlassen wie die Tempelruinen von Karnak. Das einzig Interessante war Alexs' Jacke, die d er Junge unachtsam zurückgelassen hatte ... ... darunter befand sich wieder eine kompliziert gebaute Sandburg, ein Blick, der einen kon isch geformten Berg mit vier gigantischen Statuen darstellte. Evely n erkannte dies als den
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Großen Temp el von Abu Simbel. Am nächsten Tag landete das Schiff in Abu Simbel, aber auch dieses M al war Imhoteps Truppe wieder vor ihnen abger eist. Doch eine Karte im Sand, ein dur ch Schluchten fließender Fluss, wies auf den neuen Zielort: das Tal des blauen Nils. Überall, wo sie an den drei Tagen ihrer Verfolgung in der Luft anhielten, wurde der Bote Horus los geschickt, um die anderen M ed-jai zu informieren; zu Pferde folgten sie der Befreiungstruppe zu ihrem nächsten Halt. So klein das O'Connell Team auch war, so groß war die Armee der M ed-jai. Sie zählte zehntausend M ann. Als jedoch einer der Befehlshaber die Nachricht des Falken vorlas und das Ziel >blauer Nil< fiel, ging ein nervöses Gemurmel durch die Reihen der M ed-jai, deren zweite Natur es war, den Gefahren der Sah ara zu trotzen. Der blaue Nil, der zweite Nil also, lag in einem Tal und umfloss den M ittelp unkt der großen Ber ge. Die Schlucht fiel ab in eine Tiefe von 1500 M eter. Ein enger Teil, der sich auf über fünfhundert unzugängliche M eilen erstreckte, wurde von Krokodilen, Nilpferden, Leop arden und Löwen b ewohnt; es war ein Dschungelparadies, das der M ensch noch nicht zerstört hatte. »Abessinien«, stellte O'Connell fest. »Was ist?«, fragte Jonathan und blickte ihn verwirrt an. Das Luftschiff flog nun durch die tiefen Schlu chten und folgte dem sich schlangelnd en Flussbett. »Das da unten ist der blaue Nil«, sagte O'Connell und schaute über die Relin g in den schimmernden Fluss. Evy und Ardeth Bay taten es ihm nach. »Wir sind nicht mehr in Ägyp ten.« »Das stimmt«, pflichtete Evy ihm bei, »nicht mehr im modernen Ägypten, aber immer noch im alten Ägy pten.« Jonathan zog die goldene Scheibe aus dem Rucksack und untersuchte die fein gearbeitete Relief arbeit, die von einem
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gezeichneten Skorp ion dominiert wurde; aber auch Krieger mit verzerrten Gesichtern, schakalköp fige M änner starrten ihn an. Ab und zu waren auch groteske, schreck lich e Bilder von kindähnlichen Gestalten mit entblößten, scharfen Zähnen zu sehen. Jonathan trat neben seine Schwester. »Kurze Frage, Schwesterchen, bevor wir uns hier unten umsehen ...« Er zeigte auf die schakalköp figen Krieger auf der Scheibe. »Wer könnten diese Jun gs sein?« »Krieger des Anubis«, antwortete Evely n nüchtern. »Günstlinge des Königs der Skorpione.« »Aha. Mythische?« »Mythische, zumindest wird das angenommen.« »Und dieser kleine Kerl hier, der mit den sp itzen Zähnen?« »M enschenfressende Zwerge«, sagte sie und berührte die eingearb eiteten Figur en mit der Fin gerspitze. »Die Pharaonen pflegten die kleinen Kerle zu fangen und sie für Unterhaltungszwecke nach Theben zu bringen. Eine Art übellaun ige Hofnarren.« »Übellaunig?« »Sehr übellaunig.« »Sagenh afte Kreaturen? Mythisch?« »Nein. Ziemlich real, doch in der heutigen Zeit h at man natürlich noch nie von ihnen gehört.« »Fantastisch!«, rief Jonathan und war offensichtlich erleichtert. Evy schaute auf die zerklüftete Landschaft unter ihr. »Wie sollen wir sie nur jemals in diesem Labyrinth von Schluchten finden?« O'Connell legte den Arm u m sie. »Alex wird uns ein Zeichen hinterlassen. Wart nur ab.« »Aber es gibt keinen Tempel, bei dem wir landen könnten. Wir haben h ier nur den Fluss.«
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»Unterschätz deinen Sohn nicht, Liebes«, sagte er betont fröhlich, obwohl auch er sich Sorgen machte. »Er hat eine fähige M utter.« Alex, der auch einen sehr mutigen Vater hatte, war näher bei seinen Eltern, als einer von ihnen geahnt hätte. Nur wenige M eilen von dem Schiff entfernt saß der Junge am Wasserrand und malte mit den Fingern ein e große Zeichnung in den Sand. Dies tat er so unauffällig wie möglich, als ob er nur herumspielte und ir gendeinen Unsinn trieb. Er wollte seinen Eltern ein Zeichen hinterlassen, denn er war überzeugt, dass sie ihn holen kommen würden. Alex hatte eine Sonne gemalt, in groß en und fetten Zeichen, falls sie ihm über den Luftweg folgen würden. Als er fertig war, lehnte er sich zurück, um sein Werk zu bewundern, doch plötzlich trat ein Schuh auf sein e Zeichnung und vernichtete sie wütend. »Wie lan ge hinterlässt du schon solche Hinweise?«, v erlan gte Lock-nah zu wissen. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« Der Krieger packte den Jungen am Arm und zo g ihn auf d ie Beine. Lock-n ah machte Anstalten, ihn zu schlagen, als ihn eine Stimme auf Altägyptisch anrief. »Du bist sehr schlau, kleiner M ann«, sagte Imhotep zu Alex. Lock-nah und das Kind schauten hoch. Imhotep stand knietief im Wasser des Nil. Die wieder gebor ene M umie wandte sich wiederholt an Alex: »Ich hoffe, deinen Eltern hat die Reise gefallen, d enn sie näh ert sich ihrem Ende. In einem Ballon kommen sie uns näher. Ich habe sie schon früher entdeckt, als sie um eine Schlucht gebo gen sind. Dein Vater ist ... dein Vater war ein großer Abenteurer, und dein e M utter eine Frau von bemerkenswerter Schönheit.«
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Alex zitterte, als Imhotep die Arme hob. Die M umie hatte ihre Kraft weitestgehend wiedererlangt, daher war nur wenig Aufwand notwendig, um eine riesige Wasserwand aus dem Fluss entstehen zu lassen. Der Junge sch loss die Augen, öffnete sie, do ch sie war immer noch da: ein blauer, in d er Luft hän gender Vorhang, der nur auf Imhotep s Befehl wartete. O'Connell, seine Frau und Ardeth Bay standen am Heck des Trawlers und suchten die Flussufer ab. Sie hofften auf eine Bewegung, auf irgendein Zeichen, das Alex ihnen vielleicht hinterlassen hatte. Ein grollendes Ger äusch, das erst schwach, doch rasch lauter wurde, brachte O'Connell auf den Gedanken, dass ein Wasserfall vor ihnen lag. Als O'Connell einen Blick zum Bug hin warf, rief Izzy, der im Cockp it saß: »Beim heiligen Petrus ... was zum Teufel ...?« Eine turmhohe Wasserwand donnerte den Cany on herunter, als hätte sie ein Eigenleben. Donnernd und krachend stürzte sie auf sie zu und gr iff nach ihnen. Gestein und Felsbrocken schob sie aus dem Weg, als wären es Kieselsteine. »Izzy!«, schrie O'Connell. »Steuerbord. Nach rechts. Schlag Steuerbord ein.« Izzy riss das Steuer herum, O'Connell starrte auf die Wasserwand. Es überraschte ihn noch nicht einmal, als sich plötzlich ein riesiges Gesicht darin formte, das Gesicht von Imhotep . Izzy war ebenfalls Zeuge dieser fantastischen Veränderun g geworden und sah nun, wie sich ein riesiger wässriger M und zu einem Schlund öffnete. Der Pilot rief: »Schießt! Schießt doch! Irgendeiner soll das verdammte Din g abschießen!« O'Connell, der das riesige Gesicht Imhoteps vor zehn Jahren in einem Sandsturm gesehen hatte, wusste, wie wenig Schießpulver ausrichten konnte.
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»Das klappt nicht!«, erklärte O'Connell dem entsetzt in die Gegend starrenden Pilot. »Versuch etwas anderes! Flieg uns hier raus!« Izzy betätigte einen Hebel, und katapultartig schossen Flammen aus den selbst gebastelten Startraketen im Stil von Buck Rogers, die an jeder Seite des Trawlers an gebracht waren. O'Connell hatte diese Dinger schon früher bemerkt, sie aber für nicht funktionstüchtiges Drum und Dran gehalten, das Izzys verrücktem Geist entsprungen war. Doch O'Connell hatte sich geirrt: die Rak eten beschleunigten das Luftschiff und ließen es in einen Seitencanyon entweichen. Das riesige Wassergesicht bekam die Kurve nicht und schrie vor Wut, als es vorbeischoss und gegen eine Canyonwand klatschte. Izzy wurde vom Kielwasser ganz durchnässt, während die anderen verschont blieben. »Seht mal her. Das könnte was für euch sein«, b emerkte Jonathan. Die anderen dr ehten sich um und schauten auf die k lein ere Schlucht, in die Izzy sie gerade gef logen hatte, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sie in eine weitere, allerdings beckenförmige Sch lucht mündete, deren Boden mit einer smaragd grünen Landschaft aus Palmwedeln und Laubwerk bedeckt war. Sie war so saftig und grün ... ... dass dies nur eines bedeuten konnte.... »Ahm Shere«, sagte Ardeth Bay, von Ehrfurcht ergriffen. »Wir haben die Oase von Ahm Shere entdeckt!« O'Connell griff sich sein Fernrohr und schaute sich das Ganze aus der Nähe an. Er entdeckte ein e funkelnde Spitze, die zu einer Pyramide gehören konnte, einer goldenen Pyramide. »Ich glaube, es hat uns gefunden«, bemerkte er. Hinter ihnen war wieder das Donnern des Wasserfalls zu hören. Izzy schaute zurück und sagte: »Verdammte Sch .... Sintflut!«
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Eine weitere Wasserwand stürzte auf sie zu, in ihrer M itte das riesige, verrückte Gesicht des Imhotep. Sein riesiger, weit aufgerissener M und schien zu lachen und ber eit zu sein, das Schiff und d en Trawler und alle an Bord zu verschlingen. »Gib Vollgas!«, schrie O'Connell. Izzy folgte seinem Befeh l, zündete die Startraketen und Flammen schossen auf jeder Seite des Bootes heraus. Das Schiff schoss über d en Dschungel dahin, weg von d em hungrigen Wasser gesicht. Im selben Augenblick spuckten die Flammen, stotterten und erstarben. »Gott hat es für mich entschieden«, sagte Izzy und schüttelte den Kopf. Der riesige M und aus Wasser verschlang das Sch iff, zog es hinunter in den Dschungel, wo das gestrandete Schiff und das ganze Wasser eine Bru chlandung machten. In Imhoteps Lager beobachtete ein erschro ckener und fassungsloser Alex, wie die M umie dur ch das trockene Flussbett lief, das noch vor kurzer Zeit mit dem blauen Nilwasser gefüllt war. Imhotep näherte sich dem Jungen, der zurückfuhr und schluckte. Doch die M umie tätschelte nur seinen Kopf.
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Kapitel 6. Das Tal der Toten
Ahm Shere war mehr ein Dschungel denn eine Oase, d ie Sonne brannte nämlich so unerbittlich, als stapften sie immer noch durch den Wüstensand der Sahar a. Die durstige Erde hatte die Wasserwand rasch verschluckt, die in das tropische Gestrüpp geklatscht war und Schiff, Boot und Passagiere in eine k lein e Lichtung geschleudert hatte. Innerhalb einer Stunde war die O'Connell-Befreiungstrupp e wieder staubtrocken; alle waren unversehrt geblieben. Leider galt diese Aussage nicht für Izzys zusammengef lickte Flugmaschine. Der Ballon war p latt und lag wie eine sch laffe Hülle am Erdboden, als wäre ein sterbendes Tier aus seiner Haut gekrochen. Der Trawler glich einem zerpflückten Haufen, der gegen einen riesigen, hoch aufragenden Baum lehnte, den Evy als Affenbrotbaum erkannte. Sie waren von smaragdgrünem Urwald umgeben, der in allen Farben, haup tsächlich in rot und golden, ab er auch in violett und in Blautönen - von hell bis dunkel - schillerte. Palmblätter umlagerten sie wie die scharfen Schwerter einer Armee, Girlanden wilden Weins schmückten jeden Pfad. Diese Üppigkeit ließ ein Parad ies vermuten, doch lauerten überall Gefahr en; auch konnte man rasch verlor en gehen in diesem Gewirr von Schlingpflanzen und Blumenranken. Ausrüstung und Waff en hatten keinen Schaden genommen, ironischerweise musste Imhoteps Wasserritt ihren Aufprall abgemildert haben, denn lediglich der Trawler h atte den Kürzeren gezo gen. Anfangs völlig durchnässt und durchgeschüttelt, hatte sich die Truppe allmählich von ihrem Schock erholt und kam körperlich und geistig wieder zu Kräften. Sie
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packten Ausrüstung und Waffen zusammen und waren marschbereit. O'Connell wusste, dass er nicht mehr weit von seinem Sohn entfernt war, denn sie hatten die gold ene Pyramide gesehen, und Imhoteps Anwesenheit sp rach für sich. Die Rettung stand also bevor. Doch wie sie aus dem Dschungel wieder rauskommen sollten, musste noch geklärt werden. O'Connell gin g zu Izzy hinüber, der vor seinem zusammengeschrump ften Ballon und kap utten Boot auf und ab rannte und vor sich hin schimpfte. »Izzy«, sagte der Abenteurer, »du wirst hier bleiben und Humpty Dumpty wieder zusammenbauen.« »Wie zum Teufel soll ich das denn machen?« »Keine Ahnung, du bist der Pilot und Erfinder. M eine Aufgabe ist es, meinen Sohn aufzusp üren und ihn zurückzuholen. Wenn ich das erledigt habe, will ich h ier weg und zwar rasch.« »Du sp innst!« »Sieh zu, dass es klappt, Izzy.« Izzy schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Verstehst du denn nicht? Das hier ist kein Heißluftballon, das Ding funktioniert nur mit Gas! Hast du Helium bei dir? Ir gendeinen Wasserstoff in deiner Hosentasche?« O'Connell zuckte mit den Achseln. »Kannst du nicht irgendwas herstellen? Hier sind doch überall natürliche Ener giequellen.« »Klar, natürlich, wir verfeinern und verarbeiten ein p aar M angos und Bananen. Das einzige natürliche Gas in dieser Umgebun g ko mmt aus Tarzans Hintern.« »Dann mach aus dem Schiff heiße Luft.« »Wie zum Teufel soll ich ...«, Izzy hielt inne. Sein Gehirn arbeitete.
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Hinter dem Rücken des Piloten kam Jonathan angeschlichen. Über Izzys Schulter hatte er Blickkontakt mit O'Connell aufgenommen, der seinem Schwager unmerklich zunickte. Die zwei mussten einen kleineren, aber notwendigen Diebstahl begehen. »Ich vermute, dass wir den Ballon noch notdürftig aufzäumen können, so dass er Heißluft aufnimmt«, sagte Izzy. Seine Augen rollten rasch hin und her, als stelle er in seinem Kopf bereits Berechnungen an. Hinter Izzys Rücken schlich Jonathan an dem zerstörten Trawler entlang. O'Connell legte einen Arm um Izzys Schulter und sorgte d afür, dass der Pilot mit dem Rücken zu Jonathan stehen blieb, der im Begriff war, Izzys Boot zu plündern. Izzy fragte: »Aber hast du eine Vorstellung, wie viel Kubikmeter Heißluft überhaupt nötig ist, um in die Luft zu kommen?« Jonathan schnappte sich das Zepter des Osiris vom Deck des Trawlers. O'Connell klopfte dem Piloten auf den Rücken und sagte: »Iz, wenn jemand dieses Baby mit Heißluft füllen kann, dann du.« »Wie lan ge werdet ihr weg sein ?«, fragte Izzy weiter. O'Connells Schwager stop fte das Zepter in seinen Rucksack. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, ent gegnete O'Conne ll. »Wenn wir mor gen um diese Zeit nicht zurück sind, und du hast diesen Apparat zum Laufen gekriegt, dann komm uns suchen.« »Wo soll ich denn nach euch suchen?« »Du könntest vielleicht in der Nachbarschaft dieser soliden goldenen Pyramide anf angen.« Izzys Augen leuchteten bei d em Wort >golden<. »In Ordnung, Rick. Ich sehe zu, was ich machen kann. Aber wenn mir die andere Hälfte meines Hinterns dabei abgeschossen wird, wird dich das einiges kosten!«
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Ardeth Bay stand in der Lichtung und befestigte eine weitere Botschaft an einem Bein seines geliebten Falken ; liebevo ll streichelte er den Vo gel, bevor er ihn erneut losschickte. Er beobachtete, wie das stolze Tier in die Luft stieg und über die Waldkrone hinaus aus seinem Blickfeld verschwand. Anschließend fo lgte er Jonathan und Evy; ihnen vor an schritt O'Connell, der sich mit einer M achete den Weg durchs Unterholz bahnte. Sie waren nur ein kurzes Stück vorangekommen, als ein Gewehrschuss durch den Dschungel h allte, gefolgt von einem Todesschrei. Es war kein menschlicher Schrei, sondern der Schr ei eines Vogels. Ardeth Bay konnte nicht ahnen, dass Imhoteps M ann Locknah den Falken einen Tag zuvor ersp äht und ihn seitdem genau beobachtet hatte. Er hatte auf seine Rückkehr gewartet, auf den Augenblick, an dem er den Boten vo m Himmel schießen konnte. Ardeth Bay wusste jedoch, dass Horus tot sein musste oder ger ade starb. Als er sich in die Richtung drehte, aus welcher der Schuss gekommen war, rief er laut den Namen des Vo gels. Seine Stimme, in der all seine Lieb e mitschwan g, klang gequ ält. Der Anführer der M ed-jai stolp erte vorwärts, starrte fassungslos in den leeren blauen Himmel. O'Connell tauschte einen verzweifelten Blick mit Evy , wussten sie doch beide, wie viel der Falke ihrem Gefährten bedeutet hatte. Ardeth Bay legte den Rucksack ab, drehte sich feierlich zu O'Connell um und sagte: »Ich muss geh en.« M it diesen Worten drehte sich der M ed-jai um und stapfte in die entgegen gesetzte Richtung; rasch stellte sich O'Connell dem Krieger in den Weg und hielt ihn auf.
