Ronald Hitzler Eventisierung
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Ronald Hitzler Eventisierung
Otto-von-Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Herausgegeben von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ronald Hitzler
Eventisierung Drei Fallstudien zum marketingstrategischen Massenspaß
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17932-2
Meiner katholischen Verwandtschaft
Vorwort
Es sind drei ‚Sommertexte‘ des Jahres 2010, die ich in diesem Bändchen zusammengestellt habe. ‚Sommertexte‘ soll dabei zweierlei konnotieren: Zum einen, dass die Texte in diesem Sommer entstanden sind, zum anderen dass sie in jenem Sinne sommerlich ‚leicht‘ sind bzw. ‚leicht‘ sein sollen, als ich darin mitunter das Genre der strengen wissenschaftlichen Argumentation ein wenig überschreite – hin zum Metaphorischen und hin zum Kommentierenden. Das hat ganz wesentlich damit zu tun, dass ich die Zeit als Otto-vonFreising-Gastprofessor an der Katholischen Universität Eichstätt als zugleich sehr entspannt und unerwartet anregend empfunden habe. Und das wiederum hat, so romantisch-schön das in vielerlei Hinsicht anheimelnde Städtchen Eichstätt im Altmühltal gelegen ist, vor allem anderen mit Menschen zu tun – zuvörderst mit den Studierenden, die den Weg in meine Veranstaltungen gefunden und ausgesprochen interessiert und sachkundig mit mir diskutiert haben, sodann mit den Kolleginnen und Kollegen, die mich wie selbstverständlich auf- und angenommen haben, unter ihnen insbesondere mit Rainer Greca, der mir unter vielem anderen auch ganz beiläufig eine neue Sicht auf die italienische Soziologie eröffnet hat, und schließlich mit Johanna Pfahler und Thomas Meyer, die alle meine Konfusionen als Orts- und Regelunkundigem nachgerade liebevoll besorgt aufgefangen und stets zum Guten gewendet haben. Zwei der hier – nach einer aus der Überarbeitung einer älteren Publikation gewonnenen, allgemeinen Einleitung – versammelten Texte basieren auf den Abendvorlesungen, die zu halten ich im Rahmen meiner Gastprofessur die Ehre und das Vergnügen hatte. Der dritte Text sollte die Leichtigkeit des Phänomens „Eventisierung“ an einem aus langjähri-
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Vorwort
ger Forschungsarbeit heraus naheliegenden Beispiel noch einmal zusätzlich illustrieren. Dann jedoch ist Entsetzliches geschehen, das nicht nur dieses dritte Event in seinem Ende in ein ganz anderes, ein mehr als düsteres Licht taucht, sondern das auch meine analytische Wahrnehmung des Phänomens „Eventisierung“ schlechthin verändert. Diese Veränderung wird weit gravierender sein, als ich sie hier erst einmal noch eher andeute. Künftig werde ich mich gewiss nicht mehr nur mit den beeindruckenden organisatorisch-logistischen Leistungen befassen, die zu erbringen sind, damit Events so werden, wie sie sein sollen. Künftig werden auch die vorherseh- und vermeidbaren und mehr noch die unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Risiken von Events wesentlich stärker in den Fokus meiner einschlägigen Erkenntnisinteressen rücken. An verschiedenen Orten im Spätsommer 2010 Ronald Hitzler
Inhalt
Vorwort .................................................................................................... 5 1
Einleitung: Event und Eventisierung ........................................... 11 1.1 Phänomenologische und soziologische Aspekte der Spaßkultur 11 1.2 Die Trajekt-Struktur des Events 15 1.3 Intensivierung und Extensivierung des Erlebnisangebotes als Dilemma 17 1.4 Eventisierung der postmodernistischen Existenz 19
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Eventisierung des Glaubens .......................................................... 23 Zur Frage nach der Komplementarität von Innovativem und Kanonischem am Beispiel des Weltjugendtages 2005 in Köln........ 23 2.1 Einleitung: Image-Verschiebungen der Katholischen Kirche unter Benedikt XVI. 23 2.2 Zum Theorem der Unsichtbarkeit der Religion in der Moderne 25 2.3 Das Phänomen der „Eventisierung“ 27 2.4 Der Weltjugendtag als kirchliche Innovation 28 2.5 High-Professional-Event versus Do-it-YourselfGemeindefest 32 2.6 Marketingkonzept und Inszenierungslogik 34 2.7 Die Eventisierung des Glaubens als ein Element der Pluralisierung 38 2.8 Popularisierung religiöser Traditionsformen 42
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Inhalt
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Eventisierung des Urbanen ........................................................... 45 Zum Management multipler Divergenzen am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010............................................... 45 3.1 Eine Vision und ihre alltäglichen Mühen 45 3.2 Die ‚Logik‘ der Selbstinszenierung 47 3.3 Die Idee der Kulturhauptstadt 49 3.4 Das (Um-)Organisationsprinzip 51 3.5 Strukturprobleme urbaner Eventisierung 55 3.6 Marketing – Aspekte und Effekte 57 3.7 Koordinierungsprobleme in komplexen Konstellationen 59 3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“ 62
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Eventisierung des Juvenilen .......................................................... 69 Idee, Transformation und düsteres Ende der Loveparade................ 69 4.1 Mentaldisposition „Juvenilität“ 69 4.2 Verrücktes Erleben 72 4.3 Die Idee der Andersartigkeit 76 4.4 Der Niedergang des Techno-Spektakels von Berlin 81 4.5 Der ‚Umzug‘ und das Ende eines Umzugs 84 4.6 Die Loveparade in der Vision einer „Metropole Ruhr” 89
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Fazit: Zur Verselbstverständlichung der Eventisierung ............ 93
Literatur................................................................................................. 97 Über den Autor.................................................................................... 111
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Einleitung: Event und Eventisierung
1 Einleitung: Event und Eventisierung
1.1 Phänomenologische und soziologische Aspekte der Spaßkultur 1.1 Phänomenologische und soziologische Aspekte der Spaßkultur
Das, was Spaß macht, ist immer und unabweisbar Ansichtssache. D.h.: Der Spaß, den man hat – oder auch nur sucht – hängt essentiell ab von Standpunkt, Blickwinkel und Perspektive des erlebenden Subjekts, von dessen (biographisch gewachsenen) Motivationsstrukturen und jeweiligem Relevanzsystem, kurz: vom situativen Insgesamt seines Erlebens.1 Manche thematischen Ausschnitte aus dem Insgesamt des subjektiven Erlebens erscheinen als im bzw. aus dem Bewusstseinsstrom „außergewöhnlich“ herausgehoben (vgl. dazu Schütz 2004, v.a. S. 139-218) – zum Beispiel dadurch, dass man seinen Spaß hat (vgl. Blask 1996). Die Korre1
Diese ebenso schlichte wie evidente Einsicht scheint so manchem intellektuell-publizistischen Zeitgeist-Kritiker anhaltend verwehrt zu sein. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die komplexe Idee der Spaß-Kultur immer wieder – und im entsprechend larmoyanten Duktus – reduziert wird auf eine Art je (medien-)modischer Varianten zu einem Lebensgefühl, wie es sich in jenem Schlagerklassiker von Roberto Blanco so einprägsam manifestiert? – Analytisch gesehen jedenfalls ist der Spaß, der sein muss, weder zwangsläufig der, der aus den (epochal überhöhten) „harmlos humorigen Vergnügungen des kleinen Mannes“ resultiert (Koch 2000, S. 20), noch der, der bei einer allfälligen Eventisierung natur- und ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge intendiert sein dürfte (vgl. Wormer 2000, S. 5; in diesem Sinne auch Göpfert 1999, S. 73). Der Spaß, der sein muss, kann ebenso darin bestehen, sich Maximalrisiken aller möglichen Art auszusetzen, wie darin, andere Lebewesen (zu Tode) zu quälen, wie darin, sich in Katastrophengebieten aufzuhalten oder im Stau zu stehen – oder in irgendetwas Beliebigem anderen – zum Beispiel auch darin, als Urlaubsvergnügen „in sengender Sonne im Steinbruch zu schuften“ (Pfeffer 1999, S. 40), usw. (vgl. auch Hitzler 2002).
R. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einleitung: Event und Eventisierung
late dieser „außergewöhnlichen“ Ausschnitte des Erlebens, dieser Bewusstseinsenklaven, bezeichnen wir als „Erlebniswelten“ (vgl. dazu z.B. Hitzler 2008). Diese Erlebniswelten betreten wir manchmal durch schlichtes Einschlafen (und bewohnen dann die Traumwelt). Manchmal betreten wir sie durch Phantasieren. Und sehr oft werden wir durch Kommunikationsangebote (z.B. Klatsch und Tratsch) oder durch ‚zufällige‘ äußere Reize in sie hineingelockt – oder auch hineingezwungen (vgl. Schütz 2003a und 2003b, Schütz/Luckmann 2003, S. 54-68 und S. 587-633). Insbesondere in Gesellschaften wie der unseren stehen kulturell aber auch mannigfaltige ‚Vehikel‘ zum Konsum bereit, die dezidiert dazu dienen, uns in „außergewöhnliche“ Bewusstseinsenklaven, in Erlebniswelten zu befördern: z.B. legalisierte und nicht-legalisierte Drogen; z.B. technische Medien wie Bücher, Videofilme, Fernsehen, Radio, Schallplatten bzw. CDs, Computerspiele, usw.; aber eben auch soziale Veranstaltungen wie Kinos, Spielhallen, Nachtclubs, Gottesdienste, Kunstausstellungen, Sportwettkämpfe, Modeschauen, Volksfeste und dergleichen mehr. An-, und das heißt hier in der Regel: feilgeboten wird dabei das Versprechen auf etwas, was sich also genau genommen gar nicht intersubjektiv vermitteln lässt, sondern was sich lediglich in subjektiven Bewusstseinsleistungen konstituiert: Feilgeboten wird das Versprechen auf – warum auch immer – gewünschte besondere Erlebnisse. Und zur (drastischen) Erhöhung der statistischen Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Eintritts der gewünschten besonderen Erlebnisse werden eben entsprechend geeignet erscheinende Vorkehrungen getroffen. Prinzipiell bezeichnen wir nun alle besonderen (besser: besonderten) Bewusstseinsenklaven, deren Rahmenbedingungen von anderen dergestalt mit der Intention vorproduziert und/oder bereitgestellt werden, vom erlebenden Subjekt benutzt, also im weitesten Sinne konsumiert zu werden, als „kulturelle Erlebniswelten“.2 Hier konzentriere ich mich jedoch auf solche 2
Die Flut von dieses Konzept illustrierenden und ‚ausbuchstabierenden‘ Publikationen ist kaum noch überschaubar. Eher zufällig, wenn auch nicht grundlos herausgegriffen seien hier Schulze (1999), Köck (1990), Gebhardt/Zingerle (1998), sowie die Sammelbände
1.1 Phänomenologische und soziologische Aspekte der Spaßkultur
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kulturellen Erlebniswelten, die durch jenen spezifischen Typus sozialer Veranstaltungen evoziert werden, den wir – vor dem Hintergrund der kulturhistorischen und -soziologischen Festforschung3 – als „Events“ bezeichnen (vgl. auch Schulze 1999, S. 79-104): Erfahrungsstrukturell lassen sich Events beschreiben als Korrelate von als „außergewöhnlich“ begriffenen thematischen Ausschnitten aus der Gesamtheit unserer Erlebnisse. Kulturtechnisch lassen sich Events beschreiben als aus unserem zeitgenössischen Alltag herausgehobene, raum-zeitlich verdichtete, performativ-interaktive Ereignisse mit hoher Anziehungskraft für relativ viele Menschen (vgl. Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer 2000; dazu auch Hitzler/Niederbacher 2010). Diese Anziehungskraft resultiert wesentlich aus dem ‚Versprechen‘ eines hohen, teilnehmerspezifisch vor angelegten, typischerweise verschiedene Kulturformen übergreifenden Spaß-Erlebens. In der Regel werden Rahmenbedingungen von Events – zumindest auch – mit der Absicht produziert, von den Teilnehmenden interagierend und im Hinblick auf situative Vergemeinschaftungssensationen konsumiert zu werden. D.h., Events sind vor-produzierte Gelegenheiten zur gemeinschaftlichen oder zumindest gemeinsamen Selbst-Inszenierung von Individuen auf der Suche nach einem besonderen (und besonders interessanten) „eigenen Leben“ (vgl. dazu Beck 1995). Nicht nur, aber wesentlich gekennzeichnet sind Events somit durch spezifische, auf Unvon Ferchhoff/Sander/Vollbrecht (1995), Kemper (1996), Hartmann/Haubl (1998), Willems/Jurga (1998). 3 Mit Winfried Gebhardt (1987) lässt sich das Fest als ein emotional positiv besetztes, freudvolles Geschehen bezeichnen, das in weitgehend ungeregelten Bahnen abläuft und für die unterschiedlichsten Inhalte offen ist. Bewegung und Spiel, Gesang und Tanz, Masken und Kostümierung sind wichtige Formelemente des Festes. Für den Zeitraum des Festes ist die alltägliche Sozialordnung außer Kraft gesetzt; Verstöße gegen sie sind explizit erlaubt oder gar geboten. Zumindest werden sie wohlwollend geduldet. Soziale Rollen und Positionen verlieren ihren verpflichtenden Charakter. Feste heben die alltägliche Wirklichkeit – zeitweilig – auf und ermöglichen es dem Einzelnen wie der sozialen Gruppe, sich aus den partikulären Zersplitterungen und Verpflichtungen des Alltags zu lösen und zu einem neuen, teilweise berauschenden Einheits- und Selbstwertgefühl zurückzufinden (vgl. auch Gebhardt 2000 und 2008).
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1 Einleitung: Event und Eventisierung
terhaltung ausgerichtete Erlebnisversprechen; insbesondere solche auf Action, Spaß und Rausch (im weiteren Sinne) im Kollektiv. Als symptomatisch für das Event-Erleben erscheint eine zwar punktuell fokussierte, aber gleichwohl relativ nachhaltige emotionale und/oder mentale Involviertheit in das interaktive Gesamtgeschehen angesichts eines wie auch immer gearteten performativen Anlasses. Gerhard Schulze (1993, S. 20) etwa spricht von Erfahrungserwartungen wie „Ekstase, Spannung, Entspannung, sich wohlfühlen, Gemütlichkeit, sich ausagieren“. Ich würde noch genereller sagen, dass es um den Wunsch nach dem geht, was Psychologen als ‚Eu-Stress‘ bezeichnen (vgl. Simmons/Nelson 2007) – wobei die konkreten Eu-Stress-Faktoren allerdings sehr breit streuen. Gelingender Weise bieten Events den Teilnehmern somit typischerweise außergewöhnliche Chancen, sich sozusagen wie in einem Kollektiv-Vehikel aus Lebens-Routinen heraustransportieren zu lassen und zeitweilig an symbolisch vermittelten, mehrkanaligen Sinnenfreuden zu partizipieren. Vor dem Hintergrund vielfältiger, mit generellen Modernisierungsprozessen einhergehender Entzauberungserfahrungen erscheinen Events mithin als die transzendenzgesättigten Teilnahme-Optionen und sinnstiftenden Kommunikationsressourcen am Übergang in eine „andere Moderne“, die, Zygmunt Bauman (1995) zufolge, unter anderem eben dadurch gekennzeichnet ist, dass gemeinsames Handeln nicht mehr geteilten Interessen folgt, sondern diese Interessen überhaupt erst erzeugt. Events sind folglich weniger rituelle Manifestationen dessen, was wir im Anschluss an Zygmunt Bauman „posttraditionale Gemeinschaften“ nennen (vgl. z.B. Hitzler 1998 und 1999a sowie Hitzler/Honer/Pfadenhauer 2008), als vielmehr deren situative Rahmungen.
1.2 Die Trajekt-Struktur des Events
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1.2 Die Trajekt-Struktur des Events 1.2 Die Trajekt-Struktur des Events
Organisatorisch gesehen sind Events mehrstufige, komplexe Konstruktionsprozesse, bzw. mit Anselm Strauss (1993) gesprochen: Trajekte.4 D.h., Events entstehen nicht quasi naturwüchsig bzw. spontan, sondern werden im Zusammenwirken mannigfaltiger Akteure und Gruppen von Akteuren hergestellt, deren Aktivitäten letztlich nur dann Sinn ergeben, wenn man sie als durch einen „Ereigniskern“ fokussiert begreift, der generell am Prinzip „Ein bisschen Spaß muss sein!“ orientiert ist. Analyserelevant erscheinen somit sowohl die (intentionale) Produktion der Voraussetzungen solcher extraordinärer Kollektiv-Vergnügungen durch mehr oder minder professionelle Organisatoren, als auch die (habituelle) Konstruktion des Spaß-Habens im Vollzug durch die Interaktionen der Teilnehmer, als auch die (attentionale) Rekonstruktion derartiger Ereignisse im Rückblick durch Kommentatoren, die sich aus Organisatoren, Teilnehmern und Außen-Beobachtern rekrutieren. Diese drei Hauptphasen sind natürlich wiederum jeweils in sich vielfach differenziert. Einige besonders markante Elemente sind bei der Produktion bzw. der Organisation der Voraussetzungen Die phantastische Idee Die Planung Die realistische Idee Die Finanzierung Das Management Die realisierte Idee 4
Das Trajekt-Konzept ist von Strauss als theoretisches Instrument zur Rekonstruktion von sozialen Ereignisfeldern im Kontext biographischer Prozesse (insbesondere von Krankheitsverläufen) entwickelt worden (vgl. in diesem Sinne auch Strauss 1991, Riemann/ Schütze 1991, Schütze 1994; dazu z.B. auch Honer 1994, Streckeisen 1994). Vorschläge zu allgemeineren kultursoziologischen Applikationsmöglichkeiten hat insbesondere HansGeorg Soeffner (1991) gemacht (im Anschluss an ihn vgl. auch Brosziewski 1997, v.a. S. 27-29, Pfadenhauer 2008, S. 181ff).
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1 Einleitung: Event und Eventisierung
der Konstruktion bzw. dem Stattfinden im Vollzug Das reale Erleben Die soziale Besonderung Die zeitliche Besonderung Die räumliche Besonderung Die atmosphärischen Essentials Die erlebte Realität der Rekonstruktion bzw. der Bearbeitung im Rückblick Das soziale Echo Das Accounting Die Verklärung Die erlebte Idee Die Erwartung Auch anhand dieser groben Trajektstruktur sehen wir bereits, was Michaela Pfadenhauer (2000 und 2003, S. 171-206) expliziert, nämlich dass das, was dem Konsumenten intendiertermaßen Spaß macht, dem Produzenten der Voraussetzungen dieses Spaßes zunächst einmal, vor allem und mitunter auch nur Arbeit, eben Planungsarbeit, Organisationsarbeit, Auf- und Abbauarbeit macht, Kosten und Risiken aufbürdet usw. Unbeschadet dessen kann der Produzent allein das Event ebenso wenig ‚machen‘ wie der Konsument. Der Produzent kann nur die Rahmenbedingungen herstellen bzw. optimieren. Der Konsument kann nur unter den (vom Produzenten im Verein mit dem Zufall) gegebenen Bedingungen etwas (gewollt Besondertes) erleben. In einer verwickelten Dialektik des MiteinanderMachens (des Vor-Machens, des Nach-Machens, des Mit-Machens) aller Beteiligten wird das Event als ein räumlich, zeitlich und sozial besonderes Ereignis ‚in situ‘ konstruiert. Das Event als ein als „Event“ gerahmtes Erlebnis5 aber konstituiert sich erst rekonstruktiv, also ex post, bzw. in 5
Zum Konzept der Rahmung und v.a. der Umrahmung (durch Transformation, Modulation usw.) vgl. Goffman (1977); vgl. dazu auch Eberle (1991), Hettlage (1991) und Willems (1997).
1.3 Intensivierung und Extensivierung des Erlebnisangebotes als Dilemma
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typisierender Antizipation nachmaliger Deutungen, Wertungen, Er- und Verklärungen, in Relation zu (ebenfalls) typisierenden Erwartungen.
1.3 Intensivierung und Extensivierung des Erlebnisangebotes als Dilemma 1.3 Intensivierung und Extensivierung des Erlebnisangebotes als Dilemma
Dass freizeitkulturelle Angebote aller Art erlebenswerte Ereignisse darstellen bzw. zumindest beinhalten müssen, wenn sie sich auf dem Markt multipler Optionen in unserer Gegenwartsgesellschaft überhaupt behaupten sollen, das ist – spätestens seit Gerhard Schulzes Deklaration der „Erlebnisgesellschaft“ (1993) – eine sozialwissenschaftlich eher triviale Einsicht. Dass erlebniswerte Ereignisse und insbesondere Verheißungen auf erlebenswerte Ereignisse zweckdienliche Vehikel zur (besseren) Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen ebenso wie von religiösen und politischen Heilsversprechen sind, ist ebenfalls eine – sich in wahrscheinlich universalhistorisch vorfindlichen Manipulations- bzw. Motivationstechniken niederschlagende – Binsenweisheit.6 Unbeschadet dessen haben erlebenswerte Ereignisse stets wenigstens zwei analytisch relevante Dimensionen: eine qualitative und eine quantitative bzw. eine der Intensivierung und eine der Extensivierung. Sehr vereinfacht gesagt:
6
Diese Binsenweisheit in systematische Konzepte der – direkten wie indirekten – Verkaufsförderung zu transformieren, darin besteht im Wesentlichen die professionelle Leistung des sogenannten Event-Marketing (gl. dazu Liebl 1996, 1999; Pine/Gilmore 1999; vgl. dazu auch die Beiträge in Nickel 1998). Zur anthropologischen bzw. universalhistorischen Dimension vgl. z.B. Turner (1989) und Berking (1993); zur kulturgeschichtlichreligionssoziologischen Dimension vgl. z.B. Eliade (1957), Gebhardt (1987 und 1994); zu kulturpolitischen Aspekten vgl. Häußermann/Siebel (1993), Hannigan (1998); zu konsumsoziologischen Aspekten im engeren Sinne vgl. z.B. Knoblauch (1988), Blaschka (1998) und Keim (1999); zum Prinzip der Erlebniswerbung im weiteren Sinne vgl. z.B. Reichertz (1992 und 1994).
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1 Einleitung: Event und Eventisierung
Zielt ein Ereignis-Angebot stark auf Erlebnis-Intensivierung ab, reagieren die Nutzer des Angebots intendiertermaßen mit einer starken Bindung an dieses Angebot. Daraus resultiert sozusagen beiläufig jedoch auch die Tendenz zur quantitativen Einschränkung des potentiellen Nutzerkreises. Club-Leben bzw. Club-Kultur z.B. hat für die, die – warum auch immer – daran partizipieren, typischerweise einen starken Erlebniswert (vgl. dazu Redhead 1998a und 1998b). Dieser starke Erlebniswert basiert jedoch wesentlich auch auf dem Bewusstsein von Distinktion, also darauf, dass ‚die Vielen‘ draußen vor der Tür, auch vor der mentalen und emotionalen Tür bleiben. Es gilt, mehr oder weniger radikal: Rein kommt, wer (dr)in ist. Zielt ein Ereignis-Angebot stark auf Erlebnis-Extensivierung ab, nehmen die Nutzer des Angebots dieses eher beiläufig wahr, bzw.: sie nehmen es sozusagen mit, sofern es situativ in ihr je eigenes Relevanzschema passt (vgl. dazu Ferchhoff/Neubauer 1997, Ferchhoff 1999 und 2007 sowie – pointiert überzeichnet – Goebel/Clermont 1997 sowie Illies 2000). Daraus resultiert zwar einerseits die Tendenz zur quantitativen Ausweitung des potentiellen Nutzerkreises, andererseits aber verflacht sozusagen der Erlebniswert der jeweiligen Ereignis-Teilnahme. Die „Super-Party“ an jedem Wochenende in jedem ‚Nest‘ z.B. konterkariert sich gleichsam selber. Denn woran alle mehr oder weniger jederzeit partizipieren können, das verliert eben seine punktuelle und individuelle Besonderheit. Es gilt dann, wiederum mehr oder weniger radikal: Wo jeder ist, ist keiner mehr ‚zu Hause‘. Vor diesem Hintergrund meint die Frage nach dem Event-Potential von Veranstaltungen, ob bzw. inwiefern es den Organisatoren gelingt, erlebniswerte Ereignisse anzubieten, die sowohl die Außeralltäglichkeit der Teilnahme und damit die relative Besonderheit des Teilnehmers als auch die mentale und emotionale Zugänglichkeit des infrage stehenden Events auch für den Gelegenheitsteilnehmer hinlänglich gewährleisten. Das ist natürlich eine dilemmatische Problemstellung, die unter den gegebenen kulturellen Bedingungen wahrscheinlich für jede Art von EventProduzenten – zumindest auf Dauer – unlösbar ist (vgl. dazu, grosso mo-
1.4 Eventisierung der postmodernistischen Existenz
19
do mit deutlich optimistischeren Einschätzungen, die Beiträge z.B. in Deese u.a. 1996 und in Nickel 1998).
1.4 Eventisierung der postmodernistischen Existenz 1.4 Eventisierung der postmodernistischen Existenz
Wenn es aber zutrifft, dass keine, auch keine noch so professionelle Organisation den von ihr je produzierten bzw. produzierbaren Event-Typus mehr dauerhaft und massenhaft ‚kundenbindend‘ institutionalisieren kann, dann folgt daraus, dass in Zukunft die einzige kulturelle Stabilität in Gesellschaften wie der unseren im Wechsel prinzipiell instabiler Trends bzw. Moden bestehen dürfte – und für den angebotskonsumierenden Akteur damit typischerweise sozusagen in einem lebenslangen mentalen Kulturtourismus bzw. -vagabundismus (vgl. dazu verschiedene Beiträge in Gebhardt/Hitzler 2006), der sich – generalisiert ausgedrückt – tatsächlich an nichts anderem orientiert, orientieren kann, als daran, dass auf jeden Fall ein bisschen Spaß (dabei) sein muss – allerdings eben immer der Spaß, den er je gerade haben will (vgl. dazu nochmals Blask 1996). In diesem Verstande lässt sich nun ein Trend7 konstatieren – hin sozusagen zur Eventisierung des Lebens in der Gegenwartsgesellschaft schlechthin. Den Begriff „Eventisierung“ verwende ich dabei mit zweierlei Konnotationen. Zum einen soll er eine gesellschaftliche Entwicklung bezeichnen, bei der immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Miteinanders mit einer bestimmten Art kultureller Erlebnisangebote durch7
Aussagen über Trends, also über im Entstehen befindliche bzw. in der Entwicklung begriffene Veränderungen gegenüber dem gegenwärtigen ‚Stand der Dinge‘ (WerdensAussagen, insgesamt oder im Speziellen: Diagnosen sozialer Möglichkeitsräume), basieren auf ‚logisch‘ ungesicherten bzw. zweifelhaften, assoziativen – bzw. mit Charles S. Peirce (2004) und Jo Reichertz (2004) gesprochen: abduktiven – Deutungen mehr-deutiger, bedeutungsverschobener, ‚verkleideter‘, lücken- und schemenhafter, zum Teil einbzw. erstmaliger und/oder epi-phänomenaler, jedenfalls (bis auf weiteres) ‚anekdotischer‘ An-Zeichen. D.h., hierbei geht es wesentlich um die Interpretation von sogenannten „schwachen Signalen“ (Liebl 2000, passim, vgl. v.a. S. 20), in denen die ‚Keime‘ des Zukünftigen zu vermuten (bzw. in einem eben abduktiven Sinne erschließbar) sind.
