Terra Astra 419
Die Zeit-Festung von Peter Terrid Die Abenteuer der Time-Squad 14 Roman
Die Hauptpersonen des Romans:...
9 downloads
709 Views
313KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Terra Astra 419
Die Zeit-Festung von Peter Terrid Die Abenteuer der Time-Squad 14 Roman
Die Hauptpersonen des Romans: D. C. Washington, Inky, Charriba, Tovar Bistarc und Joshua Slocum — Die Chefin der Time-
Squad und ihre engsten Mitarbeiter auf Shyftan.
Asgam — König von Hirath. Kyarx — Asgarns Gegner.
Shandrak — Ein Mann, der Rache nimmt.
Lohun — Ein Priester im Dienst der Goldenen Sieben.
1. Der Fleischsaft quoll ihm zwischen den Zähnen hervor, sickerte am Mundwinkel hinab und tropfte durch die Barthaare auf den Schoß des Essers. Pheldor kyr Rhynar ließ es sich schmecken. Seine Kollegen und Gefährten taten es dem Ritter gleich, und ihre Manieren waren noch um einiges schlimmer als das Betragen des Ritters zu Rhynarstein. Es gab noch keine Gabeln auf Monsalvasch, wie wir den Planeten nannten. Die Eingeborenen - deren Pheldor kyr Rhynar einer war - nannten die Welt Shyftan, die Sonne Shyf und den Kontinent zu unseren Füßen Hirath. Der größte Teil der Gäste näherte sich einem prachtvollen Rausch. Es war unglaublich, was diese Burschen in ihre Kehlen schütteten, ohne sich dabei eine tödliche Alkoholvergiftung einzuhandeln. Wir hielten uns vorsichtig zurück, nicht zuletzt, weil an der Spitze der hufeisenförmigen Tafel unsere Chefin saß - thronte, wäre der passendere Ausdruck gewesen. Ausnahmsweise hatte sich Demeter Carol Washington von ihrer Lieblingskleidung getrennt. Sie trug weder abgewetzte Jeans noch ein weites, buntkariertes Baumwollhemd. Der Himmel mochte wissen, wie sie es geschafft hatte, ein schulterfreies Abendkleid zu besorgen - aber genau das trug sie an diesem Abend. Das Kleid war schneeweiß, und das allein hatte genügt, die Einwohner von Monsalvasch fast um den Verstand zu bringen. Da sie weder anionische Tenside noch nichtionische Tenside kannten, von Phosphaten, Silikaten, optischen Aufhellern, Enzymen, Bleichmitteln, Duftstoffen und Hilfsstoffen gar nicht zu reden - aus diesem Gemenge bestanden nämlich die Zauberprodukte der irdischen Waschmittelindustrie , war selbst die tüchtigste Hausfrau von Shytan nicht in der Lage, ihrer Wäsche das superstrahlende Weiß zu geben, das auf der Erde selbstverständlich war. Dazu kam das
kupferfarbene Haar , unserer Chefin, die grünlichen Augen und eine Figur, die von dem Kleid dezent hervorgehoben wurde... Die Shyftaner jedenfalls waren hingerissen. Vor allem dieser König - Asgarn, Edler von Gynhall, König zu Hirath und so weiter und so fort - schielte derart begehrlich zu D. C. hinüber, daß es fast schon peinlich wirkte. Mir jedenfalls ging dieser Blick auf die Nerven. Der König war immerhin gutgewachsen, sonnenverbrannt, sehr sportlich und mit den leicht ergrauten Schläfen ausgestattet, die angeblich verheerend wirken sollten. Asgarn war Witwer und König, eine ausgesprochen reizvolle Kombination. Daß er eine Tochter hatte, die nach den Vorstellungen der Shyftaner bereits heiratsfähig war, störte den König nicht im mindesten. Die Tochter, Smerdis hieß das Mädchen, saß an Demeters linker Seite und himmelte die Chefin mindestens so intensiv an wie ihr Vater, wenn auch mit anderer Begründung. Am Tisch saßen nämlich auch noch einige Männer, die sich um die Hand dieses Mädchens zankten. Da war Pheldor kyr Rhynar, der fest davon überzeugt war, daß er mit einem wuchtigen Hieb seiner Streitaxt dem gefürchteten Monstrum von Lhallwyn den Garaus gemacht hatte. Der Ritter war ein Hüne von Gestalt und wirkte hochgradig verfettet. Zuschlagen konnte er dennoch für drei, essen für vier, und die Grenzen seiner Trinkfestigkeit verloren sich im Grenzenlosen. Da war Shandrak, der Schwarze, ein schweigsamer, hagerer Mann, ganz in schwarzes Leder gekleidet. Er hatte seine mörderische Harpune dem Monstrum von Lhallwyn in den Leib gejagt und es so zur Strecke gebracht. Als gesuchter Verbrecher, der nur von der Gnade seiner Herren abhängig war, hatte er naturgemäß keine Aussichten auf die Hand der Prinzessin. Zur Tafelrunde gehörten weiterhin zwei Mitarbeiter der Time-Squad, Inky (alias Anastasius Immmekeppel) und Winnetou (alias Charriba White Cloud). Beide hatten mit ihren Lasern auf das Monstrum von Lhallwyn gefeuert und auch getroffen. Ich stellte mit nicht geringem Vergnügen fest, daß zumindest Inky ab und zu den Blick zwischen den beiden Frauen pendeln ließ. Und da war ich, Tovar Bistarc, der nur einen Hebel umgelegt hatte. Danach hatte das Monstrum von Lhallwyn keine Energie mehr bezogen. Die Maschine, der es seine Existenz verdankte, war stillgelegt. „Auf die Chefin von Lhallwyn!“ rief Pheldor kyr Rhynar und hob den Humpen. D. C. verbeugte sich leicht und griff nach ihrem Glas. Sie nahm einen Schluck von dem Wein, einen kleinen Schluck, wohingegen Pheldor einen tiefen Zug aus dem Humpen nahm und ihn danach knallend auf dem Tisch absetzte. Im Hintergrund drehte sich über einem offenen Feuer ein Schwein, von dem die Bediensteten immer wieder Scheiben abschnitten, um damit den Hunger ihrer Herrschaften zu stillen. Und dieser Hunger war gewaltig. Es war unglaublich, welche Mengen unsere neuen Freunde verzehren konnten. Joshua Slocum stieß mich an. Wir saßen am rechten Ausläufer des Hufeisens. „Das Mittelalter hat auch seine Vorzüge, nicht wahr?“ sagte er halblaut. „Hier versteht man wenigstens zu feiern.“ „Mag sein“, gab ich leise zurück. „Aber so, wie ich Demeter kenne, geht es morgen schon wieder los. Unsere verehrte Chefin kennt keinen Urlaub, weder für sich noch für andere.“ Es schepperte ein wenig, als der erste Gast unter dem Tisch verschwand. Offenbar neigte sich das Fest seinem Ende entgegen. Ich stand auf, entbot mit einer gekonnten Verbeugung der Chefin meinen Gruß und ging zum Fenster hinüber. Glas gab es nicht in diesen Fenstern, das Material war auf * Shyftan noch unbekannt. Entsprechend zugig waren daher die Gemäuer, in denen selbst die Edlen des Landes hausten.
Der Mond von Shyftan schien auf ein friedliches Land herunter. Ich konnte die Zelte auf dem Vorfeld der Burg sehen, den Schein der Feuer, an denen die Soldaten aus Asgarns Gefolge saßen und ebenfalls feierten. Dieses Land sollte künftig unsere Heimat sein, für lange Zeit, wie mir erschreckend deutlich wurde. An diesem Punkt sollte unsere Flucht zu einem vorläufigen Ende kommen. Ich sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Auf dieser Welt nützte das Instrument nichts. Es zeigte mir, daß es später Abend war, und diese Übereinstimmung war purer Zufall, nicht mehr. Die Uhr sagte mir auch, daß wir das Jahr 2368 schrieben, und auch diese Angabe war alles andere als zuverlässig. Wir hatten zwei Transporte durch Raum und Zeit hinter uns. Der eine hatte uns erwiesenermaßen mehr als zwei Jahrtausende in die Zukunft geführt. Welche Zeit der Transport von Delta Rebecca nach Shyftan in Anspruch genommen hatte, wußten wir nicht. Es konnten Jahrtausende sein, es war aber auch möglich, daß die Verbindung zwischen den beiden Welten praktisch ohne Zeitverlust funktionierte. Auch dies gehörte zu den Problemen, die wir zu lösen hatten und deren es wahrlich genug gab. Eines dieser Probleme lagerte im Keller des Schlosses von Lhallwyn, war grünlich und geschuppt und von den Eingeborenen als das „Monstrum von Lhallwyn“ bezeichnet worden. Diesen Beinamen hatte sich das scheußliche Ungetüm redlich verdient, ich konnte mich nicht erinnern, jemals einer so widerlichen und gefährlichen Bestie begegnet zu sein. Ein anderes Problem hörte auf den angenehm klingenden Namen „Goldene Sieben“. Darunter hatten wir uns die Herrscher des zweiten großen Kontinents vorzustellen, den es auf Shyftan gab. Es handelte sich um sieben Ritter in goldenen Monturen, die aber im Gegensatz zu ihrer Ausrüstung eher der Schrecken als der Glanz des Landes waren. Sie hausten in einem Gebäude, das allgemein als Festung bezeichnet wurde. „Nachdenklich?“ Inky hatte sich fast geräuschlos an meine Seite geschoben. Er hielt einen Pokal in der Hand und nippte an dem Wein. „Ich überlege, was uns die nächste Zeit bringen wird“, sagte ich halblaut. Ich drehte mich um und lehnte mich an die Wand. Von den Gästen lag die Hälfte bereits unter dem Tisch. Der König erleichterte sich gerade in einem donnernden Rülpser, danach deutete er mit der Grazie eines unverkennbar Volltrunkenen an, wie sehr er es bedauere, Demeters zarte Ohren durch so ungebührlichen Lärm... und so fort. D. C. ließ die Tirade mit einem geradezu verklärten Gesichtsausdruck über sich ergehen. Sie beherrschte sich mustergültig. „Eines steht fest“, murmelte Inky. „Früher oder später wede ich diesen Asgarn vertrimmen, wenn er nicht aufhört, Demeter wie ein verliebter Kater anzuschnurren.“ Inky war - und das traf auf beinahe jeden Junggesellen der Time-Squad und eine erhebliche Zahl der verheirateten Mitglieder zu - in unsere Chefin verliebt. Das war nicht weiter verwunderlich, aber ziemlich hoffnungslos, da Demeter mit Gunstbeweisen geizte wie ein Schotte aus dem Bilderbuch mit Geld. „Wir können uns um die Zeitmaschine kümmern, die im Keller der Burg steht“, zählte ich auf. „Wir können uns um die geheimnisvolle Festung kümmern. Wir können einen Vorstoß zur Erde wagen.“ „Dort treiben sich die Nokther herum“, warf Inky ein. Ich hatte es nicht vergessen. Die Erinnerung an die Invasion der Echsenwesen war noch frisch und plastisch. Unsere gute alte Erde stand am Beginn eines grauenvollen Krieges, von dem wir wußten, daß er länger dauern würde als alle früheren Kriege der Menschheitsgeschichte zusammengenommen. Was die geheimnisvollen Oberen planten, die sowohl die Menschen als auch die Nokther kontrollierten, wußten wir nur annähernd - eines ihrer Ziele war, die Menschheit in einem ununterbrochenen Verschleißkrieg zu einer Rasse von unerbittlich harten Kämpfern zu machen, die natürlich stets im Dienste der Oberen stehen würde. Wir wußten nicht einmal, wie diese Oberen auch nur aussahen, und doch dachten wir immer wieder an den Kampf, den wir mit diesem Gegner auszutragen hatten. Noch war die Time
Squad nicht geschlagen, noch nicht. „Es ist nicht viel geblieben“, murmelte Inky, als habe er meinen Gedankengang erraten. Es war nicht mehr viel geblieben von der geheimen Polizeitruppe, die nur ein Ziel hatte: Verbrechen aufzuklären oder - wenn möglich - zu verhindern. Seit mehr als einem Jahr hatten sich die Aufgaben der Time-Squad unter dem Druck der Ereignisse mehr und mehr verschoben. Im Augenblick stellte unser Haufen, so seltsam das auch klingen mochte, eine Art Exilregierung der Erde dar denn außer uns gab es keine freien Menschen mehr. „Hier, trink“, sagte Inky und drückte mir seinen Pokal in die Hand. Ich wollte den Humpen gerade zum Mund führen, als mit ohrenbetäubendem Lärm der König des Landes auf den Boden polterte. Auch für Asgarn, Edler zu Gynhall, war der Wein auf Dauer zu stark gewesen. Ich sah mich rasch um. Von den Einwohnern des Planeten stand nur noch Shandrak der Schwarze, die anderen lagen auf dem Boden und schnarchten hemmungslos. Demeter stand auf und kam auf uns zu. „Ich glaube“, sagte sie lächelnd, „das Fest war ein voller Erfolg. Und nach diesem Gelage können wir uns ungehemmt wieder unserer Arbeit zuwenden. Es gibt viel zu tun, sehr viel sogar.“ „Ich weiß“, sagte ich zögernd. „Aber wo sollen wir anfangen?“ Demeter hatte das Problem bereits durchdacht. „Zunächst einmal“, erklärte sie, „werden wir die gesamte Mannschaft der Time-Squad nach Monsalvasch bringen - oder besser Shyftan. Wir sollten den Namen der Eingeborenen beibehalten. Unsere Spuren auf Delta Rebecca werden wir zu verwischen versuchen, ob es uns gelingen wird, ist eine andere Frage.“ „Und das Monstrum? Und die Zeitmaschine?“ erinnerte ich sie. Demeter hatte auch für diese Frage eine Antwort. „Darum werden sich die Spezialisten kümmern, sobald sie auf Shyftan eingetroffen sind. Ich habe außerdem beschlossen, die Finger von der Zeitmaschine im Keller der Burg zu lassen unser mit Abstand wichtigstes Ziel muß es in den nächsten Monaten sein, unserer Organisation auf diesem Planeten eine neue Heimat zu schaffen.“ „Unsere Heimat ist die Erde“, warf Inky ein. Demeter lächelte und schüttelte den Kopf. „Warten Sie ab, Inky. Sie werden auch diese Welt liebgewinnen. Vielleicht wird sich Ihre Einstellung zu Shyftan schon sehr bald ändern.“ „Aha“, sagte ich. „Die Schrittgeräusche einer hier nicht bekannten Singvogelart dringen an mein Ohr.“ „Unser königlicher Zecher geht schon seit langem mit dem Plan schwanger, der Festung der Goldenen Sieben einen Besuch abzustatten. Ich werde ein kleines Kommando zusammenstellen, daß diesen Heerzug begleiten wird.“ Inky verzog das Gesicht. „Ich mag solche Worte überhaupt nicht“, murmelte er. „Von Heeren, Armeen und Ähnlichem habe ich mehr als genug.“ „Ihre Anwesenheit wird, so hoffe ich, dazu führen, daß es gar nicht erst zu kriegerischen Verwicklungen kommen, wird. Mit unserer Ausrüstung sind wir den Eingeborenen grenzenlos überlegen.“ Das allerdings stimmte. Zwei modern bewaffnete Mitarbeiter der Time-Squad waren durchaus in der Lage, ein Heer der Eingeborenen zu besiegen. Gegen Laserschüsse und Narkonadeln kannten die Shyftaner kein Gegenmittel.. „Wer wird den Ausflug begleiten?“ „Sie, Tovar, Inky und Josh Slocum...“ „Oh nein“, sagte ich. Joshua Slocum war ein feiner Kerl, breitschultrig und hochgewachsen, vollbärtig, trinkfest und umgänglich, humorvoll, einfallsreich und waffengewandt - und dazu leidenschaftlicher Hochseesegler. Wenn Josh ins Spiel kam, dann erschienen mit Sicherheit auch endlose Wassermassen auf dem Plan. Mein Verhältnis zu Wasser entsprach etwa dem
einer Katze, gegen kleine Mengen - innerlich oder äußerlich angewandt - hatte ich nichts
einzuwenden. Aber sonst...
„Charriba werde ich ebenfalls abkommandieren“, fuhr Demeter fort. Damit war ich mehr als
zufrieden.
„Und wann soll die Reise losgehen?“ wollte Inky wissen.
Demeter lächelte.
„Morgen früh“, sagte sie freundlich. „Bei Sonnenaufgang.“
Damit entschwebte sie. Inky und ich sahen uns entgeistert an. Ein Blick aus dem Fenster
genügte, um uns zu zeigen, daß wir keine Stunde mehr zu verlieren hatten - am Horizont
graute der Morgen herauf. Unsere Chefin schien es wirklich sehr eilig zu haben.
* Ich schaffte es noch, ein Bad zu nehmen, zu mehr reichte die Zeit nicht. Sehr lange dauerte die Prozedur ohnehin nicht: Heißwasserbereiter gab es auf Shyftan selbstverständlich nicht, und ein Duschbad mit nachtkühlem Quellwasser war nur kurzfristig zu ertragen. Unsere Kleidung stammte aus den Vorräten der Time-Squad und war den Verhältnissen des Planeten bestens angepaßt. Die Unterkleidung bestand - aus einem synthetischen Gewebe schmutzabweisend, hautsympathisch und dergleichen mehr darüber trug ich eine Hose aus dünnem Wildleder, ein Baumwollhemd und eine Lederjacke, dünn und nahezu reißfest. An einem breiten Gürtel hingen Waffen und andere Gerätschaften, über der Schulter trugen wir für alle Fälle erstklassige Bögen. Unsere ganze Ausrüstung stellte gewissermaßen einen Kompromiß dar - zum Teil handelte es sich um modernstes technisches Gerät, zum Teil um Primitivwaffen. Wir waren grundsätzlich gehalten, von unserer technischen Überlegenheit nur im äußersten Notfall Gebrauch zu machen. Auf dem Burghof warteten die Gefährten. Die Kollegen von der Time-Squad machten einen leidlich frischen Eindruck, die edlen Herren von Shyftan hingegen sahen ziemlich zerrupft aus. Immerhin, sie waren wach und hatten ihre Reittiere satteln lassen. Phärt wurde ein solches Tier genannt, eine Kreuzung aus einem Pony und einem jener Hirtenhunde, bei denen man Vorder- und Hinterteil nicht auseinanderhalten konnte. Es waren stämmige Zotteltiere, die vernehmlich schnauften und prusteten, dafür aber angeblich lammfromm und überaus ausdauernd waren. Auch für uns waren Tiere bereitgestellt worden, und aus den Dörfern der Umgebung hatten die Eingeborenen Tragetiere geliefert, die unsere Ausrüstung zu schleppen hatten. Der ganze Heerzug umfaßte an diesem Morgen knapp einhundert Mann, die Dienstboten eingerechnet. Damit ließ sich in offener Feldschlacht nicht viel anfangen, aber wir hofften, daß es dazu gar nicht erst kommen würde. Die Ritter hatten ihre Rüstungen angelegt. Demeter stand in einem langen, weißen Kleid auf einem Balkon und winkte uns zum Abschied zu. Der König verneigte sich tief - fast wäre er von seinem Phärt gekollert -, dann stieß er einen lauten Schrei aus. Der Zug hatte begonnen.
2. Ganz Shyftan zerfiel in drei Kontinente, deren einer von den Hirathern bewohnt wurde, ein anderer war unbewohnt, und der dritte wurde von den Untertanen der Sieben bewohnt, die sich selbst Golden nannten,von den anderen aber eher als schrecklich bezeichnet wurden. Von Hirath, dem Lande des Königs Asgarn, wurde der zweite bewohnte Kontinent - Gardahn
genannt durch eine Meerenge und die Furcht vor den Rittern der Goldenen Sieben getrennt. Es gab einen breiten Streifen fruchtbaren aber unbewohnten Landes, der an der Meerenge zwischen beiden Kontinenten lag. Kaum jemand wagte dort zu siedeln, aus Furcht, die Scharen der Goldenen Sieben würden kommen, erschlagen, was lebte, und mitschleppen, was von Wert war. Dieses Land war unser Ziel, und wir hatten weit zu reiten. Der König von Hirath hatte seine Hauptstadt weislich außerhalb der Reichweite der räuberischen Scharen erbauen lassen. Nur alle paar Jahrhunderte einmal wurde auch die Hauptstadt des hirathischen Königreichs von den Räubern heimgesucht und gebrandschatzt. Der letzte dieser Besuche lag vier Jahrhunderte zurück, und unterdessen waren die Bewohner unruhig geworden. Wir erreichten Hirath - Land und Hauptstadt trugen den gleichen Namen - nach einem Ritt von mehr als drei Wochen. Natürlich hätten wir mit modernen Gleitern die gleiche Strecke in einigen Stunden zurücklegen können, aber diese Fahrzeuge brauchten Energie, und davon besaßen wir nur wenig. Waren die Reserven an modernem Material erst einmal erschöpft, konnten wir keinerlei Ersatz beschaffen. Allein deshalb mußten wir mit hochwertigem Material überaus sparsam umgehen. „Dies ist mein Land“, erklärte Asgarn stolz. Wir hielten auf einem Kamm und konnten hinabsehen auf eine weite, fruchtbare Ebene. Auf den Feldern bewegte sich das Korn im Rhythmus des darüber hinwegstreichenden Windes. Auf den Weiden grasten fette Rinder und Schafe; das ganze Land sah üppig und reich aus. „Und dies ist meine Stadt“, fuhr Asgarn fort. Auf unsere Verhältnisse umgerechnet war Hirath nicht mehr als eine heruntergekommene Kleinstadt von höchstens zehntausend Einwohnern. Für die Maßstäbe Shyftans war Hirath zweifelsohne eine Metropole, eine Großstadt von überragender Bedeutung. In welcher Zeit wir uns aufhielten, machte der erste Blick klar - Hirath, die gesamte Stadt, war ummauert. Auf der Erde hatte es früher viele solche Städte gegeben, die Wohnstatt und Festung in einem waren. „Eine große Stadt“, sagte ich anerkennend. Ich mußte nicht einmal lügen, Hirath gefiel mir tatsächlich sehr gut. „Und absolut uneinnehmbar“, fügte Asgarn hinzu. „Nicht einmal die Scharen der Schrecklichen Sieben werden diese Mauern überwinden können. Wir haben daran seit mehr als einem Jahrhundert gearbeitet.“ Ich wechselte einen raschen Blick mit Inky. Der zuckte knapp mit den Schultern. Möglich, daß die ganze Macht des Königs von Hirath nicht ausreichte, die Mauern zu nehmen. Aber wir wußten inzwischen, daß ungeachtet der mittelalterlichen Kulisse auf Shyftan mit modernster Technik gearbeitet wurde - mit einer Technik, die selbst wir von der Time-Squad nicht beherrschten. Angesichts der Bedeutung der Schrecklichen - oder Goldenen - Sieben für diese Welt, vermutete ich, daß hinter dieser Macht die gleichen Kräfte zu suchen waren, die auch die Zeitmaschine in der Burg von Lhallwyn eingerichtet hatten. Und gegen die Mittel dieser Unbekannten halfen die Mauern von Hirath gar nichts - im Gegenteil, sie erleichtertem dem Gegner sogar die Arbeit. Die Bewohner kamen im Ernstfall ebensowenig aus den Mauern heraus, wie ein herkömmlicher Gegner hineingekommen wäre. Griff ein Feind mit überlegener Technik an, dann würden die Mauern der Stadt zur tödlichen Falle für die Einwohner werden. Geholfen hätte es nichts, hätte ich diesen Gedanken dem stolzen, selbstbewußten König vorgetragen, weit eher geschadet. Ich gab schweigend meinem Phärt die Sporen und trabte hinter Asgarn her, der es sichtlich eilig hatte, seine Hauptstadt wieder zu betreten. Wie fast immer, schob sich Shandrak der Schwarze an meine Seite. Nicht, daß zwischen uns beiden viel geredet worden wäre; der Mann in dem enganliegenden schwarzen Ledergewand war überaus wortkarg. Aber Shandrak studierte mich, er beobachtete alles, was ich tat, mit stiller Gründlichkeit. Und der Mann war hochintelligent. Den König hatten wir
gewissermaßen übertölpeln können - er hielt unsere technischen Mittel für Zauberei, und es war ihm genug, daß die Zauberer auf seiner Seite standen. Shandrak aber schien ein Mann zu sein, der den Kinderschuhen des Vorurteils entwachsen war. Er hatte, weit mehr als jeder andere Bewohner von Shyftan, den Gedanken durchgearbeitet, daß wir von einer anderen Welt kamen. Ich jedenfalls war mir sicher: Im Zweifelsfall würde Shandrak mit meiner Bewaffnung umgehen können. Er wußte, daß die Waffe an meinem rechten Oberschenkel nur betäubte, daß an der linken Hüfte der tödliche Laser im Holster stak - und er wußte auch, wie man diese Waffen zu bedienen hatte. Ich hoffte allerdings, daß ich nicht darauf angewiesen sein würde, mich auf Shandraks Findigkeit und technisches Einfühlungsvermögen verlassen zu müssen. Asgarn schnippte mit den Fingern. Einer der Gardisten schloß zu ihm auf. „Reite voran und melde, daß ich mich der Stadt nähere“, befahl der König. Der Gardist nickte, wartete noch einen Augenblick lang auf weitere Anordnungen und jagte dann auf die Stadt zu. Ich sah, daß Shandrak die Lippen aufeinanderpreßte. Der Schwarze wiederum sah, wie ich fragend die Brauen in die Höhe zog. „Ich mag Städte nicht“, stieß der hagere Mann hervor. Er grinste boshaft. „Außerdem wartet in diesen Mauern der Henker auf mich - und nicht nur dort!“ „Du stehst unter meinem Schutz“, warf Asgarn ein. „Den möchte ich sehen, der ein Königswort nicht achtet in diesem Lande.“ Shandrak antwortete nicht auf diese Zusage, aber ein rascher Blick, der zwischen Asgarn und mir pendelte, verriet überdeutlich, daß der Schwarze die tatsächlichen Machtverhältnisse richtig beurteilte - und die sahen so aus, daß die Time-Squad jeden ihrer Wünsche würde durchsetzen können. Wenn es Demeter Carol Washington gefiel, auf Shyftan eine persönliche Diktatur zu errichten, die Bewohner des Planeten würden sie nicht daran hindern können. Der Wind trug uns die Gerüche entgegen, die aus den Gassen und Straßen der Hauptstadt aufstiegen, und diese sanften Vorboten genügten, mein Bild von Hirath grundlegend zu ändern. Von außen mochte die Stadt hübsch, geradezu anheimelnd aussehen, romantisch verwinkelt, behaglich, einladend - in Wirklichkeit aber handelte es sich um ein ungezieferverseuchtes, stinkendes Nest, dessen hygienische Zustände jeder Beschreibung spotteten. Nun, vielleicht hatten wir einen schlechten Tag erwischt. Asgarn jedenfalls hatte es sehr eilig, seine Stadt zu betreten. Er gab seinem Phärt die Sporen. Von der Stadt her klang Fanfarengetöse zu uns herüber, die bevorstehende Ankunft des Königs wurde dem Volk von Hirath kundgetan. „Wie lange werden wir in der Stadt bleiben?“ wollte Inky wissen. Asgarn zuckte mit den Schultern. „Einen Monat“, sagte er leichthin. „Vielleicht auch deren zwei. Es dauert, bis sich das Heer gesammelt hat. Bolzen müssen geschnitzt werden, Panzer und Schwerter bedürfen des Schmiedes, Pferde müssen gesammelt werden - es gibt viel zu tun.“ Ich lächelte freundlich, obwohl mir ganz anders zumute war. Monate? Uns brannte die Zeit auf den Nägeln, so seltsam sich das anhören mochte bei einer Organisation, die sich als Hilfsmittel einer Zeitmaschine bedienen konnte. Wir waren wenige, und wir wurden bedrängt von einem Heer von Fragen und Problemen. Konnten wir es uns leisten, Monate in Hirath zu verbringen, Dutzende von wertvollen, kostbaren, ja unersetzbaren Tagen? „Uns wird kaum etwas anderes übrigbleiben“, sagte Inky trocken. Er sprach Holländisch, eine Erinnerung an einen reichlich lebensgefährlichen Einsatz, der einige Monate zurücklag. Wenn ich mich erinnerte, was seit diesem Einsatz alles geschehen war, und dies hochrechnete auf die kommenden Wochen, konnte einem angst und bange werden. „Notfalls werden wir die Angelegenheit allein klären“, versprach ich grimmig. Charriba gab ein zustimmendes Grunzen von sich. Inky grinste.