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»Ich schaffe das nicht ohne Sie«, sagte O'Connell. »Ich muss meine Anführer benachr ichtigen, wo wir sind«, entgegnete M ed-jai.« Wenn die Armee des Anubis von den Toten aufersteht ...« »Zuerst müssen wir meinen Sohn zurückholen.« »M ein Freund, ich bewunder e Ihren Sohn, er ist ein netter Kerl. Aber er ist ein einzelner Junge, die Armee des Anubis bedroht jedoch die ganze M enschheit.« »Alex ist nur ein Junge, richtig, so wie Horus lediglich ein Vogel war.« Ardeth Bay starrte ins Gesicht seines Freundes; O'Con-nell hielt dem harten Blick stand, der ihn aus den dunklen Augen des Kriegers traf. Ardeth Bay nickte. M it einem Seufzer nahm er den Ru cksack vom Boden auf und warf ihn sich über die Schulter. Der Krieger legte dem Abenteurer ein e Hand auf die Schulter. »Zuerst«, sagte er, »müssen wir Ihren Sohn zurückholen.« O'Connell grinste und legte Ardeth Bay ebenfalls die Hand auf die Schulter. »Hey, Sie würden doch keinen Temp elritter im Stich lassen, oder?« Der Krieger grinste zurück. »Nein.« Der Pfad, auf dem Imhoteps Karawane durch den Dschungel von Ahm Shere zog, wurde erhellt vom M ondlicht und von den Fackeln in den Händen der bewaffneten Krieger ; sie waren nicht auf Kamelen unterwegs, sondern zu Fuß - allen voran die wieder geboren e M umie. An seiner Seite gin g die Frau, d ie einst M eela gewesen und nun Anck-su-namun war. Beide trugen dunkle, weite Gewänder und stolzierten erhobenen Hauptes durch den Wald, es machte den Eindruck, als wichen die messerscharfen Palmblätter vor dem königlichen Paar ehrfürchtig zurück. Alex befand sich am Ende der Karawane. Die Hände vorne mit einem Seil zusammen gebunden, trieb ihn
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Locknah mit Ripp enstößen vorwärts. Er war ein mutiger Junge, doch Dschungel bei Nacht machte ihm Angst, und er fürchtete sich. Er wurde das Gefühl nicht los, dass seine Zeit ablief; das goldene Armband an seinem linken Handgelenk war die ständige M ahnung der tick enden Uhr. Imhotep gab mit der Hand das Zeichen zum Stehenbleiben. Am Ast des Baumes vor ihm hing eine große Netztasche, die einen schr ecklichen Inhalt enthüllte: menschliche Skelette in Panzern, wobei manche noch ihre Schilder in der Hand hielten. Der Kurator, ganz Autor des M useumsführers, beugte sich vor und sagte zu Imhotep: »Römische Legionäre ... man darf nicht vergessen, dass die Oase von Ahm Shere der Garten von Eden und das Tal der Toten genannt wurde.« Imhotep schien diese Information nicht zu beeindrucken, und so rückten sie weiter vor, machten erst wieder Halt, als sie auf ein weiteres Netz mit Skeletten in M ilitäruniform an einem Baum stießen. Es waren europäische Uniformen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen mochten. »Franzosen«, erklärte der Kurator. »Napoleons Armeen.« M it weit aufger issenen Augen nahm Alex d ie Bilder in sich auf, er war zu Tode erschr eckt und zitterte. Selbst sein brutaler Baby sitter schien sich zu fürchten. »Wer oder was im Namen von Anubis hat das getan?«, fragte Lock-nah und zeigte auf die Skelette, die an Feuerspießen baumelten und aus dem Unterholz ragten. Diese Leichen stammten aus jüngster Zeit. Waren diese armen Seelen bei lebendigem Leibe gegrillt worden? Auch den Wüstenkriegern stand die Angst ins Gesicht geschrieben, und selbst die sonst so zurückhaltende Anck-sunamun klammerte sich zitternd vor Angst am Arm ihres Geliebten fest. Nur einer zeigte und fühlte keine Angst: Imhotep .
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Es tat sich eine weitere Lichtung auf, die von M ondlicht durchflutet wurde; die O'Connell-Truppe legte einen Zwischenstopp ein, um etwas zu trinken und sich auf den Kamp f vorzubereiten. Der ehemalige Fremd enlegionär und der Anführer der M ed-jai bewaffneten sich bis an die Zähne. O'Connell schaute auf, während er eine Pistole lud. »Hören Sie das?« Ardeth Bay, der gerade ein Gewehr lud, blickte hoch. »Ich höre nichts.« »Das ist richtig, nichts. Absolut nichts. Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Tier e in diesem kleinen Treibhaus zu Hause sind? Und es herrscht Totenstille.« Ardeth Bay nickte. »Noch nie habe ich einen Dschungel so still erlebt.« »So hört sich die Wüste an, kurz bevor die Tuaregkrieger angr eifen.« Die beiden M änner tauschten besorgte Blicke. Jonathan, der gerade dabei war, sein er Schwester beim Laden und Stapeln der Gewehre behilflich zu sein, hatte etwas im Unterholz bemerkt. Er hätte schwören können, dass ihn Gesichter anstarrten, also unterbrach er seine Arbeit und ging vorsichtig hinüb er, schob die Zweige d es Unterholzes auseinander - und schaute direkt in die toten Augen von einem Dutzend verschrump elter Köp fe, die an einem Speer baumelten. Erschrocken taumelte er zurück, kam jedoch rasch zu der Erkenntnis, dass er sich nicht zu fürchten brauchte, da ihm die armen Kerle nichts mehr anhaben konnten. Umgehend zeigte er diesen Fund seinen Begleitern. »Wie machen sie das bloß?« fragte Jonathan gedankenlos. »Also, die Köp fe zu schrump fen, meine ich. Würdet ihr nicht auch gerne erfahren, wie sie das schaff en?« Die anderen dr ei schauten ihn v erständnislos an.
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Entrüstet ließ Jonathan die Blätter los und verdeckte seinen grässlichen Fund. Er fragte: »Was ist? Sind wir denn keine Forscher? Sollte mich das nicht interessieren?« Schmollend ging er zu den Waffen zurück und p osierte mit einem Gewehr in der Hand. Ardeth Bay zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Wissen Sie, wie man damit umgeht?« »Dazu möchte ich nur anmerken«, erwiderte Jonathan naserümpfend. »Dreimaliger Fox and Hound Champion.« Jonathan probierte ein Kunststück mit der Waffe, dabei fiel sie ihm fast aus der Hand. »Das war damals, als ich noch nicht getrunken habe«, gab Jonathan verlegen zu. Ardeth Bays spöttisches Lachen ärgerte Jonathan. Er zeigte auf das Schwert, das der Krieger in der Hand h ielt. »Wissen Sie denn damit umzugehen?« »Das hoffe ich doch«, entgegnete Ardeth Bay , kam mit dem Schwert auf Jonathan zu und hielt ihm die Klinge an seine zitternde Kehle. »Es gibt nur eine M öglichkeit, einen Anubis-Krieger zu töten. M an muss ihm den Kop f abschneiden.« Der M ed-jai senkte die Klinge; Jonathan schluckte einmal und fasste sich an die Kehle. »Eine etwas übertriebene Art der Demonstration«, meinte Jonathan verächtlich und wich vor dem Krieger zurück. O'Connell kniete neben seiner Frau, d ie ihr Gewehr n achlud. Zögernd sagte er: »Vergiss nicht Liebes, drü ck am Abzug, nicht ziehen, halt den Gewehrlauf ...« »Keine Sor ge, Liebster«, sagte sie. »Ich werde schon nicht danebenschießen.« Sie beugte sich vor und verschloss ihm dem M und mit einem Kuss. Der Dschungel wirkte nach wie vor dunkel und ruhig, so
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schrecklich ruhig. Auf ihrem Weg durch den Dschungel hielt Imhotep immer wieder nach einem bestimmten Wegzeichen Ausschau, das ihm das Ende ihrer Reise sign alisierte; unterwegs stießen sie ständig auf Netze mit Knochen. Das Geräusch ihrer Bewegungen war die einzige Störung in einem Dschungel, der auf seltsame Weise schlief, als habe die Gegenwart des lebendigen toten M annes, der regenerierten M umie Imhotep, jede Kreatur in ein geheimes Versteck huschen lassen. Imhotep hob die Hand und die Prozession blieb stehen. Von weitem konnte er das Wegzeichen sehen, das er gesucht hatte: die Spitze der goldenen Pyramide, die sich in den dunkelblauen Sternenhimmel bohrte. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, es unterstrich seine gut aussehenden Züge, doch nach einer Weile schlich sich der Wahnsinn in sein glasiges Grinsen. Weder Anck-su-namun noch der Kurator oder Lock-nah, der Alex in der Obhut eines anderen Kriegers zurückgelassen hatte, bemerkten es, obwohl sie näher an ihren Herrn herangetreten waren. Jene, die den engeren Kreis seiner Gefolgsleute bildeten, erwiderten Imhotep s Lächeln und sonnten sich in dem wahnsinnigen Glanz seines Lächelns, das die Nacht erhellte. Alex hatte die Sp itze der Py ramide auch gesehen; schlagartig wurde ihm bewusst, dass er nun in Schwierigkeiten war. Das Armband an seinem Hand gelenk hatte sie an diesen Ort geführt, aber wofür brauchte man eine Karte noch, wenn man erst einmal am Ziel an gekommen war? An der Sp itze flüsterte Lock-nah dem Kurator etwas zu, denn der Krieger wagte es nicht, Imhotep direkt anzusprechen. Der dunkle kleine M ann mit dem roten Fes nickte, faltete die Hände auf seinem Bauch und starrte respektvoll zu seinem
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Herrn emp or, der immer noch dastand und auf die Sp itze der Py ramide starrte. »M ein Herr«, sagte der Kurator. »Jetzt haben wir keine Verwendun g mehr für den Jungen von O'Connell.« Diese Aussage erregte Imhoteps Aufmerksamkeit, er wandte sich dem Kurator zu und entgegnete: »Er ist der Sohn eines Kriegers, ein mutiger, kluger Junge.« »Aber wir haben kein e Verwendung mehr für ihn, Herr.« »Es wäre mir keine Genugtuung, diesen schönen Geist zu bezwingen ... doch würde mir die Qual, die sein Vater beim Tod des Jungen erlitte, ein schier endloses Vergnügen bereiten.« Er schaute Lock-nah mit einem wissenden Grinsen an. »M ach mit ihm, was dir gefällt.« Lock-nah gr inste zurück, drehte sich um und gin g die Karawane entlang, direkt auf Alex zu. Der Junge sah den Krieger kommen und wusste sogleich, was dieses schreckliche Grinsen zu bedeuten hatte: Alex würde sterben, es sei denn, er hätte auf der Stelle ein e rettende Idee, es sei denn, er konnte ir gend etwas tun ... Er versuchte zur Seite auszubrechen, aber der Wächter hinter ihm hielt ihn an den Schultern fest, während Lock-nah immer näher kam, d ie Hand bereits auf dem Griff seines Schwerts. Doch plötzlich wurde die Hitze der Nacht und die Stille des Dschungels durch eine sanfte, flüsternde Brise festgehalten. Es war ein Wind, der durch Zweige und Blätter fuhr, im Unterholz rüttelte und durch die Karawane wehte. Dieser unheimliche Wind ließ Lock-nah auf seinem Weg erstarren. Ein unird isches Geräusch begleitete den Wind, während er durch die Karawane f egte, als pfiff er durch trocken e Knochen, wie das Glockenspiel eines Skeletts ... Imhotep blieb stehen. Er und Anck-su-namun blickten sich suchend um, als versuchten sie, den störenden Wind zu sehen,
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der die Prozession zum Halten brachte. Der Kurator, der menschenfressenden Skarabäen ruhig zugesehen, der dagesessen und Ged ichte gelesen hatte, während eine M umie drei M ännern das Leben ausgesaugt hatte, fürchtete sich nun auch. Als sich der Wind mit der fröstelnden hohlen M usik mischte, schluckte der Kurator und sagte: »Ir gendetwas ... irgendetwas naht.«
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Kapitel 7. Dschungelfieber
Rick O'Connell besaß den angeboren en Instinkt eines Forschers für Orientierung sowie ein Gespür für Entfernungen. Als die gespenstische Stille von Ahm Shere durch die Geräusche von Imhotep s Karawane im Unterholz unterbrochen wurde, wusste er, dass seine kleine Gruppe den Entführern seines Sohnes langsam näh er kam. Er wusste auch, dass sie die Py ramide bald err eicht hatten, obwohl sie durch d en dichten und hohen Dschungel noch nicht zu sehen war. So ungern er auch seine Befreiungstruppe aufteilte, blieb ihm doch keine ander e Wahl. Sie waren an einem Felsvorsprung angelangt, der sich als günstiger Aussichtsp unkt erwies: zum einen, um die Gegn er zu überwachen, zum anderen als strategisches Lager ihrer zahlen mäßig schwachen Truppe. Er wusste, dass Evy und Jonathan nur bescheidene Kampffähigkeiten besaßen, von daher war es das Beste, sie von Zweikämpfen fern zu halten. Er schickte seine Frau und seinen Schwager mit den Gewehren zu dem hoch gelegenen Felsvorsp rung hinauf. Auf halbem Weg blieb Jonathan stehen und wandte sich um. Er schaute O'Connell ungewöhnlich ernst an, als er sagte: »Ich lasse dich nicht im Stich, Rick.« »Das weiß ich«, sagte O'Connell, und seltsamerweise meinte er es auch so. Evy sagte kein Wort, doch ihr Blick sprach Bände. O'Connell und Ardeth Bay liefen erst kurze Zeit durch den Dschungel den Geräuschen im Unterholz nach, die auf die unmittelbare Nähe von Imhotep s Karawane deuteten, als p lötzlich ein sanfter, fremdartiger Wind aufk am. Er rüttelte an das
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Unterholz, als wehe er durch ein offenes Fenster und blättere die Seiten ein es aufgeschlagenen Buches um. Die beiden M änner erstarrten, schauten sich um; instinktiv wussten beide, dass dies etwas Unwirkliches war. Es erklang die disharmon ische, unmelodische M usik, das dumpfe, höllische Spiel des Wind es, das irgendetwas, irgendjemanden ankünd igte. Stammes geräusch e. O'Connell erzitterte bei dem Gedanken an den einzigen Stamm, der mit Ahm Shere in Verbindung gebracht werden konnte ... Der Wind p fiff. O'Connell steckte seine M aschinenp istole in den Schultergurt und nahm einen Revolver in jede Hand. Er nickte dem M ed-jai zu, der das Thompson-M aschinengewehr umklammert hielt, während der gesp enstische Wind mit seinen dunklen Gewändern spielte. Dann liefen die beiden M änner los, schwer bewaffnet preschten sie durch den Dschungel und es kümmerte sie nicht, ob sie jemand hörte. Sie wussten, dass Evy und Jonathan über ihnen in den Felsen saß en. Der Abstand zur Karawane verringerte sich immer mehr, und sie waren entschlossen, sich allem in d en Weg zu stellen, was durch den teuflischen Wind auch an gekündigt werden mochte. An der Sp itze der Karawane schr ie Lock-nah Befehle. Der unirdische Wind hatte die Ermordun g des Jungen vorerst aufgeschoben. »Schwärmt aus«, schrie der Krieger seinen Untergebenen zu. »M acht die Augen auf. Gewehre schussbereit!« Alex b eobachtete, wie Lock-nahs M änner in das hüfthohe Laubwerk ausschwärmten. M anche hatten Gewehre und Fackeln in der Hand, andere hielten ihre Schwerter griffbereit. Es sah aus, als ob sie die Ernte einholen wollten. Plötzlich wurde einer von ihnen nach unten ins Gebüsch gezerrt, er verschwand so plötzlich, als h ätte die Erde oder der Dschungel selbst ihn verschlungen.
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Nun waren es die M änner selber, die geerntet wurden. Der Erste, der im Unterholz verschwunden war, hatte noch nicht einmal mehr Zeit zu schreien, erst der Nächste kam in d iesen Genuss, und sein Schrei ließ den ander en das Blut in den Adern gefrieren. Die Krieger, die in dem hüfthohen Laubwerk standen, begr iffen, dass sie in Schwierigkeiten waren und sich in mit Haien verseuchten Gewässern befanden. Entsetzt suchte einer von ihnen Schutz in einem Baum; er drehte sich um und erblickte etwas Seltsames, etwas Schreck lich es und gleichzeitig Kindliches, das gegen den Stamm lehnte. »Hier ist etwas!«, rief der Krieger Lock-nah zu. Doch Lock-nah und die anderen waren viel beunruhigter über das Verschwinden der zwei Krieger. Der ander e Krieger, der gerufen hatte, ging langsam zu einer scheinbar ausgetrockneten Leiche, die mit dem Stamm des Baums verwachsen war. Jetzt konnte er sie besser erkennen, und er sah die knorr ige, verdorrte Leiche eines Pygmäen. Die Knoch en waren ausgeblichen, Zweige und Kletterp flanzen wuchsen durch ihren freigelegten Brustkorb. Auf dem kindlichen Körper saß der Kopf eines Erwachsenen mit geschlossenen M andelaugen und einem groß en, unglaub lich en M und voller Fangzähne, die so scharf wie ein Rasiermesser waren. »Es ist ... nichts«, schrie d er Araber und beugte sich noch weiter vor. »Es ist tot!« Im gleich en Augenb lick zuckten die vertrockneten Augenlider der Leich e wie ein Sprin grollo zurück und enthüllten tiefe, leere Au genhöhlen. Der Krieger schrie auf und wich zurück. Der Py gmäe zischte durch seine scharfen Zähne, und ein fleischloser Arm hob einen kleinen Sp eer, einen kleinen, albernen Spielzeugsp eer, der trotzdem sehr sp itz war und eine tödliche Wirkung hatte, als der winzige Zombie ihn in die Brust des Kriegers rammte und dessen Herz durchbohrte.
