Wolfgang Lienemann
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Wolfgang Lienemann
Gewalt und Gewaltverzicht Studien zur abendländischen Vorgeschichte der gegenwärtigen Wahrnehmung von Gewalt
Wolfgang Lienemanns Studien fragen nach einigen exemplarischen, typischen und einflußreichen überlieferten Formen christlicher Gewaltwahrnehmung und -beurteilung. Die Herausforde1"]lngen und Antworten der Tradition verdienen die Aufmerksamkeit der Gegenwart, die zugleich ihre eigenen Fragen an 8ie geschichtlichen Paradigmen zu stellen hat. Als derartige Beispiele werden vor allem historische Modelle bzw. Konstellationen aufgesucht, die entweder als grundlegend bzw. nonnativ auch für gegenwärtige Urteilsbildungen gelten (biblische Traditionen, reformatorische Entscheidungen) oder die strukturell mit heutigen Problemstellungen vergleichbar sind (Lehren vom gerechten Krieg, Menschenrechtsauffassungen der spanischen Kolonlalethik, Kants Auffassung des Widerstandsrechtes ).
Unter welchen Vorau etzun n ürfen oder sollen Christen sIch an der Anordnung oder Ausübung von Gewalt beteiligen? Dürfen Christen ls Mitglieder von Befreiungsbewegungen gegen manifestes Unrecht zur Gewalt als dem letzten Mittel greifen? Müssen Christen sich an der Verwaltung von militärischen Gewaltmitteln beteiligen - auch noch im Zeitalter der Kernwaffen? Ist es um des Schutzes des N äch ten und des Rechtes willen nicht erforderlich, Existenz und Vollzug staatlicher Zwangsgewalt zu bejahen? Wolfgang Lienemanns Studien fragen nach einigen exemplarischen, typischen und einflußreichen Formen christlicher Gewaltwahrnehmung und -beurteilung. Als derartige Beispiele werden vor allem historische Modelle und Konstellationen aufgesucht, die entweder als grundlegend bzw. normativ auch rur gegenwärtige Urteilsbildungen gelten oder die strukturell mit heutigen Problemstellungen vergleichbar sind.
eHR. KAISER VERLAG
Wolfgang Lienemann Gewalt und Gewaltverzicht
Fql,"~chuJlg~n und :ßet:ichte deI: Evangcilischen Studiengemeinschaft. Im Auftrage des Wissenschaftlichen Kuratoriums herausgegeben von Georg Picht, Wolfgang Huber und Heinz Eduard Tödt
Band 36
Die Evangelische Studiengemeinschaft e. V. wird getragen von der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihren Gliedkirchen, dem Leiterkreis der Evangelischen Akademien und dem Deutschen Evangelischen Kirchentag. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Kuratoriums ist Professor Dr. Gerhard Grohs in Mainz. Sie unterhält die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (F. E. ST.) in Heidelberg.
WOLFGANG LIENEMANN
Gewalt und Gewaltverzicht Studien zur abendländischen Vorgeschichte der gegenwärtigen Wahrnehmung von Gewalt
eHR. KAISER VERLAG
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Lienemann, Wal/gang Gewalt und Gewaltverzicht : Studien zur abendländ. Vorgeschichte d. gegenwärtigen Wahrnehmung von Gewalt / Wolfgang Lienemann. - München: Kaiser, 1982. (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft; Band 36 NE: Evangelische Studiengemeinschaft Forschungen und Berichte ... ISBN 3-459-01388-5 Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages © Chr. Kaiser Verlag 1982 . Printed in Germany Satz und Druck: Georg Wagner, Nördlingen
Meinen Eltern
INHALT
Vorwort . . . . . . . Einleitung . . . . . . 1. Anlaß. und Ziel 2. Ansatz und Auswahl der Beispiele 3. Theologie und Sozialphilosophie . I. Gewalt und Gewaltverzicht in der Frühzeit des Christentums 1. Zur Ambivalenz des Sprachgebrauchs . . . . . . . . . . . 2. Hinweise auf Gewalt und Herrschaft im Alten Testament 2.1. Herrschaft und Widerstand 2.2. Krieg und Rache . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewalt und Gewaltverzicht im Neuen Testament 3.1. Zur Krise im antiken Judäa . . . . . . . . . . 3.2. Gewaltverzicht und Feindesliebe im Neuen Testament 3.2.1. Zur Autorität von Jesus-Logien 3.2.2. Das Ende der. Gewalt . . . 3.2.3. Gehorsam und Widerstand 3.2.4. Scheidung vom Unglauben 3.3. Endzeitliche Gewalt und Geduld 4. Gewalterfahrungen in der Alten Kirche 4.1. Machtansprucn oder Weltverantwortung des Christentums? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Gewaltverzicht oder »Gerechter Krieg« 4.3. Gewaltverzicht und Toleranz . . . . . . II. Gewalt und Gewaltkritik in Mittelalter und Reformation 1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ambivalente Erscheinungen der Gewalt im Mittelalter 2.1. Sklaven und Hörige 2.1.1. Sklaverei . . . . . . 2.1.2. Hörigkeit 2.1.3. Gewalt und Schutz 2.2. Päpstliche Gewalt . . . . 3. Irdische Friedensordnung, Widerstand und Krieg 3.1. Gottesfrieden, Landfrieden und Gewaltmonopol
5 7 7 11 20 29 29 36 37 41 47 48 50 53 54 59 67 73 75 77 79 87 96 99 99 102 102 103 107 109 111 118 119
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3.2. Volkssouveränität und Widerstand (Thomas von Aquin). 3.3. Gewaltkritik in Nachfolgeethos und Autonomiestreben .
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4. Gewaltverständnis und Gewaltkritik im Urteil der Reformation
(vor allem Luthers) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Zweireichelehre und Gewaltverständnis . . . . . . Christ und Krieg. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . Aufruhr und Widerstand . . . . . . . . . . . : . . . . . . Gewalterfahrung im Bauernkrieg . . . . . . . . . . . . .. Der Einspruch: Gewaltlose Nachfolge . . . Zur Aktualität des Täufertums . . . . . . . . . . . . . . .
4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 4.6.
III. Gewalt, Recht und Einsicht im Staat der Neuzeit
143 145 157 163 169 176 182
........
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1. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . 2. Menschenrechte, Völkerrecht und Gewaltkritik der frühen
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Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2. Menschenwürde der Indianer . .3. Anfänge eines neuen Völkerrechtes . . . . . . .. 3. Gewaltmonopol und Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Glaubensfreiheit und Gewaltmonopol, Schutz und Gehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Calvinistischer Royalismus . . . . . . . . .. . . . .. 3.1.2. Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.1.3. AktUalität und Grenzen der Hobbes-Lösung . . .. 3.2. Gewalt, Recht und Widerstand (Kant) . . . ... . . . . .. 3.3. Institutionen, Freiheit und Gewalt (Hegel) . . . . . . . . 4. Gewalt und Gewaltlosigkeit im Tauschv~rhältnis . . . . . . . 4.1. Das Kapitalverhältnis als Gewaltverhältnis (Marx) 4.2. Strukturwiderspruch und Befreiung . . . . . . . . . . . . 4.3. Gewaltminimierung durch Planung und Recht . . . . . . 4.4. Rückblick . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewalt und Gewaltverzicht in der technischen Welt 5.1. Gewaltsteigerung im modernen Krieg . . . . . . . . . 5.2. Moderner Pazifismus und Gewaltverbot . . . . . . . 6. Ausblick: Die Zukunft des Gewaltverzichts . . . . . . . .
191 192 194 196 200
2.1. Grundlagen der Conquista
201 203 204 210 214 229 239 241 244 249 251 253 255 260 265
4teraturverzeichnis
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Abkürzungen
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2
Bibelstellenregister
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Personenregister .
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VORWORT
Wenige Fragen haben in den letzten Jahren im Protestantismus so intensive und teilweise leidenschaftliche Auseinandersetzungen hervorgerufen wie diejenige nach der Stellung von Christen und Kirchen zum Problem der Androhung und Anwendung von Gewalt. Es wäre aufschlußreich, die Nachkriegsgeschichte der Kirchen in Deutschland unter diesem Gesichtspunkt darzustellen; dann wäre zu berichten vom Nachdenken über Recht und Pflicht zum Widerstand im totalen Staat, über die Diskussionen um Wiederbewaffnung und Atomrüstung der Bundesrepublik, übet die Unterstützung von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt und über die neuere Kritik an der Strategie der atomaren Abschreckung. Diese und weitere Fragen stehen im Mittelpunkt aller Bemühungen um eine protestantische Friedensethik, welche Christen und Kirchen zur ,Orientierung und Beratung nützlich sein kann. Die vorliegende Arbeit ist aus der Auseinandersetzung mit diesen Fragen hervorgegangen, nimmt aber bewußt Distanz zu den aktuellen Problemstellungen ein. Sie versucht, einige Traditionslinien des Nachdenkens über Gewalt und Gewaltverzicht freizulegen und zu verfolgen, denen für eine gegenwärtige ethische Urteilsbildung besondere Bedeutung zukommen dürfte. Sie fragt nach sachlichen und historischen Voraussetzungen, die geklärt sein müssen, wenn man nicht dem Sog der falschen Aktualität erliegen will. Es hat sich dazu als zweckmäßig erwiesen, die Interpretation von Texten, von denen eine einflußreiche Wirkungsgeschichte ausgeht, mit teilweise sehr gerafften historischen Längsschnitten zu verbinden. Daß dieses auswählende Verfahren zwangsläufig Lücken in Kauf nehmen muß, ist mir deutlich bewußt, aber es ist zu hoffen, daß die Besinnung auf exemplarische Positionen zu einer Versachlichung aktueller Diskussionen beizutragen vermag. (über Ansatz und Absicht der Untersuchung sowie die Gesichtspunkte für die Auswahl der Beispiele unterrichtet im einzelnen die Einleitung.) Die hier veröffentlichten Studien bilden die durchgehend überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel ,.Gewalt und Gewaltlosigkeit. Studien zur ökumenischen politischen Ethik" 1981 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen worden ist. Die Vorarbeiten gehen zurück auf ein Forschungsprojekt über ,.Die gewaltlose Transformation sozialer Systeme als Problem der Friedensforschung« unter der Leitung von Heinz Eduard Tödt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde. Ich freue mich, für diese Unterstützung meinen Dank aussprechen zu können. Ihre jetzige Gestalt hätte die Untersuchung nicht ohne das Gespräch mit den 5
Freunden und Kollegen in der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (F.E.St.) finden können. Von Heinz Eduard Tödt lernte ich; Einsichten der Theologie- und Philosophiegeschichte für die gegenwärtigen Aufgaben ethischer Urteilsbildung fruchtbar zu machen; ihm vor allem danke ich für Rat und Kritik auch in kritischen Phasen meiner Arbeit und für sein ausführliches Gutachten über das vorliegende Ergebnis. Für die überarbeitung und die Präzisierung mancher Thesen erhielt ich wertvolle Anregungen in Gesprächen mit Horst Folkers, Wolfgang Huber und Gottfried Seebaß, der auch das Korreferat für die Fakultät erstattet hat; ihnen allen bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe der ,.Forschungen und Berichte« danke ich dem Wissenschaftlichen Kuratorium der Evangelischen Studiengemeinschaft und den Herausgebern, desgleichen Anna Frese, Eva von Tilinsky, Ursula Tippmann und meiner Frau für die umsichtige Herstellung des Manuskriptes und der Register. Gewidmet ist das Buch meinen Eltern, auf die ich mich auf meinem Weg zur Theologie stets verlassen konnte. Wal/gang Lienemann
Heidelberg, Januar 1982
EINLEITUNG
1. Anlaß und Ziel Gewalt ist ein Schlüsselwort der neueren ökumenischen Diskussion. In einer Welt, die Zeuge eines mehr als dreißig Jahre währenden Krieges in Südostasien war, in der die Waffenproduktion Ausmaße angenommen hat, die in der Geschichte der Menschheit singulär sind, in der täglich die Massenmedien von Bürgerkrieg, politischen Morden und Bombenterror berichten, ist die Gewalt ein ebenso bedrängend nahes wie theoretisch schwer faßbares Phänomell. Verwirrend ist der dissonante Chor derer, die .definieren, was Gewalt sei, die prinzipiell oder mit Vorbehalt für oder gegen Gewalt votieren. Die Flut der Literaturl spiegelt die Hilflosigkeit angesichts der Unausweichlichkeit des Pro"lems. Die christlichen Kirchen und die ökumenische Bewegung haben sich diesem Sachverhalt nicht nur nicht entzogen, sondern sind zutiefst in ihn verstrickt. Der seit Jahren sich hinziehende Streit um das Programm zur Bekämpfung des Rassismus hat in der ökumenischen Christenheit Kontroversen und Polarisierungen hervorgerufen, welche kirchliche Einrichtungen vom ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) bis zur kleinsten Landgemeinde umgreifen. An der Gewaltfrage, so ließ sich lernen, scheiden sich die Geister. Aber es gibt sachliche und unsachliche, begründbare und unbegründbare Scheidungen der Geister, und insgesamt wird man urteilen .müssen, daß die Diskussionen der letzten Jahre zwar einige Klärungen, aber wenig Lösungen und selten übereinstimmungen gebracht haben. Immerhin hat der ökumenische Meinungsbildungsprozeß zu ersten Zwischenergebnissen geführt. Im 1 Vgl. die Nachweise bei G. Scharffenorth / W. Huber (Hg.), Neue Bibliographie zur Friedensforschung, Stuttgart-München 1973, bes. 173 H. Die seither erschienene Literatur zum Verständnis und zur Kritik der Gewalt ist unübersehbar. Hervorheben möchte ich als elementare Einführungen P. Eichhorn, Gewalt und Friedenssicherung, München 1973; Chr. Graf v. Krockow, Soziale Kontrolle und autoritäre Gewalt, München 1971; O. Rammstedt (Hg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, FrankfurtIM. 1974; materialreich und mit ausführlichen Literaturangaben ist die politisch engagierte Gewaltkritik von S. Papcke, Progressive Gewalt. Studien zum sozialen Widerstandsrecht, FrankfurtlM. 1973. - Zur Terrorismus-Diskussionverweise ich auf 1. Fetscher, Terrorismus und Reaktion Frankfurt/M. 1977; M. Funke (Hg.), Terrorismus, Düsseldorf 1977; W. Laqueur, Terrorismus, KronberglTs. 1977; Th. Meyer, Am Ende der Gewalt?, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1980. 2 T. Rendtorff, Wo sich die Geister scheiden. Kritische Erwägungen zur Frage der Gewaltanwendung, in: EK 2,1969,144-148; vgl. ders., Politische Ethik und Christentum, München 1978, bes. 47 H.
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deutschen Sprachraum veröffentlichte die Kammer der EKD für öffentliche Verantwortung eine Thesenreihe über »Gewalt und Gewaltanwendung in der Gesellschaft«); und der Zentralausschuß des ORK billigte und empfahl zum Weiterstudium einen Bericht über »Gewalt, Gewaltfreiheit und der Kampf um soziale Gerechtigkeit«4, den das Referat des ORK für Kirche und Gesellschaft als Ergebnis einer zweijährigen Studienarbeit vorlegte. Anknüpfend an die Martin-Luther-King-Resolution anläßlich der Vierten Vollversammlung des ORK in Uppsala5 hatte der Zentralausschuß des ORK Anfang 1971 in Addis Abeba zu dieserStudienarbeit aufgefordert6 : "Er stellt fest, daß die Frage der Gewalt im Rahmen der Rassenfragen nicht völlig ausdiskutiert oder gelöst wetden kann, und fordert den ORK angesichts der wachsenden Besorgnis über diese Frage unter Christen in allen Teilen der Welt auf, unter seiner Federführung eine Studie über gewaltlose und gewaltsame Methoden des sQziaien Wandels durchzuführen .•?
Gleichzeitig sah man freilich auch erhebliche Schwierigkeiten voraus, die die seither erarbeiteten Studien noch keineswegs bewältigt haben: "Die Diskussion wird etschwert durch die semantische Unschärfe von Begriffen wie >Gewalt<, >Gewaltlosigkeit<, >Revolution<, >Macht< und >Befreiung<. Geht die Diskussion über einen bestimmten kulturellen und sprachlichen Kontext hinaus, so wird die Wahrscheinlichkeit von Mißverständnissen nur noch erhöht. Hier sind die wesentlichen Unterschiede nicht mehr nur semantischer Natur. Wenn die Diskussion in Zukunft jedoch mehr Klarheit bringen und weniger hitzig geführt werden soll, so müssen Schlüsselbegriffe wie die oben genannten geklärt werden.«8
Der Versuch, dieser Aufgabenstellung nachzukomrp.en, ist der Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen. Indes ~eigt sich bald, daß mit der »Definition« von Schlüsselbegriffen wenig gewonnen ist, wenn sie nicht in ihrer historischen Bedingtheit und systematischen Vedaßtheit näher bestimmt und ausgelegt werden können. Die ethische Be~rteilung von Gewalt und Gewaltverzicht kann nicht von den besonderen Umständen 3 Gewalt und Gewaltanwendung in det Gesellschaft. Eine theologische Thesenreihe zu sozialen Konflikten, etarbeitet von der Kammer det Evangelischen Kirche in Deutschland für öffentliche Yerantwortung (hg. v.d. Kirchenkanzlei der EID), Gütetsloh 1973; auch in: Die Denkschriften der Ev. Kirche in Deutschland, hg. v. d. Kirchenkanzlei der EID, Bd. 1/2, Gütetsloh 1978, 61-85. 4 Abgedruckt u. a. in: OR, B.24, 1974, 83-101. 5 Vgl. N. Goodall (Hg.), Beticht aus Uppsala 1968. Offiziellet Bericht über die Vierte Vollversammlung des Okumenischen Rates det Kirchen (dt. Ausgabe v. W. MüllerRömheld), Genf 1968, 184. 6 Okumenischer Rat der Kirchen: Zentralausschuß. Protokoll und Berichte der 24. Tagung, Addis Abeba, Athiopien, Genf 1971, 74. 7 Ebd., 69. 8 Ebd., 293.
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absehen, unter denen Gewaltverhältnisse wahrgenommen, legitimiert oder kritisiert werden. Es ist nun einmal ein gruncl1egender Unterschied, ob ein notfalls gewaltsames Widerstandsrecht unter der Voraussetzung eines ausgebildeten Rechtsstaates oder eines terroristischen Regimes· in Anspruch genommen wird; die Frage, ob Christen sich an militäriscper Gewaltanwendung beteiligen düden, führt sicherlich zu unterschiedli~hen Antworten; je nachdem ob es sich um die Abwehr eines Usurpators oder den Gegensatz expansionistischer Großmächte handelt; und die Beteiligung von Christen an staatlicher Machtausübung und politischen Ämtern führt· in einem religiös und konfessionell neutralen Staat auf ganz andere Probleme als in einem christlich oder anti-christlich bestimmten Weltanschauungsstaat. Sobald man sich diese einfachen Sachverhalte vergegenwärtigt, wird deutlich, daß man über Gewalt und Gewaltverzicht nicht auf der Basis zeitloser Definitionen nachdenken kann. Dies gilt besonders dann, wenn man versucht, völlig unterschiedliche Wahrnehmungen von Gewalt in verschiedenen Zusammenhängen zu vergleichen. Zudem ist leicht zu zeigen, daß in jede ethische Beurteilung von Gewaltverhältnissen Vorstellungen und Normen eingehen, die ihrerseits das Ergebnis einer mehr oder weniger bewußten Auseinandersetzung mit deren geschichtlicher Herkunft sind. Insofern gilt auch für die Ansätze zu einer politischen Ethik im Raum der ökumenischen Bewegung, daß regelmäßig auf bestimmte Modelle der Tradition zurückgegriffen wird, die die Entwicklung der christlichen Stellung zu Gewalt und Gewaltverzicht maßgeblich bestimmt haben. Jedes dieser Modelle enthält aber nicht nur verallgemeinerungsfähige Momente, sondern .ist immer auch durch den jeweiligen Edahrungsraum begrenzt und relati~ert, in welchem es entstanden ist. Die Verschiedenheit dieser historischen und gegenwärtigen Erfahrungsräume - die vielzitierte »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« ist zugleich Anlaß zahlreicher Mißverständnisse und Konflikte in den heutigen ökumenischen Auseinandersetzung~n. Aus diesen Erwägungen anläßlich von Untersuchungen zur politischen Ethik im Rahmen der ökumenischen Bewegung hat sich die Absicht ergeben, hinter die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zurückzufragen nach einigen exemplarischen, typischen und wirkungsgeschichtlich einflußreichen Weisen christlicher Gewaltwahrnehmung und -beurteilung. Wer an heutiger ökumenischer Kommunikation interessiert ist, muß weit hinter den jeweils aktuellen Sprachgebrauch und Diskussionsstand zurückgehen, wenn er versucht, nach den Begründungen, Traditionen und der inneren Stimmigkeit von Positionen zu fragen, welche innerhalb der ökumenischen Bewegung. wirksam waren und sind. Die ethische Beurteilung von Gewaltverhältnissen, gewaltlosem Handeln und friedlicher Gesellschaftsveränderung läßt sich nicht in einem geschichtslosen Vakuum gleichsam reiner Normativität entfalten, sondern 9
kommt nicht umhin, nach den historischen Voraussetzungen zu fragen, von denen her gegenwärtige Auffassungen allererst verständlich und dann gegebenenfalls auch kritiserbar werden. Dies gilt besonders für die Stellung der Christenheit zu Problemen politischer Ethik, wenn richtig ist, daß für ihre Urteilsbildung der Bezug auf die Gegenwart ihres Ursprungs, des Evangeliums, und das Gespräch mit den Vätern, als Teil der Auslegungsgeschichte dieses Ursprungs, schlechterdings konstitutiv sind. Diese Einsicht hat dazu genötigt, immer weiter zurückzufragen nach in der Geschichte der Kirche - und das heißt immer auch: in ihren jeweiligen Weltverhältnissen - wesentlichen Gewalterfahrungen sowie nach den entsprechenden Versuchen, diese Erfahrungen im Lichte des Evangeliums und in Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition zu verarbeiten. Um die ökumenische Gewaltdiskussion der neueren Zeit zu verstehen und verständlich zu machen, ist es erforderlich, nach der Geschichte der Gewaltverhältnisse und des Gewaltverständnisses im Leben der Kirche zu fragen. Vermutlich gilt sogar, daß für jede gegenwärtige Kommunikation unter den verschiedenen Teilen der einen, aber nicht vereinigten Christenheit die Verständigung über die jeweils besonderen Herkünfte eine große Hilfe darstellen kann. Insofern kann ich mir vorstellen; daß etwa eine Interpretation von altkirchlichen oder reformatorischen Auseinandersetzungen über die Beteiligung von Christen am militärischen Gewaltgebrauch auch für die Orientierung junger Kirchen heute nützlich sein kann, wenn man dabei zugleich die Grenzen historischer Vergleiche bedenkt. Zwar sind wechselnde historische Lagen, in denen sich die Kirche Christi findet, iIl].mer durch unverwechselbare, besondere Faktoren bestimmt, doch andererseits gibt es hier eine Kontinuität, um· nicht zu sagen: eine dem Glauben sich erschließende Gleichzeitigkeit, die in der Selbigkeit des Evangeliums gründet und teilweise durch die Darstellung seiner Auslegungsgeschichte zur Sprache kommen kann. In diesem Sinne ist für das wechselnde Verhältnis der Christenheit zur Gewalt z. B. die Clausula Petri (Apg. 5,29) ein jede Geschichtszeit begleitendes Memento, das unter ganz verschiedenen Bedingungen vernommen werden kann. Zugleich, so vermute ich, wird durch die Darstellung beispielhafter historischer Problemstellungen eine besondere Verständigungsmöglichkeit zwischen Kirchen und Christen, die ganz verschiedenen Traditionen entstammen, eröffnet. In der Individualpsychologie gilt als ein wichtiges Merkmal menschlicher Reife, daß man seine Geschichte erzählen kann. Vielleicht darf man analog sagen, .daß die ökumenische Bewegung auch einen Reifungsprozeß durchlaufen wird, in welchem die verschiedenen Teile der Christenheit lernen, ihre besonderen Kirchengeschichten zu erzählen und zu verstehen. Das Ziel der folgenden Untersuchungen liegt demnach in der Aufhellung einiger exemplarischer historischer Ergebnisse des Nachdenkens von Chri-
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sten über Gewalt und Gewaltverzicht, welche für gegenwärtige Problemstellungen politischer Ethik eine Orientierungshilfe darstellen können. Die Herausforderungen und Antworten der Tradition verdienen die Aufmerksamkeit der Gegenwart, welche freilich zugleich ihre eigenen Fragen an die geschichtlichen Paradigmen zu stellen hat. In diesem Sinne bilden die hier vorgelegten Studien eine unerläßliche Vorarbeit für weiterführende Analysen heutiger ökumenischer Ethik, die in absehbarer Zeit in einer weiteren Veröffentlichung folgen sollen.
2. Ansatz und Auswahl der Beispiele Es kann hier nicht darum gehen, einen historischen Abriß oder überblick zur Geschichte von Gewaltbeziehungen und Gewaltverzicht zu geben, und ebensowenig darf eine begriffsgeschichtliche Darstellung erwartet werden'. Es geht vielmehr um typische Beispiele christlicher Stellung zu Gewalt und Gewalt'Uerzicht in ihrer möglichen Bedeutung für eine heute fällige Klärung analoger Problemstellungen. Dabei sind einige hypothetische Annahmen für die Auswahl der Beispiele leitend, die kurz erwähnt werden sollen. ' Zunächst lasse ich mich von der Vermutung leiten, daß es in der Christentumsgeschichte zu allen Epochen gleichsam avancierte Problemstellungen und -lösungen gegeben hat, die für die Folgezeit maßgebliche Bedeutung gewonnen und behalten haben. Diese Tatsache kann wirkungsgeschichtlich durch beständig zitierenden Rückgriff zum Ausdruck kommen, .aber'auch durch beharrliche Abarbeitung an einer einmal formulierten Aufgabenstellung. Für den ersten Fall mag Augustins Lehre vom »gerechten Krieg« stehen, für den zweiten das Dauerproblem der Verhältnisbestimmung von weltlicher und geistlicher Gewalt. Ich nehme nun an, daß es in der Konfrontation des Evangeliums mit der »Welt« immer wieder zur Ausbil~ dung eines hervorgehobenen und seinerseits wirkungsmächtigen Problembewußtseins und adäquater praktischer Stellungnahmen, Verhaltensweisen und Strukturen gekommen ist. Das heißt nicht, daß ich so etwas wie einen Fortschritt ethischer Urteilsbildung unterstelle, sondern lediglich, .daß ich von bestimmten Positionen annehine, daß sie in sich besonders kotDplex, beziehungsreich und systematisch umfassend, kurz: repräsentativ s~d. Zugleich folge ich der weiteren Vermutung, daß nicht nur die historischen Kontexte der Wahrnehmung von Gewalt zu unterscheiden sind, sondern daß 9 Zum Verhältnis dieser Arbeit zu begriffsgeschichtlichen Untersuchungen s. unten S. 18 ff.
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diese auch ihrerseits politischem und gesellschaftlichem Wandel unterliegen. Ist dieser Wandel seinerseits zugleich das Ergebnis eines bestimmten Hand~ lungswillens, so hat dieser Umstand Rückwirkungen auf die Wahrnehmung und Anerkennung von legitimer Herrschaft und der ihr zu Gebote stehenden legalen Gewaltmittel. Man kann nämlich vermuten, daß je mehr politische Herrschaft als eine herstellbare Leistung betrachtet wird (und nicht als eine natürliche Gegebenheit)IO, desto stärker der Legitimationsdruck hinsichtlich der Formen der Macht- und Herrschaftsausübung ebenso wie hinsichtlich ihrer Veränderung wird. In dem Maße, wie die Legitimitätsgeltung von Herrschaft kraft Tradition schwindet, mithin die - freilich wohl immer begrenzteIl - Kontingenz von bestimmter Herrschaft bewußt wird, scheint die Notwendigkeit rationaler Begründung für das Fortbestehen dieser Herrschaft und der ihr eigenen Gewaltniittel zuzunehmen; zugleich wird die Frage unabweisbar, welche möglichen gesellschaftlichen und politischen Änderungen als legitim gelten können und welche nicht. Der Zusammenhang von Kontingenzbewußtsein bezüglich der Formen von Herrschaft mit einem zunehmenden Legitimationsdruck tritt in der Neuzeit besonders deutlich in denjenigen Prozessen sozialer Evolution l2 in Erscheinung, welche im Zeichen der Emanzipation von kolonialen Herrschaftsbeziehungen stehen. Im Zuge sozialen Wandels, so ist zu beobachten, verändern sich' in krisenhaften Phasen auch die Selbstverständlichkeiten des gesellschaftlichen Lebens: koloniale Strukturen etwa, die geraume Zeit hinreichend allgemein als legitim 10 Die Theorie des Politischen in der Tradition des AristoteIes setzt bis zu Hobbes voraus; daß in der politik': koinonia bzw. der societas ci~lis ..Herrschaft und Gesellschaft eine gewissennaßen naturwüchsige Einheit bilden« - so zutreffend M. Ried,eI, Die Aporie von Herrschaft und Vereinbarung in Kants Idee des Sozialvertrags, in: G. Prauss (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln, Köln 1973, 337-349 (338);,vgl. auch ders., Zum Verhältnis von Ontologie und politischer Theorie bei Hobbes; in: R. Koselleck I R.' Schnur (Hg.), HobbesForschungen, Berlin 1969, 103-118, sowie O. Rammstedt, Gewalt imd Hierarchie, in: ders. (Hg.), Gewaltverhältnisse Und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt/M. 1974, 132-156. ' 11 Die Frage (und These) Dahrendods, ob Herrschaft gleichursprünglich mit Gesellschaft sei, soll hier nicht interessieren. Vgl. aber R. Dahrendod, Art. Macht und Herrschaft, soziologisch, in: RGG1 IV (1960), 569-572; ders., Herrschaft und Ungleichheit, in: ders., Pfade aus Utopia, München 1967, bes. 315-336; kritisch dazu K. Messelken, Politikbegriffe der modernen Soziologie, Köln-Opladen 21970; bes. 84 H. und 111 ff. 12' Vgl. zu Begriff und Sache N. Luhmann. Gesellschaftliche Evolution, in: J. Habermas / N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet,die Systemforschung?, Frankfurt/M. 1971, 361-377; ders., Evolution und Geschichte; ders., Weltzeit und Systemgeschichte, beide Aufsätze in: N. Luhmann, Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen 1975, 150-169, bzw. 103-133.
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gelten mochten, büßen das für jede Legitimitätsgeltung unabdingbare Maß an Fraglosigkeit ein und lassen sich nun unter Berufung sei es auf Legitimität, sei es auf Legalität bekämpfen. Ähnliches gilt für innergesellschaftliche Umbrüche. ,.Gegen die Natur«, so wußte schon Hegel, ,.kann kein Mensch ein Recht behaupten, aber im Zustande der Gesellschaft gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts, was dieser oder jener Klasse angetan wird.c 13 Dann erscheint, was anfänglich als nicht-negierbar;gar - oft als ,.natürlich.. stilisiert - als notwendig erschien, irgendwann als negiel'bar, als kontingent, und wird als Gewalt oder Unrecht demjenigen zugerechnet, der nicht legitimieren kann, warum das Negierbare nicht negiert wird, obwohl die Möglichkeit der Negation zureichend als legitim erwiesen ist'- was immer die dabei vorauszusetzenden Bedingungen der Möglichkeit' von Legitimität sein mögenJ.4. Wenn das zu abstrakt klingt, sei auf ein Beispiel verwiesen: solange unter kolonialen Bedingungen Art und Höhe der Endohnung, das Ausmaß der Kindersterblichkeit, die, Häufigkeit von überschwemmungen angesichts fehlender Deichanlagen '.:. oder welche Indikatoren immer man heranziehen will - in dem Sinne als naturwüchsig gelten. daß keine überzeugende, handlungsmotivierende Mi)g1ichkeit einer Änderung erreichbar erscheint, dürfte ein hohes Maß an traditionaler Legitimi~ät~geltungI5 der zugrunqe liegenden Sozialstrukturen in Kraft sein. Sobald aber dieses Schicksal als abänderlich erfahren wird, muß derjenige als Unterdrücker angesehen werden, der die Mittel zur Änderung besitzt, aber nicht anwendet, ohne dieses Nicht-Handeln legitimieren zu können. In dieser Perspektive ist, um eine Aktualisierung vorgreifend anzudeutet;l, sowohl die Verschärfung der politischen Lage in der RepubliJt Südafrikaals auch das bedrohliche Wachsen des Nord-Süd-Gegensatzes eine Folge der Tatsache, daß die wachsende Kluft zwischen möglichen Eingriffen und dem status quo jedenfalls den ~etroffenen immer weniger bzw. gar nicht legitimierbar erscheint. Mit dem Begriff der 13
Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 244, Zusatz (Theorie Werkausgabe 7.
390).
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'
14 Zum Zusammenhang von Kontingenz und Negation in der Gesellschanstheoril! vgl. N. Luhmann, über die Funktion der Negation in sinnkonstituierenden Systemen. in: H. Weinrich (Hg.), Positionen der Negativität (Poetik und Hermeneutik, Bd. VI), München 1975; 201-218. 15 Im Sinne einer empirischen Geltung vornehmlich auf Seiten der Beherrschten, wie sie Max: Weber sah; vgl. Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: ders .• Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 31968, 475-488; ders·:; Wirtschaft und Gesellschaft (Studienausgabe), Tübingen 51972, 122 ff., 541 ff. - Vgl. dazu J. Winckelmann, Legitimität und Legalität in Max: Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 1952; A. Karsten, Das Problem der Legitimität in Max: Webers Idealtypus der rationalen Herrschaft, Diss. Hamburg 1960; Fritz Loos, Zur Wert- und Rechtslehre Max Webers, Tübingen 1970; 113 ff.; G. Hufnagel, Kritik,-als Beruf. Der kritische Gehalt im Werk Max: Webers, FrankfurtIM.-Berlin-Wien 1971, 185 ff.; F. W. Stallberg, Herrschaft und Legitimität. Untersuchungen zu Anwendung und Anwendbarkeit zentraler Kategorien Max: Webers (Kölner Beiträge zur Sozialforschung' und angewandten Soziologie, Bd. 18), Meisenheim 1975. .
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"strukturellen Gewalt« hat J. Galtung diesen Sachverhalt prägnant und wirkungsmächtig etikettiert.
Natürlich unterstelle ich mit diesen beiden hypothetischen Annahmen hervorgehobener Problemniveaus und zunehmenden sozialen Kontingenzbewußtseins in krisenhaften Entwicklungen keine einseitige oder wechselseitige Abhängigkeit. Daß die Wirklichkeit nicht standhält, wenn erst das Reich der Vorstellung revolutioniert ist, wie Hegel meinte, muß nicht zu der Tatsache im Widerspruch stehen, daß die begriffliche Reflexion in der Regel erst nachträglich die Tragweite wirklicher Umbrüche erfaßt. Indes geht es hier um beispielhafte Konstellationen von gesellschaftlichen Umbrüchen und theoretischen Reflexionen, nicht um zeitliche Prioritäten. Der Ansatz bei historischen Paradigmen im beschriebenen Sinn bedeutet, daß ich es nicht für angemessen halte, zum Zwecke ethischer Urteüsbildung über Gewalt und Gewaltverzicht ahistorische Definitionen und Begriffe zu verwenden. Wenn man nämlich versucht, im unmittelbaren, die jeweiligen geschichtlichen Umstände nicht näher berücksichtigenden Zugriff gleichsäm nach der Zulässigkeit von ,.Gewalt an sich .. zu fragen, verstrickt man sich in unlösbare Aporien. So ist klar, daß, um ein· Beispiel zu nennen, die Bestimmung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 11 GG), also das Grundprinzip der Volkssouveränität l6 , mit der ·reformatorischen Obrigkeitsauffassung . bei Luther sowenig zwanglos zur Deckung zu bringen ist17 wie die Bedeutung der gewaltsamen SelbstliilfelB damals und heute. Diese Hypothek, die·auf allen geschichtlichen Grundbegriffen liegt, läßt sich nicht· durch ,d~n vermeintlichen Ausweg einer ahistorischen Begriffsbildung, die sich selbständiger Definitionen und Hypothesen bedient, abtragen. Gewiß lassen sich im Rahmen sozialwissenschaftlicher Theoriebildungen Gewalt-Indikatoren vereinbaren, die über die historischen Besonderheiten hinweg allgemeine Erscheinungen wie Populations- und Mortalitätszahlen, Kriegshäufigkei16 Axt. 2 I der Verfassung der DDR (v. 6.4. 1968) lautet: "Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen ausgeübt. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates. Das gesellschaftliche System des Sozialismus wird ständig vel'VollkQmmnet.« 17 Vgl. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen, Gütersloh 1977, 90 m. Anm.30. 18 Vgl. dazu in Anlehnung an die ZiviIisationstheorie von N. Elias und ethnologische Forschungen (E. V. Walter, Terror and Resistance, New York 21972) jetzt A. Blok, Selbsthilfe and the Monopoly of Violence, in: P. R. Gleichmann / J. Goudsblom / H. Korte (Hg.), Human Figuration. Essays for Norbert Elias, Amsterdam 1977, 179-189.
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ten l9 , Aggressionsformen2o , Lebensstandards oder Chancen politischer Beteiligung21 vergleichen. Aber für die Aufgabe ethischer Urteilsbildung kommt solchen Methoden nur sehr begrenzte Bedeutung zu. Zwar erweitern sie die empirische Kenntnis. von Gewaltphänomenen und eröffnen durch den Vergleich eine Fülle von Gesichtspunkten, die in einem isolierten Zusammenhang sonst zurücktreten, denn ethische Entscheidungen und Verhaltenskriterien lassen sich wie alle sozialen Phänomene zu bestimmten Variablen in Beziehung setzen, so daß vielleicht sogar WahrscheinIichkeiten dafür angebbar sind, unter welchen Voraussetzunge~ welches Ethos bezüglich der Anerkennung oder Ablehnung von Gewalt seine Ausprägung finde~. Aber die tatsächliche Häufigkeitsverteilung menschlicher Gewaltbereitschaft kann ihre ediische Beurteilung nicht präjudizieren, sondern nur das Problemfeld, auf das sich das ethische Urteil bezieht, strukturieren. Darum kann eine theologisch-ethische Untersuchung sich nicht auf eine historische oder soziologische Interpretation eines als christlich geltenden Verhaltens und Handelns zurückziehen; es bedarf vielmehr anderer Verfahren, wenn versucht werden soll, widerstreitende christliche Stellungnahmen zur Frage der Androhung und Anwendung von Gewalt zu beurteilen. Indes besteht die Absicht der folgenden Untersuchung auch nicht primär darin, einen eigenen begründenden Argumentationsgang zur ethischen Beurteilung einer sub specie Christianismi legitimen Gewalt zu entwickeln. Darum werden die Probleme der Grundlegung theologischer Ethik· fast vollständig ausgeklammert, und es wird auch nicht vorab ein Beurteilungskanon entworfen, an welchem die dann darzustellenden Einzelpositionen zu messen wären. Vielmehr lasse ich mich leiten von der Vermutung, daß erst im 19 Vgl. F. H. Denton / W. Philips, Some Patterns in the History of Violence, in: Tbe Journal of Conflict Resolution 12, 1968, 182-195. 20 Vgl. G. Trommsdorf, Möglichkeiten und Probleme des Kulturvergleichs am Beispiel einer Aggressionsstudie, in: KZSS 30,1978,361-381; T. Gurr / C. R:uttenberg, Cross-National Studies of Civil Violence, Washington D. C. 1969; H. D. Graham / T. Gurr (Hg.), Violence in America, New York 1969; T. Gurr / P. N. Grabasky / R. C. HuIa, Tbe Politics of Crime and Conflict. A Comparative History of Four Cities, Beverly Hills-London 1977. 21 Vgl. S. Verba / N.H. Nie / Jae-On Kim, Participation and Political Equality. A Seven Nation Comparison, Cambridge-London-New York-Melbourne 1978. 22 Vgl. T. R. Gurr, Rebellion. Eine Motivationsanalyse von Aufruhr, Konspiration und innerem Krieg, Düsseldorf-Wien 19n, 199-237. Gurr, der seit 1966 eine Fülle von empirischen und vergleichenden Untersuchungen über Formen von Protest, Gewalt, Bürgerkrieg etc. veröffentlicht hat, legt stets sozialpsychologische, lerntheoretische Annahmen seinen Studien zugrunde, vernachlässigt dagegen institutionelle und normative Aspekte; zur Kritik vgl. S. Papcke, How to Keep Tbem Down, in: PVS 12, 1971, 125-129; ders., Progressive Gewalt. Studien zum sozialen Widerstandsrecht, FrankfurtIM. 1973, bes. 60 H.
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Prozeß der mannigfachen praktischen Konfrontation des Evangeliums mit verschiedenen historischen Problemlagen beides zum Vorschein kommt: die geschichtliche Entfaltung und Auslegung der dem Evangelium eigenen verwandelnden Kraft ebenso wie ein wachsendes begreifendes Verständnis der Gewalt, wie sie in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen in der Geschichte auftritt. Von den vielen Gesichtern der Gewalt, die uns aus der Geschichte entgegentreten, waren ja die meisten für die Welt des -Neuen Testaments noch unvorstellbarlJ , und wenn die Christenheit sich mit diesen mannigfachen Erscheingen der Gewalt auseinandersetzte, dann immer auch und zugleich mit den jeweiligen Vorstellungen und begrifflichen Versuchen, in denen Gewalt thematisch wurde. Eine »nackte« Gewalt als völlig begrifflose Gewalt gibt es nicht, sondern Gewalt erscheint stets in der Form, die die Wahrnehmung ihr verleiht. Darum kann man sagen, daß christliche Stellungnahmen zu den Problemen von Gewalt, Gewaltverzicht und Gesellschaftsveränderung immer Stellungnahmen zu den verschiedenen vorgängigen Wahrnehmungen und Bestimmungen sind, wie sie in mehr oder weniger theoriegeleiteten Ausdrucksformen in verschiedenen sozialen Zusammenhängen vorliegen. Das Christentum trat in eine Geschichte ein, die immer auch Gewaltgeschichte war, und in der Normen, Gesetze und Verhaltensregelmäßigkeiten ebenso wie darauf bezogene traditionelle, normative und theoretische Auslegungen und Begründungen immer schon vorhanden waren. Diese Auslegungen und Begründungen haben seit je ihren theoretischen Zusammenhang in der politischen Philosophie bzw. Sozialphilosophie, und deshalb ist jede Thematisierung und Kritik der Gewalt, die als Auslegung der Heiligen Schrift und christlicher Traditionen auftritt, von vornherein bezogen auf Traditionen der Sozialphilosophie, in welcher Erfahrungen im Umgang mit Gewalt ausgesprochen sirid. Wenn Augustinus seine wirkungsmächtige Theorie des »bellum iustum« entwirft, so tut er das in Auseinandersetzung mlt der Auffassung des Krieges und seiner Legitimität von Aris~ote les bis Cicer024 j wenn Luther die Funktionen der Obrigkeit erörtert, so auf dem Hintergrund spätmittelalterlicher Rechtstheorien und politischer Reichsreformen25 j und wenn in der Gegenwart die Frage revolutionärer 23 Das heißt nicht: unerwartbar! Nicht nur das letzte Buch der christlichen Bibel erwartet erst von der Zukunft die Enthüllung der vollständigen Gewaltfähigkeit der Menschheit, sondern auch Sophokles weiß, daß der Geist des Menschen, des unheimlichsten aller Wesen, noch ganz unverhoffte Dinge ('tEx;vaS U:rtEQ H.:rtLÖ') ersinnen-wird (Antigone, 364 f.). 24 Vgl. die neueste und materialreiche Untersuchung von F. H. Russell, The Just War in the Middle Ages, Cambridge-London-New York-Melbourne 1975,1-39;25 Vgl. das Luther-Kapitel bei U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung,
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Gewaltanwendung zur Debatte steht, dann läßt sich darüber nicht streiten ohne Berücksichtigung der neuzeitlichen Rechtsstaatstheorie26 , wie sie vor allem Kant begründet hat, und derjenigen Auffassungen von Revolution, die sich dem Epochenbruch des Jahres 1789 und seiner theoretischen Bewältigung verdanken27 • Zugleich läßt sich andererseits zeigen; daß in all diesen sozialphilosophischen Auffassungen von Gewalt und verwandten Phänomenen Gehalte christlicher Tradition zur Geltung ko~men, und zwar sowohl im expliziten RekUrs auf biblische überlieferungen als auch mehr indirekt in der Gestalt des jeweiligen systematischen Entwurfs. Wenn gilt, daß "die ethischen Forderungen des Neuen Testaments geschichtsbezogen« sind und »nur in unwiederholbaren, historischen Situationen gegeben, also trotz des für sie charakteristischen eschatologischen Anspruchs zeitgebunden und situations bedingt« sind28 , dann gilt dies auch und mindestens in gleichem Maße für die Weise, in der die Kraft des Evangeliums in den Auseinandersetzungen mit den jeweiligen zeitgenössischen Sozialphilosophien, die die Geschichte des Christentums begleiten, zur Geltung gebracht wird. Freilich wird der Theologe sich von der hartnäckigen Annahme leiten lassen, daß die Kraft dieses ,.Ursprungs«, den Werk und Person Jesu Christi ausmachen, über das jeweilige Eingehen auf konkrete Gestalten der Sozialphilosophie hinausgeht, aber dieses Eingehen ist notwendig, damit jener Ursprung seine Kraft als je gegenwärtig wirksam erweisen kann. peshalb . bedarf das theologisch-ethische Urteil in Sachen "Gewalt« der Auseinandersetzung mit denjenigen Positionen der praktischen Philosophie, die die Phänomene der Gewalt zum Gegenstand theoretischer Arbeit, des Begriffs, haben. Ein solches Vorhaben stößt jedoch auf zahlreiche Schwierigkeiten, von denen zwei hervorgehoben seien. Zunächst ist es unumgänglich, eine Auswahl der Positionen zu treffen, die vergleichend und begriffs schärfend in den Blick genommen werden. Ich habe für die Zwecke dieser Arbeit nach drei Stuttgart 1970, bes. 495-535; G. Scharffenorth, Römer 13 in der Geschicht~ des politischen Denkens, Diss. phi!. Heidelberg 1964 (masch.), Kap. 1 und 2; Wolgast, a. a. O. (Anm. 17), 84-94. 26 Vgl. E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, FrankfurtlM. 1976,65-92, bes. 68-70; vgl. auch den Sammelband: ders. (Hg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976. 27 Vgl. bes. R. Koselleck, Historische Kriterien des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs, in:· ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiien, Frankfurt/Mo 1979,67-86, sowie K. Griewank, per neuzeitliche Revolutionsbegriff, FrankfurtIM. 21969; vgl. auch P. Burg, Kant und die Französische Revolution, Berlin 1974. 28 G. Strecker, Strukturen einer neutestamentlichen Ethik, in: ZThK 75; 1978, 117-146 (139).
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Gesichtspunkten die zu behandelnden Entwürfe ausgewählt: in ihnen soll erstens die Wirkungs geschichte biblischer Tradition zum Tragen kommen; darum ist auf biblische, altkirchliche und reformatorische Zeugnisse einzugehen. Zweitens ist um der gegenwärtigen Diskussion im deutschen Sprachraum willen vor allem die kontinental-europäische Tradition des Nachden~ kens über den Problemkreis von Rechtsstaat, Widerstandsrecht und Revolution zu berücksichtigen. Und drittens ist es notwendig, zum Verständnis ökumenischer Stellungnahmen - nicht nur aus der Dritten Welt - zum Problem revolutionärer Gewaltanwendung einige Einsichten aus der Tradition von Hegel und Marx in Erinnerung zu rufen. Thematisch verfolge ich dabei vor allem die mit folgenden Stichworten zu umschreibenden Komplexe: KrieglRevolution; HerrschaftlWiderstand; weltliche und geistliche GewaltIToleranz. Diese· Positionen, überlieferungszusammenhänge und Probleme werden aufgesucht, weil und sofern sie im Hintergrund gegenwärtiger ökumenischer Stimmen wirksam sind, und zwar auch dort, .wo diese historische Bedingtheit heutigen Autoren nicht immer und_nicht voll bewußt ist. Vollständigkeit in der Aufhellung derartiger Beziehungen ist freilich nicht im entferntesten möglich, so daß hier besonders empfindlich die perspektivische Einseitigkeit der deutschsprachigen überlieferung durchschlägt. ·Die fehlende Berücksichtigung der englischen und französischen Sozialphilosophie der Aufklärung ist daher gewiß ein Mangel, dessen Beseitigung aber vielleicht am ehesten von Studien zur ökumenischen Ethik aus diesen Sprachräumen selbst erwartet werden darf29 • Eine weitere Schwierigkeit, der jeder Versuch einer exemplarischen Darstellung des Nachdenkens über Gewalt gegenübersteht, wiegt aber wohl noch schwerer. Otto Brunner, der Altmeister der Sozialgeschichte, hat dieses Problem folgendermaßen bestimmt: ,.Die historische Forschung nach einer quellenmäßigen Begriffssprache stößt auf die Tatsache, daß die Kategorien, unter denen die Zeiten sich selbst verstanden haben, unseren wissenschaftlichen Forderungen nicht genügen, daß aber auch die Begriffe der medernen Wissenschaften an einer Wirklichkeit entwickelt wurden, die erst' seit dem' 18. Jahrhundert entstanden ist.«30 Das seit .1972 erscheinende Lexikon ,.Ge29 Aus den bisherigen Vorüberlegungen ergibt sich implizit, daß die vorliegende Arbeit sich auf die Erscheinungen politisch-sozialer Gewaltverhältnisse und ihre Beurteilung beschränkt; die unübersehbaren Bereiche der psychischen und edukativen Gewaltverhältnisse mit den verzweigten Forschungsgebieten der Aggressions- und Sozi:ilisationsforschung, der Pädagogik usw. bleiben allesamt ausgeklammert. 30 Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werke Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688, Salzburg 1949, 62; vgl. auch ders., Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (1953), in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 21968, 80-102; R. Koselleck, Begriffsgeschichte und
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schichtliche Grundbegriffe«)! zeigt, wie die historische Begriffsanalyse über die Wortgeschichte jedes strukturell bedeutsamen Begriffs hinausgedrängt wird, um die wechselnden Beleuchtungen zu erforschen, in deren Licht die Begriffe erst ihre spezifischen Konturen erhalten. Dabei folgt das Lexikon der methodischen Hypothese, daß, wenn man Dauer, Wandel und Neuheit der tragenden sozialphilosophischen Grundbegriffe thematisiert, von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an in den meisten Fällen eine tiefgreifende Verschiebung der Bedeutungskomponenten festzustellen ist: aus den Geschichten wird die Geschichte als moderner Leitbegriffl2, gegen die ,.iura et libertatesc der ständischen Verfassung wird die Freiheit in einer neu erfahrenen Qualität individueller Autonomie zum programmatischen politischen Allgemeinbegriffl). Somit muß die Begriffsgeschichte weiter ausgreifen als die Wortgeschichte, denn sie muß das Umfeld verwandter"iJezeichnungen berücksichtigen, die im zeitlichen Ablauf demjenigen Mannigfaltigen zuwachsen und zugehören, welches begrifflich erfaßt werden soll. Begriffen, die sich zeitlich. durchhalten, fallen so aus verschiedenen Quellen neue Bedeutungsvalenzen zu, andere werden abgeschliffen. Mit einem Wort Nietzsches sagt darum Koselleck: »Alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozeß semiotisch zusammenfaßt, entziehen sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.c)· (Darin liegt der tiefere Grund für die Trivialität und damit Unbrauchbarkeit aller sozialwissenschaftlichen Definitionsversuche von >Gewalt<,. die meinen, die Begriffsgeschichte ignorieren zu können.) Der diachronische Rückblick verleiht daher dem synchronen Vergleich erst die nötige ,.Tiefenschärfe« und ist zugleich eine heuristische Hilfe, wenn man versucht, den Ausfall bestimmter Aspekte der Sache unter besonderen Bedingungen verständlich zu machen. Insofern führt die Begriffsgeschichte auch "über die strikte Alternative der Diachronie oder Synchronie hinaus, sie verweist vielmehr auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die in einem Begriff enthalten sein kann«)s. Sicher gilt dabei nicht für reden Begriff in gleicher Weise, daß er seit jener ,.Sattelzeit«, als
Sozialgeschichte (1972), in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, FrankfurtlM. 1979, 107-129. 31 Im 1. Bd. (Stuttgan 1972) vgl. bes. die Einleitung von R. Koselleck, XIII-XXVII. 32 Vgl. R. Koselleck, Art. Geschichte V-VII, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 (1975), 678 ff. 33 Vgl. O. Brunner, Die Freiheitsrechte in der altständischen Verfassung, in: ders., Neue Wege (Anm. 30), 187-198; ehr. Dipper, Art. Freiheit VII, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 (1975), 488 ff. 34 R. Koselleck, a. a. O. (Anm. 30),120. 35 R. Koselleck, a. a. O. (Anm. 30), 125.
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welche vielen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gile', einen so tiefgreifenden Bedeutungswandel durchlaufen hat, daß er seither in völlig neuer Beleuchtung erscheint. Während dieser Hypothese wohl im Blick auf die politisch-soziale Sprache große Plausibilität zukommt, wird man sie auJ Probleme und Begriffe der Naturwissenschaften, der Metaphysik oder Theologie schwerlich ohne weiteres übertragen dürfen. Vielleicht sollte man daher von verschiedenen und doch gleichzeitigen Begriffsgeschichten sprechen, die sich durch unterschiedliche Rhythmen und Tempi des Wandels auszeichnen und sogar im Werk eines Autors zusammenfließen können, so daß beispielsweise zwar das politische Begriffsgefüge in einer bestimmten Zeit tiefgreifend verwandelt werden kann, während dagegen die religiösen Grundüberzeugungen und Ausdrucksformen beibehalten oder sogar durch eine Rückwendung zu historisch älteren Positionen angereichert werden37• Diese Hinweise auf methodische Schwierigkeiten der Begriffsgeschichte sind nicht überflüssig, wenn man bedenkt, wie häufig gegenwärtige theologische Auffassungen und Urteile als »von der Schrift«, ,.von Luther«, ,.von den Bekenntnissen« her legitimiert in Ansatz gebracht werden. Keine Prüfung eines solchen Anspruchs kann sich mit dem Vergleich des Wortlautes begnügen, sondern sie muß versuchen, die übereinstimmung oder den Unterschied in den leitenden Absichten und Auffassungen. hier wie dort herauszubringen. In diesem Sinne sind auch die überlegungen zur Bc:griffsgeschichte in dieser Arbeit eine Vorbereitung zur Analye ethischer überzeugungen in der ökumenischen Bewegung, und angesichts dieser Hilfsfunktion mögen die vorhandenen Lücken und Verkürzungen erträglich sein.
3. Theologie und Sozialphilosophie Eine theologische. Darstellung von Beispielen christlichen Gewaltverständnisses kann sich nicht damit begnügen, repräsentative Auffassungen lediglich aneinanderzureihen. Im Gegensatz etwa zu einer historischen oder begriffsgeschichtlichen Untersuchung erfüllt sie ihren Zweck nicht schon dadurch, daß sie einigen zentralen Motiven und Topoi folgt und diese in ihrer historischen Einmaligkeit unabhängig nebeneinander stellt und mit der 36 R. Koselleck, a. a. O. (Anm. 31), XV. 37 Wege!). der Gleichzeitigkeit von Momenten im Denken eines Autors oder seiner Zeit, die ungleichzeitigen Entstehungsbedingungen entsprungen sind, müssen Epochenzurechnungen immer prekär bleiben; vgl. dazu beispielhaft G. Ebding, Luther und der Anbruch der Neuzeit (1972), in: ders., Wort und Glaube III, Tübingen 1975, 29-59.
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gebotenen Vorsicht vergleicht. Darüber hinaus nämlich erfordert eine theologische Darstellung, die auch Elemente der Auslegungsgeschichte wesentli~her biblischer Positionen einbezieht, einiges mehr: sie muß die verschiedenen Stadien der christlichen überlieferung, die sie beschreibt und prüft, in sachkritischer Absicht dem biblischen Zeugnis konfrontieren, ohne dabei dessen menschliche Seite, seine durchaus historische Relativität zu überspielen. Derartige Sachkritik ist allerdings unsachgemäß, wenn sie lediglich Buchstaben bzw. Satzwahrheiten gegenüberstellt - etwa wenn sie Erwägungen zur Frage, ob auch »Kriegsleute in seligem Stande« sein können, unmittelbar mit dem Hinweis auf das Wort Jesu von der Feindesliebe konterkarieren wollte. Wenn man dagegen mit .K. Barth die Aufgabe der Dogmatik - und damit der Ethik - als theologischer Disziplin in der »wissenschaftliche(n) Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott« sieht37., dann erfordert die Prüfung auslegungs geschichtlich repräsentativer Positionen ein komplizierteres Verfahren als den Rekurs auf den sensus literalis der Bibel. Besonders K. Barth hat stets betont, daß die Aufgaben dogmatischer und ethischer Prüfung und Urteilsbildung sorgfältig zu unterscheiden sind von denen der biblischen Exegese, aber zugleich eingeschärft, daß das der Theologie eigene Verfahren der ,.Prüfung, Kritik und Korrektur der in der lehrenden Kirche auf Grund der heiligen Schrift nicht nur reproduzierend· und erklärend, sondern auch anwendend und insofern produzierend ausgerichteten Verkündigung«31 seinerseits darauf angewiesen ist, sich in die biblische ,.Denkform« einzuüben39 . Diese Forderung bedeutet methodisch für die Aufgabe der biblisch orientierten Sachkritik, daß sie sich von der hartnäckigen Erwartung leiten läß~, in den Schriften des Alten und Neuen Testamentes wirklich das Wort Gottes zu finden, daß dieses aber weder im biblischen Buchstaben noch in der Fülle seiner auslegungsgeschichtlichen Wirkungen aufgeht, seine Wirklichkeit vielmehr sich dem Glauben aus der Macht des Heiligen Geistes erschließ t40 • Normalerweise werden diese Fragen nur verhandelt im Blick auf die theologischen Probleme, die sich aus den Methoden des religionsgeschichtlichen Vergleichs und der historischen Kritik ergeben4t, welche dem neuzeitli~ 37a KD 1/1,1. Zum Verhältnis von Dogmatik und Ethik vgl. KD 112, 875-890. 38 KD 112, 917. 39 Vgl. dazu näher W. Schlichting, Biblische Denkform in der Dogmatik, Zürich 1971; sowie meinen Aufsatz: Hören, Bekennen, Kämpfen. Hinweise auf Bekenntnis und Lehre in der Theologie Karl Barths, in: EvTh 40, 1980, 537-558 (bes. 543 f.). 40 Vgl. zu dieser These näher K. Barth, KD 1/2, § 16, 222-304. 41 Vgl. bes. G. Ebeling, Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie und Kirche (zuerst 1950), in: ders., Wort und Glaube, Bd. I, Tübingen 1962, 1-49.
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ehen Geist der Skepsis verpflichtet sind. Es ist natürlich nicht unangemessen, w.enn die biblische Exegese in erster Linie den im engeren Sinnetheologischen Fragen Aufmerksamkeit widmet, sodann vielleicht auch noch -besonders im Blick etwa auf die Schöpfungsgeschichte und die Vorstellungswelt der deuteropaulinischen Schriften kosmologische Vorstellungskomplexe interpretiert, aber es fällt dabei doch auf, wie zurückhaltend im allgemeinen die sozialen und politischen Zusammenhänge zur Sprache kommen'l2. Dabei gilt aber doch auch in dieser Hinsicht nicht weniger als bei theologischen und kosmologischen Aspekten, daß die biblischen überlieferungen und Autoren sich derjenigen sprachlichen und begrifflichen Möglichkeiten bedienen, die sie in ihrer Umwelt vorfinden - vielleicht nur mit größerer Unbefangenheit, weil es an Möglichkeiten· zur Distanzierung davon weitgehend fehlte"3. 42 Ein Indiz dafür ist die verbreitete Neigung zu einer isolierten literarischen Auslegung von Röm. 13; erst in neuerer Zeit findet die Frage nach dem sozialen Ort einzehIer Traditionen größere Aufmerksamkeit; vgl. für das NT jetzt G. Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1979. 43 In der gegenwärtigen Gesprächslage ist auffallend, daß offenkundig die Beziehungen der Theologie zu sozialwissenschaftlichen Forschungen ungleich stärker als legitimationsbedürftig empfunden werden als diejenigen zur Philologie, Geschichtswissenschaft und auch wohl zur Philosophie. Die Unbefangenheit, mit der in den verschiedensten theologischen Zusammenhängen Vorstellungen und Begriffe aus dem sozialen Bereich, den Sozialwissenschaften und der Sozialphilosophie verwendet werden, steht in scharfem KontraSt zum Illegitimitätsverdacht, dem häufig bewußte Konvergenzen und Kombinationen in diesem Bereich unterliegen.. H. G. Geyer spricht daher in ähnlichem Zusammenhang vom ..Verdacht einer häretischen "Soziologisierunge der Theologie«: Das Recht der Subjektivität im Prozeß der Vergesdlschaftung, in: H. G. Geyer / H.-N. Janowski / A. Schmidt, Theologie und Soziologie, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1970, 9--49 (16). - Wollte man einmal probeweise und spekulativ diese Diskrepanz zwischen Soziologisierungs-Verdacht und selbstverständlicher Verwendung geradezu sozialontologischet Grundbegriffe (Gesellschaft, Kommunikation, der Andere) in die Alte Kirche zurückprojizieren, so ließe sich viel,1eicht folgende These erhärten: während es möglich war, die antike Ontologie in ihren Grundlagen und mitsamt ihren kosmologischen Konsequenzen auf der Basis des biblischen Schöpfungsglaubens einer radikalen - und offensiven - Kritik zu unterwerfen (man denke nur an den Topos der aeterrutas mundi; vgl. dazu E.·Behler, Art. Ewigkeit der Welt, in: HWP2 [1972], 844-848), wurden demgegenüber die sozialen Grunderfahrungen und Sprachmuster mit souveräner Selbstverständlichkeit übernommen (Röm. 13 !), auch wenn in eschatologisch motivierter Distanz zur vergehenden Welt radikale Sozialkritik in einzelnen Punkten geübt werden konpte (vgl. M. Hengel, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche. Aspekte einer frühchristliehen Sozialgeschichte, Stuttgart 1973; ders., Christus und die Macht, Stuttgart 1974). Zugespitzt gesagt: Die denkerischen Negationsmöglichkeiten übertrafen die sozialen, auch wenn sogleich zuzugeben ist, daß eine Trennung beider problematisch ist und Ontologiekritik mittelbar soziale Folgen haben kailn. Vgl. dazu auch mit einer Fülle von Beispielen K. Beyschlag, Christentum und Veränderung in der Alten Kirche, in: KuD 18,1972, 26-55. 22
Unabhängig davon, in welchem Maße also biblische Texte ebenso wie die Stationen ihrer Auslegung vom begrifflichen Vermögen. ihrer Umwelt Gebrauch machen oder abhängig sind, kommt· einehistorlscP orientierte Sozialethik nicht umhin, sich diese ZusammenhäD.ge zu vergeg~nwärtigen. Hierin liegt der tiefere Grund der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Forschungen beispielsweise zur Begriffs- und Rechtsgeschichte. Dabei darf man wohl voraussetzen, daß die Offenheit auf Seiten der Theologie gewachsen ist, die verschiedensten Entwicklungen in Nachbardisziplinen zu beQbachten und im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auch am .Streit um die Grundlagen der vom jeweiligen Gesprächspartner vertretenen Wissenschaft teilzunehmen. G. Ebeling hat dieser Beteiligung nicht we~iger als fundaIllent1d~heologischen Charakter beigemessen44 • Die~er besteht darin, daß das V~rhältnis von Theologie und Sozialphilosophieauch ~u betrachten ist als ein Sonderfall jener allgemeineren Problematik, welche die Geschichte und Bedeutung der Stellung der Theologie im Hause der Wissenschaften überhaupt betrifft. Da es keine ,.getauften Sprachen« gibt, hat jeder Theologe mit dem ersten Satz, den er spricht, schon an diesen Fragen Anteil, auch wenn er es nicht wahrhaben will. Insofern geht es aber im Verhältnis der Theologie zu den ·historischen Sozialwissenschaften, wenn man die Struktur dieser Beziehung freilegt, um eine Erweiterung einer Problematik, die das Christentum seit seinen Anfängen begleitet: um das Verhältnis .. des Wortes zu den Wörtern. Verändert haben sich freilich die Art und der Umfang .der zu lesenden Texte, denn neben den schriftlichen Texten der eigenen Tradition wollen zunehmend auch die ,.Texte« der Erfahrungswissenschaften und anderer Disziplinen gelesen werden. Nach wie vor aber, so denke ich, bleibt das Paradigma dieser Probleme, welche mit der Rezeption, Prüfung und Kritik nicht-christlicher bzw. nicht-theologischer Denkformen und Wirklichkeitsauffassungen gegeben sind, das Problem der Schriftauslegung mitsamt den ihr eigenen Fragen nach (Sach-)Kritik und (historischer) Methode45 • Hier ist ein Großteil auch der das Verhältnis der TheolOgie zur SoziaJphilosophie betreffenden strittigen Fragen vorgedacht worden. . Eine umfassende Bestandsaufnahme dieses Problemkreises hat vor einigen Jahren P. Stuhlmacher vorgelegt4'. Ausgehend von Ebelings programl)la~sch,em Aufsatz47 gib~ er 44 G. Ebeling, überlegungen zur Theologie in der interdisziplinären Forschung, in: J. B. Metz / T. Rendtorff (Hg.), Die Theologie in der interdisziplinären Forschung, Düsseldorf 1971, 35-43 (41). 45 Daß diese Fragen nicht erst der· neuzeitlichen Aufklärung entstammen, lehrt ein einziger Blick ins NT; Paulus entfaltet seine Theologie durchgehend (auch) als Auslegung des AT. Vgl. E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, 'I'übingen 1969, 237-285 (»Geist und Buchstabe«). 46 Historische Kritik und theologische Schriftauslegung, in: ders., Schriftauslegung
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- als »Grenzgänger zwischen der kerygmatischen Theologie, dem Pietismus und dem biblisch orientierten Luthertum« (61) - zunächst einen überblick über Geschichte und Aporien der Schriftauslegung (61-99). Er exponiert dabei u. a. die Fragen der innerkanonischen überlieferungskritik (63 f.), der Kanonbildung (65 f.), der Sicherung des kirchlichen Bezugs der Schriftauslegung durch die Betonung der regula. fidei bei Tertullian (68 f.). Neben der Rolle Augustins (69 f.) wird besonders die reformatorische Exegese gewürdigt (71-74). Die Wendung von der altprotestantischen Orth,odoxie zur neuzeitlichen Bibelkritik (75-82) läßt Stuhlmacher dann ausmünden in dem Dreigestirn Overbeck-Trodtsch-Schlatter (83-86) und dem Gegensatz Barth-Bultmann (87-93). Deutlich wird aus Stuhlmachers geraffter Darstellqng, daß, typisierend verkürzt, zwei Prinzipien der Schriftauslegung einander widerstreiten: einerseits jenes his~rische Verstehen, das ein bestimmtes Verständnis. der eigenen Gegenwart zum Maßstab und zur Richtschnur des VersWidnisses einer gegenwärtigen Vergangenheit macht; andererseits die Maxime, daß aus den Dokuni.enten der Vergangenheit ein' ZeugniS einer vergangenen Gegenwart vernommen werden kann, das nicht aufgeht in denjenigen Projektionen, die man gegenwärtige Vergangenheit nennen kann··. Ist die sog. historische Kritik ein Sachwalter des ersten Prinzips, so hat das zweite seinen gelegentlichen Ort in der dogmatischen Arbeit49 und in dem diese fordernden und ermöglichenden Bezug auf die soziale und theologische Qualität der Kirche 50 • Die überzeugung, daß erst die Anerkennung beider Grundsätze aus einem Historiker einen Theologen macht, eint Barth und Bultmann (92)51, aber strittig blieb zwischen ihnen, ob Bultmann nicht durch seine philosophische Orientierung die Reichweite der auf dem Wege zur biblischen Theologie, Göttingen 1975, 59-127. Seitenangaben im folgenden Text beziehen sich auf diesen Aufsatz. 47 A. a. O. (Anm. 41). 48 Zu dieser Verschränkung der Zeitmodi vgl. R, Kosdleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit, in: H. Barion u. a. (Hg.), Epirrhosis (FS C. Schmitt), lIerlin 1968, 549-566; N. Luhmann, Weltzeit und Systemgeschichte. über Beziehungen zwischen Zeithorizonten und sozialen Strukturen gesellschaftlicher Systeme, in: P. Chr. Ludz (Hg.), Soziologie und 'Sozialgeschichte (KZSS-Sonderheft 16/1972), Opladen, 81-115 (bes. 91 H.). Die Arbeiten sind wieder abgedruckt in den oben, Anm. 30 bzw. 12, genannten Aufsatzbänden, 49 Die nicht Monopol der arbeitsteilig spezialisierten Dogmatiker sein kann! 50 !uDogmatische< Exegese? Sie ist das nur insofern, als sie ein Dogma ablehnt, das ihr diese Erwartung [sc. die Erwartung, daß das authentische Zeugnis von Jesus Christus sdbst, das Wort in den Wörtern, vernehmbar sei, W. L.] zum vornherein verbieten, deren Erfüllung zum vornherein als unmöglich erklären möchte.« So K. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, München-Hamburg 1968, 138 f. (zit. auch bei Stuhlmacher, a. a. 0., 89); zur Exegese bei Barth vgl. näherhin R. Smend, Nachkritische Schriftauslegung, in: Parrhesia (FS Kar! Barth), Züri~l966, 215-237; F. W. Marquardt, Religionskritik und Entmythologisierqng, in: W. Dantine / K. Lüthi (Hg.), Theologie zwischen gestern und morgen. Interpretationen und Anfragen zum Werk Karl Barths, München 1968, 88-123; ders., Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie. Was meint: »Kritischer müßten mir die Historisch-Kritischen sein!«?, in: KD-Registerband, Zürich 1970,649-676. 51 Vgl. pars pro toto R. Bultmanns Denkschrift zur Frage kirchlicher Begutachtung von theologischen Lehrstühlen, in: Karl Barth - Rudolf Bultmann, Briefwechsel
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Geltung des zweiten Grundsatzes theologisch illegitim einengte52. Stuhlmacher sucht für sich eine Konsequenz dieser Entwicklung zu ziehen, indem er eine ..Hermeneutik des Einverständnisses« (120 u. ö.) fordert. Diese soll sowohl den allgemein geltenden Annahmen und Regeln der sog. Profanhistorie entsprechen als auch derart aufgebaut sein, daß sie nicht durch methodologische Restriktionen verhindert, den Wahrheitsanspruch eines Textes, wie er sich nicht zuletzt in seiner Wirkungsgeschichte zeigt, sich selbst zur Geltung bringen zu lassen5], wobei vorausgesetzt ist, daß beide Intentionen . sich nicht nur nicht ausschließen, sondern wechselseitig fordern. Zwei Anfragen an diesen Entwurf Stuhlmachers seien sogleich formuliert. Zunächst fällt der enge Kirchenbezug auf, der hinsichtlich der Bedeutung und des Anspruchs des zugrundeliegenden Kirchenbegriffs klärungsbedürftig bleibt. ,.Kirchliche Schriftauslegung«, so heißt es nämlich, ..ist ... von Origenes ... an die wissenschaftlich kommunikable Erhebung des der Kirche geschichtlich vorgegebenen biblischen Geistteugnisses im Dienste kirchlicher Glaubenserkenntnis.e 54 Aber was hier .. kirchliche Glau\;lenserkenntnis« als anscheinend autoritative Instanz besagen soll, bleibt offen und steht, falls damit unter der Hand die Positivität vorhandener Kirchtümer (gar Kirchenleitungen?) theologisch aufgewertet wird, möglicherweise in einer erheblichen Spannung zu jener Universalität des ChJ::istuszeugnisses, der auch und gerade die Anerkennung der historischen Kritik dienen sollte. EntScheidender für unsere überlegungen ist aber die weitere Frage, in welchem gegenwärtigen Horizont und um welcher gegenwärtigen Probleme willen die Hermeneutik des Einverständnisses vollzogen wird. Die ältere Tradition der Hermeneutik unterschied bekanntlich ..eine subtilitas intelligendi, das Verstehen, von einer subtilitas explicandi, ·dem Auslegen, und im Pietismus fügte man als drittes Glied die subtilitas applicandi, das Anwenden hinzue!5. Von Applikation kann aber nur gesprochen werden, wenn ein Verständnis dessen gewonnen ist, dem die Anwendung gilt, da ..ein Wissen im allgemeinen, das sich nicht der konkreten Situation zu applizieren weiß, sinnlos bleibt, ja die konkreten Forderungen, die von der Situation ausgehen, zu verdunkeln drohte 56 • Theologische Schriftauslegung bedarf also einer Verständigung über den Geschichtsraum, auf den hin sie zur Sprache bringt, was »Gegenstand« ihrer Bemühung ist, um gleichzeitig in dazu gegenläufiger Bewegung das Eigenrecht und den Anspruch ihres .. Gegenstandes« gegenüber jedem Geschichtsraum zu wahren bzw. sich selber geltend machen zu lassen und ihm nicht den Weg zu verstellen. Dies freilich ist eine Aufgabe, die nicht mehr allein den Exegeten, sondern die Verständigung 1922-1966, hg. v. B. Jaspert, Zürich 1971,242-248; vgl. ferner Bultmanns Ausführungen ebd., 169-195. 52 Vgl. ebd., z. B. 129, oder auch Barths differenzierende Stellungnahme 287-296 (s. auch Barths Hinweis auf den Zusammenhang von exegetischer Arbeit und [volks-] kirchlicher Praxis ebd., 2941). - Bulttnann machte Barth n. b.,denselben Vorwurf: den eigenen Anspruch des Textes hier nicht durch. eine philosophische Anthropologie, sondern durch Dogmatik zu verstellen; ebd., 136 und 163. 53 "Für die Selbstmäehtigkeit des Sehn/wortes ist also in einer Hermeneutik des Einverständnisses Raume (125; Hvhbg. im Orig.). 54 P. Stuhlmacher, Evangelische Schriftauslegung heute, in: ders., a. a. O. (Anm. 46), 167-183 (169). Hier ist ebenfalls die Rede von ,.kirchlicher Wahrheitsfindunge - ist damit eine Ortsangabe oder ein Anspruch gemeint? 55 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 21965, 291. 56 Ebd., 296 (mit Bezug auf Aristoteles).
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zwischen den theologischen Disziplinen und weit ·über die Theologie hinaus
betrifft'7.
Dem Zweck, den jeweiligen Geschichtsraum in einer besonderen Weise zu erhellen, genauer: die bestim~enden Strukturen einer Gegenwart aufzuhellen, dienen nun vorzüglich Sozialphilosophie und Sozialwissenschaften, freilich nicht so, daß sie sagen, wie die Gegenwart in Wahrheit beschaffen ist, wohl aber derart, daß sie kritisierbare und damit vorläufige Deutungen zu ihrem Verständnis vorlegen. Hinsichtlich dieser Deutungen hat aber die Sozialphilosophie Anteil an dem, was man als den methodischen Atheismus der Wissenschaft der NeuzeitS8 zu bezeichnen gewohnt ist: sie ist in BegrüDdung, Aufbau, Durchführung und Selbstverständnis durchaus theologieunbedürftig und läßt sich Theologie, Kirche, Religion als Gegenstände wie andere gegeben sein, auf die man anderswo gewonnene Methoden legitim anwenden kann. Hler wiederholen sich die oben paradigmatisch erwähnten Probleme von historischer Kritik und theologischer Schriftdeutung: die (fast) allgemein geltenden Regeln und Verfahren nicht-theologisch bestimmter bzw. (in ihrer Entstehungsgeschichte jedenfalls oft) theologie-feindlicher Formen der Auffassung vergangener oder gegenwärtiger Texte drohen den ,.Gegenstand«, um dessen willen sie doch überhaupt aufgeboten werden, zu verschütten. Auch eine abstrakte Bereichstrennung nach dem Muster historische Erfahrung - Wertung erscheint als fruchtlos, denn weder vermögen sozialphilosophische Analysen und Interpretationen die Geschichte, der sie sich selbst verdanken, zugunsten einer Rekonstruktion der Gegenwart nach Maßgabe ihres' jeweiligen Rationalitätsbegriffs zu verdrängen und sind mithin, begriffen oder unbegriffen, Teil jener abendländischen Tradition, die immer auch Tradition ihrer christlichen Impulse ist; noch verfügt' die Theologie umgekehrt über gleichsam ,.reine« Erweise des Christlichen, 57 Stuhlmacher fordert dasselbe: Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese, in: ders., a. a. O. (Anm. 46), 50-58 (51). - Vgl. zum Problem der Applikation auch H. Kimmerle, Metahermeneutik, Applikation, hermeneutische Sprachbildung, in: ZThK 61, 1964, 221-235; E. Ono, Die Applikation als Problem der politischen Hermeneutik, in: ZThK 74,1974,145-180. Letzterer unterschätzt allerdings m. E. die Möglichkeiten neuerer Systemtheorie (bes. 163) und überschätzt die eines anJ. Habermas orientierten Diskursmodells. 58 D. Bonhoeffer hat an den entsprechenden Stellen in .Widerstand und Ergebung« (Neuausgabe München 1970) als terminus a quo dieser Entwicklung von Autonomie das 13. Jh. anvisiert (356); vgl. dazu einen verifizierenden Hinweis auf die (erstmalige?) Formulierung ..licet Deus non esset« bei Gregor v. Rimini (ca. 1300-58} bei H. Deku, Possibile Logicum, in: Philosophisches Jahrbuch 64, 1956, 1-21 (15 mit Fn. 32). Die Geschichte des Topos ,.etsi Deus non dareturc ist noch nicht geschrieben; vgl. aber die Hinweise bei ehr. Link, Die theologischen Wurzeln der Unterscheidung von Theorie und Praxis in der Philosophie der Neuzeit, in: ZEE 21, 1977, 3-26.
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sondern hat sich immer schon Impulse und Auffassungen anderer Herkunft in Rezeption und Kritik anverwandelt. Angesichts dieser - um ein geologisches Bild aufzunehmen - Verwerfungen sozialphilosophischer und christlicher Traditionen kann es deshalb nicht um die Legitimität der Verbindung von Theologie und Sozialphilosophie gehen, sondern vor allem um die bewußte Wahrnehmung dieses immer schon gegebenen Verhältnisses, damit ,.durch die Sachkunde zuständiger Wissenschaften dem theologischen Denken eine differenziertere Wirklichkeitserkenntnis eröffnet wird, die zu berücksichtigen, mit der sich auseinanderzusetzen, an der sich zu bewähren, der Theologie wahrhaft zu sich selbst verhilft,,59. Versucht man dabei, nicht nur eine sozialphilosophische Fährte zu verfolgen, sondern ihre Vielfalt zu berücksichtigen, so könnte darin ein wirksames Korrektiv gegen die Gefahr liegen, eine bestimmte Sicht doch wieder dominant werden zu lassen. Ich lasse mich daher leiten von der überzeugung Karl Barths, daß eine unbefangene Rezeption einer anderen Wissenschaft solange nicht als illegitim gelten kann, als diese ,.sich an den Phänomenen genügen läßt, zum Bau von Weltanschauungen aber sich gerade nicht versteigt,,6Q. Damit diese Unbefangenheit aber nicht lediglich eine Absichtserklärung gegenüber dem Sog soziaiphilosophischerTheoriebildungen61 bleibt, wird in dieser Arbeit relativ ausführlich die Position historischer Friedenskirchen gewürdigt. Ihr unmittelbarer und oft unvermittelter Rückgriff auf die Bergpredigt sowie eine radikale Nachfolge-Ethik stehen in denkbar großer Distanz zum Gegenpol sozialphilosophischer Argumentationen als einem markanten Beispiel repräsentativer und komplexitätsbewußter Analyse. Dieser Gegensatz hat eine unübersehbare Ähnlichkeit mit dem von Verantwortungs- und Gesinnungsethik, aber ihn als eine unüberwindliche Gegebenheit zu akzeptieren, würde die Möglichkeiten theologischer Sozialethik unterbe59 Ebeling, a. a. O. (Anm. 44), 40 f. 60 KD IIII2, 12; vgl. auch KD 111, 5-10. Vgl. Barths einschlägige Stellungnahmen bei E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, München 1975, 313 f. u. 402; Barths antispekulative Offenheit würdigt auch A. Hollweg, Theologie und Empirie. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in den USA und Deutschland, Stuttgart 21971, 306 ff. 61 Die als solche in ihrer Wirklichkeits analyse I1,och keineswegs ,.Weltliche Vernunft« verbürgen, wie M. Honeckers überlegungen zumindest nahelegen; vgl. sein Buch: Konzept einer sozialethisehen Theorie. Grundfragen evangelischer Sozialethik, Tübingen 1971; sowie ders., Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi. Zur Interpretation von Barmen 11, in: ZThK n, 1972, n-99 (bes. 91, 97). - K. Barths Figur des Gleichnisses als Kategorie der Vermittlung löst die hier bestehenden Probleme zwar nicht, hält sie aber entschieden offen; vgl. dazu jedoch kritisch W.-D. Marsch, "Gerechtigkeit im Tal des Todes«. Christlicher Glaube und politische Vernunft im Denken Karl Barths, in: Dantine/Lüthi, a. a. o. (Anm. 50), 167-191.
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stimmt lassen. Hier Brücken zu schlagen, ist ein'Ziel dieser Untersuchung, damit nicht der Verstand die Einfalt der Nachfolge belächelt und der Glaube nicht auf ihm nützliche Belehrung verzichtet, sondern beide voneinander lernen. Denn nicht die Tatsache, daß das Christentum keine eigene Sozialtheologie besitzt62 , sondern daß es oft nur in so ungenügender Weise mit gegenwärtigen Sozialtheorien zu diskutieren vermag, führt dazu, daß es der ,.brutalen Wirklichkeit« und ,.brutalen Tatsächlichkeit« der modernen, vom Kapitalismus bestimmten Welt63 , die sich der Fassungskraft herkömmlicher ethischer Konzepte zu entziehen scheint, oft so hilflos gegenübersteht, ohne doch in fröhlicher Unbekümmertheit bei seiner Sache zu sein. Diese Parrhesia erschließt sich in der einfältigen, aber nicht einfachen Nachfolge Jesu, deren Beispiele der Barmherzigkeit, Armut und Gewaltlosigkeit merkwürdigerweise über alle historischen ,. Verwerfungen« der Christentumsgeschichte hinweg das Licht eines Ursprunges zurückwerfen, dessen Wahrheit in der Geschichte, aber nicht von Gnaden der Geschichte erscheint. Die Vernunft weiß viele gute Gründe, warum auch der Glaube die Zweckmäßigkeit der Gewalt im Dienste von Recht und Frieden anerkennt; darum ist die Auslegungsgeschichte von Röm.13 Teil der Geschichte der Christenheit. Aber daß die Bergpredigt die höhere Wahrheit des christlichen Glaubens ausspricht, ist die große Irritation, als welche ihr Ursprung den Weg der Christenheit begleitet. Darum muß eine theologische Untersuchung zur Kritik der Gewalt beides vereinen: sie muß versuchen, die Vernunft und das Recht auch der Gewalt zu verstehen, und sie muß verweisen auf eine Hoffnung, die dieses Verständnis zugleich ermöglicht und hinter sich läßt64 •
62 E. Troeltsch, Die Sozialphilosophie des Christentums, Gotha-Stuttgart 1922,- 5';' vgl. auch schon ders., Politische Ethik und Christentum, Göttingen 1904, 35 u. ö. . 63 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (Ges.. Schriften I), Tübingen 1919, 984 f. ..:~ 64 Als Versuch in dieser Absicht vgl. meinen Beitrag: ,.überwindet das Böse mit Gutem«. Zu einer evangelischen Kritik der Gewalt, in: A. Gregory u. a., Den Frieden· .. .. entwickeln, Gütersloh 1981, 11-28.
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1. GEWALT UND GEWALTVERZICHT IN DER FRüHZEIT DES CHRISTENTUMS
Wer sich mit älteren Zeugnissen des Umgangs mit und des Verständnisses von Gewalt beschäftigt, sollte damit beginnen, diese alten Erfahrungen zunächst und vor allem in ihrer Fremdheit auf sich wirken zu lassen. Wer nur nach Auskünften sucht, die ihm historische Belege als Legitimationsfußnoten für gegenwärtige Einsichten und Entscheidungen liefern, weiß die Antwort schon, bevor er seine Frage gestellt hat. Wenn man schon weiß, was man will - z. B. gute Gründe für die Legitimität politischer Herrschaft beibringen oder dem eigenen Gewaltverzicht die Sicherheit eines Vorbildes unterlegen -, dann werden einem die Texte zwar nicht gänzlich verweigern, was man ihnen abverlangt. Und wie anders sollte es zugehen, wenn wir nicht vor gänzlicher Fremdheit und Unübersetzbarkeit kapitulieren wollen? Aber wer seine eigenen Fragen zu voreilig stellt und darüber das Hören auch auf scheinbar völlig fremdes Reden versäumt, bringt sich um Möglichkeiten des Lernens. Geht es aber im besonderen um den Versuch einer evangeliumsgemäßen Wahrnehmung und Beurteilung von Gewalt und Gewaltverzicht, dann ist die Bereitschaft zu einem möglichst unverstellten und vorbehaltlosen Hören unabdingbar, das zugleich aufmerksam dafür ist, zu welchen gegenwärtigen Fragen die Texte nun einmal schweigen. Bevor ich jedoch in dieser Absicht biblische und frühkirchliche Texte befrage gemäß den erwähnten leitenden Gesichtspunkten (HerrschaftlWiderstand, KrieglRevolution, religiöse SelbstbehauptungIToleranz), schicke ich einige überlegungen zur Ambivalenz allen Redens von Gewalt voraus, welche den eigenen Erwartungshintergrund der dann folgenden Hinweise umreißen sollen.
1. Zur Ambivalenz des Sprachgebrauchs Gewalt ist ein Urwort - wie Frieden. Derartige Worte sprechen »seelische Tiefenschichten an, die kaum auszuloten sind,,!. Urworte sind keine trennscharfen Begriffe, schon gar keine Definitionen. In ihnen sind die Erfahrungen und Hoffnungen vergangener Geschlechter aufbewahrt, von denen sie 1 H. E. Tödt, Biblische Botschaft und moderne Friedenskonzepte. Hermeneutische Probleme des Verhälmisses von Bibelexegese und kirchlicher Friedensforschung, in: G. Liedke (Hg.), Eschatologie und Frieden, Bd. 11, Heidelberg 1978, 333-392 (333). Vgl. diesen Aufsatz insgesamt zum hermeneutischen Problem eines gegenwärtigen Verständnisses der biblischen Friedensbotschaft.
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wie I.EQOL AOyOL künden2 • Sie sprechen elementare Einsichten, Sehnsüchte und Ängste aus. Bis hin zu ihren verblaßten Resten sind sie dem Alltagsbewußtsein unmittelbar gegenwärtig, wenn auch in mannigfach verhüllter Gestalt. Deren Enthüllung jedoch läßt erkennen, daß in diesen Grundworten immer schon auch ihr Gegensatz midebt. ,.Wie der Friede in den Staaten nur der Erhaltung und Sicherung des Besitzes der Bevölkerung dient«, sagt Pascal, ,.dient der Friede in der Kirche nur der Erhaltung und Sicherung der Wahrheit, die ihr Besitz ist und ihr Schatz, wo ihr Herz ist.« Beide gelte es zu verteidigen, und darum fragt Pascal: ,.Ist nicht deudich, daß, ebenso wie es ein Verbrechen ist, den Frieden zu stören, wo die Wahrheit regiert, es ein Verbrechen ist, im Frieden zu bleiben, wenn man die Wahrheit zerstört? Es gibt also Zeiten, wo der Frieden gerecht ist, und andere, wo er unrecht ist. Es steht geschrieben, es gibt Zeiten des Friedens und Zeiten des Krieges, und das Anliegen der Wahrheit ist es, das hier entscheidet."l Wie die Urworte Goethes gibt auch das Grundwort Frieden schon in erster Annäherung die Gegensätze klar zu erkennen, die in ihm liegen, denn Frieden wie Wahrheit verweisen stets auf ihre Gegenbegriffe4 • Aber Begriff und Gegenbegriff sind nicht gleichen Ranges und gleicher Qualität, sondern verhalten sich asymmetrisch zueinander: wer Frieden schafft, verwirft die Gewalt; Irrtum, Lüge und Ketzerei werden im Namen der Wahrheit l?ekämpft5• Auch das Rätselwort ,.Gewalt" enthüllt bei näherer Betrachtung seinen ,.Gegensinn,,6, denn es verweist sowohl auf elementare zerstörende wie bergende und schützende Kräfte, deren Walten derselben sprachlichen wie sachlichen Wurzel verdankt wird, wenn es in der Psalmenübersetzung heißt: ,.So hoch der Himmel über der Erde ist, so läßt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten« (Ps. 103,11). Vielleicht wie keine andere hat die deutsche Sprache diese widersprüchliche Einheit im Begriff der Gewalt ausgedruckt, wenn nicht selbst geschaffen. Im Grimmschen Wörterbuch kann man dazu lesen: ,.In lockeren und festen Wortverbindungen wird so schon von früh an unserem Substantiv die Parallele mit potestas, potentia, mit auctoritas, imperium, dominatus und vis, copia, facultas entwickelt, ja sogar die Gegensätze ius und violentia 2 Vgl. Goethes ,.UrwW'te, orphische, in: Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), I, 359 f. und 403-407. 3 Pensees, übers. v. E. Wasmuth,
Er. 949 (Zählung Brunschvicg). 4 Zu dieser Erscheinung und den Beispiden Hellenen - Barbaren, Christen - Heiden, übermensch - Untermensch vgl. R. Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe (1975), in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, FrankfurtlM. 1979, 211-259. 5 Goethes Urworte halten dagegen jeweils eine in sich spannungsreiche Einheit fest. 6 Vgl. S. Freud, Ober den Gegensinn der Urworte (1910), in: S. Freud, Psychologische Schriften (Studienausgabe FrankfurtlM. 1970, Bd. IV), 227-234. 30
werden im Bedeutungsumfange von Gewalt vereinigt. Diese letztere Tatsache hat auf das Sprachgefühl unseres Volkes den lebendigsten Eindruck gemacht, eine große Zahl von Sprichwörtern knüpft hier an .•? Während im Englischen und Französischen die dem lateinischen Wortfeld vis, violentia zuzurechnenden Wortbedeutungen von ,.violence« im allgemeinen deutlich abgehoben sind von den benachbarten, um ,.force« und "power/pouvoir« zentrierten Bedeutungen, liegt das Spezifische der deutschen Ausdrucksweise in der Zusammenfügung beider Komponenten, so daß gleichsam innerhalb des Wortes ,.Gewalt« begriffliche Asymmetrie herrscht. Ihre ganze Zweideutigkeit kommt im Grunddogma demokratischer Verfassungen seit der FranzösischenRevolution zum Ausdruck, wenn gemäß de~ neuzeitliche~ Lehre von der VolkssouveränitätB gesagt wird, daß alle Gewalt vom Volke ausgeht, denn dieses Volk ist zugleich Grund und Bedrohung der Autorität aller staatlichen Einrichtungen. Diese Zwieschlächtigkeit läßt sich auch durch Sprachregelungen nicht aus der Welt schaffen: Gewalt ist der dunkle Grund, aus dem die Gestalten des Geistes emporsteigen, die zu ihrer Erhaltung der Bindung an diesen Grund kaum entraten können, obwohl sie vom Absturz stets bedroht bleiben. Nirgendwo ist dieser Zusammenhang so deutlich von der Sprache überliefert wie im Falle der Staatsgewalt und ihrer Vorformen, denn potestas und violentia gehören hier unlösbar zusammen, und doch ist andererseits schon der einfachen Reflexion 'die überzeugung eigen, daß alles darauf 7 J. Grimm / W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. IV (Leipzig 1911), s. v. Gewalt, 4910-5094 (491'1). Vgl. auch die Nachweise in der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, hg. v. J. S. Ersch / J. G. Gruber, Erste Section, Leipzig 1857, s. v. Gewalt, 304-331 (wichtig vor allem zur staatswissenschaftlichen und juristischen Tenninologie). 8 P. Graf Kielmansegg, Volkssouveränität, Stuttgart 1977, sieht in dieser Lehre vor allem die antifeudale, politische Programmatik, und kritisiert ihre Geltung mit dem Argument, daß das Volk als ultima potestas nicht zugleich als suprema potestas einheitliches Entscheidungssubjekt sein könne; das empirische Problem der Herstellung bindender Entscheidungen durch das Volk nötigt ihn daher zur Revision der Lehre von der Volkssouveränität als solcher bzw. zu ihrer Reduktion auf eine Legitimitätsidee, weil ohne autoritative Entscheidungen nicht verbindlich festgestellt werden kann, wann die volonte de tous zur volonte generale werdie (vgl. 148-156, zu Rousseau, sowie 230-268). - Zur spätmittelalterlichen Geschichte der Lehre von der Volkssouveränität vgl. F. Prinz, Marsilius von Padua, in: Zs. f. bayerische Landesgeschichte 39,1976, 39-77; A.,Podlech, Die Herrschaftstheorie des Johannes von Paris, in: Der Staat 16, 1977, 465-492; sowie grundlegend R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz' VIII., Stuttgart 1903 (repr. Nachdruck Amsterqam 1969), bes. 328 ff. (zu Johannes v. Paris). - Zur gegenwärtigen politologischen und staatsrechtlichen Diskussion vgl. K. v. Beyme, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, Tübingen 1968; H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I, Frankfurt/M. 1970. Als überblick vgl. P. Dagtoglou, Art. Souveränität, in: EStL 21975, 2321-2330 (Lit.).
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ankommt, hier zu unterscheiden. Fr. L. Jahn soll daher im Jahre 1814 in einer Flugschrift Einheit und Unterschiedenheit in diesem Sachverhalt durch die Unterscheidung von ,.Walten« und ,.Schalten« näher bestimmt haben: die ,.Walte« nennt er die rechtlich gebundene Staatsgewalt, ,.Schalte« dagegen die Willkürherrschaft'. Die Differenz zwischen der Staatsgewalt (potestas) und der Gewalttätigkeit (violentia) wird also von der jeweiligen Zuordnung zum Recht her bestimmt, aber wie fiktiv diese begründende und die Staatsgewalt legitimierende Unterscheidung sein kann, wußte ebenfalls schon Pascal, wenn er sagt: »La justice sans la force est impuissante; la force sans la justice est tyrannique. La justice sans force est contradite, parce qu'il y a toujours des merchants; la force sans la justice est accusee. Il faut donc mettre ensemble la justice et la force; et pour cela faire que ce qui est juste soit fon, ou que ce qui est fon soit juste. La justice est sujette a dispute, la force est tres reconnaissable et sans dispute. Ainsi on n'a pu donner la force ala justice, parce que la"force a contredit la justice et a dit qu'elle etait injuste, et a dit que c'etait elle qui etait juste. Et ainsi ne pciuvant faire que ce qui est juste füt fon, on a fait que ce qui est fon soit juste.«lo
Weil unter Menschen so schwer auszumachen ist, ob das Recht auf der Seite der Gewalt ist, oder, anders gesagt, ob die Mächtigen in der Wahrheit sind und Gerechtigkeit üben, hat die Sprache immer schon beide Seiten so nahe und oft so verwechselbar zusammengerückt. ,.Ihr wisset: die Fürsten halten ihre Völker nieder, und die Mächtigen tun ihnen Gewalt« (Mt. 20,25). Die Auslegungsgeschichte der Bibel hat immer wieder diese elementare Einsicht wachgerufen, und ich vermute, daß die Lebendigkeit dieser überlieferung das
9 Ersch/Gruber, a. a. O. (Anm. 7), 308. 10 fr. 298. Die Wasmuthsche übersetzung: »(Es ist gerecht, daß befolgt wird, was gerecht ist; notwendig ist, daß man dem, was mächtiger ist, folgt.) Das Recht ohne Macht ist machtlos; die Macht ohne Recht ist tyrannisch. Dem Recht, das keine Macht hat, wird widersprochen, weil es immer Verbrecher gibt; die Macht ehne Recht ist auf der Anklagebank. Also muß man das Recht und die Macht verbinden und·dafür sorgen, daß das, was Recht ist, mächtig und das, was mächtig ist, gerecht sei. Das Recht kann bestritten werden, die Macht ist deutlich kenntlich und ~bestritten. So konnte man dem Recht nicht zur Macht verhelfen, weil die Macht das Recht bestritt und behauptete, es sei unrecht, und behauptete, sie wäre es, die das Recht sei. Und da man nicht erreichen konnte, daß das, was recht ist, mächtig sei, machte man das, was mächtig ist, Rechtens.« - In der übersetzung dieses Fragments bei F. Paepcke (Blaise Pascal, Logik des Herzens, München 31966) wird »justice« mit »Gerechtigkeit«, »juste« mit »gerecht« oder ,.Recht« wiedergegeben. Mir scheint, die Wasmuthsche übersetzung trägt besser der nominalistischen Skepsis des zweiten Teils des Fragments Rechnung. Vgl. auch fr. 299: ,.Da man dem Recht nicht zur Macht verhelfen konnte, hat man die Macht Rechtens erklän, damit Recht und Macht verbunden seien, und damit Friede sei, der das höchste Gut ist.« Pascal kommt mithin, wie wir sehen werden, in der resignativen Skepsis dem Thomas Hobbes ganz nahe.
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Bewußtsein von der Bedeutungsbreite des Redens von Gewalt in ihrer konstitutiven Widersprüchlichkeitll zu erhalten geholfen hat. Auch die Jahrhunderte vor Pascal wußten, daß die Einheit von Recht und Gewalt, in der diese ausschließlich jenem dient, durch Lüge und Trug bedroht bleibt, denn die rechtserhaltende Gewalt unterliegt der Versuchung, Recht zu vernichten und zu setzen12. Beide Seiten der Gewalt bedürfen einander, denn eine rechtlich verfaßte potestas ohne violentia lädt nicht selten zur Usurpation ein, aber eine violentia, die vom Recht gelöst ist, bedroht jegliches Leben. Weil die Synthese beider zwar der Vernunft einsichtig sein mag, in der Wirklichkeit jedoch sich immer neu als Schein erweist, ist das Reden von dieser doppelsinnigen Gewalt immer begleitet gewesen von einem Protest gegen alle Versuche, dieser Struktur höchste Legitimität beizumessen. Darum ist die Geschichte der Anerkennung der Gewalt (im Dienst des Rechts) begleitet von der Hoffnung auf eine Sozialordnung, die auf anderen Grundlagen beruht: ,.So soll es nicht sein unter euch; sondern wer groß sein will 11 Neben den o. g. Wörterbüchern (Anm. 7), die - bes. Grimm - auch die Breite des biblischen Sprachgebrauchs gut belegen, vgl. zur Begriffsgeschichte vor allem K. Röttgers, Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in: o. Rammstedt (Hg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht d!=r Kritik, Frankfurt/M. 1974, .157-234; vgl. auch ders., Art. Gewalt, in: HWP 3 (197!1), 562-:-570. (Das Lexikon ,.Geschichtliche Grundbegriffe«, Stuttgart 1972 ff., bringt merkwürdigerweise keinen entsprechenden Artikel.) Der Art. Gewalt im EStL CZ1975, 852-854) von R. Herzog ist zur Klärung der Terminologie und der Sache selbst wenig brauchbar, obwohl er mit einer Rüge für die mangelnde ,.Präzisitäte (852) an die Adresse ungenannter Autoren beginnt. Herzog selbst spricht von Gewalt als einem ,.Unterfall von Machte, wobei ,.Machte in willkürlicher Abwandlung der exakten Definition Max Webers eingeführt wird als ,.Chance eines Menschen ... , andere Menschen zu einem Verhalten zu veranlassen, das sie ohne solche Veranlassung nicht an den Tag legen würdene (852). Vgl. dagegen den Wortlaut bei Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe Tübingen 51972, 28): ,.Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.e Weber hat übrigens, soweit ich sehe, nie Gewalt als Unterfall von Macht bestimmt, ja, nicht einmal eine Gewalt-,.Definition« gegeben; so übrigens auch o. Rammstedt, Gewalt und Hierarchie, in: ders., a. a. 0., 132-156 (144 m. Anm. 23). 12 ,.Inter hanc vitam perpolitam humanitate et illam immanem nihil tarn interest, quam ius et vis; horum utro uti nolimus, altero est utendum; vim volumus extingui? I us valeat necesse est.e Cicero, zit. bei ErS'chlGruber, a. a. o. (Anm. 7), 305. Die Dauer dieser Denkstruktur erweist ein Vergleich mit einem Aufsatz aus dem 20. Jh., in dem es heißt: ,.Die Rechtsgeltung vertteibt die Gewalt als den Feind der menschlichen Gesellschaft nur dadurch, daß sie eben diesen Feind in ihren eigenen Dienst stellt und für sich tätig werden läßt. Die Rechtsgeltung stellt sich derart als ein Widerspruch in sich selbst dar, denn sie selber weckt und fördert gerade das, was sie verneint und vernichtet.« So F. Darmstaedter, Recht und Gewalt, in: Archiv f. d. civilistische Praxis 125, 1926, 286-310 (296). Dieser Aufsatz verdient wegen der Klarheit seiner Unterscheidungen nach wie vor Beachtung.
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unter euch, der sei euer Diener; und wer der Erste sein will unter euch, sei euer Knecht; gleichwie des Menschensohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele« (Mt. 20,26-28; Mk.l0,43-45)13. Diesen Versen gehen ja die oben zitierten von den Mächtigen dieser Welt unmittelbar voraus, und ihre Zuordnung gibt einen wichtigen Hinweis für die Frage nach der Stellung der Kirche Christi an die Hand. Diese Stellung sehe ich durch eine doppelte Bewegung bestimmt: die denkbar nüchterne Feststellung und Analyse der in sich zwieschlächtigen Gewalt, wie sie diese Weh erhalten und zerstören kann, und die Hoffnung und Aufforderung, daß diese Gestalt der Weh in der Nachfolge Christi wandelbar sei, weil sie schon darin verwandelt ist, daß der Menschensohn die Gegenordnung in seinem Leben und Sterben offenbart hat14• Von einer Gegenordnung darf freilich nicht im abstrakten Sinne eines Entwurfs gesprochen werden, sondern selbstverständlich nur so, daß konkrete Ausformungen der irdischen Gewaltordnung wie bestimmte Erscheinungen politischer Herrschaft oder der Eigentumsordnung in den Blick kommen und zugleich das Bild einer anderen Ordnung aufscheint, durch die die irdischen Gewalten entmächtigt werden und q.er ,.Sozius« zum Nächsten wird. Dies zeigt sich, wenn ausgerechnet demjenigen neutestamentlichen Text, der die Legitimität der Staatsgewalt einschärft, der Hinweis auf die überlegene Macht des göttlichen Zornes voraufgeht (Röm. 12,19f.); aber zugleich bleibt das Aufscheinen der neuen Ordnung verborgen, denn den Gerechten wie den Ungerechten fehlt bis zum Jüngsten Gericht das Bewußt-
13 Die neutestamentliche Schlüssdstellung dieser Verse unterstreicht H. E. Tödt, wenn er Mk. 10,45 als ,.sachliche Brücke zwischen Passionskerygma und Worten vom Vollmachtswirken des Menschensohnes« bezeichnet (Der Menschensohn in der synop~ tischen überlieferung, Gütersloh z1963, 128; vgl. auch ebd, 187-197). Auch Griechen und Römer kannten gemeinsame Mahlzeiten von Freien und Sklaven, die die Erinnerung an eine ursprüngliche Gleichheit aller Menschen wachhidt; vgl. etwa Hesiod, Erga 109 ff., und dazu S. Luria, Die Ersten werden die Letzten sein, in: KliQ 22, 1969, 421 ff. 14 Vgl. Tödt (vorige Anm.), 190. - Die von Tödt in seinem Buch betonte christologische Bedeutung der Jesus-Uberlieferung findet neuerdings wieder zuneh_ mendes exegetisches Interesse; vgl. N. Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? (engl. 1967), Göttingen 1972; E. Käsemann, Die neue Jesus-Frage; D. Lührmann, Die Frage nach Kriterien für ursprüngliche Jesusworte - eine Problemskizze, beide Aufsätze in~. J. Dupont (Hg.), Jesus aux origines de la christologie (Bibliotheca Ephemeridunil Theologicarum Lovaniensium XL), Leuven 1975,47-57 bzw. 59-72; D. Lührtnanni Jesus: Geschichte und Erinnerung, in: Concilium 10, 1974, 175-181; E. Grässer, Motive und Methoden der neueren Jesusliteratur, in: VuF 18/2, 1973, 3-45. Zu· den theologiegeschichtlichen und dogmatischen Aspekten dieser Frage vgl. R. Slenczka, Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi, Göttingen 1967.
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sein ihrer Mitwirkung an dieser neuen Weit, die mitten unter ihnen angebrochen ist (vgl. Mt. 25,31-46)15. Das Miteinander und Gegeneinander dieser heiden Ordnungen bildet also den hier gewählten Leitfaden, dem f9lgend die Gewaltgeschichte in ihrer besonderen Beziehung auf Elemente der christlichen überlieferung. dargestellt werden soll. Dabei frage ich, mit aurchaus wechselnder Gewichtung im einzelnen, nicht nur nach der Wortgeschichte, sondern vor allem auch nach bestimmten Ausprägungen von GewaltverhäItnissen. Drei nicht immer scharf abgrenzbare Phänomenbereiche müssen dabei aufgesucht werden: (1) die politische Gewalt (potestas, dominium, imperium), die in unterschiedlichen Graden als legitime Herrschaft faktisch Macht ausübt; (2) ihre ,.gewalttätigste" Außerungsform (violentia), die vor allem, aber nicht nur, im Kriege auftritt; und (3) der Umgang mit Abweichlern und Feinden im jeweils näheren Umfeld. Damit sind jedoch nur Schwerpunkte der Fragestellung als provisorische Orientierungsmarken bezeichnet, deren Sinn mit dem Wechsel der epochalen Konstellationen sich ebenfalls wandelt. Wie schon in den einleitenden Hinweisen zur Begriffsgeschichte angemerkt wurde l6 , sind die reale Geschichte von Gewaltverhältnissen und die Geschichte des N achdenkens über Gewalt nicht identisch, denn diese ist nicht zu begreifen als reiner Reflex jener, sondern immer auch selbst eine geschichtliche Potenz. Doch trägt umgekehrt jedes Nachdenken und Sprechen über Gewalt gleichsam seinen historischen Index, und diese Tatsache läßt nicht zu, eine von ihren historischen Erscheinungen abgelöste, allgemeine Bestimmung der Gewalt der Untersuchung ihrer Geschichte zugrundezulegen. Die Versuche, die Erscheinungen und die Struktur der Gewalt begrifflich klar zu bestimmen, lassen sich darum verstehen als Anstrengung einer allgemeinen, d. h. die geschichtlichen Zufälligkeiten überwindenden Erkenntnis, doch ihre spezifische Leistung ist selbst nicht zu trennen vom besonderen Zusammenhang ihrer Epoche, die sie möglich werden ließ. Hierin zeigen sich Dilemma und Chance jeder Phi1osophie~ oder Theologiegeschichte, die L. Kolakowski im: Blick auf die Geschichte des Marxismus analog so bestiinmt hat: ,.Die historisch-philosophische Reflexion muß auf zwei einander beschränkende Regeln zurückgreifen: die eine heißt die Fragen, die für jeden Philosophen wesentlich sind, als Varianten grundsätzlich dersdben Interessenstrukturdes menschlichen Geistes begreifen, die auf die gleichen, unabänderlichen Lebensumstände gerichtet ist, auf die unsere Vernunft stößt; die zweite empfiehlt, um die Erfassung eines Maximums an historischer Besonderheit einer jeden untersuchten geistigen Formation und eines jeden historisch-philosophischen Faknims Sorge zu tragen, seine Verbindungen zur 15 Vgl. P. Ricoeur, Geschichte und Wahrheit, München 1974, 109-124 und 219-276. 16 Oben S. 18 H.
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unwiederholbaren Situation jener Epoche genauestens zu beschreiben, die den Philosophen hervorgebracht hat und die er selber mitschuf. Das Zusammenbefolgen dieser Regeln ist eine heikle Aufgabe; obwohl wir nämlich wissen, daß sie sich gegenseitig beschränken müssen, können wir die Prinzipien dieser Beschränkung nicht klar formulieren und sind in der historischen Reflexion gelegentlich auf die labile Intuition angewiesen.«17
Allein diese Kombination zweier nicht aufeinander zurückführbarer Regeln kann vor einem historischen Reduktionismus wie vor der Zusammenhanglosigkeit bemerkenswerter Einzelheiten schützen - nur daß hier noch meh~ auf das Gelingen der Intuition ankommt, weil ich mich auf die DarstellUng einiger ausgewählter Beispiele beschränken mußIS.
2. Hinweise auf Gewalt und Herrschaft im Alten Testament ,.Daß Gewalt in der Christentums geschichte mit Hilfe der Bibel und besonders mit Hilfe des Alten Testaments gerechtfertigt wurde, ist ein Faktum jener Wirkungsgeschichte biblischer Texte, die nicht durch eine Korrektur der Auslegung, die wissenschaftliche Bibelexegese heute vornehmen kann, ungeschehen wird.«19 Wie jedes große Werk hat auch das AT besondere ,.fata« in seiner Auslegungsgeschichte hervc:>rgerufen, und dabei war nicht nur böser Wille, sondern stets auch gute überzeugung im Spiel. Dtn.13 und Jos.13 konnten zur Legitimation von Glaubenskriegen und Kreuzzügen dienen, und Ex. 17,11 war der ,.Text« einer ,.Predigt«, die Wilhelm II. am 29. Juli 1900 an Bord der ,.Hohenzollern« auf der Höhe von Helgoland hielt, und in der es heißt: ,.Wiederum hat sich ja heidnischer Amalekitergeist geregt im fernen Asien; mit großer Macht und viel List, mit Sengen und Morden will.man den Durchzug europäischen Handels und europäischen Geistes, will man den Siegeszug christlicher Sit~e und christlichen Glaubens wehren. Und wiederum ist der Gottesbefehl ergangen: ?rwähle die Männer, zeuch aus und streite wider Amalek!e 20 17 L. Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus, Bd. I, München-Zürich 1977,24. 18 Weitgehend ausklammern muß ich in dieser Arbeit die Probleme von Armut iind Reichtum, obwohl es sich von selbst versteht, 'daß jede Eigentumsordnung bestimmte Gewaltbeziehungen voraussetzt und hervorbringt. Jede rechtlich sanktionierte Verteilung von Besitz und damit verbundenen Lebenschancen steht mit angebbaren Herrschaftsverhältnissen in bestimmten Beziehungen. Aber die Stellung des Christentu!Iis in seiner Geschichte zu Besitz und Eigentum würde eine mindestens so eingeheride Behandlung erfordern wie sein Gewaltverständnis. 19 J. Ebach, Das Erbe. der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980, 12. . 20 In: Reden des Kaisers. Ansprachen, Predigten und Trinkspruche Wilhelms H., hg.
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Dies ist ein krasser, aber kein Einzelfa1Ft, und .H. D. Preuß ist darin zuzustimmen, daß kriegerische Frömmigkeit aller Zeiten gern auf einzelne Texte des AT zurückgriff22• Ebach und Preuß haben die Ansatzpunkte derartiger Vergegenwärtigung zusammengestellt und einige Stationen der Wirkungs geschichte beschrieben. In der Tatsache, daß man diese Wirkungs geschichte nicht durch eine »richtige .. Interpretation der Quellen ungeschehen machen kann, auch wenn dabei die ohnehin naheliegenden, aber fragwürdigen apologetischen Motive keine Rolle spielen mögen, liegt indes zugleich ein gar nicht zu unterschätzender Gewinn. Dieser besteht darin, daß bestimmte Auslegungsmöglichkeitj:n nicht verschüttet oder verdrängt werden, sondern in der Erinnerung gegenwärtig bleiben, so zum Korrektiv heutiger Interpretation werden und diese zur Selbstkritik anhalten. Im Bewußtsein, daß man bei jedednterpretation auswählend vedährt, dad man sich dann jedoch auch die Freiheit nehmen, jene Traditionslinien herauszustellen, die für heutige Probleme von Bedeutung sind. Darum sei hier vor allem nach den kritischen Motiven gegenüber Herrschaft, Krieg und religiöser Intoleranz gefragt. 2.1. Herrschaft und Widerstand 2J
Die Gegebenheit von Herrschaft und Königtum gehö'rt zu den selbstverständlichen Voraussetzungen des Lebens im alten Orient. DIe hebräische
I
v. E. Johann, München 1966, 91-96 (92). Wilhelm 11. pflegte, wenn kein Geistlicher an Bord war, sonntags Schiffsgottesdienst zu halten, wobei er selbst predigte; so vermerkt in: Die Reden Kaiser Wilhelms 11., 2. Teil, hg. v. Johs. Penzler, Leipzig o. J. (Reclam), 212. 21 Vgl. Ebach, a. a. O. (Amn. 19), 85 ff. - Dort (90 f.) auch das folgende bemerkenswerte Zitat aus O. Eißfeldts Buch "Krieg und Bibel« (1915): "Ein nur zur Befriedigung nationaler Ansprüche oder zur Erreichung materieller Vorteile geführter Krieg steht in unausgeglichenem Widerspruch mit der biblischen Religion. Den Krieg hingegen, der gegen Frevel und Unrecht zur Wahrung sittlicher Güter entbrannt ist, beurteilt sie als Gottes Krieg. Dabei schwebt ihr als Gegenstand der Hoffnqng und als Ziel des Strebens eine Zeit ewigen Friedens in der Völker- und Menschen-Welt vor. Wenn das Sittlich-Böse aus der Welt getilgt ist, dann hat q,er Krieg seine Aufgabe der Erziehung und Läuterung des Menschengeschlechts erfüllt,. dann ist die Zeit ewigen Friedens gekommen.« 22 Alttestamentliche Aspekte zu "Macht und Gewalt«, in: H. Greifenstein (Hg.), Macht und Gewalt. Leitlinien lutherischer Theologie zur politischen Ethik heute, Hamburg 1978, 113-134 (119-122); vgl. aber auch die Abrechnung mit christlicher Militanz bei K. Deschner (Hg.), Kirche und Krieg, Stuttgart 1970 (bes. den Beitrag von H. Wollschläger, 201-336). 23 Vgl. zum folgenden statt einzelner Nachweise vor allem A. H. J. Gunneweg / W. Schmithals, Herrschaft, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1980; F. Crüsemann, Der Widerstand gegen das Königtum. Die antiköniglichen Texte des Alten Testamentes und der
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Wurzel m/k, die ,.König« wie ,.herrschen« bedeuten kann, ist nach Gunneweg das dritthäufigste Wort der hebräischen Bibel24 • Israel sah sich in vorstaatlicher wie staatlicher Zeit von Großreichen und Königtümern umgeben, in deren Auseinandersetzungen es immer wieder selbst mit völliger Zerstörung bedroht war. Königtum und Herrschaft aber waren von religiöser Qualität, und es hat vor allem in der skandinavisch-alttestamentlichen Forschung am Alten Testament eine Tendenz gegeben, hinter möglichst vielen Texten eine auch sonst im Orient nachweisbare Gott-König-Ideologie zu finden. Auch wenn diese Auffassung sich nicht durchgesetzt hat, findet sich in den sog. Königspsalmen25 doch eine für Israel eigentümliche religiöse Begründung und Legitimation der Königsherrschaft. G. v. Rad hat im Blick auf Ps. 2,7 betont, daß die Salbung und Thronbesteigung des Davididen im Sinne eines Adoptionsaktes, nicht einer physischen Vergottung wie etwa in ägyptischen Vorstellungskreisen, dargestellt wurde, ja, daß es sich eigentlich um einen geschichtlichen Akt der feierlichen übertragung von Herrschaftsrechten handelte. ,.So ist also der König auf dem Zion der Mandatar Jahwes selbst.«26 Seine Ämter sind der Schutz seines Volkes nach außen gegen Feinde sowie die Sicherung von Recht und Gerechtigkeit nach innen. Zu den VoUkommenheitsaussagen der Königsprädikationen gehört darum stets die Sorge für die Entrechteten und Unterdrückten (Ps. 45,7 f.; Ps. 72,4.12). Indes ist das Verhältnis zwischen den Vorstellungen von J ahwes Königsherrschaft einerseits, von der Notwendigkeit, Stellung und Aufgabe der Jc:rusalemer Königsherrs.chaft andererseits mannigfachen Veränderungen in der Geschichte Israels unterworfen gewesen27• Schon flüchtiger Betrachtung muß der fundamentale Gegensatz auffallen, der sich zwischen Texten religiöser Königsverehrung und radikaler Kritik am Königtum auftut: auf der einen Seite finden wir zahlreiche Belege, wonach der König als ,.der Gesalbte« bzw. ,.der Gesalbte Gottes« gil~8 und die Verheißung des davidischen Königtums Kampf um den frühen israelitischen Staat, Neukirchen-Vluyn 1978; W. Dietrich, Jesaja und die Politik, München 1976; J. Kegler, Politisches Geschehen und theologisches Verstehen. Zum Geschichtsverständnis in der frühen israelitischen Königszeit, Stuttgart 1977; ders., Prophetisches Reden von Zukünftigem, in: G. Liedke (Hg.), Eschatologie und Frieden, Bd. 11, Heidelberg 1978, -11-60. 24 A. a. O. (Anm. 23), 27. 25 Pss. 2; 18; 20; 21; 45; n; 89; 101; 110; 132 hebt hervor G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. I, München 41962, 331 m. Anm. 1. 26 Ebd., 333. 27 Vgl. J. A. Soggin, Das Königtum in Israel. Ursprunge, Spannungen, Entwicklung (BZAW 104), Berlin 1967; sowie G. v. Rad, Art. ßaat.l.Ev; x'tA., B. im AT, in: Th Wb NT I (1933), 21957, 563-569. 28 1. Sam. 10,1; 1. Sam. 16,13; 1. Kön. 1,39. Zur Tradition des ,.Gesalbten Jahwesc vgl. v. Rad, a. a. O. (Anm. 25), Bd. 11, 175-181.