„Wie Old Shatterhand zu sagen pflegte: Er wäre mir nur hinderlich gewesen“, murmelte Inky. Ich war nicht ganz mit den politischen Verhältnissen seiner Zeit vertraut und verstand daher den Sinn dieser Bemerkung nicht ganz. Aber Inky machte des öfteren unverständliche Bemerkungen - das lag daran, daß er die Jahrhunderte zwischen seiner Geburt und der Realzeit noch nicht zur Gänze verarbeitet hatte. Hinter uns mühten sich derweil die Reiter des Königs, so etwas wie eine militärische Formation zustande zu bringen. Charriba musterte die Gardisten schweigend, aber mit einem Gesichtsausdruck, der alle Leiden der Menschheit auszudrücken schien. Ihm, dem Indianer, der auf seinen Reittieren förmlich festgewachsen schien, mußten die unbeholfenen Versuche der Shyftaner wahrlich auf den Magen schlagen. Er ritt - selbstverständlich - sein mausgraues Pony, eine unscheinbare Kreatur, die es aber in sich hatte. Das Pony nahm sich in der Schar der zottigen Phärts der Eingeborenen recht seltsam aus, und einige der wackeren Krieger fürchteten sich ganz offensichtlich vor Charribas Grauem. Als wir das große Tor von Hirath erreichten, ritten die Reiter des Königs in einer einigermaßen sauberen Zweierreihe. Asgarn ritt an der Spitze des Zuges, gefolgt von seinem Lehensmann Pheldor, dem Drachenbezwinger. Dahinter schleppten vier Männer die Beute der Helden - zwei der Köpfe des Ungeheuers von Lhallwyn. Entsprechend enthusiastisch war die Begrüßung durch das Volk von Hirath. Ohrenbetäubender Lärm empfing uns, zusammengesetzt aus Fanfarengeschmetter und Jubelgeschrei. Das Volk von Hirath hatte seinen großen Tag, und Asgarn nahm die Ovationen mit vornehmer Zurückhaltung entgegen. Wir Erdmenschen hatten einen weit weniger freundlichen Empfang zu gewärtigen. Die Einwohner der Stadt hatten noch nie ein Pferd gesehen, ein irdisches Pferd, und Charriba, der sein dunkles Haar mit einem gelben Stirnband zusammengehalten hatte, bot ebenfalls einen absonderlichen Anblick. Die Mütter Hiraths jedenfalls sahen zu, daß sie ihre Sprößlinge vor uns in Sicherheit brachten. Die psychologische Abteilung der Time-Squad hatte solche Reaktionen vorhergesehen und sich Gegenmaßnahmen einfallen lassen. Mit den Mitteln, die uns zur Verfügung standen, war es ein leichtes gewesen, die hierzulande üblichen Kupfermünzen zu kopieren und in riesiger Stückzahl herzustellen. Verabredungsgemäß griffen wir angesichts der furchtsamen Reaktion der Bürger von Hirath in unsere Geldkatzen und warfen die Kupferlinge unters Volk. Wie nichts anderes zu erwarten gewesen war, stieg unsere Volkstümlichkeit dadurch ungeheuer. Wir mußten allerdings aufpassen, die Begeisterungsrufe die Ovationen für den drachentötenden König nicht übertönten. Zum Glück war der Weg bis zur Mauer des Königspalasts nicht weit, und dieses Tor durften die Bürger nur selten durchschreiten. Sobald sich die Flügel des hölzernen Tores hinter uns geschlossen hatten, wurde es wieder ruhiger. Auf den ersten Blick sah die Königsburg recht stabil aus. Die Mauer war fast sechs Meter dick und annähernd fünfzehn Meter hoch. Auf dem gepflasterten Innenhof waren zwei Hundertschaften Fußsoldaten angetreten, weitere Soldaten hatten die Mauerkrone besetzt oder taten auf den sechs viereckigen Türmen Dienst, die über die Befestigung hinausragten. Alles in allem eine beachtliche Streitmacht - für die Verhältnisse dieser einfachen Menschen. Daß es mit der militärischen Schlagkraft von Asgarns Streitmacht nicht zum besten bestellt war, zeigte sich erst auf den zweiten Blick. Die Männer sahen zwar tapfer aus, wirkten aber auch reichlich verwildert und undiszipliniert. Asgarn wartete, bis ein Knecht die Zügel seines Phärts ergriffen hatte, dann sprang er aus dem Sattel. Auf einem Söller erschien eine vermummte Frauengestalt. Die Farbe ihrer Kleidung blau, gold und braun - verriet die Königin. Asgarn grüßte mit einer gekonnten, schwungvollen Verbeugung. Aus einer kleinen Pforte stürzte ein kleiner Junge hervor und rannte auf den König zu, unverkennbar der Sohn Asgarns. Unterdessen hatten die Sänftenträger auch das Gefährt herangeschleppt, in dem die Tochter des Königs die Reise zurückgelegt hatte. Das junge Mädchen, das auf den Namen Smerdis hörte, hatte sich an Demeters Beispiel orientiert und erheblich an Selbstbewußtsein gewonnen. Einstweilen spielte sie noch die Rolle der
braven, fügsamen Tochter, aber damit würde es sehr bald vorbei sein - wahrscheinlich zum
Entsetzen ihrer Zeitgenossen.
Um uns kümmerte sich niemand. Die Kriegsknechte hatten genug damit zu tun, ihre
Kameraden zu begrüßen, die abgeschlagenen Drachenköpfe zu bestaunen und ab und zu
scheele Blicke auf uns zu werfen. Der Prinz begrüßte zunächst seinen Vater und sprang dann
zu seiner älteren Schwester hoch.
Mit würdevoll gemessenem Schritt erschien die Frau auf dem Burghof, und nun fiel mir ein,
daß Asgarn verwitwet war. Die Frau also war seine Mutter.
Wir stiegen von unseren Phärts, die das Getümmel auf dem Hof still über sich ergehen ließen.
Unruhe entstand erst, als eine Katze auftauchte und ein grünliches Pelztier über den Burghof
hetzte, das entfernt an eine Ratte erinnerte.
„Ihr seid selbstverständlich meine Gäste“, verkündete Asgarn und machte eine einladende
Geste. Seine Mutter musterte uns mit unverkennbarer Skepsis, und im Hintergrund erkannte
ich einen hageren Mann, dessen Gesicht unverhüllten Haß verriet.
Der Mann war von mittlerem Alter, soweit sich das überhaupt erkennen ließ, denn er war in
eine dunkle, fast schwarze Kutte gehüllt und hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen, die
sein Gesicht halb verdeckte. Erkennbar waren die eingefallenen Wangen und der lodernde
Blick.
Ich sah zu Shandrak hinüber. Der Schwarze hatte die Hand an seiner fürchterlichen Waffe,
der Harpune mit dem langen Lederseil, und sein Gesicht verriet, daß er dem Hageren
ebenfalls nicht grün war.
„Wer ist das?“ fragte ich halblaut.
„Ein Priester“, zischte Shandrak. „Ein Bewahrer und Verkünder des letzten Geheimnisses.“
Ich zog fragend die Brauen hoch.
„Sie kommen von Gardahn, dem anderen Kontinent“, setzte Shandrak seine Erklärung fort.
„Die Priester des letzten Geheimnisses stehen im Dienst der Goldenen Sieben und verkünden
deren Lehre.“
„Sendboten des Feindes?“
„Sie predigen Mäßigung und Friedfertigkeit“, knurrte Shandrak. „Aber sieh ihn dir an, den
Blaukittel. Verrät sein Auge Sanftmut, der Zug seiner Lippen Milde und Barmherzigkeit?“
Der Priester sah aus, wie das, was er nach Shandraks Darstellung vermutlich auch war - wie
ein Fanatiker. Menschen dieses Schlages waren mir von jeher wenig sympathisch gewesen.
„Blaukittel?“
„Sie tragen lange, blaue Gewänder, wenn sie predigen“, erklärte mir Shandrak. Wir stiegen
eine lange, steinerne Treppe hinauf und wußten den Priester hinter uns. Aus den
Augenwinkeln heraus sah ich, daß einige Knechte und Mägde des Hauses Demutsgesten
ausführten, als der Priester an ihnen vorbeischritt. „Dunkelblau sind die Gewänder, und auf
dem Herzen - oder wenigstens dort, wo man selbst bei ihnen ein Herz vermuten sollte - tragen
sie eine goldfarbene Sieben.“
Ich blieb stehen, als sei ich gegen eine Mauer geprallt. Blitzartig überfielen mich die
Erinnerungen: Ein langes Gewand aus dunkelblauer Seide, ein hageres, ausgezehrtes Gesicht,
in dem gelbe Augen wie Raubtierlichter funkelten, und auf dem Herzen die gestickte, seltsam
verschnörkelte Sieben: Lautlos bewegte ich die Lippen.
Valcarcel. Der Zeit-Zauberer, Erzfeind der Time-Squad, ein Gegner, den wir zu fürchten gelernt hatten. Ich blieb stehen, und obwohl ich mein Herz ängstlich hämmern hören konnte, sah ich dem Priester, der langsam näher schlich, voll ins Gesicht. Eine gewisse Ähnlichkeit ließ sich nicht leugnen, aber sie war oberflächlich. Die Augen des Priesters waren dunkel, nicht gelblich, und sie hatten nicht die Fähigkeit, mich in ihren Bann zu schlagen. In diesen Augen loderte das Irrlicht fanatischen Glaubens, aber daraus strahlte kein hypnotischer Zwang. Ein Nachäffer?
„Mann des Glaubens“, redete ich den Priester an. Er blieb stehen, fixierte mich. Der Blick bekam etwas Hungriges. Hoffte er, mich für seine Sache gewinnen zu können? „Ich höre, Fremder von den Sternen.“ Die Stimme verriet mühsam gezügelte Leidenschaft. Wir standen auf einem Absatz der langen Treppe, über uns wurden die Schrittgeräusche der Vorangehenden langsam schwächer. Um so lauter und eindringlicher wurde das Jagen meines Pulses. Ich sah, daß Inky und Slocum ebenfalls stehengeblieben waren und zu mir hinabsahen. „Ich wüßte gerne“, fragte ich den Priester, „ob die Goldenen Sieben nur diesen gerneinsamen Namen tragen. Oder hat jeder einzelne der Sieben auch einen eigenen Namen?“ Der Mann kniff die Augen ein wenig zusammen. Seine Stimme klang tonlos. „Sie haben Namen, die gerühmt werden zwischen den Sternenfeuern und den Sterneninseln und den Sternenmeeren, soweit die Zeit reicht. Aber diese Namen, wisse das, Fremder, sind nur den unmittelbaren Dienern der Sieben bekannt. Ich bin nur ein Minderer unter Geringen, aber selbst wenn ich die geheiligten Namen wüßte, ich dürfte sie dir nicht verraten.“ Ich versuchte, zu lächeln, obwohl es mir schwerfiel. Woher wußte dieser Priester, was Sterne waren? Woher nahm er die Kenntnis von Sterneninseln? Waren Galaxien damit gemeint? Und wenn, was bedeutete dann der Begriff Sternenmeer? Ein Universum? Er hatte die Mehrzahl benutzt, kannte er demnach mehrere Universen? Wußte er, dieser abergläubische Bewohner eines rückständigen Planeten, was von den Erdmenschen nur die Mitarbeiter der Time-Squad wußten, daß es nicht nur jenes RaumZeit-Kontinuum gab, in dem wir lebten. Daß es ein anderes Universum mindestens eines gab, jenes der Oberen, der Jaynum und der Fern? „Sage mir, Priester! Kennst du den Namen Valcarcel?“
3. Ich brauchte mich gar nicht erst zu meinen Freunden umzudrehen. Ich wußte, daß sie zusammengezuckt waren, als der Klang ihre Ohren erreicht hatte. Diesen Namen sprach jeder, der ihn kannte, nur mit mehr oder minder größerem Schauder aus. Wer Valcarcel persönlich begegnet war, hatte stets sich selbst zu überwinden, um den Namen über die Lippen zu bringen. Erst später wurde mir bewußt, daß ich mich weit vorgebeugt und den Priester angestarrt hatte. Shandrak erklärte mir später, mein Gesicht habe Entsetzen und Hoffnung zugleich ausgedrückt. Das Gesicht des Priesters zeigte keinerlei Reaktion. Der Mann dachte einen Augenblick lang nach, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich kenne niemanden, der dieses Namens wäre“, sagte er dann. Hinter mir atmeten die Freunde hörbar auf. „Und Ardamor? Kennst du jemanden, der Ardamor genannt wird?“ Wieder schüttelte der Priester den Kopf, und aus seinem Gesichtsausdruck folgerte ich, daß er meine Frage gar nicht recht begriff. Er hatte offenbar Fragen erwartet, die sich auf sein Gewerbe bezogen, wenn man es einmal so bezeichnen wollte. Was ich aber wissen wollte, schien mit diesem Gewerbe in keinem Zusammenhang zu stehen. Ich lächelte, und diesmal fiel mir die Geste leicht. Ich war tatsächlich sehr erleichtert. Zudem war mir in diesem Augenblick auch eingefallen, daß die Erdähnlichkeit des Planeten Shyftan hauptsächlich darauf zurückzuführen war, daß beide Welten ähnliche astronomische Daten aufwiesen. Beide Planeten liefen auf sehr ähnlichen Bahnen um ähnliche Sonnen, und beide Planeten besaßen auch einen Mond mit ziemlich ähnlichen Daten. Daß sich aus diesen natürlichen Gegebenheiten verblüffend ähnliche Kalendersysteme ergaben, lag auf der Hand.
Und damit war auch erklärt, warum die Zahl sieben nicht nur bei uns Erdmenschen, sondern
auch in der Gesellschaft der Shyftaner eine so große Rolle spielte. Der Nimbus dieser Zahl
war dahin - auch die Wochen waren sich auf beiden Planeten ähnlich, das war alles. Der
Zusammenhang, der mir ins Auge gesprungen war, bestand nur aus Zufällen und meiner
überhitzten Phantasie.
Der Priester des letzten Geheimnisses fixierte mich noch einen Augenblick lang.
„Ich werde Euch stets zur Verfügung stehen, wenn es Euch danach verlangt, in die
Geheimnisse des diesseitigen und des jenseitigen Lebens einzudringen. Dies ist meine
Berufung, für diese Arbeit wurde ich erwählt.“
Er deutete eine Verbeugung an, dann zog er sich langsam zurück. Er trug sehr weiche
Pantoffeln, die seinen Schritt fast unhörbar machten, und auch sein Gang glich eher einem
Schleichen. Mir war der Mann zuwider, auch wenn ich nicht wußte, was mir an ihm mißfiel.
„Gesindel“, zischte Shandrak dem Priester nach.
Er sah meinen fragenden Blick und erklärte: „Sie versuchen immer wieder, das Volk gegen
den König aufzuhetzen natürlich unter der Hand und ohne Erfolg. Aber sie versuchen es. Sie
hoffen darauf, daß auch Hirath eines Tages von der Goldenen Sieben beherrscht wird.“
„Für einen Straßenräuber bist du erstaunlich königstreu“, warf Inky ein.
„Pah“, machte Shandrak. „Ich bin nicht Asgarn treu, sondern dem Königtum an sich. Und
wenn ich das Gesetz auch breche - achte und fürchte ich es dennoch.
„Es sei denn, es ist dir lästig und unbequem“, ergänzte Inky mit leisem Spott. Über das hagere
Gesicht des Schwarzen huschte ein Lächeln. „Manchmal“, räumte er ein. „Es geschieht selten.
Aber wenn“ - seine Lippen wurden fast zu Strichen - „dann gründlich und ohne Gnade.“
Ich hätte gerne genauer gewußt, was für eine Rache Shandrak mit sich herumtrug. Geholfen
hätte ich ihm bei seinem privaten Krieg nicht; ich verstand zwar seine Gefühle, konnte sie
aber nicht billigen. Immerhin, dies war ein rückständiges Land, auch auf diesem Gebiet
wenn man den Maßstab anlegte, den wir von der Erde her gewohnt waren.
Am Ende der langen Treppe wurden wir von einem mürrisch dreinblickenden Mann in
Empfang genommen.
„Wenn, ich die Herren bitten darf...“
Wir marschierten an ihm vorbei auf ein hölzernes Tor zu, das mit kunstvollen, bronzenen
Beschlägen verziert war.
„Du, Bursche, bleibst draußen. Scher dich in die Gesindestube, wohin du gehörst.“
Ich drehte mich um. Shandrak war so freundlich gewesen, den Mann ausreden zu lassen. Jetzt
hatte der hochmütige Truchseß nicht mehr den Mut zu hoheitsvollen Reden - der bläuliche
Stahl von Shandraks Harpune saß ihm an der Kehle. Der Truchseß rollte mit den Augen.
„Er gehört zu uns“, klärte ich den Truchseß auf. „Und er wird mit uns tafeln. Gebt ihm den
Weg frei.“
Der Dienstmann König Asgarns schluckte heftig.
„Verzeihung“, ächzte er, ohne sich zu bewegen. „Ich konnte nicht wissen...“
Shandrak nahm die Harpune vom Hals des Höflings. Er griff in die Tasche und produzierte
ein Goldstück.
„Für gute Dienste“, sagte er und schnippte dem Truchseß die Münze zu. Dann folgte er uns.
Im Umdrehen sah ich noch, wie der Höfling die Münze mit den Zähnen prüfte. Offenbar war
sie echt.
„Du schaffst dir unnötige Feinde, Shandrak“, sagte Inky leise, während wir über einen langen,
marmorgetäfelten Flur schritten. An den Wänden hingen Teppiche mit allegorischen
Darstellungen, von denen uns kein Bild bekannt war. Es würde viel Zeit vergehen müssen, bis
wir in dieser Kultur heimisch geworden waren.
„Ich bin mit dem Henker befreundet“, konterte der Mann im schwarzen Lederanzug gelassen.