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Sein Schrei verstummte als er starb, und d er Krieger stürzte ins Unterholz. Der scheintote Pygmäe befreite sich von den Kletterpflanzen und den Zweigen, rannte ins Unterholz und verschwand. Hoch oben in den Felsen hatten zwei ungleiche Heckenschützen Stellung bezogen. Evely n und Jonathan konnten die seltsamen Vor gänge dort unten verfolgen. Sie sahen, wie das Laubwerk unter dem seltsamen Wind schimmerte, sie beobachteten, wie die M änner schreiend ins Unterholz gezogen wurden ... »Was zum Teufel geht da unten vor sich?«, fragte Jonathan, der mit seinem Gewehr auf nichts Bestimmtes zielte. Evelyn, die zielen übte, war überglücklich, ihr en Sohn lebend zu sehen, doch bestürzt darüber, ihn inmitten des Geschehens zu wissen. Sie sagte: »Ich hab e nicht die leiseste Ahnung, aber es ist bestimmt eine Art Hölle. Erinnere dich, Jonathan, wir haben doch schon einmal das Unmögliche erlebt. Wir müssen ruhig und gelassen bleiben und uns jed er Herausforderun g stellen, gleich gü ltig wie unheimlich und schrecklich sie ist.« Jonathan, dem der Schweiß auf der Stirn stand, stützte sich auf das Gewehr und sagte nichts. »Jonathan?« »Ja, Schwesterchen?« »Da unten sind mein Sohn und mein Ehemann. Du bist mein Bruder, und ich lieb e dich. Doch jetzt ist für dich der Tag geko mmen, an dem ich Grund haben will, stolz auf dich zu sein.« Jonathan nickte und sein e Antwort klang aufrichtig: »Heute, meine geliebte Schwester, ist dieser Tag.« Und der Bruder Tunichtgut von Evelyn Carnahan, der den ganzen Tag noch nicht einen Schluck aus seinem silbernen
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Flachmann genommen hatte, richtete sich an seinem Gewehr auf. In der Lichtung unter ihnen war Imhoteps Karawane in Auflösung begriff en. Die Krieger hatten Angst und drehten sich hilflos im Kreis, ihre Fackeln warf en orangefarbene Flecken in die Dunkelheit. Einer von ihnen, dem d as kostbare Totenbuch anvertraut worden war, hatte sich nicht in das gef ährliche Unterholz hinaus gewagt. Doch plötzlich stürzte er nach vorne und sein Schrei hallte durch die Nacht. Sterbend taumelte er herum und gab die Ursache seiner Schmerzen preis. Sein Rücken war von unzähligen Pfeilen durchbohrt. Tödliche Giftpfeile von Angreif ern, die im Unterholz lauerten. Sein lebloser Körp er hatte kaum den Boden berührt, als Anck-su-namun ihm das Totenbuch aus den steifen Fingern riss. Aus dem Nichts tauchte Imhotep an ihrer Seite auf, packte ihren Arm und zog sie mit sich. M it seiner wiedergeborenen Geliebten stürmte er in den Dschungel und überließ seine M änner ihrem Sch icksal. Die meisten von ihnen bemerkten seine Flucht nicht einmal, doch dem Kurator entging es nicht. Als Imhotep floh, p latzten O'Connell und Ardeth Bay am Ende der Karawan e in den gr ausigen Schaup latz. Genau in diesem M oment entschloss sich Lock-nah, der wusste, dass ein Kamp f mit den unbekannten Angreifern aus dem Unterholz bevorstand, eine noch offen stehende Rechnung zu begleichen. Der Krieger zog klirrend sein Schwert und kam rasch auf den Jungen zu, dessen Spott und Hohn er so lange hatte ertragen müssen. Alex hatte das Geräusch gehört und wich mit klopfendem Herzen und än gstlichem Blick zurück. Es gab niemanden mehr, der auf ihn Acht gab, da sich alle Wächter auf d ie Gefahr im Unterholz konzentrierten. Vielleicht
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konnte er unbemerkt in d en Dschungel flüchten, wobei er das Unterholz vermeiden musste, denn dass von dort Gefahr drohte, war zu offensichtlich. Als wollte es ihn in seiner M einung b estärken, erwachte das umliegende Laubwerk zum Leben. Diese Wende war viel dramatischer, als es der bloße Wind in seiner übernatürlichen Spielweise je hätte bewirken können. Ein schreckliches Zischen ersetzte die unmelod ische M usik. Speere, Pfeile und Giftp feile aus Blasrohre kamen aus dem Gebüsch geflo gen. Der Tod nahte aus der Luft. Die Araber, die dem p rimitiven Gemetzel nicht sofort zum Opfer fielen, gerieten in Panik, jammerten und eröffneten ziellos das Feuer auf einen unsichtbaren Feind. O'Connell und der M ed-jai r asten um sich feuernd in diesen Wahnsinn hinein, mähten Imhoteps Anhänger wie Brennholz nieder. »Ich kümmere mich um Alex«, sagte O'Connell, während sie nachluden. Der M ed-jai nickte, und ihre Wege trennten sich. O'Connell hatte seinen Sohn entdeckt, aber auch Lock-nah bemerkt, der sich mit dem Schwert in der Hand einen Weg zu dem Jungen bahnte. Alex versuchte sich in Sich erheit zu bringen, blitzschnell schlängelte er sich zwischen den toten und lebenden Kriegern h indurch. Trotz des Chaos und der tobenden Schlacht wollte sich der Araber offensichtlich die Zeit nehmen, den Sohn von O'Connell zu töten ... »Alex!«, rief O'Connell. »Ich komme!« Er feuerte aus beiden Revolv ern, er ledigte einen Krieger nach dem anderen und kämpfte sich so weiter zu seinem Sohn durch. Währ end er nachlud, bemerkte er den stämmigen Bastard nicht, der sich von hinten anschlich. Alex jedoch sah ihn und schrie warnend: »Dad!« Erst in letzter Sekunde wandte O'Connell sich um und erblickte den brutalen Ker l, der mit dem Schwert zum
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tödlichen Schlag ausholte. Doch ein Schuss riss ihn von den Füßen und beförderte ihn ins Jenseits. O'Connell schaute hoch in Richtun g der Felsen und konnte die andere Hälfte seines Teams sehen. Er war verdammt froh darüber, sie dort eingesetzt zu haben. »Dad!« Als Evy und Jonathan zwei weitere Anhänger I mhoteps erschossen, wusste O'Connell, dass er Rückendeckung hatte. Er wirbelte herum und rannte zu seinem Sohn. Alex hatte in einem Baum Schutz gesucht, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Lo ck-nah, der weniger als drei M eter von ihm entfernt war, kam unaufhaltsam auf ihn zu. Der Junge schluckte, er sah sich im nahe gelegenen Unterholz um und erblickte einen Schwär m Pygmäen. Alle waren vertrocknet und weiß, Kannibalen, die auch im Tod noch nach Frischfleisch verlangten ... Im Schutz des Kugelfeuers, das Evy und Jonathan auf d ie Araber hageln ließen und das sie mit tödlicher Präzision erledigten, stürmte O'Connell durch das Chaos, ein M ann in Rage, der die Krieger wie Bowlin gkegel umfallen ließ, damit sie ihm nicht län ger im Weg standen. Lock-nah hob sein Schwert. Alex bedeckte sein Gesicht mit einem Arm und dachte: Bis auf die Beerdigung ist jetzt alles vorbei! Doch O'Connell war zur Stelle, zog den Jun gen aus der Gefahrenzone, und Lock-nahs Schwert verp asste ihn nur um Zentimeter. Es traf den Baumstamm, blieb dort stecken und schenkte Vater und Sohn kostbare Sekunden. Als Lock-nah das Schwert mit einem Ruck befreit hatte, sah er nur noch, wie O'Connell den Jungen über die Schulter warf und davonrannte. Wut durchzuckte den Krieger, er zielte auf den Rücken d es flieh enden O'Connell und wollte das Schwert werfen, doch ein e andere Klinge kreuzte die seine. Lock-nah wirbelte herum und sah sich dem Anführer der
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M ed-jai gegenüber. »Warum suchst du dir nicht einen deines Kalibers?«, fragte Ardeth Bay herausfordernd. »M it Vergnü gen«, erwiderte Lock-nah und hieb auf ihn ein. So entbrannte mitten in dieser Hölle ein p rivater Zweikamp f, klirrend prallten ihr e Klingen aufeinander. O'Connell ähnelte eher einem Verteidiger mit einem Ball denn einem Vater mit seinem Sohn. Er stürmte durch das Laubwerk und lief in den Dschungel, versuchte so schnell wie mö glich seinen Sohn von dem mit Leichen übersäten Schlachtfeld wegzubringen. Alex, den sein Vater wie einen Sack M ehl über die Schulter geworfen hatte, konnte so verfolgen, was hinter ihnen passierte. Er entdeckte zwei groteske, scheintote Py gmäen, die wie Geister aus dem Unterholz auftauchten und ihnen schon bald auf den Fersen waren. Ihre großen miss gestalteten Köpfe auf ihren winzigen, verbogenen Körpern hüp ften wie wipp ende Äpfel auf und ab, während sie mit Sp eeren bewaffnet förmlich über das Unterholz flogen. »Dad!« Alex fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Hinter uns!« Ohne abzubremsen und geradezu beiläufig wirbelte der Vater des Jungen heru m, riss die M aschinenpistole aus dem Halfter und machte aus ihren Verfolgern Knochensalat. Alex war beeindruckt. Währenddessen war der Zweikamp f zwischen Ardeth Bay und Lock-nah immer noch in vollem Gange. Sie waren ebenbürtige Gegner, bis Ardeth Bay herumwirbelte und Locknah eine tiefe Brustwunde beibrachte, aus der eine Fontäne Blut schoss; benommen fiel Lock-nah auf die Knie. »Das«, sagte Ardeth Bay, » war für Horus.« Die Augen des Kriegers füllten sich mit Verwunderung und Schmerz.
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»... wer?« »Falsche Antwort«, erwiderte Ardeth Bay und tötete ihn mit einem Hieb in den M agen. Der M ed-jai bemerkte nicht, dass sich ein brutales Ungeh euer mit einem Revolver in der Hand von hinten an ihn heranschlich; es war der Fleischber g, d er Evelyn O'Connell aus ihrem Haus in London entführt hatte. Fast hätte er den Anführer kurz und schmerzlos getötet, doch ein Schuss ertönte und das M onster taumelte. Ardeth Bay wandte sich um und sah, wie sein BeinaheHenker zu Boden stürzte. Er schaute hoch und sah seinen Retter - Evelyn O'Connell, hoch oben auf den Felsen. Sie tauschten einen kurzen lächelnden Blick. Ardeth Bay , der wusste, dass der Junge lebte und sicher in den Händen seines Vaters war, floh rasch in d en Dschungel und überließ die weißen Pygmäen und die Krieger ihrer Schlacht. Oben in den Felsen, in der Stellung der Heckenschützen, senkte Evely n ihre Waffe. »Lad nach«, wies sie ihren Brud er an. »Wir müssen weiter.« Jonathan senkte die Waffe, und seine starre M aske wich einem Ausdruck völliger Erschöpfung. Sie luden nach und liefen den felsigen Abhang hinunter. Imhotep s restliche Anhän ger rannten in verschiedene Richtungen davon, aber wohin sie auch liefen, es erwartete sie überall der Tod. Eine Grupp e von einem Dutzend Kriegern folgten dem einzigen Führer, der ihnen noch geblieben war, nachdem ihr Herr sich aus ihrer M itte verabschiedet hatte. Es war der dunkle, kleine M ann, den sie Kurator nannten; sie rannten hinter ihm her, während er ziellos in d en Dschungel lief. In ihren Ohren dröhnte der zischende Kriegsruf der
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Py gmäen, die ihnen auf den Fersen waren. Die winzigen, deformierten Kreaturen p flückten sich ihr e Op fer eins nach dem anderen. M it Pfeilen, Schwertern und Giftp feilen setzten sie ihnen nach und brachten ihn en den Tod. Vier Krieger achteten in ihrer Eile nicht auf den Weg, bis sie feststellten, dass der Boden unter ihren Füßen nachgab. Sie waren in Treibsand geraten. Während sie wild mit den Armen fuchtelten, sanken sie in den Schlamm und wurden unweiger lich hinabgezogen. Der Kurator und die and eren umgingen das Gebiet und gaben mehr Obacht auf den Weg als das unglückliche Quartett, dessen Flehen um Hilfe sie ignorierten. Die sie verfolgend en Pygmäen rasten direkt über den Treibsand. Dabei gingen sie auf ungewöhnlich teuflische, aber ger issene Weise vor. Sie nutzten die M änner als Trittsteine. Geschickt hüp ften sie von Kopf zu Kopf und stießen die schreienden Opfer noch tiefer in d en Schlamm. M it dem Kurator an der Spitze waren nur noch zwei Krieger übrig geblieben. Ein Schwarm kleiner Zombies stürzte sich auf die beiden M änner, zog sie zu Boden und begann sie zu verspeisen. Der Kurator hörte die Schreie der M änner, das Geräusch der messerscharfen Zähne, die fraßen, nagten und den sterbenden M ännern das Fleisch bei lebendigem Leib von den Knochen rissen. Er kam an ein Dickicht, aus dem es kein Entkommen gab eine Sack gasse. Seine Gedank en überschlugen sich, schließlich war er ein fähiger M ann, ein Wissenschaftler mit enormen Kenntnissen. Es fiel ihm ein, dass diese Kreaturen, historisch gesehen, die Diener des Königs der Skorpione waren. In Gedanken ging er sein Zettelkästchen durch. Als das Zischen der rasenden Skelette näher kam, war er auf eine M öglichkeit gestoßen, sich zu retten. Die Diener des Königs der Skorpione, die Anhänger dieses
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Herrn, bewiesen ihr e Ergebenheit, ihren tiefen Glauben, in dem sie ein altes akkadisches Stammritual vollzogen. Über ihren Augenbrau en lösten sie mit einem M esser ihre Kop fhaut und entblößten ihre Schädeld ecke. Als sich die Py gmäen näherten, zo g der Kurator seinen Dolch. Sein e Treue gegenüber Imhotep hatte ein Ende. Die regenerierte M umie hatte ihn schließlich im Dschungel dem Tod überlassen. Es war für den Kurator an der Zeit, einem neuen Herrn zu dienen. Er hoffte, dass diese winzigen Anhänger des Königs der Skorpione dieses Opfer anerkannten, das er gleich vollbr ingen würde. M it einer Hand p ackte er seinen Skalp, mit der anderen setzte er die scharfe Klinge genau oberhalb seiner Augenbrauen an. Er begann zu schneiden, löste seine Haut vom Kopf, um seine Treue zu beweisen. Kurz zuvor hatte O'Connell in einer kleinen Lichtung eine Rast eingelegt und seinen Sohn von der Schulter gehoben, denn das Zischen und der seltsame Wind hatten aufgehört. Plötzlich tauchte Evy aus dem Dschungel auf und lief mit aus gestreckten Armen auf ihn zu. Alex rannte zu seiner M utter und warf sich ihr in die Arme; engumschlungen standen sie da, als Jonathan mit dem Gewehr in der Hand ebenfalls aus dem Unterholz auftauchte. O'Connell grüßte seinen Schwager mit einem Lächeln und gab ihm einen Klaps auf den Rücken. »Schöne Sch ießer ei!« »Beschissener Job«, erwiderte Jonathan. Er sah müde aus, brachte aber ein kleines, stolzes Lächeln zustande. »Wo ist Ardeth Bay?« »Jetzt, da Alex gerettet ist«, antwortete O'Connell, »musste er zurück, um die anderen M ed-jai zu versammeln. Ich hoff e, er kommt durch.«
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Ein schrecklicher Schrei hallte durch d ie Nacht. Die O'Connell-Befreiungstrupp e konnte es nicht ahnen, aber die Py gmäen waren nicht der Grund für diesen Schrei. Der Kurator hatte ihn aus gestoßen, als er sich dem schmerzhaften Ritual unterzog. O'Connell tat den Schrei als ein en von vielen in dieser schrecklichen Nacht ab und sagte: »Alles in Ordnung, mein Junge?« Diese Worte schienen Alex an etwas zu erinnern. Er löste sich aus den Armen seiner M utter und lief zu seinem Vater, p ackte ihn am Arm und zerrte ihn weiter. »Nicht mehr lange, Dad, wenn wir nicht weitergehen!« »Was ...?« Alex hob sein linkes Handgelenk und zeigte ihm das goldene Armband. »Ich muss schnellstens zu dieser Pyramide, um dieses Armband loszuwerden.« Jonathan musterte den kostbaren Sch muck und sagte: »Behalt es doch an, Alex. Es steht dir gut.« Der Junge fuchtelte mit beiden Händen und sagte zu allen: »Ihr versteht nicht! Imhotep hat mir gesagt, dass dieses Ding mich töten wird, wenn ich nicht vor Sonnenauf gang in der Py ramide bin. Und das ist morgen ... heute!« »O mein Gott«, flüsterte Evy. »Die Legende ...« »Es ist kurz vor Sonnenaufgang«, sagte O'Connell tonlos. Erst schwach, dann immer stärker, war d as Zischen wieder zu hören. Die kleinen Zombies waren im Anmarsch; sie hatten es eilig und war en wieder hun gr ig. »Wir müssen los.«
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Kapitel 8. Der Fluch der golden en Pyramide
O'Connell streckte die Hand aus, und Alex ergriff sie. Dann rannten sie auf ein em mit Kletterp flanzen behangenen Pfad zur goldenen Pyramide, deren Spitze funkelnd über der smaragd grünen Krone des Dschun gels in den Nachthimmel ragte; der M orgen dämmerte ber eits. Evelyn und Jonathan waren direkt hinter ihnen, Zweige streiften sie, Blätter raschelten unter ihren Füßen, während sie sich ihren Weg durch die Schlingpflanzen bahnten. Hinter sich hörten sie, wie ein Schwarm Pygmäen näher kam; ihr zischender Kriegsschrei vermischte sich mit dem Klirren ihrer Speere, ihrem Stammesschmuck und einem scharfen Knirschen, das ihre knochigen Gebeine v erursachten. Sie waren lebende Fossile, deren Gelenke quietschten und wie tausend rostige Tore klan gen. Schließlich stieß die Furcht erregende Horde k leiner M änner mit den großen Köpfen durch das Laubwerk; immer rascher kamen sie näher. Anfan gs versuchten Evy und Jonathan sie durch Schüsse aufzuhalten, aber das verlangsamte nur ihre Flucht. Auch wenn ein paar von ihnen erschossen wurden, so würde dies den insekten gleichen Schwar m nicht davon abhalten, die O'Connell-Truppe zu überwältigen und ihnen innerhalb von Sekunden d as Fleisch von den Knochen zu schälen. Evelyn warf ihr Gewehr in die Horde, worauf ein ige von ihnen ins Stolpern gerieten, und Jonathan folgte ihrem Beispiel. Beide war en froh darüber, die schweren Waffen loszuwerden, um schneller laufen zu können. Und auch O'Connell schleuderte seine Waffe in sie hinein; dabei f iel einem der
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Py gmäen der Kopf ab. Entweder waren sie in ihrer Eile vom Weg abgekommen oder dieser endete hier, denn O'Connell und seine Truppe sahen sich immer dichter werdendem Unterholz gegenüber. Sie kamen nicht mehr so schnell voran, aber ihren winzigen Verfolgern würde es hoffentlich genauso er gehen, dachte O'Connell. Jonathan war plötzlich von den anderen isoliert. Obwohl er hören konnte, wie sie sich im Gebüsch bewegten, konnte er sie nicht sehen. Doch ein and erer kreuzte seinen Weg. Er traf auf einen der turbantragenden Krieger, ein er von jenen, die in sein Gästezimmer in London eingedrungen waren. Die beiden M änner rannten wie der Teufel und tauschten missmutige Blicke des Erkennens. »Verfluchte kleine Ker lchen!«, sagte Jonathan zu dem Krieger, der zustimmend nickte. Vor nicht allzu langer Zeit hatten die beiden versucht, sich gegenseitig umzubrin gen, aber nun waren sie Verbündete aus Angst und gemeinsam auf der Flucht. Plötzlich standen sie auf einer kleinen Lichtung, die mit weißen Steinen und kleinen irdenen Hügeln übersät war. Während sie durch die Lichtung stürmten, kam Jonathan, der dank der Belesenheit seiner Schwester etwas Wissen aufgeschnappt hatte, eine zündende Idee. »Na so was«, sagte Jonathan, »dies ist eine geweihte Begr äbnisstätte! Auf der anderen Seite werden wir in Sicherheit sein. Diese Kerlchen werden nicht hier drüber laufen!« »Sind Sie sicher?« »Ganz sicher!« Die beiden M änner blieben auf der anderen Seite der Begr äbnisstätte, schwer atmend und die Hände auf die Knie gestützt, stehen; sie waren dankb ar für die kurze Pause. Kurz darauf stürmte ein einzelner Pygmäe aus dem Wald, ohne Zögern r aste er mit erhobenem Sp eer über d ie Grabsteine.
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Jonathan machte sich davon, aber der turbantragende Krieger hatte nicht so viel Glück. Das kleine weiße Skelett schoss blitzschnell hervor und stieß den Speer in sein Herz. »Tut mir schrecklich Leid, alter Junge!«, rief Jonathan über die Schulter dem sterbenden M ann zu. »M ein Fehler!« Er hörte Stimmen, die von seiner Schwester und auch die von O'Connell. Sie kamen von links. Trotz des dichten Unterholzes kämpfte er sich durch. Der zischende Kriegsschrei und das Klirren der Speere und Knochen waren direkt hinter ihm zu hören. Bald darauf stand Jonathan am Rand einer tiefen Schlu cht, deren Abgrund dur ch ein undurch lässiges Gewirr von Zweigen und Schlingpflanzen nicht zu erkennen war. »Hier herüber!«, hörte er O'Connell rufen. Jonthan erblickte den Rest der Truppe auf der anderen Seite. Ein riesiger Baumstump f hatte ihnen als Brücke über die tiefe Felssp alte gedient. Das Zischen wurde immer lauter, als kochten Töpfe auf allen Öfen in dieser Welt über ... »Wartet auf mich!«, rief Jonathan. Dann hatten die Kreaturen ihn auch schon eingeholt. Sie zischten ihre grässlichen Absichten, winkten mit den Speeren, während er über den Baumstumpf auf O'Connell zurannte, der eine Dy namitstange aus seinem Hemd zog. Ein halb es Dutzend dieser knochigen kleinen Bastarde war Jonathan auf den Fersen, doch beim Überqueren des Baumstump fs wurden sie etwas langsamer. Am Ende des Baumstumpfs angelangt, warf Jonathan sich auf den rettenden Boden. O'Connell zündete die Schnur der Dynamitstange an, trat einen Schritt vor und warf die brennende Stan ge dem ersten auf ihn zukommenden Zombie zu, als spiele er Fangen mit einem Kind. Reflexartig fing die Kreatur den zischenden roten Stab, musterte ihn neugierig, als hielte sie ihn für etwas zu essen. Die
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O'Connell-Truppe hatte längst die Flucht ergriffen, als das Dynamit explodierte und nicht nur aus dem ersten Zombie, sondern auch aus allen anderen fünf Pygmäenp ulver machte. Sie rannten und rannten, bis das zischende und klirrende Geräusch wieder einmal nachließ und sch ließ lich verstummte. Als sie auf eine andere kleine Lichtung kamen, blieben sie keuchend stehen, d enn jeder M uskel im Körp er schmerzte. O'Connell b etrat als Letzter die Lichtung, da er zurückgeblieben war, um das Dynamit zu zünden. »O ... okay«, sagte er völlig außer Atem. »Ich denke ... glaube, dass wir sie abgehän gt haben.« Wie auf ein Stichwort drangen die Py gmäen durch das Unterholz und umzingelten die glücklose Befreiungstruppe am Rande der Lichtung. Dutzende leerer Augenhöhlen starrten sie an, große Köpfe hüpften auf winzigen, verdr ehten Körpern. Speere, Schilder und Dolche sowie ihr e Knochen klirrten und knirschten wie ein dishar monisches Glock enspiel. Doch das Unerträglichste war das schlangen gleiche Zischen ihrer scharf en Fan gzähne. Was anfan gs Kriegsgeschr ei gewesen war, klang nun nach Hun ger. Diese unartigen Kinder stellten sich zum Abendbrot oder Frühstück an. Rücken an Rü cken bildete die O'Connell-Truppe ihren eigenen Kreis. Sie fürchteten sich, schließlich hatten sie die ganze Nacht gekämpft und mussten sich nun auf das Schlimmste gefasst machen. Die kleine Grupp e M enschen stand bewaffnet und mit wild entschlossenen Gesichtern da. Dies schien die Horde der winzigen Untoten einzuschüchtern, doch nur kurz, denn einer der Py gmäen wagte sich vor, vielleicht auf der Suche nach jemandem seiner Größe. M it erhobenem Speer und schrecklichem Zischen raste er direkt auf Alex zu, der die Hände wie ein Boxer hochhielt, bereit sich zu verteidigen ... ... als die Kreatur abrup t stehen blieb.
