Expose-Redaktion: H.G.Ewers Band 57 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H.G. EWERS
Zeitfestung Titan Eigentlich sollte di...
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Expose-Redaktion: H.G.Ewers Band 57 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H.G. EWERS
Zeitfestung Titan Eigentlich sollte die ORION-Crew nur der Langzeitaufgabe nachgehen, in mühe voller Kleinarbeit gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Untersuchungsstab die bisher unerklärlichen elektromagnetischen Phänomene, Zeitverschiebungen und das Verschwinden von Objekten im Bermuda-Dreieck aufzuklären. Doch kaum war sie auf einer der Bimini-Inseln eingetroffen, als sie mitten in der Nacht von dem Massenangriff tankähnlicher Fahrzeuge überrascht wurde, die aus dem Meer kamen und jeden Widerstand überrollten. Energiewaffen konnten gegen die Angreifer nichts ausrichten. Zwar vermochten die Raumfahrer der ORION mit Hilfe der Findigkeit anderer Menschen den Invasoren Verluste beizufügen, aber der Nachschub aus dem Meer füllte jede entstandene Lücke sofort wieder aus. Gegen die Massen von Tanks half nur noch die Flucht. Als die Invasion auch auf andere Inseln und sogar den nordamerikanischen Kon tinent übergriff, sah sich die Erdregierung vor ein unlösbares Dilemma gestellt. Sie konnte entweder die betroffenen Gebiete und letzten Endes die gesamte Erde evakuieren oder sie setzte Overkill-Projektoren und Antimaterie-Bomben ein, wo durch die Erde auf lange Zeit unbewohnbar gemacht worden wäre. In dieser Lage schickte sich die ORION-Crew an, die Quelle der Invasoren festzu stellen und Antimaterie-Bomben in dieses Gebiet zu dirigieren. Sie nahm dabei in Kauf, mit den Invasoren unterzugehen. Es kam nur deshalb anders, weil die Crew von den Invasoren gefangengenommen wurde — und weil ihre Ankunft auf der Welt der Invasoren das Phantom-Baby aus seiner Agonie weckte. Wendys Baby stoppte die Invasion und opferte sich für die Raumfahrer der ORION. Die Crew kehrt zur Erde zurück, entschlossen, dem Geheimnis des BermudaDreiecks endgültig auf den Grund zu gehen — und sie findet einen Teil der Wahrheit in der ZEITFESTUNG TITAN
Nach der Crew verließ ein großer, kräftiger Mann das Turmluk. Sein ge bräuntes, wettergegerbtes Gesicht kontra Das kleine, in seiner Form an einen stierte auffällig zu dem fast weißblonden, Delphin erinnernde Unterseeboot glitt mit wirren Haar. Auch er trug eine orangefar lautlos mahlender Heckschraube aufge bene Kombination - und große Platinohr taucht auf das offene Bunkerschott des ringe. Trägerschiffs zu und befand sich kurz Lächelnd musterte er die ORION-Crew, darauf in einem hell erleuchteten Raum, die in einer Reihe auf dem Vorderdeck der einem Korridor glich. angetreten war und ihn mit kaum verhoh Das Mahlen der Heckschraube verebbte. lener Spannung anschaute. Er war eigent Schwach dümpelnd stießen die seitlich anlich Chefingenieur geordneten Tauch Die Hauptpersonen des Romans: des Instituts für tanks gegen die Cliff McLane, Mario, Atan, Hasso, Helga Tiefseeforschung in beiden gepolsterten und Arlene — Die ORION-Crew fliegt Miami, aber auf der Kaiwände. Am zum Titan. OCTOPUS I hatte er gedrungenen Turm Major Brian Hackler — Der Offizier wird als Ausbilder der war deutlich der Commander McLane unterstellt. ORION-Crew fun Name des Bootes zu Han Tsu-Gol — Der Regierungschef bangt giert. Von seinem sehen: OCTOPUS I. um die ORION-Crew. Urteil hing viel für Der Turm war Tunaka Katsuro — Direktor des Galak die Crew ab, denn drehbar und besaß tischen Sicherheitsdiensts. sie hatte die eine kleine Strahlen Bow Yu und Lien Gee — Zwei Kampfro Übungsfahrt mit der kanone. Er stach boter. OCTOPUS nicht irgendwie vom zum Vergnügen Druckkörper ab, denn unternommen. Olof Berggren war kein er war nachträglich montiert worden, Mann vieler Worte, deshalb sagte er nur: nachdem man den alten Turm entfernt hatte - denn OCTOPUS I war eigentlich „Alles klar! Meinen Glückwunsch!" nur für friedliche Forschungszwecke in Anschließend schüttelte er die Hände Tiefseegebieten gebaut worden. der Raumfahrer und frischgebackenen UAls das Bunkerschott sich geschlossen Bootfahrer. Cliff McLane bedankte sich hatte, geschah zweierlei: zum einen im Namen der Crew und lud Berggren ein, öffnete sich eine Tür in der rechten mit ihnen einen feuchtfröhlichen Abend Bunkerwand und zwei Personen betraten im „Blauen Delphin" auf Bimini zu den schmalen Kai - zum anderen wurde verbringen - allerdings erst nach dem das Turmluk des Bootes von innen Einsatz, der der Crew bevorstand. aufgeklappt. Falls sie von diesem Einsatz zurückkehr Die beiden Personen auf dem Kai waren te, denn er sollte direkt in den aufgerisse Matrosen des Trägerschiffs. Sie kippten nen Rachen des Tigers führen . . . eine kurze Laufbrücke aus der Bunker wand und schoben sie zum Vorderdeck der * OCTOPUS hinüber. Aus dem geöffneten Turmluk stieg zuerst Cliff Allistair Knapp eine Stunde später setzte ein McLane - und danach die übrigen Mitglie Helikopter die Crew neben einem ehema der der ORION-Crew, die in ihren oran ligen Geräteschuppen am Rande des gefarbenen Kombinationen gar nicht wie Flughafens von Bimini ab. Raumfahrer aussahen. Der Flughafen war bei der „Invasion aus 1.
dem Meer" schwer beschädigt worden, hatte aber seinen Betrieb nach den notwendigsten Instandsetzungsarbeiten inzwischen wieder aufgenommen. Allerdings war er für Zivilmaschinen gesperrt. Auf ihm standen außer der ORION IX neun Raumkreuzer der Flotte in Bereitschaft. Sie waren der ORIONCrew unterstellt und sollten eingesetzt werden, falls sich im Bermuda- oder Teufels-Dreieck etwas Konkretes zeigte, das man bekämpfen konnte. Denn im Bermuda-Dreieck lauerten noch immer unsichtbare Gefahren und hatten neue Opfer gefordert, bis dieses Gebiet erneut zum Sperrgebiet erklärt worden war. Nachdenklich musterte Cliff das an die Holztür genagelte Schild, das verkündete, daß in dem alten Schuppen das Hauptquar tier des „Untersuchungsstabes TeufelsDreieck", residierte. Die ORION-Crew hatte es angesichts der zahllosen Obdach losen, die die Kämpfe gegen die Invasoren verursacht hatten, abgelehnt, ihr Haupt quartier in einem Hotel oder einer Schule aufzuschlagen, wie es ihr angeboten worden war. „Großartig, wie?" meinte Mario de Monti. „Dabei hatten wir es zuerst strikt abgelehnt, nach Bimini zurückzukehren und uns wieder um das verwünschte Dreieck zu kümmern. Warum haben wir uns eigentlich doch breitschlagen lassen?" „Weil wir von Natur aus neugierig sind", erklärte Atan Shubashi. „Und weil wir keine Ruhe haben, bis dieser uralte Gefahrenherd endlich ausgeräumt ist", fügte Hasso Sigbjörnson hinzu. „Irgendwo auf dem Meeresboden existiert eine Hinterlassenschaft des Rudraja, die vielleicht erst zum Teil geweckt ist und größtes Unheil über die Erde bringen kann." „Ich frage mich seit einiger Zeit, warum wir nicht versucht haben, diese Gefahr zu beseitigen, als wir uns in der Mentorkugel
des Varunja befanden", warf Arlene ein. „Mit den göttergleichen Fähigkeiten, die wir damals besaßen, hätten wir es wahr scheinlich geschafft." „Was wir damals schufen, verschwand wieder, als wir die Annahme der über menschlichen Fähigkeiten verweigerten", erwiderte Helga Legrelle. „Nur die Festung auf dem Titan blieb", meinte Hasso mit einem grüblerischen Ausdruck in den Augen. „Warum?" „Ich muß gestehen, daß ich an der Schaffung der fünf Türme beteiligt war, denn auch ich wollte einen Beweis hinterlassen", sagte Atan Shubashi leise. „Eigentlich wollte ich es nicht sagen, aber ..." „Du auch, Atan?" entfuhr es Cliff. „Ich habe ebenfalls daran 'gebaut'." „Ich auch", sagte Arlene. „Wer noch?" fragte Cliff ahnungsvoll. Als Helga und Mario die Hände hoben, sagte er: „Möglicherweise ist deshalb die Ti tanfestung geblieben. Fünf verschiedene Gehirne haben aus dem gleichen Grund an einem Werk geschaffen. Das ließ sich offenbar nicht wieder rückgängig machen. Ich frage mich ..." Er unterbrach sich, blickte zu den im Halbkreis aufgestellten Raumkreuzern und kniff die Augen zusammen. „Mit unserer ORION sollten eigentlich zehn Schiffe auf dem Platz stehen", überlegte er laut. „Oder ist neun plus eins gleich elf?" „Unser verehrter Kommandant sieht die ORION offenbar doppelt", sagte Helga. „Bist du zum heimlichen Trinker gewor den, Cliff?" „Es sind tatsächlich elf", meinte Arlene. „Und das elfte ist ein Schlangenträger und heißt auch so, nämlich OPHIUCHUS", ergänzte Cliff. „Freunde, ich glaube, da wollte uns jemand überra schen. Die gute Leandra wartet wahr scheinlich in unserem Besprechungs
raum." „Seit wann darfst du sie mit ihrem Vornamen anreden?" fragte Arlene. Cliff grinste spitzbübisch. „Seit ich gemerkt habe, daß sie sich nicht dagegen verwahrt, wenn sie es nicht hört. Aber ich denke, wir sollten unsere Admiralin nicht länger warten lassen, Freunde." An der Spitze der Crew betrat er den Schuppen - der innen übrigens unter Verwendung von viel Farbe und Plastik platten sowie mehreren Trennwänden beinahe wohnlich gemacht worden war. Die Crew marschierte durch den Korridor, Cliff stieß die Tür zum Besprechungsraum auf und wollte eine launige Bemerkung machen. Aber die Bemerkung gefror ihm auf den Lippen, als er sah, wer dort außer der Admiralin noch auf sie wartete. Neben Leandra de Ruyter erhoben sich denn sie waren nicht nur sehr gebildet, sondern hatten außerdem gute Manieren Han Tsu-Gol, seines Zeichens Regie rungschef und Oberkommandierender aller terrestrischen Raumflotten, und Tunaka Katsuro, der als Direktor den wieder erstandenen und noch jungen Galaktischen Sicherheitsdienst befehligte. Als seine Freunde ihm in den Raum gefolgt waren, neigte Cliff McLane seinen Kopf und sagte: „Willkommen, verehrungswürdige Vorgesetzte. Meine Augen freuen sich, Sie zu sehen!" „Ihre Augen strafen Sie Lügen, Cliff", erwiderte Han Tsu-Gol ironisch. „Rosig sehen Sie aus." „Rosig?" fragte Atan verwundert. „Ich meinte die Farbe Ihrer Kleidung", antwortete der Regierungschef. „Aber warum setzen wir uns nicht?" Während sie alle um den großen Tisch herum Platz nahmen, sagte Cliff zu Han: „Sie müssen entschuldigen, daß wir etwas erstaunt sind, Tsu-Gol - erstaunt darüber, daß ein Tiger sich dazu herabge
lassen hat, in den Zwinger der zahmen Hunde zu kriechen." „Der Tiger, von dem Sie sprechen, Cliff, ist besorgt", erwiderte Han. „Er fühlt sich für die Hundemeute verantwortlich und kann nicht untätig zusehen, wie sie sich freiwillig den Hyänen zum Fraß vorwirft." „Was in Klartext bedeutet, daß wir gekommen sind, um Sie zu bitten, nicht an dem geplanten Risikoeinsatz teilzuneh men." „Diese Bitte entspringt aber wohl nicht mütterlicher oder väterlicher Liebe", stellte Helga Legrelle fest. „Oder sollte ich mich da irren?" „Sie irren nicht, Verehrteste", erklärte Han Tsu-Gol. „Obwohl vorhanden, darf Liebe für uns kein Motiv sein. Wir denken vor allem daran, daß Sie wegen Ihrer diversen Erfahrungen mit den Erben beziehungsweise Werkzeugen des Rudraja wie keine andere Gruppe von Menschen dafür prädestiniert sind, den Unter suchungsstab Teufels-Dreieck zu leiten. Es ist deshalb unsere Pflicht, zu verhindern, daß Sie sich mutwillig in eine Situation begeben, die Ihnen endgültig zum Ver hängnis werden kann." Mit leiser Stimme fuhr er fort: „Sie ahnen ja nicht, was ich für Ängste ausgestanden habe, als Sie während der Suche nach der Herkunft der Tanks verschollen blieben und wir das Schlimm ste befürchten mußten." Unvermittelt zog er ein Papiertaschentuch hervor und schneuzte sich kräftig. Cliff McLane, der bereits eine sar kastische Antwort bereit hatte, unterdrück te sie, weil er merkte, daß Han Tsu-Gol nicht schauspielerte, sondern außer aus dienstlichen Gründen auch aus menschli chen besorgt war. Das änderte aber nichts an seiner Entschlossenheit. Ernst erklärte er: „Meine Freunde und ich sind uns klar darüber, daß die kalte Logik unsere Zurückhaltung bei dem Risikoeinsatz
gebietet. Aber über der kalten Logik steht unter Menschen die Solidarität - in diesem Fall die Solidarität mit den zehn jungen Menschen, die sich freiwillig bereit erklärt haben, mit Tauchbooten in das Gebiet vorzustoßen, in dem bisher die meisten Objekte auf rätselhafte Weise verschwan den. Die Freiwilligkeit ändert aber nichts daran, daß wir, die ORION-Crew, in unserer Eigenschaft als Leiter des Unter suchungsstabes Teufels-Dreieck die volle Verantwortung für diese Aktion tragen. Wir können diese Verantwortung nicht auf uns nehmen, wenn wir nicht selbst bereit sind, das gleiche Risiko zu tragen. Wir würden vor unserem eigenen Gewissen nicht bestehen, wenn wir nicht durch die Tat Solidarität mit den Freiwilligen übten." Han Tsu-Gol hatte sich wieder völlig in der Gewalt, als er erwiderte: „Ich wollte, ich könnte Ihre Argumente zerpflücken, Cliff. Aber ich kann es nicht. Sie wären nicht die ORION-Crew, wenn Sie anders handeln würden, als Sie es vorhaben. Deshalb muß ich Ihren Ent schluß respektieren." Er erhob sich - und mit ihm erhoben sich Leandra de Ruyter und Tunaka Katsuro. „Ihr Ausbilder war Olof Berggren vom Institut für Tiefseeforschung in Miami, nicht wahr?" erkundigte sich Han. „Ja, warum?" fragte Mario de Monti. „Wenn er gut genug für Sie war, wird er auch gut genug für mich sein", antwortete der Regierungschef. „Ich werde mich jedenfalls ab morgen von ihm in der Steuerung eines Tauchboots unterweisen lassen - denn wenn Sie nicht zurückkeh ren, werde ich persönlich nach Ihnen su chen, und sollte ich dazu bis zum Grund der Hölle tauchen müssen!" * Nachdem
der
Regierungschef
sich
verabschiedet hatte und mit seinen beiden Begleitern gegangen war, blickten sich die Mitglieder der ORION-Crew ernst an. „Ich habe den Eindruck, als empfände der Tiger der Hundemeute gegenüber tatsächlich so etwas wie mütterliche Gefühle", meinte Mario. „Jedenfalls hat er uns eine Seite seines Wesens offenbart, die wir bisher nicht an ihm kennengelernt hatten", sagte Arlene Mayogah. „Er bringt es fertig und steuert ein Tauchboot ins Bermuda-Dreieck, um nach uns zu suchen", sagte Helga. „Han wird mir immer sympathischer." „Vielleicht macht er dir eines Tages einen Heiratsantrag, dann kannst du ihm deine Sympathie beweisen, indem du ja sagst", witzelte Mario. „Dazu gehört ja wohl mehr als Sympa thie", entgegnete die Funkerin kühl. „Wie wäre es, wenn wir uns endlich um unsere Schützlinge kümmerten?" „Einverstanden", erwiderte Cliff. Die Crew begab sich in den Funkraum ihres Hauptquartiers, das mit allen technischen Raffinessen ausgerüstet war. Die beiden von der Raumflotte abkom mandierten Funkoffiziere saßen vor ihren Geräten und nahmen die Meldungen der robotischen Meßschiffe, Sonden sowie des Beobachtungssatelliten entgegen, der sich in einem stationären Orbit rund 36.000 Kilometer über dem Bermuda-Dreieck befand. Die technische Ausstattung war besser als die in ihrem Hotel-Hauptquartier vor der Invasion. Aber auch das Personal hatte sich geändert. Niemand vom alten Untersuchungsstab war geblieben. Die Crew hatte sich ihre Mitarbeiter aus dem Personal der Flotte und aus wissenschaft lichen Instituten selbst ausgesucht -und zwar nach dem Gesichtspunkt geistiger Beweglichkeit und der Aufgeschlossenheit für neue Ideen und Methoden. Es handelte sich überwiegend um jüngere Leute.
„Liegen Meldungen von den Tauch mannschaften vor, Leutnant?" wandte sich Cliff an einen der Funkoffiziere. „Sie sind unterwegs nach hier, Sir", antwortete der Mann respektvoll. Cliff bedankte sich, dann ließen er und seine Freunde sich über die letzten Meldungen unterrichten. Es gab keine Neuigkeiten. Im Bermuda-Dreieck schien es keine Gefahren zu geben. Keines der eingesetzten Meßschiffe und keine der Flugsonden waren verschwunden. „Die Ruhe vor dem Sturm", bemerkte Hasso Sigbjörnson dazu. Sie verließen den Funkraum wieder und gingen nach draußen, und sie kamen gerade zurecht, um die beiden Helikopter der Küstenwache in der Nähe des Haupt quartiers landen zu sehen. Zehn Menschen verließen die Helikopter, vier Frauen und sechs Männer, alle in orangefarbene Kombinationen gekleidet und niemand älter als dreißig Jahre. Schweigend näherten sich die zehn Freiwilligen der ORION-Crew, ebenso schweigend stellten sie sich vor der Crew auf - in die zwei Gruppen geordnet, die jeweils mit einem Tauchboot in die Höhle des Löwen eindringen wollten. Cliff McLane musterte die jungen Leute mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er froh darüber, daß es - nachdem die Wirkung von Fluidum Pax endgültig abgeklungen war - wieder Menschen gab, die das eigene Leben hinter die Interessen der Menschheit zurückstellten. Ande rerseits schmerzte ihn die Vorstellung, daß vielleicht eine der beiden Gruppen - oder beide - einem grauenhaften Schicksal entgegensahen. „Alles klar?" fragte er. „Alles klar!" antwortete Tom Ka waihulole und Hata Markosinda, die beiden Kommandanten der Tauchboote OCTOPUS II und III, gleichzeitig. Tom Kawaihulole war ein schlanker, braunhäutiger Samoaner und - nach
Aufhebung der entsprechenden Sperre für Erdgeborene - Offiziersanwärter der Raumflotte der Erde. Hata Markosinda dagegen war eine herbe, kraftstrotzende Schönheit aus Mazedonien, die als Meeresbiologin arbeitete und sich für das neugegründete Kolonisationskommando der Raumflotte gemeldet hatte. Cliff fühlte sich versucht, seinen Gefüh len in einer langen Rede Ausdruck zu geben. Statt dessen sagte er nur: „Wenn Sie Ihre Meldung zurückziehen, werden Ihnen daraus keinerlei Nachteile erwachsen, denn niemand ist berechtigt, von Ihnen zu verlangen, das Erbe des Rudraja herauszufordern und sich in unbe kannte Gefahren zu stürzen." „Unser Entschluß steht fest", erklärte Tom Kawaihulole. „Haben Sie denn Ihren Entschluß geän dert, Commander?" fragte Hata Markosin da. Cliff schüttelte den Kopf. „Nein, aber das ist etwas anderes", erwiderte er. „Gehen wir also in den Kartenraum und sprechen alles noch einmal durch! Anschließend haben Sie acht Stunden Zeit, sich auszuruhen und Ihre Angelegenheiten zu ordnen, soweit das nicht schon gesehen ist."
2. Als der schwere Lukendeckel über Cliff McLane zuknallte, hatte er für den Bruchteil einer Sekunde das Gefühl, lebendig in einem Sarg begraben worden zu sein. Aber die Forderungen des Zeitplans rissen ihn sofort wieder in die Wirklichkeit zurück. Er kletterte hinter seinen Freunden über die stählerne Leiter in den Komman doraum hinunter, der sich, abgesehen von seiner Enge, nicht wesentlich von der Steuerzentrale eines Raumschiffs unter schied.
