1800 Jahre nach dem Weltuntergang Sein Name ist Berry. Er ist Häuptling der Londos. Mit Klugheit und Schläue bewahrt er...
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1800 Jahre nach dem Weltuntergang Sein Name ist Berry. Er ist Häuptling der Londos. Mit Klugheit und Schläue bewahrt er seinen Stamm vor allen Gefahren der Welt – bis zu dem Tag, da die ›Nachtgänger‹ kommen und Berry zur Raumstation entführen, die seit Jahrhunderten die Erde umkreist. Die ›Himmelsmenschen‹ betrachten Berry und seinesgleichen als willkommene Sklaven. Doch Berry ist nicht zum Sklaven geschaffen. Er beginnt den Kampf um seine Freiheit – und um die neue, gemeinsame Zukunft der Menschen auf der Erde und im Weltall.
TTB 286
EDMUND COOPER
Sklaven des Himmels
ERICH PABEL VERLAG KG · RASTATT/BADEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Titel des Originals: THE SLAVES OF HEAVEN Aus dem Englischen von Lore Strassl
TERRA-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright © 1975 by Edmund Cooper Deutsche Erstveröffentlichung Redaktion: G. M. Schelwokat Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Verkaufspreis incl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb, Franz-Josef-Straße 21, A-5020 Salzburg NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, Burchardstr. 11, 2000 Hamburg 1, Telefon 0 40/33 96 16 29, Telex: 02/161 024 Printed in Germany April 1977
1. Berry blickte zufrieden auf das Bild, das sein Herz höher schlagen ließ. Vron, seine Gefährtin, lag im Gras und streichelte zärtlich Vronis Köpfchen, das kaum größer als die pralle Brust war, aus der das hungrige Mädchen schmatzend die Milch saugte. Vroni brauchte nicht zu hungern. Ihre Mutter hatte genügend Milch, mehr als Vroni trinken konnte. Es wäre Vron leichtgefallen, auch noch anderer Frauen Kinder mitzustillen. Aber im Augenblick war Vroni das einzige Baby des Stammes. Berry kaute an einem Grashalm. Ja, er war zufrieden, glücklich sogar. Und weshalb sollte er es auch nicht sein? Seit Amris Tod vor einem Sommer und einem Winter war er der Häuptling des Stammes. Er hatte eine eigene Frau – wer, außer ihm, hatte das schon? – und eine kleine Tochter. Sicher, ein Sohn wäre besser gewesen. Aber man konnte schließlich nicht alles haben, das wäre gegen die Gesetze der Natur. Jedenfalls waren die Götter gut zu ihm. Halt, mahnte er sich verärgert. Was immer auch die Alten schwafelten, es gibt keine Götter, es gibt keinen Himmel, in dem die Toten weiterleben! Es gibt nur Dinge, die man sieht oder hört und fühlt. Die Sonne, der Mond, die Sterne; die Jahreszeiten; Wind, Regen, Schnee, Eis; Seen, Flüsse, Meere; die Menschen; und die Tiere, die unter der Erde, auf der Erde, in den Lüften und im Wasser leben. Dann gibt es auch noch Hunger und Liebe, Tod und Geburt. Das sind natürliche Dinge. Dinge, die jeder versteht. Götter gibt es nicht! Wer hat schon je einen Gott gesehen? Wer ist
vom Himmel zurückgekehrt, um zu erzählen, wie es dort aussieht? Nein, es gibt keine Götter! Aber es gibt die Nachtgänger. Sein Gesicht verfinsterte sich. Die Nachtgänger hatten Mari mit sich genommen. Mari, die ihm ihre Milch gegeben hatte, die ihn als Sohn aufnahm, kurz nachdem ihr eigener gestorben war. Seine Züge glätteten sich wieder. Er hatte Glück gehabt. Er war kein Blutsangehöriger der Londos, trotzdem war er jetzt ihr Häuptling. Die Londos hatten ihn als Neugeborenen im Wald gefunden, halb tot bereits. Sie hatten ihn zu Mari gebracht und später in den Stamm aufgenommen. Aber nur sieben Sommer hatte er das Glück gehabt, von Maris Liebe verwöhnt zu werden. Dann waren die Nachtgänger gekommen. Nie würde er die grauenhaften Minuten vergessen. Er hatte hilflos zusehen müssen, wie die in Silber gekleideten Männer sie wegzerrten. Die Nachtgänger gab es, denn er hatte sie selbst gesehen. Aber sicher waren sie Menschen, Götter bestimmt nicht. Sie holten nur Frauen, immer nur Frauen. Also waren sie Männer. Der Stamm der Londos war nicht sehr groß, er war auch nicht kriegerisch. Natürlich kämpften die Männer, wenn man ihnen den Kampf aufzwang. Aber sie fingen ihn nicht an. Andere Stämme – vor allem die nördlicheren, die Manches, die Jords und Glaskas – machten den Kampf zu ihrem Lebenszweck. Es ging ihnen jedoch hauptsächlich um die Eroberung von Frauen, an denen immer Mangel war, da die Nachtgänger sie regelmäßig und gleichermaßen von allen
Stämmen wegholten. Und wer konnte schon etwas gegen die Silbergeister ausrichten? Doch keine der unglaublichen Geschichten über die Nachtgänger änderte Berrys Ansicht über sie. Schön, sie trugen silberne Kleidung. Es wurde behauptet, daß ihr Blick einen Menschen erstarren lassen konnte, so daß er stundenlang keinen Muskel zu bewegen vermochte. Genauso hieß es jedoch auch, sie hätten keine Gesichter. Wie konnte dann ein Geschöpf ohne Gesicht einen Menschen durch seinen Blick erstarren lassen? Nein, Berry war überzeugt, daß sie weder Geister noch Götter waren. Man behauptete weiter, daß diese Gesichtslosen die Frauen in den Himmel brachten. Das waren natürlich Ammenmärchen. Es gab keinen Himmel, und die Nachtgänger waren Männer, nichts anderes, wenn auch mit bemerkenswerten Fähigkeiten. Männer, die Frauen brauchten. Vielleicht hatten sie keine eigenen und mußten deshalb unsere rauben, dachte Berry. Wenn es also eine Möglichkeit gab, die Nachtgänger an ihren Raubzügen zu hindern, würden sie aussterben. Denn ohne Frauen keine Kinder, und ohne Kinder keine Zukunft. Deshalb hatte Berry, seit er Häuptling war, ein Alarmsystem ausgeklügelt – eine dünne, kaum sichtbare Schnur aus Därmen an Pfählen rings um das Lager befestigt. Wenn jemand sie berührte, begann eine Bronzeglocke zu läuten – ein Beutestück, auf das Berry sehr stolz war. Bisher war die Glocke allerdings nur von streunenden Tieren in Bewegung gesetzt worden. Trotzdem waren die Londos froh, das Alarmsystem zu haben, denn seitdem es angebracht war, hatten die Nacht-
gänger nicht mehr zugeschlagen. Das war für sie ein Omen. Berry selbst hielt es nur für eine Notlösung, bis ihm etwas Besseres einfiel. Aber die Hauptsache war, sein Stamm fühlte sich durch die Glocke sicherer. Die Londos waren schon seit Generationen Nomaden. Allerdings war ihre Wanderung auf den südlichen Landstrich beschränkt. Wie alle anderen Stämme wußten sie, wo die Heißen Flecken waren, und umgingen sie in weitem Bogen. Jene, die Zuflucht in den Heißen Flecken suchten – Ausgestoßene, Übeltäter, geistig Verwirrte –, lebten gewöhnlich nicht sehr lange. Wenn doch, begannen sie unter seltsamen Veränderungen zu leiden. Horn und Knochen entstanden und schoben sich aus allen möglichen Körperteilen, wo nur Fleisch sein sollte. Zusätzliche Gliedmaßen wuchsen ihnen. Sie erblindeten oder sahen plötzlich Dinge, die andere nicht sehen konnten. Am liebsten hielten die Londos sich in der Nähe der See auf, denn sie bot ihnen so vieles – und überreichlich –, was sie zum Leben brauchten: Krabben, Krebse, Hummer, Muscheln und viele Arten von Fischen. Und im Gegensatz zum Land war das Meer nicht verseucht. Es gab keine Heißen Flecken – zumindest waren keine bekannt. Berry dachte sogar daran, eine feste Siedlung am Meer zu errichten. Aber er würde sich viele eindringliche Gründe einfallen lassen müssen, um den Stamm zu überzeugen, daß es gut für sie alle war, seßhaft zu werden. Denn das Nomadenleben lag nicht nur in ihrem Blut, sondern wurde durch den Glauben noch gefestigt, daß es lebensgefährlich war, ständig an einem Ort zu bleiben.
Nach den Legenden waren die Heißen Flecken einmal riesige Siedlungen mit vielen, vielen Stämmen gewesen. Die Menschen, die dort wohnten, so erzählte man sich, hatten über gewaltige Zauberkräfte verfügt. Sie brauchten weder zu jagen, noch zu fischen, noch Pilze, Beeren, Nüsse, Äpfel und andere gute Dinge zu sammeln. Ihre Zauberkraft sollte so groß gewesen sein, daß sie sich ihre Nahrung nach Belieben herstellen konnten. Auch waren sie angeblich imstande, Licht und Wärme ohne die Hilfe von Feuer zu erzeugen, so daß es für sie überhaupt keine Rolle spielte, ob es Tag oder Nacht, Sommer oder Winter war. Aber die Legenden berichteten auch, daß ihnen ihre ganze Zauberkraft nichts nutzte, als der Boden zu heiß wurde. Und er wurde heiß, weil zu viele Menschen sich auf ihm niedergelassen hatten und ihr ganzes Leben an ein und demselben Ort verbrachten und nie zu neuen Landstrichen zogen, um dort ihr Lager aufzuschlagen. Als der Boden dann zu heiß wurde, kamen die Seuchen und zerstörten die riesigen Siedlungen. Und der Boden, auf dem sie gestanden hatten, blieb verseucht und würde den Menschen nie wieder Nutzen bringen. Berry glaubte nicht an Zauber, aber er hielt es durchaus für möglich, daß die Heißen Flecken tatsächlich einmal Siedlungen mit viel zu vielen Menschen gewesen sein mochten. Vielleicht hatten diese Menschen wahrhaftig unvorstellbare Fähigkeiten und konnten wirklich die Nacht zum Tag und den Winter zum Sommer machen. Aber ganz bestimmt nicht durch Zauber, sondern durch hochentwickelte natürliche Kräfte, die sie vielleicht selbst nicht ganz ver-
standen. Das war möglicherweise auch der Grund, weshalb sie untergegangen waren. Was auch immer der Grund war für diese Heißen Flecken, es würde jedenfalls schwierig sein, die Londos zu überzeugen, daß eine feste Siedlung etwas Gutes war – schwierig, aber nicht unmöglich. Berry hatte sich alle Argumentationen für das Für und Wider durch den Kopf gehen lassen. Das Wider: blieb man zu lange am gleichen Ort, verringerte sich der Wildbestand, und die Nutzung eßbarer Pflanzen erschöpfte sich. Die Muskeln mochten erschlaffen, weil es nichts mehr zum Marschieren und weniger Arbeit gab. Die Frauen würden herumsitzen, klatschen und tratschen und Unruhe stiften, denn es würde ihnen zuviel Zeit bleiben, weil sie nicht mehr beim Auf- und Abbau des Lagers mithelfen mußten. Und als letztes: der Boden würde heiß werden, weil zu viele Menschen darauf lebten. Aber es war auch viel dafür zu sagen: man konnte gute, wetterfeste Unterkünfte bauen, die den Alten und Kindern im Winter bessere Überlebenschancen boten. Man konnte die Siedlung befestigen und so einen größeren Schutz gegen Überfälle anderer Stämme und der Nachtgänger haben. Man könnte Feuer haben, die man nicht mehr auszugehen lassen brauchte. Man konnte Samen von eßbaren Pflanzen säen. Man konnte Boote bauen und bei gutem Wetter zum Fischen hinaus aufs Meer fahren. Kurz gesagt, man könnte viel besser und bequemer leben als bei ständiger Wanderschaft. Außer der Boden wurde zu heiß ... Aber Berry glaubte nicht wirklich, daß der Boden nur deshalb zu heiß würde, weil zu viele Menschen
darauf lebten. Ganz abgesehen davon, waren die Londos ein kleiner Stamm. Es würde Generationen dauern, bis zu viele von ihnen an einem Fleck lebten. Eines Tages, wenn die Zeit reif war, würde er seinen Stamm davon überzeugen, daß es besser war, seßhaft zu werden. Aber das würde noch eine Weile dauern. Berry seufzte und blickte durch den Spalt des Zelteingangs. Das erste Grau schob sich über den schwarzen Himmel. Bald würde die Sonne aufgehen und ein neuer Tag beginnen. Ein Tag, an dem er Entscheidungen treffen mußte, die sich als gut oder schlecht erweisen mochten, aber die nur er treffen konnte, weil er der Häuptling war. Amri hatte wegen zu vieler schlechter Entscheidungen seinen Tod durch die Messer gefunden. Jeder männliche Stammesangehörige hatte seinen Dolch in Amri gestoßen. So war es bei den Londos Sitte. Sicher, es war barbarisch und grausam, aber zweifellos zweckmäßig. Man konnte sich nicht auf friedliche Weise eines Häuptlings entledigen und einen neuen wählen, denn dann würde immer ein Teil des Stammes auf Seite des alten und ein anderer auf Seite des neuen stehen. Und das mußte den Stamm schwächen. Die Ehre, Häuptling zu sein, brachte also gleichzeitig ein schwebendes Todesurteil mit sich. Es gab nur wenige Häuptlinge, die an Altersschwäche gestorben waren. Denn ehe es soweit kam, hatten sie längst zu viele schlechte Entscheidungen gefällt und durch die Messer dafür bezahlt. Solange sie jedoch hauptsächlich gute Entscheidungen trafen, konnten sie sich der absoluten Treue und des Gehorsams des Stammes sicher sein. Die Londos hatten ein gutes Gedächtnis. Sie vergli-
chen das Wirken ihres jeweiligen Häuptlings mit dem seines Vorgängers. Solange es so gut oder besser war, blieb er am Leben. Nur wenige legten Wert auf die Häuptlingswürde. Es war einfacher und sicherer, zu gehorchen und dann zu kritisieren, als die Verantwortung zu übernehmen. Es überraschte Berry sehr, als er nach dem Tod Amris zum Häuptling gewählt wurde, denn er war ja kein gebürtiger Londo. Er verstand allerdings schnell: Es war einfacher, einen Fremden für schlechte Entscheidungen zu töten, als einen, mit dem man blutsverwandt war. Aber Berry war optimistisch. Er war jung, und es würde sicher lange dauern, ehe er schlechte Entscheidungen traf. Und wer weiß, vielleicht hatten sich bis dahin die Gebräuche der Londos geändert? Inzwischen hatte die Nacht dem Tag Platz gemacht. Berry hörte bereits die Schritte des sich nähernden Wächters. Sie hielten vor dem Zelt an. »Häuptling, es war eine ruhige Nacht. Ziehen wir weiter oder bleiben wir?« Berry streckte sich. Vron lächelte im Schlaf. »Wir bleiben, Wächter. Das Wetter ist schön, es wird ein gutes Jagen geben. Wir bleiben.« »So sei es, Häuptling. Einen guten Morgen auch. Ich werde deine Entscheidung dem Stamm melden.«
2. Der Überfall durch den unbekannten Stamm – unbekannt, weil seine Krieger weder auf der Stirn noch an den Armen Stammeszeichen trugen – brachte Berry dem Messertod sehr nah. Und es war Oris, der öffentlich seine Fähigkeiten als Führer anzweifelte. Oris war als tollkühn, aber auch als mißgünstig bekannt. Er war von kräftigerer Statur als Berry und weniger vorsichtig. Außerdem war es kein Geheimnis, daß er Vron begehrte. Wie jeder andere Mann konnte er, wenn er an der Reihe war, bestimmen, mit welcher Frau des Stammes er sich paaren wollte. Mit jeder, außer der des Häuptlings. So war es Brauch bei den Londos. Aber Oris zog es vor, sich mit keiner der anderen Frauen zu paaren. Lieber nährte er sein Verlangen und seinen heimlichen Grimm. Berry war es schon lange klar, daß Oris ihn eines Tages herausfordern würde, nur hatte er nicht so bald schon damit gerechnet. Oris sah seine Chance, als die unbekannten Räuber – möglicherweise Jords oder Manches – fünf Frauen mitgenommen und neun Männer getötet oder schwer verwundet hatten. Berry kam blutbespritzt zum Feuerpalaver. Es war zum größten Teil das Blut seiner Stammesbrüder, das an ihm klebte, denn es war Sitte, daß der Häuptling mit eigenen Händen jenen den Tod gab, deren Verletzungen zu schwer waren, schnell zu heilen. Berry hatte dieser grausigen Pflicht schon mehrmals nachkommen müssen, aber sie fiel ihm deshalb nicht weniger schwer. Diesmal war er gezwungen gewesen,
Vrons Bruder Riel den Todesstoß zu geben. Riel, ein noch bartloser Jüngling, hatte im Kampf gegen die Frauenräuber einen Arm verloren und einen Pfeil in den Bauch bekommen. Riel war kein großer Kämpfer oder Jäger gewesen, aber es hatte ihm Spaß gemacht, Reime zu schmieden und zu singen. Mit seiner hellen, klaren Stimme hatte er dem Stamm so manchen Abend am Feuer verschönt. Er würde ihnen allen sehr fehlen. Berry seufzte. Er war so müde innerlich. Oris fühlte es. Er war entschlossen, die gegenwärtige Schwäche des Häuptlings für sich zu nutzen. Zum Feuerpalaver kamen die Stammesangehörigen zusammen, um Fragen zu stellen und sie beantwortet zu bekommen, um Kritik zu üben, und um Urteile auszusprechen. Die Männer, dazu gehörten alle Stammesbrüder, die zwölf Sommer oder mehr überlebt hatten, saßen im Kreis um das Feuer, und die Frauen und Kinder standen etwas hinter ihnen in den Schatten. Der Häuptling, so war es üblich, stand hochaufgerichtet ganz nahe am Feuer, damit alle ihn gut sehen konnten. Wie ebenfalls Sitte, stellte derjenige, der Fragen hatte, oder den Häuptling herausfordern, oder seinen Stammesbrüdern etwas mitteilen wollte, sich ihm gegenüber ans Feuer. Diesmal war es Oris, der dem Häuptling gegenübertrat. Im Gegensatz zu Berry war ihm nach dem Kampf Zeit geblieben, sich das Blut abzuwaschen. Es lag auch Berechnung darin, denn um so mehr würde dadurch das Blut an Berry die anderen daran erinnern, daß er mehrere ihrer Männer in den Tod hatte schicken müssen.
»Berry, mein Häuptling, habe ich dir gut oder schlecht gedient?« Das war ein vielversprechender Anfang. Das war auch Berry sofort klar. »Du hast mir gut gedient, Oris. Du hast dem Stamm gut gedient. Erst heute hast du zwei Räuber getötet. Es war eine tapfere Tat.« »Dann, mein Häuptling, vergib einem armen Stammesbruder, wenn er dich fragt, weshalb du dich heute morgen nicht entschieden hast, weiterzuziehen. Wären wir bereits von hier fort gewesen, hätte es keinen Überfall gegeben, und einige, die jetzt im Himmel sind, hätten an diesem Feuerpalaver teilnehmen können.« Berry seufzte. »Wir hätten auch unterwegs überfallen werden können, Oris. Und dann wären unsere Verluste ganz sicher sogar höher gewesen.« Oris zuckte die Schultern, und sein Blick wanderte selbstbewußt über den Kreis der Stammesbrüder. »Wer kann das jetzt noch sagen, Häuptling. Wenn wir früh genug aufgebrochen wären, hätten die Räuber uns vielleicht nicht gefunden, oder sie wären nicht imstande gewesen, uns zu folgen.« »Das stimmt«, gab Berry zu. »Aber wir blieben, weil die Jagd hier gut ist und das Wetter warm, und weil ich es so entschied.« »Ja, mein Häuptling, es war deine Entscheidung.« Oris wandte sich dem Kreis der Männer zu. »Ich habe keinen Zwist mit Berry. Ich denke nur an das Wohlergehen des Stammes. Früher war Berry ein guter Jäger gewesen. Er tötete soviel Wild mit seinem Speer wie ich mit meinen Wurfsteinen. Am Anfang seiner Häuptlingszeit hielt er uns im Trab. Er traf viele gute
Entscheidungen. Aber ich sage, daß Berry verweichlicht ist. Er jagt wenig. Vielleicht, weil er unser Häuptling ist und es für einen Häuptling nicht Pflicht ist, zu jagen. Vielleicht aber, weil er zuviel Zeit bei seiner Frau verbringt. Und wie man weiß, schwächt das einen Mann. Möglicherweise schwächt es ihn so sehr, daß er keine guten Entscheidungen mehr zu treffen vermag.« Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Die Männer im Kreis wußten, was Oris wollte, aber es gab mehrere unter ihnen – besonders unter den älteren –, die Berry gerade deshalb mochten, weil er sie nicht zu hart antrieb. »Du willst also, daß wir Berry die Messer fühlen lassen?« rief Ulbi. Ulbi war der älteste Mann des Stammes. Berry entging nicht, daß Ulbi ihn nicht Häuptling nannte. Bei diesem Feuerpalaver war er einfach wieder Berry geworden. Ein bedrohliches Zeichen. »Ich spreche nur meine Gedanken aus, Ulbi«, erwiderte Oris vorsichtig. »Es gibt Zeiten, wenn ein Mann sie nicht verheimlichen darf.« »Das ist wahr, Oris. Deshalb werde auch ich, Berry, Häuptling des Stammes der Londos, meine Gedanken aussprechen. Vielleicht habe ich eine schlechte Entscheidung getroffen, vielleicht auch nicht. Das kann ich nicht beurteilen, aber Oris kann es genausowenig. Es wäre möglich, daß die Räuber uns während des Marsches überfallen hätten. Genausogut wäre es möglich, daß sie uns überhaupt nicht entdeckt hätten. Das werden wir nie wissen. Ich habe mich immer um gute Entscheidungen bemüht. Mehr kann man von einem Mann nicht verlangen. Es
stimmt, daß ich nicht soviel jage wie früher. Wie Oris schon sagte, es gehört nicht zu den Pflichten des Häuptlings, zu jagen. Es gehört dagegen zu seinen Pflichten, zu denken und für seinen Stamm Sorge zu tragen. Ich tue mein Bestes, das kann ich mit gutem Gewissen versichern. Oris will erhobene Hände sehen, auch wenn er es bis jetzt noch nicht in Worten ausdrückte. Ihr kennt den Stammesbrauch. Wenn viele Hände sich heben, werde ich den Tod der Messer sterben. Heben sich nur wenige Hände, erleidet der Herausforderer dieses Geschick. Ich habe keinen Zwist mit Oris. Er ist ein großer Jäger und ein tapferer Krieger. Genau wie er trauere ich um unsere Brüder, die wir heute verloren haben.« Berry blickte einen nach dem anderen an. »Was ihr euch jetzt fragen müßt, ist nicht, ob ich eine schlechte Entscheidung getroffen habe oder nicht – wir wissen alle, daß es noch keinen Häuptling gegeben hat, der unfehlbar war –, sondern, ob es euch unter meiner Führung gut oder schlecht ergangen ist. Habe ich besser getan als Amri oder schlechter? Das ist es, was ihr entscheiden müßt. Mehr habe ich nicht zu sagen.« Ein Gemurmel und Geflüstere folgten seinen Worten. Die Flüsterer hatte Berry zu fürchten, denn sie waren jene, die herauszufinden suchten, ob sie stark genug waren, offen die Hand zu heben. »Ich habe keinen Zwist mit Berry«, wiederholte Oris heuchlerisch. »Ich denke nur an das Wohl des Stammes. Vielleicht würde ein neuer Häuptling uns besser führen. Aber ich habe keinen Zwist mit Berry.« »Hah! Er hat keinen Zwist mit Berry! Oris lügt!« Vron sprang aus der Dunkelheit über den Kreis der Männer hinweg ans Feuer. Mit blitzenden Augen
deutete sie auf ihre milchgeschwollene Brust. »Das ist sein Zwist mit Berry. Mein Körper ist es, wie alle hier wissen müßten ... Oris mag nach erhobenen Händen rufen, und es wäre möglich, daß Berry die Messer zu spüren bekommt. Doch nie, nie wird Oris mich haben!« Sie blickte die Männer im Kreis wild an. »Und der erste von euch, der die Hand gegen meinen Mann erhebt, wird noch vor Sonnenaufgang tot sein. Das schwöre ich!« Oris starrte sie sprachlos an. Er erinnerte an ein Kaninchen, das wie gelähmt einer Schlange gegenüberkauert. Der ganze Stamm bemerkte seine Schwäche. Aber auch Berry wußte nicht, was er tun oder sagen sollte. Schließlich entschied er sich, das Ganze als Spaß abzutun. Er lächelte Vron an und sagte: »Weib, mit einem Beschützer wie dir brauche ich keine Feinde zu fürchten. Du hast Oris aus der Fassung gebracht und diesen tapferen Männern hier Furcht eingeflößt. Geh jetzt zurück in dein Zelt, ehe dir noch mehr einfällt.« »Ja, mein Häuptling«, erwiderte sie sanft. Sie drückte einen Kuß auf sein blutverkrustetes Gesicht und schritt durch den Kreis der Männer. Berry blickte seine Stammesbrüder an und zuckte die Schultern. »Es tut mir leid. Aber wer könnte schon sagen, was im Kopf einer Frau vor sich geht?« Alle lachten. Es war ein Lachen der Erleichterung. Berry fühlte, daß Vrons Einmischung die Fronten gewendet hatte. Die meisten der Männer waren nun für ihn. Er wußte es. Er warf einen Blick auf Oris, der immer noch völlig benommen dastand.
»Es tut mir leid – diese unerwartete Unterbrechung«, wandte er sich an ihn. »Aber vielleicht brauchten wir gerade jetzt etwas, worüber man lachen kann. Es war ein schlimmer Tag, und unsere Herzen sind schwer.« Oris hatte sich wieder genug gefaßt, um zu erkennen, daß er eine schlechte Figur gemacht hatte. Das stachelte seinen Grimm noch mehr an. »Es war eine schlechte Entscheidung!« brüllte er. »Die Frau wollte euch mit ihrem Angriff auf mich vergessen lassen, daß es eine schlechte Entscheidung war. Berry taugt nicht mehr dazu, den Stamm zu führen!« Kaum hatte er die Worte ausgestoßen, wurde es Oris selbst klar, daß das ein Fehler gewesen war. Die Stimmung war jetzt gegen ihn. »Nun«, meinte Berry ruhig. »Verlangst du das Heben der Hände?« »Nein. Das Feuerpalaver wurde durch das Gewäsch dieser Frau entwürdigt. Berry versteckt sich hinter dem Rock seiner Gefährtin. Ich werde ihn dort nicht suchen. Laßt uns in unsere Zelte zurückkehren und morgen weiter darüber nachdenken. In einem pflichte ich Berry allerdings bei. Es war ein schlimmer Tag.« Oris wollte aus dem Kreis treten. »Bleib!« befahl Berry. »Oris, ich habe mich für Vrons Einmischung entschuldigt. Deine Worte sind hart. Bist du sicher, daß du nicht für ein Heben der Hände bist?« »Ich habe meine Gedanken ausgesprochen. Das genügt.« Berry seufzte. »Wir können die Dinge nicht dabei belassen. Deshalb muß ich das Heben der Hände
verlangen.« Er wandte sich an den Kreis der Stammesbrüder. »Männer, gegen euren Häuptling wurden Anschuldigungen erhoben. Oris, der ein großer Jäger und Krieger ist, hat sie gemacht. Hebt jetzt eure Hände, wenn ihr mir zeigen wollt, daß meine Zeit vorbei ist und daß ich eure Messer spüren soll.« Keine einzige Hand hob sich. Zwei machten Anstalten dazu, zogen sie jedoch schnell zurück, als keine Unterstützung kam. Oris stand allein. Er hob die Rechte und rief: »Alle hier können bezeugen, daß ich das Heben der Hände nicht verlangte, daß ich nur meine Gedanken offen aussprach.« Berry triumphierte nicht. »Oris, jeder weiß, daß du ein mutiger Mann bist. Nach der Sitte des Stammes ist dein Leben verwirkt – wie es meines gewesen wäre, hätte das Heben der Hände sich gegen mich gerichtet.« »Ich weiß. Ich habe keine Angst. Ich werde im Himmel nicht lange auf dich warten müssen. Dort wollen wir weiter über die Sache reden. Im Himmel gibt es nur einen Häuptling, dem alle zu gehorchen haben.« Ulbi erhob sich und trat neben Oris. »Laßt uns nicht vom Himmel sprechen«, bat Berry. »Zu viele unserer Brüder sind heute dort hingeholt worden. Du bist ein großer Jäger und tapferer Krieger, Oris. Ich dürste nicht nach deinem Blut. Der Stamm braucht Männer wie dich. Und es steht in meiner Macht als Häuptling, dir das Leben zu schenken. Mehr noch, ich ernenne dich zum Befehlshaber für die Verteidigung des Stammes. In Zeiten von Kriegszügen und Überfällen würde auch ich mich deinem Befehl unterstellen. Genügt das?«
Zwei weitere Männer und dann noch ein vierter standen auf und stellten sich neben Oris. Oris war völlig verblüfft über Berrys Worte. »Häuptling, das ist mehr als genug.« Ich habe mich verrechnet, dachte Berry betrübt. Es war ein schlimmer Tag, und ich bin müde. Sie werden mein Angebot als Schwäche auslegen. Bald werden die Hände sich gegen mich erheben. »Ich bin einverstanden ...« Mehr brachte Oris nicht heraus. Er schwankte und starrte ungläubig auf den Dolch, den Ulbi ihm in den Bauch gestoßen hatte. Ein weiteres Messer traf ihn, und dann noch zwei. Oris sank tot zu Boden. »Vergib uns, Häuptling«, bat Ulbi sanft. »Wäre Oris am Leben geblieben, hätte es den Stamm gespalten. Darin liegt große Gefahr. Wir wissen, weshalb du Blutvergießen vermeiden wolltest. Aber früher oder später wäre es doch wieder zur Auseinandersetzung gekommen, und dann hätte es vielleicht den Tod von mehr als einem gekostet.« »Ulbi, dein ist die Weisheit vieler Jahre. Du hast recht. Ich danke dir.« Berry wandte sich an die anderen. »Das Feuerpalaver ist hiermit zu Ende. Bringt Oris' Leiche zu jenen, die heute gefallen sind. Morgen werden wir weiterziehen. Ich habe gesprochen.«
3. Berry bekam seine feste Siedlung. Trotz aller bekannten Einwände – daß die Männer verweichlichen, die Frauen Unfrieden stiften, und der Boden zu heiß werden würde – stimmten die Londos schließlich zu, noch ehe die Blätter von den Bäumen fielen. Berry hatte bereits den Platz dafür an einem Fluß ausgesucht. Das Meer lag etwas südlich davon, und unmittelbar nordwärts dehnte sich bewaldetes Hügelland aus. Es war die fruchtbarste Gegend, die Berry kannte. Die Wälder würden Wild und Beeren liefern, das Meer Fische und andere Seetiere. Von der Siedlung aus konnten die Männer mit Flößen oder Booten zum Meer oder aber auch landeinwärts rudern. Die Siedlung würde noch vor dem ersten Schnee stehen. Das war aus vielen Gründen erfreulich, für Berry hauptsächlich jedoch, weil Vrons Bauch wieder geschwollen war und im Frühjahr schon ein zweites Kind ihre Milch brauchte. Berry bekam seine Siedlung, weil der Stamm während der warmen Monate unter so vielen Überfällen zu leiden gehabt hatte wie nie zuvor. Die Londos wußten, es lag nicht daran, daß Berry schlechte Entscheidungen traf, sondern weil die räuberischen Stämme, die Manches, Jords und Brumis, Frauen brauchten und offenbar in ihrer Verzweiflung auch vor einer Übermacht nicht zurückscheuten. Berry machte Gefangene, denn er wollte den Grund für diese so zahlreichen Überfälle wissen. Er erfuhr ihn auch. Die Nachtgänger hatten mehr Frauen denn je geholt und sich dabei hauptsächlich auf die
nördlicheren Stämme konzentriert. Die sahen sich jetzt gezwungen, aus dem Süden Frauen zu rauben. Er hörte sich die Geschichten der Gefangenen an und wunderte sich, daß die Nachtgänger ihre Taktik geändert hatten. Früher hatten sie nur immer eine bestimmte Auswahl getroffen, wie es auch gute Jäger tun, um sicherzugehen, daß genügend Wild zur Fortpflanzung blieb und der Bestand im nächsten Jahr wieder in etwa gleich war. Aber nun benahmen die Nachtgänger sich, als wollten sie die Stämme systematisch dezimieren, ja vielleicht sogar ausrotten. Bisher waren die Raubzüge der Nachtgänger mehr oder weniger wie ein Schicksalsschlag hingenommen worden, der vorüberging, den man eben erdulden mußte. Aber nun sah es ganz so aus, als würden sie zu einer Lebensbedrohung der Stämme. Weshalb wollten die Nachtgänger die Stämme ausrotten, von denen sie doch die Frauen bekamen? Bedeutete es, daß sie ihren Bedarf jetzt anderswo dekken konnten? Oder daß sie es sich nun leisten konnten, alle Frauen zu holen, die sie fanden, weil sie bald nicht mehr von den Stämmen abhängig sein würden? Oder daß sie die Frauen, die sie raubten, gar nicht alle brauchten, sondern sie nur nahmen, weil sie irgendwie in den Stämmen eine Bedrohung sahen und sie auf diese Weise ausrotten wollten? Doch all diese Fragen, die sich Berry stellte, waren zumindest im Augenblick noch unbeantwortbar. Es waren schon mehrere Sommer und Winter vergangen, seit die Nachtgänger die Londos überfallen hatten. Aber es war jedem klar, daß sie auch zu ihnen bald wiederkommen würden. Deshalb war es Berry gelungen, die Londos zu ei-
ner festen Siedlung zu überreden, die sich besser verteidigen ließ. Die Befürchtung, die Frauen zu verlieren, war größer als die Angst, der Boden könne zu heiß werden. Falls es sich herausstellte, daß der Boden wirklich heiß wurde, argumentierte Berry, könnte man rechtzeitig weiterziehen. Aber wenn die Frauen geraubt wurden, war der Stamm zum Untergang verdammt. Außerdem überredete Berry die Londos auch, die Gefangenen im Stamm aufzunehmen, statt sie zu töten. Sie waren gute Kämpfer, gab er zu bedenken, die mithelfen konnten, die Frauen zu verteidigen, und je mehr Hände zur Errichtung der Siedlung beitragen konnten, desto besser. Zur Befestigung der Siedlung wurden tief Gräben ausgehoben, zugespitzte Holzpfähle aufgestellt, Wachen durch die ganze Nacht hindurch eingeteilt, und dann gab es auch noch das Alarmsystem mit der Glocke. Aber all das nutzte nichts, als die Nachtgänger zuschlugen.
4. Es war eine frostklare Nacht, windlos und still. Der Vollmond stand am Himmel und badete alles in silbrigen Schein. Berry hatte sich von der Wacheinteilung nicht ausgeschlossen und stand, in warmen Schafspelz gehüllt, auf dem Wachtturm. Der Wachtturm war seine eigene Erfindung, auf die er sehr stolz war. Er bestand aus einer kleinen, mit Wänden umkleideten und überdachten Plattform auf vier Fichtenstämmen von etwa sechsfacher Mannshöhe. Rings um das Lager, bis zu einem Abstand von etwa hundert Schritt, hatte Berry alle Bäume fällen und das Buschwerk beseitigen lassen. Vom Wachtturm aus – er stand genau in der Mitte der Siedlung – hatte man deshalb einen guten Überblick nach allen Seiten. Die Glocke hatte Berry auf dem Turm anbringen lassen. Sie hing – nicht gerade sicher, auch wenn Berry das nicht ahnte – an zwei Lederriemen vom Dachbalken. Ein Ende eines weiteren Riemens war am Klöppel angebracht, und das andere am Boden der Plattform befestigt, damit die Glocke nicht von selbst läutete, wenn der Wind wehte. Wollte der Posten Alarm geben, brauchte er nur den Klöppelriemen mit aller Kraft hin und her zu ziehen. Berry hatte es schon des öfteren ausprobieren lassen und sich vergewissert, daß man die Glocke überall in der ganzen Siedlung deutlich hören konnte. Was er jedoch nicht wußte, war, daß die Lederriemen, mit denen die Glocke am Dachbalken hing, so gut wie durchgescheuert waren. Der Himmel wurde im Osten bereits ein wenig
grau, das erste Zeichen der nicht mehr fernen Morgendämmerung. Die Sterne begannen allmählich zu verblassen. Berry dachte oft über die Sterne nach. Die alten Legenden behaupteten, sie wären heiß wie die Sonne, nur viel viel weiter entfernt. Auch die Sonne sollte angeblich ein Stern sein, aber eben ein viel näherer. Das schien Berry durchaus glaubhaft, er fragte sich nur, weshalb die Sterne tagsüber fortgingen. Nach langen Überlegungen war er zum Schluß gekommen, daß die Sterne auch des Tags am Himmel standen und nur wegen der Helligkeit der Sonne nicht zu sehen waren. Den Mond dagegen konnte man manchmal auch am Tag sehen, weil er viel näher war. Er war überzeugt, daß man an einem klaren Tag auch die Sterne schauen könnte, wenn die Sonne die Augen nicht so blendete. Als er einmal mit den anderen darüber sprach, amüsierten sie sich köstlich, aber sie lachten nicht unmäßig, denn schließlich war er der Häuptling des Stammes. Während Berry die verblassenden Sterne im Osten beobachtete, überlegte er, wie man beweisen könnte, daß sie wirklich auch tagsüber am Himmel standen. So sehr beschäftigte ihn dieses Problem, daß er das Nahen der Nachtgänger nicht sofort bemerkte. Als er sie doch entdeckte, befanden sie sich bereits etwa fünfzig Schritt vom Schutzgraben entfernt. Sie standen in einer Reihe auf dem abgeholzten Boden und wirkten im Mondlicht in ihrer Silberkleidung kalt und gefährlich. Er sah sie und war einen Augenblick wie gelähmt vor Schock. Mit einer Hand am Klöppelriemen betrachtete er sie schnell genauer, um festzustellen, ob sie Menschen oder Ungeheuer waren.
