Meilensteine der Nationalokonomie
Meilensteine der Nationalokonomie F. A. Hayek (Hrsg.) • Beitrage zur Geldtheorie XV...
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Meilensteine der Nationalokonomie
Meilensteine der Nationalokonomie F. A. Hayek (Hrsg.) • Beitrage zur Geldtheorie XVI, 511 Seiten. 2007 (Reprint von 1933). ISBN 978-3-540-72211-3 F. Machlup • Fuhrer durch die Krisenpolitik XX, 232 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72261-8 0. Morgenstern • Die Grenzen der Wirtschaftspolitik XII, 136 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72117-8 E. Salin • Geschichte der Volkswirtschaftslehre XII, 106 Seiten. 2007 (Reprint von 1929). ISBN 978-3-540-72259-5 G. Schmolders • Finanzpolitik XVI, 520 Seiten. 2007 (Reprint von 1970). ISBN 978-3-540-72213-7 W. Sombart • Die Ordnung des Wirtschaftslebens XII, 65 Seiten. 2007 (Reprint von 1927). ISBN 978-3-540-72253-3 F W. Taylor, A. Wallichs • Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstatten X, 158 Seiten. 2007 (Reprint von 1919). ISBN 978-3-540-72147-5
Edgar Salin
Geschichte der Volkswirtschaftslehre Reprint der 2., neu gestalteten Auflage Berlin, 1929
Sprin ger
Urspriinglich erschienen als Band XXXIV in der Reihe: Enzyklopadie derRechts- und Staatswissenschaft
ISBN 978-3-540-72259-5 Springer Berlin Heidelberg New York
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Gedruckt auf saurefreiem Papier
E N Z Y K L O P A D I E DER RECHTS- UND STAATSWISSENSCHAFT HEEAUSGEGEBEN VON
E. KOHLRAUSCU
• W. K A S K E L t • A. S P I E T H O F F
A B T E I L U N G STAATSWIS SEN" SCHAFT HEEAUSGEGEBEN VON
»R. ARTHUR SPIETHOFF PEOFESSOE AN D E R U N I V E E S I T i T BONN
XXXIV GESCHICHTE DER VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE VON
DK. E D G A R S A L I N PROFESSOR AN DER D N I V E R S I T l T BASEL
ZWEITE NEUGESTALTETE AUFLAGE
V E R L A G VON J U L I U S S P R I N G E R • B E R L I N 1929
GESCHICHTE DER VOLKSWIETSCHAFTSLEHEE
VON
DR. EDGAR SALIN PROFESSOR AN DBK UNIVERSITAT BASEL
ZWEITE NEUGESTALTETE AUFLAGE
VERLAG VON J U L I U S S P R I N G E R • B E R L I N 1929
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER CBERSETZUKG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN.
Vorwort. Die ,,Geschichte der Volkswirtschaftslehre", deren erste Auflage ausgangs des Jahres 1923 herauskam, ersoheint nunmehr in jener Gestalt, die ihrem Stoff und ihrem Sinn entspricht. DaB diese Neugestaltung nicht eine neue Anschauung, sondern nur eine neue Formung des ehedem mehr als bekannt vorausgesetzten denn in Wort und Bild vermittelten Stoffes bringt, bedarf kaum besonderer Betonung und Begriindung. Manches MiBverstandnis, das der fruheren, durch auBere Griinde raumlich beschrankten Fassung widerfuhr, mag hierdurch ausgeschlossen sein. Soweit aber der Kampf nicht dem Inhalt der Schrift, sondern der Haltung des Verfassers gait, vertrauen wir, daB unter der Jugend das neuerwachte Wissen um den erzieherischen Sinn aller bleibenden Geschichtschreibung den Wahn getilgt hat: eine ,,wertfreie" Standpunktlosigkeit allein sei wissenschaftlich, und ein vorsiehtiges Herumgehen um jedes Urteil nach dem beriihmten Muster von ,,Einerseits" und „Andererseits" sei nicht nur der zulassige, ja der einzige Weg gerechter Wurdigung, sondern auch das beste Mittel zur Aufhellung der echten Grofie von Menschen und Werken der Vergangenhcit. DaB die geschichtliche Forschung unvoreingenommen und voraussetzungslos an den Stoff herantreten muB, daB aber die geschichtliche Darstellung des leidenschaftlichen Herzens und der formkraftigen Hand nicht entraten kann — des zum Zeichen sei diese zweite Auflage der Erinnerung an zwei grofie deutsche Gelehrte gewidmet, denen Kampf ein Element des gesamten Daseins und des wissenschaftlichen Lebens gewesen ist: ALFEED V. DOMASZEWSKI
(1856—1927) Erforscher von Religion und Heerwesen des alten Rom GBOKG V. BELOW
(1858—1927) Erforscher von Stadt und Staat des deutschen Mittelalters
Inhaltsverzeichnis. Seite
Vorgeschichte I. Athen II. Rom III. Das katholische Europa (Mittelalter) Geschichte I. Die merkantilistische Okonomik: politische Wissenschaft II. Physiokraten und Klassiker: systematisohe Wissenschaft III. Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft a) Der Sozialismus b) Der Historismus Nachfahren und Yorlauler Schrifttum Namenverzeichnis
1 12 15
27 37 62 63 76 94 103 104
Vorgeschichte. I. Athen. Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft ist eine Ersoheinung, die ausschieBlich der europaisch-amerikanischen Modernc angehort. Ihre Geschichte beginnt mit dem Erwaohen des individualistischen Geistes, mit der Entstehung nationaler Territorien und Reiche und mit dem Sieg des rationalen Kapitalismus iiber das traditionale Wirtschaftshandeln des Mittelalters. Ihre geistige und politische Bedeutung wird enden an dem Tag, da diese sehon ermattenden Kriifte den Kampf aufgeben gegeniiber neu-aufkommenden oder alt-erstarkenden Bindungcn religiosuniversaler Herkunft. Bei solch bewuBtem Ernstnehmen des geschichtlichen Inhalts des Begriffes Volkswirtschaftslehre, bei seiner Deckung mit ihrer Erscheinungsform in den letzten vier Jahrhunderten, ist es notwcndig, alio friiherenWirtsohaftsbetrachtungen als Vorgeschichte aufzufassen. Jedoch ist zu betonen, daB sie zwar Vorformen der Volkswirtschaftslehre sind, daB sie aber in einer Geschichte der allgemeinen Wirtschaftslehre vollen Anspruch auf gleichartigo und gleichwcrtige, wenn nicht gar hoherwertige Berucksichtigung geltend machen miifiten. Denn nur modcrner Fortschrittswahn konnte glauben, die Erkenntnisse heutigor Wissenschaft seien dem antiken wie dem mittelalterlichen Menschen unerreichbar geblieben, und in der kapitalistischen Wirtsohaft und Wirtschaftslehre offenbare sich der allgemcine Eortschritt der Jahrhunderte und die besondere Uberlegenheit der Gegenwart. Was sich tatsachlich vollzogen hat, ist — abgesehen von der Veranderung der Wirtschaftsformen und der hierduroh bedingten Veranderung des Lehrinhalts — ein Wandcl in der Einstellung dos Menschen zur Wirtsohaft und zur Wissenschaft. Alios antike Leben und also auoh die griechisch-romische Wirtsohaft ist in der Polis gebunden, empfangt von ihr sein Gesetz und zielt auf die Erhohung ihres Daseins ab; alles christliche Leben und also auch die christliche Wirtsohaft ist Vorbereitung und Dienst am Reiche Gottes, besitzt in der Sittenlehro dos Testamentes und der Vater seine Ordnung und erhalt Sinn und Ziel nur durch die Einf iigung in den iiberwolbenden Dom von Religion und Kirohe; das moderne Leben und also die moderne Wirtsohaft tritt mit dem Anspruch eigenen, natiirliohen Gesetzcs und eigenen, individuellen Wertcs auf, gibt jedem Sonderwesen das Reoht bcsonderer Entwioklung und sieht in dor rationalen Verstandlichkeit und ZweckmaBigkeit den hoohsten, oft den einzigen MaBstab menschlicher Ordnung. Dementsprechend ist die Wirtschaftslehre der Antike wie des Mittelalters nach Herkunft und Ziel meta-okonomisch, sie bedeutet und bezweokt Einordnung der Wirtsohaft in das hohere Gesamt dort des politisohen, hier des religiosen Lebens, dort der vollkommenen Form des Diesseits, hier der richtenden Macht des Jenseits . . . Nur die moderne Wirtschaftslehre ist Lehre von der autonomen, der selbstandigen Wirtsohaft, nur sie ist daher Wissenschaft modernen Sinnes, voraussetzungslose, das heiBt: staatlich und religios nicht gebundene Wissenschaft. Hatte das Wort ,,politisch" nicht liingst seine allgemeine, mit dem PolisUrsprung nicht mehr verbundene Bedeutung, so ware „politische Wirtschaftslehre" der geeignete Begriff, um die antike Form von der religiosen oder ethischen WirtSalin, Volkswirtschaftslehre. 2. Aufl.
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Vorgeschichte.
schaftslehre des Mittelalters mid der a u t o n o m e n Wirtschaftswissenschaft der Moderne zu t r e n n e n . Angesichts des hier auf die D a u e r unausbleiblichen MiBverstandnisses m a g m a n es vorziehen, von „philosophischer Wirtschaftslehre" zu sprechen; doch ist dies n u r so lange unbedenklich, als bewuBt bleibt, daB diese Wirtschaftslehre der Philosophen zwar meta-okonomisch, doeh nicht meta-physisch ist, u n d daB sie n i c h t e t w a einen Teil einer Fachphilosophie bildet, s o n d e r n ein Gebiet jener Polis-Lehre darstellt, deren berufene K i i n d e r die eehten Philosophen, die w a h r h a f t Weisen bis hin zu Aristoteles gewesen sind. E s ist ein Zeichen beginnender Auflosung der Polis als verpflichtender Lebenseinheit, w e n n auch n u r diese Meta-Okonomik sich als notwendig erweist. H O M E R u n d H E S I O D , selbst SOLON u n d die Vorsokratik spiegeln in Vers u n d S p r u c h die W i r t schaft ihrer Zeit, dieMiihen u n d die E r f o l g e d e s L a n d b a u s , d a s W i r k e n u n d die Leistungen des H a n d w e r k s , die Gefahren v o n Schiffahrt u n d H a n d e l w i d e r ; doch n u r selten u n d v o n F e m e klingt selbst in wirren L a u f t e n der G e d a n k e a n , daB in der Wirtschaft K r a f t e beschlossen liegen, die der g e b a n d i g t e n Gemessonhcit u n d der strengen F o r m hellenischen Lebens gefahrlich werden k o n n e n . E i n s a m s t e h t SOLONS Spruch, daB ,,koine Grenze d e s R e i e h t u m s sichtbar den Menschen g e s e t z t " ist, a m Beginn des zauberhaften Aufschwungs der a t h e n i s c h e n M a c h t — seinem J n h a l t n a e h ein Beweis, daB sich m i t der A u s d e h n u n g des H a n d e l s d e m Einsichtigen sogleich die Gefahr der Chrematistik, des Gelderworbs m i t seinem D r a n g n a c h immer m e h r Geld zeigt — in seiner Vereinzelung jedoch ein deutliches Zeichen, daB A t h e n noch lange die K r a f t besitzt, der Gefahr zu begegnen. Selbst als A R I S T O TELES, in dessen W e r k u n s der Spruch b e w a h r t ist, in der Zeit des N i e d e r g a n g s d e r Polis die SoLONischen W o r t e wiedor anfiihrt, k a n n or es noch t u n , u m sie zu bcfehden u n d u m m i t N a c h d r u c k zu erkliiren, daB w a h r e r R e i c h t u m sein MaB bes i t z t ; d e n n w a h r e r R e i c h t u m b e s t e h t n i c h t in Geldvermogen, sondern in den fur Haus und Staat benotigten Geraten. W i e das einige Grieehenland den Sieg erringt iiber die U b e r m a c h t des persischen GroBkonigs, jedoch im Bruderzwist v o n S p a r t a u n d A t h e n Glanz u n d R t i h m d e r adligen Zeit zu Grabe getragen wird, so b e w a h r t auch die innere O r d n u n g der Polis ihre v e r b i n d e n d e geistige K r a f t n u r so lange, als die verschiedenen G r u p p e n der Burger, u n b e k i i m m e r t u m sozialen R a n g , u m wirtschaftliches Vermogcn u n d u m P a r t e i s t e l h m g des Einzelnen, bereit sind, in der S t u n d e der Gefahr einig zu ihrer H e i m a t - P o l i s zu stchen. D e r a r t h a b e n K I M O N u n d seine F r e u n d e noch das perikleische A t h e n beschutzt u n d g e r e t t e t ; doch in den W i r r e n , die auf den Tod des P E R I K L E S folgten, t r a t der Biirgersinn zuriick h i n t e r d e m Parteisiim, war der a t t i s c h e D e m o k r a t d e m V e r t r e t e r der a t t i s c h e n Aristokratie n i c h t m i n d e r F e i n d als d e m S p a r t a n e r , s t a n d der a t t i s c h e A r m c n i c h t m i n d e r gehassig gegen den heimischen Reiohen als gegen den Gegner vor d e n Toren, v e r s a n k der Glaube a n die Polis u n d ihre G o t t e r vor d e m Zweifel an U r s p r u n g u n d R e c h t der b e s t e h e n d e n u n d aller Ordnung. I n diesem K a m p f gegen den N o m o s , gegen B r a u c h und Gesetz, s a m m e l t e n sich die Gegner u m jene Macht, d e r e n Verkiindung noch oftmals in der Geschichte das Zeichen z u m Aufstand gegen die G o t t e r , gegen S t a a t , R e c h t , E i g e n t u m geben sollte, um. die Macht der (pvatg, der N a t u r . Bei der E n t g o t t e r u n g , der E n t z a u b e rvmg des N o m o s , die n u n a n h e b t , ist sic es, die v o m S t a r k e n zur Verfechtung seines Sonderanspruchs angerufen wird wie v o m Schwachen, v o m Dichter der Spatzeit wie v o m Sophisten d e r F r i i h e ; wer i m m e r m e i n t e , daB er zu kurz g e k o m m e n sei bei der Verteilung der politischen R e c h t e oder der irdischen Giiter, findet in ihr die K r a f t , u m d e m N o m o s die Gefolgschaft zu verweigern u n d die alten Ehrbegriffe aufzulosen. Macht ist R e c h t , dies erklaren j e t z t die A t h e n e r des T h u k y d i d e s den Meliern als ,,naturgeborene N o t w e n d i g k e i t " (V 105) u n d meinen d a m i t nicht m e h r jene gottliche Macht des N o m o s , v o n der einst P i n d a r sang, sondern ihre sehr
Athen.
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menschliche, sehr vergangliche Flottenvormacht. „Die Gesetze sind eine Schopfung der schwachen Menschen und der Masse" — dieseMeinung gibt Mr KALLIKLBS die Grundlage, dem Gesetzesrecht als dem Reeht der Masse das Naturrecht als das Reeht des Starken entgegenzustellen (Gorgias 483Bff.). Ein Mensch halt es dann am niitzliclisten und besten mit der Gerechtigkeit, verkundet ANTIPHON, ,,wenn er vor Zeugen die Nomoi, die Staatsgesetze, hoch halt, allein aber und ohne Zeugen die der Natur"; denn ,,die Gesetze des Staates beruhen auf Willkiir, die der Natur auf Notwendigkeit", ,,die des Staates sind gemacht" (wortlich: durch Ubereinkunft zustandegekommen), „nieht gewaohsen, die der Natur gewaehsen, nieht gemacht". Nur dann ermiBt man ganz die gewaltige Wirkung, die vom Auftreten des SOKBATBS ausgeht, nur dann erfafit man das PLATONische Werk in der Notwendigkeit seiner strengen Form und harten Zucht, wenn man dieses Zeithintergrunds sophistischer Auflosung eingedenk bleibt. DaB er das hohe Reeht staatlieher Vatersatzung verfocht gegen den willkurlichen MachtmiBbrauch von hemmungslosen Eigenbrotlern und gegen den verderblichen Einflufi staatzersetzender Gedanken, daB er nieht neue Gotter lehrte, sondern in gottloser Zeit das Bild der alten Gotter mit neuem Sinn und Leben fiillte — dies allein macht SOKEATBS zum Feind, zum Opfer und zum Uberwinder ichsiichtiger Oligarohen und habsiichtiger Massen, und gleiches Wissen, gleicher Glauben und gleiche Gegnerschaft macht auch des groBen, gestaltungsmachtigen Jungers Werk, macht PLATOMS Politeia zu Ausdruck und Gehiiuse zugleieh uralten Brauchs und neugesetzten Reehtes, zu Bild und Bibel zugleieh des neuen und des ewigen Staates. Angesichts dieser Tatsachen fruchtet es wenig, die Frage aufzuwerfen, ob nieht vom Boden des antiken Naturrechts aus aueh eine autonome Wirtsehaftslehre moglich gewesen ware. Wer die Starke der antiken Gesinnung selbst bei staatleugnenden Sophisten und Kynikern erkennt, wird unter Griechen sogar die blofie Moglichkeit verneinen. Doch jedenfalls ist und bleibt einzig wichtig der unmiBverstandliche Sachverhalt, daB eben nur die politisch-philosophischc Wirtsehaftslehre tatsachlich zur Ausbildung gelangte — sofern man iiberhaupt den Niederschlag der PLATONischen Wirtschaftsauffassung im zweiten Buch der Politeia und ausfiihrlicher in der Spatschrift, den Nomoi, als Wirtsehaftslehre kennzeiohnen will, obwohl ihr Sinn nieht Wirtsehafts-, sondern Staats- und Menschenlehre ist. Dieser Unterschied von antiker und moderner Auffassung wird besonders deutlich in der verschiedenen Behandlung der Arbeitsteilung. Dieser Vorgang, dessen Erkenntnis zwei Jahrtausende spater dazu diente, die tlberlegenheit der kapitalistischen iiber die handwerkliche Arbeitsweise aufzuzeigen, wird in der Moderno im wesentlichen auf seine technische Bedeutung hin betrachtet — sowohl die Arbeitszerlegung SMiTHens wie die Arbeitsvereinigxmg, die FEIEDEICH LIST hinzufiigt, meint einen mechanisohen Vorgang innerhalb des Arbeitsprozesses und wertet ihn vor allem unter dem Gesiehtspunkt der hierdurch ermogliehten Steigerung der Warenmenge. Demgegeniiber erkliirt selbst XBNOPHON, bei dem gewiB niemand ein Vorwiegen metaphysischer oder auoh nur philosophisoher Absichten argwohnen wird, (in der Kyropaidie) es nur darum fur vorteilhaft, wenn nieht jeder alles, sondern der Einzelne eine bestimmte Ware herstellt: weil so die Warengiite erhoht wird . . . (VIII 2, 5). Und PLATON kennt nieht nur diesen Gesiehtspunkt, daB ,,der Einzelne sohoneres Werk verriehtet, wenn er nur cine Kunst, als wenn er vide Kiinste ausiibt", sondern er nennt auch mit Nachdruek den tiefsten Grund, der in organischen Zeiten zur Sonderung den Anlafi gibt: der Baumeister tritt neben den Werker, der Bauer tritt neben den Handler, weil sie von Natur verschiedene Anlagen haben. ,,Reichlicher wird alles und schoner und leiehter", sagt SOKBATES, ,,wenn Einer Eines gemaB der Natur und im rechten Augenblick verriehtet und von Allem Andern sich fernhalt" (Pol. 370). Wahrend 1*
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Vorgeschiohte.
also in der Maschinenzeit k a u m eine menschliohe Riicksicht geltcnd g e m a c h t werden k a n n , sondcrn einzig das Mehr a n W a r e n , die „ P r o d u k t i v i t a t " , den Ausschlag gibt, ist es hier in der A n t i k e n i e h t eine mechanische Arbeits-, sondern eine organisehe Berufsteilung, deren menschlicher U r s p r u n g u n d deren staatliehe B e d e u t u n g gelehrt wird. I n gleicher Weise ist PLATONS Geldlehre v o n aller Geldtheorie zutiefst gesohieden. W e d e r , , N o m i n a l i s t " noch „ M e t a l l i s t " ist er gewesen, d e n n was kiimmert den S t a a t s m a n n in kleinem, selbstgeniigendem Herrschaftsbereich der K a m p f der abgezogenen Meinungen u n d die n u r - r a t i o n a l e E r k l a r u n g ganzheitlieher Weltz u s a m m e n h a n g e ? W a s er b r a u c h t , sind K e n n t n i s s e u n d Einsichten — u n d diese wie jene h a t P L A T O N allerdings in einem MaB besessen u n d v e r m i t t e l t , das das beschcidene Teilwissen der reinen Wirtschaftswissenschafter spaterer J a h r h u n d e r t e woit iiberragt. W o der Berufsgelehrte h c u t e m i t Miihe sich einen b e s c h r a n k t o n (jberbliok iiber die vielgestaltige Wirtschaft seiner Zeit e r a r b e i t e t , d a besitzt der Mensch des kleineren Lebenskreises, der Mensch der Polis wie der mittelalterlichen S t a d t , der Burger wie der Politiker, der Priester wie der Monch, ein reicheres, im L e b e n des Tages erworbenes u n d oft b e w a h r t e s Wissen, u n d all sein W e r k e n t h a l t v o n dieser, m i t A n s c h a u u n g gesattigten, iiberkommenen u n d erfahrenen, lebendigen K e n n t n i s einen in seiner Breito u n d seiner Tiefe oft erstaunlichen Niederschlag. So sind PLATONS Nomoi eine noch k a u m g e n u t z t e F u n d g r u b e fiir jeden, der die Widerspiegelung friiherer landlicher, fruherer gewerblioher u n d friiherer Rechtsverhaltnisse in i h n e n aufzuspuren weiB; so geben die in all seinen W e r k e n begegn e n d e n Gleichnisse vom S t e u e r m a n n , v o m Arzt, v o m W e b e r wichtigsten AufsehluB iiber die Wirtschaftsfcrmen des ganzon J a h r h u n d c r t s ; so ist seine Schild e r u n g in der Politeia v o m Aufbau der S t a d t , von der E n t s t e h u n g des H a n d e l s u n d der K r a m o r e i , vom Aufkommen der M a r k t e , von der E n t w i c k l u n g des Gcldes aufschlufireieh n i e h t n u r fiir einzelne F r a g e n tatsachlicher Gestaltung, sondern a u c h fiir die „soziologischen" L e h r e n der Sophistik. Doeh i m m e r wieder: P L A T O N selbst ist nieht Staatslehrer, sondern Staatsgriinder, u n d d a r u m ist auch seine Wirtschafts,,lehre" nie rationale Theorie, sondern entweder politische u n d in diesem Sinn teleologisehe Lehre oder — zumeist — die allgemeine, lehrmaBige Pass mig einer zugleieh r a t i o n a l v e r s t e h b a r e n u n d sinnlich w a h r n e h m b a r e n Erk e n n t n i s . W e n n die tiefste Wiirdigung, die PLATONS Wesen gefunden h a t , v o n i h m r i i h m t ,,die heilige Soheu, w o m i t er sich d e r N a t u r n a h e r t , die Vorsicht, womit er sie gleichsam n u r u m t a s t e t " u n d doch ,,welch ein Aufmerken, welch ein Aufpassen a u f j e d e Bedingung, u n t e r welcher eine Erscheinung zu beobachten i s t " , so miissen die GoETHEschen W o r t e auch beim Verstiindnis der PLATONischen W i r t schaftsauffassung wegweisend sein: Alle wirtschaftlichen AuBerungen PLATONS sind d u r c h t r i i n k t von griindlicher K e n n t n i s der tatsachlichen Vorgange in Geschichte u n d U m w e l t , sie zeigen den Meister gedanklicher Verkniipfung u n d Besonderung, doch sie gehoren nieht zu jenen m o d e r n e n ,,ismen" u n d ,,Theorien", v o n denen wieder G O E T H E sagt, daB sie ,,keinen a n d e r n Zweek zu h a b e n scheinon, als die P h a n o m e n e beiseite zu b r i n g e n " , sondern sie sind echte Theoria, echte Wesensschau. D a r u m e n t h a l t der S t a a t s b a u in sich u n d d a r u m ist aus P L A T O N ZU entn e h m e n eine Lehre v o m Wesen der Wirtschaft, nieht v o n ihren Beziehungen, — v o m Wesen des Geldes, nieht von seinem W e r t —, Lehren, die als Ein-sichten jenseits der wissenschaftlichen Nachprufbarkeit stehen, bei denen kein Beweis den A r t - E r e m d e n iiberzeugt, bei denen keine ,,theoretische" E r o r t e r u n g weiterfuhrt, sondcrn iiber deren A n n a h m e odor A b l e h n u n g Auge u n d Gestalt m i n d e s t e n s so sehr entscheiden wie V e r s t a n d u n d U b e r z e u g u n g . . . Dies gilt fiir die allgemeine Lehre von Vor-rang u n d Vor-sein des Ganzen vor d e n Teilen n i e h t m i n d e r wie fiir die eine besondere Lehre, daB die teilhafte Wirtschaft n u r die B e d e u t u n g ernes Mittels fiir S t a a t u n d Mensch besitzt. DaB die Wirtschaft in langen Lauften der
Athen.
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Geschiohte Selbstzweok war, ist infolgedessen kein Einwand, und daB sie Selbstzweok werden kann, ware auoli von PLATON nie bestritten worden; doch lage fur ihn hierin ein Abfall von der Norm besohlossen, und weder als ,,Theorie" nooh als „Hypothese", sondern nur als Entartung galte fiir seine staatliche Metaokonomik jede Auffassung, die der Wirtsohaft mehr als eine dienende Aufgabe im Lebensgesamt zuweist . . . In kleinem Teilgebiet trifft dies auoh fiir die PLATONische Geldlehre zu. Wenn PLATON aussprieht, daB zugleioh mit dem Markt des Tausches wegen die Miinze ,,als Zeichen" entsteht, so ist das weder ein Grund fiir noch gegen stoffwertloses Geld; aber wenn beliauptet wird, daB der Stoffwert zum Wesen des Geldes gehort, in diesem Augenblick ist die PLATONische Wesensdexitung aufgegeben und zugleioh die bei PLATON zugrundeliegende Erkenntnis verlassen, daB das Geld Schopfung, Ausdruck und Mittel der politischen Gemeinsehaft ist. Ist PLATONS Wesen als Staatsbildner, als Gesetzgeber und als Erzieher, ist PLATONS Leistung als Staatsgriindung und als Menschenformung zutiefst zu fassen — die dialektisehe Philosophie ist nur der neue, ciner spaten Zeit gemaBe Weg zum Wesen, nicht die Erfullung, nicht der Lebensinhalt selbst —, so ist ABISTOTBLBS als der groBe Baumeister zu wiirdigen, der in den gleiohen Jahrzehnten, wo die griechische Form endgiiltig zerbrioht, wo der griechisohe Raum zur weiteren, dock diinneren Welt des Alexanderreichs gedehnt wird, noch einmal die ganzen Stoffe und Bildcr, die ganzen Gedankcn und Pormen von mehr als zwei Jahrhunderten in seinem Werk zusammenzufiigen und sie naeh seiner strengen philosophischen Methode zu seheiden wie zu binden, zu sichten wie zu ordnen trachtet. Nicht nur das Erlahmen des politischen Willens, sondern auch die Uberfulle des nun herandrangenden Stoffes hat indessen zur Polge, daB nicht mehr mit gleichem. Gelingen wie in der Politeia Geschichte und Politik, Recht und Wirtsohaft in das neue Werk, den neuen Staatsbau eingeschmolzen werden. GewiB mag der Wille zur Erneuerung der Polis in ABISTOTELES als athenisohem Metoken von Anbeginn an schwaoher gewesen sein als in PLATON, dem Angehorigen des altesten athenisohen Geschlechtes; indessen hatte nicht der forschende Sinn fiir die Einzelheiten des Lebens von Mensoh und Staat, von Tier und Pflanze in dem Lehrer des groBen Makedonenkonigs an Kraft gewonnen und lage nicht in seiner unsterblichen Anschauung der Entelechie die Notwendigkeit vergleiohender Betraohtung aller Entwioklungsformen besohlossen, so hatten nicht zwei Jahrtausende in der ,,Politik" nur das grundlegende Werk vergleichender Staats- und Wirtschaftslehre erblicken konnen. Und auoh wenn uns heute wieder bewuBt ist 1 , daB selbst noch die ABiSTOTELischc Politik cinen besten Staat zu finden, viclleicht zu griinden strebt, so bleibt die Tatsache bestehen, daB trotz der politischen Absicht des Gesamtwerkes hier in erheblichem Umfang der politische und wirtsohaftliohe Tatsachenstoff als solcher gegeben wird und hier zuerst eine Art von wirtschaftstheoretischem Denken begegnet. Wir betonen: eine Art von wirtschaftstheoretischem Denken, um damit zum Ausdruck zu bringen, daB auch ARISTOTELES keine moderne, ,,autonome" Theorie entwickelt, und daB niohts falscher ist als dieAuffassung, die ihnzum Vatermodcrner ,,Dogmen" stempelt. Was ABISTOTOLES gibt, laBt sich nach Herkunft und Absicht dreifach bestimmen: Er vcrmittelt zunachst eincn gewissen Uberbliok iiber das uns verlorene, anscheinend sehr reichhaltige Schrifttum der Zeit, indem er, meist ohne Namensnennung, andere Ansiohten anfiihrt und sioh mit ihnon auseinandersetzt; er bringt sodann eine groBe Zahl eigener Beobachtungen, teils indem er einzeln von ihnen berichtet, teils indem er allgemoine Erfahrungssiitze aus ihnen ableitet; und er gibt schlieBlich auf der Grundlage dieses Wissens- und Erfahrungs1 Vgl. hiorzu wie zum ganzen Abschnitt des Verfassers ,,Platon und die griechische Utopie", Mtinchen 1921.
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Vorgeschiohte.
stoffes seine eigne Lehre v o n der Wirtschaft, n i e h t als Lehre v o n der Wirtschaft ,,an sich", sondern als Lehre v o n der richtigen Wirtschaft im w a h r e n S t a a t . Z u m ersten u n d zweiten Bestandteil seines W e r k e s gehoren die meisten Lehren, die h e u t e u n t e r seinom N a m e n gehen, so ein g u t Stuck der sog. AmsTOTELischen Geldlehre. Beispielsweise ist es nicht erst AKISTOTBLES, der lehrt, daB das Geld n u r durch den Nomos, nur durch die Satzung gelte u n d nicht d u r c h die Physis, n i c h t von N a t u r W e r t h a b e , sondern e s i s t die M e i n u n g a n d e r e r , die er m i t d i e s e n b e r u h m t e n W o r t e n der ,,Pol i t i k " wiedergibt (1257b). Auch in der NiKOMACuischen E t h i k (1133a) wird die Ableitung des griochischen W o r t e s , , N o m i s m a " (Geld) in einem Ton vorgetragen, der keinen Zweifel dariiber laBt, daB es eine dem Griechen l a n g v e r t r a u t e Auffassung i s t : das Geld t r a g e d a r u m den N a m e n , , N o m i s m a " , ,,weil es n i c h t v o n N a t u r ist, sondern d u r c h den N o m o s , u n d weil es bei u n s s t e h t , es zu veriindern u n d es u n b r a u c h b a r zu m a e h e n " ( = aufier U m l a u t zu setzen?). I m Z u s a m m e n h a n g der „ P o l i t i k " ist wichtig n u r die d a r a n gekniipfte Folgerung — sie allein wird d a h e r auch ausdrucklich als richtig gekennzeichnet: daB R e i c h t u m nicht das gleiche sei wie Chrematistik, wie Geldorwerb u n d Gcldbesitz. ,,Gelderwerb ist etwas anderes als naturgemaBer R e i c h t u m " , — d a s allein ist ARiSTOTEiisehe Lehre, u n d die,,Chremat i s t i k " h a t d a h e r fur ihn wesentlich als Storenfried der Okonomik, der natiirlichen Wirtschaft ihre B e d e u t u n g . Insoweit er also theoretisiert u n d selbst dort, wo er das Zauberwort dos a c h t z e h n t c n J a h r h u n d e r t s : ,,naturlich", ,,naturgemafi", verwendet, gilt i h m als natiirlich gerade n i c h t die rationale — u n d gar u n b e s c h r a n k t e ! — Erwerbswirtschaft, sondern im Gegenteil die traditionale, begrenzte Hauswirtschaft. Man wiirde das Gewicht dieser Satze ungehuhrlich u n d zu U n r e c h t verringern, n a h m e m a n sie als Ausdruck ciner verhaltnismaBigen P r i m i t i v i t a t der griechischen Wirtschaftsvcrhaltnisse. Die hellenische Wirtschaft der Bliite- u n d Spatzeit war einc hochentwickelte Verkehrswirtschaft — ABISTOTELES h a t nicmals die Augen d a v o r verschlossen, daB er selbst m i t t e n d a r i n s t a n d in ciner chrematistischen E p o c h e , daB der W u n s c h n a c h Mehrung des Besitzes u n d nach Steigerung des Wohllebens nicht wenige Politen veranlaBte, alle ihre K r a f t e in den Dienst des Gelderwerbs zu stellen. Aber wo der m o d e r n e Wissenschafter die Folgerung zoge, daB es eine reine, d. h. chrematistische Theorie als O b e r b a u dieser sich a u s b r e i t e n d e n Wirtschaft auszubildcn gelte, h a t der a n t i k e Philosoph als £woy JIOMUXOV, als staatlicher Mensch, als Poliswesen n u r festzustellen, daB hier ein widernattirlicher Gebrauch der menschlichen F a h i g k e i t e n s t a t t f i n d e t , u n d seine eigentliche Aufgabe besteht darin, dieser E n t a r t u n g gegeniiber das r e c h t e MaB wieder zur Geltung zu bringen. Schuld ist an der chrematistischen Denkweisc, lehrt daher der Stagirite, ,,daB die Menschen sich n u r m i t dem L e b e n beschaftigen, n i c h t m i t d e m schonen L e b e n " . U n d er erinnert sie a n den h e h r e n Sinn der Tugenden, m i t d e n e n sie beg a b t sind: ,,Die Tapferkeit ist nicht d a z u da, Schatze zu haufen, sondern M u t zu verlcihen; noch soil dies die F e l d h e r r n k u n s t oder die Heilkunst, sondern die eine soil den Sicg, die andere Gesundheit b r i n g e n " (1258a). Die B e d e u t u n g der W a r e wie des Geldes liegt fur diese politische B e t r a c h t u n g darin, daB sie sowohl eine okonomische wie eine chrematistische Verwendung zulassen, und zwar die W a r e eine okonomische V e r w e n d u n g in doppelter R i e h t u n g : ,,Von jedem Gut gibt es zweierlei Gebrauch, . . . der eine ist d e m Ding eigentiimlich, der andere nicht-eigentumlich, beispielsweise bei einem Schuh d o r t das Anziehen, hier der T a u s c h h a n d e l " (1257 a). Diese Satze e n t h a l t e n nicht, wie m a n falschlich d a r a u s gelesen h a t , eine Scheidung v o n Gebrauchs- u n d Tauschwert — diese subjektiven K a t e g o r i e n sind der A n t i k e fremd —, wohl aber stellen sie die doppelte, objektive Verwendungsfahigkeit der Giiter fest, u n d dies innerhalb der Okonomik. D e n n der Tausch a n sich ist noch nicht wider-okonomisch, vielm e h r ist ein Austausch v o n Gebrauchsgegenstanden ,,weder gegen die N a t u r noch
Athen.
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eine Art von Chrematistik". Erst wenn das Geld dazwischen tritt und nicht nur die Tauschvermittlung ubernimmt, sondern auch dem Versuch, ,,einen groBtmoglichen Gewinn im Warenumsohlag zu erzielen", seine Unterstutzung leiht, erst dann ubertritt der Handel die natiirlichen Schranken. Dementsprechend ist auch nicht der Erwerb als solcher wider die Natur, sondern der Erwerb des Hausvorstandes aus dem Verkauf von Pflanzen und Tieren ist naturgemaB, notwendig und loblich, die Erwerbskunst des Handlers dagegen, der nicht selbst Waren erzeugt und nur aus dem Umsatz Nutzen erzielt, erfahrt ,,berechtigten Tadel". Aus dieser Auffassung, daB em rechtmaBiger Gewinn im Handel nur moglich ist, wenn und weil eine Vergutung fiir den schopferischen Anteil der Natur gezahlt wird, entspringt dann die besondere Verfemung des Zinsnehmens, aus der das mittelalterliche Zinsverbot eine so starke und starre Stiitze gewann; sie grundet weder in einer grundsatzlichen Geld-, noch Handel-, noch Kapitalfeindschaft, sondern in einer logisch unanfechtbaren, theoretischen Erwagung. Sobald der Vordersatz, daB nur Handelsgewinn aus der Natur, aus dem unmittelbaren Verkauf der Natur erzeugnisse gerecht ist, einmal Annahme gefunden hat, so mufi erstens jeder Gewinn aus bloBem Umschlag verpont sein, da er nur als Bereicherung ,,aus andern Menschen", aus den Kaufern moglich ist, und zweitens muB der Gewinn aus dem Geldhandel, das Zinsnehmen als doppelt abscheulich empfunden werden, da nicht nur ein allgemeiner chrematistischer MiBbrauch vorliegt, sondern da auch gegen den eigentlichen Sinn des Geldes, gegen seine Vermittlungsaufgabe gefrevelt wird: ,,um des Tausches willen ward das Geld geschaffen; der Zins aber vermehrt es. Daher hat er auch seinen Namen roxog (= Junges = Wurf) bekommen; denn die Brut ist den Eltern ahnlich, der Zins-Wurf aber stammt als Geld vom Gelde" (1258b). In diesen Betrachtungen ist auch des AEISTOTELES Grundansioht iiber die okonomische Funktion des Geldes bereits enthalten; doch ist in einer Hinsicht noch eine Erganzung notig. AEISTOTELES — hier wie stets in geringerem MaB als PLATON das Wesen der Erscheinung, in starkerem MaB ihr Werden zu erfassen bedacht — hat zugleich mit der Funktions- eine Entstehungslehre entwickelt, deren Nachwirken wiederum bis in die jiingste Zeit verfolgbar ist. Der Philosoph sagt nichts von einem religiosen Ursprung des Geldes, sondern er denkt es bei der Ausdehnung des Wirtschaftsverkehrs entstanden, derart, daB ein Stoff, der selbst mitzlich, selbst ein Gebrauchsgegenstand und besonders handlich war, im Tausch wechselseitig gegeben und genommen wurde, so Eisen, Silber u. dgl. m. „Zunachst bestimmte man ihn einfach nach GroBe und Gewicht; schlieBlich driickte man noch einen Stcmpel (yaqaxxrjQ) auf, um sich das Wiigcn zu ersparen; denn der Stempel (die Priigung) wurde als Zeichen der Quantitiit gesetzt" (1257 a). Es ware wenig angebracht, mit diesen Ausfiihrungen zu rechten, weil sie geschichtlich nicht ganz zutreffen (die ersten uns bekannten Siegel sichern die Qualitat, nicht die Quantitat des Geldstoffs, und ob das Geld bei alien Volkern im Wirtschaftsverkehr und nicht bei einzelnen im Kult entstand, ist zumindest zweifelhaft), und ebensowenig ist es sinnvoll, besonderen Nachdruck darauf zu legen, daB AEISTOTELES schon den ,,pensatorischen" Gebrauch des Geldes von den spateren Eormen unterschied. AEISTOTELES selbst hatte auf die Richtigkeit seiner Begriffe und Scheidungen gewiB am wenigsten Gewicht gelegt — sie war ihm selbstverstiindlich, war nur der teils logische, teils sozio-logische Ausdruck seiner umfassenden Kenntnis der Tatsachenwelt, des praktischen Lebens, von dem alle griechische Theorie ihren Ausgang nimmt. Wichtig dagegen ist wieder der meta-okonomische Erfolg: daB diese Geldauffassung den Geldgebrauoh gemaB der Natur, welcher nur im Tauschverkehr stattfindet, von dem chrematistischen Geldgebrauoh zu scheiden erlaubt, der auf Vermehrung des Geldbesitzes abzielt. Und wichtig ist vor allem, daB die Bedeutung des Geldes sich nicht erschopft in seiner okonomischen,
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Vorgeschichte.
sondern daB fur A E I S T O T E L E S als Grieohen im V o r d e r g r u n d s t e h t seine staatliche u n d gesellsohaftliche F u n k t i o n . Als Teilstiick der Lehre v o n der Gerechtigkeit findet sieh daher in der NiKOMACHischen E t h i k die Geldlehre, u n d das Geld als Mitte u n d MaB h a t die Aufgabe, i m A u s t a u s c h j e d e m d a s Seine z u k o m m e n zu lassen u n d so die Gemeinschaft zu verwirklichen. ,,Ohne Tausch ware keine Gemeinschaft, u n d ohne Gleiehheit kern Tausch, u n d ohnc meBbare VerhaltnismaBigkeit keine Gleiehheit" (1133b). DaB ein Austauseh i i b e r h a u p t z u s t a n d e k o m m t u n d eino Tauschgemeinsehaft D a u e r h a t , des Ursache ist „ d e r Bedarf, der alles zusammenh a l t " , u n d d a s Geld h a t hierbei n i c h t n u r die wichtige Rolle des Ausgleiehs im Augenblick, sondern es dient d e m Warenverkaufer, der gerade kein Bedurfnis h a t , ,,als Biirge", daB er im Bedarfsfalle sioh die benotigte W a r e kaufen k a n n . ,,Tausch", ,,Geld", ,,Bedurfnis" — wiehtige Begriffe aller Wirtschaftslehre sind also schon hicr v o r h a n d e n . Doch i m m e r wieder: der Untersehied in der Gesamtaui'fassung zwischen dieser griechischen und aller m o d e r n e n Okonomik k a n n gar nicht groB g e n u g g e s e h e n w e r d e n . GewiB, die %gda, der Bedarf, d a s Bedurfnis, a m richtigsten w o h l : ,,die N o t " ist, wie schon bei D E M O K R I T u n d PLATOST, SO auch bci A E I S T O T E L E S in ihrer b i n d c n d e n u n d messenden K r a f t b e t o n t ; aber weder liegt hierin ein P r c i s b e s t i m m u n g s g r u n d wie fur die Spat-Scholastik, noch gar ,,der" Preisbestimnmngsgrund wie fiir einzelne m o d e r n e L e h r e n . . . GewiB, die B e d e u t u n g des Geldes als T a u s c h m i t t e l wird e r k a n n t ; aber seine groBte Wichtigkeit liegt gerade n i c h t d a r i n , daB es den Tausch v o n W a r e n oder gar v o n ,,Arbeitsw e r t e n " ermoglicht, sondern darin, daB es den richtigen, den gerechten Aust a u s c h herstellt, bei dcm jeder ,,das S e i n e " e r h a l t . U n d dieses , , S e i n e " wiederum ist n i c h t durch Arbeitszeit oder Stoffwert oder was auch i m m e r alloin b e s t i m m t , sondern der gercchte Preis ist jener, bei d e m das gerechte Verhaltnis zwischen den Menschen, zwischen den Herstellern verwirklicht ist. D a s Erzeugnis jedes W e r k e s wird n a e h Menge u n d Giite beurteilt, u n d d a n n ist das richtige Verhaltnis gefunden, wenn eine Gleichung aufgestellt wird, daB ,,wie der B a u e r z u m Schuster, so das W e r k des Schusters sich z u m W e r k des B a u e r n v e r h a l t " ( 1 1 3 3 a ) . M i t h i n : bis in die Preisbestimmung hinein setzt sieh die Verschicdenheit der menschlichen A r t u n g d u r c h , u n d wie n a c h der platonischen L e h r e im S t a a t n u r die geomctrische, n i c h t die arithmetische Gleiehheit einen j e d e n gereoht nach Anlage u n d Verdienst einordnet und heranzieht, so gilt n a c h der L e h r e des A E I S T O T E L E S auch in der Wirtschaft der Satz, daB koine mechanische Gleiehheit, sondern n u r ein. E n t g o l t naoh dem Verhaltnis v o n P e r s o n u n d Leistung die Gerechtigkeit, die r e c h t e Ordnung verwirklicht. Wie aus der Tatsaehe, daB eine eingehende U n t e r s u o h u n g d e r wichtigsten S t a a t e n u n d ihrer Verfassungsentwicklung die ompirische Grundlage der A R I S T O TEiischcn Staatslehre d a r b o t , die Fulle des Vergleiehsstoffes der , , P o l i t i k " sich erk l a r t u n d zugleich auch ihre s t a r k c W i r k u n g in dieser R i c h t u n g , ihr AnstoB auf die A u s d e h n u n g geschichtlicher Forschung u n d staatstheoretischer E r o r t c r u n g , ganz ebenso h a b e n ihre wirtschafts- u n d gesellschaftsvergleichenden Teile innerhalb u n d auBerhalb des P e r i p a t o s zur Nachfolge angeregt. Auch hier ist freilich A E I STOTELES, v o n dessen AuBerungen noch die vergleichonde W i r t s c h a f t s b e t r a c h t u n g des 18. u n d 19. J a h r h u n d e r t s ihren Ausgang n i m m t , n i c h t d e r Begriinder, sondern n u r der V e r m i t t l e r —Vergleiohe anzustellen lag v o n je in der menschlichen N a t u r , u n d alle Reisebeschroibung u n d alle erreiste Gesehichte, so die Odyssee, so H E R O D O T , arbeitet typisohe Volks-, Verfassungs-, Wirtschaftsformen h e r a u s . Auch eine Reihenfolge der T y p e n festzulegen ist alter B r a u c h der Sanger u n d der Dichter — zuerst begegnet die m y t h i s c h e Eolge der Weltzeitalter, v o m goldenen absinkend bis zur jeweiligen, arbeit- u n d leidvollen Gegenwart —, d a n n werden geschichtliche Ziige in das Werdebild verfloohten, u n d schon die Sophistik b e g i n n t die letzten m y t h i s c h e n Zeichen zu entfernen u n d ein t r a g e n d e s Gerust der Aufeinanderfolge von Wirtschafts-
Athen. und Kulturstufen zu entwickeln (PBOTAGOBAS, HIPPIAS).
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Politeia wie in den Nomoi, wird die sohon farb- und bildlos gewordeno Lehre znm letztenmal in neuem Mythos dichterisch bedeutungsvoll verkiindet, urn dann bei ARISTOTELES ihre bleibende, stoffliobe, erdschwere Form zu erhalten. Nun wird klar geschieden zwischen natiirliohen und widernatiirlichen (in heutigem Begriff: zivilisatorischen) Wirtschaftsfornien, wild dem Leben der Nomaden, der Rauber, der Fischer und Jager die seBhafte Tauschgemcinschaft gegeniibergestellt, wird gezeigt, wie den verschiedenen Lebensformen eine verschiedene Form und Bedeutung des Geldes entsprielit, wird das andere Wesen der Geld nur als Mittel verwendenden Wirtschaft und der chrematistischen, der Geldkapital anhaufenden Wirtschaft aufgewiesen. ABISTOTELES' Schuler DIKAIABCH hat, sofern wir die kargen Reste riohtig deuten, diese Arbeit des Meisters naeh zwei Seiten hin fortgesetzt: Die Lehre der Wirtschaftsformen hat er wieder strenger stufenmafiig gegliedert, derart, daB nun die Reihc vom Nomaden zum Hirten, vom Hirten zum Bauern, vom. Bauern zum Stadter als allgemeiner und notwendiger Gang der geschichtlichen Entwieklung ersoheint; sodann hat er im Bios Hellados die Verfassungs- und Wirtschaftslehre erganzt durch eine Kulturlehre oder richtiger durch cine Schilderung der grieehisohen Lebensformen. Es kann kein Zweifel sein, daB ahnlich wie DIKAIABCH so auoh noch andere Sclriiler oder Enkelsehiiler des ABISTOTELBS an den vonihm gesammelten Stoffen und den vonihm gesetzten Begriff en der Wirtschaf tslehre weiterarbeiteten. Die Schrift ,,Okonomik", eine Kegel- und Beispielsammlung, die unter dem eigenen Namen des Stagiriten ging und darum erhalten wurde, die heute — auf der Grundlage eines alten Zeugnisses— gelegentlieh dem THEOPHRAST zugeschrieben wird, obschon sie bestenfalls einen der kleinsten, der namenlosen Folger zum Verfasser hat, ist ein spreehendes, wenn auch unerfreuliehes Beispiel soleher Leistung eines Aristoteles-Epigonen. Der Umfang dieses abgeleiteten Sehrifttums ist reeht betrachtlich gewesen, wie es denn iiberhaupt Wirtsehaftssehriften der Griechen des 5. und zumal des 4. Jahrhunderts in groBer Zahl gegeben hat. DaB diese aus XENOPHON, AEISTOTELBS, VABBO feststehende Tatsache lange verkannt wurde, liegt an der falschen Ausdeutung eines riohtigen Sachverhaltes: Die Vorstelhmg der Antike, die unsore deutschen Klassiker sehufen, hat mit bcrcchtigtem Naohdruek an der Einsioht festgehalten, daB den Hellenen wie den. Romern die Wirtschaft weder ,,das Leben" noch ,,das Schicksal", sondern cin dicnendcs Organ des Staatcs war. Allein nur miBverstandener Klassizismus konnte hieraus schlieBen, die Wirtschaft sei also zu unwichtig und bcdeutungslos zur Herausbildung einer eigenen Problematik und eines eigenen Sehrifttums gewesen. Der gegenteilige SchluB ware riehtiger: da die Wirtschaft die Wichtigkeit eines unentbehrlichen Mittels fur den Staat besaB, muBte es Schriften geben, in denen die bestc Wirtschaftstechnik gelehrt, in denen eine Kunstlehre der Wirtschaft niedergelegt wurde. DaB diese ganzen Biieher fiir uns verloren sind, griindet wieder ausschlieBlich darin, daB beim Zusammenbruch erst Griechenlands und dann der ganzen antiken Welt Wichtigcres, Einzigartigeres zu retten war als solcho wicdcrholbaren Erzeugnisse technischer WTissenschaft... Welche Fragen in jenem Wirtschaftsschrifttum in den Vordergrund geriickt waren, das abseits der Philosophenschulen entstand, laBt sich angesichts des bruchstuckhaften Charakters der Uberlieferung nicht mit Sicherheit sagen. Mchts ist erhalten iiber Angelcgenheiten des Gewerbes; dennoch ist es wenig wahrscheinlich, daB es keine Schriften iiber Haridwerksregelung und vor allem iiber Handwerksforderung gegeben hat, angesichts der iiberragenden Bcdcutung, die schon seit dem. 6. Jahrhundert die Ausfuhr von Gewerbserzeugnissen fiir Athen gewann. Auch von Arbeiten zur Geldlehre ist keine vorhanden; doch wurde schon erwahnt, daB ABISTOTELES ohne Namensnennung cine Rcihc verschiedener Ansichten iiber das
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Vorgeschichte.
Geldwesen anfiihrt, die gewiB n u r z u m kleinsten Teil i m Peripatos selbst i h m entgegcntraten, deren U r s p r u n g vielmehr in der Sophistik zu v e r m u t e n ist. N u r hier k a n n die Meinung v e r t r e t e n worden sein, der naturgemiifle u n d der chrematistische E r w e r b sei ein u n d dasselbe (1257a), u n d auch die weite Verbreitung (1256b) des Begriffs Chrematistik wird auf sophistische Lehrer zuriickgefuhrt werden miissen. E b e n s o , wenn nach A E I S T O T B L B S ,,die E i n e n " R e i c h t u m gleich der Menge des Geldes setzen, , , A n d e r e " zwisohen natiirlichem u n d chrematistischem Reicht u m seheiden (1257B), so sind mindestens ,,die E i n e n " in der Sophistik zu suchen: die Mehrzahl dor Sophisten k a m aus der griechischen Diaspora, wo die verpflicht e n d e Kraft des Polis-Lebens niemals gleiche S t a r k e wie in den H e i m a t s t i i d t e n besafi u n d wo z u d e m die D u r c h s e t z u n g m i t asiatischen E l e m e n t e n u n d asiatisehen F o r m e n , m i t persischen u n d syrisehen, m i t agyptischen u n d karthagischen W i r t schaftsbrauchen u n d Wirtsehaftszielen so weit vorangeschritten war, daB hier chrematistische Erwerbswirtschaft als natiirliche Wirtschaft erscheinen u n d verfochten werden k o n n t e ; z u d e m m o c h t e die sophistische E r e u d e a m zersetzenden Spiel m i t den neuentwickelten logischen Mitteln, m o c h t e die sophistische Fertigkeit ,,xov fjxxoo Xoyov KQtixxm noielv", die schwachere Sache zur s t a r k e r e n zu m a c h e n (PROTAGORAS), die Auflosung der politischen F o r m u n d Zielsetzung gerade auch innerhalb der Wirtschaft als verlockend empfinden. Ob u n d wie weit sie hierbei u n t e r den Stadtbiirgern Gefolgschaft fanden, wissen wir nicht, doch an Vorstandnis fur ihre L e h r e n h a t es gewiB nicht gefehlt. D e n n die Athener, die n i c h t n u r a m g r o b e n W i t z , sondern auch a m f e i n e n S p o t t derARiSTOPHANischenKomodiensich erfreuten, die in den Ekklesiazusen die V e r h o h n u n g aller kommunistischen Utopien, im P l u t o s die Satire auf den beginnenden Tanz u m den n e u e n G o t t des R e i c h t u m s erfaBten — diesen A t h e n e r n muBten die Bewegungen u n d F o r d e r u n g e n , die hier a m P r a n g e r der K o m o d i e s t a n d e n , v o n H a u s u n d M a r k t her lang b e k a n n t sein, wenn sie den viberlegenen H u m o r des groBen politischen Dichters wiirdigen sollten. U n d wie die Tatsache der K o m o d i e als Ganzes, so zeigen einzelne Verse u n d W o r t e im besonderen, welch tiefen Blick fur die politischen u n d wirtschaftlichen Zus a m m e n h a n g e der Dichter besaB u n d welch reifes Verstandnis er bei seinen Zuhorern voraussetzen durfte. Bestes Zeugnis sind die Verse der , , F r o s c h e " (720 bis 726), in denen der Chor klagt, daB die E d e l n , die xakoi xayadvi, vor den Schurken ins Hintertreffen geraten, ganz genau so wie das neue unterwertige Goldgeld die alte, vollgepragte Silbermunzc, die bei alien Grieehen u n d B a r b a r e n in Geltung s t a n d , aus A t h e n v e r d r a n g t h a b e . . . Das ist zwar keineswegs, wie m a n g l a u b t e , eine fruhe E n t d e c k u n g des sog. GRESHAMschen Gesetzes, daB schlechtes Geld das gute v e r t r e i b e ; noch ferner als den Philosophen lag AKISTOPHANES die Aufstellung eines allgemeinen Wirtschaftsgesetzes, im Gegenteil — die Verse h a b e n ihre Wirk u n g u n d ihrcn Sinn j a d a d u r c h , daB in d e m gekennzeichnetcn Sachvorhalt keine notwendige Verkniipfung, sondern die Folge einer tadelnswerten, a n d e r b a r e n H a n d lungsweise gesehen wird. Aber w e n n die Wirtschaftswissenschaft wie alle Thcorie m i t der B e o b a c h t u n g a n h e b t , so ist hier allerdings ein erster u n d wichtiger Schritt der Geldlehre g e t a n . N e b e n den Geldfragen sind es die F r a g e n des Agrarwesens u n d der Agrarpolitik gewesen, die v o n einem reichen Schrifttum b e h a n d e l t wurden. ABISTOTBLBS verweist auf C H A R E S aus P a r o s u n d A P O L L O D O R aus L e m n o s , die iiber Getreidebau u n d Obstzuoht geschrieben h a t t e n — der R o m e r VARRO k e n n t von diesen beiden n u r noch C H A R E S , n e n n t a b e r dafiir noch 50 andere Verfasser v o n Agrarschriften in griechischer Sprache, die in augusteischer Zeit noch e r h a l t e n waren u n d als R a t g e b e r galten. Von diesem ganzen Schrifttum ist n i c h t s bis auf uns gekommen, m i t Ausn a h m e des XBNOPHONtischen Oikonomikos, einem Dialog, der — bezeichnenderweiso v o n A R I S T O T E L B S gar n i c h t g e n a n n t — wahrscheinlich h i n t e r a n d e r e n Agrarschriften an saehlichem Gehalt eher z u r u c k s t a n d , der aber wegen seines a n m u t i g e n
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Plaudertones das Wohlgefalien asthetischer Beurteilererregte, von CICERO ins Lateinische iibersetzt und wie andero Werke XENOPHONS als Stilmuster vor der allgemeinen Vernichtung bewahrt wurde. Tatsachlich hat XENOPHON im Oikonomikos ein anmutiges Genrebildchen geschaffen, das — wahrend es wohl seine eigene treffliche Gattin zu vorherrlichen bestimmt ist — das Muster eines gutbiirgerlichen Bauernlebens vor Augen fiihrt. Gutbiirgerliehes Bauernleben — das zeigt den Grand der ernsten Wirkung wie den Grad der unfreiwilligen Komik: Es ist das Ideal der mittleren und unteren Klassen, das XENOPHON hier wie meist zu zeichnen weiB — nach dem guten Vater-Konig der Kyropaidie ist es hier das gute Ehegespons, dessen Leben in friedlicher Ruhe und segensreicher Ordnung auf besoheidenem, doch eignem Grund und Boden er erklart. Kultur- und wirtsohaftsgeschichtlich ist das Zwiegesprach infolgedessen als Ganzes sehr bedeutsam; fur die eigentliche Agrarlehre dagegen lafit sich wenig daraus entnehmen, aufier einigen Anweisungen fiir die geregelte Feldbestellung mit alien Vor- und Nacharbeiten, fiir die Auswahl des Bodens, das Umarbeiten der Brache, die Bestimmung dor Saatzeit, des Erntens, des Dreschens und kurzen Anleitungen fiir den Weinund Obstbau. Aber selbst wenn, wie zu vermuten steht, der Dialog mehr philosophischen Unterhaltungs- als praktischen Lehrzweek verfolgt, und wenn infolgedessen sich aus den romischen Agrarsohriftstellern mehr als aus XENOPHON iiber Inhalt und Wert der griechischen Vorbilder entnehmen lafit, so ist der Art naeh die gesamte grieehisehe Agrarlehre doch von der XENOPHONtiscben gewifi nicht unterschieden; es ist eine Fertigkeits- oder Kunstlehre unter vorwiegend hauswirtschaftlichem Gesichtspunkt, anscheinend starker fiir den Kleinbauern als fiir den Grundherrn bestimmt, ein Kompendium der hiiuslichen und landlichen Wirtsehaftstechnik der Zeit. Dabei sehlieBt das Vorwiegen der hauswirtschaftlichen Ziele die Erzeugung fiir den Markt weder theoretisch noeh praktisch aus; wenn ABISTOTELES jenen Erwerb durchaus gebilligt hatte, der Erzeugnisse der eigenen Soholle bestmoglich zu verwerten strebt, so ist es nur folgerichtig, wenn dann als Aufgabe der praktischen Erwerbskunst erscheint: Erfahrungen zxi vermitteln, z. B. wie man Pferde oder Binder oder Schafe oder sonstiges Vieh am besten kauft und verkauft, welche von ihnen und wie und wo sie den meisten Gewinn abwerfen, ,,da ja das Vieh je nach dem Boden verschieden gedeiht" (1258b). — DaB die praktische Wirtschaft sich nicht streng an solche Regeln gehalten und die Grenze zwischen dem zulassigen und dem chrematistischen Erwerb gern iiberschritten hat, miiBten wir annehmen, auch wenn kein besonderes Zeugnis dariiber vorlage; denn dor ganze Eifer der Philosophen ware gegenstandslos, wenn er nur gegen feindliche Gedankengespinste und nicht gegen ihre beginnende Umsetzung in die Tat sich richtete. Allein der Oikonomikos liefert noch den schlagenden, wenn auch kaum mehr bedurften Beweis durch den Bericht des Hauptunterredners, sein Vater habe haufig schlecht bebaute Grundstiicke gekauft, sie so weit verbessert, bis sie das Mehrfache wert waren, und sie dann weiter verkauft — alles aus Liebe zum Landbau. Worauf der XENOPHONtische SOKBATES ihm mit iiberwaltigender Ironie erwidert: also sei der Vater seiner Natur nach cbenso ein Liebhaber des Landbaus wie die Kaufleute Liebhaber des Getreides; denn auch diese kaufen ja das Getreide dort, wo es am wohlfeilsten, und verkaufen es dort, wo der hochste Preis zu erzielen sei — alles aus Liebe zum Getreide . . . (Oik. 20). Ware es noch notig, die RoDBEBTr/s-BucHERsche Auffassung, die die gesamte Antike als hauswirtschaftlich geordnet annahm, im einzelnen zu widerlegen, so miifiten dioso sokratischen Satze ausreichen, um ihre vollige Haltlosigkeit darzutun. Doch auf der andern Seite verkenne man auch nicht, wie sehr selbst in dieser Zeit der Auflosung sich grieehisehe Wirtschaft und grieehisehe Stellung zur Wirtschaft vom ,,Kapitalismus" spaterer Zeiten unterscheidet: einen ,,Chrematismus" als Wirtschaftssystem hat es nie gegeben — das Einzige, was geschieht, ist ein Vor-
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Vorgeschichte.
dringen eines chrematistischen Wirtscliafts s t i l e s in einzelnen Wirtschaf tszweigen, u n d zwar in erster Linie i m H a n d e l , in zweiter Linie i n der Landwirtschaft, dagegen iiberhaupt n i c h t oder n u r i n verschwindendem Umfang i m Gewerbe. U n d auch d a n n noch bleibt nicht n u r die Tatsache bestehen, daB d e r Vollgrieehe sich v o n den sinnbildliehen chrematistischen Gewerben fernhiilt, daB er das bankmaBige Leihu n d Wechslerwesen, j a alien berufsmaBigen H a n d e l d e n H a n d e n v o n F r e m d biirtigen u n d Metoken iiberlaBt, sondern i n u n v e r m i n d e r t e r Kraft gilt auch d a s Urteil weiter, das die berufenen Hiiter menschlicher Zucht u n d staatliehen Einklangs, die Dichter u n d die Philosophcn, i n W o r t u n d Bild u n d L e b e n verkiindet b a t t e n : J)a m i t d e m strengen F u g d e r Polis Chrematistik u n v e r e i n b a r ist, i s t auch eine Wissensoliaft d e r Chrematistik sinnlos u n d schadlich. Anders als d e r moderne Mensch, d e r als Forscher aueh d a s F r e m d e , Giftige, Lebenswidrige so lange u n t e r sucht, bis er i h m selbst verfiillt, w a h r t sieh so der Hellene bis zuletzt die Kraft, d i e falsehen P r o p h e t e n u n d die triigenden Weisheitslehrer s a m t ihren Glaubenssatzen u n d Wissensspriichen aus den Mauern der Polis hinauszuweisen. Quellcn 1 : Die gesamte erhaltene Literatur, von den Historikern vor allem THUKYDIDES und XENOPHON, von den Philosophen PLATON und ARISTOTELES, von den Dichtern ARISTOPHANES, von den Sophisten ANTIPHON.
S c h r i f t e n 1 : HII/DEBRAND, Xenophontis et Aristotelis de occonomia publica doctrinae illustratae, Marburg 1845; PLENGE, Stammformen der vergleichenden Wirtschaftstheorie, Essen 1921; ROSCHER, Dissertatio prima de doctrinae oeeonomico-politicae apud Graecos primordiis, Leipzig 1866, u. a.; SALIN, O. C. und Aufgabcn der Wirtschaftsgeschichte, Schmollers Jahrbuch, 1921; SOUCHON, Les theories economiquesj dans la Greee antique, Paris 1898; L. v. STEIN, Pie staatswisscnschaftliche Theorie der Grioehen vor Aristoteles und Platon und ihr Verhaltnis zu dem Leben der Gesellschaft, Zeitselrr. f. d. ges. Staatsw. 1853; AMIIIEAE, Staats- und Wirtschaftslehre im Altertum. Hdw. d. St. 4 — In der Frage der griechischen Wirtschaftsform fehlt eine abschlieBende Pehandl ung. Einstweilen steht der unhaltbaren Portschrittskonstruktion BTJOHEES (vgl. ,,Entstehung der Volkswirtschaft" und ,,Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte") die kaum weniger angreifbare Modernisierung der Antike durch EDUARD MEYER (vgl. Kleine Schriften S. 79ff. u. a.) und BELOCH (Griechische Geschichte u. a.) gegeniiber. Fiir Teilgebictc ist zu nennen: SELTMAKN, Athens, its history and coinage before the persian invasion, Cambridge 1924; FRANCOTTE, L'industrie dans la Grece antique, Bruxelles 1900/01; und, nach hundert Jahren noch nicht ersetzt, BOCKHS grundlegendes Werk: Pie Staatshaushaltung der Athener, dessen erste Auflage Berlin 1817 erschien.
II.
Rom.
H a t t e n die wirtsohaftlichen Verhaltnisse wissensohaft- u n d systembildende Kraft, wiiren die geistigen Gebilde n u r d e r U b e r b a u einer materiellen Entwioklung, odcr waren sie aueh n u r notwendig einer b e s t i m m t e n wirtsohaftlichen oder gesellschaftlichen Lage zugeordnet, so h a t t e R o m z u m S t i i t z p u n k t einer a n t i k e n W i r t schaftslehre werden miissen. I n d e n J a h r h u n d e r t e n , die die romische Bliite b e zeichncn, g a i t n u r noch wenig d e r aristotelisoh-griechische G r u n d s a t z , daB die Autarkie d a s eingeborene Ziel (telog) d e r Polis sei. Mit der Niederringung K a r t h a gos, m i t d e r Einbezichung Gricehcnlands u n d Spaniens, m i t d e r Unterwerfung Mazedoniens, Klein- u n d Mittelasiens d e h n t e sich die romische Polis z u r W e l t . Von CASAB bis zu T B A J A N ist d a s I m p e r i u m R o m a n u m i n solchem Grade Weltwirtschaft gewesen — die gesamte b e k a n n t e W e l t als einheitliches Gebiet zusammengefaBt u n t e r einheitlicher L e i t u n g — wie keine E p o c h e vor- u n d n a c h h e r ; eine ausgebildete Geld- u n d Kreditwirtschaft ersetzte weithin die a l t e n n a t u r a l e n u n d lokalen F o r m e n , u n d alle aufieren, ,,soziologischen" Vorbedingungen einer wissenschaftlichen Okonomik waren i n uberreicbem MaBe v o r h a n d e n . Dennooh fehlt 1 Hier wie im folgenden sind nur die wichtigsten Quellen und Schriften genannt. Auf die Auseinandersetzung mit gegenteiligen Ansichten ist im allgemeinen verzichtet, da das Quellenstudium, zu dem die gesamte Abhandlung hinfuhren mochte, einen besseren Prilf stein darstellt als alle emsigen Gange durch ein abgeleitetes Schrifttum.
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Vorgeschichte.
dringen eines chrematistischen Wirtscliafts s t i l e s in einzelnen Wirtschaf tszweigen, u n d zwar in erster Linie i m H a n d e l , in zweiter Linie i n der Landwirtschaft, dagegen iiberhaupt n i c h t oder n u r i n verschwindendem Umfang i m Gewerbe. U n d auch d a n n noch bleibt nicht n u r die Tatsache bestehen, daB d e r Vollgrieehe sich v o n den sinnbildliehen chrematistischen Gewerben fernhiilt, daB er das bankmaBige Leihu n d Wechslerwesen, j a alien berufsmaBigen H a n d e l d e n H a n d e n v o n F r e m d biirtigen u n d Metoken iiberlaBt, sondern i n u n v e r m i n d e r t e r Kraft gilt auch d a s Urteil weiter, das die berufenen Hiiter menschlicher Zucht u n d staatliehen Einklangs, die Dichter u n d die Philosophcn, i n W o r t u n d Bild u n d L e b e n verkiindet b a t t e n : J)a m i t d e m strengen F u g d e r Polis Chrematistik u n v e r e i n b a r ist, i s t auch eine Wissensoliaft d e r Chrematistik sinnlos u n d schadlich. Anders als d e r moderne Mensch, d e r als Forscher aueh d a s F r e m d e , Giftige, Lebenswidrige so lange u n t e r sucht, bis er i h m selbst verfiillt, w a h r t sieh so der Hellene bis zuletzt die Kraft, d i e falsehen P r o p h e t e n u n d die triigenden Weisheitslehrer s a m t ihren Glaubenssatzen u n d Wissensspriichen aus den Mauern der Polis hinauszuweisen. Quellcn 1 : Die gesamte erhaltene Literatur, von den Historikern vor allem THUKYDIDES und XENOPHON, von den Philosophen PLATON und ARISTOTELES, von den Dichtern ARISTOPHANES, von den Sophisten ANTIPHON.
S c h r i f t e n 1 : HII/DEBRAND, Xenophontis et Aristotelis de occonomia publica doctrinae illustratae, Marburg 1845; PLENGE, Stammformen der vergleichenden Wirtschaftstheorie, Essen 1921; ROSCHER, Dissertatio prima de doctrinae oeeonomico-politicae apud Graecos primordiis, Leipzig 1866, u. a.; SALIN, O. C. und Aufgabcn der Wirtschaftsgeschichte, Schmollers Jahrbuch, 1921; SOUCHON, Les theories economiquesj dans la Greee antique, Paris 1898; L. v. STEIN, Pie staatswisscnschaftliche Theorie der Grioehen vor Aristoteles und Platon und ihr Verhaltnis zu dem Leben der Gesellschaft, Zeitselrr. f. d. ges. Staatsw. 1853; AMIIIEAE, Staats- und Wirtschaftslehre im Altertum. Hdw. d. St. 4 — In der Frage der griechischen Wirtschaftsform fehlt eine abschlieBende Pehandl ung. Einstweilen steht der unhaltbaren Portschrittskonstruktion BTJOHEES (vgl. ,,Entstehung der Volkswirtschaft" und ,,Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte") die kaum weniger angreifbare Modernisierung der Antike durch EDUARD MEYER (vgl. Kleine Schriften S. 79ff. u. a.) und BELOCH (Griechische Geschichte u. a.) gegeniiber. Fiir Teilgebictc ist zu nennen: SELTMAKN, Athens, its history and coinage before the persian invasion, Cambridge 1924; FRANCOTTE, L'industrie dans la Grece antique, Bruxelles 1900/01; und, nach hundert Jahren noch nicht ersetzt, BOCKHS grundlegendes Werk: Pie Staatshaushaltung der Athener, dessen erste Auflage Berlin 1817 erschien.
