Ein Hut kann
nicht fliegen
oder Die Jagd
auf den Feuerteufel
von
HELMUT WALBERT
SCHNEIDER
BUCH
Die vier v...
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Ein Hut kann
nicht fliegen
oder Die Jagd
auf den Feuerteufel
von
HELMUT WALBERT
SCHNEIDER
BUCH
Die vier von der Pizza-Bande
Tommi, 13 Jahre alt, dunkle Haare, dunkle Augen. Lustig, schnell und mutig, verantwortungsbewußt. Tommi ist aufbrausend, beruhigt sich aber schnell wieder. Er schmaust gern, besonders die Köstlichkeiten aus der Pizzeria seiner Eltern. Sie sind Italiener. Also ist Tommi auch Italiener - aber in Deutschland geboren. In der 6. Klasse der Realschule ist er als Tommaso Carotti bekannt. Schräubchen, 12 Jahre alt, wird so gerufen, weil sie schon als kleines Kind in der Autowerkstatt ihres Vaters mit Schrauben spielte. Kurze, blonde Haare, blaue Augen. Liebt Radfahren, Schwimmen und Skifahren. Wer sie ärgern will, ruft sie ‡Schreckschraube". In der Schule rufen sie die Lehrer ‡Stephanie Wagner".
‡TH", 13 Jahre alt (wenn er seinen Vornamen Walther nennt, sagt er immer, ‡mit TH, bitte"): sehr groß, sehr dünn, blondes, glattes Haar. Trägt eine Brille. Spielt furchtbar gern Gitarre, aber nicht sehr gut. Walthers Eltern sind geschieden. Er lebt beim Vater, der einen tollen Posten in einer großen Keksfabrik hat. In der Schule schreiben die Lehrer auf das Zeugnis von TH ‡Walther Roland" und darunter mittelmäßige Zensuren. Milli, 12 Jahre alt. Wird Milli genannt, weil sie furchtbar gern viel Milch trinkt. Klein und zierlich. Hat langes, blondes Haar. Milli ist zuverlässig und verantwortungsbewußt. Liebt Tiere über alles. Ihre Lieblinge sind der Hund Moritz und Kater Max, die dicke Freunde sind. Milli will einmal den Bauernhof ihrer Eltern übernehmen. Sie hat Angst vor Geistern und Gespenstern. Die Lehrer, die sie als Anna Obermaier kennen, geben ihr gute Zensuren.
Inhalt Schwarzer Hut und heller Mantel Was brennt denn da? Der fliegende Hut Feuer überall Tommi macht einen Fehler Ein Gespenst hinterläßt keine Brandfackel Aktion Nachtwache Ein Verdacht verdichtet sich Die Entscheidung
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Schwarzer Hut
und heller Mantel
‡Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, eine Nachtwanderung zu machen?" fragte Schräubchens Mutter und schüttelte bei dem Wort Nachtwanderung etwas irritiert den Kopf. Schräubchen streckte ihre langen Beine noch weiter unter den Tisch und steckte den Kopf noch tiefer in das Naturkundebuch, als gäbe es für sie nichts Wichtigeres, als noch mehr über die Distel zu erfahren, über die sie am nächsten Tag einen Vortrag in der Schule halten mußte. Kommt Zeit, kommt Rat. Nur nicht hetzen, dachte Schräubchen. Natürlich wußte sie ganz genau, daß die neue Bio-Lehrerin mit dem Vorschlag gekommen war, 11
eine Nachtwanderung zu machen, daß diese aber aus irgendwelchen Verwaltungsgründen, wie es hieß, auf das neue Schuljahr verschoben worden war. Also hatten Tommi, TH, Milli und Schräubchen beschlossen, die Nachtwanderung auf eigene Faust zu machen. Und das war genau das, was Schräubchen der Mutter so schonend wie möglich beibringen wollte. Die Mutter schien da irgendwelche Ängste zu haben, nur weil es dunkel war. Und man konnte ihr schließlich nicht einfach eine Taschenlampe zeigen und sie damit beschwichtigen. Aber Schräubchen würde das schon hin kriegen. Die Unterstützung von Vater schien ihr einigermaßen sicher. Er hatte nur gebrummt und genickt, als sie vor zwei Tagen damit herausrückte. Aber Mutter hatte angefangen, Fragen zu stellen. ‡Was ist nun?" hakte sie beiläufig nach, denn sie konzentrierte sich gerade auf ihre Aufräumarbeiten. Schräubchen tat, als müßte sie sich von dem Distelvortrag losreißen und fragte zurück: ‡Was soll sein?" Doch in diesem Augenblick klingelte es. ‡Das ist Walther", sagte Schräubchen mit einer Bestimmtheit, als könnte sie hellsehen. Sie klappte ihr Buch zu und wollte verschwinden. ‡Wo willst du hin?" ‡Nur mal kurz weg." ‡Bleib aber nicht zu lange!" ‡Nein", sagte Schräubchen, und schon war sie weg. 12
Draußen stand TH, mit einem Fuß auf dem Pedal seines Fahrrads. ‡Hallo!" begrüßte er sie. ‡Hallo!" erwiderte Schräubchen, nahm ihr Fahrrad
und schwang sich darauf. Kaum saß sie im Sattel,
zischte TH mit einem Tempo los, als wolle er die
Weltmeisterschaft gewinnen. Schräubchen jagte ihm
nach. ‡He, wo willst du denn hin?" rief sie, als sie sah,
daß TH in die falsche Richtung raste. ‡Halt!"
TH machte eine Vollbremsung, schaute nach rück-
wärts und grinste stolz, weil er beim Bremsen keinen
Zentimeter aus der Spur gekommen war.
‡Wir sollen doch Milli abholen", rief Schräubchen
TH zu. Dieser drehte auf der Stelle um und kam auf
sie zu. Dann steuerten sie gemeinsam den Maierhof an.
‡Warum fährst du denn auf einmal so langsam?"
wollte Schräubchen wissen.
TH grinste, als hätte er die Antwort vergessen.
Dann sagte er: ‡Wir haben doch genügend Zeit."
Das stimmte. Milli würde wahrscheinlich mit ihrer
Arbeit noch nicht fertig sein. Auf einem Bauernhof
gab es schließlich immer was zu tun. Es konnte natür-
lich auch sein, daß TH deshalb langsam fuhr, weil er
mit seinen neuen Schuhen nicht in den Stall wollte.
‡Warum hast du deine neuen Schuhe angezogen?"
fragte Schräubchen ein wenig spitz, so daß TH mür risch antwortete: ‡Was machst du denn mit Schuhen,
wenn du sie mal gekauft hast?"
‡Ich zieh' sie an", sagte sie. Und beide lachten.
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Als sie auf dem Maierhof ankamen, hörten sie die Kühe im Stall, weil die Stalltür offenstand. Doch bevor sie sich im Stall nach Milli umschauten, begrüßten sie Georg, Millis Bruder, der seinen Kopf unter der Motorhaube seines Autos stecken hatte. Er sagte den bei den, daß er nicht wisse, wo Milli stecke. Doch da rief Milli auch schon zu ihnen herüber. Sie klopfte ihrem Pony noch einmal kräftig auf den Hals, nachdem sie ihm zärtlich den Kopf gestreichelt hatte. Als sie auf TH und Schräubchen zuging, folgten ihr Max, der Kater, und Moritz, der Hund. ‡Ja, ihr bekommt doch gleich etwas zu fressen", sagte Milli und lachte, weil die beiden Tiere ihre Anhänglichkeit arg übertrieben. ‡Ich bin gleich soweit", sagte sie. ‡Kommt doch mit rein einen Augenblick." Milli sprühte den Stalldreck von den Stiefeln, stellte sie draußen hin zum Trocknen und betrat auf Strümpfen das Haus. In der Küche saß Anna Obermaier, Millis Mutter, und schälte Kartoffeln. ‡Wollt ihr zum Essen bleiben?" fragte sie Schräubchen und TH nach der Begrüßung. ‡Ich muß noch was für die Schule tun", sagte TH. Und Schräubchen meinte: ‡Ich hab' meiner Mutter gesagt, daß es nicht spät würde." In ihrer warmen, mütterlichen Art fing Frau Obermaier an, von der Nachtwanderung zu sprechen. Sie sagte schließlich, verschmitzt lächelnd: ‡Ich kann 14
mich noch an einen Schabernack erinnern, den wir unserem Lehrer auf einer Nachtwanderung gespielt haben. In einem dichten Waldstück haben wir uns hinter Sträuchern versteckt und blieben da hocken, um unserem Lehrer Angst einzujagen. Er sollte glauben, er habe uns verloren. Wir aber warteten und warteten und fingen schon an, uns in unserem einsamen Versteck zu fürchten, so daß wir rasch den anderen hinterher liefen. Aber wir fanden sie nicht. Weit und breit war niemand zu sehen. Und ich kann euch sagen, uns war überhaupt nicht mehr zum Lachen zumute. Wir riefen, aber niemand antwortete. Auf einmal ein Lärm und ein Geschrei. Da stürzte unsere Klasse mit dem Lehrer auf uns zu, und alle schrien und johlten. Waren wir froh, daß sie wieder da waren!" Frau Obermaier lächelte, als habe sie das alles vor sich gesehen. Milli hatte inzwischen Gemüse und Haferflocken verrührt, etwas Suppe darüber geschüttet und die Fleischreste vom Mittag für ihre beiden Lieblinge hergerichtet. Ohne Futterneid machten sich der Kater und der Hund über ihr Fressen her, während Milli sich wusch und sich danach frische Sachen anzog, die nicht nach Stall rochen. Sie versprach ihrer Mutter, zum Abendessen wieder zurück zu sein. Schräubchen und TH verabschiedeten sich von Frau Obermaier. Als sie aus dem Haus traten, sahen sie Herrn Obermaier, der mit dem Knecht Gustl zusammen Bretter in den Stall trug. Sie winkten ihnen zu, und Milli nahm 15
eines der Fahrräder, die an den Schuppen gelehnt standen, stellte fest, daß im Hinterreifen zu wenig Luft war und pumpte ihn auf. ‡Auf geht's", sagte sie, als sie fertig war. Und so ging es zurück in die Stadt, zur Pizzeria Mamma Gina, wo Tommi auf sie wartete. Es war nicht besonders warm. Über dem See hingen dunkle Wolken, aber sie bewegten sich nicht, und es war nicht sicher, ob es Regen geben würde. Und wenn schon. Milli würde davon nicht weich werden, wenn sie später nach Hause fuhr. Sie war von klein auf an Wind und Wetter gewöhnt. TH stoppte plötzlich, so daß Schräubchen beinahe in ihn hineingefahren wäre. Sie wollte schon aufschreien und sich beschweren, als TH auf die Wiese zeigte. Da lag etwas Helles, das ein Regenmantel sein konnte, und darauf lag ein schwarzer Hut. Milli fuhr noch etwas dichter heran, aber mit den Fahrrädern konnten sie nicht auf die Wiese, weil ein Zaun sie daran hinderte. Nun war aber der schwarze Hut so auffällig, daß sie die Fahrräder am Straßenrand stehen ließen, durch den Zaun kletterten und auf den Baum zugingen, unter dem das seltsame Bündel lag. ‡Sieht ganz so aus, als wäre einer baden gegangen", sagte Schräubchen. ‡Und das Wasser hat er dann gleich in der Aufregung geschluckt", fügte TH hinzu. 16
Schräubchen wollte ihre Bemerkung verteidigen, aber ihr blieb regelrecht die Luft weg, als sie zu dem Baum blickte, auf den Millis ausgestreckter Arm zeigte. Da saß doch tatsächlich ein Mann im Baum. Er begann sogleich herunterzuklettern, als sei es ihm unangenehm, daß man ihn entdeckt hatte. Er trug einen feingebügelten grauen Straßenanzug, ein weißes Hemd mit dunkler Krawatte. Auch seine Schuhe waren blank geputzt. Also keine besonders günstige Bekleidung, um auf einen Baum zu klettern. ‡Da wundert ihr euch", sagte der Herr, als er unten angekommen war und sich die Hände sauberklopfte. Er setzte seinen Hut auf und zog den Regenmantel über. ‡Ihr braucht nicht dazustehen, als wolltet ihr Wurzeln schlagen", sagte er sich räuspernd, als müßte er seine Verlegenheit überwinden. ‡Ein Vogel", sagte er leichthin. ‡Ich bin einem Vogel nachgestiegen. Mir schien, daß er verletzt war. Vielleicht hatte ihn ein Auto angefahren, aber dann hab' ich ihn im Baum verloren." Das war alles, was er sagte. Elegant federnd ging er über die Wiese und setzte mit einem Sprung über den Zaun. Als er auf der Straße war, kümmerte er sich nicht weiter um Schräubchen, Milli und TH. Diese blickten verwirrt dem fremden Herrn nach. ‡Ein Vogel, versteht ihr das?" fragte TH. Schräubchen war so sehr in seltsame Gedanken ver sunken, daß sie dem Fremden mit offenem Mund nachstarrte. Milli faßte sich als erste und begann nach 17
dem verletzten Vogel zu suchen. Aber es war nirgends ein Vogel in der Nähe, weder ein verletzter noch ein gesunder. ‡Der hat uns wohl auf den Arm genommen", sagte Milli mit einem zornigen Unterton. ‡Ob der immer so einen eleganten Anzug anzieht, um auf Bäume zu klettern?" sagte Schräubchen, während sie auf die Fahrräder zugingen. ‡Hast du den schon mal gesehen?" ‡Nein", erwiderte Milli. ‡Was der wohl da oben gemacht hat?" ‡Einen Vogel hat der bestimmt nicht gesucht, höchstens seinen eigenen." Die drei setzten ihre Fahrt in die Stadt fort und überholten den seltsamen Herrn, der sich zur Seite drehte, als sie an ihm vorbeifuhren, so als wollte er ihnen sein Gesicht nicht mehr zeigen. Kurz bevor es in die Kurve ging, drehte Milli sich noch einmal um. Der Herr war zwar nicht verschwunden, wie Milli einen Augenblick lang vermutet hatte, er hatte aber auch seinen Weg zur Stadt nicht fortgesetzt, sondern war umgedreht und strebte nun auf den Maierhof zu. ‡Haltet doch mal", rief Milli. Schräubchen und TH stoppten. Milli brauchte nichts weiter zu sagen. Genau wie sie starrten die beiden dem seltsamen Mann hinterher. 18
‡Er wird euch schon nicht den Hof klauen", sagte TH. ‡Dann könnte der aber was erleben", meinte Milli mit trockenem Ernst, hinter dem aber auch ein kleines Lachen steckte. ‡Was meint ihr, wie ich mich schon auf eine Cola freue", sagte Schräubchen und leckte sich mit spitzer Zunge die Lippen. Im Hause Mamma Gina hatte zwar nicht der Blitz eingeschlagen, aber gedonnert hatte es kräftig. Das hatten Mutter Gina und Vater Francesco Carotti um die Wette besorgt. Der Grund für dieses Unwetter lag etwas im dunkeln. Vielleicht hatte es aber Nele, Tommis kleine Schwester, ausgelöst, die unermüdlich auf sich aufmerksam machen und mithelfen wollte. Dabei war in der Pizzeria nicht einmal sonderlich viel Betrieb gewesen. Ein kleiner Ansturm von Gästen, der aber leicht zu bewältigen war. Danach hatte Nele eine offene Flasche Wein umgekippt und auf dem Boden verschüttet. Tommi wollte das verhindern, aber dann war die Flasche unter einem Berg von Tellern zerbrochen. Tommi hatte nicht bedacht, daß er einen Stoß Teller in den Händen trug. Auf dem Küchenboden war außerdem vorher Öl verschüttet worden. Als Milli, Schräubchen und TH eintrafen, war das Donnerwetter bereits vorüber. Tommi knurrte eine Begrüßung in die Teller, von denen nicht alle kaputt 19
waren. Er war gerade damit beschäftigt, die ganzen von den Scherben zu trennen. Nele, die aus verständlichen Gründen aus Tommis Nähe weg wollte, begleitete die drei Freunde mit tänzerischen Schritten auf ihre Stammplätze. ‡Hallo, da seid ihr ja", flötete Papa Francesco Carotti übertrieben spitz, aber gut gemeint. Und da sein Sohn noch mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt war, brachte er höchstpersönlich die Cola. ‡Na, zittert ihr schon vor den Gefahren der Nacht?" Er meinte die Nachtwanderung, die ihn so sehr begeisterte, daß nicht viel gefehlt hätte, und er hätte sich den vier Freunden als Führer in der Nacht zur Verfügung gestellt. Nele hatte ihre Arme aufgestützt und hielt den Kopf in den Händen. Zu gerne wäre auch sie nachts unterwegs gewesen. Deshalb hatte sie erst mal die Mutter gefragt. Aber das war ein doppelter Fehler gewesen. Erstens hatte sie damit Tommi übergangen, und zweitens war Mutter Gina die Nachtwanderung gar nicht recht. ‡Was wollt ihr im Dunklen herumlaufen und euch die Köpfe einrennen", hatte sie gesagt. Nele saß vorsichtshalber nicht ganz auf dem Stuhl. Das eine Bein zur Sicherheit als Standbein auf dem Boden, das andere lässig auf dem Sitz, hielt sie vorsichtig nach Tommi Ausschau. Endlich kam er. Sein Gesicht war bedrohlich finster. Nele nahm vorsichtig, um ja nicht aufzufallen, das Bein vom Stuhl herunter 20
und verschwand im hinteren Teil des Lokals, von wo aus sie alles wenigstens noch mitanhören konnte. Tommis Vater ließ sich bei seinen weitschweifigen Ausführungen über die Schönheiten eines Streifzuges durch die Nacht von Tommi nicht unterbrechen, der seine Cola gegen eine frische austauschte, als wollte er damit sagen, sie sei nicht mehr kalt genug, weil man ohne ihn angefangen hatte. Als Mutter Gina kam, um sich an den Tisch zu setzen, brachte sie Nele mit, die sich leicht an die Mutter schmiegte und mit einem halben Lächeln zu ihrem Va ter aufsah, der aber für nichts mehr Augen und Ohren hatte, so sehr hatte er sich in Begeisterung geredet. Mutter Gina trocknete ihre Hände an einem gebrauchten Geschirrtuch, das sie dann hinter das Schürzenband steckte. Während es Vater Carotti gelungen war, seine jungen Zuhörer immer mehr für die Nachtwanderung zu begeistern, hatte er bei seiner Frau keinen Erfolg. ‡Es ist doch dunkel in der Nacht!" sagte sie schließlich. ‡Was wollt ihr da sehen?" Vater Carotti hielt die Hände bedeutungsvoll nach oben gerichtet und meinte: ‡Die Augen wachsen in der Nacht. Ja, und die Ohren. Und dann kommt ihr nach Hause und habt dreimal so große Ohren als vorher." Mutter Gina gab nicht auf. Und so ging es noch eine Weile hin und her. Aber dann stand es fest: Übermorgen wollten sich die vier 21
Freunde treffen, um zu ihrer Nachtwanderung aufzubrechen. Sie wollten losmarschieren, wenn es noch hell war, um den Einbruch der Nacht bereits im Wald zu erleben.
Was brennt denn da?