Hasso Sigbjörnson schlängelte sich bereits durch eine Röhre in den Ma schinenraum, um die Arbeit der von einem Fusionsaggregat mit Energie versorgten Elektromotoren zu überwachen und bei Pannen sofort eingreifen zu können. Sekunden später erschien das Abbild seines Gesichts auf dem Bildschirm der Bordverbindung. „Alles in Ordnung", meldete er. Cliff setzte sich vor das Steuerpult für Antriebskontrolle, Seiten- und Tiefen steuerung und warf Helga, die sich die Kopfhörer des Funkgeräts übergestülpt hatte, einen Blick zu. Helga Legrelle schaltete und sagte: „OCTOPUS I klar zum Ausschleusen, Trägerschiff! Erbitten Ausschleuse erlaubnis !" „Ausschleuseerlaubnis erteilt", antworte te eine männliche Stimme. „Bunkerschott geöffnet. Eigenfahrt des Trägers gleich Null." Ein Blick auf die Kontrollen bewies Cliff, daß die Heckschraube schon auf Rückwärtsfahrt gestellt war. Er schaltete sie ein und ließ das Boot langsam aus dem Bunker des Trägerschiffs gleiten. Atan Shubashi überwachte unterdessen die Bildschirme des Asdic-Geräts und des Unterwasserradars. „Wir sind frei", meldete er nach kurzer Zeit. „Klar zum Tauchmanöver, Arlene!" sagte Cliff. „Vorerst nur bis auf hundert Meter gehen!" Arlene schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und schaltete nun ebenfalls. „Klar zum Tauchmanöver!" bestätigte sie. „Ich gehe auf eine Tiefe von hundert Metern." Cliff erkannte auf den Schirmen, daß das Boot im Winkel von zirka dreißig Grad tauchte. Die Schaukelbewegungen, durch die starke Dünung an der Wasseroberflä che hervorgerufen, hörten auf. Auf den Schirmen der Bodenkontrolle war der
Meeresboden undeutlich zu sehen. An Steuerbord sank er sehr steil ab und war einige hundert Meter weiter nicht mehr zu erkennen. „Wir marschieren vorerst mit nur zwan zig Meilen pro Stunde", sagte Cliff. „Unser Kurs zeigt genau nach Norden. Östlich von uns liegt ein Vorsprung des Nares-Tiefs. In zweieinhalb Stunden werden wir das Operationsgebiet erreichen - und bis dahin sollten OCTOPUS II und III in ihren Ausgangspositionen stehen." „Zweieinhalb Stunden Langeweile", meinte Mario de Monti, der mit der Arbeit am Bordcomputer nicht ausgelastet war und deshalb zusätzlich das Feuerleitpult übernommen hatte, von dem aus die Strahlkanone im Turm und die beiden Bugtorpedorohre bedient wurden. „Genieße die Langeweile, Mario", sagte Helga. „Was danach kommt, dürfte nicht nur kurzweilig sein." „Vielleicht geschieht überhaupt nichts", meinte Hasso über die Bordverbindung. „Tauchtiefe hundert Meter erreicht", meldete Arlene. „Boot zu Horizontalfahrt aufgerichtet. Es wird etwas geschehen, Hasso, denn wir bleiben so lange im Operationsgebiet, bis etwas geschieht." „Aber was?" warf Helga Legrelle ein. „Ich zerbreche mir ständig den Kopf über die mysteriöse Landmasse, die nicht nur vor den Augen einer alkoholisierten Jachtbesatzung, sondern vor unseren eigenen Augen auftauchte und wieder verschwand. Sie war zweifellos immateri ell und hat wohl kaum das Verschwinden des Frachters und der Meßschiffe verur sacht. Aber welchen Sinn hatte diese Erscheinung dann überhaupt?" „Sinn oder Unsinn, das ist hier die Frage", warf Mario spöttisch ein. „Wir sahen eine große, unregelmäßig geformte Insel und wir sahen ein aus dunklen Basaltblöcken aufgerichtetes Bauwerk und wir sahen, wie alles zu schwarzgrauer Asche zerfiel. Es war wie eine gespensti
sche Szene aus einer anderen Zeit. Vielleicht wollte jemand oder etwas damit Aufmerksamkeit erregen." „Unsere Aufmerksamkeit?" fragte Cliff mit schmalen Lippen. „Oder die Aufmerk samkeit von etwas, das irgendwann erwartet wird - vielleicht jetzt, vielleicht in zehn oder in tausend Jahren. Das Ver schwinden von Objekten, die sich in der Nähe der Projektion - oder was immer es auch war - befanden, ist möglicherweise gar nicht beabsichtigt, sondern beruht auf einem Nebeneffekt." „Für die Menschen, die mitverschwun den sind, dürfte das egal sein", sagte Atan. „Ich glaube allerdings nicht, daß sie zu einer Welt entführt worden sind, um dort für Einsätze ausgebildet zu werden, wie schon gehabt." „Du nimmst an, diese Gefahr sei besei tigt?" erkundigte sich Mario. „Ganz sicher", antwortete der Astrogator lächelnd. „Wie auch immer: In einigen Stunden werden wir mehr wissen - oder auch nicht", erklärte Cliff und drückte damit die Stimmung der ganzen Crew aus. * „OCTOPUS II in Ausgangsposition!" meldete Tom Kawaihulole über Funk. Cliff stand neben Helga Legrelle vor dem Funkgerät. Er blickte zu der elektro nischen Kartenprojektion, die das Seege biet zwischen Neufundland und der Nordküste des Südamerikanischen Kontinents zeigte. Das Bermuda-Dreieck mit seinen Eckpunkten Miami, den Bermudas und San Juan war rotschraffiert eingezeichnet. Ebenfalls rotschraffiert eingezeichnet war die Kreisfläche südlich der Bermudas, in der sich die meisten Zwischenfälle ereignet hatten. Sowohl die OCTOPUS I als auch die OCTOPUS II befanden sich bereits innerhalb des Bermuda-Dreiecks, aber
noch außerhalb der kreisförmigen Gefah renzone. „Bleiben Sie noch dort, Tom!" ordnete Cliff an. „Ich möchte erst die Meldung von III abwarten." „Kommt schon herein, Cliff", sagte Helga und schaltete wieder am Funkpult. „Hier OCTOPUS III!" meldete sich die Stimme von Hata Markosinda. „Wir sind in Ausgangsposition nordwestlich des Zielgebiets." „Danke!" sagte Cliff. Er berührte zwei Tasten und blendete damit zusätzlich zur OCTOPUS I die Positionen der beiden anderen Tauchboote ein. Die II stand westlich, die I südlich vom Zielgebiet. „In maximal möglicher Tauchtiefe Fahrt aufnehmen!" befahl er. „Geschwindigkeit niedrig halten. Kurs auf Zentrum des Zielgebiets! Bitte, melden Sie alle ver dächtigen Beobachtungen zu mir! Bei Gefahr ausweichen, nicht angreifen! Nur im Notfall schießen! Wir sollen aufklären, nicht kämpfen! Hals- und Beinbruch!" „Wie war das?" fragte Hata. Tom lachte und sagte: „Ich weiß Bescheid. Es handelt sich um eine prähistorische Redewendung, mit der die Menschen sich früher Glück wünsch ten." „Prähistorisch!" rief Cliff. „Herr schaften, wir stammen aus jener Zeit!" „Eben!" sagte Tom bedeutungsvoll. „Hals- und Beinbruch auch für Sie und für die Crew Hatas!" „Höchst seltsam waren die Gebräuche der Urahnen", erklärte Hata Markosinda. „Ebenfalls Hals- und Beinbruch für alle!" „Ich komme mir uralt vor", meinte Cliff McLane launig. Er wurde sofort wieder ernst. „Haltet bloß die Augen offen! Im Zentrum des Zielgebiets werden wir uns treffen und beraten, wie wir danach vorgehen. McLane, Ende!" Er kehrte an seinen Platz zurück und nickte Arlene zu. Seine braunhäutige
Lebensgefährtin schaltete abermals. Die OCTOPUS I neigte ihren Bug und glitt tiefer. Als ihre Höhe über Grund nur noch hundertfünfzig Meter betrug, richtete sich der Bug wieder auf. In einer Tiefe von achthundert Metern „schwebte" das Boot über weite Schlammfelder, die vom Unterwasserradar ertastet und auf die Beobachtungsbildschirme übertragen wurden. „Nichts Verdächtiges", berichtete Atan nach einem fragenden Blick Cliffs. „Wenn sich hier Hinterlassenschaften des Rudraja verbergen, dann werden sie nicht nur durch dicke Schlammschichten, sondern zusätzlich durch Felsboden gegen unsere Taster abgeschirmt." Nach den knappen Anweisungen Cliffs hielt Arlene das Boot in einer Höhe von hundertfünfzig Metern über Grund. Dadurch veränderte sich seine Tiefe immer wieder. Als es ins Gefahrengebiet eindrang, war es nur noch knapp hundert fünfzig Meter tief. „Es scheint, als wäre unsere Aktion ein Schlag ins Wasser", meinte Helga Legrel le. Cliff McLane nickte, aber sein Gesicht blieb angespannt. Er grübelte wieder darüber nach, warum sie damals - in der Mentorkugel des Varunja, hoch über dem Saturn - mit ihren fast unbegrenzten Fähigkeiten nicht versucht hatten, den Quell des Unheils im Bermuda-Dreieck zu verstopfen. Vielleicht, weil das unmöglich gewesen wäre? überlegte er. Oder kennt unser Unterbewußtsein die Zusammenhänge und hat unsere Reaktionen gesteuert? Schließ lich liegt über dem, was wir in der Parallel-Raumkugel erlebten, größtenteils der Schleier des Vergessens. Aber was für unser Bewußtsein zutrifft, muß nicht auch für unser Unterbewußtsein zutreffen. Das Wissen mag dorthin zurückgedrängt worden sein. Anders läßt es sich nicht erklären, daß wir uns inzwischen an einige
Einzelheiten, die wir ebenfalls vergessen hatten, wieder erinnern konnten. „Ortung!" sagte Atan Shubashi trocken. Die Bemerkung elektrisierte die übrigen Raumfahrer förmlich. Sie wandten die Köpfe und blickten gespannt zu ihrem Astrogator, der mit kerzengerade aufge richtetem Oberkörper auf seinem Sitz saß und auf einen Diagrammschirm blickte. Als er mit der rechten Hand an einem Stellknopf drehte, ertönte ein lautes Pfeifen. Mit der linken Hand schaltete Atan am Steuerfeld des Unter wasserradars. „Was ist es?" fragte Cliff. „Eine starke Infrarotquelle", antwortete Atan, ohne den Kopf zu wenden. „Sie sendet kurzwelliges Infrarot und einen hellroten Lichtanteil aus. Aber das Radar erfaßt nichts." „Vielleicht ein Vulkan, der heißes Was ser speit", meinte Helga. Mario tippte einige Angaben in den Bordcomputer, ein im Vergleich zum Computer der ORION IX relativ pri mitives Gerät. Sekunden später wurde eine schmale Lichtdruckfolie ausgeschoben. Der Kybernetiker riß sie heraus und studierte sie. „Kein heißes Wasser", erklärte er. „Dann wäre die Infrarotstrahlung nicht auf den kurzwelligen Bereich beschränkt." „Und Lava ist es auch nicht, denn dann würde sie vom Radar erfaßt werden. Außerdem würde sich die Infrarotquelle dann nicht in eine bestimmte Richtung bewegen." „Ich welche Richtung bewegt sie sich?" fragte Cliff. „Vom ungefähren Zentrum des Zielge biets aus nach Südosten", antwortete Atan. „Behält sie diese Richtung bei, wird sie uns - falls wir anhalten - in einer Entfer nung von achtundzwanzig Meilen an Steuerbord passieren." „Was ist das, das massenhaft Infrarot aussendet, einen bestimmten Kurs hält und
keine Radarimpulse reflektiert?" warf Hasso über die Bordverständigung ein. Sein Abbild auf dem Schirm zeigte eine besorgte Miene. „Jedenfalls wohl kaum etwas, das von Menschenhand geschaffen wurde", erwiderte Cliff. „Ich schlage vor, wir ändern unser Programm, schleichen uns an die Infrarotquelle heran und versuchen, sie zu identifizieren." „Wer wird Xernona über das blau schwarze Haar streichen, wenn ich mich in Fischfutter verwandelt habe oder mit unbekanntem Ziel verschwunden bin?" beklagte sich Hasso. „Sie kann sich bei Basil trösten - obwohl das, zugegeben, ein schwacher Trost sein würde", warf Arlene ein. „Ich würde Basil nicht als schwachen Trost empfinden!" protestierte Helga überraschend heftig. „Das liegt an der lodernden Glut, die du in ihm entfachen könntest, Helgalein", sagte Mario mit säuerlicher Miene. Er war nicht eifersüchtig, denn er empfand eine Mischung aus brüderlichen und väterli chen Gefühlen für Helga Legrelle. Aber gerade deshalb fühlte er sich für sie verantwortlich. „Ich stelle also fest, daß mein Vorschlag auf fruchtbaren Boden gefallen ist", meinte Cliff und erhob sich, um zu Helga zu gehen. Die Funkerin deutete seine Absicht richtig und stellte eine Funkverbindung zu den beiden anderen Tauchbooten her. Cliff McLane schilderte den Be satzungen, was sie entdeckt hatten. Er erklärte, daß die OCTOPUS I den Marsch zum Zentrum des Zielgebiets unterbrechen würde, um sich an die mysteriöse Infrarot quelle anzupirschen. Die beiden anderen Boote sollten ihre Marschgeschwindigkeit drosseln, aber ihre Fahrtrichtung bis auf weiteres beibehalten. Tom Kawaihulole und Hata Mar kosinda bestätigten die Anweisung und
baten die ORION-Crew um äußerste Vorsicht. „Wir werden so vorsichtig sein wie immer", erwiderte Cliff darauf. „Und falls Sie daran zweifeln, daß wir bisher sehr vorsichtig waren, dann bedenken Sie bitte, welche Gefahren wir bisher lebend überstanden haben und warum. McLane, Ende!" * „Geschwindigkeit unverändert einund vierzig Meilen pro Stunde", meldete Atan Shubashi. „Das Radar zeigt immer noch nichts, obwohl wir nur noch eine Meile von der Infrarotquelle entfernt sind." „Wir werden ins ,Kielwasser' des unbe kannten Objekts einschwenken und feststellen, ob und wieweit sich das Wasser dort erwärmt hat", sagte Cliff und nahm die entsprechenden Steuerschaltun gen vor. Wenige Minuten später befand sich die OCTOPUS I im „Kielwasser" der Infra rotquelle. Die außen am Druckkörper sitzenden Thermoelemente zeigten an, daß sich das Wasser hinter dem Objekt auf sechzig Grad aufgeheizt hatte. Unmengen toter Fische stiegen mit dem erhitzten Wasser nach oben. „Zumindest wissen wir jetzt, daß wir kein Phantom jagen", meinte Mario erbittert. „Phantome pflegen kein Fisch sterben zu verursachen. Wenn wir einen Torpedo auf Infrarotzielsuche schalten und abschießen, würde er das Ziel nicht verfehlen." „Früher hätte ich das von mir aus vorge schlagen, Mario", erwiderte Cliff. „Aber inzwischen haben wir - oft sehr drastisch erkennen müssen, daß wir gegen Werk zeuge oder Hilfskräfte einer Macht kämpfen, die uns haushoch überlegen ist, obwohl es sich bei ihr nur um ein Erbe des Rudraja und nicht um das Rudraja selbst handelt. Unter diesen Umständen halte ich
es nicht für ratsam, mit ohnehin unzuläng lichen Mitteln den Kraftprotz spielen zu wollen." „Hast du Angst, Cliff?" fragte Mario. Cliff nickte. „Das auch, Computerbändiger. Aber in erster Linie um die irdische Menschheit, die einer zornigen Reaktion des aufge wachten Ungeheuers hilflos gegenüber stünde. Nein, bevor wir etwas gegen das Objekt unternehmen, müssen wir wenig stens vermuten können, um was es sich handelt. Es ist ja nicht einmal sicher, ob es überhaupt ein Objekt im Sinne eines Gegenstandes ist oder nur die anmeßbare Wirkung eines Energiestrahls, der Moleküle in infrarotspezifische Rotationen und Schwingungen versetzt." „Ich will dir nicht widersprechen, ob wohl ein solcher Energiestrahl eigentlich von den Ortungsgeräten entdeckt werden müßte", warf Atan Shubashi ein. „Aber im Zusammenhang mit dem Erbe der ehema ligen kosmischen Supermächte erscheint mir fast nichts mehr unmöglich." Cliff McLane steuerte das Tauchboot wieder aus dem heißen Kielwasser heraus. „Könnt ihr bitte die genaue Position feststellen, Helga, Mario?" fragteer. Helga Legrelle nickte und schaltete einen Spezialempfänger auf das Band der terrestrischen Navigationssatelliten, von denen jeder eine bestimmte Symbolgruppe ständig wiederholte. Während sie den nächsten Satelliten anpeilte und Mario die Werte sagte, damit er eine Com puterberechnung durchführte, musterte Atan Shubashi den Konturzeichner des Bodenradars. „Wir nähern uns dem Rand des NaresTiefs", teilte der Astrogator seinen Freunden mit. „Sechsundsechzig Grad westlicher Länge, siebenundzwanzig Grad nördlicher Breite", sagte Mario de Monti und schwenkte eine Lichtdruckfolie. Cliff McLane schaute auf die Kar
tenprojektion und sah, wie Atan Shubashi ihre Position elektronisch markierte. Sie stimmte mit der Ausbuchtung des NaresTiefs überein, die am weitesten nach Westen vorsprang. Infrarotquelle ändert Kurs!" rief Atan erregt. „Sie zielt jetzt genau auf die tiefste Stelle des Nares-Tiefs!" „Das sind genau 6 995 Meter", sagte Cliff nach einem weiteren Blick auf die Kartenprojektion. „Und die OCTOPUS-Boote haben eine maximale Tauchtiefe von dreitausend Metern", ergänzte Arlene. „Noch wissen wir nicht, ob das Objekt oder was es ist - dort auf Grund gehen will", warf Mario ein. „Ich denke, wir. sollten es weiter verfolgen." „Aber vorher die anderen Gruppen unterrichten", sagte Cliff. Helga nahm das Stichwort auf und bemühte sich, die beiden anderen Tauch boote über Funk zu erreichen. OCTOPUS II meldete sich fast sofort. Durch das Knistern und Knattern von Störgeräuschen ertönte Hata Markosindas Stimme. „Wir haben nichts Konkretes entdeckt, aber unsere Ortung wird von unbekannten energetischen Einflüssen erheblich gestört", meldete die Kommandantin. „Diese Einflüsse sind offenbar auch schuld an den Funkstörungen", erwiderte Helga Legrelle. Cliff erhob sich und stellte sich neben die Funkerin. „Hier Cliff!" sagte er. „Hata, ich halte die Entwicklung für bedrohlich. Mit energetischen Störungen fingen bisher alle Ereignisse an, die zum Verschwinden von Schiffen und Flugzeugen geführt haben. Bitte, kehren Sie um und fahren Sie mit Höchstgeschwindigkeit nach Osten! Warten Sie bei Ihrer Ausgangsposition!" „Aber wie sollen wir Ermittlungen anstellen, wenn wir uns beim ersten Anzeichen fremder Aktivität zurückzie
hen, Cliff!" protestierte Hata. „Bei diesen Anzeichen fremder Aktivität gibt es nur den Rückzug", erklärte Cliff McLane. „Außerdem bekommen wir keine Funkverbindung mit Boot II." „Doch, Cliff, eben meldet sich Tom!" rief Helga und drehte an einem Stellknopf. „.. .spricht Tom von der OCTOPUS II", dröhnte es - ebenfalls von Störgeräuschen begleitet - aus einem Lautsprecher. „Warum haben Sie unseren Funkspruch nicht beantwortet, Cliff und Hata?" „Wir haben keinen Spruch von Ihnen empfangen, Tom!" sagte Cliff. „Wann wurde er ausgestrahlt, Tom?" Statt einer Antwort hörten die Raumfah rer die Stimme des Kommandanten der OCTOPUS II sagen: „Achtung, OCTOPUS II ruft Nummer I und III. Vor einer Minute beobachteten wir zahllose winzige Leuchterscheinungen im Wasser. Sie hörten nach wenigen Sekunden auf. Soeben tauchten sie erneut auf. Außerdem messen wir Schwereano malien an. Wir möchten die OCTOPUS III warnen und bitten Commander McLane von der OCTOPUS I um Vorschläge, wie wir uns verhalten sollen. Kawaihulole, Ende!" „Das ist anscheinend der Funkspruch, auf dessen Beantwortung Tom drängte", sagte Hata aufgeregt. „Ja", erwiderte Cliff bedrückt. „Und offenkundig unterlag der erste Funkspruch einer Zeitverschiebung - wie bereits mehrfach gehabt. Hata, Sie ziehen sich sofort zurück! Und Tom, falls Sie mich hören können, drehen Sie ebenfalls ab und kehren Sie schnellstens auf Ihre Ausgangs position zurück! Ich bitte um Bestä tigung!" Als das Funkgerät schwieg, sagte Helga: „Bitte, bestätigen Sie die Anweisung von Commander McLane, Hata - und Sie auch, wenn Sie uns gehört haben, Tom!" Sie drehte die Verstärker voll auf, dann schüttelte sie den Kopf und sagte leise:
„Boot II und III antworten nicht, Cliff." Die Raumfahrer sahen sich vielsagend an. Sie alle hatten ähnliches bereits erlebt, zuletzt direkt, als mehrere Meßschiffe praktisch vor ihren Augen verschwunden waren. Auch da war es vorher zu Leuch terscheinungen und Zeitverschiebungen gekommen. Niemand hatte den Betroffe nen helfen können - und hier würde es ge nauso sein, wenn es den beiden anderen Booten nicht gelang, sich aus dem Einflußbereich der undefinierbaren Kraft zurückzuziehen. Die Entscheidung fiel Cliff McLane schwer, obwohl er wußte, daß es nur eine Entscheidung geben konnte, weil alle anderen möglichen Entscheidungen sinnlos gewesen wären. „Wir setzen die Verfolgung der In frarotquelle fort!" sagte er.
3. „Infrarotquelle sinkt!" meldete Atan Shubashi. „Tiefe zur Zeit vier hundertachtzig Meter. Sinkgeschwindig keit einundvierzig Meter pro Sekunde." „Und die OCTOPUS-Boote haben eine maximale Sinkgeschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde", sagte Hasso Sigbjörnson über die Bordverbindung. „Wir brauchten bis zur tiefsten Stelle rund eine Stunde, während die Infrarotquelle in knapp drei Minuten unten sein dürfte. Es ist hoffnungslos." „Kein Tauchboot kann in drei Minuten fast siebentausend Meter tief tauchen", meinte Atan Shubashi. „Kein uns bekanntes Tauchboot!" erwi derte Hasso. „Aber wahrscheinlich haben wir es nicht mit einem festen Körper zu tun, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was eine bloße Strahlungsquelle damit bezweckt, daß sie aus unserem Zielgebiet ins Nares-Tief wandert."
„Wir folgen, soweit wir können", sagte Cliff McLane, an Arlene gewandt. „Etwas bezweckt das Unbekannte, und vielleicht können wir etwas beobachten, wenn die Infrarotquelle den tiefsten Punkt erreicht hat. Möglicherweise soll sie dort etwas aktivieren." „Hoffentlich nichts von der Art der Tankinvasion", sagte Arlene inbrünstig. „Allmählich kommt es mir vor, als wäre die Erde in ferner Vergangenheit ein Sammelplatz von allen möglichen Einrich tungen des Rudraja gewesen." „Oder des Varunja und des Rudraja", warf Atan düster ein. „Kannst du unseren Tauchvorgang nicht beschleunigen, Arlene? Mein Bodenradar wird gestört offenbar von Salzkonzentrationen in größerer Tiefe. Der Konturzeichner bringt jedenfalls kein Bild des tiefen Meeres grunds zustande." „Wir tauchen schon beinahe senkrecht, mit Unterstützung der Heckschraube und des Effektiv-Massenverstärkers", antwor tete Arlene Mayogah. „Mehr läßt sich leider nicht herausholen, Atan." Der Astrogator seufzte. Abermals drehte er an einem Stellknopf und machte die einfallende Infrarotstrahlung als akustische Schwingungen hörbar. Er reduzierte die Lautstärke auf ein schwaches Pfeifen und ließ den Knopf in dieser Einstellung stehen. „Immer noch nichts von Tom und Ha ta?" fragte Cliff besorgt. Helga schüttelte den Kopf. „Wir hätten Hyperfunkgeräte in alle drei Boote installieren lassen sollen", meinte sie. „Vielleicht wäre es dann nicht zu Zeitanomalien gekommen. Übrigens wird man uns nicht mehr empfangen können, wenn wir noch erheblich tiefer gehen." „Weil du gerade von Zeitanomalien sprichst, Helgamädchen", warf Mario de Monti ernst ein, „ich habe die ganze Zeit überlegt, was Tom mit den Schwerean omalien gemeint haben könnte, die von
der II angemessen wurden. Ich weiß zwar, daß es auf dem Mond unserer guten alten Erde Massenkonzentrationen gibt, die Schwereanomalien hervorrufen, aber mir war bisher nicht bekannt, daß solche Mascons auch auf der Erde selbst vor kommen." „Frage doch mal bei TECOM nach, Helga!" schlug Cliff vor. Helga versuchte ihr Bestes, mußte aber nach einigen Minuten aufgeben. „Wir kommen aus dieser Tiefe nicht mehr zu TECOM durch", erklärte sie. „Auch nicht über Satelliten." „Soeben haben wir neunhundert Meter Tiefe erreicht", stellte Arlene fest. Sie runzelte die Stirn, drückte die Taste eines Prüfgeräts und sagte überrascht: „Tauch geschwindigkeit hat drei Meter pro Sekunde überschritten und steigt weiter." „Infrarotstrahlung ist erloschen, als das Etwas die tiefste Stelle des Grundes erreichte", berichtete Atan. „Aber wir können die maximale Tauchgeschwindig keit nicht überschritten haben!" rief Hasso über Bordfunk. Das Gesicht auf dem Bild schirm zeigte Verblüffung und - an deutungsweise - Erschrecken. „Die Maschinen laufen nicht anders als vorher." „Atan!" sagte Cliff scharf. „Kannst du so etwas wie einen Zugstrahl anmessen?" Der Astrogator schüttelte den Kopf. „Das nicht, Cliff, aber eine Schwe reanomalie. Unser Gravimeter stellt einen Schwerkrafteinfluß von 1,43 g fest, der zwar innen von den Absorbern kompen siert wird, aber dennoch auf das Schiff als Ganzheit einwirkt." „Wir müssen die Tauchzellen ausblasen und sofort umkehren!" rief Arlene. „Wahrscheinlich handelt es sich bei der erhöhten Schwerkraft um eine Waffe des Rudraja." „Dann kämen wir mit unserem kleinen Boot kaum dagegen an", erwiderte Cliff. „Ich schlage vor, wir tauchen weiter." „Unterhalb dreitausend Meter wird die
OCTOPUS vom Wasserdruck zerquetscht wie eine leere Bierdose unter dem Fußtritt eines Roboters", warnte Mario. „Tauchgeschwindigkeit beträgt jetzt viereinhalb Meter pro Sekunde", meldete Arlene sachlich. „Und mein Gravimeter zeigt 2,23 g an", erklärte Atan. Cliff bemerkte, daß seine Freunde ihn ansahen und eine Entscheidung von ihm erwarteten. Aber er hatte seine Entschei dung inzwischen bereits getroffen. „Ich denke, wir sollten doch aufstei..." Weiter kam er nicht, denn Atan rief: „Gravimeter zeigt wieder ein g an!" Und Arlene ergänzte. „Tauchgeschwindigkeit sinkt ab, erreicht den alten Wert und bleibt dabei." Das Aufatmen der Crew war deutlich zu hören. „Man hatte es also doch nicht auf uns abgesehen", meinte Mario de Monti. „Offenbar nicht", sagte Cliff. „Was mein Selbstwertgefühl allerdings nicht gerade hebt. Atan, kannst du irgend etwas dort unten feststellen?" „Nichts", antwortete Atan Shubashi lakonisch. „Dann steigen wir trotzdem auf!" erklär te Cliff. „Was immer sich dort unten abgespielt hat, es ist anscheinend vorbei und aus einer Höhe von rund viertausend Metern über Grund werden wir nachträg lich kaum Spuren davon finden. Was wir brauchen, ist ein Boot mit erheblich größerer Tauchtiefe. Da wir zur Zeit keines haben kümmern wir uns darum, was aus den beiden anderen Booten geworden ist." * Die OCTOPUS I schaukelte aufgetaucht in einer langen Dünung. Der Funkverkehr mit allen Erdstationen funktionierte wieder einwandfrei. Und die OCTOPUS III meldete sich.
„Wir stehen in unserer Ausgangs position", berichtete Hata. „Über uns schweben zwei Raumkreuzer, die Han Tsu-Gol geschickt hat. Zwei weitere Kreuzer sind zum Nares-Tief unterwegs." „Eben bekomme ich sie ins Radar!" rief Atan dazwischen. „Hat sich die II nicht gemeldet?" fragte Cliff. „Sie ist spurlos verschwunden", antwor tete Hata. „Admiralin de Ruyter hat zuerst drei, dann noch einmal fünf robotgesteuer te Flugsonden in das betreffende Gebiet geschickt. Von den ersten drei kam mit einer Zeitverzögerung von acht Minuten eine Meldung über örtlich begrenzte Schwereanomalien. Die Gravimeter maßen Werte bis zu 2,23 g an. Die II war aber nirgends zu entdecken. Kurz darauf brach der Funkkontakt ab. Die fünf nächsten Flugsonden trafen zwanzig Minuten später dort ein. Sie fanden weder von der II noch von den drei ersten Sonden eine Spur." Cliffs Augen verdunkelten sich. Die fünf Freiwilligen waren nicht die ersten Opfer des Unbekannten, das im BermudaDreieck lauerte, aber ihr Verschwinden traf ihn besonders, da er sie praktisch in die Höhle des Löwen geschickt hatte. Dennoch wußte er, daß es noch mehr Opfer geben würde, bevor die Gefahr entweder beseitigt war oder in plötzlicher Eskalation die ganze Erde in Brand setzte. Angesichts dieser Bedrohung würden sich immer wieder Menschen in dieses Gebiet wagen müssen. „Was haben Sie beobachtet, Hata?" erkundigte er sich mit müder Stimme. „Als wir uns zurückzogen, erschien hinter uns in der See plötzlich so etwas wie eine dunkle Wand", antwortete Hata Markosinda. „Die Ortungsinstrumente erfaßten das Phänomen allerdings nicht, und wir konnten es nicht weiter beobach ten, weil ich es für richtig hielt, nicht zu stoppen, sondern den Rückzug fortzuset zen."
„Das war absolut richtig", erwiderte Cliff. „Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Sie so etwas wie die Projektion des Unterwassersockels der Insel gesehen, die bereits zweimal erschien und wieder verschwand. Es kann sich nur um eine immaterielle Erscheinung handeln, die allerdings die fatale Wirkung zeigt, alle Objekte, die in ihren Einflußbereich gera ten, verschwinden zu lassen. Ich werde das Trägerschiff benachrichtigen, damit es uns wieder aufsammelt und nach Bimini zurückbringt." Er führte ein kurzes Funkgespräch mit dem Kommandanten des Trägerschiffs. Während er noch sprach, rief Han Tsu-Gol über einen anderen Kanal an. Auf dem Bildschirm des Sichtsprechgeräts waren außer dem Regierungschef auch Tunaka Katsuro und Leandra de Ruyter zu sehen. Als Cliff die Verbindung zur OCTOPUS III unterbrochen hatte, wandte er sich dem Bildschirm zu und sagte: „Ich grüße das Triumvirat der Erde, das so vortrefflich die Funktionen einer gewählten Regierung erfüllt, auch wenn es nicht vom Wählerwillen getragen wird!" „Sparen Sie sich Ihre Ironie, Cliff!" sagte Han Tsu-Gol väterlich. „Die Weisheit des gereiften Mannes ersetzt die dicke Haut des Elefanten, und in seinen Ohren ist das Fauchen des Tigers im Bambusdschungel nicht mehr als das verträumte Zirpen einer Grille." „Der an progressiver Schwerhörigkeit leidende alte Elefant gerät in Gefahr, die warnenden Geräusche zu überhören, die ihm den Sumpf anzeigen, in den er ahnungslos watet, weil er ihn für einen Badesee hält", warf Mario de Monti ein. Helga produzierte ein jungmäd chenhaftes Kichern, das eigentlich nicht zu ihrer reifen Persönlichkeit paßte. „Die Menschheit wird, so scheint es, ein Volk von Dichtern, die das Denken verlernen", sagte sie. Cliff grinste flüchtig.
„Was sagen Sie dazu, Katsuro-san?" fragte er. Der Direktor des GSD antwortete wür devoll: „Wenn das Gras raschelt, schleift der Samurei sein Schwert, um es zu mähen." Sein breitflächiges Gesicht zog sich in unzählige Falten. „Angespannte Nerven brauchen ein Ventil, aber ich denke, es ist genug Dampf abgelassen. Auch die ORION-Crew dürfte wissen, daß wir kein Triumvirat bilden, sondern lediglich Funk tionen erfüllen." „Und wir planen allen Ernstes die Ab haltung von Wahlen, in denen die Erdbe völkerung gemeinsam mit den Menschen der Kolonien auf den solaren Planeten eine Regierung wählt", warf Han Tsu-Gol ein. „Leider lassen uns die Hinterlassenschaf ten des Kosmischen Krieges zu wenig Zeit dafür. Ich wäre froh, wenn ich die Ver antwortung, die auf mir lastet, einem anderen übergeben könnte." Cliff nickte. „Ich glaube Ihnen, Tsu-Gol. Werden wir also sachlich. Wir haben die gleichen Schwereanomalien angemessen wie die drei Flugsonden und wie zuvor die OCTOPUS II. Nur befanden sich der Ausgangspunkt in unserem Fall an der tiefsten Stelle des Nares-Tiefs - und die Anomalien wurden wirksam, kurz nachdem eine Quelle starker infraroter Strahlung dort verschwunden war. Bitte, geben Sie das an TECOM weiter und for dern Sie schnellste Auswertung, Tsu-Gol." Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie der Regierungschef sich mit dem Sessel, in dem er gleich einem unzufriedenen Buddha hockte, zur Seite drehte, irgend welche Schaltungen vornahm und einige Worte sprach. Als er sich wieder in die gleiche Stel lung drehte, sagte er: „Ich hoffe, TECOM kann etwas damit anfangen, Cliff. Die Auswertung läuft jedenfalls."
„Was werden Sie als nächstes unter nehmen, Cliff?" fragte Leandra de Ruyter. Ihrer Miene war anzusehen, daß sie sich große Sorgen um die ORION-Crew gemacht hatte und nur vorübergehend erleichtert war. „Zuerst kehren wir nach Bimini zurück", antwortete Cliff. „Danach lassen wir nach unseren Angaben einen Bathyskaph bauen, da die Menschheit während Fluidum Pax alle Tieftauchgeräte verschrotten ließ, damit sich niemand in Gefahr begab. Mit diesem Apparat werden wir zur tiefsten Stelle des Nares-Tiefs tauchen und herauszufinden versuchen, was die Schwereanomalien bewirkte." „Sie würden genauso verschwinden wie die Besatzung der OCTOPUS II, Cliff!" warnte die Admiralin. „Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, das gefährliche Geheimnis des TeufelsDreiecks zu erforschen, dürfte das die einzig brauchbare Alternative sein, Chefin", erwiderte Cliff. „Es ist ja nicht gesagt, daß man umkommt, wenn man aus diesem Gebiet verschwindet." „Sie reden Unsinn, McLane!" entrüstete sich Leandra de Ruyter. „Niemals werde ich zulassen, daß Sie sich mutwillig in die Gewalt einer Hinter lassenschaft des Rudraja begeben!" „Über ungelegte Eier braucht man, denke ich, nicht eher zu reden, als bis das Huhn gackert", warf der Regierungschef ironisch ein. „Wobei ich unseren verehrten Commander McLane lediglich symbolisch als Huhn bezeichne, denn daß er ein echter Hahn ist, sieht man schon daran, daß ihm manchmal der Kamm schwillt." „Alle anderen Beweise gehen niemand etwas an", bemerkte Helga Legrelle. „Recht hast du, Helga", meinte Cliff. „Deshalb brauche ich auch keinesfalls zu krähen und mit den Flügeln zu schlagen. Aber der Bathyskaph wird gebaut - und zwar in Serie. Wir können die ersten Geräte ja mit Kyll Lennards famosen Viel
zweckrobotern ,bemannen'." „Unter dieser Bedingung bin ich eventu ell einverstanden", sagte Han Tsu-Gol. „Aber soeben meldet sich TECOM. Bitte, warten Sie einen Augenblick." * Diesmal führte der Regierungchef ein ziemlich langes Zwiegespräch mit seinem Terminal des Terrestrischen Computerzen trums, das alles Wissen und alle Erfahrun gen der Menschheit in sich vereinte und infolgedessen fähig war, neue Infor mationen blitzschnell und umfassend auszuwerten. Als Han Tsu-Gol der Crew wieder seine Vorderseite präsentierte, war zu sehen, daß die Auswertung TECOMs ihn mehr als nur beunruhigt hatte. „Ich vermute, Sie haben eine gute und eine schlechte Nachricht, Han", sagte Cliff McLane. „Bitte, sagen Sie uns die gute Nachricht gemäß uralter Tradition zuerst." „Noch brennt die Erde nicht", sagte der Regierungschef ernst. „Das, Cliff, ist die gute Nachricht." „Da wir das schon wußten, haben Sie offenbar nur eine schlechte Nachricht erhalten, Vater der Weisheit", warf Arlene ein. Die Crew sah, wie Han Tsu-Gol sich innerlich einen Ruck gab. „Was ist negative Gravitation, Cliff?" fragte er. „Antigravitation", antwortete Cliff McLane verwundert. „Aber das lernten wir bereits in der Schule - und zwar in der vierten Klasse." „Irrtum", entgegnete Han. „Das, was Sie meinen, ist Kompensierung einer Gravita tionswirkung, also ein Prinzip, auf dem die Hilfsaggregate unserer Raumschiffe und unsere Gleiter basieren. Negative Gravita tion ist nach der neuen Definition von TECOM die Umkehrung einer Gravitati onswirkung über den Punkt der totalen
Kompensation hinaus." „Das bedarf der genauen Erklärung, Han", meldete sich Atan Shubashi. „Immerhin überwindet jedes Raumschiff, das einen Himmelskörper verläßt, mit Hilfe seiner Triebwerke die Gravitation dieses Himmelskörpers über den Punkt der totalen Kompensation hinaus. Das meinten Sie aber wohl nicht mit negativer Gravita tion. Außerdem nehme ich an, daß TECOM diesen Begriff nicht erfunden hat, sondern darauf gestoßen wurde." Han Tsu-Gol zog ein Seidentuch aus der Brusttasche seiner operettenhaft wirken den Kombination und fuhr damit über seinen kahlen Schädel. „Beides ist richtig, Atan", sagte er. „Die Wirkung negativer Gravitation wurde auf dem Saturnmond Titan festgestellt. Glücklicherweise beschränkte sie sich auf ein eng begrenztes Gebiet, nämlich auf die fünf Türme, die Hassos Phantasie ent sprungen sind." „Wir müssen etwas gestehen, Tsu-Gol", erklärte Cliff. „Die Festung auf Titan entsprang nicht nur Hassos Phantasie, sondern wurde von uns allen gleichzeitig erschaffen. Das haben wir erst vor kurzem herausgefunden - und wir denken, daß sie nur deshalb von unseren »Schöpfungen' übrigblieb." „Sie alle?" fragte der Regierungschef. „Das hat sicher etwas zu bedeuten. Aber das kann später geklärt werden. Auf jeden Fall ist die Umkehrung von Gravitation, falls sie als Waffe eingesetzt werden sollte, das Grauenhafteste, was man sich vorstellen kann. Ein Planet, der davon erfaßt würde, müßte zerplatzen." „Was ist mit der Titan-Festung ge schehen, Tsu-Gol?" fragte Cliff gespannt. „Ist sie aus dem Boden gerissen und in den Weltraum geschleudert worden?" „Dazu war die Wirkung zu schwach und hielt zu kurz an", antwortete Han. „Im merhin hoben die Türme sich um drei Meter. Aber was vielleicht noch bedeu
tungsvoller ist: Die negative Gravitation trat während zweier Zeitspannen auf, die mit den Anmessungen der Schwereano malien im Bermuda-Dreieck und im Nares-Tief zusammenfielen." „Das erinnert mich an die ersten Zwi schenfälle im Bermuda-Dreieck, deren Zeugen wir waren und die von der Geheimstation im Jupitermond Ganymed verursacht wurden", sagte Cliff. „Anschei nend haben wir es hier mit etwas Ähnli chem zu tun - und etwas auf oder in Titan ist für das neuerliche Verschwinden von Objekten und das kurzfristige Auftauchen einer imaginären Insel verantwortlich." „Zu dem gleichen Schluß ist TECOM gekommen", erwiderte Han Tsu-Gol. „Cliff, denken Sie bitte genau nach! Was haben Sie alles in die fünf Türme hinein gelegt, als sie sie erschufen?" „Sie glauben doch nicht, wir hätten die Türme erschaffen, damit sie neue Zwi schenfälle im Bermuda-Dreieck hervorru fen!" protestierte Cliff. „Ich nicht, aber TECOM warf diese Frage auf", erwiderte Han verlegen. „Das Computerzentrum unterstellt Ihnen aber keine bewußte Verursachung, sondern eine vom Unterbewußtsein gesteuerte Hand lung. Allerdings wußte es da noch nichts davon, daß Sie alle an der Schaffung der Türme beteiligt waren." „Wenn TECOM diese Frage aufge worfen hat, dann lassen Sie ihn ver schrotten, Han", warf Mario de Monti ein. „Dann kann er nämlich nicht logisch denken und stellt eine Gefahr für die Menschheit dar. Oder haben Sie verges sen, daß das erneute Verschwinden von Objekten im Bermuda-Dreieck anfing, bevor wir zum Saturn flogen und in die Mentorkugel gerieten? Wir können also gar nicht verantwortlich für die Zwi schenfälle sein." „Das stimmt, Tsu-Gol", warf Leandra de Ruyter ein. „Ein solcher Fehler konnte bestenfalls uns unterlaufen, weil Men
schen ihre Erinnerungen durcheinander bringen können. TECOM dürfte einen solchen Fehler nie begehen können, wenn er in Ordnung ist." Abermals fuhr Han Tsu-Gol mit dem Seidentuch über seinen Schädel, auf dem sich ein Netz feiner Schweißperlen gebildet hatte. „Mir ist das alles sehr peinlich, Cliff", gestand er ein. „Selbstverständlich werde ich eine genaue Untersuchung TECOMs anordnen. Aber ich begreife, ehrlich gesagt, nicht, wie dem Computerzentrum ein derartiger Fehler unterlaufen konnte, nachdem es Sie vor nicht sehr langer Zeit so brillant verteidigte." „Ich bin sicher, daß sich alles klären wird", meinte Cliff versöhnlich. „Kehren wir zum eigentlichen Thema zurück. Wurden die Türme beschädigt, als sie sich um drei Meter hoben?" „Nein, aber in einem der vier kleineren Türme bildete sich eine dreieckige Öffnung. Dadurch sind die dort versam melten Wissenschaftler und Techniker endlich in der Lage, das Innere wenigstens eines Turmes zu untersuchen." „Nein!" rief Arlene. „Wie, bitte?" fragte Han Tsu-Gol irri tiert. „Auch ich sage nein!" erklärte Cliff McLane. „Pfeifen Sie die Wissenschaftler zurück, Tsu-Gol! Sie sollen nichts anrühren. Wer weiß, was dabei angerichtet würde. Bedenken Sie, daß dort negative Gravitation auftrat. Damit kann das größte Unheil ausgelöst werden." „Selbstverständlich wollten wir Sie so bald wie möglich zum Titan schicken, damit Sie die Wissenschaftler unterstüt zen, Cliff", verteidigte sich Han. „Die Wissenschaftler können uns unter stützen, sobald wir herausgefunden haben, was sich in dem Turm befindet", entgegne te Cliff. „Wir werden die Gefahren, die dort lauern, schneller erkennen als andere Menschen, denn schließlich haben wir die
Türme erschaffen." „Das denke ich auch, Tsu-Gol", warf Tunaka Katsuro ein. „Wir sollten uns diesmal genau nach Cliffs Vorschlag richten", meinte die Admiralin. „Ich kann mich der Logik von Cliffs Argument nicht verschließen", gab Han Tsu-Gol zu. „Einverstanden, Cliff. Ich halte die Wissenschaftler zurück und lasse die ORION IX startklar machen. Wer vertritt die Crew auf Bimini?" Cliff McLane grinste flüchtig und sagte: „Betrauen Sie Kyll Lennard mit der Leitung des Untersuchungsstabes, TsuGol, dann lernt er auch einmal das harte Leben eines Praktikers kennen."
4. Sie stiegen aus den beiden Robogs, die sie auf dem kürzesten Wege durch das Gewirr der Korridore in der unterseeischen Basis 104 ins Hauptquartier der T.R.A.V. gebracht hatten. „Ziemlicher Betrieb heute", stellte Atan Shubashi fest und musterte die Frauen und Männer, die - teils in den schwarzen Kombinationen der Raumfahrer, größten teils aber in phantasievollen Kleidungs stücken, die kaum noch an Uniformen erinnerten - an der ORION-Crew vor beihasteten. Mario de Monti pfiff den Anfang eines alten Schlagers und blickte einem weibli chen Wesen nach, dessen Kleidung die Körperformen nur unvollkommen verhüll te. „Vieles hat sich verändert, aber wenig stens wird immer noch das alte Modell fabriziert", meinte er sachkundig. „Erethreja würden deine lüsternen Blicke, die du anderen Frauen nach schickst, nicht gefallen", bemerkte Helga Legrelle. „Lüstern!" empörte sich Mario. „Ich
werde doch noch ein Kunstwerk bewun dern dürfen, wenn ich eines sehe!" „Wann siehst du eigentlich Erethreja wieder?" erkundigte sich Cliff McLane. Marios Miene verfinsterte sich. „Wenn der anstrengende Dienst bei den Raumaufklärungsverbänden mir Zeit läßt, nach Vortha zu fliegen", erwiderte er. „Wenn es so weitergeht mit unseren pausenlosen Einsätzen, werde ich den Dienst quittieren - oder wenigstens um ein paar Tage Urlaub nachsuchen." „Bist du nicht gespannt darauf, was wir in der von uns geschaffenen Titanfestung vorfinden, Mario?" fragte Arlene. „Allerdings", antwortete der Chef kybernetiker der Crew. „Es ist schon seltsam, daß wir nicht wissen, was wir in unsere Festung hineingedacht haben. Manchmal denke ich, daß an unserer Schöpfung nicht nur der vordergründige Wunsch beteiligt war, einen Beweis für die Fähigkeiten zu hinterlassen, die wir in der Mentorkugel besaßen. In unserem Unterbewußtsein muß sich noch ein anderes Motiv verbergen." Hasso Sigbjörnson räusperte sich ver nehmlich und sagte: „Wir sind nicht hier, um uns wilden Spekulationen hinzugeben, sondern um mit unserer Admiralin eine Ein satzbesprechung abzuhalten, Freunde." „Mir scheint, du kannst es nicht er warten, zu deinen geliebten Maschinen zurückzukommen", scherzte Cliff. An Hassos Gesichtsausdruck erkannte er, daß seine Bemerkung ins Schwarze getroffen hatte. Sie gingen durch das letzte Stück eines Korridors, hinter dessen teilweise gläser nen Wänden hinter Computerpulten und Nachrichtengeräten Frauen und Männer ihren Dienst versahen. Die Stahltür der Kommandozentrale von Admiralin de Ruyter öffnete sich selbsttätig vor ihnen. In dem großen Raum, der wie eine Mischung aus Managerbüro und Raum
schiffszentrale aussah, befanden sich nur zwei Personen: die Admiralin selbst und ihr Stabschef, Major Brian Hackler. „Ach, du lieber Guter!" entfuhr es Ma rio, als er den Major entdeckte. Brian Hackler erfreute sich bei der ORIONCrew keiner großen Beliebtheit. Genauge nommen, mochten die Raumfahrer ihn nicht, da er sie als Rivalen betrachtete und es nicht unterlassen konnte, seine Funktion gegen sie auszuspielen. Hackler stand vor einem Terminal und hielt offenbar Verbindung mit TECOM. Er drehte sich um, als er Marios Bemerkung hörte. Herablassend musterte er die eintretenden Raumfahrer. Leandra de Ruyter hatte vor einem Videogerät gesessen und ein Gespräch geführt, das sie beim Erscheinen der ORION-Crew aber rasch beendete. Mit einer einzigen fließenden Bewegung erhob sie sich, eine Frau mit der Figur einer Göttin. Die wenigen Sommersprossen auf dem hellhäutigen Gesicht minderten diesen Eindruck ebensowenig wie die schwarze, schlichte Raumfahrerkombination, die sie trug. Die Admiralin blickte kurz zwischen ihrem Stabschef und der Crew hin und her, dann trat sie hinter ihrem Arbeitstisch hervor und sagte: „Wie ich erfuhr, haben Sie erst vor kurzem im Starlight-Casino das Kriegsbeil begraben. Fangen Sie also bitte nicht schon wieder mit dem alten Streit an!" „Ich habe bisher kein Wort gesagt!" stellte Brian Hackler in eisigem Ton fest. „Aber wenn dieser sogenannte Chefkyber netiker mich zu provozieren versucht, kaum daß er hier eingetreten ist, kann er nicht erwarten, daß ich ihn mit Blumen bekränze." „Das würde ich gar nicht wollen", gab Mario grinsend zurück. „Außerdem - was habe ich eigentlich im Selbstgespräch gesagt, Major?" „Sie sagten: Ach, du lieber Guter",
antwortete Hackler. „Und sind Sie kein lieber Guter?" er kundigte sich Cliff scheinheilig. „Bitte, lassen Sie das sofort!" befahl die Admiralin energisch. „Und Sie, Major Hackler, sollten nicht so empfindlich reagieren!" Brian Hacklers Gesicht überzog sich mit milder Röte. Er preßte die Lippen zusam men und schwieg. Leandra de Ruyter lächelte verstohlen. Sie wußte, daß die Reibereien zwischen ihrem jungen Stabschef und der ORION CREW sich nicht negativ auf den Dienst betrieb auswirkten - solange sie nicht ausarteten. Und dafür, daß sie nicht ausar teten, mußte sie hin und wieder durch ein Machtwort sorgen. „Schalten Sie bitte die Projektion ein, Major Hackler!" befahl sie. Brian Hackler beeilte sich, ihrem Befehl nachzukommen. Er trat an ein Schaltpult. Sekunden später leuchtete an einer Projektionswand ein Bild auf, das für die ORION-Crew nicht neu war. Sie hatten die fünf metallisch schimmernden Türme, die aus der reif glitzernden Oberfläche des Titan ragten, bereits einmal auf einer Bildübertragung und einmal direkt gesehen. Und doch war diesmal etwas anders! Der Boden rings um die Türme war aufgebrochen. Das Gesteinsmaterial und die Eiskruste hatten sich in eine Art Brei verwandelt. „Davon, daß die Türme um drei Meter ,gewachsen' sind, können Sie auf der Projektion natürlich nichts sehen", erläuterte Leandra de Ruyter. „Nur die aufgebrochene Oberfläche verrät, daß hier gewaltige Kräfte gewirkt haben. Schalten Sie auf das andere Bild um, Major!" Brian Hackler schaltete. Das nächste Bild zeigte den Ausschnitt eines der vier kleineren Türme - und die dreieckige Öffnung in der Außenhülle. Ein in einen schweren Raumanzug gehüllter
Mensch, der neben der Öffnung stand, ermöglichte einen Größenvergleich. „Die Unterkante der Öffnung ist drei einhalb Meter breit", erklärte die Admira lin. „Die Höhe beträgt fünf Meter. Von außen läßt sich nicht erkennen, was sich hinter der Öffnung befindet. Leider kam Hans Verbot an die Wissenschaftler, den Turm nicht zu betreten, um wenige Minuten zu spät. Ein Physiker war bereits durch die Öffnung gegangen. Er wollte sich nur kurz umsehen und ein paar Fotos machen. Als er nach zwei Stunden nicht zurückgekehrt war, schickte man ihm zwei Roboter nach. Aber auch die Roboter kehrten nicht zurück." „Gab es keine Funkverbindung mit dem Physiker und den Robotern?" fragte Helga Legrelle verwundert. „Selbstverständlich waren sowohl der Physiker als auch die beiden Roboter mit Funkgeräten ausgerüstet", antwortete Leandra de Ruyter. „Sie haben sich aber niemals gemeldet." „Das ist peinlich", entfuhr es Helga. „Vor allem für Sie", sagte Brian Hackler. Er schien es nicht ironisch gemeint zu haben, denn er fügte hinzu: „Da ich vermute, daß der Turm in eine Art Energieschirm gehüllt ist, der keine Funkwellen durchläßt, schlage ich vor, die ORION-Crew mit Geräten auszustatten, die durch Kabel mit den Gegengeräten außerhalb des Turmes verbunden sind." „Ein guter Gedanke", gab Cliff zu. „Möchten Sie uns nicht in den Turm begleiten, Major Hackler ?" „Aber gern!" rief Hackler erfreut. „Ich werde beweisen, daß es außer den Raum fahrern der ORION auch andere tüchtige Menschen gibt." „Daran hat außer Ihnen nie jemand gezweifelt, Major", sagte Arlene. „Aber Sie können zeigen, ob Sie fähig sind, sich in ein Team einzufügen." „Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, Major Hackler mitzunehmen", wandte
Mario ein. „Er hat zwar soeben einen guten Gedanken vorgebracht, aber ob das sich wiederholt, wage ich zu bezweifeln." „Diskutieren Sie nur immer weiter!" sagte Leandra de Ruyter ironisch. „Meine Meinung ist ja völlig unerheblich. Schließ lich bin ich nur Ihre Vorgesetzte." „Ich bitte um Verzeihung, Admiralin", sagte Brian Hackler erschrocken. „Selbst verständlich hätte ich den Dienstweg eingehalten und einen schriftlichen Uberstellungsantrag auf Formbaltt DE 371-C an Sie gerichtet." „Er hätte lieber vor zweiunddreißig Jahren auf einem Formblatt beantragen sollen, auf die Welt kommen zu dürfen", warf Hasso Sigbjörnson ein. „Dann wäre dieser Fehler nicht passiert." „Wie hätte ich das ...?" Hacklers Stimme erstarb, als er merkte, welchen dummen Einwand er soeben hatte vorbringen wollen. Die Crew brach in schallendes Gelächter aus. Anschließend sagte die Admiralin: „Ich übersteile Sie unter das Kommando von Commander McLane, Major Hackler. Das ist ein Befehl, folglich können Sie es sich und uns ersparen, ein Formblatt auszufüllen. Die ORION-Crew soll nämlich heute noch starten. Holen Sie sich ihre Raumausrüstung und kommen Sie zum Startschacht der ORION IX!" „Hoffentlich verläuft er sich nicht", meinte Mario, als Hackler die Komman dozentrale verlassen hatte. „Wir hätten das Bübchen begleiten sollen." Admiralin de Ruyter runzelte die Stirn und sagte tadelnd: „Ich höre nicht gern abfällige Be merkungen über Abwesende, de Monti. Um noch einmal auf Ihre Mission zurück zukommen: Sie wissen, wie groß das Risiko ist, überhaupt in den Turm einzu dringen?" „Das wissen wir, Chefin", sagte Cliff
McLane. „Ehrlich gesagt, ich habe etwas Angst. Aber da die Türme von der ORION-Crew erschaffen wurden, müßten wir auch mit dem fertig werden, das uns darin erwartet. Außerdem werden wir mit allergrößter Vorsicht vorgehen." „Ich werde vor dem Turm warten und Funkverbindung mit Ihnen halten", erklärte Leandra de Ruyter. Sie ging zum Videophon und gab An weisung, drei tragbare Funksprechgeräte durch aufrollbare Kabel mit drei entspre chenden Gegengeräten zu verbinden und zur ORION IX zu bringen. Danach wandte sie sich wieder an die Crew. „Außerdem werden Sie nicht allein in den Turm gehen, sondern von zwei unserer modernsten Kampfroboter begleitet werden", fuhr sie fort. „Falls Sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist, über die wir noch sprechen werden, zurückkehren, folge ich Ihnen mit einer Hundertschaft Raumsoldaten." „Wenn unser weiser Regierungschef hier wäre, hätte er sicher das nämliche verspro chen", meinte Helga Legrelle. „Es wundert mich eigentlich, daß er und Katsuro-san nicht auch anwesend sind, um uns Ermahnungen und gute Ratschläge mit auf den Weg zu geben." „Han verhandelt zur Zeit mit den Regie rungsdelegationen mehrerer Kolonialwel ten", berichtete sie. „Das Verhältnis zwischen der Erde und den meisten Kolonialwelten ist etwas gespannt, seit wir die Besatzungen der terrestrischen Raumflotten, die unter Orcuna ausschließ lich aus Menschen der Kolonien bestan den, gegen Erdgeborene auszuwechseln angefangen haben. Dazu kommt, daß die Regierung einer Kolonie seit geraumer Zeit versucht, die Motive unserer Politik bei den Menschen der übrigen Kolonien zu diffamieren. Deshalb ist Katsuro-san nicht gekommen. Er muß den Apparat des GSD, der noch immer etwas schwerfällig funktioniert, an
kurbeln und den Einsatz von Assistenten auf Aureola vorbereiten." „Aureola?" fragte Atan Shubashi. „Den Namen höre ich heute zum erstenmal." „Aureola ist der siebte Planet der Sonne Alderamin", erklärte die Admiralin. „Er wurde schon vor Ihrer ersten Raumfahrer zeit besiedelt, doch das scheint nicht amtlich registriert worden zu sein. Eigentlich weiß ich auch nicht mehr über die Aureolaner, als daß sie sehr tüchtig sein sollen." „Dann werden sie uns gefährlich", meinte Arlene. Leandra de Ruyter blickte auf ihren Armband-Chronographen. „Wir müssen gehen." Vor der Kommandozentrale hielten sie zwei leere Robogs an. Diese Robotgleiter kurvten ständig durch die Korridore der Raumbasis und stoppten, wenn ihre empfindlichen Sensoren eine über den Rand der Gehsteige gestreckte Hand bemerkten. Sie konnten außerdem auch durch Funk oder einfachen Zuruf herange holt werden. Vor dem Startschachtverteiler hielten die Robogs an. Leandra de Ruyter stieg aus und verabschiedete sich von der Crew. Sie wollte zur OPHIUCHUS gehen, ihrem Flaggschiff, das auf dem Boden eines an deren Startschachts stand. Die Crew bestieg den Personenlift, der sie zum Startschacht der ORION IX brachte. Als sie die Personenschleuse verließen, sahen sie vor sich den silbrig schimmernden Diskus. Er wurde von starken Scheinwerfern angestrahlt und wirkte verlassen, wenn man die beiden blauschwarzen Roboter nicht zählte, die vor der offenen Schleuse im unteren Teil der ausgefahrenen Mittelstütze des Schiffes standen. „Wie Denkmäler", bemerkte Helga Legrelle. „Hoffentlich können sie nicht nur he rumstehen, sondern auch denken", meinte
Mario dazu. Während sie sich der ORION näherten, musterte Cliff die beiden Roboter genauer. Sie waren annähernd humanoid geformt. Die elliptischen Rümpfe wurden von je einem kurzen Beinpaar getragen. Die Füße waren stabile dreigliedrige Gebilde, die den Füßen großer Laufvögel ähnelten. Zwei mittellange Arme in „Bauchhöhe" waren mit fünfgliedrigen Greifhänden ausgestattet, die Waffen oder Geräte tragen konnten. In „Schulterhöhe" befanden sich zwei lange, dünne Tentakel arme, die offenbar hauptsächlich zur Verankerung oder als Kletterwerkzeuge gedacht waren. Zwischen den oberen Armen ragte ein zirka unterarmlanger, sehr beweglicher „Hals", heraus, auf dem sich ein nur faustgroßer Sensorkopf befand. Mario de Monti erreichte die beiden Roboter zuerst. „Hallo, Freunde!" sagte er skeptisch. „Hallo, Sir!" antworteten die Roboter wie aus einem Mund mit tiefer „Männer stimme". Die Worte kamen aus zwei Mikro-Stereolautsprechern im Sensorkopf. „Wenigstens seid ihr höflich", sagte Mario. „Habt ihr auch Namen, damit wir euch auseinanderhalten können?" „Ich heiße Bow Yu", antwortete der Roboter, der links von ihm stand. „Ich heiße Lien Gee", sagte der andere Roboter. „Komische Namen für Kampfroboter", stellte Mario verblüfft fest. Arlene lachte leise und sagte: „Die Namen hat sich garantiert unser verehrter Regierungschef extra für uns ausgedacht. Sie sind nämlich chinesisch." „Yu und Gee sind demnach die Vorna men", meinte Mario. Wieder lachte Arlene, und diesmal sagte Cliff: „Die Burschen haben weder Vor- noch Familiennamen, denn Lien Gee heißt Lotussamen und Bow Yu ist ein TiefseeSchalentier, das man auch Abalone nennt.