II.
Rom.
H a t t e n die wirtsohaftlichen Verhaltnisse wissensohaft- u n d systembildende Kraft, wiiren die geistigen Gebilde n u r d e r U b e r b a u einer materiellen Entwioklung, odcr waren sie aueh n u r notwendig einer b e s t i m m t e n wirtsohaftlichen oder gesellschaftlichen Lage zugeordnet, so h a t t e R o m z u m S t i i t z p u n k t einer a n t i k e n W i r t schaftslehre werden miissen. I n d e n J a h r h u n d e r t e n , die die romische Bliite b e zeichncn, g a i t n u r noch wenig d e r aristotelisoh-griechische G r u n d s a t z , daB die Autarkie d a s eingeborene Ziel (telog) d e r Polis sei. Mit der Niederringung K a r t h a gos, m i t d e r Einbezichung Gricehcnlands u n d Spaniens, m i t d e r Unterwerfung Mazedoniens, Klein- u n d Mittelasiens d e h n t e sich die romische Polis z u r W e l t . Von CASAB bis zu T B A J A N ist d a s I m p e r i u m R o m a n u m i n solchem Grade Weltwirtschaft gewesen — die gesamte b e k a n n t e W e l t als einheitliches Gebiet zusammengefaBt u n t e r einheitlicher L e i t u n g — wie keine E p o c h e vor- u n d n a c h h e r ; eine ausgebildete Geld- u n d Kreditwirtschaft ersetzte weithin die a l t e n n a t u r a l e n u n d lokalen F o r m e n , u n d alle aufieren, ,,soziologischen" Vorbedingungen einer wissenschaftlichen Okonomik waren i n uberreicbem MaBe v o r h a n d e n . Dennooh fehlt 1 Hier wie im folgenden sind nur die wichtigsten Quellen und Schriften genannt. Auf die Auseinandersetzung mit gegenteiligen Ansichten ist im allgemeinen verzichtet, da das Quellenstudium, zu dem die gesamte Abhandlung hinfuhren mochte, einen besseren Prilf stein darstellt als alle emsigen Gange durch ein abgeleitetes Schrifttum.
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Rom.
n i c h t n u r eine eigene romische Lehro, sondern sohon ein g u t Teil der griechischen Uberlieferung scheint verschollen. EinzelneStelleninCiCEBOsSehrift „ D e r e p u b l i c a " k o n n t e n die Vermutung nahelegen, daB ein handelspolitisches Schrifttum bestand — wahrscheinlicher ist, daB die an englisehe Politik g e m a h n e n d e MaBregel, don unterworf enen Volkern den A n b a u romischer Eigenerzeugnisse zu verbietcn, in rein politisoher E r w a g u n g wurzelt, ohne R u c k h a l t an einer wirtschaftlielien Theorie. D a s entsprache der gesamton A r t u n g romisehen Wesens, das sicb in T a t u n d Gesetz auBert u n d das W o r t seltener besinnlich als anfeuernd, seltener wissenschaftlich als politisoh einstellt u n d n u t z t . So ist d e n n auch notwendig zwar die romische A n s e h a u u n g von der Wirtsohaft niedergelegt im Corpus J u r i s , aber eine Wirtschaftslehre e n t h a l t das Corpus sowenig wie eine Reehtslohre — eine romische Wirtschaftstheorie gibt es n i c h t . Ahnlich wie die AuBerungen PLATONS u n d A E I S T O T B L B S ' , so ist auoh die im Corpus kodifizierte A n s c h a u u n g 1 wichtig geworden durch ihre W i r k u n g ; d e n n da das Mittelalter die romische L e x weitgehend als das verpflichtendc Naturgesetz b e t r a c h t e t e , ist in dem Augenblick, da wieder geldwirtschaftliche F o r m e n sich durchsetzten, das romische R e c h t die Quelle u n d die L e h r e der neuen R e c h t e geworden. W c n n die griechischc Philosophie i m m e r einen im a l t e n Sinn ,,politischen", auf die U n t e r o r d n u n g u n t e r das Ganze gerichteten Wesenszug t r u g , ihre Aufgabe dor B i n d u n g u n d E i n u n g durch S t a r k u n g der a l t e n u n d Setzung neuer Gemeinschaft zu losen suchte, so h a t das romisohe R e c h t das gleiche staatliche Ziel m i t den entgegengesetzten, einer spiiten Zeit gemaBen Mitteln zu erreichen g e t r a c h t e t : in der uns iiberkommeneii F o r m geschaffen n i c h t auf der Stufe n a t u r h a f t e n S t a m m e s w a c h s t u m s , sondorn zur Bewaltigung gold-, u n d das heiBt i m m e r : individualwirtschaftlicher Verhaltnisse h a t es iiberall m i t dem Vertragsrecht die Vertragslehre verbreitet, die rechtliche B e d e u t u n g des I n d i v i d u u m s gesichert, die Unverletzlichkeit des P r i v a t e i g e n t u m s verbiirgt u n d so in alien individualistischen Zeiten die rechtliche F o r m u n d den sachlichen I n h a l t der Wirtsohaft m i t b e s t i m m t . Auf einem Teilgebiet freilich h a b e n a u d i die R o m e r die T r a d i t i o n der Griechen aufgenommen: die Agrarlehre — fur uns zu kleinem Teil e r h a l t e n in der S a m m l u n g der „Soriptores rei r u s t i c a e " — ist auf der Grundlage der griechischen Sohriften fortentwickelt worden. Mehr als 50 griechische Agrarschriftsteller h a t , wie e r w a h n t , noch V A E E O g e k a n n t (Rer. R u s t . I I ) — der altere CATO, S A S E B N A V a t e r u n d Sohn, VAEEO,
HYGIN",
COENELIUS
CELSUS,
COLUMELLA,
PALLADIUS,
um
nur
die
be-
Itannteren zu n e n n e n , h a b e n in R o m ihre L e h r e n fortgesponnen. W a s sie tcchnisch bieten, ist im einzelnen h e u t e n u r noch fur den Agrarhistoriker von Interesse. Allgemein von B e d e u t u n g aber bleibt, wie in der geschichtlichen Aufeinanderfolge der Schriften u n d Schriftstellcr doch ein Bild des gesamton Wirtschaftsverlaufs sieh abzeichnet. CATO, dor letzte V c r t r e t e r des alten, baucrlichen R o m e r t u m s , der m a h n e n d e Feind des n e u a u f k o m m e n d e n Geldhandels, stellt in seiner Apotheose des Landlebens eine R a n g o r d n u n g der B o d e n auf, die a n die Spitze den W e i n b e r g stellt, d a n n den bewasserten G a r t e n , zu d r i t t das Weidicht, als vierten den Olivenhain, als fiinften das Weideland, als sechsten das Getreideland, zuletzt die verschiedenen W a l d a r t e n (De agri cultura, I, 7): das kleine Giitchen, spiiter Sehnsucht der romisehen Dichter, erscheint hier noch als wirkliche Lcbensgrundlage der 1 Eine grundliohe Untersuchung der Wirtsehaftsanschauung des Corpus Juris fehlt. v. SCHEEL, Die wirtschaftlielien Grundbegriffe im Corpus Juris Civilis, Jahrb. f. Nat. u. Stat., 1866; BRUDER, Zur okonomisoben Charakteristik des romisehen Eeohts, Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., 1876/77, und OEKTMANN, DieVolkswirtschaftslehre des Corpus iuris civilis, Berlin 1891, sind veraltet. STotwendig ist eine Arbeit von historisch-philologischer Seite, die die historischen iSchichten zu trennen versteht. (Bine Vorarbeit leisten die ,,Studien zur Geschichte der Geldlehre" von CONSTAHTIN MILLER, Stuttgart 1925, die fiir Griecheniand und die Patristik vollig unzulanglich sind, jedoeh in,,Goldwert und Geldbegriff im romisehen Recht" einen griindlichen Einblick geben.)
14
Vorgesohiohte.
Politiker u n d der Politik; das Weideland ist noch, das Getreideland schon ohne groBe B e d e u t u n g . N i c h t zwei J a h r h u n d e r t e s p a t e r priift VAKRO im augusteischen R o m (37 v. Chr.) die Riohtigkeit der CAionischen Scheidung u n d m e i n t , sich ihr anschlieBen zu k o n n e n bis auf einen P u n k t : an die Spitze ist das g u t e W e i d e l a n d zu stellen (Rer. R u s t . 1 7). N a c h i h m COLUMELLA, der Zeitgenosse S E N E C A S , muB schon die K l a g e e r h e b e n (De re rust. I Praef.), daB P e l d e r u n d Weinberge u m d e r T h e a t e r u n d des Zirkus willen verlassen werden — des PLINITJS Weheruf ,,latifundia perdidere I t a l i a m " wird so d u r c h die Agrarlehre belegt u n d e r h a r t e t . Selbst aus dieser E n t w i e k l u n g des L a n d b a u s u n d selbst aus CATOS W o r t e n darf jedoeh n i c h t der SchluB gezogen werden, es h a n d l e sieh u m den Vorgang einer allmahlichen Zersetzung d e r H a u s w i r t s c h a f t , oder gar, es spiele sich die g a n z e U m w a n d lung innerhalb einer hauswirtschaftlichen Verfassung a b . ,,Hauswirtschaft" h a t es freilich w a h r e n d der ganzen a n t i k e n Geschichte gegeben, u n d ihr Umfang u n d ihre B e d e u t u n g war gerade in der ausgehenden A n t i k e groBer als etwa in den J a h r h u n d e r t c n des F r u h k a p i t a l i s m u s ; z u m a l in den groBen D o m a n i e n der Kaiserzeit u n d insbesondere in den Provinzen gab es Gebiete v o n betrachtlicher GroBe, die nicht fur d e n M a r k t wirtschafteten, die ihre g e s a m t e landwirtschaftliche u n d gewerbliche Erzeugung auf die Familie des H e r r n m i t all seinen Angehorigen, Freigelassenen u n d Sklaven abstellten u n d die verschiedenen Erzeugnisse n a c h bes t i m m t e n D u r c h s c h n i t t s t a x e n a n e i n a n d e r maBen — das beriihmte Preisgesetz des D I O C L E T I A N h a t (nach einer einleuchtenden V e r m u t u n g v. DOMASZEWSKIS) solche D o m a n i a l o r d n u n g e n als Grundlage b e n u t z t . I n d e s s e n : ware solche hauswirtschaftliche Verfassung kennzeichnend fiir die gesamte Wirtschaft der Zeit oder auch n u r fiir ihren iiberwiegenden Teil, so hiitte niemals das I m p e r i u m als Wirtschaftseinheit e n t s t e h e n u n d sich b e h a u p t e n , niemals die W e l t s t a d t R o m m i t den H u n d e r t t a u s e n d e n ihrer Bevolkerung u n d i h r e m gigantischen ZuschuBbedarf an N a h r u n g s m i t t e l n , K o l o n i a l p r o d u k t e n , Gewerbserzeugnissen sich entwickeln u n d sich versorgen k o n n e n . Schon die Herrschaft R o m s zur Zeit der Republik, mindestens seit dem zweiten Punisehen Krieg, ist d e n n auch in s t a r k s t e m MaB verkehrswirtschaftlich durchgebildet u n d weist in alien Teilen eine b e t r a c h t liche E r z e u g u n g fiir den M a r k t auf. Auch CATOS Einstellung zur Wirtschaft wird vollkommeii miBverstandcn, w e n n m a n eine Eeindschaft gegen alien E r w e r b a u s ihr herausliest. W a s er bekampft, ist der Geldhandel, das Zinsnehmen — gegen Zinsen ausleihen, W u c h e r t r e i b e n ist i h m schlimmcr als Diebstahl, so wie auch die alten Gesetze den W u c h e r e r d o p p e l t so h a r t als den Dieb bestraft h a t t e n (Praef.). Aber Gewinn aus d e m Verkauf v o n Bodenerzeugnissen ist i h m n i c h t n u r n i c h t v e r d a m m e n s w e r t , sondern sein ganzes Buchlein ist eine S a m m l u n g v o n Anweisungen zur n u t z b r i n g e n d e n Landwirtschaft als Grundlage n u t z b r i n g e n d e r Marktverwortung. Dieser Erwerb ist eben, so wie A E I S T O T B L E S dargelegt h a t , fiir den a n t i k e n Menschen naturlich u n d rechtmaBig, nicht chrematistisch — u n d er w a r fiir den R o m e r senatorischen Standes u m so m e h r geboten, als die L e x Claudia v o n 218 i h m jede gewerbliche B e t a t i g u n g u n t e r s a g t e . Agrarwirtschaft ist der a n s t a n digste u n d sicherste E r w e r b , sagt CATO. E r w e r b , groBtmoglicher Gelderwerb durch m a r k t m a B i g e n Absatz — das ist das Ziel der romischen Gutswirtschaft, muB ihr Ziel sein, d e n n n u r so k a n n der G u t s h e r r in der Lage bleiben, seine ganze Tatigkeit in stolzer Bescheidenheit, ohne Vergiitung, unbestechlich den S t a a t s aufgaben zu widmen, wie es die Legende u n d die Geschichte v o n den groBen R o m e r n der R e p u b l i k berichtet. D a r u m auch jene niichterne Rechenhaftigkeit der CATOnischen Agrarlehre, die m a n als h a r t h e r z i g u n d unmenschlich gescholten h a t : der Gutsherr erzielt einen u m so h o h e r e n E r t r a g , je niedriger er die Erzeugungskosten h a l t ; einer ihrer Bestandteile ist teuer, u n d an i h m wird daher g e s p a r t : a m K a p i t a l a u f w a n d ; einer ist billig, u n d er wird s t a r k g e n u t z t u n d a u s g e n u t z t : die Sklavenarbeit.
Rom. — Das katholisohe Europa (Mittelalter).
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Diese Einstellung zur Landwirtschaft — nicht die sagenhafte , , H a u s w i r t s c h a f t " , die auch fur CATO n i c h t b e s t a n d — h a t fur V A R E O u n d sohon v o r V A R R O , schon in d e r Zeit d e r ausgehenden R e p u b l i k sich g e a n d c r t . Vor d e n Schatzen, die a u s den asiatisohen K r i e g e n u n d a u s d e r Herrschaft iiber die neuen, auBeritaliscben Provinzen n a c h R o m flieBen, verschwindet die B e d e u t u n g d e r Einkiinfte a u s d e r italisohen Bodenwirtschaft. Des V A R E O Schrift ist n i c h t m e h r a n einen bei senatorischem R a n g doch bauerlichen G u t s h e r r n gerichtet, der selbst sein G u t m i t dem Ziel groBtmoglichen E r t r a g s bowirtschaftet, sondern a n einen stadtischen Aristokraten, fiir den der italische Grundbesitz zwar standesgemaBe Verpflichtung ist, fiir d e n jedoch wirtschaftlich die G m n d r e n t e n u r geringe B e d e u t u n g neben den sonstigen Einkommensmoglichkeiten besitzt. S t a r k e r als b e i V A R R O ist d a n n bei COLUMELLA d e r fiir d a s I m p e r i u m , fiir d e n L a n d b a u , zuletzt fiir d e n Besitzer selbst i m m e r bedrohlicher werdende C h a r a k t e r d e r sozialen E n t w i c k l u n g spiirbar: noch i m m e r gilt gewerbliche Bctiitigung, gilt Schiffahrt u n d H a n d e l als n i c h t angemessen fiir die regierenden Schichten; so bleibt Landkauf die einzige K a p i t a l anlage, die Latifundien vergroBern sich, ehedem m i t Bauernstellen dicht besiedelte Gebiote worden e n t v o l k e r t . Aber die Grundbesitzcr in der Zeit des P r i n z i p a t s u n d v e r s t a r k t des D o m i n a t s h a t t e n , selbst w e n n sie noch d e n Boden als Erwerbsquelle n u t z e n wollten, nicht m e h r die Moglichkeiten der catonisohen Zeit bcsessen; seit der P a x A u g u s t a , seit d e r Reichsgriindung u n d -begrenzung k o m m e n n u r noch wenig neue Sklaven ins L a n d , die Billigkeit d e r Arbeitskraft h a t aufgehort. D a r u m wird es notig, alle intensiven K u l t u r e n aufzugeben, d a r u m freie oder halbfreie Arbeit heranzuziehen. A n Stelle d e r alten Gutswirtsehaft t r i t t d e r K o l o n a t . COLUMELLA h a t wie m a n c h e BuBprediger der Kaiserzeit gemeint, durch moralische u n d philosophische E r m a h n u n g e n d e n Lauf der E n t w i c k l u n g aufhalten, d a s R a d der Geschichte zuriickdrehen zu kSnnen. Aber wo die Gesetze des A U G U S T U S versagt h a t t e n , d a durften die W o r t e der R h e t o r e n n i c h t auf Erfolg hoffen. Mit d e m U n t e r g a n g R o m s w a r d auch das Schicksal dieser ersten Weltwirtschaft besiegelt. Mit d e m Zuriicktreten der Geld- u n d Kreditwirtschaft aber u n d m i t d e m N e u e r s t a r k e n der naturalwirtschaftlichen Ordnung, m i t d e r Reagrarisierung d e r ganzen Okumene verschwand fiir J a h r h u n d e r t e jcder G r u n d u n d jeder Sinn einer auBertechnischen Wirtschaf tsleh re. Q u e l l e n : Vgl. Text, dazu HOBAZ, VEEGIL, PLINIUS.
S c h r i f t e n : Eine Wirtschaftsgeschiohte der romischen Republik fehlt. Fiir die Kaiserzeit von grundlegender Bedeutung: ROSTOVTZEFF, The social and economic history of the Roman Empire, Oxford 1926. — Zur romischen Agrargeschichte sind die bekannten Schriften von GTJMMEKUS, MAX WEBEK, ROSTOWZEW (Kolonat) zu vergleichen. Zur Agrarlchre G. CARL,
Die Agrarlehre Columellas. Vicrtelj. f. Soz. u. W. Gesch. Bd. XIX.
I I I . D a s k a t h o l i s c h o E u r o p a (Mittelalter). Auch E u r o p a s wieder landlicher Charakter v o m d r i t t e n nachchristlichen J a h r h u n d e r t a n b e d e u t e t nicht ein Aufhoren d e r Geldwirtschaft, nicht einmal ein ganzliches Verschwinden des Geldhandels. Sowenig in d e r K u n s t plotzlioh a n einem Tage die romanische Zeit endet u n d die gotische beginnt, sowenig k e n n t die W i r t schaft eine plotzliche u n d restlose Ablosung einer Wirtschaftsform durch die a n d e r e . Zwar die besondere einheitliche O r d n u n g des Wirtschaftslebens, die wir nach SOMBARTS Vorgang Wirtschaftssystem n e n n e n , ist ein einmaliges geschichtliohcs Gebilde u n d also d e m geschichtlichen W e r d e n u n d Vergehen unterworfen. Doch keine Ordnung, die wir sehen, ist d a d u r c h gekennzeichnet, daB ein oinziger W i r t schaf tsgeist u n d ein einziger Wirtschaftsstil besteht, sondern n u r d a d u r c h , daB ein b e s t i m m t e r Geist u n d Stil die Vorherrschaft besitzt. Auch in kreditwirtschaft-
Rom. — Das katholisohe Europa (Mittelalter).
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Diese Einstellung zur Landwirtschaft — nicht die sagenhafte , , H a u s w i r t s c h a f t " , die auch fur CATO n i c h t b e s t a n d — h a t fur V A R E O u n d sohon v o r V A R R O , schon in d e r Zeit d e r ausgehenden R e p u b l i k sich g e a n d c r t . Vor d e n Schatzen, die a u s den asiatisohen K r i e g e n u n d a u s d e r Herrschaft iiber die neuen, auBeritaliscben Provinzen n a c h R o m flieBen, verschwindet die B e d e u t u n g d e r Einkiinfte a u s d e r italisohen Bodenwirtschaft. Des V A R E O Schrift ist n i c h t m e h r a n einen bei senatorischem R a n g doch bauerlichen G u t s h e r r n gerichtet, der selbst sein G u t m i t dem Ziel groBtmoglichen E r t r a g s bowirtschaftet, sondern a n einen stadtischen Aristokraten, fiir den der italische Grundbesitz zwar standesgemaBe Verpflichtung ist, fiir d e n jedoch wirtschaftlich die G m n d r e n t e n u r geringe B e d e u t u n g neben den sonstigen Einkommensmoglichkeiten besitzt. S t a r k e r als b e i V A R R O ist d a n n bei COLUMELLA d e r fiir d a s I m p e r i u m , fiir d e n L a n d b a u , zuletzt fiir d e n Besitzer selbst i m m e r bedrohlicher werdende C h a r a k t e r d e r sozialen E n t w i c k l u n g spiirbar: noch i m m e r gilt gewerbliche Bctiitigung, gilt Schiffahrt u n d H a n d e l als n i c h t angemessen fiir die regierenden Schichten; so bleibt Landkauf die einzige K a p i t a l anlage, die Latifundien vergroBern sich, ehedem m i t Bauernstellen dicht besiedelte Gebiote worden e n t v o l k e r t . Aber die Grundbesitzcr in der Zeit des P r i n z i p a t s u n d v e r s t a r k t des D o m i n a t s h a t t e n , selbst w e n n sie noch d e n Boden als Erwerbsquelle n u t z e n wollten, nicht m e h r die Moglichkeiten der catonisohen Zeit bcsessen; seit der P a x A u g u s t a , seit d e r Reichsgriindung u n d -begrenzung k o m m e n n u r noch wenig neue Sklaven ins L a n d , die Billigkeit d e r Arbeitskraft h a t aufgehort. D a r u m wird es notig, alle intensiven K u l t u r e n aufzugeben, d a r u m freie oder halbfreie Arbeit heranzuziehen. A n Stelle d e r alten Gutswirtsehaft t r i t t d e r K o l o n a t . COLUMELLA h a t wie m a n c h e BuBprediger der Kaiserzeit gemeint, durch moralische u n d philosophische E r m a h n u n g e n d e n Lauf der E n t w i c k l u n g aufhalten, d a s R a d der Geschichte zuriickdrehen zu kSnnen. Aber wo die Gesetze des A U G U S T U S versagt h a t t e n , d a durften die W o r t e der R h e t o r e n n i c h t auf Erfolg hoffen. Mit d e m U n t e r g a n g R o m s w a r d auch das Schicksal dieser ersten Weltwirtschaft besiegelt. Mit d e m Zuriicktreten der Geld- u n d Kreditwirtschaft aber u n d m i t d e m N e u e r s t a r k e n der naturalwirtschaftlichen Ordnung, m i t d e r Reagrarisierung d e r ganzen Okumene verschwand fiir J a h r h u n d e r t e jcder G r u n d u n d jeder Sinn einer auBertechnischen Wirtschaf tsleh re. Q u e l l e n : Vgl. Text, dazu HOBAZ, VEEGIL, PLINIUS.
S c h r i f t e n : Eine Wirtschaftsgeschiohte der romischen Republik fehlt. Fiir die Kaiserzeit von grundlegender Bedeutung: ROSTOVTZEFF, The social and economic history of the Roman Empire, Oxford 1926. — Zur romischen Agrargeschichte sind die bekannten Schriften von GTJMMEKUS, MAX WEBEK, ROSTOWZEW (Kolonat) zu vergleichen. Zur Agrarlchre G. CARL,
Die Agrarlehre Columellas. Vicrtelj. f. Soz. u. W. Gesch. Bd. XIX.
I I I . D a s k a t h o l i s c h o E u r o p a (Mittelalter). Auch E u r o p a s wieder landlicher Charakter v o m d r i t t e n nachchristlichen J a h r h u n d e r t a n b e d e u t e t nicht ein Aufhoren d e r Geldwirtschaft, nicht einmal ein ganzliches Verschwinden des Geldhandels. Sowenig in d e r K u n s t plotzlioh a n einem Tage die romanische Zeit endet u n d die gotische beginnt, sowenig k e n n t die W i r t schaft eine plotzliche u n d restlose Ablosung einer Wirtschaftsform durch die a n d e r e . Zwar die besondere einheitliche O r d n u n g des Wirtschaftslebens, die wir nach SOMBARTS Vorgang Wirtschaftssystem n e n n e n , ist ein einmaliges geschichtliohcs Gebilde u n d also d e m geschichtlichen W e r d e n u n d Vergehen unterworfen. Doch keine Ordnung, die wir sehen, ist d a d u r c h gekennzeichnet, daB ein oinziger W i r t schaf tsgeist u n d ein einziger Wirtschaftsstil besteht, sondern n u r d a d u r c h , daB ein b e s t i m m t e r Geist u n d Stil die Vorherrschaft besitzt. Auch in kreditwirtschaft-
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Vorgeschichte.
lich geordneten Zeiten gibt es noch naturalwirtschaftliche Gehiiuse — auch wenn die kapitalistische Unternchmung iiberwiegt, hort das Handwerk nicht auf —, auch wenn die Volkerwanderung sich iiber Europa ergiefit und die schon langst begonnene Riiokbildung der ohreraatistisohen Wirtschaft beschleunigt und neue agrare Wirtschafts- und Herrschaftsformen festigt, bleibt in einzelnen Gebieten der chrematistisehe Wirtschaftsstil am Leben. Neben den Uberresten und Urkunden sind gcrade diejenigen Gesetze, die man nur um ihrer Kapitalfeindschaft willen anfuhrt, Zeichen der nicht erstorbenen Chrematistik. Weder hatte das Konzil von Nicaea im Jahre 325 ein Zinsverbot fiir Kleriker aussprechen miissen, noeh hatte KARL DER GROSSE sich veranlaBt gesehen, es auf die Laien auszudehnen, hatte es nicht Geldhandel und Geldleihe in betrachtlichem Umfang gegoben. Es ist also wieder nicht in den wirtschaftlichen Tatsachen und gewifi nicht in ihnen allein begriindet, wenn die friihchristliche Zeit sich durch fast volliges Fehlen wirtschaftlichcr Lehrcn auszeichnet, wenn weder bei den groBcn griechischen Kirchenvatern, bci CLEMENS etwa oder ORIGENES, noch bei den Lateinern, bei TERTULLIAN oder CYPRIAN, AMBROSIUS oder AUGUSTINITS, wenn weder in ihren
dogmatischen Schriften noch in ihren Briefen auch nur der leiseste Ansatz zu einer katholischen Wirtschaftslehre enthalten ist. Auch nicht in einer Unkenntnis der wirtschaftlichen Tatsachen ist der Grund zu suchen — bekanntlich gehorte ein groBer Teil gerade der ersten Christen dem einfachen Volk an, und mancher der Apostel und der Vater hat zeitlebens als Handwerker sein tagliches Brot verdient. Indessen was sollte eine Wirtschaftslehre unter Menschen und in Jahrhunderten, denen das Diesseits nicht anders Geltung hatte denn als Vorstufe zum Jenseits, denen die politische, die rechtliche und zunial die wirtschaftliche Ordnung der Welt daher als gleichgiiltige und voriibergehende Fiigung orschien 1 Jedoch sowenig die Wirtschaft aus sich heraus einen bestimmten Geist und eine regelnde Lehre erzeugt, sowenig bleibt der Sinn ernes Werkes, das Wesen eines Reiches 1 durch Jahrhunderte unberuhrt, wenn nicht Menschen auftreten, deren Leben in der neuen Verkorperung des alten Geistes und im Kampf fiir seine Reinheit sich erfiillt. Auch das Christentum hat nicht „von selbst" ein Jahrtausend hindurch im wesentlichen seine Jenseitsrichtung bewahrt, sondcrn es ist eine der groBten Leistungen seiner berufenen Fiihrer in dieser Zeit, daB sie die Kraft besaBen, in der groBen Masse den Menschen das Vertrauen auf Jesu Wiederkehr und auf den verheiBenen Aion wach zu erhalten und in diesem Glauben ihre niemals ganz versunkenen begehrlichen Wiinsche nach einer Besserstellung im Diesseits zu erstieken. Die Schwere und die Wucht dieser selten gewiirdigten Leistung tritt deutlich zutage nicht erst im Gegensatz zur Neuzeit, wo mit Reformation und Kapitalismus das Individuum und das Diesseits fiber die erlahmende Macht des katholischen Giaubens den Sieg davontragen, sondern starker noch in dem Kampf, den von Anbegimi an das geistig-geistliche Christentum gegen seine weltlichen Bekenner fiihrte. Vergosse man nicht, daB Jesu Botschaft sich in erster Linie an die Miihseligen und Beladenen, an die Parias der alten Ordnung wandte — was lag nahcr, als daB sie, die schon des Lebenden Einzug in Jerusalem zu einer Art von Aufstand gegen die irdische Macht der Romer ausgestalteten, nach seinem Tod in dem an sie ergangenen Ruf ein Zeichen zugleich ihrer besonderen Auserwahltheit und auf der anderen Seite einer ewigen Verdammung der Besitzenden und Wohlhabenden erblickten? Schon im Evangelium selbst wird diese Moglichkeit zu friiher und gefahrvoller Wirklichkeit. Bei MATTHAETJS wendet sich Jesu Bergpredigt an ,,die Armen im Geiste" und verheiBt ihnen das Himmelreich (5, 3) — aber schon bei LTJKAS sind es die im Besitz Armen, die jetzt Hungernden, denen sein Wort 1 Uber Wesen und Werden von Idee und Form des christlichen Keiches vom Evangelium bis zu Augustin unterrichtet des Verfassers: Civitas Dei. Tubingen 1926.
Das katholische Europa (Mittelalter).
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gilt, und der Seligsprechung der Armen folgt ein Wehruf iiber die Reichen, deren Fiille in Not verkehrt werden wird (6,20—21, 24—25). In der Apokalypse, im JAKOBUS-, im TiMOTiiBusbrief, also in kanonischen Schriften, — nicht anders im HirtendesHERMAS, der lange kanonisches Ansehen genoB, ist dieses ,,Ressentiment" gegen die Reichen bereits ins Riesenhafte gewachsen — die ganze Geschichte kennt keinen wilderen Ausbruch als das haBerfullte Frohlocken des JAKOBUsbriefes iiber den siohoren Untergang der Besitzenden am kunftigen Schlachttag. Wenn es trotzdem mehr als ein Jahrtausend hindurch weder zu sozialistisehcn noch zu — im lieutigen Verstand — kommunistischen Bewegungen auf christlichem Boden gekommen ist, so muB noben der kraftvermittelnden Erwartung der nahen Endzeit, neben der Maoht von Christi Liebesgebot und neben Vorbild und Lehre der apostolischen und der Kirchenvater noch eine Tatsache in ihrer bindenden Bedeutung erkannt werden, deren mifiverstandene Auslegung in spiiteren Jahrhunderten diesseitig-wirtschaftliche Stromungen zu stiitzen und zu rechtfertigen diente: das Gemeinschaftsleben der Urchristen, zumal der Gemeinde der ,,Heiligen", der ,,Armen" zu Jerusalem. LUKAS zeichnet in der Apostelgescbichte (2, 42ff.; 4, 32ff.) jenes fromme Bild, das von nun an in alien monchischen und alien tauferischen Bewegungen seine fiihrende und veriiihrende Macht erwies, jene friedliche Schilderung eines Gemeinschaftsdaseins, bei dem alle Glaubigen zusammen lebten und alles gemeinsam hatten, die Giiter und Besitzungen verkauften und sie austeilten unter alle, so einer ihrer bedurfte. Es sind Zweifel laut geworden, ob diese Darstellung des LUKAS treu den geschichtlichen Vorgang wiedergibt, oder ob es sich hier um eine evangelische Ausschmuckung handelt, geboren aus dem Wunsch des Verfassers, das Ideal der Gemeinschaft des PLATONischen Staates, das die antike Welt noch immer hochhielt, im christlichen Leben verwirklicht zu zeigen. Wir halten unsrerseits die geschichtliche Deutung fiir richtig, wobei freilich zu erinnern ist, daB die ganzen Evangelien und auch die Apostelgcschichte ,,heilige Geschichte" in jenem Sinn sind, der Wirklichkeit und Mythus und Lcgendo zur Einheit verschmilzt — einer Einheit, die auch fremde Bilder sich anverwandelt und die also hier auch PLATOirisches Gut aufgenommen haben mag. Indessen, ob nun die Erzahlung des LUKAS von PLATON abhangt oder nicht — so ist fur unseren Zusammenhang allein die Tatsache wesentlich, daB bei dieser, unseres Erachtens viel zu grob gedachten, Verbindung doch richtig die Zusammengehorigkeit des PLATONischen und des christlichen ,,Kommunismus", verglichen mit allem modernen Kommunismus, erkannt ist. Schon von PYTHAGORAS wird das Wort berichtet, daB „den Freunden alles gemeinsam" sei, und in PLATONS Politeia ist diese Gemeinsamkeit zum auszeichnenden Merkmal eines Teiles der herrschenden Kaste geworden. Sie ist indessen weder hier noch dort dasjenige Zeichen, in desscn Namen sich die Gemeinschaft bildet, erhalt und erneuert. Die Gemeinschaft der Pythagoraer und der Platoniker ist ihrem Wesen nach ein geistig-leiblich-staatlicher Bund, so wie das Christentum ein seelisch-kirchlicher Bund, sie ist und bedeutet in der Antike eine politische, im Christentum eine religiose Einung, die so umfassend und so ausschlieBend ist, daB sie mit dem ganzen Leben ihrer Glieder auch den unwichtigsten Teil, die bare Voraussetzung dieses Lebens: Hab und Gut gemeinsam nennt und nutzt. Es ist eine Frage der Begriffswahl, ob man diese letzte Tatsache wichtig genug nimmt, um ihretwegen aueh vom Kommunismus der Politeia und des Urchristentums zu sprechen. Ohne Bedenken kann dies nur dann geschehen, wenn klar bewuBt bleibt, daB nur in einer Verneinung der politische, der religiose und dor moderne, der wirtsehaftliche Kommunismus einander gleichen: nur das Fehlen von Sondereigentum haben sie gemeinsam. Im iibrigen sind sie nicht nur ihrem tiefsten Wesen nach voneinander geschieden, sondern auch rein wirtschaftlich nehmen der politische und der religiose Kommunismus eine Sonderstellung ein. Weder PLATOK noch das Salin, Volkswirtschaftslehre. 2. Aufl.
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Vorgosohichte.
U r c h r i s t e n t u m k e n n e n einen K o m m u n i s m u s der E r z e u g u n g , s o n d e r n bier wie d o r t h a n d e l t es sioh urn einen K o m m u n i s m u s des Verzehrs, der ermoglicht wird d u r c h groBe, v o n fruher h e r b e s t e h e n d e u n d zur Verteilung gelangende G u t e r v o r r a t e oder d u r c h d a u e r n d e von nicht-kommunistischen Schichten n e u e r a r b e i t e t e u n d gespendete Beitrage. H i e r m i t h a n g t ein weiterer Unterschied aufs engste z u s a m m e n . Der politische u n d der religiose ist ein K o m m u n i s m u s des Gebens, der wirtschaftliche ein K o m m u n i s m u s des N e h m e n s — jener fu8t auf der Wesenlosigkeit, die fur den Besitzenden der Besitz angesichts des gottlichen Zieles der Gemeinschaft a n n i m m t , dieser auf der Wesenhaftigkeit, die das , , R e s s e n t i m e n t " des Besitzlosen d e m Besitz zuschreibt. DaB bei solch religioser Verwurzelung u n d Ausriehtung selbst des wirtschaftlichsten Bildes des U r e h r i s t e n t u m s keine ohristliehe Wirtsehaftslehre moglich war, k a n n n u n n i c h t m e h r w u n d e r n e h m e n . Viel e h e r m i i B t e m a n s t a u n e n , d a B es u b e r h a u p t gnostisehe Sekten g a b , die aus der Gleichheit aller Menschen vor G o t t d i e F o l g e r u n g einer Gleichheit vor u n d u n t e r den Menschen zogen; d e n n da dieser religiose K o m m u n i s m u s der Urgemeinde n u r den Verzehr erfaBte, war er in dieser F o r m i m m e r n u r v o n einem B u n d e durchzufiihren, der v o n einer nicht-kommunistischen Masse gestiitzt u n d u n t e r h a l t e n w u r d e , war er eine Lebensmoglichkeit fur die Heiligen zu J e r u s a l e m , denen PATJLTJS die K o l l e k t e n der ganzen Christenheit iiberbrachte, oder fur einzclne Orden oder fur den K l e r u s , niemals aber fur die Gesamtheit der Glaubigen. W a s dieser Menge wirtschaftlich u n d sozial zu sagen war, das ist m i t den W o r t e n des PATJLTJS: ,,ein jeder bleibe in d e m S t a n d , d a r i n n e n er geboren i s t " , erschopfend z u m A u s d r u c k g e b r a c h t — vor G o t t h a t t e jeder Glaubige gleiches Ansehen u n d gleiche Geltung, u n d u n t e r den Menschen war jeder Glaubige ein Bruder in Christo, einerlei, ob er reich oder a r m , ob er H e r r oder Sklave war. D a r u m h a t atich das fruhe C h r i s t e n t u m sich niemals gegen die Sklaverei gewandt, u n d es ist m e h r eine Folge des gcmeinsamen Gottesdienstes u n d der sozialen H e r k u n f t u n d Stellung der moisten Glaubigen als eine Folge ausdriicklicher Lehre, wenn sich zeitweise eine H e r a b m i n d e r u n g der sozialen Unterschiede u n d d a u e r n d eine Hoherschatzung der Arbeit durchsetzt — d e r Arbeit, die fiir die A n t i k e i m m e r m i t der Vorstellung v o n Miihe u n d SchweiB v e r b u n d e n u n d d a r u m dem E d e l n umziemlich gewesen war u n d die n u n nach der christlichen U m w e r t u n g der W e r t e langsam in die Rolle des wertschaffenden, j a des adelnden F a k t o r s hineinwiichst. D a wohl das E v a n g e l i u m , doch weder die K i r c h e noch Z a h l u n d A r t der Glaubigen noch I n h a l t u n d F o r m der Wirtschaf t d u r c h all die christlichen J a h r h u n d e r t e u n v e r a n d e r t blieb, war freilich auch die K i r c h e v o n Zeit zu Zeit genotigt, zu den wechselnden Erscheinungen des Tages Stellung zu n e h m e n . W e n n sie es aber t a t , so k o n n t c bei dem notwendigen F e h l e n einer Wirtsehaftslehre j e d e s o l c h e A u B e r u n g n u r als zeitliehe Ableitung aus d e m ewigen Sittengesetz gogeben werden, u n d ihre geschichtliche Folge gehort in eine D a r s t e l h m g der p r a k t i s c h e n Sitten-, n i c h t der praktischen Wirtsehaftslehre. Doch sei ein Beispiel des Beginnes gegeben, das die ganze A r t des Vorgehens deutlich zeigt u n d das zugleich d a r a n e r i n n e m m a g , welch ungeniitzte Fiille k u l t u r - u n d wirtschaftsgeschichtlichen Stoffes in den Schriften der K i r c h e n v a t e r noch der ErschlieBung h a r r t . Als die Z a h l der Christen i m 2. J a h r h u n d e r t so s t a r k anwuchs, daB ganze Dorfer u n d ganze L a n d s t r i c h e sich z u m neuen Glauben b e k a n n t e n , u n d als gleichzeitig zwar n i c h t der Glaube an die Wiederkunft Christi, jedooh die Hoffnung des lebenden Geschlechtes, sie noch m i t eigenen Augen zu schauen, schwacher wurde, w a r die Aufgabe, sich in der Welt einzurichten, dringlicher und unentziehbarer als in der Zeit der Apostel. Seinen , , S t a n d " aufzugeben oder gar es fiir christlich zu h a l t e n , einen ,,niederen" S t a n d gewaltsam zu a n d e r n , k a m auch j e t z t n i c h t in F r a g e ; indessen muBte eine E n t s c h e i d u n g dariiber getroffen werden, ob wirklich jeder Beruf dem Christen wohl a n s t c h c . Abermals sei der Gegensatz b e t o n t : nicht dies w a r
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die Frage, wie man wirtschaftlich oder technisch zweckmaBig verfahre — das katholische Christentum hatte und hat hierzu im letzten nichts anderes zu sageri, als daB jedes Verfahren unzulassig ist, das gegen die Gebote der Bibel und der Kirche verstoBt. Indessen je weitere Gebiete die Theologie ergriff, je mehr der kasuistisehe Verstand sieh der Liebesgebote bemachtigte, um so weniger geniigte die allgemeine Anweisung, 11m so mehr suehten die Vertreter der Kirche durch vorgeschobeno Zaune jede Ubertretung zu hindern und suehten die Glaubigen fur ihre taglichen Handlungen durch die Zustimmung ihrer Lehrer und Bischofe sich die Gewissensruhe zu sichern. Dieser doppelten Not entstammen die ersten groBen kasuistischen Schriften der Christenhcit, ihnen voran die Abhandlungen des TBETULLIAN uber die Idolatrie, den Gotzendienst. TEBTULLIAN greift bewuBt in Beruf und Wirtschaft ein, doch weder um sie ,,antik" zu gestalten, noch um sie „modern" zu erklaren, sondern um sie ,,religios" zu werten, die gebilligten Teile weiter zu gestatton, die verworfenen zu verbieten. Dabei wird nicht nur die Astrologie und das profane Lehramt als unstatthaft (9f.), sondern der gesamte Handel als bedenklich, der Handel in Weihrauch und anderen Spezereien als widerchristlich erklart, da sie f iir heidnische Gotteropfer gebraucht werden konnen (llf.). TERTULLIAN kennt die Wirtschaft seiner Zeit aufs genaueste, wirtscliaftliche Bilder dienen ihm zur Verdeutlichung seelischer und geistlicher Vorgange; so vergleicht er in der Schrift ,,Uber die BuBe" den Sunder, der ohne BuBe Vergebung erwartet, einem Menschen, „der die Hand nach der Ware ausstreckt, ohne den Preis zu bezahlen", so begriindet er seine Erwartung, daB gewiBlich Gott die BuBe priifen wird, mit der Erwagung, ,,daB schon der gewohnliche Verkaufer . . . die Miinze erst priift, ob sie nicht beschnitten, nicht abgogriffen, nicht falsch sei" (6). Wenn dennoch seine strenge Harte gegeniiber einzelnen Berufen Platz greift, so ist ihre Grundlage offenbar nicht Unkenntnis, sondern Gleichgultigkeit gegeniiber den unausbleiblichen wirtschaftlichen Folgen: die glaubige Gesinnung hat gelernt, ,,nicht einmal das Leben zu achten, viel weniger also den Lebensunterhalt" (12). Allein selbst Fragen dieser Art sind vom 5. Jahrhundert an nur seltcn noch von praktischer und also auoh nur selten von theologischer Bedeutung. Je mehr die romische Welt im ganzen den christlichen Glauben annahm, um so starker vollzog sich auch die Christianisierung der einzelnen Berufe. 'Nachdem der Weihrauch nicht mehr in heidnischen Tempeln, sondern in christlichen Kirchen dampfte, war der noch cben verbotcne Handel nun Gott wohlgefallig, und auBor dem Geldhandel gab es kein Gebiet der Wirtschaft mehr, bei dem schon die Betatigung als solche, nicht erst die Gesinnung und die Form der Betatigung aus der neuen Gemeinschaft ausschloB. Europas stete Riickbildung zu landlicheren Formen, die Allmacht jugendlichheroischen Geistes unter den neuen Herrschervolkern der Germanen und FrankoRomanen, die Ausbildung eines auf innerer Bindung fest gegriindeten Feudalismus haben dann noch das Ihre getan, um der Kirche jahrhundertelang die Notwendigkeit der Stellungnahme zur Wirtschaft zu ersparen. Wahrcnd der tjbergang der Staatsgewalt in christliche Hand schon im 4. Jahrhundert die Frage nach dem Wesen des christlichen Staates und dem Muster des christlichen Herrschers brennend werden lieB und des AUGUSTTNTTS gewaltige Schopfung der Civitas Dei schon zu Beginn der mittleren Zeit die bis zu THOMAS hin allgiiltige, die menschliche und die staatliche, die theologische und die philosophische Antwort bot, neigte das Mittelalter sich bereits dem Ende entgegen, als auch die Wirtschaft, sich neu entfaltend, dazu zwang, sie als Grenzgebiet in die Gotteslehre einzubeziehen. Erst als nach der Wende zum 11. Jahrhundert zugleich der wissenschaftliche Sinn in den mannbar werdenden Volkern sich wieder regte, als die Kreuzziige antike und arabische Geistigkeit, morgenlandische Wirtschaft und byzantinisches Gold vermittelten, als im agraren Europa die Stadte sich neu entwickelten, das 2*
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Vorgeschichte.
Geld wieder allgemein z u m Bindeglied des Verkehrs, d a n n zur Grundlage und z u m Mittel m e r k a n t i l e n R e i o h t u m s w u r d e , muBte auch die Kirche i m R a h m e n d e r praktischen Moraltheologie Stellung n e h m e n zu d e n n e u e n T a t s a c h e n der W i r t schaft. Sie t a t es in wechselnder F o r m u n d Strenge, u n d der Versuch, eine einheitliche L i m e historischer E n t w i c k l u n g in ihrer Lehre festzustellen 1 , ist d a h e r ebenso u n d aus gleichen Griinden zum Scheitern verurteilt, als wollte m a n in der bauenden u n d bildonden K u n s t in einer Zeit der handwerklichen B a u h i i t t e n m i t ortlicher B i n d u n g u n d E n t f a l t u n g das reiche Nebeneinander in ein einreihiges N a c h e i n a n d e r auflosen. Aber Eines ist doch den groBen Scholastikern u n d K a n o n i s t e n , v o n ALBEKTTTS M A G N U S u n d
T H O M A S VON A Q U I N 2 bis
zu
BUEIDANUS und
HEINRICH
VON L A N G E N S T E I N , alien g e m e i n s a m : auch sie fragen nicht n a e h dem inneren Gesetz, der inneren O r d n u n g der Wirtsehaft — die eigentiimliche F r a g e der modernen Volkswirtsohaftslelire, ihrer Meinung nach voraussetzungslos, in W a h r h e i t auf den Glauben der O b j e k t i v i t a t und Autonomie gegriindet —, sondern sie fragen nach der Vereinbarkeit wirklicher T a t b e s t a n d e m i t der Lehre, wie sie Bibel, Kirchenv a t e r u n d ARiSTOTELische Philosophie v e r m i t t e l n — sie stellen eine theologische F r a g e u n d geben eine theologische A n t w o r t . Wichtigste Hilfe h a t hierbei die Wirtschaftslehre geleistet, die A B I S T O T E L E S in der NiKOMACHischen E t h i k u n d der Politik entwickelt h a t t e . Wie s t a r k d e r U n t e r schied war zwischcn seiner ,,politischen" u n d der eigenen religiosen Ausrichtung, das b r a u c h t e u n d k o n n t e der Scholastik n i c h t zum BewuBtsein k o m m e n , d a ihr nicht n u r ,,dcr P h i l o s o p h " als allgemeine A u t o r i t a t in hochstem Ansehen s t a n d , sondern d a sie auch m i t R e c h t seine besondere Wirtschaftslehre in einem wesentlichen P u n k t , der meta-okonomischen H a l t u n g , als v e r w a n d t empfinden muBte und sohlieBlich da sie zeitlich sich vor die gleiche Aufgabe der Stoff-Sichtung u n d -Ordnung wie ABISTOTELES gestellt sah. W e n n es fur die gesamte Gcistesgeschichte nach P L A T O N u n d A B I S T O T E L E S gilt, dafi die W e l t ,,genotigt war, sich E i n e m oder dem Andern hinzugeben, E i n e n oder den A n d e r n als Meister, Lehrer, Fiihrer anz u e r k e n n e n " ( G O E T H E ) , SO b e d c u t e t die Scholastik das ausgesprochene E n d e d e r platonischen Zeit des Christentumes u n d den Beginn jener aristotelischen E n d z e i t , in d e r neben u n d vor den. h y m n i s c h e n Sang u n d die mystische Schau als n e u e Leistung der begrifflichen Sonderung u n d Zusammenfassung die systematisehe S u m m a t r i t t . I n der wissenschaftlichen K o m m e n t i e r u n g des ABISTOTELES nicht minder als in der P r o b l e m a t i k der fruhkapitalistischen Wirtsehaft wachst d a h e r h e r a n u n d bildet sich auch die neue Wirtschaftslehre. Da diese Lehre als Theologie zwar auch die F o r m der Wirtsehaft zu erklaren, jedoch vor allem ihren Sinn zu d c u t e n , ihr R e c h t , ihre Gerechtigkeit zu erweisen h a t , gelangt n u n m e h r in die Wirtschaftslehre ein ethisch-religioses E l e m e n t , ja ein E l e m e n t der Theodice, das auf den verschiedensten Gebieten sich bis zur jiingeren historischen Schule der Deutschen als wirksam erwiesen h a t . Trotz des gleichen W o r t e s ist es eine andere als die griechische ,,Gerechtigkeit", u m die es sich in all diesen J a b r h u n d e r t e n der Neuzeit h a n d e l t . Die griechische Dikaiosyne ist eine zugleich menschliche u n d staatliche T u c h t , die sich als MaB, als Ordnung, als Einklang der K r a f t e ausweist — ein VerstoB gegen sie wird daher u n m i t t e l b a r im Zerbrechen der F o r m oder im Verfall der E i n h e i t sichtbar, in sinnlichen Tatsachen 1 Dies ist der historische Irrtum des in Sachkenntnis und Sachfiille unerreichten Werkes von ENDEMANH, Studien in der Romanisch-Kanonistischen Wirtsehafts- nnd Rechtslehre, Jena 1874—83. (Vgl. auch vom gleichen Verfasser: Die nationalokonomischen Grundsatze der kanonistischen Lehre, Jena 1863.) 2 Aus der Summa Theologia des THOMAS kommt fur die Wirtschaftslehre vor allem Ha Ilae in Betracht. (In der neuen Ausgabe LEOS XIII. Bd. VHIff.) Daneben einige Stellen der Schrift ,,De regimine principum" I, 1 bis II, 4, die im ganzen fur seine Staatsauffassung wichtiger ist als fur seine Wirtschaftsanschauung.
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also, die keine Sophistik und keine Kasuistik auf die Dauer leugnen oder auch nur umdeuten kann. Die Scholastik iibernimmt diese objektive Gereehtigkeit der Alten — die thoraistisohe Scheidung einer iustitia distributiva und einer iustitia eommutativa stammt aus ARISTOTELES und entsprieht vollkommen seiner Scheidung —, jedochtritthierzu die ohristliche Gereehtigkeit als innermenschlichoTugend, iiber deren Bestohen keine iiufiere Ordnung etwas besagt, sondern nur die gottliche Entscheidung, zu deren Dolmetsch sieh Priester und Theologen bestellt wissen. Gerade hierduroh wird die Gereehtigkeit zu einer Erage des Verkiindens und Glaubens, und es hangt ebenso sehr von der personlichen Starke dieser Deuter des Gotteswortes wie von der katholischen Gesinnung der Glaubigen ab, wieweit der vertretende Spruch der Kirohe Geltung findet. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daB die besondere, zeitliche Lehre oder, rich-tiger, die besondere Auslegung um so mehr umkampft wurde, je mehr sie ,,irdisehe", politisohe wie wirtschaftliche Belange beruhrte: Gebote der ethischen Gesinnung konnte man, selbst wenn man sie nicht befolgte, schweigend bestehen lasson — Gebote der ethischen Handlung dagegen konnten zu storend fiir das pcrsonliche Auftreten und zu hinderlich fur die Entwicklung der neuen ,,Geschaftsmoral" werden, als daB man nicht immer wieder hatte trachten sollen, fiir die sich wandelnde Wirtschaft eine Rechtfertigung durch neue Auslegung der gleichbleibenden religiosen Grundlehren zu erhalten. Darum die immer wieder erneuten Versuche, die Kirehe zunachst zu einer Festlegung, dann zu einer Anderang ihrer Ansichten iiber das Eigentum, fiber den Preis, iiber den Zins zu bringen. Diese Versuche waren vergeblich, solange das Papsttum die voile Strenge fruhchristlicher Zeiten auch gegen den Ansturm der neuen Wirtschaftskrafte aufrecht erhielt. Aber wenn noeh Papst ALEXANDER III. das Zinsverbot als rechtsverbindlich fiir die weltliche Gesetzgcbung, wenn noch im Jahre 1311 das Konzil zu Vienne jede entgegengesetzte weltliche Gesetzgebung als null und nichtig erklarte, so lieB sich die Tatsache der neuen Wirtschaft durch solche Porderungen und Verfiigungen nicht aus der Welt schaffen, und wenn die Kirehe sich nicht ihres ganzen Einflusses auf das praktische Handeln begeben wollte und auf der anderen Seite doch auch nicht diese sprengenden Krafte als gottlich oder gottgefallig zu sanktionieren vermochte, so blieb ihr nichts anderes iibrig als der zunachst erfolgreiche, auf die Dauer fiir sie selbst lebensgefahrliche Versuch, in voller Kenntnis der neuen Eormen sie in ihren Bereich einzubeziehen und sie von der Gesinnungsseite her zu entgiften. Es kam hinzu, daB die Kirehe, die das ,,ora et l a b o r a " predigte, nicht wohl gegen die neue Arbeitsamkeit, gegen die neue Regsamkeit in Gewerbe und Handel feindlich auftreten konnte, und auch die Tatsache, daB sie selbst in starkem Umfange wirtschaftliche Giiter besaB und wirtschaftliche Ziele verfolgte, konnte nicht ohne EinfluB auf ihre Stellungnahme bleiben. Wie sollte sie alien Zins verbieten, wenn der Bodenzins fiir sie die einzige Moglichkeit darstellte, um ihre riesigen Landereien nutzbringend zu verwenden? Und wenn der Bodenzins auch als ,,natiirlich" zu rechtfertigen war, da hier die Natur einen zusatzlichen Ertrag gab, wie wollte sie es verhindern, daB nicht mit der Zeit auch der Kapitalzins gleiche Anerkennung verlangte, zumal wenn er in einer Einkleidung gefordert und gezahlt wurde, die ihn als Bodenzins erscheinen lieB? Ecrner: wenn man den MeBwechsel zulieB, weil hier ein Transport des Geldes unterstellt u.id fiir diesen eine Vergtitung beansprucht werden konnte, wie wollte man dann auf die Dauer die anderen Formen der neuen Geldwirtschaft verfemen? An dem Wort des LuKAS-Evangeliums: ,,mutuum date, nihil inde sperantes" war freilich nicht zu riitteln — aber war es nieht eine Erage der Auslegung, was unter ,,mutuum" zu verstehen sei? So wurde der Reihe nach das damnum emergens, das lucrum cessans, das periculum sortis, der Rentkauf als zulassig erklart und derart eine Reihe von Wirtschaftsformen gebilligt, die dem Bediirfnis der Wirtschaft nach Kredit entgegenkamen. Wahrend die reine Geldleihe gegen Zins weiter verpont
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Vorgeschichte.
blieb, lieB man derart den Konsumtivkredit seinen Anwendungsbereich erweitern bis in sehr „produktive" Gebiete hinein, ohne daB man gezwungen gewesen ware, die strengen Grundsatze der Kirehenvater ausgesprochenermaBen zu verleugnen oder den tragfahigen Boden der ARiSTOTELES-undCiCEBO-Exegese zu verlassen. Es ist eine Leistung, deren machtigem AusmaB man nur dann gerecht wird, wenn die Tatsache vor Augen bleibt, daB hierdurch der religiose Kern bis in entlegenste AuBengebiete des Lebens hinein nicht nur einen im GroBen richtunggebenden, sondern auch einen im einzelnen formbestimmenden EinfluB beansprucht und ausiibt. Indessen wie stets die Herrschaft iiber einen weiten Raum mit einer Schwachung der Mitte verbunden ist, so hat auch die Scholastik, die groBe Hiiterin der kirchlichen Tradition, die Hohe katholischer Philosophie und die Vollendung und weiteste Dehnung ihres geistigen Gebaudes, gerade in ihrer Weite und ihrem Reichtum die Keime aufgenommen, an denen beim Erlahmen der religiosen Bindung das ganze geistige Gefiige stirbt: indem sie neue Provinzen der Theologie unterwirft, schafft sie fur spatere Jahrhunderte die selbstherrlichen Gebiete selbstandiger Wissenschaften. Zwei Erscheinungsformen der europaischen wie aller zivilisierten Wirtschaft waren es, angesichts deren die Frage nach der Gereehtigkeit, nach ihrer Begriindung auf gottliches Gebot oder naturliches Recht besonders brennend wurde und bis zur Gegenwart, durch alle kapitalistisohen Jahrhunderte hindurch, in wechselnder Fassung von qualender Bedeutung blieb: das Eigentum und der Preis. Fur den Kommunismus des Gebens war das Eigentum eine gleichgultige Angelegenheit, die nur dadureh wesentlich werden konnte, daB ihr die Freude des SichEntauBerns, des Schenkens verdankt ward. Nun aber war das Eigentum wieder verfestigt, war untronnbarer Bestandteil der neuen Wirtsehaftsordnung, und wenn dicse von Gott war, war es dann nicht auch das Eigentum? ,,Propriotas possessionum," antwortet THOMAS, ,,non est contra ius naturale, sed iure naturali superadditur per adinventionem rationis humanae." Mit andern Worten: Das Eigentum ist zwar nicht gcgen das Naturrecht, aber es ist doch auch nicht von ihm gefordert, sondern es ist eine mit ihm vereinbarte Hinzufugung derMenschen. Damit ist nach dem Willen des THOMAS fur das Fundament der Wirtschaft zwar noch die gottliche Sanktion versagt, aber fur die Folgezeit wichtiger wurde, daB es iiberhaupt in Beziehung gesetzt ist zur hoheren Ordnung; denn so ist die wichtigste und schwierigste Stufe der Rechtfertigung iiberwunden, wenn auch der Schritt noch groB ist bis zu einer Auffassung, die jeden Angriff auf das Eigentum als VerstoB gegen den gottlichen Willen hinstellt. Wichtiger noch als die Eigentumslehre war fur die Jahrhunderte des ausgehenden Mittelalters — und durch ihre Nachwirkungen auch fiir die sogenannte Neuzeit — die Preislehre der Scholastik, die Lehre vom iustum pretium, dem gerechten Preis, die zwar zunachst untcr Berufung auf AxiGUSTiif vorgetragen wurde, jedoch inhaltlich sehr schnell iiber die allgemein gehaltene Anweisung des groBen Kirchenvaters hinauswuohs. ATJGVJSTIN hatte dem Satz, daB jeder tcuer verkauf en und billig kaufen wolle, das Beispiel eines Mannes entgegengehalten, der, als ihm eine wertvolle Handschrift von einem des Wertes unkundigen Verkaufer billig angeboten wurde, wesentlich mehr, den ,,gerechten Preis" dafur zahlte 1 . Die Scholastik sieht in dieser Lehre ein allgemein verbindliches Gebot, doch bleibt sie nicht bei der ethischen Regel stehen, sondern sucht genau zu bestimmen, welcher Preis denn gerecht ist. Wahrend die zur Beurteilung des Handels im AnschluB an AEISTOTELES entwickelte scholastische Scheidung der Wirtschaftsarten sich in vollem Umfang innerhalb der Ethik halten konnte — die artes possessivae unterscheiden sich von den artes pecuniativae nicht durch ihren Inhalt, sondern durch ihr Ziel, 1
Be trinitate XIII 3.
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jene die Dienerinnen der menschlichen Wohlfahrt, diese die Sklavinnen eines Gewinnstrebens ohne Sinn und Grenzen —, wahrenddessen setzt die Antwort auf diese Frage nach dem gerechten Preis nun sehon eine genaue Beobaohtung der tatsachlichen Wirtschaftsvorgange voraus; denn wenn noch so sehr die ethische Beeinflussung, die ethische Festsetzung der Preise hochstes Ziel war, so konnte man sich doch dem Sachverhalt nicht verschlieBen, daB Preise GeldgroBen sind, bei denen der Zusammenhang mit einer bestimmten Leistung auf der einen, mit dem konkreten Bedarf und der Schatzung einer Kauferschicht auf der andern Seite berueksichtigt werden muBte. Alle ,,modernen" Preiserklarungsgriinde werden nun entdeckt: die indigentia, der Bedarf, das Bediirfnis ist von ALBEETUS an Gemeingut der Scholastik — BTJBIDANFS 1 (e. 1300—c. 1360) macht dariiber hinaus die wichtige Unterscheidung zwischen einer indigentia communis, dem Allgemeinbedarf, und den indigentiae particulares, den Einzelbediirfnissen, die in bestimmten Fallen den gesellschaftlichen Preis zu andern vermogen. Die Bedeutung der Erzeugungskosten einschlieBlich des Arbeitslohnes (jedoch selbstverstandlich ausschlieBlich jeder Kapitalvergutung, dem dritten Kostenfaktor der Moderne) ist zuerst von THOMAS betont — raritas, die Seltenheit, als Preisvoraussetzung und periculum, die Gefahr, die Risikopramie, als Preissteigerungsgrund werden von BEBNAEDIN 2 von Siena (1380—1444) herausgearbeitet. Bei all dieser Auflosung des einzelnen Preises aber wird festgehalten: daB der ,,gerechte" Preis nicht aus seinen Elementen erklart, sondern nur unter Wiirdigung der wirtschaftlichen und sozialen Gesamtlage ermittelt werden kann, wodurch bewuBt ein betrachtlicher Spielraum fiir Preisschwankungen gelassen wird. Von einer grundsatzlichen Wirtschaftsfeindschaft oder auch nur von einer tatsachlichen Wirtschaftsfremdheit der Scholastik zu sprechen ist also um nichts richtiger als die gleiche Behauptung gegeniiber den antiken Philisophen. Feind ist die Scholastik als Hiiterin der christlichen Tradition nur dem Erwerben um des Erwerbes willen — aber wie sollte sie denn den widerchristlichen Erwerb von einer christlichen Wirtschaftsgesinnung trennen, wenn ihr die Wirtschaft als solche fremd war? Leichter konnte heute in einer Zeit, da die echte Glaubigkeit unter den Menschen aller Bekenntnisse selten geworden ist, ein Prediger von Dingen des iiuBeren Lebens fehlerhaft reden, ohne dadurch sein Ansehen zu vermindern, als dies im 14. und 15. Jahrhundert moglich war, wo Haus und Kirche, Leben und Glauben sich in einer heute kaum mehr vorstellbaren Weise durchdrangen. BuBprediger mochten dann die ganze Wirtschaftswelt als Machwerk des Teufels verdammen, und auch die reichen Handelsherren von Florenz waren bereit, zu Zeiten diese Stimmen anzuhoren. Solange aber nicht eine allgemeine Verfemung der neuen Wirtschaft statt hatte, ware jeder der Lacherlichkeit verfallen, der Regeln verkundet und Anweisungen aufgestellt hatte, die widersinnig und praktisch undurchfiihrbar waren. Enthielt eine Summa iiberhaupt Wirtschaftsrecht, so durfte dieses nicht weniger sachverstandig sein, als fiir jeden anderen Teil der Summa von alters her Pflicht und Brauch war, und verkiindete einer der groBen Scholastiker in seinen Predigten den italienischen Burgern iiberhaupt Wirtschaftslehren, so durften diese nicht hinter dem sonstigen Stand der praktischen Theologie zuriiokbleiben. Wer diesen so naheliegenden und doch gemeinhin noch immer verkannten Sachverhalt erfassen will, der greife zu den Predigten des BBENAEDIN von Siena und frage sich, ob wohl die Zeitgenossen des JAOOPO DBLLA QUBECIA, des Mitbegriinders
der
groBen Bildhauerkunst der Renaissance, einen Franziskaner nicht nur einmal, sondern durch Jahre hindurch immer wieder angehort und seine Predigten verbreitet 1 Quaestiones super decern libros Ethicorum Aristotelis; insbesondere V 10—23, I X 1. Ferner: Quaestiones super octo libros Politieorum Aristotelis; insbesondere I, 11—16. 2 Opera Omnia (versohiedene Ausgaben; von uns benutzt: 4 Bde., Venedig 1745). Besonders wichtig die Sermones XXXIII—XLII.
Vorgesohiohte.
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unci der Nachwelt aufbewahrt hiitten, waren seine vielen, aufeinanderfolgenden Predigten iiber Wirtsohaftsfragen wirklichkeitsfremd oder gar wirtschaftsfeind gewesen . . . U n d der greife vor allem zur S u m m a m a i o r 1 des A N T O N I N U S v o n Florenz u n d vergegenwartige sieh, daB dieser groBe Kirchenfiirst — 1389 geboren, 1446 Erzbischof, 1459 gestorben — in d e n J a h r z e h n t e n der groBten politischen Macht u n d groBten wirtschaftliehen Bliite v o n Florenz gelebt h a t , daB d a s Florenz der fruhen Renaissance, das Florenz des COSIMO M E D I C I , der BBUNELLESCHI
und
D O N A T E L L O , der
L E O N BATTISTA A L B E B T I und
LTJCA D E L L A
R O B B I A , der MASACCIO u n d F E A A N G E L I C O u n t e r seiner Mitwirkung e n t s t a n d e n ist. D a n n wird die Fabel, daB der Aufschwung des K a p i t a l i s m u s erst m i t d e m P r o t e s t a n t i s m u s einsetzt, n i c h t melir lange w a h r e n , u n d es wird R a u m geschaffen sein fiir die E r k e n n t n i s , daB A N T O N I N einer der wenigen, wirklioh groBen Theoretiker aller Zeiten gewesen ist u n d daB sein W e r k e n t h a l t — zwar n i c h t ein , , m o d e r n e s " W i r t s c h a f t s , , s y s t e m " , j e d o c h : die W i r t s c h a f t s s u m m a der Friihrenaissance, das abschlieBende W o r t der Scholastik kurz vor d e m Z u s a m m e n b r u c h der katholischen W e l t . H a t t e THOMAS 150 J a h r e zuvor in vergleichsweise n a h e m AnschluB an A U G U S T I N in der Aufrechterhaltung des standesgemaBen U n t e r h a l t s ein Anzeichen gcrechter Preisstellung erblicken k o n n e n , so ist n u n n a c h d e m Aufstieg v o n H a n d w e r k s - u n d Handelsgeschlechtern zu n e u e m R e i c h t u m u n d zur herrschenden Macht i m S t a a t e keine Wirtschaftslehre m e h r moglich, die jede Verander u n g der Wirtschaft leugnet. Mit m o d e r n e n Begriffen gesagt: W a r die W i r t schaftslehre des THOMAS wie das Wirtsehaftsleben seiner Zeit vorwiegend „stat i s e h " , so war es die Aufgabe von B E B N A B D I N u n d A N T O N I N , der , , D y n a m i k " des K a p i t a l i s m u s R a u m zu sohaffen. Sie t u n es, i n d e m sie eine Eigenschaft des n e u e n U n t e r n e h m e r s , die ,,industria", den Eifer, den FleiB, die schopferische Tiitigkeit als Preisbestandteil der W a r e a n e r k e n n e n , u n d indem sie sogar der i n d u s t r i a des K a u f m a n n s ein R e c h t zur A u s n u t z u n g v o n Preis- u n d Geldschwankungen zubilligen. A N T O N I N vormag es u m so leichter, als schon seine W e r t lehre einen subjektiven F a k t o r e n t h a l t ; er sieht, daB Nutzlichkeit u n d Seltenheit, beides objektive Eigenschaften, zur W e r t b e s t i m m u n g nicht ausreichen, daB vielmehr die complacibilitas, die S c h a t z b a r k e i t 2 , noch v o n preisbestimmendeim EinfluB ist; diese h a t zur Folge, daB der gerechte Preis n i c h t zahlenmaBig festgelegt werden k a n n , sondern daB ein gewisser Spielraum fiir Beriioksichtigung der Unterschiede v o n Person, Zeit u n d Ort gelassen werden muB. A N T O N I N k e n n t d a h e r drei Grade des gerechten Preises, i n n e r h a l b derer n u n der individuelle vom gesellschaftlichen, der Markt- v o m natiirlichen oder n o r m a l e n Preis abweichen k a n n . Dieser Preislehre entspricht a n Umfassung u n d B e d e u t u n g des F l o r e n t i n e r s Lehre v o n K a p i t a l u n d L o h n . Auf ihre einzelne Darlegung k a n n hier verzichtet werden, d a vor allem darauf a n k a m zu zeigen, n i c h t n u r was alles hier gelehrt wird, sondern wie es gelehrt w i r d : GroBte Wirtschaftskenntnis bleibt doch im R a h m e n des religiosen Sollens, die Wirtschaft bildet nicht ein System fiir sich, sondern bleibt ein Teil der theologisohen S u m m a . D a r u m war es ein grotesker I r r t u m , w e n n d e r Sozialismus zeitweise fiir seine Arbeitswertlehre sich auf die Scholastik berufen wollte — 1 In der zweibandigen StraBburger Ausgabe von 1496, die uns allein zur Verfugung stand, ist von besonderer Bedeutung fiir die Wirtschaftswissenschaft: Pars I I . Titulus 1 ,,De avaritia" (darin cap. 6 ,,De usura", 8 ,,De venditione ad terminum", 16 ,,De fraude in emptione", 17 „De fraude in negociatione") und Titulus 2 ,,Dc restitutionibus". 3 Wir iibersetzen „Sehatzbarkeit", um zum Ausdruck zu bringen, daB der objektive Charakter der Scholastik stark genug ist, um selbst die als subjektiv erkannton, verschiedenen Sohatzungen der Individuen doch in ihrer Moglichkeit als objektive Eigenschaft des Gutes zu fassen.