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gerade in Zeiten der Bedrängnis die Hoffnung auf eine Neuordnung auch der irdischen Verhältnisse wachhälr'. Andererseits gibt es nicht nur eine verbreitete Kritik an Entartungen des Königtums 30, sondern sogar eine grundsätzliche Bestreitung der Legitimität dieser Institution, wie sie in der Jotam-Fabel (Ri. 9,8-15) eindringlich dargestellt is~l. Dieser Gegensatz von Affirmation und Kritik königlicher Herrschaft und entsprechender Legitimität oder Illegitimität von Widerstand wird einer Lösung nur dann nähergebracht, wenn man die jeweiligen Texte auf bestimmte charakteristische Epochen der Geschichte Israels beziehen karin. Während die ältere Forschung (Wellhausen, Budde) die antiköniglichen Texte überwiegend spät datierte, neigt man gegenwärtig eher, aber keineswegs einhelligl2, zu einem frühen Ansatz33 • In jedem Fall bewegt man sich interpretierend in einem Zirkel, insofern man aus den Texten zunächst eine Gesamtanschauung der Geschichte Israels gewinnen muß und dann diese mit einzelnen Belegen in ·Beziehung setzt - es sei denn, man wäre auf dem Wege über archäologische Forschungen oder übergreifende theoretische Annahmen in der Lage, zu exakteren bzw. plausibleren Rahmenbestimmungen zu gelangen. Auf diesem Wege hat vor allem F. Crüsemann unter Rückgriff auf ethnologische und soziologische Theorien34 versucht, die Entstehung des Königtums in Israel mit der 29 Vgl. Ps. 72 u. 89. 30 Vgl. GunnewegiSchmithals, a. a. O. (Anm. 23), 46-60. 31 Vgl. daneben 1. Sam. 8 u. 12 sowie bes. den Gideonspruch: .. Ich will nicht Herrscher über euch werden, und mein Sohn soll auch nicht über euch herrschen. Jahwe selbst soll euer Herrscher sein.« (Ri. 8,23) Zur Interpretation vgl. v. a. Ccüsemann, a. a. O. (Anm. 23), 19-84. - Zur Jotam-Fabel vgl. auch Gunnewegl Schmithals, a. a. O. (Anm. 23), 47 f. - Auch Platon war der Auffassung, daß die Guten nicht freiwillig bereit sind, die Regierung zu übernehmen, sondern nur aus Furcht vor dem Regiment der Schlechteren; vgl. Politeia 347c. 32 A. Veijola, Das Königtum in der Beurteilung der deuteronomistischen Historiographie, Helsinki 1977, plädiert dagegen für die Zuweisung an.die letzte, die. sog. nomistische R.edaktionsstufe des deuteronomistischen Geschichtswerkes; so auch W. Dietrich, Gott als König. Zur Frage nach der theologischen und politischen Legitimität religiöser BegriffsbiIdung, in: ZThK 77, 1980,251-268 (264 f.). 33 Zur Forschungsgeschichte vgl. Crusemann, a. a. O. (Anm. 23), 1-17, mit der These, daß ,.innerhalb der kritischen Wissenschaft eine Fruhdatierung der königsfeindlichen Texte erst wieder üblich geworden (ist), als es kein eigenes Königtum mehr zu verteidigen galte (9). . 34 Er stützt sich vor allem auf Chr.Sigrist, Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum Fehlen und zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften Afrikas, Olten-FreiburglBr. 1967; weiterführend dazu jetzt F. Kramer / Chr. Sigrist (Hg.), Gesellschaften ohne Staat, 2 Bde., Frankfurt/M. 1980; sowie C. Schäfer, Stadt und Eidgenossenschaft im Alten Testament. Eine Auseinandersetzung mit Max Webers Studie .. Das antike Judentum«, Diss. theol. Heidelberg 1980 (masch.); vgl. auch dies., Stadtstaat und Eidgenossenschaft. Max Webers Analyse der vorexilischen Gesellschaft,
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Arbeitshypothese zu erklären, daß in segmentären Gesellschaften die Herausbildung einer Zentralmacht häufig zunächst ,.aus dem Kampf gegen eine drohende ethnische überlagerung, gegen Fremdherrschaft«3s hervorgeht. Zur dauerhaften Institutionalisierung einer legitimen Zentralgewalt bedarf es darüber hinaus der Machtbildung durch Klientelbeziehungen36 und gelegentlich auch der Berufung fremder Führer. Der übergang von der »regulierten Anarchie« (Sigrist) einer Eidgenossenschaft freier und, politisch gleicher 7 Männer zu einer legitimen Königsherrschaft als Prozeß der ,.Staats«-werdung vollzieht sich in Israel unter Saul und David, aber am Geschick Sauls läßt sich ablesen, daß der Versuch, ein zur Abwehr der Philistergefahr begründetes HeerkÖnigtum auf Dauer zu stellen, zunächst gescheitert ist38 . Erst David vermochte eine eigenständige, dauerhafte Machtstellung aufzubauen, welche u. a. auf dem Klientelwesen, einer ,.Privattruppe«39 und nicht zuletzt einem erfolgreich institutionalisierten Abgabezwang der Produzierenden beruhte40 • Gleichwohl lebten die antiherrschaftlichen Einstellungen aus vorstaatlicher Zeit fort, und mit Crüsemann sehe ich in den antiköniglichen Texten wie der Jotam-Fabel den Ausdruck von Kämpfen, die in das halbe Jahrhundert vor der Trennung der Staaten Juda und Israel (ca. 926) zu datieren sind. Der innere Widerstand antwortete mithin auf die königliche Machtkonzentration, nachdem die äußere Bedrohung weggefallen war41 • Bemerkenswert ist freilich, daß die königskritischen Traditionen nunmehr neben der übernahme altorie~talischer Königsideologie l\\fch einfließen konnten in die Legitimation des Königtums. Crüsemann hat die einzelnen in: W. Schluchter (Hg.), Max Webers Studie über das antike Judentum. Interpretation und Kritik, Frankfurt/M. 1981, 78-109. 35 A. a. O. (Anm. 23), 212. Zum folgenden vgl. insgesamt das Schlußkapitel bei Crüsemann, 194-222. 36 Vgl. dazu allgemein den Entwurf von H. Popitz, Prozesse der Machtbildung, Tübingen (1968) 21969, passim, bes. 34 m. Anm. 3 zur Ambivalenz jedes l.egitimitätsglaubens. . "., 37 Die von Sigrist aufgestellte und von Crüsemann teilweise übernommene Hypothese, daß auch ökonomische Gleichheit in segmentären Gesdlschaften sich in der Regel immer wieder einstelle, und zwar deshalb, weil eine zentralisierte Eigentumsgarantie fehle (Sigrist, Anm. 34, 180; Crüsemann, 207), kann hier auf sich beruhen. Die alttestamentlichen Belege erscheinen mir dafür aber nicht h~reichend signifikant, trotz der bekannten Institutionen von Erlaß- und Halljahr (Dt. 15; Lev. 25). Zur Anknüpfung der Verkündigung Jesu an diese Traditionen vgl. A. Trocme, Jesus and the Nonviolent Revolution, ScottdaielPenns. 1973,24-52. 38 Vgl. A. Alt, Die Staatenbildung der Israeliten in Palästina (1930), in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel, Bd. 11, München 31964, 1-65. 39 Crüsemann, a. a. O. (Anm. 23), 213. 40 Ebd., 128-142 u. 213-215. 41 Ebd., 217.
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Momente im Blick auf die Aufstiegsgeschichte Davids, die J osephsgeschichte und teilweise den Jahwisten herausgearbeitet42 und dabei gezeigt; wie sich die Anerkennung des Königtums mit der Betonung traditioneller Verhaltensnormen verbindet, so daß die Legitimation mit einer Tendenz zur Herrschaftsbegrenzung bzw. mit dem Versuch einhergeht, die königliche Oberhoheit an materialen Gerechtigkeitsvorstellungen zu messen. Es ist weder möglich noch erforderlich,. an dieser Stelle den Wechselwirkungen von Konzepten politischer Herrschaft und theologischen Traditionen in der Geschichte Israels näher nachzugehen. Im Teilstaat Juda finde~ wir bekanntlich bis zur Katastrophe des Jahres 587 eine erbliche Thronfolge der Davididen, während im Teilstaat Israel, dem »Reil;h der gottgewollten Revolutionen« (A. Alt), eine dynastische Kontinuität nicht erreicht wurde, vielmehr die Eigenständigkeit des Volkes gegenüber dem König gewahrt blieb43 , ja, sich sogar eine dezidiert antikönigliche Tradition bilden konnte, wie wir sie bei Hosea im 8. Jh. antreffen und von wo sie in das deuteronomistische Geschichtswerk gelangt sein mag. Auf jeden Fall läßt sich· die Kontinuität eines Ethos beobachten, das sich in der segm.entär differenzierten Stammesgesellschaft ausgebildet, unter verschiedensten Bedingungen. weiterentwickelt hat und dem herrschaftsbegrenzende Momente eigen sind, die man vielleicht als ,.demokratie-affin .. (H. E. Tödt44) bezeichnen kann45., .
2.2. Krieg und Rache Die beschriebene Linie eines herrschaftskritischen Ethos·wird unter~trichen durch jene Begrenzung und Relativiening aller irdischen Herrschaft, die sich in der überzeugung ausspricht, daß der wahre König Israels Jahwe selbst und er allein ist (vgl. Jes. 44,6; 52,7)46. Jahwe ist es daher, der aller menschlichen Gewalt und Bemächtigung eine Grenze zieht: ersc~ützt Kain vc;>r der natürlichen Rache, die den Mörder trifft (Gen. 4,15), ~nd er führte Israel aus Ägypten (Ps. 136) und vernichtete seine Feinde, wie das Schilfmeerlied (Ex. 15) preisend berichtet (vgl. Ps. 74,13 47 ; 106,7 ff.; 114,3) oderdas Lied-der Mirjam: Ebd., 128-180. Vgl. 1. Kön. 12; 16,16; 2. Kön. 9,1-14. Vgl. aber auch die Bedeutung des 'am ha'ares in Juda! . 44 Art. Demokratie, in: TRE 7, 1981,434-452. 45 Vgl. auch die Hinweise bei C. Schäfer auf das "primitive demokratische Herrschaftssystem der israelitischen Städte« und die Rolle der ,.Männer, der Stadt«: Stadtstaat und ·Eidgenossenschaft (Anm. 34), 98 H. 46 VgL zu diesem Topos bes. Dietrich, a. a. o. (Anm. 32), bes. 263 ff. ' .... ', .~ -',' 47 Im anschließenden v. 14 wird Jahwe gepriesen, der dem· L/l'IJiathan die Köpfe zerschlagen hat (Locus classicus für Behemoth und Leviathan ist im übrigen Hi. 42 43
40,15 H.).
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,.Singet Jahwe, denn hoch erhaben ist er, Roß und Reiter warf er ins Meer!« (Ex. 15,21).
Die alleinige Macht Jahwes auch über Israels Kriege unterstreicht in durchaus befremdlicher Weise die merkwürdige Erzählung von Sauls Verwerfung (1. Sam. 15). Ihm wird die Königswürde genommen, weil er den von Jahwe angeordneten Krieg siegreich dazu nutzt, eigene Interessen zu sichern, indem er einen Teil der Beute und den gefangenen König vor der Vollstreckung des tödlichen Banns verschont4•• Damit aber hat er Jahwes Gebot verletzt, in dessen Verfügungsgewalt Israels Kriege liegen. J ahwe führt selbst diese Kriege, die in der FrÜhzeit sicher nicht defensiv waren, aber, wie 1. Sam. 15 zeigt, auch nicht Machtsteigerung und Bereicherung zum Ziele hatten, sondern eher der Sicherung des überlebens dienten. Ebach meint sogar, ,.daß eine entscheidende Intention der Texte gerade die ist, zu betonen, daß der Krieg kein Mittel der Politik ist«, jedenfalls dem Vetfügungsbereich des Menschen entzogen ist49 • Der Ursprung kriegerischer Gewalt liegt bei Jahwe und untersteht nicht menschlicher Macht. Diese Vorstellung eines göttlichen Ursprunges, freilich zugleich einer Umgrenzung aller Gewalt, finden wir auch im Neuen Testament, wenn die Erwartung ausgesprochen wird, daß die göttliche Wahrheit mit der ihr allein eigenen Gewalt Platz greift: ,.Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her und macht sie vor mir nieder.« (Lk.19,27)50. Dieses Wort steht in einer alten Tradition von Droh- und Gerichtsworten, und Gewalt, Macht, Stärke sind seit alters die Zeichen des Göttlichen5!. Gott ins Anditz zu sehen, das wissen die mei~ten Religionen, ist 48 Vgl. Ebach, a. a. O. (Anm. 19),26 f. 49 Ebd., 25. 50 Der Vers findet in der exegetischen Literatur kaum Aufmerksamkeit, obwohl er eine exponierte Stelle einnimmt, denn er schließt den lk. Reiseteil9,51-19,27 ab; vgl. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, Tübingen 51964, 66. Zur Auslegung vgl. aber die provozierende Arbeit eines Nicht-Theologen: D. Sternberger, Lukas Neunzehn Vers 27, in: FAZ, Nr. 144, v. 26. Jurii 1971. 51 Vgl. G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1956, § 1. (Bonhoeffer, der sich in seinen letzten Jahren u. a. mit v. d. Leeuw befaßt hat, sah den christlichen Glauben von aller Religion gerade darin geschieden, daß er nicht machtförmig sei. ,.Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt, Gott ist der Deus ex machina. Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.« - Widerstand und Ergebung, München 1970, 394; für den Hinweis danke ich I. Tödt.) Auch H. Arendt vermutet einen gemeinsamen. Ursprung von Schöpfungskraft und Gewalt in der vielen Religionen eigenen Vorstellung einer ,.violenza sacra«, deren Ritual dazu dient, ,.den homogenen Fluß der profanen Zeit zu unterbrechen, das Urchaos zu reaktualisieren, um so dem Menschen zu gestatten, die ursprüngliche Dimension der Schöpfung wieder zu erreichen« (unter Zitation von G. Agamben, Sui limita della violenza:)
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tödlich. Feuer. Blitz. chaotische Gewalt. Herrschaft über Mensch und Natur schlagen in ihren Bann51 . Das Alte Testament zeigt in manchen überlieferung~schichten einen Jahwe-Kult mit einem aufs äußerste 'gesteigerten Ausschließlichkeitsanspruch (Ex. i2.19; 23.22; Dtn. 18,12 f. u. ö.). ,.Diese kultische Intoleranz ist. soviel wir sehen. ein religionsgeschichtIiches Unikum«. betont G. v. Rad, und er fährt fort: ,.Sie hat sich ja. wie die· Geschichte des Jahwekultes zeigt, auf die Dauer keineswegs mit einer friedlichen Scheidung der verschiedenen Kultkreise begnügt; es lag in ihr von Anfang an ein starkes offensives Element. das je länger je mehr die Legitimität der fremden Kulte überhaupt bestritt. «53 Das erste Gebot als Inbegriff von ,. J ahwes Eiferheiligkeit«54 begründet religiöse Feindschaft. welche jedem religiösen und politischen Synkretismus wehrt. J ahwes Souveränität fordert Abgrenzung und bezeichnet Feinde. Ihnen gilt legitime Gewalt55 . 1. Perlitt hat entsprechend in seinem überblick ,.Israel und die Völker«56 eine kritische übersicht der Realgeschichte Israels als einer sakral-national geprägten Gewalt- und Expansionsgeschichte gegeben. Im übergang vom Nomaden- zum seßhaften. Dasein war Israel Siedlungs-, Gottesdienst- und Kampfgemeinschaft ineins: ,.So war die natürliche Gemeinschaft zugleich die heilige. «57 Deren Siegeszug wird in den überlieferungen auch immer zugleich als frevelhaftes überschreiten vorhandener Grenzen dargestellt (2. Sam. 12). als Beispiel der tragischen Ambivalenz der Macht. Macht und Gewalt, München 1970. 35 m. Anm.......a. - übrigens ist ,.Heilige Gewalte Grundbegriff der (römisch-katholischen) Kirchenrechtslehre; K. Mörsdorf definiert: ,.Heilige Gewalt (potestas sacra) ist die von Jesus Christus stammende und in seinem Namen zu übende Gewalt der Kirche im Vollzug der' ihr aufgetragenen Sendunge (Art. Heilige Gewalt. in: Sacramentum Mundi. Bd. 11 [1968], 582-597 [582]). Die Frage nach der Stellung dieser Kirchengewalt im Staatsrecht geht über diese Untersuchung weit hinaus; vgl. aber mit Hinweisen auf weitere Lit. A. Albrecht. Staatskirchenrechtliche Bemerkungen zum Problem der Kirchengewalt., in: Der Staat 9.1970. 251-262. 52 Vgl. Lk. 10.17-20. - ,.Am Heiligen stirbt. wer freventlicli nach dem Heiligen greift. Der Todesfürst stirb,t am Leben« (H. Spaemann. Macht und überwindung des Bösen. München 1979. 37). Vgl. auch Ex. 19. 12; 2. Sam. 6.6 f. 53 A. a. O. (Anm. 25). Bd. I. 39. ebenso 221. 5... Vgl. Ex. 20.5; 3.... 14; Dm. 6.1'" f. 55 Vgl. Ri.5; Ex. 15. 1-21. Vgl. G. v. Rad. Der heilige Krieg im alten Israel. Göttingen ]1958; H-J. Kraus. Art. Krieg 11. in: RGG] IV (1960).64 f. 56 In: G. Liedke (Hg.). Frieden-Bibel-Kirche (StF 9). Stuttgart-München 1972. 17-64. 57 Ebd .• 20. - Perlitts Prämisse lautet: ,.Das Reich Jesu war nicht von dieser Welt. wohl aber das Reich Davids.« (17) Aber ist das historische Reich Davids das Reich Davids. aus dessen Geschlecht Jesus Christus geboren ist (Röm. 1.3)? Für Israel ging es hier um mehr als um ein Reich von dieser Welt. wovon nicht zuletzt die ..erregende Weltlichkeit der Darstellunge zeugt (v. Rad. a. a. 0., Anm. 25. Bd. I. 320 ff .• bes. 325).
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Daneben aber gibt es auch »eine Traditionslinie des Protests gegen militärisches Potential«, die die Geschichte des Jahwe-Glaubens durchzieht58 . Zwar hat die Stimme der Propheten als ,.die Stimme der Verweigerung . . . am wenigsten das Ohr der Herrschenden«59 erreicht, aber ihr Ruf60 und ihr Geschick61 weisen zugleich in eine andere Weh als die der politischen Gewaltgeschichte. Darum haben in Ergänzung und im Gegensatz zu L. Perlitt andere Autoren wie G. Liedke 62 , O. H. Steck6J und C. Westermann64 vor allem auf den proleptischen Gehalt der Botschaft der Propheten aufmerksam gemacht, -demzufolge das Heil nicht aus den natürlich-menschlichen Quellen von Selbsthilfe und Kampf entspringt, sondern allein vom Eingreifen Jahwes erwartet werden darf. ,.W enn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde _euch geholfen; durch Stilles ein und Hoffen würdet ihr stark sein« (Jes. 30,15)65. Und J eremia kann die Gemeinde -Israels in ihrer Gefangenschaft zugleich trösten und zur Nüchternheit mahnen (,.Suchet der Stadt Bestes, dahin habe ich euch wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl« - Jer. 29,766), denn ihm ist aufgegeben, die ,.Prävalenz des Segens«67 Jahwes zu verkünden (Jer.29,11-14) - je aussichtsloser die Lage ist, um so mehr richten sich alle Hoffnungen auf das allein rettende Eingreifen des Gottes, der -sein Volk in die Nacht begleitet. Indes wird man hier nicht nur an Vorgänge der religiösen Sublimierung angesichts auswegloser Lagen68 zu denken haben, sondern in de~ Erwartung 58 Perlitt, ebd., 63. 59 Ebd., 59. 60 Vgl. J. Kegler, a. a. o. (Anm. 23), passim. 61 V gl. O. H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, N eukirchen-Vluyn 1967. 62 Israel als Segen für die Völker, in: ders., a. a. O. (Anm. 56), 65-74; vgl. auch den Forschungsbericht: ders.; Theologie des Friedens, ebd., 174-186. 63 Friedensvorstellungen im Alten Jerusalem (ThST 111), Zürich -19n. 64 Der Frieden (SHALOM) im Alten Testament, in: G. Picht / H. E. Tödt,-Studien zur Friedensforschung, Bd. 1, Stuttgart 1969, 144-177. Vgl, auch H. H. Schmid, silom. ,.Frieden« im Alten Orient und im Alten Testament, Stuttgart 1971. 65 Auf diesen Vers hat sich G. Heinemann wiederholt in seiner Ablehnung der deutschen Remilitarisierung nach 1945 berufen; vgl. sein Memorandum:-Warum ich zurückgetreten bin, in: ders., Es gibt schwierige Vaterländer -.. -. (Reden und Schriften, Bd. II1), Frankfurt/M. 1977,97-107 (105). 66 Vgl. v. Rad (Anm. 25), Bd. 11, München 41965, 218 f.;Westermann, a. a. O. (Anm. 64), 169 f. 67 Liedke, Israel (Anm. 62), 69: 68 Als zeitliche Dehnung eschatologischer Vorstellungen zum Zwecke sozialer und politischer Enttäuschungsverarbeitung interpretiert gern die Religionskritik derartige Entwicklungen; vgl. für ein späteres Beispiel jüdischer Eschatologie im SabbatianisI\lUs (17. }h.) P. Schönbach, Dissonanz und Interaktionssequenzen, in: M. Irle (Hg.), Texte aus der experimentellen Sozialpsychologie, Neuwied-Berlin 1969, 573-594.
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des Heils von J ahwe allein und in der überzeugung, daß ihm allein das Vermögen der Rache zukomme (Dtn. 32,35; vgl. Röm.12,19), wird man auch einen Reflex geschichtlicher Entwicklung von der Selbsthilfe zur zentralen politischen Rechtswahrung sehen dürfen6'. Umgekehn geht in einem deranigen Nutzen-Kalkül, welches Auswege weist, ,.when prophecy fails«70, die Hoffnung auf Jahwes künftiges Handeln nicht auf, ist doch in der Perspektive des Glaubens, unerachtet aller Religionskritik, nicht der Nutzen, sondern das Venrauen auf ein Heil, das der Mensch nicht selbst· zu. schaffen vern.tag, der Grund aller Orientierung auch im :politisch-sozialen Ver.halten. Menschliche Gewaltanwendung ist in der Welt dieser Religion umgriffen von der Macht J ahwes, die alles Geschehen durchwaltet und nicht nur zu fürchten, sondern auch und vor allem zu preisen ist (vgl. nur Ps. 63,3-6)71. Konkrete Gestalten dieser Macht bilden die Gebote, die den Lebensraum Israels einhegen und so das Leben fördern 72 in einer stets gefährdeten inneren und äußeren Umwelt. Ihre soziale Weisheit zeigt sich in der Fülle lebertsschonender Bestimmungen, so daß selbst der Brudermörder Kain ,.noch kein Freiwild für die Mordlust der anderen Menschen« wird: ,.Wer sich am Mörder vergreift, an dem wird sich Gott siebenmal rächen.«73 In der nachsintflutlichen Menschheit freilich wird die Strafgewalt den Menschen übenragen, denn keilIlZeichnend für die nun anbrechende Geschichte· ist »Gewalttat«, ,.Rechtsbruch. (Gen. 6,11.13r4• Jahwe erläßt nun besondere Ordnungen, die das Töten und Schlachten von Tieren erlauben, das· mensch69 Vgl. W. Dietrich, Rache, Erwägungen zu einem alttestamentlichen Thema, in: EvTh 36, 1976,450-472: .Die straffere staatliche Organis~tion in der Königs:zeit und noch mehr die Kontrolle durch die Besatzungsmächte setzt der ,freien< RaChe der Bürger und des Volkes Schranken und leitet sie großenteils in das Gebiet der religiösen Vorstellungen um.« (459) D. ist sich der Problematik, ad. Verhältnisse mit römischrechtlichen Kategorien (privat-öffentlich) zu interpretieren, durchaus bewußt. 70 Dieses Phänomen hat Analysen zur kognitiven Dissonanz (wie Schönbach, Anm. 68) mit beeinflußt; vgl. die Fallstudie zu einer Sekte von L. Festinger rH. W. . Riecken / St. Schachter, When Prophecy Fails, Minneapolis 1956. 71 Vgl. G. v. Rad, .Gerechtigkeit« und ,.Leben« in der Kultsprache der Psalmen (1950), in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, München J1965, 225-247, mit zahlreichen Belegen. 72 Vgl. v. Rad, a. a. O. (Anm. 25), Bd. I, 208 f. 73 P. Trummer, Gewalt und Gewaltlosigkeit. Die Zeugnisse der Schrift und der Urkirche, in: Wort und Wahrheit 26, 1971, 504-517 (507). 74 Vgl. v. Rad, a. a. O. (Anm. 25), 170; vgl. auch H. J. Stoebe, Art. Gewalttat, in: THAT I (1971), 583-587, der zeigt, daß zwischen religiösem und profanem Wortgebrauch nicht streng zu unterscheiden ist, daß primär die Bedeutungen von Blutvergießen und Sittlichkeitsvergehen gemeint sind, und daß der Ausdruck dahin tendiert, ,.Sünde überhaupt« zu bezeichnen (587).
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liehe Leben jedoch seinem besonderen Schutz unterstellen; die menschliche Strafgewalt wird sogleich relativiert durch den Hinweis auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen. 9,6). Werden derart Strafgewalt und Herrschaftsbefugilis durch die überlegene Macht J ahwes eingegrenzt auf ihre Funktionen, das Leben zu schützen· und zu fördern, so wird, weit darüber hinausgehend, die machtvolle Selbstbehauptung des Staates nach außen gelegentlich von prophetischer Kritik völlig infrage gestellt. Vor allem die Zumutung Jesajas gegenüber König Ahas angesichts einer unmittelbaren, mehrfachen militärischen Bedrohung, auf Bündnisse und eigene militärische Verteidigung zu verzichten, weil Jahwe selbst den Feinden entgegentreten wird, bildet den Höhepunkt des Konfliktes zwischen göttlicher und menschlicher' Herrschaft 1:lnd Gewalc75• Als Wächter und Sprecher des unverbrüchlichen Gottesrechtes 76 setzt Jesaja, ähnlich wie Amos und Micha, die frühe Kritik der Königsherrschaft fort, verschärft sie aber ganz wesentlich, als er auch noch die kriegerische Selbsthilfe gegen äußere Feinde verwehrt. Glauben heißt jetzt ,.Raumgeben dem Walten Gottes«: ..Das also war das Ungeheure, daß Jesaja ihnen zumutete, ihre Existenz in ein zukünftiges Gotteshandeln hinauszuverlegen.«n Einzig im glaubenden Stilles ein soll jetzt Stärke liegen, aber dieses Wort vermag nur ein ,.Rest« zu vernehmen78 • Freilich bedeutet der Verzicht auf Selbsthilfe nicht, daß der Ruf nach der göttlichen Rache verstummt wäre79 • Gerade weil J ahwe allein der endgültig Richtende ist, richten sich auf ihn auch die Hoffnungen auf Vergeltung und Rache80 • Indes wird man Rache nicht allein im Bereich privater Emotionen ansetzen dürfen, sondern muß sie wohl als eine Art Rechtsinstitut betrachtenll, ul1d dann erscheinen die Gewaltkritik Jesajas und des Deuteronomisten gar nicht weit yonemander. Rache und damit Recht soll der Mensch danach nicht von sich, sondern von Gott erwarten: ,.Sage nicht, ich will das Böse vergelten; hoffe auf Jahwe, er wird dir helfen!« (Prov. 20,22). 75 Vgl. GunneweglSchmithals, a. a. O. (Anm. 23), 63-70, die freilich die Befremdlichkeit der Botschaft Jesajas von Mk. 12,17 her zu entschärfen bemüht sind (vgl. 66u. 149 ff.). 76 v. Rad. a. a. O. (Anm. 25), Bd. 11, 156.. 77 v. Rad, ebd., 167. 78 Ebd., 171 f. 79 Vgl. die sog. Völkerorakel von Jes. 13-23 oder Pss. 46; 48; 58; 76! 80 Vgl. aber die Bitten, sich selbst rächen zu dürfen, in Ri. 16,28 (Simson) und Ps. 41,11. 81 LXX übersetzt in Dt. 32,35 Dpl mit ~X6LXTJaLS, und dieser Wortwahlfolgt Paulus nicht nur im Zitat Röm. 12,19, sondern auch in 13,4 zur Bezeichnung der richterlichen Staatsgewalt; vgl. in dieser Bedeutung auch 1. Petr. 2,14. S. dazu auch Dietrich, a. a. O. (Anm. 69), 468. 46
2.3. Ausblick
Es war nicht meine Absicht, eine breite übersicht zu den alttestamentlichen Vorstellungen von Gewalt und Herrschaft zugeben, sondern es ging daru~, einige Traditionslinien hervorzuheben, die wirkungs- und auslegungs geschichtlich von besonderer Bedeuning sind. In mancher Hinsicht ist das so entstandene Bild ergänzungs bedürftig, aber in den herausgearbeiteten Konturen der ambivalenten Beurteilung von Gewalt und Herrschaft im Frieden wie im Krieg und der Prävalenz des göttlichen Geschichtsharidelns kommen eine deutliche Tendenz und Intention eines' bibliscpen Ethos zum Vorschein, die im Neuen Testament wie in der Geschichte der Christenheit 'weiterwirken. Darüber hinaus wäre zu verweisen auf die neuere Entdeckung jener ,.ökologischen« Vernunft, die im Alten Testament den ,.Krieg zwischen Mensch und Tier« verwirft82 und nicht zuletzt in den Gesetzescorpora Ausdruck findet, denn sowohl für Nomaden wie für Seßhafte ist die strenge Beachtung von Regeln für Landbau s3 , TierhaltungS4 und generatives VerhaltenS5 von kaum geringerer Bedeutung als das Einhalten sozialer Verhaltensnormen, so daß das ,.Gesetz« in seiner ganzen WeisheitS6 den für Israels Leben unabdingbaren ,.Nomos der Erde« (C. Schmitt) bestimmt. Selbst dort - oder besser: gerade dort -, wo dieser Nomos vollständig zerstört zu sein scheint, ist die heilbringende Macht Jahwes nahe, so wenn es unüberbietbar in frühnachexilischer Zeit bei Tritojesaja heißt: ,.So spricht der Herr: Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe, daß es komme, und meine Gerechtigkeit, daß sie offenbart werde« (Jes. 56,1)S7. Freilich ist damit nicht alles gesagt über die Stellung des Alten Testaments zu Macht und Gewalt, und man wird sich hüten müssen, gleichsam einen angenehm begehbaren roten Teppich der übeI:lit;ferung auszulegen, der 82 Vgl. Ebach, a. a. O. (Anm. 19),40-42; sowie G. Liedke, Im Bauch des Fisches, Stuttgart-Berlin 1979 (Lit.); O. H. Steck, Welt und Umwelt. Biblische Konfrontationen, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1978. 83 Vgl. bes. Lev. 25 zum Sabbat- und Erlaßjahr. - Die selten beachtete Bedeutung dieser Tradition für die Verkündigung Jesu (Lk: 4, 1lr-32) hat A. Trocme untersucht: a.a.O. (Anm. 37). . 84 Vgl. den ,.Vegetarismusc von Gen. 1 , 2 9 1 \ 85 Vgl. D. A. Yegerlehner, ,.Be fruitful and multiply, and EIl the ·earth ... c A History of the Interpretation of Genesis 1,28a, Ph. D. Boston University Graduate School, BostonlMass. 1975 (microfilm). 86 Vgl. Ps. 1; Dtn. 4,6 ff. 87 Vgl. z. St. Fr. Ccüsemann, Jahwes Gerechtigkeit im Alten Testament, in: EvTh 36, 1976,427-450 (446 f.). LXX hat in Jes. 56,1 für IIIlW 'll.QLOL;; die Vulgataiudicium. Im Blick auf Jes. 58,2 und Jer. 5,4; 8,7 hat G. v. Rad bemerkt, man übersetze das Wort besser mit ,.Wahrheit« als mit ,.Recht« (a. a. 0., Anm. 25, Bd. 11, 261 m. Anm; 26).
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bruchlos zum Neuen Testament überleitet. Auch das Alte Testament hat seine schon angedeutete fatale Wirkungsgeschichte 8B , und deshalb bleiben manche konkurrierenden Linien unausgeglichen nebeneinander stehen. Freilich finden Macht und Gewalt als solche nie die Hochschätzung im Denken des Alten TestamentsB9, sondern vor allem die Macht und Herrlichkeit Jahwes, während die Repräsentanten irdischer· Macht, besonders im Nordreich, immer Gegenstand militanter Kritik bleiben. Und schließlich wird an den Grenzen des Alten Testaments eine Gestalt göttlicher Gewalt sichtbar, die siegt, ohne zu schlagen und z~ töten: der Gottesknecht bei Deuterojesaja, der selbst geschlagen unsere Strafe trägt, damit wir Frieden haben Ues. 53,5). Hier kommt im Alten Testament die göttliche Gewalt an ihr Ziel90 •
3. Gewalt und Gewaltverzicht im Neuen Testament Wer nach der Besonderheit der Stellung von Christen zu den politischen Verhältnissen dieser Welt fragt, wird gewiß zuerst auf die Aussagen der Bergpredigt verwiesen, und für manchen mag das Eigentümliche des christlichen Glaubens in Jesu Verkündigung des Reiches Gottes liegen, wie es in der Bergpredigt bei Mt. und der Feldrede bei Lk. überliefert ist. Vor allem aber die Seligpreisungen und das sog. ,.Gebot« der Feindesliebe sind-die KrOIizeugen· unter den Texten, die jeder aufschlagen wird, der Auskunft sucht über die Grundlinien christlicher Gewaltbeurteilung. Und selbst dort, wo man überzeugt ist, man könne mit der Bergpredigt nicht die Welt regieren (- aber wer machte sich anheischig, dies zu versuchen? -), zeigt sich das Bewußtsein, daß Jesu Worte von der Feindesliebe und vom Gewaltverzicht zum unabdingbaren Kern aller christlichen Verkündigung gehören. Noch in der Abwehr, auf die die vermeintliche Radikalität des Rufes Jesu in die Nachfolge stößt, erweist sich die verpflichtende Kraft dieser lebendigen Worte. Darum seien dem Folgenden die Worte D. Bonhoeffers vorangestellt: ,.Wenn die Heilige Schrift von der Nachfolge Jesu spricht, so verkündigt sie damit die Befreiung des Menschen von allen Menschensatzungen, von allem, was drückt, was belastet, was Sorge und Gewissensqual macht. In der Nachfolge kommen die Menschen aus dem harten Joch ihrer eigenen Gesetze unter das sanfte Joch Jesu ChPsti. Wird damit dem Ernst der Gebote Jesu Abbruch getan? Nein, vielmehr wird erst dort, wo das ganze Gebot Jesu, der Ruf in die uneingeschränkte Nachfolge bestehen bleibt, die volle Befreiung der Menschen zur Gemeinschaft Jesu möglich. Wer ungeteilt dem Gebote Jesu folgt, wer das Joch Jesu ohne Widerstreben auf sich ruhen läßt, dem wird die Last leicht, die er zu tragen hat, der empfängt in dem sanften Druck 88 S. oben bei Anm. 20-22. 89 Gegen Preuß, a. a. O. (Anm. 22), 130. 90 Vgl. den Hinweis auf Bonhoeffer oben in Anm. 51.
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dieses Joches die Kraft, den rechten Weg ohne Ermatten zu gehen. Das Gebot Jesu ist hart, unmenschlich hart, für den, der sich dagegen wehrt. Jesu Gebot ist sanft und nicht schwer für den, der sich willig darein ergibt. ,Seine Gebote sind nicht. schwer< (1. Joh. 5,3). Das Gebot Jesu hat nichts zu tun mit seelischen Gewaltkuren. Jesus fordert nichts von uns, ohne uns die Kraft zu geben, es auch zu tun. Jesu Gebot will niemals Leben zerstören, sondern Leben erhalten, stärken, heilen... \
Man wird die herausgehobene Stellung der Worte Jesu zu Gewaltverzicht und Feindesliebe schwerlich bestreiten können. Um so verblüffender ist die Tatsache, daß die exegetische und systematische Fachliteratur nicht gerade häufig von diesen Logien ausgeht, wenn es um Fragen christlicher Gewaltbeurteilung gehr. Stichw0rte zu Feind, Feindschaft und Feindesliebe findet man in den repräsentativen Lexika selten), und über ,.Gewalt« wird, abgesehen vom herkömmlichen Thema der Gewaltenteilung, erst seit der einschlägigen EKD-Denkschrift von 1973 ausdrücklich gehandelt - in fast jedem Falle allerdings ohne Berücksichtigung der biblischen Texte4• Angesichts dieses Befundes konzentriere ich mich im folgenden auf die zentralen neutestamentlichen· Aussagen zu Gewaltverzicht und Feindesliebe. Ihnen stelle ich einige· knappe Vorbemerkungen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund einerseits, zur theologischen Verbindlichkeit jener J esus-Worte andererseits voran, die von Mt. im Rahmen der Bergpredigt zusammengestellt worden sind5 • Den weiteren Rahmen der Frage nach dem neutestamentlichenFriedenszeugnis brauche ich hier nicht näher zu erörtern, denn dazu hat es in den letzten zehn Jahren nicht an exegetischen Beiträgen gefehlt, die noch einmal rekapituliert werden müßten'. Als Gegenpol zum unerhörten 1 D. Bonhoeffer, Nachfolge (1937), München 81964, 9 f. 2 Eine umfassende Darstellung der Geschichte der Bergpredigtauslegung ist mir nicht bekannt; vgl. aber die Nachweise bei G. Barth und T. Aukrust, Bergpredigt IIII, in: TRE 5, 1980, 611 ff. Zur Alten Kirche vgl. bes. K. Beyschlag, Zur Geschichte der Bergpredigt in der Alten Kirche, in: ZThK 74, 1977, 291-322 (Lit.). 3 Vgl. immerhin W. Schrage, Art. Bergpredigt, in: Ev. Soziallexikon, 71980, 136-138. . 4 Vgl. H. Siemers, Art. Gewalt, in: Ev. Soziallexikon, 71980, 520-523; R. Herzog, Art: Gewalt, in: Ev. Staatslexikon, 21975,852-854. 5 Ich gehe also von Logien, nicht von der Bergpredigt aus. G. Bornkamm hat vor Jahren im Blick auf die Synoptiker betont, ,.daß jede Erzählung, jedes Gespräch, jedes Wort (Logion) gewissermaßen autark und nicht nur Fragment eines Ganzen, sondern in sich selbst ein Ganzes ist... (Art. Evangelium, formgeschichtlich, in: RGG1II (1958), 751). - Nach Beyschlag ist der Begriff einer ,.Bergpredigt« erst aufgrund von Augustins Werk ,.De sermone Domini in monte, libri duo« von 393/94 (MPL 34, 1229-1308) fixiert worden (a. a. 0., Anm; 2), 295. 6 Vgl. den die einschlägige Literatur diskutierenden Forschungsbericht von K. Geyer, Theologie des Friedens, in: G. Liedke (Hg.), Frieden - Bibel - Kirche, Stuttgart-München 1972, 187-199. Nachzutragen sind: E. Brandenburger, Frieden im Neuen Testament, Gütersloh 1973; P. Hoffmann, ,.Eschatologie« und ,.Friedenshan-
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und mittelbar politisch explosiven Wort von der Feindesliebe soll indes auch, wenngleich kürzer, der Gegenpol des nüchternen politischen Gehorsams zur Sprache kommen7•
3.1. Zur Krise im antiken Judäa
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Auf dem oben im Blick auf das Alte Testament skizzierten Traditionshintergrund steht auch das Friedenszeugnis des Neuen Testaments - aber in einer zutiefst verwandelten Weh. Alexander der Große hatte mit seinen Kriegszügen und seiner Weltreichs gründung die Strukturen der Mittelmeerweh und vor allem des Ostens von .Grund auf umgewälzt, und Syrien/Palästina wurden im Streit zwischen den Diadochenreichen der Ptolemäer· und Seleukiden wiederholt Kriegsschauplatz, erlebten aber auch im 3. Jh. v. ehr. eine lange Friedenszeit·. Hellenistische Verwaltung und Wirtschaft durchdrangen das abhängige Palästina, so daß M. Hengel zusammenfassend feststellt: ,.In Palästina selbst kam das ganze Land bis hin zum letzten Weiler in enge Kontakte mit den neuen Herren, seien es nun Soldaten, Beamte, Kaufleute oder Grundbesitzer.«' Diese ,.ökumenische« Zivilisation war der Boden. der ,.politischen Religion .. der Antike, seit der Priester dem Alexander bei seinem Besuch beim Ammonsorakel in der Oase Siwa zuflüsterte, er sei ,.der Sohn des Zeus« 10. Seither konnte die Organisation der politischen Gewalten: in den hellenistischen Nachfolgereichen nicht mehr im Bereich der Städte· auf der sozio-kulturellen Basis der Idee der Polis erfolgen, für deren Realisierbarkeit nicht zuletzt ein optimales Größenmaß eine Grundbedingung darstellteIl , dein .. in der Jesusüberlieferung, in G. Liedke (Hg.), Eschatologie und Frieden, Band 11, Heidelberg 1978, 179-223; U. Luz, Eschatologie und Friedenshandeln bei Paulus, ebd., 225-281 P. Hoffmann I V. Eid, Jesus von Nazareth und eine christliche Mo~al, Freiburg-Basel-Wien 1975, passim. - Nicht ·zugänglich war mir die neuere Arbeit von A. M. Woodruff, EIPHNH in the Pauline Corpus, Ph. D. University of Pittsburgh 1976. 7 Als überblicke vgl. auch P. Trummer, Gewalt und Gewaltlosigkeit. Die Zeugnisse der Schrift und der Urkirche, in: Wort und Wahrheit 26,1971,504-517; J. Ebach, Das Erbe der Gewalt, Gütersloh 1980, 57-69; A. Strobel, Macht und Gewalt in der Botschaft des Neuen Testaments, in: H. Greifenstein .(Hg.), Macht und Gewalt. Leitlinien lutherischer Theologie zur politischen Ethik heute, .. Hamburg 1978, 71-112. 8 Vgl. neben den neutestamentlichen Zeitgeschichtenbes. M. Hengel, Judentum und Hellenismus, Tübingen 21973, Kap. I. 9 Ebd., 106. - Hengels Darstellung läßt die Analogie zum kolonialen Imperialismus der Neuzeit höchst plausibel erscheinen. 10 Diodor 17,51, nach M. Hengel, Christus und die Macht, Stungart 1974, 10. Zur Universalmonarchie Alexanders vgl. auch A. A. T. Ehrhardt, Politische Metaphysik von Solon bis Augustin, Bd. I,Tübingen 1959, 175 H. 11 Vgl. Platon, Nomoi V, 736c-738e; Aristoteles, Pol. VII/4, 1326a8-b25.
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denn ,.die Diadochenkönige waren absolutistische Monarchen, die keine Legitimation besaßen außer der Gunst ihres )Glücks<, ihrer )Tyche<, d. h. dem Erfolg ihrer Waffen und ihrer Staatskunst«12. Auch wenn die politische Fremdherrschaft in Palästina, die im Jahre 200 von den Ptolemäern an den Seleukiden Antiochus III. überging, noch einmal von etwa 70 Jahren politischer Unabhängigkeit unter der Führung der hasmonäischen Hohepriesterfamilie unterbrochen war, bevor die Weltmacht Rom im Jahre 63 v. ehr. den jüdischen Staat zerschlug und teilweise die Freiheiten der griechischen Städte in Palästina, die überwiegend ihre Gründung dem Alexander-Zug verdankten, wiederherstellte, so. wurden doch die grundlegenden Verwaltungs- und Finanzstrukturen der hellenistischen Zivilisation beibehalten oder erneuen. Nicht nur gegen die Fremdherrschaft, sondern auch gegen die eigene Oberschicht, deren Lebensstil ,.sich kaum von den anderen hellenisierten orientalischen Monarchien« unterschied lJ , gab es freilich stets die äußerst militante religiöse Opposition, welche gegen politische und kulturelle Unterwerfung mit allen Mitteln kämpfte. Die Besinnung auf die eigenen überlieferungen läßt die Vorstellungen vom endzeitlichen Jahwekrieg, in dem alle Feinde überwunden werden, unmittelbar aktuell werden. Besonders die Kriegsrolle von Qumran nimmt das apokalyptische Motiv des Heiligen Krieges als eines von Jahwe selbst gefühnen letzten Entscheidungskamp{es zwischen den Söhnen des Lichtes und den Söhnen der Finsternis in neutestamentlicher Zeit14 auf und »verschmilzt die Apokalyptik eng mit einer Ideologie des revolutionären Freiheitskampfes«1S. Daß Lüge und Gewalt überhandnehmen, ist für den Apokalyptiker sicheres Zeichen des unmittelbar bevorstehenden Endes der Weltzeit, dessen Anbruch er als »vehementer Aktivist«1' herbeifühn, während die Entscheidungsschlacht von Jahwe selbst gefühn werden muß. . 12 M. Hengel, Gewalt und Gewaltlosigkeit. Zur "politischen Theologie« in neutestamentlicher Zeit, Stungart 1971, 12. 13. Ebd., 23. 14 Die Wirkung Qumranueicht unmittelbar bis in djeSchriften des NT; vgl. H. Braun, Qumran und das Neue Testament, Tübingen 1966, bes. Bd. 1,201 ff. 15 Hengel, a. a. O. (Anm. 12), 18; zur Traditionsgeschichte der Apokalyptik vgl. P. von der Osten-Sacken, Die Apokalyptik in ihrem.verhältnis zu Prophetie und Weisheit (ThEx 157), München 1969; P. Lampe, Die Apokalyptiker - ihre Situation und ihr Handeln, in: Liedke, Eschatologie und Frieden, 11, fl. a. O. (Anm. 6), 61-125. Lampe hält die Ganung der apokalyptischen Schriften für analog der modernen "S~dat« Literatur: Untergrundliteratur (66 H.). 16 Lampe, ebd., 87. - Im Danielbuch (ca.. 165 v. ehr., kurz nach Beginn des Makkabäeraufstandes) wird demgegenüber nicht. religiös-revolutionäre Gewalt, sondern "allein die Bewährung durch das Leiden« gepredigt (Hengel, a. a. O. [Anm. 12], 19). Vgl. auch O. Plöger, Theokratie und Eschatologie, Neukirchen 21962,19-36.
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Hier finden sich erneut jene alttestamentlichen Motive, die Jahwes alleinige Geschichtsmächtigkeit betonen. Ihre Auswirkungen scheinen freilich ambi':' valent zu sein, denn sie können ebenso zu politischer Abstinenz wie Militanz führen. Dabei muß man auch die gesellschaftlichen Entwicklungen betrachten, auf deren Hintergrund gewisse religiöse Traditionen virulent werdc:n und zu bestimmtem politischen und wirtschaftlichen Handeln Anlaß geben. H. G. Kippenbergl7 hat jüngst in diesem Zusammenhang zu zeigen versucht, wie im nachexilischen judäischen Staat besonders die von" Nehemia angestrengte Reform18 dazu diente, eine städtische Zivilisation vom griechischen Typ abzuwehren zugunsten der Interessen von freien Bauern und Tempelangehörigen auf dem Hintergrund der Agrarkrise des 5. Jh. Nehemia beklagt in seiner Denkschrift vor allem die Notwendigkeit, Kinder und dinglichen Besitz verpfänden oder sogar Söhne und Töchter in Schuldsklaverei geben zu müssen. Im Widerstand gegen diese Formen der Abhängigkeit und die Institution des Pfandes als eines grundlegenden GewaltverhältnissesI' bildete sich nach Kippenberg in der Koalition von Bauern und Tempelangehörigen jener Traditionskomplex heraus, der u. a. das göttliche Landeigentum und die Institution des Yobel-Jahres betonte2o • Diese Tradition schädt die der Sippenordnung eigentümliche Solidarität ein, deren Unverbrüchlichkeit dem Schutzdet Armen und der Abwehr aristokratischer Grundherrschaften dient. Dennoch förderte die persische Zentralmacht, als deren Gouverneur Nehemia handelte, zugleich eine wachsende soziale Differenzierung, die nicht zuletzt bedingt war durch Erweiterung der Geldzirkulation und den Verkauf eines Mehrproduktes 21 • Diese Tendenzen wurden in der Folgezeit durch neuartige, griechisch und römisch geprägte Formen der Staatspacht und des Privateigentums verstärkt, die zu einer zunehmenden,. Unterwedung der - in persischer und makkabäischer Zeit sich noch edolgreich verteidigenden freien Bauernschaft unter das System der Aneignung von Surplus«n ~hr ten. 17 Religion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher" Entwicklung, Göttingen 1978; zum folgenden bes. 54-77. " 18 Vgl. G. v. Rad, Die Nehemia-Denkschrift, in: ZAW 76,1964,176-187. 19 Vgl. schon die vorexilische Kritik bei Micha 2,1 f.: "Wehe denen, die Gewalttat sinnen auf ihrem Lager und sie ausführen, wenn es Tag wird. Denn es steht ja"in ihrer Gewalt! Sie begehren Felder - und nehmen sie als Pfand. Sie üben Gewalt an Mann, Haus und Bodenanteil... Nach der übersetzung bei Kippenberg, a. a. o. (Aruri. 17), 58. 20 Vgl. Lev. 25 sowie dazu die knappen Hinweise bei H.-J. Hermisson, Art. Halljahr, in: Ev. Soziallexikon 71980, 564 f. 21 Kippenberg, a. a. o. (Anm. 17), 77. 22 Ebd., 154.
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Die Opposition dagegen formierte sich vor allem in religiösen Kreisen wie den Qumran-Essenern, deren Radikalisierung der alttestamentlichen Gebote nicht nur auf die Erneuerung des Jahwe-Bundes zielt, sondern zugleich damit den Widerstand gegen die neu entstandenen Klassengegensätze legitimiert2l . Große Kreise der religiösen Opposition in Israel lebten aus dem Geist dieser »Theologie der Revolution«, die vor allem das Verhalten der Freiheitsbewegung der Zeloten24 bestimmte, für die Hengel folgende Merkmale nenn~s: (1) tbeozentrisch begründete Ablehnung des Herrscher- bzw. Kaiser-Kultes (1. Gebot!); (2) Verweigerung der Steuerzahlung als Abfall vo~ Gott (vgl. Mk. 12,13 ff. parr.); (3) aktivrevolutionäre Herbeiführung der endzeitlichen Gottesherrschaft durch einen als ,.Guerilla« geführten ,.Heiligen Krieg«; (4) Agitation für einen allgemeinen Volks aufstand gegen Rom26 ;(5) sozialrevolutionäre Forderungen (Aufhebung von Zinsknechtschaft, Großgrundbesitz, Sklaverei2~. Und schließlich (6) verbanden sich diese Auffass~ngen mit einem glühenden Messianismus, welcher einen kriegerischen, endzeitlichen König aus dem Geschlecht Davids erwartete. ,.In diesen dunklen Kontext«, so aktualisiert Hengel die historische Lage, ,.der für die Juden in Palästina .sicher nicht weniger verzweifelt war als alle modernen Unterdrückungssituationen in Lateinamerika oder sonst irgendwo in der Welt, muß J esu Botschaft und Wirken >eingezeichnet. werden, wenn wir sie heute richtig verstehen wollen.c 2'
3.2. Gewalwerzicht und Feindesliebe im Neuen Testament .Ihr habt gehön, daß gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstehen sollt dem übel; sondern wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin .. (Mt. 5,38 f.).
23 Ebd., 156-172. 24 Vgl. M. Hengel, Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit Herodes I. bis 70 n. Chr., Leiden-Köln 1961; S. G. F. Brandon, Jesus and the Zealots. A Study of the Political Factor in Primitve Christianity, Manchester 1967; H. W. Kuhn, Jesus als Gekreuzigter in der frühchristlichen Verkündigung bis zur Mitte des 2. Jai3rhundens, in: ZThK 72, 1975, 1-46 (bes. 3-11). 25 A. a. O. (Anm. 12), 29 f. 26 Für die Römer und ihre jüdischen Verbündeten waren die zelotischen Freiheitskämpfer nicht reguläre Feinde (hostes), sondern Räuber und Mörder (latrones, sicarii); so Hengel, ebd., 30. 27 Vgl. die alttestamentlichen Bestimmungen zum Yobeljai3r Lev. 25; Dtn. 15,1 H.; 31,10 f.; zur Sklavenbefreiung Ex. 21,2-11; Dm. 15,12-18. - Vgl. zum Erlaß- bzw. Yobel-Jahr A. Troerne, Jesus and the Nonviole~lt Revolution, ScottdaielPenns. 1973, 42 H.; auch J. H. Yoder, The Politics of Jesus. Vicit Agnus Noster, Grand Rapids/ Mich. (1972) ]1975, 64 H. (eine deutsche übersetzung erschien in Maxdorf 1981). 28 A. a. O. (Anm. 12), 38.
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Mit diesem J esus-Wort ist eine neue Kraft in die Welt von Macht und Gewalt hereingebrochen. Es ist nicht die Schwäche des Ressentiments, die F. Nietzsche hier sehen zu müssen meinte29, sondern eine verhaltene überlegenheit, die jenseits der Alternative von Selbstbehauptung und Unterwürfigkeit, doch nicht oberhalb der Parteien ihren Ort hat. Zugleich führt dieses Wort über die letztlich nicht aufgehobenen Ambivalenzen alttestamentlicher Gewaltbeurteilung hinaus, denn hier wird nicht mehr der überlegene Zorn Gottes auf'die Feinde herabgerufen (vgl. Ez. 21 oder Jer. 25). Im Erbarmen über die Feinde erweist sich Gottes Vollkommenheit als letzter Orientierungs- und Fluchtpunkt auch des menschlichen Verhaltens: ,.Darum sollt ihr vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist« (Mt. 5,48). Trotz des klaren Wortlauts begegnet jedoch in der Auslegung dieser Jesus-Worte zumeist eine große Zurückhaltung. Die gängige theologische Formulierung dieses Sachverhaltes lautet, man müsse sich bei der Auslegung von Mt. 5,38-48 vor »gesetzlichen« Mißverständnissen hüten. Ich will diese Warnung ernst nehmen und darum zunächst einige hermeneutische Vorfragen behandeln, bevor ich zum Inhalt jener Jesus-Worte übergehe. 3.2.1~
Zur Autorität von Jesus-Logien
Ein unvermittelter Rückgang auf die Logien vom Gewaltverzicht und von der Feindesliebe, so eindeutig und einleuchtend ihr Wortlaut, Verständnis und Anspruch sein mögen, stößt immer wieder auf eigentümliche Hemmungen. Fast habe ich den Eindruck, als sei ein nicht geringer Teil der Ausleger überwiegend damit beschäftigt, mit einem großen Aufwand exegetischen Scharfsinns sich die unmittelbar überführende Macht, die aus diesen Worten spricht, vom Leibe zu haltenJo. Die Grundbewegung dieser Distanzierung bilden die exegetische Unterscheidung zwischen ,.echt« und »unecht« und zwischen den verschiedenen Graden der Anciennität der überlieferung einerseits, die dogmatische Unterscheidung am Leitfaden des Topos von ,.Gesetz und Evangelium« andererseits. Am Ziel konvergieren beide Bewegungen oft: die Radikalität der Bergpredigt wir~ so entschärft. Dabei ist eS mehr als eine Frage des unterschiedlichen Stils in den Darstellungsformen der theologischen Disziplinen, wenn Exegeten um der Wahrhaftigkeit der historischen Kritik willen zögern, Logien wie die vom Gewaltverzi<;ht oder von 29 Zur Genealogie der Moral I, 7 ff. (Sämtl. Werke, ed. Colli/Montinari"5, 266 ff.). 30 Dies ist freilich das Gegenteil einer _Hermeneutik des Einverständnisses«, wie sie Stuhlmacher beabsichtigt, und die - ,.nachkritisch" - der Annahme folgt, in den Wonen wirklich "das Won« zu finden; vgl. P. Stuhlmacher, Historische Kritik und theologische Schriftauslegung, in: ders., Schriftauslegung auf dem Wege zur biblischen Theologie, Göttingen 1975, 59-127 (120). Vgl. hierzu näher oben S. 23 ff.
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der Feindesliebe als authentische Jesus-Worte auszulegen)!, während Dogmatiker bzw. Ethiker bisweilen ganz unbefangen von Jesus als dem Urheber und der Autorität dieser Worte sprechen. Jedenfalls D. Bonhoeffer2 und - im Anschluß an diesen - K. Barthll haben die Bergpredigt durch und durch pneumatisch-affirmativ ausgelegt, d. h. in der Erwartung, daß aus der unerhörten Radikalität des Textes der Geist Jesu Christi selbst spricht und den Hörer zum Gehorsam führt: ,.Es geht immer um das Halten des Gebotes und gegen das Ausweichen. .,l4 Und völlig gleichsinnig und, in engem Anschluß an Bonhoeffer betont auch Barth, daß der Ruf in die Nachfolge einen Bruch bedeutet: ,.Das Reich Gottes offenbart sich ja in diesem Ruf: inmitten aller Reiche dieser Welt ihnen allen gegenüber, ihnen allen widersprechend und widerstehend, die in der Existenz des Menschen Jesus schon proklamiene1 ja schon vollzogene Revolution Gottes. Ihrer Offenbarung hat der Mensch, den Jesus zu sich ruft, standzuhalten, mehr noch: ihr hat er mit seinem Tun und Lassen zu, entsprechen.«35
Die bemerkenswerte Hemmung der meisten Exegeten gegenüber einer derart affirmativen Auslegung erweist sich bei näherem Zusehen teils als Folge des ,.neueren" Streites um den historischen Jesus l6 , teils aber auch als Konsequenz eines zwar exegetisch begrüridbaren, aber eigentlich dogmatischen 31 Vg!. zur neuen Frage nach dem .. historischen Jesus« N. Perrin, Was lehne Jesus wirklich? (eng!. 1967), Göttingen 1972; E. Käsemann, Die neue Jesus-Frage; D. Lührmann, Die Frage nach Kriterien für ursprüngliche Jesuswone - eine Problemskizze, beide Aufsätze in: J. Dupont (Hg.), Jesus aux origines de la christologie (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium XL), Leuven 1975, -47-57 bzw. 59-n; E. Grässer, Motive und Methoden der neueren Jesusliteratur, in: VuF 1812, 1973, 3-45; G. Strecker (Hg.), Jesus Christus in Historie und Theologie (FS H. Conzelmann), Tübingen 1975. 32 Nachfolge (1937), München 81~M. Ober die Entstehungsgeschichte und die ursprüngliche Abzweckung des Buches unterrichtet E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer, München 31967, 515-527. Nach Bethge hat Bonhoeffer in einer unveröffentlichten Nachschrift notien: "Die Bergpredigt ist kein Won, mit dem man hantieren könnte;' hier geht es nicht, da geht es nicht, don gibt es Konflikte. Dieses Won ist tragfähig nur, wo gehorcht wird. Dieses Won ist nicht da zu unserer freien Verwertung, zum Mitnehmen und Bedenken! Es ist zwingendes, herrschendes Won« (516). ' 33 Vgl. KD NI2 (§ 66,3), 603 ff.: Der Ruf in die Nachfolge. Zu Bonhoeffers Schrift stellt Barth fest, "daß ich wohl versucht sein könnte, sie hier einfach als großes Zitat einzurücken, weil ich wirklich nicht der Meinung bin, etwas Besseres dazu sagen zu können«, ebd., 60-4, 11 ff. - Vg!. ferner KD IV/2 (§ M,3), 199, 11 ff. (Feindesliebe); IV/3 (§ 71,3),615 ff. 3-4 Bonhoeffer, Brief an E. Sutz vom 28. -4. 193-4, in: Gesammelte Schriften I, München 1958, -41. 35 ' KD N12, 61-4, 32 ff. 36 Vg!. E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. I, Göttingen 419M, 187-21-4.
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Argumente;, dl\s besagt, es sei »gesetzlich«, unmittelbare Geltung für Jesus-Wortein der Gegenwart in Anspruch nehmen zu wollen. Beide überlegungen stützen sich gegenseitig: wenn die Verkündigung Jesu lediglich zu den Voraus~etzungen der Theologie ,des Neuen Testaments gehört, aber nicht ein .Teil dieser selbst is~7,. dann können auch kaum einzelne J esus-Worte als gültige Kundgaben des göttlichen Willens betrachtet werden, und sei ihre Authentizität, d. h. die Möglichkeit, sie dem »historischen Jesus« zuzuschreiben, noch so groß. Vielmehr wird der ,.historische Jesus« als ,.eine austauschbare Größe« angesehen, unter Berufung auf·den ,.schlechterdings alles behauptet werden« können S01138, und um dieser Gefahr eines vermeintlich beliebig maIJipulierbaren Jesusbildes 39 zu entgehen, wird dann schlechterdings.gar nichts mehr außer den Abbreviaturen von Kreuz und Auferstehung zu behaupten gewagt, als sei die Frage nach der sachlichen übereinstim..; mung zwischen ,.Jesu Wort und Jesus als Wort Gottes«40 mit der Behauptung einer unüberwindlichen Differenz besser beantwortet als mit der Behauptung einer vollständigen Identität. Indes krankt diese scheinbar glatte Alternative an einer unausgewiesenen Vorentscheidung, die in der Annahme besteht, daß die »Authentizität« von Jesus-Worten zum unterscheidenden Merkmal erhoben werden könnte, so daß ihr Nachweis gegebenenfalls zum guten Gewissen eines mehr oder weniger autoritären Biblizismus verhilft oder aber die Unmöglichkeit dieses Nachweises erlaubt, den Gehorsam gegenüber derartigen Worten zu ermäßigen. Der Rekurs auf den ,.historischen Jesus« 37 So bekanntlich der programmatische erste Satz bei R. Bultmann,. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 51965,1. Auch H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 1967, geht davon aus, ,.daß der >historische Jesus< kein Thema der neutestamentlichen Theologie ist« (16). Einen überblick des Diskussionsstandes geben A. Lindemann, Jesus in der Theologie des Neuen Testaments,· in: Strecker, a. a. O. (Anm. 31),27-57, P. Stuhlmacher, Jesus als Versöhner. überlegun" gen zum Problem der Darstellung Jesu im Rahmen einer Biblischen Theologie des Neuen Testaments, ebd., 87-104, und H. Thyen, Der irdische Jesus und die Kirche; ebd., 127-141. 38 Lindemann, ebd., 56. 39 Lindemann, 27 f. Auch Hengd, a. a. O. (Anm. 12}, läßt "die überwindung der Gewalt in der Botschaft Jesu« (38-46), die in so mannigfacher Konkretion bezeugt ist, schließlich reduziert sein auf eine Abstraktion, wenn er sagt: "Im Grunde geht es ... heute um den alten Kampf zwischen Gesetz und Evangelium, um die Selbstrechdertigung des Menschen« (46, Hvhbg. im Orig.); Wird hier nicht die Wahrheit der. Bergpredigt von der Richtigkeit eines paulinisch-dogmatischen Topos überformt? . ' 40 So der Titel des Aufsatzes von E. Jüngel (zuerst 1966 in der FS K. Barth), in: ders.; Unterwegs zur Sache, München 1972, 126-144. Vgl. zur Einheit von Wortund--Tat; Verkündigung und Geschick Jesu K. Barth, KD IV/2 (§ 64,3), 215 f., mit dem Hinweis auf das vollständige Desinteresse der Urgemeinde an c\.em modemen Problem der ipsissima verba (216,10 ff.). Vgl. auch E. Jüngel, Paulus und Jesus, Tübingen 41972;: bes.71-86.
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nach Maßgabe bestimmter Methoden und Kriterien41 verbürgt aber, ganz unabhängig von den scheinbar sich ausschließenden Resultaten, noch keineswegs die "Authentizität~ von Person und Werk Jesu Christi, sondern zunächst nur die Authentizität der Methode, denn die l"rage nach einer Echtheit von Jesus-Wonen, die durch eine intersubjektiv verbindlic~e Methode erwiesen werden soll, statuiert zunächst nur den Primat dieser Methode, deren Grundoperation, die Echtheitsbestimmung, einer spezifisch neuzeitlichen Bewußtseinsstellung entstammt42 . Als "echt« erweisen sich dann jedoch nur Fragmente, und es ist. zu fragen, warum die biblischen Tradenten gleichwohl so unbekümmert um die Echtheitsfrage43 eine solche Fülle von Worten und Taten des "irdischen« Jesus ~s Worte und Taten des Gekreuzigten und Erhöhten überliefert haben~ ohne methodisch ein für allemal zu fixieren, was darunter zu befassen ist. Zudem ist daran zu erinnern, daß auch der Rückgang aufs Kerygma oder die ,.ältesten Formulierungen des Credo«44 stets nur auf Auslegungen stäßt45, deren Anciennität obendrein nicht so unumstößlich ist, daß sie gleichsam den Kanon im Kanon abgeben könnten46 • Diese Diskussionslage, die wegen der unüberbietbaren Relevanz des Verständnisses der Bergpredigt für die Stellung der Christenheit zur Gewalt kurz 41 Wenn man die umlaufenden Vorschläge (vgl. die in Anm. 31 und 37 sowie bei S. Schulz, Der historische Jesus, in: Strecker, a. a. 0., Anm. 31, 3-25, bes. 5 ff.) für derartige Kriterien zusammenzuf~~n versucht, so lassen sie sich als solche der Anciennität, DifferenzlNovitätlKontingenz,..Konsistenz und Konsequenz charakterisieren (vgl. auch D. G. A. Calvert, An Examinationof the Criteria for Distinguishing the Authentie Words of Jesus, in: NTS 18,"1971/72, 209-219). Sieht man einmal vom Anciennitätskriterium ab, das erstens schwer handhabbar und zweitens angesichts einer UberliefeNngsgeschichte fragwürdig ist, dann bleiben vor allem die Kriterien der Differenz und Konsequenz. Ein Seitenblick auf die Behandlung moderner Informationstheorie kann aber lehren, daß man damit nicht die Besonderheit Jesu Christi, sondern zunächst nur die Allgemeinheit der Struktur von Ip{ormation als Einheit von Erstmaligkeit u~4 Bestätigung zu Gesicht bekommt; vgl. zu diesem Informationsbe.griff E. v. Weizsäcker, Erstmaligkeit und Bestätigung als Komponenten der pragmatischen Information, in: ders. (Hg.), Offene Systeme I, Stuttgart 1974, 82-:-113. 42 Die Frage nach den ispissima verba (von denen, .wie Lührmann, a. a. 0., Anm. 31,65, richtig bemerkt" bei Joachim Jeremias die ipsissima vox zu unterscheiden ist) gründet in derselben AufkläNngsphilosophie, die den neuzeiilicl;ten "Tatsachen..begriff zur Basis der empirischen Wissenschaften werden ließ; vgl. dazuR. Staats, Der HintergNDd des Begriffes »Tatsache .., in: ZThK 70, 1973,316-345. 43 Vgl. die.in Anm. 40 erwähnte Passage in KD IV/2, 216 ff. 44 Conzelmann, a. a. O. (Anm. 37), 13. 45 Thyen, a. a. O. (Anm. 37), 132. 46 Vgl. Lührmann, a. a. O. (Anm. 31), 66, unter Berufung auf H. v. Campenhausen, Taufen auf den Namen Jesu?, in: VigChr 25, 1971, 1-16; ders., Das Bekenntnis im Christentum, in: ZNW 63,1972,210-253.
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zu skizzieren unvermeidlich war, hafinverschiedenen neuerenArbeiten dazu veranlaßt, die Frage nach dem sachlichen Zusammenhang der Verkündigung Jesu und des verkündigten: Jesus neu zustellen, wohei dogmatische (Barth, Bonhoeffer, Jüngel) und' exegetische (Hoffmann,' Lohse, Lührmann, Stuhlmacher, Thyen) Einsichten und überzeugungen konvergieren. Besonders Lührmann hat, ausgehend von seinen Studien zur Logienquelle47, herau~zu arbeiten versucht; 'daß ,.der Anfang der überlieferung der Worte Jes\f vor Ostern in der Verkündigung fesu« selbst liegt: ,.Diese überlieferung wird dann aber zur Verkündigung von Jesus als dem, der in seiner Ve'rkündigung Heil vermittelt hat. Daraus läßt sich als zweite methodische Konsequenz folgern, daß in der überlieferung dieser Schritt erkeriribar ist: der Schritt von Jesus, der in dle Nachfolge ruft, zu der Gemeinde, die sich auf Jesus beruft.«48 Es geht also um eine ,.Konvergenz von Kerygma und historischer Rekonstruktion« 4', deren willkürliche Feststellung zu verhindern freilich Aufgabe der historischen Kritik ist50• Nicht geht es dann darum, ,.echte« Jesus-Worte herauszupräparieren, sondern im breiten Strome der überlieferung die Stellung Jesu zu den je tradierten Fragen methodisch kontrolliert und glaubwürdig zu berichten, und zwar so, daß zugleich deutlich wird, worin für die frühen Tradenten und ihteNachfolger dasjenige lag, was ihren Glauben und ihren Gehorsam und damit ihre Tätigkeit des überlieferns begründete und vorwärtstrieb. Als diesen Grund oder Ursprung des Glaubens darf man jedoch nicht einfach einen zeitlichen Anfang suchen, auf den durch Abtragen von überlieferungsgeschichten' kontinuierlich zurückzugehen wäre, sondern mim muß nach einem Anfang in der Zeit fragen, von dem her der zeitliche Anfang allererst 'erschlossen wird.' Iin Ans~hluß an B.arth dogmatisch formuliert, ist dieser Anfang nicht in der Zeit, s,ondern schafft Zei~l. Insofern ist die Frage nach dem irdischen Jesus keine historische, 47 Die Redaktion der Logienquelle, Neukirchen 1969.' 48 Lührmann, a. a. O. (Anm. 31), 68. Stuhlmacher stellt u. a. die Symbolhandlung der Tischgemeinschaft Jesu als Inbegriff des Friedens Gottes mit den Menschen heraus, welche das irdische Wirken Jesuund 'die endzeitliche Gottesherrschaft zur Einheit " verbindet; a. a, O~ (Anm. 37), 95-97. 49 Stuhlinacher, ebd., 98. Ganz ähnlich setzt bekanntlich an G. 'Bomkamm, Jesus von Nazareth, Stilttgart (1956) ~1963, 5. 15. 18 u. Ö. 50 Thyen, a. a. O. (Anm. 37), 133, unter Berufung auf R. Koselleck, Ereignis und Struktur, in: R. Koselleck / W.-D. Stempel (Hg.), Geschichte ~ Ereignis und Erzählung (Poetik und Hermeneutik V), München 1973, 560-571 (567). Auch Thyen (a. a. 0., Anm. 37, 133 m. Anm. 18) beruft sich auf diese These. 51 Vgl. KD 1/2 (§ 14), 50 ff.: Die Zeit der Offenbarung. Eine systematische Interpretation des Barthschen Zeitverständnisses (vgl. die §§ 14,31,47,56; 62 und 73 der KD) liegt m. W. bislang nicht vor; vgl. aber die Hinweise bei Jüngel, a. a. O.(Anm. 40), 134--140.
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sondern eine sachliche Frage, auf die der Ausleger, der sich zur Vermeidung von Willkür ausschließlich an ,. Verkündigung, Verhalten und Geschick Jesu"S2 verwiesen sieht, eine für seine Gegenwart glaubwürdige Antwort geben muß - die alte Schlatter-Frage ist damit stets neu gestellt: Kennen wir Jesus?S3 Erkenntnis aber impliziert hier Gehorsam, und Lehre und Leben sind in Jesu Person und Werk, mit denen er 'in die Nachfolge ruftS., untrennba~s: ,.Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.,,56 3.2.2. Das Ende der Gewalt
Der Gehorsam, zu dem Jesu Wort in die Nachfolge ruft; ist nun freilich ~i~h~ ein inhaltlich unbestimmtes FaktumS7, sondern erWeist sich gerade in, der überlieferung und Formulierung als in sich differenziert, historisch in anschauliche Bezüge eingeordnet und somit durchaus konkret in Aussage und AnspruciI., Die neueren überlieferungsgeschichtlich orientierten Auslegungen der Jesus-Worte über Gewaltverzicht und Feindesliebe von D. LührmannsB , L. SchottroffS9 und G. Theißen 60 h,aben daher nicht nur das ,.Daß" der Liebe in der Nachfolge, sondern vor aiIem ihre in die überlieferte
52 Thyen, ebd., 138. 53 Vgl. E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, Tübingen 1968, 35. 54 Statt von Gesetz, Gebot, Ordnung oder dergleichen spricht K. Barth gern von ,.Gottes Weisung«, "Mahnung« oder auch »Wink~, um das Wirken der potestas sacra zu bezeichnen: .Es geht um das leise, nicht laute - milde, nicht harte - vertrauliche, nicht fremde Aufwecken der Kinder im Vaterhaus zum Leben in diesem Hause. So übt Gott Gewalt .. (KD IV/1 [§ 58,2], 108, 8 H.). 55 Vgl. M. Hengel, Nachfolge und Charisma (BZNW 34), Berlin 1968, 90; vgl. auch Bornkamm, a. a. O. (Anm. 49), 50-57. , ' , 56 Bonhoeffer, a. a. O. (Anm. 32), 35. 57 Gegen Bultmann, Theologie (Anm. 37), 18: .Der Verzicht auf jegliche Konkretisierung des Liebesgebotes durch einzelne Vorschriften zeigt, daß Jesu Verkündigung des Willens Gottes keine Ethik der Weltgestaltung ist... Die Einheit von eschatologischer und sittlicher Verkündigung Jesu lokalisiert Bultmann bekanntlich in der kontingenten »Begegnung mit dem Nächsten .. (19 u. ö.). Aber von diesem Okkasionalismus (»Augenblick .. !) ist in der Bergpredigt nicht die Rede. Dagegen harH~ E. Tödt zurecht betont, daß das NT »ethische Weisungen in viel- größerer Nähe' zu den konkreten Weltverhältnissen.. entwickelt: Rudolf Bul~mann, Ethik der Existenztheologie, Gütersloh 1978, 92. 58 Liebet eure Feinde (Lk. 6,27-36/Mt. 5,39-48), in: ZThK 69,1972, 412-438. 59 Gewaltverzicht und Feindesliebe in der urchristlichen Jesustradition, in: Strecker, a. a. o. (Anm. 31), 197-221. 60 Gewaltverzicht und Feindesliebe (Mt; 5,38-48/Lk. 6,27-38) und deren sozialgeschichtlicher Hintergrund, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1979, 160-197. '
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Sittlichkeit tief eingreifenden, konkreten Bestimmungen scharf profiliert61 . Diese erschließen sich am deutlichsten, wenn man der überlieferungsgeschichte dieser Jesus-Worte nachgeht. Vor allem D. Lührmann hat den allmählichen ,. übergang von J esu Verkündigung in die Verkündigung von Jesus«, der nicht allein mit »Ostern« bestimmt werden kann62 , eingehend untersucht. Danach hat Jesus das alttestamentliche Gebot der Nächstenliebe, wie es Lev. 19,18 überliefert ist (und dort mit dem Verbot von Rache und Zorn verbunden ist!), derart radikalisiert, daß dieses »Gebot« nun keine Eingrenzung mehr zuläßt, denn »die Verheißung der Gottessohnschaft des Gerechten, die diesem Wort angefügt ist, sprengt die Maßstäbe der Gerechtigkeit: Gott selbst kennt keine Grenzen«61. Die Wahrheit dieser überbietung des alttestamentlichen Gebotes ist den Jüngern, Begleitern und Hörern am Verhalten und den Worten dessen aufgegangen, der so sprechend unter sie getreten war, denn in Jesu vergebender Zuwendung zu denen, die als »Sünder« galten, war das Gebot ja schon erfüllt. Die Gemeinde hat dieses Gebot wiederholt und seiner jesuanischen Radikalität entsprechend mit dem Gebet für die Widersacher konkretisiert. In der Logienquelle (Q) finden wir dann diese zweigliedrige Aufforderung zur Feindesliebe und zum Gebet für die Widersacher in genauem Parallelismus membrorum überliefert64, nunmehr im Anschluß an die Seligpreisungen und kulminierend in der »Goldenen Regel«6s. Lukas hat die Goldene Regel in das Zentrum des gesamten Abschnittes 6,27-35 gerückt, an dessen Anfang und Ende in die Feindesliebe eingewiesen wird; aufgrund der erschließbaren Gründe der matthäischen Redaktion kann man annehmen, daß sich darin der Aufbau von Q erhalten hat. Diese Komposition umfaßt fünf Abschnitte66 : (1) 6,27 f. fordert in gegenüber Mt. 5,44 erweiterter Form zur Feindesliebe auf; (2) 6,29 f. beschreibt das gebotene Verhalten gegenüber Gewalttätigkeit, Betteln und Borgen, dem Mt. noch 5,41 hinzugefügt hat; (3) 6,31 stellt, wohl wie schon Q, die Goldene Regel in die Mitte der ganzen Einheit (bei Mt. erst in 7,12); 61 Vgl. auch Hoffmann, »Eschatologie« (Anm. 6), bes. 197 ff.; sowie jüngst J. Becker, Feindesliebe - Nächstenliebe - Bruderliebe, in: ZEE 25,1981,5-17. 62 A. a. O. (Anm. 58), 436. 63 Ebd., 437. 64 Vgl. die Rekonstruktion bei A. Polag, Fragmenta Q. Textheft zur Logienquelle, Neukirchen-Vluyn 1979, 34 f. Die Bestreitung der (Möglichkeit einer) Quelle Q bei H.-Th. Wrege, Die Uberlieferungsgeschichte der Bergpredigt, Tübingen 1968, hat mich nicht überzeugt; vgl. die Rez. von D. Lührmann: ThLZ 95,1970, 199 f. 65 Zu ihrer Herkunft aus der griechischen Vulgärethik vgl. A. Dihle, Die Goldene Regel, Göttingen 1962, der jedoch den Gegensatz von Feindesliebegebot und Goldener Regel zurecht herausstellt (116). Vgl. auch ders., Art. Ethik, in: RAe VI (1966), 646-796, bes. 701-728. 66 Vgl. ähnlich Lührmann, a. a. O. (Anm. 58),421 f.
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(4) 6,32-34 entfaltet in drei Fragen und Antworten die Besonderheit der Feindesliebe in dem Sinne, daß diese nicht auf der Erwartung der Gegenseitigkeit beruht, sondern durch einseitiges und zuvorkommendes Verhalten bestimmt ist; (5) 6,35 faßt die Komposition zusammen, indem die Weisung der Feindesliebe wiederholt und ihre Struktur ungleichen »Tausches«67 eingeschärft wird. Darüber hinaus hat Lk. zwischen diesem Abschnitt und den vorausgehenden Seligpreisungen noch die ,. Weherufe« über die Reichen, Satten, Lachenden und wohl Beleumundeten eingeschoben und so die Weisung der Feindesliebe näher bestimmt. Matthäus schließlich betont, gemäß der durchgehenden Tendenz seiner Redaktion, den Gegensatz zur alttestamentlichen überlieferung (5,38) und gibt dem Abschnitt ebenfalls eine durchgebildete Gestalt, indem er die Form der Antithese scharf herausarbeitet und zu diesem Zwecke mit dem Zusatz »und deinen Feind hassen« (5,43) d~r Stelle Lev. 19,18 eine Zuspitzung unterlegt, die sich nirgends im Alten Testament findet68, aber dadurch um so deutlicher den Bruch Jesu mit allen überlieferten Maßstäben einer Ethik der Gegenseitigkeit vor Augen treten läßt". Dieser Bruch bezieht sich auf konkrete Weltverhältnisse und meint nicht lediglich einen Wandel oder eine Umkehr der Gesinnung oder des Willens im allgemeinen. Dies beginnt damit, daß das alttestamentliche Gebot der Nächstenliebe nicht nur ausgeweitet wird über den Kreis der Volks- und Glaubensgenossen hinaus, sondern der »Nächste« durch den ,.Feind«, der nicht durch .. nationale« oder religiöse Bestimmungen eingeschränkt ist, ersetzt wird 70 • Auffällig ist, daß weder die Logienquelle noch Lukas noch Matthäus sich interessiert zeigen an dem, was an oder in dem Liebenden geschiehe!; das Schwergewicht liegt auf Hinweisen, die stets wiederkehrende, typische Lagen nennen, unter denen Feindesliebe und Gewaltverzicht zu 67 Lk. 6,35 (mutuum date nihil sperantes: leihet, wo ihr nichts dafür hoffet) ist locus c1assicus jedes neutestamentlich begründeten Zinsverbotes. Gewaltverzicht und Verzicht auf Reichtum gehören demnach untrennbar zusammen! So auch Theißen, a. a. O. (Anm. 60), 180 ff. 68 Zu vergleichbaren Qumran-Belegen (etwa 1 QS 1,1-4; CD 11, 14-18) vgl. H. Braun, Qumran und das Neue Testament, Bd. I, Tübingen 1966, 17 f. - Zum AT vgl. A. Nissen, Gott und der Nächste im antiken Judentum. Untersuchungen zum Doppelgebot der Liebe, Tübingen 1974. 69 Diese Einzigartigkeit - und insofern Authentizität - wird dadurch unterstrichen, daß ähnliche Texte in frühchristlicher Literatur durchweg auf die mt. und Ik. Formulierungen zurückgehen; vgl. Lührmann, a. a. O. (Anm.58), 417 m. weiteren Nachweisen in Anm. 19. 70 Hoffmann, a. a. O. (Anm. 6), 197. Vgl. auch die Hinweise auf den "Feind« im AT, oben S. 41 ff. 71 Gegen R. Bultmann, Jesus (zuerst 1926), München-Hamburg 1965, der "die Selbstüberwindung des Willens in der konkreten Lebenssituation« herausstellt (79).
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üben sind. Bei Q ist wohl an Gewaltverzicht inmitten der allgemeinen politischen Krise vor dem Jüdischen Krieg zu denken72 , Lk. setz~_die Situation erfahrener Gewalttat und- sozio-ökonomisch bedingter .Gegensätze voraus, und Mt. spricht von einer Grundform rechtlichen Geschehens, vaIIi Schuldprozeß73•• Noch wichtiger aber ist, daß die Weisung Jesu durchgehend nicht auf .eine passive Hinnahme des Erlittenen zielt, sondern; .ganz.< im Gegenteil, zu einem aktiven Tun auffordert: Halte hin! Gib! Geh' ~it! Feindesliebe meint also ein aktives Tun, eine ,.von Christen in Widerstandssituation geforderte Haltung«74. ,.Nur sanft sein, heißt noch nicht gJlt .sein., begann darum E. Bloch .seine Friedenspreisrede. 196775 .. Gewiß ist davoI.l auszugehen, daß der hier geforderte,.Weg der Friedfertigkeit«76 eine implizi.,. te Absage an die politische Theologie der zelotischen. Bewegung- darstellt, aber unverkennbar ist auch, daß Jesu Tod Wie seine Verkündigung ,.Analogien zur Botschaft der Zeloten« enthalten", denn der von Jesus gebotene Gewaltverzicht .fordert nicht Quietismus, sondern eine Aktivität, deren Stärke gerade durch ihre Gewaltlosigkeit gesteigert und damit durchaus als bedrohlich wahrgenommen werden muß78. Die verkündete Nähe des Reiches Gottes ist ihrer Gestalt nach gewaltlos; ihrer Wirkung nach ist sie politisch brisant. Versucht man, diese Einheit von Gewaltverzicht und Feindesliebe tiefer zu verstehen, so sind einige Hinweise bei L. Schottroff aufschlußreich. Sie zeigt drei Grundformen des Gewaltverzichts.in der nicht-christlichen Antike: die des Unterlegenen und Abhängigen79;des überlegenen 80 und des ohnmächti-
n Mit Lühnnann, a. a. O. (Anm. 58), 437; Theißen, a. a. O. (Anm. 60), 191 ff. 73 Hoffmann, a. a. O. (Anm. 6); 198 f.; Lühnnarin, a. a. O.(Anm. 58), 418; Wrege, a. a. O. (Anm. 64), 76f . 74 Schottroff, a. a. O. (Anm. 59), 201. 75 Widerstand und Friede, in: ders., Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz (GA 11), Frankfurt/M. 1970, 433-445 .. 76 ·P. Hoffmann, Studien zur Theologie dc;r Logienquelle, Münster_197~, 76. 77 Hengel, a. a. O. (Anm.. 12), 39. ~ Croße A.uslegungs,schwierigkeiten bereitet Mt. 11,12. Ich vermute hier eine Gemeindebildung, die die gewaltsame HerbeifiihrQng des Eschaton (apologetis~h?) verwidt; so auch G. Braumann, »Dem Hhnmelreich wird Gewalt angetan«, in: Z.NW 52, 1961, 104-109;,vgl. auch Con~elmann, a. ·a. O. (Anm. 37), 130 f. 78 Jesu Verkündigung des Gewaltverzichtes ~ man in~ofern nicht nur als Gegensatz, sondern muß sie als Alternative zum zelotischen. oder essenischc;n Widers~and (1 QM) wahrnehmen; so auch Theißen, a. a. O. (Anm. 60), 194 f., dessen Hinweise zum .sozialen Ort« dieser Weisungen insgesamt die überlieferungsgeschichtlichen .Befunde ergänzen. 79 Vgl. die Mahnllngen an die Sklaven 1. Petr. 2,18 ff.; deutlich wird auch hier (v. 20), daß aktives Leiden gemeint ist: l1yaito:n:moii'Y"CE1!j "ai. :n:aOXOVEEI!j! 80 Hier geht es vor allem um die traditionelle clementia des Hausvaters, Richters oder Herrschers. 62
gen Philosophen. Der Tod seines Lehrers Sokrates ließ Platon bekanntlich ,.die unter Griechen unerhörte Lehre« entdecken und verkünden, daß ,.Unrechtleiden ein geringeres übel ist als Unrechttun«lI. Indes ist Gewaltlosigkeit bei Platon zuerst und vor allem ein Seelenvermögen, das sich in der Bereitschaft zum Sterben erweist82, in der Leben und Lehre des Philosophen gründen. Von einer aktiven Zuwendung zu dem, der Unrecht tut, ist ,dagegep nicht die Rede, und in den vielen antiken Legenden, die an die Gestal~ des Sokrates anschließen, steht der, v!=rfolgte und protestierende Philosoph, als Einzelner der Gesellschaft der Unwissenden gegenüber, wogeg!=ll Jesu Ruf in die Nachfolge zwar den Einzelnen trifft, ihn aber zugleich in eine G~mein schaft ruft, der die Mahnung zu aktivem Gewaltverzicht und Feindesliebe zugesprochen, wird. Es geht also, nicht nur um eine Einstellungsänderung, sondern immer zugleich um eine bestimmt~ Veränderung in den äußeren sozialen Beziehungen83 • Offen ist freilich noch das Verhältnis von Gewaltverzicht und Feindesliebe. Eine Antwort auf diese Frage ~uß den historischen Zusammenhang des Logions aufsuchen, um zu klären, wie Verzicht auf Widerstand (nonresistere malo!) mit einem ak,tiven Verhalten (diligite, benefacite, orate!) zusammenstimmen kann. Ich denke, daß die Lösung mit L. Schottroff in der Pointe zu sehen ist, eine bestimmte Art von Widerstand abzulehnen: den gewaltsamen, politisch-revolutionären Aufruhr. Statt um eine zeitlos gültige Maxime der Gewaltlosigkeit geht es dann um die je historisch besondere gewaltlose 81 Gorgias, 469c, vgl. auch 521c-522e, Politeia 332e 1,l. ö.; Zitat aus W. Jaeger, Paideia, Bd.lI, Berlin J1959, 199;vgl. insgesamt Jaegers Gorgias-lnterpretation ,-,I (188-227). 82 Gorgias, 511c ff. Vgl. auch W. Kremp, Gewaltlosigkeit und Wahrheit. Studien zur Therapie der Gewalt bei Platon und Gandhi, Meisenheim/Glan 1975, bes. 113 H.; vgl. ferner R. Maurer, Platons ,.Staate und die Demokratie, Berlin 1970, 69-98. - Man muß sich erinnern, daß die Idee der Polis eine Friedensordnung meint. Hesiod ke~t drei Gottheiten, die, -,Töchter des Zeus und der Rechtsgottheit ,Themis, 'diese' o.:rdn!lng garantieren: Eunomia, Dike und' Eirene; Solon hat hier angeknüpft und Eunomia als Ursache des guten Zustandes der Polis bestimmt; vgl. dazu ehr. Meier, Entstehung des Begriffs ,.Demokratie«, Fran~rtlM. 1970, 17-25; W. Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen :crübinger Vorlesungen,' Bd.I), ,Frankfurt/M. ,1978, 113-121; D. Stemberger, Drei Wurzeln der Politik, FrankfurtIM. 1978, 383 H. (386 mit Bezug auf H. Arendt). 83 So auch A. Strobel, Macht und Gewalt in der Botschaft des NeuenTestaments"in: H. Greifenstein (Hg.), Macht und Gewalt. Leitlinien lutherischer, Theologie zur politischen Ethik heute, Hamburg 1978, 7i-112: ,.Die Ford~ng des Gewaltverzichts ist zwar nicht zum Gesetz gemacht, sehr wohl aber über den privaten Raum hinaus zur Norm christlichen Verhaltens erhoben. Sie hat zumindest im Raum der Gemeinde den Rang einer verbindlichen ~chtschnur« (98; vgl. auch 96). - Ähnlich auch Hoff~ann,_ ,.Eschatologie« (Anm. 6),200.
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Beteiligung am Kampf mit dem Feind. Denn daß der Feind nicht schon durch einseitigen Gewaltverzicht zum Freund wird, sondern Feind bleibt, setzt das Wort voraus", wenn anders die Mahnung, dieses Feindverhältnis durch die Liebe zu verwandeln und aufzuheben, einen Sinn haben soll. ,. Wir werden eure Fähigkeit, uns Leid zuzufügen, durch unsere Fähigkeit, Leid zu ertragen, wettmachen... Tut uns an, was ihr wollt, wir wollen euch trotzdem lieben« (M. L. King8S). Daß diese nicht sanfte, sondern kämpferische Struktur der Einheit von Gewaltverzicht und Feindesliebe als politische Bedrohung wahrgenommen wurde, hat sich in dem sonst für politische Aufrüher typischen Kreuzestod Jesu gezeigt86. Es gehört ja zu den viel zu wenig beachteten Merkwürdigkeiten urchristlicher überlieferung, daß die Worte vom Gewaltverzicht, der der Christenschar in der Nachfolge Christi geboten ist, stets in eine intensive Nähe zu Erscheinungen der politischen Welt gerückt sind. Nicht eine unpolitische Äquidistanz zu allen Parteiungen, sondern eine besondere Weise einer zugleich distanzierten wie intensiven Beteiligung an den Problemen ihrer Welt ist den in die Nachfolge Gerufenen geboten; die Seligpreisungen der Armen, Hungernden und Trauernden machen die Richtung des gewiesenen Gehorsams eindeutig klar87 . Während E. Troeltsch in dieser Zuwendung zu den Armen vor allem ,.die Aufsuchung 'des empfänglichsten Bodens« für die Verkündigung sah", machen die neueren sozialgeschichtlich orientierten 84 In Mt. 5 verbietet der Zusammenbang von v. 44 mit vv. 46 f., in Lk. 6 der von v. 27 mit v. 35 die Annahme, hier sei "das Ende der Freund-Feind-Beziehung ... und also das Ende der Gewaltausübunge schon gekommen; vielmehr bleibt die Aufhebung durchaus asymmetrisch; gegen die Auffassung bei Barth, KD IV/2 (S 66,3),622,23 f. Richtig dagegen Bonboeffer: "Vom Feind ist die Rede, also von dem, der Feind bleibt, ungerührt, von meiner Liebee - a. a. O. (Anm. 32), 122. 85 Zit. bei Schottroff, a. a. O. (Anm. 59), 201. 86 Vgl. Kuhn, a. a. O. (Anm. 24), 3-5 (Lit.!). 87 Vgl. dazu näher M. Hengel, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche, Stuttgart 1973, 31-38; Hoffmann, a. a. O. (Anm. 6), 201-206; L. E. Keck, Art. Armut III, in: TRE IV (1979), 76-80. Zum alttestamentlichen Hintergrund vgl. ebd. D. Michel, Art. Armut 11, 72-76; ferner J. Ebach, Arme und Armut im Alten Testament, in: ZMiss 5, 1979, 143-153; sowie immer noch H. Bolkestein, Wohltätigkeit- .und Armenpflege im vorchristlichen Altertum (Utrecht 1939), Neudruck Groningen 1967. 88 Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, 48. Obwohl Troeltsch gesehen hat, "daß die Ethik des Evangeliums nicht bloß auf die Form des Willens oder das Motiv innerer Gewissensnotwendigkeit, sondern auf bestimmte, sachliche Forderungen sich bezieht« (ebd., 36), hat er, soweit ich sehe, der Feindesliebe keine größere Aufmerksamkeit gewidmet. - Fr. Jod! nennt in seiner verbreiteten "Geschichte der Ethik als philosophischer Wissenschaft. (41930, ND Stuttgart-Darmstadt 1965) die Forderungen der Bergpredigt ,.Dekorationsstücke eines hochgespannten ethischen Idealismus« (I, 174). 64
Untersuchungen zum Urchristentum deutlich, wie künstlich eine Trennung von Verkündigung und Lebensführung im Blick auf die Jesusbewegung89 und die Geschichte der frühen Christenheit ist90 • Auch wenn die kompromißlose Härte der Eigentumskritik, wie sie etwa in Jak. 5,1-6 begegnet, schwerlich mit der freien Haltung Jesu zum Eigentum in übereinstimmung zu bringen ist9D.a, so gilt doch andererseits, daß die frühchristlichen Anstrengungen in der Armenfürsorge ebensowenig wie die Rückhaltlosigkeit des Gewaltverzichtes nur Ausdruck einer Interimsethik waren, welche alle sozialen· Verhältnisse mit dein Hinweis auf das nahe Wehende relativiert, sondern auf eine wirkliche Veränderung in der Gegenwart abzielten und so die eschatologischen Impulse der Verkündigung Jesu in ein zwar unerhört kühnes, aber doch pragmatisches Ethos überführten. Auch dieser Aspekt neutestamentlicher überlieferung kann daher nur den Sachverhalt unterstreichen, daß die Einheit von Gewaltverzicht und Feindesliebe in der Christusnachfolge jedenfalls alles andere als einen untätigen Glauben meint9!. Nicht über den Parteien, sondern in der kämpferisch-liebenden Zuwendung zum Feinde verläuft der Weg der Nachfolge. Mit den letzten Bemerkungen ist implizit auch schon jede Deutung des Gewaltverzichtes und der Feindesliebe, wie sie Jesus selbst als Weg der Nachfolge gewiesen hat, im Sinne entweder einer Stufenethik!12 oder einer Gesinnungsethik93 abgewiesen. Beide Auslegungsweisen gehen von den 89 Vgl. G. Theißen, Soziologie der Jesusbewegung(ThEx 194), München 1977; s. auch D. Lührmann, Der Verweis auf die Erfahrung und die Frage nach der Gerechtigkeit, in: Strecker, a. a. O. (ADm. 31), 185-196. 90 Vgl. schon D. Georgi, Die Geschichte der Kollekte des Pauhis für Jerusalem, Hamburg 1965, bes. 46 H. (zu Phil. 4,10-23) u. 86 f. K.:Berger, Almosen für Israel, in: NTS 23, 1976, 180-204, sieht in der Kollekte eine "Klammer für die Einheit der Kirche« (199). - Vgl. ferner die Hinweise auf die Einheit von Glaube und Liebe in den paulinischen Briefen (und damit auf die Mißverständlichkeit einer Trennung von "Indikativ« und "Imperativ«) bei Luz, a. a. O. (Anm. 6), 251-253. 90a Vgl. Hengel, a. a. O~ (Anm. 87), 34 H. und 54 H. 91 G. Petzke, Der historische Jesus in der sozialethischen Diskussion: Mk. 12,13-17 par, in: Strecker, a. a. O. (Anm. 31), 223-235 (234 f.). 92 Die Unterscheidung von praecepta und consilia evangelica hat auch in der katholischen Theologie Kritik erfahren, sofern sie. auf eine Doppelmoral hinausliiuft und sich nicht als Auslegung von Mt. 19,17-21 oder 1. Kor. 7,25-35 verstehen läßt. 93 Vgl. beispielsweise W. Herrmann, Die sittlichen Weisungen Jesu (1904,21907), in: ders., Schriften zur Grundlegung der Theologie, Teil I, hg. v. P. Fischer-Appelt, München 1966, 200-241. Für Herrmann geht es hier um die übereinstimmung der "Gesinnung« des Christen mit der "Einheit der Gesinnung« Christi, aber nicht in sachlicher Bestimmtheit des Wollens und Handelns, sondern lediglich in der an Kant orientierten formalen Bestimmung, daß sittliches Handeln "nur aus der eigenen Erkenntnis des Guten erzeugt werden kanne (233). Diese sittliche Autonomie aber steht in schroffstem Gegensatz zu den Antithesen bei Mt.
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Möglichkeiten und Grenzen des Mensch~n aus,.. der ·sein Handeln nach sittlichen Maßstäben auszurichten versucht, verkennen aber w:~itgehend, daß die sog. ,.Gebote« der Bergpredigt streng und unlösbar an den gebunden sind, dem die Vollmacht gegeben ist, in den Seligpreisungenu~d Antithesen die neue Ordnung des Gottesreiches zu proklamieren. Vor illern D ..Bonhoeffer und, im Anschluß an E. Thurneysen'-4, K. Barth'5haben diese konstitutive Beziehung aller Weisungen der Bergpredigt auf den, der hier spricht, zum Leitfaden ihrer· Auslegung genommen. NachBarth ist die Bergpredigt dreierlei: Anzeige des Himmelreichs, Selbstanzeige Jesu und Anzeige des neuen Menschen. Wie die Zehn Gebote steckt Qie Bergpredigt auf Erden den Bereich einer neuen Ordnung ab - ,.das Reich, das als solches aUen jenen anderen Machtbereichen überlegen ·ist, dem sie trotz ihres Widerstreites angehören und auch dienen müssen«". Es geht nach Barth hier nicht um heteronome Gebote, deren Befolgung den J esus-Nachfolgern zur äußeren Pflicht gemacht wird, sondern um die Proklamation jener göttlichen ,.Ordnungen, die der Mensch schon in den Ohren haben muß, um Gottes sein wirkliches. Leben betreffende Verordnungen hören zu können und wirklich zu hören«'7. Die Gebote des Alten Testaments und die Bergpredigt des Neuen Testaments sind die ,.Zubereitung der Herzensoffenheit«98, welche erkennt, ,.daß der. Begriff des göttlichen Gebotes in deraibel der Begriff einer geschichtlichen Wirklichkeit ist«". Diese Auslegung läßt den Stil jeder Sollens-Moral hinter sich, obwohl dem die sprachliche Form der Antithesen und Gebote zu widersprechen scheint. Aber für sie spricht exegetisch die unlösbare Bindung aller Weisungen der Bergpredigt an denjenigen, von dem sie ausgehen, und sachlich wird man zugeben mÜssen, daß deshalb nur eine christologische Interpretation dem Mißverständnis wehren kann, als könne oder müsse der Nachfolgende selbst Täter des zu erfüllenden Gesetzes sein100. Es kann deshalb auch nicht darum gehen, Wehrlosigkeit als Prinzip zu fordern, denn dann wäre der Handelnde selbst wieder das Subjekt seiner Moral, son,dern alle~ kommt darauf im, da,s neue Leben, den Wandel im Geist und die Frücp.tedesGlaubens (Röm.6,1-11.; Gal. 5,16-26) gerade nicht als Leistungen, aufzufassen, die einem äußerlichen Gebot geschuldet sind. Die Weisungen und Antithesen der Bergpredigt sind mißverstanden, wenn man sie im· Sinne zeitlos ·gültiger 94 95 96 97 98 99 100
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Die Bergpredigt, München (1936) 61965. KD lI/2, 766-782. Ebd., 769, 2 f. Ebd., 781, 40 ff. Ebd., 782, 1. Ebd., 782, 5 f. Vgl. Bonhoeffer, a. a. O. (Anm. 32), 100.
Normen oder als »Appell an die menschliche Selbstzucht« verstehtlOI ; in Wahrheit lassen sie den ,.Teufelskreis von Pflicht und Pflichterfüllung, Triebanspruch und Triebunterdrückung«I02, die Sphäre stetiger und außerordendicher moralischer Anstrengung, weit hinter sich. Die Autorität dieser Logien grundet einzig in dem, der spricht: »Ich aber sage euch!« Diese Art der Authentizität bedarf auch nicht der Bestätigung durch historische Kritik, wiewohl diese ihrer Erfahrung und Erkenntnis dienen kann. Autorität haben diese Worte jedoch für den Glauben, der auf den sieht, der diese Weisungen selbst erfüllt hat, so daß seine Erfüllung zur Frage und Ermutigung für alle wird, die ihm nachzufolgen eingeladen sind. Unangemessen ist es deshalb letztlich, von den ,.Geboten« oder. ,.Forderungen« der Bergprt;digt zu sprechen; besser wäre es, in diesen Worten Weisungen J esu zu erkennen bzw. sie als Einweisungen in den handfesten Gebrauch der christlichen Freiheit und als Ermutigungen zu durchaus risikoreichem Tun zu verstehen. Gewaltverzicht und Feindesliebe sind darum kein neues, unerfüllbares Gesetz, sondern eine Frage an jeden, der glaubt: warum nicht auch ich? ,.Das Gebot Jesu ist hart, unmenschlich hart, für den, der sich dagegen wehrt. Jesu Gebot ist sanft und nicht schwer für den, der sich willig darein ergibt."lo3 3.2.3. Gehorsam und Widerstand
Unser Auslegungsversuch des Ursprungs allerchrisdichen Gewaltkritik in Jesu Ruf in die Nachfolge muß nun kurz daraufhin befragt und verglichen werden, welche Konsequenzen für die Stellung der Christen zu den Mächten und Gewalten ihrer Zeit nach dem Zeugnis der neutestamentlichen überlieferung in anderen Zusammenhängen gezogen wurden. Eine derartige Gegenprobe ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil unter den vielen Versuchen, den Anspruch der Bergpredigt zu entschärfen, keiner so verbreitet ist wie derjenige, welcher dem Gebot des Gewaltverzichts das andere Gebot des Gehorsams (Röm. 13,1) gegenüberstellt und dieses dann mehr oder weniger ausdrücklich als den einschränkenden Rahmen interpretiert, in dem jenes seine nur noch relative Stellung zugewiesen erhält104 • Tatsächlich ist ja auch 101 Vgl. H.-R. Reuter, Die Bergpredigt als Orientierung unseres Menschsc:ins heute, in: ZEE 23, 1979, 84-105; Zitat 94. 102 Ebd., 96. 103 Bonhoeffer, a. a. O. (Anm. 32), 9. . 104 Vgl. die Hinweise zur Auslegungsgeschichte bei E. Fascher, Art. Bergpredigt 11, in: RGG1 I (1957), 1050-1053; und G. Barth, a. a. o. (Anm. 2), 611 ff.; sowie vor allem die Arbeiten von K. Beyschlag, Die Bergpredigt und Franz von Assisi, Gütersloh 1955; ders., Zur Geschichte der Bergpredigt in der Alten Kirche, in: ZThK 74, 1977, 291-322. Vgl. ferner: W. Bauer, Das Gebot der Feindesliebe und die alten Christen (1917), in: ders., Aufsätze und kleine Schriften, Tübingen 1967, 235-252; Chr.
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nicht ohne weiteres zu sehen, ob und wie die Spannung zwischen beiden überlieferungssträngen ausgeglichen werden kann, insbesondere dann nicht, wenn man, wie ich zu begründen versuchte, den Gewaltverzicht des Christen in der Nachfolge als ein aktives Verhalten interpretiert, welches auch leidenden Widerstand einschließen kann. Oder steht die göttliche Ordnung, die die Bergpredigt verkündet, unverbunden neben der weltlichen Ordnung der irdischen Herrschaft und Gewalt? Geht hier efu unheilbarer Riß durch die Welt und den einzelnen Christen? ,.AIßo haben auch die Sophisten ynn den hohen schulen sich dran gestossen, da sie beyde nicht kunden mitt eynander reymen, auff das sie ja die fürsten nicht zu heyden machten, haben sie geleret, Christus habe solchs nicht gepottn, ßondern den volkomenen geraten.« Hier, in der Widmung zu seiner Obrigkeitsschriftlos, hat Luther aber auch den Hinweis gegeben, dem ich nunmehr folgen werde, insofern er gleich am Beginn dieser Widmung die grundsätzliche übereinstimmUng von Mt. 5,39 und Röm. 12,19 herausstellt als ,.Gepott allen Christen gemeyn«I06, denn Verzicht auf Gewalt und Rache können schwerlich sozial und zeitlich suspendiert werden, wenn sie eine klare Weisung des Herrn der Christenheit sind. Es ist nicht möglich und auch nicht erforderlich, hier eine ausführlichere Auslegung des Gewaltverständnisses von Röm.13 vorzutragen l07. Mir kommt es vielmehr nur auf die begrenzte Frage an, ob der sachliche Zusammenhang von Gewaltverzicht und Feindesliebe, dessen nicht nur zeitliche, sondern vor allem sachliche Nähe zur Verkündigung Jesu deutlich wurde, bei Paulus festgehalten oder gelockert wird. Dabei wird man heute in einigen Grundfragen der Interpretation folgende übereinstimmungen voraussetzen dürfen: Röm. 13,1-7 ist authentischer Paulus-Text, nicht Interpolation fremder Herkunft108 . Die ,.überragenden Gewalten« (e;oUOLaL, poteBurchard, Das doppelte Liebesgebot in der frühen christlichen überlieferung, in: Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde (FS J. Jeremias), Göttingen 1970, 39-62. 105 WA 11,245,17-20 (= Clemen 11, 361). 106 Ebd., 245, 25. 107 Vgl. aus der uferlosen Lit., außer den Kommentaren, vor allem E. Käsemann, Grundsätzliches zur Interpretation von Röm. 13 (in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd.II, Göttingen 21965, 204-222); A. Strobel, Zum Verständnis von Röm. 13, in: ZNW 47, 1956, 67-93; R. Walker, Srudie zu Röm. 13,1-7 (ThEx 132), München 1966; U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung, Sruttgart 1970, 137-180; W. Schrage, Die Christen und der Staat nach dem Neuen Testament, Gütersloh 1971, 50-62; U. Wilckens, Römer 13, 1-7, in: ders., Rechtfertigung als Freiheit (Paulussrudien), Neukirchen 1974, 203-245. - Zur Auslegungsgeschichte vgl. die bei Schrage, 50 m. Anm. 104, genannte Literatur, sowie W. Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese, Göttingen 1969. 108 E. Käsemann, An die Römer (HNT 8a), Tübingen 1973, 336; vgl. auch G.
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states, Oberkeiten, powers, puissances lO9 , autoridades) meinen eine Fülle von Funktionen, Ämtern und Amtsträgern mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen 110. Nicht das Wesen, sondern die nüchtern-pragmatischen Aufgaben 111 der hellenistischen Verwaltungseinrichtungen und Regierungsstellen sind gemeint; ihnen schulden auch Christen Gehorsam. Damit wird die öffentliche Gewalt nicht vergöttlicht: sie ,.ist nicht göttlich, sondern gottgewollt«112, den Guten zum Nutzen, den Bösen zur Strafe. Auch wenn man nicht mit dem frühen K. Barth meint, das ,.hier empfohlene sang- und klang- und illusionslose Geltenlassen des Bestehenden« sei dessen nur um so »energischere Unterhöhlung«113, so ist daran jedenfalls richtig, daß auch schon die Nüchternheit von Röm. 13,1 ff.einen Angriff auf die politische Religion der Bornkamm, Paulus, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1969, 216-222, sowie als neueste, umfassende Interpretation J. Friedrich / W. Pöhlmann /P. Stuhhriacher, Zur historischen Situation und Intention von Röm. 13,1-7, in: Z'ThK 73, 1976, 131-166. 109 So die älteren französischen übersetzungen; das NT in der neuen A~sgabe der ,.Traduction Oecumenique de la Bible« (Editions du Cerf, Paris 1975) bringt dagegen ..autorites« und erläutert z. St.: ,.Le mot grec signifie: le droit de faire quelque chose, d'ou la possibilite de la faire, le pouvoir, l'autorite (civile et militaire); dans cette acception,le mot designe egalement les hommes ou institutions qui exercent ce pouvoir et cette autorite. Comme on dit en fran~ais: le Pouvoir.« 110 Die Worte i;EO'tLV / E;auoLa bezeichnen im allgemeinen nicht nur das Vermögen, eine Handlung zu beginnen und ins Werk zu setzen, sondern auch das entsprechende Recht (bzw. Verbot). Im NT ist E;ouoLa die allem überlegene Macht (potestas) Gottes (Lk.12,5; Apg.l,7; Röm.9,21); die Vollmacht Christi (Mt. 28,18), aber auch der Apostel (2. Kor. 10,8) und erst dann auch rechtliche Amtsgewalt; vgl. auch W. Foerster, Art. ~;EO'tLV 'X'tA., 'ThWb 11, 557-572. 111 Seit Strobels Aufsatz (Anm. 107) ist die Interpretation der .. Gewalten« als engelisChe oder dämonische Mächte erledigt; vgl. aber schonH. v. Campenhausen, Zur Auslegung von Röm. 13 (zuerst 1950 in FS A. Bertholet), in: ders., Aus der Frühzeit des Christen~ms, Tübingen 1963, 81-101. Bekanntlich hat Karl Barth in ,.Rechtfertigung und Recht« (1938), in der Folge von H. Schlier (Mächte.und Gewalten im NT, in: 'Theologische Blätter 9, 1930, 289-297) und G. Dehn (Engel und Obrigkeit, in: 'Theologische Aufsätze. Karl Barth zum 50. Geburtstag, München 1936, 90-109), diese Auffassung vertreten (Neudruck Zürich 1970, ThSt 104, 17-23). Aber nicht erst in dem für sein Staatsverständnis wichtigen ,.Brief an einen Pfarrer in der DDR« (Zollikon 1958) hat Barth diese Deutung aufgegeben (so H.-W. Bartsch, Die neutestamentlichen Aussagen über den Staat, in: Ev'Th 19, 1959, 375-390, bes. 380 f.), sondern schon in der Röm. 13-Auslegung in KD 11/2 (§ 38,3: ,.Die Güte der göttlichen Entscheidung.. !), 796-818, die während des 11. Weltkrieges geschrieben wurde und sich an die oben erwähnte Bergpredigtauslegung anschließt. 112 Schrage, a. a. O. (Anm. 107), 56. 113 Der Römerbrief (München 1922), Zürich 1967,467. In der 1. Aufl. (Bern 1919) hieß es vom Christentum: ,.Es kann nicht als Gewalt gegen Gewalt auftreten, es ruft die Gewalten zu ihrem göttlichen Ursprung zurück (...). Es konkurriert nicht mit dem Staat, es negiert ihn: seine Voraussetzung und sein Wesen. Es ist mehr als Leninismus!« (379)
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Antike darstellt lH • Zwar ist andererseits richtig, daß der Grundzug des Textes antienthusiastisch ist llS und gerade für Christen die Unterordnung unter die politischen Gewalten auch mit Hinweis auf den darin liegenden Nutzen (v. 4) begründet wird116 : Gehorsam also aus Einsicht in die Nützlichkeit einer ordentlichen öffentlichen Gewalt und Verwaltung, und darum hat Barth hier ganz zutreffend von einer ,.Umkehr von aller Romantik zur Sachlichkeit« gesprochen117• Aber die besondere Qualität dieses Gehorsams liegt nicht in der Einsicht in seine Nützlichkeit begründet; dieser Eindruck kann nur entstehen, wenn man die vv. 1-7 für sich betrachtet. Es kommt aber darauf an, nach dem Grund die~er Parallele, d. h; nach dem Grund des gebotenen Gehorsams zu fragen. Eine Antwort auf diese Frage wird möglich, wenn man vom Kontext von Röm. 13,1-7 nicht nur, wie es meist geschieht, die Rahmenbestimmungen 12,1 f. und 13,8-10 berücksichtigt, sondern zum Ausgangspunkt die unmittelbar voraufgehenden Verse nimmt. Duchrow hat herausgestellt, daß Paulus mit Röm. 12,17-21 und 13,1-7 zwei scheinbar unvereinbare Ordnungen aufeinanderprallen läßt llB , und derselbe merkwürdige Befund hat gar nicht zu überschätzende Bedeutung auch für Barth119. Mit Recht wehren sich auch die meisten anderen Exegeten gegen eine Aufspaltung von "privatem« Glauben und ,.öffentlichem« Gehorsam, doch gewinnt dadurch die. Sachfrage nur an Dringlichkeit, wie es möglich sei, daß Liebe und Zwang nicht hoffnungslos auseinandergerissen werden. Die Möglichkeit einer Antwort zeigt sich, wenn man nicht primär von dem
114 Diese »Entmythologisierung« aller Politik wird in 1. Petr. 2,13 H. noch verstärkt, wenn ihr ,.menschlicher« Ursprung betont und die politischen Gewalten mit dem Gefüge des Hauses parallelisiert werden; vgl. dazuA. A. T. Ehrhardt, Politische Metaphysik von Solon bis Auguscin, Bd. II, Tübingen 1959, 24. Zur religiösen Qualität von Polis und Politik vgl. den 1. Bd. dieses Werkes (Tübingen 1959). 115 Käsemann, a. a. O. (Anm. 108),341 f.; Bornkamm, a. a. O. (Anm. 108),220. 116 Vgl. Duchrow, a. a. O. (Anm. 107), 165. 117 Römerbrief, 471; vgl. Römerbrieft, 383: ,.Bist du nur treu bei deiner Sache, so müssen sich auch diese jetzt widerstrebenden Weltelemente deiner hähern Sachlichkeit beugen und fügen~« Am Leitfaden des Barthschen Begriffs der ,.Sachlichkeit« ließe si~h seine besondere Variante der Lehre von den zwei Reichen und Regimenten näher .' entfalten. Vgl. auch unten bei Anm. 124. . 118 A. a. O. (Anm. 107), 166. 119 Er zieht in seiner Textabgrenzung jeweils 12,21 mit zur Perikope (Römerbrief, 459; Römerbrieft, 375); ebenfalls in KD II/2, 805 f. - Duchrow hat zwar. Barths Auslegung kaum Aufmerksamkeit geschenkt, das Sachproblem, den Zusammenhang von 12,21 mit 13,1 ff., aber ganz ähnlich fixiert. In großer Nähe zu Barth, ohne dies explizit zu machen, steht die vielleicht wichtigste neuere Auslegung bei p'. Ricoeur; .,. Geschichte und Wahrheit, München 1974, 232 ff.
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bei Paulus bewußt· gewordenen, aber nicht aufgelösten Paradox120 von Gewalt und Liebe ausgeht, sondern umgekehrt den Sinn der Gehorsamsforderung vom Ursprung der Feindesliebe in der Verkündigung Jesu hel' edragt. Zu diesem Vorgehen berechtigen nicht nur die oben erläuterten überlieferungsgeschichtlichen Befunde, sondern die zwei sachlichen übereinstimmungen zwischen Paulus und und der ältesten synoptischen überlieferung. Ganz offensichtlich nämlich nimmt Röm. 12,14. die Feindesliebe von Mt. 5,44 auf, und Röm. 13,6 f. korrespondiert Mk. 12,13 ff. parr. Mit Stuhlmacher und Bornkamm stellt daher auch Duchrow121 den engen traditions geschichtlichen Zusammenhang von Paulus- und Jesustradition heraus; er verweist darauf, daß Augustin die Bergpredigt in Röm. 12,19-21 zusammengefaßt gesehen habe, und fügt hinzu: ,.Die Spannung Bergpredigt - Römer 13 als ein Grundthema der Zweireichelehre läßt sich also ebenso an dem >Gegensatz< von Röm. 12 (17), 19 ff. und Röm. 13,1-7 behandeln.«I22 Dann aber muß gefragt werden, ob es nicht ebenso legitim ist, Röm. 13 vom Gebot der Feindesliebe und des· Gewaltverzichts her zu lesen, wie umgekehrt. (Die Frage muß zusätzlich Gewicht erhalten unter den Voraussetzungen, daß die Christenheit nicht eine verschwindende Minderheit darstellt und die Obrigkeit keine ,.heidnische« mehr ist.) Der Zusammenhang von Röm. 12,17 ff. mit 13,1 ff., so scheint mir, läßt eine derartige Verlagerung des Auslegungsschwerpunkts nicht nur möglich, sondern geradezu geboten erscheinen. ·In diesem Sinne hat jedenfalls Barth, den apokalyptisch-revolutionären Romantizismus seiner Römerbrief-Auslegung hinter sich lassend, einzuschäden versucht, daß die Christen zwar den öffentlichen Gewalten aus Einsicht und G1a~ben Gehorsam schulderi, aqer doch so, daß sie i~ ihrer eigenen Gestalt als Gemeinde und in ihre~ Wirken123 die Prävalenz -der Verkündigung J esu, damit der Feindesliebe und des Gewaltverzichts, zur Geltung bringen. Einerseits gilt so das Gebot für alle Christen, Verantwortung für die politische Ordnung sachgemäß mitzutragen, andererseits aber darüber hinaus eine besondere Verpflichtung, die sie dem Staat schulden, daß näffilich die christliche Gemeinde ihr eigenes Leben im Geiste der Nächstenliebe so or~net, daß sie auch für den Staat in mittelbarer Weise vorbildlich wird l24 • Auch Barth sieht deshalb Röm. 12,17 ff. und Mt. 5,38 ff~ als sachliche Einheit, weil in diesen Worten nicht menschliche Einsicht, sondern ,. J esus selber, der Christus« spricht: ,.Jene ev~ngelischen Worte gehören zu denen,
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Ricoeur, ebd., 236. A. a. O. (Anm. 107), 174 H. Ebd., 178. Vgl. auch Luz, a. a. O. (Anm. 6),280 f. KD 11/2, 805 H.