„Er verzehrt sich vor Sehnsucht nach mir was soll ich da noch Feinde fürchten?“
Zwei brokatgeschmückte Höflinge ließen ihre Fanfaren ertönen, als wir die
bronzebeschlagene Tür erreicht hatten. Zwei andere Diener öffneten die Türen, die vernehmlich kreischten. Offenbar hatte man die Ankunft des Königs erwartet und sich vorbereitet. Der große Bankettsaal der Königsburg war jedenfalls voll. Ich zählte mindestens dreißig Ritter, anhand der federgeschmückten Helme unschwer auszumachen. Zwei ältere Männer, die weder Helm noch Panzerung aufwiesen, dafür aber besonders reich bestickte Gewänder, schätzte ich als Herzöge oder Grafen ein. Sie saßen am oberen Ende der langen Tafel, in der Nähe des Herrschers, der auf seinem Stuhl Platz genommen hatte. Zahlreiche Knechte waren zu sehen, die vollauf zu tun hatten, den Ansprüchen der hohen Herren zu genügen. Ich ahnte, daß uns ein Gelage bevorstand, mit dem verglichen die Gastlichkeit auf Lhallwyn einem kärglichen Imbiß gleichkam. „Das hat uns noch gefehlt“, stöhnte Inky leise auf. „Bis sich diese Meute zusammengerauft hat, wird eine Ewigkeit vergehen.“ Das Fest hatte gerade erst begonnen, die hohen Herren waren nur leicht angetrunken, und noch war die Kleidung einigermaßen reinlich. Asgarn erhob sich sogar, um uns beim Eintreten huldvoll zuzuwinken. Mit Handzeichen wies er dann den Truchseß an, uns die besten Plätze einzuräumen, und er verzog auch keine Miene, als sich Shandrak einfach neben uns setzte. Diesmal war die Reihe an den hohen Herren, mit den Augen zu rollen. Daß sich ein gesuchter Spitzbube an die königliche Tafel zu setzen wagte, war schon Frevel genug. Daß er sich aber obendrein auf einen der besten Plätze setzte, verschlug der Gesellschaft die Sprache. Asgarn rettete die Situation mit einer kurzen Ansprache. Er war kein schlechter Redner, und nach kurzer Zeit hatte die Runde sowohl Shandrak als auch das Essen vergessen. „Wir werden also gegen die Goldenen Sieben zu Felde ziehen müssen“, verkündete Asgarn am Ende seiner Ansprache. Einen Augenblick lang war es still im Saal. Die Edlen von Hirath sahen sich betreten an. Dann stand einer der Brokatgekleideten auf. Er strich sich durch den langen Bart, der bis auf die Brust herabwallte. Der Mann sah ehrfurchtgebietend aus, und das war wohl auch seine Absicht. „Höre ich richtig, König? Du willst einen Krieg vom Zaun brechen gegen die Goldenen Sieben? Ohne Grund, ohne zwingende Notwendigkeit?“ „Ich habe euch die Gründe dargelegt“, erklärte Asgarn. „Und gerade ihr, Herzog, solltet wissen, daß diese Auseinandersetzung früher oder später kommen mußte.“ Der Bärtige nickte nachdenklich. „Es ist aber Sache des Räubers zu rauben, und des Büttels, den Räuber zu fangen“, sagte er dann. „Es ist unsere Sache nicht, einen Abwehrschlag zu führen, wo niemand uns droht. Wenn nicht einmal du das Gesetz und die Regeln ehrbaren Handelns achten willst - wer sonst sollte es tun?“ Die Wechselrede gefiel mir nicht. Gar zu klein durfte unsere Streitmacht nicht ausfallen, wenn wir uns gegen die Streitkräfte der Goldenen Sieben eine Chance ausrechnen wollten. „Wir haben starke Verbündete“, wandte Asgarn ein. „Die günstige Gelegenheit macht den Rechtsbruch um keinen Deut ehrbarer“, antwortete der Herzog gemessen. „König, ich sage dir: Dieser Streit ist nicht ehrbar. Ich widerrate.“ Der Herzog imponierte mir. Pheldor kyr Rhynar schlug mit der gepanzerten Faust auf die Tischplatte, daß die Humpen sprangen. „Bei allen Göttern“, brüllte er. Der Ritter hatte eine Stimme, die Tote erwecken konnte, und er setzte sie zur Gänze ein. „Wollen wir warten, bis wir die Schwerter der Sieben an unsere Kehlen spüren? Haben sie nicht Hunderte von Malen den Frieden gebrochen? Plündern ihre Schiffe nicht täglich unsere Küsten; verschleppen sie nicht Sommer für Sommer Hunderte aus unserem Land?“ „Wahrhaftig!“ sagte eine Stimme, deren grenzenloser Haß mich erschauern ließ. Ich brauchte
mich nur umzudrehen, dann sah ich den Sprecher. Shandrak hielt seine mörderische Harpune
in der Hand. Der Herzog fixierte ihn. „Haß ist ein schlechter Ratgeber“, sagte der Herzog
ruhig. „Ich widerrate dem Kampf noch immer.“ Im Hintergrund stand eine Gestalt auf. Ich
erkannte den Priester.
„Fragen wir die Gottheiten“, sagte er liebenswürdig. „Ihre Antwort wird uns letzten
Aufschluß geben.“
Ich konnte feststellen, daß dem Priester einige sehr scheele Blicke zugeworfen wurden. Die
Einstellung der meisten im Saal schien mitten zwischen Furcht und Verachtung zu liegen.
„Diesem Vorschlag beuge ich mich“, erklärte der Herzog und setzte sich wieder.
Ich sah Inky an. Der zuckte mit den Schultern.
Man würde sehen.
* Schwarz waren die Wände, schwarz die Kleidung der vier Priester, die bei der Zeremonie assistierten. Unser spezieller Freund, der auf den Namen Lohun hörte, war in ein weites, blaues Gewand gekleidet. Kienfackeln spendeten ein schwaches, beständig flackerndes Licht. Auf einem Podest, mit blutrotem Tuch bespannt, war ein magisches Fünfeck gebildet. Die Eckpunkte dieses Gebildes bestanden aus weißblinkenden Schädeln, deren leere Höhlen mit Halbedelsteinen gefüllt waren - gelblich schielten die Augen uns an. Die gesamte Tafelrunde war in dem Raum versammelt, der im tiefsten Keller des Schlosses lag. Einmal mehr mußte ich an eine Gruft denken. Lohun hob ruckhaft die Arme. Musik setzte ein. Längst hatte ich die Lautsprecher gesehen, die rechts und links von dem Podest aufgebaut worden waren - Exponentialhörner, wie ich festgestellt hatte. Auch auf den Ton, der nun erklang, war ich vorbereitet gewesen. Natürlich, die altbekannte Demutstaste... Es war dies ein sehr alter und sehr beliebter Kniff aus der irdischen Religionsgeschichte. Auf entsprechend ausgelegten Kirchenorgeln gab es eine Taste, die einen so tiefen Ton entstehen ließ, daß man ihn nicht mehr hören konnte - wohl aber deutlich fühlen. Bei besonders feierlichen Augenblicken pflegten die Organisten diese Taste solo anzuschlagen mit dem Effekt, daß die Gemeinde im buchstäblichen Sinn ergriffen wurde. Daß die Besucher solcher Veranstaltungen das merkwürdige Gefühl in ihrer Magengrube ganz anderen Ursachen zuschrieben, war natürlich Zweck der ganzen Angelegenheit. Ich sah, wie sich bei einigen unserer Begleiter die Nackenhaare aufstellten, kein Wunder bei der Stärke, mit der der Infraschall auf uns einwirkte. Merkwürdig, daß mich diese Tatsache gelassen stimmte. Ich hatte den simplen, wenn auch wirkungsvollen Trick erkannt - damit war das ganze schauerliche Gehabe Lohuns wirkungslos geworden. Einmal auf derlei Dinge vorbereitet, brauchte ich mich auch nicht sehr anzustrengen, um in zwei sorgfältig ausgesuchten Winkeln des Raumes die Linsen von Kameras zu entdecken, mit denen wir offenbar beobachtet wurden. Ich verhielt mich ruhig, während Lohun einen schrecklichen Gesang anstimmte, von dem ich kein Wort verstand. Ich war mir auch sicher, daß nicht einmal Lohun genau wußte, was die Silben bedeuten sollten, die er da produzierte. Das Ganze war eine Farce - aber eine wirkungsvolle. Ich konnte an den Mienen der Shyftaner ablesen, wie sehr sie beeindruckt waren. Es würde nicht leicht werden, ihnen klarzumachen, daß sie sich von ein paar simplen technischen Spielereien hatten foppen lassen. Lohuns Singsang wurde zu einem mißtönenden Krächzen. „Sprich zu uns, o ewiger Gott des Krieges, der List und des klugen Ratschlags.“
Aus feinen Düsen in dem Podest stiegen winzige Flammen auf und wurden rasch größer. Für die Bewohner dieser Welt waren die kleinen Öffnungen, die hintereinander die Verbindungslinien zwischen den Totenschädeln bildeten, natürlich bedeutungslos gewesen. Lohun zog eine Schau ab, anders konnte man diese Veranstaltung schwerlich nennen. Trotz aller billigen Effekte aber mußten wir dieses Spektakel fürchten. Auf die Bewohner des Planeten wirkten die Mätzchen jedenfalls verheerend. Wo ich Infraschall erkannte, fühlten sie sich von Ehrfurcht ergriffen. Was ich als Gas identifiziert hatte, mußte ihnen buchstäblich als Feuerzauber erscheinen. Im Flackerlicht des lodernden Pentagramms mit seinen widerlichen Totenschädeln war deutlich zu erkennen, wie überwältigt die Männer von dem Schauspiel waren. „Ich sehe dich, König von Hirath!“ sagte eine Stimme. Der Lautsprecher mußte hinter dem schwarzen Vorhang stecken: die Frequenzen oberhalb von 13 000 Hertz wurden von dem Stoff hörbar gedämpft. „Tritt vor, Asgarn, Edler zu Gynhall! Asgarn zögerte. „Worauf wartest du, König?“ Ich sah, daß der König bleich wurde. Die Stimme kam eindeutig von vorn, aber Lohun konnte nicht gesprochen haben - er stand mit erhobenen Armen, aber deutlich geschlossenem Mund neben dem feurigen Pentagramm. Sein Gesicht war uns zugekehrt. Es gab also nur eine Erklärung die Gottheit selbst hatte Asgarn angesprochen. Und sie konnte ihn offensichtlich auch sehen. Asgarn trat vor. Es wurde langsam Zeit für uns, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Was der verdeckte Lautsprecher verkünden würde, lag schließlich auf der Hand. „Ich weiß“, erklärte die Stimme aus dem Lautsprecher, „daß du Krieg führen willst. Dich gelüstet es nach einer Schlacht mit den Goldenen Sieben.“ „Das stimmt“, gab Asgarn zu. Hilflos sah er sich um. Offenbar wurde dieses Spektakel in dieser Form zum ersten Mal inszeniert. „So reite denn hin und streite“, verkündete die Stimme, Ich stand erstarrt. Inkys Kiefer klappte herunter. Was war das? Der Fall war doch sonnenklar -Lohun war ein Priester im Dienst der Goldenen Sieben, und dieser Macht waren auch die technischen Errungenschaften dieser Kapelle zu verdanken. Kameras und Mikrophone waren von den’ Goldenen Sieben installiert worden. Sie konnten nach eigenem Ermessen bestimmen, welche Ratschläge die Gottheit dem König geben sollte. Auf der anderen Seite dieser elektronischen Verbindung saß - ich war bereit, meinen Kopf darauf zu verwetten - das Fort der Goldenen Sieben. Warum aber rieten die Sieben zum Krieg? Suchten sie den Kampf mit Asgarn? Wußten sie mehr, als uns lieb sein konnte? „Das hört sich gar nicht gut an“, murmelte Inky. „Ich habe mit einer ganz anderen Antwort der Gottheit gerechnet.“ Ich nickte betreten. Etwas braute sich zusammen.
4. „Das Tal von Jemhar“, erklärte der König. „Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Meerenge.“ Ich sah hinab auf die Ebene, weites grünes Land, das einen fruchtbaren Eindruck machte. Wir hatten uns wahrhaftig keine schlechte Welt ausgesucht. Hier ließ es sich leben. Die Bevölkerungsziffer war sehr gering, das lag zum einen an einer entsetzlich hohen Kindersterblichkeit und zum anderen daran, daß die Menschen von Monsalvasch auch nicht sehr alt wurden. Bei dem konnten wir mit unseren modernen Hilfsmitteln abhelfen; allerdings mußten wir dann auch dafür sorgen, daß die Geburtenrate nicht sprunghaft in die Höhe
schnellte.
Das Heer, das Asgarn anführte, wand sich in langem Zug durch die Enge des Gebirgspasses.
Asgarn hatte aufgeboten, was sich in seinen Landen finden ließ. Uns folgten insgesamt
zweihundert Ritter, schwergepanzert und gut beritten, dann knapp eintausend leichte Reiter,
die über gute Bögen verfügten, zum Schluß dreitausend Fußsoldaten mit Spießen.
Dieser Ansammlung von kriegstüchtigen Männern folgte ein unübersehbarer Haufen von
Troßknechten, Fuhrwerken, Marketenderwagen und - natürlich — den dazugehörigen Damen.
Ob diese Streitmacht reichen würde, den Herren der Festung die Stirn zu bieten, stand auf
einem anderen Blatt. Ich wußte jedenfalls, daß die Streiter der Time-Squad allein ausgereicht
hätten, diese Armee vernichtend zu schlagen - wahlweise durch betäubende Nadelgeschosse
oder tödliches Laserfeuer. Wenn unsere Gegner über ähnliche Kampfmittel verfügten, war das
Unternehmen bereits im Ansatz gescheitert.
„Werden wir noch lange brauchen?“
Asgarn beantwortete Inkys knappe Frage mit einem Wiegen des behelmten Kopfes.
„Es kommt darauf an“, sagte er wie ein geschulter Jurist.
Ich spähte über die Schulter hinweg nach unserem Heer. Der Vormarsch ging einigermaßen
zügig vonstatten - jedenfalls für hiesige Verhältnisse. Auf Monsalvasch kannte man den
Gleichschritt noch nicht, und die Troßwagen mit Lebensmitteln, Ersatzspießen, gefüllten
Köchern und mittelschwerem Belagerungsgerät kamen entsetzlich langsam voran.
„Fünf Tage“, schätzte der König. Er hatte das Visier hochgeschlagen. „Vielleicht sechs. Dann
drei Tage für die Überfahrt, wenn wir Glück haben.“
Ich konnte mir nicht helfen, er sah majestätisch aus. Asgarn war groß und breitschultrig, und
die Rüstung aus blankpoliertem Schmiedeeisen stand ihm vorzüglich. Wenn man sich das
befremdliche Reittier mit seinen Zottelhaaren wegdachte, konnte er einem irdischen Märchen
entsprungen sein.
„Und von der Küste Gardahns brauchen wir dann noch einmal eine Woche bis zur Festung“,
setzte der König fort. „Vorausgesetzt, wir müssen keine Schlachten schlagen.“
Unser kleiner Haufe hatte sich vorgenommen, solche Metzeleien frühzeitig zu verhindern.
Wir hatten da unsere kleinen infamen Tricks, die hierorts noch unbekannt sein mußten.
Die Ebene von Jemhar bot sich für eine Schlacht geradezu an. Das nur mäßig gewellte Land
war überwiegend grasbewachsen, nur ab und zu unterbrachen kleine Baumgruppen das
idyllische Bild. Aus drei oder vier Hütten stiegen dünne Rauchfäden in die Höhe. Hier Bauer
zu sein, war zwar mit Sicherheit anstrengend, aber ebenso sicher auch gewinnbringend.
Ich griff an die Satteltasche und holte das Fernglas hervor. Auf Monsalvasch war ein solches
Gerät noch unbekannt; man würde sich aber bald daran gewöhnen, vermutete ich.
„Wir kommen ein wenig zu spät“, sagte ich wenig später. „Jemand wartet bereits auf uns.“
Ich gab das Glas an Asgarn weiter.
Der König hatte sich mit diesem Gerät schon vertraut gemacht. Vorsichtig führte er das Glas
ans Auge.
Der Anblick reizte zum Lachen ein Ritterhelm und davor ein modernes Prismenglas. Der
Sachverhalt aber war alles andere als lächerlich.
Unter einer Gruppe hoher Bäume hatte ich ein Zelt entdeckt, eine Konstruktion aus blauem
Stoff, über der an einer langen Stange eine blaue Fahne mit einer goldfarbenen Sieben darauf
wehte.
Ein Abgesandter der Goldenen Sieben wartete auf uns.
„Dieser Priester will uns in eine Falle locken“, flüsterte Inky, der das Zelt ebenfalls
ausgemacht hatte. „Wir hätten ihn in Hirath kaltstellen sollen.“
Dazu war es zu spät. Mehr noch, der fanatische Priester des letzten Geheimnisses begleitete
uns sogar. Wo immer wir lagerten, hatte er viel zu tun. Den Soldaten stand nach den
Anstrengungen der Märsche der Sinn meist nicht nach erbaulichen Sprüchen, sondern nach
handfestem Vergnügen, sehr zum Mißvergnügen des Priesters.
Ich sah, als Asgarn das Glas absetzte, daß er sich die Lippen leckte. „Hm!“ machte er und gab mir das Glas zurück. „Es sind nur drei Männer. Aber trotzdem, es könnte eine Falle sein.“ Wieder sah ich mich nach Asgarns Heer um. Hinter uns verließen gerade die letzten leichtbewaffneten Reiter den Paß. Ihnen folgten die Fußsoldaten. Die Panzerreiter würden uns bald erreicht haben. „Wir sollten die Ritter ausschwärmen lassen“, schlug Pheldor kyr Rhynar vor, der vom Ritter sechsten Grades mittlerweile zur rechten Hand des Herrschers aufgestiegen war. Ob das viel half, war zweifelhaft. Unter Umständen verzettelten wir unsere Kräfte nur. Auf der anderen Seite, was konnten drei Männer schon gegen die Streitmacht des Königs von Hirath ausrichten? Noch einmal griff ich zum Fernglas. Meter für Meter suchte ich die Landschaft ab. Aber ich fand keine Anzeichen dafür, daß irgendwo in der Nähe ein einsatzbereits Heer versteckt war. „Wir sollten hinüberreiten und fragen, was sie auf dem Boden von Hirath zu suchen haben. Vielleicht handelt es sich um eine Gesandtschaft.“ Pheldors Vorschlag klang vernünftig, und Asgarn nickte dazu. Dann befahl er: „Pheldor, reitet zurück, laßt das Heer sich formieren und nachrücken. Die Männer sollen auf alles vorbereitet sein. Ich werde mit unseren neuen Freunden zu dem Zelt reiten.“ Das sprach dafür, daß Asgarn uns vertraute - aber was blieb ihm auch anderes übrig. „Ich sehe mich um.“ Charriba riß seinen Grauen herum und sprengte davon. Ich war sicher, wenn sich irgend jemand in der Nähe verborgen hielt - vielleicht ein Attentäter, der den Konflikt durch einen Königsmord abkürzen sollte -, Charriba würde ihn unfehlbar finden. „Ein merkwürdiger Mann“, murmelte Asgarn; er klappte das Visier herunter und gab seinem Phärt die Sporen. Schnaufend setzte sich das Zotteltier in Bewegung. Nach kurzer Zeit war Charriba verschwunden. Wir ritten langsam. Es war noch früh am Tag, und hinter uns brauchte das Heer seine Zeit. Ab und zu drehte ich mich um. Auf dem Plateau vor dem Paß, das wir gerade verlassen hatten, formierten sich die Ritter des Königs zu einem weit ausgreifenden Bogen. Sie sahen beeindruckend aus, mit ihren glänzenden Rüstungen und den Schwertern, deren Klingen in der Sonne blitzten. An den langen Lanzen wehten die Wimpel in den Farben des jeweiligen Ritters, seine Fußknechte trugen entsprechende Markierungen auf ihren Kleidern. „Blau und gold“, murmelte Asgarn. Durch den Sehschlitz des Helmes war er kaum zu verstehen. „Vielleicht ist es einer der Sieben selbst.“ Das wäre eine angenehme Überraschung gewesen. Ich hätte nur zu gern gewußt, wer auf dieser rückständigen Welt Zeitmaschinen stehenließ, wer künstliche - noch dazu fehlgesteuerte - Monstren schuf, wer mit technischen Tricks Eindruck zu schinden versuchte. Wir durchquerten eine sumpfige Wiese, was den Phärts große Mühe bereitete, wie ihr Schnaufen und Schnauben verriet. In einem klaren Bach ließen wir die Tiere ihren Durst stillen. Es war ein Augenblick, den man sich. friedfertiger kaum vorstellen konnte. Es war still, vom Schlürfen der Phärts und dem leisen Klirren der Waffen abgesehen. Eine strahlende Sonne schien auf uns herab, der Himmel war fast wolkenlos.Über der Ebene lag der Geruch nach Wiesenblumen, und aus den Ästen der Bäume war der Gesang der Vögel zu hören. Der Bach plätscherte leise über glattgeschliffene Kiesel hinweg. Hinter uns formierte sich das Heer, entschlossen, dieses Idyll mit Waffenlärm, Blut, Tränen und Staub zu stören. „Weiter!“ bestimmte Asgarn. Er schwang sich wieder auf sein Phärt. Der Ritt ging weiter. Wir brauchten eine Stunde, bis wir die Baumgruppe vor uns erkennen konnten, in deren Schatten sich das Zelt erhob. Jetzt waren auch Einzelheiten genau zu erkennen.