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1 Einleitung: Event und Eventisierung
zogen und dergestalt sozusagen ‚verspaßt‘ werden. Dabei werden sowohl überkommene Formen kultureller Veranstaltungen (wie z.B. Nachbarschaftsgeselligkeiten, Jubiläen aller Art, Geburtstags- und Hochzeitsfeiern, Gottesdienste, wissenschaftliche Vorträge, politische Kundgebungen, Sportwettkämpfe und vieles andere mehr) mit neuen oder aus anderen Zusammenhängen übernommenen, erlebnissteigernden Unterhaltungselementen und Konsumangeboten angereichert, als auch vervielfältigen sich solche ‚künstlichen‘ Ereignisse, die bereits von vornherein als „Events“ konzipiert sind und dementsprechend strategisch geplant, organisiert und abgewickelt werden (z.B. Rockkonzerte, Raves, Burning Man Festival, Public Viewing und dergleichen). Die andere Konnotation des Begriffs „Eventisierung“ meint die Projektion und Produktion, kurz: das Machen irgendeines konkreten Events der einen oder der anderen Art, also sowohl der der angereicherten kulturellen Traditionsveranstaltung als auch der der strategischen Neuschöpfung.8 Bei dem, was hier mit „Eventisierung“ gemeint ist, geht es dergestalt um die wie auch immer gelingende Herstellung und Bereitstellung von Erlebniswelten für jede und jeden jederzeit, allerorten und mehr oder weniger ‚unter allen Umständen‘. Das, was damit gemeint ist, reicht eben so ungefähr von den Bayreuther Wagnerfestspielen bis zum Wacken Open Air, vom Club Mediteranée-Prinzip bis zum Thai-Break der Techno-Liebhaber, von der Kaffeefahrt für Rentner bis zum WSOP Mainevent, vom Heimspiel des FC Bayern bis zum Sportkletterer-Meeting, vom Erlebnisgottesdienst bis zur Vorlesung in der Fußgängerzone, vom Euro-Disneyland bis zum Spaßbad in Klein-Kleckersdorf, von der Tupperware-Verkaufsparty bis zum Firmenausflug, von der Fete im Museum bis zur Prominentengala, von der 8
Die Klammer um die im vorliegenden Band zusammengestellten Beiträge bildet mein zeitdiagnostisches Interesse an Eventisierung als einer gesellschaftlichen Entwicklung schlechthin. Diese Klammer füge ich in die Beschreibung und Analyse von Eventisierung im Sinne des Event-Machens dort und dann ein, wo und wenn ich auf Aspekte der allgemeineren Bedeutung der speziellen Events zu sprechen komme, mit deren jeweiliger Konstruktion ich mich hier auf der Basis empirischer Studien, an denen ich beteiligt war bzw. bin, befasse.
1.4 Eventisierung der postmodernistischen Existenz
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Lichterkette bis zum Parteitag, usw. – und eben auch vom Weltjugendtag über die Kulturhauptstadt bis zur Loveparade. Salopp formuliert: Das Event wird vielleicht nicht alles sein, aber alles wird nichts sein ohne Event. D.h., Events sind – letztlich vielleicht nicht hinreichende, gleichwohl jedoch unumgänglich notwendige – existentielle Bezugs- und Kulminationspunkte des lebenslangen individuellen Sinnbastelns der vielen, aus verbindlichen Denk- und Verhaltensnormen, aus verlässlichen Sozialbeziehungen und Symbolwelten herausgelösten Einzelnen (vgl. dazu Hitzler 1999). Daraus wiederum folgt nun, dass in dem Maße, in dem jeder Einzelne sich seinen Spaß erlaubt, indem er sozusagen existentiell Ernst macht mit dem Spaß, der sein muss, einige zwar noch weitgehend unbedachte, gleichwohl vermutlich gravierende Konsequenzen für unser künftiges Zusammenleben zu gewärtigen sind (vgl. dazu Hitzler/Pfadenhauer 2000). Eine dieser Konsequenzen ist, dass „Spaß haben und niemandem weh tun“ sich zwar durchaus als eine Art übergreifendes ethisches Postulat posttraditionaler Eventgemeinschaften rekonstruieren lässt, wie es Winfried Gebhardt exemplarisch getan hat (vgl. Gebhardt 1999), dass damit aber weder der – bislang im wesentlichen sozial geächtete – Ausnahmefall, in dem der Spaß eben gerade darin besteht, jemandem weh zu tun, noch der – in jeder Hinsicht alltagsübliche – Konfliktfall geklärt wäre, bei dem des einen Freud’ eben hochgradig korreliert mit des anderen Leid.9 Kurz: Eine Konsequenz der u.a. von Matthias Horx (1999, S. 7) gestellten Prognose, dass Spaß zu einer ausgesprochen ernsten Angelegenheit werden dürfte, wird der gravierende – und vermutlich bleibende bzw. sich verschärfende, weil eben nicht allgemein akzeptabel zu befriedigende – gesellschaftliche Bedarf sein an verbindlichen Regelungen des sozialen Verkehrs bzw. an der hinlänglich verlässlichen Geltung einer novellierten „Goldenen Regel“ (vgl. Bellebaum/Niederschlag 1999) unter den Bedingungen einer generalisierten Spaßkultur. 9
Ein besonders eklatantes Beispiel dafür dürften wohl sogenannte gewaltaffine (Jugend-) Kulturen darstellen (vgl. dazu u.v.a. Eckert/Wetzstein 1999, Farin 1999, Findeisen/Kersten 1999, Hebecker 1997, Rohmann 1999, Tertilt 1996, Trüller 1999, Utz/Benke 1997).
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Eventisierung des Glaubens
2 Eventisierung des Glaubens
Zur Frage nach der Komplementarität von Innovativem und Kanonischem am Beispiel des Weltjugendtages 2005 in Köln
2.1 Einleitung: Image-Verschiebungen der Katholischen Kirche unter Benedikt XVI. 2.1 Image-Verschiebungen der Katholischen Kirche unter Benedikt XVI.
In ‚unkatholisch‘ kurzen Wellen (also sozusagen in Mode-Zyklen von Mitte des Jahres 2010 aus) betrachtet, war die vorletzte Phase des medienöffentlichen Images der katholischen Kirche zumindest hierzulande wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass einige Äußerungen und Entscheidungen des Papstes zeigten, dass Benedikt XVI. zwar phänotypisch jene „Knuffigkeit“ eignet, die ihn medial als freundlich, gelassen und heiter (also fast wie den Dalai Lama) erscheinen lässt, dass der in diesem Papst steckende Theologie-Professor und Kardinalpräfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Josef Ratzinger, aber eben durchaus nicht nur als eher initiativ- und mithin harmloser „Brückenbauer“ eines Übergangs vom dezidiert medienpopulistischen Papst Johannes Paul II. zu einem anderen (und wohl auch einer anderen Art von) Leitstern am Firmament des Katholizismus zu fungieren gedachte. In dieser Phase haben die mitunter ausgesprochen provokativen, insbesondere im europäischen Kirchenvolk oft als hypertraditionalistisch bzw. reaktionär eingeschätzten Verlautbarungen und Dekrete aus dem Vatikan (etwa die als islamkritisch interpretierte Regensburger Vorlesung, das Hin-und-Her um die Rücknahme der Exkommunikation von Mitgliedern der Piusbruderschaft, der
R. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Eventisierung des Glaubens
Streit um das gemeinsame Abendmahl und so weiter) für Unverständnis und zunehmende Kritik gesorgt. Aktuell nun (Mitte 2010) scheint die katholische Kirche ja sozusagen „komplett unten durch“ zu sein in der öffentlichen bzw. in der veröffentlichten Meinung, weil die Botschaft „Lasset die Kindlein zu mir kommen!“ offenbar nicht nur von einigen Sexualbefreiern und Reformpädagogen der Protestkultur-Ära, sondern eben auch von manchen geistlichen Herren im sinnlichen Sinne zu extensiv ausgelegt worden ist. Was uns an dieser vorläufig letzten Phase als unbeteiligte Beobachter vor allem irritiert, das ist keineswegs der Befund an sich, der da von je interessierter Seit mit großem Eifer vielgestaltig und vielgesichtig aufgedeckt wird. Was uns irritiert, das ist das augenscheinlich der heutigen Inszenierungslogik der Medien gegenüber – gelinde ausgedrückt – suboptimale Konzept der Katholischen Kirche zur schnellen und expressiv demütigen Selbstbezichtigung und symbolischen Buße und Reinigung (vgl. Bublitz 2010). Die aktuelle „Verurteilung“ der sogenannten Missbrauchsfälle durch Benedikt XVI kam medienlogisch einfach zu spät und wirkte fast wie aufgezwungen und mithin nicht mehr zu vermeiden. (Vom schlicht tölpelhaften Leugnungsversuch des Bischofs Walter Mixa soll hier gar nicht die Rede sein. Aber zum professionellen Umgang mit der heute dominanten, mediengetriebenen Bekenntniskultur sollte man sich in der Katholischen Kirche z.B. vielleicht einmal den „Fall“ Margot Käßmann etwas genauer anschauen.) Jedenfalls verwundert den soziologischen Beobachter diese defizitäre Strategie bzw. dieses strategische Defizit gegenüber den ‚Erfordernissen der Zeit‘ bei einer sozusagen mit allen historischen Wassern gewaschenen Organisation, der wir vor wenigen Jahren mit Nachdruck und Überzeugung „institutionelle Klugheit“ attestiert haben (vgl. Forschungskonsortium WJT 2007, S. 215-217).
2.2 Zum Theorem der Unsichtbarkeit der Religion in der Moderne
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2.2 Zum Theorem der Unsichtbarkeit der Religion in der Moderne 2.2 Zum Theorem der Unsichtbarkeit der Religion in der Moderne
Diese „institutionelle Klugheit“ der Katholischen Kirche haben wir aufgrund allgemeiner modernisierungstheoretischer Analysen zur Religionsund Kirchensoziologie konstatiert. Diesen Analysen zufolge ist Religion, gleichsam für und von jedermann erlebbar, von einem Schicksal zu einer Entscheidung, von einer Kollektivangelegenheit zu einer Privatsache geworden. Fälschlicher Weise wird diese Einsicht jedoch nicht selten als eine Art Verabschiedung des Glaubens in der Moderne bzw. aus der Moderne schlechthin interpretiert. Zumindest dann, wenn diese Diagnose von Sozialwissenschaftlern vorgetragen wird, die sich mit dem Phänomen der Religion im Anschluss an Thomas Luckmanns „methodologischen Agnostizismus“ auseinandersetzen, impliziert sie jedoch keineswegs eine Säkularisierungsthese mit solcherlei Implikationen (vgl. dazu auch die Beiträge in Berger 1999; vgl. auch Berger 1991 und von Trotha 2007) Anders als solche Autoren, die sich – in der Tradition linker Religionskritik – gerne mit aufklärerischem Pathos als Prediger wider alle moralische Verlogenheit (und dabei besonders prominent eben auch wider die der Kirchen) in Szene setzen, hat (der ‚privat‘ gläubige Katholik1) Luckmann nichts weniger im Sinn als die Destruktion von Religion. Im Gegenteil: Religion ist für ihn eine anthropologisch-universalhistorische Konstante, ist gleichsam die gesellschaftliche ‚Antwort‘ auf den evolutionär angelegten Sinnbedarf des Menschen. Und die Theorie der „unsichtbaren Religion“ (vgl. Luckmann 1967, 1991) ist dementsprechend vor allem der Aufweis, dass Säkularisierung keinesfalls bedeutet, (die) Menschen würden areligiöser bzw. ungläubiger, sondern allenfalls, dass im Zuge von 1
Wenn sich vom Vordenker des Konzepts der „unsichtbaren Religion“ überhaupt so etwas wie eine im weitesten Sinne ‚kirchenkritisch‘ interpretierbare Äußerung finden lässt, dann allenfalls in der ironisierenden Form, in der er seinen Anspruch markiert, im wissenschaftlichen Kontext von etwelchen Glaubensbekenntnissen verschont zu bleiben: „I learned one thing throughout the many years in science: Never argue with theologists!“ (Schnettler 2006a, S. 57, FN 25).
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2 Eventisierung des Glaubens
Modernisierungsprozessen traditionelle Formen von im weiteren Sinne kirchlich institutionalisierten Religionen an Bedeutung verlieren (vgl. Luckmann 1980) – zum einen für andere institutionelle Sektoren der Gesellschaft (etwa für Politik, Wirtschaft, Bildung, Unterhaltung usw.), zum anderen für die Deckung von situationsentsprechenden Sinnbedarfen des Individuums. In beiderlei Hinsicht impliziert die Theorie der „unsichtbaren Religion“ also nicht, die über einschlägige Traditionen, Institutionen und Organisationen sichtbare Religion würde verschwinden. Vielmehr geht es in ihr darum, aufmerksam zu machen darauf, dass auch dort, wo die überkommenen Versionen von Religion nicht mehr zu erkennen sind, allenthalben und anhaltend irgendwelche symbolischen Sinnreservoirs zur Deutung dessen zu finden sind, was Alfred Schütz und Thomas Luckmann (2003, S. 587-633) kleine, mittlere und große Transzendenzen genannt haben. Zumindest dann, wenn sich mit ihnen die Erwartung der Erhellung (bzw. Offenbarung) auch großer Transzendenzen, d.h. außeralltäglicher Erfahrungen, verbindet, bezeichnen wir solche Sinnreservoirs als ‚religiös‘ (vgl. dazu auch Schnettler 2006a). Und unter den in Gesellschaften wie der unseren gegebenen Bedingungen lässt sich nun – sozusagen im Gegenzug zur modernen Entzauberung der Welt – praktisch jedwedes Erleben irgendeines besonderen Zustandes oder irgendeines außergewöhnlichen Widerfahrnisses im Rekurs auf irgendein Transzendenzkonzept subjektiv ebenso zufriedenstellend spirituell auslegen wie die in den herkömmlichen klerikalreligiösen Interpretationsrahmen als solche ausgewiesenen Transzendenz-Erlebnisse. Viele dieser religiösen Orientierungen bleiben als solche tatsächlich mehr oder weniger unsichtbar, andere sind allenfalls an den erwähnten synkretistischen Anleihen als „religiös“ erkennbar. Außerdem sind gerade religiöse Orientierungen zumeist nur noch für denjenigen verbindlich, der sie eben hat. Dazu hin sind sie symptomatischerweise instabil (d.h. sie gelten auch für den, der sie hat, oft nur in bestimmten Lebensphasen, unter bestimmten Umständen oder sogar nur in besonderen Situationen). Und schließlich sind sie oft auch nicht mehr in einem umfassenden, in
2.3 Das Phänomen der „Eventisierung“
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sich stimmigen Wertekosmos verankert (vgl. auch Hitzler 1999). Das hat vor allem damit zu tun, dass die herkömmlichen Vergemeinschaftungsangebote traditioneller Religionsagenturen dem steigenden Bedarf nach individualisierter sozialer Geborgenheit immer weniger zu entsprechen vermögen.2
2.3 Das Phänomen der „Eventisierung“ 2.3 Das Phänomen der „Eventisierung“
Vor diesem modernisierungstheoretischen Hintergrund bzw. entgegen diesem Trend also haben wir der Katholischen Kirche „Institutionelle Klugheit“ attestiert. ‚Ausgestellt‘ haben wir dieses Attest dies an einem konkreten empirischen Fall: am Beispiel des Weltjugendtags 2005 in Köln. Dieser Weltjugendtag markiert, von heute aus über die aktuelle und die dieser vorausgehende Image-Phase hinweg betrachtet, die gerade in Deutschland von einer kaum noch zu glaubenden Papst-Euphorie begleitete erste Phase des zwar nicht konsensuell, aber weit verbreitet positiv konnotierten ‚Bildes‘ des damals just ins Amt gewählten obersten Repräsentanten der Katholischen Kirche. Dieses Ereignis steht, vor allem im Hinblick auf die Techniken seiner Erzeugung, nachgerade beispielhaft für das, was wir mit dem Phänomen „Eventisierung“ meinen (vgl. dazu – neben der Einleitung – die Beiträge in Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer 2000, vgl. auch Schulze 1992 und 1999). Genauer ausgedrückt: Die Weltjugendtage generell sozusagen ‚eventtechnisch‘ zu sehen, entspricht durchaus (auch) der Sprachregelung des Veranstalters, d.h. der Katholischen Kirche, selber, nach der die 2
Ihr Bedeutungsverlust manifestiert sich z.B. in steigenden Kirchenaustrittszahlen und sinkenden Zahlen der Besucher von Gottesdiensten und der Mitglieder in kirchlichen Vereinen und Verbänden. D.h., das religiöse Kompetenzmonopol der Kirchen schwindet, ja: verschwindet. Zum einen haben deren Glaubenssätze und Leitbilder gesamtgesellschaftlich ihre normative Verbindlichkeit ohnehin längst verloren, zum anderen nehmen sich aber auch ihre eigenen Mitglieder zunehmend das Recht heraus, diese Glaubenssätze und Leitbilder individuell zu interpretieren und auszugestalten.
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nunmehr seit 25 Jahren rund um den Globus ausgerichteten Weltjugendtage in den entsprechenden Verlautbarungen eben als „Event“ – wenn auch immer wieder mit der Qualifizierung „mehr als ein Event“ – etikettiert werden. Keineswegs nur damit, aber eben auch damit erregt gerade die Katholische Kirche – deutlicher als die eher in den 1970er Jahren ‚zeitgeistig‘ gewesene evangelische – gegenüber den eingangs genannten jüngeren Image-Verschlechterungen immer wieder sozusagen positiv konnotierte Aufmerksamkeit durch zielgruppenspezifische, zunehmend medialisierte und mithin zumindest für den klerikalen ‚Kontext‘ durchaus innovative Veranstaltungsformen – mit einer Zwecksetzung, die ich hier zu skizzieren versuchen werde. Interessanterweise verlief diese Entwicklung auffallend parallel zu der in Selbstauskünften aller möglichen Art anhaltend explizierten Ablösung individueller Religiosität gerade junger Menschen von kirchlichen Dogmen und katechetischen Glaubenssätzen – also sozusagen parallel zur Irrelevanzierung von Kanonischem (vgl. dazu Knoblauch 1997; Ziebertz/Kalbheim/Riegel 2003), d.h. von klerikal Unabdingbarem und mithin – jedenfalls im Kern – auch Unstrittigem schlechthin. Das änderte durchaus nichts daran, dass solche eventförmigen Glaubensinszenierungen der Kirchen Jugendliche geradezu ‚magnetisch‘ anzogen und – mit Blick keineswegs nur, aber eben auch auf den Weltjugendtag in Sydney 2008 und im Vorblick auf den in Madrid 2012 – auch weiterhin anziehen; augenscheinlich insbesondere dann, wenn diese Inszenierungen mit starken moralischen Vergemeinschaftungsappellen und charismatischen Fokussierungen einhergehen. Damit stellt sich (auch) an diesem Beispiel die Frage, ob sich Kanonisches und Innovatives nun eher konterkarieren oder eben wechselseitig evozieren.
2.4 Der Weltjugendtag als kirchliche Innovation 2.4 Der Weltjugendtag als kirchliche Innovation
Zu beantworten versuchen will ich diese Frage im Rückgriff auf die Weltjugendtage, deren Kölner ‚Ausgabe‘ im August 2005 soziologische
2.4 Der Weltjugendtag als kirchliche Innovation
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und kommunikationswissenschaftliche Eventforscherinnen und Eventforscher von vier Universitäten in einem von der DFG geförderten Paketprojekt mit dem – etwas sperrigen – Titel „Situative Vergemeinschaftung mittels religiöser Hybridevents: Der XX. Weltjugendtag 2005 in Köln“ untersucht haben (vgl. dazu nochmals Forschungskonsortium WJT 2007)3: Damit, wie die jugendlichen Teilnehmer die für sie damit verbundenen Herausforderungen im Sinne eines ‚Doing Religious Culture‘ bewältigt haben, haben sich unsere Koblenzer und Trierer Kollegen befasst; der mediale Umgang mit dem Weltjugendtag war Gegenstand der in Bremen angesiedelten Untersuchung; und wir in Dortmund haben vor allem die organisatorischen Probleme und Problemlösungen bei der Herstellung dieses Events rekonstruiert. Verbunden waren bzw. sind die drei Teilprojekte über die These, dass der Weltjugendtag analytisch als ein religiöses Hybrid-Event gefasst werden kann. Von einem Hybrid-Event sprechen wir, weil beim Weltjugendtag Elemente modernistischer Eventformen, wie sie etwa für jugendkulturelle Szene-Events typisch sind, mit Elementen traditionalistischer Feierformen, z.B. der liturgischen Feier, verbunden bzw. verschränkt werden. Aus dieser Verbindung geht unseres Erachtens nun nicht einfach eine Mischform, sondern eine eigenständige Veranstaltungsform hervor – eben das (postmoderne) religiöse Hybrid-Event. Hybridevents schlechthin sollen somit veranstaltungsförmige Entsprechungen erlebnisorientierter Moralgemeinschaften bzw. moralgeladener Erlebnisgemeinschaften heißen.4 Religiöse Hybridevents implizieren dementsprechend veranstaltungsförmige Entsprechungen erlebnisorientierter Religionsgemeinschaften bzw. religionsaffiner Erlebnisgemeinschaften.5 3
Eine quantifizierende Teilnehmerstudie zum Weltjugendtag 2002 in Toronto haben Ziebertz und Scharnberg (.J.) durchgeführt. 4 Mit dem Begriff der Moral bezeichnen wir ein einheitliches Referenzsystem von Werten und Normen, d.h. für den einzelnen möglicherweise diffuse, aber mit anderen geteilte, d.h. konsensuelle Wertvorstellungen. 5 Dementsprechend sind in Religionsgemeinschaften kirchlich-institutionelle Wertvorstellungen Konsens.
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2 Eventisierung des Glaubens
Diese ‚kulturhybride‘ Dimension der Veranstaltung zeigt sich bereits in den Programmen der Weltjugendtage: Diese basieren eben auf Elementen von profanem Fest und religiöser Feier, auf der Gleichzeitigkeit von „traditionaler Volksmission, Wallfahrt, Happening und Spektakel“ (Ebertz 2000, S. 354). Den explizierten Intentionen der veranstaltenden Kirche nach liegt ihr thematischer Fokus allerdings in der gemeinsamen Gottesverehrung. D.h., mit der Mischung typisch profaner und typisch religiöser Bestandteile wird die situative Herstellung von kirchen-religiöser Vergemeinschaftung verfolgt, die verbunden ist mit der Hoffnung, dass diese situative Gemeinschaft sich – gerade auch vermittelt durch Prozesse der Medienkommunikation – im kirchlichen Alltag erhält. Dergestalt also bedient sich mit den 1985 von Papst Johannes Paul II. initiierten Weltjugendtagen (auch) die Katholische Kirche der Veranstaltungsform „Event“ – sozusagen als innovative ‚Antwort‘ auf die immer weiter und schneller um sich greifenden pluralistischen Bedingungen, unter denen, so Peter L. Berger (1973, S. 132), „Religionen, die früher herrschten, heute ‚verkauft‘ werden müssen, und zwar an einen Kundenkreis, der zu ‚kaufen‘ nicht genötigt ist“. Die religiösen Institutionen seien folglich zu ‚Werbeagenturen‘, und die Religion selbst sei zum ‚Gebrauchsgut‘ geworden. Die ehemals regionalen Monopolisten müssten seither so umorganisiert werden, dass sie im Wettbewerb mit anderen Sinnanbietern um Konsumenten werben können. Denn da man dieser Kundschaft nicht mehr die eine (und ‚wahre‘) Religion befehlen kann, und da diese Kundschaft auch nicht unter Kaufzwang steht, muss das jeweils kanonisierte Glaubensangebot eben attraktiv verpackt und zeitgemäß ‚vermarktet‘ werden. Das ‚Geheimnis‘ des zumindest quantitativen und situativen Erfolgs der katholischen Weltjugendtage, dieses ‚Geheimnis‘, das natürlich keines ist, liegt diesem Attraktivitätsgebot entsprechend darin, dass hier divergente Inszenierungsformen, Gesellungsoptionen und (andere) Aktionsmöglichkeiten mit deutlich unterschiedlichen, mitunter fast antagonistischen Zielsetzungen nicht nur ‚irgendwie‘ in einem Zeit-Raum versammelt wurden, sondern dass sie – im Zusammenwirken verschiedener
2.4 Der Weltjugendtag als kirchliche Innovation
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Einflussgrößen – eben zu einer relativ neuartigen, d.h. als solcher innovativen Massen-Erlebnisform verdichtet wurden, die wesentlich aus der gleichrangigen Verschränkung von Elementen modernistischer Events, wie sie etwa für jugendkulturelle Szene-Veranstaltungen typisch sind, mit Elementen traditionalistischer Feierlichkeiten, wie z.B. liturgischen Riten, resultieren. Den explizierten kanonischen Vorstellungen der Weltjugendtagsveranstalter nach geht es dabei darum, die „Einheit der Kirche“ im öffentlichen Bewusstsein wie im subjektiven Erleben der Teilnehmer zu verankern und „Kirche als universelle Gemeinschaft“ durch raumzeitliche Verdichtung besonders intensiv erlebbar zu machen, um sie dergestalt in der gemeinsamen Gottesverehrung des gemeindlichen Alltags dauerhaft zu sichern. Diese Explikation kanonischer Wertsetzungen konfligierte jedoch ‚von Anfang an‘ mit finanziellen und logistischen Restriktionen des Weltjugendtags. Denn bereits die Vorbereitung und vor allem die Durchführung der Veranstaltung erforderten nahe liegender weise vielfältige kommerzielle Maßnahmen (für Köln z.B. eine Lotterie in den deutschen Kirchengemeinden), und das ganze Projekt erforderte auch mannigfaltige ‚säkularisierende‘ Kompromisse bei den zahlreich notwendigen Kooperationen mit den diversen ‚weltlichen‘ Unternehmen und Organisationen (in Köln z.B. u.v.a. Andacht und heilige Kommunion unter SinalcoSchirmen oder Beteiligung an Rosenmontags-Umzug mit WJT-Fahnen mit Sponsor-Aufdruck) und erforderte in der Konsequenz überdies sowohl vielerlei rituelle Kompromisse (z.B. Beichte ‚im Vorübergehen‘; zeitliche Ausdehnung der Kommunionverteilung bei Großliturgien) als auch gemeindeferne Organisationsstrukturen, um das als „Glaubensfest“ deklarierte Event (als Verbindung juveniler Freizeitvergnügen mit einer Palette klerikalreligiöser Einzelveranstaltungen und einer PapstmessenMassengemeinschaft als Klimax) überhaupt realisieren zu können.