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von denen es heißt: >sie werden nicht vergehen<. Sie sprechen nämlich gerade keine gutgemeinte übertreibung irgendeiner Humanität aus, aber auch keine Sonderregel für gute .und extragute Christen, sondern schlicht das für alle Menschen geltende Gebot Gottes in seinem zunächst und bis auf weiteres immer wieder wohl zu beachtenden Grundsinn.e l25 Nicht als ,.Gesetze, wohl aber als unabweisbare Frage nach der Reihenfolge des dem Christen Gebotenen hat Barth darum Na~olge und Gehorsam zusammengerückt. Er hat bekanntlich seine Ethik jedoch nie als ein normatives System entworfen; vielmehr stellen die ethischen Konzentrationen der KD in dem Sinne Weisungen dar, daß sie als Fragen und Ermunterungen dringlich werden lassen, von der Freiheit des Evangeliums Gebrauch zu machen126 • Diese schließt insbesondere die Freiheit zum Rechtsverzicht (1. Kor. 6,1_11)127, zur Feindesliebe und zum Gewaltverzicht ein. Aber diese Freiheit errichtet nicht die Herrschaft neuer Prinzipien außer einem: stets neu auf das Zeugnis der Schrift unter den wechselnden geschichtlichen Bedingungen zu hören. Besonders Barth hat immer daran festgehalten, daß das Neue Testament keine einheitlichen Regeln für den Umgang der Christen mit den Mächten und Gewalten dieser Welt aufstellt128 ; es überliefert aber die .frühesten Antworten von Christen auf den »Ruf der Freiheit« und zeigt, daß diese Antworten nicht selbstverständlich und uniform, sondern Resultat harter Auseinandersetzungen und Ausdruck verschiedener Situationen waren. Ihre
125 K.D 111/4 (§ 55,2), 491, 15 u. 36 ff. Ebd.: ,.Wenn Tolstoj und Gandhi sich geirrt haben, so waren sie mit ihrer Lehre der Wahrheit doch immer noch hundertmal näher als ... alle die Doktrinen, die diesen Worten durch irgendeine geistreiche Lehre von einem Reich, in den! sie gelten, und einem anderen, in dem sie nicht gelten sollten, die Spitze abzubrechen versucht haben« (29 ff.). 126 Es ist unmöglich, hier in groben Strichen meine Auffassung von Barths Ethik darzustellen. Vgl. aber ~eine '!'hesen in: Liedke, Eschatologie, a. a.. O. (Anm. 6), Bd. III, 373-379. . . ,.. . . 127 Vgl. K.D 111/4 (§ 35,2), 490, 20 ff. Zu 1. Kor. 6,1-11 Vgl. E. Dinkler; Zum Problem der Ethik bei Paulus - Rechtsnahme und Rechtsverzicht, in: ders., Signum Crucis, Tübingen 1.967, 204-240; dazu kritisch H. Thyen, Zur Problematik einer neutestamentlichen Ekklesiologie, in: Liedke, Fried~-Bibel-Kirche, a. a. O. (Anm. 6), 96-173 (148 ff.); sowie S. Meurer, Das Recht im Dienst der Versöhnung, Zürich 1972, 141-151; L. Vischer, Die Auslegungsgeschichte von 1. Kor. 6,1-11, Tübingen 1955,Augustinus, Enchiridion de fide, spe et cantate, verbindet ausdrücklich 1. Kor. 6,1 ff. mit Mt. 5,40 (78) - ein indirekter Hinweis auf den für antike Leser geläufigen juridischen Nebensinn der Bergpredigt. - Vgl. auch Barth, Römerbrief, 457, zum Rechtsverzicht. 128 Darum hat Barth die Prävalenz der Bergpredigt nieumgemünzt in einen prinzipiellen Pazifismus; vgl. Römerbrief, 455; K.D III/4 (§ 55,2), 534 ff.; IV/2 (§ 66,3), 622; zum Ganzen vgl. J. H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, NashvillelTenn. 1970. 'l
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Einheit jedoch haben diese Antworten allein in dem Ursprung, der sie in die Nachfolge rieft29 • 3.2.4. Scheidung vom Unglauben In den vorangehenden Abschnitten wurde versucht, die Verkündigung'Jesu als Ursprung und Kraft jeden christlichen Gewaltverzichts in Erinnerung zu rufen, ohne dabei die Spannung zu verharmlosen, in der diese Botschaft zu den irdischen Gewaltverhältnissen steht. In di~ser Hinsicht läßt' sich aber immerhin ein Gefälle ausmachen, welches wegführt von menschlicher Selbstbehauptung hin zum Widerstand des aktiven Leidens. Damit ist indes bei weitem nicht alles gesagt, was zu den hier verhandelten Fragen vo~zubringen ist, und deshalb sei abschließend auf zwei Tr:adinonslinienverwiesen, die ihrerseits wirkungs geschichtlich von besonderer Bedeutung sind. Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die alttestamentliche Hoffnung auf ein Ende aller Gewalt und' die Gewißheit von Gottes Sieg über die irdischen Machthaber im Neuen Testament unmittelbar fortwirkt und erneuert wird. Das ,.Magnificat« Marias (Lk. 1,46-55) nimmt den Lobgesang der Hanna (1. Sam. 2,1-10) auftlO und spricht wie dieser die Erwartung aus, daß Gott selbst als endzeitlicher Richter Gewalt an den Hochmütigen und Mächtigen übt. Wer die Auserwählten Gottes verfolgt, kann nur zu s~nem eigenen Verderben und Gericht handeln. Diese überzeugung läßt die Weisungen von Gewaltverzicht und Feindesliebe noch einmal in besonderem Lichte erscheinen, nämlich in dem des Glaubens an die überlegene Macht Gottes, wie es im Schwertwort Mt. 26,52-54 Ausdruck findet: der Jünger muß nicht seIhst zum Schwert greifen, weil ein anderer für ihn kämpft. Gewaltverzicht hat also nichts mit quietistischer Friedfertigkeit zu tun, sondern ist vereinbar mit schwer zu überbietender Militanz, wie sie sich auch in anstößigen JesusWorten von der Nachfolge ausspricht (Mt. 8,22 131 ;10,34-39; Lk. 14,25-35; 129 Diese Einheit evangelischer Ethik, als freie menschliche Antwort auf Gottes freie Tat, die die verschiedenen ntl. Uberlieferungsstränge übergreift, hat hinsichtlich ihrer Grundbewegung, die auf Gewalt, Sieg, Sicherheit und. Selbsterhaltung verzichtet, E. Jüngel so charakterisiert: ,.Der Wesenszug göttlicher ,Hoheit ist ein unaufhaltsamer Zug in die Tiefe.« Erwägungen zur Grundlegung evangelischer Ethik, zuerst 1966, in: ders., a. a. O. (Anm. 40), 234-245 (240). 130 Vgl. auch Ps. 147,5 f., 89, 11-15; Hi. 5,8-16. ·Lk. 1,51 f. lautet in der Vulgata: ,.fecit potentiam.in brachio suo dispersit superbos mente cordis sui / deposuit potentes de sede et exaltavit hurniles.« Superbia, so ist im Blick auf die Wirkungs geschichte hinzuzufügen, ist die radix vitiorum, das Grundübel aller Ketzerei; vgl. H. Grundmann, Der Typus des Ketzers in mittelalterlicher Anschauung (1927), in: ders., Ausgewählte Aufsätze, Teil I: Religiöse Bewegungen, Stuttgart 1976, 313-327 (316). 131 Vgl. M. Hengel, Nachfolge und Charisma. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie zu Mt. 8,21 f. und Jesu Ruf in die Nachfolge, Berlin 1968; H. G. Klemm, Das Wort von der Selbstbestanung der Toten, in: NTS 16, 1969/70, 60-75.
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Mk. 10,29 u. ä.). NacWolge Jesu heißt danach nicht nur Einweisung in den Gebrauch der christlichen Freiheit, sondern auch Trennung und Scheidung von den gewohnten Lebensverhältnissen. Diese Scheidung ist denkbar radikal, wie vor allem die Aussendungsrede Mt. 10132 zeigt, die mit einem unversöhnlichen endzeitlichcin Urteil über alle schließt; die die Boten Jesu Christi nicht aufnehmen (10,15). Das apokalyptische' Motiv der S~heicfung der Bösen von den G"rechten133 findet sich nicht nur bei den Sy~optikern (Mt. 13,49), sondern auch bei Paulus (1. Kor. 5,13)13.... Zu~rid~~t soll sich nach Auffassung des Paulus die Gemeinde Christi um La~terkeit und Reinheit in den eigenen Reihenbemühen, wie 1. Kor. 5 exemplarisch zeigt, wenn es heißt: ,.Schafft" selbst von euch hinaus, wer da böse ist!«135 Zugehörigkeit zur Christus gemeinde bedeutet immer auch Trennungen. ,.Es gibt biblisch Gott nicht ohne Götzen, Christus nicht ohne Antichristen, Apostel und Propheten nicht ohne ihre lügnerischen Gegenspieler, Lehre nicht ohne Verführung zum Trug, die wahre Kirche nicht ohne ihr satanisches Zerrbild. «\36 Dieses Bedürfnis zur Abgrenzung vom Unglauben, der im Laufe der Folgezeit zunehmend mit moralischer Verfehlung gleichgesetzt
132 Zum sozialen On dieser Tradition vgl. G. Theißen;Wanderradikalismus'(1973), in: ders., a. a. o. (Anm. 60), 79-105. - Mt. 10 u. 19,16 H., sind in der Wirkungsgeschichte des Nf die geradezu topischen Ausgangspunkte vie1~r radikaler religiöser Bewegungen; vgl. im Blick auf P. Waldes K.-V. Selge, Die ersten Waldens,er, B4. I, Berlin 1967, 231-242. ' , ' 133 Vgl. im Blick auf die Qumran-Texte H. W. Huppenbauer; Der Mensch zWischen zwei Welten, Zürich 1959. ' 134 Der Redaktor des 2. Kor. hat sogar in 6,14-7,1 ein höchstwahrscheinlich direkt aus Qumran-Tradition stammendes Stück zum Zwecke der Abwehr von Irrlehren eingefügt; vgl. J. A. Fitzmyer, Qumran and the Interpolated Paragraph in 2. Cor. 6,14-7,1, in: CBQ 23, 1961, 271-280: ein bemerkenswenes Beispiel des innerkanonischen Widerstreites von Rechtgläubigkeit und Ketzerei und, abstrahierend gedeutet, für die Hypothese, daß nirgendwo die ,.Asymmetrie'der Gegenbegriffe«'(R.Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe' [1975],in:ders., Vergangene Zukunft, Zur Semantik' geschichtlicher Zeiten; 'Frankfun/M.1979; 211.-:259) so wirkungsmächtig auftritt wie in Gewaltverhältnissen und der ihnen eigentümlichen Unterscheidung von Freund und Feind. 135 Die Vulgata übersetzt v. 13: nam eos qui foris sunt Deus iudicabit; aufene malum ex vobis ipsis. - Die anschließenden Verse 6,1-8 fordern einerseits Rechtsverzicht unter Christen (vgl. dazu die Lit. oben bei Anm. 127), enthaltenabei"auch in 6,2 jene Wendung, auf die sich später die papalen Primatsanspruche häufig stütztel1-: an nescitis quoniam sancti de mundo iudicabunt? " 136 So E. Käsemann in einem Referat auf der Arbeitstagung der' ökumenischen Kommission für Glauben und Kirchenverfassung 1973 in Salamanca: Zur ekklesiologisehen Verwendung der Stichworte ,.Sakrament« und "Zeichen«, in: R. Groscurth (Hg.), Wandernde Horizonte auf dem Weg zu kirchlicher Einheit, FrankfurtlM.,i'974; 119-136 (121). '
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wird!37, kann sich auch der alttestamentlichen B-annvorstellung bedienen, die 1. Kor. 16,22 formelhaft begegnet\38. In jedem Fall muß man annehmen, daß der Verkehr mit demjenigen, welcher so dem göttlichen Gericht überantwortet wird, abgebrochen wird139 und dieser seinem baldigen Verderben entgegengeht. Zwar wird der Vollzug dieses Urteils nicht irdisch vorweggenommen, sondern Gott selbst anheimgestellt, aber zur Scheidung muß es sehon in der Gegenwart kommen, denn Trennungen sind nötig, damit diejenigen, die sich tadellos bewährt haben, offenbar werden; mit den wirkungs mächtigen Worten der Vulgata: nam oportet et hereses esse ut et qui probati sunt manifesti fiant in vobis (1. Kor. 11,19)140. Es war nötig, auf diese Traditionslinie kurz hinzuweisen, welche durch zahlreiche Droh- und Gerichtsworte illustriert werden könnte, damit nicht der Eindruck aufkommt, die urchristlichen Worte von Gewaltverzicht und Feindesliebe entstammten einem milden Philanthropismus. Das Gegenteil ist der Fall, wie Rom. 12,20 (unter Verwendung von Provo 25,21 f.) deutlich zeigt. Ausgeschlossen aber ist die Möglichkeit, daß Christen bzw. die Gemeinde Christi selbst das göttliche Gericht vollstrecken und vorwegnehmen, weil der wahre Inhaber aller Macht und Gewalt, der bergenden wie der tötenden, Gott allein ist. Die Wirklichkeit der göttlichen Gewalt ist insofern der Grund des menschlichen Gewaltverzichts.
3.3. Endzeitliehe Gewalt und Geduld Daß und in welchem Maß das Vertrauen auf Gottes Handeln im Gericht am Ende aller Zeiten dazu befähigt, die Gewalt und das Leiden in der zum Vergehen verurteilten Weltzeit in Geduld zu ertragen, wird wohl nirgends so deutlich wie im letzten Buch der christlichen :ßibeP41. Vor allem das 13. Kapitel der Johannes-Apokalypse bildet den locus classicus der christli-
137 -Dihle, Ethik (Anm. 65), 708. 138 Vgl. dazu G. Bornkamm, Das Anathema in der urchristlichen Abendmahlsliturgie, in: ders., Das Ende des Gesetzes (Ges. Aufsätze I), München 1952,123-132; sowie J. Behen, Art. ava'tL{to'U.tL, in: ThWbNT I (1933), 355-357; C.-H. Hunzinger, Art. Bann 11., in: TRE 5 (1980), 161-167 (bes. 165 f.). 139 M'iJ (l'Ilvaval.tLyvuaflm = non commisceri (1. Kor. 5,9.11): es geht also um einen, wie 'es im Kirchenrecht später heißt, excommunicatus vitandus! Vgl. aber 2. Thess. 3,14 f. mit der Aufforderung, den Ausgeschlossenen nicht als Feind (exftQ6s, inimicus) anzusehen. 140 Zur mittelalterlichen Geschichte des Topos vgl. H. Grundmann, Oportet et haereses esse (1963), in: ders., a. a. O. (Anm. 130), 328-363. 141 Vgl. Schrage, a. a. O. (Anm. 107), 69-79; Hengel, a. a. O. (Anm. 10), 39 f.; O. Böcher, Die Johannesapokalypse, Darmstadt (1975) 21980; E. Lohse, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen 21966.
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chen Kritik an jeglicher gewalttätigen Tyrannis, und Apk. 18,11 ff. ist ein Prototyp der Reichtums- und Luxuskritik142 • Der Text ist vermutlich in den letzten Jahren der Regierungszeit Domitians (81-96) entstanden. Aus den Versen sprechen die Drangsale einer Gemeinde. in Kleinasien, die durch Hungersnöte, die Aggressivität heidnischer Kulte und die sich abzeichnende umfassende Christenverfolgung zutiefst bedroht und gequält ist. ~ur Zeit Domitians, der sich schon zu Lebzeiten als ,.dominus ac·deus« verehren ließ, erhielt Ephesus einen Kaisertempel; in Pergamon stand der weithin sichtbare Altar des Zeus (,.Thron des Satans«, Apk. 2,13); die kaiserliche Priesterschaft wachte über den Kauf von Opferfleisch, die Teilnahme an öffentlichen Feiern und den Eidschwur beim Namen des Kaisers 143 • Diesen vereinigten religiösen, politischen und ökonomischen Gewalten sagt die Johannesapokalypse in an Schärfe nicht zu überbietender Weise Gericht und Vernichtung voraus.'Der Drache (Apk. 12), das Tier aus dem Abgrund (Apk. 13) und die sieben Häupter (Apk. 17) verweisen auf Erscheinungen des römischen Imperiums als Verkörperungen satanischer Macht, und das »zweite Tier« (Apk. 13,11 ff.), das als verführerischer Pseudoprophet für die Unterwerfung gegenüber dem Bild des ,.ersten Tieres« Propaganda macht, steht, modern gesprochen, für ,.Staatsideologie und Staatsmetaphysik, für Staatskult und Staatssymbolik«I#, insofern es die Reilität der antichristlichen Gewalten noch um die Forderung überbietet, auch deren Fetischen Verehrung zu erweisen. Aber dieses Inferno wird ineins mit seiner Benennung dem Untergang überantwortet. In einem ,.letzten Gefechte wird diese 'go~ose Macht vernichtet werden: Christus selbst wird als kriegerischer Messias auf weißem Pferd gemäß der präfigurativen Ankündigung des Alten Testaments (Ps. 2,9; Jes. 11,4) die ihm widerstreitenden Völker zerschlagen (Apk. 19,15). Die Verkündigung Christi als des einzigen und wahren Imperators aller Reiche bedeutet die antizipierte Entmächtigung aller irdischen Herrscher, die ihre Gewalt gegen ihn und seine Gemeinden aufrichten' zu können wähnen l45 • Diese Herrscher werden gegen und über alles menschliche Maß und Vorstellungsvermögen mit der Ankündigung eines tausendjährigen Reiches und des 142 Zur mindalterlichen Wirkungsgeschichte - Apk. ist eines der am häufigsten im Minelalter kommentierten biblischen Bücher - vgl. H. Riedlinger / H. Sauer / J. M. Plotzek, Art. Apokalypse, in: Lexikon des Mindalters I (1980), 748-755. 143 Vgl. Lampe, a. a. O. (Anm. 15), 100 ff. 144 Schrage, a. a. O. (Anm. 107), 74. 145 Vgl. zum altchristlichen Topos "Christus als Imperator« den Aufsatz gleichen Titels von E. Peterson (zuerst 1937!) in: den., Theologische Traktate, München 1951, 149-164, sowie die These der "Substituierung des Kaisers durch Christus« bei Ehrhardt, a. a. O. (Anm. 114), Bd. 11, 26.
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Weltgerichtes konfrontiert (Apk. 20), und ihnen wird nicht nur ein gewaltsames, sondern ein ewiges Ende vorausgesagt: ,.Und ich sah das Tier und die Könige auf Erden und ihre Heere versammelt, Krieg zu führen mit dem, der auf dem Pferde saß, und mit seinem Heer. Und das Tier ward gegriffen und mit ihm der falsche Prophet, der die Zeichen tat vor ihm, durch welche er verführte, die das Malzeichen des Tieres nahmen und die das Bild des Tieres anbeteten. Lebendig wurden diese beiden in den feurigen pfuhl geworfen, der mit Schwefel brannte. Und die andem wurden erschlagen mit dem Schwert, das aus dem Munde ging des, der allf dem pferde saß. Und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleische (Apk. 19,19-21).
In einer feindlichen gegenwärtigen Welt ist der Gotte~dienst für den Johannesapokalyptiker der Ort, an dem er des endzeitliche~'Sieges Christi über alle irdischen Gewalten gewiß wird!"'. Während in der antirömischen Polemik die Apokalypse durchaus zeitgenössischen jüdischen Texten vergleichbar ist, unterscheidet sie sich zutiefst in der gottesdienstlichen Vergegenwärtigung des endzeitlichen und erhofften Sieges Gottes, denn dieser ist schon im Tode Christi errungen worden (Apk. 11,15; 12,1~12; 19,6 ff.). Diese Siegesgewißheit gründet im Todesleiden Christi und im GlaubeIl,.daß Christus als Erstgeborener von den To~en der Herr über die Könige auf Erden ist (Apk. 1,5), unddies ist der Grund jener Geduld, die nicht selbst zum Schwert des letzten Gerichtes zu greifen wagt, sondem auf das göttliche Eingreifen harrt: "Wenn jemand andre in das Gefängnis führt, der wird selber in das Gefängnis gehen; wenn jemand mit dem Schwert tötet, der muß mit dem Schwert getötet werden. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen« (Apk. 13,10).
4. Gewalterfahrungen in der Alten Kirche Am 30. April des Jahres 311 erließ der Kaiser Galerius, der Augustus des Ostens des Impe~ium Romanum und Senior innerhalb der Tetrarchie, ein Edikt, in welchem den Provinzgouvemeuren (iudices) u. a. folgende Anweisung gegeben wird: ,.Gemäß diesem unserem Gnadenerlaß ist. es ihre (sc. der Chri~ten) PElicht, zu ihrem Gott für unser Heil, für das des Staates 1JIld für ihr eigenes zu beten, damit das Staatswesen in jeder Hinsicht unversehrt bleibt und sie sicher in ihren Wohnsitzen leben können.«!·!7 146 Vgl. G. Delling, Zum gottesdienstlichen Stil der Johannesapokalypse, in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göningen 1970, 425-450; Lampe, a. a. O. (Anm. 15), 106 ff. 147 ,.Debebunt deum suum orare pro salute nostra et rei publicae ac sua, ut undique
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Als diese Worte geschrieben wurden, lag die letzte große Christenverfolgung unter Diokletian (303/304) nur wenige Jahre zurück148 • Das Christentum, das als unbedeutende Sekte am Rande des Judentums die antike Welt betreten hatte, war nunmehr nicht bloß »religio licita«, sondern· schickte sich an beziehungsweise war aufgefordert, Verantwortung für das Wohl des gesamten Imperium mit zu übernehmen. Damit war von ihm nicht weniger gefordert, als seine Stellung zur Sphäre der politischen Gewalten und Mächte von Grund auf neu zu bestimmen. Diese Weichenstellung, die nur ungenau mit dem Stichwort der ,.Konstantinischen Wende« bezeichnet ist, hat naturgemäß in der Geschichte der Christenheit immer wieder im Mittelpunkt historischer Vergewisserung gestanden, wenn es um Fragen theologischer Gewaltbeurteilung ging. Es ist kein Zufall, daß an den Namen Konstantinsdes Großen jene historisch folgenreiche Fälschung angeknüpft hat, die über Jahrhunderte der Begründung des päpstlichen Machtanspruches auch in weltlichen Dingen diente l49 , und ebensowenig kann es verwundern, daß in Zeiten einer vermeintlichen oder tatsächlichen Anpassung der Kirche an die Loyalitätsforderungen des Staates die Kritik am Christentum als Staatsreligion unter Verweis auf ,.Byzantinismus« und ,.Cäsaropapismus« immer neu auflebt. Unabhängig von der historischen Berechtigung derartiger Schlagworte ist unverkennbar, daß sie zunächst einmal Reflex des Staunens· über jenen unerhörten Umschwung sind, der in wenigen Jahren die Christenheit von ·blutiger Verfolgung zur Teilhabe an der politischen Macht führte. In die Besinnung auf diese epochale Wende gehen zudem stets die Interessen der Gegenwart ein. Die Auseinandersetzung mit Konstantin und vor allem mit Eusebius von Caesarea hat im 20. Jahrhundert immer wieder als Folie für
versum res publica perstet incolumis et securi vivere in sedibus suis possint.« Zit. nach Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. I: Alte Kirche, hg. v. A. M. Ritter, Neukirchen-V1uyn 1977,120. Vgl. dazuH.U. Instinsky, Die Alte Kirche und das Heil . des Staates, München 1963; passim. . . 148 Vgl. dazu die zusammenfassenden Darstellungen von N. H. Baynes in: The Cambridge Ancient History, vol. XII (zuerst 1939), Cambridge 1961, 64~77 (bes. 665 ff.); K. Baus, in: Handbuch der Kirchengeschichte I (1962), 441-449; C. Andresen, Geschichte des Christentums, Bd. I, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1975,43 f. . 149 Text u. a. in C. Mirbt / K. Aland, Quellen zur Geschichte des Papsttumsund des römischen Katholizismus, Tübingen 61967,·Bd. I, Nr. 504. - Vgl. dazu H. Fuhrmann, Konstantinische Schenkung und Silvesterlegende in neuer Sicht, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 15, 1959, 523-540; W. Ullmann, Die Machtstellung des Papstes im Mittelalter, Graz-Wien-Köln 1960,. U4-t:33. Grundlegend zum Komplex der mittelalterlichen Fälschungssammlungen ist H. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit, 3 Bde., Stuttgart 1972-1975.
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die Erörterung des Verhältnisses von Religion und Pölitik, Kirche und Staat gedient. Wenn F. Overbeck schrieb: »Harnack verrichtete den Dienst eines Friseurs an der theologischen Perrücke (sie) des Kaisers - ganz wie weiland Eusebius von Cäsarea bei Kaiser Konstantin dem Großen!C 15O, dann ist unmittelbar deutlich, daß der historische Hinweis dem damaligen kritischen Interesse an der Gegenwart zu dienen hatte, und wohl jede Kirche, die ihre Freiheit der politischen Opportunität unterordnet, muß sich unerachtet historischer Authentizität an Konstantin (und vor allem Theodosius) erinnern lassen. Den größten Einfluß hat dieser Traditionszusammenhang in unserer Zeit wohl dort gewonnen, wo in Anknüpfung an oder Auseinander~ setzung mit Carl SchmittlSI Fragen einer ,.Politischen Theologie« zur Diskussion stehen!S2. Ich habe auf diese Bezüge hingewiesen, um die Intention meiner Frage nach Gewalterfahrungen in der Alten Kirche vorweg zu nennen und die Erwartung abzuwehren, hier solle und könne ausführlich auf die verwickelten Probleme eingegangen werden, die sich mit dem Hineinw.achsen der Alten Kirche in das Imperium stellen. Ich beschränke mich im folgenden auf einige Sachverhalte, die. für die Geschichte des Gewaltverständnisses und der Gewaltkritik der Christenheit Bedeutung gewonnen haben und folge dabei nach einigen allgemeineren Vorbemerkungen den Leitfragen nach HerrschaftlWiderstand, Krieg und Toleranz. 4.1. Machtanspruch oder Weltverantwortung des Christentlfms? A. A. T. Ehrhardt hat in seiner Interpretation der politischen Wirkungen des frühen Christentums dessen zwar gewiß nicht unmittelbar beabsichtigten, aber faktisch für die antike Welt umwälzenden Folgen herausgestellt. In beständiger Auseinandersetzung mit dem von H; Dörries gezeichneten Konstantinbild 153 hat er im 2. Band seiner ,.Politischen Metaphysik« betQnt: ,.Es war: das ·Wesen und die Bestimmung des Christentums, daß es die religiöse Grundlage des .antiken Staates angriff.«ls. Auf Asebie lautete ja die 150 Christentum und Kultur, hg. v. C. A. Bemoulli (Basel 1919), Dannstadt 21963, 209. 151 Vgl. bes. dessen ,.Politische Theologie 11«, Berlin 1970, in Auseinandersetzung mit E. Petersons Abhandlung von 1935 lODet.Monotheismus als politisches Problem«, in: ders., a. a. O. (Anm. 145),45-147, sowie dazu A. Schindler (Hg.), Monotheismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen Theologie, Gütersloh 1978. 152 Vgl. zuletzt E.-W. Böckenförde, Politische Theologie - Begriff und Bedeutung, in: NZZ vom 30. 5. 1981 (Femausgabe), 51. 153 Das Selbstzeugnis Kaiser Konstantins, Göttingen 1954. 154 A. a. O. (Anm. 114), 3. - Zu Ehrhardts Lebensweg vgl. das Vorwort von F.
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Anklage, die man gegen die neue, im Schoße des Judentums herangewachsene Religion erhob, und dieses Vergehen galt als Angriff auf die öffentliche Ordnung. ,.Militia Christi .. als öffentliches Tatzeugnis der Christen ist schwerlich ohne politische Konnotationen vorstellbarI55 • Schon Kelsos konnte daher im 2. Jh. gegen die Christenschar als Rechtsbrecher mit einem Räuberhauptmann an der Spitze polemisieren156, zumal sich hier ein religiöser Ausschließlichkeitsanspruch geltend machte, der der alttestamendichen Eiferheiligkeit Jahwes 157 näher stand als der religiösen Toleranz der Spätantike, wie sie trotz Kaiserkult praktiziert wurde158 • Ehrhardts These, die schon der Untertitel seines 2. Bandes signalisiert (,.Die christliche Revolution«), ist, daß ,.das ChristentUm von Anfang an auf politische Herrschaft abzielte, in voller Erkenntnis der Bedeutung politischer Gewalt" 159. Als Beweis fungiert zunächst der Hinweis auf Mt. 28,18, und inhaldich versucht Ehrhardt, den "politischen Gedanken« im ChristentUm, der für ihn wesendich ein traditionskritischer ist, als Aufnahme und Umformung der politischen Religion der Spätantike näher zu bestimmen. Zu diesem Zweck vedolgt er besonders jenes Motiv, das ChristUs als den wahren Imperator l60 oder den,. König der 0 kumene« bezeichnet, wie es zum Beispiel bei Irenaeus l6l , Tertullian162 oder Origenes 161 begegnet. Aber während seine Wieacker zum nachgelassenen 3. Bd., Tübingen 1969. Ehrhardt (1903-1965) stammte aus Königsberg, habilitierte sich 1930 in der jurist. Fakultät FreiburglBr., wurde 1935 von den Nazis zur Aufgabe des Lehramtes gezwungen und ging nach Basel, wo er 1939 bei K. Barth seine theol. Studien abschloß. Er ging anschließend als Pfarrer der Church of England ins Industriegebiet von Manchester. Sein dreibändiges Werk ist die Frucht einer 22jährigen Arbeit. Mir scheint, daß E. in die Reihe der unorthodoxen, leidenschaftlichen Wahrheitszeugen der neueren Christentumsgeschichte gehört: Kierkegaard, Overbeck, Peterson, deren Kritik der weltgeschichtlichen Machtfoqn der Kirche gilt. . 155 Ehrhardt, a. a. O. (Anm. 114), 13 f. 156 Vgl. Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 1,199. - Vgl. ebd. insgesamt zu den Christenverfolgungen 148-162 und 187-200; sowie A. Wlosok, Die Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen der ersten zwei Jahrhunderte, in: Gymnasium 66, 1959, 14-32; dies., Rom und die Christen. Zur Auseinandersetzung zwischen Christentum und römischem Staat, Stuttgart 1970. 157 S. oben, S. 41 H. 158 Vgl. Ehrhardt, a. a. O. (Anm. 114), Bd. I, 284 H., zur römischen pietas, und 294 H. zur pax Romana, die, auf pietas, fides und clementia beruhend, die ideale Einheit von pax und libertas meint. Vgl. auch H. Fuchs, AugiJstin und dei' antike Friedensgedanke, Berlin 1926, sowie Duchrow, a. a. o. (Anm. 107), 268 H. 159 Ebd., Bd. 11, 3. 160 Vgl. Peterson, a. a. O. (Anm. 145). 161 Ehrhardt, Bd. 11, 108-115. 162 Ebd., 155-158. 163 Ebd., 208 f.
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Beschreibung jener christlichen Impulse plausibel erscheint, die sich auf die Entsakralisierung der politischen Gewalten und besonders diejenige des Imperators beziehen, bleibt die Oberthese fragwürdig, derzufolge das Christentum selbst auf die politische Herrschaft abzielte. Tatsächlich, hat die Kirche wohl ,.kaum Ansätze gemacht, eine eigene neue Staatstheorie zu entwickeln, offenbar war sie daran auch wenig interessiert'. Die von Ehrhardt behandelte >christliche Revolution< vollzog sich im praktischen Verhalten der Christen«164. Dieses Verhalten war nicht ausgerichtet an den Erfordernissen einer revolutionären Erneuerung des Imperium, sondern an der Erbauung der Kirche Christi, und darum konnte Origenes gegen Kelsos behaupten, daß, falls alle Römer den christlichen Glauben annehmen würden, sie durch ihr Gebet den Sieg über ihre Feinde gewinnen würden l6s . Auf der Linie dieser und ähnlicher Belege gibt es gute Gründe für die nicht nur apologetische These gegen Ehrhardt, daß das frühe Christentum an aktiver Wehgestaltung durchaus nicht vordringlich interessiert war, so daß römischer Traditionalismus und christliche Endzeiterwartung sich keineswegs zu widersprechen brauchtenl66 . Besonders K. Beyschlag hat in einem materialreichen überblick167 diese Auffassung näher zu belegen versucht, indem er zeigt, daß vom 1. Clemensbrief über Tertullian bis hin zu Augustin sich ein Doppelmotiv in der Tradition durchhält: die (philosophisch geprägte) Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes und die Abwehr aller Umstürzler (VEOYtEQ03tOLOL). die pax und harmonia bedrohen. »Veränderung« in den Intentionen der Alten Kirche ziele daher »nicht so sehr auf die Veränderung des Veränderlichen, also der äußeren irdischen Welt, sondern auf die Heimkehr des veränderlichen Menschen in die göttliche Unveränderlichkeit, zu der er durch Christus berufen ist« 168. Sieht man indes die Belege durch, so mag die These, daß die Zielrichtung der frühen Christenheit nicht in der »Veränderung des Veränderlichen« lag, zwar plausibel sein, aber zugleich zeigt sich eine Fülle von »Veränderungen« besonders in dem Felde sozialer Aktivitäten, die man als 164 So G. Kretschmar, Der Weg zur ReiChskirche, in: VuF 13, 1968, 3-44 (21). 165 VIII, 70 (Bibliothek der Kirchenväter, ed. O. Bardenhewer et al., MünchenKempten, Bd. 53, 387; im folgenden zit. als BKV mit Band-Nr. und Seitenzahl). In VIII, 73 verweist Origenes darauf, daß auch die heidnischen Priester um der Reinheit ihrer Opfer willen vom Kriegsdienst'freigestellt seien, und daß die Christen zwar nicht mit der Waffe kämpfen, aber ein »Kriegsheer der Frömmigkeit« bilden (BKV 53, 393); Ähnliches gilt nach VIII, 75 für die Weigerung, obrigkeitliche Ämter zu übernehmen. 166 Schon Max Weber stellte im Blick auf die Geschichte antiker Prophetie fest: »Jesus vollends ist an sozialer Reform als solcher schlechterdings nicht interessierte (Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe Tübingen 51972, 271). 167 Christentum und Verän,derung in der Alten Kirche, in: KuD 18, 1972,26-55. 168 Ebd., 51.
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christliche Liebestätigkeit169 bezeichnet, die nicht unmittelbar intendiert gewesen sein mögen, aber sicher nicht von bewußt formulierten Intentionen zu trennen sind. Leider entfaltet Beyschlag nicht den Maßstab oder den Gesichtspunkt, von dem aus er sein Urteil gewinnt. Ob man nämlich »das Veränderliche« verändert, hängt ja davon ab, wie eine Gesellschaft oder Gruppen in ihr den für sie praktisch bedeutsamen Möglichkeits-· und Handlungsraum wahrnehmen und ausnutzen. Die Beantwortung der Frage nach den von der Alten Kirche ausgehenden Veränderungen setzt darum eigentlich den Vergleich damit voraus, was sonst in der damaligen Umwelt als veränderbar galt, denn nur aus der Bestimmung des Unterschiedes dazu könnte Aufschluß über das der Alten Kirche eigentümliche und mehr oder weniger bewußte Veränderungspotential gewonnen werdenl70 • Freilich ist »Veränderung« auch kein für antike Sozialstrukturen zentraler und aufschließender Begriff, sondern erst eine neuzeitlich-revolutionäre Leitvorstellungl71 • Daß aber das frühe Christentum Handlungsspielräume hatte, die es anders als seine Umwelt wahrnahm und nutzte, ist nicht zu bestreiten, auch wenn der Vergleich am Ende in vielerlei Hinsicht Troeltsch' These vom sozialkonservativen Charakterln der Alten Kirche bestätigen mag. Andererseits darf man jedoch nicht außer acht lassen, daß seit dem lukanischen Pfingstbericht (Act. 2) die Alte Kirche sich in einem zur ökumene entgrenzten Handlungsraum lebend wußte173 und dieser Welterfahrung in ihrem Tun zu entsprechen suchte. Zwar steht die Kirche als das wahre Gottesvolk der Völkerwelt gegenüber, aber sie ist ja selbst das eine Volk aus diesen Völkern, und in
169 VgI. G. Uhlhorn, Die christliche Liebestätigkeit, Bd. I, Stungart 21895 (ND Darmstadt 1959); Bolkestein, a. a. O. (Anm. 87); zur Kritik an Uhlhorns Darstellung vgl. die Anmerkungen bei Troeltsch, a. a. o. (Anm. 88), 134 f. m. Anm. 67. 170 M. a. W. wären Möglichkeitsurteile, die nur durch :Konstruktion und Verg~eich zu gewinnen sind, erforderlich; vgl. dazu den Methoden-Aufsatz Max Webers: Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung in der historischen Kausalbetrachtung, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 31968, 266-290. 171 Aber schon vor der Franz. Revolution hat F. Chr. Oetinger (1702-1782) sein zukunftweisendes Gebet formuliert: "Gib mir die Gelassenheit, hinzunehmen, was ich nicht ändern kann; gib mir den Mut, zu ändern, was ich ändern kann, und gib mir die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden... 172 Soziallehren, a. a. O. (Anm. 88),72.80.111.133 u. ö. 173 Vgl. die Auslegung bei Irenaeus, adv. haer. IU, 12. Unter Hinweis auf Dtn. 32,8 heißt es dort: ..Das Volk aber, das an Gott glaubt, stehe schon nicht mehr unter der Gewalt der Engel, sondern unter der des Herrn« (9). Der Völkersegen von Gen. 12,1-3 kommt hier zu seiner ökumenischen Erfüllung (10). übrigens erschloß schon Irenaeus unter Bezug auf KoI. 4,14 und 2. Tim. 4,9 H. Lukas den Arzt als Verf. von Apg. (lU, 14,1) (BKV 3,256 und 266).
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dieser Erfahrung gründet ein ganz .neues Verständnis von ökumenischer Universalität und ,.Weltverantwortung«174. Die in dieser Ausgangsstellung angelegte Spannung von Distanz ~ur vergehenden Gestalt dieser Welt einerseits und Bereitschaft zur Wahrnehmung von Verantwortung andererseits ließ sich freilich während der Krise des Kaisertums im 3. Jahrhundert nicht mehr durchhalten angesichts der Versuche, die Herrscher schon zu Lebzeiten zu vergöttlichen und entsprechend im Rahmen des Kaiserkultes die geforderten Opfer darzubringen. Reichseinheit . und Kulteinheit bedingen sich wechselseitig. Zwar will der Kaiserkult keinen der zugelassenen Kulte beseitig~n, wohl aber diese zusammenfassen und das gemeinsame Ziel der Einheit des Reiches hinordnen. H.-G. Beck faßt diese Tendenz so zusammen:
auf
,.Sämtliche Götter stehen zur Disposition, um dieser Einheit zu dienen. Es sind die Christen, die sich nicht in diese kultische Einheitlichkeit einbauen lassen wollen und die damit für ihre Umwelt die väterlichen mores und den genius des populus Romanus ablehnen. Was immer sie verehren und wem immer sie ihren Kult bezeugen, für den echten Römer sind sie gottlos, weil götterlos.«175
So gesehen ist das oben zitierte Toleranzedikt des Galerius von 311 der Versuch, die christliche Kirche in den Staatskult und damit in die Reichseinheit einzubinden. Auch das ungenau so genannte Mailänder Edikt176 des folgenden Jahres bedeutet noch keine Privilegierung des Christentums, sondern verfügt religionsrechtliche Parität177 und Rückgabe des konfiszierten Kirchenvermögens. Als Konstantin jedoch nach seinem Sieg an der Milvischen Brücke der Kirche in Afrika Finanzmittel zukommen lassen will, sieht er sich zwei Oberhirten gegenüber, die sich befehden. Der Donatistenstreit178 hatte die Kirche gespalten, und ein längerer Prozeß synodaler und polizeilicher Versuche der Streitschlichtung führt zu keinem brauchbaren Resultat. Einige Jahre später 174 Vgl. den schönen überblick von G. Kretschmar, Welterfahrung und Weltverantwortung in der Alten Kirche, in: J. Baur / L. Goppelt / G. Kretschmar (Hg.), Die Verantwortung der Kirche in der Gesellschaft, Stuttgart 1973, 111-142. 175 H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 89. 176 Vgl. Dörries, a. a. O. (Anm. 153), 228-232. 177 Quicquid est divinitatis in sede caelesti, nobis atque omnibus ... placatum ac propitium possit existere. (Was immer an Gönlichkeit auf himmlischem Sitze thront, [möge] uns und allen gnädig und gewogen sein.) Text auszugsweise in übersetzung bei Ritter, a. a. o. (Anm. 147), 124. - Vgl. insgesamt die Beiträge in G. Ruhbach (Hg.), Die Kirche angesichts der Konstantinischen Wende, Darmstadt 1976. 178 Vgl. dazu W. H. C. Frend, The Donatist Church. A Movement of Protest in Roman North Mrica, London (1953) 21971; E. L. Grasmück, Coercitio. Staat und Kirche im Donatistenstreit, Bonn 1964; Handbuch der Kirchengeschichte 11/1 (1973), 142 ff. (K. Baus).
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kommt Konstantin im Ostteil des Reiches nicht umhin, in den arianischen Streit schlichtend einzugreifen, weil die klerikale Zwietracht die politische Einheit bedroht. In dieser Sorge des Kaisers für die kirchliche Orthodoxie und die politische Einheit sieht Beck begründet, was er treffend ,.politische Orthodoxie« nennt179 • Ihr publizistisch wirksamster Vertreter wurde der Bischof Eusebius von Caesarea. Im Gegensatz zu den Darstellungen Eusebs bei J. BurckhardtIBO , F. Overbeck, E. Peterson und A. A. T. Ehrhardt muß man freilich sehen, daß das Werk Eusebs nicht mit den Schlagworten Caesaropapismus oder Byzantinismus abgetan werden kann l8l , sondern in seiner Entwicklung eine differenzierte Beurteilung politischer Entwicklungen und Strukturen erkennen läßt und dabei vor allem die Weltgeschichte, und hier besonders Konstantin, einzeichnet in ein theologisches Konzept der Heilsgeschichte, nicht aber umgekehrt die göttliche Monarchie zur Legitimation ihrer irdischen Parallelen mißbraucht182• Allerdings mag sein, daß Euseb indirekt dazu beigetragen hat, ,.daß die Kirche ins Schlepptau kaiserlicher Politik geriet, weil er den Griff des Staates nach der Kirche überhaupt nicht als Gefahr empfand«183. Mit Konstantin war indes das Christentum noch keineswegs zur alleinigen Staatsreligion geworden. Unter Kaiser Julian (361-363), von den Christen mit dem Beinamen des Apostaten tituliert, kam es, nachdem Konstantins Sohn Konstantius im Jahre 356 die heidnischen Tempel hatte schließen lassen IB., noch einmal zu einer Renaissance des Heidentums 185, und erst unter Theodosius wird unter dem erfolgreichen Druck der Kirche die religionsrechtliche Parität, von der diese einst selbst profitiert hatte, endgültig zugunsten der Orthodoxie von Nicäa aufgehoben. Das Edikt ,.Cunctos 179 A. a. O. (Anm. 175), 87 ff. Ob Konstantin sich dieser Aufgabe ,.verärgert und lusdosc annahm (92), können wir offenlassen. 180 Die Zeit Constantins des Großen, Leipzig (1853) 21880. 181 Die Kritik jenes ,.negativen Eusebius-Mythos« von Burckhardt bis Peterson ist die Pointe bei Schmitt, a. a. O. (Anm. 151), 68-88 (Zitat 86), der damit gerade die Unmöglichkeit einer eindeutigen Trennung der Reiche oder Bereiche von Politik und Religion unterstreichen will (vgl. ebd., 87). - Insofern sehe ich in Schmitts ,.Politischer Theologie 11« eine indirekte Kritik an H. Banon, dem diese Schrift gewidmet ist, und der in der Schmitt-FS ,.Epirrhosis« (Berlin 1968) gegen die "politische Theologie« des .11. Vaticanum einer ,.strengen Scheidung der zwei Reiche« das Wort geredet hatte: ,.Weltgeschichdiche Machtform,,?, Bd. I, 13-59, Zitat 49. 182 Ich folge hier G. Ruhbach, Die politische Theologie Eusebs von Caesarea, in: ders., a. a. O. (Anm. 177), 236-258, gegen Beck, a. a. O. (Anm. 175), 97. 183 Ruhbach, ebd., 255. 184 Vgl. die entsprechende Bestimmung bei Ritter, a. a. O. (Anm. 147), 150: Cod. Theod. 16, 10,2-4, aufgenommen in den Codex Justinianus (ed. P. Krueger, 62). 185 Vgl. dazu A. Momigliano (Hg.), The Conflict between Paganism and Christianity in the Fourth Century, Oxford (1963) 21964. 84
populos« des Theodosius vom 28. 2. 380 besiegelt das Recht dieses Staatskirchenturns; die Bedeutung dieses Dokuments zeigt sich daran, daß es später an die Spitze der kaiserlichen Konstitutionen gestellt wurde, die die Kodifikatoren des römischen Rechts unter Justinlan zusammenstellten: .. Cunctos populos, quos clementiae nostrae regit temperamentum, in tali volumus religione versari, quam divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad nunc ab ipso insinuata declarat, quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum Alexandriae episcopum, virum apostolicae sanctitatis; hoc est ut secundum apostolicam disciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et spiritus sancti unam deitatem sub parili maiestate et sub pia trinitate credamus. § I. Hanc legern sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam sustinere, nec conciliabula eorum ecclesiarum nomen accipere, divina primum vindicta, post etiam motus nostri, quem ex coelesti arbitrio sumpserimus, ultione plectendos.«1B6 Das Neue dieses Erlasses liegt darin, daß hier der kaiserliche Wille in Glaubenssachen entschied, ohne daß kirchliche Instanzen mitwirkten oder ein Synodenbeschluß vorlag, und daß eine Glaubensformel den Rang eines Staatsgesetzes mitsamt der Androhung irdischer Strafen erhielt187• Die Privilegien, die zuvor die heidnischen Kulte genossen hatten, kamen nun allein der Kirche der nicänischen Orthodoxie ZUIBl, aber man darf nicht annehmen, daß diese staatskirchliche Neuordnung umgehend und reichsweit hätte durchgesetzt werden können; vor allem die östlichen Kirchen, die dem Monophysitismus anhingen, vermochten bis'zum Arabersturm" im 7. Jahrhundert ihren Widerstand durchzuhalten. 186 Cod. lust., ed. P. Krueger, 5; MirbtlAland (Anm. 149), Nr. 310. übersetzung bei Ritter, a. a. O. (Anm. 147), 179: ..Alle Völker, über die wir ein mildes und maßvolles Regiment führen, sollen, so ist unser Wille, in der Religion verharren, die der göttliche Apostel Petrus, wie es der von ihm kundgemachte Glaube" bis zum heutigen Tage dartut, den Römern" überliefert hat und zu dem sich der Pontifex Damasus wie auch Bischof Petrus von Alexandrien, ein Mann von apostolischer Heiligkeit, offensichtlich bekennen; d. h. daß wir gemäß apostolischer Weisung und evangelischer Lehre eine Gottheit Vaters, Sohnes und Hl. Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben. Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen; die übrigen aber, die wir für toll und wahnsinnig halten, haben den Schimpf ketzerischer Lehre zu tragen. Auch dürfen ihre Versammlungsstätten nicht als Kirchen bezeichnet werden. Endlich soll sie vorab die göttliche Vergeltung, dann aber auch unsere Strafgerechtigkeit ereilen, die uns durch himmlisches Urteil übertragen worden ist.« 187 Vgl. W. Enßlin, Staat und Kirche von Konstantin bis Theodosius (1956), in: Ruhbach, a. a. O. (Anm. 177), 74-86 (83 f.), sowie ders., Die Religionspolitik des Kaisers Theodosius des Großen (1953), ebd., 87-111. 188 Zu q,en finanziellen und Immunitätsprivilegien, zur geistlichen Gerichtsbarkeit, zum Asylrecht usw. vgl. die Nachweise bei H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte: Die katholische Kirche, Köln-Wien 519n, 71-76.
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So hat sich innerhalb eines Jahrhunderts das Verhältnis der- Kirche zu den öffentlichen Gewalten vollständig gewandelt: mußte zunächst die kirchliche Freiheit gegen Verfolgungen erkämpft werden, so später gegen die Verlokkungen der politischen Integration189.Ein berühmtes Beispid dafür, daß die Kirche nun doch nicht zum Werkzeug der kaiserlichen Gewalt wird, finden -wir in dem öffentlichen Bußakt, zu dem Ambrosius von Mailand Theodosius nach einem Akt der Blutjustiz zwang, den dieser gegen die Bevölkerung der mazedonischen Stadt Thessalonich angeordnet hatte. Aber diese kirchliche Bußgewalt gegenüber der kaiserlichen Majestät hat dieser keinen Abbruch getan, sondern sie zu ihrer wahren Aufgabe gerufen, ohne ihrerseits einen Primats anspruch zu erheberi190 • Nicht für die Kirche, wohl- aber für die Gebote Christi wird von Ambrosius auch des Kaisers Gehorsam beansprucht191 • Die genannten Beispide sollten einige Schwierigkeiten illustrieren, denen sich die Alte Kirche gegenübersah, als ihr der Weg aus der Verfolgungssituation in die Rolle der Mitverantwortung für das Schicksal des Imperiums geöffnet war. Weitere hervorragende Beispide wie etwa die großen Kappadokier192 oder der Zeitgenosse des Ambrosius, Johannes Chrysostomus!9l, konnten 189 Den von R. Smend verfassungstheoretisch entfaltenen Begriff der Integration legt auch H.-G. Beck (Anm.175) seiner Darstellung der byzantinischen Normen und Verfassungswirklichkeit zugrunde als Inbegriff des Zusammenstimmens der politischen und sozialen Kräfte. Dabei werden u. a. die verschiedenen Begrenzungen der byzantinischen Autokratie deutlich (46 H.), Momente eines Vertragsdenkens, welches die Souveränität einschränkt (42 u. 45) und nicht zuletzt die Bedeutung des Prinzips des ,.consensus omnium« für die Legitimität der Herrschaft (39, 52, 57, 60). Vgl. auch den von H. Hunger herausgegebenen Sammdband ,.Das byzantinische Herrscherbilde (Darmstadt 1975) und darin bes. die Aufsätze von Beck. 190 H. v. Campenhausen, Die ersten Konflikte zwischen Kirche und Staat und ihre bleibende Bedeutung (1954), in: ders., Urchristliches und Altkirchliches. Vorträge und Aufsätze, Tübingen 1979, 353-360 (358 f.) - auch in: Ruhbach,a. a. O. (Anm.177), 14-21 - und W. Enßlin, Staat und Kirche (Anm. 187), 84 f., betonen in ihren knappen Erwähnungen das Lob des christlichen Kaisers, nicht den Sieg der Kirche; im Handbuch der Kirchengeschichte 11/1 (1973) stellt K. Baus dagegen Ambrosius' Sentenz ,.imperator enim intra ecclesiam non supra ecclesiam est« in den Vordergrund (90). 191 Vgl. Ambrosius' Auslegung von Lk. 2,1 in Verbindung mit Ps. 23,1: ,.Denn nicht des Augustus, sondern des Herrn ist die Erde und was sie erfüllte (Lukas-Kommentar 11, 37 = BKV 21,73). 192 Vgl. G. May, Basilios der Große und der röm.ische Staat, in: Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte (FS H. v. Campenhausen), Tübingen 1973, 47-70, sowie die Darstellung bei H. v. Campenhausen, Griechische Kirchenväter, Stuttgait 31961, 86-100. 193 Johannes Chrysostomus hat in seinen Homilien zum Römerbrief ausdrücklich auf den Zusammenhang von Röm. 12,19 ff. mit 13,1 H. hingewiesen (vgl. meine
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nicht einmal gestreift werden. Aber insgesamt geht es mir nicht um einen historischen überblick, sondern um beispielhafte Positionen der Gewaltwahrnehmung, auf welche auch neuere sozialethische Versuche der Gewaltbeurteilung Bezug nehmen. Im folgenden wird es nun erforderlich, einige Stellungnahmen zu besonderen Gewaltverhältnissen, die auch für heutige Probleme aktuelle Bedeutung haben (können), etwas .näher zu beleuchten und dabei zugleich nach der Möglichkeit des Gewaltverzichtes zu fragen. 4.2. Gewaltverzicht oder »Gerechter Krieg«
Weniges hat die Glaubwürdigkeit der Christenheit durch die Jahrhunderte so in Frage gestellt wie die Legitimation kriegerischer Gewalt. Gewiß, auch und besonders Kriege gehörten bis in die Neuzeit zu denjenigen gesellschaftlichen Phänomenen, die gleichsam von Natur aus gegeben sind!'" aber wenn das NT dazu aus großer Distanz schweigt, dann nicht, weil es pazifistische Prinzipien lehrt, sondern weil die Träger neutestamentlicher überlieferung noch nicht in die Händel dieser Welt verstrickt waren. Erst die Ausweitung des Handlungsraumes der frühen Christenheit ließ dieser auch eine Verantwortung zuwachsen, an die im ländlichen Palästina nicht zu denken war. ,.Die frühe Kirche«, so stellt H. v. Campenhausen im Anschluß an A. v. Harnack!'5 fest, ,.kennt zunächst überhaupt keine Erwägungen über das, was in der außerchristlichen Welt geschehen oder unterbleiben sollte, und hat auch nicht die Absicht, die Ordnung dieser vergehenden WeltimSinne des Christentums zu verändern.«!" Kriege waren ein Merkmal jener Welt, von überlegungen oben S. 70 H.) und Röm. 13,1 auf die Obrigkeit qua Institution, ~cht qua Person bezogeI\ (24. Homilie, 1 = BKV 42, 161 f.). Vgl. auch zur Feindesliebe die 18. Homilie zum Matthäus-Evangelium (= BKV 23, 323 H.). -·In der 4.. Rede über.die Genesis betont Johannes Chrysostomus, daß es in der na~lichen Ordnung nur eine Herrschaft, nämlich .die der Eltern über die Kinder, gebe, während die anderen Gewaltverhältnisse (MannIFrau; Herr/Sklave; Staat/Untertanen) Folge!l des Sündenfalls seien; vgl. Ritter, a. a. O. (Anm. 147), 192 f. 194 Vgl. Aristoteles, Pol. 1256 b 25 f. Aristoteies erklärt Kriege geben die Barbaren und deren Versklavung als »gerecht«; vgl. dazu m. weiteren Nachweisen F. H. RusselI, Tbe Just War in ehe Middle Ages, Cambridge-London-New York-Melbourne 1975,
3f. 195 Dessen Schrift grundlegenclist: Militia Christi. Die christliche Religion und der Soldatenstand in den ersten drei Jahrhunderten; Tübingen1905. Im Anhang (93 H.) bringt H. die wichtigsten Belegtexte. 196 Der Kriegsdienst der Christen in' der Kirche des Altertums (1953), in: ders., Tradition und Leben, Tübingen 1960, 203-215 (203). Vgl. ferner R. H. Bainton, Die frühe Kirche und der Krieg (1946), in:, R. Klein (Hg.), Das frühe Christentum im römischen Staat, Darmstadt 1971, 187-216; J. Lasserre, Der Krieg und das Evangelium (1953), München 1956; J. M. Hornus, Politische Entscheidung in der alten Kirche, München 1963; H. Gollwitzer, An. Krieg und Christentum, in: RGGl IV (1960),
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der sich die Christenheit fernhielt, weil sie ihr Heil woanders wußte und erhoffte. Die Möglichkeit dieser Distanz hatte natürlich auch soziale und politische Ursachen: die Sicherheit und Ordnung verbürgende Macht der Pax Romana, die zunächst marginale und unauffällige Sozialgestalt der christlichen Gruppen, das Fehlen einer Art allgemeiner Wehrpflicht197 • Bis weit ins 2. Jahrhundert gab es daher keine ,.Soldatenfrage« für die Christenheit (206). Die Fülle der militärischen Bilder, die die Heiligen Schriften und ihre Auslegung enthalten (Christen als milites, Taufe als sacramentum = Fahneneid, Christus als imperator), begleitet zwar den Weg der Kirche, aber zumeist in allegorischer oder kritischer Bedeutung. Für Tertullian 198 sind göttlicher und menschlicher Fahneneid unvereinbar, Blutvergießen wäre einer Verleugnung Christi (207). Aber, so fragt Kelsos, der Kritiker der Christenheit, sind nicht die Christen mit den sauberen Händen Schmarotzer der Gesellschaft, die sich und ihren Glauben von anderen verteidigen lassen (208)? Würden alle so handeln, so wäre nicht zu verhindern, ,.daß die Herrschaft auf Erden den gesetzlosen und wilden Barbaren zufällt« (209)199. Origenes antwortete, daß die Kirche die Verteidigung des Reiches ja mittelbar durch Mission und Gebet unterstütze (210)200, nur nicht das irdische Schwert führe. Später ist, 66-73. - Seitenzahlen im folgenden Text beziehen sich auf v. Campenhausens Aufsatz, dessen Duktus und Pointe - nämlich die Zuordnung von Kriegsdienst und Gewaltverzicht nach dem Schema von Regel und Ausnahme - schon 1953 den späteren friedensethischen Kompromiß im deutschen Protestantismus (,.Friedensdienst mit und ohne Waffen«) vorwegnahmen. 197 Für die Juden galt zudem vermutlich zumeist eine Befreiung vom Kriegsdienst; so Harnack, a. a. O. (Anm. 195), 49 m. Anm. - Ob es Wechselwirkungen zwischen dem Wandel des römischen Militärwesens im übergang vom Prinzip at zum Dominat und der christlichen Stellung zum Militär gegeben hat, ist mir nicht bekannt. Im Dominat, wie ihn besonders Diokletian schuf, wurden zivile und militärische Verwaltung (militia cohortalis/armata) getrennt; vgl. M. Kaser, Römische Rechtsgeschichte, Göttingen 21967,209; N. Brockmeyer, Sozialgeschichte der Antike, Stuttgart-BerlinKöln-Mainz 1972, 121 f. Unter Diokletian begann aber, wie Euseb berichtet, die Christenverfolgung im Militär (hist. eccl. VII,4) - was Christen im Soldatenstand voraussetzt. 198 Deidololatria, 19 (BKV 7,168; Ritter [Anm. 147],64 f.). Für Tertullian ist Joseph in Ägypten ein Beispiel dafür, wieweit Christen in der übernahme obrigkeitlicher Ämter gehen dürfen, ohne dem Götzendienst zu verfallen (ebd. 17; BKV 7,164). 199 Origenes, C. Celsum VIII,68 (BKV 53,385); zur Ablehnung des - unter Verweis auf die Privilegien des Priesterstandes! - vgl. ebd. VIII,73 (BKV 53,391 ff. = Ritter [Anm.147], 84 f.) - Der Cod. Theod. 16,10,21 verbietet später die Zulassung von Heiden zum Kriegsdienst (Ritter, 189 f.)! 200 ,.Ein leiser, ,pazifistischere Unterton klingt auf, der als solcher aus dem spätplatonischen Spiritualismus stammt.« So v. Campenhausen, 211. Es ist aber nicht zu verkennen, daß Origines auf Gebote Jesu und atl. überlieferungen (Jes. 2;4!) rekurriert; Belege bei Harnack, a. a. 0, (Anm. 195), 70 f. und 98-104.
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seit mit Konstantin und seinen Nachfolgern der »oberste Kriegsherr selbst Christ geworden war« (212), diese Position nicht mehr durchzuhalten: ..Die Christen mußten selber ins Glied treten« (212)ZOI. Zunächst wird ihnen zwar der Eintritt in die Armee gestattet, aber bisweilen das Töten noch verboten (213), doch schon im Jahre 416 wird verfügt, daß nur noch Christen in die Armee aufgenommen werden (214)zoz. Als Fazit dieser Entwicklung stellt v. Campenhausen fest: ,.Ausnahmen sind möglich und sind gerade als christliche Ausnahme notwendig: (...) Kriegsdienst und Kriegsverzicht der Christen gehören in gewisser Weise also zusammen. Die recht verstandene >Ausnahme< ist in diesem Falle die notwendige Auslegung und die Bestätigung einer richtig verstandenen >Regel,« (215). Aber man wird fragen müssen, ob die frühe Christenheit eingedenk der .. Urworte« des Gewaltverzichts und der Absage Jesu an die Schwertgewalt (Mt. 26,52; vgl. auch Joh. 18,36) sich mit diesem nach dem Schema von Regel und Ausnahme konstruierten Kompromiß nicht doch schwerer getan hat, als hier nahegelegt wird. Immerhin wird man zu bedenken haben, daß Konstantin sich erst auf dem Sterbebett taufen ließ und vorher als Pontifex Maximus oberster Kriegsherr blieb - »wie kann man aber als heidnischer Pontifex .getaufter Christ sein?«z03Nach der Schließung der heidnischen Tempel unter Konstantius im Jahre 356z04 und nach dem Edikt des Theodosius von 380 war zwar der entscheidende Sieg über das antike Heidentum errungen205 , aber innere Widerstände gegen ein Einrücken des Christentums in die Funktionen des antiken cultus publicus waren mcht ohne weiteres zum Verstummen zu bringen. Die Beteiligung von Christen an der öffentlichen Schwertgewalt diente ja nicht nur der Aufrechterhaltung des äußeren und inneren Friedens, sondern auch der Wahrung der ,.politischen Orthodoxie«, also der Abwehr 201 Als entscheidende Wende gilt i. a. ·die von Konstantin einberufene Synode von ArIes 314, in deren Canon III es heißt: Oe his qui arma proiciunt in pace: Placuit abstineri eos a communione; MirbtlAland, Nr. 242. Vgl. dazu Harnack, a. a. O. (Anm.195), 87 ff: ..Die Kirche machte mit dem Kaiser gemeinsame Sache, um die Soldaten bei der Fahne zu halten« (89). Hornus ist der Auffassung, die Bestimmung ..in pace« sei wörtlich zu nehmen und bedeute implizit, in Kriegszeiten die Waffen zurückzuweisen (a. a. 0., Anm. 196, 161 f.). Beyschlags Kritik an Hornus (a. a. 0., Anm. 167,36 f. m. Anm. 22), daß christlicher Antimilitarismus in der alten Kirche kein ..offizieller Standpunkte (Homus) gewesen sei, ist zu folgen, aber wohl nicht darin, daß die christliche Abstinenz vom Militär eine ..Randerscheinung« gewesen sei. 202 S. oben bei Anm. 199. 203 Kretschmar, a. a. O. (Anm. 174), 126. 204 S. oben bei Anm. 184. 205 Mit Nebenfolgen wie übergriffen gegen nach wie vor bestehende heidnische Tempel; vgl. den Protest des berühmten Rhetors Libanius gegen derartige gesetzwidrige Gewalttaten, zu denen die "Schwarzröcke« anstifteten, bei Ritter, a. a. O. (Anm. 147), 187. 89
und Verfolgung von Häresien. und Häretikern206 • Während besonders Ambrosius keinen Widerspruch in der Vereinigung von fides Romana und fides Catholica sah und den Kaiser als ,.Sohn der Kirche« bezeichnete207, der mit ihrem Schutz beauftragt sei, hat Augustin selbst auf dem Höhepunkt der donatistischen Krise gezögert, staatliche Gewaltmittel zu ihrer Beilegung in Anspruch zu nehmen - nicht zuletzt aufgrund der Weisung der Bergpredigt, selbst nicht zu richten (Mt. 7,1; Lk. 6,37)208. Nach dem übergang zur Reichskirche waren zwar die wesentlichen Hindernisse für eine Beteiligung der Christen am Kriegsdienst hinfällig geworden, die in der Anerkennung des Kaiserkultes begründet waren, aber daneben blieben andere Ablehnungsgründe bestehen, die vor allem das Verhalten und die Moral im Soldatenstande betrafen209 • Indes wird man diese Gesichtspunkte nicht im Sinne einer fortbestehenden grundsätzlichen Kritik an militärischer Gewalt auffassen dürfen, sondern als Kritik an bestimmten Entartungen einer an sich legitimen Sache ansehen müsseI,l. Un~er diesen Voraussetzungen der grundsätzlich nicht mehr verworfenen Möglichkeit, daß Christen Soldaten sein können, mußte sich mit innerer Folgerichtigkeit die Frage aufdrängen, unter welchen Umständen die Anwendung militärischer Gewalt statthaft sei. Dieses Problem stellte sich konkret im Blick auf jene Stämme und Völker, die auf fast allen Seiten die Grenzen des Imperiums bedrängten und damit nicht nur den Frieden des Reiches, sondern zugleich auch die Stellung des einzig orthodoxen Glaubens bedrohten. Deshalb bestätigt~r~.s_ lODe fideChristiana« (378) dem Kaiser Gratian, daß die AbwehrundVerfolgung der (arianischen) Goten dem Reich und dem Glauben zugleich geschuldet waren210 ; zur Begründung griff der Bischof von Mailand hier wie sons~l1 gern auf die ,.bellizistischen« Traditionen des Alten Testamentes und der judäischen Widerstandsbewegungen212 zurück. Die ethischen Traditionen der Stoa213 und des Alten Testamentes sind 206 Vgl. Russell, a. a. O. (Anm. 19-4), 13. 207 In gewisser Weise antizipiert Ambrosius ein späteres päpstliches Verständnis der zwei potestates; vgl. H. v. Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, Stuttgart 21965, 98. 208 Ep. 95,3 (BKV 29,387 f.); vgl. Beyschlag, a. a. O. (Anm. 10-4), .321). 209 Vgl. dazu Homus, a. a. O. (Anm. 196), passim. 210 ,.Fides Romana and fides catholica were cpextensive and mutually interdependent .. ; so Russell, a. a. O. (Anm. 19-4), 14. 211 De officiis 1,29,139-141; 1,35,175-178; 1,-40,196-199; 1,-41,200-202 (BKV 32,76 ff. 95 f. 105 ff. 107 ff.) u. ö. 212 De officiis 1,-41,200 ff. unter Bezug auf 1. und 2. Makk. 213 Ambrosius' bekanntestes Werk ,.De officiisc (391) lehnt sich in Titel und
Durchführung bekannt}.ich eng an das gleichnamige Werk Ciceros an und trug seinem Verfasser den Ehrentitel eines "christlichen Cicero« ein.
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es daher vornehmlich, denen die maßgeblichen Kriterien für die Kriegsbeteiligung von Christen entnommen werden. Als vorbildlich hat daher David·zu gelten, der nie einen Krieg begonnen habe, ohne Gott vorher um Rat gefragt zu haben214 • Wenn es aber darum geht, dem Unrecht zu wehren, dann ist die Anwendung bewaffneter Gewalt nicht nur möglich, sondern geboten: ,.Wer nicht gegen das Unrecht, das seinem Nächsten droht, soweit er kann, kämpft, ist ebenso schuldig wie der, der es diesem antut.,,215 Die alttestamentlichen Beispiele (Ex. 2,11 f.;Hi. 29,12 f.), die Ambrosius in diesem Zusammenhang anführt, erstrecken sich dabei nicht nur auf Fälle des Schutzes des Lebens vor äußerer Gewalt, sondern auch auf das Beispiel des Schutzes vor materieller Not. Ambrosius verbindet freilich nicht nur die stoische Lehre vom .. ius ad bellum« mit alttestamentlichen Motiven, sondern rezipien auch die »humanitären« Gesichtspunkte eines ..ius· belli«, das auf die Eingrenzung der Grausamkeit· und die Wahrung der Gerechtigkeit auch im Kriege zielt216 • Damit sind schon hier im Ausgang des 4. Jahrhundens alle maßgeblichen Gesichtspunkte zusammengefaßt, die bis zur Mitte unseres Jahrhundens ganz überwiegend die ethische Uneilsbildung bezüglich militärischer Gewalt leiteten. Abschließend sei in diesem Zusammenhang kurz auf Augustin verwiesen. Auch er war grundsätzlich der Auffassung, daß die Christenheit an der Aufgabe der Erhaltung des irdischen Friedens als eines relativen bonum mitwirkt, sofern dadurch die Verehrung des einen Gottes und der Bestand der vera religio nicht berühn werden. Im Rückgriff auf aristotelisch-stoische Traditionen und besonders Cicero und Varro hat Augustin den Frieden bekanntlich als »tranquillitas ordinis« und »ordo« näherhin als die ,.VeneiIUl1g der gleichen und ungleichen Dinge, die jedem seinen Platz zuweist«, aufgefaßf17• Auf eine deranige Ordnung bewegt sich alles Seiende von Natur aus hin: die Seele findet ihren Frieden in der Ordnung der Triebe; im ,.Haus« 214 De officüs 1,35,177 (BKV 32,95 f.); vgl. auch zu Davids vorbildlicher Mäßigung im Kriege 11,7,33 (BKV 32,150). In seiner Auslegung von Röm.13 unterscheidet Ambrosius zwischen potestas mala und potestas bona; erstere ist durch ambitio (verwerfliches Machtstreben) charakterisiert; Nachweise bei Affeldt, a. a. o. (Anm. 107), 108. 215 De officiis 1,36,179 (BKV 32,97), nach der übersetzung bei P. Engelhardt, Die Lehre vom »gerechten Krieg« in der vorreformatorischen und katholischen Tradition. Herkunft-Wandlungen-Krise, in: R. Steinweg (Hg.), Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus, FrankfurtIM. 1980, 72-124 (74). 216 De officiis 1,29,140 f. In 1,39,141 betont Ambrosius den humanitären Sinn der Unterscheidung von »Feind« und »Fremdling«. 217 ,.Parium dispariumque rerum sua cuique loca distribuens disposito«: De civ. Dei XIX, 13.
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herrscht Frieden, wenn jeder - Herren wie Sklaven - seinem Stand gemäß wirkrll ; und im Staat liegt der Frieden in der »geordneten Eintracht der Bürger in bezug auf Befehlen und Gehorchen«219. Ich muß es hier bei diesen Andeutungen belassen und für nähere Begründungen und Einzelinterpretationen vor allem auf die Augustin-Interpretation von U. Duchrow verweisen. Für meine Fragestellung ist jedoch ein Aspekt bei Augustin wichtig, der noch kurz zu erwähnen ist: der Zusammenhang bzw. Gegensatz von Zwangsgewalt in Fragen der Religion mit der biblischen Tradition des Gewaltverzichts. Duchrow erwähnrzo einen Brief Augustins (ep.138), der später Anknüpfungspunkt für Luthers Obrigkeitsschrift geworden -ist, in welchem der Kirchenvater sich ausdrücklich mit dem seit Kelsos geläufigen Vorwurf auseinandersetzt, die Ethik der Bergpredigt gefährde die Erhaltung des politischen Friedens. Augustin antwortet nun so, daß er die übereinstimmung des römischen und christlichen Ethos hinsichtlich der concordia als Ziel sittlicher Handlungen herausstellt. Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sei eine von Grund auf römische Tugend. Augustin stellt auch ausdrücklich den sachlichen Zusammenhang von Mt. 5,39 f. und Röm. 12,21 heraus. Entscheidend und folgenreich ist dann aber die Deutung, ,.daß alle diese Gebote des Unrechtleidens sich mehr auf die innere Bereitschaft des Henens (praeparatio cordis) als auf die äußerliche, sichtbare Handlung beziehen«221. Dieses nämlich könne, wie in der Erziehung so auch im Kriege, im Dienste .der Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens auch Gewaltmittel einbeziehen. Aber welche Kriege können diesem Ziele dienen? Die Antwort Augustins richtig zu treffen, ist dadurch erschwert, daß sie jeweils auf bestimmte Situationen und Probleme gezielt war. So ist es auch unzutreffend, verallgemeinernd ,.die« Lehre vom gerechten Krieg auf Augustin zurückzuführen und dabei womöglich mit dem Prädikat »gerecht« ausdrücken zu wollen, daß Augustin insbesondere religionspolitische Gesichtspunkte zur Kriegslegitimierung geltend gemacht habe. Dieser Vorwurf könnte viel eher auf Ambrosius von Mailand zutreffen, aber bekanntlich erlebte dieser nicht mehr die Katastrophe Roms im Jahre 410 und damit die von Augustin in De civ. Dei reflektierte Zerstörung der alten Einheit von imperium und cultus. Tatsächlich scheint Augustin zunächst der Möglichkeit, Kriege für gerecht zu halten, ganz skeptisch gegenüberzustehen; sie sind zuerst grausame übel: 218 219 220 a. a. 221
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Augustin verweist auf Eph. 6,5: De civ. Dei XIX, 15. XIX, 13. A. a. O. (Anm. 107), 281 ff., dem ich hier folge; Text im Auszug bei Ritter, O. (Anm. 147), 210. Duchrow, 283.
..Wer sie mit Ergriffenheit betrachtet, wird unser Elend eingestehen müssen; wer sie hingegen hinnimmt und nachdenkt über sie, ohne in seiner Seele Kummer zu erleiden, der ist in seinem Wahn, glücklich zu sein, noch weit elender daran, weil er dann auch sein menschliches Empfinden eingebüßt hat.«222
Ciceros Lehre, daß ein Staat zu seiner Erhaltung gerechte Kriege führen könne, weil dem Staat seinem Wesen nach ewige Dauer - und nicht wie dem Menschen zeitlicher Tod - zukomme, bestreitet Augustin22J , und zwar mit dem Versuch nachzuweisen, daß Rom gemäß Ciceros eigener Definition nie ein Staat war. In De civ. Dei XIX,21 führt er weiter aus, daß Ciceros Bestimmung des Staates als Rechtsgemeinschaft zu gemeinsamem Nutzen224 einen Begriff der Gerechtigkeit· voraussetze und in Anspruch nehme, der nicht inhaltlich qualifiziert sei, denn es handele sich ja nicht um ,.wahre« Gerechtigkeit. In dieser Zuordnung von ius, iustitia und veritas22S aber scheint mir ein Ansatzpunkt226 dafür zu liegen, daß Augustin im Wissen um die vera religio dann doch nicht nur stoische Lehren vom gerechten Krieg rezipieren, sondern auch auf die Fälle religiöser Vedolgung übertragen und datnit ausweiten konnte. Hier ist ein kurzer Rückblick auf die vorhergehenden Abschnitte angezeigt. Ich habe oben so ausführlich von der Einheit von Leben und Verkündigung Jesu gehandelt, weil in ihm eine Form des Wahrheitszeugnisses überliefert ist, welche gänzlich aller Möglichkeiten ihrer gewaltsamen Durchsetzung enträt. Die Wahrheit, nicht die Macht ihrer Zeugen, wird freimachen (Joh. 8,32). 222 De civ. Dei XlX~7 (übersetzung C. J. Perl, Salzburg 1953). 223 XXlI,6. 224 Coetus multitudinis, iuris consensu et utilitatis communione sociatus; vgl. dazu Duchrow, a. a. O. (Anm. 107), 286. Vgl. zur Sache nach wie vor O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus,.Freiburg 1910, bes. 2. Abschnitt. Augustinus nennt in ep. 138,10 die ,.res publicac die ,.res populic, eine ,.hominum multitudo in quoddam vinculum redacta concordiaec (eine in ein gewisses Maß von Eintracht gebundene Menschenmenge). 225 In dieser Bedeutungssequenz rücken andererseits die Gegenbegriffe der strafbaren Handlung (crimen) und der Sünde (peccatum) zusammen. ,.Seen in this light any violation of God's laws, and, by easy extension, any violation of Christian doctrine, could be seen as an injustice warranting unlimited violent punishment.« Russell, a. a. O. (Anm. 194), 19. - Zur Begriffsstrategie Augustins vgl. auch Koselleck, a. a. O. (Anm. 134), 234 ff. 226 Daß Augustin selbst aus der mangelnden iustitia im Staat keine hierokratischen Ansprüche ableitet, betont Duchrow (288), um aber wenig später den Zusammenhang mit dem Religionszwang selbst herauszustellen. Duchrow sieht den Grund dieses Widerspruchs in der mangelnden Klärung der theologischen und rechtlichen Gehalte des Begriffs der iustitia (297). Ein Interesse an der Einheit der Begriffsgehalte ist leitend bei J. Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, München 1954, 255 ff. (zum Begriff der civitas) und 287 (zu iustitia).
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Paulus hat mit der Negation aller Werke des Gesetzes nicht weniger als mit den Merkmalen seiner apostolischen Existenz, die sich in der Schwachheit und im Leiden bewährt227, diesen Grundzug des Evangeliums bekräftigt. Die Erkenntnis der Wahrheit ist hier Antwort auf die göttliche Liebe, welche keiner Gewalt bedarf, wohl aber einer höheren Notwendigkeit entspringt, die aber gerade nicht nach Menschenart ist (1. Kor. 9,14 ff.)22B. Wenn das NT von den Erweisen der Macht dieser Wahrheit in Leben und Verkündigung Jesus spricht, begegnet oft das Wort t!;O'UOLU (Mt. 7,i9; 9,6 parr; Mt. 21,23 parr; Mt. 28,18; Joh. 17,2 u. ö.). Seine lateinischen Äquivalente sind potestas und licentia. Alle· diese Wörter haben im allgemeinen rechtliche Bedeutungsgehalte, aber in der J esusüberlieferung scheint dieser Bezug eigentümlich zurückzutreten, denn Jesu Vollmacht ist wie die Schöpfermacht Gottes auch allem Recht überlegen. Duchrow hat nun zu bedenken gegeben, ob Augustin, wenn er von iustitia spricht, nicht in einer aristotelisch-stoischen Tradition steht, derzufolge die Weisen und zur Herrschaft Berufenen aus freier Einsicht in die lex aeterna handeln, während die Unwissenden zum Gehorsam durch die Furcht vor Strafe gezwungen werden müssen, und diese Figur nun auch in die Frage der religiösen Wahrheit und des Gehorsams ihr gegenüber projiziert22'. Im Begriff der E!;O'UoLalpotestas, so könnte man dann weiter folgern, hätte sich damit die rechtliche Bedeutungskomponente in den Vordergrund geschoben, die für die abendländische Geschichte des Gewaltbegriffs schicksalhaft werdensollte230 • Natürlich steht daneben jene potestas, die gemäß Röm. 13,1 in der civitas terrena den irdischen Frieden als ein relatives, aber kostbares Gut schützt und dazu notfalls mit Gewalt, wenn die Einsicht fehlt, anhält. Hier ist Augustin treuer Paulus-Schüler, auch und gerade darin, daß er diese Macht nicht religiös überhöht. Aber wirkungsgeschichtlich bedeutsam wurde eben auch jene andere Linie, die die Entscheidung über die Einhaltung der wahren Religion in die Kompetenz dieser potestates stellte und so erneut dem Geist .der antiken politischen Religion mit den Mitteln des rÖIIÜschen Rechts zu welthistorischer Geltung verhelfen sollte. 227 Vgl. E. Käsemann, Die Legitimität des Apostels, Darmstadt 1956; E. Güttgemanns, Der leidende Apostel und sein Herr, Göttingen 1966. 228 Vgl. E. Käsemann, Eine paulinische Variation des ,.amor fatie, in: ders., a. a. O. (Anm. 107), 223-239. Die avayxTJ, von der hier die Rede ist, ist als Einheit von Macht und Gnade doch wohl nichts anderes als Jesu Ruf in die Nachfolge; vgl. dazu die Studie von Hengel, a. a. O. (Anm. 55). 229 A. a. O. (Anm. 107), 69. 86 H. 297 f. 230 ,. Wer im Mittelalter die Bibel las, nahm gleichzeitig die Grundlagen der römischen Rechtswissenschaft in sich auf.« So W. Ullmann, Kurze Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Berlin-New York 1978, 9. Vgl. insgesamt das 1. Kap. dieses Werkes.
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Ich belasse es hier bei dieser Vermutung. Zu ihrer Prüfung wäre erforderlich, den Verbindungslinien zwischen Augustin und römisch-rechtlichem Denken weiter nachzugehen. Es scheint aber plausibel zu sein, daß insbesondere die lateinische Bibelübersetzung des Hieronymus »die Verwendung der römischen Rechtssprache zur Wiedergabe alttestamentarischer Ausdrücke« sehr förderte 231 , so daß die Frage naheliegt, ob und wieweit Augustin ähnlich wie Ambrosius alttestamentliche Vorstellungen vom »Heiligen Krieg« mit den stoischen überlegungen zum »gerechten Krieg« zusammengedacht hat und auf diese Weise im Zuge der reichsrechtlich legalen Ketzerbekämpfung seine eschatologisch begründete Distanz zum imperium und zu dessen Schwertgewalt relativiert hat. Die Belege, die Russell in seinem Buch hierzu anführt und auslegt, stützen jedenfalls diese These. Unabhängig davon haben sich dann .freilich Augustins Kriterien eines ,.iustum bellum« - unerachtet der Aporien im zugrundeliegenden Begriff der iustitia - weitgehend durchgesetzt und durch Vermittlung des Decretum Gratiani und des Thomas v. Aquin232 allgemeine Geltung im Abendland gewonnen, ohne daß fr~ilich die Entstehungsbedingungen der Lehre in Augustins antimanichäischen Polemiken233 dabei reflektiert worden wären. Es genügt, wenn hier an die Hauptmerkmale dieser Lehre erinnert wird, da sie ja in fast allen einschlägigen Ethiken näher erläutert werden234 • Danach bedarf es zum Kriegführen einer legitimen Obrigkeit ~ti!!!.!..Rote§tas), die allein die Kompetenz zur Kriegserklärwig hat. Dazu oedarf es eines gerechten Grundes (causa iusta), der nachweist, daß ein Rechtsbruch vonseiten des Gegners vorliegt:'DetKrieg selbst ist nur zu führen, um die Friedensordnung (pax) wiederherzustellen, ~nd darf nicht darauf zielen, den Gegner zu vernichten, sondern nur die Absicht verfolgen, ihn zur Anerkennung der Friedensordnung zu veranlassen (reeta intentio).Hinzu kam später das Gebot der Verhältnismäßigkeit in äerMltte!wahl (debitus modus), das für Augustin noch keine entscheidende Rolle spielte; ihm'klUlt·eS'"vur all~m auf die rechte Ge~inn~iigjm Kriege an. Damit stimmt zusammen, daß AugUstin bei ,;gerechten K.~i~gen« durchaus Angriffskriege vor Augen hatte, daß er 231 Ullmann, ebd. 232 S. Th. lI-lI, q. 40. a. 1. 233 Contra Faustum XXII, 74 f.; die Stelle wurde aufgenommen in das Decretum Gratiani: Pars II, causa XXIII, quaestio 1, c. 4 (Ae. Friedberg, ed.,. Corpus Juris Canonici, Leipzig 1879 = Graz 1959, Bd. I, 892 f.). 234 Vgl. H. Thielicke, Theologische Ethik 1112, Tübingen 1958, 514-572; J. Mausbach / G. Ermecke, Katholische Moraltheologie, III/2, Müns~er 91961, 296-317; zur Interpretation der wichtigsten Augustin-Belege, vor allem aus den parallel zu De civ. Dei entstandenen .. Quaestiones in Heptateuchum«, vgl. Russell, a. a. O. (Anm. 194), 16-26, sowie die knappe Darstellung bei Engelhardt, a. a. 0". (Anm. 215), 74-78.
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unter Berufung auf Röm. 13,1 - auch Soldatengehorsam gegenüber ungerechten Befehlen für gerecht hielt2l5 , und daß schließlich die Grenze zwischen Verbrechen und Sünde, Kriminalität und Häresie so unscharf blieb: ,.his just war also defended the whole moral order«2J6. Manches spricht freilich auch dafür, daß Augustin selbst nur distanziert und reserviert den Möglichkeiten politischer Zwangsgewalt gegenüberstand, und zwar sowohl hinsichtlich der Frage des Krieges als auch der Zwangs gewalt gegen Ketzer. Aber insgesamt dominieren, ähnlich wie bei Ambrosius, hinsichtlich der Frage des Krieges die antiken und hier vor allem die stoischen Elemente einerseits, die alttestamentlichen Traditionen andererseits, während die neutestamentlichen Motive von Gewaltverzicht und Feindesliebe zurücktreten. So kann es nicht verwundern, daß trotz gewisser gegenläufiger Tendenzen, auf die der folgende Abschnitt noch verweisen wird, der Kirchenvater des Abendlandes zum Kronzeugen einer Haltung werden konnte, die als "politischer Augustinismus«237 wohl erst in den konfessionellen Bürgerkriegen der Neuzeit ihr Ende fand.
4.3. Gewaltverzicht und Toleranz Mehdach wurde schon der Sachverhalt gestreift, daß im Zeichen der reichs einheitlichen politischen Orthodoxie die Legitimität der Gewaltanwendung nicht nur im Blick auf äußere Feinde erörtert ~rde, sondern auch hinsichtlich von Häretikern zur Debatte stand. Es ist vieHach dargestellt worden, wie aus den einstmals vedolgten Christen innerhalb eines Jahrhunderts selbst Vedolger wurden; H. Dörries hat 1960 in seinen ,.Terry Lectures .. unter dem Titel ,.Konstantinische Wende und Glaubensfreiheit« eine eindringliche Zusammenfassung vorgetragen2JB . Hier inuß nicht wiederholt werden, wie die frühchristlichen Apologeten den Kaisern die Loyalität der Christen zusicherten, wie Tertullian jeden Zwang (vis) in Religionssachen verwad239, wie Laktanz die Freiheit der Religion forderte 24o, und wie gerade 235 Ergo vir iustus, si forte etiam sub rege, homine sacrilego, militet, recte potest illo iubente bellare; C. Faustum XXII, 75, aufgenommen in Gratians Dekret, a. a. O. (Anm. 233). Die Grenze dieses ,.in dubio pro auctoritate .. liegt in offenkundigen Verstößen gegen Gottes Gebote, aber es ist nicht zu erkennen, wie der Soldat in dieser Frage sdbst zu urteilen imstande sein könnte. 236 Russell, a. a. O. (Anm. 194), 25. 237 Das Schlagwort geht wohl zurück auf H. X. Arquilliere, L'augustinisme politique, Paris 1934. Vgl. auch Engelhardt, a. a. o. (Anm. 215), 78-81. 238 überarbeitet in: ders., Wort und Stunde, Bd. I, Göttingen 1966, 1-117. 239 " ... nec religionis est cogere religionem, quae sponte suscipi debeat, non vi«; zit. bei Dörries, ebd., 4 m. Anm. 7. 240 Ebd., 4 f.
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in den Verfolgungen die als so strafwürdig angesehene Hartnäckigkeit (pertinacia) der Bekenner wuchs. Mit den sog. Toleranzedikten kehren sich die Verhältnisse, jedenfalls dem Wortlaut der Gesetze nach, vollständig uml41 • Von anfänglicher Parität und Toleranz242 für alle Religionen führt der Weg zur Privilegierung und später zum Ausschließlichkeitsanspruch der christlichen als der einzig wahren Religion. Für den hier verfolgten sachlichen Zusammenhang ist nun bemerkenswert, daß hinsichtlich dieses Ausschließlichkeitsanspruches .und seiner Tendenz zur Intoleranz immer wieder Skrupel entstehen, die nicht zuletzt auf die Urworte der Bergpredigt über Gewaltverzicht und Feindesliebe zurückzuführen sind. Das schon erwähnte Edikt des Theodosius von 380, die reichsrechtliche Grundlage christlicher Intoleranz 243 , stand in Geltung und wurde ·verschiedentlich bekräftigt, aber dennoch blieb eine unübersehbare Hemmung, die staatliche Zwangs gewalt gegen Häretiker in Anspruch zu nehmen. Bei Augustin ist gelegentlich deutlich zu beobachten, wie er zwischen Reichsrecht und gegenläufigen Bibelstellen schwankt. Strafen sollen einem übel wehren, aber gilt nicht auch die Weisung Jesu ,.Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet« (Mt. 7,1)244? In den donatistischen Streitigkeiten neigt Augustin lange Zeit dazu, trotz der bestehenden Ketzergesetzgebung keinen staatlichen Zwang zu bemühen. Erst zwischen 405 und 408 schwenkt er definitiv um; seine Vert~idigung dieser Entscheidung faßt er in einem Brief (ep.93) an den Donatistenbischof Vincentius im Jahre 408 präzise zusammen245 . Gewiß gilt die Weisung der Feindesliebe, aber es gilt auch, daß die Liebe Gottes sich der Werkzeuge von Strafe und Furcht bedient (ep. 93,4). Auch die Berufung der Donatisten auf Röm. 12,17 verfange nicht, denn dies laufe auf die Maxime hinaus: Quod volumus, sanctum est (ep. 93,14). Entscheidend aber, so Augustin, ist nicht, ob jemand überhaupt gezwungen wird, sondern wozu er gezwungen wird; ursprünglich sei er zwar der Ansicht gewesen, man dürfe niemand zur Einheit des Leibes Christi zwingen, sondern müsse das Wort allein wirken lassen, aber das praktische Beispiel habe ihn vom Gegenteil überzeugt. Darum verdient, wie Augustin Röm. 13,1-3 zitierend einfließen läßt, die Obrigkeit, die die wahre Religion verteidigt und deshalb jemanden bestraft, hohes Lob (ep. 93,20). Ja, dies ist 241 S. oben S. 77 ff. 242 Bei Konstantin begegnen als leitende Begriffe indulgentia. libera potestas und libera facultas; Dörries, ebd., 19 m. Anm.33. 243 Noch Zwingli und Calvins Schüler Theodor Beza sahen in Theodosius darin den vorbildlichen Kaiser, daß er die Reinheit der wahren Religion wahrte; Nachweise bei Dörries, ebd., 51 f. m. Anm. 82. 244 Ep. 95,3 (BKV 29, 386). 245 BKV 29,333-384. Auszüge auch bei Ritter (Anm. 147), 211.
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der besondere Gottesdienst der Herrscher, das Gute zu befehlen und das Böse zu verbieten und zu strafen, und zwar auch in Angelegenheiten der R;eligion. Andererseits jedoch kann Augustin auch zur Milde gegenüber g~fangenen (nicht gefolterten, ,.nure ausgepeitschten) Häretikern mahnen2"'; die obrigkeitliche Gewalt sei befugt zu strafen, aber die Kirche könne nicht Böses mit Bösem vergelten, und sie liebe ihre Feinde so sehr, daß sie gegen ein zU strenges Urteil Berufung einlegen müsse247 . Augustin wendet sich in diesem Brief, der nach der Eroberung Roms und damit nach seiner Abkehr von jeder positiven Reichstheologie abgefaßt ist,. an einen Prokonsul, den er als Glied der Kirche im obrigkeitlichen Amt auf seine spezifische Verantwortunghin anrede~4B. Freilich ist damit die Befürwortung der Gewalt in Glaubenssachen nicht aufgehoben, sondern nur gemildert: ,.Der Kirchenvater des Abendlandes dachte nicht staatskirchlich, und von römischem Rechtsgefühl ist wenig bei ihm zu bemerken. Aber über seinen Erfahrungen ist Augustin aus dem anfänglichen Gegner allen Zwanges in Glaubenssachen dessen Anwalt geworden.«249 Auch dann hat Augustin die folgenden Jahrhunderte geprägt.
246 Ep. 134 (BKV 30, 42-46) aus dem Jahre 412. 247 Ep. 134,4. - Gelegentlich hat Augustin auch die Clausula Petri Apg. 5,29 zur Begründung der Geduld mit den Donatisten herangezogen;vgl. H. Dörries; Gonesgehorsam und Menschengehorsam bei Luther, in: ders., Wort und Stunde, Bd. III, Göttingen 1970, 109-194 (112). Belege zum Motiv des Verzichtes auf Rache (Röm. 12.19 f.) bei Kaiser Konstantin gibt Dörries a.a. o. (Anm. 238), 93,95 u. 97! 248 Vgl. zur näheren Interpretation R. A. Markus, Coge Intrare. Die Kirche und die politische Macht (1970), in: Ruhbach, a. a. O. (Anm. 177), 337-361. 249 Dörries, a. a. O. (Anm. 238), 57.
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11. GEWALT UND GEWALTKRITIK IN MITTELALTER UND REFORMATION
1. Voriiberlegungen In den meisten sozialphilosophischen und sozialethischen Darstellungen der Entwicklung der Sache wie des Begriffs der Gewalt liegt zwischen der Behandlung der alten Kirche und Luthers eine Kluft von 1000 Jahren!. Diese Lücke umfaßt nicht zuletzt JOOO Jahre Rechtsgeschichte, in denen wenige Fragen so intensiv verhandelt Wurden wie die der potestas bzw. der potestates in den weltlichen und kirchlichen Ordnungen, und zugleich brachen sich in dieser Zeit so revolutionäre Entwicklungen Bahn wie der Aufstieg der Stadtkultur, die Ausprägung einer Vielzahl territorialer Herrschaften, die Grundlegung der Nationalstaaten, die Ausbreitung der Geldwirtschaft und die Durchsetzung römischer Jurisprudenz und rationaler Verwaltung. Die Landfriedensbewegung drängte das Institut der Fehde und die Möglichkeiten der Selbsthilfe zurück und begünstigte den Aufbau territorialer Gewaltmonopole, denen wiederum bestimmte neue sQzialphilosophische Konzepte entsprachen wie die Lehren über Volkssouveränität, auch wen.n deren politische Durchsetzung noch lange auf sich warten ließ. So ist es ein dringendes Desiderat jedes Versuchs einer Geschichte der Gewalt - der ihrer Kritik möglichst unbefangen vorauszugehen har-, die mittelalter1 Vgl. die Darstellung bei K. Röngers, Andeutungen zu einer Geschichte des ·Redens über die Gewalt, in: O. Rammstedt (Hg.), Gewaltverhältnisse und· die Ohnmacht der Kritik, FrankfurtlM. 1974, 157-234. Der Artikel in der Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste, hg. v. J. S. Ersch / J. G. Grober, Erste Section Leipzig 1857, der zum größeren Teil dem juristischen Sprachgebrauch nachgeht (311 ff.), berücksichtigt nur die Bedeutungen von violentia und vis und konzentriert sich daher auf die ·Entwicklung von Fehderecht und Landfrieden einerseits, des Kriminalstrafrechts andererseits. Der einschlägige Art. im HWP ~ehandelt, von ·einem Seitenblick auf Luther abgesehen, nur die neuzeitliche Begriffsgeschichte. Chr. Graf v. Krockaw, Soziale Kontrolle und autoritäre Gewalt, München 1971, setzt erst mit der frühen Neuzeit ein. Die neueren theologisch orientierten Sammelbände konzentrieren sich ebenfalls auf biblische und reformanonsgeschichtliche Zusammenhänge: J. Strauß (Hg.), Glauben und Gewalt, München 1971; H. Greifenstein (Hg.), Macht und Gewalt, Leitlinien lutherischer Theologie zur politischen Ethik heute, Hamburg 1978.
2 Dagegen lautet W. Benjamins These: ,.Die Kritik der Gewalt ist die Philosophie ihrer Geschichte.« Diese Aufgabe hat er aber nicht als eine historiographische, sondern als eine systematische, nämlich als ,.Darstellung ihres (sc. der Gewalt, W. L.) Verhältnisses zu Recht und Gerechtigkeit«, aufgefaßt; vgl. W. Benjamin, Zur Kritik
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lichen Entwicklungslinien einzubeziehen, denn auf ihnen beruht die Sozialphilosophie der Neuzeit. A. Dempf hat dazu treffend bemerkt: ..Wer sich genauer mit der Geschichtsphilosophie des Mittelalters beschäftigt, stürzt von überraschung in überraschung über die Fülle gewaltiger Geistesheroen der Sozialphilosophie.«3 Dieser überzeugung ist nichts hinzuzufügen - außer dem Eingeständnis, daß es über den Rahmen dieser Studien hinausgeht, dieser Einsicht gebührend Rechnung zu tragen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen4 wird man wohl feststellen können, daß die gegenwärtige theologische Sozialethik im protestantischen Bereich kaum Resultate mediävistischer Forschung rezipiert und für ihre eigenen Fragestellungen fruchtbar zu machen versucht. Diese Lage ist deshalb einigermaßen prekär, weil einerseits für viele Fragestellungen sozialethiseher Art den Auffassungen der Reformationszeit erhebliches Gewicht und normative Bedeutung zugemessen wird, während andererseits die von dort aus zu verfolgenden Linien ins Spätmittelalter weit weniger Aufmerksamkeit finden, deren Bedeutung jedoch gerade von der neueren reformationsgeschichtlichen Forschung unübersehbar herausgestellt worden ist5 • Wollte man diesen Erkenntnissen im Rahmen einer ökumenisch orientierten politischen Ethik gebührend Rechnung tragen, so wäre es für deren besondere Aufgaben vor allem erforderlich, rechtsgeschichtliehe Entwicklungen und die Kontinuität sozialphilosophischer Traditionen zu berücksichtigen, die den Epochenbruch der Reformation übergreifen. Um nur ein Beispiel zu nennen, so ist an die Aristoteles~Rezeption zu erinnern': Aristoteles ist für Marsilius von Padua unbezweifeite Autorität, der Gewalt, in: ders., Ges. Schriften TIl1, FrankfurtIM. 1977, 179-203 (179 u. 202). Vgl. dazu näher G. Figal I H. Folkers, Zur Theorie der Gewalt und Gewaltlosigkeit bei Walter Benjamin, Heidelberg 1979. 3 Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie. des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 41973, 170. 4 Dazu gehört vor allem U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung, Stuttgart 1970, Kap. III. 5 Vgl. E. Breisach, Renaissance Europa 1300-1517,.New York-London 1973; H. A. Oberman, Werden und Wertung der Reformation, Tübingen 1977; St. Ozment, The Age of Reform 1250-1550. An Intellectual and Religious History of Late Medieval and Reformation Europe, New Hllven-London 1980. 6 Vgl. den überblick von G. v. Hertling, Zur Geschichte der Aristotelischen Politik im Mittelalter, in: Rheinisches Museum für Philologie N. F. XXXIX, 1884,446-457 (auch in: ders., Historische Beiträge zur Philosophie, Kempten-München 1914,20-31; ich folge dem ersten Abdruck); Duchrow, a. a. o. (Anm.4), 298 ff.; M. Riedel, Aristotelismus und Humanismus, in: ders., Metaphysik und Metapolitik, Frankfurtl M. 1975, 109-128 (Lit.); T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, 149-222. Grundlegend M. Grabmann, Die mittelalterlichen Kommentare zur Politik des Aristoteles (SB Akad. München, phil.hist. Klasse, Bd. 2, H. 10, 1941). .
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,.eximius philosophorum,/, Melanchthon hat seine ,.Politik« ausgelegt, und auf Marsilius wiederum konnte man zurückgreifen, als es darum ging, ,.die >res publica christiana< des protestantischen Konfessionsstaates oder der evangelischen Stadt« theoretisch zu begründenB. Aber nicht nur die Wirkungen einzehier Autoren, Schriften und Motive des europäischen Mittelalters reichen bis in die Gegenwart oder doch jedenfalls bis in die Anfänge der Industrialisierung, sondern auch die wesentlichen rechtlichen, politischen und sozialen Strukturen, deren Ursprünge in diese Epoche fallen'. Volkssouveränität und Widerstandsrecht sind auch im Rahmen heutiger Staaten und Vedassungen schwerlich verständlich ohne ihre mittelalterlichen Wurzeln10, und die ethische bzw. moraltheologische Beurteilung'kriegerischer Gewalt kann auch in der Gegenwart nicht auf die Erinnerung an die großen Entwürfe der. Hochscholastik verzichten. Es dürfte sich von selbst verstehen, daß von diesen Verbindungslinien im folgenden nur einigen ausgewählten nachgegangen werden kann. Dabei ist die Auswahl bestimmt von dem die vorliegende Arbeit insgesamt leitenden Interesse, diejenigen avancierten historischen Positionen und Konstellationen zu befragen, welche für eine heutige Gewaltwahrnehmung und -beurteilung von Belang sind oder fruchtbar' gemacht werden können. Infolgedessen werden sowohl die prominenten Gewaltverhältnisse der mittelalterlichen Sozialstruktur wie das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Gewalt nur kurz berührt, dagegen die Probleme von Krieg und Widerstand auf dem Hintergrund der Befriedung größerer Räume ausführlicher dargestellt. Dabei wird· sich zeigen, daß Impulse der Gewaltkritik und zum Gewaltverzicht immer wieder durch die biblischen Urworte über Feindesliebe und Verzicht auf Rache provoziert und freigesetzt werden.
7 H. Segall, Der ,Defensor Pacis< des Marsilius von Padua, Wiesbaden 1959,24. 8 J. Heckel, Marsilius von Padua und Martin Luther. Ein Vergleich ihrer Rechts- und Soziallehre, in: ZRG 75, KA XLIV, 1958,268-336 (335), wieder abgedruckt in: ders., Das blinde, undeutliche Wort ,Kirche<. Gesammelte Aufsätze, hg. v. S. Grundmann, Köln-Graz 1964, 49-110 (109). 9 Programmatisch und zusammenfassend dazu K. Bosl, Die Grundlagen der modernen Gesellschaft im Mittelalter. Eine deutsche Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters, 2 Bde., Stuttgart 1972; vgl. auch H. Zimmermann, Das Mittelalter, 2 Bde., Braunschweig" 1975/1979. 10 Vgl. P. Graf Kielmansegg, Volkssouveränität, Stuttgart 1977, 16-58;" F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie (1914), Münster-Köln 21954 (= Darmstadt 71980).
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2. Ambivalente Erscheinungen der Gewalt im Mittelalter Im deutschen Sprachgebrauch ist dem Wort ,.Gewalt« von flaus aus ein unverkennbarer Doppelsinn eigenlJ. Die Elemente, von vor allem physisch verletzender Gewalt und Schutz und Sicherheit gewährender Gewalt, die in vielen anderen Sprachen auf zwei Ausdrücke verte'üt sind (z. B. vis', und potestas), gehen ineinander: über und lassen sich nicht wirklich trennscharf scheiden, auch ni~ht in der verwandten oppositionellen' Zuordnung von Macht und Recht. Vor allem jede herrschaftliche Gewalt umfaßt konstitutiv beide Momente, denn um ihre Zweckbestimmung von Friedenssicherung und Gewährleistung von Recht (pax et iustitia)12 zu erfüllen, bedarf sie in der Regel der Fähigkeit, auf ein Vermögen physischer Gewalt zurückzugreifen, wenn anders bindende Entscheidungen innerhalb bestimmter Fristen durchgesetzt werden so~en. Die größte Zweideutigkeit aber ist jener Gewalt (potestas) eigen, die selbst tatsächlich oder vo~geblich im Dienst ewiger Wahrheit zu stehen beansprucht und diesen Auftrag auch unter Androhung und Anwendung zeitlicher Strafen ausführen zu müssen meint. In dieser doppelten Hinsicht sei zunächst auf prominente Erscheinungen der Ambivalenz von Gewaltverhältnissen hingewiesen.
2.1. Sklaven undBörige »Hörige und Sklaven (mancipia und servi) bilden einen wesentlichen Teil der frühmittelalterlichen Gesellschaft und ihrer Wirtschaft ... 13 Soziale und re~t liche Abhängigkeit in mannigfachen Abstufungen bilden in allen Gesellschaften ,die konstanten Grundlagen von sozialen Beziehungen, denen das Merkmal der Gewalt in dem Sinne eigen ist, daß eine einseitige Befugnis besteht, ,Gehorsam auch gegen Widerstreben zu erzwingen. Diese Befugnis ist ihrerseits zwar in der Regel rechtlich normiert und moralischer Beurteilung zugänglich, wie die verschiedenen Formen des Sklavenrechts zeigen, unterliegt aber bis in die Neuzeit nur selten grundsätzlicher Bestreitung., Ein Grund für diesen Sachverhalt mag in der Tatsache liegen" daß die entsprechenden neutestamentlichen überlieferungen ganz überwiegend soverstanden wurden, daß die gegebene Sozialordnung nicht von G~nd auf,' womög~ 11 Vgl. oben S. 29 ff. 12 Vgl. Th. Strohm, Iustitia et Pax. Erwägungen zu einer Grundformel poll:tischer Ethik, in: ZEE 16, 1972, 193-207. 13 J. Fleckenstein, Grundlagen und Beginn der deutschen Geschichte, qöttingen 1974, 54.
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lich gewaltsam, zu verändern seiH. Es ist daher erforderlich, an dieser Stelle einen kurzen Rückblick einzufügen. 2.1.1. Sklaverei
Die Stellung des frühen Christentums zur Sklaverei als dem prominentesten Gewaltverhältnis!S der Antike hat von jeher die Aufmerksamkeit der Historiker gefunden, die im allgemeinen darin übereinstimmen, daß dieser Frage vom Urchristentum und der alten Kirche nicht mehr und wesentlich andere Aufmerksamkeit beigemessen wurde als in der antiken Umwelt üblich war. Grundlegend war und blieb 1. Kor. 7,20 ff. (vgI. KoI. 3,22 ff., 1. Petr. 2,18 H.; Phlm.) mit der M~hnung, jeder möge in seinem ,.Stand .. (KAijmS, vocatio) bleiben!'. Auch wenn man hier annimmt, daß Paulus den Sklaven rät, von Freilassungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, gilt doch, daß der Apostel ,.keineswegs zum progressiven Sozialreformer .. wird!7. In.Auseinan14 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen. 1912, 132-134. ' 15 Als Gefüge von Herrschaftsbeziehungen hat Aristoteles die Gestalt des olx.o!; beschrieben. Sein Entwud leitet bis in die Neuzeit das Nachdenken über die grundlegenden Sozialbeziehungen. Noch bei Kant nimmt das »Recht der häuslichen Gesellschaftc eine systematisch wichtige' Stellung in der Rechtslehre ein (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, 55 22':'30, cd. Weischedel, IV, 388-397), während erst in Hegels Rechtsphilosophie das ,.Hause der ,.Familie« weicht, welche unmittelbar der "Gesellschaft« gegenübersteht (RPh 55159.172.182). Zu Aristoteles' Lehre vom ,.Haus«l,ln~ der Oikonomia vgl. G. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg-München 1973, 269 ff. Vgl. auch ders., Revolution, Bürgerbegriff und Freiheit. über die neuzeitliche Transformation der alteUropäischen Vedassungstheorie in politischer Geschichtsphilosophie, in: Philosophisches Jahrbuch 79, 1972, 1-18. I. Düring, Aristoteles, Heidelberg 1966, 489 ff. - Natürlich dad man die theoriegeschichtlich prägenden Bestimmungen bei Aristoteles·nicht mit den tatsächlichen Verhälmissen gleichsetzen; so ist z. B. olx.o!; schon in der Antike in seinem empirischen Bedeutungsumfang nicht deckungsgleich mit domus, vgl. dazu näher A. Strobel, Der Begriff des ,.Hauses« im griechischen und römischen Privatrecht, in: ZNW 56, 1965, 91-100; G. Theißen, Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde, in: ZNW 65, 1974, 232-272 (246-253). 16 X.liiOL!; bezeichnet im Griech. auch die Vorladung vor Gericht; in 1. Kor. 1,26 wird ,.Berufung«, hier jedoch der seit Geburt bestehende Status gemeint sein. - Zum ,.Stand.. der Frauen in der antiken Welt vgl. jetzt K. Thraede, Ärger mit der Freiheit. Die Bedeutung von Frauen in Theorie und Praxis der alten Kirche, in: G. Schadfenorth / K. Thraede, ,.Freunde in Christus werden ... e, Gelnhausen-Berlin-Stein 1977, 31-182, besonders 115-125, wo Thraede in Auseinandersetzung mit der (theol.) exegetischen Literatur den teilweise reaktionären Gehalt des »Liebespatriarchalismuse (Troeltsch) der neutestamentlichen »Haustafeln.. m. E. überzeugend herausstellt,und zwar im Vergleich mit anderen, in der Antike ebenfalls möglichen und verbreiteten Auffassungen. 17 U.Luz, Eschatologie und Friedenshandeln bei Paulus, in: G. Liedke (Hg.), Eschatologie und Frieden, Bd. II, Heidelberg 1978, 225-281, bes. 242-254 (243). Vgl.
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dersetzung mit dem Buch von S. Schulz hat neuerdings D. Lührmann eine differenzierende Untersuchung hierzu vorgelegtlI. Er zeigt, daß für Paulus zwar die Unterschiede von Mann und Frau, Juden und Griechen, Sklaven und Freien vorgegebene Konstanten sind, deren Anerkennung nicht begründet werden muß, sondern als geltend vorausgesetzt werden kaim, daß aber in diesem Rahmen, der als solcher faktisch nicht negierbar ist, das Verhalten der Herren nicht beliebig ist, sondern durch ,.Liebe und Brüderlichkeit« geprägt sein solJI'. Dabeihandelt es sich, wie Lührmann zu zeigen versucht, nicht um vage. überzeitliche Normen, sondern um konkrete· Hinweise zur sozialen Integration von Haussklaven2D in hellenistischen Großstädten. Wenn man so will, übersetzt damit Paulus den Ursprung der Verkündigung Jesu in einen neuen sozialen Kontext: vom agrarischen Palästina in die antike Stadtkultur. Derselbe Glaube, vom alten Bekenntnis herkommend, will unter neuen Erfahrungen anders und neu bekannt sein, denn er fragt in den sozialen Krisen nach der auch künftig möglichen Einheit von Bekenntnis und Erfahrung. Lührmann meint, daß im Judentum das Gesetz und seine Auslegung Bürge dieser Einheit waren, deren Grund Paulus im Gekreuzigten sieht: ,.Der Gekreuzigte ist die Identifikationsmöglichkeit; hier sind die Risse in der Welt, und damit auch die sozialen Differenzierungen, ni~t einfach überspielt, sondern haben konkrete Gestalt gewonnen im Bilde Gottes. Und dieser konkreten Gestalt entspricht die ebenso konkrete Gestalt der Gemeinde als Verkörperung der Rechtfertigung und Leib des Gekreuzigten. Dieser Christus ~ebt als Herr und Sklave zugleich die auseinanderstrebende Alternative von Freien und Sklaven auf, und so ist denn auch Paulus in seiner Nachfolge den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche geworden, ein Freier, der aller Sklave geworden ist (1. Kor. 9,19-23).«21 auch Troeltsch, Soziallehren (Anm. 14), 132-134. Grundlegende Lit.: W. L. Westermann, An. Sklaverei, in: Pauly-Wissowa, Suppt VI, 1935, 894-1068 (Separatausgabe engl: The Slave Systems of Greek and Roman Antiquity, Philadelphia 1955); J. Vogt, Sklaverei und Huinanität. Studien zur antiken Sklaverei und ihrer Erforschung, Wiesbaden 1965 (97 H. übersicht älterer Lit.); N. Brockmeyer, Antike Sklaverei, Darmstadt 1979; H. Gülzow, Christentum und Sklaverei in den ersten drei Jahrhundenen, Bonn 1969; S. Schulz, Gott ist kein Sklavenhalter, Zürich-Hamburg 1972 .. Zum Phänomen der Schuldsklaverei im Kontext des AT vgl. M. Fendler, Zur Sozialkritik des Amos, in: EvTh 33, 1973, 32-53 (38 ff.). 18 Wo man nicht mehr Sklave oder Freier ist. überlegungen zur Struktur frühchristlicher Gemeinden, in: Wort und Dienst 13, 1975, 53-83. 19 Ebd.,64. 20 Staatssklaven und Sklaven, die in den Bergwerken arbeiteten, hatte Paulus nicht vor Augen; vgl.· dazu auch die Hinweise bei N. Brockmeyer, Sozialgeschichte der Antike, Stuttgan-Berlin-Köln-Mainz 1972, 47 ff. u. 81 ff.; die Differenzienheit der antiken Sklaverei wird vor allem deutlich bei M. I. Finley, Die antike Wirtschaft, München 1977, 65-108 (dort eine Fülle weiterführender Literatur). 21 Ebd., 68 f. - Hier geht, wie leicht zu sehen ist, die historische in eine dogmatisch-
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Wieweit - und ob - diese Intention in den sog. Haustafeln des NT dann weiter zum Zuge kommt, muß hier nicht erörtert werden; es genügt der Hinweis, daß offensichtlich nicht Wdtgestaltung, wohl aber GemeindeNeuordnung in Entsprechung zum Ruf des verkündigten Herrn dasjenige war, was die junge Kirche der Wdt zu geben hatte22• Andere Stimmen, wie die sophistische Kritik an der Sklaverei, derzufolge diese Institution nicht von Natur aus (qruOEL), sondern aufgrund menschlicher Satzung bestehe (V6!,cp)2l, fanden in der jungen Christenheit kein erkennbares Gehör. Weder die Philosophen der Stoa noch die alte Kirche haben für eine Aufhebung oder allmähliche Abschaffung der Sklaverei plädiert und entsprechende rechdiche Konsequenzen aus ihren ethischen überzeugungen gezogen. Mit allen Versuchen des 19. Jahrhunderts, die überwindung der Sklaverei als Leistung des Christentums zu reklamieren, hat schon 1875 Franz Overbeck radikal aufgeräumr\ und ihm hat sich Troeltsch weitgehend angeschlossen25 • Nicht die Kirche, sondern die römischen Rechtslehrer, die der stoischen Naturrechtslehre anhängen26 , haben nach Overbeck den Grundstein späterer Lehren von Menschenrechten und Emanzipation gdegr7. Immerhin finden
theologische Interpretation über; Jesus Christus als Knecht und Herr ist bekanntlich Gegenstand der Kapp. 14 und 15 der KD (IV/l und IV/2). 22 So auch Luz, a. a. O. (Anm. 17), 280 f. 23 Lühnnann, 77 f. - Zwei kritische Anmerkungen zu diesem Aufsatz: L. betont den Zusammenhang von Okonomik und Politik und meint, die ntl. Haustafeln enthielten einen latenten politischen Anspruch (80). Aber hat nicht gerade Aristoteles an Platon die mangelnde Trennung von olxos und XOALS kritisiert? Vgl. Bien, a. a. O. (Anm. 15), 303 ff.; und R. Maurer, Platons ,.Staat« und die Demokratie, Berlin 1970, 159 ff.Zum anderen wäre darauf hinzuweisen, daß auf religiösem Gebiet der Sklave nach römischen Recht ohnehin nicht res, sondern persona war; vgl. F. Bömer, Untersuchungen über die Religion der Sklaven in Griechenland und Rom, 1. Teil, Wiesbaden 1958, 184. 24 Ueber das Verhältniss der alten Kirche zur Sclaverei im römischen Reiche, in: ders., Studien zur Geschichte der Alten Kirche (1875), repr. Neudruck Darmstadt 1965, 158-230. 25 Soziallehren, 19 ff. 26 Vgl. schon Seneca, Ad Lucilium epistulae morales, ep. 47. - Vgl. auch Seneca, de ira III, 40,2; de beneficiis III, 18 ff. Unterdrückte Sklaven, so Seneca, untergraben die Sicherheit des Staates: totidem hostes esse quot servos. Dagegen bringt Seneca die Goldene Regel ins Spiel: Sic cum inferiore vivas, quemadmodum tecum superiorem velis vivere (ad Luc., ep. 47). 27 A. a. O. (Anm. 24), 169 f. Die Gründe für die Abstinenz der frühen Christenheit in diesen Fragen werden freilich oft ganz gegensätzlich bestimmt: bei Overbeck eschatologisch orientierte Weltabkehr, bei v. Campenhausen gelegentlich als Furcht, die Missionsaktivitäten zu gefährden; vgl. H. v. Campenhausen, Die Christen und das bürgerliche Leben nach den Aussagen des NT, in: ders., Tradition und Leben, Tübingen 1960, 180-202 (186).
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wir mit Kallist zu Beginn des 3. Jh., soweit man weiß, zum ersten Mal einen ehemaligen Sklaven auf dem römischen Bischofsstuhp8, doch ist dies kein Anzeichen eines grundlegenden Wandels. Auch nach der Bekehrung Konstantins gab es keine Gesetzgebung gegen die Sklaverei. ,.Es war im Gegenteil der christlichste aller Kaiser, Justinian, dessen Kodifikation des römischen Rechts im 6. Jahrhundert nicht nur die umfassendste Sammh~ng von Gesetzen über die Sklaverei einSchloß, die je zusammengestellt wurde, sondern auch dem christlichen Europa eine vollständige gesetzliche Grundlage für die Sklaverei lieferte, die von dort tausend Jahre später in die Neue Welt gebracht wurde."l' Milde im EinzelfalPo, aber Hinnahmell und, nachdem die Kirche selbst ein~ öffentlich-rechtliche Stellung gewonnen hatte, Teilhabe am Nutzen die-ser Institution sollten allen gegenläufigen moralischen überzeugungen bis weit in die Neuzeit Widerpart bieten32• Jene »Transformation«, die Aufgabe einer »sozialen Hermeneutik« des Evangeliums wärell , sollte an diesem Gewaltverhältnis immer wieder scheiternl4 • . 28 Vgl. H. Gülzow, Kallist von Rom. Ein Beitrag zur Soziologie der römischen Gemeinde, in: ZNW 58,1967,102-121. 29 Finley, a. a. O. (Anm.20), 102. Vgl. auch H.-D. Wendland, Art. Sklaverei und Christentum, in: RGG 3VI (1962), 101-104 (102}. 30 Vgl. das schöne Beispiel des Basilius von Caesarea und Gregor von Nazianz bei Overbeck, a. a. o. (Anm. 24), 207 f. - Euseb, hist. eccl. N, 23,.10, läßt erkennen, daß die römische Gemeinde schon früh ihren Mitgliedern, die Bergwerkssklaven waren, Unterstützung zllkommen ließ; vgl. M. Hengel, Eigentum und Reichtum in der frühen Kirche, Stuttgart 1973, 51. 31 Auch für Augustin gehört die Sklaverei zu den Merkmalen dieser Welt nach dem Sündenfall; vgl. De civ. Dei XIX, 15. 32 Zum Recht der Sklaverei im Mittelalter vgl. J. Höffner, Kolonialismus und Evangelium, Trier 31972, 74-82. Die Legitimation der Sklaverei erscheint dabei zunehmend als Unterfall des Kriegsrechts, so z. B. bei.Franciseus de Vitoria, De indis recenter inventis er de Jure belli hispanorum in barbaros (1539), ed. W. SchätzeI, Tübingen 1952, relectio posterior, 42 (S. 157): ,.Et eum bellum adversus paganossit huiusmodi, quia est perpetuum er numquam s",macere ·possunt quo iniuriis, et damnis illatis, ideo non est dubitandum quin liceat et pueros et feminas Saracenorum ducere in captivitatem et servitutem.c Unter Christen sei dies indes nach dem.ius belli nicht zulässig. 33 Lührmann, a. a. O. (Anm. 18), 69. 34 Erst 1807 beschloß das englische Parlament die völlige Unter:drückung des Sklavenhandels, 1834 erging als Erfolg der Antisklavereibewegung unter William Wilberforce (1759-1833) der Abolition-Act. Vgl. näherhin W. Strzelewicz, Der Kampf um die Menschenrechte, Hamburg 1947, 98-114; H. Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels auf dem Wiener Kongreß 1814/15, in: HZ 219, 1974,265-289; D. B. Davis, The Problem of Slavery in the Age of Revolution 1770-1823, Ithaca-London 1975; sowie den Forschungsüberblick: ders., Slavery and the Post-World War 11 Historians, in: Daedalus, vol. 103, no. 2 (Frühjahr 1974), 1-16. Gegen die ,.Negersklaverei. protestierte schon Herder; vgl. W. F. Feuser, Vom Sklaven zum Proletarier.