Das Zelt bestand aus einem bambusähnlichen Material, mit blauem Seidenstoff bespannt - das deutete eher auf ein Quartier für Lustbarkeiten hin als auf Ware, die für schwere Kriegsbeanspruchung gedacht war. Neben dem Zelt war ein Phärt angepflockt, das ruhig graste. Der Besitzer des Reittiers saß auf einem Klappschemel vor dem Zelt, je einen Fußknecht neben sich zur Rechten und zur Linken. Von den beiden Speerträgern eingerahmt, schien der Mann auf uns zu warten. Er trug, wie ich verwundert feststellte, keine Rüstung. „Anhalten!“ rief Asgarn. Wir parierten unsere Reittiere durch. Der Fremde erhob sich von seinem Sessel und hob grüßend die Hand. Asgarn stieg aus dem Sattel, nicht ohne darauf zu achten, daß der Fremde seinen Schild zu sehen bekam. Die Farbkombination - blaugoldbraun - mußte dem Gegenüber verraten, daß er es mit dem König selbst zu tun hatte. Einer der beiden Knechte des Fremden nahm einen Schild aus dem Gras auf und stellte ihn aufrecht vor seinen Speer. Das Zeichen war eindeutig - eine goldene Sieben auf blauem Grund. „Nicht Valcarcel, jemand anderes“, murmelte ich erleichtert. Zum einen war das Blau einen Ton heller, als wir es von unserem Erzfeind, dem ZeitZauberer gewohnt waren. Zum anderen war die Sieben eine schlichte Zahl, nicht so kunstvoll verschnörkelt, wie wir sie bereits kannten. Vor allem aber gab es auf dem Schild auch noch eine Reihe silberner Punkte. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, darin Sterne zu erkennen eine Sternenkonstellation, genauer gesagt. Ich hatte ein hervorragendes Gedächtnis und daher wenig Mühe, mir die Konstellation einzuprägen. Eine Umfrage bei den Fachwissenschaftlern der Time-Squad würde erweisen, ob diese Sterne bekannt waren. Zu Fuß gingen wir langsam auf den Gegner zu. Es war ein schlanker Mann mittlerer Größe, mit hellem Haar und einem freundlichen, offenen Gesicht. Er war mir schlagartig sympathisch - ich war mir allerdings bewußt, daß dies nichts besagte. Schurken sahen keineswegs schurkisch aus, sonst hätten sie ihr Handwerk schwerlich betreiben können. „Willkommen, Asgarn, Edler von Gynhall, König in Hirath.“ sagte der Fremde mit einer angenehmen, warmen Stimme. „Dies ist mein Land“, sagte Asgarn schroff. „Mir gebührt es, Gäste willkommen zu heißen und Eindringlinge herauszuwerfen.“ Sein Gegenüber verzog das Gesicht zu einem nachsichtigen Lächeln. „Verzeiht meine Eile“, sagte er dann. „Mein Name ist Kyarx. Ich bin einer der Goldenen Sieben.“ Ich schluckte. Obwohl ich mit dieser Eröffnung gerechnet hatte, war ich überrascht. Ich hatte mir die Goldenen Sieben anders vorgestellt, härter und grausamer - erkennbar böse. Einmal mehr wurde ich belehrt, daß Aussehen und Charakter stark voneinander abweichen konnten. „Was sucht Ihr auf meinem Grund und Boden?“ Asgarns Stimme verriet Betroffenheit. Er hatte offenbar mit einem Boten des Gegners gerechnet, nicht aber damit, daß ihm einer der Herren der Festung gegenübertrat. Ich griff nach links und umklammerte Shandraks Handgelenk. Ich mußte alle Kraft aufwenden, um den Mann daran zu hindern, seine Waffe zu gebrauchen. Gegen die Harpune des Schwarzen hätte Kyarx keine Chance gehabt. „Wolltet Ihr nicht Krieg führen, König Asgarn? Einen großen Kampf um Leben und Krone? Ich bin gekommen, Euch eine weite Reise abzunehmen. Wir werden hier kämpfen und Ihr werdet Haupt, Helm und Krone darauf verlieren.“ Asgarn stand einen Augenblick sprachlos. „Wir ersparen uns so eine Schlacht, die unserer Seite nur Mühe und Arbeit machen würde.“ Die Stimme des Fremden troff vor Hohn. Woher bezog Kyarx seine schier unglaubliche
Selbstsicherheit? Hätte ich Shandrak gewähren lassen, hätte der Mann bereits am Boden gelegen, von der Harpune an den Grund geheftet. „Wo sind Eure Truppen?“ fragte Asgarn schließlich. „Keine Truppen“, erwiderte Kyarx lächelnd. „Ich schlage einen Zweikampf vor. Oder scheut Ihr davor zurück, selbst das Schwert in die Hand zu nehmen.“ Asgarn knirschte mit den Zähnen. Mir begann zu dämmern, daß wir den Gegner unterschätzt hatten. Wenn wir nicht höllisch aufpaßten, streckte der freundliche Mann von Gardahn den König nieder, war selbst König und befehligte das Heer von Hirath - gegen uns. Das durften wir nicht zulassen. „Und was geschieht, wenn der König Euch den Schädel spaltet?“ fragte Inky. Kyarx lachte nur. Er lehnte sich ein wenig zurück, lachte und lachte, und seine Erheiterung steigerte sich noch, als ein Kettenhandschuh vor ihm auf dem Gras landete. Kichernd hob Kyarx den leise klirrenden Handschuh auf. Dann - das Ganze nahm nur die Zeit eines Herzschlags in Anspruch verhärteten sich seine Züge zu einer Grimasse höchster Wut, bewegte sich seine Hand, und der schwere Handschuh landete in Asgarns Gesicht. Schweigen breitete sich aus. Klirrend rutschte der Kettenhandschuh an Asgarns Brünne herab. Auf der Wange des Königs waren feine Blutstropfen zu sehen. Asgarn war bleich vor Wut, aber er hielt sie unter Kontrolle. „Das wird den Kopf kosten“, sagte er mit mühsam gewahrter Beherrschung. „Den Euren und den Eurer Spießgesellen. Und wenn ich Euch erledigt haben werde, dürfen sich die Raben über Eure Knechte hermachen.“ Der gemütliche Plauderton, gleichgültig, ob echt oder gespielt, war geschwunden. Geblieben war die kalte Sprache nackter Gewalt. Die beiden Knechte zeigten sich nur mäßig beeindruckt von Asgarns Drohung. Zwar zuckten sie zusammen dann aber warfen sie einen Blick auf ihren Herrn, der ungerührt ein freundliches Lächeln zeigte. Sie grinsten schadenfroh. „Ich hörte“, sagte Kyarx, nun wieder die Liebenswürdigkeit selbst, „daß das Monstrum von Lhallwyn getötet wurde. Wem von Euch ist dieser Streich gelungen?“ „Mir!“ Das war zwar gelogen, aber durchaus verständlich. Shandrak kochte vor Wut, daher drängte er sich vor. Ein Glück, daß Pheldor nicht in unserer Nähe war, ihm diesen zweifelhaften Ruhm streitig zu machen. Der Mann mit der schwarzen Lederkleidung hatte sein Gegenüber fixiert. Die Hand, die den Schaft der Harpune umklammert hielt, zuckte nicht um einen Millimeter Ewigkeiten schienen zu vergehen, in denen sich die beiden Kämpfer in die Augen sahen. Es war Kyarx, der diese kleine Kraftprobe beendete. Der Blick, mit dem er Shandrak abschließend bedachte, verriet Interesse - und das war, betrachtete man die Umstände, eine außergewöhnliche Reaktion. Es hatte fast den Anschein, als nehme Kyarx Asgarn überhaupt nicht ernst, weder als König noch als Kämpfer. Ich wußte aber, daß Asgarn nicht nur seiner dekorativ ergrauten Schläfen wegen König von Hirath geworden war - er war Herrscher, weil es die Tapfersten seines Reiches vorgezogen hatten, ihr Schwert für ihn, nicht gegen ihn zu führen. Mir wäre es nie eingefallen, einen solchen Gegner nicht ernst zu nehmen. Kyarx sah wieder Shandrak an. „Du wirst der Nächste sein, wenn ich mit dem da fertig bin.“ Mit dem da war Asgarn gemeint. Kyarx verstand es meisterlich, sich Feinde zu machen. Kein Wunder, daß die Goldenen Sieben einen so üblen Ruf hatten, wenn sie allenthalben ein. solches Benehmen an den Tag legten. Den beiden Speerträgern schien der Tonfall ihres Herrn zu behagen, sie grinsten boshaft. „Herr“, sagte Shandrak. „Laßt mir den Vortritt. Ich will diesen Lümmel lehren, mehr Respekt zu zeigen. Sollte er mich besiegen, könnt Ihr ihn immer noch töten.“ Asgarn zog die Stirn in Falten. „Du weißt, daß dies nicht geht“, sagte er nach kurzem Zögern. „Du wirst dich gedulden müssen.“ Unterdessen war die erste Gruppe von Asgarns Armee bei uns angekommen, und der Rest der
Kampftruppen würde nicht lange auf sich warten lassen. Angesichts des Aufgebots, das Asgarn mit sich führte, war die Kühnheit des Fremden unbegreiflich. Glaubte er wirklich, eine Chance zu haben? Und wenn ja, worauf stützte sich dieser Glaube. „Steckt den Kampfplatz ab“, bestimmte Asgarn. „Ist Euch dieser Flecken Erde recht?“ Kyarx lächelte zurückhaltend. „Es wird Euer Blut sein, das dieser Boden trinken wird“, sagte er leichthin. „Ich überlasse die Wahl daher ganz Euch.“ Wir verließen den Schatten der Bäume. Herolde waren damit beschäftigt, eine Art Bahn abzustecken, knapp zwanzig Meter breit, etwa hundert Meter lang. Die Grenzen wurden durch in den Boden gerammte Speere markiert - wer sich beim Zweikampf aus diesem Gebiet herausbewegte, hatte den Kampf verloren, galt als ehrlos und durfte straffrei von jedem getötet werden, der dazu in der Lage war. Pheldor kyr Rhynar hatte ein ganzes Bündel von Lanzen besorgt, aus denen Asgarn umständlich eine auswählte. Die geschliffene Spitze der Waffe glänzte im Sonnenlicht. Kyarx hatte sich unterdessen seine Rüstung übergestreift. Mir fiel auf, daß die einzelnen Teile erheblich leichter zu sein schienen als die entsprechenden Gegenstücke von Asgarns Ausrüstung. Es dauerte dennoch seine Zeit, bis auch Kyarx ganz in Eisenblech verpackt und auf sein Phärt verfrachtet worden war. Einer seiner Knechte reichte ihm die Lanze, dann trabte Kyarx auf die Bahn. Die beiden Kontrahenten gingen in Position. Der Kampf konnte beginnen.
5. Pheldor kyr Rhynar gab das Zeichen, schmetternd krachte die Keule auf seinen Schild.
Langsam zuerst setzten sich die Phärts in Bewegung, wurden schneller und jagten aufeinander
zu.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an.
Die Reiter krachten zusammen. Asgarn wankte im Sattel, fing sich aber wieder. Seine Lanze
war in der Mitte geborsten, die Spitze steckte im Schild des Gegners.
Kyarx schien nicht getroffen zu haben. Erst beim zweiten Hinsehen fiel mir auf, daß die
Schneide seiner Lanze - ein rasiermesserscharfes Etwas von Handspannenlänge - einen
großen Teil von Asgarns Helmzier abrasiert hatte.
War das Absicht gewesen oder Zufall? Ich wußte es nicht, aber meine -Besorgnis stieg.
Die Gegner wendeten ihre Phärts. Ein Fußknecht rannte, um Asgarn mit einer neuen Lanze zu
versehen. Ich suchte auf der Rüstung des Königs nach Blutspuren, fand aber keine. Asgarn
schien unverletzt.
Wieder ritten die beiden an, gaben sie ihren Phärts die Sporen. Mit gefällten Lanzen preschten
sie aufeinander los.
Ich konzentrierte mich auf das, was Kyarx tat. Seine Lanze zielte auf die Kehle des Königs.
Wenn sie traf, war Asgarn binnen einer Minute tot, wenn nicht noch schneller. Asgarn
seinerseits zielte, wenn ich seine wesentlich unsicheren Bewegungen richtig erkannte, auf die
Schulter seines Widersachers - was im Erfolgsfall eine ähnliche Wirkung gezeitigt hätte.
Wieder zuckte ich zusammen, als die Kämpfer aufeinanderprallten. Diesmal hatte Kyarx
genau getroffen.
Asgarn riß im letzten Augenblick den Schild hoch. Funkensprühend fuhr Kyarx’ Lanzenspitze
über das Metall, traf dann auf den Helm und rutschte daran herunter.
Asgarns Lanze zerschellte mitten auf der Brünne des Gegners.
Beide Kämpfer taumelten, schwankten in den Sätteln. Mit einem häßlichen Schnalzen, das auf dem ganzen Platz zu hören war, riß bei Asgarns Phärt der Sattelgurt. Das Phärt machte noch zwei Schrittc, dann stürzte Asgarn haltlos auf den Boden. Unwillkürlich stöhnte ich auf. In diesen zentnerschweren Rüstungen war an Abrollen eines Sturzes nicht zu denken. Es schepperte, als Asgarns gepanzerter Körper den Boden berührte, und ich wußte, daß der König schwer angeschlagen war. „Niemand zu finden“, sagte eine kalte Stimme neben mir. Charriba war lautlos neben mich getreten. Gelassen sah er zu, wie Asgarn sich aufzurappeln versuchte. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Shandrak nach seiner Harpune griff. Für Kyarx mußte es nun leicht sein, den Gegner ein für allemal zu besiegen. Ich wartete auf das unvermeidliche Ende des Königs von Hirath, und Kyarx ließ sich Zeit. Er brauchte nur die Lanze neu einzulegen und loszusprengen. Asgarn, der vom Sturz halbbetäubt am Boden lag, hätte sich gegen den tödlichen Stoß nicht wehren können. Sein rechter Arm fuhr hilflos durch die Luft. Was sollte ich tun? Eingreifen? Die Gedanken überschlugen sich. Ich brauchte nur an den Gürtel zu greifen. Ein Nadelschuß genügte, um Asgarn zu retten - wenn ich traf. Ein Laserschuß hätte für Kyarx das Ende bedeutet. Aber hatte ich das Recht, mich dazwischenzuwerfen? Asgarn war verloren, obwohl er jetzt wieder auf die Beine kam und nach seinem Schwert griff. Kyarx wollte sich den satanischen Spaß gönnen, noch ein wenig mit Asgarn herumzuspielen, bevor er ihm den Garaus machte. Er ritt auf Asgarn zu, und es war seine Grausamkeit, nicht Asgarns Gewandtheit, daß es dem König von Hirath gelang, die Spitze der Lanze mit dem Schwert abzuwehren. Ich stieß einen Seufzer aus, ich ertrug diesen Anblick nicht mehr. Aber wenn ich eingriff, war zwar Asgarns Leben gerettet - seine Ehre aber war für alle Zeiten dahin. Ich konnte nicht einmal sicher sein, daß er sich später nicht selbst tötete, um der Schande zu entgehen, als Besiegter und Ehrloser leben zu müssen. An mich wollte ich dabei gar nicht denken - mich hätte man nur als ehrvergessenen Lumpen und Spielverderber angesehen. Ich hätte damit leben können, aber Asgarn... ? Der Mann von Gardahn ritt eine neue Attacke. Durch die Reihen von Asgarns Soldaten ging ein Raunen, als auch dieser Angriff fehlschlug. Dieses Mal hatten es alle gesehen, daß Kyarx einen erbarmungslosen Spaß veranstaltete. Die kurze Pause, die Kyarx brauchte, um mit seinem Phärt zu einem neuen Ansturm anzusetzen, benutzte Asgarn dazu, den Helm abzustreifen. Sein Gesicht war blutüberströmt es sah schlimmer aus, als es war. Ich konnte sehen, wie Asgarn seinen Gegner betrachtete und dann tief Luft holte. Es war deutlich zu erkennen: Der König von Hirath war sich im klaren darüber, daß seine Stunde geschlagen hatte. Ich bewunderte die Haltung des Mannes. Ganz offensichtlich versuchte Asgarn, sich seiner Haut bis zuletzt zu wehren; er wollte als geachteter Mann sterben, als ein Verlierer, der selbst den Verlust seines Lebens mit Fassung und Würde zu ertragen wußte. Ich wünschte, Demeter wäre an meiner Seite gewesen. Die Entscheidung, die ich zu treffen hatte, ging weit über den Kompetenzbereich hinaus, den auszufüllen ich mir zutraute. Ich war mir bewußt, wie entsetzlich schwach die Time-Squad war - besser: das, was von ihr übriggeblieben war. Das grauenvolle Spiel nahm seinen Fortgang. Kyarx ließ es zu, daß Asgarn ihm die Lanze zerhieb, dann sprang der Mann von Gardahn aus dem Sattel und griff zum Schwert. Die kurze Pause, die er zum Ziehen der Waffe benötigte, verstrich, ohne daß Asgarn sich rührte. Er wartete in Ruhe, bis der Gegner bewaffnet war. Er hätte einen Sprung gebraucht, einen einzigen zielsicheren Hieb - Kyarx hätte sich nicht zur Wehr setzen können. Aber die blitzschnelle Attacke blieb aus - der König von Hirath griff niemanden an, der nicht in der Lage war, sich zur Wehr zu setzen. Eine edle Haltung, aber ebenso tödlich.
Hinter mir hörte ich Soldaten des Königs leise stöhnen. Der Kampf zog sich qualvoll in die
Länge. Shandrak hielt die Harpune in der Hand. Sein Gesicht wirkte wie versteinert.
Mit einem atemberaubenden Schlagwirbel trieb Asgarn seinen Gegner vor sich her. Von der
stählernen Klinge waren nur noch die blitzenden Reflexe zu sehen. Aber auch dieses
Bravourstück konnte den König nicht retten. Als ihm der Arm erlahmte, trieb Kyarx seinen
Gegner mit einem gleichfalls wirbelnden Hagel von Schwerthieben zurück.
Die Augenblicke der Entscheidung waren gekommen.
Noch pendelte der Kampf hin und her, noch vermochte sich Asgarn zu wehren. Aber mit
unerbittlicher Hartnäckigkeit trieb Kyarx den König auf die Markierung der Kampfbahn zu.
Er wollte ihn nicht nur töten, er wollte seinen Ruf vernichten, sein Andenken tilgen. Die
Schande sollte ihn überleben.
Nicht Kyarx wollte den König töten - er wollte es einem der Soldaten überlassen, den
Vogelfreien zu erledigen. Oder Asgarn zwingen, sich selbst zu töten, was nicht minder
schmachvoll war.
Ich öffnete den Verschluß meiner Lederjacke. Das hautwarme Metall des Nadlers geriet an
meine Finger. Ich entsicherte die Waffe im Sichtschutz der Jacke.
Beide Kämpfer hatten die Helme verloren. Asgarns Gesicht war verzerrt.
Ich zog den Nadler.
Was man von meiner Handlungsweise sagen würde, war mir gleichgültig. Ich brachte es nicht
länger fertig, diesem schaurigen Spektakel zuzusehen.
Ich brauchte nur den Zeigefinger zu krümmen.
„Fast lautlos rasten die Gelatinegeschosse aus dem Lauf. Ich zielte auf den Kopf des Mannes
von Gardahn, auf seinen Nacken. So dicht am Hirn mußte bereits die erste Ladung des
Narkotikums wie ein Blitzschlag wirken.
Aber Kyarx fiel nicht.
Er blieb stehen, und er holte aus zu einem Schlag, der den völlig erschöpften Asgarn schwer
verwunden, wenn nicht gar töten mußte.
Der Schlag fiel nicht.
Eine Schlinge aus nahezu unzerreißbarer Rohhaut legte sich um den Schwertarm des Mannes
Kyarx, zielsicher geschleudert von einem, der niemals einen Fehlwurf tat.
Charriba zuckte mit keiner Miene. Er hielt das Ende das Lariats in der Hand und warf sich mit
einem Ruck zurück.
Kyarx verlor das Gleichgewicht, fiel hintenüber. Das Schwert glitt ihm aus der Hand. Im
nächsten Augenblick kam Shandraks Harpune angesaust und nagelte die Schwerthand des
Gardahnen an den Boden.
Der Verwundete stieß einen leisen Schmerzenslaut aus, mehr nicht. Seine beiden Knechte
wurden von Asgarns. Soldaten sofort umringt und entwaffnet. Ihre Gesichter waren
furchterfüllt.
Mit der freien Hand griff Kyarx wortlos nach Shandraks Harpune, aber die Bewegung kam zu
spät.
Carriba war wieder aufgestanden und hatte an den Gürtel gegriffen. Der Tomahawk raste
durch die Luft und traf. Es klirrte.
Metall auf Metall, dann hörte ich es zischen. Aus dem zertrümmerten Schädel des Mannes
von Gardahn stiegen Rauchfäden auf, seine Glieder schlugen unkontrolliert aber mit
unerhörter Kraft um sich.
In Charribas Gesicht zuckte kein Muskel.
„Teufel“, stöhnte Inky schreckensbleich auf. „Woher wußtest du, daß das ein Roboter ist?“
Charriba lächelte zurückhaltend. „Er hätte ein wenig schneller atmen sollen“, sagte er nur,
dann verließ er uns, um seinen Tomahawk zu holen. Inky schüttelte fassungslos den Kopf.
„Unglaublich“, sagte er. Ich ging langsam zu dem Roboter hinüber. Noch immer schlug er
wild um sich, und noch immer qualmte sein Schädel. Ich sah, daß Asgarn kreideweiß
geworden war. Er mußte sich an Pheldor kyr Rhynar lehnen, um nicht der Länge nach hinzuschlagen. „Heilige Götter“, murmelte der König, als er die qualmenden Einzelteile des Roboters ins Auge faßte. „Was ist das für ein Wesen, gegen das ich gekämpft habe?“ Wir wechselten einen raschen Blick. Es verstand sich, daß wir technologische Neuerungen diesen Menschen nur in kleinen Portionen verabreichen konnten. Ihnen nun mit einem Roboter zu kommen, wäre verfehlt gewesen. „Eine Schöpfung des Bösen“, erklärte ich daher. „Ein künstliches Wesen, durch Zauberei entstanden.“ „Er lügt!“ Der Priester drängelte heran. Auch er war bleich, aber in sein Entsetzen mischte sich eine gehörige Portion Wut. „Seht, was ihr angerichtet habt“, keifte er los. „Die ewigen Götter werden sich furchtbar für diesen Frevel rächen. Wie konntet ihr es wagen, einen der großen Herren töten zu wollen.“ „Du kanntest seinen Namen?“ Ich fixierte den Mann mit den Augen. Seine Wut schien schlagartig zu verfliegen, fast zaghaft schielte er mich nun an. „Er hieß Kyarx“, sagte der Priester nach einigem Zögern. „Der jüngste unter den Sieben.“ Das hieß, daß wir es mit sechs weiteren Robotern zu tun haben würden, wenn wir den Kampf gegen die Goldenen Sieben aufnahmen. Wenn sie alle so wenig stabil gebaut waren wie dieser hier, war unsere Arbeit vielleicht einigermaßen leicht zu erledigen. Ich ahnte allerdings, daß der nächste Gegner eine Klasse besser sein würde als Kyarx. „Was machen wir mit ihm?“ fragte Inky. Ich sah auf die Maschine herab und kniete dann nieder, um Einzelheiten erkennen zu können. Was ich sah, war ein Schädeldach aus einem Plastikmaterial, metallüberzogen, aber nicht sehr stabil. Darunter war ein Hohlraum verborgen, in dem ich ein faustgroßes Etwas erkennen konnte, das im Licht der Sonne schwärzlich schimmerte. Ich verstand nicht viel von Maschinen dieser Art, aber ich war mir sicher, daß wir es mit einer keineswegs sehr ausgereiften Konstruktion zu tun hatten. Ich versuchte es mit Analogien, wenn der Roboter Menschen weitgehend nachgebildet war, dann enthielt der schwärzliche Klumpen vermutlich das Gehirn des Robots. Stimmte diese Interpretation, dann waren uns die Erbauer des Robots ein erhebliches technologisches Stück voraus. Auf der Erde mußten die Prozessoren für ein robotähnliches Geschöpf in der Brust untergebracht werden. Der Kopf reichte dazu nicht aus. So hochwertig das Steuergehirn des Robots auch zu sein schien, die rein mechanische Konstruktion ließ zu wünschen übrig. Das ganze Ding sah irgendwie improvisiert aus. „Wir fesseln ihn, oder wir desaktivieren ihn“, schlug ich vor. Ich hielt nach einem Schalter oder Knopf Ausschau, mit dem der Robot ausgeschaltet werden konnte, fand aber nichts. „Wir werden ihn fesseln müssen“, sagte ich schließlich. „Charriba, willst du zu Demeter reiten und sie informieren? Ich schlage ihr vor, alle verfügbaren Männer und Frauen der Time-Squad in Marsch zu setzen. Diese Sache hier scheint mir wichtiger zu sein als das Monstrum von Lhallwyn.“ Charriba machte ein Zeichen, daß er verstanden hatte. Eine halbe Minute später saß er bereits auf dem mausgrauen Pony und jagte davon. Ich sah ihm nachdenklich hinterdrein. „Warum funken wir nicht?“ „Wer Robots baut, kann auch Funksprüche empfangen“, sagte ich langsam. In Gedanken war ich schon bei der Festung der Goldenen Sieben. Ich versuchte mir vorzusellen, auf welche Weise der Roboter gesteuert wurde. Handelte er nach den Programmdaten seines Gehirns, auf eigene Faust und Verantwortung oder stand er über eine Funkverbindung ständig mit der Festung in Verbindung und empfing seine Weisungen von dort? Die Antwort auf diese Frage war wichtig. Wußte man in der Festung bereits, daß Kyarx sein Ende gefunden hatte, wurden dort vermutlich bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet? In diesem Fall wäre es nötig gewesen, die Mannschaft der Time-Squad mit Gleitern
heranzuschaffen, dann war jede Sekunde kostbar.
Auf der anderen Seite konnte aber gerade das den Gegner erst alarmieren und über unsere
Anwesenheit informieren.
„Ist früher schon einmal einer von den Goldenen Sieben getötet worden?“
„Einige“, wußte Pheldor zu berichten. „Da wäre der berühmte Gewnay, der einem der Sieben
den Kopf vor die Füße gelegt hat, da wäre...“
Ich winkte ab. Es genügte mir zu wissen, daß man in der Festung darauf vorbereitet war, ab
und zu eine der Maschinen zu verlieren.
Ich stand langsam auf. Troßknechte stürzten sich auf Kyarx und schnürten ihn zu einem
handlichen Bündel zusammen.
„Schafft ihn unter sicherer Bedeckung nach Lhallwyn“, bat ich Asgarn. „Die Chefin wird
Euch dankbar sein dafür.“
Asgarn nickte hastig.
„Es soll getan werden“, sagte er leise. „Ich bin Euch Dank schuldig. Ohne Eure Hilfe hätte
mich dieses...“
„Bedankt Euch bei Charriba“, sagte ich abwehrend. Die ganze Angelegenheit war ohnehin
schon verfahren genug - schließlich hätten wir nach dem Ehrenkodex dieser Welt dem König
gar nicht helfen dürfen. Daß sich nachträglich herausgestellt hatte, wie ungleich dieser Kampf
von Anfang an gewesen war, entschuldigte nicht unser Eingreifen.
Auf der anderen Seite waren auch die Edlen des Reiches von Hirath einsichtig genug, unsere
Hilfe zu schätzen.
Wäre Asgarn nämlich im Zweikampf gefallen, hätte einer der Edlen die Krone übernehmen
müssen - und das schloß ein, daß der Betreffende den bereits eingeleiteten Feldzug fortsetzte,
diesmal als König.