Die Nacht war still, und die furchterregenden Besucher verursachten nicht das geringste Geräusch. Jeder von ihnen trug zwei glänzende Metallzylinder auf dem Rücken. Gleichzeitig, aber ohne sichtbare Abmachung oder hörbaren Befehl, nahmen sie schmale Rohre in die Hand und deuteten damit auf die Siedlung. Einen langen Moment starrte er sie nur wie hypnotisiert an. Doch dann begann er heftig am Klöppelriemen zu ziehen. Das Läuten war schrill genug, um den ganzen Stamm zu wecken, und dröhnte schmerzhaft in Berrys Ohren. Aber die Nachtgänger kümmerten sich überhaupt nicht darum. Waren sie vielleicht taub? Während Berry weiter mit aller Kraft am Klöppelriemen zog, damit die. Glocke auch den tiefsten Schläfer wecke, geschahen drei Dinge hintereinander und ziemlich schnell. Als erstes stürzten die Männer des Stammes zu Berrys Erleichterung vollbewaffnet aus den Hütten. Als zweites schossen aus den Rohren der Nachtgänger längliche Gasschwaden, die sich allmählich zu luftigen Wolken ausdehnten. Sie schwebten in die Siedlung und wurden unsichtbar, als sie mit der frostigen Luft verschmolzen. Als drittes rissen die durch Berrys heftiges Schwingen überbeanspruchten Riemen. Ehe die Glocke herabsauste, ihn am Kopf streifte und an der Schulter traf, sah Berry jedoch noch kurz, was sich unten tat. Die Männer, die aus den Hütten stürmten, kamen nicht einmal mehr dazu, ihre Verteidigungsposten einzunehmen. Noch ehe sie ein paar Schritte gelaufen waren, taumelten sie zu Boden und rührten sich nicht mehr. Berry sah es mit Entsetzen. Und dann rissen
die Riemen! Die Glocke plumpste herab und schickte Berry in gnädigen Schlaf, der für eine Weile verhinderte, daß er sich Vorwürfe über sein Versagen machte.
5. Seine Schulter schmerzte grauenvoll. Auch sein Kopf tat scheußlich weh. Mit zusammengebissenen Zähnen zog Berry sich an der Plattformwand hoch und spähte in die Tiefe. Die einzigen, die sich in der Siedlung bewegten, waren die Nachtgänger. Sie zerrten bewußtlose Frauen an Armen und Beinen aus den Hütten. Er sah, wie einer der Silbermänner auch Vron an einem Fuß aus der Häuptlingshütte zog. Ihr Hemd war über den Bauch gerutscht und enthüllte ihn in seiner ganzen Vollheit. Aber das schien den Nachtgänger nicht zu stören. Ungerührt legte er sie neben die anderen Frauen und schritt wieder davon, vermutlich um noch weitere Opfer zu suchen. Eine ungeheure Wut tobte in Berry, doch auch Angst um Vron. Einen Augenblick war er nahe daran, den Wachtturm hinunterzuklettern und sich auf die silbernen Bestien zu stürzen, die seine ganzen Vorsichtsmaßnahmen, seine Verteidigungsanlagen überhaupt nicht einmal beachtet hatten. Aber die Vernunft siegte. Was konnte ein Verletzter gegen zehn oder mehr dieser Übermenschen ausrichten, die inzwischen den ganzen Stamm der Londos besiegt hatten? Es war besser, diese Kreaturen zu beobachten und festzustellen, ob sie vielleicht Schwächen hatten, die sich ausnutzen ließen. Beim nächsten Feuerpalaver konnte er seine Stammesbrüder dann darauf aufmerksam machen, ehe er den Tod durch die Messer fand. Denn daß dieser ihm sicher war, daran hegte er keinen Zweifel. Er hatte den Londos ver-
sprochen, daß die feste Siedlung ihnen Schutz vor den Nachtgängern bieten würde – und jetzt das! Seine Stammesbrüder lagen noch, wie sie gefallen waren, ihre Waffen in den Händen. Nur gut, daß die Nachtgänger nicht töteten. Am Morgen würden sie alle, wenn auch steif und zum Teil mit verrenkten Gliedern, wieder aufwachen. Berry versuchte, die Schmerzen zu vergessen, als er hinunter auf Vron sah, deren nackter, geschwollener Bauch bleich im ersten Morgengrauen schimmerte. »Ich werde dich rächen«, flüsterte er. »Wenn ich am Leben bleibe, werde ich dich rächen.« Aber sein Verstand sagte ihm, daß es nur leere Worte waren. Blieb er bei den Londos, war er bereits so gut wie tot. Da kam ihm ein neuer Gedanke. Warum folgte er eigentlich den Nachtgängern nicht zu ihrem Lager und kundschaftete ihre Zahl und Stärke aus? Vielleicht gelänge es ihm dann sogar, die Stämme wenigstens so lange zu einigen, daß sie ihrerseits gemeinsam die Räuber überfielen und die gestohlenen Frauen zurückholten. Ja, das war ein guter Gedanke. Er hatte schließlich nichts zu verlieren. Als die Nachtgänger alle Frauen, die sie finden konnten oder brauchten, beisammen hatten, öffneten sie etwas an ihrer Brust, das wie ein Beutel aussah, und holten dicke Metallstäbe heraus. Vor Berrys Augen taten sie etwas, das er doch nicht sehen konnte, das die Stäbe länger machte – mannshoch in etwa. Dann bogen sie sie, daß aus jedem Stab zwei wurden, die mit etwas Geschmeidigem, Durchsichtigem, einer Tierhaut vielleicht, zusammengehalten wurden. Das Ganze legten sie auf den Boden, und jeder der Silbermänner hob eine der bewußtlosen Frauen auf die
Haut, oder was immer es war, zwischen den Stäben. Diesen Vorgang wiederholten sie, bis jeder der Nachtgänger zwei Frauen vor sich hatte. Dann brachten sie die Stäbe über den liegenden Frauen zusammen. Als jede der Gefangenen in dieser durchsichtigen Haut eingehüllt war, taten die Nachtgänger etwas, das Berry in bewunderndes Erstaunen versetzte. Jeder von ihnen klemmte sich erst eine Frau unter einen Arm, dann eine zweite unter den anderen. Welche Kraft diese Silbermänner haben mußten! Dann, ohne auch nur ein Wort auszutauschen, marschierten sie mit ihrer Last, die sie offenbar gar nicht spürten, durch das Haupttor aus der Siedlung. Berry starrte ihnen ungläubig nach. Nicht ein einziger von ihnen drehte sich um und blickte zurück. Aber er hatte ein anderes Problem. Was war, wenn er jetzt vom Wachtturm hinunterstieg und die Dämpfe, die die Londos bewußtlos gemacht hatten, noch wirkten? Er schnupperte vorsichtig. Er roch nichts, aber das war ja vorher in dieser Höhe auch nicht der Fall gewesen. Nun, er würde eben das Risiko eingehen müssen. Mühsam kletterte er die Leiter hinunter. Jedesmal, wenn er sich mit der Linken an den Sprossen festzuhalten versuchte, zog ein kaum erträglicher Schmerz durch seine verletzte Schulter. Mehrmals kam er in Gefahr herunterzustürzen, aber er schaffte es schließlich doch noch. Auch auf dem Boden angekommen, wurde er nicht bewußtlos. Offenbar hatten sich die Dämpfe schon verflüchtigt. Die Nachtgänger waren bereits außer Sichtweite. Doch der frühe Morgen war still, und Berry konnte ihre schweren Schritte im Unterholz hören. Er folgte
ihnen, so schnell seine Schmerzen es erlaubten. Mehrmals war er nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren, und hin und wieder fiel er auch zu Boden. Er kämpfte mit aller Gewalt gegen die Verlockung an liegenzubleiben, die Augen zu schließen und auf der gefrorenen Erde einzuschlafen und nichts mehr von den Schmerzen und seinem Versagen zu wissen. Ein- oder zweimal sah er die Nachtgänger weit vor sich. Und wieder staunte er über diese Übermenschen, die jeder gleich zwei bewußtlose Frauen tragen und auch noch mit dieser Geschwindigkeit marschieren konnten. Vielleicht waren sie tatsächlich Götter – oder zumindest keine Sterblichen? Vielleicht kannten sie keine Müdigkeit, keine Erschöpfung wie die Menschen? Vielleicht konnten sie dieses Tempo unbegrenzt einhalten? Vielleicht befand sich ihre Siedlung am anderen Ende der Welt? Vielleicht – vielleicht ... Berrys Gesicht war blutbeschmiert von den Zweigen, die gegen seinen Kopf peitschten und seine Haut aufrissen, und auch seine Arme und Beine bluteten von den Dornen, in die er mehrmals gefallen war. Er war nun überzeugt, daß er es nicht durchhalten würde bis zu ihrer Siedlung. Schon bald, wenn er erneut zu Boden ging, würde er nicht mehr die Kraft haben, wieder aufzustehen. Aber er schaffte es doch. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als die Nachtgänger ihr Ziel erreichten. Das erkannte Berry zumindest. Und ehe er schließlich doch bewußtlos zusammenbrach, sah er, wohin die Nachtgänger die geraubten Frauen gebracht hatten. Es war weder ein Lager noch eine Siedlung. Es war ein gewaltiger, nach oben spitz zu-
laufender Pfeiler aus glattem Metall, das im Sonnenschein glitzerte. Er stand genau in der Mitte eines niedergebrannten Waldstücks. Das Feuer mußte hier entsetzlich gewütet haben, denn von den hohen Bäumen war nur weiße Asche zurückgeblieben. Erstaunlich, daß es nicht weiter um sich gegriffen, sondern sich auf einen runden Fleck, nicht viel breiter als die Metallsäule, beschränkt hatte. Mit aufgerissenem Mund starrte Berry dieses Wunder an. Die Alten hatten also doch recht! Die Nachtgänger waren wahrhaftig Götter! Er stieß einen Schrei aus und stürzte zu Boden. Seine ganzen Bemühungen waren umsonst gewesen. Denn wie konnte ein Mensch hoffen, gegen Götter kämpfen zu können? Als letztes, ehe er schließlich das Bewußtsein verlor, sah er einen Nachtgänger sich über ihn beugen. Und dieser silberne Gott hatte kein Gesicht!
6. Berry erwachte ein paarmal flüchtig, ehe er seine Sinne wiederfand – so gut es sein geschwächter Zustand eben erlaubte. Als er die Augen zum erstenmal öffnete, wurde sein Blick nicht klar. Er erkannte nur vage Formen und Schatten, beides in einem fremdartigen Blau, wie er es noch nie gesehen hatte. Er versuchte, sich aufzustützten, vermochte es jedoch nicht. Entweder waren seine Arme festgebunden oder gelähmt. Der Schock darüber raubte ihm erneut das Bewußtsein. Beim zweiten Erwachen stellte er erleichtert fest, daß er wieder klar sehen und auch seinen Kopf bewegen konnte. Hoch über ihm glühte eine bläuliche Kugel, ähnlich wie der Mond durch dicke Wolkenschleier. Es war ein gedämpftes Licht, aber es gestattete ihm zumindest, zu erkennen, daß er sich in einer Art runden Kammer mit dunklen Wänden befand. Er war nicht allein. Es gab viele Lager, oder zumindest etwas, das Liegestätten ähnelte, die von Metallstäben getragen wurden. Als er seinen Hals schmerzhaft drehte, bemerkte er, daß über jedem Lager ein weiteres, ebenfalls durch Metallstäbe gehalten wurde, und darüber noch eines. Auf jedem davon ruhte unbeweglich eine Frau, deren Arme, Bauch und Beine durch breite Riemen, oder etwas Ähnliches, auf das Lager geschnallt waren. Da er außer seinem Kopf nichts rühren konnte, war er selbst offenbar genauso festgebunden. Er versuchte zu sehen, ob Vron in der Nähe lag, entdeckte sie jedoch nicht. Die Frauen, die er sah, hatten alle ihren Mund offen und die Augen geschlossen.
Nun war also auch er der Gnade der Nachtgänger ausgeliefert. Die Angst vor dem Unbekannten und sein Elend über sein Versagen wurde durch seine Erschöpfung und die Schmerzen noch verstärkt. Müde schloß er die Augen und hoffte, er würde sterben. Aber er starb nicht. Er träumte. Er träumte, sechs Männer hockten auf seiner Brust, versuchten ihm die Luft abzuschnüren, ihn zu ersticken, ihn zu Tode zu foltern, doch ohne die gnädige Erlösung durch einen Dolchstich. Er dachte verschwommen, er befände sich beim Feuerpalaver und habe gerade einen vollen Bericht seines Versagens abgegeben, und nun erachteten die Londos ihn ihrer Waffen für nicht mehr würdig. Keuchend hob er die Lider und stellte fest, daß es wirklich nur ein Traum gewesen war. Niemand saß auf seiner Brust, und doch war jeder Atemzug eine schier unerträgliche Qual. Sein Kopf drückte so hart auf das Lager, daß er meinte, sein Schädel müsse bersten. Irgendwie gelang es ihm dann doch, den Kopf ein wenig zu bewegen, obgleich der Schmerz kaum auszuhalten war und die Anstrengung ihn der letzten Kraft beraubte. Die Frau auf dem nächsten Lager war noch bewußtlos, schien es zumindest zu sein. Aber das Fleisch ihres Gesichts war verzerrt, als kneteten und drückten es unsichtbare Hände. Ihre Lippen standen weit offen, ihre Zähne waren zusammengepreßt. Und obwohl sie bewußtlos war, hob und senkte ihr Busen sich krampfartig. Sie stöhnte und ächzte, als täte ein Mann ihr Gewalt an oder als hätten die Geburtswehen eingesetzt. Die Anstrengung, seinen Kopf z u bewegen, war zuviel für Berry. Er versank wieder in gnädiger Schwärze.
Als er das nächstemal erwachte, war die Situation gerade umgekehrt. Er spürte absolut keinen Druck mehr, keine Schwere. Er fühlte sich leicht wie ein Vogel. Er wollte sich bewegen, aber seine Arme und Beine waren noch angeschnallt. Und dann war ihm, als fiele er aus einer großen Höhe. Doch wie konnte das möglich sein, wenn er an das Lager gebunden war? Er verstand es nicht. Aber die Empfindung, zu fallen, war schrecklich wirklich. Er biß sich auf die Zunge, um nicht laut zu schreien. Erst dieser grauenvolle Druck und die Angst, keine Luft zu bekommen, und dann das Gefühl, zu schweben und danach zu fallen. Er warf einen Blick auf die Frauen. Nirgends bewegte sich eine. Das Gesicht seiner Nachbarin war nicht mehr verzerrt. Berry dachte über seine Lage nach. Schließlich kam er zu einer vernünftigen Erklärung. Ich liege im Sterben, sagte er sich. Es kann nicht anders sein. Ich habe viele Männer sterben sehen und weiß, daß sie manchmal Dinge schauen oder spüren, die andere nicht sehen oder fühlen können. Ihr Geist ist nicht mehr klar, weil er ebenfalls stirbt. So geht es nun auch mir, damit muß ich mich abfinden. Es ist schade, daß ich schon so jung sterben muß, aber ich kann mich an viel Gutes in meinem Leben erinnern, und ich kenne viele Männer, denen es bedeutend schlechter ging als mir. Er fühlte sich, weil er zu sterben glaubte, merkwürdigerweise gleich viel besser. Es störte ihn nicht mehr, daß er immer noch zu fallen schien, denn nun wußte er ja, daß sein sterbender Geist sich alles nur einbildete. Aber wenn dieses Gefühl nicht echt war, vielleicht war es dann diese seltsame Kammer hier
genausowenig? Vielleicht träumte er nur, während sein Geist sich auf die letzte Wanderschaft ins Dunkel vorbereitete. Noch einmal warf er einen Blick auf seine Nachbarin. Sie schien eigentlich durchaus wirklich. Sie war jung und hatte feste Brüste und volle Lippen. Angenommen, sie war doch wirklich? Angenommen, alles war wirklich? Etwas wie ein heftiger Aufprall unterbrach seine trüben Überlegungen. Plötzlich dröhnte die ganze Kammer wie eine gigantische Glocke. Sein Kopf und die Köpfe der bewußtlosen Frauen zuckten ruckartig. Dann hörte das Dröhnen wieder auf. Kurz darauf vernahm er ein Summen wie von Hunderten von Bienen. Ein Teil der Wand schien zu verschwimmen, und die Kammer füllte sich mit hellem Licht. Mehrere Nachtgänger traten durch die neugeschaffene Öffnung in der Wand. Sie lösten die Riemen der Frauen und begannen sie zu entkleiden. Wilde Wut packte Berry, und sie gab ihm Kraft. Als einer der Nachtgänger auch seine Riemen aufschnallte, schlug er mit seiner guten Rechten auf den gesichtslosen Metallkopf ein. Der Nachtgänger schien weder beunruhigt noch verärgert. Er drückte Berry sanft zurück, als wäre er ein Kind, das es nicht besser wußte. Obgleich er keine Lippen hatte, murmelte er doch Worte, die Berry vertraut schienen, die er aber doch nicht verstehen konnte. Mit hilfloser Wut mußte er erdulden, daß der Silbermann ihn nackt auszog und schließlich wieder festschnallte. Als die Nachtgänger alle Kleidung eingesammelt hatten, packten sie sie in durchsichtige Säcke. Dann
lösten sie irgendwie die Halterungen der Lager vom Boden – Berry bemerkte, daß sie kleine Räder hatten – und schoben jeweils die drei übereinanderliegenden durch die Öffnung. Schließlich kamen auch die Lager an die Reihe, auf deren oberstem sich Berry befand. Das Licht außerhalb der runden Kammer war so grell, daß es ihn eine Weile blendete. Erst als er sich daran gewöhnt hatte, sah er, daß man sie durch einen langen Gang in eine weitere runde Kammer rollte. Ihre Wände waren durchsichtig, aber mit Dunst beschlagen. Er glaubte, an der anderen Seite Menschen zu sehen, mochte sich aber auch täuschen. Als sich alle Lager in der Kammer befanden, verließen die Nachtgänger sie und schlossen die Öffnung hinter sich. Eine Weile geschah gar nichts. Berry lag auf seinem Lager, umgeben von bewußtlosen Frauen, und fragte sich, ob sie nun einer grauenhaften Ritualopferung unterzogen würden. Es war ein verrückter Gedanke. Durch seine Dummheit war er mit den bedauernswerten Frauen in dieses Land der Unwirklichkeit gebracht worden. Früher hatte er angenommen, die Nachtgänger brauchten die Frauen zur Fortpflanzung. Aber wie sollte ein Wesen aus Metall mit einer Frau liegen und Kinder zeugen? In diesem Land der Unwirklichkeit, wo alles möglich war, konnte es leicht sein, daß die Nachtgänger die Frauen nur als Opfer benutzten, um irgendwelche Götter, an die sie glaubten, gnädig zu stimmen. Vielleicht jagten sie die Frauen, wie die Stämme Wild jagten? Vielleicht betrachteten sie sie nur als Fleisch? Aber warum dann nicht auch Männer? Berrys Schädel brummte, seine Schulter schmerzte, ja sein ganzer
Körper tat ihm weh. Er fühlte sich elend und wußte, daß er nicht mehr vernünftig denken konnte. Plötzlich wurde er sich einer neuen Art von Schmerz in seinen Ohren bewußt – als wolle etwas in seinem Kopf sich herauszwängen. Seine Haut begann zu kribbeln, und seine Augen fühlten sich an, als müßten sie aus den Höhlen quellen. Er versuchte zu atmen, doch es war ihm, als würde die Luft selbst aus der Lunge gesaugt. In seinem Schädel hallte ein scheußliches Dröhnen, und er vermeinte, er würde gevierteilt. Er wollte schreien, aber er hatte keine Stimme. Ehe er die Besinnung verlor, sah er noch, daß die Frauen genauso krampfhaft zuckten und nach Luft japsten wie er. Dann explodierte grelles Licht in seinem Schädel und schenkte ihm gnädiges Vergessen. Er glaubte, er sei gestorben, aber wieder hatte er sich geirrt. Oder wenn er gestorben war, wurde er jetzt schmerzhaft durch dünne Strahlen weißlicher Flüssigkeit, die auf seinen Körper herunterpeitschten, ins Leben zurückgerufen. Er schluckte ein wenig davon. Das weiße Zeug schmeckte bitter. Husten schüttelte ihn. Vielleicht war es giftig. Er hoffte es. Er hatte keinen anderen Wunsch, als daß dieser Irrsinn endlich ein Ende fände. Plötzlich hörte der milchige Regen auf. Dunstwolken schwebten durch die Kammer und lösten sich allmählich auf. Wenigstens eine der Frauen hatte offenbar das Bewußtsein wiedergewonnen. Er hörte einen dünnen ängstlichen Schrei, gefolgt von jämmerlichem Schluchzen. Mit einem Mal wurde ihm entsetzlich kalt. Er begann zu zittern und konnte einfach nicht aufhören
damit. Er spürte, wie sich Eiskristalle auf seiner Haut bildeten. Es war ein gräßliches Gefühl. Er sah Schneeflocken in der Luft, die auf die hilflosen Frauen herabsanken. Er blinzelte, da froren seine Lider zusammen. Er versuchte verzweifelt, sie wieder zu öffnen, doch seine Kraft reichte nicht aus. Er konnte nun nur noch stilliegen und bewußt erleben, wie die Kälte sich in sein Fleisch fraß. Jetzt muß ich aber bestimmt sterben, dachte er erleichtert. Auch diesmal täuschte er sich. Der Schnee schmolz rasch, seine Lider tauten. Ein Schwall warmer Luft brachte Leben in seinen steifen Körper zurück. Immer wärmer wurde es in der Kammer und immer noch wärmer, heiß sogar, unerträglich heiß. Schweiß brach ihm aus. Er keuchte, atmete krampfhaft. Die heiße Luft versengte seine Lunge. Jeder Atemzug war Agonie. So schmerzhaft heiß war es, als koche er in einem riesigen Topf. Vage fragte er sich, wie gesottenes Menschenfleisch wohl schmeckte. Wie Schwein, Wild oder Rind? Plötzlich hörte auch das Kochen auf. Strahlen spülten erneut über seinen Körper, kühl und heilend. Er saugte die Flüssigkeit in seinen ausgedörrten Mund. Sie schmeckte wunderbar, wie kaltes, klares Quellwasser. Ein Nachtgänger hob Berrys Kopf und sagte etwas, das er nicht verstand, aber er spürte den Becher an seinen Lippen und trank wie ein Verdurstender. Es war ihm völlig gleichgültig, was es war, aber es schmeckte süß und stark. Es nahm die Schmerzen und brachte Vergessen.
7. Er erwachte in der Überzeugung, daß die Stimmen in seinem Kopf sich schon eine lange Zeit unterhielten. Zuerst hatte er nicht verstanden, was sie sagten, aber jetzt hatte er damit keine Schwierigkeiten mehr, obgleich die Worte in einer fremden Sprache waren. Die Stimmen hatten ihm erklärt, daß er in Sicherheit war und ihm keine Schmerzen mehr zugefügt würden. Seltsamerweise glaubte er ihnen – vielleicht, weil sie diese Botschaft so viele Male wiederholten. Er fühlte sich unsagbar müde, doch jetzt auf ungemein angenehme Weise. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihm, die Augen offenzuhalten. Er sah, daß er nicht länger nackt war. Er war in eine Art Tunika gekleidet, die sich weich und schmiegsam anfühlte. Er befand sich allein auf einem Lager in einer schwach erhellten Kammer. Seine Schulter schmerzte nicht mehr. Er stellte fest, daß er Arme und Beine frei bewegen konnte. Aber er wollte es gar nicht. Dafür war er viel zu müde. Er kratzte sich am Ohr und merkte, daß etwas wie ein kleines Steinchen sich in der Ohrmuschel befand. Er gähnte, versuchte es herauszuholen. Aber es war so glatt, daß es sich nicht fassen ließ. Es spielte ja auch keine Rolle, schließlich tat es ihm nicht weh. Und später, wenn er weniger müde war, würde er es schon herausbekommen. Die Stimmen in seinem Kopf sagten ihm, er solle schlafen, er habe nichts zu befürchten. Sie hörten sich sehr mitfühlend an. Er war überzeugt, daß sie die Wahrheit sprachen. Ein wenig überraschte es ihn, daß
er sie so gut verstehen konnte, obgleich ihm die Sprache fremd war. Er befolgte ihren Rat und schlief wieder ein. Die Stimmen fuhren fort zu sprechen und hin und wieder zu flüstern. Es störte ihn nicht. Manchmal hörte er ihnen zu, manchmal auch nicht. Plötzlich schwiegen sie. Er wartete, daß sie wiederkämen, aber das war nicht der Fall. Irgendwie überraschte ihn das gar nicht. Er fühlte sich wach und ausgeruht und stark. Von seiner Schulterverletzung war nichts mehr zu spüren oder zu sehen. Er entsann sich des glatten Steinchens im Ohr und wollte es herausholen. Aber es war nicht mehr da. Vielleicht hatte er es nur geträumt. Es war ihm gleichgültig. Er fühlte sich großartig. Er erinnerte sich an alles, aber irgendwie schien es keine große Rolle mehr zu spielen. Es war, als gehörten seine Erinnerungen einer anderen Welt, einem anderen Leben an. Vielleicht war er tot. Wenn ja, war dieses Leben nach dem Tod recht angenehm. Vielleicht war er an dem Ort, den die Alten Himmel nannten? Er hing seinen Gedanken nach, als ein Nachtgänger die Kammer betrat. Er hielt einen Becher in der Hand. »Trink das, Herr«, sagte er. Er hatte kein Gesicht, keine Augen, keinen Mund. Und doch waren die Worte klar verständlich, auch für Berry, obwohl sie nicht in der Sprache seines Stammes waren. Er nahm den Becher. »Welcher Art ist dieser Trunk?« fragte er. »Willst du die chemische Formel wissen, Herr?« Berry erkannte die Worte »chemische Formel« und wunderte sich, daß sie ihm nicht fremd waren, ob-
gleich sie keinerlei Bedeutung für ihn hatten. Auch er redete jetzt in dieser merkwürdigen Sprache, die ihm auf seltsame Weise vertraut erschien. »Ich will wissen, ob der Trunk mich vergiften oder wieder hilflos machen wird, das ist alles, Nachtgänger. Du bist mein Feind und hast mich dem Tod nahegebracht – wenn ich nicht bereits tot und in der Welt bin, wo die Toten angeblich hausen –, deshalb frage ich nach der Art des Trunkes. Ich weiß, daß du mir vielleicht nicht die Wahrheit antworten wirst, aber das ist ein Problem, das ich selbst lösen muß.« »Herr, das Getränk wird dir guttun. Es wird dir Kraft geben und dir die Angst nehmen. Verzeih, wenn ich deine Worte berichtige, aber ich bin nicht dein Feind, und ich habe dich auch nicht dem Tod nahegebracht. Außerdem bin ich programmiert, die Wahrheit zu sagen.« »Und was ist, wenn ich mich weigere, diesen Trunk zu nehmen?« »Ich habe nicht das Recht, dich dazu zu zwingen, Herr.« Hier war wenigstens etwas, womit Berry ihn auf die Probe stellen konnte. Er hielt den Becher schräg und goß seinen Inhalt auf den Boden. Der Nachtgänger machte keine Anstalten, ihn davon abzuhalten. »Es ist bedauerlich, daß du das Getränk nicht zu dir nahmst. Es wurde extra für Menschen unter Streßnachwirkungen hergestellt.« Berry war verwirrt. Er starrte auf das Gesicht, das keines war, und versuchte, eine Gefühlsregung darauf festzustellen. Aber das war unmöglich, denn dieses Nichtgesicht war aus Metall. »Bist du denn nicht ergrimmt, weil ich dieses Zeug nicht getrunken habe?«
»Nein, Herr. Ich kann keinen Grimm empfinden.« Die Stimme klang so ruhig wie zuvor. »Vielleicht willst du es neu erwägen? Soll ich dir noch einmal eine Dosis bringen?« Berry verstand zwar die Bedeutung der Worte nicht, wohl aber, daß er den Nachtgänger mit seiner Handlung nicht zur Wut gereizt hatte. Wagemutig beschloß er einen weiteren Versuch. Er spuckte der Kreatur auf die Silbermaske. Würde er einem Stammesbruder ins Gesicht spucken, bedeutete das eine Herausforderung, die nur mit dem Tod gerächt werden konnte. Er spannte seine Muskeln, bereit, sofort zur Seite zu springen, wenn die Metallhände nach ihm griffen. Aber der Nachtgänger tat überhaupt nichts. Der Speichel sickerte die Maske herab. Er wischte ihn nicht einmal weg. »Gestatte mir die Frage, Herr, weshalb hast du Speichel aus deinem Mund gespuckt? Ist dir nicht gut?« Berry starrte ihn ungläubig an. »Ich habe dich angespuckt, und du betrachtest es nicht einmal als Beleidigung?« »Ich kann nicht beleidigt werden.« Berry lachte. Er wußte, es war ein hysterisches Gelächter, wie er es von Frauen kannte, die zuviel mitgemacht hatten. Es war entwürdigend. Mit größter Mühe beruhigte er sich. Endlich gelang es ihm, mit scheinbar ruhiger Stimme weiterzusprechen. »Ihr bindet und foltert mich. Ihr preßt ungeheure Gewichte auf meine Brust und dann macht ihr, daß ich glaube, ich falle. Ihr zieht mir den Atem aus dem Leib, ihr erfriert mich, dann siedet ihr mich. Kurz, ihr
fügt mir Qualen zu, die kaum zu ertragen sind. Danach nennt ihr mich Herr, sorgt euch um mein Wohlergehen und laßt es euch gefallen, daß ich euch ins Gesicht spucke. Was seid ihr nur für Wesen, ihr Nachtgänger? Seid ihr Götter oder Teufel? Oder Verrückte, die sich hinter dem Silberpanzer verstecken?« »Herr, ich bin ein computergesteuerter Roboter und handle nach meiner Programmierung. Die Unannehmlichkeiten, die du erleiden mußtest, sind bedauerlich. Sie waren durch den Transfer von der Erde in den Orbit bedingt und durch die üblichen Desinfektionsmaßnahmen. Aufgrund eines Fehlers in der Programmierung, die hauptsächlich zur Beschaffung von Menschen weiblichen Geschlechts eingegeben wurde, gelangten irreführende Daten, was deinen Zustand betraf, zur Überwachung. Dort sind jene, die dich besser orientieren können als ich. Ich habe den Auftrag, dich dorthin zu begleiten. Bist du imstande zu gehen? Wenn ja, wirst du mir aus freiem Willen folgen?« Berrys Schädel brummte. Die vielen fremden Worte! Er hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten, aber er entsann sich der Stimmen in seinem Kopf, die ihm versichert hatten, daß ihm nichts passieren würde. Seltsamerweise glaubte er ihnen immer noch. »Was ist, wenn ich nicht freiwillig mit dir komme?« »Dann, Herr, müßte ich dich transportieren. Ich würde für ein Minimum an Unbequemlichkeit sorgen.« Berry zweifelte nicht daran, daß der Nachtgänger ihn ohne viele Umstände mit Gewalt mitnehmen könnte. »Jene, die dir befahlen, mich zu ihnen zu bringen, sind sie wie du?«
»Nein, Herr, sie sind Menschen.« »Dann werde ich freiwillig mitgehen«, erklärte Berry. »Es interessiert mich, Menschen zu sehen, denen Wesen wie du gehorchen.« Der Nachtgänger führte ihn durch einen langen Gang in eine Halle, die wie in Sonnenlicht gebadet schien. Mehrere Menschen hielten sich hier auf. Einer saß auf einem großen Stuhl aus glänzendem Metall und funkelndem Kristall. Die anderen standen in seiner Nähe und blickten Berry amüsiert, aber auch neugierig entgegen. Berry bemerkte sofort, daß zwei der Frauen ihn wohlwollend betrachteten. Das hob augenblicklich seine Stimmung. Der Nachtgänger, der ihn hierhergebracht hatte, zog sich zurück und ließ Berry allein mit den Fremden. Der Mann auf dem großen Stuhl musterte ihn von oben bis unten. »Willkommen im Himmel«, sagte er schließlich. »Das Beschaffungsprogramm ist zwar ausschließlich auf Frauen ausgerichtet, aber auch ein unternehmungslustiger Mann findet nicht unser Mißfallen.«
8. Eines war jedenfalls sicher, dachte Berry und versuchte einen klaren Kopf zu behalten, der Himmel ist nicht ein Ort der Verstorbenen. Diese Leute waren zweifellos so lebendig wie er. Ihr Fleisch war wie seines. Einige der Männer – die fast alle größer waren als er – trugen nichts weiter als Kilts, wie die nördlichen Stämme, aber aus fremdartigem Material in Metallfarben. Und viele der Frauen hatten sich in wallende Gewänder gehüllt, die ihre Brüste freiließen. Es machte ihnen offenbar überhaupt nichts aus, wenn begehrende Blicke sie trafen. »Nun, Bursche«, sagte der Mann auf dem großen Stuhl, »konnten unsere Lehrmaschinen dir unsere Sprache beibringen?« Er lächelte spöttisch. »Oder lähmen die Wunder um dich deine Zunge?« »Bist du der Häuptling dieses Stammes?« erkundigte Berry sich und hoffte, er wirkte ruhiger als er war. Seine Frage löste bei einigen der Anwesenden ein kaum unterdrücktes Lachen aus. Berry blickte sich mißtrauisch um. Auf irgendeine Weise, die ihm nicht klar wurde, machte er sich offenbar lächerlich. »Ich bin Regis Le Gwyn, der von den Bürgern gewählte Kontroller von Himmel VII. Aber in für dich verständlicheren Worten: ja, ich bin der Häuptling dieses Stammes. Wie heißt du, Bursche? Und wie gelangtest du in das Netz unseres Beschaffungsprogramms?« »Ich verstehe nichts von eurem Beschaffungsprogramm, Regis Le Gwyn. Ich weiß nur, daß die Nacht-
gänger – eure Krieger, nehme ich an – unsere Siedlung überfielen und viele Frauen holten, auch meine. Ich heiße Berry und bin Häuptling des Stammes der Londos. Ihr habt mir Unrecht zugefügt, dafür verlange ich Genugtuung.« Berry holte tief Atem. »Ich fordere dich deshalb zum Kampf auf Leben und Tod.« Regis Le Gwyn schien äußerst amüsiert. »Man nennt dich Berry? Nur Berry?« »Das ist mein Name.« »Kein großartiger Name. Wir haben hier für unsere Hunde bessere.« »Es ist der Name des Mannes, der dich töten wird«, erklärte Berry wild. »Und jetzt genug der Worte. Laßt uns die Waffen wählen. Beweise deinem Stamm, daß du ein fairer Kämpfer bist.« Nun schienen alle sich offen zu amüsieren. Berry war wütend. Er wußte nicht, was er von diesen Leuten halten sollte. Er war Häuptling eines Stammes und beanspruchte das alte Recht auf Kampf bis zum Tod mit dem Häuptling jener, die die Londos überfallen hatten. Aber diese Leute hier lachten nur, lachten ihn offenbar aus! »Berry, hör mir gut zu«, forderte Regis Le Gwyn ihn auf. »Du bist ein Dreckwilder, ein Tier, und dumm wie alle Dreckwilden. Du wirst nicht mit mir kämpfen. Aber wenn du unbedingt Blut vergießen willst, gibt es auch dafür hier Möglichkeiten. Du wirst eine Menge über diese Welt lernen müssen, zu der wir dich brachten. Du wirst lernen müssen, daß wir von Himmel VII deine Herren und dir weit überlegen sind, so weit wie ihr den wilden Schweinen, die ihr in euren Dreckwäldern jagt. Denn wenn du nicht lernst, dich uns unterzuordnen, wird dein Körper auseinan-
dergenommen. Deine Augen – wenn sie etwas taugen – werden aus deinem Kopf geschnitten, um einem anderen besseres Sehen zu ermöglichen. Dein Herz, deine Lunge und deine Nieren, wenn sie gesund sind, werden in einer Organbank aufbewahrt, bis sie gebraucht werden. Der Rest deines Körpers – deine Knochen, das Fleisch und das Gehirn, soviel du davon hast – wird zu Dünger verarbeitet, den wir in unseren Gärten verwenden, damit unsere Rosen üppiger blühen und unsere Pfirsiche saftiger werden. Denk immer daran, Nur-Berry, denn das ist für dich eine Sache des Lebens oder Todes.« Mit einem wilden Schrei spannte Berry seine Muskeln zum Sprung. »Steh auf, wenn du ein Mann bist!« donnerte er. »Wenn nicht, würge ich dich zu Tode, wo du sitzt!« Regis Le Gwyn holte etwas aus seinem Gewand, etwas Kleines, Glänzendes aus Metall. Er richtete es auf Berry. »Du sollst deine erste Lektion erhalten, Wilder!« Ein dünner leuchtender Strahl, so dünn wie eine Fischbeinnadel, schoß aus dem kleinen Metallding und traf Berry in die Wade. Er stürzte zu Boden und wand sich vor Schmerz. Es roch nach verbranntem Fleisch. Er starrte auf sein Bein und sah ein schwarzes Loch mit einem versengten Hautkreis herum, aus dem noch Rauch drang. Heftig biß er die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzubrüllen und sich so vor seinem Feind zu demütigen. Er versuchte aufzustehen, aber es ging nicht. Die Anstrengung ließ seine Augen tränen. Er war jedoch entschlossen, die Besinnung nicht zu verlieren. Wie aus weiter Ferne hörte er die ruhige Stimme
Regis Le Gwyns. »Schafft den Wilden fort. Heilt seine Verletzung. Und laßt ihn von einer seiner eigenen Art mit Worten aufklären, die er begreift. Nehmt eine der Drittschwangerschafts-Dreckfrauen. Vielleicht trösten sie einander, ehe sie hinuntergebracht wird.« Wieder erschallte Gelächter. Berry versuchte verzweifelt, etwas zu sehen, doch dicke Schleier hatten sich vor seine Augen gelegt. Aber wenigstens war er noch bei Besinnung. »Kontroller, dein Befehl wird ausgeführt. Die Computerkontrollstelle meldet, daß neunzehn Drittschwangerschafts-Frauen zur Verfügung stehen.« Berry erkannte die Stimme als die eines Nachtgängers. Sie hatten alle die gleiche. Sie war klar, gefühllos, irgendwie unmenschlich. »Dann teilt ihm die jüngste zu«, bestimmte Regis Le Gwyn. »Er sagt, er ist ein Stammeshäuptling. Also werden wir ihm eine seinem Rang gemäße Gastfreundschaft angedeihen lassen.« Wieder vernahm Berry dieses demütigende Gelächter. Dann wurde er von einem Nachtgänger mühelos aufgehoben und weggetragen. Jetzt erst verlor er das Bewußtsein.