Tsu-Gol hat einen wahrhaft tiefgründigen Humor bewiesen, wenn er für die Namens gebung verantwortlich ist." „Dafür revanchieren wir uns", erklärte Mario erheitert. Er wandte sich wieder an die Roboter und fragte: „Wußtet ihr, was eure Namen bedeuten?" „Nein, Sir", antworteten die Maschinen wieder wie aus einem Mund. „Das brauchen Kampfroboter ja auch nicht zu wissen", sagte Cliff. „Jedenfalls schlage ich vor, wir nennen euch einfach Yu und Gee - und ihr nennt uns bei unseren Vornamen, damit wir wissen, zu wem ihr gerade sprecht." „Sie sind Commander Cliff Allistair McLane, Sir?" erkundigte sich Yu. „Das stimmt", antwortete Cliff. „Und da du mich gefragt hast - und zwar als Solist, nehme ich an, daß du Gee übergeordnet bist?" „Ja, Sir", antwortete Yu. „In gewisser Weise. Aber wir beide sind Ihnen unterge ordnet und gehorchen Ihren Befehlen, soweit diese nicht gegen Ihre eigene Sicherheit und die Ihrer Leute verstoßen." „Ich sehe Komplikationen voraus", meinte Atan Shubashi. „Roboter, die nur mit gewissen Einschränkungen gehor chen...!" „Vielleicht ist das gar nicht verkehrt", warf Helga ein. „Yu und Gee sollen uns schließlich beschützen." „Wir werden sehen", erwiderte Cliff. „Jedenfalls, da ihr auf Vorschläge nicht reagiert, befehle ich euch, uns bei unseren Vornamen zu nennen. Und nun kehrt marsch! Ihr habt die Ehre, mit unserer Zustimmung an Bord der ORION IX gehen zu dürfen, des großartigsten Raum aufklärers, mit dem wir je geflogen sind!" Gehorsam drehten sich die beiden Robo ter um, stiegen in den Zentrallift und fuhren mit ihm ins Schiff, bevor die Crew zusteigen konnte. In diesem Augenblick traf Brian Hackler ein. „Mit denen werden wir noch unser
blaues Wunder erleben", sagte Hasso Sigbjörnson ahnungsvoll. „Sie haben sicher verborgene Qua litäten", erwiderte Mario de Monti. „Han hätte es bestimmt nicht gewagt, uns fehlerhafte Konstruktionen zu schicken und sich dadurch zu blamieren." Der Zentrallift kam wieder herab. Die Crew stieg ein und ließ sich ins Schiff tragen. Als sie die Steuerzentrale betrat, standen die beiden Roboter regungslos links und rechts neben dem Platz des Kommandanten. Die Raumfahrer nahmen ihre Plätze ein. Systematisch checkten sie alle Systeme durch, dann ertönte die Sirene. Die Automatenstimme zählte rückwärts - und bei Null kam der Start. Wenig später löste sich der Diskus aus dem gigantischen Wirbel im Zentrum des Carpentaria-Golfs, stieg höher und höher und jagte endlich aufblitzend in den freien Raum .. . Die ORION IX hatte die Jupiterbahn im Hyperraum und damit innerhalb eines anderen Kontinuums überquert und fiel rund zehn Millionen Kilometer vor dem Saturn in den Normalraum zurück. Wie immer, wurde die Crew vom An blick des gestreiften Riesenplaneten fasziniert - und vom Anblick seiner Ringe, die wirkten, als hätte ein kosmischer Künstler sie dort geschaffen, um eine den Menschen unbekannt gebliebene Bedeu tung des Saturn zu betonen. „Was empfinden Sie dabei, Major?" fragte Helga Legrelle und deutete auf die Zentrale Bildplatte, auf der der Saturn in voller Größe zu sehen war. Der junge Offizier, der auf einem be quemen Notsitz hockte, blickte mit höflicher Aufmerksamkeit auf die Bild platte und sagte trocken: „Saturn gibt unserer Wissenschaft noch immer einige Rätsel auf, Madam. Das
betrifft vor allem das Ringsystem, über dessen Entstehung zwar zahlreiche Hypothesen existieren, die aber von keiner Theorie zufriedenstellend erklärt werden konnte. Die Auswertung von TECOM über alle Entstehungstheorien ergab eine Wahrscheinlichkeit von achtundsiebzig Prozent dafür, daß das Ringsystem in dieser Form überhaupt nicht entstehen konnte. Selbstverständlich beruht das auf Informationslücken, denn es ist eine unleugbare Tatsache, daß das Ringsystem existiert, aber .. ." „Da hätte ich gleich einen Roboter fragen können", unterbrach die Funkerin ihn erbost. „Mann, empfinden Sie denn rein gar nichts beim Anblick des Ringsy stems, das den Saturn freischwebend und grazil umgibt?" Hackler hob indigniert eine Braue und erwiderte: „Grazil dürfte nicht der richtige Aus druck sein, Madam. Immerhin beträgt die durchschnittliche Dicke der Ringe fünfzehn Kilometer - und ihre Substanz erweist sich aus der Nähe als dermaßen dünn verteilte Materie, daß das Licht der Sonne mühelos durchscheint und sie keinen erkennbaren Schatten auf die Planetenoberfläche werfen." „Es ist zwecklos, Helga", sagte Mario. „Du kannst einem Stein nicht erklären, was Schönheit ist." Er wandte sich an Hackler. „Ich will Ihnen anhand eines Vergleichs zu erklären versuchen, daß die Schönheit einer Erscheinung bewundert werden kann und darf, auch wenn sie ebenso relativ ist wie alles im Universum. Stellen Sie sich ein Raumschiff vor, das kleiner ist als ein Atom und dessen Besatzungsmitglieder winziger als Atomkerne sind. Wenn dieses Raumschiff sich Ihnen nähert, werden seine Insassen Sie aus großer Entfernung ungefähr so sehen können, wie Sie selbst sich im Spiegel sehen. Je näher dieses Schiff Ihnen aber kommt, desto mehr werden Sie sich
in der optischen Wahrnehmung seiner Insassen auflösen - und wenn das Schiff Sie durchfliegt, werden Sie in den Augen seiner Insassen nur noch eine eigenartig geformte Wolke extrem dünn verteilter Materie sein, durch die man mühelos hindurchsehen kann und die nicht den kleinsten Schatten auf die Hülle des Raumschiffs wirft." „Ich lege aber keinen Wert darauf, als Schönheit zu gelten, de Monti", entgegnete Brian Hackler kühl. „Und selbstverständ lich bin ich mir der Relativität aller Einschätzungen bewußt." „Da soll doch ...!" begehrte Mario auf. Cliff McLane lächelte. „Major Hackler hat vollkommen recht, Mario", erklärte er. „So recht wie ein Computer, der die Überlebenschancen der Menschheit bei einem massierten Angriff der Erben des Rudraja berechnet." „Michael Spring-Brauner erschien mir menschlicher", meinte Helga. Auf das Gelächter, das die Crew darauf hin vom Stapel ließ, reagierte Brian Hackler mit dem Staunen des Unwissen den. Wie hätte er auch wissen sollen, daß es in der Zeit, aus der die ORION-Crew gekommen war, einen Mann, eben Michael Spring-Brauner, gegeben hatte, der gegenüber der Crew die gleiche Abwehrhaltung eingenommen hatte, wie er, Brian Hackler. Sekunden später wurde die Auf merksamkeit der Crew auf die Bedienung der Kontrollen gelenkt. Der Chef der Kolonie auf Titan, der gleichzeitig Vorgesetzter der Wissenschaftler war, die die Festung untersuchen sollten, meldete sich über Hyperfunk. Professor Chun Wartock berichtete, daß der verschwunde ne Physiker noch nicht zurückgekehrt sei. „Ich kann es nicht verantworten, noch länger untätig vor der offenen Tür dieses einen Turmes zu stehen, wie die Katze vor dem Mauseloch", erklärte er. „Der Vermißte braucht sicher Hilfe."
„Vielleicht können wir ihm helfen", erwiderte Cliff. „Aber wenn Sie jetzt in Panik geraten und ihm ein Dutzend Leute nachschicken, werden wir wahrscheinlich nichts machen können. Es ist schon schwierig genug, einen einzelnen Mann aus den Schwierigkeiten zu holen, in die er sich gestürzt hat. Zehn oder mehr Leute würden zehnmal mehr Schwierigkeiten für uns auftürmen." „Außerdem haben Sie einen klaren Befehl vom Regierungschef, Professor Wartock", mischte Brian Hackler sich ein. „Das muß ausgerechnet jemand von der ORION-Crew sagen!" entgegnete Chun Wartock ironisch, dann blinzelte er verwirrt. „Aber das ist doch gar niemand, von der ORION!" „Es handelt sich um Major Brian Hackler, den etwas vorlauten Stabschef unserer Vorgesetzten, Admiralin de Ruyter", erklärte Cliff nicht ohne Schaden freude. „Und was das Verhältnis der ORION-Crew zu Befehlen angeht, so können Sie sich nicht damit vergleichen. Wenn wir einen Befehl ein wenig anders auslegen als der, der ihn gegeben hat, dann nur, weil wir infolge unserer diversen Erfahrungen den besseren Überblick haben. Was die Festung auf dem Titan betrifft, so können Sie wohl nicht abstrei ten, daß Sie im Vergleich zu uns überhaupt nichts wissen. Also halten Sie sich bitte zurück, Wartock!" „Ich beuge mich den besseren Ar gumenten", erwiderte Wartock. „Soll ich Ihnen einen Peilstrahl schicken lassen, Commander?" „Dafür wären wir Ihnen sehr dankbar", antwortete Cliff. Als die Verbindung wieder unterbrochen war, fragte Major Hackler verwundert: „Wozu benötigen Sie einen Peilstrahl, Commander? Sie wissen doch genau, wo die Festung ist." Cliff McLane lächelte und erwiderte: „Eigentlich benötigen nicht wir einen
Peilstrahl, sondern Professor Wartock benötigt ihn, damit ihm die Zeit bis zu unserer Ankunft schneller vergeht. Das ist eben der Unterschied zwischen unserem Denken und Ihrem eingleisigen Denken. Aber vielleicht lernen Sie es auch noch; Sie sind ja noch jung."
5. Die ORION IX hatte die Sonne hinter sich, als sie zur Landung ansetzte. Deshalb warf sie einen scharf abgegrenzten Schatten von der Form eines elliptisch verzogenen Diskus auf die von Reif und Eis bedeckte Oberfläche des Titan. Auf den Bildplatten und vor den Sicht luken waren die fünf Türme zu sehen, die im schwachen Licht der Sonne und im Gegenschein des Saturn und seiner Ringe dunkel, ja beinahe schwarz schimmerten. Links davon waren auf einem flachen Hü gel aus blankem Eis ameisenartig wirken de Männer in Raumschutzanzügen und Roboter dabei, das Spinnennetz einer auf die Türme gerichteten Antenne aufzubau en. Scheinwerferkegel tasteten durch die düstere Methanatmosphäre des Saturn monds und schufen Zonen erdähnlicher Helligkeit. Verschiedene Gleiskettenfahr zeuge standen verloren und scheinbar ungeordnet in der Nähe der Festung. Eines von ihnen hielt seine schalenförmige Antenne konstant auf die ORION IX gerichtet. Cliff landete den Diskus zwischen dem Hügel und der Formation der Kettenwa gen. Die Bildplatten, die die Umgebung oberhalb des Schiffes zeigten, boten den Anblick der leuchtenden und ständig in Bewegung befindlichen Saturnatmosphäre. Das Ringsystem stand zur Zeit so, daß es sich der ORION-Crew als ein einziger schmaler Grat darbot, der um den Saturn herumlief - gleich einer schimmernden
Straße, die von der Normalität in den Wahnsinn führte. Arlene schaltete die starken Scheinwer fer der ORION ein und richtete sie auf die Festung. Deutlich erkannten die Raumfah rer, daß der Boden rings um die Türme aufgebrochen worden war. Er wirkte wie von einem gigantischen Mahlwerk zerkleinert. Gesteins- und Eisbrocken hatten sich zu einer Masse vermengt, die aus der Entfernung an gefrorenen Hirse brei erinnerte. „Das ist es!" sagte Arlene Mayogah, als ein Scheinwerferkegel die Unterseite eines der vier kleineren Türme - ehemals neunzig Meter, jetzt dreiundneunzig Meter hoch - erfaßte und deutlich ein schwarzes Dreieck auszumachen war. „Das sieht eher nach einer schwarzen, dreieckigen Fläche aus als nach einer Öffnung", meinte Atan Shubashi. „Ein Mann und zwei Roboter haben die Öffnung passiert, also ist es eine Öff nung", warf Brian Hackler ein. Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. „Das wissen wir auch, Major", sagte Mario de Monti. „Stellen Sie sich das vor! Aber bei einer normalen Öffnung pflegt man bei entsprechender Beleuchtung das zu sehen, was sich dahinter befindet, denn wo Menschen eintreten können, müßte auch das Licht Zugang finden. Falls Sie uns diesen Widerspruch erklären könnten, Verwalter der Formulare, würde ich Ihnen auf Titan eine Eisblume pflücken." Brian Hackler machte eine saure Miene. „Gegen unsachliche Wortspielereien bin ich machtlos", erklärte er. „So kommen wir nie auf einen Nenner." „Sie können immer noch zurücktreten, Hackler", meinte Hasso Sigbjörnson, der seinen Maschinenleitstand verlassen hatte und an der Wand neben dem Achslift lehnte. „Hinter dieser sogenannten Öffnung müssen wir nämlich auf einen ge meinsamen Nenner kommen." „Ich pflege meine Entschlüsse niemals
umzuwerfen!" erwiderte Major Hackler steif. Cliff erhob sich, schaltete das elek tronische Logbuch ein und sagte: „Cliff McLane an Bordbuch. Wir sind auf Titan gelandet. Die Crew, begleitet von Major Brian Hackler, steigt aus und begibt sich zwecks Inspektion der Festung nach draußen. Lotussamen und TiefseeSchalentier kommen zu unserem Schutz mit. Ende!" Die Mitglieder der Crew und Hackler streiften die mittelschweren Raumschutz anzüge über ihre schwarzen Kombinatio nen, klappten die kugelförmigen, transpa renten Druckhelme zu und überprüften sämtliche Systeme einschließlich der Helmfunkanlagen. Danach schalteten sie die Außen mikrophone und -lautsprecher ein, und Cliff wandte sich an die Roboter und befahl: „Yu und Gee, ihr nehmt die tragbaren Funkgeräte! Schließlich sollen Menschen sich nicht mit Lasten plagen, wenn sie Roboter bei sich haben." Innerlich frohlockend, beobachtete er, wie die zwei Roboter auf die drei tragba ren Funksprechgeräte zugingen, die Leandra an Bord hatte bringen lassen - und zu denen ja noch drei Gegengeräte gehörten. Er erwartete, daß die Roboter nicht wußten, wer die Hauptlast tragen sollte, denn da die Funksprechgeräte mit ihren jeweiligen Gegengeräten durch Kabel verbunden waren, ergaben sich drei Traglasten für zwei Träger. Enttäuscht bemerkte er, daß sich für die Roboter kein Problem ergab. Einer - es war anzunehmen, daß es Gee war - belud sich mit zwei Doppelgeräten, während der andere nur ein Doppelgerät trug. „Ein sehr menschlicher Zug", meinte Mario, der Cliffs Enttäuschung schmun zelnd registriert hatte. „Wer mehr zu sagen hat, braucht weniger zu tun." „Also, brechen wir auf!" sagte Cliff.
Sie verzichteten darauf, ihr Expe ditionsfahrzeug zu benutzen und gingen zu Fuß. Die niedrige Schwerkraft des Titan bereitete ihnen keine Schwierigkeiten. Sie waren schon auf unzähligen Himmelskör pern gewesen, deren Schwerkraft nach oben oder unten von der irdischen abwich, und paßten sich deshalb den jeweiligen Verhältnissen beinahe instinktiv an. Auch die beiden Roboter bewegten sich über die eisige Ebene, als wären sie Kinder des Mondes. Doch das war nicht verwun derlich, denn ihre elektronischen Systeme stellten sich automatisch auf jede Verände rung äußerer Einflüsse ein und erzeugten absolut zweckmäßige Reaktionen. Anders Major Hackler. Er besaß weder die Erfahrungen der ORION-Crew noch verfügte er über eine blitzschnell schalten de Automatik. Dennoch strauchelte er nur einmal - und das lediglich im Ansatz, bevor er sich fast so sicher wie die Mitglieder der Crew bewegte. Niemand hätte ihn verspottet, wäre es anders gewe sen. Seine sicheren Reaktionen dagegen riefen bei der ORION-Crew milde Belustigung hervor, verrieten sie doch, daß der Stabschef ihrer Vorgesetzten sich, vom Ehrgeiz getrieben, in seiner Freizeit oft und gründlich durch intensives Training auf wechselnde Umweltbedingungen vorbereitet hatte. Auf halbem Wege rollte ein Gleis kettenfahrzeug an die Crew heran und hielt. Ein untersetzter Mann in fluoreszie rendem Raumschutzanzug zwängte sich aus der Heckluke und eilte in drei elegant wirkenden Sprüngen auf die Raumfahrer zu. „Chun Wartock!" stellte er sich über Helmfunk vor. Undeutlich war hinter seiner Helmwandung ein breites Gesicht mit kantiger Stirn und vorspringendem Kinn zu sehen. „Willkommen auf Titan!" „Wir sind erfreut, Sie zu sehen", er widerte Cliff. „Wenn auch der Anlaß
zwiespältige Gefühle in uns hervorruft." Wartock musterte neugierig die beiden Roboter. „Das sind Neuentwicklungen, wie?" meinte er. „Sind sie tüchtig?" „Ich hoffe, ja", erwiderte Cliff. „Leider hatten wir noch keine Gelegenheit, sie unter Einsatzbedingungen zu erproben. Aber das wird ja wohl recht bald nachge holt." „Ich hoffe, Sie haben mehr Glück als Professor Kummer", meinte Wartock. „Wie wir erfuhren, sollen die Türme ja von Ihnen erschaffen worden sein, obwohl Sie anscheinend nicht wissen, wie es darin aussieht." „Wir dürften nicht die ersten Menschen gewesen sein, die nicht wußten, was sie taten", sagte Helga Legrelle. „Aber vielleicht fällt es uns wieder ein, wenn wir erst einmal das durchschritten haben, das wie eine Öffnung aussieht. Haben Sie eine Ahnung, warum man nicht in die Öffnung hineinsehen kann, Professor?" „Eine Vermutung, Madam", antwortete der Wissenschaftler. „Wahrscheinlich gibt es einen Energievorhang, der alles reflektiert, was nicht aus fester Materie besteht, also sowohl Lichtwellen als auch Ortungs- und Funkimpulse. Aber mit unseren Meßgeräten konnten wir die Exi stenz des Energievorhangs bisher nicht beweisen. Deshalb bauen meine Techniker einen Neutrinosender auf." Er deutete auf die spinnennetzartige Konstruktion auf dem Eishügel. „Vielleicht werden Neutri nos, die sonst praktisch alles durchdringen, von dem hypothetischen Vorhang nicht reflektiert, wohl aber von der festen Materie im Innern des Turmes." „Die OPHIUCHUS kommt!" rief Arlene und deutete nach hinten. Die übrigen Personen wandten sich ebenfalls um und sahen, wie neben der ORION IX ein gleichartiger Diskus niederging. Die Mittelstütze schob sich aus der Unterseite, und wenig später kamen
schubweise zirka fünfzig Personen in schweren Raumanzügen aus dem Lift. Sie trugen bis auf eine Ausnahme schwere Strahlwaffen und schoben mehrere Schwebeplattformen vor sich her, auf denen Projektoren montiert waren. „Unsere Chefin hält Wort", bemerkte Hasso Sigbjörnson. „Hoffentlich muß sie nicht auch ihr Wort halten, uns zu folgen, falls wir zur vereinbarten Frist nicht zurückkehren." „Du bist ja sehr besorgt um die Admira lin", spöttelte Mario. „Solltest du vielleicht doch mehr für sie empfinden als für Han oder Katsuro-san?" „Sie könnte meine Tochter sein!" prote stierte der Ingenieur. „Das war für Männer ab einem be stimmten Alter noch nie ein Hinde rungsgrund, Hasso", sagte Helga. „Ich muß doch sehr bitten!" sagte Brian Hackler entrüstet. „Vielleicht wird Ihre Bitte sogar erhört, wenn Sie sie fein säuberlich auf einem Vordruck in sechsfacher Ausführung formulieren, Major Hackeler", sagte Atan. „Sie kann uns jetzt hören!" warnte Mario flüsternd. „Allerdings kann ich Sie jetzt hören", kam sogleich darauf die Stimme der Admiralin in den Helmempfängern an. „Sollte ich nicht, meine Herrschaften?" „Warum nicht, Chefin?" fragte Cliff McLane betont scheinheilig. „Aber Ihre waffenstarrenden Begleiter müssen das nicht." „Major Hackler, worüber wurde soeben gesprochen?" erkundigte sich Leandra de Ruyter. „Darüber, daß wir alle Unbehagen bei der Vorstellung empfinden, daß Sie uns persönlich folgen könnten, wenn wir nicht zurückkommen", log Hackler mit spröder Stimme. Die Admiralin hatte die Crew in zwischen eingeholt und blieb neben Cliff stehen. Ihre Begleiter warteten in einigen
Schritten Abstand. „Was ich gesagt habe, gilt", erklärte sie. „Wie gedenken Sie vorzugehen, Cliff?" „Das ist ganz einfach - jedenfalls zu nächst", antwortete Cliff McLane. „Wir schicken Lotussamen und TiefseeSchalentier zuerst durch die Öffnung, dann ..." „Commander McLane", sagte die Admi ralin eisig. „Falls Sie alkoholisiert sind, lasse ich Sie augenblicklich vom Dienst suspendieren - und zwar aufgrund der Dienstvorschriften und ohne Verhandlung. Ich erwarte eine Erklärung!" In den Helmempfängern war das verhal tene Lachen der ORION-Crew zu hören, dann erwiderte Cliff: „Wenn jemand unter Alkohol stand, dann derjenige, der unsere robotischen Beschützer taufte, Chefin. Sie stellten sich uns nämlich als Lien Gee und Bow Yu vor - und Lien Gee bedeutet Lotussamen und Bow Yu ist ein Tiefsee-Schalentier, das man auch Abalone nennt. Ich beneide Sie nicht um Ihre Lage, verehrte Admiralin." Leandra de Ruyter bewies ihre Schlag fertigkeit, indem sie entgegnete: „Wer immer diese Namen aussuchte, hat ein gutes Einfühlungsvermögen in die psychische Dauerverfassung der ORIONCrew bewiesen, Cliff. Sie dürfen sich aussuchen, wer nun wirklich nicht zu beneiden ist." „Eins zu Null für die Admiralin, Com mander!" triumphierte Brian Hackler. „Irrtum!" korrigierte Cliff. „Unentschie den, denn wenn die Admiralin ihren Helm öffnet, damit ich sie anhauchen kann, muß sie ihre Behauptung, ich wäre alkoholi siert, zurücknehmen. Aber zurück zum Thema! Wie gesagt, schicken wir zuerst die beiden Roboter durch die Öffnung. Danach folgen ihnen Mario, Major Hackler und meine Wenigkeit. Wir nehmen die Funksprechgeräte mit und verständigen uns von drinnen über die Kabelverbindung mit dem Rest der Crew.
Klappt das, folgen meine Freunde uns. Alles andere wird sich ergeben." „Sie sind diesmal wenigstens vorsichtig, Cliff", lobte Leandra de Ruyter. „Einver standen." * Yu und Gee waren in der Öffnung verschwunden. Das war vor fünf Minuten gewesen. „Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes verschwunden", meinte Hasso. „Man sieht nicht einmal eine Bewegung hinter der Öffnung. Wer weiß, was das für eine Teufelei ist." Cliff McLane, Mario de Monti und Brian Hackler stöpselten schweigend ihre Enden der Verbindungskabel in die Anschlußbuchsen der Helmfunkgeräte. Danach nahmen sie je ein Funksprechgerät in die Hände. Helga Legrelle, Arlene Mayogah und Hasso Sigbjörnson stöpsel ten die Enden der Kabel ihrer Geräte in die Helmanschlußbuchsen. „Wie ist die Verbindung?" fragte Cliff, nachdem sie alle ihre tragbaren Geräte eingeschaltet hatten. „Einwandfrei", antwortete Arlene. „Wagt euch nicht zu weit vor, Cliff!" „Keine Sorge", beschwichtigte Cliff seine Freundin. „Ab geht es!" „Viel Glück!" wünschte Admiralin de Ruyter über die Helmfunkanlage. Noch konnten Cliff, Mario und Brian sie verstehen. „Die Frist beträgt eine Stunde." Cliff hob die freie Hand und winkte den Zurückbleibenden zu, dann preßte er die Lippen zusammen und trat durch die Öffnung. Er war auf das Schlimmste gefaßt, deshalb verlor er beinahe die Fassung, als er sich nach zwei Schritten in einem Raum mit kreisrunder Bodenfläche sah, der auf den ersten Blick überhaupt nichts Bedroh liches an sich hatte. Im nächsten Moment tauchten Mario
und Major Hackler neben ihm auf. Brian Hacklers Gesicht hinter der Helmscheibe wirkte viel jünger als sonst. Aber die Augen blieben unberührt von dieser Veränderung, die sicher auf psychische Vorgänge zurückzuführen war. Sie musterten kühl die Umgebung. Yu und Gee standen wenige Meter weiter auf dem Boden. Ihre beiden Armpaare hingen reglos herab. Dafür hatten sie aus den elliptischen Rümpfen je einen wulstartigen Drehkranz ausgescho ben, in dem die Mündungen mehrerer Strahlwaffen zusehen waren. „Arlene, hörst du mich?" fragte Cliff. „Ja, Cliff!" kam erleichtert die Stimme Arlenes aus dem Helmfunkempfänger. „Ist alles in Ordnung?" „Alles klar", stellte Cliff fest. Er beschrieb den Raum und fügte hinzu: „Die Wände leuchten schwach rötlich von innen heraus, so daß wir unsere Scheinwerfer nicht einschalten müssen. Über uns zieht sich eine Art Galerie spiralförmig an der Wandung entlang nach oben. Aber wir können nur zirka acht Meter weit sehen, obwohl es keine sicht bare Decke gibt." „Und unter euch?" fragte Arlene. Ein Lift!" rief Hackler überrascht. Cliff sah, daß Brian Hackler zur Mitte des Raumes gegangen war. Dort sank er plötzlich mit einem kreisrunden Boden ausschnitt in die Tiefe. Schon war nur noch sein Oberkörper sichtbar. „Ziehen Sie sich hoch, Major!" befahl Cliff. Hackler bewegte die Arme unschlüssig nach oben. Aber da war es bereits zu spät. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchten seine Finger über dem Rand des Loches auf, dann waren auch die verschwunden. „Ich sehe keine Gefahr", berichtete er. „Die Wand des Schachtes, durch den ich mit der Liftplatte sinke, ist durchsichtig. Durch sie kann ich große Aggregate unbekannter Bauart sehen. Es scheint sich
um Maschinen zu handeln." Cliff und Mario eilten an den Rand des Liftschachts und spähten in die Tiefe. Deutlich war Brian Hackler etwa fünf Meter tiefer zu erkennen - und er sank weiter. „Major, halten Sie sich bereit, Ihr Rück stoßaggregat einzuschalten!" rief Cliff. „Falls Ihnen etwas verdächtig vorkommt, schalten Sie es ein und kommen hoch!" „In Ordnung, Oberst", antwortete Hackler gelassen. Es knackte in Cliffs Helmfunk empfänger, dann sagte Leandra de Ruyters Stimme: „Ich habe Hassos Anschluß einge stöpselt. Cliff, können Sie etwas von dem vermißten Wissenschaftler und den beiden Robotern sehen, die ihm gefolgt waren?" „Absolut nichts, Chefin", antwortete Cliff. „Können Sie mich noch hören, Oberst McLane?" fragte Hackler. „Einwandfrei", erwiderte Cliff. „Warum sollte ich nicht?" „Weil mein Kabelstecker aus der An schlußbuchse gerutscht ist", antwortete der Major. „Das Kabel ist zu kurz." „Sprechen Sie mit Major Hackler, Cliff?" fragte die Admiralin besorgt. „Ich höre ihn nämlich nicht." Cliff McLane erklärte ihr die Lage. „Wenn wir nachher die Galerie hinauf steigen oder mit dem Lift hinabfahren, wird auch unsere Verbindung abreißen", ergänzte er. „Bisher hat Hackler jedenfalls nichts Verdächtiges entdeckt, so daß ich es für vertretbar halte, daß der Rest der Crew nachkommt." Er blickte wieder in den Liftschacht hinab und entdeckte den Major in etwas zwanzig Metern Tiefe - und er sank noch immer. „Major!" rief er. „Versuchen Sie heraus zufinden, ob und wie sich der Lift um schalten läßt! Ich halte es für besser, wenn Sie jetzt zurückkehren und wir zusammen
mit Mario hinabfahren." „Ich sehe nichts, womit der Lift an gehalten oder umgeschaltet werden könnte", erwiderte Hackler. „Vielleicht schaltet er sich erst um, wenn er die größte, mögliche Tiefe erreicht hat." „Kann der Major den Lift umschalten?" erkundigte sich die Admiralin, die nicht hören konnte, was Hackler geantwortet hatte. „Bis jetzt nicht", sagte Cliff. „Aber ich bin deswegen nicht beunruhigt. Er kann ja jederzeit mit dem Rückstoßaggregat zurückkehren." Er drehte sich um, als er Geräusche hörte. Es waren Hasso, Arlene und Helga, die durch die undurchsichtige Zone kamen, die das Innere des Turmes von der Außenwelt abschirmte und umgekehrt. Atan folgte ihnen eine Minute später. „Die Admiralin hat Arlenes und meinen Anschluß an zwei ihrer Raumsoldaten übergeben", erklärte Helga Legrelle über die Helmfunkanlage. Sie trat neugierig an den Rand des Liftschachts und blickte hinab. Arlene und Hasso taten es ihr nach. „Hackler ist ja kaum noch zu sehen", meinte Helga. „Ich müßte jetzt auch rund vierzig Meter tief sein", sagte Brian Hackler. „Ah, jetzt wird der Lift langsamer! Er steht!" „Hören oder sehen Sie etwas Unge wöhnliches, Major?" erkundigte sich Mariode Monti. „Ich höre ein schwaches Summen", antwortete Hackler. „Außerdem sehe ich Fugen in der Schachtwandung. Wahr scheinlich gibt es hier eine Tür, die durch Berührung geöffnet werden kann." „Lassen Sie die Finger von der Schachtwandung, Major!" befahl Cliff erregt. „Warten Sie zehn Minuten! Setzt sich der Lift dann nicht nach oben in Bewegung, kehren Sie mit Hilfe ihres Rückstoßaggregats zurück!"
„Keine Sorge, ich werde nicht un vorsichtig sein", gab der Major mit deutlicher Anspielung auf Verhal tensweisen der ORION-Crew zurück. Rund fünf Minuten später meldete er, daß sich die Liftplatte in umgekehrter Richtung in Bewegung setzte. Cliff meldete es an die Admiralin weiter und sagte dazu: „Da sich unten wahrscheinlich nur Maschinenanlagen befinden, werden wir, sobald Major Hackler wieder oben ist, die Galerie benutzen und den oberen Teil des Turmes erkunden." „Aber sehen Sie sich vor, Cliff!" be schwor die Admiralin ihn. „Da Major Hackler unten keine Spur von dem Vermißten fand, obwohl die Wände dort durchsichtig sind, muß er im oberen Teil des Turmes verschwunden sein. Und er ist keinesfalls einem Unfall zum Opfer gefallen, denn sonst wären nicht auch die beiden Roboter verschwunden. Es gibt also reale Gefahren dort oben, Cliff." „Zu dem gleichen Schluß sind wir ebenfalls gekommen, Chefin", erwiderte Cliff. „Wir werden uns vorsehen - und wir sind, im Unterschied zu dem vermißten Physiker, mit allen Wassern gewaschen."
6. Nachdem Brian Hackler von seiner unfreiwilligen Entdeckungsreise zurück gekehrt war, schickte Cliff Yu voraus. Er sollte stets fünf Meter vor den Menschen bleiben und über seine Funkanlage ständig berichten, wie es vor ihm aussah. Gee sollte das Schlußlicht bilden und die Menschen vor unliebsamen Überraschun gen von hinten sichern. Cliff McLane selbst folgte Yu, und Hackler hatte solange darauf gedrängt, hinter Cliff gehen zu dürfen, bis die Crew schließlich nachgab. Inzwischen war die Spitze der Gruppe
etwa zwölf Meter hoch gestiegen und hatte damit die Grenze überschritten, die ihren Augen von unten aus gesetzt gewesen war. Eine Ursache dieser Undurchsichtigkeit war nicht zu erkennen gewesen. Das aus der Wandung sickernde Licht hatte in zirka acht Metern Höhe lediglich seine Farbe geändert. Es war nicht mehr dunkelrötlich, sondern von einem hellen Orange. Aber die Zone orangefarbenen Leuch tens endete an einer weiteren Undurch sichtigkeitsgrenze, die genau 7,70 Meter von der ersten entfernt war, wie Yu feststellte. Und obwohl Yu verschwand, als er diese Grenzlinie überschritt, blieb die Funkver bindung mit ihm bestehen! „Aus den Wänden dringt gelbes Leuch ten", berichtete er. „Und genau 7,70 Meter weiter gibt es eine neue Unsichtbarkeitsli nie." Cliff blieb stehen und sagte: „Halte kurz an, Yu!" Er wandte sich an seine Gefährten und fragte: .„Kann sich einer daran erinnern, warum wir diese Farbzonen geschaffen haben und wozu die Unsichtbarkeitsgrenzen gut sein sollen?" Alle - außer Hackler natürlich schüttelten den Kopf. „Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern, eine 'Innenausstattung' geschaf fen zu haben", sagte Hasso Sigbjörnson. „Was ich fast für noch wichtiger halte, ist, daß wir ganz bestimmt nichts geschaf fen haben, das einem anderen Menschen zum Verhängnis werden konnte", warf Helga ein. „Was immer mit dem vermiß ten Physiker geschehen ist, es hat nichts mit unserem Werk zu tun - zumindest nicht direkt." Cliff nickte und sagte, für Admiralin de Ruyter gedacht: „Mein Kabel spannt sich und wird sich gleich ausstöpseln, Chefin. Ich bitte Sie, unsere Frist auf zwei Stunden zu verlän gern, damit wir uns Zeit lassen können und
nicht überstürzt umkehren müssen, bevor wir die Spitze des Turmes erreicht haben. Bisher konnten wir keine Gefahren entdecken." „Es muß Gefahren geben, Cliff", erwi derte Leandra de Ruyter. „Immerhin ist der Physiker und sind die beiden Roboter im Turm verschwunden - und schließlich hat das Bauwerk eine endliche Länge. Irgendwo vor euch müssen die drei Vermißten sein - und dort muß auch die Gefahr lauern, der sie wahrscheinlich zum Opfer fielen." „Vielleicht ein Transmitter", überlegte Mario laut. „Wir wissen ja durch diverse Erfahrungen, daß sowohl das Rudraja als auch das Varunja zahlreiche Transmitter besaßen." „Ich frage mich nur, warum der Physiker nicht gleich wieder umgekehrt ist, wie er es vorhatte, und statt dessen die Galerie hinaufstieg", sagte Atan Shubashi nach denklich. „Wenn es einen Einfluß gäbe, der Eindringlinge zu bestimmten Hand lungen zwingt, hätten wir doch etwas davon gemerkt." „Vielleicht können Sie nichts davon merken, weil das Ziel der Beeinflussung und Ihre Absichten sich decken", meinte die Admiralin, die von Cliff über Atans Überlegung informiert worden war. „Wir standen länger als eine halbe Stunde unten, weil wir auf Major Hackler warteten", warf Mario ein. „In dieser Zeitspanne hätten wir einen Einfluß gespürt, denn er hätte ja sofort gewirkt." „Probieren geht über Studieren", sagte Cliff. „Vor allem, wenn das Studieren sich auf Dialoge beschränkt. Gehen wir weiter, dann sehen wir ja, was mit dem Turm los ist!" Als er den nächsten Schritt tat, löste sich sein Kabel aus der Anschlußbuchse des Druckhelms. Vorher bestätigte Leandra de Ruyter aber noch, daß sie die Frist auf zwei Stunden verlängerte. Nach dem nächsten Schritt verschwand
die Unsichtbarkeitsgrenze vor Cliff, als hätte es sie nie gegeben. In dem aus den Wänden dringenden gelben Leuchten erblickte der Oberst den Roboter Yu. Yu stand reglos rund drei Meter vor ihm. Cliff blieb ebenfalls stehen und sah sich wachsam um. Doch er konnte nichts Verdächtiges entdecken. „Warum bist du stehengeblieben, Yu?" fragte er. „Sie hatten mir befohlen, anzuhalten, Cliff", antwortete der Roboter. „Und ich hatte vergessen, dir zu sagen, daß du weitergehen sollst", erwiderte Cliff. „In Ordnung, es geht weiter! Du brauchst keine fünf Meter Abstand mehr zu halten, Yu." Er blickte sich um und sah Brian Hackler, der sich scheinbar aus dem Nichts heranschob. „Es ist schon seltsam, wie?" meinte Cliff. „Alles läßt sich wissenschaftlich erklä ren, wenn man die betreffenden Kenntnis se besitzt, Oberst", erwiderte der Major. „Wenn Sie vor diesem Einsatz eine Tiefensondierung Ihres Geistes hätten durchführen lassen, wüßten Sie wahr scheinlich, was in Ihrem Unterbewußtsein verborgen ist - und Sie könnten mir verraten, was das alles hier bedeutet." „Schlauer Junge!" gab Cliff zurück. „Aber ich hätte nicht in meinem Unterbe wußtsein herumschnüffeln lassen - auch dann nicht, wenn ich gewußt hätte, daß die irdische Technik über derartige Geräte verfügt." Er ging weiter die Galerie entlang. Es war ein seltsames Gefühl, nicht zu sehen, was weiter als maximal 7,70 Meter vor ihm lag - und auch nicht, was maximal 7,70 Meter hinter ihm lag. Beinahe fühlte sich Cliffs Bewußtsein in einen Traum versetzt. Die nächste Zone leuchtete grasgrün. Ihr folgten eine blaue Zone und schließlich eine violette.
Aber die Zone violetten Leuchtens unterschied sich von den anderen Farbzo nen, denn in ihr herrschte ein violett angestrahlter Nebel, der die Gestalten der Vorder- und Hintermänner nur schemen haft und manchmal verzerrt sehen ließ. „Ich befinde mich ungefähr auf halber Höhe, vom Anfang der Galerie an gerech net", teilte Cliff seinen Gefährten über Helmfunk mit. „Der Nebel wird immer stärker. Ich kann Yu nicht..." Er tat einen weiteren Schritt und unter brach sich, als ihm schwindlig wurde. In einem durch zahllose Gefahrensituationen eingeschliffenen Reflex warf er sich flach auf den Boden und kroch ein Stück weiter. Dabei merkte er, daß sich der Nebel vor ihm lichtete - und er sah erleichtert, daß Yu sich unversehrt vor ihm befand. Aber er merkte noch etwas anderes - und seine Erleichterung schwand sofort wieder! Vor ihm ging es plötzlich nicht mehr aufwärts, wie es eigentlich sein mußte, sondern abwärts! „Das gibt es doch nicht!" entfuhr es Cliff. „Ich kann mich doch nicht um hundertachtzig Grad gedreht haben, ohne es zu merken! Yu, bleibe stehen!" Der Roboter gehorchte. Er befand sich zirka drei Meter vor dem Commander und etwa einen halben Meter tiefer. „Bist du umgekehrt, Yu?" fragte Cliff. „Nein, Cliff", antwortete Yu. „Aber du gehst abwärts", stellte Cliff McLane fest. „Das habe ich registriert", erwiderte der Kampfroboter gleichgültig. „Es liegt daran, daß die Galerie von einem be stimmten Punkt an abwärts führt." „Aber das ist unmöglich!" Cliff blickte zur anderen Seite der Innenwandung hinüber. In der horizontalen Richtung gab es keine Sichtbarrieren. „Die Türme durchmessen genau siebzehn Meter - und von einer Wand zur anderen sind es rund fünfzehn Meter. Es gibt also gar keinen Platz für eine zweite, nach unten führende,
Galerie. Etwas muß uns gezwungen haben, kehrtzumachen, ohne daß wir es merkten. Was sagst du dazu, Yu?" „Ich hätte etwas Derartiges registriert, Cliff", antwortete der Roboter. ,Außerdem müßten wir, wenn die von Ihnen vermutete Einwirkung an einem festgelegten Punkt erfolgt, auf die anderen Menschen getroffen sein, die weiter nach oben gehen." „Das stimmt", gab Cliff zu. „Warum äußert sich von der Crew niemand?" Als keine Antwort erfolgte, ahnte Cliff McLane, daß etwas Ungeheuerliches geschehen war und daß er sich an der Schwelle des Geheimnisses befand, das der Turm barg. „Wir kehren um!" sagte er. * Später hätte er nicht sagen können, weshalb er ausgerechnet zu diesem Entschluß gekommen war, der doch völlig widersinnig erschien, wenn man nicht eine bestimmte Vermutung hatte - und Cliff hatte keine bestimmte Vermutung. Kaum hatte er sich umgedreht, als er einen halblauten Schrei vor sich hörte. Im nächsten Augenblick stolperte Brian Hackler auf ihn zu. Die Augen des Majors waren weitaufgerissen. Cliff fing Hackler auf und sagte: „Nur ruhig Blut, Brian!" Major Hackler fing sich überraschend schnell. Er befreite sich sanft aus Cliffs Griff, blickte sich aufmerksam um und sagte: „Das ist nicht möglich." „Was ist nicht möglich?" erkundigte sich Cliff. „Es ist unmöglich, daß eine aufwärts führende Galerie im Winkel von hundert achtzig Grad abwärts kippt", antwortete der Major sachlich. „Aber genau dieses Gefühl hatte ich. Deshalb strauchelte ich offenbar. Wie ist es Ihnen ergangen,
Oberst McLane?" Cliff preßte sekundenlang die Lippen zusammen. Er hatte ganz kurz das Empfinden gehabt, Hackler und er wären sich menschlich nähergekommen - und er war impulsiv dazu übergegangen, den Major mit dem Vornamen anzureden. Aber Brian Hackler schien nicht gewillt zu sein, seine Distanziertheit aufzugeben. „Mir ging es so ähnlich", erwiderte Cliff. „Aber wir werden erst wissen, was wirklich geschehen ist, wenn wir zurück gehen." Er schritt an Hackler vorbei. Vor ihm war der violett angestrahlte Nebel wieder dichter und undurchdringlich für mensch liche Augen. Aber auch für die Sensoren eines Robo ters? „Was erkennst du vor uns, Yu?" fragte Cliff. „Der Nebel ist an einer bestimmten Stelle undurchdringlich für meine Senso ren, Cliff", antwortete der Kampfroboter. „Und auch für Funksprechgeräte", ergänzte Cliff und ging einen Schritt weiter. Was kurz zuvor geschehen war, wieder holte sich. Cliff spürte ein starkes Schwin delgefühl. Aber diesmal warf er sich nicht hin, sondern klammerte sich am Geländer der Galerie fest und konzentrierte sich darauf, sich nicht zu bewegen. Doch das Schwindelgefühl wurde uner träglich. Schließlich hielt es Cliff nicht mehr aus. Er mußte etwas tun, also tat er einen weiteren Schritt nach oben - und strauchelte, denn plötzlich ging es vor ihm nicht mehr nach oben, sondern nach unten. Und direkt vor ihm stand Mario de Monti und fing ihn auf, so wie er kurz zuvor Brian Hackler aufgefangen hatte. „Was ist los, Cliff?" fragte der Ky bernetiker, hielt Cliff mit der linken Hand weiter fest und zog mit der rechten seine Strahlwaffe, die berühmte alte HM-4. Cliff McLane lächelte grimmig.
