Eine Zeit-Falle von Peter Terrid
Die Hauptpersonen des Romans: Demeter Carol Washington - die Chefin der TIME-SQUAD
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Eine Zeit-Falle von Peter Terrid
Die Hauptpersonen des Romans: Demeter Carol Washington - die Chefin der TIME-SQUAD
will ihr Amt zur Verfügung stellen.
Tovar, Imhotep, Charriba und Inky - Agenten der TIME-SQUAD im Kampf gegen einen Angriff
aus dem Nirgendwo.
Darcyr - Fürst der Blauen Sonnen.
Janhaar - Herrscher über das Imperium von Glyssaan.
1. Zehn Minuten blieben mir noch; sechshundert Sekunden der Ruhe und Muße. Danach, das wußte ich aus langer Erfahrung, war es mit der Ruhe vorbei, entweder für etliche Tage oder Wochen, dann hatte ich Glück gehabt, oder aber für immer, dann nämlich, wenn wir es nicht noch einmal schafften, um Haaresbreite dem Tod zu entgehen. Daß die Sache lebensgefährlich werden würde, stand für mich außer Zweifel. Wenn unsere Chefin Demeter Carol Washington ein Unternehmen plante, war der Sensenmann als Gefährte fest eingeplant. Was aber sollte ich machen? Wer in der Gunst von D. C. steigen wollte, mußte jederzeit bereit sein, ihrem Beispiel zu folgen - und das hieß, für das Wohl der gesamten Menschheit Kopf und Kragen zu riskieren. Inky feixte mich von der Seite her an. „Du siehst aus, als würdest du den Wortlaut deines Todesurteils auswendig lernen“, spottete er. Ich sah, wie er sich kämmte - in seinem Fall bedeutete das, daß er die Hände spreizte und mit den Fingern wie mit einem Rechen durch seine Mähne fuhr. „Den Wortlaut kenne ich bereits seit langem“, gab ich zurück, während ich mir den Rest des Rasierschaums vom Kinn spülte. „Er heißt: An die Arbeit, Leute.“ Inky grinste noch immer. Er kannte die Redensart - mit diesen oder sinngleichen Worten pflegte D. C. die Einsätze zu beginnen. Wenn wir dann Tage oder Wochen später mit heraushängender Zunge, dem Tod knapp entronnen, wieder bei ihr eintrafen, bekamen wir zu hören, daß Müßiggang im Vokabular der Time-Squad-Chefin nicht enthalten war. Was in früheren Jahrhunderten als unmenschliche Ausbeutung verurteilt worden wäre, gehörte bei der Time-Squad zum Alltag und wurde von jedem hingenommen. Für jeden Mitarbeiter hatte Demeter Carol Washington sein spezielles Zuckerbrot parat, mit dem sie ihn zu Höchstleistungen anspornen konnte. Bei den meisten unverheirateten Männern, das galt sowohl für Inky als auch für mich, war sie selbst das Zuckerbrot, eine Frau, die es an Bildung und Intelligenz mit den größten Genies der Geschichte aufnehmen konnte, die an Tatkraft und Entschlußfreudigkeit jedem Feldherrn der Antike überlegen war und ansonsten das schönste Geschöpf zu sein schien, das jemals auf zwei Beinen in Jeans und Baumwollhemd herumgelaufen war. „Fertig?“ Ich nickte. In drei Minuten begann die Lagebesprechung. Sie fand in der gewaltigen Festung statt, die unser neuer Freund Imhotep auf dem Planeten Shyftan hatte erbauen lassen. Jetzt war diese Festung unser Hauptquartier - eine ziemlich hochtrabende Bezeichnung, wenn man an die Zahl und Art der Feinde dachte, mit denen wir es zu tun hatten, und an die geringen
Mittel und Möglichkeiten, die unserem Haufen in diesem Kampf zur Verfügung standen. Auf dem Weg stießen nach und nach die anderen zu uns. Erprobte Gefährten aus manch einem haarsträubenden Unternehmen. Da war Shandrak der Schwarze, ein Bewohner des Planeten Shyftan. Wie immer, trug er ein Gewand aus schwarzem Leder, das seinen sehnigen Körper dicht umschloß, schwarze Handschuhe, und in seinem Gürtel hing die schwarze Ledermaske, mit der er beim Kampf sein Gesicht verhüllte. Mit seiner schrecklichen Harpune, die er stets bei sich führte, bot er das Bild eines erbarmungslosen Rächers - was er allerdings zu rächen hatte, war uns allen unbekannt. Er lächelte knapp, als er uns sah. Wenig später trafen wir auf Charriba White Cloud, einen Indianer aus dem Volk der Cheyenne, ein hervorragender Fährtensucher, der sich in jeder Wildnis zurechtfand. Aus unerfindlichen Gründen wurde er von Inky - zu Charribas Verdruß - immer wieder mit Winnetou angeredet. Da war Maipo Ruede, der hünenhafte Schwarze mit der Figur eines Boxweltmeisters; Corve Munther, der mit dreißig noch aussah wie ein Siebzehnjähriger. Wehe dem, der sich davon täuschen ließ. Im Saal saßen bereits die anderen Teilnehmer der Besprechung. Vorn hatte Demeter Platz genommen. Sie wartete, bis alle Türen geschlossen waren, dann eröffnete sie die Lagebesprechung. „Es mag überflüssig erscheinen, noch einmal die wesentlichen Daten zusammenzufassen“, begann sie. „Indessen ist unsere Lage so verwickelt, daß es mir zum besseren Verständnis nötig erscheint.“ Sie machte eine kleine Pause, sah mich dabei an und schüttelte den Kopf, als mißbillige sie den Blick, mit dem ich sie betrachtete. Ich fand das unfair - schließlich konnte ich nichts dafür, daß sie eine so wundervolle Frau war. „Vorläufig sind wir auf diesem Planeten in Sicherheit. Keiner von unseren Feinden weiß, daß wir hier ein Versteck für die Time-Squad gefunden haben. Das gilt sowohl für den Ort als auch für die Zeit.“ Rasch rekapitulierte ich die Verhältnisse. Von der Erde des 24. Jahrhunderts waren wir zweitausend Lichtjahre und ebenso viele zeitliche Jahre entfernt. Rund 75 000 Jahre trennten uns von jenem Zeitalter, das wir als Vision des Schreckens bekämpften und zu verhindern suchten. Es war eine Zeit, in der unser Volk, die Terraner, zur Geißel der Galaxis geworden war. Jahrtausende trennten uns von jener Zeit, in der unser Freund Imhotep geboren worden war. „Diese Tatsache gibt uns ausnahmsweise genügend Zeit, unsere Aktionen sorgfältig zu planen und vorzubereiten. Vor allem müssen wir uns überlegen, in welche Richtung wir die nächste Unternehmung starten sollen.“ „Terra!“ rief jemand aus der Versammlung. D. C. nickte. „Das ist ein Einsatzgebiet. Auf der Erde unserer Zeit kämpfen die Menschen gegen die
eingedrungenen Nokther. Mit sehr viel Mühe und Gefahr ist es uns gelungen, ihnen eines
ihrer Raumschiffe abzujagen und hierher zu bringen.“
Hinter diesen dürren Worten verbarg sich ein lebensgefährlicher Einsatz und ein
mehrwöchiger Dilatationsflug, der das Schiff und uns zeitlich und räumlich richtig nach
Shyftan gebracht hatte.
„Wir haben nun zwei Möglichkeiten“, fuhr D. C. fort. „Ursprünglich war geplant, die
technischen Grundlagen der Nokther-Technik, vor allem die ihrer Raumfahrt, gründlich zu
untersuchen und sie mit unserem Wissen zu verbinden. Die entsprechenden
Forschungsergebnisse können wir dann unseren Freunden auf der Erde zuspielen.“
D. C. machte eine kleine Pause. Sie strich sich das rote Haar aus der Stirn.
„Dem stehen zwei Gesichtspunkte gegenüber. Zum einen könnten wir mit eben dieser Aktion
den Grundstein legen für die Raumflotte der Terraner der Zukunft. Dann wären wir es, die das
Imperium der Terraner geschaffen oder doch wesentlich unterstützt hätten - ein Gedanke, der mir überhaupt nicht behagt. Zum anderen könnten wir das Schiff während dieser Zeit nicht benutzen. Auch dieser Gesichtspunkt ist wesentlich - von Imhotep wissen wir, daß sowohl seine Zeitgenossen als auch der Gegner in der Lage sind, Zeitexperimente sehr genau anzumessen. Experimente mit unseren Zeitmaschinen fallen daher aus, bis wir einen wirkungsvollen Abschirmmechanismus gefunden und eingebaut haben. Unser Trost - wir wissen auch von Imhotep, daß es solche Vorrichtungen gibt.“ Marleen de Vries stand auf und hob die Hand. „Ich schlage vor, daß wir zunächst alle Aktivitäten völlig stoppen und uns vor allem einem Problem zuwenden - für uns auf diesem Planeten eine wirkliche Heimat zu schaffen. Einstweilen ist fast alles, was wir tun, improvisiert. Auf Delta Rebecca lagert noch eine ungeheure Menge Material, die wir hierher schaffen können, wenn wir unsere Zeitmaschinen als Transmitter einsetzen. Damit können wir auf Shyftan ein echtes Gemeinwesen begründen. Ich finde, daß das nötig ist - wir haben schließlich in unseren Reihen nicht nur Abenteuer und Wagehälse, sondern auch ganz normale Familien, die sich nach einem friedlichen Leben in Ruhe sehnen.“ Der Beifall zeigte, daß sie damit vielen aus dem Herzen gesprochen hatte. Ich konnte dem nur zustimmen. Auch mir wäre es lieber gewesen, hätte ich mich mit der Gründung eines Hausstandes befassen können leider war die Frau, die ich mir dazu ausgesucht hatte, nicht willens, sich damit zu beschäftigen. „Ich kann das sehr gut verstehen“, antwortete Demeter lächelnd. „Ich bitte euch, nur eines zu bedenken. Unsere Gegner schlafen nicht. Wir wissen nicht, seit wann und in welchem Ausmaß sie an der Geschichte der Menschen herummanipulieren daher möchte ich nicht grundsätzlich auf alle Aktionen verzichten. Ich schlage deshalb vor, daß der größte Teil der Mitarbeiter sich damit beschäftigt, Marleens Vorschläge Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser Planet ist herrlich, wie geschaffen dafür, uns nicht nur als Zuflucht zu dienen, sondern eine wirkliche, neue Heimat zu werden. Inzwischen werde ich mir einige kleinere Aktionen überlegen, die uns helfen sollen, unseren Wissensstand zu vergrößern und unsere Hilfsmittel zu mehren. Ich danke euch.“ Inky und ich sahen uns einigermaßen verwundert an. Was denn, kein Einsatz? Kein neues, halsbrecherisches Abenteuer? Was war in unsere Chefin gefahren? Mit einer knappen Handbewegung deutete D. C. an, daß wir bleiben sollten, bis der Saal geräumt war. „Freuen Sie sich nicht zu früh“, sagte D. C. , als sie zu uns trat. „Wir haben hier leider nicht die Trainingsmöglichkeiten wie in der alten Zentrale, daher habe ich mir etwas einfallen lassen, um Sie zu beschäftigen. Kommen Sie.“ Wir sahen uns bedeutungsvoll an, als wir folgsam hinter Demeter durch die endlosen Gänge und Korridore der Festung trabten. In einem entschieden kleineren Raum trafen wir wieder zusammen. D. C. kam sofort zur Sache.
„Diese Festung wurde von den Glyssaanern erbaut, die von Imhotep geführt wurden“, sagte
sie. „Unser Freund hat einen Wunsch geäußert, den ich ihm nicht abschlagen will.“
„Und das wäre?“ fragte Inky besorgt. Er schielte wie ich zu Imhotep hinüber. Der lächelte
überlegen. Er war ein imponierender Mann, als Rivale um Demeters Gunst sehr
ernstzunehmen, auch wenn er jetzt nicht mehr Fürst seines Volkes war.
Inky und ich nickten sofort. Ghanee war, das wußten wir aus Imhoteps Bericht, die Tochter
des Fürsten der Blauen Sonnen, und Imhotep hatte sich damals sehr in die schöne und kluge
Tochter Darcyrs verliebt. Wenn das jetzt noch der Fall war... an uns sollte es nicht liegen,
wenn Ghanee aufzufinden war.
„Der Verrat der Turquaner,. der mich auf die alte Erde verschlagen hat, muß auch Ghanee
betroffen haben“, setzte Imhotep seine Erklärung fort. „Ich habe die Hoffnung, daß es ihr mit
ihrem Schiff noch gelungen ist, Ghanees Garten anzufliegen der Planet bietet sich als Ort für
ein Treffen geradezu an. Ich befürchte, daß sie dort notlanden mußte und keine Möglichkeit
mehr hatte, ihren Vater zu verständigen. Aber höchstwahrscheinlich hat sie dort zumindest
eine Botschaft für mich hinterlassen.“
„Und wie kommen wir dorthin?“ fragte Charriba knapp.
„Mit der Zeitmaschine der Festung. Wir werden sie als Transmitter verwenden. Es wird nur
eine kleine Reise werden - genau das Richtige, um ein paar Mitarbeiter in Form zu halten.“
Wir gingen auf diese kleine Spitze nicht ein.
„Was erwartest du dort vorzufinden?“ fragte ich Imhotep. Der Sternenfürst zuckte mit den
Schultern.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er offen. „Wir werden uns überraschen lassen müssen.“
„Wer geht mit?“ wollte Inky wissen.
„Tovar, Sie, Charriba und Imhotep. Das wird genügen. Sie können sich Ihre Ausrüstung aus
unseren Vorräten zusammenstellen“, sagte D. C.
Sie warf einen Blick auf die Uhr.
„In einer Stunde geht es los.“
* Insgesamt sechzehn verschiedene Planeten hatte Imhotep seinerzeit für seinen Plan ausgewählt. Sie lagen im unerforschten Niemandsland zweier gewaltiger Sternenbereiche, die sich zu Imhoteps Zeit erbittert bekriegt hatten - oder bekriegen würden, denn von Imhotep aus betrachtet, spielte sich unsere Gegenwart tief in der Vergangenheit ab. Es war geplant gewesen, daß diese Welten sich jahrtausendelang allmählich darauf vorbereiten sollten, dem Kaiserreich von Glyssaan Männer, Schiffe und Nahrungsmittel für den aktuellen Kampf zu stellen. Zwei dieser Welten kannten wir bereits - Delta Rebecca, wo es nur eine nie bewohnte Stadt gegeben hatte, und Shyftan, das von den Nachkommen der dort angesiedelten Turquaner bewohnt wurde. Inzwischen hatten sich auf einer großen Grasebene des Planeten auch die Kökö angesiedelt, die wir auf abenteuerliche Weise durch Raum und Zeit hierher verfrachtet hatten. Überhaupt wurde unser Haufen immer buntscheckiger. Inky beispielsweise stammte aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, was sich immer wieder in seltsamen Anspielungen bemerkbar machte. Eigentlich hieß er Anastasius Immekeppel, zog es aber vor, sich Inky nennen zu lassen. Aus der Zeit von Imhoteps Aufenthalt im alten Ägypten hatten wir das Mädchen Nefer mitgebracht; sie hatte viel damit zu tun, sich den veränderten Umständen anzupassen. Geholfen wurde ihr dabei von William Chadwick, vormals im siebzehnten Jahrhundert Leutnant auf einem britischen Kriegsschiff. Imhotep war in seiner Zeit Erbe des Fürstentums von Egol gewesen und hatte sich Hoffnungen auf die Kaiserwürde von Glyssaan machen dürfen; Shandrak hingegen war Einwohner von Shyftan - die Liste hätte sich beliebig fortsetzen lassen. Irgendwo in der Festung waren Time-Squad-Einwohner dabei, einen jungen Makedonier zu erziehen, der nichts anderes im Kopf zu haben schien als Weiber, Wein und Raufhändel. Ich sah zu Demeter hinüber. „Was macht Divorsion?“ D. C. preßte die Lippen leicht aufeinander.
Der Jaynurn Divorsion stammte aus einem anderen Universum, in dem die Zeit - aus unserer
Sicht rückwärts lief. Er wurde mit jedem Tag jünger, und sein Zustand war bereits kritisch.
„Wir experimentieren“, bekannte Demeter. „Wir wollen versuchen, eine Zeitmaschine
vektoriell umzupolen - vielleicht können wir ihm damit helfen.“
Die Zeitmaschine. Ursprünglich ein streng gehütetes Geheimnis der Time-Squad, war
inzwischen fast zu einem universellen Gebrauchsgegenstand geworden. Wir transportierten Menschen und Güter damit, benutzten sie als Peilgerät und nun auch als Hilfsmittel, um unseren Freund zu retten. „Es kann losgehen“, sagte Demeter. Gehorsam bestiegen wir die Transportplattform der großen Zeitmaschine. Die Vorbereitungen liefen bereits. Druckluft, von unten durch die große Plattform gedrückt, hielt unsere Körper in der Schwebe. Anders als die Anlagen der Time-Squad, arbeiteten diese Maschinen mit einem grünlich leuchtenden Zeitfeld. Wo die technologischen Unterschiede lagen, hatten wir noch nicht herausfinden können. Ich wurde müde - das unverkennbare Zeichen dafür, daß ein Transport durch Raum und Zeit begann. Die Projektoren schickten ein Leuchten aus, das uns umhüllte, und dann schliefen wir für ein paar Sekunden ein. Als wir erwachten, hatten wir Ghanees Garten erreicht. Der ganze Vorgang hatte nur ein paar Sekunden in Anspruch genommen. Wir waren am Ziel.
2. „Hm“, machte Charriba vielsagend.
Die Landschaft mußte ihm gefallen. So ähnlich mußte das große amerikanische Felsengebirge
ausgesehen haben, bevor Siedler, Prospektoren und Minenkonzerne sich darangemacht hatten,
das Unterste zuoberst zu kehren. Hier gab es noch riesige Waldgebiete, die noch nie ein
Mensch betreten hatte, und von Imhotep wußten wir, daß diese Wälder reich an Wild waren.
Die Zeitmaschine von Ghanees Garten, die uns als Peilhilfe gedient hatte, wirkte angegriffen.
Einige Jahrhunderte lang hatte sie, der Witterung preisgegeben, auf der Lichtung gestanden.
Ringsum türmte sich das Material, das noch aus der gleichen Zeit stammte - es hatte zum
Aufbau einer Kolonie dienen sollen, aber dazu war es nicht mehr gekommen.
Imhotep machte ein verdrossenes Gesicht.
„Keine Spur von Ghanee“, murmelte er.
„Was hast du erwartet?“ fragte ihn Inky. „Ein riesengroßes Ausrufezeichen! Wenn sie eine
Nachricht für dich hinterlassen hat, dann höchstwahrscheinlich versteckt und nur für dich
erkennbar.“
„Lassen wir zuerst den Nachschub kommen“, schlug ich vor.
Wir peilten die Zeitmaschine genau ein. Ihre Energie bezog sie in einem komplizierten
Rückkopplungsverfahren aus der Festung auf Shyftan. Nach kurzer Zeit stand das Feld, und
wenig später tauchte unser Expeditionsfahrzeug auf. Unseretwegen hatte sich D. C. dazu
durchgerungen, einen der wenigen Gleiter einzusetzen, über die wir verfügten.
Wir packten das Fahrzeug mit allem voll, was wir für eine längere Erkundungsfahrt
brauchten, dann flogen wir ab.
Unsere Aufgabe war alles andere als leicht. Gesetzt den Fall, Ghanee hatte nach Imhoteps
Verschwinden mit ihrem angeschossenen Raumschiff tatsächlich den nach ihr benannten
Planeten erreicht, gesetzt den Fall, sie hatte die Bruchlandung überlebt - wo konnte sie dann
stecken? Es gab Millionen von Möglichkeiten, und nur eine davon traf höchstwahrscheinlich
zu.
Mit einem Gleiter allein ließ sich da herzlich wenig anfangen.
„Du wirst uns irgendeinen Anhaltspunkt geben müssen“, sagte ich zu Imhotep, während
Charriba den Gleiter durch das Gebirge vor uns lenkte. Er tat das mit der gleichen Ruhe und
Sicherheit, die für alle seine Handlungen kennzeichnend war.
„Ich habe einen vagen Verdacht“, meinte Imhotep. „Es gibt auf einem solchen Planeten nur
wenige Orte, wo man ein Raumschiffswrack wirklich einigermaßen ortungssicher und unauffällig unterbringen kann - eine besonders tiefe Stelle im Ozean. Dort werden wir suchen.“ Jenseits des schneeüberzogenen Gebirges gab es eine weite Grasebene, wie geschaffen für unsere Nomadenfreunde, die Kökö. Wenn es ihnen auf Shyftan zu eng werden sollte, fanden sie hier Land in Hülle und Fülle, mehr als genug, um sie ein paar Jahrhunderte lang zu beschäftigen. Der anschließende Landstrich war weit weniger anheimelnd. Er lag auf der Äquatorebene des Planeten, wurde von der ziemlich weißen Sonne stark beschienen und bot sich uns als ausgedehnte Sand- und Geröllwüste dar, über der die Luft in der Hitze flirrte. „Steige so hoch wie möglich“, bestimmte Imhotep. Charriba befolgte die Anweisung. In mehr als siebentausend Metern Höhe jagten wir durch die Lufthülle des Planeten. „Über das Gebirge hinweg“, bestimmte Imhotep. Dahinter konnten wir aus unserer Position bereits das erste Meer sehen - eine riesige Wasserfläche, die trügerisch zu uns heraufblitzte, anscheinend friedlich und harmlos, aber ich wußte nur zu gut, wie schnell und gründlich sich so etwas ändern konnte. „Fliege ruhig weiter“, sagte Imhotep. Er schien nach einer Markierung Ausschau zu halten und das mitten auf dem Meer. Vier Stunden lang flogen wir, ohne eine Küste sehen zu können. Dann tauchte vor uns das erste Land auf. Am Ufer ließen wir den Gleiter landen. Charriba schulterte seinen Bogen und verschwand im Uferwald, auf der Suche nach einem Mittagessen. „Wonach hältst du eigentlich Ausschau?“ wollte ich von Imhotep wissen. Der Fürst von Egol lächelte. „Zum einen nach bestimmten Landmarken - dem höchsten Berg des Planeten, der tiefsten Stelle im Ozean und dergleichen. Diese Merkmale kann jeder finden, der den Planeten gründlich untersucht. Haben wir diese Landmarken erst einmal gefunden, werde ich versuchen, mich in Ghanees Gedanken zu versetzen.“ „Wie soll das aussehen?“ „Es ist beispielsweise möglich, daß Ghanee ihr Schiff dort versteckt hat, wo das Meer am blauesten ist - sie ist Tochter des Fürsten der Blauen Sonnen, Es kann sein, daß auf einer Kartendarstellung einige dieser Landmarken ein Symbol darstellen, einen Buchstaben ihres Namens vielleicht. Die Verbindung, die logische Verknüpfung dieser Merkmale mit Ghanees Person, muß assoziativen Charakter haben, damit sie von Unbekannten nicht entdeckt werden kann. Wo würdet ihr auf der Erde eure Chefin suchen, wenn sie sich verstecken müßte?“ „In Washington“, sagte ich sofort. „Zu naheliegend“, antwortete Imhotep. „Ihr voller Name ist Demeter Carol Washington. Vielleicht gibt es einen Ort, der Demeter in Carolina heißt.“ „Ich weiß, wo sie zu finden wäre“, sagte Inky plötzlich. „Die Abkürzung D. C. steht im Amerikanischen auch für District of Columbia. Columbus hat angeblich Amerika entdeckt. Ich würde an dem Ort suchen, an dem er zum ersten Mal amerikanischen Boden betreten hat ich glaube, es ist eine kleine Insel in der Karibik, die jetzt Waters Island heißt, ein völlig unbedeutendes Inselchen - also genau der richtige Platz, um sich zu verstecken.“ „Genauso habe ich es mir gedacht. Wer Ghanee nicht kennt, wird diesen Platz niemals finden - und ich bin sicher, daß es entsprechende Hinweise auf diesem Planeten gibt.“
„Ganz elementar, mein lieber Watson“, murmelte Inky. „Ah, unser roter Bruder kehrt mit
Beute zurück. Glück gehabt, Winnetou?“
Charriba sah ihn an, dann fuhr seine Hand betont auffällig zum Skalpmesser in seinem Gürtel.
„Du sollst...“
„Schon gut, ich schweige“, sagte Inky grinsend.