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Das Zischen klang plötzlich ängstlich. Der kleine Zombie ging in Deckun g und zog sich zurück. »Das Armband«, sagte O'Connell. Vater und Sohn tauschten Blicke. »Das Armband des Anubis!«, sagte Evelyn und ihre Augen strahlten. »Sie fürchten es, sie fürchten den König der Skorp ione!« »Wie alle guten Kinder im Land d es Nil«, fügte O'Connell hinzu. »Halt es schön hoch, Sohnemann. Damit unsere kleinen Kerle es gut sehen können.« Grinsend trat Alex vor und hielt seine Hand hoch, zeigte es in alle Richtungen, damit es auch jeder einmal gesehen hatte. Jetzt zischten sie alle aus Angst. Das Geräusch war grässlich und verursachte eine Gänsehaut, aber es bedeutete gleichfalls Kapitulation oder zumindest Rückzug. Die kleinen weißen Zombies wichen ängstlich zurück und verschwanden im Dschungel, wo sie her gekommen waren. Das Zischen verstummte wie ein Wasserhahn, der langsam abgedreht wird. Das Trüpp chen konnte sein Überleben noch gar nicht fassen. Erleichtert sagte Jonathan zu seinem Neffen, während er mit dem Kop f auf das goldene Armb and zeigte: »Wurde ja auch mal Zeit, dass sich das verdammte Ding nützlich macht.« »Das Armband!«, rief Evy und schaute hoch. Von dieser Lichtung aus konnten sie d ie umliegenden Ber ge zu ihrer Linken und die Diamantsp itze der goldene Pyramide zu ihrer Rechten sehen, die vielleicht eine halbe M eile entfernt lag. »O mein Gott«, rief Evy. Die Sonne war im Begr iff im Osten der Ber ge aufzugehen. O'Connell streckte seinem Sohn die Hand h in und schrie: »Los!« Kaum wieder zu Atem gekommen, rasten die beiden wie olymp ische Sprinter durch das Unterholz, wie Kanonenkugeln
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schossen sie durch den Dschungel. Diese beid en hätten jedes Rennen auf Erden gewinnen können ... ... bis auf eine Ausnahme vielleicht. Die Sonne erk lomm die Berge, wie O'Connell mit einem kurzen Blick über d ie Schulter feststellte. Er wusste nur allzu gut, dass sich das Sonnenlicht jeden Augenblick über den Baldachin des Dschungels in einer großen, unaufhaltsamen Welle ergiessen würde. Die grünen Blätter würden so golden schimmern wie die Py ramide selbst. Gottes Fackel würde die Py ramide in helles Licht tauchen und funkelnde Strahlen des reflektierenden Goldes über die Landschaft schicken, selbst wenn der Fluch der Pyramide das Leben aus einem unschuldigen Jungen saugen würde. Sie waren auf einer Lichtung angelan gt; die große goldene Py ramide lag genau vor ihnen. Ein Auf gang, an dem goldene Löwen schweigend Wache hielten, zeigte ihnen den Weg. Hinter ihnen stand die Sonne, die sie mit tödlicher Gleichgültigkeit jagte und immer näher und näher kam ... Alex war erschöpft, sein M agen verkr amp fte sich vor Schmerzen. Er stolperte und stürzte in den Sand. Sein Vater zögerte nicht einen Augenblick, nahm ihn in seine Arme und rannte um das Leben seines Sohnes, denn d ie Nacht war vorbei und der M orgen da. O'Connell hechtete mit seiner wertvollen Last den Aufgan g hoch, vorbei an den goldenen Löwen und stürzte durch einen der vielen Eingänge. Keine Sekunde sp äter berührte die Sonne die Spitze der goldenen Pyramide, und das gesamte goldene Bauwerk erfüllte sich mit gr ellem Sonnenlicht. Auf dem Tempelboden lagen Vater und Sohn, ein schnaufendes Häuflein; schließlich setzte O'Connell sich auf. Sein Atem ging immer noch stoßweise, doch er beugte sich vor und nahm seinen Sohn in die Arme. Der ab gebrühte Forscher hatte die Augen geschlossen und weinte, während er seinen
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Sohn festhielt und seinem Gott dankte. Dann schob er Alex von sich, grinste den Jungen an und fuhr ihm durchs Haar. »Oh«, sagte O'Connell. »Das sollte ich ja eigentlich nicht mehr tun.« Alex schüttelte läch elnd d en Kop f. »Ist schon okay, Dad. Wirklich, das ist okay.« »Es ist nicht immer leicht, ein Vater zu sein.« »Ich weiß, aber du machst das gar nicht so übel.« Vater und Sohn umarmten sich wieder und sie schämten sich ihrer Gefühle nicht. M itten in dieser Umarmung sprang das goldene Armband am Hand gelenk des Jungen auf und fiel klirrend auf d en Kalksteinboden. Alex hob das kostbare Schmu ckstück auf und warf es angewidert quer durch den Eingang. Als Vater und Sohn aufstanden, wurden sie in dem offenen Ein gang der Pyramide von Jonathan und Evelyn beobachtet, die ihr Bestes getan hatten, um hinter ihnen herzukommen, aber nicht mithalten konnten. Nachdem sie auf die Lichtung gestolp ert kamen, strahlten Bruder und Schwester sich an, überglücklich zu sehen, dass Rick und Alex ihr Rennen gegen die Sonne und die Pyramide gewonnen hatten. Und diese Py ramide war ein Wunder! Trotz seiner Erschöpfung rührte sich das vertraute Verlangen nach Gier in Jonathan, während er den Hals reckte und den atemberaubenden Anblick des riesigen, funkelnden M onoliths mit einem lockend en Diamant als Spitze in sich aufnahm. Daher reagierte er nicht gleich auf ein Geräusch, das aus d em Unterholz hinter ihm kam. Als er und Evely n sich umdrehten, stand eine schöne Frau mit Pony frisur im ägyptischen Stil, goldenen Juwelen im Haar und dunklen Gewändern wie eine Erscheinung vor ihnen. Unter dem ein en Arm hielt sie das Totenbuch, mit der
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anderen Hand zückte sie einen Dolch. Sie holte weit aus und stieß ihn Evelyn in den M agen. Während sich seine Schwester vor Schmerz krümmte, der so scharf war wie die Klinge, die Anck-su-namun gerade wieder herauszog, versuchte Jonathan ver geblich seine Schwester aufzufangen. Sie br ach auf dem sand igen Boden zusammen und hielt ihr en Leib; ihr Gesicht war schmerzverzerrt, und Blut sickerte durch ihre Finger. Das teuflische Weib, das das Schreckliche getan hatte, stand lachend vor ihm. In ihrer Hand hielt sie die Klin ge, von der das Blut seiner Schwester tropfte. Wütend griff Jonathan nach seiner Waffe, doch p lötzlich tauchte eine ander e Gestalt aus dem Wald auf und drängte sich zwischen Jonathan und die M örderin seiner Schwester: Imhotep ! Er packte Jonathan mit einer Hand an der Kehle und schleuderte ihn quer dur ch die Lichtung gegen den steinernen Aufgang. Benommen von Schmerz und Trauer lag Jonathan zusammengekrümmt da; die Löwen schauten teilnahmslos auf ihn herunter. Evy hatte keinen Laut von sich gegeben, kein Schrei löste sich von ihren Lipp en, als der Dolch sie so unerwartet getroffen hatte. Erst Jonathans Aufp rall gegen die Rampe ließ O'Connell aufmerksam werden. Er sah sein e Frau auf dem Boden liegen, den blutenden Leib und M eela - Anck-su-namun - die über ihr stand und in der Hand den Dolch hielt, von dem Blut tropfte. Zornig schrie er auf, während er aus der Pyramide rannte, den Aufgan g hinunter und an dem am Boden liegenden Jonathan vorbei. Alex folgte ihm. Imhotep und Anck-su-namun nahmen einen anderen Weg, um dem heranstürmenden O'Connell zu entgehen. Dieser führte sie zu einem ander en Auf gang, d er in die Pyramide führte. Die schöne M örderin hielt kurz an, um dem fassungslosen Alex einen grausamen Kuss zuzuwerfen, bevor sie mit dem Totenbuch unter dem Arm im Innern
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verschwand. O'Connell würde sich später um sie kümmern, jetzt kniete er neben seiner hübschen Frau. Ihr Gesicht war verzerrt vor Schmerz, während sie zusammengekrümmt da lag; mit den Händen versuchte sie die blutende Wunde zu stillen. Sanft drehte er sie auf den Rücken, riss ihre Bluse auf, u m sich die Wunde anzusehen. Blut schoss hervor, die Verletzung war tief und offensichtlich tödlich. »O lieber Gott, nein«, sagte O'Connell sanft. »Nein, nein, das passiert nicht. Das kann einfach nicht passieren ...« Und doch, er wusste es, und sie wusste es auch; er sah es in ihrem Blick. Verzweifelt bedeckte O'Connell die Wunde mit der zerrissenen Bluse und drückte dagegen. Jonathan kam lan gsam auf sie zu und fragte: »Ist sie ... wie schlecht...?« Alex stand neben ihnen und sagte: »Dad, kannst du ihr denn gar n icht helfen ?« »M ein Junge, du musst zurückbleiben. Bitte, bleib zurück! Jonathan, erspar ihm diesen Anblick.« Liebevoll legte Jonathan seinen Arm um den Jungen, f est und beschützend drückte er ihn an sich. »Es ist doch nicht so schlimm, oder, Dad?« fragte der Junge. Hoffnung und Verzweiflun g schwan gen in seiner Stimme. »M um wird doch wieder gesund, oder ?« O'Connell schaute hinunter in das hübsche Gesicht seiner Frau, in ihre er löschenden Au gen. »Du wirst es schaffen, Evy«, sagte er und drückte auf d ie Wunde. »Du bist stark. Halte durch.« Sie schüttelte den Kop f. Es war eine k lein e, schreckliche Geste. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Auf der Flucht vor den Pygmäen h atte er seinen Rucksack ir gendwo im Dschungel zurückgelassen, um Ballast abzuwerfen.
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»Jonathan, guck doch mal, ob wir ... sie braucht ...« Evy versuchte zu sprechen. Während er ihre Lip pen mit zwei Fingern berührte, sagte er: »Nein, sag jetzt nichts. Spar deine Kräfte und hör zu. Ich habe M edikamente in mein em Rucksack. Ich werde ihn suchen geh en und ...« »Halt ... halt mich«, flüsterte sie. Er hielt sie ganz nah an sich gedrückt. »Liebes, was kann ich tun? Wie kann ich d ir helfen?« Ihre Lipp en waren an seiner Wange. Sie flüsterte. »Achte auf unseren Sohn.« Der Junge, der so viel durchgemacht, sich so tap fer gehalten, jede Herausforderung an genommen und sich jeder Gefahr gestellt hatte, begann zu weinen, während sein Onkel ihn ganz nah an sich gedrückt hielt. Der abgebrühte Abenteurer unterdrückte die Tränen und hielt seine Frau so weit von sich, dass er sie ansehen konnte und ihre Blicke sich trafen. M it blutverschmierter Hand liebkoste er ihr Gesicht und sagte: » Wag es nicht, mich zu verlassen. Wir haben noch so viel zu tun. Ich brauche dich so sehr.« Sie nahm all ihre Kraft zusammen, u m ih m ein letztes Lächeln zu schenken. »Ich liebe dich«, flüsterte sie. Sanft gab er ihr einen Kuss und dann starb sie. Er hielt sie von sich, schaute ein letztes M al in diese blauen Augen, aus denen jeder Lebensfunke gewichen war. Liebevo ll schloss er ihre Augen, hielt sie immer noch in seinen Armen, ganz fest hielt er sie umfangen. »Gib mir deine Jack e«, sagte O'Connell wie betäubt zu Jonathan und streckte eine Hand aus. Jonathan schluckte schwer und erfüllte seine Bitte. Nachdem er sich behutsam die blutigen Hände an der Jacke abgewischt hatte, breitete er das Kleidungsstück über Evy aus, versuchte auch ihr hübsches Gesicht damit zuzudecken, brachte
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es nicht fertig. Stattdessen zog er die Jack e bis an ihr Kinn und strich sie über ihrer Brust glatt. Er war wie ein Vater, der sein Kind ins Bett brachte. Dann stand er auf und schaute Schwager und Sohn ernst an. Es war ein Gehorsam gebietender Blick, als er sagte: »Bleibt hier. Alle beide. Bleibt bei ihr.« Alex k lammerte sich an sein en Onkel und nickte; Jonathan tat es ihm nach. Nach ein em letzten bitteren Blick auf Evy, machte sich O'Connell auf den Weg zurück zur Pyramide. Jonathan schüttelte es fast, als er O'Connells versteinerte M iene gesehen hatte. Beinahe taten ihm die Bastarde Leid, die diesen Blick zu spüren bekommen würden. Aber nur beinahe.
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Kapitel 9. Der Schlüssel des Skorpions
Als Rick O'Connell sich über seine ermordete Frau beu gte, hatte sich eine kleine dunkle Gestalt im Innern des Tempels, in der Nähe des Eingangs, gebückt, um das goldene Armband aufzuheben, das O'Connells Sohn so achtlos weggeworfen hatte, als wäre es ein völlig wertloser Gegenstand. Für den Kurator war das Armband des Anubis der Schlüssel zu allem, im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Augen hatten einen fast wahnsinnigen Ausdruck und glühten vor Boshaftigkeit; die Haut oberhalb sein er Augenbrauen war nicht mehr vorhanden, sichtbar war nur mehr sein blutverschmierter Schäd el. Er wusste, wenn er den König der Skorp ione frei ließ, würde etwas in Gang gesetzt, wovon er nur profitieren konnte. Jenem Herrn würde er dienen, d er als Sieger aus der Schlacht hervorgin g. Dann gehörte er einer neuen herrschenden Klasse in einer neuen Welt nach altem M uster an, gin g also unzweifelhaft auf Nummer sicher, wie es die Ungläubigen formulier en würden. Entschlossen er griff er das Armband. Der M ann, der den Führer des Britischen M useums für die ägy ptische Sammlun g geschrieben h atte, war nicht umsonst ein Gelehrter; er kannte sich im Innern der goldenen Py ramide aus, als wäre er schon oft hier gewesen. Währ end er hin und wieder einen Blick auf das Armband an seinem Handgelenk warf, lief er durch die go ldenen Gänge, deren Wände mit Schimmel und M oder überzogen waren und schon bald war er im eigentlichen Raum angelan gt. Feierlich trat er auf ein Relief zu, das aus menschlichen Schädeln und Knochen geformt worden war eine grauenhafte, wenn auch exquisit gefertigte Arbeit,
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eingebettet in die goldene Wand. Das Relief zeigte einen großen, bedrohlichen Skorp ion. Es war die größere Aus gabe des Tieres auf dem Armband, das der Kurator am Handgelenk trug. In jeder Schere hielt der Skorp ion auf d em Relief eine handgroße Nahkamp fwaffe: funktionierende, abnehmbar e Waff en. Der M und des Skorp ions stand weit offen. War es eine Einbuchtung in d er Wand, eine Öffnung .... ein Schlüsselloch? Der Kurator konnte es nur vermuten, sein Wissen half ihm hier nicht weiter. Er untersuchte das Armband an seinem Handgelenk, dann schaute er in die M undöffnung des Skorp ions und schätzte Größe und Umfang. Kühn stieß er seinen Arm bis zum Ellbogen in die Öffnung und drehte seine Hand bis das Armband einrastete - ein menschlicher Schlüssel in einem golden en Schloss. Nachdem er sich das Relief näher angeschaut hatte, kam es ihm so vor, als hätte der Skorpion seinen Arm verschluckt ... Ein beunruh igendes Gefühl, aber der Kurator war nun schon so weit gegan gen, und jetzt schien auch das Armband im Sch loss eingerastet zu sein ... Der kleine M ann zuckte mit den Achseln und drehte seinen Arm in dem v ermeintlichen Schloss, als wäre er tatsächlich ein Schlüssel. Die Wirkung erfolgte prompt: Eine dunstige Wolk e entwich aus der Öffnung und legte sich um seinen Arm. Ein elektrisches Surren war zu hören und flimmerte in blauen Wellen durch den Raum. Er fühlte ein sanftes Pochen, keinen Sch merz, und schaute sich erstaunt um. Dieser Vor gan g hatte die goldenen Wände von Schimmel und M oder gereinigt. Der Schlüsselr aum erstrahlte wieder in goldenem Glanz! Zum ersten M al seit unzähligen Jahrhunderten ... Ohne dass der Kurator es bemerkt hatte, verbreitete sich das
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dunstige blaue Licht in der gesamten Pyramide. Nicht weit entfernt kroch O'Connell durch einen Tunnel. Sein Hemd war n ach d en Verfolgun gsjagden im Dschungel zerrissen, die Hände b lutverschmiert, und seine Augen blickten kalt und hart. Er hatte nur eine Fackel bei sich, keine Waffen, und achtete auf die mit Schimmel überzogenen Wände. Erschrocken wich er zurück, als der elektrische Sturm über die Wände fuhr, an ihm vorbeischoss und die go ldenen Wände r ein wusch. Das Innere der goldenen Pyramide war im Nu wie neu. Sie glänzte, als sei ihr Bau erst vor kurzem zur Zeit des Königs der Skorp ione fertig gestellt worden. Im nun gleißenden Licht seiner Fackel, das von den glitzernden Wände reflektierte wurde, gelangte O'Connell durch einen Bogengan g in den funkelnden Schlüsselraum. Dort mühte sich der Kurator ab, versuchte seinen Arm aus dem M und des Skorpions zu ziehen, doch der Schlüssel war in dem Schloss gefangen. O'Connell riss beim merkwürdigen Anblick des Kurators erstaunt die Augen auf und bemerkte kalt: »Na, sie bieten aber einen un gewohnten Anblick, was?« »Sie kommen zu spät, O'Connell.« Die Au gen unter dem blutverschmierten Schäd el b lickten h alb wahnsinnig. »Ich habe die Armee des Anubis befreit! Imhotep wird schon bald den Oberbefehl übernehmen!« »Das wird er von der Hölle aus machen müssen«, sagte O'Connell, »denn dorthin werde ich ihn schicken.« Er musterte die Waffensammlung im Relief d es Skorp ions, in dessen M und der Arm des Kurators steckte, und suchte sich eine alte Streitaxt mit einer dop pelseitigen Klinge aus. Derweil versuchte der Kurator weiterhin angestrengt, sein e Hand aus der Öffnung zu ziehen; O'Connell schenkte ihm ein grausames
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Lächeln und holte zu einem Schlag mit der Axt über dem Arm des M annes aus. »Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein«, sagte er. »Nein!«, schrie der Kurator. In diesem Augenblick wurde der Kurator hart gegen die goldene Wand geworfen. Doch es war nicht O'Connell, sondern irgendjemand oder ir gendetwas auf der anderen Seite, das gewaltsam an sein em Arm zerrte und ihn nach vorne r iss, so dass er mit dem Körper gegen die Oberf läche des Reliefs gedrückt wurde. »Etwas greift nach mir!«, wimmerte der Kurator. »Kleine Hände! Kleine Hände!« »Erinnern Sie sich an unsere nied lich en Freunde im Dschungel?«, fragte O'Connell grinsend und weidete sich an der Angst des M annes. »Haben Sie je darüber nach gedacht, dass dies das Haus ihres Gottes sein könnte? Vielleicht nehmen Sie Anstoß daran, dass Sie hier ein gedrun gen sind!« »O'Connell, helfen Sie mir!« Der Kurator nahm seine andere Hand zu Hilfe und versuchte sich von der Wand wegzudrücken, doch ohne nennenswerten Erfolg. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und er begann zu schreien. Sein Schrei war so fürchterlich, dass es selbst O'Connell in seinem abwesenden Zustand den Atem verschlu g. Ein nur allzu vertrautes Zischen wurde von anderen höllischen Geräuschen begleitet: Zähne, die rissen, bissen, kauten, Knochen zermalmten, als schlügen gierige Kinder ihre Zähne in den Arm des M annes. Entsetzt, doch nicht wirklich unglücklich über das Los dieses Lump en wich O'Connell zurück, als der Kurator seinen Arm frei bekam, zumindest das, was davon übrig geblieben war. Unter seinem zerrissenen Gewand ragte nur noch ein blutiger Stump f hervor. Wie ein Betrunkener torkelte der Kurator umher. Er, der auf Nummer sicher gehen wollte, hatte nicht mit
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den hungrigen kleinen Kannib alen gerechnet; schreiend vor Schmerz taumelte er in den Gang hinaus. O'Connell h ätte ihm nicht helfen können, selbst wenn er es gewollt hätte; das arme Schwein würde sicherlich bald verbluten. Er verließ d en Schlüsselraum, die Streitaxt in der Hand, um Imhotep und die ihm dienende Hexe zu suchen, und fragte sich, was dieser verrückte Kurator wohl aufgeschlossen hatte. An einem anderen Ort in der goldenen Pyramide schritt der von O'Connell gesuchte M ann - Imhotep persönlich hoheitsvoll eine Treppe herunter. Die schöne Anck-su-namun (M eela war so tot wie Evelyn) ging an seiner Seite, das Totenbuch unter den Arm gek lemmt - zwei Herrscher, die ihr nächstes Königreich suchten. Unbeabsichtigt trat die M umie auf ein goldenes Wapp en, das in den Kalksteinboden unten an der Treppe eingearb eitet war. Wäre es ihm aufgefallen, hätte es ihn höchstwahrscheinlich auch nicht weiter gekümmert, und so trat er mitten auf das Wap pen, in das ein Bild des schakalköpfigen Gottes Anubis eingearb eitet war. Spannung durchströmte ihn und ein elektrisches Knistern hielt seinen muskulösen Körp er in einem Krampf gef angen, in dem er hilflos verharrte als Gefangener d er p ulsierenden M acht. Anck-su-namun, die nicht auf das Wapp en getreten war, sprang zur Seite. In fassungslosem Entsetzen sah sie, wie Imhotep vor Wut schrie, während ihn knisternde blaue Blitze umhüllten. Doch unvermittelt ließ der Spannungszustand nach, als hätte jemand die Zufuhr abgedreht; benommen stolperte Imhotep nach vorne und lehnte sich gegen einen Sockel. »M ein Herr!«, rief Anck-su-namun und eilte an seine Seite. M it vorgebeu gtem Oberkörper stand er keuchend da.
