Einsam ohne dich
Debbie Macomber
Julia 1220 1 – 01/97
Gescannt von almutK
PROLOG Der Valentinskarte zufolge würde...
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Einsam ohne dich
Debbie Macomber
Julia 1220 1 – 01/97
Gescannt von almutK
PROLOG Der Valentinskarte zufolge würde sie immer sein Schatz sein. Dieser elende Mistkerl! Wütend warf Karen Caldwell die Karte in den Mülleimer. Sie stand in der Küche, wo die Sonne durchs Fenster schien, und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Es war typisch für ihren Exmann, ihr zum Valentinstag zu schreiben. Während ihrer vierjährigen Ehe hatte Matt nämlich weder am Valentinstag noch an ihrem Gebur tstag an sie gedacht. Statt dessen hatte er damit gewartet, bis sie geschieden waren. Eigentlich war Karen mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass sie nichts mehr für Matt empfand. Und ausgerechnet jetzt, da sie glaubte, wieder halbwegs glücklich zu sein, musste er sich bei ihr melden! Sie atmete einmal tief durch und nahm sich vor, an etwas anderes zu denken. Dies war wieder einmal ein Beispiel dafür, wie sehr ihr Exmann sie auf die Palme brachte. Kein Wunder, dass sie sich von ihm hatte scheiden lassen. Matt Caldwell war verantwortungslos, rücksichtslos und unzuverlässig. Während ihrer Ehe hatte er viermal den Beruf gewechselt! Immer wenn sie gedacht hatte, er hätte endlich das Richtige gefunden, hatte Matt ganz beiläufig gesagt, er hätte gerade ge kündigt. Dabei hatte er nicht einmal mit ihr über seine Pläne gesprochen. Er erklärte es damit, dass er erst kurz vorher gemerkt habe, wie unzufrieden er sei. Als er dann auch noch bei Curtis Accounting kündigte, tat Karen das einzig Vernünftige, was eine Frau in ihrer Situation tun konnte: Sie verließ ihn. Niemand machte ihr daraus einen Vorwurf, schon gar nicht Matts Familie. Seine Eltern und seine Schwester ärgerten sich über seine berufliche Unstetigkeit genauso wie sie. Nach der Scheidung bot man Karen eine Beförderung an, die mit einem Umzug nach Kalifornien verbunden war. Für sie war es die ideale Lösung, denn Karen hoffte, durch den Ortswechsel schneller über das Scheitern ihrer Ehe hinwegkommen zu können. Im sonnigen Kalifornien würde sie die Vergangenheit hinter sich lassen können. Das hatte sie zumindest gedacht. Jetzt war sie sich dessen allerdings nicht mehr so sicher. Sie hatte Heimweh nach Alaska, sie vermisste ihre Freunde und sogar Matt. Sie versuchte, nicht zum Mülleimer zu schauen, denn allein der Gedanke an die Valentinskarte machte sie ganz verrückt. Was sie jedoch am meisten irritierte, war die Tatsache, dass es Matt einige Mühe gekostet haben musste, die Karte zu bekommen. Karen kannte den Ort, in dem Matt jetzt lebte. Da man in einer Kle instadt wie Hard Luck sicher keine Grußkarten kaufen konnte, musste er die Karte entweder im Versand bestellt oder in Fairbanks gekauft haben. Nach Hard Luck war er gezogen, weil er dort von den Brüdern O'Halloran ein Hotel gekauft hatte. Es war seine letzte Schnapsidee gewesen! Karen verdrehte die Augen, als sie daran dachte. Matt hatte das Hotel mit dem Geld aus dem Treuhandkonto gekauft, das seine Großmutter für ihn eingerichtet hatte. Von seiner Schwester Lanni hatte Karen erfahren, dass Matt dabei war, das Hotel aufwendig zu renovieren. Offenbar glaubte er, dass sich tatsächlich Touristen in diesen Teil von Alaska nördlich des Polarkreises verirren würden! Doch wenn er unbedingt sein Erbe verschleudern wollte, um wieder einen seiner tollen Pläne in die Tat umzusetzen, würde sie ihn nicht davon abhalten. Schließlich ging es sie letztendlich nichts an. Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus und nahm die Karte wieder aus dem Mülleimer. Unter den gedruckten Text hatte er geschrieben: „Herzliche Grüße von Matt."
Nun traten ihr Tränen in die Augen, und sie fragte sich, wie es ihr wohl auf der Hochzeit ergehen mochte, wenn sie schon auf eine Karte von ihm so reagierte. Lanni hatte sie nämlich gebeten, ihre Brautjungfer zu sein, und Karen hatte sich damit einverstanden erklärt. Lanni hatte ihr versichert, dass sie bereits mit Matt darüber gesprochen hätte. Er hatte offenbar nichts dagegen gehabt, dass sie, Karen, zur Hochzeit kommen würde. Karen hatte ihn seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen. Sie war fest entschlossen, ihm zu verstehen zu geben, wie gut es ihr in Kalifornien gefiel und wie glücklich und erfolgreich sie dort war. Außerdem würde sie dafür sorgen, dass sie einfach umwerfend gut aussah. Sie nahm sich vor, bis dahin fünf Pfund abzunehmen, zum Friseur zu gehen und sich ein paar neue Sachen zu kaufen. Matt würde nur einen Blick auf sie werfen und bereit sein, ihr sein Herz auf einem Tablett zu servieren. Und was würde sie tun? Sie würde es ihm zurückgeben.
1. KAPITEL
„Sie ist so schön!" flüsterte Pearl Inman Matt zu, als seine Schwester in Begleitung ihres Vaters den Gang entlangschritt. „Eine perfekte Frühlingsbraut." „Stimmt", bestätigte Matt, der jedoch nicht Lanni ansah, sondern Karen. Seit sie die Kirche betreten hatte, hatte er sie nicht aus den Augen gelassen. Er hatte sich kaum um Lannis Hochzeit gekümmert, da er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, das I Intel für die ersten Gäste herzurichten. Allerdings hatte er Lanni lässig versichert, es würde ihm nichts ausmachen, wenn Karen Ihre Brautjungfer war. Und er hatte sich vorgenommen, keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden. Schließlich war es aus zwischen ihnen. Nun musste er sich jedoch eingestehen, dass er andauernd an Karen gedacht hatte. Wenn er ganz ehrlich war, musste er sogar zugeben, dass er ihre Ankunft in Hard Luck kaum hatte erwarten können. Da sie aber vier Jahre verheiratet gewesen und seit fast zwei Jahren geschieden waren, war es ganz normal, wenn er ihrem Wiedersehen mit gemischten Gefühlen entgegensah. Matt hatte ziemlich schnell festgestellt, wie sehr es ihn aus der Fassung brachte, Karen in seiner Nähe zu haben. Sie war so schön, dass sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog, als er sie betrachtete. Das elegante Kleid, das sie trug, betonte ihre schlanke Figur, und ein Blumenkranz schmückte ihr braunes Haar. Noch nie hatte Matt eine so schöne Brautjungfer gesehen. Noch nie hatte er eine so schöne Frau gesehen. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Matt freute sich darüber, dass Lanni und Charles in Hard Luck heirateten, denn er hatte erwartet, dass Lanni für Anchorage plädieren würde, wo ihre Familie und die meisten ihrer Freunde lebten. Sie hatte ihre Entscheidung damit begründet, dass Charles und sie sich in Hard Luck kennengelernt hatten und dort wohnen wollten. Irgendwann würde sie eine Lokalzeitung für den Ort heraus geben, und bis die Gemeinde die finanziellen Mittel für ein eigenes Blatt aufbringen konnte, arbeitete Lanni als freiberufliche Journalistin. Sosehr Matt sich für seine Schwester freute, tat es ihm fast weh, Charles und sie so glücklich zu sehen. Er erinnerte sich noch genau daran, wie es war, jemand so zu lieben ... Er musste sich zwingen, den Blick von Karen abzuwenden. Der Winter war sehr lang gewesen, und nur der Gedanke an sein Hotel hatte Matt Kraft gegeben. Bis zur Schneeschmelze würden ungefähr noch sechs Wochen vergehen, und es würde etwa einen Monat dauern, bis er Resonanz auf die Angebote erhielt, die er an zahlreiche Reisebüros in den USA verschickt hatte. Mit dem Kauf des Hotels hatte Matt wesentlich mehr aufs Spiel gesetzt als sein Erbe. Für die kommende Nacht war es zwar ausgebucht, aber bei den Gästen handelte es sich ausschließlich um Freunde und Verwandte, die er kostenlos dort übernachten ließ - seine Exfrau eingeschlossen. Für ihn war die Hochzeit eine Art Probe. Die Küche konnte noch nicht benutzt werden, doch bis Mitte Juni sollte alles für die ersten zahlenden Gäste fertig sein. Als Charles O'Halloran das Ehegelübde sprach, versuchte Matt, an etwas anderes zu denken, denn die Worte erinnerten ihn schmerzlich daran, dass er Karen gegenüber versagt hatte. Er war einfach nicht der Richtige für sie gewesen. Sie brauchte einen Mann, der einer geregelten Arbeit nachging, vierzig Jahre für dieselbe Firma tätig war und später einmal eine ansehnliche Rente bezog. Matt hatte sich vergeblich bemüht, ihr die Sicherheit zu geben, die sie brauchte. Immer wenn er einen neuen Job angenommen hatte, hatte er sich bereits nach wenigen Monaten gelangweilt. Wenn er mit viel Schwung und Energie an eine Sache ging, wollte er auch davon profitieren, doch das hatte Karen nie verstanden.
Als Lanni Reverend Wilsons Worte wiederholte und Charles dabei in die Augen schaute, traten so manchem Gast vor Rührung die Tränen in die Augen. Lanni und Charles hatten mit ihrer Liebe die Kluft zwischen ihren Familien überbrückt. Die O’Hallorans und Catherine Fletcher, Lannis und Matts Großmutter, waren nämlich erbitterte Feinde geworden, als Charles' Vater eine andere Frau geheiratet hatte. Dass die beiden Familien sich wieder versöhnt hatten, war hauptsächlich Lannis Verdienst. Unwillkürlich ließ Matt wieder den Blick zu Karen schweifen. Sie hatte den Kopf geneigt, als würde es ihr genauso schwerfallen, den Treueschwüren zu lauschen. Seit ihrer Ank unft in Hard Luck hatte er noch nicht mit ihr gesprochen. Sie war am frühen Morgen in Fairbanks gelandet, und dort hatte Sawyer O'Halloran sie mit den anderen beiden Brautjungfern abgeholt, die aus Anchorage gekommen waren. Soweit Matt wusste, wollte sie am nächsten Morgen wieder abreisen. Doch diese eine Nacht würde sie im Hotel verbringen - in seinem Hotel. Er hatte dafür gesorgt, dass sie den schönsten Raum bekommen hatte, in dem ein schönes großes Messingbett stand. Den Hartholzfußboden hatte er selbst geschliffen und auf Hochglanz poliert. Nachdem die Trauzeremonie vorbei war, atmete Matt erleichtert auf, denn sie hatte ihn zu sehr an sein trauriges Debüt als Ehemann erinnert. Als er Karen gegenüber versagt hatte, hatte er auch sich selbst gegenüber versagt. Karen und er hatten sich einmal genauso geliebt wie Lanni und Charles. Und trotz allem, was geschehen war, liebte er sie immer noch. Matt verspannte sich unwillkürlich, als er sich an den Abend erinnerte, an dem er nach Hause gekommen war und festgestellt hatte, dass sie ausgezogen war. Kurz darauf hatte sie die Scheidung eingereicht, und es wurmte ihn nach wie vor, dass sie nicht vorher mit ihm darüber gesprochen hatte. Irgendwann hatte er sie einmal nach dem Grund gefragt, doch sie hatte nur die Schultern gezuckt und behauptet, sie hätte ihn rechtzeitig gewarnt. Und da er sie auch stets vor vollendete Tatsachen gestellt hätte, wäre es ihm ganz recht geschehen. Da er immer noch verbittert war, beschloss Matt, lieber nicht mit Karen zu reden. Es war sinnlos, die Vergangenheit wieder aufzurollen, zumal sie sich sowieso nichts mehr zu sagen hatten. Als Lanni Arm in Arm mit Charles den Gang entlangschritt, strahlte sie vor Glück. Karen folgte ihnen mit Sawyer O'Halloran, einem von Charles' jüngeren Brüdern, und Matt hatte den Eindruck, dass sie bewusst seinen Blick mied. Ihm sollte es nur recht sein, denn für ihn war das Ganze ohne hin schwierig genug. Nachdem er die Trauzeremonie überstanden hatte, musste er bloß noch den Empfang über sich ergehen lassen. Als er später in der Turnhalle der Schule eintraf, wo die Feier stattfand, drehten sich bereits mehrere Paare im Takt der Musik auf der Tanzfläche. Als erstes bemerkte er Karen, die mit Duke Porter tanzte. Er war einer der Piloten von Midnight Sons, der von den Brüdern O'Halloran geleiteten Charterfluggesellschaft. Da Matt es nicht ertragen konnte, sie in den Armen eines anderen Mannes zu sehen, ging er geradewegs zur Bar und bestellte ein Glas Champagner, das er in einem Zug leerte. Sich zu betrinken würde zwar nichts nützen, aber wenigstens den Schmerz lindern. „Wo warst du?" Die Frage kam von seiner Mutter Kate. „Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht." „Mir geht es gut." Erst nach einer Weile konnte Matt sich von Karens und Dukes Anblick losreißen. „Tante Louise sucht dich." Er stöhnte entnervt auf. „Auch das noch!" Tante Louise, die älteste Schwester seines
Vaters, musste sich in alles einmischen und würde ihn garantiert als erstes über seine Scheidung aus quetschen. Wenn sie ihn in ein Gespräch verwickelte, brauchte er mindestens eine Flasche Champagner. Doch dann nahte seine Rettung in Gestalt von Chrissie Harris. Die Achtjährige war die Tochter von Mitch, dem Sicherheitsbeamten von Hard Luck. „Tanzt du mit mir?" Sie schaute ihn aus großen Augen an. „Sicher, Kleine", erwiderte er lächelnd. Ihr Tuning hätte nicht besser sein können. „Dad tanzt mit Bethany", erklärte sie ein wenig enttäuscht. „Sie wollen im Sommer heiraten." Na toll, noch eine Hochzeit! „Ich weiß." „Scott möchte bestimmt mit mir tanzen, aber er hat Angst, mich zu fragen." Scott war Sawyer O'Hallorans Adoptivsohn, und er und seine Schwester Susan stammten aus Abbey O'Hallorans erster Ehe. Matt breitete die Arme aus. „Wir wollen doch nicht, dass das hübscheste Mädchen hier zum Mauerblümchen verdammt ist." Nachdem Chrissie ihre Schuhe ausgezogen und sich auf seine Füße gestellt hatte, drehte er sich im Walzertakt mit ihr über die Tanzfläche. Dabei schaffte er es, mindestens eine Minute nicht an Karen zu denken. Das Vergnügen war allerdings nur von kurzer Dauer. Als er das nächste Mal einen Blick von ihr erhaschte, tanzte sie mit Christian O'Halloran, Charles' und Sawyers jüngstem Bruder. Sobald der Tanz zu Ende war, bedankte Matt sich bei Chrissie und goss sich ein zweites Glas Champagner ein. Nachdem er es geleert hatte, schenkte er sich erneut nach, nahm ein zweites Glas, füllte es und ging beherzt auf Karen zu, die sich mittlerweile an einen Tisch gesetzt hatte. Schließlich hatte es keinen Zweck, so zu tun, als würden sie einander nicht sehen. Obwohl Karen ihn nicht anschaute, merkte sie offenbar, dass er sich ihr näherte, denn sie versteifte sich sofort. „Hallo Karen", begrüßte er sie ruhig. „Hallo, Matt." Er reichte ihr das andere Glas und setzte sich auf den Stuhl neben ihr. „Ich glaube, du kannst einen Drink gebrauchen." „Danke." Dann entstand eine peinliche Stille, und Matt suchte nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. „Wie ist Kalifornien?" fragte er schließlich. Karen betrachtete ihr Glas, als würde sie darin die Antwort finden. „Wunderbar." „Du schaust gut aus." Er hielt es für das beste, mit einem Kompliment anzufangen. Außerdem entsprach es der Wahrheit. Sie sah phantastisch aus. „Du auch." Das war eine nette Lüge. Er hatte in den letzten Monaten fünfzehn Pfund abgenommen, weil er so hart gearbeitet, wenig ge schlafen und sich ungesund ernährt hatte. Karen trank einen Schluck Champagner, ehe sie fragte: „Warum hast du mir eine Valentinskarte geschickt?" Matt hatte das bereits bedauert, als er die Karte in den Briefkasten geworfen hatte, aber da war es bereits zu spät gewesen. „Wir waren vier Jahre verheiratet", fuhr sie fort, „und du hast zum Valentinstag nicht einmal an mich gedacht." Da sie recht hatte, schwieg er. „Du hast immer behauptet, es wäre reiner Kommerz und sentimentaler Kitsch, falls du es vergessen haben solltest." Das würde er so schnell nicht vergessen. „Warum hast du es ausgerechnet jetzt getan?" erkundigte sie sich mit bebender Stimme. „Vielleicht wollte ich mein Verhalten von damals wiedergut mache n." Das war die einzige
Erklärung, die er ihr geben konnte. Da sie nicht auf die Karte reagiert hatte, hatte er sich bereits gedacht, dass sie sich darüber nicht gefreut hatte. Allerdings hatte er auch nichts anderes erwartet. „Bitte schick mir keinen sentimentalen Kitsch mehr, Matt. Es ist zu wenig, und es ist viel zu spät." Matt runzelte die Stirn. „Also gut." Sie standen beide auf, doch bevor sie auseinandergehen konnten, gesellte sich Tante Louise zu ihnen. Karen blickte Matt hilfesuchend an. „Los, tanzt schon, ihr beiden." Das klang wie ein militärischer Befehl. Tante Louise genoss es sichtlich, sich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen. Entweder befolgten sie ihre Anweisung, oder sie ließen sich in ein halbstündiges Verhör verwickeln. Matt erwiderte Karens Blick. „Wollen wir?" fragte er, während er zur Tanzfläche deutete. Dem Ausdruck in ihren Augen nach zu urteilen, schien sie das Für und Wider abgewogen zu haben und zu dem Ergebnis gekommen zu sein, dass ein Tanz mit ihm das kleinere Übel war. Matt hatte oft die Erfahrung gemacht, dass einer Panne weitere folgten. Da die Band plötzlich einen langsamen Song spielte, musste er Karen an sich ziehen, ob er wollte oder nicht. Als er ihr einen Arm um die Taille legte, verspannte sie sich unwillkür lich. Kr tat sein Bestes, sich auf den Rhythmus zu konzentrieren statt auf die Frau in seinen Armen. „Keine Angst", flüsterte er, da ihr Unbehagen ihm nicht ent ging. „Ich beiße nicht." „Davor habe ich auch keine Angst." „Wovor dann?" „Vor allem anderen." Er lächelte und neigte unbewusst den Kopf, so dass er mit dem Kinn ihre Schläfe berührte. Obwohl er kein guter Tänzer war, fiel es ihm mit Karen in den Armen nicht schwer, so zu tun, als ob. Es schien ihm, als wären sie die idealen Partner. Während des restlichen Tanzes schwiegen sie beide, und sobald die Musik zu Ende war, löste Matt sich von Karen und trat einen Schritt zurück. Der Schmerz in seiner Brust wurde immer stärker. Matt fragte sich, wie lange er noch auf der Feier bleiben musste. Er wollte Lanni und Charles nicht kränken, aber in Karens Gegenwart litt er Höllenqualen, und es war für ihn unmöglich, so zu tun, als wäre Karen ihm gleichgültig. „Lanni und Charles wollen gleich aufbrechen", erklärte Karen. Offenbar war sie genauso verlegen wie er. „Ich sehe mal mich, ob Lanni meine Hilfe braucht." „Danke für den Tanz." Als ihre Blicke sich begegneten, trat ein trauriger Ausdruck in Karens Augen. „Es war schön, dich wiederzusehen, Matt", sagte Hie leise, bevor sie sich abwandte und wegging. Obwohl Matt am liebsten sofort die Flucht ergriffen hätte, verabschiedete er sich von Lanni und Charles, die ihre Flitterwochen auf den Jungferninseln verbringen wollten. Nachdem er ihnen eine gute Reise gewünscht und sich von den übrigen Gästen verabschiedet hatte, kehrte er zum Hotel zurück. Da er sich seit seiner Scheidung nicht mehr so elend gefühlt hatte, holte er eine verstaubte Flasche Whisky hervor und machte sich einen starken Drink. Normalerweise trank er zwar nicht, aber diesmal musste es sein. Die Flasche in der einen, das Glas in der anderen Hand, setzte er sich auf das Ledersofa vor dem Kamin und legte die Beine hoch. Bald darauf trudelten seine Gäste ein. Zuerst kamen seine Eltern. Sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich und wechselten nur noch ein paar Worte mit ihm, bevor sie nach oben in ihr Zimmer gingen. Als nächstes traf ein Ehepaar ein, Freunde von Lanni. Karen kam als letzte, und Matt verzichtete darauf, sie zu fragen, wer sie zum Hotel begleitet hatte. Sie blieb in der Empfangshalle stehen und schaute sich um. Obwohl noch einiges getan
werden musste, wirkte der große Raum sehr einladend, denn außer dem Sofa hatte Matt noch einige Sessel vor den Kamin gestellt. Die andere Hälfte des Raums war mit Holztischen und stühlen möbliert. „Wie gemütlich!" meinte sie erstaunt. „Danke." Es hatte Matt auch harte Arbeit gekostet, das Hotel bewohnbar zu machen. Einen Moment lang fragte er sich, was Karen wohl gedacht haben mochte, als sie gehört hatte, dass er es gekauft hatte. Vor vielen Jahren ha tte ein Feuer die Küche sowie einige der Räume im oberen Stockwerk zerstört. Nach dem Feuer hatten die O'Hallorans die Türen und Fenster mit Brettern vernagelt, weil sie nicht gewusst hatten, was sie mit dem Hotel machen sollten. Es hatte also jahrelang leer gestanden und war immer mehr verfallen. Keiner der Brüder war daran interessiert gewesen, ins Touristikgewerbe einzusteigen, und es wäre zu zeit- und kostenintensiv gewesen, es zu renovieren. „Dein Zimmer ist im ersten Stock ganz hinten links." Matt blieb auf dem Sofa sitzen aus Angst, das Gleichgewicht zu verlieren, wenn er aufstand. „Du hast getrunken", stellte Karen fest, während sie näher zum Kamin kam. „Dir entgeht wohl nichts", entgegnete er sarkastisch. „Du trinkst doch sonst auch nicht." Das Problem war, dass diese Frau ihn zu gut kannte. „Stimmt, aber manchmal erfordern die Umstände es eben." Spottisch lächelnd prostete er ihr zu, bevor er das Glas leerte. Der Whisky brannte ihm so in der Kehle, dass Matt unwillkürlich die Augen schloss und den Kopf schüttelte. Als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, dass Karen sich auf das andere Ende des Sofas gesetzt hatte. „Was ist los?" erkundigte sie sich sanft, als wüsste sie es nicht. „Nichts", meinte er betont fröhlich. „Was sollte schon los sein?“ Ihre Augen hatten einen unnatürlichen Glanz. „Ich glaube, ich habe auch etwas zuviel getrunken." Als sie aufstand und zur Treppe ging, wurde ihm klar, dass er sich nach ihrer Gesellschaft sehnte. „Soll ich dir zeigen, womit ich die letzten Monate verbracht habe?" fragte er daher. „Gern", erwiderte sie zu seiner Überraschung. Matt erhob sich ebenfalls, um ihr zuerst die Räume im Erdgeschoß zu zeigen. Dabei machte er keinen Hehl daraus, dass er stolz auf sein Werk war. „Die Küche müsste bald fertig sein", erklärte er schließlich. „Der Herd soll nächsten Monat geliefert werden." „ Und wer übernimmt das Kochen?" „Vorerst ich." Er zuckte die Schultern. „Ich kann es mir noch nicht leisten, einen Koch einzustellen. Erst einmal brauche ich zahlende Gäste." „Die entsprechenden Kenntnisse hast du ja." Damit spielte Karen auf seine Ausbildung an der Hotelfachschule an, die er besucht hatte. Es hatte ihm Spaß gemacht, aber während seiner ersten Tätigkeit in einem Restaurant hatte er das Interesse an dem Beruf ve rloren. Nachdem er seine Pläne, ein eigenes Restaurant zu eröffnen, verworfen hatte, hatte er es danach mit Fischerei versucht. „Ich wünsche dir viel Erfolg, Matt." „Danke." Ihm war klar, dass das ziemlich schnoddrig klang. „Ich meine das ernst." Er hatte sie nicht kränken wollen. „Aber du glaubst nicht, dass ich es lange durchhalte, stimmt's?" „Nein", gab sie unumwunden zu. „Es wird dich irgendwann genauso langweilen wie alles andere." „Vielleicht." Matt hatte keine Lust, sich mit ihr zu streiten. Er würde ihr beweisen, dass sie sich irrte. Noch nie zuvor hatte er so viel Arbeit und Energie in eine Sache investiert, denn zum erstenmal trug er die alleinige Verantwortung für etwas. Ob er Erfolg hatte oder nicht,
hing ausschließlich von ihm ab. „Ich bringe dich zu deinem Zimmer", sagte er ausdruckslos, bevor er Karen voran nach oben ging. Doch kaum hatte er die ersten Stufen genommen, hielt Karen ihn zurück. „Matt, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht entmutigen. Man sieht, dass du viel Arbeit in das Hotel gesteckt hast und dass es dir am Herzen liegt. Ich hoffe, dass du Erfolg damit hast." Matt drehte sich zu ihr um. „Wirklich?" Als sie ihn ansah, las er in ihren Augen, dass sie genauso einsam war wie er. Nicht einmal sich selbst hatte er eingestehen wollen, wie sehr er Karen vermisst hatte. Um nicht ständig daran denken zu müssen, wie einsam die Nächte ohne sie waren, hatte er mona telang bis zur Erschöpfung gearbeitet. Doch an diesem Abend musste er zum erstenmal seit ihrer Scheidung zugeben, wie schön es war, sie in den Armen zu halten, und wie leer sein Leben ohne sie war. Ihr Gesicht war leicht gerötet. Sie trug noch immer das rosarote Kleid, das sehr figurbetont war, und sein Blick fiel unwillkür lich auf die sanften Rundungen ihrer Brüste. „Du hast mir gefehlt, Karen." Bestimmt wusste sie, wie schwer es ihm gefallen war, die Worte auszusprechen. Karen schloss die Augen. „Du mir auch", gestand sie so leise, dass er es kaum verstehen konnte. Ihm stockte der Atem. Er musste sie jetzt berühren. Langsam hob er die Hand und legte sie ihr auf die Wange. Sie fühlte sich so weich an! Als Karen sich mit der Zungenspitze die Lippen befeuchtete, konnte er sich nicht länger beherrschen und zog sie an sich. Erstaunt stellte er fest, dass sie es bereitwillig geschehe n ließ. Trotzdem hatte er Angst davor, sie zu küssen. Was wäre, wenn sie sich jetzt zurückzog? Als sie ihm jedoch die Arme um den Nacken legte, seufzte er glücklich. Eigentlich hatte er ganz sanft sein wollen, aber als er seinen Mund auf ihren presste, ließ er seinem Verlangen freien Lauf. Und das war offenbar genau das, wonach sie sich auch sehnte, denn sie öffnete bereitwillig die Lippen, um das erotische Spiel seiner Zunge zu erwidern. Da Matt die Kontrolle über sich verloren hatte, wusste er nicht, wie lange er Karen geküsst hatte. Als er es schließlich schaffte, sich von ihr zu lösen, waren sie beide außer Atem. Noch immer hielt er Karen eng umschlungen, während er darauf wartete, dass sie etwas sagte. Vielleicht erwartete sie, dass er sich bei ihr entschuldigte, doch das würde er auf keinen Fall tun. Als sie sich bewegte, verstärkte er seinen Griff, weil er fürchtete, sie könnte sich aus seiner Umarmung befreien. Daraufhin schmiegte sie sich an ihn und fuhr ihm spielerisch mit der Zunge übers Kinn, was ihn fast um den Verstand brachte. Schließlich löste er sich von ihr und schaute ihr in die Augen. Keiner von ihnen sagte ein Wort, vermutlich aus Angst vor der Reaktion des anderen. Ihre Lippen waren geschwollen, und Karen wirkte, als wäre sie den Tränen nahe. Nun küsste Matt sie wieder, diesmal allerdings wesentlich zärtlicher und so sinnlich, dass er vollends die Beherrschung verlor. Nachdem er den Kuss beendet hatte, zog er Karen wieder an sich. Ihm war klar, dass sie spürte, wie erregt er war. „Ich habe diese Spielchen noch nie beherrscht", gestand er, wahrend er ihr in die Augen schaute. „Was für Spielchen?" „Du weißt genau, was ich meine." Karen senkte den Blick und errötete verlegen. „Erwarte nicht von mir, dass ich dich einfach so mit in mein Schlafzimmer nehme", sagte er. „Wenn wir miteinander schlafen, muss ich wissen, ob du dich genauso nach mir sehnst wie ich mich nach dir."
Noch immer antwortete sie nicht. „Also, was ist, Karen? Du kannst mein Bett mit mir teilen oder allein nach oben gehen." Matt widerstand der Versuchung, sie wieder an sich zu ziehen und zu küssen. Nun traten ihr Tränen in die Augen, und sie biss sich auf die Lippe. „Ich möchte jetzt nicht allein sein", brachte sie hervor. Er schüttelte den Kopf. „Das reicht nicht. Sag mir, dass du mich willst." „Ja, ich will dich, Matt. Ich habe dich so vermisst."
2. KAPITEL
Als Karen am nächsten Morgen aufwachte, hatte Matt ihr einen Arm um die Taille gelegt. Sie genoss das herrliche Gefühl, sich so an ihren Ehemann zu kuscheln. Ihr Ehemann? Es dauerte erstaunlich lange, bis sie sich daran erinnerte, dass er nicht ihr Mann war - nicht mehr. Als ihr nach und nach die Ereignisse des vergangenen Abends einfielen, öffnete sie erschrocken die Augen. Sie war wegen Lannis und Charles' Hochzeit nach Hard Luck gekommen. Wie hatte sie sich bloß darauf einlassen können, Lannis Brautjungfer zu sein? Seit über anderthalb Jahren war ihre Scheidung rechtskräftig. Karen hatte gehofft, dass sie schon seit langem nichts mehr für Matt empfand, doch ihre Reaktion auf die Valentinskarte hätte sie eigentlich eines Besseren belehren müssen. Wenn sie auch nur ein Fünkchen Verstand hätte, hätte sie Lanni angerufen und abgesagt. Stattdessen hatte sie sich vorgenommen, zu beweisen, dass es zwischen Matt und ihr endgültig vorbei war. Und sie hatte es bewiesen, indem sie die Nacht mit ihm verbracht hatte. Beschämt schloss sie die Augen und unterdrückte einen Seufzer. Sie war zwar ein wenig beschwipst gewesen, aber mehr nicht. Am liebsten hätte sie Matt an allem die Schuld gegeben. Allerdings konnte sie ihm schlecht vorwerfen, sie verführt zu ha ben, denn bevor sie miteinander geschlafen hatten, hatte er sie ausdrücklich gefragt, ob sie es genauso wollte. Es war phantastisch gewesen. Obwohl sie sich im Bett immer gut verstanden hatten, hatte Karen ganz vergessen, wie herrlich es mit Matt sein konnte. Später hatte er sie in den Armen gehalten, und sie hatte ge weint. Nicht, weil sie es bedauert hatte, sondern weil ihr klarge worden war, wie schlecht es ihr ohne ihn gegangen war. Es war nicht fair. Sie liebte ihn über alles, aber sie passten einfach nicht zusammen. Genauso musste ihrer Mutter irgendwann bewusst geworden sein, wie unglücklich ihre Ehe war. Trotzdem hatte sie sich nicht von ihrem Mann scheiden lassen, was Karen nie gegriffen hatte. Matt und sie hatten ganz unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse. Sie brauchte eine gewisse Stabilität im Leben, während er es vorzog, sich einfach treiben zu lassen und seinen Launen zu folgen. Als sie ihn kennengelernt hatte, hatte sie natürlich nicht geahnt, welche beruflichen Schwierigkeiten er haben würde. Erst nach der Heirat hatte er ständig den Job gewechselt. Jedesmal, wenn er gekündigt hatte, wurde sie unangenehm in ihre Kindheit erinnert, denn ihr Vater, Eric Rocklin, hatte genausowenig Ehrgeiz besessen, so dass ihre Mutter die Familie ernähren musste. Und dabei war er alles andere als faul. Er war ein liebevoller Ehemann und Vater, ein leidenschaftlicher Gärtier und ein begeisterter Bastler. Sein einziger Fehler war, dass er ständig den Job wechselte. Als Karen und ihr Bruder noch auf die High-School gingen, kam irgendwann der Gerichtsvollzieher und beschlagnahmte den Wagen. Kurz darauf musste die Familie aus dem Haus ausziehen, das sie gemietet hatte. Matt und ihr Vater hatten sich auf Anhieb prima verstanden, und jetzt wusste Karen auch, warum. Die beiden hatten viele Gemeinsamkeiten. Sie wollte nicht denselben Fehler machen wie ihre Mutter, indem sie zuließ, dass ihr Ehemann ihre Zukunft zerstörte. So schmerzlich es auch war, sie hatte den entscheidenden Schritt getan, um ihr eigenes Leben leben zu können. Karen kam zu dem Ergebnis, dass es ganz normal war, wenn sie immer noch etwas für Matt empfand. Er war ein liebenswerter Kerl, und sie fühlte sich zu ihm hingezoge n. Doch er war nicht der Richtige für sie. Daher würde sie ihre gemeinsame Nacht einfach vergessen und nach Kalifornien zurückkehren. Je weiter sie von ihm entfernt war, desto besser. Vorsichtig schob sie die Decke zurück und rutschte zur Bettkante, wo sie sich aufsetzte.