Charriba hatte einen stattlichen Vierbeiner geschossen, den er aus der Decke schlug und
ausweidete. Was sich wenig später über dem Feuer drehte, versprach ein hervorragender
Braten zu werden. Zusammen mit den Vorräten aus dem Gleiter bekamen wir ein Essen, das auch für einen Sternenfürsten annehmbar war. „Wie viele Welten gehören eigentlich zum Fürstentum Egol?“ fragte ich beim Essen. „Mehrere hundert“, antwortete Imhotep. Wir Erdenwürmer sahen uns ein wenig betreten an. Nur zu gut war mir eine Szene im Gedächtnis, die sich vor etlichen Monaten abgespielt hatte, als D. C. bei ihren Vorgesetzten hatte vorsprechen müssen. Die Time-Squad brauchte für ihre neuen, erweiterten Aufgaben eine ungeheure Summe Geldes, und die Soldore saßen den Regierungsbeamten nicht gerade locker im Gürtel. Damals hatte D. C. all ihre Künste der Menschenbeeinflussung aufbieten müssen, um eitlen, engstirnigen Senatoren Milliarden aus den Budgets zu locken. Und jetzt saßen wir mit einem Menschen zusammen, der über Hunderte von Welten gebot die mächtigste Person, mit der wir je zu tun hatten. Allerdings wirkte Imhotep in diesem Augenblick alles andere als respektgebietend. Er schlug wie wir heißhungrig die Zähne in das köstliche Fleisch, der Saft lief ihm an den Kinnwinkeln herunter, und die Hände wischte er sich wie wir an den Hosenbeinen ab. „Von der Zahl der Welten her ist Egol nicht einmal das größte Lehen des Kaiserreiches“, fuhr Imhotep fort. „Darcyr, der Fürst der Blauen Sonnen, verwaltet mehr als zweitausend Welten.“ „Und das ganze Kaiserreich?“ „Umfaßt knapp dreißigtausend Welten, davon knapp die Hälfte von Menschen unseresgleichen besiedelt“, lautete die niederschmetternde Antwort. Imhotep schien zu verstehen, was in uns vorging - in dieser ungeheuren Ansammlung von Menschen mußte die kleine Truppe der Time-Squad aufgehen wie ein Tautropfen im Ozean. Imhotep lächelte uns an. „Keine Sorge“, sagte er zuversichtlich. „Wenn wir einen Kontakt herstellen, werde ich schon dafür sorgen, daß ihr nicht untergeht. Dafür seid ihr viel zu wichtig. Eure Erkenntnisse über die Oberen, wie ihr sie nennt, werden das Kaiserreich erschüttern.“ „Wenn wir Kontakt herstellen“, ergänzte ich. „Einstweilen ist es noch nicht soweit.“ Charriba übernahm in dieser Nacht die erste Wache, am nächsten Morgen setzten wir unseren Flug fort. Immer deutlicher wurde uns, daß Imhotep sich für seinen großartigen Plan wahre Juwele von Welten ausgesucht hatte. Ghanees Garten war im Durchschnitt ein wenig kühler als die Erde; der größte Teil der Landfläche war bewaldet, es gab riesige Gebiete, in denen man Feldfrüchte anbauen konnte, und was wir mit unseren dürftigen Mitteln an Bodenschätzen anmessen konnten, versprach Grundlage für eine ertragreiche Industrie zu werden. Vorausgesetzt natürlich, man verfiel nicht in die Fehler, die auf der Erde so oft gemacht worden waren. Natürlich fanden wir auch markante Punkte. Der höchste Berg lag in einer ganzen Schar von Zehntausendern und ragte nach unserer Messung mehr als zwölf tausend Meter in die klare Luft. Außerdem entdeckten wir eine große Meeresbucht, deren Umriß man mit einiger Phantasie als Frauenkopf deuten konnte. Von Ghanees Raumschiff indessen fand sich keine Spur, und Imhotep wurde zusehends unruhiger. In einer langen Spirallinie überflog der Gleiter den Planeten. Er überquerte jeden Landstrich, ließ nicht, einmal die eisbedeckten Polkappen aus, aber es fand sich keine Spur. Am Morgen des dritten Tages machte sich die kleine Expedition daran, die andere Hälfte des Planeten auf die gleiche Art und Weise zu untersuchen. Mürrisch hockte Imhotep auf seinem Sitz. Seine schlechte Laune übertrug sich allmählich auch auf uns. „Diese Ecke können wir schnell überfliegen“, murmelte Charriba, der den Gleiter steuerte. „Ein riesiges Sumpfgebiet.“
Imhotep schreckte hoch.
„Sumpf? Wie groß?“
Charriba deutete nach unten.
„Da könnte man eine ganze Flotte verstecken, ohne sie jemals wiederfinden zu können.“
Über Imhoteps Gesicht flog ein Lächeln.
„Sumpf“, wiederholte er geistesabwesend. „Natürlich - das ist der Hinweis, den ich gesucht
habe.“
Er sah unseren Mienen an, daß wir ihn nicht verstanden.
„Bei meiner ersten Begegnung mit Ghanee ließ ich ihr von einem Robot einen Strauß Blumen
besorgen. Gepflückt hat er sie in einem Morastgebiet, mitsamt den Wurzeln. Ghanee wurde
ziemlich beschmutzt, und ein paar Tage später, bei einem Jagdausflug auf diesem Planeten,
landete ich unverhofft im Schlick. Geh tiefer, Charriba, irgendwo dort unten werden wir
etwas finden.“
In zehn Schritt Höhe schwebte der Gleiter über den Morast hinweg. Gewiß, daß war ein
vorzüglicher Platz um etwas zu verstecken - aber nichts, was man gern wiedergefunden hätte.
Eine Messung ergab, daß der Schlick teilweise einen halben Kilometer dick war. Völlig
ausgeschlossen, aus diesem Brei mit unseren geringen Mitteln etwas zutage fördern zu
können.
„Hm“, machte Imhotep. „Mein Gedächtnis. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, welche
Blumen Ghanee damals bekommen hat.“
Die Auswahl war groß. Wir sahen Blüten in allen Farben des Regenbogens und einer Vielzahl
von Farbmischungen.
„Fliege einmal am Rand des Sumpfes herum“, forderte Imhotep. „Wenn es zu dem Versteck
einen Zugang gibt, dann wohl von festem Boden aus.“
Charriba befolgte die Anweisungen.
Zwei Stunden vergingen, nichts war zu sehen, was uns weitergeholfen hätte.
„Halt!“ rief Imhotep schließlich.
Der Gleiter kam zum Stillstand. Gewandt kletterte Imhotep außenbords. Was er an dem
tückisch schillernden Morast so faszinierend fand, blieb einstweilen unerfindlich.
„Das sind die Blumen“, rief er aus; er strahlte über das ganze Gesicht. „Diese Sorte habe ich
Ghanee geschenkt.“
Rasch kletterte er in den Gleiter zurück.
„Steige auf und bleibe genau über diesem Gebiet stehen. Ich will es mir von oben ansehen.“
Die Blüten, die in einem intensiven Blau schimmerten, bildeten unregelmäßige Inseln auf der
grünen Fläche des Moores. Imhotep betrachtete sie eingehend. Wieder begann er zu lächeln.
„Das ist kein Zufall“, sagte er dann, begleitet von einem Seufzer der Erleichterung. „Seht
selbst - die einzelnen Blüteninseln ergeben zusammen ein Sternbild. Es ist die Konstellation
der Blauen Sonnen, die man von Egol aus am Nachthimmel sehen kann. Dies ist ein Hinweis
für mich, andernfalls hätte Ghanee das Muster gewählt, das man von Glyssaan aus sieht. Nur
ein Bewohner Egols kann darin die Blauen Sonnen erkennen.“
Wenn das stimmte, was Imhotep vermutete, dann mußte Ghanee eine Frau von
bemerkenswerter Intelligenz und Kaltblütigkeit sein.
„Mehr nach rechts, Charriba. Bleibe über dieser Gruppe stehen.“
Imhotep zeigte ein zufriedenes Gesicht.
„Diese Gruppe von Blüten entspricht der Sonne Kalh. Dort ist Ghanee aufgewachsen - und
dort müßten wir eigentlich finden, was wir suchen.“
Charriba ließ den Gleiter in der Luft stehen. Imhotep schnallte sich einen Sicherheitsgurt um
den Leib, knotete ein Seil daran fest und ließ sich dann von uns langsam auf die fragliche
Stelle hinabgleiten.
„Langsamer!“ rief er hinauf.
Er mußte aufpassen. Selbst wenn es dort unten einen Zugang zu irgend etwas gab - ein Schritt
daneben, und er steckte bis zum Hals in einem Sumpf, der dieses Opfer sicherlich nicht
kampflos wieder hergab.
„Kontakt!“ schrie Imhotep hinauf. „Ich stehe auf festem Boden.“
Locker hing das Seil herab. Ich beugte mich über den Rand und sah zu Imhotep hinunter. Mit
beiden Händen riß er die Blüten aus dem Boden und warf sie fort. Das Klatschen und
blitzartige Verschwinden der Klumpen im Morast in der Nähe verriet uns überdeutlich, auf
welche Gefahr er sich eingelassen hatte.
„Metall!“ schrie Imhotep. „Eine stählerne Platte. Komm runter, Tovar, ich werde deine Hilfe
brauchen.“ Ich hangelte mich an dem Seil hinab. Nach kurzer Zeit stand ich neben Imhotep.
Er hatte inzwischen eine Fläche von zwei Quadratmetern freigelegt. „Faß mit an!“
Es gab einen primitiven Handgriff, mit dem man einen Teil des Metallbodens hochziehen
konnte. Mit vereinten Kräften zerrten wir an dem Griff. Ein Schnalzen war zu hören, dann
klappte der Deckel mit lautem Ächzen in die Höhe.
Eine Öffnung war zu sehen, aus der eine modrige Geruchswolke in die Höhe stieg. Imhotep
preßte die Lippen aufeinander, als er den Geruch wahrnahm. Er schmeckte nach Verfall und
Tod.
Inky warf mir einen Handscheinwerfer herab. Wir leuchteten die Öffnung aus.
Es war nicht mehr als ein metallenes Rohr mit zahlreichen Sprossen, die einen verdächtig
morschen Eindruck machten.
„Ich steige voran“, erklärte Imhotep und kletterte in das Loch hinein. Ich folgte und leuchtete
ihm mit dem Scheinwerfer den Weg aus. Über uns hing der Gleiter. Inky gab Seil nach im
Notfall konnte er uns beide mit der Winde in die Höhe befördern, und ich war über dieses
Sicherheitssystem froh.
Etwa dreihundert Sprossen tief kletterten wir hinab, dann versperrte uns eine weitere
Metallplatte den Weg. Silbern schimmerte sie im Licht meines Handscheinwerfers.
„Spezialstahl für Raumschiffshüllen“, frohlockte Imhotep. „Das muß Ghanees Raumschiff
sein.“
„Und wie bekommen wir das Ding auf?“ wollte ich wissen.
„Versuchen wir es mit Klopfbotschaften“, sagte Imhotep. Er zog die Waffe aus dem Gürtel
und schlug in einem Morsekode gegen das Metall der Tür.
„Ghanees Name“, klärte er mich auf.
Nichts rührte sich. Imhotep versuchte es mit dem Namen von Ghanees Vater, dann mit
seinem eigenen. Erst der Name seines Schiffes, der KOLTHAN, zeigte Wirkung. Das Schott
schwang ächzend ein Stück auf.
Wir packten zu und versuchten, die Tür weiter zu öffnen. Der Schweiß lief uns über das
Gesicht.
„Groß genug“, schnaufte Imhotep nach einiger Zeit. „Ich schlüpfe als erster hinein.“
Die Luft im Innern des Schiffes war sauberer und frischer als die in dem Zugangsstollen.
Aber auch hier schmeckte die Luft nach Staub und Verfall.
An Bord eines Blausonnenschiffs kannte sich Imhotep bestens aus. Mit traumwandlerischer
Sicherheit betätigte er Schalter, drückte hier einen Knopf, dort einen Hebel. Licht flammte
auf, und vor uns öffnete sich langsam ein weiteres Schott.
„Die Technik ist noch weitgehend in Ordnung“, verkündete Imhotep.
Er fand den zentralen Antigravschacht. Diese Einrichtung arbeitete ebenfalls, sobald Imhotep
sie aktiviert hatte. Langsam schwebten wir durch das Schiff.
Jetzt war deutlich zu sehen, daß es Kämpfe und Treffer gegeben hatte. Leitungen waren
geborsten und danach nur notdürftig wieder geflickt worden, Kabel baumelten lose herab,
Leuchtkörper fehlten oder flackerten heftig.
Auffällig war der Prunk des Schiffes. Fast jeder Gegenstand, den ich zu sehen bekam, war in
irgendeiner Form künstlerisch durchgestaltet worden.
Ich sah, daß Imhotep tief Luft holte.
Er schwang sich aus dem Schacht, ich folgte ihm.
„Dort vorn ist die Zentrale“, stieß er hervor.
Das schwere Schott öffnete sich geräuschlos. Die Beleuchtung flammte automatisch auf.
Es waren sieben, und von ihnen waren nur die Gebeine übriggeblieben. Sie saßen bleich in
dem Sessel des Piloten und des Navigators und in den anderen Funktionen in der Zentrale des
Schiffes. Imhoteps Blick glitt über die Gerippe.
„Es müssen mehr sein“, sagte er. Ich sah, daß seine rechte Hand sich öffnete und schloß.
Nacheinander durchstreiften wir die anderen Räume in der Nähe der Zentrale. Überall stießen
wir auf die Überreste der ehemaligen Besatzungsmitglieder.
„Sie haben die Landung überstanden“, sagte Imhotep. Er deutete auf die Einrichtung einer
Kabine, in der vier Tote lagen. „Sie müssen sehr lange im Innern des Schiffes gelebt haben.
Wahrscheinlich sind sie entweder an Altersschwäche gestorben, oder sie haben sich selbst den
Tod gegeben.“
Ich wußte, wonach er suchte - nach Ghanee -, und ich wußte auch, was er anzutreffen
befürchtete.
Imhotep blieb stehen.
„Das ist Ghanees Kabine“, sagte er leise. Er sah mich an. „Ich gehe allein.“
Ich nickte.
Vorsichtig öffnete Imhotep das Schloß, dann trat er ein. Es war einige Zeit sehr still, dann
hörte ich ihn leise rufen: „Komm herein!“
3. Von dem, was Imhotep an ihr wohl bewundert hatte, war nicht mehr viel zu sehen. Ihre Haare waren lang, ihre Fingernägel waren länger als ihre Finger, ihre Haut wirkte fahl und blutleer. Das Gesicht war unglaublich schmal, die Wangen eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen. Das Gewand, das ihren Körper bedeckt hatte, war inzwischen weitgehend zerfallen. Aber sie lebte. Es ließ sich nicht leugnen. In großen Abständen, alle paar Minuten nur bewegte sich ihr Brustkorb, sehr flach und kaum erkennbar. Imhotep kniete neben ihrem Lager nieder und fühlte ihren Puls. „Sie lebt“, flüsterte er. „Bei den Sternen von Glyssaan, sie lebt.“ Offenbar hatte Ghanee lange Jahre, höchstwahrscheinlich Jahrhunderte in einem künstlichen Winterschlaf gelegen. Diese künstliche Beeinflussung aller Stoffwechselvorgänge ließ den Verbrauch des eingeschläferten Körpers an Atemluft und Nahrungsmitteln zwar auf ein geringes Maß zurückgehen, völlig stoppen konnte man sie allerdings nicht, das hätte den Tod bedeutet. Aus dem Zustand des Körpers ließ sich ablesen, welche Zeitspannen Ghanee so verbracht haben mußte. Indizien waren die Haare und Fingernägel, die auch bei der Hibernation weiterwuchsen, wenn auch stark verlangsamt. Deutlichster Hinweis aber war der ausgemergelte Körper - Ghanee war halb verhungert. Sie brauchte schnellstens ärztliche Hilfe. „Kannst du sie aufwecken?“ fragte ich Imhotep. Er sah nach dem Gürtel der Frau. Die große Schnalle war ähnlich gearbeitet wie die, die wir seinerzeit bei Imhotep gefunden hatten. Dort war, in das Metall eingearbeitet, das Muster der Blauen Sonnen zu erkennen - mit einer geringfügigen Abweichung von der Wirklichkeit. Imhotep brauchte nur den Saphir, der Ghanees Geburtsplaneten darstellte, auf seine richtige Position zu schieben. Als er das tat, schnappte die Schnalle auf - in einem Hohlraum wurde eine Phiole mit einer rötlichen Flüssigkeit sichtbar. „Vorsichtig!“ warnte ich Imhotep, als er mit bebenden Fingern nach der Flasche griff.
„Beruhige dich erst einmal.“
Imhotep nickte. Er zitterte am ganzen Leib.
„Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben“, gestand er.
Er träufelte einen Tropfen der Flüssigkeit auf Ghanees Lippen. Sie färbten sich sofort intensiv
rot. Die Atemfrequenz stieg an.
„Kennt außer dir noch jemand diese Rezeptur?“ fragte ich. Imhotep sah auf.
„Ich habe einem ägyptischen Heilkundigen das Rezept gegeben“, sagte er. „Warum willst du
das wissen?“
„Weil ich diese Szene kenne“, antwortete ich. „Aus einem uralten Roman von Alexandre
Dumas. Dort kann ein geheimnisvoller Mann mit einer ebenso geheimnisvollen roten
Flüssigkeit wahre Wunder bei der Wiedererweckung Kranker und Halbtoter bewirken.“
„Möglich, daß das Rezept weitergegeben worden ist“, sagte Imhotep. Er flößte Ghanee einen
neuen Tropfen ein.
Wenn meine Überlegungen stimmten, war ein weiteres winziges Geheimnis gelöst. Wie
allerdings der Autor Dumas an die Rezeptur eines Sternenfürsten gekommen war, der noch
dazu aus der Zukunft stammte - das Rätsel würde sich wohl nie lösen lassen.
Ghanee atmete jetzt fast normal. In ihre bleichen Züge kehrte Farbe zurück. Schließlich stieß
sie einen leisen Seufzer aus. Dann öffnete sie die Augen.
Ihr Blick fiel zuerst auf mich. Er war ausdruckslos. Dann entdeckte sie Imhotep.
„Du hast mich gefunden“, flüsterte sie.
„Nach sehr langer Zeit“, antwortete Imhotep. „Du darfst dich jetzt nicht aufregen - du bist
sehr geschwächt.“
Ghanee nickte.
Ich zog es vor, mich diskret zu entfernen. Was die beiden sich in diesem Augenblick des
Wiedersehens zu sagen hatten, ging mich nichts an.
Ich kehrte zu dem Gleiter zurück. Charriba und Inky starrten von oben in die Öffnung und
machten erleichterte Gesichter, als sie mich auftauchen sahen.
„Wir brauchen Platz für Ghanee“, rief ich hinauf. „Und dann so schnell wie möglich zurück
nach Shyftan.“
Imhotep übernahm es, Ghanee an die Oberfläche zu bringen. Ihr Körper lag leicht in seinen
Armen. In tiefen Zügen sog Ghanee die frische Luft der Oberfläche ein.
„Was sind das für Leute?“ fragte sie dann und wies auf mich und meine beiden Gefährten.
„Gute Freunde“, antwortete Imhotep. „Ihnen habe ich es zu verdanken, daß wir dich hier
finden konnten.“
Ghanee runzelte die Stirn, dann lächelte sie.
„Sie werden auch meine Freunde sein“, sagte sie. „Das Fürstentum der Blauen Sonnen wird
allerdings Mühe haben, diesen Dank auszudrücken.“
„Später“, sagte ich. „Schaffen wir sie an Bord.“
Ghanee war rasch untergebracht. Imhotep kümmerte sich um sie, während Charriba den
Gleiter mit höchster Fahrt zum Transmitter zurücksteuerte. Als Ghanee das Gerät sah,
runzelte sie die Stirn noch heftiger als beim ersten Mal.
„Wir erklären dir alles später“, vertröstete Imhotep sie. „Du kannst ihnen vertrauen.“
Wenige Minuten danach stand der Gleiter auf der Oberfläche von Shyftan. D. C. erwartete
uns bereits.
„Gut gemacht“, lobte sie. „Hattet ihr Schwierigkeiten?“
„Bislang nicht“, antwortete ich ahnungsvoll. D. C. lächelte.
„Ihr werdet welche bekommen“, versprach sie.
* „Aus den Nokhtern ist nichts herauszuholen“, erläuterte die Chefin der Time-Squad ernst.
„Unsere Gefangenen gehören zum technischen Personal des Beuteschiffs, ihr Kenntnisstand ist mehr als dürftig. Außerdem haben sie naturgemäß keine Lust, mit Wesen zusammenzuarbeiten, die sie als ihre Feinde betrachten.“ Demeter machte eine kleine Pause. Bei unserem letzten Vorstoß zur Erde hatten wir ein raumtüchtiges Schiff erbeutet - eines jener Schiffe, die in großer Zahl auf der Erde gelandet waren und dort Invasionstruppen abgesetzt hatten. Seither wurde auf der Erde erbittert gekämpft - seltsamerweise nur mit vergleichsweise konventionellen Waffen. Den Grund dafür kannten wir bereits - es ging in diesem Kampf nicht um die Eroberung der Erde. Die unbekannten Drahtzieher, die wir mangels besserer Erkenntnisse einfach die Oberen nannten, wollten aus den Erdbewohnern in ewig langen Zermürbungskämpfen ein Volk von Elitekriegern heranzüchten. Die Erde sollte zu einer einzigen Kaserne umgewandelt werden - eine Vorstellung, die nicht nur uns Grausen bereitete. Bei einem Vorstoß in die Relativzukunft hatten wir bereits erleben können, was aus diesem Plan werden konnte. Im Achtzigsten Jahrtausend menschlicher Zeitrechnung waren die Terraner in ihren schwarzen Würfelschiffen der Alptraum der Galaxis. Dies zu verhindern, war eine unserer selbstgestellten Aufgaben. Wir haben auch versucht, die gefangenen Blausonnenleute zu verhören. Ohne Ergebnis, sie geben keinerlei Auskünfte.“ „Man kann nachhelfen“, sagte Imhotep gelassen. „An die Anwendung von Wahrheitssera haben wir auch schon gedacht“, gab Demeter zu. „Aber das verstößt gegen unsere Prinzipien. Eines allerdings ist aus Andeutungen klar hervorgegangen - im Imperium von Glyssaan geht es drunter und drüber. Das Imperium scheint in einzelne souveräne Fürstentümer zu zerbrechen.“ Ich sah, wie Imhotep erblaßte. „Vor allem das Fürstentum der Blauen Sonnen scheint sich gegen das Imperium erhoben zu haben.“ „Ausgeschlossen“, begehrte Imhotep auf. „Darcyr verfolgt eigene Pläne, das ist gewiß - aber er ist kein Verräter. Er weiß so gut wie jeder andere Sternenfürst, daß ein Auseinanderbrechen des Imperiums das Ende auch für jedes einzelne Fürstentum sein muß.“ D. C. nickte. „Das klingt logisch“, antwortete sie. „Die Tatsachen reden leider eine ganz andere Sprache. Die Zeit, aus der die Blausonnenleute vorgestoßen sind, liegt ungefähr sechs Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem Imhotep scheinbar spurlos aus Glyssaan verschwunden ist.“ „Dann haben wir eine Chance, diese Entwicklung rückgängig zu machen“, rief Inky. „Bedauerlicherweise nicht“, antwortete Demeter bedrückt. „Unsere Fachwissenschaftler haben nämlich eine wichtige Entdeckung gemacht. Sie betrifft den Ortungsschutz, den Imhotep seinen Zeitmaschinen angebaut hat.“ „Funktioniert er etwa nicht?“ fragte Imhotep verblüfft. „Wir haben zahllose Proben damit gemacht.“ „Er funktioniert einwandfrei“, erklärte Demeter. „Aber dieser Schutz erstreckt sich nur auf die Zeitreise selbst. Sie kann unbemerkt durchgeführt werden. Veränderungen im zeitlich logischen Ablauf der Geschehnisse allerdings sind nach wie vor anmeßbar - wie sollte es auch anders sein. Schließlich will man bei einem Eingriff in die Vergangenheit ein ganz bestimmtes Ergebnis erzielen, das für nahezu jeden klar erkennbar ist. Der naheliegende Vorschlag, Imhotep in die Zeit unmittelbar nach seinem Abflug von Glyssaan zurückzuschicken und die Revolten im Keim zu unterbinden, fällt damit aus. Alles, was wir tun können, ist, Kontakt mit dem Imperium aufzunehmen, das im Augenblick existiert.“ D. D. sah sich um.
„Die Frage ist jetzt - sollen wir das tun?“
Sie brauchte die zahlreichen Bedenken und Einwände gegen eine solche Operation gar nicht
erst zu formulieren. Jeder im Raum kannte sie genau.