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THOMAS und die gesamte Scholastik sieht in der Albeit zwar eincn, doch niemals „den" Preisbostimmungsgrund, und gar die These, nur die Lange der Axbeitszeit, nicht die Giite der Arbeitsleistung sei als „Arbeit" zu verstehen, ware nicht einmal eine Denkmoglichkeit fiir den doctor angelicus gewesen. Nicht minder irrig ware es, wollte die subjektive Wertlehre in ANTONIN ihren Schutzherrn sehen — fiir ANTONIN, den Berater des grofien COSIMO und Ordensbruder des FRA ANGELICO
konnten die subjektiven Faktoren nur verandernde Einflusse in einem festen, objektiven System sein. Aber wie in einer langen Entwicklung mancher Keim sich anders entfaltet, als der Samann angenommen hatte, so mag auch ANTONIN zum unmittelbaren Ahnherrn einer Lehre geworden sein, die in ihrer losgelosten, rein-subjektiven Form seiner eigenen gegensatzlich war: die Annahme eines franzosischen Forsehers ist nicht von der Hand zu weisen, daB GALIANI, der Abbe, und TURGOT, der Schiller des Seminars von Saint Sulpice und einstmalige Prior an der Sorbonne, bei ANTONIN die Anregung zu ihren ,,modernen", psychologischen Wertlehren fanden. Nach der Lehre vom Eigentum und vom gerechten Preis bedarf eines kurzen Hinweises noch die scholastische Geldlehre, die an praktischer Bedeutung wie in der Antike so auch jetzt im Vordergrund stand. In einer Zeit, in der Falschmiinzerei selbst den Regierungen nicht fremd war, in der die Einziehung und Neuausgabe des Geldes, der Munzverruf ein gebrauchliches und eintragliches Mittel staatlicher und bischoflicher Finanzpolitik darstellte, muBte nicht nur aus der ABiSTOTELES-Exegese, sondern aus der taglichen Erfahrung die Frage nach dem Ursprung und dem Wert des Geldes sich erheben. Die Anwort des THOMAS, der die Entstehung des Geldes aus einer Art von Ubereinkunft erklarte und seine Geltung ausschlieBlich auf die ,,staatliche Proklamation" (G. F. KNAPPS Begriff) zuruckfiihrte, befriedigte zumal in Frankreich, wo PBXLIPP DER SCHONE durch dauernde Miinzverschlechterungen das Land an den Rand des Abgrunds brachte, weder das Volk noch die berufenen Ausleger des ARISTOTELES — man konnte sich keinen ,,valor impositus", keinen ,,proklamatorischen" Geldwert mehr denken, dem nicht ein ,,valor intrinsecus", ein stofflicher Geldwert, entsprach. So kam BURIDANUS dazu, die Bedeutung des Geldes als Tausch- und Zahlungsmittel genauer zu untersuchen, so suchte er die Miinzverschlechterung als einen unerlaubten VerstoB gegen das Wesen, die Idee des Geldes zu entlarven, und so gab er in der Frage des Wortes die fiir die Zeit des Wahrungsverfalls einleuchtendero, metallistische Antwort, daB der Wert des Geldes aus dem Geldstoff stamme; so ward das ,,GRESHAMsche" Gesetz wiedergefunden, die Verdrangung des guten Geldes durch das schlechte wieder beobachtet. Als NICOLAS ORESME, Bischof von Lisicux, in der Mitte des 14. Jahrhunderts sich diese neu aufgetauchten Einsichten zu oigen machte, gab er, fiir alle Folgezeit bedeutsam, ihnen dadurch groBeres Gewicht und verstarkte Wirkung, daB er zuerst die Geldfragen in eignem Rahmen und eigner Schrift behandelte. Wirtschaftliches Wissen hatten die Fxihrer der Scholastik in nicht geringerem MaB besessen als er, an Selbstiindigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis stand er hintcr alien zuriick. Aber indem er die Schrift ,,Tractatus de origine, natura, iure et mutationibus monetarum" 1 gesondert abfaBte und veroffentlichte, tat er den ersten Schritt zur Loslosung der Okonomik aus dem bergenden, aber auch einengenden Gehause der systematischen Theologie, Ethik und Politik — nicht der ,,groBte scholastische Volkswirt", wohl aber symptomatisch wichtig als technischer Wegbereiter von der religiosen Wirtschaftslehre der Scholastik zur ersten Form der autonomen Wirtschaftslehre, dem Schrifttum des Merkantilismus. 1 Neudruck des lateinischen Textes und einer alten franzosisohen Ubertragung (zusammen mit dem Traktat des COPEKNICFS „Monete eudende ratio") durch M. L. WOLOWSKI. Paris 1864.
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Vorgesehichte.
Quollen: Die Quellen sind von hier an so reichlich, daB auf ihre Sonderaufzahhmg verzichtet werden muB. Die wichtigsten Namen werden jeweils im Text genannt, die wichtigsten Werke in den Anmerkungen. — Ein Vorzeichnis s a m t l i c h e r Sehriften eines Verfassers findet der Leser in den bekannten Handbiichern (Handworterbuch der Staatswissenschaften4 ; PALGRAVES Dictionary usw.). S e h r i f t e n : ENDEMANN, O. C ; PUNK, tjber die okonomischen Ansehaunngen der mittelalterlichen Theologen, Zeitschr. f. d. ges. Staatsw. 1869; FUNIC, Gesehichte des kirehlichen Zinsverbotes, 1876; SCHNEIDER, Neue Theorie iiber das kirchliohe Zinsverbot, Vierteljahrsehr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 1907; GIERKE, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., Berlin 1868—1913; SCHREIBER, Die volkswirtschaftlichen Ansehauungen der Soholastik seit Thomas von Aquin, Jena 1913; ASHLEY, An introduction to English Economic History and Theory, 1888f£.; iibersetzt von R. OPPENHEIM unter dem Titel ,,Englisehe Wirtschaftsgeschichte", Leipzig 1896. — Das wiehtigste franzosische Werk: BRANTS, Les theories economiques aux X I I I ' et XIV ° siecles, 1895. — Die Brauchbarkeit nahezu aller hier genannten Sehriften wird eingeschrankt durch die infolge ihrer Entstehungszeit unvermeidliche Nichtkenntnis der neueren wirtschaftsgeschichtlichen Begriffe und Probleme; dies gilt auch fiir die Arbeit von ILGNER iiber ANTONIN von Florcnz. Die Beziehung der Scholastik zum Kapitalismus ist auBer in SOMBARTS ,,Bourgeois", dessen neunzehntes Kapitel das Beste iiber den ganzen Fragenkreis enthalt, ernsthaft untersueht nur in der kleinen Studie von F. KELLER, Unternehmung und Mehrwert, Paderborn 1912. Dringend erforderlich ware und reichen Ertrag fiir die Gesehichte der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaft versprache eine Arbeit, die, verwandt dem beriihmten Aufsatz von MAX WEBER, die Frage „Katholische Ethik und Geist des Kapitalismus" behandelte.
Greschichte. I. Die merkantilistische Okonomik: politische Wissenschaft. Nicht zufallig hat THOMAS VON AQUINO (1225—1274) in politischcn und wirtschaftlichen Fragen die groBte Weite aller Soliolastik erreicht, nicht zufallig gerade OEESMB (1323—1382) den entscheidenden Schnitt zwisohen Okonomik und Theologie vollzogen: der Aquinate hatte in Neapel in der Herrschaft des groBten Fiirsten seines Jahrhunderts, des zweiten FBIEDRICH, die fur den Augenblick noeh unterlegenen, in ihrer Bedeutung aber unverkennbaren Krafte und Machte der anbrechenden neuen Zeit am Werk erlebt, der gelehrte Bischof entstammte dem Land, das zuerst den Siegeszug des neuen nationalen oder richtiger: territorialen Gcdankons sah und das sich stark genug fuhlte, um mit weltlicher Gewalt das Obcrhaupt der Kirche gefangen zu setzen. Wenn in anderen Zeiten die Wirtschaftswissenschaft der Wirtschaftspolitik den Weg wies — fur die ganzen Jahrhunderte des Friihkapitalismus gilt, daB das Leben dem Wissen die Fragen stellt, und daB kaum ein einziger weiterfiihrender wissensehaftlieher Sehritt dem Willen zur Erkenntnis und der StoBkraft des Gedankens, sondern ein jeder der Notwendigkeit, neue Lebenstatsachen zu meistern, seinen AnstoB verdankt. Was hierbei die Merkantilisten von den Scholastikern zutiefst scheidet, ist nicht nur das sehon genannte auBere Zeichen: der Verzieht auf den Einbau des neuen Gebiets in das groBe System der katholischen Theologie, sondern mehr noeh die Anderung der Gesamthaltung zur Welt, woraus dann jener Sachverhalt sich als notwendige Folge ergibt und eine innere und auBere Wandlung der Fragestellung hervorgeht. Nicht mehr Rechtfertigung, sondern Erforschung der Tatsachen, nicht mehr Apologie, sondern Analyse sind nun Ziel und Mittel der Darstellung. Wo die Scholastik sich gemuht hatte, ethisch den erlaubten vom unerlaubten Reichtum zu scheiden, suchen die Merkantilisten nach dem technisch tauglichsten Mittel, den Reichtum jedweder Art zu fordern; wo die Scholastik das Zinsnehmen als Ganzes ethisch in Frage gestellt und nur gezwungen einen Tatsachenkreis nach dem andern dem Zins geoffnet hatte, beschaftigt die nachsten Jahrhunderte nur das Problem, ob hoher oder niederer Zins, obrigkeitliche oder freie Regelung dem Wohlstand eines Landes am besten dient — der Reichtum ist wie der Zins ein als gegeben hingenommener, ein unbezweifelter, vorausgesetzter Tatbestand, der als solcher fur den Merkantilisten keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Dahcr hebt nun die Zeit der autonomen Wirtschaftslehre an — einer Lehre, die wedcr von der Polis noeh von einem Gott, noeh, ihrem Willen und ihrem Wahn nach, von irgendeincr andern auBerwirtschaftlichen Wesenheit sich MaB und Grenze vorschreiben laBt, — einer Lehre, die von der Uberzeugung getragen ist, daB es versteh- und deutbare, allgemein vorhandene und "iiberall sich durchsetzende Zusammenhange des wirtschaftlichen Lebens gibt, die zugleich die Norm oder — eine spatere Auffassung — die ,,Natur"ordnung oder auch die ,,ewige" Ordnung der Wirtschaft darstellen und die infolgedessen auch fur alle Wirtschaftspolitik zugleich die unabanderlichen Gesetze und die uniiberschreitbaren Grenzen enthalten und festlegen. Diese Wirtschaftslehre ist darum, selbst wo sie noeh im Rahmen der
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Geschichte.
Moraltheologie oder der E t h i k oder der Politik schriftlich odcr miindlich abgehandelt wird — was bis ins 19. J a h r h u n d e r t hinein geschieht —, in doppelter R i c h t u n g a u t o n o m : sie ist es formal, als Wissenschaft, insofern sie losgelost ist v o n den metaokonomischen Bindungen der seholastischen Systeme, u n d sie ist es m a t e r i a l , als Auffassung der Wirtschaft, insofern als die Wirtsoliaft zuseliends ihres Mittelc h a r a k t e r s entkleidet u n d losgelost z u n a c h s t als Sclbstzweck gedacht, spater als Selbstzweck gesetzt wird. Diese E n t w i o k l u n g gelit i m einzelnen in verschiedensten F o r m e n u n d olme Plotzlichkeit vor sich — die Linie, die v o n B O D I N U S ZU A D A M SMITH verlauft, zeigt viele U n t e r b r e c h u n g e n , Abweiohungen, Ruckschiage. Doch laBt sich allgemein dies sagen, daB bis etwa 1688 der Merkantilismus aller L a n d e r t r o t z der Loslosung v o n der Theologie noch die E i n b e t t u n g der Wirtschaft in einen staatlich-soziologischen Lebenskreis als nicht n u r praktische Tatsache, sondern theoretisch-anschauliche Gegebenheit b e w a h r t , w a h r e n d von P E T T Y a n in E n g land u n d F r a n k r e i c h auch diese letzto Metaokonomik a n Gewicht verliert. Als Beispiel n e h m e m a n THOMAS MTJNS ,,Englands Treasure b y Forraign T r a d e " 1 zur H a n d ; das erste K a p i t e l , d a s die fur einen tiichtigen Ausfuhrhandler erforderlichen Eigenschaften erortert, beginnt m i t den W o r t e n : ,,Man liebt sein V a t e r l a n d u n d dient i h m . . .", u n d das letzte K a p i t e l endet m i t den W o r t e n : ,,. . . es ist ein Grundsatz der Staatsrason, alles zu erhalten u n d zu beschutzen, was den S t a a t u n d sein Vermogen s t a r k t u n d m e h r t " . E n t s p r e c h e n d n i m m t J O S I A H CHILDS ,,New Discourse of T r a d e " 2 von einer wirtschaftspolitischen Tatsache, dem Verhaltnis Hollands zu E n g l a n d seinen Ausgang, u n d auf d e m K o n t i n e n t begegnet sogar gelegentlich noch das religiose E l e m e n t als wichtiger B e s t a n d t e i l : in einer Zeit, wo in den westlichen S t a a t e n langst die , , N a t u r o r d n u n g " , das N a t u r r e c h t die geistige Herrschaft angetreten h a t , erscheinen die b e d e u t e n d e n statistischen U n t e r s u c h u n g e n des J O H A N N P E T E R SITSSMILCH u n t e r d e m Titol ,,Die gottliche O r d n u n g in den Veranderungen des menschlichen G e s c h l e c b t s " 3 u n d die E i n l e i t u n g des theologischen Statistikers, der als erster das „Gesetz der grofien Z a h l " b e o b a c h t e t h a t , bringt B e t r a c h t u n g e n , ,,worin die Bevolkerung des E r d b o d e n s aus der mosaischen Geschichte als eine Absicht des Schopfers erwiesen". Dies letzte Vorgehen ist einc A u s n a h m e , das erste, politische jedoch bildet die Regel und d e u t e t aufs glucklichste den Gegensatz n a c h vor- u n d riickwarts a n : Ziel ist n i c h t m e h r wie zwei J a h r h u n d e r t e vorher der katholische D o m , Ziel ist noch n i c h t wie zwei J a h r h u n d e r t e n a c h h e r die individuelle Gluckseligkeit — d e r B a u geschieht v o n einem Ganzen h e r u n d auf ein Ganzes hin, aber dies neue Ganze ist n i c h t m e h r die katholische Okumene, sondern die neue p a r t i k u l a r e E i n h e i t des n a t i o n a l e n S t a a t e s . Gegeniiber der Scholastik wie gegeniiber der englischen Klassik wird daher I n h a l t und Ziel dieser m e r k a n tilistischen T r a k t a t e — und eine Wissenschaft der T r a k t a t e , n i c h t d e r Systeme ist der Merkantilismus — a m besten als n a t i o n a l e Okonomie gekennzeichnet — nationale Okonomie d u r c h a u s in dem. Sinne wie F B I E D R I O H L I S T sie v e r s t a n d u n d wie m e h r als zwei J a h r h u n d e r t e vor i h m der Franzose A N T O Y N E B E M O N T C H E E T I E N das W o r t ,,politische O k o n o m i e " p r a g t e 4 , in einem Sinn, der ,,den R u h m , die Vergrofierung u n d d i e B e r e i c h e r u n g der S t a a t e n " als selbstverstandliches, erstesZiel aller S t a a t s k u n s t e r a c h t e t . Die Meister der deutschen Geschichtsschreibung u n d die ersten Wirtschaftshistoriker aller L a n d e r h a b e n die Folge politischer Gesohehnisse u n d die Fulle 1 Veroffentlicht durch Mxras Sohn im Jahre 1664. Eine — schlechte — deutscho Ubertragung gibt BIACH unter dem Titel ,,Englands Schatz durch den AuBenhandel", Wien 1911. 2 A new discourse of trade, wherein is recommended several weighty points relating to companies of merchants etc. London 1693. 3 Berlin 1741. 4 Traicte del'ceconomie politique. 1615. — Die Zitate nach der Neuausgabe vonTn.FuNCK-
BKENTASO. Paris 1889.
Die merkantilistische Okonomik: politische Wissensohaft.
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wirtschaftlicher T a t s a c h e n geschildert, die d e n ProzeB d e r Nationalisierung E u r o p a s begleiten. Als Wirtschaftssystem des Friihkapitalismus h a t SOMBABTS groBziigige Zusammenschau die wirtscliaftliche E n t w i c k l u n g als Ganzes bezeichnet u n d Nationalokonomie des Friihkapitalismus h a t er v o n hier aus m i t R e c h t die Merkantilistik 1 g e n a n n t . Versucht m a n die sachlichen Zeichen dieser Nationalisierung anzugeben, die gcistigen R i c h t u n g e n , die sie einschlagt, zu umreiBen, so ist zu sagen, daB ,,Abs o n d e r u n g " u n d ,,Ausdehnung", die zwei im Gcistigen gegensatzlichen, im Politischen weitgehend vertriiglichen Wirkungskraf to, d e m NationalisierungsprozeB eigen tiimlich sind u n d seinen Ablauf bestimmen. ,,Absonderung" — das ist in seinem politischen wie in seinem geistigen Sinn n a c h allem Gesagten leieht v e r s t a n d l i c h — f iir sich allein aber reichte es weder als politischer noch als geistiger G r u n d s a t z ganz a u s ; denn die Einhoit , , E u r o p a " lieB sich auch d u r c h eine Auflosung in die politischen Bestandteile nicht vdllig beseitigen, sondern die Erage blieb, wie diese Bestandteile sich zueinander u n d z u m Ganzen stellten. U n d hier ist d a n n das Bezeichnende, daB in der n a t i o n a l e n Friihzeit kein Gedanke an Verstandigung oder V e r t r a g auch n u r von f e m e auftauchte, daB vielmehr , , A u s d e h n u n g " der n a t i o n a l e n Keimzelle iiber den E r d t e i l , ja fiber die ganze alte u n d neue W e l t die einzige R i e h t s c h n u r bildete, daB der Krieg infolgedessen als das eigentliche politische Mittel u n d daB F o r d e r u n g der oigenen durch Schadigung der fremden Wirtschaft als die einzige Moglichkeit des ,,Reichtums d u r c h A u B e n h a n d e l " erschien. „ M a n sagt, der E i n e verliere nie, ohne daB der Andere dabei gewinnt. Dies ist w a h r u n d gilt in hoherem MaBe fur den AuBenhandel als fur irgendeine andere S a c h e " , — so e r k l a r t M O N T CHBETIEN (p. 161) u n d gibt d a m i t der allgemeinen Auffassung zweier J a h r h u n d e r t e den bezeichnenden Ausdruck. DaB diese ,,Nationalisierung" sich in jedem Volke auf cin im Volke ruhendes nationales E t h o s stiitzen k o n n t e , — selbst w e n n es noch der Schwungkraft entbehrte, die der nationale Gedanke n a c h der R e v o l u t i o n von 1789, n a c h der Aufriittelung der Volksmassen gewann, u n d selbst wo es, wie in D e u t s c h l a n d , m e h r geheim v o r h a n d e n als in politischer Gestaltung wirksam war, — diese Tatsache des im K e i m e bereits gepragten N a t i o n a l c h a r a k t e r s wird entscheidend fiir den von n u n an bleibenden nationalen C h a r a k t e r der Okonomik. Bei den W e r k e n des A L B E E T U S M A G N U S u n d noch des THOMAS n a c h der N a t i o n des Vcrfassers zu fragen h a t wenig Sinn — sie sind noch in s t a r k e r e m MaB der a l t e n katholischen Okumene als den neuen volkischen Gliederungen e n t s p r u n g e n u n d v e r b u n d e n . Seit dem 16. J a h r h u n d e r t aber wird fur den C h a r a k t e r der einzelnen W e r k e , fur ihren geistigen Gehalt u n d fiir ihre philosophische Begriindung die n a t i o n a l e Wurzel wesentlicher als der ubernationale Glaube 2 , u n d die ubliche Verbindung des E n g l a n d e r s M U N m i t d e m Eranzosen M O N T C H E B T I E N , d e m Italiener S B E E A 3 u n d d e m D e u t s c h e n J o s . J O A C H . B B O H B K 4 , eine Verbindung auf G r u n d ahnlicher oder gleicher politischer Eorderungen, ist vielleioht zeitgeschichtlich bedeutsamer, aber blutsmaBig u n d geistgriindig weniger tief u n d weniger sinnbildlich als jene andere Verbindung, 1 Es bleibt SOMBABTS groBes Verdienst, einor goreohton Wiirdigung der Merkantilisten in Deutschland die Bahn gebroohen zu haben. Einzuwenden ist gegen ihn, daB es ein,,System" des Merkantilismus nicht gibt, und notwendig bleibt eine genauere Analyse der geistigen Haltung der Merkantilisten. 2 Der heutige Glauben an die „Internationalitat" der Wissensohaft versehlieBt hierfiir vielfaeh den Sinn; aber diese Intemationalitat kann nur behaupten eine — in Wirkliehkcit auch nur besehrankt vorhandene — internationale Geltung, das Wesen bleibt in den Geisteswissenschaften, die aus dem nationalen Urgrund aufsteigen, immer national. 3 Breve trattato delle cause, che possono far abbondare li regni d'oro et d'argento dove non sono miniere, Neapel 1613. 4 Politischer Discurs von den eigentlichen Ursachen des Auff- und Abnehmens der Stadt, Lander und Republicken, in specie wie ein Land volckreich und nahrhaft zu machen und in eine rechte Societatem eivilem zu bringen. (1. Aufl. 1667, 6. Aufl. 1759!).
Geschiehte.
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d i e T H O M A S M O R U S wie T H O M A S M U N m i t A D A M S M I T H , J O H N S T U A R T M I L L unci A L F R E D M A R S H A L L , — B O D I N und MONTCHRETIEN mit QUESNAY, JEAN-BAPTISTE SAY u n d N a c h f a h r e n wie L E R O Y - B E A U L I E T J , — v . S E C K E N D O R F F 1 undBBOHER m i t J U S T I , ja mit R O D B E R T U S u n d
GUSTAV
SCHMOLLBR zusammenschlieBt.
Die
Geschiehte
der Wissenschaft verschlieBt sich meist v o r d e m zweiten, wichtigeren Z u s a m m e n hang, u n d auoh wir werden die N a t i o n e n s c h e i d u n g nicht als leitenden G r u n d s a t z unserer Darstellung a n n e h m e n k o n n e n , d a die Verdichtung d e r B e o b a c h t u n g z u r ,,Theorie" u n d d e r Aufbau d e r einzelnen Theorien zu einem Gesamtbild des W i r t schaftskreislaufs in eine E r k e n n t n i s e b e n e hineinfuhrt, die dem europaischen Menschen jenseits d e r N a t i o n a l i t a t gemeinsam i s t . Indessen ist f e s t z u h a l t e n : die Scheidung besteht, u n d sie ist d e r tiefste Grund, a u s d e m e i n System wie d a s SMrmens n i c h t n u r in E n g l a n d e n t s t a n d , sondern dort allein fruchtbar, zeugend wirkte — der G r u n d zugleich, a u s d e m die L e h r e n v o n M U L L E R , L I S T u n d T H U N E N , j a v o n M A R X n i c h t
n u r ein eigentumliches, deutsches Wesen zeigen, sondern auch i n D e u t s c h l a n d allein ganz v e r s t a n d e n u n d fruchtbar a u s g e b a u t w u r d e n u n d werden. Stellt so die geistig-nationale Zugehorigkeit d a s B a n d dar, d a s , i m L a n g s s c h n i t t der Geschiehte, v o n d e n Merkantilisten a n verschiedene G r u p p e n innerhalb der Wirtschafts- wie aller Wissenschaft b i n d e t u n d t r e n n t , so ist doch zugleich d u r c h die allgemeine Erscheinungs- u n d Wirkungsform des Nationalgeistes in j e n e n J a h r h u n d e r t e n , die wir a b k u r z e n d als „ A b s o n d e r u n g " u n d , , A u s d e h n u n g " k e n n zeichneten, bereits die Notwendigkeit gegeben, auch i m Querschnitt die E i n h e i t u n d d a m i t das R e c h t der Auffassung eines einheitlichen Merkantilismus z u erkennen u n d zu betonen. D e n n n u r wo es sich u m H e r a u s a r b e i t u n g des nationalen Geistes, u m Vergegenstandlichung der nationalen I d e e h a n d e l t , n u r dort ist notwendig die AuBerungsform des einen Volkes v o n der Darstellung jedes a n d e r n so verschieden wie jede groBe T a t u n d jedes groBe W e r k v o n T a t u n d W e r k d e r a n d e r n Menschen, Volker, Zeiten. J e n e n J a h r h u n d e r t e n aber w a r die politische Aufgabe gesetzt, in d e n ,,Territorien" die nationalen K o r p e r z u entwickeln, u n d hierfur waren die zur Verfiigung stehenden Mittel nicht g a r so sehr verschieden, gleichgiiltig o b die italienischen S t a d t e , die starke franzosische K o n i g s m a c h t , die niederlandischen Handelszentren oder d e r Wikingergeist v o n R A L B I Q H S englischen K o r s a r e n als Trager u n d Leiter d e r Ausbreitung ihre Macht erwiesen u n d v e r m e h r t e n . D a iiberall m i t d e m Zerbreehen des Lehensstaates a n die Stelle des Lehensheeres u n d d e r durch L e h e n u n d Sporteln verpflichteten u n d besoldeten, b e a m t e t e n Gefolgschaft ein in Geld entlohntes Soldnerheer u n d ein modernes, weitgehend d u r c h Geldverpflichtungen gebundenes B e a m t e n t u m t r a t , so w a r zunachst der Geldhunger eine allgemeine u n d eine bestimmende Tatsache, d e r die Politik diente u n d d e r die ,,Wissenschaft" sich nicht entzog — in Spanien, i n Italien, in F r a n k r e i c h , in E n g l a n d , iiberall wurde die E r o r t e r u n g d e r Geldprobleme wieder aufgenommen. DaB hierbei nicht allgemein, wie die ,,klassischen" Gegner u n d zeitlichen tjberwinder des Merkantilismus es darstellten, d e m Merkantilisten d e r Besitz des Edelmetalls als F o r m u n d I n h a l t des R e i c h t u m s u n d als Ziel d e r Politik erschien, i s t heute eine Binsenwahrheit. Wichtiger ist, daB es tatsachlich eine friihe Epoche, namentlich i n Spanien, aber auch in E n g l a n d g a b , i n d e r d e r Merkantilismus sich doch z u solchen ,,metallistischen", ,,bullionistischen", Thesaurierungs-Gesichtsp u n k t e n b e k a n n t e u n d daB es eine zweite Stufe des Merkantilismus bedeutet, a l s dieser ,,Bullionismus" endgultig zugunsten eines , , P r o t e k t i o n i s m u s " oder „ K o m merzialismus" fallt. Auch der ersten Stufe muB hierbei, entgegen d e r landliiufigen, durch S M I T H u n d seine vergrobernden N a c h b e t e r verbreiteten Ansicht, — wenn nicht die theore1 Teutscher Fiirstenstaat, Frankfurt a. M. 1656; Additiones oder Zugaben und Erleuterungen zu dem Tractat des Teutschen Fiirstenstaates, 1665.
Die merkantilistische Okonomik: politische Wissenschaft.
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tische Richtigkeit, so doch die geschichtliclie Notwendigkeit in vollstem MaBe z u e r k a n n t werden. GewiB, auf die D a u e r k a m u n d k o m m t es nicht darauf an, wieviel Gold u n d Silber sich in einem L a n d e befinden, sondern was d a m i t geschieht, was befruchtet, was geleistet wird. Allein z u n a c h s t war es eine n u r zu verstandliche Politik der Spanier u n d Portugiesen, w e n n sie auf ihren E n t d e c k u n g s f a h r t e n a n fremden Kiisten zuvorderst den Metallreichtum e r k u n d e t e n — S t a a t u n d W i r t schaft des Friihkapitalismus waren s t a r k geldbediirftig, u n d die finanzielle V o r m a c h t der auf die Schatze v o n Byzanz gestiitzten Italiener war n u r durch Gold aus a n d r e r Quelle auszugleichen. Dabei b e s t a n d u n t e r den wissenschaftliclien Kopfen der Zeit seit dem Ausgang des 16. J a h r h u n d e r t s voile Klarheit, daB diese u n u n t e r brochene Veranderung der Geldmenge nicht ohne W i r k u n g auf den P r e i s s t a n d der W a r e n bleiben k o n n t e . H a t t e die Scholastik den Z u s a m m e n h a n g v o n Geldversohlechterung u n d Preissteigerung herausgearbeitet, so gait es n u n , den Nachweis zu fiihren, daB die Preisrevolution, die das J a h r h u n d e r t der E n t d e c k u n g e n kennzeiclmet, anderen Ursachen e n t s t a m m t e . E s ist J E A N B O D I N (1530—1596) gewesen, der im Kreuzfeuer miindlicher R e d e u n d in einer Kampfschrift gegen M A L B S T B O I T 1 als erster die These verfocht, die Preissteigerung des 16. J a h r h u n d e r t s iibertreffo wcit die Versohleohterung des Geldes, sie sei zuruckzufuhren — neben der W i r k u n g der Monopole, dem in alien Schichten z u n e h m e n d e n L u x u s u n d der Bereioherung duroh den L e v a n t e h a n d e l — auf den riesigen ZufluB v o n Edelmetallen aus der neuen Welt. I n W o r t e n , denen noch houte etwas von jener Finderfreude a n z u m e r k e n ist, die sich immer m i t der erstmaligen E r k l a r u n g eines sohwierigen Problems, mit der erstmaligen F a s s u n g eines wiehtigen Gedankens verbindet, v e r t r i t t er die Ansicht: ,,Der vornehmlichste u n d fast einzige G r u n d der Teuerung (den bis h e u t e n i e m a n d beriihrt h a t ) ist der UberfluB an Gold u n d Silber" (p. 17). Mit dieser Feststellung, die die allgemeine B e h a u p t u n g einer u n m i t t e l b a r e n A b hangigkeit der H o h e der Warenpreise v o n der Menge des Geldes e n t h a l t , ist die „ Q u a n t i t a t s t h e o r i e " begriindet. I h r e F o r m ist noch r o h ; sie weiB noch nicht, daB nicht die Menge des v o r h a n d c n e n , sondern n u r die Menge des umlaufenden Geldes einen preisveranderndcn EinfluB iibt, u n d sie iibersieht noch, daB die Beschleunigung bzw. Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit die gleiche W i r k u n g wio die VergroBerung bzw. Verkleinerung der Geldmenge h a b e n mufi, — eine T a t s a c h e , deren B e d e u t u n g spater L O C K E 2 u n d CANTILLON 3 hervorgchoben h a b e n . Indessen wichtiger als die spatere Verfeinerung war doch die erste E n t d e c k u n g der Lehre, u n d es entspricht n u r ihrer geschiehtlichen Bedeutung, wenn sie bis zu H U M E , MIBABEATI und N E C K E B z u m eisernen B e s t a n d aller G e l d b e t r a c h t u n g e n gehorte. J a , selbst heute, wo im AnschluB an R I C A B D O S zugespitzte F a s s u n g die Voraussetzungen u n d Grenzen ihrer Giiltigkeit neu u m s t r i t t e n sind u n d wo Neigung dazu besteht, nach Ablehnung der klassisehen Fassung, die cin ziffcrnmaBig bestimmbares, u m g e k e h r t proportionales Verhaltnis v o n Geldmenge u n d Warenpreis a n n a h m , den K e r n der Lehre fur eine Selbstverstandlichkeit zu halten, wird der R u h m des ersten Finders nicht vermindert, vielleicht in seiner geschiehtlichen GroBe erst ganz erkennbar scheinen. B O D I N — dessen B e d e u t u n g fur das gesamte Gebiet der Wirtschaftslehre u n d insbesondere fur die Finanzwissenschaft k a u m geringer ist als seine b e k a n n t e r e 1 Reponses aux Paradoxes dc M. de Malestroit touchant l'encherisscment de toutes les choses et des monnayes, Paris 1568. — Bekaimter uutor dem Titel von 1578: Discours sur le rehaussement et diminution des monnayes, tant d'or que d'argent, et le moyen d'y rcmedier: & responce aux Paradoxes de Monsieur de Malestroit. (Nach dieser Ausgabe ist im Text zitiert.) — Aus BODINS Hauptwerk „Les six livres de la republique", Paris 1577, ist besonders das Kapitel „P/es finances" (VI 2), in der lateinischen tjbersetzung ,,De aerario", wichtig fur die Geschichte der Finanzwissenschaft. 2 Works, 3 vols.3, London 1727. 3 Essai sur la nature du commerce en general, London 1755.
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Geschiohte.
Grundlegung der modernen Staatslehre —, ein Mensoh der Wendezeit, in d e m sich mittelalterlicher u n d moderner Geist, Glauben u n d Aberglauben u n d Aufklarung verbinden, ein D e n k e r v o n soloher Breite des geschichtlichen Wissens u n d solcher Scharfe des kritischen Vermogens, daB seine ,,sechs Biicher v o m S t a a t " als einziges W e r k aller J a h r h u n d e r t e sich lange neben der Politik des A R I S T O T E L E S b e h a u p t e n k o n n t e n , — B O D I N ist als Person zu groB und zu einzig, als daB or als typischer Vertreter des Merkantilismus gelten k o n n t e . Eine groBe Zahl merkantilistischer Lehren sind freilich schon bei i h m v o r h a n d e n ; aber seine Eigenheit zeigt sich gerade darin, daB er sie bald m i t wichtigen Ziigen des e n d e n d e n Feudalismus unt r e n n b a r vereinigt, b a l d in einer F o r m v o r t r a g t , die ihn nailer m i t der englischen Klassik als m i t den Merkantilisten vom Schlage M O N T C H R E T I E N S verbindet. So muB er auf der einen Seite noch betonen: „Toutefois si est il plus seant a u Prince d'estre m a r c h a n t que T y r a n : et au gentilhomme de trafiquer que de voler" (p. 917), u n d k a n n er auf der a n d e r n Seite schon die Vorteile gemaBigt-freien H a n d e l s wiirdigen, indem er den Verfechtern des geschlossenen Handelsstaates e n t g e g e n h a l t : w e n n m a n sie hore, konne m a n glauben, daB der H a n d l e r seine W a r e fur nichts hingebe u n d daB die R e i c h t u m e r von I n d i e n u n d Arabia Felix in unsern Liindern wuchscn (Rep. p . 81). D e n kleinen Schritt, der von dieser Einsicht zur B e h a n d l u n g der Wichtigkeit staatlicher Industrie- u n d Handelsforderung fuhrt, h a t B O D I N selbst erst im seehsten B a n d der „ R e p u b l i k " u n t e r n o m m e n , wo er als erster das klassische P r o g r a m m des Merkantilismus entwickelt: hohe Ausfuhrzolle firr Waren, d e r e n das Ausland notwendig bedarf; Ausfuhrverbot firr eigne Rohstoffe; niedriger Einfuhrzoll fur auslandische Rohstoffe; hoher Einfuhrzoll fur fremde F a b r i k a t e . — U n m i t t e l b a r nach ihm h a t die franzosische wie die englische Politik u n d Schriftstellerei allgemcin die Folgerungen gezogen aus der E r k e n n t n i s , daB nicht der Vorrat a n Geld, sondern seine p r o d u k t i v e Anlage u n d Verwendung in merkantiler Zeit den R e i c h t u m eines Volkes u n d des Einzelnen a u s m a c h t : I n den M i t t e l p u n k t riickt in F r a n k r e i c h die F o r d e r u n g der I n d u s t r i e , in E n g l a n d die Pflege des auswiirtigen H a n d e l s . F u r beides ist die aktive Handelsbilanz ein Mittel u n d ein MaBs t a b , u n d die Merkantilisten, zumal die englischen, h a b e n eine U n z a h l v o n Untersuchungen v c r a n s t a l t e t u n d eine Fiille v o n R e z e p t e n gogeben, wie dieses Ziel a m leichtestcn erreichbar sei. Bei der ausschlaggebenden B e d e u t u n g des Geldbesitzes fur die erste Erziehung u n d N u t z u n g der p r o d u k t i v e n K r a f t e im Friihkapitalismus k o n n t e es nicht ausbleiben, daB zunachst diese Handelsbilanzlehre in roher F a s s u n g vorgetragen u n d besonders die Handelspolitik nach einfachen Zielen ausgerichtet wurde. , , R e i c h t u m durch den AuBenhandel" — das k o n n t e zunachst k a u m anders vers t a n d e n werden, als daB der groBtmogliche UberschuB der Warenausfuhr iiber die Wareneinfuhr, begleitet u n d erleichtert durch die tunlichste Verhinderung der Ausfuhr u n d Begiinstigung der Einfuhr von Edelmetallen u n d Rohstoffen, der theoretisch u n d praktisch beste Weg des Reichwerdens der S t a a t e n sei. Aber hierbei ist weder die Theorie noch die Politik des Merkantilismus stehen geblieben. Zwar ist der Begriff ,,Zahlungsbilanz", der neben der Waren- auch noch die Diensteund Forderungsbilanz umfaBt, bei den Merkantilisten noch ni^ht anzutreffen. Allcin sein I n h a l t ist seit MTTNS T r a k t a t b e k a n n t u n d nicht b e s t r i t t e n ; d e n n wenn auch M U H (cap. X X ) die F r a c h t e n , Versicherungspramien, Zinsen, Auslandsreisen nicht als Sonderposten veranschlagt, sondern in die Handelsbilanz einbezieht, so ist doch diese veredelte Handelsbilanz ihrem I n h a l t nach gleichbedeutend m i t jenem T a t b e s t a n d , der seit dem 19. J a h r h u n d e r t als Zahlungsbilanz bezeichnet wird. Der gleiche M U N legt auch schon dar, daB das Verbot der Ausfuhr v o n Edelmetallen unzweckmaBig ist, da die Geldausfuhr bei richtiger Anlage im Ausland auf die D a u e r den UberschuB der Bilanz vergroBert. W a s sich hier erweist, gilt fur eine Vielzahl von Problemen der wirtschaftlichen Theorie: das wirkliche Ver-
Die merkantilistische Okonomik: politische Wissenschaft.
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standnis der Merkantilisten fiir wirtschaftliche Zusammenhange war sehr viel groBer, als es in ihren, oft allgemeinen und mit Nebengedanken beladenen, mehr stofflich reiohen als begrifflich soharfen Aussagen zum Ausdruck kommt und als daher Theorie und Geschichte des 19. Jahrhunderts zumeist in ihnen fanden. So sieht vor MUN solion MISSELDEN 1 die Bedeutung der Frachten und der Verdienste in der Hochseefischerei, so erklart DEFOE 2 die Krisis seiner Zeit als Absatzkrisis infolge Uberproduktion, so ist der Gedanke gar nicht selten, daB die Kolonien nicht nur als Lieferer von Edelmetall und Rohstoff, sondern auch als Abnelimer der heimisclien Fabrikate wertvoll sind. Das ist nun alles, wie spater (S. 53ff.) noeh genauer zu zeigen ist, gewiB nicht Theorie im Sinn und nach der Art der englisehen Klassik und ihrer Folger; hier in der Merkantilistik sind kaum Ansiitze zu systematiseher Betraehtung vorhanden, hior wird kein Gleichgewichtssystem gesueht, und gar mathematische Forrneln begegnen nur vereinzelt (PETTY, GENOVESI U. a.). Dennooh ist es Theoiae, was hier ausgearbeitet vorliegt, nur nicht rationale, sondern anschauliche, nicht reine, sondern politische, nicht statische, sondern dynamische, nicht ,,Theorie der Werte", sondern mit LISTS Begriff: ,/Theorie der produktiven Krafte". Das ist in zweierlei Hinsicht fiir die ganze Stellung und Entwicklung der Wirtschaftslehre bedeutsam geworden. Zunachst sicherte gerade ihr wescntlich und willentlich politischer Charakter der jungen Wissenschaft eine Beachtung und Verbreitung, die sie mit einem Schlag neben und vor die alten Wissensohaften riickte, und brachte Wissenschaft und Politik in eine derart nahe Verbindung, wie sie — mit all ihren groBen Leistungsmoglichkeiten und all ihren innerwissenschaftlichen Gefahren — kaum in der Zeit des Manohestertums und der BiSMABCKschen Ara wieder erreicht wurde: der Zusammenhang zwischen merkantilistischer Theorie und merkantilistischer Politik ist tatsachlich so eng, daB alle wichtigen Ziige dor Politik COLBERTS und CEOMWELLS vor und nach ihnen den Hauptbestandteil auch des wissenschaftlichen Schrifttums ausmachen und daB ein tiefer Sinn darin liegt, wenn die Italiener das ganze Gebaude des Merkantilismus nach seinem groBten politischen Vertreter ,,11 Colbertismo" nennen. Sodann aber hat gerade die politische Verwurzelung und Ausrichtung zur Folge, daB bei aller europaischen Gleichheit der letzten Ziele und der besten Wege dennoch nicht nur das national-geistige Wesen, sondern auch die nationalpolitisohe Lage die Schriften von Verfassern, die verschiedenen Volkern angehoren, in hochst bezeichnender Weise voneinander trennt. So weist beispielsweise das niederlandische Schrifttum einen stark freihandlerischen Einschlag auf, da es zu groBem Teil einer Zeit entstammt, wo die Macht der Niederlande bereits im Abstieg begriffen war und allgemeiner Freihandel als einzige Rettung vor der Gefahr des englisehen Prohibitivsystems erschien — der Kampf von GKOTIUS, GEASWINCKEL und vor allem von P I E T E E DE LA COTTB3 um das Mare liberum und den
freien AuBenhandel ist ein Versuch, mit Hilfe des Rechtsgedankens zu erreichen, was Holland nicht mehr durch seine Seemacht erzwingen konnte. Umgekehrt sind alle englisehen Schriftsteller befeuert von dem Glauben, daB England nichts unmoglich sein konne, was friiher Spanien und Holland durchgefuhrt hatten — es ist das SelbstbewuBtsein der werdenden ,,Suprematiemacht", das aus den MISSELDEN, MUN,
CHILD, DAVENANT spricht.
Dem Volkscharakter und der verschiedenen Stufe der politischen Durchformung und des wissenschaftlichen Aufschwungs entsprechend wechselt auch der Nachdruck, mit dem die einzclnen Gebiete der politischen Wirksamkeit in den verschiedenen Landern behandelt werden. In Deutschland, wo die Wirtschaft schon seit 1 The circle of commerce. Or the Ballance of Trade, in defence of Free Trade: Opposed to Malynes Little Fish and his Great Whale etc. London 1623. 2 A Plan of the English Commerce etc. 1728; Neuausgabe Oxford 1928. 3 Interest van Holland ofte Gronden van Hollands Wclvaeren. Amsterdam 1662; u. a. Salin, Volkswirtschaftslehre. 2. Aufl. 3
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Geschichte.
der zweiten Hiilfte des 15. J a h r h u n d e r t s im Niedergang befindlich u n d wo die Bevolkerung d u r c h d a u e r n d e Kriege, z u m a l d u r c h den dreiBigjahrigen Krieg, bedrohlich verringert war, ist der Merkantilismus sehr viel s t a r k e r bevolkerungspolitisch ausgerichtet als in E n g l a n d oder F r a n k r e i c h . H i n z u k o m m t , daB die absolutistisohe Regierungsform bier den H a u s h a l t , die camera, des Fiirsten wichtiger belieB als in den aristokratisierten L a n d e r n des W e s t e n s — die deutsche K a m e r a l i s t i k k o n n t e infolgedessen viele F r a g e n noch als verwaltungswissenschaftlich ansehen, die im W e s t e n schon ernste Probleme volkswirtschaftlicher N a t u r darstellten, u n d es m a g wenig ubertrieben sein, w e n n noch im J a h r e 1727 der Hallesche Universitatskanzler VON L U D E W I G 1 b e h a u p t e t , daB die okonomischen Wissenschaften v o n Professoren vorgetragen wiirden, die in U n k e n n t n i s dariiber seien, ob K o r n a h r e n auf B a u m e n oder im Acker wiichsen. Dieser Vorwurf trifft n a t u r g e m a B n u r die b r a v e n Okonomcn, die in ihrer Wissenschaft n i c h t s anderes als eine Sittenlehre fiir H a u s v a t e r u n d H a u s m i i t t e r , K i n d e r u n d Gesinde oder — wie der preufiische Kdnig — eine Privatwirtschaftslehre fiir verschuldete S t u d e n t e n u n d G r u n d besitzer sahen, u n d er gilt nicht fiir die groBen deutschen Merkantilisten, nicht fiir B B C H B E , noch fiir S E C K E N D O R F F , noch fiir H O R N I C K 2 . Aber schon die auBere Stellung S E C K E N D O R F S , des Kanzlers, u n d H O R N I C K S , des Geheimschreibers, zeigt G r u n d u n d Ziel ihrer B e t r a c h t u n g e n a n — sie geben S t a a t s - , n i c h t Volkswirtschaftslehre, u n d ihre Schriften a t m e n den geruhigen A t e m des k o n s e r v a t i v e n S t a a t s dieners, nicht wie die englischen die selbstbewuBte Sicherheit des n e u e n W i r t schaftsfuhrers. Einzig B E O H E R , Alchimist u n d Arzt, Theologe u n d Okonom, ein genialer P r o j e k t e n m a c h e r vom Schlag des PARACELSUS d u r c h b r i c h t diese deutsche amtliche Geruhsamkeit — aber auch er entzieht sich n i c h t der d r a n g e n d s t e n N o t unsrer H e i m a t , u n d so sind i h m F o r d e r u n g des Gewerbes u n d der Landwirtschaft n u r Mittol zur , , P o p u l i e r u n g " . Gegeniiber dieser ,,populationistischen" N o t e des deutschen Merkantilismus h e b t sich s t a r k die ,,industrialistische" des franzosischen u n d die ,,kommerzialis t i s c h e " des englischen a b . Zwar k o n n t e weder E n g l a n d der Gewerbforderung noch F r a n k r e i c h der Handelsforderung e n t r a t e n ; doch zeigt sich der verschiedene Volkscharakter gerade darin, daB der auswartige H a n d e l u n d sein Geschwister die Schiffahrt in E n g l a n d nicht n u r allgemeine, selbstverstandliche B e t a t i gung, sondern auch weitgehend Schopfung v o n P r i v a t e n sind, die die konigliche Charter, den Freibrief, fiir ihre groBen H a n d e l s k o m p a n i e n als Sicherung, doch nicht als Auftrieb benotigen. Wohingegen in F r a n k r e i c h COLBERT das schier Unmogliche versuchen m u B t e : den Unternehmungsgeist u n d W a g e m u t v o n S t a a t s wegen zu schaffen; es ist COLBERT, der eine ost- u n d eine westindische, eine Senegalu n d eine Guinea-, eine L e v a n t e - u n d eine nordische Gesellschaft griindet — COLBERT, der buchstablich aus d e m Nichts eine gewaltige Handels- u n d eine iiberlegene Kriegsflotte erstehen laBt. ,,Der H a n d e l , die Manufaktur u n d die V e r m e h r u n g des Viehs sind die einzigen Mittel, u m Geld in die Provinzen zu ziehen", dies schrieb er den I n t e n d a n t e n , und dies war i h m R i c h t s c h n u r seiner inneren Wirtschaftspolitik. Sein L e b e n iiberdauert h a t n u r jener Teil des W e r k e s , der sich auf schon wirksame Krafte des Biirgertumes stiitzen k o n n t e , u n d dieser Teil, die staatliche F o r d e r u n g der Manufaktur ist es, der schon vor i h m auch d e n Schriften der L A F F E M A S 3 , M O N T CHRETIEN u n d L A G O M B E R D I E R E die eigentflmliche, franzosische F a r b u n g gibt. I n E n g l a n d s t e n t n i c h t n u r der auswartige H a n d e l in sehr viel hoherem Grad als die innere I n d u s t r i e i m M i t t e l p u n k t des allgemeinen Interesses, sondern dieser „ K o m m e r z i a l i s m u s " wird klarer durchgebildet u n d leidenschaftlicher vorgetragen 1 Die . . . neu angeriohtete Profession in Oeeonomie-, Policey- und Cammer-Sachen, Halle 1727, S. 142 (zitiert nach STIEDA a. a. O., S. 6). 2 Oesterreick iiber Alles, wann es nur will. etc. Regensburg 1723 (13. Aufl. 1784!). 3 Reglement pour dresser les manufactures du royaume. Paris 1596, u. a.
Die merkantilistische Okonomik: politische Wissenschaft.
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als irgendeine andere Ideenrichtung im Merkantilismus der iibrigen Lander. Diese Tatsaohe ist einesteils darauf zuruckzufiihren, daB das Inselvolk sioh von Natur auf Schiffahrt und Handel angewiesen sah und daB infolgedessen die Entwicklung des Handels hier wichtigere Aufschliisse iiber die politische Macht des Staatos und die wirtscliaftliohe Kraft der Burger enthalt, als dies in anderen Reichen, mit Ausnahme vielleicht der Niederlande, der Fall ist 1 . Aber mindestens so wichtig ist andernteils die schon erwahnte Tatsache, daB die bedeutendsten englisehen Merkantilisten nicht nur ratgebende Manner der Feder, sondern zugleieh, oft in erster Linie, tatkraftige Leiter der neuen Wirtschaft sind. MALYNES war Kaufmann, MISSELDEN stand mit den merchant adventurers in nahcr Verbindung, MUN gen orte dem Komitee der Ostindisohen Kompanie an und seine erste Schrift gait ihrcr Verteidigung, CHILD war lange Jahre ihr bestimmender Fuhrer, NORTH begann seine Laufbahn als leitender englischer Kaufmann in Konstantinopel, DAVENANT endete sie als Generalinspektor des Zollwesens. Das barg gewiB die Gefahr in sich, daB die vorgetragenen volkswirtschaftlichen Theorien nur den Deckrnantel fiir eine privatwirtschaftliche Interessenpolitik darstellten, und so konnte von CHILD tatsachlich glaubhaft gomacht werden, daB dieser groBte Unternehmer des ausgehenden 17. Jahrhunderts nur da^um in seinen Schriften bald fiir Zoll, bald fiir gemaBigten Freihandel, bald fiir sein Monopol, bald gegen die Monopole eintrat, weil und soweit es das Interesse der Ostindisohen Kompanie forderte. Doch sehe man hierin nicht bewuBte Heuchelei. Mit der gleichen gutglaubigen Naivitat, mit der die Klassiker ihr nationales System der politischen Okonomie von England fiir das einzige und forderliche System aller Nationen halten, glauben die Merkantilisten von England und Holland an die gottgewollte tlbercinstimmung ihrer privatwirtschaftlichen Interessen mit den allgemeinen der Volkswirtsehaft, und die zeitliche Richtigkeit ihrer Theorien wird dadurch nicht beeintrachtigt, daB ihre Befolgung in den meisten Fallen fiir ihre Vertreter recht eintraglich gewesen ware und in manehen Fallen es gewesen ist. Nur wer sich vor der Einsicht verschlieBt, daB alle Theorie Ausdruck einer bestimmten Haltung und Grundlage einer bestimmten Handlungsweise ist, wird nur Tadelnswertes in der Tatsaohe finden, daB eine Theorie zwar keinenEwigkeitsgehalt besaB, jedoch richtigundmitNachdruck das notwendige Wort einer Zeit, eines Staates, eines Volkes ausspraoh. Jedenfalls: nur weil die englisehen Merkantilisten dies auf alien Gebioten (wie in der Handels-, so auch in der Geld- und Banklehre) vermochtcn, nur darum fanden die englisehen Wirtsohaftsschriften des 17. und 18. Jahrhunderts einen Widerhall, der den Schriftstellern derFranzosen versagt blieb, und nur dadurch fanddie ,,Klassik" in England einen derart wohlbereiteten Boden, daB sie zu unmittelbarer Wirkung gelangen konnte. Die giinstige Handelsbilanz als Ziel und Mittel des Merkantilismus bestimmt einerseits den dynamischen Charakter des Merkantilismus — jenen Charakter, von dem ein feinfuhliger Franzose richtig gesagt hat, daB er dem gesellsohaftlichen und kiinstlerischen Stil und den Stilwandlungen der Zeit vollkommen cntspreche —, andererseits ist gerade sie historisoh-politisoh wie theoretisch an ganz bestimmte, ihr nicht bewuBte Voraussetzungen gebunden, mit deren Wegfall sie als theoretische These h'ickenhaft, als politisches Prinzip unhaltbar wurde. „National" (in dem von uns umschriebenen Sinn) wie sie war, sah sie den Vorteil des eignen als Nachteil des fremden Landes und umgekehrt. Eine Handelspolitik, die auf dieser Grundlage aufbaute, war aber sachlich nur moglioh und theoretisch nur denkbar, wenn es Lander gab, die einen unausschopflichen t)berfluB an Gut und 1 Man lese die ausgezeiolmeten Geschichten des englisehen Handels von ANDEBSON (1702) und MACPHERSON (1805) — sie haben bei keinem andern Volke ihresgleiehen und sind noeh heute nieht veraltet. 8*
Geschiehte.
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Geld besaBen — naoh der P r a x i s des Merkantilismus muB m a n sie ,,Koloniallander" n e n n e n ; will m a n ein allgemeineres W o r t , u m nioht n u r die damalige handelskapitalistisolie, sondern aucli die heutige finanzkapitalistische F o r m d a m i t zu decken, so ist ,,Ausbeutungslander" die treffende Bezeiohnung. Fiel diese Voraussetzung weg, so blieben zwei Moglichkeiten: entweder m a n n a h m seine Zuflucht zu Theoricn u n d P r a k t i k e n wie denen J O H N L A W S 1 , die d e r zweite Teil des F a u s t persiflierend v e r k l a r t h a t — b a l d ernsten, b a l d loichtfertigen Versuchen zur kimstlichen Erschleichung der im natiirlichen Verlauf nicht m e h r zuflieBenden Mittel. Oder aber der Nationalismus iiberwand seine jugendliche F o r m der u n b e s o h r a n k t e n Ausdehnung, fand sich a b m i t d e r Tatsache, daB die UbersohuBlander d e r E r d e alle verteilt, teilweise bereits ausgeschopft waren, u n d e r k a n n t e a n , daB ein d a u e r n der Handelsgewinn sieh n u r d a erzielen lieB, wo d e r H a n d e l die Interessen beider P a r t n e r forderte. Dies war d a n n die S t i m m u n g u n d der Boden, a u s d e m i m Politischen der T r a k t a t v o m ewigen F r i e d e n des CASTEL D B S T . P I E R R E u n d alle a h n liehen Schriften des 18. J a h r h u n d e r t s bis zu K A N T h i n erwuchsen — alles schucht e r n e Versuche zur U b e r w i n d u n g des z u m e r s t e n m a l auf seine Grenzen gestoBenen Nationalismus —, u n d es w a r zugleieh die geistige Luft, a u s der i m Wirtschaftlichen das Freihandelssystem des A D A M S M I T H seine besten K r a f t e zog — jenes System, d a s m i t schicksalsmaBiger Notwendigkeit in. d e m gleiehen J a h r 1776 veroffentlicht wurde, d a , ein weithin leuchtendes F a n a l , die beginnende Loslosung der amerikanischen Union in der Selbstbefrerang einos Ausbeutungslandes das E n d e der merkantilistischen Politik anzeigte. Indessen nicht n u r v o n auBen, n i c h t n u r d u r c h d e n Verlust seiner Lebensunterlage ist d e r Merkantilismus zu F a l l g e k o m m e n . Die Wissenschaft d e r Trakt a t e k o n n t e infoigc dor einfachen Tatsache, daB d a s wissenschaftliche D e n k e n nach tuckcnloser u n d allumfassender E r k l a r u n g s t r e b t , nicht ewig d a u e r n . Sohon die F r a g e n a c h d e n W i r k u n g e n der Metalleinfuhr, m e h r noch die z u m a l in E n g l a n d angestellten tjbcrlcgungen iiber die Vorteile oder Nachteile verschiedener Zinshohe muBten dazu iiihren, daB m a n sich n i c h t m e h r darauf b e s c h r a n k t e , i n einem Einzelfall Ursache u n d W i r k u n g , G r u n d u n d Folge zu verknupfen, sondern daB m a n versuchte, sich den WirtschaftsprozeB als Ganzes zu vergegenwartigen, die wirtschaftliche D y n a m i k theoretisch zu erfasscn. Vielerorts i n E n g l a n d , I t a l i e n u n d F r a n k reich t a u c h e n so E r k e n n t n i s s e auf, i n denen die teilhafte Ansicht d e r Merkantilisten verlassen u n d die groBe physiokratische E n t d e c k u n g des wirtschaftlichen Kreislaufs vorgeahnt ist u n d in denen i n Handelsfragen eine Stellung eingenommen wird, die die freihandlerische Auffassung u n d Begriindung der Klassik vorwegnimmt. G e n a n n t seien i n E n g l a n d P E T T Y 2 (1623—1687), der in allem den iiblichen Merkantilismus weit iiberragt, d a n n B A E B O N 3 (1640—1698), N O E T H 4 (1641—1690) u n d D A V E N A N T 5 (1656—1714); i n F r a n k r e i c h B O I S G U I L L E B E E T (1646—1714), VATJBAN 6 (1633—1707) u n d besonders CANTILLON (C. 1680—1734); in Italien O E T E S 7 (1713—1790), dessen Bevolkerungslehre vor MAXTHTJS die These 1 Monay and Trade, 1705; franzosisch unter dem Titel „Considerations sur le commerce et sur Fargent", La Haye 1720. — LAWS gesammelto Schriften sind ncu hcrausgegeben in der wichtigen Sammlung von E. DAIEB, ,,Collection des principaux Bconomistes". Bd. I : Economistes financiers du XVIII 8 siecle, Paris 1843. 2 A treatise of taxes and contributions, London 1662, u. a. — Wiederabgedrnckt in „The
economic writings of Sir WILLIAM PETTY" ed. by C. H. HULL, 2 vol., London 1899. 3
A Discourse of Trade. London 1690 (Ncudruck Baltimore 1905). 1 Discourses upon Trade; principally directed to the cases of the interest, coinage, clipping and increase of money, London 1691 (Neudruck Baltimore 1907). 5 Political and commercial works, ed. by WHITWOETH. 5 vols. London 1771. 6 Projet d'une dixme royale. Rouen 1707; u. a. 7 Riflessioni sulla Popolazione. Venedig 1790. — Wiederabgedruckt wie alle alteren italienischen Schriften in CUSTODIS ausgezeichneter Sammlung: Scrittori Classici Italiani di Economia Politica. Mailand.
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft.
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vom geomctrisohen W a c h s t u m d e r Bevolkerung aufstellt, u n d v o r allem d e r Abbe G A L I A N I 1 (1728—.1787), dessen W e r t - u n d Geldlehre i m Ausgehen v o n d e r N u t z lichkeit als b e s t i m m e n d e m G r u n d Einsichten e n t h a i t , die erst 100 J a h r e s p a t e r bei M B N G E E , M A R S H A L L u n d J B V O N S wieder
auftauchen.
W a r bereits in A r t u n d I n h a l t d e r Wirtschaftslehre e m machtiger Anreiz z u Ausbau, Verbindung, Zusammenfassung d e r Teilstiicke u n d Teiischriften gegeben, so lag in d e r geistigen Grundlage noch ein starkerer A n t r i e b z u Besinnung u n d Vertiefung. Die Merkantilisten b a u t e n — M U N S Beispiel verdeutlichte es — innerhalb des u b e r k o m m e n e n soziologisehen R a h m e n s weiter, ohne indessen noch geistige Folgerungen d a r a u s zu ziehen. Auf d i e D a u e r mufite aber die F r a g e b r e n n e n d w e r d e n : wenn d a s dogmatiseh-theologische Gesetz nicht m e h r d a s Ganze regie, worin d a n n d a s Gesetz d e r Wirtsehaft liege? Noch wagto m a n nicht, G o t t fur die Wirtschaft in Anspruoh z u n e h m e n , abcr die fromme Scheu des A q u i n a t e n w a r doch schon iiberwunden, es d a m m e r t o die Vorstellung v o n einor Eigcngesetzliehkeit der Wirtschaft herauf.. Schon MTJN sprach v o n einer ,.necessity beyond all resist a n c e " , in P E T T Y S Treatise of Taxes (I p . 48) i s t schon die R e d e v o n N a t u r g e s e t z e n — uberall kiindet sich d a s Zcrbrechen d e r letzten mittelalterlichen Bindungen a n , u n d uberall zeigen sich Ansatze zu einem Biindnis der Okonomik m i t d e r m a c h t i g s t e n geistigen Bewegung d e r Zeit, d e m i m SchoB d e r K i r c h e groBgewordenen, n u n a b e r aus seinen eigenen Voraussetzungen hcraus revolutionierten u n d individualisierten N a t u r r e c h t . I n alien diesen F r a g e n , d i e i m 17. J a h r h u n d e r t erwuchsen, in d e r e r s t e n H a l f t e des 18. allenthalben z u m BewuBtsein k a m e n u n d v e r l a u t b a r t w u r d e n , h a t die zwcite Halfte des 18. J a h r h u n d e r t s die systematische Losung gegeben u n d d a m i t die Okonomik a u s d e r merkantilistischen B e b a n d l u n g v o n Einzelfragen hingefuhrt z u r theoretischen Analyse des Wirtschaftsganzen, sie nach Absicht u n d Leistung v o n P h y s i o k r a t e n u n d Klassikern z u m R a n g einer ,,neuen Wissenschaft" 2 erhoben. S c h r i f t e n 3 : SOMBART, Der moderne Kapitalismus, 2.Auf]., Bd. II, S.912ff.; LEVASSEUR, Histoire des classes ouvrieres en France, 2 vol., Paris 1859; dazu das groBe wirtschaftsgeschichtliche Schrifttum allcr Lander. (Fiir Dcutschland vornehmlich die Wcrke von BELOW, GOTHEIN, SCHMOLLER; fiir England von CUNNINGHAM und ROGERS; fiir Frankrcich von D'AYENEL und
GERMAIN MARTIN.) ZU BODIN: BAUDKILLART, J. Bodin ct son temps, Paris 1853; eine griindliche okonomiselie Wiirdigung fehlt. Zu COLBERT: BANKE, Franzosische Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert; WOLTERS, Colbert (in dem Sammelwerk: Meister der Politik). Zu VAUBAN: MANN, Der Marsehall Vauban und die Volkswirtschaftslehre des Absolutismus, Miinchen 1914. Zu BECKER: ZIELENZIGER, Die alten deutschen Kameralisten, Jena 1914, das als Gesamtwiirdigung verfehlt, dennoch in Einzelheiten brauchbar ist. Aueh der englische Merkantilismus ermangelt einer umfassenden Darstellung; zu nennen: SCHACHT, Der theorctische Gehalt des englischen Merkantilismus, Berlin 1900; HELANDER, Sir .Josiah Child (W. W. A. 1923). Der osterreichische Kameralismus ist am besten erforscht und behandelt: L. SOMMER, Dieosterreichischen Kameralisten, 2 Tie., Wien 1920 und 1925. — STIEDA, Die Nationalokonomie als Universitatswissenschaft, Leipzig 1906.
II. Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft. Bediirfte es eines Beweises fiir die ZeitgemaBheit einer Verbindung v o n n a t u r rechtlicher Philosophie u n d okonomischer Analyse, so ware die E n t s t e h u n g d e r Physiokratie ein schlagender Beleg. FEANgois Q U E S N A Y (1694—1774), d e r G r a n d e r , beginnt m i t d e r B e o b a c h t u n g d e r wirtschaftlichen T a t s a c h e n — sein wissenschaft1
Delia moneta, 1750; u. a. DUPONT D I NEMOURS, De l'origine et des progrcs d'une science nouvello, Londres et Paris 1767. 3 Die einschlagigen Kapitel der im Anhang angefuhrten Gesamtbehandlungen der Geschichte der Volkswirtschaftslehre sind aus Fvaumgrunden unter dem Schrifttum nicht nochmals benannt, werden jedoch gerade in diesem und im folgenden Abschnitt zweckmaBig zur Erganzung herangezogen. 2
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft.
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vom geomctrisohen W a c h s t u m d e r Bevolkerung aufstellt, u n d v o r allem d e r Abbe G A L I A N I 1 (1728—.1787), dessen W e r t - u n d Geldlehre i m Ausgehen v o n d e r N u t z lichkeit als b e s t i m m e n d e m G r u n d Einsichten e n t h a i t , die erst 100 J a h r e s p a t e r bei M B N G E E , M A R S H A L L u n d J B V O N S wieder
auftauchen.
W a r bereits in A r t u n d I n h a l t d e r Wirtschaftslehre e m machtiger Anreiz z u Ausbau, Verbindung, Zusammenfassung d e r Teilstiicke u n d Teiischriften gegeben, so lag in d e r geistigen Grundlage noch ein starkerer A n t r i e b z u Besinnung u n d Vertiefung. Die Merkantilisten b a u t e n — M U N S Beispiel verdeutlichte es — innerhalb des u b e r k o m m e n e n soziologisehen R a h m e n s weiter, ohne indessen noch geistige Folgerungen d a r a u s zu ziehen. Auf d i e D a u e r mufite aber die F r a g e b r e n n e n d w e r d e n : wenn d a s dogmatiseh-theologische Gesetz nicht m e h r d a s Ganze regie, worin d a n n d a s Gesetz d e r Wirtsehaft liege? Noch wagto m a n nicht, G o t t fur die Wirtschaft in Anspruoh z u n e h m e n , abcr die fromme Scheu des A q u i n a t e n w a r doch schon iiberwunden, es d a m m e r t o die Vorstellung v o n einor Eigcngesetzliehkeit der Wirtschaft herauf.. Schon MTJN sprach v o n einer ,.necessity beyond all resist a n c e " , in P E T T Y S Treatise of Taxes (I p . 48) i s t schon die R e d e v o n N a t u r g e s e t z e n — uberall kiindet sich d a s Zcrbrechen d e r letzten mittelalterlichen Bindungen a n , u n d uberall zeigen sich Ansatze zu einem Biindnis der Okonomik m i t d e r m a c h t i g s t e n geistigen Bewegung d e r Zeit, d e m i m SchoB d e r K i r c h e groBgewordenen, n u n a b e r aus seinen eigenen Voraussetzungen hcraus revolutionierten u n d individualisierten N a t u r r e c h t . I n alien diesen F r a g e n , d i e i m 17. J a h r h u n d e r t erwuchsen, in d e r e r s t e n H a l f t e des 18. allenthalben z u m BewuBtsein k a m e n u n d v e r l a u t b a r t w u r d e n , h a t die zwcite Halfte des 18. J a h r h u n d e r t s die systematische Losung gegeben u n d d a m i t die Okonomik a u s d e r merkantilistischen B e b a n d l u n g v o n Einzelfragen hingefuhrt z u r theoretischen Analyse des Wirtschaftsganzen, sie nach Absicht u n d Leistung v o n P h y s i o k r a t e n u n d Klassikern z u m R a n g einer ,,neuen Wissenschaft" 2 erhoben. S c h r i f t e n 3 : SOMBART, Der moderne Kapitalismus, 2.Auf]., Bd. II, S.912ff.; LEVASSEUR, Histoire des classes ouvrieres en France, 2 vol., Paris 1859; dazu das groBe wirtschaftsgeschichtliche Schrifttum allcr Lander. (Fiir Dcutschland vornehmlich die Wcrke von BELOW, GOTHEIN, SCHMOLLER; fiir England von CUNNINGHAM und ROGERS; fiir Frankrcich von D'AYENEL und
GERMAIN MARTIN.) ZU BODIN: BAUDKILLART, J. Bodin ct son temps, Paris 1853; eine griindliche okonomiselie Wiirdigung fehlt. Zu COLBERT: BANKE, Franzosische Geschichte im 16. und 17. Jahrhundert; WOLTERS, Colbert (in dem Sammelwerk: Meister der Politik). Zu VAUBAN: MANN, Der Marsehall Vauban und die Volkswirtschaftslehre des Absolutismus, Miinchen 1914. Zu BECKER: ZIELENZIGER, Die alten deutschen Kameralisten, Jena 1914, das als Gesamtwiirdigung verfehlt, dennoch in Einzelheiten brauchbar ist. Aueh der englische Merkantilismus ermangelt einer umfassenden Darstellung; zu nennen: SCHACHT, Der theorctische Gehalt des englischen Merkantilismus, Berlin 1900; HELANDER, Sir .Josiah Child (W. W. A. 1923). Der osterreichische Kameralismus ist am besten erforscht und behandelt: L. SOMMER, Dieosterreichischen Kameralisten, 2 Tie., Wien 1920 und 1925. — STIEDA, Die Nationalokonomie als Universitatswissenschaft, Leipzig 1906.
II. Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft. Bediirfte es eines Beweises fiir die ZeitgemaBheit einer Verbindung v o n n a t u r rechtlicher Philosophie u n d okonomischer Analyse, so ware die E n t s t e h u n g d e r Physiokratie ein schlagender Beleg. FEANgois Q U E S N A Y (1694—1774), d e r G r a n d e r , beginnt m i t d e r B e o b a c h t u n g d e r wirtschaftlichen T a t s a c h e n — sein wissenschaft1
Delia moneta, 1750; u. a. DUPONT D I NEMOURS, De l'origine et des progrcs d'une science nouvello, Londres et Paris 1767. 3 Die einschlagigen Kapitel der im Anhang angefuhrten Gesamtbehandlungen der Geschichte der Volkswirtschaftslehre sind aus Fvaumgrunden unter dem Schrifttum nicht nochmals benannt, werden jedoch gerade in diesem und im folgenden Abschnitt zweckmaBig zur Erganzung herangezogen. 2
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Geschichte.
liches H a u p t w e r k , das „ T a b l e a u e c o n o m i q u e " ist z u n a c h s t nichts anderes als die Darstellung des wirtschaftlichen Kreislaufes, ohne philosophischen oder politischen H i n t e r s i n n ; erst sieben J a h r e spater (1765) gibt sein ,,Droit n a t u r e l " der wirtschaftlichen Analyse die philosophische B e g r i i n d u n g 1 . . . Aber freilich, Q U E S N A Y war zuerst als Mitarbeiter a n der groGen Bibel des philosophischen Materialismus, a n der Enzyklopiidie v o n D I D E R O T u n d D ' A L E M B E R T hervorgetreten, u n d so entspricht es n u r seiner tatsachlichen geistigen Stelhmg, w e n n v o n Anbeginn a n das T a b l e a u als AusfluB des naturrechtlichen Denkens aufgefaBt wird u n d w e n n die beiden Schiiler, die a m stiirksten zur Verbreitung der Lehre des ,,Meisters" beigetragen h a b e n , L E M E R C I E R 2 (1720—1793) u n d D U P O N T D E N E M O U R S (1739—1817) noch zu seinen Lebzeiten an die Stelle von Analyse u n d I n d u k t i o n die D e d u k t i o n setzen, aus den Pramissen v o n N a t u r o r d n u n g u n d N a t u r r e c h t das Wirtschaftsbild ableiten. Wie hier so ist in allem das Leben Q U E S N A Y S u n d seiner Schiiler zugleich bezeichnend fur die zeitliche Lage u n d b e s t i m m e n d fiir die bleibende F o r m : auf dem L a n d e aufwachsend, h a t Q U E S N A Y die innere Verkniipfung u n d auBere Verbindung zur E r d e wieder, die der Mehrzahl der Merkantilisten fehlte (in F r a n k r e i c h m i t einziger A u s n a h m e v o n SULLY, a n den Q U E S N A Y d a r u m auch anzukniipfen vorgibt); als Mediziner ausgebildet, beherrscht er die wissenschaftlichen Mittel der e x a k t e n F o r s c h u n g u n d ist erzogen im Geist jener modernen, d u r c h N E W T O N begriindeten Auffassung der Naturwissenschaft, die als ihre Aufgabe die Auflosung der Wirklichkeit in einen ,,kausalen" Z u s a m m e n h a n g v o n Ursache u n d W i r k u n g b e t r a c h t e t u n d an die Stelle des alten Glaubens an gottliche oder im a l t e n Sinn ,,naturliche" 3 , d. h. gewachsene, dem , , E x p e r i m e n t " entzogene Fiigung den neuen Glauben setzt an die von ihr e n t d e c k t e , ursachliche Verbindung, die sie Naturgesetz b e n e n n t ; als A r z t der P O M P A D O U R lebt er in einer politischen Sphare, die ihn die angeborene Dunkelheit des eigenen Ausdrucks d u r c h die ktihne Geste u n d das freie W o r t der Schiiler zu erganzen m a h n t . U n d vor allem eignet i h m jener personliche Zauber u n d jene personliche Verschlossenheit, die, g e p a a r t m i t Geradlinigkeit u n d Schwung des Gedankens, noch inrnier in F r a n k r e i c h die H i n g a b e der Schiiler u n d den Erfolg in der Offentlichkeit sicherten. Der K e r n g e d a n k e der physiokratischen Lehre, wie sie in der ,,Zickzack"-Zeichn u n g v o n Q U E S N A Y S ,,Tableau economique" 4 ihren bildlichen Ausdruck, in den Erliiuterungen des ,,Doktors", seiner F r e u n d e u n d Schiiler ihre wissenschaftliche Darlegung u n d Begriindung gefunden h a t , besitzt jene einfache GroBe, die stets das Kennzeichen des schopferischen Wurfes bildet. Die P h y s i o k r a t e n zerreiBen den Geldschleier des Merkantilismus u n d erkennen, daB eine Bewegung v o n Giitern, v e r m i t t e l t durch Tausch, Kauf u n d E i n k o m m e n , das eigentliche Wesen der W i r t schaft darstellt — sie untersuchen, wie diese Bewegung u n t e r den geschichtlichpolitischen Bedingungen des ,,ordre positif" vor sich g e h t u n d wie sie gemaB der verpflichtenden Idee des ,,ordre n a t u r e l " vor sich gehen sollte. Die auBerordent1 QUESNAYS Werke sind gesammelt herausgegeben von A. ONCKEN, Francfort s. M. et Paris 1888. Eine wichtige Erganzung enthalt der Artikel ,,Impots", den SCHBLLE in der Revue d'histoire des doctrines economiques et soeiales 1908, S. 137, nach der Handschrift veroffentlioht hat. Bedeutsame Ausziige aus anderen Handschriften und eine Ubersicht iiber den gesamten Handschriftenbestand bei WEULERSSE, Les manuscrits economiques de Francois Quesnay et du Marquis de Mirabeau aux Archives Nationales. Paris 1910. 2 L'ordre naturel et essentiel des societes politiques. Paris 1767. 3 Es wird viel zu wenig beachtet, daB das gleiche Wort ,,Natur" (ebenso wie „Naturrecht") in verschiedenen Zeiten etwas vollig anderes bedeutet; nieht nur ist die „Natur" der Sophistik und der Stoa eine andere als die des 18. Jahrhunderts, sondern auch die „Natur" QT/ESHAYS eine andre als die ROUSSEAUS, die „Natur" der franzosischen Aufkliirung eine andre als die der deutschen Romantik. 4 Das ,,Tableau economique" ist u. a. abgedruckt im Erganzungsband zu ,,L'ami des hommes" des alteren MntABEATJ (Avignon und Hamburg 1760). Genaue Erklarung der Einzelheiten bei OJJCKEN, Geschichte S. 386ff. und SPANS, Haupttheorien S. 38ff.
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissensohaft.
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liche Bedeutung der ersten Erkenntnis wird dadurch nicht gemindert, daB die Form dieser Bewegung falsch gedeutet wird — nooh hat niemand auch nur eine richtigere Beschreibung bisher an die Stelle der physiokratischen zu setzen gewuBt. Ihre Lehre geht, in Nachwirkung mittelalterlicher Vorstellungen und in fibertreibendem Gegenschlag gegen den Merkantilismus, damn, daB schopferisch (,,produktiv") nur die Arbeit des Landmanns ist — sie allein „verdoppelt" die Produkte —, die Arbeit des Handel- und Gewerbetreibenden ist ,,steril", sie „addiert" nur die Rohstoffe und die in Arbeit umgesetzten Unterhaltsmittel. Mit alien Mitteln dialektischen Beweises und geschichtlichen Beleges wird die Uberlegenheit der landwirtschaftlichen ,,creation" vor der gewerblichen ,.addition" zu erharten gesucht; schon in dem fur die Enzyklopadie bestimmten Artikel ,,Impots" wird COLBERT, der verhaBte Verkorperer der merkantilistischen Politik, entgegen aller geschichtlichen Wahrheit mit dem Fluch geachtet, er habe nur den UberfluB und den Reichtum vernichtet, den STILLY in Frankreich geschaffen (p. 186) und in den ,,Maximes generates du gouvernement economique d'un royaume agricole"1 wird er mit dem giftigen, seither gegen den Merkantilismus immer wieder erhobenen Vorwurf bedacht: er habe seine Heimat in solchen Wahnsinn versetzt, daB alles nur noch von Handel und Geld sprach, ohne an die Verwendung des Geldes zu denken (p. 108). „Die Erde ist die einzige Quelle des Reichtums, und der Ackerbau ist es, der ihn vermehrt (multiplied', lehrt demgegenuber QUBSNAYS dritte Regel (p. 87); und die achte weist die Regierung an, die ,,produktiven" Ausgabcn zu begiinstigen, die ,,sterilen" sichselbst zu iiberlassen. Kaum ist ein groBerer Irrtum denkbar als dieser Glaube, daB in der Wirtschaft nur die Natur schopferische Kraft besitze; verkannt wird hierbei die gesamte Leistung des Gewerbes wie des Handels, verkannt vor allem auch die schopferische Tat des denkenden, planenden, gestaltenden Wirtschafts- und Unternehmungsleiters, die erst die fremden Stoffe verbindet, die Arbeiter zu gemeinsamem Werk ansetzt, aus wertlosen Stoffen wertvolle Giiter erzeugt. Aber dennoch steckt in all diesem Wust von sachlichem MiBverstand und falscher Romantik doch so viel richtige Einsicht, daB naeh riickwarts und nach vorwarts das Wirtschaftsbild der Physiokraten seine besbndere GroBe bewahrt: Unverlierbarer Gewinn ist es, daB statt einzelner Wirtschaftszweige und -handlungen nun die Einheit des Wirtschaftsganzen und die Verbundenheit des — inneren und auBeren — Giiterstromes gezeigt ist; unverlierbarer Gewinn sollte es auch sein, daB bei aller Rechnung in Giitermengen doch an der Naturgebundenheit der Wirtschaft festgehalten ist •— der Naturgebundenheit, die gewifi nicht der Grund, die Ursache aller Erzeugung, wohl aber ihre Voraussetzung ist und ihre Begrenzung enthalt, die nicht die GroBe der Giitermenge erklart, noch die einzige Triebkraft des Wirtschaftskreislaufs darstellt, wohl aber — auch heute noch — einen moglichen Antrieb des Kreislaufs und zugleich eine seiner moglichen Storungsursachen bedeutet. DaB diese Einsichten auf einem Wege gewonnen und in einer Form dargestellt sind, die von dem echten, staatgebundenen Wesen jeder Wirtschaftsgesamtheit weit abliegt, muB indessen gerade dann betont werden, wenn zuvor die positive Leistung der Physiokraten anerkannt ist. GewiB kann keine Theorie des methodischen Vorgehens der Abstraktion entraten, in dem der Beginn der wissenschaftlichen wie aller Begriffsbildung enthalten ist. Allein die Physiokraten als erste verfielen infolge ihrer naturwissenschaftlichen Denkweise dem von der ,,Klassik" in starkerem AusmaB und mit noch unheilvollerer Wirkung wiederholten Fehler, daB sie auch die wenigen, anschaulichen, historisch-politischen Elemente, deren selbst das Tableau bedurfte — wie vor allem die Klassenscheidung —, nicht als geschichtliche Erscheinung erkannten, sondern als ewige, „naturliche" Grundform miB1 Die Zitate nach der zweiten Fassung der „Maximes" in der Sammlung ,,Physiocratie" von DFPONT (Yverdon 1768).
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Geschichte.
verstanden. Die letzten R e s t e politischer Okonomie, die sie nicht h a t t e n abstreifen k o n n e n (und in donen — m e h r als sie a h n t e n — die Grundlage ihrer zeitlichen Stellung in der groBen europaischen Politik beschlossen war), werden d a d u r c h ihres allein wesentliohen Sinnes b e r a u b t , u n d die Wissenschaft der Wirtschaft wird nach Q U E S N A Y S Willen zu einer Sehwester der Medizin, z u m a l der A n a t o m i e u n d der Physiologie. Dies ist eine Tatsaehe, welehe nicht d a d u r c h u m g e d e u t e t werden darf, daB m a n der physiokratischen — u n d spater der klassischen Lehre — die ausschlieBliche B e d e u t u n g oines „heuristischen M i t t e l s " zuschreibt. Ob sie als solohes b r a u c h b a r ist, dariiber ist hier nicht zu sprechen; jedoch daB ihre eigene Absicht u n d ihre gesohichtliehe GroBe gerade darin liegt, daB sie nicht ein ,,heuristisches M i t t e l " , sondern das Abbild, richtiger: das Knochengeriist der Wirtschaftswirklichkeit zu geben glaubte, diese Tatsaehe darf nicht verfalscht werden. Die Schiller Q U E S N A Y S die ihn den , , D o k t o r " n a n n t e n , u n d die Kupferstecher, die ihn m i t arztlichen Werkzeugen u n d Eolianten abbildeten, auf deren offenen B l a t t e r n K n o c h e n - u n d Korperstudien zu sehen sind, h a b e n auch fiir die Wirtschaftslehre das Wesen u n d W i r k e n QUESNAYS richtig gezeichnet: nicht E r k e n n t n i s der Wirtschaft, wie sie ist, gibt das Tableau, sondern Q U E S N A Y S Vorstellung der gesunden Wirtschaft, die naturliche O r d n u n g u n d der gesunde Organismus verflieBen in Eins, u n d alle gesohichtliehe F o r m wird zu einer voriibergehenden u n d zu uborwindenden K r a n k h e i t . Gerade die Einfachheit dieser Grundvorstellung k o m m t d a n n dem A u s b a u der physiokratischen Lehre zugute. H a t m a n einmal den , , n o r m a l e n " Kreislauf entdeckt — auch der Begriff ,,Kreislauf" s t a m m t j a bezeichnenderweise aus der Heilk u n d e —, d a n n ist es nicht schwierig, das T a b l e a u u n t e r der A n n a h m e v o n Kreislauf storungen neu zu zeichnen. Schon M I R A B E A U S ,,L'ami des h o m m e s " e n t h a l t infolgedessen neben dem T a b l e a u der gesunden, der normalen, der a u t o n o m e n Wirtschaft, das heute allein noch b e k a n n t ist, eine Reihe von a n d e r n Tafeln, in denen die Vera n d e r u n g des Kreislaufs bei E i n w i r k u n g von TibermaBigen Luxusausgaben, v o n Steuerauflagen usw. dargestellt ist. Die Einzelheiten sind hierbei n u r v o n antiquarischer Wichtigkeit; jedoch h a t die auf diesem G r u n d entwickelte Steuerlehre 1 als Ganzes nicht n u r innerhalb des physiokratischen Systems erhebliche Bedeutung, sondern sie h a t auch zumindest begrifflich die Einanzwissenschaft u n d F i n a n z politik des 19. J a h r h u n d e r t s s t a r k beeinfluBt. Die Ableitung aus dem Gesamtbild war leicht: Gibt nach physiokratischer B e h a u p t u n g n u r die Landwirtschaft einen UberschuB (surcroit), so heiBt das, daB n u r d o r t R e i n e r t r a g (produit net) erzielt wird; da Steuern n u r aus diesem gezahlt werden konnen, muB letztlich auf dem Wege der Uberwalzung eine jede Steuer v o n der Landwirtschaft getragen werden — also empfiehlt sich die Abschaffung der Steuervielzahl u n d ihre E r s e t z u n g d u r c h eine einzigc, u n m i t t o l b a r b e i m G r u n d b e s i t z e r e r h o b e n e S t e u e r (impot u n i q u e e t d i r c c t ) . DaB diese F o r d e r u n g praktisch nicht zu verwirklichen war, h a t sich in der franzosischen R e v o l u t i o n schnell gezeigt: aber die Scheidung zwischen direkten u n d indirekten Steuern nach dem Gesichtspunkt der tJberwalzbarkeit blieb auBerhalb Frankreichs u n d z u m a l in D e u t s c h l a n d bestehen, obwohl in E r a n k r e i c h selbst die beiden Begriffe nach kurzer Zeit n u r noch den verwaltungstechnischen Unterschied zwischen veranlagten u n d tarifierten Steuern bezeichneten. Die Steuerpolitik ist das einzigc Gebiet, wo der Doktrinarismus die P h y s i o k r a t e n F o r d e r u n g e n aufstellen lafit, deren Durchfuhrung einen U m s t u r z der bestehenden Verhaltnisse vorausgesetzt h a t t e . I m iibrigen muBte die Lehre gerade durch ihre soziologischen Restbestandteile mehr s t a a t s e r h a l t e n d als s t a a t s u m w a l z e n d wirken, war es doch in Wirklichkeit die zu Q U E S N A Y S Zeit — also v o n seinem System a u s : zufiillig — bestehende u n d bereits zur Vernichtung reife Gesellschaftsordnung, die 1 Theorie de l'impot. — Die Sehrift ist 1761 ohne Verfasser- und Ortsangabe ersohienen. VerfaBt hat sie, unter entscheidender Mitarbeit von QTJESNAY selbst, der altere MIEABEATJ.
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissensohaft.
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im Tableau als Gott- oder Naturgegebenheit ersohien. ,,La nation est reduite", beginnt der Text des Tableau, ,,a trois classes de oitoyens: la classe productive, la classe des proprietaires et la classe sterile". Die Handel- und Gewerbetreibenden als sterile Klasse und die Pachter als allein produktive Klasse — das war ein wirtschaftlicher Irrtum, der folgenlos blieb, da der Aufstieg des Kapitalismus schnell und allgemein die Theorie von der Unproduktivitat durcli die Tatsache der Produktivitat der Industrie widerlegte. Jedoch die Einfugung des Grundbesitzes als „classe distributive" in den ,,gesunden" Wirtschaftsorganismus war folgenschwer; denn diese Einbeziehung einer politisclien oder Rechtswirklichkeit in die ewige Idee der Wirtschaft bedeutete, daB nun dem Grundbesitz und weiter dem Eigentum uberhaupt die hohere Sanktion des Naturrechts verliehen war, die ihm die Weisheit des Aquinaten noch versagt hatte. — In dem am Horizont sicli bereits abzeichnenden Kampf zwischen Anhangern und Feinden der bestehenden Ordnung hat so die Physiokratie auf politischer G-rundlage, aber unter dem Mantel der Ethik, des Rechtes und der Vernunft und darum mit aufreizender Wirkung von vornherein Stellung genommen, bisweilen zwar in der Form ihre Einseitigkeit verbergend durch die Auffassung eines Miteigentums des Staates (LB MBRCTER), meist aber so schroff, daB es nicht wundernimmt, wenn gerade in Frankreich die Gegenthese gepragt 1 wird: La propriete, c'est le vol. Fur die Entwicklung war es bedeutsam, daB QITESNATS Schiller viel weniger innere Freiheit gegeniiber seinen Lehren besaBen als der Doktor selbst, der in manchen von ihnen im Grunde wohl nur Rezepte sah, die unter besonderen Umstanden verandert werden konnten und muBten. QUESNAY hielt gich offenbar fur einen franzosischen CONEUZIUS und hatte es gewiB als das groBte Lob angesehen, ware ihm der Ruhmestitel zuteil geworden, mit dem er selbst den chinesischen Weisen preist: ,,le plus grand des docteurs, le plus grand reformateur de la legislation, de la morale et de la religion"2 . Das bedeutet aber auch, daB er fur Frankreich einen aufgeklarten Despotismus fiir die ideale Regierungsform hielt — der Art nach dem Bild almlich, das er selbst in seinem umfangreichsten Werk, dem ,,Despotisme de la Chine", gezeichnet hat —, eine Regierungsform also, bei der der Monarch wohl wie ein gutcr Arzt der Regel nach den Staatskorper sich selbst iiberlassen wird, jedoch die Fahigkoit und den Willen besitzt, in Krankheitsfalien, wcnn der Korper sich nicht selbst helfen kann, sachverstandig einzugreifen. Den Schiilern war diese Haltung, die jede Enge der Doktrin uberlegen abweist, im Widerspruch mit ihrer Anlage und ihren Wunschen; was sie suchten, war eine ,,science exacte", eine exakte, eine Natur-, und daB hieB fiir sie: eine Gesetzeswissenschaft. Weil das Tableau ihnen diese Exaktheit zu verbiirgen schien, darum hielten sie es neben der Schrift und dem G-eld fiir die dritte grofie Erfindung des menschlichen Geistes; weil der ordre naturel liickenlos die MuBvorschriften der Wirklichkeit zu bieten schien, darum fiihlten sie in sich die Berufung zu politischem Handeln; weil es in der Welt des Absoluten kein Schwanken und kein Abweichen geben kaim, darum erhoben sie das aus vielerlei Tranken gemischte Rezept zur starren, dogmatischen Glaubensregel. So kam es, daB die Sekte der ,,Okonomisten" den urspriinglich gar nicht physiokratischen, sondern zuerst von einem Kaufmann ausgesprochenen und COLBERT entgegengehaltenen, dann von D'ARGENSON zur Begriindung der Gewerbe-
freiheit verwandten, doch von QUESNAY niemals in vollem Umfang angenommenen Grundsatz des Laissez faire dogmatisch auslegte und auf das Gesamtgebiet der Wirtschaft ausdehnte. ,,Laissez faire et laissez passer — le monde va de lui-mcme",
1 Die spatere Pnor/DHONsche These ist schon 1780 enthalteu in einem Werk von BEISSOT DE WARVILLE : Recherches philosophiques sur le droit de propriete et sur le vol eonsideres dans la nature et dans la societe. (Oeuvres, Berlin 1782—85, t VI, p. 260ff.) 2 Despotisme de ]a Ohine, ed. ONOKEN, p. 575.
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Geschichte.
das wurde d u r c h M I B A B B A U z u m K e r n s a t z des physiokratischen K a t e c h i s m u s , d u r c h T U E G O T zur R i c h t s c h n u r der physiokratischen Politik. Gegeniiber der allseitigen, bald fordernden, bald h e m m e n d e n Regelung der Wirtschaft d u r c h den S t a a t , wie sie zum System des Merkantilismus gehorte, w a r hiermit ein entscheidender Schritt zur liberalen Verfassung hin getan, u n d der A b s t a n d , der diesen franzosischen, u m des Wohles der Landwirtschaft willen „freien" S t a a t v o n d e m englischen, u m des H a n d e l s willen ,,freien" t r e n n t , ist nioht mehr groB. I m m e r h i n : v o n ciner Freiheit auf G r u n d der Menschenrechte ist noch nicht die R e d e , u n d es ist unmoglich, die P h y s i o k r a t e n fur Liberale oder auch n u r fur Individualisten i m strengen W o r t s i n n zu erkliiren. I h r e Freiheit ist weniger eine Freiheit v o m S t a a t e als eine E n t h a l t s a m k e i t des Staates — ihr Individualismus, ihre schematische Vorstellung der Wirtschaft als eines vom Eigennutz, v o n der Absicht groBten Nutzeniiberschusses getriebenen Gebildes b e a n s p r u c h t noch nicht das eigentiimliche Wesen aller Menschen oder auch n u r aller wirtschaftenden Menschen aufgedeckt zu haben, sondern weiB noch ebenso wohl zwischen seigneurialer u n d biirgerlicher Wirtschaftsfuhrung wie zwischen nationaler u n d internationaler Wirtschaftsgesinnung zu scheiden. Auch bleibt ihre Wirtschaftslehre gerade in ihrer naturrechtlichen Grundlegung, so sehr sie dies selbst v e r k a n n t e n , doch weitgehend metaokonomisch verhaftet, u n d n u r in der eigentlichen Analyse der Wirtschaft ist sie ganz „Wissenschaft" im Sinn des 19. J a h r h u n d e r t s . Gerade d u r c h diesen eigentumlichen Bruch innerhalb des Ganzen b e w a h r t das System der P h y s i o k r a t e n noch einen letzten Schein des uberindividualen Gehalts der fruheren J a h r h u n d e r t e u n d iiberlaflt es der englischen ,,Klassik", endgultig die Briicke zum Mittelalter a b zubrechen u n d das I n d i v i d u u m selbst m i t dem metaphysischen Glorienschein zu umkleiden. Die Lehre der P h y s i o k r a t e n h a t t e nicht die Allgemeinheit des Erfolges, die n a c h der GroBe ihrer Leistung zu erwarten s t a n d . Der Begeisterung der nachsten Anhiinger des „ L ' a u t e u r " u n d ihrer m u t i g e n Missionsarbeit a n t w o r t e t e weder in E n g l a n d noch in D e u t s c h l a n d ein unmittelbares E c h o v o n einiger Starke. E i n neuerer franzosischer Historiker g l a u b t den G r u n d darin zu sehen, daB die Metaphysik wie der agrarische Einschlag der Physiokratie wesentlich katholischem D e n k e n e n t s p r a n g u n d katholischen Lebensformen n a h e stand, wodurch sie d e n L a n d e r n der Reformation h a b e fremd bleiben miissen. Aber ,,Naturgesetze" suchten d a m a l s auch die reformierten Volker in jedem einzelnen Bereich ihres Lebens, u n d auch die LBiBNizsche Philosophic h a t t e zu einem „ordre n a t u r e l " hinleiten konnen. Wesentlicher ist: I n d e m der ,,ordre n a t u r e l " nicht eine ,,reine" oder ,,theoretiseh b e s t e " Wirtschaft meinte, sondern jenseits der relativen die absolute, jenseits der realen die ideale, jenseits der seienden die zugleich sein sollende u n d k o m m e n d e Wirtschaft, b r a c h t e er einen geschiohtsphilosophischen u n d messianischen Zug in die Okonomik, der dem 18. J a h r h u n d e r t noch fern lag, so sehr er spater dem Gesamtfiihlen des 19. J a h r h u n d e r t s entsprach, n a c h d e m die Aufkliirung die letzten R e s t e der Religion z e r t r u m m e r t h a t t e u n d das nicht zu t o t e n d e Glaubensbediirfnis der Menschen sich in lockenden Bildern einer Zukunftswirtschaft kummerlichen E r s a t z fur die zerschlagene Hoffnung des Himmelreiches suchte. Der eigentiimlich franzosische Charakter der ganzen Bewegung, der in P r a n k r e i c h ihre Starke ausm a c h t , erweist sich so nach auBen als Begrenzung ihrer Wirkungsmoglichkeit. N u r in F r a n k r e i c h k o n n t e jene Leidenschaft des Geistes, wie sie damals den Kreis u m QXJBSNAY auszeichnete, spater den Kreis u m S T . SIMON, zuletzt den Kreis u m COMTB, eine Wirtschafts- oder Staatslehre in ein E v a n g e l i u m verwandeln u n d ihre Anhanger zu einer Sekte zusammenschlieBen. Bei der britisch-insularen Niichternheit muBte gerade diese metaphysische F a r b u n g MiBtrauen wecken u n d Widerspruch erregen, u n d n u r dort k o n n t e sich noch ein Wirkungskreis finden, wo eine Vermengung von Aufklarungswillen u n d Gefiihlsuberschwang eine halbwegs ver-
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft.
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gleichbare Spannung schuf: an den kontinentalen „H6fen". So stand der Markgraf KARL FEIEDBICH von Baden in brieflichem Verkehr mit MIEABEAU und DUPONT 1 und
machte sogar einen Versuch, mitUnterstiitzung des deutschen Physiokraten SCHLETTWEIN ihre Steuerlehre praktisch durehzufiihren; so war JOSEPH II. physiokratischem EinfluB zuganglich, so konnte sich L E MEECIEB DE LA RIVIEBE mit der Hoffnung tragen, Hofokonom der russischen Kaiserin KATHABINA I I . zu werden. Allein selbst in Frankreich ist dem raschen Aufstiog der Physiokraten zu Ansehen und Macht ein nicht minder schneller Zusammenbruch gefolgt. Ihre wissenschaftliche Geltung wurde durch Gegenschriften von VOLTAIEE und GALIANI erschiittert, ihr politischer EinfluB durch das Scheitern TURGOTS vernichtet. VOLTAIEE nahm in seiner Satire „L'homme au quarante ecus" 2 vor allem die gesamtphysiokratische Steuerlehre und MEEOIEES besondere Lehre vom Miteigentum des Staates aufs Korn. Seinem Hohn, daB ein kleiner Besitzer mit einer Rente von 40 Talern bei Durchfuhrung der Ein-Steuer die Halite an den Staat abfuhren miifite, wahrend ein reicher Rentner mit einem Renteneinkommen von 400000 Franken keine Steuer zu zahlen habe (p. 5ff.), lieB sich nichts Ernsthaftes entgegensetzen; denn wenn man auch nachwies, daB VOLTAIEE die Physiokraten insofern miBverstanden hatte, als sie nicht den kleinen Landwirt, sondern nur den rentenbeziehenden Grundeigentiimer zur Ein-Steuer heranziehen wollten, so blieb VOLTAIEES Witz nicht weniger treffend, wenn man unter leichter Veranderung seines Beispiels den Grundeigentiimer und den Handler einander gegeniiberstellte. Wirkungsvoller noch war der Angriff des Abbe GALIANI. Seine Dialoge liber den Getreidehandel 3 haben, soweit sie gegen den Freihandel fur Getreide auftreten, nur noch zeitgeschichtliche Wichtigkeit; soweit sie sich gegen die Lehre vom Ackerbau als einzige Quelle des Reichtums richten, sprcchen sie nur, wenn auch als erste, den selbstverstandlichen Einwand gegen den physiokratischen Irrtum aus; indessen von bleibender Bedeutung ist: mit der Begriindung von GALIANIS Standpunkt gegeniiber der physiokratischen Dogmatik beginnt ein Kampf, dessen Entstehen zu Unrecht stets erst ins 19. Jahrhundert verlegt wird. ,,La raison mal discutee, l'experience mal appliquee, I'exemple tire d'une chose dissemblable" erklart GALIANI als die Hauptgriinde aller wissenschaftlichen und politischen Fehler (p. 5 s.). Damit ist zwar nicht der Methodenstreit entfesselt, von dessen Inhalt spater zu sprechen sein wird; aber es ist doch der ersten ,,reinen" Theorie bereits entgegengestellt die erste Berufung auf die Erfahrung der Geschichte — und dies in einer Form, die manchen Erorterungen des nachsten Jahrhunderts iiberlegen ist. Denn GALIANI wehrt sich ausdriicklich gegen das MiBverstandnis, als k5nne man aus der Geschichte durch unmittelbare t)bertragung entnehmen, was in der Gegenwart zu tun sei; vielmehr betont er, ein iiberlegener Schiiler MONTESQUIEUS, die Bedeutung wechselnder politischer und geographischer Verhaltnisse, die die Moglichkeit wohl entsprechenden, doch niemals gleichen Handelns lassen. Hatten diese literarischen Angriffe ebenso wie die Kampfschriften von MABLY und FOEBONNAIS das Ansehen der ,,Okonomisten" bereits schwer getroffen, so wurde ihre Stellung vollends unhaltbar, als MABLYS jiingerer Bruder, der Abbe CONDILLAC * im SchoB der Sekte selbst sich den Vorwurf zu eigen machte, daB die Produktivitat von Industrie und Handel zu Unrecht geleugnet sei, und als im gleichen Jahre 1776 der Sturz TITEQOTS 5 alle Hoffnungen auf politische Verwirk1
Der Briefwechsel ist 1892 durch KNIES veroffentlicht. Erschienen 1768 ohne Verfasser- und Ortsangabe. Dialogues sur le commerce des bleds. London 1770. 4 Le Commerce et le Gouvernement consideres relativement l'un a l'autre, 1776. — Ein Neudruck dieser Schrift ebenso wie aller wichtigen Werke der Physiokraten in der schon genanntcn Sammlung GUILLAXJMIN (Collection des principaux economistes. 17 vols. Paris). 6 TUEGOTS wichtigste okonomische Schrift „Reflexions sur la formation et la distribution des richesses", ebenso wie ein unvollendeter systematischer Versucli ,,Valeur et monnaies" ist 2 3
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lichung der Lehre endgiiltig bcgrub. So wird das J a h r 1776 in mehrfaoliem Sinn z u m Schicksalsjahr der neuen okonomischen Wisscnschaft: W a h r e n d in F r a n k r e i c h der Zerfall der Physiokratie das E n d e der ersten , , a u t o n o m e n " R i c h t u n g anzeigt, beginnt in E n g l a n d m i t dem Erscheinen des ,, W e a l t h of N a t i o n s " der Stern des Mannes aufzugehen, der, ohne das Genie das franzosischen Griinders zu besitzen, doeh ausgeriistet m i t der ganzen philosophischen Bildung u n d dem geschichtlichen Wissen seines Sakulums, b e g a b t m i t scltener Gedankenklarheit, m i t weitem Blick u n d m i t d e m z a h e n FleiB des S c h o t t e n das W e r k der Zeit v e r r i c h t e t : A D A M S M I T H . W a h r e n d das F r a n k r e i e h des 18. J a h r h u n d e r t s , politiseh u n d wirtschaftlich im Niedergang begriffen, j a h r z e h n t e l a n g vom S t a a t s b a n k r o t t b e d r o h t , den okonomisohen Reformern wohl als ein L a n d erscheinen k o n n t e , das viel Millie u n d viel Geld auf die H e b u n g v o n I n d u s t r i e u n d H a n d e l v c r w a n d t u n d dooh nichts anderes als einen R u i n der Landwirtschaft orreicht h a t t e , b o t E n g l a n d in dieser Zeit das Bild eines machtig aufstrebenden, politiseh orfolgreichen, wirtschaftlich fortschreitenden Reiches. I n Asien u n d Amerika waren die Grundlagen zum britischen I m p e r i u m gelegt u n d die R e i c h t u m e r , die aus den Kolonien ins M u t t e r l a n d flossen, dienten z u m Aufbau oiner s t a r k e n I n d u s t r i e u n d v e r m e h r t e n so weiter den inneren u n d iiuBeren H a n d e l . E i n tatkraftiger U n t e r n e h m u n g s g e i s t war allenthalben i m Biirgert u m a m W e r k , und es hauften sich die technisohen Erfindungen, die neuen Aufschwung u n d gestoigerten E r t r a g versprachen. Die Erfindungen der Dampfmaschine d u r c h W A T T , der Spinnmasohine duroh W Y A T T u n d die gliicklicheren H A B G B E A V E S , A B K W B I G H T , CEOMPTON, s p a t e r des mechanischen W c b s t u h l s durch CABTWBIGHT u n d J A C Q U A B D , d a n n die weniger b e k a n n t e n u n d doch zumindest gleichwiehtigen Erfindungen des Puddelverfahrens u n d des Kokshochofens ermoglichten cine marchenhafte E n t w i c k l u n g der Baumwollindustrie u n d lieBen den Eisenhandel, der zu Beginn des J a h r h u n d e r t s infolge des Mangels an Holzkohle ,,in U n b e d e u t u n g u n d V e r a c h t u n g zu versinken d r o h t e ' ' ( S C E I v E N E B ) , langsam einen neuen Aufschwung n e h m e n . Die K e h r s e i t e dieser ganzen E n t w i c k l u n g , in der sich der U b e r g a n g vom Friih- zum H o c h k a p i t a l i s m u s anzeigt, sah m a n noch n i c h t oder hielt sie fur einen vortibergehenden Schonheitsfehler. DaB nicht n u r m i t dem H a n d w e r k der Sinn fur die Giite der Arbeit, die Einzigkeit des W e r k e s verloren ging, sondern daB auch die alte Lebens- u n d Wirtschaftseinheit der Eamilie in Atorne zersplittert w u r d e , hielt m a n fur unwesentlieh im n e u e n R a u s c h der Zahl u n d Mengc u n d beklagte m a n n i c h t im Vollbesitz des bcruhigenden Trostes, daB ebon d a d u r c h die erstrebte Ereiheit des Einzelnen n u r um so leiehter verwirklicht werde. DaB das durch die , , E i n h e g u n g e n " (enclosures) schon entvolkerte L a n d n u n noch s t a r k e r in Weide- u n d J a g d g e b i e t e verwandelt w u r d e , schicn wesonlos neben den sichtbaren Vorteilen der neuen W i r t schaftszweige. E i n e gewaltige F l u t des Optimismus wogte iiber die Menschen h i n — W I L L I A M G O D W I N 1 h a t , kurz ehe die napoleonischen Kriege die erste Verdiisterung iiber das schattenlose Bild b r a c h t e n , dem beherrsohenden Gefuhl der Zeit, wenn auch in personlicher, anarchistischer F o r m , Ausdruck gegeben —, und schon A D A M S M I T H 2 (1723—1790) ist, obwohl seiner ganzen Anlage nach bedachtig u n d keiner starken Begeisterung fahig, obwohl Zeitgenosse n u r des A n b r u c h s , n i c h t der Durchfiihrung der technisohen Revolution, dooh erfiillt v o n diesem naiven Glauben a n die
wieder abgedruckt in der von DAIRE herausgegebenen zweibandigen Sammlung seiner Werke (Collection GxTiLLAtJivnN). Beide Schriften zeigen, daB TtifiaoT wissensehaftlich nicht im strengen Sinn Physiokrat war; das laBt ihm die Freiheit einer selbstandigen Wertlehre, die in ihrem Subjektivismus ein Bindeglied darstellt zwischen der Spatscholastik (vgl. S. 25) und dem 19. Jahrhundert. TPRGOTS wisscnschaftliche Nachwirkung geht jedoch nicht von seiner Wirtschaftslehre, sondern von seiner Geschichtsphilosophie aus (vgl. dariiber S. 67). 1 Enquirv concerning political justice and its influence on morals and happiness. London 1793; The Enquirer ibd. 1797. 2 Theory of moral sentiments (l.Aufl. 1759); An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations (l.Aufl. 1776); die beste— kommentierte — Ausgabe der Gegenwart
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Giite und den Fortschritt der irdisohen Welt und an Englands Berufung zu ihrer Herrsehaft. Als Sohiiler HUTCHESONS, als Freund von DAVID HUME, selbst Philosoph im psychologistischen Stile seines Volkes, brachte SMITH der Okonomik als Morgengabe die Verbindung zur weltlichen Philosophie mit, die von da an bis auf unsere Tage kennzeichnend blieb, zum Guten wie zum Bosen, fiir mehr als ihren englischen Zwoig. Ein Aufenthalt in Paris braolite ihn in nahe Beriihrung mit QUBSNAY und gab ihm zur genauen Kenntnis der heimischen Morkantilisten noch die Vertrautheit mit dem neuen Evangelium der Okonomisten, Reisen durch Frank reich und die Schweiz vermittclten ihm zu dem in Glasgow gewonnenen Einbliek in Industrie und Handel von England einen Uberbliok liber die wirtschaftlichen Verhaltnisse des Kontinents, Studien in der politischen und wirtschaftlichen Geschichte boten ihm eine breite Untorlage und zahlreiche Belege fiir die Entwicklung seiner theoretischen Ansichtcn. So vormag er noch einmal die Wirtschaftslehre aus jener gefahrliohen Einengung zu befreien, in die sie schon jetzt die ,,reine", rationale Theorie der Physiokraten einzusperren drohte. Ehedem selbst Lehrer der Moralphilosophie und Verfasser einer dem ,,Wealth" verschwisterten „Theory of moral sentiments", dcren Kornstiick oine Syinpathielehre bildet, wandelte er die ,,naturliche"' Ordnung der Physiokraten, die bei QTJESNAY und DUPONT ausgesprochen eine n a t u r r e c h t l i o h e gewesen war, zu einer — sit venia verbo — naturp s y c h i s c h e n Ordnung, entfernte so ein gut Teil der finalistischen Elemente des physiokratischen Systems und baute jene kausalpsychische Wirtschaftswelt des Eigennutzes, in deren Rahmen sich wesentliche Erkenntnisse des 19. Jahrhunderts, die gesamte Wertlehre bis hin zur Grenznutzenlehre, entwickelten. Aufgewachsen in einer durch Handel und Industrie genahrten Umgebung, wuBte er zuviel von der Bedeutung der neuen Wirtschaftsform, um sich der agrarcn Einseitigkeit der Physiokraten zu verschreiben. Baumeister auf dem Fundament des englischen, ,,kommerzialistischen" Merkantilismus, selbst wo er ihn bekampft, ist ihm die englische Ubersichtigkeit in handolspolitischen Fragen zu sehr eingeboren, als daft er ihrc Regelung, heifte sie nun Reglementierung oder Freisetzung, nur unter dem Gesichtspunkt des agrarischen Interesses gutheiften konnte. So ist er zwar weder der Individualist noch der Industrialist noch der Freihandler, als den ihn spatere Zeiten lobpriesen und verdammten; aber er hat den geschlosseneren und darum engeren Bau der Physiokraten um alle diese englischen Elemente bis an die Grenze, ja bisweilen fiber die Grenze des systematisch Tragbaren erweitert, und da gerade diese neuen Lehren grundlegend wurden fiir die Wirtsehaftstheorie seiner Nachfolger, so erschien er von hier aus in einer sachlich unrichtigen Beleuchtung als Smithianer, was er ebensowenig war wie MALTHTTS Malthusianer oder MAEX Marxist. Die Vielseitigkeit und Vielsichtigkeit von SaiiTHens geistiger Haltung gibt auch seiner wirtschaftlichen Theorie, an Stelle des einheitlichen Geprages der physiokratischen Lehre, einen farbigen Reichtum, der ihr um ebenso viel an Verstandlichkeit und Anziehungskraft zufiigt, als er ihr an Ausgeglichenheit und Begriffsscharfe nimmt. Statt der einen schopferischen Grundkraft der Physiokraten erscheinen in den drei Einkommensformen nun die drei spater sogenannten Produktionsfaktoren, Arbeit, Kapital und Boden — bald die Arbeit, bald der Boden gewichtsbetont. Neben die Giiterlehre der Franzosen treten Ansatze einer Wertlehre —tiefer gefafit als bci TURGOT, aber weit weniger scharf als bei CONDILLAC —, unter friedlicher Verbindung derart gegensatzlicher Stoffe, daft sowohl die Arbeits- wie die Nutzwerttheorie spater in SMITH ihren Aim erblicken konnen — dabei ohne erhebliche Bedeutung im Rahmen des ganz.en Systems, dergestalt, daft der heutige Leser, der auch zur Wertvon EDWIN CASNAN, London 1925. — Ein Einbliek in die Entwicklung von SMiiHens Lehre unter dem EinfluB der Physiokraten (Veranderung der Wert- und der Verteilungslehre) ist moglich durch die Auffindung eines Kollegheftes der ,,Lectures on Justice, Police, Revenue and Arms" von 1763, das CANNAN veroffentlicht hat (Oxford 1896)..
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lehre Abstand besitzt, zu zweifeln geneigt ist, ob iiberhaupt diesem Lehrstiick fiir SMITH theoretisch-systematische Bedeutung in groBerem MaBstab zukommt, ob es nicht wie andere Teile vorwiegend den Charakter eines theoretisch-historisahen Exkurses besitzt. Tatsachlich im Mittelpunkt steht, und dies erscheint als SMITH' bedeutsamste Neuerung, die Preislehre oder richtiger der Preismechanismus als Knochengeriist der klassischen Wirtschaft, jenes seltsamen Traumes einer Verkehrswirtsehaft, deren dauernder Antrieb und deren harmonisehe Anordnung durch die freie Konkurrenz gegeben und gewahrleistet ist. Indem so „die Gesetze" der Preisbildung zum erstenmal gesucht, die Riickwirkungen der Preise auf das Einkommen wie auf die Produktion erkannt werden, tritt an die Stelle der hypothetischen ,,avances foncieres", mit denen die Physiokraten ihren Kreislauf in Gang gebraeht hatten, ein tatsachliches Element des Marktes. Sachlich liegt hierin kein reiner Fortschritt; denn moehte die Auffassung des Tableau noch so stark naturwissenschaftlieh bestimmt sein, so vermittelte doch der physiokratische Wirtsehaftsorganismus eine richtige Vorstellung von der Allverbundenheit der wirtschaftlichen Bereiclie und Handlungen. Diese Erkenntnis ist in dem SMiTHsolien System aufgegeben, zugunsten einer wenig angemessenen, mechanistischen Auffassung, jedoeh mit der fiir die Wissensehaft des 19. Jahrhundorts kaum iiberschatzbaren Bedeutung, daB nun der Teilkorper aus dem sozialen Ganzen herauskristallisiert wird, in dem die Wert- und Preisgesetze, die Guterlehre als Mengenlehre, iiberhaupt die gesamte sogenannte ,,reine" Theorie des 19. Jahrhunderts sioh bewegen. Damit ist die mechanistische Wirtschaftsdynamik konstituiert — eine Dynamik freilich nur in dem Sinne, daB die Preisverbundenheit der Wirtschaftshandlungen und -tatbestande festgestellt ist, keine Dynamik mehr im Sinn des Merkantilismus, dem das Ziel der Forderung, des Ausbaus der Wirtschaftskrafte seinen auf Anderung drangenden und in diesem Sinn dynamischen Charakter gegeben hatte. Diese politische Dynamik ist nun abgelost einmal durch die historisch-soziologisohc Betraehtung, die bei SMITH zuerst an die Stelle oder zumindest neben die aufklarerische Verwendung der Geschichte zu Beispiel und Lehre tritt, sodann durch die Auffassung des Eigennutzes als sozialen, nationalen, weltwirtschaftlichen Faktors. Hier hat SMITH, gerade da er nicht dogmatischer Freibandler war, die Moglichkeit besessen, die merkantilistische Handelslehre vom Vorteil des Einen durch den Schaden des Andern zu beseitigen. So gewiB er die absolute Geltung seiner Satze iiberschatzte — unumstoBlich richtig bleibt die Grundlage seiner Lehre, etwa in folgender Fassung: daB jeder Tauschakt und also jeder dauerhafte Handel in der kapitalistischen Wirtschaft den Gewinn oder richtiger die Gewinnerwartung beider Partner voraussetzt, daB nur dann mit nachhaltigem Angebot und nachhaltiger Nachfrage zu rechnen ist, wenn weder im inneren noch im auBeren Handel eine tJbervorteilung der einen Marktpartei stattfindet. Ist man sich ganz bewuBt, daB SMITH zwischen den Zeiten steht, daB er zwar die neue Wirtschaft des Hoehkapitalismus kommen sieht und begriiBt, daB er aber mit starken Neigungen noch an die alte seigneuriale Zeit gekniipft ist, daB er zwar don Weg zur neuen, ,,reinen" Theorie weist, jedoeh niemals mit solcher Ungerechtigkeit sich gegen die Merkantilisten und bisweilen auch die Physiokraten wenden wiirde, ware er nicht selbst noch innerlich mit ihncn verbunden, so hat man den rechten Boden zur Wiirdigung der Doppelseitigkeit seiner ganzen Lehre. Oft zitiert ist der klangvolle Akkord, mit dem sein Werk beginnt: ,,Die jahrliche Arbeit jedes Volkes ist der Fonds, welcher es urspriinglich mit alien Bediirfnissen und alien Annehmlichkeiten des Lebens versorgt, die es jahrlich verbraucht" usw. (Intr.). Der Satz ist wichtig; denn er enthalt in dem zweimal wiederholten Worte ,,jahrlich" die Erkenntnis, daB sinnvollerweise die wirtschaftliche Betrachtung jeweils einen bestimmten Zeitabschnitt zugrunde zu legen hat, und der Satz betont als Ganzes seinem Inhalt nach und vermehrt durch seine Stellung, daB in der Einsicht in das
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schopferische Vermogen der Arbeit SMITH selbst seine eigenste Leistung sieht; denn diese starke Unterstreichung der Arbeit sagt auch sehon verneinend, daB nioht das „Geld" der Merkantilisten noch die ,,Natur" der Physiokraten den jahrlichen Verbrauchsfonds bildet. Allein man hat das Doppelgesicht des SMiTHschen Systems so lange nicht verstanden, als man nicht eine andere Stelle des zweiten Buehes hinzunimmt (113), wo „das jfthrliche Produkt von L a n d und Arbeit'' als „der wahre Reichtum und das wahre Einkommen aller Bewohner" angesehen wird. Und man wird infolgedessen SMITH nur dann gerecht, wenn man die im Titel ausgesprochene Absicht seines Werkes, „Die Natur und die Ursachen des Reichtums der Volker" darzustellen, in zwiefacher Weise erfiillt sieht: ,,Reichtum" — das sind fur ihn eindeutig die Giiter, die ,,necessaries and conveniences", in heutigen Begriffen: die Bedarfs- und die Luxusguter; ,,Ursachen des Reichtums" — das sind zwar in erster Linie die — korperlichen — Arbeitsaufwendungen, jedoch dazu noch das Land — die Natur. Ebenso darf aus seiner Behandlung der Arbeitsteilung, deren Vorteile er an dem beriihmt gewordenen Beispiel der Nadelfabrik darlegt (I, 1), nicht gcschlossen werden, dafi or einseitig Industrialist gewesen sei; man muB die Aussagen der spateren Bucher dancben halten, in denen mit sichtlicher Anteilnahme die Entwicklung der Landaristokratie verfolgt und mit ausgesprochenem Bedauern ihr Unterliegen im Kampf gegen den neuen Unternehmer geschildert wird. SchlieBlich ist es auch in der Handelslehre nicht nur ,,cant", sondern die gleiche Doppelgesichtigkeit, wenn auf der einen Seite das Prinzip des Freihandels verfochten, auf der andern die Berechtigung von CBOMWELLS Navigationsakte von 1651 anorkannt wird. Der individualistische Theoretiker in SMITH ist der Uberzeugung, daB wie im SchoB der einzelnen Nationen sich eine Arbeitsteilung, z. B. zwischen Schneider und Schuster, als forderlich erwies, so auch zwischen den Nationen die Arbeitsteilung der beste Weg zu dem ihm selbstverstandlichen obersten Staatsziel, der Vermehrung des Reichtums der Individuen, ist: ,,Was im Verhalten jeder privaten Familie Klugheit ist, kann kaum in jenem oines groBen Reiches Torheit sein" (IV, 2); aber der englische Soziologe in SMITH weiB, daB fur einen Staat Selbstbehauptung (defence) von groBerer Wichtigkeit als hochster Wohlstand (opulence) ist und vermag daher die Navigationsakte als ,,die vielleicht weiseste aller englischen HandelsmaBnahmen" zu preisen. Diese SMiTHsche Vielfaltigkeit, die dem ublichen Bild, das schon in SMITH nichts als einen reinen Theoretiker, einen Vor-RiCARDO sieht, aufs scharfste widerspricht, ist nur dann richtig zu erkennen, wenn SMITH nicht nach dem ersten ,,theoretischen" Buch des „Wealth", sondern nach dor Gesamtheit seines Werkes beurteilt wird. Erst dann tritt nicht nur in den ,,Moral Sentiments" der Psychologe hervor, sondern im dritten Buch des ,,Wealth" der Historiker und Soziologe, im vierten Buch der Handels-, im fiinften Buch der Finanzwissenschafter. Und erst dann wird sichtbar, daB die Einheit des Werkes nicht beabsicbtigt und nicht hergestellt ist durch irgendeine ,,reine" Theorie oder gar theoretische Systematik, sondern daB auch dieses System noch seine Einheit erhalt durch einen Glauben. Freilich dieser Glauben ist jedes religios-christlichen Inhalts bar — es ist die liberate Aufklarung, die den Thron des Glaubens bestiegen hat, und der Gott der Scholastik ist zu einer ,,unsichtbaren Hand" geworden, die erreicht, daB das Selbstinteresse, ohne es selbst zu wissen, das Allgemeinwohl am besten versorgt. ,, Jeder Mensch", glaubt SMITH (IV, 9), ,,hat . . . vollkommene Freiheit, sein eignes Interesse auf seine eigne Weise zu verfolgen . . .", der Staat hat nur die Aufgabe der Landesverteidigung, der Rechtsprechung und der Aufrechterhaltung genau bestimmter offentlicher Einrichtungen; bei solchem Handeln und solcher Beschrankung stellt sich ,,das auf der Hand liegende, einfache System der naturlichen Freiheit" von selbst her. Hiermit ist der letzte Sinn des SMiTHschen Werkes erschlossen: es ist eine Ge-
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samtdarstellung d e r gesellschaftlichen W e l t u n t e r d e m liberalen Gesichts- u n d Zielpunkt d e r n a t u r l i c h e n Freiheit. D a r i n liegt seine unbestreitbare GroBe u n d liegt v o m S t a n d p u n k t jeder echten, nichtenglischen Staatsgesinnung seine jahrh u n d e r t w a h r e n d e Gefahr. N u r v o n einer a n d e r e n Weltsicht a u s i s t ein erfolgverheiBender K a m p f hiergegen moglich; wer s t a t t dessen a n Einzelheiten k r i t t e l t u n d deren mangelnde ,,Originalitat" bemakelt, fiihrt einen nutzlosen u n d unwiirdigen K a m p f : nooh i m m e r sind die einzelnen Tone b e k a n n t gewesen, a u s denen die Meisterhand die bleibenden Melodien formt . . . W e m als kiassisch nicht n u r die Leistung gilt, die einen ewigen Gehalt i n bleibende F o r m faBt, sondern aueh jene, die als vollkommener Ausdruck eines zeitlichen Gehalts die bleibende Grundlage eines s p a t e r e n B a u s bedeutet, wird auch als Deutseber den M a n n als „Klassiker" ehren kdnnen, d e r i n breiten Strichen u n d schlichten F a r b e n zuerst d a s okonomische Gemalde des liberalen E n g l a n d schuf, der, i n d e r Meinung, ewige Gesetze z u finden, d e n Wirtschaftsstil u n d die Wirtschaftsverfassung des englischen I m p e r i u m s vorzeichnete, u n d gerade hierdurch all die Gegenkrafte weckte, m i t deren Hilfe die deutsohe Volkswirtschaftslehre zum BewuBtsein ihrer eigenen B e s t i m m u n g gelangte. Der Brcitenerfolg, der der physiokratischen Lehro versagt blieb, i s t dem ,,Wealth of N a t i o n s " i n einem Umfang zugefallen wie keinem sonderwissenschaftlichen W e r k e vor u n d naoh ihm. Das B u c h w u r d e gefeiert als oine zweite Bibel, A n h a n g e r u n d Nachfolger fanden sioh i n alien L a n d e r n , u n d die Wirtschaftslehre wurde in ahnlicher Weise z u r Modewissenschaft wie ein J a h r h u n d e r t vorher die N a t u r k u n d e u n d ein J a h r h u n d e r t spater die Soziologie. Gelehrte u n d G o u v e r n a n t e n v e r k u n d e t e n das E v a n g e l i u m v o n der Gleichheit des Interesses d e r I n d i v i d u e n u n d der N a t i o n 1 u n d in wissenschaftliehen u n d volkstiimlichen Schriften w u r d e nicht das SsiiTHsche System, doch d e r zeitgemaBe Teil seiner Lehre verbreitet u n d verp l a t t e t . Bleibenden B e s t a n d h a t t o v o n d e n Erzougnissen des Rausohes nichts 2 , dagegen h a t i n E n g l a n d u n d F r a n k r e i e h die niichtern-ernste Arbeit v o n sieben J a h r z e h n t e n einige E l e m e n t e des SMiTHschen Werkes, gerade die „ r e i n " rationalen, bis z u m Gipfel gedanklicher E x a k t h e i t , j a Kasuistik vervollkommnet. Hierbei fehlt d e r physiokratische Wille z u r E i n - u n d U n t e r o r d n u n g — n i e m a n d h a t wie MIEABBAXT, wie D U P O N T , wie L B M E B C T E B , wie B A U D E A U n u r d a s W e r k des Meisters
zu d e u t e n u n d z u r u n d e n u n t e r n o m m e n — , vielmehr sind nicht v o n S M I T H a u s , sondern n u r theoretisch auf seinem Boden, jedoch philosophisch von a n d r e r Grundlage her, daher m i t a n d e r m E t h o s u n d anderem praktischen Ziel die Systeme ausgearbeitet, die m i t d e m , , W e a l t h " z u s a m m e n den R u h m d e r ,,Klassik" begriinden: MALTHUS, RICAEDO, SAY, J O H N STUABT MILL.
Von diesen vier groBen ,,Klassikern" h a t THOMAS R O B E E T M A L T H U S 3 (1766 bis 1834) innerhalb d e r reinen Theorie das Verdienst erheblicher F o r d e r u n g d e r Lohn-, der G r u n d r e n t e n - u n d d e r Krisenlehre; aber m i t R e c h t kniipft d e r Kampf, der 1 Vgl. MABOET, Conversations on political economy, in which the elements of that science are familiarly explained.3 London 1819, p. 422. 2 Einzelne Namen sind bei GIDE-RIST ZU finden. Dem Historiker sind jedoch, anders als dem Dogmenkritiker, Namen, die nicht Pcrsonen sind oder Kichtungen darstellen, unwichtig — er muB sich htiten vor dem iiblichen Fehler falscher geschichtlicher Perspektive, in der alle Namen und Schriften der letzten Vergangenheit, nur weil sie noch erhalten sind, groB und behandelnswert erscheinen. Auch die zeitliche Nahe befreit nicht von der Pflicht zur Priifung und Sichtung. . . . 3 An Essay on the principle of population as it affects the future improvements of society, with remarks on the speculations of Mr. GODWIN, M. CONDOKOET and other writers. 1. Aufl. 1798, stark veranderte Neuauflagen 1800, 1806, 1817; einNeudruck der Erstausgabe mit Nachwort von BOSAK, London 1926. (Die durch den Neudruck ermoglichto Kenntnis der MALTHUSsehen Entwicklung verursacht hier eine starke Abweichung von der ersten Auflage unserer Darstellung.) Principles of political economy, considered with a view of their practical application, 1820, u. a.
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um i h n e n t b r a n n t o u n d der noch h e u t e nioht entschieden ist, a n seine Bevolkerungstheorie u n d -politik an. Skeptiker gegeniiber d e n FortschrittsverheiBungen eines G O D W I N u n d CONDOBCET 1 , unglaubig gegeniiber dem physiokratischen D o g m a v o n der giitigen Schenkerin, der schopferisehen N a t u r , e n t d e c k t M A L T H U S die ganze B e d e u t u n g des Gesetzes v o m a b n e h m e n d e n Bodenertrag, sieht das Schreckbild, d a 8 sich die U n t e r h a l t s m i t t e l n u r in arithmetischer Progression (1, 2, 3, 4, 5 . . .) vermehren, w a h r e n d die Bevolkerung die Tendenz h a t , in geometrischer Progression (1, 2, 4, 8, 16 . . .) zu wachsen — die erste, der Wissensehaft vernehmliche S t i m m e des Pessimismus in dem optimistisehen Bacohanale der J a h r h u n d e r t w e n d e . . . I n einer Zeit, d a auf der einen Seite die allgemeine R e c h t s - u n d Besitzgleichheit als Voraussetzung des letzten, gelobten, des staatlosen, gesellschaftlichen Zeitalters gefordert u n d naoh einmaliger Durchfiihrung ihr ewiger B e s t a n d infolge klugen, jede Bevolkerungszunahme vermeidenden Verhaltens der Bevolkerung verhieBen wurde ( G O D W I N ) , da auf der a n d e r n Seite selbst innerhalb der Smithianer ein Gefiihl fiir die Mangel des angeblioh „ h a r m o n i s c h e n " Z u s t a n d s dieser besten aller W e l t e n erwachte, muBte eine Theorie leidensohaftlieh begriiBt werden, aus der m a n den wissenschaftliehen Beweis fiir die naturgesetzliehe Notwendigkeit der Disharmonie, des sozialen Blends e n t n e h m e n k o n n t e . Dooh e n t s p r a c h diese h a r t e u n d s a t t e Biirgerliclikeit der Aufnahme in niohts der w a r m e n E m p f i n d u n g , die die Schrift des MALTHTJS auszeichnend d u r c h t r a n k t . Die ,,Abhandlung iiber das Bevolkerungsgesetz" ist in d e r F a s s u n g der erstcn Auflage das einzige frische, geistspriihende W e r k des ganzen „klassischen" Schrifttums; w a h r e n d bei SMITH, R I CABDO, J O H N STUABT M I L L der peinvolle E i n d r u c k bleibt, daB keiner v o n ihnen je im w a h r e n Sinn des Wortes j u n g gewesen, h a t der erste , , E s s a y " des M A L T H U S niehts von jener angeborenen, wissenschaftliehen Greisenhaftigkeit — aus i h m sprioht ein w a r m e r u n d heiterer Menseh, der d a r u n t e r leidet, daB er die T r a u m e der Weltbegliicker nicht in U b e r e i n s t i m m u n g findet m i t der h a r t e n Wirklichkeit, die i h m sein niichtern-seharfer Bliek in die Vergangenheit u n d die Gegenwart der Menschheit zeigt. U n d auch als von der ersten zur zweiten Auflage die keeke A b h a n d l u n g sich in eine bedachtig-wissenschaftliche ITntersuehung wandelt, bleibt sie fern v o n jener „ r e i n e n " Theorie, die bald d a n a c h in R I C A B D O ihre T r i u m p h e feiert — Geschichte u n d E r f a h r u n g bleiben die Lehrmeister auch noch in diesem m i t A n s c h a u u n g gesattigten Werk. DaB M A L T H U S selbst hierin das Eigentiimliche u n d den Vorzug seiner Leistung erbliekte, lehren seine ,,Grundsatze der politischen Okonomie", die, veroffentlicht nach zehnjahriger, ungetriibter Freundschaft m i t R I C A E D O u n d drei J a h r e nach dem Erscheinen von dessen ,,Principles", in der Vorrede ohne N a m e n s n e n n u n g des Gegners, doch unmiBverstandlich erklaren: ,,Fiir Geister eines gewissen Schlags ist niehts so bestechend als Vereinfachung u n d Verallgemeinerung" (p. 6), u n d weiter (10): ,,Die Neigung zu vorzeitiger Verallgemeinerung bewirkt bei einigen hervorragenden politischen Okonomen eine Unlust gegen eine Uberpriifung ihrer Theorien a n H a n d der E r f a h r u n g . " R I C A B D O erwidert i h m hierauf in einem Briefe, M A L T H U S h a b e sein B u c h praktischer gen o m m e n als es gemeint war, seine Absicht sei die E r l a u t e r u n g v o n G r u n d s a t z e n gewesen u n d zu diesem Zweck h a b e er einzelne strenge Falle a n n e h m e n miissen, in deren R a h m e n er seine G r u n d s a t z e a m WTerk zeigen k o n n t e 2 . R I C A B D O ist m i t seiner Selbstverteidigung im R e c h t — aber u m so s t a r k e r t r i t t der Widerspruch zwischen d e m ,,reinen" u n d dem starker ,,anschaulichen" Theoretiker hervor •— innerhalb der Klassik selbst klafft also urspriinglich der Gegensatz, der spiiter als Gegensatz der D e u t s c h e n gegen die gesamte, ricardianisch gedeutete Klassik er-
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Ksquisse d'un tableau Mstorique du progres de l'esprit humain, Paris 1795. Brief vom 4. Mai 1820. Abgedruckt in: Letters of David Ricardo to Thomas Robert Malthus 1810—1823. Edited by JAMES BOSAJJ, Oxford 1887, p. 167. Salin, Volkswirtschaftslehre. 2. Autl. 4 2
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GesoMohte.