Dann schaute sie sich nach etwas um, womit sie ihre Blöße bedecken konnte. Ihr Blick fiel auf ihr Kleid, das auf der anderen Seite des Raumes auf dem Boden lag. Als sie daran dachte, wie stark ihr Verlangen gewesen war, errötete sie. Sie hatten sich gar nicht schnell genug ihrer Sachen entledigen können. „Morgen." Matt rollte sich auf den Rücken, streckte sich und gähnte. Daraufhin legte auch Karen sich wieder hin und zog sich frustriert die Decke unters Kinn. Eigentlich hatte sie verschwinden wollen, bevor er aufwachte. Nun rutschte er zu ihr herüber und stützte sich auf einen Ellbogen. „Habe ich dir schon mal gesagt, wie schön du morgens bist?" „Nein." Beinahe hätte sie laut aufgestöhnt. „Dann lass es mich wiedergutmachen." Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und neigte den Kopf, um sie zu küssen. „Du bist morgens so schön. Du gibst meinem Leben einen Sinn, Karen. Ohne dich ..." „Bitte hör auf." „Womit?" „Dass wir miteinander geschlafen haben, war ein Fehler", erklärte sie kalt. Matt war sichtlich verblüfft. „Gestern abend hast du aber etwas ganz anderes gesagt, als ich ..." „Ich war betrunken", fiel sie ihm ins Wort. Er lachte schroff. „Das glaubst du doch selbst nicht. Du hast auch nicht mehr getrunken als ich." „Aber es war genug ..." „Genug, um dich locker zu machen. Und das war gut so, denn wir gehören zusammen, Karen. Ich habe nie verstanden, warum du mich verlassen hast." Seine Worte erinnerten sie daran, dass sie bereits beschlossen hatte, ihn wieder zu verlassen. „Das sagt wohl alles, oder nicht?" Matt ging nicht auf ihre Frage ein, wie er es früher so oft ge tan hatte. „Ich verstehe ja, dass du dich über meine Kündigung geärgert hast, aber ich habe meinen Job gehasst. Hättest du wirklich gewollt, dass ich in einer Firma arbeite, in der ich so unglücklich bin?" „Ja!" rief Karen aufgebracht. „Du hättest es zwar vorher mit mir besprechen können, aber wenn es das erste Mal gewesen wäre, hätte ich darüber hinweggesehen. Doch es war das vierte Mal innerhalb von vier Jahren, und jetzt leitest du ein Hotel. Du wirst noch zwanzig Jahre auf der Suche nach dem Job sein, der ideal für dich ist. Nichts wird sich ändern." „Nun hör schön auf, Karen. Ich bin erst einunddreißig." „Ich habe weder Zeit noch Lust, mich mit dir zu streiten." Da sie keine Wahl hatte, warf sie die Decke zurück, sprang aus dem Bett und eilte zur anderen Seite des Raumes, um ihr Kleid anzuziehen. Da der Reißverschluss auf dem Rücken war, hatte sie zwei Möglichkeiten: Entweder bat sie Matt, ihn heraufzuziehen, oder sie ging so aus dem Zimmer. Sie entschied sich für das letztere. „Also gut." Matt streckte sich aus und blickte zur Decke. „Ich möchte auch nicht mit dir streiten." So schnell sie konnte, sammelte sie ihre restlichen Sachen ein. „Willst du etwa gehen?" fragte er schockiert. „Ja." Je eher sie in ihr Zimmer kam, desto besser. Dort würde sie sich umziehen und so schnell wie möglich das Hotel verlassen. „Und was ist mit der letzten Nacht?" „Sagen wir, wir haben es um der alten Zeiten willen getan." Er verspannte sich unwillkürlich. „Tust du so etwas oft?" Es hätte sie weniger verletzt, wenn er ihr einen Schlag in den Magen verpasst hätte, „Das war billig, Matt. Du weißt genau, dass du der einzige Mann bist, mit dem ich geschlafen habe." So würdevoll sie es unter den gegebenen Umständen konnte, verließ sie barfuß den
Raum. Als sie die Treppe hochging, begegnete sie auf halber Höhe Matts Eltern, die sie entgeistert ansahen. „Guten Morgen", grüßte sie und tat so, als wäre es ganz selbstverständlich, dass sie ihre Unterwäsche in der Hand hatte. „Karen." Matts Vater nickte, während seine Mutter ihr ebenfalls einen guten Morgen wünschte. Als Karen weiterging, hörte sie seine Mutter rufen: „Matt, ist alles in Ordnung mit dir und Karen?" Es dauerte einige Sekunden, bis Matt antwortete. „Es hat sich nichts geändert." Sein Vater lachte leise. „Was du nicht sagst." Zwei Stunden später saß Karen in dem Wohnwagen, in dem sich das Büro von Midnight Sons befand, und wartete auf den Piloten, mit dem sie fliegen sollte. Sie wollte so schnell wie möglich aus Hard Luck weg und wusste auch, warum. Sie hatte geglaubt, sie wäre stark, aber Matt hatte sie schwach gemacht. Karen barg das Gesicht in den Händen und atmete ein paarmal tief durch. Zum Glück lebte sie jetzt in Kalifornien. Wäre sie in Alaska geblieben, wäre die Versuchung für sie beide zu gewesen. Sogar Anchorage war noch nicht weit genug ent fernt. Karen bemühte sich, die Nacht mit Matt zu vergessen. Bald würde sie wieder in Oakland sein, und dorthin gehörte sie. Mr. Sullivan, ihr Chef, hatte ihr großzügigerweise für Lannis Hochzeit freigegeben, doch nun musste sie ihm endlich beweisen, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er sie befördert hatte. Von nun an wollte sie sich ganz auf ihre Arbeit bei Paragon, Inc., einer Maschinenbaufirma, konzentrieren und Matt endlich vergessen. Beim Gedanken an ihn krampfte sich ihr Herz zusammen. Auch wenn er es ihr nicht glaubte, wünschte sie ihm, dass er mit dem Hotel Erfolg hatte. Allerdings bezweifelte sie, dass dies der Fall sein würde. Matt war ihrem Vater zu ähnlich. Allerdings würde sie nicht bei ihm bleiben und die Scherben aufsammeln, wie ihre Mutter es bei ihrem Vater getan hatte. Um Matt endgültig aus ihrem Leben zu verbannen, beschloss Karen, den Kontakt zu seiner Familie auf ein Minimum zu beschränken. Ihr war klar, dass es ihr schwerfallen würde, denn sie liebte seine Eltern wie ihre eigenen, und Lanni war wie eine Schwester für sie. Karen nahm sich vor, neue Leute kennenzulernen, sobald sie wieder in Kalifornien war. Es war höchste Zeit. Schließlich war Matt Caldwell nicht der einzige attraktive Mann auf der Welt. „Du siehst ziemlich deprimiert aus", erklärte Ben Hamilton, der Inhaber des Hard Luck Cafes, als er Matt Kaffee einschenkte. „Was hast du denn einen Tag nach der Hochzeit erwartet?" Matt, der sich mittlerweile mit den meisten Einwohnern von Hard Luck duzte, hatte sich nicht in das Cafe geflüchtet, um zu plaudern. Nachdem seine Eltern Karen in dem Kleid, das sie auch auf der Hochzeit getragen hatte, auf der Treppe begegnet waren, hatten sie ihm viele Fragen gestellt. Es war offensichtlich gewesen, wo sie die Nacht verbracht hatte. „Deine Schwester war wirklich eine hübsche Braut", meinte Ben. „Danke." Matt umfasste den Becher mit beiden Händen. „Das war jetzt schon die zweite Hochzeit in Hard Luck innerhalb kurzer Zeit. Wenn das nichts ist!" Matt gab einen unverständlichen Laut von sich. „Mitch und Bethany wollen im Sommer heiraten", fuhr Ben im Plauderton fort. Mitch Harris, der Sicherheitsbeamte des Ortes, und die Lehrerin Bethany Ross hatten ihre Verlobung kurz zuvor bekannt gegeben. Warum hatte er, Matt, sich ausgerechnet in einem Ort niederlassen müssen, wo Amor nur so mit Pfeilen um sich schoss? Während es ihm schlecht ging, verliebten sich alle Le ute in seiner Umgebung. Für ihn war einmal allerdings genug,
denn er liebte Karen. „Bethany und Mitch wollen in San Francisco heiraten", berichtete Ben, „aber wir wollen einen Empfang für sie geben, wenn sie aus den Flitterwochen zurückkommen." Auf der anderen Seite der San Francisco Bay lag Oakland. Karen lebte in Oakland. Karen ... Egal, was Matt sagte oder tat, Karen ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie sollte er sie so vergessen? Aber wollte er sie überhaupt vergessen? Ben wischte den ohnehin sauberen Tresen ab, während er darauf wartete, dass Matt sich ihm anvertraute. Matt wusste, dass viele Männer in Hard Luck mit ihren Problemen zu Ben gingen, doch er war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden. Er spielte gerade mit dem Gedanken, seinen Becher zu nehmen und sich an einen der Tische zu setzen, als Duke Porter das Cafe betrat und auf dem Barhocker neben ihm Platz nahm. Matt funkelte ihn wütend an. „Was ist los?" fragte Duke entnervt. Matt war klar, dass es unfair war, seinen Frust an Duke aus zulassen, nur weil dieser es gewagt hatte, mit Karen zu tanzen. „Ich habe Probleme mit einer Frau", erklärte Matt daher. Duke stieß einen verächtlichen Laut aus. „Ich auch." „Du?" Ben schenkte ihm ebenfalls Kaffee ein und stellte den Becher vor ihm auf den Tresen. „Na ja, es geht um diese Anwältin, Tracy Santiago." Duke kniff die Augen zusammen, als er den Namen der Rechtsanwältin erwähnte, die von Mariah Douglas' Vater engagiert worden war. Sie sollte in Hard Luck einige Nachforschungen wegen der von Sawyer und Christian O'Halloran gestarteten Anzeigenkampagne anstellen. Mariah arbeitete als Sekretärin für Midnight Sons. „Die Frau bedeutet Ärger. Am Freitag hat sie Mariah angerufen und gesagt, sie würde in einigen Monaten wie derkommen, um das Ganze zu überprüfen." „Das ist doch Christians und Sawyers Problem, oder nicht?" „Stimmt", bestätigte Duke, „aber die Frau bringt mich auf die Palme. Sie muss ihre Nase ständig in anderer Leute Angele genheiten stecken. Die O'Hallorans haben den Frauen Arbeit und eine Unterkunft gegeben, und was ist der Dank dafür? Sie wirft ihnen vor, die Frauen auszubeuten und ... und ..." „Es ist nicht dein Problem", erinnerte Ben ihn. Statt darauf einzugehen, wandte Duke sich an Matt. „Und was ist mit dir los?" Matt hatte keine Lust, über seine Exfrau zu sprechen - schon gar nicht mit Duke. „Bestimmt hat es etwas mit Karen zu tun", meinte Duke. „Was ist eigentlich mit euch beiden los? Als sie mit mir getanzt hat, hat sie mir pausenlos Fragen über dich gestellt." „Über mich?" wiederholte Matt verblüfft. „Na ja, nicht so direkt, aber ich habe sie durchschaut. Sie hat vom Hotel geredet und wollte wissen, was ich von deinem Vorhaben halte. Ich habe ihr gesagt, dass ich es verdammt gut finde." „Danke." „Also, was läuft zwischen dir und deiner Exfrau?" Matt runzelte die Stirn. Da er normalerweise nicht einmal mit seiner Familie über seine persönlichen Angelegenheiten sprach, würde er sich Duke bestimmt nicht anvertrauen. „Wir sind geschieden. Was willst du sonst noch wissen?" „Es ist offensichtlich, dass ihr euch noch liebt. Ich weiß auch nicht, was heutzutage mit den Leuten los ist", fügte Duke an Ben gewandt hinzu. Matt wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Ihn beschäftigte allein der Gedanke, dass er Karen noch liebte. Was letzte Nacht passiert war, hatte das eindeutig bewiesen. Unvermittelt stand Matt auf, denn er hatte einen Entschluss gefasst. Statt dazusitzen und
sein Schicksal zu beklagen, wollte er Karen zur Rede stellen. Sie liebte ihn auch, sonst hätte sie nicht mit ihm geschlafen. Gut, er hatte damals einige Fehler gemacht, doch das gehörte der Vergangenheit an. Das Hotel war ihre Zukunft, und wenn Karen ihm noch eine Chance gab, würde er ihr beweisen, dass er damit Erfolg hatte. Und er würde ihr die Stabilität geben, die sie brauchte. „Ist sie schon weg?" fragte er Duke. „Karen?" „Wer sonst?" Duke warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich schätze, dass John gleich startet. Wenn du sie noch erwischen willst, solltest du dich beeilen." Matt legte schnell ein paar Münzen auf den Tresen, schnappte sich seinen Mantel und eilte aus dem Cafe. Da das Büro von Midnight Sons auf der anderen Seite der Straße lag, war er innerhalb weniger Minuten dort. Die Baron stand schon auf der Start- und Landebahn, und vor dem Wohnwagen traf er John Henderson. „Ich muss kurz mit Karen unter vier Augen sprechen", sagte Matt. Als der Pilot protestierte, dass er seinen Terminplan durcheinanderbrachte, zog Matt einen Fünfdollarschein aus der Tasche. „Gib mir zehn Minuten, und trink solange einen Kaffee bei Ben." „Na gut, aber beeil dich", erwiderte John, nachdem er das Geld entgegengenommen hatte. Dann wandte er sich ab. „Zehn Minuten", rief er ihm noch einmal über die Schulter zu. Matt wartete noch einen Moment, bevor er das Büro betrat. Karen saß auf einer abgenutzten Vinylcouch und blickte auf den Boden. Als sie aufsah und ihn bemerkte, zuckte sie zusammen. „Was machst du denn hier?" „Wir müssen miteinander reden", erwiderte er sanft. „Es gibt nichts mehr zu sagen. Es ist aus zwischen uns." „Und was war letzte Nacht?" Sie schüttelte den Kopf. „Was wir letzte Nacht getan haben, war ein großer Fehler. Bitte lass mich gehen, Matt. Ich möchte licht darüber reden. Es hat sich nichts geändert." „O doch, das hat es." Er nahm einen Stuhl und setzte sich rittlings darauf. „Ich hatte schon länger mit dem Gedanken ge sielt, das Hotel zu kaufen. Nach dem Brand hatte ich es zum erstenmal gesehen und dann vergessen, bis Lanni hierherkam. Nachdem ich mit den O'Hallorans ins Geschäft gekommen war, habe ich neun Monate lang fünfzehn Stunden am Tag daran gearbeitet und mein Bestes getan, um es zum Sommer fertig zu laben." „Matt..." „Lass mich bitte aussprechen. Ich habe dir von dem Hotel erzählt, weil es meiner Meinung nach unsere Zukunft ist." Karen schloss gequält die Augen. „Diesmal ist es keine von meinen Schnapsideen, das musst du mir glauben", fuhr er fort. „Ich habe mein ganzes Erbe in dieses Vorhaben investiert, und jetzt bin ich kurz vor dem Ziel. Ich labe alles für uns riskiert, Karen." „Es gibt keine gemeinsame Zukunft für uns", flüsterte sie. „Allerdings. Letzte Nacht ist mir klargeworden, dass wir zusammengehören. Komm zu mir zurück. Alles wird anders. Wir langen noch einmal von vorn an ..." Mit Tränen in den Augen beugte sie sich vor und legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Bitte hör auf damit. Du möchtest, dass ich meine Arbeit aufgebe und nach Alaska zurückkehre, stimmt's?" Matt nickte. Natürlich wollte er, dass sie zu ihm zurückkam - als seine Frau. Er wollte mit ihr zusammen das Hotel leiten und versuchen, eine glückliche Ehe zu führen. Er brauchte sie. „Das habe ich alles schon einmal gehört - genau wie meine Mutter es damals von meinem
Vater gehört hat. Sie hat ihn ge liebt und ihm vertraut, und er hat sie immer wieder enttäuscht." „Ich bin aber nicht dein Vater." Karen wandte den Blick ab. „Und ich bin nicht meine Mutter. Meine Arbeit ist meine Zukunft, und Oakland ist jetzt meine Heimat. Ist dir überhaupt klar, wie oft du genau das zu mir gesagt hast? In spätestens einem halben Jahr wirst du dich wieder langweilen und nach etwas Neuem Ausschau halten. So kann ich nicht leben. Ich habe es wirklich versucht." „Aber..." „Bitte hör auf, Matt. Ich möchte meine Karriere nicht für eine weitere deiner Schnapsideen aufs Spiel setzen, so verlockend dein Angebot auch erscheinen mag." Matt überlegte angestrengt, wie er sie umstimmen konnte. „Ich lebe mein eigenes Leben", fuhr sie fort, „und das möchte ich nicht einfach für einen deiner Träume aufgeben. Mittlerweile habe ich nämlich auch Träume. Ich werde eine n Mann mit einem geregelten Job finden und mit ihm eine Familie gründen." Sie unterdrückte einen Schluchzer. „Und ich werde alles tun, um unsere Ehe zu vergessen." Dann stand sie auf, nahm ihren Koffer und verließ das Büro. „Mom!" Der zehnjähriger Scott O'Halloran stürmte zur Tür hinein, gefolgt von seinem Husky Eagle Catcher. Abbey blickte von der Zeitschrift auf, in der sie gerade las. „Sawyer ... ich meine, Dad, lässt mich heute nachmittag fliegen", verkündete ihr Sohn stolz. Nun wandte sie sich an ihren Mann, der das Haus nach ihm betreten hatte. „Ich fliege natürlich nicht selbst", ergänzte Scott, „aber ich darf den Steuerknüppel halten, und Dad erklärt mir die Instrumente." „Es ist Zeit, dass ich mein Versprechen einlöse." Sawyer küsste sie auf die Wange. „Sawyer, er ist doch erst zehn!" protestierte sie. „Mom, behandle mich nicht immer wie ein kleines Kind!" Abbey musste ein Lachen unterdrücken. Sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem sie mit ihren beiden Kindern in Hard Luck eingetroffen war. In der Hoffnung, ein neues Leben zu beginnen, hatte sie als erste das Angebot angenommen, ein Blockhaus und ein Grundstück zu bekommen und dafür ein Jahr in dem Ort zu arbeiten. Dann hatten Sawyer und sie sich Hals über Kopf ineinander verliebt und hatten nach kurzer Zeit geheiratet. Abbey war rundum glücklich, denn sie liebte ihren Mann, und Sawyer, der Scott und Susan adoptiert hatte, tat alles, um den beiden ein guter Vater zu sein. „Mein Dad hat mir auch die Grundkenntnisse des Fliegens vermittelt, als ich zehn war", versicherte Sawyer. „Keine Angst, ich werde kein Risiko eingehen." Obwohl ihr das klar war, machte sie sich trotzdem Sorgen. „Ich geh' jetzt zu Ronny", erklärte Scott. „Zum Abendessen bin ich wieder zurück." Genauso schnell, wie er hereingekommen war, stürmte er wieder hinaus, gefolgt von Eagle Catcher. „Ich frage mich, was Charles und Lanni wohl gerade machen", meinte Sawyer mit einem wissenden Lächeln. „Wahrscheinlich liegen sie am Strand." Er setzte sich zu Abbey aufs Sofa. „Erinnerst du dich noch an unsere Flitterwochen?" Sie lächelte unwillkürlich. Von Hawaii hatten sie damals nicht viel gesehen. „Wir sind kaum am Strand gewesen. Alles, was wir brauchten, war ein Bett." „Sawyer!" „Ich bin verrückt nach dir." „Gut. Ich bin nämlich auch verrückt nach dir." Abbey schmiegte sich glücklich an ihn. Als sie es am wenigsten erwartet hatte, hatte sie wieder zu lieben gelernt - dank Sawyer. „Heute abend brauchst du nicht zu kochen", sagte er. „Ich gehe mit euch essen."
„Heute, am Montag?" „K lar." Er lächelte jungenhaft. „Ben hat neuerdings eine wechselnde Tageskarte für Stammgäste. Anscheinend will er das Geschäft ein bisschen beleben, und ich dachte, wir könnten ihm dabei helfen." Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hätte zum Beispiel Lust auf seinen Apfelkuchen." „Später", vertröstete Sawyer sie, während er sie an sich zog. „Ich dachte, wir könnten noch einmal einen dieser wunderbaren Momente in unseren Flitterwochen durchleben." Abbey war klar, dass er damit etwas ganz anderes meinte, als am Strand zu liegen. Sowohl seelisch als auch körperlich hatte Karen sich noch nie so schlecht gefühlt. Daher hatte sie sich einen Termin beim Arzt geben lassen. Normalerweise war der Frühling ihre liebste Jahreszeit. In Kalifornien änderte sich das Wetter zwar nicht so stark, aber der Smog in Oakland schien weniger schlimm zu sein. Obwohl sie nun schon seit einigen Monaten in Kalifornien lebte, fragte sie sich oft, ob sie sich je daran gewöhnen würde, zum Horizont zu schauen und nur Dunst zu sehen. Auf das neue Leben hatte sie sich jedenfalls wider Erwarten nicht so schnell einstellen können. Es gab zwar einige Annehmlichkeiten wie zum Beispiel eine große Auswahl an Geschäften und Restaurants, zahlreiche Fernsehprogramme und ein gemä ßigtes Klima, doch die hellen Wintertage waren genauso gewöhnungsbedürftig wie das ständige Verkehrschaos und die vielen Menschen. Neue Freundinnen hatte Karen auch schon gefunden. Vielleicht hätte es ihr geholfen, wenn sie einen Mann kennengelernt hätte, aber sie war noch nicht bereit, wieder eine Beziehung einzugehen. Und noch immer war sie fest entschlossen, Matt zu vergessen. Erst einmal musste sie allerdings ihr seltsames Unwohlsein kurieren. Eine ihrer Kolleginnen hatte ihr Dr. Perry empfohlen, und dem vollen Wartezimmer nach zu urteilen, musste er ziemlich gut sein. Karen blätterte in einem Hochglanzmagazin, während sie darauf wartete, dass sie aufgerufen wurde. Das Warten machte ihr nichts aus, weil sie im Grunde nicht wusste, wie sie ihre Beschwerden beschreiben sollte. Sie fühlte sich einfach schlecht. Sie war ständig müde, hatte keinen Appetit und fing bei den lächerlichsten Anlässen an zu weinen. Gerade am letzten Abend hatte sie sich dabei ertappt, wie ihr bei einem Fernsehspot für eine Kamera die Tränen kamen. Ausgerechnet! Karen fürchtete, dass Dr. Perry bei ihr genau die Symptome einer Depression feststellen und sie an einen Psychiater überweisen würde. Als sie schließlich aufgerufen wurde, folgte sie der Arzthelferin zu einer Kabine und nahm auf einem Kunststoffstuhl Platz. In Anbetracht des Honorars, das sie Dr. Perry vermutlich zahlen musste, fand sie, dass er sich wenigstens vernünftige Stühle zulegen könnte. Die Arzthelferin, eine gewisse Mrs. Webster, wie das Schild auf ihrem Kittel besagte, las den Fragebogen durch, den Karen vorher ausgefüllt hatte. „Hier steht, dass sie unter allgemeinem Unwohlsein leiden." „Stimmt", erwiderte Karen. „Vielleicht liegt es am Smog." „Aha." Mrs. Webster machte sich eine Notiz. „Wissen Sie, ich komme aus Alaska und bin Smog nicht ge wohnt." „Das kann ich mir vorstellen." „Ich fühle mich allgemein schlecht." Obwohl es ihr im Moment körperlich gutging, war Karen schon wieder den Tränen nahe. „Und in letzter Zeit breche ich bei der lächerlichsten Kleinigkeit sofort in Tränen aus." „Oh", meinte die Arzthelferin. Karen nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und putzte sich die Nase. „Es ist mir richtig peinlich."
„Haben Sie Heimweh nach Alaska?" „Ja ... nein. Ich möchte nicht zurück, das heißt, doch ... aber ich kann nicht. Ich wurde nämlich befördert, und die Firma, für die ich arbeite, hat ihren Sitz hierher verlegt." Karen vermummte, um sich wieder die Nase zu putzen. „Entschuldigung." „Haben Sie noch andere Symptome, von denen Dr. Perry wissen sollte?" erkundigte sich Mrs. Webster freundlich. Karen zuckte die Schultern. „Eigentlich nicht." Mrs. Webster ging zum Schrank und nahm einige Instrumente heraus. „Ich nehme Ihnen erst einmal Blut ab." „Gut." Karen streckte einen Arm aus. „Ich bin so lustlos, dass Ich morgens kaum aus dem Bett komme. Meinen Sie, es könnte km Smog liegen?" „ Keine Ahnung. Darüber muss der Doktor entscheiden. Allerdings hatten wir in letzter Zeit einige Patienten mit einer leichten Grippe." Die Auskunft beruhigte Karen ein wenig. Vielleicht war es doch nur eine leichte Grippe. Nachdem die Arzthelferin ihr Blut abgenommen hatte, kam Dr. Perry zu Karen. Er war viel jünger, als sie erwartet hatte - um die Dreißig. „Sie fühlen sich in letzter Zeit also nicht wohl", meinte er, nachdem er sie begrüßt und einen Blick in ihre Akte geworfen hatte. „Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, es liegt am Smog." „Sie klagen über Müdigkeit und Lustlosigkeit und brechen beim geringsten Anlass in Tränen aus." „So könnte man es sagen." Nun betrachtete er sie nachdenklich. „Mrs. Webster hat angedeutet, dass es eine leichte Grippe sein könnte", fügte Karen hinzu. „Wir hatten einige Patienten mit Grippe", bestätigte der Arzt, „aber ich habe eine ganz andere Vermutung. Könnte es sein, dass Sie schwanger sind, Mrs. Caldwell?"
3. KAPITEL
Matt stand in der Empfangshalle seines Hotels und gab Lanni einen der Hochglanzprospekte, die er hatte drucken lassen. Gespannt wartete er auf ihre Reaktion. Da Lanni Journalistin war, hatte er sie beim Verfassen des Textes und sogar bei der Gestaltung um Rat gefragt. Jetzt waren die Prospekte versandfertig. „Das ist ja toll, Matt!" sagte sie. „Ja, die Dinger sehen gut aus, aber wecken sie bei dir das Bedürfnis, ein paar tausend Dollar auszugeben, um in den Norden Alaskas zu fliegen?" „Klar." Matt schien nicht ganz überzeugt. „Und was ist mit den Hundeschlittenfahrten?" „Ich finde, es ist eine gute Idee." Ihre Begeisterung klang allerdings ein wenig aufgesetzt, so dass er sich fragte, ob Lanni nur das sagte, was er hören wollte. „Glaubst du wirklich, die Leute wollen lernen, wie man ein Hundegespann führt?" erkundigte sie sich schließlich. „Auf jeden Fall. Viele Menschen wollen sich im Urlaub nicht nur erholen", erwiderte er betont sachlich. „Sie wollen Abenteuer erleben und langweilen sich zu Tode, wenn sie die ganze Zeit nur am Strand liegen. Bei meinen potentiellen Kunden handelt es sich um Berufstätige, die geradezu erfolgsbesessen und immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung sind. Ich biete Ihnen etwas Einzigartiges." Nun musste sie lachen. „Darauf wette ich. Aber ein Stadtmensch weiß nicht, wie man Hunden ein Geschirr anlegt oder sie vor einen Schlitten spannt." „Dafür habe ich schließlich die Profis", erklärte Matt, der ganz begeistert war über die positive Reaktion auf seine Anfrage. „Jeder, der eine Reise bucht, wird alles lernen." „Ich hoffe, dass es funktioniert." Lanni schien noch immer sehr skeptisch zu sein. „Mein Instinkt sagt mir, dass ich damit groß rauskomme." Matt hoffte, dass er recht hatte. Der Erfolg seine s Unterfangens hing davon ab, ob er es schaffte, seine Pauschalreisen den Reiseveranstaltern in den USA schmackhaft zu machen. Das Angebot umfasste Angeln während der Sommermonate und Hundeschlit tenfahrten im Winter. „Stell dir vor, wie es wäre, mit deinem eigenen Hundegespann hundert Meilen oberhalb des Polarkreises zu fahren", fuhr Matt fort. Er war sicher, dass er seine Reisen jedem verkaufen konnte, wenn er es nur schaffte, seine Schwester zu überzeugen. „Hier ist alles erklärt." Er zeigte auf die Aufstellung der Reisen, die sechs oder acht Tage dauerten und zwischen Februar und April ange boten wurden. „Einige meiner Reiseleiter sind das Iditarod schon selbst ge fahren. Sie wissen alles, was man über Schlittenhundrennen wis sen muss. Außerdem können sie das Geld gut gebrauchen. Ich finde mein Angebot sehr fair, sie am Umsatz zu beteiligen." Lanni warf wieder einen Blick in den Prospekt. „Ich finde es gut, dass du die Geschichte des Iditarod beschreibst. ,Im Januar 1925 legte Leonhard Seppala, ein norwegischer Hundeschlittenfahrer, sechshundertfünfundsiebzig Meilen zurück, um ein Serum gegen Diphtherie vom Ende der Alaska Railroad nach Nome zu bringen. Die Fahrt dauerte etwas mehr als fünf Tage.'" „Sogar heute noch ist das Iditarod das schwierigste Rennen der Welt", ergänzte Matt, obwohl sie das längst wusste. „Die Leute träumen von solchen Abenteuern." „Du willst also die Kunden ansprechen, die immer auf der Suche nach einem neuen Kick sind." „Stimmt." Matt mochte gar nicht genauer darüber nachdenken, warum er unbedingt erfolgreich sein wollte. Er musste sich selbst etwas beweisen - und Karen. „Aber es werden sich auch andere Leute angesprochen fühlen. Ich habe mich jetzt in die Airline Report Corporation aufnehmen lassen", fügte er hinzu. Allerdings bezweifelte er, dass sie wusste, was es bedeutete. Hard Luck Lodge, sein Hotel,
war nun bei allen Reiseveranstaltern des Landes registriert und unter der Kategorie „Angelurlaub" aufgelistet. „Gut." „Ich werde einige tausend Prospekte verschicken und den Reiseveranstaltern Anreize bieten, damit sie Buchungen vornehmen." „Was für Anreize?" „Die ersten zehn Veranstalter, die bei mir Reservierungen ma chen, erhalten ein Angelwochenende gratis." „Das ist eine tolle Idee." „Finde ich auch." Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte Matt sich an den Empfangstresen und ließ den Blick durch den Raum schweifen. In dem gemauerten Kamin brannte ein Feuer, las eine gemütliche Atmosphäre verbreitete. Allerdings fehlte der Empfangshalle eine weibliche Note. Lanni konnte er nicht schon wieder um Hilfe bitten, weil sie bereits beim Entwurf des Prospekts mitgearbeitet hatte und zudem frisch verheiratet war. Karen hatte immer ein Händchen für solche Dinge gehabt und es geschafft, eine Wohnung mit wenigen Mitteln in ein gemütliches Zuhause zu verwandeln. „Erzähl mir von deiner geplanten Reise", bat Lanni ihn unvermittelt. Matt war ihr dafür dankbar, denn er wollte nicht ständig an Karen denken. Schließlich hatte sie unmissverständlich klarge macht, dass er nicht mehr Teil ihres Lebens war. Das musste er akzeptieren. „Ich werde zehn Städte an der Westküste besuchen, um mich mit einigen Reiseveranstaltern zu treffen", berichtete er. „Zusammen mit anderen Hotelbesitzern will ich in jeder Stadt eine Präsentation machen. So haben die Veranstalter Gelegenheit, alles zu erfahren, was sie wissen wollen." Lanni stupste ihn spielerisch. „Eins ist jedenfalls sicher: Du wirst der einzige sein, der Hundeschlittenfahrten anbietet." „Vermutlich." Nachdem sie einen Blick auf seine Reiseroute geworfen hatte, schaute sie ihm in die Augen. „Du willst also auch nach Oakland fahren." „Ja." Allerdings hatte er sich vorgenommen, sich nicht mit Karen in Verbindung zu setzen. Er hatte auch seinen Stolz, und da sie nicht an einer Versöhnung interessiert war, würde er es so hinnehmen. „Ich habe Karen einen Prospekt geschickt." Matt musste ein Stöhnen unterdrücken. Einerseits wünschte er ich natürlich, dass Karen den Prospekt bekam, weil er stolz darauf war, in weniger als einem Jahr so viel geschafft zu haben. Andererseits hatte er keine Lust, sich wieder von ihr anzuhören, dass dies nur eine seiner zahlreichen Schnapsideen war. Er hatte das Hotel nämlich nicht bloß aus einer Laune heraus gekauft. „Willst du nicht wissen, was sie dazu gesagt hat?" fragte La nni „Nein", schwindelte er. „Ich habe nichts mehr mit ihr zu tun." „Aber sie ist dir immer noch wichtig." „Halt du dich da raus, Lanni. Was zwischen Karen und mir passiert ist, geht dich nichts an." „Nicht so voreilig, Bruderherz." Sie sah ihn mit Unschuldsmiene an. „Wenn ich mich recht erinnere, hast du dich auch in meine Angelegenheiten eingemischt. Du hast ein Treffen zwischen Charles und mir arrangiert, damit wir uns versöhnen." „Und wenn ich mich recht erinnere", konterte er, „warst du darüber alles andere als begeistert. Also halt dich da raus." Plötzlich schien ihr ziemlich unbehaglich zumute zu seih. „Was hast du getan?" hakte Matt nach. „Ich... ich habe ihr geschrieben, dass du nach Oakland kommst." „Sie wird mich bestimmt nicht besuchen, und ich werde mich auch nicht mit ihr in