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2.1.2. Hörigkeit Indes darf man sich das Institut der Sklaverei nicht zu homogen und rechtlich oder politisch klar definiert vorstellen, und vor allem die schlichte Gegenüberstellung Sklave - Freier führt In die Irre., denn der Verschiedenartigkeit des legalen Status der Sklaven entsprechen nicht notwendig bestiiimite Ausprägungen auch des sozialen Status. Haussklaven, denen beispielsw~ise Erziehungsaufgaben übertragen waren oder die selbst Geldgeschäfte abschließen konnten, standen hinsichtlich ihrer Lebenschancen tuimhoch über Tagelöhnern, die formal frei sein mochten35 • Vor allem der abhäniige Kolonat, wie er im Zuge der Reichs- und Verwaltungsreform Diokle6ans entstand, ließ die Grenzen von Sklaverei und anderen sozialen Abhängigkeiten unscharf werden. Die Kolonen galten zwar formal als frei, waren aber an den Boden, den sie zu bestellen hatten, gebunden urid galten, wenn sie zu fliehen suchten, als servi fugitivi und unterlagen dann entsprechenden Strafen. Immerhin zeigt der Kolonat die Tendenz, die unmittelbare persönliche Verfügungs gewalt des Herrn über die Sklaven in ein mittelbares Abhängigkeitsverhältnis zu überführen. ,.Der Grundeigentümer sollte die Gewalt des Herrn über sie besitzen, nicht als dominus des Menschen, sondern in seiner Eigenschaft als dominus terrae ... 36 Die Kolonen galten daher rechtlich als servi terrae37 und gehörten zur sachlichen Ausstattung einer Gruridherrschaft~ . . Die vor allem in der Auseinandersetzung mit marxistischen Historik~~ umstrittene Frage, ob der Ausgang der Antike als revolutionärer Übergang von der sog. Sklavenhalter- zur Feudalordnung zu verstehen sei oder ·ob die Momente der Kontinuität zum frühen Mittelalter höher zu veranschlagen seien, braucht hier nicht erörtert werden3•• M. I. Finley hat bet6nt, daß man im römischen Reich mit einer Vielzahl der Formen sozialer Abhängigkeit rechnen muß, die auf Sozialstrukturen bezogen sind, welche vor der römischen Eroberung bestanden haben, und daß möglicherweise der Niedergang der Sklaverei und der übergang zur Grundhörigkeit ökonomisch damit zu erklären seien, daß schließlich genügend formal ..freie« Angehörige der Erscheinungsformen des Negerbildes in der neueren deutschen Literatur, in: Internationales Afrika-Forum 12, 1976, 248-264 (249): Zur heutigen Lage vgl. H. Bülck, Art. Sklavenhandel, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrecht 111, 275-2n. 35 Vgl. F. VittinghoH, Soziale Struktur und politisches System der hohen römischen Kaiserzeit, in: HZ 230, 1980,31-55. 36 Brockmeyer, a. a. O. (Anm. 17), 227. 37 Cod. lust. XI, 52,1 H.; vgl. H.-G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978, 47 H.; zur Terminologie vgl. auch N. Nehlsen, Sklavenrecht zwischen Antike und Mittelalter I., Göttingen-Frankfurt-Zürich 1972, 58-61. 38 Vgl. dazu näher Brockmeyer, a. a.. O. (Anm. 17), 67 f.
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unteren Klassen zur Verfügung gestanden hättenJ '·. Dennoch kann man nicht behaupten, daß die Umwandlung der Sklaverei in Hörigkeit bzw. Leibeigenschaft ein Merkmal der mittelalterlichen Sozialordnung gewesen wäre40 • Vielmehr kam es im Zuge der Völkerwanderung noch einmal zu einer erheblichen Ausweitung des Sklavenhandels, der erst im 9. Jh. abflaute4!. Sklav~n waren auf den mittelalterlichen Handelsstraßen eine der am meisten begegnenden ,.Waren«, die nicht zuletzt als Kriegsbeute gewonnen und • . verkauft wurde42 • Die unterschiedliche Stellung der Leibeigenen und Abhängigen steht im Zusammenhang mit ihren ökonomischen Funktionen und der Art. ihrer Bindung an Grundherrschaft und Herrenhaus4J • Neben den Landarbeitern, die saisonal die Feldarbeit verrichten, stehen die sog. ,.Behaustenc (servi casati, manentes), die zwar an die Gru~dherrschaft -gebunden sind, aber auf ihren Hofstellen selbständig wohnen und wirtschaften, vom Ertrage zu zahlen und zu bestimmten Leistungen am Herrenhof (opus servile) verpflichtet sind 44 • Dazu kommen die ,.Unbehausten« (servi quotidiani, in domo manentes), die nicht an den Grund, sondern an Hof oder Haus des Herrn, an ein Kloster oder eine Bischofs- oder Königspfalz gebunden sind, aber auch als unfreie Handwerker in Städten begegnen. Schließlich muß in diesem Zusammenhang der große Sklave~besitz der Kirche erwähnt werden. In Frankreich befassen sich Konzilien immer wieder mit diesem Problem, wobei es nicht so sehr, wenn überhaupt, um den Schutz der Sklaven vor Herrenwillkür ging, sondern um die Fragen, die dem Sklavenbesitz der Juden galten. 583 verfügt ein Konzil, daß jeder Christ das Recht hat, christliche Sklaven aus jüdischem Besitz für einen bestimmten Betrag freizukaufen, während ein anderes Konzil 517 verfügt, daß Abte keine . Sklaven des Klosters freilassen dürfen4s • 39 A. a. O. (Anm. 20), 107. Sklaven zu halten war vermutlich teurer als Tagelöhner auf.Zeit zu beschäftigen; vgl. auch Bosl, a. a. o. (Anm. 9), Bd. I, 85. -40 P. Keller, Die Sklaverei in Wandel und 'Qberwindung, in: NZZ v. 12./13. 8. 1979, 20 (Femausgabe). -41 Brockmeyer, a. a. O. (Anm. 17),23-4; J. D'Hondt, DaS frühe Mittelalter (Fischer Weltgeschichte, Bd. 10), FrankfurtlM. 1968, 31 f. -42' Vgl. Bosl, a. a. O. (Anm.9), Bd. I, 31; Fleckenstein a. a. o. (Anm.13), 55 .
.G. Duby berichtet, daß man im Jahre 775 in Mailand einen fränkischen Knaben für ·zwölf solidi erwerben konnte, während ein gutes pferd fünfzehn kostete: Krieger und Bauern. Die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im frühen Mittelalter (1973), deutsch FrankfurtIM. 1977,36 f. -43 Zum folgenden vgl. Bosl, a. a. o. (Anm.9), 83-93; und Duby (vorige Anm.), 38-40. .... Einen Katalog derartiger pflichtleistungen aus Bayern .von der Mitte des 8. Jh. zitiert Duby, -46. -45 Nehlsen, a. a. O. (Anm. 37), 262.
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Im Kontrast dazu stehen jedoch die Schilderungen der Heiligenviten, die die Bemühungen von wahren Christen zeigen, das Los von Sklaven zu mildem bzw. diese gänzlich loszukaufen46 • Dieser hagiographische Topos kann freilich weniger als Beleg für eine grundsätzliche christliche Kritik am Institut der Sklaverei genommen werden, sondern verweist eher auf die Verbreitung und Häufigkeit von Gefangenschaft und anschließender Versklavung bzw. Verknechtung. An dieser Lage hat sich über lange Zeit hinsichtlich der Grundstrukturen dieser primären sozialen Gewaltverhältnisse wenig geändert47 • In den Schulen und Universitäten wurde geleh~t, daß dominatio und servitus zu den Elementarformen des sozialen Lebens in der Welt nach dem Sündenfall gehören4', und diese Lehre wurde in der Hochscholastik unterstrichen durch die Aufnahme der aristotelischen These vom naturrechtlichen Charakter der Sklaverei4' . 2.1.3. Gewalt und Schutz Allerdings dad man sich diese Abhängigkeitsverhältnisse nicht einheitlich, starr und nur zu Lasten des Abhängigen bestehend vorstellen. Vor allem dad man nicht neuzeitliche Rechtsbegriffe wie »frei« un~ »unfrei« zurückprojizieren. Unfreien konnte der Aufstieg in den Adel gelingen, und Freie konnten in größter Armut und Abhängigkeit leben 50 • Um dieses Los zu erleichtern, flüchteten sich viele ,.Arme« (pauperes) unter den Schutz mächtiger Herren (potentes)51; ein merowingisches Dokument, das diesen Vor.gang verbindlich festhält, sei zur Illustration zitiert: 46 Vgl. F. Graus, Die Gewalt bei den Anfängen des Feudalismus und die ,.Gefangenenbefreiungen« der merowingischen Hagiographie, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1961, I, 61-156. 47 VgI. auch· R.. W. Southem, Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 21980, 87-95. 48 VgI. Thomas v.Aquin, S. Th. I, q. 96, a. 4. In S. Th. 11-11. q. 10, behandelt er die Frage, ob Christen auch Sklaven bei Ungläubigen sein dürften und betont, daß sie von Juden ohne Entgelt (nullo pretio dato) freizugeben seien. Vgl. auch Höffner, a.a. o. (Anm. 32), mit weiterer Lit. 49 Thomas v. Aquin, S.Th. 11-11, q. 57, a. 3. 50 VgI. Th. Mayer, Adel und Bauern im Staat des deutschen Mittelalters, in: ders. (Hg.), Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters (Leipzig 1943), ND Darmstadt 1980, 1-21 (bes. 10 H.); K. Bosl, Freiheit· und Unfreiheit, in: ders., Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, München-Wien 1964, 180 H.; Chr. Dipper, An. Ständische Freiheit: Jura et libertates, in: Geschichtliche Grundbegriffe 2 (1975), 446 H. 51 Dazu grundlegend K. Bosl, Potens und Pauper. Begriffsgeschichtliche Studien zur gesellschaftlichen Differenzierung im frühen Mittelalter und zum Pauperismus des Hochmittelalters (zuerst in FS O. Brunner, 1962), in: ders., Frühformen (vorige Anm.), 106-134.
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,.Da ich, wie jedermann bekannt ist, nicht mehr weiß, wovon ich mich ernähren und kleiden soll, habe ich Euer Mitgefühl angerufen, und Euer Wille hat mir gestattet, mich Eurem Schutz auszuliefern oder anzuvertrauen. Dies geschehe, unter folgenden Bedingungen: Entsprechend meinen Diensten und Verdiensten um Euch seid Ihr verpflichtet, mir zu helfen und mich mit Nahrung und 'Kleidung zu versorgen. Ich schulde Euch bis an mein Lebensende Dienstbarkeit und Gehorsam, sofern sie mit der Freiheit vereinbar sind; bis an mein Lebensende werde ich mich Eurer Macht und Eurem Schutz nicht entziehen können ...52
Der diesem Vorgang zugrundeliegende Rechtsakt wird in' den Quellen Kommendation genannt und begründet das für das mittelalterliche Lehnswesen grundlegende Abhärtgigkeitsverhältnis der Vasallitä~J. ,.Die Kommendation .. , so definiert J. Fleckenstein, »stellt eine rechtsförmliche Ergebungshandlung dar, einen Ritus, mit dem der- Mann, der sich kommendiert oder sich >ergibt<, die gefalteten Hände in die des Herrn legt, der sie umschließt: offensichtlich eine Schutzgebärde, durch die sinnfällig zum Ausdruck kommt, daß hier ein alter Verknechtungsritus vollzogen wird... 54 Es handelt sich bei der Vasallität um ein asymmetrisches Gegenseitigkeitsverhältnis, das den Herrn zu Schutz, Unterhalt und Fürsorge (defensio, protectio), den Vasallen zu Rat und Hilfe (consilium et auxilium) verpflichtet55 • Auf Seiten der Adligen konstituiert der vasaliitische Vertrag jene Herrengewalt, deren lateinische Termini dominatio, dominatus, dominium, potestas etc. sind56• Die Variationsbreite der Rechte und Pflichten auf beiden Seiten ist beträchtlich und braucht hier nicht weiter zu interessieren. Wesentlich ist aber, daß im Lehensverhältnis eine Form herrschaftlicher Gewalt begründet ist, die in sich die zwei Momente der überlegenen Verrugungsberechtigung und der 52 Zit. nach Duby, a. a. O. (Anm. 42), 49. Vgl. als ein weiteres Dokument über die Begründung einer Leibeigenschaft gegenüber einem Kloster im 11. Jh. das Beispiel bei Southern, a. a. O. (Anm. 47), 87 f. Zu Versuchen, die Aufheburig der Hörigkeit (servitus) rechtlich zu ordnen, vgl. z. B. das Kapitular Onos III.(996-1002) gegen Freiheitsbestrebungen; Text u. a. in: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschaftsund Sozialgeschichte bis 1250, hg. v. L. Weinrich, Darmstadt 1977, Nr.19 (70-73). 53 Neben der äußerst gedrängten und typisierenden, Charakterisierung des Lehensund Pfründenfeudalismus, die M. Weber im Rahmen seiner Herrschaftssoziologie gegeben hat (Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 51972,148-155), sind grundlegend O. Hintze, Wesen und Verbreitung des Feudalismus (1929), ND in: ders;', Staat und Verfassung, Göningen 21962, 84ff.; H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt (1933), ND Darmstadt 1974; ders., Der Staat des hohen Minelalters (1940), ND Darmstadt 1°1980; F. L. Ganshof, Was ist das Lehnswesen? (zuerst 1944, 31957, darauf beruht): deutsch Darmstadt 1961. Zur Begriffsgeschichte vgl. O. Brunner, Art. Feudalismus, feudal, in: Geschichtliche Grundbegriffe 2, 1975,337':'350 (Lit.!). 54 A. a. O. (Anm. 13), 109; vgl. Ganshof (vorige Anm.), 32-35. 55 Zur Formel ,.consilium et auxilium« vgl. Mineis, Lehnrecht (Anm. 53), 59 ff., zu Rechten und Pflichten ebd., 531 ff.; vgl. auch Ganshof (Anm. 53), 85 ff.' 56 Ganshof, 85.
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Pflicht zur Schutzgewährleistung zum Ausgleich zu bringen versucht. Gewalt bzw. potestas ist insofern von Anfang an ein Begriff, der in sich ambivalent ist und einem Sachverhalt gilt, dem sowohl in seiner eigenen Struktur der Vasallität wie in der Funktion und Wirkung nach außen, nämlich im Blick auf die Festigung einer autoritativen Zentralgewalt, selbst historische Ambivalenz eigentümlich ist57 • Einfach gesagt: das Walten als Inbegriff von Schutz und Fürsorge und das Schalten als Einbruch herrschaftlicher Willkür liegen auf's Engste beieinander, und von dieser Tatsache darf die Geschichte der 'Wahrnehmung von Gewalt nicht absehen. 2.2. Päpstliche Gewalt
Spricht man im Blick auf das Mittelalter von »Gewalt« und hört dabei auf den Sinn des Wortes "potestasc, dann kann man nicht an der gebietenden Stellung des Papsttums vorbeisehen. Angefangen mit dem Brief des Papstes Gelasius I. (492-496) an Kaiser Anastasius von 494, in dem zum ersten Mal in bündiger Form die zukunftsweisende Theorie des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt entwickelt wirdsB, bis hin zur Bulle Papst Bonifatius' VIII. von 1302 ,.Unam sanctam" und darüber hinaus, dachte, wer im Mittelalter das Wort »potestas« vernahm, wohl immer auch an die Begründung, Aufgaben und Grenzen der päpstlichen Gewalt und ihr Verhältnis zu den weltlichen Herrschaftsstrukturen. Die Präzisierung dieses Verhältnisses erfolgte in jenem langwierigen Ringen zwischen sacerdotium und imperium, das im Investiturstreit seinen ersten Höhepunkt ha~. Aber in diesem Kampf um die libertas ecclesiae'Q ging es um mehr als die Befreiung der Kirche von den Laiengewalten; vielmehr entsprang er einer kirchlich-monastischen Erneuerungsbewegung, die von Cluny und anderen Reformzentren ausgehend auf eine grundlegende Reform des kirchlichen Lebens zielte. Cluny und andere Klöster suchten dabei auch die Verbindung mit dem Papsttum, um von diesem klösterliche Freiheitsprivilegien zu erhalten oder bestätigt zu bekommen, durch welche die Unterstellung der Klöster unter andere geistli57 So Bosl, a. a. o. (Anm. 9), I, 137. 58 ..Duo sunt ... quibus principaliter mundus hic regimr, auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas«; Text in C. Mirbt / K. Aland, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, Bd. I, Tübingen '1967, Nr. 462 (222 f.); Teilübersetzung in: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen: Mittelalter, hg. v. R. Mokrosch u. H. Walz, Neukirchen-Vluyn 1980, 1. Dazu vgl. Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 328-332 (Lit.). 59 Vgl. als überblicke Zimmermann, a. a. o. (Anm. 9), Bd. I, 198-247; F. Kempf, Die Kirche im Zeitalter der gregorianischen Reform: Handbuch der Kirchengeschichte 111/1 (1973),399-461. 485-539. . 60 Vgl. zu diesem programmatischen Signalwort G. TeIlenbach, Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites, Stuttgart 1936.
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che oder Laienherrschaft überwunden werden sollte. Auf diese Weise gewann zugleich diese neue Idee der libertas ecclesiae auch in der Kurie zunehmend an orientierender Kraft. Die von monastischem Geist bewegten Forderungen einer Reinigung und Erneuerung der Kirche, die sich allmählich das Papsttum zu eigen machte, betrafen zunächst vor allem die Erscheinungen der eheähnlichen Verbindungen von Klerikern, des sog. Nikolaitismus 61 , und der Vergabe von geistlichen Ämtern aufgrund materieller Gegenleistungen, der sog. Simonie62 , griffen aber zwangsläufig über die iilnerkirchliche Reform hinaus auf den politischen Bereich über, sobald die gesamte Praxis der Laieninvestitur dem neuen Kriterium der libertas ecclesiae unterwoden wurde. Im Imperium waren ja mit den geistlichen Würden auch weltliche Hoheitsfunktionen und -kompetenzen verbunden, und darum mußte das Königtum stets daran interessiert sein, seinen Einfluß auf Nominierung und Bestellung der kirchlichen Würdenträger zu sichern. Es kann nicht darum gehen, hier die Entwicklung dieser Konfliktkonstellation und ihre zeitgenössische publizistische Erörterung6] näher zu vedolgen. Festzuhalten ist aber, daß im Investiturstreit die seit Karl dem Großen gewahrte ,.gott-weltliche Einheitsideec (Fr. Heer), die K. Bosl treffend die ,.Zweieinigkeit der Gewaltenc genannt hat64, zerbrach. Während Papst Gregor VII. (1073-1085) im Jahre 1073 in einem Brief an Rudolf von Schwaben65 die beiden Gewalten noch den zwei Augen des menschlichen Hauptes verglich, hat er, aufbauend auf der Zwei-Schwerter-Theorie des Petrus Damiani (1006-1072)66, im Dictatus Papae von 1075 den Grund des 61 Vgl. Apk. 2,6.15 und G. Kretschmar, Art. Nikolaiten, RGG) IV (1960), 1485 f. 62 Vgl. Apg. 8,18 ff. und H. Barion, Art. Simonie, RGG) VI (1962), 40 f. Zum Bedeutungswandel des Simoniebegriffs vgl. Duchrow, a. a. O. (Amn. 4),350 m. Amn. 126. Zur Bedeutung und Behandlung dieser Problematik bei Gratian im Blick auf die heutige Kanonistik vgl. A. Zirkel, ,.Executio Potestatisc. Zur Lehre Gratians von der geistlichen Gewalt, St. Ortilien 1975. 63 Vgl. dazu aus der älteren Lit. das grundlegende Werk von C. Mirbt, Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII., Leipzig 1894, ND Leipzig 1965, sowie neuerdings die großangelegten Darstellungen von W. Kölmel, Regimen Christianum. Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (8. bis 14. Jahrhundert), Berlin 1970, 107-143; und Duchrow, a. a. O. (Amn. 4), 348-375. 64 Kölmel (vorige Anm.), 109. 65 Quellen zum Investiturstreit, Erster Teil: Ausgewählte Briefe Papst Gregors VII., übers. v. F.-J. Schmale, Darmstadt 1978, Nr. 7 (46 f.). 66 Vgl. die Zentralstellen bei MirbtlAland (Amn. 58), Nr. 543-546; sowie Duchrow, a. a. O. (Anm.4), 345-347 (Lit.). Petrus Damiani hat wohl noch nicht selbst die Ausdehnung der päpstlichen Binde- und Lösegewalt auf alle weltlichen Verhältnisse intendiert, wohl aber vorbereitet; daneben hat er in seiner Sakramentenlehre mit der Unterscheidung von Amt und Person Augustins antidonatistische Li~sung des Pro-
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von ihm in umfassendem Sinne gedachten päpsdichen Primats gelegt67. Hier wird u. a. dekretiert, daß der Papst Kaiser absetzen kann (illi liceat imperatores deponere), niemand über ihn richterliche Gewalt besitzt (a nemine ipse iudicari debeat), er selbst ·aber Urteile aller Instanzen aufheben kann (retractare possit). Der Papst kann Untertanen von ihrem Treueid gegen ungerechte Herrscher entbinden (a fidelitate iniquorum subiectos potest absolvere), er darf neue Gesetze erlassen, wenn das die Zeit edordert (licet pro temporis necessitate novas leges condere), und schließlich soll gelten, daß die römische Kirche irrtumsfrei ist (Romana ecclesia nunquam erravit, nec in perpetuum, Scriptura testante, errabit). Hier ist der weltgeschichdiche Machtanspruch des Papsttums wenn auch nicht völlig neu, so doch mit unüberbietbarer Klarheit und radikalem Pathos formuliert worden68 • Im Sieg über Heinrich IV. konnte das Papsttum semen Anspruch bekräftigen und durchsetzen, und in der Folgezeit, vor allem ab Innozenz III. (1198-1216), fand die päpsdiche Souveränität ihre kirchenrechdiche Ausgestaltung", die durch die alsbald akademisch ausgebildeten Dekretalisten ausgebaut und abgesichert wurde70 • Im Blick auf Gregor VII. hat U. Duchrow von einer ,.radikalen Verdiesseitigung der Theokratie« gesprochen 71 und damit auf die entscheidende Differenz zum Denken Augustins hingewiesen, obwohl insgesamt eine Fülle von Motiven des ,.politischen Augustinismus« im weltgeschichdichen Machtanblems erneuert, ob und inwiefern Sakramente, die von Häretikern bzw. häretisch Geweihten gespendet werden, gültig sind; vgl. die Auszüge in: MokroschlWalz, a. a. O. (Anm. 58), 54-56. 67 Text in MirbtlAland (Anm. 58), Nr.547; MokroschlWalz (Anm.58), 61 f.; Quellen (Anm. 65), Nr. 47 (149-151). 68 Vgl. W. Ullmann, Kurze Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Berlin-New York 1978, 137-144; J. Miethke, Geschichtsprozeß und zeitgenössisches BewußtseinDie Theorie des monarchischen Papats im hohen und späteren Mittelalter, in: HZ 226, 1978,564-599. 69 Die großen Päpste des Mittelalters waren fast alle selbst Kanonisten; vgl. Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 392-398. 70 Vgl. dazu die großen Werke von E. H. Kantorowicz, The King's Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology, Princeton 1957; Kölmel, a. a. O. (Anm. 63); G. Post, Studies in Medieval Legal Thought. Public Law and the State, 1100-1322, Princeton 1964; B. Tierney, Foundations of the Conciliar Theory, Cambridge 1955; W. Ullmann, Principles of Govemment and Politics in the Middle Ages, London 1961; ders., Law and Politics in the Middle Ages, Londo~ 1975; sowie M. Wilks, The Problem of Sovereignty in the Later Middle Ages, Cambridge 1964. 71 A. a. O. (Anm. 4),357, der sich in seiner Interpretation vor allem anschließt an A. Nitschke, Die Wirksamkeit Gottes in der Welt Gregors VII. Eine Untersuchung über die religiösen Äußerungen und politischen Handlungen des Papstes, in: Studi Gregoriani 5,1956,115-219; vgl. zu den ersten vier Bänden dieser Reihe den Bericht von P. E. Schramm, in: GGA 207,1953,62-140.
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spruch des Papsttums wirksam ist. Die Differenz liegt darin, daß die in den tragenden Begriffen Glaube und Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit (fidelitas, dilectio, libertas, iustitia) ausgesprochene schlechthinige Bindung des Lebens der Christen an den trinitarischen Gott so ausgelegt bzw. ergänzt wird, daß sie der übereinstimmung mit Petrus und dem Petrusamt bedarf. So vollzieht Gregor im Blick auf diese zentralen Begriffe ..die unlösbare Koppelung des Geistes.an den St~llvertreter Petri und damit an di~ hierokratische Kirche. Die Canones des Kirchenrechts sind vom Heiligen Geist diktiert und von gleicher Autorität wie die Bibel. Sie enthalten nicht nur inhaltlich die Primatslehre, sondern können auch allein vom Papst legislatorisch erweitert und jurisdiktionell zur Geltung gebracht werden, weil allein von ihm sicher ist, daß er durch die Einheit mit Petrus vom Heiligen Geist gerecht gemacht ist. Gehorsam gegen Gott als Gehorsam gegen den Papst - die Verwandlung der augustinischen htimilitas ist darum die einzig wahre Form der Gerechtigkeit.«72
Die Quelle dieser umfassenden päpstlichen Gewalt ist die Binde- und Lösegewalt (Mt. 18,18). Nach der papalen Theorie hat der Sohn Gottessie Petrus und seinen Nachfolgern gegeben, um die Seelen zu binden und zu lösen; um wieviel mehr - so schließen Gregor und seine Verteidiger - muß sie sich dann .ebenfalls auf die irdis~hen Verhältnisse erstrecken!73 Dies~ Betonung der Selbständigkeit der hierarchischen Ordnung, die nicht zuletzt durch das Papstwahldekret von 105974 kanonisch abgesichert war, bedeutete ein »Entsakralisierung des Königsamtes, sofern die Sakralstellung des Königs eine potestas gegenüber der hierarchischen Ordnung und innerhalb der hierarchischen Struktur begründet oder zur Folge hat. Die potestas regalis wird zur klar umschriebenen potestas laicalis und auf deren weltliche Funktionen eingegrenzt.,,75 Die Funktion des ,.regere in ecclesia« ist eine Dienstfunktion zum Zwecke des Schutzes imd der Verteidigung der Kirche, nicht mehr von eigener sakraler Dignität. Dieser Gru~dgedanke der Entsakralisierung des Königtums findet seinen Ausdruck auch in Manegald von Lautenbachs .Liber ad Gebehardumc, mit dem dieser nach dem Tode Gregors VII dessen Absetzung Heinrichs IV. als rechtens werteidigt, wenn er vom König sagt, dieser sei kein ,.nomen naturae vel meritorum«, ,.sondern ein vocabulum officiorum vel dignitatumc76. (Manegold, der oft als früher
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Duchrow, 357 f. 73 In diesem argumentum a fortiori sieht TeIlenbach den Ansatz der päpstlichen Argumentation, a. a. O. (Anm. (0), 181 f. Er verweist dort u. a. auf eint; Stelle eines Gebets zu Petri Stuhlfeier, in dem fortan das ursprünglich vorhandene Wort ,.animas« ausgelassen wurde: .. Deus qui beato Petro apostolo tuo collatis clavibus regni caelestis animas ligendi et solvendi pontificium tradidisti ... « (181). 74 Mirbt/Aland (Anm. 58), Nr. 540 .. 75 Kölmel. a. a. O. (Anm. 63), 117..• 76 Vgl. H. Fuhrmann, ..Volkssouveränität« und .. Herrschaftsvertrag« bei Manegold
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Theoretiker der Volkssouveränität zitiert wird, schrieb also als Anwalt der hierokratischen TheorieV6") Und ähnlich bestimmt Hugo v. St. Victor (1096-1141), der Zeitgenosse Gratians, den Vorrang der geistlichen und die Dienstfunktion der wdtlichen Gewalt, wenn er schreibt: ,. ... spirinialis potestas terrenam potestatem ... instituere ... et iudicare habet, si bona non fuerit.«77 Es ist hier nicht möglich, aber auch nicht erforderlich, der Entwicklung dieses Gewaltenverständnisses weiter nachzugehen. Soweit ich sehe, stehen sich in der Literatur vor allem die Auffassungen, die eine durchgehende Tendenz zur Hierokratie· betonen, und jene, die primär dualistische Konzepte hervorheben, gegenüber. Dem Aufstieg der päpstlichen Gewalt und ihrer theoretischen Rechtfertigung hat W. Ullmann in den 50er Jahren ein umfassendes Werk gewidmee·, in dem er den Beweis zu führen versucht hat, daß vom 5. bis zum 12. Jh. - von Kaiser Gratian zu Magister Gratian - das Papsttum eine hierokratische Wdtmachtstellung erstrebte. ,.Das päpstlich-hierokratische Schema ist ein großartiger Versuch, die biblische und ganz besonders die paulinische Lehre in Regierungsbegriffe zu übersetzen. Die Mittd zur Durchführung dieser Regierung waren die des Rechtes, das >römisch< in jedem Sinn des Begriffs war. Die claves regni coelorum - >die Schlüssel zum Königreich des Himmels< - wurden umgewandelt in die claves juris; die >Schlüssd des Gesetzes<.«79 Dieser päpstliche Versuch, als Monarch die Welt durch das Recht und seine kirchlich-kanonische Auslegung und Weiterbildung autoritativ zu lenken, habe auf eine Form der Weltregierung gezielt, die nicht selbst über die üblichen Zwangsmittel zur Sicherung des Gehorsams verfügt habe, aber mittdbar Kontrolle zu ,üben vermochte durch den Arm und die Gewaltmittel des weltlichen Herrschers, des advocatus Bo • '
von Lautenbach, in: St. Gagner / H. Schlosser / W. Wiegand (Hg.), Festschrift für Hennann Krause, Köln-Wien -1975, 21-42. 76a Darüber hinaus geht der in der Literatur zum Widerstandsrecht häufig begegnende Hinweis auf Manegold schon deshalb fehl, weil die Handschrift des ,.Liber ad Gebehardumc erst im 19. Jh. publiziert wurde; vgl. E. Wolgast, Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert, Heidelberg 1980, 11 m. Anm. 3. 77 Dieser Satz wurde 1302 in die Bulle "Unam Sanctamc (dazu unten S. 133 f.) aufgenommen; vgl. Fr. Merzbacher, Recht und Gewaltenlehre bei Hugo v. St. Victor, in: ZRG 75, K.A 44,1958,181-208 (194). Vgl. auch desselben Aufsatz zur Ekklesiologie der folgenden'1ahrhunderte: Wandlungen des Kirchenbegriffs im Spätmittelalter, in: ZRG 70, K.A 39,1953,274-361. 78 The Growth of Papal Government in the Middle Ages, London 1955; deutsch: Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter. Idee und Geschichte, Graz-WienKöln 1960. 79 Ebd., 652 f. 80 Den Höhepunkt dieser Entwicklung sieht Ullmann im Pontifikat Innozenz' III.
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Diese Generalthese Ullmanns blieb natürlich nicht unwidersprochen. Von den kritischen Darstellungen nenne ich nur die älteren Arbeiten von Fr. Kempf S. J"1 und B. TierneyB2. Kempf vertritt die These, daß die Kanonisten nach Gratian bis etwa 1230 nur teilweise hierokratische Positionen vertreten haben, während daneben streng dualistische Auffassungen standen, den'en er, ganz im Gegensatz zu Ullmann, sogar Innozenz III. zurechnet83 • ,.Fast 90 Jahre schwankte die kirchliche Wissenschaft, ob sie der staatlichen Gewalt die Gottesunmittelbarkeit zuerkennen sollte oder nicht.«84 Aber nicht nur dieses Schwanken in der Legitimation der geistlichen Gewalt ist bemerkenswert, sondern diese ist in ih~en Wirkungen selbst zumindest .ambivalent. Diese Ambivalenz, die in der überordnung der geistlichen Gewalt begründet liegt, kommt zum Vorschein, wenn diese in weltliche Belange bindend und lösend eingreift und sich dabei zugleich weltliche Interessen zu eigen macht und diese verfolgt. Nach ihrem Selbstverständnis will die plenitudo potestatis, die dem Petrusamt zukommt, zwar als Dienst, nicht als Herrschaft (,.ministerium, non dominium« - Bernhard v. Clairvaux) verstanden seinl5 , aber welche Garantie gibt es dafür, daß das göttliche Gebot nicht mit weltlichen Interessen verwechselt werden kann, wenn das Papsttum selbst keiner richtenden Instanz mehr unterliegti'? Diese Spannung wird nicht schon dadurch gelöst, daß man zwischen Petrusamt und seinem jeweiligen Inhaber unterscheidet, der historisch in Einzelfällen unzweifelhaft zur Häresie fähig ist, denn die Privilegien des römischen Stuhles werden davon gerade nicht berührt". (1198-1216); vg!. seine Kurze Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Berlin-New York 1978, 194-213. 81 Die päpstliche Gewalt in der mittelalterlichen Welt. Eine Auseinandersetzung mit Walter Ullmann, in: Saggi Storici Intorno al Papato (Miscellanea Historiae Pontificiae), vo!. XXI, Roma 1959, 117-169. 82 Some Recent Works on the Political Theories of the Medieval Canonists, in: Traditio 10, 1954, 594-625 (auch in: ders., Church Law and Const.itutional Thought in the Middle Ages, London 1979), der sich mit U11manns älterem Buch: Medieval Papalism. The Political Theories of the Medieval Canonists, London 1949, auseinandersetzt, welches dem hierokratischen Denken vor allem des 13. und 14. Jh. gilt. 83 A. a. O. (Anm. 81), 140. 84 Ebd. 85 Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 359 u. 369. 86 In einer älteren Arbeit hat J. Funkenstein festgestellt, daß in der kaiserlichen und: päpstlichen Publizistik des Investiturstreites beide Seiten auf die Königsvorstellungcm' des AT und vor allem auf die ambivalente Gestalt Sauls zurückgriffen: Das Alte' Testament im Kampf von regnum und sacerdotium zur Zeit des Investiturstreits (Diss.: phi!. Basel 1933), Donmund 1938. Vg!. ferner M. Hackelsperger, Bibel und mittelalterlicher Reichsgedanke, Bottrop 1934. 87 Vgl. Mirbt, a. a. O. (Anm. 63), 568 ff.
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Am erschreckendsten tritt diese Ambivalenz der geistlichen Gewalt hervor, wenn sie um der von ihr autoritativ ausgelegten Bedingungen zur Erlangung der ewigen Heilsgüter willen zeitliche Strafen verhängt und schließlich zum Krieg gegen Heiden und zur Verfolgung der Häretiker aufruft88 und damit zugleich mittelbar oder unmittelbar ihren Anspruch auf unbedingte weltliche Macht dokumentiert. Diese Macht sollte gewiß der kirchlichen Reform dienen und die geistliche ,.militia Christi .. erneuern, aber diese griff nun auch unmittelbar in die weltlichen Belange. ein. Gut zwanzig Jahre nach dem Dictatus Papae ruft Papst Urban 11. auf der Synode zu Clermont am 27. 11. 1095 zum ersten Kreuzzug auf8'. K. Bosl bemerkt dazu: ,.Die Idee des Heiligen Krieges wurde zum Machtinstrument in der Hand des Papstes und gewann in der universalen Kreuzzugsbewegung geschichtsbildende Gestalt.,,90 Zugleich aber begründeten die Kreuzzüge eine Blüte des Ritterstandes und wurden ein Katalysator bisher unbekannter gesellschaftlicher Mobilität, die sich nicht zuletzt in mancherlei Protestbewegungen gegen das überkommene Herrschaftgefüge Bahn brach'!. Anzumerken ist noch, daß zwar selten, aber doch gelegentlich Töne der Gewaltkritik laut wurden: Ivo von Chartres verhält sich mindestens neutral gegenüber dem ersten Kreuzzug, und Anselm von Canterbury ist die Verteidigung der Küsten Englands wichtiger als die Bekämpfung der Hei.88 Zur Ketzerei im Zeitalter der Kirchenreform und· des Investiturstreites vgl.. H. Grundmann, Ketzergeschichte des Mittelalters (Die Kirche in ihrer Geschichte 2/1), Göttingen 1963, 12-15. 89 Mirbt/Aland (Anm. 58), Nr. 569; MokroschlWalz (Anm. 58), 69 f. 90 Staat, Gesellschaft und Wirtschaft im deutschen Mittelalter (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Taschenbuchausgabe München 1973, Bd. 7), 143. Vgl. zu den Kreuzzügen C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (1935), ND Darmstadt 1974; K. Bosl, Europa im Mittelalter, Bayreuth 1975, 221 ff. Kreuzzüge konnten als ,.bella iustissima« bezeichnet werden (F. H. RusselI, Tbe Just War in the Middle Ages, Cambridge-London-NewYork-Meibourne 1975, 199), aber Kanonistik und scholastische Theologie scheinen der Versuchung, diesen Erscheinungen .theologisehe Dignität beizumessen, widerstanden zu haben, ist doch kein Kreuzzugsaufruf in eine Dekretalensammlung aufgenommen worden. ,.Tbe moral suspicions attached to warfare or at least kiIling in the early medieval penitentialliterature went underground but did not cease to exist in the high Middle Ages, where it reemerged as ·the scholastic hesitation to assimilate the crusades wholly into the just war theories« (Russell, 294). Andererseits haben Kleriker trotz entgegenstehender Verbote auch seit alters selbst aktiv an Kriegen teilgenommen, zumal wenn der höhere Klerus sich·· aus der Aristokratie rekrutierte und dessen kriegerisches Ethos teilte; vgl. dazu F. Prinz, Klerus und Krieg im frühen Mittelalter, Stuttgart 1971, sowie Russell, 116 f. 91 Vgl. N. Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich, Bern-München 1961; Bosl, a. a.O. (Anm. 9), 11, 241 ff.; ders., Art. Gesellschaftsentwicklung 900-1350, in: Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hg. v. H. Aubin u. W. Zorn, Bd. I, Stuttgart 1971, 226-273. 117
den'2. Das Scheitern des zweiten Kreuzzuges (1147-1149)!13 verschärft die Bedenken etwa bei Gerhoch von Reichersberg'4 undläßt den Patriarchen von Jerusalem fragen, ,.an liceat christianos militare contra paganos et eos occidere, cum Dominus in lege dicat: Non occides, et in Euangelio: Ommis qui gladium accipit, gladio peribit«'S? Und schließlich sei darauf verwiesen, daß Huguccio (gest. 1210), der »größt.e der Dekretisten« (St. Kuttner), in der Frage des Notwehrrechtes sogar im Blick auf Röm. 12,19 den alten, von der Kanonistik rezipierten Satz der Digesten lOvim vi repellere licet« in Frage stellt und eher zu Flucht und Leiden als zu aktivem Widerstand rät". Das letzte Beispiel hat freilich über den Umkreis der potestas ecclesiastica hinausgeführt und steht nur für die Möglichkeit grundsätzlicher Gewaltkritik aus dem Geist des Neuen Testaments. Wir wenden uns jetzt einigen Fragen zu, die mit kirchlicher Gewaltkritik zugleich deren Pendant, die Friedenssicherung betreffen.
3. Irdische Friedensordnung, Widerstand und Krieg Daß Schutz in Willkür, Dienst in Herrschaft, Hierokratie in Verweltlichung umschlagen können, verweist auf die im Begriff der Gewalt angelegten Ambivalenzen. Gewalt kann Menschen schützen wie zerstöre~, Reiche bewahren wie vernichten. Steht sie im Dienst des Rechtes, so möchte man annehmen, daß sie dem Frieden zu dienen vermag, aber wenn die Quellenund Formen des Rechtes der Kritik anheimfal1en und selbst zweifelhaft werden, weil sie von Ungerechtigkeit kaum noch zu unterscheiden sind, dann wird der Widerstand Platz greifen und womöglich zum Kriege führen, von dem niemand weiß, ob an seinem Ende die epleute Aufrichtung von pax et iustitia möglich wird. Im folgenden wende ich mich auf dem bislang skizzierten Hintergrurid ambivalenter Gewaltverhältnisse drei Erscheinungsformen· der sozialen und politischen Gewalt und Versuchen ihrer Eingrenzung zu. Diese Beispiele sind so gewählt, weil sie für späteres Nachdenken über Gewalt und Frieden eine .orientierende Bedeutung gehabt und vielleicht noch immer haben. \ 92 E.-D. Hehl, Kirche und Krieg im 12 .. Jahrhundert. Studien zu kanonistischem Recht und politischer Wirklichkeit, Stuttgart 1980, 10-13. 93 Bernhards v, Clairvaux Aufruf und Rechtfertigung auszugsweise in Mokroschl Walz (Anm. 58), 93-95. Bernhard bezieht sich vor allem auf alttestamentliche Bibelstellen. 94 Hehl, a. a. O. (Anm. 92), 146 f. 95 Ebd., 154 f. 96 Ebd., 194 f.
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3.1. Gottesfrieden, Landfrieden und Gewaltmonopol
Schon in den Anfangszeiten des neuen Geistes, der auf Reform der Kirche und ihre Befreiung aus der Abhängigkeit von' den Herrschaftsrechten des Adels drängte, liegt auch der Beginn einer neuen Friedensbewegung. Sie entstand zuerst im Süden Frankreichs in Gebieten, in welchen die territorialen Machtverhältnisse zunehmend zersplittert waren und es an einer rechtlich gebundenen, ordnenden Instanz fehlte'? Wenn angesichts dieser Lage Bischöfe und Synoden seit Ende des 10. Jahrhunderts die Mitglieder des Adels zu eidlichen Versprechen zwangen, den Besitz' der Kirchen und der pauperes zu achten, so muß man dies auf dem Hiniergrund"des allgemeinen Fehderechts98 sehen, dessen Grundlage die Berechtigung der Freien war, erlittenes Unrecht mit eigenen Mitteln zu beseitigen. Vim vi repellere licet, lautete ja die alte Formel des römischen Rechts". Freilich dad man darum noch keineswegs annehmen, das Mittelalter sei eine' Zeit des Faustrechts gewesen, denn auch die Fehde war ein Rechtsmittel, das die Einhaltung bestimmter Regeln und Formen verlangte lOO. Erst das überhandnehmen des Fehdeinstituts ließ neue Formen der Pazifizierung erforderlich werden. Friedenszustände haben stets einen räumlichen Bezug. So spricht man vom Hausfrieden, den zu wahren Aufgabe des Hausvaters, des oLxoöeo:rco'tT]!; ist, und so gab es die Bereiche des Dorf-, Markt-, Burg- oder StadtfriedenslaI. In
97 Vgl. F. Kempf, Renovations- und Reformbewegungen von 900-1050, in: Handbuch d,er Kirchengeschichte IIII1 (1973), 365,-398 (394 H.); :Bosl, Staat, a. a. O. (Anm. 90), 142 H. 98 Vgl. dazu O. Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Osterreichs im Mittelalter, Wien-Wiesbaden (zuerst 1939), 41959,1-110; sowie H. Mitteis, Land und Herrschaft. Bemerkungen zu dem gleichnamigen Buch Otto Brunners (1941), jetzt in: H. Kämpf (Hg.), Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt 1974, 20-65 (26-30 zur Fehde). 99 Sie taucht häufig bei den Kanonisten und auch bei Luther auf; vgl. H. Scheible (Hg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Prote~tanten 1523-1546, Gütersloh 1969, 17.61 u. Ö. 100 J. Gemhuber, Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235, Bonn 1952, 167. Z\lIIl folgenden vgl. auch W. Janssen, Krieg und Frieden in der Geschichte des europäischen Denkens, in: W. Huber I J. Schwerddeger (Hg.), Kirche zwischen Krieg und Frieden, Stuttgart 1976, 67-129 (hier: 68-78). Literatur zur Geschichte des außergerichtlichen Zweikampfes findet man bei S. Langholm, Violent Conflict Resolution and the Loser'sReaction, in: JPR 2, 1965, 324--347. Zum mittelalterlichen Kriegswesen vgl. auch J. F. Verbruggen, The Art of Warfare in Western Europe during the Middle Ages (zuerst 1954),·Amsterdam-New York-Oxford 1977; vgl. die Rez. von Fr. Prinz in: HZ 229, 1979,424 f. 101 K. S. Bader, Das mittelalterliche Dorf akFriedens, und Rechtsbereich, Weimar 1957, verfolgt bes. das Zusammenwirken von kirchlichem \lnd germanischem .Rechts-
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den mittelalterlichen Friedensbewegungen finden wir als Vorstufe des Landfriedens den Gottesfrieden102, für den kirchliche Rechtsträger verantwortlich zeichnen. Geisdichkeit, Ritter und Bauern schlossen Pakte, in denen sie sich zur Einhaltung bestimmter Friedenszeiten verpflichteten, zu Vereinbarungen also, welche kirchlicher Garantie bzw. Sanktionsgewalt unterlagen103. Andere Pakte stellten bestimmte Herrscher als Garanten heraus und wiesen ihnen damit die Aufgabe zu, gegenüber den anderen Paktpartnern als zentrale Sanktionsgewalt zu fungieren. Damit wuchs freilich nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Macht derer, die sie zu gewährleisten hatten. In der ADfangszeit kam diese Sanktionsgewalt wohl besonders der Kirche zu, die Friedensbrecher exkommunizieren konnte lO4 • B. Töpfer105 hat dabei insbeson-:dere für Burgund (Cluny!) un~ Aquitanien gezeigt, wie die Wohlfahrt der bäuerlichen Schicht mit den Interessen des Klerus übereinstimmte, und zwar zu Lasten vor allem des niederen und mitderen Adels. Auf feierlichen Synoden vereinbarte man, »ut pacem firmarent, res pauperum non oppriment«I06...Pax et iustitia« ist die Grundformel dieser Pakte!07, die freilich denken unter dem Einfluß der Zisterzienser. Daß ,.Frieden« insofern kein philanthropischer Allgemeinbegriff, sondern immer ,.konkret geortet« sei, hat niemand so deutlich wie C. Schmitt herausgestellt: Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, 28 u. ö. 102 Gernhuber, a. a. o. (Anm. 100), 41 ff. 103 Vgl. als kurzen überblick H. Conrad, Rechtsordnung und Friedensidee im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit, in: A. Hollerbach / H. Maier (Hg.), Christlicher Friede und Weldriede; Paderborn 1971, 9-34. Die Verpflichtungsformel eines solchen Bundes aus dem Jahre 1021 lautete: ,.Ich werde in keiner Weise in Kirchen eindringen, auch nicht in deren Vorratskeller, es sei denn zu dem Zweck, don einen verbrecherischen Störer des Friedens oder einen Mörder zu ergreifen. Ich werde weder Bauern noch Bäuerinnen oder Kaufleute festhalten. Ich will nicht, daß sie ihre Habe durch eine Fehde ihres Herrn verlieren, und ich werde sie nicht geißeln lassen, um ihnen ihre Existenzmittel wegzunehmen. Ich werde ihr Haus weder zerstören noch anzünden. Ihre Weinstöcke werde ich auch nicht unter dem Vorwand entwurzeln, daß dies zur Führung einer "Fehde erforderlich sei, und ihren Wein nicht unter diesem Vorwand ernten. Ich werde die hier genannten Verpflichtungen gegenüber allen, die sie beschworen haben, zu ihren Gunsten einhalten.« Zit. nach J. D'Hondt, Das frühe Mittelalter (Fischer, Weltgeschichte Bd. 10), FrankfunIM. 1968,254. 104 Gernhuber, a. a. o. (Anm. 100), 53 (Kölner Gottesfrieden von 1083; Text in: Quellen, ed. Weinrich, a. a. O. [Anm. 52], 140-147). 105 Volk und Kirche zur Zeit der beginnenden Gottesfriedensbewegung in Frankreich, Berlin 1957. 106 Zit. bei Töpfer, ebd., 61. 107 So hieß es bei der Synode von Verdun (1021/22): ..Omnes homines sub sacramento constringerent, pacem videlicet et iustitiam servaturos. (bei Töpfer, 66 m. Anm. 57); und Kaiser Friedrich Barbarossa ließ bei der ~aiserswenher Pfalz folgende Wone einmeißeln: ,.Iustitiam stabilire volens, ut undique pax sit« (zit. nach Conrad, a. a. 0., Anm. 103,10). Vgl. auch Th. Strohm, a. a. O. (Anm. 12). - Töpfer betont, daß
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zunächst nur befristete Geltung hatten. ,.Nutznießer waren auf die Dauer die Großen«I08, aber aus den Anfängen der Gottesfrieden entwickelten sich die Landfrieden109, deren räumliche, zeitliche und soziale Geltung sich allmählich ausdehnte. Heinrich IV. ließ 1085 im ganzen Reich den Gottesfrieden verkünden, 1103 in Mainz den ersten Reichslandfrieden llo • Der Rechtsform nach handelte es sich jetzt um Gesetze, nicht um Verträge l11 , und darum meint Gernhuber, die Landfrieden seien ,.Träger des ersten positiven und nur positiven Rechts « 112 gewesen. Durchsetzbar war ein derartiger Frieden jedoch nur, soweit seine Einhaltung notfalls auch gewaltsam erzwingbar war; Friedrich 1. Barbarossa erließ zwar schon 1152 ein absolutes Fehdeverbot, mußte aber hernach die rechtlich geordnete Fehde erneut zulassenlU. Ähnliche Bewegungen entwickelten sich auch im kommunalen Bereich, zumeist aus dem Bestreben, sich der Willkür weltlicher oder geistlicher Herren zu entziehen ll4 und interne rechtsförmige Regelungen zur Streitschlichtung zu entwickeln!l5, nicht zuletzt mit dem Ziel der »Monopolisiebesonders auch der Schutz der Armen, Witwen und Waisen Gegenstand dieser Pakte und ihre Verletzung ein ,.sacrilegusc war (29 ff. 85 f.); vgl. auch Gernhuber, a. a. o. (Anm. 100), 200 f. 108 H. Hoffmann, Gottesfriede und Treuga Dei, Stuttgart 1964, 248. 109 Vgl. P. A. Hausmann, Die Spuren der treuga dei im Völkerrecht oder Vom Wandel des Friedensverständnisses, in: G. Picht / C. Eisenbart (Hg.), Frieden und Völkerrecht, Stuttgart 1973, 235-294; und vor allem H. Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966, der eine Fülle territorialgeschichdicher Details auswertet. 110 Quellen, ed. Weinrich, a. a. O. (Anm. 52), 166 f.; vgl. Bosl, a. a. O. (Anm. 90), 144. 111 ,.Pacern legaliter institutumc zitiert Gernhuber (Anm. 100), 84, aus einem. Text von 1119. 112 Ebd., 103; vgl. Bosl, a. a. O. (Anm. 90), 144 m. Anm. 7. - Zu dem langen Weg, den es brauchte, damit man sich Recht und Gesetz unterstellte, vgl. H. Krause, Mittelalterliche Anschauungen vom Gericht im Lichte der Formel: iustitiam facere et recipere, Recht geben und nehmen (SB Bayer. Akad. d. Wiss., Phil. Hist. Klasse, Heft 11), München 1974. 113 Gernhuber, 180. 114 Ein besonders eklatantes Beispiel ist der berühmte Aufstand der Bürger Kölns gegen ihren Erzbischof im Jahre 1074; vgl. näher J. Le Goff, Das Hochmittelalter (Fischer Weltgeschichte, Bd. 11), Frankfurt/M. 1965, 75 ff.; ferner Monumenta Annonis. Köln und Siegburg - Weltbild und Kunst im hohen Mittelalter (Ausstellungskatalog), Köln 1975, 30 f.; sowie jetzt G. Jenal, Erzbischof Anno 11. von Köln (1056-75) und sein politisches Wirken, Stuttgart 1974/75. - Zum Gesamtkomplex vgl. E. Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1972, 113 ff.; Brunner, a. a. O. (Anm. 98), 349-354. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Studienausgabe), Tübingen 51972,741-757, betont besonders die Bedeutung der coniurationes (Einungen der ·Bürger) bei der Emanzipation der Städte (750). 115 Insbesondere waren die Städte interessiert an der Abschaffung der gerichtlichen
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rung der ökonomischen Chancen, welche die Stadt ihren Insassen darbot .. \16. »Stadtluft macht frei .. - zunächst freilich nur die Besitzenden, denn auf jeden Fall lag die Sicherung des Stadtfriedens im unmittelbaren Interesse der Kaufleute und Händler. Den Höhe- und Schlußpunkt dieser Entwicklung bildet· der sog. Ewige Landfriede von 1495, der jede Fehde untersagte und den Streitenden gebot, Gerichte anzurufen. Zugleich wurde im Zuge dieser Reichsreform das Reichskammergericht errichtet, welches vor allem als. Appellationsinstanz fungierte 117• Damit war natürlich keineswegs eine einheitliche Rechtsordnung des Reiches gewonnen, aber doch die bislang rechtlich zulässige Möglichkeit der Selbsthilfe erheblich eingeschränkt mit dem Ziel allgemein größerer Rechtssicherheit. Diese allmähliche Konzentration territorialer Herrschaftsbefugnisse ging, im Gegensatz zum anglonormannischen und französischen Königtum, im Deutschen Reich mit einer Zersetzung der Königsgewalt einher. Die jeweilige landesherrliche Ämterverfassung war Ausdruck des Versuchs der Gewaltmonopolisierung118, für deren Ausbildung entscheidend war, daß die jeweilige Landeshoheit die Landgerichtsbarkeit einschließlich des Blutbannes über nichtadelige Freie erwerben und durch Rationalisien,lOg von Recht und Verwaltung ein übergewicht über die Stände erringen konnte. Dieser Territorialstaat bedurfte der Tätigkeit des gelehrten Juristen und wurde zum Ort der Rezeption des römischen Rechts lt9 • Insgesamt war ·die Landfriedensgesetzgebung nur ein Teil der Reichsgesetzgebung und Re~chs 'reform l20 und somit nur insofern ein Instrument der Friedenssicherung, als Zweikämpfe und der Gonesurteile, so J. D'Hondt, a. a. O. (Anm. 103),259; Ennen, a. a. O. (Anm. 114), 107. 116 Weber, a. a. O. (Anm. 114), 751. - Zum Gegensatz zwischen städtischen und fürstlichen Interessen an der Friedenswahrung, bes. im 15. Jh., vgl. Angermeier, a. a. O. (Anm. 109). 404-435. 117 Bosl, a.a.O. (Anm. 90), 235 ff.; sowie G. Scharffenorth, Römer 13 in der Geschichte des politischen Denkens, Heidelberg 1964, 47 ff. 118" Ich verwende den Ausdruck Gewaltmonopol im Sinne Max Webers, a. a. O. (Anm. 114), 29, also als Inbegriff einer (rdativ) erfolgreichen Zentralisierung der rechtlichen Kompetenz zur Anwendung physischer Zwangsgewalt. Die Monopolisierung der Gewalt bedeutet insofem die Eingrenzung und letztliche Aufhebung jeder sonstigen eigenberechtigten Zwangsgewalt in einem Territorium, schließt aber nicht eine in sich vielfach gegliederte Ordnung von adligen, ständischen und kommunalen Hertschaftsbefugnissen aus. 119 F. Wieacket, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, Göningen 21967, 100 f.; vgl. auch O. Brunner, Die Freiheitsrechte in der altständischen Gesdlschaft (1954), in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 21968, 187-198 (190); Angermeier, a. a. O. (Anm. 109), 478. 120 Vgl. dazu H. Angermeier, Die Reichsregimenter und ihre Staatsidee, in: HZ 211, 1970, 265-315 (bes. 283 ff. zu den Ausstrahlungen des 1495 neugegründeten Reichs-
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Fehde und eigenberechtigte Gewalt eingedämmt wurden. Das Reich erneuerte aber in den Folgejahren wiederholt den ewigen Landfrieden von 1495, und der Augsburger Religionsfrieden von 1555 dehnte schließlich das Landfriedensrecht auf Religionssachen aus l21 . Mit diesen Bemerkungen und Beispielen soll nicht behauptet werden, die Gottes- und Landfriedensbewegung sei primär ursächlich für die zu beobachtende Tendenz zur Monopolisierunglegaler Gewalt. Für die Entwicklung zum Territorialstaat gibt es natürlich eine Fülle weiterer komplexer Motive und Anlässe. Wichtig ist mir dagegen, daß gegenüber der Gefahr einer Zersplitterung und Zersetzung der hoheitlichen Ordnungsmacht ,nicht zuletzt kirchliche Gegenkräfte auftraten, die sich zum Anwalt territorialer Integration und legaler Bindung aller freien Gewalten machten. Gegen die zentrifugalen Kräfte der Selbsthilfe fördert~n besonders die kirchlichen Reformkreise die Stabilität einer ans Recht gebundenen Zentralgewalt, durch deren Schutz auch die Verkündigung des Evangeliums und der materielle Bestand der Kirche gesichert werden. Diesem kirchlichen Interesse wird man eine große historische Beständigkeit bescheinigen müssen. 3.2. Volkssouveränität und Widerstand (Thomas von Aquin) Einen tiefen Einschnitt in den mittelalterlichen Vorstellungen von Staat und Politik bildet die Wiederentdeckung und Rezeption der aristotelischen ,.Politik« seit der Mitte des 13. Jahrhunderts 122• Um 1260 lag die von Thomas v. Aquin angeregte übersetzung des flamländischen Dominikaners Wilhelm von Moerbeke vor, die auf dem griechischen Text basierte. Schon im 14. Jahrhundert finden wir die wohl erste übersetzung in eine Volkssprache, und zwar durch Nikolaus von Oresme auf Veranlassung König Karls V. von Frankreich123 • Albernis Magnus und Thomas v. Aquin verfaßten bekanntlich Kommentare zur aristotelischen Politik, und in seiner kleinen S~hrift ,.De regimine principum«124 entwirft Thomas die erste christliche Staatslehre" auf kammergerichts auf Gerichtsordnungen der einzelnen Territorien sowie 287 ff. zu den neu entstehenden Polizeiordnungen). 121 Vgl. Conrad, a.a.O. (Anm. 103), 18 f. " 122 Vgl. außer der in Anm. 6 genannten Lit. zum geschichtlichen Hintergrund A. Zimmermann (Hg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert, Berlin-New York 1976; F. v. Steenberghen u. a., Art. Aristoteles, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1(1979),934-948. 123 Struve, a. a. O. (Anm. 6), 149 f. I. Düring meint sogar, "daß die kleine Abhandlung des Aristoteles über die Geldwirtschaft im XIV. Jahrhundert den Anstoß zur Gründung einer neuen Wirtschaft gabe (Aristoteles, Heidelberg 1966, 493). 124 Die Gattung des "Fürstenspiegels«, der diese Schrift zugehört, hat eine lange Vorgeschichte. Abgesehen von Xenophons »Kyropädiee kann man sie mit Augustins
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aristotelischer Basis. Indes sprechen gewichtige Gründe gegen die Verfasserschaft des Thomas sowohl beim Aristoteles-Kommentar wie bei der Fürstenschriftl25 , so daß jede Interpretation ihr~ Ausgang bei der ,.Summa Theologiaec .des Doctor Angelicus zu nehmen hat. Dabei ist auf den ersten Blick deutlich, daß Aufschluß über den für Thomas wesentlichen Gewaltbegriff nicht aufgrund lexikalischer Auskünfte zum Stichwort violentia gewonnen werden kann126, sondern es erforderlich ist, den für die Epoche wesentlichen Bereich von konkurrierenden Mächten und Gewalten aufzusuchen; dies ist zunächst die mit dem Investiturstreit aufgebrochene Auseinandersetzung von weltlicher und geistlicher potestas, der Streit zwischen imperium und sacerdotium. Thomas nimmt in dieser Auseinandersetzung zwischen den Kurialisten 127 und dem laikalen Flügel128 bekannt-
De civ. Dei V, 24 beginnen lassen (vgl. Duchrow, a. a. O. Anm. 4, 284). Für das Mittelalter ist der ,.Policraticus« des Johannes v. Salesbury wichtig .(vgl. Struve, a. a. 0., Anm. 6,123 ff.); ihm folgt eine Blüte der Gattung (Thomas; Tolomeus von Lucca; Aegidius Romanus u. a.). In die Neuzeit leiten über Fenelons ,.Telemaquec (1699) und der ,.Antimachiavell.. Friedrichs d. Gr. (1739). Vgl. dazu das Standardwerk von W. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (Stuttgart 1938), ND 1952. 125 Vgl. bes. W. Mohr, Bemerkungen zur Verfasserschaft von De regimine principum, in: J. Möller / H. Kohlenberger (Hg.), Virtus Politica (FS A. Hufnagel), Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, 127-145, der aus Gründen der Textüberlieferung und sachlicher Unterschiede zur S. Th. die Authentizität m. E. überzeugend verneint. Zum Kommentar zur ,.J?olitik« des Aristotles vgl. Hertling, a. a. o. (Anm. 6), bes. 453 ff. 126 Violentia, violentus bezeichnen äußeren, meist physischen Zwang, etwas, das einem Seienden von außen aufgezwungen wird. In diesem Sinne ist allein Gott nicht von violentia affiziert: ,.Omne in quo est aliquid violentum vel innaturale, Datum est ab alio moveri: nam violentum est >cuius principium est extra nil conferente vim passo<. Deus autern est omnino immobilis, ut ostensum est. Igitur non potest in eo esse aliquid violentum vel innaturale ... (Summa contra gentiles 1,19, ed. AlbertlEngelhai"dtl Dümpelmann, Darmstadt 1974, n). Thomas zitiert hier Aristoteles, Eth. Nik. III, 1, 1110 a 1: ~(QLOV öl; ab TJ QQXTJ i;ooitev, -coLa'ÜtlJ abaa tv ~ I'TJöl;v O'UI'~cillE'taL Ö ltQcinow ~ b ltcioxoov. In S. Th. I (Gotteslehre) verteidigt Thomas die Einheit und Unveränderlichkeit des göttlichen Willens (bes. im Blick auf 1. Tim. 2,4: q. 19, art. 6) als prima causa, die nicht durch äußere Momente affiziert werden kann: nullus autem defectus causae secundae impedire potest quin voluntas Dei effectum suum producat (I. q.19, a.8). - In S. Th. I-lI (Anthropologie) spricht Thomas über violentia im Zusammenhang der Frage der menschlichen Willensfreiheit und differenziert violentum absolutum, simpliciter, mixtum etc., um so Grade der Affizierung des menschlichen Willens zu unterscheiden (q. 6 a. 5). Weitere Belegstellen: Thomas-Lexikon, von L. Schütz, 11895, Neudruck Stuttgart 1958, s. v. violentia etc. Zum Bezug auf Aristoteles vgl. ferner M. Wittmann, Die Ethik des Hl. Thomas von Aquin, München 1962,73 ff. 127 Vgl. als spätere Zusammenfassung dieser extremen Position bes. Aegidius
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lieh eine Mittelstellung ein129• Durch den ständigen Bezug auf Aristoteles entwickelt Thomas von vornherein seine naturrechtliche Theorie der StaatsgewaltllQ so, daß diese in eine relativ unabhängige Stellung gegenüber der geistlichen Gewalt gerückt wird. Gemäß seiner grundlegenden Zuordnung und nicht Entgegensetzung von natura und gratia gilt darum nach Thomas das Gehorsamsgebot von 1. Petr. 2,13 f.\3t auch gegenüber den saeculares potestates: "per fidem Christi non tollitur ordo iustitiae, sed magis firmatur«m. Augustins eschatologisch begründete Distanz zur civitas terrena teilt Thomas nicht, denn für ihn gründet der Staat in der natürlichen Anlage des Menschen. als ~cpov ltOAL'tLXOv. Und ebenso gibt es von Natur aus - und nicht als Folge des Sündenfalls - politische Herrschaft...Utrum homo in statu innocentiae homini dominabatur«, fragt Thomas in Auseinandersetzung mit Augustin, und antwortet: ..Quia homo naturaliter est animal sociale: unde homines in statu innocentiae socialiter vixissent. Socialis autem vita multorum esse non posset, nisi aliquis praesideret, qui ad bonum commune intenderet: multi enim per se intendunt ad multa, unus vero ad unum.«133 Thomas unterscheidet hier einen doppelten Begriff der Herrschaft (dominium accipitur dupliciter): einmal im Gegensatz zur Knechtschaft (servus), ein andermal als elementare Sozialbeziehung zu einem irgendwie Untergebenen (subiectum), und von diesem zweiten Fall kann gesagt werden, ,.qui habet officium gubemandi et dirigendi liberos, dominus dici potest«. Den ersten Fall des dominium habe es freilich im Urstand nicht gegeben, aber der zweite sei der Anlage der Natur gemäß.
Romanus, De ecclesiastica potestate, hg. v. R. Scholz (1929), ND Aalen 1961; dazu näher R. Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifäz' VIII. (1903), ND Amsterdam 1969,32-129; Kölmel, a. a. O. (Anm. 63), 291-354, der von einer ,.ekklesiarch-soliustischen Doktrin~ spricht (300). 128 Dessen Erstarken behandelt das vielbändige Werk von G. de Lagarde, La naissance de l'esprit laique au declin du moyen age, Louvain-Paris 1934 ff. (in verschiedenen, sich überschneidenden Auflagen der Bände). . 129 Die Dreiteilung auch bei Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 398 ff. 130 Ich folge in der Interpretation vor allem P. Tischleder, Ursprung und Träger der Staatsgewalt nach der Lehre des hl. Thomas und seiner Schule, Mönchen-Gladbach 1923. Vgl. ferner M. Grabmann, Thomas von Aquin. Eine Einführung (1912), München 81949, 160 ff. Zu Thomas' Verständnis von Röm. 13,1-7 vgl. W. Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese, Göttingen 1969, 218-228. 131 Thomas zitiert die Stelle aus De civ. Dei: remota iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? 132 S. Th. lI-lI, q. 104, a.6. 133 S. Th. I, q.96 a.4. Vgl. zur Auslegung der Stelle den schönen Vortrag von D. Stemberger, Der alte Streit um den Ursprung der Herrschaft, in: Südd. Zeitung Nr. 161 vom 16./17. Juli 1977. Vgl. auch Grabmann, a. a. O. (Anm. 130), 160-166.
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Zweck der so begründeten Staatsordnung134 ist die Sicherung des bonum commune, vornehmlich durch die ErrichtUng und Sicherung einer Rechtsordnung. Ihr Grund aber liegt nicht bei der kirchlichen Gewalt, sondern beim Volk, das auch, als ,.libera multitudo«, das Recht hat, Gesetze zu ändern (totus populus legem condere potest)135. Diese Kompetenz erstreckt sich freilich nur auf den Umkreis der weltlichen Aufgaben, aber grundsätzlich gilt, daß beide Gewalten, sacerdotium und imperium, in ihren je eigenen Belangen selbständig sind!3'. Auch wenn, soweit ich sehe, Thomas die erwähnte Form von Volkssouveränität nicht mit der Figur des Herrschaftsvertrages verbindet137, wird es kein Zufall sein, daß diese Probleme im Zusammenhang der Frage lOde mutatione legum« auftauchen. Zu erwägen wäre im Anschluß an die Untersuchungen von Kielmansegg13B, inwiefern bei Thomas sich die traditionelle Linie der Konsensgebundenheit aller Herrschaft139 mit der Linie von der legislativen Kompetenz140 kreuzt, aber dagegen steht die Beobachtung, daß derartige Prinzipien selbst einen Funktionswandel durchlaufen können. Als Beispiel für einen vergleichbaren Sachverhalt verweise ich nur auf die viel erörterte Grundformel wechselseitiger Verpflichtung von Herrscher und Beherrschten, die lautet: »Quod omnes tangit, ab omnibus tractari et approbari debet.« 134 Die Problematik dieser Rede vom "Staate in ibrer unhlstorischen Vereinfachung ist mir klar, aber auch wohl nicht zu umgehen. Vgl. aber H. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, Darmstadt 101980; zur römischen Begriffsgeschichte vgl. W. Suerbaum, Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff, Münster 31977; den Verzweigungen der Etymologie stat/Staat und den verschiedenen Bedeutungsfeldern geht nach P.- L. Weinacht, Staat. Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert, Berlin 1968. 135 S. Th. 1-11, q. 97, a. 4; vgl. auch q. 90, a. 3, dazu Tischleder, a. a. O. (Anm. 130), 37 u. 80 H. 136 Tischleder, 49 H., in ständiger Auseinandersetzung mit der gegenläufigen Interpretation von Troeltsch, a. a. O. (Anm.14), 252-358. Als Konfliktfälle zwischen beiden Gewalten stellt Tischleder die Zinsfrage und die Restitutionspflicht heraus. 137 Zur Vorgeschichte vgl. Fuhrmann, a. a. O. (Anm. 76). 138 A. a. O. (Anm. 10), 43 H. 139 Vgl. Kern, a. a. O. (Anm. 10), 121-137. 140 Vgl. dazu die materialreiche und spannende Studie von Sten Gagner, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, Uppsala 1960. Gagn& macht deutlich, wie der Juristenpapst Bonifaz VIII. und sein großer Gegenspieler Marsilius v. Padua sich derselben juristisch-technischen Denkmittel bei gegensätzlichen Zielsetzungen bedienten, weil sie die Erfahrung des Zusammenbruchs des Naturrechts teilten. "Sogar wo es um den Vorrang des Theologischen ging, lieferte der Juristenkanon die entscheidenden Gesichtspunkte.. , urteilt Gagner ebenfalls im Blick auf Ockham in seinem weiteren Beitrag: Vorbemerkungen zum Thema ,.Dominium« bei Ockham, in: A. Zimmermann (Hg.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter, Berlin-New York 1974, 293-327 (316). Also ,.Silete Theologie lange vor Alberico Gentilis!
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Diese Formel findet sich schon im spätrömischen Recht!4! und ist dort Bestandteil des Verfahrensrechts für privatrechtliche Auseinandersetzungen142• Sie konnte im England des 13. Jh. durch Vermittlung des großen Staatsrechclers H. Bracton (t1268) als Bestandteil des public law dazu verhelfen, die Ziele der Magna Charta von 1215 juristisch zu untermauern14l , aber das consensus-Motiv fungierte auch als Maxime des Konziliarismus im 13. Jh., wenn Innozenz III. in der Einberufwigsbulle zum vierten Laterankonzil vom ,.gemeinsamen Stand aller Gläubigen« (universorum fidelium communis status) spricht!". Und schließlich dient die Formel zur Legitimation sozialen Aufstiegs: ,.Der Grundsatz vom consensus lag im 13. Jahrhundert in der Luft, er war ein Gebot der praktischen Vernunft für alle Herren, die aufsteigen wollten.« !45 Diese Multifunktionalität der Formel146 schließt die Möglichkeit aus, sie als Ausdruck·vorneuzeiclichen Demokratieverständnisses zu beanspruchen, aber zugleich enthüllt sie schön die Ambivalenzeri:rtler Partizipationsforderungen, insofern diese nicht nur die Kontrolle, sondern, geschickt gehandhabt, auch die Steigerung der Macht begünstigen, so wenn beispielsweise konziliare Ideen in den Dienst einerseits der Kirchenreform, andererseits des Ausbaus der Stellung des Papsttums treten147• 141 Vgl. zur Geschichte der Formel bes. Y. M.-J. Congar, Quod·o~es tangit, ab omnibus tractari et approbari debet, in: Revue historique de droit fran~aise et eminger 36,1958,210-259; und G. Post, a. a. O. (Anm. 70),163-238. 142 Beispiel: »when several tutores had an undivi~ed tutela, their joint administration could not be ended without the consent of all. (Post, 169). . 143 Post, 231. 144 Congar, a. a. O. (Anm. 141),215. Auch für die Bischofswahl war der consensus populi gefordert, trat aber zunehmend zurück; vgl. K. Ganzer, Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZRG 88, KA 57,1971,22-82. 145·· K. Bosl, Aus den Anfängen der landständischen Bewegung und Verfassung. Der Vilshofener Vertrag von 1293, in: W. Abel / K. Borchardt / H. Kellenbenz / W. Zorn (Hg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte (FS F. Lütge), Stuttgart 1966, 8-27 (10). 146 Zu ihrem erkenntniskritischen Aspekt vgl. darüber hinaus K. Oehler, "Der consensus omnium als Kriteriuin der Wahrheit in der antiken Philosophie und der Patristik, in: B. Snell / U. Fleischer (Hg.), Antike und Abendland, Bd. X, Hamburg 1961, 103-129. 147 Eine ähnliche Verkehrung der Fronten hat B. Tieriley für die Entstehung der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit wahrscheinlich zu machen versucht; er meint, Petrus Olivi, der den Franziskanern nahestand, habe im Armutsstreit für die Unfehlbarkeit plädiert, weil die Bulle ..Exiit« von 1279, die die franziskanische Armutsauffassung billigte, dann nicht revozierbar geworden wäre; vgl. B. Tierney, Origins of Papal Infallibility 1150-1350, Leiden 1972; vgl. auch ders., Ursprünge der päpstlichen Unfehlbarkeit, in: H. Küng (Hg.), Fehlbar? Eine Bilanz, Zürich-Einsiedeln-Köln 1973, 121-145.
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Dieser kleine Umweg sollte den Sachverhalt unterstreichen, daß man auf einzelne Formeln scholastischer Autoren keine Hypothesen über ihre Modernität aufbauen darf. Erforderlich wäre vielmehr, durchaus in Analogie zur Auslegungsgeschichte biblischer überlieferungen, der Entwicklung einzelner tragender Begriffe und Vorstellungen über längere Zeiträume nachzugehen. Es versteht sich, daß das hier nicht möglich ist, aber unter diesem ausdrücklichen Vorbehalt können wir uns erneut Thomas ~uwenden, und zwar seinen epochal wirksamen Auffassungen zum Widerstandsrecht l48 • Wenn ich recht sehe, taucht diese Frage bei Thomas in zwei voneinander zu unterscheidenden Zusammenhängen auf. Einmal muß geklärt werden, ob der Christ sich auch einer ungläubigen Obrigkeit fügen muß, und zum andern geht es um Verhaltensregeln für den Fall einer entarteten Obrigkeit149 • Für den ersten Fall antwortet Thomas, daß auch Ungläubige über Christen herrschen können, gleichwie die ersten Christen dem Caesar gehorsam waren ISO, daß aber die neue Errichtung einer solchen Herrschaft zu verhindern sei. Auch Apostasie des Herrschers als solche berechtigt nicht zum Ungehorsam lSl , sondern erst sein Versuch, die Glaubensfreiheit zu beeinträchtigen - »intendens homines separare a fide. Et ideo quam cito aliquis per sententiam denuntiatur a fide, ipso facto eius subditi sunt absoluti a dominio eius et iuramenta fidelitatis qua ei tenebantur«l52. Abgesehen von Glaubensfragen ist das Gebot des Gehorsams nach Thomas letztlich in der naturrecht148 Zur Vorgeschichte vgl. H. Mandt, Tyrannislehre ~d. Widerstandsrecht, Darmstadt-Neuwied 1974, 23-70 (nur beiläufiger Hinweis auf Thomas, 69 m. Anm. 10 u. 11), Kern, a. a. O. (Anm. 10); sowie die Beiträge J. A. Stüttler, Das Widerstandsrecht und seine Rechtfertigungsversuche im Altertum und im frühen Christentum (1965); L. Delfos, Alte Rechtsformen des Widerstandes gegen Willkürherrschaft (1956); J. Spörl, Gedanken um Widerstandsrecht und Tyrannenmord im Mittelalter (1956); die drei· letztgenannten Arbeiten finden sich jetzt in: A. Kaufmann / L. E. Backmann (Hg.), Widerstandsrecht, Darmstadt 1972, 1-58; 59-86; 87-113; zu Thomas' Widerstandslehre vgl. O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des Heiligen Thomas. von ~quin, München 21930, bes. 102 ff.; zur Auslegungsgeschichte von Act. 5,29 vgl. H. Dörries, Gottesgehorsam und Menschengehorsam bei Luther, in: ders., Wort und Stunde, Bd. m, 109-194, ohne allerdings auf Thomas näher einzugehen. Thomas hat in seiner Röm. 13-Auslegung die Grenzen der Befugnisse der potestas traditionell von der Clausula Petri her bestimmt; Affeldt, a. a. O. (Anm. 130), 224. 149 Daß diese Möglichkeit im Wandel der Verfassungen immer beschlossen liegt, lehrten schon Platon und Aristoteies; vgl. Aristoteles, Pol. V. 150 S. Th. lI-lI, q. 10, a. 10, unter Rekurs auf 1. Tim. 6,1 und 1. Petr. 2,18. 151 Infidelitas secundum seipsam non repugnat dominio, eo quod dominium introductum est de iure gentium, quod est ius humanum: distinctio autem fidelium et infidelium est secundum ius divinum, per quod non tollitur ius humanum. S. Th. lI-lI, q. 12, a.2. 152 Ebd. - Hierauf bezogen sich Mitglieder des katholischen Widerstandes gegen Hitler.
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lieh-aristotelischen Ableitung der Autorität der Staatsgewalt begründet, die als Teil des ius gentium zunächst als grundsätzlich unabhängig von der Ordnung der Gnade anzusehen ist lSl • Für den zweiten Fall entarteter Herrschaft ist mit Thomas und der ganzen Tradition zunächst davon auszugehen, daß dem Gesetz Gehorsam geschuldet wird. In S. Th. 1-11 handelt q.96 ,.de potestate legis humanae«. Hier geht Thomas in art. 5 ausdrücklich auf Röm. 13,1 ein und betont die Unterordnung aller Menschen unter das Gesetz (lex humana). Dieses bestimmt er in zweifacher Weise: es ist Richtschnur menschlicher Handlungen (regula humanorum actuum), und ihm kommt Sanktionsgewalt zu (habet vim coactivam). Die vis coactiva aber hat, wie ich oben schon im Blick auf potestas/voluntas Dei gezeigt habelS., die Eigenschaft, auf einen fremden Willen und dessen Freiheit einzuwirken (quod enim est co actum et violenturn, est contrarium voluntati). Die hier stets mögliche Antinomie sieht Thomas darin aufgelöst, daß die Guten ohnehin in übereinstimmung mit dem Gesetz und somit auf das bonum commune hin ausgerichtet leben, denn die lex humana partizipiert an der lex aeterna155. Hier erfolgt der Gehorsam gegenüber dem Gesetz aus Einsicht und bedarf keiner Gewalt. Nur denjenigen, die aus dieser durchgegliederten Ordnung heraustreten, gilt die vis coactivat56 • Aus diesen Unterscheidungen geht schon hervor, daß Thomas im Medium der lateinischen Sprache ein sorgfältig differenzierter Gewaltbegriff zur Verfügung steht. An der lex aetema partizipiert die lex humana, und dieser lex unterworfen (subditus) zu sein bedeutet, seiner potestas zu gehorchen. Zu dieser steht die vis coactiva im Verhältnis eines äußeren Mittels, so daß man sinnvollerweise zwischen der Herrschaft des Gesetzes und der in seinem Dienst zulässigen Zwangsgewalt unterscheiden kann. Soweit die vis coactiva einen fremden Willen nötigt, ist sie violentia. Aber weil die Herrschaft des Gesetzes sich irdisch verkörpern muß, meldet sich sogleich die Frage an, ob der oberste· Machthaber (princeps) über dem Gesetz stehe (solutus alege): ,.lex autem non habet vim coactivam nisi ex principis potestate. Sie iiitur princeps dicitur esse solutus alege, quia nullus in ipsum potest iudicium 153 Tischleder, a. a. O. (Anm. 130), 45 f. 154 Vgl. Anm. 126. 155 S. Th. 1-11, q. 91 a. 3: lex enim naturalis est participatio legis aeternae. Vgl. zu diesem operativen Grundbegriff bei Thomas J. Klein. Art. Teilhabe, in: RGG] VI (1962),671 f.i zu seiner Ethik insgesamt W. Kluxen, Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Mainz 1964, bes. 230 H. zum Gesetzesbegriff. 156 Unter Bezug auf Röm. 2,14 f. Zur vis coactiva vor Thomas vgl. A. M. Stickler, De Ecclesiae potestate coactiva materiali apud Magistrum Gratianum, in: Salesianum 4, 1942, 1-23,97-119.
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condemnationis ferre, si contra legem agat.« Die· Auflösung dieses Widerstreites sieht Thomas für den Normalfall darin, daß der gerechte Fürst sich selbst - wie die Guten - aus Einsicht dem Gesetz unterstellt (princeps subditur legi propria voluntate). Als solcher dient er aber freiwillig, nicht gezwungen, der Einhaltung des Gesetzes 1S7• In der nach ·dem Modell der abgestuften Teilhabe entworfenen Hierarchie der Zwecke leitet sich darum die potestas principis, die den Gesetzesgehorsam bei Uneinsichtigen erzwingen kann und muß, aus ihrem Bezug auf das bonum commune her. Die schwere Störung oder gar Aufhebung dieses Bezuges bildet die Nötigung zur Frage nach dem Widerstandsrecht. Aus der Tradition ist Thomas dieses Problem natürlich geläufig l58 ; und auch er unterscheidet zwei .Fälle der Tyrannis: den des usurpator bzw. invasor, und den desjenigen, der gewaltsam Gehorsam erpreßt, ohne dem bonum commune zu dieneni59 • Im Anschluß an Aristoteles 16o nennt .Thomas einen Tyrannen ,.non ordinatur ad bonum commune, sed ad bonum privatum regentis«161. Dieser selbst ist ein Aufrührer, nicht, wer ihm widersteht: wenn Herrscher so zu Straßenräubern werden, daß sie allein zu ihrem privaten Nutzen, nicht aber gemäß der ihnen verliehenen publica potestas handeln, ist Widerstand Pflicht l62 • Dieser aber darf nicht von irgendeiner Menge (coetus multitudinis) ausgeübt werden, sondern von verständigen Leuten (sapientes) im Einverständnis über die Rechtsgrundlagen und mit Aussicht auf Erfolg (iuris consensuet utilitatis communione)I63. 157 Er steht aber übe em Gesetz, insofern er Gesetze ändern und aufheben kann (pro loco et tempore 158 ,.Porro tirann occidere non modo licitum est sed aequum et iustumc, hieß es schon im Policratic des Johannes von Salesbury (um "1160); vgl. J. Spörl, a. a. O. (Anm. 148), 100-10 (zit. 100). 159 Quando aliqw dominium sibi per violentiam surripit nolentibus subditis vel etiam ad consensum coactis - zit. nach Tischleder, a. a. O. (Anm. 130), 104;ebd. 112 m. Anm.41 Hinweise auf die ältere Lit. Vgl. auch die Einteilung bei E. Wolf, Art. Widerstandsrecht, in: RGG) VI (1962), 1681-1692 (1682 f.); hier auch umfassender Nachweis der L i t . · . 160 Pol. III/7 f.: 1279 b 6 ff.; Eth. Nik. VIII/12: 1160 b 1 ff. 161 S. Th. lI-lI, q. 42, a. 2. 162 Vgl. S. Th. lI-lI, q. 66 a. 8 und q. 104 a. 6; jeweils mit Hinweis auf die Augustin-Stelle von den magna latrocinia. Zu q. 104 vgl. bes. R. Hauser, Sinn und Grenze politischen Gehorsam, in: KaufmannlBackmann, a. a. 0: (Anm.148), 170-195. 163 S. Th. lI-lI, q.42 a.2. Anderwärts heißt es: ,.non privata praesumptione aliquorum, sed auctoritate publica procedendumc (De regimine Principum 1,6; vgl. Tischleder, Anm. 130, 11 0 f.). Unberührt bleibt davon das Notwehrrecht' im Einzelfall; dort gilt ,.vim vi repellere licetc mit dem Zusatz "CiJm moderamine inculpatae tutelaec (lI-lI, q. 64 a. 7). In der Fürstenschrift (vgl. dazu aber oben, Anm. 125) rät Thomas, zuerst einen Tyrannen eine Weile zu ertragen und auch danach eher zu leiden als zu 130
Thomas hat mit diesen Bestimmungen die überlieferung für die Zukunft wirkungsmächtig zusammengefaßtlM. Francisco Suarez (1548-1617), der "papa et princeps« aller vorkantischen Metaphysiker165, steht ganz in dieser Tradition l66, verschärft sie jedoch noch z. B. darin, daß er dem einzelnen, der Widerstand leistet, unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich zubilligt, namens der publica auctoritas zu handeln. Von hier führen Linien der Anwendung des thomasischen Grundansatzes in die spanische Kolonialethik des Goldenen Zeitalters ebenso wie zur protestantischen Schulphilosophie. Aber hier können wir uns mit der wegweisenilen Fixierung des Problems bei Thomas begnügen. Zum Schluß dieses Abschnittes sei kurz verwiesen auf Thomas' ebenfalls zukunftsweisende Zusammenfassung der überkommenen Lehren!67 vom »gerechten Krieg« in S. Th. lI-lI, q.40. Zunächst verweist Thomas auf Jesu Schwertwort (Mt. 26,52) und auf die Doppelüberlieferung von Mt. 5,39 und Röm. 12,19168 • Sodann betont er, daß Krieg immer Sünde sei und die Kirche zurecht sogar die Turniere verboten habe. Aber im ,.Sed contra« kommt dann Augustin zu Worte mit einer in Gratians Dekret aufgenommenen Wendung, daß nirgendwo in der Schrift der Kriegsdienst ausdrücklich verboten sei. Positiv entfaltet Thomas dann, in enger Anlehnung an Augustin, jene drei Bedingungen, unter denen Krieg erlaubt und also nicht Sünde sei: erstens bedarf es einer legitimen Obrigkeit (auctoritas principis, cuius' mandato bellum est gerendum); zweitens ist ein gerechter Grund (causa iusta) erforderlich, nämlich erlittenes Unrecht zu sühnen, also eine Schuld der Gegenseite; drittens kommt es auf die rechte Absicht an (recta intentio), die, erneut mit Augustin, folgendermaßen bestimmt wird: ,.Apud veros Dei cultores etiam illa bella pacata sunt quae non cupiditate aut crudelitate, sed pacis studio geruntur, ut mali coerceantur et boni subleventur.« Die erste handeln (Berufung auf 1. Petr. 2,19). Erst im Extremfall ist ,.auetoritate publicac vorzugehen; dieser Bruch des "pactumc ist aber kein Unrecht. - Für die_ Geschichte des Widerstandsrechtes ist nicht unwichtig, daß die Ermordung Ludwigs v. Orl~ans (23. 11. 1407)von dem Pariser Theologen Jean Petit unierRückgriff auf diese Thonias~ Schrift öffentlich gerechdertigt wurde; zum Zusammenhang vgl. J.' Favier, Art. Armagnacs et Bourguignons, in: Lexikon des. Mittelalters, Bd. I, 1979, 962 f. 164 Vgl. zur Thomistenschule Tischleder, a. a. O. (Anm .. 130),2. Teil (113 ff.). 165 R. Specht, Art. Suarez, .in: RGG1VI (1962),446-448. . 166 Vgl. H. Rommen, Die Staatslehre des Franz Suarez S. J., Mönchen-Gladbach 1926,224-234. 167 Vgl. dazu RusselI, a. a. O. (Anm. 90); Hehl, a. a. O. (Anm. 92); sowie den Kommentar im entsprechenden Bd. 17 B der deutschen Thomas-Ausgabe, HeidelbergGraz-Wien-Köln 1966, 441-454. 168 Thomas bestätigt damit die im exegetischen Teil dieser Arbeit behauptete sachliche Zusammengehörigkeit beider· Stellen.
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Bedingung wird dahingehend erläutert, daß sie privater Gewaltfähigkeit wehrt; die zweite impliziert auch die Bereitschaft, sich notfalls nicht zu verteidigen; und die dritte erfordert, den Krieg nur um des nachfolgenden Friedens willen zu führen (bellum geritur, ut pax acquiratur). Aus der Fülle der auslegungswürdigen Aspekte des kurzen Textes hebe ich nur folgende Einzelzüge hervor: Thomas beruft sich vor allem auf Augustin und Gratians Dekret, läßt dagegen alle anderen Autoritäten beiseite. Er unterscheidet nicht zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg, sondern geht aus von dem grundsätzlichen Gegensatz bellum - pax, ohne aber den Krieg, obwohl er ein sittliches Ubel in jedem Fall ist, ausnahmslos als Sünde zu qualifizieren. Alles kommt damit darauf an, ob die causa iusta hinreichend klar und bestimmt definiert ist, aber hier ist die Formel ,.propter aliquam culpam« so unbestimmt, daß offenkundige Aggressoren darunter ebenso befaßt sein können wie Ketzer und Heiden. Dieses Einfallstor für Willkür läßt sich ohne eine übergreifende Rechtsordnung nicht schließen, und darum haben spätere Zeiten mit der Möglichkeit "eines bellum iustum ab utraque parte gerechnet und ihre Aufmerksamkeit auf die faire Behandlung des iustus hostis gerichtet. Die späteren Theoretiker des ,.gerechten Krieges« sind bis ins 20. Jahrhundert in den Spuren des Thomas geblieben, wobei Ergänzungen und Präzisierungen möglich waren!". Grundsätzlich aber hat das augustinisch-thomasische Modell solange in Geltung gestanden, als die Kriegsmittel einem Kriegsziel der angegebenen Art hinreichend zugeordnet werden konnten und sicher war, daß das Mittel selbst nicht den Zweck, die Herstellung des Friedens, zunichte machen könnte. 3.3. Gewaltkritik in Nachfolgeethos und Autonomiestreben
Daß die kirchliche Erneuerungsbewegung seit dem gregorianischen Reformpapsttum begleitet war von einer noch radikaleren Strömung, in der sich der Unmut über die Amtskirche und ihre Sakramentsverwaltung in einer Kritik artikulierte, die als häretisch verurteilt und verfolgt wurde, ist schon erWähnt worden. Seit :Beginn des 12. Jh. treten diese Bewegungen erneut verstärkt in Erscheinung, und ihre am meisten verbreitete Parole gilt der rückhaltlosen "vita apostolica«, zu welcher wesentlich die Forderung nach Verzicht auf irdischen Besitz und weltliche Macht gehört. Die" Vielfalt dieser Bewegungen 169 Gabriel Biel fügte als vierte Bedingung das debitum moderamen hinzu, daß keine Unschuldigen verletzt werden; vgl. Collectorium circa quattuor !ibros Sententiarum, dist. 15, q.4, art.1 (eds. W. Werbeck I U. Hofmann I R. Steiger, Tübingen 1977, 66 H.). Biel unterscheidet hinsichtlich der ersten Bedingung die auctoritas iuris et iudicis und betont: ius naturale vim vi repellere concedit (67).
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kann hier naturgemäß nicht berücksichtigt werden170; ich hebe lediglich zunächst die Aspekte eines radikalen Nachfolgeethos hervor, wie es künftig immer wieder in der Kirchengeschichte durchgebrochen ist und dabei oft rückbezogen war auf die spätmittelalterlichen religiösen Bewegungen. Darüber hinaus will ich mit einigen Bemerkungen zu Marsilius von Padua auf die Entstehung eines neuen laikalen Geistes verweisen, der in derselben Epoche seinen Ursprung hat und mit dem christozentrischen Nachfolgeethos die Kritik an der Hierokratie ein Stück weit teilt. Eine gemeinsame Front, der sich die Anhänger der vita apostolica und der laikalen Selbstbehauptung bzw. -erhaltung171 gegenübersahen, war im übergang zum 14. Jh. vor allem durch den weltpolitischen Machtanspruch der großen Juristenpäpste Bonifaz VIII. und Johannes XXI~. im Gegensatz zum erstarkenden französischen Nationalkönigtum gegeben. Nie zuvor kam der Anspruch der papalen Universalmonarchie so unüberbietbar zum Ausdruck wie in der Bulle ,.Unam Sanctamc von 1302, wenn es heißt: ,.Porro subesse Romano Pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus, diffinimus omnino esse salutiS.«172 Von den zwei Schwertern (Lk. 22,38) wird in übereinstimmung mit Gregor VII. und der ihm folgenden Tradition l73 gelehrt, daß das weltliche Schwert der geistlichen Gewalt untergeordnet sei und von dieser, wenn es fehlt, gerichtet wird. Die Autorität der geistlichen Gewalt ist divina potestas, auch wenn sie von Menschen ausgeübt wird, und ihr ist, wie Röm. 13,2 bestimmt, vollständiger Gehorsam geschuldet l74 • 170 Vgl. H. Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter (zuerst 1935), ergänzter ND Darmstadt 41977. 171 Zu diesem Begriff, seiner Vorgeschichte, Struktur und neuzeitlichen Macht vgl. H. Blumenberg, Selbsterhaltung und Beharrung. Zur' Konstitution der neuzeitlichen Rationalität (Abh. Akad. Mainz, geistes- u. sozialwiss. Klasse, Jg. 1969, Nr.11), Wiesbaden 1970, bes. 29-36 zur Spätscholastik. 172 Denzinger-Schönmetzer, Enchiridion Symbolorum (Denz) 331965, 875. Der Gedankengang der Bulle folgt dem Traktat ..De ecclesiastica potestatee des Aegidius Romanus, vgl. oben Anm; 127. 173 Vgl. dazu oben Miethke, a. a. O. (Anm. 68); zu ,.Unam Sanctame vgl. Scholz, a. a. O. (Anm.127), 1-31; Kölmel, a. a. O. (Anm.63), 398-407; Ullmann a. a. O. (Anm. 68), 258-263: ..Unam Sanctam war der wohltönende, stolze und selbstbewußte Schwanengesang des mittelalterlichen Papsttums« (261).-]. Haller, Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. V, Darmstadt (1953) 1962, meint, die Bulle ..verteidigt geltendes Recht gegen Auflehnung und Angriffe, und Bonifaz VIII. "könne ,.das Lob der Mäßigung wohl rur sich in Anspruch nehmene (181 f.). Ähnlich urteilt das Handbuch der Kirchengeschichte III/2 (1973), 353 (H. Wolter). 174 Die wichtigsten Passagen lauten: ,.Ergo si deviat terrena potestas iudicabitur a potestate spirituali; sed, si deviat spiritualis minor a suo superiore; si vero suprema, a solo Deo, non ab homine poterit iudicari, testante Apostolo: ,.Spiritualis homo iudicat omnia, ipse autem a nemine iudicature (1. Kor. 2,15). - Est autem haec auctoritas, etsi data sit homini et exerceatur per hominem, non humana, sed potius divina potestas, ore
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.So triumphierend und hochfahrend diese Sätze klingen - ein Jahr später ist diese tönerne Schelle mit der Katastrophe desPapsnums in Anagni zersprungen, als Wilhelm von Nogaret, der neue Kanzler Philipps des Schönen, am'7. September 1303 den Papst in dessen Vaterstadt übedällt und gefangensetzt175 • Einen Monat später stirbt der Papst in Rom, und im Jahre 1309 kommt sein Nachfolger Clemens V,176 nach Avignon, in dessen Nähe, in Vienne, sich das nächste Konzil versammeln sollte. Von diesem Umbruch würde man jedoch ein einseitiges Bild gewinnen, wenn man ihn in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Gewalt. betrachtet. Vielmehr muß man ihn.sehen auf dem Hintergrund tiefgreifender Spannungen verschiedenster Art, die das unruhige und fruchtbare 13. Jahrhundert bestimmen. Dazu gehören der Aufstieg der Universitäten mitsamt der Neuentdeckung und dem Verbot des Aristote1es (1270 und 12771~, eine breite Welle von Städtegründungen, die divino Petro data, sibique suisque successoribus in ipso Christo, quem confessus fuit petra firmata, dicente Domino ipsi Petro: ,.Quodcumque Iigaveris« etc. (Mt. 16,19). Quicumque igitur huic potestati a Deo sie ordinatae ,.resistit, Dei ordinatione resistit« (Rom. 13,2) ... (Denz, 873 f.) - In Dantes ,.Göttlicher Komödie« heißt es im 16. Gesang (Purgatorio): Rom, das die alte Welt in Ordnu~g brachte, besaß zwei Sonnen, um die beiden Wege der Erde und des Himmels zu erleuchten. Erblindet sind' die Sonnen aneinander, in einer Hand sind Schwert und Hirtenstab. Wehe der fluchbeladenen Verbindung, in der sie sich nicht achten und nicht fürchten! (Nach der übersetzung von Karl Vossler) Auf Dante vermag ich hier nicht näher einzugehen. über sein Verhältnis zur antikurialen Opposition· der französischen Publizisten vgl. die schöne Studie von C. Schmid, Dante und Pierre Dubois, in: ders., Europa und die Macht des Geistes, Bern-München-Wien 1973, 9-31; zur anderen Front, der Dante gegenüberstand, vgl. H. Grundmann, .Bonifaz VIII. und Dante, in: ders., Ausgewählte Aufsätze,. Teil 2: Joachim von Fiore, Stuttgart 19n, 227-254. Zu Dantes neuplatonisch bestimmtem Begriff der einen Monarchia vgl. K. Comoth, Pax Universalis. Philosophie und Politik in Dantes Monarcbia, in: H. Zimmermann (Hg.), Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, 2. Bd., Berlin-New York 1980, 341-350 .. 175 Vgl. B. Moeller, Spätmittelalter (Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd.2, H), Göttingen 1966, 5-8; Scholz, a. a. O. (Anm. 127),.18; vgl. auch Bd. I des in Anm' 128 genannten Werkes von de Lagarde (Bilan du XIIIeme Siecle),.Louvain-Paris )1956, 189-210. . . 176 Der Pontifikat Benedikts XI. dauerte dazwischen nur acht Monate; ihm folgte ein elfmonatiges intrigenreiches Konklav:e, dessen Verwicklung in die politischen Händel die captivitas Babylonica vorbereitete. . 177 Vgl. F. van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert (zuern 1966), deutsch München-Paderborn-Wien 1977, Kap. 9; Handbuch der Kirchengeschichte IIII2 (1973), 313-332 (H. Wolter); Zimmermann, a. a. O. (Anm. 122).
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mit einer starken Differenzierung von landwirtschaftlicher Produktion und handwerklichem Gewerbe sowie der Bildung neuer Märkte und entsprechender Freiheiten einherging17I , und schließlich sind der Aufschwung des Femhandels und die allmähliche Ablösung des Naturalzinses durch den Geldzins zu erwähnenl 7'J. Schwerpunkte dieser Entwicklung findet mari entlang der großen Handelswege, so in Norditalien, Südfrankreich, Burgund, ' Flandern und am Niederrhein. Es ist nun bemerkenswert, daß in diesen Gebieten sozialen Umbruchsilo auch die radikalen religiösen Bewegungen ihren Nährboden finden. Auf· 1177 datiert man die Gründung der religiösen Gemeinschaft des Petrus Waldes in Lyon l8l , die seiner"radikalen Konversion 1173/74 folgte 182 • Bei den Waldensern, oder, wie sie auch genannt wurden, den ,.Armen von Lyon«, wurde die via perfectionis des Mönchtums nun zur allgemeinen Richtschnur: neben freiwilliger Armut stehen hier die grundsätzliche Ablehnung von Eid und Blutgerichtsbarkeit und Kriegsdienst183 • Zur Begründung findet man u. a. den Rekurs auf Mt. 5,44 und .Röm. 12,19184, und Röm. 13,1 ff. lesen die Waldenser im Licht von Mt. 20,25 f. pl5 Folgerichtig erheben die Inquisitoren gegen die Waldenser den Vorwurf, daß ihre Distanz zur obrigkeitlichen Gewalt auch eine Verachtung der geistlichen Gewalt sei\86. Trotz aller früh 178 H. Mottek, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß, Bd.I,Berlin (DDR) 1973, 121-151; F.-W. Henning, Das vorindustrielle Deutschland 800-1800, Paderborn 1976, 69-123. Vgl. auch Max Webers Stadtsoziologie, a. a.O. (Anm. 114), 727-814. E. Troeltsch hat in der mittelalterlichen Stadtkultur sogar in hohem Maße die Forderungen christlicher Ethik erfüllt gesehen, a. a. o. (Anm. 14), 250. 179 Mottek (vorige Anm.), 141 ff. u. 151 H. 180 Vgl. auch das »changing societyc überschriebene Kapitel bei Breisach, a. a. O. (Anm. 5), 53 H. 181 K.-V. Seige, Die ersten Waldenser, 2 Bde. Berlin 1967, I, 227. Der 2. Bd. enthält die Edition des Liber Antiheresis des Durandus von Osca mit dem an die .Spitze gestellten Glaubensbekenntnis des Waldes. - Vgl. auch Selges Bericht: Die Erforschung der mittelalterlichen Waldensergeschichte, in: ThR 33, 1968,281-343. 182 Trotz der topischen Züge, die der Bericht de$ sog. Anonymus von Laon hierüber trägt, muß man den Kern des Vorganges in der Konfrontation des reichen Kaufmanns mit dem Herrenwort Mt. 19,21 nicht als unhistorisch, 'Weil topisch, abtun (so Seige, I, 236). Die Zinsfrage beschäftigte damals heftig die Konzilien; vgl. etwa den zeitgenössischen Kanon des 111. Laterankonzils (1179), der in die Rechtssammlung Gregors IX. aufgenommen wurde (Text im Corpus Iuris Canonici, ed. Friedberg 11, 812).' 183 SeIge, 1,156 f. Vgl. auch A. Molnir, Die Waldenser. Geschichte und europäisches Ausmaß einer Ketzerbewegung, Berlin (DDR) und Göningen 1980, 197-204; sowie Handbuch der Kirchengeschichte I1I/2 (1973), 265-273 (H. Wolter). 184 Seige, I, 157 m. Anm. 85. 185 Molnir, 200. 186 Ebd. Vgl. die Häresievorwürfe nach Alanus von LilIe (ca. 1190-1202), in: Ketzer und Ketzerbekämpfung im Hochmittelalter, ed. J. Fearns, Göttingen 1968, 46--49 (dort
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einsetzenden Verfolgungen, die die Waldenser zur Flucht und ins Martyrium zwangen, hat diese Bewegung sich behaupten können. (In der Gegenwart zählt man weltweit etwa 45000 Gemeindeglieder, von denen die größte Gruppe im italienischen Piemont ansässig ist1l7.) Es ist vielleicht zweckmäßig, an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die franziskanische Bewegung zu werfen und von dort aus die Verbindung zum laikalen Gewaltverständnis des Marsilius herzustellen. Eine ausführlichere Erörterung, die die ökonomischen Hintergründe des Armutsideals behandeln müßte, ist hier nicht möglich!88, aber Franz von Assisi und seine Bruderschaft sind für meine Fragestellung deshalb wichtig, weil in seinem Leben, mehr noch als in seinem Werk, die ursprüngliche Kraft der Bergpredigt neu aufbricht 189 und als jene in Christus geoffenbarte Ordnung in Erscheinung tritt, die radikal geschieden ist von der Ordnung des Geld- und Machtbesitzes. Die Minderbrüder ,.hielten sich an die Armut, um Christi Beispiel und Auftrag zu folgen; sie taten es aber auch, weil sie sich dem Geist und der Praxis des heranwachsenden Kapitalismus verweigerten«!90. Sie bemühen sich früh um päpstliche Anerkennung191 , doch schon bald nach dem Tode des Franziskus (1226) beginnen die Versuche, diesen Weg als häretisch zu qualifizieren: 1228 wurde zwar Franziskus heiliggesprochen, aber seit etwa 1230 wachsen die Spannungen im Orden zwischen den strengen Observanten der Regel von 1223 und denen, die versuchen, die Regel gewandelten Verhältnissen anzupassen. Dabei stehen freilich nicht alle Gehalte der überlieferung der Berpredigt und ihrer Aktualisierung im Minoritenorden in gleicher Weise im Zentrum der Auseinandersetzungen; diese konzentrieren sich auf die Armutsfrage, wogegen, soweit ich sehe, das Probl~ des cap. 20 zum Gewaltverzicht); sowie die Texte in: Heresy and Authority in Medieval Europe, ed. E. Peters, Philadelphia 1980, 139-163. . 187 G. Toum, Geschichte der Waldenserkirche. Die einzigartige Geschichte einer Volkskirche von 1170 bis zur Gegenwart (Torino 1977), deutsch Erlangen 1980, 258f. Vgl. dort auch die übersicht zur Ausbreitung der Waldenser im Mittelalter (75). 188 Vgl. L. K. Little, Evangelical Poverty, the New Economy and Violence, in: D. Flood (Hg.), Poverty in the Middle Ages (Franziskanische Forschungen 27), Werl 1975, 11-26; sowie D. Flood, Art. Armut VI. Mittelalter, in: TRE 4,88-98 (Lit.). 189 Vgl. K. Beyschlag, Die Bergpredigt und Franz von Assisi, Gütersloh 1955; D. Flood, Die Regula non bullata des Ordens der Minderbrüder, WerI1967. Text in: Analekten zur Geschichte des Franciscus von Assisi, hg. v. H. Boehmer, Tübingen ]1961, 1-18; eine übersetzung findet man in H. U. v. Balthasar (Hg.), Die großen Ordensregeln, Einsiedeln ]1974, 285-313. 190 Flood, Armut (Anm. 188), 95. Zur Wirkung des Franziskus auf den katholischen Teil der Jugendbewegung in unserem Jahrhundert vgl. W. Dirks' Aufsatz zum 750. Todestag des Franziskus (in: Südd. Zeitung Nr. 235 v. 9.110. 10. 1976). 191 Vgl. K.-V. SeIge, Franz von Assisi und die römische Kurie, in: ZThK 67,1970, 129-161.
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Rechtsverzichts eher geringere Bedeutung hatte und auch wohl überwiegend als Unterfall des Rechtes auf Eigentum in Erscheinung trat!92. ,.Pazifistische« Tendenzen im Sinne einer Absage an kriegerische Gewalt gemäß dem Gebot der Feindesliebe sind mir bislang an der franziskanischen Bewegung dagegen nicht zu Gesicht gekommen!". Wie sehr aber schon die "paupertas evangelica« die überlieferten Formen der Frömmigkeit sprengen sollte, macht schlagend der sogenannte ,.theoretische Armutsstreit«!94 an der Wende vom 13. und 14. Jh. klar. Noch Thomas v. Aquin hatte gelehrt, daß arm sei, wer vom Lohn seiner Arbeit leben müsse 195,· aber nun wird Armut als unmittelbare Konsequenz der Nachfolge Christi begriffen, unendlich aufgewertet und zugleich zu einer neuen Lebensform auch für laikale Kräfte, die an umfassender Kirchenreform interessiert sind und vorher kaum Ausdrucksmöglichkeiten fanden!". Wie jedoch das Armutsideal konkret verwirklicht werden könne, war Gegenstand eines etwa ein Jahrhundert dauernden Streites. Schon 1230 muß Papst Gregor IX. in der Bulle »Qua elongati« mit einer Interpretation der Regel einen im Orden ausgebrochenen Streit schlichten. Papst Nikolaus III. präzisiert dann in einer weiteren Bulle ,.Exiit qui seminatc (1279) die Bestimmungen dahingehend, daß der Orden auf die Güter, die er gebraucht, keinen rechtlichen Anspruch hat (tam in speciali quam in communi), dies jedoch nicht den Verzicht auf den lebensfristenden Gebrauch der Dinge (simplex usus facti) einschließen kann, welcher naturrechtlich 192 Vgl. Beyschlag, a. a. O~ (Anm. 189), 181-189 und 215-217. Danach bedeutet Rechtsverzicht für die Ordensmitglieder den Verzicht auf Gegenwehr und Rechtswahrung im Falle der Wegnahme irgendeiner Sache. 193 Bekanntlich fuhr Franziskus 1219 ins Kreuzfahrerlager nach Damiette, um den ägyptischen Sultan für den christlichen Glauben zu gewinnen. Ober franziskanische Bedenken gegenüber den Kreuzzügen ist mir nichts bekannt. 194 Vgl. M. D. Lambert, Franciscan Poverty. The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the Apostles 1210-1323, London 1961, und J. Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, 3411-427. 195 ,.Mercenarü qui locant operas suas, pauperes sunt, de laboribus suis vicrum quaerentes quotidianumc - S. Th: I-lI, q.l05 a.2 ad 6; vgl. zu Geschichte und Theologie der paupertas im Mittelalter den überblick von K. Lindgren / J. Schlageter / J. Maier / H. Ehrhardt, Art. Armut und Armenfürsorge, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. I, 1979,984-992. Der Artikel macht deutlich, daß eine empirische Untersuchung der realen Lage der Armen im MA sowenig möglich ist wie die der Sklaven in der Antike: die Quellen berichten zumeist aus der Sicht der Wohltätigen, nicht der Betroffenen. Vgl. zur Ergänzung auch G. Wirth u. a., Art. Arbeit, in demselben Lexikon, 869-883, sowie H. Firnberg, Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit, Wien 1935 (Neudruck Aalen 1978). 196 Hierher gehört auch das erweiterte Mitspracherecht der Frauen in manchen religiösen Bewegungen; vgl. G. Koch, Frauenfrage und Ketzertum im Mittelalter, Berlin (DDR) 1962, im Blick auf Katharer und Waldenser; sowie Bosl, a. a. O. (Anm. 9), Bd. 11, 336-348 (344).
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begründet ist. Dem 'Orden und seinen Mitgliedern kommt also der einfache Gebrauch der Dinge zu, während das dominium über die Güter bei der Kirche liegt197. In seine entscheidende Phase tritt der Armutsstreit unter Papst Johannes XXII. (1316-1334) und dem deutschen König und Kaiser Ludwig dem Bayern (1314/22-1347). über die Einzelheiten des Streitverlaufs berichtet die schon erwähnte, eingehende Analyse von J. Miethke, die vor allem auch die verschiedenen Rechtsquellen und -auffassungen freilegt, die für die Auseinandersetzungen wesentlich waren . .Miethkes Darstellung, die hier vorausgesetzt wird und niCht noch einmal referiert werden muß, läßt die ganze Härte der Ordensopposition deutlich werden, und zwar besonders, nachdem Johannes XXII. in der Bulle ,.Cum inter nonnul1os« von 1323 erklärt hatte, die Behauptung, Christus und die Apostel hätten kein Eigentum besessen, sei häretisch191 • Schon 1317 war über die Franziskanerspiritualen, also den strengen Flügel des Ordens, die Inquisition verhängt worden. Nach diesen Vorgängen steht fast der ganze Orden in einhelliger Opposition zum Papst keine hundert Jahre nach dem Tode seines Gründers, der den Gehorsam gegenüber dem Heiligen Stuhl so ernst genommen hatte. Diese Opposition, besonders die Gruppe der Spiritualen, trituber in diesen entscheidenden Jahren nicht nur für ihre überzeugungen hinsichtlich des Armutsideals radikaler Christusnachfolge ein, sondern verbündet sich inder Bekämpfung der päpstlichen Machtansprüche mit den politischen Autonomiebewegungen der weltlichen Gewalt besonders in Frankreich199 und Deutschland200 • Das neue Prinzip, dessen Erweis die Schriften der sog. Publizisten dienen, lautet: Rex superiorem non recognoscens est imperator in regno SU020I • Diese Publizisten am französischen Hofe sind nicht mehr Ritter, sondern Rechtsgelehrte, die die Administration rationalisieren202 und 197 Miethke, a. a. O. (Anm.194), 354. - Zum römisch-rechtlichen dominiumBegriff, der "effektive Beherrschung einer Sache« meint, vgl. D. Willoweit, Dominium und Proprietas, in: HJ 94, 1974, 131-156 (142). 198 TextbeiMirbtlAland(Anm. 58), Nr. 754, und in Denz, Nr. 930; dazu ausführlich Miethke, 392 ff. - Diese Bulle zieht, wie Miethke zeigt, lediglich zusammenfassende Konsequenzen der bis dato entwickelten Auffassungen; vgl. auch die:entsprechende Konstitution des Konzils von Vienne, ebd. bei Denz, Nr. 908. Zugleich muß man aber sehen, daß unter denselben Päpsten das Zinsverbot erneut eingeschärft wurde: Denz, Nr. 828 (Gregor IX.); Nr. 906 (Clemens V.). 199 Vgl. vor allem Scholz, a. a. O. (Anm. 127). 200 Vgl. H. Grundmann, Wahlkönigtum, Territorialpolitik und Ostbewegung im 13. und 14. Jahrhundert, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 5, Taschenbuchausgabe, München 1973, 162 ff. 201 Moeller, a. a. O. (Anm. 175), 7. 202 Eine der interessantesten programmatischen Reformschriften der Zeit ist lODe recuperatione et reformatione et conversatione Terre Sanctec des Pierre Dubois, die
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mit denselben Waffen des römischen Rechts und der Kanonistik das Papsttum bekämpfen, mit welchen dieses seine Ansprüche· seit seinem machtpolitischen Aufstieg vertritt. Den deutschen König unterstützen die intellektuellen Führer des Minoritenordens, der Ordensgeneral Michael von Cesena, der Ordensprokurator Bonagratia von Bergamo und der Oxforder TheologeWilhelm von Ockham20l , die 1328 von Avignon zu Ludwig nach Pisa fliehen und ihm nach München folgen. In der Generation dieser Männer vollziehen sich tiefgreifende Umbrüche im Denken wie im politischen Leben; neben den Erwähnten sind dabei vor allem Marsilius von Padua204, der den Franziskanerspiritualen nahestand, und der Dominikaner Johannes Quidort von Paris zu nennen. Vor allem die überlieferten Lehren vom Ursprung und Recht der Staatsgewalt werden in den Schriften dieser Männer von Grund auf revidiert, so daß A. Podlech beispielsweise von Johannes von Paris sagen kann, seine Absicht »wäre erst mehrere Jahrhunderte später in England verstanden worden«2os - so sehr wohl von 1306 stammt (ed. Ch.-V. Langlois, Paris 1891); dazu Scholz, a. a. O. (Anm. 127), 375--443. Als wichtige politische Ziele nennt die Reformschrift (1) eine allgemeine res publica christiana in der Form eines europäischen Staatenbundes .zur Sicherung eines universalen Friedens; (2) ein allgemeines Konzil; (3) eine grundlegende Reform der Kirche (mit Säkularisation des Kirchengutes und Beseitigung des päpstlichen Fiskalwesens); (4) Zusammenschluß aller Ritterorden; (5,..Einschränkungder Kirche auf ihre geistlichen Aufgaben; (6) Rechtsreformen (Einheitlichkeit, Schriftlichkeit); (7) grundlegende Neuordnung des Bildungswesens im laikalen Geiste. Zum letzten Punkt heißt es gelegentlich: lOexperiencia suprema rerum magistrac, zit. bei 0 G. Oexle, Utopisches Denken im Mittelalter: Pierre Dubois, in: HZ 224, 1977, 293-339 (327). Dubois stand dem Averroismus nahe; er hatte in Paris vermutlich nicht nur Thomas, sondern auch Siger v. Brabant gehört (Scholz, 377). Zu Dantes Kritik an Dubois vgl. C. Schmid, a. a. O. (Anm. 174). 203 Zu Ockhams regimen-Lehre vgl. Kölmel, a. a. O. (Anm.63), 534-552; ders., Wilhelm Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962; G. de Lagarde, a. a. O. (Anm. 128), Bd. IV (Guillaume d' Ockham, Defense de l'empire, LouvainParis 1962) und Bd. V (Guillaume d'Ockham, Critique des structures ecc!esiales, Louvain-Paris 1963). 204 Erste Informationen bei H. Grundmann, Art. Marsilius von Padua, RGGl IV (1960), 776 f. Am ,.Defensor Pacisc arbeitete wohl Johannes von Jandun mit; vgl. zu ihm näher 1. Schmugge, Johannes von Jandun (1285/89-1328). Untersuchungen zur Biographie und Sozialtheorie eines lateinischen Averroisten, Stuttgart 1966. 205 Die Herrschaftstheorie des Johannes von Paris, in: Der Staat 16, 1977, 465--492. Die Hauptschrift ,.De regia potestate et papalic liegt in einer deutsch-lateinischen Ausgabe vor: F. Bleienstein, Johannes Quidort von Paris. über königliche. und päpstliche Gewalt, Stuttgart 1969. Vgl. jetzt auch Struve, a. a. O. (Anm. 6), 240-256, der entgegen dem Interesse Podlechs an Johannes' Modernität die traditionsgebundene Nähe zur aristotelisch-thomasischen Staatslehre herausstellt; ähnlich auch H. G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, München 1976, 151.