Milli hatte ein selbstgebackenes Brot und einige Äpfel beigesteuert. Für den Nachtisch hatte Herr Roland gesorgt. Es gab Kekse mit Schokoladenglasur. Die Gurke und die Tomaten waren von Schräubchen. Am meisten hatte sich Mutter Gina um das leibliche Wohl gekümmert. Es gab Schinkenbrote, Brote mit Ei oder mit Salami. In einer Schüssel mit festem Deckel war ein herrlich duftender Salat mit Pilzen und Käse. Der Einfachheit halber hatte man alles Tommi in den Rucksack gepackt, wobei ihm die Colaflaschen am schwersten vorkamen. ‡Willst du nicht mal den Rucksack nehmen?" fragte er scheinheilig, obwohl er wußte, was ausgemacht worden war. ‡Jede Stunde ist Wechsel", meinte TH lakonisch und stapfte weiter neben Tommi her. Die beiden Mädchen gingen voran. Und Tommi quälte sich weiter mit übertriebenem Stöhnen den kleinen Hügel hinauf. Die Sonne lag schon tief über dem Wald, auf den sie 22
zugingen. Sommerberg lag friedlich hinter ihnen. Die Luft war klar und mild. Es würde Sterne geben in der Nacht und einen schönen, runden, hellen Mond. Milli hielt zur Sicherheit eine Taschenlampe in der Hand, von der sie sich, wie alle wußten, erst am Morgen wieder trennen würde. Ihre Angst vor Gespenstern war allen bekannt. Tommi hätte sich am liebsten schon jetzt über den köstlichen Proviant in seinem Rucksack hergemacht, im Bauch trug es sich schließlich leichter als auf dem Rücken, aber er wußte, daß die anderen damit nicht einverstanden gewesen wären. Seine einzige Hoffnung bestand also darin, daß die Stunde bald vorbei sein würde. ‡Hörst du schon was?" fragte Milli und blieb einen Augenblick stehen. ‡Na klar", sagte Schräubchen und ging weiter. Es war aber nicht sicher, ob das, was sie hörte, etwas mit dem zu tun hatte, was Vater Carotti ausführlich in den Mittelpunkt seines Stimmungsbildes gestellt hatte. Man war unbeschwert, dachte nicht an die Schule und hatte sich demzufolge auch keine Aufgaben gestellt. Wenn jetzt noch wenig geredet wurde, so würde sich das sicher im Laufe der Nacht noch ändern. ‡Können wir den Rucksack nicht irgendwo im Wald verstecken?" schlug Tommi vor. ‡Und wenn ihn einer klaut?" fragte Schräubchen. ‡Den klaut schon keiner", meinte Tommi. 23
‡Woher willst du wissen, daß wir genau dann wieder bei dem Versteck sind, wenn wir Hunger haben?" mischte TH sich ein. ‡Ich denke, wir frühstücken mit der aufgehenden Sonne", sagte Tommi. ‡Das weiß doch keiner", entgegnete TH. Es war nichts zu machen. Der Rucksack blieb auf dem Rücken. Und Tommi gab auch die Hoffnung auf, daß sich die Schlepperei ändern würde, denn da sie sich abwechselten, kam er immer wieder an die Reihe. Im Wald war es still bis auf wenige schwirrende Vogellaute. Die vier Freunde hatten den Weg verlassen und gingen jetzt durch einen Mischwald. Nach wie vor sprachen sie wenig. Es schien so, als hätte die Natur sie ein wenig in ihren Atem genommen, so daß die alltäglichen Belange in den Hintergrund gerückt waren. Machte einer einen Witz, lachten sie nur kurz und gingen unbeirrbar weiter, mit fast lautlosen Schritten. Und es schien so, als gingen sie vorsichtiger als sonst, um auch das leichte Knacken unter ihren Füßen nicht lauter werden zu lassen. ‡Schön", sagte Schräubchen. Die anderen fanden das auch. Und da Tommi den Rucksack endlich losgeworden war, sagte er: ‡Sehr schön." Inzwischen war es Nacht geworden. Die Stille des Waldes hatte sie leicht beklommen gemacht, so daß sie dicht beieinander standen, nachdem sie auf die kleine 24
Lichtung hinausgetreten waren. Milli faßte TH am Arm und zeigte auf ein Reh, das gerade den Kopf hob, aber anscheinend ihre Witterung noch nicht aufgenommen hatte, denn gleich darauf senkte es den Kopf wieder und äste friedlich weiter. Es war für sie alle ein Erlebnis, daß ihre Augen in der Nacht so gut sehen konnten. Der Mond half ihnen dabei mit seinem Schein. Was empfanden sie, als sie so dicht beieinander standen und auf das Reh schauten? Wären sie gern, näher getreten, um genauer zu sehen, wie sich die Muskeln des Tieres spannten, wenn es einen Schritt vortrat, den Kopf senkte oder ihn hochhob? Ob das Reh Angst hatte? Nein, wahrscheinlich nicht. Es bewegte sich ruhig und vorsichtig. Doch dann hatte das Reh Witterung bekommen, warf den Kopf hoch und sprang mit zwei seitlichen Sätzen in den Wald, in dessen Dunkelheit es Schutz und Geborgenheit fand. ‡Oh", entfuhr es Schräubchen. Sie gingen weiter in die Lichtung hinein und fanden neben einem Strauch im hohen Gras drei Lagerstellen. Das Gras war niedergedrückt und sah aus wie ein großes Nest. Da hatte also das Reh gelegen, vielleicht mit seinen Geschwistern oder der Mutter. Sie hatten den Wald verlassen und gingen jetzt auf einem breiten, geschlungenen Weg. Milli hatte Lust, einen Apfel zu essen, und die anderen fanden, daß das eine gute Idee war. Es gab schließlich noch genug Pro25
viant für ein reichhaltiges Picknick bei Sonnenaufgang. Der Apfel schien sie lustig zu machen. Sie lachten viel und über jede Kleinigkeit. Vielleicht war ihnen auch die Stille im Wald nachträglich unheimlich. TH sah es als erster. Er machte die anderen darauf aufmerksam. Sie blieben stehen. Was war das? Eine dunkle Gestalt hüpfte über eine Wiese. Sie waren zu weit entfernt, um genau ausmachen zu können, was da vor sich ging. ‡Das ist unsere Wiese", sagte Milli. Heuschober standen da, zwischen denen die Gestalt immer wieder auftauchte. ‡Vielleicht ein Sonnenanbeter, ich meine ein Nachtanbeter", meinte Schräubchen, fand dann aber ihre Bemerkung selber nicht mehr komisch. ‡Da müssen wir hin!" meinte Tommi energisch. Die anderen waren einverstanden damit. Aber so leicht, wie sich das sagen ließ, war es nicht. Zwischen ihrem Weg, auf dem sie immer noch standen, und der Wiese da oben, nahe an einem kleinen Waldstück, befand sich eine Schlucht, die von einem kleinen Wasserlauf durchzogen und von vielen Sträuchern gesäumt war. Es gab noch eine andere Möglichkeit, da oben hin zu gelangen, aber das war ein Weg, der sich mindestens drei- oder viermal hin und her bog, und auf dem sie drei- bis viermal so lange gebraucht hätten, um nach oben zu gelangen. Sie waren zwar nicht in Panik 26
geraten bei dem Anblick der seltsamen Gestalt zwischen dem Heu, aber allzuviel Zeit wollten sie auch nicht verstreichen lassen. Also blieb nur der Weg durch die Schlucht. Während sie gingen, ließen sie die seltsame Gestalt nicht aus den Augen. ‡Ist es ein Mann oder eine Frau?" wollte Milli wissen. ‡Ein Mann!" Tommi war ganz sicher. ‡Weil er Hosen trägt." ‡Als ob eine Frau keine Hosen tragen kann", erwiderte Milli. ‡Ich glaube, Tommi hat recht", sagte Schräubchen, und nun waren alle überzeugt davon, daß es ein Mann war. ‡Was macht er mit dem Heu? Wohin schleppt er es?" dachte TH laut, während er den Fuß in eine Mulde abrutschen spürte, was er mit einem kleinen Sprung gerade noch verhindern konnte. Der Rucksack, den er jetzt trug, schlug ihm dabei hart ins Kreuz. Milli wollte ihre Gespensterfurcht damit bezwingen, daß sie die Taschenlampe immer mal wieder aufblinken ließ. Ihr heller Schein schien sie zu trösten. ‡Laß das!" sagte Schräubchen. ‡Ich will nicht in irgendwas hineinfallen oder hineintreten", meinte Milli. ‡Aber das siehst du doch", erwiderte Schräubchen. Sie waren den Hang ziemlich schnell hinuntergerannt, und als sie das Gesträuch vor sich hatten, waren 27
sie froh über Millis Taschenlampe. Bevor sie die Lampe benutzten, warteten sie, bis die Gestalt hinter einem Heuhaufen verschwunden war. ‡Schnell!" meinte Tommi.
TH hing mit dem Rucksack fest. Wie das eine Bein
über dem Wasser baumelte, sah sehr komisch aus.
Aber diesmal lachte niemand. Tommi sprang vornweg.
Es war naß unter seinen Füßen, aber er konnte stehen
und TH zu Hilfe kommen. Milli hatte mit der Ta-
schenlampe einen besseren Überweg gefunden, und
Schräubchen folgte ihr.
Als sie den Hang hochkletterten, versuchten sie die
Gestalt da oben wieder in den Blick zu bekommen,
aber es gelang ihnen nicht.
‡Ob das jemand ist, der irgendeiner Gottheit ein Op-
fer bringen will", meinte TH, schwieg aber dann
verlegen.
‡Ein Opfer, was für ein Opfer?" Schräubchen schob
den Gedanken, der ihr soeben gekommen war, von sich.
Es war Milli, die ihn dann ausdrückte: ‡Dann müß-
te der ja ein Feuer machen."
Soweit wollte es aber niemand kommen lassen, daß
mit Obermaiers schönem Heu irgend jemand ein Feu
er machte.
‡Kann das nicht auch einer sein, der hier nur schlafen
will, der sich ein Nest macht", sagte Tommi.
‡Macht sich ein Nest zum Schlafen", meinte Milli
nachdenklich. Aber niemand glaubte das so recht. Nur
28
der Gedanke an ein Feuer schien ihnen noch abwegiger zu sein. Verdrossen, mit Schweiß auf der Stirn und rudernden Armen kämpften sie sich den Hang hoch, hielten sich da und dort an dicken Grasbüscheln fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren oder abzurutschen. Obwohl TH am meisten zu schleppen hatte, war er als erster oben, aber nur, weil die anderen immer wieder mit angeschoben hatten. Tommi schnaufte noch mehr als TH. Schräubchen lachte in sich hinein bei dem Vergleich, der ihr gerade durch den Kopf geschossen war. Aber als sie Millis Hand spürte, die sich in ihren Arm krampfte, verging ihr das Lachen. Sie sahen eine Flamme wie ein Irrlicht über das Feld huschen, so als hätte die Gestalt mit einem riesigen Streichholz gespielt. Milli schrie auf. Das war jetzt kein Spiel mehr. Die Flamme berührte den Heuschober, und im Nu stand er hell lodernd da. Die Gestalt hüpfte jetzt wirklich wie ein übermütiger Tänzer über das Feld. ‡Los, los, schnell!" schrien sie durcheinander und rannten auf das Feuer zu. Schnell und hoch schlugen die Flammen, verschlangen gierig das pulvertrockene Heu. Als die vier die schmale Feuerzunge in der Waldschneise erblickten, rannten sie noch schneller. Sie stürmten auf das Feuer zu, obwohl man eigentlich dazu neigt, vor dem Feuer wegzulaufen. Aber sie wollten etwas tun, wollten eingreifen. Doch gegen 29
Feuer hilft nur die Feuerwehr. Und die war nicht da. Wahrscheinlich hätte diese auch nicht viel mehr tun können, als sie jetzt taten, nachdem sie zwischen dem ersten und dem zweiten verbrannten Heuschober angekommen waren. Schwer atmend standen sie da. Sie schwitzten vom Laufen. Die Glut des Heus schlug ihnen heiß entgegen. Tausende kleiner, glühender Fäden glommen auf und fielen in Asche zusammen. Milli rieb sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte mitgeholfen, die Heuschober zu errichten. Es war bei allem Spaß, den man bei dieser Arbeit haben kann, eine schwere Arbeit gewesen. TH stellte den Rucksack da ab, wo er gerade stand. Es hatte keinen Zweck, herumzustehen. Bestand nicht die Möglichkeit, den Kerl noch zu fassen, der das Feuer gelegt hatte? Die Flammen waren bereits erloschen. Und auch in der Schneise zum hinteren Teil des Waldes qualmte es nur noch. Man sah jetzt besser als vorher, weil das Feuer geblendet hatte. ‡Warum macht einer so was?" grollte Tommi und rief dann, so laut er konnte: ‡Komm her, zeig dich!" Der Rauch des Schwelbrandes brannte ihnen in den Augen. Aber sie gingen nicht ungeschickt vor. So als hätten sie es gelernt, gingen sie sternförmig auseinander, rannten nicht wie wild umher, sammelten sich wieder, als sie sich aus den Augen verloren hatten und machten sich abermals mit brennenden Augen auf die 30
Suche nach dem Mann, der das Feuer gelegt hatte. Doch nirgends war ein menschlicher Schatten zu sehen. Und hätten sie nicht vorher die hüpfende Gestalt deutlich erkannt, so hätten sie jetzt an eine Selbstentzündung des Heus geglaubt. ‡Es hat keinen Zweck. Hören wir auf", sagte Milli. ‡Vielleicht sehen wir mehr, wenn wir uns still hinsetzen und die Gegend beobachten", meinte Schräubchen. Also gingen sie zu der Stelle zurück, wo TH den Rucksack von den Schultern genommen hatte, und setzten sich so auf den Boden, daß sie in alle Richtungen sehen konnten. Sie starrten in die Dunkelheit, bis ihre Augen tränten, doch sie sahen keine Menschenseele. Sie bekamen Durst, und die Gedanken an die Colaflaschen ließen sie nicht mehr los. Aber niemand wagte, es zu sagen. Sie fühlten sich niedergeschlagen. Der Spaß und auch das Feierliche der Nachtwanderung waren verflogen. ‡Und was tun wir jetzt?" fragte Tommi. Als TH fragte: ‡Gehen wir weiter?", gab niemand darauf eine Antwort. Sie hatten die Lust verloren. Hinter ihnen qualmten die letzten Reste des Heus. Vor ihnen erstreckte sich das Tal, weiter hinten lag Sommerberg friedlich und verschlafen da. Und irgendwo lag, stand oder ging ein Mensch, der ganz und gar nicht friedlich war: der Brandstifter. Sie hätten zum Maierhof gehen können, aber es war mitten in der Nacht. Die Unglücksbotschaft war bei 31
Tageslicht vielleicht nicht ganz so schrecklich aufzunehmen. ‡Ich hab' Durst", sagte Milli und öffnete den Ruck-
sack. Sie nahm die Colaflaschen heraus, und jeder griff
eilig nach einer wie nach einer Tröstung.
Sie tranken und schwiegen.
‡Wollen wir uns nicht hinlegen und schlafen?" Milli
sah die anderen an.
‡Und wenn der Kerl noch irgendwo steckt und uns
auflauert?" meinte Schräubchen, die am liebsten zu
Hause in ihr Bett gekrochen wäre.
‡Dann muß eben einer Wache halten", sagte TH.
‡Ich hab' Hunger, wollen wir nicht etwas essen?"
sagte Tommi, aber niemand lachte. Jeder sah betreten
vor sich hin.
‡Dann iß etwas", sagte Schräubchen, ‡wir ändern le-
gen uns hin und schlafen, bis es hell wird. Du hältst
Wache."
Der fliegende Hut
Laue Sommernacht hin oder her: es war kalt gewesen. Aber das Herumhetzen, die Enttäuschung und die unterdrückte Wut hatten sie müde gemacht, und so waren sie in der Nacht immer dichter zusammengerückt, um etwas zu schlafen. Milli erwachte als erste, wahr 32
scheinlich, weil sie es gewöhnt war, früh aufzustehen. Die Sonne beschien ein friedliches Bild, in das nur die schwarz verbrannten Narben der Heuernte streng und feindlich hineinstachen. Milli schob Schräubchens Arm und ein Bein von TH beiseite, weil sie aufstehen wollte. TH knurrte im Schlaf, Tommi lag als einziger etwas abseits und hielt den Rucksack umarmt, als erwarte er von ihm Trost und Wärme. Aber für die Wärme sorgte inzwischen die Sonne. Und sie war es auch, die TH weckte, weil sie ihm mitten ins Gesicht schien. Milli ging tapfer gegen ihre Traurigkeit an, nahm den Rucksack, öffnete ihn und breitete all die Köstlichkeiten, die er enthielt, auf einem kleinen Tuch aus, das die Mutter ihr mitgegeben hatte. ‡Ich hab' mir das Schlafen in freier Natur toller vorgestellt", sagte TH und gähnte. Milli gab ihm die Gurke und sagte: ‡Schälen und in kleine Stücke schneiden!" Schräubchen rieb sich die Augen, um wach zu werden. Dann versuchte sie in leichtem Plauderton von den Schrecknissen der Nacht abzulenken. Daß Tommi bei seiner nächtlichen Wache eingeschlafen war, überging man. Es war ja nichts passiert. Das Picknick bei aufgehender Sonne hätte der krönende Abschluß ihrer Nachtwanderung sein sollen. Jetzt 33
war alles anders gekommen. Alle waren in Gedanken immer wieder beim Maierhof. Wie würde man dort die Nachricht aufnehmen? Sie saßen mit dem Rücken zu den Brandstellen und versuchten vergeblich Freude zu empfinden. Die belegten Brote, der Salat, der Schinken und die Wurst schmeckten ihnen. Sie waren hungrig, und gegen den Durst halfen die Gurke und die Tomaten. Als sie sich auf den Weg zum Maierhof machten, klapperten in dem Rucksack die leeren Flaschen, sonst war nur noch wenig übriggeblieben. Der Rucksack war so leicht, daß Schräubchen ihn bis ans Ende der Welt hätte tragen können. Sie selbst aber fühlte sich ganz und gar nicht leicht. ‡Wer kann das gewesen sein?" fragte Tommi nach längerem Schweigen. ‡Das ist doch sinnlos, so etwas zu machen", meinte Schräubchen nachdenklich. ‡Ging das gegen uns? Oder war es Zufall, daß unser Heu brannte", grübelte Müh. ‡Ein Glück, daß nicht auch noch der Wald angefangen hat zu brennen", tröstete Tommi sich und die anderen. ‡Was hätten wir dann gemacht? So schnell hätte doch keiner Hilfe holen können. Und wenn wir gewartet hätten, bis man es von unten brennen sieht, dann wäre es schon zu spät gewesen." ‡Hat eure Familie Feinde?" fragte Schräubchen in einem Ton, wie ihn Kommissare in Krimis an sich haben. 34
‡Weiß ich nicht. Nein, glaub' ich nicht. Sicher nicht", stotterte Milli verlegen, wie einer eben verlegen ist, wenn er auf etwas gestoßen wird, an das er nie gedacht hatte. ‡Und wie ist es mit der Versicherung? Seid ihr versichert?" ‡Weiß ich nicht so genau. Da mußt du meinen Vater fragen." Den Vater fragen. Der Mutter gegenüberstehen. Dem Bruder nicht ausweichen können. Das alles war gar nicht mehr so weit entfernt. Entsprechend unbehaglich fühlten sie sich. Aufgebrochen waren sie zwar auch nicht im Laufschritt, aber jetzt krochen sie dahin, als wollten sie immer langsamer werden. Und dann machten sie noch einen kleinen Umweg, wie zufällig, so als wagte man nicht, sich dem Maierhof von vorne zu nähern. Oder hatte Milli den Weg eingeschlagen, um erst einmal ihren Kopf an den Hals des Ponys zu legen. Nicht um zu weinen, aber doch, um einmal kräftig zu seufzen. Sie wollte ihm etwas von dem Brot abbrechen, das noch im Rucksack war. Wer auch immer auf die Idee gekommen war, sich dem Hof von hinten zu nähern: es war ein Glück. Denn dort stand jener seltsame Herr, den Milli, TH und Schräubchen gestern bereits hatten vom Baum springen sehen. Doch hier war kein Baum in der Nähe. Was wollte er diesmal? War es nicht seltsam, 35
daß er hinter dem Haus stand, sich den grauen Anzug sorgfältig abklopfte und den schwarzen Hut mit dem Ärmel der Anzugjacke rieb? Noch ehe sie sich von ihrem Erstaunen erholen konnten, sahen sie Moritz mit wildem Gekläff auf den Fremden zurasen. Milli, die sich wunderte, daß Moritz so wütend war, rief: ‡Moritz, Moritz, komm sofort hierher! Aus! Aus, Moritz!" Der Mann hatte sie bemerkt und versuchte mit seltsamen Drehungen dem Angriff des Hundes zu entkommen. Dabei tat er etwas, was Moritz noch wütender machte, er trat mit dem Fuß nach ihm. Milli rannte auf die beiden zu und rief immer wieder: ‡Moritz, aus! Komm sofort her!" Aber der Hund hatte nur Augen und Ohren für den Eindringling. Den Tritten wich er geschickt aus. Aber dann biß er zu, verfing sich im Hosenbein, zerrte so lange daran, bis er sich befreit hatte. Ein Stück Stoff zwischen den Zähnen, rannte er auf Milli zu, als habe er sie erst jetzt bemerkt. Freudestrahlend legte er ihr den Stofffetzen zu Füßen. Milli aber schimpfte mit ihm: ‡Was hast du gemacht? Du kannst doch nicht einfach fremden Leuten die Hose zerreißen!" Moritz duckte sich, als sei das ein Scherz. Milli ging auf den Herrn zu, um sich bei ihm zu entschuldigen. Aber noch ehe sie ihn erreicht hatte, entschuldigte der sich, fand das Verhalten des Hundes verständlich, gab zu verstehen, daß er sich falsch verhalten habe und daß alles seine Schuld sei. Und dann, 36
als wolle er doch noch für ein schlechtes Gewissen sorgen, sagte er, er sei nur deshalb auf die Wiese geraten, weil ihm der Hut vom Kopf geflogen war. Den habe er nun wieder. Und damit sei alles in Ordnung. Nicht nur Milli starrte dem graugekleideten Herrn mit dem schwarzen Hut auf dem Kopf hinterher. ‡Ziemlich vornehm, um auf der Wiese herumzuturnen", sagte Tommi nachdenklich. ‡Dem sind wir schon mal begegnet", sagte Milli. ‡Ein Tourist, dem Sommerberg gefällt", meinte Tommi. ‡Aber du, warum bist du denn so wild geworden?" fragte Milli den Hund, streichelte und klopfte ihm das Fell, vielleicht etwas heftiger als sonst. Aber Moritz war zufrieden. Moritz war nicht gerade ein vorbildlicher Wachhund. Was hatte ihn zu diesem seltenen Anfall getrieben? ‡Hat der Herr nicht gesagt, es habe ihm den Hut weggeweht?" Schräubchen hielt ihren Zeigefinger in die Luft, den sie vorher mit Spucke naß gemacht hatte, um ihre Demonstration zu unterstützen. ‡Was mag ihm denn den Hut weggeweht haben. Wind geht jedenfalls keiner." Bevor die anderen noch darüber nachdenken konnten, was das zu bedeuten habe, verteidigte Tommi den Fremden. ‡Es ist ja wohl nicht verboten, auf einer Wiese zu stehen und seinen Hut abzureiben. Vielleicht 37
hat er Blumen pflücken wollen. Du kannst jedenfalls froh sein, daß er keinen Schadenersatz für seine Hose verlangt hat." Er sah Moritz von der Seite an. Dieser kümmerte sich nicht um den Vorwurf und streckte sich unter den Zärtlichkeiten von Muli. ‡Also dann, gehen wir ins Haus", sagte Milli.
TH, Schräubchen und Tommi folgten ihr, obwohl
sie wahrscheinlich lieber dem Mann gefolgt wären, der
langsam in Richtung Sommerberg verschwand.
Sie begegneten Gustl, der auf dem Weg zum Stall
war.
‡Ist Vater im Haus?" fragte Milli ihn.