Verbindung setzen, falls du das im Sinn hattest." Er hatte einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass Karen nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Eigentlich hätte es ihm klar sein müssen, als sie die Scheidung eingereicht hatte. „Ob du sie besuchst oder nicht, hängt ganz von dir ab", erwiderte Lanni leise, „aber ich habe Karen die Adresse deines Hotels mitgeteilt." Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. Niemand sollte sich in sein Leben einmischen, schon gar nicht seine kleine Schwester. Natürlich war ihm klar, dass sie es nur gut gemeint hatte. „Bitte sei nicht böse auf mich", bat sie. Matt schwieg beharrlich. „Denk daran, dass ich dich hier vertrete, während du unterwegs bist." Vielleicht war es Wunschdenken, aber er hoffte, dass nach seiner PR-Tour zahlreiche Buchungen eingehen würden. Lanni hatte ihm angeboten, während seiner Abwesenheit die Büroarbeit zu erledigen. Da sie einen Platz brauchte, wo sie ungestört schreiben konnte, profitierte sie auch davon. Nachdem Lanni sich von ihm verabschiedet hatte, ging Matt in die Küche, die mittlerweile fertiggestellt war. Er konnte es kaum erwarten, bis die ersten Gäste in Hard Luck Lodge eintrafen. Bisher waren erst ein paar Reservierungen eingegangen, weil er sich relativ spät in den ARC hatte aufnehmen lassen. Er musste noch viel lernen, was die Touristikbranche betraf, aber er würde alles daransetzen, dass er mit dem Hotel Erfolg hatte. „Matt hat ein Recht darauf, von dem Baby zu erfahren", sagte Lanni am Telefon zu Karen. „Heute nachmittag hätte ich es ihm beinahe erzählt." „Aber du hast es nicht getan, oder?" rief Karen entsetzt. Wenn jemand ihrem Exmann erzählte, dass sie im zweiten Monat schwanger war, musste sie es schon selbst tun. Das war allerdings viel schwerer, als sie gedacht hatte. „Nein, keine Angst", versicherte Lanni. „Wenn du es ihm nicht von Angesicht zu Angesicht sagen kannst, schreib ihm doch einen Brief." „Das kann ich nicht." Nach all dem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte, hätte Karen es Matt nicht verdenken können, wenn er den Brief ungeöffnet zurückgeschickt hätte. Außerdem fand sie es besser, es ihm zu sagen. „Du hättest ihn gleich anrufen sollen", meinte Lanni mit einem vorwurfsvollen Unterton. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, es ihr zu erzählen, aber irgend jemandem hatte Karen sich anvertrauen müssen. „Du hast es schon einen Monat hinausgezögert", fügte Lanni hinzu. „Ich weiß." „Allerdings hast du jetzt die Gelegenheit, es wiedergutzumachen. Am Freitag ist Matt in Oakland." Karen biss sich auf die Lippe. „Ja, ich weiß." Lanni schwieg eine Weile. „Wie geht es dir?" fragte sie dann. Karen legte sich die Hand auf den Bauch. „Besser." Als sie bei Dr. Perry gewesen war, war sie müde und deprimiert gewesen. Im zweiten Schwangerschaftsmonat waren diese Symptome jedoch verschwunden. Statt dessen hatte sie mit morgendlicher Übelkeit zu kämpfen. Trotz allem war sie glücklich über ihre Schwangerschaft. Obwohl sie sich immer Kinder gewünscht hatte, hatte sie mit Matt keine bekommen, weil sie darauf gewartet hatte, dass er endlich irgendwo sesshaft wurde. Außerdem hatte sie den Eindruck ge habt, dass er keine Familie gründen wollte, und ihm auch aus dem Grund bisher verschwiegen, dass er bald Vater wurde. Karen wollte das Baby unbedingt bekommen, denn sie liebte Matt immer noch. Doch was
ihre Beziehung betraf, so würde ein Kind die Dinge nur noch komplizierter machen. „Ich hoffe, du überlegst es dir noch einmal", meinte Lanni jetzt und schreckte Karen damit aus ihren Gedanken. „Überlegen? Was?" „Ob du Matt besuchst. Du solltest wenigstens an seiner Präsentation teilnehmen. Er hat sozusagen eine kleine Generalprobe mit Charles und mir gemacht, und ich war wirklich schwer beeindruckt." „Will er vor Reiseveranstaltern sprechen?" „Ja", bestätigte Lanni. „Er hat sogar einen Diavortrag vorbereitet. Ich war in den letzten Monaten so mit meiner Arbeit bei der Zeitung beschäftigt, dass ich kaum mitbekommen habe, was Matt gemacht hat. Wusstest du, dass er zehn Tage in der Tundra gezeltet hat - ganz allein mit einem Gespann Schlittenhunde?" „Matt?" „Er hat es mir so erklärt, dass er die Abenteuerreisen nicht verkaufen kann, solange er sie nicht selbst gemacht hat. Seine Fotos sind einfach phantastisch!" Karen konnte sich Matt gut vor einem größeren Publikum vorstellen, denn er war kontaktfreudig und konnte ausgezeichnet mit Menschen umgehen. Außerdem wirkte er sehr überzeugend. „Als er von den Hunden gesprochen hat", fuhr Lanni fort, „ha ben seine Augen vor Aufregung gefunkelt. Den vielen Anrufen nach zu urteilen, die hier eingehen, hat er schon viele Reisen für den kommenden Winter verkauft." „Heißt das, er hat die Leute tatsächlich dafür gewonnen, im Winter in Alaska Urlaub zu machen?" erkundigte Karen sich verblüfft. In den vier Jahren ihrer Ehe hatten Matt und sie es sich nicht einmal leisten können zu verreisen. „Ich habe schon mindestens zehn Reservierungen entgegengenommen, und Matt ist erst seit einer Woche unterwegs", verkündete Lanni stolz. „Und es wird von Tag zu Tag mehr." „Bitte erzähl mir nicht, dass er vorhat, auf eigene Faust eine Gruppe unbedarfter Touristen durch die Wildnis zu führen - noch dazu mit einem Rudel leicht reizbarer Hunde." Lanni lachte. „Natürlich nicht. Dafür hat er Profis engagiert." „Oh", meinte Karen verlegen. „Willst du ihn nun besuchen oder nicht?" „Ich weiß es noch nicht." „Du solltest dich jedenfalls schnell entscheiden, weil er nur eine Nacht in Oakland bleibt. Danach fährt er weiter nach ..." Karen hörte, wie Lanni in irgendwelchen Unterlagen blätterte. „... Portland, anschließend nach Seattle und danach nach Hause." „Ich verspreche dir gar nichts." Karen gestand sich ein, dass Lanni recht hatte. Matt musste erfahren, dass er in sieben Monaten Vater wurde. Wie er wohl auf die Neuigkeit reagieren mochte? Matt sah Karen in dem Moment, als sie in die letzte Stuhlreihe in dem Konferenzraum schlüpfte. Selbst aus der Entfernung bemerkte er, wie blass sie war. Zusammen mit anderen Hotelleitern saß er auf dem Podest, und alle taten ihr Bestes, um ihre Pauschalreisen zu verkaufen. Da er seine Präsentation bereits hinter sich hatte, stand er nicht mehr so unter Druck und konnte seine Exfrau in aller Seelenruhe betrachten. Sie hatte abgenommen, und er fragte sich, ob sie eine Diät gemacht hatte. Allerdings würde sie sicher nicht gern von ihm hören, dass sie zu dünn war. Er konnte kaum der Versuchung widerstehen, zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden. Allein der Gedanke an ihre letzte Auseinandersetzung hielt ihn davon ab. Diesmal sollte Karen ruhig zu ihm kommen. Er war es nämlich leid, sich jedesmal so von ihr zurechtstutzen zu lassen, wenn er versuchte, vernünftig mit ihr zu reden. Vielleicht war sie auch bloß aus Neugier gekommen oder weil sie es Lanni versprochen
hatte. Obwohl Matt sich zwang, seine Aufmerksamkeit auf den Re ferenten zu lenken, schweifte sein Blick doch immer wieder zu Karen, und dabei verspürte er Be dauern. Nun ging der Moderator zum Mikrofon. „Haben Sie noch Fragen?" Irgendwo in der Mitte des Raumes meldete sich jemand. „Ich habe eine Frage an Mr. Caldwell." Daraufhin erhob sich Matt. „Was sagen Sie zu den Tierschützern, die dagegen sind, dass Hunde vor Schlitten gespannt werden?" Dieselbe Frage hatte man ihm auch in fast allen anderen Städten gestellt. „Zuerst einmal möchte ich Ihnen versichern, dass die Huskies artgerecht gehalten und bestens versorgt werden. Und es macht ihnen nichts aus, vor Schlitten gespannt zu werden - im Gegenteil. Sie sind die geborenen Läufer und außerdem sehr widerstandsfähig. Sie können noch bei Temperaturen bis zu minus fünfunddreißig Grad draußen schlafen." „Sind die Hunde gefährlich?" fragte ein anderer Zuhörer. „Überhaupt nicht", erwiderte Matt lächelnd. „Meistens sind sie sehr verspielt, zum Beispiel wälzen sie sich im Winter im Schnee, um sich abzukühlen, wenn eine Pause eingelegt wird. Am Anfang eines jeden Rennens sind sie aufgeregt und leicht reizbar, aber sogar dann hat jemand, der unerfahren ist, keine Probleme mit ihnen. Schon nach einem Tag wird jeder der Teilnehmer die Hunde beim Namen kennen." Die meisten Fragen gingen an Matt, weil er etwas ganz Neues anbot. Wie zuvor in den anderen Städten war er mit dem Ergebnis seiner Präsentation sehr zufrieden. Die Reiseveranstalter schienen jedenfalls begeistert von seinem Angebot zu sein. Doch auch während er sprach, ließ er den Blick immer wieder zu Karen schweifen. So leicht würde er sie nicht davonkommen lassen. Wenn sie wieder ging, sollte sie wenigstens wissen, dass er sie gesehen hatte. Nachdem das Publikum zum Schluss begeistert applaudiert hatte, sammelte Matt seine Unterlagen zusammen. Er schaute auf und stellte enttäuscht fest, dass er Karen nirgendwo entdecken konnte. Als "er sich dann jedoch umdrehte, wäre er beinahe mit ihr zusammengestoßen. Aus der Nähe sah sie noch viel blasser aus. „Karen, warst du krank?" erkundigte er sich besorgt. „Nein. So kann man es nicht nennen." Wovon redete sie überhaupt? „Matt, hast du Zeit für einen Drink?" Sie hatte ihn tatsächlich eingeladen! Das war ein gutes Zeichen. Matt warf einen Blick auf seine Armbanduhr, um Karen ein wenig auf die Folter zu spannen. „Ich glaube schon." Er vermit telte ihr bewusst den Eindruck, dass er noch einen Termin hatte. Seine Aktentasche unter dem Arm, führte er Karen in die Ho telbar. Nachdem sie sich an einen Tisch gesetzt hatten, bestellte er zwei Gläser Weißwein. „Für mich bitte keinen Wein", sagte Karen zu der Kellnerin. „Ich nehme einen Kräutertee." Matt schaute sie verblüfft an. „Ich dachte, du magst Wein." „Zur Zeit trinke ich keinen Alkohol", erwiderte sie mit ge senktem Blick. Obwohl er sich das nicht erklären konnte, wollte er sie nicht nach dem Grund fragen. Er war viel zu gespannt auf das, was sie ihm mitzuteilen hatte. „Ich war ziemlich beeindruckt von deinen Antworten auf die Fragen aus dem Publikum", begann sie. „Ich wollte mir eigentlich auch deine Präsentation anhören, aber ... ich habe mich vorhin nicht so gut gefühlt." Ihre Stimme bebte, doch dann riss Karen sich zusammen und fuhr fort: „Lanni hat mir einen deiner Prospekte geschickt. Sie sind wirklich gut geworden." „Danke." Matt war fest entschlossen, es Karen nicht leicht zu machen. Dafür hatte sie ihn zu sehr verletzt. „Sie hat mir auch erzählt, dass schon viele Reservierungen eingegangen sind", fügte Karen
hinzu. „Soweit ich weiß, ja." Im nächsten Moment brachte die Kellnerin ihre Getränke, und er ließ sie auf seine Rechnung setzen. Als Karen einen Schluck Tee trank, bemerkte er, dass ihre Hand zitterte. Nun war er ernstlich beunruhigt. „Was meintest du eben damit, dass du dich nicht gut gefühlt hast?" „Mir geht es gut." „Ach ja? Wieviel hast du abgenommen?" Er hatte eigentlich nicht sarkastisch sein wollen, aber er hasste diese Katz- und-Maus-Spielchen. Wenn Karen ihm etwas zu sagen hatte, sollte sie endlich mit der Sprache herausrücken. Jetzt wollte er sie schmoren lassen. Doch als sie beharrlich schwieg, ergriff er wieder die Initiative. „Was macht deine Karriere?" erkundigte er sich. Karen arbeitete seit drei Jahren für Paragon, Inc., und war eine Topkraft. Daher hatte es ihn nicht überrascht, dass ihr Chef sie zu seiner Assistentin ernannt und ihr das Angebot gemacht hatte, mit ihm nach Kalifornien zu gehen. „Alles bestens." Das nahm Matt ihr nicht so ohne weiteres ab. „Hast du Probleme mit Mr. Sullivan?" fragte er, obwohl er es sich nicht vorstellen konnte. Mr. Sullivan, ein Mann mittleren Alters, war für Karen immer wie ein Vater gewesen. „Nein, im Gegenteil. Er hat viel Verständnis dafür, dass ich in letzter Zeit so oft krank geschrieben war." „Du warst krank geschrieben?" wiederholte Matt verblüfft. In den vier Jahren ihrer Ehe hatte Karen nicht einmal gefehlt. „Es ging mir nicht so gut - vor allem morgens." Nun schaute sie ihm in die Augen, als würde sie erwarten, dass er daraus seine Schlüsse zog. „Aha, das prämenstruelle Syndrom", versuchte er zu scherzen. Anscheinend fa nd sie das überhaupt nicht witzig, denn sie bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du bist manchmal ganz schön begriffsstutzig, Matt." „Ich? Du warst doch diejenige, die mich bei unserer letzten Unterhaltung gar nicht hat ausreden lassen. Wenn du mir etwas sagen willst, dann heraus mit der Sprache. Ich darf morgen nicht meinen Flug verpassen." Hocherhobenen Hauptes stand sie auf und nahm ihre Handtasche. „Du hast recht", erklärte sie bestimmt. „Ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden. Du findest es anscheinend amüsant, aber es ist nicht das prämenstruelle Syndrom. Ich habe aus einem ganz anderen Grund abgenommen, und zwar leide ich an morgendlicher Übelkeit. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest..." Unvermittelt wandte sie sich ab und verließ die Bar. „Morgendliche Übelkeit", wiederholte Matt, bevor er den restlichen Wein in einem Zug trank. Im nächsten Moment begriff er und sprang auf. „Bist du schwanger?" rief er Karen hinterher. Doch sie war schon um die Ecke verschwunden. „Sie ist schwanger!" rief er der Kellnerin zu und eilte Karen nach. Als er in die Empfangshalle kam, verließ sie gerade das Hotel. „Karen, warte doch?" Entweder hatte sie ihn nicht gehört, oder sie ignorierte ihn bewusst. Es war typisch für sie, solch eine Bombe platzen zu lassen und dann einfach wegzugehen. Erst als sie ihr Auto erreichte, holte er sie ein. „Verdammt, was soll das heißen, du bist schwanger?" rief er. „Wie konnte das passieren?" Karen wandte sich um und funkelte ihn an. „Nimmst du nicht die Pille?" „Warum hätte ich die Pille nehmen sollen? Wir sind geschieden, falls du es vergessen
haben solltest." Als hätte er das jemals vergessen können! „Wag jetzt ja nicht zu behaupten, Verhütung wäre eine reine Frauensache!" zischte sie. Matt hatte immer noch Probleme, die Neuigkeit zu verarbeiten. „Aber wie konnte das passieren?" „Also", meinte sie sarkastisch, „soweit ich mich aus dem Biologieunterricht erinnere, passiert so etwas, wenn eine Frau und ein Mann miteinander schlafen." „Das weiß ich selbst, verdammt! Ich rede aber von uns. Wir sind beide erwachsen. Wie konnten wir die Möglichkeit außer acht lassen, dass du schwanger wirst?" Er fuhr sich durchs Haar und lehnte sich an den Wagen, da er ganz weiche Knie hatte. „Hättest du es mir nicht etwas taktvoller beibringen können?" warf er ihr vor. „Und warum gibst du mir die Schuld an allem?" „Das tue ich nicht. Du wirst finanzielle Unterstützung brauchen." Da er so knapp bei Kasse war, war es das erste, was ihm einfiel. Karen funkelte ihn mit Träne n in den Augen an. „Du bist wirklich unmöglich!" „Was habe ich denn nun schon wieder falsch gemacht?" „Nichts." Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe meine Pflicht erfüllt und dir von dem Baby erzählt. Falls ich dir damit irgendwelche Unannehmlichkeiten bereitet habe, tut es mir leid. Am besten ist es wohl, wenn mein Anwalt sich mit deinem in Verbindung setzt. Leb wohl, Matt." Karen drehte sich um, schloss den Wagen auf und stieg ein. „Du kannst nicht einfach so wegfahren!" rief Matt, als sie den Motor anließ. „Wir müssen miteinander reden. Karen, hörst du mir mal zu?" Ohne ihn zu beachten, legte sie den Gang ein und fuhr aus der Parklücke. Frustriert blickte er ihr nach, bis sie außer Sichtweite war. In dieser Nacht konnte Karen nicht schlafen. Sie war nicht sicher, was sie von Matt erwartet hatte, aber ganz gewiss nicht diese Arroganz, die er ihr gegenüber an den Tag gelegt hatte. Er hatte ihr Unbehagen gemerkt und es genüsslich ausgekostet. Als sie schließlich den Mut aufgebracht hatte, ihm zu sagen, dass sie schwanger war, hatte er so reagiert, als wäre sie an allem schuld. In den frühen Morgenstunden machte sie sich klar, was ihr am meisten zu schaffen machte. Nachdem sie sich wochenlang aus gemalt hatte, dass er überglücklich sein würde, hatte er ihre Illusionen mit einem Schlag zunichte gemacht. Nach vier Jahren Ehe mit Matt hätte sie es eigentlich besser wissen müssen. Der Mann besaß nicht den geringsten Sinn für Romantik. Warum hätte er sich auch darüber freuen sollen, dass sie schwanger war? Schließlich hatte er sich nie Kinder ge wünscht. Auch jetzt hegte er keinerlei väterliche Gefühle. Das Baby machte ihm einen Strich durch all seine Pläne. Natürlich war ihr klar gewesen, was er gedacht hatte. Matthew Caldwell würde nie finanziell abgesichert sein, weil er gar nicht in der Lage war, eine Arbeit längere Zeit auszuüben. Ohne ihn war sie wirklich besser dran, zumindest sagte ihr das ihre Vernunft. Trotzdem hatte Matts Verhalten sie verletzt. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt wie jetzt. Die Prognose der Ärzte, dass die morgendliche Übelkeit vorübergehen würde, hatte sich leider nicht bestätigt. Obwohl Karen am nächsten Morgen wie immer nur Tee trank und etwas Zwieback aß, musste sie sich anschließend prompt übergeben. Es hatte ihr nicht besonders gut getan, die halbe Nacht wach zu liegen und über Matt nachzugrübeln. Um neun lag sie auf dem Sofa und hatte sich mit einer Wolldecke zugedeckt. Da ihr immer noch schlecht war, hatte sie vorsorglich einen Eimer bereitgestellt.
Als es an der Tür klingelte, rührte sie sich nicht, denn sie war nicht in der Stimmung, Besuch zu empfangen. „Verdammt, Karen! Mach auf!" Es war Matt. „Lass mich in Ruhe!" rief sie, so laut sie in ihrem Zustand konnte. Doch er ignorierte ihre Bitte und betrat ihr Apartment. Sogar nachdem sie nach Kalifornien gezogen war, hatte sie mit ihrer Angewohnheit, die Tür nicht abzuschließen, nicht brechen können. Matt hatte sich nicht umgezogen und war genauso blass wie sie am letzten Abend. Er sah aus, als wäre er überhaupt nicht ins Bett gegangen. Nachdem er sich auf einen Sessel gesetzt hatte, betrachtete er den Eimer. „Ich wusste gar nicht, dass man sich so elend fühlen kann, wenn man schwanger ist", bemerkte sie leise. „Ist es denn immer so?" „Seit vier Wochen. Manchmal ist mir auch abends schlecht." Er runzelte die Stirn. „Warst du deswegen so oft krank ge schrieben?" Karen nickte. „Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest. Lanni liegt mir seit Wochen in den Ohren, du hättest ein Recht darauf, es zu erfahren. Ich ..." „Lanni weiß, dass du ein Kind erwartest?" Wieder nickte Karen. „Weiß sonst noch jemand davon?" „Nein. Ich wollte es Lanni nicht erzählen, aber ..." „Schon gut", fiel er Karen ins Wort. „Es spielt keine Rolle." Dann beugte er sich vor. „Ich habe lange darüber nachgedacht -genauer gesagt, die letzten zwölf Stunden." Schweigend erwiderte sie seinen Blick. Worauf wollte Matt hinaus? „Ich möchte, dass du zu mir nach Hard Luck ziehst", fuhr er fort. „Je eher wir wieder heiraten können, desto besser, und ..." „Nein", entgegnete sie scharf. „Das Baby ist der letzte Grund, aus dem ich dich wieder heiraten würde."
4. KAPITEL
„Du willst mich nicht wieder heiraten?" Matt blickte doch tatsächlich schockiert drein! „Und was ist mit dem Baby?" Karen schloss für einen Moment die Augen. Da es ihr nicht gutging, hatte sie keine Lust, mit ihrem Exmann zu streiten. Ihr war so übel, dass sie auch so Probleme hatte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Karen ..." „Mir geht es gut." Das stimmte zwar nicht, aber es wäre zu anstrengend gewesen, ihm zu erklären, wie schlecht sie sich fühlte. Matt runzelte besorgt die Stirn. „Meinst du, dass es dir während der ganzen Schwangerschaft so gehen wird?" „Keine Ahnung." Sie hoffte, dass das nicht der Fall sein möge. Ihr Arzt war der Meinung, dass es nach drei Monaten vorbei sein würde. Nun war sie im zweiten Monat schwanger, und es war nicht besser geworden. „Bist du in der Lage zu arbeiten?" „Ja ... nein. Ich war schon zu lange krank geschrieben." Mr. Sullivan war bisher zwar sehr verständnisvoll gewesen, doch ihr war klar, dass er ohne sie nicht so gut zurechtkam. In den letzten vier Wochen hatte Karen im Durchschnitt nur zwei bis drei Stunden am Tag gearbeitet und war selbst dann nicht voll einsatzfähig gewesen. Als könnte er nicht länger stillsitzen, stand Matt auf und ging nervös im Wohnzimmer hin und her. „Wie heißt dein Arzt? Vielleicht sollte ich einmal mit ihm reden. Es ist nicht normal, dass es dir so schlecht geht. Verschweigst du mir etwas?" „Was sollte ich dir verschweigen?" „Bekommst du vielleicht mehr als ein Kind?" Was meinte er? Zwillinge oder gar Drillinge? Darüber hatte sie ich noch keine Gedanken gemacht. „Natürlich nicht", versicherte sie, obwohl sie sich dessen nicht so sicher war. Wie sollte sie es je allein schaffen, wenn sie Zwillinge zur Welt bringen sollte? „Wie kommst du überhaupt darauf?" fügte sie hinzu. „Ich habe mal etwas über eine Frau gelesen, die auch an morgendlicher Übelkeit litt und dann Fünflinge geboren hat." „Fünflinge!" wiederholte Karen entsetzt. Als sie ihn jedoch ansah, stellte sie fest, dass er übers ganze Gesicht strahlte. „Denk nur daran, was das für eine Publicity für das Hotel wäre!" Natürlich dachte er nur an sein Hotel statt an sie. „Hör auf, so zu grinsen, Matthew Caldwell!" entgegnete sie wütend. Matt setzte sich wieder hin und beugte sich vor. „Ich kann das alles immer noch nicht glauben." Am letzten Abend hatte er ihr allerdings einen ganz anderen Eindruck vermittelt. Selbstverständlich war die Neuigkeit ein Schock für ihn gewesen, aber er war noch weit von dem Bild entfernt, das sie sich von ihm gemacht hatte. Karen hatte sich ausgemalt, dass er ihr einen großen Blumenstrauß und einen Teddybären schenken würde, aber bis jetzt hatte er nur dumme Fragen und eine unverschämte Forderung gestellt. Er glaubte, so schnell wie möglich wieder heiraten zu müssen, nur weil sie ein Kind von ihm erwartete. Es war typisch für ihn, ihre Probleme einfach unter den Teppich zu kehren! „Überleg es dir, Karen", meinte er mit einem anmaßenden Lä cheln. „Unsere letzte gemeinsame Nacht war wahrscheinlich die erste, in der wir nicht an Verhütung gedacht haben." Warum musste er sie ausgerechnet jetzt daran erinnern, da sie sich so schlecht fühlte? „Ist es nicht ein unglaublicher Zufall, dass du ausgerechnet in jener Nacht schwanger geworden bist?"
Es war auch typisch für Matt, sich damit zu brüsten! Er schwelgte ja geradezu in seinem männlichen Stolz! Sie würde die Männer nie verstehen. „Matt, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um damit anzuge ben." Ihr war so übel, dass sie wieder für einen Moment die Augen schloss. Matt lachte leise, doch dann merkte er offenbar, wie schlecht es ihr ging. Besorgt strich er ihr das Haar zurück. „Kann ich dir irgendwie helfen?" erkundigte er sich sanft. Seine unerwartete Zärtlichkeit trieb ihr Tränen in die Augen. „Nein." Karen atmete einmal tief durch, bevor sie weitersprach. „Es ist gleich wieder vorbei. Du solltest lieber gehen. Ich möchte allein sein." „Kommt gar nicht in Frage. Ich verlasse diese Wohnung erst, wenn wir eine Entscheidung getroffen haben." „Es gibt keine Entscheidungen zu treffen." „Was ist mit deinen Arzt- und Krankenhausrechnungen?" Sie wollte nur ungern zugeben, dass die Rechnungen bald ihre finanziellen Mittel überstiege n, obwohl achtzig Prozent der Kosten durch die Krankenversicherung bei ihrem Arbeitgeber ge deckt wurden. So wie ihre Schwangerschaft verlief, würden die Beträge bald in die Tausende gehen. Dass sie, Karen, kaum noch arbeitete, machte alles noch schlimmer. „Willst du mir deine Hilfe anbieten?" erkundigte sie sich steif. Matt hatte noch nie gut mit Geld umgehen können und während ihrer Ehe stets das gemeinsame Konto überzogen. Außerdem hatte er die Kontoauszüge immer monatelang gesammelt, bevor er die Buchungen überprüft hatte - damit es sich lohnt, wie er argumentiert hatte. Als er verkündete, er wolle Buchhalter werden, hätte sie eigentlich wissen müssen, dass dies von vornherein zum Scheitern verurteilt sein würde. Er hatte sich nämlich noch nie für Zahlen interessiert. „Ich bin auch für das Baby verantwortlich", erinnerte er sie. Dabei verstand sich von selbst, dass er sie nicht finanziell unterstützen konnte. Er hatte sein gesamtes Erbe in das Hotel investiert, und Karen bezweifelte, dass er auch nur einen Cent übrig hatte. „Ich weiß, aber ..." „Karen." Matt nahm ihre Hand in seine und kniete sich vor ihr auf den Boden. „Lass uns den ganzen Unsinn endlich vergessen. Wir gehören zusammen." „Unsinn?" wiederholte sie. Glaubte er wirklich, dass es ihr so leicht gefallen war, sich von ihm scheiden zu lassen? Matt zu verlassen und die Scheidung einzureichen war für sie die schwerste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Karen war klar, dass er sie nie verstehen würde, wenn er so redete. „Okay, du willst also nicht nach Hard Luck ziehen", erklärte er, als wäre das der einzige Grund. Wieder schloss sie für einen Moment die Augen - diesmal aus Resignation. „Oder doch?" fragte Matt hoffnungsvoll. Sie öffnete die Augen wieder auf und erwiderte verwirrt seinen Blick. „Würdest du mich heiraten und zu mir nach Hard Luck ziehen?" „Matt, bitte frag mich nicht so etwas - nicht wenn es mir so schlecht geht." „Ich möchte für dich sorgen." Er hatte schon alle Hände voll mit dem Hotel zu tun, und sie war durchaus in der Lage, selbst für sich zu sorgen. „Nein", erwiderte sie, obwohl sie ihn zum erstenmal in ihrem Leben wirklich brauchte. Doch sie konnte nicht einfach vergessen, was zwischen ihnen geschehen war. Matt hatte sie so oft enttäuscht und im Stich gelassen. Und jetzt stand noch viel mehr auf dem Spiel. „Nein", wiederholte er. Daraufhin stand er auf und ging zum Fenster, um eine Weile hinauszuschauen. Als er sich schließlich umdrehte, war ihm an seiner angespannten Miene
deutlich anzumerken, wie wütend und frustriert er war. „Ich habe nie verstanden, was ich so Schreckliches getan habe", meinte er leise. „Na ja, ich habe ziemlich viele Berufe ausprobiert, und ich weiß, dass du darunter gelitten hast. Aber ich bin nicht dein Vater, Karen. War es denn wirklich so schlimm? Wir haben nie gehungert, immer unsere Miete bezahlt und hatten doch ein angenehmes Leben." Am liebsten hätte Karen ihn daran erinnert, dass er immer Glück gehabt hatte, wenn er so schnell einen neuen Job gefunden hatte. Doch man konnte sich nicht auf sein Glück verlassen. Was sie so verrückt gemacht hatte, war die ständige Ungewissheit gewesen, wie es weitergehen sollte. „Ich bin treu und habe nie getrunken oder dich geschlagen." „Matt, bitte ..." „Ich habe dich immer geliebt - auch als wir vor dem Scheidungsrichter standen. Jetzt erwartest du ein Kind von mir, und ich liebe dich mehr, als ich es für möglich gehalten hätte. Natürlich kann ich dich nicht zwingen, meine Gefühle zu erwidern." Sie barg das Gesicht in den Händen, sonst hätte sie ihm wo möglich gestanden, wieviel er ihr bedeutete. „Du willst mich aus deinem Leben ausschließen", fuhr er schroff fort, „und du ignorierst einfach die Tatsache, dass dieses Kind auch von mir ist. Vielleicht hast du recht. Vielleicht ist es das beste, wenn unsere Anwälte alles regeln." Damit wandte er sich ab und verließ ihre Wohnung. Plötzlich bekam Karen heftige Bauchschmerzen, die ihr fast den Atem nahmen. Sie schnappte nach Luft und krümmte sich vor Schmerzen. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr. Schließlich wurde ihr schwarz vor Augen, so dass sie befürchtete, jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Mühsam stand sie auf und ging zur Haustür. „Matt!" rief sie, wie gelähmt vor Angst. Matt war schon fast auf dem Parkplatz, als er sie hörte. „Hilf mir ..." Nun begann sie, hemmungslos zu schluchzen. Sie streckte eine Hand nach ihm aus, während sie sich mit der anderen den Bauch hielt. „Ich glaube, ich verliere das Baby." Matt saß im Wartezimmer der Notaufnahme im Oakland Hospital. In den letzten beiden Stunden hatte er etliche Male darum gebeten, Karen sehen zu dürfen, aber man hatte ihm immer wieder gesagt, der Arzt wäre noch bei ihr. Seit zwei Stunden! Das Wartezimmer war voll. Einige weinende kranke Kinder saßen mit ihren Eltern dort, außerdem ein Mann, der seine Hand mit einem mittlerweile blutgetränkten Handtuch umwickelt hatte. Ein paar Mädchen betrachteten die Fische im Aquarium, während drei Männer den Blick wie gebannt auf den Fernseher richteten. Matt interessierte sich weder für das Aquarium noch für den Fernseher, denn er machte sich zu große Sorgen um Karen und das Baby. Dass der Arzt schon so lange bei ihr war, bedeutete sicher nichts Gutes. Matt schloss die Augen und versuchte, sich auf seine Atmung zu konzentrieren. Ihm war furchtbar elend zumute. Obwohl er erst am Vorabend von der Existenz seines Kindes erfahren hatte, war es ein schwerer Verlust für ihn. Traurig dachte er daran, dass er sein Baby nie in den Armen halten, ihm die Windeln wechseln oder das erste Wort von ihm hören würde. Schließlich öffnete er die Augen wieder und betrachtete die Schwingtür, während er darauf wartete, dass endlich jemand kam und ihm sagte, was mit Karen war. Er war noch mehr am Boden zerstört als damals, nachdem sie die Scheidung eingereicht hatte. Sie hatte ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, und das musste er akzeptieren. Was immer an diesem Tag auch passieren mochte, es würde verdammt hart für ihn sein.
Nun beugte er sich vor und faltete die Hände. Der Schmerz, den er verspürte, war so stark, dass er ihm fast den Atem raubte. Matt war so in Gedanken versunken, dass er den Arzt, der das Wartezimmer betrat, nicht sofort bemerkte. „Matthew Caldwell." Matt sprang auf und wäre dabei beinahe über ein Kleinkind gestolpert, das auf dem Fußboden mit Bauklötzen spielte. „Das bin ich", informierte er den hageren älteren Mann in dem weißen Kittel. „Was ist mit Karen und dem Baby?" fügte er hinzu, auf das Schlimmste gefasst. „Ihre Frau ruht sich gerade aus." Matt machte sich nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass Karen seine Exfrau war. „Wir haben einige Untersuchungen durchgeführt, und es sieht so aus, als wäre alles in Ordnung." „Was ist passiert?" fragte Matt verblüfft. „Karen dachte, sie hätte eine Fehlgeburt." Der Arzt tätschelte ihm beruhigend den Rücken. „Ihre Frau hat eine schwere Blasenentzündung." „Aber ... sie hatte doch so starke Schmerzen." „Ich vermute, die Blasenentzündung ist dadurch schlimmer geworden, dass Ihre Frau starkem Stress ausgesetzt war und an allgemeiner Erschöpfung leidet. Wir wollen sie vorsichtshalber über Nacht hierbehalten. Ihr Geburtshelfer wird sich später mit ihr unterhalten." „Sie leidet auch an morgendlicher Übelkeit. Ist das normal?" „Manchmal schon. Sie können nachher mit Dr. Baker darüber sprechen. Möchten Sie Ihre Frau jetzt sehen?" „Ja, bitte." Matt folgte dem Arzt einen Flur entlang zu einem abgedunkelten Raum. Dort zog der Arzt den Vorhang um Karens Bett zurück. Karen hatte die Hände schützend auf ihren Bauch gelegt. Dass der Arzt sie allein ließ, bekam Matt kaum mit. Karen sah sehr blass und mitgenommen aus, und er schätzte, dass er keinen besseren Anblick bot. Die letzten beiden Stunden waren die schrecklichsten seines Lebens gewesen. „Wie geht es dir?" erkundigte er sich sanft, während er ihre Hand nahm und sie an die Lippen führte. „O Matt", flüsterte Karen. „Es tut mir leid, dass ich dir so viele Scherereien gemacht habe." „Es ist doch selbstverständlich für mich, dir zu helfen." Als er ihre Hand küsste, traten Karen die Tränen in die Augen, und sie wandte sich ab. „Der Arzt hat gesagt, dass du schlafen sollst", meinte Matt. „Du brauchst dir um nichts Sorgen zu machen." „Und was ist mit deinem Flug? Du hättest längst in Portland sein müssen." Nun schaute sie ihn wieder an. „Ich habe dort angerufen und abgesagt", erwiderte er, während er ihr sanft über die Wange strich. „Und was ist mit deiner PR-Reise, deinen Präsentationen in Portland und Seattle?" Matt war überrascht, dass sie seine Reiseroute so gut kannte „Das kann ich nachholen." „Es tut mir leid, dass ich deine Pläne über den Haufen geworfen habe ..." Offenbar hatte man ihr ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht, denn sie schloss die Augen und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen. Er blieb so lange an ihrem Bett sitzen, bis der Pfle ger kam und Karen in einen anderen Raum verlegte. Dort wartete Matt, bis sie irgendwann wieder aufwachte. Bevor sie ihn bemerkte, schlich er sich aus dem Zimmer, denn er war bestimmt der letzte, den sie sehen wollte.