scheint. Die theoretischen wie die praktischen Folgen dieser verschiedenen Grundeinstellung sind sehr erheblicli: aus ihr (und nicht aus einer riick- u n d fortschrittlichen ,,Dogmen"-Entwicklung) erklart sich cin groBer Teil der Abweichungen v o n M A L T H U S u n d R I C A R D O in der F r a g e der G r u n d r e n t e , aus ihr die verschiedene Ausrichtung der Wirtschaftglehre, die fiir R I C A E D O eine Lehre v o m R e i c h t u m , genauer: v o n der Verteilung des Sozialproduktes, fur M A L T H U S eine Lehre v o m Menschen, g e n a u e r : v o m Verhaltnis v o n R e i c h t u m u n d Menseh ist; aus ihr schlieBlich die unterschiedliche Folgerung, die beide aus der gleiohen Lehre ziehen: wahrend R I O A B D O im gleichen Brief es besonders begriiBt, daB M A L T H U S ' , , G r u n d s a t z e " d e n A r m e n einscharfen, sie hiitten selbst das wirksamste Mittel gegen die Unzulanglichkeit der L o h n e in ihrer H a n d , entwickelt M A L T H U S , obwohl n i e h t m i n d e r iiberzeugt, daB spate H e i r a t u n d geringere K i n d e r z a h l die einzige Abhilfe darstellen (,,Essay" IV, 3), doch das erste wissenschaftliche System der liberalen Sozialpolitik. So scharf er gegen die Armengesetze seiner Zeit auftritt, d a sie den A r m e n einen R e c h t s a n s p r u c h auf U n t e r h a l t gewahren, was gegen ,,die Naturgesetze, die Gottes Gesetze s i n d " (App.) verstoBt, so w e h r t er doch weder d e m Versuch, das relative Verhaltnis zwisohen dem Arbeitslohn u n d d e m Lebensmittelpreis zu bessern, noch gar der caritas, — das K a p i t e l ,,iiber die R i c h t u n g unserer Mildtatigk e i t " (IV, 10) ist bei aller puritanischen Selbstgefalligkeit doch ein erschiitternder Beleg, welche religiosen u n d menschlichen Seelenwerte zu Beginn des J a h r h u n d e r t s noch lebondig u n d t a t i g waren, bis d a n n die Verstaatlichung der Sozialpolitik ihre letzten R e s t e versteinert u n d v e r a m t e t h a t . Aber bei aller A c h t u n g vor M A L T H U S ' Person u n d aller W u r d i g u n g der Eigena r t seiner Leistung bleibt doch die F r a g e nach der Richtigkeit seines Bevolkerungsgesetzes fiir jedes Gesamturteil v o n entscheidender B e d e u t u n g . Der h i n u n d her wogende K a m p f eines J a h r h u n d e r t s h a t die eindeutige A n t w o r t gegeben, daB zum i n d e s t in seiner m a t h e m a t i s c h e n F o r m das MALTHUSsche Gesetz nieht h a l t b a r ist. Dies in doppelter H i n s i c h t : E r s t e n s gibt es, so sehr M A L T H U S die arithmetische bzw. geometrische Progression aus d e n T a t s a c h e n abgeleitet, , , i n d u k t i v " gefunden g l a u b t , keinerlei Erfahrungs- u n d keinerlei Erkenntnisbcweis zur Stiitze dieser F o r m e l n ; obwohl sie anscheinend auf ansohaulichem W e g gewonnen sind, e n t h a l t e n sie ein v e r k a p p t e s Apriori. Zweitens aber ist zu sagen, daB, auoh w e n n m a n die E o r m e l n als ungewuBte E i n r a u m u n g a n den mechanistischen Geist der Zeit abstreift u n d d a d u r e h das Gesetz auf die allgemeinere B e h a n p t u n g zuriickfuhrt, die Bevolkerung h a b e die Tendenz schneller als die U n t e r h a l t s m i t t e l zu wachsen — daB auch d a n n noch diose B e h a u p t u n g keine Allgultigkeit beanspruohen k a n n ; d e n n selbst n u n sind die beiden, miteinander d u r c h das Gesetz in V e r b i n d u n g g e b r a c h t e n Seiten noch v o n einem mechanistischen Ablauf beherrscht gedacht, w a h r e n d es sich auf beiden Seiten u m geschichtliche Lebens- u n d K u l t u r v o r g a n g e h a n d e l t . Dies gilt z u n a c h s t fiir das Gesetz vom a b n e h m e n d e n Bodenertrag, auf das M A L T H U S wie vor i h m A N D E R S O N u n d nach i h m R I O A B D O sich stiitzt. Seine Aussage, daB jeder zusatzliche K a p i t a l - u n d Arbeitsaufwand in der Landwirtschaft n a c h Erreichung des E r t r a g s o p t i m u m s n u r noch einen verringerten Ertragszuwachs gibt, ist unbestreitbar u n t e r der einen Voraussetzung gleichbleibender Technik; diese Voraussetzung enthiilt aber nichts weniger als die AusschlieBung eines ganzen Abschnitts der Weltgeschichte, u n d zwar jenes Abschnitts, a n dessen Beginn u n d zu dessen Erkliirung M A L T H U S schrieb: des Hochkapitalismus. Man h a t sich zur Verteidigung des M A L T H U S gegeniiber dieser T a t s a c h e d a m i t geholfen, daB m a n das Gesetz fiir ,,suspendiert" erklarte. Aber ein Gesetz, das aufgehoben werden k a n n , ist jedenfalls kein N a t u r g e s e t z mehr, u n d die m a t h e m a t i s c h e Strenge des gesohichtlichen Gesetzes gilt n u r fiir Beharrungszustiinde der Wirtsohaft; anders ausgedriickt: n u r wenn Klarheit besteht, daB das , , O p t i m u m " keine feste ZahlengroBe ist, sond e r n m i t Technik u n d Wirtsohaft wechselt, n u r d a n n ist das Gesetz v e r w e n d b a r ,
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d a n n aber entha.lt es nichts andres als eine logisch-mathematische Selbstverstandlichkeit, die uberall, auch auf die I n d u s t r i e , a n w e n d b a r ist u n d aus der sich n i c h t das Geringste zur Beurteilung einer kiinftigen E n t w i c k l u n g ablesen laBt, wie M A L THUS dies fiir sein Bevolkerungsgesetz b r a u c h t e . Sodann aber gilt die Notwendigkeit, den ganzen Vorgang als geschichtliche LebensauBerung zu sehen, in noch v e r s t a r k t e m MaBe fiir die Bevolkerungsseite. H a t t e MALTHTJS nichts anderes get a n als eine W a r n u n g vor der kaninchenhaften V e r m e h r u n g der E r d b e v o l k e r u n g ausgesprochen, so wiirde er als derjenige Wissenschafter zahlen, der a m friihesten die Gefahren fiir menschlichen R a n g u n d W e r t erbliokte, jene Gefahren, deren eine G O E T H E in „Des Epimenides E r w a c h e n " k u n d e t : Der Weltkreis ruht von Ungeheuern trachtig Und der Geburten zahlenlose Plage Droht jeden Tag als mit dem jiingsten Tage. Allein auch hier wollte MALTHTJS mehr, suchte er ein Gesetz u n d verfehlte d a r u m die E r k e n n t n i s des geschichtlichen Z u s a m m e n h a n g s . I n d e m er eine Neigung der Bevdlkerung zu d a u e r n d e r V e r m e h r u n g a n n i m m t , deren Auswirkung n u r d u r c h ,,repressive", das L e b e n vernichtende Hemmnisse (Laster u n d Elend), oder durch vorbeugende H e m m n i s s e (zuerst n u r : F u r c h t vor dem E l e n d ; spater a u c h : „ m o r a l r e s t r a i n t " , sittliche Zuruckhaltung) h i n t a n g e h a l t e n wird, m a c h t er den K u l t u r menschen zu einem wissenschaftlichen H o m u n c u l u s , einem homo biologicus; wogegen in Wirkliohkeit fiir alle K u l t u r z e i t e n gilt, daB biologisch n u r der allergeringste Teil des Portpflanzungswiliens ist, daB vielmehr die t l b e r w i n d u n g des Sexus d u r c h den E r o s religiose oder Sippen-, geistige oder — bei alten Volkern — wirtschaftliche Gesichtspunktc nicht nur, wie MALTHTJS will, iiber die H e m m u n g , sondern auch iiber den Willen zur Fortpflanzung mitentscheiden laBt. N i c h t zufallig h a t v o n MALTHTJS' Lehre D A R W I N seinen Ausgang g e n o m m e n — ein besseres biologisches P r a p a r a t des Mensohen h a t t e er sich nieht wiinsohen k o n n e n . . . Aber erstaunlich bleibt, daB im ganzen K a m p f des 19. J a h r h u n d e r t s u m MALTHTJS ihm dieser einzig schlagende E i n w a n d nicht entgegengehalten w u r d e ; m a n focht unwissend auf dem gleiohen biologischen B o d e n u n d verschloB sich der E r k e n n t n i s , daB die Bevolkerungsentwicklung ebenso wie die W e r t u n g u n d die B e d e u t u n g der Bevolkerungszahl als geschichtliche Erscheinung abhangig ist v o n dem jeweiligen G r a d der BewuBtseinsentfaltung u n d der jeweiligen Auspragung des Verantwortungsgefiihles gegeniiber Scholle u n d Hof, Geschlecht u n d S t a m m , Volk u n d N a t i o n . So fand nicht die geschichtliche, realistische Forschungsweise des MALTHTJS N a c h folge, sondern durch ihre Uboreinstimmung m i t dem mechanistischen Zeitgeist erlangte die briiohigste seiner Lehren die weiteste W i r k u n g , die leichtesten Siege u n d den Schein der Unangreifbarkeit. W a h r e n d M A L T H U S ' R u h m bis zur Gegenwart sich wesentlich auf seine Bevolkerungslehre griindct, w a h r e n d auch der K a m p f gegen i h n — vorwiegend get r a g e n v o m sozialistischen Lager, d a n e b e n v o m radikalen Liberalismus, stets v o n d o r t h e r also, wo ein ungezugelter Optimismus die widersprechenden T a t s a c h e n nicht gelten iassen wollte —, m i t diesem Erstlingswerk v e r b u n d e n ist, ist fiir die Gesamtentwicklung der Okonomik insofern seine B e n t e n l e h r e bedeutsamer geworden, als sie den AnstoB gab zur systematischen N e u b e a r b e i t u n g der SMiTiischen Lehre durch den scharfsten Denker u n d ,,reinsten" Okonomen u n t e r den. Klassikern, D A V I D R I O A E D O 1 (1772—1823). I h m h a t t e jiidische A b s t a m m u n g eine Neigung zu abstraktem. Denken, j a zu talmudistischer Spitzfindigkeit mitgegeben, 1 Principles of political economy and taxation (1. Aufl. 1817, boste Ausgabe der Gegenwart von E. C. K. GONNEK, London 1919). — EICAKDOS kleinere Abhandlungen in: RICARBO, Economi essays ed. by GONSEE, London 1923. Zur Beleuehtung des Gegensatzes Ricardo-Malthus wiehtig : KICAKDO, Notes on Malthus „Principles of Political Economy". Baltimore 1928. 4*
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die ihn als ersten die wirtschaftliclien Probleme in nackter Rechenhaftigkeit erfassen lieB — urspriingliche Anlage und die Betatigung in Geldgeschaften hatte ihn dazu nooh zur Unterschatzung aller Produktionsvorgange gefiihrt, derart, daB ihm ,,to determine the laws which regulate the distribution" (p. 1), die Bestimmung der Verteilungsgesetze also, als das Hauptproblem der Wirtsehaftslehre erschien. Man hat darum RICARDOS Okonomik als Wirtschaftsbild des Bankiers gescholten — eine Kennzeichnung, die riehtig ist, aber doch nur im gleiehen Sinn, wie man andere Lehren als Wirtschaftsbild des Handelsherrn, des Junkers, des Buchhalters und des — Professors umschreiben kann — allemal ran zu sagen, daB nur ein bestimmter Wirtschaftsausschnitt gesehen ist. Bei RIOAEDO aber gilt fiir die eigentliche Wirtschaftsanalyse, daB kaum ein Wissenschafter sieh so frei macht von Subjektivismen, Standes- oder Klassenvorurteilen wie er, dergestalt, daB seine Lehre, gegensatzlich der des MALTHUS, in ihren Folgen und Folgerungen eher zum Sturz als zur Stiitzung der biirgerlichcn Wirtschaft und Wirtsehaftslehre fiihren konnte. Dies gilt nicht so sehr von der Grundrentenlehre, da die Erkcnntnis des Charakters der Bodenrente als Differentialrente die natiirlichen und darum unveranderlichen Verschiedenheiten der Bodengiite zur Voraussetzung hat. Aber wenn die Wert lehre die Arbeit als eigentlichen Bestimmtmgsgrund der Tatsache und der Hohe der Preise bei ,,beliebig vermehrbaren" Giitern anfiihrt, so ist der Schritt zur MAKXsehen Wertlehre nicht mehr groB. Wenn die Lohntheorie den Lohn den allgomeinen Preisgesetzon unterwirft und ihn so um das soziale Existenzminimum als natiirlichen Preis pendeln macht, so laBt das nicht nur die quietistische Folgerung zu, daB alle Sozialpolitik an dem durch das Preisgesetz bestimmten und also ,,naturgegebenen" Elend des vierten Standes nichts andern wird, sondern die gleiche Theorie setzt den sozialistischen SchluB frei, daB auf ,,naturlichem" W'ege keine soziale ,,Harmonie" sieh herstellt, daher nur das politische Mittel, der Umsturz der Gesellsohaftsordnung das Schicksal der Lohnempfanger verbessern kann. Die RICARDOSCIIC Theorie ist also ,,rein", — d. h. frei von alien sozialcn und soziologischen Elementen, arbeitend an einem mechanistisch-okonomischen Erkenntnisobjekt — ,,rein" in einem MaB, das gewiB alle Forderungen QUESNAYS iibertrifft, das der ersten Werturteilsaussprache des beginnenden 19. Jahrhunderts als Beleg fiir die Moglichkeit volliger ,,Objektivitat", volliger Trennung von Analyse und Politik hatte dienen konnen und von dem selbst der Gegner anzuerkennen hat, daB hier das letzte geleistet ist in der Kausalauflosung einiger Prozesse der modernen Verkehrswirtschaft. Die Scheidung tritt ein, sobald man nach der Wichtigkeit diesor Arbeit fragt. Wer keine andere Wirtsehaftstheorie kennt, als jene reohonhafte, individualistische Verkehrstheorie, deren Meister gerade RICABDO ist, wird methodisch immer in ihm den Fiihrer erblieken miissen, gleichgiiltig ob er alle seine Ergebnisse annimmt oder nicht — von MARX bis zu CLARK und SOHUMPBTER vollzieht sieh daher die Fordemng der ,,reinen", der rationalen Theorie im wesentlichen in RIOABDOS Bahnen. Wer daran festhalt, daB alle Wirtsehaftslehre Gesellschaftslehre ist und sein muB, fiir den hat RICARDOS Vorgehen die Bedeutung einer anatomisehen Zergliederung des lebendigen Lsibes — fiir alle deutsche Volkswirtschaftslehre ist RICARDO daher der Antipode, dem notwendig scharfster Kampf und HaB, unnotigerweise auch MiBachtung und MiBverstiindnis begegnet. Es bleibt jedoch auch hier die Leistung RICARDOS, daB er einen Teil der Aufgaben formuliert hat, an denen keine — wie auch immer geartete — Wirtsehaftslehre vortiber gehen kann; denn selbst wenn wir heute uns des historischen Charakters aller Wirtschaft bewuBt sind und ihren Leistungszweck wieder als bestimmend crkennen, so bleibt doch das Verteilungsproblem eine Kernfrage jeder wirtschaftliclien und das tlberwalzungsproblem — Principles of political economy a n d t a x a t i o n gibt RICARDO — eine Kernfrage jeder finanzwissenschaftlichen Theorie, und es bleibt das Problem des Verhaltnisses der beiden Gebiete ein entscheidender
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Priifstein fur den Aufbau einer Gesamtwirtschaftslehre. J a mchr als das: selbst die Methode RICARDOS bleibt, nur nicht als die Metliode der Wesenserkliirung, sondern als die Metliode der Erklarung eines Grenzfalles, dessen Bedeutung wachst und abnimmt je mit dem Vordringen (19. Jahrhundert) oder Riickweichen (20. Jahrliundert) individualistiseh-kapitalistisolien gegeniiber solidaristisch-traditionalistisehem Wirtsoliaftsstil. Zur niiheren Erlauterang dieser allgemeinen Kennzeichnung von RICARDOS Leistung und Stellung sind einige grundsatzliche Bemerkungen tiber die verschiedenen Formen der Wirtschaftstheorie ebenso unerlaBlich wie die genauere Betraehtung der wiehtigsten ricardianischen Thesen. Schon bei der Gegeniiberstelhing von Merkantilisten und Physiokraten, von GALIANI und QUESNAY, von MALTHUS
und RICAKDO sind zur Hervorhebung der Besonderheiten ihrer Tlieorie kennzeichnende Eigenschaftsworte verwandt worden, die nun in ihrer grundsatzlichcn Bedeutung erhartet wcrden miissen. Dabei herrscht iiber die Tatsaehe, daB zwei verschiedene Typen der Theorie zu unterscheiden sind, heute in Deutschland tjbereinstimmung: niemand leugnet mehr, daB der Typ Merkantilismus — Deutsche Volkswirtsehaftslehre (MULLBE — L I S T ; heute SOMBAET—SPIBTHOI , B — SPAJTST —
v. GOTTL) und der Typ QCBSNAY — RICABDO — PARETO eine vollig andere Art
der Theorie suoht und gibt, und strittig ist nur zunachst die Frage, worin der eigentliehe Untersehied zu sehen, nnd sodann die Entscheidung, welchem Typ die Uberlegenheit zuzuerkennen ist. Die wiehtigsten Gegensetzungen, die bisher vcrsucht wurden, sind diese: 1. U n i v e r s a l i s m u s — I n d i v i d u a l i s m u s (SPANN). Dieser Gegensatz, dessen gewaltige Bedeutung seit dem Kampf PLATONS gegen die Sophistik bis hin zum Kampf der deutsehen Romantik gegen die franzosische Aufklarung und zum heutigen innerwissensohaftliehen Kampf der deutsehen Wirtsehaftslehre sich in aller Geschiehte erwiesen hat, erfaBt in seiner ganzen Tiefe die beiden feindlichen Weltanschauungs-, ja. Lebenstypen, die wir kennen. Es ist nieht eine Frage des Verfahrens, sondern eine Frage des mensehliehen Wcsens und Sehens, ob man vom Vor-rang und Vor-sein des Ganzen vor den Gliedern weiB oder ob man ein Ganzes, z. B. den Staat, nur dureh eine (Jbereinkunft, einen Vertrag der einzelnen Teile, z. B. der einzelnen Individuen denken kann. Trotzdem, oder richtiger: gerade deshalb vermeiden wir die allgemeine V'erwendung dieser Begriffe innerhalb der Wirtsohaftslehre; diese ist ein solches AuBengebiet des mensehliehen Lebens, von der philosophisehen oder politischen Mitte so weit entfernt, daB der Gegensatz der Anschauung hier zum Gegensatz des Verfahrens (Methode) verflacht und daB sich infolgedessen Formen zeigen, in denen eine Mischung vorliegt, die die Entscheidung schwierig macht, zu welcher Gattung eine bestimmtc Theorie nun eigentlich gehort. Dies fiihrt dann notwendig zu Kennzeiohnungen wie ,,mehr universalistisch" oder ,,am wenigston individualistisch", die saohlich im Bereich der Verfahrenslehre richtig sind, die wir aber lieber vermieden sahen, damit nicht die Tatsaehe des im Tiefsten ausschlieBenden Gegensatzes von Universalismus und Individualismus vcrwischt wird. 2. D y n a m i k — S t a t i k (SOMBART U. a.). Es ist richtig, daB der Typ Merkantilismus — Deutsche Volkswirtsehaftslehre allgemein die Wirtschaft als in dauernder Bewegung, Veranderung, Entwioklung begriffen sieht, der Typ QUBSNAY dagegen der Regel nach das Bild einer gleichbleibcnden Wirtschaft vor Augen hat. Dennoch ist die Seheidung als oberstes Morkmal nicht brauchbar, da zwar die Volkswirtsehaftslehre ihrem Wesen naeh
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Geschichte.
dynamisch i s t 1 , jedcch aucli die „ S o z i a l o k o n o m i k " als a b s t r a k t c K o n s t r u k t i o n ein dynamisches Schema (wohl k a u m : der Volkswirtschaft, jedooh leieht: , , d e r " Wirtschaft oder der Weltwirtschaft) zugrunde legen k o n n t e . 3. K u l t u r w i s s e n s c h a f t — N a t u r w i s s e n s c h a f t (SOMBAET). Diese Scheidung g e h t v o n der Tatsache a u s , die u n s bereits verschiedentlich, z u m a l bei der B e t r a c h t u n g Q U E S N A Y S , e n t g e g e n t r a t : daB die Theorie v o m T y p Physiokraten-KIassiker sieh wesentlieh naturwissenschaftlicher Verfahren u n d Vergleiehe bedient und daB atich ihr gemeinsames Ziel, die Aufstellung v o n Gesetzen, diesen naturwissenschaftlichen C h a r a k t e r t r a g t . Demgegeniiber h a t die cigentliche Volkswirtsehaftslehre den kulturwissensohaftlichen Willen des Vorstchens und D e u t e n s u n d das kulturwissenschaftliche Ziel der Wesenserkenntnis. Beide Feststellungen sind unzweifelhaft richtig u n d sind ein auBerordentlich b r a u e h b a r e r Schliissol zur Entriitselung der geschichtlichen E n t w i c k l u n g der — im mehrfaeh e r l a u t e r t e n Sinne: a u t o n o m e n — Wirtschaftswissensohaft. Dennoeh erseheint u n s auch diese Scheidung als oberste R i c h t s c h n u r aus zwei Griinden nicht zweckmaBig: Z u n a c h s t aus d e m m e h r praktischen Grund, daB alle praktisch-politische W i r t sehaftslehre bci dieser Auffassung der Kulturwissenschaft iiberhaupt nicht als Wisscnschaft gilt — ein nicht unwesentlicher Teil des merkantilistisehen Schriftt u m s beispielsweise wiirde d a n n n u r noch als K u n s t l e h r e zu bezeichnen sein. Sod a n n — u n d dieser G r u n d ist sebr viel gewichtiger als der erste, der letzten E n d e s auf cinen losbaren Begriffsgegensatz hinauslauft: Diese Scheidung h a t das Bed e n k e n gegen sieh, daB sie die Begriffe N a t u r - u n d Kulturwissenschaft nicht in eineni geschichtlich allgiiltigen Sinn verwendet, sondern in dem besonderen Sinn, den ihnen die Philosophic R I O K B E T S , gestiitzt auf eine besondere einzelwissenschaftliche u n d eine besondere philosophische E n t w i c k l u n g des 19. J a h r h u n d e r t s , verliehen h a t . I h r e einfache Verstandliohkeit ist infolgedessen a n die — schon endende — Geltung der RiCKEBTschen Philosophic u n d dieses Wissenschaftsinhalts gebunden. Aber solbst wenn die Verstandliohkeit erhalten bliebe, so ist die B r a u c h b a r k e i t d a d u r c h begrenzt, daB u n t e r Naturwissenschaft hier ein Objekt begriffen wird, d e m die Zufallserscheinung der Naturwissenschaft seit N E W T O N zugrunde liegt, keine irgendwio geartete Wesenserkenntnis ,,der" Naturwissensehaft. G O E T H E S Naturforschungen sind d a n n nicht ,,Naturwissenschaft" gewesen, obwohl sie gewiB die hohere u n d bleibendere F o r m der Naturwissenschaft als N E W T O N S u n d D A E W I N S Gesetze darstellen, u n d von der a n t i k e n Naturwissenschaft ware gar zu sagen, daB sie nach diesem Begriff n i c h t n u r keine N a t u r - , sondern die hochste Bliite d e r Kulturwissenschaft gewesen ist. 4. G e b i l d e — G e f u g e ( H A E M S ) . Diese Gegeniiberstellung gehort, ebenso wie S P A N N S Scheidung Universalism u s — Individualismus, zu den Grundkategorien jeder politischen, so ziologischen u n d okonomischen B e t r a c h t u n g . Gebilde sieht der Universalist, Gefuge z i m m e r t der Individualist, Gebilde ist eine lebendige, gestalthafte Einheit, Gefuge ein „ I n begriff v o n Beziehungen". Als L e i t m o t i v einer geschichtlichen Darstellung h a t aber diese Scheidung den gleichen E i n w a n d gegen sieh wie SPANNS Verfahren: daB ihr Gegensatz v o n ausschlieBender N a t u r ist u n d d a r u m die Zwischenformen, die in der Wirtschaftswissensohaft zahlenmaBig iiberwiegen u n d auch bedeutungsmaBig n i c h t zti u n t e r s c h a t z e n sind, n u r m i t Schwierigkeit iiberdeckt werden k o n n e n (Beispiel: MALTHTJS; a b e r auch S M I T H ) . Dieser Tatsache, daB es sieh u m cine Sehei1 Vgl. hierzu wie zu diesen ganzen Betrachtungen iiber die Formen der Theorie: SALIX, Hochkapitalismus. Eine Studie iiber Werner Sombart, die deutsche Volkswirtsehaftslehre und das Wirtsohaftasystem der Gegenwart. Weltw. Archiv 1927, Bd. I, S. 314.
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dung innerhalb der Wirtschaftslehre handelt, in der aus dem friiher besprochenen Grund die reinen Typen selten, die Mischformen haufig, die Ubergange flieBend sind, kann nur eine Gruppierung Rechnung tragen, die nicht von einem logischen Gegensatz, sondern von einem liber- und Unter- bzw. Ein-Ordnungsverhaltnis ausgeht. 5. A n s c h a u l i c h — r a t i o n a l . Diese Auffassung geht aus von EDITH LANDMANNS
erkenntnistheoretischer
Soheidung von Gesamterkenntnis und Teilerkenntnis 1 und stellt auf ihr weiterbauend fest, daB zwischen Gesamterkenntnis und Teilerkenntnis, je naeh dem Rang des Gegenstands, auf den sieh die Intention richtet, und je nach der Kernhaftigkeit des Teilgegenstands oder des Saehverhalts, der erfaBt wird, und je nach der Ganzheit oder Teilhaftigkeit der Intention sich verschiedene Grade der Erkenntnis und verschiedene Stufen des Erkennens ergeben, deren hohere jeweils die niedere entweder mitumfaBt oder mit-,,erklart", verstehbar macht. Wenn wir daher den Typ der deutschen Volkswirtschaftslehre als anschauliche Theorie vom Typ der Klassik als rationaler Theorie unterscheiden, so wahlen wir bewufit Begriff e, die dieser erkenntnistheoretischen Lagerung entsprechend sich uberschneiden und die zugleich die rechte Uberdeckung des flieBenden Verhaltnisses der beiden Theorien in ihrer geschichtlichen Form erlauben. Jede Theorie (von d-ecogia, Schau), die des Namens wert ist, enthalt irgendeine Art von Anschauung; nur dieses trennt die rationale Theorie von der anschaulichen, daB der von ihr erwahlte Erkenntnisweg ausschlieBlich oder vorwiegend rational, ihr Erkenntnisziel rationale (Tcil-)Erkenntnis ist, wogegen die anschauliche Theorie nicht nur rationale, sondern sinnliche Erkenntnis, Ganzheits-, Einheits-, Gestalt-, Wesenserkcnntnis gibt. Diese Wesenserkenntnis befaBt die rationale Teilerkenntnis in sich, woraus ein logischer und ein Seins-Vorrang der anschaulichen vor der nur-rationalen Theorie zu folgern ist. Die Gerechtigkeit zwingt hinzuzufugen, daB der Vorrang bis heute nur ein Vorrang der Idee ist; niemals hatte die klassische Theorie auch in der Gegenwart ihre beherrschende Stellung behaupten konnen, ware nicht durch RICAEDO und seine Folger die rationale Theorie derart vervollkommnet worden, daB sich bier Idee und Erscheinung decken — wahrend die anschauliche Theorie, und also die deutsche Volkswirtschaftslehre, noch immer des erfiillenden Gestalters harrt . . . Die anschauliche Theorie als sinnliche Theorie wird der Regel nach geschichtliche Theorie sein, sie wird — gewuBt oder ungewuBt — die geschichtlich-politischen Elemente mit-sehen oder richtiger: sie wird die Wirtschaft ihrem Mittelcharakter entsprechend iiberhaupt nur in ihrem uberwirtschaftlicben Gehause sehen und denken. Die rationale Theorie abstrahiert von diesen Wesensgegcbenheiten, da sie ,,das" Gesetz ,,der" zeitlosen Wirtschaft sucht, statt — was der geschichtliche Takt der anschaulichen Theorie vermag — das ,,Ewige" vom ,,Zeitlichen" der Wirtschaft klar zu trennen; daB ihr diese Abstraktion nicht in vollem Umfang gelungen ist, zeigte uns das Beispiel QTTESNAYS, das nun in seiner Allgemeinbedeutung kenntlich wird: fur die — auf dem Weg rationaler Abstraktion unmogliche — Ausschaltung nimmt die Geschichte an der rationalen Theorie dadurch Rache, daB sie unter dem Mantel ,,cwiger" Katcgorien sich hercindrangt. Darum die groBe Schwierigkeit der logischen Entwirrung aller rationalen Systeme. Darum auch fiir Jedon, der mit den Begriffen ,,anschaulich" und „rational" ernsthaft arbeiten will, die bare Unmoglichkeit, sich mit der bloBen Absternpelung zu begniigen, vielmehr in jedem einzelnen Fall die zwingende Notwendigkeit, zu untersuchen: bei der rationalen Theorie, welches rationale Schema gewiihlt und wie weit es wirklich rein-rational, wie weit verkappt historisch ist; bei der anschaulichen Theorie, welche grundsatzliche Wesensanschauung vorliegt, wie weit die 1
Vgl. hierzu E. LANDMANN, Die Transcendenz des Erkennens. Berlin 1923.
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Geschichte.
Begriffe u n d Bilder dieser A n s c h a u u n g tatsachlich entsprechen u n d in welchem Grad die Erfassung (das heiBt: auoh die rationale) des Gegenstandes gelungen ist. Diese Grundlegung, die hier n u r in p r o g r a m m a t i s c h e r Kiirze vorgetragen werden k a n n , erweist ihre F r u c h t b a r k e i t bei jeder B e t r a c h t u n g der Wissenschaftsgeschichte; k a u m ein Beispiel aber ist besser geeignet ihre B r a u c h b a r k e i t zu e r h a r t e n , als jene K l a r l e g u n g der wiohtigcren L e h r e n R I C A E D O S , ZU der die friiher gegebene Darstellung R I C A E D O S u n s ohnehin verpflichtet. ,,Das P r o d u k t der E r d e " , b e g i n n t R I C A E D O S Vorwort (p. 1), ,,— alles, was v o n ihrer Oberflache d u r e h die vereinte A n w e n d u n g v o n Arbeit, Maschinen u n d K a p i t a l gewonnen wird, verteilt sieh u n t e r drei Gesellschaf tsklassen; namlich den Eigentiimer des Bodcns, den Besitzer des Vermogens (stock) oder K a p i t a l s , d a s zu seinem A n b a u erforderlich ist, u n d die Arbeiter, d u r c b d e r e n fleiBige Tatigkeit (industry) er b e b a u t w i r d . " H a l t m a n den E i n g a n g des SMiTHschen oder des QuESNAYschen W e r k e s n e b e n diese Satze, deren ungelenke Sprache u n d unscharfe Ausdrucksweise ein gutes Muster des RiCABDoschen Stils u n d eine E r k l a r u n g fiir die Schwierigkeit seines Verstandnisses ist, so e r k e n n t m a n unsobwer die Verengerung, die m i t der rein-rationalen Betrachtungsweise verkniipft ist. E s ist n i c h t m e h r die N a t i o n , die d e n A u s g a n g s p u n k t bildet, es wird n i c h t m e h r die A r b e i t des Volkes, die E r z e u g u n g , in den Vordergrund geriickt, sondern a m Beginn s t e n t ein Allgemeinbegriff: das P r o d u k t der E r d e , u n d gesucht werden die Gesetze, die dessen Verteilung b e s t i m m e n . H i e r d u r e h (nieht schon durch S M I T H , gegen den L I S T bereits diesen Vorwurf e r h e b t , da er i h n m e h r n a c h seiner W i r k u n g als naeh d e m Gesamt seines Werkes, m e h r n a c h der Auslegung d u r e h MAO CULLOCH als n a c h S M I T H ' eigner, weitergreifender Darstellung wiirdigt) hierdureh wird die Moglichkeit, der Bedeut u n g der ,,produktiven K r a f t e " gcrecht zu werden, der klassisohen L e h r e endgiiltig g e n o m m e n ; das RiOAEDOsche Grundschema e n t f e r n t aus der Wirtschaftstheorie jene Kraftelehre, die im Merkantilismus h i n t e r alien T r a k t a t e n s t a n d , u n d m a c h t sie zu einer reinen „Theorie der W e r t e " , wobei die W e r t l e h r e aueh die SMiTHSche Preislehre weitgehend v e r d r a n g t . N u n ist das bezeichnende: E s ist ein Apriori, keine A n s c h a u u n g , w e n n R I C A E D O den Tauschwert der beliebig vermehrb a r e n Giiter auf d e n Aufwand korperlicher A r b e i t zuruckfuhrt, u n d er ist infolgedessen genotigt, die drei a n e r k a n n t e n P r o d u k t i o n s f a k t o r e n L o h n , Profit, Grundr e n t e selbst wieder in , , A r b e i t " aufzulosen — d e m P h y s i k e r gleich, der jeden Stoff in seine E l e m e n t e zu zerlegen t r a c h t e t , u n d i h m doch sehr u n a h n l i c h darin, daB er n i e h t u n v o r e i n g e n o m m e n d a s t a t s a c h l i c h v o r h a n d e n e , sondern voreingenommen das systematisch notwendige E l e m e n t s u c h t . Alle viel geriihmten u n d viel befehd e t e n Einzelheiten der RiCABDoschen L e h r e zeigen — m i t A u s n a h m e dor Grundrentenlehre, deren I n h a l t jedoch vor i h m feststand u n d deren besondere, richtige Differentialform gerade in dem unrichtigen Teil der B e g r u n d u n g , daB die Bebauu n g vom besseren z u m schlechteren Boden fortsohreite, wieder d e n eigentiimlich ungeschichtlichen Sinn ihres Verfassers v e r r a t — diesen gleichen mechanistischen Grundzug u n d diese gleiche nur-rationale, nur-systematisehe Notwendigkeit. D a s gilt sowohl fiir den K e r n g e d a n k e n , daB die S u m m e v o n L o h n u n d Profit ( = Zins + U n t e r n e h m e r l o h n + Unternehmergewinn) eine gleichbleibende GroBe ist, wie fiir die A n n a h m e , daB ein fest b e s t i m m t e r Vermogensanteil, ein Lohnfonds, fiir die L o h n z a h l u n g zur Verfugung s t e n t , wie fiir die B e h a u p t u n g , daB die Arbeit als beliebig v e r m e h r b a r e s G u t n a c h dem Preis d e r fiir den Arbeiter notwendigen U n t e r h a l t s m i t t e l ihren , , n a t u r l i c h e n " L o h n erhalt, wie schlieBlich fiir die letzte Eolger u n g aus alien Voraussetzungen, daB der L o h n gleichbleiben muB, w a h r e n d ein Sinken des Profits u n d ein Steigen der R e n t e zu e r w a r t e n s t e h t . Auf der a n d e r n Seite h a t gerade die Rechenhaftigkeit der RiCAEDOschen Lehre i h m eine wichtige E n t d e c k u n g erlaubt, die SMITH u n d seinen Vorgangern verschlossen w a r : w a h r e n d
Physiokraten und Klassiker: systematisohe Wissensohaft.
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die Freihandelslehre bis zu RIOAEDO nur dann den Austauseh zweier Waren zwisohen verschiedenen Landern fur forderlich gehalten hatte, wenn die ,,absoluten Produktionskosten" im einen Land niedriger sind als im andern, hat RIOAEDO am Beispiel des METHUEN-Vertrages den Nachweis gefiihrt, daB es die verhaltnismaBigen Erzeugungskosten sind, die den Austauseh bestimmen (sogenanntes Gesetz der komparativen Produktionskosten). 1st derart das RiCABDOsche System tatsaohlich rein-rational und aller Anschauung bar, wie hat es dann eine wissenschaftsgeschiohtliche Wirkung ausiiben konnen, und, noch erstaunlicher, wieso ist eine praktische Nutzanwendung moglich gewesen? Warum hat man nicht die ganze Theorie der gleichbleibenden Lohnhohe mit dem Einwand erledigt, der freilieh dieser systembefangenen und statistikfeindlichen Zeit nieht kam: daB nach aller Erfahrung steigender Arbeitslohn nicht, wie RIOAEDO will und fur sein System braucht, zur Steigerung, sondern zur Verringerung der Kinderzahl und also der Arbeiterbevolkerung fiihrt? Warum hat es Jahrzehnte gedauert, bis die Unhaltbarkeit des ehernen Lohngesetzes von THOBNTON und JOHN STUAET MILL erkannt wurde?
Und wie ist es moglich, daB die
Wirtschaftspolitik von Jahrzehnten sich auf RIOAEDO berufen konnte? Zwei Griinde sind anzufuhren, die diese seltsame Lage erklaren. Zunachst der eine, daB bei jedem praktischen Versagen die Anhanger RIOAEDOS sich auf den Standpunkt stellen konnten, den er selbst gegeniiber MALTHUS vertrat: die ,,Grundsatze" enthalten ja nur Theorie (d. h. rationale Theorie) und sind nicht im Hinblick auf praktische Anwendung geschrieben. Diese Auffassung war wichtig; denn sie gab RIOAEDO und seinen Folgern die Moglichkeit, eine praktische Politik zu treiben, die mit der Theorie im Widerspruch stand. Wie denn der theoretische ,,Freihandler" RICAEDO im Unterhaus fur Kornzolle eintrat, der theoretische ,,Liberate" als Abgeordneter sich in mehreren Fallen fur Staatseingriffe aussprach — mit der Wirkung, daB auf ihn besonders das Wort angewandt werden kann, das LIST gegeniiber der ganzen englischen Handelslehre gern anfuhrt: die Freihandelslehre war ein (theoretischer) ,,Exportartikel", den der Politiker RICAEDO nur mit MaB benutzte . . . Doch muB bezweifelt werden, ob die RiCABDOsche Lehre ihr Ansehen solch lange Zeit behauptet hatte, ware dauernd ein soloher Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis bestehen geblieben. Hier greift der zweite Grund nun ausschlaggebend ein: das theoretische Schema des RIOAEDO entsprach, so wie es biirgerlichem Geist der Aufklarung entstammte, in mehr als einem Punkt dem politischen Ideal des gleichen englischen Biirgertums, und da dieses Burgertum zur Macht aufstieg und solange es diese Macht behielt, konnte die RlCAEDOsche Theorie — von ihr aus gesehen: zufallig — sich mit der Wirklichkeit beriihren. DaB in der kurzen Spanne von 1860 bis 1878 das englische politische Interesso am Freihandel sich mit dem Weltinteresse deckte, hat fur eben diese Zeit der englischen Freihandelslehre weltgeschichtlichen Boden und weltpolitische Wirkung gegeben. Wiohtiger noch ist: daB RIOAEDOS Schema einer Wirtschaft der vollig freien Konkurrenz und des starren Arbeitslohnes fur die Interessen der aufstrebenden, in England noch gegen die Fesseln der Ziinfte ankampfenden Industrie und fur die Profitsucht des Kapitals ein lockendes Ideal bedeutete, hat ihr sofort innerpolitisches Gewicht und spater, als diese erstrebte liberate Wirtschaft verwirklicht wurde, den Charakter der einzig zulanglichen, geschichtlichen Theorie gegeben: das rationale Schema wurde zur echten Theorie der ersten Phase des Hochkapitalismus. Als im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mit der zweiten Phase des Hochkapitalismus die — freilieh noch heute zumeist verkannte — Tatsache sichtbar wurde, daB die — noch dazu niemals vollig freie — Konkurrenzwirtschaft nur eine kurze Episode im Lauf der wirtschaftlichen Entwicklung bedeutet, war verstandlicherweise die Nachwirkung der vorhergehenden Leistungsfahigkeit der ricardianischen Theorie noch so stark, daB man alio ncuen Formen nur als Abweichungen vom altvertrauten Bilde
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Gesehichte.
sehen unci crklaren k o n n t e . N a c h d e m aber n u n langst jene P h a s e des organisiorten Hochkapitalismus anbrach, die SOMBART , , S p a t k a p i t a l i s m u s " b e n a n n t h a t , ist es ein Armutszeichen fur jede Theorie, w e n n sie noch bei R I C A E D O ihren Ausgang n i m m t , u n d ist es a n der Zcit, R I C A K D O S , , G r u n d s a t z e " wieder n a c h Absicht u n d A r t u n g zu erkennen als rationales Schema, das den Zenith der p r a k t i s c h e n Brauchbarkeit langst uberschritten h a t . Individualistisohe Preislehre u n d industrialistische W e r t b e t o n u n g h a t t e A D A M S M I T H dero. System der P h y s i o k r a t e n eingefiigt. D e n ersten Eiillstoff n a h m R I C A E D O heraus u n d maohte i h n zur Grundlage eines eigenen Gebaudes, jenes rationalen Systems der W e r t e , das m a n v o n da an in S M I T H hineinlas. D e n zweiten entwiokelte J E A N B A P T I S T B S A Y 1 (1767—1832). Sein personlicher AnschluB an die SMiTHsehe Lehre lieB seine eigene Leistung so weit zuriicktreten, d a 6 er weithin n u r als der Popularisator SMiTiiens erschien, z u m a l n a c h d e m i h n L O E E N Z VON S T E I N in einem seiner m e h r glanz- als gehaltvollen Urteile so abgestempelt h a t t e . Allein nioht n u r ist sein Beitrag zu einigen dogmengesohiohtlichen F r a g e n sehr erheblich (seine ,,Theorie der Absatzwege" sucht die E r k l a r u n g der K r i s e n als Folge einer TJberproduktion d a d u r c h zuruokzuweisen, daB er m i t jedem Angebot eine entsprechend groBe Nachfrage n a e h a n d e r n Giitern v e r b u n d e n d e n k t ) , sondern auch ideengeschichtlieh ist seine B e d e u t u n g so betrachtlich, daB er durohaus m i t M A L T H U S u n d R I C A E D O zusammengehort, die ihn auoh stets als ihresgleiehen empfanden, obwohl S A Y selbst gegen R I O A E D O S Apriorismus sich scharf ablehnend verhielt. E i n strenger Logiker v o n griindlieher Sohulung, h a t S A Y zuerst die R e i c h t u m s okonomik in die drei teehnischen Stufen systematisiert, i n der sie das 19. J a h r h u n d e r t allgemein erblickte: ,,Exposition de la maniere d o n t se forment, se distrib u e n t et se eonsomment les riehesses" — Erzcugungs- (Produktions-), Verteilungs(Distributions-), Verbrauohs- (Konsumtions-) Lehre . . . Geboren in einer Zeit, die den H o h e p u n k t des Physiokratismus bezeichnet, gebildet in den J a h r e n , da die W i r k u n g des ,,Wealth of N a t i o n s " einsctzte u n d da zugleich aufs deutlichste Dampfmaschine, W e b s t u h l u n d all die kleinen E r f i n d u n g e n des ausgehenden 18. J a h r h u n d e r t s in ihrer Erzeugung und Gestalt umbildenden W i r k u n g sichtbar wurden, h a t er, Gegner zugleich u n d Schiller der Physiokraten, nicht n u r ausdrucklich die schopferische A r t u n g von H a n d e l und I n d u s t r i e festgestellt, sondern seinerseits den Versuoh u n t e r n o m m e n , eine R a n g o r d n u n g der verschiedenen Wirtschaftszweige nach ihrer p r o d u k t i v e n Leistung zu ermitteln, wobei n u n z u m erstenmal die Landwirtschaft a n hintere Stelle riickt, w a h r e n d an der Spitze die I n d u s t r i e steht, verkorpert im ,,entrepreneur", im ,,ouvrier" u n d im „ s a v a n t " . Z u m erstenmal wird so die B e d e u t u n g des U n t e r n e h m e r s e r k a n n t u n d sofort aus dieser Einsicht die Folgerung gezogen (II 5), daB es nicht angeht, n a c h A r t der E n g l a n d e r im ,,Profit" die K a p i t a l - u n d die U n t e r n e h m e r v e r g u t u n g z u s a m m e n zu werf en. Zugleich ist theoretisch wichtig die B e h a u p t u n g , daB ihre W i r k u n g sich u m deswillen als schopferisch darstellt, weil die okonomische E r z e u g u n g nicht eine Schopfung von Stoffen (matiere), sondern eine Schopfung v o n Niitzlichkeiten (utilite) ist. D a m i t offnet die Klassik der s p a t e r e n subjektiven Theorie eine neue Einfallspforte, u n d gleichzeitig wird, i n d e m sich so in SAY" die Klassik als I n d u s t r i a l i s m u s auspragt, durch ein Schlaglicht die geistige Briicke beleuchtet, die iiber alle Gegensatze hinweg diesen franzosischen ,,Klassiker" zusammenschlieBt m i t d e m franzosischen ,,Sozialisten", der wenig spater den berauschten H y m n u s fiir die Pioniere der neuen I n dustrie a n s t i m m t , m i t S T . SIMON. Die s t a r k e Vereinfachung des SMiTHsehen Systems, die schon R I C A E D O S ratio1 Traite d'economie politique, ou simple exposition de la maniere, dont se forment, se distribuent et se eonsomment les riehesses, 2 vols., Paris 1803; Cours complet d'economie politique pratique etc., 7 vols., Paris 1828—1833; Lettres a Malthus sur differents sujets d'economie politique etc., Paris 1820; u. a.
Physiokraten und Klassiker: systematische Wissenschaft.
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nales Schema bedeutet, hat in den folgenden Jahrzehnten mit der Verbreiterung und Politisierung der klassischen Lehre sioh noch erheblich weiter fortgesetzt. Wahrend innerhalb der ,, Schule" teils in stiller Arbeit, teils in Verfahrens- und Dogmenkampfen an dem abstrakten Geriist weitergebaut und einzelne wenig tragfahige Balken durch bessere ersetzt wurden, gelangten zwei herausgerissene Teilstiicke der Lehre zu starker AuBenwirkung: der Grundsatz des Laissez faire und die als politische Forderung verstandene Theorie des Freihandels. Auch der Optimismus SMiTHens fand, naehdem er im SchoB der englisehen Schule dureh MALTHTJS und RICARTJO widerlegt war, nun in der offentlichen Meinung und in den franzosisohen Nachfolgern von J. B. SAY eine iiberzeugte Stiitze. Die einzige ,,optimistische" Fortbildung von wissenschaftlicher Bedeutung gesohah mit innerer Notwendigkeit in Amerika, wo allein der Anschein unbegrenzter Moglichkeiten fiir verspatete Aufklarung noch einigen geistigen Raum freigab — aber gerade die Lehre von CAREY 1 (1793—1879) war, so wichtig auch einzelne Verbesserungen, vor allem die Einfuhrung der Wiederbesehaffungs- statt der Herstellungskosten als Preisbestimmungsgrundes, gewesen sind, alles andere eher als einheitlioh und werbend. So kam das praktisch wichtigste Element der Klassik, die Freihandelslehre, in die Hande jener stets bereiten, zweiten Schicht der Wissenschaft, die Begeistc rung an die Stelle der Begriindung, Gefiihlsappell an die Stelle der Beweise setzt — in Frankreich BASTIAT 2 (1801—1850), in Deutschland der unbetrachtlichere PRINCE-SMITH sind die Fiihrer auf diesem Weg. Zumal BASTIATS „Harmonies Economiques" — in ihrer theoretischen Unselbstandigkeit von den englisehen Theoretikern scharf abgelehnt, von CAREY des Plagiats beschuldigt, von LASSALLE 3 wegen des Versuchs, die Arbeitswert- durch eine ,,Dienst"lehre zu ersetzen als ,,Fortschritt der Verlogenheit" gebrandmarkt — verkiindeten die Religion des Laissez faire in einer Sprache, die das gebildete Biirgertum nur zu gern horte und die darum in Frankreich wie in Deutschland eine breite und tiefe journalistische Wirkung hatte. Hier wurde im Ton des Propheten die groBe ,,Wahrheit" gelehrt, daB ,,alle legitimen Interessen miteinander harmonieren" (p. 1 u. a.), hier wurde die Jugend aufgefordert, miteinzustimmen in das Glaubensbekenntnis dieses Liberalismus (p. 19 s.): ,,. . . Ich glaube, daB der, der die stoffliche Welt geordnet hat, den Ordnungen der sozialen Welt nicht hat fernbleiben wollen. — lch glaube, daB er ungebundene Krafte ebensogut wie leblose Molekiile harmonisch zu vereinigen und zu bewegen verstanden hat. — . . . Ich glaube, daB die unbezwingliche soziale Tendenz auf die standige Annaherung der Menschen an ein allgomcines, korperliches, geistiges und moralisohes Niveau hingeht und gleichzeltig auf eine fortschreitende und unbegrenzte Erhohung dieses Nlveaus. — Ich glaube, daB fiir die stufenweise, friedliche Entwicklung der Menschheit nichts weiter notig ist, als daB ihro Tcndcnzen nicht durchkreuzt werden und die Freiheit der Bewegung wieder erlangen." Diesem franzosischen Glaubensbekenntnis antwortete von jenseits des Kanals das Credo der Manchester-Schule, voran RICHARD COBDENS, der den Kampf der Anti-Corn-Law-League von 1838 bis 1846
noch mit alten, dem SiiiTHschen Arsenal entlehnten Waffen hatte fiihren mussen und nun dankbar den neuen, einheitlichen Katechismus aufgriff. Ihm ist die Freihandelslehre das unerschiitterliche Dogma, das den MaSstab fiir jegliche politische Entscheidung enthalt, das iiber Englands indisches Reich das Verdammungsurteil: ,,ohne jede Verbindung mit den Grundsatzen des Freihandels" zu fallen 1 Principles of political economy, 3 vols., Philadelphia 1837/40; Principles of social science, 3 vols. ibd. 1858/59 u. a. - Cobden et la Ligue ou 1'agitation anglaise pour la liberte des echanges, Paris 1845; Lcs harmonies economiques, ibd. 1850; u. a. (Eine Gesamtausgabe ibd. 1855; nach dieser die Zitate.) 3 Herr Bastiat-Sohulze von Delitzsch, der okonomisehe Julian. Berlin 1864.
Geschichte.
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erlaubt, d a s d e n ganzen Imperialismus z u einer teuflischen Mache s t e m p e l t u n d radikalen Pazifismus, einseitige Abriistung, Aufgabe der Seeherrschaft als politisohes P r o g r a m m aufstollen laBt. Allein weder BASTIATS H a r m o n i e n g l a u b e noch COBDENS VerheiBungen ernes ,,tausendjahrigen Reiches v o n C a t t u n " — wie CABLYLE, die S t i m m e d e r Vernunft in diesem W a h n w i t z glaubenssuchtiger Aufklarung, v e r n i c h t e n d s p o t t e t e — verm o c h t e n die wissenscliaftlichen Triiger der klassisohen Lehre dariiber hinwegzutauschen, daB die gesamte E n t w i c k l u n g nicht eben geeignet war, ihren Glauben a n „soziale H a r m o n i e d u r c h wirtschaftlichc K o n k u r r e n z " z u bestatigen. V o n dieser Widerspenstigkeit d e r T a t s a c h e n k o n n t e auch auf die D a u e r selbst die „ r e i n e " , „ r a t i o n a l e " Lehre niclit unberiihrt bleiben. D e n n auch d a s H o c h s t m a B a n ,,Obj e k t i v i t a t " , d a s R I O A E D O erreiehte, h a t die Klassik nieht v o n den geistesgeschichtliehen u n d soziologischen Voraussetzungen befreit, a u s denen sie ehedem erwuchs. Sie war n u n einmal dureh SMITH, durch B E N T H A M u n d gerade auch d u r c h R I C A B D O ein SproB des Liberalismus u n d daher m i t seinem Schicksal aufs engste verkniipft; wie er bezog auch sie einen besten Teil ihrer K r a f t aus dem K a m p f gegen iiberlebte Ordnungen, auch sie w a r unpolitisch genug, u m S t a a t u n d Macht d u r c h Freiheit u n d g u t e n Willen ersetzbar z u glauben, auch sie w a r individualistisch, rational u n d demokratisch. Auch i h r schlug d a r u m wie d e m Liberalismus jener Augen-. blick unheilbare W u n d e n u n d n a h m i h r die bisherige Sicherheit des g u t e n Gewissens, welcher die Regierung in die H a n d d e r bisherigen Opposition legte. N u n wo es sich d a r u m h a n d e l t e , die O r d n u n g des Staates u n d d e r Wirtschaft durchzufiihren, zeigte sich schnell, daB die lang verfochtene u n d endlich erreiehte negative Freiheit v o n Staatseingriffen in keiner Weise als ordnendes Prinzip ausreichte u n d daB politisch die F o r d e r u n g d e r Demokratie, wirtschaftlich die These d e r freien H a r m o n i e n u r noch m i t Einschriinkung aufrecht z u orhaltcn war. Zwar h a t t e m a n D e m o k r a t i e fiir Alle v e r t r e t e n u n d sich d a r u m die U n t e r s t i i t z u n g auch des vierten Standes gern gef alien lassen; aber gemeint h a t t e m a n doch n u r D e m o k r a t i e als Aufstiegs- u n d Herrschaftsmoglichkeit des Biirgertums gegeniiber d e r a l t c n Aristokratie, u n d als dieses wirkliche politische Ziel erreieht war, suchte m a n das Tor d e r Regierung n a c h dem E i n t r i t t des Biirgertums schnell wieder z u schlieBen u n d iiberlieB die altcn biirgcrlichen Ideologien d e n sozialen D e m o k r a t e n des a u s geschlossencn vierten Standes. Aber gerade w e n n m a n in schicksalhafter Verb l e n d u n g hoffte u n d t r a c h t e t e , ohne eigene innere W a n d l u n g politisch die Auswirkung der selbstverbreiteten I d e e n h i n t a n h a l t e n z u konnen, so durfte m a n nicht iibersehen, daB der Kampfwille d e r E n t r e c h t e t e n i n dem nicht mehr z u leugnenden B e s t a n d eines Massenelends immer neuen Antrieb u n d s t a r k e Rochtfertigung fand. E s w a r n i c h t j e d e r m a n n s Sache, wie D U S O Y B B die sattbourgeoise H a l t u n g des J u l i - K o n i g t u m s a n z u n e h m e n , wie BASTIAT R I O A E D O S eherne Gesetze als goldene auszulegen u n d , , W e r t " u n d „ T a u s c h " als gegenseitige Dienstleistung aufzuschonen, wie P B I N C E - S M I T H das Bestehen einer sozialen Erage z u l e u g n e n : Die groBere Acht u n g v o r d e n T a t s a c h e n h a t i n E n g l a n d dieso geistreichen Tageslosungen verb o t e n — J O H N STUABT M I L L h a t bis z u r Selbstvcrniohtung d a s geistige P r o b l e m in voder Tiefe erfaBt u n d auf d e m B o d e n der Klassik doch noch seine Losung zu geben u n t e r n o m m e n . Sohn des J A M E S M I L L , eines der seharfsten Theoretiker i n der zweiten Generation der K l a s s i k e r ,
des F r e u n d e s
von RIOAEDO
und
JEEEMIAS
BENTHAM,
hat
JOHN
STUABT M I L L 1 (1806—1873) als K n a b e i n d e r vaterlichen E r z i e h u n g die wesentliehen Elemento d e r klassisohen Okonomik, d e r utilitarischen Philosophie u n d d e r 1 System of Logic, rationative and inductive, London, 1843; Principles of political economy, with some of their applications to social philosophy, 2 vols., London 1848 (beste heutige Ausgabe von W. J.ASHLEY, London 1920); Aug. Gomte and the Positivism, London 1865, u. a.
Physiokraten mid Klassiker: systematische Wissenschaft.
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breiten hurnanistischen Bildung seiner Zeit iibernommen 1 , welche die Grundstoffe u n d d e n A u s g a n g s p u n k t seines eigenen Schaffens bildeten. E r selbst h a t diesen Gang seiner E r z i e h u n g u n d E n t w i c k l u n g i n einer Beschreibung des eigenen Lebens dargestellt, die ein bleibender, sinnbildlicher Ausdruck jener d o k t r i n a r e n H a l t u n g des s t a r r e n Liberalismus ist, u n d m a n v e r s t e h t noch die spatesten W e r k e des Sohnes erst d a n n i n ihrem inneren Zwiespalt, w e n n m a n i h n sieht als einen H o m u n c u l u s , der v o m Vater nach d e n R e z e p t e n v o n Positivismus u n d Utilitarismus i n einer individualistischen Garkiiche fur d a s L e b e n p r a p a r i e r t , dessen V e r s t a n d hochgezuchtet u n d dessen Seele vergessen wird, m i t d e m Erfolg, d a 8 sie i n gefahrvollen s t a r k e n K r i s e n erst spat u n d schuchtern a n s Licht d r a n g t . V o n d e m eingetrichterten G e d a n k e n g u t a u s stellt er sich d a n n die eigcne Aufgabe „ t o build t h e bridges a n d clear t h e p a t h s which should connect new t r u t h s w i t h his general system of t h o u g h t " — eine Bemiihung, die inhaltlich sich kennzeichnet als Versuch, die u b e r k o m m e n e BENTHAMsche Philosophie u n d RiCARDOsche Okonomik m i t d e m Positivismus v o n A U G U S T S COMTB u n d
dem Sozialismus S A I N T - S I M O N S in einem S y s t e m zu ver-
einigen. Die Verkniipfung dieser gegensatzlichen R i c h t u n g e n stellte zuvorderst die Aufgabe der K l a r u n g des Verhaltnisses v o n Wissenschaft u n d E t h i k — einer Erage also, die allgemein auch i n der Antithese Liberalismus-Sozialismus e n t h a l t e n war, die jedoch vor aller objektiven Wissenschaft u n d z u m a l aller mechanistischen Okonomik sich ergab . . . N u n erf olgt die fruher angedeutete Losung, die das vorlaufige Schlufiglied darstellt in jener Auseinandersetzung v o n Metaphysik u n d Okonomik, die seit der Spatscholastik s t a t t h a t , u n d zugleich das bleibende Schlufiglied i n jener von M A X W E B B S geschilderten Verbindung v o n P u r i t a n i s m u s u n d W i r t s c h a f t : die Wirtschaft selbst ist E t h i k , ist Metaphysik — eine Losung, die erreicht ist d a d u r c h , dafi u m g e k e h r t die E t h i k selbst Okonomik wird. Der oft zitierte, u n s e r n Ohren blasphemische Satz aus M I L L S Schrift iiber den Utilitarismus verdeutlicht a m grellsten d e n Gegensatz der neuen Lehre gegeniiber scholastiseh-glaubiger Geb u n d e n h e i t : ,,In d e n Vorschriften J e s u v o n N a z a r e t h " , heiBt es n u n , ,,finden wir den wirklichen utilitarischen Geist: ,Tue deinem N a c h s t e n , was d u willst, dafi er dir t u e . Liebe d e i n e n N a c h s t e n wie dich selbst.' W i e d i c h s e l b s t : m a n mufi daher d a m i t beginnen, sich selbst zu lieben, ehe m a n andere lieben k a n n . " E s ist dieser Satz, dessen , , u n v o r n e h m e " ,,Gemeinheit" N I E T Z S C H E S Abscheu gegen d e n „Flachkopf J O H N STUART M I L L " weckte. Der Gipfel des Individualismus ist hier erreicht in einem bellerophontischen Versuch, die ganzen Schwierigkeiten zu beseitigen d u r c h A u s d e h n u n g der Okonomik zur Metaphysik — es ist der Sieg u n d die Selbstiiberwindung der Aufklarung, die d a m i t endigt, dafi sie ihre eigene Lehre als Bibel, ihre Naturgesetze als Gotzen i n d e n Tempel einsetzt, aus d e m sie m i t Millie d e n w a h r e n G o t t vertrieben h a t . W a r aber die Okonomik d e r a r t ausgeweitet, so durfte es keinen Widerspruch zwischen okonomischen Gesetzen u n d sozialen Z u s t a n d e n mehr geben — die Auseinandersetzung Liberalismus-Sozialismus als K a m p f v o n Wissenschaft u n d Tatsachenwelt mufite auf einer irrtiimlichen F a s s u n g der Okonomik beruhen. N i c h t n u r dieser systematischen E r w a g u n g , sondern a u c h d e m klaren Blick fiir die Verhaltnisse der eigenen Zeit u n d der breiten K e n n t n i s der geschichtlichen E n t w i c k l u n g entspricht es, w e n n M I L L — inhaltlich u n d verfahrensrnaBig der einzige echte Nachfahr v o n SMITH, n i c h t v o n R I O A R D O — die Ricardianische Gesetzeslehre entscheidend u m w a n d c l t : Wirtschaftsgesetze k e n n t auch or noch, aber sie gelten n u r fiir die E r z e u g u n g ; die Gesetze der Verteilung dagegen sind eine menschliche E i n r i c h t u n g , die die Gesellschaft solchen Regeln unterwerfen k a n n , wie ihr g u t diinken 2 ( I I , 1 § 1). D a m i t ist d a s klassische System der Absicht 1 MILLS Autobiography (Loudon 1873), obwohl keine „6konomiache" Schrift, ist die bestc Einfiihrung in den individualistischen Liberalismus. Ihr entstammen auch die oben zitierten Worte (p. 246). 2 Diese Auffassung findct sich schon in der ersten Ausgabe der „Principles" (ed. ASHLEY
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Gesohichte.
u n d dem Anschein naoh bis a n die iiuBerste Grenze erweitert, der Tatsaohe wie der W i r k u n g n a c h in seinem Kernstiick aufgegeben, u n d i n m i t t e n des echtesten Liberalism u s offnet sich das Eeld n u n wieder fur ,,soziale R e f o r m " . Die gloicho W i r k u n g ergibt sich iiberall aus M I L L S besten Absichten der V e r b i n d u n g u n d V e r s o h n u n g : selbst w e n n er die Okonomik v o n der Soziologie abgrenzen u n d vor COMTE in i h r e m B e s t a n d als Sonderwissenschaft rechtfertigen will, w a n d e l t sich i h m der Sinn d e r Soziologie, wird sie ihru identiseh m i t „social i d e a s " , wird schlieBlich das soziale E l e m e n t hereingezogen u n d selbst bier weniger COMTE als S T . SIMON a u f g e n o m m e n . Solche Vereinbarung des U n v e r e i n b a r e n jedoch w a r moglich n u r i m geduldigen, ,,systematisehen" D e n k e n , u n d selbst hier e r k e n n t m a n in d e n B r e n n p u n k t e n , so in der Lehre v o m L o h n , die Unmoglichkeit der Vereinigung — die okonomische u n d soziale W i r k l i c h k e i t w a r duroh solche Mittel nicht zu uberlisten, geschweige zu besiegen. So h a t das gigantische U n t e r n e h m e n dieses l e t z t e n Klassikers die Alleinherrschaft der englisch-individualistischen Okonomik nicht m e h r z u r e t t e n , die Miichte der n e u e n Zeit n i c h t m e h r in das alte System zu b a n n e n v e r m o c h t . Die geistigen Machte, die schon das SMiTHsche System zu Verteidigung u n d Angriff wach geriittelt h a t t e : die deutsche Volkswirtschaftslehre z u m a l — d a z u die politischokonomischen Ideologien, die aus d e n sozialen K a m p f e n ihre N a h r u n g zogen, v o r a n die sozialistischen L e h r e n aller R i c h t u n g e n — , schicken sich an, die Klassik abzulosen . . . Die m e t a p h y s i s c h e F i i h r u n g i i b e r n i m m t die seltsamste, tiefste u n d geheimste M a c h t des 19. J a h r h u n d e r t s , jene verborgene Idee, die a n die Stelle des Gottes des Mittelalters, a n die Stelle der , , N a t u r " des 18. J a h r h u n d e r t s t r i t t : d e r G e d a n k e der E n t w i c k l u n g . S c h r i f t e n : Aus einem der Masse nach auBerordentlichen Schrifttum seicn genannt: a) Zu den Physiokraten: HASBACH, Die allgemeinen philosophischen Crundlagen der von Francois Quesnay und Adam Smith begriindetcn politischen Okonomie, Leipzig 1890; SCHELLE, Le docteur Quesnay, Paris 1902; WEULERSSE, Le mouvement physiocratique en France, 2 vols., Paris 1910. Artikel verschiedener Autoren in der Revue d'histoire des doctrines economiques. — b) Zu den Klassikern: HASBACH, o. C ; HASBACH, Untersuchungen tiber Adam Smith und die Entwicklung der politischen Okonomie, Leipzig 1891; CAMTAN, The history of the theories of production and distribution in english political economy from 1771 to 1848,3 London 1924; BONAK, Philosophy and political economy in some of their historical relations, London 1893; G. BEIEFS, Untersuchungen zur klassischen Nationalokonomie, Jena 1915. Zu MALTHUS: BONAB, Malthus and his work,2 London 1924. Zu RICARDO: DIEHL, Sozialwissenschaftl. Erlauterungen zu Ricardo, 2. neu verfaBte Aufl., Leipzig 1905; weiteres Schrifttum verzeichnet DIEHL, Art. Ricardo, Hdw. d. St. 4 . c) Zur Wirtschaftsgeschichte auBer den friiher genannten Verfassern fiir England CLAPHAM, fiir Deutschland SIEVEKING.
Til. S o z i a l i s m u s u n d H i s t o r i s m u s : e v o l u t i o n i s t i s c h e
Wissenschaft.
Scharfer noch als in merkantilistischer Zeit p r a g t sich im 19. J a h r h u n d e r t , n a c h d e m der n a t i o n a l e Geist die territorialen K o r p e r zu durchdringen, zu beleben, zu politisiercn beginnt, a u c h in d e n verschiedenen Wissenschaften der n a t i o n a l e C h a r a k t e r a u s . I n einer Sonderdarstellung der deutschen, der englischen oder franzosischen Volkswirtschaftslehre w a r e d a h e r zu zeigen, wieviel n a h e r , entgegen der landlaufigen Vorstellung, ein deutscher , , V u l g a r o k o n o m " u n d ein d e u t s c h e r Sozialist sich s t e h e n als die Sozialisten verschiedener L a n d e r u n t e r e m a n d e r ; es ware ebenso zu vcrdeutlichen, wie der K a p i t a l i s m u s in j e d e m L a n d seine g a n z b e s t i m m t e eigene Fiirbung h a t u n d seine unentbehrliche E n t s p r e c h u n g u n d E r ganzung in einciu n u r i h m zugehorigen ,,Sozialismus" findet. E i n e G e s a m t d a r stellung muB demgegeniiber auch hier die allgemeinen, bindenden, europaischen E l e m e n t e in d e n V o r d e r g r u n d riioken, u n d d a n n zeigt sich, d a 6 jener Gedanke p. 200). Von der sogenanntenBekehrungMILLS durchTHORNTONS „On Labour" bleibt daher nicht viel iibrig. MILL war nur intellektuell zu ehrlich, um RICARDOS ehernes Lohngesetz friiher aufzugeben, als er es widerlegen konntc.
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Gesohichte.
u n d dem Anschein naoh bis a n die iiuBerste Grenze erweitert, der Tatsaohe wie der W i r k u n g n a c h in seinem Kernstiick aufgegeben, u n d i n m i t t e n des echtesten Liberalism u s offnet sich das Eeld n u n wieder fur ,,soziale R e f o r m " . Die gloicho W i r k u n g ergibt sich iiberall aus M I L L S besten Absichten der V e r b i n d u n g u n d V e r s o h n u n g : selbst w e n n er die Okonomik v o n der Soziologie abgrenzen u n d vor COMTE in i h r e m B e s t a n d als Sonderwissenschaft rechtfertigen will, w a n d e l t sich i h m der Sinn d e r Soziologie, wird sie ihru identiseh m i t „social i d e a s " , wird schlieBlich das soziale E l e m e n t hereingezogen u n d selbst bier weniger COMTE als S T . SIMON a u f g e n o m m e n . Solche Vereinbarung des U n v e r e i n b a r e n jedoch w a r moglich n u r i m geduldigen, ,,systematisehen" D e n k e n , u n d selbst hier e r k e n n t m a n in d e n B r e n n p u n k t e n , so in der Lehre v o m L o h n , die Unmoglichkeit der Vereinigung — die okonomische u n d soziale W i r k l i c h k e i t w a r duroh solche Mittel nicht zu uberlisten, geschweige zu besiegen. So h a t das gigantische U n t e r n e h m e n dieses l e t z t e n Klassikers die Alleinherrschaft der englisch-individualistischen Okonomik nicht m e h r z u r e t t e n , die Miichte der n e u e n Zeit n i c h t m e h r in das alte System zu b a n n e n v e r m o c h t . Die geistigen Machte, die schon das SMiTHsche System zu Verteidigung u n d Angriff wach geriittelt h a t t e : die deutsche Volkswirtschaftslehre z u m a l — d a z u die politischokonomischen Ideologien, die aus d e n sozialen K a m p f e n ihre N a h r u n g zogen, v o r a n die sozialistischen L e h r e n aller R i c h t u n g e n — , schicken sich an, die Klassik abzulosen . . . Die m e t a p h y s i s c h e F i i h r u n g i i b e r n i m m t die seltsamste, tiefste u n d geheimste M a c h t des 19. J a h r h u n d e r t s , jene verborgene Idee, die a n die Stelle des Gottes des Mittelalters, a n die Stelle der , , N a t u r " des 18. J a h r h u n d e r t s t r i t t : d e r G e d a n k e der E n t w i c k l u n g . S c h r i f t e n : Aus einem der Masse nach auBerordentlichen Schrifttum seicn genannt: a) Zu den Physiokraten: HASBACH, Die allgemeinen philosophischen Crundlagen der von Francois Quesnay und Adam Smith begriindetcn politischen Okonomie, Leipzig 1890; SCHELLE, Le docteur Quesnay, Paris 1902; WEULERSSE, Le mouvement physiocratique en France, 2 vols., Paris 1910. Artikel verschiedener Autoren in der Revue d'histoire des doctrines economiques. — b) Zu den Klassikern: HASBACH, o. C ; HASBACH, Untersuchungen tiber Adam Smith und die Entwicklung der politischen Okonomie, Leipzig 1891; CAMTAN, The history of the theories of production and distribution in english political economy from 1771 to 1848,3 London 1924; BONAK, Philosophy and political economy in some of their historical relations, London 1893; G. BEIEFS, Untersuchungen zur klassischen Nationalokonomie, Jena 1915. Zu MALTHUS: BONAB, Malthus and his work,2 London 1924. Zu RICARDO: DIEHL, Sozialwissenschaftl. Erlauterungen zu Ricardo, 2. neu verfaBte Aufl., Leipzig 1905; weiteres Schrifttum verzeichnet DIEHL, Art. Ricardo, Hdw. d. St. 4 . c) Zur Wirtschaftsgeschichte auBer den friiher genannten Verfassern fiir England CLAPHAM, fiir Deutschland SIEVEKING.
Til. S o z i a l i s m u s u n d H i s t o r i s m u s : e v o l u t i o n i s t i s c h e
Wissenschaft.
Scharfer noch als in merkantilistischer Zeit p r a g t sich im 19. J a h r h u n d e r t , n a c h d e m der n a t i o n a l e Geist die territorialen K o r p e r zu durchdringen, zu beleben, zu politisiercn beginnt, a u c h in d e n verschiedenen Wissenschaften der n a t i o n a l e C h a r a k t e r a u s . I n einer Sonderdarstellung der deutschen, der englischen oder franzosischen Volkswirtschaftslehre w a r e d a h e r zu zeigen, wieviel n a h e r , entgegen der landlaufigen Vorstellung, ein deutscher , , V u l g a r o k o n o m " u n d ein d e u t s c h e r Sozialist sich s t e h e n als die Sozialisten verschiedener L a n d e r u n t e r e m a n d e r ; es ware ebenso zu vcrdeutlichen, wie der K a p i t a l i s m u s in j e d e m L a n d seine g a n z b e s t i m m t e eigene Fiirbung h a t u n d seine unentbehrliche E n t s p r e c h u n g u n d E r ganzung in einciu n u r i h m zugehorigen ,,Sozialismus" findet. E i n e G e s a m t d a r stellung muB demgegeniiber auch hier die allgemeinen, bindenden, europaischen E l e m e n t e in d e n V o r d e r g r u n d riioken, u n d d a n n zeigt sich, d a 6 jener Gedanke p. 200). Von der sogenanntenBekehrungMILLS durchTHORNTONS „On Labour" bleibt daher nicht viel iibrig. MILL war nur intellektuell zu ehrlich, um RICARDOS ehernes Lohngesetz friiher aufzugeben, als er es widerlegen konntc.
Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft.
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der ,,Entwicklung", den wir nannten, wegweisend hinter den sozialistischen Bildern und Begriffen eines ST. SIMON und MARX, hinter dem Historismus von LIST, HILDEBRAND, SOHMOLLBE, hinter der Soziologie von COMTE wie von SPENCER steht —
,,Evolutionismus" ist das einheitliche Kennzeichen der gesamten Wirtsehafts- und Gesellschaftslehre dieser Periode, ganz ebenso wie er das leitende Prinzip der Philosophie oder der Biologie darstellt. Wir verfolgen zunachst seinen Ausdruck in den sozialistischen Lehren, deren innere Fortbildung starker mit dem bisher gezeichneten Werdegang des biirgerlichen Individualismus zusammenhangt. a) D e r S o z i a l i s m u s . Am Beginn jeder Geschichte steht die Gemeinschaft, geformt als Horde, Sippe, Stamm, Staat — der Einzelne ist und lebt als Glied der Gemeinschaft. Wie jedes lebende Wesen erfahrt auch die Gemeinschaft Beife, Erucht und Sterben — ihr Sterben heiBt Loslosung, Verselbstandigung des Individuums. Die Geschichte aber hort nicht auf. So erhebt sich vor jeder individualistischen Zeit die Schicksalsfrage der neuen Gemeinschaftsbildung. Die Antike hatte das gluckliche Geschick, daB in der neuen Offenbarung PLATONS ihr der Kern neuer Gemeinschaft gegeben wurde — sie hatte zudem in dem alldurchdringenden, die Urbs im Individuum darstellenden Staatsgefuhl des Romers eine echte, politische Moglichkeit zur Ablosung des Gemeinschaftsstaats durch einen individualistischen Staat. Und als auch dieses fur die Ewigkeit errichtete und selbst von den „G6tterleugnern" von ewigem Bestand geglaubte Imperium, als das Reich des AUGUSTUS zusammenbrach, war bereits im Glauben und in der Gemeinschaft der Christen ein neues Volk, der Trager eines neuen Staats erstanden. Wir haben fruher verfolgt, wie im Christentum vom Evangelium an neben den Lehren, die ein Gleichgultignehmen und also ein Bestehenlassen der "iiberkommenen politischen und wirtschaftlichen Ordnung zur Pflicht des Glaubigen machten, sich Stromungen fanden, die ein neues Leben ohne jeglichen Giiterbesitz oder mit andrer, gleichmaBiger Giiterverteilung fiir ein Gebot von Jesu Leben und Jesu Predigt hielten. Die religios-kommunistische Bewegung, die hierauf aufbaut, ist in verschiedenen Pormen mehr als ein Jahrtausend wirksam geblieben, sie fand ihren Ausdruck in den Klostern wie in einigen Orden, sie stutzte die BuBprediger und sie erweckte Reformatoren, als der neue Reichtum des ausgehenden mittleren Alters die Besitzunterschiede wieder verstarkte und in neuen Geld-, Gewerb- und Handelsvermogen, die stets aufreizender wirkten als sehr viel groBere Landvermogen, eine breitere Angriffsflache fiir offenes und verstecktes Ressentiment der minderbemittelten, von diesen ,,Glucks"giitern ausgeschlossenen Schichten bot. Den dogmatischen Riickbalt, dessen man bedurfte, fand man in einem Brief, der — obwohl gewiBlich eine spate, vielleicht dem 9. Jahrhundert angehorige Palschung — urchristlichen Ursprungs geglaubt und in die groBe Rechtssammlung des 12. Jahrhunderts, das Decretum Gratiani, aufgenommen wurde. Auf seiner Grundlago erschien die Eorderung: communis omnium possessio, Gemeineigentum Aller in Allem, berechtigt, und als dann diese Stimmung durch die humanistischen und mystischen Neigungen der Wendezeit vom 15. zum 16. Jahrhundert noch bestatigt und bestarkt wurde, war der Boden bereitet fiir eine Auffassung, die alle christliche Geschichte seit den apostolischen Vatern fiir einen Abfall vom wahren Glaubon erklarte und in der Riickkehr zum kommunistischen Leben der Urgemeinde das Heil erblickte. ,,Die Bosheit", sagt SEBASTIAN FBANOK in seiner Geschichtsbibel, ,,fing an, das Mein und das Dein, ja ein Eigentum im Christentum aufzurichten", und mit starkem Nachdruck lehrt er, ,,daB das Eigentum nit aus Gott, sondern aus der Menschen Untreue . . . " Es ist kennzeichnend zugleich fiir die innere Schwachung des Christentums und fiir den politischen Auftrieb der unteren Schichten, daB im Deutschland der Reformation und sehon 150 Jahre zuvor im England WICLIEFS solche Gedanken
Gesohichte.