Gustl murmelte etwas, was ein Ja oder auch ein
Nein sein konnte. Dann fragte er: ‡Haben euch die
wilden Tiere nicht gefressen?"
Als Milli und die anderen ihn erstaunt ansahen,
lachte er und verschwand im Stall.
Beklommen betraten sie das Haus.
Vater Obermaier saß wie jeden Morgen gutgelaunt
am Tisch, nachdem er schon im Stall und auch sonst
nach dem Rechten gesehen hatte. Mutter Obermaier
bereitete das Frühstück und bot allen frische Milch an,
nachdem nur Tommi behauptet hatte, er könne viel-
leicht noch einen winzigen Happen mit frühstücken.
Milli, die ihre Milch gleich durstig ausgetrunken hatte,
wollte für die anderen heiße Schokolade machen. So
war sie beschäftigt und brauchte dem Vater nicht in
die Augen zu sehen. Während sie den Kakao anrührte,
38
nahm sie sich vor, es ihm gleich zu sagen, wenn der Kakao auf dem Tisch stand. Aber Max, der Kater, kam dazwischen und lenkte sie ab. Es war, als habe das Tier ihren Kummer gespürt und strich deshalb schnurrend um ihre Beine. Sie hob Max auf und kraulte ihn. Und während sie den Kopf des Katers an ihrer Wange spürte, sah sie den Vater an. ‡Es hat gebrannt", sagte sie. Die anderen waren augenblicklich still. Endlich war es heraus. ‡Wo", fragte Vater Obermaier neugierig. ‡Auf unserer Wiese oben am Wald." ‡Habt ihr was angestellt?" ‡Nein, aber wir haben jemanden gesehen, eine dunkle Gestalt. Wir waren zu weit weg, um sie genauer sehen zu können. Nur daß jemand Feuer gelegt hat, das haben wir ganz deutlich gesehen. Wir sind hingerannt, aber es war schon zu spät. Es hat wie Zunder gebrannt. Und wir können noch von Glück sagen, daß der Wald nicht Feuer gefangen hat." Die Mutter fing sich als erste und war froh, daß den Kindern nichts passiert war. Aufmerksam betrachtete sie jeden, ob sie nicht doch irgendwelche Spuren von Verbrennungen feststellen konnte. Sie schob Tommi, der als einziger mit dem Frühstück angefangen hatte, Brot und Butter zu. Der Vater schwieg und sah nachdenklich vor sich hin. ‡Ist es schlimm?" fragte Milli ihn. 39
Der Vater hob und senkte den Kopf, als müsse er das Nicken erst üben. ‡Es kann knapp werden", sagte er schließlich, ‡wenn der Winter lang wird, müssen wir vielleicht zukaufen." Und dann verfiel er wieder in finsteres Brüten, was Milli an ihrem Vater ganz fremd war. Seine Nachdenklichkeit hielt den ganzen Tag an. Zuweilen hörte er nicht einmal die Fragen, die man an ihn richtete. Die vier Freunde wollten sich am Abend in der Pizzeria Mamma Gina treffen. Bis dahin wollten alle noch etwas schlafen, denn sie fühlten sich nach dem Besuch auf dem Maierhof wie gerädert. Milli brachte Lena, die mit einem Hexenschuß und starken Kopfschmerzen im Bett lag, das Frühstück und auch das Mittagessen und hörte sich geduldig ihr Jammern an, daß sie so nutzlos im Bett läge, obwohl es soviel Arbeit gab. Milli half im Stall, richtete die Milch für die Kunden her, plauderte ein wenig mit den Leuten, die es nicht eilig hatten, weil ja Wochenende war. Während sie dann der Mutter in der Küche half, brachte sie das Gespräch auf die seltsam trübe Stimmung des Vaters. ‡Ob er sich Sorgen macht?" fragte sie. ‡Ja, wahrscheinlich", erwiderte die Mutter. ‡Gibt es denn sonst noch etwas, was den Vater bedrückt?" Die Mutter schüttelte den Kopf. Vielleicht wollte sie 40
Milli auch nur nicht beunruhigen. Als Georg kam, schickte die Mutter Milli in den Hühnerstall. Gab es etwas, was sie mit Georg besprechen wollte und was Milli nicht hören sollte? Sie legte die Eier in die dafür vorgesehene Verpackung und beeilte sich, um von dem Gespräch doch noch etwas mitzukriegen. Erleichtert stellte sie fest, daß die beiden ihr Gespräch nicht unterbrachen, als sie wieder zurückkam. Georg sollte das Schild wieder aufstellen, daß im Maierhof Zimmer frei seien. Wenn Georg in die Stadt fahren würde, um die Eier zu liefern, sollte er sich um neue Kundschaft bemühen. ‡Geht es uns schlecht?" fragte Milli die Mutter, nachdem Georg in die Stadt gefahren war. ‡Es könnte uns bessergehen, aber mach dir keine Sorgen", sagte die Mutter und strich ihr über den Kopf. Am Abend war Milli als erste in der Pizzeria. Es drängte sie, mit ihren Feunden zu reden, nach den Gründen für den Brandanschlag zu forschen, die geschäftlichen Sorgen zur Sprache zu bringen und nach Lösungen zu suchen. Tommi empfing sie und ließ sie an einem freien Tisch Platz nehmen. Die Pizzeria war gut besucht. Tommi lehnte aber Millis Hilfe ab und sagte: ‡Nicht nötig. Wir haben alles im Griff. Ich bin auch gleich soweit." Mamma Gina, die von Tommi von dem Brandan 41
schlag erfahren hatte, brachte Milli ein frisch duftendes Stück Kuchen und versprach, sich gleich zu ihr zu setzen. ‡Laß es dir schmecken", sagte sie. TH brachte eine Tüte Kekse mit. ‡Ich weiß ja, daß du sie magst", sagte er grinsend zu Milli. Danach putzte er etwas verlegen an seiner Brille herum und war froh, daß Schräubchen erschien. Mamma Gina brachte Tommi gleich mit und meinte, er habe für heute genug gearbeitet. Dann gab es für jeden eine Portion Eis, und Mamma Gina ließ sich schnaufend am Tisch nieder. Milli mußte noch einmal alles haarklein erzählen, so als mißtraue Mamma Gina der Berichterstattung ihres Sohnes. Sie erzählte von der seltsamen Niedergeschlagenheit ihres Vaters und daß die Mutter sich um Nebeneinnahmen bemühe. ‡Wir können ja hier im Laden auch ein Schild aufhängen, wenn ihr Urlaubsgäste sucht", meinte Mamma Gina. Milli bedankte sich. Tommi beschaffte gleich ein Blatt Papier und Farbstifte und ließ sich den Inhalt der Anzeige diktieren. Schräubchen brachte immer wieder das seltsame Verhalten des Herrn mit dem schwarzen Hut ins Gespräch ein, aber Mamma Gina warnte vor voreiligen Schlüssen oder gar Beschuldigungen. Als sie in die Küche gerufen wurde, fragte TH: ‡Was glaubt ihr, ist der Maierhof in Gefahr?" So direkt gefragt, wollte niemand ja oder nein sa42
gen. Am liebsten wäre ihnen gewesen, es hätte nicht gebrannt. Aber da es nun einmal der Fall gewesen war, mußten sie sich damit auseinandersetzen. ‡Wir haben übrigens was gefunden, mein Vater und ich", sagte Milli. ‡Ein Stück verkohlte Fackel, als wir an der Brandstelle waren, weil mein Vater sich alles anschauen wollte." ‡Das bringt uns auch nicht weiter", meinte Schräubchen. ‡Vielleicht doch", sagte TH. ‡Ja, wenn wir jemanden finden, der mit so was herumläuft", meinte Tommi nachdenklich, der sein Werbeplakat für den Maierhof inzwischen fertig hatte. Stolz zeigte er es den Freunden. ‡Und wo hängen wir es auf?" ‡Wo es alle sehen können, natürlich", sagte Milli. Tommi besorgte sich Heftzwecken und befestigte das Blatt an der Wand. Die anwesenden Gäste betrachteten das Blatt. Ein junges Mädchen näherte sich mit ihrem Freund und meinte, wenn sie mehr Geld hätten, könnten sie auch da übernachten, aber so müßten sie wohl im Zelt bleiben. Ein älteres Ehepaar besprach die Sache gleichfalls. Sie waren wohl interessiert, denn der Mann erhob sich nach einem kurzen Gespräch mit seiner Frau und ging auf Tommi zu. ‡Waldheim", stellte er sich vor. ‡Meiner Frau und mir gefällt es hier in der Gegend gut. Wir würden gerne ein paar Tage auf dem Bauernhof verbringen. Kannst 43
du uns sagen, wie wir dahin kommen? Ein Auto haben wir. Es ist wohl nicht weit." ‡Nein", sagte Tommi. ‡Zwei Kilometer. Und am einfachsten ist es, wenn sie Milli mitnehmen." Er verbesserte sich gleich, zeigte auf Milli und sagte: ‡Anna Obermaier ist nämlich da zu Hause." ‡Gut", sagte Herr Waldheim, ‡dann zahlen wir gleich und nehmen sie mit." Aber Milli war mit dem Fahrrad da. Und das ließ sich nicht mehr in den Kofferraum packen, weil schon zwei Koffer drinnen lagen. Also fuhr Milli mit dem Fahrrad voraus. Sie freute sich, daß sie es geschafft hatten, den Eltern eine Nebeneinnahme zu verschaffen.
Feuer überall
‡Was macht ihr denn da?" fragte Milli streng.
Das junge Paar blickte erstaunt zu Milli empor, weil
sie wie aus dem Boden gezaubert vor ihnen stand.
‡Was sollen wir denn machen?" fragte das junge
Mädchen verlegen und nahm ihre Hände von den
Schultern des jungen Mannes.
‡Ein bißchen Feuer machen wir", sagte der junge
Mann und legte von dem Holz nach, das er offenbar
gesammelt hatte.
‡Das seh' ich", sagte Milli streng.
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‡Und? Ist es verboten?" wollte der junge Mann wissen. ‡Wir haben deinen Vater doch gestern gefragt, ob wir hier zelten dürfen." Das stimmte. Sie waren mit ihren vollgepackten Fahrrädern auf den Hof gekommen und hatten Vater Obermaier gefragt, ob sie auf seinem Grundstück zel ten dürften. Und Vater Obermaier hatte ihnen großzügig einen Platz auf einer Wiese zugewiesen, deren Gras er vor ein paar Tagen gemäht und in den Frischfutterbehälter getan hatte. Milli hatte in den beiden das junge Paar aus der Pizzeria erkannt. ‡Mit dem Feuer kann doch nichts passieren", fuhr der junge Mann fort. ‡Das Holz habe ich im Wald gesammelt. Ich hab' keinem was weggenommen. Und die Wiese ist gemäht." ‡Wir wollen uns doch nur eine Büchse Bohnen warm machen", sagte das junge Mädchen. Es war Milli sichtlich unangenehm, daß sie sich hier als Polizist aufspielte. Aber sie hatte im Vorbeifahren hinter den Sträuchern Rauch aufsteigen sehen. Sie hatte ihr Fahrrad hingeworfen und war gleich hingerast. Da erst sah sie das Zelt und das verhältnismäßig kleine Feuer. ‡Es hat nämlich bei uns gebrannt", sagte Milli, und es klang wie eine Entschuldigung. ‡Dieses Feuer da kann nichts anrichten", sagte der junge Mann. ‡Das ist nicht mein erstes." Da Milli nicht wußte, ob ihnen der Vater gestattet 45
hatte, ein Feuer zu machen, wollte sie ihn fragen und es erst mal dabei bewenden lassen. ‡Wir sind alle ziemlich nervös wegen dem Feuer." Milli zeigte auf das Waldstück, das man von hier aus gerade noch sehen konnte, und erklärte den beiden, daß es Brandstiftung gewesen war. Sie erwähnte auch die halbverkohlte Brandfackel, die sie gefunden hatten. ‡Wir haben es der Polizei gemeldet, aber die konnten uns auch nicht weiterhelfen", sagte sie. Daß sie und ihre Freunde auf dem Polizeirevier 13 in der Hauptstraße durch so manchen Fall, den sie aufgeklärt hatten, nicht mehr unbekannt waren und Inspektor Hecht sich persönlich um die Nachforschungen kümmern wollte, erwähnte sie nicht. Schließlich waren die beiden nur deshalb, weil sie eine Büchse Bohnen warm machen wollten, noch nicht verdächtig. Milli hob das Fahrrad wieder auf und setzte ihren Weg fort, denn Schräubchen wartete auf sie. Als sie bei Wagners ankam, mußte Milli Frau Wagner noch einmal den nächtlichen Vorfall schildern. ‡Wie gut, daß euch nichts passiert ist", unterbrach sie Milli immer wieder. ‡Ich wußte gar nicht, daß es deinen Eltern finanziell nicht so gut geht", meinte Frau Wagner, als Milli von den Sorgen des Vaters berichtete. ‡Ich weiß auch nicht, was los ist. Aber er hat irgendwas. Er ist richtig niedergeschlagen." Frau Wagner wollte wissen, ob sie irgend etwas tun könnte. Aber 46
Milli sagte nur leichthin: ‡Wir werden schon nicht verhungern." ‡Da sei Gott vor", meinte Frau Wagner.
‡Komm rauf, ich bin hier oben", rief Schräubchen
schon zum zweiten Mal.
‡Geh nur. Sie wartet wohl auf dich. Wenn ihr etwas
trinken wollt, müßt ihr euch melden", sagte Frau
Wagner.
Und Milli ging zu Schräubchen ins Zimmer.
‡Was meinst du, soll ich das Plakat dahin hängen
oder neben das Fenster?" überfiel Schräubchen die
Freundin, kaum daß sie das Zimmer betreten hatte.
Schräubchen hatte kleine Nägel im Mund und hielt
den Hammer und das Plakat.
‡Wo hast du denn das her?" fragte Milli.
‡Erzähl" ich dir später, sag erst mal, wohin."
Nele war es gelungen, ihren Bruder Tommi auf die
Straße zu bringen, um jetzt mit ihm so lange durch die
Stadt zu laufen, bis sie den Feuerlöscher gefunden hät-
ten. Tommi hatte jedesmal, wenn sie vom Feuerlö-
scher sprach, mit Engelsgeduld gesagt, es heiße nicht
Feuerlöscher, sondern Brandstifter. Aber Nele blieb
bei Feuerlöscher. Und den wollte sie jetzt unbedingt
in der Stadt finden, natürlich noch vor Einbruch der
Dunkelheit, weil sie dann zu Hause sein mußte.
Sie drehte sich in alle Richtungen, aufgeregt war sie,
nichts sollte ihr entgehen. Tommi taten schon nach
47
den ersten fünf Schritten die Füße weh, so unlustig war er. Aber Nele feuerte ihn regelrecht an. ‡Da", sagte sie, packte ihn am Ärmel und riß ihn fast nach unten in ihrer Aufregung, und das alles nur, weil sich ein Mann eine Zigarette angezündet hatte. Nun gut, etwas umständlich, das mußte Tommi zugeben, aber als einen Brandstifter konnte man ihn nicht bezeichnen. Nele hätte am liebsten die Pflastersteine aufgehoben, so unermüdlich war ihr Tatendrang. An jeder Ecke schien sie auf eine Überraschung zu hoffen und war enttäuscht, wenn nicht einmal genug Personen unterwegs waren, die sie verdächtigen konnte. Es war ein herrlicher Sommerabend. Alles was Beine hatte, spazierte am Seeufer entlang. Endlich hatte sie etwas entdeckt. An der Art, wie sie sich aufführte, konnte Tommi unschwer erkennen, daß sie mit Klauen und Zähnen daran festhalten würde. Sie befanden sich in der Nähe des alten Rathauses, genau in der Königinstraße, als Nele das junge Paar entdeckte, das in der Pizzeria schon ihren Verdacht erregt hatte, weil sie sich pausenlos geküßt hatten. Hätte Nele auch nur geahnt, daß Milli die beiden beim Feuermachen auf der Wiese erwischt hatte, wäre sie wahrscheinlich gleich zur Polizei gerannt. ‡Hast du denn nicht gesehen, wie verdächtig die aussehen?" fragte Nele ihren Bruder mit Nachdruck. Dieser hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Am liebsten hätte er sich auf den Boden gelegt, um zu schlafen. 48
Aber Nele schob ihn in einen Hauseingang und beobachtete mit fiebriger Aufregung das junge Paar. ‡Was ist jetzt?" knurrte Tommi ärgerlich, weil er
fand, daß sie genug herumgezogen waren.
‡Sie sind da herausgekommen. Und um die Ecke sind
sie gebogen." Tommi interessierte sich nicht für die
Ecke und auch nicht dafür, wo sie herausgekommen
waren.
Am nächsten Tag sollte Tommi über seine Unauf-
merksamkeit sehr ärgerlich werden.
Jetzt ließ er sich widerstrebend von Nele durch die
Straßen zerren. Nach einer zumindest für Nele atem-
beraubenden Verfolgungsjagd, trafen Tommi die klei-
nen spitzen Fäuste seiner Schwester vollkommen un-
vorbereitet.
‡Jetzt sind sie weg. Und nur, weil du so langsam bist."
‡Dann können wir ja nach Hause gehen", meinte
Tommi mit einem Seufzer der Erleichterung.
Doch in Neles Augen blitzten kleine Zornestränen,
als sie sich allein auf den Weg machen wollte und mit
ungeahnter Geschwindigkeit davonrannte.
‡Halt, wo willst du denn hin!" schrie Tommi hinter
ihr her. Zornentbrannt drehte sie sich um und sagte:
‡Du schreist noch so, daß uns alle hören können."
Tatsächlich hatten sich zwei Frauen, die aus einem
Auto gestiegen waren, lächelnd nach ihnen umgedreht.
Tommi stapfte weiter hinter Nele her, diesmal etwas
schneller, um ihren Zorn zu dämpfen. Aber Neles Su-
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ehe blieb erfolglos. Es kreuzten keine weiteren Verdächtigen ihren Weg, so daß sie plötzlich stehenblieb, ihre Arme mit großer Langsamkeit in die Seiten stemmte, Tommi lauernd ansah und sagte: ‡Ich will zur Polizei." ‡Was willst du denn da?" ‡Sagen, was ich gesehen habe." ‡Was hast du denn gesehen?" ‡Das wirst du schon hören, wenn ich es erzähle", bekundete sie hochmütig. Was sollte er tun? Damit sie Ruhe gab, brachte er seine verrückte Schwester zur Polizei. Wenn Nele vermutet hatte, auf dem Polizeirevier würde man sie wie eine Königin empfangen, so hatte sie sich gewaltig getäuscht. Aber vielleicht würde wenigstens Tommi, ein hervorragender Vertreter der Pizza-Bande, mit einer Art kollegialem Respekt begrüßt werden. Nichts von all dem. Ein junger Mann in Uniform blätterte aufmerksam in einem Aktenordner und schrieb Zahlen auf ein Formular, das vor ihm lag. Aus einem der hinteren Räume trat Inspektor Mau ser, der ganz den Eindruck machte, als habe er sich zu dem grauen Haar und den grauen Augen auch in einen Trog mit grauer Farbe verliebt. Als sei niemand außer ihm in dem Raum anwesend, nahm er einen Stempel aus einem Stempelständer auf dem Schreibtisch des jungen Polizisten und verschwand wieder. Tommi, der ihn kannte, hätte ihn ansprechen, zumindest aber be50
grüßen können. Er tat es nicht. Aus gutem Grund. Er kannte die finster brütende Art von Inspektor Mauser. Lieber wartete er, bis der Mann sich straffte und beinahe freundlich seine grauen Augen auf sie richtete. Es war schließlich nicht seine Idee gewesen, hierher zu kommen. Mochte Nele sehen, wie sie mit all dem fertig würde. So als habe er nichts mit all dem zu tun, setzte er sich auf einen der Besucherstühle. Nele hatte das Bedürfnis, auf jeden Fall hinter Tommi zu stehen. Also zerrte sie an ihm, bis Tommi unge halten knurrte. Als sie weiter zerrte und schob, wurde er ärgerlich und baute sich vor ihr auf, wie sie es beabsichtigt hatte, denn nun konnte sie unbemerkt den jungen Polizisten beobachten. Der war dennoch aufmerksam geworden, sein Gesicht verriet baldige Bereitschaft, wenn auch seine Hände noch von den gewaltigen Aktenbergen begraben schienen. Doch dann fragte er sie schließlich huldvoll: ‡Was kann ich für euch tun?" Tommi drehte sich zu Nele. Und Nele sah auf den Boden. ‡Ihr braucht keine Angst zu haben. Nur heraus mit der Sprache", sagte der junge Polizist und schaute die beiden aufmunternd an. ‡Ich habe keine Angst. Ich heiße Tommaso Carotti", erwiderte Tommi, und meinte, daß er sich das schuldig sei. ‡Und was weiter?" Der junge Polizist starrte sie an. 51
‡Meine Schwester will Ihnen etwas sagen."
‡So? Wie heißt du denn?"
Nele schlug die Augen nieder, als sei ihr jemand zu
nahe getreten. ‡Daniela Carotti", sagte sie.
‡Und weswegen seid ihr hier?"
Tommi schwieg. Ebenso Nele.
‡Hat euch wer was getan?"
‡Nein", kam es zögernd über Neles Lippen.
‡Was ist passiert?"
Jetzt trat Nele entschlossen vor und sprudelte los:
‡Es hat gebrannt bei Obermaiers auf der Wiese, und
das war ganz nah am Wald."
Der junge Polizist wurde eine Spur aufmerksamer.
‡Ja, das wissen wir", sagte er und fixierte dabei einen
Punkt an der Wand, als habe er den Täter bereits fest
im Auge. ‡Und woher weißt du das?"