Karen fühlte sich benommen, denn sie war noch immer müde von den Beruhigungsmitteln. Aber sie war überglücklich, dass dem Kind nichts passiert war. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte, wie besonnen Matt an diesem Morgen gewesen war. Sonst war sie immer diejenige gewesen, die in Krisensituationen einen kühlen Kopf behalten hatte. Doch sie war fast hysterisch gewesen, weil sie geglaubt hatte, das Kind zu verlieren. Matt dagegen hatte die Ruhe bewahrt, einen Krankenwagen gerufen und sie anschließend in die Notaufnahme begleitet. Erst dort hatte er die Fassung verloren, und das nur, weil das Krankenhauspersonal darauf bestanden hatte, dass er ins Wartezimmer gehen sollte. Karen wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als plötzlich Doug Sullivan, ihr Chef, den Raum betrat. „Karen, wie geht es Ihnen?" Er hatte einen großen Blumenstrauß mitgebracht und stellte die Vase auf den Nachttisch. Sie war so überrascht, ihn zu sehen, dass sie seine Frage nicht beantwortete. „Woher wussten Sie, dass ich hier bin?" „Matt hat mich angerufen." „Matt?" Karen schluckte mühsam. Anscheinend war er längst abgereist. Sie hatte die Krankenschwestern gefragt, wo er wäre, doch niemand hatte ihn gesehen. „Er war der Meinung, ich sollte erfahren, dass Sie im Krankenhaus liegen." Doug stellte sich ans Fußende ihres Betts. „Was ist passiert?" erkundigte er sich sanft. „Ich weiß es nicht genau, aber ich hatte plötzlich furchtbare Schmerzen. Die Ärzte glauben offenbar, ich würde an chronischer Erschöpfung leiden und unter Stress stehen." „Das hat Matt mir erzählt." „Hat er Ihnen sonst noch etwas gesagt?" Sie war wütend, weil Matt sich einfach in ihr Leben eingemischt hatte. Allerdings hätte es ihr bei weitem nicht so viel ausgemacht, wenn er nicht sang- und klanglos verschwunden wäre. Sein Verhalten war der beste Beweis dafür, dass man sich nicht auf ihn verlassen konnte. „Ja, er möchte, dass Sie zu ihm zurückkehren und nach ... Wie heißt der Ort doch gleich?" „Hard Luck." „Dass Sie nach Hard Luck ziehen." Doug Sullivan schwieg einen Moment, ehe er sagte: „Vielleicht ist das keine so schlechte Idee." „Aber ... Er brachte sie zum Schweigen, indem er die Hand hob. „Nur bis zur Geburt. Matt hat ein Recht darauf, sich Sorgen um Sie und das Kind zu machen." Von ihrem Chef hätte Karen am allerwenigsten erwartet, dass er sich mit Matt solidarisch erklärte. Es war mal wieder typisch für Matt, jemand anders für sich sprechen zu lassen! „Ist Ihnen eigentlich klar, wie abgelegen Hard Luck ist?" fragte sie. „Es gibt im Umkreis von fünfhundert Meilen keinen Arzt." „Stimmt, aber Matt sagte, dass die Schwester im Gesundheitszentrum zur Hebamme ausgebildet ist. Ihr Name ist Dotty. Sie ist eine der Frauen, die letztes Jahr nach Hard Luck gezogen sind. Ich glaube, sie ist mit dem Besitzer des Lebensmittelladens verheiratet." Karen wandte sich ab. Matt meinte es offenbar ernst mit seinem Vorschlag, sie sollte zu ihm ziehen. Doug zwinkerte ihr zu. „Erinnern Sie sich noch, dass wir uns köstlich darüber amüsiert haben?" Natürlich erinnerte sie sich daran, denn in den Zeitungen war oft genug über die Anzeige berichtet worden, durch die die Buschpiloten Frauen nach Hard Luck hatten holen wollen. Da sie auch aus Alaska kam, hatten ihre Kolleginnen bei Paragon sich natürlich besonders dafür interessiert. Sie hatte sich köstlich mit ihnen über die Geschichte amüsiert - bis sie erfahren hatte, dass Matt nach Alaska gezogen war. Wenn dort ständig andere Frauen eintrafen - was Lanni zufolge maßlos übertrieben war -, bestand die Gefahr, dass er sich in eine von ihnen
verliebte. Karen wollte lieber nicht darüber nachdenken, warum ihr das überhaupt zu schaffen machte. „Diese Dotty wurde also von den O'Hallorans eingestellt?" fragte sie. „Stimmt. Und dann hat sie einen Mann namens Pete geheiratet. Er hat einen ungewöhnlichen Nachnamen.... Lively oder Liver oder so ähnlich." „Livengood." Karen hatte während des Empfangs mit Pete Livengood getanzt und erinnerte sich noch gut an ihn. „Außerdem kommt einmal im Monat ein Arzt nach Hard Luck." „Das klingt ja, als wollten Sie mich loswerden", beklagte Karen sich. „Wo denken Sie hin?" Doug tätschelte ihr väterlich die Hand. „Sie wissen genausogut wie ich, dass ich ohne Sie aufgeschmissen bin. Warum sonst hätte ich bei meiner Beförderung darum bitten sollen, dass Sie meine Assistentin werden? Ohne Sie wäre ich wahrscheinlich gar nicht befördert worden." „Unsinn", wehrte sie ab, obwohl seine Worte Balsam für ihre Seele waren. „Kommen Sie Anfang nächsten Jahres zurück, wenn das Kind da ist", schlug er vor. „Sie sind in letzter Zeit sehr krank gewesen." Karen biss sich auf die Lippe. Warum trafen alle Leute die Entscheidungen für sie? Sie fühlte sich hilflos und war wütend. „Nancy ist zwar nicht so tüchtig wie Sie, aber sie wird Sie bis zu Ihrer Rückkehr vertreten." Karen schwieg, weil sie sich auf seinen Vorschlag nicht einlassen wollte. „Ich werde Ihnen den Arbeitsplatz freihalten", versprach Doug. „Jetzt müssen Sie sich erst einmal um sich und das Baby kümmern." „Hat Matt Sie geschickt?" „Nein", versicherte Doug. „Er hat mir erzählt, was passiert ist, und mir viele Fragen gestellt, aber das war auch alles. Er macht sich große Sorgen um Sie, wie jeder Mann es bei seiner Frau tun würde." „Er ist nicht mehr mein Mann." „Das ist mir klar. Allerdings muss ich ihm recht geben. Ihre Gesundheit und die des Babys sind das wichtigste." „Ja, aber..." „Da ich Sie nicht verlieren möchte, habe ich bereits mit der Personalabteilung gesprochen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich Ihre Möbel und Sachen irgendwo einlagern. Und renn Sie bereit sind, nach Kalifornien zurückzukehren, wird alles für Sie bereit sein." Zuerst wurde sie noch wütender, doch dann wurde ihr klar, Doug es nur gut mit ihr meinte. Außerdem hatten ihre Gesundheit und die des Babys tatsächlich Vorrang, so dass sie ihr Misstrauen gegenüber Matt erst einmal unterdrücken musste. Nach Hard Luck zu ihm zu ziehen war zwar nicht die optimale Lösung, aber etwas Besseres fiel Karen nicht ein. „Also, was meinen Sie dazu?" hakte Doug nach. „Na gut, aber nur bis zur Geburt." „Nehmen Sie sich soviel Zeit, wie Sie wollen. Ich halte Ihnen den Arbeitsplatz frei." Nachdem er gegangen war, musste sie eingeschlafen sein, denn irgendwann schreckte ein Geräusch sie aus dem Schlaf. Sie brauchte eine Weile, um zu merken, dass jemand bei ihr im Zimmer war. „Tut mir leid." Matt stand am Fußende ihres Betts und wirkte etwas verlegen. „Das hier ist wahrscheinlich nicht als Blumenva se gedacht, oder?" Er hatte einen Rosenstrauß in den Wasserkrug gestellt. Karen lächelte unwillkürlich. „Du hast mir Blumen mitge bracht?" Er zuckte die Schultern, während er das Wasser, das er verschüttet hatte, mit einem Taschentuch wegwischte.
„Doug Sullivan hat mich vorhin besucht", erklärte sie. Daraufhin hielt Matt mitten in der Bewegung inne und schaute sie an. „Du bist bestimmt sauer, weil ich mit ihm gesprochen habe. Ich habe übrigens auch mit Dr. Baker telefoniert. Du hast mir zwar zu verstehen gegeben, dass ich mich nicht in dein Leben einmischen soll, aber hier geht es um mehr als ..." „Ich bin nicht sauer." „Wirklich nicht?" erwiderte Matt verblüfft. „Nein. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es für mich und das Baby das beste ist, wenn ich zu dir nach Hard Luck ziehe. Allerdings möchte ich klarstellen, dass ich gleich nach der Geburt nach Kalifornien zurückkehren werde." Matt war sicht lich begeistert. „Wie du willst." „Und glaub ja nicht, dass ich meine Meinung ändern werde, Matthew Caldwell, denn das wird ganz bestimmt nicht der Fall sein." „Wie du willst, Schatz." Karen stöhnte entnervt. „Ich bin nicht dein Schatz." „Schön möglich, doch du bist die Mutter meines Kindes, und das ist im Moment das einzige für mich, was zählt." Matt ging es richtig gut. Dass man sein Ziel manchmal am schnellsten auf Umwegen erreichte, hatte er bei Karen bewiesen. Er war davon überzeugt, dass er nichts erreicht hätte, wenn er selbst mit ihr gesprochen hätte. Erst als Doug Sullivan ihn unterstützt hatte, hatte Matt bekommen, was er wollte. Er schaute aus dem Fenster des kleinen Flugzeugs, das ihn nach Hard Luck brachte. Unter ihm erstreckte sich die raue Landschaft Alaskas. Ted Richards, ein Pilot von Midnight Sons, hatte sie von Fairbanks mitgenommen. Karen schlief friedlich auf dem Sitz neben ihm. Seit sie am Vortag in Oakland abgeflogen waren, sehnte Matt sich danach, sie in die Arme zu nehmen, aber er widerstand der Versuchung. Obwohl Karen nicht besonders glücklich über die Situation war, hatte sie sich bereit erklärt, ihn nach Hard Luck zu begleiten. Er glaubte jedoch, dass sie bald in seinem Bett landen und alles andere sich dann von allein fügen würde. Zuerst wollte er ihr klarmachen, dass er nichts von ihr wollte. Allerdings würde er mit ihr in einem Zimmer schlafen, damit er sich um sie kümmern konnte, wenn sie krank war. Vermutlich musste er seine ganze Überredungskunst aufbieten, um Karen dazu zu bewegen, das Bett mit ihm zu teilen. Seit der Nacht nach Lannis Hochzeit sehnte Matt sich danach, wieder mit Karen zu schlafen. Dass sie gleich beim erstenmal schwanger geworden war, erschien ihm als ausgleichende Gerechtigkeit. Sexuell hatten sie sich schon immer phantastisch verstanden - wie auch in jener Nacht. Doch zum erstenmal hatten sie miteinander geschlafen, ohne sich vorher gestritten zu haben. In den letzten beiden Jahren ihrer Ehe hatte dieses Muster sich ständig wiederholt: Sie hatten sich oft gestritten und waren danach immer im Bett gelandet. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass seine Frau so temperamentvoll sein konnte. Ihre Auseinandersetzungen waren immer so eskaliert, dass Karen mit allen Gegenständen nach ihm geworfen hatte, die ihr in die Finger kamen. Je wütender sie wur de, desto leidenschaftlicher war sie auch. Die Tatsache, dass Leidenschaft bei ihnen immer mit Streit einherging, beunruhigte Matt, und Karen hatte sich für ihr Verhalten gehasst. In der Nacht nach La nnis Hochzeit waren sie aus diesem Verhaltensmuster ausgebrochen. Noch immer konnte Matt kaum glauben, dass er dabei ein Kind gezeugt hatte. Jedesmal, wenn er daran dachte, lächelte er unwillkürlich. „Wir sind gleich da", flüsterte er und legte ihr den Arm um die Schultern. Wenn sie sich darüber ärgerte, konnte er es auch nicht ändern.
Karen öffnete langsam die Augen und schaute auf ihrer Seite aus dem Fenster. „Wie lange habe ich geschlafen?" „Nicht lange", erklärte er ungerührt, obwohl sie fast nur geschlafen hatte. „Was du nicht sagst. Ich hoffe nur, dass ich heute abend einschlafen kann." Dafür würde er schon sorgen. Früher hatten sie immer dicht aneinandergekuschelt im Bett gelegen, und wenn er ein Wörtchen mitzureden hatte, würden sie es von nun an wieder tun. Bald darauf setzte das Flugzeug zur Landung auf dem kleinen Flugplatz in Hard Luck an, auf dem zahlreiche andere kleine Maschinen standen. Am liebsten hätte Matt Karen erzählt, dass die Tundra jetzt in voller Blüte stand. Er fand, dass es hier oben im Juni am schönsten war, denn die Tage waren lang und die Nächte sehr kurz. „Lanni erwartet uns im Hotel", erklärte er. Als er seine Schwester angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass Karen mit ihm zurückkommen würde, war Lanni ganz begeistert gewesen. Sie hatte ihm geraten, nichts zu überstürzen und Karen Zeit zu lassen, aber das wusste er selbst. Nun setzten die Räder auf der unbefestigten Start- und Landebahn auf, und wenig später kam die Baron zum Stehen. Sawyer O'Halloran öffnete die Tür und half Karen aus dem Flugzeug. Dann umarmte er sie herzlich zur Begrüßung. „Es ist schön, Sie wiederzusehen", sagte er. „Danke", erwiderte sie ein wenig verlegen. Matt stellte zufrieden fest, dass sie nicht damit herausplatzte, sofort nach der Geburt Hard Luck wieder verla ssen zu wollen. Sawyer lud ihr Gepäck in seinen Transporter und brachte sie zum Hotel. Matt konnte es gar nicht erwarten, zu erfahren, was sich während seiner vierzehntägigen Abwesenheit dort getan hatte und wie viele Reservierungen inzwischen eingegangen waren. Nachdem er sich bei Sawyer bedankt hatte, brachte er das Gepäck in die Empfangshalle, wo er ein paarmal nach Lanni rief. „Sie ist nicht da", erklärte Karen, die ihm gefolgt war, und zeigte auf eine Notiz, die auf dem Empfangstresen lag. „Das habe ich mittlerweile gemerkt." Matt gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. „Mach es dir gemütlich. Ich bringe inzwischen dein Gepäck ins Schlafzimmer." Dann hob er die Koffer hoch und ging zu seinen Privaträumen, die sich im Erdgeschoß befanden. „Matt." Er setzte die Koffer wieder ab und drehte sich um. „Wohin bringst du meine Koffer?" Das hatte er doch gerade gesagt, aber schließlich war er geduldig. „Ins Schlafzimmer." „Du meinst wohl, in dein Schlafzimmer." „Es ist jetzt unser Schlafzimmer, Schatz." Karen presste die Lippen zusammen, wie sie es immer tat, wenn sie sich ärgerte. „Mir war so, als wäre mein Zimmer im ersten Stock, Schatz." Matt blickte zur Treppe. „Ich dachte ..." „Ich weiß genau, was du denkst, Matthew Caldwell, aber das kannst du dir aus dem Kopf schlagen."
5. KAPITEL
Abbey summte leise vor sich hin, als sie die neuen Bücher auf den Ausstellungstisch legte. Da der Stadtrat ihr einen kleinen Etat zur Verfügung gestellt hatte, hatte sie schnell die aktuellen Neuerscheinungen gekauft. Sicher würden diese nicht lange auf dem Tisch liegen, denn fast jeder Einwohner von Hard Luck machte mittlerweile regen Gebrauch von der Leihbibliothek. Abbey war eingestellt worden, um die Bücherei aufzubauen und zu leiten. Den Grundstock hatte jedoch Ellen O'Halloran gelegt, die jetzt Ellen Greenleaf hieß, als sie ihre Bücher der Stadt gestiftet hatte. Sie hatte immer davon geträumt, in dem Ort eine Bibliothek einzurichten. Als Abbey in die Hocke ging, um ein Kinderbuch einzusortie ren, wurde ihr plötzlich schwindelig. Der Raum schien sich um sie zu drehen, und schließlich verlor sie das Gleichgewicht und ließ sich auf den Boden sinken. „Schatz, ich dachte ..." Sawyer, der gerade in den Raum kam, blieb unvermittelt stehen, als er seine Frau auf dem Boden sitzen sah. „Abbey! Ist alles in Ordnung?" Sie lächelte flüchtig. „Ich bin ganz schön erschrocken." „Was ist passiert?" Nachdem er ihr hochgeholfen hatte, umfasste er ihr Gesicht und betrachtete sie eingehend. „Du bist so blass." „Ich bin nur ein bisschen benommen, das ist alles." „Benommen?" wiederholte er besorgt. „Wenn Doc Gleason das nächste Mal nach Hard Luck kommt, solltest du mal mit ihm sprechen." „Ich weiß, was mit mir los ist, Sawyer." „Tatsächlich?" „Ich glaube, ich bin schwanger." „Schwanger?" Sawyer nahm einen Stuhl und ließ sich darauf sinken. „Hättest du mir das nicht schonend beibringen können?" Nun musste Abbey lachen. „Wir haben doch darüber gesprochen, dass wir uns ein Baby wünschen." Sie schenkte ihm ein Glas Wasser ein, das er in wenigen Zügen leerte. „Wir bekommen ein Baby!" Liebevoll schaute er sie an. „Oh, Abbey, ich kann dir gar nicht sagen, wie ..." „Verblüfft du bist", ergänzte sie. „Nein, ich freue mich. Ich bin überglücklich." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Abbey lächelte ebenfalls. „Ich weiß." „Hast du es sonst jemandem erzählt?" „Nein, du solltest es als erster erfahren. Außerdem bin ich mir noch nicht hundertprozentig sicher." Doch ihr Gefühl sagte ihr, dass sie recht hatte. „Wir sollten es wenigstens Charles und La nni sagen, findest du nicht? Und meiner Mutter. Sie möchte unbedingt eine Enkeltochter haben. Wer könnte es ihr verdenken, nachdem sie drei Söhne bekommen hat? Und wir müssen es unbedingt Christian erzählen." Sawyer überschlug sich beinahe, so schnell redete er. „Ich erinnere mich noch genau daran, als er die Idee hatte, Frauen nach Hard Luck zu holen. Zuerst dachte ich, er wäre völlig verrückt. Dann habe ich dich kennengelernt, und das habe ich nur ihm zu verdanken. Und Charles hätte Lanni nie kennengelernt, wenn wir nicht noch eine Unterkunft für die ..." „Sawyer", unterbrach Abbey ihn sanft, während sie seinen Arm berührte. „Meinst du nicht, wir sollten es zuerst Scott und Susan erzählen?" „Scott und Susan ... Ja, natürlich. Wissen sie es denn noch nicht?" „Nein, Schatz." Er bot einen so komischen Anblick, dass sie wieder lachen musste. Nun stand er auf, setzte sich aber gleich wieder. „Scott kann mir dabei helfen, eine Wiege zu bauen. Und Susan könnte ..." Abbey tat das einzig Wirksame, um ihn zum Schweigen zu bringen: Sie legte ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn.
Irgendwann löste er sich von ihr. „Abbey, wir müssen ..." Doch sie zog ihn einfach wieder an sich, um ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte und wie glücklich sie darüber war, ein Kind von ihm zu bekommen. Diesmal wehrte er sich nicht. Er stöhnte auf und hob sie auf seinen Schoß. „Abbey ..." „Ja?" „Ich liebe dich, Schatz." „Daran habe ich nie gezweifelt. Heute abend können wir den Kindern von dem Baby erzählen, und danach rufen wir deine Mutter und alle anderen an." „Gut. Allerdings solltest du jetzt erst einmal nach Hause kommen und dich ausruhen." Abbey seufzte und schmiegte sich an ihn. „Ich kann hier nicht einfach weg. Außerdem wissen wir beide, dass keiner von uns sich ausruhen würde, wenn ich jetzt mit dir nach Hause käme." „Du hast mich durchschaut." Sawyer lächelte jungenhaft. „Ich habe tatsächlich an etwas ganz anderes gedacht." Gleich nachdem sie erfahren hatte, dass Abbey O'Halloran schwanger war, schaute Karen in der Bücherei vorbei. Da sie wusste, dass das Haus einmal Adam O'Halloran, dem Begründer Hard Lucks, gehört hatte, blickte sie sich interessiert um. „Karen, schön, dich zu sehen", sagte Abbey, die an ihrem Schreibtisch saß und gerade an der Kartei arbeitete. „Du siehst toll aus." Sawyer und sie duzten sich mittlerweile mit Karen. „Danke. Du aber auch." Seit ihrer Ankunft zwei Wochen zuvor litt Karen nur noch ganz selten unter morgendlicher Übelkeit. Sie war darüber erleichtert und traurig zugleich, denn Matt war davon überzeugt, dass es nur an ihm lag. Sie dagegen wollte es lieber der frischen Luft zuschreiben. • „Wie ich gehört habe, darf man dir gratulieren", erklärte sie. „Du weißt also, dass ich schwanger bin." Abbey lächelte glücklich. „Na ja, kein Wunder. Sawyer hat es mittlerweile in ganz Alaska verkündet, als wäre ich die erste Frau in der Welt, die schwanger ist." „Und ich dachte, Matt wäre der einzige, der sich so aufführt." Nun mussten sie beide lachen. „Ich freue mich so für dich", meinte Karen. „Außerdem bin ich froh, dass ich jemandem habe, mit dem ich mich austauschen kann." „Geht es dir inzwischen besser?" „O ja." Karen seufzte erleichtert. „Ich verstehe es überhaupt nicht. Es ging mir sofort besser, als ich hierherkam. Mir ist zwar manchmal noch übel, aber es ist nichts im Vergleich zu vorher." „So etwas passiert manchmal", erwiderte Abbey, die ja bereits zwei Schwangerschaften hinter sich hatte. „Kann, ich dir irgend wie helfen? Ich könnte dir ein paar gute Bücher über Schwangerschaft und Säuglingspflege empfehlen." „Danke, aber Matt hat schon ein Dutzend Bücher in Kalifornien gekauft. Eigentlich bin ich gekommen, um dir meine Hilfe anzubieten." „In der Bücherei?" „Wenn es geht." Karen wollte sich irgendwie beschäftigen, denn Matt war immer noch so mit dem Hotel beschäftigt, dass sie ihn kaum sah. Obwohl sie nun bei ihm lebte, fühlte sie sich einsamer als je zuvor. Mittlerweile waren die ersten Gäste eingetroffen, die er auf eine zweitägige Angeltour begleitete. An diesem Nachmittag würde er zurückkommen. Bevor er weggefahren war, hatte er Diane Hestead, eine Schülerin, eingestellt, die nun stundenweise als Zimmermädchen arbeitete. „Außerdem würde ich gern bei den Vorbereitungen für die Hochzeitsfeier von Mitch und Bethany Harris helfen", fuhr Karen fort. Lanni hatte ihr erzählt, dass die beiden vor vierzehn Tagen in San Francisco geheiratet hatten und die Einwohner von Hard Luck eine große Willkommensparty für sie planten.
„Gern, wenn du meinst, dass du es schaffst", sagte Abbey begeistert. Karen hatte es satt, im Hotel herumzusitzen und Däumchen zu drehen. Sie hatte sogar damit angefangen, Ordnung in Matts Büro zu bringen, obwohl sie nicht sicher war, was er davon halten würde. Er hatte zwar als Buchhalter gearbeitet, aber offenbar noch nie etwas von dem Wort „Ablage" gehört. Als sie ihm am Morgen die Post auf den Schreibtisch hatte legen wollen, hatte darauf ein einziges Chaos geherrscht. Zuerst hatte sie sich vorgenommen, ihm zu sagen, dass man so kein Unternehmen führen konnte. Zehn Minuten später war sie jedoch ins Büro zurückgekehrt und hatte damit angefangen, Ordnung in das Chaos zu bringen. Innerhalb weniger Stunden war es ihr gelungen, ein Ablagesystem zu erstellen. Dabei hatte sie sich eingestehen müssen, dass sie Matt gern half. Nicht, dass er sie darum gebeten hätte. Er behandelte sie wie einen Gast, doch das behagte ihr nicht. Wenn sie sich in den nächsten Monaten im Hotel wohl fühlen wollte, musste sie eine Aufgabe haben. Außerdem hatte sie vor, am Leben in Hard Luck teilzunehmen, und bei den Vorbereitungen für den Empfang zu helfen war die ideale Gelegenheit dazu. Abbey strahlte übers ganze Gesicht. „Ben hat darauf bestanden, für die Verköstigung zu sorgen. Mariah Douglas, die Sekretärin von Midnight Sons, will sich um die Dekoration kümmern, und auch Dotty Livengood hat ihre Hilfe angeboten." Karen konnte es kaum erwarten, sich mit den anderen Frauen anzufreunden. Bisher hatte sie zwar noch nicht viel von dem Ort gesehen, doch dank Matt schien jeder sie zu kennen. „Der Empfang findet am Sonntag statt", fuhr Abbey fort, „und soweit ich weiß, haben Mariah und Dotty einige Frauen zusammengetrommelt, um am Freitag abend die Turnhalle zu dekorieren. Wir würden uns freuen, wenn du auch kommen könntest." „Ich werde da sein", versprach Karen. Die Julisonne brannte vom Himmel, als Karen zum Hotel zurückging. Sie genoss die Wärme und hoffte, dass Matt bald zurückkehren würde. Als sie das Hotel betrat, stieg ihr als erstes der verlockende Duft in die Nase, der aus der Küche drang. Es roch nach Fleisch, Gemüse und Kräutern. Matt stand, eine weiße Schürze umgebunden, vor dem Herd und lächelte Karen an, als er sie sah. „Hallo, Schatz, ich bin wieder da." Ärgerlich stellte sie fest, dass ihr Herz bei seinem Anblick vor Aufregung schneller klopfte. Ich bin nur einsam, sagte sie sich rasch. Kein Wunder, denn ihre Familie und ihre Freunde wohnten alle in Anchorage, Hunderte von Meilen entfernt. „Wie war's?" fragte Karen, um sich abzulenken. „Toll. Die Männer machen sich gerade frisch. Wie hatten viel Spaß miteinander." „Habt ihr was gefangen?" Wenn er den Touristen nicht das Angelerlebnis ihres Lebens bot, würde Matt sicher keine Stammgäste haben. In irgendeinem Reisemagazin hatte sie nämlich gelesen, dass eine Safari in Afrika billiger war als eine Abenteuertour in Alaska. „Sie haben alle beide gesagt, dass es die beste Angeltour ihres Lebens war, und haben schon eine Anzahlung für das nächste Mal gemacht." „Das ist ja toll!" „Hast du mich vermisst?" fragte er, während er Kartoffelstücke in den Topf tat. Das hatte Karen tatsächlich, wollte es aber nicht zugeben. „Du warst doch nur zwei Tage weg." „Das beantwortet meine Frage nicht." Natürlich war ihr klar, was er von ihr hören wollte. „Es war ziemlich ruhig hier", gab sie widerstrebend zu. Matt konnte offenbar nicht den Blick von ihr wenden. „Du wirst von Tag zu Tag schöner. Die Schwangerschaft bekommt dir anscheinend gut." Komplimente machten sie normalerweise bloß verlegen. „Ich passe nicht mehr in meine
Jeans, und ich bin erst im dritten Monat. Wenn es so weitergeht, sehe ich bald wie eine Matrone aus." Er trat vom Herd zurück, um sie demonstrativ zu mustern. „Schon möglich, aber du wirst die hübscheste Matrone weit und breit sein", meinte er schließlich leise. Matt hatte schon immer gewusst, wie er sie aufmuntern konnte. Allerdings wollte sie nicht mitlachen. Sie musste sich ständig ins Gedächtnis rufen, dass sie gleich nach der Geburt nach Kalifornien zurückkehren würde. Dabei fiel es ihr zunehmend schwerer, sich ein Leben ohne ihn vorzustellen. „Ich helfe dir beim Kochen", erklärte sie. „Auf keinen Fall." Offenbar wollte er sie aus der Küche scheuchen, aber das ließ sie sich nicht gefallen. „Matt, ich möchte dir helfen. Wenn ich die ganze Zeit herumsitze, werde ich noch verrückt." Schließlich gab er nach. „Also gut. Du kannst den Tisch decken." Aus einem Impuls heraus stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. Matt starrte sie an, als wären ihr plötzlich Flügel gewachsen -oder Antennen. Er wirkte völlig überrumpelt. Karen war nicht sicher, ob sie das Richtige getan hatte, aber es war ein herrliches Gefühl gewesen. Die Leute in Hard Luck werden noch Experten im Ausrichten von Hochzeiten, dachte Ben Hamilton. Er befand sich in der kleinen Küche neben der Schulturnhalle und stellte gerade die Speisen für den Empfang zusammen. Zuerst hatten Sawyer und Abbey geheiratet, kurz danach Pete und Dotty, im Frühling dann Charles und Lanni, und nun fand die Feier für Bethany und Mitch statt. Ben beobachtete, wie die beiden die Runde unter ihren Gästen machten. Wenn er Bethany ansah - seine Tochter -, war er von Stolz erfüllt. Noch immer fiel es ihm schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er eine Tochter hatte. Erst als Bethany nach Hard Luck gekommen war, hatte er es erfahren. Traurig dachte er daran, dass er weder für Bethany noch für ihre Mutter, Marilyn, dagewesen war, als diese ihn gebraucht hatten. Stattdessen war er über zwanzig Jahre in der Marine gewesen - zuerst in Vietnam und später in verschiedenen Häfen in der ganzen Welt. Vor zehn Jahren hatte er sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Hard Luck gegangen, wo er das Cafe eröffnet hatte. Er hatte nie geheiratet, denn er hatte seine kurze Affäre mit Marilyn nie vergessen können. Und wie sich herausgestellt hatte, hatte er damals ein Kind gezeugt. Während er Bethany betrachtete, fragte er sich, wie ein Mann wie er eine so hübsche, charmante Tochter haben konnte. Doch dann rief er sich bedauernd ins Gedächt nis, dass er nichts dazu beigetragen hatte. Bethany war von ihrer Mutter und Peter Ross, der Marilyn offenbar über alles liebte, großgezogen worden. Er, Ben, war lediglich ihr leiblicher Vater. Trotzdem war er stolz auf sie und freute sich darüber, dass Bethany und Mitch beschlossen hatten, in Hard Luck zu bleiben. Obwohl Ben noch nicht genau wusste, was für eine Rolle er in ihrem Leben spielen würde, war er glücklich darüber, Bethany gefunden zu haben. „Was machst du denn hier in der Küche?" fragte Christian O'Halloran. „Du solltest mit den anderen feiern." Ben fühlte sich in der Küche am wohlsten. Er war noch nie der Typ gewesen, der gern auf Partys ging, und kam am besten mit den Leuten ins Gespräch, wenn er hinter dem Tresen stand oder sie bediente. „Ich habe viel zu tun", erklärte er, während er einen Blick auf die Tabletts mit den Speisen warf, die mit Obst und Gemüse dekoriert waren. Er hatte viel Mühe darauf verwendet, da das Auge bekanntlich mitaß. Dass er ein
Kochbuch aus der Bücherei geliehen hatte, war Abbeys und sein Geheimnis. „Aber es ist Bethanys und Mitchs Feier", erinnerte Christian ihn, als wüsste Ben das nicht. „Ben, kann ich Ihnen irgendwie helfen?" Mariah Douglas betrat die Küche und blieb unvermittelt stehen, als sie Christian bemerkte. Die beiden betrachteten sich misstrauisch. Ben hatte nicht viele Erfahrungen mit Frauen, da er immer allein gelebt hatte und ziemlich festgefahren war. Da er jedoch eine gute Menschenkenntnis besaß, war ihm nicht entgangen, dass Mariah Douglas ein Auge auf Christian geworfen hatte. Leider mied Christian sie allerdings wie die Pest. „Hallo, Christian", begrüßte sie ihn. Ben stellte erstaunt fest, dass sie rot wurde. Schließlich arbeiteten sie und Christian tagtäglich zusammen. „Mariah." Christian nickte förmlich und wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Nun wandte sie sich wieder Ben zu. „Kann ich Ihnen irgend wie behilflich sein?" „Ich habe ihm bereits meine Hilfe angeboten", sagte Christian. Ben beschloss, dass es höchste Zeit war, dazwischenzuge hen. „Diese Tabletts können reingebracht werden, und die Bowlenschüssel muss wieder aufgefüllt und aufs Büfett gestellt werden." Er deutete auf die fast leere Schüssel, die jemand in die Küche gebracht hatte. „Die Gäste sind anscheinend sehr durstig." Ohne auf Christian zu achten, nahm Mariah die Schüssel. Christian wollte gerade ein Tablett hochheben, zögerte jedoch, als er ihr zusah. „Ich würde das anders machen", meinte er. „Wie denn?" fuhr sie ihn an. Ben konnte es ihr nicht verdenken. Er hatte zwar keine Ahnung, was zwischen den beiden vorging, aber Christian hatte sich bei ihm so oft über seine inkompetente Sekretärin beklagt, dass Ben ein gewisses Mitgefühl für sie empfand. „Ich würde die Schüssel nicht hier auffüllen", belehrte er sie. „Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass es viel einfacher wäre, sie erst zum Büfett zu bringen und dann die Bowle anzusetzen?" Er zeigte auf die Flaschen, die auf dem Tresen standen. „Ja, aber ..." „Hier. Lassen Sie mich das machen, und bringen Sie die Ta bletts zum Büfett." „Nein", widersprach Mariah. „Ich kümmere mich um die Bowle. Kümmern Sie sich um die Tabletts." Christian versuchte, ihr die Schüssel aus der Hand zu nehmen, doch da sie sie festhielt, schwappte der Rest der roten Flüssigkeit heraus und ergoss sich über sein blütenweißes Hemd und seine Hose. Erst dann ließ er die Schüssel los und sprang zurück. „O nein!" rief Mariah entsetzt. „Sehen Sie nur, was Sie angerichtet haben!" entgegnete er wütend. „Ich? Das haben Sie sich ja wohl selbst zuzuschreiben!" Ben registrierte mit Genugtuung, dass sie es mittlerweile ge lernt hatte, sich gegen ihren Arbeitgeber zu behaupten. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Christian sie anfunkelte. Nachdem er sie einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen betrachtet hatte, wandte er sich ab. „Richte Mitch und Bethany aus, dass ich mich umziehen muss und bald wieder da bin", sagte er im Hinausgehen zu Ben. Sobald Christian die Küche verlassen hatte, lehnte Mariah sich an den Tresen. „Ist alles in Ordnung?" erkundigte sich Ben. „Mir geht es gut", erwiderte sie leise. „Es ist nur ... Christian und ich ... Ach, schon gut. Es tut mir leid, Ben." „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen." Ben nahm das Ta blett und brachte es zum Büfett. Dort trat er einen Schritt zurück, um stolz sein Werk zu betrachten. Sofort gesellte Bethany sich zu ihm. „Ben. Ich weiß gar nicht, wie wir dir danken sollen.