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2 Eventisierung des Glaubens
2.5 High-Professional-Event versus Do-it-YourselfGemeindefest 2.5 High-Professional-Event versus Do-it-Yourself-Gemeindefest
All das und vieles mehr wurde nun, wie insbesondere Michaela Pfadenhauer (2008) beobachtet, recherchiert und rekonstruiert hat, ausgesprochen professionell organisiert. Und in eben dieser Professionalität liegt u.E. z.B. der wesentliche strukturelle Unterschied des Weltjugendtags zu einer anderen, längst quasi-kanonisierten kirchlichen Veranstaltungsform, deren Vergleich wohl zumindest ‚auf den ersten Blick‘ nahe liegen dürfte: zum Katholikentag. Diesen haben wir bislang zwar noch nicht im strengeren Sinne empirisch erkundet. Dennoch haben wir, auf der Basis eigener unsystematischer Impressionen ‚vor Ort‘ zum einen und rekurrierend auf einschlägige Literatur – insbesondere auf Hans-Georg Soeffners Studie zum Evangelischen Kirchentag (1993) – zum anderen, eine begründete Einschätzung speziell zu den organisatorischen Differenzen zwischen Weltjugendtag hie und Katholikentag da: Der Katholikentag ist, wie im Großen und Ganzen auch der evangelische und der ökumenische Kirchentag, dezidiert a) auf die Begegnung der „lebendigen Gemeinde“ mit „sich selber“ (also auf die Volkskirche) hin angelegt, b) auf die Diskussion engagierter Christen über gesellschaftlich virulente Themen und „brennende Fragen“ ausgerichtet und insgesamt c) am Prinzip der Partizipation, d.h. der aktiven Mitwirkung möglichst aller (oder zumindest möglichst vieler) Teilnehmer am Programm orientiert. Dieses Prinzip impliziert auch d), dass Personen, die nicht Teil der „lebendigen Gemeinde“ sind (und das meint nicht nur weltliche, sondern auch kirchliche Prominente wie Bischöfe und Kardinäle), mit Blick auf spezifische Anliegen dazu (ein)geladen werden. – Organisatorisch gesehen ist der Katholikentag (wie der Kirchentag) somit eine – so weit wie möglich – von Laien vorbereitete und gestaltete Veranstaltung, ein „Werk der vielen, die ihn über Monate vorbereiten“. Vereinfacht und pointiert ausgedrückt: Der Katholikentag ist im wesentlichen ein großdimensioniertes, gut gemeintes und inzwischen recht traditionell anmutendes Do-it-yourself-Gemeindefest.
2.5 High-Professional-Event versus Do-it-Yourself-Gemeindefest
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Auch das Konzept des Weltjugendtags hat natürlich seinen kanonischen Fluchtpunkt in der Antwort auf die Frage, worum es hier ‚eigentlich‘ bzw. ‚im Letzten‘ geht: Es geht darum, a) den Glauben (Spiritualität) zu erleben (indem katholische Glaubensrituale – wie Liturgie, Beichte, Kreuzweg, Wallfahrt – aufwändig zelebriert und inszeniert und zugleich mit eng an das Weltjugendtagsmotto angebundenen und dadurch als ‚stimmig‘ erfahrbaren religiösen Botschaften gefüllt werden); und es geht darum, b) sich selber als Teil einer universellen (weltumspannenden) Gemeinschaft zu erfahren – wodurch das insbesondere für Christen in europäischen Gegenwartsgesellschaften symptomatische Gefühl, einer Minderheit anzugehören (vgl. dazu Berger/Davie/Fokas 2008), zumindest für einen intensiven ‚Moment‘ lang in eine bestätigende Mehrheitserfahrung ‚umgekehrt‘ wird. Das Erleben des katholischen Glaubens (in seiner spirituellen Dimension) und die Erfahrung der universellen Gemeinschaft des Glaubens (in der Kirche), lassen sich also als die beiden übergeordneten ‚geistlichen‘ Ziele des Weltjugendtags ‚extrahieren‘. Im Verfolg dieser Ziele ist der Weltjugendtag offiziell als ein „Werkzeug der (selbstredend katholisch konnotierten) Evangelisierung für die Jugend“ ausgewiesen. Erleben und Erfahren – diese beiden Begriffe weisen darauf hin, dass es hier von der Gesamtanlage her um ‚Sensation‘, um die Ansprache aller Sinne (statt um rationale Diskurspraxis) und dabei um die Teilnahme ´bzw. die Teilhabe an einem außeralltäglichen, aufregenden, ‚geheimnisvollen‘ Ereignis geht. Die gesamte Inszenierungsstrategie zielt demnach – so Michael N. Ebertz (2000) – auf die „Kumulation und öffentliche Darstellung von episkopalem Amtscharisma“. – Organisatorisch gesehen ist der Weltjugendtag somit eine von einschlägigen Experten und Spezialisten geplante, vorbereitete und umgesetzte Veranstaltung; bzw. im MarketingJargon ausgedrückt: Der Weltjugendtag ist ein zumindest organisatorisch hochgradig innovatives auf globale Aufmerksamkeit zielendes, klerikales High-Professional-Event. Wie Michaela Pfadenhauer (2008) in ihrem Buch „Organisieren“ schreibt, geht es beim Weltjugendtag um Kompetenz (im Sinne von Zu-
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2 Eventisierung des Glaubens
ständigkeit) durch Expertise: „Mit Blick auf das Weltjugendtagsbüro in der Kölner Gereonstrasse lässt sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – folgende Rekrutierungslogik der Veranstalter erkennen: Beim Kompetenzprofil wird primär auf Expertise geachtet und erst sekundär auf die Nähe zur katholischen Kirche (auf letzteres sozusagen als Zusatzqualität). Nicht eingehalten wird also die für die Kirche eher übliche Reihenfolge, bei der ein kirchlicher ‚Stallgeruch‘ vorrangig und zusätzlich dann auch noch Expertise willkommen wäre.“ Aus ihrer ethnographischen Rekonstruktion der Organisatorenperspektive folgert Pfadenhauer dementsprechend: „Der Vorteil des v.a. in den 1970er Jahren (ideologisch) in Mode gekommenen Do-it-Yourself-Prinzips besteht unbestreitbar in der ‚Heimeligkeit‘ des Miteinander-Machens; sein Nachteil besteht in seiner (im Verhältnis) relativ geringen Außenwirkung. Der Erfolg einer Veranstaltung nach dem High-Professional-Prinzip, also sozusagen nach allen Regeln der organisatorischen Kunst und dementsprechend geringen Chancen zur Mitbestimmung, wie dem Weltjugendtag, liegt demgegenüber ganz wesentlich gerade in seiner Öffentlichkeitswirksamkeit.“
2.6 Marketingkonzept und Inszenierungslogik 2.6 Marketingkonzept und Inszenierungslogik
Den Ambitionen der Veranstalter zufolge sollte der Weltjugendtag, über den engeren, gleichwohl immerhin über 400.000 akkreditierte ‚Pilger‘ umfassenden, Kreis der Teilnehmer hinaus, Aufmerksamkeit für den katholischen Glauben erzeugen und die Katholische Kirche als relevanten ‚global player‘ im Bewusstsein weltweiter Öffentlichkeiten verankern. Zu den wesentlichen Maßnahmen, um das hierfür prioritäre Ziel – in summa: mediengerechte Inszenierungen – zu erreichen, gehörte zum einen, dass bereits in der Vorbereitungsphase alle Schritte im Weltjugendtagsbüro daraufhin beleuchtet wurden, ob bzw. wie sie sich medial ‚verkaufen‘ lassen (sei dies – um nur einige Beispiele zu nennen – die Einladung der Kölner Bevölkerung zum Probe-Essen der Weltjugendtagskost, sei dies der (symbolisch) ‚erste Spatenstich‘ am Marienfeld durch Kardinal
2.6 Marketingkonzept und Inszenierungslogik
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Meißner, sei dies die aufmerksamkeitsträchtige Bekanntgabe der Auszeichnung der Weltjugendtags gGmbH für die „innovative und erfolgreiche Anwendung ihres Umweltmanagementsystems“ mit dem nationalen EMAS Award 2005 der Europäischen Union). Zum anderen waren beim Weltjugendtag selber viele einzelne Veranstaltungselemente, insbesondere jene mit Massencharakter, so organisiert und inszeniert, dass sie (im Entscheidungsfalle) weniger den Bedürfnissen der Teilnehmer, als vielmehr denen der den Weltjugendtag live übertragenden visuellen Medien entsprachen oder zumindest mit diesen kompatibel waren (zum Medieatisierungsaspekt vgl. Hepp/Krönert 2009). Als symptomatisch für die Inszenierungsstrategien beim Weltjugendtag mag hier gelten, dass 1. zentrale Veranstaltungen mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche konzipiert und durchgeführt wurden, dass 2. alle Katechesen von Kardinälen und Bischöfen gehalten worden sind, dass 3. weltliche Prominenz (bis hin zum Bundespräsidenten und zum Kanzler) sozusagen ‚Schlange stehen‘ musste, um in den eindeutig auf die Vertreter der (Amts-)Kirche gerichteten medialen Aufmerksamkeitsfokus zu gelangen, und dass schließlich 4. die jugendlichen ‚Pilger‘ medial im wesentlichen als ‚Statisterie‘ eingesetzt wurden. D.h. also: Mit Blick darauf, die Attraktivität der Weltjugendtage auch für das ‚breitere Publikum‘ zu erhöhen, wurde ganz explizit auf die mediale Präsentation international bekannter religiöser Jet-Set-Prominenz gesetzt –mit dem charismatisierten Papst im Zentrum des Geschehens. Dementsprechend haben die Medien in den Sendungen und Artikeln über den Kölner Weltjugendtag denn auch ‚weihevolle‘ (‚Hof‘-) Berichterstattung, inklusive pathetisierender Kommentierung kulturell vertrauter ritueller Zeremonien, stets verbunden mit variierenden Genre-Elementen von unterhaltungsorientierten Großereignis-Dokumentationen und sensationsrhetorischer Prominenteninszenierung (speziell eben wieder des seinerzeit frisch inthronisierten Papstes). Für die jugendlichen Teilnehmer hat sich dieses ‚Wechselbad‘ von religiöser Ritualität und hedonistischem Freizeit- bzw. Ferienverhalten und insbesondere das damit kaum vermeidbar einhergehende Aufweichen
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2 Eventisierung des Glaubens
formgebender kanonischer Grenzziehungen als eine Glaubensgemeinschaftserlebnisform erwiesen, die ihren alterstypischen kulturellen Neigungen augenscheinlich entsprechend erlebenswert ist; als eine Glaubensgemeinschaftserlebnisform, in der sie massenhaft individuell ihre je idiosynkratischen Religiositäten in ein Gefäß der Marke ‚katholisch‘ mit dem Etikett ‚Papst‘ gießen konnten – wobei sie obendrein noch gute Chancen hatten, von einem der über tausend Berufsfotografen ins Bild gerückt zu werden oder gar „ins Fernsehen zu kommen“, d.h. wenigstens für einige Sekunden selber zu einem Medienstar zu werden. Abgesehen von solchen punktuellen Selbst-Präsentationschancen ist den Teilnehmern allerdings eine grundlegend andere Funktion zugewachsen, als dies bei Kirchen- und Katholikentagen beabsichtigt zu sein scheint: Beim Weltjugendtag haben die ‚Pilger‘, wie gesagt, im Wesentlichen eben als Statisten für ein Inszenierungsspektakel der Amtskirche fungiert – was sie im übrigen nicht weiter gestört zu haben scheint. Der mit ihm verbundenen kanonischen Intention nach deuten auch wir den Weltjugendtag als eine Art von experimentellem Glaubenslabor für „Spiritualität in Gemeinschaft und durch Gemeinschaft“. Marketingtechnisch gesehen hingegen ist vor allem zu konstatieren, dass die Katholische Kirche als deklarierte Glaubensverwalterin bekanntlich zwar keineswegs erst ‚heute‘, unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen aber eben nachgerade zwangsläufig, eine ganze Reihe von Marketing-Grundsätzen befolgt (vgl. Pfadenhauer 2007), die beim Weltjugendtag besonders augenfällig werden: unter anderem die Orientierung an einer spezifizierten Zielgruppe, kalkulierte Finanzierung, pointierte Kommunikationsbotschaft, konkurrenzlose Produktpräsentation, Inszenierung einer Erlebniswelt usw. Dabei pflegt sie in Gestalt des Papstes ein Marken-Etikett, das unverwechselbar für das Produkt steht, das sie anzubieten hat, und das aufgrund dieser Etikettierung unter der Fülle an sichtbaren und unsichtbaren Religionen auf den ersten Blick erkennbar ist. Gerade aufgrund dieser für sie in ihrer Eindeutigkeit innovativen ‚Vermarktlichung‘ hat der Weltjugendtag in Deutschland erstens die öffentliche Wahrnehmung der katholischen Kirche (jedenfalls zeitweilig)
2.6 Marketingkonzept und Inszenierungslogik
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deutlich erhöht, zweitens der katholischen Kirche – jedenfalls eine Zeit lang – einen kaum zu überschätzenden Imagegewinn verschafft, und drittens in den Köpfen der nächsten Generation – d.h. der Gläubigen und Kirchenmitglieder, aber auch der Intellektuellen, Lehrer, Manager usw. von morgen – ein von den kirchenkritischen Vorgaben der sogenannten Protest-Generation(en) weitgehend abgelöstes heiteres, sozusagen positiv ‚juvenilisiertes‘ Bild vermittelt. Der Weltjugendtag, als nachgerade exemplarische Realisierung des Event-Prinzips für die katholische Kirche, ist weder nur eine in diesem Kontext innovative „Megaparty“, noch ist er nur ein in diesem Kontext kanonisches „Glaubensfest“. Das kanonische Glaubensfest erneuert sich sozusagen im Gewand der Megaparty, und die innovative Megaparty bezieht ihre Besonderung, ihr Alleinstellungsmerkmal daraus, dass sie eben das Glaubensfest transformiert. Der Weltjugendtag ist also beides zugleich – und obendrein eben auch noch ein Marketing-Event, ein Medien-Event und ein Papst-Event (also ein Prominenz-Spektakel). D.h., auch wenn von kirchlichen Würdenträgern immer wieder die Vorrangigkeit der Glaubenselemente vor „Jux und Tollerei“ behauptet wurde und wird: Weder organisatorisch noch medial noch gar von der Erlebniserwartung der Teilnehmer her lässt sich diese Behauptung empirisch bestätigen. Aber gerade im Verstande der faktischen Gleichrangigkeit ist die beim Weltjugendtag zu beobachtende Amalgamierung von Profanem und Sakralem u.E. tatsächlich so etwas wie eine Innovation im Kanonischen – eine Innovation, die nicht nebenbei, unbemerkt und schleichend geschieht, sondern die gewollt ist, und der kirchlicherseits augenscheinlich massiv Vorschub geleistet wird. Wenn man das Inszenierungsorganisationsprinzip des Weltjugendtags dementsprechend auf eine ‚Formel‘ bringen will, dann lautet diese also wohl am ehesten: Professionalität, Prominenz und Vergemeinschaftung in der Masse. Eine mit Ulrich Beck (1986) so genannte „nicht-intendierte (Neben-) Folge“ dessen, dass hier professionelle Kompetenz alles in allem überaus erfolgreich zur Herstellung eines Events der Superlative (im qualitativen und quantitativen Sinne; in logistischer und inszenierungstechnischer
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2 Eventisierung des Glaubens
Hinsicht) eingesetzt wird, könnte somit eben darin bestehen, dass das kanonische Ziel, nämlich „geistlich Wesentliches“ zu vermitteln, zunehmend überlagert wird von der Unabweisbarkeit ständig steigender Innovationsansprüche des (leicht-)gläubigen ‚Publikums‘ an die PerformanceQualitäten auch kirchlicher Unterhaltungsangebote.
2.7 Die Eventisierung des Glaubens als ein Element der Pluralisierung 2.7 Die Eventisierung des Glaubens als ein Element der Pluralisierung
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Katholischen Weltjugendtage also als unter den religiösen Events herausragende Großveranstaltungen, die sich aus einem international gemischten Publikum zusammensetzen, aus teils kirchlich formierten, teils ad hoc entstehenden Gruppen, und nur ausnahmsweise auch aus einzelnen Teilnehmern, die keiner Gruppe angehören. Die Weltjugendtage finden an international wechselnden, kulturbedeutsamen Orten statt; sie werden von einer Kommission der römischen Kurie zentral initiiert und sie werden von einem lokalen Weltjugendtagsbüro organisatorisch geplant und umgesetzt. Gleichzeitig wird versucht, sie als (individualisierte) Religiosität ‚von unten‘ zu inszenieren und an gegenwärtige Populärkulturen anzuschließen. Dementsprechend verbinden die Medien schließlich in den Sendungen und Artikeln über den Weltjugendtag denn auch Muster ‚weihevoller‘ (‚Hof‘-) Berichterstattung, inklusive pathetisierender Kommentierung kulturell vertrauter ritueller Zeremonien mit variierenden Genre-Elementen von unterhaltungsorientierten Großereignis-Dokumentationen und sensationsrhetorischer Prominenteninszenierung. Dem Bild eines internationalen Festes der Begegnung wird also insbesondere von den Medien Vorschub geleistet. Ob durch den Weltjugendtag Prozesse längerfristiger Vergemeinschaftungen der jugendlichen Teilnehmer in Gang gesetzt werden, d.h., ob von einer Event-Nachhaltigkeit im Hinblick auf Vergemeinschaftung ausgegangen werden kann, oder ob sich gar so etwas wie
2.7 Die Eventisierung des Glaubens als ein Element der Pluralisierung
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eine globale katholisierte Jugendszene entwickelt, bleibt abzuwarten bzw. zu beobachten.6 Ich resümiere mithin nochmals in verallgemeinernder Absicht: Die Studie zum Weltjugendtag 2005, auf die ich hier Bezug genommen habe, verstehen wir selber lediglich als ein Teilstück in einem komplexen analytischen Puzzle, das wir allmählich zu einem umfassenden Bild der ‚Eventisierung des Glaubens‘ – zumindest in modernen Gegenwartsgesellschaften – zusammenzufügen versuchen: Herkömmlicher weise finden sich in Gesellschaften ja mehr oder weniger kanonische Festlegungen oder eben wenigstens konsensuelle Gewissheiten darüber, welche besonderen Zustände und außergewöhnlichen Widerfahrnisse – in der Terminologie von Karl Jaspers (1977) – als „Chiffren“ großer Transzendenzen relevant und mithin spirituell deutungswürdig sind. Und normalerweise erfolgen spirituelle Deutungen im Rekurs auf Wissensbestände und Interpretationsschemata tradierter Religion(en). Die mannigfaltigen Pluralisierungs- und Individualisierungsprozesse die wir alle erleben führen jedoch augenscheinlich zu nachhaltigen Um-Strukturierungen der religiösen Orientierung in Gesellschaften wie der unseren: Immer mehr Menschen begreifen Religion zusehends weniger als kirchlich kontrollierte, kollektive Form der Sinngebung, denn als individuelle Erlebnis- und Deutungsleistung (vgl. Knoblauch 2004 und 2009, Gebhardt 2010). Und selbst traditionsreligiös engagierte Menschen halten sich augenscheinlich nicht mehr an die Grenzen ihrer Kirchengemeinden, sondern verlagern ihre religiösen Aktivitäten qua „religiöser Selbstermächtigung“ (Gebhardt/Engelbrecht/ Bochinger 2005) auf selbstgewählte Orte und Sinnzusammenhänge. Glaubens-Aktivitäten konzentrieren sich auf als erlebenswert betrachtete bzw. erhoffte Ereignisse – auf Wallfahrten und Pilgerreisen, auf Kirchentage, auf Papstbesuche und Besuche beim Papst und dergleichen.
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Mein kirchenkundiger Konsortialkollege Winfried Gebhardt ist in dieser Hinsicht jedenfalls ausgesprochen skeptisch.
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2 Eventisierung des Glaubens
Die jeder Traditionsreligion innewohnende kanonische ‚Wahrheit‘ gilt, wie wir aus vielerlei aktuellen religionssoziologischen Studien wissen (vgl. z.B. Bochinger/Engelbrecht/Gebhardt 2007), unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen selbst unter kirchennahen Sinnsuchern keineswegs mehr als eine per se schon ausschließliche ‚Wahrheit‘. Dementsprechend sind gerade religiöse Überzeugungen zumeist nur noch für denjenigen verbindlich, der sie eben hat. Dazu hin sind sie symptomatischer Weise instabil (d.h. sie gelten auch für den, der sie hat, oft nur für bestimmte Lebensphasen, unter bestimmten Umständen oder sogar nur in besonderen Situationen). Und schließlich sind sie eben oft nur noch partiell in einem umfassenden, in sich stimmigen Wertekosmos verankert. Etwas überspitzt formuliert könnte man den – eben auch unter Kirchenmitgliedern beobachtbaren – Trend zur religiösen Selbstermächtigung somit als eine typisch zeitgenössische Form des „Synkretismus“ oder der „Religions-Bricolage“ bezeichnen (vgl. Hahn 1997, WohlrabSahr 2003), weil die Bestandteile des eigenen Glaubens immer häufiger aus verschiedenen und zum Teil sogar widersprüchlichen kulturellen und religiösen Kontexten stammen und auf der oft vagen Suche nach etwelchen „Chiffren“ großer Transzendenzen nicht selten ausgesprochen eigen-sinnig kombiniert werden. Diese eigen-sinnigen Kombinationen sind mithin keineswegs per se schon originell oder gar innovativ. Unbeschadet dessen ist an die Stelle eines von Hans-Georg Soeffner (2000) so genannten ordnungsstiftenden „himmlischen Großbaldachins“ eine Vielfalt spiritueller Orientierungen und ritueller Symbolwelten getreten. Diese Pluralisierung religiöser Orientierungen geht einher mit einer Vervielfältigung religiöser Gemeinschaftsformen mit spezifischen Institutionalisierungsgraden: Sie erstreckt sich zunächst einmal noch recht vordergründig von freizeitspiritistischen Zirkeln bis zu hermetischen Sekten. Auch charismatisch-evangelikale Bewegungen mit zum Teil rigiden moralischen Tugendvorstellungen und sozialen Kontrollen verzeichnen starke Zuwächse. Und ebenso gewinnen fundamentalistische Interpretationen der traditionellen christlichen Orientierungen auf dem „Markt der Religionen“ (Zinser 1997) (wieder) an Attraktivität. Im weiteren Kontext der
2.7 Die Eventisierung des Glaubens als ein Element der Pluralisierung
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sogenannten „Neuen Religiösen Bewegungen“ (vgl. Baer 2005, Reller 2000) lässt sich zudem deutlich ein Trend zu mystischen, kultischen und teilweise „kommunitären“ Formen der Religiosität erkennen (vgl. Knoblauch 1989). Dergestalt entwickeln, verstetigen und vermehren sich – auch mit dezidiert religiösen Konnotationen – insbesondere solche neuartigen Vergemeinschaftungsformen, deren wesentlichstes Kennzeichen darin besteht, dass sie auf der Verführung prinzipiell hochgradig individualitätsbedachter Einzelner zur Gesinnungsgenossenschaft basieren. Insbesondere der hierfür von uns verwendete Begriff der Szenen (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010) verweist auf Gesellungsgebilde, die thematisch fokussiert sind (d.h., jede Szene hat ihr ‚Thema‘, auf das hin die Aktivitäten der Szenegänger ausgerichtet sind), die einen signifikant geringen Verbindlichkeitsgrad und Verpflichtungscharakter aufweisen, die nicht prinzipiell selektiv und exkludierend strukturiert und die auch nicht auf exklusive Teilhabe hin angelegt sind, die aber gleichwohl als symbolisch markierte, vergemeinschaftende Erlebnis- und Selbststilisierungsräume fungieren. – Mehr und mehr suchen – keineswegs nur, aber insbesondere junge – Menschen Verbündete für ihre Interessen, Partner ihrer Projekte, Komplementäre ihrer Leidenschaften, Freunde ihrer Gesinnung eben in derartigen Szenen. Denn ihre die Chancen, hier Gleichgesinnte zu finden, sind eben wegen der thematischen Fokussierung signifikant hoch. Interessanterweise scheinen Szenen sich als ‚ausgezeichnete‘ Orte nun nicht nur quasi-religiöser Sinnproduktionen und Sinndistributionen, sondern auch der Zitation und Applikation religiöser Traditionen im engeren Sinne zu erweisen (vgl. Hitzler/Pfadenhauer 2005): Die Anfang der Neunzehnhundertneunziger Jahre in Hamburg erstmals als Szene in Erscheinung getretenen „Jesus Freaks“ (vgl. Farin 2005) etwa verdeutlichen bereits in ihrer Selbstbezeichnung einen Bezug zum christlichen Glauben, wollen ihr Christ-Sein jedoch dezidiert außerhalb überkommener kirchlicher Strukturen praktizieren, weil sie diese Strukturen als „glaubensfeindlich“ ansehen. „Jesus Freaks“ sind also durchaus sichtbar religiös, wenngleich geprägt eben durch eine traditionskritische Haltung, aus der heraus
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2 Eventisierung des Glaubens
sie klerikalreligiöse Rituale (wie Liturgie und Gottesdienst) und das überkommene kirchenbürgerliche Gemeindeleben in Frage stellen und eine alternierende Idee von Gemeinschaft propagieren, die zum einen ein niedrig schwelliges Angebot für Gleichgesinnte – nämlich die thematische Fokussierung auf Jesus ohne Glaubensbekenntnis und Mitgliedschaft – bilden und zum anderen die Bestätigung für eine besondere spirituelle Erfahrung vermitteln soll. Unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen hat die Kirchengemeinde, die hier für die „communio traditionalis“ stehen soll, gegenüber der Szene bzw. der situativen Event-Gemeinschaft, als Prototypen der „communio post traditionalis“, mithin den strukturellen Nachteil, zumindest letztendlich einen ideologischen bzw. dogmatischen Kern gegenüber etwelchen Abweichungen und Alternativen in Stellung bringen und verteidigen zu müssen. Dies ist deshalb ein struktureller Nachteil, weil sich eben dieser explizite Anspruch organisierter Religion(en), zumindest einen Glaubenskern als gegenüber Alternativen verbindlich zu bewahren und im Zweifelsfalle auch als verbindlich zu installieren, mit jener – u.E. strukturell irreversiblen, weil individualisierungskompatiblen – subjektiven Spiritualität (vgl.Gebhardt 2003a, Knoblauch 2009) nur noch in Ausnahmefällen vereinbaren lässt.