„Mit Imhotep und Ghanee als Verbündeten müßten wir Erfolgsaussichten haben“, sagte Inky
nachdenklich. „Ghanee als Tochter des Blausonnenfürsten und Imhotep als Fürst von Egol
müßten eine ausreichende Sicherheit für uns sein. Im Zweifelsfall können wir immer noch nach Shyftan zurückkehren.“ Imhotep hob die Hand. „Ich weiß ein besseres Verfahren“, sagte er. „Wir benutzen die Mental-Relais.“ Das Wort fiel zum erstenmal. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen. „Mental-Relais sind nichts weiter als Hilfskörper, auf die ein Bewußtseinsinhalt übertragen werden kann. Sie werden nur in besonderen Notfällen eingesetzt und gelten als streng geheim. Ich verfüge auf verschiedenen Welten Egols über Relais-Körper, und für Ghanee wird das gleiche gelten.“ Ich begriff sofort, worauf Imhotep hinaus wollte. In der Anfangszeit der Time-Squad hatte unsere Arbeit vornehmlich darin bestanden, als körperlose Beobachter durch die Zeit zu reisen und Verbrechen am Ort und zur Zeit ihres Geschehens zu beobachten. Auf diese Technik wollte Imhotep zurückgreifen. Ich vermutete, daß es uns möglich sein würde, die Körper dieser Mental-Relais zu übernehmen und mit ihnen ganz normal zu agieren. „Wie viele solcher Mental-Relais kannst du uns zur Verfügung stellen?“ fragte Inky sofort. „Mehr als ein Dutzend“, antwortete der Sternenfürst. „Ich halte es aber für besser, nur drei oder vier einzusetzen - wir brauchen vielleicht Eingreifreserven.“ D. C. sah sich in der Runde um. Sie suchte nach Kandidaten für diesen Auftrag, und wie
selbstverständlich blieb ihr Blick an mir haften. Täuschte ich mich, oder hatte sie tatsächlich
den Mund zu einem freundlichen Lächeln verzogen?
„Ich nehme an, Sie wollen dabei sein“, sagte Demeter, und ich nickte. Charriba war mit von
der Partie, Inky und natürlich Imhotep.
„Dann kommt“, bestimmte Demeter. Der Rest der Versammlung ging wieder an die Arbeit.
Gehorsam trotteten wir hinter unserer Chefin her.
„Das wollte ich euch noch zeigen“, sagte sie und öffnete eine Tür.
Dahinter erkannten wir das Gerät, dem unsere Truppe ihren Namen verdankte - eine
Zeitmaschine. Auf der Grundplatte schwebte, von Druckluft getragen, ein Körper.
„Diversion“, sagte Demeter leise. „Wir haben das Zeitfeld aktiviert und so geschaltet, daß für
Divorsion praktisch keine Zeit mehr vergeht. Er wird nicht weiter jünger werden.“
Ein aberwitziger Gedanke durchzuckte mich.
„Mit dem gleichen Verfahren könnte man...“
„Ganz richtig“, sagte Demeter freundlich und schloß die Tür wieder. „Man könnte. Wir
werden es aber nicht tun.“
Nun, Unsterblichkeit war sicherlich eine feine Sache - aber um den Preis einer dauernden
Bewußtlosigkeit sicherlich nicht. Doch vielleicht ließ sich irgendein Dreh finden... Ich
beschloß, mich nach meiner Rückkehr mit diesem Problem einmal eingehender zu befassen.
Das Team, das die Zeitmaschine bediente, war einsatzklar. Über Telemetrie wurden unsere
Körperfunktionen angemessen und ausgewertet, außerdem konnten grundlegende Strukturen
unserer Gedanken erfaßt werden - allerdings nur in so groben Rastern wie Angst, Freude,
Erschrecken oder Traurigkeit. Eine differenzierte Erfassung menschlicher Geistestätigkeit war
noch nicht möglich.
Einmal mehr bewunderte ich die unerschütterliche Gelassenheit, mit der Inky die Prozedur
über sich ergehen ließ. Für ihn, der aus der Mitte des kriegsgeschüttelten zwanzigsten
Jahrhunderts stammte, mußte all dies wirken wie eine überdrehte Filmkulisse - er aber tat so,
als gehöre dergleichen zu seinem Alltag, Was inzwischen auch stimmte.
Die Transportplatte bot für uns vier Platz genug.
„Nehmt Kontakt auf“, bestimmte Demeter. „Ihr müßt beieinander bleiben. Imhotep wird die
Führung übernehmen.“
Das Leuchten um uns herum wurde stärker. Das Zeitfeld baute sich auf und stabilisierte sich.
Wie immer wurden wir für ein paar Augenblicke entsetzlich müde, fielen in Bewußtlosigkeit
und wachten ebenso schlagartig wieder auf. Um uns herum waren Sterne. Sie standen dicht
bei dicht, ein deutliches Zeichen, daß wir entweder nahe dem galaktischen Zentrum oder in
einem Kugelsternhaufen herausgekommen waren. Deutlich konnte ich die Anwesenheit der anderen spüren, auch wenn ich sie nicht sehen konnte. Es kostete ein klein wenig Übung und sehr viel Nervenstärke, eine solche Zeitreise zu machen. Wenn ich auch nur für einen Augenblick vergaß, daß ich in diesem Zustand keinen Körper besaß, wenn mich Panik vor dem Vakuum und der Kälte des freien Raumes überfielen - dann war ich im gleichen Augenblick ein toter Mann. Mein Körper, der in der Zeitmaschine verblieben war, würde mit einem tödlichen Schock reagieren. Beieinander bleiben. Das war jetzt das Wichtigste. Wenn wir einander verloren, blieb uns nichts anderes übrig, als in unsere Körper zurückzukehren und das Experiment von vorn zu beginnen - mit allen Risiken, die damit verbunden waren. „Weiter!“ Das war eine Anweisung von Imhotep. Ich konnte spüren, wie sie in mir entstand, sich als Klangbotschaft in mein Hirn drängte und dort sogar mit Imhoteps Tonfall auftauchte. Er übernahm die Führung. Die Kraft der Gedanken trieb uns vorwärts, an Sonnensystemen vorbei, durch Kugelhaufen, durch rätselhafte Nebelgebilde. Nur das Bewußtsein reiste und nahm wahr. Wir hatten keine Augen, keine Ohren, keinen Geschmack. Und doch sahen, hörten und schmeckten wir. „Dorthin!“ Vor uns tauchte eine blaue Sonne auf, einer der Sterne, die dem Fürstentum der Blauen Sonnen den Namen gegeben hatte. Wir durchflogen die inneren Planetenbahnen. Raumschiffe begegneten uns. Ob sie uns anpeilen konnten? „Rathar“, informierte uns Imhotep. Dann mußte die Sonne Rath heißen. Sie war der wichtigste Stern in dem Fürstentum, dort stand der Palast des Fürsten, der über Milliarden von Menschen und Fremdlebewesen gebot. Rathar hatte knapp fünfhundert Millionen Bewohner, auch das hatte uns Imhotep vor unserem Aufbruch verraten. Der Planet war ungefähr so groß wie die Erde, und mehr Bewohner konnte kein Planet dieser Größe verkraften, wenn nicht auf Dauer Raubbau mit den Naturschätzen getrieben werden sollte. Wir sanken auf die Oberfläche herab. Alles war gleich - und anders. Es gab Meere und Berge, Savannen und Dschungel, Städte und Felsenwüsten. Dichtbewachsene Regionen fanden sich, aber auch riesige Stadtkomplexe, die sich vor irdischen Millionenstädten nicht zu verstecken brauchten. Die Hauptstadt RathanPahr - übersetzt hieß das soviel wie: der Stolz von Rathan - hatte sieben Millionen Einwohner. „Der Sternendom“, gab Imhotep bekannt. Das Gebäude stand mitten im Zentrum der Stadt, umgeben von weiträumigen Parks, in denen Brunnen Fontänen sprühen ließen und sich Spaziergänger bewegten. Es war ein Bild des tiefsten Friedens. Wir durchdrangen die Hülle des Sternendoms. Immer noch hatte Imhotep die Führung. Er schien es eilig zu haben. Auf das Innere des Domes konnten wir nur einen flüchtigen Blick werfen, dann sanken wir durch immer dicker werdende Betondecken hinab in die Gewölbe unterhalb des Domes. Dort waren einige der Relais-Körper untergebracht. Wenigstens einen davon wollten wir übernehmen. Diese Körper waren in einer Art perfekt äußerlich waren sie von normalen Bewohnern des Imperiums nicht zu unterscheiden. Nur eine sehr gründliche Untersuchung hätte das kleine Gerät sichtbar werden lassen, das die Körper während der unbelebten Phase biologisch stabil hielt. Erst wenn er von einem fremden Bewußtseinsinhalt übernommen wurde, funktionierte der Relais-Körper so wie jeder andere Körper - mit allen Vorteilen und Risiken. Im Klartext hieß das, daß wir in diesen Körpern einen handfesten Schnupfen bekommen konnten, daß wir verletzt und getötet werden konnten - wenn es uns nicht gelang, rechtzeitig
aus diesem Gastkörper herauszukommen.
Nun, das sollte kein Problem sein ein Gedanke genügte, um uns im Bruchteil einer Sekunde
zurückzubringen in die Zentrale der Time-Squad.
Die Körper tauchten auf. Sie lagen in Isolierzellen, an ein externes Lebenserhaltungssystem
angeschlossen.
Niemand war zu sehen. Die Operation konnte beginnen.
4. Ich wußte es bereits im ersten Augenblick. Wir waren in einer Falle gelandet. Von dem Relais-Körper, den ich mir ausgesucht hatte - ein kräftiger junger Mann - ging sofort bei der Kontaktaufnahme ein geistiger Sog aus, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ich plumpste gleichsam in den Körper hinein, mit einem Schlag spürte ich Arme, Beine, den Leib. Und ich spürte auch, daß ich aus eigener Kraft diesen Körper nicht mehr würde verlassen können. Irgend etwas hielt mich fest. Mit aller geistiger Kraft versuchte ich, dagegen anzukämpfen. Es war vergeblich - das einzige, was ich erreichte, war ein totales Verkrampfen meines Gastkörpers. Die Bewegungen wurden wohl von einer Überwachungsautomatik erfaßt und beantwortet - die Kanülen für das externe Erhaltungssystem wurden aus dem Körper gezogen, die Heizung schaltete sich ein, und die Beleuchtung flammte auf. Ein feines Kribbeln ging durch meinen neuen Körper. Ich versuchte herauszufinden, ob er mir gehorchte - die Verwünschung, die ich laut und deutlich gedacht hatte, erklang ebenso klar und deutlich. Die einzelnen Zellen waren durch halbtransparente Wände voneinander getrennt. Als ich mich aufrichtete, sah ich in der Nachbarzelle zu meiner Rechten einen anderen Körper sich bewegen. Also saßen wir alle fest. Wie die Narren waren wir in die Falle getappt - es fragte sich nur, wer diese Falle für wen aufgestellt hatte. Daß sie uns galt, erschien mir unwahrscheinlich - in der Auseinandersetzung, die zur Zeit in der Milchstraße tobte, waren wir von der Time-Squad nicht mehr als ein vernachlässigbarer Faktor, entschieden zu unwichtig, um einen solchen Aufwand zu rechtfertigen. Ich stand auf und ging zum Kleiderschrank hinüber. Hastig zog ich mich aus den Vorräten an - Unterwäsche, eine enge Hose, darüber eine weite Bluse, Stiefel und einen Gürtel, der mit
allerlei Gerätschaften gespickt war.
Jemand trat ein - ein Hüne von einem Mann, eine einzige Ansammlung von Muskelpaketen.
„Charriba?“ fragte ich.
„Schön war’s“, antwortete der Riese. Seine dunklen Augen betrachteten sich im Spiegel mit
sichtlichem Wohlgefallen. Probeweise spannte er die Muskeln.
An einer Bewegung erkannte ich ihn - mit dieser Geste pflegte Inky seine wirre Haarmähne
angeblich zu bändigen. Wider Willen mußte ich lachen - ausgerechnet der hagere Inky in
diesem Modellkörper.
„Du wirst es schon bemerkt haben“, stellte er trocken fest. „Wir kommen aus den Dingern
nicht mehr heraus.“
Ich nickte.
Charriba tauchte auf - als blondgelockter Jüngling mit weichen Gliedern und einem
schmachtenden Ausdruck in den Augen. Der Blick veränderte sich ein wenig, als er Inkys
neuen Körper sah - offenbar hätte es Charriba vorgezogen, diesen Körper zu übernehmen.
Inky war ihm wohl zuvorgekommen.
Imhotep erschien als Greis - hager und grauhaarig, im Gesicht ein Ausdruck abgeklärter
Würde. Es paßte gut zu ihm, fand ich.
„Was nun?“ fragte ich ihn.
Imhotep zuckte mit den schmalen Schultern.
„Wir gehen nach oben“, sagte er. „Dort werden wir mehr erfahren. Die Individualdaten dieser
Körper sind in allen wichtigen Positroniken gespeichert und weisen uns als
Entscheidungsbevollmächtigte aus. Wir werden alle Informationen bekommen können, die
wir brauchen.“
Er täuschte sich gewaltig.
Als wir auf den Gang traten, war das Empfangskommando bereits angetreten. Zwanzig
schweigsame, sehr energisch wirkende Männer mit überaus beredten Waffen in den Händen,
deren Mündungen auf uns zielten. Ein hochgewachsener Mann mit kaltem Gesicht war
anhand der Rangabzeichen als Offizier der Truppe zu erkennen. Er winkte uns heran.
„Beim geringsten Versuch physischer Flucht wird geschossen“, erklärte er kalt. „Folgt mir.“
Wir tauschten Blicke aus. Offenbar hatte man uns erwartet.
Gehorsam trabten wir zwischen den Uniformierten her. Antigravschächte beförderten uns ein
paar Stockwerke höher, dann ging es einen langen Stollen entlang. In einem großen kahlen
Raum kamen wir schließlich an. Roboter schleppten Sitzmöbel heran und einen Schreibtisch.
Der Offizier nahm hinter dem Schreibtisch Platz, seine Untergebenen bauten sich hinter
unserem Rücken auf.
„Machen wir die Sache kurz“, erklärte der Offizier. „Wer von euch ist Darcyr?“
Dem Fürst der Blauen Sonnen also hatte diese Falle gegolten, nicht uns. Ich hatte durchaus
richtig vermutet. Was uns blühte, wenn wir verrieten, daß wir keineswegs so bedeutsam
waren, wie angenommen wurde, wagte ich mir nicht auszumalen.
„Ihr wollt nicht reden?“ fragte der Offizier spöttisch. „Wer auch immer Darcyr ist - er muß
die Einrichtungen dieses Palasts kennen. Er weiß also auch, daß es Mittel und Wege gibt,
jeden zum Reden zu bringen.“
Ich schluckte.
„Kein Wort wird über unsere Lippen kommen.“
Welcher Narr spuckte da solche Großmannstöne - entsetzt registrierte ich, daß ich es selbst
gewesen war, der diesen Unsinn zum Besten gegeben hatte. War ich denn von allen guten
Geistern verlassen?
Erwartungsgemäß hätte der Offizier nun überlegen lachen müssen. Statt dessen beugte er sich
vor und faßte mich schärfer ins Auge. Er mußte die Schweißperlen auf meiner Stirn sehen,
meine Hände waren feucht vor Angst. Aber nichts davon schien der Offizier zu bemerken.
„Sieh an, ein Held“, sagte er trocken. „Die kriegen wir am schnellsten klein. Abführen!“
Die Prozedur nahm ihren üblichen Verlauf. Ich wurde am Ellenbogen gepackt und vorwärts
gestoßen.
Sie führten mich in einen Raum, der fatale Ähnlichkeit mit jenen Schreckenskammern hatte,
in denen früher auf der Erde Todesurteile vollzogen worden waren - eine Zelle mit einem
Stuhl, an den man gefesselt wurde. In Kopfhöhe war eine metallene Haube zu erkennen, von
der Drähte ausgingen, die im Boden verschwanden.
Sie stießen mich auf das Ding und schnallten mich fest. Ich stierte nach oben. Die Haube sah
gräßlich aus. „Ein Gedankenverstärker“, erklärte mir der Offizier. „Wenn du Angst hast - und
das hat jedes Großmaul -, dann wird diese Haube deine Angst vervielfachen, bis du es nicht
mehr aushältst.“
Das Ding senkte sich langsam auf mich herab. Mein Herz schlug immer schneller.
Ich versuchte, nicht an meine Furcht zu denken, aber das klappte natürlich nicht.
Ich spürte, wie das Metall meinen Schädel berührte.
Ich begann zu zittern. Meine Hände ballten sich zu Fäusten.
„Einschalten!“ hörte ich den Offizier noch sagen, dann versank für mich die Umwelt. * Noch immer zitterte ich, aber diesmal vor Erschöpfung. Ich war völlig ausgepumpt, und nur mit Mühe fand ich in die Wirklichkeit zurück. „Junge, Junge“, stieß Inky hervor. Der Hüne war kreideweiß im Gesicht. Ich sah mich um. Von dem Foltersessel war nur noch Schrott vorhanden. Der Offizier lag bewußtlos oder tot am Boden, seine Begleiter kauerten in einem Winkel und starrten auf die Waffen, die ihnen meine Freunde abgenommen hatten. „Was ist passiert?“ fragte ich. Meine Stimme war nur noch ein Krächzen. Imhotep schüttelte langsam den Kopf. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte er leise. „Zuerst warst du ganz ruhig, nur deine Muskeln spannten sich immer mehr an, bis man jeden einzelnen Muskel förmlich sehen konnte. Du hast mit den Zähnen geknirscht, und dann bist du plötzlich explodiert. Du kannst es dir ansehen, es ist dein Werk.“ Ich starrte auf meine Arme und Beine. Ich hatte mir Verletzungen geholt, als ich die Fesselung gesprengt hatte, und das Zertrümmern des Foltersessels hatte auch Spuren hinterlassen. Ich spürte den Schmerz kaum. „Du hast getobt wie ein Irrsinniger“, sagte Inky. „Und dabei hast du eine Kraft entwickelt, die kaum vorstellbar ist.“ Ich versuchte zu begreifen. Offenbar hatte ich für einige Zeit, vielleicht eine Minute, völlig die Kontrolle über mich verloren und in diesem Zustand alle Kraft freigesetzt, die ein Mensch nur mobilisieren kann - es schien eine Menge gewesen zu sein. Ich ging zu dem Offizier hinüber. Er war tot - sein Gesichtsausdruck spiegelte Entsetzen wider. „Habe ich das getan?“ Inky schüttelte den Kopf. „Du hast ihn nur angesehen“, sagte er. „Du hast ihn mit deinem Blick getötet. Er ist vor Schreck gestorben.“ Das klang mehr als unglaubwürdig, aber wir hatten nicht die Zeit, uns damit zu befassen. Ich nahm eine der Waffen zur Hand. Sie glichen äußerlich den Nadlern, mit denen wir zu arbeiten pflegten. Auch diese Waffen verschossen Nadeln aus Hartgelatine, die sich im Körper blitzschnell auflösten und ein Medikament abgaben. Aber im Gegensatz zu unseren Waffen enthielt das Magazin nur tödliche Ladungen - ein deutliches Zeichen, mit was für Gegnern wir es zu tun hatten. Außerdem konnte man mit diesen Waffen noch kleine Sprengkapseln verschießen, allerdings nur zehn Stück. Unsere Gefangenen damit zu betäuben, war unmöglich. Imhotep erledigte das Problem. Er hatte eine intensive Kampfschulung hinter sich und kannte einige Griffe, die seinem Opfer binnen einer Sekunde das Bewußtsein raubten. Wir konnten Seufzer der Erleichterung hören, als er der Reihe nach die Soldaten außer Gefecht setzte - offenbar waren die Männer auf Schlimmeres gefaßt gewesen. Zweien, die in der Figur einigermaßen paßten, zogen wir die Uniformen aus und streiften sie selbst über. Imhotep und der nun zierliche Charriba spielten Gefangene, Inky und ich gaben uns als ihre Bewacher aus. Es fragte sich, wie weit wir damit kommen würden. „Was jetzt?“ fragte Inky. Darauf hätte auch ich gern eine Antwort gewußt. Vier Mann gegen ein Sternenreich, auf einem Planeten mit Hunderten von Millionen Bewohnern, miserabel bewaffnet, ohne Kenntnis von Land und Leuten und ohne Bargeld - wie sollte uns da eine Flucht gelingen? „Wir werden ein Schiff stehlen“, schlug Charriba vor. Imhotep lachte kurz auf.
„Ausgeschlossen“, sagte er abwehrend. „Das schaffen wir nicht. Ich sehe nur eine
Möglichkeit - wir müssen die Privaträume von Fürst Darcyr erreichen.“
„Und was sollen wir dort?“ fragte ich zurück.
„Informationen sammeln, und wenn möglich, Darcyr finden“, antwortete Imhotep.
„Hast du eine Ahnung, wo er sich versteckt hält?“ fragte ich. Imhotep schüttelte den Kopf.
„Das werden wir an Ort und Stelle erledigen“, erklärte er. „Und jetzt vorwärts. Der
Betäubungsgriff hält nicht lange vor - in spätestens einer Stunde wird der ganze Planet nach
uns fahnden.“
„Wenn man uns für Darcyr hält und das hat man ja wohl offensichtlich - wird man dann nach
uns nicht genau dort suchen, in seiner Wohnung? Es scheint mir der unsicherste Zufluchtsort
überhaupt auf diesem Planeten zu sein.“
Imhotep grinste breit.
„Das ist er auch - offensichtlich. Und eben deshalb werden wir dorthin gehen.“
Hoffentlich hatte er mit dieser Überlegung recht.
Niemand hielt uns auf oder stellte Fragen, als wir im zentralen Antigravschacht des
Sternendoms langsam in die Höhe schwebten. Uns begegneten viele Menschen, hauptsächlich
Uniformträger - das Fürstentum der Blauen Sonnen schien von Militärs förmlich zu wimmeln.
Imhotep und Charriba machten bedrückte und furchtsame Gesichter. In unserer Lage durfte
ihnen das nicht allzu schwerfallen. Den kantigen, überheblichen Gesichtsausdruck der
Uniformierten nachzuahmen, fiel mir jedoch ausgesprochen schwer.
Wir erreichten die Oberfläche, die riesige Kuppel. Von innen sah sie noch weitaus
beeindruckender aus als von außen - es war ein Anblick, der einen schwindlig machen konnte.
Auf der Riesenfläche des Bodens waren zahlreiche Podeste aufgestellt worden, dort waren
Kunstwerke aus allen Teilen des Imperiums zu bewundern. Leider hatten wir nicht die Zeit,
um die Kunstschätze genießen zu können.
Draußen war es bereits dunkel geworden.
„Ruf ein Robottaxi heran“, murmelte Imhotep.
„Und wie? Auf den Fingern pfeifend?“
Imhotep deutete mit dem Kopf auf einen Parkplatz. Dort stiegen gerade zwei Blausonnenleute
aus einem Fahrzeug aus.
„Du brauchst nur die Hand zu heben und zu winken“, murmelte Imhotep. Ich folgte dem Rat,
und das Taxi schoß davon.
„Anders“, belehrte mich Imhotep. Er sprach mit gesenktem Kopf und sehr leise, wie es seiner
Rolle zukam. „Du mußt die Innenfläche der Hand zeigen, nicht den Handrücken.“
Ich änderte das Winken, und prompt kam ein Gleiter herangefahren.
„Fahr los“, sagte ich, als wir eingestiegen waren, und der Gleiter setzte sich in Bewegung.
Bei dem Ausdruck Robottaxi hatte ich mir einen Gleiter vorgestellt, hinter dessen Steuer eine
Maschine saß. Davon war nicht die Rede - der Automat war im Vorderteil eingebaut und
zeigte uns nur seine Kommunikationsorgane: Mikrophon, Lautsprecher und einen Stadtplan,
auf dem unsere Position markiert war.
„Nach Norden“, bestimmte ich, nachdem Imhotep mir eine entsprechende Anweisung
gegeben hatte.
Der Automat fuhr mustergültig.
Am Rand der Stadt änderte sich die Anzeige - statt des Stadtplans war nun eine grafische
Darstellung der weiteren Umgebung zu sehen.
Imhotep dirigierte das Fahrzeug weiter.
Unterwegs hatten wir Zeit, uns ein wenig mit der Zivilisation auf Rath vertraut zu machen.
Die Bebauung war weit weniger dicht als in vergleichbaren Städten auf der Erde mit
Grünflächen und Erholungszonen war nicht gespart worden. Die meisten Häuser waren
niedriger als auf der Erde und erheblich weniger lieblos zusammenbetoniert; obwohl
untereinander ähnlich, hatte jedes Haus doch sein eigenes, unverwechselbares Gesicht.