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gehören diese Schriften der Neuzeit zu, deren Aufgang sie vorbereiten helfen. Lange vor den konfessionellen Bürgerknegen des 16. und 17. Jahrhunderts werden hier jene Grundbegriffe vorgedacht oder in neue Begründungsverhältnisse gerückt, die nach jenen Kriegen einen neuen Friedenszustand befestigen halfen: Volkssouveränität, Gewaltenteilung, überwindung des ekklesiarchen Primats. All dies ist bekannt, so daß ich diesen Abschnitt mit einigen Hinweisen auf die Aktualität des Marsilius beschließen kannzo6 , wie sie schon R. Scholz vorgetragen ha~o7, auch wenn seither gelegentlich wieder stärker die Traditionsverhaftung des Paduaners herausgestellt worden is~o8.
Hierher gehört vor allem die Lehre von der Gesetzgebung. Marsilius verhilft, wie besonders Gewirth und de Lagarde gezeigt haben, einem Denken und politischen Handeln zum Druchbruch, für welche das Problem der politischen Ordnung rein mit irdischen Mitteln gelöst werden kann. Der Vedasser des Defensor Pacis war von Haus aus Arzt, und darum kann es gar nicht verwundern, daß er den irdischen Frieden nach dem Modell der Gesundheit eines Lebewesens entwid~09. Der Staat ist, wie Marsilius, beständig Aristoteles zitierendZlO , sagt, eine ,.pedecta communitas, omnem habens terminum per se sufficiencie, ut consequens est dicere,facta quidem igitur vivendi gracia, existens autem gracia bene vivendi .. (DP I, 4, § 1). Dies ist die causa finalis pedecta (ebd.), und Marsilius löst damit die politische Ordnung als in sich suffizient21l aus dem kunstvollen hierarchischen Stufenbau der thomani206 Das Hauptwerk ,.Defensor Pacisc liegt in der zweisprachigen Ausgabe von H. Kusch vor (Berlin 1958, 2 Bde.); diese Edition bringt den lateinischen Text von R. Scholz. - Aus der Lit. sind vor allem zu erwähnen A. Gewirth, Marsilius oE.Padua, The Defender of Peace, Bd. I, NewYork 1951; G. de Lagarde, a. a. O. (Anm. 128), Bd. III (Le defensor pacis, Louvain-Paris 21970); Segall, a. a. O. (Anm. 7); Kölmel, a. a. O. (Anm. 63), 517-534; F. Prinz, Marsilius von Padua, in: ZBLG 39,1976,39-77; Struve, a. a. O. (Anm. 6), 257-288. Prinz nennt Marsilius ,.den ersten systematisch-wissenschaftlichen Friedensforscherc (39); bei ihm und Struve auch die neuesten LiteraturNachweise. 207 Marsilius von Padua und die Idee der Demokratie, in: ZPol1, 1908, 61-94; ders., Marsilius von Padua und die Genesis des modernen Staatsbewußtseins, in: HZ 156, 1936, 88-103. 208 Vgl. bei Struve, a. a. O. (Anm.6), 266, zur Gewaltenteilung, m. weiteren Verweisen. 209 Dem Zusammenhang sozial- und naturphilosophischer Grundbegriffe gilt die Arbeit von Struve, a. a. O. (Anm. 6). ;' 210 Zitation bedeutet freilich noch lange nicht sachliche übereinstimmung, und weil Marsilius Aristoteles kennt, kann man darum noch nicht einen Averroisten aus ihm machen; so Segall, a. a. O. (Anm. 7), 46 ff. - Ich zitiere den ,.Defensor Pacis« als ,.DP... 211 Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 415, mit Berufung auf Gewirth.
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schen Einordnung der civitas terrena in lex humana und lex aeterna. An die Stelle der durchgehenden Teilhabe alles Seienden am ewigen Sein Gottes tritt die grundsätzliche Unterscheidung der pax des imperium von der Ordnung des sacerdotium. Allerdings scheinen mir Segall und andere Autoren212 gegenüber Interpretationen, die Marsilius als modernen Laizisten stilisieren213, darin Recht zu haben, daß die strikte Unterscheidung und die Unterordnung der geistlichen Gewalt unter die weltliche in allen zeitlichen Dingen nicht auf die Beseitigung, sondern auf die grundlegende Reform der ersteren zielt. Für die ,.laizistische« Auffassung spricht, daß Marsilius das »sacerdocium« als eine der "partes civitatis« auffaßt (DP, I, 5, § 1), welche auch in heidnischen Reichen die Aufgabe der, wie wir heute sagen würden, Tradierung und Internalisierung von moralischen und politischen Normen vollzieht. Aber davon setzt Marsilius ausdrücklich die »catholica fides christianac ab, deren ,.rerum verum sacerdocium« eine ,.necessitas in communitatibus« hat (ebd., 5, § 14), und damit geht er über einen Laizismus, der keiner Religion im Staat mehr bedarf, natürlich hinaus 214 • Freilich: diesem verum sacerdocium kommt keine in temporalibus herrschende Rolle zu, sondern seine Aufgabe könnte man, nach zu vollziehender Reform, ganz so. bestimmen, wie Kölmel im Blick auf Ockham mit einer glücklichen Wendung hinsichtlich des päpstlichen Primats formuliert hat: ,.ministrativer Liebesprinzipat«215. Dienst, nicht Herrschaft, Liebe, nicht Gewalt sind die künftigen Merkmale der zu reformierenden geistlichen Gewalt gegenüber allen irdischen Gewalten. In der Durchführung der politischen Ordnung ist die civitas, streng unterschieden, aber nicht getrennt vom sacerdocium, dann freilich autonom. Das Volk ist selbst oberster Gesetzgeber16, aber nicht als ungegliederte Menge, 212 Z. B. J. Quillet, Le Defenseur de la Paix. Traduction et commentaire, Paris 1968. 213 Z. B. Kusch in der Einleitung, a. a. O. (Anm. 206), XXVII:. ,.Pax ist ausschließlich sozialer und ökonomischer Friede; er ist das vollkommene und ungehinderte Zusammenwirken \lnd Funktionieren der einzelnen Bestandteile des Staates.« 214 So auch Segall, a. a. O. (Anm. 7), 74; ähnlich auch Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 416 m. Anm. 469. 215 A. a. O. (Anm.63), 546 u. ö. Vgl. auch K. Barth, KD IV/1, 108, zur Poteltas, sacra! - Ockham's Position, auch in ihren Differenzen zu Marsilius, muß hier unberücksichtigt bleiben (vgl. bei Kölmel, 534-552); insbesondere ein Vergleich der Fundierung der Gewaltenlehre in der Auslegung der libertas christiana bei Ockham einerseits, der Barthschen Freiheitsethik andererseits wäre außerordentlich lohnend. Wenn Kölmel für die Einheit der beiden Gewalten bei Ockham die Formel ,.A Deo sed per homines« vorschlägt (551), dann ist dies nicht Ausdruck einer frühneuzeitlichen freigesetzten libera voluntas, sondern steht eher der alten und von Barth erneuerten Lehre vom concursus Divinus nahe (KD III/3 [§ 49,2], 102-175). 216 Im Anschluß an Aristoteles, Pol. 111, 1281 a 11 H., wird bestimmt: "legislatorem
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denn nur der ist Bürger (civis), ,.qui parttClpat in communitate civili, principatu aut consiliativo vel iudicativo secundum gradum suum« (DP I, 12, § 4)217. Gute Gesetze dienen dem Voneildes Staates und dem Nutzen der Bürger, und sie werden am sichersten beachtet, wenn sie mit der Einsicht möglichst aller Bürger zusammenstimmen (civium universitas intellectu et affectu - I, 12, § 5)218. Das souveräne Volk oder seine Mehrheit setzt also die Regi~rung ein, deren beste Form Marsilius in einer Wahlmonarchie sieht. ,.Sein Staatsideal ist also eine auf der Volkssouveränität ruhende, gesetzlich beschränkte Wahlmonarchie, nicht die reine Demokratie. Freilich die Stellung des Monarchen gegenüber dem Volke ist etwa die des Präsidenten einer Republik.«219 Das Volk als Souverän ubenrägt dem Regenten auch die vis coactiva, um die Einhaltung der Gesetzte notfalls erzwingen zu können, aber diese bewaffnete Macht (armata potencia) muß so begrenzt bleiben, daß zwar jeder einzelne übenäter bestraft, aber keine überlegene Gewalt über das Gesamtvolk bzw. seine maior pars gewonnen werden kann - ,.ne principantem presumere aut posse contingat violare leges, et preter aut contra ipsas despotice principari« (DP I, 14, § 8). Im Gegenzug zu dieser Konstruktion und Legitimation herrschaftlicher Gewalt »von unten« geht Marsilius dann im 11. Teil zu einer ausführlichen Kritik der geistlichen Gewalt über. Zunächst gibt er terminologische Erläuterungen und Definitionen (II, 2) und referien dann die Ansprüche und Begründungen der kurialen Theorie (11, 3). Erst danach setzt er zu einer ausführlichen Widerlegung an, deren Höhepunkt in der Würdigung der Funktion des Pilatus (11, 4, § 12)220 und einer Auslegung des Herrenwones Mt. 20,25 f. (11, 4, § 13) liegt. Das Fazit nimmt die einleitende übersicht des Kapitels vorweg: Kein Priester und kein Kleriker hat aufgrund des Wonlautes der Schrift eine zwingende Regierungsgewalt oder Rechtsprechung in seu causam legis effectivamprimam et propriam esse populum seu civium universitatem aut eius valenciorem partem, per suam eleccionem seu voluntatem in generali civium congregacione per sermonem expressam precipientem seu determinantem (DP I, 12, § 3). ,Marsilius konstruiert also gleichsam »von unten«, während Thomas vom gegebenen bonum commune und seiner hierarchischen Ordnung her denkt: Ähnlich Prinz im Anschluß an Gewirth: ..In der Umorientierung von finalen Ursachen (Thomas) auf bewirkende liegt die eigentliche Modernität« (a. a. 0., Anm. 206, 60 m. Anm.63). 217 Kinder, Sklaven, Fremde und Frauen sind ausgenommen in verschiedener Abstufung. 218 Marsilius steht hier ganz in der oben (Anm. 141 ff.) arwähnten consensusTradition; vgl. DPI, 12, § 7 u. Ö. 219 So Scholz in seinem Anm.207 erwähnten Aufsatz von 1908 (!), 75. Vgl. auch Struve, a. a. O. (Anm. 6), 275. 220 Man vgl. die positive Würdigung des Pilatus bei K. Barth, Rechdertigung und Recht, Zollikon 1938!
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Streitsachen über einen Kleriker oder Laien (nullum coactivum principatum seu iurisdiccionem contenciosam)! Bestätigt wird diese These durch die Schrift selbst; Marsilius verweist u. a. auf 2. Tim. 2,4; 1. Kor. 6,4 f. und Röm. 13,1 ff. (H, 5)221. Abschließend läßt er sich schließlich noch auf eine Kritik der Schlüsselgewalt ein und betont, daß nicht der Priester, sondern Gott selbst es ist, der die Sünde vergibt. Auch wenn die Welt, in der dies alles gedacht wird, von der Zeit eines- Bodin, Rousseau oder Kant weit geschieden ist, so sind hier der Sache -nach alle diejenigen Elemente vorgezeichnet, die der neuzeitlichen Auffassung zugrundeliegen, daß alle -Gewalt vom Volke ausgeht. Ich belaSse es bei diesen Beispielen, die zeigen sollten, daß und inwiefern lange vor dem Heraufkommen neuzeitlicher souveränder Staaten ein Verständnis der -Gewalt entstand, welches seine theologische Einbindung abstreifte, damit vermutlich auch eine gewisse Entlastung der politischen Verantwortlichkeit einbüßte und künftig die Aufgabe der Zähmung des menschlichen Gewaltvermögens ganz auf die prekäre Grundlage menschlicher Einsicht gestellt sah. Marsilius hat hier ein Tor aufgestoßen, dessen Begehbarkeit in der Theorie die neuzeitliche Auffassung des Rechtsstaates näher darlegte und begründete - wie leicht dieser Weg aber auch vollständig verfehlt werden kann, ist unserer Gegenwart schmerzlich klar.
4. Gewaltverständnis und Gewaltkritik im Urteil der Reformation (vor allem Luthers) Wer in Deutschland als Theologe über die Geschichte und K,ritik der Gewalt nachdenkt, kommt der Reformation und besonders Luther nicht vorbei. Zumindest im theologischen Publikum besteht die begründete Erwartung, daß hier positioneIl Farbe bekannt werden muß. Die Geltung- der Bekenntnisschriften als theologischer Kanon und kirchenrechtliche Grundnomi. in den Kirchen der Reformation macht ihre Berüc~~i~htitung auf d~m Wege zu einem theologisch-ethischen Urteil unabdingba~;auch wenn das ,.Prinzip« dieser Bekenntnis-Texte nicht in ihnen selbst, sondern in ihrer stets neu gestellten Aufgabe liegt, der reinen Verkündigurig des Evangeliums zu dienen und daher an diesem ihr Maß und ihre Grenze zu fmden. Doch enthebt diese dienende Funktion den Theologen nicht der Notwf!:ndigkeit, sich den
an
221 Mt. 20,25 f. par. und 2. Tim, 2,4 zieht auch Ockh~ in seiner Kritik an der geistlichen Gewalt des Papstes heran; vgl. den Auszug bei MokroschlWalz (Anm. 58), 171 f. sowie das 2. Buch von Ockham's ,.Breviloquium de princip'atu tyrannico«, hg. v. R. Scholz (1944), Stuttgart 1952, bes. 63-106.
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Grundentscheidungen der Reformation zu stellen, denn in ihnen hat sich die Auslegungs- und Wirkungsgeschichte des Evangeliums in ihren teilweise heterogenen Strömungen und Verzweigungen gleichsam zu außerordentlichen Konzentrationen versammelt. Gerade wenn man den menschlichen Charakter und historisch besond~ren Ort reformatorischer Entscheidungen ernst nimmt, kommt man an dieser Herausforderung nicht vorbei. Wer hier meint, sich anders entscheiden zu müssen, muß dafür auch wohl besonders gute Gründe beibringen können. Daß unter derartigen Anforderungen auch die Schwierigkeiten der Entfaltung unseres Themas wachsen, versteht sich. dann fast von selbst, denn der unerläßlichen Berücksichtigung reformatorischer Tradition steht die Tatsache gegenüber, daß es auf diesem Felde kaum eine Furche gibt, die noch nicht gezogen wäre. Gerade in entscheidenden· Grundfragen reformatorischer Theologie und den von ihr behandelten ,.ethischen" Problemen ist zwar nicht geradezu alles kontrovers, aber die Möglichkeit eines gemeinsamen Ausgangspunktes auch nicht einfach gegeben. Daß aber vollends die Auffassungen Luthers von Obrigkeit, Aufruhr, Widerstand und Krieg in ihrem seinerzeit vertretenen (und heute zu rekonstruierenden) Sinne und vor allem in ihrer heute möglichen Bedeutung mit zu den umstrittensten Fragen der Luther-Interpretation gehören, bedarf eigentlich keiner .Erwähnung. Anima Germanica naturaliter Lutherana, hat bekanntlich K. Barth gemein~22 und im Dezember 1939 in einem Brief nach Frankreich über das deutsche Volk geschrieben: ,.Es leidet an der Erbschaft des größten christlichen Deutschen: an dem Irrtum Martin Luthers hinsichtlich des Verhältnisses von Gesetz und Evangelium, von weltlicher und geistlicher Ordnung und Macht, durch den sein natürliches Heidentum nicht sowohl begrenzt und beschränkt als vielmehr ideologisch verklärt, bestätigt und best~rkt worden ist.,,223 Wer 222 E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, München 1975, 409. 223 Ein Brief nach Frankreich, in: ders., Eine Schweizer Stimme 1938-1945, Zollikon-Zürich 1945, 108-117 (113). - Vgl. auchK. Barth, Briefe 1961-1968, Zürich 1975,295: ,.Was hat sich der liebe Gott nur gedacht, ais er in seinem U:neriorschlichen Ratschluß auch das Luthertum erschuf,' das euch Deutschen immer wieder zum Fallstrick wird? Tatsächlich scheint mir Barth in diesen Äußerungen, die sich vermehren ließen, immer eher Troeltsch' Lutherbild als Luther vor Augen zU stehen; vgl. bes. SoziaHehren (Anm. 14), 485-512 u ..521-532, als Beispiele für einen von Troeltsch in Luther projizierten statischen Dualismus von ethischer Gesinnung und weltlichem Pragma (bes. 532). Zur Kritik an Troeltsch' These, daß zwischen 1523 und 1532 bei Luther der Dekalog an die Stelle der Bergpredigt getreten sei, vgl. schon K. Holl, Der Neubau der Sittlichkeit (1919), in: ders., Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther, Tübingen 1921, 131-244 (2ll.!. m. ·Anm.). - Daß Barths Luther-Kritik eher eine Troeltsch-Kritik sei, meint auch A. Hakamies, .. Eigengesetzlic:Jtkeit. der natürlichen Ordnungen als Grundproblem der neuerenLutherdeutung, Witten 1971, 93 f.
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zudem auch nur von fern die Auseinandersetzungen um Luthers Auffassung von den zwei Reichen und Regimenten verfolgt hat, weiß, daß man sich hier leicht in dem schon sprichwörtlichen Irrgarten verlaufen kann. Da sich die vorliegende Untersuchung nicht vermessen kann, selbst einen Beitrag zur Reformationsforschung zu leisten, ergibt sich hier aufs neue das allgemeinere Problem, wie eine sozialethische Erörterung sich in ein angemessenes Verhältnis zur hochspezialisierten Arbeit der Fachhistoriker setzen kann. Im Blick auf die Zeit der Reformation und besonders auf Luther verschärfen sich die Schwierigkeiten vor allem dadurch, daß ein Rückzug auf die p~adigmatische Auslegung eines oder weniger Schlüsseltexte, wie etwa bei Thomas von Aquin, völlig unzureichend wäre, weH besonders Luthers literarische Produktion nicht die Geschlossenheit einer systematischen Konzeption beabsichtigt und hervorgebracht hat, sondern immer in der Spannung zwischen Schriftgemäßheit und den Forderungen des Tages bewußt ihren Ort bezogen hat. Daraus folgt im Prinzip für den Sozialethiker nicht weniger als für den Begriffshistoriker die methodische Nötigung, alle zu interpretierenden Auffassungen z. B. Luthers stets zu den jeweils besonderen Zwecken, Umständen und Absichten in Beziehung zu setzen, und diese Forderung gilt nirgendwo in einem solchen Maße wie in politischen Angelegenheiten. Freilich kann man die methodischen (Se1bst-)Anforderungen so hoch schrauben, daß jeder andere Zugan'g außer monographischen Spezialuntersuchungen als dilettantisch und darum illegitim erscheinen muß. Das liefe allerdings auf die Alternative hinaus, entweder selbst diese Aufgabe anzugehen oder zu warten, bis die Fachwissenschaft in bestimmten Grundfragen übereinstimmung erzielt hat, die dann zu rezipieren wäre. Beide Möglichkeiten scheiden aber aus pragmatischen Gründen aus, so daß ich folgenden Ausweg versuchen möchte: ich beschränke mich darauf, in groben Zügen einen mir gegenwärtig plausiblen Ansatz zur Rezeption Luthers -zu skizzieren; anschließend rekapituliere ich die unabdingbaren Grundzüge von Luthers Auffassung von Krieg und Widerstand; darauf verweise ich auf neue Bedeutungsvalenzen des Gewaltbegriffs im Bauernkrieg, die sonst ~enig Beachtung finden, um schließlich einen kurzen Blick auf die täuferische Position der Gewaltlosigkeit zu werfen. 4.1. Zweireichelehre und Gewalwerständnis .. Das Besondere an Luthers Zweireichelehre wird nur dann erlaßt, wenn man sie in historischer Hinsicht nicht isoliert, das Neue an ihr vielmehr aus den geschichtlichen Zusammenhängen heraus desto schärfer bestimmt und wenn man sie in sachlicher Hinsicht nicht auf das sozialethische Thema einengt, sondern als Schnittpunkt aller theologischen Perspektiven begreift. Für das Verständnis von Luthers Zweireichelehre ist besonders hilfreich, was bei oberflächlicher Berührung als außerordentliche
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·':ijliscl1w~g erscheint: daß sie nicht als geschlossen dargestelltes theoretisches System, sondern nur verstreut von Fall zu Fall als situations bezogener Gewissenszuspruch an bestimmte Adressaten vorgebracht wird, daß sie nicht in starre Terminologie gefaßt ist, sondern durch ungemein vieHältige Formulierungen, die aufeinander bezogen, jedoch nicht miteinander identisch sind, zum Nachdenken nötigt, und sich bloßem Nachreden widersetzt; daß sie nicht in einem Diagramm darstellbar und auf ein praktikables Programm reduzierbar ist, sondern - mehrdimensional, perspektivisch und selbst in Bewegung begriffen - Lebenworgänge als das Gewissen angehend zur Sprache bringt.«
Diese Sätze G. Ebelings224 mahnen daran, daß wir es·bei der sog. Zweireichelehre nicht mit einem isolierten und darum isoliert darstellbaren Lehrbestand zu tun haben225 , auch nicht mit einer irgendwie für sich zu behandelnden Grundlegung der Ethik226 , und schon gar nicht mit einem OrthodoxieMesser, sondern mit einer in allen ihren verschiedenen Operationen identischen Grundbewegung theologischen Denkens, das klare und bestimmte Unterscheidungen zwischen Göttlichem und Menschlichem sowie ebenso klare und bestimmte Zuordnungen zum Gegenstand hat. In dieser Funktion ist aie Zweireichelehre, wenn man den mit diesem Titel gemeinten Komplex von Argumentationsmustern, Topoi, Vorstellungen und Begriffen so nennen will, sachlich kaum oder gar nicht geschieden von der Einheit der grundlegenden Doppelbewegung der Theologie Karl Barths: der Negation jeder Vermengung von Gottes Reich und Menschenwelt einerseits, der dringlichen und insofern tätigen Bitte um das Kommen des Gottesreiches andererseits. Jedenfalls liegt darin eine Parallele zu Barth, daß in dem Zweireichelehre genannten Komplex keine Freisetzung autonomer Vernunft beabsichtigt oder begründet wird, sondern es vielmehr darum geht, wie derselbe Gott in je besonderer Weise im regnum spirituale (christianum) und im regnum corporale (mundanum) am Werk ist und seinem Geschöpf dabei die Freiheit dienenden Mitwirkens gewähn227 • Diesen theozentrischen Grundzug der 224 Leitsätze zur Zweireichelehre (1972), in: ders., Wort und Glauqe, Bd.III, Tübingen 1975, 574-592 (577 f.), Hvhbg. W. L. - Ebd., 574 f. m. Anm. 1, Nachweis der übrigen Arbeiten Ebelings zur Sache. 225 Vgl. F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, Berlin 1952, 92. 226 Trotz expliziter Anknüpfung an Ebeling hat M. Honecker die Zweireichelehre auf ihre anthropologischen Seiten zurückgenommen: Zweireichelehre und Sozialethik, in: ders., Sozialethik zwischen Tradition und Vernunft, Tübingen 1977, 175-278: "Eine hermeneutische Reflexion der Zweireichelehre führt zu deren anthropologischer Auslegung. Die Thematik der Zweireichelehre kann heute nur verständlich gemacht werden, wenn es gelingt, sie als Beschreibung einer Grundsituation des Menschseins zu formulieren« (183). Vgl. auch 205. 229 ff. 277 als Beispiele für diese Reduktion auf Anthropologie. 227 Vgl. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände, Gütersloh 1977, 40 f.; W. Günter, Martin Luthers Vorstellung von der Reichsverfassung, Münster 1976, 19-22.
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Zweireichelehre, der modemen Anwendungen einen heilsamen Widerstand entgegensetzt und hermeneutisch dazu zwingt, auch die Fremdheit dieser Lehre ernst zu nehmen, hat H. E. Tödt so charakterisiert: ,.Als Anweisung, wie die Lehre der Heiligen Schrift in das Leben hineinzuziehen ist, ·wie die Lebenserfahrung der Glaubenden an der Schrift sich klärt und wie daraus Orientierung für Tun und Lassen der Christen entsteht, ist die Reiche- und Regimentenlehre ein zentrales Instrument lutherischer Theologie.«228 Daraus folgt eine weitere sachliche übereinstimmung zwischen Luther und Barth, die darin besteht. daß eine grundsätzliche lehrmäßige Verselbständigung der »dogmatischen« und ,.ethischen« Gehalte und Aufgaben der Theologie unsachgemäß ist, weil es stets um die Einheit des Zeugnisses der Schrift und seiner Vergegenwärtigung geht. Wie sich auch die ,.Kirchliche Dogmati~« als Schriftauslegung versteht - und von hier aus kritisiert sein Will_229, so ist Luthers Zweireiche,.lehre« das Resultat verschiedener Anlässe, die Schrift auf gegenwärtige Probleme hin auszulegen2Jo . So gesehen ist die Zweireiche,.lehre« der Inbegriff der göttlichen Zusagen ~d Mahnungen und der menschlichen Kriterien und Prüfungen, die der Bestimmung der Aufgaben und Grenzen christlicher Weltverantwortung dienen. Bevor wir diesen Sachverhalt am Beispiel der Obrigkeitsschrift kurz näher betrachten, ist jedoch daran zu erinnern, daß Luther zugleich die ihm überkommenen Traditionslinien des altkirchlichen und scholastisch-kanonistischen Gewaltverständnisses aufnimmt und miteinander zu einer neuen ,.Gesamtanschauung«2JI verknüpft. Vor allem U. Duchrow hat in seinem grundlegenden Werk, dem auch die vorliegende Untersuchung Entscheidendes verdank~32, diese Traditionslinien im einzelnen f~eigelegt, und dabei vor 228 Die Bedeutung von Luthers Reiche- und Regimentenlehre für heutige Theologie und Ethik, in: N. Hasselmann (Hg.), Gottes Wirken in seiner Zeit. Zur Diskussion um die Zweireichelehre, 2 Bde. Hamburg 1980, 11, 52-126 (66 f.). 229 Dies herausgestellt zu .haben ist das besondere Verdienst der Arbeiten von W. Schlichting, Biblische Denkform in der Dogmatik. Die Vorbildlichkeit des biblischen Denkens für die Methode der "Kirchlichen Dogmatik« Karl Barths, Zürich 1971; ders., Sozialismus und biblische Denkform, in: EvTh 32, 1972, 595-606; vgl. auch Busch, a. a. O. (AIDn. 222), 362 u. 483. 230 H. Bornkamm spricht von ,.Luthers unschulmäßiger, lebendig reflektierender Theologie«: Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie, Gütersloh 21960,7. 231 Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 440. 232 Die in Anm. 228 genannten Bände zur Zweireichelehre behandeln vor allem Texteditionen Duchrows zu diesen Fragen und Probleme der Wirkungsgeschichte, während die Auseinandersetzung mit seinem Buch (nach wie vor) entschieden zu kurz kommt; vgl. aber immerhin den Seminar-Bericht von O. H. Pesch vom Fünften Internationalen Kongreß für Lutherforschung 1977: Luthers Lehre von den Zwei Reichen - Theorie und Praxis, in: 1. Grane / B. Lohse (Hg.), Luther und die Theologie 147
allem die Aufnahme der eschatologisch-augustinischen Tradition der civitates/regna einerseits, der mittelalterlichen Stände- und Gewaltenlehre andererseits durch Luthers Gesamtwerk verfolgt. Man wird also sagen dürfen, daß hinsichtlich der Begriffsgeschichte der Gewalt bei Luther nahezu alle Fäden der überlieferung aufgenommen und neu verbunden werden - freilich nicht zu einem ,.Begriff", der nunmehr wohldefiniert das weitere Nachdenken anleiten und strukturieren könnte, sondern in dem Sinne, daß die verschiedenen Bedeutungsschichten in wechselnden Synthesen zur Sprache gebracht werden233 . Dabei halten sich freilich sachliche Konstanten durch, und hier sind für die mich leitende Fragestellung vor allem die Kritik an der spätmittelalterlichen postestates-Lehre und die Zuwendung zum biblischen Ursprung der Bergpredigt von Belang. Hinsichtlich der Reichs- und Gewaltenlehre hat Duchrow gezeigt, daß Luther seit der Römerbriefvorlesung und besonders der Auslegung von Röm. 13234 den weltpolitischen Machtanspruch der papalistischen Gewaltenlehre zl,uückweist und der geistlichen Gewalt die Abwertung der weltlichen Gewalt verweh~5. Zwar zählt Luther die geistliche Obrigkeit weiterhin unter die Gewalten (potestates), aber er nimmt ihr die (welt- und machdörmige) Gewalt (vis, violentia), wenn es z. B. in
der Gegenwart, Göttingen 1980, 147-155. Angemerkt sei hier, daß inzwischen eine japanische übersetzung von Duchrows Buch vorliegt. 233 Es ist möglich, daß eine sorgfältige empirisch-statistische Untersuchung des Wortgebrauchs Luthers, vor allem im Hinblick auf die Wiedergabe alt- und neutestamentlicher Stellen in seiner Bibelübersetzung, hier zu genaueren Unterscheidungen verhelfen könnte. Die an sich zwar reichhaltigen Belege im Grimmschen Wörterbuch lassen eine derartige Strukturierung aber nicht zu. Zum Sprachproblem bei Luther vgl. auch G. Scharffenorth, Römer 13 in der Geschichte des politischen Denkens, Heidelberg 1964, 61-63; sowie G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 31978, 37-57. 234 Grundlegend hierzu G. Scharffenorth, a. a. O. (vorige Anm.), 54 H.; für die Auslegungsgeschichte bis zum Ende des 13. Jh. W. Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese, Göttingen 1969. 235 Duchrow, a. a. O. (Anm.4), 479 ff. - Nicht zuletzt, um die unzureichende Berücksichtigung Calvins und der von ihm ausgehenden Tradition in dieser Arbeit etwas zu kompensieren, werfe ich relativ häufig Seitenblicke auf das Werk K. Barths. Darum sei hier auf Barths Stellungnahme zur mittelalterlichen potestas-Lehre vom WS 1928/29 verwiesen, die unter dem Titel,.Thesen über Kirche und Staat« abgedruckt ist in: K. Barth, Ethik 11 (hg. D. Braun), Zürich 1978, 457467. Barth bekräftigt hier ausdrücklich die Uberordnung der geistlichen Gewalt nach ,.Unam Sanctam«, woraus er zitiert, dreht aber den Sinn dadurch völlig um, daß er die reine Dienstfunktion der geistlichen Gewalt und ihre Beschränkung auf die Mittel der Wortverkündigung und Buße einschärft (464). Von hier aus leitet er dann seine Grundregel für das Kirchenrecht ab: ,.Kirchliches Recht ... kann nur das von der Kirche anerkannte Recht des selbst in der Kirche existierenden Staates sein.« Und: ,.Je weniger, desto besser!« (465) Vgl. aber auch KD IV/2 (§ 67,4)!
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seiner Auslegung des Magnificat (1520/21) heißt, daß ,.in der schrifft kein geistlich ubirkeit noch gewalt ist, sondern nur dienstparkeit und unterkeit«236. Und in der Adelsschrift (1520) schreibt er im Blick auf Röm. 13,1 und 1. Petr. 2,13: "Es gepurt nit dem Bapst, sich zurheben ubir weltliche gewalt, den allein in geistlichen ampten, als do sein predigen unnd absolvieren: in andern stucken sol er drunder sein ... Er ist nit ein stathalter Christi ym hymel, szondern allein Christi auff erden wandeIlend, dan Christus ym hymel, in der regierenden form, darff keynis stathalters, szondern sitzt, sihet, thut, weysz unnd vormag alle ding. Aber ehr darff seyn in der dienenden form, als er auff erden gieng, mit erbeyttenn, predigen, leyden und sterben: szo keren sie es umb, nehmen Christo die hymelisch regierende form unnd geben sie dem Bapst, lassen die dienende form gantz untergehen.«237
Daß diese Unterscheidung andererseits nicht auf eine Scheidung von weltlicher und geistlicher Gewalt hinausläuft, ist bekannt238 , und darum schärft Luther die Dienstfunktion beider Gewalten ebenso wie das Ende der unbilligen kirchlichen Privilegien ein: "Wirt ein priester erschlagen, szo liegt ein land ym Interdict, warumb auch nit, wenn ein bawr erschlagen wirt?,,239 Obwohl ich mich im folgenden auf Luthers Obrigkeitsschrift unter dem Gesichtspunkt der Bestimmung des Gewaltbegriffs konzentrieren werde, weil diese Schrift gar nicht zu unterschätzende Wirkungen auf das protestantische Gewaltverständnis gehabt hat und wohl behalten wird, soll vorweg noch aufmerksam gemacht werden auf einige Probleme des historischen Kontextes, denn erst auf diesem Hintergrund gewinnen Luthers Äußerungen schärfere Konturen. Anknüpfen kann ich bei den oben239a erwähnten Versuchen, das Fehderecht einzugrenzen und einem allgemeinen Landfrieden zum Durchbruch zu verhelfen. Diese Bemühungen um eine Reichsreform erreichten einen gewissen Höhepunkt mit der Verkündung des Reichslandfriedens von 1495 in Verbindung mit der Errichtung des Reichskammergerichts unter Maximilian 1. Seit 1512 war das Reich in zehn Kreise geteilt, die u. a. der Wahrung des Landfriedens dienten2.fO, aber der. Versuch, mit der Errichtung
236 WA 7, 578, 22 f. 237 WA 6, 434, 6 ff. Vgl. ähnlich in "Von der Freiheit eines Christenmenschen« (1520), WA 7, 28,1 ff.: "Aber nu ist auß der scheffnerey (Verwaltung, W. L.) worden eyn solch weltlich eußerliche prechtige forchtsam hirschafft und gewalt, das yhr die recht weltlich macht ynn keyne weg mag gleychen.« (Die Stelle ist auch instruktiv für den fließenden Wortgebrauch Herrschaft - Gewalt - Macht.) 238 Vgl. Ebeling, a. a. O. (Anm. 233), 205 f. 239 WA 6,410,16 ff. 239a S. oben S. 119 ff. 240 H. Lutz, Reformation und Gegenreformation, München-Wien 1979, 19.
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des Reichsregiments 241 die zentralen Kompetenzen im Reich zu stärken, scheiterte zunächst an den Kräften, die an der Sicherung der ständischen Freiheiten und dem Ausbau des Territorialstaates interessiert waren. Immerhin gelang es, 1521 das Reichsregiment in Nümberg vOli neuem zuerrichten242 , ohne den Antagonismus von Kaiser und Ständen dadurch aufheben zu können.. In Lumers Stellungnahmen zu den Problemen der Reichsverfassung243 zeigt sich die Tendenz, die Stärkung der Zentralgewalt zu fördern: ,.Darumb sollten wir bitten, das der fryd erhalten wurd, das Got dem kayser so viI genad geb, das er die fürsten im zaum hielt, die fürsten den Adel und die stet und also fort die oberherren den underherren auff die kopff gryffen und visitierten ... «244Friedenswahrung, Schutz der Gerechtigkeit und Förderung des bonum commune sind die Aufgaben der Obrigkeit auf allen ihren Stufen, und zugleich ist entscheidend, daß jeder den Dienst tut, der seinem Amte gemäß ist, d. h. daß die Oberen nicht Willkür üben und die Untertanen nicht aufbegehren244a • Diese Betonung der Ober- und Zentralgewalten bei Lumer zielt auf die Sicherung der Einheit der Rechtsordnung und die dadurch beförderte. Wahrung des Friedens 245 • Daneben muß man jedoch bedenken, daß einige der wichtigsten dezentralen Mächte im Reich, nämlich die Reichsstädte, nur aufgrund ihrer Autonomie gegenüber der kaiserlichen Gewalt zum entscheidenden Wegbereiter der Reformation werden konnten246 • Die verbrieften Freiheiten mancher Städte waren eine wesentliche Bedingung dafür, daß der jeweilige Rat schon vor der Reformation zunehmend Kompetenzen zur Ordnung des Kirchenwesens an sich ziehen konnte. G. Seebaß hat diesen Prozeß am Beispiel Nümbergs
241 Vgl. H. Angermeier, Die Reichsregimenter und ihre Staatsidee, in: HZ 211,1970, 265-315. 242 Vgl. W. P. Fuchs, Das Zeitalter der Reformation (Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Taschenbuchausgabe, München 1973, Bd. 8), 97-101. 243 Vgl. Wolgast, a. a. O. (Anm.227), 84-94; Günter, a. a. O. (Anm. 227), 84-,89. 244 WA 17, 1, 150 (1525). - Zum ,.Systemcharakterc des· damaligen politischen Polyzentrismus nach dem Zurückweichen des kirchlichen Universalismus vgl. K.-V. SeIge, Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonflikt 1517 bis 1521, in: HZ 223, 1976, 591-617. 244a Zu Luthers Vorstellung vom Amt des Kaisers vgl. Günter, a. a. O. (Anm. 227), 61-74. Luther knüpft an die alte Tradition des consensus omnium (vgl. oben, Anm. 141!) an; ebd. 61 f., m. w. Nachweisen. . 245 Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 499 f. Vgl. auch Günter, a. a. O. (Anm. 227), 57 f., zu Luthers Beurteilung der Reichsstände. 246 Vgl. dazu B. Moeller (Hg.), Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1978, und darin bes. den Forschungsbericht von H.-Chr. Rublack, 9-26.
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verfolgt247 und gezeigt, daß die Mitglieder des Rates, die sich fast nur aus 42 Familien rekrutierten, bemüht waren, die Besetzungen von Pfarrstellen zu kontrollieren, auf das kirchliche Finanzwesen und die gesamte Sozialfürs9rge maßgeblichen Einfluß zu gewinnen und die geistliche Gerichtsbarkeit klar einzugrenzen. Seebaß spricht von einer ..Kommunalisierung der Kirche«248, die im beiderseitigen Interesse lag und von humanistischen Motiven beflügelt, aber auch gemäßigt wurde. Der Rat ließ sich von den Theologen bei der Durchführung der Reformation beraten, aber die letzte Entscheidungsgewalt lag bei 'ihm, ja er übte sdbst genuin kirchliche Rechte aus249 . (Ein Konflikt darüber führte zu Osianders Weggang 1548.) Tatsächlich waren damit also nicht nur in Nürnberg schon vor Luthers theologischer Kritik an der päpstlichen Auffassung von der plenitudo potestatis 250Tendenzen der Emanzipation der weltlichen Gewalten zum Zuge gekommen. Diese wandten sich vor allem gegen die Privilegien des Klerus (Steuer- und Gerichtsimmunität, ökonomische Begünstigungen, Wehrfreiheit usw. 251 ), die geistliche Jurisprudenz (nicht zuletzt in den vermögens- und erbrechtlich zentralen Angelegenheiten von Ehe und Familie252) und die Auswüchse des pfründenwesens253 • Die Kritik dieser Mißstände zidte insge247 Stadt und Kirche in Nürnberg im Zeitalter der Reformation, in: Moeller, a. a. O. (Anm. 246), 66-86. 248 Ebd., 70. - Am Leidaden der Entwicklung des Bürgerrechts beschreibt W. Schultheiß parallel die .. Kommunalisierung der Stadtverfassung«: Das Bürgerrecht der Königs- und Reichsstadt. Nümberg, in: Festschrift für Hermann Heimpel1971, II. Bd., Göttingen 1972, 159-194 (167). 249 ..Bei gegensätzlicher Auffassung zwischen Rat und 'Theologen setzte sich ersterer durch, letztere duldeten das mit dem Hinweis auf das drohende göttliche Gericht.« So Seebaß, 8I. 250 Vgl. E. Bizer, Luther und der Papst, München 1958, bes. 19 ff. zu Mt. 16,18 und 18,17 f. sowie Joh. 21,15 ff.; K. Holl, Die Entstehung von Luthers Kirchenbegriff (1915), in: ders., a. a. o. (Anm. 223), 245-278 (267 ff.); J. Heckel, ..Die zwo Kirchen«. Eine juristische Betrachtung über Luthers Schrift ..Von dem fapsttum zu Rome«, in dem Anm. 8 genannten Aufsatzband, 111-131; sowie den forschungsgeschichtlichen überblick von S. Mühlmann, Luther und das Corpus Iuris Canonici bis zum Jahre 1530, in: ZRG 89, KA 63,1972,235-305. 251 Vgl. B. Moeller, Kleriker als Bürger, in:FS Heimpel (Anm. 248), 195-224, bes. im Blick auf Straßburg. 252 Vgl. für die Schweizer Verhältnisse W. Köhler, Ziircher Ehegericht und Genfer Konsistorium, Leipzig 1932. 253 Luther hat selbst in Stellungnahmen zur Neuordnung des gemeindekirchlichen Vermögens die Verwendung des Kirchengutes für weltliche Zwecke (Versorgung der Armen, Förderung der Studien, Besserung des gemeinen Nutzens) bejaht; Nachweise bei K. Trüdinger, Luthers Briefe und Gutachten an weltliche Obrigkeiten zur Durchführung der Reformation, Münster 1975, 59-68. Zur dennoch gebliebenen Kontinuität mit der vorreformatorischen Situation vgl. E. W. Zeeden, Katholische
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samt auf ~ine Aufhebung der Privilegien der geistlichen Gewalt zugunsten des gemeinen Nutzens. Auf diesem Hintergrund stellt sich dann zwangsläufig auch die Frage nach den Aufgaben der weltlichen Gewalt und des Verhältnisses der Christenheit zu ihr neu, jene Frage, die in der Schrift ,.Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei,,254 von 1523 ihre klassische Antwort gefunden hat, welche das protestantische Gewaltverständnis bis zum heutigen Tage zutiefst geprägt hat. Luther selbst hat seine in dieser Schrift vorgetragene Lehre von der Eigenständigkeit der weltlichen Gewalt, welche in der theologischen Unterscheidung der zwei Reiche begründet ist, für eine seiner bedeutendsten Leistungen gehalten2SS , und H. Bomkamm urteilt in seiner nachgelassenen großen Darstellung des Reformators: ,.Luthers Schrift enthält die Summe seiner politischen Ethik. Er hat sie später im Grundsätzlichen nicht mehr verändert. ,,256 Wie schon vex:schiedentlich angemerkt, ist die von mir verfolgte Fragestellung nicht zuletzt orientiert an dem Problem, welche Wirkungen in vergangenen Gegenwarten von der Bergpredigtauslegung ausgingen, und gerade für diese Frage ist die Obrigkeitsschrift Luthers von besonderer Bedeutungls7, beginnt sie doch sofort in der Widmung an Herzog Johann, den Bruder von L\lthers Landesherrn, mit der entscheidenden Frage, ob Christen überhaupt in weltlichem Amt zwingende Gewalt üben dürfen und nicht vielmehr dem übel nicht widerstehen sollen (Mt. 5,39), solange Röm. 12,19 gilt: die Rache ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten2SB • überlieferungen in den lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Münster 1959,67-71. 254 WA 11, 229-281. 255 "Nachdem ich von der wdtlichen öberkeit also herlich und nützlich geschrieben habe, als nie kein lerer getan hat sint der Apostd zeit (Es were denn S. Augustin), des ich mich mit gutem gewissen und mit Zeugnis der W dt rhümen mag.« Zit. bei Wolgast, a. a. O. (Anm. 227), 46 m. Anm. 32; ebd., 45, Hinweise auf Luthers erstmalige Darlegung seiner Obrigkeitslehre in einem Brief an Melanchthon von 1521. 256 Martin Luther in der Mitte seines Lebens, Göttingen 1979, 110. Vgl. ebd., 106-112, zur Interpretation der Obrigkeitsschrift. 257 Luthers Bergpredigtauslegung im einzelnen kann hier nicht näher verfolgt werden; vgl. aber G. Wünsch, Die Bergpredigt bei Luther, Tübingen 1920; P. Althaus, Die Ethik Martin Luthers, Gütersloh 1965, 68-72 (Devise: innere Freiheit, ehe; "iJ); H. W. Beyer, Der Christ und die Bergpredigt nach Luthers Deutung, in: Luther-Jahrbuch 14, 1932, 33-89. Zur Beurteilung und Einordnung von Wünschs Darstellung vgl. auch U. Berner, Die Bergpredigt. Rezeption und Auslegung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1979,39-41. Im übrigen ist zu bedenken, daß die Urheberschaft der Nachschrift(en) von Luthers Auslegung von Mt. 5-7 unbekannt ist (vgl. WA 32, LXXV ff.). 258 Auch Luthet zieht also Röm. 12,17 ff. zur Röm. 13-Auslegung, wie es in der Gegenwart K. Barth getan hat, denn die Spannung zwischen Bergpredigt und Röm. 13 nötigt zur Zweireichelehre; vgl. die Hinweise oben S. 70 ff. - Gegenüber allen
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Hatte Luther nicht kurz zuvor, nämlich in seiner 1520 erschienenen Freiheitsschrift, noch ganz im Sinne dessen, was man heute im Blick auf Bonhoeffer Nachfolgeethik nennen könnte, geleh~9? Als positives Weltverhältnis des Menschen hatte Luther hier ja die Bestimmung ,.eyn dienstpar knecht aller ding und ydermann unterthan« entfaltet und im Gefälle von Phil. 2 die gebotene Ausrichtung christlichen Lebens entdeck~60, desset;t. jedenfalls dienender, notfalls leidender Grundzug eher in die Tiefe als zur Beteiligung an den Selbstbehauptungsversuchen dieser Welt und ihrer MächtezU"führen schien. Die Obrigkeitsschrif~6t, die mit einer Gegenüberstellung de.r von Gott eingesetzten weltlichen Schwertgewalt262 und des den Chri~~e;D gebotenen Gewaltverzichts263 beginnt,· hält an dieser Linie insofern fest, als im Rahmen der anschließenden Unterscheidung der ,.Adams Kinder« nach Reich Gottes und Reich der Welt von den gläubigen Christen gesagt wird: "Diße leutt düdfen keyns weltlichen schwerdts noch rechts. Und wenn alle Welt rechte Christen, das ist, recht glewbigen weren, so were keyn fürst, könig, herr, schwerd noch recht nott odder nütze.,,2(,4 Christen werden vom Heiligen Geist geleitet und handeln ihrer geistlichen Natur gemäß ohne
Versuchen, Luther und Marsilius von Padua hinsichtlich der Freisetzung der weltlichen Gewalt zusammenzurücken, muß dieser fundamentale Gegensatz beachtet werden: Luther argumentiert stets als Ausleger der Hl. Schrift, auch in politicis; Marsilius operiert auf dem autonomen Felde der Aristoteles-Rezeption. Da, solange es Christen gibt, beides Geltung haben wird, ist ein Streit über die ~Modemität« dieses oder jenes einigermaßen sinnlos. - übrigens plädierte Luther inder Adelsschrift für die Streichung der aristotelischen Ethiken aus dem Universitätsunterricht: WA 6, 457, ~a
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259 In der Freiheitsschrift erscheint Röm. 13 ganz im Lichte von Phi!. 2,1 ff. und ähnlichen Stellen. 260 Vgl. D. Clausert, Das Proble~ der Gewalt in Luthers Zwei-Reiche-Lehre, in: EvTh 26, 1966,36-56 (hier bes. 38 ff.). Clausert stellt Nachfolge- und Ordnungsdenken bei Luther gegenüber und gewinnt so die kritischen Gesichtspunkte, die gegen eine neulutherische Verselbständigung der Obrigkeitslehre und· Neutralisienmg der Bergpredigt geltend zu machen sind; vgl. etwa W. Elerts Ausführungen über Obrigkeit als Schicksalsgewalt (unter Berufung auf die Adelsschrift: ,.Es liegt Gott nichts dran, wo einn rerch her kumpt, ehr wils dennoch regiert habenne - WA 6,464,4) in seiner ,.Morphologie des Luthertums«, 2. Bd., München 1953, 293, wo freilich· unmittelbar anschließend dem Mißverständnis eines ethisch mehr oder weniger indifferenten Obrigkeitsstaates gewehrt wird (295 u. ö.). 261 Sie war u. a. veraniaßt durch eine Luther zugesandte, aber leider nicht erhaltene Schrift (ingens liber!) des bedeutendsten Juristen im deutschen Reich, Johann Freiherr von Schwarzenberg; vgl. Bornkamm, a. a. o. (Anm. 256), 107 m. Anm. 13. 262 WA 11, 247, 21-248,31. 263 Ebd., 248, 32-249,23. 264 Ebd., 249,36 ff. - Zur Interpretation dieses locus classicus der Zweireichelehre vgl. Duchrow, a. a. O. (Anm. 4), 486 ff.
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äußere, Einwirkung ganz so, wie ein guter Baum, von Natur gute Früchte bringt. Aber da die wahren Christen stets eine verschwindende Minderheit sind .., ,"syntemal alle wellt böse und unter tausent kaum eyn recht Christ ist«265 -, hat Gott die weltliche Gewalt ,"verordnet«, um wenigstens äußeren Frieden zu sichern: »Ya. freylich ists war, das Christen umb yhr selbst willenkeynem recht noch schwerd unterthan sind noch seyn bedürffen. Aber sihe zu unnd gib die welt zuvor voll rechter Christen. ,ehe du sie Christlich und Euangelisch regirst. Das wirstu aber nymer mehr thun, dj:nn die wellt und die menge ist und bleybt unchristen, ob sie gleych alle getaufft und Christen heyssen. Aber die Christen wohnen (wie man spricht) fern voneynander, darumb leydet sichs ynn der wellt nicht, das eyn Christlich regiment gemeyn werde uber alle wellt, ja noch uber 'eyn land odder grosse menge.c 266
Die Anerkennung der weltlichen Gewalt, deren Aufgabe sich ganz traditionell auf die Sicherung von Recht und Frieden (pax et iustitia267) erstreckt, kann aber nun nicht eo ipso bedeuten, daß Christen, die laut Mt. 5,39 ,.nicht rechten noch das welltlich schwerd unter yhn haben«261, sich an der Ausführung dieser A~gabe auch beteiligen müssen. Das Untertansein von Röm. 13,1 impliziert ja, wenn man den Wortlaut ernst nimmt, noch keine Beteiligung an den Funktionen der Obrigkeit, sondern zunächst einmal nur ,die gebotene Loyalität, die aus Einsicht, nicht aus Furcht erfolgr69 • Einzig die Verantwortung für den Nächsten, so Luther, veranlaßtChristen dazu, sich an der Schwertgewalt zum Zwecke der Rechts- undFriedenswahrung zu beteiligen270. G. Scharffenorth und im Anschluß an ihre Untersuchung zu Röm. 13 auch U. Duchrow haben die Aufmerksamkeit zudem darauf gelenkt, daß diese Funktionsbestimmung der Obrigkeit in Beziehung gesetzt 265 Ebd., 251,12. '266 Ebd., 251, 32 ff. 267 Vgl. den Hinweis oben S. 120. 268 WA 11, 252,25 f. 269 Diesen Skopos betont auch die neueste umfassende exegetische Studie zu Röm. 13 von J. Friedrich / W. Pöhlmann / P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation und Intention von Röm. 13,1-7, in: ZThK. 73, 1976, 131-166. 270 WA 11, 253, 23 ff.: »Aber weyl eyn rechter Christen auff erden nicht yhm selbs sondern seynem nehisten lebt und dienet, ßo thutt er von art seyns geystes auch das, das er nichts bedarff, sondern das seynem nehisten nutz und nott ist. Nu aber das schwerd eyn groß nodlicher nutz ist aller wellt, das frid erhalten, sund gestrafft und den bösen gew:eret werde, ßo gibt er sich auffs aller willigst unter des schwerds r.egiment, gibt schos [Steuern, W. L. ], ehret die uberkeyt.- di!met, hilfft und thut alles, was er kan, das der gewalt fodderlich [der öffentlichen, »staatlichen« Gewalt förderlich;W. L.] ist, auff das sie ym schwang und bey ehren und furcht erhalten werde, wie wol er das fur sich keynes darff noch yhm nott ist, Denn er sihet damach, was andern nutz und gutt ist ... e Man vergleiche ~nmal mit dieser Passage die V. Barmer These, um die Nüchternheit, mit der Luther von der Obrigkeit spricht, ermessen zu können.
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werden muß zu den aktuellen rechtspolitischen Problemen der damaligen Zeit, die vor allem durch die oben erwähnte Aufgabe bestimmt waren, nach dem Reichslandfrieden von 1495271 endlich das Institut der F!=hde gänzlich zu überwinden, das unkontrollierbare Gewalt und ständige Rechtsunsicherheit bedeutete. Wenn in dieser Lage der Christ selbst ein obrigkeitliches Amt annimmt, ja, sich darum bewerben so1l272, dann nicht, um für sich Böses mit Bösem zu vergelten, »sondern deynem nehisten zu gutt unnd zur halltung schutz unnd frids der andern«27J, denn ,.die Gewalt ist von natur der art, das man Got damit dienen kan«274, und insofern eine von Gott gewollte Ordnung wie Ehestand, Ackerbau oder irgendein Handwerk, sofern diese notwendig sind275. Der eine ,.Liebeswille Gottes«276 wirkt im christlichen Gewaltverzicht, aber auch in der Handhabung des weltlichen Schwertes aufgrund der Einsicht in seinen Zweck der Rechts- und FriedenswahrungZ". Im zweiten Teil (,.heubtstück dieses sermonsc!) der klar gegliederten Schrift bestimmt Luther dann die Grenzen des der Obrigkeit geschuldeten Gehorsams, bevor er im dritten Teil ein nach Art der mittelalterlichen Fürstenspiegel278 gezeichnetes Bild des rechten Fürsten folgen läßt. Insbesondere die Ausführungen darüber, daß der obrigkeitlichen Autorität keine Macht über die Seelen zukomme279, sind seither Grundlage aller protestantischen Forde271 Zum Fehdewesen zu Luthers Zeit vgl. auch Handbuch der Kirchengeschichte IV (1975), 115-118 (Lit.); unter den Reformvorschlägen ragt hervor die Reformatio Sigismundi, vgl. das Buch gleichen Titels von L. Graf zu Dohna, Göttingen 1960. 272 ,.Darumb wenn du sehest, das am henger, böttell [Henker, Büttel, W. L.], richter, herm oder fursten mangellt und du dich geschickt fundest, solltistu dich datzu erbieten und darumb werben, auff das jah die nöttige gewallt nicht veracht und matt würde oder unterginge« (WAll, 254, 37 H.). Vgl. auch ebd., 259, 7 ff.; 260, 30 ff. 273 Ebd., 255, 8 f. 274 Ebd., 257, 32. 275 Ebd., 258,4 ff. Luther betont hier, was selten beachtet wird, ,.dases auCh frey sey zu lassen, wo es nit nott were« (258, 10). 276 Bornkamm, a. a. O. (Anm. 256), 109. 277 E. Bloch spricht von der Gewalt als dem ,.niedersten Diener« der Liebe: Thomas Münzer als Theologe der Revolution, FrankfurtIM. 1963, 132; vgl. auch Clausert, a. a. O. (Anm. 260),55; und Wolgast, a. a. o. (Anm. 227),51. 278 Vgl. oben bei Anm. 124. 279 .Darumb wo welltlich gewallt sich vermisset, der seelen gesetz zu geben, so greyfft sie Gott ynn seyn regiment und verfuret und verderbet nur die seelen« (WA 11, 262, 10 ff.). Man muß diese Stelle im Ohr. haben, wenn man den Sinn der Worte vom ,.Seelenmord«, wie sie auf EKD-Synoden der.5,Oer Jahre unseres Jahrhunderts fielen, verstehen will- Luther selbst hat i-!l seinem offenen Brief an die Fürsten zu Sachsen, in dem er sie zum Vorgehen gegen Müntzer und seine Anhänger aufforderte, zugleich unter Hinweis auf 1. Kor. 11,19 für die Freiheit der Predigt Müntzers votiert (WA 15,218,19 ff.). ,.Diese Worte bedeuten eine Epoche in der Geschichte der Toleranz. (...) Luther schob diesen Gedanken an einen Seelenmord beiseite.« So H. Bornkamm, a. a. O. (Anm. 256), 146.
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run·gen nach Religionsfreiheit, wiewohl oft einseitig uminterpretiert. Aktuell veranlaßt waren Lumers Äußerungen durch das mehrfache Ansinnen verschiedener Obrigkeiten, die Neuen Testamente an die Behörden auszuliefern, aber er dehnt seine Verurteilung jeglichen geistlichen Zwanges nun sogleich auch auf die sog. ,.Ketzer« aus, denen ausschließlich mit Gottes Wort, aber nicht mit weltlicher Gewalt zu begegnen sei280 • Dieses in der Obrigkeitsschrift entwickelte Gewaltverständnis mußte hier in Erinnerung gerufen werden, weil in der Geschichte des Protestantismus besonders in Deutschland darauf immer neu zurückgegriffen wurde, wenn es galt, für das Verhältnis der Kirche zum politischen Leben Kriterien zu entwickeln281 • über den Zusammenhang des Gewaltverständnisses dieser 280 "Gottis Wort soll hie streytten, wenn das nicht auß richt, ßo wirtts wol unaußgericht bleyben von weltlicher gewallt, ob sie gleych die wellt mit blutt füllet. Ketzerey ist eyn geystlich ding, das kan man mit keynem eyßen hawen, mit keynem fewr verbrennen, mitt keynem wasser ertrenckenc (WA 11, 268, 24 ff.). Zur mittelalterlichen Ketzerauffassung vgl. H. Grundmann, Oportet et haereses esse. Das Problem der Ketzerei im Spiegel der mittelalterlichen Bibelexegese (1963), jetzt in: ders., a. a. O. (Anm. 174), Teil 1, 1976, 328-363; vgl. auch Wolgast, a. a. O. (Anm.227), 67 ff., zu Luthers Ablehnung jedes Glaubenszwanges (m. weiteren Nachweisen); sowie W. Maurer, Bekenntnis und Sakrament, Berlin 1939, Kap. III (60-124); und W. Köhler, Reformation und Ketzerprozeß, Tübingen-Leipzig 1901. 281 Zahlreiche Hinweise auf die Wirkungsgeschichte besonders der Zweireichelehre enthält die in Anm. 228 erwähnte Arbeit Tödts. Die neuere, man muß wohl sagen: theologiepolitische Aufladung dieser ,.Lehre«, die bei Luther schwerlich so bezeichnet werden kann, beginnt andeutungsweise in K. Barths Auseinandersetzung mit P. Althaus; vgl. K. Barth, Grundfragen der christlichen Sozialethik (1922), jetzt in: J. Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie, Teil 1, München 1966, 152-165 (156 der terminus technicus), wo Barths Pointe aber darin liegt, jeder auch nur vorsichtigen religiösen Uberhöhung des Staates zu wehren zugunsten größter Nüchternheit in politicis. - Im Kirchenkampf wird dann diese Lehre geradezu zum Schibboleth und seither Anlaß nicht endender Kontroversen, in die ich mich hier dezidiert nicht einzumischen wünsche. Aus der Lit. nenne ich nur die Dokumentationen von U. Duchrow / W. Huber / L. Reith (Hg.), Umdeutungen der Zweireichelehre im 19. Jahrhundert, Gütersloh 1975; U. Duchrow / W. Huber (Hg.), Die Ambivalenz der Zweireichelehre in lutherischen Kirchen des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1976; U. Duchrow (Hg.), Zwei Reiche und Regimente. Ideologie oder evangelische Orientierung?, Gütersloh 1977; zu kritischen Darstellungen vgl. E. Wolf, Königsherrschaft Christi und lutherische Zwei-Reiche-Lehre, in: ders., Peregrinatio, Bd. H, München 1965, 207-229; ders., Sozialethik, ed. Th. Strohm, Göttingen 1975, 114-148 und 267-289; R. Ohlig, Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers in der Auslegung der deutschen Theologie der Gegenwart seit 1945, Bern-FrankfurtlM. 1974; G. Jacob, Weltwirklichkeit und Christusglaube. Wider eine falsche Zweireichelehre, Stuttgart 1977; M. Honecker, a. a. O. (Anm. 226); ders. / S. Grundmann, Art. Zwei-ReicheLehre, in: EStL 21975, 2992-3004. - 1946 hat die Kanzlei der EID eine Preisarbeit über das Thema ausgeschrieben: ,.Ist die Lehre von den beiden Reichen Luthers schriftgemäß, a) in ihrer Anwendung auf die Reformationszeit; b) in ihrer Anwendung auf die
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Schrift mit der theologischen Grundbegrifflichkeit und Denkwelt Luthers braucht hier nicht weiter gehandelt zu werden, denn dazu findet sich bei Duchrow die beste durchsichtige und differenziene Darstellung282 • Für unsere Zwecke muß dagegen jetzt gefragt werden, wie die skizzierten überzeugungen Luthers im Blick auf konkrete Fragen von Krieg, Wider~ stand, Aufruhr und dergleichen zu praktischer Bedeutung gelangten. 4.2. Christ und Krieg
Gewaltgebrauch durch Christen, so haben wir gesehen, ist nach Luther nur erlaubt umwillen des Nächsten und ~um Zwecke der Sicherung von Recht und Frieden. Aber mit deranigen auslegungs bedürftigen Zweckformeln ist wenig gewonnen, denn wer würde, wenn er Krieg fühn, nicht edelste Absichten geltend machen28l ? Man muß also noch etwas genauer zusehen284 • Schon in der Obrigkeitsschrift hatte Luther kurz ausgeführt, daß es für niemanden eine Berechtigung zum Kriege gebe, der selbst einem Höheren untenan sei, während unter Gleichen zunächst Recht und Frieden anzubieten, also Verhandlungen zur einvernehmlichen Streitschlichtung zu führen seien, und erst im Falle ihres Scheitems Gewalt gegen Gewalt Abhilfe schaffen dürfe285 • In einem solchen Kriege hätten die Christen ihren Gehorpolitische Situation des 20. Jahrhunderts?« Lt. Ohlig, 20, hat nur H. Diem die Frage bearbeitet - und schon im Ansatz umgeformt: .Luthers Predigt in den zwei Reichen« . (ThExNF 6), München 1947. 282 A. a. O. (Anm. 4), 486-494. Auch Ohlig (vorige Anm.) setzt Luthers Rede von den zwei Reichen in Beziehung zu anderen wesentlichen theologischen Unterscheidungen, vor allem der von Gesetz und Evangelium (41-85). Ohlig, der sich vor allem mit Althaus, EIert, J. Heckel und Künneth kritisch auseinandersetzt, kommt zu dem Resultat, daß der logisch-methodische Status der Lehre und besonders ihr multivoker Gesetzesbegriff nie befriedigend geklärt worden seien (185); allerdings hat er Duchrows Buch kaum berücksichtigt (vgl. Anm. 23 bei Ohlig). 283 Auch das den »Ideen von 1914« zuzurechnende Buch von W. Walther, Deutschlands Schwert durch Luther geweiht, Leipzig 1914, beginnt auf den ersten Seiten: .Nur wenn der Krieg als Pflicht der Liebe verstanden werden kann, darf von seiner Berechtigung auch für den Christen die Rede sein« (5). Und wenig später: .Ist es nicht, als hätte Luther unser Kaisers Ziele gezeichnet?« (24) 284 Dazu sind aus der .Lit. lehrreich H. Jordan, Luthers Staatsauffassung (1917), unveränderter Neudruck, Darmstadt 1968, 72 H. u. 152 H.; H. Kunst, Martin Luther und der Krieg, Stuttgart 1968; ders., Evangelischer Glaube und politische Verantwortung, Stuttgart 1976, 171-190; H. Lamparter, Luthers Stellung zum Türkenkrieg, München 1940; J. Richter, Luthers Gedanken über »gerechten Kriegl', in: EvTh 20, 1960,125-142. Vgl. jüngst auch K. G .. Steck, Luther-ein Sympathisant der Gewalt? in: WPKG 67,1978,558-565. Die bei Wolgast (19) erwähnte Haller Diss. von E.Neuß, Luthers Stellungnahme zu den Kriegsfällen seiner Zeit (1971), war mir bisher nicht zugänglich. 285 WA 11,276, 27 H. Weitere Belege für die römisch-rechtliche Formel .vim vi
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samspflichten zu genügen, es sei denn, der Fürst sei zweifelsfrei im Unrecht; dann gelte die clausula Petri286 • Präzisiert hat Luther seine Auffassung drei Jahre später in der Schrift ,.Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können« 287, die er seinem ,.günstigen Herrn und freunde«, dem Oberst Assa von Kram, widmete288 , der ihre Abfassung durch entsprechende Anfragen veraniaßt hatte. Von Kram war selbst an der Nied~rwerfung der Bauern beteiligt gewesen und hatte diese Ereignisse wohl als harte Gewissensprüfung wahrgenommen289 • Für Luther ist nun das Kriegführen ein unabdingbarer Teil der von Gott eingesetzten obrigkeitlichen Gewalt, und es verhält sich zu Recht und Frieden wie die Tätigkeit des Chirurgen zur Gesundhei~90, Der Krieg gehört wie die Krankheiten des Körpers zu den infralapsarischen Strukturen dieser Welt und erscheint stets sowohl als Werk des Teufels wie als Strafe Gottes291 • Erst innerhalb dieser theonomen Einklammerung jedes Kriegsgeschehens bis ans Ende aller Tage292 finden dann die näheren Unterscheidungen legitimer Kriegsgründe ihren Ort, deren Grundsatz das Verbot nicht nur des Angriffs-, sondern auch des Präventivkrieges bildet: ,.wer krieg anfehet, der ist unrecht... 291 Nur ein Verteidigungskrieg ist zulässig, der den übeltäter S~9\ den Frieden wiederherstellt und insgesamt an der Verhältnismäßigrepellere licet« bei Luther gibt J. Heckei, Lex Charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, hg. v. M~ Heckel, Köln-Wien 21973, 116 m. Anm. 596 und 298 m. Anm. 1452 f. 286 Vgl. Dörries, a. a. O. (Anm. 148), 126 ff. u. 130 m. Anm. 29, wo Dörries auf den weiten Geltungsumfang von Act. 5,29 nach Maßgabe von CA 16 aufmerksam macht, wenn es ganz allgemein heißt: ,.Itaque necessario debent christiani oboedire magistratibus suis et legibus, nisi cum iubent peccare ... « CA 16 enthält also schon die Spannung von iure bellare und clausula Petri! 287 WA 19, 623-662. 288 Die Tagungsstätte der ev. Militärseelsorge in Hwsa Dei Bad Hersfeld ist nach diesem Soldaten benannt. 289 Richter, a. a. O. (Anm.284), 131. 290 Der Vergleich Arzt - Soldat bedeutet, wenn mah ihn ernst nimmt, eine entscheidende Eingrenzung aller Kriegsmöglichkeiten und -mittel. Diese Konsequenz hat Luther freilich nicht gezogen; vgl. Richter, a. a. O. (Anm. 284), zu Luthers Stellung zu den neuen Feuerwaffen (134 m. Anm. 34): ,.des Teufels in der Hölle eigenes Werk« (Luther)! 291 Wolgast, a. a. O. (Anm.227), 55; Richter, a. a. O. (Anm. 284),135. 292 In der »Heerpredigt wider den Türken« (1529), WA 30, 2, 160-197, überträgt Luther die apokalyptische Geschichtsschau des 7. Kapitels des Danielbuches auf den unmittelbar bevorstehenden türkischen Vormarsch auf Wien; vgl. Lampartet, a. a. O. (Anm. 284), 22. 293 WA 19, 645, 9. 294 Diese häufig von Luther betonte Straffunktion, die den Krieg mit der Kriminalstrafe parallelisiert (ebd., 628, 23 ff.), reicht m. E. weiter als Wol~st (56) annimmt,
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keit der Mittel orientiert ist. Mit diesen Bestimmungen bewegt sich Lutber ganz auf der Linie der ciceronisch-augustinisch-thomasischen.Lehre vom bellum iustum, und diese Tradition hat durch CA 16 für deI!- Protestantismus normative Geltung gewonnen: ..iure bellare, militare., also ..rechte Kriege führen, streiten.. 2'5 gilt als anerkanntes Recht der legitimen politischen Gewalten. Sieht man genauer zu, so läßt sich freilich im Detail zeigen,"daß die Reformatoren trotz ihrer Ablehnung des Pazifismus der ..Schwärmer.. oder Humanisten im allgemeinen zu einer eher einschränkenden Auslegung des ,.iure bellare. neigten, in bezug auf den besonderen Fall des Türkenkrieges sich jedoch zu ausgesprochen m;utialischen Ratschlägen hinreiß·en ließen, wie sie Lutber etwa 1529 gab. Dennoch gilt grundsätzlich - 'und dies im Gegensatz zu den größten Teilen der kirchlichen Tradition< daß. ~ Religionskrieg niemals ein gerechter Krieg sein kann296, denn als Christ, fÜr sich selbst, könne und müsse man dem Türken weichen297 .. Nach den Erfahrungen des Bauernkrieges und im Zuge der schärferen Profilierung der Lehre von den zwei Regimenten erscheint dann aber der Krieg ·gegen die Türken einerseits als gerechter Krieg im Sinne der der Obrigkeit aufgetragenen Verteidigung zum Schutz und Nutzen der Bürger, andererseits zwar nicht als offensiver Glaubenskrieg, wohl aber als eine solche endzeitLiche Kriegserscheinung, ,.das nach dem Türcken flugs das gericht und die helle folgen sol.298. Als endzeitliche Katastrophe des unmittelbar bevorstehenden Endgerichtes sprengt dieser Krieg jegliche Verhältnismäßigkeit der Mittel: es scheint ja so zu sein, daß, wer sich unterfängt, das Ende aller bisherigen Geschichte in einem letzten Krieg zu diagnostizieren (sei es gegen den Antichrist, sei es später gegen die Bourgeoisie), aus der Logik der Sache sich dazu gedrängt sieht, die das Kri,egsgeschehen eingrenzenden Bestimmungen der Lehre vom gerechten Kri~g über Bord zu werfen - mit de~ Ergebnis wenn er meint, der einzig vertretbare Krieg folge dem ,.Prinzip der Besitzumkehr«, denn dieses Prinzip - vim vi repdlere licet - entstammt dem Privatrecht; so Wolgast selbst, 156 f. 295 ,.De rebus civilibus docent, quod legitimae ordinationes civiles sint bona opera Dei, quod christianis liceat gerere magistratus, exercere iudicia, iudicare res ex imperatoriis et aliis praesentibus legibus, supplicia iure constituere, iure bellare, militare, lege contrahere, tenere proprium, iurare postulantibus magistratibus, ducere uxorem, nubere« (CA 16). 296 W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Bd. 1, Gütersloh 1976, bemerkt zu CA 16: ,.Ein Krieg, der im Namen des christlichen Glaubens geführt wird, ist an sich ein Unrecht. Diese Behauptung annulliert nicht nur die mindalterliche Kreuzzugsidee, sondern ist auch ein Verdammungsurteil über die rdigiös gefärbten Ideologien, mit denen die Neuzeit ihre Kriege begründet hat« (152). ." 297 Wenige Jahre zuvor hatten Luther und Mdanchthon noch den Türkenkrieg glan abgdehnt; vgl. Maurer, ebd., 150 f.; Kunst, Evangdischer Glaube (Anm. 284), 180. 298 WA 30, 2,162,25 f.
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brtit"a1ster, ...let~tel'~ "Mittel zur Gegenwehr um jeden Preis bei einer Verteidigung~strategi~ der verbrannten Erde: ,.Ich wolt wündschen (wo uns unser sunde für Got so viel witze und mut lissen) das alle Deudschen so gesinnet weren, das sich kein .flecklin noch dörfflin plundern noch weg ruren liessen vom Türcken, Sondern wenns zu" solchem ernst und not kerne, das sich werete was sich weren kund, iung und alt, man und weib, knecht und magd, bis das sie alle erwürget würden, dazu selbs haus und hoff abbrenneten und alles verderbeten, das die Türcken nichts fünden, denn Junge kindlin, welche sie doch on das spiessen und zu hacken, wenn sie uns lebendig wegfüren, und wir den selbigen doch nicht helffen können, Und das solehs geschehe mit vorgehendem gebet zu Gon, darynn sie alles seiner gnaden befolhen und als ym gehorsam der öberkeit wie droben gesagt. Es were yhe besser, das man den Türcken ein leer land liesse denn ein volles, Und wer weis, was solche" thurst schaffen würde bey den Türcken? Werden wir weggefurt, so haben wirs viel erger, denn so wir erwürget werden, wie droben gehöret, Und ist grosse fahr, das wir ynn der Türckey vom Christlichen glauben zum" Türckischen glauben fallen würden, zum teuffel ynn die helle hinein."m
Hier wird der Kriegsgegner in der Sicht einer apokalyptischen Eschatologie, die im Besitz prophetischer Erkenntnis um die letzten Geheimnisse der Geschichte zu wissen meint, zum letzten Feind, gegen den sich zur Wehr zu setzen auch um den Preis des eigenen Unterganges geboten ist. Diese apokalyptische Sicht greift hinaus über die irdische Geschichte, die der Schauplatz begrenzter Kriege und gefährdeten Friedens ist, und an die Stelle des nie einfach vemunftlosen »gerechten Krieges« tritt der totale, weil letzte Krieg. Aber abgesehen von diesem extremen Fall, den man zudem auf dem Hintergrund zeitgenössischer Endzeiterwartungen sehen muß, hat Luther stets für die Begrenzung militärischer Feindseligkeit plädiert und sich gelegentlich, wie in der Wurzener Fehde (1542), selbst aktiv um Vermittlung bemüht'OO und dabei, unter Berufung auf ~öm. 12,19, betont, daß er auf der Seite dessen stehen werde, der sich nicht zum Rächer in eigener Sache mache ,ol • Damit tritt wieder die ursprüngliche Intention, das Fehdeunwesen einzuschränken, in den Vordergrund; ihre Artikulation geht freilich nicht über die tradierte Auffassung vom gerechten Krieg hinaus, und eine andere als eine polemische Auseinandersetzung der Reformatoren mit dem täuferisehen Gewaltverzicht ist mir nicht bekannt'02 • 299 WA 30, 2, 183, 18 ff. Zum Türkenkrieg vgl. auch Kunst, Martin Luther und der Krieg (Anm. 284), 27-39; Bornkamm, a. a. O. (Anm. 256),519-526. 300 Vgl. Kunst, ebd., 43-50. 301 Der Bedeutung von Röm. 12,19 als einer grundlegenden Maxime Luthers gegenüber allen Gewalthandlungen ist nachgegangen G. Maron, ,.Niemand soll sein eigner Richter sein«. Eine Bemerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg, in: Luther 46, 1975,60-75. 302 CA 16 formuliert bekanntlich lapidar: ,.Damnant Anabaptistas, qui interdicunt haec civilia officia christianis .• Müssen die Kirchen Augsburgischen Bekenntnisses
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Es sei hier noch kurz ein Blick in die Bekenntnisschriften geworfen303 • Ich habe schon erwähnt, daß die Lehre lOde rebus civilibus« in CA 16304 begrenzt wird durch die clausula Petri, andererseits aber die - heute noch gültige, in jeder Ordination bekräftigte?? - Verwerfung der Wiedertäufer enthält (qui interdicunt haec civilia officia christianis). Von Apol. 16305 her (de ordine politico) wäre zu erwägen, ob die Verwerfung gegebenenfalls so zu interpretieren sein könnte, daß sie sich nur auf das täuferische ,.interdicerec, also gleichsam auf eine absolut-rigoros ,.gesetzlich« verstandene Norm bezieht, der gegenüber allein ein ,.licet« der Freiheit des christlichen Glaubens entsprechen kann, ohne daß daraus ein .. debet«, eine zeitlose Notwendigkeit und strenge Pflicht, abgeleitet werden dürfte. Zuerst und vor allem besteht die Aufgabe, die Obrigkeiten auf ihre lebensfördernde Absicht und Gestalt306 hin zu prüfen, sie gegebenenfalls zu ermahnen, dann auch dankbar anzuerkennen. An den Maßstäben einer derartigen Prüfung, also an genaueren Unterscheidungsgesichtspunkten für die Legitimität der Beteiligung von Christen an obrigkeitlicher Schwertgewalt, zeigen sich die Bekenntnisschriften freilich auffallend wenig int~ressiert307; nicht nur eine differenzierende Kasuistik, sondern auch eine Gewichtung einzelner Rechtsvorstellungen diese damnatio heute nicht verweden, bevor die Frage einer Anerkennung der CA durch die römische Kirche aktuell wird? (Vgl. auch oben, Anm. 286). 303 Vgl. auch H. G. Pöhlmann, Das Problem Gewalt und Gewaltlosigkeit im Uneil der Reformation, in: Greifenstein, a. a. o. (Anm. 1),41-70. 304 Vgl. dazu W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Bd. 1, Gütersloh 1976, 124-142, der die Ursprünge von Lumers und Melanchmons Ordnungsdenken in ihrem Verständnis der Hl. Schrift aufsucht. 305 " ... liceat christiano gerere magistratus, exercere iudicii!- ex imperatorüs legibus seu aliis praesentibus legibus, supplicia iure constituere, iure bella gerere, rnilitare etc... (BSLK, 307; Hvhbg. W. L.). Auch die Konkordienformd verwidt die Meinung der Wiedenäufer, ein Christ könne kein öffentliches Amt bekleiden (officio magistratus fungi non possit), ohne dies aber positiv zu fordern (BSLK 824; vgl. auch die Solida Declaratio, BSLK 1095). An beiden Stellen wird freilich zugleich die Todesstrafe (supplicium capitalelcapitis) anerkannt. - Im Blick auf CA 16 und Apol. 16 ist ferner zu bedenken, daß Krieger zu sein ein ..Sta!}d.. war (agricultura - Nährstand; militia Wehrstand), dem auch ein spezifisches Standesemos eigen war, daß insofern .die ethischen Fragen unter Voraussetzung der allgemeinen Wehrpflicht heute in einem z. T. völlig anderen Rahmen stehen. Näher dazu Maurer, Bd. 1, a. a. O. (Anm.304), 157-160. 306 ,.Legitimae ordinationes civiles sint bonae creaturae Dei et' ordinationes divinae... (Apol. 16, ebd.). 307 So E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München· 31948, 324; noch schärfer im Urteil W. Trillhaas, Der Beitrag des Lumenums zur heutigen Sozialethik, in: Glaube und Gesellschaft. Beiträge zur Sozialethik heute, hg. v. LWB, Stuttgan-Berlin 1966, 59-79 (69), der die einseitige Betonung der Polizeigewalt kritisien.
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sucht man vergebensJ 08• Gott läßt die Menschen Gesetz, Ordnung und Stände so ,.brauchen« wie Arzneien, Luft und Wassere', und insgesamt hat man sich zu schicken in Gesetz und Ordnung, wie diese nun einmal sindJ10 • Die bei Luther in der Unterscheidung der Reiche und Regimente ebenso wie in seiner Naherwartung begründete grundsätzliche Distanz und Kritik gegenüber aller weltlichen Macht und Gewalt tritt hier völlig zurück, wenngleich das gegen das Fehdewesen :zielende Verbot der Privatrache erneut eingeschärft wirdJII • Im Grundsätzlichen kommen hier jedoch, soweit ich sehe, keine neuen Gesichtspunkte zum Tragen, obwohl eine eingehendere Interpretation natürlich stärker differenzieren könnte und müßte, als dies für die begrenzten Ziele dieser Untersuchung erforderlich ,ist. Immerhin seien drei mir wichtig erscheinende Desiderate vermerkt: erstens wäre es lohnend, die Auffas~ungen Luthers und Melanchthons schärfer zu kontrastieren, um so die je besonderen Beziehungen zur Hl. Schrift, zur aristotelisch-scholastischen Tradition und nicht zuletzt zur Rechtsüberlieferung zu erhellen; zweitens wäre die genauere Entwicklung ihrer Positionen zu verfolgen; und drittefo, wäre es gerade im Blick auf Luther angezeigt, seinem Gewaltverständnis in Predigten und vor allem im Großen Katechismus weiter nachzugehen. Er hat nämlich im Katechismus die Aufgabe jeder weltlichen Obrigkeit in der Auslegung des 4. Gebotes aus dem elterlichen Amt entwickelt't2 und die Obrigkeit zum ,.Vaterstand.. (parentum ordo) gerechnet'tJ, also die politische Ordnung und 308 Apo!. 4,7 betont die übereinstimmung von natürlichem Gesetz und Dekalog (BSLK 160), und in Apo!. 16,3 und 5 finden sich diese klassischen Formulierungen: ,.Nec fert evangelium novas leges de statu civili, sed I'raecipit, ut praesentibus legibus obtemperemus, sive ab ethnicis sive ab aliis conditae sint, et hac oboedientia caritatem iubet exercere. (...) Nam evangelium non dissipat politiam aut oeconomiam, sed multo ,magis aprobat, et non solum propter poenam, sed etiam propter conscientiam iubet illis parere tamquam divinae ordinationi« (BSLK 308). ' 309 Auch Apo!. 16 verbindet das Verbot der Privatfehde unter V~rweis auf Mt. 5,39/Röm. 12,19 mit der legitimen ,.Rache und Strafe« von seiten der Obrigkeit: ,.iam publicae vindictae species sunt iudicia, supplicia, bella, militia« (BSLK 309). 310 Lucher hat dagegen die Gesetzgebungskompetenz der obrigkeitlichen Gewalt anerkannt, damit, wie schon im Spätmittelalter (vgl. Gagner; Anm. 104), die Geltung des historischen Rechts gelockert (vgl. Scharffenorth, a. a. 0., Anm. 233, 72) und daraus die Konsequenz einer eingehenden Rechtsunterweisung gezogen, wie sie bes. im ,.Magnificat« von 1520121 vorliegt; dessen volle Bedeutung hat wohl erstmals G. Scharffenorth hervorgehoben (74--84, sowie Exkurs I im Anhang). 311 ,.Privata vindici:a non consilio, sed praecepto prohibetur Match. 5 et Rom. 12.« Apo!. 16,7 (BSLK 309). 312 BSLK 596 ff. 313 Ebd., 599. Im Vateramt haben letztlich für Lucher alle Stände und Ämter ihren Ursprung und Grund; vgl. dazu W. Maurer, Luchers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund (SB Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Jg. 1970,4,4), München 1970, 7 ff.
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Gewalt ganz aus der Perspektive des ,.Hauses« bestiJ]lJIlt314 • Darin äußert sich eine Wahrnehmung politisch-sozialer Strukturen, die sehr stark dem Umkreis solcher bäuerlich-kleinadliger und kleinstädtischer Verhältnisse und Vorstellungen verhaftet ist, wie sie O. Brunner ebenso plastisch wie begriffsgeschichtlich reflektiert beschrieben hatl15, die aber zum frühneuzeitlichen, absolutistisch regierten Territorialstaat in wachsende Spannungen geraten und unter dem Druck neuzeidicher Produktionsverhältnisse vollends zerstört werden mußten. Dieser Sachverhalt bildet eine nicht leicht zu nehmende Warnung vor allen Versuchen, Luthers materiale Urteile unvermittelt auf andere Kontexte oder gegenwärtige Probleme zu übertragen. 4.3. Aufruhr und Widerstand
Es ist erforderlich, noch einige Hinweise anzuschließen auf die Beurteilung zweier weiterer Erscheinungsformen politischer und sozialer Gewalt durch Luther, um unsere Skizze dieses Gewaltverständnisses abzurunden. Dabei .wende ich mich, entgegen der chronologischen Abfolge, zuerst der Erörterung des Widerstandsrechts zu und erst danach der Gewaltfrage im Bauernkrieg. Ich wähle diese Reihenfolge, weil ich meine, daß im Rahmen des Bauernkrieges neue Gewalterfahrungen ausgesprochen werden, deren weiter reichende Bedeutung erst späteren Zeiten bewußt werden konnte. Die Frage des Widerstandsrechtes316 wurde für die Reformation nach dem Bauernkrieg besonders seit den sog. ,.Packschen Händeln« und im Zusammenhang mit der Bündnispolitik der einzelnen Fürsten ood St~de nach dem zweiten Speyerer Reichstag aktuell. Zwischen 1528 und 1531 bilden die deutschen Reformatoren ihre grundlegenden überzeugungen in dieser Frage aus, deren Wirkungs geschichte bis in die un~ttelbare Gegenwelt reicht. Aber die heutige Zitation Lutherscher dicta probantiaenthält oft ein hohes Maß an hermeneutischer Willkür. Darüber kann und muß man sich klar werden, indem man sich die theologische, und clas heißt der Hl. Schrift 314 Dies betont auch SchIink, a. a. o. (Anm. 307),322 f. 315 Das "ganze Haus« und die alteuropäische ,.ökonomik« (1950), in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 11968, 103-127. 316 Aus der älteren Lit. vgl. immer noch K. Müller, Luthers Äußerungen über das Recht des bewaffneten Widerstandes gegen den Kaiser (Abhdlg. d. Kgl. Bayer; Ak. d. Wiss., Phil.-hist. Kl.), München 1915; von den neueren Arbeiten vgl. vor allem J. Heckel, Widerstand gegen die Obrigkeit? pflicht und Recht zum Widerstand bei Martin Lutber (1954), u. a. in: KaufmannlBackmann, a. a. O. (Anm. 148), 114-134; ders., Lex Charitatis (Anm. 285), 246-255 u: 295-306 u. 426-433; H. Dörries, Luther und das Widerstandsrecht, in: ders., a. a. O. (Anm. 148), .195-270; und Wolgast, a. a. o. (Anm. 227), passim (bes. die Fallstudien). Nachweis der übrigen Lit. bei Heckel, 295 m. Anm. 1441.
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abgewonnene Begründung der ,.ethischen" Urteile Luthers bewußt macht. Vor allem ist nämlich neben dem schon erwähnten gesellschaftlichen Strukturwandel zu bedenken, wie sehr Luther immer überzeugt war von der letzt gültigen Theonomie allen irdischen Geschehens, daß also Gott selbst Herr jeden Augenblicks und jeder geschichtlichen Stunde sei und, wenn auch verborgen sub contrario, in der Kontinuität seines Schöpferwirkens alle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ganz in seiner Gewalt hat. E. Wolgast hat daher. von Luthers Kairos-Denken gesprochen3l7, und W. Maurer hat denselben Sachverhalt vor Augen, wenn er in seinem CA-Kommentar schreibt: »Die auf Erden die Gewalt haben, bestimmen nicht die Geschicke, das ist die Grundlage von Luthers Obrigkeitslehre; und darin ist sie verschieden von allen antiken und modernen Staatstheorien.,,318 Erst in dieser - in sachlichem wie zeitlichem Sinn - eschatologischen Klammer ist dann die Rede von menschlichem Handeln und irdischer Verantwortung als Ausdruck des geschöpflichen Mitwirkens an der göttlichen creatio continua zu verste.hen3\9. Aus dieser Grundorientierung folgt, daß für Luther die aristotelische Tyrannislehre und ihre Weiterbildung in der Stoa, im Naturrecht und in römischrechtlichen Traditionen nicht primär entscheidend sein können, schon gar nicht in Glaubenssachen. Vielmehr liegt der tiefere Grund seiner Aufrufe zur Gewaltlosigkeit und seiner Verwerfungen allen Aufruhrs und Widerstandes darin, daß er Gott im freien Wort des Evangeliums 'am Werk weiß, so daß jede menschlich-gewalttätige Einmischung dieser reinen Gewalt des Wortes nur abträglich sein kann. In der kleinen Schrift ~Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung" (1522)320, abgefaßt ;.
317 A. a. O. (Anm.227), .33-40. Aus diesem Kairos-Denken resultiert die Luther eigentümliche Ergebenheit in den Willen Gottes, die, bes. im Kontext von De servo arbitrio, so sehr einem erkenntnistheoretischen Detenninismus und einem geschichtsphilosophischen Fatalismus nahezukommen scheint. In Sachen Türkenhi1fe hat Luther daher den Ratschlag ..auff Gottes gnaden ym tunckel hinein« fahren formulieren können; zit. Wolgast, 35. Vgl. auch C. G. Schoenberger, Luther and the Justifiability of Resistance to Legitimate Authority, in: Journal of the History of Ideas, 40, 1979, 3-20; Selbsthilfe ist ,.lack of faith in Providencec (6). 318 A. a. O. (Anm. 304), 131;vgl. auchebd.,126 f. u. ö . .,..Auch an diesem Punkt gibt es eine untergründige Verbindung Luther-Barth, die über beider Kohelet-Exegese vennittelt ist; zu Luther vgl. WA 20, 58 ff. (1532) sowie E. Wölfel, Luther und die Skepsis, München 1958; bei Barth vgl. die Funktion der Kahelet-Zitate im Tambacher Vortrag: Der Christ in der Gesellschaft, in: Anfänge, a. a. O. (Anm. 281), 3-37. 319 Zu diesem cooperatio-Gedanken vgl. K. O. Nilsson, Simul. Das Miteinander von Göttlichem und Menschlichem in Luthers Theologie, Göttingen 1966; und wieder Duchrow, a. a. o. (Anm. 4),512 ff. (bes. die Auslegung von De servo arbitrio, WA 18, bes. 754, 1-16). 320 WA 8, 676--687.
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nach dem kurzen, heimlichen Besuch in Wittenberg im Dezember 1521 321 , schärft er darum ein: ,.Wilche meyne lere recht leßen unnd vorstehenn, die machen nit auffruhr. Sie habens nit vo myr gelernet.«322 Grundsätzlich gilt nämlich: ,.Denn auffruhr hat keyn vornunfft und gehet gemeynicklich mehr ubir die unschuldigen denn ubir die schuldigen. Darumb ist auch keyn auffruhr recht, wie rechte sach er ymer haben mag. Und folget alletzeyt mehr schadens den besserung dar ausz. Damit erfullet wird das sprich wort: ,Ausz ubel wirt ergers.< Der halben ist die ubirkeyt und das schwerd eyI,lgesetzt tzu straffen die boszen und tzu schutzen die f=,en, das auffruhr vorhuttet werde, wie S. Paulussaget, Ro. XIII und 1. Pe. 11. Aber wen Er omnes auffstehet, der vonnag solch .unterscheyden der boszenn und frumen wydder treffen noch halten, schleget yn den hauffen, wie es trifft, und kan nit on grosz greulich unrecht tzu gehen. Darumb hab acht auff die ubirkeyt, so lange die nit tzu greyfft und befilhet, szo haldt du stille mit hand, mund unnd hertz und nym dich nichts an, kannstu aber die ubirkeyt bewegen, das sie angreyffe und befelhe,szo magistu es thun, will sie nicht, szo soltu auch nit wollen, feristu aber fort, szo bistu schon ungerecht unnd vill erger den das ander teyll. Ich halt und wills alletzeyt halten mit dem teyl, das auffruhr leydet, wie unrechte sach es ymer habe, und wydder seyn dem teyll, das auffruhr macht, wie rechte sach es ymmer habe, darumb das auffruhr nit kan on unschuldig blutt odder schaden ergehen. Zum dritten, szo ist auffruhr vonn gott vorpottenn, da er sagt durch Mosen: ,Quod iustum est, iuste eXequaris. Was recht ist, soltu mit recht aussfurenn.<. Item ,die rach ist mein, ich will wydder gelten<. Da her kompt das ware sprichwort: ,Wer wydderschlegt, der ist unrecht<. Item ,niemant kan seyn eygen richter seyn<. Nu ist auffruhr nicht anders, denn selbs richten und rechen, das km gott nit leydenn, darumb ists nit muglich, das auffruhr nit solt die sach alletzeyt viIl erger machenn, weyll sie wydder gott unnd gott nit mit yhr ist."l23
Diese überzeugung, daß dem Christen in eigener Sache und vor allem in Glaubensfragen strikte Gewaltlosigkeit geboten sei, hat Luther nie aufgegeben324 und bekanntlich im Bauernkrieg mit teilweise erbarmungsloser Härte geltend gemacht. Hinzuzunehmen ist freilich auch die andere Seite, die darin besteht, daß dieser Verzicht auf Widerstanq kein schweigendes, muckerisches Dulden bedeutet, sondern nun allererst das Zeugnis der Wahrheit im Wort und notfalls im Leiden dringlich werden läßt, ,.denn es ist ein grosser unterschied zwisschen diesen zweien, Unrecht und gewalt leiden und dazu stille schweigen. Leiden sol man unrecht und gewalt, aber still schweigen sol
321 Vgl. Bornkamm, a. a. O. (Anm. 256), 46 ff. 322 WA 8, 681,19 f. 323 Ebd., 680, 17-681,5. 324 H. Bornkamm schreibt über die ..Treue Vennahnung .. : ,.Die wenigen gewaltigen Blätter enthalten Luthers Programm wider die Revolution und für eine organische Reformation durch das Evangelium.« A. a. O. (Anm.256), 47 f. Vgl. auch Ebeling, a. a. O. (Anm. 224), 586 f.
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man nicht. Denn ein Christen sol der Warheit Zeugnis geben und umb der Warheit willen sterben«325. Anders stellt sich indessen die Frage des Widerstandes, wenn man nicht den einzelnen Christen, sondern eine die protestantische Sache vertretende Obrigkeit beraten muß. Diese Problematik steht im Zentrum der mehrfach angeführten Arbeit von E. Wolgast; deshalb genügt hier ein knapper Hinweis. Wolgast zei~26, daß nicht nur Luther, sondern auch z. B. J. Brenz zunächst dahin tendieren, den Reichsständen, die sich der lutherischen Sache angeschlossen haben, jegliches Widerstandsrecht gegenüber dem· Kaiser abzusprechen. Neben den Gründ.en der Schrift (Dtn. 32,35; Mt. 5,39; Röm. 13,1; 1. Petr. 2,13) wird ferner betont, daß die Fürsten auch a1.Js der lehnsrechtlichen mutua obligatio kein Recht zu einer Zwangs gewalt gegenüber dem Kaiser ableiten können, denn für sie gilt Röm. 13 nicht weniger als für ihre Untertanen ihnen gegenüber. In einem von den Wittenberger Theologen erstatteten Gutachten vom März 1530]27 wird, entgegen den Erwartungen Kurfürst Johanns, ganz unmißverständlich ein Widerstandsrecht gegen den Kaiser verneint, und zwar aus theologischen (Röm. 13; Mt. 22,21; 1. Petr. 2), politischen (Gefahr der Anarchie) und juristisch-verfassungsrechtlichen Gründen, vor allem aber, weil der Christ in Glaubenssachen nur seinem eigenen Gewissen folgen und fUr sich selbst einstehen kann. Mit dieser Argumentation erkennen die Wittenberger den deutschen Territorialfürsten keine vom Kaiser unabhängige eigenständige pot~stas zu, wie sie de facto teilweise schon bestand und das künftige Schicksal der Reichsverfassung darstellte. Allein die Möglichkeit, daß die Fürsten den Kaiser absetzen könnten, taucht als ein rechtlich denkbarer Ausweg jenseits von Gebet und Leiden aup28. Aber wird dieser Ratschlag der inzwischen entstandenen Lage und den Erfordernissen des Amtes eines Fürsten in einem evangelisch gew;ordenen Territorium noch gerecht? Kann man ernstlich raten: ,.lasse dem keiser land und leute offen stehen als die seinen, und befeIhe die sachen Gott«]2'; um nur dann sich auf die clausula Petri zu berufen, wenn der Kaiser vom Fürsten verlangt, die Verfolgung der Evangelischen selbst zu exekutieren]]o? Luther hat sich damals in diesem Sinne ausgesprochen und damit letzdich auf staatlichen Schutz der Religionsausübung in einem Konfli~t mit der Obrig325 Wochenpredigt über Joh. 16-20 (1528/29), WA 28, 361,33 ff. 326 A. a. O. (Anm. 227),151. 327 Text bei Scheible (Anm. 99), 60-63. Dazu vgl. neben Wolgast, 154 ff., bes. auch D~rries, a. a. O. (Anm. 316), 209 ff. 328 Scheible (vorige Anm.), 61. 329 Ebd., 62. ' 330 Wolgast, 161.
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keit verzichtet. Macht man mit diesem Ansatz ernst, so bedeutet er eine strenge Trennung zwischen dem (theologisch gebotenen) Gehorsam und der (ebenfalls theologisch gebotenen) radikalen Unabhängigkeit des religiös gebundenen Gewissens: das Ende jeder Vermischung der beiden Reiche und jeglicher politischen Theologie. Nach dem Augsburger Reichstag wurde diese radikale und für die evangelischen Stände wenn nicht tatsächlich, so doch vermeintlich unhaltbare Positionll! modifiziert. Rechtsbelehrungen durch die Politiker und Juristenl32 veranlaßten die Wittenberger, ihr Urteil stärker auf die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten zu beziehen, denn die Politiker waren offenkundig nicht bereit, sich mit dem Verweis auf die göttliche Nothilfe ihre Kompetenz weitblickender politischer Vorsorge und juristischer Absicherung einschränken zu lassen333 • Nach Wolgast hat es Luther in den entsprechenden Verhandlungen nach wie vor abgelehnt, die Berufung auf das Naturrecht und das alte Prinzip »vim vi repellere licet,,334 seinem theologischen Urteil überzuordnen, und erst eingelenkt, als die Juristen ihm erklärten, daß es sich um ein -novum ius, ultra naturale, sed politicum et imperiale« handele335 • Wenn mithin das Gesetz, das Gehorsam gebietet und dem aus theologischen Gründen zu folgen ist, selbst Bestimmungen enthält, die zum Widerstand berechtigen, dann kann auch Widerstand Ausdruck des theologisch gebotenen Gehorsams sein'36. Damit aber wird die Frage des Widerstandes zur res profana und aus der unmittelbaren Zuständigkeit des Theologen teilweise entlassen, insofern die Rücksicht auf geltendes Recht selbst aus dem Gehorsamsgebot hergeleitet wird. Ein dritter Neuansatz des Nachdenkens wurde nötig, als ab 1536 die Möglichkeit sich abzeichnete, daß der Kaiser als Exekutor der Beschlüsse des anstehenden Konzils auftreten und damit gegenüber den Reichsständen 331 In der Alternative von Nachfolgeethos und Realpolitik tendiert Wolgast dazu, am Maßstab des politiscb für möglich Gehaltenen Luthers Ratschläge an die Gewissen zu kritisieren (160 f.); damit wird Luther nach einem ähnlichen Gesichtspunkt beurteilt, wie das Luthertum hernacb das (gewaltlose) Täufertum beurteilt hat. -Das Besondere war, daß ein Mann mit der Ethik der Märtyrerakten als die oberste Autorität reichsständiscber Politik des 16.Jahrhunderts dastand. '( ...) Damit untergrub er freilich seine eigene Autorität: denn so ging es eben einfacb nicht... So F. Kern, Luther und das Widerstandsrecht, in: ZRG 37, KA VI, 1916, 331-340 (339). ,.So geht es nicht« ist das Standard-Argument gegen alle ,.~chwärmer .. ! 332 Zu deren »zetel.. vgl. Heckei, Lex (Anm. 285), 299; Wolgast, 177. Text bei Scheible (Anm. 99), 63-66. 333 Wolgast, 176. 334 Vgl. oben Anm. Z85. 335 Wolgast, 176 (ebd. Zitat). 336 Zu diesem Syllogismus vgl. Wolgast, 178.
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positiv-rechtlich legitimiert sein könnte3J7• Damit war das Problem des Widerstandes in der causa fidei erneut aktuell geworden, doch nun äußerten sich die .Wittenberger Theologen dahingehend, daß der cura religionis 338 des christlichen Fürsten Priorität gegenüber dem Gehorsam zukomme, der dem Kaiser geschuldet wird339, denn wenn der oberste Herrscher im Reich sich ,.notoria iniuria« zuschulden kommen läßt, dann steht er zu den evangelischen Fürsten wie einst Licinius zu Konstantin, und analog sind diese »schuldig, offentliche abgotterey zu weren340 • Je länger, um so stärker gerät so die Widerstandsfrage in die Perspektive der eschatologischen Auseinandersetzung zwischen Papsttum und protestantischer Gegenwehr, und Luther, der lange Zeit allen Bündnissen ablehnend gegenübergestanden hatte341, verhält sich loyal zum Schmalkaldischen Bund. Ich 'habe diese drei Stadien der Urteilsbildung342 knapp skizziert, weil ich nicht sehe, daß sie auf ein einziges systematisch-schematisches Konzept zurückzuführen sein könnten. Denkt Luther anfänglich ganz vom Gewissen des Einzelnen her, der, wenn er nicht gewaltsam widersteht, den Weg des aktiven, d. h. von dem Zeugnis der Wahrheit bestimmten Leidens geht, so wandelt sich das Bild, sobald die Sorge für andere in die Entscheidung des Einzelnen einbezogen werden muß. H. Dörries343 hat dieses Problem als die Frage nach dem Verhältnis der Starken und der Schwachen zueinander, des Einzelnen und der Gemeinde reformuliert, und es ist leicht einzusehen, daß es auf diese Frage keine zeitlosen Antwor~en geben kann. Aber umgekehrt zeigen uns die Entwicklung des Urteils bei Luther und sein Zögern, sich den Erwartungen der kurfürstlichen Juristen anzubequemen, daß die Sorge ,.für andere« nicht zur Ausrede dafür werden darf, den gegebenenfalls erforderlichen konkreten Ungehorsam zu verweigern.
337 Ebd., 224 ff. 338 Vgl. dazu näher Heckel, Lex (Anm. 285), Anhang 11 (307-316). 339 Wolgast, 226. 340 Gutachten v. 6. 12. 1536, bei Scheible (Anm.99), 89-92 (91 f.); dazu auch Dörries, a. a. O. (Anm. 316), 237. 341 Vgl. Wolgast, 125-146. Luthers Skepsis gegenüber Bündnissen folgt aus seiner Auffassung der alleinigen Geschichtsmächtigkeit Gottes. Dathit steht teilweise im Widerspruch seine Anerkennung prophylaktischer Rüstung (Wolgast, 37. 117. 178), für die zu sorgen er zum Amt der Obrigkeit rechnet, wiewohl er zugleich häufig einschärft, hierauf nicht zu vertrauen. 342 Hinzu kommt der »apokalyptische Tyrann« (Heckel, Widerstand [Anm.316], 130 ff.; dazu kritisch Dörries, a. a. o. [Anm. 316], 242 m. Anm.), der schlechterdings jenseits von Recht und Ordnung seiner Zerstörungsmacht Bahn bricht, und dem jedem in den Weg zu treten erlaubt und geboten ist. 343 A. a. O. (Anm. 316), 268 f.
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4.4. Gewalterfahrung im Bauernkrieg
Die Frage nach der »Sorge für andere« führt unmittelbar in das Zentrum des Streites um die Stellung der Reformatoren zu Forderungen und :Kämpfen der Bauern am Anfang des 16. Jahrhunderts. Nach wie vor gehö~ der Bauernkrieg 1524-1526 zu den überaus kontrovers diskutierten Them~n der Reformationsgeschichte. Diese Situation könnte es geraten sein lassen, den ganz~n Komplex einfach auszuklammern, aber in e~er auch noch so unvollständigen Geschichte des Nachdenkens über Gewalt aus primär deutscher Perspektive wäre das eine schwer entschuldbare Lücke. So will ich wenigstens einige Bemerkungen zu diesem Problemkreis notieren - ganz ohne den Anspru!=h, die Forschungslage auch nur annähernd zu überblicken. Dabei behandle ich diese Fragen, entgegen der chronologischen Ordnung, erst an dieser Stelle, weil ich meine und zeigen zu können hoffe, daß im Bauernkrieg neue Erfahrungen im Umgang mit Gewalt und entsprechende neue Bedeutungs,komponenten im Sprechen über Gewalt zutage getreten sind. Jüngst hat das 450. Erinnerungsjahr des großen BaU:emkrieges eine ganze Reihe neuer Arbeiten zutage geförderr 44 • Man kann aber nicht sagen, daß dadurch Einordnung und Beurteilung dieser tiefen Zäsur im Zeitalter der Reformation einem künftigen Konsens näher gekommen wären; statt dessen ist die Notwendigkeit weiterer Differenzierungen durch Lokal- und Regionalforschungen nur dringlicher geworden, denn es hat sich beispielsweise gezeigt, daß es weniger den Bauernkrieg als vie1mehr eine Summe ,begrenzter Aktionen gab, und daß diese Ereignisse nicht ohne weiteres verallgemeinert werden können etwa zu der seit W. Zimmermann34S oft wiederholten These von der politischen Entmündigung des Bauern zugunsten der aufsteigenden Territorialherrschaften346• Darüber hinaus stand in den letzten Jahrzehnten 344 Von den deutschsprachigen Veröffentlichungen nenne ich nur P. Blickle, Die Revolution von 1525, München-Wien 1975; ders. (Hg.), Revolte und Revolution in Europa (HZ, B 4 NF), München 1975; B. Moeller (Hg,), Bauernkriegsstudien, Gütersloh 1975; H. A. Oberman (Hg.), Deutscher Bauernkrieg 1525, ZKG 85, 1974, Heft 2; H.-U. Wehler (Hg.), Der deutsche Bauernkrieg 1524-1526 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 1), Göttingen 1975; R. Wohlfeil (Hg.), Der Bauernkrieg 1524-26. Bauemkrieg und Reformation, München 1975. Im selben Jahr erschienen ferner eine Sammlung einschlägiger Aufsätze von Th.Nipperdey, Reformation, Revolution, Utopie, Göttingen 1975; sowie W. Eiliger, Thomas Müntzer. Leben und Werk, Göttingen 1975. 345 Geschichte des großen Bauemkrieges, 2 Bde. 21856. 346 Vgl. P. Blickle, Die politische Entmündigung des Bauern, in: ders., Revolte und Revolution (Anm. 344),298-312; vgl. aber auch in demselben Band K. H. Bunneister, Genossenschaftliche Rechtsfindung und herrschaftliche Rechtssetzung, 171-185. Zu den Territorialherrschaften vgl. als übersicht R. Sprandel, Sozialgeschichte 135~1500, in: Handbuch (Anm. 91), Bd. I, 36~382.
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vor allem der Zusammenhang der Bauernaufstände mit dem reformatorischen Aufbruch einerseits, der ,.frühbürgerlichen Revolutionc andererseits im Zentrum der Diskussionl47 • Diese Frage ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil der Nachweis sozialökonomischer ,.Ursachenc 348 dieser Aufstände einen Wandel in den primären Erscheinungsformen der Gewaltverhältnisse und ihrer Wahrnehmung und Beurteilung anzeigt. Dabei ist es hier gleichgültig, ob Verschlechterungen der wirtschaftlichen Lage, die Ausdehnung herrschaftlicher Rechtsetzung oder die Entwicklung der Papstkirche der primäre Anlaß von Protest und Widerstand waren - es genügt, daß dem Bedeutungsfeld des Begriffs obrigkeitlicher Gewalt nunmehr in spra,chprägender Weise ökonomische Gehalte zuwachsen. Die mittelalterlichen Lehren von potestas, imperium und auch dominium gravitierten um den Schwerpunkt der Konkurrenz von Herrschaftsbefugnissen und -ansprüchen, und violentia betraf vor allem die Mittel der Herrschaftssicherung, die als solche freilich auch Herrschaft zerstören konnten. Der Bauernkrieg, so vermute ich, verweist dagegen darauf, daß sich das Begriffszentrum gleichsam zu verlagern begonnen hat, indem spezifische sozialökonomische Strukturen jetzt als Gewaltverhältnisse in neuer Weise erfahren werden; diese Bedeutungsverschiebung im Wortgebrauch kann dann betrachtet werden als sensibler Reflex der tatsächlichen Umwälzungen und Erschütterungeri im sozialen Gefüge dieser Epoche. . Die Bauernaufstände 1524-26 erfolgten nicht aus heiterem Himmel. Ihne~ ging eine lange Zeit gewaldosen Aufbegehrens und des Verlangens' nach Reformen voraus, in der zahlreiche Bußprediger unter Berufung auf das gute, alte Recht349 dazu aufriefen, sich durch conversio cordis und patientia mentis 347 1933 erschien die 1. Auf!. von G. Franz, Der deuts,che Bauernkrieg, 'ND Darmstadt 71965; die für die neuere marxistische Forschung bahnbrechende Darstellung von M. M. Smirin, Die Volksreformation des Thomas Münzer und der Große Bauern~eg, wurde 1947veröffentlich~; deutsch BerlinIDDR 1952, 21956. Zur neueren Kontroverse und Konvergenz der Auffassungen vgl. R. Wohlfeil (Hg.), Reformation oder frühbürgerliche Revolution, München 1972; sowie die Einleitung bei Blickle.. Die Revolution von 1525 (Anm. 344), 9-19. 348 Unter "Ursachen« verstehe ich im Anschluß an Max Weber theoriegeleitete, hypothetische Relationsbestimmungen in historischen Möglichkeitsurteilen; vg!. den Aufsatz über "Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung,in der historischen Kausalbetrachtung«, in: Ges. Aufs. zur Wissenschaftslehre, Tübingen 31968, 266-290. 349 In seiner Auseinandersetzung mit Max Weber über die Frage, ob und wie modeme sozialtheoretische Kategorien auf Erscheinungen der Vergangenheit anwendbar seien, schreibt dazu 0. Brunner: "Die Auseinandersetzungen zwischen Bürgergemeinde und StadtherreJ;l und innerhalb der Bürgergemeinden und unzählige andere Kämpfe dieser Art im Mittelalter waren nicht Revolte oder Revolutipn im modemen Sinn, sondern Kampf um wirkliches oder vermeintliches Recht, Widerstand gegen
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auf das kommende Reich des Friedens und der Gerechtigkeit vorzubereiten150• Die neue Kunde von der ,.libertas Christiana« konnte anknüpfen an jene Bewegung, die die iura et libertates der Städte .gegen geistliche und weltliche Territorialherren151 erkämpft hatte und zu sichern suchte, und deren Wirkungen über die Stadtmauern weit hinausgingen152• Wie schon erwähnt wurde, ist es ja nicht so, daß die von der Reformation geltend gemachte evangelische Freiheit und Gottesgerechtigkeit doketisch in dem Sinne eingeschränktund mißverstanden worden wäre, als ginge es nur um den ,.inneren« Menschen und die Dimension coram Deq, sondern die neue Grundorientierung des Glaubens leitete zugleich zu verantwortlicher Beteiligung an den Aufgaben des weltlichen Regimentes an, und wir haben gesehen,. welche zentrale Bedeutung dabei in Luthers Sicht der Rechtswahrung zukam. Die Forderungen der Bauern standen also, wie oft hervorgehoben wurde, zunächst durchaus im Einklang mit diesem erneuerten Rechtsbewußtsein, das einzuschärfen und zu pflegen die Reformatoren nicht müde wurden151 • Die Unrecht.« Das alte Recht ..ist nicht gut, weil es alt ist, sondern alt, weil es gut ist«. o. Brunner, Bemerkungen zu den Begriffen "Herrschafte und ,.Legitimität«, in: ders., a. a. O. (Anm. 315), 64--79 (74 f.). Daß die ,.Legitimität« einer Gesamtordnung in Frage gestellt wird, ist wohl erst seit 1789 möglich. Seit dem Wiener Kongreß wird ,.Legitimitäte zu ein~m Grundprinzip des Völkerrechts; vgl. dazu Th. Würtenberger jun., Die Legitimität staatlicher Herrschaft. Eine staatsrechtlich-politische Begriffsgeschichte, Berlin 1973 (die Untersuchung geht auf die Reformation und ihre Folgen leider gar nicht ein, sondern springt von Ockham gleich zur spanischen Spätscholastik). Zum Legitimitätsprinzip der nachrevolutionären europäischen Ordnung vgl. A. Gauland, Das Legitimitätsprinzip in der Staatenpraxis seit dem Wiener Kongreß, Berlin 1971. - Die schönste Darstellung der im Zeichen der Legitimität angestrebten Humanität gibt das klassische Werk von G. Ferrero, Macht, Bem 1944. Es erschien, weil niemand in Europa es zu drucken wagte, zuerst auf Französisch im Jahre 1942 in New York mit dem Untertitel: Les Genies invisibles de la cite. Die deutsche übersetzung stammt von Franlrois Bondy.. 350 H. A. Oberman, Tumultus rusticorum: Vom ,.Klosterkriege zum Fürstensieg, in: ders., a. a. O. (Anm. 344), 157-172 (158 f.). Oberman weist darauf hin (159 m. Anm.7), daß Luther in seiner ..Treuen Vermahnunge von 1522 schon den Aufruhr voraussagte, der drei Jahre später losbrach (WA 8, 676, ~18). 351 Vgl. Sprandel, a. a. O. (Anm.346), 375 ff. Zur Entwicklung der städtischen Freiheiten vgl. auch o. Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: ders., a. a. O. (Anm. 315), 294-321; vor allem die Hinweise auf das ius episcopale der Bürgerschaft (307) und. die .. Bewaffnung der Bürger (in Hamburg bis 1868! - 302). 352 Gegenüber einer gewissen ,.Bauernromantik« (158) in der älteren Literatur betont Oberman (Anm. 350) die Gemeinsamkeiten von Stadt und Land in den neuen programmatisch~n Forderungen, z. B. der freien pfarrwahl (163 ff.). Zur Kritik an d~ Eingrenzung der Unruhen auf ,.Bauern« vgl. auch o. Rammstedt,.Stadtunruhen 1525, in: Wehler, a. a. O. (Anm. 344), 239-286. 353 Vgl. P. Althaus, Luthers Haltung im Bauernk.rieg (1925; 1927), Neudruck Darmstadt 1952, 24; Maurer, a. a. O. (Anm. 304),145 ff.
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,.Zwölf Artikel« der Bauernschaft vom März 1525 354 sind ein gemäßigtes Reformprogrammm und enthalten keinerlei Angriffe auf politische Herrschafts befugnisse. Aber in anderen zeitgenössischen Flugschriften finden sich nunmehr neue Töne, die ausdrücklich jene politischen und ökonomischen Wandlungen zum Gegenstand haben, welche spätestens seit dem Beginn des 15. Jh. dazu geführt haben, daß die ausgedehntere Wahrnehmung territorialer Hoheitsrechte die herkömmliche ökonomische Handlungsfreiheit der Einwohner erheblich schmälertem . P. Lucke, der als erster die Flugschriftenliteratur der Reformationszeit unter dem Gesichtspunkt des Wandels' im Gewaltverständnis interpretiert hat157, hat u. a. gezeigt, daß in diesen Äußerungen des ,.gemeinen Mannes« eine neue Sichtweise zur Geltung kam, die obrigkeitliche Macht und Gewalt nicht mehr als etwas schicksalhaft oder göttlich gewollt Gegebenes betrachtete, sondern begönnen hatte; hier zu differenzieren: cui bono? Abgesehen von Müntzer, auf den ich im Rahmen dieser Arbeit nicht einzugehen vermagl58 , läßt sich diese neue Sicht der sozialen Verhältnisse exemplarisch an einer Flugschrift .. An die Versammlung gemeiner Bauernschaft,,359 vim Anfang Mai 1525 zeigen, deren Verfasser 354 Text in: A. La\1be / H. W. Seiffert \1. a. (Hg.), FI\1gschriften der Bauemkriegszeit (Berlin/DDR 1975) Köln-Wien 21978, 26-31; auch in: K. Kaczerowsky (Hg.), Flugschriften des Bauemkrieges, Reinbek 1970, 9-14. 355 So schon Luther, Ermahnung zum Frieden (1525), WA 18, 298,3 ff.; vgl. Smirin, a. a. Ü. (Anm.347), 518; Bornkamm, a. a. Ü. (Anm. 256),318. Die ausführlichste
Interpretation der Zwölf Artikel bietet jetzt der erste Teil des Buches vonBlickle, Die Revolution von 1525 (Anm. 344). - Den Zusammenhang der Artikel mit der Reformation in Memmingen und den Autoren Schappeler und Lotzer erhellt die Studie von M. Brecht, Der theologische Hintergrund der Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben von 1525, in: überman (Anm. 344), 30-64. 356 Blickle, Revolution von 1525 (Anm.344), 131: ..Aus "der Polarität zwischen Gemeinde und Herr wurde ein Antagonismus.« 357 Gewalt und Gegengewalt in den Flugschriften der Reformation, Göppingen 1974. - Ausweislich des Literaturverzeichnisses bei Lucke hat diese literarische Gattung, in der erstmalig die Betroffenen ausgiebig zu Worte kommen, bisher erheblich mehr Aufmerksamkeit bei Germanisten als bei Theologen gefunden. Zur Forschungslage ebd., 59 ff. - Zu Möglichkeit und Schwierigkeit der Artikulation »von unten« vgl. auch die Studie von H. Fast, Reformation durch Provokation. Predigtstörungen in den ersten Jahren der Reformation in der Schweiz, in: H.-J. Goertz (Hg.); Umstrittenes Täufertum 1525-1975, Neue Forschungen, Göttingen 1975, 79-110. 358 Die Berücksichtigung Müntzers würde erfordern, seine Wahrnehmung von Gewalt in Beziehung zu setzen zum Verlauf des Bauemkrieges und zu der Gemengelage von lutherischen, mystischen und apokalyptischen Motiven in seiner Theologie, deren Verhältnis kontrovers diskutiert"wird; vgl. A. FriesenlH.-J. Goertz (Hg.), Thomas Müntzer, Darmstadt 1978; S. Bräuer, Müntzerforschung von 1965 bis 1975, in: Lutherjahrbuch 44,1977,127-141 und 45,1978,102-139 (bes. 126 ff.). 359 Text in: Laube/Seiffert (Anm. 354), 112-134, und in Kaczerowsky (Anm. 354), 143-168. Ich gebe jeweils beide Stellen. Die Edition von Kaczerowsky bringt den
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bis jetzt unbekannt ist. Hier werden eine Kritik der Gewalt und eine Begründung des Widerstandes vorgetragen, wie ich sie aus älteren Zeiten nicht kenneJ60 . Gegenstand der Schrift ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ,.empörung« rechtmäßig sei oder nicht. Der Ansatz liegt keineswegs fern von. Luther: der erste Abschnitt erinnert daran, daß der wahre Christ keiner Obrigkeit bedarf; der zweite Abschnitt betont ihre Notwendigkeit zum Schutz der Frommen und zur Strafe der übeltäter. Der dritte Abschnitt schärft die Pflichten aller Amtleute ,vom Bader bis zu Kaiser und Papst ein, denn sie alle sind ,.schaffner Gottese, ,.haußhaltere 361 • Wer dieses Amt ,.trewlich versichte, der ,.haist billich ain oberkayt, dann der ist ain redliche eerliche person, der ob ir haltenthut, darumb auch die schrifft in ain engel nennt, ja ein irrdisehen Gott«J62. Man ist der ,.gewalt oder oberkayt« schuldig, Steuern und Zoll zu zahlen, damit diese den sozialen Ausgleich befördern kann. Röm. 13,8 wird in diesem Sinne zugleich als Mahnung zur Steuerwilligkeit und zur Begrenzung der Steuerpflicht aufgefaßt (115, 151). Dabei wird nicht nur unterschieden zwischen dem Amt der Obrigkeit und den Personen, die es innehaben, sondern diese können jeden Standes sein - Schneider, Schuster, Bauern! Die Legitimität der Obrigkeit (wenn dieser Begriff verwendet werden darf) bemißt sich daran, daß diese der Rechtswahrung dient, und die Aufgabe der Rechtswahrung ·wird inhaltlich vor allem im Hinblick auf die Lage der sozial und ökonomisch Schwächeren bestimmt. Allen voran die geistlichen Gewalten werden der Ausplünderung des gemeinen Manpes beschuldigt (119, 153). Im fünften Abschnitt (119 H., 154 ff.) geht dann die Flugschrift endgültig über jene Grenze der ObrigkeitsTitelholzschnitt (143), der in der Mitte ein Glücksrad und rechts und links Bewaffnete zeigt und dazu erläutert: ,.Hie ist des. Glücksradts stund und zeyt / Gott wayst wer der oberist bleybt / Hie pawrßmann / gut Christen / Hie Romanisten und Sophisten / Wer meret Schwytz / Der herren.gytz.e Laube/Seiffert verweisen auf weitere Literatur (583). Das Glücksrad ist· ein altes Sinnbild (paganen Ursprungs?); Fortuna dreht es, und eine oder mehrere Gestalten klammern sich an ihm fest, ohne dem ewigen Wandel aller Dinge entgehen zu können. Die Figur taucht auch in mittelalterlichen Kathedralen auf und führt zu den Lotterierädem bis in die Gegenwart. 360 Zu dieser Flugschrift vgl. Lucke, a. a. O. (Anm.357), 99-109, und Brecht, a. a. O. (Anm. 355), 58-64. Seitenzahlen im Text beziehen sich auf die beiden genannten Editionen der Flugschrift. - Obwohl die Schrift wahrscheinlich nicht aus bäuerlichen Kreisen stammt und nicht repräsentativ iSt,. gehe ich auf sie ein, weil. sie eine neue Ebene der Behandlung der Widerstandsfrage eröffnet. .' . 361 ,.Dann das wort dominus fIeüst daher von dem .wörtlein domus, das hayst ain hauße (Laube/Seiffert, 115; Kaczerowsky, 150). 362 Ebd. Meint der "irrdische Gotte den Leviathan (Hi. 40,25; Ps. 74,14 u. ö.)? Sollte es Traditionslinien von apokalyptischen Vorstellungen des Mittelalters und. der Reformationszeit zu Th. Hobbes geben? Auch Behemoth taucht in dieser Flugschrift auf (117 bzw. 152 und 118 bzw. 153).