9. Berry erwachte in einer Kammer, die geräumiger war und mehr Bequemlichkeit bot als seine vorherige. Sie enthielt ein Lager, das breit genug für zwei Personen war, und viele Dinge, mit denen er nichts anzufangen wußte. In einer der Wände sah er ein großes, mit einer kristallartigen Substanz ausgefülltes Loch, durch das helles Tageslicht fiel. Außerdem befand sich eine Frau in der Kammer. Sie hatte weißes Haar, aber ein junges Gesicht. Obgleich sie fremdartige Kleidung trug, kam sie doch bestimmt von einem Stamm – den Manches, wahrscheinlich, denn die Manches waren für ihre helle, weiche Haut bekannt. »Ich heiße Tala«, sagte sie in der Sprache der Stämme. »Du hast eine lange Zeit geschlafen. Ich bemühte mich, leise zu sein, damit du nicht vorzeitig erwachst.« Berry stützte sich auf einen Ellbogen. Sein Blick fiel auf die Wade, die verwundet gewesen war. Von der Verletzung war nichts mehr zu sehen, es hatte sich auch keine Narbe gebildet. »Tala, ich bin Berry, Häuptling der Londos.« Er verzog das Gesicht. »Das heißt, ich war Häuptling der Londos.« »Ihr konntet also auch nichts gegen die Nachtgänger ausrichten, als sie eure Frauen holen kamen«, murmelte sie bitter. »Wer kann das schon«, erwiderte Berry. Plötzlich begann Tala zu weinen. »Ich habe drei Babys geboren«, schluchzte sie. »Meine Zeit ist kurz, und ich habe solche Angst.«
Berry blickte sie erstaunt an. »Ruhig, Frau«, murmelte er sanft. »Weinen macht alles nur noch schlimmer. Ich verstehe nicht, weshalb du überhaupt weinst. Viele Frauen gebären drei Kinder – und mehr. Dafür sind Frauen da.« »Es waren nicht meine Babys.« Tala schluchzte noch herzzerreißender. »Noch waren sie von Erdenmännern gezeugt. Niemand hat mit mir gelegen und doch mußte ich dreimal gebären.« Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Verzeih mir, Berry. Ich wollte dir nichts vorheulen. Schließlich hat man mich hierhergeschickt, um dich zu unterrichten, und nicht, um dein Herz noch schwerer zu machen.« Berry kratzte sich am Kopf. »Wenn kein Mann mit dir gelegen hat, wie kamst du dann zu Kindern?« »Die Lords des Himmels taten sie in meinen Bauch, während ich schlief. Das ist die reine Wahrheit. Sie liegen nicht mit Dreckfrauen, oder zumindest nur ganz selten. Sie haben seltsame Instrumente und viel Zauber, damit pflanzen sie den Samen eines Kindes in den Schoß einer Frau, ohne daß sie es weiß. So war es jedenfalls bei mir. Ich habe drei Söhnen das Leben gegeben. Und wenn eine Frau dreimal geboren hat, betrachten die Herren des Himmels sie als verbraucht. Man holt sie aus dem Frauenhaus und danach wird sie nie wieder gesehen. Manche sagen, solche Frauen werden zur Dreckwelt zurückgebracht, aber andere behaupten, man tötet sie, damit die Herren des Himmels ihre Körper verwerten können. Darum habe ich Angst.« Berrys Kopf brummte. »Was ist Dreckwelt?« fragte er. »Und was sollen diese Wörter wie Dreckfrau und Dreckmann? Der Häuptling dieses Ortes nannte mich
einen Dreckwilden. Ich weiß nur, daß es eine Beleidigung war, aber ich verstehe die Bedeutung nicht.« Tala versuchte zu lächeln. »Berry, du mußt noch viel lernen. Die Lords des Himmels nennen die Welt, in der wir lebten, ehe die Nachtgänger uns holten, Dreckwelt, während wir von den Stämmen sie als Erde kennen. Sie sehen zwar so aus wie wir, aber sie sind ein sehr seltsames und mächtiges Volk. Wir Dreckweltmenschen haben keine Chance gegen sie. Deshalb müssen wir uns ihnen unterwerfen und alles über uns ergehen lassen.« »Das muß sich ändern«, sagte Berry mit mehr Selbstvertrauen, als er empfand. »Sag mir, Frau, wo ist dieser Himmel? Wenn es mir gelingt zu fliehen, wie lange muß ich marschieren, um zu meinem Stamm zu kommen?« Tala lächelte ihn mitleidig an. »Du wirst nie mehr zu deinen Leuten zurückmarschieren, Berry. Es gibt kein Entkommen. Himmel VII ist eine Insel an jenem Ort, den wir Himmel nennen, hoch über der Erde.« »Eine Insel am Himmel?« Berry war überzeugt, daß sie log, auch wenn sie nicht so aussah. »Tala, schon so oft habe ich zum Himmel hinaufgeschaut, bei Tag und bei Nacht, doch eine Insel habe ich nie gesehen, nur die Sonne, den Mond und die Sterne. Wie könnte das also sein?« »Ich lüge nicht. Himmel VII ist so weit von der Dreckwelt entfernt, daß er nicht wie eine Insel aussieht. Aber vielleicht hast du sie doch gesehen und nur nicht gewußt ... Hast du den Wanderer gesehen?« »Wer, mit einigermaßen guten Augen, hat das nicht?« erwiderte Berry. »Er ist der größte Stern am Himmel, und der hellste. Er zieht ruhig durch die
Dunkelheit, manchmal könnte man meinen, selbst durch den Mond. Aber wie jeder vernünftige Mensch weiß, ist das unmöglich.« »Der Wanderer ist Himmel VII«, behauptete Tala. »Der Ort, an dem wir nun leben und sterben müssen.« Berry wurde ärgerlich. Er packte Tala heftig am Handgelenk. »Frau, halte mich nicht zum Narren. Mach dich nicht über meine Unwissenheit lustig. Sag mir die Wahrheit, sonst werde ich dir echten Grund zum Weinen geben.« »Tu es, wenn dir das dein Selbstvertrauen wiedergibt.« Sie zuckte die Schultern. »Es ist mir so gleichgültig. Ich habe meine drei geboren und deshalb nicht mehr viel Zeit. Wenn mir der Tod bestimmt ist, werden die Lords des Himmels es gewiß schmerzlos machen.« Berrys Verwirrung wuchs. »Was soll all diese Rederei über Gebären und Tod?« Er erhob sich abrupt von dem Lager, wo er mit Tala gesessen hatte und stellte überrascht fest, daß seine Füße kurz den Boden verließen. Er starrte ungläubig auf sie herab. Versuchshalber sprang er in die Höhe und erreichte fast die Decke, dann fiel er viel langsamer, als es eigentlich sein dürfte. Er fühlte sich eigenartig leicht. Vielleicht war das eine Nachwirkung seiner kürzlichen Verletzung. »Bin ich krank, Frau?« stieß er hervor. »Meine Muskeln scheinen stärker als je zuvor, und doch ist mir, als hätte mein Körper kaum noch ein Gewicht.« Erstaunlicherweise antwortete Tala in der fremden Sprache. »Sei nicht beunruhigt, Berry. Deine Masse hat sich nicht verändert. Du befindest dich lediglich
in einem künstlichen Gravitationsfeld. Das ist alles.« Berry fuhr sich über die Stirn. »Es tut mir leid, daß ich grob war. Ich glaube, ich habe noch viel zu lernen. Ich kenne die Worte, die du benutzt hast, aber ich verstehe ihre Bedeutung nicht.« »Es gibt keine solchen Wörter in der Sprache der Stämme. Darum mußte ich auf die Sprache der Menschen von Himmel VII zurückgreifen.« »Ist schon gut. Ich will versuchen, nicht ungeduldig zu werden, und ich werde mich bemühen, zu verstehen ... Drei Geburten, sagtest du? Und nun hast du Angst vor dem Tod. Du bist sicher schon lange im Himmel, Tala. Erzähl mir davon. Mein Kopf brummt von all diesen Rätseln. Hilf mir, diese Welt zu verstehen. Das ist alles, worum ich dich bitte.« »Ich werde mein Bestes tun. Doch du mußt mir glauben, daß ich wirklich die Wahrheit spreche. Du darfst nicht an meinen Worten zweifeln.« »Ich verspreche es.«
10. Talas Geschichte war unglaublicher – obgleich Berry nicht mehr an ihrer Wahrheit zweifelte – als die Schauermärchen, die man am Sonnwendfeuer erzählte, wenn fast der ganze Stamm betrunken von den gekochten Säften der Pilze war. Sie war auf etwa die gleiche Weise wie Berry selbst in den Himmel gebracht worden, und auch sie hatte die Sprache der Himmelsmenschen verstanden, obwohl ihr viele Wörter zuerst fremd waren. Nachdem sie den Schock überwunden hatte und nicht mehr beim Anblick jedes Nachtgängers wie am Spieß brüllte oder sich wie ein waidwundes Reh in eine Ekke verkroch, wurde sie Lady Sontag übergeben – einer Frau, die bewundert und verehrt wurde, weil sie kunstvolle Dinge aus Stein und Holz anzufertigen wußte. Lady Sontag, erzählte Tala, war von großer Schönheit und im Vergleich zu anderen Himmelsladies sehr gütig. Sie verweigerte kaum einem Mann ihre Zuneigung, und viele Frauen beneideten sie. Sie war gut zu ihren Sklavinnen, zu denen Tala als dritte und jüngste gehörte. Obgleich Lady Sontag nach dreckirdischen Begriffen mehr als hundertsiebzig Jahre alt war, und obgleich sie mit unzähligen Männern gelegen hatte, war doch nie ein Kind in ihrem eigenen Schoß gereift. Trotzdem waren ihr neunzehn ihres Blutes im Lauf der Jahre von ihren Sklavinnen geboren worden. Nur drei davon erreichten jedoch Mannesalter. Alle anderen starben an seltsamen Krankheiten.
Berry fragte, wie es möglich war, daß das Kind einer Frau aus dem Schoß einer anderen käme. Tala wußte es selbst nicht genau. Sie wußte nur, daß sie drei Babys geboren hatte, die von Lady Sontag kamen, wie ihre Herrin behauptete. Zwei von ihnen waren als Säuglinge gestorben. Das dritte lebte noch, aber Lady Sontag hatte nicht viel Hoffnung, daß es noch lange am Leben bleiben würde. So war es mit vielen Kindern, die im Himmel geboren wurden. Deshalb, und wegen des 3-SchwangerschaftsGesetzes, brauchte man so viele Dreckwelt-Frauen, damit die Ladies wenigstens einige ihrer Kinder groß werden sahen und die Menschen von Himmel VII nicht ausstarben. Berry wunderte sich, daß die Frauen hier ihre Kinder nicht selbst gebaren. Wenn sie es wie die Frauen der Erde machten, also ihre Babys auf natürliche Weise bekamen, würden bestimmt nicht so viele der Kleinen sterben. Aber Tala erklärte, daß der Geburtsvorgang für die Frauen hier als sehr gefährlich erachtet wurde. Früher hatten sie sich bemüht, ihre Kinder selbst auszutragen, aber sie verloren immer mehr der Babys, noch ehe sie überhaupt menschliche Form annahmen. Und jene, die ihre ganze Zeit im Schoß durchstanden, waren mißgeformt. Manche hatten keine Arme oder Beine, andere waren blind, wieder andere starben gleich nach der Geburt, und oftmals die Mütter mit ihnen. Außerdem konnten die Ladies des Himmels nur dann sehr alt werden und doch jung und schön aussehen, wenn sie nicht der Anstrengung der Schwangerschaft und Geburt ausgesetzt waren. Gelang es einer Himmelsfrau doch, ein Kind auszutragen, es gesund zu gebären und auch
selbst am Leben zu bleiben, alterte sie danach ungeheuer schnell. Die Männer begehrten sie nicht mehr. Und schon nach wenigen Jahren war sie so runzlig und verbraucht wie eine Dreckfrau von fünfzig Sommer oder mehr. Während Tala erzählte, versuchte Berry, hinter den Sinn dieser Welt und ihrer Gesellschaft zu kommen. Er erfuhr, daß es in Himmel VII nicht nur Lords und Ladies und die merkwürdigen Wesen gab, die er als Nachtgänger kannte, und daß die Menschen auch nicht in Stämme aufgeteilt waren. Die Lords und Ladies wurden Ristos genannt und waren die zweitkleinste Gruppe auf dieser winzigen Welt, die zwischen der Erde und den Sternen schwebte. Die kleinste Gruppe war eine Art Bruder-/Schwesternschaft, die Teknos. Obgleich ihre Zahl gering war und ihre Gesetze den Männern verboten, mit den Frauen zu liegen, und umgekehrt, waren sie sehr mächtig. Sie bedienten die Computer, die magischen Instrumente, die die Handlungen der Roboter, oder Nachtgänger, als die Berry sie kannte, leiteten. Der Häuptling der Teknos war der Programmer, dessen Macht nur von der des Kontrollers – der Mann, mit dem Berry bereits schmerzhafte Bekanntschaft geschlossen hatte – übertroffen wurde. Unter den Ristos und Teknos kamen die Lentlosen. Sie hatten keinen eigenen Häuptling, aber sie waren der größte Stamm und gehorchten widerspruchslos ihren Oberen. Sie waren ehrgeizig und unterwürfig, denn aus ihren Reihen wurden die Ristos und Teknos ausgewählt. Diese Wahl wiederum hing von ihren Ikus, Bekus und Elkus ab. Tala verstand nicht so recht, was diese verschiede-
nen Kus waren, nur daß sie eine wichtige Rolle spielten und es von ihnen abhing, ob ein Lentloser aufstieg oder nicht. Lady Sontag, die Tala mehr als Freundin denn Sklavin behandelt hatte, hatte versucht, ihr zu erklären, was Intelligenzquotienten, Begabungsquotienten und Leistungsquotienten waren. Aber Tala war daraus nicht viel klüger geworden. Sie wußte nur, daß diese Worte mit der Geschicklichkeit und Schnelligkeit des Verstandes zu tun hatten. Als der Teknoinspektor kam, um sie aus Lady Sontags Haus zu holen, hatte sowohl sie als auch ihre Herrin geweint. Aber es half ihnen nichts. Die Anordnungen des Programmers mußten auch von den Ristos befolgt werden. Trotzdem legte Lady Sontag Berufung beim Kontroller ein – dem einzigen, der über dem Programmer stand. Sie ersuchte, daß man Tala den Status einer Lentlosen verleihe, was ihr das Recht auf Einbürgerung geben würde. Es gab Präzedenzfälle. Über die Jahrhunderte waren so manche Dreckfrauen zu Lentlosen erhoben worden. Gewöhnlich auf Ersuchen von Lords, die gern mit ihnen lagen. Aber in jedem Fall war die Genehmigung nur erteilt worden, wenn die Frauen drei gesunde Kinder geboren hatten. Das war bei Tala leider nicht der Fall, darum war der Eingabe nicht stattgegeben worden. So war Talas letzte Aufgabe im Himmel VII, Berry mit dieser seltsamen Welt vertraut zu machen. Was danach kam? Sie wollte lieber gar nicht daran denken. Sie tat Berry leid. Er hatte noch nie davon gehört, daß irgendwo eine Frau von den Nachtgängern, oder vielmehr den Robotern, zu ihrem Stamm zurückgebracht worden wäre. Also war anzunehmen, daß die
Lords des Himmels sie töteten. Aber das sagte er ihr natürlich nicht. Er wollte ihr nicht die letzte Hoffnung nehmen. »Diese Welt, Himmel VII«, fragte er, »ist sie schon immer über der Erde, oder kam sie von irgendwo her? Wenn ja, wird sie wieder verschwinden? Wird sie jemals unsere Stämme in Ruhe lassen?« Tala lächelte. »Berry, du mußt mir vertrauen. Ich habe von Lady Sontag viel gelernt und erfahren, und auch von anderen. Vielleicht haben sie mich angelogen, vielleicht belügen sie alle Dreckmenschen. Aber ich glaube es nicht ... Ich erfuhr von ihnen, daß es vor langer Zeit eine Rasse mit großer Macht und Zauberkräften auf der Erde gab.« »Die Leute, die die Heißen Flecken verursachten?« »Genau die. Die Zeit, in der sie lebten, hieß das Atomzeitalter. Ich verstehe dieses Wort Atom nicht. Aber man hat mir gesagt, daß Atomenergie – was immer das auch sein mag – eine Hitze tausendmal stärker als das heißeste Feuer, vielleicht so heiß wie die Sonne, herbeiführen konnte. Die Atommenschen lernten diese Energie auf zwei schreckliche Arten benutzen. Als Antriebskraft für große Maschinen und um sich gegenseitig zu vernichten. Aber ehe sie sich ausrotteten und so die Heißen Flecken machten, benutzten sie ihre Atomenergie, um riesige Schiffe von der Erde zu heben. Manche dieser Schiffe kamen bis zum Mond und weiter. Einige wurden einfach in eine Umlaufbahn gebracht.« »In eine Umlaufbahn? Was heißt das?« »Es bedeutet, daß die Schiffe so gesteuert wurden, daß sie ohne Ende um die Erde kreisten, und zwar in ziemlicher Entfernung. Bestimmte kluge Männer, die
ahnten, daß diese Atomenergie schließlich auch ihre eigenen Völker vernichten würde, machten Pläne, um diese Schiffe zu benutzen, um Inseln im All zu bauen, damit ihre Rasse nicht aussterben würde. Himmel I war die erste dieser Inseln. Es war etwas, das Lady Sontag Raumlabor nannte. Wichtig war, daß Männer und Frauen darin leben und ihre eigene Nahrung erzeugen konnten, um nicht vom Fleisch und den Früchten der Erde abhängig zu sein. Im Lauf der Zeit, ehe die Atommenschen anfingen, sich gegenseitig zu vernichten, bauten sie viele dieser Inseln. Manche in der gleichen Kreisbahn, manche in anderen, näher an der Erde oder weiter von ihr entfernt. Eine Weile gab es eine Menge dieser kleinen Himmelsinseln. Einige waren so winzig, daß sie mit allem, sogar mit Luft, von der Erde versorgt werden mußten. Andere, aber nur ein paar, waren groß genug, daß sie ein eigenes Wiederverwertungssystem entwickeln konnten.« Berry rieb sich das Kinn. »Dieses Wiederverwertungssystem, ist das eine Maschine, die Luft und Nahrung herstellt?« Tala zuckte die Schultern. »Verzeih mir, Berry, wenn ich es dir nicht genau genug erklären kann, aber ich verstehe manches selbst nicht so ganz.« Sie überlegte einen Augenblick. »Was passiert, wenn ein Mensch oder ein Tier im Wald stirbt und dort liegenbleibt? Was geschieht, wenn die Blätter fallen, wenn etwas stirbt und in die Erde zurückkehrt, die ihm Leben gab?« »Es verfault«, erwiderte Berry. »Das Fleisch beginnt zu stinken, die Fliegen lassen sich darauf nieder, die Tiere des Waldes nähren sich davon. Was übrigbleibt,
die Knochen, zerfallen mit der Zeit. Der Staub, oder was immer es ist, wird vom Regen in den Boden geschwemmt. Die Erde nimmt das wieder auf, was sie gegeben hat.« »Und dann?« Wieder rieb sich Berry das Kinn. »Nun, die Erde bringt neues Leben hervor, das auch wieder stirbt und verfault ... Aber was hat das alles mit diesem Wiederverwertungssystem zu tun, das du mir erklären willst?« »Berry, so wie ich Lady Sontag und die anderen verstand, ist es genau das, was du mir geantwortet hast, was man unter Wiederverwertungssystem versteht. Das Lebende stirbt und aus seiner Substanz entsteht neues Leben.« Sie biß sich kurz auf die Lippe. »Ich fürchte, daß auch ich bald wiederverwertet werde, nun, da man mich nicht mehr braucht. Aber reden wir nicht davon, denn weder du noch ich können etwas tun, um es zu verhindern ... Ich erzählte dir gerade, wie es zu diesen Inseln im All kam. Himmel I war, wie ich schon sagte, die erste. Aber es gab viele andere. Manche hatten Wiederverwertungssysteme, andere nicht. Als die Atomkriege begannen, starben nach einiger Zeit die Leute auf den Inseln ohne Wiederverwertungssystem, weil sie keinen Nachschub mehr von der Erde erhielten. Damals wurde Himmel VII geschaffen. Die Teknos von Himmel I holten die toten Inseln herbei und verbanden sie mit ihrer eigenen. Mit der Zeit wurden sie darin immer geschickter, und ihre Macht wuchs. Himmel II gehörte dem Usavolk; aber auch die Rusks, die Chins und die Euros hatten Inseln mit Wiederverwertungssystemen. Als erstes schlossen die Usas Frieden mit den Euros
und brachten ihre beiden Inseln zusammen. Das war dann Himmel III, es wurde die mächtigste Insel. Während die Rusks und Chins Krieg gegeneinander zu führen versuchten – das ist sehr schwierig, wenn man sich in verschiedenen Umlaufbahnen befindet –, wurde Himmel III stark. Schließlich fanden die Teknos einen Weg, Himmel III in die Kreisbahn der Rusks zu befördern. Die Ruskinsel wurde ihm angeschlossen, und daraus entstand Himmel IV. Der wiederum konnte in die Umlaufbahn der Chinsinsel gehoben werden und auch diese wurde mit ihm verbunden. Das war dann Himmel V. Himmel VI entstand dadurch, daß die Teknos alle toten Inseln in die neue Umlaufbahn brachten. Das Material, das so gewonnen wurde, verwendeten die Teknos, um eine Fähre – ein Schiff, das zwischen der Erde und der Himmelsinsel verkehren konnte – zu bauen. Auf diese Weise vermochten Roboter – die Nachtgänger – die Erde aufzusuchen und sowohl Frauen als auch das Material für die Errichtung von Himmel VII herbeizuschaffen ... Das ist die ganze Geschichte. Ich fürchte, ich habe mich nicht sehr klar ausgedrückt. Aber ich bin ja nur eine Dreckweltfrau und verstehe nicht viel von diesen Dingen.« Berry streichelte sanft ihr Haar. »Tala, du hast deine Sache sehr gut gemacht. Ich habe mich wirklich bemüht, alles zu verstehen, was du gesagt hast, aber in meinem Schädel schwirrt es jetzt wie in einem Bienenstock. Jedenfalls sieht es ganz so aus, als ob es ungemein schwierig wäre, aus dieser Insel im Himmel zu entkommen. Wir müssen diese Fähre stehlen und lernen, sie zu lenken. Ja, es wird gewiß nicht leicht sein. Ich muß mir alles gut durch den Kopf gehen lassen.«
Tala mußte gegen ihren Willen lachen. »Nicht leicht sein, sagst du? Berry, es ist unmöglich. Diese Leute sind uns so weit voraus, wie wir den Tieren des Waldes. Wir können gar nichts tun!« »Wenn sie mich nicht töten«, erklärte Berry fest, »werde ich einen Weg finden, um zur Erde zurückzukehren. Das schwöre ich!«
11. Berry und Tala waren drei Tage zusammen. Das wußten sie, weil es durch das Kristallstück in der Wand – Tala nannte es Fenster – dreimal hell und dunkel wurde. Zu bestimmten Zeiten öffnete sich geräuschlos ein Teil der Wand, um einen Roboter einzulassen, der ihnen Essen brachte. Als die Silberkreatur das zweitemal eintrat, versuchte Berry, sie anzugreifen und zu fliehen. Ohne das Tablett mit den Gerichten loszulassen, benutzte der Roboter seinen freien Arm, um Berry abzuwehren. Mit erstaunlicher Schnelligkeit packten die mechanischen Finger die Faust, die auf den gesichtslosen Kopf einschlagen wollte, und hielt sie mühelos fest. »Herr, ich habe keine Anweisungen, dich hinauszulassen. Bitte, füge dir keinen unnötigen Schmerz zu.« Wie ein rebellisches Kind schob er Berry in die Kammer zurück. Berry setzte sich beschämt auf das Lager und rieb sich die schmerzende Hand. »Siehst du«, murmelte Tala. »Mut allein genügt nicht. Du kommst nicht gegen sie an.« Als der Roboter wieder gegangen war, aßen sie schweigend. Das Essen war gut. Ein Teil davon war Fleisch, und als solches erkennbar, aber auf besondere Art zubereitet, daß es einen köstlichen, Berry unbekannten Geschmack hatte. Ein anderer waren die Samen, Früchte oder Blätter von Pflanzen, und ein kleiner Teil eine wohlschmeckende weiße Substanz, die Tala Toffeln nannte. Unter Talas Anweisung lernte er das Waschbecken
und das Klosett zu benutzen und auch das Licht einzuschalten, wenn nicht mehr genügend Helligkeit durch das Fenster drang. Vor dem Schlafengehen sang Tala ihm alte Lieder ihres Stammes vor, sie klangen alle sehr traurig. Eigentlichen Schlaf fanden sie während der Nacht nur wenig. Tala brauchte viel Trost und viel Liebe, um in diesen letzten Tagen ihres Lebens – sie war ganz sicher, daß sie sterben mußte – nicht den Verstand zu verlieren. Manchmal, wenn er mit ihr lag, dachte Berry an Vron, und wo sie wohl sein mochte. Aber er verdrängte diese Gedanken schnell, denn es verschlimmerte seine Lage nur. Am Morgen waren Tala und er gewöhnlich völlig erschöpft, nicht allein von ihrer körperlichen Liebe, sondern von den Alpträumen, die sie beide quälten. Trotzdem war er nicht zu müde, von Tala soviel wie möglich über diese Insel im Himmel zu erfahren, die zu seinem Gefängnis geworden war. Himmel VII, so erklärte sie ihm, war in drei Zonen aufgeteilt: Cityzone, Fabzone und Parkzone. In der Cityzone lebten die Ristos und Lentlosen. Hier befanden sich Wohnhäuser, Theater, Restaurants, Bars, Bäder. Berry kannte die Worte – Tala konnte über diesen Himmel VII Dinge nur in der Himmelssprache erzählen –, aber sie sagten ihm nichts, da es ihresgleichen auf der Erde nicht gab. Natürlich tat Tala ihr Bestes, sie ihm zu erklären – und Berry tat sein Bestes, sie zu verstehen. Aber es war nicht leicht. Die Fabzone, sagte Tala, war ein Ort der Wunder und der Zauberei. Dort waren die Teknos die Alleinherrscher, und die Roboter, Computer und Autofabs dienten ihnen. Die Roboter kannte Berry bereits. Die
Computer, erklärte ihm Tala, waren Denkmaschinen – Maschinen, die viel, viel besser als irgendein Mensch denken konnten. Das zu glauben, fiel Berry allerdings sehr schwer. Die Autofabs waren eine völlig andere Art von Maschine. Sie konnten Dinge machen. Sie konnten alles herstellen von Kleidung bis zu Robotern, von Waffen bis zu Musikmaschinen. In der Fabzone befanden sich auch die Hydros, wo Obst und Gemüse gezogen wurden; und die Seetanks mit Fischen und anderen Meerestieren; und die Biofabs, die die Menschen von Himmel VII mit vielen verschiedenen Arten von Fleisch versorgten. Die Parkzone war um ein Vielfaches größer als Cityzone und Fabzone zusammen. So groß war sie, behauptete Tala, daß man sich ohne ein kleines Kästchen, ein Sprechgerät nannte man es, leicht verirren und verhungern konnte, oder verdursten, oder erfrieren, oder an einem Sonnenstich sterben, oder aber auch von wilden Tieren gefressen werden. Die Parkzone fand sofort Berrys reges Interesse. Wenn man sich dort verlaufen konnte, schloß er, wäre es sicher auch möglich, sich dort zu verstecken, ohne daß Verfolger, ob nun Mensch oder Roboter, einen fanden. Er fragte Tala nach Einzelheiten, aber sie war selbst nie dort gewesen und wußte überhaupt nur von Lady Sontag davon. In der Parkzone, berichtete sie, gab es Wälder mit vielen Tieren, wie Löwen, Tiger, Elefanten, Wölfe, Zebras, Känguruhs. Elche, Antilopen und andere. Berry kannte kein einziges davon. In manchen Flüssen schwammen Fische, die einen Menschen bis zu den Knochen abnagen konnten, ehe sein Herz noch zu schlagen aufhörte. Auch andere, die Krokodil hie-
ßen, waren dort, die konnten einen Menschen verschlingen oder entzweibeißen. Aber auch schneebedeckte Berge gab es in der Parkzone, wo die Ristos schliefen. Das war etwas, das Berry schnell verstand, als Tala es ihm erklärte. Talas Beschreibung der Parkzone weckte große Hoffnungen in ihm. Er müßte dorthin fliehen und sich versteckt halten, bis er Waffen machen konnte. Zumindest könnte er es dann den Himmelslords ein wenig heimzahlen, die die Erdenmenschen wie den letzten Dreck behandelten. Aber es gab so viele Schwierigkeiten, so vieles, das er nicht wußte. Sein Kopf hörte überhaupt nicht mehr zu brummen auf. Gegen Ende des dritten Tags kam ein Roboter sie holen. »Herr, Herrin, ich habe den Auftrag, euch zum Kontroller zu bringen. Begleitet ihr mich freiwillig?« »Wir kommen freiwillig«, versicherte ihm Tala tonlos. Sie blickte Berry an. »Ich fürchte, unsere gemeinsame Zeit ist vorbei. Und – und vielleicht für mich noch mehr ... Warst du zufrieden mit mir, Berry, Häuptling der Londos?« »Sehr zufrieden, Tala.« Berry drückte ihre Hand. »Halte den Kopf hoch. Noch ist nicht aller Tage Abend.«
12. Der Roboter brachte sie in einen etwas kleineren Raum als die Halle, in der Berry Regis Le Gwyn kennengelernt hatte. Es waren keine Frauen anwesend, aber außer dem Kontroller noch drei Männer und zwei Roboter. Regis Le Gwyn lächelte. »Ich sehe, du hast dich von deiner Lektion erholt, Nur-Berry. Ich nehme an, die zweite war angenehmer, und die Dreckfrau hat dich aufgeklärt.« Berry war entschlossen, sich diesmal nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Erreichen könnte er dadurch nichts, es würde ihm höchstens ein zweites Loch in der Wade einbringen. »Ich habe viel von Tala über diesen Ort erfahren«, erwiderte er bedächtig. »Und habt ihr euren Spaß miteinander gehabt? Habt ihr euch wie Dreckmenschen gepaart?« Aber Berry ließ sich nicht provozieren. »Sie ist, wie man sich eine Frau wünscht.« Der Kontroller lachte. »Offenbar hat sie dir auch beigebracht, vorsichtiger zu sein. Und nun, da sie ihre Aufgabe erfüllt hat, kann sie hinuntergebracht werden.« Berry sah Tala an. Ihr Gesicht war weiß wie die Wand, und sie zitterte. Er drehte sich dem Kontroller zu. »Häuptling, was willst du mit dem Wort ›hinuntergebracht‹ sagen?« Regis Le Gwyn tauschte Blicke mit den anderen Anwesenden. Wieder lachte er. »Nun, Wilder, das bedeutet, daß sie zur Erde zurückkehrt, das ist alles. Zufrieden?«
Berry spürte, daß irgend etwas faul war. Vielleicht hatte Tala recht. Vielleicht tötete man die Erdfrauen tatsächlich, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten. »Häuptling, ich erkenne deine Macht hier an. Wie du, bin ich in meinem eigenen Land Häuptling. Gibst du mir dein Wort, daß dieser Frau Tala kein Leid geschieht?« »Ich habe es nicht nötig, dir mein Wort für irgend etwas zu geben, Wilder«, brummte Regis Le Gwyn. »Das müßte dir eigentlich klar sein. Aber ich bin heute guter Laune. Ich gebe dir mein Wort, daß diese Frau zur Erde, von der sie gekommen ist, zurückkehrt.« Berry bemerkte, daß die drei Männer die Worte ihres Häuptlings sehr witzig fanden – ganz im Gegenteil zu ihm. Der Sinn war nur allzu klar. Tala hatte recht. Man beabsichtigte, sie zu töten. »Dein Wort ist mir nicht gut genug, Regis Le Gwyn«, sagte er. »Du schimpfst mich einen Wilden. Vielleicht bin ich das. Aber ich bin kein Tier, ich weiß sehr wohl zu denken. Es ist mir klar, daß du mich leicht umbringen lassen kannst, aber solange ich lebe, kannst du mich nicht am Denken hindern. Und solltest du mich jetzt töten, würden alle Anwesenden wissen, daß der Kontroller von Himmel VII nicht klug genug war, einen unwissenden Wilden zu übertölpeln. Jetzt werden sie vielleicht nur lächeln. Aber später denken sie darüber nach und sagen sich: unserem Häuptling ist es nicht gelungen, einen Dreckwilden zu überlisten. Und wenn du ihnen dann den Rücken zuwendest, wird vielleicht einer, der auf deinen Posten scharf ist, ein Messer hineinstoßen. Töte mich ruhig jetzt, Häuptling, jetzt, da ich dich
durchschaut habe. Deine eigene Stunde wird dann nicht lange auf sich warten lassen.« Regis Le Gwyn war weiß vor Wut. Er warf einen Blick auf die drei anderen Männer. Sie erwiderten ihn nicht. Sie starrten Berry verblüfft an. Tala brach die Spannung. Sie warf sich dem Kontroller vor die Füße. »Lord, tu mit mir, was du willst. Ich weiß, daß ich meinen Zweck erfüllt habe und von keinem weiteren Nutzen für euch bin. Aber ich flehe dich an, laß deinen Zorn nicht an diesem Mann Berry aus. Er weiß nicht, was er sagt. Er ist Häuptling eines Stammes, und es fällt ihm schwer, einzusehen, daß der Kontroller von Himmel VII allmächtig ist. Sei gnädig, Lord. Bestimmt findest du Verwendung für ihn und kannst ihn am Leben lassen.« Regis Le Gwyn blickte auf sie herab. Er war ihr dankbar für die Unterbrechung. Der Dreckwilde – zweifellos ein Mann von Überlegung – hatte die Wahrheit gesprochen, so wie er sie sah. Nur handelte es sich bei den Waffen, die schon jetzt auf Le Gwyns Rücken gerichtet waren, nicht um solche physischer Art. Sie waren politischer Natur. Es gab viele, die nur allzu gern einen anderen auf seinem Posten gesehen hätten – und mehrere, die selbst danach trachteten. Sie würden jegliche Schwäche seinerseits für ihre Zwecke nutzen. Regis Le Gwyn zeigte seine Dankbarkeit nicht, denn auch das würde man als Schwäche auslegen. »Wie interessant«, brummte er. »Obwohl du drei Jahre unter zivilisierten Menschen zugebracht hast, bittest du um das Leben eines Wilden.« »Tala«, sagte Berry sanft. »Steh auf. Sei stolz, daß du eine Erdfrau bist. Dieser Mann, dieser Kontroller,
ist kein Gott. Er ist nicht mächtiger, als seine Waffen und seine Leute ihn machen. Begegnete ich ihm allein und unbewaffnet, er würde zur Seite treten, um mich vorbeizulassen.« Der Kontroller erkannte, daß es Berry gleichzeitig gelungen war, die Initiative zu ergreifen und ihn zu beleidigen. »Wilder, du legst es darauf an, daß ich dich töte!« »Nein, Häuptling«, erwiderte Berry gelassen. »Ich fordere dich heraus, mich zu töten. Diese Männer hier, deine Freunde und Diener, werden sich deiner Schwäche erinnern.« Regis Le Gwyn zitterte vor Wut. Berry bemerkte es zufrieden. Ihm entgingen auch die Mienen der drei anderen nicht. Wenn ich sterben muß, dachte er, wird Regis Le Gwyn nicht mehr lange Häuptling seines Stammes bleiben. Die Männer hier haben seine Schwäche gesehen. Sie werden es weitererzählen. »Du wirst sterben«, murmelte der Kontroller. »Mach dir keine Hoffnungen, Tier! Du wirst sterben. Aber nicht hier und nicht jetzt. Und nicht schnell! Denn gerade das möchtest du ... Du wirst auf recht interessante Weise sterben – ganz langsam und schmerzhaft. Du wirst dein Ende in der Parkzone finden. Die Tiere des Waldes werden dich bei lebendigem Leib fressen. Sollten sie versuchen, dich schnell zu töten, werden wir das zu verhindern wissen. Eine Auvibiene wird dir überallhin folgen. Sie wird dich beobachten und deine Qualen übertragen, damit ich und andere uns daran ergötzen können.« »Häuptling.« Berry grinste. »Ich sehe, daß du große Angst hast. Du bist ein bejammernswerter Kerl, für den das Wort Mann zu gut ist. Denk daran, daß es