Bürokomplexe fand ich nicht - offenbar war die Arbeit auf Rathar dezentralisiert, die
Menschen verdienten dank positronischer Hilfe ihren Lebensunterhalt entweder in oder in der
Nähe ihrer Wohnung.
Auf einigen Plätzen wurden Feste gefeiert - die Bewohner der Stadt verstanden zu leben.
Gelächter und Gesang schallten zu uns herüber.
Dann wurden die Siedlungen immer kleiner, und nach zwei Stunden jagten wir mit hoher
Geschwindigkeit über flaches Land. Vor uns ragte ein Gebirgsmassiv in den Nachthimmel —
deutlich war im Sternenlicht das Eis auf den Gipfeln zu sehen.
Imhotep ließ den Gleiter weiterrasen, bis wir den Fuß des Gebirges erreicht hatten. Dann ließ
er mich den Gleiter anhalten.
„Und jetzt?“
„Dorthin“, sagte Imhotep und zeigte mit dem Finger auf das Gebirge.
5. Das Sprenggeschoß riß den Gleiter in Stücke, und mit ihm den Fahrtenschreiber, der unseren Jägern hätte verraten können, wo wir uns hatten absetzen lassen. „Die Dinger sind furchtbar“, sagte Inky und starrte seine Waffe an. Ein Schuß hatte genügt, den Gleiter in einen qualmenden Schrotthaufen zu verwandeln. „Du willst uns wirklich dort hinaufjagen?“ fragte ich Imhotep. Der Berg, vor dem wir standen, gehörte nicht zu der Sorte, die man in Turnschuhen bequem erwandern konnte. Hier mußte geklettert werden - und das ohne Ausrüstung, ohne Führer, ohne Fachkenntnisse und ohne den geringsten Funken Selbstvertrauen, was mich betraf. Das wäre eine Aufgabe für Corve Munther gewesen, aber der schlummerte jetzt wahrscheinlich friedlich auf Shyftan, höchstwahrscheinlich auch mit gutgefülltem Magen. Mich plagte Hunger - ich hatte seit geraumer Zeit nichts mehr gegessen. Den anderen ging es nicht besser. „Am Ziel wirst du etwas bekommen“, beteuerte Imhotep. „Dort oben gibt es einen herrlichen Eßsaal.“ Die Vorstellung beflügelte mich. Die Kletterei konnte beginnen. Das Gestein war mürbe. Immer wieder kollerten kleinere Steine unter unseren Füßen zur Seite und rissen andere Steine mit: Es knirschte und knackte ab und zu, außerdem hatte ein infamer Sprühregen eingesetzt, der den Fels glatt machte und uns in kurzer Zeit bis auf die Haut durchnäßte. An einer Stelle mußten wir durch einen Sturzbach hindurchkrabbeln; das Wasser war so eisig, daß mir beim Trinken die Zähne schmerzten. „Festhalten“, stieß Imhotep keuchend hervor. „Es kann jetzt gefährlich werden.“ Es war mir ein Rätsel, wie er dem Greisenkörper so viel Kraft und Zähigkeit entlockte. Die gefährliche Stelle erwies sich als ein Felsspalt, den wir durchqueren mußten - den Rücken an der einen Wand, die Füße an der anderen, und dann in die Höhe. Ich schwitzte und keuchte. Unter mir war es finster - alles, was zu sehen war, waren spitze Felsen, auf denen ich zerschellen mußte, wenn ich auch nur für einen Augenblick den Halt verlor. Und plötzlich fiel mir ein, daß ich eigentlich höhenängstlich war. Ich hätte schwindlig sein müssen, meine Beine hätten wackeln müssen. Aber das Gummigefühl in den Beinen stellte sich nicht ein - ich schaffte auch den Felsspalt. Imhotep zerrte mich über die Kante, dann legten wir eine kleine Pause ein. Ganze zehn Minuten ließ uns Imhotep verschnaufen, dann ging das Martyrium weiter. Ich konnte meine Kräfte nur mobilisieren, indem ich mir die Genüsse ausmalte, die oben auf
uns warteten.
Bis zur nächsten kleinen Pause hatte ich mir in Gedanken ein Dutzend erstklassiger
bretonischer Austern genehmigt, begleitet von einem trockenen Chablis.
Vor Kälte zitternd, naß am ganzen Körper, nur mit Fingern und Zehen an den Berg
geklammert, wählte ich den passenden Wein zum Lammsattel mit grünen Bohnen. Und als
ich in Gedanken den ersten Löffel einer prachtvollen mousse aux chocolat kostete, schlug mir
Imhotep auf den Rücken.
„Das war’s“, sagte er. „Wir sind am Ziel.“
Ich blickte auf. Alles, was ich sah, war eine große Fensterfront, hinter der es kein Licht gab.
Darcyrs Luxusrestaurant hatte wohl geschlossen, ich hätte vor Wut mit den Zähnen knirschen
mögen.
„Geht in Deckung“, sagte Imhotep. Er zog seine Waffe.
„Wenn du mit dem Ding schießt, bleibt von dem Eßsaal nicht mehr viel übrig“, warnte ich
ihn.
„Wenn du dir nicht ein Versteck suchst, von dir auch nicht mehr“, konterte Imhotep trocken.
Ich suchte mir einen Felsspalt, in den ich hineinkroch. Aus sicherer Entfernung setzte Imhotep
den ersten Schuß gegen die riesige Glasscheibe. Es mußte sich um Panzerglas handeln, denn
die Sprengladung hinterließ nur ein paar Risse in dem Material. Der zweite Treffer auf die
gleiche Stelle brach ein paar Stücke heraus, und erst der dritte Schuß hinterließ ein genügend
großes Loch, daß sich der magerste von uns hindurchzwängen konnte.
Sobald Charriba in seinem Jünglingskörper das Innere erreicht hatte, flammte die
Beleuchtung auf. Die Einrichtung wurde sichtbar. Es war tatsächlich ein Eßsaal - ungefähr
zwanzig Meter tief, zehn Meter breit und fast vier Meter hoch. In der Mitte stand eine lange
U-förmige Tafel, die Öffnung wies auf uns zu. Unwillkürlich sah ich mich um. Von hier aus
hatte man einen prachtvollen Blick über das Land. Im Hintergrund war die Hauptstadt zu
sehen, vor allem der strahlende Sternendom. Es mußte reizvoll sein, an dieser Tafel zu sitzen,
auf Rathar zu blicken und dabei fürstlich zu speisen.
Charriba hatte unterdessen den Öffnungsmechanismus für das riesige Fenster entdeckt. Es
glitt ein Stück in die Tiefe und blieb dann hängen, weil sich ein Splitter verkeilt hatte.
Immerhin, die Öffnung, die entstand, reichte für uns.
Im Innern war es angenehm warm und trocken. Die Einrichtung war von unaufdringlichem
Luxus. Ich zählte dreißig Eßplätze, alle so angeordnet, daß jeder Gast den herrlichen Ausblick
beim Essen genießen konnte.
Nur - wo war das Essen? Mein Magen knurrte wie ein Berberlöwe.
„Wo bleibt das versprochene Mahl?“ fragte ich Imhotep.
„Hast du nichts anderes im Kopf?“ fragte er zurück.
„Ich habe nichts im Magen, das ist das Problem“, gab ich zurück. Leicht verärgert, wie es
schien, machte sich Imhotep an einer Tastatur zu schaffen.
„Hast du irgendwelche Wünsche?“ fragte er spöttisch. „Komme her und wähle aus.“
Neben den Tastern war eine Bildfläche, auf der die einzelnen Gerichte dreidimensional
dargestellt wurden. Es sah verlockend aus, mir lief das Wasser im Mund zusammen.
„Und wo kommt das Essen her?“ fragte ich.
„Ich nehme an, aus einer vollrobotisierten Küche im Keller“, antwortete Imhotep.
„Roboter? Du willst mir erzählen, daß sich ein Sternenfürst von Robots bekochen läßt?“
Imhotep funkelte mich einen Augenblick lang an, dann lachte er.
„Verfressener Erdenmensch. Du kannst dich darauf verlassen, die Maschinen verstehen ihre
Arbeit.“
Ich zuckte mit den Schultern. Ich stellte nach den Bildvorlagen ein opulentes Mahl für uns
vier zusammen und vergaß auch die Getränke nicht. Ich war sehr gespannt, was man uns
bringen würde.
„Und wo ist der Rest von diesem Haus?“ wollte Charriba wissen.
„Irgendwo“, antwortete Imhotep. Er war auf der Suche nach etwas. Zu meiner Verwunderung machte er sich am Platz des Gastgebers zu schaffen, einem Möbel aus Gold und einer strahlenden Masse, die aussah wie ein Rubin in Plattenform. Dann kam das Essen. Im Boden erschien eine kreisrunde Öffnung, und ein paar Augenblicke später entstieg ihr ein Robot, der nur aus Rumpf und Armen zu bestehen schien. In jeder Hand trug er irgendeine Schüssel oder einen Teller. Das Essen war prachtvoll, sehr exotisch, hoffentlich nahrhaft und vor allem warm. Der Wein, der dazu gereicht wurde, war für mein Empfinden falsch temperiert, aber dieser kleine Fehler wurde durch einen atemberaubenden Wohlgeschmack mehr als wettgemacht. Ich langte kräftig zu. Imhotep stocherte ziemlich lustlos auf seinem Teller herum, während er mit der freien Hand an dem Stuhl herumfingerte, auf dem er saß. Schließlich ertönte ein leises Klicken, und neben ihm wuchs eine Schaltsäule aus dem Boden. „Endlich“, murmelte Imhotep. „Jetzt können wir von hier verschwinden.“ „Und wohin?“ „Das wird sich noch herausstellen“, antwortete Imhotep. Er betätigte einige Schalter. Zunächst geschah nichts, dann war ein leises Vibrieren im Boden zu spüren, und einen Augenblick später verschwand der rückwärtige Gobelin hinter einem grünlich flimmernden Energiefeld. Imhotep lächelte zufrieden. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte ich verblüfft. „Der Zugang zu weiteren Räumen von Darcyrs Wohnung“, erklärte Imhotep. „Ein Transmitter, technisch sehr verwandt den bekannten Zeitmaschinen.“ „Willst du sagen, daß der Bursche so faul ist, daß er sich per Transmitter von einem Raum zum anderen bewegen läßt? Oder stecken Sicherheitsgründe dahinter?“ Imhotep schüttelte den Kopf. „Das hat nichts mit Faulheit oder Sicherheitsdenken zu tun“, antwortete er gelassen. „Nur etwas mit Sinn für Schönheit. Ich habe einen ähnlichen Palast - verteilt auf zwei Dutzend verschiedene Welten.“ Ich versuchte mir vorzustellen, was er meinte. „Auf jeder Welt ein Appartement?“ „Nein, nur ein Zimmer. Dies ist der Eßsaal für Abendmahlzeiten. Wahrscheinlich hat Darcyr noch ein Frühstückszimmer auf einer anderen Welt, dort, wo es einen besonders malerischen Sonnenaufgang zu beobachten gibt. Sein Schlafzimmer wird auf einem Planeten stehen, der besonders schöne nächtliche Sternenkonstellationen aufweist oder besonders schöne Monde.“ „Was für ein Leben“, schwärmte Inky. „Stellt euch das auf der Erde vor. Schlafen in der Ruhe der Rockies, frühstücken in Wien, zum Baden nach Hawaii, Mittagessen in Peking, dann Wellenreiten im Pazifik, der Nachmittagskaffee auf der Piazza di Spagna, zum Abendessen nach St. Isidore in Frankreich, zum Tanzen in eine New Yorker Discothek oder ins BolschoiBallett... und das alles ohne Zeitverlust. Ein himmliches Leben!“ Imhotep warf einen Blick aus dem Fenster. „Wir haben nicht viel Zeit“, sagte er. „Man wird unsere Flucht bemerkt haben, auch das Verschwinden des Gleiters. Und die Explosionen sind mit Sicherheit auch festgestellt worden - noch eine halbe Stunde höchstens, dann sind sie hier.“ Ich deutete auf den Transmitter. „Wenn sie nicht in jedem Augenblick dort hereingestürzt kommen“, sagte ich. „Laß uns so schnell wie möglich verschwinden, gleichgültig, wohin. Wir haben ja ein paar Planeten zur Auswahl.“ „Einverstanden“, sagte Imhotep. Er wählte einen der Planeten an. Danach brauchten wir nur noch das Transmitterfeld zu durchschreiten. Imhotep ging als erster, kam einen Augenblick danach zurück und nickte zufrieden.
„Kommt“, sagte er. Der Raum, in dem wir landeten war offenbar Darcyrs Arbeitszimmer. Unmittelbar an den Arbeitsraum angeschlossen, ohne Transmitterübergang, war eine Bibliothek. Sie enthielt nicht nur schätzungsweise zehntausend herkömmliche Buchbände. Es gab auch ein Datenarchiv, in dem einige hunderttausend Seiten Akten gespeichert waren, daneben eine unmittelbare Verbindung mit einer großen Positronik. Im Arbeitszimmer selbst fanden sich Funkverbindungen, Sichtgeräte, Sternenkarten und ein Schreibtisch, der einen oft benutzten Eindruck machte. Ein flacher Tisch und drei Sessel dienten wohl als Sitzmöbel bei Besprechungen. Imhotep setzte sich hinter den Schreibtisch. Auch hier gab es eine Schaltkonsole. Ein Knopf ließ auf der gegenüberliegenden Wand eine Sternenkarte aufleuchten, die das gesamte Imperium von Glyssaan darstellte. „Heiliges Sternenlicht“, stöhnte Imhotep auf, als er das Bild sah. Er stand auf und ging hinüber. „Das ist das Gebiet von Glyssaan“, erklärte er uns. Das Imperium hatte annähernd Diskusform - Glyssaan selbst und die Zentralwelt des Blausonnen-Fürstentums bildeten gleichsam die Brennpunkte dieses Gebildes. „Dies ist das Gebiet des Gegners. Ihr nennt ihn die Oberen.“ Dieses Sternenreich war kleiner und vor allem weniger kompakt als das Imperium von Glyssaan - immerhin umfaßte es aber auch einige tausend Welten. „Und hier das Niemandsland. Dort liegt auch Shyftan“, setzte Imhotep seine Erklärung fort „Und jetzt seht hier - diesen Bereich von Glyssaan hat der Gegner offenbar infiltriert oder überrannt.“ Glyssaan war gelb gezeichnet, das Gebiet der Oberen in grellem Rot. Ein beachtlicher Teil des Niemandslandes und das Gebiet von Glyssaan war orangefarben dargestellt. Wenn diese Lageanalyse stimmte, dann war das Imperium schwer angeschlagen. Ein Keil zeigte genau das Glyssaan selbst. „Wie alt mag diese Karte sein?“ fragte Charriba. „Wann hat Darcyr zum letztenmal Daten eintragen lassen?“ Imhotep zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, murmelte er. Ich sah ihm an, daß er tief erschüttert war. Wir wußten nicht, wieviel reale Zeit seit seinem Abflug nach Shyftan verstrichen war - war dieses Einsickern des Gegners ein Ergebnis von Monaten, Jahren oder gar Jahrzehnten? Je kürzer die Zeitspanne war, um so größer die Gefahr für Glyssaan. Und uns von der Time-Squad war ebenfalls klar - fiel Glyssaan, dann war auch die Time-Squad geschlagen, die letzte Waffe, die die Menschheit in ihrem Kampf gegen die Unterdrücker aus einem anderen Universum noch hatte. „Wir müssen Darcyrs Versteck finden“, stieß Imhotep hervor. „Oder einen Weg nach Glyssaan.“ Ein Lächeln flog über sein Gesicht. „Wenn ich den gerissenen Darcyr richtig einschätze, dann gibt es von seiner Wohnung auch einen Ableger auf Glyssaan selbst. Wenn es uns gelingt, diesen Zugang zu finden, haben wir gewonnen - dann steht uns alles zur Verfügung, was Glyssaan zu bieten hat.“ „Vermutlich hat er den Zugang gesichert“, schätzte Inky. „Höchstwahrscheinlich“, gab Imhotep zu. „Wenn wir nicht aufpassen, landen wir in der nächsten Falle.“ Es war, als habe er damit ein Stichwort gegeben. Ich spürte, wie eine eigentümliche Spannung meinen Körper ergriff. Vor meinen Augen flimmerte es. Ich schaffte es, einen raschen Seitenblick auf meine Freunde zu werfen - ganz offensichtlich ging es ihnen ähnlich wie mir. Immer dicker und gespannter traten die Muskeln hervor. Der
ganze Körper wurde steif und unbeweglich. Das Atmen fiel schwer, ich bekam kaum noch Luft. Meine Kiefermuskeln ließen sich nicht mehr bewegen. Ich spürte, wie sich ein eiserner Ring um meinen Brustkorb legte und mir die Luft abschnitt. Mit aller Gewalt versuchte ich, dagegen anzukämpfen, aber es gelang mir nicht, diesen Muskelpanzer von innen zu sprengen. Eine fremde Macht hatte die Kontrolle über meinen Körper übernommen, und dieser Macht war ich hilflos ausgeliefert. Todesangst überfiel mich, als mir endgültig die Luft wegblieb. Ich wußte, da ich das nur ein paar Sekunden lang würde ertragen können. Und dann begann mein Körper zu zittern - die gegeneinander arbeitenden Muskeln waren bis zum äußersten gespannt und führten einen wilden Kampf gegeneinander auf. Das Ende dieses Kampfes bekam ich nicht mehr mit. Mir wurde schwarz vor Augen.
6. „Nur eine Kostprobe“, sagte Imhotep. „Mehr nicht. Sie haben uns ihre Macht fühlen lassen. Jetzt wissen wir, daß wir ihnen ausgeliefert sind selbst über Lichtjahre hinweg.“ Wir lagen auf dem Boden, mit schmerzenden Gliedern und körperlich so ausgelaugt, als hätten wir zehn Stunden ohne Pause an den Kraftmaschinen verbracht, die im Fitneßzentrum der Time-Squad standen. „Sie hätten uns ebensogut umbringen können“, stieß Inky wütend hervor. „Wahrscheinlich liegt das nicht in ihrem Interesse“, vermutete ich. Ein schrecklicher Verdacht beschäftigte meine Gedanken. Ich sprach ihn aus. „Ich fürchte, unser Gegner hat vor allem eines im Sinn - uns so lange mit diesem und anderen Mitteln zu bearbeiten, bis wir keine andere Wahl mehr sehen, als zur Zentrale zurückzukehren. Auf diese Weise liefern wir ihnen einen prächtigen Hinweis, wo wir zu finden sind.“ Verräter wider Willen - aber Verräter, wenn das heimtückische Manöver gelang. Ob wir freiwillig, aus Gewinnsucht oder anderen Motiven das Versteck der Time-Squad verrieten, oder durch den Gegner dazu gezwungen wurden - für unsere Freunde auf Shyftan kam es auf das gleiche heraus. Imhotep sah mich an. Ich ahnte, daß er den Gedanken ebenso konsequent weitergedacht hatte wie ich. Was sollte jemand in dieser entsetzlichen Zwickmühle tun? Offener Verrat kam für uns nicht in Frage, jedenfalls nicht für die anderen, das wußte ich genau. Ob ich in der Lage sein würde, die ferngesteuerten Torturen lange durchzustehen, stand auf einem anderen Blatt - ich hatte arge Zweifel an meiner Belastbarkeit. Es gab natürlich noch einen Ausweg - wir konnten die Flucht in den Freitod antreten. Aber selbst dieses Mittel war uns beschnitten. Wenn ich meinen Trägerkörper tötete, mußte auch der echte Tovar in der Time-SquadZentrale sterben. Aber das war nicht das Schlimmste in jedem Fall kehrte mein Bewußtsein in den ursprünglichen Körper zurück, und ich traute dem Gegner durchaus zu, diesen Rücksturz anpeilen zu können. Auch dann war das Versteck der Time-Squad verraten. Es schien also nur eine einzige Möglichkeit zu geben - die Qualen zu ertragen, bis der Gegner müde wurde. Was das in Zukunft für uns bedeutete, wagte ich mir nicht auszumalen - die Demonstration, die wir gerade erst durchlitten hatten, reichte mir vollauf. „Weiter“, sagte Imhotep. „Wir haben keine andere Wahl - wenn wir unseren Feinden die Initiative überlassen, haben wir keine Hoffnung, aus diesem Dilemma herauszukommen.“ Hoffnungen hatten wir mit Sicherheit - aber es fehlte an Aussichten auf einen Erfolg.