„Eigentlich nichts, Mario - nur, daß ich eben noch nach oben ging und plötzlich auf dem Weg nach unten bin, ohne mich gedreht zu haben." „Das ist zwar unmöglich, aber nicht so wichtig, denn wenigstens stehst du heil und gesund vor mir", erwiderte Mario. Brian Hackler stieß von hinten gegen Cliff und stürzte. Da er reglos liegenblieb, packten Cliff und Mario zu und stellten ihn wieder auf die Füße. Hacklers Gesicht war totenbleich. Cliff und Mario zogen ihn zur Seite, als Yu aus dem violett ange strahlten Nebel auftauchte. „Halt!" befahl Cliff. „Was hast du fest gestellt, Yu?" „Ich stelle fest, daß es den bekannten Naturgesetzen widerspricht, wenn ich schlagartig in eine andere Richtung gehe, ohne die Richtung gewechselt zu haben", antwortete der Roboter. Nach und nach wurden auch die anderen Raumfahrer, sichtbar und blieben stehen. Zum Schluß tauchte Gee auf. Cliff McLane erklärte, was geschehen war. „Eine Verwindung der Raumstruktur", sagte Atan Shubashi. „Anders kann ich mir dieses Phänomen nicht erklären. Das würde auch das Schwindelgefühl erklä ren." „Zwei parallele Daseinsebenen, die durch eine Verwindung der Raum strjuktur miteinander verknüpft werden", sagte Arlene. „Sobald jemand in die Verwindungszone gerät, wird er auf die parallele Ebene versetzt." „Da haben wir vielleicht etwas an gerichtet", sagte Hasso Sigbjörnson. „Was tun wir jetzt?" fragte Hackler mit mühsam beherrschter Stimme. „Wir überlegen erst einmal, wohin der Wissenschaftler mit den beiden Robotern verschwunden ist", sagte Cliff. „Da er nicht zurückkehrte, kann er nur entweder auf der Parallelebene wieder abwärts gegangen sein - oder er hat die betreffende
Stelle passiert, bevor die Verwindung der Raumstruktur auftrat und kann deshalb nicht wieder zurückfinden." „Welche Möglichkeit realisiert wurde, wissen wir nicht", meinte Helga. „Wir können es nur herausfinden, wenn wir durch die Raumverwindung gehen und auf der Parallelebene nachsehen, was sich dort befindet." „Wenn die Strukturverwindung nur eine begrenzte Zeitspanne existiert, könnten wir dadurch für immer auf die andere Ebene verschlagen werden", wandte Brian Hackler ein. „Ich weiß nicht, ob wir das verantworten dürfen." „Wenn einer, der sonst alles besser weiß, zugibt, daß er etwas nicht weiß, dann läßt das für die Zukunft hoffen", meinte Mario. „Lassen Sie doch die dummen Sprüche!" erwiderte der Major gequält. „Ich schlage vor, wir schicken die Roboter durch die Strukturverwindung, Raumfalte oder wie man es sonst nennen soll." „Ein Roboter kann bei der Erforschung von Unbekanntem nicht dasselbe leisten wie ein Mensch", sagte Hasso. „Außerdem haben wir von der ORION noch nie Roboter vorgeschickt, wenn wir etwas selber tun konnten." „Ich halte die Mentalität, die den Anse hen durch Roboter ersetzen will, sowieso für sehr bedenklich", sagte Arlene Mayogah. „Unsere Mentalität ist es nicht." „Also gehen wir hindurch oder hinüber oder wie immer man es nennen soll!" erklärte Cliff. „Yu, du machst den Anfang! Ich bin gespannt, ob wir auf der ,anderen Seite' bis zur Öffnung am Fuße des Turmes kommen und wie es dort aus sieht." Gehorsam wandte Yu sich um und ging voraus. Als er im violett angestrahlten Nebel verschwunden war, folgte ihm Cliff. Brian Hackler machte zwar ein mißbilli gendes Gesicht, aber er gab sich einen Ruck und schritt ebenfalls wieder in den dichten Nebel hinein.
* Nachdem die Raumfahrer ausnahmslos das Schwindelgefühl durchgemacht und die Tatsache akzeptiert hatten, daß sie praktisch übergangslos wieder nach unten gingen, wirkte alles sehr schnell wieder normal. Sie kamen von der Zone violetten Leuchtens nacheinander in Zonen blauen, grünen, gelben und orangefarbenen Leuchtens - und schließlich in die Zone des dunkelrötlichen Leuchtens, in der die Galerie auf dem Boden endete. „Vermeidet bitte vorerst die Mitte des Raumes!" riet Cliff. „Wir können später herausfinden, ob es auch in dieser Da seinsebene einen Antigravlift gibt." „Ich möchte nur wissen, was die Zonen unterschiedlich gefärbten Leuchtens bedeuten!" meinte Mario. „Es muß sich doch herausfinden lassen. Schließlich stehen wir nicht vor einem Erbstück des Rudraja oder des Varunja, sondern vor etwas, das von uns in der heutigen Zeit erschaffen wurde." „Aber den Physiker und seine beiden Roboter haben wir immer noch nicht gefunden", warf Helga ein. „Dennoch müssen sie hier sein, falls sie nicht bis zur Spitze des Turmes gekommen sind." Nachdenklich musterte Cliff die große, dreieckige Öffnung in der Turmwandung. Sie sah genauso aus wie die Öffnung, durch die sie in den Turm gekommen waren - und auch sie war undurchsichtig. „Wir sehen uns draußen um!" sagte er. „Vielleicht entdecken wir sogar unsere Admiralin vor der Öffnung - und ein Stück weiter die ORION IX." Er blickte auf seinen Armbandchronographen. „Wir sind fast eine ganze Stunde unterwegs und haben also nicht mehr viel Zeit, wenn wir vor Ablauf der Frist zurück sein wollen." Er ging auf die Öffnung zu - immer noch mit der schwachen Hoffnung, auf der
anderen Seite könnte alles so aussehen, wie sie es verlassen hatten - und trat hindurch. Vor ihm lag die eisüberkrustete Oberflä che des Titan in grüngelbem Dämmerlicht, das nur vom Saturn und seinem Ringsy stem kam, da sich Titan anscheinend auf der sonnen-abgewandten Seite des Riesenplaneten befand. „Keine Leandra de Ruyter, keine ORION und keine OPHIUCHUS - und auch sonst kein lebendes Wesen und kein Gerät", sagte Cliff. Als niemand antwortete, fiel ihm wieder ein, daß eine drahtlose Funkverbindung zwischen dem Turm und der Außenwelt nicht möglich war. Aber er brauchte nicht lange zu warten, bis seine Gefährten und die beiden Roboter ebenfalls ins Freie ka men. „Wir sind tatsächlich auf einer Pa rallelebene!" entfuhr es Mario. „Aber etwas stimmt nicht", meinte Brian Hackler und musterte den Himmel. „In einer Stunde können wir nicht die restli chen zwei Drittel an Saturn vorbeigelaufen und hinter ihn geraten sein. Ich meine, der Titan hat eine Umlaufzeit von über fünf zehn Stunden. Wir müßten demnach noch auf der der Sonne zugewandten Seite dahinziehen, da seit unserem Aufbruch nur eine Stunde, also knapp ein Fünfzehntel der Umlaufzeit, vergangen ist." „Gut beobachtet", stellte Atan Shubashi fest. „Ich bemerke aber noch eine andere Diskrepanz. Das Ringsystem steht nämlich so zu uns, daß wir es überblicken können und eigentlich müßten wir von Titan aus mit bloßem Auge die beiden großen Lücken sehen, die das System in drei Ringe teilen. Ich sehe sie aber nicht." Cliff blickte ebenfalls nach oben. „Es gibt tatsächlich nur einen einzigen, durchgehenden Ring", sagte er. „Die Parallelität der beiden Ebenen scheint nicht sehr stark zu sein." „Parallelen haben auch normalerweise
keinen Schnittpunkt", warf Major Hackler ein. „Möglicherweise haben wir es gar nicht mit einer Parallelebene zu tun", sagte Mario nachdenklich. „Etwas ist entweder parallel - und zwar absolut -, oder es ist eben nicht parallel." „Aber wir stehen auf dem Titan - und zwar dort, wo wir unser Unternehmen begonnen haben!" beharrte Helga. „Demnach sind wir auf einer räumlich parallelen Ebene herausgekommen." Die Raumfahrer blickten sich in jäher Ahnung der Wahrheit an, aber obwohl sie schon soviel erlebt hatten, erschien ihnen diese Wahrheit zu phantastisch, als daß sie sie unbewiesen akzeptieren konnten. „Was halten Sie davon, Major?" wandte sich Hasso an Hackler. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll", antwortete der Stabschef von Leandra de Ruyter zögernd. „Am besten kehren wir um und fragen TECOM." „TECOM, das allwissende Orakel der Menschheit!" spottete Helga. „Ich fürchte, die Menschen der Erde stehen bereits in einem verhängnisvollen Abhängigkeits verhältnis zum Terrestrischen Computer zentrum. Nicht, daß ich TECOMs Feind wäre, schließlich hat er uns als unser Anwalt bei der Gerichtsverhandlung sehr geholfen, aber die Menschen verlassen sich zu sehr auf ihre Computer und sind bereits in bedrohlichem Maße unselbständig gewor den." „Wie auch immer ...", fing Cliff McLane an. Er unterbrach sich, denn in diesem Augenblick wurde die Aufmerksamkeit von ihnen allen von - einer schlagartig aufblühenden Lichtblume beansprucht, die sich hoch über dem Titan ausdehnte, für die Augen der Menschen zu einer Scheibe wurde, die von den Rändern aus schnell verblaßte und sich auflöste. Bevor jemand etwas sagen konnte,
blühten rasch hintereinander weitere Leuchterscheinungen auf - und verblaßten ebenso schnell wieder. „Explosionen!" sagte Cliff beklommen. „Wir kennen diese Erscheinung leider nur zu gut. Freunde. Dort sind Raumschiffe explodiert." Abermals blühten die Blumen des Todes auf, diesmal an anderen Stellen des Weltraums. „Dort sterben Menschen", sagte Arlene leise und sichtlich erschüttert. „Die Erde ist in Gefahr!" rief Brian Hackler. „Wir müssen versuchen, terrestri sche Raumschiffe oder Raumstationen über Funk zu erreichen und zu warnen." Cliff schüttelte innerhalb seines Druck helms den Kopf. „Ganz abgesehen davon, daß die Explo sion von Raumschiffen in Saturnnähe von den Ortungsgeräten der Erdaußenstationen angemessen worden sein muß, ist es wenig wahrscheinlich, daß wir uns in einem von Menschen bewohnten Sonnensystem befinden, Major. Unsere Menschheit jedenfalls lebt auf der Daseinsebene, von der wir gekommen sind, und nicht auf dieser." „Ich bestehe darauf, daß wir die Erde warnen!" erklärte Brian Hackler energisch. „Wenn wir die tragbaren Funkgeräte zusammenschließen und mit ihren Batterien nur auf einem Gerät senden, das wir auf Hyperfunk umgeschaltet haben, können wir die Erde erreichen - sogar ohne Richtstrahl." „Daran ist etwas Wahres", meinte Atan. „Wir befinden uns zwar - vielleicht - auf einer anderen Ebene, aber da wir die Titanfestung erschaffen haben, könnte das unbewußt oder unter dem Einfluß der Mentorkugel geschehen sein, um in die hiesigen Geschehnisse einzugreifen." Erneut blühten im Weltraum Todesblu men auf. Die Raumfahrer zählten insge samt siebzehn - und diesmal ließ sich erkennen, daß es in Saturnnähe zwei
gegnerische Schiffsverbände geben mußte, die sich beschossen. „Einverstanden, Major Hackler", sagte Cliff. Er, Mario und Hackler stellten ihre tragbaren Funkgeräte nebeneinander, nahmen die Verbundschaltungen vor und schalteten ein Gerät auf Hyperfunk. Anschließend aktivierte Cliff das Gerät und sagte: „Achtung, hier ruft die ORION-Crew! Wir rufen die Erde und alle terrestrischen Raumschiffe und warnen vor Fremden, die sich in Saturnnähe eine Raumschlacht liefern. Wenn ihr uns hören könnt, antwortet bitte!" „Fremde?" fragte Arlene. „Ich hatte angenommen, daß nur die eine Gruppe von Schiffen mit Fremden besetzt ist, während es sich bei der anderen Gruppe um terrestrische Raumschiffe handelt." „Das dachte ich zuerst auch", erwiderte Cliff. „Aber während ich meine Meldung aufsagte, wurde mir klar, daß beide Gegner Fremde sein müssen. Ihre Verluste sind nämlich ungefähr gleich, während ein Gefecht von Erdschiffen mit den Raum schiffen absolut Fremder zugunsten der Fremden verlaufen müßte." „Falls es sich bei diesen Fremden um Erben des Rudraja handelt", ergänzte Helga. „Richtig", sagte Cliff. „Aber die Erde antwortet nicht. Dafür gibt es eine Menge Gründe, und von hier aus werden wir kaum feststellen können, welcher der möglichen Gründe zutrifft. Was also können wir noch tun?" „Wir können versuchen, den Funk verkehr der anderen Raumschiffe zu belauschen", schlug Helga vor. „Einverstanden", sagte Cliff. „Über nimmst du das bitte, Helgamädchen?" Während die Funkerin sich an den Geräten zu schaffen machte, schaute Cliff in den Himmel über dem Titan. Er versuchte sich zu erinnern, was er in
früherer Zeit einmal über das Ringsystem des Saturn gehört hatte., War es so, daß die beiden Lücken sich gebildet hatten, weil das ganze Ringsystem sich in einer Instabilitätszone des Saturn befand? Und wenn, was hatte es dann zu bedeu ten, daß sie „unter" einem Saturn standen, dessen Ring lückenlos war?
7. „Ich fange eine ganze Menge Hyper funksignale auf", sagte Helga Legrelle nach einiger Zeit. „Aber es handelt sich um zwei Gruppen kodierter Signale, deren Bedeutung wahrscheinlich nur von einem sehr leistungsfähigen Computer ent schlüsselt werden könnte." „Also keine Hyperfunksignale ter restrischer Raumschiffe?" fragte Brian Hackler. Er bekam keine Antwort, denn plötzlich stieß Arlene einen Überraschungsschrei aus und deutete mit dem Arm zum gegenüberliegenden Horizont. Bevor sie etwas sagen konnte, sahen die anderen Raumfahrer ebenfalls den schwach bläulich leuchtenden Schlauch, der sich durch die Methanatmosphäre zog und genau in ihre Richtung zu wandern schien. Sekunden später ließ sich erken nen, daß der Schlauch ionisierter Mole küle von einem kleinen elliptischen Körper erzeugt wurde. „Gee und ich sind feuerbereit. Cliff", meldete Yu ohne Aufforderung. „In Ordnung", erwiderte der Com mander. „Aber erst auf meinen Befehl oder bei eindeutigem Angriff des fremden Objekts feuern!" Er warf sich zu Boden und sah, daß seine Freunde ebenfalls in Deckung gingen. Nur Major Hackler blieb stehen und schaute - offenbar von dem Auftau chen des Objekts fasziniert - zu dem sich rasch nähernden elliptischen Körper hin.
„Deckung, Hackler!" schrie Cliff. Da erst ließ sich der Major fallen. Da nach zog er seine HM-4. Aber es ließ sich nicht mehr erkennen, ob er ohne Erlaubnis schießen wollte, denn das Objekt sackte plötzlich ab und berührte mit der Untersei te den vereisten Boden. Die Außenmikrophone übermittelten Cliff eine Serie schwacher Geräusche. Die Titan-Atmosphäre leitete den Schall nur abgeschwächt weiter. Das elliptische Fahrzeug sprang noch einmal hoch, dann berührte es zum zweitenmal den Boden, drehte sich mehrmals um seine Horizon talachse und wurde langsamer. Dennoch entschwand es den Blicken der Raumfah rer über den - engen - Horizont. „Das war eine ausgesprochene Notlan dung", stellte Hasso Sigbjörnson fest und stand auf. Cliff erhob sich und sah, daß alle Ge fährten ebenfalls wieder auf die Beine kamen. „Länge schätzungsweise zehn Meter", sagte er. „Das kann eigentlich nur ein Beiboot sein." „Ein Rettungsboot von einem der explo dierten Raumschiffe", sagte Mario. „Eine so günstige Gelegenheit ergibt sich nicht so bald wieder." „Es kann nicht weit jenseits des Hori zonts zum Stillstand gekommen sein", meinte Arlene. „Sie denken doch nicht etwa daran, zu dem fremden Schiff zu gehen?" erkundigte sich Brian Hackler. „Warum nicht, Verwalter der For mulare?" fragte Atan ironisch. „Weil sich in dem Objekt mit Sicherheit fremdartige Intelligenzen befinden. Die Kontaktaufnahme mit Fremdintelligenzen ist aber eine so heikle Angelegenheit, daß sie ausschließlich Spezialisten überlassen werden muß. Ihr Ausgang kann nämlich die Beziehungen zwischen zwei Sternen völkern auf Jahrhunderte hinaus bestim men."