Alles sieht so schön aus!" Er war sicher, dass er mindestens eine Woche von ihrem Kompliment und dem glücklichen Ausdruck in ihren Augen zehren konnte. „Ach, das ist doch nur eine Kleinigkeit", wehrte er mit einem lässigen Schulterzucken ab, als hätte er alles in wenigen Stunden hingezaubert. Tatsächlich hatte er schon vor Wochen mit den Vorbereitungen angefangen. „Das Essen ist phantastisch", versicherte sie. „Und allein die Trauben und die Melonen müssen ein Vermögen gekostet haben. Das hast du ganz toll gemacht." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. „Ich wollte, dass es eine unvergessliche Feier für dich wird", erwiderte er verlegen. Er war so verdammt stolz auf sie! Mit Mitch hatte sie eine gute Wahl getroffen. Ben lächelte, als er daran dachte, dass Chrissie die beiden zusammengebracht hatte. Die Kleine war trotz ihrer acht Jahre ganz schön clever. Und er hätte für Bethany keinen besseren Mann finden können als Mitch. „Dad hat mir von dem Brief erzählt, den du Mom und ihm geschickt hast." Bethany legte ihm einen Arm um die Taille. „Es ist sehr nett von dir, dass du ihnen geschrieben hast." Wieder zuckte Ben die Schultern, obwohl es ihm noch nie in seinem Leben so schwer gefallen war, einen Brief zu schreiben, wie diesmal. „Dad hat gesagt, du hättest dich bei ihm dafür bedankt, dass er mich großgezogen hat. Für mich war es nicht einfach, ihnen zu erzählen, dass ich dich gefunden habe. Vielleicht hatte Dad unbewusst Angst davor, dass du jetzt seinen Platz einnimmst." Darüber hatte Ben auch schon nachgedacht. Er rechnete es Peter Ross hoch an, dass dieser eine Frau geheiratet hatte, die ein Kind von einem anderen erwartete, und dieses Kind so liebevoll erzogen hatte. Ben hatte sich bei ihm bedanken und ihm gleichzeitig versichern wollen, dass er nicht die Absicht hatte, ihm die Tochter wegzunehmen, denn Peter war ihr richtiger Vater. Gleichzeitig hatte Ben mit Marilyn ins reine kommen wollen. Daher hatte er sie gebeten, ihm zu verzeihen, dass er sie damals im Stich gelassen hatte. „Dad sagte, er würde sich freuen, dich als Freund zu haben", erklärte Bethany mit Tränen in den Augen. Das wusste er bereits, weil er zwei Tage vor ihrer Hochzeit einen Brief von Peter und Marilyn bekommen hatte. Obwohl er Marilyn immer noch zu lieben glaubte, war er zufrieden, denn sie war glücklich, und er hatte in Bethany nicht nur seine Tochter, sondern auch eine gute Freundin gefunden. Alles hatte sich zum Guten gewendet. „Hast du Lust, mit mir zu tanzen?" fragte Bethany, während sie ihn umarmte. „Tanzen? Ich?" wiederholte er, von plötzlicher Panik ergriffen. „Niemals. Dafür hast du doch deinen Mann. Ich gehe lieber wieder in die Küche zurück, um deine Gäste zu versorgen." Als er sich auf dem Weg zur Küche noch einmal umdrehte, stellte er erfreut fest, dass sie mit Mitch zusammen die Tanzfläche betrat. Matt wusste, dass Karen sich prächtig amüsierte. Er hatte dem Empfang für Bethany und Mitch richtig entgegengefiebert, denn als man das letzte Mal in Hard Luck eine Hochzeit gefeiert hatte, hatte Karen mit ihm geschlafen. Matt hoffte, dass in dieser Nacht dasselbe passieren würde. Er hatte sich wirklich zurückge halten und war brav wie ein Chorknabe gewesen! In den drei Wochen, die sie jetzt bei ihm wohnte, hatte er nicht einmal versucht, sie zu küssen. In Anbetracht seiner Gefühle für sie war das eine wahre Meisterleistung. Dabei hatte er die ganze Zeit gefürchtet, dass Karen nach einem Vorwand suchen würde, Hard Luck vor der Geburt wieder verlassen zu können. Sie hatte zwar nicht viele Alternativen, aber zum Beispiel hatten ihre Eltern ihr angeboten, wieder zu ihnen zu ziehen, wenn sie in Hard Luck nicht zurechtkam. Doch er wollte ihr keinen Grund geben, wieder abzureisen, und er hatte genau fünfeinhalb Monate Zeit, um sie zum Bleiben zu bewegen. Seine Zurückhaltung hatte sich jedenfalls als goldrichtig erwiesen, denn Karen war ihm gegenüber mittlerweile viel lockerer. Außerdem lernte sie das einfache Leben in Hard Luck
fast gegen ihren Willen - zu schätzen. Sie hatte sich gut eingelebt und neue Freunde gefunden. Dass Lanni auch in der Stadt lebte, war ein echter Glücksfall, denn Karen und sie sahen sich mindestens zweimal pro Woche. Um sich sinnvoll zu beschäftigen, half Karen jetzt an zwei Nachmittagen in der Bücherei aus. Sie hatte sich innerhalb kür zester Zeit schneller eingelebt als er, Matt, nach fast einem Jahr. Dass sie sich so für das Hotel interessierte, war ebenfalls ein gutes Zeichen. Ohne dass er etwas hätte sagen müssen, hatte sie den Räumen genau die weibliche Note verliehen, die ihnen seiner Meinung nach gefehlt hatte. So hatte sie beispielsweise einen Quilt auf das Sofa gelegt, eine Vase mit Blumen auf den Empfangstresen gestellt und die Räume mit Schnitzereien und kleinen Skulpturen dekoriert. Sie hatte sogar ein handgeschnitztes Totem aufgetrieben, das nun den Kaminsims zierte. Matt hatte keine Ahnung, woher sie es hatte und wieviel sie dafür bezahlt hatte, aber manchmal sah er, wie sie es betrachtete und dabei glücklich vor sich hin lächelte. Vor ein paar Tagen hatte sie ihm beim Abendessen einen Vorschlag gemacht, von dem er ganz begeistert gewesen war. Da Hard Luck oberhalb des Polarkreises lag, hatte sie ihn angeregt, allen Hotelgästen eine Urkunde zu überreichen und sie damit zu Mitgliedern des Polarkreis-Clubs zu ernennen. Außerdem hatte sie die Idee gehabt, Becher mit dem Logo von Hard Luck Lodge zu verkaufen. Wenn die Gäste sie später zu Hause oder im Büro benutzten, war das eine gute Reklame für das Hotel. Sosehr Matt sich über ihr Engagement für das Hotel freute, war das vielversprechendste Zeichen für ihn, dass Karen ihm ge genüber viel offener war, auch wenn ihr Verhältnis zueinander eher kameradschaftlich als romantisch war. Dass er erwartet hatte, gleich mit ihr zu schlafen, war ein verzeihlicher Fehler. Immerhin waren sie einander nicht fremd, und Karen erwartete ein Kind von ihm. Verdammt, er sehnte sich so nach ihr! Sein Bett war ihm noch nie so groß und so leer vorgekommen. Jede Nacht lag er lange wach und starrte an die Decke, während die Frau, die er liebte, in dem Raum darüber schlief. Ansonsten lief alles bestens. Da mittlerweile zahlreiche Reservierungen für den Sommer und für die Hundeschlittenfahrten im Winter eingegangen waren, würde er es sich spätestens im nächsten Jahr sogar leisten können, mal Urlaub zu machen. Vorerst begnügte er sich damit, dass die laufenden Kosten gedeckt waren. Das Hotel war eine lohnende Investition, und Karen schien allmählich zu derselben Ansicht zu gelangen. Ungeduldig beobachtete Matt, wie sie mit ihren Freundinnen lachte und Bethany umarmte. Die Leute tanzten bereits seit einer Stunde, und er wollte Karen endlich in den Armen halten. Schließlich ging er zu ihr und legte ihr einen Arm um die Taille. Obwohl man Karen noch nicht ansah, dass sie schwanger war, spürte er, wie ihr Bauch langsam dicker wurde. Matt war davon überzeugt, dass sie durch das Baby noch eine Chance auf einen Neuanfang hatten. „Wie wär's mit einem Tanz?" Er hatte mit den Männern ein paar Gläser Bier getrunken und war nun leicht beschwipst. „Du willst tanzen?" Karen schaute ihn skeptisch an. „Nur ein Tanz", bat er leise, während er sie mit sich in Richtung Tanzfläche zog. Sie konnte jetzt unmöglich nein sagen. „Also gut, ein Tanz." Das Glück war auf seiner Seite, denn nun wurde ein langsamer Song aus den sechziger Jahren gespielt. Matt zog Karen an sich, hielt aber immer noch genug Abstand, um sie nicht in Panik zu versetzen. Zufrieden stellte er fest, dass sie sich an ihn schmiegte und den Kopf an seine Schulter lehnte. „Ich mag Hochzeiten", sagte sie leise. Während sie die Melodie mitsummte, schloss er die Augen und dachte an die Zeiten, als Karen ihn noch vorbehaltlos geliebt hatte. Aus einem Tanz wurden schließlich zwei, dann drei. Für Matt war es ein so vertrautes
Gefühl, Karen in den Armen zu halten, als hätte sie ihn nie verlassen und nie aufgehört, ihn zu lieben. Als er sich irgendwann umschaute, stellte er fest, dass viele Gäste inzwischen gegangen waren. Daher führte er Karen von der Tanzfläche und schlenderte mit ihr zum Hotel zurück. Dort angekommen, küsste er sie, als wäre es ganz selbstverständlich. Er hatte sich schon seit Wochen danach gesehnt und seit Tagen an nichts anderes gedacht. Karen seufzte, als er seine Lippen auf ihre presste. Sie schmeckte nach Sommer und Sonne - einfach himmlisch! Da er spürte, dass sie es auch wollte, küsste er sie immer leidenschaftli cher, während sie sich immer enger an ihn schmiegte und ihm die Arme um den Nacken legte. Verlangend ließ er die Hände über ihren Rücken und schließlich über ihre sanft gerundeten Hüften gleiten und presste sich an sie. „Ich liebe dich, Karen", brachte er hervor, nachdem er sich von ihr gelöst hatte. „Ich bin verrückt nach dir." „O Matt..." „Du weißt, was ich will", sagte er rau. Karen lehnte die Stirn an seine Schulter und atmete ein paarmal tief durch. „Ich glaube, ich gehe jetzt besser nach oben." „Nach oben? Heißt das, du willst nicht..." Matt verstummte, weil ihm klar war, dass es keinen Sinn hatte, sich mit ihr zu streiten. „Gute Nacht, Matt." Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke für den romantischen Abend." Daraufhin drehte sie sich um und stieg die Treppe hinauf - allein.
6. KAPITEL
Karen war drauf und dran gewesen, mit Matt zu schlafen, doch das durfte er auf keinen Fall wissen. Sie war ganz schockiert darüber, wie leicht sie immer auf ihn hereinfiel. Obwohl sie noch nicht einmal vier Wochen in Hard Luck war, hatte er sie schon fast von seinem neusten Traum überzeugt - genauso wie er es vorher so oft getan hatte. Sie jedenfalls glaubte bereits, dass er mit dem Hotel Erfolg haben würde. Allerdings hätte sie es besser wissen müssen, denn sie hatte das alles schon zu oft mitgemacht, um nicht zu ahnen, was sie erwartete. Es würde genauso ablaufen wie immer. Sobald Matt sie für seinen Plan gewonnen hatte, würde er das Ganze aus irgendeinem lächerlichen Grund aufgeben. Dasselbe hatte ihr Vater ständig mit ihrer Mutter gemacht. Karen wunderte sich immer noch darüber, dass sie ausgerechnet Matt hatte heiraten müssen. Dennoch liebte sie ihren Vater, denn trotz seiner Fehler war er genau wie Matt ein anständiger Kerl. Ihr war klar, dass sie allmählich schwach wurde. Sie fühlte sich wohl in Hard Luck und hatte dort schnell Freunde gefunden. Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde war sehr stark, was sie besonders in ihrer derzeitigen Situation zu schätzen wusste. Außerdem war die Landschaft wie überall in Alaska atemberaubend. Von ihrem Zimmerfenster aus hatte Karen einen herrlichen Blick auf die Brookskette. Die Tundra blühte gerade in allen erdenklichen Farben, und die Schönheit der Umgebung war geradezu betörend. Im Januar, zum Zeitpunkt der Geburt, würde natürlich alles ganz anders aussehen. Im Winter wurde es oberhalb des Polarkreises kaum hell, und die Temperaturen konnten auf minus vierzig Grad fallen. Andererseits hatte Karen lange in Alaska gelebt, so dass sie daran gewöhnt war. Als sie am nächsten Morgen aus ihrem Fenster schaute, dachte sie über ihr Verhältnis zu Matt nach. Irgendetwas mussten Hochzeiten und langsame Tänze wohl an sich haben, da sie ihren Widerstand immer wieder zum Schmelzen brachten. Sobald Matt sie auf die Tanzfläche geführt hatte, war sie zutiefst beunruhigt gewesen. Und schon bevor er sie geküsst hatte, hatte sie geahnt, was passieren würde. Da sie sich jedoch so nach ihm sehnte, hatte sie es geschehen lassen. Wenn sie sich in Zukunft nicht besser beherrschte, konnte das zu einem echten Problem werden. Vielleicht sollte sie das Angebot ihrer Eltern annehmen, bei ihnen in Anchorage zu wohnen, bis das Kind geboren wurde. Der Gedanke daran deprimierte sie aber so sehr, dass sie ihn gleich wieder verwarf. Sie schloss die Augen und versuchte, sich an die Orte zu erinnern, wo sie als Kind gelebt hatte. Ihre Familie war so oft umgezogen, dass Karen nirgends Wurzeln hatte schlagen können. Ein so unstetes Leben wollte sie nie wieder führen, weil es sie zu sehr an ihre oftmals traurige Kindheit erinnerte. Es fiel ihr schwer, sich die Wahrheit einzugestehen: Sie wollte Hard Luck nicht verlassen, und sie wollte nicht von Matt ge trennt sein - zumindest nicht während der Schwangerschaft. Nach der Geburt würde sie ihre Eltern in Anchorage besuchen, bevor sie mit dem Baby nach Kalifornien zurückkehrte. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging sie nach unten, wobei sie gähnte und die Arme über den Kopf streckte. Es war erstaunlich, wie gut es ihr ging. Matt, der hinter dem Empfangstresen stand, blickte auf, als sie zu ihm kam. „Du siehst ziemlich ausgeruht aus", meinte er trocken. „Das bin ich auch." Unwillkürlich fragte sich Karen, warum er sie nicht so fröhlich wie sonst begrüßte. Normalerweise war er nämlich gut gelaunt, während sie eher zu den Morgenmuffeln gehörte. Allerdings fiel ihr das Aufstehen nicht so schwer, wenn sie einen geregelten Tagesablauf hatte. Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen bestand allerdings darin, dass Matt ein Optimist war und sie Realistin - zumindest behauptete sie das immer.
An diesem Morgen fühlte sie sich - aus welchem Grund auch immer - besonders gut. Leise vor sich hin summend goss sie sich ein Glas Orangensaft ein und gesellte sich dann wieder zu Matt. „Heute treffe ich mich mit Lanni", bemerkte sie, bevor sie einen Schluck trank. Er nickte kurz und vertiefte sich wieder in das Gästebuch. „Hast du etwas?" erkundigte Karen sich. „Nein", entgegnete er schroff. „Du bist heute aber brummig." Wütend funkelte er sie an. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. Matt schmollte, weil sie nicht mit ihm geschlafen hatte! Ein solches Verhalten war völlig untypisch für ihn, weil er eigentlich immer gute Laune hatte. Es war sein unerschütterlicher, fast kindlicher Optimismus, der sie oft zum Verzweifeln gebracht hatte. Matt weigerte sich, ein Problem ernsthaft zu betrachten, geschweige denn, es überhaupt als solches anzuerkennen. Dass er so mit sich selbst beschäftigt war, kannte sie gar nicht von ihm. Sie lächelte unwillkürlich. „Was ist daran so witzig?" fragte er schroff. „Du. Du schmollst, Matthe w Caldwell." „Von wegen." Er klappte das Buch zu. „Ich habe letzte Nacht nur schlecht geschlafen." Karen fragte ihn nicht nach dem Grund, da sie ihn bereits kannte. Er seufzte schwer und schüttelte den Kopf. Karen winkte ihm kurz zu, bevor sie sich abwandte und zur Tür ging. Doch er hielt sie noch einmal zurück. „Karen. Gestern abend hast du etwas gesagt, was mich fasziniert hat." „Ach ja?" „Bevor du nach oben gegangen bist, hast du dich bei mir für den romantischen Abend bedankt." „Und?" Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. „Was war gestern abend so romantisch?" Karen zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht. Vielleicht die Art, wie wir getanzt haben, wie du mich in den Armen gehalten und geküsst hast..." „Aber du hast nicht mit mir geschlafen." Auch in diesem Punkt hatten sie sich oft gestritten. „Verwechsle bitte Sex nicht mit Romantik", sagte Karen. „Eine Frau möchte umworben werden." „Umworben ..." Matt wiederholte das Wort, als würde es einen Zauber enthalten. Dann begannen seine Augen zu funkeln. „Es ist vielleicht nicht gut, wenn ich es dir erzähle, aber ge stern abend hast du mich wirklich in Versuchung geführt", ge stand sie. „Ich konnte dir kaum widerstehen." Nun lächelte er anmaßend, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Aha. Und warum hast du nicht mit mir geschlafen? Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe und wie sehr ich mir wünsche, dass wir beide wieder zusammen sind." Verlegen senkte sie den Blick. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich genauso danach sehnte. „Ich brauche mehr Zeit." Das klang zwar wenig überzeugend, war aber die Wahrheit. „Und was ist, wenn ich dich umwerbe?" schlug er vor. „Würde das etwas nützen?" Als sie ihn wieder ansah, zitterte sie vor Furcht. Ihr war klar, dass es bereits zu spät war. Sie liebte ihn. „Karen?" „Ich glaube, es wäre für uns beide gut", erwiderte sie schließlich, bevor sie nach draußen eilte. Matt warf vergnügt seinen Stift in die Luft und fing ihn wieder auf. Warum war er nicht schon eher auf die Idee gekommen? Die Lösung lag doch auf der Hand, und er hatte es bisher nicht gemerkt! Jede Frau wollte, dass ein Mann ihr zeigte, wie sehr er sie liebte und schätzte. Er musste Karen beweisen, was er für sie empfand, und er musste ihr einen Grund geben, ihn wieder zu
heiraten - von der Tatsache, dass sie ein Kind von ihm erwartete, einmal abgesehen. Bis jetzt war er davon ausgegangen, das würde reichen. Während seiner Ehe war er jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass Frauen ziemlich unpraktisch veranlagt waren, was Herzensange legenheiten betraf. Mit derselben Entschlossenheit, mit der er sich an die Renovierung des Hotels gemacht hatte, nahm er sich nun vor, seine Frau zurückzuerobern. Plötzlich wurde Matt wieder ernst. Er legte den Stift auf den Tresen und fuhr sich über die Stirn, auf der feine Schweißperlen standen. Karen wollte umworben werden. Wie, zur Hölle, sollte er dabei vorgehen? „Was hältst du davon?" fragte Lanni, sobald Karen auf der letzten Seite angelangt war. Nervös biss Lanni sich auf die Lippe, während sie darauf wartete, was ihre Freundin zu ihrem neuesten Artikel sagen würde. Charles hatte ihn bereits gelesen und war begeistert gewesen. Allerdings bezweifelte Lanni, dass er ihre Arbeit objektiv beurteilen konnte. Seiner Ansicht nach waren ihre Artikel hervorragend, und sosehr ihr das schmeichelte, musste sie eine andere Meinung dazu hören. Karen seufzte, während sie die Unterlagen ordnete. „Und?" Lanni zog einen Stuhl hervor und setzte sich ihr ge genüber an den Tisch. „Was sagst du dazu? Ich möchte die Wahr heit hören?" „Die Wahr heit", wiederholte Karen. „Dies ist ein hervorragend geschriebener Artikel, Lanni." „Findest du?" „Weißt du schon, an welchen Verlag du ihn schicken willst?" Lanni nannte den Namen eines überregionalen Reisemagazins, rechnete aber damit, dass Karen vorschlagen würde, ihn an eine Lokalzeitung zu schicken. „Gute Idee." „Findest du?" meinte Lanni wieder. „Lanni, du solltest wirklich mehr auf deine Fähigkeiten vertrauen. Dieser Artikel über den Mount McKinley ist einer der besten, die ich je gelesen habe. Im letzten Jahr ..." Karen zögert einen Moment, bevor sie fortfuhr: „Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber dein Stil ist reifer geworden. Sicher hat dein Job bei der Zeitung dazu beigetragen, aber es ist nicht nur die Technik." Lanni hing förmlich an Karens Lippen, so gespannt war sie. „Deine Arbeit hat eine ganz neue ... Tiefe." Lanni war sicher, dass es an Charles lag. Durch die Liebe zu ihm hatte sie eine ganz andere Einstellung zum Leben und zu ihren Mitmenschen bekommen. Sie war toleranter geworden und konnte sich besser in andere Leute hineinversetzen. Außerdem hatte Charles ihr dabei geholfen, Alaska liebenzulernen. Charles und sie hatten acht Monate mit der Hochzeit gewartet, bis sie ihre Tätigkeit bei der Zeitung, die den Abschluss ihres Studiums bildete, beendet hatte. Wenn sie allein darüber hätte entscheiden können, hätte sie schon Weihnachten geheiratet, aber Charles hatte darauf bestanden, dass sie ihren Vertrag mit der Zeitung erfüllte. Er hatte wohl befürchtet, sie könnte ihre Meinung ändern, weil er zehn Jahre älter war als sie. Doch sie hatte nicht eine. Sekunde daran gezweifelt, dass Charles O'Halloran und sie füreinander bestimmt waren. Ihre Familien hatten sich jahrzehntelang gehasst, weil Catherine Fletcher, Lannis Großmutter, den O'Hallorans nur Leid zuge fügt hatte. David O'Halloran, Charles' Vater, war der einzige Mann gewesen, den Catherine je geliebt hatte. Doch da er sie verletzt hatte, hatte sie alles darangesetzt, ihm auch weh zu tun. Auf beiden Seiten war viel Unrecht geschehen. Jetzt waren David und Catherine tot. Lanni war überzeugt, dass beide mit ihrer Heirat einverstanden gewesen wären, durch die die Fletchers und die O'Hallorans sich wieder versöhnt hatten. Möglicherweise war es etwas weit hergeholt, aber Lanni glaubte, dass das
Schicksal sie mit Charles zusammengebracht hatte, damit sie das Unrecht der Vergangenheit wiedergutmachten. „Es gibt noch ein paar Tippfehler", meinte Karen, während sie die Seiten durchblätterte. Nachdem sie Lanni die entsprechenden Stellen gezeigt hatte, trank sie ihr Glas leer. „Ich würde gern wissen, was an deinem Stil so anders ist." Lanni lächelte in sich hinein, denn sie wusste es bereits. Matt setzte sich im Hard Luck Cafe an den Tresen. Wenn man Rat brauchte, holte man ihn sich bei Ben Hamilton. Obwohl Ben selbst nie geheiratet hatte, galt er in Hard Luck als Experte, was Partnerschaftsprobleme betraf. „Kaffee?" fragte Ben, während er die Kanne hochhielt. „Nein danke. Ich wollte nur einen Rat von dir", erklärte Matt unumwunden. „Willst du nichts bestellen?" „Nein, ich wollte dich fragen ..." „Meine Ratschläge sind nicht mehr umsonst", informierte Ben ihn. „Du lehnst dich entspannt zurück, isst ein Stück von meinem selbstgemachten Apfelkuchen, und dann beantworte ich deine Fragen." „Ich habe aber keinen Hunger." Dass Ben seine Gäste zum Be stellen drängte, war Matt neu. „Läuft das Geschäft etwa nicht gut?" „Na ja, ich profitiere nicht gerade davon, dass so viele Frauen nach Hard Luck gekommen sind. Wenn sie keinen Ehemann ha ben, den sie bekochen, laden sie die Junggesellen zu sich nach Hause zum Essen ein. Im Vergleich zum letzten Jahr habe ich schon zwanzig Prozent Umsatzeinbuße." Matt schien es, als müsste er sich Bens Probleme anhören und nicht umgekehrt. „Deswegen bietest du neuerdings also eine Tageskarte für Stammgäste an." „Genau." Matt hatte durchaus Verständnis für Bens Situation und wollte das Hard Luck Cafe unterstützen. „Na gut, gib mir eine Tasse Kaffee." Ben nickte zufrieden und schenkte ihm eine Tasse ein. Dann stützte er die Hände auf den Tresen. „Was kann ich für dich tun?" „Es geht um Karen." Ein wissendes Lächeln umspielte Bens Lippen. „Natürlich." „Sie möchte ... umworben werden." „Umworben?" wiederholte Ben, als hätte er den Ausdruck noch nie gehört. „Was meint sie damit?" Mit dieser Reaktion hatte Matt nicht gerechnet. Er hatte keine Lust, den Kaffee für nichts und wieder nichts zu bezahlen. „Verdammt, was glaubst du, warum ich dich gefragt habe?" Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet, und Sawyer O'Halloran kam herein. „Sawyer", meinte Ben sichtlich erleichtert. „Hast du ein paar Minuten Zeit?" „Klar." Sawyer setzte sich auf den Barhocker neben Matt. „Matt hat ein Problem. Vielleicht kannst du ihm helfen." „Gern." Sawyer drehte einen Becher um, damit Ben ihm einschenken konnte. „Karen möchte umworben werden", erzählte Matt. „Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?" fragte Ben. Sawyer runzelte die Stirn, während er einen Schluck Kaffee trank. „Da fragt ihr den Falschen. Ich weiß zwar, was es bedeutet, aber wie ma n es anstellt, kann ich auch nicht sagen." „Du hast Abbey doch dazu gebracht, dich zu heiraten", erinnerte Ben ihn. „Klar. Allerdings war das nicht einfach." „Wie hast du es geschafft?" erkundigte sich Matt. Er war zwar selbst schon einmal verheiratet gewesen, aber damals waren Karen und er noch jung gewesen. Er konnte sich
nicht entsinnen, etwas Besonderes gemacht zu haben. Sie waren einfach übereingekommen zu heiraten. Natürlich hatte er Karen geliebt, doch von Umwerben war nicht die Rede gewesen. „Zuerst war mir gar nicht klar, dass ich Abbey liebe", gestand Sawyer. „Es hat mich nur gestört, dass die anderen Männer sie ständig umlagert haben. Nachdem ich erfahren hatte, dass Pete Livengood ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, bin ich ausge rastet." „Pete ist doch mit Dotty verheiratet", wandte Matt ein. „Das war, bevor Dotty nach Hard Luck gekommen ist", erklärte Ben. „Also, Pete hat Abbey einen Heiratsantrag gemacht." „Ich war außer mir vor Wut", fuhr Sawyer leise fort. „Christian und ich hatten ziemlich viel Geld in unsere Aktion investiert. Und ich habe mir eingeredet, dass ich mir die ganze Mühe nicht gemacht hatte, damit Pete mir Abbey wegschnappt." „Und was hast du unternommen?" fragte Matt. „Das Naheliegende. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie heiraten würde, wenn sie so versessen auf einen Ehemann ist." Vielleicht ist das Ganze einfacher, als ich dachte, überlegte Matt. „Gute Idee. Hat es funktioniert?" Ben lachte leise. „Und ob. Abbey hat sofort ihre Sachen ge packt und wollte mit der nächsten Maschine wegfliegen." „Und was hast du als nächstes getan?" wandte Matt sich an Sawyer. Sawyer umfasste seinen Becher mit beiden Händen. „Was sollte ich schon tun? Ich habe sie angefleht." „Angefleht?" Damit hatte er, Matt, es auch schon versucht. Allerdings hatte es nicht funktioniert. „Ich hatte mich noch nie zuvor so elend gefühlt. Wenn es eine Brücke gegeben hätte, wäre ich glatt runtergesprungen." Nun musste Sawyer auch lachen. „Eins weiß ich: Ohne Abbey hätte ich nicht weiterleben können. Ich liebe sie und die Kinder." „Und womit hast du sie überzeugt?" Sawyer dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. „Keine Ahnung. Nachdem sie meinen Heiratsantrag angenommen hatte, war ich so glücklich, dass ich sie gar nicht mehr gefragt habe." Wieder wurde die Tür geöffnet, und Scott O'Halloran stürmte herein. „Der Hund muss draußen bleiben", ermahnte Ben Scott. Der sagte etwas zu Eagle Catcher, der daraufhin sofort stehenblieb, den Schwanz einklemmte und kehrtmachte. „Der versteht offenbar jedes Wort", bemerkte Matt. „Ich komm' gleich", meinte Scott zu dem Hund, bevor er zum Tresen lief und eine Dollarnote darauf legte. „Hast du noch was von dem Eis, Ben?" „Klar." Ben drehte sich um und ging in die Küche, wo die Kühltruhe stand. „Karen möchte also umworben werden", sagte Sawyer zu Matt. „Sie möchte, dass du ihr den Hof machst." Umwerben, den Hof machen ... Wie immer man es nennen mochte, Matt war genauso schlau wie vorher. Er wusste ja, worum es ging, aber er hatte keine Ahnung, wie er es anstellen sollte. „Gute Idee", murmelte Scott geistesabwesend. „Was meinst du damit?" hakte Matt nach. „Dass du Karen den Hof machst. Wenn sie dich wieder heiratet, hat Angie oder Davey jemand zum Spielen." „Das sind die Namen, die wir für unser Baby ausgesucht ha ben", erläuterte Sawyer. „Ich kann dir nur raten, auf Scott zu hören. Er hat mir damals wertvolle Ratschläge gegeben." „Wirklich?" Matt bezweifelte, dass ein Zehnjähriger ihm weiterhelfen konnte. „Du hältst es also für eine gute Idee, wenn ich meiner Exfrau den Hof mache", fügte er an Scott gewandt
hinzu. Im nächsten Moment kehrte Ben mit dem Eis zurück. Scott blickte misstrauisch in die Runde. „Ja", sagte er schließlich, als würde es sich um eine Fangfrage handeln. „Und hast du einen Vorschlag, wie man das anstellen soll?" Ben stützte sich auf den Tresen, nachdem er Scott das Eis gege ben hatte. „Na ja ..." Scott räusperte sich verlegen. „Er könnte ihr nette Dinge sagen." Die drei Männer wechselten vielsagende Blicke. „Klingt nicht schlecht", meinte Ben. „Ja. Sag ihr ... sag ihr, dass ihre Augen so braun sind wie das Winterfell eines Bären", schlug Sawyer vor. „Ihre Augen sind blau", wandte Matt ein. „Blau ... blau ..." Sawyer dachte angestrengt nach, während er das Wort noch mindestens zehnmal wie eine Beschwörungs formel wiederholte. Schließlich gab er es auf. „Habt ihr eine Idee? Ich bin nicht gerade ein Dichter." Das hatte Matt bereits gemerkt. „Du musst liebevoll sein", schlug Scott als nächstes vor. „Aber... Karen ist schon schwanger", erwiderte Matt stockend. Noch liebevoller konnte er wohl kaum sein. „Stimmt", bestätigte Sawyer. „Was ist mit Blumen?" meinte Ben. „Frauen sind angeblich ganz verrückt danach." Daran hatte Matt auch schon gedacht. Allerdings hatte er kein Geld für solche Extravaganzen. Und außerdem ... „Warum sollte sie sich Blumen wünschen, wenn die Tundra in voller Blüte steht?" gab er zu bedenken. „Du könntest ihr welche pflücken", riet Ben. Matt machte eine abfällige Geste. „Ich habe Besseres zu tun, als in der Tundra herumzulatschen und nach Tulpen zu suchen." „Es gibt dort keine Tulpen", erinnerte Sawyer ihn. „Das weiß ich selbst." Allmählich verlor Matt die Geduld. Er wandte sich wieder an Scott. „Hast du noch eine andere Idee?" Der Junge verschlang gerade sein Eis und schien es offenbar kaum erwarten zu können, wieder nach draußen zu seinem Hund zu laufen. „Biete ihr Romantik", sagte er kurz angebunden. „Romantik", wiederholte Matt. Genau darum war es doch ge gangen, oder nicht? „Kann ich jetzt gehen?" fragte Scott. „Klar." Matt nahm den Geldschein vom Tresen und gab ihn Scott. „Setz das Eis auf meine Rechnung, Ben." Und an den Jungen gewandt, fügte er hinzu: „Danke für deine Hilfe, Scott." Blitzschnell verließ Scott das Cafe. „Ich hab 's!" rief Sawyer plötzlich und sprang auf. „Warum bin ich bloß nicht eher darauf gekommen? Ich habe die perfekte Lö sung für dich." „Tatsächlich?" Sawyer ging aufgeregt hin und her und klopfte sich dabei auf den Schenkel. „Ich verstehe nicht, dass es mir nicht früher eingefallen ist. Eines der romantischsten Dinge, die Abbey und ich unternommen haben, war, zum Abbey Lake zu fliegen?" „Zum Abbey Lake?" „Ja, ich habe den See nach ihr benannt. Das war ein Riesenspaß für sie." „Ich besitze keinen See, den ich nach Karen benennen könnte", erwiderte Matt resigniert. Da die O'Hallorans viel Land in der Umgebung besaßen, konnten sie es sich leisten, irgendwelche Seen nach ihren Frauen zu benennen. Außerdem konnte nicht mehr jeder Bürger beliebig viel Land erwerben, wie es der Fall gewesen war, bevor Alaska als Staat in die Union aufgenommen worden war. Sawyer seufzte entnervt. „Das meinte ich auch gar nicht. Ich wollte dir nur sagen, dass du mit Karen einen Trip in die Wildnis machen sollst."
„Soll ich mit ihr Angeln gehen?" „Warum nicht?" „Ja", stimmte Ben ein. „Warum nicht?" Matt fiel nichts ein, was dagegen sprach. „Meint ihr wirklich, das würde ihr gefallen?" „Abbey hat es jedenfalls Spaß gemacht", erklärte Sawyer. „Ich bin mit ihr und den Kindern zum See geflogen. Das ist jetzt etwas über ein Jahr her. Es war an einem dieser heißen Sommertage, die wir manchmal haben." „Das war eine richtige Hitzewelle", ergänzte Ben. „An einem Abend hatte ich süßsaure Hackbällchen auf der Speisekarte. John Henderson hat zwei Teller davon gegessen." „Erzähl weiter", forderte Matt Sawyer auf. „Es war eines der ersten Male, dass ich Abbey geküsst habe. Die Kinder haben im Wasser geplanscht." Bei der Erinnerung daran funkelten Sawyers Augen. „Damals ist mir klargeworden, wie sehr ich es genossen habe, mit ihr zusammenzusein." „Kein Wunder, wenn du sie geküsst hast." Ben griff zur Kaffeekanne, um ihnen nachzuschenken. Matt war immer noch skeptisch. „Ich glaube, Karen ist kein Fan von Exkursionen in die Wildnis." „Meinst du, Abbey ist es?" fragte Sawyer. Langsam nahm die Idee in Matts Geist Gestalt an. Karen und er allein in der Tundra ... Da konnte allerhand passieren. „Sag ihr, dass sie mal eine Angeltour mitgemacht haben muss, wenn sie die Anrufe der Reiseveranstalter entgegennimmt", schlug Ben vor. „So kann sie die Fragen besser beantworten." Matt biss sich auf die Lippe. „Das klingt einleuchtend." „Und dann mach dieselbe Tour mit ihr wie mit deinen Gästen." Es würde nicht ganz dasselbe sein, wenn sie zusammen in einem Zelt schliefen. Die Vorstellung, dicht aneinandergekuschelt mit Karen in einem Zweimannzelt zu liegen, war durchaus reizvoll. Nach all den frustrierenden Nächten, in denen er, Matt, sich allein in seinem Bett hin und her gewälzt hatte, würde es einfach himmlisch sein. „Kein übler Vorschlag", gestand er schließlich. „Versuch es mal." Ben war sichtlich erfreut über das Ergebnis ihrer Unterhaltung. „Allerdings würde ich ihr das Kochen überlassen." „Das mache ich normalerweise", wandte Matt ein. Wenn die Leute tausend Dollar und mehr für einen Angelurlaub zahlten, wollen sie ihr Essen natürlich nicht selbst zubereiten. „In der Beziehung sind Frauen ziemlich eigen. Sie mögen lieber selbst kochen." Matt musste ihm recht geben, denn bisher hatte Karen für sie gekocht. Nur wenn Gäste da waren, übernahm er diese Aufgabe. „Ich glaube, du hast recht", sagte er, während er aufstand. „Vielen Dank für alles." „Keine Ursache", meinten Ben und Sawyer im Chor, als Matt das Cafe verließ. „Hast du mit Matt alles besprochen?" fragte Scott Sawyer beim Abendessen. „Besprochen?" Abbey blickte verwirrt von ihrem Mann zu ihrem Sohn. Scott stocherte mit der Gabel in seinem Lachs. „Dad hat Matt Caldwell Tips gegeben, wie er Karen Romantik bieten kann." „Sawyer hat Matt Tips gegeben?" wiederholte Abbey nun über alle maßen verblüfft. Sawyer lächelte. „Ja. Der arme Kerl kam ganz geknickt zu Ben, weil er nicht weiß, wie er seine Exfrau zurückerobern kann." „Und du hast es ihm gesagt?" Das kann ja interessant werden! „Stimmt." Sawyer betrachtete angestrengt seine Fingernägel. „Du?" Abbey musste sich beherrschen, um nicht zu kichern. „Und Ben", verteidigte er sich. „Mir haben sie auch lauter Fragen gestellt", warf Scott ein.
„Dir?" Das wird ja immer besser, dachte sie. Ihr Sohn nickte. „Und was hast du den drei Romantikern erzählt?" Obwohl sie Sawyer über alles liebte, musste sie zugeben, dass er genausoviel von Romantik verstand wie sie von Flugzeugen. Er gab sich zwar redliche Mühe, aber sie musste ständig nachhelfen. „Ich hab' Matt gesagt, dass er liebevoll sein muss", berichtete Scott. Sawyer runzelte die Stirn und erwiderte etwas belehrend: „Weißt du, Scott, liebevoll ist man zum Beispiel zu einem Hund. Frauen erwarten viel mehr von einem Mann." „Ach ja?" Abbey aß schnell ein Stück Lachs, um sich ihre Be lustigung nicht anmerken zu lassen. „Und was hast du ihm noch geraten, Scott?" Der Junge kniff die Augen zusammen, als er fortfuhr: „Dass er Karen nette Dinge sagen soll - wie hübsch sie ist und so." „Das ist gut." „Findest du?" meinte Sawyer überrascht. „Damit hatten wir unsere Probleme." „Ja?" Das überraschte Abbey nicht im mindesten. „Karen hat blaue Augen, und uns ist nichts eingefallen, womit man ihre Augen vergleichen kann." „Wie wär's mit dem Himmel?" schlug Susan vor. „Der Himmel, genau!" Sawyer zeigte mit der Gabel auf seine achtjährige Adoptivtochter. „Das muss ich Matt unbedingt sagen." Abbey verdrehte die Augen. „Und zu welchem Ergebnis seid ihr Meister der Romantik nun gekommen?" Er legte seine Gabel auf den Tisch und stützte die Ellbogen auf. Dann beugte er sich vor, als würde er ein wunderbares Geheimnis preisgeben. „Wir sind ganz Ohr", ermunterte sie ihn. Daraufhin wandte er sich an die Kinder. „Erinnert ihr euch noch an den Tag, als ich mit euch und eurer Mutter zum Abbey Lake geflogen bin?" Beide nickten begeistert, woraufhin er übers ganze Gesicht strahlte. „Genau das ist es." „Heißt das, du hast Matt geraten, mit Karen schwimmen zu gehen?" hakte Abbey nach, die sich noch genau daran erinnerte, wie kalt das Wasser gewesen war. „Nicht direkt." Sie schaute ihn erwartungsvoll an. „Ich dachte, das romantischste wäre vielleicht, mit ihr zu zelten." „Zelten?" wiederholte Abbey entsetzt. „Und zu angeln. Ben hat ihm geraten, Karen das Kochen zu überlassen, weil Frauen das normalerweise immer übernehmen." „O Sawyer!" Abbey schloss verzweifelt die Augen. „Siehst du?" verkündete er großspurig. „Das ist echte Romantik. Man macht zusammen eine Tour in die Wildnis." Nun barg sie das Gesicht in den Händen. „Eine tolle Idee, findest du nicht?" Sie schüttelte langsam den Kopf. „Was habe ich bloß falsch gemacht?"