Zeugen gibt für alles, was wir uns hier sagten, und daß mein Tod dir deine Ängste nicht nehmen wird.« Ehe der Kontroller etwas darauf erwidern konnte, meldete ein Roboter: »Herr, der Programmer bittet um eine sofortige Unterredung.« »Der Programmer?« Regis Le Gwyn verspürte Unbehagen. Gerade hatte er sich noch in rosigen Farben ausgemalt, welche Qualen Berry sterben würde, und jetzt meldete man ihm den Programmer, der kaum je die Fabzone verließ. Er war so verblüfft darüber, daß er nicht einmal auf den Gedanken kam, die beiden miteinander in Verbindung zu bringen. Diese Unterlassungssünde änderte den Lauf der Geschichte. »Jawohl, Lord, der Programmer«, bestätigte der Roboter. Es war natürlich unmöglich, die gebetene Unterredung zu verweigern oder auch nur zu verschieben. Dazu hätte ein mutigerer Mann gehört als Regis Le Gwyn. Nominell hatte der Kontroller die absolute Macht in Himmel VII. Aber Le Gwyn wußte nur zu gut, wo sie wirklich lag. Nämlich nicht in den Händen des Kontrollers, sondern in denen des Mannes, dem die Teknos unterstanden, der die Computer programmierte und damit die Roboter und der für die gesamten Lebenserhaltungssysteme von Himmel VII verantwortlich war. Le Gwyn hatte Bors Zangwin, den Programmer, erst zweimal persönlich gesehen – bei den Schachturnieren, die den Höhepunkt der Öffentlichen Spiele darstellten. Beide Male hatte Zangwin ihn in allen zehn Partien geschlagen, obgleich er, Regis Le Gwyn, der anerkannte Großmeister der Ristos war. Einige der Ristos behaupteten, der Programmer habe sich
von den Computern helfen lassen. Aber obwohl eine sofortige, von Zangwin gestattete, ja sogar begrüßte Untersuchung eingeleitet wurde, fanden sich weder an der Person des Programmers noch am Schachtisch oder sonstwo in näherer Umgebung Mikrosender. Le Gwyn war froh, daß die nächsten Spiele erst in sieben Jahren stattfinden würden. Wenn er eine dritte Niederlage erlitt, wären die politischen Folgen nicht auszudenken. »Bitte den Programmer herein«, befahl er dem Roboter mit gezwungen ruhiger Stimme. Bors Zangwin erwies dem Kontroller die übliche Ehrerbietung, aber er wirkte dabei durchaus nicht untertänig. »Ein langes Leben, Regis Le Gwyn. Wie gütig von dir, mich zu empfangen.« Der Kontroller benetzte die Lippen. »Ein langes Leben, Bors Zangwin. Es ist mir eine Freude, dich zu empfangen. Welchem Umstand verdanke ich deinen unerwarteten Besuch?« Berry betrachtete den Programmer. Seine Kleidung war ganz anders als die der Ristos. Statt deren farbigen Kilts, Tuniken und engen Beinhüllen, die Tala Strumpfhose genannt hatte, trug er eine dunkle Kutte, die bis zum Boden reichte. Und statt der gewöhnlich langen Lockenpracht der Ristos war sein Haar kurz geschnitten. Und im Gegensatz zu Le Gwyn, dem es schwerfiel, sich zu beherrschen, schien ihm der Programmer ein Mann von kühlem Verstand, der seine Gefühle unter Kontrolle hatte. Wenn das stimmte, mochte er sehr gefährlich sein, gefährlicher als Le Gwyn. Aber auch der Programmer musterte Berry heimlich, während er mit dem Kontroller sprach. »Ich
komme mit einer Entschuldigung und auch, um einen Gefallen zu erbitten.« Er lächelte. »Ich hoffe, du nimmst erstere entgegen und gewährst mir das zweite.« Regis Le Gwyn fühlte sich sofort ein wenig wohler. Die Stimme des Programmers klang höflich, ja fast ein wenig servil. Das bedeutete ganz sicher, daß er irgendwie Schwierigkeiten hatte. »Mein lieber Zangwin«, sagte er. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß es Umstände gibt, die deine persönliche Entschuldigung erfordern. Was den Gefallen anbelangt, nun, wenn es in meiner Macht steht, ihn dir zu gewähren, ohne dabei die Gesetze zu verletzen, so ist er bereits gewährt. Möchtest du, daß wir unsere Unterhaltung unter vier Augen fortsetzen?« Er warf seinen Männern einen kurzen Blick zu, als wollte er damit sagen: »Seht, dieser Mann ist verwundbar, und er braucht meine Hilfe.« Aber Bors Zangwin sah alles andere als verwundbar aus. Er bedachte die drei Männer mit einem kühlen Blick, als wären sie Lentlose und nicht Ristos. Jeder der drei wich seinen scharfen Augen aus. »Die Anwesenden stören mich nicht«, erklärte er von oben herab. »Und nun zuerst meine Entschuldigung, Kontroller. In unserem Servomechsystem kam es zu einer glücklicherweise unbedeutenden Fehlleitung, die wir inzwischen wieder beheben konnten. Für eine kurze Zeit blieben die Schaltkreise der Roboter offen. Es tut mir leid, Le Gwyn. Der verantwortliche Tekno wurde verwarnt und seine Höherstufung zehn Jahre zurückgestellt.« Regis Le Gwyn blickte ihn ein wenig verwirrt an. Wie alle Ristos war er künstlerisch orientiert und ver-
stand nichts von Schaltkreisen, weder offenen, noch geschlossenen. »Was hat das mit mir zu tun, mein lieber Programmer?« fragte er vorsichtig. Bors Zangwin, der genau wußte, daß der Kontroller von Elektronik nicht die geringste Ahnung hatte, lächelte jovial. »Es ist der Grund meiner Entschuldigung. Durch diese Fehlleitung wurde von den Monitoren alles festgehalten, was die Roboter übermittelten. So kam es zu einem Verstoß gegen Artikel 14 der Grundgesetze, der sich, wie du weißt, mit der Unverletzbarkeit der Privatsphäre befaßt. Oder noch genauer ausgedrückt, deine Unterhaltung mit diesen Dreckweltwilden wurde aufgezeichnet und automatisch an das Archiv weitergeleitet. Wir werden den Streifen natürlich löschen. Noch einmal: es tut mir leid.« Regis Le Gwyn schwitzte. Berry sah es, der Programmer sah es, und die drei Ristos sahen es ebenfalls. Jeder empfand mehr oder weniger geheime Genugtuung darüber. »Das ist unverzeihlich!« brüllte Regis Le Gwyn. Es war ihm nur allzu klar, daß ein Playback ihn kaum in schmeichelhaftem Licht zeigen würde. »Ja, es ist wirklich unverzeihlich«, pflichtete ihm der Programmer bei. »Doch wie ich schon erwähnte, der verantwortliche Tekno wurde empfindlich bestraft. Und ich habe mich persönlich und vor Zeugen dafür entschuldigt, wie es sein soll.« Bors Zangwin sah allerdings nicht so aus, als täte es ihm wirklich leid, im Gegenteil, man konnte leicht den Eindruck gewinnen, daß ihm die Sache Spaß machte. Der Kontroller tat sein Bestes, wieder Herr der Situation zu werden. »Ich nehme deine Entschuldigung
an«, erklärte er kalt. »Die Unterhaltung war weder von Bedeutung, noch persönlicher Natur. Das Gebabbel von unzurechnungsfähigen Dreckweltkreaturen interessiert niemanden ... Du sprachst von einem Gefallen, Programmer?« »Den du mir in deiner Großzügigkeit bereits gewährt hast und wofür ich dir danke.« Einen Augenblick sah Le Gwyn so aus, als ersticke er. Aber es gelang ihm, sich zu beherrschen. »Es ist mir ein Vergnügen, Personen niedrigerer Stellung einen Gefallen zu erweisen«, sagte er beleidigend, »doch immer vorausgesetzt, daß dadurch unsere Gesetze nicht verletzt werden. Was kann ich für dich tun, Programmer?« Bors Zangwin sah Berry und Tala an. »Ich ersuche um die Aushändigung dieser beiden Dreckweltpersonen an mich.« »Das sind keine Personen, Programmer. Es sind Wilde, Tiere.« »Es ist dir überlassen, sie zu nennen, wie es dir beliebt, Kontroller.« Regis Le Gwyn spürte festen Boden unter seinen Füßen. Nun brauchte er nur den richtigen Zug zu machen, um sein Ansehen wiederherzustellen. »Darf ich fragen, welches Interesse der Programmer an solchen Kreaturen haben könnte?« »Ich beabsichtige, sie von Grund auf zu untersuchen und zu analysieren. Eine komplette Psychoakte, die natürlich auch ihre Geschlechtsbeziehungen miteinschließt, wäre von großem Nutzen für unser neues Projekt. Es ist dir ja bekannt, daß wir die potentiellen Möglichkeiten der Dreckweltmenschen erforschen.« Regis Le Gwyn lächelte. »Dein Projekt ist sehr lo-
benswert, Programmer, um so mehr bedauere ich, dir diese Wilden nicht überlassen zu können.« Der Programmer hob eine Braue. »Berichtige mich, falls ich dich falsch verstanden habe, aber ich war unter dem Eindruck, daß du mir den ersuchten Gefallen bereits großzügig gewährt hast.« Nun machte Regis Le Gwyn seinen Damenzug. »Mein lieber Programmer, ich entsinne mich genau, daß ich sagte, er sei gewährt, falls die Gesetze dadurch nicht verletzt würden. Die Frau gehört der Drittschwangerschaftskategorie an und muß hinuntergebracht werden. Den Mann, der als gefährlich eingestuft wurde, erwartet die Todesstrafe. Das ist dir sicherlich bekannt, und du wirst mir beipflichten müssen, daß die Gesetze nicht übergangen werden dürfen.« Regis Le Gwyn genoß seinen großen Zug. Der Programmer zuckte die Schultern. »Da hast du natürlich recht wie immer, Kontroller. Wenn der Mann gefährlich ist – und ich zweifle nicht an deinem Urteil –, muß er sterben. Ich nehme an, auf die Art, die du bereits ausmaltest, beispielsweise. Die Frau, die ihren Zweck erfüllt hat, hat dem Gesetz zufolge selbstverständlich hinuntergebracht zu werden. Aber gibt es einen Grund, weshalb die Ausführung nicht aufgeschoben werden kann, bis wir Teknos Zeit hatten, diese Personen zu analysieren?« Berry, dessen Hoffnungen ein wenig gestiegen waren, als der Programmer sein Ansuchen stellte, gefiel der weitere Verlauf gar nicht. Doch besser analysiert zu werden – auch wenn er das Wort nicht verstand – und eine Weile länger zu leben, als Regis Le Gwyn ganz ausgeliefert zu sein. »Ich verstehe zwar dein wissenschaftliches Interes-
se an diesen Dreckweltkreaturen durchaus, Programmer«, erklärte Regis Le Gwyn, ohne seine Schadenfreude ganz verheimlichen zu können, »aber ich bedaure, denn unsere Gesetze sehen keine Ausnahme für einen Fall wie diesen vor.« »Verzeih, wenn ich widerspreche«, antwortete Bors Zangwin. »Du hast möglicherweise Artikel 5 übersehen. Entschuldige, wenn ich dich unnötigerweise an den Wortlaut erinnere. Er besagt, daß die Teknos Prioritätsanspruch auf exobiologisches Material zum Zweck der Analyse und Auswertung haben. In diesem Sinn sind die Erdmenschen als exobiologisches Material zu betrachten. Im Interesse der Gerechtigkeit werden wir die Untersuchungen beschleunigen.« Dame verloren, Angriff abgeschlagen, Schachmatt unabwendbar. Regis Le Gwyn brachte keinen Ton hervor. Bors Zangwin blickte Berry und Tala an. »Werdet ihr friedlich mitkommen, oder muß ich die Roboter beauftragen, euch zu bringen?« »Wir wissen nicht, was du mit uns vorhast, Häuptling«, erwiderte Berry, »aber es ist sicher dem sofortigen Tod vorzuziehen. Wir kommen friedlich mit dir.« Er warf einen Blick auf Le Gwyn, der weiß vor Wut war. Dann fügte er betont laut hinzu. »Außerdem hast du zweifellos große Überzeugungskraft, Häuptling.«
13. Die Fahrt zur Fabzone war so voller Wunder, daß Berry sprachlos war und alles mit großen Augen bestaunte. Er und Tala, nur von Zangwin und einem Roboter bewacht, brausten mit Windgeschwindigkeit in einem Gefährt dahin, das Berry an eine riesige Muschel erinnerte. Viele solcher Fahrzeuge waren unterwegs, und immer wieder sah es so aus, als würden sie gerammt werden. Aber da nie etwas passierte, gewöhnte er sich daran und fand seine Zunge wieder. »Häuptling«, wandte er sich an Zangwin. »Du hast uns von einem Häuptling geholt, der mächtiger als du zu sein scheint und es doch nicht ist. Warum hast du das getan? Auch ich bin ein Häuptling in meinem eigenen Land. Ich habe ein Recht, es zu erfahren.« Der Programmer lächelte. »Regis Le Gwyn ist der Ansicht, daß du keinerlei Rechte hast. Du bist ein Dreckweltwilder, ein Tier, das man auch wie ein Tier behandeln darf. Ich bin anderer Meinung. Ich werde dir noch alles erklären. Wirst du mir vertrauen?« Berry zuckte die Schultern. »Häuptling, ich habe kaum eine andere Wahl. Ich kenne die Kraft eurer Roboter.« Er warf einen Blick auf den Verkehr. »Außerdem scheint mir, daß man hier leicht zugrunde gehen kann, solange man eure Art zu leben und eure Wunder nicht versteht.« Zangwin lachte. »Berry, du bist praktisch veranlagt und intelligent. Das gefällt mir und paßt genau in meinen Plan. Wir werden gut miteinander auskommen.« »Du wirst der Frau Tala kein Leid zufügen?«
»Ich werde ihr kein Leid zufügen.« »Kannst du verhindern, daß sie ›hinuntergebracht‹ wird, wie Regis Le Gwyn es nennt?« »Mit deiner Hilfe, glaube ich, wird es möglich sein.« »Dann werden wir uns gegenseitig helfen, Bors Zangwin. Ich habe noch mit Regis Le Gwyn abzurechnen.« Wieder lachte der Programmer. »Genau das ist der Zweck meines Experiments.« Als die Muschel die Fabzone erreichte und Berry sich mit großen Augen umsah, schüttelte er verwundert und leicht beunruhigt den Kopf. »Häuptling«, fragte er. »Hast du in deinem Stamm mehr Roboter als Menschen?« »Berry, du mußt noch viel lernen. Fangen wir gleich an. Du siehst richtig. Hier in der Fabzone gibt es mehr Roboter als Teknos. Aber die Roboter sind keine Lebewesen. Sie sind Maschinen, die von Menschen geleitet werden ... Hast du schon einmal mit Pfeil und Bogen geschossen?« »Wer nicht«, erwiderte Berry erstaunt. »Bei uns in den Stämmen ist der Bogen die bevorzugte Jagdwaffe.« »Dann wirst du auch wissen, daß Pfeil und Bogen ohne einen guten Schützen nutzlos sind. Stell dir die Roboter als Pfeile, die Computer als Bogen, und mich als Schützen vor. Verstehst du, was ich meine?« Als Berry nickte, fuhr er fort. »Ich beabsichtige, wenn deine Intelligenz wirklich so hoch ist, wie ich vermute, dich als tödlichen Pfeil zu verwenden und auf ein äußerst gefährliches Ziel abzuschießen. Stört dich dieser Gedanke?«
»Weise mir das Ziel«, erwiderte Berry, »und wenn es das ist, was ich glaube, dann wird der Pfeil es auch nicht verfehlen ... Aber, Häuptling, was kommt danach? Wird der Schütze den Pfeil vergessen?« »Wenn es ein Blattschuß ist«, sagte Bors Zangwin ernst, »verspreche ich dir, daß du auf die Erde zurückkehren wirst, Berry. Und mit dir die Frau Tala und auch die Frau Vron. Aber wenn das Wild nur angeschossen ist, kann ich leider für die Folgen nicht garantieren.« »Verständlich«, murmelte Berry. »Woher weißt du von Vron?« »Es gehört zu meiner Aufgabe, solche Dinge zu wissen. Aber schau, wir haben das Psycholabor erreicht, und es gibt viel zu tun. Leider ist die Zeit nicht auf unserer Seite, Berry. Während der nächsten neun Tage wirst du wenig zur Ruhe kommen. Etwa jetzt dürfte der Kontroller in Erfahrung bringen, daß ich exobiologisches Material nicht länger als zehn Tage auswerten darf. Dann untersteht es wieder seiner Gerichtsbarkeit. Ich habe also nur neun Tage, um dir alles beizubringen. Am zehnten Tag mußt du fliehen.« Im Psycholabor sollte Berry viel des Wissens und viele der Fähigkeiten erwerben, die auf der Erde vor zweitausend Jahren untergegangen waren.
14. Sein Intelligenzquotient war 145, sein Leistungsquotient 129, und sein Begabungsquotient 173. Die Auswertung der Tests, die alle gleich am ersten Tag in der Fabzone vorgenommen wurden, ergab, daß Berry nicht viel an einem Genie fehlte. Bors Zangwin war mehr als zufrieden. »Heute nacht kannst du noch mit Tala zusammenbleiben«, versprach er Berry. »Aber die nächsten sieben Nächte mußt du allein verbringen. Du wirst zwar schlafen, aber nicht ausruhen. Du wirst viel lernen. Die Methode wird dir noch erklärt werden. Aber jetzt gehen wir erst in den Speisesaal, wo du essen und einige der Teknos kennenlernen wirst, die dir bei deiner Ausbildung behilflich sein werden.« Der Speisesaal war ein großer Raum, ganz in der Nähe des Psycholabors, mit vielen Fenstern und langen Tischen, an denen die Teknos – sie alle trugen ähnliche Kutten wie der Programmer – ihr Abendessen einnahmen. Alle hatten ihr Haar kurzgeschnitten, aber manche trugen Kutten von hellerer Farbe. Zu seiner Überraschung stellte Berry fest, daß es sich bei diesen letzteren um Frauen handelte. Als der Programmer den Saal betrat, erhoben sich alle. »Bleibt sitzen, Freunde«, bat Bors Zangwin. »Laßt das gute Essen nicht kalt werden ... Wurde meine Unterredung mit dem Kontroller aufgezeichnet?« Als man es bejahte, rieb er sich zufrieden die Hände. »Gut, sehr gut. Alle, die unmittelbar am Projekt Katalysator beteiligt sind, finden sich in einer Stunde in meinem Büro ein.«
Das Essen war ausgezeichnet, besser als das, das Tala und Berry während ihrer kurzen Haft bekommen hatten. Tala saß links vom Programmer, Berry rechts, und neben ihnen je ein Tekno, gegenüber am Tisch drei weitere Teknos. Bors Zangwin machte sie mit ihnen bekannt. »Kameraden, das ist der Erdmann Berry, mit dessen Hilfe wir hoffentlich unser Ziel erreichen werden.« »Häuptling«, sagte Berry. »Ich weiß zwar nicht, was ihr zu erreichen hofft, außer, das es gewiß größere Dinge betrifft als die Vernichtung dieses Schwächlings Le Gwyn, aber ich werde es sicher noch erfahren.« »Na, da seht ihr es!« Zangwin blickte seine Freunde triumphierend an. »Und diesen Mann stellt der Kontroller als Wilden, als Tier hin!« »Außerdem«, fuhr Berry fort, »wenn mein Erfolg in diesem mir noch unbekannten Unternehmen die Niederlage des Kontrollers und vielleicht des ganzen Risto-Stammes herbeiführt, so jedenfalls denke ich, würde ein Mißerfolg die gleichen Folgen für dich und die Teknos haben.« Bors Zangwin lachte begeistert. »Na, was sagt ihr? Er versteht, Schlüsse zu ziehen.« »Deshalb, Häuptling«, sagte Berry, als wäre er nicht unterbrochen worden, »scheint mir, als halte auch ich eine gewisse Macht in meinen Händen, obgleich ich fern von meinem Stamm und«, er blickte auf Tala, »fast allein bin.« Der Programmer blickte ihn scharf an. »Das ist richtig. Projekt Katalysator kann ohne deine Mitwirkung nicht durchgeführt werden. Oder genauer gesagt, wenn du dich weigerst mitzumachen, müssen
wir es aufschieben, bis wir einen neuen Erdmann mit gleichwertigen Fähigkeiten beschaffen können.« Berry lächelte. »Da wir also einander brauchen, könnten wir eine Abmachung treffen.« »Eine Abmachung? Welcher Art?« »Ganz einfach. Durch mich – obgleich ich noch nicht weiß, wie – willst du einen Feind schlagen, der auch mein Feind ist. Dieses Projekt, wie du es nennst, bringt viel Gefahr für mich, aber, wie ich glaube, wenig für dich. Deshalb bitte ich dich, hier vor deinen Leuten, um dein Wort, daß du, falls ich sterben sollte, einen Weg finden wirst, Tala, Vron und die anderen Frauen meines Stammes zur Erde zurückzubringen.« Bors Zangwin rieb sich das Kinn. »Du verlangst viel.« »Das weiß ich. Aber du verlangst auch viel von mir. Soweit es in meiner Macht steht, werde ich tun, was du von mir willst. Versprichst du, hier vor deinen Freunden, das gleiche?« »Wie kannst du wissen, ob ich mein Wort halte?« »Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, daß ein Häuptling vor seinem Stamm ehrlich sein muß, wenn er nicht sein Ansehen verlieren will.« »Berry, du bist sehr weise. Wir hier in Himmel VII sind sehr tüchtig, aber vielleicht nicht besonders weise. Deshalb brauchen wir Menschen wie dich – darum kam es auch zum Projekt Katalysator ... Nun, du hast mein Wort. Falls du stirbst, werden wir alles tun, was in unserer Macht steht, um Tala, Vron und die Londosfrauen zur Erde zurückzubringen. Wenn du keinen Erfolg hast, wird es uns teuer zu stehen kommen. Aber wir werden es versuchen.« »Ich glaube dir, Häuptling, und ich bin zufrieden.«
15. Die Besprechung im Büro des Programmers diente hauptsächlich zu Berrys Orientierung. Außer ihm und Tala waren neun Teknos anwesend. Das Büro war ein runder Raum ohne Fenster in der Wand, aber dafür mit einem riesigen kreisrunden an der Decke. Berry blickte fast ergriffen zum Nachthimmel hoch, wo die Sterne aufgingen. Er versuchte sich vorzustellen, er befinde sich auf der Erde bei einem Feuerpalaver. Der Programmer bemerkte seinen Blick. »Sie sind schön, nicht wahr, Berry? Eine sehr wirklich scheinende Illusion. Aber es sind keine echten Sterne, sondern Projektionen auf der Kuppel, die Himmel VII vor dem tödlichen Vakuum des Raumes schützt.« Berry schwieg. Er verstand nicht, was eine Kuppel oder das Vakuum des Raumes war, aber die Sterne sahen unwahrscheinlich echt aus. »Außer Berry und Tala«, sagte Zangwin, »sind alle hier mit Projekt Katalysator vertraut. Damit Berry versteht, werde ich ihm einen kurzen Überblick über die Lage geben und erklären, was wir von ihm erwarten. Himmel VII stabilisierte sich in seiner gegenwärtigen Form vor siebzehnhundertdreiundneunzig Jahren, als die letzten der Satellitenstationen in unser geschlossenes System einbezogen wurden. Eine Gesellschaftsstruktur entwickelte sich, die seit etwa tausend Jahren unveränderlich ist. Ursprünglich war die allmähliche Reifung einer klassenlosen elitären Gesellschaft angestrebt. Doch statt dessen bildete sich, auf-
grund von Nepotismus und anderen Faktoren, eine Kastengesellschaft aus Ristos, Teknos und Lentlosen. Und weshalb diese Gesellschaftsform sich nicht in etwas Progressiveres, Kreativeres umwandeln läßt? Weil die Ristos von vornherein in unserer Verfassung festlegten, daß nur ihnen das Recht zur Fortpflanzung zusteht. Da sie die Kreativsten und Talentiertesten waren, sollten ausschließlich ihre Gene vererbt werden. Diejenigen ihrer Kinder, die zu keinen großen Hoffnungen Anlaß geben, müssen bis zu ihrem Lebensende Lentlos bleiben. Jene, bei denen sich Begabungen nichtkünstlerischer Art herausstellen, werden zu Teknos ausgebildet – Teknos können keine Gefahr für die Oligarchie werden, da dieser Kaste die Fortpflanzung versagt ist. Dieses System wäre auch weiterhin funktionsfähig geblieben, wenn es weder Nepotismus noch kosmische Strahlung gegeben hätte. Das heißt, es hätte weiterhin zugunsten der Ristos funktioniert, denn trotz der wissenschaftlichen Methoden, die wir Teknos für die Bewertung von Intelligenz, Begabung und Leistungsfähigkeit entwickelten, fuhren die Ristos nach wie vor fort, nur solche der heranwachsenden Kinder in ihrer Kaste aufzunehmen, die sie selbst durch nichtwissenschaftliche Methoden und nach subjektiven Kriterien auswählten. Den Nepotismus hätten wir wohl auch weiterhin in Kauf genommen, denn keiner von uns – weder Lentlose noch Teknos – ist imstande zu vergessen, daß wir von den Ristos abstammen. Diese genetische Loyalität war und ist die wahre Stärke der Ristos. Aber die dauernden Schäden infolge der Strahlung, die sich allmählich immer mehr herausschälten, müs-
sen uns diese Loyalität vergessen lassen. Vor vielen Generationen zeigte es sich bereits, daß die prä- und postnatalen Abnormitäten zunahmen und auch weiterhin ansteigen würden, bis die Zivilisation, die wir zu erhalten versuchten, völlig ausstirbt. Fast alle meine Vorgänger wiesen die jeweiligen Kontroller darauf hin, so wie ich Regis Le Gwyn davor warnte, doch genauso ohne Erfolg wie ich. Die einzige Lösung unseres Problems wäre, daß wir von Himmel VII zur Erde zurückkehren, ehe es zu spät ist. Aber die Ristos wissen, daß das Leben auf der Erde sehr beschwerlich ist und, was wohl den Ausschlag gibt, daß sie dort ihre Vorrangstellung einbüßen würden. Ihre Lösung, die jedoch in Wirklichkeit keine ist, besteht darin, den Anstieg von fötalen Abnormalitäten einfach hinzunehmen und immer mehr Erdfrauen herbeizuschaffen, um das befruchtete Ovum der Ristos auszutragen. Sie vergessen dabei, oder wollen es nur nicht wahrhaben, daß, je mehr Erdfrauen sie entführen, desto weniger Nachwuchs bei den Stämmen zu erwarten ist. Außerdem ist auch das Ovum der Ristos begrenzt. Trotz unserer Teilerfolge in der Abschirmung von kosmischen Strahlen wächst die Zahl der fötalen Abnormitäten. Gegenwärtig ist von sechs Lebendgeburten lediglich eine lebensfähig. Bald wird es nur noch eine von sieben, dann von acht und neun sein – und das noch im Lauf meiner Lebenserwartung. Was können wir tun? Rebellieren? Wir Teknos verfügen zwar über nicht unbeträchtliche Macht, aber unsere Zahl ist gering. Außerdem sind unter den Ristos auch durchaus fähige und intelligente Leute, ganz abgesehen davon, daß ihnen immer noch zu-
mindest neunzig Prozent der Lentlosen die Treue halten würden. Die einzig mögliche Lösung wäre, zu beweisen, daß die Ristos nicht die Krone der Schöpfung sind. Sie halten sich nämlich für die absolute Elite menschlicher Evolution. Sie betrachten die Erdmenschen als Tiere und benutzen die eingefangenen Frauen als Zuchtvieh. Was würde geschehen, wenn eines dieser Dreckwelttiere beweist, daß es so intelligent und gewitzt ist wie der Beste der Ristos? Der Mythos der Überlegenheit der Ristos fände ein schmachvolles Ende. Selbst die Lentlosen würden nicht länger blinden Gehorsam leisten. Es käme zur unblutigen Revolution, die den Weg zur Rekolonisation der Erde ebnen würde. Das, Freund Berry, ist im wesentlichen das Projekt Katalysator. Du kennst nun deine Aufgabe. Tu dein Bestes.« Der Programmer hielt inne und blickte Berry an. »Es tut mir leid, daß ich dich mit Worten und Ideen bombardieren mußte, mit denen du im Augenblick noch nicht viel anfangen kannst. Aber bald wirst du dich daran erinnern und in der Lage sein, sie voll und ganz zu verstehen.« »Mein Kopf brummt ein wenig«, gestand Berry. »Aber ich habe viel gelernt. Zum Beispiel, daß ihr von Himmel VII, genau wie wir auf der Erde, ein geteiltes Volk seid; daß ihr nicht für immer auf dieser Insel im Raum bleiben könnt, weil ihr sonst verloren wärt. Das ist sehr wichtig für mich, denn es bedeutet, daß noch Hoffnung für die Stämme besteht. Also gebt mir die Ausbildung, die ich brauche, und ich sorge dafür, daß Regis Le Gwyn es bitter bereuen wird, die Erdfrauen so gedemütigt und einen Stammeshäuptling
wie ein Tier behandelt zu haben.« Er gähnte. »Aber jetzt bin ich müde. Und wenn dies schon meine letzte ungestörte Nacht ist, dann möchte ich das Beste daraus machen. Gestatte, daß ich mich zurückziehe, Programmer. Morgen werde ich schwer daran arbeiten, zum tödlichen Pfeil zu werden.« »Willst du die Nacht mit Tala verbringen?« Berry grinste. »Es ist vielleicht seltsam, aber mir kommen immer die besten Einfälle, wenn ich mit einer Frau liege.«
16. Nach dieser Nacht sah Berry Tala nur noch während des Essens im Speisesaal. Darauf hatte er bestanden, um sich zu vergewissern, daß es ihr gutging. Er bat den Programmer auch, Vron sehen zu dürfen, aber Zangwin bedauerte, daß dies nicht in seiner Macht stünde. Vron war der Ristolady Somavalt zugeteilt worden, bei der sie bleiben würde, bis sie die vorgeschriebenen drei Schwangerschaften hinter sich hatte. Der Programmer erwähnte nicht, daß ein Erdkind – Berrys Sohn – aus ihrem Schoß entfernt worden war, um in Kürze Lady Somavalts befruchtetem Ovum Platz zu machen. Er verschwieg auch, daß Vron sich im Schock und einstweilen noch unter ständigem Einfluß von Sedativa befand, denn das hätte zweifellos Berrys Konzentration gemindert. Am ersten Morgen absolvierte Berry unter Hypnose einen Kurs über terrestrische Geschichte. Tala staunte, als Berry ihr beim Mittagessen erklärte, wie es zu den Heißen Flecken auf der Erde gekommen war, und wie die einst großen Machtblöcke, die aufgrund ihrer hungernden Bevölkerung politischen Schwankungen unterworfen waren, schließlich zur gegenseitigen Vernichtung getrieben wurden. Zangwin hörte zufrieden zu. Berry war nur mit den Tatsachen gefüttert worden, aber er zog seine eigenen folgerichtigen Schlüsse. Der Psychocomputer hatte seine Quotientenbewertung eher zu niedrig als zu hoch gehalten. Am Nachmittag wurde ihm Mathematik beigebracht, und nachts absorbierte er einen Schlafunter-
richt. Er lernte allgemeine taktische Spiele, unter anderem auch Schach, und die Sitten und Gebräuche und Gesetze auf Himmel VII. Beim Frühstück erwähnte er, daß er Schach für ausgesprochen faszinierend hielt, und es einem Steinspiel nicht unähnlich war, mit dem einige der Alten seines Stammes sich gern die Zeit vertrieben. »Möchtest du eine Partie mit mir spielen, Berry?« fragte ihn der Programmer. Als Berry nickte, sagte er: »Dann lasse ich ein Brett und Figuren holen. Wir können während des Essens spielen.« Berry blickte ihn erstaunt an. »Aber es geht doch auch ohne.« Nun hob Zangwin überrascht die Brauen. »Also gut. Du bist Weiß.« »Königsbauer auf K4«, sagte Berry, ohne zu zögern. »Eine sehr naive Eröffnung«, meinte der Programmer. Aber Berry zuckte die Schultern. »Ich bin ein einfacher Mann«, murmelte er. »Na gut. Ebenfalls Königsbauer auf K4. Ich bin gespannt, wie du weiter vorgehst.« Berry baute eine Falle auf, doch der Programmer fiel nicht darauf herein, sondern konterte mit einem Springerangriff, der Berry zwang, seine Dame zu ziehen, und der ihn einen ungeschützten Bauern kostete und gleichzeitig Zangwin die Möglichkeit gab, König und Turm zu bedrohen. Ein wenig verlegen blickte Berry den Programmer an. »Es tut mir leid, Häuptling, ich habe mir eingebildet, ich könnte es besser.« »Es ist dein erstes Spiel, Berry«, tröstete ihn Zangwin. »Es wird schon noch.« Danach verlor Berry Figur um Figur unter dem un-
barmherzigen Angriff seines Gegners. Aber trotzdem brauchte der Programmer siebzehn Züge, ehe er ihn Schachmatt hatte. Er staunte, wie lange es Berry gelungen war, sich zu halten. Tala betrachtete die beiden Männer nur verwirrt. Sie verstand überhaupt nichts. »Heute wirst du noch schwer arbeiten und viel lernen müssen«, sagte der Programmer zu Berry. »Aber morgen beim Frühstück spielen wir wieder. Ich werde für Brett und Figuren sorgen.« Beim Mittagessen versuchte Berry, Tala zu erklären, wieso es möglich war, daß Himmel VII in einem permanenten Orbit um die Erde blieb. Sie war verstört. »Berry, was machen sie mit dir?« flüsterte sie. »Du bist nicht länger der Stammeshäuptling, den ich kannte. Du veränderst dich. Ich habe Angst.« »Dazu ist kein Grund vorhanden«, versicherte er ihr. »Trotz all der Wunder programmierter Lehrmethoden, Analysen, Schlaf- und Hypnounterricht und Computertest bin ich immer noch der alte. Ich bleibe auch der gleiche, Tala. Nur mein Wissen vergrößert sich. Das ist alles.« Er wandte sich an den Programmer. »So ist es doch, nicht wahr?« »Ja«, erwiderte Zangwin. »Aber ich glaube, daß dein neues Wissen deine Verhaltensweise und Einstellung vielen Dingen gegenüber beeinflussen wird, auch wenn es deinen Charakter als solchen nicht verändert ... Abgesehen von dem, was wir zu erreichen hoffen, ist dieses Experiment des Stoßlernens von bedeutendem wissenschaftlichen Interesse für uns. Wir werden viel lernen, allein, indem wir deine Reaktio-