64 nicht mehr v o n d e r Kirohe sondern daB sie n u n bereits revolutionarer Bewegungen vor d e n Toren v o n L o n d o n d e r n e n " Revolution
aufgefangen, abgebogen, entscharft werden k o n n t e n , z u m Glaubensartikel politischer u n d wirtschaftlicher, w u r d e n . I n d e r b e r i i h m t e n P r e d i g t des J O H N B A L L (1381) u b e r d e n aufreizenden Vers dieser ersten „ m o -
When Adam dalf and Eve span Who was thanne a gentil manne 1, ebenso wie sohon vorher i m Aufstand d e r J a c q u e r i e in F r a n k r e i c h (1358) u n d ebenso wie n a c h h e r im d e u t s c h e n Bauernkrieg, d e r n i c h t zufallig d a s besondere Augonmerk des n e u e r e n Sozialismus ( E N G B L S , KATJTSKY) fand, konrmt diese W a n d lung zu s t a r k s t e m Ausdruck. Trotz aller religios-kommunistischen F o r m e n u n d F a r b e n zeigen sich hier off en die ersten sozialen Massenbewegungen grofien Stils. GewiB darf der religiose Einschlag n i c h t u n t e r s c h a t z t w e r d e n ; THOMAS MITNZER, d e r Fiihrer im Bauernkrieg, w a r ein asketischer Mystiker v o n u n b e d i n g t e r L a u t e r keit u n d seinem BewuBtsein n a c h w a r er eher ein kirchlicher Reformator als ein politischer R e v o l u t i o n a r ; aber auch fiir i h n h a t t e d e r geforderte K o m m u n i s m u s cloch nichts m e h r v o n jener b e g n a d e t e n Freiwilligkeit d e r apostolischen Zeit, sond e r n er hielt es fiir gottliches Gebot, m i t Gewalt dafiir zu sorgen, daB „alle Dinge gemein seien". N i c h t anders s t e h t es u m den K o m m u n i s m u s der Wiedertaufer v o n Miinster; wenn m a n auch gegeniiber sozialistischer MiBdeutung b e t o n e n muB, daB es sich hier, gegensatzlich d e m B a u e r n a u f s t a n d , im K e r n nicht u m eine wirtschaftliche Massenbewegung, sondern u m eine, u m die letzte religios-kommunistische Schwarmbewegung h a n d e l t , so ist doch auch hier die P r e d i g t d e r apostolischen Bruderliebe schnell zu einem A n z i e h u n g s p u n k t u n d zu einem D e c k m a n t e l fiir die Begehrlichkeit des gemeinen Volks geworden. Als die Herrschaft d e r Taufer wie d e r B a u e r n a u f s t a n d i n B l u t erstickt war, blieb vollends vom christlich-religiosen Ursprung, I n h a l t u n d Ziel des K o m m u n i s m u s nichts m e h r ubrig. E i n einziges Glaubenselement blieb in d e r Masse noch lebendig, als Geheimwissen b e w a h r t u n d als K r a f t s t r o m fiir alle m o d e r n e n K o m m u n i s m e n u n e n t b e h r l i c h : die Hoffnung auf d a s tausendjahrige Reich. D e r Chiliasmus, der u m d a s Jalir 1000, d a n n wieder u m 1250 die Wiederkehr Christi e r w a r t e n lieB u n d der in d e n Visionen des Abtes J O A C H I M VON F L O B I S E u r o p a ersohiitterte — II calabrese a b a t e Gioacchino/Di spirito profetico d o t a t o 2 —, haftete fest in d e n Gemiitern; die DANiELische Sicht d e r drei Weltreiche, die J O A C H I M n e u belebt h a t t e , verschwand nicht m e h r aus d e n Geistern, ihr Drei-Schritt g e h t h i n d u r c h durch alle Geschichtsdeutung bis zu TCTBGOT, S T . S I M O N u n d COMTE, u n d n o c h d e r MAKxistische Z u k u n f t s s t a a t
ist die letzte, weltlich-entseelte Spatform jenes d r i t t e n Reiches, d a s der Calabreser Mystiker gesehen, geschildert u n d geweissagt h a t . N e b e n d e m Chiliasmus des C h r i s t e n t u m s h a t der Sozialismus des 19. J a h r h u n d e r t s noch ein zweites E l e m e n t a u s einer friiheren Epoche iibernommen, d a s zugleich seine geschichtliche Voraussetzung darstellt u n d seine wissenschaftliche F o r m e r k l a r t : die Sozialkritik der Aufklarung. Seitdem THOMAS MOETJS (1478 bis 1535) in seiner Schilderung d e r Insel U t o p i a , d e r e n Titel einer ganzen Schrifteng a t t u n g d e n N a m e n g a b , die F o r m des Gesellschaftsromans als geeignet z u r K r i t i k bestehender u n d z u m Entwurf erwiinschter, ,,idealer" Verhaltnisse erwiesen h a t t e , ist i n E n g l a n d u n d noch m e h r in F r a n k r e i c h die Utopie ein beliebtes Mittel, u m die T r a u m e eines kommunistischen Erdenreichs in wechselnden Verkleidungen d a r zustellen. I m Unterschied z u m politischen K o m m u n i s m u s d e r PLATOirischen 1
2
Zd deutsch: Als Adam grub und Eva spann, Wcr war da ein Edelmann ? DANTE, Paradiso X I I 140.
Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft.
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Politeia schwebt hierbei von MOEUS an nioht mehr ein aristokratisch.es Ziel der Menschenformung vor, sondern wie der humane Humanist so erstreben alle seine Naehfolger statt des adligen Menschen die gluckliche Masse, und dieses Gliick hat uberall ein starkes Beigemisoh von jener sohalen Lauheit und Ode des Lebens, die am Biirgertum des 19. Jahrhunderts NIETZSCHES Hohn und Veraohtung hervorruft. Ja, es ist zu zweifeln, ob man das ganze Schrifttum nicht schon zu ernst nimmt, wenn man seine Schilderung gliieklieherer Staaten und Menschen als Ausdruck echter politischer Zielsetzung ansieht. Zwar MOEUS selbst hat unstreitig ein ernstgemeintes politisches Programm mit seiner Utopie entworfen, aber in dem sogenannten franzosischen Sozialismus des 18. Jahrhunderts steckt viel rokokohafte Spielerei, viel Freude an Putz und Verkleidung und wenig Verstandnis fur die wahren Ursachen der sozialen Not. Naturglaubig wie das ganze Zeitalter, wie ROUSSEAU, wie die Physiokraten sind auch diese schwarmenden Verbesserer der Gesellschaft, der staatlose Naturzustand erscheint ihnen als paradiesisch.es Ideal, verglichen mit dem entarteten Kulturzustand. Jeder Reisendenbericht aus fernen Landern, aus China, vom Jesuitenstaat in Paraguay, von Indianern und anderen „Barbaren" wird ihnen so zur gern geglaubten Offenbarung, und jede Utopie weckt um so groBeres Gefallen, je echter sie von ,,Wilden" zu erzahlen weiB. Die Geschichte der Sevaramben von VAIRASSE (erschienen 1677) und die Basiliade von MOEELLY 1
(1753) sind gute Beispiele dieser spielcrischen Art — einzig im Testament des Abbe MESLIER (1664—1730), aus dem VOLTAIRE lange nach MESLIERS Tod Bruchstiicke
veroffentlicht hat, klingt schon jene klassenkampferische Gesinnung an, die spater den Sozialismus des 19. Jahrhunderts kennzeichnet. Die Mehrzahl der Literaten hatte weder Grund noch Sinn fur solche aktivistische Haltung; sie alle waren beseelt von einem frevelhaften Optimismus, von einem blinden Vertrauen auf die Gute aller Menschen, von einer unerschiitterlichen Zuversicht auf das stetige Wachstum der naturlichen und menschlichen Erzeugungskrafte, von einer auf nichts gegriindeten und darum um so fanatischer gepredigten Hoffnung, es werde die gehorsame Befolgung der einfachen Regeln der Natur das menschliche Geschlecht zu einem Hochststand moralischer Vollkommenheit fuhren, bei dem das Sondereigentum aufgehoben, der Unterhalt und die Beschaftigung der Burger von Staats wegen gesichert2 und so das gro'Bte Gliick der groBten Zahl verwirklicht wird. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs war nicht dazu angetan, um den Wahn dieser Utopisten vom naturlichen, naturgesetzlichen Fortschritt zu ihrem Paradies auf Erden zu bestatigen. Schon ein Jahrzehnt vor der Revolution von 1789 wird infolgedessen allenthalben ein Gefuhl dafiir wach, daB ohne bewuBte Machtanwendung keine Anderung der Zustande zu erwarten ist; nun wird aus dem Schaferspiel ein bitterer Ernst, der politische Wille bemachtigt sich der Gleichheitsgedanken und gebraucht sie als Waffen gegen die herrschenden Stande, gegen das Konigtum, gegen Adel und Klerus und gegen den Reichtum des geadelten Biirgertums. Durch BEISSOT und vor allem durch GRACCHUS BABEUF
(1764—1797) wird die utopistische Sozialkritik zum politisch-revolutionaren Sozialismus umgewandelt. Gleichzeitig verschwinden die letzten staatlichen und die letzten adligen Elemente, die dem Utopismus des 18. Jahrhunderts noch eigneten. Beschiitzung und Erhaltung der Schwachen wird nun die wichtigste Aufgabe der Gesellschaft, und in richtiger Erkenntnis, daB fur diese neue Menschenverbruderung die Polisgrenze PLATONS so wenig bedeutet wie die Staatsgrenze der Utopisten, erhofft BABEUF, der erste kommunistische Weltverkniipfer, der erste kommuni1 Naufrage des isles flottantes, ou Basiliade du celebre Pilpai, Poeme heroique traduit de I'lndien par Mr. M. — MOBELLYS zweites Werk: Code de la Nature, ou le veritable esprit de ses loix, de tout terns neglige ou mecoimu, Par-Tout 1755, euthalt die gleiohen Gedanken in logisch-systematischer Darstellung. 2 Vgl. MOBELLYS „Loix fondamentales et Saerees", Code, p. 190. Salin, Volkswirf.Bchaftslehre. •!. Aufl. 5
Geschiohte.
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stisoho Weltrevoiutionar, eine ,,allgemeine Vergesellsohaftung der Menschen in der F o r m des kommunistischen, alle Volker u m s p a n n e n d e n W e l t v e r b a n d e s " 1 . Der U n t e r g a n g B A B E U E S u n d seines ,,Bund der Gleichen" ist ffir die Entwicklung des K o m m u n i s m u s v o n lang-nachwirkender B e d e u t u n g geworden, weil hierduroh unmiBverstandlich das Biirgertum seinen Willen z u m A u s d r u c k g e b r a c h t h a t t e , gegeniiber d e m v i e r t e n S t a n d n i c h t dieselbe — gefahrliche — Milde w a l t e n zn lassen, u n t e r deren Schutz der d r i t t e S t a n d im ancien regime sich h a t t e entwiekeln k o n n e n . E r s t j e t z t t r e t e n Burger u n d Arbeiter, d r i t t e r u n d vierter S t a n d , Liberalismus u n d Sozialismus in voller Scharfe auseinander. Mit jeneni verbissenen I n g r i m m , der gerade den K a m p f zwischen N a h v e r w a n d t e n kennzeichnet, bekriegen sich die beiden E r b e n der Aufklarung. W o der Liberalismus die H a r m o n i e auf d e m Boden des P r i v a t e i g e n t u m s verspricht, verheiBt der Sozialismus, als B r u d e r u n d Gegner im Geist, die H a r m o n i e d u r c h Aufhebung des Sondereigentums; wo der Liberalismus den Segen der freien K o n k u r r e n z preist, e n t l a r v t der Sozialismus die Anarchie der u n g e b u n d e n e n K r a f t e ; wo der Liberalismus den N u t z e n der Arbeitsteilung r u h m t , s c h m a h t der Sozialismus die Tatsaohe der A u s b e u t u n g . Dabei h a t der Sozialismus den Vorteil starkerer W i r k u n g s k r a f t i n d e n u n a b s e h b a r wachsenden Bevolkerungsmassen. Zwar ist er nicht minder rational, nicht minder aufklarerisch, nicht minder auf das leere Gliick u n d den R e i c h t u m an Giitcrn b e d a c h t als das siegreiche Biirgertum des werdenden H o c h k a p i t a l i s m u s ; aber die Verbindung v o n wissenschaf tlicher Zersetzung der bestehenden O r d n u n g u n d messianischem Glauben a n die neue Gesellschaft, die aus der U b e r w i n d u n g des K a p i t a l i s m u s hervorgehen miisse, diese Verbindung, die den modernen, wissenschaftlichen Sozialismus v o n alien friiheren F o r m e n scheidet, gab auf dem Bodon der Entwicklungslehre die Moglichkeit, der Masse einen zwar dogmatischen, doch in der E n t r e c h t u n g trostvollen u n d zum H a n d e l n schulenden Glaubensersatz zu bieten. Graf H E N B I D E S T . SIMON- (1760—1825), ein Abenteurer groBen Stils in Leben u n d Wissenschaft, in der Mitte seines Lebens Vertreter einer neuen ,,physikopolitischen" Einstellung, a m E n d e Verkiinder eines ,,neuen C h r i s t e n t u m s " ist der b e d e u t e n d s t e xmd wirkungsvollste Apostel jenes mystisch-visionaren Sozialismus, der die Vorstufe des rationalen darstellt, das Bindeglied zwischen den beschaulichen Utopien eines M O E E L L Y u n d M A N D E V I L L E u n d der echten Gesellschaftsforschung eines P E O U D H O N u n d M A E X . Gleichheitsforderungen der Aufklarung verschmolzen firr S T . SIMON m i t willkurlicher Dexitung der urchristlichen Lehre z u m Bilde eines k o m m e n d e n Weltzustandes, den er nach d e m Gesetz des F o r t s c h r i t t s in n a h e r Zukunft sich verwirklichen glaubte u n d als die neue goldene Zeit verkiindeto. ,,L : age d'or du genre h u m a i n n'est point derriere nous, il est d e v a n t " — so verhieB er schon 1814 in der Schrift iiber die Reorganisation der europaischen Gesellschaft. Wio or d e r a r t m i t der P h a n t a s i e vorwegnahm, wohin i h n die Vernunft, die Wissenschaft nicht fuhren k o n n t e , war er der gegebene S a m m e l p u n k t firr alle, die noch v o n der Aufklarung h e r k a m e n u n d doch schon wieder metaphysische Sehnsiichte k a n n t e n , wie auch fur all die andern, die a n den sozialen Z u s t a n d e n vcrzweifelten u n d doch nicht in dem v e r b r a u c h t e n Mittel der Revolution ihr Heil erblicktcn. Vor allem aber war er, da diese goldene Zeit wirtschaftlich eine Industriezeit war — ,,tout p a r l'industrie, t o u t p o u r elle" w a h l t e r schon 1817 a l s M o t t o — , d e r geborene P r o p h e t der jungen Generation der Politiker u n d Journalisten, Techniker u n d Industriellen: fur die Arbeit der Zeit, die sie zu verrichten h a t t e n , firr ihre B a h n - u n d Hafen1
Das Zitat nach WOLTEBS O. C , p. 127. L'industrie on discussions politiques morales et philosophiques dans l'interet de tous les homines livres a des travaux utiles et independants, 4 vols., Paris 1817/18; Du systeme industricl, ibd. 1821/22; Catechisme des Industriels, ibd. 1823/24; Nouveau Christianisme, 1825. SAIHT SIMONS samtliehe Werke ersehienen zasammen mit don Schriften EUTAKTISS, Paris 1865 bis 1878. 2
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und Kanalbauten, ihre Banken und ihre Zeitungen, gab er, der als junger Offizier von 19 Jahren vergebens den Vizek5nig von Mexiko zum Bau des Panamakanals zu iiberreden getrachtet hatte, seinon Schiilern das unendlich wertvolle BewuBtsein der hohen geschichtlichen Sendung mit. Sein Industrialismus erfocht daher mit den PEBEIEE, D'EICHTHAL, LESSEPS einen gewaltigen Sieg, als sein Sozialismus schon langst vergessen scbien, bis in der jiingsten Zeit auch dieser Teil seiner Lehre, im Widerschlag gegen den rationalen Sozialismus, Anzeiohen eines Neuerwachens gibt. Und wie er mit dem Inhalt seines Zukunftsbildes Wirtsehaft und Politik bestimmt, so wird er duroli die Form des ,,Beweises'! richtunggebend fiir die positivistische Geschichtsschreibung und Soziologie, der rechte Lehrer fiir THIBEEST und COMTB. Zwar ist er weder der erste Lobpreiser des Fortschritts noch der Erfinder einer Stufenfolge der Entwieklung — dort CONDOB.CETS ,,Esquisse d'un tableau liistorique des progres de l'esprit humain", hier TUEGOTS Dreistadiengesetz waren, um nur die letzten Vorganger zu nennen, VerheiBungen und Lehren, die er vorfand und nutzte. TUEGOT hatte als Dreiundzwanzigjahriger in der Sorbonne (1750) seine Abhandlung iiber die Stufen im Fortschritt des menschlichen Geistes vorgelesen, im Werke CONDOBCETS, seines Freundes und Sehiilers, hatten seine Ansichten bereits eine erste Frucht getragen, jetzt eben hatte die Veroffentlichung seines Nachlasses (1809) das friihe, verschollene Werk bekanntgemacht und die Lehre von den drci Stufen der geistigen Entwieklung des Mensohengeschlechts, der theologischen, metaphysisehen und erfahrungswissensehaftlichen, verbreitet. Vielleicht war die Losung TUBGOTS schwieriger und umstiirzender als ST. SIMONS, bedeutete doch TUEGOTS Gesetz die erste moderne Ersetzung des metaphysisehen Dreischritts der Soholastik, wie er in der Lehre von den drei Reichen JOACHIMS von Fiore uns entgegentrat. Aber trotzdem war es eine selbstandige, fiir Wirtsehaft und Wirtschaftswissensehaft gleich folgenschwere Leistung, daB ST. SIMON neben TUEGOTS philosophisehe Stufen, neben den Fortgang vom mythologisehen iiber das metaphysische zum positivistisehen Denken nunmehr die okonomisehe Reihe vom Feudalismus iiber den Liberalismus zum Sozialismus setzte: zum erstenmal klingt das okonomisehe Geschichtsdenken an; zum erstenmal ersoheint die okonomisehe Gegenwart nicht mehr als Vorform oder Naherungsform der ewigen natiirlichen Ordnung, sondern als gesehichtliche Durchgangsstufe, wodurch der Nachdruok des Interesses auf die in Umbildung begriffenen Glieder riiekt, auf jenen Teil also, dem in der gleiehen Zeit die klassisohen Pessimisten das Vergebliche seines Ankampfens gegen die ehernen Gesetze „bewiesen" . . . Aber schlieBlich zeigt sich auch hier: indem dieser Sozialismus im einzelnen vollig unbestimmt bleibt, indem er mehr als ,,Assoziation" (,,Gesellschaftung" iibersetzt LOBBNZ VON STEIN zur Hervorhebung des aktiven Inhalts) gegen den Feudalismus sich kennzeichncn laBt, denn durch Angabe eines festen philosophisohen, moralischen oder auch nur sozialen Inhalts, bleibt der Nachdruck auf dem Industrialismus als Ziel, der Organisation als Form, und ST. SIMON wird — ein bezeichnender Ausdruck der franzosischen Moglichkeit unmittelbarer Ausmiinzung des Geistes in Teohnik, Organisation, Verwaltung — aus der inneren Notwendigkeit seiner Lehre heraus nicht der Sehopfer einer neuen, nicht der Zerstorer der alten Gesellschaft, sondern der organisatorische Umbilder und Mehrer der kapitalistisohen Wirtsehaft. Den Gegensatz zwisehen Kapital und Arbeit hat ST. SIMON wohl gesehen — hellsichtige Worte auf seinem Totenbett zeigen, wie sehr ihn diese Frage beschaftigt hat, die erst in seinen letzten Sohriften auftaucht. Allein nie war ihm dieser Gegensatz ein Hindernis oder, wie fiir MAEX, das Werkzeug des geschichtlichen Fortschritts — die Uberwindung durch gemeinsame Arbeit am gemeinsamen Ziele war die eine, groBe, die solidaristischc Losung, die er gab. Aber so viel Zukunftshaltiges diese Auffassung barg und birgt: weder konnte es verborgen bleiben, daB 5*
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Geschichte.
rein gedanklicli Feudalismus—Liboralismus—Sozialismus in S T . SIMONS F a s s u n g gar keine verglcichbarcn F o r m e n darstellten, noch w a r d a s verheiBene Ziel so lookend und die VerheiBung i n sieh so glaubhaft, daB u m seinetwillen die schon z u m K a m p f geriisteten politischen Gegner die Waff en niedergelegt h a t t e n . Indessen, auch naohdem in der F e b r u a r r e v o l u t i o n v o n 1848 u n d i n der C o m m u n e v o n 1871 dor l a t e n t e Gegensatz z u m Austrag m i t d e n Waffen gefiihrt h a t t c , bleibt doch in einer entscheidenden Hinsicht der franzosische Sozialismus den v o n S T . SIMON cingcschlagenen B a h n e n t r e u : er ist v o n BAZABD iiber F O U E I E E u n d P E O U D H O N bis b i n zu J A U B E S niclit zerstoreud, sondern aufbauend, u n d wo d e r deutsche Sozialismus sieli in erster Linie m i t d e m vorneinenden Bemiihen q u a l t , d e m verhaBten Gegner die L a r v e v o m Gosicht zu reiBen, h a t der franzosische Sozialismus a n der positiven E r r i c h t u n g neuer, im H e u t e verwirkliohbarer Wirtschaftsformen sich versucht u n d h a t so die Unterlage fur weiteren F o r t s c h r i t t des K a p i t a l i s m u s gesohaffen. Dies zeigt sieh nicht n u r bei B A Z A E D , ZU dessen FiiBen CABNOT, M I C H E L C H E V A L I E R u n d P E B E I B E die ,,Doctrine de S a i n t - S i m o n " a n h o r e n u n d die B A Z A B D -
sehe Lehre v o n der Neuverteilung des E i g e n t u m s bei E r b g a n g m i t Hilfe einer B a n k aufnehmcn — nicht n u r bei F O U E I B E (1772—1837), dessen bizarres P h a n t a s i e gebilde , , P h a l a n s t e r e " doch genug wirtschaftlichen K e r n besaB, u m Grundlage eines dureh J a h r z e h n t e bliihenden U n t e r n e h m e n s , des Familistere v o n G O D I N , zu werden, sondern vor allem bei P . J . P E O U D H O N 1 (1805—1869). P E O U D H O N S N a m e ist h e u t e vorwicgend a n zwei T a t s a c h e n gekniipft, a n den K a m p f MAKXens gegen seine „Contradictions eoonomiques" u n d a n die Formel, in d e r P E O U D H O N seine K r i t i k des Sondereigentums zusammenfaBte: „ L a propriete, c'est le v o l " — oin Aussprueh, i n d e m die langst entwickelte Lehre, daB d a s E i g e n t u m die Aneignung des ,,Mehrwerts" ermogliohe, ihre klassische P r a g u n g erhalten h a t . Allein w e n n M A E X P E O U D H O N fiir einen v e r k a p p t e n ,,Bourgeois" erklarte, so zeigt sich hierin n u r sein Unvcrmogen, einen nicht-klassenkampferischen Sozialisten richtig zu wiirdigen. U n d wenn man. P E O U D H O N S Bekampfung des Sondereigentums hervorhebt, so muB als mindestens so wichtig auch b e t o n t werden, daB er nicht eine Aufhebung, sondern n u r eine Verallgemeinerung des E i g e n t u m s erstrebte u n d daB er mindestens so sehr A n t i - K o m m u n i s t als Anti-Individualist gewesen ist. ,,La c o m m u n a u t e est encore le v o l ! " sagt er nachdrucklich a m E n d e seiner ,,Organisation d u Credit", , , E n t r e la propriete et la c o m m u n a u t e , je construirai t o u t u n m o n d e . " Einzig der N a m e , den er selbst sich m i t Stolz beilogte, trifft auf ilm z u : er ist Anarchist gewesen, i n wirtschaftlichen F r a g e n dagegen s t e h t er auf keinem der e x t r e m e n S t a n d p u n k t e , sondern auch er sucht eine versohnende Losung u n d g l a u b t sie i n seinem , ,mutualistischen" System zu besitzen. D u r e h eine T a u s o h b a n k hoffte er das Geld uberflussig, d e n K r e d i t uncntgeltlich u n d so Tausch u n d Preis wieder ,,gerecht" zu machen. D a s w a r freilich n i c h t n u r d a m a l s ein untaugliehes Heilmittel der sozialen N o t , sondern widerspricht auch noch h e u t e alien wirtschaftlichen Voraussetzungen u n d Moglichkeiten. J e d o c h ist der Anarchismus P E O U D H O N S v o m Schicksal dieses Planes i n seiner W i r k u n g nicht beeintrachtigt worden. I n S O E B L u n d seiner syndikalistischen Lehre h a t P E O U D H O N einen selbstiindig weiterbauenden Nachfolger gefunden, u n d d a v o n hier aus s t a r k e Beziehungen z u m Faszismus u n d MUSSOLINIS Mythosglauben hinuberfuhren, so k o m m t P E O U D H O N gerade i n unserer Gegenwart k a u m weniger lebendige B e d e u t u n g zu als seinem groBen, zeitlichen Gegenspieler. Anders im 19. J a h r h u n d e r t . Hier liegt es so, daB zwar die Ansichten u n d Forde1 Qu'est-ee que la propriete ? (Ter memoire 1840; Ilieme momoire 1841); Systeme des contradictions economiqucs ou philosophie de la misere, 2 vols., 1846 u. a.; Gesamtausgabe seiner Schriften, Paris 1868—1876. Seit 1923 erscheint, herausgegeben von BOUU-LE und MOYSSET, eine neue, um unveroffentlichte Schriften vermehrte Gesamtausgabe (bislier 6 fide.) — ein deutliches Zeichen des in unsern Textausfuhrungen begriindeten, neuerwachten Interesses an PROUDHO^.
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r u n g e n des rationalen Sozialismus langsam u n d methodisch v o n vielen Kopfen erarbeitet w e r d e n ; wie aber wissenscbaftliche Einzelleistungen vor Q U E S N A Y oder SMITH m i t der erfullenden Lehre a n Eigengewieht verlieren, wie n u r das B e s t a n d raid W i r k u n g u n d allgemeinere B e d e u t u n g h a t , was in ihrem System P l a t z u n d aus i h m Sinn fand, so sind alle franzosischen, alle englisohen, alle dcutschen rationalen Sozialisten i m gleiolien Augenblick n u r Stoff, bestenfalls Vorlaufer u n d Heifer, als der Sozialismus des 19. J a h r l i u n d e r t s sein endgiiltiges Gesioht erhalt durch KAEL
MABX1.
A n Selbstandigkeit des Gedankens, Sicherheit des Blicks u n d jener selbstvcrstandlichen Einfachheit des Bildes oder Sehemas, wie sie QTTESNAYS oder R i CARDOS GroBe ausmachen, weder an Q U B S N A Y noch an R I C A B D O , k a u m a n P B O U D H O N heranreichend, jedoch a n theoretischer Begabung alien ,,reinen" Okonomen vor u n d n a c h i h m ebenbiirtig, a n T a t s a c h e n k e n n t n i s u n d in Tatsachenforsehung alien iiberlegen, ein geborener Historiker u n d ein geborener Politiker, dazu ein geschulter Demagog, h a t M A B X (1818—1883) dureh die E i n o r d n u n g der Okonomik in eine A r t v o n Gesellschaftslehre, durch den Bruch m i t der naturgesetzliohen O r d n u n g , d u r c h die Begriindung eines ,,Naturgesetzes der B e w e g u n g " , zugleich dem Sozialismus eine uberokonomische B e d e u t u n g gesiehert u n d ihn als Antithese m i t dem Schicksal der ,,Bourgeoisie", des K a p i t a l i s m u s , des Individualismus, der ,,Klassik" verkniipft. Schiiler R I C A B D O S in der A r t der okonomisehen A b s t r a k t i o n h a t er den R e i c h t u m der kapitalistischen Gesellschaft als eine „ungeheure Warens a m m l u n g " , also meehanistiseh gesehen, iibersteigernder Vollender R I O A E D O S in der Zuruckfuhrung des Wertes auf die Arbeit h a t er — die scharfste Verneinung von Q U E S N A Y S N a t u r l e h r e — in der gesellschaftlich notwendigen Arbeit den einzigen Grund, die einzige Substanz des Wertes erblickt, h a t das SchluBglied zugefiigt, das zur ,,Quantifizierung", zur V e r t r c t b a r k e i t der Arbeit notig war, indem er „ A r b e i t " gleich „Arbeitszeit' : setzt, („Als W e r t e sind alle W a r e n n u r b e s t i m m t e MaBe festgeronnener Arbeitszeit"), u n d h a t so der meohanischen B e t a t i g u n g des Industriearbeiters, welcher der echte Sohopferadel mittelalterlichen H a n d w e r k s fehlt, das falsche SehopferbewuBtsein verliehen, das aus der Verweehslung v o n technischer E r z e u g u n g u n d sehcipferischer H e r v o r b r i n g u n g s t a m m t . Schiiler P . J . P E O U D H O N S in der Auflosung (nach heutiger Begriffswahl: Zurechnung) des W e r t e s in die sog. P r o d u k t i v i t a t s f a k t o r e n h a t er sich dessen These v o n der U n p r o d u k t i v i t a t v o n K a p i t a l u n d Boden a n sich, ohne Arbeitsaufwendung, zu eigen gemaeht, h a t auch seine Folger-ung angenommen, daB d e m n a e h G r u n d r e n t e u n d Profit sich als Aneignung eines Teils des Arbeitserzeugnisses kennzeichnen, u n d h a t auf diesem Boden seine groBartig infernalische Mehrwerttheorie errichtet — die Lehre, daB n u r an das variable, nicht a n das k o n s t a n t e K a p i t a l sich ein tatsachlicher Mehrwert kniipft, n u r die K o n k u r r o n z dem k o n s t a n t e n einen A n t e d zuwirft, daB die Aneignung der Differenz zwischen W e r t u n d L o h n (von denen der W e r t gleich der Arbeitsmenge ist, der L o h n sich aber n u r in der H o h e des zur R e p r o d u k t i o n der Arbeitskraft erforderlichen Minimums halt) die Existenz der K a p i t a l i s t e n begriindet, daB m i t h i n A u s b e u t u n g des Arbeiters v o n der einen, Aneignung des Mehrwerts von der a n d e r n Seite aus gesehen das eigentliche Kennzeichen der kapitalistischen, daher ihrem Wesen n a c h in zwei d a u e r n d feindlichen Parteien geschiedenen Wirtschaftsordnung darstellt. Schiiler Q U E S N A Y S in der Wiirdigung des Kreislaufs der Wirtschaft als des zentralen Problems der okonomisehen Theorie h a t er in unerbittlicher, R I C A E D O weit iiberlegener Ziihigkeit den ZirkulationsprozeB als Kreislauf der W a r e 1 Misere de la Philosophic, Eeponse a la philosophic de la misere des M. Proudhon, Bruxelles ct Paris 1847; Das Kapital, Kritik der politischen Okonomie, Bd. I, Hamburg 1867; Bd. II, ebenda 1885; Bd. I l l 1894; aus dem nachgelassenen Manuskript „Zur Kritik der politischen Okonomie": Theorien fiber den Mehrwert, hrsgeg. von KAUTSKY, 3 Bdc, Stuttgart 1905—1910 u. a. m. Zusammen mit FRIEDRICH ENG-ELS : Manifest der koramunistischen Partei, London 1848.
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verfolgt, h a t die verschiedenen Teile des klassisclien „ P r o f i t s " herausgearbeitet u n d bei d e r Besinnung auf die realen Voraussetzungen seiner Thesen eine wichtige, bis d a h i n tibersehene Arbeitstatsache gefunden: die industrielle Reservearmee, u n d eine irreale, auf keine Wirklichkeit gegriindete H y p o t h e s e a u s d e r Notwendigkeit seines Systems horaus h i n z u g e d a o h t : die Durchschnittsprofitrate. J e d e d e r gen a n n t e n Theorien ware fiir sicb. allein ausreiohend, u m M A B X einen bleibenden P l a t z in d e r okonomischen Dogmengeschichte z u sichern — aber alle z u s a m m e n , auch v e r m e h r t u m die hier nicht z u sohildernde Fiille v o n Einzelbeobachtungen u n d -thesen (Kapitalbegriff, Krisenlehre usw.) — alle z u s a m m e n reiehen nicht b i n , u m z u erklaren, wie er z u einer d e r wichtigsten geistigen u n d politischen Machte des 19. J a h r h u n d e r t s h a t werden konnen. Z u d e m : alle bisher g e n a n n t e n Lehren k o n n t e n auch v o n einem E n g l a n d e r oder Franzosen gefunden werden — nicht zufallig aber ist d e r Marxismus eine deutsche Lehre, die n u r in D e u t s c h l a n d eine groBe Gefolgschaft gefunden h a t . N i c h t u m gegnerische Meinungen z u bekampfen, sondern u m die vergangene, die gegenwartige u n d die kiinftige Stellung MAExens richtig z u verstehen, i s t es notwendig, die Griinde d e r gewaltigen W i r k u n g des MABXschen Werkes n a h e r zu beleuchten. D e m E n g l a n d e r sind sie d e r a r t unfaBlich, daB d o r t h e u t e e r k l a r t w i r d : „der marxistisehe Sozialismus wird immer eine crux in d e r Geschichte d e r Lehrmeinungen bleiben — wie es moglich sein k o n n t e , daB eine so unlogische u n d so langweilige Lehre einen so machtigen u n d d a u e r n d e n EinfluB auf d e n Geist der Menschen u n d durch i h n auf d e n Gang d e r Geschichte auszuiiben v e r m o c h t e " ( K E Y N E S ) . D e r Franzose h a t nicht eben m e h r Verstandnis, doch i n d e r Zeit des Chauvinismus einen einleuchtenden G r u n d : , , u n d e ces accaparements germaniq u e s " , d. h. die Deutschen h a b e n hier, wie m a n es bei ihnen gewohnt ist, G e d a n k e n u n d Gebiete andrer N a t i o n e n u n d Zeiten rauberisch usurpiert ( G O N N A B D ) . Aber auch i n Deutschland selbst ist die Einsicht in die geschichtliche GroBe des Marxismus h e u t e infolge d e r Diirftigkeit seiner gegenwartigen politischen Vertreter i m Schwinden. K e i n Zweifel k a n n sein, daB die Wehrlosigkeit d e r akademischen Volkswirtschaftslehre gegeniiber d e m Marxismus m i t R e c h t ,,auf die vollige Theorielosigkeit d e r jiingeren historischen S c h u l e " zuriickgefuhrt wird ( S P A N N ) . Aber w a s den Geschichtsschreiber d e r Volkswirtschaftslehre angeht, sind nicht die besser oder schlechter b e s t a n d e n e n akademischen Mensuren (wobei d a r a n e r i n n e r t sei, daB weder QITESNAY einen okonomischen L e h r s t u h l einnahm, noch R I C A E D O , noch J O H N S T I J A B T M I L L , weder A D A M M U L L E E n o c h T H U N E N n o c h R O D B E B T U S ,
weder
L I S T noch M A B X noch L E N I N . . .), sondern ist die B e d e u t u n g eines Werkes i n sich u n d seiner Zeit, u n d daB diese gerade bei M A B X ein weltgeschichtliches AusmaB h a t t e , m a g d e n Gegner oder d e n Nachgeborenen erstaunen, muB aber z u n a c h s t einmal als T a t s a c h e a n e r k a n n t u n d auf die tiefsten Ursachen zuriickgefuhrt werden, wenn jemals eine U b e r w i n d u n g moglich sein soil. Dreierlei ist hierzu z u sagen: Z u n a c h s t ist nochmals zu betonen, daB n u r die m a n g e l n d e F o r m u n g s - u n d D a r stellungskraft des 19. J a h r h u n d e r t s die Meinung hegen k o n n t e , es besage irgend etwas iiber oder gegen ein Werk, w e n n einzelne G e d a n k e n schon friiher geauBert w u r d o n ; diese gauze Originalitatssucht u n d -sclmiiffelei ist beschamender A u s d r u c k einer wissenschaftlichen Epigonenzeit, die, selbst gestaltungsarm, auch des Sinnes fiir das gestaltete W e r k i n der Geschichte ermangelte u n d die, selbst unschopferisch, das echte Schopfertum i n eine S u m m e v o n Beziehungen u n d E n t l e h u n g e n aufzulosen suchte. I n Wirklichkeit ware es ein E i n w a n d gegen M A B X , w e n n seine rationale Theorie die a r t v e r w a n d t e n Q.UESNAY u n d R I O A E D O iiberginge, d. h . n a c h h e u t e iiblicher Weise ,,totschwiege", aber es i s t kein E i n w a n d , sondern ein Beweis baumeisterlicher Fiihigkeit, wenn er die i h m b e k a n n t e n u n d stets v o n i h m gen a n n t e n Vorlaufer a m rechten O r t z u s t i m m e n d u n d bekiimpfend einbezieht. S o d a n n ist die theoretische Uberlegenheit des ,,unlogischen" Marxismus gegeniiber d e r
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Klassik hervorzuheben. Darunter ist liier nicht zu verstehen die auBerordentliche Starke dor Denkschulung, die ihm eignet; diese ist gewiB niclit zu iiberselien, sie ist es, die den deutschen und russischen Marxisten bis zur Gegenwart eine auffallende Diskussionskraft vermittelt hat — aber sie ist kein Eigenwert, und zudem hat in England das RiCABDO-Studimn kerne geringere Durchbildung ermoglicht. Es ist auoh nicht darunter eine hohere Richtigkeit einzelner MABXscher ,,Dogmen" zu begreifen; die Theorie der Durchsohnittsprofitrate ist falsch, und die Arbeitswertlehre wird auoh dann nioht richtig, wenn man den ersten Band des ,,Kapitals" als dialektische Vorstufe zur Lehre des dritten Bandes betrachtet. Indessen: trotzdem besteht eine Uberlegenheit MABXens fiber die Klassik, insol'ern als das Wirtschaftsscheina des ,,Kapitals" einen Vorzug geschiehtlieher A n s c h a u u n g vor der RiCABDianischen Konstruktion besitzt. Gerade MABXens Lehre vermag zu zeigen, wie viele Stufen zwisehen der reinen Rational- und der reinen Anschauungstheorie liegen; denn auch MABX maeht eine wesentliche Abstraktion der befehdeten Bourgeois-Okonomie mit, auch er abstrahiert vom Staat, auch er sieht die Wirtschaft nur als „gesellschaftliche" Erscheinung, und auf der andern Seite bringt er doch gegeniiber der falsehen Harmonievorstellung der Klassik die geschichtlich riohtige Erkenntnis in sein Schema hinoin, daB die Wirtschaft seiner Zeit gerade umgekehrt durch Kampf und Ausbeutung gekennzeichnot ist. Es ist Selbstbetrug, wenn demgegemiber immer wieder einzelne widersprechende Tatsachen herausgestellt werden; denn die MARXsche These ist, trotz ihrer unhaltbaren Fassung als Lehre vom schon Jahrtausende wahrenden Klassenkampf, in ihrer geschichtlichen Gultigkeit fur mehrere Jahrzehnte des Hochkapitalismus gar nicht zu bestreiten, und gar zu uberwinden ist sie nicht durch kiinstliche Umdeutung eines bestehenden Sachverhaltes, sondern nur von einem Standpunkt jenseits ,,Klassik" u n d Sozialismus. Nur wer das Recht und die Kraft hat, zu verkiinden: ,,die ,Ausbeutung' gehort nicht einer verderbten oder unvollkommenen und primitiven Gesellschaft an: sie gehort ins W e s e n des Lebendigen" (NIETZSCHE) — nur der vermag den tiefsten Trug des Marxismus aufzuweisen: daB er zwar den Harmoniewahn der Klassik fur die Gegenwart zerstort, dafiir aber den gleichen Wahn in die Zukunft versetzt — als ob die fluchbeladene Leere des modernen Lebens ein Ende nahme, wenn die Guterverteilung „sozialistisch" statt ,,burgerlich" geregclt ware. Aber auch und gerade wer auf diesem Standpunkt steht, vermag das Positive der MABXschen Leistung zu wiirdigen. Selbst wenn sich in den Forschungen der englischen Wirtschaftshistoriker heute ergibt, daB ENGELS und ihm folgend MABX die Lage der arbeitenden Klassen in England im ganzen zu ungunstig gesehen haben, so war es eine, wenn auch teilhafte, doch unbestreitbare Wahrheit, daB die kapitalistische Wirtschaftsgesellschaft nicht eine harmonische Abgestimmtheit ihrer Teile sicherte, sondern die riicksichtslose Ausnutzung der Schwacheren vorewigte; daB nicht jeder einzelne mit gleichen Rechten und gleichen Aussichten in den wirtschaftlichen Wettbewerb eintrat, sondern daB der Besitzer der Produktionsmittcl ein dauernd wachsendes Ubergewicht iiber den Arbeiter besaB, der nichts als seine Arbeitskraft anzubieten hatte und der damals noch wenig von den Moglichkeiten einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch ZusammenschluB ahnte. Dieser geschichtlich wahre Kern der marxistischen Lehre muBte ihr im Proletariat, das sich nicht nur von den wirtschaftlichen ,,Chancen", sondern auch von den politischen Rechten des Burgertums ausgeschlossen sah, einen auBerordentlichen Widerhall verschaffen, und dieses Echo muBte um so starker dort sein, wo noch personliche, unbiirgerliche Aul'opferungsfahigkeit in solcher Starke vorhanden war, daB die Menschen sich und ihr Leben fur den letzten Abglanz einer Idee zu opfern bereit waren; darum war in Frankreich und England, wo die kleinbiirgerliche Gesinnung langst auch die Masse ergriffen hatte, die Erfolgsaussicht des Marxismus gering. darum land er in Deutschland
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Gesehichte.
und spater in RuBland Bekenner, Martyrer und eine von Jahr zu Jahr wachsende Anhangerschaf t. SchlieBlich ist nooh ein dritter Grund zu nennen, der fur die deutsche Wirkung des Marxismus entsoheidend wurde und dessen Gewicht gerade heute nicht geleugnet werden darf: sein deutscher Ursprung. Es ist in Deutschland, seit man, allzu spat, die staatsauflosende Folge des Marxismus klar erkennt, politisch und wissenschaftlich guter Ton geworden, die ganze Lehre als ,,undeutseh" zu erklaren — ein verhangnisvoller Trug, der nielits von dem tiefsten Gesetz alles Lebendigen weiB, das seinen gefahrlichsten Feind meist in sieh selbst findet, aus sich selbst erzeugt — eine Irrmeinung, die sich die Erklarung der Vergangenheit allzu leicht macht und die eingeborenen Kriifte des Gegners unterschatzt. In Wirkliolikeit ist es eine deutsche Not, dor der Marxismus zu begegnen sueht, und es sind Grundgedanken des deutschen Geisteslebens, zumal der deutsehen Philosophie, aus denen er seine Lehre aufbaut. In Deutschland, wo im alten Kernland des Pietismus, im Wuppertal, die kommunistisohe Bewegung bereits eine starke Machtstellung errungen hatte, sehrieb 1846 HBINZEN von den Aposteln des Kommunismus, „denen vielleioht der Messias nachfolgen wird" — in Deutschland allein war in den vierziger Jahren auch in den oberen Schichten der Gesellschaft eine Stimmung verbreitet, nicht unahnlich derjenigen, welche in Frankreich der Revolution von 1789 voranging: Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, unruhiges Suchennach neuenFormen, Bildern und Ideen. Es wiederholt sich das alte deutsche Schicksal: die Deutschen bewahren „am langsten die alten Formen, um dann plotzlich, fast eruptiv, vom auBersten Gedanken zur auBersten Tat zu springen". Der Kommunismus, seit dem Blutbad von Miinster durch Jahrhunderte verstummt, setzt nun in Deutschland zum Sprung an, um diese ganze Welt von Eigenturn und Eigennutz in einem groBen Schlage zu zerschmettern. Aber nicht nur in seinem blindenZu-Ende-Denken, in seinem hartnackigen, durch die Zertriimmerung aller langgeglaubten Werte nicht gehemmten Kampfen erweist der Marxismus sich als deutsch, eroffnet sich die richtige Sicht der inneren Zusammengehorigkeit LTTTHEBS und MABXens, des Protestanten gegen die Welt der Kirche und des Protestlers gegen die Welt des Burgertums, und zeigt sich die Bedoutung der Tatsache, daB es „seit LUTHBB erst glaubensbewuBte Protestanten seit MABX erst klassenbewuBte Proletarier" gab (WOLTBBS); sondern auch der unmittelbare geistige Ursprung des Marxismus ist wesentlich deutscher Natur. Zwar ist — wir sahen es — die theoretische Grundlage MABX ens im wesentlichen anglo-franzosisch; zwar ist der ,,Kapitalismus", den er zergliedert, im wesentlichen die englische Wirtschaft der Jahrhundertmitte. Aber deutsch ist die „Dialektik" und deutsch in erheblichem MaBe auch der internationale Charakter seiner Lehre — deutsch daher gerade die beiden Elemente, die aus dem Marxismus statt einer wirtschaftlichen Theorie eine ,,Weltanschauung" machten. Nur auf dem Boden der Philosophie des deutschen Idealismus, nur infolge ihrer weiten Entfernung. von der Wirklichkeit ihrer Zeit und der Stofflichkeit des Lebens war jener krasse Umschlag in den Materialismus moglich, den FEUBBBACH begriiudete, MABX nutzte. Nur mit — oberflachlich angewandter — HECELscher Dialcktik lieB sich an die Stelle franzosisch-mystischer Fortschrittskonstruktionen eine Entwicklungsreihe setzen, die als der eherne Gang des Weltenschicksals und der Weltvernunft erschien. Nur in Deutschland, wo ,,aktiver wie passiver weltbiirgerlicher Sinn" als das auszeichnende Merkmal der Nation betrachtet wurde (so KNIBS noch 1853), konnte die letzte Gegenspiegelung des Kosmopolitismus, die Internationale, nicht nur als michterne Forderung des Verstandes erhoben, sondern auch als schoner Traum der Seele empfunden werden. Nur hier war der Boden vorhanden, um deutschen Kosmopolitismus und christlich-judischen Internationalismus zu einem Massenglauben zu verschmelzen. KABL MABX, der rheinische Jude, der Schiller HEGELS
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und FETTERBACHS, der Brbe prophetischen und philosophisohen Gutes, hat in Charakter und Sohicksal die ganzen, noch im Gegensatz verwandten Anlagen und Richtungen besessen und auigenommen. Aus der Verschmelzung des deutschen Idealismus mit jiidischem Intellektualismus und ohristlich-jiidischem Messianismus erklart sich das machtigste, zerstorendste Pamphlet des 19. Jalirhunderts: das kommunistische Manifest. Fuhrt man diesen Kampfruf auf seine letzten Thesen zuriick, so bleiben nur drei einfaohe Glaubenssatze ubrig. „Alle Geschichte ist die Geschichte von Klassenkampfen", „der Kampf zwisohen Bourgeoisie und Arbeitersehaft ist der letzte", ,,mit dem geschichtsnotwendigen Sieg des vierten Standes beginnt die klassenlose Gesellsehaft, derZukunftsstaat". Aber eben diese drei Satze, die vor jedem echten Glauben, jedem Wissen, jeder Geschichtskenntnis in Niohts verschwinden, waren in ihrer Einfachheit bestechend fiir jene Zeit oder konnten zumindest nioht schliissig widerlegt werden von ihr, die selbst naoh Naturgesetzen des Fortschritts suohte, die selbst im Wirtschaftlichen aufging und darum selbst nieht weit davon entfemt war, die platonisehe Idee mit dem rationalen Begriff oder der politisehen Ideologic zu verwechseln. So hebt mit dem kommunistischen Manifest in Deutschland eine Ara an, in der die Okonomik als messianisehe VerheiBung eines neuen, ,,wissensohaftlich" ,,bewiesenen" Gesellsehaftszustandes den Sinn der Welt zu kiinden und ihr Sohicksal zu sein scheint, in der der Marxismus — fiir seine Anhanger ein Evangelium. und daher sicherer gegriindet, als dafi ihn ,,wissenschaftliche"Kritik hatte zerstoren konnen — zugleieh den Platz der okonomischen Lehre, der Philosophic der Geschichte, ja des Glaubens usurpicrt und unwissentlich unterstutzt durch das sozialreformerische Fiihlen auch seiner wissenschaftlichen Gegner zu ausgedehnter Wirkung im Gesamtkreis deutscher Okonomik und deutscher Politik gelangt. ,,Proletarier aller Lander vereinigt euch", in diesen Worten klingt der Aufnif znr kommunistischen Revolution aus, von der das Manifest verheiBt: ,,Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen." Die verschiedenen Arbeiter-Internationalen, die seither gegriindet wurden, haben den Beweis erbracht, daB tatsachlich in alien Landern Proletarier leben, die die international Gleichheit des Schicksals als starkere Einung denn die nationale Bluts- und Geistverbundenheit empfinden; ihr letzter Zusammenbruch im Weltkrieg hat jedoch mit gleicher Deutlichkeit gezeigt, daB noch immer in der Stunde der Gefahr die gewachsene Einheit von Staat und Nation ihre iiberlegene Macht gegeniiber der Internationale der Arbeit wie des Kapitals, den gemachten Vereinigungen gleicher Interessen, bcsitzt und betatigt. Was aber in solchen Augenblicken der Entscheidung sich mit sinnbildlicher Klarheit offenbart, ist verborgen wirksam auch in den. langen Zwischenzeiten; wie trotz des Glaubens der friihen Christenheit, daB in den Christen ein neues Volk der Erde erwiichse, dennoch die Nationen nicht untergingen, sondern eine jede ihr Christentum verschieden pragte, so behalt auch trotz und in der Internationale der Sozialismus jedes Landes seine verschiedene, nationale Fiirbung. In England, wo der vormarxistische Sozialismus von ROBEBT OWEN und selbst der Chartismus, der, im gleiohen Jahre 1838 wie die Liga von Manchester, sein Programm einer ,,People's Charter" veroffentlichte, in Wirklichkeit mehr radikalen Liberalismus als kommunistischen Sozialismus vertrat, ist auch durch die Einwirkung des Marxismus der antiburgerliche Zug der Arbeiterbewegung nicht wesentlich verstarkt worden — hier war das allgemeine Staatsgefuhl und die gesellschaftliche Bindung so stark, daB wie im. Rom der Kaiserzeit und in der Kirche des 16. Jahrhunderts trotz voller Anerkennung aller Individualismen die Aufrechterhaltung des Staats- und Gesellschaftsgefuges gelang. In Erankreich waren die geistigen Eiihrer des urspriinglieh franzosischen Syndikalismus bedeutender als die politisehen Fiihrer des franzosierten Marxismus.
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Geschiehte.
I n Deutschland s t a r b eines friihen Todes d e r einzige, welcher der staatauflosenden, internationalistisch-materialistischeii Lehre M A E X ens einen staatlich gebundenen, nationalpolitischen u n d idealistischen Sozialismus h a t t e entgegensetzen konnen, F E R D I N A N D L A S S A L L E 1 (1825—1864), d e r Begriinder des Allgemeinen D e u t s c h e n Arbeitervereins, der i n Produktivassoziationen d e r Arbeiter m i t S t a a t s k r e d i t die Arbeiter sclbst zu Unternelimern m a c h e n u n d sie so d e n Verelendungsfolgen des „ e h o r n e n Lohngesetzes" entreifien wollte, so daB fur d e n Marxismus d a s F e l d frei scbien zu schopferischer B e t a t i g u n g . Abcr d e r dogmatische C h a r a k t e r seiner Lehre v e r d a m m t e seine A n h a n g e r zu apologetischer Auslegung d e r Grundungsschriften — jede genauere U n t e r s u c h u n g des Umbildungsprozesses d e r Gesellschaft oder d e r Vergesellschaftung der P r o d u k t i o n s m i t t e l h a t t e d e n Widerspruch zwischen ,,Spekulation u n d W i r k l i c h k e i t " aufdecken miissen. E r s t d a n n w a r eine Weiterbildung moglich, w e n n m a n sioh entschloB, stattMAEXens Ergebnisse zu versteinern, in A r t u n d Verfahren i h m nachzufolgen — die neue Wirtsohaft n e u zu analysieren u n d sie m i t ihr entsprechenden Theorien zu ergreifen. Diesen Schritt h a t , so sehr einzelne Osterreicher ( B A U E B , R E N N E B , H I L F E E D I N G ) seine Notwendigkeit e r k a n n t e n , so sehr v o n a n d e r m geistigen Boden a u s P L E N G E i h n f o r d e r t e u n d begriindete, so wichtig R O S A LUXEMBTJEGS , , A k k u m u l a t i o n des K a p i t a l s " u n d H I L F E R D I N G S ,,Fi-
n a n z k a p i t a l " als E r g a n z u n g derMAEXsohen Lehre v o m I n d u s t r i e k a p i t a l i m einzelnen ist, dennoch d e r deutsche Marxismus als Ganzes niemals gewagt — d e r ,,Revisionism™" 2 blieb allezeit i m n a h e n B u n d m i t d e r v o n KATTTSKY gefiihrten MAEX-Orthodoxie. D e r G r u n d ist gewiB n i c h t einzig im. D o g m a t i s m u s zu suchen u n d auch n i c h t darin, daB die deutsche Sozialdemokratie, wie i h r die Bolschewisten vorwarfen, allmahlich verbiirgerlichte — obwohl es zutrifft u n d g a r n i c h t ausbleiben k o n n t e , daB eine d e r a r t auf wirtschaftliche Giiter ausgerichtete Bewegung a n Schwung verlor, sobald d e r allgemeine wirtschaftliche Auftrieb u n d die besondere Sozialpolitik d e r wilhelminischen Zeit die wirtschaftliche Lage des Arbeiters wesentlich verbesserte. Wichtiger war, daB, w a h r e n d MAExens kommunistisches Manifest alio revolutionaren I n s t i n k t e d e r Masse aufrief, gleichzeitig seine „materialistische Geschichtsauffassung" die evolutionaren E l e m e n t e stiitzte. W e n n M A E X l e h r t e , ,,die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt d e n sozialen, politischen u n d geistigen LebensprozeB i i b e r h a u p t " 3 , w e n n er S t a a t u n d K u l t u r n u r als einen U b e r b a u iiber die Produktionsverhaltnisse verstand, wenn er d e r Ansicht w a r , daB ,,das gesellschaftliche Sein der Menschen" ihr BewuBtsein b e s t i m m t , so k o n n t e d a r a u s die quietistische Eolgerung gczogen werden, daB w e n n erst d e r ,,notige Reifez u s t a n d " erreicht sei, d a n n a u c h die U m w a n d l u n g des U b e r b a u s sich v o n selbst vollziohen werde. E s m a c h t M A E X ens politische GroBe a u s , daB er n i c h t auf diesen naturgesetzlichen Ablauf w a r t e t e , sondern dafi er d a s KlassenbewuBtsein d e r Arbeiterschaft selbst schuf. Seine deutschen A n h a n g e r hielten sich m e h r a n seine naturwissenschaftliche Theorie als a n seine politische T a t , u n d d a r u m ging die ganze S a a t seines Lebens u n d seiner Lehre erst d a n n i n verderbenbringender Weise auf, als eine R e i h e echter Politiker n i c h t n u r die Weiterbildung d e r D o k t r i n u b e r n a h m e n , sondern sich auch als Nachfolgor seines politischen Beispiels b e t a t i g t e n . ,,Es i s t gewiB a n g e n e h m e r u n d mitzlicher, die ,Erfahrungen d e r R e v o l u t i o n e n ' d u r c h z u m a c h e n , als iiber sie zu s c h r e i b e n " — diese W o r t e , m i t d e n e n L E N I N die Nachschrift zu , , S t a a t u n d R e v o l u t i o n " 4 abschlieBt, bezeichnen d e n ganzen U n t e r 1 Gesamtwerke in 5 Banden, ed. BLUM, Leipzig; Nachgclassene Briefe und Schriften, ed. G. MAYKB, 6 Bande, Stuttgart 1921—1925. 2 Hauptschrift: BERNSTEIN", Die Voraussetzungen des Sozialismus. Stuttgart 1899. 3 Zur Kritik der politischen Okonomie, 3, Stuttgart 1909, S. LV. 4 Staat und Revolution. Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution. Belp-Bern 1918. — Eine Gesamtausgabe der Werke LENTNS ist im Erscheinen.
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sehied des handelnden russischen Bolschewismus vom redenden deutsohen Marxismus der zweiten Generation. Und das ganze Werk, dessen Nichtvollendung diese Worte zu erklaren bostimmt sind, atmet diesen revolutionaren Geist des Taters, obwohl die Form der Exegese, der Auslegung der MARXschen Bibel fiir den Bolschewisten nicht weniger verpflichtend gilt als fiir die Marxisten. Das theoretisch Bedeutsame hierbei ist die Hinwendung von der Wirtschaft zum Staat. Trotzdem es iiberall Ausspriiche von MARX und ENGELS sind, deren LENIN sieh bedient, ist doeh hier zuerst der Versuch einer Gesamtanalyse des sozialistischen Staats oder Nicht-Staats unternommen. ENGELS' Wort, daB die Gesellschaft die Staats masohine ins Museum der Altertiimer neben das Spinnrad und die bronzene Axt versetzen wird, erhalt unmittelbar revolutionare Macht durch die Zusammenstelhmg mit MAKX ens Glauben, daB die Gewalt die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht. Und an die Stelle des alten Staats „mit seinem spezifisehen Kommandieren der Staatsbeamten" setzt LENIN das Bild einer neuen Gesellschaft, in der ,,sofort, auf der Stelle, von heute auf morgen" nur noch „die einfachen Eunktionen von ,Aufsehern und Buchhaltern'" notwendig bleiben, ,,Funktionen, die dem Bildungsniveau jedes houtigen Stadtmenschen zugangfich und fiir einen ,Arbeiterlohn' durchaiis erfiillbar sind" (p. 74). Den Weg aber vom Staat der Gegenwart zur Gesellschaft der Zukunft fiihrt nicht die biirgerliche Demokratie, sondern nur die ,,Diktatur des Proletariats". Es ist hier nicht davon zu sprechen, in welcher Weise der Bolschewismus diese MAEX-LENiNsche Theorie in LENIN-TROTZKische Praxis umgesetzt hat. Nur sei gegeniiber der verbreiteten Annahme, daB der Bolschewismus ,,unrussisch, ja antirussisch" ist (SOMBART), darauf hingewiesen, daB seine Starke in der heutigen Welt und seine unleugbare geistige Verfuhrimgsmacht auf zwei Tatsachen beruht. Zunachst: Gegeniiber der Phrasenhaftigkeit der ,,biirgerlichen" Politik und Theorie der Weststaaten hat der Bolschewismus den Vorzug der Offenheit. Kein geistiger Mensch wird ohne Grausen LENINS Zukunftsbild: ,,Die gesamte Gesellschaft wird eine einzige Eabrik und ein einziges Bureau sein mit gleicher Arbeit und gleicher Bezahhmg fiir alle" (p. 155), und die russische Wirklichkeit von heute betrachten konnen. Aber in einer Welt, die von wirtschaftlichen und politischen Idealen spricht und Profit und Unterdriickung meint, vermag die materialistische Cfeschicbtsauffassung einen erschreckend groBen Teil der tatsachlichen Vorgange zu iiberdecken und nur allzu viele sogenannte Ideale als schlecht maskierten Uberbau von Kapitalinteressen zu entlarven. Dazu die zweite Quelle derMacht des Bolschewismus: seine tiefe Verwurzelung in national-russischen Masseninstinkten und der nationale Charakter LENINS, seines internationalen Eiihrers. Mit vollendetem geschichtliohen Takt hat TROTZKI einen wichtigen Unterschied zwischen Marxismus und Bolschewismus darin gesehen, daB ,,die fiihrenden Personlichkeiten der deutschen Arbeiterklasse mit ihren Wurzeln nicht in das Dorf zuriickreichen, sondern in das ziinftige Handwerk und die komplizierte stadtische Kultur des Mittelalters". LENIN aber bedeutet dem Russen eine Widerspiegelung der Arbeiterklasse .,nicht nur in ihrer politischen Gegenwart, sondern auch in ihrer nooh so ganz frischen bauerlichen Vergangenheit", er ist fiir ihn echteste Verkorperung russischen Wesens, ,,mit der dem Revolutionar unentbehrlichen Unbeirrbarkeit Peters des GroBen" (GORKI).
In diesem nationalen Element, nicht in der politischen Form des Bolschewismus erblicken wir den letzten Grund, aus dem seine geistige Einwirkung im deutsohen Marxismus so gering war, aus dem er hier weniger eine Wiederbelebung erreichte als die Zersetzung beschleunigte. Die nachsten Jahrzehnte werden lehren, ob aus dieser Krise noch einmal ein neuer, nicht-marxistischer Sozialismus hervorgeht, wie es gegenwartig durch die Bewegung des ,,religiosen Sozialismus" den Anschein hat, oder ob die Zeit schon dafiir reif ist, jenseits des alten Gegensatzes von Libe-
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Geschichte.
ralismus u n d Sozialismus, von K a p i t a l u n d A r b e i t u n d u n t e r Aufgabe des Walines vom naturgesetzlichen E o r t s c h r i t t zu dom Zerfallgebilde der Gesellschaft der „Gleic h e n " , aus lebendiger Gemeinschaft der B e s t e n d e n n e u e n , herrschenden S t a a t u n d die neue, dienende W i r t s c h a f t zu formen u n d zu stiitzen. S c h r i f t e n : L. v. STEIN, Dor Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreieh (Leipzig 1842; 2. umgearb. Aufl. in 2 Bdn., ibd. 1848); L. v. STEIN, Geschichto der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsero Tage (3 Bdc, Leipzig 1850); DIETZBL, Beitrage zur Geschichte des Sozialismus und des Kommunismus (Vierteljahrssehrift fur Staats- u. Volksw. 1893 und 1895; neu hrsg. in PLENGES Staatswissenschaftlichen Musterbiichern II); SOMBART, Sozialismus und soziale Bewegung (Jena 1896; 10. neubearbeitete Aufl. unter dem Titel „Der proletarische Sozialismus [Marxismus]", 2 Bde., Jena 1924). — Zum „utopistischen" Sozialismus : WOLTEKS, Studien iiber Agrarzustande und Agrarprobleme in Frankreich von 1700 bis 1790 (Leipzig 1905); GIRSBERGER, Der utopische Sozialismus des 18. Jahrhunderts in Frankreich und seine philosophischen und materiellen Grundlagen (Zurich 1924). — Zu ST. SIMON: MITCKLE, Henri do St. Simon (Jena 1908); PLENGE, Die erste Anlagebank. Griindung und Geschichte des Credit Mobilier (Tubingen 1903; neu hggb. als Staatsw. Musterbuch VI). — Zu PROUDHON: DIEHL, P. J. Proudhon, seine Lehre und sein Lebcn (3 Abt., Jena 1888—1896); MULBEEOEE, P. J. Proudhon, Leben und Werke (Stuttgart 1898). —Zu MARX: Eine umfassende MARX-Biographie fehlt; das fruhcrc Schrifttum ist verzeichnet bei STAMMHAMMER, Bibliograpbie des Sozialismus und Kommunismus, Jena 1893ff., und bei SOMBART O. c. — Zur philosophischen Einfiibrung: PLENGE, Marx und Hegel (Tubingen 1911) und HAMMACHER, Das philosophischokonomische System des Marxismus (Leipzig 1909). — Zur gcistigen Auseinandersetzung: WOLTERS, Von der Herkunft und Bedeutung des Marxismus (GoTHEiN-Festschrift, Munchen 1925); F R . LENZ, Staat und Marxismus. Grundlegung und Kritik der marxistischen Gesellschaftslehre (Stuttgart 1921). — Zur okonomisch-theoretischen Einfiihrung: KAUTSKY, Karl Marx' okonomische Lehren (Stuttgart, Internationale Bibliothek Bd. 2) und WILBRANJJT, Karl Marx. Versuch einer Wiirdigung (Leipzig 1920).
b) D e r
Histjorismus.
I n der gleichen Zeit, in der der Aufsticg u n d die Zersetzung des Marxismus sioh vollzog, gelangte innerhalb jener Okonomik, die M A E X als Vulgarokonomik miBaebtet h a t t e , t r o t z aller professoralen Bediiebtigkeit ihrer wiobtigsten Vertreter, t r o t z ein J a b r b u n d e r t w a h r e n d e r Irrwege, in D e u t s c b l a n d cine B,icbtung zur Ausbildung u n d zeitweise zur Herrsehaft, die a n d e m Tag, da m i t d e m Marxismus der letzte Auslaufer der Klassik z u s a m m e n b r a c b , die F u n d a m e n t e eines eigenen Lehrgebaudes b e r e i t e t h a t t e : der Historismus. I n d e n t wir seine E n t w i c k l u n g verfolgen, b e t r e t e n wir jenes Gebiet, auf dem die s t a r k s t e deutsche Leistung der Vergangenheit u n d die wichtigste Aufgabe d e r Zukunft liegt: die A r b e i t a n Geschichte u n d Theorie d e r d e u t s c h e n u n d aller n a t i o n a l e n Volkswirtscbaft, a n E n t d e c k u n g u n d Darstellung einer ecbten Volkswirtschaftslehre. Als S M I T H ' ,,Wealth of N a t i o n s " in m e h r e r e n tjbersetzungon n a c h D e u t s c h l a n d d r a n g , als S A Y S T r a i t e d u r c h MOBSTADT u n t e r begeisterten E m p f e h l u n g e n d e m deutschen P u b l i k u m d a r g e b o t e n w u r d e , war eine aufiere W i r k u n g zu verzeichnen, die der englisch-franzosischen in nichts n a c h s t a n d ; die K a m e r a l i s t i k war, so bedeut e n d J U S T I S E i n a n z t r a k t a t in vielen Einzelheitcn ist, so rein das Wirtschaftssystem des P a t r i m o n i a l s t a a t s in S O N N E N F E L S ' Schriften sich spiegelt, im wesentlichen Verwaltungslehre, der P h y s i o k r a t i s m u s h a t t e wenig Eindruok g e m a c b t , eine Wirtschaftslehre als solche gab es bisher n i c h t . T r o t z d e m ist von den sogenannten d e u t s c h e n Smithianern n i c h t eine wirkliche Leistung v o n bleibender B e d e u t u n g zu verzeichnen. E u r die Eolgezeit wichtig w u r d e n u r der Ausgleich, den RATI (1792—1870) zwischen der deutschen u n d d e r fremden L e h r e f a n d : i n d e m er die anglo-franzosische Theorie als gesonderten Zweig der Wirtschaftswissenschaft a n e r k a n n t e , d a n e b e n aber d a s R e c h t der a l t e n K a m e r a l i s t i k w a h r t e , h a t er ( v i e l l e i c h t i n a u f i e r e r A n l e h n u n g a n S A Y ) jene deutsche T r e n n u n g v o n theoretischer u n d praktischer Volkswirtschaftslehre geschaffen, die — n i c h t i m m e r z u m Heil — d u r c h ein J a h r h u n d e r t B e s t a n d h a t t e . U n d neben beiden h a t er jene Wissenschaft, die bis d a h i n in E i n z e l t r a k t a t e n v o n
Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft. Historikern u n d Politikern d e m Gang des K a p i t a l i s m u s gefolgt
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G U E T T I , B O D I N , P E T T Y - L O C K E ) , d i e d a n n d u r c h S M I T H u n d E I O A E D O in d e n R a h m e n
der allgemeinen Wirtschaftslehre hineingezogen w a r , die Finanzwissenschaft als Sonderwissenschaft begriindet — freilich aueh hier, ohne i h r eigenes, leitendes Prinzip z u finden, d a h e r n u r d e r Wegbereiter fur A D O L P H W A G N E B 1 u n d GASTON JEZE2.
M c h t die aufklarorischen E l e m e n t e d e r Klassik s t a n d e n ihrer frucbtenden W i r k u n g i n D e u t s c b l a n d entgegen — selbst innerhalb d e r Okonomik b a t t e n gerade J U S T I u n d S O N N E N E E L S bewiesen, daB sioh d e r Geist d e r Aufklarung sebr wohl m i t detitschem Geist vercincn k o n n t e , u n d H A L L E B S , d e s Aufklarers, iibliehe Einr e i b u n g i n die R o m a n t i k , v o n d e r er n u r das Gewand geborgt b a t , zeigt, daB a u c b ira K r e i s des ocbten K o n s e r v a t i s m u s d i e Aufklarung u n v e r m e r k t E i n g a n g fand. F r e m d aber w a r u n d blieb d e m d e u t s c b e n Wesen die philosophische E i n b e t t u n g der Klassik, i h r I n d i v i d u a l i s m u s u n d z u m a l i b r U t i l i t a r i s m u s . Andererseits w a r der deutsche ,,Idealism.us" i m ganzen z u sehr in Spekulation versunken, als daB von i b m a u s ein eigener theoretischer Wirtsohaftsbau moglich oder g a r wichtig gewesen ware — wie d e n n stets d e r Wille z u r r a t i o n a l e n E r k l a r u n g , d e r Wille zur K a u s a l a n a l y s e individualistiseben U r s p r u n g s ist, w a h r e n d d i e organisobe, d i e universalistiscbe Philosophie erst a u s d e r Verteidigung heraus d a s z u beweisen u n t e r n i m m t , was i b r bis d a h i n a l s L e b e n i n sich gerechtfertigt u n d selbstverstandlieh ersehien. Diese Eigentumlichkeit d e r d e u t s e h e n geistigen Lage z u Beginn des 19. J a b r h u n d e r t s muBte, ganz ebenso wie sie d e m S m i t h i a n i s m u s die Wirkungskraft r a u b t e , dom Manne eine besondere B e d e u t u n g geben, der d e n Versueb wagte, v o n deutsober, r o m a n t i s e b e r Lebens- u n d Staatseinstellung a u s eine Gegenlehre zu begriinden: d a s ganze W e r k u n d d a s J a h r h u n d e r t s c h i c k s a l A D A M M U L L E B S ist n u r so voll z u begreifon. Der Anlage, d e m L e b e n u n d der A r b e i t n a c b m i t der R o m a n t i k eng v e r b u n d e n — jedoob b a r jeder eigenen dichterischen K r a f t , wie sie allein d e n H a u p t e r n d e r R o m a n t i k eine iiberpersonliche F o r m u n d W i r k u n g verlieb, b a r a u c b jener G e r a d h e i t u n d Sehliobtheit des Denkens, d i e allein d a s W e r k d e s Geistes rein u n d m a c h t i g gebiert u n d triigt — ein philosophisoher Kopf ohne d i e G n a d e u n d d a r u m ohne d a s Gewicht d e r eehten Philosophie, aber m i t m e h r a l s gewohnlichem Sinn findie gesunden u n d b a u e n d e n K r a f t e v o n Menscb, S t a a t u n d Gesellschaft, d a z u m i t d e m i n Deutsohland seltenen P a t h o s des R h e t o r s — h a t A D A M M U L L E B 3 (1779 bis 1829) die sachlichen u n d geistigen B e d e n k e n gegen d e n I n d i v i d u a l i s m u s u n d Kosmopolitismus SMlTHens als erster, w e n n aueh m i t einiger U b e r t r e i b u n g , so doeh i m groBen richtig gesehen u n d geauBert. Zugleieh suchte er d e r S M I T H schen Begriffsauflosung positiv die sehopferisehe I d e e gegeniiberzustellen, hielt d e r i n Wirtschaftsegoismen zersplitterten westlichen Gesellschaft d a s Bild des w a h r e n S t a a t e s entgegen, u n d k a m so z u r W i e d e r e n t d e c k u n g d e r soziologischen 1 WAGNERS Lelire der Finanzwissenschaft, zuerst entwickelt als Neubearbeitung des RAUschen Lehrbuches, dann systematiseher gestaltet und wesentlich erweitert, ist in Deutsohland, Frankreich, Italien, U. S. A. bis vor kurzem dieGrundlage der wissenschaftlichenArbeit gewesen; der jiingste Aufsehwung der Finanzthoorie in alien genannten Liindern hat zur Erhellung zahlreicher Einzelprobleme gefuhrt, jedoeh das alte S y s t e m der Finanzwissenschaft zerstort und noch kein neues an die Stelle gesetzt. (Zur Greschichte der deutsehen Finanzwissenschaft im 19. Jahrhundert vgl. die Abhandlung von MEISEL im Handbuch der Finanzwissenschaft, Tubingen 1926.) 2 Cours de science des finances et de legislation financiere francaise, 6e ed., Paris 1922, die theoretisch am besten durchgebildete Lehre der Finanzwissenschaft, derzeit das international wertvollste Lehrbuch des Gesamtgebietes. 3 Elemente der Staatskunst, 3 Teile, Berlin 1809; neu herausg. von BAXA, Wien 1921; Vermischte Schriften fiber Staat, Philosophie und Kunst, 2 Bde., Wien 1821; Versuch einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Riicksicht auf GroBbritannien, Leipzig 1816; Neuabdruck Wien 1923, u. a.