Ich sah in die Gesichter der anderen. Ihre Mienen drückten grimmige Entschlossenheit aus. Offensichtlich dachten sie nicht daran, sich aufzugeben. Imhotep suchte nach weiteren Räumlichkeiten des dezentralisierten Palasts von Darcyr. Nacheinander durchstöberten wir die Räume. Von Darcyr fanden wir keine Spur. Statt dessen entdeckten wir eine Menge kostbarer Kunstwerke und in einem kleineren Nebenraum eine stattliche Sammlung von Waffen und technischen Hilfsmitteln. Am Ende der Suche kamen wir wieder in einem Erholungsraum heraus. Dieses Zimmer stand auf einer kleinen Insel, einsam in einem grün schillernden Meer gelegen. Ein Knopfdruck ließ die gläserne Vorderfläche nach unten versinken; wir spazierten hinaus auf den herrlich weißen Sandstrand. Ein Schwärm Seevögel wurde von uns aufgeschreckt und stob davon. Es wäre ein prachtvoller Platz gewesen, um einige Wochen Ferien zu machen und gemütlich zu faulenzen. In unserer Lage konnten wir uns diesen Luxus allerdings nicht erlauben. Noch saß uns der Schrecken über den Angriff aus dem Nirgendwo in den Gliedern. Imhotep zeigte ein resigniertes Gesicht. „Kein Zeichen von Darcyr, kein Hinweis auf ein Versteck, und was mich noch mehr ärgert, wir haben auch keinen Hinweis auf irgendein raumtüchtiges Fahrzeug gefunden. Ich bin aber sicher, daß Darcyr sich für alle Fälle ein Fluchtmittel besorgt hat. Irgendwo gibt es einen schnellen Raumjäger oder eine Jacht, mit der er sich im Notfall absetzen kann.“ „Höchstwahrscheinlich gut versteckt“, kommentierte Charriba trocken und betrachtete einen Schwärm bunter Fische, der sich unter der Oberfläche des Meeres tummelte. „Versuchen wir es einmal mit Nachdenken“, schlug ich vor. „Möglichkeit eins: Darcyr ist bedrängt und möchte sich absetzen, und er hat ziemlich viel Zeit dazu. In. diesem Fall stehen ihm verschiedene Alternativen zur Verfügung, welche, das wissen wir nicht. In jedem Fall hat er Zeit, sich etwas auszudenken und danach zu handeln.“ „Das soll uns weiterbringen?“ fragte Inky. „Möglichkeit zwei: Darcyr muß sich blitzschnell absetzen. Er ist in Eile. Seine Verfolger, egal wer, sind auch in Eile. Beide haben nicht viel Zeit zum Nachdenken. Was wird in den Köpfen der Verfolger vorgehen?“ Imhotep zwinkerte. Er hatte begriffen. „Ihre Gedanken werden in herkömmlichen Schemata ablaufen, sie werden in Vorurteilen denken und manche Alternativen nicht sehen.“ „Stellen wir uns vor, sie jagen ihn durch seine Wohnung. Sie wissen, daß ihr Opfer technische Hilfsmittel braucht, um fliehen zu können. Ich schätze, daß sie alle Räume mit diesem Grundgedanken mustern werden. Welche Räume sehen am wenigsten danach aus, als gebe es dort Hilfe für Darcyr?“ Die Antwort lag auf der Hand, wir brauchten uns nur umzusehen. Die Insel war klein, wir konnten sie mühelos überblicken. Es war ein Robinson-Eiland, abgeschnitten vom Rest des Planeten - auf den ersten Blick, und darauf kam es an, der denkbar schlechteste Fluchtplatz. „Also müssen wir hier suchen“, entschied Imhotep. „Machen wir uns an die Arbeit.“ Wir durchstöberten in der folgenden Stunde sämtliche Räume und die ganze Insel - aber wir fanden nichts, was uns weitergebracht hätte. Es gab in diesem Teil von Darcyrs Wohnung jede Menge Sportgeräte, ein Dampfbad, einen Ruheraum, eine Sonnenbank. Auf der Insel fanden sich Felsen und Pflanzen, ein paar exotische Tiere und unglaublich viel Wasser ringsum. Von Darcyr nach wie vor keine Spur. Als wir wieder zusammentrafen, konnten wir unsere Enttäuschung nicht verhehlen. Es sah hoffnungslos aus - und in jedem Augenblick konnte , das Transmitterfeld, durch das wir hierhergekommen waren, eine Meute von Bewaffneten ausstoßen. Charriba knirschte leise mit den Zähnen. Ich lehnte mich gegen die Kratmaschine - eine Apparatur aus Metall, lederüberzogenen Polstern, Drähten und Gewichten. Wir kannten diese Dinger zur Genüge, sowohl in der irdischen Zentrale der Time-Squad als auch auf Shyftan gab es diese Apparaturen. Auch der
Geruch war der gleiche - es roch nach Körperöl und altem Schweiß. Plötzlich kam mir ein Gedanke. Was war das Absurdeste, das ein Mann auf der Flucht unternehmen konnte? Doch wohl, sich an dieser Foltermaschine abzumühen! Wäre ich Darcyr auf den Fersen gewesen, hätte ich nur einen Blick in den Raum geworfen und hätte sofort an anderer Stelle weitergesucht. „Was hast du vor? Trainieren?“ fragte Charriba entgeistert, als ich um die Apparatur herumschlich. „Jetzt?“ Ich suchte nach dem größten Gewicht, das zu bewegen war. Es gab einen Sitz, auf dem man sich niederlassen konnte. Ein metallenes Pedal mußte dann vom Körper weggetreten werden und bewegte dabei eine Reihe schwerer Metallblöcke, jeder zehn Kilo schwer. Mit einem einfachen Handgriff konnte das jeweilige Gewicht eingestellt werden - bis zu einer Obergrenze von fast zweihundertfünfzig Kilogramm. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß irgend jemand es tatsächlich schaffte, diese Masse in Bewegung zu setzen. Kurz entschlossen stellte ich dieses Höchstgewicht ein und nahm auf dem abgescheuerten Sitz Platz. „Laß den Unfug, wir haben jetzt Wichtigeres zu tun“, meinte Inky kopfschüttelnd. Ich winkte ab und spannte meine Muskeln an. Das Gewicht bewegte sich nicht um Haaresbreite, meine Kräfte reichten nicht aus. „Inky, versuch du es“, bestimmte ich und machte ihm Platz. Er zuckte mit den Schultern und folgte meiner Anweisung. Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn, als er sich ins Zeug legte, er ächzte. Dann gab der Widerstand schlagartig nach - das Gewicht ruckte nach oben, und im gleichen Augenblick begann sich die Betonwand im Hintergrund des Raumes zu bewegen. Sie versank im Boden. „Alle Wetter“, staunte Inky. Das Gewicht knallte zurück, es schepperte. Jenseits der Betonwand, die mindestens einen halben Meter dick war, gab es einen kleinen Raum. Eine Wendeltreppe führte hinab in den Boden. „Das ist Darcyrs Geheimnis“, stellte ich zufrieden fest. „Wenigstens eines davon - selbst wenn ein Verfolger auf den gleichen Gedanken wie ich kommen sollte, wird er wohl kaum mit der schwersten Belastung beginnen. Mit diesem Trick sichert sich Darcyr einen Vorsprung von ein paar Stunden, und das wird wohl reichen.“ Wir begannen die Treppe hinabzusteigen. Ein Trittkontakt auf der vierten Stufe schaltete die Beleuchtung ein und ließ die Betonwand wieder in die Höhe fahren. „Wenn unsere Gegner unsere Körper hier ebenso erreichen können wie zuvor, verraten wir damit Darcyrs Fluchtgeheimnis“, gab Imhotep zu bedenken. „Wir haben keine andere Wahl“, stieß ich hervor. Die Treppe führte knapp fünfzig Meter in die Tiefe, dann standen wir erneut in einem Raum mit Betonwänden. Darcyr war offenbar seiner Sache sicher gewesen - es gab keine Geheimnisse mehr. Ein Handgriff aktivierte das Transmitterfeld, und ein paar Augenblicke später hatten wir den Planeten verlassen. * Auf den ersten Blick wußten wir, daß wir zumindest ein Teilziel erreicht hatten. In der riesigen Halle, in der wir herauskamen, standen drei schlanke Jachten, deren Hüllen im Scheinwerferlicht glänzten, das bei unserer Ankunft aufgeflammt war. Imhotep stieß ein zufriedenes Knurren aus. „Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, auf welchem Planeten wir stecken, dann können wir von hier aus nach Glyssaan fliegen.“ Ich wollte ihn gerade darauf hinweisen, daß unser wichtigstes Problem - die Fernkontrolle
unserer Körper - damit noch nicht gelöst war, aber dieser Hinweis erübrigte sich. Der Gegner schlug wieder zu. Erneut demonstrierte er uns, daß wir in seiner Hand nicht mehr waren als Marionetten. Mein rechter Arm wurde steif, dann der linke. Im nächsten Augenblick begannen sich meine Beine zu bewegen. Ich hatte keinerlei Kontrolle über diese Abläufe, und meinen Freunden erging es nicht anders. Unsere Körper bewegten sich einfach, mochten wir uns innerlich auch dagegen stemmen. Ruckhaft und unharmonisch waren diese Bewegungen, aber sie erfüllten ihren Zweck. Steif und ungelenk marschierten wir auf ein Tor zu, das sich öffnete, als wir unmittelbar davor standen. Im Raum dahinter wurde es hell. Schrecken erfaßte mich. Ich sah eine Gruppe regloser Menschenkörper in Halterungen an der Wand hängen. Eine Schar grünlackierter Roboter umstand einen Tisch, dessen Instrumentarium ihn eindeutig als OP-Tisch auswies. Auch der typische Geruch nach Betäubungs- und Desinfektionsmitteln ließ darauf schließen. Unmittelbar vor den Robots blieben wir stehen, stocksteif, unfähig, ein Glied zu rühren. Die Maschinen begannen sich zu bewegen, packten uns und schnitten uns die Kleidung vom Leib. In ohnmächtiger Wut mußte ich mit ansehen, wie wir ausgezogen und vor allem entwaffnet wurden. Über dem Tisch waren seltsame Projektoren an der Decke angebracht, deren Spitzen zu leuchten begannen. Im ersten Augenblick dachte ich an ein Zeitfeld. Harte Metallhände legten uns vier auf der harten, kalten Platte ab. Noch immer waren wir völlig gelähmt, nicht einmal unsere Sprechwerkzeuge konnten wir bedienen. Was funktionierte, waren die Atmung und die Wahrnehmung. Ich hörte das Luftschnappen meiner Gefährten, das ihre Erregung überdeutlich verriet. Über meinem Gesicht begannen die Projektoren stärker zu leuchten. Silbrige Energiefäden schienen aus den metallenen Spitzen zu wachsen, schlängelten sich durch die kalte Luft auf unsere Körper zu. Als der erste dieser energetischen Fäden mich berührte, schoß eine eisige Kälte durch meinen Körper. Ein paar Augenblicke danach schlug die Empfindung ins Gegenteil um - mir wurde unerträglich warm. Ein Gespinst solcher Energiefäden entstand über uns und hüllte uns mehr und mehr ein. Mein Körper schien von innen heraus verglühen zu wollen. Ich spürte mein Herz rasend schnell schlagen, scheinbar für ein paar Schläge aussetzen, dann wieder heftig pochen - es war eine Tortur, dies ertragen zu müssen. Meine Augenlider klappten zu, aber durch die Liddeckel sah ich das Wabern der Energieschlingen, die uns umfingen. Mir war nach Schreien zumute, aber ich brachte keinen Laut über die Lippen. Meine Körperempfindung wurde diffus. In der Hitze, die durch den ganzen Körper flutete, schien sich der Körper gleichsam aufzulösen. Ab und zu stieß irgend etwas Kaltes, Scharfes in diese diffuse Wärme hinein. Es schmerzte nicht, war aber dennoch äußerst unangenehm. Einmal sah ich trotz geschlossener Augen eine kantige, metallische Silhouette vor meinen Augen - den Arm eines Robots, wie mir einfiel, bewaffnet mit einem Skalpell. Hätte ich jetzt noch schreien können, so hätte mir nun das Entsetzen die Sprache verschlagen. Ich begriff, was mit mir geschah. Offenbar wurde ich gleichsam bei lebendigem Leib seziert. Die vage Empfindung eines Körpers, die ich noch hatte, löste sich immer mehr auf. Ich konnte nicht spüren, was mir weggenommen wurde - aber daß ich von meinem Gastkörper immer mehr verlor, war deutlich spürbar. Gleichzeitig baute sich etwas anderes auf. Wie durch dicke Watteschichten hindurch empfand ich Kontakt zu meinen Gefährten. Welcher Sinn auch immer angesprochen und gereizt wurde, ich wußte es nicht - nur, daß ich
mich auf geheimnisvolle Weise meinen Freunden näherte, war unverkennbar. Und daß da noch jemand war. Ein Etwas, das in mir zu entstehen schien und immer schärfere Konturen annahm. In dem gespenstischen Verbund von vier Bewußtseinen war ein Fremdkörper entstanden, ein fünftes Bewußtsein, das sich schroff gegen den Verbund sperrte und doch dazugehörte. Ich empfand Kälte, als ich in Kontakt mit diesem Etwas geriet. Während wir anderen immer mehr zusammenzuschmelzen schienen und unsere Gedanken in einem schrecklichen Gebräu aus Angst, Wut und Verzweiflung zu versinken drohten, schob sich immer stärker und schroffer das Fremde in unsere Wahrnehmung. Daß ich einen Körper besaß, war mir nicht mehr bewußt - ich hatte jede Empfindung für ihn verloren. Im Hintergrund meines Bewußtseins spürte ich einen sanften, angenehmen Zug - irgend etwas schien leise nach mir zu rufen. Ich wußte, was diese Empfindung zu bedeuten hatte. Nach dem Verlust des Gastkörpers kam wieder eine Verbindung zu meinem wirklichen Leib auf Shyftan zustande. Wahrscheinlich konnten Demeters Leute in der Time-Squad-Zentrale dies an ihren Meßinstrumenten sogar ablesen. Ich versuchte eine Flucht. Mit aller geistigen Kraft, die mir zur Verfügung stand, versuchte ich, mich von der diffusen Wärme und Leere abzustoßen, zurückzuschlüpfen in meinen wirklichen Leib. Es gelang nicht. Einen Augenblick lang spürte ich eine Bewegung, dann wurde ich in den Verbund des Grauens zurückgezerrt. Angesichts des riesenhaft aufgetürmten Fremdbewußtseins, das sich als Bild eines zerklüfteten Bergmassivs in meine Gedanken schob, kam ich mir verschwindend klein und hilflos vor. Von dem Gebirgsmassiv strahlte eine furchtbare Drohung aus, eine Andeutung von wütendem Haß und gieriger Rachsucht. Wer auch immer dieser Fremde war - er haßte uns mit ganzem Herzen. Jäh wurde ich abgetrennt. Einen Augenblick lang hielt noch der Verbund, dann war ich von den anderen isoliert. Es fühlte sich an, als würde ich jäh in einen Behälter mit Eiswasser gestürzt. Ich spürte den Schock mit meinem ganzen Bewußtsein. In rascher Folge kehrten Empfindungen zurück. Ich wurde meines Herzschlags bewußt, spürte, wie ich wieder Arme und Beine bekam, einen Rumpf. Ich wehrte mich dagegen, konnte aber nichts unternehmen. Es war, als würde mein Geist gewaltsam in einen fremden Körper hineingestopft. Ohne daß ich es wollte, bekam ich meine Kiefer zu spüren, die fest zusammengepreßt waren. Ich spürte Druck unter meinen Achselhöhlen, Kälte, das langsame Zirkulieren des Blutes in meinen Adern. Augen und Augenlider wurden mir gegenwärtig. Ich öffnete die Augen. Im gleichen Augenblick wußte ich wieder, wo ich war. Ich war einer der Menschenkörper in den Halterungen. Ich sah auf den Operationstisch, sah das flimmernde Netzwerk der Energiefäden, das langsam zu verlöschen begann. Im Hintergrund sah ich drei andere Leiber, deren Glieder sich rührten. Ich sah, wie einer dieser Körper die Augen öffnete. Der Blick war völlig ausdruckslos, dumpf und glanzlos. Ich konnte sehen, wie diese Augen lebendig wurden - einer meiner Freunde hatte in seinem neuen Gefängniskörper seine Augen in Besitz
genommen.
Wieder fiel mein Blick auf den Operationstisch.
Die Robots schafften Gewebe fort, ein Anblick, der mir den Magen umdrehen wollte. Ich
wußte, daß diese Klumpen einmal zu den vier Körpern gehört hatten, die wir auf Darcyrs
Heimatplaneten übernommen hatten.
Das Energiegespinst brach zusammen.
Jetzt war das Fremde genau zu sehen. Ein Mann lag auf dem Operationstisch, eine
hochgewachsene, muskulöse Gestalt, die sich jetzt aufrichtete. Der erste flüchtige Blick sagte
mir, daß wir vor diesem Mann auf der Hut sein mußten. Das Gesicht verriet hellwache
Intelligenz, Entschlußkraft und einen unbeugsamen Willen. Der Ausdruck, mit dem ich
gemustert wurde, war verächtlich.
Robots rollten heran und brachten dem Mann Kleidung. Er zog sich mit schnellen,
gleichmäßigen Bewegungen an. Jeder Handgriff, jede Bewegung verriet Selbstbewußtsein;
ich hatte den Eindruck, als hätten sich in der Person dieses Mannes ein brillanter Geist mit
einem perfekt funktionierenden Körper zu einer Einheit zusammengefunden, die uns höchst
gefährlich werden konnte.
Der Mann glitt von der Platte herunter. Er steckte eine Waffe in das Halfter, schnippte mit den
Fingern und wartete einen Augenblick, bis die diensteifrigen Robots ihn erreicht hatten.
„Gebt ihnen Kleidung und schafft sie in den Verhörraum!“
7. Es war eine gehörige Portion Phantasie nötig, um solch ein Fluchtmittel zu ersinnen. Was an biologischtechnischem Aufwand dahintersteckte, konnte ich nicht abschätzen. Darcyr, Fürst der Blauen Sonnen, hatte sich nicht nur eine dezentralisierte Wohnung mit aller technischen Perfektion erbauen lassen. Er hatte auch ein Verfahren erfinden lassen, sich selbst zu dezentralisieren - aufgeteilt auf vier Relais-Körper, in denen sein körperliches wie sein geistiges Selbst versteckt waren. Kein Wunder, daß wir uns ausgerechnet diese vier Körper ausgesucht hatten. Und es war auch nicht länger rätselhaft, wer diese Gastkörper manipuliert hatte - das schlummernde Bewußtsein des Blausonnenfürsten. Was es allerdings bedeutete, in dieser Art und Weise zu verschwinden, die für mich einer Art reversiblen Selbstmordes gleichkam, konnte ich mir nicht vorstellen. Der Identitätsverlust bei der Reintegration des Blausonnenfürsten aus den Grundbestandteilen unserer alten Gastkörper reichte mir als Erfahrung vollauf; wieviel gräßlicher mußte es sein, die eigene Identität völlig aufzugeben und darauf angewiesen zu sein, daß ein komplizierter Plan sie wieder zusammenfügte. „Ich hatte keine andere Wahl“, erklärte uns Darcyr. Nachdem Imhotep ihm bewiesen hatte, daß er tatsächlich der Fürst von Egol war, hatte Darcyr sein Mißtrauen aufgegeben. „Als ich in meine Heimat zurückkehrte, war die Rebellion der Offiziere bereits fast perfekt - ich tappte ahnungslos in die Falle, und nur im letzten Augenblick gelang es mir, diesen Verzweiflungsplan durchzuführen. Wie lange ich dezentralisiert existiert habe, weiß ich allerdings nicht - das Zeitgefühl hat mich dabei völlig verlassen.“ „Was ist eigentlich genau passiert?“ wollte Imhotep wissen. „Wie ist es möglich, daß die Machtverhältnisse im Kaiserreich plötzlich auf den Kopf gestellt sind?“ „Verrat“, sagte Darcyr trocken. „Nach den Informationen, die deine Freunde liefern konnten, ist auch das Motiv für diesen Verrat offenkundig - ich vermute, daß die Oberen unsere Reihen dadurch unterwandert haben, daß sie den Anführern der Rebellion Unsterblichkeit oder doch wenigstens eine beträchtliche Lebensverlängerung versprachen.“ Ich pfiff durch die Zähne. Wenn das zutraf, wurde unsere Lage noch kritischer als vorher. Die geheimnisvollen Oberen pendelten zwischen ihrem und unserem Universum hin und her; da die Zeitvektoren dieser beiden Kontinua einander entgegenliefen, konnten sie bei diesem Pendelverkehr biologisch nicht altern, sofern sie in beiden Universen gleichlange Zeiträume verbrachten. Das gleiche Verfahren mußte natürlich auch umgekehrt funktionieren - wenn ich jeweils ein Jahr in unserem und ein Jahr im Kontinuum der Oberen blieb, war ich nach Ablauf dieser zwei Jahre biologisch um keinen Tag gealtert. Ich wußte auch, daß die fortgeschrittene Medizin und Biotechnik der Glyssaaner in der Lage
war, die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen auf fast zweihundert Jahre zu verlängern - aber davon entfielen dann immer noch fünfzig Jahre auf ein Greisenalter mit allen damit verbundenen körperlichen Nachteilen. Das Verfahren der Oberen war ungleich wirksamer - der Betroffene konnte seine körperliche Leistungsfähigkeit auf dem Gipfel gleichsam einfrieren. „Den möchte ich sehen, der sich davon nicht verlocken läßt“, murmelte Inky. Es war jetzt schwierig, uns auseinanderzuhalten. Die neuen Gastkörper wirkten sehr gleichartig. Nur an der Mimik und der Gestik ließ sich erkennen, mit wem man gerade sprach. Im Fall von Inky war das leicht zu erkennen - immer wieder fuhr er sich durch den wirren Haarschopf, den er jetzt gar nicht mehr besaß. Charriba verriet sich durch seine stoische Ruhe, während Imhotep die lebhafte Gestik beibehalten hatte, die er während seines Aufenthalts im alten Ägypten gelernt hatte. Darcyr lächelte. „In diesem Raum sind fünf Personen, die sich davon nicht beeindrucken lassen“, behauptete er. In meinem Fall täuschte er sich gewaltig. Die Aussicht war verlockend, und wenn ich nicht spornstreichs losrannte und meine Dienste den Oberen anbot, dann hatte das nur einen einzigen Grund - ich war für den Gegner viel zu unwichtig, als daß man mir eine derartige Vorzugsbehandlung gewährt hätte. Außerdem hatte ich den starken Verdacht, daß die Meuterer im Imperium von Glyssaan früher oder später würden erkennen müssen, daß den Versprechungen der Oberen nicht zu trauen war. Sie duldeten keinerlei Nebenbuhler oder Rivalen, höchstens für begrenzte Zeit. Nur dann, wenn sie beide Universen absolut, uneingeschränkt, vollkommen, total - ich fand kein Wort, das die Endgültigkeit dabei richtig ausdrückte - beherrschten und kontrollierten, nur dann konnten sie wirklich sicher sein, ihre Unsterblichkeit bis zum Ende des Universums behalten zu können. „Und wie sieht es auf den Zentralwelten von Glyssaan aus?“ fragte Imhotep. Ich sah es ihm an - er machte sich Sorgen um seinen Vater, der erster Anwärter auf die Kaiserwürde war, wenn der amtierende Herrscher starb. „Erbärmlich“, sagte Darcyr. „Zu der heimlichen Unterwanderung kommt der offene Angriff der Meuterer auf das Imperium, mit allen Mitteln, die in einem solchen Kampf üblich sind. Sabotageunternehmungen, Schmiergelder an einflußreiche Beamte, Verbreiten von Gerüchten, Stimmungsmache. Glyssaan wird noch ein paar Jahrzehnte bestehen können, dann werden die Oberen über ihre Verbindungsleute auch diesen Bereich der Galaxis kontrollieren.“ Imhotep murmelte eine Verwünschung. „Kannst du uns nach Glyssaan bringen?“ fragte er ohne Umschweife. „Ich bin sicher, daß du einen Weg dorthin weißt.“ Darcyr lächelte. „Natürlich habe ich Verbindungen dorthin“, sagte er. „Ich mußte doch wissen, was im Imperium geschieht, besonders in seinem Herzen. Ich fürchte, ich habe eine Überraschung für dich. Komm mit.“ Auch in dieser geheimen Anlage des Blausonnenfürsten gab es einen Transmitterraum; Darcyr schien schon sehr frühzeitig und mit unerhörtem Aufwand seine Anwartschaft auf den Kaisertitel von Glyssaan betrieben zu haben. „Bereit?“ fragte er. Wir nickten. Unsere Waffen lagen in unseren Händen, schußfertig. Mir war nicht entgangen, daß Darcyrs Nadler auf betäubende Wirkung eingestellt war. Wir brauchten nur einen Schritt zu machen. Wieder Beton, nackt und kalt. Ein kleiner Leuchtkörper, mehr nicht. Das Transmitterfeld hinter uns brach zusammen. Darcyr steuerte es mit einem Ring, den er an der linken Hand trug.
„Bekomme nicht gleich einen Wutanfall“, sagte Darcyr, bevor er den einzigen Hebel
betätigte, den es in dem Raum gab. Ein Stück Beton schob sich zur Seite. Ein dunkler Raum
öffnete sich vor uns. Das Licht flammte auf, als wir den Boden mit unseren Füßen berührten.
Imhotep keuchte.
„Das darf nicht wahr sein“, kam es über seine Lippen. Er funkelte Darcyr an. „Wir sind im
Haus meines Vaters!“
„Richtig“, bestätigte Darcyr. Imhotep knirschte mit den Zähnen.
„Du kennst wohl gar keine Grenzen für dein Handeln“, stieß er hervor.
Darcyr ertrug Imhoteps Ausbruch mit Gelassenheit.
„Nicht, wenn es für das Wohl der Glyssaaner erforderlich ist“, sagte er ruhig. „Ich weiß, daß
es eine Lumperei ist, was ich getan habe. Ich stehe dazu, und ich würde immer wieder so
handeln, wenn ich die Gelegenheit dazu hätte.“
Imhotep sah ihn grimmig an. Er schluckte.
„Wir reden ein anderes Mal darüber“, sagte er dann halblaut. „Laß uns jetzt zu meinem Vater
gehen.“
Er war in diesen Räumen zu Hause, daher ging er voran. Es wartete eine weitere
Überraschung auf ihn. Niemand war zu sehen, kein Personal, keine Robots. Das weitläufige,
prachtvoll eingerichtete Haus war völlig verlassen.
„Ich verstehe das nicht“, murmelte Imhotep. Er durchstöberte die Privaträume seines Vaters.
Alle Einrichtungsgegenstände waren auf ihren angestammten Plätzen zu finden nur Menschen
waren nicht zu entdecken.
Ich warf einen Blick aus den Fenstern. Draußen war es dunkel. Über diesem Teil des Planeten
war es Nacht geworden.
Imhotep hatte derweil einen Kommunikator in Gang gesetzt; über den wandgroßen
Bildschirm flimmerte eine Nachrichtensendung. Ich verstand nur einen Bruchteil der
Informationen - die meisten Nachrichten bezogen sich auf die Verhältnisse in Glyssaan, die
wir so genau nicht kannten. Imhotep und Darcyr verfolgten die Sendung mit gespanntem
Interesse. Ab und zu sahen sie sich bedeutungsvoll an.
„So also sieht es aus“, murmelte Imhotep schließlich und schaltete ab. „Der Kaiser lebt noch
immer, ich kann es kaum glauben.“
Darcyr hatte anhand der Nachrichten festgestellt, daß er fast fünf Jahre in seinem
dezentralisierten Körper verbracht hatte. Auch er zeigte sich verwundert darüber, daß der alte
Kaiser von Glyssaan, der schon vor fünf Jahren vom Tod gezeichnet war, noch immer lebte.
„Sehen wir uns das Gebäude von draußen an“, schlug Imhotep vor. Durch ein Fenster
gelangten wir ins Freie.
Am Portal machte Imhotep die Entdeckung, auf die er insgeheim gewartet hatte. Das ganze
Gebäude war von der Polizei versiegelt worden, der Zutritt war jedermann untersagt.
Imhotep knirschte wieder mit den Zähnen. Ich sah, daß er sich wegen seines Vaters sorgte.
„Jetzt gibt es nur noch einen Ort, an dem wir Hilfe bekommen können“, stieß Imhotep hervor.
„Im Palast, beim Kaiser selbst.“
Darcyr deutete auf einen Schriftzug an der Außenmauer des Hauses. Ewige Verbannung allen
Verrätern war dort zu lesen.