nen studieren.« Berry war überrascht. »Ihr habt es noch nicht zuvor ausprobiert?« Zangwin lächelte. »Es ist illegal – zumindest für die Menschen von Himmel VII. Die Ristos formulierten die Verfassung, und sie waren klug genug vorauszusehen, daß wir Teknos eines Tages künstliche Methoden zur Steigerung der Intelligenz entwickeln könnten. Das würde bedeuten, daß wir in der Lage wären, eine Elite der Intellektuellen zu schaffen. Eine solche Elite könnte einen neuen Machtblock darstellen – was den Ristos gar nicht behagen würde.« Er seufzte. »Aber wir Teknos haben auf die Verfassung geschworen und halten die Gesetze ein. Wenn auch nur der Verdacht bestünde, daß das nicht der Fall ist, würden die Ristos zweifellos die Lentlosen gegen uns mobilisieren – das sind über siebzig Prozent der Bevölkerung von Himmel VII. Die Folgen wären nicht auszumalen. Wie dir bekannt ist, halten wir die technische Macht in den Händen, nicht jedoch die politische. Die Ristos und auch die Lentlosen betrachten uns mit geheimem Argwohn. Deshalb halten wir uns strikt an den Buchstaben des Gesetzes ... Glücklicherweise ist es kein Verstoß, mit exobiologischen Proben zu experimentieren.«
17. Am neunten Tag konnte Berrys Ausbildung mehr als zufriedenstellend beendet werden. Er hatte Mathematik, Naturwissenschaften, Elektronik, Bionik, Kybernetik absolviert und verfügte über Grundkenntnisse in Psychologie, Anthropologie und Soziologie. Er hatte die Fabzone nicht verlassen, war jedoch genau über die Cityzone und die Sitten und Gebräuche der Ristos und Lentlosen informiert. Er kannte die Parkzone und die dort lebenden Tiere, als durchstreifte er dieses Gebiet täglich. Während des gesamten Stoßlehrprogramms stand Berry unter ärztlicher Überwachung und wurde wiederholten psychologischen und Quotienten-Tests unterworfen. Während des Frühstücks, Mittag- und Abendessens spielte er Schach mit dem Programmer. Das Spiel schien ihn so sehr zu faszinieren, daß es schon fast zur Sucht wurde. Als Zangwin ihn über dieses nahezu zwanghafte Bedürfnis, Schach zu spielen, ausfragte, erwiderte Berry: »Es ist eine Art individuellen Kampfes – subtil und aufregend –, in dem keiner der Gegner verletzt wird. Es ist ein Kampf um Leben und Tod, ohne daß es. Tote gibt – vom König abgesehen, natürlich.« Er lächelte. »Außerdem ist es eine gute Methode, sich mit der Denkweise seines Gegners vertraut zu machen. Wollen wir spielen?« Am fünften Tag brauchte der Programmer siebenundzwanzig Züge, um Berry mattzusetzen; am sechsten zweiunddreißig; am siebten kam es zum Patt; am achten gewann Berry knapp in achtunddreißig Zü-
gen. Am neunten Tag gab der Programmer nach Berrys neunzehntem Zug auf, der ihn die Dame gekostet hatte und ein Schachmatt unausbleiblich erscheinen ließ. »Warum spielst du nicht weiter?« erkundigte sich Berry. Zangwin zuckte die Schultern. »Das Matt war unabwendbar. Ich gratuliere dir.« Berry lächelte. »Ich nahm an, du würdest zumindest ein Patt versuchen.« »Das war hoffnungslos – die Chancen standen eins zu tausend. Du hättest zwei entscheidende Fehler machen müssen.« »Vielleicht hätte ich sie gemacht, Häuptling.« »Das bezweifle ich.« »Trotzdem, es wäre möglich gewesen. Ich habe Männer gekannt, deren Selbstsicherheit ihr Untergang war ... Das ist der Unterschied zwischen uns. Ich hätte die Chance selbst bei eins zu tausend ergriffen.« Der Programmer lachte. »Vielleicht liegt es gerade darin, Berry, daß ihr Erdmenschen uns überlegen seid. Wir auf Himmel VII sind durch die Sicherheit in jedem Lebensbereich verwöhnt, während ihr ständig um euer Überleben zu kämpfen habt. Vielleicht müssen wir noch viel von euch lernen ... Berry, es war mir ein Vergnügen, dich hier zu haben. Du hast dich als noch viel besser erwiesen, als ich je zu hoffen wagte.« »Du meinst also, du bist zu einem guten Pfeil gekommen?« Zangwin blickte ihn fest an. »Ja, das Holz, aus dem er geschnitzt ist, ist hervorragend, und die Messer, die ihn schnitzten, waren auch nicht schlecht. Aber vielleicht fliegt der Pfeil nicht so, wie der Schütze es beabsichtigte?«
»Das läßt sich nur feststellen, indem du ihn abschießt.« »Genug der Metaphern. Regis Le Gwyn hat bis zum letzten Augenblick gewartet, um mich zu überraschen. Doch vor einer halben Stunde hat er ausdrücklich verlangt, daß das exobiologische Material, das ich für experimentelle Zwecke requirierte, morgen Mittag spätestens zurückgebracht wird.« »Wirst du ihm gehorchen?« Der Programmer schien überrascht über die Frage. »Wir Teknos verstoßen nie gegen das Gesetz, Berry, das sagte ich doch.« »Ich hatte es nicht anders erwartet. Willst du meine Pläne wissen?« »Nein. Ich bezweifle ohnehin, daß du sie mir verraten würdest.« Berry lächelte. »Ich hätte vielleicht ein wenig geschwindelt. Manchmal ist es angebracht, selbst einen Freund irrezuführen.« »Möglich ... Da dies deine letzte Nacht in der Fabzone ist, möchtest du sie sicher gern mit Tala verbringen. Ich habe bereits Anweisung gegeben. Deine Zimmertür wird natürlich, wie üblich, abgeschlossen sein. Wir müssen bezeugen können, daß normale Vorsichtsmaßnahmen nicht vernachlässigt wurden. Auch ein Roboter wird vor der Tür Wache halten.« »Ich verstehe«, murmelte Berry. Der Programmer studierte eingehend seine Fingernägel. »Das Experiment war ein großer Erfolg. Unsere Unterlagen beweisen, daß ein Erdmensch genauso gut wie ein Mensch von Himmel VII ist ... Übrigens, du weißt doch, wo meine Privaträume sind?« Als Berry nickte, richtete er den Blick auf die Decke und
sprach, als redete er zu sich selbst: »Ich muß mir wirklich einmal merken, die Tür zu verschließen. Natürlich würde nie ein Tekno ohne meine Erlaubnis eindringen. Aber hin und wieder besuchen Fremde die Fabzone, Gruppen von Lentlosen, die hoffen, zum Tekno-Status aufzurücken, manchmal auch ein neugieriger Risto. Aber es ist kaum vorstellbar, daß solche Leute sich in die Privaträume des Programmers verirren. Trotzdem, ich sollte vorsichtig sein.« »Ja, das würde nichts schaden«, pflichtete Berry ihm mit todernster Miene bei. Der Programmer schien ihn gar nicht gehört zu haben. »Obgleich ich kaum Wertsachen besitze, abgesehen von meinem Lieblingsjagdlaser – mit dem ich einmal ein Flußpferd in der Parkzone getötet habe, was ich jetzt noch bedaure –, meinem Multikom, und Nahrungsmittelkonzentraten, die wir erst kürzlich entwickelt, aber noch nicht erprobt haben ... Nein, ich glaube, ich mache mir unnötige Sorgen. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß jemand an solchen Dingen interessiert wäre.« »Ich auch nicht, Häuptling.« Der Programmer schien sich erst jetzt wieder an Berrys Anwesenheit zu erinnern. »Ich habe noch viel zu tun. Leb wohl, Berry, bis wir uns wiedersehen – wenn überhaupt. Ich habe viel von dir gelernt.« »Auf Wiedersehen, Häuptling. Ja, ich glaube schon, daß wir uns wiedersehen werden. Auch ich habe sehr viel gelernt und bin dankbar dafür.«
18. Als Berry mit Tala allein war, zeigte er ihr, was er sich heimlich aus Bors Zangwins Privaträumen angeeignet hatte – eine Laserpistole, ein Multikanalempfangssendegerät, kurz Multikom, und zwei Packungen Nahrungskonzentrate. Er sagte ihr auch, daß sie sofort fliehen müßten, wenn sie nicht morgen in die Cityzone zum Kontroller zurückgebracht werden wollten. Tala starrte ihn nur mit großen Augen entsetzt und wie gelähmt an. »Ich werde jetzt das elektromagnetische Schloß der Tür kurzschließen«, erklärte er ihr. »Sobald wir auf dem Gang sind, schalte ich den Kommunikationsschaltkreis des Roboters durch einen Strahl aus, damit er unsere Flucht nicht melden kann. Und damit er nicht imstande ist, uns zu verfolgen, muß ich auch die Sichtverbindung unterbrechen. Dann laufen wir zum Kommissariat und nehmen uns zwei Teknokutten, eine für dich und eine für mich, und danach müssen wir den nächsten Luftwagen finden, den ich programmieren werde, damit er uns zur Parkzone bringt.« »Das – das kannst du alles?« stammelte Tala. »Das und noch mehr«, versicherte ihr Berry. »Du willst doch leben, Tala, nicht wahr? Denke daran, daß du eine Drittschwangerschafts-Dreckfrau bist. Wenn man uns erwischt, bist du so gut wie tot. Also tu lieber genau alles, was ich dir sage.« »Das werde ich, Häuptling«, versprach sie. »Ich will leben.«
Berry seufzte tief. »Ich kann nichts versprechen, das mußt du verstehen. Vielleicht leben wir nicht mehr lange. Aber wenn wir sterben müssen, dann sollen viele Ristos bereuen, daß sie uns für Dreckwelttiere gehalten haben.« Es ging alles so schnell, daß Tala kaum noch mitkam. Berry öffnete das Schloß und schaltete den Roboter aus, wie er es ihr erklärt hatte. Dann gelang es ihnen, unbemerkt zum Kommissariat und in die unversperrte Kleiderkammer zu gelangen – in der Fabzone gab es nur wenige verschlossene Türen –, und von dort in das Lager, wo Jagdausrüstungen aufbewahrt wurden. Berry wählte für Tala eine kleine Axt, ein Jagdmesser und eine Betäubungspistole. Für sich nahm er drei leichte Jagdspeere, eine Armbrust und Pfeile. Die Laserpistole des Programmers war eine wirkungsvolle Waffe, aber Berry, obwohl er durch seine Ausbildung mit ihr und allen anderen Geräten von Himmel VII umzugehen wußte, vertraute den anderen Waffen mehr, weil sie einfacherer Konstruktion waren. Wenn die Ladung der Laserpistole erst aufgebraucht war, konnte er sie nicht nachfüllen, und sie war nicht mehr als nutzloses Metall. »Gehen wir«, forderte er Tala auf. »Diese Sache zwischen Regis Le Gwyn und mir wird nicht so beigelegt, wie die Ristos glauben, sondern auf meine Art, wie es auf der Erde üblich ist.« Er lachte leise. »Die Ristos haben Freude an der Jagd. Wir wollen sehen, wie es ihnen gefällt, selbst gejagt zu werden.« Tala zitterte. »Berry, manchmal glaube ich, daß die Teknos dich verrückt gemacht haben.« Er nahm ihre Hand. »Nein, Tala, hab keine Angst, sie haben nur meinen Verstand geschärft.«
Auch außerhalb des Kommissariatsgebäudes war es still. Nirgends waren Roboter zu sehen, und für die Teknos war es längst Schlafenszeit. Unmittelbar vor der Tür fanden sie einen Luftwagen. Berry war ganz sicher, daß er bei ihrem Betreten noch nicht dortgestanden hatte. Er lächelte. Bors Zangwin schlief offenbar doch nicht ganz so tief wie sonst um diese Zeit. Als er und Tala sich setzten, stellte er fest, daß auf der Schalttafel bereits eine Adresse eingetastet war: CA10-27. Das war Wohnhaus Nummer 27 auf der 10. Avenue in Cityzone. Wenn er nicht umprogrammierte, um zur Parkzone zu gelangen, brauchte er nur auf den Knopf zu drücken, und der Wagen würde ihn nach CA10-27 bringen. Er überlegte kurz, dann wählte er die Auskunft, von der er erfuhr, daß Lady Somavalt unter dieser Adresse zu erreichen war. »Eine kleine Planänderung«, erklärte er Tala. »Ehe wir Zuflucht in der Parkzone suchen, machen wir erst mal eine kleine Fahrt zu Lady Somavalt.« »Aber warum, Berry? Warum willst du uns noch weiteren Gefahren aussetzen?« »Ich möchte mir eine Erdfrau, eine Frau der Londos, zurückholen, Tala. Meine Frau. Hast du etwas dagegen?« Tala seufzte. »Nein, mein Häuptling. Auch ich bin jetzt eine Frau der Londos. Und deine Frau ebenfalls. Tu, was du für richtig hältst.« Berry drückte auf die Schaltung und drehte den Knopf auf schnellen Flug. Als der Luftwagen die Fabzone mit beträchtlicher Geschwindigkeit verließ, dachte er, welch erstaunlicher Mann Bors Zangwin doch war.
19. Lady Somavalt hatte offenbar Gäste. Mehrere Luftwagen waren vor ihrem Haus – einer riesigen Villa – geparkt. Es war anzunehmen, daß sie eine sehr einflußreiche Frau war, denn der Großteil der Ristos lebte in vielstöckigen Apartmenthäusern. Alle Fenster der Villa waren erleuchtet. Musik und Lachen drangen bis auf die Straße. An der Tür stand ein Hausroboter. »Bleib im Wagen«, befahl Berry Tala. »Ich habe ihn auf Eingang 5 der Parkzone geschaltet. Solltest du in Gefahr geraten, ehe ich aus dem Haus zurückkehre, brauchst du nur diesen Knopf zu drücken. Sobald du die Parkzone erreicht hast, mußt du dich verstecken. Wehr dich deiner Haut, falls sie dich suchen kommen.« »Wie du befiehlst, Häuptling. Diese Frau, Vron, bedeutet sie dir viel?« »Ja. Auch du bedeutest mir viel«, erwiderte Berry geduldig. »Ich gehe jetzt. Was immer auch geschieht, steig ja nicht aus dem Wagen.« Berry schritt zur Haustür. »Deine Einladung, Herr«, verlangte der Roboter. »Lady Somavalt begehrt die Vorweisung aller Karten. Man hat mich nicht programmiert, einen Tekno zu erwarten.« »Man hat mich nicht programmiert«, erwiderte Berry, »ein Tekno zu sein.« Er holte die Laserpistole unter der Kutte hervor und schaltete die Kommunikations-, Sicht- und Bewegungszentren des Roboters aus. Dann eilte er zu den geparkten Wagen und zer-
störte mit einem Laserstrahl die Programmiertastatur. Lady Somavalt gab eine Dinnerparty, eine ganz besondere noch dazu, denn unter den Gästen befand sich auch der Kontroller. Fast alle anderen der Eingeladenen waren gute Freunde und Freundinnen Regis Le Gwyns. Auf diese Weise bedankte Lady Somavalt sich für die Genehmigung einer zehnten Schwangerschaftsaustragung – den meisten Ristoladies ihrer Altersgruppe wurden nicht mehr als sieben oder acht gestattet. Regis Le Gwyn hatte sie nie gebeten, sich mit ihm zu vereinen, eines seiner Kinder zu haben. Aber vielleicht tat er es heute abend, wenn er in der richtigen Stimmung war. Und für letztere würde sie mit psychedelischen Anregungen sorgen. Sie hatte sogar einen Tekno bestochen, ihr das neue erotische Hautstimulans zu beschaffen, das noch nicht auf dem Markt war. Es sollte unwiderstehlich sein. Somavalt kannte im Augenblick keinen größeren Wunsch als ein Kind von Le Gwyn, denn es würde ihre Position als eine der obersten Zwanzig verstärken. Sie beschäftigte sich gerade mit diesem angenehmen Gedanken, als plötzlich ein Wahnsinniger in der Kutte der Teknos hereinplatzte, die Schaltkreise eines der beiden Dienerroboter zerstrahlte und dann die Laserpistole auf Regis Le Gwyn richtete, ohne auf die Angstschreie und das ungläubige Staunen der Anwesenden zu achten. »Keine Bewegung!« warnte Berry. »Oder dieser Mann stirbt!« Er warf einen flüchtigen Blick auf die anderen, beruhigt, daß der zweite Roboter sich still verhielt, offenbar um die Menschen nicht in Gefahr zu bringen.
»Ich suche Lady Somavalt«, erklärte er. »Es wird ihr nichts geschehen.« »Ich bin Lady Somavalt. Was – was machst du hier? Was soll das alles? Weshalb hast du meinen Roboter zerstört?« Berry ignorierte die Fragen. »Lady, du hast eine Erdfrau namens Vron in deinem Haus. Gib deinem Roboter den Befehl, sie sofort in den Luftwagen zu schaffen, der auf der Straße wartet. Wenn das schnell geschieht, hat niemand hier etwas zu befürchten. Wenn nicht, stirbt Regis Le Gwyn als erster.« Er warf einen zufriedenen Blick auf das vor Angst fahlgraue Gesicht des Kontrollers. Lady Somavalt erbleichte. »Sie war krank und ist noch schwach. Sie steht unter dem Einfluß von starken Beruhigungsmitteln.« »Trotzdem. Der Roboter soll sie tragen. Und zwar schnell!« »Wer bist du?« Berry blickte den Kontroller durchdringend an. »Das kann er dir sagen. Aber wenn du den Befehl nicht sofort gibst, wird er dazu nicht mehr lange genug leben.« Lady Somavalt gab hastig den Befehl. »Robot«, sagte Berry. »Deine Schaltkreise sind unbeschädigt, du hast zweifellos alles dem Computer übermittelt.« »Ja, Herr.« »Befolge eilig Lady Somavalts Anweisungen und kehre dann hierher zurück.« Regis Le Gwyn schien sich ein wenig zu fassen. »Dafür wirst du mir büßen, Wilder – genau wie Bors Zangwin, der uns offensichtlich verraten hat.«
»Ah, Häuptling«, höhnte Berry. »Trotz meiner Laserpistole hast du den Mut, mir zu drohen. Das ist schon etwas. Vielleicht bist du doch ein Mann. Aber mach dir keine Gedanken über den Programmer. Er hat schon ein wenig bezahlt. Ich habe mir erlaubt, ihm einiges abzunehmen, das er wertschätzt.« »Wer ist dieser Irre?« fragte Lady Somavalt verzweifelt. Der Abend, den sie so sorgfältig geplant hatte, verlief nun so ganz anders. Ganz sicher würde kein Ersatzschoß Regis Le Gwyns Kind für sie tragen. »Er ist ein Dreckweltwilder«, erklärte der Kontroller. »Sein Name ist Berry.« Er lächelte schwach. »NurBerry. Es scheint, daß wir ihn unterschätzt haben.« »Allerdings, Häuptling«, brummte Berry. »Ich gab dir mein Wort, daß wir zwei uns noch Mann zu Mann gegenüberstehen würden. Es ist bald soweit, wenn auch noch nicht heute abend.« Er wandte sich an die Gäste. »Alle Anwesenden sind meine Zeugen, daß ich, Berry, Häuptling des Stammes der Londos von der Erde, Regis Le Gwyn zum Kampf auf Leben und Tod mit Waffen seiner Wahl herausfordere. Es dürfte für euch gewiß sehr interessant sein, zu sehen, wie der Kontroller von Himmel VII gegen einen Dreckweltwilden abschneidet.« »Ich werde nicht mit dir kämpfen, Wilder«, quetschte Le Gwyn zwischen den Zähnen hervor. »Ich werde dich jagen wie ein Tier.« »Auch gut.« Berry grinste. »Vergiß nicht, daß alle hier dein Wort vernommen haben. Brich es nicht. Ein Häuptling, der sein Wort bricht, verliert die Achtung seiner Leute.« Der Roboter kam zurück. »Herr, ich habe die Ersatzschoßfrau in den Wagen zu dem Tekno gebracht.«
»Danke«, murmelte Berry und zerstrahlte seine Sichtverbindung. Er wandte sich an Lady Somavalt. »Ich bedaure, daß ich deine Party unterbrach, aber ihr könnt in Kürze weitermachen. Ich brauche dich noch eine Weile als Geisel, um sicher an mein Ziel zu gelangen. Bitte geh, ohne Schwierigkeiten zu machen, zum Luftwagen hinaus. Der Tekno dort ist bewaffnet. Du hast mein Wort: Wenn wir nicht aufgehalten werden, lassen wir dich bald frei. Du kannst auch«, er lächelte, »dem Kontroller verraten, wo wir ausgestiegen sind. Es wird ihn sicher interessieren.« Somavalt schaute ihre Gäste hilfesuchend an. Die meisten wichen ihrem Blick aus. Nur ein junger Mann sprang auf. Er wandte sich jedoch nicht an Berry, sondern an den Kontroller, als er ergrimmt hervorstieß: »Das ist ungeheuerlich! Kannst du denn nichts dagegen tun?« Berry brannte eine Fleischwunde in seine Schulter. Der junge Mann ließ sich wimmernd auf seinen Stuhl zurückfallen. »Lord«, brummte Berry. »Ich befahl, daß ihr euch ruhig verhaltet. Schätzt du dein Leben so gering?« Wieder sah er Somavalt an. »Lady, wenn du nicht gleich gehorchst, ist Regis Le Gwyn ein toter Mann. Da er meine Herausforderung angenommen hat, würde es mich etwas betrüben, doch ich käme gewiß darüber hinweg. Beeil dich, Lady, ich werde ungeduldig.« Zitternd und mit bleichem Gesicht verließ Lady Somavalt den Raum. Berry blickte den Kontroller durchdringend an. »Du wirst deinen Leuten befehlen, nichts zu unternehmen, ehe Lady Somavalt hierher
zurückkehrt«, sagte er drohend. »Sollten wir verfolgt werden, stirbt sie. Ich bin ein Mann von Wort, wie du jetzt wissen müßtest.« Regis Le Gwyn warf einen Blick auf die anderen Gäste. Ihre Mienen gefielen ihm gar nicht. Was immer auch weiter geschah, er wußte, daß es bald einen neuen Kontroller geben würde. Er wandte sich an Berry. »Wilder, du wirst nicht verfolgt werden, ehe Lady Somavalt zurück ist. Doch danach würdest du gut daran tun, dir selbst schnell das Leben zu nehmen.« Berry lachte. »Wahrer Mut! Die Zeugen haben deine Worte gehört!« Mit einem Laserstrahl zerstörte er die Beleuchtung und ließ den Raum in Dunkelheit zurück.
20. Die Teknos hatten sich schon alle zur Ruhe begeben, als Berry die Fabzone verließ. Aber als der Wagen nun durch die Cityzone brauste, befanden sich noch viele Wagen in der Luft, und unzählige Ristos und Lentlose hielten sich auf dem Weg von oder zu einem Vergnügen auf den Straßen auf. Die Teknos standen früh auf und arbeiteten lang. Doch die Lentlosen und Ristos verabscheuten eine solche Regelmäßigkeit. Es wurde Berry klar, daß sie Parasiten waren, die sich auf Kosten der Teknos ein gutes Leben machten. Kein Wunder, daß der verhältnismäßig kleinen Gruppe der Teknos diese Situation mißfiel. Es war deshalb nur allzu verständlich, daß Bors Zangwin das Projekt Katalysator entwickelt hatte. Ich werde mehr als ein Katalysator sein, dachte Berry. Diese Menschen von Himmel VII sind bereits untereinander gespalten. Ich werde sie noch weiter spalten. Während der ganzen Fahrt hielt Berry seine Pistole auf Lady Somavalt gerichtet. Man konnte nie wissen, Frauen sind unberechenbar. Hin und wieder warf er einen Blick auf die zusammengekauerte Vron. Sie war nur halb bei Bewußtsein. Die Beruhigungsmittel, die man ihr eingegeben hatte, waren offenbar sehr stark. Aber in einem lichten Moment erkannte sie ihn. »Berry, Berry«, murmelte sie. »Du hast mich geholt!« Nach einer Weile nahm Lady Somavalt ihren ganzen Mut zusammen und fragte: »Wirst du mich töten, Wilder, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe?« »Wir Menschen von der Erde sind keine Tiere. Wir
halten unser Wort. Wenn Regis Le Gwyn es ebenfalls hält, wird dir nichts geschehen.« »Wohin bringst du mich?« »Ist das nicht offensichtlich? Der Wagen ist auf die Parkzone eingetastet. Ich bin im Wald aufgewachsen und mit dem Leben darin vertraut. Was immer Le Gwyn glaubt, er ist durch das Leben hier verweichlicht. Wenn wir uns wieder treffen, werde ich im Vorteil sein.« Lady Somavalt gelang ein schwaches Lächeln. »Wilder, du bist ein Narr. Der Kontroller wird zwanzig Roboter auf Töten umprogrammieren lassen. Sie werden die Parkzone absuchen, bis sie dich aufgestöbert haben. Sie sind gut bewaffnet und ermüden nicht. Was kannst du gegen sie schon ausrichten?« Berry zuckte die Schultern. »Ein Wilder und gleichzeitig ein Narr zu sein, mag seine Vorteile haben. Wenn Roboter uns jagen, werden wir unser Bestes tun. Zumindest wird es allen auf Himmel VII zeigen, daß es eurem Häuptling an Mut ermangelt, wie ein Mann gegen einen dummen Dreckweltwilden zu kämpfen. Aber ich glaube, du irrst dich, Lady. Regis Le Gwyn ist ein stolzer Mann. Er wird mich selbst suchen kommen.« »Die Roboter ebenfalls.« »Ich habe mich zum Experten in der Ausschaltung von Robotern entwickelt. Außerdem sind sie leichter verwundbar, weil ihnen als Maschinen der Wille zum Leben fehlt ... Ah, wir sind angekommen. Hier ist Eingang 5.« Der Luftwagen hielt an. Berry hob Vron heraus und legte sie ins Gras. Er schaute sich um. Die nächsten Gebäude waren nicht weit entfernt. Lady Somavalt würde innerhalb von wenigen Minuten
über ein ViFon den Kontroller verständigen können. Aber mit Vron in ihrem gegenwärtigen Zustand benötigte er mehr als ein paar Minuten. Überlegend lud er die Waffen aus dem Wagen. »Tala, hast du eine Kordel oder Schnur?« »Nein, Berry.« »Kann ich jetzt gehen?« erkundigte sich Lady Somavalt. »Gehen ist nicht notwendig«, erwiderte Berry. »Das machen wir besser. Ich schicke dich zu Le Gwyn zurück. Zieh dein Gewand aus.« »Nein!« schrie sie entrüstet. Berry kannte keine Hemmungen. So sehr sie sich auch wehrte, er riß es ihr vom Leib. »Wenn die Nachtgänger unsere Frauen holen, schleifen sie sie an den Füßen davon. Preise dich glücklich, daß du es mit einem zivilisierten Mann zu tun hast.« Er gab ihr einen Schlag auf den Kopf, daß sie mit einem Seufzer die Besinnung verlor. Tala beobachtete ihn verwirrt. »Berry, ist das die richtige Zeit, sich eine Risto zu nehmen?« »Weib, versuch doch vernünftig zu denken. Ich halte mein Wort. Es wird ihr nichts geschehen. Komm, hilf mir, sie zu binden. Dann werde ich sie mit dem Wagen zu Le Gwyn zurückschicken. Seine Laune wird sich nicht bessern, wenn er sieht, wie ich eine der Seinen behandelt habe. Leb wohl, Lady Somavalt«, rief Berry ihr nach, als der Wagen abhob. »Hab viele Kinder – aber nicht aus Ersatzschößen.« Berry hatte nicht daran gedacht, eine Handlampe aus dem Kommissariat mitzunehmen, aber glücklicherweise war die Mond- und Sternillusion hell ge-
nug, um den Weg einigermaßen erkennen zu lassen. Die Parkzone war vom Rest des Himmel VII durch eine Sperre aus drei Plastiglasschichten getrennt, zwischen denen jeweils ein Vakuum erzeugt wurde. Diese Barriere erhob sich bis zur künstlichen Himmelskuppe und war ein Wunder der Technik, was Berry nun voll zu schätzen wußte. Auf beiden Achsenseiten von Himmel VII befanden sich fünf Eingänge zur Parkzone. Jede bestand aus weiten luftdichten Drehtüren, die nur aktiviert werden konnten, wenn eine Zulaßmarke in den dafür vorgesehenen Schlitz geschoben wurde. Aber das hielt Berry für kein unüberwindbares Hindernis. Er wandte sich an Tala. »Glaubst du, daß du die Waffen alle tragen kannst? Ich werde mich um Vron kümmern müssen.« »Ja, mein Häuptling.« »Gut. Wir haben wenig Zeit. Lady Somavalt wird jeden Augenblick zu Hause ankommen. Ich werde uns nun Eingang verschaffen.« Berry untersuchte den Mechanismus der Drehtür. Er fluchte, weil er keine Lampe mitgenommen hatte. Es war hier zu dunkel, und er konnte nicht feststellen, wo die Schaltkreise für das Schloß waren. Es blieb ihm deshalb nichts übrig, als den Laser zu benutzen, um die Tafel mit dem Schlitz für die Zulaßmarken zu lösen. Trotzdem ließ die Tür sich nicht öffnen. Er mußte sich beeilen. Hastig brannte er ein Loch in die Barriere. Das Plastiglas schmolz sofort, und in Sekundenschnelle gab es eine Öffnung durch die drei Schichten, die groß genug war, daß sie hindurchklettern konnten. »Ich werde zuerst hineinsteigen«, erklärte er Tala. »Du reichst mir dann die Waffen hindurch. Dann
hältst du Vron so, daß ich sie an den Armen hereinziehen kann. Verstanden?« »Verstanden.« Die Luft zischte mit größerer Kraft von der Parkzone aus dem Loch, als Berry erwartet hatte, bot jedoch keinen nennenswerten Widerstand. Mit einiger Mühe gelang es ihnen, die im Halbschlaf protestierende Vron hindurchzuziehen. Berry atmete tief die würzige Waldluft ein, die der Wind herbeitrug. »Hör mir gut zu«, wandte er sich an Tala. »Ich habe den Plan der Parkzone genau studiert. Der Teil hier, wo wir eingedrungen sind, kommt dem Waldland, wie wir es von der Erde her kennen, noch am nächsten. Deshalb habe ich auch diesen Eingang gewählt. Wir müssen nun schnellstens ein Versteck suchen, wo wir uns bis zum Tagesanbruch ausruhen können. Bis dahin dürfte Vron sich soweit erholt haben, daß sie ohne Hilfe laufen kann. Wenn nicht, muß ich sie tragen. Inzwischen, wenn ich mich nicht täusche, wird Regis Le Gwyn Roboter aussenden, um uns zu suchen. Sie können in der Dunkelheit besser sehen als wir, und sie ermüden auch nicht. In diesen Beziehungen haben sie uns etwas voraus. Aber sie geben sich keine Mühe, leise zu sein und verstehen auch nichts vom Wald. Das sind unsere Vorteile. Also komm. Nimm die Waffen.« Tala warf schaudernd einen Blick auf die dunklen Bäume. »Die Roboter finden uns bestimmt noch vor dem Morgengrauen«, meinte sie verzagt. »Dann werden sie uns sofort töten oder zum Kontroller zurückbringen, damit er sich ein noch schrecklicheres Ende für uns ausdenkt.« »Vielleicht entdecken uns die Roboter«, brummte
Berry. »Aber sie werden uns weder töten, noch zum Kontroller bringen.« »Woher willst du das wissen?« »Weil Regis Le Gwyn ein sehr stolzer und sehr wütender Mann ist. Zweifellos will er, daß die Roboter uns finden, um ihm mitzuteilen, wo wir sind. Aber er wird uns persönlich jagen wollen. Ich bin ein Dreckweltwilder, und er ist ein Himmelsristo. Er muß seinen Leuten und vielleicht auch sich selbst beweisen, daß er mir in jeder Weise überlegen ist. Er wird also kommen. Und er wird andere Ristos – schwerbewaffnet, nehme ich an – bei sich haben, damit sie seinen Sieg bezeugen können. Ja, er wird ganz sicher kommen!« »Wirst du versuchen, ihn zu töten?« fragte Tala. »Es wäre zumindest eine Genugtuung zu wissen, daß er uns in die ewige Dunkelheit begleitet.« »Es gibt Zeiten, wenn es klüger ist, nicht zu töten«, erwiderte Berry orakelhaft. »Aber wir werden noch sehen.« Er bückte sich und hob Vron auf seine Schulter. »Wir werden nicht hier in den Wald eindringen«, erklärte er. »Denn das erwartet man sicher von uns, sondern eine Weile der Barriere folgen. Erst wenn wir müde sind, verstecken wir uns im Wald.«
21. Vron war eine kräftige und ziemlich gewichtige Frau. Mit Mühe schleppte Berry sie etwa einen halben Kilometer, bis er einsah, daß er es nicht viel weiter schaffen würde. Er war erschöpft und mußte sich unbedingt ein wenig ausruhen, sonst hatte er keine Chance gegen die Roboter oder Ristos. Ganz in der Nähe floß ein Bach. Keuchend ließ Berry sich an seinem Ufer ins Gras fallen. Auf seinen Wink hin schöpfte Tala mit den Händen Wasser und goß es über Vrons Gesicht. Die Londosfrau, die kaum weniger groß als Berry war, hustete und spuckte und stammelte verrücktes Zeug wie ein Betrunkener. Aber plötzlich schien sie zu sich zu kommen. Sie stützte sich auf die Ellbogen und starrte Berry an, als wolle sie sich vergewissern, daß er es auch wirklich war. Dann blickte sie auf Tala. »Wer ist diese Frau? Eine Teknohexe? Wie bist du hierhergekommen? Weshalb trägst du eine Teknokutte, Berry? Wo sind wir?« »Sei still, Vron!« brummte Berry müde. »Solange du bewußtlos warst, hast du wenigstens Ruhe gegeben. Ich habe genug im Kopf, als daß ich mich mit unwichtigem Kram beschäftigen könnte. Unser Leben ist in Gefahr, und ich muß mir etwas einfallen lassen. Also, sei still!« »Es tut mir leid, Berry.« Vrons Augen füllten sich mit Tränen. »Ich bin so durcheinander. Diese Leute haben so viele unbegreifliche Dinge mit mir gemacht. Sie haben mir das Kind weggenommen, das ich für dich geboren hätte. Ich habe mich dagegen gewehrt,
aber die Teknofrauen waren stark und ich schwach, denn sie haben mich so oft in den Arm gestochen und mir meinen Willen genommen, daß ich nur noch schlafen wollte. Ich werde still sein.« Berry schämte sich seines Ausbruchs. Er strich ihr über das Haar. »Es tut mir auch leid. Meine Worte waren grob, weil soviel von unserem nächsten Zug abhängt. Ich werde ganz schnell deine Fragen beantworten, aber erst muß ich wissen, ob du wieder gehen kannst.« Vron seufzte. »Meine Kraft kehrt zurück, glaube ich. Dann kann ich auch gehen.« Sie lachte bitter. »Jede Londosfrau, die nicht tödlich verwundet ist, kann gehen. Ist es nicht so?« »So ist es, Vron. Wir sind ein friedlicher Stamm, aber stark. Nun hör mit gut zu. Diese Frau, Tala, ist nun ebenfalls eine Londosfrau. Sie ist seit vielen Jahreszeiten auf der Himmelsinsel und kennt sich hier aus. Sie wird uns helfen, zu unserem Stamm zurückzukommen.« Dann berichtete er eilig, ohne etwas auszulassen, was alles geschehen war, seit die Nachtgänger die Londossiedlung überfallen hatten. »Dann ist Tala also auch deine Frau?« erkundigte Vron sich, obgleich es mehr eine Feststellung als Frage war. »Sie hat mit mir gelegen.« Berry lächelte. »Vielleicht wird auch sie mir ein Kind gebären.« »Dann werde ich sie liebhaben«, erklärte Vron einfach, »denn sie hat dir Freude gegeben.« Sie streckte Tala die Hand entgegen, und die beiden Frauen küßten einander auf die Wange. »Da du wieder gehen kannst«, meinte Berry, »wollen wir den Bach überqueren und uns so weit in den