Gcschichtc.
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G r u n d t a t s a c h e v o n Vorrang u n d Vorsein (Praexistenz) der Gemeinschaft.
Das
F e h l e n d e r eignen Vision, wie sie P L A T O N , wie sie AUGUSTINITS, wie sie D A N T E i n
ahnlicher geschichtlicher Lage zu geistigen Staatsgriindern — u n d d e r Mangel klarer begrifflicher Zucht, wie sie Geister d e r tieferen, MiJXLEEschen E b e n e , so B O N A L D u n d D E M A I S T E E , ZU S t a a t s t h e o r e t i k e r n v o n B e d e u t u n g h a t werden lassen, t r i e b i h n i n Mystizismus u n d Vergangenheitskult. So w a r d er, obwohl seinem Staatsbild u n d -wissen urspriinglieh tiefere u n d dauerhaftere Substanzen eigneten, geistig Verherrlicher des Mittelalters, politisch R e a k t i o n a r — ein Gegenspieler des a n h e b e n d e n liberalen J a h r h u n d e r t s , d a s i h n d a r u m d e r Vergessenheit u b e r a n t w o r t e t e : D a s U r t e i l v o n K A B L M A B X , daB ,,einerseits seine ausgebreitete U n b e k a n n t schaft m i t okonomischen Tatsachen, andererseits sein bloB dilettantisehes Schwarmereiverhaltnis z u r Philosophie MiiLLEE speziell zu einer sogenanntcn h o l i e r n Auffassung der politischen Okonomie befahigten", entspringt u n d entspricht d e m allgemeinen U n v e r s t a n d n i s der Aufklarung aller R i c h t u n g e n u n d P a r t e i e n . U m gekehrt w a r d u n d ist er fur alien d e u t s c h e n Historismus u n d alle deutsche Gesellschaftslehre eben u m seiner Einzigkeit willen, die d a n n als GroBe erschien u n d g e d e u t e t w u r d e , ein bleibender Ankniipiungs- u n d R i c h t p u n k t : D a er die ,,Totalit a t " der Gesellschaft, ihr organisches W e r d e n , ihre V e r b u n d e n h e i t i n d e r Gcgenwart u n d m i t der Vergangenheit erblickt, k a n n er in d e r historisehen Schule zu m a c h tiger W i r k s a m k e i t gelangen — d a er keine okonomische, sondern oine soziologische Geldtheorie entwickelt, k a n n er als d e r Vereiniger SlMMELscher Geldphilosophie a u n d KNAPPscher Geldjurisprudenz 2 gelten — d a er d e n r o m a n t i s c h e n Begriff d e r schopferischen K r a f t besitzt u n d die Vorstellung okonomischer Stufen n u t z t , k a n n er als Vorlaufer L I S T S u n d H I L D E B E A N D S erscheinen —, d a s eine wie d a s andere ohne allzuviel innere Berechtigung, d a n i c h t d a s Vorhandensein, sondern die A u s w e r t u n g , Eingliederung u n d N u t z u n g d e r Begriffe die eigene Leistung d e r Spateren a u s m a c h t — aber beides doch sinnbildlich fur die besondere A r t der MuLLEBsehen B e d e u t u n g : S t a a t s - u n d Geschichtsphilosoph ohne ein bleibendes Bild oder eine bleibende Lehre, h a t er d u r e h d e n r o m a n t i s c h e n Bliok fur die lebendige Ganzheit v o n Volk u n d S t a a t die Gcsamtheit d e r organischen, ameohanistisehen E l e m e n t e niitumfaBt, die i m 19. J a h r h u n d e r t d e r AnstoB zu Einzeltheorien u n d die Grundlage d e r gesohiohtlichen Wirtschaftssohule, im 20. J a h r h u n d e r t die Baustoffe einer eigenen Wirtschafts- u n d Gesellsohaftslehre w u r d e n — kein ,,Paokeltrager d e s deutschen Geistes", aber im G u t e n wie im Bosen ein detitscher Mensch r o m a n tischer A r t u n d r o m a n t i s c h e n Schicksals, m e h r reich als klar, m e h r Geist als K r a f t , in L e b e n u n d L e h r e vor dor F r u c h t goknickt u n d doch v o n s t a r k e r unterirdischer W i r k u n g auf alle k o m m e n d e n Gesehleohter. Der , , S t a a t " , d e n M U L L B E s a h , d a s ,,Volk", d e m die tiefe Liebe aller R o m a n t i k gehort, w a r zuniichst idealc, erst in zwciter Linie reale Wesenheit, u n d ohne bedenkliohen Sprung h a t daher k a u m einer d e r ersten R o m a n t i k e r d e n AnschluB a n den eben erwachenden n a t i o n a l e n Geist finden k o n n e n . Auch F E I E D E I C H L I S T 3 (1789' bis 1846), wiewohl i n seiner Geschichtspragmatik n i c h t unbeeinfluBt v o n der Aufk l a r u n g , i n seiner W e r t u n g materiellen Erfolges u n d seinem strengen Evolutionismus m e h r d e m Geist des 19. J a h r h u n d e r t s als d e r R o m a n t i k v e r b u n d e n , h a t die N a t i o n z u n a c h s t n u r als Glied dor Weltgomcinschaft, gesehen, erst spater als kunftigen Triiger der imperialen Weitherrsehaft, wozu sie d a s stetige Ansteigen des N a tionalismus u n d d a s gleichzeitigc Verblassen des deutschen Kosmopolitismus, des letzten H o r t e s mittelalterlicber K a t h o l i z i t a t , im Laufe des J a h r h u n d e r t s gewan1
SIMMEL, Philosophie des Goldes, 2. verm. Aufl., Leipzig 1907. G. F. KNArr, Staatliche Theorie des Geldes, 2. verm. Aufl., Leipzig 1918. Das iiationalo System der politischen Okonomie, 1840, u. a. Eine Gesamtausgabe von LISTS Werken ist im Erscheinen; Bd. IV enthaltden Erstdruek von LISTS theoretischem Hauptwerk ,,Das natiirliche System der politischen Okonomie". 2
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Sozialismus und Historismus: evolutionistisohe Wissensohaft.
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delt hat. Gerade diese geistige Stellung aber hat ilm politisch zum Herold eines geeinten groBeren Deutsohland, wirtschaftlich zum Vertreter der Zollfreiheit im Innern, des erzieherischen Zollsohutzes naoh aufien, theoretisch zum Grander eines nationalen Systems der politischen Okonomie wie keinen andern vorbestimmt. MAEX, dessen Rationalismus die Eigentiimlichkeit der LiSTschen Wirtschaftstheorie so wenig wie die der MoxLEKSchen Gesellschaftslehre zu wiirdigen vermochte, hat LIST vorgeworfen, daB ,,Begreifen iiberhaupt seinem interessiert praktisohen Verstand fern lag", und wenig anders haben bis zur Gegenwart alle Historiker und Theoretiker geurteilt, die als Theorie nur Rationaltheorie, als Geschichte der Wirtschaftslehre nur ein Dogmenmuseum kannten. Indessen ist LISTS Absicht und Leistung nur dann zu erfassen, wenn die grundsatzlich andere Struktur seiner „Theorie der produktiven Kriifte" und der klassischen „Theorie der Werte" ans Lieht tritt: Die LlSTsche Thoorie ist das bislang beste Gegenbild anschaulicher Theorie gegeniiber der rationalen Theorie RICAKDOS. Alle inhaltlichen und formalen Untersehiede, die uns friiher beim Merkantilismus begegneten, sind von LIST noch vermehrt und starker abzunehmen. Sein Sehen und Denken ist organiseh, nieht mecbanisch, dynamisch, nioht statiseh, idealistisch, nicht materialistisch; infolgedessen steht im Mittelpunkt seiner Lehre die Erzeugung, nicht die Verteilung — die Kraft, nicht der Wert — die Energie, nicht der Eonds. Und vor allem: er erdenkt nicht ein Schema, sondern er sieht im vertretenden Bild die Wirklichkeit der Wirtschaft; daher ist sein Begriff der Wirtschaft nicht gewonnen durch Eiktion, durch willkurliche Annahme einiger, von der tatsachlichen Gestaltung angeblich unabhangiger Falle (RICABDOS „simple cases"), sondern durch heraushebende Verdichtung der wesentlichen Ziige des konkreten Gebildes ,,Volkswirtschaft". Das hat die doppelte Wirkung, daB einerseits LIST bewuBt seine eigne Theorie als nationales System bezeiehnet und f ormt — denn welchen Sinn konnte echte, anschauliche V oiks wirtschaftslehre besitzen,. wenn nicht die Betrachtung des Reichtums der N a t i o n ! —, und daB er andrerseits die Scharfsichtigkeit gewinnt, am auch im sogenannten ,,reinen" System die verkappte Politik zu wittern. Hinter seiner Kennzeichnung der klassischen Lehre als ,,kosmopolitisch" steckt, anders als bei MULLEE, kein weltanschaulicher Vorwurf, sondern die in ihrer Bedeutung noch heute kaum begriffene Erkenntnis, daB die rationale ,,Reinheit" bei bestem Willen niemals wirklich von alien politischen Gegebenheiten zu abstrahieren vermag und daB daher auch die praktische Anwendung der SMITHschen Lehre nicht den Reichtum aller Nation en verbiirgt, sondern bei den bestelienden Unterschieden der industriellen Ausriistung und Entwioklung die ,,Suprematie" Englands verewigt hatte. Das nationale System der politischen Okonomie Englands, das ist daher die spatere, giiltige Kennzeichnung des SiiiTHschen Systems durch LIST — der echte politische Volkswirt lost den Widerspruch, daB die Rationaltheorie sich als politische Okonomie bezeiehnet hatte, dahin auf: trotz aller gegensatzlichen Behauptungen ist auch die englische wie alle ,,reine" Theorie national. Wir fiigen hinzu: es sind die Gesetze der rationalen Theorie, in deren Verhullung sich die nationale Politik hereinsehleicht. Aber wenn derart die Tatsache sichtbar wird, daB, wie wir friiher sagten, auch die rationale Theorie nicht aller Anschauung bar ist, so erweist sich doch gerade in der Gegeniiberstellung LIST—-RICABDO die hohere Leistungsfahigkeit der grundsatzlich anschaulichen, geschichtlichen Theorie vor der grundsatzlich rationalen, verkappt anschaulichen Theorie. Da die Rationaltheorie infolge ihrcs naturwissenschaftlichen Charakters ,,Gesetze" sucht und aufstellt, bleibt ihr der Zugang zum geschichtlichen Werden notwendig verschlossen. In ihrer klassischen Form, in der sie eine natiirliche O r d n u n g annimmt, ist schon durch diese Grundlegung alle Geschichte dazn verdammt, als voriibergehende Abweichung von dieser Ordnung zu erscheinen. Aber selbst bei MAEX, der sich mit Recht das groBe, von der Klassik aus unzweifel-
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Geschichte.
hafte Verdienst zuschreibt, d a s Naturgesetz der B e w e g u n g aufgefunden zu h a b e n , ist es eben dooh e m N a t u r g e s e t z der Bewegung u n d also nioht die Fiille der gesohichtlich wirksamen Krafte, die gesehen wird. Hingegen h a t L I S T S anschauliche Theorie die Fahigkeit, n i c h t n u r die Vergangenheit in ihrer ganzen geschichtlichen Vielfalt zu erfassen, sondern aueh ,,Blicke in die Z u k u n f t " zu t u n u n d fur ihre Beherrschung das R u s t z e u g zu Schmieden. Mit welcher K l a r h e i t u n d bis in welche Einzelheiten hinein er das W e r d e n der I m p e r i e n u n d die K a m p f e u m die Weltherrsehaft vorausgesagt h a t , das gehort zu L I S T S personlicher GroBe, zu seinem begnad e t e n politisehen S e h e r t u m ; aber die F o r m , in der seine Sichten auf wissenschaftlichem Boden H a l t u n d Stiitze fanden, das ist unverlierbarer B e s t a n d jeder anschaulichen Theorie, jeder echten Volkswirtschaftslehre. Versehiedene Ursaehen h a b e n zusammengewirkt, u m L I S T S Leistung i m 19. J a h r h u n d e r t die Auswirkungsmoglichkeit zu r a u b e n . Nioht n u r das vollkommene F e h l e n jegliehen Verstandnisses fur den theoretisehen Gehalt seiner Lehre i n n e r h a l b der zunftigcn Wissenschaft (mit einziger A u s n a h m e v o n E U G E N D U H R I N G ) u n d solbst. bei seinem Biographen, d e m Herausgeber eines Teils seiner Schriften, d e m Geschiehtssohreiber L U D WIG H A E U S S E B , sondern aueh der unfertige Z u s t a n d seines W e r k e s selbst v e r h i n d e r t e n einen m e h r als auBeren Erfolg. ,,Das natiirliche System der politisehen O k o n o m i e " ist erst seit 1927 b e k a n n t , ,,Das nationale System der politisehen O k o n o m i e " war, obwohl als erster B a n d (,,Der internationale H a n d e l , die Handelspolitik u n d der deutsche Zollverein") bezeichnet, dooh in sich so g e r u n d e t u n d abgeschlossen, daB die MiBdeutung, L I S T h a b e i i b e r h a u p t n u r eine handelspolitische Theorie g e h a b t , nioht fern lag. DaB das nationale System in groBem R a h m e n angelegt u n d auf n e u n Teile bereohnet war, wuBte m a n so wenig, wie m a n sich v o n der T a t s a c h e Rechenschaft gibt, daB MABXens K a p i t a l n u r den ersten Teil einos goplanten Systems darstellt, das in weitercn B a n d e n G r u n d e i g e n t u m , L o h n a r b e i t , S t a a t , auswartigen H a n d e l , W e l t m a r k t b e h a n d e l n sollte; infolgedessen iibersah m a n L I S T S Agrarlehre, iibersah seine Lehre v o n der E n t s p r e c h u n g v o n Landwirtschaft u n d I n d u s t r i e einer jeden N a t i o n , iibersah seine Lehre v o n der B e d e u t u n g des B i n n e n m a r k t e s . E s k a m hinzu, daB L I S T S Begriffe n i c h t i m m e r scharf, seine Beweise nioht i m m e r stichhaltig sind — das r a t i o n a l e E l e m e n t seiner anschaulichen Theorie geniigt n i c h t fur die GroBe der Aufgabe. SchlieBlich war es in d e m d u r c h L I S T selbst m i t e n t f a c h t e n K a m p f u m Schutzzoll u n d F r e i h a n d e l den E i n e n wichtiger, daB er Erziehungszoll zur H e b u n g der p r o d u k t i v e n K r a f t e v e r t r e t e n , den A n d e r n wichtiger, daB er F r e i h a n d e l als a u e h sein Endziel e r k l a r t h a t t e . K e i n e v o n beiden P a r t e i e n aber sah, daB nioht diese oder jene F o r d e r u n g d a s Zukunfthaltige war, sondern die Einsicht in die innere V e r b u n d e n h e i t , d a s organiseho W a c h s t u m u n d d a r u m die zeitweiso Schutzbedurftigkeit der National* wirtschaft, wodurch die ganze Handelslehre ihres absoluten C h a r a k t e r s entkleidet u n d die u n m i t t e l b a r e R u c k s i c h t n a h m e jeglicher Handelspolitik auf den jeweiligen G e s a m t s t a n d der Volkswirtschaft gefordert w a r ; keine sah, daB L I S T S , . F r e i h a n d e l " vollig a n d e r n Wesens ist als der klassische, daB i h m n i c h t s anhaftet v o n d e m englisohen R e n t n e r i d e a l der besten Versorgung, sondern daB er t a t i g e , ,,energetische" B e d e u t u n g besitzt, daB er E r z i e h u n g s f r e i h a n d e l ist, der die ,,Landwirte, Manuf a k t u r i s t e n u n d Kaufleute gegen Indolenz b e w a h r e n " will ,,und sie anspornen, d a s erlangte Ubergewioht zu b e h a u p t e n " (N. S. 180). I m ganzen ist die verstandnislose Aufnahme des LiSTschen Systems ein sprechender Beleg fur die groBen Schwierigkeiten, m i t denen in D e u t s c h l a n d die meisten wissenschaftlichen u n d besonders die eigensten deutschen Leistungen der W i r t sohaftslehre zu k a m p f e n h a t t e n . W a h r e n d in E n g l a n d u n d F r a n k r e i c h eine breite Schicht die W e r k e der Klassik t r u g , a u f n a h m u n d weitergab, fehlte es in unsrem politisch nooh i m m e r zerspaltenen L a n d a n iiberragenden S t a a t s m a n n e r n , die die politische B e d e u t u n g dieser fur die deutsche N a t i o n als aufstrebenden S t a a t zweiten
Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissenschaft.
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Grades entworfenen Lehre h a t t e n auswerten konnen, u n d den gelehrten Kreisen der Zeit fehlte jene philosophische u n d methodische Schulung, die allein den Ausbau desLiSTSchenKraftebildes zu einer strengenLeistungslehre g e s t a t t e t h a t t e . W i e L I S T , so erging es auch alien a n d e r n theoretischen Begabungen der Zeit in D e u t s c h l a n d — ohne wesentlichen W i d e r h a l l blieb F . B . W. v. H E R M A N N 1 (1795—1868), der den ,,Profit"begriff der Klassik in seine Teile aufloste, Teclinik u n d Wirtschaft scharf zu sclieiden suchte u n d in seiner W e r t l e h r e duroh Einfiigung subjektiver Momente das starre RiCABDosche Schema erweichte, blieb H . K. E . v. MAN&OLDT 2 (1824 bis 1868), blieb selbst T H E O D O B V. B E B N H A E D I 3 (1802—1887), der in wohlabgewogener geschichtlicher u n d theoretisclier Darstellung die relativen Vorteile der verschiedenen landwirtschaftlichen GiitergroBen erorterte u n d eine eindringliche K r i t i k der a b s t r a k t e n Absolutheit der Klassiker, z u m a l R I C A B D O S , d a m i t v e r b a n d . — J a , sogar die ausgereifteste theoretische Leistung der D e u t s c h e n in diesem J a h r h u n d e r t : „ D e r isolierte S t a a t " v o n J O H A N N H E T N E I C H V. T H U N E N 4 (1783—1850) h a t sioh zwar n i e h t ,,in Vergessenheit verloren", wie sein Verfasser fur moglich hielt, h a t aber niemals die A n e r k e n n u n g , geschweige die Nachfolge gefunden, die i h m in j e d e m a n d e r n L a n d e m i t Sicherheit zugefalien ware. D a s W e r k T H U N E N S ist n i c h t n u r inhaltlieh, sondern auch verfahrensmaBig bedeutungsvoll u n d lehrreich, t r i t t doch in i h m z u s t a r k s t die Verfehltheit u n d die Verfiihrungsmacht der Klassik hervor. I n der A r t des a b s t r a h i e r e n d e n Vorgehens anscheinend den E n g l a n d e r n n i c h t u n v e r w a n d t , h a t T H U N E N in Wirkliohkeit als einziger das zu vermeiden gewuBt, was i m m e r wieder als der Fehler der ,,Klassik" g e n i g t u n d doch nie g e a n d e r t w u r d e , ihre Verwendung wirklichkeitsfremder ,,Arb e i t s h y p o t h e s e n " . S t a t t v e r m i t t e l s einer angreifbaren Psychologie sich einen wirtschaftlichen H o m u n k u l u s zu konstruieren, h a t er die staatliche Wirtschaftseinheit zugrunde gelegt, n i c h t einen unwirklichen Robinson fingiert, sondern den wirklichen S t a a t isoliert. I n d e m er d a n n i n m i t t e n des S t a a t e s jenes technische Medium der T r a n s p o r t k o s t e n fand, d u r c h dessen Hilfe sich die Verbindung v o n Erzeugungsort u n d M a r k t o r t , v o n Erzeugung u n d Verteilung nicht n u r tatsachlich vollzieht, sond e r n auch wissenschaftlich-abstrakt konstruieren lafit, k o n n t e er allein durchstoBon zu dem Ziel, das alle Individualisten notwendig verfehlten, dem Gesetz: Die konzentrische A n o r d n u n g der verschiedenen agraren Wirtschaftsarten u m die Verb r a u c h s m i t t e — h e u t e in der Wirkliohkeit n u r noch schwer kenntlich, da die neuen Verkehrsmittel u n d die n e u e n landwirtschaftlichen I n d u s t r i e n , als ,,Dev i a t i o n " wirkend, das klare theoretische Bild unubersichtlich gestalten — , diese THiJNENschen Kreise sind, sie allein in aller Theorie, ein Gesetz von uberhistorischer ,,reiner" Geltung, freilich kein N a t u r g e s e t z im metaphysischen Sinn der Physiok r a t e n u n d der Klassik, sondern ein Wirtschaftsgesetz, das aus der beschrankten Erzeugungsmenge des einzelnen Bodens u n d aus der Wirtschaftsrechnung jcdes Sozialgebildes folgt; zugleich geben diese Kreise eine vortreffliche Erliiuterung der Bildung der G r u n d r e n t e u n d stellen den R a h m e n dar, innerhalb dessen eine anschauliche, organische Preistheorie zu entwickeln ist. U n d wie das Ergebnis, so ist vorbildlich das Verfahren, m i t dessen Hilfe es gewonnen i s t : sowohl m i t dem ersten Schritt, der a b s t r a h i e r e n d e n Isolierung, wie vor allem auch m i t dem letzten Schritt, der stufenweisen Wiederauflosung der Isolierung, der A n n a h e r u n g des
1 Staatswissenschaftliche Untersuchungen, Miinohen 1832; 2. umgearbeitete Aufl. posthum ibd. 1870. (3. Auflage mit Einleitung von K. DIBHL, Leipzig 1924.) 2 GrundriB der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 1863, u. a. 3 Versuoh einer Kritik der Grunde, die fiir groBes und kleines Grundoigentum angefuhrt werden, Petersburg 1849. (Neudruek mit Einleitung von K. DIEHL, Leipzig 1926.) 4 Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalokonomie. 3 Teile in 4 Abt., Rostock 1826/63; neu abgedruekt — ebenso wie LIST, HIKDEBRAND, tjbersetzungen der Klassiker, u. a. — in WAEITTTGS Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister, Jena. Salin, Volkswirtschaftslehre. 2. Aufl. 6
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Geschichte.
theoretischen Ergebnisses a n die k o n k r e t e Wirtschaft u n d Gesellschaft, ist z u m e r s t e n m a l — eine tatsachliche Erfiillung gegeniiber M U L L E B S bloBen programmatischen P o r d e r u n g e n u n d strenger, wissenschaftlicher als spater L I S T S kiihne, weitergreifende Zeichnung — ein Markstein deutschen Verfahrens u n d d e u t s c h e r Theorie errichtet. Indessen diese K e n n z e i c h n u n g gilt in vollem Umfang n u r fur d e n ersten Teil des THUNENschen W e r k e s 1 . N u r hier wird f estgehalten a n d e r einzigen Voraussetzung einer groBen S t a d t i n m i t t e n einer fruchtbaren, v o n keinem schiffbaren FluB noch K a n a l [noch B a h n ] durchzogenen E b e n e , die einen gleichmaBig g u t e n , iiberall kulturfahigen Boden besitzt u n d die fern v o n d e r S t a d t i n einer undurchdringlichen Wildnis e n d e t ; n u r hier wird auf dieser einfachen Grundlage die B e s t i m m t h e i t von A r t u n d S t a n d o r t d e r landwirtschaftlichen E r z e u g u n g durch don Preis d e r Erzeugnisse a m V e r b r a u c h s o r t u n d d u r c h die Versandkosten e r k l a r t ; n u r hier d a r a u s als wirtschaftlioh notwendige Reihenfolge der Kreise d e r E o r t g a n g v o n der freien Wirtschaft z u r Forst-, z u r Eruchtwechsel-, z u r K o p p e l - , z u r Dreif elder wirtschaft u n d schlieBlich zu Viehzucht u n d J a g d gefolgert; n u r hier die G r u n d r e n t e als Differentialrente infolge des Vorzugs d e r Lage abgeleitet u n d gelegentlich a l s Differentialrente infolge des Vorzugs des Bodons begrimdet. I m zweiten Teil seines W e r k e s jedoch, wo T H U N E N d e n ,,naturgemaBen A r b e i t s l o h n " zu b e s t i m m e n t r a c h t e t u n d die n a t u r g e m a B e H o h e i n d e r E o r m e l ya-p (a = Notbedarf; p = P r o d u k t ) e n t d e c k t zu h a b e n g l a u b t , ist er entweder d e r Verfuhrung d e r Klassik — er b e k a n n t e sich als Schiiler wie A L B E E C H T T H A E E S so A D A M S M I T H ' — oder d e r
Metaphysik der Aufklarungsphilosophie erlegen. W a h r e n d , , n a t u r l i c h " im ersten Teil jenen Bereich bezeichnet, i n d e m n u r die N a t u r , n i c h t d e r S t a a t , nicht d i e Geschichte wirkt, b e d e u t e t d a s gleiche W o r t im zweiten Teil n i c h t m e h r das Reich der N a t u r , sondern d a s Reich der aufklarerischen V e r n u n f t ; d e r ,,naturgemaBe A r b e i t s l o h n " ist infolgedessen nicht ein L o h n , der u n t e r d e n abstrahierenden Voraussetzungen des Beginnes sich m i t logischer Notwendigkeit ergibt, sondern die T H U N E N sche P o r m e l t r i t t m i t d e m Q U E S N A Y - S M I T H s c h e n Anspruch auf, d a s N a t u r g e s e t z , das Sollen, die N o r m d e r Wirklichkeit zu e n t h a l t e n . E s findet m i t h i n ein E i n bruch d e r Metaphysik i n die Theorie v o n solcher S t a r k e s t a t t , daB die H a l t u n g anschauenden Verstehens, wie sie d e n ersten Teil auszeichnet, restlos verschwindet zugunsten einer D o g m a t i k , die i n n i c h t s richtiger oder giiltiger ist als die klassische Pseudoreligion. N u r dies eine ist THTJNBN als Vorzug zuzuerkennen, daB seine D o g m a t i k a u s einer tieferen Einsicht in die innere Unwahrhaftigkeit u n d U n h a l t b a r k e i t der sozialen Lage geboren ist, als sie S M I T H u n d R I C A B D O besaBen. Infolgedessen ist i h m n i c h t d a s Bestehende, die bestehende burgerliche O r d n u n g das „ N a t u r l i c h e " , sondern die Vision des furchtbaren K a m p f e s der k o m m e n d e n J a h r h u n d e r t e „zwischen d e m gebildeten Mittelstand u n d d e m gemeinen Volk, oder eigentlich zwischen d e m K a p i t a l i s t e n u n d d e m H a n d a r b e i t e r " laBt i h n n a c h s i n n e n iiber eine bessere Gestaltung des Verhaltnisses v o n Arbeitslohn u n d Arbeitsleistung,, laBt i h n als E r s t e n auf seinem G u t die Gewinnbeteiligung d e r Arbeiter einfiihren u n d gibt seiner , , N a t u r " s t a t t des befestigend-starren C h a r a k t e r s d e r Klassik einen v e r a n d e r n d e n , sozialen I n h a l t . Die m a t h e m a t i s c h e F o r m e l ~ya-p ist so ein A u s druck lebendigsten Sozialempfindens, sie ist d a s Zeichen u n d d a s Ergebnis d e r ersten d e u t s c h e n sozialpolitischen Theorie. W e d e r die E n t g i f t u n g des Kosmopolitismus durch L I S T , noch die V e r d r a n g u n g des Utilitarismus d u r c h T H U N E N , noch die d r i t t e hierher gehorige deutsche L e i 1 Die folgenden Darlegungcn stiitzen sich auf die Untersuchung: „Der isolierto Staat. 1826—1926." Zoitsohrift f. d. ges. Staatsw. 1926, Bd. 81, S. 410 ff. — In der l.Aufl. dieser ,,Geschichte" war der wichtige Unterschied zwischen Teil I und I I des THUNENschen Werkes noch nicht erkannt.
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s t u n g : die staatliche E i n h e g u n g des Iridividualismus d u r c h d e n Sozialkonservatism u s des R O D B E R T U S 1 (1805—1875), — keines also d e r drei grofien Ergebnisse, i n d e n e n v o m S t a n d p u n k t des 20. J a h r h u n d e r t s ails die d e u t s c h e n Okonomen a l s U b e r winder der englisch-franzosischen Klassik u n d zugleich als Begriinder einer e c h t e n Volkswirtschaftslehre ersoheinen, h a t im 19. J a h r h u n d e r t ihren eigentlichen R u h m u n d ihre n a c h h a l t i g e W i r k u n g b e s t i m m t . L I S T ist als Verfechter des Schutzzolles, d e n er selbst verwarf, parteipolitisch ausgedeutet worden. T H U N E N S Lehre wurde weder theoretisch noch geschichtlich fortgesetzt u n d v e r w e r t e t — erst A L F R E D W E B E R 2 h a t das S t a n d o r t s p r o b l e m wieder aufgegriffen u n d eino kapitalistische Theorie d e s , , S t a n d o r t s d e r I n d u s t r i e n " entwickelt. R O D B E R T U S , d e r Begriinder einer sozialkonservativen Theorie der E i n k o m m e n s v e r t e i l u n g , d e r Reiniger des Kapitalbegriffes, h a t auf A D O L P H W A G N E R einen u n m i t t e l b a r e n , auf d e n jiingeren D I E T Z E L 3
—
d u r c h d e n Z w a n g z u r Auseinandersetzung des liberalen Individualism us m i t seiner universalistischen Geistesrichtung — einen s t a r k e n m i t t e l b a r e n EinfluB geiibt; aber weder geistig noch saohlieh ist die E n t w i c k l u n g i n seinen B a h n e n fortgesehritten. Seine H o i f m m g auf einen — i n 500 J a h r e n zu verwirkliohenden — K o m m u n i s m u s a n G r u n d u n d Boden, seine L e h r e n v o m Arbeitswert, v o m ,,Gesetz d e r fallenden L o h n q u o t e " , v o m N o r m a l a r b e i t s t a g , v o m U n t e r v e r b r a u c h als Ursache der K r i s e n lieBen i h n f iir die Liberalen als Sozialisten ersoheinen; andrerseits d e r Sozialismus, gerade d u r c h M A R X i n individualistischer F o r m gepragt, empfand m i t R e c h t d e n organisch-staatlichen G r u n d z u g v o n R O D B E R T U S als wesensfremd (nur LASSALLE, als Staatssozialist, w a r m i t R O D B E R T U S ' befreundet). E i n e n S t a a t s m a n n , der gewillt gewesen ware, n a c h - R O D B E R T U S , Reformplan die soziale F r a g e i m monarchischen N a t i o n a l s t a a t zu losen, g a b es n i c h t , d a BISMARCK die Gefahr der sozialen S p a l t u n g zu gering einschatzte. Z u d e m h a t t e sich auch bei jedem Versuch der Verwirklichung gezeigt, dafi dieser P l a n des sogenannten Begriinders des ,,wissenschaftlichen Sozialism u s ' ' n i c h t weniger utopisoh w a r als der entgegengesetzte „wissenschaftliche Sozialism u s " M A R X ens — wie d e n n d e r ganze geriihmte F o r t s c h r i t t ,,Von der U t o p i e z u r Wissenschaft" bei n a h e r e r B e t r a c h t u n g auf d e n T r u g zuruckfuhrt, daB die ,,wissenschaftlich", ,,objektiv" begriindete U t o p i e m e h r W a h r h e i t berge als die kunstlerisch gestaltete . . . So wird wirksam n u r d e r bodenklichste Teil des R O D B E R T U S schen Werkes, seine Stufenlehre d e r Geschichte. I n d e m er i m organischen S t a a t s l e b e n die heidnisch-antike, die christlich-germanische u n d die Staatsperiode d e r Zukunft unterscheidet u n d diese n i c h t n u r d u r c h d a s B e s t e h e n v o n Menschen-, Grund-, K a p i t a l - u n d Arbeitseigentum gekennzeichnet sein lafit, sondern auch d e r ersten Stufe die naturalwirtschaftliche Selbstgeniigsamkeit des Oikos, der zweiten die Geld- u n d Kreditwirtschaft, d e r d r i t t e n die Anweisungswirtschaft zuordnet, wird er d e r Begriinder jener friiher e r w a h n t e n Stufenlehre d e r Wirtschaftsgeschichte, die m i t geringer A b w a n d l u n g u n t e r B U C H E R S N a m e n noch h e u t e weithin gilt, d i e das Verstiindnis d e r a n t i k e n u n d d e r mittelalterlichen Wirtschaft d u r c h J a h r zehnte h i n t a n g e h a l t e n u n d d a s reiche geschichtliche N e b e n e i n a n d e r v o n verschiedensten Stilen d e r N a t u r a l - u n d Geldwirtschaft i n ein langweiliges schematisches N a c h e i n a n d e r aufgelost h a t . I m m e r h i n , ' m a g auch diese W i r k u n g - i n ihren Folgen verhangnisvoll gewesen sein, so i s t doch ihre T a t s a c h e bezeichnend fiir die U b e r 1 Zur Erkenntnis unserer sozialwissenschaftlichen Zustande, Neu-Brandenburg und Friedland 1842; Soziale Briefe an v. Kirchmann, Berlin 1850/51; Das Kapital, Berlin 1884. — Neue Briefe Tiber Grundrente, Rentenprinzip und soziale Frage an Schumacher, mit Einfubrung ,,Rodbertus und sein Kxeis" von R. MICHELS, Karlsruhe 1926, u. a. 2 tiber den Standort der Industrien. I. Teil. Reine Theorie des Standorts, Tubingen 1909.— tfber die Bedeutung der WEBBK schen Standortslehre und ihre Stellung zu THUNEN vgl. SALIN, Standortsverschiebungen der deutschen Wirtschaft (in: Strukturwandlungen der deutschen Volkswirtschaft, herausg. von HARMS, Berlin 1928). 3 Karl Rodbertus, Darstellung seines Lebens und seiner Lehre, 2 Bde., Jena 1886/88; Theoretische Sozialokonomik, Bd. 1, Leipzig 1895, u. a. 6*
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maclit, d i e in D e u t s e h l a n d seit e t w a d e r Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s die A r b e i t a n geschichtlichen P r o b l e m e n besitzt. D e r s t a r k s t e S t r o m d e r Wissenschaft flieBt j e t z t in dieser R i c h t u n g , u n d ein halbes J a h r h u n d e r t lang finden n u n M U L L E E , L I S T u n d R O D B B E T U S Verstandnis u n d e r h a l t e n Geltung niolit d u r c h ihre theoretische Leistung, sondern als a n g e n o m m e n e P a t e n des Historismus. Die wirklichen F u h r e r d e r historiscben Bewegung s t e b e n auBerhalb d e r W i r t schaftswissenschaft. Mit tiefem G r u n d : d e n n Gesehichte ist zuvorderst u n d zutiefst polltiscbe Gesehichte. Jedooh m i t verhangnisvoller W i r k u n g fur Grenzgebiete wie die Gesehichte d e r Wirtschaft: d e n n i h n e n fehlt n u n die sonst selbstverstandliche, notwendige E i n h e i t v o n Stoff u n d F o r m , F o r s c h u n g u n d Darstellung, i h n e n i s t n i c h t n u r d i e Sache, sondern auch d a s Verfahren fragwiirdig, u n d t a u s e n d Uberlegungen h e m m e n d i e Sicherheit ihres Schrittes. Als d e r Historismus i n d e n vierziger J a h r e n die Fiihrung d e r deutschen Wirtschaftslehre iibernahm, w a r d a s Beste v o n H E B D E E S tiefer Grundlegung d e r Gesehichte schon i n Vergessenheit g e r a t e n ; aber RASTKES richtungweisende Jugendschriften w a r e n schon erschienen, in d e r Rechtswissenschaft u n d in d e r historischen Theologie h a t t e sich schon d i e F r u c h t b a r k e i t d e r V e r b i n d u n g r o m a n t i s c h e n u n d H E G E L schen Geistes erwiesen — ein ausgebildetes geschichtliches Verfahren b e s t a n d , u n d es schien niehts einfacher, als es i n der Okonomik anzuwenden. H i n z u k o m m t , daB jeder Versuch einer W i r t sohaftsgeschichte ein prachtvolles Vorbild a n d e m groBten Geschichtsschreiber der D e u t s c h e n i m 18. J a h r h u n d e r t , a n J U S T U S M O S E E 1 (1720—1794) h a t t e , d e r , ein R o m a n t i k e r v o r d e r R o m a n t i k , e i n Historiker v o r d e m H i s t o r i s m u s , v o n S A VIGNY als Begriinder d e r geschichtlichen Rechtsschule a n e r k a n n t , auch als d e r wahre A h n der geschichtlichen Wirtschaftsschule zu gelten h a t . I n i h m war lebendiger Sinn fur die Verwachsenheit v o n Volk u n d S t a a t u n d Landschaft vereinigt m i t tiefem Verstandnis u n d wacher Sorge fiir die gemutvolle E i g e n a r t des deutschen bauerlichen Wesens, dessen segensreiche T u m b h e i t d e r F o r t s c h r i t t d e r K u l t u r , das Eindringen der Aufklarung b e d r o h t e ; nicht a u s geschichtlichem Anempfinden, sondern a u s noch lebendiger Gegenwart schopft er F r e u d e a n all den Sonderheiten der organischen, menschlichen Gebilde u n d stellt d e r verflachenden Geschichtsk o n s t r u k t i o n der Aufklarung u n d ihrer gefahrlichen U b e r s c h a t z u n g der Verstandeskrafte sein vielfaltiges Bild d e r Wirklichkeit, seine ,,Totaleindrucke" gegeniiber. Burger u n d S t a a t s m a n n eines kleinen Landes, sind i h m wirtschaftliche Vorgange u n d Begriffe so v e r t r a u t , daB er d e n S t a a t gern als Aktiengesellschaft faBt, i n d e r die Besitzer d e r urspriinglichen L a n d a k t i e n u n d d e r geschichtlich s p a t e r e n Gelda k t i e n alleiniges Mitbestimmungsrecht h a b e n . D a s w a r gewiB n a c h d e m politischen V e r s t a n d d e r S p a t e r e n eine ruckschrittliche A n s i e h t ; aber wie wenig b e d e u t e t das U r t e i l iiber die politische Stellung i m Vergleich z u d e r GroBe des lebendigen Blicks fiir Volkstum u n d Volksgeist, d e r hier a m W e r k war, — L I S T , d e r ,,Demok r a t " , h a t m i t sicherem Gefiihl in M O S E E , d e m , , R e a k t i o n a r " , den Geistverwandten e r k a n n t —, u n d m a n h a t t e e r w a r t e n k o n n e n , daB auch die geschichtliche Wirtschaftsschule d e n hier gewiesenen W e g b e t r a t . W I L H E L M R O S C H E E 2 (1817—1894), d e r
m i t BETTNO H I L D E B E A N D
(1812—1878)
u n d K A E L K N T E S (1821—1898) z u s a m m e n d a s F u h r e r -Dreigestirn d e r alteren geschichtlichen Schule bildet, h a t M O S E E S B e d e u t u n g wohl gesehen, aber hochst bezeichnend n e n n t er i h n zwar den ,,Vater d e r historischen R e c h t s s c h u l e " u n d den 1
Patriotische Phantasien, 4 Teile, Berlin 1774—1786, u. a. GrundriB zu Vorlesungen uber die Staatswirtsohaft nach geschichtlicher Methode, Gottingen 1843; System der Volkswirtschaft. Ein Hand- und Lesebuch fiir Geschaftsmanner und Studierende, 5 Bde., Stuttgart 1854—1894, vielfaeh aufgelegt, in Deutsehland das weitest verbreitete Lehrbuch der zweiten Jahrhunderthalfte, so wie RATI der ersten; Ansichten der Volkswirtschaft aus dem geschichtlichen Standpunkte, Leipzig u. Heidelberg 1861; Gesehichte der Nationalokonomik in Deutsehland, Miinchen 1874, u. a. 2
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„groBten deutschen Nationalokonomen des 18. Jahrhunderts", doch nioht: den Vater der geschichtlichen Wirtsohaftsschule. Diese Tatsache beleuchtet schlagend den durch seine eignen Worte verdunkelten Sachverhalt, daB er sieh zwar gern als Schiiler RANKES bekannte, aber seiner Anlage nach nicht zur echten Geschichtsforschung und -darstellung geboren, sondern nur zu einer unromantischen, positivistischen Geschichtskonstruktion begabt war. Er hatte Verstandnis fur alles und jedes und sammelte in der Botanisiertrommel seiner Biicher jeden Vorgang und jede Theorie; aber da er keinen eignen theoretisehen Standpunkt besaB, da jede wirkliehe Stellungnahme seiner versohnlichen Natur fern lag, und da seine ,,physiologisehe Methode" in der Geschichte nur das niclit vorhandene ,,Naturgesetz" oder „Entwicklungsgesetz" suehte, so ward er zwar der gefeierte Lelirer fiir zwei stoffhungrige Generationen von Praktikern; aber wenn er selbst als den Sinn seines geschichtlichen Verfahrens aussprach, er wolle ,,fiir die Staatswirtschaft etwas Abnliches erreichen, was die SAViGNY-EiCHHOENsche Methode fiir die Jurisprudenz erreicht hat", so tauschte er sich iiber sein Verfahren, seine Leistung und seinen Erfolg. Auch iiber HILDEBBANDS Work steht das Urteil, daB die Ausfuhrung nicht der GroBe des Programms entsprach. Seine ,,Nationalokonomie der Gegenwart und Zukunft" x hatte beim Erscheinen des ersten Teils eine kaum mehr begreifliche Scblagerwirkung — aber dieser erste, wesentlich kritische Band ist der einzige geblieben. So war zwar nochmals der schon von LIST erkannte ,,Atomismus" der Klassiker widerlegend beleuchtet, so war ADAM MTJLLEBS Bedeutung richtig dahin umschrieben, daB er die Notwendigkeit zeigte, die Nationalokonomie ,,als einen integrierenden Teil der gesamten Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft zu betrachten" (p. 329), so war ein Versuch gerechter Wiirdigung von LIST, ENGELS,
PBOIXDHON unternommen. Aber der Band iiber ,,Die Methode der Nationalokonomie", der den Weg zum gemeinsamen Mittelpunkt aller richtigen Ergebnisse der friiheren Wirtschaftsschriften hatte weisen sollen, blieb ungeschrieben, und statt der versprochenen Kronung durch eine ,,neue Gestaltung der Wissenschaft nach der gefundenen Methode" (p. 6) errichtete HILDEBBAND statistische Seminare und bot in statistischen Arbeiten an Stelle der statistischen Angaben der Vergangenheit, die er als „ungeniigend und von der Oberflache geschopft oder zu falschen Folgerungen benutzt" schon friiher erkannt hatte (p. 4), der wissenschaftlichen Arbeit einen neuen, noch schneller veraltenden Stoff. An unmittelbarer Wirksamkeit stand hinter ROSCHEES und
HILDEBBANDS
Werken die Darlegung des neuen Verfahrens in der Programmschrift von KNIES „Die politische Okonomie vom Standpunkte der geschichtlichen Methode" 2 um ebensoviel zuriick, als sie an Einheitlichkeit, logischer Zulanglichkeit, sachlicher Durchdachtheit sie iibertraf. In akademischer Griindlichkeit faBt KNIES dieArgumente im Kampf der Deutschen gegen die englische ,,Okonomie der Werte" als erster systematisch zusammen. Zwar hat er LISTS Einwand gegen den ,,Kosmopolitismus" nicht in seiner vollen Bedeutung erfaBt, wenn er nur den Vorwurf einer ,,Nichtberucksichtigung der durch die Verschiedenheit der Territorien und der Zeiten gegebenen Bedingungen" (p. 24) darin liest und die tiefer greifende Pehde gegen die verkappte Politik der Klassik, gegen den Allgiiltigkeitsanspruch des national-britischen Systems verkennt. Aber wenn er als ,,Kosmopolitismus" den unberechtigten Anspruch auf Geltung der Theorie jenseits des politischen Raums faBt und bekampft und wenn er den ,,Perpetualismus" als ebenso unberechi Frankfurt a. M. 1848; Natural-, Geld- und Kreditwirtsohaft, Jahrb. f. Nat. u. Stat. 1864; Die 2Entwicklungsstufen der Geldwirtschaft, ebenda 1876.
1. Aufl. Braunschweig 1833, 2., stark veranderte Aufl. unter dem Titel „Die politische Okonomie vom geschichtlichen Standpunkte", ebenda 1883 (nach dieser die Zitate); Geld and Kredit, 3 Bde., Berlin 1873—79.
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Geschiohte.
t i g t e n Anspruch der Geltung jenseits der geschichtlicben Zeit hinzufiigt u n d w e n n er beidcs z u s a m m e n als ,,Absolutismus der T h e o r i e " bezeichnet, so ist hiermit der Gegensatz zur geschichtlich-politischen H a l t u n g aller Deutschen klar herausgearbeitet. Demgegeniiber b e r u h t ,,die historische Auffassung der politischen O k o n o m i e " naoh K N I E S ,,auf d e m G r u n d s a t z , daB wie die wirtschaftlichen Lebensz u s t a n d e , so auoh die Theorie der politischen Okonomie, in welcher F o r m u n d Gestalt, m i t welchen A r g u m e n t e n u n d R e s u l t a t e n wir sie auoh finden, ein Ergebnis d e r gesohichtlichen E n t w i c k l u n g i s t ; daB sie in lebendiger V e r b i n d u n g m i t d e m Gesamtorganismus einer menschheitlichen u n d volkergeschichtlichen Periode m i t u n d aus d e n Bedingungen d e r Zeit, des R a u m e s , der N a t i o n a l i t a t erwachst u n d zu vorschreitenden Entwicklungen sich f o r t b i l d e t ; daB sie in dem gesohichtlichen L e b e n den F o n d s ilirer A r g u m e n t a t i o n e n h a t , ihren R e s u l t a t e n den C h a r a k t e r geschiohtlicher Losungen beilegen m u B ; daB sich auch die ,allgemeinen Gesetze' d e r Nationalokonomie n i c h t anders d e n n als eine gesohichtliche E x p l i k a t i o n u n d f o r t s c h r e i t e n d e M a n i f e s t a t i o n der W a h r h e i t darstellen, auf jeder Stufe als die Verallgemeinerung der bis zu einem b e s t i m m t e n P u n k t e der E n t w i c k l u n g e r k a n n t e n W a h r h e i t e n d a s t e h e n u n d weder der S u m m e noch der F o r m u l i e r u n g n a c h fur u n b e d i n g t abgeschlossen erkliirt werden konnen, u n d daB der Absolutismus der Theorie, wo er sich auf einer Stufe der gesohichtlichen E n t w i c k l u n g Geltung verschafft h a t , selbst n u r als ein K i n d dieser Zeit d a s t e h t u n d eine b e s t i m m t e Periode in der gesohichtlichen E n t w i c k l u n g der politischen Okonomie bezeichnet". Diesen Grundsatz m a g m a n anders, schlichter, verstandlicher u n d weniger ,,forts c h r i t t l i c h " umschreiben — die Richtigkeit ist u n b e s t r e i t b a r , u n d m a n sollte meinen, daB m i t i h m der Weg frei war fur eine erschopfende B e h a n d l u n g v o n Theorie u n d Geschichte, dies u m so mehr, als i m ganzen weniger der innere Sinn, sondern der L e h r w e r t der Geschichte v o n K N I E S gesehen wird u n d d a d u r c h eine Sichtung des geschiohtlichen Stoffes verhaltnismaBig einfach sein muBte. Aber dieser richtige , , G r u n d s a t z " u n d die ganze KuiBSsche Sohrift war u n d blieb dooh n u r P r o g r a m m — das Verfahren, das an Stelle der ,,reinen" Theorie u n d der ,,reinen" Geschichte d e n Stoff als Ganzes zu erfassen u n d zu v e r b i n d e n e r l a u b t h a t t e , besaB weder der Polyhistor R O S C H E R noch der Grubler K N I E S . Sein zweites H a u p t w e r k „ G e l d u n d K r e d i t " t r a g t wenig bei zur Erfiillung seiner eigenen Forderungen, u n d bei aller A n e r k e n n u n g der kritischen B e d e u t s a m k e i t der Verfahrensschrift wird m a n doch schon in ihr vergebens n a c h einem festen, eigenen theoretisohen S t a n d p u n k t suchen. E s ist gewiB wichtig, daB K N I B S die Notwendigkeit der Berucksichtigung , , q u a l i t a t i v e r " F o r d e r u n g e n n e b e n , , q u a n t i t a t i v e n " bet o n t (,,eine moglichst g u t e Verteilung n e b e n der moglichst groBen P r o d u k t i o n der Giiter"), es ist richtig u n d noch h e u t e d e r B e a c h t u n g wert, was er iiber d e n ,,erdigen Beigeschmack der Theorien u n d die E i n w i r k u n g der N a t i o n a l i t a t " auf die Theorien der E n g l a n d e r , Franzosen, Italiener u n d D e u t s c h e n sagt (317ff.); aber weder in d e r ersten noch in der zweiten Auflage sind die Ergebnisse aus seiner Auffassung der Wirtschaftslehre als einer ,,moralisch-politischen Wissenschaft" m e h r als bloBe F o r d e r u n g e n : die Gesellschaft u n d ihre E t h i k iiber I n d i v i d u u m u n d U t i l i t a r i s m u s n i c h t zu vergessen. Vielleicht h a t K N I B S gemeint, CAELYLES K e n n z e i c h n u n g der Okonomik als ,,dismal science" d u r c h seine E t h i k zu e n t k r a f t e n , u n d m i t R e c h t h a t er gegeniiber der nationalokonomischen Wissenschaft die F o r d e r u n g aufgestellt, ,,daB m a n d e n W e r t ihrer Leistungen a u c h naoh den F r u c h t e n zu bemessen h a b e , welohe sio den sittlichen u n d politischen E l e m e n t e n des Volkslebens d a r z u b r i n g e n i m s t a n d e s e i " (490); allein er h a t weder den W e g zu dieser Leistung gefiihrt, noch selbst die Losunggegeben. D e r d r i t t e d e r F u h r e r , H I L D E B B A N D , hielt dieWiinschelrute in H a n d e n ; als er n e b e n L I S T S n a t u r a l e Typenreihe (meist in der F o r m : J a g d , Hirtenleben, A g r i k u l t u r s t a a t , A g r i k u l t u r m a n u f a k t u r s t a a t , A g r i k u l t u r m a n u f a k t u r handelsstaat) in d e n Stufen N a t u r a l - , Geld- u n d Kreditwirtschaft die T y p i k
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des Tauschmittels setzte, erkannte er sohon die entscheidende Wiclitigkeit der Frage, ob es nicht eine organisch-typische Entwicklung des Gesamtkreises der Wirtschaft gibt — zeiohnete er schon, wenn auch undeutlioh, die Aufgaben und Ziele einer morphologischen Wirtschafts- und Ideenlehre; nur ein winziger Schritt war zu machen, und an die Stelle der ,,reinen" trat jetzt sehon die historische Theorie, an die Stelle der detaillistischen jetzt sohon die soziologische oder systematische oder vergleichende Wirtschaftsgeschichte. Allein weder hat HILDEBRAND seine eigene Stufenreihe so weit geschichtlioh durohgearbeitet, daB ihm die Unzulanglichkeit der dritten, die Tatsache des Vorkommens von Kredit auch in der Naturalwirtschaft zum BewuBtsein gekommen ware, noch halt er den gelegentlich durchscheinenden Gedanken fest, daB die Bedeutung solcher Reihen fur die Gesehiehtsforsohung in der in ihnen enthaltenen Fragestellung liegt. Wenn er auch die Naturgesetze der Klassik und ROSCHERS ,,physiologische" Methode ablehnt, so steht dooh auch er im Bann des Entwioklungsgedankens; wie er der Nationalokonomie die Aufgabe zuschreibt, ,,in dem Wechsel der nationalokonomischen Erfahrungen den Fortschritt, in dem wirtschaftlichen Leben der Menschheit die Vervollkommnung der menschlichen Gattung nachzuweisen", so ist ihm schlieBlich auch seine Stufenlehre nicht ein heuristisches Hilfsmittel zur Erforschung der Geschichte, sondern ein Beweis, ,,daB der LESSiNGsche Gedanke einer Erziehung des Menschengeschlechts nicht nur auf die Religion und die ihr verwandten Gebiete der geistigen Kultur, sondern auch auf das n a t i o n a l o k o n o m i s c h e L e b e n des Menschengeschlechts seine Anwendung findet". Es ist nicht leicht, sich Rechenschaft dariiber zu geben, warum es nicht nur jetzt, sondern durch fiinf Jahrzehnte boi dem bloBen Programm geblieben ist. Sagt man sich, daB noch nicht geniigend geschichtlicher Stoff gesammelt war, so begegnet der Einwand, daB eines der hervorragendsten wirtschaftsgeschichtlichen Werke iiberhaupt, BOOKHS Staatshaushaltung der Athener, am Anfang, nicht am Ende des Jahrhunderts steht. Fiihrt man an, daB das Tatsacheninteresse zu stark war, um eine soziologisch-vergleicbende Behandlung zuzulassen, so will auch dies nicht recht verfangen angesichts der Leistung von JOHN STTIAET MILL in England und LOBBNZ v. STEIN 1 (1815—1890) in Deutschland. Trotzdem erscheint als die tiefste innere Begriindung die Tatsache, daB der materialistische Ruckschlag der 50er Jahre alles philosophische, systematische, methodologische Denken mit einem Bannfhich belegte, daB der aufkommende Naturalismus die besten Krafte des Evolutionismus schwachte und daB der technische Empirismus auch auf die geisteswissenschaftlichen Gebiete iibergriff. Und schlieBlich muB noch die Bedeutung einer Tatsache gewiirdigt werden, die fur die besondere Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre bis zur Jahrhundertwende ausschlaggebend wurde: Diese altere geschichtliche Wirtschaftsschule setzt sich zusammen aus Gelehrten, die im Kern ihres Wesens nicht geschichtlich, noch theoretisch, sondern praktischpolitisch ausgerichtet waren. Man miBverstehe uns nicht: Verglichen mit der englischen Klassik, zumal mit RIOAEDO und Mc CULLOCH, ist die sogenannte ,,alterehistorische Schule" geschichtlich in ihrem Verfahren und in ihren Neigungen, und insofern tragt sie ihren Namen durchaus mit Recht. Indessen hebt man diese geschichtliche Wirtschaftsschule von der geschichtlichen Rechts- oder Sprachschule ab, so erkennt man, daB nicht zufallig hier in den Werken der SAVIGNY, EICHHOEN, GEIMM geschichtliche Leistungen von uberragender Bedeutung und bleibendem Gehalt vorliegen, wahrend dort nur einige kleine geschichtliche Arbeiten von Rang zu zahlen sind. Das liegt nicht an groBerem Wissen, sondern an reicherem Wesen der Juristen als der Okonomen 1 Vgl. die auf Seite 76 genaimten Sohriften. Dazu System der Staatswissensehaft, 2Bde.. Stuttgart 1852/56; Lehrbuch der Volkswirtschaft, Wieu 1858, u. a.
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Gescluohte.
u n d auBert sioh darin, dafi R O S C H E B wie H I L D E B E A N D zwar u n t e r d e m B a n n des geschichtlichen Geistes der Zeit bleiben, dafi aber ihre geschichtlichen wie ihre theoretischen Studien Mittel z u m Zweck werden — n a m l i c h z u m Zweck der Sozialpolitik. Selbst wenn H I L D E B E A N D seine Stufenlehre entwickelt, so ist i h m d i e d r i t t e Wirtschaftsform, der K r e d i t , wichtig als ,,das w i r k s a m s t e H e i l m i t t e l gegen die sozialen Schaden der G e g e n w a r t " . N i c h t anders liegt es b e i R O S C H E E . Auch K N I E S ' ,,moralisch-politisehe" Wissenschaft ist sozialpolitisch a u s g e r i c h t e t ; doch ist bei i h m eine urspriingliche B e g a b u n g fiir Verfahrenslehre u n d Theorie v o r h a n d e n , so dafi er auch v o n hier a u s d e n B e d i n g u n g e n a m n a c h s t e n k o m m t , die zwar niclit d e n H i s t o r i k e r bilden, doch v o r d e m Versuch einer anschaulichen, geschichtlichen Theorie erfullt sein miissen. So w a r d e r I n s t i n k t v o n GUSTAV S C H M O L L E E 1 (1838—1917), d e m Fiihrer d e r n a c h s t e n Generation, d u r c h a u s richtig, als er eine jiingere v o n einer alteren geschichtlichen Wirtschaftsschule schied. H a t t e er erklart, dafi erst j e t z t geborene Historiker a m W e r k seien, u n d h a t t e er hierzu auf E B E B H A B D G O T H E I N S 2 Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwalds, auf G E O R G F E I B D R I C H KJSTAPPS 3 Agrargeschichte u n d
auf seine eignen geschichtlichen A r b e i t e n verwiesen, h a t t e er noch B E E N T A N O 4 , SCHONBERG, B U C H E B g e n a n n t , so k a n n kein Zweifel sein, dafi seine Scheidung wenn n i c h t der Schulen, so doch d e r Generationen unumstofilich gegolten hatte. Indessen n i c h t i m w a h r h a f t geschichtlichen Sinn dieser jiingeren Schule sah er d a s unterscheidende Kennzeichen, s o n d e r n darin, ,,daB sie w e n i g e r r a s c h 5 generalisieren will, daB sie ein v i e l s t a r k e r e s 6 Bediirfnis empfindet, v o n d e r polyhistorischen D a t e n s a m m l u n g z u r Spezialuntersuchung der einzelnen Epochen, Volker, Wirtschaftszustande iiberzugehen" (GrundriB, p . 120). U n d als i h r Ziel stellt er h i n : ,,wirtschaftsgeschichtliche Monographien, Verkniipfung jeder m o d e r n e n Spezialuntersuchung m i t ihren historischen W u r zeln". „Die historische u n d m o d e r n realistische Detailforschung" stellt er entsprechend a n anderer Stelle (Hdw. 3 V I I I p . 447) als „Lebenszweck dieser Gel e h r t e n " fest. ,,Detailforschung" als Ziel einer geschichtlichen Schule, j a d e r ganzen W i r t schaftslehre. U n d dies i n einer Zeit, wo N I E T Z S C H E bereits die Fragwiirdigkeit des ganzen Historismus i n seiner aufriittelnden „UnzeitgemaBen B e t r a c h t u n g " aufgewiesen h a t t e , wo n a c h d e m politischen Geschichtswerk R A N K E S n u n die Kulturgeschichte d e r Renaissance v o n J A C O B B U E C K H A E D T d a s Muster einer gesellschaftlichen G e s a m t b e t r a c h t u n g b o t , wo d u r c h BACHOEEN ein W e g z u r D e u t u n g der tiefsten Symbole d e r Menschheitsentwicklung erschlossen war. J e t z t ,,Detailf o r s c h u n g " — d a s hieB innerhalb d e r Geschichte, daB die Voraussetzung u n d d e r Beginn geschichtlicher A r b e i t als i h r Sinn hingestellt w u r d e , u n d es hieB i n n e r h a l b der g e s a m t e n Volkswirtschaftslehre, daB die Theorie, ohne die Wirtschaftsgeschichte 1 Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jhdt., Halle 1870; Zur Literaturgeschichte der Staats- und Sozialwissenschaften, Leipzig 1888; Umrisse und Untersuchungen zur Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, besonders des preuB. Staates im 17. u. 18. Jhdt., Leipzig 1898; GrundriB der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, 2 Bde., Leipzig 1900—1904, erganzt und vermehrt 1919, u. a. 2 Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, 1. Bd. StraBburg 1891/92; Verfassungs-und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Coin vom Untergange der Reichsfreiheit bis zur Errichtung des Deutschen Reiches, Coin 1916, u. a. 3 Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den alteren Teilen PreuBens, 2 Bde., Leipzig 1887; Die Landarbeiter in Knechtschaft und Freiheit, ebenda 1891; Grundherrschaft und Rittergut, ebenda 1897. 4 Die Arbeitergilden der Gegenwart, 2 Bde., Leipzig 1871/72. — Von dem jetzt 83jahrigen Altmeister erscheint seit 1927 „Eine Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung Englands" (bisher I—III 1). 5 Von uns gesperrt.
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nicht moglich ist, iibersehen oder zumindest unterschatzt wurde. Im Kampf SCHMOLLEBS gegen CABL M E N G E R 1 trat diese Gefahr mit aller Deutlichkeit zutage. SCHMOL-
LEB bestritt bier jeden Sinn der abstrakten Theorie iiberhaupt und suchte an die Stelle der KNlESSchen Bindung von Gesehichte und Theorie nicht nur die logisch mogliche, reinliche Scheidung zu riicken, sondern auch die unhaltbare Gleichsetzung seiner — allein berechtigten — Arbeitsweise mit Induktion, der theoretischen mit Deduktion durchzufiihren. MENGEB hat es demgegemiber leicht zu erwidern, daB er die Nutzbarmachung der Ergebnisse der geschichtlichen Arbeit fur die politische Okonomie als wichtige Aufgabe ansehe, daB er sich aber wende gegen einen Ersatz der Theorie durch „historisoh-statistisehe Kleinmalerei", durch ,,historische Mikrographie". Wer die gegnerischen Schriften heute zu wiirdigen sucht, um iiber die noeh immer auBerst wichtige Frage des Verhaltnisses von Theorie und Gesehichte Klarheit zu gewinnen, kann sich der Feststellung nicht entziehen, daB SCHMOLLEBS Waffen in diesem Kampf den gegnerischen restlos unterlegen waren — MENGEB war ein philosophisch durchgebildeter Methodologe, SCHMOLLEB muBte durch Temperament zu ersetzen suchen, was ihm an logischer Schulung abging. Andererseits hatte SCHMOLLEB einen solch felsenfesten Glauben, daB mit ihm eine neue Epoche, ja die Epoche der Volkswirtschaftslehre beginne, und zweifelte so wenig an der Uberlegenheit seines Standpunkts, daB er in der Rektoratsrede von 1897 erklarte: ,,weder strikte Smithianer noch strikte Marxianer konnen heute Anspruch darauf machen, fiir vollwertig gehalten zu werden". Es war verhangnisvoll fiir die deutsche Entwicklung, daB solche Satze nicht nur aufgenommen und verbreitet wurden, sondern daB sie auch durch SOHMOLLBES Ansehen und das Gewicht seiner Stellung die Bichtung der wissenschaftlichen Arbeit und die Geltung bzw. Mchtgeltung der Theorie in Deutschland weitgehend bestimmten. Aber die ScHMOLLEB^che Sicherheit und SiegesgewiBheit ist doch nur dann begreiflich, wenn man sich sagt, daB hier wie oft SOHMOLLBES menschlicher und wissenschaftlicher Instinkt etwas Richtiges traf, daB es ihm aber an jener wissenschaftlichen und philosophischen Klarheit gebrach, die notig gewesen ware, um auch nur seine Absichten und Ziele unwiderleglich darzustellen. ,,Manchestertum" hat SCHMOLLEB dem Qsterreichischen Gegner vorgeworfen. Wenn hierin nicht nur ein groteskes MiBverstandnis liegen soil, so kann nur Eines gemeint sein, namlich daB er in MENGEB jenen Standpunkt ablehnt, den wir als Rationaltheorie bezeichnen. Hier liegt in der Tat die Schwache MBNGBES. Wenn SCHMOLLEB verkannt hat, daB Gesehichte ohne Theorie nicht moglich ist, so hat MENGEB in einem Irrtum, den er nicht nur mit den Klassikern, sondern auch mit einigen Philosophen, z. B. WINDBLBAND, teilt, die Sinnhaftigkeit einer ,,reinen" Theorie vorausgesetzt, und der Fehler, daB sachlich und logisch Verbundenes nicht nur arbeitsteilig, sondern grundsatzlich getrennt wird, liegt also auf beiden Seiten. Der ScHMOLLEBsche Irrtum aber ist fiir ihn selbst folgenschwer geworden, dadurch daB er sein eignes Werk zur Unfruchtbarkeit verdammt hat. Denn eine wirtschaftsgeschichtliche Forschung, die der Theorie oder, sagen wir es genauer: der theoretischen Fragestellung und der festen Begriffsbildung entbehrte 2 , konnte 1 MBSTOEK, Untersuchuttgeri fiber die Methode der Sozialwissenschaften und der politisehen Okonomie insbesondere, Leipzig 1883. Dagegen SCHMOLLEB: Zur Methodologie der Staatsund Sozialwissenschaften, SCHMOLLEES Jahrbuch 1883. Replik von MENGER: Die Irrtum er des Historismus in der deutschen Nationalokonomie, Wien 1884. 2 Hierin liegt die Ursache und Rechtfertigung des Kampfes, den v. BELOW, auf dessen Seit e die geschichtliche Wahrheit stent, gegen SCHMOLLEB gefiihrt hat. Vgl. v. BELOW, Zur Wiirdigung der historischen Sohule der Nationalokonomie (Zeitschr. f. Sozialw. 1904), u. a.
Geschichte.
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niemals ihrerseits Baustoff fur die anschauliche, geschichtliche Theorie werden, die als undeutliches Ziel SCHMOLLER vorschwebte. W e n n SCHMOLLER erklarte, dafi seine Schule ,,weniger raseh generalisieren" wolle, so darf dieses ,,weniger r a s c h " n i c h t iiberhort werden. D a s Bedenkliche a n dieser These w a r indessen nicht ,,der Wechsel m i t etwas langer Verfallzeit", a u c h n i c h t die v o n S A X 1 hervorgehobene T a t s a c h c , daB d a d u r c h die Gewinnung einer befriedigenden Theorie d e r Volkswirtschaft so lange hinausgeschoben w u r d e , bis eine u n a b s e h b a r e Z a h l v o n wirtschaftsgeschichtlichen u n d statistisohen Eorschungen vorlag, sondern die A r t d e r Ausfuhrung: i n d e m eine begriffsschwache, positivistische Wirtschaftsgeschichte hingestellt w u r d e , w a r n i c h t n u r die r a t i o n a l e Theorie abgelehnt, sondern alle Theorie unmoglich g e m a c h t ; d e r Versuch eines „ n a c h h e r i g e n Generalisierens" muBte scheitern, d a Geschichte u n d Theorie n u r zwei Erfassungsarten d e r gleichen objekt i v e n Wesenheit darstellen 2 . . . Dies ist die E r k l a r u n g dafur, daB SCHMOLLEBS ,,GrundriB", d e r die einheitliche Zusammenfassung des e r a r b e i t e t e n Stoffes h a t t e geben miissen, s t a t t dessen eine ungleichmaBige u n d ungleichwertige Nebeneina n d e r r e i h u n g b o t . E i n ,,impressionistiscb.es Gemalde auf d e m Gebiet d e r Nationalo k o n o m i e " h a t i h n B B E N T A N O gelegentlich g e n a n n t u n d h a t d a m i t nicht n u r seine E i g e n a r t treffend gekennzeichnet, sondern zugleich auch d e n theoretisch-system a t i s c h e n Eehlschlag giiltig z u m Ausdruok gebracht. So blieb die Aufgabe d e r Vereinigung u n d Z u s a m m e n s c h a u des gewaltigen Stoffes n i c h t n u r ungelost, sondern die L o s u n g w a r fur alle k o m m e n d e n Geschlechter noch d a d u r c h erschwert, daB d e r angehaufte u n d theoretisch u n v e r a r b e i t e t e Stoff wie ein k a u m bezwingbarer Berg vor jeder D a r s t e l l u n g s t a n d . Indessen wie bei d e r alteren, so muB auch bei d e r jungeren geschichtlichen W i r t schaftsschule u n d auch bei SCHMOLLEE die Erage aufgeworfen werden, ob wirklich die Geschichte d a s auszeichnende u n d einigende Merkmal darstellt. A n d e m geschichtlichen Blick u n d d e r Eahigkeit geschichtlicher Darstellung ist angesichts der jungeren Sohule gewiB kein Zweifel; aber reicht dies tatsachlich a u s , urn eine Schule zu begriinden, eine Schuleinheit zu bedeuten? W e n n m a n v o n einer geschichtlichen Rechtsschule spricht, so h a t dies seinen tiefen Sinn infolge d e r geistigen E i n h e i t , die hier d u r c h die R o m a n t i k , d u r c h die A n s c h a u u n g v o n Volkstum u n d Volksgeist geschaffen w a r . Aber w a s v e r b i n d e t eigentlich die soziologische Geschichtsschreibung
von
SCHMOLLEE
mit
der
rechtliehen
von K N A P P
und
der
kulturgeschichtlichen v o n G O T H E I N ? E s ist keine Schwierigkeit, eine gemeinsame V e r n e i m m g herauszufinden: sie alle l e h n t e n wie B R E N T A N O , H E L D u n d viele andere d a s M a n c h e s t e r t u m m i t aller Scharfe a b (schon i n d e r A b lehnung d e r R a t i o n a l t h e o r i e zeigen sich dagegen bezeichnende Unterschiede zwischen SCHMOLLEE u n d B R E N T A N O ) . Aber eine gomeinsame Bejahung? E s k a n n sehr zweifelhaft sein, ob irgendeiner d e r a n d e r n Fiihrer bereit gewesen w a r e , SCHMOLLERS Satz v o n d e r ,,Detailforschung" zu unterschreiben — u n d schlieBlich selbst, w e n n es alle g e t a n h a t t e n , so b e d e u t e t solcher Positivismus noch eben keine s t a r k e Gemeinsamkeit. I n Wirklichkeit b e s t a n d auch hier n u r e i n e s t a r k e B i n d u n g , u n d wie bei d e r alteren, so hieB diese a u c h bei d e r j u n g e r e n Schule — h a l t m a n sich nicht a n d a s Verfahren, sondern a n die t r e i b e n d e K r a f t — Sozialpolitik. ,,Das letzte Ziel aller E r k e n n t n i s bleibt eben ein p r a k t i s c h e s " , erklart SCHMOLLEE 1 Das Weson und die Aufgaben der Nationalokonomie. Ein Beitrag zu den Grundproblemen dieser Wissenschaft, Wien 1884. — Vgl. von SAX auch: Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft, Wien 1887 — ein bedeutendes Buch, dessen Auswirkung in Italien stark war, in Deutschland durch SCHMOLLERS Verdammung hintangehalten wurde. 2 Das Beste iiber das Verhaltnis von Theorie und Geschichte enthalt heute SPAWNS Beitrag zur v. BELOW-Gedachtnisschrift: Uber die Einheit von Theorie und Geschichte. — Unser im einzelnen abweichender Standpunkt wird an anderer Stelle begriindet werden.