„Wenn dein Vater noch lebt, ist er verbannt worden“, sagte Darcyr. Er war sehr ruhig. „Du
darfst dich hier nicht sehen lassen, Imhotep. Und für mich gilt das gleiche. Das Imperium
wird es kaum für wahrscheinlich halten, daß ich an der Rebellion der Blausonnenleute gegen
das Imperium schuldlos bin.“
„Hilfe bekommen wir nur beim Kaiser“, wiederholte Imhotep. Er sah Darcyr scharf an.
„Erzähle mir nicht, du hättest keine Mittel und Wege gefunden, auch zum Kaiser
vorzudringen.“
Darcyr ertrug den scharfen Blick mit Gelassenheit.
„Es gibt einen solchen Weg“, gestand er schließlich. „Wenn man uns dort allerdings erwischt,
sind wir verloren - wir würden als Spione und Hochverräter hingerichtet.“
„Das Risiko nehme ich auf mich“, erklärte Imhotep entschlossen. „Es muß sein, sonst sind
uns für alle Zukunft die Hände gebunden.“ Darcyr nickte.
* Ich schwitzte. Das Wasser mußte mir mindestens einen Zentimeter hoch in den Schuhen stehen. Im Innern dieses Blechkastens war es höllisch warm. Und überall klemmte und drückte und quetschte es. Damit der Roboter noch einigermaßen funktionierte, hatte man ihm einen Teil seines Innenlebens belassen müssen. In dem Hohlraum steckte nun ich. Es war die verrückteste Maske, die ich je erlebt hatte. Das Monstrum wog eine halbe Tonne und bewegte sich dennoch auf seinen zwei Beinen so schnell und behende, daß ich größte Mühe hatte, den Bewegungsabläufen mit meinem Körper zu folgen. Es gab nur ein Verfahren, sich dabei nicht die Knochen zu brechen oder die Muskulatur zu verderben. Man mußte sich völlig entspannen wenn dann der Robot seinen Arm im Bruchteil einer Sekunde hochschnellen ließ, konnte der völlig entspannte eigene Arm sich mitbewegen. Den eigenen Körper in diesem Schwitzkasten zu entspannen und völlig schlaff werden zu lassen, war eine echte Tortur. Das galt vor allem für die Kopfbewegungen, die ich hatte feststellen müssen. Da es meinen Gefährten nicht besser erging, war in dieser Lage ein wenig hilfreicher Trost. Immerhin, wir hatten es geschafft, in den Palast hineinzukommen. Die ersten Kontrollen hatten wir unbeschadet überstanden - offenbar waren die Wachen davon überzeugt, daß niemand so verrückt sein würde, den Palast in der Verkleidung eines Roboters zu betreten. Recht hatten sie - man mußte wirklich verrückt sein, um etwas Derartiges zu unternehmen. Auch für Darcyr war es das erste Mal, daß er eine solche Maskerade selbst mitmachte, früher hatte er dafür hochtrainierte Spezialisten zur Verfügung gehabt. „Weiter!“ erklang es in meinen Ohren. Das miniaturisierte Kommunikationssystem war schlecht, es krächzte und fiepte immerzu, aber ich konnte wenigstens die Stimme erkennen. Hintereinander marschierten wir weiter und wurden erbarmungslos durchgeschüttelt; mein Robot setzte die umfänglichen Beine mit der Geschwindigkeit eines Sprinters voreinander, und ich in seinem Innern mußte jede dieser Bewegungen mitmachen. Die heikelste Aufgabe stand uns noch bevor. Der Plan sah vor, die entsprechenden Gegenstücke im Innern des Palasts zu finden und auszuschalten. Danach wollten wir zum Kaiser vordringen. Imhoteps Robot war der erste, der in unserem Gesichtsfeld auftauchte. Imhotep brauchte nichts weiter zu tun, als zu seinem Ebenbild hinüberzugehen und ihm die metallene Hand auf den Körper zu legen. Traf er die richtige Stelle, wurde der echte Robot von einem Hochspannungsstromstoß sofort außer Gefecht gesetzt. Es funktionierte. Mit einem Qualmwölkchen, das ihm aus den Sohlen * quoll, gab die Maschine ihren positronischen Geist auf. Inky und Charriba fingen den umstürzenden Körper auf und zerrten ihn mit vereinten Kräften in einen Nachbarraum. Langsam arbeiteten wir uns auf die Privatgemächer des Kaisers zu. Die nächste Doppelgängermaschine tauchte auf und wurde ebenso rasch ausgeschaltet. Das wagemutige Unternehmen entwickelte sich besser, als ich angenommen hatte - fast zu glatt und perfekt. Das Innere des Palasts verriet in allen Details, daß Glyssaan kein Kaiserreich der Armut war; der Luxus war üppig, aber keineswegs protzig. Imhotep und Darcyr gingen voran. Sie kannten sich in diesen Räumlichkeiten aus, beide waren des öfteren Gäste des Kaisers gewesen. Die eigentliche Verwaltung des Imperiums lag allerdings weit von der Hauptstadt und vom Palast entfernt. Der Sitz des Kaisers diente mehr repräsentativen Zwecken. Ich versuchte mir auszumalen, wie es in diesen Räumen wohl
aussah, wenn sich Abordnungen von Hunderten von Welten trafen - ein buntscheckiges
Gewimmel mußte es sein, farbenprächtig, und für Zuschauer und Beteiligte wohl sehr
beeindruckend.
„Vorsicht“, zischte Imhotep.
Mein Ebenbild war in unserem Gesichtskreis aufgetaucht und ging den Weg seiner
Vorgänger. Unmittelbar vor den Privaträumen des Kaisers erwischten wir dann den letzten
Robot, der uns hätte verraten können. Damit war der Weg frei.
Imhotep öffnete die erste Tür und schritt über die Schwelle. Nichts an seinen Bewegungen
verriet, daß in der Maschine ein Mensch steckte die Tarnung war perfekt.
Nacheinander betraten wir die Zimmerflucht des Kaisers.
„Er wird in seinem Schlafzimmer sein“, gab uns Imhotep zu verstehen.
Noch klappte die Verständigung einwandfrei.
Vor einer schmucklosen, hölzernen Tür blieb er stehen. Er klopfte an.
„Tritt ein!“
Die Stimme, die uns zum Eintreten aufgefordert hatte, klang matt und erschöpft. Imhotep
öffnete die Tür, sie schwang nach innen auf.
Jarhaarn, Fürst zu Guloor, zur Zeit Kaiser des Imperiums von Glyssaan, lag in seinem Bett,
auf der dünnen weißen Decke lag eine Akte, in der der Kaiser geblättert hatte, bevor wir
eintraten. Ein schmales Greisengesicht blickte uns an. Jarhaans Haare waren weiß, seine Haut
wirkte fleckig und pergamenten, aber die Augen waren die eines jungen Mannes, beweglich
und scharfblickend.
Der Kaiser runzelte die Stirn.
„Ich habe euch nicht gerufen“, sagte er und winkte uns mit einer Handbewegung aus dem
Zimmer.
„Wir kommen ungerufen“, erklärte Imhotep. „Und wir sind nicht das, was wir zu sein
scheinen.“ „Die Stimme kenne ich“, sagte Jarhaarn und musterte uns. Imhotep trat langsam
näher, desgleichen Darcyr. Beide küßten den schlichten Ring aus graviertem Stahl an der
Hand des Kaisers - das Symbol seiner Macht.
„Ich bin Imhotep, Sohn von Manhaar, Fürst zu Egol“, Stellte sich Imhotep vor. Auf der Stirn
des Kaisers bildeten sich Falten.
„Das Fürstentum von Egol wird nicht mehr von Manhaars Sippe verwaltet“, sagte er ruhig.
„Wenn du Imhotep bist, mußt du das wissen.“
„Ich war im Hause meines Vaters und fand dort die kaiserlichen Siegel“, gestand Imhotep.
Darcyr hielt sich noch zurück. „Ich bin lange fort gewesen und weiß nicht genau, was im
Imperium während meiner Abwesenheit geschehen ist. Verzeiht diese Unkenntnis.“
„Es ist kein Geheimnis, also sollt ihr es wissen. Manhaar wurde wegen Konspiration mit dem
verräterischen Fürsten der Blauen Sonnen zur Verbannung nach Irdan verurteilt und dorthin
geschickt. Seine Ämter wurden ihm entzogen, sein privates Vermögen verfiel dem Fiskus. So
Ihr Imhotep seid, seid Ihr ein normaler Bürger des Imperiums, der schwere Strafe für sein
Eindringen in meine Räume verdient und bekommen wird.“
Ich sah, daß Imhotep eine Verbeugung andeuten wollte, aber in dem ungeschlachten
Robotkörper fiel die Bewegung eher lächerlich aus.
„Und die anderen vier?“
„In dieser Hülle steckt Fürst Darcyr“, gab Imhotep bekannt.
Die Reaktion des Kaisers war bewundernswert. Er zuckte mit keiner Miene.
„Die anderen drei sind Freunde von uns. Wir verdanken ihnen außerordentlich wichtige
Informationen über den geheimnisvollen Gegner, der Glyssaan bedrängt.“
Der Kaiser verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln.
„Zur Zeit hat Glyssaan mehr mit seinen inneren Rebellionen zu tun als mit dem Feind von
gestern.“
Er sah Darcyr an.
„Ich habe nie begriffen, was den Fürsten der Blauen Sonnen zum Verräter machen konnte.
Immerhin - seid Ihr es, so findet Euch baldmöglichst beim Henker ein, Euer Urteil ist gefällt
und verkündet.“
Das Lächeln wurde boshaft.
„Der Darcyr, den ich einmal gekannt habe, war ein Mann, der diese Aufforderung seines
Herrschers befolgt hätte - aber das sind längst vergangene Zeiten.“
„Meine Loyalität gilt nicht der Person des Kaisers, sondern dem, was er symbolisiert“,
antwortete Darcyr. An der Bewegung der Augenbrauen sah ich, daß Janhaar die Stimme als
die Darcyrs erkannt hatte. „Und diese Loyalität zwingt mich, der Aufforderung vorerst keine
Folge zu leisten. Gehorchen werde ich erst, wenn das Fürstentum der Blauen Sonnen wieder
das ist, was es früher war - ein loyales Mitglied im Imperium.“
„Oha“, sagte der Kaiser spöttisch. „Reumütig?“
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, entgegnete Darcyr. „Von Reue kann keine Rede sein.
Außerdem gibt es Wichtigeres zu tun - die Bedrohung für Glyssaan ist erheblich ernster, als
es ohnehin schon aussieht.“
So rasch wie möglich klärten Imhotep und Darcyr den Kaiser über den letzten Stand der
Dinge auf Janhaar hörte aufmerksam zu.
Und mir wurde immer mulmiger zumute. Ich konnte mir nicht erklären, woran das lag, aber
die Warnrufe, die aus meinem Innern zu kommen schienen, wurden immer deutlicher.
Irgend etwas stimmte nicht - aber was?
Ich fand keine Antwort auf diese Frage. Die beiden Glyssaaner unterhielten sich mit ihrem
Herrscher, während wir drei herumstanden und nicht viel unternehmen konnten.
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Ich sah hinüber zu Janhaar. Der Kaiser hatte sich im Bett aufgerichtet. Unter der dünnen Jacke
seines Nachtgewandes konnte man die Atembewegungen deutlich sehen.
Er atmete, aber er tat es mit, einer Gleichmäßigkeit, die völlig unnormal war. Ich faßte ihn
schärfer ins Auge.
Jetzt wußte ich, woran ich war. Dieser Kaiser war niemals echt, da gab es für mich keine
Zweifel. Ich rekapitulierte, was ich vom Betreten des Raumes an gesehen hatte.
Alles schien zu stimmen. Der Kaiser war da und hörte uns an Eines aber fehlte.
Janhaar hatte bis zu diesem Augenblick keine einzige spontane Körperreaktion gezeigt. Er
zuckte nicht, blinzelte nicht, atmete nicht schneller oder hielt die Luft an. Es fehlten alle
körperlichen Merkmale einer seelischen Reaktion. Sie waren dem Bewußtsein in der Regel
nicht zugänglich, daher auch nicht kontrollierbar.
Entweder war dieser Mensch seelisch tot, unter Drogen gesetzt vielleicht, oder er war kein
Mensch. Seinem Mienenspiel und seiner Gestik fehlte alles Lebendige.
Ich trat an das Bett heran.
„Ihr gestattet?“
Ich streckte die Hände nach dem Körper des Kaisers aus. Er fuhr zurück.
„Rührt mich nicht an!“ sagte er scharf.
Er hatte vergessen, seine Augen zu öffnen, wie es jeder in einem solchen Augenblick getan
hätte.
Ich war mir meiner Sache sicher - Janhaar, Kaiser des Imperiums von Glyssaan, war nichts
weiter als ein Roboter.
8. Imhotep wollte mir in den Arm fallen, aber ich stieß ihn heftig zurück. Janhaar rutschte auf die andere Seite des Bettes und versuchte, aufzustehen. Ich erwischte ihn gerade noch am
Arm.
„Laß ihn los!“ schrie Darcyr mich an.
„Ich werde diese Maschine nicht loslassen“, schrie ich zurück. Den Beweis für meine These
hatte ich in den Händen - der altersschwache Kaiser entwickelte eine Körperkraft, die selbst
ein Schwerathlet nicht aufgebracht hätte. Er riß sich los.
„Haltet ihn!“
Inky stürzte nach vorn und prallte zurück, als der Kaiser ihm einen Faustschlag vor die Brust
gab. Die Wucht, die hinter einem solchen Hieb sitzen mußte, machte auch den anderen klar,
worum es ging. Charriba kam Inky zu Hilfe, Darcyr setzte zum Sprung an.
Janhaar versuchte zu schreien, aber Charriba hielt ihm eine Hand über den Mund. Dennoch
wurde der Ton lauter - der Robotkaiser drehte ganz einfach seinen Schallverstärker weiter auf.
Immerhin war er gefangen.
„Wir haben unterwegs ein paar Kollegen von dir ausgeschaltet“, drohte ich der Maschine.
„Sei still, sonst werden wir auch dich desaktivieren.“
Als Robot war der Kaiser ein Wesen von schnellem Entschluß. Er verstummte.
Daß wir gar nicht mehr die Mittel hatten, ihn zum Schweigen zu bringen, brauchten wir ihm
nicht auf die Nase zu binden. Vielleicht ließ sich mit diesem Bluff noch einiges erreichen.
Das war Zukunftsmusik, und wir wußten es. Höchstwahrscheinlich enthielt der Körper des
Robotkaisers einen kleinen Sender, mit dem er Hilfe herbeifunken konnte, und ich war sicher,
daß er längst von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte. Uns blieb also nur kurze Zeit,
einen Ausweg zu finden.
Ich durchsuchte rasch das Bett des falschen Kaisers, und ich hatte richtig geraten. Unter dem
Kopfkissen entdeckte ich eine geladene und entsicherte Waffe. Ich richtete den Lauf auf den
Robotkaiser.
Darcyr machte sich unterdessen an den Wänden des Schlafzimmers zu schaffen. Was er dort
wollte, blieb unklar, bis ein Schnappgeräusch hörbar wurde und ein Teilstück der Wand
wegklappte.
„Hier hinein“, bestimmte Darcyr, ohne sich um Imhotep zu kümmern, der einen Laut der
Verblüffung ausstieß. „Beeilt euch!“
Charriba stürzte los, Inky folgte ihm. Wir stießen ihnen den Robotkaiser nach, dann trat ich in
den finsteren Gang. Sobald Imhotep ihn betreten hatte, schlüpfte Darcyr nach und verschloß
den Geheimgang wieder.
„Wir müssen die Verkleidung ablegen“, bestimmte Darcyr.
„Hier?“ fragte ich. Wenn es einen unpassenden Platz für diese Verrenkungen gab, dann
diesen. Die Wände waren hart und rauh, es gab wenig Platz, und außerdem war es reichlich
kalt.
„Wir blockieren damit den Zugang“, stieß Darcyr hervor.
Es dauerte fünf Minuten, dann hatten wir die Robotkörper entleert und standen schnatternd
vor Kälte in unserer normalen, schweißdurchnäßten Kleidung auf dem felsigen Boden des
Ganges.
„Her mit den Robots“, bestimmte Darcyr. Wir keilten sie am Eingang zum Stollen ineinander.
Darcyr fingerte in der Dunkelheit im Innern der Konstruktionen herum.
„Jetzt haben wir fünf Minuten“, sagte er endlich. „Los, rennt.“
„Und warum?“ fragte ich im Laufen, während ich gleichzeitig den Robotkaiser in Schach
hielt. Imhotep leuchtete den Weg von hinten mit einem kleinen Scheinwerfer aus.
„Eine Thermitladung wird die Körper zusammenschmelzen“, stieß
Darcyr hervor. „Das wird unsere Verfolger für geraume Zeit aufhalten.“
„Es wird doch wohl möglich sein, diesen Gang von außen anzumessen“, gab Imhotep zu
bedenken.
„Er ist absolut abhörsicher“, verkündete Darcyr.
Nur zu gern hätte ich gewußt, woher der Blausonnenfürst seine mehr als verblüffenden
Kenntnisse bezog; er schien sich im Marmorpalast fast besser auszukennen, als der Kaiser
selbst.
Der Gang schraubte sich in langen, seltsam verschlungenen Windungen in die Tiefe.
Daß die Zeit sehr rasch verstrich, merkten wir, als plötzlich hinter uns die Ladung hochging
und wenig später eine Welle heißer Luft durch den Stollen fegte. Die Hitze war kaum zu
ertragen, kräuselte mir die Haare und ließ die Kleidung förmlich zischen. Dampfwolken
stiegen von dem Gewebe auf.
„Weiter!“ drängte Darcyr. „Sie werden eine Stunde brauchen, bis sie den weißglühenden
Schrott zur Seite geräumt haben. Eine halbe Stunde werden sie benötigen, um herauszufinden,
daß der falsche Kaiser nicht darunter ist - und dann beginnt eine Hetzjagd, wie Glyssaan sie
noch nicht erlebt hat.“
Wir rannten weiter, so schnell uns unsere Füße trugen. Das Versteckspiel in den Robots hatte
viel Kraft gekostet, sehr bald kamen wir in Atemschwierigkeiten - außer Charriba natürlich,
der es auch in einem Ersatzkörper fertigbrachte, mit seinen Kräften haushälterisch
umzugehen. Inky schnaufte vernehmlich, und ich spürte mein Herz unangenehm deutlich. Der
falsche Kaiser folgte uns außerordentlich brav. Ich vermutete, daß er noch irgendeine boshafte
Überraschung für uns in petto hatte.
Schließlich blieben wir stehen, unsere Kräfte reichten vorerst nicht weiter.
„Wohin führt dieser Gang?“ fragte Imhotep. Auch Darcyr schnappte hörbar nach Luft.
„Rate“, forderte er Imhotep auf. Das spärliche Licht des Scheinwerfers ließ seine Zähne weiß
hervortreten, als er grinste.
Imhotep sah ihn mit kaum verhohlener Wut an.
„In eines deiner zahlreichen Verstecke, vermute ich.“ Darcyr schüttelte den Kopf.
„Es ist der geheime Privatzugang des Kaisers zum Siegelraum“, erklärte er.
Ich sah, daß Imhotep blaß wurde.
„Woher weißt du das?“ fragte er. „Du kennst Geheimnisse, die nur dem jeweiligen Kaiser
bekannt sind - ein solcher Fall von Verrat ist in der Geschichte Glyssaans einmalig.“
Darcyr lächelte, während er mit Konzentrationsübungen seinen Atem beruhigte.
„Die Kategorien, in denen du denkst, gelten jetzt nicht mehr“, sagte er. „Im übrigen weiß ich,
daß alle Geheimnisse Glyssaans bei mir gut aufgehoben sind.“
„Das bezweifle ich“, stieß Imhotep hervor. „Du hast deinen Ehrgeiz, selbst Kaiser zu werden ,
niemals verborgen - jetzt erkenne ich, welche Mittel du eingesetzt hast, um deinen Anspruch
zu untermauern. Langsam beginne ich zu glauben, daß die Unterwanderung Glyssaans
tatsächlich dein Werk ist.“
Darcyr neigte den Kopf zur Seite.
„Offenheit gegen Offenheit“, antwortete er. „Es ist nie ruchbar geworden, aber die Ehe
meiner Eltern war nie sehr glücklich. Mein Vater war ein übellauniger Tyrann, vor allem in
seiner Familie.“
„Was hat das mit deinen Schnüffeleien zu tun?“
„Meine Mutter war eine Zeitlang Geliebte des Kaisers. Ich bin Janhaars Sohn, sein einziger
wohlgemerkt.“
Imhoteps Kopf flog herum. Er sah den Robotkaiser an.
„Stimmen diese Informationen?“
„Ich weiß nichts darüber“, antwortete der falsche Kaiser. „Diese Daten sind in meinen
Programmen nicht gespeichert.“
„Selbst wenn es stimmt, gibt es dir nicht das Recht...“
Darcyr winkte ab.
„Laß das Reden“, sagte er rauh. „Du weißt selbst, wie es im Imperium ausgesehen hat.
Janhaar war todkrank, ein Nachfolger war dringend nötig. Es gab damals nur drei Personen,
die ihn ersetzen konnten. Einer davon war dein Vater, falsch: ist dein Vater.“
„Oho“, sagte Imhotep gereizt.
„Er besitzt die Ruhe und Abgeklärtheit, die mir fehlen - noch“, erklärte Darcyr weiter. „Für
mindestens ein Jahrzehnt kann er dem Imperium die innere Ruhe geben, die es dringend
braucht. Aber er wird einen Mann brauchen, der Energie und Tatkraft besitzt, um seine Politik
auch aktiv durchsetzen zu können. Dieser Mann werde ich sein, und ich werde dieses
Jahrzehnt bitter nötig brauchen, um in das Amt hineinzuwachsen. Anders als du glaube ich
nämlich nicht, allem und jedem gewachsen zu sein.“
Imhotep steckte den Treffer ein, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Und mein Nachfolger steht ebenfalls fest, wenn er die Chance nutzt, sich
weiterzuentwickeln. Ich habe an dich gedacht, das weißt du.“
„Sehr nobel“, antwortete Imhotep. Es klang bei weitem nicht so spöttisch wie zuvor. „Und
dann?“
„Bis du dein Amt wirst abgeben müssen, wird ein Jahrhundert verstreichen, mindestens. Bis
dahin wird es möglich sein, einen neuen potentiellen Kaiser zu finden und aufzubauen.“
„Ich glaube dir kein Wort“, stieß Imhotep hervor.
Darcyr sah ihn an.
„Du gibst mir recht, daß du in unserer Generation der einzig ernstzunehmende Gegner für
mich bist?“
Imhotep nickte.
„Würde ich in dir einen Rivalen sehen, jemand, der meine Pläne stören und durchkreuzen
kann - wie immer sie auch aussehen -, glaubst du, du wärest noch am Leben, wenn ich es
nicht wollte?“
Wieder wurde Imhotep bleich.
„Du würdest über Leichen gehen, um deine Pläne zu verwirklichen? Auch vor Mord nicht
zurückschrecken?“
„So, wie ich jetzt bin - ja. Dies ist einer der Punkte, in denen ich von Janhaar und deinem
Vater noch viel werde lernen müssen - und du jetzt von mir.“
Imhotep schüttelte den Kopf.
Seltsamerweise begriff ich Darcyr. Nur ein Mann, dessen Handlungsspektrum alles einschloß
- vom kaltblütigen Mord bis zur kriecherischen Unterwerfung - war in der Lage, alle Möglichkeiten zwischen diesen Extremen zu nutzen. Nur er war in der Lage, wirklich zu entscheiden, ob er Extreme vermied oder nicht; weder Furcht noch Eitelkeit noch Stolz konnten ihn entscheidungsunfähig machen, ihn in einer Grauzone der Entschlußlosigkeit festkeilen. Wenn Darcyr auf gewaltsame Mittel verzichtete - ich war sicher, daß er sie nie anwenden würde -, dann tat er es, weil er es so wollte, nicht weil ihn Unsicherheit daran hinderte - das gab, so seltsam das auch klang, seiner Entscheidung ein ganz anderes moralisches Gewicht als dem Entschluß eines anderen, der keiner war, weil er immerzu um den Entscheid herumschlich wie die Katze um den heißen Brei. Darcyr war furchteinflößend ehrlich. Ich mochte ihn nicht als Gegner haben - als Freund war er schlimm genug. Es war offenkundig, daß er Glyssaan liebte und nach Kräften schützen wollte. Ebenso offenkundig war, daß er dabei vor keinem Mittel zurückschrecken würde, das ihm sinnvoll erschien; er würde jeden aus dem Weg räumen, der ihn störte zwar behutsam und so sanft wie möglich, aber mit unerbittlicher Hartnäckigkeit. „Wir vertun die Zeit“, sagte Darcyr. „Gehen wir weiter.“ „Wohin?“ „Zum Siegelraum“, sagte Darcyr. „Der derzeitige Kaiser ist nicht entscheidungsfähig, also muß das Siegelgeheimnis einem anderen anvertraut werden.“ „Dir natürlich“, sagte Imhotep. „Uns“, gab Darcyr zurück. „Es gilt zwar der Grundsatz, daß nur eine Person - der Kaiser - die Geheimnisse des Siegelraumes kennt, aber in der derzeitigen Lage erscheint es mir sicherer und wichtiger, daß mehrere vertrauenswürdige Personen diese Geheimnisse teilen.“ Ich mischte mich ungefragt ein. „Du hältst uns für vertrauenswürdig?“ Darcyr lächelte wieder.