‡Mein Bruder war dabei und hat den Mann gesehen,
der das Feuer gelegt hat." Mit diesen Worten trat Nele
zurück, um Tommi den Vortritt zu lassen, der die Sa-
che gleich richtigstellte. ‡Ich war nicht alleine. Stepha-
nie Wagner, Anna Obermaier und Walther Roland
waren bei mir. Wir haben eine Nachtwanderung ge-
macht!"
‡Ach, ihr seid das. Dann seid ihr ja die sogenannte
Pizza-Bande", sagte er freundlich.
Tommi nickte voller Genugtuung, daß er hier nicht
wie ein Idiot dastand, sondern in wichtigen Fällen be-
reits Aufklärungsarbeit geleistet hatte.
52
‡Anna Obermaier ...", sagte der Polizist. ‡Das ist Milli", fiel Nele ihm aufgeregt ins Wort, denn jetzt fing es an, spannend zu werden. ‡Anna Obermaier hat aber zu Protokoll gegeben ...", fuhr der junge Polizist zunächst ungerührt fort, stutzte aber dann, als habe er eine wichtige Protokollregel verletzt. ‡Wer hat den Täter gesehen?" wollte er wissen. ‡Wir waren viel zu weit entfernt, um etwas Genaues sehen zu können", sagte Tommi. ‡War deine Schwester auch dabei?" ‡Nein." ‡Also, was hast du gesehen?" ‡Ich habe gesehen, wie ein Schatten über die Wiese gehuscht ist. Ob das ein Mann oder eine Frau war, kann ich nicht sagen. Es hat ausgesehen, als tanzte er. Vielleicht haben wir uns das aber auch nur eingebildet. Als wir dann das Feuer sahen, sind wir losgerannt. Aber es war viel zu weit weg, um noch was zu retten. Und gesehen haben wir dann auch niemanden mehr." ‡Habt ihr sonst noch irgend etwas Verdächtiges bemerkt?" ‡Nein, aber Milli, ich meine Anna Obermaier ist dann am nächsten Tag mit ihrem Vater dagewesen. Und die beiden haben die Reste von einer Brandfackel gefunden." ‡Schön." Der junge Polizist kramte bereits wieder in seinen Akten. ‡Und weshalb seid ihr jetzt hier?" 53
‡Um das zu sagen", antwortete Tommi knapp an der
Wahrheit vorbei. Ihm war das Spiel, auf das er sich
eingelassen hatte, äußerst unangenehm.
‡Wir wollten noch was sagen", sagte Nele mit Be-
stimmtheit.
‡Und was?" fragte der junge Polizist neugierig.
‡Jetzt hältst du aber den Mund", rief Tommi ärgerlich.
‡Wir haben nämlich ein junges Mädchen und einen
jungen Mann in der Nähe des Rathauses gesehen",
fuhr Nele unbeirrt fort.
‡Wann war das? Vor dem Brand oder nachher?"
Wieder schien der junge Polizist einen Verfahrensfeh-
ler begangen zu haben. Jedenfalls kniff er mit den Zäh-
nen verlegen seine Unterlippe.
Aber Tommi entfuhr mit großem Erstaunen: ‡Hat
es denn gebrannt?"
‡Wenn du das nicht weißt, was wolltest du dann
sagen!"
‡Nichts. Meine Schwester will sich nur interessant
machen", antwortete er ärgerlich, auch über sich sel-
ber, weil er sie hierhergebracht hatte.
‡Wir haben sie schließlich gesehen", beharrte Nele.
‡Aber sonst haben wir nichts gesehen", erklärte
Tommi.
‡Wenn es aber doch gebrannt hat", antwortete Nele
spitz.
‡Dann müssen die beiden damit noch lange nichts zu
tun haben."
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‡Da hat dein Bruder recht", sagte der Polizist.
Inspektor Hecht und Wachtmeister Moll kamen
herein, begrüßten Tommi und seine Schwester, die
den beiden Beamten stolz die Hand schüttelte.
‡Wie geht's, was können wir für euch tun?" fragte
Inspektor Hecht.
Tommi, dem die ganze Angelegenheit mehr als
peinlich war, druckste herum: ‡Nichts, nichts weiter.
Wir wollten nur mal hören, ob Sie schon etwas von
dem Brand auf der Wiese gehört haben."
‡Die Obermaierwiese?"
Tommi nickte.
‡Nein, das haben wir nicht. In der Stadt hat es ge-
brannt. Königinstraße, schräg gegenüber dem Rathaus,
aber das eine hat wohl mit dem anderen nichts zu tun.
Jemand hat in einer Garage einen Haufen Abfall und
altes Gerumpel in Brand gesetzt." Während er das sag-
te, hatte Inspektor Hecht hinter seinem Schreibtisch
Platz genommen und fing an, in einem Stoß Papiere zu
kramen. Tommi sah darin einen deutlichen Hinweis,
daß es Zeit wurde, langsam zu verschwinden. Entspre-
chend heftig stieß er seine Schwester an. Nele raffte
sich noch einmal zu einem letzten Entschluß auf, als
wollte sie das Polizeirevier nicht verlassen, ohne we-
nigstens einen Hauch von Aufmerksamkeit auf sich
gelenkt zu haben.
‡Wir waren da und haben auch etwas gesehen", rief
sie, während ihr Bruder sie hinausbefördern wollte.
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‡So, was denn?" erkundigte sich Inspektor Hecht und betrachtete mit nachdenklicher Neugier Tommis Schwester. Es war Tommi, der antwortete, und seine Verlegenheit war deutlich zu spüren. ‡Nichts haben wir gesehen. Wir haben nicht einmal gesehen, daß es gebrannt hat. Wir sind einfach nur da langgegangen, weil meine Schwester mir keine Ruhe gelassen hat. Wir sind ein fach durch die Stadt marschiert." ‡Sie will wohl auch mit in die Pizza-Bande aufgenommen werden", meinte Inspektor Hecht lächelnd, und keineswegs unfreundlich, was Tommi sehr verwunderte. ‡Ich hab' die beiden gesehen. Sie waren schon bei uns in der Pizzeria." Nele ließ nicht locker. ‡Wen hast du gesehen?" ‡Ein junges Mädchen und einen jungen Mann. Die kamen mir gleich verdächtig vor." Inspektor Hecht nahm einen Zettel und las, dann fragte er Nele: ‡Heißen die beiden Renate Brack und Bernd Einmiller?" ‡Das weiß ich nicht", antwortete Nele keck. Es ging noch eine Weile hin und her. Tommi rieb verzweifelt seine Hände und fuhr sich mehrmals aufgeregt übers Gesicht. Der Inspektor wollte wissen, wie die beiden aussahen. Und Nele gab eine zünftige Beschreibung. Sie hatte recht. Es waren die beiden aus der Pizzeria. Aber ganz im Widerspruch zu Neles 56
Verdacht, waren es die beiden, die die Feuerwehr verständigt hatten. Der Inspektor war voller Verständnis für Neles Situation, er sagte ihr, daß er es vollkommen einsähe, daß sie auch einmal etwas entdecken wolle, um am Ruhm der Pizza-Bande teilnehmen zu können, aber er warnte sie vor allzu großem Eifer. Trotzdem solle sie die Augen offenhalten und ihm alles berichten, was ihr verdächtig erscheine. Damit waren sie entlassen. Tommi hatte es eilig, endlich wegzukommen. Er ging so schnell, daß Nele ihm kaum folgen konnte. Er hatte sich blamiert. Und es war seine Schuld. ‡Siehst du, ich kann genauso die Augen offenhalten wie ihr", sagte Nele, hinter ihm atemlos herhetzend. Tommi sprach kein Wort. Den ganzen Abend behandelte er sie, als sei sie Luft. TH saß mit seiner Gitarre auf dem Stuhl und schaute zum zwanzigsten Mal auf den Tisch, den er gedeckt hatte. Die Kartoffeln standen geschält, mit Wasser bedeckt in der Küche, die Eier für die Spiegeleier daneben. Der Spinat war noch im Tiefkühlfach, weil Walthers Vater es liebte, den gefrorenen Klumpen in der Buttersoße so lange herumzurühren, bis er geschmolzen war. TH wunderte sich, wo der Vater blieb und zupfte versonnen eine Saite der Gitarre. Dann erhob er sich, trat ans Fenster und schaute 57
hinaus. Er überlegte, ob er auf einen Sprung bei Schräubchen vorbeischauen sollte, aber wenn sein Vater ausgerechnet in der Zeit kam, würde er ungehalten sein, obwohl er für das Abendessen bereits alles vorbereitet hatte, was heute seine Aufgabe war. Es gab Augenblicke wie diesen, wo er die Mutter vermißte und sich allein fühlte und an die Zeit zurückdachte, in der er, Vater und Mutter so etwas wie eine glückliche Familie gewesen waren. Aber Erwachsene trennen sich nun mal, wenn sie nicht mehr miteinander auskommen. Das gab es oft, wenn er sich auch nicht vorstellen konnte, daß Schräubchens Eltern sich trennen würden. Er mochte Schräubchen gern. Und sie ihn auch. Aber Milli und Tommi hatte er auch sehr gern. TH setzte sich mit seiner Gitarre wieder auf den Stuhl. Wenn ich mehr üben würde, könnte ich besser spielen, dachte er, während er dem Instrument ein paar Töne entlockte. Seinem Vater würde doch nichts passiert sein? Er wischte den Gedanken fort und dachte, wenn noch seine Mutter dawäre, wäre er vielleicht nicht so allein. Ob er den Vater suchen gehen sollte? Er könnte ein paar Straßenzüge mit dem Fahrrad auf und ab fahren. Nein, er wollte seinem Vater nicht hinterherrennen. Und wo sollte er ihn auch suchen? Er fühlte so etwas wie Wut und erschrak darüber. Die leere Woh nung machte ihn traurig und fahrig. Gedankenverloren spielte er auf der Gitarre. Seine Hände griffen in 58
die Saiten. ‡Weiße Blumen stehn am Hang", sang er mit kaum hörbarer Stimme. Und dann noch einmal: ‡Weiße Blumen stehn am Hang." Dann hörte er zu spielen auf, ging an den Kochtöpfen vorbei und merkte, daß er Hunger hatte. Er schaltete die Kochplatte ein, aber dann wieder aus. Es war besser, noch etwas zu warten. So arg war das mit dem Hunger noch nicht. Im Vorbeigehen schob er sich ein Keks zwischen die Zähne und schaltete den Fernseher ein. Als der Vater die Wohnung betrat, mußte Walther lachen. Alles an dem Mann, der sein Vater war, schien irgendwie schief zu sein, entweder nach unten zu hän gen oder nach oben komisch verzogen. War nicht sogar sein Gesicht schief? So als hätte er mit der einen Seite ohne Unterlaß nach oben gelacht und mit der anderen ebensoviel geweint. Er erklärte, daß er in geselliger Runde zwar etwas getrunken habe, aber nicht betrunken sei. Man habe über Zusammenhänge im Leben gesprochen, die ihm bisher nicht klar gewesen seien. Er setzte sich in einen Sessel, als wollte er einen Augenblick über alles nachdenken. Ein listiges Lächeln flackerte in seinem Gesicht. Seine Hände lagen in seinem Schoß, die eine zur Faust geballt, die andere kraftlos offen. Als er sich erhob, tat er das offenbar in der Absicht, seinem Sohn diese Zusammenhänge mit einem Beispiel zu verdeutlichen, aber dann geriet er ins Stocken und 59
betrachtete seine Hände, als seien die schuld an seiner Verwirrung. ‡Weißt du was? ...", fing TH an.
Sein Vater fuhr schnell dazwischen und sagte: ‡Ja."
Dabei zeigte er ein schelmisches Grinsen.
‡Aber ich hab' doch noch gar nicht gesagt, was."
‡Das hast du nicht, mein Sohn, aber ich weiß trotz-
dem was." Seine Augen funkelten, als hüte er ein Ge-
heimnis. Dann verschwand das Funkeln wie auch sein
Mitteilungsdrang, so daß TH in aller Ruhe seinem Va-
ter erklären konnte, daß er sich um das Abendessen
kümmern wollte. Und das tat er nun auch.
Beim Frühstück am nächsten Morgen wirkte Herr Ro-
land bedrückt. Schweigsam trank er seinen Kaffee,
ohne seinen Sohn eines Blickes zu würdigen. Die Plä-
ne vom Vorabend hatte er wohl in der Nacht wieder
aufgegeben.
Mit wem der Vater zusammengesessen hatte, bevor
er nach Hause kam, hatte TH nicht erfahren. Es muß
eine seltsame, bunt zusammengewürfelte Gesellschaft
gewesen sein. Worüber hatten sie gesprochen, daß der
Vater so durcheinander war? Schämte er sich womög lich?
TH wollte dem Vater sagen, daß alles in Ordnung
sei, aber das Schweigen begann ihn allmählich zu be-
drücken. Fast lautlos näherte er sich dem Vater, legte
seine Hand auf die des Vaters. Einen Augenblick lang
60
geschah nichts. Dann drückte der Vater Walthers Hand. Und Walther drückte zurück. Beide sahen sich an und nickten. Das Lächeln kam gleichzeitig in ihre Gesichter. Dann sagte Walther: ‡Tschüs." Und der Vater sagte auch: ‡Tschüs!" Gleich darauf schwang sich TH auf sein Fahrrad und fuhr zur Schule.
Tommi macht einen
Fehler
Die vier Freunde trafen sich in der großen Pause auf dem Schulhof. Sie alberten eine Weile herum, hatten ein paar dicke Sprüche auf Lager, bis Schräubchen TH fragte: ‡Wen hat denn dein Vater gestern getroffen?" Sie lachte und sah Milli an, denn die beiden waren auf ihrem Abendspaziergang Herrn Roland begegnet. ‡Das weiß ich nicht", sagte TH. ‡Wieso fragst du, hast du ihn gesehen?" ‡Ja, das haben wir", sagte Milli. ‡Du warst auch dabei?" fragte TH sie. ‡Ich war auch dabei", sagte Milli. ‡Und weißt du, wer mit deinem Vater war? Der Kerl, dem Moritz das Stück Stoff aus der Hose gerissen hat." ‡Der mit dem Hut?" wollte TH wissen. ‡Genau der." 61
‡Das versteh' ich nicht. Wie haben die sich denn kennengelernt?" TH war mehr als nachdenklich. Tommi, der Walthers Verlegenheit wie am eigenen Leib spürte, erinnerte er sich doch an sein Erlebnis mit Nele auf dem Polizeirevier, lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, indem er von Milli wissen wollte, wie es denn den neuen Pensionsgästen auf dem Maierhof so ginge. ‡Die sind vielleicht komisch, vor allem er. Frau Waldheim ist ihr Mann schon richtig unheimlich, hat sie meiner Mutter erzählt. Sie sagt, er riecht und schnuppert hinter allem her, was er auf dem Hof sieht, und dreht jeden Stein um, als könnte er dahinter sehen, wie er früher war, als kleiner Junge. Er hat als Kind mal auf einem Bauernhof gelebt. Und als er unbedingt mal eine Kuh melken wollte, hat Vater ihn gelassen, aber es ging gar nicht gut aus." ‡Eure Kühe sind eben nicht mehr an die Hände von Menschen gewöhnt", meinte Tommi und sah TH an, der in Gedanken vor sich hin starrte. ‡Was machen wir denn nun in den Ferien? Kein Mensch redet davon. Als wären es noch hundert Jahre bis dahin. Dabei ist es bald soweit." Tommi wußte, das Thema stand an. Es war höchste Zeit. ‡Auf mich müßt ihr dieses Jahr verzichten", sagte Milli. Alle sahen sie an, auch TH, der nur mühsam aus seiner Nachdenklichkeit auftauchte. ‡Ich werde meinen Eltern helfen müssen. Wir sparen 62
uns dann eine Aushilfskraft", sagte Milli weiter. Jetzt sah nicht nur TH auf den Boden, als könnte da eine Nachricht stehen auf eine Frage, die man bisher sorgfältig vermieden hatte zu stellen. ‡Dann ist doch alles klar", meinte Schräubchen leichthin. ‡Machen wir Ferien auf dem Bauernhof." ‡Du meinst, wir alle zusammen, die ganze Zeit?" fragte Tommi, dem Tiere, egal, welcher Art, unheimlich waren. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Frage auftauchte, ob denn die Obermaiers richtig in Not seien. Milli wußte es nicht. Sie erzählte, wie sie es schon einmal getan hatte, von der starken Bedrückung des Vaters und daß die Mutter versuche, neue Geldquellen zu erschließen. Als Tommi die Frage stellte, ob das mit dem Brand zu tun habe, dachten TH und Schräubchen, genauso hätte er fragen können, ob Wasser naß sei. Aber Milli verstand ihn. Durch das Feuer mußte bei den Obermaiers eine Angst hochgekommen sein, die weit über den Verlust des Heus hinausging. ‡Ich fang' ja auch schon an zu spinnen", sagte Milli. ‡Vater hat einem jungen Pärchen erlaubt, auf der Wiese hinter den Sträuchern zu zelten. Als ich vorbeikam und sie ein Feuer gemacht hatten, um sich ihr Essen zu wärmen, habe ich gedacht, sie wollten uns den Hof anzünden." ‡Ist denn die Wiese, auf der sie Feuer gemacht haben, 63
nah am Hof?" fragte Tommi. ‡Nein, das ist es ja, was so verrückt ist." In der folgenden Nacht hatte Tommi einen Traum, der ihn sehr erschreckte. Leute umstanden ihn mit verhüllten Gesichtern. Nur zwei hatten ihre Gesichter frei, aber er konnte sie nicht erkennen, weil sie jedesmal ihre Gesichter wegdrehten, wenn er sie anschauen wollte. Die Leute, die ihn umstanden, fesselten ihn so, daß er sich nicht rühren konnte. Sie hatten ihm auf freiem Feld aufgelauert und ihn dann in einen Stall getrieben, der bis auf eine magere Kuh leer war. Die Kuh bewegte sich frei im Stall und schnupperte an ihm wie ein Hund, als er gefesselt auf dem Boden lag. Die Leute zogen sich zurück. Und mit jedem Schritt, den sie rückwärts gingen, ließ einer ein Streichholz fallen. Der Boden des Stalles war mit Stroh bedeckt. Kleine Flammenzungen flackerten auf, die sich bald vereinigten, und ein weißglühendes Feuer loderte auf, hinter dem die schwarz vermummten Gestalten verschwanden. Tommi wollte schreien, da erst merkte er, daß man ihm auch den Mund mit Stroh zugestopft hatte. Die Kuh sprang in das hochlodernde Feuer, als wollte sie tanzen. Sie versuchte, höher zu springen, was ihr aber nur zweimal gelang. Dann brach sie mit einem irren Blick in den Augen zusammen. Das Feuer loderte jetzt bis in das Gebälk des Stalles. Tommi wollte weg, aber er war gefesselt... Er erwachte wild um sich schlagend. Es dauerte eine 64
Weile, bis er merkte, daß er in seinem Bett saß und zitterte. Beklommen stand er auf und machte Licht. Seine Kehle war trocken. Er wollte etwas trinken. Also ging er leise zum Wasserhahn, weil es mitten in der Nacht war, und trank. Danach ging es ihm besser. Wieder zurück in seinem Zimmer, schaltete er das Licht nicht aus, setzte sich auf das Bett und atmete tief durch. So einen Traum hatte er noch nie gehabt. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Schreckliches so klar vor sich gesehen zu haben. Noch jetzt waren die Bilder in seinem Inneren wie eingebrannt. Er legte sich wieder ins Bett, zog die Decke über sich und starrte vor sich hin. Was sollte das bedeuten? Warum hatte er das geträumt? Als er am nächsten Morgen wach wurde, brannte das Licht immer noch. An den Traum erinnerte er sich nicht mehr so genau, wohl aber an den Schrecken. Den ganzen Morgen war er unaufmerksam bei allem, was er tat. Das fing beim Frühstück an. ‡Du hast ja das halbe Brot noch daliegen", sagte Mutter Gina, als Tommi sich erheben wollte, und wunderte sich über ihren Sohn. Nele wunderte sich auch. Tommi hatte sie die ganze Zeit so merkwürdig angesehen - oder durch sie hindurchgesehen. Er grübelte darüber nach, ob seine Schwester mit ihrem Verdacht vielleicht doch recht haben könnte. Wollte vielleicht jemand die ganze Stadt anzünden? Und er hatte es gerade noch rechtzeitig ge65
träumt, um gewarnt zu sein. Er mußte auch die anderen warnen. Aber was sollte er sagen? War er jetzt nicht genauso hilflos wie seine Schwester auf dem Polizeirevier? Obwohl er früher als gewöhnlich von zu Hause losgegangen war, kam er fast zu spät in die Schule. Er setzte sich auf seinen Platz und war froh, daß in der ersten Stunde niemand von ihm etwas wollte. Später dann stellte die neue Lehrerin zwei Fragen, die er so jämmerlich falsch beantwortete, daß sie ihn fragte, ob er krank sei. Er schüttelte den Kopf, hätte aber am liebsten gesagt, ja, er sei krank. Seine Freunde waren ihm auch nicht gerade eine Hilfe. Oder lag es an ihm? Wollte er nicht mit ihnen reden? Und wirklich, was sollte er ihnen sagen? In seinem Kopf war alles ein wüster Brei. Da war er einerseits ganz froh, daß Schräubchen eine Besorgung machen mußte und Milli sie begleiten wollte, TH noch im Gitarrenkurs steckte. Andererseits ärgerte er sich. Warum hatte er nicht gesagt, was er vorhatte? Er wollte die beiden jungen Leute auf ihrem Zeltplatz belauern. Wäre es da nicht besser gewesen, es zu machen wie immer? Gemeinsam sieht man mehr. Nein, er wollte allein sein. War er jetzt schon so verrückt wie seine Schwester, die sich in ein kriminalistisches Hirngespinst verrannt hatte ? Tommi machte sich mit dem Rad auf den Weg und suchte die Wiese, auf der das junge Pärchen zeltete. Milli hatte zwar von der Wiese hinter den Sträuchern 66