Daran aber war, das war deutlich zu sehen, keinem der Herren gelegen.
Sie hatten Angst, auch wenn sie sich das nicht eingestanden.
6. Es dämmerte bereits, als wir das Meer zum ersten Mal wahrnehmen konnten. Es war Joshua Slocum, der sich plötzlich im Sattel seines Phärts aufrichtete und zu schnuppern begann. „Ich rieche das Meer“, sagte er, und sein Gesicht begann zu strahlen. „Merkt ihr denn gar nichts?“ Ich war Landratte nach Geburt und Neigung, ich roch nichts, und unseren Begleitern erging es ähnlich. Dann aber bogen wir um einen Hügel, und da lag das Meer vor uns. Silbrig glänzte der Wasserspiegel, über den eine sanfte Brise strich. Unsere eigene Küste konnten wir nicht sehen, wohl aber - ein dicker, dunkler Strich am Horizont - die Küste von Gardahn. Unser Ziel lag in Sichtweite. Wir hatten einen anstrengenden Ritt hinter uns. Seit wir darauf gefaßt sein mußten, daß Kyarx eine Funkbotschaft an die Herren der Goldenen Festung abgeschickt hatte, waren wir kaum aus den Sätteln gekommen. Unsere Streitmacht war unterdessen gewachsen. Unterwegs hatten sich die Aufgebote der nördlichen Grafschaften dem Zug angeschlossen. Ingesamt standen uns nunmehr siebenhundert Ritter und Schwergepanzerte zur Verfügung, dazu annähernd dreitausend leichte Reiter und eine Ansammlung von insgesamt zehntausend Kämpfern zu Fuß. Unterwegs waren wir nur Bewohnern des Landes begegnet, und es sprach eigentlich für die hohen Herren von Hirath, daß sich die Bauern und Landleute zeigten und beim Anrücken des Heeres nicht sofort fluchtartig verschwanden. Die langen Friedenszeiten hatten dem Land gutgetan; die Bauern waren reich geworden in den letzten Jahren.
„Theoretisch könnte man hinüberschwimmen“, murmelte Inky an meiner Seite. „Versuche es - mit Phärt und Rüstung!“ schlug ich ihm vor. Ich wußte nur zu gut, daß jetzt der widerwärtigste Teil des Heerzuges gekommen war. Seefahrten behagten mir nicht, schon gar nicht unter so primitiven Bedingungen. „Unten rechts, ein Fischerdorf!“ rief Pheldor laut und deutete mit dem Arm in die Richtung. „Und sie haben Boote.“ Tatsächlich erkannte ich eine Ansammlung kleiner, strohgedeckter Häuser etwas weiter landeinwärts. Auf dem Strand waren zwei Dutzend Boote zu erkennen, acht weitere dümpelten an einer primitiven Mole. „Das wird nie und nimmer ausreichen“, prophezeite ich. „Wir würden Tage, wenn nicht Wochen brauchen, um alle Männer und Tiere hinüberzuschaffen.“ „Hast du eine Alternative anzubieten?“ fragte Josh. Ich schüttelte den Kopf. Unser Seefahrtexperte hatte natürlich recht. Es gab keine andere Wahl, wenn wir nach Gardahn übersetzen wollen - wir mußten dazu Boote benutzen, und die der Fischer kamen uns gerade recht. An der Spitze einer kleinen Truppe von dreißig Mann stürmte Asgarn hinunter zum Strand und dann, an den leise plätschernden Wellen entlang, auf die Siedlung zu. Nach tagelangem Ritt durch ziemlich unwegsames Gelände bereitete es den Phärts offenbar größtes Vergnügen, einmal weit ausgreifen zu können. Sie schlugen auch ohne Nachhelfen des Reiters ein flottes Tempo an und grunzten zufrieden. Ich wußte inzwischen, daß es sich bei den Phärts tatsächlich um entfernte biologische Verwandte unserer Pferde handelte. Es waren sanfte, friedfertige Geschöpfe, die willig ihren Dienst versahen und überaus genügsam waren. Wenn man sie freundlich und liebevoll behandelte, konnten sie anhänglicher werden als irdische Hunde. Je näher wir kamen, um so schäbiger sahen die Boote aus. Als wir die ersten Kähne erreicht hatten, wurde mir fast übel. Die Boote waren fünfzehn bis zwanzig Meter lang und größtenteils offen. Obendrein bestanden sie nur aus Holz. Für mich war der Anblick furchterregend, aber ich hütete mich, allzu deutlich zu verraten, daß ich größere Wasseransammlungen verabscheute. Der Lärm unserer herandonnern“ den Schar hatte die Bewohner des Dorfes aufgeschreckt. Sie versammelten sich am Ufer, um uns zu erwarten. Es waren überwiegend schlanke, sonnengebräunte Gestalten. Wir sahen hauptsächlich Frauen, die Männer waren wohl noch draußen.Über der ganzen Siedlung lag ein Geruch nach Fisch, der merkwürdigerweise alles andere als unangenehm war. In einigem Abstand entdeckte ich Räucheröfen - die Angelegenheit bekam auch positive Züge. Eine der Frauen trat vor. „Willkommen, die Herren“, sagte sie. „Ich grüße Euch, König Asgarn.“ Der König erwiderte den Gruß mit aller Ehrerbietung. „Können wir in der Nähe der Siedlung lagern?“ fragte er höflich, obwohl er durchaus entsprechende Befehle hätte geben können. Rechtlich gesehen gehörte dem jeweiligen König jeder Fußbreit Land, und er konnte darüber verfügen, wie immer es ihm gefiel. In der Praxis sah die Sache anders aus. Die Frau, grauhaarig und stämmig, machte eine weit ausgreifende Handbewegung. „Lagert, wo immer es euch gefällt. Unsere Männer werden bald heimkommen. Dort könnt ihr die Segel schon sehen!“ Die Sonne war tief gesunken. Aus ihrem gelblichen Schein heraus kamen die Silhouetten der Segel näher. Das Meer begann sich golden zu verfärben, ein prachtvoller Anblick. „Befiehl der Truppe, zwischen den Dünen zu lagern“, bestimmte Asgarn, nachdem er einen Meldeläufer zu sich beordert hatte. „Wir werden in der Nähe des Ortes bleiben.“ Er wandte sich wieder an die Frau. „Könnt ihr uns Fisch verkaufen? Und Holz, ihn zu braten?“ „Wir haben genügend Vorräte, Herr“, antwortete die Frau. „Und wenn Ihr gut zahlt, werden
wir gerne davon abgeben.“ „Und wenn wir nicht zahlen?“ „Geben wir ungern ab“, antwortete die Frau. „Aber dann würde ich an Eurer Stelle besser nicht hier schlafen wollen.“ Asgarn lachte laut auf. Der trockene Humor der Frau schien ihm zu gefallen. „Wir werden ruhig schlafen“, sagte er erheitert. „Aber, Frau, sagt mir, ob ihr in den letzten Wochen allzeit habt gut schlafen können. Ist diese Küste nicht überfallen worden?“ Die Frau spie aus. „Nun“, sagte sie gedehnt. „Vor einigen zehn Tagen ist einer gekommen, von dort drüben. Ein schmucker Herr, und entschieden freundlicher als das Gesindel, das uns zu anderer Zeit die Ehre gibt.“ „Mehr sind nicht gekommen?“ „Dieser hat uns gereicht“, antwortete die Frau bitter. „Es war einer der Sieben - sagte er.“ Die Boote der Fischer hatten die Küste erreicht. Männer sprangen aus den Booten und halfen, sie aufs Land zu ziehen. „Wir haben zu tun“, sagte die Frau. „Reden können wir später noch.“ Sie ließ Asgarn stehen undging ruhig zum Strand hinüber. Die anderen Frauen folgten ihr, um den Männern behilflich zu sein. Im Innern der Boote glänzte es silbern, und das in der Nähe der Bordwand. Die Fischer schienen einen sehr guten Fang gemacht zu haben. Mit einer Handbewegung schickte Asgarn den Melder zum Hauptheer, dann stieg er aus dem Sattel. Leise seufzend nahm er den schweren Helm ab. Auch Joshua Slocum hatte sein Phärt verlassen und an einem Pfahl angebunden. Er ging zu den Booten hinüber, die am Strand lagen. Ich konnte sehen, wie er das Holz abklopfte und das laufende Gut überprüfte. Wenn Josh uns erklärte, daß die Boote einwandfrei waren, durften wir uns getrost darauf verlassen. Pfähle gab es genug in der Nähe, und am Rand der Siedlung wuchs genügend hartes Gras für die Phärts. Sie mochten das Gewächs nicht sehr, aber sie fraßen davon. Da wir vornehme Herren waren, brauchten Wir uns um unsere Reittiere nicht selbst zu kümmern -Troßknechte nahmen uns das Tränken und Striegeln ab. Einmal mehr kam ich zu der etwas boshaften Erkenntnis, daß der Feudalismus durchaus positive Seiten hatte vorausgesetzt, man stand auf der sozialen Stufenleiter genügend weit oben. „Die Boote sind tadellos“, rief Slocum schon von weitem. „Wir können pro Boot ungefähr dreißig bis fünfzig Fußsoldaten unterbringen, vielleicht sogar mehr.“ „Trotzdem werden wir viel Zeit zum Übersetzen brauchen“, warf Inky ein. „Und wir wissen, daß unser Gegner über moderne Technologie verfügt. Wenn er uns ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt angreift - während des Übersetzens sind wir praktisch machtlos.“ „Abwarten!“ empfahl Slocum lächelnd. „Wer weiß, was der Gegner vorhat? Ob er überhaupt etwas ahnt, ist noch gar nicht sicher.“ Vorerst ließ sich alles so an, wie wir uns das vorgestellt hatten. Die Fischer erklärten sich bereit, uns am nächsten Tag zu helfen. Ein halbes Dutzend Männer brach noch in der Dämmerung zur nächsten Siedlung auf, um auch dort Boote für die Überfahrt bereitstellen zu lassen. Was dieses Problem betraf, konnten wir getrost in die Zukunft blicken. Wir kampierten draußen, in der Nähe des kleinen Dorfes. Mir war diese Lösung lieber, denn in den Hütten der Fischer war es recht eng, und auf Dauer war auch der Geruch nach Räucherfisch nicht gerade angenehm. Die Soldaten des Heeres kampierten jenseits der Dünen. Dort konnten ihre Feuer von Gardahn aus nicht gesehen werden. Asgarn hatte diese Maßnahme veranlaßt. Am Ufer waren nur die Mitarbeiter der Time-Squad, Asgarn und Pheldor sowie ein halbes Dutzend Ritter zu finden. Wir hockten um leise knisternde Feuer und brieten Tintenfische an Stöcken. Das Fleisch der Tentakeltiere schmeckte vorzüglich. Ich war satt, und der Boden war noch warm von der Sonne, die tagsüber darauf
herabgeschienen hatte. Mit einem wohligen Seufzer legte ich mich schlafen. * „Leise!“ murmelte jemand in meinem Traum. Dieser Jemand griff nach mir, stieß und trat mich. Ich wachte auf, eine feste Hand über den Lippen. Am Druck erkannte ich, daß ein Freund mich an voreiligen Sätzen hindern wollte - ein Feind hätte mir anders das Sprechen verleidet. „Jemand kommt!“ Ich richtete mich langsam auf. Neben mir kniete Shandrak auf dem Boden, er war in seiner schwarzen Lederkleidung in der Finsternis kaum zu erkennen. Das Feuer war erloschen, ein paar Stücke glühten noch ein wenig nach. „Hör genau hin!“ flüsterte Shandrak. „Hörst du?“ Ich spitzte die Ohren. Das gleichmäßige Plätschern des Meeres war zu hören, das nicht minder gleichmäßige Schnarchen einiger Männer... und da war noch etwas, ein leises, weit entferntes Plätschern. Dazwischen Knarren und jener unverkennbare Ton eines straff gespannten Seiles, das vom Wind wie eine Violinseite gespielt wurde. „Ein Boot!“ sagte ich leise. Shandrak antwortete flüsternd: „Mehrere Boote, eine ganze Flotte. Wecke die anderen, aber leise, ganz leise. Man darf uns nicht hören.“ Er huschte in der Dunkelheit davon, den Dünen zu. Wahrscheinlich wollte er das Heer wecken. Ich stieß Inky an. Er erwachte sofort - und geräuschlos. Kein Wunder, er hatte einige Jahre solcher Erfahrungen hinter sich. Anastasius Immekeppel, vormals Soldat in der Groß. deutschen Wehrmacht, hatte gelernt, unter solchen Bedingungen zu leben. „Boote!“ brauchte ich ihm nur zuzuflüstern. Das genügte. Er weckte Asgarn, während ich mich um die anderen kümmerte. Wir brauchten eine knappe Viertelstunde, dann war unser kleiner Trupp geweckt und kampfbereit. Weitere zehn Minuten später erschien Shandrak wieder bei uns. Mit Zeichen gab er uns zu verstehen, daß inzwischen auch das gesamte hirathische Heer einsatzbereit war. Das Plätschern war unterdessen deutlicher geworden. Shandrak hatte zweifelsöhne recht eine ganze Flotte näherte sich unserem Strandabschnitt. „Wer mag das sein?“ fragte Inky. „Weitere Fischer?“ „Keine Fischer“, murmelte Shandrak mit hörbarer Erregung. „Ich habe die Dorfbewohner geweckt, sie erwarten niemanden mehr. Und, Freunde, könnt ihr das Klirren nicht hören?“ „Waffen?“ „Natürlich Waffen“, sagte Shandrak. „Sie kommen - entweder Piraten, oder aber die Truppen der Goldenen Sieben.“ „Wir werden sie gebührend empfangen“, versprach Asgarn grimmig. „Diese Nacht werden die Sieben nicht vergessen.“ Ein Dutzend Unterführer seines Heeres hatten sich zu uns geschlichen. Asgarn gab leise seine Befehle. „Können wir Feuer anstecken?“ fragte Joshua Slocum. Zu uns waren auch einige Fischer gestoßen, darunter die Frau, die ich am Nachmittag bereits gesehen hatte. „Wir es zum Kampf kommen?“ fragte sie mit ruhiger Stimme. „Er scheint mir unausweichlich“, antwortete Asgarn. „Ich fürchte, daß Shandrak recht hat entweder kommt dort eine große Piratenflotte, oder aber die Goldenen Sieben versuchen eine Invasion. Die Schlacht wird nicht zu vermeiden sein.“ „Dann steckt unsere Hütten in Brand“, sagte die Frau. Inky pfiff leise durch die Zähne. Ich nickte anerkennend. Die Frau war von raschem Entschluß und großer Nervenstärke.
„Wir werden sie aufbauen lassen“, versprach Asgarn. „Einstweilen danke ich für euer
Angebot.“
„Pah“, sagte die Fau. „Dankt nicht unnütz. Ob wir die Hütten anstekken, damit sie uns das
Schlachtfeld erhellen, oder ob das Gesindel draußen sie aus reinem Mutwillen einäschert - das
Ergebnis ist das gleiche. Gebt ein Zeichen, wann ihr das Feuer braucht. Wir werden zur Stelle
sein.“
Sie ging schnell, aber leise davon.
„Mindestens dreißig Boote“, gab Shandrak weiter. „Eher mehr. Das sind keine Piraten, Herr.
Es gibt keinen Zweifel mehr - dort rückt der Feind heran.“
„Wir werden ihn gebührend empfangen“, wiederholte Asgarn. „Haben die Bogenschützen
ihre Positionen eingenommen? Stehen die Speerschleuderer am rechten Ort?“
„Die Männer brennen auf den Kampf, Herr“, sagte Pheldor kyr Rhynar. „Sie haben
Aufstellung genommen.“
Einige Schritte entfernt von mir erklang ein Geräusch, ein feines Schaben und Scharren. Ich
brauchte einige Zeit, bis ich begriff - Shandrak schärfte die Spitze seiner Harpune. Wehe dem,
der von diesem Geschoß getroffen wurde.
„König“, flüsterte ich. Ich berührte Asgarn am Arm. „Zieht Eure Männer ein Stück zurück“,
schlug ich vor. „Wir sollten die Angreifer landen lassen und dann einschließen - dann sind sie
unsere Gefangenen.“
„Wir müssen angreifen, wenn sie gerade aus den Booten heraus sind“, entgegnete Pheldor
hart. „Dann ist die Verteidigung praktisch nicht gestaffelt, die Männer werden seekrank sein
und vermutlich übermüdet. Wir werden sie erledigen, sobald sie festes Land betreten.“
„Wenn sie uns zu früh bemerken, ziehen sie sich vielleicht wieder zurück und warten, bis wir
eine Invasion versuchen - oder sie zwingen uns gar eine Seeschlacht auf.“
Asgarn knirschte mit den Zähnen.
„Wenn wir schon eine Schlacht schlagen“, bohrte ich nach, „dann sollten wir den Feind nicht
nur besiegen, sondern vernichten. Ein Gefangener ist als Kämpfer ausgeschaltet und kann uns
nicht mehr gefährlich werden.“
„Wir ziehen uns ein Stück zurück“, entschied Asgarn schließlich.
„Das wird uns Tote und Verletzte einbringen“, knurrte Pheldor.
Er hatte damit zweifelsohne recht, aber sein Vorschlag hätte die Gegenseite ein Mehrfaches
an Toten und Verwundeten gekostet.
Wir, von der Time-Squad, hatten es in der Hand, den Kampf so unblutig zu gestalten wie nur
irgend möglich. Das waren wir uns, unserer Chefin und unserer Ehre schuldig, oder, wenn
man so wollte, der Menschheit.
7. „Wartet noch einen Augenblick“, flüsterte Shandrak. Der Mann im schwarzen Lederanzug beherrschte sich eisern. „Noch sind nicht alle gelandet.“ Wir waren knapp hundert Meter von den ersten Hütten entfernt. Zusammen mit zwei Dutzend der besten Bogenschützen von Hirath lagen wir in einer rasch ausgehobenen Vertiefung und spähten zum Gegner hinüber. Ab und zu schien der Mond durch das Nachtgewölk und beleuchtete die Szenerie. Shandrak hatte sich nicht unerheblich verrechnet. Was da herangeschwommen kam, war eine Streitmacht, die es mit dem Heer von Hirath sehr wohl aufnehmen konnte ich schätzte die Armada auf knapp fünfundsiebzig Boote, die erheblich größer waren als die Bauten der Fischer von Hirath. Die Goldenen Sieben waren entschlossen, mit geballter Faust zuzuschlagen - schätzzungsweise siebentausend Mann wurden vor unseren Augen angelandet.
Der größte Teil dieser Streitmacht bestand aus Gepanzerten, und das war von den Überraschungen die Übelste gewesen. Gegen Harnische, Helme und Brünnen halfen keine Nadelgeschosse, es sei denn, die winzigen Gelatinenadeln mit dem hochwirksamen Betäubungsmittel darin fanden irgendwo eine Lücke in der Panzerung. Die Chancen waren gering. Siebentausend Schwerbewaffnete, das war entschieden mehr, als wir vermutet hatten - und damit war der erste kapitale Fehler bereits begangen. Den Feind kommen zu lassen, um ihm mit einer rasch geführten, harten Attacke sofort den entscheidenden Schlag verpassen zu können - das war eine Strategie, die sich entweder der Überlegene erlauben durfte oder aber die letzte Hoffnung eines Verzweifelten darstellte. „Was habe ich gesagt!“ flüsterte Pheldor wütend. „Wir hätten sie angreifen sollen, während sie noch durch das Wasser wateten.“ „Wir werden sie auch jetzt besiegen“, sagte Asgarn zuversichtlich, dann sah er mich an. Es war kein erfreulicher Blick, mit dem er mich bedachte. Der Gesichtsausdruck des Königs verriet grenzenloses Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Unser Glück war, daß Asgarn nicht von meinen sorgengequälten Gedanken ahnte. So einfach, wie er sich die Angelegenheit vorstellte, waren die Dinge nicht; vor allem nicht, weil wir um jeden Preis ein allgemeines Gemetzel vermeiden wollten. „Es ist soweit!“ flüsterte Shandrak. „Die letzten Gardahner sind gelandet und verlassen die Boote.“ Asgarn blickte sich noch einmal um. Die Gardahner bewegten sich auf die ersten Hütten des Dorfes zu, die Masse ihrer Truppen befand sich auf dem Strand vor dem Dorf. In weitem Bogen hielten Asgarns Truppen das Dorf umzingelt, zuerst die Speerwerfer, dann die Bogenschützen, zuletzt die Fußtruppe. Die Reiter, vor allem die schwergepanzerten Ritter, hielten hinter einer sichtdeckenden Düne. Zwischen den Fußtruppen steckten auch die meisten erwachsenen Bewohner des Dorfes, die Frauen eingeschlossen. „Der Himmel allein ist gerecht“, murmelte Asgarn. „Er wird den Sieg der gerechten Sac;he geben. Bogenschützen, macht euch ans Werk!“ Die Bogner standen auf, während ich ein Stoßgebet murmelte. Die Lunten brannten bereits seit einigen Minuten. Sorgfältig im Sichtschutz der Dünen hatten die Bogenschützen sie entzündet. Jetzt steckten sie mit diesen Lunten die Spitzen ihrer Brandpfeile an. Das konnte den Gardahnern natürlich nicht verborgen bleiben. Rufe waren zu hören, dann gebrüllte Befehle. „Die Pfeile los!“ schrie Asgarn. „Und dann die Speerschleuderer!“ Die ersten Brandpfeile zischten durch die Luft und fanden ihre Ziele. Das Stroh der Hütten war trocken wie Zunder, eine halbe Minute genügte, damit das Dach in hellen Flammen stand. Jetzt war das Schlachtfeld gut zu übersehen. „Schleudert die Speere!“ Die Soldaten standen auf, nahmen Anlauf. Hagelgleich jagten die scharf spitzigen Speere den Gardahnern entgegen, und auch sie trafen. Ihnen folgten weitere Geschosse, abgefeuert von den Bogenschützen des Königs von Hirath. Wieder gab es Verletzte und Tote beim Gegner. „Drauf und dran!“ schrie Asgarn. Er klappte das Visier herunter, verließ die Deckung und marschierte auf den Feind los. Seine Fußtruppen standen auf, legten die Speere ein und marschierten in geordneten, unerbittlichen Reihen auf die, Gardahner zu, die noch gar nicht recht begriffen hatten, was mit ihnen veranstaltet wurde. Lange zu verblüffen war diese Truppe aber nicht. Mit einer löwengleichen Stimme gab ein Gepanzerter Anweisungen, und die Soldaten gehorchten rasch. Nach kurzer Zeit schon fanden die Pfeile der Hirather kaum mehr Ziele. Die Gegner duckten sich hinter Schilde, suchten
Deckung hinter Mauern. Inzwischen standen die Hütten in hellen Flammen, das Prasseln der Flammen mischte sich in das Heulen und Wimmern der Verletzten, in die markerschütternden Angriffsschreie der Soldaten, die sich selbst Mut und dem Gegner Angst machen wollten. „Ordnet die Reihen!“ brüllte der Anführer der Gardahner. „Schlagt sie zurück. Zielt auf den König!“ Die Gardahner hatten erkannt, mit wem sie es zu tun hatten. Die erste Überraschung war vorbei, der Widerstand der Invasoren verhärtete sich. Nur die Speere der Hirather fanden immer wieder Ziele, aber das reichte nicht aus, die Reihen zu durchbrechen, die sich inzwischen gebildet hatten. Asgarn ließ einen kraftvoll geschleuderten Speer an seinem Schild abprallen, ein Pfeil blieb in seiner Helmzier stecken. Er beachtete es nicht. „Freunde“, sagte ich, „an die Arbeit!“ Wir hatten die Nadler schußbereit in der Hand, hoffend, daß wir damit die Schlacht rasch und gründlich entscheiden konnten. Wir rannten los, geduckt, um den bösartig präzisen Bogenschützen der Gardahner keine Ziele zu bieten. Die Fußsoldaten Asgarns hatten die Hütten erreicht, die Schlacht war in vollem Gange. Ich rannte auf die vorderste Hütte zu. Ein Speerwerfer tauchte vor mir auf, bekam eine Nadel in den Hals und kippte zur Seite. Sein Speer blieb zitternd im sandigen Boden stecken. Schwerterklirren war zu hören, das Knistern und Prasseln der Brände. Schmerzensschreie, gebrüllte Befehle erfüllten die Luft, dumpfes Stöhnen, Wutgeschrei. Meine Waffe spuckte unablässig Nadeln aus. Ich war mit genügend Ersatzmagazinen ausgerüstet, Munitionsmangel war meine geringste Sorge. Zwei Bogenschützen liefen mir ins Feuer und brachen darin zusammen. Einem Ritter setzte ich zwei Nadeln in den Visierschlitz. „Drängt sie ins Wasser!“ brüllte Asgarn. Seine Helmzier stand in Flammen, sein Schild war verbeult, die Farbe abgeplatzt, das Metall des Harnischs war mit Asche bedeckt der König sah aus wie ein Ungeheuer aus einer anderen Welt. Sauber aber und blitzend war die Klinge seines Schwertes, mit dem er mörderische Hiebe austeilte. Einer der Anführer stellte sich ihm in den Weg, und er trug einen blauen Schild mit einer Sieben darauf. Sie half ihm nicht. Der erste Hieb des Königs fegte dem Gardahner, der sich im Gedränge nicht recht bewegen konnte, den Helm vom Haupt, der zweite ließ den Robot zusammenbrechen. „Zwei!“ brüllte Asgarn in einer Lautstärke, daß ihn jeder hören konnte. „Wo ist der nächste?“ Ich konnte nicht weiter auf ihn achten. Ein Gardahner griff mich an. Die Nadlerschüsse aus der linken Hand beeindruckten ihn nicht, ich mußte mich mit dem Schwert verteidigen. Es gelang mir leidlich, ich konnte mich meiner Haut wehren, aber zu einem entscheidenden Schlag fand ich keine Möglichkeit. Immer weiter drängte mich der Gardahner zurück, bis es mir endlich gelang, einen Nadeltreffer an seinem Handgelenk anzubringen. Ich atmete erleichtert auf, als der Mann endlich besinnungslos zusammenbrach. „He da,her zu mir!“ brüllte Inky aus der Höhe. Er stand auf den flammenumloderten Mauern einer Hütte und hieb dem Unvorsichtigen, der auf ihn gehört hatte, eine Keule auf den Schädel. Inkys Gesicht war rauchgeschwärzt, er blutete an einem Ohr, seine Haare waren versengt. Von irgendwoher kam ein Netz angeflogen, breitete sich im Flug aus und senkte sich auf eine Gruppe Gardahner. Bevor die Männer dazu kamen, das zähe Gewirk mit den Schwertern zu durchtrennen, brachen wie Höllenteufel die Fischer über sie herein und knüppelten sie mit Belegnägeln nieder. Der Kampf schien sich zu unseren Gunsten zu wenden, als ein Geräusch hörbar wurde. „Reiter!“ schrie eine sich überschlagende Stimme. „Reiter greifen an!“ Der Boden bebte, als die Panzerreiter die Hütten erreichten. Entsetzensgeschrei gellte durch
die Gassen, und als ich die Farben der Flüchtenden sah, wußte ich auch, wessen Reiter in die
Schlacht eingriffen.