„Ihr werdet es sein müssen, wenn euch etwas an eurem Leben liegt“, gab er trocken zurück.
Charriba begann zu lachen. Es war das erste Mal, daß ich den Indianer lachen hörte. Er zählte
nicht zu den Leuten, die ihre Gefühle öffentlich vorführten, aber jetzt lachte er, daß ihm die
Tränen kamen. Darcyr lachte mit.
Wir setzten den Marsch durch die Unterwelt von Glyssaan fort.
„Die Wände sehen nur so primitiv aus“, informierte uns Darcyr unterwegs. „In Wirklichkeit
sind sie mit allen Mitteln abhörsicher gemacht worden. Dieser Gang ist mit keinem bekannten
technischen Mittel anpeilbar.“
„Hm“, machte ich. „Ein Beobachter könnte ihn ohne Körper...“
„Er würde es nicht überleben“, sagte Darcyr trocken. „Glaubt es mir. Alle Versuche dieser Art
sind gescheitert, die Betreffenden sind wahnsinnig geworden.“
Das Gestein, das uns umgab, kam mir sehr bekannt vor - schwarzer Fels, weiß und gold
marmoriert. Ähnliche Materialien hatten wir auf Shyftan gefunden. Die Verbindungen
zwischen den Zeiten und Orten unserer Handlung wurden immer komplizierter - aber auch
deutlicher. Daß die Glyssaaner Menschen waren wie wir, hatten wir bereits bei Imhotep mit
Verwunderung registrieren können. Eine bekannte Verbindung zwischen Terra und Glyssaan
gab es aber nicht - da waren noch viele Rätsel, die ihrer Lösung harrten, und ich ahnte, daß
wir bei dieser Lösung auf manche Überraschung stoßen würden. Schließlich blieb Imhotep
stehen.
„Es geht nicht weiter“, verkündete er.
Der Gang endete in einem Felsraum von vier zu vier Metern. Es gab keinerlei technisches
Gerät, kein Hebel, keinen Knopf, den man hätte drücken können. Nur der marmorierte Fels
umgab uns, und wie auf Shyftan wirkte er auf mich furchteinflößend.
„Jetzt wird es knifflig“, gab Darcyr zu. „Weiter weiß ich auch nicht.“
Er fixierte den falschen Kaiser.
„Kannst du uns öffnen?“
Der Robot schüttelte den Kopf.
„Ich habe den Siegelraum niemals betreten“, sagte er. „Er ließ sich von mir nicht öffnen.“
Darcyr biß sich leicht auf die Lippen.
„Hmm“, machte er.
Er betrachtete die Wand, vor der wir standen. Vier Meter breit, drei Meter hoch, eine
glattpolierte Fläche aus schwarzweißgoldfarbenem Marmor. Es mußte irgendeine Möglichkeit
geben, dieses Hindernis zu beseitigen, wahrscheinlich einen Punkt, auf den man drücken oder
die Hand auflegen mußte. Wer diesen Punkt - wahrscheinlich waren es mindestens zwei -
kannte, hatte es natürlich leicht.
Für uns schien dieses Hindernis unüberwindlich.
Der Robotkaiser stellte sich in eine Ecke und rührte sich nicht. Ich sorgte mit der Waffe dafür,
daß es so blieb, während sich die anderen daranmachten, alle nur möglichen Tricks zu
probieren.
Sie drückten und schoben, tasteten die Wand ab, klopften und hämmerten - alles ohne den
geringsten Erfolg. Der Marmorklotz bewegte sich nicht um Haaresbreite. Es gab nirgendwo
Lücken, in die man ein Messer hätte hineintreiben können.
Ich setzte mich auf den Boden, schlug die Beine übereinander und überließ es den anderen,
den Lösungsweg zu finden.
Über die robotischen Züge des falschen Kaisers flog ein Lächeln. Offenbar amüsierte er sich
über das vergebliche Abrackern seiner Gegner. Sollte er - es würde ihm nicht helfen.
Ich war müde, empfand Hunger und Durst. Und ich hatte Sehnsucht nach Shyftan - genauer
gesagt nach Demeter.
Was hatte ich hier eigentlich zu suchen? Was wollte ich wirklich? Wenn ich mir eine ehrliche
Antwort gab, konnte die nur so lauten: Ich wollte irgendwo an einem sonnenwarmen
Sandstrand herumfaulenzen, meinen Kopf auf Demeters Bauch legen und ihren Atem spüren.
Nur war D. C. leider ein paar hundert Lichtjahre entfernt, und ich war mir ziemlich sicher,
daß sie mit meiner Interpretation von Glück nicht ganz einverstanden gewesen wäre. Sich in
der Sonne zu aalen, entsprach überhaupt nicht ihren Vorstellungen von einem glücklichen
Leben, und wahrscheinlich gab es kaum ein Mannsbild im Universum, das ihren
Vorstellungen von einem Lebensgefährten so wenig entsprach wie ich.
Aus der Ferne erklang ein Krachen. Offenbar waren unsere Verfolger dabei, die Hindernisse
aus dem Weg zu sprengen, die wir ihnen hinterlassen hatten. Die Zeit wurde knapp und
kostbar.
Ein denkbar ungeeigneter Zeitpunkt, romantischen Träumereien nachzuhängen - aber
vielleicht die letzte Möglichkeit dazu. Solange wir aus dieser Falle nicht herauskamen,
konnten wir gegen die Häscher wenig unternehmen.
Wieder lächelte der Robotkaiser. Ich hätte ihm sein dummes positronisches Grinsen am
liebsten mit der Waffe verleidet.
Imhotep stieß einen Fluch aus, auf Darcyrs Stirn waren Schweißperlen zu sehen. Sie kamen
mit der elenden Wand keinen Schritt weiter.
Jäh durchzuckte mich der Gedanke, daß ich nur noch ein paar Minuten zu leben hatte - denn
lebend wollte ich dem Gegner nicht in die Hände fallen.
Ein paar Minuten also noch - nicht mehr.
Was macht man in dieser Zeit? Sich auf Abwehr und Kampf vorbereiten? Das hätte vielleicht
Charribas und Darcyrs Naturell entsprochen, meinem nicht.
Ich beschloß, mich einem Tagtraum zu überlassen - und wer diesen Tagtraum mit Leben zu
füllen hatte, stand für mich außer Zweifel. Ich dachte an D. C. , meine ebenso schöne, wie
kluge, wie tapfere - aber auch unnahbare Chefin.
Ich konnte sie förmlich vor mir sehen. Ich sah die Jeans, die karierten Hemden, ich sah ihr
Gesicht. Sie lächelte, streckte mir ihre Hände entgegen.
... Ich fuhr senkrecht hoch.
„Aufhören!“ schrie ich. „Zur Seite!“
Es sprach für die Selbstbeherrschung meiner Freunde, daß sie mir sofort gehorchten.
Aus weit aufgerissenen Augen starrte ich die Wand an. Die unsinnigsten Gedanken schössen
mir durch den Kopf. Mit einem Schlag war ich zurückversetzt in eines der
Schulungsseminare.
Fachgebiet: Psychologie.
Thema: Wahrnehmung.
Hätte ich damals doch nur besser aufgepaßt. Wie war das noch? Der Mensch nimmt die
Informationsangebote seiner Umwelt - Geräusche, Farben, Düfte, Körper, etc. - nicht nur
einfach wahr, er strukturiert sie auch. Aus der Überfülle des Angebotenen sortiert er etwas aus
- während der Rest der Informationen zum Hintergrund wird, strukturiert er das Wesentliche zu einer Figur, einer Gestalt. Auf einer munteren Geselligkeit mit ihrem üppigen Angebot für die Sinne wird der Musikfreund nur die Lautsprecherklänge scharf und deutlich wahrnehmen, der Hungrige wird das kalte Büffet zur Figur machen, der Schürzenjäger sieht nur die hübsche Gastgeberin, der Alkoholiker wird beim Anblick der Bar alles andere vergessen und in den Hintergrund schieben. Außerdem neigt der Mensch dazu, unvollkommene Informationen zu einer Gestalt zu komplettieren - er setzt die Bruchstücke, die er tatsächlich wahrnehmen kann, zu einem Ganzen zusammen. Klassisches Beispiel: die schwarzweiße Zeichnung, die je nach Strukturierung zwei völlig verschiedene Dinge zeigt, Schwarz als Hintergrund, Weiß als Figur - ein Kelch. Weiß als Hintergrund, Schwarz als Figur - zwei einander zugekehrte Gesichter. Ein anderes Beispiel - ein Baum mit Ästen und Blättern, scheinbar wirr durcheinander. Strukturiert ergeben sich plötzlich Gesichter, Köpfe, Gegenstände - bestimmte Konstellationen von Blättern und Zweigen werden künstlich von der wahrnehmenden Interpretation des Menschen dazu zusammengefügt.
Genau das geschah mit mir in diesem Augenblick.
Aus dem diffusen Wirrwarr von Schwarz und Weiß und Gold in der Marmorierung drängte
sich langsam, dann immer deutlicher eine Figur in den Vordergrund meiner Wahrnehmung.
Wenn ich versuchte, die einzelnen Teile zu fixieren, verlor ich mich sofort im Wirrwarr. Aber
wenn ich die Augen zusammenkniff, mit Absicht ein wenig unscharf sah, dann entstieg
diesem verworrenen Untergrund eine Figur.
Ich sah sie.
Der Rumpf, der Kopf, die ausgestreckten Arme, die Hände, sogar die Fingerspitzen. Das
Gesicht war völlig klar und deutlich.
Eine Person, die sich - scheinbar von der anderen Seite der Wand dagegenlehnte, beide Hände
auf die trennende Fläche gepreßt.
Ich hätte dies alles ohne Schwierigkeiten akzeptieren können. Was mich aber völlig aus der
Fassung brachte, war das Gesicht, das zu dieser Gestalt gehörte.
Es konnte keinen Zweifel geben...
D. C. Demeter Carol Washington. Die Chefin der Time-Squad.
9. Ich sprang auf.
Ging hinüber, streckte die Hände aus. Meine Fingerspitzen berührten die Teile des Marmors,
auf der Demeters Fingerspitzen in einer Phantomgestalt aufzuliegen schienen.
Die Wand löste sich auf, wurde transparent und verschwand dann völlig.
„Allmächtiger!“ stieß Inky hervor. Ich sah, daß seine Augen weit aufgerissen waren. „Wie
hast du das gemacht?“
Es gab keine Zeit, diese Frage zu beantworten. Ich setzte die Füße voreinander. Es gab keine
Hindernisse. Ohne Mühe schritt ich weiter. Die anderen folgten mir.
Ich spürte, daß ich am ganzen Leib zitterte.
Ich hatte mit vielem, vor allem mit dem Schlimmsten gerechnet - damit nicht. Es war ein
Rätsel mehr - eines der seltsamsten, dem ich je begegnet war.
Wer immer diese Sperre errichtet hatte, wie immer die Technik funktionierte, die hinter
diesem Geheimnis lag - es hatte etwas mit Demeter zu tun.
Aber wieso? Wo war die Verbindung? Ich entsann mich, daß Valcarcel, der gräßliche Zeit-
Zauberer, bei Demeters Anblick den Verstand verloren hatte und gestorben war. Ich erinnerte
mich, daß es in ferner Zukunft - achtzigtausend Jahre jenseits unserer Gegenwart - einen
weitverbreiteten Kult der Göttin der Gerechtigkeit gab -, und auch dort spielte Demeter eine
überaus wichtige Rolle.
Daß die Chefin der Time-Squad eine wundervolle Frau war - es gab niemanden, der davon
mehr überzeugt war als ich. Aber das hier? Wie paßte das zusammen?
Was steckte dahinter?
Jäh durchzuckte mich wieder die Furcht. Wir hatten in den letzten Tagen erleben müssen, daß
Glyssaan unterwandert war, daß Scheinpersonen das Geschehen bestimmten.
Galt das auch für Demeter?
War die Chefin der Time-Squad, die Frau, die ich liebte - niemals zuvor war mir so klar
geworden, daß ich sie liebte -, ein Agent des Gegners, die größte Verräterin, die sich in der
Geschichte der Menschheit nur finden ließ?
Ich konnte es mir nicht vorstellen, aber der Verdacht fraß sich sogleich tief in meine
Gedanken.
Zu langem Grübeln blieb allerdings keine Zeit. Sobald wir die Sperre überwunden hatten, schloß sie sich wieder hinter uns. Ich hatte die Zuversicht, daß unsere Gegner geraume Zeit brauchen würden, sie zu überwinden - wenn es überhaupt möglich war. Von verdeckt angebrachten Leuchtkörpern wurde die Siegelhalle erhellt. Eine gewaltige Kuppel, fast einhundert Meter durchmessend, deren Wandung von dem gleichen Marmorgestein gebildet wurde, das wir bereits kannten. In der exakten Mitte des Raumes stand ein Gerät, das wir kannten, eine bemerkenswert große Zeitmaschine. Darcyr ging langsam darauf zu. Ich sah, daß er schwer atmete. Auch für den Blausonnenfürsten war es wohl das erste Mal, daß er diesen Raum betrat. Unter normalen Umständen hatte nur der Kaiser... Ich drehte mich nach dem Robot um. Er stand regungslos, wie erstarrt. Ich ging zu ihm hinüber. „Was ist mit dir?“ fragte ich, bekam aber keine Antwort. Kein Zeichen verriet, ob der Robot noch aktiv war oder nicht. „Behaltet ihn im Auge“, bemerkte Imhotep. Langsam schritten wir durch die Siegelhalle. Ihren Namen hatte sie wohl vom größten Staatssiegel bekommen, das im höchsten Punkt der Wölbung untergebracht war und auf uns herabblinkte. „Ich hatte mir diesen Raum ganz anders vorgestellt“, murmelte Darcyr. „Wo sollen die Geheimnisse sein, die nur der Kaiser kennen darf?“ Inky schob sich an mich heran. „Wie hast du den Eingang gefunden?“ fragte er leise. Ich überlegte kurz, ob ich ihn aufklären sollte, entschied mich dann aber dafür, zu schweigen. Ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, was es mit dieser Siegelhalle auf sich hatte. Sie enthielt tatsächlich alle Geheimnisse Glyssaans, aber sie waren in einer Art und Weise versteckt, die man als die perfekteste Tarnung aller Zeiten bezeichnen mußte. Wie Demeters Bildnis zuvor, waren sie im Gewirr von Schlingen, Bögen und Schleifen, von Einschlüssen und Fetzen enthalten, aus denen sich das Marmormosaik der Wandung zusammensetzte. Wahrscheinlich waren Tausende von bildlichen Informationen in dieser Wand enthalten - der Betrachter hatte es unglaublich schwer, diese Überfülle an Informationsmaterial zu strukturieren, zwischen Figur und Hintergrund zu unterscheiden. Höchstwahrscheinlich waren etliche Bilder ineinander verwoben - die Bruchstücke des einen lieferten den Hintergrund für die Figur eines anderen. „Wie lange gibt es diese Halle schon?“ wollte Inky wissen. Imhotep schrak aus seinen Gedanken auf. „Seit Urzeiten“, antwortete er geistesabwesend. „Es ist wahrscheinlich das älteste Bauwerk auf Glyssaan überhaupt.“ Seit Jahrtausenden barg die Siegelhalle die Geheimnisse Glyssaans es erschien mir ausgeschlossen, daß es uns gelingen konnte, diese Rätsel zu lösen - jedenfalls nicht in der kurzen Spanne Zeit, die uns zur Verfügung stand. Ich sah nur auf den Boden. Er bestand aus weißem Marmor, in den zahlreiche Symbole eingraviert waren. Außerdem zog sich ein filigranes Netzwerk von Linien über den Marmor. Ich kniete nieder, beugte mich tief auf den Boden herab. Genau vor mir schnitten sich zwei der feinen Linien. Mit bloßem Auge gerade noch lesbar, stand neben diesem Kreuzungspunkt: Antrieb. Was konnte das bedeuten? Ich stellte mich hin, genau auf diesen Kreuzungspunkt. Dann sah ich über die Zeitmaschine hinweg zur gegenüberliegenden Wand. Nichts schälte sich aus dem Muster des Marmors heraus - es war und blieb im höchsten Maß verwirrend. Ich kniff die Augen zusammen, versuchte es mit dem Unschärfetrick. In der Tat - etwas begann sich auf dem diffusen Hintergrund abzuzeichnen. Es wirkte wie ein Ausschnitt aus
einer technischen Zeichnung, war aber viel zu undeutlich, als daß ich hätte Einzelheiten erkennen können. Wahrscheinlich brauchte ein amtierender Kaiser eine jahrelange Schulung in dieser besonderen Form der Wahrnehmung, um genau sehen zu können, was die Wand an Informationen enthielt. Ich sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde schon hielten wir uns im Siegelraum auf, und wir waren keinen Schritt weitergekommen. „Hier gibt es nichts für uns zu holen“, stieß Darcyr grimmig hervor. „Ein vollständiger Fehlschlag.“ „Können wir diesen Transmitter aktivieren?“ fragte ich. Imhotep nickte. „Dann tut es“, bestimmte ich. „Ich schlage vor, daß wir zur Zentrale der Time-Squad zurückkehren - dies ist einstweilen der sicherste Zufluchtsort für uns.“ Darcyr machte ein grimmiges Gesicht. Ich sah ihm an, daß ihm dieser Vorschlag nicht ins Konzept paßte. Offenkundig hatte er sich vom Vordringen in die Siegelhalle eine blitzartige, durchgreifende Lösung aller Probleme erhofft. Damit war es nichts - wir waren nicht mehr als fünf ratlose Männer auf einem fremden Planeten, umgeben von Feinden. „An die Arbeit“, bestimmte ich. „Wir sollten uns beeilen!“ Darcyr bediente die Maschine. Sie hatte, wie offenbar alle Maschinen glyssaanischer Bauweise, ein grün leuchtendes Transmitterfeld. Ansonsten war die Technik der unsrigen bemerkenswert ähnlich, in vielen Details sogar identisch. Das allein damit erklären zu wollen, daß gleiche technische Probleme auch gleiche Lösungen erfahren, erschien mir zu simpel. Ich ahnte, daß die Zusammenhänge weitaus vielschichtiger waren, als wir bisher angenommen hatten. Ich legte mich auf die Transportplatte und entspannte mich. Das Transmitterfeld hüllte mich ein, ich versank in Schlaf. * „Sie haben uns lange warten lassen“, bemerkte Demeter trocken, als ich die Augen wieder öffnete. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich steckte ich wieder in meinem eigenen Körper. „Kameras“, stieß ich hervor. „Ich brauche ein paar Hochleistungskameras mit dem feinkörnigsten Filmmaterial, das sich nur finden läßt. Dazu Leuchtkörper.“ Es sprach für die Disziplin innerhalb der Time-Squad und für das Vertrauen, das Demeter in ihre Mitarbeiter setzte. Eine Handbewegung von ihr genügte, um ein paar Mitarbeiter in Bewegung zu setzen. „Was ist passiert?“ fragte Demeter. Ich sah, daß ihr Gesicht schmal geworden war. Die Augen verrieten, daß sie längere Zeit nicht geschlafen hatte. Offenbar hatte sie sich Sorgen gemacht. Meinetwegen vielleicht? Ein Gedanke, der mir sehr behagte. „Wir sind ins Herz des Imperiums vorgestoßen“, berichtete ich hastig. Gleichzeitig nahm ich eine Waffe entgegen und steckte sie in den Gürtel. Es war ein Hochleistungslaser im Kampf mit Robots weitaus wirkungsvoller als der Nadler an meinem rechten Oberschenkel. „Die Gruppe ist beieinander“, informierte ich D. C. „Wir stehen in der sogenannten Siegelhalle, dem geheimsten Raum des Imperiums. Wir können aber damit nicht viel anfangen - außerdem werden wir belagert.“ Die Kameras wurden gebracht, zwei Robots schleppten die Lampen mit Stativen. Am meisten hatten sie an den Batterien zu schleppen, die den Strom für die Lampen zu liefern hatten. „Wir bekommen weiteren Zuwachs“, informierte ich D. C. „Noch einen echten Sternenfürsten.“ Ich sah Ghanee, bleich und erschöpft, im Hintergrund stehen. Sie blickte mich hoffnungsvoll
an.
„Es ist Darcyr“, bestätigte ich ihren Verdacht.
„Ich werde nachkommen“, entschied Demeter. Auch sie nahm einen Laser.
Der Rücktransport nach Glyssaan nahm nur ein paar Augenblicke in Anspruch. Mit einem
seltsamen Gefühl betrachtete ich meinen Ersatzkörper. Die Freunde hatten ihn von der
Transportplatte geräumt. Reglos lag er auf dem Boden. Im Hintergrund stand ebenfalls reglos
der Robotkaiser.
„Helft mir!“
Mit vereinten Kräften räumten wir das Material von der Transportplatte. Ich begann die
Stative aufzurichten. Die anderen begriffen zwar nicht, was das Manöver für einen Sinn hatte,
aber sie faßten mit an.
Eine leise Erschütterung war spürbar.
„Sie sprengen sich den Weg zu uns frei“, erklärte Imhotep.
„Dann müssen wir uns sputen, Freunde“, sagte ich. Die Batterien waren entsetzlich schwer -
kein Wunder, diese Filmlampen verbrauchten eine ungeheure Menge Strom.
„Und jetzt knipst, Leute“, sagte ich. „Fotografiert jeden Winkel, jeden Quadratzentimeter
dieser Halle das gilt sowohl für den Boden als auch für die Decke. Geht systematisch vor,
achtet darauf, daß auf jeder Aufnahme ein Stück Motiv von der vorangegangenen zu sehen
ist. Anders bekommen wir die Proportionen nicht in den Griff.“
Ich hatte den Eindruck, daß ich mich völlig unverständlich ausdrückte, aber die Kameraden
machten sich ans Werk.
Ich fing mit dem Boden an, machte eine Aufnahme aus geringer Höhe, schritt dann weiter.
Das nächste Bild, dann ein Stück in die Höhe - der Fußboden und ein Stück der Wandung
mußte auf dem Film abgebildet werden.
Zu unserem Glück handelte es sich um moderne Hochleistungskameras. Der winzige
Mikroprozessor übernahm nicht nur die Aufgabe, die günstigsten Verschlußzeiten und
Blendenkombinationen zu ermitteln und durchzuführen. Vor allem sorgte die Automatik auch
dafür, daß die Aufnahmen gestochen scharf waren.
Es dauerte nur ein paar Minuten, dann war der erste Film voll. Der Motor wickelte den
Streifen auf, verschloß automatisch die Patrone und schob sie aus dem Boden der Kamera.
Ein Griff in die Tasche, der nächste Film wurde eingelegt und automatisch eingefädelt. Die
Arbeit ging weiter.
Immer wieder zitterte der Boden, und er bebte bei jedem Mal ein wenig stärker als zuvor.
In meiner linken Tasche sammelten sich die vollen Spulen, jede mit dreihundert Aufnahmen.
Der Vorrat in der rechten Tasche schmolz dahin. Joshua Slocum und Shandrak tauchten in der
Siegelhalle auf und machten sich an die mühevolle Arbeit, den Robotkaiser auf die
Transportplatte zu wuchten. Er wehrte sich nicht, trotzdem hatten die beiden mehr als genug
zu tun. Der falsche Kaiser brachte einiges Gewicht auf die Waage.
Ich räumte eines der Stative zur Seite. Ich wollte auch den Boden darunter genau aufnehmen.
Unablässig erklangen die leisen Verschlußgeräusche der Kameras, das Schnurren der
Motoren. Schritt für Schritt, Quadratmeter für Quadratmeter nahmen wir alle Details der
Siegelhalle auf.