Sozialismus und Historismus: evolutionistisehe Wissenschaft.
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in der schon genannten Rektoratsrede von 1897 — er hiitte, zumindest bis zum Jahre 1878, kaum etwas dagegen eingewandt, wenn man die Nutzanwendung gezogen hatte: ,,das letzte Ziel der ,geschichtlichen' Schule bleibt Sozialpolitik". Jedenfalls liegt die Tatsache vor, daB der „Verein fur Sozialpolitik" die einzige Stelle gewesen ist, in dem sich die Vertreter der verschiedenen Richtungen zu gemeinsamer Arbeit zusammenfanden. Hier einte dauernd die gemeinsame tjberzeugung: daB die Wirtschaftslehre eine ethische Wissenschaft sei, deren Pflicht es war, Stellung zu nehmen zu der brennendsten Frage der Zeit, der sozialen Not; und hier einte iiinf Jahrzehnte lang das gemeinsame Ziel: die Beeinflussung der Politik in der Richtung der von der Wissenschaft gefundenen Losung einer Hebung und Erziehung der Arbeiterklasse. Die sozialreformerische Richtung SISMONDIS, der englische Chartismus, der Idealismus FlCHTEscher Pragung, der Konservatismus RoDBEETUSSohen Gehalts — die besten deutschen sozialen Ideen und Ideologien, bestarkt und gewachsen durch die auslandischen Entspreclmngen, wie sie zumal BBENTANOS Geschichte der englischen Gewerkvereine fiir immer festgehalten hat, SCHMOLLEES Sozialkonservatismus und BEENTANOS Sozialliberalismus vereinigten sich hier zu wissenschaftlicher Politik. Aber war wissenschaftliche Politik iiberhaupt moglich? Dies war, wenn auch der politische Schwung des Beginnes bald verloren ging, wenn zumal SCHMOLLEE, doch in seinem Gefolge auch der ,,Verein", immer mehr die Erhaltung des Bestehenden an Stelle des Kampfes um die Zukunft setzte, die Frage, die immer brennender erschien — gab es wissenschaftliche Politik und gab es eine ethische Wissenschaft? Solange die „Ethik" die Hebung der unteren Klassen forderte, ward sie nirgends ernstlich bestritten; im Augenblick aber, als die ,,staatserhaltenden" Momente an Gewicht gewannen, kam zum BewuBtsein, daB diese Ethik jeder tieferen Begriindung und jeder tieferen Verpflichtung bar war, ward mit der Ethik die Okonomik, die WTissenschaft als Ganzes verdachtig, und als sich gar Wissenschaftler konservativer, liberaler und sozialistischer Richtung die Richtigkeit ihrer Stellung, ein jeder dor seinen, ,,wissenschaftlich" bewiesen, wurde die Klarung des Verhaltnisses von Okonomik, Ethik und Politik notwendig, nicht nur um der auBeren Stellung der Wissenschaft willen, sondern auch als Voraussetzung jeder gedeihlichen wissenschaftlichen Weiterarbeit. Dieser Sachverhalt erscheint heute den Nachgeborenen schon als selbstverstandlich, wahrend er in Wirklichkeit aufregendes Zeichen einer tiefsten Krise nicht nur der Wissenschaft, sondern des ganzen modernen Lebens darstellt. Jahrhunderte lang war nicht nur der Wissenschaft das Recht der Wertung niemals bestritten, sondern es war ihr nicht einmal zum BewuBtsein gekommen, daB es iiberhaupt eine ,,wertfreie" Wissenschaft geben konne. Indessen so wie wir den Sozialismus verstanden haben als letzte Zerfallserscheinung der christlichen Zeit, so muB auch hier erkannt werden, daB dieses ganze ausgehende. 19. Jahrhundert, das sich zur Selbstberuhigung den Glauben an den endlosen Fortschritt als Betaubungsmittel gesehaffen hatte, in Wirklichkeit an einem Punkt stand, wo die ganze christlich-europaische Weltordnung sich in eine Anzahl unverbundener Gegenkrafte und Gegenklassen aufgelost und wo sich gleichzeitig die Allgemeinverbindlichkeit der uberkommenen Wertordnung verfluchtigt hatte. Es bedurfte der heroischen Seele NIETZSCHES, um in diesem Zusammenbruch festzustehen und durch Umkehr aller Werte den Wert selbst nicht zu verlieren. .. SCHMOLLEE sah wohl die drohende Gefahr fiir Wirtschaft und Gesellschaft, aber da er sie im ganzen nur fiir die Folge eines iiberspannten Liberalismus hielt, glaubte er sie mit sozialpolitischen Wirtschafts- und mit liberalen Bildungsmitteln behebbar. ,,Die unteren Klassen soweit zu heben, zu bilden, zu ver-
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Geschichte.
sohnen, daB sie in H a r m o n i e u n d F r i e d e n sich i n d e n Organismus d e r Gesellschaft u n d des S t a a t e s einfiigen", sprach er 1872 in d e r Eroffnungsrede zur Griindungsversammlung des ,,Vereins" als S t a a t s n o t w e n d i g k e i t aus \ — eine Auf gabe, die er d u r c h Rechtsgleichheit, Schul- u n d Wehrpflicht u n d andere R e formen erfiillbar g l a u b t e . Dieser Satz i n seiner allgemeinen F a s s u n g w a r ein A u s d r u c k einer n i c h t tiefen, doch klaren weltanschaulichen u n d politischen Uberzeugung, die als solche keiner besonderen wissenschaftlichen Begriindung bedurfte. Sobald es sich a b e r u m „ p r a k t i s a h e Detailfragen d e r G e g e n w a r t " h a n delte, k o n n t e die F r a g e n i c h t u m g a n g e n werden, w a s d e n n d e r besondere Beit r a g d e r Wissenschaft z u r Losung sei, u n d gerade hier liat S C H M O L L E E n i c h t erst i n d e r Zeit, als er die BiSMARCKsche Politik a u s Grundsatz verteidigte, sondern schon im K a m p f gegen T E B I T S O H K B 2 eine merkwiirdig versohnliche H a l t u n g eingenommen, i n d e m er z u g a b , daB T B E I T S C H K E S Thesen ,,von einem gewissen S t a n d p u n k t a u s dieselbe Berechtigung h a b e n wie die meinigen v o n m e i n e m S t a n d p u n k t e a u s " . Diese Versohnlichkeit aber ist, wie alles Beschreiten der m i t t l e r e n Linie, in keinem B e t r a c h t wissenschaftlicher als irgendeine einseitige, unwissenschaftliche S t e l l u n g n a h m e ; sie ist ein zweites Zeichen, daB SCHMOLLEE fehlte, w a s i h m gerade fiir seine selbstgewahlten Ziele unerlaBlich w a r : feststehende Theorie. Dieser Mangel w a r d i n seiner ganzen Schwere fiihlbar a n d e m Tag, d a SCHMOLLEE den Verein fiir Sozialpolitik ins schutzzollnerische Lager fiihrte. Aufgabe der Wissenschaft ware es gewesen, diesen S c h r i t t t h e o r e t i s c h z u begriinden oder abzulehnen — jede Weiterbildung d e r LlSTschen Theorie h a t t e z u m Solidarschutz gefiihrt . . . Aber SCHMOLLEE —• m e h r S t a a t s m a n n als Gelehrter, m e h r E m p i r i k e r als Theoretiker — h a t t e keinen theoretischen, sondern n u r einen fiir seine Person richtigen u n d ehrenvollen, fiir die Wissenschaft v e r n i c h t e n d e n G r u n d : BISMARCK werde auch dicsmal r e c h t h a b e n , wie er i m m e r r e c h t h a t t e . . . I n d e m SCHMOLLEE hier wie s t e t s verzichtete, diese , , R i c h t i g k e i t " theoretisch auszuwerten, h a t er d e r anschaulichen Theorie, die er selbst suchte, u n d d e r g e s a m t e n Wissenschaft einen schwer v e r w i n d b a r e n Schlag versetzt. E s w a r j a d u r c h a u s moglich u n d richtig, grundsatzlich zu erklaren, daB i m H a n d e l n des groBen S t a a t s m a n n e s meist groBere Weisheit e n t h a l t e n sei als in alien rationaltheoretischen A b s t r a k t i o n e n . Doch n u r die Theorie k o n n t e dies e r m i t t e l n , bejahen oder v e r n e i n e n ; versagte sie sich dieser Aufgabe u n d b e s c h r a n k t e sich die Wissenschaft auf unkritischen O p p o r t u n i s m u s , so n a h m sie zwar die — vermeintliche — Rolle des Chors i n d e r a n t i k e n Tragodie ein, die SCHMOLLEE ihr ausdrucklich zuwies, aber e r k l a r t e eben h i e r m i t ihren geistigen B a n k r o t t . So w i r k t e n zwei T a t s a c h e n z u s a m m e n , u m die deutsche Volkswirtschaftslehre i n eine tiefe, noch h e u t e n i c h t ganz iiberwundene K r i s e zu stiirzen. A m sichtbarsten w a r die E r s c h u t t e r u n g d e r christlichen S t a a t s e t h i k , d i e j e d e objektive W e r t u n g hinfort auszuschlieBen schien; n i c h t m i n d e r b e d e u t s a m w a r d e r Mangel theoretischer Schulung, d e r die Wissenschaft a u c h d o r t zu v e r s t u m m e n zwang, wo sie W T esentliches zu d e n Angelegenheiten d e r Wirtschaft u n d des S t a a t e s h a t t e sagen k o n n e n , u n d d e r oft die E t h i k u n d d e n Appell a n I d e a l i s m u s u n d S t a a t s t r e u e auch d o r t bemiihte, wo z u n a c h s t einmal wissenschaftliche K l a r s t e l l u n g oberstes Gebot war. E s muBte fiir d a s Schicksal einer weiteren Generation entscheidend werden, 1 Verhandlungen der Eisenacher Versammlung zur Bespreohung der sooialen Frage am 6. und 7. Oktober 1872. Leipzig 1873. 2 SCHMOLLEE, Uber einige Grundfragen des Rechts und der Volkswirtschaft. Offenes Sendschreiben an Prof. H. v. Treitsohke. Jahrb. i. Nat. u. Stat. 1874; Sonderabdruek, Jena
1875. — SCHMOLLEES Antwort auf Angriffe TEEITSCHKES neuabgedruckt in:
TEEITSCHKE,
Der Sozialismus und seine Gonner. Nebst einem Sendschreiben an Gustav Schmoller, Berlin 1875.
Sozialismus und Historismus: evolutionistische Wissensohaft.
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welche Stellung sie zu dieser Lebensnot n i c h t n u r der praktischen, auch der theoretischen Wirtschaftslehre e i n n a h m . Sie t a t es m i t der noch h e u t e nicht aufgegebenen P a r o l e : Wertfreie Wissensohaft. S c h r i f t e n : Zur Romantik: SPAHN O. C ; V. BELOW, Die deutsche Geschiohtssohreibung, Miinchen 1924; FK. LENZ, Agrarlehre und Agrarpolitik der deutschen Komantik, Berlin 1912. — A. SOMMEE: Friedrich Lists System der politischen Okonomie, Jena 1927. — Zu THUNEN ZUletzt: SALIN O. C. — Zum H i s t o r i s m u s : ROTHACKEK, Einleitung in die Geisteswissenschaften, Tubingen 1920; B. TKOELTSCH, Der Historismus und seine Probleme, Tubingen 1923. — Zu SCHMOLLEK: An die richtige, jedoch abgekiirzte und zugespitzte Darstellung der ersten Auflage dieser „Gesohichte" hat sich eine Auseinandersetzung gekmipit, in der HERKNEK, SALIN, V. BELOW, SPIETHOEE das Wort ergriffen haben (vgl. SOHMOLLEKS Jahrbuch 1924); hierauf sei ohne weitere Stellungnahme verwiesen.
NacMahren und Vorlaufer. Erst die neue, vollendete Form entscheidet in aller Geschichte dariiber, wer in der Senkung zwischen den Hohen nur Nachfahr, wer zugleich auch Vorlaufer gewesen ist. Gerade SCHMOLLERS letzte Einreihung in die Geschiohte der Wissensehaft hangt entscheidend davon ab, ob eine spatere Zeit seinen Stoff wird brauchen und durchseelen konnen und wollen; denn so deutlich heute schon sichtbar ist, daB sein staatspolitischer Blick ihn in der Zeit BISMARCKS in wichtigen Eragen der Gewerbe- und Sozialpolitik das Richtige treffen lieB und daB die von ihm und BRENTANO angeregten Schritte und Gesetze ausschlaggebende Bedeutung fur die deutsche Verliinderung der englischen Elendsfolgen des freien, sich selbst liber lassenen Hochkapitalismus hatten, so sehr ist in der Wissenschaft sein Name verkniipft nioht mit dem Ziel, sondern mit dem Ergebnis seiner Arbeit: mit positivistischer Geschichtsforschung und Unterdriickung der Theorie. Nur wenn andere die ,,feststehenden Wahrheiten", die er sah, und das theoretische Ziel einer deutschen Volkswirtschaftslehre, das er ahnte, wissenschaftlich erarbeiten konnen, wird er nicht nur als Spatling gewaltigen Wissens, sondern ebenso als Stoffbereiter eines neuen wissenschaftlichen Gebaudes erscheinen, das er selbst nicht errichtete, so wie er mensohlich fur viele seiner Schuler und Ereunde ein Wegbereiter in fruchtbare Gebiete gewesen ist, die er selbst nie betrat. Von den wirtsohaftswissensehaftlichen Bewegungen und Theorien, die neben dem Historismus im 19. Jahrhundert innerhalb und auBerhalb Deutschlands entstehen, besitzt die sogenannte mathematischo Schule kein eignes geistiges Gesicht und Gewicht. Die Schriften von COUENOT, WALEAS und selbst von VILFEEDO PARETO 1
(1848—1923), der als Haupt der Schule von Lausanne der Erzieher der bedeutendsten lebenden Okonomen und Politiker Italiens gewesen ist, und die mathematisehen Vorgange und Eormeln in den Werken der JEVONS, MARSHALL, EDGEWORTH, KEYNES in England, IRVING FISHER in Amerika, SOHUMPETER in Deutsch-
land bezeichnen nicht eine neue geistige Richtung, sondern eine andere Darstellungsweise innerhalb der Okonomik — eine Form, die bisweilen eine genauere Fassung erlaubt, bisweilen sie vortauseht, die sich aber in jedem Fall mit jeder Okonomik gleichviel welchen Geistes, soweit sie Mengenlehre ist, vertragt; da sie der Ausdruck, nicht die Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, so gelangt sie zu keinem grundsatzlich neuen Ergebnis, das nicht auch thcoretiseh, anschaulich und besinnlich, gefunden werden konnte. Mit der Bereicherung der Wirtsehaftstheorie durch statistische Daten und mit der wachsenden Bedeutung von MeBziffern des Preisstandes in der Preis- und Geld-, Konjunktur- und Krisenlehre ist zwar das Gebiet im Wachsen begriffen, in dem die Rationaltheorie und zumal ihre praktische Nutzbarmachung der mathematischen Ausdrucksweise nicht entraten kann. Aber eben hicrdurch wird die ,,Schul"-Beziehung urn so sinnloser, als nun ,,objektive" und ,,subjektive", „Kosten"- und ,,Nutzen"-Theoretiker sich des gleichen Mittels bedienen und, wie innerhalb einer gleichen Sprache, die ver1 Oours d'economie politique, 2 vols., L a u s a n n e 1896/97; T r a i t e do sociologie g6nerale, 2 vols., L a u s a n n e 1917/19, u. a.
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schiedensten Riohtungen mit verschiedensten Zielen das mathematisoh-analytische Werkzeug handhaben. Dagegen besitzt, wenn auch fiber ihre letzte Einreihung das Urteil heute noch nicht gefallt ist, erhebliches Eigengewicht jene Richtung, die in Deutschland als einzige dem Historismus entgegentrat und gleichzeitig in Europa und Amerika sioh Eingang in die alten Lehrgebaude erzwang, die Grenznutzenschule. Die Lehre der Klassiker, zumal in der Fassung RICABDOS und in der Ubersteigerung MAEXens, erklart — gleichgultig, ob im Einzelfall die Arbeitszeit oder das Arbeitsleid, ob die Erzeugungs- (Produktions-) oder die Wiedererzeugungs- (Reproduktions-)kosten als Bestimmungsgrund angefuhrt werden — den Warenwert aus den Kosten, fiihrt ihn also auf objektive Bestandteile zuriick. Aber sehon in SMiTHens System, schon bei GALIANI und TUBGOT, ja in der Scholastik, waren, wio mehrfaeh erwahnt, auch Ansatze zu einer subjektiven Ableitung vorhanden, und die psychologisolie Grundlegung der ganzen klassischen Okonomik muBte auf die Dauer notwendig dazu fiihren, daB auch das Wert- und Preisproblem psychologisch und subjektiv, also von Bediirfnis, Nutzen, Gebrauchswert her angegriffen wurde. Die Griinde der groBeren Reiohweite der Nutzenlebre und ihrer Unentbehrlichkeit als E r g a n z u n g der objektiven Theorie sind hier nicht zu behandeln. Geschichtlich wichtig ist, daB sie (auBer bei MABSHALL, der jedoch zunachst nur durch das Wort, nicht durch die Schrift seine Lehre verbreitete) nicht als Erganzung, sondern als ersetzende Eigenlehreauftrat, — siehtman abvon denAnsatzen bei v. HEKMANN und den deutschen Smithianern und halt man sich an jene Werke, durch die eine erste geschlossene Darlegung der neuen Lehre gegeben wurde. Entscheidend war, dafi, nach dem zunachst wirkungslosen Vorgang GOSSENS, etwa gleichzeitig in England von JEVONS 1 , in Frankreich von WALBAS 2 , in Deutschland von CABL MENGEB 3
die Vorstellung, dann von v. WIESEB 4 der Begriff des Grenznutzens (im englischen Schrifttum meist ,,final" oder ,,marginal utility") gefunden wurde. Wie QTTESNAYS Tableau, wie SMiTHens Wealth ist dieser Grenzbegriff gefeiert worden. Und in der Tat, die Erkenntnis, daB mit zunehmender Sattigung eines Bedurfnisses der Nutzen des sattigenden Gutes abnimmt, daB der Wert einer Gutermenge nach dem Nutzen der letzten Einheit, dem Grenznutzen bemessen wird, diese Erkenntnis war und ist tatsachlich in ihrem Ausbau geeignet, fur eine groBe Zahl kapitalistischer Preisbildungsvorhange die Erklarung zu geben, sie erst gestattete eine genaue, quasimathematische Formulierung, und sie erlaubte die mechanistische Nachbildung des Preismechanismus, mit deren Hilfe im ersten Wurf schon WALBAS, dann in ausgearbeiteter Form PABETO im romanischen Kreis, CLABK 5 in Amerika, SCHUMPETEB 6
in Deutschland die innere Abhiingigkeit aller Preise untereinander, die ,,Intcrdependenz" der Preise darstellen konnten. Allein so sehr nun ,,das" Preisgesetz gefunden schien, so wenig ist in Wirklichkeit die Grenznutzenlehre die ,,objektive" Theorie, die sie zu sein beansprucht. Ausgehend von dem Individuum und seinem 1
The theory of political economy, London 1871. Elements d'economie politique pure ou theorie de la richesse sociale, Lausanne 1874/77; Theorie mathematique de la richesse sociale, ebenda 1883. 3 Grundsatze der Volkswirtschaftslehre. Allgemeiner Teil, Wien 1871; zweite (posthume) Auflage 1923. 4 tjber den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes, Wien 1884; Der natiirliche Wert, Wien 1889; Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft, GrundriB der Sozialokonomik. (Zur letzten Arbeit, wie uberhaupt zur jiingsten „reinen" Theorie vgl. die kritische Ubersicht des Verfassers: Die deutsche volkswirtschaftliche Theorie im 20. Jahrhundert. Zeitschr. f. schweizerische Statistik und Volkswirtschaft, 1921.) 5 The distribution of wealth, a theory of wages, interest and profits, New York 1900; The essentials of economic theory, ebenda 1907, u. a. 6 Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalokonomie, Leipzig 1908; Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, ebenda 1912, 2., ncubarbeitete Aufl. 1926, u. a. 2
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Bediirfnis — den Markt konstruierend als einen Treffpunkt subjektiver Einzelschatzungen, halt auch sie noch an der alten Aufklarungsfragenachdem ,,Ursprung", der „Entstehung" iest, hat auch sie noch keinen Blick fur das einfache Dasein historischer Machte. Der Arbeitswerttheorie so entgegengesetzt und so verwandt wie der Individualismus dem Sozialismus, stellt sie der sozialistischen These die Erklarung des liberalen, individualistisch-kapitalistischen Biirgertums gegeniiber — jene wie diese eine Teilwahrheit, deren Grenzen eine anschauliche, geschichtliche Theorie wird aufzuzeigen haben. Dieser nirgends bewuBte, aber iiberall wirksame Charakter der urspriinglichen Grenznutzenlehre gibt die unmittelbare Erklarung ihros bisherigen Schicksals. In England, wo die Tradition der klassischen Schule unvermindert und ungeschwacht fortbcstand, vollzog sich ohne Sohwierigkeit der Einbau der neuen individualistischen Lehre in das alte individualistische System — mit tiefem Recht fuhlte ALFRED MAESHALL 1 (1842—1924) sich als Fortsetzer der Klassik, und nur mit
Ehrfurcht kann man in seinem Werk die bedachtige Vereinigung der uberkommenen und der neuen Lehre beobaohten, jene Gerechtigkeit gegen die Vordern und jene Urteilssicherheit gegen die Jungen, wie sie nur bei grundlicher Schulung reicher Generationen moglich ist, wie sie im heutigen England den Fiihrer der ,,Cambridge School", JOHN MAYNABD KEYNES neben A. C. PIGOU 2 in die erste Reihe der Forscher
wie der Politiker gehoben, und wie sie neben England auch Frankreich, U.S.A. und Italien zu einer fortlaufenden theoretischen Forschung ansehnlicher Hohe verholfen hat. In Deutschland dagegen ist in dem Kampfe SCHMOLLEES gegen MENGEE, so unhaltbar jedes Kampfwort SCHMOLLEES im einzelnen ist, doch etwas von dem inneren Gefiihl der Fremdheit zum Ausdruck gekommen, das der Grenznutzenlehre MENGEBS gegeniiber tatsachlich nicht geringer sein konnte als gegeniiber der Klassik RICABDOS. E S ist hierbei nicht der Grenzgedanke als solcher, der die deutsche Forschung befremdete — selbst wenn THUNENS friihere Entdeckung in Vergessenheit geraten war, so ist der Grenzgedanke an sich weder verfahrensmafiig noch gar weltanschaulich gebunden. Aber man muB MARSHALL und PIGOU in die Fiihrer der ,,Osterreichischen Schule", in MENGEE, BOHM-BAWERK 3
(1851—1914), und PHILIPPOVIOH hinein deuten, wenn man leugnen will, dafi ihr Verfahren „abstraktrationalistisch" (SCHMOLLEE) war oder dafi sie ,,die Wirtschaft" genau so unanschaulich, unstaatlich, ungeschichtlich, individualistisch faBten wie RICAEDO. Das Grundbeispiel der Preislehre in der alteren Schule vermag dies am besten zu verdeutlichen. Die Preisbildung bei beiderseitigem Wettbewerb wird erklart durch die Annahme, daB auf einem Pferdemarkt sich zehn Kauflustige und acht Verkaufslustige gegeniiberstehen, von denen die Kauflustigen ein Pferd = 300 bzw. 280, 260, 240, 220, 210, 200, 180, 170,150, die Verkaufslustigen ein Pferd = 100,110,150,170,200, 215, 250, 260 Gulden schatzen (BOHM-BAWEEK I I S. 365). Der Preis wird sich dann zwischen 210 und 215 stellen, das heiBt allgemein: Die Hohe des Marktpreises wird begrenzt und bestimmt durch die Hohe der subjektiven Wertschatzungen der beiden Grenzpaare. — Es handelt sich fiir uns nicht darum, ob dieses Schema verbessert werden kann— es ist verbessert worden; es handelt sieh auch nicht darum, ob es als heuristisches Hilfsmittel brauchbare Dienste leisten kann — es ist mit einigen 1 Principles of Economics, vol. I, London 1890; Industry and trade, ebenda 1920. (Vgl. zu MARSHALL: KEYNES, Alfred Marshall, 1842—1924; in Memorials of A.M., ed. PIGOU, London 1925.) 2 The economics of welfare, London 1920; Industrial fluctuations, ebenda 1927, u. a. 3 Capital und Capitalzins, Innsbruck 1884: Zweite, vielfach vermehrte und verbesserte Auflage der 1. Abteilung, Innsbruck 1900, dritte Auflage der 2. Abteilung, ebenda 1909 — neben seiner theoretischen Bedeutung ein Meisterstiick geschichtlicher Forschung —; Gesammelte Schriften, ed. F. X. WEISS, 2 Bde., Wicn 1924 und 1926.
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Abanderungen dazu imstande. Es handelt sich nur darum, daB cs in dieser Form als Abbild der Wirklichkeit gelten soil und daB es dann eine nicht zu iiberbietende mechanistische, rationalistisolie, individualistische Axiffassung der Marktvorgange bedeutet. Es ist dem Rationaltheoretiker gewiB unbenommen, das Schema heute so zu wenden, wie es fur seine Zwecke geeignet ist. Aber der Historiker muB feststellen, daB BOHM-BAWERK erklart hat, es sei ,,der Wirklichkeit genau nacbgebildet", ein unveranderlicher ,,Skelettbau", und daB er des weiteren wirklieh den Marktpreis einzig und allein aus den ,,subjektivon Wertschatzungen" ableiten wollte, von denen cr dor Ansicht war: ,,daB nicht leicht zwei Personen fur dieselbe Sache eine vollig gleiehe subjektive Wertschatzung haben". Das ist nicht nur das Gegenteil einer anschaulichen Theorie, sondern das ist das Muster einer unwirklichen, nur-rationalcn, am Schreibtisch ersonnenen Theorie, und wenn LIST und ihm folgend die historische Schule schon den ,,Atomismus" dor Klassiker betonen — welchen Grad von Atomismus erreicht dann erst diese Marktvorstellung? Indessen wenn derart mit aller Entschiedenheit die Eeststellung des individualistischen Rationalismus der alteren osterreichischen Schule aufrechterhalten werden muli, so ist auf der anderen Seite zweierlei anzufiihren, was die reinen Gegner der Grenznutzenlehre gern iibersehen. Niimlich erstens die Tatsache, daB auf dem Boden der Grenznutzenlehre eine Reihe von wichtigen Ergebnissen gewonnen sind; so ist duroh BOHM-BAWERK und MARSHALL, die Zeitvorstellung der Theorie eingefugt, so ist von MARSHALL dor Begriff der Quasirente entwickelt, die Bedeutung der ,,Elastizitat" in den Markt- und Wirtschaftsvorgangen entdeckt und in dem — noch nicht fest bestimmten — Begriff der ,,representative firm", der „typischen Unternehmung" eine wcsentliche Annaherung von der Robinsonade an die kapitalistische Wirtschaft angebahnt worden. Und hierin sehen wir das zweite wichtige Ergebnis: Die Grenznutzenlehre hat zusehends mehr die Notwendigkeit der Anschauung erkannt. Selbst v. WIBSBRS nicht gegliickte Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft laBt dies in ihrer Zielsetzung erkennen, und MARSHALLS Schriften kommen, trotz aller Diagramme und auch mit ihnen, der Wirklichkeit so nahe wie keine vorausgehende englische Theorie. Der teehnische Apparat der Grenznutzensehule ist heute, zumal bei PARBTO und EDGEWORTH, bei KEYNES und PIGOTT so verfeinert, daB von' ihr fast schon das gleiehe gilt wie von der mathematischen ,,Schule": aus einer Schule ist eine Technik geworden, die von jeder Richtung und in jeder Riehtung benutzt werden kann. Allein aueh der Teehnik gegeniiber bleiben zwei Bedenken. Das eine wird dadurch hervorgerufen, daB doch die Zahl derer nicht gering ist, die diese Technik fxir „die Theorie" halten. Das erregt heute nicht nur in Deutschland Widerspruch, sondern gerade auch in den Landern, wo der Kampf der geschichtlichen Schule gegen den Rationalismus noch nicht selbst durchgekampft ist. Die Gegemiberstellung von ,,welfare economics" und ,,price economics" -und die Begriindung der ,,institutionellcn Schule" 1 in den Vereinigten Staaten sind gegenwartig im Ausland das deutlichste Beispiel fur diese notwendige Abwehr. Wichtiger noch ist der zweite Einwand: Vom eigenen Boden der Rationaltheorie aus muB der Glaube an ihre Wichtigkeit in Erschutterung geraten. Selbst in ihrer hochstverfeinerten, mathematischen Form, selbst bei PARETO und EDGEWORTH, bleibt notwendig ihr Grundschema die Wirtschaft der freien Konkurrehz. Wir haben aber frflher schon betont, daB geschichtlich die vollig freie Konkurrenzwirtschaft eine kurze Episode gewesen ist, und es ist eine offeno Frage, wie lange eine Theorie sich behaupten kann, welche die freie Konkurrenz und das reine Monopol zu iiberdecken vermag, doch gerade nicht die organisierte Wirtschaft der Gegenwart, die Wirtschaft des 1
Hauptwerk: R. G. TITQWELL and others, The trend of economics. New York 1924. Salin, Volkswirtschaftslehre. 2. Anfl. 7
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geregelten Wettbewerbs, und welche die gesamte Erscheinung des Imperialismus theorctisoh nioht erfassen kann. In diesem Augenblick, wo die Rationaltheorie sich selbst ihrer Grenzen bewuBt wird 1 , ware es von hocbster Bedeutung, wenn in Deutschland die anschauliche Theorie in jener hochsten Vollendung sich darbote, auf welche die Entwicklung seit 100 Jahren hindrangt. Allein das Verhangnis ist, daB in all den Jahrzehnten dergeschichtliohen Wirtschaftssohule eine eigene deutsche Theorie nicht zur Ausbildung gelangte — ADOLPH WAGNEE, DIETZEL, LEXIS arbeiteten mehr nach
,,rationalem" als naeh ,,ansohauliohem" Verfahren, und ihre Werke besaBen so wenig Durchschlagskraft, daB lange Zeit ,,Grenznutzenlehre"und,,Theorie" schlechthin gleiohbedeutend sohien. Eben daduroh aber wurde die osterreichische Theorie mit der gleichen Zwangslaufigkeit wie die Sehmollerschule in stoffwiitige Kleinmeisterei, so ihrerseits in wenig fruchtbare Seholastik hineingetrieben. Nur aus diesem nach beiden Richtungen hin wenig erfreulichen Zustand ist das wissenschaftlicho Werk der beiden Manner ganz zu verstehen, die, urn Haupteslange die Generation ihrer Lehrer uberragend, den Kampf nach beiden Seiten eroffneten und doch durch eben diesen Kampf sich in das Schicksal der Vorganger verstrickten: WJSENEE SOMBABT und MAX W E B B E .
Kein groBerer Mensch ist in den Annalen der Okonomik eingezeichnet als MAX W E B E E (1864—1920) — von keinem vielseitigeren Wirken haben sie zu berichten, gewiB von bleibenderem, doch kaum von ahnlich symbolischem Werk 2 . Puritaner von strenger Unerbittlichkeit gegen sich selbst noch mehr als gegen andere, ein Mensch hitzigen Temperaments und kiihlen Verstandes, hat er alle die Fragen personlich durchlebt, die die kritische Lage der Wissenschaft seiner Zeit bestimmten, und hat nirgends geruht, ehe er sich und seinem zu personlichem Einsatz driingenden Ethos die gewaltsame Stille der Begrifflichkeit abgerungen, dem Stoff das feinmaschige Netz juristischer Kasuistik aufgezwungen hatte —, hierin vergleichbar nur dem leidenschaftlichsten und diistersten der Kirchenvater, TEBTTTLLIAN, der den geborenen Juristen nie verleugnet. In richtigem Gefuhl fiir einen wesentlichen Mangel deutscher Wirtschaftslehre, fiir die geringe Tragfahigkeit ihres philosophischen Unterbaus, hat er jene Philosophie zu Hilfe gerufen, die am wenigsten vom eohten Charakter des Weisheitsuchens bewahrt hatte, die RICKEETsche Erkenntniskritik, und hat ihr Schema, ihre Begriffe der Okonomik einzupriigen unternommen. In berechtigtem Widerstand gegen die unsaubere Vermengung von Ethik, Okonomik und Politik hat er — selbst wertend in jedem Augenblick und jedem Wort — die Wertung, das ,,Werturteil" von der Wissenschaft zu trennen versucht. Jene Ubertragung bliob innertheoretisch notwendig unfruchtbar, hatte aber insofern ein positives Ergebnis, als die ,,idealtypische" Bedeutung wirtschaftlicher Begriffe und Theorien zuerst heraustrat. Der Kampf um die Wertfreiheit war insoweit nutzbringend, als er das wissenschaftliche Gewissen scharfte und das heillose Durcheinander von sachlicher Untersuchung und naiver Beurtoilung aus Gruppen- und Parteigesichtspunkt ausschloB. Allein im ganzen hatte er doch den negativen Erfolg, daB das Phantom der „Objektivitat" die Herrschaft gewann, daB Trennung vom Ich, statt Lauterung, Steigerung, Vertiefung als der Weg wissenschaftlicher Schopfung erschien, daB der diirrste Glaube, der Wahn vonder objektiven, richterlichen Selbstherrlichkeit des Verstandes, an die Stello joncr metaphysischen Bindungen trat, deren freilich schon dauernde Abschwachung den Gang der Okonomik von der Antike und THOMAS bis zu MILL
begleitet und gekennzeichnet hatte. Mit dem Pathos eines echten Glaubens1
Ein erstes Anzeichen: J. M. KEYNES, Das Ende des Laissez-faire, Miinchen 1926. Gosammelte Aufsatze zur Religionssoziologie, 3 Bde., Tubingen 1920ff.; Gesammelte politische Schriften, Miinehen 1921; Gesammelte Aufsatze zur Wissenschaitslehre, Tubingen 1922; Gesammelte Aufsatze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, ebenda 1924, u. a. 2
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kampfers hat MAX WEBER diesen Unglauben verteidigt und zum System gesponnen, mit der selbstvernichtenden Askese eines religiosen Eiferers das eigene Werk dadurch aus seiner besten Richtung abgebogen. Hatto eine erste Studie in mustergiiltiger Klarheit die Bedeutung des Puritanismus fiir die Entwicklung des kapitalistischen Geistes herausgestellt, so kehrt sich allmahlich die Blickrichtung znr Gegenseite: zur Frage nach dem EinfluB der wirtschaftlichen und sozialen Verhaltnisse auf die Religionssysteme. Ein innerer Bruch kommt daduroh in Webers ,,Religionssoziologic", ihre spateren Teile behandeln statt der zentralen Frage des Einflusses der Religion auf die Wirtschaft das sehr moderne, sehr positivistische, von jeder Wesenserklarung abfiihrende, schon in der Fragestellung verfehlte Gegenproblem. Abermals wird klar, was diese ganze ,,Wertfreiheit" bedeutet: die letzte Form der positivistischen ,,Religion'"', den letzten Sieg der Aufklarung — erschiitternd und verfiihrend, weil hier ein adliger Mensch in vollem BewuBtsein den Schritt ins Nichts tut — niemals verbergend, daB es eine dunkle, gnadenlose Nacht ist, in die er fuhrt — von seinem Damon getrieben, der ihm zuraunt, daB keine andere Wahl ist als harter Dienst am Zeitgeist . . . Dies dunkle Miissen seiner verfinsterten Seele bcstimmt Inhalt und Riohtung seines Wirkcns auf alien Gebieten. Hatte zu Beginn der Nationalstaat seinen Zielpunkt gebildet, so riickt allmahlich „der" Staat, nieht ein bestimmtes Staatswesen, sondern der allgemeine Staatsbegriff wissenscliaftlich in den Vordergrund. Hatte er, zum Herrschen geboren, politisch sein Leben lang fiir die Demokratie gekampft, um der weltpolitisehen Betiitigung Deutsch lands willon, so verdammt ihn sein Schicksal zur fernen Mithilfe an ihrer Verwirkliehung im Augenbliek, als Niederlage und Staatsohnmacht jede Weltpolitik aussohlossen. Ein gleicher Unstern waltet iiber seinem wissenschaftlichen Handeln. Er selbst vereinigt in sich nieht nur die Wirtschaftswissenschaft und ihre Grenzgebiete, sondern Recht und Geschiehte, Religion und Kunst scheinen in ihm ihren Zusammenhang zu finden. Aber ihn kiimmert nieht diese in seiner Person noch vorhandene Einheit: An Stelle der Lebenseinheit, die die Klassiker und ihre Gegner — wenn auch mehr als Wirtschafts-, denn als Gesellschaftseinheit — festgehalten hatten, laBt er nur eine Vielzahl von „unentrinnbaren" Sonderwissensohaften gelten, verbunden nieht durch den Dienst an einem gemeinsamen Ziel, sondern eine jede in sich geschlossen durch die Einheit des „kausalen Problemzusammenhanges" und alle zusammengehalten nur durch den iiuBeren Mantel, der als •—• trotz ADOLPH WAGNEK und DIETZEL — in Deutsch-
land fremder Begriff an die Stelle der lebendigen ,,politischen Okonomie", der „National6konomie", der „Volkswirtschaftslehre" zu riioken bestimmt wird: „Sozialokonomik". — Von Lebenden hat diese ,,Geschiehte" zu schweigen — auch das Werk von WEBNEE SOMBART 1 kann infolgedessen nur, soweit es als Generationswerk schon geschichtlich ist, gewiirdigt werden, daher nur in der Bedeutung seiner Absichten und- Ziele, nieht in den Einzelheiten der tatsachlichen Leistung. Beherrschend erscheint bei ihm, im Vergleich mit seinen Vorgangern und den meisten Altersgenossen, der Wille zur Zusammenfassung (Synthese): vom Sozialismus stark bestimmt in seinem Ethos, vom Historismus als Wiegengabe den Sinn fiir das Einmalige, Besondere der einzelnen Zeiten und Ereignisse empfangend, wagt SOMBART zuerst, was die altere wie die jiingere geschichtliche Wirtschaftsschule versaumt hatte, die theoretische Durchdringung und anschaulich-systematische Zusammenfiigung des geschichtlichen Stoffes. Begrifflich die Einheiten als ,,Wirtsehafts1 Vgl. auBer den friiher genannten Schriften SOMBAKTS jenes Werk, das die Grundlage der Ausfuhrungen des Textes darstellt: Der moderne Kapitalismus, Bd. I und I I in zweiter neubearbeiteter Auflage, Miinchen 1916/17, Bd. I l l „Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus", Mtinehen 1927. — Als Erganzung und Begriindung unserer Textausfiihrungen ist die schon genannte Abhandlung „Hoohkapitalismus" (W. W. A. 1927) heranzuziehen. 7*
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s y s t e m e " erfassend, gibt er historisch d e n Ablauf einer solohen Wirt.ichaftsgestalt in d e r Geschichte des „ m o d e r n e n K a p i t a l i s m u s " — m i t seltener Einfiihlungsfahigkeit begabt, erforscht er die bislang d e r ,,biirgerlichen" Wissenschaft fremden Erscheimmgen d e r n a c h s t e n Vergangenheit, so d e n . n e u e r e n Sozialismus, so die Bourgeoisie. V o m S t a n d p u n k t d e r deutsehen Volkswirtschaftslehre a u s ist d a s E n t s c h e i d e n d e , daB — fast z u r gleichen Zeit, i n d e r M A X W E B E B sein W e r k d e r T r e n n u n g i n ,,Spezialwissenschaften" verrichtet — SOMBABT, d u r c h J a h r e h i n d u r c h sein Weggenosse, doeh n u r durch gemeinsamen Kampf, nieht d u r e h gemeinsamen Glauben m i t ilim v e r b u n d e n , nieht g e h e m m t d u r c h Verfahrens-Bedenken. noch d u r e h Stoff-Furcht, einen B a u auffuhrt, d e r die besten deutsehen Uberliefer u n g e n a u f n i m m t u n d i n wesentlichen Teilen d a s verwirklicht, w a s friihere Geschlechter vergebens c r s t r e b t h a t t e n : anschauliche Theorie. I n SOMBABTS ,,Modernem K a p i t a l i s m u s " ist a n Stelle des Nebeneinanders von ungeschichtlicher R a t i o n a l theorie u n d theorielosor Geschichte ein I n e i n a n d e r gegeben, bei dem die Wirtschaftstheorie R c c h t u n d Gewicht erweist, d a d u r c h dafi sie d i e t a t s a c h l i c h e n Vorgange v e r s t e h e n d erklart, u n d die Wirtschaftsgeschichte Ort u n d Sinn erhalt, d a d u r c h daB sie d e n theoretischen Z u s a m m e n h a n g in U b e r e i n s t i m m u n g u n d Abweichung erfahrungsgemafi siehert. Hier ist daher, wenn auoh noch so vie! a n geschiohtlichen u n d z u m a l a n theoretischen Einzelhciten zu andorn u n d zu bessern sein wird, doch z u m ersten Mai seit L I S T S gewaltigem Wurf a n Stelle d e s P r o g r a m m s d e r K N I E S u n d SOHMOLLBB i n einer iiberzeugenden Leistung d e r tatsiichliche Beweis erbracht, daB die abscitige deutsche Arbeit eines J a h r h u n d e r t s d i e Wirtschaftswissenschaft auf neuen, tragfahigen Boden zu stellen v e r m a g . Allein sowenig wie m i t d e m W i r k e n M A X W E B E B S d i e Aufgabe d e r Sozialokonomik i s t m i t d e m W e r k e SOMBABTS die Aufgabe d e r Volkswirtschaftslehre gelost, die Geschichte d e r Volkswirtschaftslehre abgeschlossen. J a , es ist zu sagen, daB i m Wesen d e r Volkswirtschaftslehre als einer geschichtlichen u n d politischen Wissenschaft die Notwendigkeit d e r Weiterbildung beschlossen liegt, solange d i e Wirtschaft selbst sich i n d e r E n t w i c k l u n g befindet u n d noch keinen n e u e n Beh a r r u n g s z u s t a n d erreicht h a t . Gerade dieses unterscheidet sie v o n d e r ,,reinen*' R a t i o n a l t h e o r i e , die i m m e r wieder d e r Meinung ist, daB d e r B a u d e r , , a b s o l u t e n " Okonomik feststehe u n d n u r noch problematische Einzelzimmer wohnlieh zu m a c h e n seien — eine A n n a h m e , die, nach d e r gcwiB zutreffenden V e r m u t u n g v o n E D C E WOBTH, P A B E T O b e s t i m m t e , die ,,reine" Theorie z u verlassen u n d sein W e r k iiber die Soziologie auszuarbeiten . . . Auch in D e u t s e h l a n d h a t die , , R e i n i g u n g " d e r Okonomik d u r c h M A X W E B E B m i t dazu bcigetragen, daB alle die L e b e n s m a c h t e , die in dieser strongen ,,Kausalwissenschaft" keinen P l a t z fanden, sich m i t d e n alten geschichtsphilsophischen Neigungen zu einer neuen Gesellschaftslehre verb a n d e n , j a , M A X W E B E B selbst empfand d a s Bedurfnis einer — wieder „spezialwissenschaftlichen" — B e h a n d l u n g der ganzen, gesellschaftlichen F r a g c n 1 : so wird in D c u t s c h l a n d die Soziologie vorwiegend ein Bezugssystem u n d e i n Eorschungsgebiet d e r Wirtschaftswissenschafter. . . Staats- u n d Gesellschaftsphilosophie, S t a a t s - u n d Gesellschaftslehre gehoren z u m altesten B e s t a n d d e r mensehlichen tJberlieferung u n d von P L A T O S bis zu H E G E L , v o n ABTSTOTELES bis zu M O N T E S Q U I E U ,
von T H U K Y D I D E S bis zu R A N K E e n t h a l t e n Philosophie u n d Geschichte einen reichen. Schatz gesellschaftlichen Wissens und Denkens. E s ist kein Zuwachs a n Wesenserkenntnis, wenn auch eine Vermehrung der stofflichen K e n n t n i s s s , als a n die Stelle dieser gesellschaftlichen Tiefenblicke die, selbstandige Wissenschaft d e r Soziologie t r i t t . I m Ausland ein spater SproB d e r Aufklarung, v o n C O M T E 2 evolutionistisch 1 MAX WBBERS Soziologie bildet unter dem Titel „Wirtschaft und Gescllschaft" bczeichnenderweisc einen Teil des Grundrisses der ,,Sozia!6konomik". 2 Cours de philosophie positive, 6 vol., Paris 1830—1842; Systeme do politique positive ou traite de sociologie instituant la religion de l'humanite, 4 vol., Paris 1851—1854.
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und positivistiscli begriindet, von SPENCEB organizistisch erweitert, hat in Deutschland eine Art von universeller Gesellschaftslehre, die R. v. MOHL und LOBENZ v. STEIN ZU cntwiokeln suchten, im 19. Jahrhundert wenig Einflufi besessen — die scharfe Kritik TBEITSCHKES hat namentlich MOHLS Lehre vernichtend getroffen. WUNDTS Beginnen, von seiner Psychologic aus zur Soziologie vorzudringen, war in den Ansatzen verfehlt und muBte scheitern — TONNTES' ,,Gemeinschaft und Gesellschaft" stand lange Zeit allein als Werk eines einsamen Denkers — SIMMELS Soziologie eine scharfe und aufschluBreiche, doch gleichfalls person-gebundene Beleuchtung einiger gesellschaftlicher Zusammenhiinge — selbstiindige, neuere Arbeiten der Amerikancr waren einfluBlos oder unbekannt. So konnte es von der groBten Bedeutung werden, daB nun der verspatete Positivismus WEBEES den Fragenkreis „Gesellschaft" aufgriff; aber da er es logizistisch tat in der Art seiner okonomischen Arbeiten — nicht das Wesen der gesellschaftlichen Erscheinungen zu ergreifen suchend, sondern auch hier gewillt und befahigt, ein selbstgewirktes Begriffsnetz auszuspannen —, war das Ergebnis nicht eine Losung der von MULLEE bis zu KNIES gesehenen, nun aus der Zeit heraus gestellten Aufgabo, sondern eine ueue Sonderwissenschaft: die ,,formale" oder „materiale" Soziologie. Von ihrem Eortgang und ihrer schnellen Verastelung hat die Sondergeschichte der Soziologie zu berichten. Hier ist nur noch in Kiirze klarzulegen, daB, wie WEBEES zorgliedernde ,,Soziologie" nicht jene Liicke ausfiiilt, die durch MULLEES und der Romautiker Miihen um eine zusammenschlieBende, zusammenschauende Gesellschaftslehre sichtbar wurde, so auch SOMBAETS Werk noch nicht den ganzen Umkreis jener Gebilde und Problerne iiberdeckt, die im Rahmen der anschaulichen Theorie erfaBt werden miissen. Nicht um an dem Geleisteten zu norgeln — das ist bei SOMBAET nur allzu leicht, ist oft genug geschehen und ist doch weder gemaBe Haltung noch fruchttragende Handlung —, auch nicht um die personliche GroBe und den zeitlichen Bruch des SoMBAKTSchen Schicksals und Werks zu umgreifen, wie wir selbst es zwiefach versuchten, sondern um einige Grundfragen der Gegenwart und der niichsten Zukunft herauszustellen, bediirfen nun gerade die Mangel dieser ersten Losung noch einer knappen Sichtung. Wenn friiher gesagt wurde, daB jede vollendete anschauliche Theorie die Rationaltheorie in sieh befassen, besser: daB diese in jener ,,aufgehoben" sein muB, so ist diese grundsiitzliche These auf Grund der nun betrachteten Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft in den letzten Jahrzehnten nochmals erfahrungsmaBig zu unterstreichcn. Der harte Kampf der ,,geschichtlichcn Schule" gegen die ,,Grenznutzenschulo" kann durch keine ,,anschauliche" Theorie beendet werden, die wie bei SOMBAET unrichtige oder halbrichtige Rationaltheorie enthalt; sondern der Gegensatz besteht dann in unverminderter Starke fort und die Verstandnismoglichkeit ist im tiefsten noch verringert, gerade dadurch daB die Zahl der auBeren Beriihrungspunkte vermehrt ist. DaB demgegenuber eine voile, lebendige Vereinigung von rationaler undgeschichtlicher Theorie moglich ist, lehrt SPIETHOI'ES Krisenlchre, das Werk eines Theoretikers aus der SCHMOLLEK-, eines Historikers aus der Grenznutzcnschule, und lehrt SPANNS Eundament dor Volkswirtschaftslchre, das von universalistisehcm Boden aus den richtigen Tell der rationaltheoretischen Ergebnisse einbaut; daB sie notig ist, lehrt jeder Blick auf die Wirklichkeit des heutigen Kapitalismus, der durchrationalisiert und also weitgehend nur rational erklarbar ist. In diesem Augenblick die Hilfe des Vrerfahrens und der Ergebnisse der Rationaltheorie im allgemeinen und der jiingsten, von Atomismus und Individualismus weitgehend befreiten, ,,Grenznutzcnschule"imbesonderenzu versehmahen, nur weil sie urspriinglich auf individualistischem Boden entstand, ware notwendig 1
Principles of Sociology, 3<1 cd., London 1885.
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und angangig nur dann, wenn sie auoh heute noch auf dem Standpunkt RICAEDOS und MENGEBS stiinde und wenn dieser Standpunkt noch ihre heutigen theoretischen Aussagon bestimmte. Aber sie ist, wie wirzeigten, langst dariiber Iiinausgewaohsen und sie hat in der technisierten Form von PABETO und EDGEWOETH, KEYNES
und PIGOU und den Amerikanern ihre praktisohe Brauchbarkeit und ihre Vereinbarkeit mit jeder anschaulichen, staatlichen, politischen Haltung so handgreiflich erwiesen, daB keine Theorie verschmahen kann, sie i n i h r e m G e l t u n g s b e r e i c h als Werkzeug zu nutzen; soweit sie aber im Spatkapitalismus an Geltung verliert, ist es gerade die Aufgabe der anschaulichen Theorie, ihre Grenze aufzuzeigen und das heute taugliche rationale Werkzeug zu schaffen. Noch groBere Wichtigkeit ist einer zweiten Tatsaehe zuzumessen: Die anschauliehe Theorie von SOMBAETS Kapitalismus ist ausschliefilich geschichtliche Theorie; aber nicht nur der Vorgang LISTS, sondern die Brfahrung jeden Tages lehrt, daB unentbehrlicher noch als die geschichtliche Theorie sich die praktische, die politische Theorie erweist. Hier hat der „Kampf gegen das Werturteil" einer ganzen deutschen Generation den Mut zur Arbeit benommen. Es gehort aber zu den dringlichsten Aufgaben, daB die sohlechte Briicke zwischen Wissenschaft und Politik, die W E B E E und SOMBAET zerstorten, durch eine bessere ersetzt wird — irn Augenblick wo sich die ganzen Okonomen darauf beschranken sollten, Saulenheilige zu sein, ware mit Pug und Recht das Todesurteil iiber diese beschauliche Wissenschaft gesprochen. Und wioder kann der Einbau der Rationaltheorie nicht entbehrt werden; denn so gewifi nur die echte Schau die staats- und weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten iiberblickt, innerhalb deren die Arbeit an Staat und Volk und Wirtschaft zu leisten ist, so gewiB wird sie zum Gelingen des Werkes jedes Werkzeug jeder Herkunft verwenden, wenn es nur wirklich tauglich ist. So sind noch heute wichtigste Aufgaben ungelost, die dem 19. Jahrhundert gcstellt waren; aber gliicklicher als die Westvolker, wo noch kein neuer Geist den sterbenden Individualismus ersetzt hat, hat der Deutsche wieder die Moglichkeit und das Ziel, eine eigene Form zu suchen und zu bilden. Auf dem Fundament, das die MULLEE, LIST und KNIES gelegt, hat die Arbeit der lebenden Generation
nun dem endgultigen Ausbau einer anschaulichen, organisch-geschichtlichen und staatlich-politischen Theorie zu gelten. Eine echte Volkswirtschaftslehre, dazu eine vergleichende Gestaltenlehre der Wirtschaft und — teils darin begriffen, teils das umfassende Gewolbe — eine zusammenschauende Gesellschaftslehre, diese drei Aufgaben sind es, um deren Losung heute zu ringen ist und von Forschern verschiedenster Herkunft und Richtung bereits gerungen wird. Die Schwierigkeiten sind nicht kleiner geworden — das Jahrhundert der Wissenschaft ist voriiber — nur eine Leistung, die den tiefsten Kraften des deutschen Wesens entsprungen und verbunden ist, darf noch hoffen, daB sie in gewandelter Zeit als Erfullung bleibenden Gehaltes und Gewichtes gilt.
Schrifttum Seltener als die groBen Vertreter anderer Wissenschaften fiihlen sich die Fiihrer der deutschen Volkswirtsehaftslehre gedrangt, in geschichtlichem Uberblick sioli das Werden ihrer Wissensehaft und liiermit den Boden gegenwartiger Problernatik und zukiinftiger Albeit zu verdeut lichen. Eine Heine wichtiger Bausteine trug die SCHMOLLEE dargebrachte Festschrift zusammen („Die Entwicklung der deutschen Volkswirtsehaftslehre im 19. Jahrhundert", 2 Bande, Leipzig 1908), einzelne Monographien von Rang, die HERKNEBS Aufsatz ,,Geschichte der Nationalokonomio" (Brentano-Festschrift, Miinchen und Leipzig 1916) aufzahlt, behandeln Leben und Lehre cinzolner Forscher. Aber das historische Jahrhundert ging voriiber, ohnc eine Gesamtdarstellung zu zeitigen, die auch nur von feme neben der iiberragenden Leistung des Jahrlrandertbeginns, GOETHES Geschichte der Farbenlehre, oder neben dem vertretenden Werk der geschichtliohen Hoch-Zeit, WINDELBANDS Geschichte der Philosophic, ja auch nur neben dem Spiitling U. v. WILAMOWITZMOLLENDOBFFS, der Geschichte der Philologie, genannt werden konnte. Unverbunden laufen eine personalbiographische und eine dogmenkritische Richtung nebeneinander her, jene reprasentiert durch ROSCHERS Geschichte der Nationalokonomik in Deutschland (Miinchen 1874), ein Werk von unerreicht vollstandiger Kenntnis der einzelnen Personen, besonderen Lehren und Tatsachen, aber in liberaler Vertraglichkeit ohne Sinn fiir Unterschiede des Ranges und fur die grSBere oder geringere Bedeutung und Eigenheit der in einem System enthaltenen Sondergedanken — diese vertreten zumal durch SCHUMPBTEBS Epochen der Dognienund Methodengeschichte (GrundriB der Sozialokonomik, Bd. I, S. 19ff.), ein typisches Werk der Fortschrittszeit in dem unbedingten Glauben an die alleinige Richtigkeit der jiingsten Lehren, daher giiltig und unantastbar nur soweit es literarische Zusammenhange der Dogmen behandelt, dagegen aus dem fortschrittlichen Mangel geschichtliohen Sinns blind fiir die relative, „historische" Richtigkeit aller Wissensehaft vor den ,,Klassikern", zumal fiir die Merkantilisten. In Frankreich hat eine altere soziologische Schulung die beiden Richtungen friih vereinigt — Werke wie DUBOIS (Precis de l'histoire des doctrines economiques, dans leurs rapports avec les faits et avec les institutions. Tome I, Paris 1903) und DENIS (Histoire des systemes economiques et socialistes. 2 vol., Paris 1904) sind das Ergebnis dieser notwendigen und fruchtbaren Verbindung. Auch das in Deutschland bekannteste Werk von GIDB undRlST (Histoire des doctrines economiques, 3. AufL, 1922; iibers. von HOEN, herausgegeben von OPPBNHEIMBB, Jena 1923) gehort hierher, wenn auch der dogmenkritische Einschlag iiberwiegt und infolgedessen das Verstandnis fiir die Bedeutung fremder Richtungen, THTTNENS beispielsweise, gering ist. In Deutschland ist — nach den tastenden, vorlauferischen Versuchen von DUHRINGS, aus politischen Griinden miBachteter, wissenschaftlich sehr bedeutender und noch immer lesenswerter, kritischer Geschichte der Nationalokonomie und des Sozialismus (Berlin 1871) — das erste Werk der soziologischen Richtung SPANN, ,,Haupttheorien der Volkswirtsehaftslehre" (17. AufL, Leipzig 1928), bislang die einzige Schrift, die den Anfanger zugleich in die Geschichte der Wissensehaft, in die Fragenstellung und die Verfahrenslchre einzufuhren geeignet ist. Eine umfassende Geschichte, die zugleich Staats- und Wirtschafts- und Sozial-, Ideen- und System- und Dogmengeschichte sein muBte, eine echte Geschichte der Staatswissenschaften also ist noch zu schreiben. Der vorstehende Uberblick kann dafiir nicht mehr als eine Vorarbeit leisten — er legt den Nachdruck auf die Herausarbeitung der ideengeschichtlichen Verwurzelungen und Zusammenhange.
Nameiiverzeichnis. Alberti, Leon B a t t i s t a 24. Albertus Magnus 20, 23, 29. Alembert, d' 38. Alexander I I I . 2 1 . Ambrosius 16. Anderson 35, 50. Andreae 12. Angelico, F r a 24 f. A n t i p h o n 3, 12. A n t o n i n u s v o n Florenz 24ff. Apollodor 10. Argenson, d' 4 1 . Aristophanes 10, 12. Aristoteles 2, off., 20ff., 25, 32, 100. Arkwright 44. Ashley, W . J . 26, 60f. Augustinus 16, 19, 22f., 24, 78. Augustus 15, 63. Avenel, d' 37.
Brissot de Warville 4 1 , 65. Brudcr 13. Brunelleschi 24. Bucher 111'., 83, 88. B u r c k h a r d t , J a c o b 88. B u r i d a n u s 20, 23, 25.
Diocletian 34. Domaszewski, v. 14. Donatello 24. Dubois 103. Duhring, E u g e n 80, 103. D u n o y e r 60. D u p o n t de Nemours 37 f., 39, ! 43, 45, 48.
Casar 12. C a n n a n 45, 62. Cantillon 3 1 , 36. E d g e w o r t h 94, 97, 100, 102. Eichhorn 85, 87. Carey 59. Eichthal, d' 67. Carl, G. 15. E n d e m a n n 20, 26. Carlyle 60, 86. E n f a n t i n 66. Carnot 68. Engels 64, 71, 75, 85. Cartwright 44. Castcl de S t . Pierre 36. F e u e r b a c h 72 f. Cato 13ff. Cclsus 13. Fichtc 91. Chares 10. Fisher, I r v i n g 94. Chevalier, Michel 68. F o r b o n n a i s 43. Child, J o s i a h 28, 33, 35, 37 F o u r i e r 68. Cicero 11, 13, 22. F r a n c k , Sebastian 63. Clapham 62. Babeuf 65f. F r a n c o t t e 12. Clark, J . B . 52, 95. Baehofen 88. Fricdrich I I . (Kaiser) 27. Ball, J o h n 64. Clemens 16. F u n c k - B r e n t a n o , T h . 28. Cobden 59f. F u n k , X . 26. B a r b o n 36. Colbert 33f., 37, 39. B a s t i a t 59 f. Galiani 25, 37, 4 3 , 53, 95. Baudeau 48. Columella 13 ff. Comte, Auguste 42, 60ff., 67, Genovesi 33. B a u d r i l l a r t 37. 100. Gidc 48, 103. B a u e r 74. Condillac 4 3 , 45. Gierke 26. B a x a 77. Condorcet 48f., 67. Girsberger 76. B a z a r d 68. Confuzius 4 1 . Godin 68. Becher, J o h . J o a e h . 30, 34, Copernicus 25. Godwin 44, 48 f. 37. Cournot 94. Goethe 4, 20, 5 1 , 54, 103. Beloch 12. Cour, P i e t e r de la 33. Gomberdiere, L a 34. Below, v. 37, 89, 90, 93 C r o m p t o n 44. G o n n a r d 70. Bentham 601 Cromwell 33, 47. Gonner, E . C. K . 5 1 . B e r n a r d i n v o n Siena 23 f. C u n n i n g h a m 37. Bernhardt, Theodor v. 8 1 . Gorki 75. Custodi 36. Bernstein 74. Gossen 95. Cyprian 16. Biaeh 28. Gothein, E b e r h a r d 37, 76, 88, 90. Bismarck 33, 83, 92, 94. Gottl, v. 53. B l u m 74. Daire 36, 44. Graswinckel 33. Bodin, J e a n (Bodinus) 28, Daniel 64. Gresham 10, 25. D a n t e 64, 78. 30if., 37, 77. G r i m m 87. D a r w i n 51, 54. BSekh 12, 87. G r o t i u s 33. D a v e n a n t 33, 35 f. B o h m - B a w e r k 96f. G u e t t i 77. Defoe 33. Boisguillebert 36. Guiceardini 77. D e m o k r i t 8. Bonald 78. Guillaumin 43 f. Denis 103. Bonar 48f., 62. G u m m e r u s 15. Diderot 38. Bouglet 68. Diehl, K . 62, 76, 8 1 . B r a n t s 26. Hausser, L. 80. B r e n t a n o , L . 88, 90ff., 94, 103 Dietzel 76, 83, 98 f. Dikaiarch 9. Haller 77. Briefs, G. 62.
Namenverzeichnis H a m m a c h e r 76. H a r g r e a v e s 44. H a r m s 54, 83. H a s b a c h 62. Hegel 72, 76, 84, 100. H e i n z e n 72. H e l a u d e r 37. Held 90. H e r d e r 84. H e r k n e r 93, 103. H e r m a n n , F . B . W . v. 8 1 , 95, H e r m a s 17. H e r o d o t 8. Hesiod 2. H i l d e b r a n d , B r u n o 12, 63, 78. 81, 84ff. Hilferding 74. H i p p i a s 9. H o m e r 2. H o r a z 15. H o r n 103. H o r n i c k 34. Hull, C. H . 36. Hume, David 31, 45. H u t c h e s o n 45. H y g i n 13. Ilgner 26. J a c q u a r d 44. J a k o b u s 17. J a u r e s 68. J e v o n s 37, 94f. Jeze 77. J o a c h i m v o n Floris 64, 67. Joseph I I . 43. J u s t i 30, 7 6 1 Kallikles 3 . K a n t 36. K a r l dor GroBe 16. Karl Friedrich von Baden 43. K a t h a r i n a I I . 43. K a u t s k y 64, 69, 74, 76. Keller, F . 26. K e y n e s , J . M. 70, 94, 96ff., 102. K i m o n 2. K i r e h m a n n , v. 83. K n a p p , G. F . 25, 78, 88, 90. K n i e s 4 3 , 72, 84ff., 88f., 100H. Laffemas 34. L a n d m a n n , E d i t h 55. Langenstein, H . v. 20. Lassalle 59, 74, 83. Law, J o h n 36. Leibniz 42. L e n i n 70, 74f. Lenz, F r . 76, 93. Leo X I I I . 20. Leroy-Beaulieu 30. Lesseps 67. Lessing 87. Levasseur 37. Lexis 98.
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List, F r iedr ich 3, 28, 30, 33, 53, 56, 58, 63, 7 1 , 78ff., 92, 100, 102. Locke 3 1 , 77. Ludewig, v. 34. L u k a s 16, 2 1 . L u t h e r 72. L u x e m b u r g , R o s a 74.
O e r t m a n n 13. Oncken 38, 4 1 . Oppenheim, R . 26. Oppenheimer 103. Oresme, Nicolas 25, 27. Origones 16. Ortes 36. Owen 73.
Mably 43. Mac Cullooh 56, 87. Macpherson 3 5 . Maistre, de 78. Malestroit 3 1 . M a l t h u s , T h . R . 36, 45, 48ff., 54, 57 ff., 62. Malynes 33, 35. Mandeville 66. Mangoldt, H . K . E . v. 8 1 . Mann, F . K . 37. Marcet 48. Marshall, Alfred 30, 37, 94ff. M a r t i n , Germain 37. Marx, K a r l 30, 45, 52, 6 3 1 , 66ff., 78ff., 83 f., 89, 9 5 . Masaccio 34. M a t t h a e u s 16. Mayer, G. 74. Medici, Cosimo 24f. Meisel 77. Menger, Carl 37, 89, 9 5 1 , 102. Mercier, L e , de la Riviere 38, 4 1 , 43, 48. Meslier 65. M e t h u e n 57. Mever, E d u a r d 12. Michels, R . 83. Mill, J a m e s 60. Mill, J o h n S t u a r t 30, 4 8 1 , 57, 6 0 f l , 70, 87, 98. Miller, G o n s t a n t i n 13. Mirabeau 3 1 , 38, 40, 4 2 1 , 48. Misselden 33, 35. Moser, J u s t u s 8 4 1 Mohl, R . v. 101. Montesquieu 43. Montchretien 2 8 f l , 32, 34. Morelly 6 5 1 M o r s t a d t 76. Moras, T h o m a s 30, 6 4 1 Moysset 68. Muckle 76. Miilberger 76. Miiller, A d a m 30, 53, 7 1 , 77 ff., 82, 8 4 1 , 101 f. Miinzer, T h o m a s 64. Mun, T h o m a s 2 8 1 , 3 2 1 , 35, 37. Mussolini 68.
P a l g r a v e 26. Palladius 13. Paracelsus 34. P a r e t o , Vilfredo 53, 9 4 1 , 97, 100, 102. P a u l u s 18. Pereire 67. Perikles 2. P e t e r der GroBe 76. P e t t y 28, 33, 3 6 1 , 77. P h i l i p p der Schone 26. Philippovich 96. Pigou, A, C. 9 6 1 , 102. P i n d a r 2. P l a t o n 3 f l , 7 f l , 1 2 1 , 17, 20, 53, 6 3 f l , 73, 78, 100. Plenge 12, 74, 76. Plinius 1 4 1 P o m p a d o u r 38. Prince-Smith 5 9 1 Protagoras 9 1 P r o u d h o n , P . J . 4 1 , 66, 6 8 1 , 76, 85. P y t h a g o r a s 17. Quercia, J a e o p o della 23. Quesnay 30, 3 7 f l , 45, 5 2 f l , 62, 6 9 1 , 82, 95. Raleigh 30. R a n k e 37, 8 4 1 , 88, 100. R a u 7 6 1 , 84. R e n n e r 74. R i c a r d o 3 1 , 47, 4 8 f l , 55ff. 6 9 f l , 77, 79, 8 1 1 , 84, 87, 9 5 1 , 102. R i c k e r t 54, 98. R i s t 48, 103. R o b b i a , L u c a della 24. R o d b e r t u s 11, 30, 8 3 1 , 9 1 . Rogers 37. Roscher 12, 37, 8 4 f l , 103. Rostovtzeff = Rostowzew 15. R o t h a c k e r 93. Rousseau 38, 65.
Saint-Simon 42, 58, 61 ff., 64, 6 6 f l , 76. Salin 5, 12, 16, 54, 83, 93. Saserna 13. Savigny 8 4 1 , 87. Sax 90. Necker 3 1 . Say, J e a n B a p t i s t e 30, 48, N e w t o n 38, 54. Nietzsche 6 1 , 65, 71, 88, 9 1 . 581, 761 North 3 5 1 Schacht 37.
106 Soheel, v. 13. Schelle 38, 62. Schlettwein 43. Sohmoller 12, 30, 37, 63, 88ff., 96, 100, 103. Schneider 26. Schbnberg 88. Schreiber 26. Schulze-Delitzsch 59. Schumacher-Zarchlin 84. Schumpcter 52, 94f., 103. Scrivener 44. Seckendorff, v. 30, 34. Seltmann 12. Seneca 14. Serra 29. Sievcking 62. Simmel 78, 101. Sismondi 91. Smith, Adam 3, 28, 30, 36, 44ff., 51, 54, 56, 58ff., 69, 76ff., 82f., 89, 95. Sokrates 3, 11. Solon 2. Sombart 15, 26, 28, 37, 53f., 58, 75f., 98ff. Sommer, A. 93. Sommer, L. 37. Sonnenfels 76f. Sorel 68.
Namenverzeichnis. Souchon 12. Spann 38, 53f., 70, 90, 93, 101, 103. Spencer 63, 101. Spiethoff 53, 93, 101. Stammhammer 76. Stein, L. v. 12, 58, 67, 76, 87. 101. Stieda 37. SuBmilch 28. Sully 38 f.
Vairasse 65. Varro 9, 10, 13, 15. Vauban 36f. Vergil 15. Voltaire 43, 65.
Waentig 81. Wagner, Adolph 77, 84, 98f. Walras 94f. Watt 44. Weber, Alfred 83, 103. Weber, Max 15, 26, 61, 98ff. Tertullian 16, 19, 98. WeiB, F . X. 96. Thaer 82. Weulersse 38, 62. Theophrast 9. Wicliff 63. Thierry 67. Wieser, v. 95, 97. Thomas von Aquin 19f., 22ff., WTilamowitz-M611endorff, U. v. 29, 98. 103. Thornton 57, 62. Wilbrandt 76. Thiinen 30, 71, 81 ff., 93, 96, Windelband 89, 103. Witworth 36. 103. Wolowski, M. L. 25. Thukydides 2, 12, 100. Wolters, Friedrich 37, 66, 72, Timotheus 17. Tonnies 101. 76. Trajan 12. Wundt 101. Treitschke 92, 101. Wyatt 44. Troeltsch, E. 93. Trotzki 75. Xenophon 3, 9ff. Tugwell, R, G. 97. Turgot 25, 42ff., 64, 67, 95. Zielenziger 37.