Wald begeben, bis du zu müde zum Weitermarschieren bist. Dann werden wir uns ausruhen.« Vron hielt sich länger auf den Beinen, als Berry auch nur zu hoffen gewagt hatte. Die Bäume waren nicht so hoch und wuchsen nicht so dicht beisammen wie in den Wäldern, die er kannte. Das Mondlicht machte es ihnen leicht, zu sehen, wohin sie traten. Hin und wieder hielten sie kurz an, um sich zu verschnaufen, hauptsächlich aber, um zu lauschen, ob sie bereits verfolgt wurden. Doch nichts war zu hören. Berry wunderte sich. Es schien ihm unmöglich, daß das Loch in der Barriere nicht entdeckt worden war. Aber vielleicht schob Le Gwyn die Verfolgung bis zum Morgengrauen auf, wenn er selbst daran teilnehmen konnte. Berry hielt sich dicht am Bach und folgte seinem Bett. Zu essen hatten sie, aber es war gut, nahe am Wasser zu bleiben. Die Sterne verloren sich bereits am künstlichen Himmel, der Berry immer noch ungemein echt vorkam, als Vron gestand, daß ihre Beine zu müde zum Weitermarschieren wurden. Sie hatten eine etwas höher gelegene Stelle erreicht, auf der sich eine mit weichem Gras ausgebettete Mulde befand. Es schien der ideale Rastplatz. Die Bäume rundherum standen dichter als anderswo. »Du hast dich gut gehalten«, lobte Berry Vron. »Wir werden jetzt essen, trinken und uns ausruhen. Wir werden später noch viel Kraft brauchen.« Er öffnete ein Päckchen Nahrungsmittelkonzentrate. Es handelte sich um große Tabletten, die gelutscht und gekaut werden konnten. Sie hatten einen undefinierbaren, aber angenehmen Geschmack. Mit dem klaren Bachwasser verliehen sie ein Gefühl zufriedenen Ge-
sättigtseins. In dem Päckchen befand sich auch eine winzige Schachtel mit einigen geleeartigen roten Kugeln, die nicht größer als Vogelbeeren waren. Versuchsweise kaute Berry eine. Sie schmeckte sehr süß und löste sich schnell auf. Fast unmittelbar darauf verschwamm jedoch alles vor seinen Augen, und seine Ohren dröhnten. Er begann seine Unvorsichtigkeit zu bereuen, doch da sah er wieder völlig normal, auch das Dröhnen erstarb und er verspürte ein angenehmes Prickeln in seinen Füßen und Händen. Aber was am wichtigsten war, seine Muskeln schmerzten nicht länger von der Anstrengung, Vron so lange getragen zu haben. Er war auch nicht mehr müde, und sein Verstand war so klar, wie er es sich nur wünschen konnte. »Bors Zangwin hat uns mit etwas versorgt, das noch wertvoller als Essen ist.« Er gab jeder der beiden Frauen eine Kapsel. Sie schluckten sie gehorsam. Als er sah, daß die Nebenwirkung vorüber war, erklärte er ihnen einen Teil seines Plans. Er verriet ihnen nicht alles, weil er wußte, daß sie ihn sonst für verrückt halten würden. »Man wird uns jagen«, sagte er ruhig. »Und zwar jagen wie Tiere, weil die meisten Menschen von Himmel VII uns als Tiere betrachten. Wenn sie können, werden sie uns töten, wie wir auf der Erde Wild töten. Doch während wir es nur tun, damit wir zu essen haben, tun sie es als Sport. Regis Le Gwyn schickt vermutlich Roboter und Auvibienen aus, um uns aufzuspüren. Auvibienen sind kleine fliegende Geräte, die alles übermitteln, was sie sehen und hören.« Vron schauderte. »Dann können wir nicht entkommen. Man wird uns finden und töten. Aber es ist
schon etwas, wenn man nicht allein sterben muß.« »Frau«, sagte Berry verärgert. »Mir hat schon Talas Gerede vom Sterben gereicht. Ich will nichts mehr davon hören. Die Menschen von Himmel VII haben viele Fähigkeiten – und Maschinen, die ihnen dienen. Aber ihr Geist ist nicht durch die Unbilden der Natur abgehärtet wie unserer. Sie mußten nicht um ihr Überleben kämpfen, mußten nicht um Fleisch jagen und hungern, wenn sie keines fanden. Ja, gewiß, sie sind klug. Aber sie sind auch schwach. Schwach und stolz. Deshalb sind sie verwundbar. Das Wiesel ist kleiner als der Hase und nicht so kräftig. Doch das Wiesel ist ein Jäger und der Hase nicht. Wir haben es mit Hasen zu tun, die sich einbilden, Jäger zu sein. Laß sie kommen ... So, und nun werdet ihr beide schlafen, während ich Wache halte. Wenn ihr euch ausgeruht habt, ziehen wir weiter und suchen einen Platz, wo wir unsere Verfolger erwarten können. Ich verspreche euch, sie werden diese Begegnung bereuen.« »Mein Häuptling«, sagte Vron. »Wenn wir die Jäger töten, werden sicher weitere kommen. Was dann?« »Das ist ganz einfach«, brummte Berry. »Wir werden den ganzen Himmel VII zerstören, mit allen, die hier leben, wenn wir nicht als freie Menschen zur Erde zurückkehren können. So, nun schlaft.«
22. Eine Auvibiene summte kurz nach Tagesanbruch durch den Wald. Zuerst kam sie nicht nahe an Berrys kleines Lager heran, sondern schien ziellos auf der anderen Seite des Baches hin und her zu fliegen. Dann verschwand sie. Aber Berry nahm an, daß sie bald zurückkommen würde. Er hatte recht. Vron war es gelungen, tief zu schlafen, aber Tala wälzte sich unruhig herum. Die Wirkung des neuralen Stimulans hielt noch in voller Stärke an, deshalb spürte sie ihre physische Müdigkeit auch so gut wie nicht. Aber Berry machte sich keine Illusionen über die Droge, die sie eingenommen hatten. Sie konnte keine Energie erzeugen. Sie konnte lediglich das Gehirn veranlassen, körperliche Müdigkeit zu ignorieren. Sie war nützlich, aber auch gefährlich. Sie erlaubte einem, auch die kleinste Kraftreserve auszunutzen – bis man zusammenbrach. Als die Auvibiene zurückkam, war er bereit für sie. Er wußte alles über sie. Es handelte sich um komplexe Geräte, kugelförmig und etwa von der Größe eines Männerkopfes, die mit einem audiovisuellen System und mit wärmeempfindlichen Sensoren ausgestattet waren. Sie verfügten über einen mit winzigem Nuklearmotor betriebenen Düsenantrieb, der das charakteristische Summen verursachte. Man hatte sie ausschließlich zur Verwendung in der Parkzone entwickelt, um Verirrte zu suchen, und um warmblütige Beutetiere aufzuspüren. Berry nahm an, daß die Auvibienen den Robotern vorausgeschickt worden waren. Hatten sie ihn und
die beiden Frauen gefunden, würden sie den Robotern signalisieren. Die sollten sie dann zweifellos einkreisen und eine Flucht verhindern, bis die Ristos selbst kamen, um ihre Überlegenheit über die drei rebellischen Wilden zu beweisen. Jedenfalls vermutete Berry, daß das Le Gwyns Strategie sein würde. Der Kontroller war nicht der Mann, der Risiken einging oder die schwere Arbeit selbst tat. Er würde warten, bis die Erdentiere eingeschlossen waren, um dann vor Zeugen seinen Mut zu zeigen. Berry wußte jetzt auch, weshalb Le Gwyn solange mit der Verfolgung gewartet hatte. Er wollte, daß die Konfrontation im hellen Tageslicht stattfand. Nicht, weil das für ihn als Jäger von Vorteil war, sondern damit seine Heldentat von den Auvibienen übermittelt und auf alle Bildschirme in der Cityzone übertragen und von allen miterlebt werden konnte. Es genügte nicht, daß die Dreckwilden getötet wurden. Die Methode ihrer Vernichtung durfte keinem vorenthalten werden, der ihm, dem Kontroller, durch seine Stimme zur Macht verholfen hatte. Als die Auvibiene zurückkam, gestattete Berry, daß sie seine genaue Position weitergab, dann beschoß er sie mit der Laserpistole. Sie explodierte mit einem feurigen Knall in der Luft. Tala setzte sich abrupt auf. Vron brauchte ein wenig länger, um ganz zu sich zu kommen. »Ich habe der Biene Zeit gegeben, uns zu identifizieren und unseren Standort zu melden«, erklärte er ruhig. »Ich nehme an, daß die Roboter bald kommen werden.« »Dann müssen wir laufen«, stieß Vron aus. »Gut, daß ich mich wieder kräftig fühle.«
Berry nahm seine Teknokutte ab. Er trug nun nur noch seine kurze Tunika. Wie angenehm es war, die Morgenluft auf seiner Haut zu spüren. »Nein. Ich gehe. Ihr bleibt!« Tala blickte ihn traurig an. »Du verläßt uns nun, mein Häuptling. Es ist gut. Allein wirst du länger am Leben bleiben.« »Weib! Benutze deinen Verstand!« sagte er verärgert. »Ich gehe, um die Jäger zu jagen. Stopft etwas in die Teknokutte, daß es aussieht, als trage ich sie und sei noch nicht aufgewacht. Wenn die Roboter kommen, wie ich glaube, dann macht viel Lärm, heult und fleht sie an. Versteht ihr?« Vron nickte. Tala sagte: »Wir verstehen. Und verzeih mir, Häuptling.« Im Wald, aber noch in ziemlicher Ferne, waren schwere Schritte zu hören. Sie schienen aus allen Richtungen zu kommen. Berry hob die Laserpistole auf. »Ich gehe jetzt«, erklärte er. »Werden die Roboter uns nicht in Schlaf schicken, wie sie es auf der Erde taten?« fragte Vron. »Wenn sie es tun, ist alles verloren, und ich habe Regis Le Gwyn falsch eingeschätzt. Aber ich glaube, der Mann ist an der Jagd nicht weniger interessiert als an seiner Rache. Er hätte nicht viel davon, wenn man uns bewußtlos vor seine Füße legt.«
23. Berry war einen hohen Baum in der Nähe der Grasmulde hochgeklettert und hatte einen guten Blick darauf. Seine Teknokutte sah tatsächlich so aus, als stecke er darin. Er hatte Vron und Tala beobachtet, wie sie die Ärmel und Kapuze mit Grasbüscheln ausgestopft hatten und Tala ihre eigene Kutte zusammengeknüllt darunterschob. Drei Roboter waren inzwischen herangekommen. Berry stellte mit Erleichterung fest, daß sie nicht bewaffnet waren. Sie hatten zwar Gaszylinder bei sich, machten jedoch keine Anstalten, sie zu benutzen. Sie blieben in einiger Entfernung von dem Grasbuckel stehen. Wie Berry erwartet hatte, handelten sie offenbar nur nach dem Befehl, die Wilden an der Flucht zu hindern, bis der Kontroller persönlich ankam. Die Roboter wußten, daß die Wilden zumindest einen Jagdlaser besaßen, und hielten sich deshalb jeder in der Nähe eines Baums, hinter dessen Stamm sie im Bedarfsfall Deckung nehmen konnten. Berry hoffte, daß es sie wertvolle Sekunden kosten würde, wenn es soweit war, festzustellen, daß der Angriff von hinten kam, und noch weitere, genau von wo. Roboter wie diese, das war ihm klar, reagierten schneller als Menschen. Er würde sowohl Zeit als auch Glück brauchen, wenn er sie alle ausschalten wollte. Die beiden Frauen befolgten seinen Befehl und machten einen beträchtlichen Lärm. Tala versuchte, die Roboter in eine Unterhaltung zu verwickeln, und schien sie anzuflehen. Einer der Roboter antwortete ihr, aber Berry konnte die Worte aus dieser Entfer-
nung nicht hören. Die Ablenkung war jedenfalls sehr nützlich für ihn. Er wartete noch eine Weile, um festzustellen, ob noch weitere Roboter im Anmarsch waren, aber außer den normalen Geräuschen des Waldes war nichts zu hören. Länger durfte er ohnehin nicht zögern, denn inzwischen war gewiß eine Partie Ristos auf dem Weg hierher. Berry stellte den Laser auf Maximum. Er tat es nicht gern, denn der Anzeiger verriet, daß bereits ein Viertel der Ladung aufgebraucht war. Andererseits konnte er es sich jedoch nicht leisten, auch nur das geringste Risiko einzugehen. Tala redete immer noch, scheinbar hysterisch, auf die Roboter ein, deren Aufmerksamkeit ausschließlich dem Grasbuckel galt. Berry zielte sorgfältig und drückte auf den Auslöser. Der Metallkopf eines der Roboter glühte rot, und Rauch drang aus dem Laserloch. Der Roboter stürzte zu Boden und schlug blind um sich. Die beiden anderen Roboter warfen einen flüchtigen Blick auf ihn, dann sondierten sie die Gegend hinter sich. Noch während sie sich umdrehten, traf einen zweiten Roboter der volle Laserstrahl. Der dritte und letzte, der nicht ausmachen konnte, woher der Angriff kam, begann sich hastig zurückzuziehen. Berry zielte auf seinen Kopf, doch der Roboter war zu schnell. Es gelang ihm lediglich den Motormechanismus der Beine zu beschädigen. Der Roboter fiel, schleppte sich jedoch mit Hilfe seiner kraftvollen Arme weiter, bis Berry ihn ganz ausschaltete und vom Baum kletterte. »Gut gemacht!« rief Tala. »Ich hatte schon Angst, sie würden Gas verwenden.«
»Es kostete mich aber auch beträchtliche Laserenergie.« Berry seufzte. »Nur gut, daß unsere Verfolger nicht wissen, daß wir nur eine Laserwaffe haben. So, aber nun beeilt euch. Wir müssen so schnell wie möglich von hier weg. Gib Vron die Betäubungspistole. Sie ist einfach zu bedienen, ich werde es ihr zeigen. Du, Tala, nimmst Armbrust und das Jagdmesser. Ich werde die Speere und die Axt tragen.« Etwas bedauernd schlüpfte er wieder in die Teknokutte. Sie hatte zwei recht nützliche Taschen, in denen er den Multikom und die Nahrungskonzentrate transportieren konnte. »Wohin jetzt, Berry?« fragte Vron. »Weißt du, wo wir sicher sein werden?« »Es gibt keinen sicheren Ort für uns, solange Regis Le Gwyn uns jagt«, brummte Berry. »Ich will zur Achse. Aber dorthin können wir im Augenblick nicht«, fügte er hinzu. »Es wäre zu auffällig. Wir müssen unsere Verfolger im Glauben wiegen, daß wir ziemlich kopflos fliehen, ohne Ziel. Deshalb machen wir uns nun in Richtung Barriere auf den Weg. Nach ein paar Kilometern suchen wir einen geeigneten Platz für eine kurze Rast.« »Was ist ein Kilometer?« wollte Vron wissen. »Etwa die sechsfache Entfernung eines Pfeilflugs«, erklärte Berry ein wenig ungeduldig. »Kommt, ihr sollt mehr erfahren, wenn wir ein etwas sichereres Fleckchen erreicht haben.«
24. Gegen Mittvormittag hatte Berry einen provisorischen Unterschlupf am Rand eines kleinen seichten Sees entdeckt. Auf der gegenüberliegenden Uferseite befand sich Grasland mit Stauden und Büschen, und die nächsten Bäume waren gut hundert Meter vom See entfernt. Auf ihrer Seite gab es einen Felsvorsprung, unter dem die drei Flüchtlinge sich verbergen konnten. Und darüber wuchs hohes üppiges Gras, das ebenfalls ein gutes Versteck bot. Es war der ideale Platz, sich auszuruhen. Ein Suchtrupp, ob nun Menschen oder Roboter, würde beträchtliche Schwierigkeiten haben, sie zu finden, ehe sie sich nicht unmittelbar über ihnen befanden. Die Hauptgefahr waren Auvibienen, die sie aufgrund ihrer Körperwärme aufspüren konnten. Die Luft war hier am See viel wärmer, nicht nur, weil die künstliche Sonne höhergestiegen war, sondern auch, weil sie sich, wie Berry wußte, der tropischen Gegend der Parkzone näherten. Obgleich Vron sich nicht beklagte, sah Berry doch, daß der neuerliche Ausflug sie trotz des Stimulans sehr ermüdet hatte. Während sie rasteten, erklärte Berry den Frauen, was er im Lauf seiner Intensivausbildung alles über Himmel VII, vor allem aber über die Parkzone gelernt hatte. »Himmel VII hat in etwa die Form einer leicht abgeflachten Kugel mit einem Durchmesser von ungefähr zwanzig Kilometern«, begann er. »Bitte, Berry, benutze Worte, die ich auch verstehen kann«, bat Vron.
Er seufzte. Er hatte durch seinen Unterricht in der Fabzone soviel gelernt, daß er nun kaum noch verstand, wie unwissend er doch zuvor gewesen war. Vron und Tala hatten diese Ausbildung jedoch nicht genossen. »Stellt euch eine Blase vor«, sagte er schließlich. »Wenn ein Baby viel Milch aus der Brust saugt, schluckt es auch Luft. Und wenn es satt ist, stößt es diese Luft wieder aus. Wenn seine Lippen geschlossen sind und noch viel Milch daran ist, wird diese Luft in einer Blase gefangen, deren Haut die Muttermilch ist ... Das ist mir oft aufgefallen, Vron, wenn du Vroni gestillt hast. Erinnerst du dich ebenfalls?« »Ich erinnere mich.« »Die Milchblase platzt schnell. Aber stellt euch nun eine Blase vor, die nicht platzt. Eine Blase, die man so drücken kann, daß sie nicht länger die Form eines Balls, sondern die eines glatten, abgerundeten Steins hat, wie man ihn oft am Meer findet. Himmel VII ist in etwa von dieser Form und hat eine Haut, die uns vor der eisigen Leere des Raumes schützt. Auf der inneren Oberfläche dieser Haut sind die Illusionen von Himmel, der Sonne, dem Mond und den Sternen projiziert, das heißt abgebildet. Diese abgeplattete Blase ist so weit wie ein Mann in etwa einem Tag marschieren kann – zwanzig Kilometer. Wie lang ein Kilometer ist, habe ich euch bereits erklärt, erinnert ihr euch?« Vron nickte. »Sechs Pfeilflug weit.« »Richtig. Wenn also der Durchmesser von Himmel VII zwanzig Kilometer ist, muß seine Innenfläche dreihundertvierzehn Quadratkilometer betragen. Davon sind zwei Drittel, sagen wir zweihundert Qua-
dratkilometer, Parkzone. Der Rest ist in Fab- und Cityzone aufgeteilt ...« »Berry, bitte!« Tala preßte die Hände an den Kopf. »Du verwendest immer noch Worte, die wir nicht verstehen. Mir ist schon ganz schwindlig.« »Du hast recht, Tala. Es genügt auch, wenn ihr wißt, daß die Parkzone groß genug ist, uns für lange Zeit ein Versteck zu bieten, wenn wir vorsichtig sind. Sie enthält unter anderem viele verschiedene Arten von Waldland, wo es unzählige fremdartige Tiere gibt, von denen manche sehr gefährlich sind. Doch glaubt nicht, daß wir hier gefangen sind wie die Tiere. Wir werden entfliehen!« »Was gibt es für uns für ein Entkommen von Himmel VII?« fragte Tala. »Die abgeflachte Blase, wie du es genannt hast, ist doch nicht mehr als ein großer Käfig.« Berry lächelte. »Aber dieser Käfig hat eine Tür. Ich habe jetzt wenig Zeit, euch mehr darüber zu sagen, deshalb nur kurz: stellt euch diese abgeflachte Blase vor und denkt euch, ein Rohr verläuft genau durch ihren Mittelpunkt. Ein Teil dieses Rohres oder Tunnels ist ein Dock, wo das Raumschiff des Satelliten, also von Himmel VII, landet und startet. Das Dock kann sowohl von der Parkzone als auch der Fab- und Cityzone betreten werden. Versteht ihr?« »Kannst du denn ein solches Raumschiff fliegen, Berry?« »Ich habe viel gelernt. Ich kann es zumindest versuchen. Aber das ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, daß wir es in die Hand bekommen. Ohne das Schiff sind die Menschen von Himmel VII – und zwar sowohl Ristos, Teknos als auch die Lentlosen – dem Untergang geweiht.«
»Wieso?« »Weil sie die Frauen der Erde brauchen, um neue Generationen heranzuziehen. Weil ihr genetischer Schaden durch die harte Strahlung bereits zu weit fortgeschritten ist, ihre Kinder selbst auszutragen. Himmel VII ist ihr Käfig nicht weniger als unserer. Und eingesperrte Tiere leben nicht ewig. Versteht ihr nun?« »Häuptling«, sagte Tala bewundernd. »Du bist ein großer Mann.« Berry seufzte. »Ich bin vor allem ein Mann, dem nur noch wenig Zeit bleibt, also ein ungeduldiger Mann. Hört mir gut zu, ihr zwei. Das hier, wo wir jetzt sind, ist ein gutes Versteck, das man nicht so leicht finden wird. Ich verlasse euch nun, aber ich komme bald zurück. Ich werde die Armbrust mit dem Köcher mitnehmen, alle anderen Waffen bleiben bei euch. Ich habe euch bereits gezeigt, wie ihr den Laser und die Betäubungspistole bedienen müßt. Die größte Gefahr droht uns im Augenblick durch die Auvibienen. Wenn ihr eine entdeckt, dann schießt sie sofort mit dem Laser ab. Wenn Roboter hierherkommen, unternehmt nichts, außer ihr seid sicher, daß sie euch aufgespürt haben. Wenn sie euch wirklich entdecken, zerstört ihre Schaltkreise, wie ihr es von mir gesehen habt. Wenn Ristos kommen – was jedoch sehr unwahrscheinlich ist –, benutzt die Betäubungspistole. Sollten sie euch jedoch arg bedrängen, dann nehmt den Laser.« »Wie du befiehlst, Häuptling.« Berry zog die Teknokutte aus und nahm sich den Multikom aus der Tasche. Dann hob er Armbrust und Köcher auf.
»Berry, was hast du vor?« fragte Vron. »Ich werde Regis Le Gwyn einen Stachel in den Allerwertesten jagen«, erwiderte er grinsend. Er deutete auf den Multikom. »Das ist mein Stachel: Und weil sein Standort aufgespürt werden kann, muß ich mich mehrere Kilometer von unserem Versteck entfernen, ehe ich ihn benutze. Macht euch keine Sorgen. Ich werde zurück sein, ehe die Sonne hoch am Himmel steht.« »Aber wenn du nicht zurückkommst, Häuptling?« fragte Tala ruhig. »Dann benutzt den Laser«, riet Berry. »Er ist schnell und verursacht keine großen Schmerzen.«
25. Berry legte den Multikom auf ein Felsstück und setzte sich daneben. Er wartete, bis ihm der Schweiß nicht mehr in Strömen über die Stirn lief und sein Atem sich beruhigt hatte. Ehe er die Frauen verließ, hatte er noch einmal eine der durchsichtigen roten Kugeln zu sich genommen, die einem die Müdigkeit vergessen ließen und unerschöpfliche Energiereserven vortäuschten. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, ehe das Stimulans die Wirkung verlor. Er hatte noch viele Stunden größter Anstrengung vor sich und brauchte seine maximale körperliche und geistige Kraft. Leider war die Zeit auf Le Gwyns Seite. Der Multikom war ein vielseitiges Gerät – ein Wunder der Mikroelektronik. Er konnte als simples Radio- oder auch Sichtfon benutzt werden, oder als Multikanal-Empfänger oder -Sender. Schaltete er den Notruf ein, würde er mit maximaler Energie auf allen Kanälen gleichzeitig senden. Als er sich von seinem weiten Lauf erholt hatte, drückte Berry auf den Tonschalter. Eine mechanische Stimme sagte: »Komzentrum. Mit wem willst du verbunden werden?« »Regis Le Gwyn.« »Sicht und Ton, oder nur Ton?« »Sicht und Ton.« »Schalte auf Sicht und warte ab. Wenn der Gerufene die Verbindung nicht annimmt, möchtest du dich dann identifizieren?« »Der Gerufene wird annehmen«, versicherte Berry.
»Sag ihm, der Anrufer sei ein Dreckweltwilder.« Nach ein paar Augenblicken zeigten sich Kopf und Schultern Le Gwyns auf dem Sichtschirm. Berry versuchte, den Hintergrund zu erkennen, aber er war zu unscharf, und es war nicht festzustellen, ob der Kontroller sich in der City- oder Parkzone befand. »Nun, Wilder«, sagte Regis Le Gwyn. »Ich nehme an, du hast die Nacht, in der du genug Schaden angerichtet hast, gut verbracht. Du wirst noch teuer dafür bezahlen. Ich hoffe, du hast nicht die Absicht, um Gnade zu winseln. Schon sehr bald wirst du wünschen, du wärest nie geboren worden.« Berry stellte sich ganz dicht an die Multikomlinse, damit so sein eigener Hintergrund nicht aufgenommen werden konnte. »Häuptling, ich rufe nur an, um mich zu erkundigen, ob Lady Somavalt ihr Abenteuer gut überstanden hat. Auch überlegte ich, ob du nun, da du genügend Zeit zum Nachdenken hattest, bereit bist für gegenseitige Bedingungen. Ich bin ein großzügiger Mann.« Regis Le Gwyn lachte. »Du bist ein großzügiger Mann. Ha, ha! Das ist amüsant! Das ist sogar sehr amüsant! Aber ich werde mir das Lachen aufheben, bis ich dich ganz langsam sterben sehe. Doch zu deiner Information, Wilder. Lady Somavalt geht es gut. Und da du ihr Schamgefühl verletzt hast, lud ich sie ein, Zeuge deines Todes zu werden.« »Paß lieber auf, Häuptling, daß sie nicht Zeuge deiner eigenen Niederlage wird.« »Ich komme jetzt, um mir dich vorzuknüpfen, Berry.« Berry lächelte. »Dann enttäuschst du mich wenig-
stens nicht. Es ist ein guter Tag für eine Jagd, Häuptling. Aber du bist kein sehr kluger Mann. Lebwohl, bis wir uns wiedersehen.« Er brach die Verbindung ab, in der Überzeugung, daß seine Position inzwischen genau festgestellt worden war und bereits Auvibienen und Roboter unterwegs hierher waren. Es blieb ihm nicht viel Zeit, aber vielleicht reichte sie doch. Er schaltete auf Notruf, um sicherzugehen, daß seine nächsten Worte auf allen Kanälen übertragen und automatisch durch das Kommunikationszentrum in der Fabzone übermittelt würden. »Ich, Berry, Häuptling des Stammes der Londos von der Erde, grüße alle Bürger von Himmel VII. Euer Kontroller hat geschworen, mich zu töten. Ich warte auf ihn. Er beschimpft mich einen Dreckweltwilden und bildet sich ein, besser zu sein. Bis jetzt hat dieser Dreckweltwilde bereits viele Roboter ausgeschaltet und eine Auvibiene zerstört. Zweifellos wird Le Gwyn noch weitere gegen mich schicken. Ich habe zwei Begleiterinnen. Wenn der Kontroller wahrhaftig glaubt, daß Ristos den Dreckweltwilden überlegen sind, dann soll er auch nur mit zwei Begleitern kommen. Wenn er jedoch mehr braucht, beweist er, daß er schwach und als Führer seines Volkes ungeeignet ist. Das ist alles, was ich zu sagen habe.« Berry schaltete den Multikom aus, nahm einen tiefen Atemzug und machte sich auf den Weg zurück zu Tala und Vron. Er war mit sich zufrieden. Er hatte Regis Le Gwyn privat und öffentlich gereizt. Wenn er seinen Charakter richtig eingeschätzt hatte, müßte der Kontroller auf seine Herausforderung eingehen. Zweifellos würden Auvibienen und Roboter benutzt werden,
um sie aufzuspüren, aber letztere würden nicht für den Angriff programmiert sein. Bestimmt war der Kontroller stolz und wütend genug, den Dreckweltwilden persönlich töten zu wollen. Und darin lag seine Schwäche.
26. Berry kehrte mit größter Vorsicht zum See zurück. Obgleich er sehr schnell rannte, blieb er doch alle paar hundert Meter stehen, versteckte sich, und lauschte. Wenn Roboter oder Auvibienen in der Gegend gewesen waren, als er den Multikom benutzte, würde man ihnen sofort seine genaue Position übermittelt haben. Er machte sich keine falschen Hoffnungen, was die Fähigkeiten der Roboter und Bienen betraf. Solange ihre Mikroreaktoren arbeiteten, konnten sie sich viel schneller fortbewegen als er. Sie brauchten keine Stimulanzien und ermüdeten nicht. Aber das Glück war offenbar auf seiner Seite. Er schien nicht verfolgt zu werden. »Nun, hast du dem Kontroller den Stachel in den Hintern getrieben?« erkundigte sich Tala. Berry lächelte. »Allerdings. Wir werden nicht lange zu warten brauchen. Ist während meiner Abwesenheit etwas vorgefallen?« »Eine der Auvibienen kam«, berichtete Vron. »Tala hat sie vernichtet, wie du befahlst.« »Gut. Hatte sie noch Gelegenheit, euch aufzuspüren?« »Nein, Häuptling«, versicherte ihm Tala. »Diese Dinge summen so laut. Wir hörten sie schon aus der Ferne und waren bereit, ehe wir sie sahen. Es gelang mir, sie zu zerstrahlen, als sie in Sichtweite kam.« »Das hast du gut gemacht«, lobte Berry. »Ihre Vernichtung wird bemerkt werden und die Position, wo sie sich zum letztenmal meldete, wird bereits registriert sein. Es werden bald neue folgen. Sie dürfen wir nicht
zerstören, denn sie sollen die Augen und Ohren der Menschen von Himmel VII sein und die Zeugen meiner Auseinandersetzung mit Regis Le Gwyn.« »Berry, wäre es nicht klüger, von hier wegzugehen und einen Ort zu suchen, wo wir vielleicht nicht gefunden werden?« meinte Vron. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wohin wir auch gingen, wir würden früher oder später aufgespürt werden. Dann schon lieber früher und an einem Ort meiner Wahl. Und dies hier ist der Ort meiner Wahl. Es sind Forellen im See, wie mir auffiel. Ich habe Appetit darauf. Ich werde zwei aus dem seichten Wasser fischen. Dann mache ich ein Feuer, wo ich sie garen kann, und lasse sie mir schmecken.« »Aber der Rauch!« protestierte Vron. »Er wird unsere Anwesenheit schon aus der Ferne verraten.« »Das, genau, soll er auch.« Berry grinste. »Du und Tala, ihr werdet euch auf der anderen Seeseite im hohen Gras verstecken. Wenn Roboter erscheinen, dann beachtet sie nicht. Wichtig ist, daß ihr verborgen bleibt. Ihr werdet euch auch um Auvibienen nicht kümmern, außer sie entdecken eure Gegenwart. Dann müßt ihr sie mit dem Laser vernichten. Aber ich glaube, die Hitze meines Feuers wird sie von eurer Körperwärme ablenken. Schließlich, das nehme ich jedenfalls an, wird Regis Le Gwyn aufkreuzen, vermutlich mit zwei oder mehr menschlichen Begleitern. Ich werde mein Bestes tun, vorzutäuschen, daß ich ihr Kommen nicht bemerke.« Nun grinste er noch mehr. »Wie dem auch sei, ich werde nur die Armbrust zu meiner Verteidigung haben. Ich glaube, gegen drei oder mehr Jagdlaser ist das nicht gerade eine überlegene Waffe.«
»Willst du denn, daß man dich überwältigt?« fragte Tala mit großen Augen. »Nein. Wenn ihr seht, daß man beabsichtigt, mich zu töten, dann müßt ihr alle, die mich bedrohen, mit dem Laser oder der Betäubungspistole niederschießen. Aber wenn man mir gestattet zu reden – und ich denke, das wird der Fall sein –, unternehmt ihr nichts, bis ihr mich ganz deutlich die Worte ›Dreckweltwilde‹ sagen hört. Dann, Tala, wirst du sämtliche Begleiter des Kontrollers mit dem Laser niederstrahlen, wenn du es schaffst. Und du, Vron, wirst dem Kontroller einen Betäubungspfeil in irgendeinen Körperteil jagen. Es ist ungemein wichtig, daß er am Leben bleibt, außer wenn ich selbst getötet werde. Habt ihr verstanden?« »Wir haben verstanden«, versicherte ihm Tala. »Häuptling, du weißt, daß wir keine große Übung mit diesen fremden Waffen haben. Wirst du dich auf uns verlassen?« »Ich muß mich auf euch verlassen können. Wir haben wenig Zeit. Versucht ein paar Übungsschüsse, dann lauft um den See herum und versteckt euch. Ihr werdet meine Stimme hören. Ich werde laut genug sprechen.« Während die beiden Frauen mehrere Probeschüsse abgaben – sie wollten nicht zu viele der Betäubungspfeile verschießen oder zuviel der Laserenergie verbrauchen –, nahm Berry zwei seiner Speere und stellte sich auf den Felsvorsprung über dem Seeufer. Er blickte auf das Wasser hinunter und seufzte. Es war wirklich ein schöner See! Wäre es nur einer in den Wäldern der Erde! Es hätte ihm großen Spaß gemacht, den ganzen Vormittag Forellen mit den Speeren zu stechen.
Vron warf ein paar Steine in die Höhe. Tala zerstrahlte sie – oder zumindest die meisten. Ihre Zielsicherheit war recht gut für jemanden, der keine Übung mit einer solchen Waffe hatte. Dann war sie an der Reihe, Zweige und Steine in die Luft zu werfen. Vron versuchte, sie mit den Pfeilen der Betäubungspistole zu treffen, hatte jedoch weniger Erfolg. Aber Berry, der sie aus dem Augenwinkel beobachtete, war zufrieden. Er wußte, daß die Betäubungspistole eine bedeutend schwierigere Waffe war. Ihre Pfeile brauchten viel länger, das Ziel zu erreichen, als der lichtschnelle Strahl des Lasers. Zwei fette Forellen schwammen geruhsam in die seichte Seeausbuchtung. Berry spießte eine auf, verfehlte jedoch die zweite. Er kletterte den Felsen herunter und watete ins Wasser, um seinen Speer und den Fisch zu holen. Er empfand das kalte Wasser als ungemein angenehm. Die Forelle, die er erstochen hatte, war ein wahrer Riese. Er würde keine zweite brauchen. Tala hatte inzwischen genügend verdorrte Zweige herbeigeschafft und schichtete sie gekonnt übereinander. »Willst du das Feuer selbst machen?« fragte sie. Berry schüttelte den Kopf. »Hier haben wir wenig Zeit, aber dafür schnellere Mittel. Nimm deinen Laser, und zieht euch dann gleich zurück. Wenn der Rauch erst aufsteigt, werden wir sicher nicht mehr lange zu warten brauchen.« Vron und Tala versteckten sich auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen, kaum mehr als teichgroßen Sees. Berry blickte angestrengt hinüber, aber er
konnte nirgends eine Spur von ihnen entdecken. Er atmete zufrieden auf. Ohne jegliche Eile begann er die Forelle mit einem Stecken über dem Feuer zu braten. Der Geruch machte ihm den Mund wäßrig. Noch ehe der Fisch gar war, hörte er eine Auvibiene, dann eine zweite und dritte. Die Bienen, deren Wärmesensoren von der Hitze des Feuers angezogen worden waren, summten über ihm in der Luft. Berry legte noch weitere Zweige auf und hoffte nur, daß ihr empfindlicher Mechanismus nicht auch die Körperwärme der beiden Frauen am anderen Ufer auffing. Berry kümmerte sich nicht um sie, sondern beschäftigte sich weiter mit der Forelle. Er tat, als hörte er die Schritte der Männer nicht, die sich allerdings viel leiser und behutsamer als Roboter durch die Bäume anschlichen. Er blickte erst auf, als sie bereits dicht hinter ihm waren und Regis Le Gwyn den Mund öffnete.