Fast zur gleichen Zeit trafen auch Asgams Berittene auf dem Schlachtfeld ein. Sie hatten
damit gerechnet, auf Fußsoldaten zu treffen - dem heranbrausenden Unwetter aus Stahl,
Knochen und Muskulatur waren sie nicht gewachsen.
Für die Zeit eines Herzschlags hielten alle die Luft an, niemand bewegte sich.
Wie Schemen aus einer anderen Welt galoppierten die Gepanzerten heran, am Dorf vorbei.
Auf dem freien Strand trafen sie aufeinander.
Eine Sekunde lang Stille, nur unterbrochen vom Donnern der Hufe. Dann ein
ohrenbetäubender Lärm, ein Aufschrei aus Hunderten von Kehlen... Die Reihen waren
durchbrochen, die Gardahner waren geschlagen, stoben in panischer Flucht auseinander.
„Tosalf!“ gellte eine unmenschlich klingende Stimme durch den Lärm. „Du elender
Schurke!“
Selbst mit diesem Ton des Irrsinns geschwängert war das Organ nicht zu verkennen.
Shandrak hatte geschrien, und mehr Haß konnte keiner in seine Stimme legen als der Mann
mit der Harpune.
Ich fuhr herum.
Shandrak stand zwei Häuser von Inky entfernt auf einer Ruine. Hinter ihm stieg langsam die
Sonne über die Dünen. Eine Silhouette, mehr war von Shandrak nicht zu erkennen, ein
magerer, haßerfüllter Mann, der sich schwarz gegen eine rötliche Sonne abzeichnete.
Von irgendwoher kam ein Speer auf Shandrak zugeflogen. Mit einer beinahe lässigen
Bewegung stieß der Schwarze das Geschoß im Flug zur Seite.
„Tosalf!“ gellte wieder Shandraks furchtbare Stimme. Der Mann hatte die Grenze der
Normalität weit überschritten, er bestand nur noch aus Haß.
„Steh und stell dich, Tosalf, und schmecke meine Harpune!“
Ich konnte nicht sehen, wem dieser Zuruf galt, aber ich sah, welche Wirkung er hervorrief.
Für die Zeit eines Herzschlags stockte das Getümmel, stellten die Fechtenden den Kampf ein.
Shandrak stand und schwenkte die entsetzliche Waffe. Am Ende der Harpunenspitze war ein
langes Seil aus geflochtenem Rohleder befestigt, und ich wußte, daß dieses Material nahezu
unzerreißbar war.
Ich rannte los. Unbedingt wollte ich erfahren, wer den niederwalzenden Haß des Mannes in
Schwarz auf sich gezogen hatte. Wer war Tosalf?
Und was hatte er getan, Shandrak in diesen Zustand zu versetzen? Ich war sicher, daß
Shandrak jeden, den besten Freund eingeschlossen, niedermachen würde, wenn er sich dem
Vollzug seiner Rache in den Weg zu stellen wagte.
Endlich sah ich beide Kämpfer. Den hageren Mann mit der Harpune auf dem Dach, umweht
von Rauchschwaden, die aus dem verbrannten Haus aufstiegen, und knapp dreißig Meter von
ihm entfernt, auf dem Boden des Dorfes, den hochgewachsenen Mann in der unverkennbaren
Rüstung - blau und gold. Tosalf war einer der Goldenen Sieben!
Und er stellte sich zum Kampf. Seine Gefolgsleute wichen zurück, um den Platz
freizumachen. Sie hatten es schwer, unsere Krieger drängten heftig - aber offenbar mehr, um
den Zweikampf zu sehen als den eigenen Kampf fortzusetzen.
Mit einem panthergleichen Satz sprang Shandrak von der Ruine auf den Boden hinab.
Dann, gedankenschnell, fuhr der Waffenarm zurück, bog sich nach vorn, und während die
Menge noch aufstöhnte, wankte Tosalf und ging, getroffen von der Harpune des Rächers, in
die Knie. Und über dem Entsetzensschrei der Menge gellte der Racheschrei des Mannes im
schwarzen Ledergewarid. Mit beiden Händen griff der Herrscher von Gardahn nach dem
Stahl in seinem Helm, dann sanken seine Glieder herab.
Das war das Zeichen. Wie auf ein Kommando griffen die Hirather wieder zu ihren Waffen,
und ihrem wütenden Ansturm hatten die Gardahner nichts entgegenzusetzen. Ihr
Kampfeswille war anscheinend beim Tod eines ihrer Anführer schlagartig erloschen.
Immerhin waren sie aber noch besonnen genug, nicht in eine wilde Flucht auszubrechen, sie versuchten vielmehr, einen leidlich geordneten Rückzug anzutreten. Mit neu erwachtem Mut rückten unsere Truppen den Invasoren auf den Leib. Die Front der Panzerreiter zerbröselte unter dem Ansturm der hirathischen Ritter, der größte Teil der Gepanzerten verlor die Phärts und mußte sich zu Fuß durchschlagen. Die Boote der Gardahner schoben sich an den Strand heran. Hinter den Schildreihen der Bordwände duckten sich die Mannschaften, um dem Pfeilregen zu entgehen, der ihnen von der Küste entgegenschlug. „Brander her!“ schrie Asgarn. „Überschüttet die Boote mit Brandpfeilen!“ Erneut machten sich die Spezialisten an die Arbeit. Ihr Einsatz kam gerade rechtzeitig, der Flucht der Gardahner den letzten Anstoß zu geben. Schon hatten die Panzerreiter der Gardahner ihre Truppen neu formiert, die Fußsoldaten hatten sich hinter ihren schweren Schilden eingeigelt, und einen Augenblick lang sah es so aus, als würden sie zu einem neuen Sturmlauf ansetzen. Diesem Angriff hätten die Hirather nichts mehr entgegenzusetzen gehabt - in dem Wechselbad von Sieg und Niederlage, Vorstoß und Flucht waren die Gardahner offenbar mit besseren Nerven ausgestattet. Dann aber saßen die ersten Brandpfeile im Ziel. Das Holz der Boote war nur oberflächlich feucht, und es war hervorragend geteert. Einmal in Brand gesetzt, loderten die Schiffe wie Fackeln. Die Gardahner sahen, was mit ihren Schiffen geschah, und die Angst vor dem Schicksal, im Meer ersäuft zu werden, ließ sie immer hastiger zurückweichen. „Maschinen!“ tobte Shandrak, der plötzlich neben mir aufgetaucht war. Seine Augen verrieten, daß er geweint hatte. „Es sind Maschinen, die in der Hölle schmoren könnten, ohne Schaden zu nehmen. Was habe ich davon, mich an Maschinen zu rächen?“ „Das frage dich selbst“, gab ich zurück. Shandrak hatte sich leidlich beruhigt. Er hatte sich seine Harpune zurückgeholt und auch das lederne Seil neu aufgewickelt. „Ist noch einer von diesen - wie nennt ihr sie? Roboter? - unter den Fliehenden?“ Ich spähte zu den Booten hinüber. Richtig, der Anführer der Panzerreiter von Gardahn, er trug ebenfalls den charakteristischen Schild. Ich deutete unwillkürlich auf diese Gestalt. „Diesen kenne ich nicht“, murmelte Shandrak. „Entkommen wird er mir trotzdem nicht.“ Der Mann war fast fünfzig Meter weit entfernt. Er versuchte, Ordnung in die Reihen seiner Leute zu bringen. Der Roboter stand am Bug eines Schiffes und redete auf die Soldaten ein, die an dieser Stelle bruststief im Wasser standen. Dann sah ich wieder nach Shandrak. Er nahm Anlauf, rannte los - und warf. Steil stieg das Geschoß in die Höhe, wurde scheinbar langsamer und schien dann in der Luft anzuhalten. Dann senkte sich die Spitze, die Harpune fiel hinab und zog das dünne Lederseil als schwarzen Strich hinter sich her. „Treffer“, stieß Shandrak zwischen den Zähnen hervor. „Ich habe ihn erwischt. Und nun soll er wissen, wer ihn gefällt hat.“ Ich sah, wie der Goldene nach seiner Schulter griff, in der sich die Widerhaken der Harpune verfangen hatten. Bevor er den Schaft zu fassen bekam, straffte sich das Lederseil, Shandrak hatte mit aller Kraft daran geruckt. Der Mann verlor das Gleichgewicht, fiel über Bord begleitet von einem Entsetzensgeheul seiner Gefolgsleute. Wenn es noch Zweifel gegeben hätte über den Verlauf dieser Schlacht, sie wären jetzt verflogen. Mit einem Gelächter, das einem eine Gänsehaut bescheren konnte, leierte Shandrak sein wehrloses Opfer durch das Wasser heran. Zwei Soldaten des Harpunierten versuchten noch, ihren Herrn zu halten, aber auch sie wurden von den Beinen gerissen. Der Rest sah zu, daß er an Bord eines der Boote kam, die rasch die Segel setzten und gegen den Wind aufkreuzten. Einige Hundert wurden zurückgelassen und schickten den Flüchtenden Flüche und Drohgebärden nach. „Laß sie gefangennehmen, König aber nicht töten!“ rief ich Asgarn zu. „Milde wird deinen
Ruhm erhöhen und es dem Gegner leichtermachen, sich dir zu ergeben.“
Asgarn grinste mich an.
„Ich habe bereits entsprechenden Befehl gegeben“, rief er zurück. “Seht nur!“
Mit erhobenen Händen kamen die Gardahner aus dem Wasser und ergaben sich.
„Noch einer!“ hohnlachte Shandrak. Er deutete auf die Gestalt, die er über den Strand
schleifte. Es war der dritte der Goldenen Sieben, der noch immer um seine Freiheit kämpfte.
Mit einem Keulenhieb machte Joshua Slocum dem Roboter den Garaus.
„Da waren es nur noch vier“, murmelte Inky. „Bis jetzt lief es einigermaßen glatt.“
Ich sah mich am. Am Strand lagen die Toten beider Seiten, die Schwerverwundeten, die
Leichtverletzten.Überall schimmerte verbogenes, zerhauenes Metall.
Wenn dies der leichte Weg war, mochte ich den harten gar nicht erst kennenlernen.
8. „Irgendwie habe ich nicht die geringste Lust, diesen Hügel hinauf zureiten“, sagte Inky leise. „Angst?“ Inky zögerte bei meiner Frage, dann nickte er knapp. „Nicht eigentlich Angst“, antwortete er zögernd. „Es ist vielmehr das sichere Bewußtsein, in eine Sache hineinzutappen, der wir nicht gewachsen sind. Was immer sich auf der anderen Seite des Hügels befindet, es lockt und stößt zugleich ab.“ „Eine sehr präzise Bezeichnung für ein Gefühl, das auch ich kenne“, entgegnete ich trocken. Inky zwinkerte vergnügt. In diesem Punkt waren wir uns einig, der Mann aus dem zwanzigsten Jahrhundert und ich. Uns beiden fehlte die selbstverständliche Tapferkeit, die beispielsweise Charriba auszeichnete, oder der todesverachtende Haß, der Shandrak anstachelte. Nun, bislang waren wir tapfer genug gewesen, unsere kostbaren Hälse in einige Schlingen zu stecken, aus denen wir ein Entkommen für nahezu unmöglich gehalten hatten. Wir wußten, was auf der anderen Seite der Hügelkette wartete. Späher hatten uns davon berichtet, und ihre Erzählungen hatten deutlich gemacht, wie sehr sie beeindruckt worden waren von dem, was auf der anderen Seite des Hügels war. Auch Asgarn, der wie immer an der Spitze des Heeres ritt, wußte nur zu genau, was seiner harrte. Er parierte sein Phärt durch, das auf halber Höhe des Hügels stehenblieb. Hinter uns schob sich das Heer vorsichtig heran. Es war kleiner geworden. Ein Teil der Truppen war am Strand von Hirath zurückgeblieben, um die Gefangenen zu bewachen. Eine weitere Abteilung sicherte uns Schiffe und Rückzug. Unterwegs hatten wir einige Männer verloren, die wegen kleinerer Verletzungen hatten zurückbleiben müssen. Seltsamerweise waren wir kaum auf Eingeborene gestoßen. Die Bewohner des Landes hatten sich verkrochen, wohin, das wußte der Himmel allein. Wahrscheinlich hatten die fliehenden Truppen der Sieben vor uns gewarnt - und was für Worte sie gebraucht hatten, konnten wir uns leicht ausrechnen. „Nun, König?“ Shandraks Stimme verriet Drängen. Der Mann lebte seit der Abfahrt von der hirathischen Küste in einer Art Fieberzustand. Er wußte, daß jeder Tritt seines Phärts ihn der Festung näherbrachte - und in der Festung lebten die sieben Kunstgeschöpfe, an denen er seine geheimnisvolle Rache vollziehen wollte. Drei der Goldenen waren bereits zerstört - gestorben konnte man den Vorgang schwerlich nennen. Ich war auf die restlichen vier Roboter nicht sehr gespannt, um so mehr aber drängte es mich, die Schöpfer dieser Gebilde zu Gesicht zu bekommen.
Eine erste oberflächliche Untersuchung der Roboter hatte ergeben, daß ihre Knochen und Gelenke aus einer Art Stahlschwamm bestanden, dessen metallurgische Beschaffenheit allerdings nicht sehr vollkommen war. Deutlich hatte uns das der angebliche „Tod“ der Roboter gezeigt - sogar normale Menschen konnten diese Maschinenwesen außer Gefecht setzen. Muskulatur und Haut bestanden aus Kunststoffen, die in dieser Erstklassigkeit von der irdischen Technik nicht erzeugt werden konnten. Im großen und ganzen bestand der Robot, den wir untersucht hatten, aus zwei Dutzend Bestandteilen, die irdische Technik mühelos hätte überbieten können, aus einem weiteren Dutzend Materialien, die wir erst in vielen Jahrzehnten würden kopieren können und einigen Dingen, die unserer Technologie um Tausende von Jahren voraus zu sein schienen. Irgendwie paßten diese Beobachtungen nicht zusammen. Eines aber stand fest - jemand hatte die Goldenen Sieben nach seinem Willen erschaffen und gebaut. Auf diesen Jemand kam es an, nach diesem Wesen fahndeten wir. Ob es Freund war oder Feind, mußte die Zukunft zeigen. Fanden wir Freunde, war uns geholfen; stießen wir auf Feinde - nun, zu langem Widerstand waren wir nicht mehr in der Lage. Unsere Probleme mußten also in absehbarer Zeit eine Lösung erfahren so oder so. „Was hilft das Zaudern“, sagte Asgarn schließlich. „Folgt mir!“ Er gab seinem Phärt die Sporen. * Nun wußten wir Bescheid. Asgarn mochte von den gewaltigen Ausmaßen der Festung beeindruckt sein, von Gräben und Schanzen, von Mauern und Zinnen, hohen Türmen und drohenden Pechnasen. Es gab Wichtigeres zu sehen. Sie überwölbte die gesamte Festungsanlage, ja sogar Teile des Grabensystems. Dunkelrot stand die gleißende Kuppel über den gigantischen Bauten, undurchdringlich, unüberwindlich, tödlich für jeden, der es wagte, diesen Schutz durchschreiten zu wollen. Es gab ähnliche Energiefelder auf der Erde. Sie wölbten sich über den großen Kernkraftwerken und schützten sowohl den Reaktor vor Einflüssen der Außenwelt als auch die Außenwelt vor Störfällen des Reaktors. Unvorstellbare Energiemengen waren nötig, ein solches Schirmfeld entstehen zu lassen und zu nähren. Ein Kernreaktor mittlerer Größe war nötig, diesen Strom zu erzeugen. Von einem solchen Reaktor war nichts zu sehen, obwohl das schützende Feld um eine Zehnerpotenz größer war als die größte mir bekannte Anlage auf der Erde. „Kein Wunder, daß die Burschen sich sicher fühlten“, murmelte Inky. „Ich fürchte, der Honigtopf, nach dem wir greifen wollen, ist groß genug, uns darin versaufen zu lassen.“ „Hilft es uns?“ fragte ich zurück. „Wir müssen das Wagnis eingehen, einen anderen Weg sehe ich nicht.“ Inky zuckte mit den Schultern. Was hätte er auch sagen sollen? Ein Zurück gab es nicht für uns, heimatlos irrten wir durch Raum und Zeit, auf der Suche nach neuen Freunden und einer neuen Heimat. Beides brauchten wir, um - vielleicht - unseren alten Freunden und der alten Heimat zu helfen gegen eine langsame, aber um so grausamere Invasion. Ich durfte nicht daran denken, was sich auf der Erde abspielen mochte, während wir hier palaverten. Bereits jetzt, einige Wpchen nach dem Beginn der Nokther-Invasion, zeichnete sich schon ab, was die nächsten Jahrhunderte, wenn nicht sogar Jahrtausende der Menschheitsgeschichte ausfüllen sollte - die unausgesetzte Abnutzungsschlacht zwischen Menschen und Nokthern, den beiden unfreiwilligen Werkzeugen einer geheimnisvollen Macht, über die wir kaum etwas wußten - außer, daß wir uns vor diesen Mächten zu hüten hatten. Ich ließ mein Phärt antraben. Das Land zwischen der Festung und uns war verlassen, eine
weite Ebene, auf der sich vortrefflich Schlachten schlagen ließen - deren Ausgang von
vornherein feststand. Was half das Belagerungsgerät, das Asgarns tapfere Truppen mühsam
geschleppt hatten? Gegen Energiefelder waren Onager sinnlos, taugten Ballisten nichts, und
das verzehrende Wurffeuer - Asgarns neueste und geheimnisumwittertste Waffe - verfehlte
seine Wirkung an dieser Abwehr.
Es gab nur ein einziges Mittel, das in der Lage war, ein solches Schirmfeld aufzubrechen
und selbst dieses Mittel war vermutlich zu klein bemessen bei solcher Riesengröße.
Ja, ich war mir sicher, nicht einmal eine atomare Explosion konnte diese Sperre sprengen
ganz abgesehen davon, daß wir von der Time-Squad Besseres gewußt hatten, als atomare
Waffen herumzuschleppen.
„Da gibt es nur eine Taktik, Freund“, sagte Inky. „Das Selbstmordverfahren.“ „Das wie
aussieht?“ „Einsickern, und wenn man die Sache vorerst überlebt - von innen heraus
aufbrechen.“ Ich sah ihn von der Seite her an. „Für wie groß hältst du unsere Chancen?“ Inky
grinste.
„Null“, sagte er grimmig. „Und auch das ist noch hochgestapelt.“
Nun, ganz so schlimm sah ich die Angelegenheit nicht, aber gefährlich war der Vorschlag
meines Freundes in jedem Fall. Auf der anderen Seite aber sagte mir mein kühler Verstand,
daß es vermutlich keine andere Möglichkeit gab, diese Nuß zu knacken.
Ob allerdings die Besatzung des gegnerischen Forts unser Spiel mitspielen würde, stand auf
einem anderen Blatt.
„Asgarn“, sagte ich beschwörend. „Bleibt mit Eurem Heer zurück und wartet. Wir beide
werden zusehen, was wir ausrichten können.“
Asgarn runzelte die Stirn.
„Was versprecht ihr euch davon?“ wollte er wissen.
Ich deutete auf die schimmernde Kuppel.
„Dieses Schirmfeld wirst du mit deinen Mitteln niemals überwinden können, König Asgarn.
Es gibt nur eine Möglichkeit, diesen Schutz aufzubrechen - von innen her. Mein Freund und
ich, wir wollen das Wagnis auf uns nehmen.“
Asgarn machte ein verdrießliches Gesicht. Zum einen behagte es ihm offensichtlich nicht, daß
wir seine Machtmittel für zu gering erachteten, um das Schirmfeld zu knacken. Zum anderen
stürzte ihn die Vorstellung, daß beim Fall der Festung uns der Löwenanteil von Beute und
Ruhm zugeschrieben werden würde.
Dann aber fiel ihm noch etwas ein - sein Gesicht verzog sich zu einem giftigliebenswürdigen
Lächeln.
„Wenn es euch gelüstet... Meinen Segen habt ihr.“
Der Schelm dachte natürlich daran, daß unsere Mission auch fehlschlagen konnte, ja,
insgeheim hoffte der Halunke sogar darauf - in diesem Fall waren nämlich ein paar
Mitbewerber um die Gunst unserer Chefin säuberlich aus dem Weg geräumt.
Wir trennten uns von Asgarn und ritten auf die Festung zu.
„Dieser Schuft spekuliert auf unseren Tod“, stellte Inky trocken fest, sobald wir außer
Hörweite waren.
„Hattest du etwas anderes erwartet?“ fragte ich zurück.
„He, ihr beiden - wartet auf mich!“
Es war Shandrak, der uns nachsetzte. Er ritt eines der besten Phärts, das ich je gesehen hatte
kein Wunder, es war das beste Tier des Ritters Pheldor kyr Rhynar, dessen Zucht berühmt
war. Shandrak hatte es ihm gestohlen.