Es konnte nicht mehr lange dauern, dann war der Gegner am Ziel. Ich konnte nur hoffen, daß
er an einer Stelle der Wand durchzubrechen versuchte, die wir bereits aufgenommen hatten.
„Ich habe nur noch einen Film“, meldete Inky.
Ich bediente ihn aus meinem Vorrat, der nicht viel größer war. Noch fünf Minuten, dann
hatten wir diese Arbeit erledigt. Fünf Minuten nur, mehr nicht.
„Der Robot ist angekommen“, sagte eine klare, tiefe Frauenstimme, unverkennbar D. C.
Im gleichen Augenblick begann die Siegelhalle förmlich zu dröhnen. Es war, als schlüge von
außen jemand mit einem riesigen Klöppel auf die Kuppel.
Der Schall traf mich mit der Gewalt eines Faustschlags. Mir knickten die Beine ein.
„Weiter!“ drängte Charriba.
Der nächste Klöppelschlag schien den Boden um einen halben Meter zu heben, dann erklang
eine kühle Männerstimme.
„Selbstzerstörung eingeleitet.“ Die Stimme - sie kam mir seltsam bekannt vor - versprach nicht zuwenig. Es knirschte und
knackte. In der Decke erschienen feine Risse.
Jetzt wurde es höchste Zeit, sich zurückzuziehen.
Noch eine Aufnahme dann war mein Abschnitt durchfotografiert. Dann in Windeseile den
Film aus der Kamera. Hinüberrennen zum Transmitter. Dort stand die Metallschüssel. Rasend
schnell leerten wir unsere Taschen und häuften die Filme in die Schüssel.
„Abtransport!“
Die Schale verschwand, während von oben kleinere Gesteinsbrocken auf uns herabrieselten.
Ein Stück der Wand brach ein. Eine Feuerzunge schoß in die Siegelhalle, eine Staubwolke
folgte ihr in kurzem Abstand. Der Gegner hatte den Durchbruch erzwungen.
Jetzt wurden die Steine langsam unangenehm groß. Ein kopfgroßer Brocken prallte neben mir
auf den Boden und zersprang in Splitter. Eine der Lampen wurde getroffen und platzte mit
lautem Knall.
„Lebend fangen!“ schrie eine Männerstimme, wahrscheinlich der Kommandeur unserer
Gegner.
Ich warf mich auf den Boden, riß den Laser aus dem Gürtel. Einen Feuerstoß schickte ich zur
Durchbruchstelle hinüber, dann rollte ich zur Seite. Das Geschoß aus der Höhe verfehlte
mich, aber ein paar scharfkantige Splitter fegten mir über Arme und Gesicht.
Der nächste Feuerstoß. Das Knirschen und Ächzen über unseren Köpfen wurde immer
bedrohlicher. Es ging um Sekundenbruchteile.
Ein paar Schritte von mir entfernt lag Demeter auf dem Boden. Mit der für sie typischen
Kaltblütigkeit gab sie einen Feuerstoß aus ihrem Laser ab und brachte damit einen
eingedrungenen Robot zu Fall. Die Maschine versperrte den Eingang, das gab uns wieder ein
paar Sekunden mehr.
Mir wurde nicht bewußt, daß ich das Kommando an mich gerissen hatte.
„Charriba, Inky!“ schrie ich. „Zurück zur Zentrale. Beeilt euch!“
Die beiden rannten wie die Hasen, und der Vergleich paßte unangenehm gut. Laserschüsse
wischten durch die Halle. Ihnen mußten die beiden ausweichen, außerdem dem Hagel von
Steinen, der aus der Höhe herabpolterte.
„Imhotep, Darcyr, jetzt ihr beide!“
Sie stürmten auf die Zeitmaschine zu. D. C. und ich gaben Feuerschutz.
Wieder mußte ein Robot dran glauben.
Die beiden Freunde verschwanden. Jetzt waren nur noch Demeter und ich übrig.
„Lauf, Mädchen“, schrie ich, riß sie hoch.
Ich feuerte blindlings in die Richtung der Durchbruchstelle, das gleiche tat Demeter. Ob wir
Wirkung erzielten, war nicht zu sehen.
Ein Laserschuß fegte an mir vorbei. Es war allerhöchste Zeit, zu verschwinden.
Demeter strauchelte, ich riß sie wieder in die Höhe. Meter um Meter kamen wir dem
Transmitter näher.
„Feuer auf den Transmitter!“
Der Gegner wollte uns den Rückzug abschneiden. Gut ausgedacht.
Noch zwei Schritte. Ich packte D. C. , hob sie hoch und warf sie förmlich auf die
Transportplatte.
Dann spürte ich nur noch, wie irgend etwas mit gräßlicher Hitze über meinen Rücken fegte.
Mit einem Schlag verlor ich das Bewußtsein.
*
Noch nie hatte ich etwas dagegen gehabt, einfach nur im Bett herumzuliegen. Ungemütlich wurde die Sache nur, wenn es sich bei dem Bett um eine dieser weißbezogenen Klinikkonstruktionen handelte. Wenn man dann nur auf dem Bauch liegen konnte, weil der Rücken eine einzige Brandwunde war, dann war es mit der Gemütlichkeit endgültig vorbei. Gemildert wurde diese Tortur nur durch das Gesicht, das rechts in meinem Blickfeld war und mich anlächelte, als gäbe es keine schönere Beschäftigung. „Ich lebe noch“, stellte ich fest. „Und in ein paar Tagen werde ich wieder bereit sein, mich in neue gefährliche Abenteuer zu stürzen.“ „Erfreulich“, sagte D. C. Sie lächelte noch immer. Ich wußte, daß sie mich gerettet hatte. Schon auf der Transportplatte liegend, hatte sie gesehen, wie ich getroffen wurde und umkippte. Mit einer Hand hatte sie mich aufgefangen und gerade noch rechtzeitig auf den Transporttisch gezerrt. Woher die zierliche Frau dazu die Kraft genommen hatte, war mir ein Rätsel. „Du machst ein mürrisches Gesicht“, sagte D. C. leise. Warum auch nicht, dachte ich. Meine Lage war bemerkenswert scheußlich. Ich konnte mich kaum rühren, weil der Rücken trotz einiger Ladungen eines schmerzstillenden Medikaments noch sehr schmerzte. Und sie lächelte mich mitleidig an. „Von Rechts wegen müßten die Rollen vertauscht sein“, murmelte ich. D. C. öffnete die bemerkenswert schönen Augen.
„Du meinst, ich sollte verletzt sein?“
Ich versuchte, eine abwehrende Handbewegung zu machen, hielt aber inne, weil dabei der
Rücken schmerzte.
„Eigentlich hätte ich dir das Leben retten müssen“, erklärte ich. „So gehört es sich von alters
her.“
Demeter fing an zu lachen, dann beugte sie ihren Kopf zu mir herab, drehte mein Gesicht in
eine passende Lage und küßte mich. Als Schwerverletzter konnte ich mich dagegen nicht
wehren.
Als sie sich von mir löste und mich ansah, fing sie wieder an zu lachen.
„Du bist ja rot geworden“, sagte sie heiter.
Ich schloß die Augen. Als Mann hat man es bei der Time-Squad wirklich schwer.
* Ich blieb sitzen, als Demeter den Raum betrat, die anderen standen höflich auf. Auch Darcyr hatte sich erhoben. Mit einer Handbewegung forderte Demeter die Versammlung auf, sich wieder zu setzen. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie mich an und zwinkerte. Was fiel diesem Frauenzimmer ein? Daß ich mich gegen ihre Küsse nicht gewehrt hatte, gab ihr doch nicht das Recht, mich durch dieses Anstarren und vertrauliche Zwinkern bloßzustellen. „Der letzte Einsatz ist ein Erfolg gewesen, auch wenn er knapp vor dem Scheitern stand“, begann Demeter ihren Vortrag. „Wir haben neue Freunde gefunden.“ Der Beifall galt Ghanee und Fürst Darcyr. Ghanee hatte sich sichtlich erholt, und ich konnte Imhotep gut verstehen, daß er sich in diese Frau verliebt hatte. „Freunde sind uns immer willkommen, auch wenn sie auf der Flucht sind und mitunter unsere Hilfe brauchen. Eines Tages werden wir vielleicht eure Hilfe brauchen.“ „Bereits gewährt“, sagte Darcyr ruhig. „Des weiteren haben wir herausfinden können, daß der amtierende Kaiser des Imperiums von Glyssaan ein Roboter ist. Wir haben diesen Roboter sicherstellen können. Die Ergebnisse seiner Befragung werde ich später mitteilen. Wichtigster Erfolg des Unternehmens aber ist zweifellos das erbeutete Informationsmaterial.“
D. C. legte eine Pause ein. Mir wurde bewußt, daß ich sie wie hypnotisiert anstarrte. „Wir haben Tausende von gestochen scharfen Aufnahmen der sogenannten Siegelhalle erbeutet. Mit Hilfe der Positronik in dieser Festung ist es uns gelungen, diese Einzelaufnahmen zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Daß ich bis heute - fast vier Wochen nach dem Unternehmen - keine Lagebesprechung einberufen habe, liegt daran, daß dieses Puzzlespiel sehr lange gedauert hat. Der Informationsspeicher mit dem Namen Siegelhalle besteht aus zwei Teilen. Erster Teil ist ein Netzwerk von Linien auf dem Boden mit einer Fülle von Kreuzungspunkten. Die Linien auf diesem Boden haben eine Dicke von knapp einem Millimeter, jeder Kreuzungspunkt steht in Verbindung mit einem Teilstück der Wandung. Der Rechner hatte deswegen so lange zu tun, weil das Ergebnis seiner Arbeit auf den Millimeter stimmen mußte. Sie werden sich wohl vorstellen können, was es heißt, eine so präzise Rekonstruktionsarbeit nur anhand von hastig geschossenen Fotos zu machen. Jedes Verkanten und Verwinkeln der Kameras, jede perspektivische Verzerrung mußte berechnet und berücksichtigt werden.“ „Ist es gelungen?“ Demeter nickte. „Wir haben es geschafft. Da das menschliche Blickfeld begrenzt ist jedenfalls was das Zentrum seiner Wahrnehmung angeht -, haben wir die Ergebnisse sortiert und zueinander in Beziehung gesetzt. Was Sie jetzt sehen werden, ist jeweils ein Ausschnitt der Kuppelwand so dargestellt, wie ihn ein Mensch sehen würde, der auf dem zugeordneten Linienschnittpunkt steht.“ Das Licht ging aus. Auf der großen Projektionsfläche tauchte das erste Bild auf. Es wirkte auf mich so verwirrend wie beim ersten Hinsehen. Unter dem Bild stand ein Schriftzug. Waffe HB IV las ich. „Wir haben des weiteren versucht, den Rechner die Bilder analysieren zu lassen. Dieser Aufgabe war die Positronik nicht gewachsen. Sie vermag zwar eine ungeheure Menge an Detailinformationen zu verarbeiten, aber sie ist unfähig, aus diesen Details geschlossene Gestalten zu bilden, geschweige denn, zu rekonstruieren.“ Demeter holte tief Luft. „Das grundsätzliche Problem ist jedem von Ihnen bekannt. Es ähnelt jenen sattsam bekannten Vexierbildern, auf denen beispielsweise eine Landschaft mit Bäumen, Felsen und einem Jäger zu sehen ist Irgendwo auf dem Bild ist auch der Hund des Jägers versteckt, und ihn gilt es, zu finden. Sie alle wissen, wie solche Rätsel zu lösen sind - man muß Details der vordergründigen Zeichnung neu kombinieren. Ein Stück von einem Strauch hier, daneben ein Stück von einem seltsam geformten Stein, ein Ausschnitt vom Himmel - aus diesen Details setzt sich dann das Bild des gesuchten Hundes zusammen. Ein ähnliches Verfahren liegt auch dieser optischen Verschlüsselung zugrunde, allerdings erheblich komplizierter und schwieriger angelegt. Da der Rechner das Problem nicht zu lösen vermag, müssen wir Menschen uns an die Arbeit machen. Ich bitte daher jeden einzelnen, sich diese Bilder genau anzusehen. Sobald jemand in dieser Vielfalt eine vernünftige Struktur zu erkennen glaubt, soll er sich melden. Wir werden dann die einzelnen Teile dieses Wahrnehmungsbildes vom Rechner aus dem Bild herausfiltern lassen und vor neutralem Hintergrund darstellen. Ich hoffe, wir kommen so weiter.“ Demeter setzte sich. Wäre die Angelegenheit nicht so wichtig gewesen, hätte man laut lachen mögen. Da saßen an die hundert qualifizierte Wissenschaftler beisammen und lösten seltsame Bilderrätsel. „Hier!“ Marleen de Vries stand auf. Sie nahm einen Lichtzeiger zur Hand und begann auf bestimmte Teile des Bildes zu deuten. Die Projektion war an die Positronik angeschlossen. Die Details, die Marleen mit dem Lichtzeiger berührte, wurden intensiv blau eingefärbt. Schon nach kurzer Zeit schälte sich das Bild einer kurzläufigen Faustfeuerwaffe heraus. Der Rechner fügte die Details zusammen,
dieses Teilbild war geschlossen und wurde gespeichert.
Als nächster meldete sich Corve Munther. Die Punkte, die er berührte, ergaben eine
Detailzeichnung von der Waffe. Und so ging es weiter. Immer, wenn wir gerade dabei waren,
die Geduld zu verlieren, fand irgendeiner einen neuen Aspekt und führte ihn vor.
Ab und zu waren die Ergebnisse völlig unbrauchbar. So kam bei einem Fehlschlag das Bild
einer schlafend zusammengerollten Katze heraus; der Entdecker hatte augenscheinlich in das
Mosaik eher hineininterpretiert als herausgelesen.
Nach einem Martyrium von acht Stunden gaben wir auf. Insgesamt waren
einhundertzweiundfünfzig Zeichnungen allein in diesem Teil-Stück entdeckt worden.
Daß es sich dabei keineswegs um Humbug handelte, wurde wenig später deutlich. Die
Positronik hatte die Einzelzeichnungen zusammengestellt - was herauskam, war eine
komplette Bauanleitung für die fragliche Waffe. Jeder Detailaspekt war berücksichtigt. In
einer Explosionszeichnung standen die Einzelbilder nebeneinander, dann fügte der Rechner
sie langsam zusammen - jedes Teil paßte und griff ins andere.
Ich beugte meinen Kopf zu D. C. hinüber.
„Wie viele solcher Bilder haben wir?“
Leise gab Demeter zurück. „Insgesamt weist der Boden an die zehntausend Knotenpunkte
auf.“
Ich hatte Lust, in Ohnmacht zu fallen. Wenn wir jeden Tag ein solches Teilbild bearbeiteten,
dann hieß das - fast dreißig Jahre unentwegter Detektivarbeit, ein Alptraum.
Demeter ließ die Beleuchtung einschalten. Jetzt erst war zu sehen, wie diese Arbeit uns alle
geschlaucht hatte. Die Gesichter waren bleich, von Übermüdung gezeichnet und von
Verdrossenheit Die Aussichten, das täglich wiederholen zu müssen, erschreckten allgemein.
„Tovar, Inky und ein paar andere bitte ich, noch hierzubleiben.“
Es waren zehn Personen, die im Vorführraum verblieben, nachdem sich die anderen entfernt
hatten.
Charriba, Inky, ich, Darcyr, Ghanee, Imhotep, Joshua Slocum, Don Slayter, Shandrak (der
sich bei diesem Puzzlespiel besonders ausgezeichnet hatte) und Demeter. Ihr Gesicht wirkte
sehr ernst.
„Ich möchte euch jetzt eine ganz besondere Aufnahme vorführen. Ich habe sie mir selbst
tagelang angesehen, und das Ergebnis hat mich sehr erschreckt. Ich möchte es von euch
überprüfen lassen - danach ist dann eine sehr wichtige Entscheidung fällig.“
Wieder ging das Licht aus, wieder tauchte ein Bild auf.
Die Schwarze Kamarilla. Der Untertitel ließ mich schaudern. Leise erklärte Demeter: „Ich habe beim Betrachten dieses Bildes Furcht und Abscheu empfunden Eine Nebenuntersuchung hat ergeben, daß in diese Darstellung psychogene Konfigurationen eingearbeitet sind, die diese Wirkung hervorrufen. Offenbar war es das eindeutige Ziel dieser Darstellung, keine positiven Empfindungen gegenüber der Schwarzen Kamarilla zuzulassen. Ich vermute daher, daß es sich dabei um die Gegner oder Feinde des Imperiums von Glyssaan handelt.“ „Das glaube ich auch“, sagte Charriba. Er griff nach dem Lichtzeiger. Ich nickte. Was er heraushob und vom Rechner bestätigen ließ, war einwandfrei das Abbild eines Lebewesens, das wir kannten - ein Nokther. Diese Echsengeschöpfe bekriegten zu dieser Zeit im Auftrag der Oberen die Bewohner der Erde. Dann war Inky an der Reihe. Ich kroch in meinem Sitz förmlich zusammen. Was ich sah, wagte ich den anderen nicht zu zeigen. Inkys Wahrnehmung brachte ein ziemlich unappetitliches Insektenwesen zum Vorschein, eine Art bewaffneter Riesenspinne. Es hätte der psychogenen Konfigurationen gar nicht bedurft, das Geschöpf wirkte auch so gräßlich. Allerdings waren wir alle uns klar darüber, daß es sich bei unserer Reaktion um uralte Vorurteile und Ängste von der Erde handelte.
Höchstwahrscheinlich gab es im Volk der Spinnenwesen auch Geschöpfe, deren Charakter
sympathisch war. Wir würden bei operativen Planungen darauf achten müssen, daß uns diese
dummen Vorurteile nicht behinderten.
Darcyr schälte ein neues Wesen heraus, dann war Joshua Slocum an der Reihe.
Es waren sehr verschiedene Geschöpfe mit teilweise recht skurrilen Körperformen. Allen
gemeinsam war eine Ausstrahlung unverhohlener Aggressivität.
Es wurde sehr still in dem Vorführraum.
Fünf Bilder hatten wir bisher gefunden. Schließlich stand Joshua Slocum schweigend auf und
griff nach dem Zeiger.
Die ihn kannten, hatten ihn längst gesehen, und das Abbild, das wenig später vom Rechner
zusammengesetzt wurde, war treffend echt.
Es war ein wenig stilisiert, zeigte weniger ein Einzelwesen als vielmehr einen Typus.
Valcarcel, der Zeit-Zauberer.
Die Erinnerung an ihn ließ uns frösteln.
Und wieder wurde es sehr still. Niemand redete. Zu hören waren nur die heftigen Atemzüge.
In dem schwachen Licht sah ich Demeter an. Sie biß sich leicht auf die Oberlippe, um das
Zittern zu unterdrücken.
Ich spürte, daß meine Hände naß waren, als ich zum Lichtzeiger griff.
„Ihr habt es alle längst gesehen. Du auch, nicht wahr, Demeter?“
D. C. nickte. Zum erstenmal sah ich Tränen in ihren Augen.
Das siebte Bild entstand. Auch diese Zeichnung war eindeutig. Im Gegensatz zu den anderen
zeigte sie keinen Typus. Sie stellte eine einzelne Person vor.
Demeter Carol Washington. Das Licht ging wieder an. „Ich habe es sofort gesehen“, sagte Demeter. Ihre Stimme schwankte. „Und ich habe mich erinnert - an die Doppelgängerin, die wir auf einem verlassenen Mond gefunden haben. An Valcarcel, der bei meinem Anblick den Verstand verlor und darüber gestorben ist. Ich weiß nicht, wie diese Dinge zusammenhängen. Ich weiß auch nicht, was ich mit der Schwarzen Kamarilla zu tun haben könnte.“ Sie holte tief Luft und richtete sich auf. „Zweierlei steht für mich fest“, sagte sie. Ihre Stimme gewann mit jedem Wort an Kraft. „Bei der Schwarzen Kamarilla handelt es sich nach meiner festen Überzeugung um das Führungsgremium der Gegner Glyssaans und damit auch der Erde und der Time-Squad. In irgendeiner Form habe ich damit zu tun. Das zweite ist naheliegend - unter diesen Umständen kann ich die Time-Squad nicht länger leiten. Der Chef muß frei von jedem Verdacht und Zweifel sein - und ich bin es nicht länger. Nicht nach diesen Enthüllungen. Ich stelle mein Amt zur Verfügung. Ich bin auch damit einverstanden, unter Beobachtung gestellt und isoliert zu werden - wäre ich noch Chefin, würde ich nicht anders entscheiden können.“ Ich wußte nicht, wer hinter diesem hinterhältigen Scherz steckte, wer dieses infame Komplott gegen Demeter zusammengebraut hatte. Ich spürte nur eine ungeheure Wut auf diesen Jemand, wie immer er auch aussehen mochte. „Und wer soll Ihrer Meinung nach die Time-Squad leiten, Chefin?“ Inky hatte das Wort Chefin betont. Ich spürte, daß er nicht im Traum daran dachte, Demeter aus dem Amt zu lassen. Demeters Antwort ließ mich fast umfallen. „Tovar“, sagte sie. Ich mußte mich festhalten. „Demeter, bist du verrückt?“ In meiner Aufregung dachte ich gar nicht daran, daß diese vertrauliche Anrede den anderen einiges über meine Einstellung zu D. C. verraten mußte. „Wenn du wüßtest, welche Ängste ich bei jedem Einsatz durchzustehen habe...“ „Ich weiß es“, sagte sie und lächelte mir zu. „Es interessiert mich wenig, wie du vorher denkst
- wichtig ist nur, was du während des Einsatzes tust. Und das verrät Mut und Umsicht.“
Ich war fassungslos. Demeter hielt mich für mutig, ich konnte es kaum glauben. Auf der
anderen Seite hatte sie recht - während der Turbulenzen dieser Einsätze war ich nie dazu
gekommen, Furcht zu empfinden. Offenbar bestand sie nur in meinen Gedanken.
Während ich noch an dieser Eröffnung zu knabbern hatte, tuschelten Imhotep und Darcyr
miteinander. Ghanee ging zu D. C. hinüber und schloß sie in die Arme.
Schließlich sahen Imhotep und Darcyr auf.
„Wir haben gerade etwas sehr Wichtiges entdeckt“, erklärte Darcyr. Er schmunzelte. „Wir
leben hier auf Shyftan. Dieser Planet gehört rechtsverbindlich zum Imperium von Glyssaan.
Die obersten Amtsautoritäten auf dieser Welt sind daher eindeutig wir - Imhotep und ich. Sie
haben gar nicht das Recht, solche Entscheidungen zu treffen. Wir haben bestimmt, daß Sie im
Amt bleiben - Chefin!“
„Wenn Sie uns als Mitarbeiter der Time-Squad akzeptieren“, setzte Imhotep hinzu.
Demeters Kiefer zuckten ein wenig.
„Einverstanden“, sagte sie schließlich leise. Sie sah uns nacheinander an und lächelte, bei mir
besonders lange und intensiv.
„Dann wollen wir sofort weiterplanen“, sagte D. C. Ich stieß einen Seufzer ein. Die Hetzerei
von einer Lebensgefahr zur nächsten ging also wieder los.
„Die Befragung des Robotkaisers hat ergeben, daß der echte Kaiser noch lebt. Er ist zu einem
Planeten gebracht worden, dessen Koordinaten wir nicht kennen, aber noch herausfinden
werden. Dort werden wir ihn befreien. Dieser Einsatz ist für uns Menschen von der Erde von
ganz besonderem Interesse.“ Demeter lächelte wieder. „Aus den spärlichen Andeutungen, die
wir dem Robot entnehmen konnten, ergibt sich, daß auf diesem Planeten eine Reihe der
größten Geister unserer Geschichte leben. Personen, die die Geschichte und Kultur der Erde
geprägt haben. Ich brauche nur ein paar Namen zu nennen: Beethoven...“
Ich ließ den Unterkiefer fallen. Siedendheiß fiel mir ein, daß beim ersten Einsatz der Time-
Squad, den ich kannte, eine Originalpartitur von Beethovens zehnter Symphonie aufgetaucht
war. Wir hatten nie herausbekommen, woher die Noten stammten.
„... Mozart, van Gogh, Napoleon und viele andere.“
„Eine Welt der Genies“, murmelte Inky. „Atemberaubend.“
D. C. nickte. „Ich werde diesen Einsatz selbst leiten, sobald Tovar wieder voll einsatzfähig ist.“
Ich hustete, als müßte ich ersticken, während mir die anderen auf die Schulterblätter schlugen.
„Gratuliere“, sagte Inky, und der Neid in seiner Stimme war wirklich kaum zu bemerken.
Ich nickte.
Dazu konnte ich mir wirklich gratulieren. Ich würde bekommen, wonach ich mich am meisten
sehnte - Flitterwochen in der Hölle.
ENDE