7. KAPITEL
„Weißt du, woran ich gerade gedacht habe?" fragte Karen beim Abendessen, während sie Matt betrachtete, der ihr gegenüber an dem runden Eichentisch saß. Wenn sie keine Gäste hatten, aßen sie immer in der Küche. Matt schien in Gedanken versunken zu sein, denn er reagierte nicht auf ihre Frage. „Matt?" „Tut mir leid", meinte er und schaute sie an. „Ich habe heute nachmittag einen Blick in deine Bücher ge worfen." Sie hätte es ihm nicht verdenken können, wenn er sie darauf hingewiesen hätte, dass seine Finanzen sie nichts angingen, weil das Hotel ihm gehörte. „Habe ich Soll und Haben verwechselt?" witzelte er. „Nein, natürlich nicht", erwiderte sie, denn ein solcher Fehler wäre ihm nie unterlaufen. „Mich hat nur überrascht, dass du finanziell so erfolgreich bist." „Es sieht ziemlich vielversprechend aus, nicht?" Dass Matt so geschäftstüchtig war, überraschte Karen. Die Hundeschlittenfahrten im Winter waren bereits ausgebucht, und er hatte von jedem Kunden eine Anzahlung verlangt, die bei einer Stornierung nicht erstattet wurde. „Für den Winter müsstest du wohl jemand einstellen, der dich unterstützt." „Meinst du wirklich?" erwiderte er sichtlich erstaunt. „Du wirst eine Küchenhilfe und ein paar Zimmermädchen brauchen und vielleicht sogar jemand, der im Winter für dich einspringt." Da der Geburtstermin im Januar war, also kurz vor der ersten Tour, befürchtete sie, dass Matt zu sehr mit ihr beschäftigt sein könnte. Er hatte zwar Profis engagiert, die die Reiseteilnehmer begleiten und unterweisen würden, wollte aber selbst mitfahren, um abends die Zelte aufzubauen, die Hunde zu versorgen und zu kochen. „Ist es nicht noch ein bisschen zu früh dafür?" wandte er ein. Karen stocherte mit der Gabel in ihrem Gemüse herum. War ihm etwa nicht klar, dass der Beginn seiner Hundeschlittentouren mit dem Geburtstermin zusammenfiel? Sie wollte, dass Matt bei ihr war, wenn das Kind auf die Welt kam, aber sie würde ihn auf keinen Fall darum bitten. „Schon gut." Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Ich dachte nur, du könntest es dir leisten, ein paar Leute einzustellen." „Dafür sehe ich keinen Grund." Da sie keinen Appetit mehr hatte, stand sie auf und stellte ihren Te ller in die Spüle. Sie hatte alles getan, um Matt aus ihrem Leben zu verbannen. Daher durfte sie sich nicht wundern, wenn er bei der Geburt nicht dabeisein wollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, ihm zu sagen, wie sie darüber dachte, aber sie brachte es nicht über sich. „Bist du jetzt enttäuscht?" fragte er. „Nein, es ist schließlich dein Hotel. Es war nur ein Vorschlag." Etwas später - Karen saß gerade draußen auf der Veranda und strickte eine Decke für das Baby - gesellte Matt sich zu ihr und setzte sich auf den Stuhl neben ihr. „Ich habe nachgedacht", erklärte er. „Worüber?" „Du hast in letzter Zeit einige Reservierungen für die Angeltouren entgegengenommen." „Stimmt." Es hatte sie überrascht, dass so viele Leute ihren Urlaub ein Jahr im voraus buchten. Wenn es mit den Reservie rungen für die nächste Sommersaison so weiterging, würde das Hotel bereits vor Jahresende ausgebucht sein. Sie hätte nie vermutet, dass es tatsächlich Leute gab, die so viel Geld ausgaben, nur um ein paar mickrige Fische zu fangen. „Ich nehme an, dass du nicht alle Fragen beantworten kannst", fuhr er fort. Das stimmte sogar, denn sie hatte sich einige Punkte notiert und später zurückgerufen. „Deswegen halte ich es für eine gute Idee, wenn du selbst mal eine Angeltour mitmachst."
„Heißt das, ich soll in der Wildnis zelten und angeln, nur um die Fragen der Reiseveranstalter besser beantworten zu können?" fragte sie entgeistert. „Genau. Es wird dir gefallen." „Ich soll mit dir in einem Zelt schlafen?" Vielleicht gab es noch eine andere Möglichkeit, von der sie nichts wusste. „Etwas anderes gibt es nicht." Matt schien von der Vorstellung entzückt zu sein. „Und wir werden unser Essen auf einem ganz einfachen Campingkocher zubereiten?" „Etwas so Köstliches hast du noch nie gegessen." Das bezweifelte Karen stark. „Komm schon, Schatz, was sagst du dazu?" Schockiert erwiderte sie seinen Blick. Matt und sie waren vier Jahre verheiratet gewesen, und er hatte nicht einmal gemerkt, dass sie kein Campingfan war. Obwohl sie ihm am liebsten unmissverständlich zu verstehen gegeben hätte, was sie von seiner Idee hielt, riß sie sich zusammen. Er hatte recht. „Wir können gleich morgen früh aufbrechen", meinte er mit funkelnden Augen. „Für wie lange? Eine Nacht oder zwei?" „Wie du willst." „Also gut, eine Nacht. Bist du dir sicher, dass du es wirklich tun willst?" erkundigte sie sich skeptisch. „Ganz sicher. Warte nur ab. Es wird bestimmt toll." Sie hätte gern gewartet. Andererseits wollte sie Matt helfen, und wenn das bedeutete, durch die Tundra zu laufen, war sie auch dazu bereit. Mariah nahm den Brief, den sie für Sawyer geschrieben hatte, aus dem Drucker, um ihn noch einmal durchzulesen. Als im nächsten Moment das Telefon klingelte, griff sie zum Hörer. „Midnight Sons. Sie sprechen mit Mariah. Kann ich Ihnen helfen?" Am Knistern in der Leitung merkte sie schon, dass es ein Ferngespräch war. „Mariah?" „Tracy!" Mariah freute sich sehr, von Tracy Santiago zu hören, denn sie waren inzwischen gute Freundinnen und schrieben sich regelmäßig. Tracy war die Anwältin aus Seattle, die Mariahs Eltern enga giert hatten, nachdem sie erfahren hatten, dass ihre Tochter für Midnight Sons arbeitete. Zu der Zeit war in den Medien ständig über die Aktion der O'Hallorans, mit der sie Frauen in den Norden „locken" wollten, berichtet worden, und es hatte auch einige kritische Stimmen gegeben. Obwohl Mariah ihren Eltern mehrfach versichert hatte, dass alles in Ordnung sei, hatten diese darauf bestanden, Nachforschungen über die O'Hallorans anstellen zu lassen. Zu diesem Zweck engagierten sie Tracy, die daraufhin nach Hard Luck flog. Da Tracy viele Fragen stellte, machte sie sich bei einigen Einwohnern ziemlich unbeliebt. Mariah konnte ihr allerdings nichts vorwerfen, denn schließlich tat Tracy nur ihre Arbeit. Leider hatte Mariah von Anfang an mit einem ihrer Chefs - Christian O'Halloran - Ärger gehabt. Als Tracy auftauchte, gab er daher prompt Mariah die Schuld und behauptete, sie würde nur für Unruhe sorgen. Von dem Tag an hatte er förmlich nach einem Grund gesucht, sie zu feuern. Mariah war sicher, dass er sie längst entlassen hätte, wenn Charles und Sawyer nicht gewesen wären. In letzter Zeit war ihr Verhältnis zueinander noch schlechter, was unter anderem an dem unglückseligen Vorfall auf der Hochzeitsfeier lag. Christia n hatte zwar nichts gesagt, doch Mariah wusste, dass er ihr die Schuld daran gab. „Ich rufe in meiner Eigenschaft als Anwältin an", erklärte Tracy. „Du bist jetzt ein Jahr bei Midnight Sons und hast deinen Vertrag erfüllt."
„Ich weiß." „Willst du nach Seattle zurückkehren?" Wahrscheinlich hatte ihre Familie Tracy beauftragt, sie danach zu fragen. Doch Mariah hatte sich bereits entschieden. In den letzten zwölf Monaten hatte sie Alaska und Hard Luck liebengelernt. Zum erstenmal in ihrem Leben stand sie nicht mehr unter dem Einfluss ihrer Familie, und das sollte sich nicht ändern. „Ich bleibe hier", erwiderte sie daher. „Bist du dort glücklich?" Tracy klang gar nicht überrascht, sondern eher wehmütig. „Sehr sogar." „Und was ist mit den anderen Frauen?" „Bisher ist alles prima gelaufen. Mitch und Bethany haben diesen Sommer geheiratet." Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet, und Duke Porter betrat das Büro. Wenn er Tracy begegnet war, war die Atmosphä re immer äußerst spannungsgeladen gewesen. Mariah mochte Duke. Er war zwar ein kleiner Chauvi, aber vieles, was er sagte, war reine Provokation. Tracys Problem war, dass sie ihn viel zu ernst genommen hatte. „Erinnerst du dich noch an Matt?" fuhr Mariah im Plauderton fort. „Er hat das alte Hotel von den O'Hallorans gekauft. Es ist jetzt wieder geöffnet, und seine Exfrau, Karen, ist zu ihm zurückgekehrt. Sie ist schwanger. Abbey übrigens auch. Und wie geht es dir, Tracy?" Mariah nannte ganz bewusst ihren Namen, um zu sehen, wie Duke darauf reagierte. Prompt drehte er sich zu ihr um. „Belagert diese Anwältin Sie schon wieder?" „Sekunde, Tracy." Mariah hielt die Sprechmuschel mit der Hand zu, bevor sie sich an Duke wandte. „Haben Sie etwas ge sagt?" „Ist das Tracy Santiago am Apparat?" „Ja." Mariah musste sich das Lachen verkneifen, als sie das Funkeln in seinen Augen sah. Alle amüsierten sich darüber, wie er auf Tracy reagierte. Trotzdem hatte sie den Eindruck, dass die beiden sich gut verstehen würden, wenn sie erst einmal ihre Differenzen beilegten. „Was will sie?" erkundigte Duke sich schroff. „Sie will mit mir sprechen", erklärte Mariah zuckersüß, bevor sie ihm den Rücken zuwandte. „Ich bin wieder da, Tracy." Daraufhin kam er demonstrativ zu ihrem Schreibtisch, um mitzuhören. „Ist das Duke Porter im Hintergrund?" fragte Tracy unge wohnt kühl. „Wenn ihr euch etwas Mühe geben würdet, könntet ihr Freunde sein", sagte Mariah laut. „Lieber würde ich mich mit einem Stinktier anfreunden", tönte Duke. „Richte diesem Chauvi aus, dass ich auch nichts mit ihm zu tun haben möchte", entgegnete Tracy erbost. „Ruft sie aus einem bestimmten Grund an, oder will sie noch mehr Ärger machen?" Wieder sprach Duke so laut, dass sie es hören konnte. „Mariah, lass uns lieber später noch einmal telefonieren. Ruf mich einfach an, wenn du etwas brauchst." Tracy zögerte, bevor sie hinzufügte: „Du und die anderen Frauen seid wie Freundinnen für mich." „Du bist unsere Freundin", versicherte Mariah. „Wer braucht schon eine Freundin wie ..." „Das reicht, Duke!" Mariah funkelte ihn wütend an. „Ist ja gut", beschwichtigte er sie und drehte sich um. „Rufst du mich an?" erkundigte sich Mariah. „Natürlich. Danke für deinen Anruf, Tracy. Ich habe mich sehr darüber gefreut." Sie wollte gerade auflegen, als sie Tracy kichern hörte. „Mariah?" „Ja?" „Ist Duke noch da?" „Ja."
Wieder kicherte Tracy. „Kannst du mir einen Gefallen tun?" „Sicher." „Gib ihm einen Kuss von mir, und frag ihn, ob ich immer noch seine Lieblingsfeministin bin." Nun musste Mariah lächeln. „Soll ich das wirklich tun?" „Klar. Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, wenn du ihm sagst, dass der Kuss von mir ist." „Also gut", versprach Mariah, bevor sie auflegte. Duke warf ihr einen fragenden Blick zu. „Was wollte sie diesmal?" Mariah stand auf und ging auf ihn zu, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Duke fühlte sich offenbar nicht besonders wohl in seiner Haut, denn er wich ein paar Schritte zurück und räusperte sich. „Was ist los? Sie sehen aus, als wären Sie dem Film ,Der Exorzist' entsprungen." „Tracy hat mich gebeten, Ihnen etwas zu geben", erklärte Mariah mit einem verführerischen Unterton. Als er mit dem Rücken zur Wand stand, stützte sie die Hände rechts und links von seinem Kopf dagegen. Ehe er sich's versah, presste sie die Lippen auf seine. Er wand sich wie ein Aal. Mariah nahm nur nebenbei wahr, wie die Tür geöffnet wurde. „Mariah!" Das war Christians Stimme. „Duke! Was, zum Teufel, geht hier vor?" „Dass ich nasse Füße bekomme, hast du mir aber nicht gesagt", klagte Karen, als sie mit Matt am sumpfigen Ufer des Sees ent langstapfte. Sawyer hatte sie mit dem Wasserflugzeug in das Angelgebiet gebracht, in das Matt auch seine Kunden führte. Obwohl Sawyer das Flugzeug so dicht wie möglich ans Ufer gesteuert hatte, hatten sie den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen müssen - durch das Wasser. Warum hat mir das keiner gesagt? dachte Karen wütend. Mit der Hand versuchte sie, die Mücken zu verscheuchen, die sie umschwirrten. Da sie bereits zwei Stiche im Nacken hatte, konnte sie sich wohl glücklich schätzen, wenn sie diese Gegend wieder heil verlassen konnte. „Wenn du nasse Füße hast, zieh lieber andere Schuhe an", riet Matt. „Ich habe nur ein Paar dabei. Du hast gesagt, ich soll nicht soviel Gepäck mitnehmen." Sie würde Sawyer erwürgen, wenn er sie am nächsten Nachmittag nicht pünktlich abholte. Von Anfang an hatte sie diesem Unterfangen skeptisch gegenüberge standen, und nun war sie vollends bedient. „Wir schlagen unser Lager bei der Baumgruppe dort auf." Matt deutete in die Ferne. „Der Fluss ist direkt dahinter." Karen atmete einmal tief durch, denn sie musste unwillkürlich an Lannis Begegnung mit dem Braunbären denken. Im letzten Jahr war Lanni einmal mit Abbeys Kindern in die Tundra gegangen, um Blumen zu pflücken, und Scott hatte Karen begeistert von ihrem Abenteuer berichtet. Matt hatte ihr zwar versichert, dass sie keine Angst zu haben brauchte, aber Karen wollte kein Risiko eingehen. Daher hatte sie Mitch Harris gebeten, ihr zu zeigen, wie man das Pfefferspray im Notfall einsetzen musste. Matt hielt diese Tour durch die Wild nis offenbar für eines der letzten großen Abenteuer und hatte einige Tierarten genannt, die sie vielleicht sehen würden: Elche, Rentiere, wildlebende Schafe und Wölfe. Im selben Atemzug hatte er behauptet, sie brauchte sich keine Sorgen zu mache n. „Warum haben es die Mücken bloß auf mich abgesehen?" fragte Karen, obwohl sie keine Antwort erwartete. „Am Wasser gibt es immer Mückenschwärme", erinnerte er sie. Da Matt sich offensichtlich bemühte, den Ausflug für sie zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen, verspürte sie sofort Schuldgefühle, wenn sie wieder einen Grund zur
Beschwerde fand. Im Gegensatz zu Matt konnte sie sich jedoch überhaupt nicht für derartige Unternehmungen begeistern. „Ich habe eine Flasche Wein mitgenommen", informierte er sie. Vielleicht konnte sie den Wein als Arznei benutzen und beispielsweise ihre Mückenstiche damit betupfen. Hatte Matt etwa vergessen, dass sie schwanger war und daher keinen Alkohol trank? Ihr kam es vor, als wären sie bereits meilenweit gelaufen, obwohl es bestenfalls ein paar hundert Meter sein konnten. Schließlich setzte Matt den großen Rucksack ab. „Hier schla gen wir unser Lager auf." An einen großen Felsen gelehnt, beobachtete Karen, wie er die Sachen auspackte. Er hatte wirklich an alles gedacht. „Zuerst baue ich das Zelt auf, und dann gehen wir angeln", verkündete er. „Und was ist mit dem Abendessen?" Sie hatte schon jetzt Hunger, was vermutlich an der frischen Luft lag. Andererseits war die Luft in Hard Luck genauso klar, so dass Karen sich unwillkürlich fragte, warum Matt sie in die Wildnis geschleppt hatte. Da sie außerdem den Eindruck hatte, dass sie eine Erkältung bekam, sehnte sie sich nach einem richtigen Bett ihrem Bett. „Abendessen?" Seine Augen funkelten. „Deswegen gehen wir ja auch zuerst angeln." Karen stöhnte entnervt. Er erwartete doch allen Ernstes von ihr, dass sie ihr Abendessen selbst fing! Und wenn nun kein Fisch anbiss? Schließlich hatte sie noch nie zuvor geangelt. Es ärgerte sie, dass ihr Exmann voraussetzte, sie würde etwas davon verstehen, obwohl sie noch nie einen Haken mit einem Köder versehen hatte. „Ich bin bald fertig", erklärte er, während er noch mehr Sachen aus dem Rucksack nahm. Erstaunt stellte sie fest, wieviel in den Rucksack passte und wie geschickt Matt das Zelt aufbaute. Nach kurzer Zeit kam er mit zwei Angeln in der Hand auf sie zu. „Fertig?" „Ich glaube schon", erwiderte sie gezwungen fröhlich. Er reichte ihr die Hand. „Ich habe kein Talent für solche Dinge", murmelte sie, während sie wieder eine Mücke verscheuchte. Dann musste sie niesen. Matt führte sie zu dem Fluss, der in den See mündete, und drückte ihr eine Angel in die Hand. Innerhalb kürzester Zeit stellte sie fest, dass sie tatsächlich kein glückliches Händchen beim Angeln hatte. Was immer die Fische anlocken mochte, die streng riechenden Eistückchen am Haken waren es bestimmt nicht. Matt hingegen hatte keine Probleme, denn er fing eine Regenbogenforelle nach der anderen. Mit seinen hohen Gummistiefeln stand er mitten im reißenden Wasser und lächelte ihr zufrieden zu. „Es könnte gar nicht besser sein!" rief er ihr zu. „Heißt das, es wird noch schlimmer?" Er schien zu glauben, dass sie einen Witz gemacht hatte, aber sie meinte es ernst. Obwohl er ihr ebenfalls lange Anglergummistiefel gegeben hatte, blieb Karen lieber in Ufernähe. Sie hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, auch etwas zu fangen, als plötzlich ein Fisch anbiss. „Matt." Da sie Angst hatte, den Fisch zu verjagen, wagte sie nicht zu schreien. Matt hörte sie jedoch nicht, so dass sie ihm aufgeregt zuwinkte. Im selben Moment biss der Fisch zu, und die Angel wurde ihr aus der Hand gerissen. „Matt!" rief Karen entsetzt. „Hol die Angel!" brüllte er, während er auf sie zukam. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er zu denken, dass Karen ersetzbar war, die Angel jedoch nicht. Karen blieb also nichts anderes übrig, als tiefer in das reißende Wasser zu waten, um die Angel zu holen. Glücklicherweise war die Rolle zwischen zwei Felsen eingeklemmt, sonst hätte sie sie verloren. Der Fisch hatte allerdings inzwischen das Weite ge sucht.
Als Karen endlich wieder das Ufer erreichte, war sie bis auf die Haut durchnässt. Sobald Matt bei ihr war, riss er ihr die Angel aus der Hand. „Ich habe dir doch gesagt, wie teuer die Ausrüstung ist. Ich kann es mir nicht leisten, eine Angel zu verlieren. Also halte sie nächstes Mal fest, ja?" Sie schaute ihn an und versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Ich hatte einen Fisch an der Angel. Ich ... ich wollte, dass du siehst, wie ich ihn aus dem Wasser hole." Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, legte er ihr den Arm um die Schultern. „Tut mir leid, Schatz. Ich hätte dich nicht anschreien dürfen." Karen schniefte. Am liebsten wäre sie sofort umgekehrt, aber davon wollte Matt nichts wissen. Fünf Minuten später stand sie wieder im Wasser, wobei sie ständig nieste. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis ein Fisch anbiss. Irgendwann hatte sie Glück. Als es wieder einen Ruck gab, hielt sie die Angel mit beiden Händen fest. Entweder fing sie jetzt eine Forelle oder ging bei dem Versuch zugrunde. „So ist es richtig, Schatz!" rief Matt. „Lass die Schnur locker!" Sie hatte zwar keine Ahnung, wovon er redete, aber irgendetwas schien sie richtig zu machen. Angestrengt hielt sie die Angel fest, während der Fisch am Haken zappelte. Innerhalb von Sekunden war Matt bei ihr und holte ihren Fang mit einem Kescher aus dem Wasser. „Ein schöner Fisch!" meinte er und lächelte stolz. „Stimmt." Liebevoll betrachtete sie die Forelle, die nun im Kescher zappelte. Nachdem er den Haken entfernt hatte, wollte er den Fisch in den Korb tun, doch Karen hielt ihn zurück. „Setz ihn wieder ins Wasser", sagte sie. „Ins Wasser?" wiederholte er entgeistert. „Er ist so schön ... und so tapfer." „Das ist nicht dein Ernst, Karen." „Allerdings!" rief sie. „Ich möchte nicht, dass du ihn tötest." Das Tier hatte so um sein Leben gekämpft. Matt setzte die Forelle, um Karen den Gefallen zu tun, wieder aus, schien aber wenig begeistert. Von da an wurde die Stimmung zwischen ihnen immer schlechter, was Karen eigentlich nicht wunderte. Sie war so müde und hungrig, dass sie für die Schönheit der Natur nicht mehr empfänglich war. Sie wollte essen, anschließend ein heißes Bad nehmen und in ihrem eigenen Bett schlafen, was natürlich illusorisch war. Ihr Beitrag zum Abendessen fiel ziemlich bescheiden aus. Während Matt die Forellen putzte, machte sie die Bohnen aus der Dose warm und bereitete Bratkartoffeln zu, die leider anbrannten. Auch die Bohnen sahen nicht besonders appetitlich aus. Zum Glück übernahm Matt anschließend das Braten der Forellen. Obwohl sie wirklich köstlich schmeckten, konnte Karen sie nicht so richtig genießen. Als sie später ins Zelt krochen, hatte auch Matts Laune sich erheblich verschlechtert. Da sie völlig übermüdet war, hatte Karen eigentlich erwartet, sofort einzuschlafen. Das war allerdings nicht der Fall. Zum einen lag es daran, dass im Zelt eine so intime Atmosphäre herrschte. Wenn sie geahnt hätte, dass sie so auf so engem Raum mit Matt zusammen schlafen würde, hätte sie darauf bestanden, ein zweites Zelt mitzunehmen. „Es riecht hier so komisch", sagte sie nach ein paar Minuten. Immer wenn sie die Augen schloss, stieg ihr ein seltsamer Geruch in die Nase, bei dem sie sofort an ein Stinktier dachte. „Das ist dein Mückenschutz", meinte Matt. „Bestimmt nicht." „Doch. Ich habe es schon den ganzen Tag an dir gerochen." „Na gut." Karen rollte sich auf die Seite, so dass sie ihm den Rücken zuwandte. Es war typisch Mann, die Luft zu verpesten, und dann der Frau die Schuld zu geben. Und wenn es
tatsächlich der Mückenschutz war - was sie bezweifelte -, hatte Matt sich auch damit eingerieben. Es vergingen ungefähr zehn Minuten, bis er wieder etwas sagte. „Ich wollte dich nicht beleidigen", erklärte er sanft. „Ich weiß. Ich bin bloß müde und schlecht gelaunt." Was hätte sie in diesem Moment für ein heißes Bad und ein sauberes Bett gegeben! „Liegst du bequem?" „Nein." Er hatte zwar eine Luftmatratze unter den Schlafsack gelegt, aber das war kein Ersatz für ein richtiges Bett. „Ich muss mal", verkündete sie fünf Minuten später. „Du warst doch gerade vor einer halben Stunde", erinnerte Matt sie. „Ich kann auch nichts dafür. In der Schwangerschaft müssen Frauen nun mal öfter zur Toilette. Bleib du ruhig liegen." Er folgte ihr trotzdem nach draußen, und als sie wieder ins Zelt krochen, hatte Karen den Eindruck, dass der Mückenschutz nicht mehr so stark roch. Vielleicht hatte sie sich auch nur daran gewöhnt. Statt in den Schlafsack zu schlüpfen, legte Matt sich darauf und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Nachdem sie ihn einen Moment betrachtet hatte, seufzte sie und legte sich ebenfalls hin, wobei sie darauf achtete, genügend Abstand zu wahren. So schlecht ist es eigentlich nicht, dachte sie. Es war zwar ziemlich unbequem, aber diese eine Nacht würde sie überstehen - sofern sie nicht von wilden Tieren angegriffen wurden. „Schläfst du schon?" fragte Matt nach einer Weile. „Nein." „Warum legst du nicht den Kopf an meine Schulter?" Unter anderen Umständen hätte sie sofort vermutet, dass er sie verführen wollte. Da sie jedoch nicht geduscht hatte und nach Mückenschutz stank, hielt sie das für äußerst unwahrscheinlich. Vorsichtig barg sie den Kopf an seiner Schulter und schloss die Augen. So fühlte sie sich schon wesentlich besser. „Du bist bestimmt enttäuscht von mir, nicht?" fragte sie leise. „Nein." „Ich bin sicher kein gutes Aushängeschild für deine Angeltouren. Wenn einer der Reiseveranstalter mich danach fragt, kann ich ihm ja von der Forelle erzählen, die ich freigelassen habe." Matt strich ihr übers Haar. „Ich finde, du hältst dich ganz wacker." „Na ja, ich muss zugeben, dass diese Touren nicht so mein Fall sind." „Wirklich nicht?" erwiderte er überrascht. „Es gibt bestimmt viele Frauen, die gern zelten und angeln gehen, aber leider ge höre ich nicht dazu." „Ich dachte..." „Was dachtest du?" Er zögerte einen Moment. „Ich dachte, du würdest es ... romantisch finden", sagte er schließlich. „Romantisch?" Karen rang um Fassung. Der Mann musste offenbar in psychiatrische Behandlung. Vielleicht brauchte er auch nur ein gutes Wörterbuch. „Du hast gesagt, dass du umworben werden möchtest." „Stimmt. Aber nicht so." Matt zog sich so unvermittelt von ihr zurück, dass sie mit dem Kopf unsanft aufstieß. „Aua." Karen öffnete die Augen wieder und rieb sich den Hinterkopf. „Warum findest du unsere Tour nicht romantisch?" fragte Matt. „Soll das ein Witz sein?" Sie machte eine ausholende Geste. „Meine Füße haben Algen
angesetzt, und die Mücken haben mich völlig zerstochen. Dann hast du mich zu diesem reißenden Fluss gebracht, und als ich beinahe deine kostbare Angel verloren hätte, hast du mir zu verstehen gegeben, dass dieses verdammte Ding dir mehr bedeutet als ich!" „Nur zu deiner Information: Allein die Rolle hat fünfhundert Dollar gekostet." Obwohl sie darüber verblüfft war, fuhr sie ungerührt fort: „Zu allem Überfluss hast du mich dann auch noch dazu gezwungen zu kochen. Vielleicht wolltest du mich dafür bestrafen, dass ich die Frechheit besessen habe, den Fisch wieder freizulassen." „Bitte, Karen..." „Und das nennst du romantisch?" Karen setzte sich auf und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Für mich ist es die reinste Tortur!" Es entstand ein spannungsgeladenes Schweigen. „Na gut", lenkte Matt schließlich ein. „Es gab heute einige Pannen. Das nächste Mal gebe ich mir mehr Mühe." „Das nächste Mal?" Wollte er das etwa noch öfter machen? „Du wolltest doch umworben werden, oder?" Er besaß tatsächlich die Frechheit, wütend zu klingen. „Und das bedeutet Romantik, stimmt's?" „Stimmt." „Dann wirst du genau das bekommen." „Wäre es nicht einfacher, mich auf einer Folterbank zu quälen?" entgegnete sie sarkastisch. „Wenn es so weitergeht, überle be ich es womöglich nicht."
8. KAPITEL
„Hier, sieh mal." Karen zeigte Lanni ihre nackten Arme, auf der zahlreiche Mückenstiche zu sehen waren. „Die Viecher haben mich bei lebendigem Leib angefressen." Lanni ging zu dem Ausstellungstisch der Bibliothek, auf dem immer die Neuerscheinungen lagen. Nachdem sie einen Blick darauf geworfen hatte, entschied sie sich für einen Krimi, den Duke Porter kurz zuvor zurückgegeben hatte. „Heißt das, du hast dich nicht amüsiert?" Karen zuckte die Schultern. Sie wusste nicht, was sie Lanni sagen sollte, denn schließlich war sie nicht nur ihre Freundin, sondern auch Matts Schwester. Wenn Lanni für sie Partei ergriff, kam sie Matt gegenüber in Verlegenheit. „Es war ein unvergessliches Erlebnis ... Und ich habe mich noch nie so schrecklich gefühlt." Karen seufzte schwer und machte eine wegwerfende Geste. „Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Es ist nur so, dass dieser Ausflug mich völlig durcheinandergebracht hat. Matt dachte anscheinend, er würde mir etwas Gutes tun." Karen schaute sich ebenfalls um, froh darüber, einmal nicht im Hotel sein zu müssen. Seit ihrer Rückkehr war Matt nämlich nicht besonders gesprächig und ziemlich mürrisch. Auch sie war nicht gerade bester Laune. Sie konnte nicht verstehen, warum zwei Menschen, die sich offensichtlich liebten, nicht einmal bei einem so lächerlichen Anlass wie einer Angeltour miteinander auskamen. Matt hatte versucht, sie an seinen Zukunftsplänen teilhaben zu lassen, während sie nur daran gedacht hatte, die Nacht in der Wildnis unbeschadet zu überstehen. „Vielleicht war es nicht dein Traumurlaub", meinte Lanni, „aber jetzt wirst du sicher in der Lage sein, die Fragen der Anrufer zu beantworten, nicht?" „Ich glaube, das hat Matt bloß als Vorwand benutzt", erwiderte Karen leise. „In Wirklichkeit wollte er mir ein romantisches Abenteuer bieten." Im nächsten Moment kehrte Abbey mit einem Tablett aus der Küche zurück. „Ich glaube, daran sind Sawyer und Ben schuld", erklärte sie, während sie das Tablett auf ihren Schreibtisch stellte. „Was haben die beiden denn damit zu tun?" fragte Karen. Abbey schenkte ihnen eine Tasse Tee ein. „Matt hat sie um Rat gefragt, wie er dich zurückgewinnen kann." „Ben und Sawyer?" wiederholte Lanni entgeistert. „Ben war doch nie verheiratet!" „Ich weiß." Abbey lächelte unwillkürlich. „Sawyer ist ehrlich gesagt auch nicht erfahrener, was Romantik betrifft. Er gibt sich redliche Mühe, aber er hat einfach zu lange allein gelebt. Ich wollte dich warnen, doch da wart ihr schon weg." „Er hat mich in die Wildnis geschleppt, um mir Romantik zu bieten." Karen schüttelte den Kopf. Wie war Matt nur auf die Idee gekommen, dass sie es romantisch fand, zwei Tage mit nassen Füßen herumzulaufen, von Mücken zerstochen zu werden und dabei ständig Angst vor Bären zu haben? „Ich bin ganz verrückt nach Charles", sagte Lanni, „und ich zelte ganz gern. Allerdings finde ich es alles andere als romantisch. Auf dem Gebiet weiß Charles genauso wenig wie Matt, nämlich nichts." „Welcher Mann hat schon eine Ahnung davon, was Frauen romantisch finden?" meinte Abbey, während sie ihnen ihre selbstgebackenen Kekse anbot. Wieder schüttelte Karen den Kopf. „Wahrscheinlich habe ich das Unmögliche von Matt verlangt, als ich ihm erklärt habe, ich möchte umworben werden." „Mir ist ziemlich schnell klargeworden, dass das ein Problem für Sawyer ist", berichtete Abbey. „Ich liebe Sawyer über alles, weil er ein prima Kerl und ein guter Ehemann und Vater ist. Ich glaube, Frauen sind einfach sentimentaler als Männer. Wir wünschen uns ab und zu einen Beweis für ihre Liebe. Zum Beispiel möchte ich, dass Sawyer sich bestimmte Daten merkt, die mir wichtig sind. Ich erwarte keine großen Geschenke. Der materielle Wert ist völlig unwichtig.“
Karen und Lanni nickten zustimmend. „Es geht nur darum, dass er daran denkt", fügte Karen hinzu. „Keine Frau sieht es gern, wenn ein Mann ihre Liebe als selbstverständ lich betrachtet." „Genau", bestätigte Abbey. „Ich möchte nicht neugierig sein", sagte Lanni, „aber welche Daten meinst du?" Abbey tat einen Löffel Zucker in den Tee. „Ich habe Sawyer erklärt, dass der Valentinstag, unser Hochzeitstag und mein Geburtstag eine große Bedeutung für mich haben, und ihn gebeten, diese Tage nicht zu vergessen." Nun trat ein sanfter Ausdruck in ihre Augen. „Er hat darauf geantwortet, dass kein Tag vergeht, an dem er nicht an mich denkt. Das war zwar lieb von ihm, aber darum ging es gar nicht." „Und wie hast du ihm zu verstehen gegeben, dass du ein kleines Geschenk erwartest?" erkundigte sich Karen. „Das hat Scott für mich getan. Er hat Sawyer darauf hingewiesen, dass ich eigentlich ein Geschenk haben möchte, wenn ich sage, dass er an mich denken soll." „Und wie hat Sawyer darauf reagiert?" Wieder lächelte Abbey. „Er hat sich prompt alle Daten aufge schrieben und den Zettel in seine Brieftasche getan." „Und? Hat er daran gedacht?" wollte Lanni wissen. „Allerdings. Er hatte vorher noch nie einer Frau Geschenke gemacht - abgesehen von seiner Mutter. Deshalb fragt er immer die Kinder um Rat." „Scott und Susan?" fragte Karen amüsiert. „Ich weiß, was du meinst. Natürlich hat er begriffen, dass ich mich weder für BarbieSachen noch für Computerspiele interessiere. In diesem Jahr hat er mir zum Geburtstag ein Kochbuch geschenkt." „Nicht schlecht." Karen war beeindruckt, denn im letzten Jahr ihrer Ehe hatte Matt ihr zum Geburtstag ein Objektiv für seine Kamera geschenkt. „Stimmt", bestätigte Abbey, „aber sein Hauptmotiv war na türlich, dass ich ihn mit meinen Kochkünsten verwöhne." „Und was hast du zum Valentinstag bekommen?" hakte Lanni nach. Abbey trank einen Schluck Tee, bevor sie antwortete. „Da hat er sich nicht soviel Mühe gemacht. Er hat mir eine Schachtel Pralinen gekauft und die, die er am liebsten mag, gleich gegessen." „Matt hat mir zum Valentinstag eine Karte geschickt." Karen erinnerte sich noch genau daran, wie sehr diese Geste sie aus der Fassung gebracht hatte. „Ich glaube, ic h weiß, warum", erklärte Lanni. „Letztes Jahr hast du ihm nämlich zu Weihnachten geschrieben. Erinnerst du dich noch daran?" Das würde Karen nicht so schnell vergessen, denn sie hatte sich die Entscheidung nicht leichtgemacht. Einerseits hatte sie ihn nicht übergehen wollen, andererseits hatte sie ihm nicht den Eindruck vermitteln wollen, dass sie auf eine Versöhnung aus war. Da Matt die Karte und den beiliegenden Brief nie erwähnt hatte, fragte sie sich, ob er sie überhaupt behalten hatte. Mit der Valentinskarte hatte er ihr vermutlich zu verstehen geben wollen, dass er sie immer noch liebte. Er hatte sie ihr zu einem Zeitpunkt geschickt, als sie besonders empfänglich dafür gewesen war. Sie hatte versucht, ihn und ihre Ehe ein für allemal zu vergessen. Als ob sie Matt je hätte vergessen können ... „Wie soll es eigentlich mit euch weitergehen?" fragte Lanni ernst. „Willst du nach der Geburt wirklich nach Kalifornien zurückkehren?" Karen hatte keine Ahnung, was sie darauf antworten sollte. „Ich weiß es nicht... Ich möchte, dass wir noch einmal von vorn anfangen. Ich liebe ihn, aber es gibt noch soviel zu klären." „Matt gibt sich jedenfalls Mühe", erinnerte Lanni sie. Karen warf einen Blick auf ihre zerstochenen Arme. „Ich fürchte, wenn er sich noch mehr
Mühe gibt, wird er mich umbringen." Charles las gerade in einer wissenschaftlichen Zeitschrift, als er jemand auf der Veranda hörte. Er legte seine Lektüre beiseite, stand auf und ging ins Wohnzimmer, weil er dachte, Lanni wäre zurückgekommen. Dann stellte sic h jedoch heraus, dass es sein jüngster Bruder war. „Hallo, Christian. Komm rein." „Danke." Christian betrat das Haus und blickte sich um. „Wo ist Lanni?" „In der Bibliothek." Christian wirkte erleichtert. „Hoffentlich störe ich dich nicht." „Überhaupt nicht. Kann ich dir etwas anbieten?" „Ja. Eine neue Sekretärin." „Was passt dir denn an Mariah nicht?" fragte Charles ungeduldig. „Wir verstehen uns einfach nicht." Im Wohnzimmer ließ Christian sich aufs Sofa fallen. „Ich weiß nicht, warum, aber ich kann die Frau nicht ausstehen." „Und was sagt Sawyer dazu?" Christian zuckte die Schultern. „Er scheint keine Probleme mit ihr zu haben. Da wir ihr Flugticket nach Alaska bezahlt ha ben, ist er nicht so scharf darauf, sie zu feuern." „Du bist also hier, weil du tatsächlich glaubst, ich könnte ihn umstimmen." „Genau", platzte Christian heraus, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. „Nein. Verdammt, ich weiß überhaupt nicht, was ich will! Von mir aus soll sie in Hard Luck bleiben." „Und wo soll sie arbeiten?" „Ben hat in letzter Zeit öfter davon gesprochen, dass er eine Aushilfe braucht." „Mariah ist doch keine Kellnerin." Christian fuhr sich über den Nacken. „Matt wird auch irgend wann Leute einstellen müssen. Soll er sich doch mit ihr herumärgern. Ich möchte sie jedenfalls nicht mehr sehen." Charles wusste nicht, was er darauf antworten sollte. „Es kann noch einige Zeit dauern, bis Matt es sich leisten kann, jemand einzustellen", meinte er schließlich. „Mich würde es nicht überraschen, wenn Karen nach der Geburt des Babys hierbleibt. Dann wird er jemand brauchen, weil sie ausfällt und er höhere Ausgaben hat. Glaubst du wirklich, dass Mariah es sich leisten kann, so lange zu warten, bis Matt sie einstellt?" „Nein." Christian runzelte die Stirn. „Wenn ich bloß wüsste, was ich mit ihr tun soll. Ich wünschte nur, Sawyer und ich könnten uns irgendwie einig werden." Charles setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel und senkte den Blick. Da er nur stiller Teilhaber bei Midnight Sons war, wollte er sich aus den geschäftlichen Angelegenheiten weitge hend heraushalten. Normalerweise überließ er derartige Ent scheidungen seinen Brüdern. „Hat Mariah denn schwerwiegende Fehler gemacht?" fragte er, um Zeit zum Nachdenken zu haben. Er konnte sich nicht entsinnen, Christian jemals so durcheinander erlebt zu haben. Dass Christian ihm um Rat fragte, ließ schon tief blicken. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. „Zuerst hat sie eine Menge Fehler gemacht, aber jetzt scheint alles zu klappen." Charles dachte unwillkürlich daran, dass die Firma viel mehr Gewinn machte, seit Mariah dort arbeitete. Sie hatte alles bestens organisiert und einen Dienstplan für die Piloten erstellt, mit dem alle zufrieden waren. Sawyer und Christian hatten das vorher nie geschafft. Mariah hatte sogar eine Werbekampagne ins Leben gerufen, mit der sie neue Kunden gewonnen hatte. Charles vermutete allerdings, dass Christian aus seinem Mund keine Lobeshymnen über Mariah hören wollte. „Das Jahr ist um", erinnerte Christian ihn. „Sie hat den Vertrag erfüllt. Das Blockhaus und das Grundstück gehören jetzt ihr."