„Unter einer Bedingung“, sagte ich sofort. Shandrak winkte ab.
„Ich weiß“, sagte er. „Ich werde mich zusammenreißen - hoffe ich jedenfalls.
Wenigstens war er ehrlich. Zu dritt trabten wir nun nebeneinander den Weg hinab, der an
dieser Stelle breit genug war. Deutlich waren Wagen- spuren zu erkennen - wir bewegten uns
vermutlich auf einer der wichtigsten Zubringerstraßen zum Fort.
„Was ist das für eine Kuppel?“ wollte Shandrak wissen. Wir versuchten, ihm zu erklären, worum es sich handelte, und das war überhaupt nicht einfach - Inky und ich begriffen die hyperphysikalisehen Gegebenheiten, nach denen solche Felder wirkten, nur überaus unvollkommen. Shandrak hörte sich unsere Erklärungen schweigend an. Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er uns verstand oder nicht, er stellte auch keine Zwischenfragen. „Es handelt sich also um eine Maschine?“ meinte er schließlich. „Etwas, das ich einschalten und auch wieder ausschalten kann,’ das mir auf Knopfdruck gehorcht?“ „Man kann es auch auf diesen Nenner bringen“, sagte ich leicht amüsiert. Es war erstaunlich, wie schnell der Mann in der enganliegenden, schwarzen Lederkleidung technische Dinge begriff - vielleicht lag es daran, daß er schon vor langer Zeit den pseudoreligiösen Humbug durchschaut hatte, mit dem die hiesigen Priester zu arbeiten pflegten. Shandraks spottgetränkter Verstand war offenbar besonders vorurteilsfrei und aufgeschlossen. „Nun“, sagte Shandrak schließlich, „dann werden wir diese. Maschine ausschalten - mein Wort darauf.“ Einstweilen hatte es nicht den Anschein, als würde sich unsere Aufgabe so leicht lösen lassen. Je näher wir der Festung kamen, um so stiller wurden wir. Auch ohne schützendes Schirmfeld hatte die Festung ein gigantisches Ausmaß - sie hätte auch ohne den hochtechnischen Schutz • unserer Truppe das letzte abverlangt. Daß die gesamte Anlage einem Fünfeck glich, verwunderte nicht, dachte man an die anderen Merkwürdigkeiten dieser Welt. Genaugenommen handelte es sich sogar um ein stilisiertes Pentagramm, wie es üblicherweise zur Beschwörung von Geistern gezeichnet wurde. Wenn unser Gegner - woran ich längst nicht mehr zweifelte - nichts mit Valcarcel zu tun hatte, dann mußte er die Mächte, gegen die wir kämpften, zumindest sehr gut kennen. Das magische Drumherum jedenfalls war den Herren der Festung geläufig. Dafür sprach das magische Pentagramm, nach dessen Muster das Fort gebaut worden war. Für diese These sprach, daß man die Verschalungen, in die hinein man den Beton der Festungsmauern gegossen hatte, mit Reliefs ausgestattet hatte - als wir näher kamen wurden die bunt bemalten Bilder an den Festungsmauern deutlicher. Es waren schauerliche Fratzen, Szenen von Hinrichtungen. Die Zinnen der Festung wurden von einer Doppelreihe weiß blinkender Totenschädel gekrönt, und auf den Mauern - sie bestanden tatsächlich aus bestem Beton, der hier überhaupt nichts zu suchen hatte - waren noch große Blutflecken zu sehen. Mir konnte niemand weismachen, daß es irgendeine Macht auf diesem Planeten gab, die es schaffte, das Schirmfeld zu überwinden und dann an einer simplen Betonmauer verblutete. „Angewandte Psychologie“, murmelte Inky. Er durchschaute zwar die Kniffe und Tricks, mit denen hier gearbeitet worden war aber das hieß nicht, daß wir von dieser barbarischen Schaustellung unbeeindruckt blieben. Der Anblick des Forts sollte schlichteren Gemütern panische Angst einjagen, und selbst auf Menschen, die solche Tricks kannten, blieb das Verfahren nicht ohne Wirkung. Knapp einhundert Meter vor dem flimmernden Energiefeld blieben unsere Phärts stehen. Wir versuchten gar nicht erst, sie zu weiterem Vordringen zu animieren oder gar zu zwingen - aus Erfahrung wußte ich, daß es in der Nähe eines solchen Feldes zu elektrischen Entladungen und widerlichen Kriechströmen kommen konnte, die zwar nicht lebensgefährlich waren, aber dennoch sehr unangenehm wirkten. „Holla, Leute, aufgemacht!“ rief Inky laut und mit hörbarem Spott. Niemand rührte sich. „Reiten wir um das Ding herum“, schlug Shandrak vor. „Irgendeine Lücke muß es geben wie kommen die Sieben sonst aus ihrem Schlupfwinkel heraus?“ Wir wandten uns nach rechts, der Küste zu. Die Festung lag in der Nähe des Meeres. An einer Stelle ging die Festungsmauer in eine Felswand über, die mindestens einhundert Meter lotrecht hinabführte bis zu einem gischtumtobten Felsgewirr. Von dieser Seite aus war die Festung fast noch unangreifbarer als vom Lande her.
Bereits nach kurzer Zeit war klar, daß an dieser Stelle kein Durchkommen möglich war...
oder?
Ich hielt mein Phärt an und gab meinen Gefährten Handzeichen, daß auch sie verharren
sollten.
Wo, wenn nicht gerade hier, würde ich einen versteckten Ausgang anlegen - ausgerechnet
hier, wo die Gegebenheiten am ungünstigsten aussahen? Zugegeben, diese
Amateurpsychologie hatte einen recht groben Zuschnitt, aber ich war dennoch fest davon
überzeugt, daß meine Überlegungen richtig waren.
Ich trug meinen Gedankengang den Freunden vor.
„Denkbar“, lautete Inkys Kommcntar. Shandrak nickte nur.
„Also suchen wir!“ bestimmte ich.
Die Festung stand am Ufer, an der Steilküste. Es gab einen Pfad, der an der Festungsmauer
vorbeiführte aber dieser Pfad, ohnehin nur gerade breit genug, daß man sich seitlich, eng an
die Wand gedrückt, bewegen konnte, lag innerhalb des Schirmfeldes, das an dieser Stelle weit
über die Küste hinausreichte.
„Ich würde es dort versuchen“, schlug Inky vor. Er deutete auf die rötliche Blase, die dadurch
entstanden war, daß sich das Energiefeld des Schutzschirms gleichsam zurückwölbte.
„Wir klettern den Steilhang hinab“, schlug Inky vor, „und versuchen, unter dem Schirmfeld
hindurchzukriechen.“
Das hörte sich recht einfach an, war aber eine halsbrecherische Kletterei. Ich bedauerte es,
daß wir Charriba nicht mehr bei uns hatten - dem Indianer wäre es sicherlich nicht
schwergefallen, an der Felswand hinauf- und herunterzuturnen.
D. C. hatte mich zum Leiter dieser Expedition ernannt, das hieß, daß ich den Vortritt hatte.
Ich sah nach, ob alle Ausrüstungsstücke an meinem Körper befestigt waren, dann machte ich
mich auf den Weg.
Zunächst fiel das Klettern leicht. Es gab eine Art Pfad, der sanft zum Meer hinabführte.
Allerdings fand dieses bequeme Fortkommen ziemlich bald ein Ende - der Pfad, den die Natur
geschaffen hatte, löste sich gleichsam in einem Gewirr von Felsbrocken auf. Danach war es
dann unumgänglich, die Hände zu Hilfe zu nehmen.
Ich kletterte langsam und vorsichtig; ich mußte aufpassen, denn diese Art der Fortbewegung
war nicht gerade eine Spezialität von mir. Tief unter mir rauschte das Meer gegen die grauen
Felsen. Das Bewußtsein, daß mich ein Fehltritt im Bruchteil einer Sekunde dorthin befördern
würde, ließ mich jeden Griff und jeden Schritt sorgfältig überlegen.
Dennoch kamen wir erstaunlich gut vorwärts - der Fels war zerklüftet, wir fanden für Hände
und Füße überall genügend Halt.
Auf diese Weise kletterten wir knapp dreißig Meter hinab, dann bewegten wir uns seitlich.
Über mir wölbte sich das Schirmfeld, während ich Schritt für Schritt seitlich arider Wand
entlangkletterte.
Und dann fand ich das Loch in der Wand.
9. Es war ein Eingang, daran konnte kein Zweifel bestehen - eine Öffnung, mannsgroß und
ersichtlich mit Werkzeugen bearbeitet. Ich brauchte mich nur hineinzuschwingen, und schon
stand ich auf glattem Felsboden.
„Hierher!“ rief ich den Freunden zu. „Wir haben das Fuchsloch gefunden!“
Wenig später standen Inky und Shandrak neben mir. Inky begutachtete den kleinen Aufzug,
der im Eingang des Stollens zu finden war eine simple Konstruktion aus Metallstreben und
einem nahezu unzerreißbaren Kunststoffseil.
„Damit können die Bewohner der Festung in Belagerungszeiten die Festung nach Belieben verlassen“, meinte Inky. Ich spähte an der Felswand senkrecht zum Meer hinunter - jetzt, wo wir mit der Nase darauf gestoßen wurden, fiel mir auf, daß sich genau senkrecht unter der Öffnung eine ruhige Stelle im Wasser befand. Dort konnten kleinere Boote ungestört Passagiere an Bord nehmen und sicher durch die Brandung leiten. „Hat es schon einmal eine länger andauernde Belagerung der Festung gegeben?“ Shandrak antwortete auf meine Frage mit einem Schulterzucken. „Vor Jahrhunderten vielleicht“, sagte er dann. „Zu meinen Lebzeiten nicht, ich würde mich daran erinnern.“ Ich vermutete, daß es sich bei diesem Weg um einen Stollen handelte, der nur für den Notfall gedacht war. Probeweise stieß ich den Kran an. Er bewegte sich nach anfänglichem Widerstand leicht und glatt in seinem Lager. Der lange Arm schwang hinaus ins Freie. Auf der Trommel mit dem Kunststoffseil lag eine dicke Staubschicht. Die letzte Benutzung der Anlage lag offenbar einige Zeit zurück. „Versuchen wir, wie weit wir kommen“, schlug ich vor. Mich irritierte, daß der Stollen so schmal war. Wir konnten zwar aufrecht gehen, aber nur hintereinander. Eine Folgerung drängte sich sofort auf - dies war kein Fluchtweg für alle. Eine Massenflucht ließ sich durch diesen Stollen nicht bewerkstelligen. Das ließ darauf schließen, daß es im Innern der Festung eine sehr strenge Hierarchie gab - nur die Vornehmsten oder Edelsten wurden offenbar für würdig erachtet, sich im Falle der Gefahr auf diese Weise aus dem Staub zu machen. Ich versuchte zu schätzen, wo wir uns befanden. Nach einer Überschlagsrechnung durchschritten wir gerade die Festungsmauer. Ich zog prüfend die Luft durch die Nase. Es roch ein wenig modrig, sonst war nichts Besonderes festzustellen. Nach weiteren fünfzig Metern wurde der Boden plötzlich glatt. Deutlich war die Übergangsstelle zwischen dem Stollen und dem Gußbeton der Festung im Licht meines Handscheinwerfers auszumachen. „Das erste Teilziel wäre erreicht“, kommentierte Inky trocken. Ich marschierte weiter, immer tiefer in die Festung hinein. Die Wände, an denen wir entlanggingen, bestanden aus Beton. Wir sahen auch Leuchtkörper, ohne jedoch den Schalter für diese Lampen finden zu können. Selbst wenn wir sie entdeckt hätten, hätte ich die Leuchten nicht eingeschaltet - es war sehr leicht, solche Schaltvorgänge zu überwachen, und wir durften den Bewohnern der Festung nicht zu früh zeigen, daß sich Fremde in ihrer Anlage herumtrieben. Ich blieb stehen. Von vorn kamen Geräusche, deutliche Maschinenklänge. Ich vermutete, daß wir uns den Versorgungseinrichtungen der Festung näherten, vielleicht sogar dem großen Reaktor, der das Energiefeld speiste. Allerdings sagte ich mir, daß diese Hoffnung reichlich übertrieben war. So einfach würde man uns die Aufgabe kaum machen. Der Stollen wurde breiter. Wir konnten jetzt nebeneinander gehen, in der linken Hand die kleinen Scheinwerfer, in der rechten die Waffen, geladen und entsichert. Ich hatte einen Laser in der Hand, für alle Fälle. Shandrak trug einen Nadler, Inky hatte gleichfalls zu einem Laser gegriffen. Ich rechnete damit, hauptsächlich auf Maschinen zu stoßen, Roboter beispielsweise, und die ließen sich mit Narkonadeln nicht außer Gefecht setzen. „Ich hoffe, daß Asgarn sein Heer fest im Griff hat“, murmelte Inky. „Es wäre ziemlich sinnlos, wenn wir drei hier drin allein operierten.“ Ich zuckte mit den Schultern. Unsere Lage war ohnehin alles andere als rosig - auf ein Risiko mehr oder weniger kam es nicht mehr an. Wir erreichten eine Kreuzung. Von diesem Punkt an waren die Gänge erleuchtet. Wir mußten also auf der Hut sein - die sparsamen Herren der Festung erhellten vermutlich nur solche
Gänge, auf denen Verkehr herrschte. Folglich mußten wir von jetzt ab damit rechnen, auf
Gegner zu stoßen.
Ich entschied mich für den Stollen, aus dem der lauteste Lärm klang, ein durchdringendes
Brummen, das höher, aber auch lauter wurde, je näher wir kamen.
Ab und zu sah ich auf den Boden, in der Hoffnung, irgendwelche Spuren zu finden, die auf
die Besitzer dieser Anlage hinwiesen. Alles, was zu finden war, entpuppte sich als Staub und
Schleifspuren schwerer Gerätschaften.
Immerhin bewiesen diese Spuren eines sehr eindeutig - hier wurde etwas getan. Die
Feststellung hörte sich belanglos an, war aber von Wichtigkeit.
Trotzdem konnte es nicht sehr viel Verkehr in diesen Räumlichkeiten geben, dafür war die
Staubschicht, die den Boden und vor allem die frei verlegten Kabel bedeckte, entschieden zu
dick.
Immer lauter wurde das Arbeitsgeräusch, das mich immer mehr an das typische Klingen eines
atomaren Reaktors erinnerte, wie er auch auf der Erde gebaut wurde, um Energiefelder zu
erzeugen.
Die letzten Meter legten wir betont langsam zurück. Wir konnten nicht wissen, ob wir
vielleicht doch beobachtet wurden - für diesen Fall wollten wir uns manierlich betragen. Es
brachte uns nichts ein, wenn wir ein wenig rücksichtsvoll und höflich auftraten und nicht
Berserkern gleich in jeden Raum stürmten.
Der Stollen mündete auf eine Art Empore, hoch über einer riesenhaften Maschinenhalle. Von
unserer Warte aus konnten wir den Gesamtkomplex gut überblicken - eine Maschine stand
neben der anderen und produzierte merkwürdige Geräusche.
Wir hatten uns geirrt — fundamental.
Was wir gehört hatten, war kein Reaktorgeräusch gewesen. Der Klang stammte vielmehr von
einer Heerschar von Maschinen - von Robotern.
Sie waren ungefähr menschenähnlich geformt, besaßen vier normale Gliedmaßen und einen
annähernd humanoiden Rumpf.
Anders als die Ritter der Goldenen Sieben, waren sie aber nicht mit einer künstlichen
Muskulatur oder Haut versehen, sondern bestanden nur aus Metall.
Und sie trugen auch keine Schwerter.
Die Gebilde, die die Roboter in ihren starren Händen trugen, waren unverkennbar Waffen
und wenn die Waffen dem technischen Stand der Roboter entsprachen, dann mußte es sich bei
den Schußwaffen zumindest um Laser handeln.
„Hundert mal hundert“, flüsterte Inky bleich. „Zehntausend Kampfroboter!“
Ich wußte nicht, woher er den Ausdruck Kampf roboter kannte - zu seiner Zeit gab es nicht
einmal die Ansätze kybernetischer Technik -, aber er traf damit den Nagel auf den Kopf.
Shandraks Augen hatten sich geweitet.
„Bei der Schwärze des Alls“, stieß er leise hervor. „So viele? Unser Kampf scheint verloren,
bevor er richtig begonnen hat. Gegen diese Übermacht wird Asgarns Heer nichts ausrichten,
und vollbrächte jeder einzelne Kämpfer Heldentaten ohnegleichen.“
Noch war es nicht soweit, noch blieb uns Zeit.
Die Kampf maschinen standen still. Aufrecht, in Reih und Glied, standen sie in der riesigen
Halle. Ein halbes Dutzend anderer Roboter war damit beschäftigt, die Maschinen
einzuschalten, ihnen Waffen zu geben und frische Magazine.
„Wenn wir sofort losschlagen“, murmelte Inky kaum hörbar, „ein Feuerüberfall auf die
Unteroffiziere...“
Ich überschlug unsere Chancen im Kopf.
Es gab zehn dieser Ausrüstungsroboter, die Inky recht treffend Unteroffiziere genannt hatte.
Wenn uns gelang, diese Roboter auszuschalten...
Aber zum einen waren wir drei gegen zehn, und was wir an Überraschung zu bieten hatten,
machten die Roboter durch Schnelligkeit mehr als wett. Außerdem war ich mir sicher: Sobald
wir auch nur einen Schuß abgaben, würden auch die bisher stillstehenden Roboter in den Kampf eingreifen - und schon wären mindestens siebenhundert der Maschinen aktiviert und ausgerüstet. „Von irgendwoher bekommen auch die Unteroffiziere Befehle“, murmelte ich. „Wir sollten uns nicht um die Soldaten kümmern, sondern nach dem General Ausschau halten.“ Wir duckten uns, um nicht gesehen zu werden, und schlichen im Sichtschutz des Geländers von der Empore herunter. Der Weg führte in einen zweiten Saal, der gleichfalls Roboter enthielt, die gerade kampfbereit gemacht wurden. Die Herren der Festung waren offenbar nicht gewillt, sich unsere Umtriebe länger gefallen zu lassen. Sie wollten die Auseinandersetzung bereinigen - auf ihre Art. Ein grauenvolles Blutbad war zu erwarten. Gegen dieses doppelt überlegene Heer - überlegen schon allein an Zahl - hatte die Heermacht Hiraths nicht den Schimmer einer Chance. Wir passierten noch drei solcher Magazine, und ich hatte den fürchterlichen Verdacht, daß es noch weit mehr gab. Hier war auf engstem Raum eine unglaubliche Macht konzentriert ungefähr- zehnmal mehr, als nötig gewesen wäre, die Bewohner des Planeten Shyftan zu beherrschen. Und dies war der Gedankengang, der mir Kopfzerbrechen bereitete. Niemand stapelt zehnmal mehr Kanonen, als er braucht, um mit ein paar Armbrustschützen fertig zu werden - dieses Ausmaß an Rüstung war einfach absurd. In der Fachsprache der Menschenvernichter gesprochen, hatten die Herren der Festung eine overkill capacity, die die Grenze des Vernünftigen entsetzlich weit hinter sich gelassen hatte. Tausend dieser Roboter hätten genügt, den Hirathern eine vernichtende Niederlage beizubringen - jeder weitere Roboter auf dem Schlachtfeld konnte bestenfalls seine Kollegen am Metzeln hindern, zu mehr war die Überzahl nicht in der Lage. Als nächstes erreichten wir dann tatsächlich den Maschinenpark. In einer Halle, die das Ausmaß des Robotermagazins bei weitem übertraf, standen sieben große Maschinen, die brummten. Sie waren mit Blechen verkleidet, so daß von der eigentlichen Apparatur nichts zu erkenneh war. Eine Wand der Halle wurde von einem Instrumentenpaneel eingenommen, einem unübersehbaren Wirrwar von Anzeigegeräten, Schaltern, Knöpfen und Hebeln. Aussichtslos, sich als Laie da zurechtfinden zu wollen. „Wir kommen ins Herz der Anlage“, murmelte Inky. „Die Generäle können nicht mehr weit sein.“ Er hatte sich nicht geirrt. Wir stiegen eine Treppe hinauf, dann erreichten wir einen Bezirk der Festung, der nach einer oberflächlichen Schätzung in der Höhe des Erdbodens lag. Von hier an waren die Wände weiß gestrichen. Die Kabel waren am Boden verlegt und die Leuchtkörper so angebracht worden, daß die Stollen und Gänge von indirektem Licht erhellt wurden. „Menschen“, faßte Inky knapp zusammen. Ob es sich um Menschen handelte oder nicht, wußten wir nicht - aber aus der Veränderung ging eindeutig hervor, daß dieser Bereich der Festung für Bewohner gedacht war, die mit dem Begriff Ästhetik etwas anfangen konnten. Wir schritten auch nicht mehr auf nacktem Fels, unsere Füße bewegten sich auf einem imitierten Gras, das erstaunlich trittelastisch war. Ich versuchte, mich zu orientieren. Ich zielte auf das Herz der Anlage, auf ihren geometrischen Mittelpunkt. Es war ein Vorurteil, das Zentrum einer wichtigen Anlage dieser Art stets im geometrischen Mittelpunkt zu suchen - aber meistens fanden wir dort dann auch tatsächlich, was wir suchten, das Hauptquartier des Gegners. Niemand schien uns wahrzunehmen, und dieses Gefühl war fast noch schlimmer zu ertragen als das Bewußtsein, ständig beobachtet zu werden. Wir wußten nicht, was auf uns wartete, waren aber auf das Schlimmste gefaßt. Eine erste Überraschung bot sich uns, als wir den Reaktorraum erreichten. Das Symbol, mit dem der Raum gekennzeichnet war, haftete an der Decke des Saales und war absolut
eindeutig - zwei ineinander verflochtene Schwerwasserstoffatome. Aus diesen beiden Atomen entstand im Innern des Reaktors Helium. Zwei Deuteriumatome waren aber um eine Winzigkeit schwerer als ein Heliumatom, und exakt diese winzige Menge Materie wurde bei der Kernverschmelzung in Energie verwandelt - nach jener sattsam bekannten Formel Albert Einsteins. Es hatte lange gedauert, bis Menschen in der Lage gewesen waren, diesen Prozeß gesteuert ablaufen zu lassen. Auf diesem kniffligen technischem Gebiet waren die Herren der, Festung uns offenkundig ein weites Stück voraus. Wenn sie nicht den größten Teil ihrer Fusionsreaktoren eingemauert oder versteckt hatten, dann waren sie in der Lage, eine Apparatur von der Größe eines vierstöckigen Wohnhauses in einem Wohnzimmer unterzubringen. Auf dem Boden der Reaktorhalle standen nebeneinander vier große, verschalte Metallgebilde, deren Umriß aber sehr eindeutig war. Nun, mit vier hochwertigen Fusionsreaktoren ließ sich ein Schirmfeld wie das der Festung leicht errichten und unterhalten. Unwillkürlich leckte ich mir die Lippen. Wenn es uns gelang, an diese technologischen Schätze heranzukommen... Ich vermutete, daß wir Jahrzehnte mühseliger und vor allem teurer Forschung hätten sparen können. Wenn wir natürlich Pech hatten, dann standen diese technischen Errungenschaften künftig gegen uns, und diese Aussicht war alles andere als angenehm. Wir verließen die Reaktorstation und schlichen weiter durch die Festung. Sich in dem Riesengebäude zu verlaufen, war ein Kinderspiel, zumal es, keine Wegweiser gab - hier schien jeder Bewohner sich bestens auszukennen. Als wir - nach meiner Schätzung den inneren Bereich der Festung erreicht hatten, bot sich uns die zweite Überraschung. Im Innern des Pentagramms gab es einen Garten, ein sorgfältig gepflegtes Areal, das mit Blumen, Ziersträuchern und phantastischen Bäumen bepflanzt war. Nie zuvor hatte ich ähnliche Pflanzen gesehen. Zwar besagte das nicht sehr viel, denn ich hatte auch eine riesige Menge irdischer Pflanzen niemals zu Gesicht bekommen, aber in diesem Fall konnte ich mir sicher sein - ein intensiv brauner Stamm, der wie ein Korkenzieher verdreht war und in dessen Mitte ein leuchtend blaues Etwas in die Höhe wuchs und sich in der Krone des Baumes zu einer mannsgroßen Blüte entfaltete, war nicht auf der Erde gewachsen. Und auch nicht auf Shyftan, wie ich vermutete. Der Gang, auf dem wir bis hierher gekommen waren, führte über einen zehn Meter breiten Streifen aus weißem, sorgfältig geharktem Kies in den Garten. Ich zögerte einen Augenblick, dann wandte ich mich nach links. Im Innern des Gartens würden wir schwerlich auf die Herren der Festung stoßen, wir mußten an anderer Stelle nach ihnen suchen. Wir fanden sie an einem Punkt, an dem sich zwei Linien des Pentagramms schnitten. Sie steckten unter einer gläsernen Kuppel, die sich über einem kreisrunden Raum von annähernd fünfzig Metern Durchmesser wölbte. An den Wänden des Raumes entdeckten wir nicht nur eine unglaubliche Zahl von Meßinstrumenten und Bedienungshebeln. Uns sprangen die riesigen Bildschirme in die Augen, auf denen Bilder der Außenwelt zu sehen waren. Wir erkannten auf dem größten Schirm - er maß zehn auf zwanzig Meter - ein Bild, das uns sofort alar-. mierte. Asgarns Heer machte Anstalten, die Festung zu belagern. Auf einem anderen, sehr kleinen Schirm konnte ich bei einem flüchtigen Mustern die Kapelle in Hirath entdecken. Sie war verlassen. Meine Ahnung hatte mich nicht getrogen, die Kapelle stand tatsächlich in direktem Kontakt zur Festung der Goldenen Sieben. Von den verbliebenen vier dieser Gruppe war keiner zu sehen, jedenfalls lief kein Roboter mit einer Rüstung herum. Was wir sahen, waren allerdings fünf Menschen und annähernd dreißig Maschinen, unverkleidet. Ich vermutete, ohne auch nur den geringsten Beweis in Händen zu haben, daß wir es mit den übrigen vier Goldenen, einem Ersatzmann und dem robotischen
Personal der Festung zu tun hatten. Niemand hatte uns gesehen, wir hielten uns im Sichtschutz einer Galerie auf, die ein Stück unterhalb der Glaskuppel rings um den gesamten Raum lief. Unter uns konnten wir die geschäftigen Roboter erkennen und die vier menschenähnlichen Gestalten. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf einen bestimmten Abschnitt der kreisförmigen Zentrale und auf ein mächtiges Metallgebilde in der Mitte des Raumes, in dem Zeiger zuckten, Skalen sich bewegten, Lichter blinkten. In dem Ding einen Computer zu vermuten, war naheliegend - aber ich hatte noch nie einen derart gigantischen Rechner gesehen. Wenn dieses E-Gehirn in seiner Technik ein Gegenstück zu den Fusionsreaktoren bildete, dann hatten wir es mit einer Anlage zu tun, die zu verstehen uns Jahre kosten würde. Auf dem großen Schirm rückte Asgarns Heer heran, und auf einem anderen Schirm baute sich im Innern der Festung eine Armee von Robotern auf, um einen Ausfall zu unternehmen. Wenn wir ein Gemetzel verhindern wollten, dann mußten wir eingreifen - und das sehr bald.