gesprochen, aber Sträucher gab es einige, hinter denen jedoch keine Wiese. Da die Annäherung mit der nöti gen Vorsicht erfolgen mußte, kam er nur langsam voran. Nachdem Tommi sämtliche Straßen und auch kleinere Feldwege abgefahren war, wobei er immer wieder anhielt und um sich spähte, legte er sein Fahrrad in einen Graben und tarnte das Versteck, so gut es ging. Auf seinem Weg über die Wiesen und an den Feldern vorbei war es ihm lästig, hatte er festgestellt. Mit der kleinen Baumgruppe, unter der auch Sträucher standen, hatte er Glück. Das Stapfen über den weichen Boden war anstrengend. Auch aus dem Grund war er froh, als er das kleine Zelt endlich in der Mulde stehen sah. Vorsichtig und so unhörbar wie möglich schlich er sich heran. Die dichten Sträucher schützten ihn, und er kam den beiden recht nahe. Das Mädchen lag auf einer Luftmatratze, hatte einen Badeanzug an und las. Ebenso friedlich hatte der junge Mann sich an einen Baum gelehnt und schnitzte an einem Stück Holz. Er trug eine Hose und Schuhe, das Hemd hatte er ausgezogen. Niemand redete, und Tommi begann sich in seinem Versteck einzurichten, so gut es ging. Warum gingen sie nicht an den See, wenn sie braun werden wollten, dachte Tommi, statt dessen verkrochen sie sich hier an einer völlig einsamen Stelle. Sie wollten wohl für sich allein sein. Warum hatten sie dann das Feuer in der Garage gemeldet? Hätten sie nicht vorher einfach verschwinden können? Oder war 67
es ein Trick? Wer das Feuer meldet, ist der nicht am wenigsten verdächtig? Würde das noch lange so gehen, daß sie dalag und er schnitzte? Tommi fand das Warten schon jetzt ziemlich langweilig, obwohl kaum mehr als zehn oder fünfzehn Minuten vergangen sein konnten. Seine Knie begannen zu prickeln, weil sich das Blut in ihnen staute. Kurz entschlossen setzte er sich auf den Boden, merkte aber dabei, daß er nicht mehr genug sehen konnte. Näher rücken konnte er nicht, weil die Sträucher ihn hinderten. Also kniete er sich hin, dachte aber, daß er das nicht lange aushaken würde. Tommi sah auf die Feuerstelle. Sie war klein und schwarz verrußt. Wahrscheinlich hatten die beiden nicht vor, hier ein riesiges Feuer zu legen. Und wenn sie es taten und gleich danach verschwanden? Das ging nicht, die Polizei kannte ihre Namen. Wie hießen die beiden eigentlich? Tommi hatte ihre Namen vergessen. Wenn sie vorhatten, überall kleine Feuer zu legen, wann war denn das große Feuer dran? Na immerhin, das Heu hatte ganz schön gebrannt, und so, wie es ausgesehen hatte, sollte auch der Wald Feuer fangen, was aber Gott sei Dank nicht geklappt hatte. Warum waren sie ihm eigentlich verdächtig, diese beiden? Weil sie so einen unverdächtigen Eindruck machten und doch immer da waren, wo es brannte? Aber ob sie das Heu angesteckt haben könnten? Dabei war doch nur einer zu sehen gewesen. Tommi seufzte. Es war eine 68
ziemlich verwegene Theorie. Und vielleicht verfolgte er sie nur, weil er ein schlechtes Gewissen seiner Schwester gegenüber hatte. Und wenn es mit dem, was Nele gesehen oder nicht gesehen hatte, nicht zusammenhing, war es dann vielleicht nur der Schrecken, den der Alp träum ihm eingejagt hatte, der ihn die beiden verfolgen ließ? Eines war sicher, wer auch immer mit dem Feuerlegen etwas zu tun hatte, der mußte einen Grund haben. Und den Grund, den mußte er herausbekommen. Und möglichst, bevor es zu spät war. Endlich rührte sich etwas bei den beiden. Tommi stand auf, um besser sehen zu können, hielt sich aber dabei so dicht wie möglich an den Sträuchern. Der Mann war aufgestanden, war für kurze Zeit im Zelt verschwunden und tauchte mit einer Plastiktüte wieder auf. ‡Hast du Hunger?" fragte er. Das Mädchen streckte sich. ‡Gib mir erst einen Kuß", sagte sie. Der junge Mann tat es, dann sprang das Mädchen auf, zog sich an und sagte: ‡Eaß uns nach dem Essen in die Stadt gehen." ‡In Ordnung", sagte er, nahm aus dem Sack eine Wurst und Käse und Brot. Tommi lief das Wasser im Mund zusammen, als er das sah. Da erst fiel ihm ein, daß er zu Mittag nichts gegessen hatte. Er wäre am liebsten auf die beiden zugerannt, hätte ihnen die Wurst und das Brot entrissen. Damit er nicht auch noch mit ansehen mußte, wie die beiden nach Herzenslust aßen, drehte er sich weg, 69
nahm einen Grashalm und kaute gedankenverloren darauf herum. Es dauerte ziemlich lange, bis die beiden endlich fertig waren mit Essen. Tommi spürte regelrechte Magenschmerzen. Aber auf seiner Verfolgungsjagd würde er die Schmerzen bald vergessen. Nachdem der junge Mann sein Hemd angezogen hatte, nahmen sie ihre Fahrräder auf und schoben sie in die Richtung, in der Tommis Fahrrad im Graben lag. Hoffentlich entdecken sie es nicht, dachte Tommi. Es gab noch einen Nachteil. Auf dem freien Gelände, das vor ihm lag, konnte er ihnen nicht gleich folgen. Er mußte abwarten, bis sie auf ihre Räder gestiegen waren. Hoffentlich entwischten sie ihm nicht, denn ihr Vorsprung würde ziemlich groß sein. Und wenn er sich immer nach ein paar Schritten hinwarf? Das war auch zu auffällig. Es brauchte sich nur einer von den beiden mal umzudrehen. Es kam Tommi endlos vor, bis er endlich aufbrechen konnte. Er rannte los, bekam Seitenstechen, mußte stehenbleiben. Auch das noch. Er legte sich hin. Wenn er schon nicht vorwärtskam, durfte er wenigstens nicht zu erkennen sein. Die beiden fuhren langsam, aber stetig auf die Stadt zu. Tommi hastete weiter und hoffte, er würde sein Fahrrad wenigstens gleich finden. Doch die beiden entfernten sich immer mehr. Tommi hatte sein Fahrrad erreicht, riß es hoch und jagte ihnen nach. Er tröstete sich damit, daß er wenigstens weit genug von ihnen entfernt war, so daß sie keinen Verdacht schöpfen konnten. Am Stadtrand von 70
Sommerberg war er ihnen so dicht auf den Fersen, daß er sie im Gewühl der Stadt nicht aus dem Auge verlieren konnte. Die Stadt machte eine dichtere Verfolgung möglich. Außerdem schienen sie es nicht eilig zu haben. Und so konnte Tommi sich auch Zeit lassen. Sie fuhren durch die Hauptstraße, bogen aber nicht in die Königinstraße ein, wie Tommi erwartet hatte. Gab es für sie an der alten Brandstelle, der Garage, nichts mehr zu tun? Sie fuhren weiter, unschlüssig, wie Tommi es schien. Dann fragten sie einen Mann offenbar nach einem Weg, denn der Mann streckte seinen Arm aus und zeigte am Bahndamm entlang. Sie kamen aber allem Anschein nach mit dem, was der Mann ihnen gesagt hatte, nicht zurecht, verfuhren sich und fragten noch mal. Dann fuhren sie an der evangelischen Kirche vorbei, bogen in die Obere Bergstraße in Richtung Tunnel ein. Wollten sie zum Schrottplatz? Ja, das wollten sie. Aber weshalb? Es gab genügend Möglichkeiten, sich auf dem Schrottplatz zu verstecken, aber nie war Tommi den beiden und dem Mann, der den Schrottplatz verwaltete, so nah, daß er hören konnte, was sie sagten. Sie bewegten sich, schienen etwas zu suchen und wurden schließlich allein gelassen. Aber auch das veränderte ihr Verhalten nicht. Sie hoben Gestänge hoch, hielten drahtverwickelte Stangen in der Hand, um sie gleich wieder wegzule gen. Was suchten sie? Ein Ersatzteil für ein Auto jedenfalls nicht, denn die Schrottautos interessierten sie nicht. Leicht, fast weich legte sich plötzlich eine Hand auf 71
Tommis Schulter. Als Tommi sich erschrocken umdrehte, sah er in Walthers grinsendes Gesicht. ‡Was machst du denn hier?" fragte Tommi und fühl-
te sich nicht besonders behaglich.
‡Ich bin dir nachgefahren. Und was machst du hier?"
TH sah Tommi immer noch grinsend an.
‡Von wo nachgefahren?"
‡Irgendwo auf der Hauptstraße hab' ich dich gese-
hen, hab' gerufen, aber du hast mich nicht gehört.
Dann sah es so aus, als wärst du hinter jemandem her.
So bin ich dir nachgefahren, mit aller Vorsicht, ver-
steht sich." Wieder rückte er an seiner Brille, als wollte
er andeuten, daß ihm die Vorsicht auch gelungen sei.
‡Hinter wem bist du denn her?"
Tommi nahm sein Ziel wieder in Augenschein, wohl
auch, um Zeit zu gewinnen, aber schließlich sagte er
ohne Umschweife: ‡Ich verfolge zwei Brandstifter."
‡Die beiden da? Sind das nicht die beiden, die auf der
Obermaier-Wiese zelten?"
‡Genau die."
‡Und wie bist du darauf gekommen, daß sie etwas
mit dem Feuer zu tun haben?"
‡Ein Verdacht. Beweisen muß ich es ihnen noch."
‡Und deshalb bist du hinter ihnen her."
‡So ist es."
‡Aber schau dir doch die beiden an. Aus welchem
Grund sollten sie Feuer legen?"
‡Du weißt, daß man es den meisten Menschen nicht
72
ansieht, die ein Verbrechen begehen", sagte Tommi mit Entschlossenheit, wenngleich diese durch das Erscheinen von TH und dem, was er sagte, merklich nachgelassen hatte. Und so fiel es TH nicht schwer, Tommi von seiner Verfolgung abzulenken. ‡Sie suchen irgend etwas für ihr Zelt, eine Stange oder so was, das siehst du doch", sagte TH. ‡Es sieht so aus." ‡Willst du sie so lange verfolgen, bis sie gefunden haben, was sie suchen. Und dann ihnen vielleicht auch noch beim Montieren helfen?" Also gut, dachte Tommi, wenn ich mich geirrt habe, dann will ich das mal so sehen. Tief in seinem Inneren war er erleichtert, daß er durch Walthers Auftauchen von seinem aberwitzigen Vorhaben abgekommen war. ‡Und was machen wir jetzt?" fragte Tommi. ‡Sehen, wo die anderen sind", sagte TH. Sie stiegen beide auf ihre Räder und fuhren in die Stadt. Unterwegs fiel Tommi der Herr mit Hut ein, und er fragte TH, als der neben ihm fuhr, ob er seinen Vater gefragt habe, was der mit dem seltsamen Herrn zu bereden gehabt habe. Hatte TH ihn nicht verstanden? Tommi mußte seine Frage wiederholen. Und ergänzte: ‡Du weißt schon, der Typ, den Schräubchen und Milli zusammen mit deinem Vater gesehen haben, als du auf ihn gewartet hast." »Nein, ich habe Vater noch nicht gefragt", antwortete TH stockend, ‡aber ich werde es tun." 73
Ein Gespenst hinterläßt
Heine Brandfackel
Der Maierhof lag friedlich da. Der Mond beschien ihn, wenn er hinter den dichten, träge am Himmel hinziehenden Wolken hervorkam. Es sah nicht nach einem Gewitter aus, obwohl es am Nachmittag über dem See ein paarmal geblitzt hatte. Die Aufregung, die Vater Obermaiers Geständnis verursacht hatte, hatte sich mit dem Einbruch der Nacht gelegt. Nach langem Zögern hatte Herr Obermaier sein Schweigen gebrochen und der Familie erklärt, daß vor einigen Monaten der Vertreter der Maklerfirma Sim mering ihm das Angeobt gemacht hatte, den Bauernhof zu kaufen. Vater Obermaier hatte sich nämlich um ein Darlehen bemüht, weil es an der Zeit war, den Stall auszubauen. Davon mußte die Maklerfirma erfahren haben. Auf die drängenden Fragen seiner Familie antwortete Herr Obermaier mit nachdenklichem Ernst. Er habe der Maklerfirma zu verstehen gegeben, wenn auch zunächst nicht mit aller Deutlichkeit, daß der Hof nicht zu verkaufen sei. Milli sollte später einmal den Hof übernehmen, wenn sie wolle. Und wenn nicht, dann wäre immer noch Zeit, ihn zu verkaufen. 74
Wirtschaftlich stünde man zwar alles andere als rosig da, und das verbrannte Heu bedeute einen zusätzlichen Schaden. Aber wenn neue Einnahmequellen erschlossen würden wie der verstärkte Milchverkauf an Privatleute, das Backen von Brot sowie eine intensivere Tierhaltung, dann würden sie es schon schaffen. Nachdem man sich ausgesprochen hatte, war allen wohler. Daß man auf die Frage: Hat der Brandan schlag auf das Heu mit dem Kaufangebot der Firma Simmering etwas zu tun? keine Antwort wußte, beunruhigte sie nicht, denn kommt Zeit, kommt Rat. Milli hatte dem Ehepaar Waldheim noch einen Krug Milch für die Nacht aufs Zimmer gebracht und sich über die Zufriedenheit der beiden älteren Herrschaften gefreut, die ihnen sicher weitere Pensionsgäste schikken würden. Da Milli am Morgen sehr früh aufgestanden war, ging sie zeitig zu Bett und schlief auch gleich ein. Als sie wach wurde, wußte sie zunächst nicht, was los war. Sie wachte fast nie in der Nacht auf, wenn nicht gerade ein Gewitter in der Nähe tobte. Etwas beklommen erhob sie sich, ging ans Fenster und schaute hinaus. Der Mond hing hinter einer dicken Wolke, und alles sah friedlich aus. Erleichtert ging sie ins Bett zurück. Da hörte sie ein dumpfes Geräusch, und sogleich schoß ihre alte Angst vor Gespenstern in ihr hoch. Am liebsten hätte sie die Decke fest über sich gezogen, 75
aber in ihrer Angst blieb sie mit dem Kopf halb aufgerichtet liegen und lauschte, inständig hoffend, es möge alles still bleiben. Aber das blieb es nicht. Ein ganz feines Schaben war zu hören, dann ein Tappen, als wären es Schritte. Sie hielt den Atem an und wartete. Zwei, drei Sekunden, eine Ewigkeit. Licht! Licht würde den Spuk vertreiben. Sie schaltete es an. Wieder blieb ein paar Augenblicke alles still, dann hörte sie wieder ein Tappen. Es kam von der Diele her, da wo es die Treppe hinunterging, und alles war noch bedrohlicher, da jetzt das Licht in ihrem Zimmer brannte und sie sich schutzlos fühlte. Was konnte das sein? Jemand, der ihr einen Streich spielen wollte? Nein, es war niemand im Haus, der so etwas tun würde. Da, jetzt knarzte die Treppe, es klang wie ein schauerliches Seufzen, aber sonst war nichts zu vernehmen, kein Schlurfen, kein Tappen. Eilig machte sie das Licht wieder aus. Wenn jemand sich ins Haus geschlichen hatte, durfte sie ihn nicht dadurch warnen, daß sie zeigte, sie war wach. Mit angezogenen Knien saß sie im Bett und lauschte angestrengt. Jemand war auf der Treppe, das war nun klar. Und derjenige kannte sich nicht aus. Das war auch klar. Wieder ein Tappen und dann ein Kollern, dann blieb es lange still, bis sie unten eine Tür gehen hörte. Warum schlug Moritz nicht an? Es war wie immer 76
kein Verlaß auf ihn. Wenn es ein Fremder war, wie war er hereingekommen? Selbst wenn Vater vergessen hatte, die Außentür abzuschließen, hatte es Mutter sicher bemerkt. Vielleicht mit der Leiter durchs Fenster? Ein Schauder jagte ihr über die Schultern. Sie kniff die Hände zusammen und hielt mit den Armen ihre Knie fest, damit sie nicht so zitterten. Als sie in ihre Kleidung schlüpfte, war ihr Kopf ganz benommen. Wenn sie schrie, um ihren Vater und ihren Bruder zu wecken, würde sie wohl alles noch schlimmer machen. Sie mußte selber nachschauen. Allein. Sie trat an die Tür, und als alles still blieb, öffnete sie sie einen Spaltbreit. Draußen war alles dunkel. Wenn es ein Dieb war, was wollte er? Dann plötzlich fiel ihr ein: Und wenn er Feuer legte? Das ganze Haus in Brand setzte? Erschrocken, immer noch voller Angst, aber die Zähne zusammenbeißend, öffnete sie die Tür gerade so weit, daß sie hinaus konnte, schloß sie hinter sich, und es gelang ihr, so gut wie kein Geräusch dabei zu machen. Da sie sich auskannte, fand sie den Weg zur Treppe auch ohne Licht. Jedesmal, wenn sie innehielt, hatte sie das Gefühl, eine Hand strecke sich nach ihr aus. Dann schüttelte sie sich und ging weiter. Als sie an der Treppe war, immer wieder lauschend, fiel ihr ein, daß sie die Taschenlampe hätte nehmen 77
können, die auf dem Nachttisch lag. Sie hatte sie in der Aufregung vergessen. Und zurück wollte sie nicht. Sie würde versuchen, unbemerkt in die Küche zu kommen, um dort die Stablampe zu nehmen. Sie blieb stehen. Da kam ihr eine Idee. Moritz rührte sich noch immer nicht. Und was war, wenn das einen Grund hatte? Sie waren nicht mehr allein im Haus. Sie hatten Gäste. Herr und Frau Waldheim. Wenn nun Herr Waldheim durch das Haus geisterte, wäre es ganz natürlich, wenn Moritz nicht anschlug. Und wenn es Herr Waldheim war, war es dann nicht besser, sie forschte alleine nach dem Grund? Als sie die Küche betrat, kam Moritz ihr schwanzwedelnd entgegen. Es war hell in der Küche, der Mond schien in dem Augenblick herein, so daß sie die Stablampe gleich fand. Sie beugte sich nieder und strich Moritz über das struppige Fell. Es beruhigte sie, die Wärme des Tieres zu spüren. Und natürlich wollte Max, der Kater, auch nicht fehlen. Hochbeinig und verschlafen kam er auf sie zu, streckte sich dann und liebkoste ihre Hand. Leise flüsternd sprach Milli mit den beiden. ‡Wenn ihr mich nicht verratet, dürft ihr mitkommen. Wir müssen aber sehr vorsichtig und ganz leise sein." Max trieb sein zärtliches Schmusen soweit, daß Milli ihn auf den Arm nahm. Als der Mond hinter einer Wolke verschwand, schaltete Milli die Stablampe kurz ein, öffnete die Küchentür, schloß sie hinter sich und 78
schaltete die Stablampe aus. Wohin jetzt? Alles war friedlich oder schien zumindest so. Die beiden Tiere gaben ihr Sicherheit, vor allem Max, der warm an ihrer Brust lag. War es nicht besser, den Vater zu wecken oder zumindest den Bruder? überlegte sie. Angst kroch wieder in ihr hoch. Und wenn plötzlich das ganze Haus in Flammen stand wie vor ein paar Tagen das Heu auf der Wiese? Hatte sich Herr Waldheim bei ihnen nur eingeschlichen, um nachts in aller Ruhe das Feuer zu legen? War nicht die Freude, die er an allem zeigte, nur gespielt, um von seinem düsteren Vorhaben abzulenken? Aber warum sollte er den Hof in Brand setzen? War es nicht lächerlich, so etwas auch nur zu denken? Und wenn sie Vater weckte, war es doppelt lächerlich, wenn sie sich gegenüberstanden und alles ganz harmlos war. Sie mußte ihn suchen, um herauszufinden, was er machte. Aber wo? War er noch im Haus oder war er in den Stall gegangen? Und wenn es gar nicht Herr Waldheim war? Das war doch nur eine Vermutung von ihr. Sie beugte sich herunter zu Moritz und flüsterte: ‡Hast du nichts gemerkt? Es ist jemand hier. Warum hast du nicht gebellt?" Bei dem Wort Bellen wollte Moritz damit anfangen, aber Milli hielt ihm die Schnauze zu und flüsterte: ‡Nicht jetzt. Jetzt müssen wir leise sein. Wir müssen suchen, verstehst du. Vorher hättest du bellen sollen." 79