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»Ich habe das Gefühl... als wäre mir der alte Geist entzogen worden.« »Oh nein, mein Herr, mein Geliebter ... das ist unmöglich!« Er schluckte. Imhotep richtete sich auf und versuchte seine Würde und sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, schaute die Vase auf dem nahe gelegenen Sockel an, hob die Arme, um seine telekinetischen Kräfte zu sammeln. Doch trotz größter Kraftanstrengungen bewegte sich die Vase nicht vom Boden; sie rührte sich nicht einmal von der Stelle, sondern wackelte nur ein wenig. Das war alles. Erschöpft lehnte sich die M umie gegen eine goldene Wand. Er war vernichtet. »Was ist passiert, mein Liebster?«, fragte Anck-su-namun. Er lachte. Es war ein krächzendes, fast wahnsinniges Lachen, das in dem Rau m widerhallte. »Anscheinend h at der große Gott meine Kräfte geschmälert.« »Warum?« »Vielleicht damit der König d er Skorpione und ich als Ebenbürtige mitein ander kämp fen.« »Bist du jetzt nur noch ein einfacher M ensch, mein Liebster?« »Nein. Niemals. Ich bin I mhotep, der Hohe Priester des Osiris und Großwesir des Djoser. Ich bin gestorben und wieder und wieder auferstanden. Nein, ich werde dem König der Skorp ione gegenübertreten und triumphieren.« Sie klammerte sich an seinen Arm. »Wir werden triump hieren, mein Liebster!« Weiter vorne befand sich ein unheimliches, neb elverh an genes Tor. »Von dort aus muss ich allein weiter geh en«, sagte Imhotep. Ängstlich klammerte sie sich an ihn. »Nein! Lass mich nicht allein hier zurück.« »Ich kann nicht anders. Ich muss dem König der Skorpione
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allein gegenübertreten.« »Das darfst du nicht, mein Geliebter! Ohne deine Kräfte vermag er es, dich zu töten!« »Und selbst wenn?« Er nahm ihr das Totenbuch aus der Hand und hielt es in die Höhe. Seine Au gen funkelten, als er sagte: »Wenn er mich tötet, Geliebte, wirst du mich wieder ins Leben zurückholen.« Voller Angst schüttelte Anck-su-namun ihren Kopf. »Niiy!« Imhotep legte das Buch auf einen nah gelegenen Sock el, nahm sein e Geliebte in die Arme und küsste sie leidenschaftlich. Sie klammerte sich an ihn, erwiderte seinen Kuss und besiegelte ihn mit ihrer Verzweiflung. Die schöne M umie löste sich aus ihrer Umarmun g und schritt durch das düstere Tor, über eine kleine Steinbrücke auf Felsformationen zu, hinter denen ein e Höhle lag. »Niiy!«, r ief sie noch einmal und stürzte ihm nach, folgte ihm aber dann nicht weiter. M it rasendem Herzen ging sie zu dem Sockel hinüb er, auf den Imhotep das Buch gelegt hatte. Sie legte beide Händ e auf seine Oberfläche und betete zu ihren Göttern, dass sie das Totenbuch nicht anrufen musste. Draußen in der Lichtung, nicht weit von dem Aufgang in die Py ramide entfernt, knieten Jonathan und Alex über Evelyns Leiche. Der Junge konnte nicht aufhören zu weinen, was Jonathan nur allzu gut verstand. Obwohl es ihm gelungen war, die Tränen zurückzuhalten, fühlte sich Jonathan leer, am Boden zerstört und schrecklich allein. Er nahm seinen Neffen in die Arme und hielt ihn fest. »Versuch so d arüber zu denken, Alex. Dein e M utter ist nun an einem besseren Ort. Wie es im Buch der Bücher steht ...« Die Tränen des Jungen v ersiegten. »Was?«
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»Das Buch der Bücher. Wie es ...« Alex löste sich abrupt aus der Umarmung seines Onkels. Seine Augen funkelten und er d achte angestren gt nach. »Das ist nicht das Buch, das wir brauchen.« »Wovon sp richst du, um Himmels willen?« »Ich habe eine Idee, Onkel Jon.« Der Junge sprang auf d ie Füße. »Los, hilf mir M um ... wir gehen in d ie Pyramide.« »Was hast du ... was ...?« Alex beugte sich über seine M utter, packte sie an den Schultern und hob sie unter Aufbietung aller Kräfte seines jungen Körpers an. »Hilf mir, sie aufzuheben! Wir müssen sie in das Innere des Temp els bringen.« »Aber ... dein Vater hat gesagt ...« »Er ist nicht da«, sagte der Junge, »vertrau mir, M um hätte nichts dagegen.« Der Achtjährige und sein Onkel hoben die Leiche seiner M utter mit feierlicher M iene hoch. In einer M ischung aus Verzweiflung und vager Hoffnung trugen sie sie zum Aufgan g der goldenen Pyramide. Hinter dem saftig grünen Ahm Shere wartete die trostlose Wüste. Auf dem Hü gel einer go ldenen Düne, die dur ch die tief hängende M orgensonne einen lan gen Schatten warf, warteten zehntausend M ed-jai Krieger auf ihr en Pferden. Sie hatten von der Legende des schwarzen Sandes gehört, und Beduinen, die sie unterwegs getroffen hatten, erklärten den Anführern den Weg dorthin. Der Hinweis, dass er in der Nähe der blauen Nil lag, war der einzige Anhaltsp unkt, den man ihnen genannt hatte. Ihre zwölf Anführer standen dicht gedrängt auf der höchsten Düne und starrten auf eine andere Düne, die fast genauso hoch
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war und vollständig aus schwarzem Sand bestand. Während die M ed-jai r atlos warteten, näherte sich ein M ann zu Fuß, ein bärtiger Krieger in den dunklen Gewändern ihres Stammes - ihr Anführer Ardeth Bay. Sie r itten zu ihm hinunter, gab en ihm ein Pferd, und obwohl seine Erschöp fung offensichtlich war, hatte ihr Führer schon bald seinen Platz an ihrer Sp itze eingenommen. Rittlings auf seinem Pferd zeigte er über d ie Sanddünen hinweg auf die funkelnd e Spitze der goldenen Pyramide, aus deren Richtun g er ger ade gekommen war. »Wir reiten dorthin, um die Armee des Anubis zu suchen«, sagte Ardeth Bay zu den zwölf Befehlshabern der M ed-jai Stämme. »Der König der Skorpione wird bald aufwachen und wir werden den hundegesichtigen Un geheuern gegenüberstehen.« Neben Ardeth Bay fragte sein stellvertretender Befehlshaber: »Was hat es mit dem rätselhaften schwarzen Sand auf sich?« Im selben Augenblick hatte die dunstige Energieladung, die durch den wahnsinnigen Kurator ausgelöst worden war, als er seinen Arm in den M und des Skorpions gesteckt hatte, Ahm Shere hinter sich gelassen. Blaue Energiewellen rollten über den Sand und machten vor der schwarzen Sanddüne Halt, als wären sie an ihrem Zielort angelan gt. Das schimmernd e, vom Land ein geschlossene Leuchten. bedeckte die schwarze Sanddüne wie eine Hülle aus Elektrizität. Plötzlich schien die Energie von der schwarzen Düne verschlungen worden zu sein, und es herrschte wieder Stille in der Wüste; lediglich ein zarter Windhauch zerrte an den Gewändern der Krieger. Ardeths Augen verengten sich. Er schaute seinen Stellvertreter an, der fragend die Augenbrau en hochzog. Was war dort ger ade passiert? »Wir müssen nach Ahm Shere«, verkündete Ardeth Bay und
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wollte gerade seinem Pferd die Sporen geben, um loszureiten als .... ... .als er etwas Seltsames in d er Luft wahrnahm. Es war etwas Schreckliches, und sein Blick wanderte zu der schwarzen Düne hinüber. Er sah, wie plötzlich der schwarze Sand zum Leben erwachte und merkwürdige und schreckliche Formen innerhalb der Düne Gestalt annahmen. Innerhalb von Sekunden hatten sich aus dem schwarzen Sand Tausende von Anubis-Soldaten geformt. Nach Tausenden von Jahren waren sie wieder zum Leb en erwacht: Ungeheuer mit Hundeköpfen, Skelette, die nur mit M uskeln bedeckt waren, Schilder, Speere und Schwerter im Anschlag und Blicke, in denen immer noch d ie jahrtausendealte Gier n ach Blut stand. »Anscheinend ist der König der Skorpione erwacht«, sagte Ardeth Bay, »und seine Armee mit ihm.« Dort, wo der schwarze Sand gewesen war, befand sich nun eine zweitausend M ann starke Armee, die mit Schwertern und Speeren drohte, wilde, unmenschlich klingende Kriegsschreie ausstieß, mit denen sie die M ed-jai verhöhnte und zur Schlacht drängte. Ardeth Bay hob sein Schwert und zehntausend M ed-jai folgten seinem Beispiel. Obwohl sie einen unird ischen Gegner hatten, waren diese Wüstenkrieger wild entschlossen und fürchteten sich nicht, dafür zu sterben. Ein Befehlshaber des Anubis schrie einen Bef ehl, und die schaurige Armee stürmte vorwärts und raste quer durch den Sand. Auch Ardeth Bay schrie nun seinen Befehl und seine Krieger ritten die Düne hinunter. Schon bald stießen die kämpfenden Gegner am Fuße der Dünen auf einander. Sie prallten aufeinander. Pferde wieh erten. M etall klirrte gegen M etall. Klin gen kreisten. Blut spritzte. Köpfe und Beine f logen umher. Alle Erschöpfung der vorherigen langen Nacht ertrank in
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einer Flut von Adrenalin, als Ardeth Bay ein Zeichen seines M utes setzte. Er mähte die Anubis-Soldaten wie Streichhölzer nieder; er musste sie jedes M al köp fen, da es keinen anderen Weg gab, diese Un geheuer zu töten. Seine M ed-jai erfüllten ihn mit Stolz und kämpften mit den furchterregenden Kreaturen bis zum Tod. Als einer der bösartigen Teufel ihn aus dem Sattel zog, stand Ardeth Bay Auge in Auge mit den hundeköp figen Kriegern; Schwerter blitzten und töteten. Schon b ald zeichn ete sich ab, dass die M ed-jai siegen würden. Trotz der fast kranken, selbstmörderischen Wildheit der Biester waren Ardeth Bays Krieger ihnen bei weitem überlegen. Bald lag die letzte der Kreaturen ohne Kopf, besiegt und tot am Boden. Trotz der Bösartigkeit dieser Gegner hatten die M ed-jai nur ger inge Verluste er litten. Ein jubelnder Schrei ging über das Schlachtfeld, während sie siegreich im blutgetränkten Sand standen. Doch Ardeth Bay und seine Befehlshaber wussten, dass diese Schlacht zu einfach gewesen war. Sie waren im Krieg mit den Untoten, der mit Sicherheit noch nicht vorbei war ... Dann hörte der Anführer etwas. Er wollte gerade seine M änner zum Schweigen bringen, als das Geräusch stärker wurde und das Jubeln abrup t verstummte. Ihre Ohren hörten das Klirren von Rüstungen, Schwertern und Schilden - das eindeutige Geräusch h erannahender Truppen. Während er seinen M ännern zu schweigen gebot, stürmte Ardeth Bay die Düne hinauf und hielt Ausschau. Er erblickte ein Heer von vielleicht 50.000 Anubis-Krie gern. Jetzt waren die M ed-jai bei weitem unterlegen. »Allah rette uns«, flüsterte der Anführer. Die gewaltige Horde der hundeköpfigen Soldaten stieß den furchtbarsten Kriegsschrei aus, den man sich vorstellen konnte.
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Sie kamen um die Düne heru m. Schwerter und Speere in den erhobenen Händen, stürzten sie auf die M ed-jai zu, die bereits vom ersten Kampf mit diesen Kreaturen erschöpft waren, also würde es wohl nur ein kurzes Gemetzel geben. Doch dann hob Ardeth Bay sein Schwert in die Höhe und stieß seinen eigenen Kampfruf aus. Sein Vorbild gab d en anderen M ed-jai M ut, sich noch einmal diesen bösartigen Gegnern zu stellen und ihr Leben zu riskieren. M it erhobenen Schwertern stimmten sie in seinen Kampfruf ein, während sie vorwärts stürmten. Und während sich der Abstand immer weiter v erringerte, dachte Ardeth Bay an seine Freund e, die O'Connells. Er hoffte, dass es ihnen besser als ihm er gehen würde in ihrem Kamp f gegen Imhotep und den König der Skorp ione. Das Schwert in der Hand, war er bereit zu sterben.
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Kapitel 10. Krieger bis in alle Ewigkeit
Während sie einen korridorähnlichen Tunnel mit Wänden aus Gold hinunterlief en, trug Jonathan, dem dieser Anblick die Sprache verschlug und der glaubte zu träumen, seine verstorbene Schwester mit Alex' Hilfe dur ch die Gänge der Ahm Sher e-Py ramide. Evelyn sah dabei fast friedlich aus, als würde sie nur schlafen. Dieser Anschein wurde noch durch die Khakijacke verstärkt, die ihre tödliche Bauchwunde verdeckte. Der kleinen Prozession haftete etwas Unheimliches an, und diese Wirkung wurde noch durch Jonathans Wissen um die mythische Rolle der Py ramiden im alten Ägypten verstärkt. Diese rätselhaften, von M ännern erschaffenen M onumente, die einerseits den Tod verehrten und andererseits der Hoffnung dienten, ihn umgeh en zu können. »Du weißt doch sicherlich«, sagte Jonathan zu dem Jungen, »dass diese besondere Zeremonie nur von jemandem abgeh alten werden kann, der auch Altägyptisch beherrscht.« »Du bist der Ägyptologe, Onkel Jon.« »Na ja, nicht so ganz. Ich bin eh er ein Antiquitätenplünderer als sonst etwas, doch habe ich das eine oder andere von deiner M utter aufgeschnappt. Ich weiß zwar nicht, was du so kannst, aber ich b in etwas aus der Übung.« Sie waren an ein er Gabelung im Tunnel an gelangt. Ev ely n wog zwar nicht viel, doch hatten sie bereits eine ziemliche Wegstrecke in dem für Pyramiden typischen Laby rinth zurückgelegt. Dennoch kamen sie gar nicht auf den Gedanken, ihre wertvolle Last abzulegen und sich auszuruhen. Es wäre ihnen resp ektlos vorgekommen, und d avon abgesehen war Eile geboten.
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»Wir müssen nach links«, sagte Alex. »Vermutest du?« »Nein.« »Woher weißt du es dann?« Der Junge zeigte mit dem Kopf auf die Schriftzeichen über dem Portal zu ihrer Linken. »Kasheesh Osirian Nye«, las er vor. »Das bedeutet so viel wie: >Dieser Weg führt zum König der Skorp ione« »Was für eine entzückende Aussicht. Anscheinend hast du auch das ein e oder andere von deiner M utter aufgeschnappt.« M it einem traurigen Grinsen nickte Alex und sagte: »M um hat mir viel beigebr acht. Ich wünschte nur, ich hätte dieses verdammte Armband nicht weggeworfen.« Insgeheim wünschte Jonathan sich das auch, denn es war wirklich ein verflucht wertvolles Schmuckstück, doch er fragte nur: »Warum?« »Als ich es trug, konnte ich Altägyptisch nicht nur verstehen, sondern es auch sprechen!« »Nein!« »Doch.« »Ist irgendetwas davon hängen geblieben?« »Vielleicht. Und mit dem, was ich von M um gelernt habe, kriegen wir das ir gendwie schon hin, Onkel Jon.« Überwältigt von dieser M öglichk eit schaute Jonathan auf den schlummernd en Leichnam seiner Schwester hinab und sagte: »Das könnte wirklich p rima klap pen.« Sie gingen weiter und stießen auf eine schwierig zu meisternde Hürde, die darin b estand, die Leiche eine aus Sand geformte Treppe hinunterzutragen. Die Sandstufen waren jedoch gleichzeitig ein Geschenk Gottes, denn sie dämpften ihre Schritte und riefen die dunkelhaar ige Schönheit nicht auf den Plan, die ihnen den Rücken zugedreht hatte. Sie stand dort wie ein Wachtp osten und starrte durch ein seltsames, nebelver-
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hangenes Tor, das von kriegerischen Statuen bewacht wurde, die in ihren goldenen Händen echte Waffen h ielten. Als sie am Fuß der Treppe angekommen war en, warf Jonathan seinem Neffen einen warnenden Blick zu. Er wies mit dem Kopf auf den Sockel, in dessen unmittelbarer Nähe die in dunkle Gewänder gekleidete Frau reglos stand. Obenauf lag das in Obsidian gefasste Buch, auf das sie es abgesehen hatten. Geräuschlos legten sie die leblose Hülle von Alex' M utter auf den Boden und verständigten sich mit Blicken und Kopfnicken. Jonathan bedeutete Alex, sich von r echts, dicht an der Wand bleibend, anzuschleichen, während er sich der Frau von links nähern wollte. Diese schien noch zu überlegen, ob sie durch das Tor gehen sollte oder nicht. Jonathan stellte sich links von ihr dicht hinter sie, während der Junge rechts von ihr an den Sockel heranschlich. Dann räusperte Jonathan sich. Sie wirbelte herum, ihr dunkles Haar flo g um ihr en Kopf. Sie verengte ihr e dunklen Augen und starrte ihn Unheil verkündend an. Jonathan stand vor ihr, die Hände zu Fäusten geballt und bereit, es mit ihr im traditionellen englisch en Faustkampfstil aufzunehmen. Er hatte keine Ahnung, welch lächerlichen Anblick er bot. »Komm her und hol dir deine Packung, du Hexe!«, sagte Jonathan und tänzelte hin und her. Sie grinste höhnisch. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lip pen, während sie rasch auf ihn zukam. Die wiedergeborene Prinzessin bemerkte nicht, dass der Junge hinter ihrem Rücken zum Sockel schlich und das Totenbuch herunternahm. Der Junge sah jedoch, was die Prinzessin tat: mit der tödlichen Präzision einer trainierten Expertin in Selbstverteidigung verpasste Anck-su-namun ihrem Gegener zwei Schläge ins Gesicht. Jonathan, der sich das Blut
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aus dem M undwinkel leckte, mo chte zwar das Bild eines Dummkopfs abgeben - in gewisser Hinsicht mochte er auch einer sein -, ab er im Faustkampf kannte er sich aus, denn er hatte schon früh in der Internatsschule damit angefangen. Er schlug zurück und landete erst einen kräftigen Hieb gegen ihr Kinn, dann in ihren M agen, an der gleichen Stelle, an der sie Evely n ihren Dolch in den Bauch gejagt hatte; Anck-sunamun krümmte sich zusammen. Auf den Zehen tänzelnd sagte Jonathan: »Das war für meine Schwester. Ich hoffe, es hat dir gef allen.« Anck-su-namun richtete sich auf und grinste spöttisch. M it einem Tritt beförderte sie Jonathan gegen eine der Statuen. Er rappelte sich hoch und riss der Statue den Speer aus den Händen. >Fairplay< war wohl nicht mehr das oberste Gebot. Dann ging er auf sie los. Die Prinzessin hatte inzwischen ihre eigene Waffe für sich entdeckt und riss der anderen Statue einen Dreizack aus den Händen. Die Art, wie sie den Dreizack umklammerte, machte deutlich, dass sie damit umzugehen wusste. Angst durchfuhr ihn, als ihm schlagartig klar wurde, dass er ihr unterlegen war. Während d ie Prinzessin auf ihn zukam, um ihn zu töten, wich Jonathan zurück. Er zitterte wie ein Feigling, der er um k einen Preis sein wollte. »Beeil dich, Alex!«, r ief er. Anck-su-namun runzelte die Stirn und blickte sich um. Erst jetzt entdeckte sie Alex, der unten am Fuß der Trepp e neben seiner am Boden liegenden M utter kniete. Er war in das große Buch vertieft, als wäre es die Comic-Beilage in der Sonntagszeitung. Die Prinzessin knurrte. Es klang wie das Knurren eines bösartigen Tieres, das man von einem so schönen, wenn auch bösen Wesen n ie erwartet hätte. Sie wollte sich gerade auf Alex stürzen, als Jonathan vorschnellte und sie mit dem Speer angr iff.