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lehre hinaus, die z. B. Luther stets eingehalten hatte363 , indem gefragt wird, ,.welche oberkeit, ob die angeborn, oder die erwelt auff eyn zeyt, für die ander zu erkiesen« sei (119, 154). Die Antwort lautet: ,.Die angeborn vergeweltig herrschafft artet gemaynlich nach der waren abgotterey« (123, 158). Man kann darum mit Lucke zugespitzt sagen: ,.Die tyrannische Gewalt der Herrn erklärt der Autor nicht wie Luther mit der Erbsünde, sondern mit dem Erbrecht.c3'" Während Luther im Bauernkrieg, nachdem er noch im ersten Teil seiner ,.Ermahnung zum Frieden« den Fürsten hart ins Gewissen geredet hatte, vor allem die Notwendigkeit der Kontinuität einer einheitlichen obersten Herrschaftsgewalt als Bedingung für die Stabilität der Rechtsordnung einschärft365 , legt unsere Flugschrift den entscheidenden Akzent nicht auf diese traditionale Legitimität, sondern auf materiale Rechtskriterien, ohne jedoch die notwendige Funktion der Obrigkeit zu bestreiten3". Anerkennung und Gehorsam aber sind der Obrigkeit nicht schon deshalb geschuldet, weil sie durch göttliche Fügung, die Macht des Schicksals oder das Faktum der Erbfolge instituiert ist, sondern nur soweit, als sie selbst der Herrschaft des Rechtes und der Beförderung sozialer Gerechtigkeit dient: ,.Der gewalt ist geben zu besserung, und nit zu bößerung« (126, 160, unter Verweis auf 2. Kor. 10,8). Unter diesen VOl'aussetzungen ruft die Flugschrift nicht, wie man fast erwarten könnte, zum Aufruhr auf, sondern betont zuerst, man solle sich nicht empören und an fremder Leute Reichtum vergreifen »umb des gemaynen landtfridens wegen« (129, 163). Die wahren Aufrührer aber sind die unrechten Herren; ihnen soll man zuerst »unpartheyisch richter« anbieten, und wenn sie da11n »das evangelion disputieren 363 Es ist möglich, daß die Schrift, deren Spuren u. a. nach Konstanz weisen (Brecht, Anm. 355, 59 u. 62), schweizerischer Herkunft sein könnte; vgl. das Titelblatt (oben Anm. 359 und den Hinweis auf die Eidgenossenschaft (118 bzw. 153), wo von der "Schweytzer Chronica« die Rede ist. Schließlich paßt dazu die lebhafte Ausmalung des Gegensatzes von römischer Republik und Kaisenum im 5. Abschnitt. Lucke, a. a. O. (Anm.357) möchte den Text mit guten Gründen einem ,.humanistisch Gebildeten« zuschreiben (106). 364 Ebd. 105. 365' In der ,.Warnung an seine lieben Deutschen« (1531) hat Luther den für ihn entscheidenden Punkt noch einmal präzisien: Aufruhr und darum schlechterdings abzulehnen ,.ist nicht, wenn einer widder das Recht thut. Sonst müsten alle ubenrettungdes Rechten auffrur heissen. Sondern der heisst ein auffrürer, der die Oberkeit und Recht nicht leiden wil, sondern greifft sie an und streit widder sie und wil sie unterdrucken und selbs Herr sein und Recht stellen, wie der Müotzer thete (WA 30, 283). 366 Natürlich erinnen auch Luther die Obrigkeit immer wieder an ihre Sorge für das gemeine Beste, aber eine Obrigkeit, die in dieser Hinsicht versagt, ist eher zu ertragen als zu stürzen, denn Tyrannis ist immer noch besser als Anarchie; vgl. die Belege bei Günter, a. a. o. (Anm. 227), 24.
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mit spieß, hellepartten, büchsen und hohen kürissern«, dann erst möge man tapfer widerstehen als »Gottes krieger« (ebd.)367. Das Neue dieser eher gemäßigt als aufstachelnd argumentierenden Flugschrift, die ein defensives Widerstandsrecht begründet und entfaltet, liegt in ihrem zugunsten materialer Rechtskriterien »relativierten funktionalen Obrigkeitsbegriff«368 und der dadurch ermöglichten neuen Bestimmung des Verhältnisses von potestas und violentia. Die ökonomischen Auswirkungen der politischen Herrschaft werden zum Gegenstand der Fr~ge nach der Rechtmäßjgkeit der jeweils eingesetzten Obrigkeit, deren Befugnis, von der bei ihr zunehmend monopolisierten violentia Gebrauch Zu machen, daran gemessen wird, ob sie sich umdie Verbesserung der Lage des gemeinen Mannes bemüht. Daß obrigkeitli~he Gewalt gänzlich aufhören könnte, daß das Volk allein souverän sei, und daß seine Ansprüche auf Wohlfahrt, wie wir heute sagen würden, zum Maßstab des Rechts würde - dies alles, was gemeinhin als schwärmerisch-anarchisch gilt, ist unserer Schrift freilich fern. Sie kritisiert Unrecht allein in der Form der bestimmten NegationJ69, nicht der unbestimmten Utopie. Darum ist sie aktueller und zu ihrer Zeit zukunfsträchtiger als der mystisdle Messianismus eines Thomas Müntzer 70 • Es mag genügen, den oben behaupteten Wandel im Gewaltverständnis an diesem einen Beispiel erläutert zu haben; die Arbeit von Lucke bieteF weiteres Material, das diese These erhärtet. Zahlreiche andere Aspekte def Bauernkriegsliteratur wären zu ergänzen, e~a jene Entwicklung im politischen Gewaltverständnis, die sich, in Fqrderungen nach dörflicher ~~er städtischer
367 Ebd. begegnet auch der von Luther her bekannte Gedanke der Theonomie allen Geschehens, wenn es heißt: ,.so wirt es Gott wol angeschirren, on' alle ewere gedanckene. Zur Berufung aUf ,.göttliches Recht« im Bauemkrieg vgl. W. Becker, ,.Göttliches Worte, ,.Göttliches Recht«, ,.Göttliche Gerechtigkeit«. Die Politisierung theologischer Begriffe?, in: Blickle, Revolte und Revolution (HZ B 4), a. a. O. (Anm. 344), 232-263; vgl. auch Burmeister, a. a. o. (Anm. 346), 183: ,.Der Ruf nach dem göttlichen Recht beinhaltet nicht die Forderung, die Bibel zum geltenden 'Recht zu erheben.« 368 Brecht, a. a. o. (Anm. 355), 64. 369 Lucke geht in seiner Interpretation sehr viel weiter, insofern er die Kategorien von struktureller und personaler Gewalt an die Flugschrift heranträgt; vgl. dazu seinen Ansatz (33 ff.). Strukturelle Gewalt im Sinne J. Galtungs, der den Terminus geprägt hat, setzt aber einen prinzipiell un~dlichen, offenen Zukunftsbezug und eine entsprechend gedehnte bzw. überdehnte Handlungsperspektive voraus; beides aber wird man nun sicher nicht ins 16. Jh. projizieren dürfen. 370 Vgl. neuerdings W. Ullmann, Das Geschichtsverständnis Thomas Müntzers, in: ehr. Demke (Hg.), Thomas Müntzer. Anfragen an Theologie und Kirche, BerlinIDDR 1977,45-63.
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Autonomie und Selbstverwaltung ausspricht371 . Indes ist für meine Fragestellung jene radikale Alternative von größerem Gewicht, die sich im täuferischen Gewaltverzicht ausspricht, dem wir uns nun zuwenden. 4.5. Der Einspruch: Gewaltlose Nachfolge
»Die Wahrheit ist untödlich« - in diesem immer wiederkehrenden Motto Balthasar Hubmaiers372 möchte man die Stellung des Täufertums zur Gewalt, der tötenden zumal, zusammenfassen. Der positive Doppelsinn des Wortes verdankt sich keiner Antinomie, sondern dem Ursprung des Evangeliums, der Einer ist: Jesus Christus. Die Wahrheit Jesu Christi ist untödlich, weil sie unbesiegbar und unüberwindlich ist; sie selbst überwindet, ohne zu töten. Den zeitlichen Tod erleidet freilich der Zeuge der Wahrheit, der in der Nachfolge Christi die untödliche Macht der göttlichen Liebe bezeugt. Am 5. Januar 1527 schon wird» als erster Märtyrer im protestantischen Staat«373 der Täufer Felix Mantz in der Limmat zu Zürich ertränkt, und über die Exekution Michael Sattlers in Rottenburg am Neckar, des Verfassers der Schleitheimer Artikel (1527), lesen wir bei einem Augenzeugen, Klaus von Graveneck, folgendes im Blick auf den Auftrag des Henkers: »Der soll ihn auf den Platz führen und ihm die Zunge abschneiden, danach auf einen Wagen schmieden und dort zweimal mit glühenden Zangen seinen Leib reißen und danach, wenn man ihn vor das Tor bringt, ihm gleicherweise fünf Griffe geben.«374 Zahlreiche Täufer wurden schon vor der Katastrophe von Münster mit Feuer oder Schwert umgebracht, und Herzog Wilhelm von Bayern soll gefordert haben: »Wer widerruft, wird geköpft, wer nicht widerruft, wird verbrannt.«375 Die seit dem 2. Reichstag zu Speyer (April 1529) als Reichsgesetz beschlossene Verfolgung der Wiedertäufer und Wiedergetauften wurde in den dann folgenden Reichstagsabschieden bestätigt und verschärft. So wurde der »radikale Flügel der Reformation« (Fast), der mit Glaubenstaufe, Eidesverweigerung und grundsätzlichem Gewaltverzicht 371 Vgl. H. Buszello, Die Staatsvorstellung des "gemeinen Mannes« im deutschen Bauernkrieg, in: Blickle, Revolte und Revolution (HZ B 4), a. a. O. (Anm. 344), 273-295. Die freie Pfarrerwahl (vgl. den ersten der Zwölf Artikel von 1525) ist nur eine dieser Autonomieforderungen. 372 Vgl. H. Fast (Hg.), Der linke Flügel der Reformation, Bremen 1962, 35-58 (das Motto z. B. 45 u. 58). Vgl. aber auch unten, bei Anm. 390. 373 C. Baumann, Gewaltlosigkeit im Täufertum, Leiden 1968, 8. 374 Bei Fast, a. a. O. (Anm. 372), 77. 375 Bei Baumann, a. a. O. (Anm.373), 9. Daß dergleichen Atavismus auch dem 20. Jh. nicht fremd ist, haben u. a. die Moskauer Prozesse der 30er Jahre gezeigt; vgl. dazu zuletzt L. Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus, Bd. 111, MünchenZürich 1979, 91 H.
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den Geist der Urworte der Bergpredigt neu beleben wollte, zum ersten Opfer der reformatorischen Bewegung. Dieses Täuferbild, das etwa aus dem Buch von Baumann376 entgegentritt, aber auch sonst weit verbreitet is~", ist von der neueren Täuferforschung korrigiert worden378 • Einige wichtige Ergebnisse dieser Revision der herkömmlichen Anschauungen seien kurz referiert: Zunächst hat es sich aufgrund der Quellenbefunde als unumgänglich erwiesen, die typologische Zuordnung der verschiedenen täuferischen Strömungen im Sinne der Unterscheidung von Troeltsch zwischen Kirche, Sekte und Mystik aufzugeben. Statt die Vielfalt der Erscheinungen den Idealtypen von Sekte und Freikirche unterzuordnen, ist es erforderlich, die einzelnen Entwicklungslinien und ihre überschneidungen in den frühen Jahren der Reformation freizulegen, wobei sich etwa am Einfluß Müntzers zeigt, daß zwischen Täufern und früher so genannten ,.Schwärmerne nicht scharf getrennt werden kann. Damit hängt die weitere Entdeckung zusammen, daß das Täufertum sich nicht unmittelbar aus der Züricher Reformation herleitet,· sondern mehrere Keimzellen und sehr verschiedene Ausbreitungswege379 umfaßt, so daß man heute von einem fast zum geflügelten Wort gewordenen Forschungsansatz ,.From Monogenesis to Polygenesise38o ausgehen muß. Ferner ist nach wie vor umstritten, in welcher Weise religiöse und soziale Motive in den täuferischen Bestrebungen sich zueinander verhalten und in welchen Gebieten und in welchem Ausmaß man von einer Massenbewegung sprechen kann. Und schließlich hat sich gezeigt, daß die Anfänge des schweizerischen Täufertums keineswegs so friedlich, gewaldos und ,.pazifistische 381 waren, wie es die Späteren gern gesehen haben. Vielmehr hat sich in den neueren Forschungen weithin übereinstimmung darin ergeben, 376 A. a. O. (Anm. 373). 377 Der An. ,.Wehrlosigkeit« im ,.Menonitischen Lexikon«, Bd. 4, Karlsruhe 1967, beginnt mit dem Satz: "Die Täufer haben von Anfang an den Kampf mit der Waffe und damit auch den Wehrdienst abgelehnt« (480). 378 Die wichtigsten Strömungen dokumentien H.-I. Goeriz (Hg.), Umstrittenes Täufenum 1525-1975, Neue Forschungen, Göttingen 21977. Zum folgenden vgl. die Einleitung von Goenz zu diesem Band, sowie den Forschungsbericht von K. Deppermann in dessen Buch: Melchior Hoffmann. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1979, 9-35 (bes. 11 H.). 379 Es sei nur erinnen an die ausgedehnten missionarischen Reisen von Hut und Hoffmann. 380 So der Titel des Aufsatzes von J. Stayer / W. Packull / K. Deppermann, in: Mennonite Quanerly Review (MQR), 49, 1975, 83-122. 381 M. E. empfiehlt es sich heute mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Sprachgebrauch, die Wone "Pazifismus« und "pazifistisch« für Gewaltverzicht und Wehrfreiheit unter der Voraussetzung einer allgemeinen Wehrpflicht eingeschränkt zu verwenden.
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',.daß' am"Anfang'der Entwicklung, die schließlich zu den Schweizerbrüdern führte, nicli.t der Wunsch stand, eine separatistisch-pazifistische Freikirche zu gründen, die nach 4~ Gebo~en der Bergpredigt lebt,. sondern der Wille, eine radikale Reform der gesamten Kiiche und der Gesellschaft durchzusetzen, die u. a. die Autonomie der einzelnen Gemeinde, die freie pfarrerwahl durch die Gemeindemitglieder, die Neuordnung des Zehnten, die Abschaffung des kirchlichen Pfründenwesens, das Bilderverbot und die sofortige Einführung einer evangelischen Abendmahlsfeier vorsah - wenn nötig, auch gegen den Willen der Obrigkeit«l82.
Einige dieser Ziele überschnitten siCh mit Forderungen der aufständischen Bauern, und so ist es alles andere als Zufall, daß sich Taufgesinnte auch an den Aktionen der Bauern beteiligten. Erst nach deren Scheitern und als deutlich war, daß unter Zwinglis Einfluß der Rat von Zürich die Radikalisierung der Reformation zu verhindern vermochte, haben die Täufer in Schleitheim sich' von den revolutionären Zielen und ihrer gewaltsamen Durchsetzung abgegrenzt und den Weg in die Absonderung angetretenJBJ• ,.Die Geburt der Freikirche ist aus dem Zusammenhang von antiklerikaler Aggressivität, kirchenpolitischer Ohnmacht und biblischer Lektüre zu erklären.«l84 Die seither für die täuferische Bewegung kennzeichnenden Grundsätze der Verwerfung der Kindertaufe und der Praktizierung der Glaubenstaufe385, die Eidesverweigerung und die Weigerung, obrigkeitliche Ämter zu übernehmen, sowie vor allem die Schwertverweigerung, waren also nicht von Anfang an zentral und bestimmend. Aber auf dem Weg in die Absonderung gewannen sie die Funktion von Grenzmarken nach außen und Integrationszeichen nach innen. Jeder dieser Grundsätze stand im Widerspruch zur geltenden öffentlichen Ordnung, denn durch die Taufe wird der Mensch 382 Deppermann, a. a. O. (Anm.378), 12. Vgl. auch H.-J. Goertz, Die Täufer, Geschichte und Deutung, München 1980,14.23. 383 Vgl. M. Haas, Der Weg der Täufer in die Absonderung, in: Goertz, a. a. O. (Anm. 378), 50-78. 384 Goertz, a. a. O. (Anm. 382), 23. 385 Der Ausdruck ,.Wiedertäufer« ist insofern unangemessen, als die Täufer selbst im Gegensatz Zl!l' Großkirche die Kindertaufe gerade nicht als christliche Taufe qualifiziert sahen. - Daß man die dem radikalen Flügel der Reformation zuzurechnenden Gruppen völlig irreführend darstellt, wenn man sie pauschal als ,.Schwärmer« etikettiert, .hat die neuere Täufedorschung klar gezeigt. Aber nach wie vor besteht die Tendenz, Thomas Müntzer als Repräsentanten dieser Gruppen herauszustellen, noch einmal zu widerlegen und damit dann die Fronten als geklärt zu betrachten, ohne die spezifische täuferische Stellung differenzierend zu untersuchen. Eine besonders unerfreuliche derartige Simplifikation bildet der Beitrag von E. Volk, Reformatorische Grundentscheidungen über Gewalt und Gewaltanwendung nach Martin Luther, in: Lutherische Theologie und Kirche 3, 1979, 1-23, der von Müntzer, Moses Mendelssohn, Kant, Herder, Marx bis hin zu den Befreiungsbewegungen von heute ein und dasselbe :JtQiil1:ov CPE'Ü6oS der Werkgerechtigkeit, iustitia activa, Selbstschöpfung, meint nachweisen zu können (zu Müntzer bes. 16 ff.).
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zugleich dem Leib Christi wie der politischen Gemeinschaft als Person und Bürger eingegliedert; der Eid besiegelt nicht nur den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, sondern hat eine wesentliche Funktion in der rechtsförmigen Regelung aller kommunalen Sozialbeziehungen; und Gewaltlosigkeit und Wehrverweigerung stellen die einschneidendste eigenwillige Begrenzung der Untertanenpflichten dar. In den Schleitheimer Artikeln"', der später weithin als grundlegend betrachteten täuferischen Bekenntnisurkunde, werden dafür die klassischen Begründungen gegeben: die Taufe setzt den Glauben wie das Begehren des Täuflings voraus, wie es die Schrift Mt. 28,19; Mk. 16,16; Apg. 2,38; 8,36 f.; 16,31.33; 19,4 f. bezeugt (62 f.). Den Eid wie alles Schwören hat Jesus selbst verboten (Mt. 5,33-37), und die Täufer sollen darum gemäß dem Gebot des Herrn ihre Rede auf ein klares Ja oder Nein beschränken (68 f.). Das Schwert schließlich »ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi. Es straft und tötet den Bösen und schützt und schirmt den Guten. Im Gesetz wird das Schwert über die Bösen zur Strafe und zum Tode verordnet. Es zu gebrauchen, sind die weltlichen Obrigkeiten eingesetzt« (66). Unter Christen aber hat die Schwertgewalt keinen Ort mehr, denn ihre Bürgerschaft ist nicht auf Erden, sondern im Himmel (Phi!. 3,20) hier gibt es nur Nachfolge, Leiden und geistliche Waffen (67)317. In einer Welt, in der fast alle Religionsparteien den Waffengebrauch billigten und die Beteiligung ihrer Mitglieder daran für legitim ansahen, stellten die Täufer einen völligen Fremdkörper im sozialen Gefüge dar. Man kann sich unschwer die Wut der Richter vorstellen, die Michael Sattler u. a. anklagten, er habe gesagt, »wenn der Türke ins Land käme, sollte man ihm keinen Widerstand leisten, und wenn Kriegen recht wäre, wollte er lieber wider die Christen ziehen als wider die Türken«188. Sattler und seine Glaubensgenossen hätten sich unschwer auf die früher geäußerten Gründe Luthers und Melanchthons gegen den Türkenkrieg und auf die grundsätzliche reformatorische Verwerfung des Religionskrieges berufen können, denn sie machten Ernst mit der überzeugung, daß dem Christen in Glaubenssachen, wenn er mit seiner Obrigkeit nicht übereinstimmt, allein der Weg des leidenden Ungehorsams bleibe. Sattler geht aber noch weiter in seiner provozierenden Verteidigung der täuferischen Wehrlosigkeit, indem er erklärt, daß den Türken ja noch nicht das Evangelium 386 Abgedruckt u. a. bei Fast, a. a. O. (Anm. "372), 60-71. Seitenzahlen im folgenden Text beziehen sich hierauf. 387 Unter Verweis auf Mt. 16,24; Mt. 20,25 f.; Röm. 8,29; 1. Petr. 2,21. 388 Zit. bei Fast, a. a. O. (Anm. 372), 72; vgl. auch Bauman, a. a. O. (Anm. 373), 48 f.; und H. Fast, Gewaltverzicht als Bestandteil des christlichen Friedenszeugnisses, in: Strauß, a. a. O. (Anm. 1),29-44 (30 ff.). Zu Sattler und den Schleitheimer Artikeln vgl. J. M. Stayer, Anabaptists and the Sword, Lawrence/Kansas 21976, 117-131.
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gepredigt sei, während die Christenheit durch den von ihr geübten Glaubenszwang und die Verwerfung der Gewaltlosigkeit selbst das Evangelium verrate38'J. Dieser täuferische Gewaltverzicht stand im denkbar größten Gegensatz zu allen anderen Positionen im Religionskonflikt der Reformationszeit wie im politischen Gemeinwesen insgesamt. Zu Müntzers Auffassungen führt von Sattler und seinen Freunden aus kaum eine Brücke, während Hubmaier die Lehren vom gerechten Krieg und evangelischen Widerstandsrecht beibehielt und das ,.Ideal eines wehrhaften Märtyrers«3'O prägte. Aber den Unterschieden innerhalb der täuferischen Bewegung kann hier nicht weiter nachgegangen werden; entscheidend ist vielmehr für die hier verfolgte Fragestellung der tiefere Grund täuferischen Verhaltens. H. Fast hat dazu, freilich idealisierend, gesagt: ,.Sie erkannten keinen Grund an, der den Krieg hätte rechtfertigen können: weder die Aus~reitung des Evangeliums noch den Schutz der christlichen Kirche vor heidnischen Feinden, weder die Selbstverteidigung noch die Verantwortung für das leibliche Wohl anderer."m Der einzige tragfähige Grund täuferischer Gewaltlosigkeit bestand - und besteht - darin, die Schrift und, als Kanon im Kanon, die überlieferung der Nachfolge Jesu ganz ernst zu nehmen. In ihrer ,.naiv anmutenden Frömmigkeit«392 war diesen Täufern die Nachfolge auf dem Weg des wehrlosen Jesus unmittelbar einleuchtende Notwendigkeit - nicht als ,.Gesetz«, sondern als Gehorsam ermöglichendes Evangelium, ganz wie der Dienst des Apostels unter einer höheren avayxT) steht (1. Kor. 9,16). Wie wenig man berechtigt ist, im Gefolge der antitäuferischen Polemik der Reformatoren393 diese NachfolgeEthik nicht nur als gesetzlich, sondern auch als (seD;li-)pelagianisch zu diffamieren, hat Bauman anhand von täuferischen Aussagen über die Willens389 ,.Der Türke ist ein rechter Türke und weiß vom christlichen Glauben nichts; er ist ein Türke nach dem Fleische. Ihr dagegen wollt Christen sein, rühmt euch Christi, verfolgt aber die frommen Zeugen Christi und seid Türken nach dem Geist« (Bei Fast, Anm.372, 75). In seiner Verteidigungsrede appellierte Sattler abschließend an seine Richter, ihn mit Gründen der Schrift zu widerlegen. Darauf der Stadtschreiber: ,.Ja, du ehrloser, verzweifelter Bösewicht und Mönch, sollte man etwa mit dir disputieren? Ja, der Henker wird mit dir disputieren, das glaube mir!«· 390 Baumann, a. a. O. (Anm. 373), 62. 391 Gewaltverzicht (Anm. 388), 31. 392 Fast ebd., 31. 393 Eine Sicht ,.mit Luthers Augen« beschreibt W. Maurer, Luther und die Schwärmer, in: ders., Kirche und Geschichte, Ges. Aufsätze, Bd. I, Göttingen 1970, 103-133. Nach Maurer geht das Substantiv ,.Schwänner« auf Luther selbst zurück (107 m. Anm. 8); deutlich wird zugleich, sie sehr das refonnatorische Täuferbild durch Karlstadt, Müntzer und den Bauernkrieg einseitig geprägt war. Vgl. auch Ebeling, -Luther (Anm.233), 205 ff. Die klassische Gegenposition bildet Troeltsch, a. a. o. (Anm. 14), 797-814.
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freiheit deutlich herausgestellr!14. Danach ist der Mensch in der Nachfolge zugleich ganz frei und ganz gehorsam: frei, weil Gott niemand in seinen Dienst zwingt, gehorsam, weil dies die Antwort des Glaubens auf die Liebe Gottes ist. ,.Wer seinen willen in Gottes willen gibt«, lesen wir bei Hans Denck]95, .. der ist wol frei und ist wol gefangen; wer aber nit, der ist ubel frei und ubel gefangen . . . Gott zwingt niemand in seinem dienst zu beleiben, den die lieb nit zwinget«. Täuferische Gewaldosigkeit ist deshalb kein von Menschen erdachtes Prinzip, sondern die tätige - nicht nur andächtige Erkenntnis des Gekreuzigten]96. Gewaltverzicht im strengen Sinn des Täuferturns ist darum keine Leistung des ,.Pazifisten«, sondern Folge seiner Erlösung aus der Selbstgerechtigkeit - auch wenn diese Formulierungen eher dem gegenwärtigen täuferischen Selbstverständnis und nicht seinen historischen Anfängen entsprechen mögen. Seit der Geburtsstunde des Täuferturns im Zürich des Jahres 1525 ist diese Frage, die aus dem Geiste der Bergpredigt gestellt ist, nicht mehr zum Schweigen gebracht worden. Auch die Ereignisse in Münster konnten die Bewegung wohl diskreditieren, aber nicht liquidieren, zumal ihr in Menno Simons (1496-1561) ein tatkräftiger und besonnener Führer erwuchs197 • Die historischen Einzelheiten der Ausbreitung, Verfolgung und Erhaltung dieses radikalen Flügels der Reformation können und müssen hier nicht ausgebreitet werden; nur ein Zusammenhang muß noch erwähnt werden, daß nämlich für die Täufer die Verwerfung von Schwertgewalt und Krieg nahezu immer untrennbar verbunden war und ist mit der Verwerfung des Staats- bzw. Volkskirchenturnsl98 • Wie schon erwähnt wurde, negieren Täufer nicht die 394 A. a. O. (Anm. 373), 255 ff. 395 Zit. nach Baumann, 254. - Vgl. die ähnliche Lehre von der christlichen Freiheit bei Calvin, Inst. III,19; dazu W. Niescl, Die Theologie Calvins, München (1938) ]1957, 139 ff.; sowie K. Barth, Das Geschenk der Freiheit. Grundlegung evangelischer Ethik, ZüricQ. 1953. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß es auch eine »gesetzliche« Bcrgpredigtauslegung der Täufer gibt, die durch apokalyptische Motive geschürt wird; vgl. zU M. Hoffmann die Hinweise bei Deppermann, a. a. O. (Anm. 378), 65 H. u. 212 ff. 396 Fast, Gewaltverzicht (Anm. 388), hat daher m. E. Recht, wenn er den an die Adresse der Täufer gerichteten Vorwurf einer Reduktion der Christologie auf eine Lehre von der imitatio Christi zurückweist (34 f.); ähnlich Bauman, 186 ff. 397 überblick bei C. Krahn, Art. Mennoniten, in: RGG] IV (1960), 855-858; zu Menno speziell Chr. Bomhäuser, Leben und Lehre Menno Simons, Neukirchen-Vluyn 1973; vgl. auch J. Leder, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Bd. I, Stuttgart 1965, 304-314. 398 Als knappe historische Abrisse vgl. G. Nuttall, Christian Pacifism in History (1958), London-Berkeley 1971; J. H. Yoder, Nevertheless. The Varieties of Religious Pacifism, Scottdale/Pa. 1971; besonders zur täuferischen Ekklesiologie vgl. Bauman, a. a. O. (Anm. 373), 189 ff.
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Funktionen der Obrigkeit als solche, aber sie weigern sich, deren übernahme unter allen Umständen für ethisch geboten zu erklären. Aus dieser Grundhaltung ergibt sich mit innerer Folgerichtigkeit, daß man al~ (Frei-)Kirche nicht den besonderen Schutz des Staates in Anspruch nehmen darf, wenn man die Grenzen des ihm geschuldeten Gehorsams in der essentiellen Frage der notfalls kriegerischen Selbstbehauptung selbst bestimmen will. Für diese stets mögliche Illoyalität gegenüber dem Staat um einer höheren und letzten .Loyalität willen mußten die Täufer zahlreiche Verfolgungen und das Los der Auswanderung erdulden. Nicht zuletzt wurden sie verfolgt mit Billigung und im Namen der Reformatoren, denen sie ihrerseits vorwarfen, ,.billige Gnade« zu verkünden3". 4.6. Zur Aktualität des Täufertums Im folgenden abstrahiere ich von den historischen Erscheinungen des Täufertums und verweise auf einige Fragen, von denen ich annehme, daß sie im heutigen Dialog zwischen Großkirehen und Freikirchen im Blick auf die Stellung zur Gewalt eine gewisse systematische Bedeutung haben könnten. Meine Vermuning ist, daß in theoretischer Hinsicht überzeugungskraft und Aporie der täuferischen Ethik eng beeinander liegen und an demselben Problem ablesbar sind: dem des überganges von der im glaubenden Gewissen begründeten Handlungsorientierung zur Verantwortung für das Ensemble gesellschaftlicher und vor allem staatlicher Strukturen. Dabei würde man sich die Frage zu leicht machen, wenn man die grobe Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungs ethik im WeberITroeltschschen Sinne hier zugrundelegen wollte, denn die täuferische Wehrlosigkeit ist ja nicht nur Manifestation existentieller Entscheidung, sondern sie kann im Vergleich mit allen bisherigen und wohl auch künftigen Folgen kriegerischer Gewaltanwendung durchaus auf jene ihr eigene Rationalität verweisen, welche auf die Verringerung der Leiden und der Opfer zielt. Das übliche Gegenargument lautet bekanntlich, daß die Verallgemeinerung oder womöglich· nur die 399 Dagegen wollten die Täufer ernst gemacht wissen mit dem ,.Wandel im Geiste« (vgl. Eph. 3; KaI. 3) und die evangelischen Weisungen zur Gew3ltlosigkeit nicht in die Gesinnung verlegen; vgl. etwa aus der Hutterischen Chronik: ,.Dise beede / Luther und Zwingel / haben alle tück und Büeberej der Bäbstlichen heiligkeit eröffnet und an den tag herfür gebracht / gleich alls wenn sies mit Donnderschlegen alles zu boden wollten schlagen / Aber dargegen kein bessers auffgericht / sand als balt sie sich an den weltlichen gwalt gehencket / auff menschen hilff vertröstet / Ist es mit Inen nit anderst gwesen / als ob einer ainen alten kessel flicket / das loch nur erger wirt / Und haben ein gantz frech volck zu sündigen erzogen / und hinder Inen glassen. Gleichnus weiß zu reden / dem Babst den Krueg aus der handt geschlagen / die Scherben selbst darinn behalten ... e (zit. bei Baumann, 199 f.).
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weitere Ausbreitung der täuferischen Auffassung schnurstracks ins Chaos führen müsse. Indes ist wohl leichter zuzugeben, daß kein bisheriger Krieg, wenn er zu Ende war, der Opfer wert erschien, die er gefordert hatte, als daß die Nicht-Erprobung der täuferischen Position schon als ihre Widerlegung gelten könnte. Gleichwohl ist es erforderlich, auch nach dem Wahrheitsmoment in der Kritik am Täufertum zu fragen. Daß ein freier Dialog zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen Großkirchen und verschiedenen sog. Historischen Friedenskirchen erst mit einer Verzögerung von mehr als vier Jahrhunderten möglich wurde, gehört freilich z:u den Skandala der Kirchengeschichte. Erst nach dem 11. Weltkrieg nämlich kam es im Rahmen. der Puidoux-Konferenzen zu einer Form der gemeinsamen Wahrheitssuche, die zwar bisher zu keinem Konsens, aber zu besserem gegenseitigen Verständnis geführt hat40o • Ich kann hier den Verlauf und Ertrag dieser Gespräche nicht näher darstellen und will statt dessen einige mir wesentlich erscheinende Vergleichspunkte nennen: Der täuferische Gewaltverzicht ist nicht zu trennen von der Entscheidung des in seinem Glauben gehaltenen Gewissens des Einzelnen, und insofern ist er zunächst nur zu verstehen aus der individuellen Perspektive von Handeln und Leiden. Von hier aus ordnet sich die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen dieser Welt, die für sich genommen dem Glauben äußerlich bleiben. Das heißt nicht, daß diese der Erlösung harr~nde Welt vergleichgültigt würde dagegen spricht schon die Fülle heutiger täuferischer Diakonie40l • WohI aber bedeutet die täuferische Perspektive den schlechthinnigen Primat des evangelischen Zeugnisses und eine - ich möchte sagen: - heilige Rücksichtslosigkeit gegenüber den irdischen Hoffnungen auf Bestand und Dauerhaftigkeit402 • Demgegenüber erweist sich die großkirchliche Sorge um die Erhaltungskraft gegebener Strukturen, oft denunziert als opportunistische Neigung zu Anpassung und Kompromiß, als Entlastungsmöglichkeit für überanstrengte 400 Dieser Prozeß ist in Umrissen dokumentiert in D. F. Dumbaugh (Hg.), On Earm Peace. Discussions on War/Peac:e Issues Between Friends, Mennonites, Brethren, and European Churches, 1935-1975, ElginlIll. 1978. Äußerlich fällt an dieser Dokumentation die ökumenische Orientierung einerseits, die weitgehende Abwesenheit der Amtskirche andererseits auf. Sachlich stellt eine systematisch-theologische Analyse der Gesprächsgänge ein Forschungsdesiderat dar. 401 Es. sei nur an die Hilfsprogramme der Historischen Friedenskirchen für das . zerstörte Deutschland nach 1945 erinnert. 402 Darum ist die radikale Eschatologie der frühen dialektischen Theologie dem zeitgenössischen Täufertum so nahe verwandt; vgl. J. Yoder, The Pacifism of Karl Barm, Scottdale, Pa. 1968; ders., Karl Barth and the Problem of War, Nashville-New York 1970. - Vgl. auch Barths Ausführungen über des Christen Wehrlosigkeit: KD IV/3 (§ 71), 722-726.
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Subjektivität einerseits, als dankbare Anerkennut:lg der nicht vom Einzelnen erst herzustellenden bergenden und schützenden Güte der Schöpfung Gottes andererseits. Diese Stilisierung würden jedoch beide Seiten kaum gelten lassen, denn täuferische radikale Eschatologie hat ihren Grund nicht weniger in ihrem Christusverständnis als dies für die Schöpfungslehren der Großkirchen gilt. Aber meinen beide denselben Christus? Nur unter dem Vorbehalt, daß hier vielleicht übermäßig abstrahiert wird, möchte ich hypothetisch behaupten, daß sich in mehrfacher Hinsicht zu unterscheidende Christus-Erfahrungen gegenüberstehen. Könnte es nicht so sein, daß in der täuferischen Tradition die jeweilige unmittelbare Präsenz des Christus die Unterschiedenheit der Zeitmodi und ihre Einheit als Geschichte zugunsten der Unmittelbarkeit der Geisterfahrung aufhebt oder zumindest vergleichgültigt? Daraus würde verständlich, warum in der täuferischen Tndition (1) so sehr die evangeliums gemäße Reinheit ethischer Mittel, nicht so sehr ihre Legitimation durch höhere Zwecke - z. B. Gewalt im Dienst des Friedens - entscheidend ist, (2) die Folgen gesellschaftlicher Differenzierung und die sozialen und politischen Strukturen als durchaus zweitrangig erscheinen, und (3) die Gewissensentscheidung hier und jetzt wichtiger ist als die Berücksichtigung der Komplikationen von Handlungsketten, die stets unkontrollierbar in die Zukunft hinaustreiben. Gegenüber der alleinigen Königsherrschaft Christi können für Täufer irdische Strukturen und Gewalten kein beständiges Eigenrecht geltend machen; praktisch bedeutet diese täuferische Auffassung, jeden gegebenen Staat und jede Gesellschaft zunächst schlicht hinzunehmen40J als Raum der Verkündigung und Diakonie404 • Diese Distanz bedeutet nicht, wie den Täufern oft vorgeworfen wurde40s und wird, 403 Vgl. auch die berühmte Wendung in Barths Auslegung von Röm. 13,1: ,.Es gibt keine energischere Unterhöhlung des Bestehenden als das hier empfohlene sang- und klang- und illusionslose Gelten1assen des Bestehenden.« Römerbrief, 2. Aufl., 467. 404 Vgl. J. H. Yoder, On Divine and Human Justice, in: Durnbaugh, a. a. O. (Anm.400), 197-210. 405 Vgl. schon die Anmerkung Hegels zum § 271 seiner Rechtsphilosophie, wo es heißt: ,.Gegen solche Sekten ist es im eigentlichen Sinne der Fall, daß der Staat Toleranz ausübtj denn da sie die pffichten gegen ihn nicht anerkennen, können sie auf das Recht, Mitglieder desselben zu sein, nicht Anspruch machen. Als einst im nordamerikanischen Kongreß die Abschaffung der Sklaverei der Neger mit größerem Nachdruck betrieben wurde, machte ein Deputierter aus den südlichen Provinzen die treffende Erwiderung: >Gebt uns die Neger zu, wir geben euch die Quäker zu.< - Nur durch seine sonstige Stärke kann der Staat solche Anomalien übersehen und dulden und sich dabei vornehmlich auf die Macht der Sitten und der inneren Vernünftigkeit seiner Institutionen verlassen, daß diese, indem er seine Rechte hierin nicht strenge geltend. macht, die Unterscheidung vermindern und überwinden werde« (WW 7,421). In Preußen hatten die Mennoniten durch zahlreiche Gnadenprivilegien die Freistellung vom Wehrdienst zugunsten einer Geldzahlung erlangtj vgl. Mennonitisches Lexikon (Anm. 377),481 f.j
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eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Aufgaben und Pflichten im politischen Gemeinwesen, sondern verweist auf die unverrückbare Reihenfolge täuferischen Verhaltens : Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen! Diese Reihenfolge gilt zwar grundsätzlich, bedeutet aber im Normalfalldurchaus keine Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten, sondern einzig im Falle des Kriegsdienstes. Daran zeigt sich, daß der Kern täuferischer Wehrlosigkeit in der Ablehnung jeder tötenden Gewalt liegt, mithin hinsichtlich staatlicher Befugnis zur Zwangsgewalt in Rechtsverhältnissen eine klare Grenze proklamiert wird406 • Diese Grenze soll u. a. gelten, weil die tötende Handlung den Charakter der Endgültigkeit hat, welcher allein der göttlichen Macht zukommt (vgl. Dtn. 32,35; Röm. 12,19), und weil die Wehrlosigkeit kein selbstgewähltes Prinzip ist, sondern aus dem Geist der Predigt J esu lebt u~d insofern Folge der Gotteskindschaft ist (vgl. 1. Joh. 3). Darum wäre es ein falsch konstruierter Gegensatz, wenn man dieser Position das ,.für andere« Luthers entgegenstellt; der Unterschied liegt vielmehr in der täuferischen Eingrenzung der Mittel der Nächstenliebe auf diejenigen, die dem Leben und Sterben des Herrn der Christenheit am ehesten entsprechen. Insofern liegt in der Existenz freikirchlich-gewaltloser Christengemeinden jeder Zeit eine unabweisbare Frage an die übrige Christenheit. Diese Frage lautet, ob es denn wirklich gute, d. h. christusgemäße Gründe sind, die am Beschreiten dieses Weges der Nachfolge hindern. Soweit ich gegenwärtige Äußerungen von Täufern verstehe, handelt es sich hier stets um eine Frage, nicht um eine Anklage. Die Frage freilich ist dringlich.
sowie W. Mannhardt, Die Wehrfr-eiheit der Altpreußischen Mennoniten, Marienburg 1863, 120 ff., der die Geschichte der Privilegien seit Friedrich d. Großen angesichts der drohenden Gefahr ihrer Aufhebung beschreibt. 406 Die Strafgewalt des Staates wird, soweit mir bekannt, i. a. selbstverständlich anerkannt, allerdings eher unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung, wie man heute sagt, als dem der Sühne. .
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IIl. GEWALT, RECHT UND EINSICHT IM STAAT DER NEUZEIT
1. Vorüberlegungen "Der Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft selbst ist nur die ewige Regel desselben. Vernünftig handelt die ganze Natur; sein Prärogativ ist bloß, d~ er mit Bewußtsein und Willen vernünftig handelt. Alle anderen Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches will. Eben deswegen ist des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn Gewalt hebt ihn auf. Wer sie uns antut, macht uns nichts Geringeres als die Menschheit streitig; wer sie feigerweise erleidet, wirft seine .Menschheit hinweg. Aber. dieser Anspruch auf absolute Befreiung von allem, was Gewalt ist, scheint ein Wesen vorauszusetzen, welches Macht genug besitzt, jede andere Macht von sich abzutreiben.«
Diese Sätze stehen am Anfang von Fr. Schillers Abhandlung "über das Erhabene« (1801)1. Sie benennen den absolut antihumanen Charakter der Gewalt, freilich aus einer ebenso absoluten Perspektive, denn einzig Gott kann als das Wesen gedacht werden, welches Macht genug besitzt, jede andere Macht zu überwinden. Der Gott, von dem die potestas absoluta ausgesagt wird, ist ja, damit ineins, frei in seiner voluntas: frei in seiner Macht sogar über das impossibil~. So leidet allein die All-Macht keine Gewalt, denn sie ist sich selbst Gesetz]. Aber diese potestas absoluta, die alle anderen potestates übergreift und deren Grund und Grenze bildet, spielt sachlich bei Schiller keine entscheidende Rolle mehr. Zwar ist noch von jenem merkwürdigen ,.Wesen« die Rede, ,.welches Macht genug besitzt, jede andere Macht von sich abzutreiben«, aber dies ist, wie aus dem Kontext ersichtlich wird, nur ein Kontrastbegriff, der die Funktion hat, das Postulat menschlicher Autonomie zu beleuchten. In Wirklichkeit stehen sich nur die Natur mit ihrer Schönheit und Gewalt und die Vernunft des Menschen gegenüber, und dabei erweist sich die Natur als ,.Sinnbild für die reine Vernunft, die in eben dieser wilden Ungebundenheit 1 Zit. nach Ges. Werken in 5 Bänden, hg. v. R. Netolitzky, Bd. V, Gütersloh o. J., 431-449. . 2 Loci elassici aller Dogmatiken hierzu sind Gen. 18,14; Hi. 42,2; Mk. 10,27 parr. Vgl. zu diesem spätscholastischen Topos bes. H. Deku, Possibile Logicum, in: Phil. Jahrbuch 64, 1956, 1-21; K. Bannach, Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham, Wiesbaden 1975; H. Blumenberg, Art. Kontingenz, in: RGGJ III (1959), 1793 f.; J. Ladriere/H. Fleischer, Art. Kontingenz, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft III (1969), 877~889. 3 Si placet voluntati suae quae libera est recta est lex - heißt es bei Duns Scotus, zit. nach W. Pannenberg, Die Prädestinationslehre des Duns Scotus im Zusammenhang mit der scholastischen Lehrentwicklung, Göttingen 1954, 135.
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der Natur ihre eigene Unabhängigkeit von Naturbedingungen dargestellt findet"·. Einer darüber hinausliegenden Macht, welche Vernunft und Natur übersteigt, bedarf es nicht mehr, denn die Vernunft findet in sich selbst alles, dessen sie zur überwindung der Gewalt bedarf. Zugleich aber wird damit der Begriff der Gewalt außerordentlich aufgeladen, denn nun steht er als Gegenbegriff dem Begriff des Menschen schroff gegenüber. Ein derart exponierter Gewaltbegriff ist, wie deutlich geworden sein sollte, dem theologisch geprägten Denken früherer Zeiten gänzlich fremd, denn für dieses gehören die Erscheinungen der Gewalt unabdingbar zur gefallenen Menschenwelt, welche als ganze der göttlichen Erhaltung und Erlösung bedarf und harrt. Sobald dieser Grund entfällt oder als nicht mehr tragend erfahren wird, ist d,er Mensch mit seiner Gewalt allein, und dann wird Schillers Satz erst verständlich, daß Gewalt den Menschen aufhebe. Wenn die Natur des Menschen auf seiner Freiheit beruht, mit Willen und aus Einsicht wählen und handeln zu können, dann ist freilich Gewalt dasjenige, welches diese Fähigkeit zutiefst bedroht und vernichtet: Gewalt ist Bedrohung der Humanität schlechthin - und doch ragt sie in die Humanität selbst hinein, sofern diese sich behaupten will. Vor allem die Gewalt, mit der das Recht, welches auf Einsicht beruht, sich durchsetzt, offenbart diese Zwiespältigkeit. Ich denke, daß man im Blick auf die neuzeitlichen Formen des Nachdenkens über Gewalt von einer zunehmenden Ausblendung - oder sollte man sagen: Verdunkelung? - des göttlichen Grundes aller Gewalt sprechen kann. In dem Maße, in welchem die politische Ordnung als Werk des Menschen, das dieser auch selbst zu verantworten hat, begriffen wird, tritt die Frage nach ihrer in der Religion thematisierten materialen Legitimität zurück; Röm. 13, 1 wird auf weite Strecken zum generellen Legitimationstopos, der nicht mehr besagt als: ,.Wo Obrigkeit ist, da ist sie von Gott"s. Am Ende dieser Entwicklung steht das Gewaltmonopol des religions-neutralen Rechtsstaates, der die religiöse überzeugung und das Gewissen des einzelnen schützt, allerdings um den Preis, d~ der Inhalt des Gewissens in die Indifferenz und Privatheit abgedrängt wird'. Die spannungsreiche Beziehung der Gewalt in irdischen 4 A. a. O. (Anm. 1), 444. 5 F. J. Stahl, Rechts- und Staatslehre auf christlicher Grundlage, Heidelberg ·1870, 11,4, § 48; zit. bei G. Scharffenorth, Römer 13 in der Geschichte des politischen Denkens, Heidelberg 1964,297; ebd., 229 ff. Nachweise zur frühneuzeitlichen Formalisierung und inhaltlichen Entleerung von Röm. 13. 6 VgI. im Blick auf die Entwicklung in Deutschland den vor der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer gegebenen Bericht von E.-W. Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit (1970), in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt/M. 1976,253-317. VgI. ferner N. Luhmann, Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: AöR 90, 1965, 257-286; A. Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, Berlin 1969. Zur ,.Zeideutigkeitc des Gewissens
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(Rechts-)Verhältnissen auf die geistliche Gewalt verblaßt zunehmend hinter der Selbstunterscheidung der irdischen Gewalt, die allmählich primär, wenn nicht sogar ausschließlich in ihrer Beziehung auf weltimmanente Maßstäbe des Rechtes ihre Legitimität findet. Getrennt von ihrem göttlichen Grund erscheint so die Gewalt als innerweltliches Vermögen oder Verhängnis, dem auch allein mit innerweltlichen Mitteln zu begegnen ist. Für die großen europäischen Entwürfe der Sozialphilosophie der N~uzeit ist insofern bezeichnend, daß das alte Thema der zwei Gewalten, das seit Augustinus mehr als tausend Jahre lang die Diskussion beherrscht hatte, immer mehr an den Rand gedrängtwurde7, bis Marx 1843/44 triumphierend feststellte: ,.Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen· beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.«1 Im Blick auf die abendländische Geschichte der Wahrnehmung von Gewalt wird man an dieser Stelle vielleicht - ein wenig spekulativ - urteilen dürfen, daß die kirchlich organisierte Religion an diesem Ende ihrer Kritikwürdigkeit nicht zuletzt dadurch selbst beteiligt war, daß sie immer wieder der Versuchung erlag - erliegen mußte? -, ihrerseits eine weltgeschichtliche Machtform und herrschaftliche Gewalt über die irdischen Verhältnisse anzustreben und zu behaupten. So erschien die Macht des christlichen Glaubens und der kirchlich verfaßten Christenheit immer wieder in Gestalten irdischer Herrschaftsansprüche und mußte wohl zwangsläufig immer neu in Konflikte mit den weltlichen Gewalten verwickelt werden und oft genug selbst Urheber des Machtkampfes sein. War ,.libertasc ursprünglich die Parole für den Kampf der Kirche gegen ihre weltlichen Abhängigkeiten, so mußte sich ihre Stoßrichtung gegen die Kirche kehren, sobald diese die Unterscheidung vom weltlichen Regiment mißachtete. Dessen Emanzipation von kirchlicher Bevormundung feierte frühe Siege in den italienischen zwischen Subjektivität und öffentlichem Anspruch vgl. schon Regel, RPh § 137 (WW 7,256). 7 Robbes' Leviathan dürfte ,das letzte große Werk in der Geschichte der politischen Philosophie sein, das schon im Aufbau auf die Lehre von den zwei Gewalten bezogen ist; vgl. auch den Titelkupfer der englischen Erstausgabe von 1651, auf dem der Leviathan mit Schwert und Krummstab dargestellt ist, und wo unter jedem Arm in je fünf streng parallel aufgebauten Bildern der Ort (Burg/Kirche), das Symbol (Kronel Mitra), die Kampfmittel (Kanonen/Bannstrahlen), die Unterscheidungsmittel (Fahnenl Syllogismen) und die Entscheidungsplätze (Schlacht/Konzil) der zwei Gewalten dargestellt sind. Und schließlich stellt Robbes mit dem Motto des Titels die Verbindung zur potestas absoluta des spätscholastischen Gottesbegriffs her: non est potestas super terram quae comparatur ei (Ri. 41,24; vgl. dazu die andere Hiob-Stelle: Anm. 2). - Es ist das große Verdienst C. Schmitts, diesen Zusammenhang stets betont zu haben; vgl. R. Rumpf, Carl Schmitt und Thomas Robbes. Berlin 1972. 8 Zur Kritik der Regelschen Rechtsphilosophie - Einleitung, MEW I, 378.
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Stadtrepubliken der Renaissance', und der darin aufkommende neue Geist, der zugleich sich des vom ChristentUm nicht überformten antiken Erbes neu bewußt wurde, wurde zum Ferment einer Vernunft, die selbstbewußt genug war, kirchlicher Anleitung entraten zu können. - 1576 erschien Bodins Hauptwerk ,.Les six livres de la Republique«, das auch in Deutschland breite Resonanz fand 1o, nicht zuletzt deshalb, weil Bodin sich scharf von Machiavelli und dessen anscheinend religions- und moralfreiem Machtverständnis ll abgrenzt. Nur vier Jahre lag die Bartholomäusnacht zurück, der Ursprung der Lehrender französischen Monarchomachen! Diese Koinzidenz verweist darauf, daß der Beginn des Europäischen Völkerrechts, des lus Publicum Europaeum, zusammenfällt mit einer Phase von Bürgerkriegen im 16. und 17. Jahrhundert; Emanzipation von kirchlicher Bevormundung, innere Konsolidierung und äußere Souveränität der europäischen Staaten der Neuzeit sind untrennbar. Die überwindung des Bürgerkrieges erforderte die dauerhafte Neutralisierung der Glaubensunterschiede und religiös begründeten Machtambitionen: der Staat versprach nur derjenigen Gewissens-und Glaubensfreiheit seinen Schutz, die seinen Bestand unangetastet ließ. Sobald jedoch der Staat, der Gehorsam erzwingen kann, weil und soweit er Schutz gewährt, selbst zur Quelle des Unrechts wird, muß das Gewissen zum Ursprung des Widerstandes werden, nun freilich auf sich selbst gestellt und nicht mehr gehalten durch die Autorität der geistlichen Gewalt, welche einst die Gewissen ebenso leitete wie endastete. Damit wird, wie wir oben bei Fr. Schiller sahen, der Mensch zum alleinigen Urheber und Opfer seiner Gewalt, mit der ihn der neuzeitliche Staat seinem Schicksal überläßt12• 9 Vgl. P. O. Kristeller, Studies in Renaissance Thought and Letters, Roma 1969 (Reprint der Ausgabe 1956); H. A. ObermanfI'h. A. Brady Jr. (Hg.), Itinerarium Italicum. The Profile of the Italian Renaissance in the Mirror of its European Transformations (FS P. o. Kristeller), Leiden 1975. -10 Nachweise bei G. Scharffenorth, a. a. o. (Anm. 5),204 f. 11 ~. Kluxen hat, ähnlich wie H. Freyer in der Einführung zur Reclam-Ausgabe des ,.PrinCipec (Stuttgart 1961), den Wandel in der Betrachtungsweise bei Machiavelli als übergang vom (aristotelischen) teleologischen Formdenken zu einem (neuzeitlichmechanistischen) funktionalen Gesetzesdenken charakterisiert: Politik und menschliche Existenz bei Machiavelli, dargestellt am Begriff der Necessita; Stuttgart 1967, vgl. auch 9ie Selbstanzeige im Archiv für Begriffsgeschichte 14, 1970, 123. 12 Vgl. dazu auch C. J. Friedrich, Pathologie der Politik, FrankfurtlM. - New York 1974, 17-31. - Vermutlich waren Leibniz und Schleiermacher die letzten, die einen Entwurf einer Völkerrechtsordnung mit der Idee einer ökumenischen Theologie verbunden haben; vgl. H. E. Tödt, Theologie und Völkerrecht, in: G. Picht/Co Eisenbart (Hg.), Frieden und Völkerrecht, Stuttgart 1973, 74-76 und 83-86. - Vgl. zu diesem übergang auch H. Maier, Der christliche Friedensgedanke und der Staatenfriede der Neuzeit, in: HollerbachlMaier (Hg.), Christlicher Friede und Weltfriede, Paderbom 1971, 35-51.
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Im folgenden sollen nun einige Probleme und Autoren zur Sprache kommen, an denen exemplarisch verschiedene Fragen behandelt werden können, die sich aus der gewandelten Gewaltedahrung der Neuzeit unter der Voraussetzung ergeben, daß die Dualität von geistlicher und weltlicher' Gewalt zunehmend verblaßt. Dabei greife ich nur solche Problemstellungen auf, die einen unmittelbaren Bezug zu heutigen sozialethischen oder sozialphilosophischen Versuchen einer Gewaltkritik und -beurteilung haben; aufgrund diesei Auswahl wird jedesmal nur ein bestimmter relevanter Aspekt im Werk der jeweiligen Autoren näher betrachtet.
2. Menschenrechte, Völkerrecht und Gewaltkritik der frühen Neuzeit
Am Beginn dieses Abschnittes zum neuzeitlichen Gewaltverständnis ist es vielleicht nicht naheliegend, aber, wie ich zu zeigen versuchen werde, sachgemäß, den Blick nicht auf die europäischen Entwicklungen und theoretischen Entwüde zu richten, sondern in die Neue Welt zu lenken. Im Rahmen dieses Kulturkontaktes nämlich kam es, trotz und teilweise aufgrund der dabei von Europäern geübten unvorstellbaren Gewalttätigkeiten, zur Ausarbeitung der Grundlinien eines neuen, humanitären Rechtes, das die Stellung des Einzelnen und die Beziehungen zwischen Völkern und Staaten von Grund auf erneuern sollte. ,.Menschenwürde« wird zum Leitbegriff dieser neuen Gewaltkritik, welche einerseits auf überlieferte theologische und naturrechtliche Vorstellungen zurückgreifen kann, andererseits diese zu global verallgemeinerbaren Normen zu entschtänken unternimmt. ,.Christoph Kolumbus; ein Mann aus Ligurien, schlug den katholischen Königen Ferdinand und Isabella vor und .überzeugte sie von seiner Ansicht, daß er vom West~n Europas aus die Inseln, die bei Indien liegen, auffinden werde, wenn die Herrscher ihm Schiffe, Ladung und Besatzung zur Verfügung stellten. Durch solch ein Unternehmen könne man zugleich den christlichen Glauben leicht weiter verbreiten und eine ungeahnte Menge Perlen, Gewürze und Gold erlangen.«
In diesen Worten des Peter Martyr von Anghiera (1457-1526)13 berichtet ein zeitgenössischer Chronist vom Beginn der folgenreichsten Entgrenzung des orbis Christianus. Gold und Christentum, Mission und kolonialisierende Expansion erschütterten nicht nur das überkommene Weltbild der Christen13 De rebus oceanicis et orbe novo (1511 ff.). Eine deutsche übersetzung (Acht Dekaden über die Neue Welt) hat H. Klingelhöfer in 2 Bänden vorgelegt (Darmstadt 1972), dort Naheres zu Leben und Werk dieses italienisch-spanischen Humanisten; vgl. auch Munasu Duala-M'bedy, Xenologie, Freiburg-München 1977, 83 ff.
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heit, sondern führten auch die tradierte politische Ethik in eine tiefe Krise. Die Entdeckung und Eroberung Amerikas!4 eröffnete eine ganz neue Fremderfahrung, die sich von den bisherigen Kulturkontakten der Europäer in tiefgreifender Weise unterschied, denn hier begegnete man weder andrängenden Feinden wie den Türken und Arabern noch tatsächlichen oder möglichen Konkurrenten wie den slawischen Völkern noch Häretikern wie in den verschiedenen Ketzerbewegungen des Mittelalters. Andererseits hatten die Bewohner der Neuen Welt mit den eben genannten eines gemeinsam: sie galten als Heiden. ,.Acabar con el alma deI indio - die Seele des Indio auslöschen!«, war daher die Maxime nicht nur des Hernando Cortes!5. Zwischen 1492 und 1570 sind mehr Menschen von der indianischen Bevölkerung Lateinamerikas umgekommen als seither insgesamt eingewandert sind!6. Während das Christentum in seiner Durchdringung Europas sich die vorgefundenen Kulturen anverwandelte, wie es sich schon, die Grenzen Palästinas überschreitend, dem Geist des Hellenismus geöffnet hatte, zerstörte es in Mittel- und Südamerika den Leib und die Seele einer g~zen Kultur. Doch, merkwürdig genug, liegt hier zugleich der Ursprung einer neuen Auffassung von Menschenwürde und Völkerrecht, deren Anspruch und utopischer Oberschuß auch in der Gegenwart noch keineswegs eingelöst sind. 2.1. Grundlagen der Conquista
Unter den zahlreichen Voraussetzungen der iberischen Expansion in die Neue Welt!7 seien hier nur zwei erwähnt, nämlich einige Besonderheiten der spanischen Geschichte einerseits und Bestimmungen der mittelalterlichen Lehren über Ketzerei und gerechte Kriege andererseits. Zum Verständnis der Ziele und Methoden der spanischen Conquista ist es nämlich notwendig, sich klar zu machen, daß diese in verschiedener Hinsicht als Fortsetzung der Reconquista betrachtet werden muß, d. h. des schon im 8. Jahrhundert beginnenden Kampfes um die Wiederherstellung der Integrität des Landes gegenüber den eingedrungenen Kräften des IslamII. Der Hl. Jakobus (San14 Vgl. dazu jetzt die umfassende Darstellung von H.-J. Prien, Die Geschichte des Christentums in Lateinamerika, Göttingen 1978, bes. Kap. I und 11; s. auch Handbuch der Kirchengeschichte IV (1975), 605-622. Grundlegend: J. Höffner, Kolonialismus und Evangelium, Trier 31972 (1. Aufl. 1947 unter dem Titel "Christentum und Menschenwürde«). 15 Prien, 76. 16 Prien, 8I. 17 Vgl. Höffner, 143 ff.; vgl. auch R. Romano/A. Tenenti, Die Grundlegung der modernen Welt (Fischer Weltgeschichte, Bd. 12), Frankfurt/M. 1967,288-327, v. a. im Blick auf die ökonomischen Rückwirkungen in Europa. 18 Vgl. zum folgenden Prien, a. a. o. (Anm. 14), 58-64.
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tiago) war der Schlachtenpatron in diesen Befreiungskriegen, und ein Santiago-Kult hat sich schon im 10. Jahrhundert ausgebildet und bei zahlreichen Namensgebungen von Städten in der Alten wie der Neuen Welt Pate gestanden!'. Zwar herrschte bis in's hohe Mittelalter in Spanien zwischen Christen und Mauren em für die damalige Christenheit wohl ungewöhnliches Maß an Toleranz, aber seit dem Fall des Nasridenreiches von Granada wendete sich das BlatrO, zuerst wurden 1492 die Juden vor die Alternative Taufe oder Auswanderung gestelltzt, und 1502 wurde diese Bestimmung auf die Mauren ausgedehnt. Prien hat darauf hingewiesen, daß durch die Unterdrückung besonders der Juden die städtischen Mittelschichten, die sich Gewerbe und Handel widmeten, drastisch zurückgingen, so daß eine zahlenmäßig kleine Aristokratie das Land beherrschte, die dann auch der maßgebliche Träger der großen Expansion wu22. Höffner betont stärker spanisches Sendungsbewußtsein, rassische überlegenheitsgefühle23 und hochfliegende Weltmachtpläne24 • Die spanische Conquista in der Neuen Welt fand die Rechtfertigungsgründe ihres Tuns in den mittelalterlichen Lehren des Ketzerrechts und über den gerechten Krieg. über das Dekret Gratians 25 gelangten die Auffassungen Augustins und Gregors des Großen hinsichtlich des Rechtes zu gewaltsamem Vorgehen gegen die Häretiker im Abendland zu allgemeiner Geltung und konnten auf die Kreuzzüge übertragen werden. Unter den Dekretalisten hat besonders Heinrich von Segusia (t 1271), der spätere Kardinalerzbischof von Ostia (,.Hostiensis«), in seiner ,.Summa aurea« erklärt, man dürfe Heiden, die sich nicht dem Stellvertreter Christi unterwerfen, gewaltsam bekämpfen und auch ihres Besitzes berauben26 , und Aegidius Romanus, der Theoretiker von ,.Unam Sanctam«Z7, hat wohl am radikalsten die Illegitimität und Illegalitär8 19 Dieser spanische Santiago ist der neutestamentliche Jakobus, Sohn des Zebedäus, und soll in Santiago de Compostela begraben sein; Prien, 59 m. Anm. 5. 20 Prien, 59 f. 21 Zur Judenfrage vgl. auch Höffner, a. a. O. (Anm. 14), 51 ff, 22 Prien, 61 f. 23 Zu denken ist vor allem an das Motiv der Reinheit des Blutes, die »limpieza de sangre«; Höffner, 85. Duala-M'bedy, a. a. O. (Anm. 13), meint, daß das Wort "Rasse« auf das arabische "ras« (Haupt, Vorsteher) zurückgeht; so auch F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin 2Q1967, 584. 24 Höffner, 83-92. 25 Pars. 11, causa XXIII, q.4,5,7,8 passim (ed. Ae. Friedberg, Leipzig 1879, ND Graz 1959; Bd. I, 899 ff.); vgl. auch die Qudlenauszüge in: Ketzer und Ketzerbekämpfung im Hochmittelalter, hg. von J. Fearns, Göttingen 1968, 52-77. 26 Höffner, 57. 27 S. oben S. 133 f. 28 Diese Unterscheidung ist freilich, wie C. Schmitt im Anschluß an H. Barion meint, der römischen Kirche eigentlich fremd: ..Dank der göttlichen Leitung ist die
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jeder politischen Ordnung außerhalb der Gewalt der römischen Kirche betont: "post passionem Christi nulla respublica potest esse vera, ubi non coleretur sanctamater ecclesiae, et ubi non est conditor et rector Christus.c 2' Daß die Bewohner der Neuen Welt unter diese Bestimmung fielen, war der Conquista nicht zweifelhaft; ihr dämonisches Zerrbild der Eingeborenen ist mannigfach bezeugro. Hier waren dann zugleich die Bedingungen eines gerechten Krieges erfüllt, zumal dieser im Blick auf die causa iusta nicht an den Tatbestand eines Angriffs, sondern den eines vorhandenen Unrechts gebunden war. Welches Unrecht aber konnte größer sein, als nicht dem Glauben der einen Ki~che anzuhängen31 ? 2.2. Menschenwürde der Indianer
Um 1500 datiert man den Beginn der Indianer-Mission32 • Karl V., seit 1519 Kaiser, hat bald darauf Papst Leo X. um Entsendung von Missionaren gebeten, und der Nachfolger, Hadrian VI., der bis Johannes Paul II. letzte nicht-italienische Papst (und Lehrer des Kaisers), kam diesem Ersuchen nach33 . Aber schon 1510 beginnen erste Proteste gegen die grausamen Vernichtungszüge der Spanier unter den Indianern34• 1511 erklärt Fr. Antonio de Montesinos in einer Adventspredigt, daß sich im Stande der Todsünde befinde, wer sich am Sklavenregiment über Unschuldige beteilige35 • Viel gerühmt ist seither der bald einsetzende Kampf des Dominikaners Bartolome de Las Casas (1474-1566)36 für die Rechte und den Schutz der Eingeborenen, aber nicht weniger geschmäht blieb dieser Zeitgenosse von Thomas Morus, Machiavelli und Rabelais bis ins 20. Jahrhundert37. Seit 1530· beginnen die legale Hierarchie immer auch die legitime.« So C. Schmitt,. Das Problem der Legalität (1950), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, 440-451 (449). 29 De ecclesiastica potestate, ed. H. Schon (1929), ND Aalen 1961, 73, unter Berufung auf Augustin, De civ. Dei. 30 Vgl. den von Peter Martyr aufgezeichneten Bericht eines spanischen Geistlichen, zit. bei Duala-M'bedy, a. a. O. (Anm. 13), 86-88. . 31 Vgl. P. Engelhardt, Die Lehre vom ,.gerechten Kriege in der vorreformatorischen und katholischen Tradition, in: R. Steinweg (Hg.), Der gerechte Krieg: Christentum, Islam, Marxismus, Frankfurt/M. 1980, n-124 (87-93). 32 Prien, 142; HöHner, 190, spricht von 1502. 33 Vgl. H. Wißmann, Die ,.Colloquiosc des Padre Fray Bemardino de SahagUn als religionswissenschaftliche Quelle, Diss. phil. Heidelberg 1977 (masch.), 19. Cortes selbst hatte um missionarische Unterstützung gebeten, Text ebd., 20 f. 34 Höffner, 180 H. 35 Prien, 170. 36 Höffner, 196 ff.; ebd., bei S. 192, ein Portrait des Indianer-Apostels. 37 1966 hat H. M. Enzensberger eine der Anklagen Las Casas', die erstmalig 1790 in Berlin auf deutsch erschien, neu herausgegeben: Kurzgefaßter Bericht von der
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entscheidenden Auseinandersetzungen um die Rechte der Indianer, die Las Casas von Kaiser und Papst einfordert. Sein Ziel ist die Abschaffung der Commenden, die die grundlegende Organisationsform der Zwangsarbeit der Indianer bilden. Das Jahr 1537 bringt die Wende: am 29. Mai 1537 richtet Papst Paul Ill. das Breve ,.Pastorale officiumc an den Erzbischof von Toledo, in dem es u. a. heißt: ,.Hos igitur attendentes Indos ipsos, Iieet extra gremium Ecclesiae exsistant, non tamen sua Iibertate aut rerum suarum dominio privatos vel privaridos esse, cum homines ideoque fidei et salutis capaces sint, non servitute ddendos, sed praedicationibus ei: exemplis ad vitam invitandos fore ... «31
Karl V. sollte wenigstens zeitweise diesem Gedanken folgen. 1541 verbot er den Indianer-Sklavenhandel, und 1542 erließ er die ,.Leyes NuevaS de Indias«39, die auf eine weitgehende Einschränkung der Commenden zil!lten und jede Form der Sklaverei untersagten. Indes, diese Gesetze wurden nicht befolgt. In Peru kam es zu offenem Aufstand, in Mexiko bestritten Ordensbrüder von Las Casas in Gutachten, daß diese Grundsätze sich verwirklichen ließen. Diese Obstruktion von fast allen Seiten veranlaßte den Kaiser 1545, die Gesetze zu widerrufen. Bischof Bartolome setzte ·seinen Kampf bis zu seinem Tode fort, war er doch überzeugt, daß die übergriffe gegen die Indios den katholischen Glauben weit eher infrage stellten als die Tatsache. der Häresien in Deutschland4D • 1550 kam es noch einmal zu einer dramatischen Auseinandersetzung, als Las Casas und der spanische Hofchronist und -jurist Sepulveda vor dem ,.Rat der Vierzehn.. öffentlich ·disputierten zur Vorbereitung eines neuen Gutachtens4!. Welche Wirkungen davon ausgingen, ist wohl kaum zu beantworten, allein noch ein Jahr vor ·seinem Tode schreibt der Verwüstung der Westindischen Länder, Frankfurt/M. In seinem Nachwort (131-162) verweist er auf zeitgenössische Schmähungen des Autors (135) Und schließt: ,.Dieser Kampf spielt sich vor unseren Augen ab. Der Krieg in Vietnam ist die Probe aufs Exempd: das Regime der reichen über die armen Völker, das Las Casas als erster beschrieb;· steht dort auf dem Spiele (162). - Zu Las Casas vgl. B. M. Biermann, Las Casas und seine Sendung. Das Evangelium und die Rechte des Menschen, Mainz 1968; W. Henkd, Die Las Casas-Forschung 1966-1976, in: NZM 33, 1977, 81-98. 38 Denz, Nr. 1495. Nach Prien, ln, handelte es sich ursprünglich um eine Bulle, der der Papst 153-8 nach Intervention von Kaiser und Indienrat nur den minderen Status eines Breve zuerkannte. Ebd., mit Anm. 32, meint Prien, daß als erster Cajetan in einem Kommentar zur Summe des Thomas die Rechtmäßigkeit der Eroberung Amerikas bezweifdt habe (unter Verweis auf Mt. 10,16; Lk. 10,31!). 39 Vgl. Prien, 171; Höffner, 203 f. 40 Prien, 175. 41 R. Schneider hat in ,.Las Casas von Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeitc (Taschenbuch FrankfurtlM. 1957) diese Auseinandersetzung frei nachgezeichnet. Vgl. auch Höffner, 230 f. -
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Indianer-Apostel, daß die päpstliche Schenkung, die die spanische und portugiesische Herrschaft über die Neue Welt begründete, einzig die Ausbreitung des Evangeliums, nicht aber die eigene Bereicherung zum Ziele gehabt habe42 . In seinem Kampf um die Rechte der Indianer stand Las Casas nicht allein. Wohl ging kaum jemand so weit wie dieser in seinem ,.Kurzgefaßten Bericht,,43, wenn den Eingeborenen die causa iusta eines Verteidigungskrieges zugesprochen wird aufgrund ihrer naturrechtlichen -Gleichstellung mit den Eindringlingen. Aber andere wie Bernardino de Sahagful, dessen ,.Colloquios« ein Religionsgespräch mit vornehmen Azteken dokumentieren", oder der Minorit Jakob der Däne, der die sakramentale Gleichberechtigung der Indianer mit den Europäern verfocht4S , stehen ebenfalls am Beginn eines neuen Ethos, das aus einer ganz neuen ~rfahrung des Kulturkontaktes erwächst und weit in die Zukunft weist. Diejenigen aber, um deren Menschenwürde der Kampf dieses neuen, gewaltkritischen Ethos' geführt wurde, haben nur die Niederlagen erlebt. 2.3. Anfän~e eines neuen Völkerrechtes Zur Zeit des sogenannten Durchbruchs di!r reformatorischen Erkenntnis Luthers schrieb Machiavelli (1469-1527) seinen ,.Principe«, der allerdings erst 1532 erschien4'. in denselben Jahren bahnte der Ordensbruder des Las Casas, Francisco de Vitoria (1482/86-1546}47, den übergang zum neuzeitlichen Kriegs- und Völkerrecht an4•. (Man sieht: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist nicht erst ein Merkmal der neueren Geschichte.) In seinen berühmten Vorlesungen lODe Indis recenter inventis et De jure belli Hispanorum in barbaros" von 15394' hat er die durch die iberische Expansion 42 Höffner, 232. 43 A. a. O. (Anm. 37). 44 Vgl. Wißmann, a. a. O. (Anin. 33). 45 Vgl. J. N. Rasmussen, Bruder Jakob der Däne OFM, Wiesbaden 1974. 46 Vgl. die Einführung von H. Freyer zur Recl~-Ausgabe, Stuttgart 1961, sowie das entsprechende Kapitel in G. Ritter, Vom sittlichen Problem der Macht, Bern 1961, 27-60. 47 Vgl. J. Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft. Francisco de Vitoria und die philosophischen Grundlagen des Völkerrechts, Frankfurt/M. 1955; E. Reibstein, Völkerrecht, Bd. 1, Freiburg-München 1957, 279 ff.; Tödt, a. a. O. (Anm. 12),43-48; H. Frohnes, Missionsgeschichte und Kirchengeschichte, in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. I, München 1974, IX-LXXIV (XI f.). 48 Vgl. W. Preiser, Art. Völkerrechtsgeschichte, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch, III, 680-703 (695 ff.); Engelhardt, a. a. O. (Anm. 31), 90-93. 49 Eine zweisprachige Ausgabe hat W. Schätzel herausgegeben, Einleitung P. Hadrossek, Tübingen 1952. Danach wird im folgenden zitiert.
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geschaffene neue Lage einer umfassenden moraltheologischen Beurteilun~o. unterzogen. Bekanntlich waren mit der Bulle Alexanders VI. "Inter caetera divinaec vom 4. 5.1493 51 die neuentdeckten Gebiete zwischen Spaniern und Portugiesen aufgeteilt und in der Rechtsform des Lehens den neuen Herrschern übertragen worden, und die Conquistadoren-Proklamationen der folgenden Jahre erfolgten im Zeichen der Rechtsfiktion, daß der Papst als oberster Lehnsherr die neuen Gebiete jeweils zuwies. Vergleicht man theologische (Höffner, Tödt) und juristische Interpretationen (Schmitt) der "Relecciones« Vitorias, die hier nicht erneut referiert werden müssen, so fällt auf, daß jene das humanitäre Engagement des großen Gelehrten hervorheben, dieser aber seine nüchterne Objektivität und Neutralität betont. Zutreffend hat Schmitt herausgestellt, daß Vitoria die Conquista nicht als Unrecht erklärt, aber andererseits sind, was Schmitt kaum erwähnt, die Einschränkungen und Rechtfertigungsgründe, denen er sie unterworfen sehen will, derart, daß ihre Befolgung kaum weniger als die Forderungen Las Casas' den Kolonialismus ins Mark getroffen hätte. Nachdem Vitoria zunächst, in übereinstimmung mit älteren Kirchenrechtslehrern 52, das Recht auch der Häretiker auf Eigentum betont und eine unbegrenzte kaiserliche ebenso wie päpstliche Oberhoheit in der Welt bestritten ha~3, betont er aber zwei grundlegende Rechte, die den Europäern von den Eingeborenen eingeräumt werden müssen: Handel zu treiben54 und das Evangelium zu verkünden55 • 50 Daß Vitoria als Theologe, nicht als Jurist spricht - ,.als ein Gewissensberater und ein Lehrer, der künftige Theologen, vor allem theologische Gewissensberater von politisch handelnden Personen, erzieht« -, ist der Ansatz der Würdigung bei c. Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln 1950, 71-96 (Zitat 79). Der Gegenstandsbereich dieser Gewissensberatung erstreckt sich,· ganz wie wir bei Luther gesehen haben, auf alle Fragen des politischen Gemeinwesens, vgl. bei Hadrossek, a. a. o. (Anm. 49), XIV. 51 Text u, a. bei Reibstein, a. a. o. (Anm.47), 268-272; vgl. auch Schmitt (vorige Anm.), 57 H. 52 Auf einen dieser Vorläufer, den polnischen Kirchenrechtler und Theologen Pawe1 Wlodkowic (Paulus Vlodimius), berief sich Johannes· Paul 11. bei seinem Besuch in Polen im Juni 1979 hinsichtlich der Menschenrechte. Die Front, gegen die Wlodkowic stand, war der Deutsche Ritterorden. Vgl. auch B. Przybylski, Le Probleme de la guerre juste selon St. Thomas et P. Wlodkowic, in: W. P. Eckert (Hg.); Thomas von Aquin, Mainz 1974, ~23-836. 53 "Barbari, si nolint recognoscere dominium aliquod Papae, non ob id potest eis belium inferri et illorum bona occupari. - De indis 11, 7. 54 Zur kolonialen Wirtschaftsethik vgl. Höffner, a.a. o. (Anm.14), 388 H., sowie ders., Wirtschaftsethik und Monopole im 15. und 15. Jahrhundert (1941), Neudruck Darmstadt 1969. 55 "Si barbari pennittant Hispanos libere et sine impedimento praedicare Evangelium, sive illi recipiant fidem sive non, non licet hac ratione intentare illis belium ne alias occupare terras illorume - De indis 111, 11.
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Der Missionsbefehl Mt. 28,19 steht als Motto dem ganzen Werk voran, und insofern hat C. Schmitt recht, wenn er betont, daß das heutige rein säkulare Völkerrecht für eine Konstruktion wie die des Verhältnisses der spanischen Könige zur römischen Kirche keinen Platz mehr bietet,weil es ,.auf der territorialen Souveränität von Staaten (beruht), die jeder für sich vielleicht Konkordate schließen, aber doch eine gemeinsame völkerrechtliche Autorität geistlicher Art nicht mehr anerkennen· und kirchliche. Fragen als rein innerstaatliche Angelegenheit behandeln"s6. Für Vitoria sind dagegen die Subjekte des jus gentiumS7 noch Teile der Respublica Christiana, denn in ihm als Theologen ist das Bewußtsein des göttlichen Grundes und damit auch der Begrenzung aller irdischen Gewalten noch lebendig. Bevor dieser Zusammenhang im säkularen Völkerrecht gesprengt werden sollte, hat ihn der spanische Gelehrte in jener zuvor viel zu sehr vernachlässigten Bedeutung herausgearbeitet, die darin besteht, Kriege nicht so sehr zu rechtfertigen als vielmehr zu begrenzens8 . Weder die Verschiedenheit der Religion nämlich noch das Ziel, die eigene Herrschaft zu erweitern, noch Ruhm oder Vorteil können eine causa iusta eines Krieges abgeben; vielmehr soll gelten: ,.unica est et sola causa iusta inferendi bellum, iniuria accepta«S9. Während zuvor die Frage des ,.gerechten Krieges« auch und vor allem auf die Legitimierung des Angriffs zielte, trägt diese Bestimmung - iniuria accepta - eindeutig defensive Züge. Ich sehe auch nicht, daß in dieser Frage der causa iusta Vitoria zwi!lchen Kriegen unter Christen und solchen zwischen Christen und Heiden unterschieden hätte, wie Schmitt behauptet, um die implizite Verurteilung der Conquista zu relativieren6o. Auffallend ist stattdessen, daß die legitimen Kriegführungsmöglichkeiten sehr weitgehend begrenzt werden bis hin zu einer pflicht der Untertanen, sich selbst ein Urteil über die jeweils. beanspruchte Rechtmäßigkeit zu verschaffen und gegebenenfalls die Kriegspflicht zu verweigern: ,.Si subditi habeant conscientiam de iniustitia belli, non licet sequi bellum, sive errent sive non. Patet, quia 'omne, quod non est ex fide, peccatum est' (ad Rom. 14).,,61 56 A. a. O. (Anm. 50), 81. 57 Dessen Bestimmung in den Institutionen Justinians (1,2,1) lautet: Quod naturalis ratio inter omnes homines constituit, vocatur ius gentium. Vitoria engt diesen Begriff auf Beziehungen zwischen Staaten ein, vgl. De Indis 111,2. 58 Mit der Paulus-These, daß jede !;O'UOLQ von/unter Gott sei, verhält es sich wie mit Hegels These von der Vernunft des Wirklichen: sie kann als Kritik ebenso wie als Affirmation ausgelegt werden. Vitoria macht die Kritik stark. 59 De jure belli, 13, unter Berufung auf Augustin, Thomas (S. Th. 11-11 q.40) und Röm.13. 60 A. a. O. (Anm. 50), 81. - Apologetische Züge auf theologischer Seite wie bei HöHner, a. a. o. (Anm. 14), - vgl. nur 393 - sind ebenso an der Tagesordnung. 61 De jure belli, 23. Hvhbg. W. L.
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Demgegenüber liegt allerdings im Vorrang der Evangeliumsverkündigung gemäß dem neutestamentlichen Missionsbefehl ein prinzipiell nicht eingl'enzbarer Rechtstitel für mögliche Interventionen. Um den Glauben und seine Verbreitung zu schützen, kann der Papst fremden Völkern neue Herren geben62 , ebenso dann, wenn die vorhandene Herrschaft zur Tyrannis entartet und unschuldige Menschen opfert'). Dieses Interventionsrecht, so Vitoria, ist jedoch gegen die Gefahr abzuwägen, daß durch Gewaltanwendung die Verbreitung des Evangeliums gerade behindert werden könne'\ so daß es hier auf eine Abwägung der Vor- und Nachteile ankomme. Grundsätzlich dringt Vitoria auf die Klärung der iusta causa in jedem Fall von Gewaltanwendung, und wir haben schon gesehen, welche besondere Rolle dem (auch irrenden) Gewissen zugemessen wird. Darüber hinaus steht der Spanier am Beginn des säkularen Völkerrechts., wenn er fragt: ..An possit esse bellum iustum ex utraque parte?«'5Die Antwort Vitorias geht dahin, daß dieser Fall nur gegeben sein könnte, wenn eine Seite im Recht ist, die andere zwar objektiv unrechtmäßig, subjektiv aber bona fide handelt; m. a. W. wird damit unterstellt, daß es bei voller Erkenntnis aller Beteiligten überhaupt keine gerechten Gründe auf beiden Seiten geben könne. Entfällt jedoch diese Annahme eines rationalistischen Urteils, wird mithin der zwingende intersubjektive Nachweis gerechter Gründe schwierig oder gar unmöglich, dann muß die Möglichkeit eines .. bellum iustum ex utraque parte« zugestanden werden. Damit ist der entscheidende, unmittelbar nach Vitoria vollzogene Schritt getan, der zum freien Kriegsführungsrecht der souveränen Staaten der Neuzeit führen sollte, welches den Krieg entkriminalisiert", als rationales Mittel im Machtkampf einsetzt und durch Regeln für die Kriegsführung zu .. hegen« versucht. Die iustacausa wird zurückgedrängt: ,.Der formale Anhaltspunkt für die Bestimmung des gerechten Krieges ist hier nicht mehr die völkerrechtliche Autorität der Kirche, sondern die gleichberechtigte Souveränität der Staaten. Die Ordnung des interstatalen Völkerrechts geht, statt von der justa causa, vom justus hostis aus und bezeichnet jeden zwischenstaatlichen Krieg zwischen gleichberechtigten Souveränen als rechtmäßigen Krieg. Durch diese juristische Formalisierung ist für zweihundert Jahre eine Rationalisierung und Humanisierung, mit anderen Worten: eine Hegung des Krieges gdungen.«67
Wie es in der Wirklichkeit der folgenden Jahrhunderte mit dieser .. Humanisierung« des Krieges tatsächlich bestellt war, muß offenbleiben; es mag 62 De Indis III, 13.14 (,.in favorem fidei Papa potest mutare dotninos«). 63 Ebd. m,15. 64 Ebd., III,12, unter Verweis auf 1. Kor. 6,1. 6~ De jure belli, 32. 66 Vgl. dagegen oben, S. 159 f. zu Luther. 67 Schmitt, a. a. O. (Anm. 50), 91; vgl. auch Preiser, a. a. O. (Anm. 48) 698 f.
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genügen, auf diese Absicht des Ius Publicum EUl'opaeum zu verweisen und diesen Schritt des überganges vom mittelalterlichen zum neuzeitlichen Völkerrecht bezeichnet zu haben. Die weitere Ausarbeitung des Völkerrechts, wie sie sich beispielhaft mit dem Werk des Grotius 68 (1583-1645) und der Souveränitätslehre Bodins" (1530-1596) verbindet, kann und braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. Im folgenden wende ich mich stattdessen einigen zentralen Fragen zu, die die Begrenzung der Gewalt im Innem der Staaten betreffen und für das neuzeitliche Verständnis von Staat und Recht grundlegend sind.
3. Gewaltmonopol und Rechtsstaat .Die Hoffnung, durch Einwirkung auf die menschliche Einsichtsfähigkeit einen allgemeinen freiwilligen Gesetzesgehorsam zu erzielen, muß auch in einer Zeit der Neo-Aufklärung blutleere Utopie bleiben. Daher ist der Rechtsstaat gehalten, die Gesetzesbefolgung notfalls durch staatliche Gewalt zu erzwingen. Er kann kein gewaldreier Staat, sondern muß im Gegenteil im Interesse der Allgemeinheit und des einzelnen zugleich Machtstaat sein, wenn er nicht zu einem ohnmächtigen Staat herabsinken will. Der Gegensatz von Machtstaat und Rechtsstaat ist nicht darin zu suchen, daß der Machtstaat nur und der Rechtsstaat keine Macht oder Gewalt anwendet. Vielmehr unterscheidet sich der Rechtsstaat vo~ Staat der Willkür oder reinen Gewaltherrschaft dadurch, daß in ihm das Recht Priorität genießt und Gewalt und Zwang nur nach Maßgabe des Rechts und nicht nach Willkür oder Belieben oder um ihrer selbst willen angewendet werden dürfen.c 7G
Mit diesen oder ähnlichen Worten pflegt man das Kriterium und die spezifische Differenz zu charakterisieren, in denen sich der Staat der Neuzeit von den meisten älteren Herrschaftsverbänden unterscheidet. Fast alle derartigen Definitionen sind orientiert an Max Webers klassischer Bestimmung, die seine soziologischen Grundbegriffe in ,. Wirtschaft und Gesellschaft« abschließt: ,.Politischer Verband soll ein Herrschaftsverband dann und insoweit heißen, als sein Bestand und die Geltung seiner Ordnungen innerhalb eines angebbaren geographi68 De jure belli ac p~cis, libri tees (Paris 1625; deutsch 1707 mit einer Vorrede von ehr. Thomasius), Neuausgabe, hg. v. W. Schätzel, Tübingen 1950. Vgl. dazu Scharffenorth, a. a. O. (Anm. 5), 257 ff.; Schmitt, a. a. O. (Anm. 50),131 ff.; Tödt, a. a. O. (Anm. 12), 63 ff.; zu Grotius' Gewaltbegriff vgl. auch K. Röttgers, Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in: o. Rammstedt, (Hg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, FrankfurtlM. 1974, 157-234 (bes. 161-163). 69 Trotz der Bedeutung Bodins gibt es keine brauchbare neuere deutsche Ausgabe. Zum Stand der Forschung vgl. H. Denzer (Hg.), Jean Bodin, München 1973 (von der internat. Bodin-Tagung 1970); ebd., 492 ff., Bodin-Bibliographie. Zum Souveränitätsbegriff vgl. J. Dennert, Ursprung und Begriff der Souveränität, Stuttgart 19M (bes. 56 ff. zu Bodin); H. Quaritsch, Staat und Souveränität, Bd. I, Frankfurt/M. 1970. 70 D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975,29.
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sehen Gebiets kontinuierlich durch Anwendung und Androhung physischen Zwangs seitens des Verwaltungsst~bes garantiert werden. Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab edolgreich das Monopol legitim physischen Zwanges für die Durchführung der Ordnungen in Anspruch nimmt.•?1
Diese Definition will nicht sagen, Gewaltsarnkeit sei das einzige oder ein normales Verwaltungsmittel; sie bestimmt lediglich die ultima ratio, wenn alle ~nderen Mittel versagen, und sie impliziert, daß alle anderen Verbände oder Einzelne nur soweit ein Recht zu physischer Gewalts:m,tkeit haben, als der Staat dies zuläßt72 • Die Definition läßt schließlich auch das Fortbestehen kommunaler, ständischer oder kirchlicher A~tonomie zu,· ~ur nicht die Möglichkeit einer eigenberechtigten Gewalt neben dem zentralen Verwaltungsstab .. Diese begriffliche Bestimmung ist zugleich das Ergebnis ei~er spezifischen abendländischen Entwicklung, zu der als ein wesentliches Merkmal die Entmachtung der aus eigenem Recht konkurrierenden gei~tlichen Gewalt gehört. Einige Aspekte der Durchsetzung und theoretischen Begründung der neuzeitlichen Verbindung von Rechtsstaat und Gewaltmonopol sind im folgenden zu betrachten, wobei wegen ihrer besonderen Aktualität für heutige sozial-philosophische und sozialethische überlegungen Hobbes und Kant im Mittelpunkt stehen. Nicht so sehr die historischen Gewaltverhältnisse, sondern die präzise begriffliche Erfassung der Gewalt mdiesen beiden theoretischen Entwürfen kann heutigem Nachdenken über Gewalt hilfreich, wenn nicht unentbehrlich sein. 3.1. Glaubensfreiheit und Gewaltmonopol, Schutz und Gehorsam
Daß die Glaubensfreiheit des Einzelnen und das Gewaltmon:opoi des (mehr oder weniger) religionsneutralen Staates sich bedingen, ist in Frankreich oder 71 Tübingen 51972, 29. - Einen späten Reflex der alten Zwei-Gewalten-Theorie·wird man bei Weber darin sehen düden, daß er seine Definition der Kirche unmittelbar anschließend völlig parallel mit charakteristischer Differenz gibt: .Hierokratischer Verband soll ein Herrschaftsverband dann und insoweit heißen, als zur Garantie seiner Ordnungen psychischer Zwang durch Spendung oder Versagung von Heilsgütem (hierokratischer Zwang) verwendet wird. Kirche soll ein· hierokratischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und soweit sein Verwaltungsstab das Monopol legitimen hierokratischen Zwanges in Anspruch nimmt« (ebd.). Zum weiteren Zusammenhangvgl. J. Schwerdtfeger, Rationalisierung und Kirchenbegriff bei Max Weber, in: G. Grohs/ J. SchwerdtfegerlTh. Strohm (Hg.), Kulturelle Identität im Wandel (FS D. Goldschmidt), Stuttgart 1980, 60-68. 72 M. Weber, Politik als Beruf (1918/19), in: ders., Gesammelte Politische Schriften (ed. J. Winckelmann), Tübingen 21958,493-548 (494).
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England nicht weniger als in Deutschland das Ergebnis der konfessionellen Bürgerkriege. Im Art. V, § 52 des Instrumentum Pacis Osnabrugense, des Westfälischen Friedens von 1648, heißt es: ,.In causis Religionis omnibusque aliis negotiis, ubi Status tanquam unum Corpus considerari nequeunt, ut etiam Catholicis et Augustanae Confessionis Statibus in duas partes euntibus, sola amicabilis compositio lites dirimat, non attenta votorum pluralitate..,73 Hobbes 74 und Locke7s sind in England Bahnbrecher des Gedankens religiöser Toleranz, denen in Frankreich besonders Bodin an die Seite zu stellen ist, welcher die harmonia im Staat in der concordia discors der Erscheinungen des religiösen Pluralismus und der ihnen zugrundeliegenden religio naturalis ermöglicht siehe'. Freilich: der Bestand des Staates· bildet die Grenze aller Religionsfreiheit, und zudem darf man diese philosophischen EntWürfe der Begründung eines staatlichen Schutzes der Religionsfreiheit nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen verwechseln, denn auch nach dem Ende der Religionskriege privilegiert der Staat in fast allen Ländern in der Regel eine bestimmte Konfession, so daß dem Einzelnen,. der dissentiert, oft nur die Möglichkeit der Auswanderung oder Umsiedlung bleibt. Vermutlich gilt zudem weithin, daß der Staat, der die Glaubensfreiheit schützt, seinerseits einer hinreichend unerschütterlichen Autorität bedarfn . 73 Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495-1815, hg. v. H. H. Hofmann, Darmstadt 1976, 184; vgl. K. Schlaich, Majoritas-protestatio-itio in partes-corpus Evangelicorum. Das Verfahren im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nach der Reformation, in: ZRG KA 94, 1977, 264-299 und 95, 1978, 139-179. Schlaich betont, daß das Reich der Idee nach weiter als sacrum imperium aufgefaßt wurde (173) aufgrund des in der Taufe gegebenen Grundes gemeinsamer Christlichkeit (176), und: ,.das Reich war in seinem Kern ein Friedensverband nach Innen, kein Machtstaat. Die Ausdehnung der Macht war nicht'Staatszweck. Zweck des Reiches war das geordnete, friedliche un,d rechtliche Zusammenleben.. (175). - Zur amicabilis compositio als durchaus auch unter neuzeitlichen Bedingungen funktionsfähigem Verfahren vgl., am Beispid der Schweiz,' die Arbeiten von J. Steiner, Bürger und Politik, Meisenheim 1969; ders., Gewaltlose Politik und kulturelle Vidfalt, Bern-Stungart 1970; und weiter verallgemeinernd ders., Subkulturel1e Segmentierung und politische Gewalt, in: Der Staat 12, 1973, 313-338. 74 Vgl. F. Tönnies, Thomas Hobbes. Leben und Lehre e1925), Neudruck StungartBad Cannstan 1971, 254-266; W. Foerster, Thomas Hobbes und der Puritanismus, Berlin 1969; ders., Thomas Hobbes und der Puritanismus, in: R. Kosel1eckIR. Schnur (Hg.), Hobbes-Forschungen, Berlin 1969, 71-89; C. Schmin, Die vol1endete Reformation, in: Der Staat 4, 1965, 51-69. 75 Seinen _Brief über Toleranz.. schrieb er 1685/86 in Amsterdam; englisch-deutsche Ausgabe (hg. v. J. Ebbinghaus) Hamburg 1957. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Brief um den Versuch einer Grundlegung des Staatskirchenrechts, der, wie Ebbinghaus in seiner Einleitung herausarbeitet, aporetisch bleibt. 76 Vgl. G. Roellenbleck, Der Schluß des lOHeptaplomeres .. und die Begründung der Toleranz bei Bodin, in: Denzer, a. a. O. (Anm. 69), 53-67. 77 Der Geschichte der n~zeitlichen Toleranz, die eine wesentliche Eingrenzung von
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3.1.1. Calvinistischer Royalismus Daß Th. Hobbes religiöse Toleranz nur unter der Voraussetzung emes starken Staates für möglich hielt, ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß auch im französischen Protestantismus des 17. Jahrhunderts und eb~nso bei anderen calvinistischen Autoren eine dem gängigen Klischee widersprechende Hochschätzung staatlicher Autorität begegnet. Besonders H. Kretzer hat in mehreren Arbeiten die verbreitete Behauptung »einer republikanischen Tradition im Calvinismus.?8 gründlich untersucht mit dem Ergebnis, daß die Zeit der öffentlichen Wirksamkeit der Lehre der Monarchomachen auf eine Episode von ca. 1573 bis 1584 beschränkt blieb und ,.für Frankreich selbst nur ephemere Bedeutung« gewann, nämlich für die.' uruDittelbare Bürgerkriegssituation nach 157279 • Die berühmteste monarchomachische Schrift sind die ,. Vindiciae contra tyrannosc des jungen Philip Duplessis-Mornay80 von 1574 (gedruckt 1579), die einen Meilenstein in der neuzeitlichen Theorie des Widerstandsrechtes bilden8!. Das Werk ist entschieden antimachiavellistisch82 und geht von dem göttlichen Ursprung aller irdischen Gewalt aus, die von Gott in einem Bund dem Fürsten als seinem Vasallen übertragen wird. Die inhaltliche Norm dieser "puissance legi~e du Prince sur le peuple, et du peuple sur le Princec( I), wie der Titel der französischen überset~ung lautet, und damit aller Rechtsetzung bildet der Dekalog, während der Fürst die legitimer Gewalt bedeutet, gehe ich hier nicht näher nach und verweise lediglich auf J. Leder, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Bd.II, Stuttgart 1965; vgl. auch H. Bornkamm, Art. Toleranz 11., in: RGG1 VI (1962), 933-946. 78 Calvinismus und französische Monarchie im 17. Jahrhundert, Berlin 1975, 422; vgl. ders., Der Royalismus im französischen Protestantismus des 17. Jahrhunderts, in: Der Staat 15, 1976, 503-520. 79 Zum theologischen Hintergrund vgI. G. Schrenk, Go.~sreich und Bund im älteren Protestantismus, vornehmlich bei Johannes Coccejus, Gütersloh 1923; sowie G.Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969,157-178, der Beispiele für die umfassende Geltung der der Jurisprudenz entlehnten Zauberformel der mutua obligatio aufführt: Kindertaufe (Melanchthon), Ehe (Vitoria) und Staatsrecht (Calvin) werden damit interpretiert (bes. 165). Aus dem Bruch der mutua obligatio in der Bartholomäusnacht leiten Theodor Beza und andere das Recht zum Widerstan4 und Tyrannenmord ab (167). - Zur puritanischen Lehre vom »covenantc vgl. Förster, a. a. O. (Anm. 74), Kap. 11. 80 Zur Verfasserfrage vgI. die Hinweise bei Oestreich (vorige Anm.,168) und Kretzer, Calvinismus (Anm. 78), 24 f. 81 Vgl. K. Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt e1916), Neudruck Aalen 1968, 105-107. 82 Zum folgenden vgl. Kretzer, Calvinismus (Anm. 78), 25 ff.
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Einhaltung der Gesetze überwacht, welche ihren Grund in der Souveränität des Volkes haben 83 • Verletzt der Fürst nachhaltig und schwer die in diesem doppelten Bund mit Gott und dem Volk begründeten pflichten, so wird er zum »tyran d'exercise«, dem zu widerstehen ein sorgfältig näher bestimmtes Recht ist. Dem »tyran d'usurpation« gegenüber hat »auch der amtlose kleine Privatmann« ein Recht auf Widerstand 84. Die Grenze dieser Theorie deutet sich aber schon hier an in dem gelegentlichen Hinweis, daß im Normalfall dem Fürsten unbedingter Gehorsam wie Gott selbst geschuldet wird8s ; diese Bestimmung eröffnet den übe~gang zum strengen Royalismus des französischen Calvinismus, sobald mit dem Edikt von Nantes (1598) Gewissens- und Kultfreiheit grundsätzlich und weitgehend garantiert waren und unter Heinrich IV. auch verwirklicht wurden. Ab hier datiert jener politische Gehorsam der Protestanten in Frankreich, der sich bruchlos auch dem Absolutismus einfügte, und welcher durch die Akademien von Sedan und Saurnur und ihre politische Lehre einem Großteil der Hugenotten vermittelt wurde. Dies war möglich, weil ein katholischer König den Schutz der Calvinisten übernahm (und keineswegs; weil eine allgemeine Neutralität in Religionsangelegenheiten Geltung gewonnen hätte), weil mithin der Staat selbst einen religiösen und politischen Dualismus institutionalisierte86 . 3.1.2. Thomas Hobbes Ein derartiger Dualismus war für Thomas Hobbes (1588-1679) nicht vorstellbar, wiewohl auch für ihn alles darauf ankam, die konkurrierenden Machtansprüche der Religionen und Parteien zu neutralisieren, hatte er doch selbst in England und Frankreich die Greuel des Bürgerkrieges aus der Nähe kennengelernt. Daher unternahm er es, »ein Recht zu lehren, das über den Parteien steht«87, und um dieses argumentativ und deduktiv zu entwickeln, geht er zurück auf die anthropologischen Wurzeln des Bürgerkrieges. 83 "En taus Royaumes bien establis le Roy re'Yoit du peuple les IoD: lesquelles il doit soigneusement considerer et maintenir.« Zit. nach Kretzer, ebd., 32 m.Anm.75. Zu den Anfängen der Lehre von der Volkssouveränität vgl. P. Graf v. Kielmansegg, Volkssouveränität, Stuttgart 1977. ·84 Kretzer, ebd., 34. 85 Ebd. 86 Ebd., 42. Wie sehr die Sicherheit und Selbstbehauptung des Staates Vorrang vor der Gewährung von Toleranz hat und diese in gewisser Weise eine starke Obrigkeit voraussetzt, hat F. Goedeking herausgearbeitet: Die ,.Politik« des Lambertus Danaeus, Johannes Althusius und Bartholomäus Keckermann. Eine Untersuchung der politischwissenschaftlichen Literatur des Protestantismus zur Zeit des Frühabsolutismus, Diss. theol. Heidelberg 1976 (masch.). 87 R. Koselleck, Kritik und Krise, Freiburg-München 21969, 18.
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Schon in seinem Aufbau macht der .. Leviathan«88 deutlich, daß er nicht von der Offenbarungswahrheit, sondern von den "principles of nature" (c.32: 286/285) ausgeht, wiewohl die Stimme der Vernunft (natural reason) mit dem göttlichen Wort prinzipiell in übereinstimmung stehen soll8'. Die Vernunft erkennt nun, daß der Mensch »von Natur aus asozial« ist'lO. ioAppetitus et fuga«, ,.desire and feare«, sind die Grundbegriffe dieser Anthropologie (c. 6: 39/39 ff.), und in all'dem wirken zwei basale Triebe: der Selbsterhaltung und der Selbststeigerung - ,.a perpetuall and restlesse desire of Power after power, that ceaseth onely in Death« (c. 11: 75/75). Hierin manifestiert sich die ,.naturall condition of mankind« (c. 13), und diese bildet, solange ·es keine höchste Gewalt gibt, nichts anderes als einen Kriegszustand ~ »during the time men live without a common Power to keep them all in awe, they are in that condition which is called Warre; and such a warre, as is of every man; against every man« (c. 13: 96/96)'1. Aus der Reziprozität elementarer Sozial beziehungen - und nicht aus einem tradierten Begriff von Recht und Gesetz - entwickelt Hobbes auf der Basis dieser Bestimmungen die Grundbegriffe einer rechtlich geordneten Sozialität. Aufgrund des natürlichen Rechts (right of nature, jus naturale) ist jedermann der Wille zur Selbsterhaltung und -steigerung eigen, und Freiheit bedeutet in dieser Hinsicht die Abwesenheit äußerer Hindernisse (99/99). Das Naturgesetz jedoch (law of nature, lex naturalis) ist eine Vorschrift der Vernunft, die jeden dazu anhält, sein natürliches Recht in Freiheit so zu gebrauchen, daß er sein Leben erhält (ebd.):Weil aber diese Bestimmungen für jedermann gelten, bedarf es einer Regel, die ermöglicht, daß die verschiedenen Weisen der Betätigung dieser Willküttreiheit sich nicht selbstdestruktiv auswirken. Darum stellt Hobbes zwei fundamentale ,.laws of nature« auf, die lauten: (1) ,.That every man, ought to endeavour Peace, as farre as he has hope of obtaining it, and when he cannot obtain it, that he may seek, and use, all helps, and advantages of Warre.« 88 1651, latein. Ausgabe 1668. Ich zitiere im Text jeweils in Klammern·zuerst nach der eng!. Ausgabe von Pogson Smith (Oxford 1909 u. seither zahlreiche Aufl.), sodann nach der übersetzung von W. Euchner (hg. v. I. Fetscher) in der Taschenbuchausgabe, Frankfurt/M-Berlin-Wien 1976. 89 Andernfalls fehlt es an vernünftigem Verständnis. Erasmus wollte bekanntlich in der ..Diatribe« die ,.dunklen« Schriftstellen dahingestellt sein lassen, während Luther in "De servo arbitrio« auch deren Autorität betont hat. Tatsächlich wird bei Hobbes, bes. im 4. Teil des .. Leviathan«, die Vernunft zum Schiedsrichter. 90 K. Röttgers, Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in: O. Rammstedt (Hg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt/M. 1974, 157-234 (163). 91 Zum Begriff des Krieges gehört nach Hobbes der der Zeit, sofern vom Kriege seine Erwartung und Vorbereitung nicht zu trennen sind (ebd.).
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(2) ,.That a man be willing, when others are so too, as farreforth, as for Peace, and defense of himselfe he shall think it necessary, to lay down this right to all things; and be contented with so much libenr against other men, as he would allow other men against himself« (100/99 H.).
Die anthropologische These ,.desire. of power« bildet die individualistische Grundlegung der Hobbes'schen Gewalttheorie, und zugleich wird hier deutlich, daß auch und gerade bei Hobbes die Momente von potestas und violentia, jedenfalls in der .. naturall condition of mankind .. , ineinanderfließen, wie es auch für die Begriffsgeschichte im deutschen Sprachraum bezeichnend ist'2 und wie es die anfangs zitierten Fragmente Pascals zeigen']. Ein Unterschied aber liegt darin, daß liobbes die Grundbegriffe seines Systems so wählt, ,.daß das Ergebnis, der Staat, in den Prämissen des Bürgerkrieges bereits enthalten ist,,". Denn der Wille zur Macht und der Wunsch nach Frieden, Steigerung und Erhaltung, entstammen demselben Ursprung, derselben Triebstruktur, demselben moralfreien Gewaltvermögen des Menschen, aber dieses vermag sich aufgrund seiner immanenten Widersprüchlichkeit nicht selbst zu stabilisieren, weil jeder jedem nach diesem Gesetz gegenübertritt. Vermöge seiner Vernunft aber kann der Mensch die Selbstwidersprüchlichkeit seiner Antriebe (passions) einsehen und nach Regeln fragen, deren Beachtung Selbsterhaltung ermöglicht. Daß in diesem Sinne Frieden von der Vernunft gewollt wird'5, ist darin begründet, daß die Struktur der meschlichen Triebe von sich aus nicht hinreicht, die Selbsterhaltung des Individuums zu garantieren. Man kann fragen, ob diese von allen geschichtlichen Beson':' derheiten abstrahierende Betrachtung der atomistisch Einzelnen und anthropologisch Gleichen nicht in methodisch willkürlicher Vereinfachung die immer schon historisch gegebenen Bindungskräfte eines politisch-nationalen Ethos ignori~rt", oder ob der Geltungsbereich dieser Annahmen begrenzt 92 Vgl. die Belege im Grimm'schen Wörterbuch, Bd. VII, s. v. Gewalt. 93 S. oben S. 30 H. 94 Koselleck, a. a. O. (Anm. 87), 19. 95 Unter diesem Gesichtspunkt hat U. Weiß einen Bericht über die neue deutsche Hobbes-Rezeption gegeben: Hobbes' Rationalismus, in: Phil. Jahrbuch 85, 1978, 167-196. 96 Vgl. schon Hegels Kritik an Hobbes' Methode: RPh § 273 (WW 7,439). In den ,.Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie« urteilt Hegel zwar zurückhaltend (WW 20,225-229), aber grundsätzlich hat er seit dem Naturrechtsaufsatz von 1802 alle Versuche einer Sozialitätsbegründung auf der Basis .natürlicher Bedürfnisse« abgelehnt; vgl. näherhin L. Siep, Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften, in: Hegel-Studien, Bd.. 9, Bonn 1974, 155-207; sowie jüngst ders., Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, Freiburg-München 1979, passim.
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bleibt auf die Sphäre des homo oeconomicus im Idealtypus der liberalen Marktgesellschaft97 • Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage liegt jedoch gerade eine spezifische Leistung des Hobbes'schen Entwurfs darin, mit dem Begriff eines ursprünglichen, anthropologisch gegebenen Gewaltvermögens den dunklen Grund jener historisch ganz indifferenten Mächte bezeichnet zu haben, die stets die Gestalten des objektiven Geistes latent bedrohen98 • Wenn Hobbes von dieser extremen Möglichkeit her denkt, so steigert er die Anforderungen an jede politische Theorie, die gegen die Gewalt den Frieden sucht, in bislang unbekannter Weise, denn von einer derartigen Theorie, die vom bellum omnium im Naturzustand und der Gewalt als einem ,.Primärphänomen«" ausgeht, muß nichts weniger als die Lösung der Frage verlangt weiden, wie es möglich sei, einen Staat ,.selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)«loo zu errichten. Daß der Mensch aufgrund seiner Vernunft zum Zwecke der Selbsterhaltung sich genötigt sieht, Regeln zur Begrenzung seiner Gewaltfähigkeit zu vereinbaren und einzuhalten (laws of nature, deren Merkmal obligation ist: c. 14, 99/99), gilt nach Hobbes schon im Naturzustand, in welchem verschiedene Formen von Rechtsverzicht, Rechtsübertragung und Verträgen aller Art vorkommen101 • Ihr gemeinsames Grundprinzip ist in der Goldenen Regel ausgesprochen (100/100) und lautet formal: ,.That men performetheir Covenants made« (c. 15: 100/100). In den Kapiteln 14 und 15 des Leviathan werden daher die vorkonstitutionellen Bedingungen der Möglichkeit einer staatlichen Ordnung entwickelt101, aber diese Bedingungen sind alle von der Art, daß sie, für sich genommen, ins Chaos des bellum omnium führen. Ein schärferer Gegensatz zur Rechtslehre etwa des Aquinaten, in welcher jede lex an der lex aeterna und damit am göttlichen Erhaltungswillen teilhatte, ist schwer vorstellbar, als dieser Ver97 Vgl. C. B. Macpherson, Die politische Theorie des BesitzindividuaIismus (zuerst Oxford 1962), FrankfurtlM. 1973,21-125 (bes. 76 H.). 98 ,.Durch die Gewalt, meint die yorstellung oft, hänge der Staat zusammen; aber das Haltende ist allein das Grundgefühl der Ordnung, das alle haben.« So Hegd, RPh § 268, Zusatz (WW 7,414). Der Bürgerkrieg, aus dessen Erfahrung Hobbes denkt, bedeutet aber gerade das Ende dieses 10Grundgefühls«, weil das Gewaltvermögen roh zutage tritt. 99 Röttgers, a. a. O. (Anm. 90), 176. Zur Geschichte der Formel ,.homo homini lupus«, die Hobbes in der Widmung von lODe cive« zitiert und die auf die ,..Asinariac des Plautus zurückgeht, vgl. P. Mayer-Tasch, Thomas Hobbes und das Widerstandsrecht, Tübingen 1965, 17 m. Anm. 6. 100 Kant, Zum ewigen Frieden (1795/96), ed. Weischedel VI, 224. 101 Hobbes nennt 19 derartige laws of nature. 102 ,.Laws of nature, dictating Peace, for a means of the conservation of men in multitudes« - c. 15:120/120.
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such Robbes', ,.das Recht aus der Negation des Rechts abzuleiten.. lol • Dieser Primat der Negation in der Argumentation steht, so scheint mir, in strikter Korrelation zum Primat der Gewalt in der politischen Edahrung und Analyse. ,. Weil Gott die Welt aus Nichts geschaffen hat, kann sie jederzeit als ins Nichts zurückfallend betrachtet werden... lo• Schon der erste Satz der Einleitung des Leviathan hatte diese Auffassung präludiert, welche sowohl der aristotelischen N atur-Teleologie wie der thomasischen Schöpfungslehre diametral widerspricht, denn wenn der Mensch beides ist, Werkstoff und Konstrukteur (matter, artificer _ 9/5)105, muß er allein auch beides vereinen: die Betätigung und Begrenzung seiner Gewalt. Diese Begrenzung geschieht dauerhaft nur durch die Unterwedung aller Einzelwillen unter einen einzigen Willen, und in diesem Unterwedungsvertragl06 wird der Staat konstituiert l07 : ,.This is more than Consent, or Concord; it is areall Unitie of them all, in one and the same Person, made by Covenant of every man with every man, in such manner, as if every man should say to every man, I Authorise and give up my Right of Governing my seife, to this Man or to this Assembly of men, on this condition, that thou give up the Right to him, and Authorise all his Actions in like manner. This done, the Multitude so united in one Person, is called a Common-Wealth, in latine Civitas. This is the Generation of that great Leviathan, or rather (to speake more reverently) of that Mortall God, to which we owe under the Immortall God, our peace and defense« (c. 17: 132/134)101. 103 M. RiedeI, Zum Verhältnis von Ontologie und politischer Theorie bei Hobbes, in: KosellecklSchnur, a. a. O. (Anm.74), 103-118 (115). Riedel deutet Hobbes als radikalen Nominalisten (vgl. schon das Motto zum Leviathan!), dessen Philosophie ,.der reformatorischen BewußtseinssteIlung radikaler Weltfreiheit Ausdruck. gibt (115). . 104 RiedeI, ebd., 112. 105 Vgl. dazu und zum Einfluß des Francis Bacon auf Hobbes jüngst D. Braun, Auf dem Weg zur Vita activa, in: A. Baudis u. a. (Hg.), Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens (FS H. Gollwitzer), München 1979,222-259. 106 Dieser Vertrag ist bei Hobbes ein einheitlicher Rechts~t, der Herrscher und Beherrschte verbindet. Dagegen war das pactum bzw. foedus in der calvinistischen Tradition immer unterschieden und gegliedert, denn Gottesbund und Menschenbund fallen nicht zusammen. Zumeist pflegte man in den entsprechenden Lehren zwischen Sozialvertrag (pactum unionis) und Unterwerfungsvertrag (pactum subiectionis) zu unterscheiden. Schließlich betonen besonders die Autoren calvinistischer Provenienz die mutua obligatio (vgl. oben bei Anm.79),. deren Verletzung zur Frage des Widerstandes führt. Als überblick vgl. W. Euchner, .Art. Gesellschaftsv~ag, in: HWP 3 (1974),476-480. . 107 Vgl. Mayer-Tasch, a. a. O. (Anm.99), 30-47, der die notwendige Einh~it von Majoritätsbeschluß und Herrscher-Akklamation in diesem Akt betont (41) und-dessen logische, nicht empirische Bedeutung bei Hobbes· zu Recht herausstellt (46). 108 Zur Leviathan-Mythologie und zur Nüchternheit des Hobbes im Verhälmis
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Der Zweck dieser Vereinigung sind Frieden und gemeinsamer Schutz109• Diese Zweckbestimmung und die Prämisse der Selbsterhaltung bilden freilich zugleich die einzige Bresche im monolithischen Bilde des· Leviathan. Schon C. Schmitt hat gegenüber jenen Hobbes-Deutungen, die diesen als Ahnherr aller Totalitarismen auffassen, lapidar festgestellt: ,.Es ·wäre doch eine sonderbare Staatsphilosophie, wenn ihr ganzer Gedankengang nur darauf hinausliefe, daß die armen menschlichen Individuen sich aus der totalen Angst des Naturzustandes in die ebenso totale Angst einer Moloch- oder Golemherrschaft flüchteten.e l1o Tatsächlich würde totale Angst nichts anderes bedeuten als die Todesfurcht, die im Naturzustand herrscht, und die zu bannen die primäre Aufgabe des Staates ist. Handelt der Staat wider diesen seinen Zweck, so kann der einzelne tun, was in seiner Macht liegt: sich selbst verteidigen, denn ,.dem Uraffekt der Todesfurcht lassen sich eben nach Hobbes keine rechtlichen Schranken setzen«111. Dieses grundlegende Recht auf Sicherung des Lebens des einzelnen bedeutet auch eine Grenze der Rechtspflicht zur Verteidigung des eigenen Staates, insofern nach Hobbes eine Wehrpflicht gegenüber Auswanderungswilligen nicht durchgesetzt werden darf 112 ; vielmehr noch wird hier die Möglichkeit begründet,daß die Gehorsamspflicht des einzelnen endet, wo der Staat seiner Schutzpflicht nicht nachzukommen vermag, und dies gilt insbesondere dort, wo jemand wegen seiner religiösen überzeugung ,.körperlich bedrängt.. wird llJ • Hinsichtlich der öffentlichen Religion und ihrer Lehre liegt jedoch die Kompetenz zu dazu vgl. C. Schmitt, Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes, in: ARSP 30, 1936137, 622-632 (bes. 626 f.). - Zum Akt, der den Leviathan konstituiert, vgl. auch F. Tönnies, Die Lehre von der Urversammlung, in: ders., Studien zur Philosophie und Gesdlschaftslchre im 17. Jahrhundert, hg. v. E. G. Jacoby, Stuttgart-Bad Cannstatt 1975,331-351, der hier das revolutionäre Potential angelegt sieht, daß ein Volk sich in einer Nationalversammlung als pouvoir constituant eine neue Ordq!lng gibt. Vgl. auch K. v. Beyme, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, Tübingen 1968. 109 Nicht, wie in der augustinisch-mittelalterlichen Tradition, pax Cl iustitia, aber doch pax. Mayer-Tasch meint, die Idee des Friedens sei ,.Angdpunkt seiner gesamten Staatsphilosophie« (a. a.O. [Anm. 99], 76). 110 A. a. O. (Anm. 108),627; vgl. auch K. M. Kodalle, Thomas Hobbes - Logik der Herrschaft und Vernunft des Friedens, München 1973, 30 f. 111 Vgl. Mayer-Tasch, a. a. O. (Anm. 99), 83 ff. (88). 112 De cive, cap. 6, § 1. Darauf verweist A. Podlech, demzufolge die Sicherung des Lebens den Basiskonsens der Hobbes'schen Staatslehre darstellt: Wertentscheidungen und Konsens, in: G. Jakobs (Hg.), Rechtsgdtung Und Konsens, Berlin 1976, 9-28 (23). Erst auf dieser Grundlage kann die Rede von anderen Aufgaben des Staates sein (vgl. Leviathan, c. 30). 113 Mayer-Tasch, a. a. O. (Anm. 99), 92. Hier erweist der individualistische Ansatz im nachhinein seine Sprengkraft; vgl. B. Willms, Die Antwort des Leviathan, BerlinNeuwied 1970, 131 f. 157 u. ö.