2.8 Popularisierung religiöser Traditionsformen 2.8 Popularisierung religiöser Traditionsformen
Dem damit angedeuteten Trend ganz folgerichtig entsprechend, wird derzeit in vielerlei mehr oder weniger innovativen Experimenten mit unterschiedlichen Reichweiten und ‚Tiefen‘ eben auch erprobt, wie Kirche sich ‚zeit(geist)gemäß‘ inszenieren, insbesondere, wie Kirche sich – sozusagen gegen den demografischen Trend – ‚juvenilisieren‘ lassen könnte. Denn immer deutlicher zu werden scheint, dass so etwas wie ‚Nachhaltigkeit‘ der je individuell gewünschten Erlebnisqualität von ‚Religiosität‘ typischerweise mehr braucht als ‚nur‘ innere Bilder oder gar nur abstrakte Sinngehalte. Veranschaulichungen aller möglichen Art,
2.8 Popularisierung religiöser Traditionsformen
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Symbole, Riten, Stätten, Feiern, Feste und Vergemeinschaftungen sind als Ausdrucksformen religiöser Bezüge zumindest im Grundsätzlichen keineswegs obsolet, sondern kehren im Verein mit den neuen Bildmedien augenscheinlich als kaum verzichtbare Glaubensträger auch dorthin zurück, wo bislang noch eine neuzeitlich-protestantischen Textkultur dominiert (hat). Als charakteristisch für Glaubensevents erscheint somit denn auch ganz folgerichtig die Kombination von traditionellen Elementen kirchlicher Liturgie und Seelsorge mit eklektischen Anleihen bei Jugendszenen, Unterhaltungsindustrie und sonstigen erlebniszentrierten Bestandteilen zeitgenössischer Freizeit- und Spaßkultur (vgl. Kunde 2000, Projektgruppe Jugend und Religion 2005). So können etwa die neueren Katholischen und Evangelischen Kirchentage, die Europäischen Jugendtreffen der Gemeinschaft von Taizé, Diözesanjugendfestivals wie „Kirche+Jugend+X“ oder auch die Missionsevents von Pro Christ als Beispiele für die hier gemeinte neue Form performativer religiöser Kultur angesehen werden (vgl. Gebhardt 2003b, Hobelsberger/Hüster 2002, Hobelsberger 2003). Ermöglicht werden soll dergestalt, so Michael N. Ebertz (2000, S. 356), eine „erlebnishafte Begegnung des Menschen mit der heiligen Wirklichkeit“. Dementsprechend tragen diese Veranstaltungsformen auch alle Züge der von Waldemar Vogelgesang und Andreas Hepp (2003) so genannten „populären Events“. Sie werden – das sei nur nebenbei bemerkt – im internen Sprachgebrauch der Katholischen Kirche inzwischen vorbehaltlos auch als solche bezeichnet. Hier und da wird in kirchlichen Kreisen zwar noch über „Chancen und Risiken der Eventisierung“ diskutiert, insgesamt wird aber gerade in der Katholischen Kirche die Veranstaltungsform ‚Event‘ ernst genommen und zunehmend medial vor-geformt, begleitet bzw. inszeniert und nachbearbeitet. Gleichwohl: Selbst wenn wir also – wie hier exemplarisch am Weltjugendtag 2005 in Köln – beobachten können, dass (jedenfalls dann, wenn die geneigte potenzielle Klientele weder durch für sie unverständliche oder unannehmbare Dogmatik verschreckt, noch durch mediale Unbeholfenheit der infrage stehenden Institution bzw. ihrer organisationalen
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2 Eventisierung des Glaubens
Protagonisten entsetzt wird) gegenwärtig auch ‚bei uns‘ das von Arnold Gehlen (1964, S. 22) kolportierte Prinzip „Forms are the Food of Faith“, bzw. konkret, dass auch Traditionsformen der Religion wiederentdeckt werden, impliziert das doch keineswegs die Rückkehr zum eingelebt Bewährten oder gar zum Kanonischen, sondern dann zeigt sich darin viel eher eine derzeit augenscheinlich ‚in Mode‘ kommende Option zur ästhetischen Entscheidung dafür, aus der in unserer Gesellschaft kulturell vorhandenen Fülle und Überfülle religiöser Angebote jetzt (wieder einmal) ‚das Kirchliche‘ zu probieren. Denn keinesfalls übersehen werden darf eben, dass gerade dieses ‚Kirchliche‘ sich gewandelt hat und weiter wandelt (vgl. Ebertz 1998): Vom Hüter kanonischer Wahrheit zu einem innovationsgetriebenen Anbieter psychischer ebenso wie physischer Entspannungsprodukte und Wohlfühlaktionen. Ob folglich diese modische (und in Teilen wohl auch mit gewissen Existenznöten korrespondierende) Entscheidung für das ‚Kirchliche‘ hierzulande typischerweise dauerhaft bzw. nachhaltig sein wird, wird sich weisen.7 7
Was ich hier versucht habe, das war eine strukturelle Deutung einer allgemeinen Entwicklungsdynamik unserer Gegenwartsgesellschaft, in die auch die Entwicklung des Glaubens einbezogen ist. Diese strukturelle Deutung stößt naheliegender Weise in aller Regel auf wenig Gegenliebe – noch nicht einmal so sehr bei Kirchenfunktionären (zumindest der avancierteren Hierarchiestufen) als bei manchen institutionsaffinen Gläubigen. Denn diese Deutung relativiert bereits wieder, was aus deren Sicht ohnehin erst allenfalls als Hoffnungsschimmer am Erwartungshorizont sich abzeichnet. Nun hat, während Thomas Luckmann konstatiert hat „I learned one thing throughout the many years in science: Never argue with theologists!“ (siehe Fußnote 1), mich die wissenschaftliche Erfahrung weniger gelehrt, nicht mit Theologen zu streiten, als: „Never argue with religious believersl!“ Denn entgegen den Hoffnungen von Gläubigen behaupte ich, dass eben nur weil Religiosität unter den Bedingungen der Moderne nichts anderes (mehr) sein kann als eine Privatsache, mehr oder minder umfassende – m.E. gleichwohl ausschließlich modische – Renaissancen traditioneller Religionsformen überhaupt möglich sind, ohne sogleich massive (und massenhafte) antiklerikale Reaktionen zu provozieren. Nur weil und wenn religiöse Begeisterung unter den Bedingungen der Moderne für all diejenigen, die diese Begeisterung nicht teilen, eine Begeisterung unter vielen kulturell möglichen ist, wirkt die öffentliche Manifestation des Glaubens als Event nicht sogleich bedrohlich für alle nicht daran Beteiligten.
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Eventisierung des Urbanen
3 Eventisierung des Urbanen
Zum Management multipler Divergenzen am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010
3.1 Eine Vision und ihre alltäglichen Mühen 3.1 Eine Vision und ihre alltäglichen Mühen
Durch das Ruhrgebiet weht derzeit (Mitte 2010) ein frischer Wind, ein „Wind of Change“. Dieser Wind ist aufgekommen mit dem Projekt „Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010“. Menschen in Grüppchen und Gruppierungen, in Konstellationen und Formationen, in Organisationen und Institutionen, heften an die ‚Flagge‘ „Kulturhauptstadt“ alte Sehnsüchte und neue Träume, haben Ideen, schmieden Pläne – und wollen sie verwirklichen und verwirklicht sehen in diesem einen Jahr. Alles, was da allenthalben ersonnen und projektiert wurde, steht erst einmal je für sich – und hat einen hohen Eigenwert auf jeden Fall zumindest für die, die je dahinter stehen. All das, was da ausgedacht und bereitgestellt wird, aber muss gesammelt und sortiert, muss erwogen und befunden, muss unterbunden oder eingebunden, kurz: muss versammelt werden zu der einen Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010. Es geht – angesichts der Fülle des als denkbar Erdachten, um Machbarkeiten und Rücksichtnahmen – um Fragen der Umsetzung und um Chancen und Grenzen der Durchsetzung. Jeder, der mit segelt, unter der ‚Flagge‘ der Kulturhauptstadt, nimmt insbesondere das ernst, was er will, was er tut. Weniges von dem, was geschehen soll und geschieht, harmoniert ohne weiteres mit dem, was andere wichtig finden. Allzu viele sollen zugunsten ‚des Ganzen‘ ihre Eigensinnigkeiten hintanstellen. Kaum einer sieht sich denn auch seinem Selbstverständnis entsprechend berücksichtigt oder gar gefördert. Aber R. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Eventisierung des Urbanen
möglichst alle sollen sich als dazugehörig empfinden. Viele sollen mitmachen. Einige sollen hervortreten. Wenige nur können „für das Ganze“ stehen. Und doch soll das, was geschieht, dieses sich über 4000 Quadratkilometer erstreckende Konglomerat aus 53 Gemeinden, in denen über 5 Millionen Menschen leben, auf einen neuen Weg bringen: auf den Weg zu einer Metropole. Das ist die Vision, die sich mit der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 verbindet. Dieser Vision folgend geht es zugleich darum, alles Mögliche in Bewegung zu setzen, möglichst Viele mit zu ziehen, so wenig wie möglich zu verwüsten, nichts zu zerstören und doch Raum für das Neue zu schaffen. Christof Siemes (2010, S. 51) nennt das „eine typische Kulturhauptstadt-Idee: interaktiv, vernetzt, sozial engagiert, nah bei den Menschen – und wahnsinnig verkopft. (…) Unter dem Hauptmotto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ wuchert ein komplizierter Stammbaum aus „Arealen“, „Leitthemen“ und „Programmfeldern“, von „Mythos Ruhr begreifen“ bis zu „Europa gestalten“ – ein klarer Fall von Übermottovation. Aus Angst, als Event-Heinis beschimpft zu werden oder eine der 53 beteiligten Kommunen vor den Kopf zu stoßen, fehlt dem Programm beinahe jede Hierarchie; gleichberechtigt steht der Kochkurs neben Opernaufführungen, Kinderzirkus und Symposien.“ So los gelassen frischt der frische Wind der gewollten Begeisterung zusehends auf und wandelt sich, im Aufeinandertreffen von Ansichten, im Aufeinanderprallen von Positionen und Positionierungen, schlicht in der Hektik des Vollzugs, allmählich zum Sturm, ja zum Orkan der Leidenschaften und Interessen. Wie kann so etwas wie die Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 trotzdem gelingen? Was vermag zu bewirken, was bewirkt werden soll? Wer ist im Stande, zu leisten, was da zu leisten ist? – Das sind die Fragen, die uns in einem von der DFG geförderten Begleitprojekt zur Organisation der Kulturhauptstadt unter dem Stichwort „Management multipler Divergenzen“ beschäftigen: Wir schauen den ‚Machern‘ über die Schultern – und sehen unter vielem anderen wiederum, wie diese ‚Macher‘ sich mit oft kaum noch überschaubar vielen kleineren und größeren
3.2 Die ‚Logik‘ der Selbstinszenierung
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Herausforderungen konfrontiert sehen: schon die Vorbereitung erstreckt sich über viele Monate bis Jahre; die Risiken steigen im Prozess des Machens beträchtlich, und die Interessen unterschiedlichster Akteure mit verschiedensten Handlungslogiken müssen in hoch komplexen Kompromisskonstellationen ausgehandelt und in stabile Kooperationsnetzwerke integriert werden. Was dabei derzeit realisiert wird, ist tatsächlich mehr als ein Event. Es ist ein Mega-Event. Zum Mega-Event wird ein Event wegen seiner Dauer, wegen seiner Ausdehnung und vor allem wegen der Komplexität der Konstellation(en) der darin involvierten potenziellen ‚Profiteure‘ im engeren und weiteren Sinne. In organisatorischer Hinsicht unterscheidet sich das Mega-Event vom ‚normalen‘ Event also nicht einfach durch seine Größe, sondern dadurch, dass es ‚eigentlich‘ (d.h. gemessen an den üblichen Vorstellungen von ‚Machbarkeiten‘) weder mehr seriös planbar, noch in einem strikten Sinne organisierbar, ja: nicht einmal mehr einigermaßen ‚geordnet‘ durchführbar ist. Zugespitzt formuliert: „Mega-Event“ bezeichnet organisatorisch einen andauernden und allgegenwärtigen Ausnahmezustand, in dem oft kaum (noch) zu klären ist, wer jeweils die ‚Treiber‘ und wer die ‚Getriebenen‘ sind. Die Frage, mit der sich Mega-Event-Macher also konfrontiert sehen, ist die danach, wie man (metaphorisch gesprochen) „einen Sack Flöhe hüten“, die Eifersucht eines jeden auf jeden bändigen und den Kampf aller gegen alle befrieden kann; d.h., wie man etwas managen soll, was nach allen Kriterien des Machbaren „unmanageable“ zu sein scheint. Damit stellt sich zuvörderst die Frage nach dem Warum: Warum tut ‚man sich‘ das eigentlich an?
3.2 Die ‚Logik‘ der Selbstinszenierung 3.2 Die ‚Logik‘ der Selbstinszenierung
Erste Hinweise zur Beantwortung dieser Frage finden wir vielleicht schon, wenn wir uns den allgemeinen Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen anschauen: Bekanntlich, bzw. zumindest einer weit verbreite-
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3 Eventisierung des Urbanen
ten Ansicht nach, leben wir in einer grundlegend sich wandelnden Gesellschaft: weg von einer mehr oder weniger nationalstaatlich verfassten Industrie- und hin zu einer transnationalen Wissens-, Medien- und Multioptionengesellschaft (vgl. Bittlingmayer 2005, Krotz 2007, Gross 1994). In dieser Gesellschaft im Umbruch scheint Aufmerksamkeit zu einer ausgesprochen knappen Ressource zu werden, eben weil immer mehr Menschen immer mehr Optionen geboten werden; weil die Zeit, die sie benötigen, um diese Optionen zu nutzen, sich aber nicht, jedenfalls nicht wesentlich vermehren lässt (vgl. Rosa 2006). Wahrgenommen zu werden oder gar Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen bedarf deshalb einiger Anstrengungen bzw. ‚Investitionen‘. Zugleich rechtfertigt mehr und mehr nur noch das, was wahrgenommen wird, das, was man tut. Dieser ‚Logik‘ (vgl. Franck 1998) müssen längst nicht mehr nur Schauspieler und Tätige in anderen Darsteller-Berufen, wie etwa in der Politik oder im Kulturbetrieb, folgen, sondern ‚jedermann‘ und vor allem auch nachgerade jede Institution und Organisation. Alle versuchen, alle oder jedenfalls möglichst viele anzulocken, zu beeindrucken und zu faszinieren. Dementsprechend werden auf Aufmerksamkeitserregung abzielende Ereignisse, also eben Events, immer wichtiger im kulturellen Leben unserer Gesellschaft. Der Dynamik einer (Selbst-) Überbietungsspirale entsprechend muss das „totale Erlebnis“, in dem vielfältige Erlebnisinhalte und Erlebnisformen zu einem ästhetischen Ganzen zusammen montiert sind, ständig noch größer, noch spektakulärer werden und noch mehr Sinne ansprechen als das vorherige. Diese ‚Logik‘ der Aufmerksamkeitsökonomie gilt, so der Grazer Zeitdiagnostiker Manfred Prisching (2009), selbstverständlich „auch für Kommunen und Regionen, die für ihre Präsenz in den gesellschaftlichen Kommunikationsarenen nicht zuletzt deshalb sorgen müssen, weil sich der Konkurrenzdruck zwischen ihnen – in einer mobilen und liquiden Gesellschaft – wesentlich gesteigert hat.“ Auch Städte müssen sich zeigen, profilieren und inszenieren, denn „eine Stadt, die – insbesondere von begehrten Investoren und Arbeitskräften – nicht wahrgenommen und wertgeschätzt wird, gerät an die Peripherie des Geschehens. Auch eine
3.3 Die Idee der Kulturhauptstadt
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Stadt kann deshalb nicht mehr einfach in der Landschaft herumstehen, sie muss zu einem „Geschehen“ werden“. Eben das meine ich, wenn ich hier die „Eventisierung des Urbanen“ thematisiere. Historische Beispiele urbaner Eventisierungen sind z.B. Karnevalsumzüge, Theater- und Opern-Festspiele, Olympiaden und natürlich Weltausstellungen. Aber das waren im wesentlichen doch Events in Städten (mit oder ohne besonderes ‚Flair‘), während gegenwärtig die Städte selber sich transformieren von mehr oder weniger gestalteten Lebensräumen zu inszenierten, theatralisierten, festivalisierten Dauer-Ereignissen bzw. zu einer Gesamtbühne tendenziell ‚endloser‘ Ereignisketten. Dass Städte sich nachgerade unentwegt als Attraktionen für Touristen ‚aufhübschen‘, ist inzwischen zum urbanen Alltag geworden. Deutlich weniger alltäglich hingegen ist (bislang jedenfalls) die Konzeption eines Mega-Events wie das einer Kulturhauptstadt.
3.3 Die Idee der Kulturhauptstadt 3.3 Die Idee der Kulturhauptstadt
Augenscheinlich ist kein anderes kulturpolitisches Programm der Europäischen Union so wirkungsvoll und so populär, wie die Initiative Europäische Kulturhauptstadt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche europäische Städte rege an den Bewerben um den Titel beteiligen und damit anhaltend den hohen Stellenwert von Kultur als Gestaltungs- und Entwicklungskraft bestätigen, auch wenn oder vielleicht auch gerade weil Kultur, so Manfred Prisching (2009), „in diesem Kontext nicht das (ist), was man herkömmlich darunter verstanden hat. Sie hat mehr mit dem Lifestyle als mit dem Museum zu tun. Sie ist ein Euphemismus für den Konkurrenzkampf, in dem Städte ihre allgemeine und insbesondere ihre wirtschaftliche Attraktivität steigern wollen (…). Kultur wird zur Chiffre für alle Annehmlichkeiten einer Stadt, für die Lebensweise und den Lebensstil, für den Lebensstandard. Kultur ist dort, wo es Spaß macht zu leben. Kulturelles Flair ist eine flexible Konkurrenzressource und die
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3 Eventisierung des Urbanen
Kulturhauptstadt demzufolge eine ‚strategische Waffe‘ im kulturellökonomischen Wettrüsten.“1 Vor nunmehr vier Jahren (im April 2006) ist eines dieser „Wettrüsten“ beendet worden (vgl. Betz 2008, S. 191ff): Die Stadt Essen hat sich darin gegen 17 nationale Mitbewerberinnen durchsetzen können, und der Europäische Rat hat der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 offiziell zugestimmt. Damit ist diese ein politisch gewolltes und gefördertes Kulturprojekt unter der Leitidee der Europäischen Union, „die Völker einander näher zu bringen und die kulturelle Zusammenarbeit zu verbessern“ (85/C153/02). Jede Kulturhauptstadt ist gehalten, mit europäischer Perspektive ein Programm aus kulturellen Events zu erstellen (1419/199/EC) – unter Berücksichtigung der je eigenen Kultur und Kulturgüter sowie unter Einbeziehung der Bevölkerung. Im Einzelnen fordert diese Programmatik, dass die europäische Öffentlichkeit vertraut gemacht wird mit Persönlichkeiten, Ereignissen, Geschichte und Kultur, welche die Stadt bzw. die Region geprägt haben; gefordert ist, dass spezielle kulturelle Jugendförderprogramme entwickelt werden, dass der soziale Zusammenhalt in der Stadt bzw. der Region verstärkt und dass ein hochwertiger und innovativer Kulturtourismus entwickelt und mit den Wünschen der Besucher und Bewohner in Einklang gebracht wird. Die tatsächliche (Aus-)Gestaltung und Umsetzung dieser Vorgaben obliegt nun allerdings den jeweiligen Organisatoren des Kulturhauptstadtjahres. Und das (als ideal) übergeordnete Ziel von deren Aktivitäten besteht darin, den Austausch und die Begegnung zwischen den Bürgern Europas zu intensivieren, ihr wechselseitiges Verständnis zu verbessern und dergestalt die Vision der Europäischen Integration voranzutreiben. 1
Derlei gehört zum Kern dessen, was Manfred Prisching (2006) als „zweidimensionale Gesellschaft“ etikettiert hat: „Eine Welt von Geld und Dynamik, aber auch von Spaß und Atmosphäre. Gags sind gefragt (…). Grundlegendes Prinzip ist die Perspektive von ‚bourgeois bohémiens‘, die einen gewissen Progressismus mit den Annehmlichkeiten des Wohlstands verbinden; zahlungskräftiger oberer Mittelstand, der intellektuellen Flair liebt, solange er nicht mit Anstrengung verbunden ist.“
3.4 Das (Um-)Organisationsprinzip
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Und ganz in diesem Sinne geht es nun aktuell darum, dass die 53 Kommunen, die Wirtschaftsunternehmen und die Kulturschaffenden des Ruhrgebiets gemeinsam in diesem Jahr baulicher Verschönerungen, Aktionen, Happenings, Konzerte, Ausstellungen, Festivals, Partys (also: Erlebnismomente) durchführen und gestalten. Das Problem dabei ist, einerseits durch entsprechende Schwerpunktsetzung ein programmatisches Profil erkennbar und wiedererkennbar zu machen, um dergestalt den Eindruck von Beliebigkeit zu vermeiden. Andererseits ist die Palette der Ereignis-Elemente so breit anzulegen, dass alle Interessenten (in) der Kulturhauptstadt und alle, die dafür interessiert werden sollen, mit einbezogen oder zumindest mit berücksichtigt werden können. Inzwischen hat sich auch so etwas wie ein ‚Kanon‘ dessen herausgebildet, was als unverzichtbar für ein solches Mega-Event gilt: „Architektur und Kunst im öffentlichen Raum; Theater und Tanz; Musik; Ausstellungen; Literatur; Film, Foto und Neue Medien; Kinder und Jugend; Wissenschaft; Religion; Lebensräume. (...) Diese Schienen müssen durch das Jahr gezogen werden, bereitgestellt von zahlreichen, höchst unterschiedlichen Trägern; in irgendeiner mehr oder minder plausiblen Thematik, die sich in Wahrheit nicht wirklich realisieren lässt“ (Prisching 2009, S. 10).
3.4 Das (Um-)Organisationsprinzip 3.4 Das (Um-)Organisationsprinzip
Die hierfür zentrale Planung, die Organisation und die Koordination des Mega-Event-Projekts liegt bei der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas GmbH (RUHR.2010 GmbH), die im Dezember 2006 als Gesellschaft zur Vorbereitung und Durchführung der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 mit den Gesellschaftern Regionalverband Regionalverband Ruhr2,
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Der Regionalverband Ruhr ist ein Zusammenschluss von Kommunen des Ruhrgebiets, um Aufgaben wie die »Erstellung von Masterplänen, des Emscher Landschaftspark und der Route der Industriekultur, die Sicherung und Weiterentwicklung von Grünflächen, der regionalen Wirtschaftsförderung, des regionalen Standortmarketings, der regionalen
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3 Eventisierung des Urbanen
Stadt Essen, Land Nordrhein-Westfalen und Initiativkreis Ruhrgebiet3 gegründet worden ist. In dieser RUHR.2010 GmbH arbeiten die ‚Macher‘, die uns vor allem interessieren: Die, bei denen vielleicht gar nicht so sehr die Fäden, aber bei denen gewiss die Probleme zusammenlaufen. Als Schnittstellen zwischen der Ruhr.2010 GmbH und den 53 Kommunen sowie den Bürgern in der Region fungieren sogenannte Ruhr. 2010-Beauftragte. Verantwortliche Ansprechpartner finden sich aber auch in den Kirchen, den Universitäten, in Initiativen und Vereinen. Außer Frage steht die Zusammenarbeit der Ruhr.2010 GmbH unter anderem mit der RuhrTriennale4, mit der Ruhrgebiet Tourismus GmbH & Co.KG5 und mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr. Die Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 hat also tatsächlich „viele Adressen und viele Gesichter“ (Ruhr. 2010 2008, o.S.), und die Ruhr.2010 GmbH bewegt sich in einem dementsprechend weit gefächerten Spannungsfeld wirtschaftlicher, kultureller, kommunaler und europapolitischer Interessen. Inhaltlich und organisatorisch knüpft das Mega-Event-Projekt Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 an an die Internationale BauausstelTourismusförderung, der Öffentlichkeitsarbeit für das Verbandsgebiet sowie der Raumbeobachtung« (http://www.rvr-online.de/rvr/index.php?p =1) wahrzunehmen. 3 Im Initiativkreis Ruhrgebiet arbeiten (derzeit) 67, teilweise international agierende Wirtschaftsunternehmen des Ruhrgebietes zusammen, um durch gezielte Förderung von Projekten aus Wissenschaft, Sport und Kultur die Innovationskraft des Ruhrgebietes zu stärken und dieses dadurch zum »Zentrum für Industrie, Handel, Forschung und Dienstleistungen im nationalen, europäischen und internationalen Wettbewerb« (http://www.ir.de/Internet/DE/Projekte) zu machen. 4 Die RuhrTriennale ist ein genreübergreifendes internationales Festival der Künste, welches seit 2002 jährlich von Ende August bis Mitte Oktober an verschiedenen Spielstätten des Ruhrgebiets stattfindet. 5 Die Ruhrgebiet Tourismus GmbH & Co.KG wurde zur Entwicklung eines einheitlichen touristischen Regionalprofils der Metropole Ruhr Ende der 1990er Jahre gegründet. Gesellschafter sind der Regionalverband Ruhr (Mehrheitsgesellschafter), die Westfalenhallen Dortmund GmbH, die Messe Essen GmbH, die Bochum Marketing GmbH, die Gesellschaft für Energie und Wirtschaft Gelsenkirchen GmbH, die CentrO Management GmbH Oberhausen, die Colosseum Theater Produktionsgesellschaft Essen sowie die Tour de Ruhr GmbH in Duisburg (http://www.ruhrgebiettouristik.de/ daten/in_4.php?LA=de).