Milli schaltete die Lampe wieder ein. Moritz ging tapfer auf die Außentür zu, als wollte er sich mit Milli zusammen jeder Gefahr stellen. Den Kater in Millis Arm übersah er geflissentlich. ‡Also dann, wenn du meinst, gehen wir in den Stall", sagte Milli. Auf dem Hof war es nicht ganz so finster wie im Haus, obwohl der Mond hinter dicken Wolken verborgen war. Milli konnte die Lampe ausschalten und ließ sie auch ausgeschaltet, als sie die Tür zum Stall öffnete und mit ihren beiden Tieren hineinschlüpfte. Der warme, bekannte Geruch umfing sie. Es ist nie ganz still in einem Stall, das wußte sie, aber es war auch nichts zu spüren von jener rumorenden Aufregung, die sie sicher bemerkt hätte, wenn noch jemand, noch dazu ein Fremder sich im Stall aufgehalten hätte. Gerade in dem Moment, als sie die Stablampe einschalten wollte, um alles kurz abzuleuchten, flammte das Licht auf. Sie hatte gerade noch- Zeit, sich hinter einem Strohballen zu verstecken. Moritz schaute zu ihr auf, aber Milli legte beschwörend ihre Finger auf die Lippen. Offenbar hatte Moritz verstanden. Er bellte nicht. Aber Max hielt es nicht länger auf Millis Arm. Er lief an den Kühen vorbei auf Herrn Waldheim zu. Milli hatte also recht gehabt mit ihrer Vermutung. Aber was tat Herr Waldheim mit einer Decke und einem Liegestuhl im Stall? Seine Füße steckten in 80
ein paar Schuhen, die aber nicht zugebunden waren, und unter seinem Bademantel trug er einen Schlafanzug. Ein durchaus friedliches Bild. Der Meinung schien auch Max zu sein, der sich sogar von Herrn Waldheim hochheben ließ. Sah so ein Brandstifter aus? Milli ärgerte sich, weil der Verdacht gegen Herrn Waldheim ihr jetzt mehr als peinlich war. Gott sei Dank hatte sie niemanden geweckt. Das wäre mehr als peinlich gewesen. Aber was machte er nun mitten in der Nacht im Stall? Und dann auch noch in dem Aufzug? Herr Waldheim sprach mit dem Kater, aber so leise, daß Milli nichts von dem verstehen konnte, was er sagte. Er sah sich um, nahm den Liegestuhl, stellte ihn mitten im Stall auf, gewissenhaft, als habe er genau den Mittelpunkt ausfindig machen wollen, dann setzte er sich, breitete die Decke um sich und ließ Max auf seinem Schoß ruhen. Das Licht schaltete er nicht aus, aber er schien sich für den Rest der Nacht hier eingerichtet zu haben. Die Kühe waren zwar unruhiger geworden, das Licht verwirrte sie, doch als es so blieb, beruhigten sie sich wieder. Herr Waldheim war wohl schon eingeschlafen, denn er lag ganz ruhig da. Damit hat es sich, dachte Milli und überlegte noch, ob sie das Licht nicht besser ausschaltete. Warum sollte es die ganze Nacht brennen? Aber da Herr Waldheim es offenbar wünschte, sollte er sich mit dem Vater über den Preis einigen. 81
Da schoß Moritz laut bellend mit solch ungestümer Gewalt auf das hintere Stalltor zu, daß Milli erschrak. Sie wollte ihm zurufen, leise zu sein, aber es war wohl schon zu spät. Moritz rannte an Herrn Waldheim vorbei, der sich aber überhaupt nicht rührte. Milli folgte dem Hund, zunächst, um ihn zu beruhigen, aber da sie sah, mit welcher Gewalt er das Tor ankläffte, wurde sie mißtrauisch. Überflüssigerweise fragte sie ihn: ‡Was hast du denn?" Doch gleich darauf wurde ihr klar, daß sie jemanden hinter dem Tor gewarnt hatte. Na, wenn schon, dachte sie. Und sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte: ‡Ist da jemand?" Was hatte sie erwartet? Sollte der Einbrecher vielleicht rufen: ‡Ja, hier bin ich!" Diesmal gab es keine Täuschung, wenn Moritz nicht total verrückt geworden war. Hinter dem Tor stand ein Einbrecher. Oder er hatte dahinter gestanden. Sie versuchte, das Tor zu öffnen. Und als es nicht ging, sah sie einen Augenblick mit Erleichterung das Vorhängeschloß. Hier konnte jedenfalls niemand rein. Aber sie mußte sich beeilen. Das einzige, womit sie sich zur Wehr setzen konnte, war die Stablampe. Und Schreien würde auch nichts helfen. ‡Komm, Moritz!" sagte sie. Wenigstens der Hund sollte sie begleiten. Durch die Seitentür raus. Und dann am Tor hinten nachsehen. Mit der Lampe jedem so lange ins Gesicht blenden, bis er verschwand. Hatte 82
sie gehofft, Herr Waldheim würde durch das Hundegebell und durch die Unruhe, die im Stall ausgebrochen war, wach werden? Ja, sie hatte es gehofft, aber sie ließ ihn liegen und rannte auf die kleine Stalltür zu, durch die sie hereingekommen war. In ihrer Aufregung vergaß sie Moritz, der seine Stellung am verschlossenen Tor nicht aufgeben wollte. Der Mond ließ sie im Stich, er leuchtete ihr nicht. Der Schein der Stablampe flackerte zitternd über den Boden und an der Mauer entlang. Milli wollte mit Tempo die Angst bekämpfen. Je rascher sie lief, um so weniger Zeit blieb für die Angst. Und so sprang sie die letzten Sätze über das Holz, das ihr im Weg war. Aus dem Stall kam das Bellen von Moritz. Erschöpft blieb sie stehen und leuchtete mit der Lampe die Umgebung aus. Nichts. Wieder nichts. War denn alles in dieser Nacht verrückt? Sie sah sich um. Hatte sich nicht nahe der Straße etwas bewegt? Wer auch immer vor dem Tor gestanden hatte, er konnte bis dahin gekommen sein. Milli betrachtete das Holz, das seitlich vom Tor lag. Es sah nicht so aus, als hätte es jemand aufgeschichtet. Vielleicht war es durch eine Unachtsamkeit vom Stapel gefallen. Moritz jaulte und winselte hinter dem Tor. Um ihn zu befreien, mußte sie wieder zurück. Während sie zur Seitentür lief, drehte sie sich um, und es schien ihr 83
wieder, als habe sie dort an der Straße eine Bewegung gesehen. Aber es war zu dunkel. Also hastete sie weiter und kam mit Moritz zurück, der sich freute und wild zu tollen begann. ‡Such!" befahl Muli. Aber Moritz verstand nicht. Er sah sie an, sprang ein paar Schritte weg und lief dann wieder auf sie zu. Während sie um das große Tor herum mit der Taschenlampe alles absuchte, warf sie immer wieder einen Blick in die Richtung, wo sie eine Bewegung bemerkt zu haben glaubte. Sie konnte aber nichts weiter feststellen. ‡Such, Moritz, such!" befahl Milli eindringlich. Da sie selber damit beschäftigt war, etwas zu suchen, von dem sie aber nicht wußte, was es sein konnte, begriff Moritz seine Aufgabe und schnupperte alles ab, was ihm erreichbar war. So fanden beide fast gleichzeitig die in den Boden gestoßene Brandfackel. Sie war entzündet worden aber im Boden wieder erloschen. Der Mond kam hervor. Milli sah auf die Straße, aber nichts rührte sich. 84
Aktion Nachtwache
Die vier Freunde fanden, daß es an der Zeit war, etwas zu unternehmen. Und so machten sie sich erst einmal auf den Weg zum Schrottplatz, auf dem es gebrannt hatte, nachdem TH Tommi von da abgezogen hatte. Tommi war weit davon entfernt, TH wegen des zu frühen Abzugs Vorwürfe zu machen, hatte Tommi doch das Auftauchen des Freundes als eine Befreiung empfunden, da er sich zu sehr in ein Hirngespinst verrannt hatte. Aber nun hatte es doch gebrannt. Und damit war wieder alles aktuell und noch verwirrender als vorher. Zunächst einmal wollten sie feststellen, was auf dem Schrottplatz geschehen war. Und natürlich auch, was auf einem Schrottplatz überhaupt brennen konnte. Achtsam, um einen guten Eindruck zu erwecken, lehnten sie ihre Fahrräder so an den Eingang, daß sie niemandem hinderlich waren. TH hatte die Führung übernommen und deckte Tommi etwas ab, damit der Mann auf dem Schrottplatz ihn nicht erkennen sollte, falls sich Tommi bei seinen Erkundungen eine Blöße gegeben hatte. ‡Na, was kann ich für euch tun?" sagte der Mann 85
und rieb seine Hände an einem Tuch ab, weil er gerade einem Kunden einen Kotflügel verkauft hatte. ‡Ja, das ist so. Auf dem Maierhof, der gehört ihrem
Vater", dabei zeigte TH auf Milli, ‡hat jemand ver-
sucht, ein Feuer zu legen. Und da es bei Ihnen auch
gebrannt hat, wollten wir mal fragen ..."
Der Mann unterbrach TH. ‡Was ich weiß, habe ich
der Polizei schon gesagt. Da waren zwei junge Leute
da, ein junges Mädchen und ein junger Mann, die
wollten Eisenstangen für ihre Feuerstelle. Und als sie
weg waren, schlug Feuer aus dem Haufen da." Er
zeigte auf eine Ansammlung von ausgeschlachteten
Autoteilen. ‡Ob das eine mit dem anderen was zu tun
hat, weiß ich nicht, aber ich habe es der Polizei gemel-
det." Damit schien die Auskunft, die er bereit war zu
geben, beendet zu sein.
‡Können wir uns das mal ansehen?" fragte Schräub-
chen.
‡Da gibt es nicht viel zu sehen. Und der Schaden war
auch nicht sehr hoch, aber eine Schweinerei bleibt es
trotzdem." Schräubchen wartete nicht länger auf Er-
laubnis und trat mit den anderen vor die Wrackteile,
die dadurch, daß Feuer in ihnen gebrannt hatte, noch
schäbiger aussahen.
‡Was soll das für einen Sinn haben, hier Feuer zu le-
gen?" fragte Milli.
Die anderen nickten, fingen dabei dann doch an,
zwischen die Autoreste zu treten.
86
‡Es ist besser, wenn ihr da rauskommt, sonst passiert
noch mal was."
Sie drehten sich zu dem Mann hin, der nicht beson-
ders freundlich wirkte.
‡Laßt uns gehen", sagte Tommi.
‡Wir machen schon nichts, was sie stören könnte",
rief TH dem Mann zu.
‡Was wir sehen wollten, haben wir gesehen", meinte
Schräubchen.
‡Nämlich nichts", lautete Millis Kommentar.
Sie gingen zu ihren Fahrrädern zurück, und als jeder
seines in der Hand hatte, meinte Schräubchen nach denklich: ‡Das gibt doch keinen Sinn, einen Haufen
Blech anzuzünden, ich meine, das Plastikzeug und den
Stoff, der noch daran klebt."
‡Vielleicht doch!" war TH's Antwort, die aber nie-
mand verstand.
‡Und weshalb?" fragte Tommi.
‡Eben, daß es keinen Sinn hat, was man aber nicht
gleich merken muß. Wenn es irgendwo brennt, hat
man Angst, daß es weiter brennen könnte."
Das war nun den anderen auch nicht gerade eine ge-
waltige Hilfe. Sie beschlossen aber, es erst einmal da-
bei bewenden zu lassen.
‡Ich finde, das Beste, was wir tun können, ist, die
beiden zu fragen", war TH's weiterer Vorschlag.
‡Welche beiden? Die Verdächtigen?" fragte Schräub-
chen.
87
‡Genau die. Wie sollen wir sonst weiterkommen?" ‡Und wenn sie was damit zu tun haben, warnen wir sie." Milli sah nicht sehr glücklich drein. ‡Wir können uns doch mal an ihrem Zeltplatz vorsichtig umsehen, ob da vielleicht eine Fackel zu finden ist, wie du sie bei euch aus dem Boden gezogen hast", schlug TH vor. Nun gut, Warnung hin, Erkundung her, sie fuhren los, Milli und Tommi übernahmen die Führung, weil sie wußten, wo der Zeltplatz war. Und während sie unterwegs waren, schien ihnen ihre Absicht auch ziemlich einleuchtend. Zumindest würden sie dann besser wissen, woran sie waren. ‡Hoffentlich sind die auch da", meinte Tommi, als sie die Fahrräder über die Wiese schoben, um abzukürzen. ‡Dann fahren wir auf den Hof, trinken etwas und kommen später wieder." Der Gedanke an etwas Trinkbares schien allen sehr verlockend, aber sie stapften weiter. Tommi wußte nicht, warum er wünschte, die beiden nicht anzutreffen. Aber sie waren da. Beide lagen in ihrem Zelt und schliefen. ‡Was machen wir, wecken wir sie?" Tommi sah die anderen fragend an. ‡Wir können uns ja hinsetzen, vielleicht wachen sie gleich auf." Milli setzte sich hin. Und ehe die anderen ihrem Beispiel folgen konnten, wachte der junge Mann auf. 88
Verschlafen trat er auf sie zu. ‡Habt ihr euch verlaufen?" fragte er, aber dann erkannte er Milli und blickte zu Boden. Er wartete einen Augenblick, ehe er ziemlich ärgerlich sagte: ‡Uns genügt es, daß die Polizei uns dauernd auf die Pelle rückt." ‡Wir wollten nur was fragen", sagte TH. ‡Dann schieß los", meinte der junge Mann knurrend. ‡Was habt ihr auf dem Schrottplatz gesucht?" ‡Seid ihr von der Polizei oder was? Das Ding da", sagte der junge Mann recht ärgerlich und zeigte auf das zusammengefügte Eisenteil über der Feuerstelle. ‡Und danach hat es gebrannt." ‡Das weiß ich, aber wir haben nichts damit zu tun. Leider ist das schon die zweite Geschichte, in die wir hineingeraten sind, deshalb hat uns die Polizei gebeten, noch ein paar Tage hierzubleiben, sonst wären wir nämlich schon längst weg aus dieser herrlichen Brenngegend, das könnt ihr uns glauben. Aber wenn wir verschwinden, lenken wir erst recht den Verdacht auf uns." Der Zorn in der Stimme des jungen Mannes hatte sich allmählich gelegt. ‡Ihr wart nicht zufällig in der Nacht von Freitag auf Samstag auf einer Wiese da oben, nahe am Wald?" fragte Tommi und zeigte in die Richtung, wo seiner Meinung nach die Wiese liegen mußte. ‡Nein, auch das hat die Polizei gefragt, aber das konnten wir beweisen, weil wir in der Stadt waren und dafür Zeugen hatten." Ärgerlicher fuhr er fort: ‡Und 89
ihr, ihr seid wohl hier in der Gegend eine Art Hilfspolizei." ‡Das sind wir nicht. Aber Milli ist unsere Freundin. Und auf ihrem Hof scheint einer was vorzuhaben. Und damit kein Unglück geschieht, erkundigen wir uns eben", war Schräubchens schlagfertige Antwort. ‡Wer ist Milli?" wollte der junge Mann wissen. ‡Ich", sagte Milli. ‡Aha, deshalb warst du so mißtrauisch, als wir uns das erste Mal gesehen haben." ‡Wenn ihr mit dem Feuer nichts zu tun habt, dann habt ihr vielleicht jemanden gesehen, der damit etwas zu tun haben könnte", meinte TH versöhnlich. ‡Wir haben nichts gesehen, woraus sich ein Verdacht machen ließ", sagte der junge Mann. ‡Vielleicht doch", kam die Stimme des jungen Mädchens aus dem Zelt. Sie richtete sich auf und strich sich über die Augen. ‡Ich hab' da gelegen und euch zugehört, dabei ist mir was eingefallen. Ich hab' in der Nähe des Schrottplatzes einen Mann gesehen mit einer Sonnenbrille, einem Hut und einem merkwürdig vornehmen Anzug. Wenn euch das weiterhilft." ‡Davon hast du aber bisher nichts erzählt", sagte der junge Mann. Das Mädchen erwiderte: ‡Mir ist eben noch halb im Schlaf eingefallen, daß ich gedacht habe, der Kerl sieht so seltsam aus, als war' er einem Krimi entsprungen." Außer, daß sie von dem Herrn mit Hut der Polizei 90
keine Mitteilung gemacht hatte, war nichts mehr herauszuholen. Die vier nahmen ihre Fahrräder und schoben sie auf den Maierhof zu, während sie beratschlagten, was sie denn nun erreicht hatten. Waren die beiden jetzt mehr oder weniger verdächtig? Konnte man eine Gestalt, die einem Krimi entstiegen zu sein schien, einfach vergessen? Oder steckten sie alle drei unter einer Decke? Wenn ja, hätte das Mädchen den Herrn mit Hut doch gar nicht zu erwähnen brauchen. TH wurde ärgerlich, weil sie ihn schon wieder nach der Zusammenkunft des seltsamen Herrn mit seinem Vater fragten. Es kam aber auch diesmal nichts weiter dabei heraus, als daß die beiden ein paar Biere zusammen getrunken hatten und der Vater in recht seltsamer Stimmung zu Hause erschienen war. Grund dieser Stimmung waren die verrückten Reden des geheimnisvollen Herrn. TH hatte trotz aller Tricks dem Vater nichts entlocken können, ob der Fremde ihn ausgehorcht hatte. Also kamen sie überein, die Begegnung als rein zufällig einzustufen. ‡Noch ein Zufall", meckerte Tommi. ‡Du willst doch damit nicht sagen, daß mein Vater etwas mit den Brandanschlägen zu tun hat?" brauste TH auf. Natürlich wollte Tommi das nicht sagen, und die anderen beruhigten TH. Waren sie nun weitergekommen, oder traten sie auf der Stelle? 91
Auf dem Maierhof angekommen, lief ihnen Herr Waldheim in die Arme. Er schleppte einen Koffer. Frau Waldheim erschien kurz danach. Sie trug eine Tasche. Das Ehepaar machte nach der Begrüßung ein paar höfliche Bemerkungen über ihren schönen Aufenthalt auf dem Bauernhof und verstaute sein Gepäck im Wagen. ‡Wollen Sie wirklich schon weg?" fragte Milli. ‡Wer rastet, der rostet", sagte Herr Waldheim. ‡Wir wollen uns noch ein bißchen anderwärts umsehen." Milli hatte die Vermutung, daß Herrn Waldheims nächtlicher Aufenthalt im Stall mit der plötzlichen Abreise zusammenhing. Vielleicht war es ihm peinlich, daß ihn Milli bei dem Versuch, seine Schlafstörungen zu überwinden, getroffen hatte. Oder die beiden fuhren ab aus Furcht vor weiteren Brandanschlägen, denn den mißglückten Versuch in der Nacht hatte man ihnen nicht verheimlichen können. Frau Obermaier trat auf die Treppe, um sich zu verabschieden. Man schüttelte einander herzlich die Hände, und es gab viele Dankesworte von Seiten der Waldheims. ‡Und noch einmal herzliche Grüße an ihren Mann", sagte Herr Waldheim. Anfahren, Winken. Auf Wie dersehn. Die vier hatten in der Küche Platz genommen. Noch bevor Frau Obermaier erschien, wäre die Mög lichkeit gewesen, nach dem Verdacht gegen die Wald92
heims zu fragen, aber keiner machte den Mund auf. Und Milli war froh, daß alle schwiegen. Noch zu sehr nagte die peinliche Schilderung der Ereignisse der Nacht an ihrem Gewissen. Sie hatte alles schonunglos berichtet, aber wenn jetzt jemand was gesagt hätte, wäre sie in den Boden versunken. Frau Obermaier war fröhlicher Stimmung. Die Anwesenheit der Gäste auf dem Hof hatte ihr Spaß gemacht. Mit Frau Waldheim hatte sie sich gut unterhalten können. Es war ganz eine Frau nach ihrem Geschmack gewesen. Und daß Gäste wieder abfuhren, daran mußte man sich gewöhnen. Ihr waren unterdessen auch noch andere Möglichkeiten eingefallen, die Finanzlage zu verbessern. ‡Was sitzt ihr da und schaut so trüb drein?" Frau Obermaier betrachtete ihre jungen Gäste kritisch. ‡Wie wäre es mit einem Glas Buttermilch?" Außer Tommi, der lieber ein Glas Wasser haben wollte, stimmten alle zu. ‡Ich habe sie extra für euch gekühlt", meinte Frau Obermaier und schenkte ein. Milli meinte: ‡Wir werden schon wieder neue Pensionsgäste bekommen. Das Schild bei Mamma Gina hängt noch. Und wir können auch noch andere Schilder malen." ‡Nun macht euch mal nicht zu viele Sorgen", beschwichtigte Frau Obermaier sie. ‡Und euer Vorschlag, in der Nacht eine Art Feuerwache zu spielen, 93
ich weiß nicht. Was sagen denn eure Eltern dazu?" Das war ein heikler Punkt, den Schräubchen dadurch umgangen hatte, indem sie den Eltern von einem Geschenk berichtete, das man der Familie Obermaier machen wollte. TH fing auch gleich davon an: ‡Ja, wir haben uns da nämlich was ausgedacht, weil wir doch bald Ferien haben, wollen wir einen Nachmittagszirkus ..." Milli unterbrach ihn: ‡Soweit sind wir noch nicht. Wir müssen das alles genau überlegen." Frau Obermaier ließ sich aber nicht so einfach ablenken. ‡Was ihr in den Ferien vorhabt, hat doch mit dem nichts zu tun, daß ihr in der Nacht Wache halten wollt." ‡Das ist überhaupt nicht gefährlich. Wir halten bloß
die Augen auf. Und wenn sich was rührt, wecken wir
Georg", versuchte Tommi zu vermitteln.
‡Ihr dürft nicht glauben, daß ich etwas dagegen habe,
wenn ihr hier übernachten wollt. Aber das mit der
Feuerwache ist mir doch zuviel."
Niemand stimmte ihr zu. Jeder brachte einen ande-
ren Vorschlag, der beweisen sollte, wie harmlos die
Angelegenheit sei.
‡Außerdem teilen wir es auf", meinte Schräubchen
schlau. ‡Es sind immer nur zwei, die Wache halten,
die anderen schlafen zu Hause."