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Verbot und Zulassung ganz beim gesetzlichen Souverän114 ; durch ihn läßt Hobbes die Willkür der konfessionell gebundenen Einzelgewissen domestizieren und in die Privatheit abdrängen 115 : ,.Im Staat wird das Gewissen, dem sich der Staat entfremdet, zur privaten Moral.,,116 3.1.3. Aktualität und Grenzen der Hobbes-Lösung Wendet man den Blick von dieser Architektonik der politischen Theorie auf die zeitgenössischen Problemfelder; so wird man nicht nur an die konfessionellen Fragen117, sondern auch und vor allem an die ökonomische Entwicklung zu denken haben. Wenn man in der Sprache neuerer soziologischer Theorien von den historischen Erscheinungen weiter abstrahiert, wird man sagen können, daß die Ausbildung eines Gewaltmonopols sowie einer als legitim geltenden Rechtsordnung einherging mit zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung118 • Die im sozialen Kontext von Sippen z. B. funktional sinnvolle Fehdepflicht kann in größeren sozialen Verbänden nur desintegrierend wirken; sie wird, wie wir gesehen haben, zunehmend an Regeln der Ausübung gebunden, entprivatisiert und schließlich eigens damit beauftragten Institutionen übertragen. Diese komplexen Prozesse können hier nicht näher beschrieben werden; deutlich aber ist schon anhand der genannten Beispiele, daß gesellschaftliche Differenzierung ohne Gewaltmonopolisierung kaum denkbar ist. Umfassend hat dies erst der neuzeitliche ,.Staate erreicht. Mit der Ausdehnung und wachsenden Interdependenz von Handlungsketten nehmen Entscheidungsdruck, Prognosebedarf, Planungserfordernisse und überraschungsgefahren zu. Dagegen verfügt der Typus segmentär differenzierter Gesellschaften119 über weniger Alternativen, kürzere Zeit114 ..Who that one chief Pastor is, according to the law of Nature, hathbeen a1ready shewn; namdy, that is the Civill Soveraigne (c. 39:363/358). 115 Koselleck, a. a. O. (Anm. 87), 20 ff.; korrigierend dazu jetzt Kodalle, a. a. O. (Anm. 110), 145 ff. 116 Koselleck, ebd., 23. - VgL auch zum Ge,wissen oben bei Anm. 6. Koselleck macht ferner darauf aufmerksam, daß Hobbes noch nicht den Unterschied von »consciencee und ..consciousnesse gekannt habe und bes. im Leviathan lieber von »opinione, "inward thoughtc und "hearte spreche (21 m. Anm. 43). 117 VgI. Förster, a. a. O. (Anm. 74). 118 ZurwesentIich von G. Sinunel eingeführten und u. a. von T. Parsons ausgearbeiteten Begrifflichkeit sozialer Differenzierung vgl. N. Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, Berlin 1965, Kap. 1; ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 21972, 73 ff.; ders., Evolution des Rel=hts, in: Rechtstheorie 1, 1970,3-22; ders., in: J. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt! M. 1971,361 ff. 119 VgI. auch E. Durkheim, über die Teilung der sozialen Arbeit (1893), Frankfurt/ M. 1977,2. Buch (271 H.), bes. 296 H.
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perspektiven und größere mentale und soziale Homogenität. Dies war das Modell der Polis, und dies ist selbst noch mitzudenken in jenem Idealtyp der bürgerlichen Gesellschaft, der wesentlich konstituiert sein soll durch die zum Publikum versammelten Privatleute l20 • Nimmt die funktionale Differenzierung zu, auch die Menge und das Ausmaß der anfallenden Entscheidungen, so muß aber garantiert werden, daß diese Entscheidungen auch dann Verbindlichkeit gewinnen, wenn sie den Aufmerksamkeitshorizont der Einzelsubjekte übersteigen. Insbesondere gilt dies für ökonomische Entscheidungen und ihre Rechtsfolgen, denn Arbeits- und Marktbeziehungen sind auf Regelhaftigkeit und unproblematische Geltung im Normalfall angewiesen. Moralische und politische Interventionen können hier die Funktionssi\cherheit nur stören. Hobbes' Lösung hatte ihren unverwechselbaren geschichtlichen Augenblick: angesichts des drohenden Chaos des konfessionellen Bürgerkrieges galt es, das überlebensnotwendige Minimum an Ordnung vermittels der Recht setzenden Gewalt des Souverän zu garantieren. Dieses Konzept mußte brüchig werden, sobald es nicht mehr ums nackte Oberleben, sondern ums gute Leben ging. Der Leviathan versprach als Lohn für den Gehorsam seiner Bürger deren Schutz. Bez'og sich aber dieser Schutz eines Tages nicht mehr allein auf die Abwendung von Todesfurcht (metus), sondern auf Bedingungen des guten Lebens, z. B. Beseitigung von Mangel (indigentia) und Gewalt (vis) und die Verbesserung ökonomischer Chancen, so konnte jederzeit der Streit um die Inhalte des Guten (bonum) neu aufbrechen. Mochte auch jene Religion, die zu den Konfessionskriegen geführt hatte, neutralisiert und nicht mehr in relevantem Maße konfliktfähig sein, so konnte nun die Vernunft, die ja irdisch nicht eine und nicht eindeutig ist, sich in Konflikte um die wahre Auslegung des bonum verstricken, welche in ihrer Intensität den religiösen Feindschaften nicht nachzustehen brauchten. Die Pazifizierung eines Integrationszentrums, die Entschärfung einer Grenze, lassen dann den Blick auf neue Grenzen fallen, welche andere Feinde trennen - es sei denn, Kampf von erheblichem Intensitätsgrad höre überhaupt auP21 • Selbst wenn man aber nicht mehr für die ewige(n) Wahrheit(en) leben und sterben mag, kann der 120 Dieses Merkmal der ..klassischen« bürgerlichen Gesellschaft hat bekanntlich
J. Habermas, Strukturwandd der Offentlichkeit, Neuwied-Berlln ]1968, herausgearbeitet (bes. 91 ff.). Zum Unterschied Polis - bürgerliche Gesellschaft, genauer zur Frage, wie sich im Denken Hegels dieser Unterschied geltend macht, vgl. M. Riedd, Der Begriff der ..Bürgerlichen Gesellschaft« und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, in: ders., Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1969, 135-166. 121 Vgl. C. Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963, 26 f. u. 79 ff.
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Kampf um die irdischen Wahrheiten, die ihrerseits oft genug himmlische Etiketten tragen, nichtsdestoweniger mörderisch sein. Zunächst aber liquidierte der absolute Staat nicht nur den Bürgerkrieg, sondern ,.hegte« auch den äußeren Konflikt zwischen den Staaten. Die Trennung von Moral und Politik, Innen und Außen wurde allgemein. ,.Das ius publicum europaeum beruhte auf der strengen Trennung des moralisch unantastbaren staatlichen Innenraumes von den äußeren und politischen Beziehungen der Staaten untereinander."I22 Auf dieser Basis gelang die Aufrichtung eines abgezirkelten Kriegsrechtes, welches sich durch klare Unterscheidungen auszeichnet: Freund - Feind; Krieg - Frieden, Kombattant - Nicht-Kombattant, Regularität - Irregularitätl23 • Insbesondere bestand ein erstaunliches Maß an Erwartungskongruenz auf Seiten jeweils konfligierender oder Krieg führender Parteien: von der Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit eines Erbfolgekrieges über entsprechende Kabinettsbeschlüsse und Kriegserklärungen bis hin zu Waffenstillstand, Friedensschluß und Kriegsgefangenenbehandlung erstreckte sich ein weithin gemeinsam anerkanntes und praktiziertes Netz von Verfahrensregelungen; dieses bestimmte noch die Haager Landkriegsordnung (1907) ebenso wie die vier Genfer Konventionen vom 12.8.1949 - und war doch im Kern brüchig seit dem Auftreten des ersten Partisanen. Die Schutz gewährende Trennschärfe von Regularität und Irregularität schwand dahin seit den spanischen Aufständen und den Freiheitskriegen der Deutschen gegen Napoleon124 • Blieb so die 122 Koselleck, a. a. O. (Anm.87), 33; vgl. C. Schmin, a. a. O. (Anm. 121), 45 ff.; ders., a. a. O. (Anm. 50). Der Klassiker dieses europäischen Völkerrechts ist Emer de Vanel (1714-1767), der auf die spätscholastische spanische Tradition zurückgreifen konnte. - Bei Suarez heißt es dagegen: ,. ... quia humanum genus quantumvis in varios populos et regna divisum, semper habet aliquam unitatem non solum specificam, sed etiam quasi politicam et moraleme (zit. nach: }. Höfft:1er, a. a. O. [Anm. 14], 317 m. Anm.44). 123 Vgl. C. Schmin, Theorie des Partisanen, Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963, 11-17 u. 28-37; ders.!}. Schicke!, Gespräch über den Partisanen, in:}. Schicke! (Hg.), Guerilleros, Partisanen. Theorie und Praxis, München 1970, 9-29. 124 Theoretischer Ausdruck der praktischen Erfahrung der spanischen Guerilla sind die überlegungen preußischer Offiziere wie Scharnhorst und Gneisenau, welche im berühmten Landstunnedikt vom 21. 4. 1813 ihre Fonnulierung fanden. Das Edikt, welches die Unterschrift Friedrich Wilhe1ms III. trägt, bezieht sich in § 52 ausdrücklich auf das spanische Vorbild. Den Text findet man jetzt in Schickei, a. a. O. (Anm.123), 70-84. Friedrich Engels wußte um diese Zusammenhänge: ,.Gneisenau ging sogar nach Spanien, um selbst am Kampfe gegen Napoleon teilzunehmen. Das ganze Militärsystem, das dann in Preußen eingeführt wurde, war der Versuch, einen Volkswiderstand gegen den Feind zu organisieren, soweit dies in einer absoluten Monarchie überhaupt möglich ware (zit. ebenfalls bei Schickei, 121). Freilich darf im Blick auf den preußischen Strategen nicht vergessen werden, was Schickel bezüglich
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Völkerrechtsordnungteilweise durchaus instabil, trotz ,.Hege« und übereinkunft, so vermochte im Innern der Staaten die Hobbes-Lösung ebenfalls keinen dauerhaften Frieden zu garantieren. Zwar fand sie ihren Kairos in der Bewältigung des Ausnahmezustandes, aber sie war nicht ohne weiteres tauglich zur befriedigenden Gestaltung der Normalität. Der starke Staat nämlich, konsolidiert im klassischen Absolutismus, konnte mit der Neutralisierung der religiösen Feindschaften zwar die Sicherheit und das Eigentum seiner Handel treibenden und produzierenden Bürger garantieren, aber deren bürgerliche Freiheit mußte bei extensiver Auslegung selbst zum Sprengsatz im Fundament des Staates werden, sobald diese Bürger zum Zwecke der Sicherung und Mehrung ihres Eigentums sich anschickten, die Staatsgewalt selbst Kontrollen zu unterweden 125 • Deshalb kam es auch folgerichtig in fast allen europäischen Ländern zum Konflikt zwischen Staatsgewalt und bürgerlicher Gesellschaft (bzw. ihren Exponenten) über der Frage der Budgetbewilligung. Dieser Konflikt war deshalb so umfassend, alle Teilbereiche der Gesellschaft durchdringend, weil gleichzeitig im Medium der philosophischen Kritik der Aufklärungsphilosophie all jene Waffen geschmiedet worden waren, welche das Arsenal der bürgerlichen Revolution ausmachten l26 . Der Leviathan wurde von innen zerstört. ,.Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterweden muß. Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.« So schreibt Kant 1781 in der Vorrede zur ,.Kritik der reinen Vernunft«127. Das Recht, die alte Hobbes-Frage ,.quis interpretabitur?« zu entscheiden, wird nun der bürgerlichen Gesellschaft vindiziert, welche die feudalen Fesseln des absoluGneisenau bemerkt: ,.Den Volkskrieg p~opagierte er als einen Krieg durch statt für das Volk« (42). Vgl. auch C.Schmitt, a. a.O. (Anm. 123), 45 ff. 125 Der Theoretiker dieser Entwicklung ist lohn Locke; vgl. dazu Chr. Graf v. Krockow, Soziale Kontrolle und autoritäre Gewalt, München 1971. 126 Einzelnen ,.Stadien indirekter Gewaltnahmee, der Endaltung der zunächst theoretischen Kritik zur politischen Krise gilt Kosellecks genanntes Buch (Anm. 87). Es bringt mannigfache Belege dafür. wie das herkömmliche gesellschaftliche Integrationszentrum sich verwandelte und neue. auch ausdrücklich so bezeichnete Feindschaften konstituierte (z. B. 117 f. m. Anm.38). Koselleck zeigt diese Entwicklung paradigmatisch an Turgot, der in sich die Gegensätze vom alten Staat und neuer Gesellschaft verkörperte. 127 Koselleck. a. a. O. (Anm. 87). 101 m. Anm. 203. weist darauf hin, daß diese Bemerkung in der 2. Auflage. also nach dem Tode Friedrichs des Großen. gefehlt hat.
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tistischen Staates abstreift. Die bürgerliche Revolution setzt mit Gewalt ihr neues Recht. 3.2. Gewalt, Recht und Widerstand (Kant)
Nach der bürgerlichen Revolution sollen im republikanisch verfaßten Staatswesen die Gesetze herrschen, welche mündige Bürger sich selbst geben. Zwar besteht auch nach Rousseaus Lehre eine äußere Gewalt fort, aber sie erfordert seiner Intention nach nicht die absolute Unterwerfung unter den Leviathan, sondern die ,.Verwandlung der korrumpierten Menschennatur in die moralische Person des Staatsbürgers. So kann nämlich die souveräne Gewalt selbst verinnerlicht, aus einer äußerlich zwingenden Fürstensouveränität in eine innerlich gegenwärtige Volkssouveränität zurückgenommen werden«l2s. Hier sollen sich ratio und voluntas durchdringen und die Reichweite des Wollens mit der der Einsicht zusammenfallen. Der soziale Ort der Koinzidenz beider ist dort, wo die ideale Sprechsituation für die republikanische Rede gegeben ist: im Parlament und auf dem Forum der öffentlichen Meinung. Den kühnen politischen und, wie sich gezeigt hat, buchstäblich utopischen Gehalt dieser 1dee beschreibt Jürgen Habermas so: ,.Öffentliche Meinung will, ihrer Intention nach, weder Gewaltschranke noch selber Gewalt, noch gar Quelle aller Gewalten sein. In ihrem Medium soll sich vielmehr der Charakter der vollziehenden Gewalt, Herrschaft selbst verändern. Die )Herrschaft< der öffentlichkeit ist ihrer eigenen Idee zufolge eine Ordnung, in der sich Herrschaft überhaupt auflöst; veritas non auctoritas facit legem ..,129 Herrschaft und Gewalt stehen nicht mehI: der Einsicht blind gegenüber, sondern sind vor ihr zergangen; die Vernunft ist endlich Herr ihrer Welt, und der Mensch will, was er weiß und was er kann. Jene Utopie, die das erwähnte Schillerzitat ausspricht, will die Gesellschaft der citoyens ihrem eigenen Anspruche nach einlösen: Entfernung aller widerrechtlichen Gewalt aus der sozialen und politischen Ordnung, Versöhnung von Willen und Bewußtsein, Identität von Einsicht und Handlung, Wollen und Vollbringen. Die Legitimität einer Ordnung, die sich diesen Maximen verschrieben hat, . kann nicht mehr durch die Garantie des geringsten bonum, des physis~hen überlebens wie bei Hobbes, erreicht werden. Vielmehr bemißt sich Legitimität an den Ideen der Vernunft, Freiheit und personalen Selbständigkeit130 • Nicht mehr läßt sich mit dem nackten Gewaltmonopol des Staates 128 J. Habermas, Naturrecht und Revolution, in: ders., Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Neuwied-Berlin 21967, 52-88 (67 f.). Hvhbg. im Orig. 129 A. a. O. (Anm. 120), 95. 130 ,.L'homme est ne libre, et partout il est dans les fers« - so beginnt Rlilusseaus Contrat Social, von Friedrich Schiller variiert: ,.Der Mensch ist frei, und wär' er in Ketten geboren.«
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die Sicherheit seiner Bürger gewinnen und zureichend bewahren; die Ordnung, der sie sich fügen wollen, soll, wie bei Hobbes, ihrem eigenen wüten entsprungen sein. Dieser Wille gibt sich die Form ,des Gesetzes, und seine Ordnung ist die des Rechts ... Recht.., so sagt Kant, ,.ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, in so fern diese nach einem allgemeinen. Gesetze möglich ist; und das öffentliche Recht ist der Inbegriff der äußeren Gesetze, welche eine solche durchgängige Zusammenstimmung mÖglich machen.«i3! Der Einzelne, der mit Willen und aus Einsicht die Herrschaft dieses Gesetzes anerkennt, ist der Mensch als vernünftiges und freies Wesen. piese Freiheit ist verbunden mit der Gleichheit aller v.or dem Gesetz, welches die vereinigten Einzelwillen sich selbst aus Einsicht, wenigstens idealiter gegeben haben. Öffentlichkeit ist die· Sphäre, in welcher die Einzelwillen zwanglos zusammenstimmen können sollen, um so die höchste gesetzgebende Gewalt im Staat zu bilden132. Indes sind diese Hinweise, die der Habermas'schen Auslegung der Sozialphilosophie der Aufklärung entnommen sind, kaum eine erste Annäherung an die Schwierigkeiten, die mit dem Versuch einer Dllrstellung des kantischen Gewaltbegriffs verbunden sind1J3. Daß sich' beispielsweise Herrschaft überhaupt ,.auflöse«, ist für Kant schlechterdings undenkbar. Er hat bekanntlich in der ,.Idee zu einer allgemeinen Geschichte mweltbürgerlicher Absicht« (1784) seinen Ausgang bei der anthropologischen Grundannahme der »ungeselligen Geselligkeit« (VI,37) des Menschen genommen1l4 und von daher ,.das 131 über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, ed. Weischedel VI, 144. Bekanntlich lautet ,.le probleme fondamentalc des Contrat Social: ,.Trouver une forme d'association qui defende et prot~ge de toute.la force commune la personne et les biens de chaque associe, et par laquelle chacun, s'unissant a tous, n'obeisse pourtant qu'i lui-meme, et reste aussi libre qu'auparavantc (1,6). Vgl. auch Kant, Metaphysik der Sitten, IV, 337 (Einleitllng in die Rechtslehre): ,.Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.c In der Schrift ,.über den Gemeinspruch ... e heißt es ferner: "Es muß in jedem gemeinen Wesen ein Gehorsam, unter dem Mechanismus der Staatsverfassung nach Zwangsgesetzen (die aufs Ganze gehen), aber zugleich ein Geist der Freiheit sein, da jeder, in dem was allgemeine Menschenpflicht betrifft, durch Vernunft überzeugt zu sein verlangt, daß dieser Zwang rechtmäßig sei, damit er nicht mit sich selbst in Widerspruch geratec (VI, 163). 132 Vgl. ein entsprechendes instruktives Beispiel der ,.Sprachpolitikc Kants bei L. Hölscher, Offentlichkeit und Geheimnis, Stuttgart 1979, 99~101. 133 Kantzitate im Text und in den Anmerkungen im folgenden immer nur unter Angabe von Band- und Seitenzahl der Ausgabe Weischedel. 134 Also im Gegensatz zu Hobbes von Anfang an eine in sich gegenläufige Triebstruktur von Vereinzelung und Gesellung' angenommen!
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größte Problem für die Menschengattung, zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt.. , als ,.die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft .. bestimmt: ,.Da nur in der Gesellschaft, und zwar derjenigen, die die größte Freiheit, mithin einen durchgängigen Antagonism ihrer Glieder, und doch die genauste Bestimmung und Sicherung der Grenzen dieser Freiheit hat, damit sie mit der Freiheit anderer bestehen könne, - da nur in ihr die höchste Absicht der Natur, nämlich die Entwickelung aller ihrer Anlagen, in der Menschheit erreicht werden kann, die Natur auch will, daß sie diesen, so wie alle Zwecke ihrer Bestimmung, sich selbst verschaffen solle: So muß eine Gesellschaft, in welcher Freiheit unter äußeren Gesetzen im größtmöglichen Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen wird, d. i. eine vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung, die höchste Aufgabe der Natur für die Menschengattung sein; weil die Natur, nur vermittelst der Auflösung und Vollziehung derselben, ihre übrigen Absichten mit unserer Gattung erreichen kapn. In diesc;n Zustand des Zwanges zu treten, zwingt den sonst für ungebundene Freiheit so sehr eingenommenen Menschen die Not; und zwar die größte unter allen, nämlich die, welche sich Menschen unter einander selbst zufügen, deren Neigungen es machen, daß sie in wilder Freiheit nicht lange neben einander bestehen können« (VI,39 f.).
Für Kant ist der Mensch deshalb ,.ein Tier, das, wenn es unter andem seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat« (VI,40). Dieses allein darf, aber muß ihn auch nötigen, dem allgemeinen Willen gehorsam'zu sein, obwohl klar ist, daß auch das ,.höchste Oberhaupt«, von dem die Gewalt im Rahmen der Gesetze ausgeht, nur ein Mensch ist. ,.Diese Aufgabe ist daher di~ schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist unmöglich: aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegte (VI,41)135. Diese Bewegung hin zu einer Vereinigung der antagonistischen Einzelwillen unter einer bürgerlichen Verfassung findet ganz analog auch, unter den ,.Staatskörpem.. , den Subjekten des sich entwickelnden Völkerrechts, statt, so daß durch Kriege hindurch sich die Völker genötigt sehen, ,.aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinaus zu gehen, und in einen Völkerbund zu treten« (VI,42)136. Kriege und Revolutionen si~d 135 In der Anm.. fügt Kant hinzu, daß dieser Bestimmung gerecht zu werden nicht das Individuum, sondern nur die Gattung hoffen könne. 136 Die Ausführung dieses Gedankens in Kants Geschichtsphilosophie und besonders der Schrift "Zum Ewigen Frieden« (1795/96) (VI, 191 ff.) muß hier nicht näher verfolgt werden, denn dazu liegen zahlreiche neuere Interpretationen vor; vgl. außer den in der folgenden Anm. genannten Arbeiten von G. Picht auch.H. Saner, Kants Weg vom Krieg zum Frieden, München 1967; G. Freudenberg, Kants Lehre vom ewigen Frieden und ihre Bedeutung für die Friedensforschung, sowie H. Timm, Wer garantiert den Frieden? über Kants Schrift ,.Zum Ewigen Frieden«, die beiden letzten Beiträge in G. Picht/Ho E. Tödt, Studien zur Friedensforschung, Bd. 1, Stuttgart 1969, 178-208 bzw. 209-239.
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Versuche, einer solchen Vedassung innerhalb und zwischen den Staaten näherzukommen, bis ,.ein Zustand errichtet wird, der, einem bürgerlichen gemeinen Wesen ähnlich, so wie ein Automat sich selbst erhalten kann« (VI,43). Wenn man von diesen Bestimmungen ausgeht, läßt sich die systematische Struktur des Gewaltbegriffs bei Kant näher erläutern. Deutlich ist schon hier, daß Gewalt in doppelter Gestalt auftritt: als Merkmal der ungeselligzwieträchtigen Lage in der Natur, wie sie aus dem Naturzustand bei Hobbes bekannt ist, und als Vermögen der Freiheit und Befugnis, die Einhaltung der allgemeinen Gesetze gegebenenfalls zu erzwingen. Gewalt ist daher beides : Element des Natur- wie des Rechtszustandes. . Die Einheit beider Bestimmungen erschließt sich erst, wenn man den Rechtsbegriff bei Kant analysiert. G. Picht hat in zwei größeren Arbeiten zu diesem Problem 137 näher untersucht, inwiefern Kant seinen Rechtsbegriff in doppelter Weise deduziert: einmal aus dem Prinzip der Freiheit, und einmal aus Prinzipien der Natur. Der Rechtsbegriff wird also nicht aus der Vernunft des Menschen entwickelt, sondern es genügt, daß die Menschen Verstand besitzen, weshalb die Deduktion des Rechts ,.selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)« möglich sein muß (VI,224). Vor allem im Blick auf Kants Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft hat Picht seine Interpretation entfaltet, der zufolge bei Kant Recht die Darstellung des überganges der Freiheit in Natur istl3l • ,.Die formale Bedingunge, so lautet die SchlüsselsteIle bei Kant, ,.unter welcher die Natur diese ihre Endabsicht (sc. die Entwicklung der Naturanlagen in der menschlichen Gattung, W. L.) allein erreichen kann. ist diejenige Verfassung im Verhältnisse der Menschen untereinander, wo dem Abbruche der einander wechselseitig widerstreitenden Freiheit gesetzmäßige Gewalt in einem Ganzen, welches bürgerliche Gesellschaft heißt, entgegengesetzt wird; denn nur in ihr kann die größte Entwickelung der Naturanlagen geschehen. Zu derselben wäre aber doche, fügt Kant hinzu, ,.wenn gleich Menschen sie auszufinden klug und sich ihrem Zwange willig zu unterwerfen weise genug wären, noch ein weltbürgerliches Ganze, d: i. ein System aller Staaten, die auf einander nachteilig zu wirken in Gefahr sind, erforderlich. In dessen Ermangelung, und bei dem Hindernis. welches Ehrsucht. Herrschsucht und Habsucht. vornehmlich bei denen, die Gewalt in Händen haben, selbst der Möglichkeit eines solchen Entwurfs entgegen setzen, ist der Krieg ... unvermeidlich ... e (V,555).
Die Gewalt ist es also, die das Recht hervortreibt, und dies ist nur zu denken, wenn eine Teleologie der Natur gedacht werden kann. Die Natur enthält aber 137 Kants transzendentale Grundlegung des Völkerrechts, in: Aufrisse, Almanach des Ernst KIett Verlages 1946-1971, Stuttgart 1971,223-279; ders., Philosophie und Völkerrecht, in: PichtlEisenbart, a. a. O. (Anm.47), 170-234 (jetzt beides in ders., Hier und Jetzt I, Stuttgart 1980). 138 Grundlegung (vorige Anm.). 231.
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nur eine relative Zweckmäßigkeit, zu der sich ihre einzelnen Anlagen entwickeln; einzig der Mensch ist ein Lebewesen in der Natur, das ,.die Möglichkeit hat, sich aus Freiheit die höchsten Zwecke des gesamten Systems der Natur als seine eigenen Zwecke zu setzen. Das ist der Sinn der zweiten Fassung des Kategorischen Imperativs: >Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.<,,1l9 Die Gewalt hat ihren Primat darin, daß sie Teil der Natur ist und deshalb in deren zweckmäßigem Aufbau nicht negiert werden kann, doch zugleich steht sie in einem eigentümlich gebrochenen Verhältnis zur menschlichen Möglichkeit, sich selbst Zwecke der gesamten Natur so zu setzen, daß der Fortschritt in der Entwicklung aller Anlagen der menschlichen Gattung möglich wird. Vereinfachend läßt sich deshalb sagen, daß die Gewalt in der Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft nach Kant nie ein Ende nehmen wird, aber daß ihre Unterordnung in den Dienst des Rechtes die Aufgabe einer steten Läuterung der Gewalt begründet, freilich im Angesicht der stets vorhandenen Gefahr eines Rückfalles in den Naturzustand von Krieg, Revolution und Aufstand l40 • Auf diesem Hintergrund wird auch die systematische Einführung und Bestimmung des Gewaltbegriffs in der Rechtslehre der Metaphysik der Sitten besser verständlich. Dazu hat H. Folkers in einer eingehenden Interpretation 141 gezeigt, daß Gewalt in allen ihren Formen von Kant im übergang zum Recht thematisiert wird. Das gilt für die Gewalt der ursprünglichen Besitzergreifung, die in die provisorische Rechtlichkeit des Privatrechts überführt werden muß (IV,424 f.), und dies gilt besonders für den übergang der ursprünglichen Volks gewalt an die rechtmäßige oberste Staatsgewalt, über deren Ursprung der Staatsbürger, wie Kant sagt, nicht »werktätig vernünftein" soll (IV,437), denn nun gilt der Satz: »,Alle Obrigkeit ist von Gott(, welcher nicht eiD.en Ges~hichtsgrund der bürgerlichen Verfassung, sondern eine Idee, als praktisches Vernunftprinzip, aussagt: der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen; ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle« (IV,438). Der bürgerliche Verfassungsstaat im Sinne Kants hat als Grund und Ziel seines Bestehens, daß die aufgeklärten Bestrebungen seiner freien, gleichen 139 G. Picht, Philosophie und Völkerrecht (Anm. 137), 180. 140 Vgl. MdS, IV, 478 f.: die »allgemeine und fortdauernde Friedensstiftung« bildet den »ganzen Endzweck der Rechtslehre innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (479). 141 Zum Begriff der Gewalt bei Kant und Benjamin, in: G. FigallH. Folkers, Zur Theorie der Gewalt und Gewaltlosigkeit bei Walter Benjamin, Heidelberg 197.9, 25-57 (bes. 26 H.).
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und selbständigen Bürger142 zusammenstimmen können zur volonte generale, welche gegen jeden partikularen EinzelwiUen durch Ausübung von Zwangsgewalt sich durchzusetzen das Recht.hat. Vermutlich macht jeder, der von hier aus Kants Lehre vom Widerstandsrecht zu verstehen sucht, eine ähnliche Erfahrung bei der Lektüre, die schon der Kant-Schüler ,Friedrich Gentz gemacht hat, und die seither, soweit ich sehe, sich immer wieder in neuen Formen ausgesprochen findet - die Erfahrung nämlich des merkwürdigen Kontrastes »zwischen den vielversprechenden hoffnungsvollen Grundprinzipien und der unmittelbar damit verknüpften, ziemlich niederschlagenden Folgerung: ein Kontrast, der den Leser, wie durch einen Zauberschlag, aus den Regionen ungebundener Freiheit plötzlich in das Gebiet eines unerbittlichen Despotismus zu versetzen scheint«!43. Gentz steht damit der Widerspruch vor Augen, der in der Schrift über den »Gemeinspruc~« dadurch gegeben ist, daß einerseits das allgemeine Prinzip gilt: »Was ein Volk über sich selbst nicht beschließen kann, das kann der Gesetzgeber auch nicht über das Volk beschließen«!"', und andererseits schlechthin jeder Widerstand gegen das Oberhaupt des Staates, in Wort oder Tat, verworfen wird. Denn, wie Kant meint, es »muß in jedem gemeinen Wesen ein Gehorsam, unter dem Mechanismus der Staatsverfassung nach Zwangsgesetzen (die aufs Ganze gehen), aber zugleich ein Geist der Freiheit sein«!45. Zwischen diesem 142 Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit sind nach Kant, über den Gemeinspruch ... , die Prinzipien apriori, auf die der bürgerliche Zustand gegründet ist. Dabei enthält das Prinzip der Gleichheit das kritische Moment, daß niemand aufgrund nicht von ihm selbst zu verantwortender Strukturen (z. B. Geburtsherkunft) in seiner sozialen Lage (wir würden sagen: Klassenlage) fixiert werden darf (VI, 147-149). Das Prinzip der Selbständigkeit enthält als kritisches Moment den Ansatz der heutigen Forderung »one man, one votec. Kant hat freilich inder Metaphysik der Sitten (§ 46) deutlich die Einschränkung dieses Prinzips auf Besitzbürger ausgesprochen, allerdings unter der Voraussetiung, daß prinzipiell niemand gehindert sein dürfe,. selber ein solcher zu werden; vgl. auch Gemeinspruch, VI, Hl; ebd. 153 zum pactum sociale. 143 In: D. Henrich (Hg.), Kant. Gentt, Rchberg, Ober Theorie ~nd Praxis, Frankfurt/M~ 1967, 105. - Vgl. zum folgenden auch die Einleitung von Henrich zu dieSem Band sowie R. Spaemann, Moral und. Gewalt, in: M. Riedel (Hg.); Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. I, Freiburg 1972, 215-241. 144 Ober den Gemeinspruch ..., VI, 162. - Vgl. ·auch MdS, § 46: ,.Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können. Nun ist es, wenn jemand etwas gegen einen anderen verfügt, immer möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt (denn volenti non fit iniuria). Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Willen aller, sofern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein« (IV, 432). 145 Gemeinspruch, VI, 163.
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Grundprinzip der Freiheit und jenem Folgesatz einer unwiderstehlichen Zwangsgewalt jedes Staatsoberhauptes in einem wie rudimentär immer geordneten rechtlichen Zustande besteht nach Gentz der ,.vollkommenste Zusammenhang«, denn ,.eine reine Theorie des Rechts hat wirklich keine Stelle, wo der Begriff der Rebellion geduldet werden könnte.e Gegen die ,.Trosdosigkeit dieser Lehre gibt ese für Gentz ,.in einer Theorie des reinen Staatsrechts durchaus keinen Schinn und keine Rettung«I46. An diese Kritik Gentz' ließe sich eine ganze Tradition der Kant-Interpretation anschließen, die zu weitgehend übereinstimmenden Resultaten gekommen ist, und die sich in Henrichs These zusammenfassen läßt, derzufolge Kant seine ,.Rechtstheorie bis zur Konsequenz völliger Immobilität entwikkelt und die Verfassung gleich welchen Staates im wördichsten Sinne auf Ewigkeit gegründet« habe147• Aber gleichsam als List der großen Künsderin Natur - natura daedala rerum148 - ist dieser der Theorie geschuldete Immobilismus stets begleitet von empirisch-kontingenten Akten - z. B. der übertragung von Souveränitätsrechten durch den französischen König an die Generalstände und die Nationalversamrnlungl49 - , durch die jeder status quo, der von Gnaden der Theorie jeden Widerstand und jede Revolution ausschließt, über sich hinausgetrieben werden kann. ,.Was das Intellektuelle im Recht verhinderte, so folgert daher Henrich, ,.das läßt sich doch aus Gesetzen der sinnlichen Welt vorhersehen. Beklagenswert bleibt jedoch, daß man den Fortschritt von Akten erwarten muß, welche nach der Idee, im Blick auf die der Fortschritt geschieht, als höchstes Unrecht anzusehen sind.e lso Dem Widerstand, dem Kant jede sittliche Rechtfertigung versagt, verleiht er die Krone des Rechts, sobald der Erfolg sich eingestellt hat und das Volk eine neue Verfassung über sich beschlossen hat, deren Beachtung gesichert istl51 • Zu fragen ist, aus welchen Gründen Kant gezwungen ist, eine derart widerspruchsvolle Theorie zu entwickeln und festzuhalten. Kant ist die naturrechtliche Tradition der Begründung des Widerstandsrechtes geläufig. Er hat, wie sein Biograph Borowski berichtet, schon in seiner Magisterzeit (1755-1770) über Naturrecht gelesen. Dabei diente ihm als Vorlesungskompendium Achenwalls ,.Iuris naturalis pars posteriore; über Jahrzehnte hat Kant in seinem erhaltenen Handexemplar dazu Glossen
146 A. a. O. (Anm. 143), 105 u. 107. 147 A. a. O. (Anm. 143), 29. 148 Zum ewigen Frieden, VI, 217. 149 MdS, IV, 440. 150 A. a. O. (Anm. 143), 30. 151 Vgl. E. R. Huber, Recht und Revolution, 12. S. 1978.
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10:
NZZ (Femausgabe) v.
notiert l52 • Im ,.Gemeinspruch« geht Kant auf Achenwall (§§ 203-206) ausdrücklich ein, den er frei wie folgt zitiert: ,.Wenn die Gefahr, die dem gemeinen Wesen aus längerer Duldung der Ungerechtigkeit des Oberhaupts droht, größer ist, als ven Ergreifung der Waffen gegen ihn besorgt werden kann: alsdann könne das Volk. jenem widerstehen, zum Behuf dieses Rechts von einem Unterwedungsvertrag abgehen, und ihn als Tyrannen entthronen.« Achenwall, fährt Kant fort, schließe: ,.Es kehre das Volk auf solche Art (beziehungsweise auf seinen vorigen Oberherm) in den Naturzustand zurück.«l5J Für Kant steht fest, daß ,.wackere Männer« wie Achenwall dergleichen nicht in systematischer Absicht gesagt haben können, sondern daß ihrem Urteil aus Rechtsgründen sich unter der Hand empirische Betrachtungen über den edolgreichen Ausgang der Revolutionen der Neuzeit beigemischt haben, die die Klarheit der systematischen Deduktion mit Notwendigkeit trüben mußten. Nach Vernunftprinzipien nämlich, so fährt Kant fort, habe ein Volk, das im Wege von Rebellion und Widerstand sein Recht sucht, ,.im höchsten Grade Unrecht getan«, weil diese Methode .(zur Maxime angenommen) alle rechtliche Vedassung unsicher macht, und den Zustand einer völligen Gesetzlosigkeit (status naturalis), wo alles Recht aufhört, wenigstens Effekt zu haben, einführt«I54. Achenwall und alle, die wie er den Widerstand zu rechtfertigen unternehmen, hätten somit lediglich ,.dem Volk. (zu seinem eigenen Verderben) das Wort zu reden« unternommen (ebd.), aber diese Art Rücksichtnahme auf das Prinzip der Glückseligkeit könne nur alle klaren staatsrechtlichen Bestimmungen zugrunde richten.Kant kommt damit zu folgendem vorläufigen Ergebnis: ,.Der Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen, und wird Despot; das Volk will sich den allgemeinen menschliChen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen, und wird Rebell. Wenn man zu allererst gefragt hätte, was Rechtens sei (wo die Prinzipien apriori feststehen, und kein Empiriker darin pfuschen kann): so würde die Idee des Sozialkontrakts in ihrem unbestreitbaren Ansehen bleiben: aber nicht als Faktum (wie Danton will, ohne welches er alle in der wirklich existierenden bürgerlichen Verfassung. befindlichen Rechte und alles Eigentum für null und nichtig erklärt), sondern nur als Vemunftprinzip der Beurteilung aller öffentlichen Verfassung überhaupt. Und man würde einsehen: daß, ehe der allgemeine Wille da ist, das Volk gar kein Zwangsrecht gegen seinen Gebieter.besitze, weil es nur durch diesen rechtlich zwingen kann; ist jener aber da, eben sowohl kein von ihm gegen diesen auszuübender Zwang Statt finde, weil es alsdann selbst der oberste
152 Der Text von Achenwall findet sich in Bd. XIX der Akademieausgabe der Werke Kants. 153 VI, 157 f. 154 VI,158.
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Gebieter wäre; mithin dem Volk gegen das Staatsoberhaupt nie ein Zwangsrecht in Worten oder Werken) zukomme.«155
(Widers~chkeit
Das Zitat macht, neben anderem, klar, daß es für Kant nach Maßgabe der Vernunfteinsicht weder im Naturzustand noch im Rechtszustand ein Widerstandsrecht geben kann: in jenem nicht, weil Zwang per definitionem immer rechtloser Zwang ist, in diesem nicht, weil die Vernunft keinen rechtswidrigen Zwang wollen kann. Damit aber legt sich ipso facto die Frage nahe, ob und in welchem Sinne die so statuierte scharfe und ausschließliche Grenze von Natur- und Rechtszustand angemessen auf die überlieferte Problematik von Widerstand bezogen werden kann. Die Grenze besteht in der kontingenten Einführung des Gesellschaftsvertrages, aber Kant sagt klar, daß damit rucht ein historisches Datum, sondern ein Vernunftprinzip zur Beurteilung historischer Ereignisse bezeichnet ist. Dieses Vernunftprinzip muß aber empirisch angewandt werden können, und es wird sich zeigen, daß Erscheinung und Vernunftprinzip in Kants überlegungen zur Stellung des Staatsoberhauptes zu schwierigen, um nicht zu sagen widersprüchlichen Konsequenzen nötigen. Dabei ist daran zu erinnern, daß in der vorkantischen Tradition des Widerstandsrechtes 156 die Trennung von Vernunftprinzipien und Empirie keine Rolle spielte, so daß Kants Antithese von a-rechtlichem Widerstand im Naturzustand und wider-rechtlichem Widerstand im Rechtszustand gar nicht vorgestellt werden konnte; vielmehr führte vor Kant - und führt auch wohl wieder überwiegend nach Kant- eine andere Fragestellung auf die Probleme desWiderstandsrechtes: die Frage nämlich, was daraus folgt, daß jeder Staat bzw. jeder ans Recht gebundene und sich bindende Herrscher resp. Souverän selbst auch als mögliche Quelle des Unrechts gedacht werden kann. Während Kant auf der Basis eines anfänglich in Ansatz gebrachten Dualismus von Natur- und Rechtszustand argumentiert, geht es, soweit ich sehe, ·vor und nach Kant eher um Differenzierungen, übergänge und Abstufungen innerhalb des Rechts selbst, insofern es die Möglichkeit eines Umschlagens in Unrecht - aus welchen Gründen immer - in sich enthält157• Zunächst aber ist Kants eigener Argumentation näher nachzugehen. Deutlicher als im ,.Gemeinspruch« akzentuiert Kant in der ,.MetaphYsik der Sitten« als Fundament seiner Argumentation, gleichsam als Basissatz der Vernunft: exeundum est e statu naturae. Das rationale Naturrecht ist ja bekanntlich darin Naturrecht, daß es der Natur der Vernunft entspricht; und in dieser, so 155 VI, 159 f. 156 Zu Kants Voraussetzungen vgl. ehr. Ritter, Der Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, FrankfurtlM. 1971. 157 Vgl. auch K. F. Bertram, Widerstand und Revolution, Berlin 1964, 14-31.
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Kant, ist die Einsicht begründet, daß niemand vor Einrichtung eines öffentlich-gesetzlichen Zustandes sicher sein kann vor der Gewalttätigkeit anderer, so daß ,.mithin das erste, was ihm (sc. jedem Menschen als Vernunftwesen, W. L.) zu beschließen obliegt, wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will, der Grundsatz sei: man müsse aus dem Naturzustande, in welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt, herausgehen und sich niit allen anderen (mit denen in Wechselwirkung zu geraten er nicht vermeiden kann) dahin vereinigen, sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen, also in einen Zustand treten, darin jedem das, was für das'Seine anerkannt werden soll, gesetzlich bestimmt, und durch hinreichende Macht (die nicht die seinige, sondern eine äußere ist) zu Teil ~ird, d. i. er solle vor allen Dingen in einen bürgerlichen Zustand treten.. (§ 44; IV,430). Während Kant im ,.Gemeinspruch.. stärker auf die Möglichkeit einer Evolution der Verfassung abhebt und von ihr das empirische überflüssigwerden von Widerstand, der rechtlich ohnehin unzulässig ist, eJ,"Wartet! entwickelt er in der »Metaphysik der Sitten.. vor allem die Bedingungen der Erhaltung einer einmal etablierten Rechtsordnung. Diese gewinnt ihre theoretische Dignität nicht zuletzt auf der Folie des schlechthin perh~rreszierten Naturzustandes, der als status iustitia vacuus nur: ein ius controversum ohne kompetenten Richter enthält, ja dessen Merkmale eigentlich im Charakteristikum der violentia zusammenfallen. Ist der status naturalis erst einmal so gefaßt - und nach dem Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriegel58 und ihrem großen Theoretiker Hobbes ist das ja auch nicht weiter verwund~rlich -, dann kann man ihn in der Tat nur möglichst schnell verlassen I59, zu welchen Kosten immer. Im Gegensatz zum status naturalis bestimmt Kant den bürgerlichen Zustand als denjenigen ,.eines zur Gesetz'gebung allgemein wirklich vereinigten Willens« (MdS, IV,375; vgl. auch IV, 366 f. u. 422 f.). Im § 46 (Staatsrecht) führt er dazu weiter aus: . ..Die gesetzgebende Gewalt kann nur dem vereinigten Willen des Volkes zukommen. 158 Ober die früher schon erwähnte Literatur hinaus sei verwiesen auf R. Schnur, Die französischen Juristen im konfessiondlen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts, zuerst in: Festschrift für Carl Schmitt, Berlin 1959, 179-219, überarbeitet und erweitert Berlin 1962; E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (zuerst in der Forsthoff-Festschrift 1967), jetzt in: ders., a. a. O. (Anm. 6), 42-64. Man muß übrigens bedenken, daß für Kant und Hegd das religiöse Konfliktpotential, das Bodin und Hobbes in Atem hielt, im Grunde schon längst entschärft ist, so daß' man die Probleme und Lösungen der konfessiondlen Bürgerkriege nicht einfach übertragen
darf. 159 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, 11, 640. - Das sollte aber nicht den Blick dafür von vornherein verstdlen, daß man hier auch andere Akzente setzen kann, etwa wenn· Hegel im Blick auf die griechische Religion von ihrer .. natürlichen Sittlichkeit« sprechen kann.
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Denn, da von ihr alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können. Nun ist es, wenn jemand etwas gegen einen anderen verfügt, imme~ möglich, daß er ihm dadurch unrecht tue, nie aber in dem, was er über sich selbst beschließt (denn volenti non fit iniuria). Also kann nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, so fern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasseIbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein« (IV,432)!60.
Es wäre gewiß lohnend, die Besonderheiten der kantischen Bestimmungen des "allgemein vereinigten Willens«!6! durch einen Vergleich mit Hobbes und Rousseau schärfer zu profilieren, um auf diese Weise auch die Besonderheiten seiner Konzeption vom Widerstandsrecht zu erkennen. Systematisch ist aber von entscheidender Bedeutung, daß Kant den vereinigten Willen des Volkes als Souverän ganz unterschiedlich faßt. Darin melden sich Aporien der Volkssouveränität an, die für demokratietheoretische Entwürfe bis heute typisch sind. P. Burg162 hat durch Kants Werk einen dreifachen und in sich unausgeglichenen Souveränitätsbegriff verfolgt: a) Zunächst gibt es einen Begriff der Volkssouveränität im strengen Sinne, demzufolge die Souveränität als schlechthinnige Gesetzgebungskompetenz ausschließlich dem »vereinigten Willen des Volkes zukommen« muß, ,.denn, da von ihr (sc. der gesetzgebenden Gewalt, W. L.) alles Recht ausgehen soll, so muß sie durch ihr Gesetz schlechterdings niemand unrecht tun können« (IV,432). Diese Kompetenz zur Gesetzgebung kommt der Gesamtheit der aktiven Staatsbürger zu, der potentiell alle Bürger eines Staates zugeref;:hnet werden können. Diesem Begriff der Volkssouveränität entspricht Kants Auffassung, daß Ludwig XVI. dem Volk durch übertragung seiner Souveränität die ,.gesetzgebende Gewalt« überlassen habe und somit faktisch und legal, wenn auch ohne Absicht des Königs, ,.die Herrschergewalt des Monarchen ... aufs Volk« übergegangen sei (IV,465; vgl. IV,440). ,.Nun könne ohne den )Gesamtwillen des Volkes< das )Recht der obersten Gesetzgebung< nicht mehr an den Monarchen zurückgehen, da der Gesamtwille als )Urgrund aller öffentlichen Verträge< allein die Entscheidungsbefugnis darüber habe. Die Souveränität ging folglich nach Kant in der Französischen Revolution in die Hände des eigentlichen Souverän, des Volkes, über ... I63 160 Die Merkmale der Glieder eines Staates (,.Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen«, IV, 431) sind, wie schon oben erwähnt, Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit (IV, 432); letztere ruht auf der auch ökonomischen Bedingung, "seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu können« (ebd.). 161 Vgl. IV, 434 (§ 47); in den §§ 48 f. wird dann die Gewaltenteilung eingeführt. 162 Kant und die Französische Revolution, Berlin 1974, 165 ff. 163 Burg, ebd. 181.
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b) Kants zweite Souveränitätskonzeption geht von der Differenz Gesetzgeber - Volk ausII.... Hier präzisiert er die Figur des Gesellschaftsvertrages dahingehend, daß dieser keineswegs als Faktum vorauszusetzen sei, sondern lediglich ,.eine bloße Idee der Vernunft« sei, ,.die aber ihre unbezweifelte (praktische) Realität hat: nämlich jeden Gesetzgeber zu verbinden, daß er seine Gesetze so gebe, als sie aus dem vereinigten Willen eines ganzen Volkes haben entspringen können, und jeden Untertan, sofern er .Bürger sein will, so anzusehen, als ob er zu einem solchen Willen mit zusammen gestimmt habe. Denn das ist der Probierstein der Rechtmäßigkeit eines jeden öffentlichen Gesetzes« 165. Die Probe auf das Exempel der Rechtmäßigkeit, so argumentiert Kant, liegt im Nachweis der Allgemeinheit des Gesetzes. c) Die dritte und mit den beiden voraufgehenden kaum kompatible Fassung des Souveränitätsbegriffs läßt sich in Kants Urteil über die Hinrichtung Ludwigs XVI. nachweisen. Hier dissoziiert er den Volkswillen und den Willen des Souveräns vollständig, wenn er in der Anmerkung notiert, daß der Monarch selbst, ,. als Quell der Gesetze betrachtet, nicht unrecht tun kann«, da alles, was ein Souverän tue, ,.als äußerlich rechtmäßig angesehen werden muß" 166. Die Revolution, in der das Volk gegen den Monarchen sich die Gesetzgebung vindiziert, ist widerrechtlich, denn das Volk· verdanke sein Dasein nur der Gesetzgebung des ersteren. Nur vermöge der Unterscheidung zwischen einer Souveränitätsübertragung vom König an das Volk und einer Usurpation der Souveränität durch. das Volk kann dann begründet werd~n, warum einerseits eine Gegenrevolution durch den König legal, andererseits ein Souveränitätsverzicht des Volkes nach erfolgreicher ·Revolution zugunsten des Königs nicht mehr nötig ist l67• Die Einheit dieser Souveränitätsbegriffe ist darin zu sehen, daß nach Kant der vereinigte Wille des Volkes nach Vernunft- und Rechtsprinzipien nur als ein einheitlicher gedacht werden kann. Souveränität ist unteilbar, und daraus folgt im Zweifelsfall des Empirischen die Option für den.Monarchen, der Einer ist, und gegen das Volk. Unerachtet der mannigfaltigen Möglichkeiten, die Souveränität in einem System der Repräsentation autokratisch, arist~kra tisch oder demokratisch auszuüben (MdS §§ 51 u. 52), und unerachtet der von Kant favorisierten Evolution auf eine republikanische Verfassung hin, gilt grundsätzlich, daß die oberste Gewalt im Staate eine einheitliche sein muß, die als gesetzgebende untadelig '(irreprehensibel), als ausführende unwiderstehlich (irresistibel) und als rechtsprechende unabänderlich (inap'" 164 165 166 167
Gemeinspruch, VI, 153 ff., MdS, IV, 437 ff. Gemeinspruch, VI, 153. MdS, IV, 440, Anm. MdS, IV, 464 f.i vgl. ebd., 441 f.
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pellabel) sein muß (§ 48). Gibt es ein summum imperium im bürgerlichen Zustand, so hat das Volk weder über ein ius controversum noch über den jeweiligen Herrscher (summus imperans) »werktätig zu vernünfteln«. Für Kant ist mithin der republikanisch vedaßte Rechtsstaat, gegebenenfalls mit monarchischer Spitze, sakrosankt!68. Gegen ihn kann es kein Recht auf Gewalt geben!69. Mit neueren Begriffen und unter anderen Voraussetzungen gesagt: wo Legalitli.t besteht, dad um Legitimität nur im Rahmen der Gesetze gekämpft werden!70, mag auch immer der Zustand der Legalität einem ursprünglichen Akt der Gewalt entsprungen sein, mag die herrschende Gewalt immer schicksalhaft gekrönt sein - dieser defectus originis kann ihrer fortan geltenden Hoheit nichts anhaben. Eine gelungene Revolution freilich schafft neues Recht, dem dann mit gleicher Widerspruchslosigkeit Gehorsam geschuldet wird wie dem Recht, welches im gerade vernichteten System in Geltung standl7l • Legitimität gewinnt eine Revolution nur aus ihrem Edolg und der Errichtung einer neuen Vedassung mit Zustimmung des Volkes 172 • 168 Daß Kant nicht immer so gedacht hat, zeigt Henrich a. a. O. (Anm.143), 27 ff. 169 Andererseits kann der Staat mit seinem Gewaltmonopol in. zwei extremen Weisen verfahren: er kann es zum Despotismus ausmünzen, und er kann es durch Nicht-Ausübung der Anarchie· anheimfallen lassen, wie Spaemann meint: a. a. O. (Anm. 143), 234. Daraus entwickelt Spaemann .drei Kriterien, die die Rechtsvermutung zugunsten des Inhabers der öffentlichen Gewalt aufheben" (ebd.) und mit Kants Theorie verträglich sind. Diese sind: Beseitigung der Redefreiheit,Verbot der Auswanderung nichtstraffällige, Bürger in Friedenszeiten, Unmöglichkeit, Legitimität auf legale Weise zu gewinnen (234 ff.). Man sieht, daß das letztgenannte .Kriterium" alles andere als ein Kriterium ist, ,denn welche Legalität mit welcher Art Legitimität kompatibel ist, veranlaßt als Problem ja erst Streit und Kampf. 170 Spaemann, a. a. O. (Anm. 143), 223. 171 MdS, IV, 442. Entsprechend deutet Kant Röm.13 (alle Obrigkeit von Gott) nahezu als blindes Fatum und nennt es - .Praktisches Vemunftprinzip,,: .der jetz~ bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen; ihr Ursprung mag sein, welcher er wolle. (IV, 438). - Röm. 13 im Sinne einer Dualität von geistlicher und weltlicher Gewalt zu deuten, fällt Kant nicht ein. ,.Zwei oberste Gewalten können einander ohne Widerspruch nicht untergeordnet sein., und darum gilt: ,.Die Gläubigen, deren Reich im Himmel und .in jener Welt ist, müssen, -in so fern man i4nen eine sich auf dieses beziehende Verfassung (hierarchico-politica) zugesteht, sich den Leiden dieser Zeit unter der Obergewalt der Weltmenschen unterwerfen« (MdS2, IV, 493). In diesem Zusammenhang betont Kant auch das Recht des Staates, Kirchengut zu säkularisieren: .Denn die Kirche selbst ist als ein bloß auf Glauben errichtetes Institut, und, wenn die Täuschung aus dieser Meinung durch Volksaufklärung verschwunden ist, so fällt auch die darauf gegründete furchtbare Gewalt des Klerus weg, und der Staat bemächtigt sich mit vollem Rechte des angemaßten Eigentums der Kirche ... " (494). 1n Huber, a. a. O. (Anm. 151).
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Sieht man näher zu, warum, wenn man so ansetzt, kein Raum für ein Widerstandsrecht sein soll, so liegt der Grund in der durch die Einheit des Souveräns sowohl ausgedrückten wie verbürgten und im Zweifelsfall erzwingbaren Einheit der Rechtsordnung und Allgemeinheit des Gesetzes. Der bürgerliche Zustand verlangt eine Verfassung - oder es gibt ihn nicht. Vermutlich liegt· hier die Hauptschwierigkeit, Kants Argumentationen im Blick auf die Widerrechtlichkeit des Widerstandes nachzuvollziehen: in.dem binären Schematismus von Recht und Rechtlosigkeit, in einem schlechterdings Ausschließlichkeit verlangenden Entweder-Oder. Aus dieser im bürgerlichen Zustand mit Notwendigkeit theoretisch anzunehmenden und empirisch gegen jede mögliche Gegepmacht zu verteidigenden Einheit der Rechtsordnung ergibt sich die absolute Rechtswidrigkeit eines Widerstandes, so daß auch "in der Konstitution kein Artikel enthalten sein (kann), der es einer Gewalt im Staate möglich machte, sich, im Falle der übertretung der Konstitutionalgesetze durch den obersten Befehlshaber, ihm zu widersetzen, mithin ihn einzuschränken. Denn der, welcher die Staatsgewalt einschränken soll, muß doch mehr oder wenigstens gleiche Macht haben, als derjenige, welcher eing.eschränkt wird, und, als ein rechtmäßiger Gebieter, der den Untertanen befähle, sich zu widersetzen, muß er sie auch schützen können, und in jedem vorkommenden Fall rechtskräftig urteilen, mithin öffentlich den Widerstand befehligen können. Alsdann ist aber nicht jener, sondern dieser der oberste Befehlshaber; welches sich widerspricht.«173
Der bürgerliche Zustand, so läßt sich zusammenfassen, erfordert, seinem Begriff gemäß, eine einheitliche Rechtsordnung; Widerstand aber bedeutet, wie rudimentär immer, in jeder Intention, Zerstörung dieser Einheit, mithin Rückfall in den vorbürgerlichen Naturzustand, also muß,.Widerstand wider die höchste Gesetzgebung selbst niemals anders, als gesetzwidrig, ja als die ganze gesetzliche Verfassung zernichtend gedacht werden« 17•. die Hobbes-Frage ,.quis iudicabit?«175 nicht mehr entschieden werden kann, wird, wie im Naturzustand, erneut jeder zum ,.Richter in seiner eigenen Sache«176. Kant hat freilich bei seiner Ablehnung des Widerstandsrechtes die Voraussetzung gemacht, daß das Recht des status quo, den er vor Augen hatte,
Wenn
173 MdS, IV, 438. 174 MdS, IV, 440; fast gleichlautend »Gemeinspruch«, VI, 156. 175 Vgl. Kant, Ref1. 7496 (Ak. Ausg. XIX, 415), zu Achenwa1l, a. a. 0., § 203! 176 Hätte das 'lolk ein eigenes Urteil; dem Staatsoberhaupt entgegen, wäre zu fragen: »wer soll entscheiden, auf wessen Seite das Recht sei? Keiner von beiden kann es, als Richter in seiner eigenen Sache, tun. Also müßte es noch ein Oberhaupt über dem Oberhaupte geben, welches zwischen diesem und dem Volk entschiede; welches sich widerspricht« (ebd.). Vgl. oben zu Luthers Maxime, daß niemand Richter in eigener Sache sein düde: S. 160.
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zumindest in nuce die beste aller möglichen Verfassungen enthielt177 • Ist ein rechtlicher Zustand einmal erreicht, so kann die Rechtmäßigkeit in ihm durch permanente Reformen entwickelt werden178 • Wie aber stellt sich der rechtliche Zustand her? Was geschieht, wenn die Bedingungen öffentlicher Rede und dadurch möglichen Konsenses selbst (künstlich) verzerrt oder (noch?) gar nicht gegeben sind? Wer nicht darauf vertrauen mag, daß aus der Logik der sozialen Evolution179, derer man sich geschichtsphilosophisch vergewissert, ein weltbürgerlicher Zustand hervorgehen wird, der wird, und zwar auch mit Gewalt, einen rechtlichen Zustand allererst heraufzuführen versuchen. Die Grenzen dieses Aktes hat Habermas so bestimmt: »Eine Einflußnahme auf die Willkür anderer, wenn sie moralisch verfährt, gebietet indessen eine Orientierung am allgemeinen Zweck des Publikums, eben am Bedürfnis der Wohlfahrt der bürgerlichen Gesellschaft im ganzen.«180 Das ist zwar ganz unkantisch gedacht, denn nicht Glückseligkeit und Wohlfahrt können zur moralischen Richtschnur genommen werden, aber es ist gewiß nicht unzutreffend im Blick auf die historisch-empirische Wirklichkeit. Aus dieser Orientierung erwachsende Akte der Emanzipation kennt natürlich auch Kant, aber er muß ihnen als nur empirischen Handlungen jede moralische Dignität gegenüber der Idee des Rechtes bestreiten, obwohl, wie wir am Gewaltbegriff gesehen haben, diese Handlungen als Teil des Naturprozesses notwendig auftreten, ja, von der Entstehung eines rechtmäßigen Zustandes gar nicht getrennt werden könnenm. 177 Der Streit der Fakultäten, VI, 364 f. (Streit der philosophischen mit der juristischen Fakultät). 178 Rechtlich - rechtmäßig wird hier mit Spaemann, a. a. O. (Anrn. 143), 233 als Synonym für legal - legitim genommen. 179 Hinsichtlich der Heraufkunft einer republikanischen Verfassung sagt Kant: »Denn ein solches Phänomen in der Menschengeschichte vergißt sich nicht mehr . .. « (Streit der Fakultäten, VI, 361). Die Unwiderstehlichkeit der Freiheitsgeschichte als Moment der allgemeinen Evolution ist ein so kühner Gedanke, daß er unschwer als Projektion eines theologischen Perfektionsbegriffes: Vorsehung, verstanden werden kann. Vgl. dazu den Ersten Zusatz der Friedensschrift" (VI, 217 H.), wo Kant ausdrücklich auf die Providenzlehre rekurriert. Vgl. dazu den Hinweis bei Picht, Kants transzendentale Grundlegung (Anm. 137), 231 m. Anm. 180 Strukturwandel, a. a. O. (Anrn. 120),127 (Hervorhebung von mir, W. L.). Heute wird man diese Vorstellung schwerlich anders als Systemrationalität rekonstruieren können. Dabei aber geht das aufklärerische Verlangen nach einer Koinzidenz von Allgemeinem als Systemrationalität und Einsicht der einzelnen Subjekte offenkundig verloren. Jedenfalls scheint das der Fall zu sein, wenn der allgemeine Zweck nicht regulativ, sondern empirisch gelten soll, wie bei Habermas. Er kann ja über das, was das Allgemeine allgemein sein läßt, eben nicht so scharf konturierte Sätze sagen wie Kant, sondern dafür »nure geschichtsphilosophische Plausibilität in Anspruch nehmen. 181 "Als Ethiker verwirft also Kant die Revolution und erwartet die Vervollkomm-
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Spaemann hat den damit angedeuteten ,.Immobilismus«l82 dieser Rechtstheorie so zusammengefaßt: ,.Nur wo der Gehorsam gegen die Gesetze von der Zustimmung zu deren Inhalt unterschieden ist, nur dort kann jene Kritik an den Gesetzen freigegeben werden, die zu deren Verbesserung führen kann.«18l Im Rahmen etablierten Rechts können deshalb nur noch Evolution und Reform als rechtmäßig gelten. Das Widerstandsrecht ist damit nahezu unerreichbar. Erweist sich aber der Monarch als Tyrann (oder die bürgerliche Republik als reformunfähige Klassengesellschaft), kann der Philosoph nur hoffen, daß das Volk entgegen den Maximen der Theorie doch neues Recht aufrichtet: ,.durch Gewalt, auf deren Zwang nachher das öffentliche Recht gegründet wird ... ,.184 Auch unter der Herrschaft des Ancien Regime kann sich dergestalt eine Revolution vorbereiten. "Ein Staate, so entwirft Kant diese Möglichkeit, ,.kann sich auch schon republikanisch regieren, wenn er gleich noch, der vorliegenden Konstitution nach, despotische Herrschermacht besitzt: bis allmählich das Volk des Einflusses der bloßen Idee der Autorität des Gesetzes (gleich ob es physische Gewalt besäße) fähig wird, und sonach zur eigenen Gesetzgebung (welche ursprünglich auf Recht gegründet ist) tüchtig befunden wird. Wenn auch durch den Ungestüm einer von der schlechten Verfassung erzeugten Revolution unrechtmäßigerweise eine gesetzmäßigere errungen wäre, so würde es doch auch alsdann nicht mehr für erlaubt gehalten werden müssen, das Volk wieder auf die alte zurück zu führen, obgleich während derselben jeder, der sich damit gewalttätig oder arglistig bemengt, mit Recht den Strafen des Aufrührers unterworfen sein würde.«185
3.3. Institutionen, Freiheit und Gewalt (Regel) Man wird nicht erwarten, daß der hier entwickelte Grundriß einer Geschichte der Erfahrung von und des Sprechens über Gewalt eine zureichende Interpretation des Hegel'schen Gewaltverständnisses in Angriff nehmen könnte. Blickt man auf die kaum überschaubare neuere Hegel-Literatur, so könnte jede Äußen,lDg vermessen erscheinen, die den Auffassungen Hegels bezüglich Gewalt und Freiheit nicht mindestens eine Darstellung von monographischer Breite widmet. Es ist zudem leicht einzusehen, daß allein nung des staatlichen Seins nur von einer Reform, als Staatsphilosoph muß er feststellen, daß die Revolution den Staat zu einer Entwicklung befähigt, die ihm eine Reform nicht geben kann.« So A. Gurwitsch, Immanud Kant und die Aufklärung (1935), jetzt in: Z. Batscha (Hg.), Materialien zu Kants Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1976,331-346 (338). Vgl. auch F. Linares, Beiträge zur negativen Revolutionstheorie, Percha 1975, 111 ff. 182 Henrich, a. a. O. (Anm. 143),29; vgl. auch Timm, a. a. o. (Anm. 136), 228 ff. 183 Spaemann, a. a. O. (Anm. 143), 225. . 184 Zum ewigen Frieden, N, 231. 185 Ebd., N, 233 f.
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eine lexikalische Beschreibung des Wortgebrauchs'Hegels in dieser Fragestellung nicht zum Ziele führt, denn viel wichtiger wäre eine systematische Reko~struktion, die an der Sache, nicht am Wort ausgerichtet wäre. Wollte man aber so ansetzen, dann käme man nicht umhin, zugleich nach Entwicklungen in Hegels Denken zu fragen, und dabei sind die Schwierigkeiten auch schon für kurze Zeiträume außerordentlich, wenn man nur an die Interpretationsprobleme denkt, die mit den verschiedenen überlieferungen der Rechtsphilosophie gegeben sind186• Nicht das geringste Problem liegt dabei in der Frage nach Hegels Stellung zur Französischen Revolution, von der man weiß, daß sie neben der Reformation für ihn als die zweite Quelle der neuzeitlichen Idee der Freiheit gilt187• Religiöse und politische Freiheit sind für Hegels Philosophie untrennbar, unerachtet der Frage, ob dieser Gedanke der Wirklichkeit der christlichen Freiheit entspricht, wie Paulus sie verkündet und die Reformation wiederentdeckt hat. Wir haben oben bei Kant gesehen, wie sehr sein Verständnis der Gewalt und sein Gewaltbegriff durch den Versuch bestimmt waren, die Erfahrungen der Französischen Revolution zu verarbeiten und dabei zugleich die traditionellen Auffassungen vom Widerstandsrecht für die theoretische Erhellung der neuen Lage aufzunehmen und zugleich zu korrigieren. In der Revolution war eine neue Qualität menschlicher Gewaltfähigkeit entbunden worden, deren Erfahrung vielleicht am prägnantesten in folgenden Worten Fichtes zum Ausdruck kommt: ,.Das Volk ist nie Rebell, und der Ausdruck Rebellion, von ihm gebraucht, ist die höchste Ungereimtheit, die je gesagt worden; denn das Volk ist in der Tat, und nach dem Rechte, die höchste Gewalt, über welche keine geht, die die Quelle aller anderen Gewalt, und die Gott allein verantwortlich ist. Durch seine Versammlung verliert die exekutive Gewalt die ihrige, in der Tat, und nach dem Rechte. Nur gegen einen Höheren findet Rebellion statt. Aber was auf der Erde ist höher, denn das Volk! Es könnte nur gegen sich selbst rebellieren, welches ungereimt ist. Nur Gott. ist über das Volk; soll daher gesagt werden können: ein Volk habe gegen seinen Fürsten rebelliett, 186 So wäre, was ich hier nicht beabsichtige, im Blick auf die ReChtsphilQsophie zu jedem Paragraphen die neue Ausgabe heranzuziehen: G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831, hg. v. K. H. Ilting, Stuttgart-Bad Cannstatt 1973/ 74, 4 Bde. - Zum Hintergrund, zur Frage von Hegels .Staatstreuec und seinen Sympathien für die Revolution vgl. auch J. D'Hondt, Hegel in seiner Zeit, Berlin (DDR) 1973. 187 Vgl. dazu J. Ritters Ausführungen: Hegel und die Französische Revolution (1956); sowie: Hegel und die Reformation (1968), beides in: ders., Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, FrankfurtlM. 1969, 183-255 bzw. 310-317. Vgl. ferner R. Maurer, Hegels politischer Protestantismus, in: Der Staat 10, 1971, 455-479. ,.Die christliche Religion aber ist die Religion der Freiheitc, heißt es im Zusatz zum § 270 der Rechtsphilosophie (=RPh): WW 7,430. Hier und künftig zitiere ich Hegel nach der Theorie-Werkausgabe.
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so muß angenommen werden, daß der Fürst ein Gott sei, welches schwer zu erweisen sein dürfte.« 188 Im Gegensatz hierzu fällt bei Hegel auf, daß der gewaltsame Charakter der Revolution und die ursprüngliche Gewaltfähigkeit des Volkes nur geringe Aufmerks~mkeit finden. Das Gewaltmoment der Revolution, ,.die Furie des Verschwindens«189; übergeht er eher mit einem Sarkasmus, als daß dieser Aspekt 'ion theoretischem Belang wäre190 . Für Hobbes und Kant hatte dagegen Gewalt als ein ursprüngliches Vermögen in der Natur auch entscheidende Bedeutung für den Aufbau ihrer Sozial- und Moralphilosophie, deren Leitfaden man geradezu in der Frage und Aufgabe erblicken kann, wie der Naturzustand zu überwinden bzw. wie der übergang von Natur zu Vernunft geschichtlich zu denken und praktisch möglich sei. Wenn ich recht sehe, kann man demgegenüber die Pointe der Thematisierung der Gewalt bei Hegel geradezu darin sehen, daß er von ihr im wesentlichen als von einer vergehenden bzw. aufgehobenen Gewalt spricht. Ich versuche im folgenden, diese These im Blick auf Hegels ,.Grundlinien der Philosophie des Rechts«!9Oa von 1821 näher zu erläutern und komme dann auf die Stellung zur Französischen Revolution kurz zurück. In der Rechtsphilosophie führt Hegel den Begriff der Gewalt ausdrücklich ein in der Sphäre des abstrakten Rechts, als es um die Bestimmung des Eigentums geht. ,.Daß Ich etwas in meiner selbst äußeren Gewalt habe, macht den Besitz aus«, heißt es!9!, aber eigentümlicherweise erscheint der ursprüngliche Eigentümer hier als solitäres Ich. Dies ist der freie Wille, wie er im abstrakten Recht als ,.ausschließende Einzelheit« (§ 34) auftritt. Demgegenüber hatten die naturrechtlichen Eigentumstheorien stets das Eigentum gerade als Sozialkategorie eingeführt und den Akt der ursprünglichen 188 Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796), I. Teil, 3. Hptstelt. § 16, Ausg. Meiner, Hamburg 1960, 179. Vgl. auch zu Fichte
K. Röttgers, Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in:
o. Rammstedt, Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Kritik, Frankfurt/M. 1974,
157-234 (181 H.). 189 Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, 418. 190 Für Kant war die Hinrichtung Ludwigs XVI. ein theoretisch belangreicher Vorgang (MdS, IV, 440 H.); bei Hegd heißt es über das Werk der abstrakten Freiheit in der Phänomenologie: ,.Das einzige Werk und Tat der allgemeinen Freiheit ist daher der Tod, und zwar ein Tod, der keinen innem Umfang und Erfüllung hat, denn was negiert ist, ist der unerfüllte Punkt des absolut freien Sdbsts; er ist also der kälteste platteste Tod, ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhauptes oder ein Schluck Wassers« (418 f.). 190a Zum Titd und zum Verhältnis zur philosophischen Tradition vgl. bes. M. Riedd, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1969, hier bes. 103 H. 191 § 45 (WW 7,107). 231
Okkupation nicht nur als Äußerung einer primären Handlungsfähigkeit gegenüber einer Sache, sondern vor allem im Blick auf andere konkurrierende Subjekte bestimmt, in deren Konflikt eine Gewaltfähigkeit zum Vorschein kommt, welche nicht nur Ausdruck eines Willens, sondern. Manifestation eines natürlichen Vermögens oder natürlicher Triebe ist. Dasselbe von der Sozialität zunächst absehende Verständnis der Gewalt als einer Form der Besitzergreifung begegnet wieder in § 55, nur daß hier auch auf Ergänzungen durch technische Hilfsmittel verwiesen wird!92. Indes handelt es sich hierbei lediglich um Erscheinungen ursprünglichen Gewaltgebrauchs, die in der bürgerlichen Gesellschaft tatsächlich kaum noch vorkommen und lediglich von der abstrakten Reflexion herausgestellt werden, welche nicht si~t, daß das Dasein einzelner Rechte längst in der Form des allgemeinen Gesetzes aufgegangen ist, wie § 217 im Rückblick herausstellt!92a. Im letzten Abschnitt des abstrakten Rechtes handelt ~egel dann von Zwang und Verbrechen; hier wird der erste Gewaltbegriff in den Zusammenhang des Gegensatzes verschiedener Willen gerückt. Da der Wille im Eigentum sich in eine äußerliche Sache legen muß, kann ihm ipso facto auch äußerlicher Zwang angetan werden, die seine Befugnis, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, einschränkt oder widerrechtlich verletzt. ,.Als Lebendiges kann der Mensch wohl bezwungen, d. h. seine physische und sonst äußerliche Seite unter die Gewalt anderer gebracht, aber der freie Wille kann an und für sich nicht gezwungen werden (§ 5), als nur sofern er sich selbst aus der Äußerlichkeit, an der er festgehalten wird, oder aus deren Vorstellung nicht zurückzieht (§ 7). Es kann nur der zu etwas gezwungen werden, der sich zwingen lassen will" (§ 91)!93. , Gewalt bleibt also der Freiheit äußerlich!", aber sofern die Freiheit des Willens eines äußeren Daseins bedarf, ist Gewalt, die dieses zerstört, ,.unrechtlich,,!95. Darum muß ,.Zwang durch Zwang aufgehobene werden!", und dazu bedarf es des überganges aus dem natürlichen Zustand in eine Rechtsordnung, denn ,.der nur natürliche Wille ist an sich Gewalt gegen die an sich seiende Idee der Freiheit, welche gegen solchen ungebildeten Willen 192 ,.Mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente erweitern den Bereich meiner Gewalt« - WW 7,120. 192a WW 7,370. 193 WW 7,178 f. 194 Ähnlich in der ,.Logik«: ,.Die Gewalt ist die Erscheinung der Macht oder die Macht als Äußerliches« (WW 6,235). 195 § 92 (WW 7,179). Dunkel ist hier der Satz: » ••• so zerstön Gewalt oder Zwang in ihrem Begriff sich unmittelbar selbst.« 196 § 93, ebd.
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in Schutz zu nehmen und in ihm zur Geltung zu bringen ist. Entweder ist ein sittliches Dasein in Familie oder Staat schon gesetzt, gegen welche jene Natürlichkeit eine Gewalttätigkeit ist, oder es ist nur ein Naturzustand, Zustand der Gewalt überhaupt vorhanden, so begründet die Idee gegen diesen ein Heroenrecht«197. Sittliches Dasein und Naturzustand werden hier also unmittelbar gegenübergestellt, und es ist bemerkenswert, daß die naheliegende Frage einer Entartung des ersteren gar nicht auftaucht. Aber daß es in der Rechtsphilosophie Hegels keine Lehre vom Widerstandsrecht gibt, nicht einmal geben darf!97., ergibt sich aus dem Sachverhalt, daß nach Hegels Auffassung eine Philosophie des Staates nicht präskriptiv zu verfahren hat, sondern den Versuch darstellt, ,.den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen. Als philosophische Schrift muß sie am entferntesten davon sein, einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nicht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soll, sondern vielmehr, wie er, das. sittliche Universum, erkannt werden soll«198. Weil Gewalt dem Begriff des Rechtes und der Freiheit widerspricht, muß sie nach Hegel bestraft werden. Zwang von Freien gegen Freie, der das Recht als Recht verletzt, ist Verbrechen (§ 95), welches durch Bestrafung zu sühnen ist, damit das Recht wiederhergestellt wird!". Ja, aus den vorausgesetzten Begriffen der Freiheit und des Willens folgt, daß der Verbrecher die Strafe, die ihn trifft, selbst wollen muß und wollen wird, sofern er selbst ein vemunftbegabtes Wesen ist: ,.Daß die Strafe darin als sein eigenes Recht enthaltend angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt.«220
197 Ebd., 179 f. Obwohl die Textüberlieferung hier unsicher ist - manche lesen ,.Herrenrecht« - sei daran erinnert, daß die Vorstellung von Recht setzenden ,.viri heroici« ein alter Topos ist; vgl. im Blick auf Luther E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände, Gütersloh 1977, 30-32 (Belege).Der Zusatz zum § macht klar, daß Hegel wirklich Heroen gemeint hat; ihr Zwang, heißt es hier, sei ,.ein rechtlicher, denn in Güte läßt sich gegen die Gewalt der Natur wenig ausrichten .. (180). . 197a Dieser Beobachtung entspricht die andere Tatsache, daß Hegel in bestimmter Weise die Religion trotz aller Anerkennung des Freiheitsbegriffs der Reformation entschieden dem Staat subordiniert; vgl. § 270 (WW 7,415 H.). 198 Vorrede, WW 7,26. 199 § 99 (WW 7,187-190). Hegel verrritt eine Sühnetheorie der Strafe unter Einschluß der Todesstrafe und kritisiert. die Versuche Beccarias und anderer, Besserungszwecke mit der Strafe zu verfolgen. 200 § 100 (WW 7,191). Rückblickend vom Reflexionsgrad der Sphäre der Sittlichkeit ermäßigt Hegel freilich diese Bestimmungen; Milde ist möglich, wenn die Gesellschaft in sich gefestigt ist (§ 218, WW 7,371 H.).
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Vor allem in der Sphäre der Moralität bleibt Gewalt der Selbstbestimmung völlig äußerlich. Der moralische Wille ist für Gewalt völlig unzugänglich201 . Aber hier ist im Fortgang der Rechtsphilosophie erst die Stufe des Gewissens und des abstrakten Guten erreicht, von der überzugehen ist in die Sphäre der Sittlichkeit. Diese aber, als ,.das lebendige Gute«, wird von Hegel so entfaltet, daß hier von Gewalt nur noch an dem äußersten Rand die Rede sein kann, nämlich dort, wo die Staaten sich im zunächst rechtsfreien Raum der zwischenstaatlichen Beziehungen begegnen und Kriege führen 202 . Ansonsten wird, soweit ich sehe, in der Sphäre der Sittlichkeit kein Begriff der Gewalt (qua vis, violentia) mehr entwickelt, und daraus wird man schließen dürfen, daß in einem Staat und einer Gesellschaft, die ihrem philosophischen Begriff entsprechen, Gewalt als physischer Zwang eo ipso keinen Ort mehr haben kann20]. ,.Durch die Gewalt, meint die Vorstellung oft, hänge der Staat zusammen; aber das Hahende ist allein das Grundgefühl der Ordnung, das alle haben.«204 Und wenn Hegel später bezüglich der Verfassung von Zivilgewalt und Militärgewalt sprichr205, so gilt dem darin beschlossenen Moment einer violentia überhaupt keine Aufmerksamkeit, sowenig wie anläßlich des Hinweises auf die Gewaltenteilung im Verfassungsstaat dem Zusammenhang von Staat und Gewalt nachgegangen wird206 . Erst mit der Erwähnung des Krieges als Folge staatlicher Souveränität wird wieder lebhaft von Gewalt gesprochen207 . Mustert man diese Hauptbelegstellen durch, fällt auf, wie peripher Hegel im Grunde Phänomen und Begriff der Gewalt behandelt. Eine eingehende Interpretation dieser Stellen bedarf nun freilich der Erhellung ihres Ortes im Aufbau der Rechtsphilosophie. Dazu läßt sich vielleicht von der Frage ausgehen, welches der geschichtliche Ausgangspunkt ist, auf dem hier die Architektonik der Freiheit erreichtet wird. Bei Kant, so mag verkürzend gesagt werden, war dies die durchgehende Naturkausalität, welche in das Recht selbst als Darstellung des überganges zur Freiheit hineinragt201. 201 § 106, Zusatz (WW 7,205). Vgl. auch § 94, Zusatz. 202 § 324 (WW 7,491 ff.). 203 Am historischen Beginn einer Gerichtsbarkeit mag ursprüngliche Gewalt stehen, allein .für den Begriff der Sache ist dies gleichgültige (§.219, WW 7,373). 204 § 268, Zusatz (WW 7,414). 205 § 271, Zusatz (WW 7,431). 206 §§ 272 ff. (WW 7,432 ff.). 207 §"324, Anm. (WW 7,492 f.). Vgl. aber J. D'Hondt, Die Einschätzung des revolutionären Krieges durch Hegel, in: M. Riedel (Hg.), Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Bd. 2, Frankfurt/M. 1974,415-427; sowie Hegels Hochschätzung des humanitären Kriegsvölkerrechts: § 338 (WW 7,502). 208 Ähnlich T. Koch, Kriterien einer Ethik des Politischen, in: Handbuch der christlichen Ethik, Bd. 2, Freiburg-Basel-Wien 1978, 244-252 (245 f.).
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Gewalt ist bei Kant darum ein primäres Naturvermögen. Von dieser Natur, der Gewalt als potentielle Bedrohung von Freiheit und Vernunft zugehört, ist in Hegels Rechtsphilosophie so gut wie gar nicht mehr die Rede. Der Boden, auf dem bei ihm die Gewalt in den Blick kommt, ist die bürgerliche Gesellschaft als eine zweite Natur. Darum ist von wirklichen Sozialbeziehungen erst in der Sphäre der Sittlichkeit die Rede. Hier geht die Bedrohung des Einzelnen nicht mehr von der Natur aus, sondern von dem System allseitiger Abhängigkeit (§ 183), nicht vom Andern als einem Bedürfniswesen mit bedrohlicher Triebstruktur, sondern vom Andern als Glied derselben bürgerlichen Gesellschaft, zu dem jeder Einzelne durch das allgemeine System der Arbeit in Beziehung steht (§§ 190 ff.). Nicht der Naturprozeß, sondern das Reich der Institutionen ist hier dercBoden, auf dem die Freiheit wirklich ist oder jedenfalls werden kann2~. Im Durchgang durch die Sphären des abstrakten Rechts und der Moralität bestimmt Hegel die Freiheit des Einzelnen; einmal in ihrem äußerlichen Dasein; ein andermal in ihrer inneren Selbstbestimmung. In der Sphäre der Sittlichkeit kommt dann alles darauf an, zu bestimmen, ob diese Freiheit, gemäß dem Anspruch der Rechtsphilosophie, mit den Institutionen des objektiven Geistes zusammenstimmen kann. Es ist-bekannt, daß Hegel nicht nur die Französische Revolution begeistert begrüßte und theoretisch rechtfertigte 210 , sondern insbesondere auch um keinen Preis hinter die Positionen der kritischen Philosophie und Rousseaus zurückzufallen wünschte: Nichts mehr soll aufgrund von Gewohnheit, Sitte oder Gewalt .gelten, sondern alles soll fortan Anerkennung nur durch fundierte Einsicht finden 211 • Aber dieser Sieg der Freiheit und das Ende der Gewalt werden nicht unvermittelt von der Vernunft heraufgeführt, indem diese sich zum Gesetzgeber aufschwingt. Dem abstrakten Sollen und Wollen der Subjektivität billigt Hegel gerade kein Recht zur Revolution' zu212 • 209 Vgl. M. RiedeI, Natur und Freiheit in Hegels Rechtsphilosophie, in: ders., a. a. O. (vorige Anm.), 109-127. 210 Vgl. zusammenfassend zu diesem Problemkreis den ausführlichen Literaturbericht von M. Theunissen, Die Verwirklichung der Vernunft. Zur Theorie-PraxisDiskussion im Anschluß an Hegel (PhR B 6), Tübingen 1970. Den Maßstab und Ansatz dieser Abhandlung expliziert Theunissen in seinem Buch: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970. Vgl. auch A. Wildt, Hegels Kritik des Jakobinismus, in: o. Negt (Hg.), Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, Frankfurt/M. 1970,265-292. . 211 »Was jetzt gelten soll, gilt nicht mehr durch Gewalt, wenig durch Gewohnheit und Sitte, wohl aber durch Einsicht und Gründe ... «, heißt es in der RPh; und: »Das Prinzip der modemen Welt fordert, daß, was jeder anerkennen soll, sich ihm als ein berechtigtes zeige« (§§ 316 f.; Zusätze; WW 7,483. 485). 212 Vgl. O. Marquard, Hegel und das Sollen, in: Philosophisches Jahrbuch 72, 1964, 103-119.
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Vielmehr eignet dem Fortgang der politischen Geschichte, auch in ihren Revolutionen, ein Charakter der Objektivität, ähnlich demjenigen, der die Selbstdurchsetzung der kritischen Philosophie kennzeichnet. Verfassungen, .. aus denen der Geist entflohen ist«213, die damit das Zutrauen ihrer Bürger verloren haben, lassen sich durch keinen Appell an das alte Legitimitätsbewußtsein retten. Daß man, was fällt, stoßen soll, hätte auch Hegel sagen können, und zwar mit dem begründenden Zusatz, daß die allfällige Reform oder Revolution ohnehin erfolgt, aber ohne rechtzeitige Unterstützung nur zu leicht ,.dem Bedürfnisse der Verbesserung sich die Rache beigesellt«214. Hegels politische Schriften stellen, anders als die zeitlos-moralisch gehaltenen Fürstenspiegel des Mittelalters, eine frühe Theorie des politischen »crisismanagement« dar. Er wendet sich an das Bewußtsein des Herrschers und seiner Beamten mit dem Ziel, sie über den Gang der Geschichte begrifflich zuverlässig aufzuklären, damit diese, soweit es in der Reichweite ihrer Aufmerksamkeit und Tatkraft liegt, nicht blindem Schicksal ausgeliefert sind. »Der Philosoph, der das Schicksal reflektiert, kann zu einer Reform anleiten, die Gerechtigkeit übt, um nicht die furchtbare Gerechtigkeit der blind revolutionären Gewalt zu leiden.,,2t5 Die Aufgabe der Philosophie ist daher, in einem systematischen Zusammenhang das Reich des Möglichen in seiner Zugänglichkeit für die wirkliche Gegenwart darzustellen. Die politische Theorie legt die möglichen Optionen des Veränderungswillens dar: ihr obliegt die Sorge dafür, daß, was geschieht, mit Willen und Bewußtsein geschehen kann216 . Darum muß des älteren Hegel Aversion gegen. die Revolution, die Habermas zum Leitfaden seiner Interpretation nimmt, nicht einfach als Reaktion verstanden werden, sondern als Widerstand gegen die Möglichkeit, daß eine Revolution als Regression hinter einen schon erreichten Stand gesellschaftlicher Organisation217 und individueller Freiheit zurückfallen könne.
213 Hegel, über die neuesten inneren Verhältnisse Würthembergs, besonders über die Gebrechen der Magistratsverfassung (1798), in: G. W. F. Hegel, Politische Schriften, Nachwon J. Habermas, Frankfurt/M. 1966, 11-15 (12). 214 Ebd., 13. 215 J. Habermas, Nachwon zu Hegel, Pol. Schriften, 343-370 (356). 216 Ein entscheidender On der Herstellung dieser übereinstimmung ist für Hegel die Religion, weshalb es, wie er meint, eine,.Torheit neuerer Zeit« ist, »eine Revolution ohne eine Reformation gemacht zu haben« (Enzyklopädiel , § 552). Indirekt macht Hegel damit den Katholizismus für den Schrecken der Französischen Revolution verantwonlich; so auch Theunissen, Traktat (Anm. 210), 418. 217 Am abstrakten Revolutionswillen rügt Hegel ja auch gerade die Verachtung der in Institutionen lebendigen Vernunft. Daß dies ein legitimer Anknüpfungspunkt für A. Gehlen, H. Schelsky oder N. Luhmann ist, liegt auf der Hand.
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Wer aber entscheidet darüber, welche politischen Bestrebungen mit den Möglichkeiten ihrer Zeit al pari stehen? Welche Kriterien lassen darüber urteilen, ob eine Theorie, die mittelbar auf Praxis zielt, ihren Kairos findet? Denn auch wenn die philosophische Vernunft allein es wäre, die die Gewalt des Schicksals oder der Schwärmerei zu brechen ermöglichte, so bliebe doch die Frage, welchem Subjekt diese Vernunft vindiziert werden kann. Hegel hat zwar alle Denkmittel bereitgestellt, die nötig sind, damit die soziale und politische Welt als Reich selbstbewußter Gestaltung durch solidarische Subjekte begriffen werden kann2l8 • Allein die Konsequenz sollten erst die Schüler ziehen. Die Herbeiführung eines politischen Zustandes, der seinen Maximen gerecht würde, mag Hegel nämlich doch nicht ohne weiteres den Händen empirischer Subjekte anvertrauen, schon gar nicht dem Volk als solchem2I9. Damit fällt auch die emanzipatorische Funktion, die bei Kant die Kategorie der Offentlichkeit hatte, fort. Für Hegel dient nach Habermas »Offentlichkeit ... bloß der Integration des subjektiven Meinens in die Objektivität, die sich der Geist in Gestalt des Staates gegeben hat«220. Wie sich heute auch systemtheoretisch pla~sibel machen läßt, könnte Hegel argumentieren, ,.daß der Konsens der Vernünftigen, nach allem, was wir heute über· die Logik kollektiver Meinungsbildung wissen, keineswegs eo ipso 'Vernünftiger Konsens zu sein braucht,,22I. Substantielle politische Wahrheit jedenfalls traut Hegel den subjektiven Äußerungen aller nicht zu. Die Personen erkennen sich zwar universal wechselseitig an - als Personen des abstrakten Rechtes und vor allem als Warenbesitzer, die am Markt interagieren. Diesem Pathos der Subjektivität ist die welthistorische Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft untrennbar zugeordnet. ,.Subjekt«222 und,.Vertrag« sind die Grundkategorien der bürgerlichen Emanzipation. Die Welt ist seit Hobbes definitiv Material dieses ~poietischen Subjektivismus«221, und im Staat vollendet sich nach Hegel das Prinzip der Subjektivität »zum selbständigen Extreme«224.
218 Das Vorbild dessen hat Hegel in den Jugendschriften in der christlichen Gemeinde gefunden; auch später hat er, wie Theunissen zeigt, diesen Bezug zu Kult und Religion als konstitutiv für den Bereich des Politischen festgehalten. 219 Vgl. RPh, §§ 317-320 (WW 7,483-490). 220 Habermas, a. a. O. (Anm. 120), 135. 221 N. Luhmann, Diskussion als System, in: J. HabermaslN. Luhmann, a. a. O. (Anm. 118), 316-341 (327, m. Anm. 61). 222 .. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist.« RPh, § 209 (WW 7,360). 223 Vgl. B. Willms, Revolution und Protest, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1969; ders., Funktion, Rolle, Institution, Düssddod 1971. 224 § 260 (WW 7,407).
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Das bürgerliche Subjekt wird schon bei Kan~s, besonders aber bei Hegel nicht zuletzt definiert als Warenbesitzer, also durch seine Eigenschaft, Eigentum zu besitzen: ,.Die Person hat das Recht, in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die Meinige ist, zu ihrem substantiellen Zwecke, da sie einen solchen nicht in sich selbst hat, ihrer Bestimmung und Seele meinen Willen erhält, - absolutes Zueignungsrecht auf alle Sachen.,,226 Wie das Subjekt abstrakt, nämlich als Eigentümer, dem anderen .subjekt gegenübertritt, wie auch die Beziehungen zwischen den Subjekten abstrakte, nämlich Rechtsbeziehungen sind227, so werden auch die Dinge ihrer Eigentümlichkeiten beraubt und versachlicht zu demjenigen, was sich zu Markte tragen läßt. Die hauptsächliche rechtliche Form der sozialen Beziehungen zwischen den autonomen Personen ist der Vertrag. Sind aber diese Subjekte in erster Linie Eigentümer, so wird die Kategorie des Vertrages aus ihrer noch bei Kant umgreif enden Stellung in die Sphäre des Privateigentums und des Privatrechts, das die ökonomischen Beziehungen regelt, abgedrängt. Den institutionellen Rahmen der Marktfreiheit aber garantiert erneut Herrschaft: Integration durch politische Gewalt. Die Utopie der rationalen Begründung und Kritik der Institutionen der Herrschaft durch Vernunft und Einsicht ist ermäßigt zur sittlichen Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft, der jedoch die politische Gewalt des Staates unerschüttert gegenübersteht, welche die Integration der Subjekte erzwingen kann. So schlägt die periphere Behand225 Wer von dem Willen anderer abhängig ist, ,.entbehrt der bürgerlichen Persön: lichkeit, und seine Existenz ist gleichsam nur Inhärenz« (MdS, IV, 433). Kant unterscheidet entsprechend aktive und passive Staatsbürger, sieht aber, daß ,.der Begriff des letzteren mit der Erklärung des Begriffs von einem Staatsbürger überhaupt in Widerspruch zu stehen scheint« (ebd.). 226 Hegel, RPh, § 44 ...Die Seite aber, daß Ich als freier Wille mir im Besitze gegenständlich und hiermit auch erst wirklicher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche darin, die Bestimmung des Eigentums aus. Eigentum zu haben, erscheint in Rücksicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, daß vom Standpunkte der Freiheit aus das Eigentum als das .erste Dasein derselben, wesentlicher Zweck für sich ist« (§ 45). Hierzu näher J. Ritter, Person und Eigentum. Zu Hegels' ,Grundlinien der Philosophie des Rechts<, §§ 34-81 (zuerst 1961), in: ders., Metaphysik und Politik. Studien zu AristoteIes und Hegel, Frankfurt/M. 1969, 256-280. Zu Marx' Kritik des Hegeischen Besitzindividuums vgl. Kapital III, MEW 25, 628 f.: daß der freie WiUe etwas zu seinem Besitz macht, so Marx, liege nicht im Begriff des Rechts, sondern in den kontingenten sozialen Verhältnissen, die diese Funktion des Rechts ermöglichen. 227 Inwiefern Hegel, bes. im Zusammenhang mit seiner Theorie einer Versöhnung des Verbrechers, gerade die Abstraktheit und den Formalismus von Rechtsbeziehungen, Momente der Kant-Kritik Schillers aufnehmend, kritisiert, versucht Wildt, a. a. O. (Anm. 211), zu zeigen.
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lung der Gewalt in der Sphäre der Sitdichkeit der Rechtsphilosophie auf die emphatisch behauptete Freiheit der Subjekte am Ende zurück.
4. Gewalt und Gewaltlosigkeit im Tauschverhältnis Doch auch in dieser Partikularität der einstmals revolutionären Funktion des Vertragsbegriffs erhalten sich Momente von Herrschaftskritik: der Tausch auf dem Markt setzt immer noch abstrakt freie, veriragsfähige Subjekte voraus und unterstellt zumindest als geglaubte Fiktion Gleichheit, Gegenseitigkeit und Tauschgerechtigkeit. Kein Geringerer als Man: hat der bürgerlichen Gesellschaft immer als Verdienst angerechnet, daß sie im verfassungsmäßigen Rechtsstaat die Fesseln feudaler Gewalt abgestreift hat. Marx feierte die evolutionär-revolutionäre Errungenschaft, daß persönliche Herrschaft dem gewaldosen Tausch zwischen den Subjekten als Eigentümern weichen mußte. ,.Obgleich das Individuum A Bedürfnis fühlt nach der Ware des Individuums B, bemächtigt es sich derselben nicht mit Gewalt, noch vice versa, sondern sie erkennen sich wechselseitig an als Eigentümer, als Personen, deren Willen ihre Waren durchdringt.«228 Der Marktmechanismus, der den gesellschafdichen Zusammenhang in sachlicher Form darstellt, hat als Modus zwanglosen, allseitigen Tausches das Ende persönlicher Herrschaft heraufgeführt229 • So sollte das entscheidende Systemproblem, wie Habermas reformuliert, aller Gesellschaften, für die Knappheitsbedingungen konstitutiv sind21o, nämlich die ungleiche und doch legitime Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums bzw. der sozialen LastenD!, gelöst werden durch die 228 K. Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin (DDR) 1953, 155. 229 Vgl. Marx, Grundrisse, Anm. zu 74 f.: ,.Was jedes Einzelne Individuum im Geld besitzt, ist die allgemeine Tauschfähigkeit, wodurch es seinen Anteil an den gesellschaftlichen Produkten für sich nach Belieben auf seine Faust bestimmt. Jedes Individuum besitzt die gesellschaftliche Macht in seiner Tasche unter der Form einer Sache. Raubt der Sache diese gesellschaftliche Macht, und ihr müßt diese' Macht unmittelbar der Person über die Person geben. Ohne das .Geld also keine industrielle Entwicklung möglich. Die Band müssen_ als politische, religiöse etc. organisien sein, solange die Geldmacht nicht der nexus rerum et hominum istc (ebd., 986 f.). _ 230 In einem strengen Sinne gilt das nur für die bürgerliche Gesellschaft; diese beseitigt nicht, sondern produziert Knappheit als Schematismus der eigenen Regulierung und Rationalisierung; so jedenfalls einleuchtend N. Luhmann, Wirtschaft als soziales System, in: ders., Soziologische Aufklärung, Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Köln-Opladen 1970, 204-231 (bes. 207 f.); ders., Knappheit, Geld und die bürgerliche Gesellschaft, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 23, 1972, 186-210.. 231 So J. Habermas, Exkurs über Grundannahmen des· historischen Materialismus, in: ders.lLuhmann, a. a. O. (Anm. 118),285-290 (286); so auch schon früher in seinem
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sachliche Automatik des Äquivalententausches. Nach Habermas bietet damit der Kapitalismus »eine Legitimation der Herrschaft an, die nicht mehr vom Himmel kultureller überlieferungen herab geholt, sondern von der Basis der gesellschaftlichen Arbeit heraufgeholt werden kann«232. Indes - die Neuzeit brachte nicht die freie Vereinigung der citoyens, sondern die Klassenherrschaft der bourgeois. Zwar sind die vertragschließenden Subjekte am Markt frei, aber diese Freiheit ist (1) die des einen, seine Arbeitskraft vom anderen kaufen zu lassen, und (2) die Subsumtion beider unter den sachlichen Zusammenhang der Produktion. Das Rechtsinstitut des freien Arbeitsvertrages verschleiert, daß, unerachtet seiner emanzipatorischen Funktion, im Lohnarbeitsverhältnis soziale Gewalt sich durchsetzrlll . Diese aber betrifft nicht nur die private Aneignung des gesellschaftlich erarbeiteten Mehrprodukts, sondern unterwirft auch noch die profitierende Seite des Klassenverhältnisses dem objektiven Antagonismus des Kapitalverhältnisses. ,.Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktivität ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben.«234 Marx hat diese gesellschaftliche Entwicklung des Kapitalismus evolutionär verortet in einer Abfolge der Formen sozialer Integration2ls :in einer ersten Form, die abstrahierend zusammengefaßt von der Antike bis zum Feudalismus reicht, liegt das gesellschaftliche Integrationszentrum in der jeweiligen Weise der Herrschaft von Personen über Personen und Sachen; in der zweiten Form, dem Kapitalismus, ist »persönliche Unabhängigkeit auf sachliche Abhängigkeit gegründet«236, die dritte Form, die Marx antizipierend als Sozialismus bestimmt, bedeutet: ,.Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität, als ihres gesellschaftlichen Vermögens ... «237 Jede. Form neutralisiert die Konflikte, die die voraufAufsatz: Technik und Wissenschaft als >Ideologie<, im· gleichnamigen Aufsatzband; FrankfurtlM. 1968,48-103 (66). 232 Technik und Wissenschaft als >Ideologie< (vorige Anm.), 69. 233 Vgl. K. Marx, Die Deutsche Ideologie (Marx-Werke II, hg, v. Lieber/Furth), Darmstadt 1971, 37. 234 Marx, Grundrisse (Anm. 228), 76; auch 79 f. 155 ff. 387 ff. u. ö. 235 Grundrisse, 75. 236 Ebd. - Kurz zuvor heißt es: »Raubt der Sache die gesellschaftliche Macht, und ihr müßt sie Personen über die Personen geben.« - Daß schon für Hegel Versachlichung eine zentrale Kategorie war, zeigt bes. Ritter, a. a. o. (Anm. 226), 268"276. 237 Grundrisse, 75. - Dieser Gedanke ist präludiert in Marx' Text >Zur Judenfrage< (1843): ,.Erst wenn der wirklich individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner
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gehenden bestimmten, und hebt sie in sich auf. Der Wechsel des Integrationszentrums läßt alte Kampfzonen obsolet werden. Für Man:, Engels, Lenin und Mao Tse-Tung gelten fortan im Prinzip nicht mehr die politischterritorialen und politisch-bürgerlichen Grenzen als Konstitutionsbedingungen des entscheidenden gesellschaftlichen Konflikts, sondern an ihre Stelle treten die Grenze und die Gewalt zwischen den Klassen. Der Bereich des Ökonomischen ist nunmehr das Zentralgebiet gesellschaftlicher Integration oder Dissoziation; das Tauschgesetz und sein allgemeiner Ausdruck, das Geld, sind universal geworden, auch wenn- das Kapitalverhältnis noch hier und da Rudimente des ,.Idiotismus des Landlebensc (Marx) außer sich duldet. ' 4.1. Das Kapitalverhältnis als Gewaltverhältnis (Marx)231
Indes ist die Formulierung, daß die gesellschafdich relevante Konfliktzone bei Marx endang der Klassengrenze verläuft, daß Herrschaft mithin Klassenherrschaft ist und somit hier, im Sinne Carl Schmitts, der Begriff des Politischen seinen Ort hat, selbst nur ein abgeleiteter Satz. Für Man: ist das Klassenverhältnis nämlich gleichursprünglicher Ausdruck des Kapitalverhältnisses. War in nahezu der gesamten praktischen Philosophie des Ab~ndlandes immer Herrschaft als Herrschaft von Personen begriffen worden, mithin Herrschaft auch nur einzuschränken durch Kontrolle von Personen über Personen, so läßt gleich der erste Satz des "Kapital« diese handlungsbezogene Einschränkung hinter sich: nicht Menschen herrschen, sondern die kapitalistische Produktionsweise. Ging die liberale ökonomische Theorie von einer für die einzelnen Individuen transintentionalen Basisharmonie zwischen ,.private vices« und "public individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist, erst wenn der Mensch seine ,forces propres< als gesellschaftliche Kräfte erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbrachte (Marx-Werke I, Stuttgart-Darmstadt 1961, 479). Ähnlich auch ',Die Deutsche Ideologie<, a. a.-O. (Anm. 233), 78 H. Im Fetisch-Kapitel des Kapital spricht Marx von einem,.Verein freier Menschen ..., die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben« (Kapital, I, MEW 23, 92 f.). Bei Bertolt Brecht lautet dieser Rousseauismus: "Me-ti sagte: Das sind schlechte Zeiten, wo der Mensch seiner Angst nicht nachgeben darf. Aber 'mögen viele andere gehen für einen Zustand des Gemeinwesens, in dem der, welcher für sich selber sorgt, zugleich für das Gemeinwesen sorgte (Ges. Werke 12, 433). 238 Zur Gewaltdiskussion in der sozialistischen Arbeiterbewegung vgl. W. Huber/ J. Schwerddeger (Hg.), Frieden, Gewalt, Sozialismus, Stuttgart 1976; darin zu Marx und Engels der Beitrag von G. Freudenberg. '
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benefits« aus, erkannte Hegel die darin liegende Täuschung angesichts der faktischen sozialen Spannungen239 und forderte entsprechend politische Integration durchdie Staatsgewalt, so dechiffriert Marx den angemaßten Charak~ ter auch dieser. Instanz: sie kann unter kapitalistischen Bedingungen nicht beanspruchen, wahrer Repräsentant des Allgemeinen zu sein. Das in Wahrheit herrschende Subjekt ist nach Marx nicht Person oder Individuum, womöglich als Monarch gekrönt und schicksalhaft in der Erbfolge sich fortzeugend, sondern eine Struktur, die, zwar ungekrönt, ebenfalls schicksalhaft sich fortzeugt - so jedenfalls dem von dieser Struktur selbst verbreiteten realen Scheine nach. In den frühen Schriften hat Marx diesen Sachverhalt noch gleichsam anthropologisch fixiert und ihm das griffige und relativ handlungsnahe Etikett der Entfremdung verliehen240 j die Forschungen der SOer und 60er Jahre führen ihn dann dazu, seine Theorie auf eben dem Felde zu explizieren, das die soziale Wirklichkeit seiner Zeit bestimmt: dem der ökonomischen Beziehungen241 • Marx' Hauptaugenmerk gilt dabei dem selbstwidersprüchlichen Charakter der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. So bildet das Kapital die Vielzahl der individuellen Arbeitsvermögen, die lebendige Arbeit, aus, indem es sie gl~ichzeitig vereint und isoliert242 : ,.im planmäßigen Zusammenwirken mit anderen streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen.« Indes ist dieses Vermögen der Individuen nur eine abstrakte Möglichkeit, seiner selbst nicht· mächtig, denn seine Ziele werden ihm oktroyiert : ,.Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft.« In der Kooperation, zu der abstrakt freie Rechtssubjekte per Vertrag als Einzelne zusammengeschlossen sind, entwickelt sich sub contrario das Gattungsvermögen der Individuen: ,.Als Kooperierende, als Glieder eines werktätigen .organismus, sind sie selbst nur eine besondere Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher Arbeiter entwickelt, Ist daher Produkti'Ukraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produkti'Ukraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, II;nd das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produkti'Ukraft 239 RPh §§ 200, 244-245. 240 So bes. in den Okonomisch-philosophischen Manuskripten (1844); zu deren
Interpretation(-sgeschichte) nach wie vor wichtig: J. Habermas, Zur philosophischen Diskussion um Man: und den Marxismus, in: ders., Theorie und Praxis (Anm. 128), 261-335 (bes. 261-290). 241 Vgl. zu dieser Schwerpunktverschiebung auch J. KostalJ. Meyer/S. Weber, Warenproduktion im Sozialismus. überlegungen zur Theorie von Marx und zur Praxis in Osteuropa, Frankfurt/M. 1973, bes. 16-80. 242 Vgl. hierzu das Kooperationskapital im ,.Kapital«; die folgenden Belege don MEW 23, 349. 351. 352 f.
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der Arbeit das Kapital nichts kostet, weil sie andererseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, be'UOT seine Arbeit sdbst dem Kapital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur besitzt, als seine immanente Produktivkr~« '
Diese Subsumtion der Arbeit unter das Kapital erfolgt intentionsunabhängig und gehorcht doch einer evolutionären Logik: sie bedeutet Emanzipation und Unterwerfung ineins. Die Formbestimmung der Arbeit durch das Kapitalverhälmis ist nämlich zugleich die Bedingung der Möglichkeit der Entwicklung aller Produktivkräfte; deren Entfaltung bildet aber andererseits, wie noch zu zeigen ist, den geheimen Sprengsatz im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft. Was dabei häufig als schlechte Geschichtsmetaphysik verdächtigt wird, derzufolge das Kapital Inkarnation der List der Vernunft sein soll, besagt für Marx zunächst und vor allem, daß die faktischen Bewirkungen und das Wollen und Wissen der handelnden Subjekte konstitutivauseinanderklaffen. Dies ist auch der Grund, warum Marx die mögliche Negation der herrschenden Struktur des Kapitals niemals ausschließlich handlungsbereiten Subjekten zutrauen kann. Wenn und sofern vielmehr die Struktur des Kapitals ,.Subjekte der sozialen Evolution ist, wenn und sofern die kapitalistiche Produktionsweise, solange sie herrscht, unter dem funktionalen Imperativpermanenter Reproduktion und Expansion steht, dann erscheint darin eine'tiefgreifende Inversion aller sozialen Verhältnisse: die empirischen Subjekte werden vom logischen .. Subjekte Kapital angewendet, und nicht umgekehrt243 • Das Kapital ist Subjekt im Sinne des U:JtOXELIlEVOV deralteuropäischen Tradition244 ; und doch ist dieses U:JtOXELIlEVOV kein unableitbares Erstes, sondern selbst historisch Gewordenes, denn das Kapital hat seine Substanz in d~r Arbeit, die sich in ihm vergegenständlicht hat und ständig vergegenständlicht. Wenn Marx sagt, daß das Kapital immer neu lebendige Arbeit in tote verwandelt, so meint er, daß die Bedingungen, unter denen gearbeitc;t wird, den Arbeitenden ein fremdes cresetz aufzwingen, dessen Funktionen jene .
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243 So setzt sich transintentional das Zwangsgesetz der Konkurrenz auch gegen den einzelnen Kapitalisten durch, so daß.sein Tun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen und Bewußtsein begabten Kapitalsc-ist (Kapital I, MEW 23, 619). Diese Argumentationsstruktur, der Theologie aus Röm. 7 und der Erbsündenlehre geläufig, fmdet sich immer wieder bei Marx. Das Kapital unterscheidet sich freilich zumindest darin von der Erbsünde, daß es nicht nur durch Menschen und ihre Praxis entsteht, sondern auch nur von diesen überwunden werden kann. An der zuletzt zitierten Stdle läßt Marx zur Veranschaulichung Passagen aus Luchers Polemik gegen den Wucher folgen und bezeichnet als tertium comparationis - die Erbsünde. 244 Vgl. in Kürze dazu K. Oehler, Art. Subjekt und Objekt, in: RGG 3 VI (1962), 448-451; vgl. Marx, Grundrisse, 137: das Geld als »allgemeine Substanz des Bestehens ... und zugleich das gemeinschaftliche Produkt aller«!
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nicht zu durchschauen vermögen. Die im Prinzip frei bestimmbaren, möglichen Zwecke der arbeitenden Menschen werden durch den einen oktroyierten Zweck des Kapitals ersetzt: mehr Kapital zu werden. Doch in aller bisherigen Geschichte, die Marx deshalb auch Vorgeschichte nennt, waren die Produzenten der Zwecke und Resultate der von ihnen hervorgebrachten Strukturen nicht mächtig. Nicht zuletzt in dieser Umkehrung von Zweck und Mittel245 erweist sich für Marx daher das Kapital als ein Verhältnis struktureller Gewalr46 • 4.2. Strukturwiderspruch und Befreiung
Marx nennt häufig die Strukturen des Kapitalismus, vo~ denen Gewalt ausgeht, naturwüchsig247~ Natucwüchsigkeit aber ist für Marx,. pointiert gesprochen, das genaue Gegenteil von Natur, denn gegen die Natur kann, wie Hegel sagt und worin Marx zustimmen würde248 , kein Mensch ein Recht behaupten. Die Natur ist der Inbegriff des Nicht-Negierbaren. Sofern sie aber Gegenstand menschlicher Arbeit wird, ist es diese Praxis, welche Wahlmöglichkeiten, Negationsmöglichkeiten enthält. N atucwüchsigkeit besagt dann, daß die Kontingenz der Praxis fälschlich als nicht-kontingent erscheint. Darum ist N aturwüchsigkeit immer Geschichtsvergessenheit und Zukunftslosigkeit249. 245 Vgl. Grundrisse, 155 f. 181; Kapital I1I, MEW 25, 260; Marlt, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses (Archiv sozialistischer Literatur, 17), Frankfurtl . M. 21970, 4. 29. 63. 67 u. ö. 246 Die Galtung'sche Definition (in: J. Galtung, Gewalt, Frieden und Friedensforschung, in: D. Senghaas [Hg.], Kritische Friedensforschung, FrankfurtlM. 1971, 55-104) unterstellt für diesen Begriff struktureller Gewalt einen kritischen Maßstab als sinnvoll und anwendbar, dessen Fehlen Marx gerade unter kapitalistischen Bedingungen behauptet: dieser Maßstab ist die Möglichkeit von Handlungssubjekten, unter den Zwecken und Mitteln ihres Tuns rational zu wählen. Für Marx muß dieser Maßstab selbst erst erkämpft werden; vgl. Kapital I, MEW 23, 249. 247 Z. B. Kapital I, MEW 23, 765. 248 RPh § 244, Zusatz (WW 7,390). 249 ..Indem wir nicht wissen, wie uns geschieht, geschieht die Geschichte; sie wird zwar erfahren, aber wir werden dieser Erfahrung zumeist nicht gewahr.« So G. Picht, Die Erfahrung der Geschichte (1958), jetzt in: ders., Wahrheit, Vernunft, Verantwortung. Philosophische Studien, Stuttgart 1969, 281-317 (288). - Marx indes sah gerade in der bürgerlichen Gesellschaft, die die Möglichkeit ihrer immanenten Negation in einer Klasse, die allgemeine Klasse sein kann, selbst hervorbringt, auch das mögliche Ende von NatuTWÜchsigkeit qua Geschichtsvergessenheit und postuliert somit einen möglichen qualitativen Schritt der sozialen Evolution. - Zu Marx in diesem Zusammenhang näher A. Schmidt, Zum Verhältnis von Geschichte und Natur im dialektischen Materialismus (1965), auch in: ders., Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Neuausgabe FrankfurtlM. 1971, 176-206; ders., Geschichte und Struktur. Fragen einer
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Die Brechung der Gewalt dieser naturwüchsigen Verhältnisse kann für Marx allein in jenem schmalen Bereich erfolgen, der einerseits durch die übernahme der Funktionen und Folgen der geschichtlich entfalteten Produktivkräfte bestimmt ist, und der andererseits die damit zugleich prinzipiell gegebene Möglichkeit zu nutzen gestattet, daß die Produzenten ihr Wahrnehmungsund Entscheidungspotential mit eben dem Stand der Entwicklung der Produktivkräfte in Einklang bringen können. Sofern nämlich das Kapital Emanzipation vom Feudalismus bedeutet, wohnt seinen Strukturen auch immer schon Vernunft inne, aber dieser sind noch nicht ihre Bedingungen und Grenzen durchsichtig; die Vernunft der Institutionen wanet, ganz wie von Hegel vorgedacht, noch auf das aktuelle, vernünftige Bewußtsein der Individuen, welche jene übernimmt und fonbildet. Das Marx'sche Won vom »selbstbewußten Plan« spricht den Gedanken solcher Koinzidenz aus250 • Fragen wir nun nach deren näheren Bestimmungen. Wie noch näher zu zeigen sein wird, begrenzen den Bereich möglicher übereinstimmung von Produktivkräften, Produktionsverhältnjssen und Aufmerksamkeitsreichweite der vergesellschafteten Subjekte objektive und subjektive Faktoren. Diese Unterscheidung bedeutet natürlich keine Trennung von ökonomischem Automatismus und revolutionärem Dezisionismus. Sie besagt aber, daß das Tauschverhältnis, das unter kapitalistischen Bedingungen die sozialen Beziehungen maßgeblich formt251 , zwar gesellschaftlich dominant ist, aber als solches noch keine zureichende soziale Integrationskraft und Legitimationsfähigkeit enthält. Andererseits schließt das Tauschverhältnis .auch nicht von vornherein 'die Möglichkeit aus, selbst bewußt als Steuerungsmittel eingesetzt zu werden, mithin Element auch des »selbstbewußten Plans« zu sein. Insofern Marx nach den Bedingungen der Realisierung dieser Möglichkeit fragt, d. h. nach den Bedingungen, unter denen die marxistischen Historik, München 1971; H. Fleischer, Marxismus und Geschichte, Frankfurt a. M. 1969; O. Mott, Geschichte und Dialektik in der politischen Okono. mie. Zum Verhältnis von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte bei Karl Marx, erw. Neuauflage Frankfurt/M. 1970, bes. 160-169. 250 In den Kapiteln über die Kooperation und über die Aktiengesellschaften sucht Marx besonders im .. Kapital« zu zeigen, daß und inwiefern die wesentlichen Bedingungen dieser Möglichkeit mit dem Kapitalverhältnis selbst schon gesetzt sind, ja er spricht von einem ..naturgemäßen« übergang (Kapital 111, MEW 25,456). Auf die Konsequenzen für die Bestimmung des Klassenbegriffs, die sich aus Marx' Bemerkungen über die Aktiengesellschaften ergeben, hat besonders H.-J. Krahl aufmerksam gemacht: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution. Schriften, Reden und Entwürfe aus den Jahren 1966-1970, Frankfurt/M. 1971, bes. 330-347. 251 "Die Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis«, heißt es schon bei Hobbes, Leviathan, c. 10 (Pogson-Smith, 67/Euchner, 68).