3.4 Das (Um-)Organisationsprinzip
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lung Emscher Park (IBA) der Jahre 1989 bis 1999 und führt den seinerzeit unter dem Etikett Industriekultur initiierten Prozess fort (vgl. Kilper 1999). Die – für die seinerzeitigen Verhältnisse noch ausgesprochen ungewöhnliche – Grundidee der IBA war, dass die sozioökonomische Entwicklung der Region von deren kulturellen und ökologischen Qualitäten abhänge, dass Nachhaltigkeit und Kultur also keine Nebensächlichkeiten seien, sondern maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region und zur Verbesserung der Lebensqualität ihrer Bewohner beitragen (vgl. Ganser/Siebel/Sieverts 1993). Damit hat sich bereits die IBA deutlich abgewandt von der traditionellen Modernisierungspolitik der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts (vgl. Kilper 2006, S. 133) zugunsten des Ziels, das industrielle Erbe des Ruhrgebiets umzudeuten von einer Altlast und einem Zeugnis des Niedergangs zu einem geschichtsträchtigen, erhaltenswerten, regionale Identität und Identifikation ermöglichenden kulturellen Erbe. Prägnante Industriebauten (wie z.B. die Zeche Zollverein in Essen) wurden deshalb vor dem Abriss bewahrt, saniert und neuen – in der Regel kulturellen und touristischen – Nutzungen zugeführt. Dokumentiert wird dergestalt „die Verwandlung von Natur zunächst in eine Industrielandschaft, dann in Wüste und schließlich in einen Freizeitpark, in dem die nicht mehr benötigten Arbeiter sinnvolle (und bezahlte) Beschäftigung suchen. Das Revier hat im Kleinen schon hinter sich, was den Industrienationen insgesamt noch bevorsteht.“ (Siemes 2010, S. 51). Sowohl die IBA als auch die Kulturhauptstadt, die erklärtermaßen das Zusammenwachsen des kommunal zersplitterten Ruhrgebiets zu einer metropolitanen Region – etikettiert als „Metropole Ruhr“ oder wenigstens als „Ruhrstadt“) nachdrücklich und nachhaltig befördern sollten und sollen, dokumentierten und dokumentieren damit zugleich auch die im Gang befindliche Transformation „vom alten Industriegebiet, vom ‚schweren Kapitalismus‘, von den Hochöfen und Schlackenhalden zur postindustriellen, sauberen, fortgeschrittenen, kulturgeprägten, hochtechnologischen, kreativen, leichtlebigen Region“ (Prisching 2009, S. 4). Ein weiterer Anspruch beider Initiativen bestand und besteht darin, die ver-
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krusteten Machtkonstellationen und Entscheidungsstrukturen in den Kommunen und in der Region aufzubrechen. Die strategische Schlüsselfrage, die die Kulturhauptstadt von der IBA sozusagen ‚geerbt‘ hat, ist dementsprechend die danach, wie man Innovationen in zwar ausgesprochen vielfältigen, im Großen und Ganzen aber eher nicht-innovativen Milieus organisiert. Nun: Wie schon die IBA Planungsgesellschaft, so versucht auch die Ruhr.2010 GmbH die regionalen Akteure und die Bevölkerung mit visionären Entwürfen für neue Entwicklungen nicht nur ‚empfänglich‘ zu machen, sondern dazu zu motivieren und dafür zu mobilisieren. Diese Visionen werden oft sozusagen „von außen“ implantiert. D.h., in irgendeinem ‚Denk-Tank‘ werden Leitbilder formuliert (zum Beispiel „Wandel durch Kultur“, „Metropole Ruhr“), und im Anschluss daran werden die regionalen Kräfte angeregt und aufgerufen, diese Visionen durch Projekte mit Leben zu erfüllen. Auch die sogenannte Planung durch Projekte ist eine bereits von der IBA umgesetzte Strategie, mit der „übergreifende Problemzusammenhänge in projektbezogene Einzelentscheidungen transformiert werden“ (Rommelspacher 1999: S. 19). Die IBA wurde seinerzeit damit gerechtfertigt, dass die Region von sich aus zur „Erneuerung“ eben nicht fähig sei (vgl. Häußermann 1992, S. 30). Mit der Kulturhauptstadtbewerbung hingegen initiierte das Ruhrgebiet erklärtermaßen erstmals selber erfolgreich ein international renommiertes Prestigeobjekt, „das von einer breiten Koalition aller politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure sowie dem Regionalverband Ruhrgebiet [...] gemeinsam angestoßen, getragen und durchgeführt“ wird (Betz 2008: S. 192). Unbeschadet dessen bleibt auch die Ruhr.2010 GmbH dem Spannungsverhältnis von Innovations- und Steuerungsanforderungen ausgesetzt:
3.5 Strukturprobleme urbaner Eventisierung
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3.5 Strukturprobleme urbaner Eventisierung 3.5 Strukturprobleme urbaner Eventisierung
Innovativ konnotierte Maßnahmen wie die Kulturhauptstadt, die den sozio-kulturellen Wandel (mit)gestalten sollen, sind kaum zu überschätzende Herausforderungen für Organisationen wie die RUHR.2010 GmbH, denn die Komplexität von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen, von Interessenverflechtungen und widersprüchlichen Wertsetzungen, von geplanten Wirkungen und von nicht beabsichtigen Folgen von Entscheidungen und deren Umsetzungen usw. problematisiert naheliegender Weise Steuerungsversuche nachgerade jeglicher Art. Bedarf an ständig neuen Steuerungskonzepten – und an Bewältigungs- (und Entschuldigungs-) Strategien für all die Fälle, in denen Steuerungsversuche misslingen oder (erhebliche) unerwünschte Konsequenzen nach sich ziehen – resultieren mithin schon aus dem allgemeinen sozio-kulturellen Wandel selber. Denn dieser sozio-kulturelle Wandel muss analytisch als Miteinander, Gegeneinander, Ineinander und Durcheinander von gewollten und ungewollten, von bedachten und unbedachten, von erstrebten und widerfahrenen Effekten gestaltungsinteressierter Akteure in den Blick genommen werden (zur Trajektstruktur vgl. Hitzler/Niederbacher 2010a): Sozio-kultureller Wandel wird (in aller Regel) angestoßen (und vorangetrieben), weil Akteure (ihre) Interessen verfolgen. Mit Blick auf das Mega-Event-Projekt Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 sind das vor allem 1. die Interessen der am Mega-Event-Projekt beteiligten Kommunen (diese Interessen richten sich z.B. auf Eigenwerbung, auf Ankurbeln der Tourismuswirtschaft und damit des Einzelhandels oder auch auf Versuche einer bevorzugten Förderung für spezielle Leuchttürme der jeweiligen Kommune, was wiederum zu Konkurrenzsituationen zwischen den Kommunen führt); es sind 2. die Interessen der Kulturinstitutionen und der freien Kultureinrichtungen (zum Beispiel das Interesse, künstlerische Projekte mit hohem Anspruch zu produzieren); es sind 3. die Interessen der Kunstschaffenden (zum Beispiel das Interesse, durch erfolgreiche Teilnahme einen Reputationszuwachs zu erreichen) und es sind 4. etwa auch die Interessen der Sponsoren und Förderer der Kulturhauptstadt
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3 Eventisierung des Urbanen
Europas Ruhr 2010 (zum Beispiel das Verfolgen eigener Marketingstrategien). Die im sozio-kulturellen Wandel hervorgebrachten Zustände hingegen sind typischerweise von niemandem so gewollt, wie sie sich dann tatsächlich ergeben (beziehungsweise wie sie dann zu sein scheinen). Sie sind vielmehr sozusagen ‚ironische‘ Anhäufungen und Zusammenballungen von erwünschten und unerwünschten, von erhofften, befürchteten und unerwarteten Folgen vielfältiger Initiativen. Und als solche werden sie wiederum zum – als solchem gesehenen oder auch nicht gesehenen – Bewältigungs- bzw. Gestaltungsproblem für (prinzipiell) alle mit ihnen konfrontierten Akteure (vgl. Bea/Goebel 2002, Pfadenhauer 2008). Gleichwohl lässt sich empirisch hinlänglich verlässlich aufzeigen, dass Transformationsabsichten – das heißt Absichten, den sozio-kulturellen Wandel in eine bestimmte Richtung oder gar auf einen bestimmten Zielzustand hin zu steuern – in aller Regel eine Vielzahl von koordinierten und synchronisierten Aktivitäten erfordern. All das und manches andere mehr sind typische Strukturprobleme des eingangs notierten, seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts anhaltend und zunehmend beobachtbaren Trends zur Eventisierung der Städte. Vor dem Hintergrund der akzelerierenden geographischen Entgrenzung der Städte (Berking/Löw 2005) haben sich Gegenbestrebungen in der Kommunalpolitik herausgebildet, welche sich auf Stadtkronen und zentrale Höhepunkte konzentrieren, »um wenigstens Inseln im Meer der Agglomeration sichtbar zu machen« (Häußermann/ Siebel 1993, S. 15). Stadtsoziologen betrachten diesen Trend (also) als Versuche von immer mehr nicht-metropolitanen Städten, ihrer zunehmenden Unsichtbarkeit dadurch gegenzusteuern, dass sie wenigstens punktuell bzw. zeitweilig Aufmerksamkeit auf sich lenken und eben damit auch für ihre Bürger mehr und interessantere Identifikationsangebote bereitstellen.6 D.h., Städte müssen sich als attraktives „Ambiente“ insze6
Vgl. Selle 2005; 2006. Darüber hinaus scheinen in einer zunehmend partikularisierten Welt Events eben zu den wenigen Möglichkeiten zu gehören, welche den Menschen heutzutage noch die – situative, also zeitlich und räumlich begrenzte – Erfahrung von
3.6 Marketing – Aspekte und Effekte
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nieren und ihre spezifischen Eigenschaften in Differenz zu anderen „Standorten“ hervorheben (Häußermann/Siebel 1994, S. 36, Hassenpflug 1999, Breckner 2006). Denn eng mit der Eventisierung der Städte verbunden ist eben auch, dass vor allem weniger berühmte Städte gezwungen sind, um die Aufmerksamkeit der Medien zu buhlen – in der Hoffnung, über diese Touristen und Standortinvestoren anzulocken. Und gerade irgendwelche urbanen Events können zu mediengerechten Inszenierungen von Städten genutzt werden (vgl. Hepp/Vogelgesang 2003). Ein weiterer wichtiger Grund für vermehrte Rückgriffe der Kommunalpolitik auf Events liegt in deren Funktion als Subventionsumlenkungsmaschinen, welche den Fluss zusätzlicher, externer, öffentlicher Gelder hinlenkt zur Modernisierung der Städte.
3.6 Marketing – Aspekte und Effekte 3.6 Marketing – Aspekte und Effekte
Unter all diesen Aspekten betrachtet, ist das Mega-Event-Projekt Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 also (zumindest auch) ein Instrument des Städte- und Regionenmarketing, das seit Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durch den fortschreitenden Strukturwandel an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Pugh/Wood 2004, S. 62): Bereits um die Jahrtausendwende haben rund 80 Prozent aller deutschen Städte Stadtmarketing betrieben (vgl. Lucas 2005, S. 14). Im Vordergrund steht dabei das sogenannte City-Management, das heißt die Revitalisierung der Innenstädte als Element des Städte- und Regionenmarketings (vgl. Wiechula 1999, S. 20). Bei der politischen Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Umsetzung als geeignet erscheinender Maßnahmen sollen nach Maßgabe alle Vorstellungen und Bedürfnisse der (politikrelevanten) Akteure einer Kommune (die der Bürger, Touristen, Geschäftsreisenden, der Gemeinsamkeit und Ganzheit erlauben; vor allem deshalb, weil sie Erlebnisformen anbieten, die nicht (nur) den Intellekt, sondern alle Sinne ansprechen (Gebhardt/Hitzler/ Pfadenhauer 2000 S. 10f.).
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3 Eventisierung des Urbanen
Medien, Industrie, Gastronomie, des Einzelhandels und der kommunalen Institutionen) berücksichtigt werden. Dieses Städte- und Regionenmarketing spielt sich ab im Spannungsverhältnis der Vorstellung und Bedürfnisse der beteiligten Akteure und wirkt einerseits als Dienstleistung für die Bürger und andererseits als Mittel im Konkurrenzkampf zwischen den Städten, die zumeist unter erheblicher Budgetknappheit agieren (vgl. Wiechula 1999, S. 21). Dies erklärt auch die Popularität von Public-Private-Partnerships (vgl. Peters/ Pikkemaat 2005, S. 152, vgl. Heintz 1992, Mayer 1993). Ganz im Sinne dessen, was Hubbard/Hall (1998, S. 4) „organisational and institutional shift from urban government to urban governance“ nennen, werden Stadtverwaltungen dergestalt immer stärker zu Unternehmerinnen und Städte beziehungsweise Regionen zu Produkten, die sich auf dem Markt behaupten müssen (vgl. Töpfer 1993, S. 16). Und eine wichtige Methode des oft auf langfristige Wirksamkeit ausgelegten Städte- und Regionenmarketing ist eben die Förderung von Kultur, da dieser maßgeblich eine Verbesserung der Lebensqualität für die Bürger und eine Art Sogwirkung auf das Umland bzw. auf Touristen und auf Investoren zugeschrieben wird (vgl. Andersen/Matthiessen 1995, S. 78). Mit Blick auf die Funktion von Events kann somit unterschieden werden zwischen einem außenorientierten Stadtmarketing mit dem Ziel, Touristen und potentielle Investoren auf die Stadt/Region aufmerksam zu machen, einerseits und einer binnenorientierten Stadtentwicklung, deren Adressaten die bereits ansässigen Bürger und Unternehmen sind, die unter Rückgriff auf Tradition und Identifikation mobilisiert werden sollen, andererseits. Deutlich wird dabei, dass Interessen innerhalb von Events divergieren (vor allem eben im Hinblick auf Außen- versus Binnenorientierung), dass sie jedoch immer auch konvergieren, da zwischen beiden Funktionen Synergieeffekte erzeugt werden können (beispielsweise wird das Anlocken neuer Investoren erleichtert, wenn sich die Bevölkerung positiv mit ihrer Stadt identifiziert).
3.7 Koordinierungsprobleme in komplexen Konstellationen
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3.7 Koordinierungsprobleme in komplexen Konstellationen 3.7 Koordinierungsprobleme in komplexen Konstellationen
Das Mega-Event Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 trifft nun offenkundig auf eine besonders komplexe Konstellation eigennütziger und eigensinniger Akteure vor dem Hintergrund kaum zu kontrollierender interner und externer Einflussfaktoren. Und dem entsprechend begreifen wir dieses Event theoretisch als ein situationenübergreifendes Erzeugnis, in das vielfältige Akteure mit unterschiedlichen Positionen, Plänen und Aufgabenstellungen in unterschiedlichen Zusammenhängen eingebunden sind und miteinander ebenso wie gegeneinander handelnd dazu beitragen, dass bestimmte Pläne realisiert werden (vgl. Pfadenhauer 2008) – was vor allem bedeutet, dass bestimmte Ereignisse zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten auf eine bestimmte Art und Weise eintreten sollen. Ein solches Setting birgt einerseits aufgrund fehlender Routinen Unsicherheiten, aus denen sich andererseits aber auch (mitunter gar nicht vorhersehbare) Möglichkeiten für die Akteure ergeben, die eigene Rolle (immer wieder) neu zu definieren und anzupassen. Naheliegender Weise kann das im einen Zusammenhang erwünscht, im anderen unerwünscht, im einen Kontext funktional, in einem anderen hingegen dysfunktional sein.7 7
Untersuchungen, welche die Durchführung und nachhaltige Wirksamkeit einzelner Kulturhauptstädten dokumentieren, wurden von Hughes u.a. (2003) für Krakau 2000, vom Joanneum Research (2003) für Graz 2003 sowie von Sacco/Blessi (2007) für Genua und Lille 2004 durchgeführt. Hingewiesen wird in diesen Studien auch darauf, dass insbesondere die frühzeitige Integration verschiedener ökonomischer und kultureller Interessen der beteiligten Akteure/Gruppen wesentlich zu einer optimalen Organisation und (somit) letztlich zum Erfolg des Mega-Event-Projekts beiträgt. In welcher Form eine frühzeitige Integration zu erfolgen habe und wie diese zu koordinieren sei, war nicht Gegenstand der Untersuchungen. Im Zentrum des Forschungsinteresses von Go et al. (2000), die das Konzept der Kulturhauptstadt Rotterdam 2001 analysiert haben, stand die Überprüfung der gewählten Stadtmarketingstrategie. Die Autoren verweisen unter anderem auch auf das Problem unterschiedlicher Interessen beteiligter Akteure/Gruppen und erkennen die Notwendigkeit einer Interessenbündelung. Die Darstellung politischer Strategien in der
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3 Eventisierung des Urbanen
Dementsprechend ist auch das Mega-Event Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 ganz erheblichen Zentrifugalkräften ausgesetzt (vgl. Berking 20088). Diese resultieren zum einen aus der Vielzahl von auf den Weg gebrachten und in Gang gesetzten Leit- und Kooperationsprojekten, zum anderen eben aus der Heterogenität der Beteiligten aus Politik, Wirtschaft und Kultur und deren (jedenfalls auf den ersten Blick) unvereinbar erscheinenden Interessen – zum Beispiel Lokalität versus Regionalität (Stichwort: Essen für das Ruhrgebiet versus Wir im Revier), punktuelldiffuse Wirkung versus nachhaltige Wirkung (Stichwort: Eventorientierung versus Werkpurismus), Ansprache eines breiten Publikums versus Kulturelite (Stichwort: Populismus versus Elitismus) oder kultureller Anspruch versus ökonomisch-finanzielle Machbarkeit (Stichwort: Ambition versus Wirklichkeit). Diese Zentrifugalkräfte müssen von den zentral organisierenden Akteuren nicht nur ausgehalten, sondern – ausgleichend und vermittelnd – in produktive Kooperationen umgelenkt und gebündelt werden. Je mehr Akteure beteiligt, tangiert und betroffen sind, umso problematischer wird folglich – schon aufgrund von deren divergenten Wahrnehmungen und Deutungen des Ziels, insbesondere aber angesichts der aus vielerlei Motiven heraus vorgebrachten Bedenken, Vorbehalte und Widerstände – typischerweise die praktische Realisierung eines komplexen Ereignisses wie das der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 in nachgerade all seinen Teilelementen. Die Frage, die uns als Begleiter des Geschehens beschäftigt, lautet dem entsprechend: Was ist es dann eigentlich, das letztlich anscheinend doch dafür sorgt, dass das meiste von dem, was geschehen soll, dann Öffentlichkeit steht in der Studie von Hammerthaler (1998) über die Vorbereitungsphase der Kulturhauptstadt Weimar 1999 im Vordergrund. García (2004; 2005) hat im Rahmen ihrer organisationssoziologischen Arbeiten die Kulturhauptstadt Glasgow 1990 untersucht. Dabei konnte sie erhebliche Interessen- beziehungsweise Zieldivergenzen zwischen den beteiligten Akteuren aufzeigen. – Vgl. für einen Überblick auch Palmer et al. (2004). 8 Aufgezeigt wurde diese “Eigenlogik” z.B. auch bereits in einer Vergleichsstudie von Taylor/Evans/ Fraser (1996) über Manchester und Sheffield.
3.7 Koordinierungsprobleme in komplexen Konstellationen
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auch am vorgesehenen Ort zum vorgesehenen Termin mit dem vorgesehenen Programm statt hat, obwohl unüberschaubar viele Akteure und Gruppen von Akteuren über einen langen Zeitraum zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten in mannigfaltigen Konstellationen divergente Aktivitäten unterschiedlichster Art entfalten und dabei mit vielfältigen Taktiken und Strategien (zumindest auch) ihre Sonder- und Eigeninteressen verfolgen? Nun, zunächst einmal lässt sich zeigen, dass wenn etwas vor dem Hintergrund eines deklarierten und nicht prinzipiell in Frage gestellten Organisationszieles geschieht – wie hier eben vor dem Hintergrund des allseits geteilten, weil nicht abweisbaren Ziels, im bzw. als Ruhrgebiet ein herausragendes Kulturhauptstadtjahr zu organisieren – der plausible Verweis auf dieses Organisationsziel in aller Regel die jeweils dergestalt verweisende Position gegenüber konkurrierenden Vorstellungen entschieden stärkt: Die je eigenen Interessen durch Verweis auf einen auch von Gegenspielern – zumindest formal – anerkannten höheren Wert zu heiligen, ist ja bekanntermaßen eine ebenso altbewährte wie besonders perfide Trumpfkarte in jeder Art von politischen Auseinandersetzungen (vgl. Hitzler 1991 und 1993). Eine noch überzeugendere, weil nicht nur politisch-strategische Antwort auf die Frage, warum es (am Ende in der Regel dann doch) klappt, liegt aber in der Verlaufsstruktur der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 selber: Was auch immer welche Beteiligten auch immer im Einzelnen wollen oder tatsächlich tun, sie legitimieren sich und das, was sie tun, darüber, dass sie eben Beteiligte sind. Damit aber erweisen sie sich letztlich auch (mehr oder weniger) alle über diese Teilhabe zumindest so weit koordinierbar, dass – so, wie es derzeit (im Jahr 2010) geschieht, – die Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 von einer vagen und über weite Strecken auch waghalsigen Möglichkeit zu einer Wirklichkeit im Vollzug wird. Diejenigen aber, die mit dem Koordinieren, die mit diesem Management multipler Divergenzen betraut sind, ganz wesentlich also die durch die beiden Geschäftsführer Fritz Pleitgen (früher WDR-Intendant)
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3 Eventisierung des Urbanen
und Oliver Scheytt (früher Essener Kulturdezernent) repräsentierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ruhr.2010 GmbH, nehmen sich bei all dem mit einiger (notwendiger) Ironie selber wahr als „im Auge des Orkans“ stehend; im Auge des Orkans, der als frischer Wind nachdrücklich gewollt entfacht wurde, der derzeit aber in seiner nun ‚eigentlich‘ nicht mehr bezähmbaren, stürmischen Gewalt über das Ruhrgebiet fegt; der dieses, dort, wo er es je erfasst, wundersamer Weise in aller Regel9 aber eben nicht verwüstet, sondern zum Glänzen bringt: „Als größte künstliche Landschaft Europas hat das Ruhrgebiet die Chance, zum größten Kunstwerk der Welt zu werden“, meint z.B. Christof Siemes (2010, S. 51). Auch meine ‚Vision‘ aus der Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 heraus zur Ruhr-(Groß-)Stadt im 21. Jahrhundert ist durchaus eine ästhetische, zugleich aber vielleicht auch ökonomisch für die Bevölkerung attraktivere. Ich denke an das, was wir bislang „Ruhrgebiet“ nennen, – auch – als eine Feriendestination.
3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“ 3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“
Es spricht m.E. einiges dafür, dass aus der folklorisierten (nicht, jedenfalls nicht vorwiegend: musealisierten) Industriekultur des Ruhrgebietes – wie im 20. Jahrhundert aus der folklorisierten Agrarkultur insbesondere der Berg- und Seeregionen – im 21. Jahrhundert ein komplexer, stark verdichteter, multioptionaler Erlebnisraum entstehen könnte, in der möglichst jede Form von Freizeitgestaltung (also: Vergnügen, Entspannung, Action, Abenteuer, Sport, Spiel, Unterhaltung, Einkaufen und nicht zum wenigsten auch Bildung usw.) für möglichst ‚alle und jeden‘ (also für beide Geschlechter, jedes Alter, jede Ressourcenlage, jede Neigung, jede soziale Konstellation) möglich sein müsste. Weil dem Ruhrgebiet bislang jedoch allenfalls ein sehr verborgener, ‚natürlicher‘ landschaftlicher Reiz attestiert werden kann, würde ein solcher multioptionaler Erlebnisraum 9
Zur – entsetzlichen – Ausnahme von der Regel siehe Kapitel 4.
3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“
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wesentlich auf dem Umbau vorhandener Einrichtungen (auch und gerade solcher, die bislang gänzlich anderen Zwecken gewidmet sind) in und auf dem Ausbau und Aufbau von (von uns) so genannten Erlebnisstätten basieren. Als ›Erlebnisstätten‹ bezeichne ich architektonisch auf einen Themen- oder Leistungsfokus hin gestaltete Orte oder Areale, in welche Menschen mit dem Versprechen auf besondere beziehungsweise „außergewöhnliche“ Erlebnisse gelockt werden. So verstandene Erlebnisstätten lösen sich unter den Bedingungen fortgeschrittener Pluralisierung, Individualisierung, Eventisierung und Kommerzialisierung aller gesellschaftlichen Bereiche immer mehr aus traditionalen institutionellen Bindungen und entwickeln sich zum Gegenstand technischer Machbarkeit, ästhetischen Designs, ökonomischer Vermarktung und individuellen Konsums. Dergestalt transformierte, konzeptionell relativ neue Erlebnisstätten bezeichne ich als „postmodernistisch“ (vgl. zum Begriff des „Postmodernismus“ Hitzler 2006 und 2010). Diese Rede von postmodernistischen Erlebnisstätten ist noch einigermaßen unüblich. In der einschlägigen Literatur wird das damit angesprochene Phänomen eher mit Begriffen wie Erlebniswelten, Kunstwelten, Konsumwelten, ›Kulissen des Glücks‹, künstliche Paradiese, Freizeitwelten, Freizeitparks, Ferienwelten, Ferienparks, Ferienzentren, Center Parcs, Urban Entertainment Centers, Infotainment Centers, Clubanlagen, Themenparks usw. belegt (vgl. z.B. Hartmann/Haubl 1998, Hennings/Müller 1998, Opaschowski 2000, Rieder/ Bachleitner/Kagelmann 1998, Schulze 1999, Steinecke 2000). So weit des gesamte Spektrum auch reicht: Einhellig verlangt die – möglichst drastische – Erhöhung der statistischen Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Eintritts der in Aussicht gestellten besonderen bzw. „außergewöhnlichen“ Erlebnisse von den Betreibern ganz selbstverständlich mannigfaltige Aktivitäten, denn solche postmodernistischen Erlebnisstätten stellen in aller Regel Resultate langfristiger, komplexer Organisationsprozesse dar, die sich zusammensetzen aus Profitinteressen, Ideenfindungen, Markt- und Infrastrukturanalysen, bautechnischen und logistischen Erwägungen, Kostenkalkulationen und Finanzplanungen, Detail-
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3 Eventisierung des Urbanen
und Gesamtentwürfen, Genehmigungsverfahren, Kapitalbeschaffung und Investoren-Raising, (Um-)Baumaßnahmen, Personal-Rekrutierung usw. Noch ehe auch nur ein Besucher dazu bewogen werden kann, für das dergestalt ›designte‹ Erlebnisversprechen ein Eintrittsgeld zu entrichten, müssen diese Prozesse naheliegender Weise bereits stattgefunden haben. Danach beginnen dann aber eigentlich erst die sozusagen ‚existentiellen‘ Dauer-Probleme: Besucher dazu zu verführen, immer wieder zu kommen, sie zu positiver Mundpropaganda zu animieren, durch fortgesetzte Öffentlichkeitsarbeit und Werbemaßnahmen das Interesse an der Einrichtung aufrechtzuerhalten und zu erhöhen, laufend das Personal zu schulen und zu motivieren, die ganze Anlage ständig technisch und ästhetisch zu warten beziehungsweise zu verbessern, das Erlebnisangebot immer wieder zu erweitern und zu bereichern, hinlänglich flexibel auf konjunkturelle Schwankungen zu reagieren – und nicht zum wenigsten: allfällige Neigungen von Besuchern, Teile der Anlage um zu nutzen, so zu begrenzen, dass keine größeren Sach- oder gar Personenschäden entstehen, usw. Erlebnisstätten sind also gleichsam Architektur gewordene Events. Das heißt, sie behaupten sich als Orte der Verstetigung von aus dem Alltag herausgehobenen, mehr oder minder bestimmbaren Erlebnisqualitäten mit relativ hoher Anziehungskraft für relativ viele Menschen. Diese Anziehungskraft resultiert wesentlich aus dem – teils jedermann, teils speziellen Besuchertypen gegebenen – Versprechen eines hohen, typischerweise verschiedene Kulturformen übergreifenden Spaß-Erlebens. Nun ist das, was Spaß macht, ja bekanntlich Ansichtssache. Das heißt, das, was die einen als „Spaß“ oder mit Spaß erleben, können andere durchaus „nicht witzig“ oder auch ganz widerwärtig und abscheulich finden. Unbeschadet dessen erscheint das Spaß-haben-Wollen – allen gegenwärtigen wirtschaftlichen Restriktionen und Deprivationen zum Trotz – als das einzige Prinzip, dem die meisten von uns bei dem, was sie tun, und vor allem, was sie tun wollen, heutzutage noch folgen (vgl. Hitzler 2002). Anders ausgedrückt: In der Gegenwartsgesellschaft hat – grosso modo – das Prinzip „Verführung“ das Prinzip „Verpflichtung“ (vgl. Hitzler 1999a) abgelöst.