‡Ich finde, wir sollten es Georg und Vater überlas-
sen, etwas zu tun, wenn etwas getan werden muß."
94
‡Georg kann doch nachts die Augen nicht aufhalten", meinte Milli und drehte trotzig an ihrem obersten Knopf. Wenn die Pizza-Bande etwas wollte, dann setzte sie es auch durch. Bevor Milli mit ihrer abendlichen Beschäftigung beginnen mußte, setzten sich die vier in einen Winkel des Hofes und beratschlagten. Zunächst beschwerte sich Milli bei TH, daß er zu früh von dem Kinderzirkus gesprochen habe, den sie in den Ferien auf dem Bauernhof veranstalten wollten. TH verteidigte sich: ‡Es kann doch nichts schaden, schon mal einen kleinen Vorstoß zu machen." Milli sagte darauf: ‡Erst müssen wir selber genau Bescheid wissen. Vorerst ist es nur ein Plan, bis wir alles genau besprochen haben, wie es ablaufen soll." Sie kamen überein, die Zirkuspläne während der Nachtwache zu besprechen. Das würde sie am Ein schlafen hindern. Bei der Nachtwache wurde der Plan geändert. Sie wollten zusammenbleiben. Und so telefonierte jeder nach Hause und schilderte die Anwesenheit auf dem Maierhof als eine hochromantische Angelegenheit. ‡Ein, zwei Nächte zur Übung für die Ferien", schloß Tommi seine weitschweifigen Ausführungen. Schließlich willigten die Eltern ein; und auch die Bedenken der Obermaiers wurden in mühsamer Arbeit zerstreut. Am meisten hatte man mit Georgs Widerstand gerechnet. Der aber nahm die kriminalistische Arbeit der vier 95
nicht ernst, und so schafften sie den Durchbruch nach dem Abendessen. Als es anfing dunkel zu werden, wurde ein geeigneter Standort für die Nachtwache gesucht. Schräubchen machte den Vorschlag, über dem Stall, da wo das Heu lag, den Beobachtungsposten aufzuziehen. Von dort aus hatte man das ganze Vorfeld des Maierhofes im Blick. TH meinte, daß eine bewegliche Nachtwache sicherer sei. Man einigte sich, den einen Vorschlag mit dem anderen zu verbinden. Milli half der Mutter, vier Betten zu beziehen. So konnte man abwechselnd schlafen und Wache halten. Außerdem hatte jeder schon sein Bett für die Ferien. Frau Obermaier stellte noch jedem eine Stärkung für die Nacht bereit. Schräubchen und TH sollten die erste Nachtwache übernehmen. Als im Maierhof die Lichter ausgingen, stand der Mond am Himmel, und keine Wolke zeigte sich. Das Abenteuer konnte beginnen, wenn es denn eines werden würde. Jeder, der sich dem Maierhof näherte, würde ausgemacht werden. Aber würde sich auch einer der Verdächtigen zeigen? Ausgerechnet heute, wo man Wache hielt? TH hielt die Stablampe in der Hand. Für alle Fälle. Schräubchen ging neben ihm. Das Mondlicht tauchte den Hof in eine seltsame Stimmung, halb wirklich, halb unwirklich. 96
‡Du, TH", sagte Schräubchen leise, fast flüsternd, ‡wer, glaubst du, legt die Brände?" ‡Ich weiß es nicht." ‡Es muß jemand sein, der die Obermaiers vom Hof vertreiben will. Aber warum hat es denn an den anderen Stellen in der Stadt gebrannt?" ‡Ablenkungsmanöver", meinte TH. ‡Glaubst du, daß wir mit unserer Zirkusidee soviel Geld verdienen können, daß Obermaiers davon den Stall renovieren können?" TH war zuversichtlich. Es würde einiges zusammenkommen, wenn es gelänge, gute Vorstellungen zu bringen. Die Eltern der Kinder könnten sich auf dem Hof umsehen, selbstgebackenes Brot, Milch und Eier kaufen und natürlich ein Schaf oder ein Kälbchen bewundern, das man vorher erstanden haben würde. Schräubchen war der Gedanke, ein Tier im Stall zu bewundern, das man aufziehen ließ, um es dann zu schlachten, gar nicht recht. Mal sehen, dachte sie, vielleicht kann man auch noch andere Lösungen finden. TH und Schräubchen beendeten ihren Rundgang. Sie legten die Leiter an, um auf den Heuboden über dem Stall zu gelangen, und kletterten nach oben. Der Mond stand leuchtend und rund am Himmel. ‡Gute Aussichten, aber nicht für einen, der sich anschleichen will", war Schräubchens Kommentar. ‡Wer weiß, vielleicht hat auch ein Brandstifter gern Licht bei der Arbeit", sagte TH und brachte etwas 97
Heu näher an die Luke, damit sie es bequemer hätten. ‡Was meinst du, sollen wir nicht die ganze Nacht Wache halten und die anderen schlafen lassen?" fragte Schräubchen. ‡Erst einmal müssen wir zwei Stunden durchhalten." Sie fingen mit dem Durchhalten an. Rund zehn Minuten starrte jeder nach draußen, um ja jede kleinste Regung wahrzunehmen. Dabei sprachen sie fast nichts. ‡Du, TH, glaubst du, daß hier oben Mäuse sind? Es hat ein paarmal so geraschelt." TH hatte das auch gehört. Und obwohl nicht viel Aussicht bestand, Mäuse mit der Taschenlampe zu finden, falls welche da waren, fing TH an, mit der Taschenlampe überall herumzuleuchten. ‡Du mußt aber weiter nach draußen schauen", meinte Schräubchen. ‡Das mach' ich schon", sagte TH. Er suchte weiter und stöberte eine Katze auf, die fauchend das Weite suchte, als er sich ihr näherte und ihr ins Gesicht schien. Schräubchen erschrak, als die Katze an ihr vorbeizischte, denn ihre Aufmerksamkeit war ganz nach draußen gerichtet gewesen. Dann lachten beide. ‡Jetzt bist du beruhigt", sagte TH. Er wollte gerade die Lampe wieder ausmachen, als er etwas Schwarzes blitzen sah. Eine Sonnenbrille. TH hielt sie hoch. ‡Was macht denn eine Sonnenbrille hier oben?" wunderte sich Schräubchen. Das war tatsächlich keine so schlechte Frage. 98
Ein Verdacht
verdichtet sich
Die Sonnenbrille im Heu war das einzige Erfolgserlebnis der Nacht. Aber es fiel allen nicht schwer, sich den Mann vorzustellen, dem sie gehören konnte, den Hut darüber und so weiter, denn niemand auf dem Hof hatte jemals eine solche Sonnenbrille besessen, noch war jemand den Obermaiers bekannt, der sie im Heu verloren haben könnte. Die vier waren froh, daß der Verdacht sich nicht mehr gegen die beiden jungen Leute richtete, die offenbar nichts anderes im Sinn hatten, als friedlich zu zelten. Die Nachtwachen mußten fortgesetzt werden. Wenn der Herr mit Hut schon einmal bei ihnen im Heu herumgekrochen war, würde er wiederkommen, um sein Werk zu vollenden. Und daß er da im Heu kein Sonnenbad nehmen wollte, war allen klar. Vielleicht hatte Milli ihn in der Nacht, in der sie Herrn Waldheim gefolgt war, oben aus dem Heu verscheucht. Und die Brandfackel, die er hatte schleudern wollen, hatte er wegen des Hundegebells fallenlassen. Unentdeckt hätte er in dieser Nacht nicht entkommen können, das war ihm wohl klar gewesen, deshalb hatte 99
er die bereits angezündete Fackel wieder ausgemacht. Zum Glück hatte der durch das Haus geisternde Herr Waldheim Milli geweckt. Wie nah sie vielleicht gerade in jener Nacht einem Brand gewesen waren, machte sie schaudern. Die nächsten Nächte vergingen mit nervendem Warten und immer wieder unterbrochenem Schlaf. Nichts geschah, außer daß der Mond einmal alles in ein unwirkliches Licht tauchte und dann wieder hiner Wolken versteckt blieb. Manchmal stob eine der vielen Katzen vor ihnen davon, drehte ein paar Runden, kam näher und wollte gestreichelt werden. Das Pony stand die ganze Zeit auf der Wiese und sah jedesmal zu ihnen herüber, wenn sie vorbeigingen. Milli streichelte es versonnen und sprach ein paar Worte lüsternd mit ihm. In der Schule fiel es ihnen von Tag zu Tag schwerer, nicht einzuschlafen. Tagsüber zu schlafen, war unmöglich, weil sie die Gegend systematisch nach dem fremden mit Hut abkämmen mußten, der wahrscheinlich ohne Sonnenbrille auftauchen würde, weil er die ja verloren hatte. Die Schularbeiten machten sie gemeinsam am großen Tisch der Familie Obermaier. Dies machte ihnen ein solches Vergnügen, daß sie überlegten, ob daraus nicht eine ständige Einrichtung werden könnte. Wenn Tommi seinen Eltern helfen mußte, taten sie auch das gemeinsam, was aber keineswegs neu war, 100
denn darin hatten alle reichlich Übung. Nele, die ihre Eltern gegen Tommis Fernbleiben aufzuhetzen begann, wurde damit beruhigt, daß man ihr versprach, sie im kommenden Sommerzirkus auf dem Maierhof als Hilfsclown einzusetzen. Schräubchen trat reichlich lustlos in die Pedale. Sie hatte ihre Strecke schon siebenmal abgefahren, ohne auch nur einen Schatten von dem Kerl zu Gesicht zu bekommen. Vielleicht hatte Tommi mehr Glück. Er wartete an der alten Volksschule auf sie, um sie abzulösen. Dann würde er zwei Stunden die Augen aufhalten müssen und immer wieder auf Kleinigkeiten hereinfallen. Wenn man etwas sehen will, zwei Stunden lang, spielt irgendwann die Schaltung im Kopf verrückt, man sieht etwas, was so, wie man es sieht, gar nicht da ist. In der Bahnhofsgegend hatte Schräubchens Herz wie wild zu schlagen begonnen, als sie einen Herrn mit Hut sah, der genauso ging wie der Fremde, den sie suchte. Sie hatte sich vorsichtig von der rechten Straßenseite auf die linke gemogelt, um ihm näher zu kommen, jederzeit darauf bedacht, möglichst schnell in Deckung gehen zu können, wenn er es tatsächlich gewesen wäre. Aber er war es nicht. Wenn sich der Kerl nicht in Luft aufgelöst hatte, wo war er dann? Sollten sie sich vielleicht alle irren mit ihrem Verdacht? War er weg? Einfach abgefahren wie nach einem kleinen Schabernack? Vielleicht hatte es 101
im Spaß gemacht, hier und da mit dem Feuer zu spielen. Und wenn er nicht ganz richtig im Kopf war? Es hatte seit Tagen an keiner Stelle in der Stadt auch nur den kleinsten Brand gegeben. TH sah allerdings darin einen Hinweis, daß es jeden Augenblick auf dem Maierhof ernst werden könnte. Es würde in jedem Fall gut sein, den Kerl aufzuspüren, sein Quartier ausfindig zu machen, dann könnte er nicht mehr so unvermutet auftauchen; man hätte ihn am langen Arm, könnte sogar die Polizei einschalten, wenn der Verdacht sich verdichtete. Aber jetzt, da niemand wußte, wo er steckte, war der Kerl eindeutig im Vorteil. Schräubchen überlegte, ob sie bei Mamma Gina vorbeifahren sollte, um da vielleicht eine Cola zu trinken und ihren überanstrengten Augen etwas Ruhe zu gönnen. Aber dann dachte sie, daß Tommi auf sie warten würde, um sie abzulösen. Vielleicht fahre ich nachher vorbei, wenn Tommi die Runde macht, dachte sie. Den Carottis war die lange Abwesenheit ihres Sohnes gar nicht recht. Sie würde vermitteln müssen. Und renn gutes Zureden nicht mehr half? Auch die Wagners wollten Schräubchen allmählich wieder mehr im Haus haben. Wie konnte man den Eltern nur begreifich machen, daß jetzt aufgeben höchst gefährlich sein könnte? Sie beschloß, ihren Durst auf dem Maierhof zu stillen. Wenn es wieder kalte Buttermilch gäbe, wäre das auch nicht schlecht. 102
Da, spielten ihre Augen jetzt total verrückt? In der letzten Runde noch einmal eine Sinnestäuschung? Sie wäre fast vom Fahrrad gefallen, weil sie sich die Augen rieb. Es war keine Sinnestäuschung. Es war der Kerl, den sie seit Tagen suchten. Er trug seinen Hut. Und eine neue Sonnenbrille hatte er sich auch wieder besorgt. Er ging langsam, eher schlendernd. Es bestand kein Zweifel, daß er es war. Schräubchen ließ etwas mehr Abstand zwischen sich und dem Herrn mit Hut, aber nicht soviel, daß er ihr entwischen konnte. Er ging an dem Eiscafe vorbei, ließ seinen Blick über die Leute streifen, die davor an ein paar kleinen Tischen saßen. Nach drei, vier Schritten hatte er es sich offenbar anders überlegt, drehte um und setzte sich an einen noch freien Tisch. Schräubchen sprang vom Fahrrad und machte, daß sie auf der gegenüberliegenden Seite in einen Hauseingang kam, denn es konnte ja immerhin sein, daß der Kerl sie erkannte. Zwar war ihre Begegnung nur kurz gewesen, aber an ihre Begegnung am Morgen nach der Nachtwanderung konnte er sich vielleicht noch erinnern. Er saß da, zog den Hut nicht ab und ließ auch die Brille auf der Nase. Er sah tatsächlich aus, als wäre er einem Krimi entsprungen. Für jemanden, der nicht auffallen wollte, war er ziemlich auffallend. Andererseits war sein Gesicht durch den Hut und die Brille geschützt. Aber ohne diese würde man es sicher 103
schwerhaben, ihn wiederzuerkennen. Die Bedienung brachte ihm ein Eis, das er anfing, gemächlich zu verzehren. Was mach' ich nur, dachte Schräubchen, Tommi wartet doch auf mich. Ob er vielleicht so schlau war, die Route ohne sie abzufahren? Das würde Tommi nicht machen. Aber hier konnte sie auf keinen Fall weg, auch wenn der Kerl noch eine Stunde bei seinem Eis sitzen würde. Es sah nicht so aus, als hätte er es eilig. Schräubchen trat von einem Fuß auf den anderen, Ihr Versteck war gut, wenn sie auch einer alten Frau die Einkaufstasche halten mußte, während diese nach dem Schlüssel suchte. ‡Suchst du jemand?" fragte die Frau, als sie den Schlüssel gefunden hatte. ‡Nein", sagte Schräubchen, ‡ich warte hier auf meinen Freund." Die alte Frau verschwand, und Schräubchen mußte lachen. Sie hatte während der ganzen Zeit den Herrn gegenüber keine Sekunde aus den Augen gelassen. Der würde ihr nicht entkommen. Nachdem er seinen Eisbecher leergekratzt hatte, ließ er sich eine Zeitung bringen und vertiefte sich für eine Weile darin. Er schlug die Beine übereinander und schien sich sichtlich wohl zu fühlen. Vielleicht war sein Plan reif, und er genoß es, so nah vor seinem Ziel zu stehen. Schräubchen hätte wer weiß was darum gegeben, in seinen Kopf hineinschauen zu können, der 104
ab und zu hinter der Zeitung auftauchte. Was mochte er vorhaben? Dann bezahlte er endlich, stand auf und ging. Schräubchen folgte ihm in sicherem Abstand. Sie setzte sich nicht auf das Fahrrad, weil es ihr günstiger schien, es zu schieben. Sie konnte sich jederzeit über das Fahrrad beugen und so tun, als sei etwas zu reparieren, wenn er sich umdrehte. Nicht einmal das tat er. Er ging gemächlich auf die Strandpromenade zu und schlenderte ein Stück am See entlang, aber keineswegs wie einer, der seinen Verfolger abschütteln will. Schräubchen fiel es am See weniger leicht, ihm zu folgen. Da er sich aber bisher kein einziges Mal umgesehen hatte, setzte sie sich wieder auf das Fahrrad, ließ etwas mehr Abstand und holte erst wieder auf, als er sich den beiden Hotels näherte. In eines ging er hinein. Es war das Hotel Seeblick. Wohnte er da? Wie würde sie das herausbekommen? Und wenn er sich in die Hotelhalle setzte, um sie zu täuschen? Schräubchen blieb eine Weile unschlüssig stehen und kaute auf ihrer Unterlippe. Was sollte sie tun? Hineingehen war nicht ganz ungefährlich, wenn er nun dasaß und auf sie wartete. Hatte sie ihm tatsächlich völlig unauffällig folgen können, oder war ihm ihre Verfolgung aufgefallen, hatte er sich deshalb nicht umgedreht, um sie in Sicherheit zu wiegen? Sie war einigermaßen fest davon überzeugt, daß er keinen Verdacht geschöpft haben konnte. Um so weniger durfte 105
sie jetzt einen Fehler machen. Aber hier einfach stehenbleiben ging auch nicht, schon deshalb, weil er in seinem Zimmer hinter dem Fenster stehen konnte. Sie mußte herausbekommen, ob er in dem Hotel wohnte. Und wer wußte das? Der Portier. Aber der würde nicht so ohne weiteres darauf antworten wollen. Sie mußte sich etwas ausdenken. Sie überlegte fieberhaft, hüpfte hin und her und kam immer näher an den Eingang des Hotels heran. Dabei dachte sie an Tommi, der auf sie wartete. Sie stieß die Hoteltür auf, weil sie von außen nicht hatte hineinsehen können, denn schwere Vorhänge versperrten die Sicht. Es war gefährlich, was sie machte. Wenn er nun da saß? Aber die kleine Empfangshalle war leer. Und was jetzt? Schnell hindurchschlüpfen, um in die oberen Räume zu gelangen? Und dann? Sie wußte ja nicht, welches Zimmer der Kerl bewohnte. ‡Was kann ich für dich tun, mein Fräulein?" kam eine Männerstimme hinter einem Blumenstrauß an der Rezeption hervor. Der Mann, der sie angesprochen hatte, trat vor und stützte seine Arme auf. ‡Ich ...?" Schräubchen trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. ‡Ich wollte mal was fragen." ‡Ja?" ‡Ist nicht hier vor ein paar Minuten ein Mann hereingekommen?" ‡Hier kommen viele Männer herein, auch Frauen. Das ist nun mal so in einem Hotel. Wie hieß denn der Mann?" 106
‡Das weiß ich nicht." Da kam Schräubchen der rettende Gedanke. Sie kramte aus ihrer Tasche einen Schlüssel hervor, ihren eigenen, und hielt ihn hoch. ‡Kann es sein, daß der Herr den verloren hat?" fragte sie. ‡Woher soll ich das wissen, wenn du nicht einmal weißt, wie er heißt." ‡Aber wie er aussieht, weiß ich. Er trägt einen Hut und eine Sonnenbrille. Und er ist vor ein paar Minuten hier hereingegangen." ‡Das könnte Herr Grabner sein. Der ist vor ein paar Minuten hereingekommen. Und einen Hut trägt er auch. Das ist ungewöhnlich bei dem Sommerwetter. Da hast du recht. Moment mal, ich werde ihn fragen, ob er einen Schlüssel verloren hat." ‡Kann ich das nicht selber machen?" Schräubchen tat so bescheiden, daß sie sich fast in Luft auflöste. ‡Du willst wohl die Belohnung kassieren, wenn er ihn wirklich verloren hat. Also meinetwegen. Er ist gerade erst nach oben gegangen. Versuch es mal. Er wohnt auf Zimmer 18." Schräubchen flitzte die Treppe hoch. Auf der ersten Etage huschte sie erst die eine Seite entlang, rechts von der Treppe. Das war falsch. Nummer 18 war auf der linken Seite. Gut, hinter der Tür war er also. Natürlich wollte sie ihn nicht besuchen. Sie entfernte sich auch schnell wieder von der gefährlichen Tür. Ein bißchen verschnaufen mußte sie schon. Ihr Herz klopfte. Sie 107
ging ganz langsam wieder auf die Treppe zu. Gerade so viel Zeit mußte verstreichen, daß sie den Herrn Grabner hätte fragen können, ob er den Schlüssel verloren hatte. Schräubchen war mächtig stolz auf sich, Erstens wußte sie, wie der Kerl hieß, und zweitens wußte sie auch noch, wo er wohnte. Zimmer Nr. 18 ng nach vorne hinaus zum See. Das würde sie den anderen sagen. Zuerst langsam, dann schneller ging sie Treppe hinunter. ‡Na, hatte er ihn verloren?" fragte der Mann an der Rezeption. ‡Es war ein Irrtum. Aber es hätte ja sein können. Er hat im Cafe gesessen. Und als er aufstand, lag der Schlüssel unter seinem Stuhl. Da hab' ich gedacht..." ‡Ganz recht. Wenn er ihn nicht verloren hat, dann ist alles in Ordnung." ‡Dankeschön noch mal." Schräubchen hatte es eilig, wieder draußen zu sein. Und im Hinausgehen rief sie noch: ‡Ich werde ihn ins Fundbüro bringen" und dachte gleich darauf, was für ein Blödsinn. Aber da war sie auch schon draußen, rannte auf ihr Fahrrad zu, schwang sich darauf und raste los in Richtung alte Volksschule. Hoffentlich wartete Tommi noch. Tommi stand an sein Fahrrad gelehnt da und sah so aus, als habe er etwas verschluckt, was ihm im Hals eckengeblieben war. Schräubchen sah, daß er sehr schlechter Laune war. 108
‡Du brauchst dich gar nicht zu beeilen", rief sie ihm außer Atem zu. ‡Ich weiß alles. Wie er heißt und wo er wohnt." Tommi staunte nicht schlecht über all das, was Schräubchen ihm berichtete. Sein mürrisch verzogenes Gesicht hellte sich auf; wenn nicht gerade ein Strahlen, so kam doch ein überlegenes Grinsen in sein Gesicht. ‡Wir haben ihn, wir haben ihn!" sagte er und schlug auf seinen Fahrradsattel. ‡Wenn wir ihn beobachten, wissen wir, was er treibt", ergänzte Schräubchen. ‡Am besten, ich fahr' gleich hin." Tommi war voller Tatendrang. Schräubchen nannte ihm noch einmal den Namen des Hotels und sagte ihm, daß Herr Grabner ein Zimmer mit Seeblick hatte. ‡Wenn ich richtig gezählt habe, ist sein Fenster das dritte von rechts, wenn du vor dem Hotel stehst. Hinter dem Hotel sind Autos geparkt, also wird es einen zweiten Ausgang geben. Du mußt beide im Auge behalten. Auch wenn er kein Auto hat, kann er leicht den Hintereingang benutzen." ‡Ich werde das schon machen." Tommi war ungeduldig und wollte weg. ‡Sag den anderen Bescheid, daß mich einer ablöst." Und damit war Tommi auch schon fast verschwunden. Schräubchen machte sich auf den Weg zum Maier hof, um mit Milli und TH die neue Lage zu besprechen. Wenn die Bewachung am Hotel funktionierte, 109
konnte man sich auf dem Maierhof ruhig schlafen legen. Oder war das zu gefährlich? Schräubchen überlegte, ob sie von ihrem Sondereinatz mit dem Schlüssel berichten sollte. Tommi hatte sie vorsichtshalber nichts davon gesagt. Daß er nicht gefragt hatte, wie sie die Zimmernummer und den Namen herausgefunden hatte, lag an seiner Aufregung. Es war wohl besser, davon zu erzählen. Wenn sie irgendwo einen Fehler gemacht hätte, dann würden die anderen ihn finden. Im Grunde konnte sie doch stolz ein auf ihren guten Einfall. Immerhin wußten sie jetzt Name und Zimmernummer. Für die Überwachung war das jedenfalls günstiger, beschwichtigte sie ihre Bedenken. Milli war im Stall, als Schräubchen ankam, und TH aß über den Schularbeiten. Schräubchen war viel zu aufgeregt, um lange mit ihrem Bericht warten zu können. Sie lief in den Stall und setzte Milli mit ein paar gezielten Bemerkungen derart unter Spannung, daß sie ihrem Vater zurief, sie müsse kurz weg, käme aber gleich wieder. TH war inzwischen an den Brunnen im Hof getreten, auch er war neugierig, und Schräubchen begann in aller Ausführlichkeit ihre Erzählung. Ein eifriges Plä neschmieden begann, als Schräubchen ihren Bericht beendet hatte. Sie hatte auch die Geschichte mit dem Schlüssel erzählt. Vorerst war sie gut aufgenommen vorden. 110
Die Zeit war knapp. Die Schulaufgaben standen an. Milli hatte noch eine Stunde im Stall zu tun. Wenn Schräubchen half, ging es schneller. Tommi mußte abgelöst werden. War die Bewachung nötig? Kurz nach Mitternacht sah die Lage so aus: Milli hatte die Bewachung des Hotels übernommen. Zur Sicherheit hielt Tommi Wache auf dem Maierhof. Schräubchen lag angezogen auf ihrem Gästebett, während TH neben dem Telefon schlief. Der Mond stand in seiner abnehmenden Phase am Himmel, keine Wolke trübte seinen Schein, und Tommi hatte von seinem Beobachtungsposten aus eine gute Fernsicht. Als das Telefon klingelte, schreckte TH zusammen, griff aber sogleich nach dem Hörer und meldete sich verschlafen. Milli war am anderen Ende der Leitung und berichtete, Herr Grabner habe soeben das Hotel verlassen. Milli hatte ihn überholt. Sie stehe jetzt in einer Telefonzelle und würde so schnell wie möglich zum Maierhof kommen. TH sprang auf und weckte Schräubchen. Schnell waren sie bei Tommi angelangt und peilten die Lage. Bald darauf sahen sie Milli über die Landstraße schießen. Sie kam im Hof an und warf ihr Fahrrad einfach hin, dann besann sie sich, stellte es zu den anderen. Völlig außer Puste kam sie bei den dreien an. 111
Jetzt hieß es warten, bis Herr Grabner auftauchte. Sie waren sicher, daß es bald geschehen würde. Die Spannung wuchs. Sie redeten kaum ein Wort.