27. »Wo sind die Weiber?« Der Kontroller richtete einen besonders leistungsfähigen Jagdlaser geradewegs auf Berrys Kopf. Zwei Ristos begleiteten ihn. Auch sie trugen schwere Jagdlaser. Sie achteten jedoch nicht auf Berry, sondern suchten mit den Augen das hohe Gras und die Büsche und Bäume in der Nähe ab. Berry sah, daß sie sehr nervös waren und bei der geringsten Bewegung sofort losstrahlen würden. Berry tat, als griffe er nach seiner Armbrust, in die bereits ein Pfeil gelegt war. Regis Le Gwyn zerstrahlte ihn mit seinem Laser, daß nur noch verkohlte Überreste blieben. Dann schwang er die Waffe wieder zu Berry herum. »Wo sind die Weiber? Sprich, Wilder! Der Tod ist dir sicher, aber die Art, wie er dich trifft, liegt bei mir.« Berry zuckte die Schultern. »Häuptling, sie haben große Angst. Es war eine bittere Enttäuschung für mich, aber ich muß damit fertig werden. Wer kann schon vorhersagen, was Frauen tun, wenn sie wütend oder verängstigt sind? Ich hielt mich für schlau und ließ sie allein, als ich zu einem anderen Ort rannte, um meinen Multikom zu benutzen, weil ich wußte, daß du meine Position feststellen würdest. Als ich zurückkam, waren sie fort ... Es war ein Fehler, sie zurückzulassen ... Ich habe dich nicht so bald erwartet, Häuptling. Offenbar kennst du den Wald besser als ich dachte. Es ist bedauerlich.« Regis Le Gwyn lachte laut. »Es ist wahrhaftig bedauerlich für dich. Aber tröste dich, Nur-Berry. Dein Bedauern wird nicht lange währen.«
Die Auvibienen kamen noch näher an das Feuer und zu den Männern, die ihn gestellt hatten, wie Berry erleichtert feststellte. Offenbar genügten die Hitze des Feuers und die Körperwärme der vier Männer, ihre Sensoren von weiteren Untersuchungen abzuhalten. Berry blickte auf die Forelle, die er sich gebraten hatte. »Ich bin sehr hungrig, Häuptling, denn ich habe schon lange nichts mehr zu essen. Man sagt, ein Mann stirbt leichter mit vollem Bauch. Gestattest du, daß ich esse?« »Wilder«, brummte Regis Le Gwyn und schaute zu den summenden Bienen auf. »Du hast uns viele Unannehmlichkeiten bereitet, aber wir von Himmel VII sind keine Tiere wie ihr. Wir sind zivilisierte Menschen. Iß deinen Fisch, wenn dich das befriedigt. Du hast ihn bereits teuer bezahlt. Wenn du das Feuer nicht gemacht hättest, wäre es uns zweifellos nicht so leichtgefallen, dich so schnell zu finden ... Das ist eben der Unterschied zwischen den zivilisierten Menschen und den Tieren. Die Tiere denken an erster Stelle an ihren Magen.« »Danke, Häuptling«, sagte Berry kleinlaut. Er nahm die Forelle von dem Stecken, auf dem er sie aufgespießt hatte, zog die Haut zurück und kaute scheinbar ausgehungert an dem weißen Fleisch. Regis Le Gwyn senkte den Laser und wandte sich an seine Begleiter. »Irgendeine Spur von den Weibern?« »Nein, Kontroller. Sie haben offenbar diesen Teil der Parkzone verlassen.« »Macht nichts. Sie werden schon noch gefunden. Wichtig ist, daß wir diesen Kerl haben. Wenn er erst tot ist, kann er keine Unruhe mehr stiften.«
Berry schaute zu den Auvibienen auf. »Das sind sehr geschickte Mechanismen, Häuptling. Ist es wahr, daß sie übermitteln können, was hier vor sich geht?« »Wilder, ich weiß nicht, was die Teknos dir beibrachten, oder weshalb der Programmer dich überhaupt mit einem so gefährlichen Wissen ausstattete. Aber darauf werde ich die Antworten noch bekommen, ehe du für deine Verbrechen gegen die Menschen von Himmel VII bestraft wirst ... Ja, die Bienen übertragen alles, was hier geschieht. Meine Leute haben einen Anspruch darauf, zu sehen, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird.« »So ist es nur richtig«, pflichtete Berry ihm bei. »Ein Stamm sollte die Fähigkeiten seines Häuptlings kennen. Zweifellos werden sich viele deiner Leute freuen, meine Vernichtung am Bildschirm mitzuerleben ... Bist du wirklich nur mit zwei Begleitern hierhergekommen?« Regis Le Gwyn lächelte. »Glaubst du, es wären mehr nötig gewesen? Wir Ristos verstehen uns darauf, Tiere zu jagen.« »Es tut mir leid, daß ich es dir so leicht gemacht habe und du deshalb nicht sehr viel von dieser Jagd hattest.« »Genug, Wilder. Deine Uhr läuft ab. Was war zwischen dir und Bors Zangwin? Ließ er dich fliehen, um dir die Gelegenheit zu geben, mich zu morden?« »Häuptling, du müßtest doch wissen, daß er so etwas nicht tun würde«, erwiderte Berry überrascht. »Der Programmer prüfte meine Q-Werte. Offenbar veranlaßte ihn das Ergebnis zu weiteren Experimenten. Die Teknos gaben mir gut zu essen und bedrohten mich nicht. Dafür bin ich ihnen dankbar ... Ganz
abgesehen davon, Häuptling, wenn ich dich hätte töten wollen, wäre mir das eine Leichtigkeit in Lady Somavalts Haus gewesen, oder etwa nicht? Vielleicht war das mein erster Fehler.« Ganz offensichtlich wollte der Kontroller nicht daran erinnert werden, was zwischen ihm und Berry in Somavalts Villa vorgefallen war. Er ignorierte es. »Ich habe Mittel, deine Zunge zu lockern, Wilder. Rücke mit der Wahrheit heraus, oder ich wende sie an.« »Lord«, sagte Berry unterwürfig. »Mein Leben liegt in deiner Hand. Ich spreche die Wahrheit. Ich stahl einen Laser und schloß damit die Elektronenverriegelung in dem Zimmer kurz, in dem wir eingesperrt waren. Dann floh ich mit Tala und kam zum Haus von Lady Somavalt. Den Rest weißt du.« »Wo ist der Laser jetzt?« Berry zuckte die Schultern. »Zu spät habe ich gelernt, nie einer Frau zu trauen – nicht einmal einer meines eigenen Stammes.« »Ich glaube, du bist ganz schön verschlagen, Wilder. Nicht intelligent, nein, aber listig wie ein Fuchs. Ich glaube immer noch, daß du versuchst, mich zu täuschen. Ich werde dir noch eine Frage stellen. Wenn ich mir nicht sicher bin, daß du die Wahrheit antwortest, werde ich dir ein Auge aus dem Schädel brennen. Danach frage ich dich erneut. Und wenn du immer noch versuchst, mich zu belügen, brenne ich dir auch noch das zweite Auge aus und lasse dich hilflos und schutzlos in der Parkzone zurück. Dann wirst du noch viel Schmerzen und viel Angst ausstehen, ehe du schließlich stirbst.« Berry wurde blaß. »Ich hielt dich für einen zivilisierten Menschen, Kontroller.«
»Das bin ich auch, aber du bist es nicht. Und nun die Frage: Hat Bors Zangwin dir den Laser gegeben.« »Nein.« »Hat er dir verraten, wo du ihn finden würdest?« »Häuptling, der Programmer ist sehr intelligent, aber auch ein wenig sorglos. Er erwähnte einmal, daß er einen Jagdlaser besitzt. Ich erinnerte mich daran und fand heraus, wo er ihn aufbewahrte.« »Ich frage noch einmal: Hast du ein Komplott mit Bors Zangwin geschmiedet oder sonst eine Abmachung mit ihm getroffen?« »Nein, Häuptling. Ich habe viel von den Teknos gelernt, aber sie stellten nie irgendein Verlangen oder Bedingungen an mich.« Er blickte den Kontroller mit unschuldigen Augen an. »Sind sie denn nicht treue Angehörige deines Stammes?« Regis Le Gwyns Stimme wurde hart. »Sag mir ganz genau, was du von den Teknos gelernt hast.« »Ich habe Schachspielen gelernt. Es ist ein anregendes Spiel, Kontroller, wie du sicher weißt. Man sagte mir, daß der Programmer dich beim letzten Turnier schlug. Sehr interessant.« Regis Le Gwyn richtete seinen Laser auf Berrys linkes Auge. »Was ist daran so interessant, Tier?« Berry hob seine Stimme. »Weil ich beim Schachspiel gegen ihn gewonnen habe. Vielleicht änderst du jetzt deine Meinung über Dreckweltwilde.« Ein Schrei erscholl auf der anderen Seeseite. Vron war aus ihrem Versteck aufgesprungen. Die drei Ristos drehten sich halb herum. Die beiden Begleiter des Kontrollers wurden noch in der Bewegung durch Laserschüsse getötet. Regis Le Gwyn schwang seine eigene Waffe herum
und richtete sie auf Vron. Berry sprang nach seinen Füßen und stürzte ihn. Der Betäubungspfeil zischte deshalb vorbei, ohne sein Ziel zu treffen. Berry warf sich auf den Kontroller. Er packte Le Gwyns Arm und schlug seine Hand auf den harten Boden, bis er den Laser losließ. Mit seiner freien Hand krallte der Kontroller sich in Berrys Kehle. Er war überraschend stark. Berrys Ohren dröhnten. Er bemühte sich, den Schmerz zu ignorieren, und schlug seinen Kopf mit aller Gewalt in Le Gwyns Gesicht. Regis Le Gwyn ächzte, zuckte noch einmal, dann lag er still. Berry spürte Blut über seine Stirn rinnen, wo sie auf den Zähnen des anderen aufgeschlagen war. Das rote Naß rann ihm in die Augen, und er konnte einen Augenblick nichts sehen.
28. Berry wischte sich das Blut vom Gesicht und vergewisserte sich, daß Regis Le Gwyn noch bewußtlos war. Tala und Vron rannten bereits auf ihn zu. Er blickte hoch. Die Auvibienen summten immer noch über dem Feuer. »Bürger von Himmel VII, ihr habt gesehen und gehört, was vorgefallen ist. Euer Kontroller lebt, seine Begleiter, fürchte ich, sind tot. Es war entweder ihr Leben oder unseres. Ihr habt nun gesehen, was Dreckweltwilde gegen die besten der Ristos auszurichten vermögen. Denkt darüber nach. Regis Le Gwyn ist mein Gefangener. Schickt keine weiteren Bewaffneten aus, denn sonst müßte ich ihn töten. Versucht auch nicht, uns mit Robotern oder Bienen zu verfolgen. Ich werde euren Häuptling nicht länger als zwei Tage gefangenhalten. Wenn ich bis dahin nicht erreicht habe, was ich zu erreichen hoffe, werde ich ihn unverletzt freigeben, falls meine Begleiterinnen und ich als freie Menschen zur Erde zurückgebracht werden. Ich habe gesprochen. Denkt nun darüber nach, ob wir von der Erde euch, was Mut und Intelligenz anbelangt, ebenbürtig sind oder nicht.« Er wandte sich an Tala. »Zerstrahle die Bienen. Sie haben ihren Zweck erfüllt.« Regis Le Gwyn begann sich zu rühren und stöhnte. Berry hob seinen Kopf und schlug ihn einmal fest auf den Boden. »Berry, weshalb hast du dich der Gefahr ausgesetzt, vom Laser getroffen zu werden?« fragte Vron. »Weshalb bist du aufgestanden und hast ge-
schrien? Der Laser ist bedeutend schneller als ein Betäubungspfeil.« »Es tut mir leid. Ich glaubte, er würde dich umbringen.« Berry lachte. »Siehst du, und ich dachte, er würde dich umbringen. So, und nun reiße Streifen von den Teknokutten, wir müssen Le Gwyn die Hände fesseln und seine Beine so zusammenbinden, daß er noch selbst gehen kann. Er wird sich ganz schön aufführen, wenn er wieder zu sich kommt.« Berry hatte recht. Als der Kontroller sein Bewußtsein wiedergewann, ächzte er, dann atmete er ein paarmal tief ein. Jetzt erst schien er sich zu erinnern, was geschehen war. Er stieß einen wilden Schrei aus und bemühte sich, sich aufzurichten. Erschrocken starrte er auf seine Fesseln. »Ich hoffe, deine Zähne haben es ausgehalten«, brummte Berry. »Meiner Stirn haben sie nicht gerade wohlgetan, wie du siehst.« »Töte mich, Wilder«, keuchte der Kontroller. »Du hast mich unmöglich gemacht. Aber ich werde in dem Bewußtsein sterben, daß du mir bald folgen wirst.« »Häuptling, ein weiser Mann sucht den Tod nicht, außer er leidet unerträgliche Schmerzen. Nur Narren wollen ihre Probleme durch den Tod lösen.« »Dann bin ich ein Narr. Nimm den Laser und mach es schnell. Ich hätte dich gleich töten sollen, als ich dich das erstemal sah.« »Aber du hast es nicht. Vielleicht begann damals dein dorniger Weg zur Weisheit. Du bist mein Gefangener, deshalb ist es wichtig, daß wir beide wissen, was wir voneinander zu erwarten haben. Ich bin
nicht erpicht darauf, dich zu töten, außer wenn es unbedingt sein muß, denn ich würde dadurch nichts gewinnen. Bildest du dir immer noch ein, daß du besser bist als ich?« »Ja, Wilder«, erwiderte Regis Le Gwyn mutig. »Du bist ein Tier der terranischen Wälder. Das Leben deiner Leute ist kaum besser als das der Tiere, die sie jagen. Hier in Himmel VII haben wir die Kultur der Menschheit erhalten. Wir haben die Musik Beethovens, wie sie vor zweitausend Jahren gespielt wurde. Kennst du Beethovens Werke?« »Nein, Häuptling. Es gibt vieles, das ich nicht kenne und nicht weiß. Aber ich bin bereit, zu lernen.« »Hast du schon einmal ein Schauspiel von Shakespeare gesehen? Verstehst du die Philosophie des Existentialismus? Hast du Tolstoi gelesen? Hast du eines von Leonardo da Vincis Gemälden betrachtet? Hast du Margot Fonteyn tanzen gesehen? Was weißt du von den großen Männern wie Sartre, Ibsen, Molière, Cervantes, Eliot, Goethe? Intellektuell, Wilder, lebt ihr, du und deine Art, im Steinzeitalter. Ihr seid der Abfall, der nach der Vernichtung einer Zivilisation übrigblieb.« »Diese großen Männer, waren sie Riesen?« erkundigte Berry sich. Regis Le Gwyn lachte. »Sie waren groß im Geist, Dummkopf. Sie waren Männer, deren Ideen, deren Werke sie unsterblich machten.« »Sie gehörten deinem Volk an?« »Sie lebten vor langer Zeit auf der Erde.« »Dann waren sie zweifellos ebenfalls Dreckweltwilde.« Berry lächelte. »Ich bin überrascht, daß du sie überhaupt deines Interesses würdigst. Gewiß haben
die Ristos doch größere Männer hervorgebracht als die, die du aufzähltest, oder nicht? Hier auf Himmel VII habt ihr doch viele Fähigkeiten. Ihr könnt das Kind einer Frau im Schoß einer anderen wachsen lassen. Ihr könnt Roboter herstellen, Atomenergie benutzen, Biomaterial wiederverwerten, künstliche Schwerkraft schaffen und viele andere Wunder wirken. Und doch scheint mir, könnt ihr keine großen Männer hervorbringen. Ihr braucht Dreckweltfrauen, um für eure eigenen Frauen Kinder zu gebären. Häuptling, ich glaube, dein Volk ist sehr schwach und verwundbar.« »Du verstehst nicht«, murmelte Le Gwyn müde. »Wir sind die Bewahrer einer großen Kultur. Doch genug davon. Töte mich jetzt!« »Häuptling, ich muß gestehen, es würde mir eine gewisse Genugtuung bereiten, dich umzubringen. Aber die geschichtliche Notwendigkeit verlangt, daß ich es unterlasse.« »Geschichtliche Notwendigkeit?« Regis Le Gwyn blickte ihn verständnislos an. »Ja, Häuptling. Ich habe bei den Teknos sehr viel gelernt. Ich lernte mehr als die Grundbegriffe der Mathematik, Physik, Astrophysik und Biologie. Ich lernte auch die Geschichte der Erde und der Menschheit. Ich kenne keine der großen Männer, die du nanntest. Aber ich weiß, daß es ohne Männer wie Kepler, Galilei, Bruno, Newton, Rutherford, Fermi, Ziolkovskij, Oppenheimer, Einstein und von Braun keinen Himmel VII geben würde. Plato, Machiavelli, Karl Marx und Mao Tse-tung warnten unsere gemeinsamen Vorfahren davor, was aus unserer Welt werden würde. Newton, Rutherford, Einstein und
von Braun – obgleich sie es nicht wußten – sorgten sowohl für die Vernichtung als auch das Überleben der Menschheit. Ist das nicht ein Witz? Und es ist auch sehr lustig, daß deine Art und meine Art genetisch noch gleich sind und sich untereinander fortpflanzen können.« Regis Le Gwyn blickte ihn mit großen Augen an. »Wilder, ich hatte keine Ahnung, wieviel die Teknos dir beibringen konnten und wie aufnahmefähig du bist. Du erstaunst mich.« Berry lächelte. »Vergiß nicht, daß ich auch ein guter Schachspieler geworden bin.« Ein kapitaler Rehbock trat am anderen Seeufer aus dem Wald und begann zu äsen, ohne sich um die Menschen zu kümmern. Berry betrachtete ihn eine Weile bewundernd. Dann sagte er: »Ihr tötet ein solches Tier aus Sport, zu eurem Vergnügen, und seid dann auch noch stolz darauf. Wir würden es nur aus Hunger töten und bedauern, daß wir es tun mußten ... Es gibt viel, das wir voneinander lernen könnten ... Aber ich verschwende Zeit. Komm, wir haben noch einen weiten Marsch vor uns. Ich hoffe, du bist imstande zu gehen.« »Und wenn ich mich weigere?« »Nein, Häuptling, ich werde dich deshalb nicht töten. Ich werde den Laser auf Minimum einstellen und dir damit zu einer größeren Zahl von peinvollen Blasen auf unwichtigen Körperteilen verhelfen, bis deine Klugheit über Mut und Sturheit siegt. Ich will dir jedoch nicht unnötig Schmerzen zufügen. Nun, willst du es darauf ankommen lassen?« Regis Le Gwyn stolperte auf die Füße. Er hätte vielleicht die Schmerzen auf sich genommen, aber die
Demütigung einer solchen Behandlung durch einen Mann, den er haßte und verabscheute, würde er nicht ertragen. »Etwas steht fest«, murmelte er. »Lange wird deine Freiheit in der Parkzone nicht anhalten. Nach dem, was geschehen ist, werden die Roboter auf Töten umprogrammiert.« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Berry lächelnd. »Deine Leute werden erst sehen wollen, ob ich mein Wort halte. Die Bienen haben meine Botschaft übermittelt. Ich erklärte, daß ich dich in zwei Tagen freigeben würde. Ich denke schon, daß die Ristos mir diese Zeit für das Leben ihres Häuptlings zugestehen.« Der Kontroller blickte ihn verwirrt an. »Was erhoffst du denn, in zwei Tagen zu erreichen?« »Einen vertraglichen Frieden zwischen den Menschen der Erde und den Bürgern von Himmel VII.« Berry drehte sich zu den Frauen um. »Sammelt die Laser ein. Unsere Waffen brauchen wir nun nicht mehr. Von jetzt an werden wir geradewegs auf unser Ziel zumarschieren.« Er durchsuchte die Kleidung der toten Ristos, bis er das Gewünschte fand: zwei kleine Metallmarken.
29. Obgleich die gesamte Parkzone kaum mehr als zweihundert Quadratkilometer umfaßte, war sie ein Wunder ökologischer Technik. Sie war in drei Klimazonen unterteilt: die alpine, die tropische und die gemäßigte. Jede dieser Zonen war elektronisch von der anderen isoliert, damit die Tiere nicht versehentlich aus ihrem eigentlichen Lebensbereich in andere überwechseln konnten. Diese elektronischen Mauern hatten in ihrer ganzen Länge in regelmäßigen Abständen Tore, die sich durch dafür bestimmte Metallmarken öffnen ließen. Berry besaß nun zwei solcher Marken von den toten Ristos, und Regis Le Gwyn, das wußte er, hatte eine dritte. Von dem großen Tunnel, der die Achse von Himmel VII bildete, gab es je eine Luftschleuse in die drei Parkzonen. Diese Eingänge wurden benutzt, wenn Roboter neue Tiere von der Erde brachten. Berry wußte bereits, daß er eine dieser Schleusen erreichen konnte, indem er sich an der elektronischen Mauer hielt. Er wußte auch, daß er sich gegenwärtig in der gemäßigten Zone befand, und daß sein Vorhaben einfach sein würde, sobald er die elektronische Mauer gefunden hatte. Zu einfach und zu offenkundig – etwas, das ein intelligenter Risto vielleicht gerade von ihm erwartete. Aber wenn er, zumindest eine Weile, scheinbar aufs Geratewohl von Klimazone zu Klimazone wanderte – er zweifelte nicht daran, daß die Tore sein Passieren registrierten –, würde nichts darauf hindeuten, daß er überhaupt über die Existenz des gro-
ßen Tunnels Bescheid wußte, und schon gar nicht, daß er ihn zu betreten beabsichtigte. Bei Nachteinbruch würde er sich wieder in die gemäßigte Zone zurückziehen. Wenn er dann keine weiteren Tore mehr passierte, nahmen die Ristos sicher an, daß er in die Art von Land zurückgekehrt war, die er am besten kannte, um dort für die Nacht sein Lager aufzuschlagen. Berry hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß die Ristos während der Nacht die Parkzone betreten würden. Und selbst, wenn sie es taten und Bienen und Roboter vorausschickten, würden auch diese durch die Dunkelheit behindert sein. Und sollten sie ihn wirklich aufspüren, würden sie Schwierigkeiten haben, in der Finsternis festzustellen, wer der Kontroller und wer seine Feinde waren. »Ich gehe voraus«, bestimmte Berry. »Regis Le Gwyn, du kommst hinter mir, und die beiden Frauen folgen dir, Vron dichtauf. Vron, du läßt den Kontroller keine Sekunde aus den Augen und hältst stets den Laser auf ihn gerichtet. Wenn er zu fliehen versucht oder mich anzugreifen versucht, dann verwunde, aber töte ihn nicht. Wenn es irgend möglich ist, werde ich mein Wort halten, das ich den Bürgern von Himmel VII gab. Tala, du gehst ein paar Schritte hinter Vron und paßt auf, ob wir verfolgt werden.« »Wohin bringst du mich?« fragte Regis Le Gwyn. Berry lachte. »Häuptling, wenn ich es dir verriete, und es dir zu entkommen gelänge, würdest du mich für einen ganz schönen Dummkopf halten.« Le Gwyn lächelte schwach. »Es war idiotisch von mir, es je zu tun, und ein großer Fehler.« Sie marschierten, bis die Sonne hoch am künstli-
chen Himmel stand. Berry wußte, wohin er wollte. Er beabsichtigte möglichst nah an die Barriere zu marschieren, um dort ein Tor in die nächste Klimazone zu betreten. Wer immer auch die Monitoren der Eingänge überwachte, würde kaum auf die Idee kommen, daß er mit Absicht in genau die entgegengesetzte Richtung als die eigentliche marschiert war. Plötzlich überfiel ihn glühendheiß ein Gedanke. Wieso hatte er diese Möglichkeit bisher nie in Betracht gezogen? Was war, wenn die Fähre, das Raumschiff, sich überhaupt nicht im Docktunnel befand? Wenn es unterwegs zur oder auf dem Rückweg von der Erde war? Jetzt konnte er seinen Plan nicht mehr ändern, und noch weniger, sich einen anderen einfallen lassen. Er mußte das Risiko eben eingehen. Immerhin hatte er ja noch den Kontroller in seiner Hand. Und wenn er den Tunnel erreicht hatte, entdeckte er vielleicht etwas, das ihm weiterhelfen mochte und ihm genausoviel Verhandlungsrückhalt bot wie die Übernahme des Raumschiffs selbst. Der Tag war warm und angenehm. In den Wäldern, durch die sie kamen, sahen sie viele Tiere, die ihnen aus dem Weg gingen, oder sie zumindest nicht beachteten. Berry hing seinen Gedanken nach. Die Lage zwischen den Ristos und Teknos dürfte im Augenblick äußerst gespannt sein. Zweifellos hatte man die Teknos alleinverantwortlich für Berrys Flucht und die Konsequenzen gemacht. Er hatte nicht vergessen, daß Le Gwyn den Programmer des Komplotts mit ihm verdächtigt hatte. Sicher nicht nur, weil er es wirklich glaubte, sondern wohl hauptsächlich, weil er die öffentliche Aufmerksamkeit von sich und seiner eigenen Unfähigkeit ab- und auf die Teknos lenken
wollte – die Bienen hatten ja ihre Auseinandersetzung weitergeleitet. Berry hoffte, daß man die Teknos nicht unter zu großen Druck setzte. Zweifellos verlangten viele der einflußreichen Ristos, daß die Teknos sofort etwas für die Sicherheit des Kontrollers unternahmen. Aber Bors Zangwin war ein guter Schachspieler ... Berry sah die glänzenden Metallstäbe der elektronischen Mauer in etwa einem Kilometer Entfernung. Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten. Es war Zeit, etwas zu essen und ein wenig zu rasten. Sie hatten den Wald inzwischen hinter sich gelassen und befanden sich im offenen Grasland. Das nächste Tor zur tropischen Zone war sicher nicht mehr weit. Plötzlich rannte aufgestörtes Wild aus dem Wald, und Vögel flatterten kreischend in die Höhe. Das konnte nur eines bedeuten. »Leg dich ins Gras und verhalte dich ganz ruhig«, befahl Berry dem Kontroller, »wenn du nicht willst, daß ich dir die Hände verbrenne.« Er bedeutete auch Vron und Tala, sich hinzulegen. Regis Le Gwyn gehorchte. Aber der Triumph in seiner Stimme war unverkennbar, als er sich an Berry wandte. »Meine Leute suchen mich, Wilder. Du wirst dich nicht lange gegen sie halten können.« Berry war froh, daß das Gras so hoch war. »Häuptling, ich warnte deine Leute, ich würde dich töten, falls sie uns verfolgten. Aber ich hätte es erwarten müssen. Es gibt offenbar einige, denen dein Tod gerade genehm wäre.« »Berry, du bist ein Narr. Meine Freunde kommen, um mich zu befreien, trotz der Gefahr für sie.« Berry seufzte. »Häuptling, siehst du es denn nicht
ein? Sie haben nicht die Absicht, dich zu befreien, sondern dich zu töten oder zumindest dafür zu sorgen, daß du getötet wirst. So ist es auch bei den Stämmen auf der Erde. Wenn die Leute der Meinung sind, daß ihr Häuptling zu viele Fehler gemacht hat, dann zwingen sie ihn, sich ihren Messern zu stellen, und wählen einen neuen Häuptling. Diese – deine Freunde, wie du glaubst – jagen nicht uns Dreckweltwilde, sondern dich.« Regis Le Gwyn lachte. »Jetzt weiß ich genau, welch ein Narr du bist, trotz deiner Ausbildung durch die Teknos. Wir sind zivilisierte Menschen. Meine Freunde scheuen keine Gefahr, um mir zu helfen.« »Häuptling, du hast noch viel zu lernen.« Wieder seufzte Berry. Fünf Männer traten aus dem Wald. Ihrer Kleidung nach waren sie alle Ristos. Sie trugen Jagdlaser und näherten sich vorsichtig, aber zielsicher, als wüßten sie genau, wo die Flüchtlinge sich versteckt hielten. Einen kurzen Augenblick wunderte sich Berry, denn er hatte nicht erwartet, daß die Ristos so gute Fährtenleser waren. Doch dann verstand er. »Du trägst einen Mikrosender bei dir, Kontroller?« Doch es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Regis Le Gwyn schwieg, und das war Antwort genug. Die Verfolger waren nun weniger als vierhundert Meter entfernt und näherten sich stetig und noch vorsichtiger. »Noch hast du Zeit, deinen Sender wegzuwerfen, Häuptling. Das Gras ist hoch. Ehe sie uns erreichen, können wir weit genug nach einer Seite kriechen und sie überraschen.«
»Wilder, siehst du denn nicht ein, daß das Spiel zu Ende ist? Zwar kannst du mich noch töten, aber dein Schicksal ist bereits besiegelt.« »Ich gab deinen Leuten mein Wort. Ich werde auch jetzt noch versuchen, es zu halten, aber dafür muß ich von dir verlangen, daß du dich weder erhebst, noch durch Rufe bemerkbar machst, bevor deine Freunde nicht ganz nah sind. Ich muß mich nun um die Frauen und mich sorgen.« Der Kontroller blickte ihn erstaunt an. »Ein Dreckweltwilder mit Ehrgefühl! Also gut, dafür, daß du mich nicht tötest, warte ich, bis meine Freunde auf fünfzig Schritt herangekommen sind, ehe ich mich ihnen zeige. Doch danach werde auch ich dich jagen.« »Wenn du am Leben bleibst«, erwiderte Berry. Schweigend winkte er Vron und Tala zu. Sie krochen so behutsam wie nur möglich durch das hohe Gras, die Laser in Bereitschaft. Als Berry annahm, daß die Ristos etwa die fünfzig Schritt an den Kontroller heran waren, bedeutete er den Frauen anzuhalten. Vorsichtig hob er den Kopf, um durch die Grasspitzen hindurchzuspähen. In diesem Augenblick stand Regis Le Gwyn auf und winkte seinen Freunden zufrieden zu. Die fünf Ristos waren noch etwa vierzig Meter von ihm entfernt. »Karil, Jorn, Ulrus – gut gemacht. Yura, Solon, schön, euch zu sehen. Es ist mir nichts geschehen, wie ihr seht.« »Wo sind die Drecktiere, Regis?« Der Kontroller zuckte die Schultern. »Sie flohen in panischer Angst, als sie euch sahen. Sie können noch nicht weit sein. Kommt, löst meine Fesseln, dann jagen wir sie gemeinsam.«
»Du bist sicher, daß sie geflohen sind?« rief einer der Ristos. »Würde ich es behaupten, wenn es nicht so wäre?« erwiderte der Kontroller irritiert. »Das Wild, das ihr in die Flucht gejagt habt, gab ihnen Warnung genug.« »Das vereinfacht das Problem«, erklärte der Risto ruhig. »Worauf wartet ihr noch?« rief Le Gwyn verärgert. »Bindet mich frei. Komm schon, Karil!« »Tut mir leid, Regis«, murmelte der Risto, den er mit Karil angeredet hatte. »Du mußt sterben.« Der Kontroller blickte ihn einen Augenblick sprachlos an, dann sagte er eisig. »Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Späßchen. Jorn, Ulrus, bindet mich los.« Keiner bewegte sich. Karil fuhr fort: »Bors Zangwin hat das Ergebnis seiner Untersuchungen, die er mit dem Wilden anstellte, veröffentlicht. Der Wilde ist ein hochintelligenter und überaus fähiger Mann – wie er ja bei seinem Zusammentreffen mit dir vor ein paar Stunden demonstriert hat. Es war sehr dumm von dir, dich selbst so zu überschätzen und auch noch den Bienen die Möglichkeit zu geben, alles zu übertragen. Kurz danach versprach der Wilde dein Leben, wenn man ihm zwei Tage Zeit geben würde –, um, was weiß ich, zu erreichen. Die Lentlosen – ja selbst viele Ristos – schreien nun, daß es unrecht ist, so intelligente Menschen wie Tiere zu behandeln. Sie bedenken nicht, daß unsere Zukunft auf dem Spiel steht, denn ohne Dreckweltfrauen ... So wie die Dinge jetzt stehen, Regis, haben wir Ristos unser Ansehen verloren. Wir hatten die Macht eine lange Zeit in Händen, doch nun
– dank deiner Unfähigkeit – denken die Lentlosen, die uns ja an Zahl weit überlegen sind, gar nicht mehr daran, widerspruchslos unsere Autorität anzuerkennen. Und die Teknos sind bereits dabei, ihnen das längst überholte Konzept der Demokratie schmackhaft zu machen ... All das haben wir deiner Einsichtslosigkeit zu verdanken, Regis. Du hättest diesen Kerl gleich bei der ersten Begegnung töten sollen. Du bist nicht fähig zu regieren ... Wenn es jedoch bekannt wird, daß dieser Wilde dich erschossen hat, werden die Leute einsehen, daß den Dreckweltmenschen nicht zu trauen ist, daß sie grausam sind, trotz der zweifellos vorhandenen Intelligenz. Dann wird es uns auch gelingen, die Autorität der Ristos wiederherzustellen und weiter Dreckweltfrauen herbeizuschaffen, um unsere Kinder zu gebären. Die Zeit wird sich allmählich gegen Bors Zangwin und seine seltsame Theorie von der Gleichheit aller Menschen wenden ... Ein Mann hat das Recht zu erfahren, weshalb sein Todesurteil gefällt wurde. Ich hoffe, ich habe dir die Gründe ausreichend dargelegt. Ich bedauere, daß du dein Ende gebunden wie ein Tier finden wirst, aber wir müssen unseren Leuten zeigen, daß diese Dreckweltmenschen Bestien sind, was immer auch ihre Quotienten zeigen.« Regis Le Gwyns Blick wanderte von einem zum anderen. »Ich nehme an, daß Karil für euch alle spricht?« »Regis, es gibt keinen anderen Ausweg. Dein Tod muß sein«, antwortete einer. Überraschenderweise lachte Regis Le Gwyn. »Ein Freund warnte mich, daß genau das geschehen wür-
de. Ich glaubte ihm nicht. Wie ihr sagtet, ich bin nicht fähig zu regieren ... Wer wird der nächste Kontroller? Karil, du?« »Es wird eine Wahl abgehalten werden.« Wieder lachte Le Gwyn. »Ja, ich kenne mich mit Wahlen aus ... Nun, verschwendet keine weitere Zeit, meine Herren. Laßt uns diese kleine Komödie beenden. Nachdem ihr mich getötet habt, werdet ihr den Wilden und seine beiden Begleiterinnen jagen müssen. Das dürfte äußerst interessant werden. Der Mann hat noch höhere Quotienten als selbst Zangwin annahm.« Berry hatte im Gras versteckt alles mit angehört. Als die Ristos ihre Jagdlaser hoben, brannte er dem ersten den Kopf von der Schulter. Die anderen erstarrten vor Schreck. »Keine Bewegung, oder ihr sterbt ebenfalls! Laßt eure Waffen fallen, dann kommt ihr mit dem Leben davon!« rief Berry, immer noch im Gras verborgen. Einer der Ristos drehte sich um. Berry erschoß ihn, ohne zu zögern. Die drei übrigen warfen die Laser von sich. Berry deutete Tala und Vron an, im Gras versteckt zu bleiben und ihm Deckung zu geben. Dann stand er auf und schritt auf die Ristos zu. »Ich bin nur ein Dreckweltwilder«, sagte er. »Aber ich versuche mein Wort zu halten. Der Kontroller ist mein Gefangener. Ich habe versprochen, ihn für bestimmte Garantien unverletzt freizulassen. Kehrt zur Cityzone zurück, Ristos. Erzählt, daß ich zwei eurer Begleiter tötete, weil sie den Waffenstillstand brachen und mich angriffen. Aber sagt nicht mehr. Euer Leben mag davon abhängen.« Er lächelte. »Es ist besser, eu-
re Freunde starben, als daß ich den Kontroller hätte töten müssen. Man wird sie und euch für tapfere Männer halten.« Die überlebenden Ristos starrten ihn voll Entsetzen und gleichzeitig Erstaunen an. Regis Le Gwyn lachte grimmig. »Ich sehe, ich bin nicht der einzige, der den Dreckweltwilden unterschätzte. Ich sehe auch, daß ich von meinem Feind weniger zu befürchten habe als von meinen Freunden. Tut, was er sagt. Er kennt das Leben in seiner ganzen Härte und überlebte auf einer Welt, auf der wir keinen einzigen Tag überstehen würden. Er weiß zu töten, wie ihr gesehen habt. Aber er tötet nur, wenn es notwendig ist – in dieser Beziehung können wir von ihm lernen. Er hat euch verschont. Geht! Und mag keiner von uns je vergessen, was hier geschehen ist.« »Das sind die Worte eures Häuptlings«, sagte Berry, »der unter diesen für ihn und euch widrigen Umständen seinen Mut und seine Klugheit beweist. Gehorcht ihm!« Die drei Ristos wichen sowohl seinen als auch Le Gwyns Blicken aus. Wortlos machten sie sich auf den Weg. Le Gwyn wandte sich an Berry. »Mein Freund, ich habe dir viel zu verdanken. Ich weiß nun zumindest, daß ich noch eine Menge zu lernen habe.« »Häuptling«, brummte Berry. »Ich bin nicht dein Freund. Ich bin ein Fremder auf eurer Welt, und du bist mein Gefangener ... Wir haben noch einen langen Marsch vor uns. Laßt uns jetzt essen und wieder zu Kräften kommen.« Vron und Tala kamen herbei. »Warum hast du uns nicht erlaubt, alle zu töten?« fragte Vron.