3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“
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Eben dieser Entwicklung tragen die Betreiber postmodernistischer Erlebnisstätten in besonderem Maße – und mit dem ganzen aus der Launenhaftigkeit ihrer potentiellen Besucher resultierenden Risiko – Rechnung. Das heißt, entgegen dem von kulturkritischen Intellektuellen so gerne vorgebrachten Verdacht der perfiden Manipulation ahnungsloser Verlustierungsmassen lässt sich bei genauerer Betrachtung konstatieren, dass Erlebnisstätten-Betreiber kaum irgendwelchen Ordnungsmachtphantasien huldigen, sondern eher der überaus schwankenden ›Gunst‹ ausgesprochen schwer auszumachender ›Zielgruppen‹ hinterher hecheln und ansonsten kaum zählbar viele amtliche Sicherheitsauflagen realisieren und obendrein dafür Sorge tragen müssen, dass die Besucher wenigstens im Durchschnitt nicht mehr Gebrauchsschäden anrichten, als sie an Eintrittsgeldern und Nebenausgaben zurücklassen. Gelingender Weise bieten Erlebnisstätten ihren Besuchern einen Frei-(Zeit-)Raum, in dem sie sich aus Lebens-Routinen heraustransportieren lassen und zeitweilig an diversen, symbolisch vermittelten, mehrkanaligen Sinnenfreuden partizipieren können. Das heißt, der Spaß der Besucher erwächst aus deren intensiver gefühlsmäßiger Verwicklung in das ‚vor Ort‘ gewährleistete performativ-interaktive Geschehen. Allerdings dürften die Erlebnis-Kulissen, in denen sich die Besucher gegenwärtig bewegen, zu dem, was auf diesem Sektor noch zu erwarten ist, in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie die ersten per Handkurbel zum Laufen gebrachten Bilder zum computeranimierten (3D-)Spielfilm-Spektakel unserer Tage. Das heißt, postmodernistische Erlebnisstätten – von den Themenparks bis zu den Spaßbädern, von der sogenannten Erlebnisgastronomie bis zu den Shopping Malls – bergen noch kaum abschätzbare Entwicklungschancen, insbesondere durch elektronische Aufrüstung beziehungsweise durch Virtualisierung (wobei ein am Computer individuell designbarer, perspektivenunabhängiger Erlebnisraum wie das „HoloDeck“ in den avancierten Star-Trek-Serien wohl doch noch geraume Zeit Fiktion bleiben dürfte). Unbeschadet ihrer Performance-Qualitäten ist in Stätten solcher Art bereits ein potentieller Ersatz für den Ferntourismus des 20. Jahrhunderts
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3 Eventisierung des Urbanen
zu erkennen, denn die Produktion von Urlaubserlebnissen jeglicher Qualität und thematischer Ausrichtung erscheint durchaus machbar und wird in der Branche auch als das vorrangige Entwicklungsziel eines ökologisch, ökonomisch und sicherheitstechnisch „vernünftigen“ Tourismusund Urlaubskonzeptes propagiert: „Angesichts von heute eineinhalb, morgen vielleicht vier Milliarden Menschen, die, erlebnishungrig und zunehmend kaufkraftstark, ihren Jahresurlaub an feinsandigen Stränden verbringen möchten, angesichts eines Wertesystems, das auf ‚Erlebnis‘ und Thrill nicht verzichten möchte, ist die Simulation einer künstlichen Südseeinselwelt unter Kuppeln in der Lüneburger Heide nicht nur ein beliebiges Element der Freizeitindustrie, sondern auf mittlere Sicht eine Überlebensnotwendigkeit für die Menschheit“ (Matthias Horx). Vor diesem Hintergrund eröffnet sich, keineswegs nur auf Grund der Bevölkerungsdichte und -struktur, sondern vor allem auch auf Grund der geographischen Lage sowie der verkehrstechnischen und logistischen Rahmenbedingungen, für den Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“ m.E. eine noch kaum bedachte Zukunft als multioptionale und multilokale Feriendestination des 21. Jahrhunderts. Eine in dieser Region traditionell bereits vorhandene, seit einigen Jahren nochmals deutlich breiter werdende und vor allem in Zukunft immer stärker sich auffächernde Palette technisch hoch animierter Unterhaltungs-, Erholungs-, Konsum-, Kultur- und Sportangebote ‚für alle und jeden‘ wird mehr und mehr zu einer steten Herausforderung nicht nur für die strukturierende Phantasie der bisherigen Regional-Politik, sondern vor allem auch für die innovativen Potentiale der seit einigen Jahren im Ruhrgebiet sich kumulierenden High-Tech-Branchen. Wenn diese Herausforderungen nicht nur erkannt, sondern anerkannt und angenommen werden, dann erwächst aus der Notwendigkeit, die Menschen ‚morgen‘ nicht mehr zu den tradierten Feriendestinationen zu bringen, sondern die artifiziellen Destinationen zu den Menschen, die durchaus realisierbare Vision eines künftigen, von Recklinghausen bis Mülheim, von Duisburg bis Dortmund sich erstreckenden Groß-(Stadt-) Raums „Ruhr“ als urbaner Freizeit- und Erlebnisstätte.
3.8 Erlebnisstätte Groß-(Stadt-)Raum „Ruhr“
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Mit Blick nun auf Nachhaltigkeit bleibt bis auf weiteres die Frage offen, ob der hier konstatierte „Wind of Change“ über das Jahr 2010 hinaus anhalten wird, oder ob die Menschen im „Pott“ – jenseits ihres durchaus spürbaren Spaßes am aktuellen Mega-Event – doch eher jene nostalgische Stimmung wieder finden und erhalten wollen, die ihr global bekannter regionaler Sangesheld, Herbert Groenemeyer, mit seiner offiziellen Hymne zur Kulturhauptstadt so trefflich auf den doppeldeutigen Refrain gebracht hat: „Komm zur Ruh(r)“.
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Eventisierung des Juvenilen
4 Eventisierung des Juvenilen
Idee, Transformation und düsteres Ende der Loveparade
4.1 Mentaldisposition „Juvenilität“ 4.1 Mentaldisposition „Juvenilität“
Dass Jugend keineswegs etwas Natürliches bzw. Naturgegebenes ist, sondern ein ausgesprochen variables sozio-kulturelles Konstrukt, das dürfte allgemein bekannt sein. Jugend als eigenständige Altersphase zwischen Kindheit (als Zeit weitest gehender Bevormundung zum Schutz vor Selbstgefährdung) und Erwachsensein (als Zustand umfassender Selbstverantwortlichkeit und moralisch geforderter Fremdsorge) ist im Prinzip eine Erfindung der Aufklärung (insbesondere von Jean-Jacques Rousseau), die sich als kulturelle Idee in modernen Gesellschaften bereits im 18. und 19. Jahrhundert durchgesetzt hat. Zu einem allgemeinen biografischen Muster für ‚den‘ Heranwachsenden schlechthin (für den die Bevormundungen der Kindheit allmählich entfallen, der die eigene Existenz aber noch nicht letztverantwortlich selber gestalten und sichern muss) wurde Jugend allerdings tatsächlich erst im 20. Jahrhundert – und in ihrer uns zwischenzeitlich geläufigen Ausprägung sogar erst im Kontext wirtschaftlicher Prosperität der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. dazu z. B. Schäfers 2001). Seither scheint sich das, was man „die Jugendphase“ nennt, immer mehr in die Länge zu ziehen und zu entstrukturieren (vgl. dazu z. B. Hurrelmann 1994). Famoserweise aber schwindet das, was da pädagogisch, ökonomisch, politisch, kurz: was kulturtypologisch seit den 50er Jahren sich ‚aushärtet‘, seit jener Zeit demografisch gesehen mehr und mehr R. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Eventisierung des Juvenilen
schon wieder dahin: In den 1950er Jahren war in Deutschland jeder dritte Mensch unter 20 Jahren alt. Heute ist es nur noch jeder fünfte. Und auf absehbare Zeit werden wir (nicht nur) hierzulande im Verhältnis zur Zahl der Älteren noch deutlich weniger Heranwachsende haben (ca. 15% in ca. 40 Jahren) – wie wir ja alle aus den tagtäglichen Hochrechnungen zur Unfinanzierbarkeit des dräuenden „Altenheim Deutschland“ gelernt haben und lernen. Selbst wenn man, wie es in der einschlägigen Forschung immer häufiger geschieht, die Lebensphase „Jugend“ ausweitet bis zum Alter von 30, ja 35 Jahren, scheinen die jungen Menschen statistisch gesehen zu einer sozialen Marginalie zusammenzuschmelzen (vgl. dazu Vogelgesang 2001 und 2010). Unbeschadet dessen – oder vielleicht auch gerade deshalb – steht „die Jugend“ anhaltend im Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit. Unseren einschlägigen Erkundungen zufolge hat das allerdings weniger damit zu tun, dass die uns verbliebenen und verbleibenden jungen Menschen sozusagen die konkurrenzlosen Träger aller möglichen politischen und vor allem ökonomischen Hoffnungen wären. Es hat vielmehr damit zu tun, dass das Phänomen „Jugendlichkeit“, mit seinen Konnotationen von Vitalität und Erlebnisorientierung, – auch demografisch – keineswegs dahinschwindet, sondern im Gegenteil in unserer Gegenwartsgesellschaft rapide sich ausbreitet. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, dass „Jugendlichkeit“ eben keine Frage des Alters (mehr) ist, sondern eine Einstellung zur Welt. Diese Einstellung zur Welt, diese mentale Disposition, die ich zur besseren Unterscheidung im weiteren als „Juvenilität“ bezeichne, ist dadurch gekennzeichnet, dass man weder (mehr) kindisch ist, noch erwachsen, sondern dass man in einem komplizierten Zusammenhang von ‚eigenen‘, nicht etwa von individuellen, sondern von einfach nichterwachsenen-typischen Wichtigkeiten lebt. Und diese Einstellung ist in unserer Gesellschaft nun keineswegs immer seltener zu finden (wie es dem schrumpfenden Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung entsprechen würde). Diese Einstellung, die symptomatischer Weise das argwöhnische Interesse von Erwachsenen weckt, weil sie mit sonderbaren
4.1 Mentaldisposition „Juvenilität“
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Wichtigkeiten und Wertsetzungen einhergeht, breitet sich vielmehr immer weiter aus, streut über immer mehr Altersgruppen hinweg und erfasst immer mehr Lebensbereiche von immer mehr Menschen: Juvenilität als prinzipielle Lebensform wird zur kulturellen Alternative gegenüber der Lebensform des Erwachsenseins (vgl. Hitzler 2006a; vgl. auch Ferchhoff 2007). Vom Standpunkt des Erwachsenseins aus erscheint es als symptomatisch für juvenile Menschen, dass sie all das, was getan wird, weil es, dem Selbst- und Weltverständnis von Erwachsenen zufolge, ‚aus guten Gründen‘ getan werden muss, ebenso praktisch wie beiläufig in Frage stellen dadurch, dass sie es nicht nur nicht tun, sondern dass sie sich schlicht nicht damit befassen wollen.1 Anders formuliert: Den Protagonisten des Juvenilen ist die Erwachsenengesellschaft so lange relativ gleichgültig, wie diese sie hinlänglich akzeptabel versorgt und zugleich möglichst ungestört das tun lässt, was sie wollen. Möglichst ungestört konstruieren juvenile Menschen typischer Weise Sonderwelten – insbesondere im Rahmen von uns so genannter „posttraditionaler Gemeinschaften“ (vgl. Hitzler/Honer/Pfadenhauer 2008). Bestimmte Varianten solcher Gemeinschaften bezeichnen wir als „Szenen“ (vgl. Hitzler/Niederbacher 2010). Eine – von uns besonders intensiv untersuchte – dieser Szenen hat sich seit den 1980er Jahren um eine durchaus vielschichtige Musikrichtung herum entwickelt, die wir sehr grob vereinfachend als „Techno“ etikettieren (vgl. für viele unserer Publikationen dazu Hitzler/Pfadenhauer 2001 und 2009).
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An einem lapidaren Beispiel verdeutlicht: Fragen wie die, inwiefern eine ‚wilde‘ Party in einer einsturzgefährdeten Bauruine ein Problem ist, diskutieren typische Erwachsene in einem Vernunftraum zwischen ordnungsamtlichem Genehmigungsverfahren hier und kategorischem Imperativ da. Juvenile – jeglichen Alters – hingegen wollen einfach tanzen.
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4 Eventisierung des Juvenilen
4.2 Verrücktes Erleben 4.2 Verrücktes Erleben
Einschlägige Experten bezeichnen das Genre „Techno“ als jene musikalische Form, die wieder zu den Ursprüngen der Musik zurückkehre und „das Bewusstsein auch in tieferen Bereichen“ anspreche (Koch 1995). Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Techno-Szene lässt sich dementsprechend konstatieren, dass die hier übliche ‚Feier-Laune‘ sozusagen unterlegt ist mit einem – für Jugendszenen schlechthin nicht ganz unüblichen – spirituellen Hang zur Transzendenz, zur Bewusstseinserweiterung, zur Grenzüberschreitung (vgl. dazu auch Hitzler/Pfadenhauer 2004)2: „Das Erleben veränderter Bewusstseinszustände ist für ungefähr die Hälfte der Techno-Freaks ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Grund dafür, Partys zu besuchen“, schreibt etwa Ferdinand Mitterlehner (1996). Jedenfalls berichten die meisten Technoiden, beim Raven das Gefühl zu haben, umher zu fliegen oder wenigstens zu schweben, bzw. entmystifiziert und d.h. banaler ausgedrückt: Rauschzustände erlebt zu haben; Rauschzustände, die von einschlägigen Experten wiederum als „legitimes Austreten aus der Maschine“ (Walder 1995) euphemisiert werden, da es dabei eben um die Suche nach persönlicher Befreiung und nach neuem Lebenssinn gehe. Die Vorlagen für diesen ‚Weg nach innen‘ werden – jedenfalls semantisch – gerne bei sogenannten Naturvölkern vermutet: bei deren Stammesförmigkeit und vor allem bei deren Ritualismus (so sind z.B. häufig Selbstetikettierungen als „Tribe“ bzw. unter Verwendung des Begriffs „Tribe“ zu finden). Schon Ulf Poschardt hat sich seinerzeit (1995) durch Technomusik an die rituellen Rhythmen von unzivilisierten, wilden 2
Zum spiritualisierten semantischen Repertoire der Techno-Szene gehören darüber hinaus aber zweifellos auch die Reden von DJs als „Göttern“ und „Gurus“, vom „Spirit“, von „Ghosts“ und „Demons“, vom „Astralen“ und nicht zuletzt von den „Tempeln“ (TanzTempel, Techno-Tempel, Tempel der Nacht, Dome usw.), also von ver-rückten, sakralisierten Zeit-Räumen (vgl. dazu auch Dumke 2001), in denen die Masse der Tanzenden wie ein Meer von Leibern erscheint, hin- und hergepeitscht von einer orkanartig über sie hereinbrechenden Musik.
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Völkern und Stämmen erinnert gefühlt. Techno-Musik wird assoziiert mit Trommel-Musik und stampfendem Tanzen. Auch die Tanz-Expertin Gabriele Klein (2004) hört bei Techno auf frühe Kulturen verweisende Grundrhythmen: Angesichts der Monotonie des ‚four-to-the-floor‘-Rhythmus liege es nahe, von einer zu ekstatischen Zuständen bei den Tanzenden führenden schamanischen Ritualmusik in einem sozusagen maschinengenerierten Gewand zu sprechen bzw. – wiederum mit Gabriele Klein – von der computergesteuerten „Inszenierung einer Hyperrealität“. Ganz wesentlich für das Gelingen dieser Hyperrealitätsinszenierung scheint – neben ihrem zumeist mehrere Stunden langen Andauern – die Lautstärke der akustischen Emanationen zu sein, die durchaus bis zu 120 Dezibel erreichen (vgl. Jerrentrup 2001). Frequenzen unter 800 Hertz sind bei dieser Schallenergie so intensiv, dass sie nicht nur mit dem Hörsinn, sondern tatsächlich mit dem Tastsinn (v.a. über das Zwerchfell) erfasst werden: Man tanzt idealerweise nicht zur, man tanzt vielmehr sozusagen in der Techno-Musik, die den Körper zu überfluten und zu durchströmen und die Welt ringsumher vergessen zu machen scheint. Um diesen Effekt hervorzurufen, scheint die Beschallung sozusagen ‚von allen Seiten‘, also die Erzeugung tatsächlich eines Klang-Raumes, in dem und durch den man sich überall gleich gut bewegen kann, essentiell zu sein. Die Musik betäubt und putscht auf zugleich. Wesentlich unterstützt bzw. verstärkt wird diese Wirkung noch durch oft gigantische LightShows mit Videoanimation, Laseroptik, Kunstnebel usw. Nicht der jenseits der Szene gern und viel beschworene Drogenkonsum (vgl. dazu Hitzler 1997), der lediglich die gegebene bzw. tanzend ‚erarbeitete‘ emotionale Grundstimmung verstärke, sondern zunächst einmal und vor allem Musik und Tanzen in jenem ver-rückten Zeitraum, welches beim Raver typischerweise starke körperliche Empfindungen auslöst und außergewöhnliches bzw. außeralltägliches physisch-psychisches Wohlbefinden evoziert, werden von den Experten dementsprechend als hauptsächliche Faktoren des ravetypischen Ekstase- und Enthusiasmus-Erlebens benannt. Denn erst das Zusammenspiel von „Musik und Tanz, körpereigenen Morphinen und konsumierten Drogen, Massenphänomenen, Lichtinsze-
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nierungen und Einzelstimuli wie Dehydration ... ergibt ... eine individuell erlebte Reizüberflutung, die tranceauslösend wirken kann“ (Mitterlehner 1996).3 Anscheinend sorgt die beim Tanzen auftretende Morphin-Ausschüttung also für etwas, das als psycho-physische Grenzerfahrung wahrgenommen wird. Die Rede ist von Einbrüchen des Außeralltäglichen in den Alltag, von einer „trivialen, fast kindlichen Verzauberung des Alltags“, von einer „gewissen Zeitlosigkeit“ (Rabes/Harm 1997). Und diese Absenz alltäglichen Zeitempfindens wiederum evoziert – durch die Irrelevanzierung von Vergangenheit und Zukunft in der Situation des Hierund-Jetzt – eben jene subjektiv ‚tiefen‘ Glücksgefühle, von denen stets und allenthalben die Rede ist, wenn die Techno-Kultur-Idee einigermaßen sinnadäquat zur Sprache gebracht wird. Dergestalt erweist sich als wesentliches Kennzeichen der TechnoParty-Szene, dass hier eben tatsächlich die Party den Kulminationspunkt des Szenegeschehens bildet (vgl. nochmals Hitzler/Pfadenhauer 2009): Die sozusagen szene-alltägliche Art von Party ist die Club-Nacht, die besonders szene-spezifische Art von Party hingegen ist der sogenannten Rave. Bei letzterem handelt es sich um eine Veranstaltungsform, die in, an oder auf ‚locations‘ (z.B. Großhallen bzw. Hallenkomplexen oder auch Open Air-Geländen) stattfindet, welche so groß sind, dass etliche hundert bis zigtausende Liebhaber von Techno-Musik zusammenkommen, sich tanzvergnüglich austoben und dabei ihren Spaß haben können (vgl. Hitzler/Pfadenhauer 1998). 3
Im Kunstmagazin „Arte“ hat (1996) ein gewisser Steve von einer Kooperation mit der Bezeichnung „System 7“ vor einigen Jahren gar eine „Bio-Feedback“-Theorie über die tranceinduzierende Wirkung elektronischer Tanzmusik skizziert: Das Tempo von Technomusik erzeugt diesem Steve zufolge eine „Alphawelle“ im Gehirn, „die genau die Frequenz zwischen 8 und 11 Schwingungen pro Sekunde hat“. Dadurch werde das „Alphaband“ angesprochen, welches „zwischen 7 Hz und 12 Hz“ liege und „am engsten mit Traum, Trance, Kreativität und Meditation verknüpft“ sei. Dies wiederum erkläre, so Steve, „warum diese sehr aggressive, mechanische Musik auch eine beruhigende, in Trance versetzende Wirkung“ habe.
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Die typische Partynacht im Techno-Club unterscheidet sich nicht nur quantitativ und logistisch, sondern auch sozusagen ‚atmosphärisch‘ vom Rave: Während der Rave ein besonderes, aus dem Alltag auch der Techno-Szene herausgehobenes Ereignis zum dezidierten ‚Abfeiern‘ ist, ist die Club-Nacht in der Regel die institutionalisierte Form einer z.B. wöchentlich oder monatlich sich wiederholenden, typischerweise thematisch bzw. stilistisch fokussierten Veranstaltung mit der Option zum Tanzen – oder Abhängen. Während die habituelle Grundstimmung bei der Club-Nacht Coolness und Vertrautheit mit der Situation ist, ist die Stimmung beim Rave prinzipiell durch Ausgelassenheit, Sensationslust, Exhibitionismus gekennzeichnet. Diejenige Art von Party, genauer: jene spezielle Art von Rave, die das Bild von Techno in der öffentlichen Wahrnehmung nun am nachhaltigsten geprägt hat, sind die Paraden, d.h. Straßenumzüge mit TechnoMusik, die als aufsehenerregende Spektakel inszeniert werden und die Existenz der „Raving Community“4 nach ‚außen‘ hin vorführen. Massenhaft auf der Straße zu tanzen ist nämlich sowohl ein ‚Riesenspaß‘ als auch eine Form der Subversion – des Widerstandes zumindest gegen die konzeptionelle ‚Logik‘ bürgerlich-bürokratischer Nutzungsintentionen – vielleicht auch gegen die ganze ‚Logik‘ des Erwachsenseins.5 Und durchaus folgerichtig ist die Techno-Szene ja auch nicht durch ihr – allenfalls unter gewissen theoretischen Vorannahmen (vgl. Hitzler 2001) analytisch rekonstruierbares, ansonsten aber nachgerade ‚unsichtbares‘ (und selbstverständlich ungeschriebenes) – politisches Selbstverständnis (vgl. dazu Hitz4
Beim Community-Gedanken geht es, um ein ‚Jeder liebt jeden‘-Gefühl, um das subjektive Erleben des ‚Angenommenseins‘, der Aggressionsarmut, um Harmoniebedürfnisse, um das Erleben von Nähe, um Zusammengehörigkeitsverzückungen usw. (vgl. Walder 1995), kurz: um eine Atmosphäre der ‚Kuhstallwärme‘. Nach wie vor jedenfalls gilt in der TechnoSzene das implizite moralische Gebot, dass es wichtig ist, nicht nur selber Spaß zu haben, sondern auch den anderen ihren Spaß zu lassen bzw. zu ermöglichen (vgl. dazu auch Gebhardt 1999). 5 „Inhalte werden nicht mehr gefordert, sondern gelebt, die Grenzen zwischen Ziel und Wirklichkeit lösen sich auf“ (Aufruf zur Loveparade 1997).
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ler/Pfadenhauer 1999) in den Horizont der Aufmerksamkeit auch des unbeteiligten Normalbürgers gerückt, sondern fast ausschließlich mittels ihrer „Präsentation des Mobilisierungspotentials durch Anwesenheit“ (Hellmann 1996: 239), d.h. durch jene augen- und ohrenfälligen – nicht nur, aber vor allem durch die Medien verbreiteten – Massenauftritte in der Öffentlichkeit, für die die Berliner Loveparade sozusagen weltweit die ‚Matrix‘ geliefert hat (vgl. zum Folgenden auch Nye 2010).