„Aber dir wäre es lieber, wenn sie Hard Luck verlassen würde." „Nein." Gedankenverloren fügte Christian hinzu: „Auf der Hochzeitsfeier von Bethany und Mitch hat sie mir Bowle übers Hemd geschüttet." „Soweit ich weiß, war das genauso deine Schuld." „Ich habe mir ein paar der Bewerbungsmappen angeschaut, die ich letztes Jahr bekommen habe. Es ist eine Frau dabei, die ich gern mal zu einem Vorstellungsgespräch einladen würde." „Damit sie Mariahs Job übernimmt?" fragte Charles. „Ja. Ich wollte Mariah von vornherein nicht einstellen, sondern Allison Reynolds." „Wen?" Du hast sie nicht kennengelernt. Sie ist nach Hard Luck ge kommen und gleich am nächsten Tag wieder abgereist. Sie war perfekt. Ein Blick, und mir war klar, dass ..." Christian schüttelte den Kopf. „Das spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr." „Und warum hast du dann Mariah eingestellt?" Christian stand auf, ging einige Schritte und blieb schließlich vor dem Kamin stehen. „Als Allison abreiste, war ich so frustriert, dass ich zur erstbesten Bewerbungsmappe gegriffen habe. Ich glaube, ich habe sie mir nicht einmal angesehen." „Aber du hast Mariah angerufen und sie gefragt, ob sie den Job will, oder?" „Ja. Ich konnte mich nicht einmal an sie erinnern." Christian suchte offenbar nach einem Vorwand, Mariah loszuwerden, denn er fuhr fort: „Sie ist dafür verantwortlich, dass diese Anwältin hier herumschnüffelt." „Ich weiß." Charles' Ansicht nach war das eher ein Segen, denn Tracy Santiago hatte seine Brüder auf die rechtlichen Probleme aufmerksam gemacht, die ihre spontane Aktion aufgeworfen hatte. Zum Glück waren alle Frauen, die die unsichere recht liche Situation hätten ausnutzen können, umgehend wieder abgereist. „Bist du ganz sicher, dass du Mariah entlassen willst?" erkundigte sich Charles. Obwohl er Mariah mochte und respektierte, war ihm klar, dass Christian nicht mit ihr zurechtkam. Es konnte ziemlich unangenehm sein, mit jemandem zusammenzuarbeiten, über den man sich ständig ärgerte - aus welche m Grund auch immer. „Ich weiß es nicht", erwiderte Christian leise. „Ich weiß es wirklich nicht." „Kannst du sagen, was genau dich so an ihr stört?" fragte Charles. „Das ist ja der springende Punkt. Eigentlich ist sie eine ganz gute Sekretärin. Ich möchte sie nur nicht in der Nähe haben." Das war doch völlig widersprüchlich! Schließlich seufzte Christian. „Ich habe den Eindruck, dass das Problem sich von selbst lösen wird." „Was soll das heißen?" „Ich glaube, Duke wird sie heiraten." „Duke?" „Ja. Ich habe neulich gesehen, wie die beiden sich geküsst haben." „Duke und Mariah?" Das konnte Charles sich beim besten Willen nicht vorstellen. „Allerdings", entgegnete Christian scharf. „Bist du sicher?" „Natürlich. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen." Charles versuchte angestrengt, sich die beiden als Paar vorzustellen. Im Grund war es gar nicht so abwegig, denn Lanni hatte sich auch in ihn verliebt, obwohl sie jeden anderen Mann hätte haben können. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass sie sich ausgerechne t für ihn entschieden hatte. „Vergiss es." Christian hatte es nun offenbar eilig. „Wahr scheinlich musste ich nur mal jemandem mein Herz ausschütten." „Ich streiche es aus meinem Gedächtnis." „Gut." Christian ging zur Haustür. „Ich gönne ihnen ja ihr Glück."
„Wem?" „Mariah und Duke natürlich. Wem sonst?" meinte Christian beim Hinausgehen. Charles blieb auf der Türschwelle stehen und schaute Christian nach. Er kannte diesen Blick. Das erste Mal hatte er ihn bei Sawyer gesehen, als Abbey Hard Luck verlassen wollte. Sawyer war völlig außer sich gewesen und hatte überlegt, wie er sie und die Kinder zum Bleiben bewegen könnte. Charles wusste, dass er genauso dreingeschaut hatte, nachdem er erfahren hatte, dass Lanni Catherine Fletchers Enkelin war. Für ihn war damals eine Welt zusammengestürzt. Er lachte leise. Christian tat ihm fast leid, denn er hatte keine Ahnung, was ihm noch bevorstand. Als Matt das Hard Luck Cafe betrat, ging er nicht wie üblich zum Tresen, sondern blickte aus dem Fenster auf den Flugplatz. John Henderson holte gerade zwei Hotelgäste ab, CollegeProfessoren im Ruhestand, die den Nachmittagsflug nach Fairbanks genommen hatten. In zehn Minuten sollte das Flugzeug in Hard Luck landen. „Möchtest du Kaffee?" rief Ben, der hinter dem Tresen stand. „Nein, aber ich möchte, dass du mir das Geld für die letzte Tasse zurückerstattest." „Wofür? Ich mache den besten Kaffee der Stadt, und das weißt du auch", entgegnete Ben beleidigt. „Der Kaffee war auch gut, aber deine Ratschläge nicht." Ben lachte, aber Matt fand das alles überhaupt nicht witzig. Warum hatte er sich auch von einem eingefleischten Junggesellen Tips für die Liebe geben lassen? Sawyer hatte ihm genausowenig geholfen. Matt hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war. Er musste verzweifelt gewesen sein, sonst hätte er sich keinen Rat bei Männern geholt, die in bezug auf Frauen genauso unbedarft waren wie er. Matt fürchtete, dass sein Verhältnis zu Karen sich noch verschlechtern würde, wenn Gäste im Hotel waren. Er hatte sich alle Mühe gegeben, damit Karen ihre Angeltour genoss. Im Grunde hatte er von ihr erwartet, dass sie ihm vor lauter Begeisterung über seine geschäftlichen Erfolge um den Hals fallen und ewige Liebe schwören würde. Statt dessen redeten sie kaum noch miteinander. Er hatte Karen etwas Romantik bieten wollen, und nun konnte er sich glücklich schätzen, wenn sie bis zum Wochenende nicht ihre Sachen packte und nach Kalifornien zurückkehrte. „Anscheinend ist es anders gelaufen, als du erwartet hast", bemerkte Ben. Zumindest besaß er soviel Anstand, zerknirscht zu klingen. „Das könnte man so sagen. Zu allem Überfluss ist Karen jetzt auch noch wütend auf mich, weil sie ein paar Mückenstiche hat und zwei Tage mit nassen Füßen herumlaufen musste." Ben lachte leise, und wenn die Situatio n nicht so kritisch ge wesen wäre, hätte Matt sich selbst darüber amüsiert. „Hat sie was gefangen?" erkundigte sich Ben. „Eine Forelle." Matt konnte es immer noch nicht fassen, dass Karen den Fisch wieder freigelassen hatte. Tapfer ... Typisch Frau, einem Fisch menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Verdammt, es hatte sich um eine Forelle gehandelt! Karen hatte in ihr eine arme, gequälte Kreatur gesehen, während es für ihn lediglich eine Mahlzeit gewesen war. Wenn ihr gemeinsamer Ausflug in die Wildnis auf den weiteren Verlauf ihrer Beziehung schließen ließ, konnte er es genausogut aufgeben. „Du bekommst anscheinend Gäste", meinte Ben. „Zwei College-Professoren", erwiderte Matt geistesabwesend, da er immer noch an Karen dachte. Seit dem Morgen hatte er sie nicht mehr gesehen. Nachdem er das Abendessen vorbereitet hatte, hatte er den restlichen Tag damit verbracht, die Sachen für die Tour zusammenzustellen. Diesmal würde er drei Tage fort sein, worüber Karen bestimmt nicht allzu traurig war. Er hoffte nur, dass sie nicht abreiste, wenn er weg war. Er wünschte, einen Weg zu finden, mit dem er ihre Probleme ein für allemal lösen konnte.
Offenbar waren seine Bemühungen alle zum Scheitern verurteilt. Als Matt sich abends zu Karen und seinen beiden Gästen im Emp fangsraum an den Esstisch setzte, war er hin und her gerissen. Obwohl er normalerweise sehr gesellig war, hätte er den Abend lieber mit Karen allein verbracht, um einige Dinge zu klä ren. Statt dessen saß er nun den beiden weißhaarigen Professoren gegenüber und unterhielt sich mit ihnen. Beide Männer, Donald und Derrick, waren Anfang Sechzig, wirkten aber jünger. Sie waren anscheinend schon lange befreundet und verreisten oft zusammen. Einer von ihnen war verheiratet, der andere geschieden, und beide erzä hlten aus ihrem Leben. Karen war wie immer sehr liebenswürdig, stellte ab und zu Fragen und hörte aufmerksam zu. Sie war eine perfekte Gastge berin, weil sie ihren Gästen das Gefühl vermittelte, interessant und wichtig zu sein. Diese Eigenschaft war Matt schon aufgefallen, als er Karen gerade erst kennengelernt hatte. „Ich hoffe, Sie haben sich schon ins Gästebuch eingetragen", sagte sie, während sie einen Korb mit ofenfrischen Brötchen herumreichte. „Ich habe es ihnen gleich vorgelegt", erklärte Matt, da beide Männer gerade aßen. „Soweit ich weiß, haben Sie das Hotel neu eröffnet", meinte Donald, der lebhaftere der beiden, nach einer Weile. „Stimmt." „Wir haben bisher kaum Erfahrungen in dieser Branche ge sammelt", fügte Karen hinzu. „Bis jetzt hat es mir gut gefallen." Derrick lächelte ihr zu. „Das Essen ist vorzüglich, Mrs. Caldwell." „Danke, aber ich muss das Kompliment an Matt weitergeben. Er ist hier der Koch." „Der Lachs ist hervorragend", bekräftigte Donald. Matt zuckte die Schultern. „Danke." „Was haben Sie vorher gemacht?" fragte Derrick im Plauderton. „Sie haben anscheinend viele Talente." „Aber nichts beherrsche ich richtig", ergänzte Matt. „In den letzten Jahren habe ich mich in diversen Berufen versucht." „Als ich Matt kennengelernt habe, hat er Psychologie studiert", berichtete Karen und mied dabei seinen Blick. „Haben Sie Ihr Studium abgeschlossen?" erkundigte sich Derrick an Matt gewandt. „Nein." Matt war es ziemlich unangenehm, über das unstete Leben zu sprechen, das er nach dem Studium geführt hatte. „Allerdings weiß er so viel über die Menschen, dass er einem gefährlich werden kann", scherzte Karen. Matt konnte den Blick nicht von ihr wenden, denn an diesem Abend war sie besonders schön. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie bereit war, die Vergangenheit zu begraben. Er war dazu bereit. Vielleicht würde sie ihm verzeihen, wenn er vor ihr auf die Knie fiel und ihr versprach, sie nie wieder mit zum Zelten zu nehmen. Wenn sie unbedingt Romantik wollte, musste er sich eben etwas anderes einfallen lassen. „Sie sind auch ein hervorragender Koch", stellte Donald fest. „Kurz nach meiner Heirat mit Karen habe ich beschlossen, kochen zu lernen." Dass sie inzwischen geschieden waren, wollte Matt lieber für sich behalten. „Matt hat viele tolle Rezepte entworfen und verfügt über ein großes Repertoire", bemerkte Karen. Prahlte sie etwa mit seinen Fähigkeiten? Sicher nicht. Er erinnerte sich noch genau daran, wie wütend sie gewesen war, als er verkündet hatte, doch nicht als Koch arbeiten zu wollen. Nach seinem Abschluss auf der Hotelfachschule hatte er als zweiter Koch in einem Restaurant angefangen. Doch der Job gab ihm so wenig Raum für Kreativität, dass Matt bereits nach zehn Monaten die Nase voll hatte. Obwohl Karen wenig begeistert von seiner Kündigung war, bekräftigte sie ihn in seinem
Entschluss. Dann entschied er sich, es mit Fischerei zu versuchen, und mietete sich einen Fischkut ter. Er hatte zwar viel verdient, aber die Risiken waren auch sehr hoch gewesen, denn in der Beringstraße sanken viele Schiffe. „Na ja." Matt warf Karen einen vielsagenden Blick zu, denn er hatte nicht die geringste Lust, mit seinen Gästen über seine mangelnde Zielstrebigkeit zu sprechen. Während ihrer Ehe war es immer ein sehr heikles Thema gewesen. Gerade jetzt, da er versuchte, ihre Gunst wiederzuerlangen, wollte er nicht, dass sie seine Misserfolge aufzählte. „Nachdem er die Hotelfachschule beendet hatte, hat Matt Fischfang betrieben", berichtete Karen. „Wo haben Sie gefischt?" wollte Derrick wissen. „In der Beringstraße", erwiderte Matt wenig begeistert. Als er ihrem Blick begegnete, war ihm klar, dass Karen dasselbe dachte wie er. Damals waren sie oft monatelang getrennt gewesen, was für ihre Ehe eine enorme Belastung gewesen war. „Wie lange haben Sie das gemacht?" erkundigte sich Donald. „Nur eine Saison." Matt verschwieg, dass er zuerst davon ge träumt hatte, irgendwann selbst ein Boot zu besitzen. Allerdings hatte er vorher davon geträumt, irgendwann ein eigenes Restaurant zu haben. Karen hätte es ihm sicher nie geglaubt, aber er hatte die Fischerei ihr zuliebe aufgegeben. Wenn er zur See gefahren war, hatte sie sich große Sorgen um ihn gemacht. Daher hatte er zum Ende der Saison aufgehört, um als Buchhalter zu arbeiten. „Danach war Matt eine Zeitlang als Buchhalter tätig", sagte Karen. „Sie haben wirklich ein abwechslungsreiches Leben geführt", bemerkte Derrick. „Es ist interessant, wie das alles zusammenpasst." Donald füllte sich noch etwas Lachs auf und nahm ein zweites Brötchen, während er zu essen begann. Matt blickte ihn neugierig an. „Sind Sie zufrieden mit dem Hotel?" fragte Donald. „Und ob." „Es passt alles zusammen", wiederholte Donald. „Wie meinen Sie das?" hakte Karen nach. Das klang, als würde sie ihm, Matt, zutrauen, dass er das Hotel bald wieder verkaufte. Allerdings konnte er es ihr nicht verdenken. „Zuerst interessierten Sie sich für Psychologie, stimmt's?" fragte Donald. „Ja." „Dann haben Sie eine Hotelfachschule besucht?" „Stimmt." Diesmal antwortete Karen für Matt. „Und er ist ein ausgezeichneter Koch." Donald nahm sich noch ein Brötchen. „Es folgte Fischerei." „Nur für eine Saison", erinnerte Matt ihn. Er hatte Karen oft klarzumachen versucht, dass es eigentlich kein richtiger Beruf gewesen war. „Dann Buchhaltung." „Für neun Monate", informierte Karen ihn. „Und jetzt leitet er das Hotel." „Dieses Hotel ist alles für mich." Am liebsten hätte Matt seinen Gästen erzählt, dass er sein ganzes Erbe in das Hotel investiert und es selbst renoviert hatte. Die beiden Professoren wechselten vielsagende Blicke. „Wenn es eine Ausbildung für angehende Hotelbesitzer gäbe, müsste sie genau diese Tätigkeiten umfassen", meinte Donald schließlich. „Es sieht so aus, als hätte alles, was Sie in den letzten Jahren getan haben, genau dahin geführt. Hard Luck Lodge wird sicher ein großer Erfolg." „Außerdem haben Sie Grundkenntnisse in Psychologie", fügte Derrick hinzu. „Donald und ich sind zwar hergekommen, um zu angeln, aber wenn Sie uns weiter so gut bekochen, werden wir sicher wieder hier Urlaub machen - selbst wenn wir nichts fangen." Donald stimmte in sein Lachen ein. „Bestimmt werden Sie von Ihren Erfahrungen als
Fischer profitieren." „Stimmt", räumte Matt ein. „Und von Ihrer Tätigkeit als Buchhalter." „Es passt perfekt." Donald nickte zufrieden. Matt musste den beiden insgeheim recht geben. Es war tatsächlich so, als hätte er sich auf seine jetzige Tätigkeit vorbereitet. Plötzlich stand Karen auf. „Würden Sie mich bitte entschuldigen?" „Gern." Beide Männer erhoben sich und bedankten sich bei ihr für ihre Gastfreundschaft. Sie lächelte ihnen zu und eilte daraufhin in die Küche. Matt hatte zwar keine Ahnung, was mit ihr los war, wollte es aber wissen. Er würde ihr etwas Zeit geben und sich dann ebenfalls entschuldigen. Zum Glück wollten seine Gäste gleich auf ihre Zimmer gehen, weil sie nach der langen Reise müde waren. Matt wartete, bis sie auf der Treppe waren, bevor er in die Küche eilte. „Was ist los, Karen?" Kaum hatte er den Satz beendet, warf Karen mit einem nassen Schwamm nach ihm.
9. KAPITEL „Karen", flüsterte Matt, während er langsam auf sie zuging. Karen griff nach dem nächstbesten Gegenstand, einem halben Salatkopf. „Komm mir nicht zu nahe, Matthew Caldwell." Ihre Wangen waren tränenüberströmt. „Warum bist du so wütend?" Statt zu antworten, warf sie mit dem Salatkopf nach ihm, aber Matt duckte sich gerade noch rechtzeitig. Sie wollte ihn nicht verletzen. Sie wusste selbst nicht, was sie wollte. „Karen?" Sie konnte es nicht ertragen, wenn er ihren Namen so aus sprach - als wäre sie für ihn die schönste und tollste Frau der Welt. „Ich habe dich gewarnt - komm mir nicht zu nahe." Karen wich zurück in Richtung Tür. Wenn sie an Matt vorbeikam, würde sie die Treppe hochlaufen und sich in ihrem Zimmer einschließen. Erst dort wollte sie über den Grund für ihre Tränen nachdenken. Sie verspürte die widersprüchlichsten Gefühle. Einerseits hatte sie ein schlechtes Gewissen, andererseits war sie wütend und furchtbar traurig. „Sag mir doch, worüber du dich so aufregst", bat Matt. „Das kann ich nicht." Hilflos schüttelte sie den Kopf. Sie konnte es sich ja selbst nicht erklären. Es musste mit ihrer Unterhaltung beim Essen zusammenhängen. Die beiden Professoren hatten das Chaos, das sowohl ihre Ehe als auch Matts Leben bestimmt hatte, als logische Entwicklung gesehen. Sie dagegen hatte das nicht erkannt, weil sie Matt nicht vertraut hatte. Dieses mangelnde Vertrauen, so vermutete sie, war in ihrer Kindheit begründet. „Warum kannst du es mir nicht sagen?" drängte er. „Lass mich in Ruhe, Matt." „Nein. Du weißt, dass ich es nicht ertrage, dich weinen zu sehen." „Dann höre ich eben auf." Karen schniefte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie hasste es ja selbst, wenn sie weinte, denn sie bekam davon eine rote Nase und verquollene Augen. Das schlimmste war jedoch, dass es sie verwundbar machte. Wenn sie weinte, wollte sie getröstet werden, und während ihrer Ehe hatte Matt sie immer in die Arme genommen. Danach waren sie unweigerlich im Bett gelandet, was alles nur noch komplizierter gemacht hatte. Matt streckte ihr die Arme entgegen. „Lass uns darüber reden, Schatz." Karen musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um sich ihm nicht in die Arme zu werfen. Mit dem Rücken zur Wand näherte sie sich der Küchentür. „Karen, ich liebe dich so sehr!" „Sag das nicht", brachte sie hervor, während sie sich die Ohren zuhielt. „Warum nicht? Begreifst du nicht, dass ich alles tun würde, um dich zurückzugewinnen? Ich möchte, dass du und das Baby bei mir lebt. Ich möchte, dass wir wieder heiraten." „Du willst mich doch nur wegen des Babys." „Das ist nicht wahr", widersprach er heftig. „Verdammt, ich werde noch verrückt! Glaubst du, es ist einfach für mich, mit dir unter einem Dach zu leben und dich nicht zu berühren? Wir küssen uns nicht einmal." „Wir dürfen uns nicht küssen", sagte sie leise, denn Küsse waren bei ihnen immer der Auftakt zum Sex gewesen. „Du kannst von mir aus wütend auf mich sein, aber lass mich dich wenigstens in die Arme nehmen." Genauso waren ihre Auseinandersetzungen immer verlaufen. Sie hatte sich über etwas geärgert, das Matt unwichtig oder banal fand, und hatte vor Wut mit Gegenständen nach ihm geworfen. Er hatte sie getröstet, und dann hatten sie sich geküsst und schließlich miteinander geschlafen. Das sollte nicht wieder passieren.
„Nein", wehrte sie ab. „Du hast anscheinend vergessen, dass ich nicht mehr deine Frau bin." „Das bist du sehr wohl", entgegnete er schroff. „Du hast zwar eine Scheidungsurkunde, doch das ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Ich habe nie verstanden, warum du mich verlassen hast. Bist du denn glücklich über die Scheidung?" Karen wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, zumal er die Antwort bereits kannte. Nach der Scheidung hatte sie sich so elend gefühlt wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die räumliche Trennung hatte auch nicht geholfen. Nun lebte sie mit Matt zusammen und erwartete ein Kind von ihm. Karen fiel es zwar schwer, das zuzugeben, aber sie war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Und genau das machte sie wütend. Wieder liefen ihr die Tränen über die Wangen. „Karen, bitte..." Da sie nicht mehr die Kraft hatte, vor ihm wegzulaufen, ließ sie sich gegen die Wand sinken. Matt war mit wenigen Schritten bei ihr und nahm sie in die Arme. „So schlimm kann es doch nicht sein, Schatz." „Doch." Sie barg das Gesicht in den Händen und schluchzte. Ihr Körper wurde von Hitzewellen durchflutet, als Matt sie an sich zog. Sie sehnte sich genauso nach ihm wie er sich nach ihr, und sobald er seine Lippen auf ihre presste, ließ sie ihrem Verlangen freien Lauf und erwiderte den Kuss mit derselben Leidenschaft. Schon bald drohte die Lust, sie zu überwältigen. „O Matt..." Immer wieder sprach Karen seinen Namen aus, als er das Gesicht an ihrem Hals barg, und drängte sich ihm entgegen. „Ich bin verrückt nach dir", sagte er rau, während er ihre Bluse aufknöpfte, „aber ich will nicht hier in der Küche mit dir schlafen." Dann hob er sie hoch, stieß die Schwingtür mit dem Ellbogen auf und brachte Karen in sein Zimmer. „Glaubst du, dass das eine gute Idee ist?" fragte sie, während er am Esstisch vorbeiging. „Eine brillante sogar." „Matt, das Geschirr." „Zur Hölle mit dem Geschirr!" „Bist du wütend?" fragte sie. „Nicht wütend, sondern frustriert", verbesserte er sie. „Ich will meine Frau zurück." Karen legte ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn verlangend. In seinem Schlafzimmer angelangt, legte Matt sie aufs Bett und beugte sich über sie. „Du wolltest Romantik, und wenn ich wüsste, wie ich es anstellen sollte, würde ich alles tun." Er betrachtete sie zärtlich, bevor er wieder seine Lippen auf ihre presste. „Momentan machst du deine Sache ganz gut", flüsterte sie ein paar Minuten später. „Findest du?" Er wirkte überrascht und erleichtert zugleich. „Trotzdem sollten wir erst miteinander reden." „Bestimmt nicht." Er zog ihr die Schuhe aus und warf sie achtlos auf den Boden. Dann streifte er seine ab. „Sonst änderst du noch deine Meinung und schläfst nicht mit mir." „Ich habe mir fest vorgenommen, nicht mit dir zu schlafen." „In dem Fall musst du deinen Vorsatz wohl vergessen." Karen zog ihn an sich. „Mir bleibt anscheinend nichts anderes übrig." Als Karen aufwachte, war es noch fast dunkel und das Bett neben ihr leer. „Matt", flüsterte sie, dann setzte sie sich auf und zog die Decke hoch, um ihre Blöße zu bedecken. Im schwachen Licht erkannte sie, dass Matt sich gerade anzog. „Ist es schon Morgen?" fragte sie. „Leider ja." Er setzte sich auf die Bettkante. „Ich muss die Professoren wecken und Frühstück für sie machen. Nachher fliegt Sawyer uns zum See." „Du willst weg?" An die Angeltour hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. „Aber wir
müssen miteinander reden." „Das müssen wir auf später verschieben. Tut mir leid, Schatz, aber ich muss los." „Und wann kommst du zurück?" „In drei Tagen. Was gibt es überhaupt zu besprechen? Es ist doch alles klar: Du wirst von nun an bei mir schlafen, und wir werden so bald wie möglich heiraten." „Ist das für dich so selbstverständlich?" Dass er glaubte, alle Probleme wären gelöst, nur weil sie miteinander geschlafen hatten, machte Karen wütend. Obwohl sie ihn auch wieder heiraten wollte, gab es ihrer Meinung nach viel zu besprechen. „Du liebst mich, und ich liebe dich. Mehr gibt es nicht zu sagen." „Matthew Caldwell, wir müssen ..." „Ich habe keine Zeit, Schatz", unterbrach er sie. „In drei Ta gen bin ich wieder da." Frustriert lehnte sie sich zurück gegen die Kissen. Sie konnte nicht einfach über ihre Probleme hinwegsehen, obwohl sie seit ihrer Unterhaltung mit Donald und Derrick viel mehr Verständ nis für Matt hatte und vieles in einem anderen Licht sah. Donald und Derrick hatten recht, doch weder sie noch Matt hatten erkannt, was offensichtlich war: Er hatte seinen Traumberuf gefunden und jahrelang darauf hingearbeitet. Das Hotel war nicht nur eine weitere Station in seinem Leben, sondern sein Lebenswerk. Nun war Karen auch klar, warum sie am letzten Abend ge weint und diese widersprüchlichen Gefühle verspürt hatte. Sie hatte Matt nicht zugetraut, dass er seinen Weg fand, weil sie durch die negativen Erfahrungen ihrer Mutter geprägt war. Ihre Ängste waren so stark gewesen, dass sie nicht nur sich selbst, sondern auch Matt das Leben schwergemacht hatte. Lanni stand an der Spüle und sah gedankenverloren aus dem Fenster, während sie über ihre Unterhaltung mit Karen am Vortag nachdachte. Charles trat hinter sie und legte ihr die Arme um die Taille. „Du bist heute so nachdenklich", meinte er und küsste ihren Nacken. „Was beschäftigt dich?" „Es geht um Matt und Karen." Sie stellte ihren Becher ab, bevor sie sich umdrehte und Charles umarmte. „Irgendwas ist zwischen den beiden passiert." „Etwas Positives oder etwas Negatives?" „Keine Ahnung." Lanni schloss die Augen zu und genoss das Gefühl, in seinen Armen zu liegen. Nach der Scheidung hatte sie versucht, für keinen der beiden Partei zu ergreifen. Karen war eine ihrer besten Freundinnen, aber Matt hatte sie immer ange betet. Lanni wusste, dass er nach der Scheidung einsam und durcheinander gewesen war. Es war, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, und sie wünschte, sie hätte ihm gegenüber etwas mehr Mitgefühl gezeigt. „Ich habe Karen gesehen, aber wo ist Matt?" erkundigte sich Charles. „Er macht wieder einen Trip in die Wildnis." Sie lehnte sich zurück, um Charles in die Augen schauen zu können. „Ich könnte es niemals ertragen, dich zu verlieren." Zärtlich strich er ihr über den Rücken. „Wie kommst du denn darauf?" „Ich habe gerade an Matt und Karen gedacht. Als sie ihn verlassen und die Scheidung eingereicht hat, ist für ihn eine Welt zusammengebrochen. Kurz nach der Scheidung habe ich Karen gesehen und festgestellt, dass sie genauso am Boden zerstört war. Damals dachte ich, ich dürfte mich nicht einmischen oder für einen der beiden Partei ergreifen. Jetzt frage ich mich allerdings, ob das ein Fehler war." Charles gab ihr einen Kuss aufs Haar. „Das heißt also, du überlegst, ob du dich jetzt einmischen sollst." „Ja." Es erstaunte sie, dass er sie so gut verstand. „Matt ist sehr verschlossen und würde es bestimmt nicht gut finden, wenn ich mich in seine Privatangelegenheiten einmische. Andererseits ..." „Und wie kommst du darauf, dass du es tun solltest?"