Die Entscheidung
Doch wer nicht kam, war Herr Grabner. Und so waren sie schließlich nach langen Stunden vergeblichen Wartens alle vier eingeschlafen. War ihnen ein Fehler unterlaufen, der Herrn Grabner mißtrauisch gemacht hatte? Oder waren sie am Ende doch hinter dem falschen Mann her? In der Schule war es ein Elend, ihnen nur zuzuschauen, wie sie sich mühsam aufrecht hielten. Die Lehrer beschwerten sich über ihre wirren Antworten und die schlechte Beteiligung am Unterricht. Als sie am Nachmittag erfuhren, daß es in der Nähe der Burg gebrannt hatte und die Feuerwehr vier Stunden gebraucht hatte, um den Brand zu löschen, beschlossen sie, die Polizei aufzusuchen. Hatten sie nicht vorzüglich gearbeitet? Die Polizei brauchte doch nur noch ins Hotel zu gehen und Herrn Grabner zu verhaften. Wachtmeister Moll empfing sie und schaute jeden einzelnen lange und etwas ratlos mit seinen jeansblauen Augen an. Schon bald erklärte er sich für nicht zuständig, Inspektor Mauser bearbeitete den Fall. 112
Inspektor Mauser ließ sich Zeit, bevor sein graues Gesicht ihnen mürrisch entgegenblickte. Auch er hatte in der Nacht nicht viel geschlafen. Daß er am Tatort besonders erfolgreich gewesen sei, konnte nicht behauptet werden. ‡So einfach ist das nicht", war das erste, was er vorbrachte, nachdem die vier sich alle Mühe gegeben hatten, ihn freundlich zu stimmen. ‡Wir wissen aber, daß nur Herr Grabner der Brandstifter sein kann", entfuhr es Schräubchen ein wenig zornig. Ihren Blick ließ sie hilflos zur Decke wandern. ‡Und woher wollt ihr das wissen?" Inspektor Mauser fingerte nervös an seiner Stirn herum. ‡Weil wir ihm gefolgt sind. Und weil er immer da auftaucht, wo es brennt", meinte TH lakonisch. ‡Da ist er nicht der einzige", war Inspektor Mausers Antwort. ‡Die beiden jungen Leute sind unschuldig", konterte Milli, etwas verlegen, weil sie ja beinahe die erste gewesen war, das junge Pärchen in den Verdacht zu bringen. ‡Um es noch einmal zu sagen", leitete Inspektor Mauser seine Abschiedsworte ein, ‡so einfach, wie ihr euch das vorstellt, ist es nicht. Es gibt keine Beweise. Und das ist wichtig. Ohne Beweise zu haben, kann man nicht die Wohnung eines Menschen durchsuchen. Wir können uns den Mann vornehmen, können ihn im Auge behalten. Das ist alles." Er ließ sich den Namen geben und das Hotel und 113
notierte beides auf einen Zettel, den er in der Hand hielt, ehe er verschwand. Wachtmeister Moll zuckte mit den Schultern, lächelte etwas verlegen, verabschiedete sich aber wenigstens sehr freundlich von den vier Freunden, die müde und niedergeschlagen nach draußen trotteten zu ihren Fahrrädern. ‡Und was jetzt?" wollte Milli wissen. ‡Wenn die Polizei nicht kann, wir können", trompetete TH vielleicht eine Spur zu siegesgewiß. Sie sahen sich an, dann lachten sie mit ihren müden Gesichtern. ‡Wenn ich noch eine Nacht durchmachen muß, fall' ich um", meinte Milli. ‡Ich fall' schon gleich", sagte Tommi. ‡Eben!" Schräubchen schien TH's Gedanken weiterzuspinnen. ‡Dann besuchen wir den Herrn doch mal in seiner Behausung." ‡Und dann?" wollte Tommi erschrocken wissen. ‡Natürlich müssen wir warten, bis er das Hotel verläßt." TH's Vorschlag belebte sie. ‡Und dann suchen wir die Beweise." Schräubchen beugte sich übertrieben nachsichtig zu Tommi hin. Nach diesen Worten schwangen sie sich auf ihre Fahrräder und machten sich auf den Weg zum Hotel Seeblick. Dort angekommen, beschlossen sie, nicht länger zu warten und in Herrn Grabners Abwesenheit dessen Zimmer zu untersuchen. Einer von ihnen, das sollte 114
Tommi sein, mußte sich in der Rezeption nach dem Schlüssel für Nummer 18 umsehen. War der Schlüssel da, würde Herr Grabner nicht in seinem Zimmer sein. Tommi sollte dann in das Zimmer eindringen. Schräubchen, TH und Milli hingegen hatten sich zwischen zwei geparkte Autos gezwängt und beobachteten durch die Scheibe des vorderen Wagens den Hintereingang des Hotels. Tommi betrat mit zur Schau getragener Ruhe den Vordereingang des Hotels, die Frage auf den Lippen, ob denn noch ein Doppelzimmer frei sei, für ihn und seine Eltern. Aber die Rezeption war leer. Und auch in den Sesseln davor saß niemand. Rasch, mit zitternder Behendigkeit vergewisserte sich Tommi, daß der Schlüssel von Zimmer 18 dahing. Ihn sehen und ihn an sich reißen war beinahe eins. Der weiche Teppich verschluckte seine Schritte. Zitternd vor Erregung eilte er zum Hinterausgang und winkte den anderen zu. Sie sollten kommen. Er winkte, aber sie schienen ihn nicht zu verstehen. Rufen konnte er nicht. Endlich löste sich Milli als erste aus dem Versteck. Und dann stoben sie alle hervor und rannten auf den Hintereingang zu. Keine Sekunde zu früh, wie Tommi bemerkte. Hinter der Treppe rief eine Stimme: ‡Paula." Aus dem Keller kam die Antwort: ‡Komme gleich." Ohne auf die anderen zu achten, rannte Tommi, den Schlüssel in der Hand, die Treppe hoch. Auf der ersten Etage flitzte er, genau wie Schräubchen vor einigen Tagen, zuerst 115
rechts entlang. Das war falsch. Also auf die linke Seite. Atemlos, genau wie Tommi, hetzten die anderen die Treppe hoch. Auch hier schluckte ein weicher Teppichbelag jeden Laut. Ohne ein Wort zu sagen, erreichten sie Nummer 18. Tommi schloß die Tür auf. Sein Herz schlug ihm bis in den Hals. Als sie alle vier im Zimmer waren, schloß Tommi von innen ab. In dem Moment atmete jeder aus, so daß es fast ein wenig zischte. Vor Erleichterung mußten sie lachen. Nur Schräubchen hielt sich vor Schreck den Mund zu. Und Milli kniff sich in den Bauch. Sie sahen sich im Zimmer um, jeder starr von seinem Platz aus, als fürchteten sie, Herrn Grabner gleich durch die Tür kommen zu sehen. Schräubchen prüfte, ob auch wirklich verschlossen war. Es war. Der Schlüssel baumelte leicht nach der Berührung. TH ging auf das Handtuch zu, das über der Nachtleuchte ausgebreitet lag. ‡Vorsicht, nichts anfassen", warnte Milli. ‡Das werden wir schon müssen", knurrte Tommi und ging auf den Schrank zu. Das Zimmer war aufgeräumt und wirkte leer. So warteten alle und sahen gespannt Tommi zu, als er den Schrank öffnete. Zwei Anzüge hingen da, einer mit dem zerrissenen Hosenbein. Hemden lagen säuberlich aufgeschichtet in einem Fach. Daneben Socken und Unterwäsche. Hut war keiner da. Vielleicht trug er den. Zwei paar Schuhe 116
standen in Reih und Glied. Daneben lag zusammengerollt etwas Helles. Der Mantel. TH, der neben Tommi getreten war, hob den Mantel auf. Er hatte dunkle Flecken am Rücken und an den Ärmeln. ‡Riecht verbrannt", meinte Tommi, als er seine Nase wieder aus dem Stoff zurückzog. ‡Dann ist das vielleicht schon mal ein Beweis", meinte Schräubchen mit Angriffslust, die sich offenbar gegen die Ausführungen von Inspektor Mauser richtete. Sie nahm den Mantel, drehte ihn zu einer Wurst zu sammen und klemmte ihn sich unter den Arm. ‡Willst du den mitnehmen?" fragte Milli. ‡Klar. Beweise!" Schräubchen grinste. ‡Viel ist das nicht." Tommi drehte sich ratlos auf der Stelle. ‡Wir sind ja auch noch nicht fertig", behauptete Milli gutgelaunt. Aber es gab nicht viel Gelegenheit, zu suchen. Ein kleiner Schreibtisch, ebenfalls mit einer Lampe versehen, stand an der Stirnseite neben dem Fenster. Der Schreibtisch war leer. Sie suchten im angrenzenden kleinen Badezimmer nach irgendwelchen Beweisen, die auf einen Brandstifter schließen ließen, aber sie fanden nichts weiter als einen Rasierapparat, eine Tube Zahncreme, eine Zahnbürste und neben dem Wasserhahn ein Stück Seife. ‡Und wenn er jetzt kommt?" stieß Tommi aufgeregt hervor. 117
‡Jemand muß raus und uns warnen. Sonst sitzen wir
in der Falle."
Nur wer? Jeder hatte eine andere Entschuldigung.
‡Wir beeilen uns", sagte Schräubchen hastig.
‡Es ist doch noch auffälliger, wenn draußen jemand
steht", gab Milli zu bedenken.
Also wollten sie sich beeilen, um möglichst rasch
wieder verschwinden zu können. Aber Tommis Be-
merkung hatte die Angst wieder wachgerufen, die sie
über der Sucherei beinahe vergessen hatten.
Schräubchen hob zum dritten Mal die Unterlage auf
dem Schreibtisch hoch, um wie auch vorher nichts zu
finden. Tommi ging ins Badezimmer zurück und
suchte unter dem Handtuch. Nichts. Es war die Auf-
regung, die sie antrieb und immer hastiger machte.
Milli versuchte noch einmal ihr Glück im Schrank,
kramte in den Hemden und in der Unterwäsche. Aber
auch da war nichts versteckt. Ihre Hände zitterten. Sie
lauschte nach draußen. Es war nichts zu vernehmen.
‡Der Koffer!" TH schrie fast. ‡Der Mann muß doch
einen Koffer haben."
Sie sahen ihn nicht. Wieder setzte sich das Geschie-
be in Gang. Einer behinderte den anderen in dem
nicht allzu großen Zimmer. Aber plötzlich sahen sie
fast alle gleichzeitig die Tapetentür neben der Ein-
gangstür. TH erreichte sie als erster und wollte sie öff-
nen. ‡Zu", hauchte er fast.
Schräubchen trat näher und sah durch den Schlitz.
118
‡Hat jemand ein Messer?" fragte sie.
TH reichte ihr seins. Und es dauerte nicht lange, da
ließ sich ein leichtes Knacken vernehmen. Die Tür
sprang auf. Dahinter stand der Koffer.
‡Hoffentlich ist er nicht abgeschlossen", wisperte
Schräubchen.
Er war es nicht. Sie öffneten ihn und fanden drei
Pechfackeln von der Art, wie sie bereits zwei gefunden
hatten. Ansonsten war der Koffer leer. Schräubchen
packte die Fackeln zu dem Mantel unter den Arm. TH
ließ den Koffer wieder zuschnappen und stellte ihn
zurück. Die Tapetentür ließ er angelehnt.
Da kam ein leiser Aufschrei von Tommi, der vor
dem Schreibtisch saß und zerknülltes Papier aus dem
Papierkorb gefischt hatte. ‡Das is'n Ding", sagte er
und setzte sich in Positur, um von dem Blatt zu lesen,
das er glattgestrichen hatte:
Sehr geehrter Herr Direktor,
hocherfreut schreibe ich Ihnen dies in der Gewißheit,
daß bald alles zu Ihrer 'Zufriedenheit gelöst sein wird.
Der Maierhof wird zum Verkauf bereitstehen, wenn
erst...
Die Türklinke wurde heftig heruntergedrückt, danach folgten drei kräftige Schläge an die Tür. Eine Männerstimme rief erregt: ‡Aufmachen, sofort aufmachen!" Sie standen alle um Tommi herum, weil sie hatten mitlesen wollen. Tommis Hand zitterte. Und auch den 119
anderen saß der Schreck mächtig in den Knochen. ‡Nicht aufmachen", flüsterte Milli. ‡Wir können doch nicht aus dem Fenster springen",
hauchte Schräubchen.
Wieder ein energisches Poltern und Rütteln an der
Tür.
‡Sofort aufmachen!" brüllte die wütende Männer-
stimme hinter der Tür.
TH ging auf die Tür zu, um sie zu öffnen. Er tat
dies in einer Haltung, als sei das sein letzter Gang.
Kaum hatte TH den Schlüssel umgedreht, da stand
Herr Grabner mit zitternden Lippen und fleckigem
Gesicht vor ihnen. Seine Sonnenbrille war verrutscht.
Er sah elend aus.
‡Raus", schrie er. ‡Auf der Stelle verlaßt ihr mein
Zimmer." Er drehte sich wild um, als suche er etwas
festzuhalten, ohne zu wissen, was. ‡Nein, hiergeblie-
ben, ich rufe die Polizei."
‡Die wird sich freuen", antwortete TH mit einem
Zittern in der Stimme.
Vielleicht waren es die Beweise unter ihrem Arm,
der Mantel und die drei Fackeln, die Schräubchen Si-
cherheit gaben, denn sie sagte ohne erkennbare Aufre-
gung: ‡Sie können uns anzeigen, weil wir in ihr Zim-
mer eingedrungen sind."
Sah Herr Grabner die Beweise erst jetzt unter ihrem
Arm? Seine nervöse Unruhe und heftige Erregung fan-
den einen Grund. Er stürzte auf Schräubchen zu. Mil 120
li, die dazwischen stand, erschrak bei dem heftigen Vorstoß so sehr, daß sie ihr Bein vorschnellen ließ, um sich zu schützen. Herr Grabner fiel beinahe hin, stolperte weiter und hatte Schräubchen fast erreicht, die vor Schreck wie angewurzelt dastand. ‡Darf man erfahren, was hier vorgeht?" Es war Inspektor Mauser, der seelenruhig eintrat und sich als Angehöriger der örtlichen Polizei auswies. Herr Grabner erschrak so sehr, daß er die Stimme verlor. Krächzend sagte er: ‡Nichts, es ist nur ein Spiel." ‡Und welches Spiel wird hier gespielt?" wollte Inspektor Mauser ungerührt wissen. ‡Dieser Mann ist der Brandstifter", sagte Tommi streng. Er hielt den Brief hoch. ‡Das ist der Beweis. Er hat alles aufgeschrieben." Und als sei es damit nicht genug, berührte er mit der anderen Hand die Beweise, die Schräubchen unter dem Arm hielt. ‡Das ist ein Mißverständnis, ein ganz großes Mißverständnis", klagte Herr Grabner tonlos. Er war erschöpft auf einem Stuhl zusammengesunken, richtete sich aber jetzt auf. ‡Ich bitte Sie, Herr Inspektor, es ist alles nur ein dummer Scherz, ein sehr dummer", jammerte Herr Grabner. ‡Und wenn Sie den Maierhof in Brand gesetzt hätten, wäre Ihnen Ihr Herr Direktor wohl ..." Tommi wurde unterbrochen durch das Auftauchen des Hotelbesitzers. Inspektor Mauser beruhigte diesen. ‡Ich den ke, es wird das beste sein, wir begeben uns allesamt 121
zur Polizeiwache", sagte er. ‡Ich auch?" wollte der Hotelbesitzer wissen. Er beruhigte sich, als Inspektor Mauser seine Anwesenheit dort nicht für nötig hielt. ‡Schließen Sie nur alles gut ab, und lassen Sie keinen herein", sagte Inspektor Mauser. Eifrig machte der Hotelbesitzer sich daran, diese Anweisung zu befolgen, nachdem Herr Grabner und die vier das Zimmer geräumt hatten. Auf der Treppe fragte Inspektor Mauser: ‡Und ihr, wie seid ihr in das Hotelzimmer gekommen?" Das war eine Frage, die jeder von ihnen gern so ausweichend wie möglich beantwortet hätte. Wie gern hätten sie gesagt, Herr Grabner habe sie eingeladen. Aber das hatte er nicht. Dafür lenkte er in diesem Augenblick von der Beantwortung der Frage ab, indem er einen kleinen, hilflosen Fluchtversuch machte. Inspektor Mauser brauchte drei, vier ausholende Schritte, um ihn wieder einzufangen. Mit hängenden Schultern ließ er sich abführen. Es war überhaupt ein Elend mit ihm. In den nächsten Tagen stand in der Zeitung, wie er in all das hineingeraten sei. Er habe nach seiner Entlassung seinen Direktor wieder günstig stimmen wollen. Den Maierhof habe er anzünden wollen, um seiner Firma das Geschäft zu ermöglichen. ‡Auch wenn er verrückt ist", sagte Schräubchen, ‡wir können froh sein, daß wir aufgepaßt haben."
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Walbert, Helmut: Ein Hut kann nicht fliegen oder Die Jagd auf den Feuerteufel /
von Helmut Walbert. - München : F. Schneider, 1990
(Pizza-Bande ; Bd. 19)
ISBN 3-505-04200-5
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Titelbild und Illustrationen: Gisela Könemund
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