4.3 Die Idee der Andersartigkeit 4.3 Die Idee der Andersartigkeit
Begonnen hatte die Geschichte der Berliner Loveparade damit, dass Matthias Röeingh, wesentlich bekannter unter seinem DJ-Pseudonym Dr. Motte, die seit Mitte der 1980er Jahre in Deutschland aufkeimende, damals aber noch ausgesprochen überschaubare Techno-Szene zu einer Friedens-Demo eingeladen hatte. Am 1. Juli 1989 zogen, dieser Einladung folgend, dann 150 Raver mit zwei kleinen Lastwagen über den Kurfürstendamm.6 Das Motto – „Friede, Freude, Eierkuchen“ – setzte sich aus "Friede" für Abrüstung, "Freude" für die bessere Völkerverständigung durch Musik und "Eierkuchen" für gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln zusammen.7 Viele dieser ‚Pioniere‘, die da, so Dr. Motte, 6
Die Kommerzialisierung dieses Events hat übrigens schon bei dieser ersten Parade auf dem Kurfürstendamm angefangen: „Schon damals hatten wir einen Sponsor, der uns das bezahlt hat. 750 Mark hat die erste Love Parade gekostet. Der Klamottenladen in der Potsdamer Straße hat uns damals das Geld gegeben“ (Dr. Motte, zit. nach Henkel/Wolff 1966, S. 58). 7 Die politischen und sozialen Bezüge der Techno-Szene waren immer diffus. Auch in jenen mythisierten und mystifizierten „Anfängen“ ging es im Kern doch vor allem um das Recht, das tun zu dürfen, was man eben tun wollte: mit anderen zusammen solche Partys feiern, wie man sie schätzte, ohne illegalisiert oder gar kriminalisiert zu werden; einen Lebensstil pflegen, der andersartig sein bzw. der als andersartig wahrgenommen werden wollte und der auf der Idee situativer Harmonie basierte. Sehr viel konkreter als Dr. Mottes Erläuterungen zum Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ wurden die politischen und sozialen Bezüge kaum je expliziert. Allenfalls hat der Herausgeber des früheren Techno-
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beim ersten Umzug ihren „Sound in die Stadt donnerten“, sind auch heute noch (szene-)wichtige Techno- und House-Aktivisten. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. In der von Brachen und Ruinen durchzogenen Stadt breitete sich mit der Geschwindigkeit einer viralen Epidemie eine urbane Technoszene aus, die ob ihres Neuigkeitswertes von den Massenmedien ‚entdeckt‘ wurde – als protestfreihedonistische Jugendkultur und damit eben auch als Objekt der Kritik durch die 68er-Generation. In der Techno-Szene manifestierte sich aber keineswegs und schon gar nicht explizit eine Gegen-Kritik zu dieser intellektualisierten „Laberkultur“. Die Szene-Protagonisten dezidiert und ihre Anhänger ganz beiläufig entzogen sich vielmehr dem Diskurs, d.h. dem emanzipatorischen Zwang zur argumentativen Begründung des eigenen Wollens und Tuns. Sie konfrontierten das Prinzip der rationalisierenden Verbalisierung der Welt und ihrer Befindlichkeit vielmehr einfach (und das heißt vor allem: verwirrenderweise ohne weitere Erläuterungen abzugeben) mit einem anderen Habitus – mit dem Habitus des zusammen Spaß-Habens, des massenhaften sich Austobens, des gemeinsam ‚Abgehens‘, usw. Damit waren Techno-Anhänger – ihrem Selbstverständnis nach – eben anders, und sie nahmen sich ganz praktisch das Recht heraus, dieses Anderssein im öffentlichen Raum zu leben, zu feiern, zu zelebrieren. Beim zweiten Umzug 1990, der unter dem selbstbewussten Motto „The Future Is Ours“ stand, waren denn auch bereits 2000 Menschen und sechs Trucks dabei. Offenkundig also traf diese Techno-Demonstration einen Nerv oder sogar den Geist der Zeit in einem noch hochgradig unstrukturierten, ja unsortierten Berlin, in dessen urbanen Ruinen ästhetische Gegenstücke zum Style der Diskotheken entstanden: Clubs wie das „E-Werk“, dann der „Tresor“ usw. Einschlägige Organisierer und andere Macher experimentierten mit jener damals neuen Veranstaltungsform, dem „Rave“. In der Szene und aus der Szene heraus entwickelten Magazins „Frontpage“, Jürgen Laarmann, zu seinen Hoch-Zeiten als Techno-Tycoon die eine und andere spaßige Idee zu einer technofizierten Gesellschaft und hat Maximilian Lenz (Westbam) gelegentlich noch das eine und andere zur – allenfalls ausgesprochen kurzzeitigen – ästhetischen Omnipräsenz des Techno-Styles verlautbart.
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sich neue Publikationsformen: die Flyers und die zu Pocketmagazinen zusammengehefteten Flyers. Damit einher gingen auch neue, technostylische Layout-Konzepte und für ‚Außenstehende‘ extrem kryptische Sprachkodierungen. Infolge all dieser – unübersehbar vom Konsum nicht wirklich neuer, aber ‚neuerdings‘ massenhaft und relativ preiswert verfügbarer Drogen begleiteten – Aktivitäten entwickelte sich die TechnoSzene schnell zu einem Medienhype. Dementsprechend weitete sich der Einzugsbereich der Loveparade in den Folgejahren immer weiter aus: 1991 waren unter dem Motto „My House Is Your House and Your House Is Mine“ erstmals Trucks auch aus anderen Städten und 6000 Raver ‚am Start‘. 1992 gab es dann, eher noch als Ankündigung denn als Tatsachenbeschreibung, „The Worldwide Party People Weekend“ mit 15.000 Teilnehmern. Und einen ersten deutlichen Professionalisierungsschub erfuhr die Parade zu ihrem „Fifth Anniversary“ im Jahr 1993, in dem 30.000 Technofans und auch erstmals Trucks aus dem Ausland mit von der Party waren. 1994 tanzten 110.000 Techno-Fans um nunmehr 40 Trucks herum den Kurfürstendamm entlang, denn „The Spirit Makes You Move“. Die Loveparade wurde nun immer internationaler. Und durch die deutliche und kontinuierliche Steigerung der Teilnehmerzahl wurde die Durchführung und der Ablauf der Veranstaltung zwangsläufig bürokratischer. Der Bekanntheitsgrad der Parade war inzwischen so hoch, dass den Massenmedien an dem Techno-Event bereits der Neuigkeitswert „an sich“ fehlte. Die außerszenische Berichterstattung fokussierte nun zunehmend auf massentaugliche Phänomene (wie charttaugliche Musik) sowie auf Skandalierbares (wie Drogen, nackte Körper auf Events und dergleichen). Kommerziell gesehen aber begann für Techno-Macher im weitesten Sinne die sogenannte „Goldgräberzeit“: Die Musikindustrie griff den Techno-Sound auf und kommerzialisierte ihn. Musiksender – stärker noch im Fernsehen als im Radio (denn die Techno-Szene lieferte ganz neue Bilder-Welten) – stiegen ins Techno-Geschäft ein. Und zugleich entstanden technoide Subszenen (Trance, House, Gabber, Drum’n’Bass) und wurden zu Ressourcenquellen für Clubbetreiber, Partyveranstalter, DJs, Booker
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und einen jeweils mehr oder weniger großen Tross von Technikern und Handlangern.8 1995 forderte Dr. Motte angesichts des Krieges in Bosnien „Peace on Earth“. 280.000 Raver tanzten dazu. Im Frühjahr 1996 wurde die Loveparade GmbH gegründet. Name und Logo der Parade waren ab dann eingetragene, weltweit geschützte Markenzeichen. Der Kurfürstendamm war für die Menschenmassen zu klein geworden, deshalb wurde die Veranstaltung auf die Straße des 17. Juni, rund um die Siegessäule, verlegt. 750.000 Menschen bekundeten qua Teilhabe „We Are One Family“. Die Trucks befuhren die Strecke zwischen dem Ernst-Reuter-Platz und dem Brandenburger Tor. 1997 folgte eine Million dem Aufruf „Let the Sunshine in Your Heart“. Noch mehr Leute waren ‚vor Ort‘ als 1998 immerhin fünf Fernsehsender Dr. Mottes Rede zu „One World One Future“ live übertrugen. Für „Music is the Key“ transformierten schließlich 1,5 Millionen Raver am Love-Weekend 1999 ganz Berlin trillerpfeifend in einen multilokalen Party-Raum. Weit mehr noch als die Masse der Para8
Gleich ob die Party nun im Club, in der Großraum-Disco, als Rave oder eben als (Main-) Event stattfindet, sie entsteht selbstredend nicht beiläufig oder gar ‚von selber‘, sondern sie muss geplant, organisiert und produziert werden. D.h., sie setzt vor allem – mehr oder weniger aufwändige – Aktivitäten, genauer: Leistungen voraus und zieht solche auch wieder nach sich (vgl. dazu Pfadenhauer 2000).Solcherlei Leistungen werden üblicher Weise zum überwiegenden Teil von Leuten erbracht, die zumeist schon Jahre, inzwischen sogar Jahrzehnte lang in der Szene unterwegs bzw. verwurzelt sind und infolgedessen typischer Weise über erhebliches Insiderwissen verfügen. Personen, die dergestalt involviert sind in szeneentwicklungsrelevante Entscheidungsfindungen, die also sozusagen teilhaben (können) an solcherlei relativer Definitionsmacht und infolgedessen auch einige Privilegien genießen bzw. beanspruchen können, bezeichnen wir also als „Szene-Macher“ (vgl. Hitzler/Pfadenhauer 2004). Diese Macher sind sozusagen die „Motoren“ (und „Hilfsmotoren“) der Techno-Party-Szene. An sie angelagert und mit ihnen verwoben sind Akteure, die zwar nicht notwendig eine Funktion im Sinne erkennbarer Leistungserbringungen haben, die aber aus mannigfaltigen Gründen ebenfalls „wichtig“ sind. Zusammen mit den Machern bildet dieser Anhang den Kern der Szene, um den herum sich vielgestaltige Aspiranten und „Adabeis“ anlagern. Hinter diesen diffundiert die Szene dann allmählich in einem weiten Umfeld von Newcomer, Gelegenheitsteilnehmern, Randgängern und Sympathisanten.
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de-Teilnehmer – und auch als die Musik-Sender – hat dabei das anhaltende, exaltiertheitenfixierte, sensationslüsterne und dazuhin oft noch pseudo-schockierte Interesse des ‚Titten-und-Arsch‘-Fernsehens, das in stundenlangen Direktübertragungen von der ‚Strecke‘ am Tiergarten gipfelte, immer wieder alte und neue Sponsoren auf den Plan und vor allem auf die Wagen gelockt und dergestalt die Spirale der sogenannten Kommerzialisierung9 des Spektakels prinzipiell immer weiter vorangetrieben.10 9
Grundsätzlich lässt sich begründet konstatieren, dass – anders als manche anderen Jugendkulturen – die Techno-Szene kaum je kommerziell „unschuldig“ war. Natürlich lassen sich Kleinstpartys, bei denen irgendjemand an die Plattenteller (bzw. deren technische Nachfolger-Geräte) steht und Techno-Musik macht, mit viel gutem Willen der Protagonisten noch ohne Kosten veranstalten – wenn man eine Location dafür hat. Aber die normale Techno-Veranstaltung kostet in aller Regel – mitunter wesentlich – mehr als das, was durch die Eintrittsgelder eingenommen wird. Folglich braucht eine Techno-Party Sponsoring. Aber anders als bei sogenannten E-Musik-Veranstaltungen sind die Sponsoren hier typischer Weise nicht irgendwelche öffentlichen Hände. Wenn man also das Sponsoring eines Tanzvergnügens durch Privatunternehmen als „Kommerzialisierung“ bezeichnen will, dann sind Techno-Veranstaltungen nachgerade unverzichtbar „kommerzialisiert“. Techno kann man nicht mit einer Wanderklampfe machen. 10 „Im lustvollen und spaßbetonten Gebrauch kommerzieller Formen drücken (hier – R.H.) Jugendliche Sinn, Existenz und ihre Identität aus“ (Winter 1997, S. 65). Dort jedenfalls, wo die Protagonisten sozialer Bewegungen – jedenfalls ihrem Selbstverständnis nach – emanzipationspolitisch-kognitiv agieren, betreiben die Raver quasi beiläufig ‚lifepolitics‘ mit groß teils tatsächlich von der (Kultur-) Industrie bereit- und zur Verfügung gestellten ästhetischen Mitteln. Dabei geht es ihnen im wesentlichen immer (wieder) und vor allem anderen darum, einfach das zu tun, was sie wollen. Und was sie wollen, das ist (jedenfalls der genuinen Idee nach), dass alle ihren Spaß haben können. Das gelingt in den Augen der Raver nur mit einem Maximum an Friedfertigkeit und Toleranz. Und in diese – ideelle, nämlich als ‚global‘ gedachte – Raving Community wiederum sind alle Menschen eingeladen, die diesen ‚Spirit‘ teilen. Diese Einladung zum friedfertigen Miteinander ist – jenseits aller Querelen um Lärm, Drogen, Urin, Müll, Kommerzialisierung und ‚Verprollung‘ dieser Veranstaltung – der nach wie vor vorhandene Kern-Gedanke der Loveparade-Gemeinschaft, wenn sie den urbanen Raum um-nutzt zur demonstrativen Verwirklichung eines nicht nur von den Normen der Erwachsenengesellschaft abweichenden, sondern eines für den Erwachsenen kaum verständlichen, weil spezielle Decodierungskompetenzen erfordernden Kollektiv-Verhaltens (was natürlich nichts anderes
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Quantitativ gesehen aber war 1999 in Berlin der Scheitelpunkt der Loveparade erreicht. Und in Deutschland verlor Techno sowohl musikalisch als auch lifestylistisch allmählich an Strahlkraft. International bzw. global aber wurde die Loveparade zum Exportschlager: „One World One Loveparade“ bedeutete im Jahr 2000 tatsächlich, dass nun auch in anderen Ländern – wie Österreich, England, Israel und Mexiko – TechnoUmzüge stattfanden. Zum Original nach Berlin kam (wieder oder noch) deutlich über eine Million Menschen.
4.4 Der Niedergang des Techno-Spektakels von Berlin 4.4 Der Niedergang des Techno-Spektakels von Berlin
Im dreizehnten Jahr ihres Bestehens verlor die Loveparade – aufgrund eines zweifelhaften Junktims zwischen der Plausibilität politisch intendierten Wollens hier und der verbalen und/oder schriftlichen Artikulation von, für in einem bestimmten (eingeschränkten) Politikverständnis sozialisierte Juristen akzeptabel, als „politisch“ konnotierten Meinungen und Werthaltungen da – ihren Demonstrationsstatus. Das hat für die Organisatoren zwar gravierende Finanzierungsprobleme nach sich gezogen, aber vom einen wie vom anderen offenkundig völlig unbeeindruckt kamen 2001 fast ebenso viele Techno-Liebhaber, wie im Jahr zuvor, nach Berlin, sozusagen to „Join the Love Republic“. Die Parade wurde nun zu einer Art Sommerkarneval: Im Techno-Beat tanzten, schrien und kreischten exhibitionistische Jugendliche (vielerlei Alters), ekstatische Raver, enthusiasmierte Neo-Hippies, extrovertierte Party-People und exzentrische Mit-Läufer – umstanden und (nicht selten kopfschüttelnd) bestaunt von Eltern mit Kinderwägen, senioralen Schaulustigen und hippeligen Kids. Eingefangen und zu einem stereotypen Gesamt-Image der „Nackten, bedeutet, als dass sie diesen öffentlichen Raum dergestalt temporär usurpieren – übrigens durchaus in der von den früheren Veranstaltern immer wieder deklarierten Absicht, damit „für einen ungeteilten Frieden auf der ganzen Welt (zu) demonstrieren“, auch wenn derlei alljährliche Ansprachen von Dr. Motte „allgemein als nicht angemessen bewertet“ worden sind (Meyer 2000, S. 129).
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Süchtigen und Bescheuerten“ verdichtet wurde das Spektakel von den Kameras journalistisch fragwürdiger Sparten-Sender. Die Szene im engeren Sinne hingegen hat sich angesichts der Vermarktung ihrer zumindest vom Szene-Kern als subversiv intendierten Kultur immer stärker aus öffentlichen Veranstaltungen zurückgezogen. Der massengeschmacksaffine Teil von Techno diffundierte in den Mainstream. In der Folge haben die Massenmedien dann wiederum ihre Aufmerksamkeit aus der Szene abgezogen, denn der Neuigkeits- und Gesprächs- und damit ganz wesentlich auch der Marketingwert der Loveparade verfiel damals rapide. Die Veranstalter kämpften mit steigenden Kosten und massiven Finanzierungsproblemen. Auch andere Events brachen finanziell ein. Die Gagen der meisten DJs sanken (deutlich), denn die Musikindustrie stieg aus Techno praktisch aus, die Massenmedien zeigten sich desinteressiert und infolge dessen haben sich wiederum immer mehr ‚potente‘ Sponsoren aus der Szene zurückgezogen. 2002 strömten 700.000 Technoide zum „Access Peace“ an der „Goldelse” zusammen. Einige mehr oder auch weniger waren es dann nochmals 2003, als „Love Rules“. 2004 aber musste die Loveparade in Berlin zum ersten Mal abgesagt werden. Rund 30.000 Raver nahmen stattdessen an „Fight the Power“, der von der Firma „Partysan“ organisierten, als politische Kundgebung anerkannten Demonstration für die Loveparade teil, die wieder vom Kurfürstendamm aus durch den Westteil der Stadt zog. Doch auch 2005 gelang es nicht, die Loveparade so gegen zu finanzieren, dass sie stattfinden konnte. Angesichts des dezidierten Desinteresses der Musikindustrie an Techno-Sounds, der Indifferenz der Massenmedien dem Phänomen „Techno“ gegenüber und der – vorsichtig ausgedrückt – immer deutlicheren Zurückhaltung ehemaliger Sponsoren schien die Loveparade (jedenfalls: so gut wie) ‚tot‘ zu sein. ‚Hinter den Kulissen‘ aber wurden immer neue Pläne erdacht, neue Personen ins Spiel gebracht, neue Konzepte entwickelt – und immer wieder verworfen bzw. als nicht realisierbar erkannt. Nach langen Verhandlungen aber trat dann ein unerwarteter neuer Geldgeber ins Rampenlicht der Medienöffentlichkeit, der zur allgemeinen Überraschung zugleich
4.4 Der Niedergang des Techno-Spektakels von Berlin
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auch als Veranstalter der Loveparade zu fungieren beabsichtigte. Die Überraschung – insbesondere in der Szene selber – war vor allem deshalb so groß, weil diesem ‚Akteur‘ keinerlei ‚Stallgeruch‘ anhaftete: Neuer Eigentümer, Hauptsponsor und Organisator des weltweit größten TechnoEvents wurde nun die Firma McFit – bekannt, so weit überhaupt, seinerzeit lediglich als Betreiber einer Fitness-Studio-Kette. Aus dem Team dieser Firma wurde das neue „Headquarter“ der Parade rekrutiert. Im ersten Jahr der McFit-Ära erhielten alle Trucks einen einheitlichen Aufbau. Über die website der Loveparade konnten (gegen den heftigen Widerstand von Dr. Motte) die Raver darüber abstimmen, welche Clubs, Labels, Agenturen und sonstigen Szene-Organisationen sich auf den Trucks präsentieren durften. Der Anspruch, eine politische Kundgebung zu sein, wurde von den neuen Veranstaltern nun ganz ausdrücklich aufgegeben. Und obwohl aus der „Szene“ mancher verächtliche Kommentar zu den neuen ‚Machern‘ der Parade zu hören war, hatten 2006 dann wieder 1,2 Millionen Menschen Spaß beim Umzug um die Siegessäule in Berlin. Es war offenkundig: „The Love is back“. Tieflader aus 18 Nationen, 11 Bühnen mit Nachwuchs-DJs, Paradeteilnehmer aus aller Welt, DJ-Superstars und mannigfaltige organisatorische Innovationen ließen infolgedessen erwarten, dass der Tanz um die „Goldelse“ auch künftig weitergehen werde. Dem war dann aber nicht so: Einerseits zeigten sich viele Berliner Szene-Größen gegenüber den Akteuren der neuen Loveparade-GmbH ausgesprochen kooperationsunwillig. Andererseits und vor allem konnten auch die neuen Parade-Organisatoren mit den zuständigen Berliner Behörden kein Einvernehmen über die zur Durchführung der Parade notwendigen Rahmenbedingungen erzielen. Zugleich schien ‚man‘ sich in (der Szene ebenso wie in der Bürokratie) der Hauptstadt anscheinend völlig sicher gewesen zu sein, dass das größte Techno-Spektakel der Welt in Berlin oder eben überhaupt nicht stattfinden könne. Vor dem Hintergrund dieser in beiderlei Hinsicht „kapitalen“ Selbstgewissheit sondierten die „McFit-Leute“ unterdessen aber bereits diverse (genauer: rund sech-
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zig) Optionen, den Umzug in eine andere europäische Großstadt zu verlegen. Und eine dieser Optionen war eben – das Ruhrgebiet.
4.5 Der ‚Umzug‘ und das Ende eines Umzugs 4.5 Der ‚Umzug‘ und das Ende eines Umzugs
Für die Parade-Macher war das Ruhrgebiet in mehrerlei Hinsicht interessant: Zum einen ist diese Region so anders als Berlin, dass der Verdacht, man weiche, weil die Hauptstadt-Trauben zu hoch hängen würden, nun eben in eine der der allgemeinen Meinung nach ‚zweitbesten‘ Städte (wie München, Hamburg, Köln usw.) aus, gar nicht wirklich laut werden konnte. Zum anderen zeigten sich bei den Verhandlungen maßgebliche (oder zumindest als maßgeblich angesehene) Akteure aus Wirtschaft, Medien, Politik und Kultur ausgesprochen angetan, ja begeistert darüber, die Loveparade ins Ruhrgebiet zu holen. Zum dritten hatte sich im Vorfeld des ‚Umzugs‘ des Umzugs eben die Stadt Essen gegen 17 nationale Mitbewerberinnen um die Nominierung als „Kulturhauptstadt Europas 2010“ durchgesetzt und war im April 2006 vom Europäischen Rat „für das Ruhrgebiet“ als Ganzem (neben Istanbul und Pecs) bestätigt worden. Die damit manifest gewordene Idee einer „Metropole Ruhr“ erschien als nachgerade ideales Umfeld für die Loveparade, die denn auch mit der Gewissheit „Love is everywhere“ am 25. August 2007 in Essen ihren Zug durch die wenn nicht anvisierte, so doch anvisionierte „Metropole Ruhr“ begann. Wieder schoben und knäuelten sich den offiziellen Zahlen zufolge rund 1,2 Millionen (andere Schätzungen besagen: 400.000) partybegeisterte Menschen mit den Trucks bzw. „Floats“ durch die Straßen und hin zum Kundgebungsplatz, auf dem eine preiswürdige (und im selben Jahr dann auch tatsächlich preisgekrönte) Großbühne die letzten sehnsüchtigen Erinnerungen an die Siegessäule schnell verblassen ließen. Alle im Vorfeld gehegten Befürchtungen – sowohl die, dass die Parade im Ruhrgebiet ein quantitatives Desaster oder ein qualitatives Debakel werden könnte, als auch die, dass nach der Kundgebung in der Nacht ein
4.5 Der ‚Umzug‘ und das Ende eines Umzugs
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Verkehrschaos entstehen und/oder ein Massenkrawall sich entzünden könnte – erwiesen sich im Vollzug als unbegründet. Völlig enthusiasmiert von der Essener Vorgabe machten die Dortmunder Stadt-Oberen im Jahr darauf das scheinbar Unmögliche möglich: für den „Highway to Love“ ließen sie 2008 die innerstädtisch als „B1“ ausgewiesene A40 komplett sperren. Am 19. Juli regnete es in Strömen, während die „Floats“ mit großer Verspätung gemächlich, aber mit gewaltigen Sound-Emissionen den Ruhrschnellweg entlang rollten. Die Menschenmassen waren weder von den Trucks aus, noch von der zweistöckigen Bühne der Abschlusskundgebung an den Westfalenhallen herab zu überblicken. Aber immerhin Ullrich Sierau selber, ein Jahr später zum Dortmunder Oberbürgermeister gewählt, zählte vom Helikopter aus mit und konstatierte ebenso wie die einschlägigen Experten der Polizei: Die Loveparade in Dortmund hat mit 1,6 Millionen Teilnehmern eine neue Rekordmarke gesetzt. Alle am Gelingen des Spektakels wie auch immer Beteiligten waren (nicht nur über die Massen, die neueren Schätzungen nach doch ‚nur‘ 500.000 Menschen umfassten) über alle Maßen begeistert. Und alle blickten bereits erwartungsvoll nach Bochum, wo die Parade in 2009 ihren Zug durchs Ruhrgebiet vereinbarungsgemäß fortsetzen sollte. Die politischen Granden und Seilschaften der Stadt Bochum aber zeigten, unerwartet, aber umso deutlicher auf, dass von einer „Metropole Ruhr“ – in der es gemeinsame Interessen gibt, die dem, was mir damals als ein Amalgam aus kommunalen Selbstherrlichkeiten, Mutlosigkeiten und Kleinkriegen in den 53 Ruhrgebietsgemeinden erschienen ist, vorund übergeordnet wären – im Entscheidungsfalle keine Rede sein kann. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Vorbereitungen der Lopavent GmbH längst liefen und keine Chance mehr bestand, die Veranstaltung andernorts durchzuführen, verlautete aus Bochum (dessen Protagonisten nach meinem damaligen Dafürhalten allzu lauthals „hier“ gerufen hatten, als 2006 darüber verhandelt worden war, durch welche fünf Städte des Ruhrgebiets die Loveparade von 2007 bis 2011 zu ziehen bereit wäre), man
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sehe sich aus verschiedenen Gründen außer Stande, als Gastgeber für die – allzu vielen – Liebhaber der elektronischen Tanzmusik zu fungieren. Wie viele Befürworter der Loveparade im Ruhrgebiet, der Kulturhauptstadt 2010 und der Vision einer „Metropole Ruhr“ war auch ich in 2009 überaus erbost über das, was ich als „Bochumer Wortbruch“ betrachtet und bezeichnet habe. Dementsprechend explizit ‚dankbar‘ war ich dafür, dass die Stadt Duisburg, die zunächst auch nicht in der Lage zu sein schien, die Loveparade 2010 durchzuführen, von gewichtigen Fürsprechern unterstützt und „von starken Händen“ aufgefangen wurde, so dass dem Ruhrgebiet zumindest in dem Jahr, in dem es sich mit dem Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt schmückt, das erspart blieb, was ich zu jener Zeit als „Blamage erneuter provinzieller Selbstüberschätzung“ angesehen habe. Interessiert und beeindruckt habe ich in den dann folgenden Monaten die organisatorischen, technischen, logistischen und finanziellen Anstrengungen verfolgt, mit der die Brache des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs so weit hergerichtet wurde, dass es nachmals als Veranstaltungsgelände für „The Art of Love“ überhaupt erst genutzt werden konnte. Viele ‚Wegbegleiter‘ der Loveparade waren irritiert darüber, dass erstmals kein Umzug durch die Straßen der Stadt mehr geplant war, sondern dass die – erheblich geschrumpfte – ‚Flotte‘ der „Floats“ ausschließlich auf dem aus vielfältigen sicherheitstechnischen Gründen eingezäunten ‚Kundgebungsgelände‘ im Kreis fahren sollte. Meinen Informationen zufolge war aufgrund der gegebenen urbanen Raumstrukturen zu diesem Konzept in Duisburg aber keine Alternative zu finden gewesen. Um die auf dem Gelände erwartete Menschenmenge – in den frühen Nachmittagsstunden des 24. Juli war von über einer Million LoveparadeBesuchern die Rede, inzwischen liegen die als „realistisch“ bezeichneten Schätzungen bei 300.000 Teilnehmern – zu „entzerren“, wurde das Gelände von einer Haupt- und einer maximal weit davon entfernten „Süd“Bühne aus bespielt. (Auch) vom Backstage-Bereich der Hauptbühne aus, von dem wir das ganze Gelände haben überblicken können, haben wir zu keinem Zeitpunkt des Tage beobachtet, dass der „Festplatz“ überfüllt
4.5 Der ‚Umzug‘ und das Ende eines Umzugs
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gewesen wäre. Hingegen scheinen sich (so weiß ich allerdings nur aus Erzählungen von Ravern und aus Videos, die im Fernsehen und im Internet zu sehen waren bzw. zu sehen sind) im Laufe des Nachmittags so viele Menschen auf den beiden Zufluss- und Abfluss-Wegen und insbesondere dort, wo diese aufeinander treffen, gestaut und gedrängt zu haben, dass das entstanden ist, was man einen „Menschenkessel“ nennt. In dieser Situation sind (so weiß ich ebenfalls „aus zweiter Hand“) gegen 17 Uhr die ersten Menschen zu Tode gekommen. Insgesamt sind dann vor Ort und in den folgenden Tagen bekanntlich 21 Menschen gestorben. Mehrere hundert Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Wer von den Ravern auf dem „Festplatz“ wann was von dieser Katastrophe gewusst bzw. gehört, und wer daraufhin dann was getan oder gelassen hat, kann ich nicht sagen. Sagen kann ich jedoch etwas zur Situation hinter der Hauptbühne, also dort, wo DJs, Künstler-Betreuer, Ablauf-Organisatoren, und die vielen Menschen, die auf der Veranstaltung als Hilfskräfte gearbeitet haben, während ihren Pausen sich aufgehalten haben: Gegen 17.45 Uhr kamen erste Nachfragen dazu, was geschehen sei, von Menschen, die irgendwo zu Hause am Fernseher bzw. vor dem Internet-Monitor saßen, auf Handys an. Das waren die ersten, nahe liegender Weise noch sehr vagen Informationen, die uns im BackstageBereich überhaupt erreichten. Gegen 18.15 Uhr wussten wir dann – immer noch ausschließlich über die Handy-Kontakte – endlich hinlänglich sicher, dass kaum 200 Meter von uns entfernt, Menschen zu Tode gekommen waren. Der erste Impuls der meisten Personen um uns herum war, die Musik abzuschalten und die Veranstaltung sofort zu beenden. Von dem im – an einem anderen Ort in der Stadt befindlichen – Organisationsbüro arbeitenden Krisenstab kam jedoch die Anweisung, das Gelände weiter zu bespielen bzw. zu beschallen, mit der Begründung, es gelte eine weitere bzw. noch größere Massenpanik zu vermeiden. Die damit dann bis ca. 23 Uhr gegebene Situation hinter der Hauptbühne war nach meiner Wahrnehmung für alle dort Beteiligten extrem belastend: Das Wissen, dass vor der Bühne Massen vermutlich nichts ahnender Raver tanzen und feiern wollten, während zwei-, dreihundert
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Meter entfernt Tote und Schwerverletzte lagen, zeichnete sich auf den Gesichtern der meisten Menschen um mich herum als Entsetzen, als Schock, als Desorientierung ab. DJs brachen in Tränen aus. Eine ganze Reihe von ihnen erklärte sich außer Stande, ihre Musik zu spielen. Andere willigten spontan ein, mit ihren Fähigkeiten dabei zu helfen, die Party zu einem einigermaßen geordneten Ende zu bringen. Und während nun die Mitglieder der „Crew“ ihr Möglichstes taten, um die mannigfaltigen technischen Probleme weiterhin im Griff zu behalten bzw. zu lösen, improvisierten die Ablauf-Organisatoren auf der Basis sich ständig ändernder Informationen darüber, wer von den Künstlern nun überhaupt wo und wie verfügbar sei, mit beeindruckender Professionalität immer neue LineUps. Welche Stimmung an der sogenannten Südbühne – bis gegen 24 Uhr – herrschte, weiß ich nur bruchstückhaft und zu großen Teilen aus späteren Medienberichten. Den DJs an der Hauptbühne jedenfalls aber attestiere ich, einen in der gegebenen Situation ausgesprochen guten Job gemacht zu haben: Sie haben sehr bedacht eine Musik gespielt, die ganz allmählich immer untanzbarer wurde, so dass die Menschen vor der Bühne mehr und mehr eher standen als dass sie sich bewegten, sofern sie sich nicht ohnehin vom Platz entfernten. Bei den Menschen hinter der Bühne war eindeutig eine große Erleichterung zu spüren, als die für sie mehr als makabre Situation kurz nach 23 Uhr zu Ende war.11
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Derzeit, während intensive staatsanwaltschaftliche Ermittlungen laufen, bereits darüber zu spekulieren, was die Duisburger Katastrophe für die Techno-Szene bedeutet, halte ich für pietätlos gegenüber den Opfern – und analytisch ohnehin für verfrüht. Dazu, womit die Katastrophe von Duisburg zu tun hat, werde ich mich äußern, wenn ich genügend gesicherte Daten analysiert haben werde. Moralisierende Meinungen werden seit ungefähr 17.30 Uhr am 24. Juli 2010 von irgendwelchen Leuten ohnehin unentwegt abgegeben.