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Alex saß gebeugt neb en der reglosen Gestalt seiner M utter und sah aus, als würde er b eten - was er in gewisser Weise auch tat. Er las laut aus dem Buch vor, und sein Gesicht war ganz starr vor Konzentration, während er sich mit den Worten der jahrtausendealten Sprache ab mühte. »Hootash naraba oos Veeslo«, las der Junge zaghaft. »Ahm kum ra ... Ahum kum Die ...« Jonathan mobilisierte all seine Kräfte und allen M ut, p arierte fast jeden Schlag der geübten Kriegerin mit seinem Speer, doch ein rascher, präzise ausgeführter Hieb brachte ihm eine blutende Wunde an der Brust bei. Alex, der bei d em Schmerzensschrei seines Onkels zusammenzuckte, hockte immer noch neben seiner toten M utter und starrte in das Buch. Verzweifelt versuchte er, die Schriftzeichen zu lesen. Jonathans Wunde war nicht tief, und es blieb ihm auch keine Zeit, über seine Schmerzen nachzudenken. Er stürzte nach vorne und parierte jeden ihr er Stöße, wenn auch nicht in geschickter, so doch in ausreichend er Weise. Wie konnte diese Frau nur so stark sein? Wie konnte überhaupt eine Frau so stark sein? Obwohl er jeden ihr er Schläge abwehrte, erschütterte ihn ihre Stärke bis ins M ark. Er fühlte sich wie ein Nagel, der bei jedem Schlag tiefer in den Boden getrieben wurde. Alex' Stimme hallte durch den go ldenen Raum: »Efday Shokran ... Efday Shokran irgendwas ... Onkel Jon; Ich weiß nicht, was das letzte Sy mbol bedeutet!« Während er seinen Sp eer quer hielt, um sie abzuwehren, schrie Jonathan: »Wie sieht es aus?« »Es ist ein Vo gel, ein großer Vo gel, ein Storch!« In diesem Augenblick sch lug Anck-su-namun Jonathan den Speer aus der Hand. Sie p ackte seine Kehle - auf die gleiche Weise wie Imhotep - drückte ihn gegen eine Statue und würgte
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ihn. Jonathan, der genau wusste, was das Storchzeichen bedeutete, hatte M ühe eine Antwort hervorzubringen, behindert wie er im Schraubstock griff der Prinzessin war. »Ah ... Ah«, setzte Jonathan an. Dann lockerte sie p lötzlich den Griff, schob ihn von der Statue weg und drängte ihn gegen die Wand, um ihn besser p acken zu können. Doch bevor er mit dem Rücken gegen die Wand p rallte, rief Jonathan: »Ahmenophus!« Ein Strahlen ging über das Gesicht des Jungen und es sprudelte aus ihm hervor: »Das ist es! Efday Shokran Ahmenophus!« Jonathan konnte die Begeisterung seines Neffen nicht teilen, denn er wurde gerade wieder gegen die Wand gep resst. M it der einen Hand umklammerte die starke Prinzessin seine Kehle, mit der ander en holte sie zum tödlichen Schlag mit dem Dreizack aus, wobei sie ihr Opfer höhnisch angrinste. Als Anck-su-namuns Hand vorschnellte, legte sich ihr eine andere Hand ums Gelenk und hielt sie auf; die Klinge des Dreizacks war nur Zentimeter von Jonathans Kehle entfernt. Jonthan drehte den Kopf, um seinen Retter anzusehen. Glück und Hoffnung durchfluteten ihn. Anck-su-namun tat es ihm nach, und ein Ausdruck der Verb lüffun g und des Ekels spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Evelyn Carnahan O'Connell stand ihr mit zerrissener Bluse und zerzaustem Haar gegenüber. Ihre klaffende Bauchwunde war verheilt und mit grimmig entschlossenem Blick grinste sie Anck-su-namun höhnisch an. »Lassen Sie meinen Bruder los«, sagte Evelyn und stieß die Prinzessin quer durch den Raum. Alex tauchte unvermittelt an Evely ns Seite auf. »Du und d ein Onkel«, ordnete seine M utter an, »ihr helft deinem Vater.« »Ja, M um. Kommst du allein zurecht, M um?«
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»Ich bin eine neue Frau.« Anck-su-namun kam wieder auf d ie Beine. Geschmeidig wie eine Katze schlich sie auf sie zu. Alex klammerte sich an den Ärmel seiner M utter. »Aber ...« »Kein >aber<, Liebling. M ach dir keine Sor gen. Überlass diese Schlampe nur mir.« Unfreiwillig musste der Junge grinsen. »M um - deine Ausdrucksweise!« Sie lächelte und klop fte ihrem Sohn liebevoll auf die Schulter. »Geh, Jonathan. Bring ihn hier weg.« Jonathan ergriff den Arm des Jungen und zerrte ihn weg, während Alex rief : »Wir können M um nicht allein lassen!« Die Prinzessin näherte sich Ev ely n in kampfbereiter Kauerstellung und schwang bedrohlich den Dreizack. »Sie hat gesagt, dass sie zurecht kommt«, sagte Jonathan und zog den widerstrebenden Jun gen über die kleine Steinbrücke durch das finstere Tor in die dahinter liegend e Höhle. »Sie will, dass wir deinen Vater suchen. Und noch was: Wann hat sich deine M utter das letzte M al geirrt?« Dann waren ihr Sohn und Brud er fort und Evelyn blieb in dem goldenen Raum zurück, um sich der wieder geborenen Kämpferin Anck-su-namun zu stellen. »Wissen Sie, wer ich b in ?«, fragte Ev ely n, umkreiste den Raum und wartete darauf, dass die Frau angr iff. »Nefertiti«, entgegnete die Prinzessin. »Wie mein Ehemann sagen würde ... lange nicht gesehen, Anck-su-namun.« Die Prinzessin lächelte. Sie blieb stehen und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Gut, dass wir beide wissen, wer wir sind.« Die beiden Frauen schauten sich an; ihr Hass mischte sich mit einem seltsamen Gefühl des Respekts. »Nicht wahr?«
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Von einer n ahe gelegenen Statue griff sich Evelyn ebenf alls einen Dreizack. Sie umklammerte die Waffe, um ein Gefühl für sie zu bekommen und das Gewicht abzuschätzen. »Jetzt können wir da weitermachen, wo wir vor nicht allzu langer Zeit im Palast meines Vaters aufgehört haben. Aber wir brauchen uns nicht mehr >zurückzuhalten<, wie man heutzutage sagt.« Anck-su-namun nickte zustimmend, doch diese Geste besagte mehr. Es war eine Verbeugung, eine Art Zeichen, das ein Gladiator dem and eren geben mochte. Die beiden Frau en hoben ihr er Waffen. Gleichzeitig gingen sie aufeinander los. Ein Kampf, der vor dreitausend Jahren begonnen hatte, wurde fortgesetzt. Dieses M al trugen sie keine goldenen M asken, diesmal war es bitterer Ernst. Schlag folgte auf Schlag, M etall klirrte gegen M etall, Fleisch traf auf Fleisch, Fausthiebe, Tritte, Ellbo gen, Rückhandschläge ... Im Laufe der Jahrhunderte hatten sie nichts von ihrem Können ver lernt. Sie kämpften um die goldenen Statuen herum. Zwei Frauen aus dem zwanzigsten Jahrhundert, die von der alten Kriegskunst beherrscht waren und sie beherrschten. Sie schlugen zu, parierten, täuschten an und verkeilten die tödlichen Dreizacke ineinander. Sie warfen sich abwechselnd zu Boden, um sich anschließend noch härter anzugehen. Unermüdlich kämpften sie, hassten und bewunderten sich, jede erstaunt vom Können der anderen. Schließlich entdeckte Anck-su-namun eine ungedeckte Stelle und stürzte auf Evelyn zu. M it dem Dreizack zielte sie auf die verheilte Wunde. Sie würde kein größeres Vergnügen empfinden, als diese Wunde wieder zu öffnen und ein letztes M al das Blut aus ihr herausspritzen zu sehen. Aber Evely n trat rechtzeitig zur Seite und rammte ihren Ellbo gen in Anck-su-namuns Nacken, woraufhin die Prinzessin
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taumelnd zu Boden ging und den Dreizack verlor, der ihr aus der Hand flog und über den Boden rutschte. Als Anck-sunamun sich auf den Rücken drehte, um wieder auf die Füße zu kommen, stürzte sich Evely n auf sie und zwang sie mit den tödlichen Zacken ihr er Waffe völlig regun gslos zu verharren. So hatte ihre letzte Begegnung geendet, aber nun hatten Evelyn / Nefertiti den Platz mit der Prinzessin getauscht. Jetzt befanden sich die gefährlichen Spitzen des Dreizacks nur wenige Zentimeter von Anck-su-namuns Kehle entfernt. Die glühenden Augen, die auf sie hinunterstarrten, gehörten jedenfalls zu Nefertiti. Doch der Dreizack stieß nicht zu, war zwar zum tödlichen Hieb bereit, aber tötete nicht ... Kämpfte die Frau aus dem zwanzigsten Jahrhundert, zu der Nefertiti geworden war, mit zivilisierten Gefühlen, die die ehemalige M eela nicht behindert hätten? Die Prinzessin lächelte Evelyn an. »Sie haben sich verbessert, Prinzessin Nefertiti. Anscheinend hat die Schü lerin ihrer Lehrerin eine Lektion erteilt ...« Evelyn straffte sich, um zum tödlichen Schlag auszuholen, als ein Wutgeheul, ein unirdisches Brüllen durch d ie Höhle hinter dem nebelverhangenen Tor hallte. Anck-su-namun nutzte Evelyns Moment der Unaufmerksamkeit und schlug ihr den Dreizack aus der Hand. Auf höchst unwürdige Weise krabbelte die Prinzessin aus der Gefahrenzone, fing an zu laufen und floh durch das Tor über die steinerne Brücke in die geh eimn isumwitterte Höhle. Wütend setzte Evely n ihr nach; keine von beiden hatte sich neu bewaffnet, blindlings rannten sie beide dur ch das Tor ins Ungewisse. O'Connell fand seinen Weg durch Zufall in jene nebelverhangene, schattenhafte Unterwelt. M it der Fackel in der einen und der doppelseitigen Streitaxt in der anderen Hand
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durchstreifte er nun einen Teil der Pyramide, der dem glitzernden Bereich mit den go ldenen Wänden ganz unähnlich war. Der katakombenähnliche Gang endete in einen riesigen Raum mit höhlenartigen Wänden, in dem massive Stalaktiten wie gr aue Eiszapfen von der Decke hingen. Sie vermischten sich mit ägyptischen Kalksteinsäulen im Temp elstil, als hätten Gott oder der Teufel mit dem M enschen zusammengearbeitet, um eine unheilverkündende Kathedrale im Untergrund zu bauen. Während er weiter in diese seltsame unterirdische Welt eindrang, erhellte seine orangefarbene Fackel immer wieder finstere, höllische Gänge, in denen Wasser von der Decke trop fte; in der Ferne war das Heulen des Windes zu hören. Plötzlich entdeckte O'Connell auf der gegenüber liegende Seite des höhlenähnlichen Rau ms den M ann, die Kreatur, die er suchte: den kahlköpfigen, mit kupferfarbener Haut und in dunkle Gewänder gehüllten Bastard, den einige fehlgeleiteten Hurensöhne als ihren Gebieter ansahen, die lebend e M umie Imhotep . Ein seltsames Gefühl durchströmte O'Connell, ein e M ischung aus Wut und Vergnügen. Dieser M ann, der niemals trauriger war als in diesem M oment, war auch noch nie so froh darüber gewesen, b ald Rache üben zu können ... Die Frau, die Evy getötet hatte, war nirgendwo zu sehen. Imhotep , der mit dem Rücken zu O'Connell stand und nicht bemerkte, wie dieser sich von hinten anschlich, stand vor einem riesigen gold enen Gong. In seinen Händen hielt er einen Stab mit verdicktem End e, mit dem der Gong geschlagen wurde. Der Gong war in der Näh e von zwei riesigen Holztüren und einem enormen Tor, das in die Steinwand der Höhle eingelassen worden war, befestigt. Dies alles sch ien eine Art Altar darzustellen, ein Denk mal für den König der Skorpione, denn zu beiden Seiten dieses gigantischen Holztores standen
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mehrere lebensgroß e goldene Statuen in Gestalt von Skorp ionen als schweigende Wächter. Sie ähn elten dem Relief auf dem Armband des Anubis und dem wandgroß en Relief im Schlüsselraum, das d en Kurator teuer zu stehen gekommen war. Diese Statuen hielten verschiedene Kamp fwaffen in ihren Scher en, als seien es Relikte der Waff en, die einst von den lebenden und atmenden Wächtern, die vor langer Zeit hier Wache gestanden hatten, benutzt worden waren - nicht einfach nur Ikonen. Eine schmale Felssp alte, über die O'Connell ohne weiteres hätte springen können, trennte ihn von seiner Beute. Doch der Sprung hätte der M umie seine Anwesenheit verraten. Während O'Connell leise vorwärts lief, holte Imhotep mit dem Stab weit aus. Erst als die M umie kraftvoll zuschlug, sprang O'Connell über die Felsspalte. Daraufhin setzten Vibrationen von so übernatürlicher Kraft ein, dass der ganze Raum erbebte, jeder Stalaktit, jede Säule zitterte. Ein dröhnender Laut hallte durch die Höhle. O'Connell, der ger ade auf der anderen Seite d er Felsspalte gelandet war, hätte fast das Gleich gewicht verlor en. Seine Fackel fiel ihm aus der Hand in die Öffnung. Er schaute über die Schulter und sah, wie die brennend e Fackel über Felsen in eine endlose Tiefe stürzte; dann ging sie aus und verschwand in der Unendlichk eit ewiger Dunkelheit. Im lauten Gon gschlag gin g O'Conn ells Sprung unter sowie jedes Geräusch, das er machte, als er auf Imhotep zurannte, der ger ade dabei war, den Stab wieder auf den Boden zu legen. O'Connell holte mit der Streitaxt aus und zielte auf Imhoteps einlad enden Rücken, als dieser, der schließ lich doch etwas gehört oder vielleicht etwas gesp ürt hatte, herumwirbelte, den Stab hochhob, um den Hieb zu parieren. O'Connells Streitaxt bohrte sich in den Stab, die r iesige Stahlklin ge fr aß sich ins Holz und blieb dort hängen.
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Verbissen kämpften nun beide M änner mit ihren ineinander verhakten Waffen. Durch Zufall bewegten sich beide gleichzeitig zur Seite, ihre Waffen fielen ihnen aus der Hand und rutschten über den glatten Steinfußboden in die hungrige Felsspalte. Instinktiv wichen beide M änner zurück und starrten sich an. Imhotep sagte in Altägy ptisch: »Und so treffen sich die ewigen Krieger wieder.« O'Connell, - der natürlich kein Wort verstand, wusste auch nicht, wie er das Grinsen der M umie zu deuten hatte; außerdem war O'Connell nicht nach Läch eln zumute ... »Nun«, sagte Imhotep, der immer noch in seiner alten Sprache redete, »werden wir sehen, was die Götter für uns im Sinn haben.« Sie traten aufeinander zu. O'Connell mit erhobenen Fäusten, Imhotep , die Hände erst zum Würgegriff gefor mt, doch dann zu Fäusten geballt, als sie aufeinand er losgin gen. Dabei achteten sie tunlichst darauf, die Felssp alte zu meiden, die beider Ende bed eutet hätte. Unablässig schlugen sie wütend aufeinand er ein und teilten Hiebe und Tritte aus. Beide sch meckten Blut, und obwohl ihre Au gen vor Wut blitzten, vor Hass brannten, schienen sie einen besonderen Respekt füreinander zu empfinden, den nur ebenbürtige Gegner füreinander haben. Ein erdbeb en gleiches Zittern unterbrach ihren Zweikampf und ließ sie wie erstarrt innehalten. Das Zittern ließ nicht nach, die ganze Höhle erbebte. Die beiden M änner schauten sich verwirrt an, und auf beiden Gesichtern spiegelte sich das Wissen, dass etwas auf sie zukam. O'Connell erholte sich als Erster, verpasste Imhotep einen rechten Haken ans Kinn und schickte ihn taumelnd in eine der Statuen. M it der einen Hand wischte sich I mhotep das Blut aus dem M undwinkel, mit der anderen Hand packte er sich zwei
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Waffen aus den goldenen Scher en; ein en Dreizack und eine Sense. Die M umie bewegte sich nicht von der Stelle - noch nicht. Sein Gesichtsausdruck - wieder kam der gegenseitige Respekt ins Spiel - sagte seinem Gegner, dass es an der Zeit war, dem Auftakt zu ihrem tödlichen Spiel ein End e zu setzen. O'Connell nickte. Er gin g zu der anderen goldenen Statue hinüber und wählte die gleichen Waffen aus. Dann umkreisten sich die beiden M änner, warteten auf den richtigen M oment und passten die Unachtsamkeit des Gegners ab. Als sie aufeinander prallten, saß jeder Sch lag, Stahl traf Stahl, gekonnt pariert. Zwei Krieger maßen ihre ebenbürtigen Kräfte, während die Höhle bebte und ein Dröhnen die Ankunft von etwas verriet, das näher kam. Immer näher kam ... O'Connell, den d ie Ebenbürtigk eit seines Gegners frustrierte, stachelte seine Wut an. Er rief sich in Erinnerung, dass diese Kreatur für den Tod seiner Frau verantwortlich war. In Gedanken stellte er sich die lächelnde Geliebte der M umie vor, wie sie sich, den blutverschmierte Dolch in der Hand, über Evelyn beugte. Er stieß einen Schrei aus, sp rang vorwärts und schlug auf Imhotep ein. Die M umie zuckte zusammen und parierte die Angriffshiebe, wurde jedoch nach hinten gedr ängt. Imhotep parierte seine Sch läge, wurde aber immer wieder zurückgeschlagen. Um sie herum bebten die Wände der Höhle vor eigener Wut. Imhotep bot all seine Kräfte auf. Dreizack gegen Dreizack. Sense gegen Sense, so standen die beiden Krieger sich gegenüber. Sie starrten einand er an, Hass glühte in ihren Blicken. Der gegenseitige Resp ekt war vergessen. Die Holztür flog, begleitet von einer exp losionsartigen Kraft, auf. Das Geräusch hallte durch die Höhle und ließ den zuvor geschlagen en Gong wie ein Flüstern wirken.