„Gestern habe ich Karen besucht." Lanni biss sich auf die Lippe. „Da ich wusste, dass Matt nicht da ist, wollte ich mal schauen, wie es ihr geht. Zuerst war alles in Ordnung. Wir haben uns unterhalten und gelacht, aber dann fing Karen plötzlich an zu weinen." „Warum das?" „Das ist die große Preisfrage." Im nachhinein konnte sie es erst recht nicht verstehen. „Als ich sie gefragt habe, was los ist, hat sie mich umarmt und mir gesagt, dass ich die beste Freundin bin, die sie je hatte." „Hm." „Was soll das heißen: ,Hm'?" „Nichts", erwiderte er. „Hängt es vielleicht mit ihrer Schwangerschaft zusammen? Ich habe gehört, dass Frauen während einer Schwangerschaft oft starken Stimmungsschwankungen unterworfen sind." „Keine Ahnung, ich war noch nie schwanger." Charles lächelte unwillkürlich. „Daran, dass wir es nicht versucht haben, kann es jedenfalls nicht liegen." „Charles, wir reden von Matt und Karen, nicht von meinem unersättlichen Appetit auf meinen Mann." „Da ich dieser Mann bin, sollte ich dir vielleicht sagen, dass ich sehr glücklich mit dir bin." „Genau darum geht es ja. Stell dir vor, wie schrecklich es wäre, wenn wir uns eines Tages trennen würden." Nun wurde er ernst. „Das könnte ich nicht ertragen, Lanni. Meine Liebe zu dir hat mein Leben völlig verändert. Zum erstenmal verstehe ich mich mit meiner Mutter, und dafür bin ich dir sehr dankbar. Sogar mein Verhältnis zu meinen Brüdern ist deinetwegen besser als vorher." Er ließ die Arme sinken und setzte sich auf einen Stuhl. „Als ich erfahren habe, dass Sawyer und Christian Frauen nach Hard Luck geholt hatten, war ich furchtbar wütend. Als Abbey mir dann gesagt hat, dass meine Brüder sie in einem dieser alten Blockhäuser einquartiert hatten, wollte ich dem Treiben der beiden sofort ein Ende setzen." Lanni nahm Charles gegenüber am Küchentisch Platz. „Vergiss nicht das Grundstück, das sie den Frauen versprochen hatten." Charles lachte, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Ich habe Abbey vorgeschlagen, Hard Luck zu verlassen. Als Sawyer davon gehört hat, hat er ein Gesicht gemacht, als hätte ich ihn verraten. Dann hat er mir etwas gesagt, was ich nicht vergessen habe." „Und was war das?" drängte sie, als Charles zögerte. „Er meinte, mit meiner Überheblichkeit würde ich das Schicksal herausfordern. Er hätte auch nie damit gerechnet, dass er sich einmal verlieben würde, und falls es mir eines Tages passieren sollte, würde ich ihn verstehen." Wieder lachte Charles und schüttelte den Kopf. „Als ich dich kurz darauf kennengelernt habe, war ich wie ausgeknockt." „Mir ist es bei dir genauso ergangen", gestand sie. Charles nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen. „Erinnerst du dich noch daran, wie Matt versucht hat, uns wieder zusammenzubringen?" erkundigte sich Lanni. Charles nickte. „Es war völlig untypisch für ihn, so etwas zu tun, aber jetzt verstehe ich es." Sie musste blinzeln, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Er wollte es uns ersparen, dasselbe durchzumachen wie er." „Und nun möchtest du ihm helfen, stimmt's?" „Ja", bestätigte sie nachdrücklich. „Allerdings weiß ich nicht, wie. Ich habe Angst davor, dass ich alles nur noch schlimmer mache." „Vielleicht solltest du mit einer Freundin darüber reden", schlug Charles vor. Sofort hellte ihre Miene sich auf. Lanni sprang auf und gab ihm einen Kuß. „Zum Beispiel
mit Abbey." Dicke Regentropfen prasselten auf die unbefestigte Straße. Karen stand gegen einen Stützpfeiler gelehnt auf der Hotelveranda und beobachtete, wie das Wasser sich auf dem Boden sammelte. Sie schlang sich die Arme um die Taille und blickte hinauf zum dunklen Himmel. Matt und seine beiden Gäste würden erst am nächsten Tag zurückkommen - eine Ewigkeit, wie es ihr schien. Nun flitzten Scott O'Halloran und Ronny Gold auf ihren Fahr rädern vorbei. Obwohl die beiden Jungen kräftig in die Pedale traten, hielt Eagle Catcher, der neben ihnen herlief, mühelos mit ihnen mit. Als Scott Karen sah, bremste er. „Hallo, Mrs. Caldwell." „Hallo, Scott." „Haben Sie schon einen Namen für Ihr Baby?" fragte er. „Noch nicht. Hast du vielleicht eine Idee?" Der Junge dachte einen Moment angestrengt nach. „,Scott' ist ein schöner Name", verkündete er schließlich aufgeregt. „,Ronny' auch", rief sein Freund. „Ich werde darüber nachdenken", meinte sie. „Macht es euch nichts aus, im Regen herumzufahren?" „Nein", antwortete Scott. „Ich komm' aus Seattle und bin an Regen gewöhnt. Wenn man in der Gegend gelebt hat, macht einem so ein Wetter nichts aus." Karen musste über seine altklugen Worte lächeln. „Sieh mal." Ronny zupfte Scott am Ärmel. „Da hinten kommen die Mädchen. Wir müssen uns aufteilen." „Bye", rief Scott, bevor er mit Ronny die Flucht ergriff. Seine Schwester Susan und Chrissie Harris liefen ihnen hinterher. „Hallo, Mrs. Caldwell", rief Chr issie. „Hallo, Chrissie. Hallo, Susan." Susan winkte Karen zu und blieb nur kurz stehen. „Scott hat Ronny mein Tagebuch gegeben. Das wird er mir büßen!" „Glaubst du wirklich, dass dein Bruder so etwas tun würde?" Karen konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Und ob", entgegnete Susan empört. „Ronny hat sogar etwas reingeschrieben", ergänzte Chrissie. „Jungen kann man nicht trauen." Dann liefen die beiden weiter. Zum erstenmal kam Karen in den Sinn, dass Hard Luck der ideale Ort war, um ein Kind großzuziehen. Sie wusste zwar, dass es gelegentlich Probleme gab. Freitag abends, wenn Ben Alkohol ausschenkte, besuchten nämlich viele Trapper und Pipelinearbeiter das Cafe, und gelegentlich kam es zu Prügeleien. Doch dann sorgte Mitch wieder für Ruhe. Karen dachte immer noch über das Leben in Hard Luck nach, als Abbey vorbeiging, einen Regenschirm in der Hand. „Hallo, Karen", rief sie. Als Karen ihren Gruß erwiderte, blieb Abbey stehen und betrachtete sie eingehend. „Wie geht es dir?" „Gut." Karen fühlte sich eigentlich nur ein bisschen einsam, weil sie Matt vermisste. Sie hatte soviel auf dem Herzen, was sie ihm sagen wollte. Abbey kam sich zu ihr auf die Veranda. „Hast du Zeit zum Plaudern?" „Klar." Karen freute sich über ihre Gesellschaft. „Und wie läuft es so?" fragte Abbey, nachdem sie sich zusammen auf die Verandastufen gesetzt hatten. Karen zuckte die Schultern. „Ich kann nicht klagen." Das stimmte allerdings nicht.
Körperlich ging es ihr zwar gut, doch ansonsten war ihr ausgesprochen elend zumute. Sie versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, und war erleichtert, dass Abbey sie nicht mit Fragen bedrängte, sondern ihr etwas Zeit ließ. „Wenn Matt nicht da ist, ist es bestimmt ziemlich einsam hier", meinte Abbey schließlich leise. „Stimmt." An Tagen wie diesen fragte Karen sich, wie sie es geschafft hatte, so lange ohne Matt zu leben. Zu Beginn der Schwangerschaft, als sie sich schrecklich allein gefühlt hatte, hatte sie sich eingeredet, dass sie ihn nicht brauchte. Auch dass sie ihm von dem Baby nicht hatte erzählen wollen, war sehr aufschlussreich. Es schien ein typisches Verhaltensmuster bei ihr zu sein, sich gegen das zu wehren, wonach sie sich am meisten sehnte. „In letzter Zeit bin ich ziemlich melancholisch", gestand sie. Abbey nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Ich glaube, du könntest eine kleine Aufmunterung gebrauchen." Karen lächelte unter Tränen. „Und woran denkst du?" „Na, was tun die Frauen, wenn sie frustriert sind?" „Einkaufen." „Sawyer fliegt heute nach Fairbanks", erklärte Abbey. „Was hältst du davon, wenn wir mitkommen und uns Möbel fürs Kinderzimmer ansehen? Wir sollten uns mal wieder einen richtigen Einkaufsbummel gönnen." Karens Miene hellte sich sofort auf. „Du hast mich überredet." Schon lange hatte Matt sich nicht mehr so darauf gefreut, nach Hause zu kommen. Zum Glück war er nicht für das Wetter verantwortlich, denn es goss bereits seit zwei Tagen in Strömen, und es war keine Besserung in Sicht. Donald und Derrick, seine beiden Gäste, hatten ihn gebeten, die Angeltour abzubrechen, denn sie waren mittlerweile völlig durchnässt und durchgefroren. Trotzdem waren die beiden rundum zufrieden, denn sie hatten viel gefangen. Nun sehnten sie sich nach einer warmen Mahlzeit, einer Dusche und einem Bett. Matt ging es nicht anders. Über Funk hatte er Sawyer gebeten, sie einen Tag früher als geplant abzuholen. Da Sawyer in Fair banks war, hatte Christian sich bereit erklärt zu kommen. Offenbar hatte er nur nach einem Vorwand gesucht, das Büro verlassen zu können. Das schlechte Wetter war allerdings nicht der einzige Grund, aus dem Matt zurückwollte. Er vermisste Karen. Er wollte mit ihr Zusammensein, sie in den Armen halten und mit ihr Zukunftsplä ne schmieden. Er mochte aber nicht über die Vergangenheit reden, weil derartige Gespräche seiner Meinung nach immer zu neuen Problemen geführt hatten. Dass Frauen jede Kleinigkeit in einer Beziehung ausdiskutieren mussten, würde er sowieso nie begreifen. Für ihn lagen die Dinge ganz einfach. Er liebte Karen und wünschte sich, dass sie und das Baby bei ihm blieben. Falls sie es nicht wollte ... Doch er kannte sie, denn immerhin hatte er vier Jahre mit ihr zusammengelebt. Tief in seinem Innern wusste er, dass sie seine Gefühle erwiderte. Sie liebte ihn auch. Er verstand bloß nicht, warum sie ihn so lange hinhielt. Schließlich war er nicht wie ihr Vater, und falls sie das immer noch nicht begriffen hatte, würde sie es wohl nie begreifen. Am späten Nachmittag traf Christian mit dem Wasserflugzeug ein. Er und Matt brauchten über eine Stunde, um die Ausrüstung in der Maschine zu verladen. Von seinem Platz aus hatte Matt einen phantastischen Blick auf die Landschaft. Als schließlich Hard Luck und das Hotel zu sehen waren, verspürte er einen gewissen Stolz. Dort wartete seine Frau auf ihn ... Er konnte es gar nicht erwarten, wieder im Hotel zu sein. Bei der Vorstellung, dass Karen herauskam, um ihn zu begrüßen, begann sein Herz, schneller zu klopfen. Sie hatten so viel nachzuho len ... „Ich bin wieder da, Karen!" rief er, als er die Empfangshalle betrat.
Derrick und Donald folgten ihm ins Gebäude. „Karen!" rief Matt, diesmal lauter. Keine Antwort. „Sie ist anscheinend nicht da", erklärte er, an seine Gäste ge wandt. Die beiden murmelten etwas von einer Dusche und gingen gleich nach oben. Als Matt durch alle Räume ging, um Karen zu suchen, konnte er sich seine Enttäuschung nicht verhehlen. Da sie eine Stunde später immer noch nicht aufgetaucht war, rief er in der Bibliothek an. Überrascht stellte er fest, dass Lanni den Hörer abnahm. „Hast du Karen gesehen?" fragte er ohne Umschweife. „Heute noch nicht." „Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?" Er hatte den Eindruck, dass sie ihm etwas verschwieg. Lanni zögerte. „Nein", meinte sie schließlich, „aber ich kann mich ja mal umhören." „Das wäre nett." Nachdem er aufgelegt hatte, begann er, das Abendessen zuzubereiten. Als er beim Kartoffelschälen über das Telefonat mit Lanni nachdachte, wurde ihm plötzlich klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Deshalb rief er noch einmal in der Bibliothek an. „Was ist mit Karen los?" platzte er heraus, denn er wollte end lich die Wahrheit wissen. „Was meinst du?" erkundigte sich Lanni. „Du verschweigst mir doch etwas." „Ich..." „Sag es mir." „Irgendetwas ist zwischen euch vorgefallen, oder?" hakte sie nach. „Ja." Seiner Meinung nach hatte sich alles zum Guten gewendet. Karen schlief wieder mit ihm, und sie würden so bald wie möglich wieder heiraten. „Karen hat es jedenfalls völlig aus der Fassung gebracht", erklärte Lanni sanft. „Was soll das heißen?" Matt war natürlich klar, dass Karen sich mit ihm aussprechen wollte. Doch er war davon ausgegangen, dass sie die größte Hürde bereits genommen hätten, indem sie sich ihre Liebe eingestanden hatten. „Als ich Karen besucht habe, hat sie ohne Grund angefangen zu weinen." „Sie hat geweint. Verdammt, wo ist sie?" Allmählich verlor er die Geduld. „Wenn du mich ausreden lässt, sage ich es dir", entgegnete Lanni scharf. „Scott hat mir erzählt, dass Karen mit Abbey und Sawyer nach Fairbanks geflogen ist. Sie müssten bald wieder zurück sein, du brauchst dir also keine Sorgen zu machen." Doch die Stunden verstrichen, und als Karen um zehn immer noch nicht zurückgekehrt war, machte Matt sich keine Illusionen mehr. Sie hatte ihn zum zweitenmal verlassen, und diesmal, so schwor er sich, würde es das letzte Mal sein.
10. KAPITEL
Abbey hatte recht behalten, denn der Einkaufsbummel in Fairbanks tat Karen richtig gut. Sawyer hatte sie beim nächstgele genen Einkaufszentrum abgesetzt und mit ihnen einen Zeit punkt vereinbart, zu dem er sie wieder abholen wollte. Karen und Abbey genossen es, von einem Geschäft zum nächsten zu bummeln und sich Babysachen anzuschauen. Beim Einkaufen wurde Karen zum erstenmal richtig bewusst, dass sie Mutter wurde, und sie fühlte sich ihrem ungeborenen Kind noch enger verbunden. Deshalb verfiel sie in einen wahren Kaufrausch und erwarb eine ganze Babyausstattung. Nachdem sie die Kleidung ausgesucht hatte, ließ sie sich ein Kinderbett und eine Wickelkommode zurückstellen. Am meisten Spaß machte es ihr, zusammen mit Abbey Umstandsmode anzuprobieren. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so köstlich amüsiert. Obwohl man ihr kaum ansah, dass sie schwanger war, waren ihre Hosen ihr schon zu eng. Abbey, die schon zwei Schwangerschaften hinter sich hatte, versicherte Karen, dass die Hängekleider, in denen sie jetzt förmlich ertrank, irgendwann wie angegossen sitzen würden. Sawyer holte sie zum verabredeten Zeitpunkt ab und schlug vor, wegen des schlechten Wetters in Fairbanks zu Abend zu essen und später nach Hard Luck zurückzufliegen. Als sie schließlich in Hard Luck landeten, war es bereits nach zehn, und Karen war zwar todmüde, aber rundum glücklich. Sawyer und Abbey setzten sie am Hotel ab. Sawyer half ihr beim Aussteigen und reichte ihr dann ihre Tüten. „Es sieht so aus, als ob jemand da wäre." Abbey zeigte auf ein beleuchtetes Fenster auf der Vorderseite. „Meinst du, dass Matt schon zurück ist?" fragte Sawyer. „Ich glaube nicht", erwiderte Karen. So wie sie Matt kannte, hatte er das schlechte Wetter womöglich noch als zusätzlichen Reiz empfunden. Angeblich war die Ausbeute bei Regen besonders gut, und Karen konnte sich lebhaft vorstellen, wie Matt bis auf die Haut durchnässt in einem reißenden Fluss stand und sich auf sein Abendessen freute. „Vielen Dank", rief sie Abbey und Sawyer nach, als diese wegfuhren. Karen war zufrieden mit ihren Einkäufen und freute sich darauf, sie Matt zeigen zu können. „Eins steht fest", sagte sie zu ihrem Baby. „Egal ob du ein Junge oder Mädchen bist, du wirst das bestangezogene Kind in Hard Luck sein." Plötzlich fiel ihr ein, dass sie mit Matt noch nie über dieses Thema gesprochen hatte. Sie wusste nicht, ob er sich einen Sohn oder eine Tochter wünschte, denn er hatte sich nie dazu geäußert. Als sie das Hotel betrat, hatte er es sich in einem der Sessel vor dem Kamin gemütlich gemacht und die Füße hochgelegt. Er ließ die Arme über die Lehnen baumeln und hatte eine Flasche Whisky in der Hand, die jeden Moment herunterzufallen drohte. „Karen?" Er starrte sie an, als würde er einen Geist sehen. „Du bist schon zurück?" erwiderte sie aufgeregt. „Das ist ja eine Überraschung!" „Das kann man wohl sagen." Karen ignorierte seinen sarkastischen Unterton. „Ich hatte einen herrlichen Tag." Sie ging zu ihm und stellte die Tüten auf den anderen Sessel. „Warte nur, bis du siehst, was ich für das Baby gekauft habe." Matt starrte sie immer noch an. Obwohl die Flasche fast voll war, fragte Karen sich, wieviel er getrunken haben mochte. Eigentlich war er nicht der Typ, der dem Alkohol frönte, weil er hochprozentige Sachen nicht vertrug. Wenn überhaupt, dann trank er ab und zu mal ein Glas Wein. „Warum hast du jetzt schon Babysachen gekauft?" erkundigte er sich unwirsch. „Weil Abbey und Sawyer mich nach Fairbanks mitgenommen haben", erklärte Karen
ungeduldig. Ärgerte er sich etwa darüber, dass sie Sachen für das Baby gekauft hatte? Ungerührt nahm sie einen gelben Schlafanzug aus einer der großen Tüten. „Ist der nicht niedlich? Du kannst dir gar nicht vorstellen, was man heutzutage für Babys alles kaufen kann. Ich habe sogar eine ganz süße Sonnenbrille gefunden, bei der man die Gläser hochklappen kann." „Sonnenbrillen für Babys", wiederholte er langsam und sichtlich unbeeindruckt. Da Matt offenbar schlechte Laune hatte, hockte sie sich auf den Kaminabsatz und sah ihn an. „Was ist los, Matt?" Da sie nach dem langen Einkaufsbummel müde war, hatte sie überhaupt keine Lust, sich zu streiten. „Waren Derrick und Do nald mit der Tour nicht zufrieden? Wollen sie ihr Geld zurück?" „Nein", meinte Matt sichtlich beleidigt. „Sie waren ganz begeistert und hätten bestimmt bis zum Ende durchgehalten, wenn es nicht so gegossen hätte." „Deswegen bist du also einen Tag früher zurückgekommen." Matt betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. „Ich habe dich überrascht, stimmt's?" Dann stellte er die Flasche auf den Boden und stand auf, wobei er ein wenig schwankte. „Bis dahin wolltest du längst weg sein, nicht? Du wolltest abhauen, bevor ich wieder zurück bin." „Abhauen?" Eigentlich hatte sie erwartet, sich mit ihm zusammenzusetzen und zu besprechen, wie ihr gemeinsames Le ben weiter verlaufen sollte. Sie hätte nicht im Traum daran ge dacht, ihn zu verlassen. „Na klar", bekräftigte er herausfordernd. „Du wolltest Hard Luck klammheimlich verlassen." „Du dachtest also, ich hätte dich verlassen?" Das war doch lächerlich! Karen sprang ebenfalls auf und stopfte den gelben Schlafanzug wieder in die Tüte. „Was hätte ich denn sonst denken sollen?" „Wenn du dir die Mühe gemacht hättest, einen Blick ins Büro zu werfen, hättest du den Zettel gesehen, den ich geschrieben habe." „Du hast mir eine Nachricht hinterlassen, obwohl du gar nicht wusstest, dass ich heute komme?" entgegnete er ungläubig. „Dir oder jedem anderen, der zufällig ins Büro gekommen wäre und hätte wissen wollen, wo ich bin." Schützend hielt sie sich die Tüten vor den Bauch. Matt benahm sich so seltsam, dass sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. „Du hast mich schon einmal verlassen", erinnerte er sie. „Was hätte ich sonst denken sollen, als ich gemerkt habe, dass du nicht da warst?" „Das war etwas ganz anderes." Er lachte bitter. „Du hast sofort die Scheidung eingereicht, falls du es vergessen haben solltest. Du konntest mich gar nicht schnell genug los sein. Nichts hat sich geändert - du jedenfalls nicht." Obwohl seine Vorwürfe sie sehr verletzten und sie weiche Knie bekam, ließ sie sich nicht unterkriegen. „Ich habe dich damals gewarnt, aber du wolltest mir nicht zuhören - wie so oft." Das war anscheinend immer noch der Fall. „Du hast mich gewarnt?" Karen schaute zur Treppe, weil sie fürchtete, er könnte mit seinem Geschrei die Gäste wecken. „Als du beschlossen hast, als Buchhalter zu arbeiten, habe ich dir gesagt, du sollst es dir genau überlegen. Nachdem du bereits drei andere Berufe ausprobiert hattest, wollte ich nicht wieder in so unsicheren finanziellen Verhältnissen leben." „Und warum hast du dich dann gleich von mir scheiden lassen?" „Weil du es nicht einmal mit mir besprochen hast. Eines Ta ges bin ich von der Arbeit zurückgekommen, und du hast ge sagt, du hättest bei Curtis Accounting gekündigt." Es kostete
sie enorme Willenskraft, nicht in Tränen auszubrechen. „Du hast nicht mit einem Wort erwähnt, dass du unzufrieden bist. Statt mit mir darüber zu reden, hast du die Entscheidung einfach über meinen Kopf hinweg getroffen." „Und deswegen hast du am nächsten Tag deine Sachen ge packt und mich verlassen. Einfach so." Als wollte er damit andeuten, dass es ein spontaner Entschluss gewesen war, schnippte Matt mit den Fingern. „Kannst du das denn nicht verstehen?" rief sie verzweifelt. „Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass du über mein Leben bestimmt hast, weil du nicht in der Lage warst, einen Job über längere Zeit auszuüben." Sie atmete einmal tief durch, bevor sie fortfuhr: „Ich hatte einen Vater, der sich geweigert hat, für irgend etwas die Verantwortung zu übernehmen. Und dann habe ich den Fehler gemacht, einen Mann zu heiraten, der genauso ist wie er." „Ich bin nicht dein Vater", erklärte Matt laut. „Doch, du bist genauso. Du hast dir nie Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Rechnungen bezahlen sollten. Wahr scheinlich hast du erwartet, dass sich das Problem von selbst erledigt. Mit deinem unerschütterlichen Optimismus hast du mich in den Wahnsinn getrieben." „Ich war todunglücklich, als ich für Curtis Accounting gearbeitet habe", verteidigte er sich. „Genauso unglücklich wie in den anderen Berufen, die du in den letzten Jahren ausprobiert hast? Oder war das etwas anderes?" Matt antwortete nicht. „Es war höchste Zeit für dich, erwachsen zu werden, Matt. Du wolltest keine Familie gründen und hast dich von Job zu Job treiben lassen, ohne auch nur den kleinsten Funken Verantwortung oder Ehrgeiz zu zeigen oder Pläne für unsere gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Was hätte ich denn sonst deiner Meinung nach tun sollen?" „Bitte sag mir eins, Karen: Würde eine Ehefrau mit Verantwortungsbewusstsein beim kleinsten Problem die Flucht ergreifen? Würde sie aus einer Laune heraus ihren -Mann verlassen und sich von ihm scheiden lassen?" „Glaubst du wirklich, dass ich es mir so leichtgemacht habe, Matt?" Seine Vorwürfe trafen sie so, dass ihre Stimme bebte. „Ob leicht oder nicht, du hast es getan, und ich traue dir zu, dass du es wieder tust." „Hast du deswegen getrunken?" Karen deutete auf die Whiskyflasche. „Ja. Als ich zurückgekommen bin, warst du nicht mehr da, und alles, was ich herausfinden konnte, war, dass du deprimiert warst. Dann habe ich erfahren, dass du mit Abbey und Sawyer nach Fairbanks geflogen bist." „Du meine Güte, ich habe einen Einkaufsbummel ge macht!" „Das wusste ich nicht. Ich dachte, du wärst nach Kalifornien zurückgekehrt. Schließlich bedeutet dein Job dir alles." Sie traute ihren Ohren kaum. Wie konnte Matt ihr solche Dinge an den Kopf werfen? „Wie kommst du denn darauf?" Er zuckte die Schultern. „Was weiß ich. Dass du mich damals verlassen hast, verstehe ich immer noch nicht." „Das ist wirklich lächerlich!" „Ach ja? Vor meiner Abreise hast du mich noch daran erinnert, dass ich nicht alles als selbstverständlich betrachten soll. Das tue ich auch nicht. Den Fehler werde ich nicht noch einmal machen. Du kannst mich jederzeit wieder verlassen, und das werde ich nie vergessen." „Nur weil ich dich nicht sofort wieder geheiratet habe, nachdem ich erfahren hatte, dass ich schwanger bin? Ich war der Meinung ..." Matt ließ sie nicht ausreden. „Wenn du gehen willst, dann tu es jetzt. Ich kann meine Probleme nicht im Alkohol ertränken, und ich kann auch nicht mit dieser Ungewissheit weiterleben." „Glaubst du tatsächlich, ich würde mich einfach so davonschleichen?"
„Warum nicht? Du hast es schließlich schon einmal getan." Da ihre Kehle wie zugeschnürt war, schluckte Karen. „Also gut, dann gehe ich." An der Treppe drehte sie sich noch einmal um. „Du hättest dir die Mühe sparen können, nach einem Vorwand zu suchen. Du hättest mich nur darum bitten müssen." Mariah summte vor sich hin, als Duke Porter das Büro betrat. Erleichtert stellte sie fest, dass es nicht Christian war. In letzter Zeit ging er ihr offensichtlich aus dem Weg, aber das konnte ihr nur recht sein. „Hallo, Duke", grüßte sie mit einem fröhlichen Lächeln. Duke blieb in der Nähe der Tür stehen, als wollte er sich eine Fluchtmöglichkeit offenhalten. „Wenn ich reinkomme, küssen Sie mich nicht wieder, ja?" Nun musste sie lachen. „Es gibt hier ein paar Männer, die nichts dagegen hätten, wenn ich sie küssen würde." „Vielleicht nicht", bestätigte Duke gutmütig, „aber Sie sagten ja, der Kuss wäre von dieser Rechtsanwältin ... Tracy Sowieso." „Stimmt." Darauf fiel Mariah nicht herein. Er kannte Tracys Nachnamen sehr wohl. Immerhin beklagte er sich schon seit Monaten über sie. „Eins möchte ich klarstellen", verkündete Duke. „Diese... Teufelin ist die letzte Frau auf der Welt, von der ich geküsst werden möchte." „So schlimm ist sie nun auch wieder nicht." „Leider weiß sie nur nicht, was sich gehört." „Was meinen Sie damit?" fragte Mariah verblüfft. „Genau das, was ich sage." Er ging zur Kaffeemaschine, nahm seinen Becher vom Haken und schenkte sich Kaffee ein. „Sie hält sich für besonders schlau, nur weil sie Anwältin ist. Diese Frau braucht einen Mann, der sie in ihre Schranken weist." Zuerst wurde Mariah wütend, doch dann musste sie ein La chen unterdrücken. Sie hätte zu gern miterlebt, wie er oder irgendein anderer Mann versuchte, Tracy „in ihre Schranken zu weisen". Was war bloß mit den beiden los? Duke und Tracy hatten sich von Anfang an nicht verstanden. Plötzlich war Mariah ganz niedergeschlagen, denn sie dachte daran, dass es ihr mit Christian genauso ergangen war. Als sie in Hard Luck aus dem Flugzeug gestiegen war, war einer ihrer Koffer aufgegangen, und der Luftzug des Propellers hatte ihre Unterwäsche über den Platz gewirbelt. Das war ein schlechtes Zeichen gewesen, und von da an war alles nur noch schlimmer geworden. Christian O'Halloran brachte sie so durcheinander, dass sie ständig Fehler machte. Schließlich zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. „Üb rigens habe ich diese Woche einen Brief von Tracy bekommen", erklärte Mariah. „Oh." Duke setzte sich auf eine Ecke ihres Schreibtischs. „I ch hoffe, dass sie nicht nach Hard Luck kommt." „Sie hat zwei Wochen Urlaub und wollte sich irgendwo mit mir treffen." „Wo zum Beispiel?" „Ich habe an Anchorage gedacht, weil ich schon immer mal eine Bootstour zu den Gletschern machen wollte." Mariah öffnete eine Schublade und nahm einen Prospekt heraus. „Und ich würde mir gern die Stadt ansehen, vor allem Earthquake Park." „Spielen Sie auch mit dem Gedanken, sie hierher einzuladen?" „Hierher?" Mariah betrachtete ihn misstrauisch. Manchmal hatte sie beinah den Eindruck, dass er sich zu Tracy hingezogen fühlte, aber das war unmöglich. Die beiden waren nicht einmal in der Lage, ein paar höfliche Worte miteinander zu wechseln. „Vielleicht", erwiderte sie schließlich. Duke erwiderte finster ihren Blick. „Dann sagen Sie mir rechtzeitig Bescheid, damit ich eine großen Bogen um sie machen kann."
Nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte, verließ er das Büro. Nicht einmal eine Minute später wurde wieder die Tür geöffnet. „Kommen Sie, Duke", schalt Mariah, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. „Sie müssen sich schon entscheiden. Sie ..." Als sie aufsah und merkte, dass nicht Duke, sondern Christian vor ihr stand, verstummte sie unvermittelt. „War das Duke, der gerade aus dem Büro gekommen ist? Oder sollte ich lieber sagen, Ihr Freund?" „Ja, es war Duke", erwiderte sie steif. Christians Miene nach zu urteilen, schien er zu denken, Duke und sie hätten etwas Unschickliches getan. „Und damit Sie es wissen: Er ist nicht mein Freund." „Waren Sie beide allein hier?" „Ja." Mariah verdrehte die Augen und setzte sich vor den Computer, so dass sie Christian den Rücken zuwandte. Man konnte nicht vernünftig mit ihm reden, denn er war fest davon überzeugt, dass zwischen Duke und ihr etwas lief. „Halten Sie das für eine gute Idee?" erkundigte sich Christian. „Was? Mit Duke allein im Büro zu sein. Also wirklich, er ist einer Ihrer Piloten! Schließlich hat er hier zu tun." Sie hätte Christian am liebsten daran erinnert, dass sie diejenige war, die die Flugpläne aufstellte, die Aufträge entgegennahm und zahlreiche andere Aufträge erledigte. Doch ihr war klar, dass es keinen Sinn hatte. „Das letzte Mal, als ich Sie beide in flagranti ertappt habe, haben Sie sich praktisch ausgezogen." „Das ist nicht wahr!" Vor Verlegenheit wurde sie rot. „Sie tun so, als brauchte ich einen ... Babysitter." „Das stimmt auch", höhnte er. „Es ist ein Wunder, dass sie den Flugplatz noch nicht zerstört haben. Sie haben die Gewohnheit, überall Schaden anzurichten, wo Sie auftauchen." „Das ist das Gemeinste, was Sie je zu mir gesagt haben, Christian O'Halloran", erklärte sie hocherhobenen Hauptes. Mariah wusste schon lange, dass Christian es bereute, sie eingestellt zu haben. Kurz nachdem sie in Hard Luck eingetroffen war, hatte er mit Sawyer darüber gesprochen, jemand anders für sie einzustellen. Seine offensichtliche Abneigung gegen sie hatte allerdings bewirkt, dass sie sich besonders angestrengt und hart gearbeitet hatte. Während Sawyer sehr zufrieden mit ihr war, hatte sie bei Christian immer Pech gehabt. Dass sie ihm die Bowle übers Hemd geschüttet hatte, war lediglich die Spitze des Eisbergs gewesen. Wenn sie einmal eine wichtige Akte verlegte, brauchte Christian mit Sicherheit gerade die. Wenn sie einmal vergaß, ihm eine Nachricht zu übermitteln, war es eine, die er dringend erwartet hatte. Obwohl sie es gerade ihm recht machen wollte, stand sie immer auf Kriegsfuß mit ihm. Fast ein Jahr lang hatte Mariah in der ständigen Angst ge lebt, ihren Job zu verlieren. Und gerade, als es den Anschein ge habt hatte, als hätte sich die Situation ein wenig entspannt, hat te Christian gesehen, wie sie Duke küsste. Seitdem war alles noch schlimmer geworden. Soweit es ging, machte er einen großen Bogen um sie. Wenn sie jedoch zusammen im Büro waren, sprach er kaum mit ihr und wenn, dann ausschließlich über geschäftliche Dinge. Mariah wusste einfach nicht, was sie tun sollte, um daran etwas zu ändern. Karens Koffer waren gepackt und standen in ihrem Zimmer. Da die beiden Professoren am frühen Morgen abgereist waren, war es ungewöhnlich still im Hotel. Karen war an diesem Morgen nur einmal unten gewesen und hatte Matt nirgends gesehen. Nun wartete sie in ihrem Zimmer, wusste jedoch nicht, worauf. Seit sie ihm gesagt hatte, sie würde abreisen, verspürte sie ein beklemmendes Gefühl. Sie hatte ihre Eltern in Anchorage ange rufen, und die hatten ihr versichert, sie könnte so lange bei ihnen wohnen, wie sie wollte.
Schließlich ging sie zum Fenster und schaute hinaus auf die Tundra. Sie würde diese herrliche Landschaft vermissen und, was noch wichtiger war, die Freunde, die sie in Hard Luck gefunden hatte. Nicht nur Lanni würde ihr fehlen, sondern auch Abbey und ihre Kinder, Bethany und Chrissie, auch Mitch, obwohl sie ihn kaum kannte. Dann waren da noch Ben, die Brüder O'Halloran, Duke, John, Ted und die anderen Piloten. Allerdings war Karen klar, dass sie sich selbst gegenüber nicht ehrlich war, wenn sie sich einredete, dass sie die anderen am meisten vermissen würde. Zum zweitenmal in ihrem Leben war sie im Begriff, den Mann zu verlassen, den sie liebte. Bereits beim erstenmal war es ihr sehr schwer gefallen. Sie wusste nicht, ob sie die Kraft hatte, es wieder zu tun. Das Knallen der Haustür riss sie aus ihren Gedanken. Matt war offenbar wieder zurück. Nachdem sie ihre Koffer oben am Treppenabsatz abgestellt hatte, ging Karen langsam die Treppe hinunter. Er stand unten und betrachtete sie schweigend. „Bist du startklar?" fragte er schroff. „Nein." Krampfhaft umklammerte sie das Treppengeländer. Mit einemmal war ihr bewusst geworden, dass sie es nicht übers Herz brachte, Matt wieder zu verlassen. Langsam ließ sie den Blick durch die Empfangshalle schweifen. Als sie am vergangenen Abend mit Abbey und Sawyer in Fairbanks gegessen hatte, hatten die beiden ihr erzählt, wieviel Arbeit Matt in das Hotel gesteckt hatte. Er hatte das scheinbar Unmögliche geschafft, indem er aus dem ausgebrannten Gebäude, das niemand mehr interessierte, ein lukratives Unternehmen gemacht hatte. Als Abbey und Sawyer über die Zukunft von Hard Luck gesprochen hatten, hatte Karen den Eindruck ge habt, dass es auch ihre Zukunft war - bis sie nach Hause gekommen und Matt begegnet war. Als Karen zu Matt ins Hotel gezogen war, hatte sie bereits vermutet, dass er seine Berufung gefunden hatte. Alles, was er in den letzten Jahren getan hatte, hatte ihn darauf vorbereitet. Derrick und Donald hatten ihr vor Augen geführt, was sie bereits geahnt hatte und was im Grunde offensichtlich gewesen war. Sein Engagement und sein Verantwortungsbewusstsein waren ein sicheres Indiz dafür, dass Matt sein Ziel erreicht hatte. Während ihrer Ehe hatte Karen ihn nie so glücklich erlebt wie hier in Hard Luck. „Was brauchst du noch?" fragte er. „Was ich brauche?" „Um aufbrechen zu können." Offenbar konnte er sie gar nicht schne ll genug loswerden. Da sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte, warf sie einen Blick über die Schulter. „Ich hole deine Koffer." Er lief die Treppe hoch und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. „Nein", brachte sie mühsam hervor. Auf halber Hö he blieb er unvermittelt stehen. „Was soll das heißen?" „Ich will dich nicht verlassen, Matt. Nicht noch einmal. Unser Baby braucht dich. Ich brauche dich." Es folgte ein angespanntes Schweigen. „Wie lange?" fragte Matt schließlich mit bebender Stimme. „Wie lange willst du diesmal bleiben?" „Für immer." Er atmete einmal tief durch. „Ich weiß nicht, ob das lange genug ist. Bist du sicher, Karen? Du musst ganz sicher sein, denn ich habe ganz bestimmt nicht die Kraft, dich noch einmal gehen zulassen." „Ich bin sicher", erwiderte sie unter Tränen. Im nächsten Moment lagen sie sich in den Armen und küssten sich verlangend. „Nie wieder", flüsterte Matt, bevor er Karen wieder zärtlich küsste.
„Nein. Ich bleibe für immer bei dir." „Du bist meine Partnerin, meine Geliebte und meine Freundin." „Und ich ziehe in dein Schlafzimmer." „In unser Schlafzimmer", verbesserte er sie. „Als ich den Raum renoviert habe, habe ich an dich gedacht." „Und was ist mit Kindern?" „Auch daran habe ich gedacht", gestand er lächelnd. Karen weinte immer noch vor Glück. „Ich habe so viele Ideen, was das Hotel betrifft." „Wunderbar." Wieder presste er die Lippen auf ihre, um sie zu küssen. „Aber jetzt habe ich eine noch bessere Idee." Matt hob den Kopf und betrachtete sie forschend. „Tatsächlich?" „Ja. Und es hat absolut nichts mit dem Hotel zu tun." Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn die Treppe hinunter zu seinen Privaträumen. „Dürfte ich fragen, was dir vorschwebt?" Karen lachte glücklich. „Das wirst du gleich merken, mein geliebter Mann." -ENDE