»Frau«, erwiderte Berry. »Tote nutzen uns nichts. Nur Lebende können unsere Sache fördern. Wir haben die Ristos ein weiteres Mal geschlagen. Sollen sie ihre Niederlage selbst ausplaudern. Wir werden jetzt essen und uns ausruhen.«
30. Der Mikrosender, den Le Gwyn bei sich trug und der fast seinen Tod herbeigeführt hätte, war in eine Schmuckklammer eingebaut, mit der der Kontroller sein dichtes Haar zurückhielt. Wortlos händigte er ihn Berry aus. »Wirst du ihn vernichten?« fragte er. Berry überlegte einen Augenblick. »Nein, ich werde ihn benutzen«, erklärte er geheimnisvoll und steckte ihn in seine Tasche. Die elektronischen Mauern, die die einzelnen Klimazonen voneinander trennten, bestanden aus zwei Reihen dünner Metallstäbe, die automatisch heiß wurden und zu glühen begannen, wo und wenn sich ihnen etwas näherte. Normalerweise genügte die Hitze, die sie ausstrahlten, bereits in einem Meter Entfernung, Lebewesen zu verscheuchen. Versuchshalber trat Berry etwa einen halben Meter näher heran, sprang jedoch sofort zurück, da seine Haut, Haare und Kleidung zu versengen drohten. »Suchen wir nach einem Tor«, bestimmte er. »Die Beobachter sollen schließlich für ihre Geduld belohnt werden.« Mit den beiden zusätzlichen Metallmarken der toten Ristos besaß Berry nun fünf, um die Klimazonentore zu öffnen. Die übrige fünfte mochte ihm vielleicht noch von Nutzen sein, wenn er auch im Augenblick selbst noch keine Ahnung hatte, wie. Während des ganzen langen Nachmittags ließ er seine kleine Gruppe viele ermüdende Kilometer marschieren, von Zone zu Zone durch Tor um Tor. Diese Tore waren im Grunde nur eine ein wenig weiterentwickelte Version der alten Drehtüren. Man
brauchte sich lediglich auf eine Plattform zu stellen, die Metallmarke in den dafür vorgesehenen Schlitz zu stecken, und zu warten, bis die Plattform sich drehte und die Marke wieder heraussprang. Die tropische Zone war voller Wunder. Berry staunte über die Vielzahl der farbenprächtigen fremdartigen Vögel in den Zweigen der ihm unbekannten Bäume, die so dicht waren, daß sie kein Sonnenlicht hindurchließen. Er sah Wesen, wie er sie noch nie geschaut hatte: Affen, die sich von Ast zu Ast, von Baum zu Baum schwangen; Echsen und andere Kreaturen mit Schuppenpanzern; große Schmetterlinge. Einmal mußte er eine Riesenschlange, die sich plötzlich scheinbar aus dem Nichts um Tala geschlungen hatte, mit dem Laser töten. Die Luftfeuchtigkeit und Hitze ließen ihnen das Wasser in Strömen über den Leib laufen. Die Moskitos und Fliegen plagten sie. Alle stöhnten erleichtert auf, als sie die alpine Zone erreichten. Das heißt, anfangs empfanden sie es als Erleichterung. Die kühle, reine Luft, die felsigen, schneebedeckten Hänge, die Gemsen und Adler, die verkrüppelten Latschenkiefern, das alles schien ihnen wie eine Befreiung nach den modrigen ungesunden Dschungeln. Aber es dauerte nicht lange, da froren sie entsetzlich. Regis Le Gwyn fragte Berry mit vor Kälte klappernden Zähnen: »Na, Wilder, hast du jetzt genug von der Parkzone gesehen?« »Ja, Häuptling, ich habe genug gesehen«, erwiderte Berry friedlich. Reif hatte sich auf seinen Brauen gebildet, aber es störte ihn kaum. »Ihr Menschen von Himmel VII seid große Könner. Ich bewundere, was ihr hier geschaffen habt. Aber nun wollen wir umkehren.«
Regis Le Gwyn zuckte müde die Schultern. Er war in den letzten Stunden klüger geworden und hatte viel von seiner Selbstherrlichkeit abgelegt. Er versuchte, die Erinnerung an seine erste Begegnung mit Berry zu verdrängen. Aber er konnte es nicht. Er entsann sich nur zu gut seiner Überheblichkeit und wie er ihre erste Auseinandersetzung durch einen Laserschuß in Berrys Bein beendet hatte. Ein gewöhnlicher Mann hätte der Versuchung nicht widerstehen können, sich zu rächen, wenn die Gelegenheit sich ergab. Berry hatte statt dessen sein Leben gerettet. Aber vielleicht beabsichtigte er eine subtilere Rache? Le Gwyn hatte gelernt. Vor allem hatte er erkannt, daß er eingebildet und egoistisch gewesen war. Doch der Mann Berry blieb ihm ein Rätsel.
31. Der Marsch zurück in die gemäßigte Zone war anstrengend. Mehrmals mußten sie haltmachen, um Tala und Vron ausruhen zu lassen. Bei einer dieser Gelegenheiten, noch in der tropischen Zone, pflückte Le Gwyn zwei herrliche weiße Blumen und schenkte sie den beiden Frauen. Zuerst verstand er selbst nicht, wieso er es getan hatte. Doch dann wurde es ihm klar. Es war eine Entschuldigung seines Unterbewußtseins für die Menschen von Himmel VII an die Frauen der Erde. Eine Entschuldigung für die Jahrhunderte, die sie ausgenutzt worden waren. Vron betrachtete die Orchidee mit großen Augen. Nie hatte sie eine ähnliche Blume gesehen. Tala steckte sich ihre ins Haar. »Danke, Lord«, sagte sie sanft. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll ...«, murmelte Le Gwyn verlegen. »Häuptling, du hast es bereits gesagt«, unterbrach ihn Berry. »Ich danke dir. Es war eine sehr schöne Geste. Wir haben sie verstanden.« »Du bist ein sehr ungewöhnlicher Mann, Berry. Ich hielt dich für nicht besser als ein Tier. Ich hatte unrecht. Es ist mir klar, daß du Gründe für diesen langen Marsch hast. Aber deine Frauen sind müde. Laß sie ausruhen. Benutz deinen Multikom. Innerhalb einer Stunde können Roboter hier sein. Ich garantiere euch eine sichere Heimkehr zur Erde.« »Häuptling, ich danke dir für dein Angebot, und ich glaube dir«, erwiderte Berry. »Doch ich habe ein höheres Ziel. Ich tue, was ich kann für die Frauen, das wissen sie. Aber mein Plan ist es wert, das Leben da-
für einzusetzen. Sollte er fehlschlagen und wir am Leben bleiben, werde ich nicht zu stolz sein, dich an dieses Angebot zu erinnern.« Der Kontroller seufzte. »Möchtest du mir nicht die Fesseln abnehmen? Es würde mir helfen.« »Bedauere, Häuptling. Aber mein Einsatz ist zu hoch, als daß ich mir ein zusätzliches Risiko leisten könnte. Wir wollen wieder aufbrechen, die Frauen haben sich erholt.« Die Sonne war schon sehr niedrig, als sie die gemäßigte Zone erreichten. Berry hatte darauf bestanden, daß sie durch das gleiche Tor zurückkamen, durch das sie sie verlassen hatten. Sie rasteten an einem Bach, tranken dankbar sein frisches Wasser und stärkten sich mit den Nahrungskonzentraten. Berry gab den Frauen je eine der roten Kapseln, die die Müdigkeit nahmen, und schluckte selbst ebenfalls eine. Dem Kontroller bot er keine an. Es war besser, wenn er sich seiner Erschöpfung bewußt blieb. Berry wartete, bis das Stimulans wirkte, dann forderte er sie zum Weitermarsch auf. »Ich glaube, es bleibt hell genug, daß wir noch etwa acht bis neun Kilometer zurücklegen können. Tala, Vron, ich lasse euch eine kurze Weile allein. Bleibt dem Kontroller fern und gestattet nicht, daß er euch zu nahe kommt. Wenn er es versucht oder fliehen will, dann schießt ihm in den Arm, aber seht zu, daß ihr ihm keine allzu großen Schmerzen zufügt.« Regis Le Gwyn lächelte. »Berry, du überraschst mich immer wieder.« »Manchmal überrasche ich mich selbst«, erwiderte Berry.
Er blieb nicht lange weg. Er war zum Tor der tropischen Zone gerannt, hatte die überzählige Marke in den Schlitz geschoben, war jedoch nicht hindurchgetreten. Er hoffte, daß wer immer auch den Monitor überwachte, nun annahm, daß jemand passiert hatte. Das dürfte noch beträchtlich zur Verwirrung beitragen. Da keine Kamera eingebaut war, würden sie nicht wissen, ob vielleicht dem Kontroller die Flucht gelungen und er hindurchgetreten war, oder ob Berry, aus wer weiß welchem Grund, allein in die tropische Zone zurückgekehrt war, oder ob eine der Frauen, vielleicht als Lockvogel, das Tor passiert hatte. Berry war erleichtert, als er bei seiner Rückkehr alles in Ordnung vorfand. Der Kontroller lag friedlich auf dem Rücken und starrte auf die vereinzelten weißen Wölkchen, während Tala ihn nicht aus den Augen ließ, und Vron sich ausruhte. Berry nahm den Mikrosender aus seiner Tasche und legte ihn ins Gras. Selbst wenn ihre Wanderung durch die verschiedenen Tore nicht aufgezeichnet worden war, war er doch sicher, daß man aufgrund von Le Gwyns Sender jederzeit über ihren Standort Bescheid gewußt hatte. Wenn der Sender nun an einem Ort verharrte, würden die Beobachter gewiß annehmen, daß Berry am Ende eines anstrengenden Tages vergeblicher Suche nach einem unüberwachten Ausgang aus der Parkzone beschlossen hatte, hier die Nacht zu verbringen. Aber die Beobachter konnten nicht sicher sein, daß der Sender sich immer noch in Le Gwyns Besitz befand. Und wenn sie das Passieren einer einzelnen Person durch das Tor registriert hatten, würde ihnen das noch weitere Rätsel aufgeben.
Es war wie ein Schachspiel, dachte Berry, wo einer der Spieler mit verbundenen Augen sich darauf verlassen mußte, daß man ihm die Züge mitteilte. Die Tore zwischen den einzelnen Klimazonen verrieten die Züge, genau wie die Bewegung des Senders. Dem Spieler mit der Binde standen viele Figuren zur Verfügung, während sein Gegner nur zwei Bauern und einen Springer hatte – und natürlich den König. Aber die Stellung dieser Figuren konnte der Blindspieler nicht wissen. Eine äußerst interessante Partie ... Wenn es diese Partie überhaupt gab! Wie leicht war es möglich, daß Berry seine Zeit verschwendete; daß abgesehen von den Ristos, die Le Gwyn zu töten versucht hatten, die Bürger von Himmel VII ihm unüberwacht die Frist gewährten, die er verlangt hatte. Aber Berry war vorsichtig. Er glaubte nicht, daß seine wohldurchdachten Vorsichtsmaßnahmen umsonst waren. »Und nun marschieren wir nach Norden«, bestimmte er. »Wir werden uns dicht an die elektronische Mauer halten. Wie bisher mache ich den ersten, du folgst, Häuptling, mit den beiden Frauen hinter dir. Ihre Laser werden auf dich gerichtet sein.« »Nach Norden?« erkundigte sich Le Gwyn erstaunt. »Nach Norden«, wiederholte Berry. Er wunderte sich, daß der Kontroller sein Ziel noch nicht erraten hatte. »Bis jetzt, Häuptling, haben wir ein recht amüsantes, aber ermüdendes Spielchen getrieben, um deine Leute hinters Licht zu führen. Mit Hilfe deines Senders und der Tormonitoren haben sie unsere Wanderschaft verfolgt. Zumindest hoffe ich es. Wenn ja, werden sie nun annehmen, daß wir wie gefangene
Tiere aufs Geratewohl umherirren. Wenn sie unsere Bewegungen nicht aufzeichneten, um so besser. Sie werden nicht wissen, daß unser Ziel die Achse, der große Tunnel, ist.« Und da verstand Regis Le Gwyn.
32. Die ersten Sterne standen bereits am Himmel, als Berry den Eingang zum großen Tunnel fand. Es hatte länger gedauert, als er angenommen hatte, aber glücklicherweise war es noch einigermaßen hell. Berry hoffte, daß für heute eine Mondnacht programmiert war. Alle waren total erschöpft – Berry schätzte, daß sie an diesem Tag etwa vierzig Kilometer zurückgelegt hatten –, doch einstweilen spürte Le Gwyn es am stärksten, da er kein Stimulans bekommen hatte. Aber jedenfalls war es schon etwas, daß sie das Tor zum Tunnel erreicht hatten. Ja, es war etwas – und doch wiederum nicht. Die hohe, fast halbkugelförmige Tür war aus Metall. Sie fühlte sich wie Hiduminium an, konnte aber auch Stahl sein. Es gab keine Öffnungsmöglichkeit von dieser Seite aus. Sie befand sich am Fuß eines fast vertikalen Felsens. Berry nahm an, daß dieser Felsen lediglich die Metallstruktur des Tunnelkomplexes verbergen sollte. Er versuchte herauszufinden, ob die Tür eine Hebe- und Senk- oder eine Gleitvorrichtung hatte. Er versuchte, mit dem Laser ein Loch hineinzubrennen. Obwohl er die Waffe auf Maximum eingestellt hatte, schmolz das Metall nicht, sondern glühte nur kurz. Zumindest erfuhr er daraus, daß das Metall nicht Hiduminium, sondern Stahl war. »Patt«, stellte Regis Le Gwyn fest. »Vielleicht«, murmelte Berry. »Ich muß überlegen. Hältst du dein Angebot, uns zur Erde zurückzubringen, noch aufrecht?«
»Bis zum Morgengrauen, Berry. Ich bewundere dich, aber ich muß auch praktisch denken.« Berry grinste. »Häuptling, das muß ich auch. Gut, dann bis zum Morgengrauen. Bis dahin liegt dein Leben noch in meiner Hand. Unternimm also nichts Voreiliges.« Das Wetter war tatsächlich auf eine Mondnacht programmiert. Der Mond stieg über den Bäumen auf und warf seinen kalten Schein auf die unbezwingbare Tür. »Was jetzt?« fragte Vron. »Ich weiß nicht. Ich muß nachdenken. Es darf nicht sein, daß uns eine Tür jetzt aufhält, nachdem wir soviel erreicht haben.« Berry schlug mit der Faust dagegen. Er hörte ein schwaches Knarren, als die Tür sich minimal auf ihrem Kugellager bewegte. Der Stahl war demnach nicht sehr dick. Berry seufzte, obwohl ihm mehr nach einem wilden Wutausbruch war. Aber ein Häuptling durfte seine Gefühle nicht zeigen. Tala und Vron verließen sich auf ihn. »Sei nicht verzweifelt«, tröstete ihn Tala, die ihn doch durchschaute. »Der Kontroller hat versprochen, uns zurückzubringen. Ist das nichts?« »Es ist nicht genug!« brüllte Berry. »Es ist nicht genug für die Stämme auf der Erde oder die Frauen, die man ihnen raubt, um sie zu zwingen, die Kinder anderer zu gebären.« Er warf einen Seitenblick auf den Kontroller. »Vielleicht läßt dieser Mann uns das Leben. Ich weiß es nicht. Aber ob er nun sein Versprechen hält oder nicht, die Ristos werden weiter ihre Roboter schicken, um unsere Frauen zu entführen. Und schließlich wird man uns vernichten. Ohne Erdfrauen ist diese Himmelsinsel dem Untergang ge-
weiht. Glaubt ihr, die Ristos nehmen ihr Schicksal mit Fassung hin?« Er blickte den Kontroller durchdringend an. »Sei ehrlich, Häuptling. Wären eure Frauen bereit, ihre Leiber anschwellen zu lassen, um abnormale Babys zu gebären und damit ihre Jugend und Schönheit aufs Spiel zu setzen?« »Berry«, sagte Le Gwyn, »du warst lange genug den Härten deiner Welt ausgesetzt, um zu wissen, daß der Sieg an den Stärkeren geht. Das ist evolutionsbedingt. Selbst wenn du mich jetzt tötest, werden die Menschen von Himmel VII sich auch weiterhin nehmen, was sie brauchen, um zu überleben. Jede Spezies hat das Recht, sich zu erhalten – wenn sie es kann!« »Einschließlich der gesamten menschlichen Rasse!« betonte Berry. Er wandte sich an Tala. »Mach mit dem Kontroller einen kurzen Spaziergang, aber bewach ihn gut. Ich muß ungestört nachdenken.« »Berry«, sagte Vron zögernd, nachdem die beiden außer Hörweite waren. »Mit den Jagdlasern der toten Ristos haben wir doch jetzt fünf dieser Waffen. Ich verstehe wenig von ihnen, aber wenn eine allein schon eine so große Wirkung hat, wären dann nicht ...« »Frau!« rief Berry. »Was bin ich für ein Dummkopf. Ich hätte selbst darauf kommen sollen.« Vron lächelte. »Du hattest an soviel anderes zu denken.« Versuchsweise, mit je einem Laser in der Rechten und der Linken, richtete Berry die auf Maximum gestellten Waffen auf einen Fleck. Wieder glühte das Metall, ohne zu schmelzen. Aber als auch Vron zwei Laser nahm und den Strahl auf die gleiche Stelle kon-
zentrierte, stiegen Blasen auf, und das Metall begann zu tropfen. »Großartig!« rief Berry. »Halt ein, wir sind durch.« Er hob einen spitzen Stein vom Boden auf und kratzte damit eine gekrümmte Linie am Fuß der Tür in das Metall. Falls dieses Stück herausgebrannt werden konnte, war das Loch groß genug zum Hindurchschlüpfen. »Wir fangen hier an«, deutete er. »Wenn das Metall zu schmelzen beginnt, lassen wir den Strahl am Strich entlang weiterwandern.« Es war eine zeitraubende Arbeit. Das weißglühende Metall schmerzte ihren Augen, und die Hitze sengte ihre Haut an. Immer öfter mußten sie zum Schutz ihrer Augen blinzeln, trotzdem gelang es ihnen irgendwie, die vier Strahlen auf den gleichen, langsam weiterwandernden Punkt zu konzentrieren. Die Energie eines der Laser versiegte, als nur noch ein paar Zentimeter fehlten, gleich darauf die eines zweiten. Das Metall glühte nur noch, ohne zu schmelzen. Berry legte sich auf den Bauch und kroch näher heran. Es war ein sauberer Schnitt, von dem nur etwa die letzten sechs Zentimeter fehlten. »Geh zu Tala«, bat Vron, »und wenn Le Gwyn nicht in eure Richtung schaut, dann tausche einen der verbrauchten Laser gegen ihren aus.« Vron nickte. In wenigen Minuten war sie mit einem fast noch voll geladenen Laser zurück. »Die Hitze wird zwar nicht genügen, das Metall zu schmelzen«, murmelte Berry, »doch zumindest, es zu schwächen. Fang an zu strahlen, wenn ich es dir sage. Ich werde drücken.«
Berry nahm zwei Steine, die ihn vor der glühenden Hitze der Tür schützen sollten. Er preßte sie gegen das schon fast ausgeschnittene Teil. »Jetzt«, befahl er. Vron bestrahlte gleichmäßig die letzten so hartnäkkigen Zentimeter. Langsam begannen sie zu glühen. Mit aller Kraft drückte Berry jetzt dagegen. Die spitzen Steinkanten schnitten in seine Handfläche. Blut und Schweiß vermischten sich, aber er beachtete es nicht. Langsam gab das Metall nach. Berry gelang es, das halbkreisförmige Stück nach innen zu drücken, und plötzlich gab das Metall auch dort nach, wo Vron es bestrahlte. Mit einem lauten Krachen schlug es im Tunnel auf. Berry blieb eine Weile ächzend auf dem Bauch liegen. Die Steine entfielen seinen blutenden Händen, und eine Welle kaum erträglichen Schmerzes überflutete ihn. Aber nach wenigen Minuten hatte er sich wieder einigermaßen erholt. Er stand auf und wischte Blut und Schweiß an der Teknokutte ab. Er fragte sich, ob er überhaupt noch in der Lage war, einen Laser zu halten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er es. Es ging. Er würde ihn im Notfall benutzen können. »Das Spiel ist noch nicht aus«, rief er Le Gwyn zu, mit dem Tala in einiger Entfernung angehalten hatte. »Komm her, Kontroller. Aber denk daran, daß ein Laser auf deinen Rücken gerichtet ist.«
33. Der Korridor war breit und gut beleuchtet. Ein schwacher Raubtiergeruch hing in der Luft, und hier und dort befanden sich Flecken auf dem Boden, wo die verängstigten Tiere vermutlich ihre Visitenkarte abgegeben hatten, als sie von den Robotern in die Parkzone getrieben worden waren. Berrys Stimmung hob sich, während sie den Gang entlangeilten. Es war ihnen doch gelungen, in die Achse zu kommen. War es zuviel verlangt, auch noch zu hoffen, daß sie das Raumschiff vorfanden und übernehmen konnten? Der Korridor war gut zweihundert Meter lang. Etwa in der Mitte befanden sich links und rechts je eine elektromagnetisch verschlossene Tür. Berry hielt kurz an. Ihr Schließmechanismus glich jenen der Türen in der Fabzone. Er eilte weiter und blieb vor der schweren Stahltür am Ende des Korridors stehen. Kein Öffnungsmechanismus war erkennbar. Seine neue Hoffnung erlosch. Die Tür – sie führte vermutlich zu einer Art Luftschleuse am Anlegeplatz des Raumschiffs – war offensichtlich zu massiv, als daß sie unter seinen arg geschrumpften Energiereserven nachgeben würde. Regis Le Gwyn zuckte die Schultern. »Immer noch Patt, würde ich sagen.« »Nicht solange ich lebe!« knurrte Berry. Er schob den Kontroller zur Seite und rannte zu den beiden Seitentüren zurück. Die Laserenergie müßte reichen, zumindest eine von ihnen zu öffnen. Er studierte die linke, um einen Hinweis zu finden,
wo der Verschlußmechanismus verborgen sein mochte, konnte jedoch nichts finden. Es blieb ihm nichts übrig, als aufs Geratewohl vorzugehen. Es kostete ihn fünf unersetzliche Laserschüsse, ehe er das gedämpfte Klicken vernahm, das ihm verriet, daß der Elektromagnet die Verriegelung geöffnet hatte. Er schob die Tür auf und betrat einen weiteren Gang, der weniger breit als der vorherige war und außerdem nicht gerade verlief. Hier roch es nicht nach Tieren. Berry winkte Le Gwyn und den beiden Frauen ungeduldig zu, ihm zu folgen. An der Innenwand des Korridors, jedoch nicht an der äußeren, befanden sich in regelmäßigen Abständen Türen, jede mit einem Griff. Er öffnete eine und stellte fest, daß sich dahinter offenbar eine Art Lagerraum für elektronische Ersatzteile befand. Hinter einer zweiten reihte sich dicht an dicht etwas, das wie reglose Roboter aussah. Unwillkürlich zuckte er zurück, bis er sich an seine Stoßausbildung in Raumtechnologie erinnerte. Was er vor sich hatte, waren Raumanzüge. Aber wozu brauchten Roboter Raumanzüge? Nein, sie waren nicht für Roboter bestimmt, sondern für Teknos, die vielleicht die Außenseite der Kuppel oder auch die Raumschiffshülle überprüfen wollten. Er öffnete noch einige Türen, fand jedoch nichts außer weiteren Lagerräumen und einer Art Werkstatt. Schließlich setzte er seinen Weg den kurvenreichen Korridor entlang fort. Seinen Laser hielt er nervös in der schmerzenden Hand, jederzeit bereit, zu schießen, falls ihnen Roboter oder auch Menschen entgegenkamen. Aber nichts rührte sich. Schließlich führte der Gang zu einem Aufzug. Die
Schalttafel hatte Knöpfe für zehn Ebenen, verriet jedoch nicht, was in den einzelnen zu finden war. »Häuptling, warst du schon einmal hier?« fragte er Regis Le Gwyn. »Ich war nie an technischen Einrichtungen interessiert«, brummte der Kontroller. »Für die Achse sind die Teknos und Roboter zuständig.« »Es ist die Pflicht eines Häuptlings, sich in allem auszukennen, das in seinen Befehlsbereich fällt«, tadelte Berry. Aufs Geratewohl drückte er auf den Knopf für die fünfte Ebene. Die Aufzugstür öffnete sich. Berry trat heraus. Die fünfte Ebene stellte sich als ein heißer und stark vibrierender Ort heraus, wo eine Unmenge von Robotern unter der Aufsicht von drei Teknos arbeiteten. Die riesige gekrümmte Halle summte nur so von Energie. Hastig sprang Berry in den Aufzug zurück und drückte auf einen anderen Knopf. Was er so flüchtig gesehen hatte, war zweifellos die Kraftstation gewesen, wo die durch Atomenergie produzierte Hitze in Strom umgewandelt wurde. Er hoffte nur, daß er nicht gesehen worden war. Aber er glaubte es nicht. Die Roboter und Teknos waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen. Berry blickte auf den Knopf, den er ohne nachzudenken gedrückt hatte. Zehnte Ebene. Nun, vielleicht war es keine schlechte Idee, ganz hinauf zu fahren, zumindest aber war die zehnte so gut wie jede andere Ebene. Die Aufzugstür öffnete sich zu einem großen Raum, von dem ein weiterer Gang abzweigte. Drei Roboter kamen soeben auf den Aufzug zu. Einer trug
ein elektronisches Gerät, ein anderer eine durchsichtige Kugel, in der viele Lichtpunkte blinkten, und der dritte mehrere Rollen glänzenden Metalls. Berry zerstrahlte das Sichtzentrum des hinteren. Vron verfehlte den vordersten und versengte die Wand weit hinter ihm. Berry beschoß den, den sie nicht getroffen hatte und auch den dritten. Blind stolperten die Roboter mit ihrer Last weiter. Berry überlegte, ob er sie nicht ganz ausschalten sollte, unterließ es dann jedoch, weil er nicht wußte, wieviel Laserenergie ihm noch geblieben war. Bestimmt hatten sie inzwischen schon Alarm gegeben. Es ließ sich nicht ändern. Sollte er es mit einer anderen Ebene versuchen, oder sich lieber an den Gang am anderen Ende des Raumes halten? Er war müde und schon fast mutlos. Aber er mußte eine Entscheidung treffen. »Folgt mir. Beachtet die Roboter nicht, sie können uns nicht sehen und uns deshalb weder aufhalten, noch etwas anhaben. Haltet euch lediglich aus ihrem Weg. Tala, wenn der Kontroller etwas anderes vorhat, dann schieß ihn an ...« Er rannte zum Korridor. Er war nicht sehr lang. Als er ein Stück gelaufen war, bemerkte Berry, daß die eigentlichen Wände und der Boden endeten und durch ein starkes elastisches Material mit dem nächsten Gangabschnitt verbunden waren. Ein paar Schritte weiter kam wieder eine dieser elastischen Verbindungen. Bildete er es sich nur ein, oder schwankte der Boden unter seinen Füßen tatsächlich ein wenig? Er hatte keine Gelegenheit, darüber nachzudenken, denn plötzlich endete der Gang in einer Kammer mit vielen Instrumentenpulten und ein paar kreisrunden
durchsichtigen Scheiben hoch oben in den Metallwänden. Er blickte zurück, um sich zu vergewissern, daß die anderen ihm folgten. An der Wand neben der Öffnung entdeckte er zwei Knöpfe. Einer leuchtete, der andere war dunkel. Er drückte auf den leuchtenden. Geräuschlos schob sich ein Wandstück heraus und verschloß die Öffnung. Er vernahm ein Zischen und dann ein Klicken. Zumindest waren sie nun wenigstens eine Weile vor ihren Verfolgern sicher. Berry schaute durch eine der runden Scheiben. Er sah Sterne. Sterne in einem schwarzen Himmel. Und die Sterne bewegten sich. Sie drehten sich langsam, wie in einem rituellen Tanz. Verwirrt starrte er hinauf. Es war unmöglich! Die Sterne konnten sich gar nicht so schnell bewegen – weder die echten, noch die künstlichen von Himmel VII. Und dann verstand er. Er lachte und lachte, bis ihm die Tränen das Gesicht herabströmten. »Berry, mein Häuptling, mein Liebling, fühlst du dich nicht wohl?« fragte Vron besorgt. »Und wie wohl ich mich fühle! Alles ist gutgegangen. Hab keine Angst.« »Willst du mich nicht an deiner Freude teilhaben lassen?« fragte Le Gwyn. Berry trocknete sich die Augen. »Mit Vergnügen, Häuptling. Schau hinauf zu den Sternen.« Der Kontroller blickte durch eine der Sichtscheiben und schüttelte verständnislos den Kopf. »Irgend etwas stimmt mit der Programmierung nicht«, murmelte er. »Sie können sich nicht so drehen.« »Nein, Häuptling, das können sie auch nicht. Was schließt du also daraus?«
»Daß mit der Programmierung etwas fehlgelaufen ist«, erwiderte Le Gwyn verwirrt. »Häuptling ...« Berry genoß die Situation sichtlich. »Wenn die Sterne, und zwar weder die echten, noch die künstlichen, sich so bewegen können, dann gibt es eine ganz einfache Lösung. Nicht die Sterne drehen sich, sondern wir. Himmel VII muß um seine Achse rotieren, um in seiner Umlaufbahn zu bleiben. Das dort sind echte Sterne, Le Gwyn, und wir befinden uns an der Achse. Besser noch, wir befinden uns in der Navigationszentrale eures Raumschiffs. Sieh dich doch um, Mann! Siehst du die Instrumentenbänke?« Er nahm den Multikom, den er den ganzen Tag sorgfältig mit sich geführt hatte, und stellte ihn auf Notrufübertragung. Er drückte seine Antenne gegen die Raumschiffshülle. »Ich bin Berry, der Häuptling des Londosstamms«, begann er. »Wieder wende ich mich an die Bürger von Himmel VII. Wie ihr bereits wißt, habe ich euren Kontroller gefangengenommen. Auch euer Raumschiff ist nun in meiner Hand. Ich kann es nicht bedienen. Aber ich weiß, wie sich die kritische Masse seines Kernantriebs erreichen läßt, um so gleichzeitig das Schiff und Himmel VII zu zerstören. Wir von der Erde legen keinen Wert auf einen Kriegszustand zwischen euch und uns. Genausowenig würde uns die Vernichtung einer Rasse Freude machen, die der Welt ihrer Vorfahren soviel geben könnte. Aus diesen Gründen biete ich euch unsere Freundschaft unter den folgenden Bedingungen ...« Regis Le Gwyn, auf den Tala immer noch ihren nutzlosen Strahler gerichtet hatte, hörte sich mit weit offenem Mund diese Bedingungen an, die die Zu-
kunft zweier Welten völlig verändern würden. Die Bedingungen waren einfach – und verheerend. Keine weiteren Verschleppungen von Erdfrauen. Für eine, aber wirklich nur beschränkte Zeit, sollte es noch gestattet sein, Freiwillige als Ersatzmütter zu benutzen. Doch keiner durften mehr als zwei Schwangerschaften zugemutet werden. Und während sie sich auf Himmel VII befanden, mußten ihnen die gleichen Rechte wie den Lentlosen zugestanden werden, genau wie das Recht auf Bildung. Weiter hatte ein regelmäßiger Personenaustausch stattzufinden. Ausgesuchte Stammesangehörige sollten zu Himmel VII geschickt werden, um in der Fabzone eine wissenschaftliche und technische Ausbildung zu erlangen. Teknos müßten zur Erde kommen, um Schulen für die Kinder aufzubauen und zu lehren. Auch Roboter würden auf der Erde benötigt werden, um bei der Konstruktion von Städten zu helfen, in denen Bürger von Himmel VII angesiedelt werden sollten, um den Erdmenschen die Kultur zugänglich zu machen, die erstere aus der Vergangenheit gerettet hatten, damit allmählich eine neue Zivilisation entstehen mochte. »Wir von der Erde sind im Vergleich zu euch unwissende Wilde«, fuhr Berry fort. »Wir leben hauptsächlich in den Wäldern und sind vielen Unbilden und Krankheiten ausgesetzt. Aber wir sind voll Kraft, und viele von uns werden mit Freuden bereit sein, zu lernen. Ihr von Himmel VII könnt uns viel geben. Ihr könnt uns lehren, was Zivilisation bedeutet. Wir von der Erde dagegen können euch etwas von ungeheurem Wert bieten – euer Überleben. Wir brauchen einander. Gemeinsam können wir der Menschheit wieder zur Größe verhelfen ...
Ich möchte weder das Raumschiff noch die Menschen, die diese großartige Insel im All erschufen, vernichten müssen. Doch bedenkt, selbst wenn ich dazu gezwungen werde, steht fest, daß die Erdmenschen weiterleben. Und im Laufe der Zeit werden sie alles neu erschaffen, was verlorenging. Ich habe gesagt, was zu sagen war, und ich stehe zu meinen Worten. Doch versucht nicht, mich zu täuschen. Ich mag in mancher Beziehung noch unwissend sein, dafür bin ich in anderen, wie ihr inzwischen eigentlich wissen müßt, äußerst ideenreich.« Berry brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten. Er erkannte Zangwins Stimme sofort. »In der Abwesenheit des Kontrollers und mit der Autorität, die seine Stellvertreter mir verliehen, nehme ich, Bors Zangwin, Programmer und stellvertretender Kontroller die Bedingungen unter folgenden Voraussetzungen an: Eins: Der Kontroller wird sofort nach Unterzeichnung des Vertrags freigelassen.« »Einverstanden«, sagte Berry. »Zwei: Die Erdfrauen, die sich bereits auf Himmel VII befinden, sollen erst nach Austragung von zwei Schwangerschaften zur Erde zurückgeschickt werden müssen.« »Einverstanden«, erklärte Berry. »Mit Ausnahme der Frauen des Londosstamms, die sofort zurückkehren sollen. Es ist politisch notwendig, Programmer. Ehe ich andere Stämme überzeugen kann, brauche ich erst die Unterstützung meines eigenen Stammes.« »Einverstanden«, sagte nun auch Bors Zangwin. »Die Londosfrauen werden sofort zur Erde zurückgebracht.« Er zögerte. »Viele von ihnen tragen fremde Kinder. Willst du, daß sie abgetrieben werden?«
Berry schwieg eine Weile. Er blickte Vron und Tala fragend an. Vron schüttelte kaum merklich den Kopf. »Laß ihre Kinder leben«, sagte sie leise. Sie war noch immer nicht ganz über den Verlust ihres eigenen Babys hinweg. »Abtreibungen sind nicht nötig. Die Kinder, die die Londosfrauen tragen, sollen auf der Erde geboren werden und dort aufwachsen. Einverstanden?« »Einverstanden.« Bors Zangwin nickte. »Drei: Kein Bürger von Himmel VII, der nach ärztlichem Ermessen für nicht gesund genug befunden wird, die größere Schwerkraft der Erde zu ertragen, soll zum Austausch gezwungen werden.« »Einverstanden«, sagte Berry. »Als letztes noch: Darf ich offen mit Regis Le Gwyn sprechen?« »Selbstverständlich, Programmer.« »Ehe ich es tue ... Ist der Tag gut verlaufen, Berry?« »Häuptling, wir sind alle am Leben. Das ist genug ... Hat das Projekt Katalysator deine Erwartungen erfüllt?« »Übertroffen, Berry, mein Freund. Mir scheint, ich habe dich sogar unterschätzt. Muß ich noch mehr sagen?« Berry lachte. »Häuptling, ich muß gestehen, es gab einige sehr bedenkliche Momente. Und jetzt sprich mit dem Kontroller.« »Nun, Regis Le Gwyn. Es ist dir nichts zugestoßen, hoffe ich.« »Mir geht es gut, Programmer, danke der Nachfrage ... Hattest du den Ausgang so beabsichtigt?« »Kontroller, wir beide wissen doch, daß Himmel VII nicht lange mehr so weitermachen hätte können.«
Regis Le Gwyn seufzte. »Es ist das Ende einer Ära.« »Aber auch der Beginn einer neuen. Die Erde wartet nur darauf, daß wir sie wieder groß machen. Siehst du es nicht auch so?« »Ja, jetzt sehe ich es auch so. Es wird dich vielleicht amüsieren zu erfahren, daß ich sehr viel von einem Dreckweltwilden gelernt habe.« »Das haben wir alle, Kontroller.« Berry hatte dem Gespräch zugehört, aber gleichzeitig durch die Sichtscheiben die Sterne betrachtet. Eines Tages, dachte er, werden wir von der Erde nach euch greifen. Eines Tages werden alle Stämme der Erde sich vereinen. Es wird keine Kriege mehr geben, und die Menschheit wird sich auf fernen Welten ausbreiten. Es war ein phantastischer Gedanke. Vielleicht war er verrückt, oder so erschöpft, daß er unter Wahnvorstellungen zu leiden begann. Aber, sagte er sich, ohne Träume kann ein Mensch nicht leben. Er warf einen flüchtigen Blick auf Vron. Ihrem Gesichtsausdruck nach, dachte sie bereits an ihre Rückkehr zur Erde. Bei Tala war es nicht anders. »So sind die Frauen«, sagte er, ohne daß die anderen wußten, was er meinte. »Und so sind die Männer. Gemeinsam werden sie das Traumbild der Erde und der Sterne vereinen und wahrmachen.« Er verstand selbst nicht ganz, was er da eben gesagt hatte. Aber er hoffte, daß er es eines Tages verstehen würde. ENDE
Als nächstes TERRA-Taschenbuch erscheint:
Hetzjagd auf dem PLANET DER AFFEN George Alec Effinger Ein Roman aus der weltberühmten Film- und Fernsehserie Ihre Namen sind Alan Virdon und Pete Burke. Als Astronauten der U.S.-Airforce wurden sie unter harten Bedingungen geschult und mannigfaltigen Überlebenstests unterworfen. Doch als ihr Vorstoß ins All auf der Erde der Zukunft endet, sind Alan und Pete unvorbereitet auf das, was sie erwartet. Die Erde wird von intelligenten Affen beherrscht, und jeder Mensch – egal ob Mann, Frau oder Kind – ist nichts anderes als ein Sklave der Affen. Nach DIE SCHLACHT UM DEN PLANET DER AFFEN, FLUCHT VOM PLANET DER AFFEN und AUFSTAND DER AFFEN (TERRA-Taschenbücher 275, 279 und 283) präsentieren wir den vierten Roman zu der von TWENTIETH CENTURY FOX gedrehten Serie, die zu einem Welterfolg in Film und Fernsehen wurde. Weitere Romane der Serie sind in Vorbereitung und erscheinen in Kürze. Die TERRA-Taschenbücher erscheinen vierwöchentlich und sind überall im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich.