DIE UNRUHE DES ANFANGS
PHAENOMENOLOGICA REIHE GEGRONDET VON H.L. VAN BREDA UND PUBLIZIERT UNTER SCHIRMHERRSCHAFT DER HUSSERL-ARCHIVE
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TANJA STAHLER
DIE UNRUHE DES ANFANGS Hegel und Husser! tiber den Weg in die Phanomenologie
Redaktionskomitee: Direktor: R. Bernet (Husserl-Archief, Leuven) Sekretar: J. Taminiaux (Centre d' etudes phenomenologiques, Louvain-la-Neuve) Mitglieder : S. IJsseling (HusscrlArchief, Leuven) , H. Leonardy (Centre d'etudes phenomenologiques, Louvain-laNeuve), U. Melle (Husserl-Archief, Leuven), B. Stevens (Centre d'etudes phenomenologiques, Louvain-Ia-Neuve) Wissenschaftlicher Beirat: R. Bernasconi (Memphis State University) , D. Carr (Emory University, Atlanta), E.S . Casey (State University of New York at Stony Brook), R. Cobb-Stevens (Boston College), J.F. Courtine (Archives-Hus serl, Paris), F. Dastur (Universite de Nice), K. DUsing (Husserl-Archiv, Koln), J. Hart (Indiana University, Bloomington), K Held (Bergische Universitat Wuppertal), KE. Kaehler (Husserl-Archiv, Koln), D. Lohmar (Husserl-Archiv, Koln), W.R. McKenna (Miami University, Oxford, USA), J.N. Mohanty (Temple University, Philadelphia), E.W. Orth (Universitat Trier), P. Ricoeur (Paris), C. Sini (Universita degli Studi di Milano) , R. Sokolowski (Catholic University of America, Washington D.C.), B. Waldenfel s (Ruhr-Universitat, Bochum)
TANJA STAHLER
DIE UNRUHE DES ANFANGS Hegel und Husser! tiber den Weg in die Phanomenologie
KLUWER ACADEMIC PUBLISHERS DORDRECHT / BOSTON / LONDON
A C.I.P. Catalogue record for this book is available from the Library of Congress.
ISBN 1-4020-1547-X
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Inhalt
Dank Einleitung
Vll
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TElL I. DAS NATURLICHE BEWUSSTSEIN
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Kapitel i . Grundbestimmungen des natiirlichen BewuBtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Geradehineinstellung des natiirlichen BewuBtseins bei Husserl . . . . . b. Das natiirliche BewuBtsein und sein Gegenstand bei Hegel . . . . . . . . . . . . . Kapitel z, Fundamente der Wahrnehmung a. Die sinnliche GewiBheit bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Der Bereich der Passivitat bei Husserl Kapitel j , Die Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a. Die Horizonthaftigkeit der Wahrnehmung bei Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Wahrnehmung des Dinges mit Eigenschaften bei Hegel Kapitel 4. Die naturwissenschaftliche Einstellung a. Die Entdeckung von Naturgesetzen bei Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b. Die Einstellung der Naturwissenschaften als natiirliche Einstellung zweiter Stufe bei Husserl
21 21 23 27 27 32 41 41 52 61 62 70
TElL II . DER UBERGANG YOM NATURLICHEN ZUM PHILOSOPHISCHEN BEWUSSTSEIN . • . • • • • • . • • . . • • • . • . . . • . • • • . . • . . • . . . . . • • • • . . . • • . . • . . . • . • . . • . . . • •
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Kapitel 5. Der Sprungcharakter des Ubergangs a. Die phanomenologische Epoche bei Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Das »reine Zusehen « bei Hegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Kapitel 6. Der Wegcharakter des Ubergangs a. Der Weg des BewuBtseins bei Hegel b. Die geschichtliche Einfuhrung in die Phanomenologie bei Husserl Kapitel z Die Motivationsfrage a. Das Staunen angesichts des Fremden als Motivation bei Husserl b. Negativitat, Widerspriichlichkeit und Unruhe bei Hegel
89 90 99 III III 120 137 138 146
VI
INHALT
T El L III. DAS PHILOSOPHISCHE BEWUSSTSEIN
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Kapitel 8. Das Betrachtungsfeld der Philosophie a. Der sich selbst wissende Geist bei Hegel b. Die transzendentale Subjektivitat bei Husserl Kapitel 9. Die phanornenologische Methode und die Rolle des Ph anornenologen a. Die Idee des tr anszendentalen Phanornenologen bei Husserl. b. Die Phanom enologie der absoluten Idee bei Hegel Kapitel io. Die Gerichtetheit der Geschichte a. Vollendung der Geschichte bei Hegel b. Offene Teleologie bei Hu sserl
161 161 172 191 192 203 " 217 218 " 224
SchluB. Das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein . . . 235 Literaturverzeichnis
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Register
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Dank
Diese Arbeit ist an drei verschiedenen Orten entstanden: Wuppertal, Carbondale (Illinois) und Stony Brook (New York). An allen drei Orten waren viele Menschen auf unterschiedliche Weise an der Entstehung beteiligt. Meinem Doktorvater Klaus Held mochte ich besonderen Dank aussprechen fur die Unterstiitzung von der ersten Themenbesprechung bis zur griindlichen und hilfreichen Kritik an der ersten vollstandigen Fassung des Manuskripts. In dem von ihm aufgebauten Zentrum der Phanomenologie an der Bergischen Universitat Wuppertal fand ich fur mein Thema hervorragende Arbeitsbedingungen. Dank gilt auch Heinrich Huni, in dessen Vorlesung im Winter 1994/95 ich den ersten Zugang zu Hegels Phanomenologie des Geistes fand und der immer wieder die Bedeutung der Geschichtlichkeit fur die Philosophie offengelegt hat. AuBerdem mochte ich den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Phanornenologischen Kolloquiums sowie der langiahrigen Lesekreise zu Heidegger und Husserl danken. David Carr gab im Friihling 2000 ein Seminar in Wuppertal und erklarte sich bei dieser Gelegenheit bereit, diejenigen Abschnitte meiner Dissertation zu lesen, die urn die Thematik der Geschichte kreisen . So konnte ich nicht nur aus seinen Buchern, sondern auch aus personlichen Gesprachen von ihm lernen. Im Sommer 2000 versammelte Antonio Aguirre einige Husserl-Interessierte zu einem Seminartreffen in Marburg tiber Noesis und Noema. Er eroffnete mir tiefe Einsichten in die husserlschen Begriffevon noematischem Sinn und noematischem Kern, die insbesondere in das dritte Kapitel dieser Arbeit eingingen. Wie bedeutend Anthony J. Steinbock fur meine Uberlegungen gewesen ist, geht aus dem vorliegenden Text an unzahligen Stellen hervor. Neben seinem Buch Home andBeyondwaren unsere personlichen Gesprache in Carbondale und insbesondere der Lesekreis zu Husserls Krisis-Schrift iiberaus hilfreich. Seine Energie und sein philosophischer Einsatz waren im besten Sinne ansteckend. Von meinem . zweiten Doktorvater-, Edward S. Casey, habe ich in Seminaren und Gesprachen in Stony Brook vieles iiber die verschiedenen Dimensionen der Phanomenologie gelernt . Sein Vertrauen in mich und diese Arbeit bleibt unubertroffen . Die Gesprache mit Allegra de Laurentiis uber Hegels Philosophie waren immer erfrischend und erhellend, und in ihren Seminaren habe ich gelernt, was es heiBt, Hegel undogmatisch zu lesen und seine Begriffe durchgangig zu hinterfragen. Auch Donn Welton mochte ich danken; er lud einige Studierende zum Husserl-Lesekreis ein und machte auBerdem hilfreiche Lese- und Denkvorschlage
VIII
DANK
zu meiner Dissertation. Es waren viele Mitstudierende zu nennen, die zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Statt eine lange und dennoch notwendig unvollstandige Liste zu geben, danke ich beispielhaft Susan Bredlau, die mich bestandig daran erinnert hat, was es heiBt, phanomenologisch zu philosophieren. Ich danke Dieter Lohmar und den Mitarbeitern des Husserl-Archivs Koln dafur, daf sie mir Manuskripte zu den Themen der Teleologie und Geschichte zuganglich gemacht haben, und Rudolf Bernet, dem Direktor des Husserl-Archivs Leuven, fur die Erlaubnis, aus diesen Manuskripten zu zitieren . Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat diese Arbeit uber zweieinhalb Jahre hin finanziell gefordert, Besonders dankbar bin ich dafur, daB die Studienstiftung auch meine Auslandsaufenthalte immer vorbehaltlos unterstutzt hat. Den Mitgliedern meiner Prufungskommission, Klaus Held, Heinrich Huni, Edward S. Casey und Allegra de Laurentiis, danke ich dafur, daB sie sich auf die ungewohnliche Disputationsform der >transatlantischen Telekonferenz- gerne eingelassen haben und mir Fragen stellten , die fur die Oberarbeitung der Dissertation essentiell waren . Schliefslichkommt noch ein vierter Ort ins Spiel, namlich Richmond, Indiana: Meine Kollegen am Earlham College, Ferit Guven und Marya Bower, sowie der Dekan Len Clark haben durch Zustimmung zur Verringerung meiner Lehrtatigkeit im Fruhlingssemester 2002 wesentlich dazu beigetragen, daB ich Zeit und Energie zum Oberarbeiten der Dissertation fand . Indem ich diese Danksagungen noch einmal betrachte, werde ich mir erneut dessen bewufst, welch grofses Gluck ich hatte, an so verschiedenen Orten phi losophische Gesprache fuhren zu konnen, Meine Abwesenheit war nicht immer leicht fur meine Eltern Erhard und Ilse Stahler, denen ich ganz herzlich fur die Unterstutzung aus der Nahe und aus der Ferne danken mochte. Von grofser Bedeutung waren meine beiden >Korrekturleser « Ich danke meiner Freundin Christiane Thompson und meinem Onkel Helmut Sanfleber fur das geduldige und grundliche Lesen und fur die instruktiven Verbesserungsvorschlage. Ein besonderer Dank gilt Alexander Kozin, der an allen drei Orten auf die verschiedensten Weisen fur mich da war. Er wurde nie mude, mit mir tiber das Heimische und das Fremde zu sprechen, und ich verdanke es ihm, daB ich mich an so verschiedenen Orten heimisch genug gefuhlt habe, urn diese Arbeit zu schreiben.
Einleitung Weshall not cease from exploration And the end of our exploring Willbe to arrive wherewe started And to know the place for the firsttime. T.S. Eliot, » Little Gidding«, Four Quarters
Wir stehen am Ende unserer Forschungen, wenn wir dort ankommen, wo wir angefangen haben, und diesen Ort zum ersten Mal kennen-obiges Zitat trifft die Fragestellung der vorliegenden Arbeit so genau, daf es schwerlich unkommentiert stehen gelassen werden kann. Die Fragestellung lautet: Wie kommen wir in die Philosophie hinein? Wie fangt das Philosophieren an? Diese Fragen konnen nur im Riickgang auf dasjenige beantwortet werden, was vor und aufserhalb der Philosophie existiert: das natiirliche Bewufstsein. Philosophieren bedeutet, so scheint es, das natiirliche Bewufstsein zu verlassen. Doch dies ist nur die eine Seite der Bewegung . Wir verlassen unseren Ausgangsort blofs, urn ihn besser in Augenschein nehmen zu konnen. Ziel der Philosophie ist es nicht, das natiirliche Bewufstsein hinter sich zu lassen, sondern vielmehr, dieses zu erkennen. Das vor- und aufserphi losophische Bewufstsein kennt nicht nur die Philosophie nicht, sondern es befindet sich auch in Unkenntnis seiner selbst. Wenn die Philosophie dies zeigen kann, verliert sie den Anschein eines Fremden und Uberflussigen. Kann die Philosophie diesen Anspruch einlosen, dann mufste sich das natiirliche Bewufstsein gerne dar auf einlassen, sich auf den Weg in die Philosophie zu begeben. Doch das Problem besteht darin, daB sich das Ziel erst am Ende zeigt und sich auch nicht am Anfang benennen oder beschreiben laBt. Es ist die Paradoxie des Anfangs, daf wir den Anfang nur im Riickblick sehen. Aufserhalb der Philosophie konnen wir uns nicht iiber die Philosophie verstandigen, und vor der Philosophie konnen wir nur auf unphilosophische Weise anfangen-doch so gelangen wir nie in die Philosophie hinein. Das natiirliche Bewufstsein muf schon auf die Philosophie angelegt sein. Am Ende wird sich zeigen, daB natiirliches und philosophisches Bewufstsein nicht zwei verschiedene Bewufstseinte) sind: Wenn das natiirliche Bewufstsein hinter die eigene Oberflache zuruckgeht, erkennt es, daf es in seinem Wesen philosophisches Bewufstsein ist. Und das philosophische Bewulstsein kann sich mit dem natiirlichen Bewuistsein verstandigen und in ein Gesprach mit ihm eintreten, weil es selbst natiirliches Bewulstsein ist, das sich durchschaut hat . Philosophieren heiBt nicht, T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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EINLEITUNG
sich vom natiirlichen BewuBtsein wegzubewegen, sondern sich tiefer in dieses hineinzubegeben. Diese Thematik soll untersucht werden im Hinblick auf zwei Philosophen, die sich intensiv mit dem Problem einer Einleitung in die Philosophie und den Paradoxien des Anfangens auseina ndergesetzt haben: Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Edmund Hu sserl. Wie begriindet sich diese Zusammenfugung? Die Phanomenologie Edmund Hus serls ist eine der wesentli chen philosophischen Strom ungen des zwanz igsten Jahrhunderts; sie bestimmte das ph ilosophische Denken von Heidegger, Merleau-Ponty, Sartre und Levinas, urn nur einige zu nennen. Auffalligerweise tr agt eines der bedeutendsten Werke der Philosophiegeschichte ebenfalls den Titel -Phanomenologiec, namlich Hegels Phiinomenologie des Geistes. Es stellt sich, zunachst rein aufserlich, die Frage nach einem Zusammenhang. Die Bezeichnung >Phanornenologie - hat Hu sserl allerdings hochstwahrscheinlich von seinen Zeitgenossen iibernommen und nicht von Hegel. Als Quellen fur den Begriffkommen insbesondere in Frage: Hermann Lotze, Max GieBler, Carl Stumpf, Franz Brentano und Ern st Mach. ' Es gibt nur wenige Hinweise darauf, daB Hu sserl sich mit Hegels Phanomenologie des Geistes ausgiebiger b eschaftigt hab e.' Also eine bloBe Namensgleichheit? Nachdem sich die Ann ahme eines auBeren Zu sammenhanges als wahrscheinlich nicht zut reffend erwiesen hat, bleibt noch die Moglichkeit eines inneren, d. h. sachlichen Zusammenhanges. Die The se dieser Arbeit lautet, daB ein sachlicher Zu sammenhang zwischen der Phanomenologie Husserls und Hegels Phiinom enoLogie des Geistes in bezug auf die Problematik des Anfan gs der Philosophie und das Verhaltnis von naturlichem und ph ilosophischern BewuBtsein tatsachlich existiert.'
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Die Seku ndar litera tur ist sich in diesem Zusammenh ang nicht ganz einig; Konsen s herr scht aber da ruber, daf der Urspru ng des Begr iffs sich n icht eindeutig klaren laBt. Spiegelberg (1982), S. 154, Anm . 52, und Schuhma nn (1984 ), S. 62, Anm. 66, favorisieren GieBler un d Lotze sowie den Kreis urn Brentan o und Stum pf insgesam t. Bokhove (1991), S. 343 f., macht anhand eines Ma nuskripts von Husserl, das noch vor dem ersten Aufta uchen des Begriffs in einem veroffent lichten Werk dat iert ist, Erns t Mach als Ursprung star k. Die Tatsache, daB Hu sserl den Termin us im vero ffentlichten Werk zum ersten Mal in einer FuBnote und oh ne weitere Erlauterung verwendet ( LU 1,212, Anm , 1), deutet meines Erachtens jedenfalls darauf hin, daf der Begriff . Phanomenologie- unter Hu sserls Zeitgenoss en gelaufig war und er ihn daher ohne Erlauter ung un d zunac hst in der von seinen Zeitgenossen ub ernommenen Bedeutung verwenden konnte. Allerdings hat Hu sserl Hegels Phiinomenologie 1884 wahrend seiner Studienzei t erwor ben (vgl. Bern et, Kern, Marbach (1996), S. 217). Es gibt auch eine Bem erkun g Hu sserls zu jenem Werk: » Hegels Phiinomenologie desGeistes: Hegel versucht dar zustellen , wie der menschliche Geist vom Stan dpunk t der naiven Welt- und Lebensauffassun g durch di e in ihr entha ltene n Widers pruche auf den Standpun kt der Ph ilosophie getr ieben wird - (H ua VII, 312). Hu sserl hat jedo ch keine Lehrve ra nsta ltungen tiber Hegel abgehalten (vgl. Bern et et al., a. a. 0 ., S. 217 ff.), h ingegen mehr ere zu Descartes und Kant, deren EinfluB auf seine eigene Ph ilosop hie er auch an vielen Stellen seine r Werke offenlegt. lch moc hte mich in diesem Zusammenh ang Frank M. Kirkland anschlielsen , der seinen sorgfa ltig abwage nden Arti kel tiber Hegel in Embrees Encyclopedia of Phenomenology mit den Worte n
EINLEITUNG
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EssolI gezeigtwerden, daB bezuglich dieser Fragestellungen eine Nahe zwischen Hegel und Husserl besteht, aufgrund derer es fruchtbar ist, die beiden Philosophen zusammen zu lesen. »Fruchtbar « heiBt in diesem Zusammenhang zum einen, daB Aspekte der jeweiligen Philosophien zum Vorschein kommen oder deutlicher werden, die sonst verborgen oder unterbelichtet bleiben. In bezug auf Husserl heiBt dies, daf einige Themen, die vermeintlich bei ihm >fehlen <,4 zum Vorschein kommen, wenn seine Antworten mit denen Hegels in Verbindung gebracht werden . Umgekehrt bietet diese Leseweise Gelegenheit, phanomenologische Anhalte fur solche Betrachtungen in Hegels Philosophie zu finden , die oftmals als rein metaphysisch anmuten. Dabei kommt es nicht nur auf eine -phanomenologische Lesung- der ersten Kapitel der Phiinomenologie an (wie sie bereits vielfach durchgefuhrt wurde) , sondern gerade auch auf die Befragung solcher Phanomene wie Anerkennung, Gewissen, etc. »Fruchtbar« heiBt dann vor allem auch, daB die Nahe zwischen Hegel und Husserl ein besseres Licht auf die Fragen nach dem Anfang der Philosophie und nach dem Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein wirft. Eine solche Nahe darf aber nicht uber gewichtige Unterschiede hinwegtauschen, die insbesondere in methodischer Hinsicht, aber auch beispielsweise in der Sicht aufdie Rolle des Phanomenologen und in der jeweiligen Auffassung von Geschichte bestehen. In dieser Einleitung solI zunachst kurz der gegenwartige Stand der Forschung zum Thema vorliegender Arbeit umrissen werden. AnschlieBend wird begrundet, warum diese Arbeit sich im wesentlichen auf bloB ein Werk Hegels, namlich die Phiinomenologie des Geistes beschrankt; die Stellung der Phiinomenologie im Gesamtwerk Hegels wird skizziert. Drittens erfolgt eine kurze Darstellung der Entwicklung des husserlschen Denkens, innerhalb derer verschiedene Phasen unterschieden werden. SchlieBlich wird der Aufbau dieser Arbeit erlautert. 1.
Der Zusammenhang des husserlschen und des hegelschen Denkens deutet sich an, wenn man sich einigen bedeutenden Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts zuwendet, die sowohl von Hegel als auch von Husserl wesentliche Anregungen empfangen haben. Da ware zunachst Heidegger zu nennen, der als Schuler Husserls dessen Phanomenologie ausbaut, erganzt und umwandelt. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Phanornenologie interpretiert er dann in sorgfaltiger und aufschluBreicher Weise
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schlieBt: »Wh at is poignant yet paradoxical is that Husser\, whose understanding of Hegel led him to say so little about him, may be th e zoth century phenomenologist whose work in its own right offers the site in which Hegel's thought resonates the strongest« (in: Embree (1997), S. 298) . Zu nennen waren hier beispielsweise die Frage nach einem iiberpersonalen Bewufstsein, Probleme der Moral itat und Ethik sowie der Teleologic in der Geschichte.
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EINLEITUNG
Hegels Phiinomenologie des Geistes. Merleau-Ponty verdankt Husserls Phanomenologie die entscheidenden Anstofe zu seiner Philosophie der Leiblichkeit; gerade bei der Behandlung dieses zentralen Themas und des Themas der Intersubjektivitat in seinem fruhen Hauptwerk Phiinomenologie der Wahrnehmung werden aber auch Einflusse aus Hegels Analyse von Herrschaft und Knechtschaft im Rahmen des SelbstbewuBtseins- Kapitels und anderer Teile der Phiinomenologie des Geistes sichtbar. Die Analyse von Herrschaft und Knechtschaft dient Sartre als entscheidende Anregung fur seine bekannten Untersuchungen zum .Blick- des Anderen in seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts, in dem Sartre auBerdem Hegels Terminologie von Ansich und Fursich aufgreift; zugleich versteht er sich als Phanomenologe in der Nachfolge Husserls. Das Verhaltnis von Hegel und Husserl wird von diesen Philosophen jedoch kaum thematisiert," Die Sekundarliteratur beschaftigt sich im allgemeinen entweder mit Husserl oder mit Hegel. Es gibt einige Interpretationen von Hegels Phiinomenologie des Geistes, die als phanomenologisch und somit in der Nachfolge Husserls stehend auftreten. Die angewendete phanomenologische Methode wird allerdings nur unzureich end erlautert, erst recht findet keine Gegenuberstellung von Hegel und Husserl statt." Solche Interpretationen erleichtern zwar erstens das Verstandnis der Phiinomenologie des Geistes und weisen zweitens darauf hin, daB offenbar ein Zusammenhang zwischen Husserls Phanomenologie und jenem Werk Hegels besteht, durch den sich eine solche Interpretation nahelegt. Andererseits mussen diese Auslegungsversuche mit Vorsicht betrachtet werden im Hinblick darauf, ob sie Hegel wirklich gerecht werden. Gerade deshalb besteht die Notwendigkeit einer Studie zu Husserl und Hegel, in der Momente der Obereinstimmung und der Abweichung herausgestellt werden. Umgekehrt kommen in der Husserl-Literatur Verweiseauf Hegel vor, ja es werden sogar Hegel-Zitate zur Erlauterung von husserlschen Begriffen herangezogen, doch das Verhaltnis von Husserl und Hegel wird nicht genauer bestimmt und die jeweilige Begriffsverwendung nicht abgegrenzt.'
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Heidegger schreibt in eindeutiger Weise: »Die -Phanomenologie. hat nichts zu tun-weder im Thema noch in der Behandlungsart, vor allem nicht in der Grundfragestellung und Absichtmit einer Phanomenologie des BewuBtseins im heutigen Sinne, d.h. im Sinne Husserls« (GA 32, S. 40). Dabei muB allerdingsberiicksichtigtwerden, daBsich dieseAuBerungim Zusammenhang einer polemischen Distanzierung Heideggers von Husserl findet: »Ia, nach der neuesten Veroffentlichung Husserls,die eine temperamentvolleAbsage an seinebisherigen Mitarbeiter darstellt, werdenwir gut tun, kunftig nUT noch dasPhanomenologiezu nennen, wasHusserl selbstgeschaffen hat und bringen wird- (Ebd.).-Merleau-Ponty hingegen sieht eine deutliche Nahe zwischen Hegel und der modernen phanomenologischen Bewegung; vgl. dazu das Zitat am Beginn des achten Kapitels dieser Arbeit. Vgl.zum Beispiel: Fink (1977), Heidegger, »Hegels Begriffder Erfahrung« (in: Holzwege) und GA 32, sowie in gewissem MaBeMarx (1981) und (1986). Besondersauffallig findet sich dieseVorgehensweise bei Schuhmann (1971), S. 43, 62, 124,148,158, 162,178 etc.
EINLEITUNG
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Zusammenfassend laBt sich folgendes feststellen: Der Zusammenhang von Hegels und Husserls Philosophie klingt in der Literatur vielfach an, wird jedoch nicht thematisiert. Hier besteht viel Klarungsbedarf--zumal einige Autoren den Eindruck erwecken, es bestunde eine so groBe Ahnlichkeit, daB gewisse Begriffe Hegels genau denen Husserls entsprachen, wahrend andere Autoren jegliche sachliche Verbindung zu verleugnen schein en. Zum Thema »Husserl und Hegel « existiert bisher keine Monographie, sondern es gibt nur einige wenige Aufsatze." Diese Aufsatze zeigen meines Erachtens, daB das Verhaltnis von Hegel und Husserl ein wichtiges und fruchtbares Thema ist. Die Mehrzahl dieser Aufsatze beschaftigt sich mit Fragestellungen der Intersubjektivitat, mit Problemen von Staat und Gesellschaft usw. Daruber hinaus werden methodische Unterschiede besprochen. In dieser Arbeit solI es dagegen urn das Problem des Anfangs der Philosophie gehen. Oberlegungen zur Methode werden dabei auch und in den spateren Kapiteln zunehmend in den Blick kommen -dies jedoch nur insofern, als die Frage nach dem Weg in die Philosophie notwendig auch eine Frage der Methode ist. Ein )Methodenvergleich ( als solcher ist keinesfalls das Ziel. Entsprechendes gilt fur Themen der Intersubjektivitat und der Ethik: Sie kommen in den spateren Kapiteln notwendig zur Sprache; doch sie werden ebenfalls nicht urn ihrer selbst willen behandelt, sondern sofern sie im Rahmen der Frage nach dem Obergang in die Philosophie auftauchen. Die Frage nach dem Anfang bietet einen geeigneten Ansatzpunkt zur Behandlung zwei so bedeutender Philosophen, von den en jeder eine neue philosophische Richtung begrundet hat. Im ubrigen hielten beide das Problem des Einstiegs in die Philosophie fur besonders wichtig. Husserl hat im Vergleich zu den etwa 45.000 Seiten an NachlaBmanuskripten relativ wenige Werke veroffentlicht; bei letzteren handelt es sich, von zwei Ausnahmen abgesehen, urn Einfuhrungen in seine Philosophie. Aus dieser Tatsache laBt sich zweierlei schlieBen. Erstens, daB Husserl den (richtigen) Anfang fur besonders wichtig erachtete. Zweitens, daB er den Anfang fur besonders schwierig hielt und immer wieder neue Versuche unternahm, das Problem des Anfangs zu losen . Auch bei Hegels Phanomenologie des Geisteshandelt es sich urn eine Einfuhrung, wenngleich sich die Stellung dieses Werkes bezuglich der hegelschen Philosophie im ganzen nach seinem Erscheinen anderte.? Die Rolle von Hegels Phiinomenologie in bezug auf sein System solI im folgenden skizziert werden.
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Vgl. Literaturverzeichn is, insbe sondere: Ladriere (1960), Dove (1971 und 1974), Landgrebe (1980), Ricceur (1981), de Waelhens (1959), Rockmore (1996) , Steinbock (1998). Hier zeigt sich sofort ein wichti ger Unt erschied: Phanornenologie bezeichn et fur Husserl das ganze Untern ehmen seiner Philosoph ie, fur Hegel nur einen Teil desselben .
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EINLEITUNG
II.
Als die Phiinomenologie des Geistes 1807 veroffentlicht wurde, lautete ihr Obertitel: »System der Wissenschaft. Erster Teil«, Erst danach folgte der Titel »Phanomenologie des Geistes «. Ursprunglich jedoch war dies noch nicht einmal der Untertitel (oder eigentliche Titel) des Werkes, sondern dieser war: »Wissenschaft der Erfahrung des BewuBtseins«. Die verschiedenen Ober- und Nebentitel deuten auf Verschiebungen in Hegels Einschatzung des Werkes, mit denen die Literatur sich seitdem intensiv auseinandergesetzt hat. Hier ist nicht der Ort, genauer auf diese Diskussionen einzugehen.!" Zwei wichtige Problemkreise, die in diesen Titeln auftauchen, konnen gleichwohl nicht umgangen werden: Erstens, inwiefern stellt die Phanomenologie den ersten Teil von Hegels System dar, und inwiefern stellt sie etwas anderes dar? Zweitens, warum ist mal vorn Geist, mal vom BewuBtsein die Rede, und inwiefern kann eine »Phanomenologie « eine »Wissenschaft der Erfahrung« sein? Grob gesagt lautet die Antwort auf die erste Prage, daB Hegel die Phiinomenologie zunachst als ersten Teil seines Systems geplant hatte, auf den dann als zweiter TeilLogik, Philosophie der Natur und Philosophie des Geistes folgen sollten. Indem Hegel sein System genauer entwickelt, andert er diesen GrundriB abo1812 schreibt er in der Vorrede zur ersten Auflage der Wissenschaft derLogik, daB er von seinem ursprunglichen Plan insofern abweicht, als die Logik nun allein den zweiten Teil ausmacht, auf den die Philosophie der Natur und die des Geistes sparer folgen sollen. Die Phiinomenologie des Geistes wird hier aber immer noch als erster Teildes Systems angesehen; sie hat den »Begriff der Wissenschaft « zu ihrem Resultat und bildet insofern die »Voraussetzung« der Logik (WdL 1,67). In den folgenden funf Iahren finden grundlegende Wandlungen statt: Die Logik tritt an die erste Stelle des Systems, und die Phiinomenologie wird statt dessen zu einem Teil des dritten Systemabschnitts, der Philosophie des Geistes. So stellt es sich im System der Enzyklopiidie derphilosophischen Wissenschaften dar. Aber die »Phanornenologie « der Enzyklopadie ist nicht identisch mit der Phiinomenologie von 1807. Sie nimmt nicht nur einen anderen Ort im System ein, sondern der Gang des BewuBtseins endet in der Enzyklopiidie mit der Vernunft; die spateren Geist-Kapitel werden nicht mehr der »Phanomenologie« zugeordnet. Wie verhalten sich die beiden »Phanomenologien « zueinander? Hat Hegel die Rolle der Phiinomenologie von 1807 vollig revidiert? Hegels eigene Ansichten, die er kurz vor seinem Tod bezuglich einer moglichen Umarbeitung der Phiinomenologie notierte, machen deutlich, daB er die Phanomenologie von 1807 nicht fur uberflussig erachtete. Er sieht sie nach wie vor als » Voraus der Wissenschaft «, das den Zweck hat, »das BewuBtsein auf diesen Standpunkt zu
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Vgl. dazu z. B. Poggeler (1993), Fulda (1965).
EINLEITUNG
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bringen «, namlich auf den Standpunkt der Wissenschaft im Sinne der Logik." Hans Friedrich Fulda hat gezeigt, daB die Phiinomenologie insofern nicht uberflussig werden kann, als auch da s Enzyklopiidie-System der Einleitung bedarf." Hegel ist sehr an der Zuganglichkeit seiner Philo sophie gelegen, und er verurteilt Wissenschaften, die es schwierig machen, in sie hineinzukommen, indem sie bestimmte Voraussetzungen zugrundelegen, die man unbefragt und unbewiesen annehmen muf (vgl. WdL II, 526ff.) . Wenngleich die Phiinomenologie als »Voraus « der Wissenschaft immer noch eine grundlegende Rolle spielt , so ist sie doch nicht mehr erster Teil des Systems. Ihr kommt eine Doppelrolle zu, indem sie einerseits Teil des dritten Abschnitts des Enzyklopiidie-Systems, andererseits Einleitung des Systems und insofern selbstandiges, vorausgehendes Werk ist. Heidegger schreibt, daf sich diese Doppelstellung aus dem System ergebe'<-doch er erlautert nicht wirklich, inwiefern dies der Fall ist. Karl-Heinz Volkmann-Schluck geht dieser Behauptung Heideggers nach und kommt zu dem folgenreichen Schlufs, daB die Phiinomenologie »sich nicht in das System fugt und darum das System verhindert «, und zwar aufgrund ihres geschichtlichen Charakters, der sie davon abhalt, »in die absolute GewiBheit des Sich-Wissens, in das System einzugehen«." Dabei weist Volkmann-Schluck ausdrucklich darauf hin, daB er nicht von der These ausgehe, Wahrheit sei nun mal geschichtlich, und aus dieser blof vorausgesetzten These dann die Unmoglichkeit jeglichen Systems ableite. Vielmehr gilt das Umgekehrte: Die Probleme, auf die Hegel bei der Ausarbeitung seines Systems stofst, lassen den geschichtlichen Charakter der Wahrheit in Erscheinung treten. Und diese Probleme sind vor allem auch Probleme des Zugangs, der Einleitung- also Probleme der Stellung der Phanomenologie. Die Phiinomenologie laBt sich nicht wirklich in das System integrieren und kann doch auch nicht einfach aufsen vor bleiben: daher erhalt sie ihren Doppelcharakter. Hegel sagt selbst, daf die Phiinomenologie nicht umgearbeitet werden solI, da sie »auf die damalige Zeit der Abfassung « bezogen sei, und zwar insofern, als zur Zeit ihrer Abfassung »das abstrakte Absolute herrschte «." Das Absolute hatte zu jener Zeit die Erscheinungsform des Abstrakten, da die herrschenden neuzeitlichen Gegensatze, allen voran der Gegensatz von Subjektivitat und Objektivitat, einander unversohnt gegeniiberstanden. Dies andert sich laut Hegel in den folgenden Iahren; der Geist realisiert sich und kommt damit zu sich. Was all dies heifsen kann, mufs in der vorliegenden Arbeit genauer untersucht werden. Hier ist nur entscheidend, daB
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Diese Selbsteinschatzung Hegels findet sich abgedruckt auf Seite 578 der von ). Hoffmeister edierten Ausgabe der PhiinomenologiedesGeistes (Hamburg: Meiner, 1952). Vgl. Fulda (1965). Vgl. Heidegger, GA32, S. 12. Volkmann-Schluck (1998), S. 140 f. Hoffmeister-Ausgabe der PhG, S. 578.
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EINLEITUNG
Hegel den geschichtlichen Charakter der Phiinomenologie zugesteht und gleichzeitig bekraftigt, daf ihr das Recht zukommt, in dieser Geschichtlichkeit stehen zu bleiben. Sie muf nicht umgearbeitet werden, sie kann nicht umgearbeitet werden, und sie wird doch nicht ungultig. Was aber ist dieses Werk, und-damit sind wir bei der zweiten Frage angelangtin welchem Verhaltnis stehen Phanomenologie des Geistes und Wissenschaft der Erfahrung des BewuBtseins? Heidegger sagt tiber die Phiinomenologie: »Das Werk ist das absolute Ganze der Erfahrung, die das Wissen mit sich machen mufs, in welcher Erfahrung es sich als Geist offenbar wird, als das absolute Wissen, das im Grunde die Erfahrung macht «.16Die Phanomenologie des Geistes ist die Erfahrung, die der Geist mit sich selbst macht. Phanomenologie ist nicht eine Wissenschaft tiber etwas, sondern die Weise, wie der Geist auftritt bzw. erscheint. Was heifst in diesem Zusammenhang Wissenschaft? Hegel erklart in der Selbstanzeige der Phanomenologie im Intelligenzblatt der Jenaer Allgerneinen LiteraturZeitung, sein Buch stelle »das werdende Wissen dar « (PhG, 593). Wissenschaft ist fur Hegel nicht von den Naturwissenschaften her zu verstehen, sondern wortlich vom Wissen her. Es geht urn das Ganze des Wissens, urn das Wissen des Seienden als solchen und urn das Wissen von Prinzipien und Wesenheiten im Gegensatz zu einem Sammelsurium von WiBbarem. »Die Wissenschaft darf sich nur durch das eigene Leben des Begriffs organisieren« (PhG, 51), durch die »Selbstb ewegung des Begriffs« (PhG, 65). Der Begriffbewegt sich selbst, das Wissen wird, der Geist kommt zu sich-dies alles impliziert, daf wir am Anfang noch nicht dort sind, wo es am Ende hingehen wird. Die Wissenschaft tritt auf, und indem sie zuerst auftritt, kann sie fur Hegel noeh nieht mehr und anderes sein als Erseheinung. Der Geist tritt in Erscheinung, und die Erscheinung des Geistes ist das BewuBtsein. Indem das BewuBtsein die Wissenschaft seiner Erfahrung durchlauft, erkennt es sich als Geist. Phanornenologie ist fur Hegel das Erscheinen, Auftreten, Auf-den-Plan -Treten des Geistes als Bewufstsein, und sie ist etwas Anfangliches, Vorlaufiges. Fur Husserl ist Phanomenologie nichts Vorlaufiges, wenngleich sie auch fur ihn wesentlich mit dem Anfang verbunden ist; er mochte, anders als Hegel, ein bestandiger Anfanger sein. Husserl schreibt, jedenfalls in der fruhen und mittleren Phase seiner Philosophie, nicht eine Phanomenologie des Geistes, sondern eine Phanomenologie des Bewufstseins." Doch Hegel hat nicht ohne Grund seine Phanomenologie zunachst » Wissenschaft der Erfahrung des Bewufstseins « genannt. Es gibt also Bezuge, und doch meinen beide keineswegs dasselbe, wenn sie von -Phanomenologie- sprechen. Die wesentlichen Unterschiede ruhren nicht zuletzt auch daher, daf Hegels Phanomenologie schon auf sein System der Wissenschaft
16 Heidegger, GA 32, S. 37. 17 Vgl. Ricoeur (1981), S. 6: »Le rapport est ainsi un rapport croise entre une phenomenologie de la
conscience qui se sureleve en phenornenologie de I'esprit-Husserl-et une phenornenologie de
l' esprit qui demeure un e phenornenologie dans la conscience- Hegel.«
EINLEITUNG
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hin angelegt ist. Obwohl sich die vorliegende Arbeit also vorrangig auf Hegels Phanomenologie des Geistes beschrankt," ist es ebenso notwendig, hier und da andere Schriften, insbesondere auch Logik und Enzyklopiidie heranzuziehen. In diesen vorlaufigen Uberlegungen ist bereits angeklungen, daf das, was Hegels Plan eines Systems der Wissenschaft in Frage stellt, mindestens auch das Problem des Anfangs ist. Wenn wir genauer zusehen, scheinen Verbindungen zwischen der Geschichtlichkeit des Wissens und dessen Erscheinungshaftigkeit, dessen Phanomencharakter auf; indem das Wissen erscheint, zeigt es sich als geschichtliches und als das, was eine Entwicklung durchlaufen muB. Vor allem aber muf das Wissen iiberhaupt erst einmal in Erscheinung treten-Geschichte konnen wir nur haben, wenn es Anfange gibt. III. Auch Husserls Philosophie wird durch die Frage nach dem Anfang herausgefordert; im Verlauf der Arbeit wird deutlich werden, inwiefern es gerade die Frage des Anfangens ist, die Husserl dazu bringt, seine Phanomenologie immer wieder umzuformen. Im folgenden sollen einige Grundgedanken von Husserls Phanomenologie aufgegriffen werden; anschlieBend wird ein kurzer Uberblick der Entwicklung seiner Philosophie gegeben . Wortlich ist »Phanornenologie« die Lehre vom Erscheinenden in seinem Erscheinen." Husserl formuliert das »Prinzip aller Prinzipien «, auf das sich die Phanomenologie stutzt, in dem Leitsatz, »daf alles, was sich uns in der >Intuition < originar (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in den en es sich da gibt « (Hua III, 52). Selbstgegebenheit laBt sich als vorlaufige Bestimmung dessen ansehen, was Erschein en bedeuten soll. Wesentlich fur Husserls Phanornenologie ist der Vorsatz, nicht mit vorgefaBten Theorien den Blick auf die Sachen zu verstellen. Theorien wiirden die Selbstgegebenheit des Erscheinenden verdecken bzw. nicht zum Zuge kommen lassen. Gleichzeitig begrundet sich der besagte Vorsatz aus dem Ideal der Vorurteilsfreiheit, das die Wissenschaft von je her leitet; denn auch Husserls Phanomenologie versteht sich als Wissenschaft."
18 Diese Arbeit versteht sich freilich nicht als Kommentar zur Phiinomenologie des Geistes; ein solcher kann und soli hier nicht geleistet werden . Dennoch werden die meisten Kapitel der Phanomenologie an der einen oder anderen Stelle der Arbeit aufgegr iffen, wenngleich nicht unbedingt gemiiBder Foige ihres Auftretens in Hegels Werk. Ais grober Leitfaden gilt, daB diese Abschnitte in folgenden Kapiteln der vorliegenden Dissertation besprochen werden : Sinnliche GewiBheit - Kapitel z: Wahrnehmung- Kapitel j: Verstand - Kapitel a: SelbstbewuBtsein - Kapitel 6; Moral itat - Kapitel o: Religion - Kapitel8; absolutes Wissen - Kapitel io. 19 Das griechisch e Partizip phainomenon- "Phiinomen«-hat den Doppelsinn, daB es sowohl das » Erscheinende « als auch das »Erscheinen « bezeichnet. 20 Vgl. z:B. Hua III, 3.
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EINLEITUNG
In seiner fnihen Philosophie, die Husser! im Ruckblick als »statische« (oder auch »beschreibende «) Phanomenologie (Hua XI, 340) bezeichnet, geht es urn die Auffindung und Analyse allgemeiner Strukturen unserer Erfahrung (z. B. Perspektivitat der Wahrnehmung etc.). Das Phanornen der Zeit, das Husser! eine »vollig abgeschlossene Problemsphare und eine solche von ausnehmender Schwierigkeit « (Hua III, 197) nennt, wird vorerst ausgeklammert; betrachtet werden BewuBtseinsakte, deren Korrelate reale oder ideale (z. B. mathematische) Gegenstande sind. Wie diese BewuBtseinsakte moglich sind, wird nicht untersucht. Ungefahr ab 1917 entwickelt Husser! eine andere Art von phanomenologischer Analyse, die »genetische« (oder auch »erklarende«) Phanomenologie. Die genetische Phanomenologie untersucht, wie die von der statischen Phanomenologie analysierten Akte zustandekommen konnen und wie unser Erleben sich zu einem Zusammenhang fugt. Beispielsweise voIlzieht sich aIle Wahrnehmung horizonthaft-aber wie bilden sich Horizonte? Ich finde mich immer schon in Horizonten vor, die sich in irgendeiner Weise gebildet haben mussen. Husser! unterscheidet zwei Arten der Genesis, aktive und passive Genesis. Die aktive Genesis umfaBt aIle erzeugenden, konstituierenden Ichakte, »alle Leistungen der in einem weitesten Sinne praktischen Vernunft « (Hua I, m): die Hervorbringung von Kulturerzeugnissen beispielsweise, aber auch die Entwicklung von wissenschaftlichen Theorien. Solche aktiven Leistungen nennt Husser! »Urstiftungen «, Das BewuBtsein hat die Moglichkeit, auf den neu gestifteten Gegenstand - Gegenstand hier im weitesten Sinne verstanden - immer wieder zuruckzukommen; die Urstiftung wird »habitualisiert «, wird zur gewohnheitlichen Erfahrung. So entsteht ein neuer Horizont, in dem wir uns bewegen konnen, ohne diese Urstiftung aktiv voIlziehen zu mussen, Diesen aktiven Leistungen geht die passive Genesis immer schon voraus. Zu ihr gehort alles, was stattfindet, bevor und damit wir wahrnehmen konnen: beispielsweise die Zeitbildung sowie als zentrales Prinzip der passiven Genesis die Assoziation, die vor allem in der Einheitsbildung verschiedener Momente des BewuBtseins wirksam wird. Eine »genetische Phanornenologie «, die zwar tiber eine »statische Phanornenologie « hinausgeht, da sie das in jener ausgeklammerte Moment der Zeit einbezieht und sich der »Genese« unseres BewuBtseins zuwendet, hat dennoch ihre Grenzen an Geburt und Tod des Individuums; sie verbleibt innerhalb der Grenzen des individuellen inneren ZeitbewuBtseins. Die »generativen Probleme von Geburt und Tod und Generationszusammenhang« gehoren »offenbar einer hoheren Dimension an « (Hua I, 169); eine »generative Phanomenologie « beschrankt sich nicht auf das Individuum oder eine synchrone Monadengemeinschaft, son dern beschaftigt sich mit der geschichtlichen Konstitution von Sinn." Generative
21 Vgl. Steinbock (1995).
EINLEITUNG
II
Phanomenologie erfordert es, Intersubjektivitat neu zu denken: Das wesentliche Prinzip der v. Cartesianischen Meditation, namlich die »Einfuhlung« (die Husserl vor dem Hintergrund der aufgefundenen Prinzipien passiver Synthesenbildung untersucht), hat nur Geltung fur synchrone Monadengemeinschaften, nicht fur sich uber die Generationen hinweg erstreckende geschichtliche Gemeinschaften . Es wird daher notwendig, die Bedeutung sprachlicher Kommunikation zu bedenken, welche in Form von Mythen, Geschichten und Schriften die jeweilige geschichtliche Epoche iiberdauern und als »Erbe « weitergegeben werden kann. Solches Erbe konstituiert unsere Heimwelt; Husserls spate intersubjektive Phanomenologie ist wesentlich eine Phanomenologie von Heimwelten und Fremdwelten. Eine generative Phanomenologie wirft ein neues Licht auf das Verhaltnis von Hegel und Husserl. Zum einen sieht Husserl nun, nachdem er die statische Phanomenologie schon als abstrakt gegeniiber der genetischen Phanomenologie betrachtet hatte, die Analysen, die in eine generative Phanomenologie gehoren, als die konkretesten an 22-wie es sich auch in Hegels Phanomenologie des Geistes urn ein Fortschreiten vom Abstrakten zum Konkreten handelt. Zum anderen stehen die Phanomene, die dam it in Husserls Blickgeraten, in verbluffender Nahe zu den fortgeschritteneren Kapiteln der Phanomenologie des Geistes, in denen es urn Familie, Staat, Norrnativitat, Kunst, Religion etc. geht.
IV. Aus der erlauterten Fragestellung ergibt sich fur vorliegende Arbeit die Grobgliederung, zunachst das natiirliche Bewufstsein,dann den Ubergang zum philosophischen Bewufstsein und schliefslich dieses selbst zu betrachten. 1m Schlufsteil wird das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein zum Thema. Hegel und Husserl stimmen uberein, daB es entscheidendes Wesensmerkmal des natiirlichen Bewufstseinsist, ein Ansichsein des Gegenstandes unabhangig vorn BewuBtsein anzusetzen. Dieses Wesensmerkmal Ialst sich auf drei verschiedenen Ebenen des natiirlichen BewuBtseins aufweisen: in der GewiBheit der Sinne, im Bereich der Wahrnehmung und auf dem Standpunkt des naturwissenschaftlichen BewuBtseins. Beziiglich des Ubergangs in die Philosophie betont Husserl, daf dieser Ubergang kein kontinuierlicher ist, sondern gleichsam einen Sprung erfordert. Hegel hebt hervor, daB ein Weg in die Philosophie begangen werden mufs. Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzung findet sich bei beiden Philosophen ein diskontinuierlicher ebenso wie ein entwicklungsmafsiger Aspekt. Hegel beschreibt
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Vgl. Steinbock (1995), S. 47f. u. 265 ff.; vgl. Hua xv, S. 138, FuBnot e 2.
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EINLEITUNG
in der Einleitung zur Phanomenologie des Geistes ein Element des Beiseitelassens aller Vormeinungen, das der husserlschen phanomenologischen Epoche nahekommt und das Hegel selbst in Verbindung setzt zur antiken Skepsis. Husserl wiederum entwickelt verschiedene Wege in die Phanornenologie, darunter auch einen geschichtlichen bzw. ideengeschichtlichen. In der Philosophie -anzukommen . (was, wie bereits erwahnt, nie ein endgultiges Ankommen ist) bedeutet fur Hegel wie fur Husserl , die strikte Trennung zwischen natiirlichem BewuBtsein und Wirklichkeit zu uberwinden und die Gegenstande in ihrem Erscheinen fur das BewuBtsein zu betrachten. Insofern entwickeln beide Philosophen einen »Idealismus«; aber dieser Idealismus wird auf sehr verschiedene Weise ausgeformt. Damit einhergehend ist die jeweilige Einschatzung der Aufgabe der Philosophen eine andere; Hegel wiirde sich nicht Husserls Formulierung der Philosophen als »Funktionaren der Menschheit « anschlieBen . Diese unterschiedliche Einschatzung grundet in divergierenden Auffassungen von der Geschichte, die fur Hegel vollendet werden kann, fur Husserl hingegen ein offener, unendlicher Prozess ist. Der Begriff der Geschichte ist von besonderer Bedeutung fur diese Arbeit , da auch das Verhaltnis von naturlichem und philosophischem BewuBtsein letztlich ein geschichtliches ist: Das Verhaltnis spielt sich zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise aus, und es gibt einen ersten Anfang der Philosophie ebenso wie immer wieder neue Anfange. Dariiber hinaus bilden der Sprung- ebenso wie der Wegcharakter des Ubergangs entscheidende Wesenszuge der Geschichte: Geschichtliche Epochen bilden sich im Zusammenspiel von kontinuierlichen Wegen und diskontinuierlichen Sprungen. DaB die verschiedenen Auffassungen von Geschichte in der vorliegenden Arbeit eine entscheidende Rolle spielen, zeigt sich auch, wenn man die Frage stellen wollte, wer die Frage nach dem Anfang .besser- beantwortet hat: Hegel oder Husserl? Beziiglich der Erorterung des natiirlichen BewuBtseins kommt die Behauptung mancher Hegelianer zu Gedachtnis, daB die von Husserl begrundete Phanomenologie auf der Stufe der Wahrnehmung stehengeblieben sei-offenkundig eine der fruhesten Stufen der hegelschen Phiinomenologie. So uberrascht es denn auch nicht, wenn Husserl zum Thema der Wahrnehmung und ihrer Fundamente mehr und Feinsinnigeres zu sagen hat als Hegel. In bezug auf den Ubergang zwischen naturlichem BewuBtsein und Philosophie besteht insofern eine gewisse Ausgewogenheit, als Husserl den Sprungcharakter starker betont, Hegel hingegen den Wegcharakter; gleichzeitig finden sich beide Momente in beiden Philosophien verwirklicht, und in der Tat sind beide Momente wesentliche und unersetzliche Bestandteile des Ubergangs, Das philosophische BewuBtsein bespricht Hegel im Detail in den spateren Kapiteln der Phiinomenologie; Husserl hingegen ist bisweilen vorgeworfen worden, er widme gesellschaftlichen, politischen und ethischen Fragen nicht genugend Aufmerksamkeit. Ein solcher Vorwurf laBt sich angesichts der spaten Texte und
EINLEITUNG
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Manuskripte Husserls nicht aufrechterhalten." Gleichwohl entwickelt Husserl im Gegensatz zu Hegel kein umfassendes System seiner Philosophie-aber es ware sein Wunsch gewesen, ein solches System zu entwickeln. Wie oben bereits angedeutet, steht es der Entwicklung eines philosophischen Systems entgegen, wenn ein Philosoph die Geschichtlichkeit in Betracht zieht. Indem beide die Absicht haben, ein umfassendes philosophisches System zu entwickeln, unterliegen Hegel und Husserl der gleichen Fehleinschatzung: der Uberzeugung, vollstandige Durchsichtigkeit lasse sich in der Philosophie erreichen. DaB Husserl es auf dem Weg zu einem System weniger weit gebracht hat als Hegel, liegt, so wird in dieser Arbeit behauptet, nicht an mangelndem Durchhalteverrnogen, sondern daran, daB er das Phanomen Geschichte ernster nimmt als Hegel-unerachtet dessen, daB Hegel das Phanomen der Geschichte fur die Philosophie entdeckt hat.
Fur die Zitierweise gilt: Bei Sekundarliteratur werden Autor(in) und [ahr angegeben; Primarliteratur wird gernafs den im Literaturverzeichnis aufgefuhrten Siglen ausgewiesen." Es wird jeweils in einem Kapitel zuerst Hegel, dann Husserl, im nachsten Kapitel zunachst Husserl, dann Hegel behandelt; dieser auf den ersten Blick verwirrende Wechsel der Reihenfolge hat den Vorteil, daB sich mit dem Themen- bzw. Kapitelubergang nicht auch unmittelbar der behandelte Philosoph andert. Der Philosoph wird sozusagen im Ubergang zum nachsten Kapitel beibehalten. Diese Vorgehensweise entspricht auch der These der Arbeit, daB Hegel und Husserl im sachlichen Zusammenhang und nicht im aufserlich-chronologischen Zusammenhang zueinancler stehen; ware der Zusammenhang ein solcher der Beeinflussung Husserls clurch Hegel, dann mufste naturgemaf Hegel in jedern Kapitel an erster Stelle stehen.
23 Anthony J. Steinbockgehtauf dieseFragenausfuhrlicherein, alsesim dritten Teil der vorliegenden Arbeit geschieht: Vgl.Steinbock (1995). 24
BeiWerkenvon Martin Heidegger, MauriceMerleau-Ponty,Emmanuel Levinas, Jean-PaulSartre, Jaques Derrida und WalterBenjaminwerden Autor und Titel angegeben.
TElL I
DAS NATURLICHE BEWUSSTSEIN
Einfuhrende Bemerkungen
Warum steht eine Untersuchung des naturlichen BewuBtseins am Beginn dieser Arbeit? Inwiefern muB ein Weg in die Philosophie notwendig vom naturlichen BewuBtsein ausgehen? An dieser Stelle soll zunachst eine naheliegende Antwort auf diese Frage gegeben werden, sozusagen die Antwort des naturlichen BewuBtseins; anschl ieBend werden kurz Hegels und Husserls Antworten referiert. Ein Weg in eine Wissenschaft - und als solche verstehen sowohl Hegel als auch Husserl die Philosophie-muB von dem Ort ausgehen, an dem wir uns vor aller Wissenschaft befinden. Wissenschaft darf namlich, wenn sie sich selbst ernst nehmen will, keine Voraussetzungen machen, sondern muB sozusagen >ganz unten -, vor aller Theorie beginnen. Der Ausgangspunkt kann daher nur unser gewohnlicher, vertrauter Aufenthalt sein, und diesen bezeichnet Hegel als das naturliche BewuBtsein, Husserl als die naturliche Einstellung.' Allerdings ist es doch so, daB wir uns alle an unterschiedlichen Ausgangspunkten befinden, der eine jene, die andere diese Auffassung vertritti? Es muB gezeigt werden, daB dem naturlichen BewuBtsein gewisse Grundbestimmungen zukommen, die sich in den verschiedenen Auffassungen und in den unterschiedlichen konkreten BewuBtseinsformen durchhalten. Ein wesentliches Problem besteht allerdings darin, daB das naturliche BewuBtsein sich uberhaupt erst als solches zeigt, wenn wir es verlassen haben und es aus der Perspektive der Philosophie betrachten. Das naturliche BewuBtsein ist zwar dadurch bestimmt, dasjenige BewuBtsein zu sein, in dem wir uns immer schon befinden und vorfinden - aber eben nicht in einem ausdriicklichen Sinne vorfinden, sondern nur in einem unthematischen, selbstverstandlichen Sinne . Das naturliche BewuBtsein ist uns so vertraut und gelaufig, daB es nicht zum Thema wird. Erst indem wir einen Abstand von ihm gewinnen und gewissermaBen einen neuen
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Da Einstellungen fur Husserl jedoch immer Einstellungen des BewuBtseins sind, konnte man die natiirliche Einstellung in genauer Sprechweise als natiirlich e Einstellung des BewuBtseins und insofern abgekur zt auch als natiir liches BewuBtsein bezeichnen, weshalb die Ausdriicke »naturliche Einstellung « und »naturliches BewuBtsein « in bezug auf Husserls Philosoph ie im folgenden in austauschbarer Weise benutzt werden. Vgl. Mart in Heidegger, GA 32, S. 65: »Der eine halt sich gerade in einer sittlichen Entscheidung, der and ere in einer religiosen Auseinander setzung, dieser versenkt sich in ein Kunstwerk, jener philo sophiert, jener zahlt Knopfe und dieser beobachtet im Teleskop die Sterne, jener lenkt einen Kraftwagen «.
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EINFUHRENDE BEMERKUNGEN
Standpunkt einnehmen, kann das natiirliche BewuBtsein iiberhaupt als solches zum Vorschein kommen. Aile Beschreibungen, die in diesem ersten Teil erfolgen, geschehen also nieht wirklieh aus der Perspektive des natiirliehen BewuBtseins, oder, genauer gesagt, schon aus dessen Perspektive, aber aus der Perspektive eines natiirlichen BewuBtseins, das sieh selbst durchschaut und damit seine Naivitat abgelegt hat. Es wird sieh zeigen, daf das natiirliche BewuBtsein dem philosophischen nur insofern diametral entgegengesetzt ist, als das natiirliche BewuBtsein noch ganz in sich versunken ist und nieht angefangen hat, sein Wesen zu befragen. Das natiirliehe BewuBtsein, das sich selbst in seinem Wesen erfaBt hat, ist dem philosophischen BewuBtsein nicht nur nieht entgegengesetzt, sondern, so behaupten letztlieh sowohl Hegel als auch Husserl, mit jenem identisch. In welchem Verhaltnis natiirliehes und philosophisches BewuBtsein sieh befinden, wird die Frage dieser gesamten Arbeit und insbesondere des letzten Kapitels sein. Hier stehen wir noch ganz am Anfang und somit vor dem Problem, wie ein Anfang der Philosophie moglich ist. Das Problem eines Anfangs der Philosophie besteht darin, daf die Philosophie keine Einfuhrung von aufsen, keine Propadeutik zulaBt. 1m Gegensatz zu anderen Wissenschaften ist es nicht rnoglich, sich tiber Gegenstand oder Methode der Philosophie vorab zu verstandigen, Hegel bringt dies in pragnanter Weise zum Ausdruck, indem er auf die Frage »Womit muf der Anfang der Wissenschaft gemacht werdeni « unter anderem folgende Antwort gibt : »Vor der Wissenschaft aber schon tiber das Erkennen ins reine kommen wollen, heiBt verlangen, daB es auBerhalb derselben erortert werden sollte; auBerhalb der Wissenschaft laBt sieh dies wenigstens nicht auf wissenschaftliche Weise, urn die es hier allein zu tun ist, bewerkstelligen « (WdL I , 67). Dies bedeutet, daB man mit der Philosophie nur philosophierend beginnen kann. Hegel gesteht dem natiirlichen BewuBtsein das Recht zu, von der Wissenschaft zu verlangen, daB sie ihm die Leiter zu ihrem Standpunkt reiche (vgl. PhG, 29) . Das natiirliche BewuBtsein ist namlich von seiner Wahrheit iiberzeugt und laBt diese daher nicht leichtfertig zuriick. Vielmehr muB sich das philosophische BewuBtsein dazu bequemen, sich auf den Standpunkt des natiirlichen BewuBtseins zu begeben; denn andernfalls ist keine Verstandigung zwischen beiden moglich, Das philosophische BewuBtsein kennt nicht nur sieh, sondern auch das natiirliche BewuBtsein, wahrend das natiirliehe BewuBtsein nur seinen eigenen Standpunkt anerkennt. Deshalb kann der Ausgangspunkt kein anderer sein als das natiirliche BewuBtsein . Husserl wiederum kommt zu der Aussage: »Selbstverstandlich ist der notwendige Ausgang fur jeden dieser Wege der von der natiirlich-naiven Einstellung « (Hua v, 148), namlich fur jeden der verschiedenen moglichen Wege der Einfuhrung in die Phanomenologie, die sowohl ihren Ausgangs- als auch ihren Endpunkt gemeinsam haben. Die Formulierung, daB die natiirliehe Einstellung »selbstverstandlich« am Anfang liegen mufs, mag zunachst merkwurdig erscheinen; denn die Selbst-
EINFUHRENDE BEMERKUNGEN
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verstandlichkeit der natiirlichen Einstellung bzw. ihre Gewohnheit, alles als selbstverstandlich hinzunehmen, soll in der Philosophie gerade durchbrochen werdenkann also Selbstverstandlichkeit ein Kriterium fur den Ausgangspunkt sein? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daB wir in der Tat genau vom Selbstverstandlichen bzw. vom unmittelbar Einleuchtenden ausgehen mussen, da das naturliche BewuBtsein keine anderen Kriterien anerkennt als seine eigenen, und sein Kriterium ist gerade die Selbstverstandlichkeit. DaB kein anderer Standpunkt sieh gegenuber dem naturlichen BewuBtsein als Ausgangspunkt rechtfertigen kann und insofern eine Philosophie, die nieht vom naturlichen BewuBtsein ausgeht, in sieh abgeschlossen ist und keinen Zugang erlaubt, ist in vorlaufiger Weise erklart worden und sollte zunehmend deutlicher werden, indem das naturliche BewuBtsein sich auf den Weg begibt.
KAPITEL 1
Grundbestimmungen des naturlichen BewuBtseins Entzweiung ist der Quell des Bedurfnisses der Philosophie. Hegel, Bd. 2,
20.
Es ist dem natiirlichen Bewufstsein eigentiimlich, von einer Entzweiung auszugehen: der Entzweiung von BewuBtsein und Gegenstand. Das natiirliche Bewufstsein ist ganz auf seinen Gegenstand gerichtet und vergilst dariiber sich selbst. Es schreibt aIle Bestimmtheit und Wahrheit dem Gegenstand zu; es nimmt an, daf der Gegenstand unabhangig von seinem Wissen existiert. Hegel und Husserl sind sich einig , daf diese Annahme wesentliches Kennzeichen des natiirlichen Bewufstseins ist. Doch das natiirliche Bewufstsein kann auch reflektieren; in diesem Reflektieren macht es sich selbst zum Gegenstand in der Welt und entzweit sich so von sich selbst.
a. Die Geradehineinstellung des natiirlichen Bewufltseins beiHusserl In der Einleitung zu den Ideen I , dem Werk, das man trotz aller Fremd- und Selbstkritik und trotz aller spateren Modifikationen wohl doch mit einigem Recht als Husserls wichtigste Einfiihrung in seine Philosophie bezeichnen darf, kundigt Husserl an, daB die Phanomenologie dem natiirlichen Denken fernliege. Dariiber hinaus ist es Aufgabe der Phanomenologie, ihre Einstellung und die natiirliche Einstellung zu bedenken-und dies ist, so Husserl, keine leichte Aufgabe (vgl. Hua III, 3). Wenn wir Phanornenologie treiben wollen, miissen wir uber die naturliche Einstellung hinauskommen. Dazu aber miissen wir zunachst die natiirliche Einstellung soweit bedenken, daB ihre wesentlichen Zuge offenbar werden und gezeigt werden kann, inwieweit sich die Einstellung der Phanomenologie von der natiirlichen Einstellung unterscheidet. Die Anfangsworte des Kernabschnitts der Ideen I, namlich der »phanomenologischen Fundamentalbetrachtung «. lauten denn auch: »Wir beginnen unsere Betrachtungen als Menschen des natiirlichen Lebens, vorstellend, urteilend, fuhlend, wollend -in natiirlicher Binstellung -. « (Hua III, 56). Die Analyse der natiirlichen Einstellung zeigt, daB jene zwei Grundcharakteristika aufweist: Zum einen ist sie T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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TElL I • KAPITEL 1
»geradehin « auf die Gegenstande gerichtet, zum anderen geht sie fest davon aus, daB diese Gegenstande nicht nur dann da sind, wenn wir uns ihnen zuwenden, sondern auch unabhangig von dieser Zuwendung existieren. Der erste Aspekt, die Rede von der Geradehineinstellung oder vom »schlichten Geradehin-leben « (Hua VI, 255), solI besagen, daB wir uns in der naturlichen Einstellung ganz auf den Gegenstand konzentrieren, ganz an ihn »hingegeben « (Hua VI, 209) sind . Doch nicht nur sehen wir vollig von uns ab und auf den Gegenstand hin, sondern die Gegenstande begegnen uns immer schon im Lichte bestimmter Zwecke und Interessen, als »praktische Objekte « irgendwelcher Art (Hua III, 77). Eskommt uns nur aufdas » Was« unserer Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung etc. an und nicht darauf, »wie «, auf welche Weise uns dieses »Was« erscheint. Ziel der Phanomenologie wird sein, von den praktischen Interessen abzusehen und die Haltung eines »uninteressierten Betrachters « (Hua VI, 183) einzunehmen, urn zu den »Sachen selbst « (Hua III, §19), zu den Gegenstanden als solchen vorzudringen und diese nicht blof als Mittel zu einem Zweck aufzufassen. DaB ich in der naturlichen Einstellung geradehin auf die Gegenstande gerichtet bin, schliefst jedoch nicht aus, daB ich auf mein Ich reflektiere . Husserl sagt ausdrucklich, daB jeder Reflexion vollziehen kann, »aber damit ist noch nicht phanomenologische Reflexion vollzogen « (Hua III, 119). Wenn ich in der naturlichen Einstellung auf mein Ich reflektiere, fasse ich mich als etwas in der Welt Vorkommendes auf, als einen Gegenstand unter anderen Gegenstanden-sauch wenn es sich bei diesem Gegenstand urn einen besonders eigenartigen handelt. Ich reflektiere nicht auf mich als reines Bewufstsein, dessen BewuBtseinsakte die Welt erst konstituieren, wie sich sparer zeigen wird. Das zweite Charakteristikum besteht in der festen Annahme der naturlichen Einstellung, daf die Gegenstande sich durchhalten und fortbestehen, auch wenn wir ihnen den Rucken zukehren oder einschlafen. Es gilt uns »als Selbstverstandlichkeit, daB Erlebnisse nicht nur sind, wenn wir ihnen zugewendet sind « (Hua III , 178). Die naturliche Einstellung spricht den Gegenstanden ein Sein unabhangig von unserem Bewufstsein zu; wesentliche Eigenschaft des naturlichen Bewufstseins ist das Erteilen von Seinssetzungen. Aber wir machen doch standig die Erfahrung, daB die Uberzeugung der natiirlichen Einstellung enttauscht wird, daf namlich ein Gegenstand sich als ein anderer zeigt, als wir zunachst angenommen hatten, oder daB sich sogar herausstellt, daB das, was wir fur seiend gehalten hatten, eine blofse Illusion war, ein Schatten oder eine Lichtreflexion, so daf wir unsere Seinssetzung zurucknehmen mtissen?! In der Tat konnen wir uns tiber das Sein einzelner Gegenstan de tauschen, doch die naturliche Einstellung laBt sich durch solche Vorfalle nur kurzzeitig aus der Ruhe bringen und ersetzt dann die falsche Seinssetzung sogleich durch eine neue; der entscheidende Punkt ist, daB der Zusammenhang der Gegenstan de immer in Geltung bleibt. Wir konnen uns tiber einzelnes tauschen, aber wir tauschen uns nicht tiber das Ganze. DaB die Welt bestehen bleibt, ist un sere Grunduberzeugung. »Die Welt ist fur mich da «, »Die Welt ist«- so lautet die Grundthese,
GRUNDBESTIMMUNGEN DES NATURLICHEN BEWUSSTSEINS
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die Generalthesis des natiirlichen BewuBtseins. Diese These ist freilich keine ausdriickliche These, die das natiirliche BewuBtsein aussprechen wurde, sondern sie bleibt immer unthematisch im Hintergrund; doch wenn vom Standpunkt des philosophischen BewuBtseins aus die Grundiiberzeugung des natiirlichen Bewufstseins ausgedriickt werden solI, dann ware das Ergebnis diese These. Der Wechsel von der natiirlichen in die philosophische bzw. phanomenologische Einstellung besteht fur Husserl genau darin, diese Generalthesis aufser Geltung zu setzen -aber dies wird Thema des zweiten Teils dieser Arbeit sein. In der Krisis setzt Husserl natiirliche und philosophische Einstellung ins Verhaltnis, indem er von der natiirlichen Einstellung sagt, daf es in ihr eine »Trennung des Aufsereinander« gibt, namlich ein AuBereinandervon BewuBtsein und Gegenstanden bzw. Welt, das sich in der philosophischen Einstellung in ein »Ineinander« wandelt (Hua VI, 259). Diese Trennung, dieses AuBereinander ist ebenso entscheidendes Kennzeichen des natiirlichen Bewufstseins bei Hegel.
b. Das naturliche Bewufitsein und sein Gegenstand beiHegel Hegel bezeichnet das natiirliche BewuBtsein in seinen Texten bisweilen auch als das gewohnliche oder alltagliche BewuBtsein, und durchweg thematisiert er es dergestalt, daf es dem philosophischen BewuBtsein gegeniiberstellt wird. Letzteres tragt dem Umstand Rechnung, daB sich das natiirliche BewuBtsein erst aus der Perspektive des philosophischen BewuBtseins als solches erkennen laBt. In seiner Darstellung von Fichtes Philosophie im dritten Band der Vorlesungen uber die Geschichte der Philosophie gibt Hegel eine vorlaufige, aber gerade aufgrund ihrer Einfachheit sehr anschauliche Charakterisierung des natiirlichen BewuBtseins. Das gewohnliche BewuBtsein, so Hegel, weif nicht, daf es sich im Wahrnehmen auch tatig verhalt, es denkt, daf aIle Bestimmungen vom Gegenstand ausgehen und das BewuBtsein sie blof aufnimmt. Es geht dem natiirlichen Bewufstsein nur urn den Gegenstand; insofern konnte man es als .selbstlos- bezeichnen. Hegel bringt dies anhand eines Wahrnehmungsbeispiels zum Ausdruck: »Wenn ich die Wand sehe, so denke ich nicht ans Sehen, sondern an die Wand« (GPh III, 400) . Ahnlich wie bei Husserl ist das natiirliche BewuBtsein also ganz an den Gegenstand hingegeben. Das natiirliche BewuBtsein kann sich zwar auch auf sich selbst richten, es kann seiner selbst bewuBt werden-aber nur dergestalt, daB es sich selbst als einen Gegenstand auffafst, als ein Anderes seiner selbst, und die Besonderheit dieser Beziehung nicht thematisiert. In der Vorrede zur Phiinomenologie des Geistes sagt Hegel vom natiirlichen Bewufstsein, daf es »von gegenstandlichen Dingen im Gegensatze gegen sich selbst und von sich selbst im Gegensatze gegen sie « wisse (PhG, 30). Das natiirliche BewuBtsein zieht eine scharfe Trennlinie zwischen sich und seinem Gegenstand, zwischen dem Erkennen und clem Erkannten, zwischen dern Wissen und der
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TElL I . KAPITEL 1
Wahrheit. Es gehort zum Wesen des BewuBtseins, sich immer in einer solchen gedoppelten Struktur zu bewegen - in seinem Fortschreiten erkennt es jedoch mehr und mehr, daB die beiden Seiten zusammenfa11en und es sich letztlich urn ein und dasselbe, gewissermaBen urn zwei Seiten derselben Medaille handelt. Hier am Anfang aber setzt das naturliche BewuBtsein die Trennung als fest und unuberwindbar, Gleichzeitig ist es eben jene gedoppelte BewuBtseinsstruktur, die dem naturlichen BewuBtsein und dem philosophischen BewuBtsein gemeinsam ist und es beiden erlaubt, sich zu verstandigen; denn wenn das naturliche BewuBtsein durchschaut hat, was es mit dem Verhaltnis von Wissen und Wahrheit wirklich auf sich hat, befindet es sich auf der Stufe der Philosophie. Hegel faBt die BewuBtseinsstruktur in den kurzen, aber entscheidenden Satz: »Dieses [das BewuBtsein] unterscheidet namlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht« (PhG, 76). Das Beziehen des BewuBtseins benennt den Gesichtspunkt des Wissens, des FOrdas-BewuBtsein; das Unterscheiden hingegen bringt die Seite des BewuBtseins zum Ausdruck, die eine Wahrheit, ein Ansich ansetzt . Das naturliche BewuBtsein geht davon aus, daB sein Gegenstand, die Wahrheit, das Entscheidende ist und an sich existiert, auch wenn das BewuBtsein sich vom Gegenstand abwendet und sich nicht urn ihn kummert, Die strikte Trennung von Erkennen und Gegenstand bringt das naturliche BewuBtsein jedoch in unauflosliche Schwierigkeiten: Wie kann es erklaren, daB uberhaupt ein Erkennen moglich ist? Wie sol1 das BewuBtsein jemals zu seinem Gegenstand vordringen? Die naturliche Vorste11ung muB notwendigerweise davon ausgehen, daB das Erkennen eine Art Mittel darste11t, urn zum Gegenstand zu gelangen. Dann aber bliebe der Gegenstand durch das Erkennen nicht so, wie er ursprunglich war, und wir konnten nie wirklich den Gegenstand erkennen. Hegel erlautert dies in der Einleitung zur Phiinomenologie des Geistes, indem er zwei Fa11e unterscheidet, wie das Erkennen aufgefaBt werden kann: entweder als Werkzeug oder als Medium. Wenn das Erkennen ein Werkzeug ist, so ist es tatig und versucht, sich seines Gegenstandes zu »bemachtigen « (PhG, 68) . Durch Anwendung des Werkzeugs aber wird der Gegenstand verandert, und wenn wir versuchen, diese Veranderung dadurch ruckgangig zu machen, daB wir genau studieren, welche Veranderungen das Werkzeug verursacht, und diese dann am Ende in Rechnung ste11en bzw. vom Erkannten abziehen, sind wir genau wieder da, wo wir angefangen hatten. Der Gegenstand steht unverandert und von uns getrennt vor uns, und wir haben gar nichts gewonnen. Das Bild eines Mediums ist ein wenig anders gelagert, da es passiv sein sol1 wie eine Art gasformiges Material, durch das hindurch das »Licht der Wahrheit« zu uns scheint (ebd.). Doch der Durchgang durch das Medium hat gleichwohl einen Effekt auf das gewissermaBen vom Gegenstand ausstrahlende Licht, und wenn wir wissen, welchen Effekt dieses Medium hat und ihn abziehen, haben wir wiederum nichts gewonnen.
GRUNDBESTIMMUNGEN DES NATURLICHEN BEWUSSTSEINS
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Das Problem muB demnach in der Voraussetzung selbst liegen, daB BewuBtsein und Gegenstand streng getrennt sind. Doch es nutzt nichts, wenn das naturliche BewuBtsein von der Philosophie erfahrt, daB es seinen Standpunkt verlassen muB und der Standpunkt der Philosophie der wahre ist. Die Erkenntnisse der Philosophie erscheinen dem naturlichen BewuBtsein als abstrakt, und die Behauptung, daB ihre Einsichten die wahren seien, steht der festen Uberzeugung des naturlichen BewuBtseins gegenuber, daB seine Auffassung die einleuchtende und wahre sei. Die Wahrheit der Philosophie darf nicht einfach von auBen an das natiirliche BewuBtsein herangebracht werden, sondern das naturliche BewuBtsein muB selbst die Schwierigkeiten seiner Auffassung erkennen, seine eigenen Losungen suchen und sich so nach und nach fortentwickeln. Das naturliche BewuBtsein verliert im Fortgang das, was es fur das Wahre hielt, aber es verliert sich selbst nie endgultig, sondern »richtet sich nach alter Weise in der neuen Wahrheit ein «.1 Das natiirliche BewuBtsein halt an seiner Weise, die Dinge zu sehen, fest; das Wahre andert sich , und damit modifiziert sich auch das Wissen, aber die Wesenszuge des naturlichen BewuBtseins bleiben erhalten. Deshalb ist es so wichtig, die» Weise« des Erkennens des naturlichen BewuBtseins zu verstehen und es insbesondere dort zu beobachten, wo es noch nahe an seinem Ausgangspunkt ist. Die Tendenz des naturlichen BewuBtseins, seinen Gegenstand streng von sich zu trennen und dies em die Wahrheit zuzuschreiben, wird auf allen Stufen, aber insbesondere in den anfanglichen Gestalten des BewuBtseins deutlich. Die Unzulanglichkeit dieser strikten Trennung zeigt sich zunachst darin, daB es nicht zufriedenstellend ist, alle Wahrheit in den Gegenstand zu legen. Daher andert das BewuBtsein seinen Standpunkt und nimmt die Wahrheit auf sich-aber dies ist ebenfalls eine Einseitigkeit. Also bewegt sich das BewuBtsein zwischen diesen beiden Positionen hin und her, wird von der einen an die andere verwiesen und ist schlieBlich iiberzeugt, daf es einen Schritt tiber seine bisherige Dberzeugung hinausgehen muB. Doch an der Grundalternative von Gegenstand und BewuBtsein wird festgehalten, bis das »ab solute Wissen « erreicht ist. Wenn das natiirliche BewuBtsein selbst erkennen soll, daB seine Auffassung sich nicht aufrechterhalten laBt, stellt sich die Frage, an welchem MaBstab das BewuBtsein seine Uberzeugungen me ssen kann. Auch dieser Frage wendet Hegel sich gleich in der Einleitung der Phiinomenologie des Geistes zu, und die Antwort lautet: » Das BewuBtsein gibt seinen MaBstab an ihm selbst, und die Untersuchung wird dadurch eine Vergleichung seiner mit sich selbst sein. ( .. .) An dem also, was das BewuBtsein innerhalb seiner fur das Ansich oder das Wahre erklart, haben wir den MaBstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen« (PhG, 76 f.). Grob gesagt, stellt das naturliche BewuBtsein seine eigenen Behauptungen auf, die sich miteinander im Widerspruch befinden, so daB ein auBerlicher MaBstab
Heid egger, Holzwege, S. 151.
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TElL I . KAPITEL 1
oder ein Eingreifen von seiten der Philo sophie uberflussig ist. Das Bewufstsein gerat jeweils dadurch in Widerspruche, daf es zwischen dem Gegenstand und dem Erkennen des Gegenstandes unterscheidet, einer SeiteWahrheit oder ein Ansichsein zuschreibt und dann zusieht, ob die andere Seite dieser ersten Seite entspricht, was nicht der Fall ist. Dabei ist es gleichgultig, ob dem Gegenstand oder dem Erkennen die Wahrheit zugesprochen wird; denn einmal besteht die Prufung darin zu sehen, ob der Begriff dem Gegenstand, das andere Mal, ob der Gegenstand dem Begriff entspricht, und »rnan sieht wohl, daf beides dasselbe ist « (ebd.) bzw. die Prufung auf dasselbe hinauslauft, Wie sich diese Prufung genau vollzieht, muf sich an den einzelnen Gestalten des BewuBtseins zeigen.
Nachdem deutlich geworden ist, daB Hegel und Husserl bezuglich der Grundbestimmungen des natiirlichen BewuBtseins im wesentlichen ubereinstimmenwenngleich sie diese Bestimmungen in unterschiedlichen Begriffen beschreiben-, muf im einzelnen untersucht werden, welche verschiedenen Ebenen des naturlichen BewuBtseins es gibt. Hegel unterscheidet in der Phiinomenologie des Geistes explizit drei verschiedene Gestalten innerhalb des ersten Abschnitts »A. Bewufstsein «, An diesen drei Gestalten orientieren sich die folgenden drei Kapitel; die These lautet, daf es sinnvoll ist, auch in Husserls Philosophie drei entsprechende Ebenen zu unterscheiden. Husserl bestimmt das Verhaltnis dieser Ebenen freilich nicht auf dieselbe Weise wie Hegel, fur den die Gestalten notwendig aufeinander folgen . Doch fur Husser! ist der Bereich der Passivitat, der im nachsten Kapitel dieser Arbeit zum Thema wird, derjenige Bereich, der aIle egoische Aktivitat fundiert. Passivitat und sinnliche GewiBheit-die erste BewuBtseinsgestalt in Hegels Phanomenologie- konnen zwar nicht gleichgesetzt werden, weisen aber wesentliche Ubereinstimmungen auf.
KAPITEL 2
Fundamente der Wahrnehmung Sokrates: Wahrnehmung ist also wohl immer des Seiend en und ist untruglich, wenn sie ja Erkenntnis ist. Platon , Theaitetos, 152e.
1stes moglich, hinter die Wahrnehmung, die einen wesentlichen Bereich des natiirlichen BewuBtseins ausmacht, zuriickzufragen? Sowohl Hegel als auch Husserl suchen einen Bereich auf, welcher der Wahrnehmung zugrundeliegt und diese fundiert. Die GewiBheit, die uns die unmittelbare sinnliche Erfahrung verschafft, bevor wir iiberhaupt einen Gegenstand als solchen wahrnehmen, ist die GewiBheit der Existenz dessen, was uns da gegeben ist. Doch selbst hier gibt es immer schon Enttauschungen: Das, worauf wir aus waren, erweist sich als von unserer Erwartung verschieden oder entschwindet. Die entscheidenden Phanomene, die dafur verantwortlich sind, daB nicht bei der sinnlichen GewiBheit bei Hegel und nicht im Bereich der Passivitat bei Husserl stehengeblieben werden kann, sind Zeit und Sprache, die in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten.
a. Die sinnliche Gewiflheit bei Hegel
Warum steht am Anfang der Phiinomenologie des Geistes die sinnliche GewiBheit? Inwiefern kann dieser Standpunkt als ausgezeichneter Vertreter des natiirlichen BewuBtseins angesehen werden , und wie laBt sich rechtfertigen, daf wir genau hier und nicht an anderer Stelle beginnen? Urn eine Antwort auf diese Fragen geben zu konnen, muf zumindest in vorlaufiger Weise betrachtet werden, was sich auf der Ebene der sinnlichen GewiBheit abspielt. Ungewohnlich mag zunachst erscheinen, daB der » Gegenstand « der sinnlichen GewiBheit eben noch kein Gegenstand, namlich kein Gegenstand im vollen Sinne ist, sondern etwas, das beispielsweise als » Zustandlichkeit« bezeichnet werden kann und dessen Sinn im folgenden aufgehellt werden soll.' Wenn in Hegels Text und in dieser Darstellung dennoeh yom »Gegenstand« der sinnliehen GewiBheit die Rede ist, dann ist damit nieht ein Gegenstand im Sinne eines Dinges gemeint, sond ern ein Gegenstand im zweiten Sinne dieses Ausdrueks, das heiBt, der Gegenstand des
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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TElL I . KAPITEL 2
Wir folgen nun der sinnlichen GewiBheit in ihren drei Stufen. Dabei wird zunachst die Frage im Vordergrund stehen, inwiefern die naturliche GewiBheit ein unmittelbares Wissen ist. Eine weitere entscheidende Frage betrifft die Selbstandigkeit der sinnlichen GewiBheit: )Gibt ( es sinnliche GewiBheit uberhaupti Es wird sieh zeigen, daB die sinnliehe GewiBheit kein abtrennbarer Bereich ist, sie aber dennoch einen wiehtigen Aspekt der Wahrnehmung benennt, namlich die GewiBheit der Existenz des Gegenstandes. Indem wir diese GewiBheit zur Sprache bringen, sind wir bereits auf dem Weg, die sinnliche GewiBheit zu verlassen.
I. Der erste Satz des ersten Kapitels der Phanomenologie des Geistes benennt gleich mehrere fur die sinnliche GewiBheit entscheidende Aspekte: »Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist « (PhG, 82). Die Rede von» unserern« Gegenstand bezieht sich auf uns, die Leser, die das naturliche BewuBtsein auf seinem Weg begleiten. Unser Gegenstand ist in sieh gedoppelt, weil er ein Wissen mit seinem Gegenstand ist: das unmittelbare Wissen mit seinem Gegenstand, dem Unmittelbaren. Das unmittelbare Wissen vorn Unmittelbaren muB notwendig am Anfang der Untersuchung stehen, es » kann kein anderes« Wissen den Anfang machen. Hegel genugt dam it den beiden entscheidenden Bedingungen, die an eine Wissenschaft zu stellen sind, der Notwendigkeit und der Voraussetzungslosigkeit. Die Unmittelbarkeit ist voraussetzungslos, weil sie noch keine Vermittlung erfahren hat, keine Theorien in sich aufgenommen oder sich durch Berucksichtigung bestimmter Annahmen und Anspruche verwandelt hat. Auffallig ist, daB es sich bei der Unmittelbarkeit urn ein Negativum handelt, urn eine Angabe dessen, was das Unmittelbare nicht ist: Es ist nicht vermittelt. In dieser negativen Bestimmung kommt die Unruhe des Anfangs zum Ausdruck, bei der nieht stehengeblieben werden kann. Sowohl das Wissen als auch sein Gegenstand sind unmittelbar: Das Wissen hat noch keine eigene Form, ist ein bloBes Offensein-fur, eine Aufnahmebereitschaft. Insofern das Wissen sich dem GewuBten gegenuber rein aufnehmend verhalt und nichts an ihm verandert, erscheint die sinnliche GewiBheit als die »wahrhafteste« Erkenntnis. Zugleich erscheint sie als die »reichste«; denn ihr Gegenstand ist das Unmittelbare, die Mannigfaltigkeit des sinnlich WiBbaren. Das sinnlieh WiBbare ist von unendlichem Reichtum, der sich ausbreitet in Raum und Zeit. Und doch erweist sich die sinnliche GewiBheit, so informiert uns Hegel gleieh zu Beginn, als die »abstrakteste und arrnste Wahrheit «. Wissens bzw. das GewuBte . Die Grundeigenschaft des natiirlichen Bewufstseins, Wissen und Gegenstand des Wissens streng voneinander zu trennen , kommt namlich in diesem Kapitel in besonders deutlicher Weise zum Ausdruck, wie sich zeigen wird .
FUNDAMENTE DER WAHRNEHMUNG
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da sie von dem , was ihr gegenwartig ist, nur dies sagt, daB es ist (ebd.). Das sinnliche GewuBte ist- und weiter nichts; dies hat die Mannigfaltigkeit des sinnlich GewuBten gemeinsam. Indem die sinnliche GewiBheit von dem , was sie vernimmt, nur dies weif, daf es ist, zeigt sich bereits, daB ihr GewuBtes kein Gegenstand im vollen Sinne ist; im Gegensatz zur Wahrnehmung nimmt sie nicht etwas alsetwas, sondern blof etwas als seiend? Der Sinn des sinnlichen Vernehmens liegt darin, ganz und gar beim Vernommenen zu sein. Die sinnliche GewiBheit ist zunachst vollig an ihren Gegenstand hingegeben, der ihr als das Wesentliche gegeniiber dem unwesentlichen Wissen gilt. Dieser Gegenstand ist ein rein einzelner oder ein reines Dieses. Das Diese zeigt sich in Raum und Zeit, als Hier und Ietzt;' urn der sinnlichen GewiBheit naher zu kommen, stellen wir ihr daher die Frage: »Was ist das Ietzti «. Die Antwort, die wir erhalten, lautet: »Das Ietzt ist die Nacht « (PhG, 84). Wenn diese Antwort wahr ist, konnen wir sie aufschreiben, ohne daf ihre Wahrheit dadurch verlorenginge. Iedoch: »Sehen wir jetzt, diesen Mittag, die aufgeschriebene Wahrheit wieder an, so werden wir sagen mussen, daf sie schal geworden ist« (ebd.). In diesem Beispiel wird deutlich, was Gegenstand der sinnlichen GewiBheit ist, namlich vorrangig Zustandlichkeiten wie das Nachtsein, die Dunkelheit, Kalte etc. Es konnen freilich auch Dinge wie Baum und Haus von der sinnlichen GewiBheit vernommen werden , doch gewufst wird in diesem Fall nicht der Baum als Baum, sondern blofs als seiender, der abgelost wird durch ein anderes Seiendes. II. Die sinnliche GewiBheit muf also feststellen, daB das, was ihr als das Wahre giltgleichgiiltig, ob es sich urn die Nacht als jetzt seiende oder urn den Baum als hier seienden handelt-sich nicht durchhalten laBt. Sie war auf ein Einzelnes und Unmittelbares aus und rnuf sofort einen Unterschied hinnehmen, den von Beispiel und Wesen odervon Einzelnem und Allgemeinem. Das, was sich als wahrer Gegenstand der sinnlichen GewiBheit herausstellt, ist das Dieses als das Ietzt und das Hier. Das Dieses ist ein Allgemeines, weil es nie nur dieses oder jenes ist, zugleich aber sowohl dieses als auch jenes sein kann bzw. »gleichgultig« dagegen ist, dieses wie jenes zu sein (PhG, 85). Die sinnliche GewiBheit meinte ein Einzelnes und kam zu einem Aligemeinem; es hat sich also ein zweites Moment der sinnlichen GewiBheit ergeben. Bevor die weitere Entwicklung der sinnlichen GewiBheit betrachtet wird, soll ein Einwand gegen Hegels Vorgehensweise zur Sprache kommen.
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Vgl. Volkmann-Schluck (1998), S. in. Hier und Ietzt durfen allerd ings nicht als zwei getrennte Momente des Dieses verstanden werden, wie Fink verdeutIicht: »Es ist kein Ietzt, das nicht hier ist, und ist kein Hier, das nicht jetzt ist « (Fink (1977), S. 69). Wenn das Ietzt die Nacht ist, dann geht es immer urn die Nacht hier, und nicht urn die Nacht auf der anderen Seite der Erdkugel.
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TElL I • KAPITEL 2
In bezug aufHegels erstes Beispiel stellt sich die Frage (und ist vielfach die Frage gestellt worden),' ob Hegel in diesem Beispiel eine gerechtfertigte Ausdrucksweise verwendet oder ob er der sinnlichen Gewifsheit Gewalt antut, ja gar einen Trick anwendet, urn seine Dialektik in Gang bringen zu konnen.' Das natiirliche BewuBtsein wurde doch wohl nicht zu der Aussage kommen: »Das Ietzt ist die Nacht «, sondern vielmehr sagen » Ietzt ist Nacht «?! Es laBt sich mit Recht sagen, daf Hegel mit seiner Formulierungsweise bereits eine bestimmte Richtung einschlagt, namlich auf das Ergebnis zugeht, daf das Ietzt ein Allgemeines ist. Seine Analyse wurde aber meines Erachtens den gleichen Weg nehmen, wenn die sinnliche GewiBheit die Antwort » Ietzt ist Nacht « geben wurde: nur waren etwas ausfuhrlichere Erlauterungen notig, urn zum Ergebnis zu kommen. Worauf es eigentlich ankommt, ist die Frage, ob die sinnliche GewiBheit tatsachlich eine eigene, der Wahrnehmung zugrundeliegende Stufe des naturlichen BewuBtseins darstellt. Hegel sagt in der Enzyklopiidie selbst, daf die sinnliche GewiBheit eine abstrakte Stufe, die der Wahrnehmung hingegen eine bestimmte, und zwar der Standpunkt un seres gewohnlichen Bewufstseins sei (Enz. III, §420). Die sinnliche GewiBheit ist eine Abstraktion von der Wahrnehmung; die Wahrnehmung ist die erste wirklich vorkommende Stufe, die sinnliche GewiBheit dagegen un selbstandig und gewissermaBen ein herausprapariertes Element der Wahrnehmung. Doch wenn dem so ist, welche Rechtfertigung gibt es dann fur die Herauslosung der sinnlichen GewiBheit? Die sinnliche GewiBheit ist Ausdruck der Einsicht, daf die Ebene der Wahrnehmung, aufder wir uns fur gewohnlich bewegen, aufeine zugrundeliegende Ebene verweist, die zwar unselbstandig ist, jedoch die Wahrnehmung fundiert. Aller Erkenntnis liegt namlich die aus der anschaulichen Erfahrung entspringende GewiBheit der Existenz von etwas zugrunde, und dies ist gerade die sinnliche GewiBheit. Die Notwendigkeit, aus der Anschauung heraus GewiBheit von der Existenz des Erkenntnisgegenstandes zu gewinnen, findet sich bereits in Kants Philosophie, wenn er im Zusammenhang der Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises daraufhinweist, daf Sein kein reales Pradikat ist (vgl. KrV A 598/ B 626). Ein ontologischer Gottesbeweis, so Kant, ist deshalb nicht moglich, weil ich einem Ding die hochsten Pradikate zusprechen kann und doch tiber dessen Existenz noch nichts weiB: Die Bestimmung der Existenz fugt zum Begriff nichts hinzu. Daher gilt: Selbst dann, wenn »an meinem Begriffe, von dem moglichen realen Inhalt eines
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Vgl. z. B. Becker (1971), S. 24, M. Westphal (1990) , S. 93. HegeIs Beschre ibung der sinnlichen GewiBheit ist allerdings nicht nur vielfach kriti siert , sondern auch vielfach gewiirdigt worden: Heidegger bezeichnet Hegels Analyse als »eine Interpretation der Sinnlichkeit, die ihresgleichen nicht in der Geschichte der Philosophie hat « (GA 32, S. 76) : ahnlich auBert sich Fink: » [O]hne auf die Sinnesorgane und die spezifischen Unterschiede der verschiedenen Sinne uberhaupt einzugehen, vollzieht Hegel eine grandiose Int erpretation der Sinnlichkeit « (Fink (1977), S. 61). Man konnte fragen, ob wir Hegels Beschreibungen der sinnlichen GewiBheit moglich erweise deshalb so gerne lesen, weil sie ein Gefuhl des unw iederbringlichen Heimischseins in uns hervorrufen.
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Dinges iiberhaupt, nichts fehlt, so fehlt doch noch etwas an dem Verhaltnisse zu meinem ganzen Zustande des Denkens, namlich daB die Erkenntnis jenes Objekts auch a posteriori moglich sei« (A 600/B 628). Wir miissen aus dem Begriffvon einem Gegenstand hinausgehen, urn ihm Existenz zusprechen zu konnen, »Bei den Gegenstanden der Sinne«-und urn solche geht es der Wahrnehmung schlieBlich»geschieht dieses durch den Zusammenhang mit irgend einer meiner Wahrnehmungen nach empirischen Gesetzen« (A 601/ B629). Das, was Kant hier als »irgend eine meiner Wahrnehmungen« bezeichnet, entspricht der sinnlichen GewiBheit bei Hegel; sie verschafft uns die GewiBheit der Existenz des Gegenstandes. Da die sinnliche GewiBheit also der Wahrnehmung noch zugrundeliegt bzw. wir aufsie stoBen, wenn wir die Wahrnehmung hinterfragen, muB sie notwendig am Anfang stehen. Die bloBe ExistenzgewiBheit liegt dem Sprechen, liegt der Pradikation zugrunde; Husser! wird diesen Bereich daher als den der Vorpradikativitat bezeichnen. Indem Hegel die sinnliche GewiBheit dazu bringt, ihre Wahrheit pradikativ zu fixieren, hat sie ihren eigentlichen Ursprungsbereich schon ver!assen. Hegel sagt ausdriicklich, daf es nicht moglich ist, ein sinnliches Sein, daB wir meinen, je zu sagen. Die Sprache ist jedoch »das Wahrhaftere «, da sie das zum Ausdruck bringt, was sich als eigentliche Wahrheit der sinnlichen GewiBheit herausgestellt hat, namlich das Allgemeine (85). Die Sprache ist also nicht etwas, das wir zu umgehen versuchen sollten, urn bei der sinnlichen GewiBheit zu bleiben; denn sie driickt das Wahre dieser GewiBheit aus. Entscheidender ist jedoch, daf wir die Sprache gar nicht vermeiden kimnen: Selbst wenn die sinnliche GewiBheit versuchen sollte, nach auBen hin stumm zu sein, muB sie sich doch mindestens mit sich selbst durchsprechen, wenn sie sich ihrer Sache gewiB sein will. In der sinnlichen GewiBheit liegt immer schon ein stilles Sprechen, welches von seinem GewuBten aussagt, daB es ist.6 Die Sprache bringt also immer schon zum Ausdruck, daB die sinnliche GewiBheit eigentlich ein Allgemeines zum Gegenstand hat. Das Allgemeine aber gehort nicht auf die Seite des Gegenstandes, der jeweils ein einzelner sein soli, sondern auf die Seite des Wissens. Im Wissen liegt das Allgemeine, das sich durchhalt gegenuber den vielen Beispielen. Das Wissen ist nun nicht mehr unwesentlich gegeniiber der Wahrhcit des Gegenstandes, sondern umgekehrt ist der Gegenstand deshalb , weil ich ihn weiB. Dieses zweite Moment der sinnlichen GewiBheit kann sich aber ebenso wenig Hoffnung auf Erfolg mach en wie das erste. In der strikten Trennung von Wissen und GewuBtem wird die Wahrheit auf die andere Seite geschlagen, aber dieser anderen Seite in ihrer Einseitigkeit widerfahrt das gleiche Schicksal wie der ersten. Das Ich als einzelnes verschwindet im allgemeinen Ich; wenn ich »ich« sage, sage ich das, was aile sagen konnen. Auch hier kommen wir also zum Allgemeinen, obwohl wir auf das Einzelne aus waren .
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Vgl. Fink (1977), S. 73.
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TElL I • KAPITEL 2
III. Die sinnliche GewiBheit erkennt damit, daB ihre Wahrheit nicht auf einer der beiden Seiten zu finden sein kann. Sie unternimmt noch einen dritten und letzten Versuch, ihre Wahrheit zu behaupten, indem sie diese Wahrheit im Ganzen des Bezugs von Wissen und GewuBtem sucht. Hier und Ietzt werden tiefer begriffen, indem die sinnliche GewiBheit einsieht, daB sie nicht einer der beiden Seiten zugeschlagen werden konnen; wir gehen gewissermaBen einen Schritt tiefer, einen Schritt weiter in die sinnliche GewiBheit hinein, bevor wir sie verlassen. Die sinnliche GewiBheit hat es auf dieser dritten Ebene wieder mit einem Ietzt zu tun, das sich jedoch vom Ietzt der ersten Ebene dadurch unterscheidet, daB es das Ganze eines Bezugs von Ich und Gegenstand vor der Spaltung in die beiden Seiten meint und nicht blof einen jetzt seienden Gegenstand, der ein Dieses ist. Die in sich zuruckgegangene und in sich versunkene sinnliche GewiBheit konnen wir nicht mehr zum Sprechen bringen, da das Sprechen schon einen Abstand bedeuten wurde; sie willigt hochstens ein, uns ihr Ietzt zu zeigen. Doch selbst das Zeigen ist zum Scheitern verurteilt: Das gezeigte Ietzt ist schon vergangen, ist schon gewesenes Ietzt, Was gewesen ist, das »ist nicht, und urn das Sein war es zu tun « (88). Das Grundergebnis der sinnlichen GewiBheit besteht gewissermaBen darin, daB das bloBe »ist« schon eine Bewegung bezeichnet, schon eine Geschichte hat.' Die sinnliche GewiBheit ging davon aus, daB das Sein bleibend und bestandig ist, doch dies hat sich als Irrtum herausgestellt. DaBdie sinnliche GewiBheit nie zu dem gelangen kann, was sie eigentlich meint, liegt letztlich im Wesen der Zeit begrundet, die sich in unablassiger Bewegung befindet und ein [etzt in dem Moment, in dem es ergriffen und gezeigt werden solI, schon zu einem vergangenen werden laBt. Zeit spielt eine entscheidende Rolle in Husserls Analysen der Passivitat, die im folgenden zum Thema werden sollen.
b. DerBereich derPassivitat beiHusserl Ebenso wie Hegel, der den Weg des BewuBtseins in der Phanomenologie des Geistes aufder allerersten und ursprunglichsten Stufe beginnen mochte, fragt auch Husserl zuruck nach dem grundlegendsten Bereich, der das, was wir gemeinhin unter Wahrnehmung verstehen, fundiert. Was liegt unserer Wahrnehmung, wie wir uns ihrer bewuBt sind und sie in Pradikationen zum Ausdruck bringen, immer schon zugrunde? Dies ist der Bereich, den Husserl als »Vorpradikativitat « bezeichnet, was zunachst nur besagt, daf er dem Pradizieren zuvorkommt. Husserl ordnet die Vorpradikativitat derjenigen Ebene zu, die er »vortheoretisch« nennt (Hua IX, 7
Insofern ist das Ergebnis des Kapitels tiber die sinnliche GewiBheit gleichbedeutend mit dem Ergebnis des Anfangs der Wissenschaftder Logik: Sein ist Werden.
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55) - dieser Ebene gehort auch die Sphare der Passivitat an, der Husserl ausfuhrliche Analysen widmet. Vorpradikativitat und Passivitat uberlappen einander zu einem grofsen Teil, sind jedoch nicht identisch: Ein Beispiel fur ein vorpradikatives, aber nicht passives Phanomen sind aktive Wiedererinnerungen." Gleichzeitig gibt es aber auch passive, pradikative Phanornene: Die Sprache bzw. das Sprechen umfaBt passive Bestandteile selbst auf der pradikativen Sprachebene (z. B. wenn ich den weiteren Verlauf eines Satzes antizipiere). Wenngleich Passivitat und Vorpradikativitat eng zusammenhangen, so ist doch die Passivitat wohl der Bereich, der am starksten der sinnlichen GewiBheit bei Hegel entspricht; denn vorpradikative Wiedererinnerung, so wird sich zeigen, leitet bereits in das Gebiet der Wahrnehmung tiber. Sowohl die Passivitat als auch die Vorpradikativitat weisen letztlich tiber sich hinaus; dies solI im folgenden untersucht werden. 1.
Den Ausdruck »passiv« verwendet Husserl, wie er selbst sagt, in Ermangelung eines geeigneteren Begriffs (Hua XI, 76); es kommt also darauf an zu verstehen, wodurch dieser der ichlichen Aktivitat zugrundeliegende Bereich ausgezeichnet ist. In seinen Analysen zur passiven Synthesis untersucht Husserl Phanomene wie Assoziation, Modalisierung, Erfullung und Enttauschung von Erwartungen usw. All diese Phanomene beruhen auf einer allgemeinen Struktur des Bewufstseins, namlich der Intentionalitat. Intentionalitat besagt nicht blofs, daB BewuBtsein immer BewuBtsein-von-etwas ist, sondern gemeint ist eine dynamische Gerichtetheit des Bewufstseins, das sich seinen Gegenstand- Gegenstand im weitesten Sinne verstanden-zur Gegebenheit und zur immer genaueren Gegebenheit br ingen mochte , Husser! beschreibt den Charakter der Intention folgendermafsen: » Die Intention ist auf ihren Gegenstand gerichtet , sie will nicht bloB leeres Hinmeinen auf ihn sein, sie will zu ihm selbst hin - zu ihm selbst, das ist zu einer Anschauung, die ihn selbst gibt, die in sich Bewufstsein der Selbsthabe ist« (Hua XI, 83). Diese Gerichtetheit auf Selbsthabe ist nicht mit einer ersten Erfullung, beispielsweise mit einem Beruhren des Gegenstandes befriedigt, sondern strebt nach immer genauerer Bestimmung. Das Streben nach weiterer Erfullung halt so lange an, bis aIle Unbestimmtheit und Unbefriedigung beseitigt sind-wann dies der Fall ist, hangt immer von den jeweiligen Umstanden und meinen Zielen ab, die beispielsweise fur die Naturwissenschaftlerin ganz andere sind als fur den Kunstler oder den Phanomenologen. Wenn der Gegenstand mir so gegeben ist, daB sein Erscheinen nicht mehr tiber sich hinaus verweist, sondern er mir unverstellt gegenwartig ist, dann 8
Nicht aile Wiedererinnerungen sind aktiv (beispielsweise Typenbildung ist passive Wiedererin nerung) , aber es gibt aktive Wiedererinnerungen, z. B. wenn ich aktiv nach einem verlegten Gegenstand suche.
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TElL I • KAPITEL 2
ist der Gegenstand mir originar gegeben. Die originare Gegebenheit bezeichnet Husser! als Evidenz; aIle Intention strebt damit nach evidenter Erfullung. Die Struktur der Intentionalitat bezeichnet also die Wesenseigenschaft des BewuBtseins, unablassig gerichtet und auf Erfu11ung seiner Intentionen aus zu sein; doch damit sind wir gleichzeitig der Moglichkeit der Enttauschung ausgesetzt. In Erfahrung und Urteil findet sich ein Beispiel, das Husser! unter der Uberschrift »Ruckwirkende Durchstreichung« auch in den Analysen zur passiven Synthesis behandelt: das Beispiel der roten Kugel,deren Ruckseite sich als griin und eingebeult herausste11t. Dieses Beispiel solI hier nachgezeichnet werden, da Husser! nach eigener Aussage mit ihm das »ursprungliche Phanomen der Negation« aufweist: »Es zeigt sich also, daB Negation nicht erst Sache des pradikativen Urteilens ist, sondern daf sie in ihrer Urgestalt bereits in der vorpradikativen Sphare der rezeptiven Erfahrung auftritt« (BU, 97). Die Beschreibungen, die Husser! zu diesem Resultat fuhren, rufen vielfaltige Assoziationen an Hegels Dialektik hervor, wie im folgenden deutlich werden solI. Ich sehe einen Gegenstand, den ich fur eine gleichmafsig rote Kugel halte. Meine Intention, meine Erwartung ist also, daB ich, wie ich den Gegenstand auch drehen und wenden mag, iibera11 rote Kugeligkeit vorfinde. Statt dessen stelle ich fest, daf die Riickseite des Gegenstandes griin und eingebeult ist. Die Intention wurde enttauscht-sdoch es geschieht noch mehr: Ich weiB, daB der Gegenstand nicht gerade erst seine Form und Farbe auf der Riickseite geandert hat, sondern die ganze Zeit dort schon griin und eingebeult war. Es kommt daher zu einer riickwirkenden Durchstreichung der Wahrnehmungsreihe: Die ganze Zeit hatte ich einen Gegenstand vor mir, der nicht gleichrnafsig rot und kugelig war. Doch gleichzeitig bin ich mir meiner urspriinglichen Intention noch bewuBt, nur daf sie jetzt durchstrichen ist." Husser! sagt, der alte Sinn sei »noch bewuBt, aber iiberstrichen und nach den entsprechenden Momenten durchstrichen« (Hua XI,31). Dieses Phanomen bezeichnet Husser! explizit als »Aufhebung« (ebd.), und in der Tat konnen wir, obwohl es sich nicht urn einen dialektischen Prozef im hegelschen Sinne handelt, die Momente der Aufhebung erkennen: Der alte Sinn ist durchstrichen und insofern negiert worden; er ist aber doch noch bewuBt und erkennbar und daher bewahrt. Das Resultat ist ein hoheres, wir haben genauere Kenntnis uber den Gegenstand gewonnen, der dadurch zur originareren Selbstgebung gekommen ist." 9
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Das interessante Phanomen, daB etwas Durchgestrichenes eben im allgemeinen zweierlei erkennen laBt, das Urspriingliche und das Neue, Verbesserte, ist auch der Grund dafur, daB es aufschluBreich sein kann, beispielsweise Manuskripte von Schriftstellern zu lesen. Im Computerzeitalter macht die Entfernen-Taste diese Moglichkeit zunichte. Iedoch ist das Ergebnis keine hegelsche Synthese, und der alte und der neue Sinn verhalten sich nicht zueinander wie Gegensatze im hegelschen Sinne, von denen einer, konsequent zu Ende gedacht, den anderen in sich tragt, und umgekehrt. Insofern fehlt die ausgezeichnete Dynamik der Dialektik.
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Aile Phanornene der passiven Sphare setzen jedoch die Synthesen des ZeitbewuBtseins voraus, und im ZeitbewuBtsein, so werden wir sehen, findet sich bereits eine Urform von Intention und Enttauschung bzw. Negation. Die Synthesen des Zeitbewufstseins, Retention und Protention, stellen die grundlegendsten, wenngleich abstrakten" Vorkommnisse der Passivitat dar. Kurz gesagt ist die Retention das Festhalten des gerade entweichenden [etzt, die Protention das Gerichtetsein auf das kommende Ietzt." Ohne Retention und Protention waren wir nicht in der Lage, beispielsweise den Verlauf einer Melodie zu verfolgen oder einen Satz zu verstehen. Das Phanomen der riickwirkenden Durchstreichung setzt Retention und Protention voraus; denn das Riickwirken besagt gerade, daB die Durchstreichung in die »retentionale Sphare « zuruckstrahlt (EU, 96) . Der Vorgang besteht nicht darin, daB wir uns erinnern und bewuBt in der Vergangenheit den alten Sinn durch den neuen ersetzen , sondern wir sind unmittelbar dessen inne, daB der einheitliche Sinn des Gegenstandes die unterschiedliche Oberflachengestalt der Ruckseite ein schlieBt und eingeschlossen hat. Ebenso ware die Assoziation," die Hus serl als Prinzip der passiven Synthesen bezeichnet (vgl. Hua I , §39), ohne die Synthesen des ZeitbewuBtseins nicht moglich: Gestaltung der Sinnesfelder gemaf Gleichheit, Ahnlichkeit und Kontrast oder auch affektive Weckung" gibt es nur, wenn das gerade Entweichende noch prasent ist und ich auf das Kommende schon einbeziehend gerichtet bin. Gerade im ZeitbewuBtsein machen wir jedoch die Erfahrung einer unausweichlichen Enttauschung: Wenn wir ein Ietzt ergreifen und uns zur Gegebenheit bringen wollen, ist es immer schon verflossen und kein gegenwartiges Ietzt mehr. Die Retentionalitat ist dieses ursprungliche Festhaltenwollen, das immer schon zu spat kommt. Das Ietzt geht sofort uber ins Nicht-Ietzt, ins Nichtsein-insofern ist das Ietzt sich durchhaltendes Nichtsein. BewuBtsein ist wesensmafsig darauf aus, etwas festzuhalten; es sucht nach Bleibendem, Beharrendem im FluB. Im Bereich der Passivitat zeigt sich diese Wesenseigenschaft des BewuBtseins in der Retentionalitat, die zwar noch keine Gegenstande, aber deren Vorformen, namlich Gegenstandlichkeiten konstituiert. Schon auf dieser untersten Stufe sind wir darauf gerichtet, das zu bewahren, was gerade entgleitet. Doch das BewuBtsein bleibt nicht dabei stehen, und es kann gar nicht dabei stehenbleiben. Wir konnen nicht auf der Stufe der Passivitat verharren; denn wir mochten Gegenstande haben und behalten, wir mochten Vgl. Hua xr, 128: » BloBe Form ist freilich cine Abstraktion, und so ist die intentionale Analyse des ZeitbewuBtseins und seiner Leistung von vornherein eine abstraktive«; vgl. auch Hua XI, Beilage XII, 387: » Und so ist die ganze Lehre vom ZeitbewuBtsein Werk einer begriffiichen Idealisierung! Diese mufite selbst kon stitutiv beschrieben werden, und der Ausgang ware also das Reich der konkreten und diskrete n Phanomene «, 12 Vgl. dazu beispieIsweise Hua X, § 11, 12, 24; Hua XI,§ 18; EU, 122; vgl. auch Held (1966), S. 39 fl. 13 Vgl. zum Grundprinzip der Assoziation ausfiihrlich: Holenstein (1972). 14 Vgl. zum Zusammenhang von Aflekt ion und Aufmerksamk eit ausfiihrlich: Steinb ock (2002) .
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auf sie zuriickkommen konnen, Das Phanomen der Wiedererinnerung zeigt schon auf der Ebene des ZeitbewuBtseins, daB wir uber die Passivitat hinausstreben. Wiedererinnerung ist mit der Retentionalitat in folgender Weise verbunden: Indem in einer Retention immer eine weitere Retention mitgegenwartig ist, bildet sich gewissermaBen eine Kette oder ein »Kometenschweif« verschachtelter Retentionen (Hua x, 30), der in die Vergangenheit reicht. Wir sind nun auch in der Lage, uns weiter zuriickliegende Momente zu vergegenwartigen, die mit der Gegenwart in Form der Retentionenkette implizit verbunden sind, ohne daB uns alle dazwischen liegenden Retentionen bewuBt waren. Fiir die Konstitution eines Gegenstandes ist die Wiedererinnerung notwendig. Erstvermoge der Wiedererinnerung gibt es das» Immerwieder «, und ihrverdanken wir es, daB urspriinglich Erfahrenes »beliebig oft « erfahren werden kann, »wieder identifiziert « als dasselbe (Hua XI, 370). Dies bedeutet, so faBt Husserl zusammen, daB es »gegenuber der momentanen Wahrheit eine bleibende Wahrheit« gibt (ebd.). DaB wir das urspriinglich Gegebene immer schon festhalten wollen und mussen, urn uns seiner gewiB zu sein , ist auch der erste Grund dafur, daB die sinnliche GewiBheit in Hegels Phanomenologie sich in Widerspriiche verwickelt. Das Beispiel, den Satz »Das Ietzt ist die Nacht « aufzuschreiben und dann am nachsten Mittag festzustellen, daB dieser Satz seine Wahrheit verloren hat, ist eine Manifestation der Erinnerung. Ohne Wiederinnerung gabe es gar keine Wahrnehmung aufserer Gegenstande: denn Gegenstande sind zwangslaufig immer nur einseitig gegeben. Es ist undenkbar, daB ein raumzeitlicher Gegenstand uns allseitig und damit vollstandig gegeben sein konnte. Aufgrund dieser Tatsache beginnt Husser! seine Analysenzur passiven Synthesis mit dem Satz: »Die auBere Wahrnehmung ist eine bestandige Pratention, etwas zu leisten, was sie ihrem eigenen Wesen nach zu leisten auBerstande ist « (Hua XI , 3). Wiedererinnerung und Erwartung sind notwendige Bedingungen fur Objektivitat, namlich dafur, daB wir die verschiedenen Seiten eines Gegenstandes zusammenbringen und dann auf diesen Gegenstand als auf einen identischen wieder zuriickkommen konnen, »Jede Rede von Gegenstanden fuhrt so aufWiedererinnerung zuruck« (Hua XI, no), sowie auf die Erwartung als Komplement der Wiedererinnerung, die Husserl auch als »umgestulpte« Erinnerung bezeichnet (Hua X, 56). II. Es muB jedoch noch mehr erfullt sein, damit ein Gegenstand objektiv gegeben ist, und insofern ist das Stattfinden von Wiedererinnerung nicht hinreichend. Der Gegenstand muf ein solcher sein, den Andere aus anderen Perspektiven heraus wahrnehmen konnten, auch wenn ich dies im gegenwartigen Moment nicht kann, und er muB ein Gegenstand sein, tiber den ich mich mit Anderen verstandigen kann. Die Objektivitat des Gegenstandes wird geleistet durch Intersubjektivitat,
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durch eine Gemeinschaft von Mitsubjekten." Damit kommt der Sprache eine wesentliche Aufgabe zu, und nachdem mit der Wiedererinnerung schon der Bereich der Passivitat verlassen wurde, fuhrt uns die Sprache aus der Vorpradikativitat heraus in den Bereich der Pradikativitat. Urn Gegenstande im eigentlichen Sinne zu haben (und darauf sind wir in natiirlicher Weise immer aus, gewissermaBen schon im kindlichen Greifen und Festhaltenwollen von Gegenstanden), miissen wir die Sphare der Vorpradikativitat verlassen . Aber ergeben sich aIle hier ins Spiel gebrachten Verbindungen wirklich notwendig? Selbst wenn zugegeben wird, daB ich einen Gegenstand als identischen haben und benennen konnen mufs, damit er ein eigentlicher Gegenstand ist, konnte dies doch auf pradikativer, aber monologischer Ebene geschehen, im Durchsprechen mit mir selbst? Und selbst wenn erst die Anderen wirklich Objektivitat konstituieren, schliefst dies doch nicht unbedingt Sprache als ausdriickliches Sprechen ein, sondern zunachst nur stilles Wahrnehmen des Gegenstandes von verschiedenen Seiten sowie Einfiihlung in den Anderen: Wenn ich dort ware, konnte ich den Gegenstand von der Riickseite sehen etc.?! Auf letztere Frage laBt sich erwidern, daB ich nur vermittels des Gesprachs mit Anderen weiB, daB sie denselben Gegenstand sehen wie ich, und daB ich mich nur so mit ihnen iiber den Gegenstand austauschen kann-selbst wenn gerade nur still wahrgenommen wird oder sogar iiberhaupt keine Anderen anwesend sind, stehe ich doch urspriinglich immer schon mit den Anderen im Gesprach, Fiir die erste Frage ergibt sich damit die Antwort, daB das Durchsprechen mit mir selbst abgeleitete Form des Gesprachs mit Anderen ist-doch ist dies auch Husserls Antwort? In Husserls Philosophie findet sich eine bemerkenswerte Wende:" In den Logischen Untersuchungen schien der Monolog fur Husserl eine vollwertige und selbstandige Ausdrucksform darzustellen, der sich im »einsamen Seelenleben « abspielt (w IIII, 35ff.). In einem Manuskript iiber Sprache und sprachliche Mitteilung, das vermutlich aus dem Jahre 1931 stammt, erklart Husserl, daB wir » monologische Aussagen im stillen Denken « unter die » anomalen Modi « von Aussagen rechnen, und sagt ausdriicklich, daB wir dies »jetzt« tun (Hua xv, 221), also im Gegensatz zur friiher vertretenen Auffassung. Unsere Welt bestimmt sich durch sprachliche Mitteilung, und die Kommunikation mit den Anderen tragt wesentlich zur Konstitution unserer Welt bei und bereichert sie: Wir, die Subjekte der Welterfahrung, haben die endlos offene Welt nach ihren bekannten Wirklichkeiten und unbekannten Moglichkeiten je von uns aus, jeder Das Thema der Intersubjektivitat, ein problematisches und viclleicht das problematischste Thema der Philosophie Hu sserls, wird hier jeweils nur insoweit aufgegriffen , als es fur die Betrachtungen notwendig ist. Es wiird e den Rahmen sprengen und den GedankenfluB behindern, sich der Intersubjektivitat ausfuhrlicher zu widm en; ich weise hier nur beisp ielhaft auf die aufschlufsreiche Studie Dan Zahavis hin (Zahavi (1996)) sowie aufYamaguchis Arbeit tiber passive Synthesis und Intersubjektivitat (Yamaguchi (1982)) . 16 Vgl. hierzu ausfuhrlich: Steinbock (1995), S. 211 f.
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von sich aus durch die Vermittlung der Anderen und letztlich ihrer Mitteilungen. (Hua xv, 220) Das gemeinschaftliche Sprechen laBt sich also nicht umgehen, sondern nur durch Abstraktion konnen ihm zugrundeliegende vorpradikative Phanomene analysiert werden. Das schrnalert, wohlgemerkt, die Bedeutsamkeit solcher Analysen nicht; alle Konstitution von Gegenstanden setzt Gegenstandlichkeit, wie sie sich in passiyen Synthesen bildet, voraus, und wir sind uns der Existenz eines Gegenstandes nur deshalb gewiB, weil uns diese Gegenstandlichkeit vorpradikativ und un mittelbar gegeben war und uns affizierte. Irrtumlich ware blof die Annahme, es handele sich urn einen selbstandigen Bereich. Aktivitat und Passivitat sind verflochten: Aktivitat ist in Passivitat fundiert und sinkt wiederum in diese hinab, urn dort wirksam zu sein. Passivitat ist immer schon von Aktivitat durchdrungen; wir konnen passive Phanomene nur deshalb untersuchen und beispielsweise nachvollziehen, wie Assoziationen ihren Gang nehmen, weil es dort schon Geordnetheit gibt, die wir verstehen. Diese Geordnetheit »ist nicht eine blinde und im Grunde sinnlose Vorzeichnung von auBen her, sondern eine dem BewuBtseins-Ich in Form der Erkenntnis zugangliche « (Hua XI, 215). Wie nimmt das sprachliche Geschehen seinen Gang bzw. wo stoBen Erfahrung und sprachlicher Ausdruck ursprunglich zusammen? » Ursprunglichste Mitteilung ist Auslegung und sprachlicher Ausdruck dessen, was ich direkt erfahre oder erfahren habe « (Hua xv, 222). Hierher gehort das, was Husser! in den Logischen Untersuchungen als okkasionelle Ausdrucke eingefuhrt hat: Ein okkasioneller Ausdruck ist ein solcher, dem es »wesentlich ist, seine jeweils aktuelle Bedeutung nach der Gelegenheit, nach der redenden Person und ihrer Lage zu orientieren« (LU uh, 81). Ein okkasioneller Ausdruck wird erst verstandlich, wenn ich die Umstande der AuBerung kenne ; dem stehen die objektiven Ausdrucke gegenuber, fur die jene Situationsabhangigkeit nicht gilt und zu denen insbesondere Lehrsatze der Mathematik und der anderen theoretischen Wissenschaften gehoren. Als Beispiele fur okkasionelle Ausdrucke gibt Husser! die Personalpronomina wie »ich « sowie die Demonstrativa wie »dies« und »hier«, Es ist allerdings moglich, so Husserl, die okkasionellen Ausdrucke, die er auch als subjektive bezeichnet, in objektive zu uberfuhren, indem ich die notigen Bestimmungen hinzufuge: Ich, Tanja Stahler, schreibe hier, auf meiner Couch am Falkenberg in Wuppertal, jetzt, namlich am Vormittag des 6. Ianuar 2000, diesen Satz. Diese genauere Bestimmung unterbleibt normalerweise, und zwar zum einen »aus Grunden des praktischen Bedurfnisses, etwa wegen ihrer Umstandlichkeit «: Okkasionelle Ausdrucke sind im Normalfall aus dem Zusammenhang heraus verstandlich, und wer will schon alles ganz genau wissen? Zum anderen aber gilt, daB die genauere Bestimmung »in weitestem AusmaBe faktisch nicht ausfuhrbar ist und sogar fur immer unausfuhrbar bleiben wird« (w nil, 90) . Dieser faktischen Undurchfuhrbarkeit steht freilich die ideale Ersetzbarkeit gegenuber,
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Husserl kommt es bei seiner Analyse gerade auf die Situativitat an; der Satz wird umso wahrer, je mehr individuelle Bestimmungen ich hinzufuge, Doch bei genauerem Hinsehen gelangt Husserl schlieBlich zur Allgemeinheit: lndem ich zusatzliche Bestimmungen hinzufuge, wird der Satz allgemein verstandlich, auch fur Menschen, die sich in vollig anderen Situationen betinden. Auch bei Husserl zeigt sich die Schwierigkeit und letztlich Unmoglichkeit, meine unmittelbare Erfahrung durch Sprache auszudrucken: Ich brauche immer mehr Bestimmungen, mtiBte eigentlich meine Situation genau beschreiben inklusive der Vorgeschichte sowie meiner Wtinsche und Erwartungen, und dies laBt sich offensichtlich nicht realisieren. Sprache macht offenbar, wo wir un s immer schon befinden, namlich im Gesprach mit Anderen; sie zeigt aber auch, daB un sere unmittelbare sinnliche Erfahrung dieses Gesprach fundiert und nie ganz in ihm aufgeht.
Husserls Analysen der Passivitat sind reicher als Hegels Ausfuhrungen zur sinnlichen GewiBheit; er widmet diesem fundamentalen Bereich mehr Aufmerksamkeit. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Hegels Betrachtungen beginnen, ist der Bereich der sinnlichen GewiBheit im eigentlichen Sinne schon verlassen worden; denn sie wurde zum Sprechen gebracht. Eine weder von Hegel noch von Husserl wirklich berucksichtigte Frage ist die folgende: Gibt es die Moglichkeit eines Sprechens, das den ursprunglichen, vorgegenstandlichen Zustandlichkeiten keine oder nur wenig Gewalt antut? Mit anderen Worten, lassen sich Dunkelheit, Kalte, Warme usw. auf eine Weise beschreiben, die ihnen eher gerecht wird als eine Aussage der Form: »Das Ietzt ist die Nacht«? Eine solche Weise ware die Dichtung. Im dichterischen Sprechen ist es moglich, die sinn lichen Erfahrungen selbst zum Ausdruck zu bringen, anstatt den sinnlichen Bereich vorrangig im Kontrast zum Bereich der voll entwickelten Wahrnehmung zu thematisieren. Hegel beschaftigt sich in erster Linie mit dem Dbergang aus dem sinnlichen Bereich in den Bereich der Wahrnehmung und mit der Notwendigkeit dieses Ubergangs. Husserl hingegen versucht, so nahe wie moglich an der ursprunglichen Sphare der Passivitat zu bleiben, und er geht dem Reichtum der dort auffindlichen Phanomene nach oIm Gegensatz zu spateren Phanornenologen wie Heidegger und Levinas versucht Husserl aber nicht, eine sprachliche Ausdrucksform zu finden, die den Reichtum der passiven Sphare besser eroffnen konnte als unsere vertraute Sprache dies vermag . Es ist unvermeidlich, die Erfahrung von Zustandlichkeiten oder Gegenstandlichkeiten aufdas Wahrnehmen von Gegenstanden hin zu uberschreiten: das Wesen der Zeit und unser Wesen als im Dialog mit Anderen Stehende fuhren uns auf die nachste Ebene. Und doch ist es wichtig, im Auge zu behalten, daB es einen fundierenden Bereich gibt, in dem wir es noch nicht mit Dingen und ihren Eigenschaften zu tun haben.
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Die Wahrnehmung Die auBere Wahrnehmung ist eine bestandige Pratention, etwas zu leisten,wassie ihrem eigenenWesen nach zu leisten aufserstande ist. Also gewissermaBen ein Widerspruch gehort zu ihrem Wesen. Husserl, Hua XI, 3.
Was ist das Wesen der Wahrnehmung? Eine Eigenttimlichkeit besteht darin, daB wir einen einheitlichen Gegenstand wahrnehmen, wahrend uns gleichzeitig mannigfaltige Aspekte, Eigenschaften usw. von diesem Gegenstand gegeben sind . Sowohl Hegel als auch Husser! sehen die Spannung von Einheit und Mannigfaltigkeit als wesentliches Merkmal der Wahrnehmung an. Der Charakter dieses mannigfaltigen Wesens taucht jedoch auf unterschiedliche Weise auf: Hegel untersucht die Eigenschaften des Dinges, wahrend Husser! seine Erscheinungsweisen zum Thema macht-was dies jeweils heifst, muf im folgenden untersucht werden. Beide teilen aufserdem die Einsicht, daf Wahrnehmung ein Zusammenspiel von wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt ist. Sowohl Einheit als auch Vielheit kommen beiden Seiten des Wahrnehmungsvorgangs zu und bleiben unerklarlich, wenn sie nur einer Seite zugeschrieben werden sollen. Hegel und Husser! behaupten damit, daf das Subjekt aktiv an der Wahrnehmung beteiligt ist. Wahrnehmen ist niemals ein blofses Empfangen, sondern enthalt immer schon Denken, also Verstandestatigkeiten, die vereinheitlichen bzw. synthetisieren, aber auch unterscheiden bzw. differenzieren konnen.
a. DieHorizonthaftigkeit derWahrnehmung beiHusserl Die Vorkommnisse der passiven Sphare fundieren die Wahrnehmung; die Wahrnehmung laBt sich nicht verstehen, ohne auf passive Phanomene zuruckzugehen, doch wir konnen auch nicht im Bereich der Passivitat verbleiben, da dieser tiber sich hinaus verweist in den Bereich der Wahrnehmung und auBerdem immer schon von Aktivitat durchdrungen ist. Wenn nun die Wahrnehmung zum Thema wird, zeigt sich erneut, wie sie auf zugrundeliegende Ebenen (Passivitat und insbesondere ZeitbewuBtsein) verweist und gleichzeitig »hohere« Ebenen (Intersubjektivitat, T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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Bildung einer gemeinschaftlichen Welt) nicht nur impliziert, sondern auch bereits in sich schlieBt. Die verschiedenen Ebenen lassen sich nicht wirklich voneinander abgetrennt behandeln; Abstraktionen sind erforderlich, urn eine einzelne Ebene wie beispielsweise das ZeitbewuBtsein in Augenschein zu nehmen, und immer wieder kommt es zu Verweisungen auf andere Ebenen. Im FaIle von Hegels Philosophie lassen sich insofern leichter Stufen voneinander abtrennen, als sie sozusagen hierarchisch aufeinander folgen (wie unten noch genauer besprochen werden muB) und die oberen Stufen daher die unteren voraussetzen, aber nicht umgekehrt-doch auch hier muf genauer zugesehen werden; denn der Anfang wird erst im Resultat erreicht, und insofern handelt es sich jedenfaIls nicht urn eine streng lineare Entwicklung. Im folgenden wird die Spannung von Einheit und Vielheit in der Wahrnehmung zunachst als Spannung von Ding an sich und vielfaltigen Gegebenheitsweisen des Dinges besprochen. Husserl hat seine Auffassung bezuglich des Dinges an sich mehrmals modifiziert, wobei die spatere DarsteIlung des Zusammenhanges vom Ding an sich und den Gegebenheitsweisen des Dinges wesentlich plausibler ist als Husserls anfangliche Uberlegungen. In einem zweiten Schritt wird dann untersucht, aufwelche Weisedas Ding an sich den WahrnehmungsprozeB anleitetnamlich in Form von Verweisungen, die einen Zusammenhang, einen Horizont bilden. Der Horizont gewahrleistet den Zusammenhang des einen Dinges mit anderen Dingen und wirft somit die Frage auf, wie und warum ich einem bestimmten Ding meine Aufmerksamkeit schenke. In der Betrachtung des Phanomens der Aufmerksamkeit stellt sich heraus, daf das wahrnehmende Subjekt ebenso wie das wahrgenommene Ding an der Wahrnehmung beteiligt sind. DaB die Wahrnehmung ein solches Zusammenspiel ist, impliziert aber auch, daB Wahrnehmung nicht neutral-gleichgultig ist, sondern immer schon dem Ding zugeneigt oder abgeneigt ist. Diese verschiedenen Problemkreise zeigen, daf das Begreifen der Horizonthaftigkeit von Wahrnehmung vielfaltige Implikationen sowohl auf der Subjekt- als auch auf der Objektseite hat.
1. In der Betrachtung des Bereichs der Passivitat sind bereits einige Wesenszuge der Wahrnehmung zum Vorschein gekommen; die Feststellung, daB ein raumzeitlicher Gegenstand-und urn dessen Wahrnehmung soIl es hier gehen-nie aIlseitig, sondern immer nur einseitig gegeben ist, laBt gleich die wohl wichtigste Frage bezuglich der Wahrnehmung aufkommen: Wie kommt es, daB wir einen einheitlichen Gegenstand wahrnehmen, obwohl er uns doch immer nur einseitig gegeben ist? Wie stimmt die Mannigfaltigkeit der Erscheinungsweisen mit der Einheit des Gegenstandes zusammen? Wie konstituiert sich ein einheitlicher Gegenstand fur uns? Diese Fragen beschaftigten Husserl immer wieder und sind insofern fur
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seine Phanomenologie entscheidend, als Wahrnehmung fur ihn den Musterfall der Erfahrung darstellt, auf den alle Erinnerungen, Erwartungen, Idealisierungen usw. verweisen. Die Einsicht in die Perspektivitat der Wahrnehmung und notwendige Inadaquatheit der Gegebenheit des Dinges gehort zu den wichtigsten Erkenntnissen Husserls; wie grundlegend und weitgreifend diese Einsicht ist, zeigt sich beispiels weise in Husserls bekannter Feststellung, daB selbst ein Gott einen Gegenstand nur einseitig sehen kann (Hua III, §§43 u. 44). Das wesentliche Problem der Wahrnehmung liegt also in der Spannung von Einheit und Mannigfaltigkeit. Ebenso, wie sich bezuglich der Passivitat herausstellte, daB das Phanomen von Intention und Enttauschung schon im ZeitbewuBtsein auftaucht, im immer schon entgleitenden und entglittenen Ietzt, so finden wir im ZeitbewuBtsein auch bereits das Zusammenspiel von Einheit und Mannigfaltigkeit. Das mir gegebene Ietzt ist nie ein isolierter Punkt, sondern der Zusammenhang von Retention, Protention und dem, was Husserl als »Urimpression « bezeichnet, namlich dem Hohepunkt der Aktualitat, der mir nie rein und abgelost gegeben ist. Das [etzt konstituiert sich in der Mannigfaltigkeit von Retention, Urimpression und Protention, und doch habe ich immer ein BewuBtsein von einem einheitlichen (und nicht von einem dreigeteilten) Ietzt, Klaus Held bringt diesen Sachverhalt wie folgt zum Ausdruck: » Das BewuBtsein davon, daB Protention, Urimpression und Retention in dieser Uberganglichkeit der gedehnten Gegenwart untrennbar verbunden sind , ist das erste BewuBtsein von Einheit-inMannigfaltigkeit «.1 Auf der Ebene der Passivitat, also in den Synthesen, die letztlich in Retentionalitat und Protentionalitat grunden, konstituiert sich jedoch noch kein Gegenstand, sondern bloB eine Gegenstandlichkeit, eine Vorform eines Gegenstandes. Ein Gegenstand im vollen und eigentlichen Sinne muf mit sich identisch bleiben, so daB wir in der Wiedererinnerung auf ihn zuruckkommen und ihn in der Erwartung vorwegnehmen konnen. Er muB daher durch die Aktivitat des Ich konstituiert werden.' Doch wie konstituiert sich ein Gegenstand auf der Grundlage seiner vielfaltigen Erscheinungsweisen? Das nattirliche BewuBtsein ist nicht auf die mannigfaltigen Erscheinungsweisen gerichtet, sondern auf den einheitlichen Gegenstand, dem es ein Ansichsein unabhangig yom Erscheinen fur das BewuBtsein zuspricht. Wie konstituiert sich dieses Ansich? Dieser Frage wendet sich Husserl im vierten Abschnitt der Analysen zur passiven Synthesis zu. Ein Motivationsgrund fur das Ansetzen eines Ansichseins des Gegenstandes ist darin zu finden, daB sozusagen ein Uberschuf an Gegebenheitsweisen vorliegt: Wir wissen aus Erfahrung, daf der Strom der Erscheinungen nicht abreiBt und eine Gegebenheitsweise immer
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Held (1992), S. 28. Vgl. Hua XXIX, S. 25 : » >Gegen stand
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auf eine weitere verweist. Der Gegenstand geht nicht in einer bestimmten Erscheinungsweise auf, sondern tritt mit der Aufforderung an mich heran, ihn genauer zu betrachten, ihn zu drehen und zu wenden etc. Da der Gegenstand immer einen Vorrat weiterer Gegebenheitsweisen bereit halt und die jeweilige Gegebenheitsweise uberdauert, spricht das naturliche BewuBtsein ihm ein Ansichsein zu, ein Sein tiber das jeweilige Gegebensein fur das BewuBtsein hinaus. Doch welchen Status hat dieser ansichseiende Gegenstand, dieses Ding an sich? In welchem Verhaltnis stehen Mannigfaltigkeit der Erscheinungsweisen und Einheit des Dinges an sich? Husserl wendet sich dem, was am Gegenstand identisch bleibt und seine Einheit ausmacht, unter verschiedenen Bezeichnungen zu. Das, was er in den Ideen I unter den Titeln gegenstandlicher Sinn und identischer Kern beschreibt, entspricht im wesentlichen dem, was in den Analysenzur passiven Synthesis als Ansichsein des Dinges, Gegenstand selbst oder Substrat x bezeichnet wird. Das Grundproblem ist durchgangig die Spannung von Mannigfaltigkeit und Identitat, Nach einer kurzen Darstellung von Husserls Auffassung in den Ideen I solI hier ausfuhrlicher auf die Konzeption des Dinges an sich in den Analysen zur passiven Synthesis eingegangen werden, da jene Konzeption einige Prableme der fruheren Beschreibungsweise lost. In den Ideen I unterscheidet Husserl der Sache nach dreierlei: Erstens den Gegenstand »schlechthin «, den Trager der Pradikate, das identische x. Zweitens den Gegenstand im »Wie« seiner Bestimmtheiten, also gewissermaBen den Trager mit den Pradikaten. Und drittens den Gegenstand im »Wie« seiner Gegebenheitsweisen, was eine Erweiterung des zweiten Sinnes ist: Unter Gegebenheitsweisen versteht Husserl solche Unterscheidungen wie das Moglich - oder Wirklichsein des Gegenstandes, seine Nahe oder Ferne, das Wahrgenommen- oder Erinnertwerden des Gegenstandes usw. Die dritte Bedeutung ist also die umfassendste, wobei vor aHem im Auge behalten werden muB, daB ein wichtiger Unterschied besteht zwischen Bestimmtheiten (Pradikaten: blau, grofs,... ) und Gegebenheitsweisen (wahrgenommen, erinnert, phantasiert, ... ), die das Gegebensein des Gegenstandes fur mich bezeichnen. Ailediese Unterscheidungen beziehen sich letztlich nicht auf den Gegenstand der »transzendenten Raumwirklichkeit « (Hua III, § 88), sondern auf den Gegenstand als wahrgenommenen, auf den Gegenstandspol, das intentionale Korrelat meines Bewulstseins.' Husserl nennt dieses Korrelat den »noematischen Gehalt « oder das »Noema«, Das Noema »Apfelbaum« unterscheidet sich vom Apfelbaum im Garten dadurch, daB ich mir das Noema »Apfelbaum« auch dann noch vergegenwartigen kann (durch Phantasie oder Erinnerung), wenn der Apfelbaum im Garten gefallt wurde. Ein Noema kann nicht gefallt werden, und ein Noema kann auch nicht verbrennen. 3
Vgl. die Ausfuhrungen zur Intentionalitat des BewuBtseins in Kapitel zb). Es ist problematisch, an dieser Stelle der vorliegenden Arbeit vom Noema zu sprechen, da die phanomenologische Epoche und der dam it verbundene Einstellungswechsel noch nicht eingefuhrt wurden; gleichwohl ist es
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Bezuglich des Gegenstandes als Noema nun macht Husserl die drei oben aufgefuhrten Grundunterscheidungen. Der Grund, diese Unterscheidungen zu machen, ist die Problematik der Identitat im Wechsel: Der wahrg enommene Apfelbaum un terscheidet sich vom erinn erten Apfelbaum, und doch gibt es dort eine Identitat. Die Gegebenheitsweise andert sich, aber der »noernatische Sinn « bleibt identisch. Daruber hinaus kann sich sogar der »noernatische Sinn « ande rn und doch einen identischen »Zentralpunkt« beh alten: Der Apfelbaum kann seine Bestimmtheiten andern; er kann seine Farbe andern, seine GroBe usw., wobei do ch ein identischer Trager der Bestimmtheiten verbleibt. Dieser Trager oder Einheitspunkt laBt sich von den Bestimmtheiten unterscheiden , aber nicht trennen; der Trager ist da, aber er laBt sich nicht im engeren Sinne wahrnehmen. Da Hu sserl gewisserm aBen verschiedene Schichten des Noemas unterscheidet, spricht er vom »Kern« bzw. »no ematischen Kern «, Innerhalb des Kerns laBt sich ein Zentralpunkt (der Trager, das x) unterscheiden, und in umgekehrter Richtung kommen wir zum vollen Noema, wenn wir zum Zentralpunkt nicht nur die Bestimmtheiten, sondern auch noch die Gegebenheitsweisen hin zufugen.' In den Analysen zur passiven Synthesis wird derselbe Sachverhalt folgender maBen beschrieben: Fur die Wahrnehmung ist wesentli ch, so Hus serl, »daf wir im Sinn einer einstimmig synth etisch fort schreitenden Wahrnehmung immerfort unterscheiden konnen un aufhorlich wechselnden Sinn und einen durchgehenden identischen Sinn « (Hua XI, 20) . ]eder Phase der Wahrnehmung kommt ein besonderer Sinn zu, da sie den Gegenstand in bestimmter Weise, in einem bestimmten
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moglich, in einem vorlaufigen Sinn den Gegenstand als fur das BewuBtsein gegebenen und das »Wie- des Gegenstandes zu un tersuchen. Leider ist Husserls Term inologie in diesem Zusammenhang alles ande re als eindeutig. Genauer gesagt verwendet er den Ausdruc k »Kern« in dre i Bedeutungen; Kern kann also aile drei unt erschiedenen Dimensionen des Noemas bezeichnen . Wir hab en es gewissermaBen mit einer Kern schachtelung zu tun : In Paragraph 91 der ldeen I wird der Kern des Noemas als das Identische, sich in den versehiedenen Erlebnisse n Durehhaltende bestimmt. Dies ist ein vorlaufiger Sinn von Kern , den Husserl sparer du rch den Begriff des »Zentralpunktes« des Kern s ersetzen wird . (Ansehaulieh gesproehen ware es du rchaus sinnvoll, die unt erste, identische Schicht des Noemas als Kern zu bezeichnen ; denn urn was fur einen merkwiirdigen Kern handelt es sieh, wenn er noch einen kleineren Kern ent halt! Andererseits ist ein Kern imme r noeh ausgedehnt, wahr end der Zent ralpunkt, eben als Punkt, keinerlei Ausdehnung mehr hat und inso fern bloBer Trager ist.) Die zweite und in den ldeen I am weitesten verbr eitete Bedeutun g des Kern s ist diejenige, die den Trager mit den Bestimmtheiten bezeiehnet und dam it umfassende r ist als der Zent ralpunkt (Hua Ill, §§ 129- 131). Drittens schlieBlich spricht Hu sserl jedoc h auch noch vorn »vollen Kernund meint damit den »Sinn im Modus seiner Fulle«, mit andere n Worten: den Gegenstand im »Wie« seiner Bestimmth eiten und Gegebenheitsweisen, also das volle Noema (Hua Ill , §132) . Der Ausdruek des »vollen Kerns - ist wirklich ungliicklich, da er keinerlei Riicksicht mehr nimmt auf den anschauliehen Sinn eines Kerns (z. B. als Kern einer Frucht) und zudem die vorher gemach ten Unte rscheidungen vernebe lt. Entseheidend ist jedoch, daB Husserl der Sache nach dreierlei un terseheidet, wie oben ausgefuhrt , un d daf die angemessenste Bedeut ung vom Kern die des Gegenstandes im »Wie« seiner Bestimmtheiten ist.
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Wie gegeben hat. Durch diesen flieBenden, in jeder Phase neuen Sinn geht jedoch »die Einheit des sich in stetiger Deckung durchhaltenden, sich immer reicher bestimmenden Substrates x, des Gegenstandes selbst « (ebd.) hindurch. Was ist das sich Durchhaltende im Wahrnehmungsverlauf? Handelt es sich urn einen identischen Punkt, der sich ergibt, wenn man von allen Eigenschaften abstrahiert? Diese Auffassung scheint Husserl in den Ideen I zu vertreten, wenn er davon spricht, daB das Identische » das pure x in Abstraktion von allen Pradikaten « sei (Hua III, 321). Doch Husserl ist sich daruber im klaren, daB ein solches x eben in der Tat eine Abstraktion im wortlichen Sinne darstellt, namlich das, was ubrigbleibt, wenn man aIle Eigenschaften des Gegenstandes abzieht - und was dann ubrig ist, das ist nichts Reales, sondern eine bloBe Idee. Die Schwierigkeit dieser Idee besteht nicht nur darin, daB ihr aIle Bestimmtheiten fehlen, die einen Gegenstand ausmachen, zum Beispiel seine Raumlichkeit und Materialitat, so daB diese Idee zur Untersuchung des Wesens der Wahrnehmung nicht viel taugt. Schwerer wiegt noch, daB ein x, welches sich nach Abziehen aller Eigenschaften ergabe, keinen Anhalt mehr bietet , urn ein bestimmtes Ding von einem anderen Ding zu unterscheiden. Wahrnehmung heiBt jedoch gerade, viele Dinge in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen-ein Problem, das im Zusammenhang mit Hegels Darstellung der Wahrnehmung wieder auftauchen wird. Husserls Bestimmung des identischen x in den Analysen zur passiven Synthesis tragt meines Erachtens weiter: Das Substrat x, der Gegenstand selbst ist all das, »als was ihn der ProzeB der Wahrnehmung und aIle weiteren moglichen Wahrnehmungsprozesse zur Bestimmung bringen und bringen wurden « (Hua XI, 20) . Auch bei diesem identischen gegenstandlichen Sinn handelt es sich urn eine Idee, urn eine »im Unendlichen liegende Idee, die Idee des voll bestimmten Gegenstandes, der durch und durch bestimmter, durch und durch gekannter ware (.. .) und die volle Bestimmung selbst ohne jedes plus ultra an noch zu Bestimmendem« (ebd .). Diese Idee liegt deshalb im Unendlichen, weil es in der Wahrnehmung nie zur absoluten Gegebenheit des Gegenstandes kommt; Wahrnehmung raumlicher Gegenstande ist notwendig einseitig und inadaquat. In der wirklichen Wahrnehmung gibt es immer ein plusultra: Esgibt immer genauere Bestimmung, und es gibt auch immer die Moglichkeit der Tauschung und durchstreichenden Neubestimmung. Dennoch kommt dieser Idee im WahrnehmungsprozeB eine wesentliche Rolle zu: Sie fungiert als Regel und leitet den WahrnehmungsprozeB. Urn hier Mifiverstandnisse zu vermeiden, muB im Auge behalten werden, wie eine solche Idee konstituiert werden und als leitende fungieren kann . Rudolf Bernet erklart gleichermaBen umsichtig und einsichtig, wie Husserls Auffassung von der »teleologisch antizipierten adaquaten Dinggebenheit « die Auflosung eines Paradoxes ist.' Das Paradox liegt darin, so Bernet, »dass einerseits Vgl. Bernet (1978a), (1978b) un d Kapitel 4 in Bernet (1996). Bernet zeigt im Rahmen seiner Erlauterungen unter anderem, daf Husserls Auffassung in den ldeen I einen Fortschritt gegenuber
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eine adaquate Dinggebenheit wesenmassig gar nicht verwirklicht werden kann und dass andererseits doch jede Erscheinung bzw. jede kontinuierliche Erscheinungsmannigfaltigkeit diese adaquate Dinggebenheit bzw. dieses Ding-an-sich teleologisch antizipiert«," Wir gelangen nie zu einer adaquaten Dinggebenheit, und insofern ist der WahrnehmungsprozeB unendlich. Das Ziel des Wahrnehmungsprozesses kann somit nicht die adaquate Dinggebenheit sein, sondern die Naherbestimmung des Dings im Fortsetzen des Prozesses selbst. Dieser ProzeB setzt sich jedoch nicht blindlings fort; es geht nicht darum, immer weiter wahrzunehmen, sondern immer genauer wahrzunehmen. Die adaquate Dinggebenheit oder das Ding an sich fungiert dabei als leitende Idee. Husserl sagt in den Ideen I, daB die vollkommene Gegebenheit des Dinges als Idee vorliege, und zwar als einsichtige Idee. Die Idee eines unendlichen Kontinuums von Erscheinungen ist »nicht selbst eine Unendlichkeit «, und die» einsichtige Gegebenheit der Idee dieser Unendlichkeit« ist nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar gefordert (Hua III,35 1) . II. Das Ding an sich darf nicht miBverstanden werden als etwas vor dem WahrnehmungsprozeB fest bestimmt Vorliegendes, sondern es wird in der fortschreitenden Wahrnehmung gebildet. Auf der Grundlage der Mannigfaltigkeit von Erscheinungsweisen und im Ruckgang auf diese wird das Ding an sich bestimmt, doch es ist nicht mit dieser Mannigfaltigkeit identisch, da es eine einheitliche Idee ist.?In der Wahrnehmung antizipieren wir das Ideal eines adaquat gegebenen Dings, obwohl wir dieses nie erreichen; dieses Ding an sich gibt dem WahrnehmungsprozeB Regeln vor, gemaf denen Erscheinungen auf weitere verweisen im Sinne einer Naherbestimmung. Grundstruktur dieses Prozesses ist das Zusammenspiel von Intention und Erfullung oder Enttauschung." Dieser Aufbau des Wahrnehmungsprozesses ist gemeint, wenn Husserl die Wahrnehmung als »horizonthaft« bezeichnet: Iede Erscheinung verweist auf weitere Erscheinungsweisen; jedes eigentlich Erschei-
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den Logischen Untersuchungen, ja sogar die Uberwindung eines metaphysischen Gegensatzpaares (namlich dem von Erscheinung und Ding-an-sieh) darstellt. Inwiefern meines Erachtens die in den Analysen zur passiven Synthesis vertretene Auffassung eine weitere Klarunggegenuber den Ideen I ausmacht, sollte anhand der Frage nach dem Status des» x« bereits klargeworden sein. Bernet (1978a), S. 266. Vgl. ebd. Vgl. Husserls treffende Zusammenfassung: »In diesen uberaus komplizierten und wundersamen Systemen der Intention und Erfullung, die die Erscheinungen machen, konstituiert sich der immer neu immer anders erscheinende Gegenstand als derselbe. Aber er ist nie fertig, nie fest abgeschlossen« (Hua XI,13).
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nende ist umgeben und durchsetzt von einem intentionalen Leerhorizont, von einer Leere, »die nicht ein Nichts ist, sondern eine auszufiillende Leere, (. ..) eine bestimmbare Unbestimmtheit« (Hua XI, 6). »Horizont« meint also den Zusammenhang von Verweisungen, der sich ausgehend vom eigentlich Gegenwartigen auftut. Dabei laBt sich unterscheiden zwischen dem Innenhorizont, der uns weitere Aspekte des einen und selben Gegenstandes gibt, und dem AuBenhorizont, der Verweise enthalt von dem Gegenstand, dem wir gerade unsere Aufmerksamkeit zuwenden, auf weitere Gegenstande und auf alles sich im naheren oder weiteren Umfeld Befindliche. Wahrnehmung ist also nie Wahrnehmung eines isolierten Gegenstandes, da dieser sich in einem Zusammenhang befindet und tiber sich hinaus weiter verweist - und doch konnen wir einen einzelnen Gegenstand von anderen unterscheiden. Wie kommt es, daB ein Gegenstand sich als einheitlicher konstituiert? Hier ist noch einmal auf das Wesen der passiven Synthesen hinzuweisen. Die grundlegendsten einheitsbildenden Synthesen sind, wie gesagt, die des ZeitbewuBtseins. Die Einheit eines Gegenstandes konstituiert sich dann, indem vermoge assoziativer Verbindungen (die ihrerseits den Zusammenhang von Retention, Urimpression und Protention voraussetzen) die Erscheinungsweisen eines Gegenstandes zusammenhangen. Ich wende mich eben nicht mechanisch der Ruckseite meiner Tassezu, sondern weil die Vorderseite der Tasse mich darauf verweist und mir diese Ruckseite verrnoge Gleichheit und Ahnlichkeit vorzeichnet. Uber die Verweisungen sind die Erscheinungsweisen eines Gegenstandes verbunden. Indem die Verweise sich darauf richten, das gerade thematische Ding zu immer besserer und genauerer Gegebenheit zu bringen, fragt die zuerst gegebene Erscheinung sozusagen nach der nachsten, genaueren; der Zusammenhang der Erscheinungsweisen stellt sich gewissermaBen als Zusammenhang von Frage und bestatigender/verneinender Antwort dar-oder als Intention und Erfullung/Enttauschung. Das nie zu erreichende Ideal ware die vollstandige, allseitige Gegebenheit, und dieses Idealleitet als einheitliches Ding an sich den WahrnehmungsprozeB.
III. Doch wie kommt es dazu, daB wir einem bestimmten Gegenstand unsere Aufmerksamkeit schenken? Urn Einblicke zu gewinnen in das Wesen der Aufmerksamkeit, ist es entscheidend, den WahrnehmungsprozeB als ein Zusammenspiel, ein »konstitutives Doppelspiel« (Hua XI, 15) von Gegenstand und Subjekt zu begreifen. Husser! bezeichnet die vom Gegenstand an mich ergehende »Anm utung« oder Aufforderung als »affektive Kraft«. Diese affektive Kraft wirkt nicht im Sinne einer zwingenden Kausalursache, sondern gewissermaBen als Anspruch von Seiten des Gegenstandes, dem ich entsprechen kann, aber nicht muB. Esgibt in einer bestimmten Situation jedoch nicht nur eine affektive Kraft, deren Anspruch an mich ergeht, sondern mehrere Dinge uben affektive Krafte aus und fordern mich auf, mich ihnen
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zuzuwenden.? Hu sserl spricht in diesem Zusammenhang von einem » Wett streit «, in dem es beispielsweise zum »Phanomen der Verdeckung« kommen kann (Hua XI, 146 ff.); es findet notwendigerweis e Auswahl und Ausschlu f statt . Wie stark die affektive Kraft eines bestimmten Gegenstandes in diesem Wetts treit ist, kann zum Beispiel eine Frage der Intensitat dieser Kraft sein: Ein lautes Gerausch kann leise Mu sik uberton en bzw. »verdecken«. Oder es konnte Kontrast die affektive Kraft starken: Vor ein em dunklen Hintergrund heben sich helle Farben starker abo Dies waren nur zwei einfache Beispiele; naturli ch spielen letztlich vielfaltige Faktor en in eine Wahrnehmungssitu ation hinein, wie Interessen und Erwartungen, Erinnerungen an fruhere ahnliche Situatio nen etc.' ? Wesentlich fur den WahrnehmungsprozeB ist, daB immer beide Seiten beteiligt sind, Gegenstand und Subjekt, Wahrgenommenes und Wahrnehmender, und nicht die eine Seite die allein bestimmende, die andere die bloB aufnehm ende ist. Das naturliche BewuBtsein neigt namlich zunachst dazu , dem Gegenstand die entsche idende Rolle in der Wahrnehmung zuzusprechen, wie auch Hegel zu Beginn seiner Wahrnehmungsan alyse betont. Hu sserl hat mit der Herausstellung des Ph anomens der » Kinasthesen « einen entscheidenden Beitrag dazu geliefert, die wesentliche Rolle des wahrnehmenden Subjekts sichtbar zu m achen." An der Wahrnehmung (griech.: aisthesis) ist immer m eine Bewegung (griech.: kinesis) als Bewegung meines Leibes beteiligt. Das naturliche Bewu Btsein ubersieht diese Beteiligung, da sie normalerw eise gewohnh eitsmafsig, ohne mein aktives Eingre ifen ablauft , Doch wenn dieser Ablauf gesto rt oder gehemmt wird , wer de ich meiner Beteiligung bewufst." Wenn ich mir beispielsweise den Nacken verre nkt habe, merke ich, in welchem MaBe m ein Sehen plotzlich eingeschrankt ist, obwohl ich zuvor verm utlich behauptet hatt e, fast immer nur nach vorn e zu sehen und mich dem zuzuwenden, was mir frontal gegenuber steht, IV. Wahrnehmung geschieht im Zusammenspiel von Gegen stand und Subjekt-damit kommt den Interessen, Erwartungen und Zielen des wahrnehmenden Subjekts ein wichtiger Beitrag zu. Es lassen sich m ehrere Grunde dafur angebe n, daf Wahrnehmung nie neutral sein kann, obwohl Husserl mindestens in seiner fruhen, stati-
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Vgl. zu diesem und weiteren Wesenztige n der Affektion Stei nboc k (2002). Ma urice Merleau -Pon ty beschrei bt diesen Wetts treit sehr anscha ulich: Die Dinge ma chen sich »rneinen Blick streitig , und wah rend m ein e Augen an eine m von ih nen haften blieben , spurte ich den Anspruch, de n die anderen m einem Blick entgegen brac hten und der sie aile mi t erstere m koexis tieren lieS« (PrW, 74/74). II Vgl. insbes. Hua IV, »Zweiter Absch nit t. Drittes Kapitel: Die Konstitutio n der seelischen Realitat durch den Leib«: Hua XI, S. 13 ff., Hua XI, Beilage XXV (»Kinasthesen un d po tentielle Erwa rtungen «). 12 Vgl. Held (1992) , S. 21.
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schen Phanomenologie dazu neigt, ein neutrales GegenstandsbewuBtsein als jedem zugeneigten oder abgeneigten, erfreuten oder ablehnenden BewuBtsein zugrundeliegend anzunehmen." Er geht davon aus, daB beispielsweise jedes asthetische Gefallen in einer neutralen Wahrnehmung oder Vergegenwartigung einer Wahrnehmung fundiert ist (vgl. Hua III, §u6). Diese Auffassung ist AnstoB der Kritik beispielsweise fur Heidegger, der aufweist, daB die Dinge uns ursprunglich als zuhandene und nicht als vorhandene begegnen und daB unser In-der-Welt-Sein immer schon von Stimmungen durchdrungen ist,!' worauf hier nicht ausfuhrlicher eingegangen werden kann - doch auch innerhalb von Husserls eigenem Ansatz fuhrt diese Auffassung zu Problemen oder gar Widerspruchen, Wenn Wahrnehmung namlich nie adaquat, nie abschlieBbar ist, dann muB es etwas geben, das uns zur Fortsetzung der Wahrnehmung und zum immer genaueren Erforschen des Gegenstandes motiviert. Andernfalls ware die logische Konsequenz Frustration, Resignation und Untatigkeit." Doch da wir aufgrund bestimmter lnteressen wahrnehmen und genauere Kenntnis der Gegenstande gewinnen wollen, widmen wir uns der unabschlieBbaren Aufgabe immer wieder und immer weiter. Sei es, daB wir bestimmte praktische Interessen verfolgen, sei es, daB der Erkenntnisgewinn selbst als lustvoll empfunden wird, wie es Aristoteles im letzten Buch der Nikomachischen Ethik beschreibt -Jetztlich ist unsere Wahrnehmung geleitet von dem Bestreben, das Angenehme zu suchen und das Unerfreuliche zu meiden." Husserls Tendenz, von einer neutralen Wahrnehmung auszugehen, scheint auch in der »phanomenologischen Pundamentalbetrachtung « (Hua III, § 27 ff.) auf: Zunachst erlautert Husserl die Horizonthaftigkeit der Wahrnehmung als Stufung von aktuellem Wahrnehmungsfeld, Bereich des »deutlich oder undeutlich Mitgegenwartigen« und schlieBlich »Ieerern Nebel der dunklen Unbestimmtheit «, Vgl. Hua Ill , § 28. Vgl. auch Hu a IV , »Erster Abschnitt. Erstes Kapitel : Die Idee der Natur uberhaupt «, wo davon die Rede ist, daB Gemiits- und Wertakte auf eine fund ierende Schieht verweisen, in der wir es mit bloBen Sinnesgegenstanden zu tun haben . 14 Vgl. Heidegger, SuZ, insbes. §15 (»Das Sein des in der Umwelt begegnenden Seienden «) und §29 (»Das Da-sein als Befindlichkeit «). 15 Vgl. Bernet (1978a), S. 268. Bernet zeigt, daB unsere letzte Motivation in unserer (Selbst-)verantwortung zu finden ist, wie es sieh in Husserls Krisis widerspiegelt. Wenn Bernet allerd ings zur Erlauterung dieser Verantwortung von optimaler Erkenntnis bzw. optimaler Wahrheit sprieht und diese als »bestmogliche, d. h. argumentativ bestausgewiesene Antwort auf eine bestimmte Frage « begreift (Bernet (1978b), S. 666), dann bleibt diese Auskunft problematisch, so lange nicht geklart ist, wie eine solehe Wahrheit im phanornenologischen (und nieht etwa im positivistischen o. a.) Sinn e verstanden werden konnte. 16 Es lassen sich einige weitere Argumente dafiir finden , daf Wahrnehmung imme r schon von Stimmungen durchdrungen ist. Beispielsweise hat Natal ie Depraz untersucht, inwiefern das Wesen der Protention deutlich macht , daf BewuBtsein nieht urspriinglich neutral ist: Die Protention, Vorspann ung, ist narnl ich affektiv angereiehert als ein Vor-gefuhl dessen, was mit Furcht, Hoffnung, Angst usw. auf uns zukommt. Dies zeigt sich, wenn man die Protention ihrem eigenen Wesen nach untersucht und nicht, wie Husserl es oftmal s unternimmt, von Gegenwart und Retention aus. Vgl. Depraz (1999). 13
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in dem die Welt nur der Form nach, frei von jeder inhaltlichen Bestimmung vorgezeichnet ist. Diese Abstufung von Horizonten konnte miBverstanden werden im Sinne einer bloB raumlichen Aufeinanderfolge : Was mir am nachsten ist, in Husserls Fall der Schreibtisch, ist aktuell anschaulich gegenwartig, gefolgt von der mitgegenwartigen raumlichen Umgebung des Schreibtisches . Der »leere Nebel dunkIer Unbestimmtheit« ware dann jener Bereich, der von mir weiter entfernt ist als dasjenige, zu dem ich mich praktisch im Moment hinbewegen konnte. Doch so ist es nicht gemeint: Nahe ist keine bloB raumliche Nahe; der Zettel auf dem Tisch kann mich an den Freund erinnern, der sich gerade sehr weit von mir entfernt aufhalt und mir doch naher und in grofserem MaBe mitgegenwartig ist als beispielsweise der Papierkorb unter dem Schreibtisch, an den ich stoBe, weil ich vollig vergessen hatte, daB er sich dort befindet. So sagt Husserl an dieser Stelle ganz deutlich, daB die Welt keine »blofse Sachenwelt«, sondern »in derselben Unrnittelbarkeit « eine Welt der Werte und Cuter, eine praktische Welt ist (Hua III , § 27). Husserl betont, daB die Dinge mir als Gebrauchsobjekte gegeben sind und als »schon und haBlich, als gefallig und mifsfallig« etc. An dieser Stelle wird also ausdrucklich, was Husserl anderswo zu vernachlassigen scheint, daB namlich die Welt gleichursprunglich Gebrauchswelt, Wertewelt, praktische Welt ist. Dennoch mulste man wohl zum einen auf der Grundlage von Heideggers Ausfuhrungen sagen, daB die Welt nicht nur gleichursprunglich Gebrauchswelt ist, sondern daB dieser Charakter sogar ur sprunglicher ist als der einer »blolsen Sachenwelt«. Zum anderen wird Husserl seiner eigenen Behauptung der Gleichursprunglichkeit in gewisser Weise untreu, wenn man seine Beschreibungen betrachtet, in denen im allgemeinen doch der Eindruck uberwiegt, es gehe urn eine weitestgehend neutrale, »ungestimmte « und unbeteiligte Wahrnehmung der Welt- urn die Wahrnehmung einer Welt, der ich eher gegenuberzustehen scheine als daB ich in sie involviert ware. Nach der Betonung des Gebrauchscharakters der Welt kommt Husserl in der Fundamentalbetrachtung auch kurz auf den intersubjektiven Charakter der Welt zu sprechen. Wie oben bereits erwahnt, gewahrleistet erst die Intersubjektivitat die Objektivitat unserer Wahrnehmung. Objektiv nennen wir einen Sachverhalt, der nicht nur fur mich personlich und subjektiv gilt, sondern der fur andere nachvollziehbar ist. Iede Person faBt die Welt auf ihre Weise auf, und doch verstandigen wir uns uber die Welt, die wir als gemeinsame begreifen. Insgesamt zeigt sich in Husserls Analyse der Wahrnehmung, daB die ursprungliche Annahme des naturlichen BewuBtseins, in der Wahrnehmung gehe es nur urn mich und das Ding, irrig ist; denn es geht immer schon urn mehr: Ich stehe im Gesprachszusammenhang mit anderen Ich, und das Ding steht im Verweisungszusammenhang mit anderen Dingen . Obwohl Husserl dazu neigt, letzteren Aspekt starker zu betonen, ist es doch eindeutig, daB fur ihn Welt immer der ganze Zusammenhang ist und beides umfaBt.
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b. Die Wahrnehmung des Dinges mit Eigenschaften bei Hegel Hegel sagt im Wahrnehmungsparagraphen der Enzyklopadie, daf das Wahrnehmen im Gegensatz zur sinnlichen GewiBheit »den Zusammenhang der Dinge« erfafst (Enz. III, §420). Im Wahrnehmen ist entscheidend, daB ein Ding sich von anderen Dingen abhebt und unterscheidet und gerade durch diese Abgrenzung zu dem wird, was es ist. Doch dies ist eigentlich erst die dritte Stufe der Wahrnehmung, wenngleich das Verhaltnis des Dinges zu anderen Dingen durchgangig eine Rolle spielt. Durch das gesamte Wahrnehmungskapitel zieht sich die Spannung von Eins und Auch, von Einzelheit und Allgemeinheit hindurch. Das Ding ist Eins, und gleichzeitig ist es eine Mannigfaltigkeit von Eigenschaften, ein Auch. Urn Hegels Beispiel aufzugreifen: Das Salz, das »eine Ding« Salz ist weiB und auch scharf, auch granular usw. Letztlich ist also der Wahrnehmungsgegenstand wie bei Husserl durch den Widerstreit von Einheit und Vielheit gekennzeichnet, und es kommt darauf an zu verstehen, wie beides zusammengebracht werden kann. Vorgreifend soll hier aber auch bereits daraufhingewiesen werden, daf die Erscheinungsweisen des Gegenstandes bei Husserl nicht mit den Eigenschaften des Dinges bei Hegel identifiziert werden konnen. Die Gemeinsamkeit liegt im Mannigfaltigkeitscharakter; doch die Eigenschaften sind gewissermaBen bereits allgemeinere, vermitteltere, .durchdachtere .Bestimmungen als die Erscheinungsweisen. Die Vorderseite dieser Tasse gehort, auch wenn sie nur ein Aspekt dieser Tasse ist, eben dieser besonderen Tasse zu. Das WeiBdes Salzes hingegen ist das, was das Salz beispielsweise mit dem Schnee teilt - und doch ist das WeiB des Salzes nicht genau das WeiB des Schnees und nicht das, was wir als ein allgemeines WeiB bezeichnen konnten, An den Eigenschaften des Wahrnehmungsdings bei Hegel taucht bereits die Frage nach Allgemeinheit und Einzelheit auf, die das gesamte Kapitel bestimmt. Die Wahrnehmung versucht, der Spannung von Einzelheit und Allgemeinheit zu entgehen, indem sie Hinsichten unterscheidet und Einzelheit und Allgemeinheit verteilt, beispielsweise an Gegenstand und BewuBtsein. Letztlich muB dieses Unterfangen scheitern, egal, wie viele verschiedene Hinsichten die Wahrnehmung auftut; denn der Widerspruch wird von der Wahrnehmung nicht aufgelost oder aufgehoben, sondern nur verschoben und verteilt. Der Widerspruch verlangt nach dem Denken. Es wird die These widerlegt, »daf menschliche Erkenntnis sich auf passive, zuschauende Wahrnehmung reduzieren laBt«;17 das Wahrnehmen schliefst, urn mit Husserl zu reden, immer schon Leistungen der Synthesis ein. Die Mittelstellung der Wahrnehmung zwischen sinnlicher GewiBheit und Verstand zeigt, daB ahnlich wie bei Husserl die Wahrnehmung nur im Riickgriff aufbeide verstanden werden kann bzw. von beiden durchdrungen ist.
17 Kenneth R. Westphal (1996), S. 153.
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Die Wahrnehmung des Dinges von vielen Eigensehaften umfaBt fur Hegel drei Ebenen. Zuerst zeigt sieh, daB Einzelheit und Allgerneinheit sowohl im Ding als aueh in seinen Eigensehaften vorkommen. Das wahrnehmende Subjekt ist auf dieser ersten Stufe unbeteiligt bzw. verhalt sieh rein aufnehmend. Indem jedoeh die Wahrheit des Gegenstandes sieh als dessen Siehselbstgleiehheit herausstellt, wird das Unterseheiden, also die Vielheit, dem BewuBtsein zugesproehen. Diese zweite Moglichkeit, mit der Spannung von Einzelheit und Allgemeinheit umzugehen, fuhrt zu dem Problem, daB das einzelne Ding so nieht von anderen Dingen abgehoben werden kann. Als Resultat ergibt sieh, daB das Ding immer im Zusammenhang mit anderen Dingen steht, und daB es Eins sowohl als Aueh ist- auf eine Weise, die erst der Verstand begreifen wird . 1.
Naeh diesen Vorbemerkungen zur Riehtung des Kapitels soll nun die Wahrnehmung im Detail, und das heiBt, in ihren drei Sehritten naehvollzogen werden. Da wir uns naeh wie vor im Bereich des BewuBtseins (im Gegensatz zu SelbstbewuBtsein usw.) befinden, gilt dem BewuBtsein der Gegenstand als das Andere, ihm Fremde. Dieses Fremde ist zugleieh das Wesentliehe, Bestandige, das gleichgultig dagegen ist, ob es wahrgenommen wird oder nieht. Als Ergebnis der Prufung der sinnliehen GewiBheit hatte sieh ein Allgemeines ergeben , das in einem ProzeB entstanden war und daher nieht einfaeh, sondern vermittelt ist. Im Untersehied zur sinnliehen GewiBheit kennt die Wahrnehmung Untersehiede an ihrem Gegenstand, da sie bereits tiber das Prinzip der Negation verfugt und insofern sagen kann , daB etwas weiB und nieht blau, suB und nieht salzig ist. Die sinnliehe GewiBheit konnte nur ein »WeiB « auffassen und geriet sofort in groBte Sehwierigkeiten, wenn sieh das WeiB in ein Blau verwandelte und sie somit ihrer Wahrheit beraubt wurde. Fur die sinnliehe GewiBheit gab es nur Weehsel und Umsehlag. Der Gegenstand der Wahrnehmung ist das » Ding von vielen Eigensehaften «, Im Durehlaufen der sinnliehen GewiBheit hat sieh gezeigt, daB es solches gibt, das dieses wie aueh jenes sein kann und doeh nie nur dieses oder jenes ist: das Allgemeine. Was nun als Eigensehaft des Dinges in Erseheinung tritt, ist ein solches Allgemeines: WeiBsein ist zugleieh das WeiB des Salzes und das WeiB des Sehnees, und doeh weder das eine noeh das andere. Das Sinnliehe ist erhalten als Eigensehaft, als sinnliehes Allgemeines. Daraus ergibt sieh eine erste Bestimmung des Wesensdes Dinges als » Medium «, als » Aueh «: Das Salz ist weiB und aueh scharf, aueh pulvrig usw. Die Eigensehaften des Dinges sind zunachst gleichgultig gegeneinander; doeh damit die Eigensehaften bestimmte Eigensehaften sind (und so das Ding zu einem bestimmten Ding maehen konnen), mussen sie sieh abgrenzen; sie miissen andere von sieh aussehlieBen und sieh so von diesen unterseheiden. Damit ist das Ding »nieht nur ein Auch, gleiehgiiltige Einheit, sondern aueh Eins, ausschliefiende
Einheit« (PhG, 95).
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Die Spannung von Einzelheit und Allgemeinheit findet sich also bei genauem Zusehen sowohl in der Eigenschaft als auch im Ding: Die Eigenschaft ist die bestimmte einzelne Eigenschaft, die das Ding von anderen unterscheidet, beispielsweise dieses besondere WeiB. Gleichzeitig ist das WeiB das, was dieses Ding mit anderen Dingen teilt: Nur weil das Salz weiB ist, ist das WeiB noch nicht vergeben. Als WeiBes steht das Ding mit manchen Dingen in einem Verhaltnis der Gleichheit oder Ahnlichkeit, mit anderen in einem Verhaltnis des Kontrastes; es ist das Allgemeine, das an diesem wie auch an anderen Dingen vorkommt. Das Ding wiederum ist einerseits Auch, Allgemeinheit vieler Eigenschaften, andererseits aber Eins, namlich dieser bestimmte einzelne Gegenstand in Entgegensetzung zu anderen. Letzterer Wesenszug macht es moglich, daB die »Sichselbstgleichheit« (PhG, 97) zum Kriterium der Wahrheit wird , also die Identitat des Dinges mit sich selbst, auf die ich immer wieder zuruckkommen kann . Die Bestandigkeit, die Moglichkeit des Zuruckkornmens auf den einen und selben Gegenstand, die bei Husser! notwendige Bedingung fur Objektivitat ist, macht also auch bei Hegel das entscheidende Merkmal der Wahrnehmung aus, dam it sie wahr, und das heiBt, objektiv wahr, sein kann. Wenn es ein Kriterium fur die Wahrheit der Wahrnehmung gibt, dann impli ziert dies, daB Wahrnehmung auch falsch sein bzw. Fehler mach en kann. Und in der Tat deutet ja schon der Titel des Kapitels, »Die Wahrnehmung oder das Ding und die Tauschung« an, daB zur Wahrnehmung wesensmafsig die Moglichkeit der Tauschung gehort, Der Wahrnehmung kann Mannigfaltigkeit, kann Reichtum zugehoren - doch dafur zahlt sie den Preis, daB sie sich vergreifen kann und den Gegenstand als etwas anderes nimmt, als er ist." Die Moglichkeit der Tauschung macht offenkundig, daf die Wahrnehmung nicht etwa einfachhin all das empfangt, was sich darbietet, sondern sie nimmt, sie wahlt aus, sie ist gerichtet, sie stellt Verbindungen her. Anders ware es auch gar nicht moglich, etwas von dem reichhaltigen Wahrnehmbaren zu haben: Die Wahrnehmung hatte dann alles, und das hielse, gar nichts. Doch in dieser Moglichkeit der Tauschung deutet sich bereits an, daf das Wahrnehmen aktiver und verstandiger ist, als es sich zunachst zeigen mochte, daf es sich also bereits im Ubergang befindet. Gleichzeitig ist die Tauschung ein merkwiirdiges Phanomen, tiber das ich nur im Modus der Moglichkeit sprechen kann. Wenn ich tiber wirkliche Tauschung spreche, ist sie bereits vergangen.
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Vgl. die ansehauliehen Erlauterungen von Heidegger, GA 32, S. 125 f.: » Der Reiehtum der sinnliehen GewiBheit gehort nieht dieser (... ) und zwar deshalb nieht, wei! das Meinen je nur das einzelne Dieses meint, aber nieht das Was, und d. h. nieht Mannigfaehes und Vielfaehes in Einem . (... ) Nur dem Wissen, das in sieh ein Nehmen ist, kann etwas gehoren. (.. .) Bei diesem Nehmen, das ja grundsatzlich aus einer Vielheit herausnimmt, kann es sieh daher im Was vergreifen und den Gegenstand als das nehmen, was er nieht ist; das Wahrnehmen kann sieh tauschen «.
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II. AIle Tauschung verweist auf ihr Gegenstiick, die Sichselbstgleichheit und Bestandigkeit des Gegenstandes. Urn dem Gegenstand diese Eigenschaft und damit seine Wahrheit zu erhalten, nimmt das Wahrnehmen aIle Unterschiede auf sich. Wir haben damit die zweite Stufe der Wahrnehmung erreicht, die man als Stufe des Verteilens bezeichnen konnte. Wurde zuvor die Spannung von Einheit und AIlgemeinheit nur im Gegenstand ausgetragen, so kommt nun die Seite des BewuBtseins ins Spiel; durch Unterscheidung verschiedenster Hinsichten wird die Spannung zu entkraften gesucht. Der Gegenstand bietet sich zunachst als Einer dar, und urn ihm seine einfache Identitat zu erhalten, wird die AIlgemeinheit dem BewuBtsein zugesprochen. Der Gegenstand ist das ausschlieBende Eins-doch da ich an diesem Eins viele Eigenschaften finde, ist das Einfache und Wahre letztlich die einzelne Eigenschaft als solche, beispielsweise das bestimmte WeiB dieses Gegenstandes. Damit aber sind wir unverhofft in die sinnliche GewiBheit zuruckgefallen: die besondere Eigenschaft ist ein sinnliches Sein, das keine Negativitat kennt, und das Wahrnehmen ist zu einem bloBen Meinen geworden. Das Wahrnehmen wurde zuruckgeworfen in den Anfang, und doch ist der Ausgangspunkt durch die Erfahrung nicht unverandert geblieben. Es hat sich vielmehr gezeigt, daB die Wahrnehmung notwendig in sich zuruckkehrt, daB sie also wesensmafsig in sich reflektiert ist. Das BewuBtsein kommt zu sich zuruck und erkennt dadurch, daf es eine Seite des Wahrnehmungsprozesses ausmacht; es erkennt gleichzeitig, daB die in der Wahrnehmung auftretende Unwahrheit ihm zuzusprechen ist. Doch indem es sich dieser Unwahrheit bewuBt ist und die Unwahrheit berichtigt, kommt ihm letztlich die Wahrheit zu. Das BewuBtsein geht also auf der Grundlage der tiber es selbst und seinen Gegenstand erworbenen Erkenntnisse nochmals ans Werk und beschreibt das Einssein des Gegenstandes und Auchsein des BewuBtseins genauer: Das Ding ist Eins, und es ist nur weif, wenn es »an unser Auge gebracht « wird, nur suB, wenn »an unsere Zunge« usw. (PhG, 99). Man konnte meinen, daB Hegel damit unserer Leiblichkeit Rechnung tragt, ahnlich wie es Husserl in der Analyse der Kinasthesen tut; doch es handelt sich hier bei Hegel eindeutig nur urn eine Zwischenstufe, und der besondere Charakter unserer Leiblichkeit in ihrer eigentumlichen SteIlung zwischen BewuBtsein und Gegenstanden spielt fur Hegel wohl letztlich keine RoIle.19 Wenn jedoch aIle AIlgemeinheit und Verschiedenheit dem BewuBtsein zukommt, tritt das entscheidende Problem auf, daB das Ding sich nicht von anderen Dingen unterscheiden kann: »Es schlieBt aber andere nicht, insofern es Eins ist, von 19
Ludwig Landgrebe erlautert, inwiefern und warum Hegel den wichtigen Bereich der vor begrifflichen kinasthetischen Selbstbewegung ubers ieht . Vgl. Landgrebe (1980) , S. 72ff.
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sich aus-denn Eins zu sein ist das allgemeine Aufsichselbstbeziehen, und dadurch, daB es Eins ist, ist es vielmehr allen gleich -, sondern durch die Bestimmtheit « (PhG, 100). Dies ist eine entscheidende Erkenntnis: Das Eins-sein wird von allen Dingen geteilt und kann so gerade nicht ihren Dingcharakter zum Ausdruck bringen; denn Ding-sein heiBt, bestimmtes Ding zu sein. Diese Einsicht, die Hegel so deutlich formuliert, bildet wohl den Grund dafur, daB Husserl-um hier kurz auf das letzte Unterkapitel zuruckzublicken-sseinen ersten Ansatz nicht verfolgen kann, das Identische des Gegenstandes als reines x in Abstraktion von allen Pradikaten anzusetzen. Das identische x muB vielmehr der vollstandig bestimmte Gegenstand, der Gegenstand mit all seinen Eigenschaften sein, auch wenn der vollstandig bestimmte Gegenstand eine nie erreichbare Idee ist. III. Die Eigenschaften mussen also dem Ding zugesprochen werden. Damit wird das Ding zum »Auch «, zu einer blofsen Sammlung von Eigenschaften, und das Ineinssetzen der Eigenschaften ist Aufgabe und Leistung des BewuBtseins. 1m Ruckblick zeigt sich aber, daB Einzelheit und Aligemeinheit notwendigerweise abwechselnd dem Ding und dem Wahrnehmen zugesprochen wurden, so daB dem Ding offenbar selbst dieses gedoppelte Wesen zukommt bzw. es an ihm selbst eine »entgegengesetzte Wahrheit « hat. Der dritte Anlauf nimmt daher das Ding als das Ganze der beiden Momente und versucht, die Spannung, die zuvor durch Verteilung entkraftet werden sollte, ganz im Gegenstand unterzubringen. »Das Ding ist Eins, in sich reflektiert; es ist fur sich, aber es ist auch fur ein Anderes; und zwar ist es ein anderes fur sich, als es fur rein] Anderes ist« (PhG, 102). Es werden also wiederum Hinsichten unterschieden, blof dieses Mal nicht im Hinblick auf Gegenstand und Bewufstsein, sondern im Hinblick auf mehrere Gegenstande. Der Widerspruch wird an zwei Gegenstande verteilt: Fur sich ist das Salz einfach und Eins, und erst das hinzukommende Andere, beispielsweise der Zucker, macht das Salz zum Auch von Eigenschaften, zum Anderen. Die Einheit des Dinges wird erst durch andere Dinge »gestort«; jedes wird erst durch andere ein anderes. Doch trotz dieser Verteilung kommt der Unterschied schliefslich auch an das einzelne Ding selbst, da jedes Ding ein unterschiedenes ist und diesen Unterschied an sich hat. Also wird noch einmal eine Unterscheidung und Verteilung versucht, dieses Mal von Wertigkeiten: Die Mannigfaltigkeit soll zwar notwendig an dem Ding sein, aber gleichzeitig unwesentlich fur es. Doch in diesem Ansatz klingt sofort an, daB er zu Problemen fuhren wird; denn wie soll etwas Notwendiges unwesentlich sein? Die Behauptung ist, daB das Einssein dem Ding wesentlich ist und ihm zukommt, sofern es nicht in Beziehung zu anderen Dingen steht. Doch das Ding verhalt sich gerade als Eins, wenn es sich zu anderen verhalt, und damit geht es »vielmehr durch seine wesentliche Eigenschaft zugrunde « (PhG, 103). Das Resultat ist, daf die Unterscheidungen von Hinsichten und das Verteilen der
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Einheit und Allgemeinheit miBlingt: »Der Gegenstand ist vielmehr in einer und derselben Riicksicht das Gegenteil seiner selbst: fur sich, insofern erfur Anderes, und fur Anderes, insofern erfur sich ist« (PhG, 104). Der Gegenstand ist bloB bestimmt, eigenstandig und sich selbst gleich, insofern er sich von anderen abhebt und diese von sich ausschlieBt. Nur indem ein Ding sich abhebt von einem Hintergrund an solchen Dingen, die es nicht ist, erfullt er die Bedingungen, die wir an ein Wahrnehmungsding stellen." DaB ein Ding immer in einem Zusammenhang steht und nur in diesem und aus diesem heraus ein Ding sein kann, ist ein Gedanke, den Hegel mit Husserl teilt. Was jedoch Hegels Argumentation von der husserlschen Auffassung des Wahrnehmungshorizonts unterscheidet, ist zum einen, daB Hegel das Augenmerk auf die eigenschaftlichen, kategorial bestimmten anderen Dinge richtet, wahrend es Husserl auf den Verweisungscharakter des Horizonts ankommt, durch den die Dinge wesentlich verbunden sind (so daB demjenigen Ding, das gerade im Blickpunkt des Interesses steht, immer eine Vorrangstellung zukommt, gleichzeitig aber erklart werden kann, wie wir von ihm aus zu anderen Dingen gelangen) . Sowohl Hegel als auch Husserl stoBen dabei auf das Problem, wie es kommt, daB der Gegenstand nicht mit seiner Umgebung verschwimmt und ineinanderlauft-sbeide gelangen also zur einheitsbildenden Funktion des denkenden BewuBtseins. Doch ein weiterer Unterschied besteht darin, daB Husserl mit seiner Beschreibung des Horizonts dem Umstand Rechnung tragt, daB es ein » Immer weiter « gibt, einen Leerhorizont, von dem wir nur wissen, daB Bezuge aus dem Wahrgenommenen und Wahrnehmbaren in ihn hineinfuhren, der aber so unbestimmt ist, daB bereits die Vorstellung, er bestunde unbedingt aus immer weiteren Dingen, seinem Charakter nicht gerecht wird. Doch Fragen nach einem prinzipiell unendlichen » Immer weiter « stellen sich fur Hegel auf der Stufe des endlichen BewuBtseins der Wahrnehmung noch nicht. Indem bezuglich des Wahrnehmungdings Fursichsein und Sein fur Anderes zusammenfallen, haben wir eine »unbedingt absolute Allgerneinheit« erreicht, die nicht mehr Gegenstand der Wahrnehmung sein kann, sondern in das Gebiet des Verstandes gehort, Das Wahrnehmen kann nur Hinsichten unterscheiden und seine Elemente gemaf dieser Hinsichten verteilen, aber es kommt nicht zu etwas Neuem, und der Widerspruch oder die Spannung taucht an der einen oder anderen Stelle immer wieder auf. Eugen Fink betont, daB das Ding der Wahrnehmung ein Paradox ist, und zwar im wortlichen Sinne: Der paradoxe Charakter des Dinges, fur sich zu sein, sofern es gerade fur andere ist, lost die Auffassung auf, welche die doxa, das gewohnliche BewuBtsein oder der »gesunde Menschenverstand « (PhG, 105) vertreten hatte." Diese Auffassung wird jedochwie aIle Gestalten des BewuBtseins-nicht durch Heranbringen von etwas Fremdem
Vgl. Merold Westphal (1992), S. 93: »Innerhalb der Wahrnehmung ist ihr Objekt immer als ein Vordergrund gegen einen Hintergrund unterschieden «. 21 Vgl. Fink (1977), S. 106f. 20
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aufgelost, sondern durch die Widerspruche, in die sie sich selbst verstrickt. Das Wahrnehmen stoBt zum ersten Mal auf den Zusammenhang der Dinge; es erkennt, daB die Dinge sich nicht von ihrer Beziehung auf andere Dinge ablosen lassen. Doch dem Wahrnehmen allein fehlen die Mittel, sich dieses Zusammenhangs, der letztlich das »unbedingte Allgemeine « ist, anzunehmen. Die Wahrnehmung ist auf das Denken und dessen zusammenfassende, Verbindungen herstellende Leistungen angewiesen.
Husserl hatte von Hegels Analysen der Wahrnehmung das lernen konnen, was er auf eigene Weise in seinen spateren Untersuchungen einsieht: Das Ding an sich, das Identische des Gegenstandes kann nicht der Gegenstand ohne seine Eigenschaften sein, sondern vielmehr die Idee des vollstandig bestimmten Gegenstandes. Es ist verfuhrerisch, von den Eigenschaften zu abstrahieren und den Gegenstand als reine Einheit anzusetzen; doch der Gegenstand ohne Eigenschaften ist leer. Obwohl ein solcher Gegenstand einheitlich ist und der Vielheit entkommen zu sein scheint, haben wir nichts gewonnen, da der Gegenstand keine Identitat hat und sich nicht von anderen Gegenstanden unterscheiden kann. Die Einheit des Gegenstandes kann also nicht in Abstraktion von der Vielheit, sondern nur im Durchgang durch diese gewonnen werden. Husserl war anfanglich wahl zu sehr mit dem einzelnen Ding beschaftigt, urn den Zusammenhang des Dinges mit anderen Dingen hinreichend zu beachten. Hegel wiederum konzentriert sich so sehr auf die verschiedenen Dinge, daB er die Verbindungen-in Husserls Worten: Verweisungen-zwischen den Dingen nicht bedenkt. Daher bespricht Hegel weder, wie es kommt, daB wir auf ein bestimmtes Ding aufmerksam werden, noch wie es moglich ist, von einem Ding zu anderen Dingen fortzuschreiten. Fur Hegel besteht die Welt aufdieser Stufe bloB aus Dingen; die Welt ist gewissermaBen eine Ansammlung von Dingen. Es wird sich zeigen, daB Hegel auch im folgenden keinen zufriedenstellenden Begriff von Welt als Zusammenhang entwickelt; hier konnte er eindeutig von Husserllernen. Das Wahrnehmen staBt auf die Spannung von Einheit und Vielheit, von Einheitlichkeit des Gegenstandes und Mannigfaltigkeit der Eigenschaften oder Erscheinungsweisen. Das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit laBt sich nicht verstehen, wenn nur auf den einzelnen Gegenstand hingesehen wird; erst der Zusammenhang der Dinge gibt AufschluB daruber, was das Ding ist und warum es diesen Doppelcharakter von Eins und Auch notwendigerweise haben muB. Hegel behauptet, daB wir Wahrnehmung erst verstehen, wenn wir zum Verstand ubergehen, der Zusamrnenhange bemerkt; der Verstand wiederum weist tiber sich hinaus auf die Vernunft, und so weiter. Pur Husserl ist die Wahrnehmung keine Ebene, tiber die prinzipiell hinausgegangen werden mtiBte; gleichwohl mussen wir Husserl zufolge eine neuartige, von
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der naturlichen Einstellung verschiedene Einstellung einnehmen, urn Wahrnehmung zu verstehen und auf das Wie des Wahrnehmungsgegenstandes zu achten, anstatt blof auf den Gegenstand als so1chen gerichtet zu sein. Dieser Einstellungswechsel bringt dann das Gegebensein des Gegenstandes fur das BewuBtsein in den Blick, wahrend die ungebrochene Wahrnehmung das BewuBtsein ubersieht. Die Einstellung der Wissenschaften ist fur Husserl keine Denkhaltung, die notwendig auf dem Weg lage zwischen der Naivitat des Alltagsmenschen und der philosophischen Einstellung: Die wissenschaftliche Einstellung fuhrt zwar eine Tendenz der Wahrnehmung fort, indem sie das zunehmend genauere Bestimmen des Gegenstan des ins Unendliche treibt; gleichzeitig aber vergiBt die wissenschaftliche Einstellung das konstituierende BewuBtsein in gesteigertem MaBe und ist so noch schwieriger zur Philosophie zu bewegen als das vorwissenschaftliche BewuBtsein.
KAPITEL
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Die naturwissenschaftliche Einstellung Und sie [die Fachwissenschaftler] bildeten dieseMethoden aus zwarnicht in der Naivitatdes Alltagsmenschen, aber doch in einer Naivitat hoherer Stufe... Husser!, Hua XVII, 353 Sowohl fur Hegel als auch fur Husserl bildet die naturwissenschaftliche Einstellung eine Spielart des naturlichen BewuBtseins. Zwar stellt die Naturwissenschaft eine bestimmte Weiterentwicklung gegenuber dem vor- und auBerwissenschaftlichen AlltagsbewuBtsein dar (in welchem Sinne dies der Fall ist, muB ebenfalls untersucht werden)-doch das wesentliche Kennzeichen des naturlichen BewuBtseins, seinen Gegenstand strikt von sich zu trennen, kommt auch dem naturwissenschaftlichen BewuBtsein zu. Die Wissenschaften verstarken diesen Wesenszug sogar noch, wie insbesondere Husserl betont, indem sie namlich das forschende Subjekt vollig aus der Betrachtung ausschalten mochten, urn »Objektivitat« der Forschung zu sichern. Hegel beschreibt die Errungenschaften der Naturwissenschaften als Bildung mehrerer Welten: Der sinnlichen Welt wird eine erste ubersinnliche Welt von Naturgesetzen gegenubergestellt, Allerdings hat diese ruhige Welt von Gesetzen ihre Mangel , und sie kann nicht wirklich in zufriedenstellender Weise zur Erklarung der bewegten Erscheinungswelt herangezogen werden. Die Gegenubersetzung laBt sich nicht aufrechterhalten, und so kommt es zur Entdeckung einer zweiten ubersinnlichen Welt, welche die beiden ersten Welten umfafst. Auch Husserls Untersuchung der naturwissenschaftlichen Einstellung laBt sich als Verhaltnis mehrerer Welten beschreiben: Die Wissenschaften errichten durch Mathematisierung der Natur eine ideale Welt, deren Wesen deutlich hervortritt, wenn man sie mit der vor- und auBerwissenschaftlichen Welt blofser Anschauung kontrastiert. Iene Anschauungswelt ist das, was Husserl als Lebenswelt bezeichnet- jedoch als Lebenswelt in einem engen Sinne. Indem die Ergebnisse der Wissenschaften in die Lebenswelt »einstromen «, tritt eine Lebenswelt im umfassenden Sinne in Erscheinung, die Wissenschaften, Natur und Kultur umfaBt. Letztlich konnen die Wissenschaften ihren einseitigen Objektivismus nicht durchhalten. Indem sie die Subjektvergessenheit zum AuBersten getrieben haben, ist es besonders schwierig fur die Philosophie, bei ihnen Gehor zu finden . Doch T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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gerade die extreme Steigerung der naturlichen Einstellung kann schliefslich ihre inneren Widersprtiche (so Hegel) oder ihre Krisenhaftigkeit, die weit tiber die Wissenschaften hinaus ausstrahlt (so Husserl), nicht mehr verbergen.
a. Die Entdeckung von Naturgesetzen beiHegel Die Frage, die am Ende der Wahrnehmung stehenblieb und der sich der Verstand im nachsten Kapitel der Phiinomenologie des Geistes anzunehmen hat, lautet: Wie lassen sich Einheit und Mannigfaltigkeit zusammen denken? Oder: Wie konnen wir verstehen, daB die Dinge immer im Zusammenhang erscheinen, wie konnen Sein-fur-sich und Sein-fur-andere vereinbart werden? Das Kapitel tiber Kraft und Verstand ist das dritte und letzte BewuBtseinskapitel der Phiinomenologie; ruckbli ckend und vorblickend laBt sich skizzenhaft folgendes festhalten: Der Gegenstand des BewuBtseins hat sich entwickelt tiber das Diese zum Allgemeinen und schlieBlich zum unbedingt oder absolut Allgemeinen, Die Wissensweisen des BewuBtseins verhalten sich zueinander wie in der griechischen Antike aisthesis (hier als reines Gewahrwerden des Sinnlichen), doxa (hier als alltagliches Bewufstsein, das wahrnehmen und sich tauschen kann) und episteme (Verstandeswissen).' Die Einstellung des Verstandes wird in dieser Arbeit im Sinne der Einstellung der Naturwissenschaften interpretiert; diese Interpretationsentscheidung wird zunachst kurz gerechtfertigt. AnschlieBend wird das Verstandes-Kapitel am Leitfaden der darin auftauchenden drei »Welten« besprochen. Die Spannung von Einheit und Vielheit, die das Resultat der Wahrnehmungsanalyse bildete, wird als Bewegung zwischen Einheit und Vielheit aufgefaBt, und Hegels Name fur diese Bewegung ist Kraft. Die Kraft in ihrer Bewegtheit gehort der sinnlichen Welt an. Das der Kraft zugrundeliegende Gesetz jedoch ist bestandiger als die Kraft; es fuhrt zur ersten ubersinnlichen Welt, welche die Wahrheit der sinnlichen Welt bildet: das »ruhige Reich von Gesetzen« . Die Gesetze sollen die Vorgange in der sinnlichen Welt erklaren - doch dam it das Erklaren gelingt, mussen Gesetz und Kraft gleich beschaffen sein: Die beiden unterschiedenen Welten fallen damit zusammen in die beide umfassende, zweite ubersinnliche Welt. Hegels Erorterungen der verkehrten Welt sind teilweise recht ratselhaft und mussen in gewisser Ausfuhrlichkeit interpretiert werden. Am Ende des Ineinanderfallens der Welten kommt das BewuBtsein ins Spiel. Die Gesetze sind sozusagen Verstandesprodukte, und doch entsprechen sie genau der wirklichen Welt- damit begegnet das BewuBtsein sich selbst; der Forscher kann nicht von sich selbst absehen.
Vgl. Fink (1977), S. 117.
DI E NATU RW ISSE NSC HAFT LIC HE EI NSTELLUNG
I. Im folgend en wird die Stu fe des Verstandes als Hegels Auslegung des Standpunktes der modernen Naturwissenschaften gedeutet.' Die Wissenschaften wenden sich den Gegenstanden in ihrem Zusammenhang zu; die Welt wird als Spiel von Kraften aufgefaBt, die wir mittels Gesetzen beschreiben konnen, Der Wissenschaftler ist dabei gan z der Welt zugewandt: Er versteht die Welt, aber nicht sich selbst.' Dazu sieht er freilich auch gar keine Veranlassung ; denn die Wissenschaft ist umso besser, je objektiver sie ist und je mehr sie sich vorn Selbst abwendet. Darauf wird im Rahmen von Hu sserls Kritik an den Naturwissenschaften zu ruckzukommen sein. Hu sserl kritisiert den Objektivismus der Wissenschaft en, der sie vergessen macht , daB Wissensch aft immer eine Leistung der Subjektivitat ist und daB die alltagliche, subjektiv -relative Lebenswelt ihr Sinnesfundament bildet. Auch in Hegels Verstand eskapitel scheitern die Wissenschaften letztlich daran, daB sie zwei Seiten auseinanderhalten wollen , die sich nicht auseinanderhalten lassen, namlich die allgerneingultigen, ewigen und ruhigen Gesetze und unseren Verstand. Das Gerust, das der Verstand so sorgfaltig erdacht und aufgebaut hat, urn die beiden Seiten auf stabile Weise einander gegenub erzustellen, bricht gewisserma Ben am Ende zusamme n, und die beiden Seiten fallen in eins. So stoBt das BewuBtsein auf sich selbst. Die Wissenschaften konnen also ihre eigene Position , ih re eigene Trennung nich t durchhalten. Angesichts des Autbaus der Phiinomenologie des Geistes ergibt sich jedo ch eine gru ndl egende Schwierigkeit , wenn die Stufe des Verstandes als diejenige der Naturwissenschafte n ausgelegt werden soll: Nachd em das BewuBtsein zum SelbstbewuBtsein geworden ist, gelangen wir zur Stufe der » beobachtenden Vernunft «, also der Vernunft, welche die Natur beobacht et. Entspricht nicht vielmehr diese Stufe dem Standpunkt der Naturwissenschaften? Diesem Einwand kommt sicherlich einiges Recht zu; dennoch gibt es Grunde dafur, an dieser Stelle das Verstandeskapitel aufzugreifen (und die Unt ersuchung im wesentlichen auf dieses zu beschranken). Die beobacht end e Vernunft wendet sich namlich der organischen Natur zu, entspricht insofern weitestgehend der Biologie und einem Teilgebiet der Chemie. Die modernen Naturwissenschafterr' sind jedoch gepragt von der
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Das Stichwo rt »Wissenschaften «fallt auch in den meisten Auslegungen dieses Kapit els in der Literat ur; denn och wird diese Int erpretation slinie im allgemei nen nicht durchgehalten , bzw. spatestens angesichts der Beispiele, die Hegel fur die »verkehrte Welt« gibt, wenden sich die Int erpreten von den naturwissenschaftlichen Beispielen aboVgl. dazu Abschnitt IV des vorliegenden Kap itels. Vgl. Harris (1997), S. 265· Unte r »rnodernen Naturwissenschaften « werden hier die Naturwissensc hafte n der Neuzeit verstan den, die mit Galileo Galilei ihren Anfang genommen haben. Husserl erlautert in der Krisis, warum die neuzeitliche Mathematisierung der Natur ein ent scheiden der Schritt war, der die modernen Naturwisse nschaften wesentlich von allen vorne uzeitlichen Wissenschafte n unterscheidel. Vgl. dazu Teil b) dieses Kapitels.
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Vorrangstellung, die der Physik zukommt, und deren Position findet sieh wohl vor allem im VerstandeskapiteI. Zudem hat die Physik gewissermaBen auf die anderen Naturwissenschaften ubergegriffen, so daB die belebte Natur nach dem Vorbild der unbelebten erforscht wird; auch dort wird heute nach allgemeingultigen Gesetzen, die sieh mathematisieren, d. h. durch mathematische Gleichungen und Modelle beschreiben lassen, gesucht. Ebenso hat die moderne Technik als diejenige Ausformung der Naturwissenschaften, die unsere gegenwartige Welt bestimmt, ihre Grundlagen gewiB eher in den Tendenzen, die im Verstandeskapitel auftauchen. Und der Blick auf die gegenwartige Situation ist schlieBlich unumganglich, wenn es urn eine Vergleiehbarkeit von Hegels und Husserls Gedanken zu den Naturwissenschaften geht -eine solche Vergleichbarkeit ist zweifelsohne fur das Verstandeskapitel in weitaus grofierem MaBe gegeben. Wenn Hegel daher schreibt, daB die beobachtende Vernunft »zwar wieder in das Meinen und Wahrnehmen« hineingeht, »aber nieht als in die GewiBheit cines nur Anderen, sondern mit der GewiBheit , dies Andere selbst zu sein « (PhG, 185), dann darf man zumindest die Frage stellen , ob die modernen Naturwissenschaften nieht gerade diese Einsicht zuruckgestellt haben und sich sogar dem Menschen als einem fremden Gegenstand zuwenden, ohne die GewiBheit, dies Andere selbst zu sein? Gleiehzeitig zeigt dieses Zitat, daB es in der Phiinomenologie nieht urn einen geradlinigen Fortschritt von einer Stufe zur nachsten geht. Es laBt sich also nicht behaupten, die beobachtende Vernunft sei in jeder Hinsicht eine hohere Stufe als die des Verstandes und den Wissenschaften wurde daher unrecht getan, indem sie nieht in ihrem fortgeschrittensten Stadium behandelt wurden, Die Bewegung der Phiinomenologie ist ein Kreisen : wir kommen auf einer hoheren Stufe, namlich derjenigen der Vernunft, wieder zu Meinen und Wahrnehmen zuruck; wir haben zwar Vernunft, aber diese muB sozusagen selbst erst wieder verstandig werden. Diese Vorbemerkungen geben die Richtung fur die genauere Auslegung des Kapitels uber Kraft und Verstand. Das Kapitel ist nicht so klar gegliedert wie die beiden vorhergehenden; im folgenden wird eine Struktur von drei »Welten« als drei Stu fen zugrunde gelegt. Diese Welten sind die sinnliche Welt, die erste ubersinnliche Welt und die zweite ubersinnliche Welt. II. Wie sinnliehe GewiBheit und Wahrnehmung nimmt auch der Verstand zunachst seinen Gegenstand als das Wesentliehe. Die positive Bestimmung des unbedingt Allgerneinen, das sieh als Ergebnis der Wahrnehmung ergeben hat, besteht laut Hegel darin, eine » Einheit des Pitrsichseins und des Pur-ein-Anderes-Seins« zu bilden (PhG, 108). Wie lassen sich der Gegenstand als Medium vieler Materien, vieler stofflieher Bestimmungen, die ihn von anderen unterscheiden, und der Gegenstand als fursichseiender einheitlieher zusammen denken? Nur so, daB der Gegenstand als Bewegung gedacht wird, namlich als Bewegung, die zwischen Einheit und Vielheit
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oszilliert. Die Bewegung besteht einerseits in der Ausbreitung der vielen Materien, in ihrer AuBerung, in der sie sich geltend machen, andererseits im Ruckgang oder Zuruckgedrangtsein in den einen Gegenstand. Diese Bewegung nennt der Verstand Kraft. Hegel sagt an anderer Stelle: »Die Kraft [druckt l die Idee des Verhaltnisses selbst aus«." Die Kraft steht fur das bewegte Verhaltnis, in dem der Gegenstand zu anderen Gegenstiinden und zu sich selbst steht. Zweifelsohne befindet sich Hegel in diesem Kapitel im Dialog mit Kant," Er versucht zum einen , die Kategorien, also die obersten Verstandesbegriffe, die bestimmen, was und wie das Seiende ist, neu zu denken, namlich aus einem einheitlichen Grund heraus. Zum anderen stellt die Kraft wohl insbesondere einen Versuch dar, die drei Kategorien der Relation, also des Verhaltnisses (Inharenz und Subsistenz, Kausalitat und Dependenz sowie Gemeinschaft'), in verwandelter Form aufzunehmen. Die Kraft ist dabei nicht mit der wichtigen Kategorie der Kausalitat identisch, sondern »erhebt sich« tiber diese, d. h. umfaBt diese, aber auf einer hoheren Stufe, und umfaBt mehr als nur diese." Inwieweit Hegel diesen Absichten genuge tun kann, mufste in einer Untersuchung zu Kant und Hegel geklart werden; deutlich ist jedoch, daB Hegel mit dem Begriff der Kraft das Wesen des Seienden einheitlich gefaBt hat, sofern dieser Begriff uberzeugend entwickelt wird. Die Kraft muf sich notwendig aufsern und bleibt darin doch bei sich. Kraft hat damit die zwei Seiten, entfaltete, fur sich bestehende Momente und in sich seiende, einheitliche Kraft zu sein. Die AuBerung der Kraft wird auf den ersten Blickvon etwas anderem hervorgerufen, aber da sie der Kraft notwendig zukommt, liegt dieses vermeintlich Andere doch in ihrem eigenen Wesen. Die Kraft hat also ein Anderes in sich; sie wird von etwas zur AuBerung gereizt-sie wird, wie Hegel sagt, sollizitiert - , das von der gleichen Art ist wie sie selbst: von einer Kraft. Kraft kann nur statthaben als Spiel zweier Krafte, von denen die eine das »Sollizitierende«, die andere das »Sollizitierte« ist, die eine sich auBert, die andere in sich zuruckgedrangt ist. Dies darf nun aber nicht so vorgestellt werden, als seien die Krafte zwei selbstandige Substanzen: Ihr Sein besteht nur in diesem Spiel, ihr Sein hat »vielmehr die reine Bedeutung des Verschwindens «, und was die Krafte sind, »sind sie nur in dieser Mitte und Beruhrung«, namlich in der Mitte ihres Spiels (PhG, 1I4). Die Kraft bildet - urn auf das Ausgangsproblem, namlich die Frage nach dem Wesen des Dinges zurtickzukommen-das »Innere« (PhG, 111) oder den »wahren lenenserLogik, Metaphysik und Naturphilosophie, ed. Lasson, S. 50 (zitiert nach Heidegger, GA 32, 6
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S.150). Vgl. insbesondere Heidegger (GA 32), Fink (1977), Flay (1998). Ich schlieBe mich bezuglich Flay dem Kommentar von Harris an, daB Flay das Verstandeskapitel in den rechten Zusammenhang stellt, narnlich den von Leibn iz und Kant, seine Ausfuhrungen aber leider nicht besonders klar sind (vgl. Harris (1997), S. 313) . Vgl. Kant, KrV, A 80/ B 106. Vgl. Hegel, lenenser Logik, 49 f.
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Hintergrund« (116) der Dinge. Sie ist das, was sich ergibt , wenn man tiber den oberflachlichen Anblick hinausgeht. Oberflachlich betrachtet stellt sieh das Ding als unvereinbarer Widerspruch von Vielheit und Einheit dar; doch widerspruchlich ist dieses gedoppelte Wesen nur, wenn man in einer statischen Betrachtungsweise verbleibt. Aus einer dynamischen oder genetischen Perspektive zeigt sich das Ding als in sich bewegt. Die Kraft ist sozusagen eine Annahme, ein »Gedankending« (PhG, 106), das der Verstand herbeizieht, urn dieses bewegte Wesen zu verstehen. Dessen wird sich der Verstand auch bewuBt, indem er die Kraft betrachtet: Die Kraft ist nur als AuBerung und In-sich-Zuruckgehen; die Wahrheit der Kraft ist ihr Gedanke oder Begriff. Die Seinsweise der Kraft laBt sieh besser bestimmen, wenn man sie als » Erscheinung « begreift; denn der Erscheinung ist es eigen, ein Hervorgehen und ein Verschwinden zu sein. Hegel erklart in der Vorrede der Phanomenologie: » Die Erscheinung ist das Entstehen und Vergehen, das selbst nicht entsteht und vergeht , sondern an sieh ist und die Wirkliehkeit und Bewegung des Lebens der Wahrheit ausmacht « (PhG, 46). Vor diesem Hintergrund laBtsich deutlicher sehen, was Hegel meint, wenn er im Verstandeskapitel die Erscheinung einfuhrt als ein »Ganzes des Scheins «, wobei unter Schein dasjenige »Sein« zu verstehen ist, »das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist« (116). Kraft als Spiel der Krafte ist keine seiende Substanz, sondern sie ist nur in ihrer Bewegtheit von AuBe rung, In-ErscheinungTreten und Verschwinden, Zuruckgehen. Gerade das aber bedeutet Erscheinen. III.
In dem Spiel der Krafte als Erscheinung kommt aber noch ein Weiteres zum Vorschein, das zunachst nur negativ bestimmt werden kann : Die Kraft, so hat sich gezeigt, ist kein reines Seiendes, kein Ansichseiendes. Die Erscheinung verweist somit tiber sich hinaus auf ein Ansiehsein, das die Wahrheit und Bestandigkeit der Erscheinung ausmacht, das aber zunachst leer ist. Es ergibt sich fur uns tiber der sinnlichen, erscheinenden Welt eine »iihersinnliche als die wahre Welt«, auch gekennzeiehnet als »das bleibende [enseits « oder das »Ansich « (PhG, 117). Diese neue Welt, die erste ubers innliche Welt, ist zunachst leer und unbestimmt, da sie sich sozusagen aus den Defiziten der erscheinenden Welt ergeben hat. Die ubersinnliche Welt ist, was die erscheinende nicht ist -doch gemaf dem Prinzip der bestimmten Negation ist sie damit bestimmt durch das, dessen Negation sie ist." Die ubersinnliche Welt ist aus der Erscheinung heraus entstanden und ist deren Wahrheit; das Ubersinnliche ist » die Erscheinung alsErscheinung «.Wenn wir die Erscheinung als solche betrachten, zeigt sieh, daB ihre Bewegtheit kein ungeordnetes Chaos ist, son9
Vgl. PhG, 79f.: Das Resultat ist kein »leeres Nicht s«, sondern rnuf »notwendig als Nichts desjenigen, dessen Resultat es ist, aufgefaBt werden «, Vgl. zur bestimmten Negation unten Kapitel 5 a).
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dern eine Bewegung, in der ein Gesetz wirksam ist bzw. die durch Gesetze beschrieben werden kann. Der Verstand, der wesensmafsig auf Einheit hin denkt, kann auf diese Weise die Mannigfaltigkeit des Erscheinenden vereinfachen. Die Kraft war wesentlich bestimmt durch Unterschied: Zunachst durch die Unterschiede zwischen vielen besonderen Kraften, dann aber insbesondere durch den Unterschied, der in all den vielen besonderen Kraften wirksam ist, namlich den von Sollizitieren und Sollizitiertwerden. Das Gesetz bringt die einheitliche Bewegung in diesem allgemeinen Unterschied zum Ausdruck, und somit ist es das Wahre der Erscheinung. Die erste ubersinnliche Welt ist demzufolge ein »ruhiges Reich von Gesetzen «das ist gewissermaBen ihre Definition. Sie ist das »stille Abbild « der erscheinenden Welt. Ergeben hat sich damit eine Dreigliederung: »uber« der erscheinenden Welt ist die ubersinnliche Welt angesiedelt, und gewissermaBen »unter «, namlich aufder anderen Seite der erscheinenden Welt, findet sich der Verstand. Hegel spricht von ubersinnlicher Welt und Verstand als Extremen, die zu ihrer Mitte die Erscheinung haben. Diese Struktur ist eine >typische - BewuBtseinsstruktur von BewuBtsein und gegeniibergestelltem Gegenstand, bloB daB wir nun als vermittelnde Mitte die Erscheinung haben. Zwei kurze Bemerkungen zu dieser Struktur: Erstens fallt erneut auf, daB Hegel sich hier in der Auseinandersetzung mit Kant befindet; in Polarisierung von Kants Position verteilt Hegel Ding an sich und Ding als Erscheinung auf zwei Welten. Im Gegensatz zu Kant behauptet Hegel, daB wir zum Ding an sich Zugang haben, da es aus der Erscheinung kommt und diese uns als Vermittlung zum Ansich dient. Daruber hinaus zeichnet sich bereits ab, daB diese Struktur als getrennte so nicht aufrechterhalten werden kann, sondern daB sie am Ende in sich zusammenfallen wird. Die zweite Bemerkung betrifft Hegels Begriff von Welt: Nachdem sich in der Wahrnehmung schon gezeigt hatte, daB das Ding immer im Zusammenhang mit anderen Dingen auftritt, ruckt hier explizit der Zusammenhang, das Verhaltnis, die Welt in den Blick des Verstandes. Gleichwohl bedenkt Hegel nicht wirklich das Wesen der Welt. Die Zugangsweise des BewuBtseins andert sich nicht, ob es sich einem Ding oder der Welt zuwendet. Dies zeigt sich insbesondere vor dem Hintergrund der husserlschen Phanomenologie als Mangel, doch auch unabhangig davon leuchtet ein, daB Welt eben kein groBer Gegcnstand oder eine Summe von Gegenstanden ist, sondern der ungegenstandliche Zusammenhang der Verhaltnisse, die zwischen diesen Gegenstanden bestehen.!" Indern das Gesetz die erscheinende Welt abbilden soll, scheint die Vielheit wieder in es hineinzukommen, und es ergeben sich viele Gesetze gemaB den vielen
10 Vgl. Fink (1977), S. 138: "Von grofster Bedeutung aber ist, daB es dabe i zu keiner ausdriicklichen Weltfrage kornrnt, daf sie nur in der Gestalt der Ganzheit aller Dinge vorkommt, wobei die Eigenart der Ganzheit nicht bedacht wird . Hegel operiert mit dem unausgewickelten, ja wir miissen sagen mit dem vulgaren Welt-Begriff. Darin liegt eine schwache Stelle; er sichert die Basis fur seinen Absprung nicht genugend «.
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Erscheinungen. Doch dem Verstand gelingt es, die vielen Gesetze zu vereinheitlichen: Beispielsweise fallt die Feder nach dem gleichen Gesetz wie der Stein, und nach eben jenem gleichen Gesetz der Schwerkraft bewegen sich die Planeten. Die eigentliche Tatigkeit des Verstandes aber ist das Erkliiren. Das Erklaren ist ein merkwiirdiges Phanomen; denn es wird in ihm ein Unterschied gemacht, der sogleich wieder aufgehoben wird. Es wird ein Gesetz ausgesprochen iiber eine Kraft - beispielsweise die Schwerkraft -, die von diesem Gesetz freilich verschieden ist. Doch damit das Erklaren gelingt, damit es optimales Erklaren ist, muf die Kraft ganz genau so beschaffen sein, wie das Gesetz es ausdriickt. Das Ziel des Erklarens besteht darin, Gesetz und Kraft zusammenfallen zu lassen. Insofern kann Hegel das Erklaren als tautologisch bezeichnen. Der Unterschied ist damit ein Unterschied, der letztlich nur dem Verstand zukommt und von diesem gemacht und aufgehoben wird. Entscheidend ist aber, was das Erklaren mit den beiden auseinandergehaltenen Welten, der erscheinenden Welt und der iibersinnlichen Welt der Gesetze macht. Urspriinglich waren a11e Bewegung und a11er Wandel nur der erscheinenden Welt eigen, wahrend die Welt der Gesetze ruhig und bestandig war. Doch indem das gelungene Erklaren Kraft und Gesetz zur Deckung bringt, laBt sich diese Unterscheidung nicht aufrechterhalten. Da die Kraft genau durch das Gesetz erklart wird, gehen die Ruhe und Gleichheit auf die Kraft iiber; da das Gesetz die Kraft genau treffen soll, miissen ihm Bewegtheit und Ungleichheit zukommen. IV. So entsteht das, was Hegel als zweite iibersinnliche Welt oder als verkehrte Welt bezeichnet. Verkehrt ist diese Welt zunachst insofern, als die Bestimmungen der Kraft nun dem Gesetz zukommen und umgekehrt. Doch nun gibt Hegel uns konkrete Erlauterungen der verkehrten Welt, die zugegebenermaBen merkwiirdig klingen: Das, was in der ersten iibersinnlichen Welt am Magnet Nordpol ist, so11 in der zweiten, in seinem »ubersinnlichen Ansich (in der Erde namlich)« Siidpol sein, und umgekehrt (PhG, 128). Dies leuchtet zwar vie11eicht noch ein, sofern wir in der Tat den Teil des Magneten, der vom Nordpol der Erde angezogen wird, Nordpol nennen, obwohl er eigentlich der Siidpol des Magneten ist, da sich eben entgegengesetzte magnetische Pole anziehen. Doch zum einen ist dies eine bloBe Festlegung der Bezeichnungsweise, zum anderen ist das Beispiel eigenartig oberflachlich und nichtssagend sowie zu spezifisch: Dies gilt doch nun wirklich nur fur den Magneten?! Hegel wartet mit weiteren Beispielen auf, und es wird zunehmend merkwiirdiger: Was in der ersten iibersinnlichen Welt Sauerstoffpol, so11 in der zweiten Wasserstoffpol sein, und umgekehrt. Was in der ersten siiB, so11 im verkehrten Ansich sauer, und was in der erst en schwarz, so11 an sich weiB sind. Kein Wunder, daf sich angesichts dieser hochst eigenartigen Beispiele die
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Interpreten auf das einzige Beispiel stiirzen, das nieht dem Bereich der Natur und der Naturwissensehaften entnommen ist, namlich das Beispiel der Strafe, die an sieh Wohltat fur den Verbreeher ist." Wenn man jedoeh genau liest, wie Hegel die Beispiele einfuhrt, dann zeigt sieh, daB etwas so Widersinniges in der Tat nieht sein letztes Wort zur Charakterisierung der verkehrten Welt ist: Zuniichst erseheint die verkehrte Welt aufjene Weise, namlich gleich naehdem sie sieh aus der tautologisehen Bewegung des Erklarens ergeben hat. Hegel sehreibt ausdriieklieh, daB sieh die zweite iibersinnliehe Welt » oberflachlich angesehen « so darstellt, wie es in obigen Beispielen besehrieben wird, und er verwendet den Konjunktiv in der Vorfuhrung jener Beispiele (PhG, 129).12 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daB solche Gegensatze wie der von Erseheinung und Ubersinnlichem oder Ansich » als von zwei Wirklichkeiten « in dieser verkehrten Welt nicht mehr vorhanden sind (PhG, 129). Es ist ein MiBverstandnis, die Untersehiede zu verteilen » an zwei solche Substanzen, welche sie triigen und ihnen ein getrenntes Bestehen verliehen, wodureh der Verstand aus dem Innern heraus wieder auf seine vorige Stelle zuriiekfiele « (ebd.) . Die Vorstellung der verkehrten Welt, in der das SiiBean sich sauer ware usw. ergibt sich also dann, wenn man an die neue iibersinnliehe Welt mit derselben Einstellung herangeht wie an die alte und getrennte Substanzen sowie unbewegte Verhaltnisse annimmt. Es ist demnaeh nicht angemessen, diese naturwissensehaftliehen Beispieleganzlieh abzulehnen, gewissermaBen als Verirrung Hegels," sondern Hegel sehildert hier ein vorlaufiges Verstandnis dieser zweiten iibersinnliehen Welt-ein Verstandnis, das sieh ergibt, wenn man diese Welt statiseh verstehen will und gerade das iibersieht, was ihr wesentlieh ist, namlich ihre Bewegtheit oder ihr Gesehehenseharakter.!' Woran es der ersten iibersinnliehen Welt mangelte, das war das Prinzip der Bewegung. Deshalb konnte sie letztlieh kein wirklieh zufriedenstellendes Abbild der erseheinenden Welt sein-oder, anders gesagt: Indem die Gesetze die Erscheinungen wirklieh treffen sollten, kam Bewegung in die Welt der Gesetze. Urn die zweite iibersinnliehe Welt in ihrem Wesen zu erfassen, ist daher » die sinnliche
Zudem geben einige Interpreten weitere Beispie1e, die teils mehr, teils weniger erhellend sind. Gadamers Beispiel der Satire, die durch ihre Verkehrungen subtil Kritik an den bestehenden Verhaltnissen ubt, trifft meine s Erachtens eher den Kern des Sachverhalts als Hyppolites Herb eiziehung des Gospe1gesangs(vgl. Gadamer (1971), S. 43 und Hyppolite (1946), S. 132ff.). 12 Wo die Beispie1e zum ersten Mal auftauchen, geschieht die Darstellung freilich im Indikativ (PhG, 128). Doch es ist eine ubliche Vorgehensweise Hegels, die Auffassung, die im folgenden als irri g entlarvt wird , zunachst affirmativ einzufuhren. Schon auf der nachsten Seite wird die Oberfl achlichkeit dieser Vorstellung eingefiihrt, die Hegel dann entwickelt. 13 Dies scheint beispielsweise Finks Auffassung zu sein, der die Beispie1e als »rnifslich« bezeichnet und sagt, daB sie das Nachverstandnis »aufserordentlich schwer « machen (Fink (1977), S. 148). 14 Diese Auslegung vertritt auch Flay, der betont, daB die zunachst gegebene Charakterisierung der verkehrten Welt einer Ansicht ent spricht, in der die zweite ubersinnliche Welt als der ersten gegenuberstehend aufgefaBt und nicht als diese in sich enthaltend begriffen wiirde. Vgl. Flay (1998), S. 102.
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Vorstellung (...) zu entfernen «, und es ist der » reine Wechsel« zu denken (PhG, 130). Die Einsicht, die der Verstand am Ende seiner Erforschung der Welt erlangt, besteht darin, daB jedes Seiendes sein Gegenteil in ihm und an ihm selbst hat. Dies ist der Sinn jener rnerkwurdigen Beispiele: Das siiBe Ding ist nicht an sieh sauer, sondern siiB und sauer gibt es nur im Verhaltnis zueinander; das SiiBe hat das Saure an sich als das, wovon es sieh abhebt und wodurch es seine Bestimmtheit erhalt. Erscheinen ist nieht der eine Pol oder der andere, sondern bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Damit gilt fur die zweite iibersinnliche Welt, daB sie das Ganze ist: Sie hat uber die erste iibersinnliehe Welt »iibergegriffen «, und jene begreift ihrerseits die erscheinende Welt in sieh (PhG, 131). Die Einheit dieser Welten ermangelt nicht der Unterschiede, aber sie enthalt die Unterschiede als innere od er als Unterschiede an sich - und das heifst, ihr Wesen ist die Unendliehkeit. Das so erfahrene Ganze ist Unendlichkeit, weil es alle Unterschiede in sieh begreift; es ist das Unendliehe nieht als Gegensatz zum Endliehen, sondern es umfafst auch dieses." Hegel beschreibt die Weise der Bewegtheit der Welt als » Pulsieren« oder »absolute Unruhe des reinen Sichselbstbewegens « (PhG, 132f.), namlich als Bewegung, die nieht aus sieh heraus tritt und doch in unablassiger Bewegtheit verbleibt-wie das Blut in unablassiger und pulsierender Bewegung durch unseren Korper stromt. Letztlieh mufste der Verstand jedoch einsehen, daf Welt und Bewufstsein, die beiden von ihm auseinandergehaltenen Extreme, ineins fallen. Die Gesetze sind Begriffe oder Gedanken des Verstandes, und daB die Gesetze so sind wie sie sind, liegt daran, daB die Welt wirklich so ist, wie es das Gesetz beschreibt. Das BewuBtsein steht damit sich selbst gegeniiber und wird zum SelbstbewuBtsein. Das Wesen des Erklarens, so hat sich gezeigt, besteht darin, Unterschiede zu machen, die es selbst wieder aufhebt, und so sagt Hegel: »In dem Erklaren ist eben darum so viel Selbstbefriedigung, weil das BewuBtsein dabei (.. .) nur sich selbst geniefst« (PhG, 134).Wenn der Forscher aufriehtig ist, muB er zugestehen, daf seine Tatigkeit nicht darin besteht und nieht darin bestehen kann, von sich selbst und seiner Subjektivitat ganzlich abzusehen; denn »das BewuBtsein eines Anderen, eines Gegenstandes iiberhaupt, ist (.. .) notwendig Selbstbewufitsein « (135).
b. Die Einstellung derNaturwissenschaften als naturliche Einstellung zweiter Stufe beiHusserl Fur Husserl taucht die Frage nach den Naturwissenschaften im Zusammenhang einer von ihm diagnostizierten Krise auf-einer Krise, die nicht nur die Wissenschaften, sondern unser Leben im ganzen betrifft, da die Wissenschaften namlich 15
Es wiirde zu weit fuhren, an dieser Stellenaher auf Hegels Begriffdes Unendlichen einzugehen; vgl.dazu: Wissenschaft derLogik I. Zweites Kapitel: Das Dasein, C. Die Unendlichkeit.
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unser gesamtes Leben bestimmen." Husserls Hauptthese lautet, daB die Krise der Wissenschaften durch eine Vergessenheit hervorgerufen wird: die Vergessenheit der Lebenswelt. Was das heiBt, muB im folgenden untersucht werden; vorlaufig laBt sich sagen, daB die Wissenschaften bodenlos geworden sind , weil sie das vergessen, was ihnen ein Fundament gibt, namlich die naturliche Welt un seres Lebens, die aller Tatigkeit zugrundeliegt. Wie der Wissenschaftler am Ende des Verstandeskapitels bei Hegel einsehen mufs, daB seine Versuche, von aller Subjektivitat ganzlich abzusehen, zum Scheitern verurteilt sind, so macht auch Husserl die Wissenschaft darauf aufmerksam, daB deren Objektivismus sich nicht durchhalten laBt. Der Objektivismus der Wissenschaften fuhrt dazu, daB die Wissenschaften zu Fragen, die uns in unserem Leben betreffen, nichts zu sagen haben (vgl. Hua VI , 4). Eine weitere entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Hegel und Husserl besteht darin, daB auch in Husserls Analyse der naturwissenschaftlichen Einstellung verschiedene Welten auftauchen, die Lebenswelt und die naturwissenschaftliche Welt der Idealitaten, also, urn mit Hegel zu sprechen, die» sinnliche « und die »ubersinnliche « Welt. Die Wissenschaften sehen die ubersinnliche Welt als wahre Welt an und ersetzen die sinnliche Welt durch diese bzw. messen die sinnliche an der uber sinnlichen. Dies laBt sich jedoch aus verschiedenen Grunden nicht durchhalten, so daB sich schlieBlich zeigt, daB die Lebenswelt alles umfaBt-auch die ideale Welt der Naturwissenschaften, welche die Lebenswelt als Boden voraussetzt und deren Ergebnisse schlieBlich wieder in die Lebenswelt einflieBen. Es kann letztlich gar keine zwei getrennten Welten geben; denn Welt ist das Ganze. Wenn die Wissenschaften eine eigene Welt begrunden wollen, darf es dieser Welt an nichts mangeln-doch von Hegel haben wir gelernt, daB es jener ubersinnlichen Welt an Bewegung mangelt , und von Husserllernen wir, daB sie uns auf unsere wesentlichen Fragen keine Antworten geben kann, weil sie vorsatzlich unsere Subjektivitat ausschl ieBt und ihre eigenen Fundamente vergiBt. In diesem Kapitel wird es daher vor allem urn zwei Fragen gehen: Erstens, was ist die Lebenswelt? Zweitens, was ist die wissenschaftliche Welt der Idealitaten, wie wird sie gebildet, und worin besteht siei Da Husserl verschiedene Begriffe der Lebenswelt vorlegt, engere und umfassendere, wird die Antwort auf die erste Frage in mehreren Schritten erfolgen mussen. Kurz gesagt ist die Lebenswelt im engeren Sinne dasjenige, was von der naturwissenschaftlichen Welt der Idealitaten unterschieden ist; die Lebenswelt im weiteren Sinne hingegen umfaBt jene ideale Welt und wird daher erst am Ende dieses Kapitels behandelt. Die Lebenswelt im engeren Sinne als vor- oder auBerwissenschaftliche Welt bezeichnet Husserl als »subjektiv-relative « Welt. Dieser Relativitat treten die Wissenschaften mit ihrem Streb en nach Objektivitat gegenuber: sie erreichen diese Subjektunabhangigkeit durch Idealisierung bzw. Mathematisierung der Natur. Die 16
Vgl. den Titel des Wiener Vortrags, der die Vorstufe der Krisis-Abhandlungbildet: » Die Krisis des europaischen Menschentums und die Philosophie « (Hua V I , 314).
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ldealisierung strebt danach, den Gegenstand vollstandig zu bestimmen und alle lebensweltliche Unbestimmtheit zu eliminieren. lndem die Welt der wissenschaftlichen Idealitaten gebildet wird, kommt es zur Unterordnung der vorwissenschaftlichen Lebenswelt. Doch diese Entgegensetzung und Unterordnung laBt sich nicht aufrechterhalten: Zum einen bildet die Lebenswelt (hier immer noch im engeren Sinne als auBerwissenschaftliche Welt verstanden) den Boden fur alle wissenschaftlichen Erkenntnisse; zum anderen flieBendie Ergebnisse der Wissenschaften in die Lebenswelt ein. Aufgrund dieser gegenseitigen Durchdringung bildet sich die Lebenswelt im weiteren Sinne heraus, die beide bisher betrachteten Welten umfaBt. Diese Lebenswelt im weiten und eigentlichen Sinne kann philosophisch untersucht werden im Projekt einer »Ontologie der Lebenswelt«- einer Suche nach invarianten bzw. irrelativen Strukturen der Lebenswelt. Eine solche phanomenologische Untersuchung der Lebenswelt vergiBt im Gegensatz zu den Wissenschaften weder den universalen Zusammenhang noch das Subjekt.
1. Die Diskussion tiber die verschiedenen Begriffe der Lebenswelt und das Verhaltnis dieser Begriffe zueinander kann hier nicht im Detail aufgegriffen werden. I? Der Beitrag dieses Kapitels kann bestenfaIls darin bestehen zu zeigen, daB die Betrachtung der Mathematisierung der Natur und damit die Entwicklung einer Welt der Idealitaten es erfordert, von einem bestimmten engeren Begriff der Lebenswelt auszugehen und schlieBlich zu einem umfassenderen Begriff der Lebenswelt zu gelangen. Husser! fuhrt namlich die Lebenswelt ein in Abhebung von der Welt der Wissenschaften. Er will die Sinnkrise der Wissenschaften beleuchten, indem er aufzeigt, was sie auBer acht lassen. Urn zu untersuchen, was die Wissenschaften sind und wie sie unser Leben verandern, fragt Husser! nach der vor- und auBerwissenschaftlichen Welt. Die Frage lautet letztlich, wie die Wissenschaften entstanden sind, also wie und mit welchem Sinn sie gestiftet wurden; doch da die Wissenschaften fur uns schon lange zur Selbstverstandlichkeit geworden sind, ist der Zugang zu einer Welt ohne Wissenschaft nur durch Abstraktion moglich." Allerdings wissen wir, daB Wissenschaften und insbeson-
VgI. insbesondere Claesges (1972), Held (1991), sowie Kapitel 6 und 7 in Steinbock (1995) . In vorliegender Arbeit wird die These vertreten, daf die verschiedenen Begriffe der Lebenswelt letztlich nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich auseinander entwickeln und verschiedene Aspekte der Lebenswelt betonen. Inwiefern dies der Fall ist, erlautert insbesondere Held (1991) uberzeugend, indem er detailliert auf mogliche Einwande eingeht und sie entkraftet , 18 In diesem Sinne schlagt Husser! in der Krisis vor, zunachst eine Epoche hinsichtlich aller objektiven Wissenschaften durchzufiihren, was »nicht bloB eine Abstraktion von ihnen «, sondern eine Enthaltung von jedem Mitvollzug bedeutet (Hua VI, 138). Zur Epoche vgI. unten Kapitel s a).
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dere moderne Wissenschaften etwas geschichtlich Gestiftetes sind und es eine Welt ohne Wissenschaften gegeben hat-dies rechtfertigt die Frage nach einer solchen Welt. Die Lebenswelt im ersten und engeren Sinn, wie sie in der Krisis eingefuhrt wird, ergibt sich aus dieser Ruckfrage und Entgegensetzung als vor- und auj3erwissenschaftliche Welt der sinnlichen Anschauung (vgl. Hua VI, 108 u. 113). Mit diesem Sinn von Lebenswelt schlieBt Husserl an seine Betrachtungen in den Vorlesungen zur Phiinomenologischen Psychologie an, wo er auf die vorbegriffiiche oder vorpradikative Welt schlichter Erfahrung zuriickgegangen war, in der »jede pradizierende, theoretisierende Tatigkeit (. .. ) auBer Spiel « bleibt (Hua IX, 59). Die Welt der schlichten Anschauung bezeichnet Husserl in den zwanziger Iahren als Lebenswelt." Diese Welt der Anschauung ist vortheoretisch, vorkulturell und ungeschichtlich - und so muB sich Husserl sehr bald die Frage stellen, ob diese Welt wirklich existiert. In der Tat sagt er schon in den Vorlesungen zur Phiinomenologischen Psychologic: »Was sich uns im schlichten Hinblick als Gesehenes, Gehortes, als irgendwie Erfahrenes gibt, das tragt bei naherer Oberlegung an sich derartige Niederschlage fruherer Geistestatigkeiten, und so ist es fraglich, wo dann je eine wirklich vortheoretische Welt in reiner Erfahrung zu finden ist, frei von den Sinnesniederschlagen vorangegangenen Denkens « (Hua IX, 56). Es handelt sich bei der Anschauungswelt urn ein theoretisches Konstrukt, ein Produkt der Abstraktion, das aber dennoch hilfreich ist, narnlich urn die Entstehung der Wissenschaften zu beleuchten. II. Die so verstandene Lebenswelt ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daB sie »subjektiv-relativ« ist (Hua VI, 127), also gegeben fur ein jeweiliges Subjekt, dem diese Anschauungen zukommen. Dieser Subjektrelativitat stellen die modernen Naturwissenschaften das Ideal der Subjektunabhangigkeit, der Objektivitat und Allgerneingultigkeit gegenuber, Der Vorgang, den Husserl nachzeichnet, besteht darin, daB die Wissenschaften eine Welt der exakten Idealitaten bilden, und zwar so, daB die Lebenswelt schlieBlich durch die Welt der Idealitaten ersetzt bzw. an letzterer als der wahren Welt gemessen wird. DaB die Lebenswelt den Boden der Wissenschaften darstellt und sie ohne diese bodenlos sind, wird von den Wissenschaften vergessen - der Prozef des Bildens der idealen Welt muB demnach so beschaffen sein, daB er es zulaBt, die Bodenfunktion der Lebenswelt auBer acht zu lassen. Wie also wird die ideale Welt gebildet? Die entscheidenden Stichworter, mit denen Husserl diesen Vorgang bezeichnet, lauten »Mathematisierung« und »Idealisierung «,
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Vgl. Kern (1979) , S. 71; Kern zitiert hier aus der Vorlesung »Natu r und Geist « von 1927.
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Der neunte Paragraph der Krisis ist iiberschrieben mit dem Titel »Galileis Mathematisierung der Natur«; er wird eingeleitet mit der entscheidenden Frage: » Was ist der Sinn dieser Mathematisierung der Natur, wie rekonstruieren wir den Gedankengang, der sie rnotiviertei « (Hua VI, 20). Indem Husserl diese Frage stellt, impliziert er bereits etwas Wesentliches, namlich die These, daB die Mathematisierung der Natur ihre Wurzeln in der lebensweltlichen Erfahrung hat. Es gibt, wie sich zeigen wird, in unserem alltaglichen Leben Tendenzen, die der Idealisierung in gewisser Weise ahnlich sind und diese vorbereiten konnen, Dennoch ist die Idealisierung keine kontinuierliche Fortsetzung dieser lebensweltlichen Tendenzen, sondern hat einen wesentlich anderen Charakter. Urn zu verstehen, inwieweit die Idealisierung in der lebensweltlichen Erfahrung angelegt und doch grundsatzlich von ihr verschieden ist, soll hier noch einmal an die im vergangenen Kapitel besprochenen Wesensziige der Wahrnehmung erinnert werden. In der Wahrnehmung wird trotz der Tatsache, daf ein Gegenstand uns immer nor einseitig gegeben ist, ein Ansichsein des Gegenstandes konstituiert, das den WahrnehmungsprozeB als Idee leitet. Diese nie erreichbare Idee der vollkommenen Gegebenheit des Gegenstandes bildet sich im WahrnehmungsprozeB und andert sich mit dem Fortschreiten dieses Prozesses immer wieder. Nun haben es auch die Naturwissenschaften mit Ideen zu tun oder, wie Husserl es nennt, mit Idealitaten. Daher stellt sich die Frage, in welchem Verhaltnis die wahmehmungsmafsige Idee des Gegenstandes an sich und die wissenschaftliche Idee zueinander stehen. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daB die wahrnehmungsmafsige Idee immer durch Unbestimmtheit gekennzeichnet ist, wahrend die Wissenschaften gerade jede Unbestimmtheit ausschalten und vollstandige Exaktheit erreichen wollen. Die Wissenschaften wollen das Ansich des Gegenstandes, das den Wahrnehmungsprozef in flexibler und unthematischer Weise leitet, erfassen, thematisieren und bestimmen. Weil das wahrgenommene Ding jedoch notwendig Unbestimmtheit einschliefst, zeigt sich bereits angesichts dieser Absicht der Wissenschaften, daf ihr Gegenstand kein erfahrbarer sein kann. Wie ist Idealisierung iiberhaupt moglich, das heifst, wie kann man zu einer Idee des Gegenstandes gelangen, in der die wesensmalsige Unbestimmtheit ausgeschaltet ist? Diese Frage beantwortet Husserl im Galilei-Paragraphen und in den zugehorigen Beilagen." Vorgreifend laBt sich sagen, daB sich die Idealisierung auf eine bestimmte Hinsicht des Gegenstandes beschrankt (und zwar notwendigerweise), namlich aufdie raumliche Ausgedehntheit des Gegenstandes. Diese raumliche Ausgedehntheit bietet sich fur die Mathematisierung, also sozusagen die quantitative Beschreibung an, wahrend andere Eigenschaften des Gegenstandes nur indirekt mathematisiert werden konnen.
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Vgl. insbes. Beilage II .
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Die Wissenschaften konnen mit der Idealisierung an die Tendenz des vorwissenschaftlichen BewuBtseins anknupfen, sich den Gegenstand zu immer genauerer Gegebenheit zu bringen. Diese Tendenz, die man als Vervollkommnungstendenz bezeichnen konnte, wird durch praktische Ziele bestimmt und beschrankt: Obwohl wir uns den Gegenstand nie zu vollkommener Gegebenheit bringen, gibt es im praktischen Bereich ein Vollkommenes, namlich »in dem Sinne, daf das spezielle praktische Interesse dabei eben voll befriedigt ist « (Hua VI, 22). Ein Vollkommenes im praktischen Sinne ist dann erreicht, wenn unsere praktischen Ziele und Zwecke vollig befriedigt sind und es daher keinen AniaB fur uns gibt, die Erforschung des Gegenstandes weiter zu treiben. Wenn der vor mir stehende Tisch nicht wackelt, ist mein praktisches Interesse bereits befriedigt - wenn er hingegen wackelt, dann will ich feststellen, welches Bein moglicherweise kurzer ist, so daB ich durch Unterlegen von Papier das Wackeln beheben oder einschranken kann. Das praktische Interesse des Tischlers geht wohl noch etwas weiter, da er pruft, ob die Tischoberflache eben, die Beine etwa im rechten Winkel angebracht sind etc.-aber uber exakte rechte Winkel muB er sich dabei keine Gedanken machen, und auch die Winkelmesser, die er benutzt, zeigen nie exakte rechte Winkel an . Exakte rechte Winkel finden sich namlich in der anschaulichen Lebenswelt uberhaupt nicht. Husserl bringt dies zum Ausdruck, indem er sagt, daB die anschaulichen Dinge im »Schwanken des bloB Typischen« stehen (ebd.). Die Unbestimmtheit des Gegenstandes wird zwar verringert, aber nie aufgehoben. Mit der Weiterentwicklung der Technik »schiebt sich die Idee der Vollkommenheit immer weiter hinaus « (Hua VI, 23); diese Formulierung macht noch einmal deutlich, daB das Ideal des vollstandig bestimmten Gegenstandes im Prozef der Naherbestimmung gebildet und modifiziert wird. Doch in der praktischen Vervollkommnung gelangen wir nie zu wissenschaftlichen Idealitaten, die von jeder Unbestimmtheit frei sind. Solche Idealitaten sind »Limes-Gestalten«, namlich »invariante und nie zu erreichende Pole « der jeweiligen »Vervollkommnungsreihe« (ebd.). Husserl bedient sich im Zusammenhang der Mathematisierung der Natur einer mathematischen Sprechweise, die ihm schliefslich sehr vertraut war. Ein Limes kann beispielsweise der Limes einer Foige von Zahlen sein, die nach einem bestimmte Gesetz gebildet werden. Wenn wir von der Zahl 1 ausgehen und auf diese das Gesetz der Halbierung anwenden, gelangen wir zu einer Foige von immer kleiner werdenden Zahlen (112, 1/4, 1/8, 1/16, 1/32 usw.). Diese Zahlen nahern sich der Zahl 0 an, ohne letztere jemals zu erreichen; daher ist a der Limes jener Folge. Ubertragen auf die wahrnehmbaren Gegenstande sagt uns dieses Beispiel zum einen, daf die Limes-Gestalt des Gegenstandes auf einer anderen Ebene liegt ais der anschauliche Gegenstand und von diesem aus nur sozusagen in einem Uberstieg erreicht werden kann. Zum anderen deutet das Beispiel der Zahienfoige an, wie wir uns den Uberstieg zu denken haben, namlich ais Durchlaufen einer Foige von Gestalten, deren Entwicklung eine bestimmte Richtung zeigt, und schliefslich ais Denkleistung, welche die Foige ins Unendliche fortsetzt und damit den SchiuB auf eine Limesgestalt zieht. In einer
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Beilage zum Galilei-Paragraphen spricht Husserl von der Idealisierung als »einer allgemeinen Denkeinstellung, in welcher von einem exemplarischen Einzelding als Exempel fur . irgend ein Ding uberhaupt - die offen endlose Mannigfaltigkeit seiner immer unvollkommenen aber zu vervollkommnenden subjektiven Vorstellungen als durchlaufen gedacht wird « (Hua VI, 359). Die »offen endlose«, also die unendliche Mannigfaltigkeit von Vorstellungen wird als durchlaufen gedacht; dies ist ein spezifisch neuzeitlicher Gedanke, da erst die Neuzeit sich unendliche Aufgaben stellte und mit einer Mathematik, die den Uberstieg ins Unendliche nicht schreckte, das unendliche Seinsall beschreiben wollte. Die vorneuzeitliche Mathematik »kennt nur endliche Aufgaben «, sagt Husserl (Hua VI,19). Nun gibt es bestimmte Eigenschaften des Gegenstandes, die sich besonders gut fur die Idealisierung eignen: die »raumzeitlichen « Eigenschaften des Gegenstandes, also die raumliche Ausgedehntheit des Gegenstandes und das Vorkommen des Gegenstandes in der Zeit, sowie die Verbindung von Raum und Zeit in der Veranderung, deren Paradigma die Wissenschaften in der Ortsveranderung sehen. Dies ist freilich eine Abstraktion (vgl. Hua VI, 27); denn die Gegenstande weisen viele andere Eigenschaften auf, wie Farbe, Konsistenz, Geruch etc. Die Wissenschaften streben danach, solche Eigenschaften auch zu mathematisieren, da sie universale Wissenschaften sein wollen. Zudem sind die Eigenschaften des Gegenstandes uber den Innenhorizont so verbunden, daB sie aufeinander verweisen und der Mangel auffallig wird, wenn die Wissenschaften sich nur auf eine bestimmte Eigenschaft konzentrieren und aIle anderen auBer acht lassen. Husserl bezeichnet die nicht-raumzeitlichen Eigenschaften des Gegenstandes als »spezifische Sinnesqualitaten« oder als »Fullen« (Hua VI, 27 ff.). Diese Fullen lassen sich, so Husserl, nicht direkt, sondern nur indirekt mathematisieren. Es laBt sich sogar ein Grund angeben, warum die direkte Mathematisierung der Fullen unmoglich, und zwar »prin zipiell unmoglich « ist: Es gibt nur eine Mathematik des Raumes, nur eine Geometrie. Husserl sagt: »Wir haben nur eine, nicht eine doppelte Universalform der Welt, nur eine, und nicht eine zwiefache Geometrie, namlich eine solche der Gestalten, und nicht auch eine zweite der Fullen « (33). Die quantitative Beschreibung der Welt ist nur auf eine Weise moglich, Die Geometrie ist eine Wissenschaft, die auf der Grundlage der empirischen MeBkunst entwickelt wurde und fur Galilei bereits fertig vorlag; der besondere Beitrag, den Galilei in der Entwicklung der modernen Wissenschaften leistet, liegt in der Hypothese, daf eine umfassende, universale Mathematisierung der Welt moglich sei. Husserl fordert dazu auf, daB wir uns die »Befremdlichkeit « dieses Gedankens der universalen Mathematisierung, der uns heute selbstverstandlich geworden ist, vor Augen fuhren. Wie gestaltet sich die indirekte Mathematisierung der Fullen? Husserl nahert sich diesem Vorgang, indem er darauf hinweist, daB die Fullen mit den raumzeitlichen Gestalten »in einer ganz besonderen Weise geregelt verschwistert sind« (Hua VI , 33). Wie diese geregelte Verschwisterung aussieht, erklart Husserl nicht
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genau; er verweist zum einen auf ein Beispiel und zum anderen auf den geregelten Kausalstil der Welt. Das Beispiel betrifft die von den Pythagoreern festgestellte Abhangigkeit der Tonhohe von der Lange der schwingenden Seite (vgl. Hua VI, 36), also den Zusammenhang zwischen der sinnlichen Qualitat »Ton « und der geometrisch beschreibbaren Qualitat »Lange der Seite«. Es lassen sich viele weitere solcher Beispiele angeben, und Husserl wahlt hier blof das historisch wohl fruheste, Entscheidend ist, daf die Fullen in Graden vorkommen: Es gibt verschiedene Grade von Warrne, verschiedene Tonhohen usw. Diese Gradualitat motiviert den Gedanken, sie in Zahlen beschreiben zu konnen, wobei dann abhangig von der jeweiligen Qualitat eine Moglichkeit gefunden werden mufs, Ist einmal festgestellt worden, daf bestimmte Flussigkeiten sich bei zunehmender Warme in kontinuierlicher Weise ausdehnen, dann ist es nicht mehr weit bis zur Erfindung des Thermometers. Doch es ist noch ein grofser Schritt von solchen einzelnen Beispielen zur Idee der universalen Mathematisierung der Welt. Dieser Idee liegt laut Husserl die Vorstellung zugrunde, daf jede Veranderung nach Kausalgesetzen verlauft und jede Veranderung auf der Fulleseite mit einer Veranderung auf der Gestaltseite verknupft ist. Iedoch : »Es ist nicht a priori einzusehen (.. .) daf die jeweilige Gesamtveranderung der Gesamtfulle ihr kausales Gegenbild in der Gestaltsphare hatte « (Hua VI , 34). Dies ist also das Gewagte an Galileis These bzw. an der These der modernen Naturwissenschaft-obwohl es fur uns »verrnoge unserer fruheren wissenschaftlichen Schulerziehung « (35) geradezu selbstverstandlich ist, auf diese Weise zu denken und beispielsweise Schall als Wellenlinie zwischen Quelle und Ohr vorzustellen. DaB es schwierig ist, die »Verschwisterung « von raumzeitlichen Gestalten und Fullen und damit die Moglichkeit einer indirekten Mathematisierung der Fullen bis ins Letzte zu verstehen, spiegelt vielleicht unser Unbehagen wider und unseren Eindruck, daB es eben an den Fullen doch etwas gibt, was sich jeder Mathematisierung entzieht." Die Wissenschaften streben also eine Mathematisierung des gesamten Gegenstandes und dann eine Mathematisierung aller Gegenstande an; denn sie wollen universal sein. DaB es moglich ist, von einem Gegenstand zu anderen fortzuschreiten, liegt in der Verbundenheit der Gegenstande untereinander begrundet, die in der phanomenologischen Analyse als AuBenhorizont von Verweisungen beschrieben wird. Husser! bezieht sich auf den AuBenhorizont, wenn er sagt, daf sich das idealisierende Denken »auch nach auBen hin « auf die Unendlichkeit der Welt hin ausbreite (Hua VI, 360). Er beschreibt in jener bereits erwahnten zweiten Beilage zur Krisis die Idealisierung als einen sich in zwei Stufen vollziehenden Prozefs, in dem
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Und dies, was sich jeder Mathemat isierung entzieht, konnte gerade das Wesen der Hillen ausmachen, weshalb es der phanomenologischen anstelle der wissenschaftlichen Analyse bedarf. Vgl. dazu auch Heidegger, UdK, S. 43: »Die Farbe leuchtet auf und will nur leuchten. Wenn wir sie verstandig messend in Schwingungszahlen zerlegen, ist sie fort « .
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zuerst Ideen auf der Grundlage von Erscheinungen gebildet werden und zweitens Ideen zu »Ideengebilden « zusammengesetzt werden (vgl. Hua VI, 361). So entsteht ein »Reich« oder eine »Welt« reiner Limesgestalten (Hua VI , 23ff.). Diese ideale Welt besteht aus Ideen, die vollstandig bestimmt werden konnen und zueinander in Kausalbeziehungen stehen, welche durch mathematische Gesetze eindeutig und fehlerfrei beschrieben werden konnen. Sie bewegen sich von einem art im idealen Raum zum anderen mit einer bestimmten, gleichformigen oder gleichmafsig beschleunigten Geschwindigkeit, so daB exakt angegeben werden kann, wann sie sich wo befinden werden. Mit der indirekten Mathematisierung der Pullen ist es den Naturwissenschaften gelungen, die eineindeutige Mathematisierung der Welt in ihrer Gesamtheit vorzunehmen. Die Wissenschaften gehen davon aus, daB sie dam it die Naivitat des alltaglichen BewuBtseins weit hinter sich gelassen haben. III.
Der entscheidende Schritt ist nun, daf diese Welt der Idealitaten zur vor- und auBerwissenschaftlichen Lebenswelt in ein Verhaltnis gesetzt wird, und zwar dergestalt, daB die Lebenswelt der idealen Welt untergeordnet und an letzterer gemessen wird: Es kommt zu einer » Unterschiebung der mathematisch substruierten Welt der Idealitaten fur die einzig wirkliche, die wirklich wahmehmungsmalsig gegebene, die je erfahrene und erfahrbare Welt-unsere alltagliche Lebenswelt« (Hua VI, 49). Ware es moglich , die Lebenswelt als Anschauungswelt und die Welt der Idealitaten dergestalt ins Verhaltnis zu setzen, dann wurde die Unbestimmtheit und Subjektrelativitat der Lebenswelt nur auf die Exaktheit der wissenschaftlichen Welt verweisen und ware somit aufgehoben. In der Unterordnung der anschaulichen Lebenswelt wird jedoch etwas ubersehen, und dies ist der Grund dafur, daB die Entgegensetzung von Lebenswelt und Welt der Idealitaten nicht aufrechterhalten und die Lebenswelt nicht auf ihren engeren , der naturwissenschaftlichen Welt gegenubergestellten Sinn beschrankt werden kann. Ubersehen wird die Tatsache, daB die Naturwissenschaften nicht nur auf dem Boden der Lebenswelt stehen, sondern sogar selbst der Lebenswelt zugehoren. Was den ersten Punkt anbelangt, so setzen die Wissenschaften die Lebenswelt nicht nur in dem Sinne voraus , daB sie historisch in und aus der Lebenswelt entstanden sind (das ware ein Aspekt, der dann gegenwartig in der Tat keine groBe Rolle mehr spielen wiirde) . Vielmehr bildet die anschauliche Lebenswelt »fortwahrend « den Boden fur die Wissenschaftler, indem sie namlich anschaulich gegebene MeBinstrumente benutzen etc. (vgl. Hua VI, 123f.). Zweitens gilt, daB die Wissenschaften selbst von der Lebenswelt umfaBt werden . Urn zu erklaren, inwiefern dies der Fall ist, pragt Husser! den Begriff des »Einstromens«: Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung stromen in die Lebenswelt ein und schlagen sich dart nieder, so daB wir in vielfacher Weise mit ihnen umgehen, ohne
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uns dessen uberhaupt bewuBt zu sein (vgl. Hua VI, 115 u. 141 Fn.). Wir benutzen technische Gerate, ohne tiber diese Benutzung nachzudenken; wir schreiben un sere Texte auf Computern, die sich aufhohem wissenschaftlichen Stand befinden, und denken doch normalerweise nur tiber diese Texte und nicht tiber den Computer nacho Husserl sagt, daf das Phanomen des Einstromens die Entgegensetzung von Lebenswelt und Welt der Idealitaten zusammenbrechen laBt (vgl. Hua VI, 462). Die Lebenswelt ist weitaus mehr als eine blof vor- und auBerwissenschaftliche Welt; als a11umfassende, konkrete Welt unseres Lebens, als Universalhorizont umfaBt sie die Wissenschaften. Die Lebenswelt im weiteren und eigentlichen Sinne ist geschichtliche Welt und umgreift Natur ebenso wie Kultur. Der engere Sinn der Lebenswelt wird damit a11erdings nicht uberflussig, sondern die Lebenswelt als Anschauungswelt ist in der Lebenswelt im umfassenden Sinne sozusagen aufgehoben: Urn die ideale Welt der Wissenschaften deutlich herauszuste11en und zu zeigen, inwiefern sie in der vor- und auBerwissenschaftlichen Welt blofser Anschauung fundiert ist, bedarf man des engeren Begriffs von Lebenswelt als eines Kontrastbegriffs." Die Lebenswelt im eigentlichen Sinne umfaBt diese Anschauungswelt ebenso wie die wissenschaftliche Welt der Idealitaten. Die Lebenswelt in diesem umfassenden Sinne ist damit kein »Teilproblern «, sondern »philosophisches Universalproblern « (Hua VI, §34f) Uberschrift), Doch wenn die Lebenswelt zum Thema der Philo sophie werden soll, kommt gleich eine Schwierigkeit auf: Wie kann die Lebenswelt in ihrer Subjektrelativitat uberhaupt philosophisch untersucht werden? Das Projekt einer »Ontologie der Lebenswelt « wurde von Husserl fur wichtig erachtet (vgl. z.B. Hua VI, §37), aber er fuhrte es nie vollstandig durch. Abgesehen von Ansatzen einer Ontologie der Lebenswelt in spateren Manuskripten" deutet Husserl in der Krisis an, welche Richtung eine solche Ontologie zu nehmen hatte und aufgrund welcher Voraussetzung sie moglich ware: Die Lebenswelt hat »in allen ihren Relativitaten ihre allgemeine Struktur «, die »nicht selbst relativ « ist (Hua VI, 142) . Gesucht werden also irrelative oder invariante Strukturen der Lebenswelt, die ein »lebensweltliches Apriori « bilden (143). Die Rede von invarianten Strukturen bedeutet nicht, daf diese uns in immer gleicher und unveranderlicher Weise gegeben waren; invariante Strukturen sind konkret immer als geschichtlich vermittelte gegeben, und doch halt sich die Struktur als solche durch. Beispiele fur solche Strukturen sind die transzendentalen Modalitaten der Lebenswelt als Horizont und Boden." Horizont und Boden sind zwei untrennbare, kornplementare Modalitaten der Lebenswelt, von den en die erste insbesondere den zeitlichen, die zweite den raumlichen Aspekt der Lebenswelt betont. Wahrend in Husserls fruher Philo sophie dem Horizont sowohl zeitliche als auch raumliche Bedeutung zukommt, spricht
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Vgl. Claesges (1972), S. 93. Vgl. » Die anthropologische Welt « (Hua xv) und andere. Vgl. hierzu ausfuhrlich Steinbock (1995) , Kapitel z,
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Husserl in der Krisis vorn »lebendigen Horizont«, der »alte Erwerbe « und immer schon vorausgesetzte Geltungen enthalt (Hua VI, 152). Diese Erwerbe, mogen sie auch momentan unbeachtet und unbedeutend sein, strukturieren unser Leben; sie konnen wieder ausdrucklich gemacht werden oder aber in unausdrucklicher Weise unser Leben mitbestimmen. Vom Boden ist in der Krisis vielfach die Rede: Die modernen Naturwissenschaften haben die Lebenswelt als ihren Boden, ihre Grundlage, und vergessen diesen Boden . Dieser Begriff von Boden setzt jedoch meistens den engeren, zuletzt nicht durchzuhaltenden Begriff der Lebenswelt als Kontrast zur Welt der Wissenschaften voraus." Eine genauere Untersuchung der Boden-Funktion der Lebenswelt schlagt Husserl vor (vgl. Hua VI, 158); durchgefuhrt wird sie jedoch an anderer Stelle, namlich insbesondere in den Manuskripten »Notizen zur Raumkonstitution « und »Grundlegende Untersuchungen zum phanomenologischen Ursprung der Raumlichkeit der Natur «, Schon die Titel dieser Manuskripte legen nahe, daB der Boden, hier genauer: der Erdboden, beschreibt, wie sich die Raumlichkeit der Lebenswelt konstituiert. Urn das Wesen des Erdbodens zu untersuchen, geht Husserl auf seine Uberlegungen zum Leib zuruck: Wie der Leib Nullpunkt ist, absolutes Hier und dasjenige, in bezug worauf Bewegung und Ruhe erst einen Sinn erhalten," so gilt dies lin grofserern Stil- auch fur die Erde: »Erde selbst in der ursprunglichen Vorstellungsgestalt bewegt sich nicht und ruht nicht, in bezug auf sie haben Ruhe und Bewegung erst Sinn « 27 - und in diesem Sinne ist die Erde Boden ." Diese Andeutungen zum Thema der invarianten Strukturen der Lebenswelt sollen genugen." Anhand der Boden-Funktion der Lebenswelt kann gleich ein Beispiel dafur gegeben werden, inwiefern die modernen Naturwissenschaften das Wesen der Lebenswelt verdecken . In der wissenschaftlichen Betrachtung wird die Boden-Funktion der Erde aufgehoben, und sie wird zum Korper, genauer: zum »Totalkorper«." Die Erde als Korper ist einer unter anderen Gestirnskorpern, und sie bewegt sich bezuglich dieser anderen Korper-sdoch wenn wir nicht auf dem Boden der Erde stunden, wiiBten wir uberhaupt nicht, was Bewegung hieBe. Allgemeiner gesagt betrachten die modernen Naturwissenschaften die Welt als Gegenstand oder als Totalitat , und dies ist eine grundlegende Verfehlung ; denn es 25 Uberdies macht Husserl den problematischen Vorschlag, sich du rch die phanomenologische Epoche uber den Boden der Welt zu erheben, auf dem die Wissenschaften noch stehen (vgl. Hua VI, 155); vgl. dazu unten Kapitel6 b). 26 Vgl. »Notizen«, S. 27ff. 27 »Grundlegende Unter suchungen «, S. 309. 28 Eine andere, zweifelsohne interessante Frage ware, wie sich Husserl s Unter suchungen tiber Hori zont und Boden zu Heideggers Aufsatz »Der Ursprung des Kunstwerkes « verhalten, in dem das Wesen des Kunstwerks als Aufstellen der Welt eines geschichtlich en Volkes und Herstellen der bergend-hervorbringenden Erde bestimmt wird. 29 In Kapitel z a) werden unter den Titeln Heimwelt und Fremdwelt zwei weitere invariante Strukturen der Lebenswelt untersucht. 30 »Grundlegende Untersuchungen «, S. 308.
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besteht» ein grundsatzlicher Unterschied in der Weise des WeltbewuBtseins und des Dingbewufstseins « (Hua VI, 146) . Dinge sind nur gegeben als Dinge in der Welt, und die Welt ist nicht gegeben, sondern immer schon vorgegeben. Die» Frage nach dem Wie der Vorgegebenheit der Welt« (156 f.) ist eine phanomenologische Grundfrage, die vollkommen auBerhalb des Blickwinkels der Wissenschaften bleibt. DaB die Wissenschaften die Welt als Gegenstand auffassen , ist ein Beleg fur Husserls These, daB die Wissenschaften grundsatzlich in der natiirlichen Einstellung verbleiben. Man konnte die Einstellung der modernen Wissenschaften als »naturliche Einstellung zweiter Stufe « bezeichnen" oder auch, wie Husserl es in den Ideen II tut, als »naturalistische Einstellung «. Die wissenschaftliche Einstellung weist namlich die der natiirlichen Einstellung eigenen Wesenszuge auf, Subjekt und Objekt streng voneinander zu trennen, dem Objekt in selbstverstandlicher Weise ein Sein unabhangig vom Sein-fur-das-Bewufstsein zuzusprechen und das Objekt fur das Wesentliche zu halten. Allerdings kommen diese Wesenszuge den modernen Wissenschaften im Vergleich zur alltaglichen, vor - und aufserwissenschaftlichen Einstellung noch in verstarkter Form zu, und deshalb kann man diese naturliche Einstellung mit dem Attribut »zweiter Stufe« oder aber der Steigerung »naturalistisch « versehen. Die Steigerung besteht darin, nicht bloB den Schwerpunkt auf das Objekt der Forschung zu legen, sondern das forschende Subjekt ganz bewuBt und so vollstandig wie moglich auszuschalten. Dies ist der Sinn der von den Wissenschaften ausgehenden Forderung nach Objektivitat, nach SubjektIrrelativitat. Die modernen Naturwissenschaften sind demnach durch eine doppelte Vergessenheit bestimmt: Sie vergessen zum einen das forschende Subjekt und damit die menschliche Subjektivitat uberhaupt, zum anderen die Lebenswelt." Diese doppelte Vergessenheit macht die naturwissenschaftliche Einstellung beinahe vollig unzuganglich fur die philosophische Kritik :" In der vor - und auBerwissenschaftlichen Einstellung wird der Beitrag des Subjekts beispielsweise in seiner Beteiligung an der Wahrnehmung deutlich; denn Wahrnehmung ist kein blof passives Empfangen von Eindrucken, Dies zeigt sich insbesondere in der Horizonthaftigkeit der Wahrnehmung: Ich kann meine Perspektive auf den Gegenstand wechseln, und es ist fur die Wahrnehmung konstitutiv, daB es versch iedene Perspektiven gibt. Mittels der Horizonthaftigkeit der Wahrnehmung weiB ich auch, wenngleich unthematisch, urn den Welthorizont, in den aIle anderen Horizonte eingebettet sind. Diese Form der naturlichen Einstellung eroffnet damit die Moglichkeit der Einstellungsanderung, indem ich das Korrelationsverhaltnis von BewuBtsein und Welt erkenne und meinen natiirlichen Weltglauben einklammere, wie im nachsten Kapitel erortert werden wird. Vgl. Held (1991), S. 96 ; Husser! spricht von »Naivitat hoherer Stufe « (Hu a xvn, 353). 32 Vgl. Welton (2000), Kapitel ia. 33 Vgl. hierzu und zum folgenden: Held (1991), insbes. S. 100ff. 31
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Die Naturwissenschaften hingegen mach en einerseits die Welt zum Gegenstand und vergessen damit ihren eigentlichen Charakter als horizonthafte Lebenswelt; andererseits wollen sie jeglichen Beitrag des Subjekts ausschalten, so daB dieses der Vergessenheit anheimfallt. DaB die Forderung der Wissenschaften nach absoluter Objektivitat nicht einlosbar ist, zeigt Husserl auf dem Wege seiner geschichtlichen Besinnungen in der Krisis: Die Forschung beruht immer auf der lebensweltlichen Praxis der Forscher, bleibt an diese ruckgebunden und flieBt in die Lebenswelt zuruck. Wenn diese Zusammenhange aufgeklart werden, ist auch eine Uberfuhrung der naturwissenschaftlichen Einstellung in die philosophische moglich. Die Notwendigkeit philosophischen Fragens ergibt sich aus der von Husserl diagnostizierten Krise. Die Subjektunabhangigkeit ist narnlich nicht nur uneinlosbar, sondern es handelt sich insofern urn eine gefahrliche Illusion, als das forschende Subjekt seiner Verantwortung enthoben zu sein meint. Die Menschen an ihre Verantwortung zu erinnern und sie zu grundlicher Selbsterforschung aufzufordern ist ein, vielleicht das wesentliche Anliegen Husserls in der Krisis (vgl. Hua VI, § 7). Diese Themen werden Gegenstand der folgenden Untersuchung des Ubergang zum philosophischen BewuBtsein sein.
Hegels Analyse der drei Welten im Verstandeskapitel hat als Hilfe oder Leitfaden gedient, urn Husserls verschiedene Begriffe der Lebenswelt in Beziehung zueinander zu setzen. Die hier vorgenommene Deutung laBt sich durchgehend anhand der husserlschen Ausfuhrungen zur Lebenswelt belegen; doch Husserl erklart nicht genauer, wie die Begriffe der Lebenswelt, die zunachst nur als verschiedene ins Auge fallen, sich zueinander verhalten: Der umfassendere Begriff der Lebenswelt wird genau dadurch gewonnen, daf der ursprungliche engere Lebensweltbegriff, welcher als Kontrast zur Welt der Wissenschaften gebildet wurde, sich nicht in dieser Entgegensetzung aufrechterhalten laBt. In diesem Sinne konnen also Hegels Uberlegungen fur eine genauere Klarung von Husserls Lebensweltbesinnungen nutzbar gemacht werden - und es zeigt sich dann im Ruckblick der entscheidende Mangel von Hegels Verstandeskapitel: Zwar ist standig von Welten und ihrem Verhaltnis zueinander die Rede, doch Hegel entwickelt keinen Weltbegriff im eigentlichen Sinne. Die Welt, die im Zentrum der husserlschen Phanomenologie steht, fehlt bei Hegel nicht nur im Wahrnehmungskapitel (wo deshalb der Zusammenhang der Dinge untereinander nicht bedacht wird), sondern der Sache nach fehlt sie auch im Verstandeskapitel. Dieser Mangel fuhrt zu Problemen bezuglich des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Verstand. Husserl hingegen kann diesen Zusammenhang verstandlich machen, indem er die Wahrnehmung im Sinne einer Naherbestimmung des Gegenstandes (also des Innenhorizontes) erlautert, so daB die Idee des vollstandig
DIE NATURWISSENSCHAFTLICHE EINSTELLUNG
bestimmten Gegenstandes nicht nur Ziel der Wissenschaften, sondern zugleich auch Motivation der wissenschaftlichen Forschung ist. Hegels faBt die Welt wie einen Gegenstand auf. Dies konnte auch ein Grund dafur sein, daB Hegel zwar die vorlaufigen Konzeptionen von Welt (sinnliche Welt, erste ubersinnliche Welt, verkehrte Welt im vorlaufigen Sinne) ausfuhrlich erklart, dann aber fast keine Erorterung der zweiten ubersinnlichen Welt im eigentlichen Sinne gibt. Das Fehlen des Weltbegriffs macht nicht nur die Verbindung zuruck zum Wahrnehmungskapitel weniger durchsichtig, sondern auch der Obergang zum SelbstbewuBtseinskapitel bleibt teilweise im Dunkeln. Das BewuBtsein s10Bt auf sich selbst, da die Gesetze Produkte des Verstandes sind, sich aber im Erklaren so auf die Phanomene der sinnlichen Welt beziehen sollen, daB kein Unterschied besteht. Husserls Untersuchungen zur Lebenswelt als Boden der Wissenschaften einerseits und zum Einstromen der wissenschaftlichen Ergebnisse in die Lebenswelt andererseits zeigen den Zusammenhang der beiden Welten deutlicher. Vor allem aber enthullt Husserls Deutung der Wissenschaften am Leitfaden ihres Objektivismus, was die Wissenschaften neben der Lebenswelt auBerdem ubersehen, namlich das Subjekt. Wie sich im dritten Teil dieser Arbeit genauer zeigen wird , untersucht Husserl auch den Zusammenhang von Subjekt und Welt bzw. genauer gesagt, von BewuBtsein und Welt. BewuBtsein und Welt sind gewissermaBen zwei Seiten derselben Medaille. Hegel kann eine solche Aussage zwar fur das Ding oder den Gegenstand machen, wenn er sagt, daB das Ding Ich ist-doch hier zeigt sich sogleich, wie ein durchdachter Weltbegriff, den Hegel spatestens im Verstandeskapitel hatte entwickeln konnen, bei der Formulierung seines Idealismus hilfreich gewesen ware (denn die Idee des Idealismus ist naturlich nicht, das ein Ding wie der Tisch Ich ist, sondern daB das Ganze Ich ist). Die Naturwissenschaften blicken auf den Zusammenhang; sie sind Wissenschaften von der Welt. Da die erscheinende Welt zu unbestimmt und schwankend ist fur die exakten Wissenschaften, uberschreiten sie diese Welt auf eine ubersinnliche Welt hin. Unter der Hand wird dann die ubersinnliche Welt zur wahren Welt und zum MaBstab der Erscheinungswelt. Die philosophische Betrachtung zeigt jedoch, daB die Wissenschaftler dabei der Welt bestimmte Eigenschaften zusprechen, die das Phanomen Welt miBverstehen . In den nachsten beiden Teilen dieser Arbeit wird unter anderem untersucht, inwieweit Philosophie dem Wesen der Welt und ihrem Geschehnischarakter auf zufriedenstellendere Weise Rechnung tragen kann als die Wissenschaften es vermogen.
TElL II
DER UBERGANG VOM NATURLICHEN ZUM PHILOSOPHISCHEN BEWUSSTSEIN
Einfuhrende Bemerkungen
Zu Beginn dieses zweiten Teils der Arbeit muB einem Mifsverstandnis vorgebeugt werden-einem Mifsverstandnis, das sich angesichts des Titels fast unvermeidlich einstellt: Es ist im Grunde verfehlt, von einem »Ubergang« des natiirlichen BewuBtseins zum philosophischen BewuBtsein zu sprechen, da dieser Begriff die Vorstellung nahelegt, wir konnten ein fur allemal vom natiirlichen zum philosophischen BewuBtsein ubergehen und anschlieBend dort bleiben; dies ist jedoch keineswegs der Fall. Wir verlassen das naturliche BewuBtsein nie ganz, und wir kommen nie wirklich in der Philosophie an. Vor allem kann die Philosophie keinen sicheren Standpunkt bieten, von dem aus sich dann -der Rest
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sophie anerkennt und aufnimmt. Der Obergang hat den Charakter eines Weges oder Ganges, weil es mit einem Sprung nicht getan sein kann: Philo sophie muf sich entwickeln und anreichern. Philosophie ist etwas geschichtlich Gewordenes und Werdendes, und dem muf eine Einfiihrung in die Philosophie gerecht werden . Wie lassen sich Sprung und Weg vereinbaren? Urn im Bild zu bleiben: An einer Stelle des Wegesist ein Sprung erforderlich. Doch vielleicht bedarfes auch mehrerer Spriinge-und mehrerer Wege. Sich uberhaupt auf den Weg zu begeben, bedeutet schon einen ersten Sprung. Dieser ist jedoch notwendig recht unmotiviert und richtungslos, so daf nach einem gewissen )Anlauf vielleicht ein gezielterer und besser vorbereiteter Sprung versucht wird. Die Moglichkeiten sind vielfaltig-doch die Behauptung ist, daB in jedem Fall diese beiden Elemente auftauchen.
KAPITEL
5
Der Sprungcharakter des Ubergangs Das »Ich halte mich zuruck « (epechei) verwenden wir anstelle von» Ich vermag nicht zu sagen, welchem von den vorliegenden Gegenstanden man glauben und welchem man nicht glauben soli«, und wir zeigen damit an, daB die Dinge uns hinsichtlich ihrer Glaubwurdigkeit und Unglaubwurdigkeit gleich erscheinen. Ob sie auch gleich sind, versichern wir nicht, sondern wir sagen nur, was uns tiber sie erscheint, wenn sie uns begegnen. Auch die »Zuruckhaltung- (epoch/!) ist benannt nach dem Zurtickhalten des Verstandes, so daB er wegen der Gleichwertigkeit der fraglichen Gegenstande weder etwas setzt noch etwas aufhebt. Sextus Empiricus, GPS
I,
196.
Das Diskontinuitatsmornent des Ubergangs in die Philosophie soll in dies em Kapitel anhand der phanomenologischen Epoche bei Husser! und anhand dessen, was Hegel in der Einleitung zur Phanomenologie des Geistes als »reines Zusehen« bezeichnet, untersucht werden. Den vermittelnden Grund stellt dabei die antike Skepsis dar: Zum einen wurde der Gedanke der Epoche zuerst in der antiken Skepsis entwickelt, und Husserl ubernimmt ihn von dort-wenngleich die phanomenologische Epoche nicht mit der skeptischen Epoche gleichzusetzen ist. Zum anderen sagt Hegel in der Einleitung, »unsere « Aufgabe des reinen Zusehens stimme uberein mit dem, was er zuvor bezuglich des Skeptizismus ausgefuhrt habe. Dabei geht es ihm urn den »sich vollbringenden Skeptizismus«, dessen Verschiedenheit vom unvollstandigen Skeptizismus herausgestellt werden muB. Sowohl Hegel als auch Husserl haben das Ziel, in ihrer Einleitung in die Philosophie Vorurteilsfreiheit zu gewahrleisten. Obwohl das Prinzip der Skepsis sich gut fur die Erzielung von Vorurteilsfreiheit eignet, sehen beide-wenn auch auf unterschiedliche Weise-in der antiken Skepsis ein gewisses Zuruckbleiben hinter diesem Prinzip, das sie nun jeweils mit ihrer Philosophie erfullen mochten. T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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TElL II . KAPITEL
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a. Diephanomenologische Epoche beiHusserl Husserl hat seine Antwort auf die Frage, wie wir in die Philosophie als Phanomenologie hineinkommen, im Laufe seines Denkens mehrfach, und zum Teil grundlegend, modifiziert. Das Moment der Epoche hat er jedoch fur eine Einleitung in die Phanomenologie bis zuletzt fur notwendig erachtet-wenngleich er das Konzept der Epoche mehrfach abgewandelt hat und ihr verschiedene Orte und verschiedene Rollen zugewiesen hat. Der Grundgedanke der Epoche solI im folgenden so dargestellt werden, wie Husserl ihn insbesondere in den Ideen I entwickelt. Die Epoche ist eine Urteilsenthaltung, namlich die Enthaltung vom Urteil tiber das Sein der Welt. Ais Resultat dieser Urteilsenthaltung befragt die Phanomenologie das reine BewuBtsein bzw. das Erscheinen der Welt im BewuBt-
sem. Husserls ursprungliches Konzept der Epoche enthalt Elemente aus der Philosophie von Descartes. Husserl wirft Descartes jedoch vor; die antike Skepsis, in der die Epoche zuerst entwickelt wurde, miBverstanden zu haben. Im folgenden werden daher kurz einige skeptische Grundgedanken zur Oberwindung der Selbstverstandlichkeit des naturlichen BewuBtseins vorgestellt. Die Betrachtung einer gewissen Inkonsequenz der Skepsis bezuglich des Verhaltnisses von Sein und Erscheinen hilft, eine Schwierigkeit der ersten Fassung der husserlschen Epoche deutlicher zu sehen: Es ist problematisch, wenn Husserl das Sein des rein en BewuBtseins als sicher gegeben darstellt. I. Husserl beginnt die »phanornenologische Fundamentalbetrachtung« in der naturlichen Einstellung, und er fuhrt sie in der Ichrede durch, »in einfachen Meditationen « (Hua III, 57). Dies ist bereits ein erster Anklang an die Meditationen des Descartes, auf die Husserl sich in der Fundamentalbetrachtung stutzt, Ausgehend von der Feststellung »Ich bin mir einer Welt bewuBt« beschreibt Husserl das naturliche BewuBtsein in der oben dargestellten Geradehineinstellung auf die Gegenstande. Urn die im ersten Teil erlauterten Grundzuge des naturlichen BewuBtseins noch einmal ganz kurz zusammenzufassen: Ich bin naturlicherweise davon uberzeugt, daB die Gegenstande sind, daB sie unabhangig von meinem BewuBtsein von ihnen existieren. SolIte sich eine bestimmte Seinssetzung als falsch erweisen, so hare ich deshalb nicht auf, uberhaupt Dinge als seiend anzunehmen, sondern ich ersetze die falsche Seinssetzung durch eine neue. Ich habe narnlich nie ein isoliertes GegenstandsbewuBtsein, sondern die Wahrnehmung ist horizonthaft: Das gerade Wahrgenommene verweist auf Moglichkeiten, anderes wahrzunehmen. Diese Moglichkeiten reiBen nie ab; der Horizont, in den aIle anderen Horizonte eingebettet sind, ist die Welt als Universalhorizont. Die
DER SPRUNGCHARAKTER DES UBERGANGS
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Grundiiberzeugung der natiirlichen Einstellung laBt sich daher in dem Satz ausdriicken: »Die Welt ist« - dies ist die (unthematische) Generalthesis der natiirlichen Einstellung. Husserl fordert uns nun auf, unsere Einstellung radikal zu andern, sprich, mit der natiirlichen Einstellung zu brechen. Die Weise, in der er diese Einstellungsanderung einfuhrt, ist im wahrsten Sinne des Wortes unmotiviert: »Anstatt nun in dieser Einstellung zu verbleiben, wollen wir sie radikal andern. Es gilt jetzt, sich von der prinzipiellen Moglichkeit dieser Anderung zu uberzeugen« (Hua III , 63, Hervorhebung 1. S.). Warum wir die Einstellungsanderung vollziehen, thematisiert Husserl hier also iiberhaupt nicht, sondern es scheint ihm bloB urn das Aufzeigen der Moglichkeit der Anderung zu gehen. Es wird sich zeigen, daB Husserl diesen Aspekt der Ideen I sparer kritisiert und sich dann auch mit der Motivationsfrage der Epoche beschaftigt. Aus Husserls Worten in der Einleitung zu den Ideen lund aus dem weiteren Vorgehen der Fundamentalbetrachtung laBt sich aber bereits ersehen, warum die natiirliche Einstellung nicht in Geltung bleiben kann oder, genauer gesagt, warum die Generalthesis der natiirlichen Einstellung fraglich werden muB. Husserls Philo sophie versteht sich namlich als Wissenschaft und muB daher verschiedene Anforderungen erfullen : Angestrebt wird eine universale Wissenschaft, also eine solche, die sich auf das Ganze des Seienden bezieht, und eine vorurteilsfreie Wissenschaft, die keine Voraussetzungen ungepruft iibernimmt, sondern sich absolut rechtfertigt. Das Sein der Welt kann jedoch angezweifelt werden, wie es bereits Descartes in seinen Meditationen gezeigt hat, und damit ist sie kein sicheres Fundament fur die zu begriindende Wissenschaft. Urn die natiirliche WeltgewiBheit zu durchbrechen, diirfen wir die Seinssetzungen des natiirlichen BewuBtseins daher nicht mehr mitvollziehen, sondern miissen sie bezweifeln. Die universale Epoche ist eine bestimmte Art des Zweifels, namlich das Innehalten mit der Setzung des Seins der Welt (griech. epechein = innehalten), das Dahingestelltseinlassen dessen, ob die Welt ist. Husserl sagt, daB wir die Generalthesis »ausschalten « oder »einklammern« (Hua III, 65). Bezogen auf den methodischen Zweifel des Descartes heiBt dies, daB wir nur ein Moment desselben herausgreifen, namlich den Zweifelsweg sozusagen bis zum Innehalten (lat.: assensionem cohiberev mitgehen, wah rend Descartes zur Negation des Seins der Welt fortschreitet, da er die naturliche Affirmationstendenz fur so stark halt, daB ihr nur mit der entgegengesetzten Haltung, der Negation, beizukommen ist. In der Phanomenologie enthalten wir uns schlechthin des Urteils dariiber, ob die Welt ist, und betrachten sie rein als Phanomen, DaB es trotz universaler Epoche einen Bereich gibt, dessen Sein zweifelsfrei gewiB ist und auf den wir unseren Blick richten konnen, wenn wir Phanomenologie betreiben wollen, ist im Prinzip ebenfalls eine Erkenntnis von Descartes: Das
Vgl. Descartes, Meditatio I, Nr. 10.
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Sein des Ego cogito, des rein en BewuBtseins kann nicht angezweifelt werden, es ist ein apodiktisch gewisser Boden . Husserl kritisiert jedoch Descartes dahingehend, daB dieser das Wesen des BewuBtseins nicht in der rechten Weise erfaBt habe . Descartes habe, so Husserl, im apodiktischen reinen Ego »ein kleines Endchen der Welt gerettet« (Hua I, 63); ob diese Kritik Descartes gerecht wird, ist fraglich. Ein entscheidender Unterschied wird aber wohl von Husserl zur Sprache gebracht, indem er sein Prinzip bekraftigt, nichts zur Aussage zu bringen, »was wir nicht selbst -sehen. « (Hua I, 64), worin Descartes gefehlt habe . Zwar fuhrt Husserl nicht genauer aus, worin der »Fehler« von Descartes liegt, doch Ludwig Landgrebe verfolgt diesen Gedanken schlussig weiter: Das, was Descartes ins Spiel bringt, obwohl es sich nicht zu anschaulicher Evidenz bringen laBt, ist insbesondere die Existenz Gottes, die gewahrleistet, daB wir vom Ego cogito aus zu einer (existierenden) AuBenwelt gelangen. Diesen Gott benotigt Husserl zum einen deshalb nicht, weil er die Frage nach dem Sein der Welt durchgangig dahingestellt sein laBt, zum anderen, weil wir im rein en BewuBtsein den ganzen Reichtum der Welt finden, aber eben als Phanomen, Fur Descartes ist nur die GewiBheit des punktuellen Ego cogito gegeben; »es entgeht ihm, daB die einzelnen, im BewuBtsein auftretenden Akte selbst durch ein phanornenales Band geeinigt sind «,' mit anderen Worten: Es entgeht ihm die Horizonthaftigkeit des BewuBtseins, durch die es ein ganzes Feld der Betrachtung eroffnet und die gesamte Welt-als Erscheinung-in sich enthalt. Doch welche Seinsart hat das reine BewuBtsein, wenn es durch die universale Epoche nicht betroffen ist, sondern als Forschungsfeld der Phanomenologie »ubrigbleibt« r Entscheidend ist, daB die Seinsweise des reinen BewuBtseins eine andere ist als die der Welt, deren Sein in der Epoche in der Schwebe gehalten wird . Das reine BewuBtsein ist nicht mundan; ihm kommt ein notwendiges, absolutes Sein zu, wahrend das Sein der Welt zufallig und relativ ist und immer horizonthaft , also unvollstandig und inadaquat gegeben ist (vgl. Hua III , §49). Urn die Behauptung zu starken und zu veranschaulichen, daB die Seinsweise des BewuBtseins von derjenigen der Welt grundsatzlich verschieden ist, bedient Husserl sich der problematischen Annahme der Weltvernichtung. Es leuchtet ein, so Husserl , »daf das Sein des BewuBtseins, jedes Erlebnisstromes uberhaupt, durch eine Vernichtung der Dingwelt zwar notwendig modifiziert, aber in seiner eigenen Existenz nicht beruhrt wurde « (ebd .). Husserl behauptet also nicht, daB es fur das BewuBtsein keinen Unterschied macht, ob die Welt existiert oder nicht-es wtirde notwendig modifiziert-, aber selbst wenn es die Welt nicht (mehr) gabe, bliebe die Existenz des BewuBtseins bestehen; dam it kann es der Existenz des BewuBtseins erst recht nichts anhaben, wenn wir das Sein der Welt bloB in der Schwebe halten.
2
Landgrebe (1963), S. 85.
DER SP RUNG CH ARAKT ER DES U BERGA NG S
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Also auch nach Durchfiihrung der universalen Epo che ist Wissens chaft moglich, namlich als Erforschung des Bewufstseins mit all seinen Inhalten. Inhalt des Bewufstseins ab er ist die gan ze Welt und sind aIle Gegenstande, nur eben als Pha no me ne. W ir sind in der phan orn enologischen Einst ellung nicht mehr )geradehin ( auf d ie Gegen stande gerichtet, sondern auf ih r Erscheinen im Bewufstsein, auf da s Wie ihres Ersche inen s. Hu sserl kann deshalb zurecht sagen, wir hatten »eigentlich nichts verloren, aber da s gesamte absolute Sein gewonnen « (Hua III , 119). Beweggru nd der Epoche ist also kein eswegs eine Abwendung von der Welt, sondern das Wesen der Dinge und der Welt sollen unverstellt in den Blick genom men werden, und zu diesem Zweck werden in der Epoche aIle Vorurteile und vorgefaBten Meinungen eingeklammert, so daB wir uns nur noch darauf besinnen , wie Welt und Dinge uns erscheinen.' Diese Riickbe sinnung auf das Erscheinen ist die phanomenologische Reduktion, welch e nur die konsequente Weiterfiihrung und Vollendung der Epoche darstellt. Husserl verwendet die Ausdriicke »Epoche« und »Reduktion« mei stens au stauschbar; wenn er eine terminologische Unterscheidung macht, dann bezeichnet die Epoche das Moment der Einklammerung, das Dahingestelltseinlassen der Thesis uber da s Sein der Welt, wahrend die Reduktion die Riickwendung des Blicks auf das Erscheinen der Ph anomene im Bewufstsein benennt. 4 Fiir unsere Ob erlegungen ist daher die Epoc he besonders entscheidend, da sie explizit den Bruch mit der natiirlichen Eins tellung und damit den Spru ngcha rakter au sm acht; gleichw ohl muB immer im Auge behalten werde n, daf Reduktion und Epoche zusammengehoren, »Epoche « solI daher in vorliegender Arb eit fu r da s Ganze von Epoch e und Reduktion stehe n, doch unter besonderer Betonung des Aspekts des Innehaltens. Dies ist, auf die kiirzeste Form gebracht, der Grundgedanke Husserls beziiglich der Frage, wie wir von der natiirlichen Einstellung in die philosophische, hier: ph an omen ologi sche, Einstellung iibergehen konnen , Hu sser! bezeichnete diesen Weg im Riickblick als den cartesianischen, da er sich in obe n angedeuteter Weise an Descartes orientiert. Descartes selbst hat Hu sserl zufolge den Sinn der von ihm auf den Weg gebrachten Tran szendentalphilosophie nicht bis in seine letzte Tiefe erfafst, sondern ist den obe n ange sprochenen Mifsverstandnissen erlegen. Der Grund dafur, so Husserl, ist darin zu finden, »daf er nicht in der rechten Weise bei der Skepsis in die Lehre gegangen war « (Hua VII , 64). Im folgenden sollen daher einige Grundgedanken der antiken Skepsis skizziert werden, urn einerseits gewisse Oberein stimmungen und Unterschiede zwischen der antiken
3
4
Dan Zahavi bringt dies sehr pragnant zum Ausdruck, wen n er sagt: » Der Vollzug der Epoc he Husser! zufo lge eine notwend ige MaBnahme jedes fu nda me ntalwissenschaftl ichen Bestrebensimpliziert somit recht besehen keine Ausschaltu ng der Welt, sonde rn eineSuspension derAnnahme der natiulichen Einstellung bezuglich der Art und Weise ihrer Existenz « (Zahavi (1996), So 3, Hervorhebu ng ToSo ). Vgl. Held (1966), S. 17.
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und der phanomenologischen Epoche aufzuzeigen (so daB die phanomenologische Epoche in ihren Eigenheiten deutlicher hervortritt) und urn andererseits den Grund zu legen fur Oberlegungen zu Hegel und dem Skeptizismus, die in den folgenden beiden Kapiteln eine Rolle spielen werden.
II. Eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen der husserlschen Phanomenologie und der antiken Skepsis-und damit ein Grund fur Husserl, in seinen Vorlesungen zur Ersten Philosophie der Skepsis einige Aufmerksamkeit zu widmen -, besteht darin, daB beide mit der Selbstverstandlichkeit des naturlichen BewuBtseins brechen.' »Die erste, naiv auBenweltlich gerichtete Philosophie der Griechen erfuhr in ihrer Entwicklung einen Bruch durch die sophistische Skepsis«, sagt Husserl in der ersten Vorlesung (Hua VII, 8).6 Der Begriff skepsis leitet sich ab von dem Verb skeptomai, das ubersetzt werden kann durch spahen, uberlegen, prufen und erwagen. Sextus Empiricus" beginnt seine Darstellung der pyrrhonischen Skepsis damit, daB er drei Weisen von Philosophie unterscheidet, denen gemeinsam ist, daB sie nach etwas suchen (vgl. GPS I, I). Die erste Weise wird reprasentiert von den Dogmatikern, die behaupten, daB sie die Wahrheit gefunden batten: die zweite Einstellung ist die der Akademiker, die davon uberzeugt sind, daB die Wahrheit nicht gefunden werden kann. Die dritte Gruppe bilden die Skeptiker, die immer noch suchen und in der Suche verbleiben. Sextus definiert die Skepsis wie folgt: Die Skepsis ist die Fahigkeit tdynamis), aufwelche Weise itropos) auch immer das Erscheinende (phainomenoni und das Gedachte tnoumenoni einander entgegenzusetzen, von wo aus wir wegen der Gleichkraftigkeit (isosthenia) der gegenubergestellten Sachen (prdgmata) und Argumente (logoi) zuerst zum Innehalten (epoche), danach aber zur Beunruhigungslosigkeit (ataraxia) gelangen. (GPS 1,4)
Da es in unserem Zusammenhang vor allem aufden skeptischen Begriff der Epoche ankommt, wird obige Definition nur in ihren Grundziigen besprochen. Ausgang der Definition ist die Erfahrung der Relativitat der Erscheinungen, die wir schon im vorphilosophischen Leben machen: Dem einen Menschen erscheint der Wind kalt, dem anderen warm." Wenn Menschen daruber diskutieren, daB die Dinge ihnen
5
Husser! bezeichnet die phanomenologische Einstellung auch als »unnaturliche- Einstellung (Hua VIII, 121).
6 7
Vgl. ausfuhrlich zu Husser!s Auseinandersetzung mit der Skepsis Aguirre (1970) . Laut Hegel ist Sextus Empiricus fur uns bei weitem der wichtigste Autor der Skepsis (vgl. GPh II, 367).
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Vgl. zur Diskussion dieses Beispiels sowie zum Erscheinungsrelativismus in seinen Starken und Schwachen : Platon, Theaitetos, 152 b 1 If.
DER SPRUNGCHARAKTER DES UBERGANGS
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auf unterschiedliche Weise erscheinen, setzen sie im allgemeinen voraus, daf es eine wahre und letzte Antwort auf ihre Frage gibt; denn sonst hatte es keinen Sinn, dariiber zu streiten. Die Auseinandersetzung setzt voraus, daf die fragliche Angelegenheit entweder so oder anders ist und daB dieses wahre Sein der Sache zur Offenbarkeit gebracht werden kann. Hier stofsen wir erneut auf den Sachverhalt, daf das natiirliche BewuBtsein die Neigung hat, den erscheinenden Dingen ein Sein an sich zuzusprechen. Ich sage nicht nur, daf der Wind mir kalt erscheint, sondern daB der Wind kalt ist. Wenn das Bewufstsein ein solches Sein setzt und dam it etwas fur die Wahrheit halt, bindet das BewuBtsein sich an diese Wahrheit; da diese Wahrheit jedoch keine feste ist, sondern sich im Wechsel befindet, verliert das Bewufstsein seine Stabilitat und Ruhe. Dies ist es, was die skeptischen Philosophen vermeiden wollen: Sie wollen die Seelein den Zustand der Ruhe, der Ataraxia, zuriickbringen. Wie im Fall der anderen groBen hellenistischen Schulen, namlich der Stoiker und der Epikureer, war es alleiniges Ziel der Skeptiker, zur Gliickseligkeit, Eudaimonia, zu gelangen (und nicht , erkenntnistheoretische Fragen zu losen oder eine Wissenschaft zu begriinden) . Die Frage ist, wie Ataraxia erreicht werden kann, und die Antwort lautet, daB wir uns des Urteils iiber das Sein der Dinge enthalten miissen, also Epoche iiben miissen . Freilich wiirden die Skeptiker sich selbst widersprechen, wenn sie behaupteten, daB Ataraxia eine notwendige Folge der Epoche sei-sie sagen vielmehr, daf die Ataraxia sich gleichsam zufallig einstellt, wenn wir uns der Seinsurteile enthalten. Die Skeptiker stellten fest, daB sie keine Urteile iiber die Dinge, wie sie wirklich sind, fallen konnten, da beziiglich jedes Urteil s ein anderer mit gleichem Recht das Gegenteil behaupten konnte: sie beschlossen also, sich dieser Urteile zu enthalten-und Ataraxia folgte sozusagen von selbst. Wah rend wir Ataraxia nicht unmittelbar anstreben konnen, handelt es sich bei der Epoche urn etwas, das wir bewuBt ausfuhren, also urn einen Akt unseres Willens. Die Ausfuhrung der Epoche bedeutet, daf die Skeptiker zwar durchaus noch die Erscheinungen in Geltung liefsen, also sich beispielsweise in ihrer Lebensfuhrung an die geltenden Gewohnheiten ihrer Zeit hielten, aber kein Urteil dariiber fallten, was das wahre Sein der Dinge ist. Wie die Dinge mir erscheinen, dessen bin ich un mittelbar gewiB, da das Erscheinen ein pathos, ein Widerfahrnis ist; deshalb streitet auch niemand dariiber, wie die Dinge ihrn/ihr erscheinen, sondern ob sie so sind, wie sie erscheinen (GPS I, 11). Urn eines von Sextus' Beispielen wiederzugeben: Ich gebe zu, daf mir der Honig siiB erscheint-aber ob der Honig siiB ist, muf offenbleiben. Entscheidend ist nun, daB die Skeptiker eine bestimmte Voraussetzung mach en iiber das Verhaltnis von Sein und Erscheinen: Indem sie beschlielsen, die Erscheinungen gelten zu lassen, aber sich des Urteils uber das Sein der Dinge zu enthalten, setzen die Skeptiker eine Kluft zwischen Sein und Erscheinen an. Mit dem Ansetzen dieser Kluft ergibt sich fur unser Urteil die Wahl, die Kluft zu iiberschreiten oder sich an die Seite des Erscheinens zu halten. In dieser Hinsicht ist die Skepsis jedoch ihren eigenen Prinzipien nicht ganz
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treu; denn eine solche Kluft zwischen verborgenem Sein und ins Licht tretender Erscheinung anzunehmen, bedeutet eine undurchschaute dogmatische Vorausset-
zung." III. Husserls phanomenologische Epoche ist der Idee nach eine Vertiefung der skeptischen Epoche, da die Phanomenologie keine Entscheidung tiber das Verhaltnis von Sein und Erscheinen treffen, sondern blof das mannigfaltige Erscheinen der Sachen beschreiben will. Ein Problem des cartesianischen Weges besteht nun darin, daB Husserl hier das BewuBtsein als notwendig und absolut Seiendes bezeichnet, also eine Aussage tiber das Sein des BewuBtseins macht. Konsequenterweise mufste Husserl es dahingestellt lassen, ob dem BewuBtsein ein Sein zukommt, und sich darauf beschranken zu untersuchen, wie das BewuBtsein uns erscheint. 1m Rahmen dieser Untersuchung des Erscheinens des BewuBtseins ware dann eine entscheidende Frage diejenige, wie es kommt, daB das BewuBtsein uns als absolut und notwendig Seiendes erscheint, das heilst, wie sich das apodiktische Sein des BewuBtseins konstituiert. Allerdings will Husserl im Gegensatz zur antiken Skepsis eine Wissenschaft begrunden - woraufletztere gut verzichten konnte, da es ihr lediglich urn ein gelungenes Leben und nicht urn eine neue, moglichst unangreifbare Wissenschaft ging. Husserl mochte dieser neuen Wissenschaft im transzendentalen BewuBtsein ein sicheres Fundament verschaffen. Doch zum einen wird sich im Laufe des husserlschen Denkens der Status dieses BewuBtseins andern: denn indem die phanomenologische Analyse geschichtlich wird, muB sie einsehen, daB auch das BewuBtsein geschichtlich ist und keinen absoluten Standpunkt »uber « der Welt einnehmen kann. IO Zum anderen ist es fur Husserls Phanomenologie, selbst wenn sie an der universalen Epoche festhalt, nicht notig, das absolute Sein des BewuBtseins zu behaupten, wenn sie zeigen kann, daB uns das transzendentale BewuBtsein grundsatzlich anders erscheint als die Welt. Die universale Epoche bezieht sich namlich ausdrucklich auf die Generalthesis des natiirlichen BewuBtseins, also darauf, daB die Welt ist. Die damit einhergehende Zurtickwendung auf das transzendentale BewuBtsein und die Betrachtung der Konstitution der Welt in diesem ist moglich, sofern das transzendentale BewuBtsein kein Ding in der Welt ist. Das transzendentale BewuBtsein ist aber gewissermaBen die >Ruckseite - der Welt oder die -andere Seite der Medaille- ." Sowohl beim BewuBtsein als auch bei der Welt handelt es sich urn ein allumfassendes Ganzes. Es kann aber keine zwei Totalitaten geben, sondern
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Vgl. zu dieser Thematik: Held (1989) und Held (zoooa) . Die Rede von einem Standpunkt » uber - der Welt verwendet Husser! selbst in der Krisis noch (vgl. Hua VI , 155); vgl. zu dieser Th ematik Kapitel eb), Vgl. auch Beilage xx zur Ersten Philosophie: » Aber wenn die universale Subjektivitat in ihrer vollen
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nur eine, die sozusagen unter zwei Blickwinkeln betrachtet wird. Das heiBt nicht, daB BewuBtsein und Welt vollig in eins fielen: Zu unserem BewuBtsein von der Welt gehort, daB sie uns als etwas das BewuBtsein Obersteigendes erscheint. Es kommt darauf an, den Sinn dieser Transzendenz im konsequenten Rtickgang auf das BewuBtsein aufzuklaren, Husserl kritisiert selbst im Ruckblick, daB die Rede vom reinen BewuBtsein als »Residuum «, das nach der »Ausschaltung der Welt« ubrigbliebe, besser vermieden werden solIte (vgl. Hua VIII, 432). Auch der problematische Ausdruck der Weltvernichtung ist unnotig; denn der methodische Sinn dieses Gedankenexperiments war es, zu zeigen, daf das reine BewuBtsein von ganzlich anderer Art ist als die Welt und daB es insbesondere auch verschieden ist vom empirischen leh. Es genugt daher, diesen Unterschied als Unterschied der Gegebenheitsweise im Auge zu behalten. In spateren Texten Husserls taucht diese Verschiedenheit beispielsweise unter dem Stichwort eines »Zirkels« oder einer »Paradoxie« auf, der bzw. die jedoch aufgelost werden kann." Husserl formuliert das Problem in der Krisis folgendermaBen: » Wie solI ein Teilbestand der Welt, ihre menschliche Subjektivitat, die ganze Welt konstituieren (... )?« (Hua VI, 183). Die Auflosung der scheinbaren Paradoxie erfolgt dann so, daf zugestanden wird, der Mensch sei zugleich Subjekt fur die Welt und Objekt in der Welt; doch letzeres, namlich der Mensch als Person, der Leib des Menschen etc. wird eben nach der Epoche als Phanomen betrachtet und daraufhin angesehen, wie es vorn transzendentalen Ich, das » rein nur als lehpol seiner Akte und Habitualitaten und Vermogen in Betracht « kommt, konstituiert wird (Hua VI ,
187).
Die transzendentale Subjektivitat ist die andere Seite, ist das Korrelat der Objekte, also letztlich der Welt; sie ist die fungierende, konstituierende, sich auf die Welt wendende Subjektivitat. Auf diese Subjektivitat rich ten wir uns, wenn wir reflektieren - wobei wir das BewuBtsein als gerade fungierendes nie in den Blick bekommen, sondern immer zu spat kommen, was Husserl als »Nachgewahren « bezeichnet (Hua VIII, 89). Die phanomenologische Reflexion darf jedoch nicht mit der naturlichen Reflexion verwechselt werden, so Husserl; worin liegt also der Unterschied? In der naturlichen Reflexion bin ich nicht aufdas Erscheinen gerichtet, sondern lasse das Sein des Gegenstandes in Geltung; zwar reflekt iere ich auf mein BewuBthaben des Gegenstandes-beispielsweise darauf, daf ich einen bestimmten Gegenstand jetzt gerade wunsche oder mich an ihn erinnere-, aber meine Einstellung dem Gegenstand gegentiber bleibt eben die der nattirlichen EinstelIung. Es gilt, daB »die StelIung des reflektierenden Ich (.. .) doch (eine) an dem Sein des Gegenstandes (... ) interessierte« ist (Hua VIII , 95). Oftmals liegt sogar der Grund der Reflexion dar in, daB ich besonders stark an dem Gegenstand interessiert bin
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Universalitat , und zwar als transzendentale, in rechtmaflige Geltung gesetzt wird , so liegt in ihr auf (der) Korrelat-Seite als rechtmafsig seiend die Welt selbst - (Hua VIII, 432). Vgl. z. B. Hu a VlII, 70; Hua VI, § 53.
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und mich frage, ob ich ihn wirklich gestern gesehen habe, wann ich mich das letzte Mal an ihn erinnert habe etc. Auf diesem Weg erfahre ich aber ebensowenig tiber die Gegebenheitsweisen des Gegenstandes wie in der schlechthin wahrnehmenden oder vergegenwartigenden Einstellung; bloB die Moglichkeit der Ruckwendung als solche scheint auf. Die phanomenologische Reflexion hingegen wird erst durch die Epoche ermoglicht: erst indem wir nicht mehr auf Gegenstande gerichtet sind als zu begehrende, abzuweisende o.a., konnen wir den Blick auf das reine BewuBtsein richten und darauf, wie ihm die verschiedenen Gegenstande erscheinen. In diesem Sinne bezeichnet Husserl den Phanomenologen als »unbeteiligten « oder » uninteressierten« Betrachter." Die universale Epoche hat viele Probleme aufgeworfen, von denen einige bereits angesprochen wurden, andere in weiteren Kapiteln noch thematisiert werden. Husserl selbst erklart in der Krisis einen entscheidenden Nachteil der )cartesianischen ( Art der Einfuhrung: Dieser Weg ist kurz, und das fuhrt dazu, »daf er zwar wie in einem Sprunge schon zum transzendentalen Ego fuhrt, dieses aber, da jede vorgangige Explikation fehlen mufs, in einer scheinbaren Inhaltsleere zur Sicht bringt, in der man zunachst ratios ist, was dam it gewonnen sein soll« (Hua VI, 158). Wenn wir die Welt als ganze einklammern, tritt eine, wenn auch scheinbare, Inhaltsleere auf, die auf dem Weg phanomenologischer Analysen erst gefullt werden muB. Eine alternative Vorgehensweise, die Husserl insbesondere in den Vorlesungen zur Ersten Philosophie angewandt hat, unterscheidet sich von der universalen Epoche im Prinzip nur darin, daB die Epoche zunachst eben nicht universal, sondern sozusagen partiell durchgefuhrt wird, narnlich bezogen auf einzelne BewuBtseinsakte. Hu sserl sagt dort, daB die Forderung des Umsturzes aller Vorurteile »eine sinnvolle und notwendige Forderung, aber als Anfangsforderung auch notwendig eine vollig vage« sei (Hua VIII, 165). Indem einzelne Epochal durchgefuhrt werden, beispielsweise das Innehalten mit der Seinssetzung bezuglich eines einzeinen Wahrnehmungsgegenstandes und die Betrachtung dessen, wie dieser mir erscheint, oder auch die Betrachtung von Vergangenheits- und ZukunftsbewuBtsein, zeigt sich, was durch die Epoche gewonnen werden kann. Damit liiBtsich der Sinn der universalen Epoche besser erkennen. Man konnte freilich die Frage stelIen, warum wir der universalen Epoche dann uberhaupt noch bedurfen: Genugt es nicht, jeweils den Bereich der Epoche zu unterwerfen, der gerade Gegenstand der Betrachtung werden soll, also beispielsweise die raumzeitIichen Wahmehmungsgegenstande oder, bei spezielleren
13 Vgl. Hua Vlll , n6; Hua VI, 178, 183, 242 etc. Elisabeth Stroker weist zurecht dar auf hin, daB
die Rede vom »uninteressierten« Zuschauer oder Betrachter mifsverstandlich ist, wei! ich zwar nicht am Sein des Gegenstandes interes siert bin, mich aber der Vollzug meines Seinsglaubens als solcher gerade urn so mehr interessiert (vgl. Stroker (1971), S. 73). Fraglich ist allerdings , ob die Bezeichnung »unbeteiligt« tatsachlich geschickter ist, wie Stroker vorschlagt: denn ich bin zwar in der Tat nicht am Vollzug des Seinsglaubens beteiligt, aber sehr wohl an der Reflexion.
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Betrachtungen, die Kunstwerke, die Naturgegenstande etc.?Als Ubergangsstadium wurde Husserl einer solchen Moglichkeit sicherlich zustimmen; letztlich kommt es ihm aber darauf an, eine Wissenschaft zu begrunden, die sich auf das Seiende im ganzen bezieht und daher zu universalen Aussagen fahig sein muB. Es ist berechtigt, zunachst anhand einzelner Gegenstande eine Epoche durchzufuhren-nicht nur gewissermaBen als Vorubung, sondern auch deshalb, weil es eine »Prioritat der einzelrealen Erfahrung vor der Welterfahrung « gibt (Hua IX, 98). Doch urn transzendentale Phanomenologie im eigentlichen Sinne zu betreiben, ist und bleibt die universale Epoche notwendig; denn nur so kann sich Phanomenologie auf die Welt beziehen. Was im Gedanken der Epoche zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, daB ein Ubergang in die Philosophie kein kontinuierlicher sein kann, sondern sozusagen einen Sprung erfordert. Dieser Sprung kann gewissermaBen von mehreren kleinen Sprungen vorbereitet werden; es kann auch auf ihn reflektiert werden, so daB sich Unzulanglichkeiten zeigen und er wiederholt werden muB. VielIeicht ist es sogar zwingend, immer wieder zu springen - aber es kann jedenfalIs nicht vermieden werden, uberhaupt zu springen. Ein Anfang kann der Kritik verfalIen und zum Ausgang eines neuen Anfangs werden," so daf wir uns womoglich im Zickzack fortbewegen, wie Husserl es schon in den Logischen Untersuchungen vorgeschlagen hat. ls Bevor weitere Probleme und Husserls Fortentwicklung einer Einleitung in die Phanomenologie zur Sprache kommen, solI ein Blickdarauf geworfen werden, wie sich der diskontinuierliche Charakter des Ubergangs in Hegels Phanomenologie darstelIt.
b. Das »reine Zusehen « beiHegel Hegel unternimmt in der Einleitung der Phanomenologie des Geistes einige Uberlegungen, die man als methodisch bezeichnen konnte und die wesentliche Einblicke in das Ganze des Vorhabens geben. 1m Rahmen dieser Dberlegungen kommt er zu der Aussage, daB in der Selbstprufung des BewuBtseins »eine Zutat von uns uberflussig« wird und uns, da wir jeder prufenden Aufgabe enthoben werden, »nur das reine Zusehen « bleibt (PhG, 77). 1m folgenden solI die These vertreten werden, daB Hegels Aufforderung zum »reinen Zusehen« eine Bewegung unsererseits nahelegt, die wesentliche Ahnlichkeiten mit der phanomenolo-
14 Vgl. Kuster (1996), S. 106£. 15 Vgl. LV uh, 17: » Die Untersuchung bewegt sich gleichsam im Zickzack; und dieses Gleichnis paBt urn so besser, als man , verrnoge der inneren Abhangigkeit der verschiedenen Erkenntnisbegriffe, immer wicder zu den ursp riinglichen Analysen zuriickkehren muB und sie an den neuen sow ie die neuen an ihnen bewahren muls «.
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gischen Epoche bei Hus serl aufweist. Zur Erlauterung dieser These wird in diesem Kapitel zunachst der Frage nachgegangen, was fur eine Bewegung es ist, zu der Hegel uns auffordert, und in engem Zusammenhang damit der Frage, wer »wir« sind, deren Zutat uberflussig ist. 1m Gegensatz zum naturlichen BewuBtsein sind »wir « in der Lage, Zusamrnenhange zu sehen. » Wir« stehen im Dialog mit dem naturlichen BewuBtsein und erklaren diesem, daB und wie die verschiedenen Gestalten des BewuBtseins sich auseinander ergeben. Dies heiBt jedoch nicht, daB »wir« uns notwendig bereits auf dem Standpunkt des absoluten Wissens befanden. Es ist auffallig, daB Hegels Rede vom » Wir« sich vorrangig auf die Einleitung und die drei BewuBtseinskapitel bezieht; das SelbstbewuBtsein scheint hier einen Einschnitt darzustellen. Inwieweit das SelbstbewuBtsein als Prinzip (und nicht so sehr als besondere Gestalt) in der Tat eine wesentliche Rolle spielt in dem Verhaltnis von naturlichem und philosophischem BewuBtsein, solI hier nur kurz thematisiert werden. Das SelbstbewuBtsein stellt gewissermaBen den Ubergang vom » Ich « zum »Wir« dar. Den AbschluB dieses Kapitels und die Uberleitung zur Besprechung des Wegcharakters des Ubergangs wird die Betrachtung von Hegels Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus bilden, der im Zusammenhang mit »unserer Zutat « in der Einleitung auftaucht. Dabei unterscheidet Hegel zwischen dem »sich vollbringenden Skeptizismus « und einem unvollstandigen Skeptizismus. Der »sich vollbringende Skeptizismus « ist ein Moment von Hegels eigener Philosophie, und es zeigt sich, daB er zum Einstieg besonders gut geeignet ist. 1.
Hegel sagt, daB wir es » nicht notig haben, Mafsstabe mitzubringen und unsere Einfalle und Gedanken bei der Untersuchung zu applizieren; dadurch, daB wir diese weglassen , erreichen wir es, die Sache, wie sie an und fur sich selbst ist, zu betrachten« (PhG, 77). Wahrend Hegel zunachst bloB davon spricht, daB wir es » nicht notig haben «, unsere Gedanken zur Anwendung zu bringen, zeigt der weitere Fortgang des Satzes, daB wir diese sogar weglassen mussen, urn die Sache so zu Gesicht zu bekommen, wie sie an und fur sich selbst ist. Diese Bewegung erinnert stark an Husserls Unterfangen, durch Epoche einen Anfang zu machen, der vorurteilsfrei ist und uns zu den »Sachen selbst « fuhrt. Denn nur indem wir die Sache selbst in Erscheinung treten lassen und sie nicht mit vorgefaBten Meinungen uberfallen, kann die Sache sich uns unverfalscht zeigen. DaB das Weglassen all der Meinungen, die wir naturgemaf uber das (Ansich- )Sein der Dinge haben, keine Kleinigkeit ist, hatte sich bereits in bezug auf die husserlsche Epoche gezeigt. Insofern ist leicht einzusehen, daB es sich nicht urn einen Widerspruch handelt, wenn Hegel einerseits sagt, daB jede » Zutat von uns uberflussig sei« (77), andererseits aber davon spricht, daB die Betrachtung der Sache als rei-
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nes Auffassen »unsere Zutat « (79) sei: »Wenn irgendein Lassen ein Tun ist, dann ist es das Weglassen«.16 Doch damit ist auch schon angedeutet, daB un sere Aufgabe kein Nichtstun ist und insofern genauer bestimmt werden muB. Die hier vorgeschlagene Analogie zwischen unserer Zutat des »reinen Zusehens « und der Epoche bei Husserl kann vielleicht als Hilfe dienen zu verstehen, inwiefern »uns« doch eine Aufgabe zukommt (wie ja auch bei Husserl nach der Epoche die ganze »Arbeit« des Beschreibens der Phanomene in ihren jeweiligen Erscheinungsweisen beginnt) und wir dennoch nicht verandernd und hinzufugend in die Sache eingreifen. Was wir bereits uber unsere Aufgabe erfahren haben, das ist, daB wir unsere »Einfalle und Gedanken « weglassen sollen und eben dadurch die Sache »betrachten «, wie sie selbst erscheint und wie sie an und fur sich ist. Diese »Betrachtung der Sache« ist es, »wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des BewuBtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt und welche nicht fur das BewuBtsein ist, das wir betrachten « (79). Diese Aussage enthalt zwei Auskunfte uber unsere Aufgabe: Zum einen erfolgt durch unser Tun eine Erhebung zur Wissenschaft, zum anderen sehen wir etwas, das fur das natiirliche BewuBtsein nicht sichtbar ist. Welche Bestimmungen fur Hegel einer Wissenschaft zukommen mussen, namlich unter anderem Vorurteilslosigkeit und Notwendigkeit, wird unten im Rahmen der Besprechung des Skeptizismus zur Sprache kommen. Was »wir« im Gegensatz zum natiirlichen BewuBtsein sehen, deutet jedoch bereits hin auf diese Wissenschaftlichkeit: Uns zeigt sich »der neue Gegenstand als geworden « (79); das heiBt, wir sehen den Zusammenhang und die Entwicklung, die eine notwendige ist, wahrend das naturliche BewuBtsein nur feststellt, daB ihm ein neuer Gegenstand sozusagen in den SchoB gefallen ist. In den drei BewuBtseinskapiteln wird »unser« Beitrag an verschiedenen Stellen erwahnt, Bezuglich der sinnlichen GewiBheit beispielsweise sind wir es, die zur sinnlichen GewiBheit hinzutreten, uns von ihr etwas zeigen lassen und ihre Wahrheit aufschreiben (PhG, 84 u. 88). Es findet offenbar ein Dialog statt zwischen uns und dem naturlichen BewuBtsein, und dieser Dialog erfordert hier am Anfang, wo das naturliche BewuBtsein noch ganz in seine GewiBheit versunken ist, mehr Anstofse und Fragen von unserer Seite, als dies spater der Fall sein wird. Dennoch legen wir der sinnlichen GewiBheit durch unsere Fragen keine Antworten nahe , suggerieren ihr also nichts, sondern nehmen nur zur Kenntnis, wie die sinnliche GewiBheit ihren Gegenstand selbst beschreibt. Und wenn die sinnliche GewiBheit nicht sprechen mochte, geben wir uns auch mit ihrem Zeigen zufrieden. Weitere Stellen in den ersten Kapiteln zeigen, daB wir bisweilen etwas aufnehmen und auffassen, was fur das BewuBtsein noch nicht sichtbar geworden ist, zum Beispiel die Unendlichkeit (134).
16 Heidegger, Holzwege, S. 174.
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Zu Beginn des Verstandeskapitel erklart Hegel recht ausfuhrlich einen wesentlichen Unterschied zwischen uns und dem BewuBtsein: Da das BewuBtsein noch nicht »fur sich selbst der Begriff« ist und es insofern »in jenem reflektierten Gegenstand nicht sich« erkennt, ist das Ergebnis des Durchgangs durch die Wahrnehmung fur es »in gegenstandlicher Bedeutung zu setzen« (108). Da das BewuBtsein, mit anderen Worten, noch nicht zum SelbstbewuBtsein gekommen ist, stellt das Ergebnis einer Stufe fur es nur einen neuen Gegenstand dar; es sieht nicht, daf sich auch sein eigenes Auffassen des Gegenstandes gewandelt hat. »Wir« hingegen sehen, daf sich eine ganzlich neue Gestalt des Bewufstseins gebildet hat und sich Gegenstand und Wissen, die ohnehin nur fur das naturliche BewuBtsein abgetrennt vorliegen, gemeinsam gewandelt haben bzw. »die Reflexion auf beiden Seiten dieselbe oder nur eine ist« (108). » Wir« haben also den Standpunkt verlassen, auf dem Gegenstand und Wissen sich voneinander trennen lassen und der Gegenstand das Wesentliche ist, dem ein Ansichsein zugesprochen wird . 1m letzten Kapitel, in der Besprechung des absoluten Wissens, gibt Hegel eine zusammenfassende Bestimmung dessen, was »wir « im Verlaufe der Erfahrung des BewuBtseins getan haben: Waswir hier hinzugetan, ist allein teils die Versammlung der einzelnen Momente, deren jedes in seinem Prinzipe das Leben des ganzen Geistes darstellt, teils das Festhalten des Begriffes, dessen Inhaltesich in jenen Momentenund der sich in der Form einer Gestalt des Bewufitseins schon selbstergeben hatte. (582) Unsere Aufgabe besteht demnach vor allem darin, den Gang der Erfahrung des BewuBtseins darzustellen und in dieser Darstellung Momente zu versammeln und Begriffe festzuhalten-also den Blick auf die Zusammenhange, Schritte und Ergebnisse zu rich ten, die dem naturlichen BewuBtsein verborgen sind. Denn der Gang ist fur das naturliche BewuBtsein kein notwendiger Gang, in dem sich einzelne Gestalten abgrenzen lassen, sondern eine zufallige Entwicklung, in der sich unversehens der Gegenstand anders darbietet."
17 Ich schlieBe mieh im wesentliehen Werner Marx an, der den Beitrag des »Wir « unter dem Titel
der »Rolle des Phanornenologen « genau untersucht hat (vgl. Marx (1981), S. 124-133) . Vielleieht sollte man nieht so weit gehen zu sagen, daB der »Phanomenologe« den Gang »steuert und leitet« (ebd., S. 132), obwohl dies nur richtig verstanden werden muB: Indem »wir« Resuitate zusammenfass en und als solche festhalten, Ieisten wir in der Tat einen Beitrag zur Riehtung des Ganges, aber nur dergestait, daB wir gewissermaBen den naturlichen Gang des BewuBtseins unterstutzen und betonen . Ulrieh Claesges unterliegt trotz aller sonstigen Einsichten seiner Darstellung meines Erachtens der Gefahr, die er selbst explizit formuliert, indem er fragt: »Worin besteht, wenn die Selbstprufung so sehr der Hilfe der Darstellung bedarf, eigentlieh noch die andererseits unerlafiliche Eigendynamik des BewuBtseins? « (Claesges (1981), S. 94) . Claesgeslegt Hegel dergestait aus, daB uns nieht nur die Betrachtung der sieh vollziehenden Umkehrung zukommt; fur ihn ist die Umkehrung »ebenso unsere Zutat wie die Betrachtung seiber, ja beide sind ein und dasselbe« (88) . Ich sehe nicht, warum wir dies schlieBen mussen und wie wir es
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Doch wer sind» wir«? Wir befinden uns nicht mehr aufder Stufe des natiirlichen BewuBtseins, das in sich versunken ist und keine Zusammenhange durchschaut, das also sozusagen nicht weiB, wie ihm geschieht. Man konnte meinen, wir waren bereits auf der Stufe des absoluten Wissens'v-aber obwohl dies sozusagen -fur einige von uns- gelten mag, kann nicht vorausgesetzt werden, daB der Standpunkt des» Wir« der des absoluten Wissens ist. Zum einen kann Hegel nicht verlangen, daB wir diesen Standpunkt erreicht haben, bevor wir iiberhaupt mit der Lektiire beginnen, und zum anderen ware das Buch gewissermaBen iibertliissig, wenn wir schon auf der Hohe des absoluten Wissens waren, Es ist deshalb der Vorschlag gemacht worden, wir befanden uns im Elemente vor-hegelianischer Philosophic'? oder auch, wir hatten bereits »Kant und Pichtee" gelesen. Etwas allgemeiner kann man wohl sagen, daf wir uns irgendwo auf dem Weg zwischen natiirlichem BewuBtsein und absolutem Wissen befinden. Moglicherweise sind einige von uns auch bereits »angekommen«, und moglicherweise haben andere den Standpunkt des natiirlichen BewuBtseins blof insofern verlassen, als sie einen ersten, kleinen Abstand zu ihm gewonnen haben, sich umwenden und dieses BewuBtsein als BewuBtsein erkennen. Wir befinden uns auf dem Weg, ohne daB wir uns dariiber im klaren waren, daB es sich urn einen Weg handelt oder gar wo wir uns befinden. Indem wir die Phiinomenologie lesen, durchlaufen wir die Stufen noch einmal, die wir, ohne es zu merken, durchschritten haben-und wir sehen so Zusammenhang, Notwendigkeit und Sinn. Entscheidend ist, daB wir die Leser der Phiinomenologie sind; wir sind diejenigen, die beschlossen haben, sich auf den Gang des BewuBtseins einzulassen und sich mit ihm auf den Weg zu machen. Es ist also gewissermaBen ein EntschluB unsererseits vorausgesetzt; wir machen den Versuch, »auch einmal auf dem Kopfe zu gehen« (PhG, 30), und dies ist ein entscheidender Beriihrungspunkt mit der schliefsen konnten, wenn wir doch unsere Einfalle weglassen und die Sache an und fur sich betrachten sollen. Vgl. auch Hegel in der Enzyklopiidie: »Ich denke schlecht, indem ich von dem Meinigen etwas hinzutue- (Enz. 1,84) . 18 Dies ist auch von vielen Interpreten behauptet worden; vgl. z. B. Kroner (1924), S. 369f., Hyppolite (1946), S. 29f. Kenley R. Dove kommt das Verdienst zu, die wesentlichen vor seinem Aufsatz erschienenen Positionen gesammelt und kIassifiziert zu haben (vgl. Dove (1971),S. 46-56) . Doves Einschatzung zufolge hat sich Heidegger am intensivsten mit der Frage nach dem »Wir- auseinandergesetzt und wichtige Einsichten gewonnen; nur uberdeckt Heidegger unberechtigterweise das »Wir- der Phiinomenologie mit dem Fundamentalontologen seiner eigenen Schriften (ebd ., 51f.). Ich stimme mit Doves Einschatzung uberein-iauch dahingehend, daB Heidegger nicht der Versuchung erlegen ist, unseren Standpunkt mit dem absoluten Wissen gleichzusetzen, sondern unser besonderes Verhaltnis zum Absoluten darin sieht , daf wir das Absolute sein lassen (vgl. Heidegger, Holzwege, S. 175), insofern das Absolute schon bei uns ist und sein will (vgl. PhG,69). Dies bedeutet-wenn man es in eine Ausdrucksweise bringt, die Husserls Phanomenologie naher ist -, daf es im Wesen der Dinge liegt, in Erscheinung zu treten, und wir sie deshalb dann am besten sehen, wenn wir nichts Eigenes mitbringen. 19 Vgl. Dove (1971), S. 54. 20 Harris (1997), S. 201.
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husserlschen Epoche: Wir entschliefien uns, un sere vorgefaBten Meinungen beiseite zu lassen und uns auf die Philosophie einzulassen. Dadurch erst zeigt sich uns das naturliche BewuBtsein als solches.
II. Es ist auffallig, daB das »Wir« im Text nach Erreichen der Stufe des SelbstbewuBtseins fast nicht mehr auftaucht. Mehrere Autoren haben aus guten Grunden geurteilt, daB das SelbstbewuBtsein eine entscheidende Rolle spielt in der Phiinomenologie des Geistes:" Allerdings ist das SelbstbewuBtsein als Prinzip in bezug auf das Ganze wohl bedeutsamer als die konkrete Gestalt des SelbstbewuBtseins-und dieses Prinzip taucht dann wiederum auf die eine oder andere Weise im Kapitel uber das SelbstbewuBtsein als Gestalt auf. Es gibt einige explizite Anhaltspunkte dafur, daB Hegel dem SelbstbewuBtsein eine besondere Rolleals» Wendungspunkt« zumiBt, wie er selbst sagt (PhG, 145). Am Ende der Einleitung kundigt Hegel an, das BewuBtsein werde »einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem (... ) behaftet zu sein« (81), und damit werde sein Wesen zum absoluten Wissen selbst. Nun liegt offenbar noch ein langer Weg zwischen der Gestalt des SelbstbewuBtseins und dem absoluten Wissen; doch die Auszeichnung des SelbstbewuBtseins liegt darin, daB wir mit ihm in das »einheimische Reich der Wahrheit« (138) eingetreten sind . Wir sind eingetreten in ein neues Reich, in dem wir erkennen, daB unser Gegenstand nicht »fremdartig «, sondern »einheimisch « ist bzw. daB wir selbst der Gegenstand sind . Anders ausgedruckt: Wir erkennen, daB die Welt in ihrer ganzen Reichheit nur ist als fur das SelbstbewuBtsein seiend, als auf das SelbstbewuBtsein bezogen. Doch indem wir ein neues Reich betreten haben, stehen wir eben auch erst am Anfang dieses neuen Reiches, das es nun zu erkunden und zu durchschreiten gilt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem »Wir« und dem Selbstbewufstsein: Das SelbstbewuBtsein kann ausgelegt werden als Wendepunkt vom »Ich« zum »Wir «, namlich vom »Ich« des BewuBtseins zum »Wir« des Geistes." Die entscheidende Bewegung, die sich in Hegels SelbstbewuBtseinskapitel abspielt, ist die Anerkennung eines SelbstbewuBtseins durch ein anderes in der beruhmten Herr-Knecht-Dialektik, In der Sprache Husserls ausgedriickt untersucht Hegel die Konstitution von Intersubjektivitat; wahrend es zuvor nur urn ein Verhaltnis vom leh zur Welt ging, tritt das leh nun in Beziehung zu einem anderen leh. Wichtig ist, daB das BewuBtsein fur Hegel nicht nur der Anerkennung und des Durchgangs durch ein anderes BewuBtsein bedarf, urn sich selbst zu erkennen, sondern auch, urn zu erkennen, daB die Welt auf das BewuBtsein bezogen ist. Es leuchtet unmittelbar ein, daB mir mein BewuBtsein als SelbstbewuBtsein gegeben sein mufs, 21 Vgl. z.B. Marx (1986) sowieKojeve (1988). 22 Vgl. Dove (1971), S. 55£.
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damit ich die Bezogenheit der Welt aufjenes erkennen kann-dies ist sozusagen die notwendige Bedingung. Urn das Fur-das-Bewufstsein-Sein der Welt konkret und in seinem ganzen Ausmaf zu erfassen, muf dann freilich auch noch der Durchgang durch die Welt geschehen. Auf der Stufe des SelbstbewuBtseins erkenne ich mich als ein Ich, das im Zusammenhang und im Gesprach mit anderen solchen SelbstbewuBtseinen steht, das also einem »Wir« zugehort, Dieses »Wir« ist nun prasent fur das BewuBtsein selbst-und deshalb muB nicht mehr ein »Wir« von auBen hinzutreten, urn sich mit dem BewuBtsein zu besprechen und dessen Gang darzustellen. Das BewuBtsein ist eingegangen in das »Wir«, das ihm in den ersten drei Kapiteln gegentiberstand. Gleichzeitig hat der Standpunkt des »Wir « eine weitere Bestimmung erfahren: »Wir« befinden uns in der Tat irgendwo zwischen naturlichem BewuBtsein und absolutem Wissen, mindestens aber auf der Stufe des SelbstbewuBtseins. Und wenngleich sich keine eindeutige Grenze des naturlichen BewuBtseins ausmachen laBt, da letztlich erst im absoluten Wissen Begriff und Gegenstand einander vollstandig entsprechen, so stellt doch das SelbstbewuBtsein einen entscheidenden Markstein dar, der es uns errnoglicht, auf den bisherigen Gang zuruckzublikken und das entscheidende Wesensmerkmal des naturlichen BewuBtseins dort zu erkennen - namlich die ausdruckliche Getrenntheit und Fremdheit von Wissen und Gegenstand." Man konnte sogar behaupten, daB der Weg des BewuBtseins sich in zwei Abschnitte teilen laBt, einen vor, einen nach Erreichen des Selbstbewufstseins;" doch unabhangig von der Frage, ob es erforderlich ist, sich dieser These anzuschlieBen, zeigt sich, daB Hegels Weg nicht kontinuierlich ist, sondern daB ihm ein Moment der Diskontinuitat einwohnt. Eben dieses sprungartige Moment ist es, was Hegels Vorgehen mit der husserlschen Epoche verbindet. III.
An anderer Stelle, namlich in der Enzyklopiidie, bringt Hegel das Moment der Diskontinuitat zur Sprache, indem er sagt, ein moglicher Weg in die Wissenschaft bestunde »in dem Entschlufs, reindenkenzu wollen« (Enz. I, § 78). Eskann hier nicht naher darauf eingegangen werden, worin »reines Denken«, das Hegel zunachst bloB als Abstraktion von allem Empirischen bestimmt, bestunde, Worauf es in unserem Zusammenhang ankommt, ist neben der Tatsache, daf Hegel eine Art Sprung in die Philosophie nahelegt (ohne daB es dabei dann bleiben konnte), 23 Insofern kann Werner Marx die These aufstellen, daB das Selbstbewufstsein eine entscheidende Mittelstellungzwischen dem natiirlichen BewuBtsein und der Wissenschaft ausmacht und letztere beiden dadurch verbunden sind, daB ihnen das Element der Reflexion gemeinsam ist (vgl. Marx (1981), S. 53ff.)-wenngleich immer im Auge behalten werden muB, daB die philosophische Reflexion wesentlich unterschieden ist von der des natiirlichen BewuBtseins, da letztere das Se1bst als einen Gegenstand wie andere Gegenstande auffafst. 24 Vgl. Dove (1971), S. 56.
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die Nahe zu Husserl beziiglich dessen, daB dieser Sprung auf einem Entschluf beruht, wie er schon oben in bezug auf das »Wir« angesprochen wurde. Dariiber hinaus ist das Bemerkenswerte an diesem Paragraphen der Enzyklopiidie, daf Hegel den Entschlufs, rein denken zu wollen, gleichsetzt mit der Forderung nach einem »vollbrachten Skeptizismus«. Da Hegel in der Einleitung zur Phiinomenologie den Skeptizismus mehrfach anspricht und dabei ausdriicklich sagt,» unsere Zutat« bilde denselben Umstand, von dem bezuglich des Skeptizismus die Rede gewesen sei (PhG, 79), solI der Skeptizismus hier in einiger Ausfiihrlichkeit behandelt werden. Es gibt zwei weitere Griinde dafur, den Skeptizismus an dieser Stelle aufzugreifen: Zum einen waren wir im Zusammenhang der Epoche bei Husserl schon auf die antike Skepsis gestofien, und letztere bildet nicht nur einen entscheidenden Beriihrungspunkt zwischen Hegel und Husserl, sondern die Auseinandersetzung mit ihr ist unerlafslich, wenn so etwas wie eine Epoche im Denken Hegels aufgewiesen werden solI. Zum anderen bestimmt Hegel in den Vorlesungen tibet die Geschichte der Philosophie das in obigen Zitaten anklingende Verhaltnis des Skeptizismus zum spekulativen Idealismus ausdriicklich dergestalt, daB das Negative des Skeptizismus der »positiven Philosophie« nicht entgegengesetzt, sondern »ein Moment derselben« sei (GPh II, 359). Im folgenden solI gezeigt werden, daB der Skeptizismus in der Tat Hegels Philosophie innewohnt, wenn man ihn als »sich vollbringenden Skeptizismus«, das heilst, als Skeptizismus, der sein Prinzip vollstan dig zur Ausfiihrung gebracht hat, nimmt. Die These, daB der Skeptizismus ein der Philosophie innewohnendes Prinzip sei, taucht implizit auch in der Einleitung zur Phiinomenologie des Geistes auf. Es werden dort zwei Arten von Skeptizismus unterschieden: einerseits der »sich vollbringende Skeptizismus« (PhG, 72), andererseits Skeptizismus als »eine der Gestalten des unvollendeten Bewulstseins« (74). Skeptizismus als blofse Gestalt ist noch nicht zur vollstandigen Erkenntnis seiner selbst gelangt und hat sein Prinzip nicht vollstandig ausgefiihrt. Als zwischen dem Stoizismus und dem sogenannten »unglucklichen Bewufstsein« angesiedelte Gestalt ist der Skeptizismus »an sich das Negative« und vernichtet das Sein der Welt (PhG, 159).25 Was der Skeptizismus in dieser unvollstandigen Form nicht erkennt und was zu seinen inneren Widerspriichen fuhrt, ist die Tatsache, daB das aus der Negation entspringende Nichts kein blofses Nichts ist: Es ist das Nichts dessen, woraus es entspringt; »es ist hiermit selbst ein bestimmtes und hat einen lnhalt « (PhG, 74). Eben dieses Prinzip der bestimmtenNegation ist es, was dem unvollstandigen Skeptizismus noch nicht zur Verfiigung steht, was jedoch den entscheidenden Wesenszug des sich vollbringenden Skeptizismus darstellt. Indern das aus der Negation hervorgehende Nichts durch das bestimmt ist, was in ihm negiert, aber gleichzeitig aufbewahrt und auf eine hohere Stufe gehoben ist, entsteht eine neue BewuBtseinsgestalt.
25 Vgl. zur doppelten Funktion des Skeptizismus als Gestalt und als Prinzip: Claesges (1996) .
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Hegel kommt das Verdienst zu, den Geschichts- und Entwicklungscharakter der Philosophie hervorgehoben zu haben, wie im nachsten Kapitel genauer untersucht wird. Daher ist der »Entschlufs, rein denken zu wollen«, nicht hinreichend, sondern nur ein erster Schritt. Die Frage ist, wie die Bewegung weitergeht, und der Skeptizismus liefert keine Antwort auf diese Frage, solange er bloB negativ ist. Im folgenden soll zuerst kurz Hegels Kritik am Skeptizismus zusammengefaBt werden; anschlieBend wird eine Form von Skeptizismus betrachtet, die von dieser Kritik nicht getroffen wird, namlich der »sich vollbringende Skeptizismus«, so daB wir schlieBlich festhalten konnen, inwiefern das skeptische Prinzip Hegels Philosophie selbst innewohnt. Die beiden Hauptkritikpunkte, die Hegel gegen den Skeptizismus vorbringt, lauten: Erstens ist der Skeptizismus bloB negativ und ubersieht das der Negation zukommende affirmative Element; zweitens ist dem Skeptizismus Zufalligkeit eigen. Diese beiden Aspekte fuhren dazu , daB der Skeptizismus sich nicht zur Wissenschaft eignet. Indem der Skeptizismus nicht uber das Prinzip der bestimmten Negation verfugt, ist er bloB destruktiv und kann nicht fortschreiten. Daruber hinaus muB einer Philosophie Notwendigkeit eigen sein und keine Zufalligkeit, wenn sie Wissenschaft sein will. Fur den Skeptizismus jedoch gilt-und hier faBt Hegel beide Kritikpunkte zusammen: Er »ist eben diese alles sich vernichtende Bewegung, in der ihm ganz gleichgultig ist, was ihm vorkommt, ganz zufallig, was sich ihm darbiete « (GPh II, 401). Was dam it gemeint ist, laBt sich beispielsweise an den zehn fruheren Tropen der pyrrhonischen Skepsis aufzeigen : Es werden dort einige zufallige Kennzeichen des naturlichen BewuBtseins aufgegriffen und ihre inn ere Widerspruchlichkeit gezeigt. Worauf es aber ankame, ware, das naturliche BewuBtsein in seinem Wesen zu bestimmen, die Widerspruchlichkeit dieser wesentlichen Zuge aufzuzeigen und dam it zu einer anderen Gestalt des BewuBtseins fortzuschreiten. Urn zu verstehen, inwiefern Hegel dem Skeptizismus einmal Unwissenschaftlichkeit vorwerfen , ihn andererseits aber als Moment seiner Philosophie bezeichnen kann, muB auf die bereits erwahnte Unterscheidung von »sich vollbr ingendem Skeptizismus « und unvollstandigern Skeptizismus zuruckgegangen werden. Wie verhalten sich diese beiden Formen des Skeptizismus zueinander? Es handelt sich nicht urn eine bloBeNamensgleichheit, sondern in beiden liegt dasselbe Prinzip vor; der »sich vollbringende Skeptizismus « ist nicht ein anderer Skeptizismus, sondern ein Skeptizismus, in dem eben jenes Prinzip vollstandig erkannt und ausgefuhrt ist. In Hegels Begrifflichkeit konnte man den unvollstandigen Skeptizismus auch als Skeptizismus »an sich « im Gegensatz zum sich vollbringenden Skeptizismus als Skeptizismus »an und fur sich « bezeichnen. In diesem Sinne kann man das Verhaltnis dieser beiden Formen des Skeptizismus mit dem Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein vergleichen: Wir haben es nicht mit zwei verschiedenen BewuBtseinen zu tun, sondern wenn das natiirliche BewuBtsein sich in seinem Wesen erfaBt hat, ist es philosophisches BewuBtsein geworden.
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Der sich vollbringende Skeptizismus erfullt die an eine Wissenschaft gestellten Anforderungen, weil er nieht nur tiber das Prinzip der bestimmten Negation verfugt, sondern auch seinen Ausgangspunkt gezielt auswahlt, anstatt bloB aufzu greifen, was sieh darbietet. Der Ausgangspunkt muB die sinnliche GewiBheit in ihrer Unmittelbarkeit sein;" wenn von dieser ausgezeichneten Gestalt ausgegangen und mittels der bestimmten Negation fortgesehritten wird, gilt: »Die Vollstiindigkeit der Formen des nieht realen BewuBtseins wird sieh dureh die Notwendigkeit des Fortganges und Zusammenhanges selbst ergeben « (PhG, 73). Indem die pyrrhonisehe Skepsis hingegen zufallige Eigensehaften des naturlichen BewuBtseins aufgreift, kann sie nie zur Vollstandigkeit gelangen. Der sieh vollbringende Skeptizismus wird nieht nur den Anforderungen der Wissensehaft gereeht, sondern er eignet sieh aueh besonders gut als Einst ieg in die Philosophie, und zwar wegen seiner Voraussetzungslosigkeit: Er bringt keine eigene Theorie mit, sondern dient als Prinzip zur Aufdeekung von Widerspruchen, die er dergestalt negiert, daB er sieh von ihnen aus fortbewegt. Weildas skeptisehe Prinzip dem spekulativen Idealismus von Anfang an innewohnt, unterliegt Hegels Philoso phie nieht der Kritik, die von der Skepsis gegen die Philosophie vorgebraeht wird, wie Hegel in den Vorlesungen uber die Geschichte der Philosophie betont: »Soviel Kraft nun aber aueh diese Momente seiner [seil. des Skeptizismus] negativen Dialektik gegen das eigentlieh dogmatische VerstandesbewuBtsein haben, so unkriiftig ist er gegen das Spekulative «, und zwar deshalb, weil die spekulative Philosophie »das absolut Negative an ihr selbst« hat (GPh II, 396f.). Doeh das, was der spekulativen Philosophie einwohnt, ist nieht der antike Skeptizismus als solcher, sondern nur dessen Prinzip. DaB Hegel nur das skeptische Prinzip aufnimmt und aufnehmen kann, hat im wesentliehen zwei Grtinde: Der erste Grund besteht darin, daB der antike Skeptizismus das skeptische Prinzip nieht vollstandig durchsehaut und zur Ausfuhrung gebraeht hat; obwohl er darin weiter gekommen ist als der neuzeitliehe Skeptizismus," ist er doch nieht zum »sich vollbringenden Skeptizismus« gelangt. Der zweite Grund liegt in der Gesehiehtliehkeit der Philosophie: Den antiken Skeptizismus in seiner konkreten Form aufzunehmen, wiirde voraussetzen, daB die Stufe des BewuBtseins unverandert geblieben
26 BestimmteWesensziigedes Skeptizismus lassensich in HegelsDarstellungder sinnlichen GewiBheit aufweisen (vgl. Diising (1973)). Der Vorlaufer von Hegels Beispiel »Ietzt ist Nacht - findet sich bei Sextus Empiricus: »Es ist Tag« (GPS, S. 181). Dariiber hinaus ist die Konfrontation der
Aussage »Ietzt ist Nacht- mit der Aussage »Ietzt ist Mittag« eine Anwendung des skeptischen Prinzips. Wahrend die Antwort der antiken Skepsis auf diese Gegeniiberstellung von Aussagen, denen ein gleiches Rechtzukommt, die Ausfiihrungder Epoche und damit die Urteilsenthaltung ware, resultiert die Gegeniiberstellung bei Hegel in einem Fortschritt zur nachsten Stufe gernafs der bestimmten Negation. 27 Vgl. dazu HegelsRezension von Gottlob Ernst Schulzes Buch Kritik derTheoretischen Philosophie: » Verhaltnis des Skeptizismus zur Philosophie. Darstellungseiner verschiedenenModifikationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten. . (Bd. 2, S. 213-272).
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ware, aber dies kann nie der Fall sein. Was konkret den antiken Skeptizismus anbelangt, so erforderte er eine bestimmte }Unbeschwertheit < des Bewulstseins, die uns heute nicht mehr eigen ist." Das skeptische Ziel eines Erreichens von Ataraxia bedeutete eine Ruckkehr des BewuBtseins, namlich eine Ruckkehr zu seiner Einfachheit (vgl. GPh II, 371/342). Die These der Skepsis lautet, daf Anspannung und Ruhelosigkeit aufkommen, wenn das BewuBtsein sich an etwas bindet; dies wird manifest im Dogmatismus. Wenn die Nutzlosigkeit dogmatischer Sinngebung einmal eingesehen wurde, kehrt das BewuBtsein zu seinem ursprunglichen Stand zuruck; es orientiert sich an den erscheinenden Gegenstanden, ohne deren Sein zu befragen, und greift die Sitten und Gewohnheiten auf, die ihm uberliefert wurden. Dies ist fur uns nicht mehr moglich: Die geschichtliche Ebene des BewuBtseins ist kein Stadium der Unbeschwertheit, und wir sind nicht von Sitten und Gewohnheiten umgeben, die wir einfachhin aufgreifen konnten: der Subjektivismus der Neuzeit fordert uns auf, alle uberlieferten Gewohnheiten radikal in Frage zu stellen und nichts als selbstverstandlich hinzunehmen. Die geschichtliche Entwicklung des BewuBtseins hat sich fortgesetzt, und wir konnen keine Ruhe finden, indem wir auf eine vergangene Stufe zuruckfallen. Deshalb schalt Hegel aus dem Skeptizismus das skeptische Prinzip hera us, bringt es zur vollstandigen Ausfuhrung und nimmt es in seine eigene Philosophie auf.
Hegel kritisiert die antike Skepsis dafur, daB sie nicht gesehen habe, wie sich von einer Negation aus fortschreiten laBt, und dafur, daB sie ihren Ausgangspunkt nicht gezielt und mit Notwendigkeit auswahlt, sondern blof zufallig aufgreift. Damit kommt der antiken Skepsis keine Wissenschaftlichkeit zu. Auch Husserl unterscheidet sich von der antiken Skepsis dadurch, daf er eine Wissenschaft begrunden mochte, Sowohl Hegel als auch Husserl geht es also urn eine Herauskristallisierung und Vertiefung der skeptischen Grundgedanken mit dem Ziel der Begrundung einer Wissenschaft. Husserl legt dabei den Schwerpunkt auf den Kern der skeptischen Lehre, namlich die Epoche, und gewinnt hier die phanomenologischen Grundmomente der Urteilsenthaltung und der Blickwendung auf das Erscheinen. Fur Hegel ist die Epoche zwar auch wichtig; noch mehr kommt es ihm aber auf die Negation an, deren positives Moment von den Skeptikern ubersehen wurde. Aus husserlscher Sicht geht Hegel gewissermaBen zu weit, indem er sich auf die bestimmte Negation konzentriert, anstatt zu sehen, daB eine Negation keine Urteilsenthaltung, sondern das Fallen eines Urteils ist. Husserl erliegt dieser .Negationsversuchung- in seiner fruhen Philosophie selbst, wenn er beispielsweise vom Gedankenexperiment der Weltvernichtung spricht. Aus Hegels Perspektive be-
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Vgl. Han s Friedrich Fulda (1965), S. 51.
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trachtet ist aber die bestimmte Negation nichts, was »wir « unternehmen wiirden (wahrend die Vorstellung der Weltvernichtung unser Gedankenexperiment ist) . Vielmehr ist die bestimmte Negation in der Wirklichkeit immer schon am Werk, und wir sind in der Lage,dies zu beobachten, wenn es uns gelingt, unsere Meinungen beiseite zu lassen und »reines Zusehen « zu praktizieren. Hegel und Husserl sehen Vorurteilslosigkeit als entscheidendes Erfordernis fur eine Wissenschaft an - und was sie der antiken Skepsis trotz deren Unwissenschaftlichkeit zugute halten, ist, daf diese keine eigenen Annahmen mitbringt, sondern nur als Prinzip dient, aIleAnnahmen kritisch aufWiderspruchlichkeit hin zu befragen. Die Skepsis zeigt den wesentlichen Schritt, der am Anfang des Philosophierens stehen mufs: die Bereitschaft, aIlevorgefalsten Meinungen und Theorien beiseite zu lassen. Doch auf diesen Sprung muS noch ein Weg folgen, oder der Sprung muf in einen Weg integriert werden. Zu dieser Einsicht kommt nicht nur Hegel, sondern auch Husserl, der in seiner spaten Philosophie die im vergangenen Kapitel angesprochenen Probleme der ursprunglichen Konzeption der Epoche-e insbesondere ihre Unmotiviertheit und die sich daraus ergebende Inhaltsleere-zu uberwinden sucht.
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Der Wegcharakter des Ubergangs Die Frage des Warum ist ursprunglich Frage nach der »Geschichte«, Husserl, Hua xv, 420.
Der Sprungcharakter des Ubergangs weist aus sich heraus auf seine Unzulanglichkeiten hin: Blof zu springen, kann nie genugen, sondern wir mussen uns geduldig auf die Entwicklung der Philo sophie einlassen. Hegel lehrt uns, daf wir eine Sache nur begreifen, wenn wir ihre Entwicklung kennen, und dies gilt vor allern bezuglich der Philosophie. Philosophie ist geschichtlich, weil der Geist notwendig in der Zeit erscheint und sich in ihr verwirklicht-dies gilt es zu verstehen. Eine Verstandnishilfe ist die »Geschichte« des Individuums, die in gewisser Hinsicht die Geschichte im GroBen, die Geschichte im eigentlichen Sinne widerspiegelt. Die Zeitlichkeit des BewuBtseins ist es auch, die Husserl auf den Weg zur Geschichte bringt. Indem er bei seiner konsequenten Erforschung des Bewufstseins einsieht, daB die Zeitlichkeit, die Entwicklung des BewuBtseins notwendig einbezogen werden mufs, bildet er seine Philosophie weiter und erforscht im Gefolge dessen mehrere Wege in die Phanornenologie, darunter auch einen geschichtlichen Weg, der verschiedene Formen annehmen kann. Der Anlaf fur Husserl, sich auf die Geschichte zu besinnen, namlich das Bedurfnis, die gegenwartige Krisensituation aufzuklaren, ist zwar unhegelianisch. Doch sein Ergebnis, daf wir geschichtliche Wesen sind und uns nur im Ruckgang auf die Geschichte verstehen konnen, die letztlich gemeinschaftliche, sich uber die Generationen hinweg erstreckende Geschichte ist, bringt ihn in zunehmend grofsere Nahe zu Hegel.
a. Der Weg des Bewufitseins beiHegel Hegel hat uns dazu verholfen, die Philosophie als durch und durch geschichtlich und die Geschichte als gerichtete Entwicklung und nicht blof aulserliches Ablaufen von Zeit zu verstehen. Er war es, der »das geschichtliche Denken zum ersten Mal in die Philosophie alssolche eingefuhrt hat «, was bedeutet, daB die Philo sophie »nicht T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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nur eine Geschichte hat, sondern geschichtlich ist«: Die entscheidende Frage, die Hegel in der Einleitung zu seinen Vorlesungen tiber die Geschichte der Philosophie stellt, ist die Frage, »wie es kommt, daB die Philosophie als eine Entwicklung in der Zeit erscheint und eine Geschichte hat « (GPh I , 51). Die Antwort auf diese Frage lautet, daB das Sein des Geistes die Tat ist, die darin besteht, sich zu wissen (vgl. ebd.). Die Tatigkeit des Geistes liegt darin, aus sich heraus zu gehen, sich zu veraufserlichen, und zugleich zu sich zu kommen. Eine Weise der AuBerlichkeit ist die Zeit. Da der Geist aber »nicht nur als einzelnes, endliches BewuBtsein, sondern als in sich allgemeiner, konkreter Geist « (52) ist, entfaltet er sich nicht etwa im ZeitbewuBtsein eines Individuums, sondern seine Entwicklung ist die ganze Wirklichkeit: die Geschichte. Diese Antwort jedoch ist nicht nur schwierig nachzuvollziehen, sondern sie laBt auch gleich den Verdacht aufkommen, hier werde etwas »gesetzt e--namlich ein Geist, dem bestimmte Wesenszuge eigen sind - , und die Maxime der Voraussetzungslosigkeit werde damit massiv verletzt. Doch in der Phiinomenologie des Geistes, die vom naturlichen BewuBtsein ausgehen will und von uns fordert, aIle vorgefaBten Meinungen beiseite zu lassen, ist das Vorgehen eben auch ein anderes: Der Geist steht erst am Ende bzw. taucht im fortgeschritteneren Teil der Phiinomenologie auf, da er am Anfang zwar dem Begriffenach und an sich bereits vorhanden, aber noch nicht zu sich gekommen ist. Wenngleich die Geschichtlichkeit der Philosophie sich aus den Wesenszugen des Geistes notwendig ableiten laBt, besteht eine nachvollziehbarere Vorgehensweise (und auch diejenige, von der Hegel ausgeht) wohl darin, die Frage nach dem Zusammenhang von Geschichte und Philosophie zunachst gewissermaBen intuitiv zu betrachten: 1st die Geschichte etwas der Philosophie AuBerliches? Konnen wir, sozusagen im Kleinen, Anhaltspunkte dafur finden, daB das Vorkommen von Ereignissen in der Zeit mehr bedeutet, als ihnen blof eine Stelle in einer Chronologie zuzuweisen? Nach der Betrachtung einiger intuitiver Beispielewie der Entwicklung des Menschen vorn Saugling zum Erwachsenen kommt die Geschichte des Individuums genauer in den Blick: Die Bewegung des SelbstbewuBtseins bildet ein Paradigma, welches sich auf der Ebene der Geschichte im eigentlichen Sinne in modifizierter Form wiederholt. Das SelbstbewuBtsein ist zuerst ein einzelnes, welches einen Gegenstand begehrt. Dann sucht es Anerkennung von einem zweiten SelbstbewuBtsein, bis schlieBlich beide im allgemeinen SelbstbewuBtsein aufgehoben werden. Hier beginnt der Geist und vollzieht eine Variation derselben Bewegung. Der Geist geht durch die Selbstentfremdung hindurch, urn zu erkennen, daB er allum-
Lowith (1969), S. zff Ubrigens gab es natiirl ich vor und neben Hegel Philosophen, die das geschichtliche Denken in die Philosophie einfuhrten, z. B. Kant, Fichte und Schelling; doch sie riickten das geschichtliche Denken nicht in den Mittelpunkt ihres Philosophierens, und sie stellten nicht klar hera us, welcher Stellenwert ihm zukommt.
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fassend ist. Es stellt sich heraus, daB Geschichte ein geordneter Verlauf ist und diese Ordnung als bestimmte Negation bezeichnet werden kann.
1. Ein erstes Beispiel, das Hegel in der Vorrede zur Phiinomenologie verwendet, ist das des mathematischen Beweises: Wir halten denjenigen, der die Theoreme des Euklid auswendig aufsagen kann, ohne ihre Beweise zu kennen, nicht fur einen Geometer (PhG, 42). Allgernein ausgedruckt heiBt dies zunachst, daf wir eine Sache besser kennen, wenn wir wissen und verstehen, wo sie herkommt und was ihre Entwicklung ist-wenn wir also mit ihrer Genese vertraut sind. Dies gilt, so Hegel, in noch viel starkerem MaB fur die Philosophie: Der mathematische Beweis ist »ein der Sache iiufierliches Tun « (ebd.) und betrifft nur das Verhaltnis zum Denkenden, wahrend sich in der Philosophie das Resultat nicht von seiner Entstehung abtrennen laBt. Die Natur philosophischer Wahrheiten laBt es nicht zu, »daf das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat ist oder auch der unmittelbar gewuBt wird, bestehe« ; alles andere ist »Dogmattsmus der Denkungsart « (41). Ein weiteres Beispiel, mit dem Hegel seinen Begriff von Entwicklung (den er im wesentlichen von Aristoteles ubernimmt) veranschaulicht, ist die Entwicklung von Pflanzen und von Menschen. Hegel mochte erklaren, wieso es kein Widerspruch ist, daB »die Idee sich erst zu dem mach en muB, was sie ist « (GPh I, 39). Das, was hier Entwicklung heiBt, laBt sich namlich nur verstehen, wenn man zwei »Zustande« unterscheidet: den der »Anlage«, des »Ansichseins« oder der dynamis aufder einen und den der » Wirklichkeit«, des» Fursichseins « oder der energeia auf der anderen Seite (ebd.). Das, was die Pflanze wirklich und fur sich ist, ist im Keirn der Pflanze an sich schon angelegt. In diesem Beispiel kommen zwei weitere Wesenszuge zum Vorschein , die »irn GroBen « auch fur die Entwicklung des Geistes gelten. Erstens »will« der Keirn sich entwickeln, hat den Trieb, aus sich herauszutreten und sich in der Pflanze und schlieBlich in der Frucht zu verwirklichen - wobei der Keirn dabei insofern »zu sich selbst zuruckkehrt «, als die Pflanze eben an sich schon in ihm angelegt war. Zweitens gilt, daB das Ansich die Entwicklung »regiert« bzw. daB die Pflanze »sich nicht in bloBe ungemessene Veranderung« verliert (GPh I, 40 f.). Die Entwicklung ist keine planlose, ungeregelte, sondern wir konnen ihr ansehen, daB sie Entwicklung auf ein Ziel hin ist. Analoges gilt fur den Menschen: »Das Kind ist auch ein Mensch, es hat aber nur das Vermogen, die reale Moglichkeit der Vernunft « (39). Da sich im Falleder Geschichte eines Individuums manches besser sehen laBt als an der Geschichte als Geschichte des Geistes,' soll zunachst kurz die Bewegung des
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GewissermaBen in Umkeh rung von Platons Behauptung, daB sich im GroBen vieles besser erkennen lasse als im Kleinen (Politeia 368d), wahlt Hegel in der Phiinomenologie das Fortschreiten vom Ind ividuum zum Geist, vom Abstrakten zum Konkr eten .
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einzelnen Selbstbewufstseins betrachtet werden. Es ist eine entscheidende Einsicht Hegels, daf das Selbstbewufstsein keine statische Einheit, sondern »Bewegung« ist (PhG, 138).3 Das Selbstbewufstseinskapitel, in dem diese Bewegung ausfuhrlich erarbeitet wird, ist wohl dasjenige Kapitel der Phiinomenologie, dem am meisten Aufmerksamkeit zugewendet worden ist und das den grofsten EinfluB auf andere Philosophen gehabt hat. Diese Einflusse konnen hier nicht behandelt werden; ebenso wenig wird das Selbstbewufstseinskapitel in seiner Tiefe und Breite zum Thema. In unserem Zusammenhang ist blof entscheidend, inwiefern das Selbstbewufstsein, das aus sich heraustritt und zu sich zuriickkommt- und zwar notwendigerweise-, eine Bewegung vollzieht, die der Geist dann gewissermafsen aufgreift. II. Das SelbstbewuBtsein, dem Hegel dieses Kapitel widmet, ist nicht das, was wir gewohnlicherweise unter SelbstbewuBtsein verstehen: DaB ich reflektieren und mir dessen bewufst werden kann, daB ich einen Gegenstand wahrnehme, erinnere etc., weif schon das Bewufstsein: selbst die sinnliche GewiBheit unterscheidet schon das Ich yom Dieses. Der entscheidende Punkt in all diesen Formen des Bewufstseins vorn Ich ist, daB das Ich dem Gegenstand gegeniibergestellt wird . Das Ich ist sozu sagen der Ort des Wissens , der Gegenstand das davon getrennte GewuBte. Ausgezeichnetes Merkmal des Selbstbewufstseins in Hegels Sinne ist aber, wie bereits erwahnt, daB es sich im Gegenstand erkennt bzw. daB es erkennt, daB der Gegenstand nur als auf es bezogener ist. In diesem Sinne macht das Selbstbewufstsein den Wendepunkt der Phiinomenologie aus und bezeichnet den Eintritt in das »einheimische Reich der Wahrheit«. Das Selbstbewufstsein ist also nicht von vornherein da, sondern es ist da als »Aufhebung einer Selbstentfremdung« oder als »Gegenstof gegen eine uns sonst einhullende Vergessenheit «.' Zwar hat sich am Ende des Verstandeskapitels ergeben, daB alles BewuBtsein von Anderem notwendig Selbstbewufstsein ist, doch das SelbstbewuBtsein ist noch nicht an und fur sich seiend; es weif sich noch nicht als solches und hat sich nicht in seinem Wesen erkannt. Deshalb ist es unruhig und auf der Suche: Das Wesen des SelbstbewuBtseins besteht zunachst darin, Begierde zu sein; es ist Begierde, wei! es noch nicht zu sich selbst gekommen ist, sondern sich seiner selbst nur gewif sein kann, indem es anderes sich einverleibt und vernichtet (vgl. PhG, 143). Die Begierde ist Ausdruck jenes Mangels . Anfanglich ist das Selbstbewufstsein auf selbstandige Gegenstande gerichtet, die es vernichtet. Doch in solchen Gegenstanden kann die Begierde keine wirkliche Befriedigung finden, da sie den Prozef des Aufhebens der 3 4
Manfred Riedel erlautert, inwiefern dies »der ent scheidende Schritt tiber Kant und die gesamte bisherige Philosophie hinaus « ist (Riedel (1973), S. 400). Fink (1977), S. 169.
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Gegenstande unablassig wiederholen muf, Wir essen, doch wir werden immer wieder hungrig. Das SelbstbewuBtsein ist somit auf die Gegenstande, die es begehrt, angewiesen und muB sie immer wieder erzeugen, urn sie dann zu vernichten. Dieser Kreislaufkann nur durchbrochen werden, wenn das SelbstbewuBtsein solches findet, das ihm ahnlicher ist als die Gegenstande, namlich solches, das selbst diese Bewegung der Negation vollzieht und nicht bloB Gegenstand der Negation ist. »Das SelbstbewuBtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewufstsein « (PhG, 144). Wenn zwei, welche eine gleichartige Bewegung vollziehen, da beide SelbstbewuBtsein sind, zueinander in Beziehung treten, ergibt sich eine interessante Dynamik, ein »Spiel«, das sich aber letztlich als Kampf erweist, als »Kampf auf Leben und Tod « (149) . Das SelbstbewuBtsein kann sich seiner selbst nur gewiBwerden, kann nur zum an und fur sich seienden SelbstbewuBtsein werden, wenn es die Anerkennung eines anderen SelbstbewuBtseins gewinnt. Es findet also ein Kampf urn Anerkennung statt; denn obwohl es zunachst so scheint, als konnten die beiden Beteiligten sich in symmetrischer Weise gegenseitig anerkennen, zeigt sich, daB sich das Anerkennen fur das SelbstbewuBtsein notwendig als ungleich und asymmetrisch darstellt. Iedes SelbstbewuBtsein kennt zunachst nur seine eigene Perspektive und will anerkannt werden, nicht Anerkennung geben. Urn sich als SelbstbewuBtsein zu beweisen und die Anerkennung zu gewinnen, muf das SelbstbewuBtsein bereit sein, auf alles auBer sich selbst zu verzichten. Zu zeigen, daf es nichts auBer ihm gibt, ware jedoch der Tod des SelbstbewuBtseins; wer es wagt, diesem am nachsten zu kommen und sein Leben aufs Spiel zu setzen, gewinnt den Kampf. Aus dem Kampf geht also dasjenige SelbstbewuBtsein als Herr hervor, das dem Tod am nachsten gekommen ist; das andere ist der Knecht, der sich an das Sein geklammert hat und nicht bereit war, vom Leben zu lassen. Der Herr ist nun zum fur sich seienden SelbstbewuBtsein geworden, da dieses SelbstbewuBtsein mit sich vermittelt ist, und zwar in doppelter Weise: Der Herr bezieht sich auf den Knecht mittelbar durch das Sein, an das der Knecht gehalten ist, und auf das Sein durch den Knecht (vgl. PhG, 151). Der Knecht namlich ist an das gegenstandliche Sein gebunden wie an eine »Kette«, da er im Kampf nicht von ihm absehen konnte; nun muB der Knecht die Dinge bearbeiten, wahrend der Herr sie rein genieBen kann. Doch es zeigt sich, daB der Herr nicht wirklich das gewonnen hat, was er dachte, sich erkampft zu haben, namlich die Anerkennung eines selbstandigen SelbstbewuBtseins: Der Knecht reicht dem Herrn als Anerkennung nicht zu, da er an das gegenstandliche Sein gebunden und so nicht wirklich selbstandig ist. Zudem ist der Herr nicht wirklich frei, da er aufden Knecht und dessen vermittelnde Arbeit angewiesen ist. Der Knecht hingegen erfahrt Anerkennung von Seiten der Dinge; wenngleich diese Anerkennung sozusagen auf einer niedrigeren Stufe erfolgt, gilt fur das knechtische BewuBtsein: »Durch die Arbeit kommt es aber zu sich selbst « (PhG,153).
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Der Knecht befindet sich in einem besonderen Verhaltnis zum gegenstandlichen Sein, das er bearbeitet: Zum einen handelt es sich urn eben jenes Sein, von dem er nicht lassen konnte und urn das er in der » Furcht des Todes « gezittert hat, wahrend der Herr nur »einige Angst ausgestanden « hat (153 ff.). Zum anderen kann er dieses gegenstandliche Sein, mit dem ihn eine so innige Beziehung verbindet, bearbeiten, formen und bilden. Das geformte Ding tragt die Zuge des Knechts, und so findet dieser seine Anerkennung. Der Knecht kommt »zur Anschauung des selbstandigen Seins alsseiner selbst«, und gleichzeitig kann er an dem Herrn das Fursichsein als BewuBtsein anschauen (154f.). In einer Art dialektischer Umkehrung hat sich das knechtische BewuBtsein als der wahre Sieger des Kampfes erwiesen. Was ist also das Resultat dieses Prozesses, der hier nur in gedrangter Form dargestellt werden konnte? Das SelbstbewuBtsein bedarf des anderen SelbstbewuBtseins, urn sich zu erkennen; ein SelbstbewuBtsein kann es gar nicht geben, sondern es verlangt von sich her nach Verdoppelung. SelbstbewuBtsein ist nichts Unmittelbares, sondern ist alsSelbstbewuBtsein erst , wenn es einen ProzeB der Vermittlung durchlaufen hat. Hegel ubt hiermit in gewisser Weise Kritik an Descartes, der . meineSelbstgewiBheit als Fundament nimmt. Diese GewiBheit ist mir laut Descartes unmittelbar gegeben; Hegel weist aber im Zusammenhang seiner Besprechung des cartes ischen Cogito in der Enzyklopiidie darauf hin, daB das unmittelbare Wissen »Produkt und Resultat des vermittelten Wissens « sei (Enz. I, § 66). Hegel zufolge ist nicht die SelbstgewiBheit eine stabile Basis, auf der man dann das Postulat eines Schopfergottes postulieren und schlieBlich die Existenz der AuBenwelt »beweisen« konnte, sondern SelbstbewuBtsein im eigentlichen Sinne habe ich erst durch die Vermittlung des anderen SelbstbewuBtseins. Bemerkenswert ist, daB selbst Husser! trotz seiner starken Anlehnung an Descartes mindestens andeutet, daB ich zum Erkennen meines eigenen BewuBtseins des FremdbewuBtseins bedarf.' Urn die Bewegung des SelbstbewuBtseins zusammenzufassen und einen Vorblick auf den Fortgang zu gewinnen, sei hier auf die Kurzdarstellung des SelbstbewuBtseins in Hegels Enzyklopiidie verwiesen : Die erste Stufe ist das »einzelne SelbstbewuBtsein« als unmittelbares und auf den aufseren Gegenstand bezogenes; es ist begehrendes SelbstbewuBtsein. Die zweite Stufe besteht darin, daB das SelbstbewuBtsein zu einem anderen SelbstbewuBtsein ins Verhaltnis tritt und der ProzeB des Anerkennens stattfindet; hier »beginnt schon eine Vereinigung von Einzelheit und Allgemeinheit«. Drittens schlieBlich bildet sich das »allgemeine Selbstbewufitsein«, indem die Andersheit der beiden Selbste aufgehoben wird (Enz. III, §425 Zusatz) . Die Anerkennung findet ihre Vollstandigkeit erst in diesem allgemeinen SelbstbewuBtsein, das den Geist darstellt'<-aber den Geist bloB dem Begriff nach,
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Vgl. KapiteI8b ). Ludwig Siep weist zurecht darauf hin, daB die Anerkennungsbewegung nicht im SeibstbewuBtseinskap itel, sondern erst im Geistkapitel zur Vollstand igkeit gelangt, in einem gemeinsamen SelbstbewuBtsein, das sich in lnstitutionen manifestiert (vgl. Siep (1998), S. 112f.).
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der noeh nieht zu sieh gekommen ist. Hegel sagt in der Phanomenologie sehr treffend, das, was fehle und worin der weitere Gang des BewuBtseins bestehe, sei die »Erfahrung« dessen, »was der Geist ist « (PhG, 145, Hervorhebung T.S.) . Den Geist definiert Hegel an dieser Stelle ansehaulieh, wenn aueh freilich vorlaufig und unvollstandig, als Einheit versehiedener fur sieh seiender SelbstbewuBtsein[e]. Insofern kann man den Geist aueh als »GesamtbewuBtsein« bezeichnen.? III. Der Geist vollzieht eine Bewegung, die den ProzeB des SelbstbewuBtseins aufgreift und-so solI hier gezeigt werden-entseheidende Gemeinsamkeiten mit diesem ProzeB aufweist, ja gewissermaBen die Bewegung des SelbstbewuBtseins auf hoherer Ebene wiederholt. Indem Hegel gegenuber der Tradition betont, daB das Wahre nicht nur als Substanz, sondern ebenso aueh als Subjekt aufzufassen sei (vgl. PhG, 23), kommt dem Geist eine Art von Reflexionsbewegung zu: Hegel sprieht von der »Reflexion im Anderssein in sieh selbst« (ebd.) und sagt im Kapitel uber das absolute Wissen, die Bewegung des Geistes bestehe darin, sieh zu entaufsern und die Entaufserung aufzuheben (vgl. PhG, 587). Aueh der Geist ist also Ruckkehr aus dem Anderssein und muB sich entaufsern, urn zu sich kommen zu konnen, aber eben auf einer hoheren Stufe. Man kann nun freilich die Frage stellen, wie und wo hinein der Geist sich denn entaufsern soll, wenn Hegel zufolge der Geist doeh sehlieBlich das Wahre und das Ganze ist? Doeh aueh das SelbstbewuBtsein hatte sieh (naeh einigen vergeblichen Versuehen mit dem gegenstandlichen Sein) nieht in einem And eren gefunden, das von ihm versehieden, sondern das gleiehen Wesens war: in einem anderen SelbstbewuBtsein. Der Geist entaufsert sich, urn schliefslieh festzustellen, daB alles Geist ist. Die Bewegung des Geistes besteht darin, sieh zu bilden, sich zu erkennen und zu begreifen-und begreifen heiBt eben dies, im Anderssein bei sieh selbst zu sein (vgl. PhG, 583), Bildung heifst, die Welt des sieh entfremdeten Geistes zu durchlaufen (vgl. 577). Die Bewegung des Geistes laBt sieh aueh mit Bezug auf das Verhaltnis von BewuBtsein und SelbstbewuBtsein darstellen: Der Geist ist die »Versohnung « von BewuBtsein und SelbstbewuBtsein (579). Das SelbstbewuBtsein, indem es als solehes auftritt, ist zunachst abstrakt und muf einen Prozef der Bereicherung durehlaufen, »bis es die ganze Substanz dem BewuBtsein entrissen « hat (584). Dies ist der Gang der Phiinomenologie; die ganze Welt, die Gegenstand des BewuBtseins ist, wird durehlaufen und vom SelbstbewuBtsein so angeeignet, daB es sie durehdringt und sieh in ihr wiederfindet. Hegel sprieht in diesem Zusammenhang aueh von Arbeit: Der Geist existiert erst (im vollen Sinne) »nach Vollendung der Arbeit «, die 7
So Manfred Riedel, der bezuglich der Stru ktur des Selbstbewulstseins sagt: » >Geist < ist die dialektische Entfaltung dieser Struktur zu jenem GesamtbewuBtsein, das Hegel zur Erklarung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt und ihrer Veranderung benutzt- (Riedel (1973), S. 400).
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dar in besteht, » sein Selbstbewuj3tsein mit seinem Bewuj3tsein auszugleichen « (584). Die Erwahnung der Arbeit ruft Anklange an die Arbeit des Knechts im SelbstbewuBtseinskapitel hervor, der das gegenstandliche Sein formt und sich so in ihm wiederfindet; in ahnlicher Weise formt wohl auch der Geist die Natur und findet sich in ihr wieder. Diese Arbeit bringt die »wirkliche Geschichte« hervor (586). Den Zusammenhang von Geist und Zeit faBt Hegel in einem sehr dichten Satz zusammen: Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist und als leere Anschauung sich dem BewuBtsein vorstellt; deswegen erscheint der Geist notwendig in der Zeit, und er erscheintso langein der Zeit,als er nicht seinen reinen Begriff erfafit, d. h. nicht die Zeit tilgt. (PhG, 584) Das, worum es in der Wissenschaft geht , ist der Begriff, der letztlich das Sichbegrei fen des Geistes ausmacht. Dieser Begriffist aber in seinem Dasein nichts anderes als die Zeit; er ist also notwendig Bewegung, Entwicklung, Werden. Nach der Bewegung des Begriffs hat sich die Philosophie zu rich ten; sie darf zu ihm nichts Eigenes hinzufugen, sondern geht nur dieser Bewegung nach (vgl. PhG, 51). Da der Geist sich bilden, also sich entaufsern und im Riickgang aus der Entaufserung begreifen muB, erscheint er notwendig in der Zeit; doch dies gilt nur so lange, bis der Geist sich selbst vollig begriffen hat und damit die Zeit» tilgt «, In der Phiinomenologie des Geistes haben wir es mit dem entaufserten, erscheinenden Geist zu tun, also mit dem Geist, der sich in der Zeit bewegt bzw, der selbst das Bewegende der Geschichte ist (vgl. Enz. III, § 549). In der Wissenschaft derLogik erlautert Hegel das Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik, indem er erklart, in der Phiinomenologie habe er das BewuBtsein darzustellen versucht, welches »der Geist als konkretes, und zwar in der AuBerlichkeit befangenes Wissen « sei oder auch » der erscheinende Geist, welcher sich auf seinem Wege von seiner Unmittelbarkeit und aufserlichen Konkretion befreit « (WdL 1,17). Die Phiinomenologie zeichnet diesen Weg des BewuBtseins als des erscheinenden Geistes nach, auf dessen Vollendung die Logik folgt. Was es heiBen konnte, daB mit der Riickkehr des Geistes zu sich die Geschichte aufgehoben wird, muB in Kapitel ioa) bedacht werden. Was den Geist und damit auch das BewuBtsein als Erscheinungsseite des Geistes bewegt, das ist die absolute Negativitat des Begriffes (Enz. I, § 381 f.). In der Phiinomenologie wird von der Negativitat gesagt, daB sie bewegende Kraft sei (vgl. PhG, 26). Das Negative tritt zunachst als Unterschied zwischen BewuBtsein und ihm aufserlichen Gegenstand auf, und dieser Unterschied » kann als der Mangel beider angesehen werden « (PhG, 39): Dem Wissen fehit sein Gegenstand, da er auBer ihm ist und sich nicht vollig einverleiben laBt, und dem Gegenstand fehlt das Wissen, das Subjektsein, das er nicht selbst aufbringen kann. Doch dieser Unterschied ist tatsachlich das Bewegende des BewuBtseins, indem es versucht,
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den Unterschied durch Negation aufzuheben. DaB die Negation in der Tat ein Fortschreiten veranlaBt und die Bewegung nicht abbricht (bis der Geist zu sich gekommen ist und alle Unterschiede, alle Negativitat aufgehoben hat), liegt daran, daB Negation in ihrem Wesen bestimmte Negation ist, wie bereits erwahnt wurde. Hegel sagt, es verstehe sich von selbst, daB in dem aus der Negation sich ergebenden Resultat das enthalten ist, woraus dieses resultiert; denn sonst konnte gar nicht von einem Resultat gesprochen werden (vgl. WdL I, 49) . »Indern das Resultierende, die Negation bestimmte Negation ist, hat sie einen Inhalt«; sie enthalt den ursprunglichen Begriff und dessen Negation, »ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten« (ebd.). Urn kurz an das Beispiel der sinnlichen GewiBheit zu erinnern: Indem das Ietzt, wenn es gezeigt wird , schon vergangen ist, ist es gewesenes Ietzt und damit Nicht - Ietzt, Damit sind wir jedoch nicht zu einem bloBen Nichts gekommen, sondern zum verflieBenden Ietzt, zur Einheit von Ietzt und Nicht-Ietzt, zum Werden. Weil der Geist sich gemaB dem Prinzip der bestimmten Negation entwickelt hat, ist seine Bewegung als notwendige und vernunftige fur uns nachvollziehbar. Damit ergibt sich auch eine neue Auffassung von der Geschichte der Philosophie, und die zu Beginn dieses Kapitels wiedergegebenen Aussagen aus den Vorlesungen iiber die Geschichte der Philosophie werden verstandlich. Die gelaufige Vorstellung uber die Geschichte der Philosophie erweist sich als irrig: In der Geschichte der Philosophie geht es nicht urn einen » Vorrat von philosophischen Meinungen «, einen Vorrat von zufalligen Gedanken, die in der Zeit aufeinander folgen (GPh I, 29). Wenn es in der Geschichte der Philosophie urn eine solche » Galerie von Meinungen« ginge, ware sie bloB eine Sache der Gelehrsamkeit und damit eine » uberflussige und langweilige Wissenschaft « (GPh I, 30). Vielmehr gilt, daB die Philosophie als Entwicklung des Geistes notwendig zusarnmenhangend und notwendig eine ist; denn der Geist ist einer, und damit ist auch die Philosophie eine (vgl. Enz. I, §14) . Da der Geist sich in cler Geschichte entaufsert, ist das Studium der Geschichte der Philosophie »Studium der Philosophie selbst « (GPh I, 49) . Hegel behauptet, daB man den logischen Fortgang des Geistes selbst zu Gesicht bekommt, wenn man die in der Geschichte der Philosophie auftretenclen Systeme von dem befreit, was ihre empirische Gestalt oder ihre faktische Besonderheit ist. Wenn die Philosophie wesentlich eine und die Geschichte der Philosophie som it Einheit und Zusammenhang ist, dann wird offenkundig, warum die Geschichte der Philosophie fur uns heute bedeutsam ist. Auf den ersten Blick scheinen die geschichtlichen Vorgange eine Sache der Vergangenheit zu sein und jenseits unserer gegenwartigen Wirklichkeit zu liegen. » In der Tat aber, was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich « (GPh, 21) - das geschichtliche Werden stellt nicht das Werden uns fremder Dinge dar, sondern unser Werden. Was wir heute sind, verdanken wir der »Tradition« und der »Erbschaft« der Geschichte (ebd .). In der Geschichte der Philosophie haben wir es nicht mit Vergangenem, Abgeschlossenem zu tun, sondern mit solchem, was unser eigenes Sein und Werden bestimmt.
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b. Diegeschichtliche Einfuhrung in die Phiinomenologie beiHusserl Wahrend es bei Hegel nur einen Weg des natiirliehen BewuBtseins in die Philosophie gibt, namlich den in der Phiinomenologie dargestellten, hat Husserl in seiner spaten Philo sophie ausgehend von seiner Kritik am eartesianisehen Weg versehiedene andere Wege der Einfuhrung teils ausgearbeitet, teils angedaeht. Im letzten und systematisehen Teil der Krisis entwiekelt Husserl einerseits einen Weg von der vorgegebenen Lebenswelt aus (in dem das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt angeregt wird, weshalb dieser Weg als ontologiseher bezeiehnet werden kann), andererseits einen Weg von der Psyehologie aus (vgl. Hua VI, Teil III A U. III B) . Iso Kern kann sich daher auf eine eindeutige Textbasis bei Husserl stiitzen, wenn er drei Wege der Einfuhrung in Husserls Phanomenologie unterseheidet, namlich die beiden eben genannten und den eartesianisehen Weg."Demgegeniiber erseheint es zunachst befremdlieh, wenn Rudolf Boehm in seiner Einleitung zum zweiten Teil der Vorlesung Erste Philosophie eine Vielzahl von Wegen unterseheidet und sich dabei nicht auf eine genaue Zahl festlegen will," Doeh bei genauerem Zusehen zeigt sieh, daB Husserl in den erganzenden Texten zur Vorlesung Erste Philosophie in der Tat viele Wege benennt, die zum Teil Misehformen aus den drei bereits genannten darsteIlen, zum Teil aus jener Systematik herauszufallen seheinen. Gleichzeitig ist der ontologisehe Weg, wie unten noeh besproehen werden wird, keineswegs nur ein Weg, sondern hat viele versehiedene Spielarten. Wenn man dies im Auge behalt, ist es dennoeh gereehtfertigt, vom » ontologisehen Weg « zu spreehen, da es bestimmte Wesensziige gibt, die alle verschiedenen, unter jenem Stichwort zusammengefaBten Wege teilen .
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Vgl. Bernet, Marbach, Kern (1996) sowie Kern (1964), wo Kern detailliert untersucht, welcher Weg in welchem Werk Hu sserls beschritten wurde. Dabei wird deutlich, daB in ein und demselben Werk oftmals mehrere Wege vermischt oder nacheinander begangen werden; allerdings mochte ich der Aussage Kerns widersprechen, » in reinster Form « werde der cartes ianische Weg in der VoriesungErstePhilosophie begangen (Kern (1964), S. 201). Meines Erachtens liegt die reinste Form des cartesianischen Weges in den Ideen I vor, in denen es keine Alternative zu jenem Weg gibt, die Anforderungen der zu gewinnenden neuen Wissenschaft schon auf der ersten Seite benannt werden und der cartesianisch e Weg in der »Phanom enologischen Fundamentalbetrachtung« dann in exemplarischer Form beschritten wird. Hingegen muB beachtet werden, daB die in der Ersten Philosophie vorfindlichen cartesianischen Elemente erst etwa ab der 32. Vorle sung ins Spiel kornmen, wahrend zuvor ein ideengeschichtlicher Weg und nachher ein Weg tiber die Psychologie vorgeschlagen werden. Vgl. Hua VIII, Einleitung des Herausgebers. Boehm sagt in bezug auf die erganzenden Texte des Bandes VIII deutlich: » Dabei ist es selbstverstandlich nicht etwa so, daf ein jeder der abgedruckten Texte einen von im Ganzen acht moglichen ,Wegen ( abhandelte. Aber auch die , genaue Zahl ( der Wege ist nicht anzugeben , nicht jeder von ihnen kann (.. .) mit einem Namen bezeichnet werden, und eine -Systematik- der verschieden en Wege zu konstruieren oder nachzukonstruieren, ist schwer, wenn nicht sogar unmoglich « (Boehm (1968), S. 206).
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In diesem Kapitel soll die These vertreten werden, daf es auch den Typus eines geschichtlichen bzw. ideengeschichtlichen Weges gibt;" dieser Weg kann eben falls verschiedene Formen annehmen, den en aber bestimmte Merkmale gemeinsam sind. Husserl bezeichnet den ersten Teil der Vorlesung Erste Philosophie als »ideengeschichtliche Einleitung in die phanomenologische Philosophie« (Hua VIII, 3), und in der Einleitung zu seinen in der Zeitschrift Philosophia veroffentlichten ersten beiden Teile der Krisis spricht Husserl davon, daB die» teleologischhistorische Besinnung« einer »eigenstandigen Einleitung in die transzendentale Phanornenologie« zugehore." Der geschichtliche Weg steht zwar, wie ebenfalls gezeigt werden soll, dem ontologischen Weg naher als den anderen Wegen, aber die beiden sind doch nicht identisch. Ein einfacher Beleg dafur ist die Tatsache, daB es beispielsweise moglich ware, auf dem Wege geschichtlicher Besinnungen zur Einsicht in die Notwendigkeit transzendentalphanomenologischer Analysen zu gelangen, ohne eine Ontologie der Lebenswelt oder regionale Ontologien zu betrachten. Umgekehrt ware es moglich, das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt durchzufuhren, indem blof auf die Strukturen der Lebenswelt reflektiert wurde, ohne die Geschichtlichkeit der Lebenswelt einzubeziehen. Eine so geartete Ontologie der Lebenswelt ware statisch, wiirde also nicht einmal eine genetische, geschweige denn eine generative Phanomenologie erfordern. Freilich fuhrt das Projekt einer Ontologie der Lebenswelt, wenn man es konsequent zu Ende fuhrt, dahin, daB Fragen der Zeitlichkeit und selbst der Geschichte einbezogen werden mussen; doch dies ist kein Widerspruch, da Husserls Unternehmen einer statischen Phanomenologie zwar uber sich hinaustreibt, er die in seiner fruhen Zeit entwickelten Wege aber dennoch fur in sich vollstandig halt." Im Gefolge dessen, daf eine statische Phanomenologie, wenn sie konsequent durchgefuhrt wird, selbst auf ihre Mangel verweist (und daB selbst eine genetische Phanornenologie noch tiber sich hinausfuhrt), lassen sich Anhaltspunkte dafur finden, daB die Phanomenologie in gewisser Weisenotwendig zu einer geschichtlichen Besinnung hinleitet. Die beiden wohl wichtigsten Aspekte, die in die Richtung einer
Kern sagt in einer Fufsnote, daB die ideengeschichtliche Einleitung einen vierten Wegtypus ausmachen konnte (vgl. Bernet, Marbach, Kern (1996),5.63 Fn. 15). 11 Vgl. Hua VI , 5. XIV Fn. 3. 12 Vgl. Bemerkungen in Hua VIII (5. 259f£.),wo der cartesianische Weg als Moglichkeit aufrechterhalten wird . Vgl. auch das Nachwort zu den Ideen I aus dem Jahre 1930: »Ich habe in vieljahrig ern Nachdenken verschiedene gleichmogliche Wege eingeschlagen (.. . )« (Hua v, 148). In der Krisis findet sich als Belegfur die Moglichkeit aller Wege die etwas naiv anmutende Formulierung: » Das alles wird sich bestatigen, wenn ich nun (. . .) den Versuch mache, den zum Nachverstehen Willigen einen der Wege zu fuhr en, die ich wirklich gegangen bin, der somit als wirklich begangener sich auch als jederzeit wieder begehbarer Weg darbietet« (Hua VI, 123). Zum einen heiBt dies noch nicht, daB es auch tatsachlich moglich ware, Husser! aufdem von ihm wirklich gegangenen Weg zu folgen, zum anderen konnte eine ungeschickte Darstellung seines Weges, wie er sie streckenweise in den Ideen I vorgenommen hat und im nachhinein selbst kritisiert, gewissermaBen die Spuren des von ihm begangenen Weges verwischen.
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Hinwendung zur Geschichte weisen, sind zum einen die Zeitproblematik und die damit verbundene Entwicklung der genetischen Phanomenologie, zum anderen die Problematik der Intersubjektivitat ." Der Aufbau dieses Kapitels spiegelt diese beiden Aspekte wider: Zunachst wird kurz das Verhaltnis von statischer und genetischer Phanomenologie untersucht. AnschlieBend kommen die verschiedenen Wege zur Sprache; daB Husserl den Weg tiber die phanornenologische Psychologie und den ontologischen Weg entwickelt, hangt wesentlich mit der Frage nach der Intersubjektivitat zusammen. Der cartesianische Weg, der bereits in Kapitel6a) in seinen Starken und Schwachen besprochen wurde, ist kein Weg im eigentlichen Sinne, da es ihm an einer kontinuierlichen Entwicklung mangelt. Vielmehr betont die cartesianische Vorgehensweise den Sprung- und Diskontinuitatscharakter des Ubergangs. Der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg sollen hier nur skizzenhaft angeschnitten werden, bevor das Hauptthema, der ideengeschichtliche Weg, behandelt wird. DaB bezuglich der beiden anderen Wege nur Hinweise gegeben werden, laBt sich zum einen damit begrunden, daB diese beiden Wege in der Literatur ausfuhrlich behandelt worden sind." Zum anderen - und dieser Punkt ist der eindeutig wichtigere-ist der geschichtliche Weg gerade derjenige, der zeigt, inwiefern sich Husserl in der Nahe von Hegels Philosophie bewegt." Daruber hinaus maB Husserl dem geschichtlichen Weg groBe Bedeutung zu; dies wird nicht nur darin offenkundig, daB er diesen Weg in der Krisis und in den Vorlesungen Erste Philosophie beschreitet, sondern auch darin, daB er in verschiedenen Manuskripten explizit auf die Bedeutung des geschichtlichen Weges reflektiert. Die beiden anderen Wege werden hier jedoch nicht bloB aus Grunden der Vollstandigkeit skizziert, sondern weil der geschichtliche Weg auf ihnen basiert bzw. aus ihnen hervorgeht. I. In einem Manuskript aus dem Jahre 1921 besinnt sich Husserl auf die methodischen Unterschiede zwischen statischer und genetischer Phanomenologie: In gewisser Weise scheidet sich also »erklarende« Phanomenologie als Phanomenologie der gesetzmafsigen Genesis und »beschreibende« Phanomenologie als Phanornenologie der moglichen, wie immer gewordenenWesensgestalten im reinen BewuBtsein (...). In den Vorlesungen sage ich nicht »beschreibende«, sondern »statische« Phanornenologie. (Hua XI , 340)
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Vgl.Carr (1974), S. 68. Vgl.Bernet, Marbach, Kern (1996) , Welton (2000) , Steinbock (1995), Aguirre (1970) usw. DieUnterschiedezwischenHegels und HusserlsGeschichtskonzeption werden im zehnten KapiteI aufgegriffen.
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Genetische Phanomenologie wird also hier von Husserl als »erklarende « Phanomenologie im Gegensatz zur blofs » beschreibenden «, statischen Phanomenologie eingefuhrt, Der Begriff des Erklarens bedeutet fur die genetische Phanornenologie jedoch nicht so sehr die Frage nach dem »Warum «, sondern vielmehr die nach dem »Woher« oder »Woraus « einer bestimmten Erscheinung. Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, daB sich in der Genesis des BewuBtseins bestimmte Gesetze ausmachen lassen; die genetische Phanomenologie will diese Gesetze aufweisen. Diese Absicht ist nicht mit einer Entwicklungsgeschichte des BewuBtseins zu verwechseln, wie sie zum Beispiel Gegenstand der Entwicklungspsychologie ist. In gewisser Weise geht es allerdings doch urn die Geschichte der Entwicklung des BewuBtseins, wenn man diese Ausdrucke neu und wortlich zu verstehen bereit ist: Eine entscheidende Einsicht von Husserls Analyse der Wahrnehmung besteht darin, daB wir immer in Zusammenhangen wahrnehmen. Diese Zusammenhange sind nicht nur die Horizonte, die Verweisungszusammenhange, in den en der Gegenstand begegnet, sondern auch Zusammenhange auf seiten unseres BewuBtseins. Wir haben schon ahnliche oder vielleicht sehrverschiedene, in Kontrast zum aktuell Wahrgenommenen stehende Gegenstande gesehen; wir setzen das aktuell Wahrgenommene in Beziehung zu dem, was wir fruher wahrgenommen haben, zum wahrnehmungsmafsig Erworbenen. Ieder Wahrnehmungsakt ist ein geschichtl icher:" deshalb spricht Husserl von der » >Geschichte - des BewuBtseins« (Hua XI, 339). DaB Husserl »Geschichte« hier in Anfuhrungszeichen setzt, hat einen guten Grund: Es handelt sich noch nicht urn Geschichte im eigentlichen Sinne, Geschichte, die Intersubjektivitat-ssogar tiber Generationen hinweg-einschlieBen muB. Genauer gesprochen ist das, was die genetische Phanomenologie im Vergleich zur statischen neu in Betracht zieht, die Zeitlichkeit des BewuBtseins, und zwar im konkreten, die Inhalte und ihre Zusammenhange einbeziehenden Sinne. Husserl sagt in den Ideen I, daB Zeit »ein Titel fur eine vollig abgeschlossene Problemsphiire und eine solche von ausnehmender Schwierigkeit « sei, die man» in unseren vorbereitenden Analysen auBer Spiel lassen « konne, ohne die »Strenge« dieser Analysen in Gefahr zu bringen (Hua III, § 81). Dennoch spricht Husser! an dieser Stelle kurz vom ZeitbewuBtsein, von Impression, Retention und Protention. In seinen spateren Untersuchungen stellt er jedoch fest, daB Zeit nicht nur nicht »aufser Spiel« gelassen werden kann, sondern daB es nicht hinreicht, abstrakt ihre Strukturen festzuhalten. Die Besinnung auf die bloBen Wesensstrukturen der Zeit ist selbst noch statisch. Gegenstande stehen in Verhaltnissen der Gleich- oder Nachzeitigkeit; »aber was dem jeweiligen Gegenstand inhaltliche Einheit gibt, (. ..) das sagt uns die Zeitanalyse allein nicht, da sie ja eben von dem Inhaltlichen abstrahiert« (Hua XI, 128). Die Synthesen des ZeitbewuBtseins sind die grundlegendsten, aber eben auch nur die grundlegendsten
16 Vgl. Aguirre (1970), S. 156.
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Synthesen der Passivitat; damit sich Gegenstandlichkeit konstituiert, mussen die Gesetze der Modalisierung, der Erfullung und Enttauschung und der Assoziation in Geltung sein, wie sie Hu sserl in den Analysen zur passiven Synthesis untersucht." Die Wesensgesetze der passiven Synthesis liegen aller iehlichen Aktivitat zugrunde. Das heiBt aber nicht, daf es nur passive Genesis gibt: Husser! unterscheidet aktive und passive Genesis, wobei aktive Genesis »alle Leistungen der in einem weitesten Sinne praktischen Vernunft« umfaBt (Hua I, m); das Praktische ist hier so weit gefafst, daf es auch das Logische und damit mathematische Erkenntnisse einschlieBt. Leistungen der aktiven Genesis liegen dann vor, wenn neue Gegenstande im weitesten Sinne, also auch »ideale« Gegenstande, auf dem Boden bereits vorgegebener Gegenstande konstituiert werden. Solche Leistungen bezeiehnet Husser! als » Urstiftungen « (Hua I, 113). Urstiftungen entspringen einer Gemeinschaft, einer geschichtlichen Sprach- oder Kulturgemeinschaft; darauf weist Husser! hin, wenn er die Leistungen der aktiven Genesis als Leistungen der »Sozialitat« in einem noch genauer zu bestimmenden Sinne beschreibt (m) . Die Hervorkommnisse der aktiven Genesis schlagen sich im Ich nieder. Sie werden habitualisiert, so daB wir immer wieder auf sie zuruckgreifen konnen. Die Erzeugnisse der aktiven Vernunft stromen in die Passivitat ein, und insofern kann Husser! sagen, daf die passive Genesis teils der Aktivitat voranliegt (namlich in Form von Gesetzliehkeiten des inneren Zeitbewufstseins, der Assoziation usw.), teils die Aktivitat wieder umgreift (vgl. Hua I, 113). Aktive und passive Genesis lassen sieh unterscheiden, jedoch nicht trennen: Ohne die Vorkommnisse der passiven Synthesis gabe es keine aktiven Hervorbringungen. Umgekehrt gilt, daB die Ergebnisse der aktiven Genesis in den passiven Bereich einfliefsen und daf die Passivitat immer schon von Aktivitat durchsetzt ist: Die Vorzeichnung der passiven Synthesis »ist nieht eine blinde und im Grunde sinnlose Vorzeichnung von auBen her, sondern eine dem Bewufstseins-Ich in Form der Erkenntnis zugangliche « (Hua XI, 21s)-was sich beispielsweise im Fall der Assoziation darin zeigt, daB ich oftmals reflektierend nachvollziehen kann, welche Vorstellung mich an eine andere vermittels einer bestimmten Ahnliehkeit erinnert hat. Der Vorgang der Habitualisierung impliziert freilich nicht, daf wir uns jener Niederschlage bewuBt waren : Nicht umsonst handelt Husser! jenc Gcschehnisse unter dem Titel der Passivitat ab, und wo er tiber Assoziationen und reproduktive Weckung spricht, bemerkt er: »Ich brauche nicht zu sagen, daB diesen ganzen Betrachtungen, die wir durchfuhren, auch ein beruhmter Titel gegeben werden kann, der des) Unbewufsten ( «, Und gleieh darauf, ganz explizit: »Es handelt sieh also urn eine Phanomenologie dieses sogenannten Unbewufsten « (Hua XI, IS4),,8
17 Vgl.in dieserArbeit Kapitel zb). 18 Anthony J. Steinbockerlautert das UnbewuBte bei Husserlals Nullpunkt der affektiven Kraft. 1m
Reichdes UnbewuBten ubt die Gegenstandlichkeit keinen Reizauf mich aus, und doch ist immer die Moglichkeit der (erneuten) Weckungeines Reizes gegeben. Vgl.Steinbock (2002) .
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Die in diesem »sogenannten UnbewuBten «geltenden Gesetze des Zusammenhangs will Husserl aufklaren;'? entscheidend ist, daB es sich bei der Genesis des BewuBtseinsstroms nicht urn ein blofses » Nacheinander «, sondern urn ein »Auseinander«, »ein Werden nach Gesetzen notwendiger Folge« handelt (Hua XI, 339). Ware der BewuBtseinsstrom eine bloBe Folge zufalliger Erlebnisse, so ware eine genetische Phanomenologie sinnlos. DaB der Fortgang zielgerichtet ist, daB wir bestimmte Erwartungen haben und daB un sere Erlebnisse nach einsehbaren Gesetzen (z, B. Assoziationsgesetzen) zusammenhangen, das teilt die . Geschichte- des BewuBtseins mit Husserls Auffassung von Geschichte im eigentlichen Sinne, wie sich unten zeigen wird. Die Analysen der genetischen Phanomenologie betreffen das Ich nicht als abstraktes (also beispielsweise die BewuBtseinsstrukturen, die sich ergeben , wenn man von allern Inhalt abzusehen versucht), sondern das konkrete, zeitigende leh. Indem die Genesis des lehbewuBtseins untersucht wird, kommt das Ich als indivi duelles, von anderen unterschiedenes in den Blick, und hierfur verwendet Husserl den Begriffder Monade: »Endlich haben wir die Phanomenologie der monadischen Individualitat, darin beschlossen die Phanomenologie einer zusammenhangenden Genesis, in der Einheit der Monade erwachst, in der die Monade ist, indem sie wird« (Hua XIV, 38).20 Bezuglich der Monaden spricht Husserl auch vom »Erbe der Vergangenheit« und von der »Einheit C..) ihrer Geschichte « (Hua XIV, 36), doch selbst einer Gemeinschaft von Monaden kommt noch keine Geschichte im eigentlichen Sinne zu: Zwar ist eine Monadengemeinschaft intersubjektiv, doch im Rahmen von Hus serls genetischer Phanomenologie ist letztlich nur eine Gemeinschaft von Zeitgenossen, von zeitgenossischen Monaden moglich, Dies liegt daran, daB seine Analyse in der v. Cartesianischen Meditation wesentlich die Einfuhlung voraussetzt und keine sprachliche Mitteilung einbezieht. Einfuhlung setzt voraus, daB mir die Korper der Anderen leibhaftig gegeben sind, und kann sich so nicht tiber vergangene und zukunftige Generationen hin erstrecken. Husserl sagt in der v. Cartesianischen Meditation ausdrucklich, daB mit dieser Untersuchung die »Probleme von Geburt und Tod und Generationszusammenhang der Animalitat nicht beruhrt sind, die offenbar einer hoheren Dimension angehoren und eine so ungeheure auslegende Arbeit der unteren Spharen voraussetzen, daB sie noch lange nicht zu Arbeitsproblemen werden konnen« (Hua I, 169). Erst in dieser hoheren Dimension, der Dimension einer generativen Phanomenologie," gibt es Geschichte im eigentlichen Sinne.
Es ware eine eigene Aufgabe zu unte rsuchen, wie sich Husserls genetische Phanomenolog ie zur Psychoanalyse verhalt , die zu Beginn des zwanzigsten Iahrhunderts autkommt. 20 Gemeinsamkeiten und Unte rschiede zu Leibniz' Begriff der Monade konnen hier nich t betrachtet werden . 21 Vgl. Steinbock (1995) . Vgl. in vorliegcndcr Arbeit Kapitel za) .
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Bevor wir uns Husserls geschichtlicher Einfuhrung in die Phanomenologie zuwenden, sollen hier kurz der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg untersucht werden, den en beiden eigentiimlich ist, daf sic der Intersubjektivitat Rechnung tragen wollen. II.
Der Weg tiber die phanomenologische Psychologie als Vorgestalt der transzendentalen Phanomenologie wird von Husserl in den 1920er Iahren entwickelt, und er geht diesen Weg auch noch in Teil III B der Krisis. 1m 1927 verfaBten Artikel fur die Encyclopaedia Britannica entwirft er diesen Weg, indem er die phanomenologische Psychologie als »propadeutische Vorstufe« einfuhrt (Hua IX, 277), welche »immerhin doch die Zuganglichkeit aller positiven Wissenschaften« habe (295f.). In der phanornenologischen Psychologie wird der Blick rein auf das Subjektive gerichtet, und die Gegenstande werden bereits im Wie ihres Erscheinens betrachtet, aber das BewuBtsein wird zunachst noch als welthaft, »rnundan« aufgefaBt. Indem der Wissenschaftler erkennt, daB eine solche Auffassung von der Seinsweise des BewuBtseins zu Widerspruchen fuhrt, muB er den Ubergang zur Transzendentalphilosophie voIlziehen und erkennen, daB das BewuBtsein transzendental ist. Eine konsequent durchdachte phanomenologische Psychologie muB laut Husserl von selbst in die transzendentale Phanomenologie einmunden." Der Vorteil des Weges tiber die Psychologie besteht im wesentlichen darin, daB sich die beiden Grundschwierigkeiten der Einfuhrung in die Phanomenologie, erstens das Verstandnis »innerer Erfahrung «, zweitens die Einsicht in die Transzendentalitat des BewuBtseins, »in diese zwei Stufen verteilen « (Hua IX, 296). Ein weiterer Vorteil des Weges tiber die Psychologie besteht darin, daf sich die Epoche nicht nur auf meine Seele, sondern auf» aIle Seelen« bezieht (Hua VI, 256), und wir nach der Epoche »nicht eine Vielheit von getrennten Seelen, jede auf ihre eigene Innerlichkeit reduziert «, sondern einen »allheitlichen Zusammenhang aller Seelen« vor uns haben (258). Leider erlautert Husserl nicht genauer, wie dies moglich sein solI und wie dieser allheitliche Seelenzusammenhang sich dazu verhalt, daB zunachst doch immer ich die Epoche vollziehen mufs, Ein weiterer Mangel dieses Weges besteht darin, daB die phanornenologische Psychologie als Psychologie eine Einzelwissenschaft, eine Partialwissenschaft ist; wird nun die transzendentale Phanomenologie mit der reinen Psychologie identifiziert, wie es jedenfalls in der Krisis der Fall ist, so bleibt unverstandlich, wie eine
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Vgl. auch Husserls str ikte Darstellung in der Krisis: »Eine reine Psychologie als positive Wissenschaft (. .. ) gibt es nicht. (. .. ) Also reine Psychologie in sich selbst ist identisch mit Transzendentalphilosophie als Wissenschaft von der transzendentalen Subjektiv itat, Daran also ist nicht zu rutteln« (Hua VI, 261) .
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solche, obzwar gereinigte Einzelwissenschaft den Anspruch der Phanomenologie erfullen konnte, universale Wissenschaft zu sein." Inwiefern der Weg tiber die Psychologie letztlich nicht zum Ziel fuhren kann , zeigt sich auch, wenn man ihn mit dem ontologischen Weg vergleicht. Der ontologische Weg taucht in verschiedenen Formen auf: Er kann ausgehen von einer Kritik an der formalen Logik," von einer Kritik an den positiven Wissenschaften, oder aber er kann mit einer Ontologie der Lebenswelt beginnen. Wahrend die Kritik an den positiven Einzelwissenschaften bedeutet, daB sogenannte »regionale« Ontologien zum Ausgang genommen werden -also Ontologien, die sich auf einen bestimmten Bereich des Seienden bzw. auf ein bestimmtes Gebiet der Lebenswelt beziehen -, muB die Ontologie der Lebenswelt sich aufdas Ganze der Welt beziehen und dieses in seinen Strukturen untersuchen. Husser! sagt, daB die Aufgabe einer Ontologie der Lebenswelt dar in bestehe , eine »konkret allgemeine Wesenslehre« alles Seienden der Lebenswelt zu leisten (Hua VI, 145). Geht man hingegen von einer Einzelwissenschaft aus, so kann diese nur als Leitfaden fungieren; tiber die Kritik an einer Einzelwissenschaft konnen Einsichten in die Notwendigkeit der Phanomenologie gewonnen werden, so daB dadurch die universale Epoche als radikaler Einstellungswechsel motiviert wird. Hier zeigt sich jedoch gleich eine weitere Schwierigkeit des Weges tiber die Psychologie: Wenn man die Einsichten des ontologischen Weges ernst nimmt, ist deutlich, daB die Psychologie als positive Einzelwissenschaft nicht geradlinig in die transzendentale Phanornenologie einmunden kann, auch nicht tiber einen » Vorzeichenwechsel «,25 wie Husser! es beabsichtigt. Die Psychologie muB in ihrem Wesen als positive Wissenschaft aufgeklart werden, und zwar in Form einer radikalen Kritik; geschieht dies aber, und fungiert die Psychologie >bloB
Vgl. Kern (1964), S. 217; Kern erortert hier auch, inwiefern Hu sser! beispielsweise im Encyclopaedia Britannica-Artikel reine Psychologie und transzendentale Phanomenologie nicht gleichgesetzt hat , dennoch aber die Probleme des Weges in die transzendentale Phanomenologie tiber die Psychologie nicht loste. 24 Vgl. Hu a XVII: Formale und transzendentaleLogik. 25 Vgl. Held (1990) , S. 48. 23
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Wissens aus dem letzten Grund verschaffen konnte« (Hua VI, 121). Weil sie diesen Grund ubersehen, verbleiben die Wissenschaften, so Husserl, »in der >Flache- « und ubersehen die» Tiefendimension« (121 f.). Anhand des Bildes von der Flache und der aufzudeckenden Tiefendimension laBt sich ein wesentlicher Vorteil des ontologischen Weges gegenuber der cartesianischen Vorgehensweise erkennen: Der ontologische Weg geht aus von der Fulle der Welt, von der Fulle des objektiv Gegebenen, und stoBt auf die Subjektivitat als immer zugrundeliegende, aber ubersehene Dimension. Das BewuBtsein tritt also hier nicht als »Residuum« auf den Plan, das ubrig bleibt, wenn man alles Bezweifelbare wegdenkt, sondern als dasjenige, was sich zeigt, wenn man das Gegebene grundlich befragt, also sozusagen immer tiefer in das Gegebene hineingeht. Husserl bezeichnet diese Vorgehensweise selbst als Umkehrung des cartesianischen Ansatzes, da nun die Lebenswelt das Erste ist und den Ausgangspunkt, den Leitfaden der Analyse bildet (vgl. Hua VI, 175). Aus dieser umgekehrten Vorgehensweise ergibt sich ein weiterer Vorteil des ontologischen Weges, namlich in bezug auf die Problematik der Intersubjektivitat: Die Objektivitat der Welt wird nicht ausgeschaltet (urn dann auf einem sicheren Fundament neu errichtet zu werden), sondern befragt. Husserl bringt dies kurz und deutlich zum Ausdruck, indem er sagt: »Es gilt nicht, Objektivitat zu sichern, sondern sie zu verstehen« (Hua VI, 193). Das heifst aber, daB auch Intersubjektivitat immer schon im Spiel ist und bleibt; denn Objektivitat setzt voraus, daB ich mich intersubjektiv mit den Anderen tiber das Gegebene verstandigen kann. Auch der ontologische Weg enthalt als wesentliches Moment die universale Epoche. Doch zum einen ist die Epoche nun besser vorbereitet und motiviert, zum anderen stellt sich ihr Sinn deutlicher dar: Es geht urn eine »totale Anderung der naturlichen Einstellung« (Hua VI, 151), im Gefolge derer wir die Welt auf ihre Tiefendimension hin befragen. Das Gegebene wird betrachtet im Hinblick auf seine Gegebenheitsweisen; es wird betrachtet als Korrelat der konstituierenden Subjektivitat. Da wir, wie die Kritik ergeben hat, tief in der Denkweise der positiven Wissenschaften verwurzelt sind, ist es aufserst schwierig, die neue Einstellung einzunehmen und durchzuhalten. Die phanomenologische Einstellung ist daher eine Einstellung der standigen Spannung, die sich selbst, die naturliche Einstellung und das Verhaltnis beider befragen mufs, Eskann nicht darum gehen, die naturliche Einstellung abzuschaffen, sondern diese zu befragen und ihre Tiefendimension aufzudecken, urn so zur transzendentalen Subjektivitat vorzudringen. Die Gefahr besteht darin, in die Einstellung der positiven Wissenschaften zuruckzufallen und die transzendentale Subjektivitat aufdiese Weiseerklaren zu wollen. Davor muf die Phanornenologie sich huten - und eben in dieser Enthaltung besteht die universale Epoche.> 26 Vgl.Kern (1964), S. 220. KernfaBt den ontologischenWegin Abhebungvon den anderen Wegen
pragnant zusammen: » Die Epoche hinsichtlichder positivenGehung erfolgt also nicht deshalb,
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Der geschichtliche oder, genauer, ideengeschichtliche Weg, der nun zum Thema werden soIl, steht mit dem ontologischen Weg in enger Verbindung, ist jedoch, wie ersichtlich werden wird, nicht mit ihm identisch. III. Husserl schreibt 1937 in einem Manuskript, das der Kritik der Ideen I dienen solI, zum Thema einer philosophischen Beschreibung der Lebenswelt: Wir werden sehen, daB diese Lebenswelt (allzeitlichgenommen) nichts anderes ist alsdie historischeWelt.Esistvon da aus fuhlbar, daBeine vollstandigesystematische Einleitung, die in die Phanomenologie [einfuhrt], als ein universales historisches Problem anfangt und durchzufiihren ist. Wenn man die Epoche einfuhrt ohne die geschichtliche Thematik, so kommt das Problem der Lebenswelt bzw. der universalen Geschichtehinten nacho Die Einleitung der Ideen behalt zwar ihr Recht, aber ich halte den geschichtlichen Weg jetzt fur prinzipieller und systematischer. (Hua XXIX, 426)
Es gibt zugegebenermaBen nur wenige Stellen, an denen Husserl einen geschichtlichen bzw. ideengeschichtlichen Weg ausdrucklich erwahnt, aber an dieser Stelle spricht er sich jedenfalls sehr deutlich fur jenen Weg aus. Was ist unter dem gesehiehtlichen Weg zu verstehen? Wie im FaIle des ontologischen Weges, so gibt es auch bezuglich des geschichtlichen Weges verschiedene Spielarten, wobei bestimmte Momente in allen Spielarten vorkommen-was es rechtfertigt, von einem geschichtliehen Weg zu sprechen. Es lassen sich im wesentliehen drei Ausformungen des geschichtlichen Weges unterscheiden: a. Geschichtliche Besinnungen, wie Husserl sie in den Vorlesungen Erste Philosophie und in der Krisis vornimmt, gehoren in jedem Fall zum gesehichtlichen Weg. Mehr noeh: In jenen beiden Werken erachtet Husserl offenbar geschichtliehe Besinnungen als notwendig fur eine Einfuhrung in die transzendentale Phanomenologie; allerdings erganzt er sie in beiden Werken durch einen systematischen Teil, in dem sich der Weg tiber die Psychologie (Erste Philosophie) oder wahlweise der Weg tiber die Psychologie und der ontologische Weg (Krisis) an die geschichtlichen Betrachtungen anschlieBen. David Carr zeigt, daB Husserl zufolge die geschichtlichen Besinnungen jedem der beiden systematischen Wege in der Krisis entweder vorangehen oder den Weg begleiten mussen; fur Carr stellt der geschichtliche Weg jedoch keine eigenstandige Alternative wei! dieser Geltung die Apodiktizitat mangelt (vgl. den Cartesianischen Weg), auch nicht deshalb, wei! ich mich nur fur das Subjektive interessiere und mich am Sein der Welt desinteressiere (vgl. den Weg tiber die Psychologi e), sondern wei! ich sehe , dass es ein Widersinn ist, das transzendentale Leben durch positive Setzungen zu -erklaren - « (ebd.).
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dar," In diesem Kapitel soll dennoch die Moglichkeit eines geschichtlichen Weges aufgezeigt werden, als eines moglichen Weges (in verschiedenen Spielarten) unter anderen. Husserl selbst scheint immer an der Existenz verschiedener moglicher Wege festgehalten zu haben, und selbst der cartesianische Weg ist fur ihn noch moglich, muf dann aber nachtraglich in eine geschichtliche Betrachtung einmiinden (vgl. obiges Zitat) . Insofern scheint es eher mit Husserls Philosophie konform, die Moglichkeit eines geschichtliehen Weges zu erproben, als die Notwendigkeit geschichtlieher Besinnungen vor einem systematischen Teil aufzuzeigen. Geschiehtliche Besinnungen konnen in den Weg uber die Psychologie einmiinden oder in einen ontologischen Weg, oder sie konnen durch geschiehtliehe Besinnungen fortgefuhrt werden, die dann konsequenterweise auch in die transzendentale Phanomenologie fuhren wurden. b. Die Geschichtswissenschaften konnen als Leitfaden dienen, urn in die transzendentale Phanomenologie einzufuhren, Eine Kritik an den Geschiehtswissenschaften wiirde zur Einsieht in die Notwendigkeit einer phanomenologischen Betrachtung der Geschiehte fuhren, da sich bei genauerer Betrachtung zeigt, daB die geschichtlichen Ereignisse eine aufsere Betrachtung zwar zulassen, sie ihnen aber nieht gerecht wird. Urn Geschiehte wirklieh zu verstehen, muf auf die leistende Subjektivitat zuriickgegangen werden, die der Geschichte ihren inneren Zusammenhang gibt (vgl. Hua VIII, 238ff.). In gewisser Weise ware dies eine Form des ontologischen Weges, namlich der Kritik einer positiven Wissenschaft; da es sieh aber urn eine sehr spezifische Wissenschaft handelt, die es nicht mit einer bestimmten Region der Lebenswelt zu tun hat , und da eine solche Kritik begleitet wiirde von geschiehtlichen Besinnungen," sollhier argumentiert werden, daB es sieh nieht einfach urn eine Spielart des ontologischen Weges handelt-zumal Ontologie ja an keiner Stelle eine Rolle spielt. c. Die Aufgabe einer Ontologie der Lebenswelt kann durchgefuhrt werden als Ontologie der geschichtlichen Lebenswelt; denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dafs » die Lebenswelt niehts anderes ist als die historische Welt« (Hua XXIX, 426) .
Carr (1974), S. 66 . Obwohl dam it gesagt wird, daB es keinen eigenstandigen geschichtlichen Weg gibt, handelt es sich urn eine sehr starke und, je nach Perspektive, sogar starkere Aussage: Carr zufolge ist zwar der geschichtlich e Weg keine unabhangige Alternative zu den anderen Wegen; gleichwohl sind die geschichtlichen Besinnungen notwendiger Bestandteil der anderen Wege. Es wurde sich dann nicht urn einen eigenstandigen, moglichen Weg, sondern urn einen unselbstandigen, aber notwendigen Bestandteil handeln. 28 Wie es zum Beispiel in den Vor!esungen Erste Phi/osophie geschieht, in deren Zusammenhang die Abhandlung »Das Unzureichende der positiven Wissenschaften und (die) Erste Philosophie « (Hua VIII, 229 ff.) gehort, in der Husser! die Geschichtswissenschaften kritisch untersucht. 27
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Diese drei Formen des geschichtlichen Weges konnen ineinandergreifen oder einzeln durchgefuhrt werden. Welches sind nun die oben angekiindigten Wesenszuge, die den verschiedenen Formen gemeinsam sind? Gemeinsam ist jeweils, daB ausgegangen wird von der gegenwartigen geschichtlichen Situation, in der wir die Erfahrung einer Krise machen. Hier zeigt sich gleich ein wesentlicher Vorteil des geschichtlichen Weges: Er antwortet namlich auf die Frage nach unserem Beweggrund zum Philosophieren, daB die Krisenerfahrung uns dazu bringen kann, geschichtliche Reflexionen vorzunehmen. Diese Besinnungen fuhren uns auf den Urstiftungssinn der Philosophie bei den Griechen, universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung zu sein. Diesem Urstiftungssinn, so zeigen die geschichtlichen Betrachtungen weiter, ist die Philosophie nie wirklich gerecht geworden; laut Husserl ist die transzendentale Phanomenologie in der Lage, diesen Urstiftungssinn endlich zu erfullen. Diese Bewegung sol1 nun etwas ausfiihrlicher dargeste11t werden, damit Husserls Behauptungen nicht vollig leer bleiben. Naturgemaf kann die Frage nach unserer Geschichte sich nur aus der Frage ergeben: Wo stehen wir heute? Diese Frage beantwortet Husserl dahingehend, daB unsere gegenwartige Erfahrung die einer Krise, namlich einer Krise der Wissenschaften sei. Diese Krise erfahren wir darin, daB die Wissenschaft auf un sere wesentlichen, uns in un serer Existenz betreffenden und bewegenden Fragen keine Antworten gibt, sondern sich von diesen Fragen ganz bewuBt abkehrt, da sie nach ganzlicher Objektivitat strebt und alle das Subjekt betreffenden Fragen ausklammert. Diese Krise ist jedoch nicht bloB eine Krise der Wissenschaften, da wir in einer Zeit leben, in der die Wissenschaften unser Dasein im ganzen bestimmen. Die Wissenschaften sagen uns, wer wir sind, und, so sagt Husserllapidar, »blofse Tatsachenwissenschaften machen bloBe Tatsachenmenschen« (Hua VI, 4). In der Philosophie macht sich diese Krise bemerkbar in der Zersplitterung der gegenwartigen Philosophie sowie in ihrer »ratlosen Betriebsamkeit « (Hua I, 46) . Urn die Ursachen dieser Krise aufzufinden, miissen wir uns auf unsere Geschichte besinnen; wir miissen uns besinnen auf die Entstehung von Philosophie und Wissenschaft und auf den Sinn, den sie bei ihrer Entstehung, ihrer Urstiftung hatten. Der Urstiftungssinn von Philosophie und Wissenschaft, die bei den Griechen in einer Einheit auftraten, bestand darin, universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung zu sein. Husserls These ist, daB der Urstiftungssinn in der bisherigen Philosophie durch gewisse Einseitigkeiten fehlgeleitet und verdeckt wurde. Die geschichtliche Besinnung soll daher den urspriinglichen Sinn aufweisen und die Griinde dafur suchen, daB ihm nicht geniigt wurde. Den Hauptgrund fur die gegenwartige Krise, also fur das Scheitern der neu zeitlichen Wissenschaften, sieht Husserl in ihrem Objektivismus: Sie vergessen, daB Wissenschaft immer eine Leistung der Subjektivitat ist. In ihrer »Lebensweltvergessenheit « iibersehen die Wissenschaften, daB die alltagliche, subjekt-relative Lebenswelt immer ihr Sinnesfundament bildet und daB die Ergebnisse der Wissen-
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schaften in die Lebenswelt einfliefsen , »einstromen «. Notig ist daher eine Besinnung auf die leistende Subjektivitat und darauf, wie aus der Subjektivitat die Wissenschaft entspringt, wie sie konstituiert wird (vgl. Hua VIII, 356); dies ist genau die Fragestellung der transzendentalen Phanomenologie. Eine »historische Ruckbesinnung der in Rede stehenden Art « ist »eine tiefste Selbstbesinnung« auf das, was ich bin; denn ich bin ein »historisches Wesen« (Hua VI, 73). So mundet die Besinnung in jedem Fall in eine geschichtliche Besinnung ein, unabhangig von der eingeschlagenen Fragerichtung: Ich kann von der Geschichte im eigentlichen Sinne ausgehen, von der gemeinschaftlichen Geschichte, und dann fuhrt mich die Krisenerfahrung auf den Weg der geschichtlichen Besinnung, wobei ich schliefslich die Vergessenheit der subjekt-relativen Lebenswelt diagnostiziere und auf die Befragung der transzendentalen Subjektivitat als Intersubjektivitat zuruckgefuhrt werde. Doch auch wenn ich mich zunachst fur die gemeinschaftliche Geschichte nicht interessiere und >blofs . wissen will, wer ich bin, muf ich einsehen, daB ich ein geschichtliches Wesen bin und mich nur verstehen kann, indem ich auf die Geschichte zuruckfrage, die sich tiber meine individuelle Lebensgeschichte hinaus erstreckt. In diesem Zirkel von geschichtlicher Besinnung und Selbstbesinnung bewegen wir uns, und in ihm erkennen wir uns als letztverantwortliche geschichtliche Wesen . Wie jedoch sieht die geschichtliche Besinnung aus? Dies zeigt sich konkret in den Anal ysen der Vorlesung Erste Philosophie und in der Krisisi" gleichzeitig lassen sich anhand eines Manuskriptes aus dem Jahre 1921 (Hua VIII, 238ff.) allgemeinere Zuge einer phanornenologischen geschichtlichen Besinnung erkennen. In diesem Manuskript hebt Husserl eine geschichtliche Besinnung in seinem Sinn von einer geschichtswissenschaftlichen Besinnung im traditionellen Sinne abo Der entscheidende Unterschied wird am pragnantesten dadurch benannt, daf Husserl seine Uberlegungen als »ideengeschichtlich « bezeichnet; das Stichwort » Idee « steht dabei im Kontrast zur (aufserlichen) »Tatsache «. Die objektiven Wissenschaften betrachten die Welt als eine »wenn auch geregelte, so doch sinnlose Tatsache « (Hua VIII, 230). Die geschichtlichen Ereignisse lassen, so Husserl, in ihrer Abfolge zwar auch eine auBere Betrachtung zu, doch worauf es ankommt, ist eine Betrachtung des inneren Zusammenhangs, der inneren Einheit. Es kommt darauf an , den Sinn zu verstehen, der in dem Werden liegt (vgl. Hua VIII, 238 f.). Wenngleich es das Entscheidende an der Geschichte ist, daB sie nicht in unserer Macht steht, heiBt dies nicht, daf es sich urn eine blinde Abfolge von Ereignissen handeln wurde. In der Geschichte zeigen sich wirksame Ziele und Absichten, die erfullt wurden oder auch nicht; die Geschichte ist getragen von solchen inneren Zusammenhangen. Ahnlich spricht Husserl sich in der Krisis aus: Wenn die Geschichte zum Thema der Philosophie wird, dann geht es »um den .Sinn-, urn die Vernunft in der 29 Vgl.als Beispiel die Ausfiihrungen zum Galilei-Paragraphen und zur Idealisierung in Kapitel ab)
dieser Arbeit.