„Wie schön er das sagt!" spottete Mario. „Und so weise! Major Hackler, ich empfehle Ihnen, entweder schnellstens ein paar Kontaktspezialisten herbeizurufen oder Ihre dummen Sprüche zu unterlassen! Außerdem sind wir von der ORION die besten Kontaktspezialisten, die es im bekannten Universum gibt - und das nicht nur im Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht." „Die Vorschriften ...", begann Hackler mit erhobener Stimme. „. . . gelten hier nicht!" unterbrach ihn Cliff brüsk. „Yu und Gee, ihr geht voraus und nähert euch dem gelandeten Objekt. Falls ihr beschossen werdet, zieht ihr euch zurück! Ihr erwidert das Feuer nur, wenn ich es euch befehle. Ist das klar?" „Es ist klar, Cliff", antwortete Yu. Cliff wandte sich an seine Gefährten und sagte: „Wir lassen den Robotern einen Vorsprung von zweihundert Metern, dann folgen wir ihnen in weit auseinandergezo gener Kette." „Sie riskieren zuviel, Oberst McLane", sagte Brian Hackler. „Sie können hierbleiben, Major", ent gegnete Cliff ungehalten. „Niemand von uns zwingt Sie, Ihren schönen Kopf hinzuhalten." Er wartete ab, bis die beiden Kampfro boter ungefähr zweihundert Meter gegangen waren, dann folgte er ihnen. Seine Freunde setzten sich ebenfalls in Bewegung, und plötzlich schloß Hackler sich ihnen an. Sie waren noch keine dreihundert Meter gegangen, als sich Yu meldete und sagte: „Cliff, Gee und ich haben am Rande eines flachen Explosionstrichters die Überreste von zwei Robotern eines veralteten Typs entdeckt. Sie wurden wahrscheinlich durch die Explosion zerstört. Wir sind stehengeblieben, um weitere Anweisungen von Ihnen abzuwar ten." „Das war richtig", erwiderte Cliff,
nachdem er die Überraschung überwunden hatte. „Seht ihr etwas von dem Menschen, der vermißt wird?" „Nein, Cliff", antwortete Yu. „Also ist der Physiker doch hier hergekommen!" rief Arlene. „Sonst wären die beiden Roboter nicht hier. Irgendwie müssen sie seine Spur gefunden haben." „Das kann sein, muß aber nicht sein", sagte Helga. „Yu und Gee!" rief Cliff McLane. „Geht langsam weiter! Haltet dabei nach einem Menschen im Raumanzug Ausschau!" Er schluckte. „Oder nach den Überresten eines Menschen!" „Verstanden, Cliff!" erwiderte Yu. Auch die Menschen setzten sich wieder in Bewegung. Ihre Stiefelsohlen hafteten gut auf dem rauhen Eis, und das grüngelbe Dämmerlicht vom Saturn reichte aus, um ein Hängenbleiben in den zahlreichen, bis zu handspannenbreiten Rissen im Eis zu vermeiden. Als sie die beiden Roboter erreichten, zog gerade eine dünne Ammoniakwolke vor den Saturn und schluckte einen Teil seines Lichtes. Die Dämmerung trübte sich noch mehr, Cliff sah den meterbreiten Spalt, der sich vor ihm auftat, zu spät und konnte sich nur noch mit einem schnellen Sprung nach vorn retten. „Aufpassen!" rief er seinen Gefährten zu. „Yu, warum habt ihr uns nicht vor dem Spalt gewarnt?" Die beiden Roboter, nur wenige Meter von ihm, zeichneten sich gleich Schatten bildern trauriger Marabus vor einem graugrünen Hintergrund ab. „Er wurde als optisch klar erfaßbar eingestuft", antwortete Yu. Mario, der hinter Cliff ging, stieß eine Verwünschung aus. „Man hätte euch beibringen müssen, daß menschliche Wahrnehmungsorgane im Vergleich zu euren beschränkt sind!" schimpfte er. Cliff erreichte die beiden Roboter und
konnte mühsam den Rand des Explosions kraters erkennen, da er sich schwarz von der eisbedeckten Umgebung abhob. Er entschloß sich - trotz der Nähe des fremden Fahrzeugs -, seine Helmlampe einzuschalten. Der matte Lichtkegel gei sterte durch die dünne Atmosphäre und zeichnete einen elliptischen Lichtfleck auf den Boden einer schüsselförmigen, eisfreien Vertiefung. „Die Tiefe beträgt in der Mitte 1,67 Meter, der Durchmesser 9,46 Meter", erklärte Yu. „Und wo liegen die Überreste der Robo ter?" erkundigte sich Cliff, denn er konnte keine Trümmer entdecken. „Die Teile liegen im Umkreis von 27,31 Metern verstreut, Cliff", antwortete Yu. „Keines ist größer als der kleine Finger eines Menschen." „Die Roboter sind also von einer Explo sion in Fragmente zerrissen worden", stellte Mario fest, der als nächster ankam. „Wenn der Wissenschaftler bei ihnen war, dürfte von ihm überhaupt nichts übrigge blieben sein." „Warhscheinlich nicht, Mario", sagte Yu. „Haltet ihr es für möglich, daß der Fusionsreaktor eines Roboters durchging und es dadurch zu der Explosion kam?" fragte Cliff. „Unsere Fusionsreaktoren können nicht durchgehen, Cliff", antwortete Yu. „Aber da die beiden Roboter zu einem überholten Modell gehörten, halte ich einen Versager nicht für ausgeschlossen." „Ebensogut können sie angegriffen worden sein", warf Major Hackler ein, der ebenfalls zu der Gruppe stieß. „Möglich", gab Cliff zu. „Yu und Gee, ihr geht langsam weiter, nähert euch dem notgelandeten Objekt und haltet dabei Ausschau nach dem Vermißten oder seinen Überresten. Ich denke allerdings, daß ihm nicht mehr zu helfen ist. Wäre er in der Nähe, das heißt, auf dieser Halbku
gel des Titan, dann hätte er unseren Funksprechverkehr mitgehört und sich gemeldet - wenn er noch lebte." „Mir wird es hier allmählich un heimlich", sagte Helga. „Unheimlich?" fragte Brian Hackler verständnislos. Cliff lachte ironisch und schickte sich an, den beiden Kampfrobotern zu folgen, die inzwischen schon zirka zehn Meter gegangen waren. Er brannte darauf, mehr über das notgelandete Raumfahrzeug zu erfahren. * Die Ammoniakwolke hatte sich verzo gen, als die beiden Roboter das Objekt erreichten. Dadurch konnten die Menschen das Fahrzeug sehen. „Elliptisch, zehn Meter lang, sechs Meter breit - alles ungefähr", stellte Mario de Monti fest. „Die Höhe beträgt fünf Meter. Äußerlich ist es offenbar nicht beschädigt." „Von außen sind auch keine An triebsaggregate zu erkennen", meinte Cliff. „Yu und Gee, habt ihr irgendwelche Reaktionen im Innern des Fahrzeugs angemessen?" „Keine Veränderungen im Bereich der energetischen Emissionen, Cliff", antwor tete Yu. „Wir messen aber schwache Bewegungen, die von einem einzelnen Körper ausgehen." „Vielleicht ein Besatzungsmitglied, das Hilfe braucht!" rief Arlene Mayogah. „Wir könnten einem fremdartigen Le bewesen mit unseren ungenügenden Mitteln nicht helfen, Madam", wandte Brian Hackler ein. „Aber versuchen können wir es", sagte Cliff. „Yu und Gee, sucht nach einer Schleuse und versucht, sie zu öffnen!" „Oberst McLane!" sagte Hackler steif. „Ich billige die Art und Weise Ihres Vorgehens nicht. Die Kontaktaufnahme mit einer fremden Intelligenz hat laut
Flottenhandbuch behutsam zu erfolgen. In diesem Falle empfiehlt es sich, den Fremden erst einmal durch geeignete Methoden, beispielsweise durch Klopfzei chen, auf sich aufmerksam zu machen. Ein Betreten des fremden Schiffes darf erst dann erfolgen, wenn die Einwilligung des fremden Wesens erkennbar ist." „Oder wenn es gestorben ist - was ich in unserem Falle für wahrscheinlicher halte", entgegnete Cliff. Er beobachtete, wie die beiden Roboter das fremde Raumboot abtasteten. „Ich mache Sie darauf .aufmerksam, daß ich nach unserer Rückkehr Meldung über Ihr reglementwidriges Vorgehen erstatten muß, Commander!" sagte Hackler. „Aber bitte nur auf dem dafür vor geschriebenen Formblatt und mit minde stens fünf Durchschlägen!" spöttelte Hasso Sigbjörnson. „Wir haben eine Schleuse entdeckt, die auf elektromagnetische Einwirkung reagiert, Cliff", meldete Yu. „Sollen wir sie öffnen?" „Selbstverständlich!" brauste Cliff McLane auf. „Laßt euch nicht durch das Geschwätz über Flottenhandbücher und Reglements beirren. Ihr bekommt eure Befehle von mir!" Die Roboter „bombardierten" den Ver schluß der Schleuse gezielt mit elektroma gnetischer Einwirkung, so daß er sich innerhalb von Sekunden öffnete. Ein rundes Schott schwang heraus. Die Frauen und Männer der ORION waren inzwischen bis dicht an das fremde Schiff herangegangen, während Brian Hackler schmollend stehenblieb. „Eine Schleuse für Zwerge!" rief Helga, als sie die Öffnung sah, die nicht mehr als siebzig Zentimeter durchmaß. „Oder für Lebewesen, die sich kriechend fortbewegen, so wie wir es gleich tun werden", sagte Cliff. „Yu macht den Anfang! Ich hoffe, du kannst auch auf allen vieren kriechen, Yu - beziehungswei
se auf allen sechsen." „Ja, Cliff", erwiderte Yu. Er zog den Waffendrehkranz ein, schob die Tentakelarme durch die Öffnung der Schleuse und zog sich mit Ihrer Hilfe hinein, während die Greifhände des mittleren Gliederpaars sich erst am Schleusenrand abstützten und danach den Körper tiefer in die Schleuse schoben. „Die Schleusenkammer faßt außer mir nur zwei Menschen", meldete der Roboter von innen. „Mario?" fragte Cliff. „Klar!" antwortete der Kybernetiker. „Halt!" rief Major Hackler und begann zu rennen. „Ich, als Vertreter der Admiralität, muß bei dem Kontaktversuch dabei sein!" „Sie warten, Major!" befahl Cliff, ohne den Kopf zu drehen. „Und zwar werden Sie sehr behutsam warten, damit sich keine Fremdintelligenz darüber aufregt!" Er zog sich in die Schleusenkammer und kroch auf Händen und Knien bis dicht hinter Yu. Als Mario sich ebenfalls in der röhrenförmigen Kammer befand, schloß Gee das äußere Schott von außen. Danach öffnete Yu das Innenschott. Cliff und Mario schalteten ihre Helm lampen aus, da sowohl die Schleusen kammer als auch der Gang dahinter von hellgrünem Licht ausreichend beleuchtet wurden. Nachdem sie in den Gang gekrochen waren, stieß Cliff das innere Schott mit dem Fuß zu. Aufmerksam musterten die Raumfahrer die Wände der Gang- oder besser Kriech röhre. Sie waren glatt und bestanden aus einem metallisch schimmernden, blauen Material. Schotte oder andere Öffnungen waren nicht zu erkennen. Nach vier Metern öffnete Yu ein weite res Schott. „Ich blicke in einen Steuerraum", berichtete er, denn Cliff und Mario hinter ihm konnten nicht sehen, was vor ihm lag. „Er ist geräumig und enthält acht bottich
artige Sitzgelegenheiten, von denen aber nur eine belegt ist. Das Lebewesen darin steckt in einem sack- oder beutelähnlichen Raumschutzanzug von schwarzer Färbung, aus dem sechs gliederförmige Ausstülpun gen ragen, die durch Löcher in den Sitzbottich gesteckt sind. Köpfe oder Beine sind nicht zu erkennen." „Köpfe!" entrüstete sich Mario. „Als ob eine Fremdintelligenz ein Dutzend Köpfe haben müßte!" „Geh zur Seite, Yu!" befahl Cliff McLa ne. Der Roboter gehorchte, so daß Cliff und Mario endlich in den Steuerraum kriechen konnten. Die Decke dort befand sich etwa zwei Meter über dem Boden. Erleichtert standen die Raumfahrer auf. Sie gingen zu dem Lebewesen und musterten es mit gemischten Gefühlen, die allerdings nichts mit dem fremdartigen Aussehen des Wesens zu tun hatten. Die „Sitzgelegenheit", ähnelte einem meterhohen, schwarzen Eisenkessel mit sechs Löchern an den Seiten und einer transparenten Platte vorn. Hinten befand sich eine Klappe, die offensichtlich zum Ein- und Aussteigen diente. Der Fremde steckte tatsächlich in einer Art schwarzem Beutel, der die untere Hälfte des Sitzkessels ausfüllte und sich oben birnenartig verjüngte. „Das läßt auf einen amorphen Körper schließen", meinte Mario. „Und es erklärt, warum Schleusen und Gang nicht größer sind. Wer seine äußere Form verändern kann, braucht das nicht." Cliff McLane hatte unterdessen den Sitzkessel umrundet und spähte durch die transparente Platte. Der Anblick, der sich ihm bot, überraschte ihn nicht mehr. Hinter einer von Rissen durchzogenen Sichtscheibe im oberen Drittel des sackartigen Raumanzugs bewegte sich träge eine grüne, von Schlieren durchzo gene amorphe Masse, aus der sich immer wieder Pseudopodien vorstülpten, die sich
aber gleich wieder zurückzogen. „Interessant!" meinte Mario, der neben Cliff getreten war. Cliff deutete auf einige Flecken des „Raumsacks", an denen die Oberfläche nicht glatt, sondern krümelig und grau verfärbt war. „Ich fürchte, das Wesen ist von sehr harter radioaktiver Strahlung getroffen worden und stirbt bald, wenn wir ihm nicht helfen können. Arlene?" „Ich habe alles mitangehört, Cliff", antwortete Arlene Mayogah. „Unsere Erste-Hilfe-Ausrüstung ist minimal. Es sind zwar fünf Ampullen eines Absorber mittels dabei, aber ich weiß nicht, ob der fremde Metabolismus es verkraftet." „Auf keinen Fall dürfen Sie mit Fremd intelligenzen experimentieren, Oberst!" ließ sich Major Hackler vernehmen. „Komm und bringe die Ausrüstung mit, Arlene!" bat Cliff, ohne sich um Hacklers Einwand zu kümmern. „Schaden kann dem Fremden bestimmt nichts mehr." * Es dauerte nur wenige Minuten, bis Arlene zusammen mit Helga und Atan Shubashi eintraf. Aber da war der Fremde bereits tot. Nach einem krampfartigen Zucken seiner Körpermasse war jegliche Bewegung erstorben, und von den Schlieren ausgehend, dunkelte die gallertähnliche Substanz, bis sie eine braune Färbung angenommen hatte. Als wenig später Hasso Sigbjörnson, Brian Hackler und Gee eintrafen, hatte Cliff und Mario den Fremden bereits aus seinem Kesselsitz gehoben. Cliff wischte jeden Protest Hacklers beiseite, indem er erklärte: „Der Fremde ist tot, also werden, wir ihn auf dem Titan begraben. Gee, erledige du das! Wir können ihn nicht im Schiff lassen, weil durch die Risse in seiner Sichtscheibe eine wasserhelle Flüssigkeit
sickert, die - nach Analyse mit unseren Detektoren - sich in der Atmosphäre dieses Bootes chemisch verändert und zu Nitroglyzerin wird - und sich gelblich verfärbt." „Warum lassen wir ihm nicht sein Schiff als Grab?" fragte Hackler streitlustig. „Ja, warum wohl!" meinte Mario. Brian Hackler wurde blaß. „Sie wollen mit einem völlig fremden Raumschiff einen Start wagen - in einen Weltraum, in dem sich zwei Raumflotten bekämpfen?" „In einen Weltraum, der für uns das Sonnensystem ist", erklärte Helga Legrel le. Cliff blickte Gee nach, der den Toten vorsichtig hinter sich her zum Ausgang zog, dann trat er an die Kontrollen, die sich halbkreisförmig in einem Meter Abstand um den Sitzkessel gruppierten, in dem der Sterbende gesessen hatte. Hasso und Mario traten neben den Commander. Helga, Arlene und Atan untersuchten zwei weitere Kontrollpulte. „So fremdartig sind die Kontroll- und Schaltsysteme gar nicht", meinte Hasso Sigbjörnson nach einiger Zeit. „Das wundert mich nicht", erwiderte Cliff. „Schließlich besitzen die Fremden armähnliche Gliedmaßen mit beweglichen Auswüchsen, brauchen also wie wir Tasten oder Drehknöpfe oder beides, um ihre Maschinen zu bedienen. Wir müssen nur herausbekommen, welche Kontrollen und Schaltungen zu welchen Systemen gehören. Danach können wir mit der Erprobung anfangen." „Aber wozu?" fragte Brian Hackler. „Wir befinden uns bestenfalls in einem Paralleluniversum beziehungsweise auf einer Daseinsebene, die parallel zu der unseren verläuft. Aber es ist eben nicht unsere. Folglich gehen uns die Kämpfe in diesem Sonnensystem nichts an. Wir sollten so schnell wie möglich in den Turm zurückkehren und dann auf unsere
Ebene. Die Frist, die Admiralin de Ruyter uns nannte, ist abgelaufen. Die Admiralin wird sich wegen uns in Gefahr begeben." „Das letzte Argument ehrt Sie, denn es verrät menschliche Charakterzüge", erwiderte Cliff. „Aber Sie vergessen, daß es eine Verbindung zwischen dieser und unserer eigenen Ebene gibt - die, durch die wir herüberkamen. Deshalb ist es wichtig für die Erde, daß wir feststellen, was hier gespielt wird und ob es auch unserer Ebene gefährlich werden kann. Ich stelle es Ihnen anheim, ob Sie bei uns bleiben oder zurückkehren oder der Admiralin berichten wollen. Aber Sie müssen sich sofort entscheiden." Brian Hackler blickte von einem zum anderen, dann senkte er die Augen und sagte: „Ich bleibe, weil ich einsehe, daß wir eine wichtige Mission zu erfüllen haben."
8. Trotz allem Optimismus dauerte es fast fünf Stunden, bis die Raumfahrer sich so weit mit den Kontrollen und Systemen des fremden Schiffes vertraut gemacht hatten, daß sie es nicht nur starten, sondern auch relativ sicher durch den Raum navigieren konnten. Dennoch gab es zwei Schwierigkeiten. Einmal ließen sich die Ortungsanzeigen nicht so einstellen, daß Menschen darauf erkannten, was sich in einer Distanz über drei Millionen Kilometern abspielte - und zum anderen gab es zwar eine Funkanlage, aber keine Bedienungsinstrumente dafür. Das mit der Funkanlage war nicht so schlimm. Cliff befahl den Robotern - Gee hatte inzwischen den Fremden draußen begraben -, die drei vor dem Fahrzeug stehenden tragbaren Funkgeräte an Bord zu holen. Und was die Ortungsanzeigen anging, so hoffte Atan Shubashi, daß - er im Verlaufe
des Fluges herausfinden könnte, wie er auf ihnen auch Objekte sichtbar machen konnte, die weiter als drei Millionen Kilometer entfernt waren. Sehr behutsam startete Cliff McLane das Schiff. Er wollte nicht durch eine starke Energieentfaltung diejenigen unter den beiden feindlichen Parteien aufmerksam machen, die gegen die Artgenossen des Toten kämpften. Noch immer blühten die Blumen der Vernichtung im saturnnahen Weltraum auf. Mit geringer Geschwindigkeit schlich das Schiff tief unter den Kämpfenden davon. Da die ORION-Crew es für selbstverständlich hielt, daß ein Rettungs boot einen größeren Aktionsradius besaß als den Durchmesser eines Planetensy stems, wollten sie das Beuteschiff in Marsnähe steuern und erstens den Funk verkehr abhören - wenn es dort einen gab und zweitens feststellen, ob dort irdische Kolonien existierten. Sehr langsam schrumpfte der Saturn hinter dem Boot optisch zusammen. Bald war auf den Bildschirmen nichts mehr von Schiffsexplosionen zu sehen. Niemand schien sich um das kleine Boot zu küm mern. Sie hatten gerade die Jupiterbahn über quert - allerdings ohne in Jupiternähe zu gelangen -, als Atan Shubashi einen Freudenschrei ausstieß. Gleich darauf leuchteten drei zusätzliche Anzeigeschirme auf, und Atan sagte: „Es war nur ein winziger Trick dabei, Freunde. Die Ortungsanzeigen sind normalerweise durch einen Steckkontakt mit dem Bordcomputer verbunden. Als ich den Stecker herauszog, wurden die Ergebnisse der Fernortung für uns sichtbar gemacht. Anscheinend ist es bei den Erbauern dieser Boote üblich, daß die Fernortung nur vom Bordcomputer ausgewertet wird." „Mars, Erde, Venus, Merkur - alles ist deutlich zu erkennen", sagte Helga, dann
stockte sie. „Aber da ist ja noch ein Planet zwischen Sonne und Merkur." Atan musterte die Anzeigen. Plötzlich verriet seine Miene Betroffenheit. „Irrtum, Helga, Merkur ist auch hier der sonnennächste Planet", erklärte er erregt. „Aber hier gibt es zwischen Mars und Jupiter einen zusätzlichen Planeten - und dafür keinen Asteroidengürtel." „Vritru!" entfuhr es Mario. „Der Planet zwischen Mars und Jupiter, der zur Zeit des Kosmischen Krieges von einem Hilfsvolk des Varunja besiedelt war und der am Ende des Kosmischen Krieges zerstört wurde, als die beiden Urmächte die Schwingen der Nacht einsetzten." „In diesem Sonnensystem aber existiert er", warf Major Hackler ein. „Ich fürchte, es muß heißen: In dieser Zeit existiert Vritru noch", sagte Cliff ruhig. „Im Zusammenhang mit den fehlenden Lücken des Saturnrings bedeutet das alles mit großer Wahrscheinlichkeit, daß wir nicht in eine andere Raumebene, sondern auf eine andere Zeitebene - aber des gleichen Raumes - verschlagen wur den." „Unmöglich!" protestierte Brian Hackler. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, daß es keine Zeitreise geben kann." Irritiert lauschte er dem Gelächter der ORION-Crew, dann fragte er: „Warum finden Sie das erheiternd?" Mario schlug sich noch einmal auf die Schenkel, bevor er zu lachen aufhörte. „Wir finden das nicht erheiternd, son dern haben über uns selbst gelacht, weil wir nämlich vor noch gar nicht langer Zeit das gleiche dachten wie Sie, Major. Deshalb hat keiner von uns gesagt, was wir sicher alle ahnten, nämlich, daß die Festung auf Titan in erster Linie eine riesige Zeitmaschine ist. Und so ergibt unsere Schöpfung auch einen Sinn. Wir haben diese Zeitmaschine - wenn auch unbewußt - geschaffen, weil wir ahnten, daß wir die von den Erben der Urmächte
ausgehende Bedrohung nur dort abbiegen können, wo sie ihren Ursprung hat - und zwar in der Vergangenheit." Er wurde plötzlich sehr ernst und fuhr fort: „Aber bewußt hätten wir die Zeitfestung auf dem Titan niemals geschaffen, denn Zeitreisen - und vor allem Manipulationen der Zeit - sind um einige Nummern zu groß für uns." Brian Hackler schien die letzten Worte Marios gar nicht bewußt gehört zu haben. Mit kalter, beinahe automatenhaft unper sönlicher Stimme sagte er: „Eine Zeitmaschine gibt uns das Mittel in die Hand, in das Kosmische Inferno zugunsten des Varunja einzugreifen und damit zu verhüten, daß die Erde und die Menschheit jemals von Erben des Bösen bedrängt werden. Wir müssen als Kund schafter der Zeit zur Erde und die Ver hältnisse dort erforschen!" „Einen feuchten Kehricht werden wir, Major!" gab Cliff zurück. „Ich habe bereits das Wendemanöver eingeleitet. Die Zeitfestung auf dem Titan muß entweder beseitigt oder wirksam gesperrt werden, denn die Menschheit unserer Tage ist nicht reif für Spielereien mit der Zeit. Oder sollten Sie noch nichts von Zeitparadoxa gehört haben?" „Zeitparadoxa!" sagte Mario de Monti erschrocken. „Es wäre nicht auszudenken, wenn das Rudraja sich 'unserer' Zeitfe stung bemächtigt. Für mich steht es fest, daß sich hier im Sonnensystem eine der entscheidenden Auseinandersetzungen zwischen dem Rudraja und dem Varunja abspielte — und in dieser Zeit noch abspielt. Das ruft die Gefahr herauf, daß das Rudraja über die Zeitfestung einen Weg in unsere eigene Zeit entdeckt und sich mit seiner Hilfe dem Untergang oder der Paralysierung entzieht, wenn die Schwingen der Nacht wirksam werden. Das gäbe ein Zeitparadoxon, das die Existenz der gesamten Menschheit in
Frage stellen würde." „Grauenhaft!" sagte Arlene. „Aber wir haben die einmalige Chance, herauszufinden, was in dieser Zeit im Sonnensystem gespielt wird!" rief Hackler beschwörend. „Wir könnten feststellen, welche Installationen die beiden Urmächte vornehmen oder vornehmen wollen - und können sie dann in unserer Zeit aufspüren und zerstören." „Wahrscheinlich", gab Cliff zu. „Aber das Risiko ist vorläufig zu groß." „Seit wann scheut die ORION-Crew ein Risiko?" spottete der Major. „Schon seit jeher, wenn es uns un verantwortlich groß erschien - und für alle Zeiten, wenn es die gesamte Menschheit ist, die das Risiko tragen muß", antwortete Hasso Sigbjörnson. * Aus zusammengekniffenen Augen blickte Cliff McLane auf den Bildschirm, der die Riesenkugel des Saturn mit seinen streifigen Wolkenmeeren und dem durchgehenden Ring zeigte. Noch immer kam es zu einzelnen Explo sionen im saturnnahen Weltraum, aber die bewaffnete Auseinandersetzung hatte sich in der Nähe des „oberen" Poles des Saturn konzentriert. „Die Mentorkugel!" stieß Helga Legrelle hervor. „Könnte es sein, daß das Rudraja von der Mentorkugel erfuhr und in dieser Zeit versucht, sie zu vernichten?" „Möglich ist alles", sagte Mario de Monti. Er blickte fragend zu Cliff, als sich in das monotone Summen der verborgenen Antriebsaggregate ein intervallartig anund abschwellendes Rauschen mischte. „Was ist los, Cliff?" Der Commander schaltete und sagte: „Offenbar haben die Triebwerke doch etwas abbekommen. Jedenfalls reagiert das Schiff nicht mehr exakt auf meine Schaltungen. Es wird höchste Zeit, daß wir
auf Titan landen." Schlingernd tauchte das Rettungsboot „unter" dem gewaltigen Ring des Saturn hinweg und steuerte die gegenüberliegen de Seite an, auf der sich Titan zur Zeit befand. Durch die Ringmaterie hindurch war das Aufleuchten explodierender Raumschiffe zu sehen. Die Zahl der Explosionen nahm wieder zu und schien einem Maximum zuzustreben. Als etwas, einen grellen Feuerschweif hinter sich her ziehend, auf das Boot zuraste, hielten die Raumfahrer unwillkür lich den Atem an. Aber das Objekt raste ungefähr zwanzig Kilometer an dem Boot vorbei. Die Raumfahrer erhaschten einen Blick auf das brennende Wrack eines riesigen Raumschiffs, das mindestens zehn Kilometer lang war und in seiner bauchi gen Form etwa fünf bis sechs Kilometer durchmaß. Im hinteren Teil tobte ein ver zehrender Atombrand. Das brennende Schiff war bereits zirka zwanzigtausend Kilometer entfernt, als es sich in eine rasch expandierende Glutwol ke verwandelte, die danach ebenso rasch wieder verblaßte. „Gegen das Schiff ist unsere ORION nur ein winziges Beiboot", bemerkte Arlene. „Dennoch wurde es zerstört", sagte Atan Shubashi. „Das vermittelt einen Eindruck von der Wirkung der Waffen, die im Kosmischen Krieg eingesetzt wurden werden." Das Boot stieß mitten durch einen viele hundert Kilometer durchmessenden hauchfeinen Ring aus glühender Mikroma terie. Das war alles, was von dem Riesen schiff übriggeblieben war. Voraus, etwas nach Backbord versetzt, kam der merkur große Saturnmond Titan in Sicht. Abermals mischte sich in das Summen des Antriebs eine Serie von Rauschgeräu schen. Diesmal schlingerte das Boot stärker, und Cliff konnte die Fehlleistun gen nur mit ständigen Gegenschaltungen einigermaßen kompensieren. Unterdessen
war der Titan auf dem Hauptbildschirm zu einer riesigen Kugel angeschwollen. Cliff bremste mit Maximalwerten ab, aber er schaffte es nicht ganz. Deshalb zog er das Boot „über" den oberen Rand des Titan und steuerte es in eine starke elliptische Kreisbahn. Bei der nächsten Umkreisung tauchte das Boot in die dünne Methanatmosphäre ein, die durch die Reibungshitze ionisiert wurde und hinter dem Boot einen fluoreszierenden Schlauch bildete. „Bremsen!" rief Atan. „Rund drei hundert Kilometer voraus muß die Festung sein, Cliff!" „Können!" gab Cliff trocken zurück. „Die Bremstriebwerke arbeiten nicht mehr. Wir müssen noch eine Umkreisung in Kauf nehmen und dort heruntergehen, wo wir dann gerade sind." Wenig später tauchte auf den Subbeob achtungsschirmen die Ansammlung der fünf Türme auf, die aus dieser Höhe wie Nadelspitzen aussahen, die kerzengerade in den Himmel des Titan stachen. Als das Boot dicht über die Türme fegte, rief Atan: „Ortung! Dort unten bewegen sich metallische Objekte. Sie sind relativ klein. Ich versuche, eines in die Te leskopschaltung zu... Oh, verdammt!" „Was hast du.gesehen?" fragte Mario de Monti. „Ein eiförmiges, anthrazitfarbenes Gebilde, das dicht über der Oberfläche des Titan schwebte", antwortete Atan mit bebender Stimme. „Einen Mharut!" schrie Helga. „Und die Ortung hat insgesamt sechzehn gleichartige Objekte erfaßt", setzte der Astrogator, schon wieder gefaßt, hinzu. „Sechzehn Mharuts!" sagte Brian Hackler. „Ihre Kampfkraft übertrifft die unsere bei weitem. Dennoch müssen wir versuchen, sie zu vernichten, denn wenn sie durch die Zeitfestung gehen, richten sie auf unserer Zeitebene großen Schaden an."