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Die beiden M änner wandten ihren Blick voneinander ab und schauten auf den leeren, klaff enden Eingan g, der in Nebel verhüllt war und nichts als rauchige Dunkelheit bot. Etwas Großes senkte sich langsam von der Decke des and eren Raums und trat in ihr Blickfeld. Dunstschleier und schattenhafte Dunkelheit verhind erten, dass die Kreatur - nein, es war ein M ann, vollständig sichtbar war. Dann konnten sie die obere Körp erhälfte ausmachen. Es war ein muskulöser, gut aussehender, dunkelhäutiger Krieger mit finsterer M iene. Ein großer M ann, aber dennoch nur ein M ensch. Doch irgendetwas schien mit seinen Armen nicht zu stimmen, und als der Nebel sich hob, zeigte sich, dass seine Arme keine Hände, sondern Scheren hatten ... Imhotep sagte etwas in Altägyptisch, aber O'Connell brauchte diesmal keine Übersetzung. Es war ganz offensichtlich, dass dies der König der Skorpione war. Als der M ann, die Kreatur, aus der Tür in ihre M itte trat, konnten O'Connell und die M umie erkennen, dass der König der Skorpione selbst ein richtiger Skorpion, eine Art ägpytischer M inotaurus war. So gut aussehend er auch von der Hüfte aufwärts sein mochte, von der Taille abwärts war er ein Skorp ion, ein sehr großer sogar, mit vielen Scheren und einem Schwanz und einem wütenden Gesichtsausdruck, der ihnen verriet, dass er überhaupt nicht glück lich darüber war, aus seinem Schlaf gerissen worden zu sein.
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Kapitel 11. Ein Ritter in d er Höhle des Skorpions
Von all den überraschenden und schrecklichen Dingen, denen O'Connell während seiner ägyptischen Expeditionen begegnet war, gehörte diese Kreatur, halb M ann, halb Skorp ion mit seinen riesigen Scheren und um sich schlagendem Schwanz zu den entsetzlichsten von allen. Abstoßend und königlich zugleich, trug das Wesen den Kopf hoch erhoben, auch wenn es sich wie ein Insekt bewegte und mühsam die schweren Scher en hinter sich herzog, die wie Fingernägel auf einer Tafel über den Höhlenboden kr atzten. Beide starrten in ehrfürchtigem Entsetzen das Ungeheuer an. Instinktiv zogen sich O'Connell und I mhotep voneinander zurück; der eine bewegte sich nach links, der andere nach rechts. Sie wollten sich strategisch verteilen, um ihre Kräfte sinnvoll gegen einen scheinbar gemeinsamen Gegner einzusetzen. Die Kreatur stand genau zwischen ihnen und schaute von einem zum anderen; anscheinend überlegte sie, wer zuerst an die Reihe kam. Dann kehrte der Blick des Königs der Skorp ione zu Imhotep zurück und blieb an ihm haften. Eine Regung huschte über das ebenmäßige Gesicht des grässlichen Ungeheuers. Ob ein Erkennen oder ein untrügliches Gefühl oder sogar eine übernatürliche Kenntnis, das vermochte O'Connell nicht sagen. Was auch davon zutraf, der Ausdruck auf dem menschlichen Gesicht der Kreatur verwandelte sich in Wut, und das M onster steuerte auf die M umie zu. Seine Bewegungen waren wie die einer Krabbe, und seine Scher en schabten über den harten Höhlenboden. Je näher der König der Skorpione kam, desto weiter wich
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Imhotep zurück. Selbst von der gegenüberliegend en Seite der Höhle konnte O'Connell sehen, dass sich die Gedanken im Kopf der M umie überschlugen. M it großer Verblüffung beobachtete O'Connell, wie die M umie sich mit der Hand an die Stirn fasste und sich die Haut oberhalb der Augenbrauen abriss. O'Connell schüttelte den Kopf, glaubte zu träumen. Zuerst dachte er, d ie M umie sei wahnsinnig geworden, dann zweifelte er an seinem eigenen Verstand, als er Imhoteps entblößte Schäd eldecke sah. Es war ein grauenhaft trockener Schädel, und er konnte kein Blut entdecken. Die M umie selbst war halb Kreatur, halb M ensch, und so blieb Imhotep die scharlachrote Demütigung ersp art. In diesem M oment erinnerte sich O'Connell, dass auch der Kurator sich dieser Selbstverstümmelun g unterzogen hatte. Als er nun sah, dass Imhotep auf die Knie fiel, sich auf den entblößten Schädel schlu g und sich vor der näher kommenden Kreatur verbeugte, nahm O'Connell zu Recht an, dass dies irgendein Ritual sein musste, irgendein primitives akkadisches Zeichen der Ergebenheit. M it respektvoll gesenktem Blick und hoch erhobenen Armen wie ein Erweckungspriester kniete er vor der bedrohlich nahenden Kreatur. Er rief in Altägyptisch: »Mi Phat Ahs! Mi Phat Ahs! Ich bin dein Jünger!« Die Kreatur blieb stehen und starrte auf die M umie hinunter. Sie begann langsam zu nicken denn sie erkannte einen wahren Gläubigen. »Verflucht«, sagte O'Connell zu sich. Der König der Skorp ione wirbelte heru m, dabei kratzten seine hummerähnlichen Extremitäten über den f elsigen Boden. Nun war seine Aufmerksamkeit dem anderen Eindringlin g zugewandt. Dem Ungeheuer entging das selbstzufriedene und hinterhältige Grinsen seines ver meintlichen Jüngers, d er sich
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vom Boden erhob, den Blick nicht länger ehrfürchtig zu Boden gesenkt. Er zog sich in den sicheren Schatten zurück und überließ es seinen beiden Gegnern, den Kampf auszutragen, wobei er für beide das Schlimmste hoffte. O'Connell war beim Zurückweichen mit dem Rücken an einer Säule gelandet, bedrohlich kam die Kreatur näher. O'Connell wünschte, er könnte dieses M onster mit Scheren gegen einen leichteren Gegn er eintauschen, zum Beispiel ein paar Tausend Tuaregs. In seiner Verzweiflung schlug er sich auf seine fleischbedeckte Stirn und imitierte Imhotep s rituelle Geste. So gut er konnte, sprach er Imhoteps Worte nach: »My fat ass! My fat ass!« Doch diese Treuebezeugun g verfehlte ihre Wirkun g auf den König d er Skorpione, der mit seiner großen Schere auf O'Connell losgin g. Der Abenteurer sprang aus dem Weg, und die Schere durchschlu g die alte Kalksteinsäule, zertrümmerte sie und verwandelte sie in staubige Trümmer. O'Connell rannte wie der Teufel d avon und wär e dabei fast mit ein er Gestalt zusammengestoßen, die aus einem der unterirdischen Gänge stolperte und die ihm bek annt vorkam. Es handelte sich u m den Kurator, und O'Connell war überr ascht, ihn noch lebend anzutreffen. Der kleine M ann taumelte in die Höhle. Er hielt den blutigen Armstumpf umklammert, den ihm das Sch lüsselloch des Skorp ions beigebracht hatte, und blickte wirr und glasig wie ein Schlafwand ler umher. Als der König der Skorpione unaufhaltsam in tödlicher Absicht auf sie zuhielt, kam O'Connell beim Anblick des blutigen Schädels des Kurators die rettende Idee. Dieser Bastard war bereits ein toter M ann, obwohl er sich noch auf den Beinen halten konnte. Und würde nicht jeder König der Skorp ione ein M enschenopfer zu schätzen wissen? Von einer nah e gelegenen Statue gr iff sich O'Connell einen
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goldenen Helm und stülpte ihn dem taumelnd en Kurator über den Kopf, p ackte den M ann an den Armen, drehte ihn um und stieß ihn vorwärts. »Was?«, murmelte der Kurator, stolp erte weiter und blinzelte dümmlich. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, als er bemerkte, dass der König der Skorpione vor ihm aufr agte und ihn, die Scher en erhoben, mit zusammengekniff enen Augen betrachtete. Ohne zu zögern entschied der Kurator, welchem Herrn er dienen wollte: er fiel auf die Knie, hob die Hände in die Höhe, senkte den Blick und rief: »Mi Phat Ahs! Mi Phat Ahs!« Dennoch kam der König der Skorpione lan gsam weiter vorwärts. Er hob abwechselnd seine Scher en, als wüsste er noch nicht, welche er einsetzen sollte ... Der Kurator erwachte aus seiner Trance und b egriff schlagartig, was O'Connell ihm angetan hatte. Der kleine M ann befühlte den Kop f und ertastete die glatte metallische Oberfläche. Er erkannte, dass das Ritual, d em er sich so schmerzhaft unterzogen hatte, umsonst gewesen war. Der Schäd elknochen, den er für den König der Skorp ione entblößt hatte, war unter einem Helm verbor gen! Und dieser Helm saß fest auf seinem Kop f. Verzweifelt versuchte er ihn abzunehmen ... ... doch der König der Skorp ione hatte bereits seine Entscheidung getroffen. M it einer gewaltigen Schere packte er den Kurator um die Hüfte und hob ihn in die Höhe. Neugierig musterte er ihn wie ein Insekt ein anderes. M it einem schrecklichen Brüllen schloss er die Scher e und drückte stärker zu, bis der M ann in zwei Hälften zerschnitten war. Die Überreste fielen auf den Boden und bild eten einen blutigen Haufen. O'Connell nutzte die Zeit, die ihm die Verstümmelung des Kurators gebracht hatte, um sich eine Waffe von einer der Statuen auszusuchen. Ein Dreizack schien die beste Wahl zu
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sein. Doch als er sich umwandte, u m sie einzusetzen, schleuderte ihn eine riesige Schere in eine Richtung, während d er Dreizack in die and ere Richtung segelte. Er schlug gegen eine Höhlenwand, die glücklicherweise glatt war. Wäre er auf einem spitzen Fels gelandet, hätte dieser ihn aufgesp ießt. So spürte er bei dem Aufp rall nur jeden Knochen und jeden M uskel in seinem Körp er. Mühsam kam er wieder auf die Füße und stellte fest, dass er neben einer lebens großen Kartusche stand, die keine ägyptische Gestalt, sondern einen mittelalterlichen Ritter darstellte. Während er v ersuchte, wieder zu Atem zu kommen, fiel O'Connell auf, dass der Ritter auf der Zeichnung weder ein Schwert noch eine Lanze, sondern ein Zepter in der Hand hielt. Das gold ene Zepter des Osiris! Außerdem hatte der Ritter die gleiche Tätowierung auf der Hand, die O'Connell seit seiner Kindheit trug. Der mächtige Schwanz des Königs der Skorp ione schleuderte herum und zerstörte die Kartusche, wobei er O'Connells Kopf nur um M illimeter verf ehlte. Instinktiv machte dieser einen Hechtsprung zur Seite, aus dem eine Rolle vorwärts wurde. Als er wieder auf die Füße sprang, stand er vor der Wand, gegen die er kurz zuvor geprallt war. Auf ihr war der gleiche Ritter abgebild et, dessen Kartusche soeben vom Schwanz des Skorp ions zerschmettert worden war. Die Zeichnun g war eine Art Anleitung, die zeigte, wie der Ritter das Zepter des Osiris als Waffe im Kampf einsetzte, unter anderem als ausziehbaren Speer, den der goldene Gegenstand in seinem Innern verbar g. Die letzte Zeichnung stellte dar, wie der Ritter den Sp eer auf eine Gestalt schleuderte, die Ähnlichkeit mit dem König der Skorp ione hatte. Seit vielen Jahrhunderten hatten die M ed-jai Hamunapatra bewacht und versucht, die Rü ckkehr Imhoteps zu verhindern.
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Hatten die Tempelritter während der heiligen Kreuzzüge vom König der Skorpione erfahren und hier Wache gehalten? Und war O'Connell einer von ihnen? Jetzt war er bereit, es zu glauben, - und dafür musste er sich nicht das Fleisch von der Stirn reißen. Als der riesige Schwanz mit dem tödlichen Stachel ern eut durch die Luft sauste, sp rang O'Connell rechtzeitig aus dem Weg. Der Schwanz zertrümmerte die Kartuschenwand mit der aufschlussreichen Zeichnung. Doch O'Connell wusste bereits, was er wissen musste. Als er vor der herannahenden Kreatur davonrannte, sah O'Connell, wie Jonathan gemeinsam mit Alex von der anderen Seite der Felssp alte in die Höhe gestürmt kam. Die Anwesenheit seines Sohns schmeckte ihm zwar gar nicht, aber er war nie glücklicher gewesen, seinen Schwager zu sehen. Die beiden blieben wie angewurzelt stehen, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen beim Anblick des Königs der Skorp ione. »Jonathan!«, schrie O'Connell. »Das Zepter! Dieser goldene Stab. Es ist ein Speer. Er lässt sich zu einem Speer ausziehen.« »Ach wirklich«, sagte Jonathan, der etwas verwirrt darüber war, warum O'Connell ihm das gerade jetzt mitteilte, während sie vor dem Anblick dieses schrecklichen Ungeheuers zurückwichen. »Wie faszinierend ...« »Damit können wir dieses M onster da töten!« »Ach so. Ausgezeichnet!« Jonathan holte das Zepter aus dem Rucksack und begann umständlich daran herumzufummeln. Alex riss es ihm mit dem Worten »Gib mir das mal« aus den Händen. Auf der anderen Seite der Höhle stand Imhotep verborgen im
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Schatten und beobachtete sie. Er kannte das Geheimnis des Zepters bereits, das O'Connell gerade erst erfahren hatte. Er flüsterte in seiner alten Sprache vor sich hin: »Das Zep ter des Osiris ...« Die M umie brauchte die Waff e, um den König der Skorp ione zu zerstören. Sollte jedoch der wiedergeborene Tempelritter oder irgendeiner von seiner Trupp e das Biest mit dem Sp eer erlegen, herrschte O'Connell über die Armee des Anubis und der König der Skorpione musste tun, was ihm der Abenteurer befahl. Der dumme Brite und der Junge hatten das Zepter, und sie waren auf der anderen Seite der Höhle. Nur die schmale, wenn auch bodenlose Felsspalte lag zwischen ihnen. Imhotep verließ den Schutz der Dunkelheit und stürmte auf sie zu. Im gleichen Augenblick raste Anck-su-namun, dir ekt von Evely n gefolgt, in die Höhle. Beide kamen fast gleichzeitig n ebeneinander zum Stehen, als sie d es grauenhaften M onsters ansichtig wurden. Ihr eigener Zweikamp f war vergessen. Der monströse König der Skorp ione schlug mit den Sch eren durch die Luft, sein Schwanz peitschte hin und her. M it seinen Scher en durchschn itt er Säulen und bohrte Löcher in die Wände, während er O'Connell bedrohlich näher kam, dem es jedoch immer wieder gelang, ihm auszuweichen. Der zerteilte Kurator lag in ein er Blutlache auf dem Höhlenboden, eine schreckliche Demonstration der Fähigkeiten dieses M onsters. Anck-su-namun - oder war sie jetzt wieder M eela? - wich in schrecklicher Angst zurück. M it einer Hand bedeckte sie ihr Gesicht, doch lugte sie zwischen den Fingern hindurch und sah, wie das schreckliche Un geheuer auf O'Connell einschlug, als wäre dieser ein Insekt. Es schickte ihn wirbelnd durch die Luft und schleuderte ihn gegen eine un ebene Höhlenwand. Er rutschte herunter und landete auf seinem Hintern, wo er der
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Länge nach und mit aus gebreiteten Beinen liegen blieb. Evelyn schrie: »Riiiick!« Er schaute hoch und sah seine Frau lebendig vor sich! Trotz aller Schmerzen und der furchtbaren Umstände war er nie glücklicher gewesen. M it verzerrtem Lächeln schrie er : »Evy ! Sieh zu, dass du hier rauskommst. Nimm Alex mit!« Der Stachel des Skorpions landete, begleitet von einem lauten Krachen, zwischen O'Connells ausgebreiteten Beinen und schlug ein Lo ch in den Steinboden. Er sprang auf die Füße, entdeckte seinen Dreizack, hob ihn auf und wich zurück. Von neuer Lebenskraft durchströmt und ohne Furcht schaute er zu dem über ihm ragenden M onster empor. Evy lebte, und das musste so bleiben! »Jonathan«, schrie er, »verflucht nochmal, beeil dich endlich und mach das Ding startklar.« Er suchte nach menschlichem Fleisch in der Brust der Kreatur und zielte mit dem Dreizack darauf, doch prallte die Waffe am Panzer der Kreatur ab. Imhotep sp rang über die Felsspalte und war nicht mehr weit von Jonathan und Alex entfernt, die immer noch die Schriftzeichen auf dem Zep ter zu entziffern versuchten; dabei probierten sie verschiedene Einbuchtungen am Kop f des Zepters aus. Die M umie war vielleicht noch zwei M eter von ihnen entfernt, als Jonathan den unteren Teil des Zep ters drehte, der sich daraufhin öffnete und eine scharfe Sp itze enthüllte. Alex packte das Artefakt und zerrte daran, bis sich das Zepter gut einen halben M eter ausziehen ließ und zu einem tödlich aussehenden scharfen Speer geworden war. Jonathan riss seinem Neffen den Sp eer aus der Hand und rief: »Aus dem Weg, Junge. Das ist M ännersache.« Vorsichtig zielte er, und als Imhotep ihn fast erreicht hatte,
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schleuderte Jonathan den Speer auf den König d er Skorp ione, an der M umie vorbei, d irekt auf die Kreatur. Der wütende Imhotep , dem Jonathan einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, stieß diesen zur Seite und schrie: »Niiiiy!« Der König der Skorpione machte eine linkische Pirouette und wehrte mit dem Stachel den Speer ab, der daraufhin wild rotierend wie ein Prop eller dur ch die Höhle wirbelte. O'Connell sprang behände nach dem Speer und fing ihn geschickt aus der Luft auf. Kaum hatte er mit den Füßen den Boden wieder berührt, rannte er wie ein Speerwerfer los und schleuderte den Speer erneut auf den König der Skorpione, wobei er versuchte, den Panzer zu meiden und nach menschlichem Fleisch suchte. Der Speer drang tief in die Brust der Ungeheuers ein und durchbohrte das Herz. Die Wucht des Sp eers ließ die Kreatur, die erschrocken vor Wut und Schmerz aufschrie, rückwärts taumeln. Es war ein Brüllen, tierisch und seltsamerweise menschlich zugleich. Die M umie ver gaß Jonathan und Alex und stieß erneut ihr »Niiiy!« aus. Vor Wut laut aufheulend rannte sie wie der Teufel auf den König der Skorp ione zu, aber es war zu spät, um noch irgendetwas ausrichten zu können. Der König der Skorpione taumelte benommen umher ; wütend und gequält starrte er auf O'Connell hinunter. Er brüllte etwas, das einem Kriegsruf gleich gekommen wäre, wenn das Untier nicht ger ade im Sterben gelegen hätte. Der Abenteurer missachtete seine eigenen Sch merzen und sagte gepresst, während er dem Blick des Ungeheuers standhielt: »Du hast mir nun zu gehorchen. Fahr zur Hölle.« Der König der Skorpione riss die Augen weit auf, als der letzte Teil vom Fluch des Anubis wirksam wurde. Die Kreatur exp lodierte zu schwarzem Staub. O'Connell bedeckte sein
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Gesicht mit dem Arm, ab er es kamen keine schmerzhaften Geschosse wie Scheren oder Fleischstücke geflogen, da der König d er Skorpione sich in ein schwarzes Nichts aufgelöst hatte. In der Wüste hinter Ahm Shere, dort, wo die tapferen und hoffnungslos unterlegenen M ed-jai gegen die hundeköpfigen Krieger des Anubis kämp ften und ihr Blut bereits den Wüstensand durchtränkte, ereignete sich etwas Seltsames, aber gleichzeitig Wundervolles, das noch vor Ende d ieses Tages zum Stoff einer Legende werden würde. Ardeth Bay und seine Befehlshaber, die dem Tod schon ins Auge blickten, wurden Zeuge, wie die r iesige Armee des Anubis sich unvermittelt in den schwarzen Sand zurückverwandelte, aus dem sie entstanden war. Sie löste sich vor den Augen der M ed-jai auf, die sich daraufhin die zu Sand geworden en Überreste ihrer Gegner von den blutgetränkten, zerfetzten Kleidern klopften. »Gepriesen sei Allah«, sagte Ardeth Bay, überrascht darüber, dass er noch lebte. Wäre er Zeu ge geworden, was sich in der Oase von Ahm Shere ereignete, wäre er nicht minder überr ascht gewesen. Dicker schwarzer Staub drang aus den Gängen der goldenen Py ramide, entlud sich am Himmel und formte eine riesige Wolke, in der das Gesicht des Königs der Skorp ione zu sehen gewesen wäre, hätte es denn Zeugen gegeben. Er versuchte vergeblich, ein letztes wütendes Bellen von sich zu geben, bevor die Wolke imp lodierte. Der schwarze Staub wurde wieder in die Pyramide gesogen, deren goldene Grundfeste unter der Wucht des So gs erzitterten. Die, die sich unten in der Höhle aufhielten, hatten dieses unirdische Er lebnis nicht mitbekommen, doch die Auswir-
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kungen bekamen auch sie zu spüren. Die Höhle des Königs der Skorp ione erzitterte unter erdbebenähnlichen Stößen, als sich O'Connell und I mhotep, die ewigen Krieger, nur durch die Felssp alte getrennt, gegenüberstanden und ber eit waren, ihren Zweikampf fortzusetzen. Doch das die Höhle erschütternde Beben machte diese Absicht zunichte und stürzte die beiden M änner in die sich plötzlich weitende Felsspalte. Während die Welt um sie herum zusammenbrach, schrie Evy : »Nein!« und rannte los. Doch ihr wurde der Weg durch plötzlich herabstürzende Stalaktiten versperrt, die wie tödliche Wurfgeschosse und scharf wie Rasiermesser von der Decke fielen. In der Felsspalte hingen die ewigen Krieger nebeneinander an einem Felsvorsprung und bangten um ihr Leben. Wie reifes Obst, das jeden M oment von seinem Ast fallen konnte, baumelten sie hin und her. Unter ihnen erwartete sie ein Sturz in unendliche Tiefen. Beide, M ann und Mumie, hatten in diesem Kampf viel ertragen und besaßen nicht mehr viel Kraft. Nun befanden sie sich beide in der gleich en Notlage. Sie tauschten Blick e, die besagten, dass sie sich wohl nicht mehr lan ge halten konnten. Held und Schurke brauchten Hilf e, um zu überleb en. Von dem Vorsp rung aus, an den sie sich klammerten, konnten sie das Gefälle d es Höhlenbodens überblicken. O'Connell und Imhotep sahen die tödlichen Stalaktiten, die herunterstürzten und jeden Rettungsversuch vereitelten, während die Höhle um sie herum bebte. Sie konnten ihre geliebten Frauen sehen, die Qualen ausstanden, weil sie ihn en helfen wollten und nicht konnten. O'Connell ran g nach Luft, denn das Erdbeben drohte ihn von seinem wackligen Felsvorsp rung zu stoßen, und er rief Evy zu: »Bleib zurück! Bleib, wo du bist! Bleib bei Alex!«
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Während er sich verzweifelt an den Felsvorsprung klammerte, schrie Imhotep seiner wieder gebor enen Geliebten zu: »Anck-su-namun, hilf mir! Bitte hilf mir!« Die beiden Frauen sahen zu den M ännern hinüber, die sie liebten, und d ie im Begriff war en zu sterben. Speere aus Fels schlugen wie Bomben um sie herum, aber vor allem zwischen ihnen und den M ännern, ein. Evelyn hatte keine Angst zu sterben, es wäre ja nicht das erste M al. Wie der Teufel rannte sie dur ch das M inenfeld der um sie herum einschlagenden tödlichen Eiszapfen, um den Vater ihres Kindes, den M ann, den sie liebte, zu retten. »Bleib zurück!«, rief O'Connell, aber sie hörte nicht auf ihn. Er war gleichzeitig voller Zorn und Bewunderung für sie. Doch Anck-su-namun, die auch schon mehr als einmal gestorben war, rührte sich nicht von der Stelle. M eela wandte sich um und rannte davon, den Gan g entlan g zurück zum Tor. Wie der Teufel jagte sie d avon und überließ ihr en Geliebten seinem Schicksal. Imhotep , der sich nur noch mit den Fingern f estklammerte, schrie fassungslos: »Anck-su-namun!« Aber sie war in dem Gang verschwunden. O'Connell schaute zu seinem Gegner hinüber und konnte im Gesicht der M umie lesen, dass in ihm mehr als eine Welt zusammenbrach, so wie die Höhle, die nach und nach auf sie herunterstürzte. »Anck-su-namun?« flüsterte die M umie. Im gleichen Augenb lick hatte Evelyn den Rand der Felsspalte erreicht, beugte sich über den Rand und packte den Arm ihres M annes. Rasch zog sie ihn hoch, über den Rand der Felssp alte und zurück in die vermeintliche Sicherheit. O'Connell schaute mit Evy an seiner Seite hinunter auf den hilflosen Imhotep . Er konnte es nicht verstehen, doch ertappte er sich bei dem Wunsch, seinem ebenbürtigen Gegner die
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helfende Hand hinzustrecken. Imhotep war jedoch am Boden zerstört. Er starrte zu ihnen hinauf, und so etwas wie ein Lächeln zeichnete sich schwach auf seinen Lippen ab. Er sprach ein Wort in Altägy ptisch, dann ließ er die Felswand los und stürzte in die Ewigkeit.