4.6 Die Loveparade in der Vision einer „Metropole Ruhr”
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4.6 Die Loveparade in der Vision einer „Metropole Ruhr” 4.6 Die Loveparade in der Vision einer „Metropole Ruhr”
Die infolge der Katastrophe so grauenhaft zu einem vorzeitigen Ende gekommene „Geschichte“ der Loveparade im Ruhrgebiet war die Geschichte der allmählichen Herauslösung eines Kult-Ereignisses aus immer mehr seiner ursprünglichen „idealistischen“ Implikationen und Konnotationen und seiner Überleitung und Wiederverortung in einem komplexen Rahmen „materialistischer“ unternehmerischer und stadtpolitischer Kalküle. Diese – entgegen allen bekannten Einreden und Kritiken – mir nach wie vor als alternativlos erscheinende Transformation dürfte sich auch – über das vermutlich endgültigen „Aus“ dieses Events hinaus – als irreversibel erweisen. In 2007, 2008 und bis zum späten Nachmittag des 24. Juli 2010 hat die Loveparade nachgerade beispielhaft die Vision einer „Metropole Ruhr“ transportiert, weil sie von ihrer ganzen Konzeption her global eine Metropolen-Veranstaltung war (Berlin, Mexico City, Santiago de Chile, Tokyo, Tel Aviv, Wien, Kapstadt, San Francisco). Schon dass die Parade auf verschiedenen Strecken bzw. in verschiedenen (Teil-)Städten durch das Ruhrgebiet gezogen ist, hat auch den Menschen, die mit dem Umzug selber nichts zu tun hatten, diese Metropolen-Vision durchaus näher gebracht. Denn Events, wie die Loveparade eines war, scheinen zu den wenigen Möglichkeiten zu gehören, die den Menschen heutzutage noch die – situative, also zeitlich und räumlich begrenzte – Erfahrung von Gemeinsamkeit und Ganzheit erlauben; vor allem deshalb, weil sie Erlebnisformen anbieten, die nicht (nur) den Intellekt, sondern alle Sinne an- und polymorphe Sinnlichkeit(en) versprechen (vgl. Gebhardt 2000). Dazuhin floss mit den Raver-Massen auch ein nicht zu unterschätzender Geldstrom in die Städte, durch die die Loveparade gezogen ist. Und schließlich hat sich die Loveparade zu immenser Medienaufmerksamkeit evozierenden Inszenierungen der Städte selber nutzen lassen. Insbesondere die Bedeutung dieses Events als Werbeträger für die Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 (und für die Region schlechthin) war mithin kaum hoch
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genug einzuschätzen: Sowohl aufgrund der Menge der Teilnehmer als auch, weil sie über mehrere Jahre weltweite Medien-Aufmerksamkeit auf das Ruhrgebiet lenkte, hat die Parade bis zur Katastrophe zu den in mannigfaltiger Hinsicht herausragendsten Ereignissen der multiplen Aktivitäten rund um die Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 gezählt. Man muss also keineswegs ein Techno-Freak sein, um zu sehen, welch immense Bedeutung der Loveparade für das Ruhrgebiet und für den hier zumindest im Jahr der Kulturhauptstadt so häufig beschworenen Wandel hin zu einer global relevanten Metropole hätte zukommen können. Den damit konnotierten Aspekt der kaum überschätzbaren ökonomischen und medialen Relevanz dieses Events haben die Veranstalter ‚von Anfang an‘ sehr deutlich kommuniziert. Und diese Dimension ist den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft des Ruhrgebiets auch klar gewesen, als sie dieses weit über die Belange einer zahlenstarken Jugendszene hinausweisende Event „mit offenen Armen“ aufgenommen haben. Gleichwohl hatte die Transformation der Loveparade auf ihrem Weg durchs Ruhrgebiet diese weit weniger von einem Szeneevent in ein Publikumsevent verwandelt, als dies von manchen Kritikern behauptet wurde und behauptet wird. Die Loveparade war, von den Anfängen 1989 bis 1991 einmal abgesehen, ‚schon immer‘ ein Publikumsereignis: Vom noch völlig unbeachteten, kleinen, alternativen Techno-Umzug hatte sie sich bekanntlich innerhalb weniger Jahre zu einer riesigen, weltweit bestaunten Massentanzveranstaltung entwickelt, die anhaltend als „Leuchtturm“-Event der deutschen Techno- und House-Szene galt. Auch wenn ihr Motto jedes Jahr gewechselt hat, war bzw. ist die Grundidee stets erhalten geblieben: Menschen aller Art aus allen Teilen der Erde versammeln sich friedlich, um gemeinsam zu feiern, zu tanzen und Spaß zu haben – fokussiert allerdings auf eine bestimmte Art von Musik: auf eine in der einschlägigen Szene als hochwertig angesehene elektronische Tanzmusik. Dergestalt war die Loveparade ‚eigentlich‘ mehr oder weniger immer schon ein Publikumsereignis, wenn auch mit einer klaren Ausrichtung an szenespezifischen Wichtigkeiten. In den letzten Jahren allerdings hat eine allmähliche ‚Ent-
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fremdung‘ des Events von der Techno-Szene (im engeren Sinne) und deren Wichtigkeiten12 stattgefunden. D.h., die Parade wurde – intendiertermaßen – weg entwickelt von der Herkunftsszene als dem Grundträger des Events, zu etwas Anderem, zu etwas, das in einer Mischung aus starkem Bezug an wirtschaftlich-politischen Interessen der Kulturhauptstadt 2010 bzw. einer künftigen Ruhr-Kultur hier und geschäftlichen Interessen der hinter dem neuen Veranstalter stehenden Studio-Kette „McFit“ da entstanden ist: zu einem multiperspektivischen Marketing-Event, das ganz augenscheinlich hervorragend dazu zu taugen schien, vielen Menschen ein unbeschwertes Sommervergnügen zu bereiten. Dieser Schein hat uns alle, die wir uns als Protagonisten und Sympathisanten der Loveparade begriffen haben, getrogen. Seit die Katastrophe geschehen ist, bei der 21 Menschen zu Tode gekommen sind, fragen sich die meisten von uns, ob uns ‚nur‘ der Schein getrogen oder ob unsereiner sich auch selber betrogen hat mit dem unbeschwerten Vertrauen darauf, dass mit jener juvenilen Risikofreudigkeit, die wir so begeistert geteilt haben, jedes organisatorische, logistische und sicherheitstechnische Problem lässig zu bewältigen sei. Immerhin 21 Jahre und 23 Tage lang ist bei diesem Event ja auch so gut wie alles einigermaßen „gut gegangen“. Jetzt aber ist Unfassbares geschehen, und nun beginnen wir – jedenfalls manche von uns – zu begreifen, dass so etwas auch jederzeit auf einer der vorhergegangenen Loveparades hätte gesche-
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Ohne Zweifel hat die Techno-Szene schon seit einigen Jahren – zumindest hierzulande – augenscheinlich ihren Zenit überschritten. Allzu deutlich sind die Hinweise, dass Techno die pop-typischen Entwicklungen (etwa interne Diversifizierung und Hierarchisierung, Subszenenbildung, Kommerzialisierung, Standardisierung etc.) durchlaufen hat und längst im etablierten Pop-Kanon angekommen ist. Der Nimbus des Frischen ist verblasst, die Aufbruchsstimmung hat sich verflüchtigt, die Szene ist vielfach differenziert, segmentiert, hierarchisiert. Das von vielen in der Szene ersehnte Revival lässt – vermutlich zum Glück – auf sich warten. Und vor dem Hintergrund retardierender Märkte kämpfen die Macher nicht nur mit abnehmendem Masseninteresse, sondern stehen untereinander zunehmend unter starkem Konkurrenzdruck und agieren mithin auch mit immer brüchiger werdenden wechselseitigen Loyalitäten.
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hen können.13 Denn keineswegs zum ersten Mal sehen wir uns hier mit der Schattenseite nicht nur von jugendkulturellen Events, sondern des Prinzips „Event“ schlechthin konfrontiert.
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Siehe dazu auch: „Eventwahn und die Folgen“, Sendung „west.art“ (WDR Fernsehen) am 27.07. 2010 (http://www.einslive.de/medien/html/1live/2010/07/27/westart-eventwahn -und-die-folgen.xml)
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Fazit: Zur Verselbstverständlichung der Eventisierung
5 Fazit: Zur Verselbstverständlichung der Eventisierung
Dass es bei Events, gleich welcher Art, immer wieder zu Katastrophen – auch zu Katastrophen eines Ausmaßes wie bei der in Duisburg – kommt, wird m.E. kaum andere Konsequenzen haben, als dass allenthalben etwelche Sicherheitsauflagen verschärft werden. An der nachgerade omnipräsenten Eventisierung unserer Gegenwartsgesellschaft hingegen wird sich, ja ‚kann‘ sich nichts ändern, denn Eventisierung ist längst ein ebenso verselbstverständlichtes Element des modernen Lebens wie Pluralisierung (vgl. Berger/Luckmann 1995), Individualisierung (vgl. Beck/BeckGernsheim 2002), Optionalisierung (vgl. Gross 1994), Kommerzialisierung (vgl. Prisching 2006), Globalisierung (vgl. Beck 2007) und Mediatisierung (vgl. Krotz 2007): Events nehmen ständig zu – an Zahl, an Bedeutung und an Größe. Neue Veranstaltungsideen ebenso wie traditionale und ‚klassisch bürgerliche‘ Feste und Feier unterliegen einer akzelerierenden Eventisierung. Immer mehr Events werden zu allen möglichen Zeiten an allen möglichen Orten durchgeführt. Und immer mehr Menschen gehen da hin, wo sie vermuten bzw. darauf hoffen können, es sei oder gehe etwas los, woran mit vielen anderen zusammen teil zu haben ihnen Spaß machen könnte. Die Umgestaltung zu, die Vervielfältigung von und die nachgerade epidemische Lust zur Teilnahme an Events ist sicher durchaus (auch) darauf zurückzuführen, dass immer mehr Konsumgüterhersteller und Dienstleister diese Veranstaltungsform als Marketinginstrument einsetzen, von dem sie sich mehr Wirkung erhoffen als von herkömmlicheren Werbemitteln und -strategien. Darüber hinaus erweisen sich die ‚Eintrittsbarrieren‘ in die Veranstalterbranche für neue Wettbewerber im AllR. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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gemeinen als niedrig, da der Kapitalbedarf entweder per se nicht beträchtlich ist oder in wesentlichen Teilen eben durch private oder öffentliche Sponsoren gedeckt wird.1 Der ganze „Trend zum Event“ liegt vor allem aber auf der breiten Straße zur – mit den Bedingungen der von Peter Gross (1994) so genannten „Multioptionsgesellschaft“ korrespondierenden – „Ökonomie der Aufmerksamkeit“, wie sie Georg Franck (1998) und in gewisser Weise auch Zygmunt Bauman (1995) konstatiert (vgl. auch Prisching 2009a, v.a. S. 154): Die erwünschte Erregung von Aufmerksamkeit (mehr als die Erregung von erwünschter Aufmerksamkeit) transformiert sich hinsichtlich seiner kulturellen Konnotationen seit geraumer Zeit von einer sozial (massiv oder wenigstens sanft) diskriminierten Verhaltensauffälligkeit extrovertierter Sonderlinge zu einem (potentiell) ressourcenträchtigen Inszenierungserfolgsmodell für ‚Jedermann‘ (vgl. dazu Hitzler 2003). Der Spaß an der Teilhabe an etwas, was, wie eben exemplarisch das Event, (zum großen Teil explizit) darauf angelegt ist, Aufmerksamkeit zu erregen, stellt dementsprechend auch ‚Jedermann‘ in Aussicht, die begehrte Aufmerksamkeit auf sich, wenn schon nicht individuell, dann wenigstens als Teil eines aufmerksamkeitserregenden Kollektivs zu lenken. Das Phänomen des Events verweist dergestalt auf eine für unsere gegenwärtige (Un-)Ordnung des Zusammenlebens spezifische „Erlebnisrationalität“ (vgl. Schulze 1993 und 1999). Selbst bei und nach Katastrophen wirkt diese „Erlebnisrationalität“: Auch Katastrophen werden, das hat das mediale Trajekt der Katastrophe von Duisburg (wieder einmal) exemplarisch gezeigt, so inszeniert und rezipiert, als ob sie selber Events – qua entsprechender Bebilderung, Untermalung und Kommentierung eben düster konnotierte Events – wären. 1
Damit nimmt nahe liegender Weise die Tendenz zu, dass sich ihr „außeralltägliches“ Erlebnispotenzial veralltäglicht, d. h. in der Routine der Wiederholung des immer Gleichen oder zumindest allzu Ähnlichen langweilig wird und an Attraktivität verliert. Die immanente ‚Logik‘ des Events drängt deshalb zur ständigen Überbietung der bereits erlebten Reize. Die Produzenten und Anbieter von Events sind deshalb gezwungen, entweder ständig „neue Erlebnistrends“ zu entdecken oder gar „neue Trends“ zu erfinden, um diese dann hinlänglich erfolgsträchtig vermarkten zu können.
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Die entsprechenden Techniken der ‚Stimmungsmache‘ sind medien- und diskursanalytisch auch weitgehend rekonstruiert (vgl. z.B. Keller 2000). ‚Dahinter‘ liegt aber eben jene nachgerade unbedachte Fraglosigkeit des Eventisierungsprinzips in unserer Gegenwartsgesellschaft, die hier abschließend im Rekurs nochmals auf die drei in diesem Bändchen versammelten Fallbeispiele illustriert seien: Der angesprochenen ‚Logik‘ der kulturellen Verselbstverständlichung der Eventisierung ganz entsprechend wird im Rückblick auf die Loveparade gegenwärtig sowohl von hierfür berufener als auch, und mehr noch, von durchaus nicht berufener Seite versucht, Schuldige oder zumindest Verantwortliche für die Katastrophe vom 24. Juli 2010 ausfindig zu machen. Unterdessen fordern einige kaum übersehbar sensibilitätsreduzierte Techno-Protagonisten schon wieder, die Veranstaltung „in die Szene“ zurück zu holen und im Rekurs auf den „authentischen Spirit“ neu zu starten (vgl. z.B. Raveline Nr. 209, August 2010, S.005). Ähnlich dezent auf die gegebene Situation Bezug nehmend, berichtet das Domradio in Köln: „Experten bescheinigten der Kirche eine organisatorische Meisterleistung – angesichts der Toten und Verletzten bei der Duisburger ‚Love-Parade‘ nicht selbstverständlich (Hervorhebung R.H.)“, und attestiert seinem Geldgeber dergestalt, mit dem Weltjugendtag 2005 offenkundig kompetenter als andere Event-Organisatoren „Werthaftes mit Eventcharakter“ produziert zu haben (http://www.domradio.de/includes DEV/eactions/eactions_print.asp?ID=66617). Währenddessen richtet sich in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 4.9.2010 der besorgte Blick der Kommentatorin bereits auf die Zukunft des regionalen Main-Events: „Im Ruhrgebiet sind Tote zu beklagen, aber auch die Kulturhauptstadt hat Schaden genommen. Sie wird nie mehr so strahlend feiern können, wie zuletzt auf der A40. ‚Stilleben‘ war das Abschiedsfest der unbeschwerten Kulturhauptstadt. Alles, was jetzt kommt, wird die Toten mitdenken müssen. Das ändert nichts daran, dass das Ruhrgebiet seine Kulturhauptstadt retten muss. Es hängt zu viel daran für die Zukunft. Es geht darum, dass die Region sich neu findet. Deshalb muss das Kulturfest, das Symbol dieses Wandels, weitergehen; gedämpft,
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trauernd. Aber dem Leben verpflichtet. Das Ruhrgebiet kann das“ (vgl. „Ruhr 2010 nach der Loveparade – Gedämpftes Fest“. Kommentar von Gudrun Norbisrath, WAZ vom 4.9.10). Augenscheinlich: Nicht nur der Meta-Prozess Modernisierung schlechthin scheint nachgerade unaufhaltsam, auch jener Teil-Prozess davon, den ich hier, illustriert an drei Beispielen, als „Eventisierung“ zu skizzieren versucht habe, scheint ein „Juggernaut“ zu sein (vgl. Giddens 1996).
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Über den Autor
© Jürgen Huhn, TU Dortmund Ronald Hitzler, Univ.-Prof. Dr., Jg. 1950, ist seit 1997 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie an den Fakultäten 12 und 11 der Technischen Universität Dortmund. Nach Abschluss seines Studiums der Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Konstanz forschte Hitzler an den Universitäten Konstanz, Bamberg und München sowie an der Universität zu Köln – u.a. über ‚Alltag und Subkultur von Bundestagsabgeordneten‘, ‚Heimwerker‘, ‚Selbständige im Strukturwandel‘ und ‚Reproduktionsmedizinische Standespolitik‘. 1987 promovierte er an der Fakultät SozialR. Hitzler, Eventisierung, DOI 10.1007/ 978-3-531-92688-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Über den Autor
und Wirtschaftswissenschaften der Universität Bamberg mit einer Arbeit über ‚Kleine Konstruktionen. Ein Beitrag zum Verstehen von Kultur‘. 1995 habilitierte er am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit zum Thema ‚Der gemeine Machiavellismus. Zur Soziologie politischen Handelns‘. Das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse von Ronald Hitzler gilt weniger der Frage, wie sich individuelle Verhaltensweisen aus sozialen Bedingungen erklären lassen, als der, wie Gesellschaft aus den Perspektiven von Akteuren erscheint, wie diese Situationen definieren und Handlungsprobleme bewältigen – oder auch nicht. Im Rekurs auf dieses Erkenntnisinteresse forscht Hitzler unter dem Rahmenthema ‚Modernisierung als Handlungsproblem‘ vor allem zu methodologisch-methodischen Grundlagenproblemen der interpretativen Sozialforschung, zum kulturellen Leben in der Gegenwartsgesellschaft (hierbei insbesondere zu Event-, Jugend- und Spielkulturen) und gegenwärtig besonders intensiv zu existenziellen Grenzsituationen. Weitere Informationen zum Rahmenthema, zu laufenden und abgeschlossenen Forschungsprojekten, über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lehrstuhls für Allgemeine Soziologie sowie ein ausführlicheres ‚wissenschaftliches Selbstportrait‘ von Ronald Hitzler finden Sie auf der Homepage: www.hitzler-soziologie.de.
Otto von Freising-Vorlesungen
Bd. 1: Wilhelm G. Grewe: Das geteilte Deutschland in der Weltpolitik 1990. Vergriffen Bd. 2: Berndt von Staden: Der Helsinki-Prozeß 1990. Vergriffen Bd. 3: Hans Buchheim: Politik und Ethik 1991. Vergriffen Bd. 4: Dmitrij Zlepko: Die ukrainische katholische Kirche – Orthodoxer Herkunft, römischer Zugehörigkeit 1992. Vergriffen Bd. 5: Roland Girtler: Würde und Sprache in der Lebenswelt der Vaganten und Ganoven 1992. Vergriffen Bd. 6: Magnus Mörner: Lateinamerika im internationalen Kontext 1995. Vergriffen Bd. 7: Probleme der internationalen Gerechtigkeit Herausgegeben von Karl Graf Ballestrem und Bernhard Sutor 1993. Vergriffen Bd. 8: Karl Martin Bolte: Wertwandel. Lebensführung. Arbeitswelt 1993. Vergriffen
Bd. 9: František Šmahel: Zur politischen Präsentation und Allegorie im 14. und 15. Jahrhundert 1994. Vergriffen Bd. 10: Odilo Engels: Das Ende des jüngeren Stammesherzogtums 1998. Vergriffen Bd. 11: Hans-Georg Wieck: Demokratie und Geheimdienste 1995. Vergriffen Bd. 12: Franz-Xaver Kaufmann: Modernisierungsschübe, Familie und Sozialstaat 1996. Vergriffen Bd. 13: Wolfgang Brückner: „Arbeit macht frei“. Herkunft und Hintergrund der KZ- Devise 1998. Vergriffen Bd. 14: Manfred Hättich: Demokratie als Problem 1996. Vergriffen Bd. 15: Horst Schüler-Springorum: Wider den Sachzwang 1997. Vergriffen Bd. 16: Gerhard A. Ritter: Soziale Frage und Sozialpolitik 1998. Vergriffen Bd. 17: Uwe Backes: Schutz des Staates 1998. Vergriffen Bd. 18: Klaus Schreiner: Märtyrer, Schlachtenhelfer, Friedenstifter 2000. Vergriffen
Bd. 19: Antonio Scaglia: Max Webers Idealtypus der nichtlegitimen Herrschaft 2001. Vergriffen Bd. 20: Walter Hartinger: Hinterm Spinnrad oder auf dem Besen 2001. Vergriffen Bd. 21: Martin Sebaldt: Parlamentarismus im Zeitalter der Europäischen Integration 2002. Vergriffen Bd. 22: Alois Hahn: Erinnerung und Prognose 2003. Vergriffen Bd. 23: Andreas Wisching: Agrarischer Protest und Krise der Familie 2004, 97 S. € 19,90 ISBN 978-3-531-14274-6 Bd. 24: Stefan Brüne: Europas Außenbeziehungen und die Zukunft der Entwicklungspolitik 2005. 104 S., € 19,90 ISBN 978-3-531-14562-4 Bd. 25: Toni Pierenkemper: Arbeit und Alter in der Geschichte 2006. 114 S., € 12,90 ISBN 978-3-531-14958-5 Bd. 26: Manfred Brocker: Kant über Rechtsstaat und Demokratie 2006. 62 S., € 12,90 ISBN 978-3-531-14967-7
Bd. 27: Jan Spurk: Europäische Soziologie als kritische Theorie der Gesellschaft 2006. 80 S., € 12,90 ISBN 978-3-531-14996-7 Alois Schmid: Neue Wege der bayerischen Landesgeschichte 2008. 107 S., € 19,90 ISBN 978-3-531-16031-3 Wilfried Spohn: Politik und Religion in einer sich globalisierenden Welt 2008. 98 S., € 19,90 ISBN 978-3-531-16076-4 Rainer Tetzlaff: Afrika in der Globalisierungsfalle 2008. 108 S., € 19,90 ISBN 978-3-531-16030-6 Michaela Wittinger: Christentum, Islam, Recht und Menschenrechte Spannungsfelder und Lösungen 2008. 85 S., € 19,90 ISBN 978-3-531-16140-2 Kaspar Maase: Was macht Populärkultur politisch? 2010. 120 S., € 29,95 ISBN 978-3-531-17678-9 Ronald Hitzler: Eventisierung 2011. 112 S., € 29,95 ISBN 978-3-531-17932-2