„Richtig", erwiderte Cliff. „Außerdem darf kein einziger Mharut entkommen und der nächsten Kommandostelle des Rudraja verraten, was da auf dem Titan steht. Da wir, wie Sie treffend bemerkten, Major, hinsichtlich unserer Kampfkraft den sechzehn Mordrobotern unterlegen sind, werden wir mit einem Feuergefecht das Ziel nicht erreichen. Es gibt nur eine Möglichkeit, aber die setzt voraus, daß ich unser Boot wenigstens für ein paar Minuten unter Kontrolle bekomme: Wir steigen und stürzen aus großer Höhe auf die Mordroboter. Wenn das Boot in einer atomaren Explosion vergeht, dürften auch die Mharuts dabei vernichtet werden - und die Türme vielleicht mit." „Sie sollten versuchen, diese Mög lichkeit zu realisieren, Oberst McLane", erklärte Hackler unbewegten Gesichts. „Wir werden es müssen", meinte Arlene. „Aber sind Sie sich klar darüber, daß wir dabei ebenfalls zum Teufel gehen - und Sie mit?" Hackler runzelte die Stirn. „Dachten Sie, ich hätte das nicht begrif fen, Madam! Selbstverständlich müssen wir uns opfern, denn der Tod von sieben Menschen ist im Vergleich zu dem Unheil, das die Mharuts auf unserer Zeitebene anrichten können, gering. Wer in die Raumflotte eintritt, tut dies schließlich im Bewußtsein, daß er in einer für die Menschheit bedrohlichen Situation sein Leben hingibt." „Mut hat er, das muß man ihm lassen", meinte Helga Legrelle. „Mut?" fragte Brian Hackler. „Ich weiß nur, daß getan werden muß, was die Lage erfordert. Da mein Tod kaum schmerzhaft sein wird und da ich sowieso einmal sterben muß - wie jeder Mensch -, sehe ich ihm gefaßt entgegen." „Ich kann Ihnen meine Hochachtung nicht versagen, Major", erklärte Cliff, während er verzweifelt versuchte, das Boot hochzuziehen. „Auch wenn Ihre
Motive nur das Ergebnis einer Rechenauf gabe sind und nicht, wie unsere, der Liebe zur Menschheit entspringen. Ich danke Ihnen - und ich danke euch allen, Freunde. Wir alle haben gewußt, daß der Tod irgendwann einmal kommen würde - und wir sterben vereint, wie wir gelebt haben. Wenn ich nur die verflixten Triebwerke hochjagen könnte!" Das Boot stieg etwa hundert Meter, dann fielen die Triebwerke wieder aus. Aber der im Winkel von rund dreißig Grad aufge richtete Körper bot der Methanatmosphäre größeren Widerstand als zuvor - und infolge der Bremswirkung der Atmosphäre sackte das Boot schneller als zuvor ab. „Wir schaffen es nicht", stellte Cliff McLane fest. „Haltet euch fest, denn wir werden ziemlich hart landen - und wir müssen anschließend noch in der Lage sein, gegen sechzehn Mharuts zu kämp fen!" Plötzlich ging voraus die Sonne auf. Der Titan war hinter dem Saturn hervorge kommen und ins volle - wenn auch in dieser Entfernung schwache - Sonnenlicht geraten. Dennoch war es für die Augen der Raumfahrer, die sich an das düstere Dämmerlicht des Titan gewöhnt hatten, ein beachtlicher Lichtausbruch. Und vor dem Hintergrund der Sonnen strahlung hoben sich die fünf schlanken Konstruktionen gleich einem funkelnden und kostbaren Diadem ab. Verdampfendes Ammoniak bildete eine hauchzarte Nebelwolke, die langsam an der Zeitfe stung emporstieg, ohne sie zu verhüllen. Sekundenlang schlug die Schönheit des Anblicks die ORION-Crew in ihren Bann, während Brian Hackler seine Strahlwaffe überprüfte. Dann sagte Cliff McLane mit Wehmut und Entschlossenheit: „Yu und Gee, ihr verlaßt das Boot zuerst und greift sofort die Mharuts an!" „Ja, Cliff", antwortete Yu. Die beiden Roboter setzten sich in
Bewegung und krochen in die zur Schleu se führende Röhre. Cliff schaute ihnen nach. Er war sich klar darüber, daß sie nicht die geringste Chance zum Kämpfen haben würden, wenn die Mharuts das Boot zerschossen, bevor sie hinausgekommen waren. „Lieber wäre ich in unserer ORION gestorben", flüsterte er. „Aber man kann ja nicht alles haben." Das Boot setzte mit mörderischem Krachen auf. Der Ruck war so stark, daß Cliff beinahe die Kanten des Schaltpults, an die er sich klammerte, losgelassen hätte. Aber die besonderen Bedingungen des Titan kamen den Raumfahrern noch einmal zu Hilfe. Als das Boot nach einem Sprung von zirka dreihundert Metern wieder aufsetzte, geschah das am Fuße des Eishügels, auf dem in einer anderen Zeit eine Antenne errichtet wurde. Der glatte Rumpf schlit terte über die vereiste Fläche, das Boot jagte den Hügel hinauf, flog noch einmal eine kurze Strecke durch die Luft und kreiselte nach der endgültigen Landung solange auf der Stelle, bis der letzte kinetische Impuls aufgezehrt war. Cliff hatte seinen Halt diesmal doch verloren. Aber er kam,, wenn auch etwas benommen, wieder auf die Beine, zog seine HM-4 und kroch in die Röhre. Dabei mußte er feststellen, daß Brian Hackler ihm zuvorgekommen war. Der Major ver schwand gerade in der offenen Schleusen kammer. „Er gönnt uns auch gar nichts!" sagte Cliff in einer Anwandlung von Galgenhu mor. Hinter sich hörte er, wie die Freunde sich aufrappelten. * Der Ammoniaknebel hatte sich unter den schwachen Strahlen der Sonne verflüchtigt. Das Eis reflektierte einen großen Teil des Lichtes und ließ die
glatten Oberflächen der Mharuts funkeln. Cliff schnellte sich aus der Schleuse, fing seinen Sturz mit einer Schulterrolle ab, warf sich auf den Boden und brachte die HM-4 ins Ziel. Er traf einen der Mordroboter des Rudraja, erzielte aber keine sichtbare Wirkung. Die beiden terrestrischen Kampfroboter dagegen hatten in der kurzen Zeit, seit sie kämpf ten, bereits eine erfolgreiche Taktik ausge arbeitet. Sie konzentrierten ihr Feuer bei ständigen Stellungswechseln jeweils auf einen Mharut - und soeben explodierte eines dieser teuflischen Werkzeuge des Bösen. Auch Cliff wechselte sofort seine Stel lung. Aber dort, wo er eben gelegen hatte, schlug kein Strahlschuß ein. Nur ein wenig Eis stiebte hoch. Lähmnadeln! dachte Cliff. Sie wollen uns lebendig fangen! Erst jetzt sah er, daß in der Spur, die das Rettungsboot gleich einem Scheitel über den Eishügel gezogen hatte, die zermalm ten Metallkörper dreier Mharuts lagen. „Nur noch zwölf!" sagte der Com mander zu sich gelbst und entging um Haaresbreite einer Lähmnadel aus kristal linem Material. Sie blieb schräg in der äußeren Schicht seines Raumanzugs stecken. „Elf!" sagte er, als der nächste Mord roboter im konzentrierten Beschuß von Yu und Gee verging. „Freunde, nehmt euch immer zu zweien einen Mharut vor!" Er arbeitete mit Arlene zusammen. Dennoch gelang es ihnen nicht, einen Mharut zu zerstören, da der Mordroboter ebenfalls gelernt hatte und blitzschnell auswich. Er flog in rasendem Flug auf ein paar übereinandergeschobene Eisplatten zu und wollte offenbar dort Deckung su chen. Plötzlich erhob sich Brian Hackler hinter den Eisplatten. Aus wenigen Metern Entfernung feuerte er mit seiner Strahlwaf fe auf eine der Stellen in der anthrazitfar
benen Hülle, aus der ein Tentakelarm ragte. Der Mordroboter zog steil nach oben und das war Hacklers Glück, denn in zirka fünfzig Metern Höhe und rund zwanzig Meter hinter dem Major, der unbeirrt weiterschoß, explodierte der Mharut. Dennoch wurde der Major von der Druckwelle erfaßt und über die Eisplatten geschleudert. „Schießt auf die Austrittsöffnungen der Tentakelarme!" rief Cliff seinen Freunden zu. Doch niemand von der ORION-Crew kam dazu, nach diesem Rezept zu handeln. Die Mharuts hatten die Gefährlichkeit der beiden fremden Kampfroboter erkannt und ihre Angriffe auf die Menschen eingestellt, um ihr Feuer ausschließlich auf Yu und Gee zu konzentrieren. Innerhalb weniger Sekunden zerplatzten Yu und Gee unter schwerem Detonatorbe schuß - und die letzten zehn Mordroboter wandten sich den Menschen zu. Als die Mharuts im Zickzackkurs heran rasten, wußte Cliff McLane, daß sie verloren waren - und was ihm noch schlimmer dünkte, sie hatten es nicht geschafft, die Zeitfestung erfolgreich gegen die Mharuts zu verteidigen. „Atan, Helga!" rief er. „Benutzt die Rückstoßaggregate und flieht in den Turm! Warnt die Admiralin vor den ..." Der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken, als die Mharuts von einem Augenblick zum anderen schlagartig verschwanden. Zuerst dachte er, sie hätten sich aufgelöst, denn er wußte, daß sie in der Lage waren, sich in subatomaren Ladungen, aus denen sich ihre Materie (wie letzten Endes alle Materie) zusam mensetzte, so zu zerstreuen, daß sie praktisch unsichtbar wurden. Nur ein winziger Ballungskern blieb „kompakt", und er konnte sich eine kurze Zeitspanne halten und die energetischen Ladungen wieder zur ursprünglichen Gestalt zusam
menfügen. Aber dann sah Cliff die beiden ter restrischen Kampfroboter auf dem Eis stehen - und er wußte, daß das Verschwin den der Mharuts sich nicht so einfach erklären ließ. Unwillkürlich blickte er an die Stelle seines Raumanzugs, an der die Kristallna del steckengeblieben war. Sie war ver schwunden, und an der Stelle des Raum anzugs war auch kein Kratzer zu sehen. „Was ist passiert?" rief Atan. „Helga und ich bleiben hier, denn die Mharuts sind verschwunden." „Sind sie geflohen?" erklang Brian Hacklers Stimme im Helmfunk. „Major, Sie?" fragte Arlene verblüfft. „Sie müßten doch noch bewußtlos sein nach Ihrem schweren Sturz." „Ich bin nur gestolpert und habe mir den rechten Knöchel verstaucht", erwiderte Hackler und kam hinkend näher. Cliff blickte zu der Stelle, an der die Eisplatten gelegen hatten. Er hatte beobachtet, wie sie in der heißen Druck welle des explodierten Mharuts geschmol zen waren. Doch jetzt lagen sie wieder dort, als wäre nichts geschehen. Als wäre nichts geschehen! „Seht ihr etwas von den explodierten sechs Mharuts, Trümmer oder Brandflek ken oder so?" fragte er ahnungsvoll. „Nichts, absolut nichts", sagte Hasso Sigbjörnson. „Übrigens ist das Energie magazin meiner HM-4 voll. Ich habe keinen Schuß abgefeuert, obwohl ich mich daran erinnere, daß ich wie wahnsinnig auf die Mordroboter geschossen habe. Haben wir etwa geträumt?" „Im Weltraum wird auch nicht mehr gekämpft", stellte Mario fest. „Jedenfalls gibt es keine Explosion mehr. Ich zweifle allmählich an meinem Verstand. Cliff blickte dahin, wo er in der Schleif spur des Rettungsboots die drei zermalm ten Metallkörper gesehen hatte. Sie waren verschwunden.
Dafür tauchte dicht darüber etwas ande res auf. Ein schmales Ellipsoid schälte sich allmählich aus dem Nichts und wurde zu einem halbtransparenten Fluggerät, in dessen Innerem schemenhafte Bewegung zu erkennen war. Langsam schwebte das Ellipsoid auf die Raumfahrer zu ... „Nein!" schrie Mario. Cliff fuhr herum. Er sah, daß Yu und Gee die Waffenkränze so drehten, daß die Abstrahlmündungen ihrer schwersten Waffen auf das Ellipsoid zeigten. Bevor der Commander etwas sagen konnte, blitzte es bei den Robotern auf. Abermals fuhr Cliff herum. Er sah gerade noch, wie das Ellipsoid zerplatzte. Die Trümmer flammten auf, als sie den Boden berührten, und verbrannten sprühend. „Ihr habt unsere Retter getötet, Yu und Gee!" sagte Mario de Monti erschüttert. „Du bist zu dem gleichen Schluß ge kommen wie ich", sagte Cliff resignierend. „Intelligenzen, die die Zeit manipulieren können, machten in der nahen Vergangen heit das Auftauchen der sechzehn Mharuts auf dem Titan rückgängig - und damit wurden auch alle Folgen unseres Kampfes mit den Mharuts rückgängig gemacht. Unser Kampf hat stattgefunden und doch nicht stattgefunden." „Wir stuften die Annäherung des El lipsoids als einen Angriff ein", erklärte Yu. „Ich verstehe", meinte Atan. „Roboter vermögen sich Zeitmanipulationen nicht vorzustellen. Für sie ist immer Gegenwart, und die Vergangenheit besteht nur aus gespeicherten Informationen." „Die, die uns retteten, müssen zum Varunja gehören", sagte Arlene. „Sie haben wahrscheinlich bei ihrem Eingriff in die Vergangenheit auch die Raumschlacht im saturnnahen Bereich storniert." „Vritru", sagte Helga Legrelle nach denklich. „Auf Vritru existierte - und existiert jetzt - ein Hilfsvolk des Varunja,
wie wir wissen. Vielleicht besteht dieses Hilfsvolk aus Zeitingenieuren, die die Aufgabe haben, die Positionen des Rudraja durch Zeitmanipulationen zu schwächen." „Zeitingenieure!" wiederholte Brian Hackler staunend. „Wir müssen Kontakt mit ihnen aufnehmen, denn von ihnen können wir viel lernen." „Nein!" entschied Cliff McLane. „Seien wir froh, daß die Werkzeuge des Rudraja sich nicht in den Besitz der Zeitfestung setzen konnten. Wir werden auf keinen Fall riskieren, daß andere Helfer des Bösen durch unsere Aktivitäten auf die Titanfestung aufmerksam werden. Viel leicht müssen wir später auf diese Zeitebe ne zurückkehren, aber auch nur dann, wenn wir ausreichend vorbereitet sind. Ich denke, wir sollten uns unverzüglich wieder in unsere Zeit begeben." Da die Orion-Crew der gleichen Mei nung war, betraten die Raumfahrer eine halbe Stunde später den Turm. Brian Hackler wiederholte seinen Vorschlag nicht. Er wäre in Ermangelung entspre chender Hilfsmittel auch nicht durchführ bar gewesen. Und eine weitere halbe Stunde später verließen die Menschen und die beiden Roboter den Turm auf ihrer eigenen Zeitebene - und standen verblüfft vor einer Admiralin, die keine Anstalten getroffen hatte, ihnen zu folgen, obwohl die Frist überschritten war. Doch stellte sich bald heraus, daß die Frist nur vom Standpunkt der Raumfahrer überschritten war. Für die Admiralin - und für ihre eigene Zeitebene - waren nur knapp zehn Minuten verstrichen, seit die Crew aufgebrochen war. Cliff bremste den Redefluß Hacklers, bevor der Major auf die Zeiterlebnisse und -phänomene zu sprechen kam. Er bat Admiralin de Ruyter, den Zugang zum Turm sperren zu lassen und ihnen zu erlauben, ihren Bericht erst in Anwesen heit von Han Tsu-Gol und Tunaka Katsuro
zu erstatten. Und Leandra de Ruyter, die durch den ungewöhnlichen Ernst der ORION-Crew beeindruckt war, stimmte zu. Zwei Stunden später starteten die ORION IX und die OPHIUCHUS und gingen auf Erd kurs. * Die Halle befand sich im Zentralsektor des Terrestrischen Computerzentrums, kurz TECOM genannt. Als die ORION-Crew in Begleitung von Leandra de Ruyter und Major Hackler eintrat, erhoben sich hinter der Rundung eines hufeisenförmigen Tisches Regie rungschef Han Tsu-Gol und GSD-Direktor Tunaka Katsuro. Cliff blickte sich um und pfiff an erkennend. „Die Höhle des verschiedenen Diktators hat sich in einen beinahe wohnlichen Konferenzraum verwandelt", stellte er fest. „Die blühenden Hydrokulturen an den Wänden geben ihm einen angenehm exoti schen Anstrich." Mario de Monti beugte sich über eine Dolde voller großer, blauer Blumen und roch daran. „Es riecht wie in Vortha", sagte er. „So ist es, Mario", sagte Han. „Die Blumen sind ein Geschenk unserer vorthanischen Freunde und ein Gruß Ihrer Freundin Erethreja, die Sie übrigens sehnsüchtig erwartet hat." Auf das Stichwort hin öffnete sich im Hintergrund der Halle ein schmales Schott. Eine unverkennbar weibliche und ebenso unverkennbar nichtmenschliche Gestalt betrat mit kleinen, federnden Schritten die Halle. Ein weites, fliederfarbenes Gewand, das in Hüfthöhe von einem goldfarbenen Gürtel zusammengehalten wurde, verhüllte den größten Teil des Körpers. Dennoch waren die hellblaue, samtartige Haut und das flaumartige, wie Glaswolle wirkende
Fell auf Kopf und Nacken zu sehen. Der Schädel war schmaler als ein menschli cher, ansonsten aber trotz der eng anlie genden Ohrmuscheln absolut humanoid geformt. Die Schlitzpupillen der katzen haft wirkenden Augen weiteten sich bei Marios Anblick. „Erethreja!" rief Mario de Monti und eilte auf die Geliebte zu. Erethreja flog ihm entgegen, ließ sich von starken Armen einfangen und schmiegte den Kopf an Marios Brust. Han Tsu-Gol und Tunaka Katsuro warteten verständnisvoll, bis die Lieben den ihre Begrüßung beendet hatten. Unterdessen servierten flinke und un scheinbare Dienstroboter eisgekühlte Getränke. Cliff McLane stieß mit dem Fuß an die kleine Stahlkuppel, die sich innerhalb der Tischkrümmung aus dem Boden erhob. „Wer steckt in dem restaurierten Erz buckel - 1500 Meter unter der Gebirgs landschaft von Mount Isa?" erkundigte er sich. „Der Ego-Sektor von TECOM - oder ein wiedererwachter Orcuna?" Der Regierungschef räusperte sich verlegen. „Der Ego-Sektor TECOMs natürlich, Cliff", antwortete er. „Sie wissen selbst am besten, daß Orcuna - äh - starb, als der damalige Ego-Sektor ausbrannte." Cliff nickte ernst. „Ich erinnere mich nur zu genau an den Kampf gegen den Mordroboter - hier unten, in Orcunas Residenz. Wir vernich teten damals den Tiger, der dem Elefanten im Nacken saß. Der Elefant starb eben falls, aber er war nur ein immaterieller Extrakt elektronischer Ströme - und ich frage mich, ob ein immaterieller Extrakt wirklich sterben kann." „Kommen Sie, Cliff!" sagte Han be schwörend. „Malen Sie nicht den Teufel an die Wand. Eine sinnreiche Zusatzpro grammierung sorgt dafür, daß der EgoSektor von TECOM sich nie wieder als
Mensch versteht und uns zu gängeln versucht. Bitte, nehmen Sie doch Platz, und probieren Sie die köstlichen Geträn ke!" Cliff lächelte, zog Arlene kurz an sich und erwiderte: „Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, Vater der mit Löffeln gefressenen äh - gegessenen Weisheit. Übrigens, die weiße Schärpe über der Schmetterlings bluse steht Ihnen ausgezeichnet, Tsu-Gol." Die Crew - auch Mario und Erethreja sowie Hackler und die Admiralin nahmen Platz. „Ausgezeichnet!" sagte Cliff, als sie sich zugeprostet und aus den langstieligen Gläsern getrunken hatten. „Zwar kein Archers' Tears, aber ein guter, kräftig gewürzter Wein exotischer Herkunft." „Wein aus den sonnendurchglühten Gefilden unserer Venus-Kolonie", erklärte Han Tsu-Gol stolz. „Venus-Kolonie?" fragte Hasso Sigb jörnson. „Ich dachte immer, auf diesem Höllenplaneten könnten keine Menschen leben." „Auf Venus leben auch keine Men schen", sagte Katsuro. „Dafür aber in der Agrostadt Sunside City, die den zweiten Planeten umkreist." „Unser Wissen um die friedliche Arbeit der Menschheit ist erbärmlich gering", stellte Mario fest. „Und das wird leider noch einige Zeit so bleiben, fürchte ich", sagte Cliff McLane. „Darf ich berichten?" „Bitte, Cliff!" forderte Han liebens würdig auf. Cliff lehnte sich zurück und berichtete über den Gang durch den Turm, der eine Zeitmaschine war, und über ihre Erlebnis se auf der „anderen Seite", in der fernen Vergangenheit. Er ging streng chronolo gisch vor und ließ kein Detail aus, und als er geendet hatte, herrschte gedrücktes Schweigen. Nach fast fünf Minuten sagte Han Tsu-
Gol schwer: „Eine Zeitfestung! Das ist unge heuerlich! Cliff, Sie hatten allen Grund, diese Erkenntnisse vor Unbefugten geheimzuhalten - und so wird es auch bleiben. Die Menschheit darf nicht erfahren, daß auf dem Titan das Tor zum Kosmischen Inferno steht. Sie würde in panische Hysterie verfallen - oder in hysterische Panik." „Sie würden lernen, damit zu leben", entgegnete Hasso. „Aber es würde immer wieder Menschen geben, die mit allen Mitteln versuchten, durch das Tor in die Vergangenheit zu gehen und ihre Neugier zu befriedigen. Sie würden die Kräfte des Rudraja auf die Zeitfestung aufmerksam machen und es ihnen ermöglichen, sich in unsere Zeit, über das Sonnensystem und damit in eine Zukunft zu ergießen, die für sie eigentlich nicht mehr existiert." Han Tsu-Gol nickte. Sein Gesicht wirkte verfallen. „TECOM hat alles mitangehört. TECOM, wie lautet die Kurzfassung deiner vorläufigen Auswertung?" „TECOM spricht!" ertönte es aus mehre ren verborgenen Lautsprechern. „Es wird als Tatsache gewertet, daß zumindest ein Turm der Titanfestung als Zeitreisemittel funktioniert und daß in ihm eine feste Verbindung zu einer fernen Vergangenheit besteht, in der sich der Kampf zwischen Rudraja und Varunja auf einem Höhe punkt befand. Außerdem muß aus dem Bericht ge schlossen werden, daß auf dem Planeten Vritru, der heute in Form des Asteroiden gürtels existiert, ein Hilfsvolk des Varunja lebte, das die Zeitreise beherrschte und die Zeit manipulierte. Das in mir verankerte Wissen der ge samten Menschheit enthält nur wenige brauchbare Informationen über Zeitfor schungen, da die Zeitreise von der menschlichen Wissenschaft als unreali stisch angesehen wurde. Aber es scheint
zumindest sehr wahrscheinlich zu sein, daß Zeitmanipulationen größeren Umfangs nicht ohne Paradoxa abgehen. Sollten die Zeitingenieure von Vritru solche Paradoxa verursacht haben, muß damit gerechnet werden, daß dadurch eine temporäre Labilität des Raum-Zeit-Gefüges bewirkt wurde, durch die geringfügige Anlässe zu katastrophalen Wirkungen führen können." „Aber doch in unserer Zeit nicht mehr", warf Arlene Mayogah ein. „Ein Zeitparadoxon wirkt bis in die fernste Zukunft", erklärte TECOM sachlich. „Dann balanciert die Menschheit vielleicht am Rande eines Abgrunds, und zwar für immer", sagte Atan Shubashi. „Es sei denn, wir machen gewisse Vergangenheits-Korrekturen der Zeitingenieure rückgängig", erklärte Brian Hackler. „Lassen Sie bloß Ihre Finger von der Zeit, Major!" warnte Leandra de Ruyter.
Das ist schlimmer als Antimaterie!" „Ich frage mich nur, welche Verbindung zwischen der Zeitfestung auf dem Titan und den letzten Ereignissen im Bermuda Dreieck besteht", sagte Mario de Monti. „Verbirgt sich im Bermuda-Dreieck vielleicht etwas, das das Produkt eines Zeitparadoxons ist und aus der Ver gangenheit in unsere Zeit hineingreife will?" Han Tsu-Gol holte tief Luft. „Wie dem auch sei", erklärte er. „Wir werden über die Zeitfestung schweigen und nichts unternehmen bis wir mehr über das Wesen der Zeit herausgefunden haben. Der Elefant fürchtet nicht den Tiger im Bambusdschungel, wohl aber die Dämo nen der Finsternis." „Aber Durst ist nicht nur schlimmer als Heimweh, sondern auch schlimmer als Existenzangst", erwiderte Cliff und hob sein Glas. „Trinken wir, solange wir noch können - auf alles, was wir lieben!"
ENDE Während eines Taucheinsatzes in dem Gebiet des Bermuda-Dreiecks, in dem bisher die meisten ungeklärten und verlustreichen Zwischenfälle stattfanden, stellte sich heraus, daß zwischen diesem Gebiet und den von der ORION-Crew auf dem Saturnmond Titan geschaffenen Bauwerken rätselhafte Zusammenhän ge bestehen. Als sich in einem der fünf Türme eine Öffnung bildete, entschloß sich die ORIONCrew, dort einzudringen. Sie geriet dabei in eine Zeitspirale und fand sich in ferner Vergangenheit wieder. Und sie entdeckte, daß zur Zeit des Kosmischen Infernos verhängnisvolle Experimente mit der Zeit stattgefunden hatten, die unter anderem die Gefahren im Bermuda-Dreieck heraufbeschworen. Aber weder die Raumfahrer der ORION noch die Verantwortlichen der Erde wagen es, das heiße Eisen „Zeitreise" anzufassen. Fast sind sie froh darüber, daß ihre Aufmerksamkeit durch einen Alarmruf aus dem All abgelenkt wird. Über den Notruf aus Richtung Eta Cassiopeia und seine Folgen berichtet Hans Kneifel in seinem ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel DER KILLERSATELLIT