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Kapitel 12 Die verschwindende Oase
Die O'Connell-Trupp e nahm den gleichen Weg zurück wie Anck-su-namun. Sie liefen durch das Tor über die Steinbrücke, die Sandstufen hinauf in das goldene Labyrinth der Pyramide. Anck-su-namun, die lange vor ihnen wieder in dem weit verzweigten Tunnel war, entschied sich für einen anderen Gang und fand sich im Schlüsselraum wieder, wo der Kurator vor seinem Tod noch die Geheimnisse und Schrecken der goldenen Py ramide in Gang gesetzt hatte. Als sie jedoch den Raum durchquerte, am Relief des Skorpions vorbei, brach eine Wand ein und versperrte ihr den Ausgang dur ch schwere goldene Steinblöcke. Sie wandte sich um und sah nach, ob die eingestürzte Wand eine neue Fluchtmö glichkeit bot, aber stattdessen fand sie sich taumelnd am Rand eines breiten Wassergr abens wieder, der nicht mit Wasser, sondern mit tödlichen, zappelnden Skorpionen gefüllt war. Diese waren selbst in Panik geraten, als die Welt um sie herum zu zittern anfing, und krabbelten nun in einer schwarzen, ekelhaft wimmelnden M asse übereinander. M it entsetztem Blick fasste sie sich an die Brust, rang nach Atem, erleichtert, dass sie noch rechtzeitig stehen geblieben war. Anck-su-namun machte auf dem Absatz kehrt und floh in die Richtung, aus der sie gekommen war. Hier bot sich ihr allerdings auch kein Fluchtweg, und ein ern euter Erdstoß ließ den Schlüsselrau m erb eben, so dass sie beinahe das Gleich gewicht verlor. So stand sie nun, wild mit den Armen rudernd, am Rand des mit Skorp ionen gefüllten Grabens und malte sich entsetzt die Folgen aus. Ihre Gedanken überschlugen sich, sie wusste was
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passierte, wenn sie hineinfallen sollte. Sie gewann ihr Gleich gewicht wieder und stieß einen erleichterten Seufzer aus, doch dann erschütterte ein weiterer Erdstoß die Kammer und sie stürzte in den Graben. Der König der Skorpione war tot, doch seine Untertanen blieben ihm treu ergeb en und wussten, was sie mit Eindringlingen zu tun hatten. Die hübsche junge Frau - Anck-su-namun od er M eela, was spielte der Name noch für eine Rolle? -, schwamm in einem schwarzen M eer aus Stacheln und winzigen Scher en. Wild schlug sie mit den Armen um sich, doch ihr e Schreie waren nur noch erstickt zu hören, denn die Kreaturen krabbelten ihr in den M und, fielen über sie her, bed eckten ihren ganzen Körper und zogen sie unter die schwarze, zap pelnde Oberfläche ... Die O'Connell-Truppe gelangte derweil dur ch ein Loch im Boden in den Eingan gsbereich der Py ramide, do ch nur um festzustellen, dass sie mitten in einen regelrechten Hurrikan ger aten waren. Schwarzer Staub und dichtes Laubwerk wurden durch jeden Ein gang in ein riesiges Loch, eine Windhose, in die M itte der Kammer gesogen. Sie suchten Schutz hinter einem goldenen Torbogen, der sie davor bewahrte, von fliegenden Trümmern erschlagen zu werden. Der Wind heulte so stark, dass sie sich anschreien mussten, um sich verständlich zu machen. Evelyn, die sich dicht an ihren Ehemann presste, schrie: »Wir kommen hier nicht mehr r aus.« »Es gibt immer einen Ausweg«, schrie ihr Ehemann zurück und schaute sich verzweifelt um; dann schien er etwas entdeckt zu haben. »Kommt weiter!« Über eine Trepp e führte er sie das Innere des Torbogens hinauf. Obwohl der heulende Wind in der Treppe widerhallte, wurden sie weder von schwarzem Staub noch von fliegenden
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Trümmern verfolgt. Auf halber Höhe schien ein e schmale Öffnung in der goldenen Wand von der Saugkraft des Lochs verschont zu bleiben. O'Connell konnte es wagen, einen Blick nach draußen zu werfen, um sich anzusehen, was seine Vernichtung des Königs der Skorp ione angerichtet hatte. Auch die anderen wagten einen verstohlenen Blick nach draußen, wo sich ihnen ein erstaunlicher und zugleich erschreckender Anblick bot. Die ganze Oase wurde in die Py ramide geso gen; Palmen, Unterholz, Büsche, die Erde selbst, Leichen mit roten Turbanen, verschrumpelte Köp fe, sogar sich windende, zischend protestierende Py gmäen, die umgeben von Schmutz und Trümmern fortgerissen wurden. »Dieser verfluchte Ort ist wie ein Staubsauger«, meinte O'Connell. »Er saugt alles auf!« »Warum verschwinden wir dann nicht von hier?«, schlu g ein entsetzt dreinblickender Jonathan vor. Die Pyramide, die immer wieder von Erdstößen erschüttert wurde, fing nun an zu wackeln. O'Connell, der sich an die hungrige, wirbelsturmähnliche Öffnung im Eingan gsbereich erinnerte, erkannte, dass die Pyramide selbst in die Erde gezo gen wurde. »Hier ist nichts mehr zu machen!«, rief O'Connell, rannte die Treppe hinauf und schrie. »Los, schnell weiter!« Die Stufen end eten in einem kleinen offenen Treppenabsatz, nicht weit von der Spitze der Pyramide entfernt. Doch eine Ansammlun g von Laubwerk, das gegen die Wand der Py ramide gedrückt wurde, v ersp errte ihnen den Weg. Daher konnten sie nicht feststellen, wie hoch sie gekommen waren und ob sie noch springen konnten. Die Palmblätter schlugen nach ihnen, während der Wind den Dschungel selbst in den reißenden, wasserlosen Strudel zog. »Sitzen wir in der Falle, Rick?«, fragte Evy ängstlich. O'Connell hatte einen Arm um seine Frau, den anderen um
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seinen Sohn gelegt, während er sich einer riesigen erdrückenden Wand gegenübersah. Er konnte keinen Ausweg entdecken, keinen einzigen. Und das, nachdem sie so viel durchgestanden, ertragen und überwunden hatten ... »Es gibt immer einen Ausweg«, erwiderte er. Doch musste er sich keinen einfallen lassen, denn eine Stimme schr ie von oben : »Hey! Will hier jemand mitfahren?« Sie wirbelten herum und sahen, dass sich das Luftschiff dir ekt hinter ihnen über der diamantenen Spitze der goldenen Py ramide erhob. »Izzy!«, schrie O'Connell überr ascht. »Beeilt euch. Dieser Sog zieht mich sonst runter. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!« O'Connell hievte erst Alex und dann Evy an der Seite mit dem zerstörten Trawler hoch, dann sp rang er selbst an Bord. Jonathan, der einen M oment verweilte, um nach dem außer Reichweite liegenden Diamanten zu sehen, drehte sich um und wollte aufspringen, als Izzy just in diesem M oment an einem Hebel zog, um den Blasebalg zu betätigen, der den mit Heißluft betriebenen Ballon in die Höhe trieb. Der rasche Anstieg des Luftschiffs führte dazu, dass Jonathan den Rand des Trawlers verpasste und an der Außenwand hinunterrutschte. Die restliche Truppe hielt den Atem an, doch Jonathans Füße blieben im Fischnetz hängen, das seitlich am Boot gesp annt war, und so bekam er seine M itfahrgelegenheit, wenn auch auf leicht unelegante Weise, da er nun mit dem Kopf nach unten hing. Doch Jonathan kam diese Lage recht, denn unter ihm glitzerte der Diamant, dieser riesige, wundervolle Diamant, der durch die ständigen Erdstöße nicht mehr so fest in seiner Halterung saß. Rasch riss er ihn in dem Augenblick ab, als die Pyramide vollends in die Erde gesogen wurde. Gleich darauf wirbelte das Laubwerk haarscharf an ihm
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vorbei, als die Windhose den Rest der Oase mit einem Donnern in die Erd e zog. »Was denn, kein Bäuer chen?« fragte Jonathan trocken, während er mit Hilf e der hilfr eich en Hände von Schwester und Schwager ins Schiff hineinkletterte. Während der neue stolze Besitzer des größten Diamanten der Welt an Bord des Trawlers stolperte, warfen die anderen einen Blick nach unten auf das, was einst der Dschun gel oder die Oase von Ahm Shere gewesen und jetzt nur noch ein Tal aus Staub und Wüste war, in dem sich nicht der leiseste Windhauch r egte. Schon bald bekam Izzy ein riesiges Dank eschön von Evy und Alex aus gesprochen; diese Aufmerksamkeit schien dem kleinen Piloten zu schmeicheln, ihn aber au ch in Verlegenheit zu bringen. Jonathan war beschäftigt, er saß an Deck und liebkoste den riesigen Diamant, grinste dabei wie ein Narr. Aber vielleicht verdiente er diese Belohnung sogar, wenn man bedachte, was für ein Held aus ihm geworden war. Rick O'Connell lehnte sich erschöp ft gegen die Kajütenwand des Trawlers, zuckte vor Schmerzen, die sich erst jetzt bemerkbar machten. Sein e Kleidung war zerrissen und sein Gesicht schmutz- und blutverschmiert. Izzy ging zu seinem alten Freund h inüber. »M eine Katze kotzt Haarballen, die besser aussehen als du. Was zum Teufel habt ihr bloß erlebt?« »Nicht viel«, entgegnete O'Connell. »Wir haben die Toten zum Leben erweckt, scheintote Pygmäen getötet, riesige Skorp ione aufgespießt, M umien zurück in die Hölle geschickt, du weißt schon, das Übliche halt.« Izzy ginste. »Keine Bauchtänzerin?« O'Connell wies mit dem Kopf auf seine Frau, die mit Alex am Bug des Trawlers stand. »Wer braucht mit einer solchen Frau noch eine Bauchtänzerin?«
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Izzy dachte darüber nach, dann nickte er und versuchte, das Argument seines Kumpels nachzuvollziehen; schließlich ging er zurück ans Steuer. »Rick!«, rief Evy. »Das solltest du dir ansehen!« O'Connell gesellte sich zu Evy und Alex, selbst Jonathan löste sich von seinem Diamanten und stellte sich n eben seine Familie, um einen Blick nach unten auf die Wüste zu werfen. Tausende von M ed-jai ritten triumphierend davon. Sie hatten ihre Wüstenschlacht lebend überstanden. Der Reiter an ihrer Spitze hielt oben auf dem Gip fel einer hohen Düne; selbst aus dieser Entfernung war er eine höchst imponierende Erscheinung. Ardeth Bay, der zu seinen Freunden in der Luft hinauflächelte, berührte sein Herz mit der offenen Handfläche und winkte dann dem Boot zu. »Harum bara shad«, rief der Anführer der M ed-jai. »Ewigen Dank, meine mutigen Freunde.« Seine Worte waren an Bord des Luftschiffes nicht zu verstehen, aber sie kannten seine Gefühle und teilten sie. O'Connell grüßte seinen M itstreiter, erleichtert, ihn lebend zu sehen. Er hoffte, ihn ir gendwann wieder zu treffen, ob es nun ein Abenteuer zu bestehen gab oder nicht. Evy winkte auch. O'Connell sagte: »Ich dachte, ich hätte dich da unten verloren.« »Das hast du auch - für eine kleine Weile.« »Selbst eine kleine Weile ist viel zu lan g. M ach das nicht noch einmal ... Was hat er eigentlich gesagt?« »Wer?« »Imhotep , bevor er abstürzte. Er hat etwas in Altägyptisch gesagt.« Sie nickte. »Er sagte: >Liebe, die länger währt als die Tempel der Götter. <« »Im Ernst? Hat er sich und diese Dame gemeint ...?«
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»Ich denke, dass er uns gemeint hat. Ich glaube, am Ende hat er uns beneidet.« Sie schüttelte das melancholische Gefühl ab und gr inste ihn spitzbübisch an. »Interessiert es dich, wie der Himmel aussieht?« »Nee.« Er schaute in das bezaubernde Gesicht seiner Frau, in ihre wundervollen blauen Augen. »Verflucht, das weiss ich doch schon längst.« Der Abenteurer nahm die Archivarin in seine starken, müden Arme und sie tauschten einen langen und leidenschaftlichen Kuss, wie er einer ägyptischen Prinzessin und einem Temp elritter würdig ist. »Junge, Junge«, sagte Alex und zog ein Gesicht, das alle anständigen Kinder ziehen, wenn sie mit dem schmalzigen Kram konfrontiert werden. »Haltet mich da raus«, sagte Jonathan und kehrte zu sein em Diamanten zurück. Izzy nickte allerdings und genoss den romantischen Anblick, konnte er doch verstehen, warum O'Connell sämtliche Bauchtänzerinnen und Frauen wegen dieser bemerkenswerten Frau egal waren. Er drosselte den Gang, und das Schiff segelte in den Sonnenunter gan g. Schließlich waren die beiden Helden und hatten deshalb das Recht dazu.
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Anmerkungen des Autors Zuerst muss ich Stephen Sommers für sein einfallsreiches, lebendiges und actiongeladenes Drehbuch danken, das eines der seltenen Nachfolgebücher ist, die den Ver gleich mit den Vorgängern nicht zu scheuen brauchen. Ich bin ihm und Cindy Chang von Univ ersal Studios dankbar dafür, dass ich für sie diesen Nachfolgeroman über M r. Sommers' unterhaltsames Drehbuch >Die Mumie< schreib en durfte. Cindy stand mir immer zur rechten Zeit mit Rat und Tat zur Seite. Ich verweise interessierte Leser auf eine r echt lan ge Liste von Sekundär literatur, die ich am Ende des ersten Romans über die M umie angegeben habe. Folgende Werke möchte ich noch hinzufügen: Birdseye Views of Far Lands, Vol. I V und V (1926 und 1927) von James T. Nichols; The Nile (1943) von Emil Ludwig; Temples, Tombs and Hieroglyphs (1964) von Barbara M ertz und A Woman Tenderfoot in Egypt (1923) von Grace Thompson Seton. Dank auch meinem Freund und Agenten Dominick Abel und meiner Frau Barbar a Collins, die ihr e eigen e schriftstellerische Tätigkeit immer wieder unterbrach, um mir auf dieser Expedition den Weg zu zeigen.
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MAX ALLAN COLLINS wurde neunmal für seine historischen Nathan-Heller Thriller von den Private Eye Writers of America für den Shamus nominiert und gewann diese Auszeichnun g für True Detective (1983) und Stolen Away (1991) - ein beisp ielloser Erfolg. Collins, der von den Mystery Writers of America sowohl in der Fiction- als auch in d er Non-Fiction-Kategor ie für den Edgar nominiert wurde, ist als der >Erneuerer des Detektivromans< gefeiert worden. Zu sein en Arbeiten zählen fünf Krimiserien, Filmkritiken, Son gtexte, Texte für Sammelkarten, Film- und Fernsehproduktionen; dazu gehören internationale Bestseller wie In the Line of Fire, Air Force One und Der Soldat James Ryan, U-571 und Die Mumie. Von 1977 bis 1993 schrieb er die Texte für das weltweit veröffentlichte Dick Tracy Comic; er ist mitverantwortlich für die Entstehung der Zeichentrickfigur en Ms. Tree, Wild Dog sowie Mike Danger und verfasste das Comic Buch und die Zeitungscomics von Ba tman. In seinem Heimatstaat Iowa hat er als unabhängiger Filmemacher gearbeitet. Zu dem Thriller Mommy (1995), in der Patty M cCormack die Hauptrolle spielte, und zu dem Nachfolger Mommy's Day (1997) schrieb er das Drehbuch, führte Regie und war ausführender Produzent. Zu seinen weiteren Arbeiten zählt Real Time: Siege at Lucas Street Market (2000). Außerdem schrieb er das Drehbu ch zu The Expert (1994), ein HBO Word Premiere-Film, und zu der mit einem Preis aus gezeichn eten Dokumentation Mike Hammer's Mickey Spillane (1999), bei der er auch Regie geführt hat. Collins lebt in M uscatine, Iowa, mit seiner Frau, der Schriftstellerin Barb ara Collins, und ihrem gemeinsamen Sohn Nathan.
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