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Menschen ihre Geschichte mit Willen und Bewußtsein machen können, versucht er jene Emanzipationsmöglichkeiten der sozialen Evolution zu erforschen, welche die bestehenden Verhältnisse naturwüchsig-struknireller Gewalt zu überwinden gestatten. Der Entfaltung dieses Gedankens bei und nach Marx gelten die folgenden überlegungen. Schon unter »reinen« kapitalistischen Bedingungen ist vermutlich deutlich, daß die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise nicht zureicht, alle sozialen Beziehungen in ökonomische, d. h. Tauschbeziehungen aufzulösen. Der Rahmen eines auf der Basis von Kapital und Lohnarbeit organisierten Systems muß so oder so selbst politisch garantiexr52 werden, und zwar durch, freilich sehr indirekte, staatliche Gewalt, die einerseits in komplementären Rechtsinstituten (Privateigentum, Vertrag, staatliche Institutionen) ihren Ausdruck findet, andererseits auch hinreiahend konsensfähig ist. Staatsinterventionsfreien Kapitalismus hat es nie gegeben253 , aber die Funktionen der Staatsgewalt haben sich im Laufe der Entwicklung. der kapitalistischen Produktionsweise geändert. So konnte äußerer Zwang,. der anfänglich zur Subsumtion lebendiger Arbeit unter das Kapital erforderlich war, zunehmend durch innere (Selbst-)Disziplinierung im Zusammenhang des Produktionsprozesses ersetzt werden254 • Problematisch bleibt indessen immer, ob 252 Und legitimiert! Habermas' These, daß im Kapitalismus kulturelle Legitimation von der Basisideologie des gerechten Tausches abgelöst und gleichsam aufgesogen werde, also Zweckrationalität und Äquivalententausch hinreichenden sozialen ,.Kitt« darstellen, möchte ich bezweifeln und zumindest dahin ermäßigen, daß kulturelle Legitimation fortbesteht, aber vom vorherrschenden gesellschafclichen Organisationsprinzip überdeckt (auch: überformt) wird, aber nicht so sehr, daß sie nicht. diese >Decke< durchstoßen könnte (Technik und Wissenschaft [Anm. 231], bes. 69) .. 253 Im 8. Kapitel des ersten Bandes des »Kapital« zitiert Man: eine Denkschrift von Unternehmern aus dem Jahre 1863, worin der Staat um »gewaltsame Einmischung« gebeten wird zum Zwecke der Garantie eines verbindlichen institutionellen Rahmens für die Konkurrenz der Einzelkapitale (MEW 23, 286).· 254 Dazu gehÖrt beispielsweise die Unterwerfung unter oder Anpassung an bestimmte, durch die Produktionsweise diktierte Rhythmen und eine entsprechende (Um-)Strukturierung des Zeitbewußtseins - ein Problem, das im Zuge der Industrialisierung in der sog. Dritten Welt wiederkehrt. Bei Marx heißt es: ,.Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Uberbevölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit und daher den Arbeitslohn in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar noch immer angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ,Naturgesetzen der Produktion<
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und in welcher Form die Funktionalität von Staatseingriffen für den Verwertungsprozeß des Kapitals gesichert werden kann. Man: hat, wie mir scheint, diesen Problemzusammenhang aufgespalten: er entwickelt erstens eine Theorie der immanenten ökonomischen Selbstnegation des Kapitalverhältnisses, neben der zweitens, nur relativ locker verbunden, eine Theorie der gesellschaftlichen Negation dieses Verhältnisses steht. Elemente jener finden sich im ,.Kapital« im Zusammenhang des ,.Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate«2S5, Elemente letzterer ·vorallem in Marx' Bemerkungen über Kooperativfabriken und Aktiengesellschaften256 . Die erste (Teil-)Theorie ist Bedingung der zweiten. Sie analysiert die Selbstwiderspruchlichkeit des Kapitals, welche in der wachsenden, wenngleich durch gegenläufige Bewegungen modifizierten Diskrepanz von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften begründet ist . ..Der Widerspruche, so Man:, ..ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, daß die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehn vom Wen und dem in ihm eingeschloßn~n Mehrwen, auch abgesehn von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistisChe Produktion stattfindet; während sie andererseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß (d. h. stets beschleunigten Anwachs dieses Werts) zum Ziel hat.e 2S7
Der gesellschaftliche Wandel, den daS Kapital erzwingt, äußert sich nicht zuletzt in Krisen, welche das gestörte Gleichgewicht des Kapitalverhältnisses immer wieder erneuern, wenn auch immer prekärer, wie Marx meint. ,.Die progressive Tendenz der allgemeinen Profitrate zum Sinken ist also nur ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlicher Ausdruck für die fortüberlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantienen und verewigten Abhängigkeit vom Kapitale (Kapital I, MEW 23, 765). Dies gilt, wie man nicht erst seit Bahro weiß, mutatis mutandis auch für den Staatssozialismus der Gegenwan. 255 über einige Aspekte der neueren Diskussion um Man:' Krisentheorie, die hier nicht diskutien werden kann, informieren C. Rolshausen (Hg.), Kapitalismus und Krise. Eine Kontroverse um das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, Frankfurt/M. - Wien 1970; M. Jänicke (Hg.), Herrschaft und Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Dpladen 1973 (hierin für unseren Zusammenhang wichtig die Beiträge von Altvater, Narr, Dffe und Wagner); J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfun/M. 1973; C. Dffe, Strukturprobleme des kapitalistischen Staates, Frankfun/M. 1972, passim. An der genannten Literatur ist durchweg auffallend, daß sie den Begriff der Krise immer weniger wie Man: ökonomisch abzuleiten versucht, sondern ihn überwiegend als ein Problem reformulien, das Kompatibilitätsbedingungen gesellschaftlicher Subsysteme betrifft. 256 Kapital I, Kap. 11; Kapital III, Kap. 27. 257 Kapital III, MEW 25, 259.
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schreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit.,,25B Selbst wenn man Marx' Explikation des Krisenbegriffs nicht teilt, läßt sich doch jedenfalls der ungesteuerte Expansionsprozeß des Kapitals als durchaus krisenhaft auffassen. Er bleibt hinsichtlich seiner mittelbaren und unmittelbaren Folgen weithin blind und unbegriffen und also unbeherrscht von denen, welche er sich unterwirft. Gleichwohl besagt ,.Produktion als Selbstzweck,,259 bei Marx nicht nur jene erwähnte Verkehrung von Zweck und MitteI260, sondern gleichzeitig anerkennt er durchaus die darin verborgene historische Legitimität des Kapitals 261 • Für Marx ist diese Erkenntnis als eine wissenschaftliche sine ira et studio daher auch keineswegs moralisch diskreditierend gemeint262 •
258 Kapital III, MEW 25, 223. 259 Die Stelle sei ausführlich zitiert:
. ,.Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerem Maßstab entgegenstellen. Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: daß das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; daß die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. (...) Das· Mittel unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte - gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen« (Ebd., 260). 260 So spricht Marx davon, daß ,.der Zusammenhang der gesamten Produktion als blindes Gesetz den Produktionsagenten sich aufzwingt, nicht als von ihrem assozüerten Verstand begriffenes und damit beherrschtes Gesetz den Produktionsprozeß ihrer gemeinsamen Kontrolle unterworfen hate (Ebd., 267). 261 ,.Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewußt die materiellen Bedingungen einer höheren Produktionsforme (Kapital III, MEW 25, 269). - Dieser Gedanke, das Kapital sei Struktur von schöpferischer Potenz, kann durchaus als stützender Beleg für die These vom sog. Antihumanismus Marx' gelten, wie ihn in Frankreich die Althusser-Schule vertritt; vgl. L. Althusser/E. Balibar, DaS Kapital lesen, 2 Bde., Reinbek 1972, z. B. 11, 2n-279; M. Godelier, System, Struktur und Widerspruch im .Kapital<, Berlin 1970, 25 f. 35 f. Marx selbst rühmt gerade an Ricardo die unpathetische Leidenschaft des Theoretikers - ,.um die )Men~chen< unbekümmerte (MEW 25, 269). 262 Das ist festzuhalten gegen eine voreilige normative Interpretation Marx', zu der u. a. auch theologische Rezeptionen nur zu leicht neigen. Zu Marx' Meinung in dieser Frage vgl. etwa Engels' Brief an Lafargue v. 11. 8. 1884: MEW 36, 198.
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4.3. Gewaltminimierung durch Planung und Recht
Bisweilen scheint es, daß Marx, als Kritiker des Kapitalismus, selbst der von diesem ausgehenden Faszination erliegt: er beschwört zwar den unausweichlichen Untergang, analysiert aber Aufstieg, Konsolidierung und Wirkungsweise des Kapitals. Vielleicht bedeutet die Kargheit von Marx' Aussagen über künftige Gesellschaftsformen auch, daß die Utopie des selbstbewußten Plans nicht so kräftig für ihn ist, daß darauf heute schon gebaut werden könnte. Daß das Kapital als Struktur im eigenen Schoß die Bedingungen seines Unterganges produziert und deshalb in seiner Wirkung die Wahme1uhungsund Handlungsreichweite der ihm keineswegs gewaldos subsumierten Subjekte weit übersteigt, läßt daher die Utopie des selbstbewußten Plans eher auf der Ebene intentionsunabhängiger Evolution denn im Horizont praktisch gestaltbarer Geschichte als möglich erscheinen. Gerade im Blick auf das ,.Kommunistische Manifest«, welches kräftig den Ton gesetzmäßiger Notwendigkeit anschlägt, läßt sich von Marx' Revolutions- und Klassenbegriff pointiert und bewußt in Analogie zu dem, was Habermas über Hegels Revolutionsbegriff behauptet - sagen, daß damit das Prinzip von Revolution und Klassenkampf so streng und exklusiv bestimmt wird, daß jeder Versuch einer faktischen Aufhebung d·es Klassengegensatzes fast zwangsläufig hinter dessen begrifflicher Fassung zurückbleiben muß. Die Revolution ist so umfassend, daß die Menschen, die sie doch allein machen könnten, davor immer zu winzig erscheinen werden26]. Wie nach Habermas Hegel die Revolution, die doch Movens seiner Philosophie sein soll, verfälscht, indem er sie .. auf das Prinzip eines rein objektiven Geschehens reduziert« und der Realisierung durch empirische Subjekte entrückt, so verfälscht auch Marx in seinen objektivistischen Bestimmungen jedenfalls partiell den Klassenkampf und die Revolution, sofern sie nur Moment der Dialektik von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften sind, ,.zu einer objektiven Wirklichkeit ohne Subjekt«264. Natürlich darf gewiß nicht vergessen werden, daß, wie Hegel jenseits seiner umstrittenen Haltung zur Französischen Revolution politischer Tagesschriftstellerei oblag, auch Marx, allerdings ungleich intensiver, praktisch-politische Ziele verfolgte. Aber es waren nicht nur die historischen Ereignisse (etwa das Scheitern der '48er-Revolution und der Pariser Commune), die den Revolutionsoptimismus dämpften265 , sondern 263 Vgl. auch Th. Meyer, Der Zwiespalt in der Marx'scheQ Emanzipationstheorie, Kronbergrrs. 1973. 264 Die Richtigkeit dieser Habermas'schen These lasse ich dahingestellt; vgl. dazu näher und kritisch M. Theunissen, Die Verwirklichung der Vernunft ... (a. a. 0., Anm. 210), 45-54 (die Zitate oben ebd., 46). 265 Eine materialreiche übersicht zu diesem Komplex bietet D. Kramer, Reform und
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auch grundsätzlichere Erwägungen, daß einevor~chnelle revolutionäre Machtübernahme, falls sie überhaupt möglich wäre, faktisch als soziale und politische Regression enden könne. Wenn der revolutionäre Wille die soziale Realität überspringt, fällt er hinter die ökonomischen und sozialen Möglichkeiten, zu dellen die kapitalistische Entwicklung geführt hat, zurück. Insofern aber für Marx das Proletariat die »allgemeine Klasse« ist, erfordert das in Anspruch genommene Kriterium der Allgemeinheit, auf gleicher Höhe mit den ökonomischen Verhältnissen der Zeit zu steh~p. Die Idee des selbstbeWlißten Plans bedeutet deshalb auch keine Rückkehr zur idyllischen überschaubarkeit einer agrarischen Gesellschaft oder die Einrichtung Fourier'scher ,.phalansteres«, sondern die überlegene und bewußte Beherrschung der entfalteten organisatorischen und industriellen Möglichkeiten. Jede andere Auslegung Marx' steht in der Gefahr, zu einem schlechten Romantizismus oder einem Revolutionsfetischismus zu regredieren. Deshalb haben Marx und Engels auch nie die bürgerliche Errungenschaft der Demokratie und der republikanischen Staatsform abstrakt negiert; eher haben sie damit emphatische Erwartungen verbunden, die eine realistische Demokratietheorie vermutlich enttäuschen muß266. Marx' Haltung zu Demokratie und Parlamentarismus erscheint letztlich als ambivalent, und man wird gut daran tun, sie nicht vorschnell zu aktualisieren. über den lediglich form dIen Charakter von Demokratie, wie er unter den staatsrechtlichen Verhältnissen Preußens allein theoretisch Illöglich erschien, hat sich Marx zwar keine Illusionen gemacht, aber er hat es andererseits nicht für von vornherein aussichtslos gehalten, daß durch »wahre« Volkssouveränität Gesetze gegeben und Klassenherrschaft tatsächlich überwunden werden könnten. Marx hat mithin nicht prinzipiell das kantische Modell der Möglichkeit legitimen Wandds in den Bahnen der Legalität ausgeschlossen, also die Möglichkeit, daß Gesetze des Staates Ausdruck eines legitimen MehrheitswilIens sein könnten. Wie die Unte~suchung von Kramer67 zeigt, Revolution bei Marx und Engels, Köln 1971 (freilich ohne Bezug auf das >Kapital. als Theorie). 266 Etwa die im Assoziationsgedanken anklingende Vorstellung rätedemokratischer Organisationsformen; vgl. zur Kritik F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970, 5....-65. 267 A. a. O. (Anm.265), bes. 152-192. - Im Zusammenhang mit Fragen der Jugendschutzgesetzgebung hat Marx den Wert staatlicher Gesetze für die Interessen der Arbeiterschaft betont; er spricht sogar von der "Verwandlung gesellschaftlicher Einsicht in gesellschaftliche Gewalt, und unter den gegebenen Umständen kann das nur durch allgemeine Gesetze geschehen, durchgesetzt durch die Staatsgewalt« (MEW 16, 19"', zit. bei Kramer, 152 f.). Einen zweiten Beleg, der eine Stellungnahme Marx' für gewaltlose Transformation darstellt, gibt Kramer 156 f. Er faßt zusammen: "In Fällen, wo die Demokratie unverzerrt besteht (sie! W. L.), genügt es, die demokratisch
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haben Marx und Engels durchaus· der friedlichen überwindung der bürgerlichen Gesellschaft den Vorzug vor revolutionär-gewaltsamem Machtkampf gegeben261 - freilich nicht aus prinzipiellen, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen. Sie waren sich indes sicher, daß die bürgerliche Klasse ihrerseits im Ernstfall die Arbeiterklasse auch mit Gewalt an deren Emanzipation hindern würde (Sozialistengesetze!); im Widerstand dagegen hat dann für sie die revolutionäre Gewalt ihren legitimen Ort. Wo. im einzelnen die Grenzen eines in diesem Sinne legitimen, gewaldosen Wandels innerhalb der legal zu ändernden Grenzen der Legalität von Marx im Einzelnen gezogen worden wären269 , kann nur fragen, wer über einem derartigen Legalismus, so sinnvoll er sein mag, die Wirklichkeit der täglichen Kämpfe jener Zeit zu vergessen neigt. Darin jedenfalls war Marx entschieden Realist, daß der Theoretiker als solcher den Massen nicht würde Vorschriften machen können: angesichts der manifesten Unterdrückung der Arbeiterklasse - ebenso evident wie heute Ausbeutung und Unterdrückung in weiten Teilen der Dritten Welt - stand auch für ihn der praktische Kampf sachlich im Vordergrund, nicht dessen theoretische Legitimität.
4.4. Rückblick in dem vorgetragenen Abriß zur Geschichte von Gewaltverhältnissen und ihrer theoretischen Erhellung habe ich zu zeigen versucht, wie die Brennpunkte der Gewalterfahrung sich verschoben haben. Die ursprüngliche Erfahrung der Gewalt war von religiöser Erfahrung untrennbar (violentia sacra) und hat Jahrhunderte der Geschichte des Abendlandes in der Form der Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher potestas bestimmt; ihre letzte, aber eigentümlich krafdose Erscheinung ist die "Heilige Gewalt .. , wie sie das Kirchenrecht kennt, deren Einwirkungsmöglichkeiten auf die weldichen Belange zumindest im konfessionsneutralen Staat jedoch äußerst begrenzt sind. Primärer Gewalthaber wurden so in der frühen Neuzeit die ,.Staaten«, die nach innen vermöge ihres Gewaltmonopols Frieden, Schutz und Sicherheit gewährten und untereinander im Zeichen des Jus Publicum Europaeum zu einer relativen ..Hegung« ihres kriegerischen Gewaltpotentials gelangten. Die Expansion der bürgerlichen Marktgesellschaft drän~e indes legitimierten Zwangsmittel gegen die Besitzenden einzusetzen« (160). Quis iudicabit, quis interpretabitur ?? 268 Der Militärexperte Engels wußte um die Verwundbarkeit der Arbeiterklasse. 269 Es muß hier an die oft vergessene Trivialität erinnert werden, daß für Marx und das Proletariat seiner Zeit ..Staate eine deutliche Wirklichkeit und ein klarer Begriff waren: er zeigte sich ihnen sachlich, personell, symbolisch und ideologisch eindeutig abgrenzbar. Diese Trennschärfe ist heute nicht mehr gegeben.
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die Staaten Europas einerseits über ihre Grenzen hinaus und ließ andererseits die innergesellschaftlichen Klassengegensätze sich derart verschärfen, daß der bürgerliche Rechtsstaat, wie er in seiner begrifflich und normativ reinsten Gestalt von Kant bestimmt worden war, empirisch weithin die Züge eines Klassenstaates annahm. Die Gewalt dieses Staates, so Marx, .dient der Sicherung des Kapitals als ,.Regierungsgewalt über die Arbeit«270, denn das gesellschaftlich vorherrschende Gewaltverhältnis ist das Verhältnis von Kapital und Arbeit. Gewalt ist also konstitutiver Bestandteil gesellschaftlicher Strukturen und darum vor allem in ihrer gleichsam entpersonalisien;en Form Gegenstand der Theorie, wiewohl ihre Erscheinungen von handelnden Subjekten nicht zu trennen sind271 • Marx hat, soweit ich sehe, nur ganz am Rande den Gedanken gestreift, ob eine Eingrenzung und Eindämmung ökonomisch fundierter Gewaltverhältnisse in einem auf die Arbeitswelt ausgedehnten Legalsystem (vermutlich des theoretisch von Kant entworfenen Typus) möglich sein könne. Im Neukantianismus (H. Cohen), im Austromarxismusln und auf dem reformistischen Flügel der sozialistischen Arbeiterbewegung sind diese überlegungen zwar erörtert worden, aber, von Bolschewismus und Nationalsozialismus erdrückt, nicht mehr zum Zuge gekommen. Beide zuletzt genannten Bewegungen denunzierten ja von Grund auf den Frieden stiftenden und sichernden Rechtsstaat und setzten an die Stelle des zur volonte generale vereinigten VolkswilIens den partikularen Willen der Partei oder der Bewegung und erneuerten so schlechthin antagonistische Feind- und Gewaltverhältnisse, wie sie in ihrer Unversöhnlichkeit den konfessionellen Bürgerkriegen eigen waren. Nicht die Legitimität der . Gewalt unter einem allgemeinen Gesetz, sondern im Dienste der Zwecke einer Partei war nun wieder entscheidend. Wird der Rechtsstaat vom Rassenoder Klassenstaat verdrängt, dann wird der Bürgerkrieg wieder möglich, nun auch nicht mehr gemildert durch die Fähigkeit der geistlichen Gewalt zum Ausgleich.
270 Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), MEW-Ergänzungsband 1, 484. Ebd. heißt es: ..Der Kapitalist besitzt diese Gewalt, nicht seiner persönlichen oder menschlichen Eigenschaften wegen, sondern insofern er Eigentümer des Kapitals ist. Die kaufende Gewalt seines Kapitals, der nichts widerstehen kann, ist seine Gewalt« (Hvhbg. im Orig.). 271 Aus diesem Ansatz bei zwei irreduziblen Prinzipien (Strukturanalyse und Handlungsanalyse) resultiert jener Gegensatz in der Marx'schen Theorie, der sich zwischen einem teilweise voluntaristischen Revolutionsbegriff und einer quasi subjektlosen selbstnegatorischen Entwicklungsdynamik des Kapitals auftut. 272 Vgl. N. Leser, Sozialismus zwischen Relativismus und Dogmatismus. Aufsätze im Spannungsfeld von Marx und Kelsen, Freiburg 1974. Eine Textsammlung bieten H.-]. SandkühlerIR. de la Vega (Hg.), Austromarxismus, Frankfurt/M.-Wien 1970.
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5. Gewalt und Gewaltverzicht in der technischen Welt Für Gegenwart und Zukunft der Gewalt und ihrer Beurteilung sind über die bisher genannten Fragen hinaus zwei zusammenhängende Entwicklungen wesentlich, die in älteren Gewalterfahrungen und -theorien selten im Zentrum standen. Gemeint sind die Steigerung der Gewaltpotentiale durch modeme technische Möglichkeiten und die wachsende Interdependenz internationaler Beziehungen. Schon Fr. Engels, der bekanntlich ein glänzender Militärexperte war, hat diesen Sachverhalt prägnant formuliert: " ... der Revolver siegt über den Degen, und damit wird es doch wohl auch dem kindlichsten Axiomatiker begreiflich sein, daß die Gewalt kein bloßer Willensakt ist, sondern sehr reale Vorbedingungen zu ihrer Betätigung erfordert, namentlich Werkzeuge, von denen das vollkommenere das unvollkommenere überwindet; daß ferner diese Werkzeuge produziert sein müssen, womit zugleich gesagt ist, daß der Produzent vollkommenerer Gewaltwerkzeuge, vulgo Waffen, den Produzenten der unvollkommeneren besiegt, und daß, mit Einem Wort, der Sieg der Gewalt beruht auf der Produktion von Waffen, und diese wieder auf der Produktion überhaupt, also - auf der >ökonomischen Macht<, auf der )Wirtschaftslage<, auf den der Gewalt zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln... 273
Diese Entfesselung menschlicher Gewaltfähigkeit durch technische Mittel ist in der Gestalt moderner Waffensysteme für jedermann öffentlich erkennbar. Zugleich hat diese Steigerung der Gewaltpotentiale durch Technik, die Ausdruck ökonomischer Macht ist, global die sozialen und· politischen Strukturen verwandelt. Klassengegensätze, die früher innerstaatlich reguliert oder unterdrückt wurden, haben sich im ·Zeitalter des Kolonialismus und Post-Kolonialismus weltweit ausgedehnt, wiewohl man fragen muß, ob zur Analyse der tradierte Klassenbegriff überhaupt noch zweckmäßig ist. Gleichwohl kann man sagen, daß die globale Expansion der Industrienationen der nördlichen Hemisphäre - wie immer man zu ihr stehen mag - nicht nur die von Marx als modeme Gewalt diagnostizierte Macht der industriegesellschaftlichen Wirtschaftsbeziehungen allgemein durchgesetzt hat, sondern in demselben Zuge auch die allgemeine Zugänglichkeit der heutigen technischen Gewaltmittel eröffnet har74 • Entwicklungsländer wie Pakis~an stehen an der 273 . Fr. Engels, Die Rolle der Gewalt in der Geschichte, Berlin (DDR) 1974, 19 f. 274 Dies gilt auch im Innern der Industriegesellschaften und macht einen entscheidenden Aspekt moderner inncrgesdlschaftlicher Unruhen bis hin zu ihren terroristischen Formen aus. Dazu gibt es zwar mittlerweile eine unübersehbare Literaturfülle, aber keine zwingenden theoretischen Erklärungen; zumeist werden behavioristisch orientierte Hypothesen vorgetragen. Aus der amerikanischen Literatur sind u. a. die Arbeiten von T. Gurr zu nennen; auf deutsch liegt von ihm vor: Rebellion, Düssddorf-Wien 1972. Gurr war auch Mitglied der Presidential Commission in den USA, die schon 1970 einen Bericht "To Establish Justice, to Insure Domestic Tranquilityc
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Schwelle zur Atommacht, und kleinste Spezialtrupps vermögen beispielsweise durch ein Dutzend Minen in der -Zufahrt des persischen Golfes die Olversorgung der Industrienationen weitgehend zu unterbinden. Möglicherweise affi deutlichsten läßt sich an -der Entwicklung des internationalen Waffenhandels ablesen, wie die Kenntnisse und Fähigkeiten nahezu aller Nationen bezüglich moderner Gewaltmittel ständig wachsen, und zwar parallel zur Dynamik der ökonomischen Durchdringung. Es kommt nicht darauf an, diese Hinweise hier näher zu erläutern und zu vertiefen, denn auch so ist jedermann klar, daß diese Erscheinungen einer anderen Welt angehören als es jene war, auf die hin Thomas, Luther, Kant, Hegel oder Marx Theorien der Gewalt und ihrer überwindung entworfen hatten. Aber solange es an besseren Möglichkeiten fehlt, die Gewaltstrukturen der modemen Welt verständlich und kontrollierbar zu machen, bleibt jedenfalls der Versuch einer historisch orientierten Gewalttheorie darauf angewiesen, sich dieser Positionen zu vergewissern und mit ihrer Hilfe nach einer Zukunft zu fragen, in der Gewalt dem Recht unterworfen werden könnte. Der Einwand, dies sei die Utopie des späteuropäischen Bürgers, der selbst lange genug Nutznießer der Gewalt. gewesen sei, die er zu kritisieren meint, liegt nahe und ist nicht neu27S . Wohl niemand hat den alten Kolonialmächten und ihren Vertetern so deutlich zu verstehen gegeben, daß ein friedlicher Ausgleich unmöglich sei, wie Frantz Fanon, wenn er schreibt: ,.Die koloniale Welt auflösen heißt nicht, daß man nach dem Niederreißen der Grenzen übergänge zwischen den beiden Zonen einrichten wird. Die koloniale Welt zerstören heißt nicht mehr und nicht weniger, sie so tief wie möglich in den Boden einstampfen oder vom Territorium vertreiben.,,276 Der Kolonialismus ,.ist die Gewalt im Naturzustand und kann sich nur einer noch größeren Gewalt beugen«277. Der Gewaltlosig~eit wird keine Chance gegeben; sie gilt nur als ,. Versuch, das koloniale Problem am grünen Tisch zu regeln, noch vor jeder unwiderruflichen Geste, jedem Blutvergießen, jeder bedauerlichen Handlung«278. Hier erneuern sich manichäische Perspektiven, auf der Seite
(Toronto-New York-London) veröffentlichte. Nützlich sind ferner E. V, Walter, Terror and Resistance, London-Oxford-New York 1969; W. Laqueur, Terrorismus, Kronbergrrs. 1977; J. Bowyer Bell, A Time of Terror, New York 1978; sowie die Bibliographie von H. Bienen, Violence and Social Change, Chicago-London 1968. 275 Vgl. J.-P. Sartre, Der Intellektudle und die Revolution, Neuwied-Berlin 1971, 49 f. 276 Die Verdammten dieser Erde, Reinbek 1969, 31. - Zu Fanon vgl. J. L. Gendzier, Frantz Fanon, London 1973, bes. 195-205 zur Gewaltfrage; G. Grohs, Frantz Fanon, ein Theoretiker der afrikanischen Revolution, in: KZSS 14, 1964,457-480. 277 Ebd., 47. 278 Ebd.
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der Mörder wie der Opfer7'J, unter denen alle Kräfte dem entscheidenden Endkampf zustreben. Vielleicht war es nur eine europäische Utopie, eine Ordnung zu entwerfen, in der die Religion auf ihre Gewalt in weltlichen Dingen verzichtete zugunsten einer Rechtsordnung, in der die Subjekte sich als Freie und Gleiche sollten anerkennen können, um so irdischen Frieden zu finden. Was daran richtig erkannt war, w,ird aber auch nach jeder gelungenen Revolution, wie sie Fanon vorschweben mag, seine Bedeutung behalten oder möglicherweise erst gewinnen. Um diese Chance nicht zu verspielen, ist die historische Erinnerung notwendig. 5.1. Gewaltsteigerung im modernen Krieg
Die vorausgehenden Darstellungen und Uberlegungen·galten der Entstehung und Entwicklung theologischer und philosophischer Gewaltbegriffe, und nur insofern- zu ihrem Verständnis der jeweilige historische Kontext von Belang war, wurden geschichtliche Erscheinungsformen von Krieg, Widerstand, Aufruhr und Revolution berücksichtig. Im Vordergrund des Interesses aber stand stets die nicht nur dem neuzeitlichen Gewaltbegriff, wie ihn besonders Kant ausgearbeitet hat, eigentümliche Verbindung von potestas und violentia, von rechtmäßiger Macht mit der Befugnis und Autoritä.t der Anwendung ä~erer Gewalt einerseits, natürlichem Gewaltvermögen andererseits. In typisierender, von den historischen Zusammenhängen abstrahierender Weise wurde der erfragte Gewaltbegriff am Beispiel ausgewählter systematischer Positionen aufgesucht, und zugleich wurde versucht, den Wandel der Zentralperspektive, aus welcher Gewaltphänomene begriffen wurden, ebenfalls typisierend als Abfolge der Dominanz religiöser, politischer und ökonomischer Integration verständlich zu machen. Dieser Zugang eröffnete ein Gewaltverständnis, welches nicht, wie es ~ft der Fall ist, von den Erscheinungen von Krieg und Aufruhr ausgeht und damit zumeist schon im Ansatz das Interesse auf die Begriffskomponente der violentia einseitig konzentriert, sondern vielmehr von Anfang an dazu zwang, den Ambivalenzen jeglicher Gewalt Aufmerksamkeit zu schenken. Hinzu kommt, daß hinsichtlich der Geschichte von Krieg und Frieden es höchst überflüssig gewesen wäre, vorhandene Arbeiten noch einmal zu referieren280 ; dies ist
279 Ebd., 32. 280 Neben den einschlägigen Ethiken vgl. bes. W. Janssen, Krieg und Frieden in der Geschichte des europäischen Denkens, in: W. Huber/J. Schwerddeger (Hg.), Kirche zwischen Krieg und Frieden, Stuttgart 1976, 67-129 (hier: 68-78), sowie ders., Art. Friede, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 (1975), 543-591.
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auch der Grund, weshalb ich der Geschichte der Konzepte eines »gerechten Krieges« nur dann Aufmerksamkeit geschenkt habe, wenn dies zur Erhellung des jeweiligen Gewaltverständnisseserforderlich war. In der Neuzeit ändert sich jedoch die Erscheinungsweise des Krieges selbst tiefgreifend, und zwar so sehr, daß angesichts der neuen militärischen Wirklichkeit die überlieferten Gestalten der Lehre vom ,.gerechten Krieg« und die Eingrenzung der Kriege durch das Jus Publicum Europaeum als hilflose Anachronismen erscheinen. Zugleich aber beginnt nun als Gegenbewegung die Ausbreitung des modernen Pazifismus, welcher prinzipiell dem kriegerischen Gewaltgebrauchentsagt. Die moderne Kriegsdienstverweigerung ist in mehrfacher Hinsicht die Antwort auf die neuzeitliche Perversion des Krieges. Man muß dabei bedenken, daß bis an die Schwelle der Neuzeit die Berechtigung zum Kriege begründet war in den Funktionen der Rechtswahrung und des Schutzes durch die legitimen Machthaber. Nur im Zeichen der auctoritas principis und beschränkt auf die intentio recta, die sich durch den Dienst an pax et iustitia auswies, galt über Jahrhunderte die schon von Augustinus formulierte Forderung: ,.Bellum geritur, ut pax acquiratur.,,281
Bei Hobbes ist zu sehen, wie unter dem Eindruck der konfessionellen Bürgerkriege der in der überlieferten Formel von pax et iustitia beschlossene umfassende Friedensbegriff aufgespalten wird und nunmehr besonders der sachliche Gehalt der tranquillitas und vor allem der securitas herausgestellt wird. Gewiß ist iustitia weiterhin im Sinne einer einheitlichen Rechtsordnung, die Sicherheit garantiert, entscheidendes Merkmal jedes Friedens, nicht aber iustitia im Sinne einer materiellen Gerechtigkeit. ,.Zur Diskussion stand nicht mehr die iusta pax der traditionellen Lehre, sondern die pax effectiva.,,282 Wahrheit und Gerechtigkeit brauchten diesem Friedensbegriff nicht mehr beigelegt zu werden, denn die Ansprüche der (religiösen) Bür.gerkriegsparteien auf diese Titel waren durch ihre Praxis widerlegt. Damit war die fortan überwiegende Anwendung des Friedensbegriffs auf zwischenstaatliche Verhältnisse bestimmter Qualität möglich geworden. ,.Krieg und Feindschaft ... konnte es demnach nur noch inter, jedoch nicht mehr intra civitates geben. Jenseits der Staatsgrenzen allerdings war dann jeder ein Feind, mit 281 Epist. ad Bonif., 6; De civ. Dei XIX, 12; so Janssen, a. a. O. (Anm. 280), 77, mit Nachweisen dieses Topos für Thomas (S. Th. lI-lI, q. 123, art. 5,3) und Spinoza (Abhdlg. vom Staate, 6, S35). 282 Janssen, ebd., 81. - Diese Alternative wirkt übrigens unmittelbar bis hin zur zeitgenössischen angelsächsischen politischen Philosophie; vgl. nur die Kritik an J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971), deutsch Frankfurt/M. 1975, durch R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia (1974), München o. J. (1977), Vorwort F. A. Hayek.
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dem man die Feindschaft nicht ausdrücklich durch vertragliche Vereinbarung zeitweilig aufgehoben hatte... 281 Den »Umbruch in die Moderne« dieses Kriegsverständnisses des alteuropäischen Völkerrechts sieht W. J anssen ähnlich wie R. Koselleck284 u. a. in der Kritik der Philosophie der Aufklärung am Staatsfrieden des Abolutismus als einem in Wahrheit despotischen Gewaltfrieden begründet; sowenig diese erzwungene Ruhe den Titel »Frieden« verdiene, sowenig das zwischenstaatliche Verhältnis, das tatsächlich nicht mehr als ein Waffenstillstand sei. Jene Legitimität des Staates und seines Gewaltmonopols, die aus der überwindung des Bürgerkrieges erwachsen war, verblaßte und, büßte ihre Kraft ein, zumal die Kabinettskriege des Absolutismus der aufklärerischen ;Kritik nur noch als Eroberungsfeldzüge erscheinen konnten285 • Unter dieser Voraussetzung mußte der wahre Frieden von der »Beseitigung der eigentlichen Kriegsursache: der Staaten des ancien regime« erwartet werden: »Der >Waffe der Kritik< sollte die >Kritik der Waffen< folgen.«286 In den Revolutionskriegen zerbrach schließlich die relative Rationalität des den Krieg »hegenden« Europäischen Völkerrechts. Der Krieg als Verteidigung der Revolution wird zum zwischenstaatlichen Bürgerkrieg. Während zuvor auch in Kriegszeiten einigermaßen häufig der zivile vom militärischen Bereich getrennt bleiben konnte, wird im' Zeitalter der Französischen Revolution der Krieg zum Volkskrieg, in welchem zwar nicht die Wahrheit der Religion, wohl aber die Wahrheit der eigenen politischen P:rogrammatik den Grund zur erneuten Kriminalisierung der Gegenseite abgab. Im Zuge der Befreiungskriege springt dieses neue Kriegspathos auf die Nationalstaaten über287 und eröffnet den nationalistische~ Bellizismus des 19. Jahrhunderts, für den Kriege weniger ein notwendiges übel, sondern den Motor des Fortschritts und einen reinigenden,' ja vorgeblich versittliche:nden W~ttstreit 283 Janssen, ebd., 82. 284 Kritik und Krise (Anm. 87). 285 ,.Der Geist der Monarchie ist Krieg und Vergrößerung«, schrieb Montesquieu 1748 (Geist der Gesetze 9,2, zit. bei Janssen, a. a. 0., Anm. 280, 98). 286 Janssen, ebd., 99. 287 Vgl. etwa L. Winckler, Martin Luther als Bürger und Patriot, Lübeck-Hamburg 1969, zur Politisierung des Lutherbildes; oder ehr. Burger, Der Wandel in der Beurteilung von Frieden und Krieg bei Friedrich' Schleiermacher, in: Huberl Schwerdtfeger, a. a. O. (Anm.252), 225-242. S. auch die ,.Verordnung über den Landsturm« von Friedrich Wilhelm III. (1813), abgedruckt bei Schickel, a. a. O. (Anm. 123),70-84: § 52 beruft sich ausdrücklich auf das ,.Muster spanischer Guerillas« (79), und § 28 reiht die Kirche in den Volkskrieg ein: ,.Ich hege zu der Geistlichkeit des Landes das noch nie getäuschte Vertrauen, daß sie dem. Volke den Geist und Zweck aller dieser Vorschriften wiederholt erklären und einprägen, ja, daß sie die ihrer Seelsorge anvertrauten Gemeinden in keinem Drangsale und keiner Gefahr aus den Augen verlieren, oder von ihnen weichen werden« (75).
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der Völker bilden288 • Die Breite, in wdcher Lexika jener Zeit diese Auffassung dokumentieren, ist ein deutliches Zeichen für eine tiefgreifende Umprägung der epochalen Kriegsmentalität, die das Jahrhundert zwischen den anti-napoleonischen Befreiungskriegen und den ,.Ideen von 1914«, dem Inbegriff der deutschen Kriegsphilosophie am Beginn des I. Wdtkrieges, bestimmt289 • Zugleich. scheint, jedenfalls im deutschen Sprachraum, diese Glorifizierung des Krieges einhergegangen zu sein mit einer mehr oder weniger ausdrücklichen Revolutionsangsr90, und dies gilt nicht zuletzt für die kirchlich-theologischen Stellungnahmen, deren Darstellung Janssen so zusammenfaßt: ,.Wenn Männer der Kirche und Theologen in dieser Zeit vom Krieg reden, meinen sie ausschließlich den Staatenkrieg. Ihn. konnten sie als göttliches Strafgericht, Akt kollektiver Notwehr, Ausdruck 'nationalen Sdbstbehauptungs- und Durchsetzungswillens oder Motor kulturellen Fortschritts bejahen; der innere Krieg, die Revolution, wurde von vornherein und ausnahmslos verdammt... 291 288 Nicht nur Hegel (RPh, § 324, WW 7,491-494) steht in dieser Tradition, sondern auch Kant hat ihr in der "Kritik der Urteilskraft« Tribut gezollt: ,.Selbst der Krieg, wenn er mit Ordnung und Heiligachtung der bürgerlichen Rechte geführt wird, hat etwas Erhabnes an sich, und mach:tzugleich die Denkungsart des Volks, wdches ihn auf diese An führt, nur um so erhabener, je mehreren Gefahren es ausgesetzt war, und sich mutig darunter hat behaupten können: da hingegen ein langer Frieden den bloßen, Handlungsgeist, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen, und die Denkungsart des Volks zu erniedrigen pflegte (V, 351). Während Kant .hier aber von der Tradition der Tugend der fonitudo her denkt (vgl. Thomas, S. Th. lI-lI, q. 123; s. auch Fr. Schillers ,.Reiterlied.. !), betont Hegd schon die Funktion des Krieges auch für die innerstaatliche Machtkonsolidierung (RPh, § 324, Zusatz). Zum Bellizismus des 19. Jh. vgl. Janssen, a. a. O. (Anm.280), 105-119 m. zahlreichen Nachweisen. " ,: 289 Schon Hegels Repetent Carove hat den "Tod der Kriegshdden zum christlichen Brautopfer und die Erinnerung daran zur eucharistischen Erneuerungsfeiere umgedeutet; so Winckler, a. a. O. (Anm. 287),51. - Zu den "Ideen von 1914« vgl. W. Huber, Kirche und Offentlichkeit, Stungan 1973, 133 ff.; K. Hammer, Deutsche Kriegstheologie, München 1971;·K. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, Göttingen 1969; ders., Zur politischen Haltung der deutschen Professoren im ersten Weltkrieg, in: HZ 193, 1961, 601-634; H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland, Basel-Stuttgan 1963, 173-238. . . 290 Vgl. G. Schmidt, Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in: M. Stürmer (Hg.),.Das kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870-1918, Darmstadt 21976, 397-433. 291 A. a. O. (Anm. 280), 119; ebd., 93, verweist Janssen auf die analoge Tendenz, das tradierte aktive Widerstandsrecht immer stärker einzuschränken. - Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat bekanntlich K. Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, Breslau 1916, Neudruck Aalen 1968, in seiner großen historischen Darstellung nachzuweisen versucht, daß im modernen Rechtsstaat auf konstitutioneller Grundlage
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Blickt man von hier aus zurück auf die vorangehende typisierende Darstellung der Geschichte des Gewaltbe.griffs, so fällt die Einseitigkeit dieser höchst selektiven bürgerlichen Gewaltwahrnehmung auf, wie sie für den Bellizismus des 19. Jahrhunderts charakteristisch ist. Zwischen äußerer (Krieg) und innerer Gewaltfähigkeit (Widerstand, Revolution292) wird zune~end so unterschieden, daß jene im Blick auf die auctoritas principis möglichst jeder moralisch oder theologisch begründbaren Einrede entzogen wird, während die Legitimität letzterer unter immer schärfere einschränkende Bedingungen gestellt und praktisch geleugnet wird293 • Marx' Erweiterung des Gewaltbe~ griffs wurde als theoretische Herausforderung nicht rezipiert, sondern als K.lassenkampf,.ideologie« weithin: bekämpft und verworfen. Immerhin hat aber Marx, wie vor ihm schon Hegel, das Vermögen der Gewalt nicht auf dem Boden der Natur, sondern der Gesellschaft zu bestimmen unternommen und darum auch keine anthropologische, sondern eine ökonomische Gewalttheorie, jedenfalls im Ansatz, entworfen. Marx' Analyse ökonomisch fundierter Gewaltverhältnisse hätte zugleich, wenn man sie als Theorie, nicht als die Widerstandslehre sowohl »rechtslogisch erledigt« (534) als auch ihrer politischsozialen Grundlagen verlustig gegangen sei. H. Mandt, Tyrannislehre und Widerstandsrecht, Darmstadt-Neuwied 1974, hat Gründe dafür aufgezeigt, warum besonders in der deutschen Tradition der praktischen Philosophie des 19. Jh., im 'Gegensatz zu England und Frankreich, Tyrannislehre und Widerstandsrecht weitgehend aufgegeben wurden; und ,.zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Widerstandsrecht in der Staatsrechtslehre höchstens noch als historisches RechtsinStitut ohne Bedeutung für das geltende Recht e~ähnt« (K. F. Bertram, D~s Widerstandsrecht des Grundgesetzes, Berlin 1970, 39). - Erst die Opposition gegen Hitler machte schlagend klar, daß eine »rechtslogischec oder historische Erledigung die Sach-Problematik des Widerstandsrechtes überhaupt nicht aus der Welt schaffen kann. - Im deutschen Protestantismus der Hitlerzeit und dann nach 1945 kam es daher zu einer neuen Auseinandersetzung mit diesen Fragen, wobei für das Luthertum besonders die Schrift von E. Berggrav, Der Staat und der Mensch, Hamburg 1946 (bes. darin der Vortrag: Wenn der Kutscher trunken ist, 301-319) und dessen Vortrag auf der 2. Vollversammlung des LWB in Hannover 1952 von großer Bedeutung waren; aus der anschließenden Diskussion ist besonders der weiterführende Sammelband H. DomboisIE. Wilkens (Hg.), Macht und Recht - Beiträge zur lutherischen Staatslehre der Gegenwart, Berlin 1956, zu nennen. Für die calvinistische Tradition vgl. E. Wolf, Das Problem des Widerstandsrechtes bei Calvin (1956), in: A. Kaufmann/L. E. Backmann (Hg.), Widerstandsrecht, Darmstadt 1972, 152-169. Die Novellierung des Grundgesetzes der BRD im Zuge der Einfügung der Notstandsverfassung im Jahre 1968 hat in Art. 20 IV GG mit der Positivierung des Widerstandsrechtes den vermutlich untauglichen Versuch unternommen, das schlechthin Nicht-Normierbare zu normieren; vgl. K. Kröger, Widerstandsrecht und demokratische Verfassung, Tübingen 1971 (m. weiteren Nachweisen). 292 Zu ihrer Differenz vgl. auch K. F. Bertram, Widerstand und Revolution. Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen, Berlin 1964. 293 Janssen, a. a. O. (Anm. 280),93 m. w. Nachweisen aus dem Zedlerschen Lexikon.
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Propaganda aufgefaßt hätte, dazu Anlaß gegeben, die herkömmliche individualethische Beurteilung der Gewalt infrage zu stellen, denn es ist ein Unterschied, ob man nach der sittlichen Berechtigung gewaltsamen Handelns des Einzelnen, sei es im Falle des Krieges, sei es im Falle von Widerstand, fragt, oder ob man zumindest die Möglichkeit in Erwägung zieht, daß das individuelle Gewaltvermögen keine anthropologische Konstante bildet, sondern erst in seiner Beziehung zum gesellschaftlichen Gewaltvermögen angemessener sittlicher Beurteilung zugänglich ist. Aber die Dynamik von Wirtschaft und Technik im anbrechenden Industriezeitalter sowie das ihr wahlverwandte zivilisatorische Fortschrittspathos294 wurden weitgehend in der Wahrnehmung der Grundlagen moderner Gewaltpotentiale im 19. Jh. verdrän~95, als seriÖse theoretische Herausforderung, abgesehen vom sozialistischen Kontext, zumeist abgewiesen und dadurch nicht selten der weniger intellektuell als emotional bestimmten Kritik etwa anarchistischer Provenienz überlassen296. 5.2. Moderner Pazifismus und Gewalwerbot Erst aus der hier nur angedeuteten Indienstnahme ökonomischer und technischer Macht für die Zwecke der Kriegführung, wie sie etwa Engels ausgesprochen hat297, ist der moderne Pazifismus hervorgegangen298 . Bertha von Suttner (1843-1914), geb. Gräfin Kinsky und Tochter eines österreichi~ sehen Generalfeldmarschalls, veröffentlichte 1889 ihren Roman ~Die Waffen nieder.. , der in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde2~ und in 294 Zur Geschichte des Fortschrittsbegriffs vgl. J. Ritter, Art. Fortschritt, in: HWP 2 (1972), 1032-1039; s. auch H. Lübbe, Fortschritt als Orientierungsproblem, Freiburg 1975. 295 Vgl. zum bürgerlichen Kriegsverständnis im 19. Jh. in Deutschland bes. o. Dann, Vernunftfrieden und nationaler Krieg, in: Huber/Schwerdtfeger, a. a. o. (Anm. 280), 169-224. 296 Zur anarchistischen Gewaltkritik vgl. die Sammlung von o. Rammstedt (Hg.), Anarchismus, Köln-Opladen 1969; aus der Lt. vgl. J. Cattepoel, Der Anarchismus, München 1979 (47 ff. zu Bakunin); K v. Beyme, Art. Anarchismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. I (1966), 211-219 (Lit.); W. Lienemann, Unerledigte Anfragen des Anarchismus, in: ZEE 14, 1970, 343-367. 297 S. oben bei Anm. 273. 298 Vgl. über die schon genannte Lit. hinaus F. Kobler (Hg.), Gewalt und Gewaltlosigkeit. Handbuch des aktiven Pazifismus, Zürich-Leipzig 1928; A. H. Fried, Handbuch der Friedensbewegung, 2 Bde., Berlin-Leipzig 21911/13. Nicht nur das Fried'sche Handbuch, sondern eine Fülle klassischer Texte und Dokumente der Friedensbewegung - von Dantes ,.De Monarchia« bis in die Gegenwart - sind neu erschienen in: The Garland Library of War and Peace. Bis 1973 lagen mehr als 300 Bände vor. 299 1903 erschien die Fortsetzung ,.Martbas Kinder«, 1906-07 eine 12-bändige Werkausgabe, 1906 eine Monographie von A. H. Fried über v. Sutmer. 260
gewisser Hinsicht die Gründung nationaler Friedensbewegungen in zahlreichen Staaten entscheidend beeinflußte. 1891 gründete v. Suttner die österreichische Gesellschaft der Friedensfreunde,1892 wurde auf ihre Anregung hin die ,.Deutsche Friedensgesellschaft« (DFG) in Berlin gegründet. K. HolpoO hat die deutsche Friedensbewegung näherhin untersucht und dabei u. a. herausgearbeitet, daß sie bis zum I. Weltkrieg eigentlich nie über eine gesellschaftliche Außenseiterrolle hinauskam und es ihr als einer primär bürgerlich bestimmten und um das Bürgertum werbenden Bewegunlfol auch nicht gelungen ist, eine Verbindung zur sozialistischen Bewegung zu schlagen102, während dies in Frankreich und England jedenfalls teilweise gelungen ist101 • Das deutsche Bildungsbürgertum aber ließ sich nur schwer und selten für pazifistische Bestrebungen gewinnen, wobei die Vertreter von Theologie und Kirche keine Ausnahme machten104 • Zukunftsweisende Bedeutung kam jedoch der Verbindung von pazifistischen Motiven und wissenschaftlicher Arbeit im Bereich des Völkerrechts zu10S ; hier läßt sich eine Linie von den Haager Friedenskonferenzen (1899, 1907) über die Satzung des Völkerbundes und den Kelloggpakt (1928) bis zum Gewaltverbot der UN-Satzung ziehen106• Art. 2 Ziff.4 der UN-Satzung bestimmt: ,.Alle Mitglieder müssen sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung oder des Gebrauchs von Gewalt enthalten, die gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet oder in irgendeiner anderen Weise mit den Zwecken der UN
300 Die deutsche Friedensbewegung im wilhelminischen Reich, in: Huber/Schwerdtfeger, a. a. O. (Anm. 280), 321-372. 301 Ebd., 328 ff, zur Sozialstruktur. 302 Ebd., 343 ff. 303 Zu England vgl. die Beiträge von F. Emestus und G. Niedhardt in: Huber/ Schwerdtfeger, a. a. O. (Anm. 238); sowie M. HecquetIM. Steinitz, Kriegsdienstverweigerung während des Wdtkrieges, in: Kobler, a. a. O. (Anm. 298), 257-267. - Erst der I. Wdtkrieg brachte übrigens in den meisten europäischen Ländern die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und markiert damit den Beginn der modernen Problematik der Kriegsdienstverweigerung. Die Ansätze zum Volkskrieg und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht z. B. in Preußen (3.9. 1814) gewährten dem vermögenden Bürgertum noch zahlreiche Ausnahmen, und für religiös motivierte Pazifisten gab es in der Regd entweder die Möglichkeit steuerlicher Ersatzleistungen oder der Auswanderung, bes. nach Amerika. . 304 Holl,331. 305 Zur Geschichte des Völkerrechts im 19.Jh. vgl. H. K. Skupin, Art. Völkerrechtsgeschichte 111, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch, III, 721-744; zu den Haager Konferenzen bes. 739 ff. 306 Vgl. als überblick A. Randelzhofer, Art. Kriegsverhütungsrecht, in: EStL 21975, 1402-1409.
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unvereinbar ist.«107 Daß hier an die Stelle des Verbotes des (Angriffs-)Krieges das Verbot der »Drohung oder Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen« tritt, kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Friedenssicherung und der Schutz vor Gewalt durch beide Verbote prekär bleiben müssen. Einige Gründe sind schnell genannt. Zunächst sieht die UN-Satzung selbst weitreichende Ausnahmen vor, insofern z. B. die militärischen Sanktionen, die der Sicherheitsrat der· UN gemäß Art. 42 der Satzung verhängt30B, Zwangsmaßnahmen gemäß der Feindstaatenklausel von Art. 53 Ziff. 2, oder schließlich das Recht auf individuelle oder kcdlektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff nach Art. 51 zulässig bleiben309. Ferner haben sich die UN bis 1974 auch nicht auf eine gemeinsame und verbindliche Merkmalsbestimmung des Angriffs bzw. der militärischen Aggression einigen könnenllO, zumal zwischen Aggression und (womöglich ersuchter) Interventi~n im Einzelfall nicht leicht und präzise zu unterscheiden ist. Weiter legt die UN-Satzung in ihren Grundsätzen in Art. 2 Ziff. 1 fest, daß ihre Organisation ,.auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder« beruht, gemäß dem in Art.1 Ziff.2 genannten 307 Vgl. zu diesem Gewaltverbot J. L. Kunz, Art. Völkerrecht. Allgemein, in: Strupp-Schlochauer, Wönerbuch des Völkerrechts, III, 611-631 (626 f.); U. Scheuner, Art. Kollektive Sicherheit, ebd., 11, 242-251 (244 f.). 308 Am 7.7.1950 autorisiene, in Abwesenheit der Sowjetunion, der Siclierheitsrat der UN die USA-Intervention in Korea; vgl. D. Rees, Art. Koreakrieg. in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, III (1969), 935-944. 309 Auf die völkerrechtlichen Fragen näher einzugehen, ist mir nicht möglich. Zum venieften Verständnis waren mir nützlich J. Brownlie, International Law and the Use of Force by States, Oxford 1963 (bes. 112 ff. und 328 ff. zu Selbstveneidigung und Sanktionen); W. Wengler, Das völkerrechtliche Gewaltverbot, Berlin 1967; W. Schaumann (Hg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, Baden-Baden 1971; S. Schnippenkoetter, Gewaltverbot und Gewaltverzicht als Mittel der Friedenssicherung, in: A. H911erbachIH. Maier (Hg.), Christlicher Friede und Weltfriede, Paderborn 1971, 107-124; W. G. Hester, Gewaltverbot und Repressalien, Ludwigsburg 1973; U. Scheuner, Krieg und Bürgerkrieg in der Staatenwelt der Gegenwan, in: D. Blumenwitz/A. Randelzhofer (Hg.), Festschrift für Friedrich Berber, München 1973,467-487. 310 Zum vorläufigen Ergebnis der jahrzehntelangen international~ Diskussion vgl. G. Doeker, Das Gewaltverbot in der Satzung der Vereinten Nationen und die zukünftige Friedensordnung, in: ders. (Hg.), Die Vereinten Nationen, München 1976, 110-152. Am 14.12.1974 verabschiedete die Vollversammlung der UN ihre Aggressions-Definition (Text: Vereinte Nationen, Heft 4, 1975, 120), deren Einzelbestimmungen sehr auslegungsfähig sind. Der chinesische Delegiene distanziene sich (vgl. .Südd.Zeitung v. 16. 12. 1974). - Wie wenig indes die besten ,.Definitionen« austragen, zeigen die verschiedenen.Anwendungen der Monroe- und Breschnew-Doktrinen, z. B. im Falle der Dominikanischen Republik 1965 oder der CSSR 1968; vgl. Doeker, 123 ff.
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· ,.Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker«. Und schließlich ist zu erwähnen, daß die modemen Massenvernichtungswaffen, auf denen die Friedenssicherung der Strategie der Abschreckung beruht, ohnehin die Fassungskraft des Völkerrechts sprengen dürften, auch wenn es nicht an Versuchen fehlt, ihren denkbaren Einsatz völkerrechtlich einzugrenzen und zu normieren311 • Es ist auch für den Nicht-Juristen leicht einzusehen, daß das völkerrechtliche Gewaltverbot zahlreiche Spannungen und· Widerspruche in sich enthält. Insbesondere hat sich bekanntlich die überzeugung durchgesetzt, daß aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker Befreiungskriege gegen Kolonialmächte als völkerrechtlich zulässig anzusehen sindJl2 , und im Blick darauf ist sofort zu fragen~ wie es mit dem Recht zur Unterstützung durch Dritte bestellt ist. Nach Scheuner 13 vollzieht sich hier eine verdeckte Rückwendung zur alten Lehre vom gerechten Krieg, wobei, wie die amerikanischen Rechtfertigungen des Vietnamkrieges gezeigt haben, diese Versuche der Legalisierung keineswegs auf kommunistisch bestimmte Befreiungskämpfe beschränkt sindJ !4. In bemerkenswerter'Weise durchdringen sich hier alte Motive der Lehren vom ,.gerechtenKrieg« und desjenigen Völkerrechts, das von der nationalen Souveränität ausging und statt auf die causa iusta nur auf den iustus hostis abhob, denn das ius ad bellum wird nun auf die Befreiung vom Kolonialismus übertragen, doch zugleich nötigt diese Aktualisierung des alten Topos zur Besinnung auf das ius in bellulH,welches in den letzten Jahren, vor allem im Rahm.en des Roten Kreuzes, ·auch auf 311 VgI. E. Menzel, Art. Atomwaffen, in: Strupp-Schlochauer, I, 104"108; M. Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bakteriologischer Waffen, Berlin-Heidelberg~New York 1973. 312 Einen unübersehbaren Präzedenzfall bildet die nordamerikanische Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jh.; vgI. D. Schröder, .Die Dritte Welt und das Völkerrecht, Hamburg 1970, 43 ff.; sowie besonders J. Delbrück, Selbstbestimmung und Dekolonisation, in: U. ScheunerlB. Lindemann (Hg.), Die Vereinten Nationen.und die Mitarbeit·der·Bundesrepublik Deutschland, München-Wien 1973, 69-106. 313 A. a. O. (Anm. 309), 472 f. 314 Zur Dekolonisierung in der sowjetischen Völkerrechtslehre vgl. etwa D. B, Lewin, Grundprobleme des modernen Völkerrechts, in: Drei sowjetische Beiträge zur Völkerrechtslehre (Einführung E. Menzel), Hambutg 1969, 59-306, (246-252); oder D. B. Lewin/G. P .Kaljushnaja(Hg.), Völkerrecht, Berlin 1967, 145•..oer K.ampf.~ die Erlangung der (nicht nur formalen, sondern auch materialen) Souveränität und Selbstbestimmung darf danach auch von. außen unterstützt werden.' Im übrigeii entwickelt Lewin fünf Grundprinzipien des Völkerrechts: territoriale Integrität und Souveränität, gegenseitiger Nichtangriff, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Gleichheit und gegenseitiger Vorteil, friedliche Koexistenz (78 ff.). 315 Vgl. A. Eide, International Law, Dominance, and the Use.of Force, in: JPR XI, 1974, 1-20.
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Bürgerkriege als den für die zweite HäHte des 20. Jh. typischen Kriegsfall auszudehnen versucht worden ist3l6• Soll aber auch im Konflikt- und (Bürger)Kriegsfall das humanitäre Völkerrecht in Geltung bleiben, so bedarf es der Staaten als seiner Garanten, deren Existenz indes im Falle einer extensiven Auslegung des"Rechtes zum Befreiungskrieg. selbst gefährdet ist. Bei aller Vorsicht gegenüber historischen Analogiebildungen wird man daher fragen müssen, ob für das Völkerrecht der Kantische Ansatz nach wie vor grundlegend bleiben kann, demzufolge die Ausbildung eines formalen, rechtlich-verfahrens mäßig abgesicherten Gewaltinonopols (und, wo dieses noch nicht gegeben ist, eines Legalsystems) die Voraussetzung dafür ist, daß über materiale Rechtsprinzipien in relativ gewaltloser Form gestritten werden kann, während jeder Versuch einer vorgängigen materialen Rechtsbestimmung mit größter Wahrscheinlichkeit stets neue Feindschaften hex:vorbringt, die zu begrenzen und still zu stellen gerade Absicht und Leistung des Legalsystems sind. Thetisch ließe sich dann zusammenfassen, daß, wie das rechtlich geordnete staatliche Gewaltmonopol Bedingung aller gewaltarmen Gesellschaftsveränderung ist3!7, so auch nur im Rahmen eines völkerrechtlichen Legalsystems so etwas wie "peaceful change.. m möglich wird, wobei diese Möglichkeit wiederum wese~tliche Bedingung jener Legalität wäre. Aber wer darf sich wundern, daß ein derartiges Konzept, das sich alteuropäischen Traditionen verdankt, heute wenig attraktiv zu sein scheint, wenn man bedenkt, daß die Dekolonisation zunächst von den UN, die ja in dem ersten Jahrzehnt nach ihrer Gründung von den amerikanischen und europäischen Mächten bestimmt waren, gar nicht aktiv betrieben wurde, und erst seit Ende der 50er Jahre unter dem Druck der nationalen Erhebungen unausweichlich 316 Vgl. zu diesem Problemkreis u. a. O. Kimminich, Human,itäres Völkerrecht humanitäre Aktion, München-Mainz 1972; D. Fleck (Hg.), Beiträge zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts für bewaffnete Konflikte, Hamburg 1973; A. V. Lombardi, Bürgerkrieg und Völkerrecht, Berlin 1976; das N. Haager.Abkommen und die Genfer Abkomm~ vom 12. 8. 1949 sind dokumentiert bei P. C. MayerTasch, Guerillakrieg und Völkerrecht, Baden-Baden 1972 (Lit.). Die Einleitung (9-30) zeigt, wie in den modernen Kriegstheorien von Mao, Giap, Guevara u. a. die Vorstellungswelt religiöser Bürgerkriege erneut durchschlägt - so wenn Che Guevara den Partisanen den ,.Jesuiten des Krieges« nennt. 317 Daß das kommunistische Manifest den Staat lediglich als ,.Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltete (MEW 4,464), betrachtet; und daß in dieser Tradition der formale kantische Geseuesbegriff kaum Beachtung gefunden hat, begründet den Klassencharakter und die Partei1ichkekgroßer Teile marxistischen Rechtsdenkens; vgl. dazu auch H. A. Winkler, Primat der Okonomie? Zur Rolle der Staatsgewalt bei Marx.und Engels, in: ders., Revolution, Staat, Faschismus, Göttingen 1978, 35-64. 318 Vgl. zu diesem für die ökumenische Bewegung zentralen Begriff W. Grewe, Art. Peaceful Change, in: Strupp-Schlochauer, II, 752-757.
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wurdeJ !'? Daß diejenige Institution, die in der deutschen staatsrechtlichen und sozialphilosophischen Tradition ,.Rechtsstaat .. heißt, als Inhaber des Gewaltmonopols Garant dafür ist, daß in den gesellschaftlichen Beziehungen gewaltförmiges Handeln zwar nicht beseitig, aber· doch eingegrenzt werden kann, ist gleichwohl- von Luther über Kant bis zur Gegenwarr20 - eine der im deutschen Protestantismus der Gegenwart unumstößlichsten Grundüberzeugwtgen. Darum ist die Vermutung nicht abzuweisen, daß ein wesentlicher deutscher Beitrag zur ökumenischen politischen Ethik darin bestehen muß, zu fragen, ob und in welcher ;Form die mit dem Begriff des. bürgerlichen Rechtsstaats - dessen Bürger citoyen, nicht bourgeois ist - bezeichnete Losung des Problems einer Begrenzung und Geltung der Gewalt auch jenseits der Grenzen des Nationalstaates fruchtbar gemacht werden
kannJ21 •
6. Ausblick: Die Zukunft des Gewaltverzichts Abschließend soll nicht in dem Sinne nach dem Ertrag der vorausgegangenen Darstellung gefragt werden, daß noch einmal zusammengefaßt wird, was schon gesagt ist. Vielmehr geht es um Folgerungen, die möglich werden, wenn man sich die beschriebene Genesis des Gewaltverständnisses vergegenwärtigt. Dazu ist vorab zu bedenken, daß unsere Darstellung typisierend verfahren ist, insofern sie eine Folge von grundlegenden Gewalterfahrungen analysierte, die über den besonderen Rahmen ihrer Entstehung und begrifflichen Erfassung hinausreichen, in dem Gewaltverhältnisse auftreten. Dieses typisierende Verfahren hatte zwangsläufig zur Folge, daß von der Vielfalt konkreter Auswirkungen einzelner Auffassungen rigoros abstrahiert werden mußte j beispielsweise haben die Lehren des Aquinaten oder die Einsichten der Reformatoren natürlich auch Wirkungen in jener Epoche gezeitigt, als deren Exponent hier lediglich Marx präsentiert wurde. Aber wenn das Merkmal ,.großer Theorie.. ,. wie Hegel sagt, darin besteht, ,.ihre. Zeit in 319 Erst mit der Resolution 1514 (XV) vom 16.12. 1960 haben die UN die volle Unabhängigkeit aller kolonialen Territorien proklamiert; vgl. U. Scheuner, Die Vereinten Nationen als Faktor der internationalen Politik, Opladen 1976, 31. 320 Vgl. G. Heinemanns Vorlesung anläßlich der Verleihung der Ehrendoktocwürde durch die Ev.-theol. Fakultät der Universität Bonn: Der demokratische Rechtsstaat als theologisches Problem, in: JK 29, 1968, 1-7. - Vgl. auch E. Wolf (Hg.), Der Rechtsstaat. Angebot und Aufgabe (ThEx 119), München 1964; sowie H. Zilleßen, Protestantismus und politische Form, Gütersloh 1971. 321 Daß ein solcher Versuch nur glaubhaft sein kann, wenn Christen und Kirchen im eigenen Land sorgfältig die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien beobachten, ist leider in der Gegenwart hinzuzufügen alles andere als überflüssig.
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Gedanken gefaßte zu sein, dann war dies Marx' Leistung, nicht aber die seiner kirchlichen und theologischen Zeitgenossen oder Gegner. Typisiereride Darstellung in diesem Sinne bedeutet also, nach den epochal prägenden Gestalten des objektiven Geistes zu fragen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, drängen, so denke ich, die vorangegangenen Interpretationen eine These auf, die sich folgendermaßen formulieren läßt: im übergang zur Neuzeit weicht die Einheit der Differenz von göttlicher und weltlicher Gewalt der Mannigfaltigkeit weltlich-immanenter Gewaltverhältnisse. Sobald der Ort der Religion in die Indifferenz des Einzelgewissens gegenüber den kontingenten politischen Konstellationen verlegt wird322, wie ich es im Blick auf Robbes und seine Bedeutung für den konfessionsneutralen Staat der Neuzeit zu zeigen versucht habe, verliert auch die Politik, die sich derart von der Religion zu emanzipieren meinte, ihr Widerlager. Sie muß sich nunmehr autonom setzen und begründen; die Kraft der Einsicht, das Vermögen der Vernunft muß nun auf sich gestellt alle Formen der Gewalt zu bändigen versuchen. Aber die Idee der Vernunftherrschaft unterliegt der Dialektik der Aufklärung. Wir wissen heute, daß wissenschaftlich angeleitete Naturbeherrschung - der äußeren ~e der inneren Natur, welche vor allem und anscheinend unbegrenzt gewaltfähig istnicht schon als solche die Befreiung des Menschen bedeutet. Es ist ferner zu bedenken (was hier nur beiläufig angedeutet werden konnte), daß das Prinzip. autonomer Einsicht und 'Weltgestaltung untrennbar ist vom neuzeitlichen Fortschrittspathos, welches von der Einbildung jenes Prinzips in ·alle Weltverhältnisse die Aufhebung aller Gewaltverhältnisse, die danach immer auch Formen der Unmündigkeit wären, erhofft. Seit Marx, aber wirksam weltweit erst unter kapitalistischem Vorzeichen, wird die Einheit von Einsicht und Fortschritt durch die ,.Figur des Plans« herzustellen versucht323 , aber Planung verstärkt in ihrem Bereich die Dialektik der Aufklärung. Die Aufklärung verstrickt sich in ihrer Dialektik, wenn 'sie nicht zugleich Bestimmung der ihr eigenen Grenzen ist (wie bei Kant), sondern auf dem Satz der Sophisten beruht, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei; die Planung, die den Raum der Freiheit sichern soll, erweist ihre Ambivalenzen darin, daß sie, solange sie nicht umfassend ist, stets neue Unsicherheiten hervorbringt, und wäre sie umfassend, vermutlich QÜt dem Ende der Freiheit identisch wäre324• Beide 322 Daß die derart als Indifferenz ausgelegte Freiheit nicht die libertas Christiana ist und sein kann, macht am Beispiel moderner Sozialtheorie F. Scholz deutlich: Freiheit als Indifferenz. Alteuropäische Probleme mit der Systemtheorie Niklas Luhmanns, Diss.theol. Heidelberg 1979 (masch.). 323 Vgl. H.-J. Arndt, Die Figur des Plans als Utopie des Bewahrens, in: Säkularisation und Utopie (FS E. Forsthoff), Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 196h 119-154. 324 G. Picht sagt daher im Anschluß an H. Lübbc• Planung sei ein ,.equilibristischer
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aber sind in der Neuzeit auf sich allein gestellt, sobald die Religion nicht mehr den Gott als denjenigen verkündet, der Vernunft wie Planung umgreift und begrenzt und erst damit in ihrer Endlichkeit und Begrenztheit freisetzt. Die weltgeschichtlich analogielose Dynamik einer Vernunft und einer Planung, die autonom sein wollen, hat sich aber vor allem in der gesellschaftlichen Sphäre der Produktion Bahn gebrochen, die alle älteren kulturellen Begrenzungen der Wirtschaftsbeziehungen revolutioniert hatJ25 , und auf diese Entwicklung hin haben christliche Kirche und Theologie wohl am wenigsten gewagt, die Macht ihres Gottes auszulegen, .von dem das Magnificat sagt, daß er die Gewaltigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhebt (Lk.l,52). Wohl wurde selten vergessen":' wenn auch vielfach ilbgeschwächt -, daß die geistliche Gewalt die weltlichen Gewalten auf ihre Endlichkeit und Begrenztheit hin anzureden und ihnen je und dann auch zu widersprechen und zu widerstehen hat, aber diese Stellung ist weithin geschwächt,. wenn nicht gelähmt durch die Allianz der Religion mit den politischen und ökonomischen Mächten. In meiner Darstellung kam dieser Sachverhalt schon dadurch zur Sprache, daß die Gewichte der untersuchten geschichtsmächtigen Positionen zunehmend von theologischen zu solchen sozialphilosophischen Entwürfen hin verschoben werden mußten, die überwiegend der Religion, Kirche und Theologie als eines kritischen Widerparts gar nicht mehr zu bedürfen scheinen. Aber lag nicht, jenseits der Verirrungen eines weltpolitischen Machtanspruchs der Kirche Christi, der tiefere Sinn des Gegenüber von geistlicher und weltlicher Gewalt stets darin, daß die Kirche den politischen Mächten ein Widerpart sein mußte, um diesen einen Grund und ein Ziel ihres Bestandes und ihres Handelns zu verkünden, das sie gerade nicht in sich selbst zu finden vermögen? Und hätte dieses Gegenüber die Kirche nicht auch den neuen politischen und wirtschaftlichen Potenzen der Neuzeit geschuldet, statt sich so weitgehend, wie es geschehen ist, deren Gesetzen zu unterstellen? Akt« dadurch, "daß die geplanten Eingriffe, die zur Sicherung von Lebeltsbedingungen notwendig sind, die Umwelt und damit das zu sichernde Leben sdbst verändern, daß sie fortschreitend Sicherheit des natürlich Gegebenen in Unsicherheit des künstlich Bereitgestellten verwandeln, und daß sie Reserven, die in früheren Kulrurepochen zur Stabilisierung menschlichen Daseins aufgebaut wurdeR, kurzfristig verbrauchen und zerstören«. G. Picht, Prognose, Utopie, Planung, in: ders., Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, Stuttgart 1969, 373-407 (402). 325 Vgl. im Blick auf das Zeitalter der Reformation H. A. Oberman, Spätscholastik und Reformation (1963), deutsch. Zürich 1965, ders., Werden und Wertung der Reformation, Tübingen 1977, bes. Kap. 8 zur oeconomia moderna, 161-200. Zur Auseinandersetzung im Islam vgl. M. Rodinson, Islam und Kapitalismus, Frankfurt! M. 1971; vergleichende Studien bietet S. M. Eisenstadt, Tradition, Wandd und Modernität, .Frankfurt/M. 1979.
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Schließlich möchte ich fragen, ob nicht auch und gerade die Möglichkeit einer gewalt- und wehrlosen christlichen Existenz schlechterdings ihren einzigen Halt darin hat, daß sie um dieses unaufhebbare Gegenüber ihres (wehrlosen) Gottes zu allen Gewalten dieser Welt weiß. Auf dieser Edahrung und dieser Glaubensgewißheit beruht ja die Mahnung des Apostels Paulus, sich nicht selbst zu rächen, sondern dem Zorne Gottes Raum zu geben und das Böse mit Gutem zu überwinden (Röm. 12,19-21). Einer politischen Existenz, die ihren einzigen Grund in der ihr eigenen Einsicht oder, noch prekärer, in den Versprechungen und Zielen für eine bessere Zukunft findet, muß diese Wahrheit des Glaubens freilich als T~rheit erscheinen, weil er sich auf eine Macht verläßt, die der Glaubende nicht herbeizwingen kann, von der er vielmehr nur bekennen kann, daß sie sich in ihrer Schwäche als siegreich erweist. Die Gestalt dieses Sieges, der keine irdische Machtform begründen will, heißt in der Geschichte der Kirche Christi - Liebe. Von ihr dad gesagt werden, daß ~'ie die Geschichte aller Gewaltverhältnisse als oft nur stummer, aber je und dann auch leidenschaftlicher Protest begleitet hat. Lenkt man von hier aus den Blick in die Weite der ökumenischen Bewegung, dann kann gesagt werden, daß eine heute vielleicht entscheidende Herausforderung an die Kirche Christi darin liegt, von ihrem Gott als demjenigen zu sprechen, der alle irdischen Gewalten in ihre Schranken weist, ohne daß die Christen selbst ein Gesetz eigener Herrschaft aufrichten könnten. Die Welt, auf die hin diese Botschaft auszulegen ist, ist aber durch die Geschichte und Fülle von Gewaltverhältnissen derjenigen Art bestimmt, wie sie diese Arbeit vorgestellt hat. Niemand wird sich daher wundern düden, daß besonders die jungen Kirchen sowie die Christen und Theologen aus der Dritten Welt in ihren Versuchen, auf diese Herausforderung zu antworten, zu Auffassungen gelangt sind, die den historischen Antworten der nordatlantischen Christenheit teilweise grundsätzlich widersprechen. Aber dad sich darüber eine stark europazentrisch geprägte Theologie wundern, die selbst auf die Gewaltverhältnisse der modernen Welt oft nur hilflos zu reagieren vermochte? Gleichwohl ist eine künftige Christentumsgeschichte nicht unmöglich, in welcher die alten Kirchen ihre verschiedenen Allianzen mit den Mächtigen dieser Welt selbstkritisch überdenken und die jungen Kirchen an diesem Versuch einer Vergegenwärtigung dieser Edahrungen teilnehmen. Es könnte sein, daß daraus eine wechselseitige und gemeinsame Beratung hervorgehen mag, in welcher auch Kirchen, denen diese Traditionen der Wehrlosigkeit fremd sind, eine neue Macht entdecken, die ihnen zuwächst, wenn sie auf äußere Gewalt verzichten, weil sie von dieser ohnehin nicht ihre Erhaltung und ihr Heil erhoffen können.
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LITERATURVERZEICHNIS
Vollständige bibliographische Angaben für die Einzelarbeiten finden sich in jedem Kapitel bei der jeweils ersten Zitation. Auf diese Stelle wird bei jeder späteren Nennung zurückverwiesen. Selten zitierte Titel lassen sich durch das Personenregister erschließen. Aegidius Romanus, De ecclesiastica potestate, hg. v. R. Scholz (1929), ND Aalen 1961 P. Althaus, Die Ethik Marcin Luthers, Gütersloh 1965 P. Althaus, Luthers Haltung im Bauernkrieg (1925; 1927), ND Darmstadt 1952 H. Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966 . H. Arendt, Macht und Gewalt, München 1970 K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik (=KD), Zürich 1932 ff. K. Barth, Ethik I (SS 1928 - SS 1930), hg. v. D. Braun, Zürich 1973 K. Barth, Ethik 11 (WS 1928/29), hg. v. D. Braun, Zürich 1978 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, Grundlegung evangelischer Ethik, Zürich 1953 K. Barth, Das Problem der Ethik in der Gegenwart (1922), in: K. Barth, Das Wort Gottes und die Theologie, München 1925, 125-155 K. Barth, Rechtfertigung und Recht (1938), ND Zürich 41970 K. Barth, Römerbrief, 1. Auf}. 1919,2. Aufl. (1922) 1967 K. Barth, Eine Schweizer Stimme 1938-1945, Zollikon-Zürich 1945 W. Bauer, Das Gebot der Feindesliebe und die alten Christen (1917), In: ders., Aufsätze und kleine Schriften, Tübingen 1967, 235-252 C. Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum, Leiden 1968 J. Baur/L. GoppeltlG. Kretschmar (Hg.), Die Verantwortung der Kirche In der Gesellschaft, Stuttgart 1973 H. G. Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 1978 Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (= BSLK), Göttingen 51963 K.-H. Bender, Revolutionen. Die Entstehung des politischen Revolutionsbegriffs in Frankreich zwischen Mittelalter und Aufklärung, München 1977 W. Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, in: ders., Gesammelte Schriften 11/1, Frankfurt/ M. 1977, 179-203 U. Bemer, Die Bergpredigt. Rezeption und Auslegung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1979 K. F. Bertram, Widerstand und Revolution. Ein Beitrag zur Unterscheidung der Tatbestände und ihrer Rechtsfolgen, Berlin 1964 K. F. Bertram, Das Widerstandsrecht des Grundgesetzes, Berlin 1970 K. v. Beyme, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes, Tübingen 1968 K. Beyschlag, Christentum und Veränderung in der Alten Kirche, in: KuD 18, 1972, 26-55 K. Beyschlag, Die Bergpredigt und Franz von Assisi, Gütersloh 1955 K. Beyschlag, Zur Geschichte der Bergpredigt in der Alten Kirche, in: ZThK 74,1977, 291-322 G. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, FreiburgMünchen 1973
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ABKüRZUNGEN
AöR ARSP B BKV BSLK BZAW BZNW CBQ Denz EK EStL EvTh FAZ GGA HJ
HNT HWP HZ JK JPR KD
KuD KZSS LWB MdS MEW
ND NTD NTS NZM NZZ OR
PhR PVS RAC RGG1 StF THAT
ThEx ThLZ ThR ThSt
TRE VigChr VuF
Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft .Bibliothek der Kirchenväter Die Bekenntnisschriften der evangelisch-Iu~eris~en Kirche, Göttingen 51963 Beihefte zur Zeitschrift für die alnestamentliche Wissenschaft Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Cathcilic Biblical Quarterly . . DenzingerlSchönmetzer, Enchiridion Symbolorum, 1965 (33 .. Aufl.) Evangelische Kommentare Evangelisches Staatslexikon Evangelische Theologie Frankfurter Allgemeine Zeitung Göttingische gelehrte Anzeigen Historisches Jahrbuch Handbuch zum Neuen Testament Historisches Wörterbuch der Philosophie Historische Zeitschrift Junge Kirche Journal of Peace Research K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik Kerygma und Dogma Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Lutherischer Weltbund I. Kant, Metaphysik der Sinen Marx/Engels, Werke Nachdruck I Neudruck Das Neue Testament deutsch New Testament·Studies Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft Neue Zürcher Zeitung Okumenische Rundschau Philosophische Rundschau Politische Vierteljahresschrift Reallexikon für Antike und Christentum Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. Studien zur Friedensforschung Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament Theologische· Existenz Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Theologische Studien Theologische Realenzyclopädie Vigiliae Christianae Verkündigung und Forschung
279
WA WPKG WW ZAW ZBLG ZEE ZKG ZM ZMiss ZNW ZPol ZRG, KA ZThK
M. Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft Hege!, Werke (Theorie Werkausgabe) Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für evangelische Ethik Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für Missions- und Religionswissenschaft Zeitschrift für Mission Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Theologie und Kirche
BIBELSTELLENREGISTER
Gen.
1,28a 1,29 4,15 6, 11.13 12, 1-3 18,14
47 47 41 45 82 187
2,11 f. 15 15, 1-21 15,21 19,12 20,5 21,2-11 22,19 23,22 34,14
91 41 43 42 43 43 53 43 43 43
Lev.
19,18 25
60 f. 40,47, 52f.
Dtn.
4,6 H. 6,14 f. 15 15, 1 H. 15, 12-18 18, 12 f. 31, 10 f. 32,8 32,35
47 43 40 53 53 43 53 82 45 f., 166, 185
Ri.
5 8,23 9, 8-15 16,28
43 39 39 46
1. Sam.
2, 1-10 8 10,1 12 15 16, 13
73 39 38 39 42 38
2. Sam.
6,6 f. 12
43 43
1. Kön.
1,39 12 16, 16
38 41 41
2. Kön.
9,1-14
41
Nehemia
Ex.
Hi.
52 5, 8-16 29, 12 f. 40, 15 ff. 40,25 41,24 42, 2
73 91 41 173 189. 187, 189
2 2, 7 2,9 18 20 21 23, 1 41, 11 45 45, 7 f. 46 48 58 63,3-6 72 72,4.12 74,13 74,14 76 89 89, 11-15 101 106, 7 H. 110 114,3 132 136 147, 5 f.
47 38 38 76 38 38 38 86 46 38 38 46 46 46 45 38 f. 38 41 173 46 38 f. 73 38 41 38 41 38 41 73
20,22 25, 21 f.
46 75
Ps.
Prov.
281
11,4 13-23 30, 15 44,6 52,7 53,5 56,1 58,2
76 46 44 41 41 48 47 47
Jer.
5,4 8,7 25 29,7 29,11-14
47 47 54 44 44
Ez.
21
54
2,1
46 52
Jes.
Micba Hosea
41
Amos
46
Mt.
5 5,33-37 5,38 f. 5,38-48 5,39
5,40 5,41 5,43 5,44 5,46 f. 5,48 5-7 7,1 7,12 7,29 8,21 f. 9,6 10 10,16 10,34-39 13,49 16,19
282
162 179 53, 61, 71 54,59 68,92, 131, 152, 154, 162, 166 72,92 60 61 60,64,71, 135 64 54 152 90,97 60 94 73 94 74 195 73 74 134
16,24 18, 18 19, 16 H. 19, 17-21 19,21
Mk.
20,25 20,25 f. 20,26-28 21,23 22,21 25,31-46 26,52 26, 52-54 28,18 28, 19
179 114 74 65 135 32,135, 179 142, 143 34 94 166 35 .89, 131 73 69,80,94 179, 198
10,27 10, 29 10,43-45 10,45 12, 13 ff. 12,17 16,16
187 74 34 34 53, 65, 71 46 179
Lk. 1,46-55 2,1 4, 16-32 6,27-36 6,27-38 6,32-35 6, 37 9,51 -19,27 10, 17-20 10, 31 12,5 . 14,25-35 19,27
60 H. 73 86 47 59 f., 64 59 61 90 42 43 195 69 73 42
Job.
8,32 16-20 17,2 18,36
93 166 94 89
Apg.
1,7 2 5,29 8, 18 H.
69 82 10,98 112
Röm.
8,36 f. 16,31-33 19,4f.
179 179 179
1,3 2, 14 f. 6,1-11 7 8,29 9,21 12 12, 1 f. 12,14 12,17 12, 17 ff. 12, 17-21 12,19
13,2 13,4 13,6 f. 13,8 13, 8-10 14,23
43 129 66 243 179 69 162 70 71 97 152 70 118, 131, 135,152, 160, 162, 185 34,45 f., 68,71,86 75 92 22,28, 68 f., 71, 91, 122, 128, 135, 143, 145, 152,154, 165, 166, 198 67,87,94, 96,129, 149,154, 166, 184, 218,226 97 68 H., 71, 86, 125, 154, 188 133,134 46 71 173 70 198
1,26 5
103 74
12, 19 f. 12,20 12,21 13
13,1
13,1-3 13, 1-7
I.Kor.
5,9.11 5,13 6,1 6,1-11 6,4f. 7,20 ff. 7,25-35 9, 14 ff. 9,16 9,19-23 11,19 16,22
75 74 199 72,74 143 103 65 94 180 104 75, 155 75
6,14-7,1 10,8
74 74 69,174
Gal.
5, 16-26
66
Eph.
3 6,5
182 92
Phil.
2,1 H. 3,20
153 179
Kol.
3 3,22 H. 4, 14
182 103 82
1. Tim.
2,4 6,1
124 128
2. Tim.
2,4 4,9 ff.
143 82
2. Kor.
Phlm. 1. Petr.
1. Joh. Jak. Apk.
103 2 2, 13 ff. 2,14 2, 18 ff. 2,19 2,21 3 5,3 5, 1-6 1,5 2,6.15 2,13
165, 166 70,125, 149,166 46 103, 128 131 179 185 49 65
n
112 76
283
11,15 12, 10-12 13 13,10 13, 11 ff.
77 77 75f. 77 76
18, 11 ff. 19,6ff. 19,15 19,19-21 20
76 77 76 77 77
PERSONENREGISTER
Abel, W. 127 Achenwall, J. 220 f., 227 Aegidius Romanus 124, 193 f. Affeldt, W. 68, 91, 125, 128, 148 Agamben, G. 42 Aland, K. 78, 85, 89, 111 ff., 117, 138 Alanus von Lille 135 Albertus Magnus 123 Albrecht, A. 43 Alexander VI. (Papst), 197 Alexander der Große 50 Alt, A. 40 f. Altbaus, P. 156 f., 171 Althusius, J. 204 Altvater, E. 247 Ambrosius von Mailand 86, 90 H., 95 f. Anastasius (Kaiser) 111 Andresen, C. 78 Angermeier, H. 121, 122, 150 Anonymus von Lyon 135 Anselm von Canterbury 117 Antiochus III. (Seleukidenherrscher) 51 Arendt, H. 42, 63 Aristoteles 12, 16, 25, 50, 87, 1I:lO, 103, 123, 128, 130, 134, 140, 141, 153, 230, 238 Arndt, H.-J. 266 Arquilliere, H. X. 96 Aubin, H. 117 Augustin 11, 16, 24, 49 f., 70 ff., 80 f., 90 ff., 93 ff., 96 ff., 106, 112, 130, 131, 132, 152, 193 f., 198,256 Aukrust, T. 49 Bachmann, 1. E. 128, 130, 163, 259 Bacon, Fr. 208 Bader, K. S. 119 Bahro, R. 247 Bainton, R. H. 87 Balibar, E. 248 Balthasar, H. U. v. 136 Bannach, K. 187 Bardenhewer, 0.81 Barion, H. 24, 84, 112, 193 Barth, G. 49, 67 Barth, K. 21, 24 f., 27, 55 f., 58 f., 64, 66,
68, 70 ff., 80, 141, 142, 144, 146, 147, 152, 156, 164, 181, 183, 184 Bartseh, H.-W. 69 Basilius von Caesarea 86, 106 Batscha, Z. 229 Baudis, A. 208 Bauer, W. 67 Baumann, C. 176, 177, 179, 180, 181, 182 Baur, J. 83 Baus, K. 78, 83, 86 Baynes, N. H. 78 Beccaria, L. 233 Beck, H.-G. 83 f., 86, 107 Becker, J. 60 Becker, W. 175 Behen, J. 75 Behler, E. 22 Benedikt Xl. (Papst) 134 Benjamin, W. 99 f., 218 Berber, F. 262 Berding, H. 106 Berger, K. 65 Berges, W. 124 Berggrav, E. 259 Bemer, U. 152 Bernhard von Clairvaux 116, 118 Bernoulli, C. A. 79 Bertholet, A. 69 Bertram, K. F. 222, 259 Bethge, E. 55 Beyer, W. 152 v. Beyme, K. 31,209,260 Beyschlag, K. 22, 49, 67,. 81 f., 89 f., 136 f. Beza, Tb. 97, 203 Biel, G. 132 Bien, G. 103, 105 Bienen, H. 254 Biermann, B. M. 195 Bizer, E. 151 Bleienstein, F. 139 Blickle, P. 169, 170, 172, 175, 176 Bloch, E. 62, 155 Blok, A. 14 Blumenberg, H. 133, 187 ~85
Blumenwitz, D. 262 Bodin, J. 143, 190,200,202,223 Böcher, O. 75 Böckenförde, E.-W. 17,79,188,223 Boehmer, H. 136 Bömer, F. 105 Bolkestein, H. 64, 82 Bonagratia von Bergamo 139 Bondy, F. 171 Bonhoeffer, D. 26, 42, 48 f., 55, 58 f., 64, 66 f., 153 Bonifatius VIII. (Papst) 31,111,125,126, 133,134 Borchardt, K. 127 Bornhäuser, ehr. 181 Bornkamm, G. 49, 58 f., 68 ff., 71, 75 Bornkamm, H. 147, 152, 153, 155, 160, 165, 172, 203 Borowski, L. E. 220 Bosl, K. 101,108,109,112,117,119,121, 122, 127, 137 Bothe, M. 263 Bowyer-Bell, J. 254 Bracton, H. 127 Brady, Th. A. jr. 190 Bräuer, S. 172 Brandenburger, E. 49 Brandon, S. G. F. 53 Braumann, G. 62 Braun, D. 148, 208 Braun, H. 51, 61 Brecht, B. 241 Brecht, M. 172 f., 174 f. Breisach, E. 100, 135 Brenz, J. 166 Brockmeyer, N. 88, 104, 107 f. Brownlie, J. 262 Brunner, O. 18 f., 109 f., 119, 121 f., 163, 170 f. . Brunschvicg, L. 30 Budde, K. 39 Bülck, H. 107 Bultmann, R. 24 f., 56, 59, 61 Burchard, ehr. 67 f. Burckhardt, J. 84 Burg, P. 17,224 f. Burger, Chr. 257 Burmeister, K. H. 169, ~75 Busch, E. 27, 144, 147 Buszello, H. 176
286
Calvert, D. G.A. 57 Calvin, J. 97, 148, 181,203,259 Campenhausen, H. von 57, 69, 86ff., 89 f., 105 Carove 258 Cattepoel, J. 260 Cicero 16, 33, 90 f., 93 Clausert, D. 153 Clemens V. (Papst) 134, 138 Coccejus, J.203 Cohen, H. 252 Cohn, N. 117 Colli, G. 54 Comoth, K. 134 Congar, Y. M.-J. 127 Conrad, H. 120, 123 Conzelmann, H. 42, 55 ff., 62 Cortes, H. 192, 194 Crüsemann, F. 37, 39 f., 47 Dagtoglou, P. 31 Dahrendorf, R. 12 Damasus I. (Papst) 85 Danaeus, L. 204 Dann, O. 260 Dante 134, 139, 260 Dantine, W. 24, 27 Darmstaedter, F. 33 Davis, D. B. 106 Dehn, G. 69 Deku, H. 26,187 Ddbrück, J. 263 Delfos, L. 128 Delling, G. 77 Demke, Chr. 175 Dempf, A. 100 Denck, H. 181 Dennert, J. 200 Denton, F. H. 15 Denzer, H. 200, 202 Deppermann, K. 177, 178, 181 Descartes, R. 209 Deschner, K. 37 D'Hondt, J. 108, 120, 122,230,234 Diem, H. 157 Dietrich, W. 38 f., 4), 45 f. Dihle, A. 60, 75 Dinkler, E. 72 Diokletian 78, 88, 107 Dipper, Chr. 19,109
Doeker, G. 262 Därries, H. 79, 83, 96 ff., 128, 158, 163, 164, 168
Dohna, L. Graf zu 155 Dombois, H. 259 Domitian 76 Duala-M'bedy, M. 191, 193 f. Dubois, P. 134, 138, 139 Duby, G. 108, 110 Duchrow, U. 16,68,70 f., 80, 92 ff., 100, 111, 112, 113, 114, 116, 124, 125, 140, 141, 147, 148, 150, 153, 154, 156, 164 Düring, I. 103, 123 Duns Scotus 187 Duplessis-Mornay, Ph. 203 Dupont, J. 34, 55 Durandus von Osca 135 Durkheim, E. 210 Durnbaugh, D. F. 183 f.
Ebach, J. 36f., 42, 47, 50, 64 Ebbinghaus, J. 202 Ebeling, G. 20 f., 23, 27, 146, 148 f., 165, 180
Eckert, W. P. 197 Ehrhardt, A. A. T. 50, 76, 79 ff., 84 Ehrhardt, H. 137 Eichhorn, P. 7 Eid, V. 50 Eide, A. 263 Eisenbart, C. 121, 190, 217 Eisenstadt, S. M. 267 Eißfeldt, O. 37 EIert, W. 153, 157 Elias, N. 14 Elliger, W. 169 Engelhardt, P. 91, 95 f., 194, 196 Engels, Fr. 212, 241, 248, 250 f., 253, 260, 264
Ennen, E. 212, 122 Enßlin, W. 85 f. Enzensberger, H.M. 194 f. Erasmus, D. 205 Erdmann, C. 117 Ermecke, G. 95 Ernestus, F. 261 Ersch, J. S. 31 ff., 99 Euchner, W. 205, 208 Eusebius von Caesarea 78 f., 84, 88, 106
Fanon, F. 254 Fascher, E. 67 Fast, H. 172, 176, 179, 180, 181 Favier, J. 131 Fearns, J. 135, 193 Feine, H. E. 85 Fendler, M. 104 Fenelon, F. de 124 Ferrero, G. 171 Festinger, L. 45 Fetscher, I. 7 Feuser, W. F. 106 Fichte, J. G. 230 f. Figal, G. 100, 218 Finley, M. I. 104, 106, 107 Fimberg, H. 137 Fischer-Appelt, P. 65 Fitzmyer, J. A. 74 Fleck, D. 264 Fleckenstein, ]: 102, 108, 110 Fleischer, H. 187, 245 Fleischer, U. 127 Flood, D. 136 Foerster, W. 69, 202 f., 210 Folkers, H. 100, 218 Forsthoff, E. 223, 266 Fourier, Ch. 250 Franz von Assisi 67, 136 f. Franz, G. 170 Frend, W. H. C. 83 Freud, S. 30 Freudenberg, G. 216, 241 Freyer, H. 190, 196 Fried, A. H. 260 Friedberg, Ae. 95, 135, 193 Friedrich I. (Barbarossa) 120 f. Friedrich, C. J. 190 Friedrich, J. 69, 154 FriedrichII. (der Große) 124, 185,213 Friedrich Wilhehn III. 212, 257 Friesen, A. 172 Frohnes, H. 196 Fuchs, H. 80 Fuchs, W. P. 150 Fuhrmann, H. 78, 114, 126 Funke, M. 7 Funkenstein, J. 116 Furth, P. 240
287
Gadamer, H.-G. 25 Gagner, St. 115, 126, 162 Galerius (Kaiser) 77, 83 Galtung, J. 14, 175, 244 Gandhi, M. 63, 72 Ganshof, F. L. 110 Ganzer, K. 127 Gauland, A. 171 Gebhardt, B. 117, 138, 150 Gehlen, A. 236 Gelasius I. (Papst) 111 Gendzier, J. L. 254 Gencilis, A. 126 Gentz, Fr. 219 f. Georgi, D. 65 Gerhoch von Reichersberg 118 Gernhuber, J. 119 ff. Gewirth, A. 140, 142 Geyer, H. G. 22 Geyer, K. 49 Giap, N. 264 Gleichmann, P. R. 14 Gneisenau, N. von 212 f. Godelier, M. 248 Goedeking, Fr. 204 Goertz, H.-J. 172, 177, 178 Goethe, J. W. von 30 Goldschmidt, D. 201 Gollwitzer, H. 87, 208 Goodall, N. 8 Goppelt, L. 83 Goudsblom, J. 14 Grabasky, P. N. 15 Grabmann, M. 100, 125 Grässer, E. 34, 55 Graham, H. D. 15 Grane, L. 147 Grasmück, F. L. 83 Gratian (Kaiser) 90, 95 f., 115 Gratian (Magister) 112, 115 f., 129, 131, 193 Graus, F. 109 Graveneck, K. v. 176 Gregor der Große (Papst) 193 Gregor VII. (Papst) 112, 113, 114, 133 Gregor IX. (Papst) 135, 137 f. Gregor von Nazianz 106 Gregor von Rimini· 26 Gregory, A. 28 Greifenstein, H. 37, 50, 63, 99, 161
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Grewe, W. 264 Griewank, K. 17 Grimm, J. u. W. 30 f., 33, 148,206 Grohs, G. 201, 254 Groscurth, R. 74 Grotius, H. 200 Gruber, J. G. 31 H., 99 Grundmann, H. 73, 75, 117, 133, 138 f., 117, 133 f., 138, 139, 156 Grundmann, S. 101, 156 Gülzow, H. 104, 106 Günter, W. 146, ISO, 174 Güttgemanns, E. 94 Guevara, eh. 264 Gunneweg, A. H. J. 37 H., 46 Gurr, T. R. 15, 253 Gurwirsch, A. 229 Haas, M. 178 Habermas, J. 12, 26, 210 f., 214 f., 228, 236 f., 239 f., 242, 246 f., 249 Hackelsperger, M. 116 Hadrian VI. (Papst) 194 Hadrossek,P. 196 f. Hakamies, A. 144 Haller, J. 133 Hammer, K. 258 Harnack, A. 79, 87 H. Hasselmann, N. 147 Hauser, R. 130 Hausmann, P. A. 121 Hayek, F. A. 256 Heckei, J. 101, 151, 157, 158, 163, 167, 168 Heckel, M. 158 Hecquet, M. 261 Heer, Fr. 112 Hegel, G. F. W. 13 f., 18, 103, 184, 189, 198, 206f., 211, 223, 229 ff., 240, 242, 244 f., 249, 254, 258 f., 265 Hehl, E.-D. 118, 131 Heimpel, H. 151 Heinemann, G. 44, 265 Heinrich IV. (frz. König) 204 Heinrich IV. (dt. Kaiser) 113 f., 121 Heinrich v. Segusia 193 Hengel, M. 22, 50 f., 53, 56, 59, 62, 64 f., 73, 75, 94, 106 Henkel, W. 195 Henning, F.-W. 135
Henrich, D. 219 f., 226, 229 Herder, J. G. 178 Hermission, H.-J. 52 Herodes I. 53 Herrmann, W. 65 Hertling, G. v. 100, 124 Herzog, R. 33, 49 Hesiod 34, 63 Hester, W. G. 262 Hieronymus 95 Hintze, O. 110 Hider, A. 128 Hobbes, Th. 12, 32, 173, 189, 202 f., 204 ff., 213 H., 223 f., 227, 231, 237, 245, 256, 266 HöHner, J. 106, 109, 192 H., 212 Hölscher, L. 215 HoHmann, H. 121 HoHmann, M. 177, 181 HoHmann, P. 49 f., 58, 60 H., 63 f. Hofmann, H. H. 202 Hofmann, U. 132 Hohberg, W. H. von 18 Holl, K. (gest. 1926) 145, 151 Holl, K. 261 Hollerbach, A. 120, 190, 262 Hollweg, W. 27 Honecker, M. 27, 146, 156 Hornus, J. M. 87, 89 f. Huber, E. R. 220, 226 Huber, W. 7, 119, 156, 241, 255, 257 f., 260 f. Hubmaier, B. 176, 180 Hufnagel, A. 124 Hufnagel, G. 13 Hugo von St. Viktor 115 Huguccio 118 Hula, R. C. 15 Hunger, H. 86 Hunzinger, C.-H. 75 Huppenbauer, H. W. 74 Hut, H. 177 Jacob, G. 15.6 Jacoby, E. G. 209 Jaeger, W. 63 Jänicke, M. 247 Jahn, Fr. L. 32 Jakob der Däne 196 Jakobs, G. 209
Jakobus, Hl. (Santiago) 192 Janowski, H.-N. 22 Janssen, W. 119,255 H. Jaspert, B. 25 Jenal, G. 121 Jeremias, J. 57, 68 Ilting, K. H. 230 Innozenz III. (Papst) 113, 115 f., 126 Instinsky, H. U. 78 Joachim von Fiore 134 Jodl, Fr. 64 Johann (Kurfürst von Sachsen) 166 Johann (Herzog) 152 Johann, F. 37 Johannes XXII. (Papst) 133, 138 Johannes Chrysostomus 86 f. Johannes von Jandun 139 Johannes von Paris (Johannes Quidort) 31, 139 Johannes Paul 11. (Papst) 194, 197 Johannes von Salesbury 124, 130 Jordan, H. 157 Irenaeus von Lyon 80, 82 Ir!e, M. 44 Jüngel, E. 56, 58, 73 J ulian (Kaiser) 84 Justinian 85, 106, 198 Ivo von Chartres 117 Kaczerowsky, K. 172, 173 Kämpf, H. 119 Käsemann, E. 23, 34, 55, 59, 68, 70, 74, 94 Kaljushnaja, G. P. 263 Kallist (= Calixt 1., Papst) 106 Kant, I. 12, 17, 65, 103, 143, 178, 207, 213 ff., 230 f., 234 f., 237 f., 254 f., 258, 265 f. Kantorowicz, E. H. 113 Kar! V. (Kaiser) 123, 194 f. Karsten, A. 13 Kaser, M. 88 Kaufmann, A. 128, 130, 163, 259 Keck, L. E. 64 Keckermann, B. 204 Kegler, J. 38, 44 Kellenbenz, H. 127 Keller, P. 108 Kelsen, H. 252 Kelsos, 80 f., 88, 92
289
Kempf, Fr. 111, 116, 119 Kern, F. 101, 126, 128, 167 Kielinansegg, P. Graf 31, 101, 126, 204 Kierkegaard, S. 80 Kim, }.-O. 15 Kimmerle, H. 26 KiDlOllIüch, O. 264 King, M. L. 8, 64 Kippenberg, H.G. 52 Klein, }. 129 Klein, R. 87 Klemm, H .. G. 73 K.lingelhöfer, H. 191 Kluge, F. 193 Kluxen, VV. 129, 190 Kobler, F. 260 f. Koch, G. 137 Koch, T. 234 Kodalle, K. M. 209 f. Köhler, W. 151 Kölmel, W. 112 ff., 125, 133, 139, 141 Kohlenberger, H. 124 Kolakowski, L.35 f., 176 Kolumbus, Chr. 191 Konstantin der Große (Kaiser) 78 f., 83 f., 89, 97 f., 168 Konstantius (Kaiser) 84, 89 Korte, H.14· Koselleck, R. 12·; 17 H., 20, 24, 30, 58, 74, 93, 202, 204, 206, 208, 210, 212 f., 257 Kosta, }. 242 Krahl, H.-}. 245 Krahn, C. 181 Kramer, D. 249 f. Kramer, F. 39 Kratzer, H. 203 f. Kraus, H.-]. 43 l{rause, H. 115, 121 Kremp, W. 63 . Kretschmar, G. 81 f., 83, 89, 112 Kristeller, P. O. 190 Krockow, Chr. Graf v. 7, 99, 213 Kröger, K. 259 Krueger, P. 84 f. Küng, H. 127 Künneth, W. 157 Kuhn, H. W. 53, 64 Kunst, H. 157, 159 f. Kunz, }. L. 262
290
Kusch, H. 140 f. Kuttner, St. 118 Ladriere, }. 187 Lafargue, P. 248 Lagarde, G. de 125, 134, 139 f. Laktanz 96 Lambert, M. D. 137 Lamparter, L. 157 f. Lampe, P. 51, 76f. Langholm, S. 119 Langlois, Ch.-V. 139 Laqueur, VV. 7,254 Las Casas, B. de 194 H. Lasserre, }. 87 Lau, F. 146 Laube, A. 172 f. Lecler, J. 203 van der Leeuw, G. 42 Le Goff, }. 121 Leibniz, G. VV., 190 Lenin, W. 1., 241 Leo X. (Papst) 194 Leser, N. 252 Lewin, D. B. 263 Libanius 89 Licinius 168 Lieber, H.-}. 240 Liedke, G. 29, 38, 43 f., 47, 49 H., 72, 103 Linares, F. 229 Lindemann, A. 56 Lindemann, B. 263 Lindgren, K. 137 Link, Chr. 26 Little, L. K. 136 Locke, }. 202, 213 Lohse, B. 147 Lohse, E. 58, 75 Lombardi, A. V. 264 Loos, F. 13 . Lotzer, S. 172 Lucke, P. 172 H. Ludwig XVI. (frz. König) 224 f., 231-. Ludwig der Bayer (dt. Kaiser) 138 Ludwig v. Orleans 131 Ludz, P. Chr. 24 Lübbe, H. 258, 260, 266 Lührmann, D. 34, 55, 57 H., 60 H., 65, 104 f.
Lüthi, K. 24, 27 Luhmann, N. 12 f., 24, 188, 210, 236 f., 239,266 Luria, S. 34 Luther, M. 14, 16, 20, 68, 92, 98 f., 101, 119, 128, 143 ff., 171 H., 178 f., 180, 182, 196 f., 199, 227, 233, 243, 254, 257,265 Lutz, H.149 Luz, U. 50, 65, 71, 103 f. Machiavelli, N. 190, 194, 196,203 Macpherson, C. B. 207 Maier, H. 120, 190,262 Maier, J. 137 Mandt, H. 128, 259 Manegold von Lautenbach 114 f. Mannhardt, W. 185 Mantz, F. 176 Mao Tse-tung 241, 264 Markus, R. A. 98 Maron, G. 160 Marquard, O. 235 Marquardt, F. W. 24 Marsch, W.-D. 27 Marsilius von Padua 31, 101, 126, 133, 136, 139 ff., 153 Martyr von Anghiera, Peter 191, 194 Marx, K. 18, 178, 189, 238 ff., 254, 259, 264 H. Maurer, R. 63, 105 Maurer, W. 156, 159, 161 f., 164, 171, 180 Mausbach, J. 95 Maximilian I. (Kaiser) 149 May, G. 86 Mayer, Th. 109 Mayer-Tasch, P. 207 ff., 264 Meier, Chr. 63 . Melanchthon, Ph. 101, 152, 159, 161 f., 179,203 . Mendelssohn, M. 178 Menzel, E. 263 Merten, D. 200 Merzbacher, Fr. 115 Messelken, K. 12 Metz, J. B. 23 Meurer, S. 72 Meyer, J. 242 Meyer, Th. 7,249
Michael von Cesena 139 Michel, D. 64 Miethke, J. 113, 133, 137 f. Mirbt, C. 78, 85, 89, 111 H., 115H., 138 Mitteis, H. 110, 119, 126 Moeller, B. 134, 138, 150 f., 169 Möller, J. 124 Mörsdorf, K. 43 Mohr, W.124 Mokrosch, R. 111, 113, 117 f., 143 Molnar, A. 135 Moltmann, J. 156 Momigliano, A. 84 Montesinos, A. de 194 MontesquieiI, Ch. de 257 Montinari, M. 54 Morf, O. 245 Morus, Th. 194 Motteck, H. 135 Mühlmann, S. 151 Müller, K. 163 Müller-Römheld, W. 8 Müntzer, Th. 155, 170, 172, 174 f., 177 f., 180 Napoleon 212 Narr, W.-D. '247 Negt, O. 235 Nehlsen, N. 107 f. Neuß, E. 157 Nie, N.H.15 Niedhardt, G. 261 Niesel, W. 181 Nietzsche, F. 19, 54 Nikolaus III. (Papst) 137 Nikolaus von Oresme 123 Nilsson, K. 0.164 Nipperdey, Th. 169 Nissen, A. 61 Nitschke, A. 113 Nozick, R. 256 Nuttall, G. 181 Oberman, H. A. 100, 169, 171 f., 190, 267 Ockham, W. v. 126, 139, 141, 143, 171, 187 Oehler, K. 127, 243 Oestreich, G. 203 Oetinger, F. Chr. 82
291
Oexle, G. 139 Offe, C. 247 Ohlig, R. 156 f. Origenes 25, 80 f., 88 Osiander, A. 151 Osten-Sacken, P. von der 51 Otto IIr. (Kaiser) 11 0 Otto, E. 26 Overbeck, F. 24, 79 f., 84, 105 f. Ozment, St. 100 Packull, W. 177 Paepcke, F. 32 Pannenberg, W. 187 Papcke, S. 7, 15 Parsons, T. 210 Pascal, B. 30, 32 f., 206 Paul III. (Papst) 195 Penzler, Johs. 37 Perl, C. J. 93 Perlitt, L. 43 f. Perrin, N. 34, 55 Pesch, O. H. 147 Peters, E. 136 Peterson, E. 76, 79 f., 84 Petit, Jean 131 Petrus von Alexandrien (Bischof) 85 Petrus Damiani 112 Petrus Olivi 127 Petzke, G. 65 Philipp der Schöne 31, 125, 134 Philips, W. 15 Picht, G. 44, 121, 190, 216 ff:; 228, 244, 266 f. Pilatus 142 Platon 39, 50, 63, 128 Plöger, O. 51 Plotzek, J. M. 76 Podlech, A. 139, 188 Pöhlmann, H. G. 161 Pöhlmann, W. 69, 154 Pogson-Stnith, W. G. 205 Polag, A. 60 Popitz, H. 40 Prauss, G. 12 Preiser, W. 196, 199 Preuß, H. D. 37, 48 Prien, H.-J. 192 ff. Prinz, F. 31, 119, 140, 142 Przybylski, B. 197
292
Quaritsch, H. 31,200 Quillet, J. 141 Rabelais, F. 194 v. Rad, G. 38, 43 ff., 46 f., 52 Rammstedt, O. 7, 12, 33, 99, 171, 200, 205,231,260 Randelzhofer, A. 261 f. Rasmussen, J. N. 196 Ratzinger, J. 93 Rawls, J. 256 Rees, D. 262 Rehberg, A. W. 219 Reibstein, E. 196 f. . Reith, L. 156 Rendtorff, T. 7, 23 Reuter, H.-R. 67 Ricardo, D. 248 Richler, J. 157 f. Rieoeur, P. 35, 71 Riecken, H. W. 45 Riedel, M. 12, 100, 208, 211, 219, 231,
D4f.
~
Riedlinger, H. 76 Ritter, A. M. 78, 83 ff., 87 ff., 92, 97 Ritter, Chr. 222 Ritter, G. 196 Ritter, J. 230, 238, 240, 260 Rodinson, M. 267 Roellenbleck, G. 202 Röttgers, K. 33, 99, 200, 205, 207, 231 Rolshausen, C. 247 Romano, R. 192 Rommen, H. 131 Rousseau, J.-J. 31, 143, 214 f., 224, 235, 241 Rublack, H.-ehr. 150 Rudolf von Schwaben 112 Ruhbach, G. 83 ff., 86,98 Rumpf, H. 189 RusselI, F. H. 16, 87, 90, 93, 9S f., 117, 131 Ruttenberg, C. 15 Sahaglin, B. de 194, 196 Sandkühler, H.-J. 252 Saner, H. 216 Sartre, J.-P. 254 Sattler, M. 176, 179 f. Sauer, H. 76
Seebaß, G. 150 f. Segall, H. 101, 140 f. Seiffert, H. W. 172 f. Selge, K.-V. 74, 135 f. Seneca, L. Ae. 105 Senghaas, D. 244 Sepulveda, J. G. de 195 Siemers, H. 49 Siep, L. 206 Siger v. Brabant 139 Sigrist, Chr. 39 f. Simmel, G. 210 Simons, Menno 181 Skupin, H. K. 261 Slenczka, R. 34 Smend, R. 24, 86 Smirin, M. M. 170, 172 SnelI, B. 127 Soder, J. 196 Soggin, J. A. 38 Sokrates 63 Solon 50, 63, 70 Sophokles 16 Southern, R. W. 109 Spaemann, H. 43 Spaemann, R. 219, 226, 228 f. Specht, R. 131 Spinoza, B. 256 Spörl, J. 128, 130 Sprandel, R. 169, 171 Suarez, Fr. 131,212 Suerbaum, W. 126 Suttner, B. vori 260 f. Sutz, E. 55 Schachter, St. 45 Schadewaldt, W. 63 Schäfer, C. 41 Schätzel, W. 106, 196,200 Schappeler, Chr. 172 Scharffenorth, G. 7, 17, 103, 122, 148, 154, 162, 188, 190, 200 Scharnhorst, G. J. D. 212 Scharpf, F. W. 250 Schaumann, W. 262 Scheible, H. 119, 166,168 Schelsky, H. 236 Scheuner, U. 262 f., 265 SchickeI, J. 212, 257 Schiller, Fr. 187, 190, 214 f., 238, 258
Schilling, O. 93, 128 Schindler, A. 79 Schlageter, J. 137 Schlaich, K. 202 Schlatter, A. 24 Schleiermacher, F. D.E. 190,257 Schlichting, W. 21, 147 Schlier, H. 69 Schlink, E. 161, 163 Schlochauer, H.-J. 107, 196, 261 ff. Schlosser, H. 1.15 Schluchter, W. 40 Schmale, F.-J. 112 Schmid, C. 134, 139 Schmid, H. H. 44 Schmidt, A. 22, 244 f. Schmidt, G. 258 Schmithals, W. 37, 39, 46 Schmitt, C. 24, 47, 79, 84, 120, 189, 193f., 197 ff., 202, 209, 211 ff., 223, 241 Schmugge, L. 139 Schneider, R. 195 Schnippenkoetter, S. 262 Schnur, R. 12, 202, 208, 223 Schönbach, P. 44 f. Schoenberger, C. G. 164 Scholz, F. 266 Scholz, R. 125, 133 f., 138 ff., 142 f. Schottroff, L. 59, 62 ff. Schrage, W. 49, 68 f., 75 f. Schramm, P. E. 113 Schrenk, G. 203 Schröder, D. 263 Schütz, L. 124 Schultheiß, W. 151 Schulz, S. 57, 104 Schwabe, K. 258 Schwarzenberg, J. Frhr. von 153 Schwerdtfeger, J. 119,201,241,255,257, 260 f. . Staats, R. 57 Stahl, F. J. 188 Stallberg, F. W. 13 Stayer, J. M. 177, 179 Steck, K. G. 157 Steck, o. H. 44, 47 Steenberghen, F. v. 123, 134 Steiger, R. 132
293
Steiner, J. 202 Steinitz, M. 261 Steinweg, R. 91, 194 Stempel, W.-D. 58 Sternberger, D. 42, 63, 125 Stickler,.A. M. 129 Stoebe, H. J. 45 Strauß, ]. 99, 179 Strecker, G. 17, 55 H., 59, 65 Strobel, A. 50, 63, 68 f. Strohm, Th. 102, 120, 156, 201 Strupp, H.-K. 107, 196,261 H. Struve, T. 100, 123 f., 139, 140, 142 Stünner, M. 258 Stütder, J.A. 128 Stuhlmacher, P. 23 H., 26, 54, 56, 58, 69, 71,154 Tellenbach, G. 111, 114 Tenenti, A. 192 Tertullian 24, 80 f., 88, 96 Theißen, G. 22, 59, 62, 65, 74, 103 Theodosius I. (der Große) 79, 84 H., 89, 97 Theunissen, M. 235 H., 249 Thielicke, H. 95 Thomas von Aquin 95, 109, 123 If, 137, 139, 142, 145, 197 f., 207, 254, 256, 258,265 Thomasius, Chr. 200 Thraede, K. 103 Thurneysen, E. 66 Thyen, H. 56 ff., 59, 72 Tierney, B. 113, 116, 127 Timm,H. 216, 229 Tischleder, P. 125 f., 129 H. Tödt, H. E. 29, 34, 41, 44, 59, 147, 156, 190, 196 f., 200, 216 Tödt, I. 42 Tönnies, F. 202, 209 Töpfer, B. 120 Tolomeus von Lucca 124 Tolstoi, L. 72 Tourn, G. 136 Trillhaas, W. 161 Trocme, A. 40, 47, 53 Troeltsch, E. 24, 28, 64, 82, 103 H., 126, 135, 144, 176, 180 Trommsdorf, G. 15 Trüdinger, K. 151
294
Trummer, P. 45, 50 Turgot, A. R. J. 213
Uhlhom, G. 82 Ullmann, W. 78, 94 f., 113, 115 f., 133, 175 Urban 11. (Papst) 117
Varro 91 Vega, R. de la 252 Veijola, A. 39 Verba, S. 15 Verbruggen, J. F. 119 Vincentius (Bischof) 97 Vischer, L. 72 Vitoria, Fr. de 106, 196 !f., 203 VittinghoH, F. 107 Vogt, J. 104 Volk, E. 178 Wagner, W. 247 Waldes, P. 74, 135 Walker, R. 68 Walter, E. V. 14, 254 Walther, H. G. 139 Walther, W. 157 Walz, H. 111, 113, 117 f., 143 Wasmuth, E. 30, 32 Weber, M. 13,33, 39 f., 81 f., 110, 121 f., 135, 170, 200 f. Weber, S. 242 Wehler, H.-U. 169, 171 Weinacht, P.-L. 126 Weinrich, H. 13 Weinrich, L. 110 Weischedel, W. 207, 215 Weiß, U. 206 von Weizsäcker, E. 57 Wellhausen, J. 39 Wendland, H.-D. 106 Wengler, W. 262 Werbeck, W. 132 Westermann, C. 44 Westermann, W. L. 104 Wieacker, F. 79 f., 122 Wiegand, W. 115 Wilberforce, W. 106 Wilckens, U. 68 Wildt, A. 235, 238 Wilhelm 11. (Kaiser) 36 f.
Wilhelm v. Bayern (Herzog) 176 Wilhe!m von Moerbeke 123 WilheIm von Nogaret 134 Wilkens, E. 259 Wilks, M. 113 Willon, B. 209, 237 Willoweit, D. 138 Wincke!mann, J. 13,201 Winckler, L. 257 f. Winkler, H. A. 264 Wirth, G. 137 Wißmann, H. 194, 196 Wittmann, M. 124 Wlodkowic, P. 197 Wlosok, A. 80 Wölfe!, D. 164 Wohlfeil, R. 169 f. Wolf,E. 130, 156,259,265 Wolgast, E. 14, 17, 115, 146, 150, 152, 155 H., 163 f., 166 H., 233 Wollschäger,H.37
Wolter, H. 135 Wolzendorff, K. 203, 258 WoodruH, A. M. 50 Wrege, H.-Th. 60, 62 Wünsch, G. 152 Würtenberger, Th. 171 Xenophon 123 Yegerlehner, D. A. 47 Yoder, J. H. 53, 72, 181, 183 f. Zeeden, E. W. 151 Zilleßen, H. 265 Zimmermann, A. 123, 126 Zimmermann, H. 101, 111, 134 Zimmermann, W. 169 Zirkel, A. 112 Zorn, W. 117, 127 Zwingli, U. 97, 178