10. Ich sah meine beiden Gefährten kurz an.
Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Wir drei mußten versuchen, diese Zentrale in
unsere Gewalt zu bringen, sie zumindest so nachhaltig zu beschädigen, daß sie außer Funktion
gesetzt wurde.
Der Preis, den wir dafür vielleicht würden zahlen müssen... Ich verdrängte den Gedanken.
Inky huschte nach links, Shandrak schlich sich nach rechts. Mit Handzeichen verständigten
wir uns.
Als wir die günstigsten Positionen für einen Feuerüberfall erreicht hatten, stand ich auf.
„Ergebt euch!“ schrie ich. „Ihr seid umzingelt.“
Der Text war idiotisch, aber mir fiel nichts Besseres ein. Die Roboter setzten ihre Arbeit fort.
Sie waren unbewaffnet.
Anders die Menschen.
Sie reagierten mit einer Schnelligkeit, die unglaublich war. Noch während ich das erste Wort
sprach, zuckten ihre Hände zu den Gürteln, und während sie sich herumdrehten, kamen diese
Hände wieder hoch blitzartig sah ich fünf Waffenmündungen auf mich gerichtet.
Daß ich nicht ebenso blitzartig ein toter Mann war, lag daran, daß ich mich nach meinen
markigen Worten sofort geduckt und zur Seite geworfen hatte. Noch während ich abrollte,
schlugen fünf Treffer an exakt der Stelle ein, an der ich gerade noch gestanden hatte. Ein
Feuerball entstand, Metall spritzte weißglühend umher.
Ich richtete mich wieder auf, spähte über die Brüstung und feuerte.
Ich zielte dabei nicht auf einen der fünf, mein Schuß galt einem Instrumentenpult. Darüber
flimmerte auf einem Kontrollschirm die Kuppel des Schirmfeldes, und ich vermutete, daß
darunter die Bedienungselemente zu finden waren.
Zwei Laserschüsse konnte ich anbringen, dann mußte ich wieder das Weite suchen.
Lautlos brach einer der fünf Roboter zusammen, von einem präzisen Schuß aus Shandraks
Waffe getroffen. Die Tatsache, daß die Gestalt einfach umfiel und nicht schrie, verriet die
Maschine.
Ich hörte es hinter mir zischen, dann zuckte ein brennender Schmerz über meinen Rücken
der Schuß hatte mich nicht getroffen, aber das flüssige Metall, das unter der Schußwirkung
aufgespritzt war. Ich schrie vor Schmerz auf, fiel zur Seite und rollte mich ab. Der Schmerz
wurde immer ärger, aber es half nichts, ich mußte aufstehen, die Waffe heben und feuern.
Noch ein Treffer in das Instrumentenpult. Rauch stieg auf, auf der Metallfläche wurden Bäche
verflüssigten Metalls sichtbar. Rauch wirbelte auf, es stank nach verschmorten Isolationen.
Inky setzte einen weiteren Goldenen außer Gefecht. Jetzt standen wir pari.
Die Roboter kümmerten sich nicht um uns, sie versahen gleichgültig weiter ihren Dienst. Nur
die verbliebenen drei Herren der Festung setzten sich verbissen zur Wehr.
Ihre roboterflinken Gliedmaßen hatten es leicht, nach uns zu zielen, wir mußten laufen wie
die Hasen, um nicht getroffen zu werden. Es war immer wieder das gleiche Spiel. Rennen,
aufstehen, feuern, abducken, wegrennen - und dasselbe noch einmal von vorn.
Langsam aber wurde die Sache brenzlig. Die Einschußlöcher hinter uns wurden zahlreicher,
und diese kleinen Krater waren glühheiß. An ihnen vorbeizukommen, ohne sich furchtbare
Verbrennungen zu holen, war ein Kunststück.
Und auf dem Bildschirm, ich sah es mit Entsetzen, zeichnete sich ab, daß Asgarn sein Heer
zum Sturmlauf ansetzen ließ.
Dann brach das Schirmfeld zusammen. Eine meterlange Stichflamme schoß aus dem Pult in
den Raum und ließ einen Bedienungsroboter in einer Wolke verdampften Metalls
verschwinden. Sirenen heulten auf, und für einen Augenblick waren die Herren der Festung
unsicher. Sie büßten es mit einem weiteren Verlust, Inky landete einen Kopf tref f er, der den
Roboter schlagartig außer Gefecht setzte.
Doch damit war der Kampf noch lange nicht gewonnen. Ich konnte erkennen, während ich
schoß, daß eines der Tore der Festung aufschwang. Die Roboterarmee setzte sich in Marsch.
Noch war das Blutbad nicht verhindert, es stand unmittelbar bevor.
Schlimmer noch.
„Demeter kommt!“ schrie Inky.
Ich huschte zur Seite, richtete mich schnell auf und spähte zu den Schirmen hinüber.
Tatsächlich, unsere Chefin rückte an.
Ich sah einen ganzen Schwärm von Gleitern heranrasen, und so wie ich Demeter Carol
Washington kannte, saß sie im vordersten Fahrzeug.
Eine fremdartige Stimme klang auf. Sie war hörbar von einem Lautsprecher verzerrt und
klang überaus seltsam.
Wieder waren die Goldenen irritiert, wieder verloren sie einen der Ihren.
Dann aber wendete sich das Blatt endgültig.
Man konnte hören, wie sie heranmarschierten. Ein Tor schwang auf, und sie erschienen auf
der Bildfläche - Kampfroboter, und sie zögerten keinen Augenblick.
Es war Zufall, daß wir in Deckung lagen, als sie den ersten Feuerschlag führten. Keiner von
uns dreien wurde getroffen, aber ein Regen glutflüssiger Metalltropfen ging auf uns nieder.
Ich versuchte, die Zähne zusammenzubeißen, um den Schmerz niederzuhalten. Es gelang mir
nur annähernd, ein Stöhnen konnte ich nicht unterdrücken. Die Tropfen brannten sich durch
die Kleidung. Zwar verloren sie dabei viel von ihrer Hitze, aber der Rest reichte aus, uns
Löcher in die Haut zu schmoren.
Ich drehte mich auf den Rücken und gab einen Feuerstoß ab. Der erste Träger der Kuppel
barst klirrend und schickte einen Trümmerregen auf die Roboter herab. Ich hätte am liebsten
geschrien vor Freude, als ich entdeckte, daß Inky und Shandrak mich verstanden hatten.
Wir mußten uns mit aller Kraft beherrschen. Ein Tropfen landete auf meinem Kinn, und der
Schmerz war unerträglich. Meine Haare waren versengt, und es bestand die Gefahr, daß wir
eine Ladung dieser Gluttropfen mitten ins Gesicht bekamen. Trotzdem blieben wir auf dem
Rücken liegen und nahmen die Kuppel unter konzentrierten Beschüß.
Ich war vor Schmerz halb besinnungslos, aber ich hörte noch, wie die Kuppel
zusammenkrachte und die Roboter unter sich begrub.
Und dann erschien in dem gezackten Ausschnitt des strahlendblauen Himmels ein Gleiter,
und Handgranaten regneten in die Zentrale der Festung und zerstörten die Kampfroboter.
Ich griff nach dem heißen Geländer der Galerie und zog mich in die Höhe, Ein zweiter Gleiter
tauchte auf, und die Besatzung nahm die Roboter unter Feuer.
Von der Zentrale war nur ein Trümmerhaufen übriggeblieben, unter dem es sich aber noch
regte.
Rauch wirbelte mir ins Gesicht und ließ meine Augen tränen.
Nur verschwommen sah ich, daß eine Gestalt aus dem Trümmerhaufen kroch und sich auf den
Rechner zubewegte. Einer der Goldenen unternahm einen letzten Versuch des Widerstands.
Zielstrebig kroch er auf einen bestimmten Abschnitt des Rechners zu.
Dann aber tauchte auf der Galerie hinter ihm eine vertraute Gestalt auf. Schwarz das Leder
seiner Kleidung, schwarz das Gesicht - Shandrak holte weit aus, und dann sauste wieder die
Harpune durch die Luft, traf den Roboter und durchschlug ihn. Der letzte Goldene brach
zusammen.
Ich sah nach unten. Mit letzter Kraft schwang ich mich über die Galerie. Ich fiel auf Teile der
Kuppel, die unter dem Aufprall zerbarsten. Scherben verletzten mich am Bein, aber ich
achtete nicht darauf. Auf allen vieren kroch ich über das Trümmerfeld, auf den Rechner zu.
Mein Ziel war ein unscheinbarer Hebel auch der Goldene hatte diesen Hebel erreichen
wollen.
Drei Stellungen hatte dieser Hebel, eine davon war durch einen Metallstift mit einer deutlich
erkennbaren Sollbruchstelle gesichert.
An, Aus, Selbstzerstörung - ich vermutete, daß die fremdartigen Symbole das ausdrücken
sollten.
Ich wußte, daß die Schlacht noch nicht entschieden war. Draußen rückten die Roboter in
geordneten Reihen auf Asgarns Truppen zu, wahrscheinlich gesteuert von dem Rechner.
Ich erreichte den Hebel. Hinter mir, knapp zehn Meter entfernt, riß eine Handgranate einen
Kampfroboter in Stücke, der auf mich angelegt hatte.
Ich griff nach dem Hebel, drückte ihn hoch.
Er ließ sich leicht bewegen, rastete ein.
Es wurde still, nur das Knistern der Isolatorenbrände war noch zu hören.
Das Sirenengeheul war verstummt, die Bildschirme waren tot, und das Jubelgeschrei der
anderen verriet mir, daß auch die Roboter desaktiviert waren.
Wir hatten gewonnen, die Festung der Goldenen Sieben war gefallen.
Ich grinste blöde und kippte um.
* „Kein Mensch hat Ihnen befohlen, sich auf komplizierte Weise umzubringen“, sagte Demeter lächelnd. „Ich bedanke mich trotzdem, im Namen der Time-Squad.“ „Orangen und Schnittblumen haben wir leider nicht dabei“, erklärte Marleen de Vries, eine Kollegin, die wir bei einem gefährlichen Einsatz in den Niederlanden kennengelernt hatten, unsere Expertin in Sachen Altertümer. „Wir werden es auch ohne Liebesgaben aushaken“, meinte Inky. „Uns genügt, daß es hier nicht nach Karbol riecht.“ Wir sahen schauerlich aus, Inky, Shandrak und ich. Unsere Brandwunden waren zwar nicht lebensgefährlich gewesen, dafür aber sehr zahlreich. Wir waren eingewickelt wie altägyptische Mumien. Vor allem Shandrak wirkte in der weißen Umhüllung sehr befremdlich. „Wie ist die Schlacht ausgegangen?“ wollte ich wissen. „Es hat keine weiteren Toten mehr gegeben“, sagte Demeter. „Sie haben gute Arbeit geleistet.“ „Und was hat es mit dieser Festung und den Goldenen Sieben nun auf sich?“ fragte Inky. „Ich möchte endlich einmal wissen, wozu dies alles gespielt wird. Wir riskieren zwar unentwegt unser Leben, aber wir wissen nicht einmal wofür und wogegen.“ Demeter zuckte leise mit den Schultern.
„Wir haben ein paar Antworten gefunden“, sagte sie nachdenklich. „Es gibt eine Zeitmaschine in der Festung, ein Gegenstück zur Maschine in der Burg Lhallwyn.“ „Damit habe ich gerechnet“, murmelte ich. „Aber wer hat beide Maschinen gebaut oder hier aufgestellt?“ „Der Rechner in der Zentrale weigert sich noch, seine Informationen preiszugeben“, erklärte Demeter. Sie half mir, mich im Bett aufzurichten. „Wir haben aber aus den Spuren einige Dinge rekonstruieren können.“ Sie holte Luft, leckte sich über die Lippen. „Diese Festung ist eine Station und gehört einem Volk, das wir nicht kennen, das aber menschenähnlich ist. Erbaut wurde sie von den Vorfahren der Shytaner.“ Ich runzelte die Stirn und zuckte zusammen, weil die Bewegung schmerzte. „Es scheint im Volk der Erbauer eine sehr strenge Hierarchie zu geben“, fuhr Demeter fort. „Die wenigen Unterlagen, die wir finden konnten - es gibt in der Festung eine Art Museum -, besagen, daß zunächst der Rechner, der Reaktor und die Zeitmaschinen auf gebaut wurden. Die heutigen Shyftaner bekamen die Aufgabe zugewiesen, die Besatzung der Festung mit Lebensmitteln zu versorgen. Ursprünglich scheint diese Riesenanlage für sehr viele Personen erbaut worden zu sein - aber gesteuert oder kommandiert wurde die Aktion von sieben Lebewesen mit offenbar sehr hohem Rang.“ „Langsam“, murmelte ich. „Irgendwann ist hier ein Raumschiff gelandet, hat sieben Bonzen und einen Haufen Sklaven abgesetzt und ist wieder verschwunden. Die Sklaven haben Festung und Burg Lhallwyn erbaut und einiges mehr. Dann verschwanden die sieben hohen Herren und ließen Roboter und den Rechner als Stellvertreter zurück. Und bis heute hat sich keiner der sieben mehr gezeigt, nur die Roboter handelten weiter im Auftrag ihres großen Rechners.“ „Ihre Vermutung stimmt - vorausgesetzt, wir interpretieren die Dokumente richtig“, antwortete Demeter. „Es war das große Rechengehirn in der Zentrale, das das Leben auf Shyftan beherrscht hat. Wir haben noch mehr herausgefunden. Diese Festung ist auch Kontrollstation für die Zeitmaschine auf Delta Rebecca und für die anderen Zeitmaschinen, die von Lhallwyn aus erreichbar sind. Wenn wir die Reaktoren stillegen, sind die Verbindungen zwischen den einzelnen Zeitmaschinen unterbrochen.“ „Das heißt, wir wären auf Shyftan sicher?“ „Vorläufig ja“, sagte Demeter strahlend. „Es gibt einen Verbund zwischen insgesamt siebzehn Stationen und Zeitmaschinen. Davon kennen wir Delta Rebecca, Lhallwyn und die Festung, die anderen Stationen können wir später unter die Lupe nehmen.“ Ich atmete erleichtert auf. Daß wir endlich Ruhe hatten, war ein Gedanke, an den man sich nur schwer gewöhnen konnte. Seit mehr als einem Jahr wurden wir von den Ereignissen getrieben und gehetzt, ohne auch nur einen Schritt vorangekommen zu sein. Diese Fluchtphase war nun offenbar beendet. Wir konnten auf Shyftan Luft holen, uns Ruhe gönnen und endlich das gesammelte Material gründlich auswerten. Von dieser Welt aus konnten wir dann, wenn uns der Zeitpunkt gekommen schien, neue Aktionen starten und nun unsererseits dem Gegner auf den Leib rücken. „Wie lange liegt die Besiedlung dieser Welt eigentlich zurück“, wollte Inky wissen. „Mehr als fünftausend Jahre“, sagte Demeter knapp. Es klopfte, und eine Gestalt im unvermeidlichen weißen Kittel betrat den Raum. Die Ärztin gehörte zum Team der Time-Squad, ich hatte sie nur einmal gesehen, kurz nach meinem Erwachen. „Doktor, wie lange müssen die drei Männer noch hierbleiben?“ fragte Demeter die Medizinerin.“ Ich witterte Unheil. „Noch ein paar Tage“, entgegnete die Ärztin, während sie die Aufzeichnungen der automatischen Funktionskontrollen ablas. „Die Verletzungen sind nicht sehr schlimm.“
„Brauchen Sie uns wieder, Chefin?“ fragte ich mißtrauisch. „Ich dachte, wir hätten ein wenig
Ruhe verdient?“
Demeter lächelte nur. Mit diesem Lächeln hatte sie Senatoren und Abgeordnete dazu bewegen
können, in den jeweiligen Etats Riesenbeträge für die Time-Squad einzubauen. Wenn D. C.
etwas durchsetzen wollte, schaffte sie das in aller Regel auch.
„Wir haben leider nicht soviel Zeit, wie Sie annehmen, Tovar“, sagte sie ernst. „Während Sie
nach Gardahn unterwegs waren und die Festung eroberten, hat sich allerlei zugetragen. Wir
sind im Besitz einer unerhört wichtigen Information.“
„Und?“ fragte Inky. „Heraus mit der Sprache, worum geht es?“
Demeter wurde ernst.
„Diversion liegt im Sterben“, sagte sie.
Ich erschrak. Diversion war ein Jaynum, ein entfernt robbenähnliches Lebewesen aus einem
anderen Universjum - dem Universum der gefürchteten Oberen. Die Jaynums besaßen die
beneidenswerte Fähigkeit, bei ihrem ersten Tod einen fremden Körper übernehmen zu
können. Im Falle von Diversion war das der Körper des großen Alexander von Mazedonien
gewesen.
„Ich verstehe nicht“, sagte Inky betrpffen. „Ist er krank?“
Demeter schüttelte den Kopf „Das ist nicht die Ursache“, sagte sie. „Er wurde auch nicht
verletzt.“
„Das Alter?“ fragte ich.
Wieder schüttelte Demeter den Kopf.
„Schlimmer“, sagte sie leise. „Viel schlimmer. Er verjüngt sich.“
„Bitte?“
Wir sahen uns völlig entgeistert an. Was hatte Demeter da gesagt?
„Divorsion wird immer jünger, kindischer, und in absehbarer Zeit wird er wahrscheinlich an
dieser Entwicklung sterben. Er hat jetzt ein Relativalter von knapp zehn Jahren, und er wird in
jedem Monat um annähernd ein Jahr jünger - rein geistig, sein angenommener Körper altert
ganz normal, das haben wir festgestellt.“
„Aber wieso?“ fragte ich erregt. „Was bewirkt diesen Vorgang?“
„Unsere Wissenschaftler haben eine vergleichsweise einfache Erklärung dafür. Das heißt, die
Worte dafür sind einfach - was sich wirklich dahinter verbirgt, kann keiner von uns ermessen.
„Die Zeit in Divorsions Universum läuft rückwärts.“ Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
„Sie meinen, während wir altern, wird Diversion jünger? Und umgekehrt, wenn wir in
Divorsions Universum lebten, würden wir uns verjüngen?“
Demeter nickte.
„Das sagen unsere Wissenschaftler“, erklärte sie leise. „Es hat den Anschein, als sei der Geist
- oder die Seele - eines Lebewesens mit seinem Universum strukturell verbunden. Divorsions
Geist bewegte sich zeitlich so, als befände er sich noch in seiner Heimat.“
Sie machte eine kleine Pause.
„Das hat natürlich gewisse Konsequenzen“, fuhr sie dann fort. „Wenn die Erklärung stimmt,
dann wissen wir jetzt endlich auch, was die Oberen bei uns zu suchen haben - und wir können
uns auch ausrechnen, wie sehr sie ihre Position verteidigen werden.“
„Ich verstehe nicht“, sagte Inky ratlos. „Diese Oberen müßten ja auch jünger werden, wenn
sie in unser Universum eindringen.“
„Das werden sie auch“, sagte Demeter.
„Dann würden sie früher oder später wie Divorsion enden.“
„Nicht, wenn sie rechtzeitig in ihr eigenes Universum zurückkehren und eine Zeitlang dort
leben.“
Das Schweigen dauerte endlos lange.
Jeder von uns hatte begriffen. Wahrhaftig, der Kampf, der ausgetragen wurde und in den wir
verwickelt waren, war absolut erbarmungslos. Er wurde um etwas geführt, das mit keinem
Preis zu bezahlen war.
Die Unsterblichkeit stand auf dem Spiel.
Die Oberen konnten offenbar zwisehen beiden Universen nach Belieben hin und her
wechseln. Auf diese einfache Weise waren sie in der Lage, jeden Alterungsprozeß zu
vermeiden.
Sie waren unsterblich.
Das galt aber nur unter einer Voraussetzung - sie mußten sicherstellen, daß sich an diesem
Pendelverkehr niemals etwas änderte.
Sie konnten nur dann absolut sicher sein, ewig zu leben, wenn ihre Macht absolut
uneingeschränkt war. Selbst den kleinsten Widerstand mußten sie erbarmungslos brechen.
Die Oberen benötigten ein Reich, dessen Fundament die Ewigkeit war.
Nur unendliche Macht sicherte den Oberen das unendlich währende Leben.
Und wir sollten dafür den Preis zahlen, in ewiger, niemals endender Sklaverei.
Wir wußten nun, woran wir waren, auch wenn dieser Erfolg zweischneidig war.
Das Feld war abgesteckt, wir wußten, worum gekämpft wurde.
Der Preis war hoch, aber verlockend - die Unsterblichkeit.
ENDE