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Geschichte «, und uberstiegen wird »die Welt als Universum der bloBen Tatsachen « (Hua VI, 7). Bei den Betrachtungen der Krisis handelt es sich daher nicht urn historische Betrachtungen im herkommlichen und gewohnlichen Sinne, sondern darum, die » Teleologie e" im geschichtlichen Werden verstandlich zu machen (Hua VI, 71). Eine ideengeschichtliche Einleitung vollzieht sich im Hinblick auf die in der Geschichte wirksamen Absichten und leitenden Ziele, die der Geschichte innere Einheit und Zusammenhang verleihen. Diese Ziele konnen abgewandelt werden, und es konnen neue Ziele autkommen; Husserl unterscheidet beispielsweise hinsichtlich des von ihm befragten Urstiftungssinnes der Philosophie zwischen absoluter Urstiftung bei den Griechen und relativer Urstiftung bei Descartes (Hua XXIX, Nr.33)·
AbschlieBend sollen einige Vorteile des geschichtlichen Weges angesprochen werden: Der geschichtliche Weg ist ein Weg im ausgezeichneten Sinne; er hat eine Erstreckung, und wir werden mitgenommen auf den Weg, indem wir die geschichtlichen Besinnungen mitvollziehen. Es ist daher kein plotzlicher, unmotivierter Einstellungswechsel notig, Im Falle des cartesianischen Weges bleibt die Frage der Motivation vollig offen; es wird vorausgesetzt, daB wir das Ziel einer absoluten Wissenschaft haben, aber wieso sollte dies fur das naturliche BewuBtsein gelten? Im Falle des geschichtlichen Weges hingegen wird ausgegangen von unserer gegenwartigen geschichtlichen Krisensituation, und wir fragen zuruck, urn diese besser zu verstehen: Wie sind wir dahin gekommen, wo wir heute sind? Wie der ontologische Weg gegenuber dem cartesianischen Weg den wesentlichen Vorteil hat, daB er von der Pulle der Welt ausgeht und nicht von einem BewuBtsein, das zunachst den Anschein der Leere erweckt, so geht auch der geschichtliche Weg von einer Fulle aus. Diese Fulle ist die unserer geschichtlichen Situation, in der wir uns als Erben der Vergangenheit finden. Der Begriff des Erbes ist ein wichtiger Begriff in der Krisis; schon im ersten Teil spricht Husserl davon, daB wir als Philosophen »Erben der Vergangenheit « sind (Hua VI, 16), und spater spricht er vom »geistigen Erbe «, aus dem sich un sere Aufgaben und Fragestellungen ergeben (72). Die Philosophen, die laut Husserl »Funktionare der Menschheit « sind, indem sie durch radikales Infragestellen Verantwortung fur ihr eigenes Sein und fur das der Menschheit ubernehmen, konnen diesem Anspruch nur gerecht werden, wenn sie sich konsequent als Erben der Vergangenheit verstehen und dieses Erbe befragen." Wenn wir das Erbe der Philo sophie befragen, zeigt sich, worauf die Philosophie hinauswollte und inwiefern sie diesem Sinn nie wirklich gerecht wurde. Das Ziel der Universalitat weist dann beispielsweise auf die Aufgabe einer Ontologie
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Zum Teleologiebegriffbei Husser! vgl. Kapitel iob) , Eine andere, interessante Frage ware die nach dem Verhaltnis des Erbes bei Husser! zum Begriff des Erbes bei Heidegger, der in den Paragraphen tiber die Geschichtlichkeit in Sein und Zeit aufkommt. Heidegger stellt dort implizit die These auf, daB »alles -Gute- Erbschaft ist « (SuZ, 383).
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der Lebenswelt. Die Probleme, die sich aus der immer wieder gestellten und nie wirklich zufriedenstellend geklarten Frage nach dem Ansichsein der Welt ergeben, motivieren eine Epoche im Sinne der Skepsis, die nun endlich als konsequente Urteilsenthaltung durchzufiihren ware. Die Paradoxien, die aus der Verwechslung von empirischem und transzendentalem Ich entstehen, verlangen nach einer Klarung dieses Unterschiedes durch eine transzendentale Phanomenologie-iund so weiter. Eine transzendentale Phanomenologie, die unsere Geschichtlichkeit ernst nimmt, muB freilich ihren Wissenschaftscharakter neu bedenken. Zum einen andert sich der Status der Subjektivitat, auf die sie zuruckfragt, Wir selbst, die Philosophierenden, sind geschichtlich situiert (vgl. Hua VI, 196); wir konnen uns nicht uber die Welt erheben und einen absolut festen Standpunkt einnehmen. Insofern ist Husserls Rede davon, daB ich nach Durchfiihrung der Epoche iiber der Welt stunde," mifsverstandlich, da sie impliziert, daB ich einen Standpunkt auBerhalb der geschichtlich werdenden Welt einnehmen konnte. Zum anderen andert sich der Charakter des Wissens: »Eine Geschichte, die uberzeitlich-endgultig feststellen konnte, .wie es wirklich gewesen<, ist aus prinzipiellen Grunden eine Unmoglichkeit« (Hua XXIX, 233). Da die geschichtliche Welt aber keinen Verweis enthalt auf eine jenseits ihrer liegende Welt endgultiger Wahrheiten, laBt sich die geschichtliche Welt mit gutem Recht als ein »wahres reines Phanomen « im phanomenologischen Sinne bezeichnen." Wenn Husserl in einer Beilage zur Krisis von der »Dichtung der Philosophiegeschichte« spricht, die sich wieder und wieder wandelt, dann sind dabei zwei Punkte zu beachten: Erstens geht es Husserl in dieser »Dichtung« immer darum, » . die- Philosophie als einheitliches Telos« zu verstehen (Hua VI, 513); es wird also keineswegs Beliebigkeit proklamiert, sondern es wird anerkannt, daB sich das Telos der Philosophie wandelt und daher auch unterschiedlich darstellt. Zweitens gesteht Husserl zu, daB wir auf die »Dichtungen« angewiesen sind, urn die Vergangenheit zu verstehen. Es gibt kein ,wie es wirklich gewesen
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Indem wir die» Dichtungen« verschiedenster Art horen und lesen, gewinnen wir einen Zugang zu Anderen, die nicht unsere Zeitgenossen sind. Zu der Zeit, als das Konzept der Einfuhlung den Kern von Husserls Intersubjektivitatstheorie ausmachte, war Intersubjektivitat im Prinzip auf meine Zeitgenossen beschrankt, Mit Husserls Zuwendung zur Geschichte gewinnt die Sprache in seiner Philosophie zunehmend an Gewicht. Intersubjektivitat wird nun beschrieben als sich »durch die offene Kette der Generationen hindurch « erstreckend (Hua XV, 219),und dies ist nur moglich aufgrund der Tatsache, daf;» sprachliche Mitteilung (.. .) am Bau des Erfahrungssinnes der Welt « immer beteiligt ist (220). Wir brauchen sprachliche Aussagen, genauer gesagt, wissenschaftliche Aussagen, urn zu verstehen, worauf Wissenschaft »hinauswill « (221)-um also den Urstiftungssinn von Philosophie und Wissenschaft zu verstehen.
Husserl sagt, daB die griechische Urstiftung »der teleologische Anfang, die wahre Geburt des europaischen Geistes uberhaupt« ist (Hua VI, 72). An dieser Stelle wird die Nahe zwischen Hegels und Husserls Philosophie offenkundig, und zwar nicht nur, indem Husserl yom europaischen Geist spricht, sondern auch insofern, als er den Anfang der Geschichte von Philosophie und Wissenschaft als eine »Geburt« bezeichnet. Fur Husserl wie fur Hegel gibt es, wie im Laufe dieses Kapitels mehrfach deutlich geworden ist, Parallelen zwischen der »Geschichte« eines Individuums bzw. der »Geschichte« eines individuellen BewuBtseins und der Geschichte im eigentlichen Sinne, die gemeinschaftliche, sich tiber Generationen erstreckende Geschichte ist. Die genetische Phanomenologie, wie Husserl sie in Abhebung von der statischen entwickelt, konzentriert sich auf die Geschichte des BewuBtseins, also gewissermaBen auf die Geschichte des Individuums. Die intersubjektive Dimension kommt hier ins Spiel in Form der Monadengemeinschaft, die aber beschrankt bleibt auf eine Gemeinschaft von Zeitgenossen - wie auch Herr und Knecht bei Hegel zunachst und unmittelbar notwendig Zeitgenossen sind. Die Geschichte des Individuums ist weniger komplex als die Geschichte im eigentlichen Sinne; sie kann als Hilfe herangezogen werden, da sie trotz grofserer Simplizitat mit der generativen Geschichte im engen Zusammenhang steht. Wenn wir verstehen wollen , wer wir sind, mussen wir uns in unserer Geschichtlichkeit verstehen. Selbst der ursprungliche griechische Aufruf am delphischen Orakel,
diese beiden Zeiterfahrungen nicht streng getrennt sein mussen , sondern moglicherweise ineinandergreifen, konnte diese Unterscheidung helfen zu verstehen, inwiefern auch eine teleologische Sicht der Geschichte nicht streng linear sein muB : Laut Husser! offenbart sich die Urstiftung erst in der Endstiftung (vgl. Hua VI , 74), wahrend Hegel zur Darstellung seiner teleologischen Geschichtsauffassung imm er wieder das Bild des Kreises verwendet.
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»Erkenne dich selbst! «, fuhrt letztlich auf die Einsicht, daB wir unsere gemein-
schaftliche Geschichte verstehen mussen. Dies gilt freilich nur, wenn Geschichte teleologisch verstanden wird , und nicht als bloB zufallige Abfolge-eine Uberzeugung, die Hegel und Husserl teilen, wie wir sehen werden." Fur Husserl gibt es mehrere Wege in die Philosophie. Dies ist fur Hegel in der Phiinomenologie ausgeschlossen, da der Ausgangspunkt feststeht (narnlich das naturliche BewuBtsein) und die Bewegung sich von hier aus gernaf dem Prinzip der bestimmten Negation fortsetzt, welches Notwendigkeit und Vollstandigkeit der Schritte garantiert . Husserl hingegen sieht eine gewisse Flexibilitat des Ausgangspunktes ebenso wie des Fortgangs: Zwar geht auch er vom naturlichen BewuBtsein aus; doch das BewuBtsein ist die Kehrseite der Welt, und als naturliches BewuBtsein ist es in die Welt » verschossen «, Insofern kann auch die Welt- insbesondere als geschichtliche Welt-zum Ausgangspunkt werden, und wir konnen unser Verhaltnis zu dieser Welt philosophisch aufklaren, Wird der Ausgang von der Welt genommen, so zeigt sich die konstituierende und fungierende Subjektivitat als » Tiefendimension« der Welt. Diese Wendung erinnert an Hegels Mahnung, den Geist nie nur als Substanz, sondern immer auch als Subjekt aufzufassen. Wenngleich Hegels Philosophie, wie oben erwahnt, eines zufriedenstellenden Weltbegriffs ermangelt, so ist die hier angesprochene Blickwendung zur bewegten und bewegenden Subjektivitat doch verwandt. Eine geschichtliche Einfuhrung ubergeht nicht die Frage danach, warum wir uns uberhaupt aufdie Philosophie einlassen sollen und was wir damit gewinnen. 1m nachsten Kapitel wird es unter der Uberschrift der Motivationsfrage sowohl genauer um den griechischen Anfang gehen als auch um die Geschichte im eigentlichen Sinne, die wir laut Husserl konkret erfahren im Verhaltnis von Heimwelt und Fremdwelt. Fur Hegel ist die Motivationsfrage nicht so entscheidend wie fur Husserl; doch auch er setzt sich mit der Problematik auseinander, warum der Anfang des Weges so schwierig ist und warum gerade im antiken Griechenland ein Anfang gemacht wurde.
35 Vgl. Kapitel io.
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Die Motivationsfrage DaB das naturliche BewuBtsein sich der Wissenschaft unmittelbar anvertraut, ist einVersuch, denes, esweiB nicht vonwas angezogen, macht, auch einmal aufdem Kopf zugehen. Hegel, PhG, 30. Hegels und Husserls Oberlegungen hinsichtlich der Beweggrunde, die uns zum Philosophieren bringen konnen, unterscheiden sich insofern grundlegend, als Husserl den Obergang in die Philosophie zunachst als Willensakt beschreibt, zu dem sich das ursprunglich selbstgenugsame naturliche Bewufstsein uberwinden mufs, wahrend Hegel zufolge dem naturlichen Bewufstsein eine Widerspruchlichkeit einwohnt, die es sozusagen von selbst voran- und in die Philosophie hineintreibt. Doch auch Hegel beschreibt das Phanomen, daf dem naturlichen Bewufstsein die Philosophie zunachst als etwas Ungewohntesund das philosophische Denken sogar alsschmerzhaft erscheint;deshalb bedarf es eines Anstofses von aufsen. Sowohl Hegel als auch Husserl befragen den geschichtlichen Anfang der Philosophie im antiken Griechenland, und die Erkenntnisse, die sie tiber mogliche Motivationsgrunde zum Philosophieren gewinnen,werfenauch ein Lichtauf einen moglichen Anfang fur uns. Beide sehen es als entscheidend an, daB das naturliche Bewufstsein sich vom Einzelseienden abwendet, dem sein alltagliches Interesse gilt, und sich dem Ganzen offnet, Laut Husserl kann die Begegnung mit fremden Menschen und Volkern unser selbstverstandliches Leben in Fragestellen und uns so zum Staunen und zum Philosophieren bringen. Fur Hegel spielt Freiheit eine maBgebliche Rolle, Freiheit des Denkens ebenso wie politische Freiheit;doch gerade eine Situation, in der aufsere Bedingungendie Freiheit nicht zur voUen Verwirklichung kommen lassen, kann dazu fuhren, daB das Bewufstsein das » Reich des Gedankens« entdeckt.
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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a. DasStaunen angesichts des Fremden alsMotivation bei Husserl Was ist der Anfang der Philosophie? Wie kommen wir in die Philosophie hinein? Husserl antwortet auf diese Frage in der phanomenologischen Fundamentalbetraehtung der Ideen I, daf der Obergang in die philosophisehe Einstellung eine Saehe unserer vollkommenen Freiheit, ein Akt un serer Willkur sei (vgl. Hua III , 64f.). An der Auffassung von der Epoche als Willensakt halt Husserl prinzipiell fest; doeh in seiner spateren Philosophie setzt er sieh mit der Frage auseinander, ob dieser Willensakt in irgendeiner Weise motiviert werden konnte. Die gegenwartige Krisenerfahrung beispielsweise kann uns zu gesehichtliehen Besinnungen anregen, und diese fuhren auf das Staunen als Anfang der Philosophie. Die Problematik der Motivation ist jedoeh insofern verwickelt, als es zum Wesen der Epoche gehort, daB sie kein Motiv im Sinne einer zwingenden Ursaehe haben kann, sondern hochstens ein Motiv im Sinne eines Impulses, auf den sie antwortet. Das naturliche BewuBtsein ist in sieh selbst vollkommen dergestalt, daf es in ihm selbst keinen Anlaf gibt, uber sieh hinauszugehen; es muf in irgendeiner Weise etwas von auBen hinzukommen. Darauf weist Eugen Fink ausdrucklich hin : » [Z]um Wesen der naturlichen Einstellung gehort die Verschlossenheit gegen die Dimension des >Transzendentalen <, das Verfangensein in der Welt « .1 Ware die Epoche aber ein blofser,vollig unmotivierter Willensakt, dann eignete ihr eine gewisse Willkurlichkeit. Anders verhalt es sieh, wenn gezeigt werden kann , daB die Philosophie auf eine bestimmte lebensweltliehe Erfahrung antwortet, namlich auf die Erfahrung einer Stimmung, eines Pathos, das uns uberkommt und keine Saehe unseres Willens ist. Im folgenden wird zuerst die These besproehen, daf das Staunen, welches von der Begegnung mit dem Fremden ausgelost wird, am Anfang der Philosophie stehen konnte, Einige Wesenszuge des Verhaltnisses von Heimwelt und Fremdwelt werden erlautert: diese Thematik ist insofern von weitreichender Bedeutung, als sie einen neuen Zugang zur Intersubjektivitatsproblematik eroffnet. AnsehlieBend kommen mogliche Einwande gegen obige These in den Blick,beispielsweise Eugen Finks Kritik, daB Philosophie aus einer Erschutterung innerhalb der Heimwelt hervorgehen konne und musse . Dieser Einwand kann aus husserlseher Sieht entkraftet werden. Im letzten Absehnitt geht es dann urn den Zusammenhang von Krisenerfahrung und Staunen sowie von Urstiftung und Endstiftung.
Fink (1966), s. m . Vgl. auch ebd., S. 110 : " Die Unmotiviertheit der phanomenologischen Reduktion (d.i, kein weltliches Problem als wirkliche s Mot iv zu haben) ist ebenfalls Ausdruck der eigenttimlichen -Unbekanntheit - der Reduktion «.
DIE MOTIVATIONSFRAGE
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1. In seinen geschichtlichen Besinnungen fragt Husserl zuruck nach der Urstiftung von Philosophie und Wissenschaft bei den Griechen. Im Wiener Vortrag greift er die Antwort von Platon und Aristoteles auf, die das Staunen, thaumazein, als Ursprung der Philosophie ansahen (vgl. Hua VI, 331). Die besondere Auszeichnung des Staunens besteht fur Husserl darin, daB es eine ganzlich praxisunbezogene, »theoretische Einstellung « ist (ebd.). Freilich stellt sich die Frage, ob das Staunen zu Recht als »Einstellung« gekenn zeichnet wird, scheint Husserl doch unter Einstellungen im allgemeinen solches zu verstehen, das wir freiwillig einnehmen. Das Staunen hingegen ist ein Pathos, steht nicht in unserer Freiheit. Husserl nimmt darauf insofern Rucksicht, als er von der »Leidenschaft einer Weltbetrachtung und Welterkenntnis « spricht (ebd .); dennoch wird an seiner Besprechung des Staunens als einer Einstellung deutlich, daf Husserl nicht gerade ein )Phanomenologe der Stimmungen < ist.' Umso bemerkenswerter ist es, daB Husserl einer Stimmung diese entscheidende Rolle einraumt, uns zum Philosophieren zu bewegen und so gewissermaBen die Philosophie zu ermoglichen, Warum aber kommt es gerade im Griechenland des siebten und sechsten vorchristlichen Jahrhunderts zur Urstiftung der Philosophie? Worin unterscheidet sich die Situation der antiken Griechen von derjenigen anderer Volker und Zeiten? Husserl fragt nach der faktischen Motivation des Anfangs der Philosophie, und alles geschichtlich Gewordene hat seine Motivation »im konkreten Zusammenhang geschichtlichen Geschehens « (ebd .). Deshalb wird Husserl in diesem Zusammenhang eigenartig konkret und stellt Uberlegungen tiber die Griechen als Handelsnation an. Worauf es bei diesen Uberlegungen aber eigentlich ankommt, ist die These, daB die Begegnung mit dem Fremden, mit fremden Volkern , die Entstehung der Philosophie wenn nicht hervorgerufen, so doch begunstigt hat . In der Begegnung mit fremden Nationen trat namlich, so Husserl, ein wesentlicher Unterschied in Erscheinung: der Unterschied zwischen heimischen und fremden Auffassungen, Bedeutungen, Mythologien in ihrer Relativitat und einem bestehenden Kern der Identitat, auf den sich diese Auffassungen beziehen und der in ihnen irrelativ derselbe bleibt . »Es ist doch dieselbe Sonne, derselbe Mond, dieselbe Erde, dasselbe Meer usw., das so verschieden mythologisiert wird in den verschiedenen Volkern gemaB je ihrer Traditionalitat « (Hua XXIX , 387)-aus dieser Erfahrung entspringt die Philosophie und begibt sich auf die Suche nach dem Seienden als solchem, nach der bestandigen Wahrheit, nach dem identisch an sich Seienden im Unterschied zu seinen mannigfaltigen subjektiven Auffassungsweisen. In diesem Ziel klingt bereits die Gefahr an, der die neuzeitlichen Wissenschaften erlagen, namlich die Gefahr der einseitigen Verabsolutierung der Objektivitat und der Ver-
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Eine Phiinomenologie der Stimmungen wird insbesondere von Heidegger nachgeholt.
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nachlassigung der immer zugrundeliegenden Subjektivitat. Und in der Tat muB die Tendenz zum Objektivismus in der Urstiftung der Wissenschaften bereits angelegt sein, wenn Husserls These zutrifft, daB die Wissenschaften aus einem einheitlichen Sinn heraus gegriindet wurden und ein einheitliches Ziel verfolgen. In der Begegnung des eigenen Volkesmit fremden Volkern taucht also die Differenz von relativen Auffasungsweisen und irrelativem Kern auf. Husserl bezeichnet den» Wesensunterschied von Heimatlichkeit und Frerndheit« als eine »Grundkategorie aller Geschichtlichkeit« (Hua VI, 320); der Unterschied muB demgemaf als ein geschichtlicher verstanden werden. Die Auszeichnung des fremden Gegenstandes besteht darin, daB es sich dabei nicht bloB urn ein Ding handelt, das uns unvertraut und unverstandlich ist, sondern urn ein Ding , das in einen Zusammenhang zu gehoren scheint, und zwar in einen uns fremden Zusammenhang. Das fremde Ding scheint eine Bedeutung zu haben, die uns unvertraut, anderen Menschen aber vertraut ist; es verweist auf weitere Dinge, die uns ebenfalls mehr oder weniger fremd sind. Ein fremdes Werkzeug erkennen wir doch als eine Art von Werkzeug, das vermutlich eine Funktion erfullt, vermutlich kein Kunstwerk ist etc. Es gehort in eine fremde Welt. So wird durch den Unterschied von Heimischem und Fremdem offenbar, daB alles Seiende uns iiberhaupt in Zusammenhangen, in Horizonten erscheint, daB es in eine Welt gehort . Die Heimwelt ist die Welt, die uns vertraut ist und in der wir im weitesten Sinne heimisch sind. Sie ist eine gewordene und im unablassigen Werden begriffene Welt; Heimweltlichkeit kann nur geschichtlich erfaBt werden, als ein Prozefs, der unsere Vorfahren und Nachfahren umfaBt und daher generativ ist. Unsere Heimwelt hat im Laufe ihrer Entwicklung ihr »historisches Gesicht «, ihr »Kulturgesicht « erworben, und dasselbe gilt fur die Heimwelt der Fremden (vgl. Hua xv, 233, Fn. 1). Da ich an der Geschichte der Fremdwelt nicht teilgenommen habe und auch nicht in die Vorkommnisse dieser Geschichte hineingewachsen bin, setzt diese Welt meinem Verstehen Widerstande entgegen.' Heimwelt und Fremdwelt wandeln sich; meine Heimwelt kann sich erweitern, und ich kann in der Fremde heimisch werden. Doch der Kontrast von Heimischem und Fremdem als solcher wird dadurch nicht aufgehoben, sondern er gehort »zur bestandigen Struktur jeder Welt, und zwar in einer bestandigen Relativitat « (Hua xv, 431) . Das Verhaltnis von Heimwelt und Fremdwelt ist notwendig ein asymmetrisches; denn ich kann die Fremdwelt nie in die Heimwelt eingliedern: Es kann nicht darum gehen, eine iibergreifende Synthesis zu schaffen oder das Fremde auf das Heimische zu reduzieren (oder auch das Heimische auf das Fremde), sondern nur darum, auf das Fremde aus
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Vgl. Manuskript A VII 9, zb: »Verstehen des Chinesen - Verstehen seiner Heimwelt. Ich mtiBte in sie wie ein Kind in die Welt des Erwachsenen -hineinwachsen-, schlieBlich seine Geschichte verstehen lernen«, zitiert nach Steinbock (1995), S. 311 Fn. 13.
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der Perspektive des Heimischen zu antworterr -alles andere ware gewaltsame Verletzung der Grenzen von Heimwelt und Fremdwelt.' Ich muB notwendigerweise immer yom Heimischen ausgehen, wenn ich dem Fremden begegnen will; diesen Ausgangspunkt kann ich nicht iiberspringen (vgl. Hua xv, 624) . Angesichts der Relativitat von Heimwelt und Fremdwelt stellt sich die Frage nach der einen umfassenden, irrelativen Welt." Husserl spricht vielfach von der »einen gemeinsamen objektiven Welt «, der » Welt an sich« (vgl. Hua xv, 436 f.), von der »wahren Welt«, die das Thema der Wissenschaft, namlich der transzendentalen Phanornenologie bildet (215 Fn.) . Gleichzeitig sagt er aber ganz deutlich: »Die Welt an sich, die endgultig wirkliche, ist nie gegeben « (614). Liegt hier ein Widerspruch vor? Wenngleich Husserl sich bisweilen mifsverstandlich ausdriickt, scheint seine Position doch die folgende und dam it widerspruchsfrei zu sein: Die Welt an sich ist nie gegeben, namlich nicht in der Erfahrung gegeben. Dennoch stellt die Phanomenologie die Frage nach »invarianten« Strukturen der Lebenswelt, die im Rahmen einer Ontologie der Lebenswelt zu untersuchen sind . Der doppelte Charakter der Lebenswelt als Horizont und als Erdboden ist ein Beispiel fur eine so1che Struktur, und ebenso auch die Relativitat von Heimwelt und Fremdwelt selbst. Wenngleich jede Welt in der einen oder anderen Weise eine Struktur des Erdbodens aufweist, ist uns nie der »eine« Erdboden, der Erdboden an sich gegeben, sondern gegeben ist uns der jeweilige, relative Erdboden, wie er im heimweltlichen Kontext in Erscheinung tritt. Es ist gleichwohllegitim und sogar notwendig, daf die Phanomenologie nach so1cheniibergreifenden Strukturen fragt, wenn im Auge behalten wird , daBes sich dabei urn >Ideen
Die Einsicht der notwendigen Gliederung der Lebenswelt in Heimwelt und Fremdwelt lost einige der Probleme, die Husserls friihere Intersubjektivitatstheorie aufwarf, und eroffnet Dimensionen, Intersubjektivitat neu zu verstehen. Wenn Intersubjektivitat, wie in der v. Cartesianischen Meditation, urspriinglich als IchDu-Verhaltnis gefaBt wird oder als Verhaltnis eines ego zum alter ego, besteht die Gefahr, das alter ego nach MaBgabe des eigenen ego aufzufassen. AuBerdem ist es schwierig, auf dieser Grundlage dem Phanomen der Gemeinschaft gerecht zu werden; denn wenn wir un s das Verhaltnis des Ich zur Gemeinschaft so vorstellen wie das Verhaltnis eines Ich zum Du , dann ist das Ich kein Mitglied der Gruppe, sondern steht ihr gegenuber.' Die Frage, wie wir vom »Ich « zum »Wir« kom-
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Vgl. Steinbock (1995), S. 185. Vgl. Waldenfels (1991), S. 38f. Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Held (1991a) und Steinbock (1995), S. 183ff. Vgl. Carr (1986), S. 120.
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men, ver!angt von sich aus nach der naheliegenden Antwort, vom Phanomen der Gemeinschaft auszugehen , deren Mitglied ich » immer schon « bin: Ich betrete die »immer scho n gewesene Intersubjektivitat « (Hua xv , 439). Wie bereits erwahnt, ist sprachliche Mitteilung wesentlich, wenn Intersubjektivitat sich ub er die Generation en hinweg erstreckt und nicht auf meine Zeitgenossen beschr ankt ist. » Die Heimwelt des Menschen (.. .) ist grundwesentl ich von der Sprache her bestimmt « (Hua xv , 224 f.). Mittels der Sprache ist meine Welt »zugleich Welt fur die rnitgegenwartigen, mitvergangenen und mitzukunftigen Anderen « (218). Zwar scheint Sprache fur Husser! selbst noch eine Form der Einfiihlung zu sein, narnlich »mittelbare Einfiihlung (oo.) durch indirekte, etwa sprachliche Mitteilung« (239) -eine fragwurdige Konzeption, da sich die in der v. Cartesianischen Meditation entwickelte Theorie der Einfiihlung wohl kaum auf sprachliche Mitteilung ubertragen laBt, ohne zum indest wesentliche Modi fikationen zu erfahren," SchlieBlich geht es hier nicht mehr urn ego und alter ego, sondern urn Sprachgemeins chaften. Doch in jedem Fall sieht Husser! die Notwendigkeit, Sprache in die Th eorie der Intersubjektivitat einzubeziehen, und er sieht die dadurch geschehende Bereicherung. Daruber hin aus sagt er in einem Text aus dem Jahre 1932 unter dem sprechenden Titel » Phanomenologie der Mitteilungsgemeinschaft (Rede als Anr ede und Aufnehmen der Rede) gegenuber der blossen Einfuhlungsgerneinschaft (blosses Nebein ande r-sein) « ganz deutlich: »Aller Sozialitat liegt zugrunde (oo.) der aktuelle Konnex der Mitteilungsgemeinschaft « (Hua xv, 475), namlich der Gemeinschaft, in der ich andere anspreche und diese meine Anre de aufnehmen (und sei es durch bewu Btes Ignorieren meines Anspruchs), so daB wir die Gemeinschaft gemeinsam bilden und umbilden. II.
Nach diesen Erlauterungen zum Verhaltnis von Heimwelt und Fremdwelt kommen wir zuruck zu Hu sser!s These , daB die Begegnung mit dem Fremden zum Philo sophieren moti vieren kann, indem sie Unters chiede relativer Auffassungen offenkundig werden laBt. Es gibt einen naheliegenden Einwand gegen diese These, dem Husser! sich sogleich zuwendet: Warum taucht dieser Unt erschied erst in der
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Husserls Versuch, die quasi-Erfahru ng oder Erfahru ng im Modu s des »als oh «, die fur die Theorie der Einfu hlung wesentlich ist (vgl, dazu Held (1972)), auf sprachliche Mitteilung zu ubertragen, scheint mir ein interessanter Ansatz zu sein, der jedoch auf seine Moglichkeiten und Grenzen hin befragt werden miiBte. Anstatt die Erfahru ng des Anderen so nachzuverstehen, »als ob ich es ebenso konnte«, erfahre ich aufgru nd sprachlicher Mitteilungen »was Ande re dereinst erfahren hatten «, »als ob ich es, wenn nicht wirklich erfahren hatte, so doch hatte erfahren konnen « (Hua xv, 239). Damit wird meine »endliche Zeit «, obzwar letztlich uniiberschreitbar, in gewissem, wenngleich irrealem Sinne doch iibersch reitbar »in dem, was ich friiher hatte aktualisieren konnen, wie in dem, was ich kiinftig verwirklichen kann « (ebd. ). Es ware eine eigene Aufgabe, unsere Erfahrung beim Nachverstehen von Literatur im Sinne des »als ob --Schemas auszulegen.
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Begegnung mit dem Fremden auf? Wir kennen doch im intersubjektiven Umgang einzelner Menschen innerhalb des eigenen Volkes auch schon divergierende Auffassungen, die sich auf denselben Gegenstand beziehen?! Husser! erwidert, daB diese Unterschiede zur »altvertrauten Form der Alltaglichkeit, in der das normale praktische Leben sich abspielt « (Hua XXIX, 388), gehoren, Diese Norrnalitat wird erst durchbrochen, wenn eine Begegnung mit dem Fremden stattfindet.? Was ist das Besondere an dem Verhaltnis von Heimischem und Fremdem, und wodurch unterscheidet es sich von Norrnalitat und Anomalitati Auch Normalitat ist ein geschichtliches Phanomen;" sie bildet und wandelt sich in der Heimwelt uber die Generationen hinweg. Es gibt jedoch auch Anomalien in unserer Heimwelt: Sie werden yom heimischen Zusammenhang umfaBt und als bloBe Abweichungen von der Normalitat in die Heimwelt integriert. Das Anomale wird am Normalen gemessen und so auf dieses zuruckgefuhrt. Gegeniiber der Fremdheit aber versagt unsere heimische Typik der Anomalie." Das Fremde laBt sich nicht integrieren. Die Fremdwelt ist etwas Neues, auf das wir nicht gefaBt waren, das nicht eingeplant war. Insofern kann sich an ihr das Staunen entziinden. Eugen Fink jedoch widerspricht in seinem Entwurfzu einem Anfangsstiick einer Einleitung in die Phanomenologie dem Gedanken, daB der Einbruch des Fremden eine Motivation des Philosophierens darstellen konnte, Fur Fink entspringen bisweilen aus dem alltaglichen Leben selbst Motive , die uns auf das Problem der Welt stoBen: Das Er!eben eines Schicksalsschlages , die Erfahrung von Tod und Verganglichkeit lassen die Welt unheimlich und fraglich werden." » Die aus einer solchen Erschiitterung-dem die Philo sophie weckenden individuellen Grunderlebnis-aufspringende Unbekanntheit ist also nicht ein Einbruch von Fremdem in den engen Vertrautheitskreis der Heimwelt, sondern betrifft die Heimwelt selbst «.13 Der Einwand Finks leuchtet insofern ein, als in der Tat die Heimwelt selbst fraglich werden mufs, dam it wir zum Philo sophieren bewegt werden. Die Erfahrung eines Fremden als bloBem Unvertrauten errnoglicht den Riickzug auf die Heimwelt, in der alles sicher und vertraut ist. Doch wenn das Fremde wirklich als solches erfahren wird, dann begegnet es in einem fremden Zusammenhang, einer fremden Heimwelt, und stellt damit die eigene Heimwelt zugleich in Frage.
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Husser! relativiert diese Behauptung, indem er zugibt : »Cewifi, waren inner-nation ale Relativitaten iiber den einzelnen praktischen Fall hinaus allgemein auffallig geworden, so ware auch bei diesen der selbe angezeigte Unt erschied von identischern Kern und verschiede nen Auffassungswe isen (her) vorgetreten - auf den es hier ankommt. Ich halt e mich an das bei einer Welthandelsnation wie der griechischen Nachstliegende ... « (ebd.). Es lassen sich allerd ings, wie im folgenden deutlich werden soli, sachliche Griinde fur Husser!s The se finden , welche die faktische Situation bei den Griechen iibersteigen . 10 Vgl. Steinbock (1995), S. 188 f. 11 Vgl. Held (199Ia), S. 310. 12 Vgl. Fink, VI. eM2, S. 30. 13 A. a. 0., S. 33.
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Finks Gedanke, daB die eigene Heimwelt fraglich werden mufs, laBt sich also mit dem husserlschen Gedanken der Begegnung mit der Fremdwelt dergestalt vermitteln, daB sich das Staunen tiber ein Fremdes nicht an der Fremdwelt beruhigt." DaB es uberhaupt Fremdwelten gibt, macht uns darauf aufmerksam, daB auch wir uns in einem heimischen Zusammenhang bewegen, ohne uns dessen alltaglich bewuBt zu sein. Wir werden auf un sere Heimwelt aufmerksam, und gleichzeitig wird diese Heimwelt durch die Existenz fremder Heimwelten in Frage gestellt. Die Relativitat der heimischen Auffassungen wird offenbar, und ihre Selbstverstandlichkeit wird durchbrochen. Mit der Moglichkeit, diese Auffassungen radikal zu hinterfragen, zeigt sich auch die prinzipielle Moglichkeit zur Kritik und Erneuerung der Heimwelt. 15 III. Wenn unsere heutige Erfahrung die der Krise und der Not ist, die geschichtliche Ruckfrage aber auf ein Staunen am Anfang der Philosophie fuhrt, stellt sich die Frage, wie beides zusammenhangt, Geschichte ist namlich kein lineares Geschehen, sondern, so Husserl, » Urstiftung« und » Endstiftung« gehoren zusammen: die Philosophie ist dann vollzogen, wenn ihre Aufgabe zur volligen Klarheit gekommen und damit in ihren Anfang eingekehrt ist (Hua VI, 73). Das Telos der Philosophie wird am Anfang urgestiftet als solches, das am Ende realisiert werden soll. So ist das Ende im Anfang schon angelegt, und der Anfang wiederum kommt erst im Ende zu sich. Anfang und Ende gehoren unablosbar zusammen. Steht also am Anfang der Philosophie das Staunen, am Ende die Krise? Es muf beachtet werden, daf auch das Staunen angesichts des Fremden auf gewisse Weise eine Krisenerfahrung ist; denn durch die Begegnung mit dem Fremden werden die heimischen Erfahrungen rad ikal in Frage gestellt. Die Krise, die unserer gegenwartigen Lage entspricht, hat jedoch einen anderen Charakter: Wir erfahren eine Krise angesichts dessen, daB die Wissenschaften uns auf un sere wesentlichen Fragen keine Antworten geben konnen. Diese Krise wird durch die Bodenlosigkeit des neuzeitlichen Objektivismus hervorgerufen. Unsere Krisenerfahrung ist die Erfahrung des Scheiterns der Philosophie und der Wissenschaften. Sie konnten dem Sinn, der ihnen in der Urstiftung aufgegeben wurde, nicht gerecht werden. Laut Husserl ist dieser Urstiftungssinn in uns immer noch am Werk, wenn auch in geschichtlich gewandelter Form, und die Krise erfahren wir gemessen an dem, woraufwir eigentlich hinauswollen. Deshalb ist die
14 Dennoch kann es selbsrverstandlich auch andere Wege in die Philosophie, andere Mot ivationen geben , wie beispieIsweise die von Fink angefiihr ten. Husser! kommt es jedoch hier in erster Linie darauf an , eine plausible Motivation dafur zu finden, daB die Philosophie gerade bei den antiken Griechen aufkam. 15 Vgl. Edmund Husser!, »Funf Aufsatze tiber Erneuerung «, In : Hua XXVII, S. 3-94.
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geschichtliche Besinnung unerlafslich, wenn wir wissen wollen, wer wir sind und wie ein neuer Anfang aussehen konnte, der uns aus der gegenwartigen Krise herauszufuhren vermag. Diese Besinnung kann sich aber nicht darauf beschranken, den antiken Urstiftungssinn zu entdecken und (in gewandelter Form) zu wiederholen, sondern der Urstiftungssinn muB befragt werden: Die gegenwartige Krise resultiert zwar, so Husserl, daraus, daB Philosophie und Wissenschaften dem ursprunglichen Sinn nicht gerecht werden konnten. Dieses Scheitern ist allerdings kein zufalliges, sondern geht aus einer Zweideutigkeit im Urstiftungssinn selbst hervor: In der Suche nach dem identischen Ansichsein im Unterschied zu den relativen Gegebenheitsweisen sind der neuzeitliche Objektivismus und die damit einhergehende Subjektvergessenheit bereits angelegt." Eine Neubefragung des Urstiftungssinnes mufste demgemaf versuchen, gerade zu jener Unterscheidung von Gegebenheitsweisen und irrelativem Kern zuruckzugehen und an jener Gabelung nicht einseitig das Augenmerk auf den irrelativen Kern zu legen. Das Unternehmen der Zuwen dung zu den Gegebenheitsweisen ist in der Tat das Unternehmen der von Husserl begrundeten Phanomenologie, Fur Husserl ist die transzendentale Phanornenologie diejenige Wissenschaft, die dem Ideal einer universalen, voraussetzungslosen Wissenschaft entsprechen kann. Voraussetzungslosigkeit kann auf der Grundlage der Einsichten von Husserls Spatphilosophie jedoch nicht mehr einen radikalen Neuanfang bedeuten, sondern das Anknupfen an den uns vererbten Urstiftungssinn, nichts unbefragt zu ubernehmen, So konnten wir aus der Erfahrung der Krise heraus auch wieder zum Staunen kommen; das Staunen, das einen Anfang der Philosophie bildet, darf aber nicht beim einzelnen Seienden stehenbleiben, sondern weitet sich auf den Zusammenhang aus: Staunen ist letztlich Erstaunen angesichts einer Welt. In der Motivation zur Philosophie spielt somit die Stimmung, das Pathos eine wesentliche Rolle; die Philosophie ist keine Sache unserer freien Willkur, steht nicht in unserer Macht. Doch es kommt darauf an, wie wir auf das Staunen antworten, wie wir es fur uns ubemehmen-ioder, wie Fink es ausdruckt: »Der Hervorgang des philosophischen Problems aus dem Staunen ist aber kein passives Geschehen, sondern wird nur wirklich im freien Einsatz des Menschen in die Verwunderung, im Aushalten und Austragen des Staunens; m. a.W. wenn es gelingt, das Widerfahrnis in einen spontanen Entwurf des Problems zu verwandeln « .17 Husserls Antwort auf die Prage, ob die Philosophie aus einer Stimmung oder einem WillensentschluB entspringt, lautet in seinen Spatschriften also: einer Stimmung. DaB Husserl dennoch nach wie vor bisweilen von der Epoche als einer Sache unseres freien Willens spricht, ist nicht einfach ein undurchschautes Relikt aus der Fruhphilosophie, sondern entspricht der Einsicht, daB eine Stimmung uns zwar 16 Vgl. oben S. 139f. 17 Fink (1976), S. 69.
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uberkomrnt oder sogar uberfallt, wir aber dennoch auf sie antworten. Das Staunen fuhrt uns also nieht gleiehsam automatisch in die Philosophie, sondern wir sind immer noch diejenigen, die philosophierend auf das Staunen antworten.
b. Negativitiit, Widerspruchlichkeit und Unruhe beiHegel Wahrend Husserl die Frage nach unserer Motivation zum Philosophieren als Frage aufwirft und sieh in verschiedenen Manuskripten um eine Antwort bemuht, kann bezuglich Hegels Philosophie der Eindruck entstehen, daf es fur ihn kein Motivationsproblem der Philosophie gibt. In der Tat ist das naturliche BewuBtsein fur Husserl in sieh konsistent und zufrieden, bis es beispielsweise mit etwas ihm Fremdem konfrontiert wird; Hegel hingegen entdeckt eine Widerspruchlichkeit im naturlichen Bewufstsein und eine Unruhe, die zwar verdeckt werden kann, jedoch gewissermaBen nur auf ihren Ausbruch wartet. Insofern ist es nicht uberraschend, daB Hegel sieh der Frage, welche Grunde es fur das naturliche BewuBtsein geben kann, nicht zu philosophieren oder auf einer Stufe des Weges stehenzubleiben, in Vorrede und Einleitung der Phiinomenologie ausfuhrlicher zuwendet als der Frage danach, wie das naturliche BewuBtsein zum Philosophieren bewegt wird. Aber auch Hegel tragt der Tatsache Rechnung, daf die Widerspruchlichkeit des naturlichen Bewufstseins zunachst und zumeist verdeckt bleibt; er sagt, daB das philosophische Denken eine »Gewalt« ist, die dem naturlichen BewuBtsein zugemutet wird-und zwar eine »als unnotig scheinende Gewalt « (PhG, 30), da es aus der Sieht des natiirlichen BewuBtseins namlich eben nicht notwendig ist, diese ungewohnte Denkweise anzunehmen. Dies deutet daraufhin, daB es jedenfalls im Normalfall einen Anstof von aufsen geben muls, damit das naturliche Bewufstsein sein Ungenugen durchschaut. Dieser Anstof kann eine Frage sein, die dem naturlichen BewuBtsein vom philosophischen BewuBtsein gestellt wird, so daf beide in einen Dialog eintreten. Konkret laBt sich daher das Verhaltnis zwischen diesen beiden BewuBtseinsformen beispielsweise als ein Lehrer-Schuler-Verhaltnis beschreiben, und Hegel hat sich als Gymnasiallehrer, Gymasialrektor, Professor und Berater bei der preuBischen Bildungsreform im Detail mit padagogischen Fragen auseinandergesetzt. Doch was war, als es noch keine philosophischen Lehrer gab? Mit anderen Worten, wie ist die Philosophie zuerst entstanden? Auch Hegel widmet sieh au sfuhrlich der Frage nach dem Anfang der Philosophie im antiken Griechenland und untersucht die Bedingungen dieser Entstehung, die freilieh nicht nur von historischer Bedeutung sind. Die drei angesprochenen Fragekomplexe sollen nun genauer thematisiert werden.
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1. Wir haben im sechsten Kapitel bereits gesehen, daB fur Hegel die Negativitat, die zuerst als Unterschied zwischen dem BewuBtsein und seinem Gegenstand erscheint, bewegende Kraft ist. Dem Prinzip der bestimmten Negation gemaB fuhrt die Negativitat nicht zum Stillstand, sondern zum Fortschreiten. Das Fortschreiten dauert so lange an, bis die Ubereinstimmung von BewuBtsein und Gegenstand sich realisiert hat und die bewegende Kraft der Negativitat zur Ruhe gekommen ist-und dies ist erst im absoluten Wissen der Fall. Hegel sagt: » [Ajuf keiner friiheren Station ist Befriedigung zu finden« (PhG, 74). Zwar gibt Hegel zu, daB das natiirliche BewuBtsein nicht von sich aus iiber sich hinauszugehen vermag, sondern »durch ein Anderes dariiber hinausgetrieben « wird (ebd.); doch dieses Andere ist letztlich dem BewuBtsein selbst angehorig, auch wenn das natiirliche BewuBtsein dies nicht erkennt: »Das BewuBtsein leidet also diese Gewalt, sich die beschrankte Befriedigung zu verderben, von ihm selbst «; denn das BewuBtsein ist »fur sich selbst sein Begriff« (ebd.). Es liegt im Wesen des BewuBtsein, seinen Begriff mit seinem Gegenstand zu vergleichen, und wo Gegenstand und Begriff nicht iibereinstimmen, ist es zum Fortgang gezwungen. Widerspriiche kann das BewuBtsein nicht ertragen, da jenes Beziehen, Vergleichen und Modifizieren des Begriffes seine Aufgabe ausmacht. Gleichwohl kann es das natiirliche BewuBtsein angesichts der von ihm selbst verursachten Gewalt mit der Angst zu tun bekommen. Hegel bespricht drei Griinde, die das natiirliche BewuBtsein haben kann, urn auf einer Stufe stehen zu bleiben oder sich gar nicht erst auf den Weg zu begeben: Tragheit, Empfindsamkeit und Eitelkeit. Diese drei Haltungen konnen ausgedeutet werden im Lichte dessen, was sich im vergangenen Teil dieses Kapitels iiber das Zusammenspiel von Pathos und Wille als Anfang der Philosophie ergeben hat: Tragheit ist fur Hegel cler Wille, sich dem Antrieb zum Fortgang zu versperren und in der Gedankenlosigkeit zu verbleiben; es ist die Haltung, die »in gedankenloser Tragheit stehen bleiben will « (PhG, 75, Hervorhebung T. S.). Interessant ist, daB fur Hegel ein Wille vonnoten ist, urn dem Philosophieren zu widerstreben; hier handelt es sich urn einen ent scheidenden Unterschied zu Husserls Auffassung. Allerdings kann man aufgrund anderer Stellen schlieBen, daB auch das Philosophieren fur Hegel einen WillensentschluB voraussetzt, und zwar den »EntschluB, rein denken zu wollen « (Enz. I, § 78). Das trage BewuBtsein weigert sich, den Impuls zum Philosophieren, wie er beispielsweise dem Staunen entspringen konnte, aufzugreifen, oder aber es ist so in Gedankenlosigkeit »verkum rnert«, daB es den Impuls gar nicht wahrnimmt. Die Empfindsamkeit wiederum findet »alles in seiner Art gut «, wahrend die Vernunft solches, was »eine Art ist « (PhG, 75), prinzipiell nicht gut finden kann (ebd.). Die Empfindsamkeit nimmt also die Existenz verschiedener Auffassungen wahr, faBtsie aber nicht als widerspriichlich auf, sondern verbleibt in der Relativitat. Alles wird gelten gelassen, nichts in Frage gestellt. Die Eitelkeit schlieBlich versteift
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sich auf das Eigene und geht dabei so weit, daB sie nicht nur die Gedanken anderer, sondern sogar die eigenen abweist (dies ruhrt daher, daB Gedanken als solche immer schon etwas mitbringen, das nicht nur das Eigene ist). SchlieBlich findet sich »statt alles Inhalts nur das trockene Ich« (ebd.)-wer alles Fremde in dieser Weise ignoriert, kann die Unruhe des Anfangs nicht spuren. II. Hegel ubersieht freilich nicht, daB die Mehrzahl der Menschen der Philosophie eher gleichgultig, wenn nicht gar ablehnend gegenuberstehen. Dies liegt nicht einfach daran, daB diese Menschen trage, eitel und/oder empfindsam sind; das mag zwar auch der Fall sein, aber es gibt weitere, im Wesen des naturlichen BewuBtseins liegende Grunde, die den Obergang zum philosophischen Denken erschweren. Obwohl er es nicht explizit sagt, scheint Hegel prinzipiell auch der Auffassung zu sein, die Fink in bezug auf Husserls Phanomenologie so deutlich hervorhebt: So lange das naturliche BewuBtsein noch ganz in sich versunken ist, gibt es keinen AnlaB, seine Position zu verlassen; das naturliche BewuBtsein ist in sich konsistent und zufrieden. Beispielsweise spricht Hegel, wie oben bereits erwahnt, dem Individuum das Recht zu, von der Wissenschaft zu fordern, daB diese ihm die »Leiter« zu ihrem Standpunkt reiche (PhG, 29). Wenn man dieses Bild ein Stuck weit verfolgt, so ergibt sich, daB dem naturlichen BewuBtsein die Mittel fehlen, sich auf den Standpunkt der Wissenschaft zu begeben. Es sieht der Wissenschaft gleichsam von unten herauf zu, weiB aber nicht, wie es sich zu ihr aufschwingen sollte, und auch nicht, warum: Den Standpunkt der Wissenschaft anzunehmen bedeutet »eine so unvorbereitete als unnotig scheinende Gewalt« (30). Diese Aussage ist zweifelsohne eine Anspielung auf Platons Hohlengleichnis, in dem die Entfesselten gezwungen werden mussen, sich umzuwenden, die Hohle zu verlassen und die Schmerzen zu ertragen, die durch das ungewohnte Licht der Sonne verursacht werden. IS Stellen wie die eben zitierte erwecken den Eindruck, daB es wohl nicht verfehlt ist, sich das Verhaltnis zwischen philosophischern und naturlichern BewuBtsein in der Phiinomenologie nach dem Vorbild eines Lehrer-Schuler-Verhaltnisses zu denken, zumal Hegel selbst vorn »padagogischen Fortschreiten« spricht (32).19 Diese Analogie ist sicherlich hilfreich, urn zu veranschaulichen, inwiefern das naturliche BewuBtsein in der Tat einen AnstoB erfahren muB, dam it es sich auf den Weg in die Philosophie begibt. Doch es stellt sich die Frage, welchen Charakter der padagogische ProzeB hat: Wenn das naturliche BewuBtsein in sich widerspruch-
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Vg. Platon, Politeia, 515 c 2 If. Diesen Vorschlag macht Maurer (1980), S. 42:» Das philosophische, absolute Wissen ist der Meister, und das naive BewuBtsein, das von sich und dem, was ihm als Realitat gilt, unmittelbar uberzeugt ist, ist der Schuler. Der Erziehungsgrundsatz ist das Kantische: Durch Fallen lernt man gehen ..
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lich ist, was ihm nur einmal durch eine Frage aufgezeigt werden mufs, und wenn es zudem mit dem Prinzip der bestimmten Negation tiber das geeignete Mittel zum Fortschreiten verfugt, beschrankt sich die Rolle des philosophischen >Lehrersanscheinend darauf, dem . Schuler - hier und da eine Frage vorzulegen und ihn so zum Selbstdenken anzuregen. Idealiter ist dies wohl der Fall- und der Dialog, der sich in der Phiinomenologie zwischen naturlichem und philosophischem BewuBtsein abspielt, ist im wesentlichen ein solcher . idealer - Dialog. Hegel kennt jedoch aufgrund vielfaltiger personlicher Erfahrungen die padagogische Realitat wie kaum ein anderer Philosoph, und er ist sich daruber im klaren, daB das >real auftretende < naturliche BewuBtsein gewissermaBen den Stand der Unschuld verlassen hat und ihm durch angeeignete Meinungen und Vorurteile der reine Blick verstellt wurde. Interessant ist, daB Hegel ausdrucklich den »Geist der Iugend« lobt, der »noch nicht in dem Systeme der beschrankten Zwecke der Not befangen« und ebenso »noch unbefangen von dem negativen Geiste der Eitelkeit« ist (Antrittsvorl., 314) . Hegel setzt sich in verschiedenen Dokumenten sehr konkret mit der Bildungssituation seiner Zeit auseinander, und wenngleich diese Dokumente zum Verstandnis der Phanomenologie nicht unbedingt als relevant erscheinen mogen, sollen hier doch kurz einige Ergebnisse Hegels angesprochen werden, die allgemeine Einsichten in die Vorbedingungen und Beweggrunde zum Philosophieren erlauben. In einem Text aus dem Jahre 1822 tiber den Unterricht in der Philosophie an Gymnasien hebt Hegel mehrfach hervor, welche padagogische Zielrichtung er strikt ablehnt: die blofse »Abrichtung« der Studenten auf das »Brotstudium« (Bd. 11,32 u. 41). Die Verhaftung im Stofflichen ist jeder philosophischen Betatigung schadlich; es kann nicht philosophiert werden, wenn die Studenten von vornherein blof auf bestimmte Ziele ausgerichtet sind und keine anderen Gedanken verfolgen als diejenigen, die ihrem Broterwerb dienlich sind. Es kommt daraufan, den Studierenden zu zeigen, »daf es ein Reich des Gedankens fur sich gibt « (Bd. 11, 37); deshalb schlagt Hegel vor, Logik zu einem Hauptunterrichtsgegenstand zu machen. Dieser Gedanke ist entscheidend: Philosophie bedeutet, sich aus der alltaglichen Beschaftigung mit diesem und jenem einzelnen Seienden zu losen . Mit dieser Einsicht befindet sich Hegel in der Nahe von Husserl, der betont, daB Philosophieren das Ausbrechen aus der Geradehineinstellung auf Einzelseiendes und das Infragestellen der alltaglichen Selbstverstandlichkeiten bedeutet. Gleichzeitig besagt Hegels Gedanke, daB Philosophieren nur dann moglich ist, wenn wir es uns erlauben konnen, auf anderes als auf die Beschaffung des Lebensnotwendigen ausgerichtet zu sein-ein Gesichtspunkt, der auch hinsichtlich des geschichtlichen Anfangs der Philosophie eine Rolle spielt. Hegels Aussage darf jedoch nicht miBverstanden werden: Das Aufzeigen eines »Reiches des Gedankens fur sich « heiBt nicht, daf die Philosophen sich von der Wirklichkeit abkehren und in bloBen Gedankenspielen verlieren durften oder gar sollten. Denken im eigentlichen Sinne des Wortes ist fur Hegel immer auf die Wirklichkeit und ihren geschichtlichen Gang bezogen. Damit es aber moglich ist, den Blick auf
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groBere und allgemeinere Zusamrnenhange zu richten, mussen den Studierenden gewissermaBen die Hilfsmittel an die Hand gegeben werden, frei zu denken. DaB den Lernenden solche Mittel vorgestellt werden, bedeutet nicht, daf ihnen das eigene Denken verstellt wiirde. Es ist ein Vorurteil, so betont Hegel in einem fruheren Gutachten tiber den Vortrag der Philo sophie an Gymnasien (1812), daB »das Lernen dem Selbstdenken entgegengesetzt sei« (Bd. 4,422). Er sagt ausdrucklich: »Die Philosophie muf gelehrt und gelernt werden « (Bd. 4, 411), und zwar deshalb, weil es einen »Schatz von erworbenem (... ) Inhalt « gibt, also sozusagen ein Erbe, und es vollig vermessen ware zu glauben, daf ein junger Mensch »das resultierende Erzeugnis der Arbeit der denkenden Genies aller Zeiten« aus sich heraus und ohne Hilfe erreichen konnte (412). Das philosophische Erbe muf also gelehrt werden - aber nicht als Erzahlung zufalliger, chronologisch angeordneter Meinungen, sondern als die Bewegung des einen philosophischen Gedankens in seinen verschiedenen Ausformungen bzw. als Geschichte des Geistes . Deshalb ist das Studium der Logik, also des Denkens, zunachst wichtiger als das Studium der Geschichte der Philosophie (vgl. Bd. 11,36). In jenem Text aus dem Jahre 1812 finden sich weitere aufschlufsreiche Ausfuhrungen Hegels tiber die Richtung des Weges in die Philosophie: »Man kann namlich entweder vom Sinnlichen, Konkreten anfangen wollen « und von dort aus zum Abstrakten fortschreiten und »so - wie es scheint-den naturgemiifien Gang nehmen « (Bd. 4, 413).20 Die andere Moglichkeit besteht darin, vom Abstrakten aus zu beginnen, und das ist der Weg, den Hegel in diesem Text fur den geeigneteren halt: Der erste Weg ist »naturgemafser«, aber er ist deshalb auch der »unwissenschaftliche Weg«, und er ist der »schwerere«, obwohl er auf den ersten Blick leichter zu sein scheint (ebd.). Grab vereinfachend kann man sagen, daf Hegel in der Phiinomenologie den ersten, also den naturgemafsen, unwissenschaftlicheren und schwereren Weg wahlt, in der Enzyklopiidie und in der Wissenschaft der Logik hingegen den zweiten Weg. Gleichwohl ist der in der Phanomenologie begangene Weg nicht ganzlich unwissenschaftlich; denn es wird zwar vom Konkreten ausgegangen, aber der Aufstieg erfolgt gernaf logischer Begriffe." In der Phiinomenoiogie stellt sich das Verhaltnis von Individuum und allgemeinem Geist daher wie folgt dar: »Der Einzelne muf auch dem Inhalte nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, der ausgearbeitet und geebnet ist « (PhG, 32). Der Anfang der Bildung besteht fur das Individuum darin, sich »aus der Unmit-
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Die Ausdriicke »konkret« und »abstrakt« verwend et Hegel hier so, wie sie in der Alltagssprache gebraucht werden ; im Sinne von Hegels eigenen Begriffeh ist das Sinnliche nicht das Konkr ete, sondern das Abstrakte. Diese Bemerkungen Hegels werfen ein Licht darauf, wie sich seine Uberzeugung zum Thema einer geeigneten Darstellung seiner Philosophie nach dem Verfassen der Phanomenologie gewandelt haben; vgl. auch die Einleitung dieser Arbeit.
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telbarkeit des substantiellen Lebens « herauszuarbeiten, sieh also zu befreien aus dem Stoffiiehen, Sinnliehen, Unmittelbaren - und zwar durch Erwerb »allgemeiner Grundsatze und Gesiehtspunkte « (PhG, 13f.). Doch der Gang der Bildung, der sich aus der Sieht des Individuums in dieser Weise zeigt, stimmt uberein mit dem Werden des Geistes, der in dieser Bildung zu sich kommt. Bildung hat eine subjektive und eine objektive Seite," und es ist eine Frage der Perspektive, Bildung auf die eine oder andere Weise zu beschreiben. In unserem »padagogischen Fortschreiten « werden wir »die wie im Schattenrisse nachgezeichnete Geschiehte der Bildung der Welt erkennen « (32). Es gibt somit keine Zufalligkeit im Fortschreiten der Bildung des Individuums, sondern diese Bildung folgt dem Gang des Geistes, der sich nach logischen, fur uns nachvollziehbaren Grundsatzen entwickelt. Wenn wir diese Grundsatze und insbesondere das Prinzip der bestimmten Negation durchschaut haben, brauchten wir eigentlich keine -Lehrer- mehr. DaB wir im Normalfall dennoch weiterhin Lehrer benotigen, liegt an der Tragheit unseres individuellen Geistes, der stehenbleiben mochte oder sieh jedenfalls d ie Gedanken Heber vordenken laBt, wenn er die Moglichkeit dazu hat. Prinzipiell ist aber nur ein anfanglicher AnstoB notig, III. Wenn das natiirliche BewuBtsein normalerweise einen AnstoB von auBen bekommt, der es zum Philosophieren anregt, und zwar einen Anstofs, der von der bereits bestehenden Philosophie bzw. von denjenigen, die mit dieser Philosophie vertraut sind, ausgeht, dann stellt sich die Frage, wie Philosophie zuallererst entstanden ist. Der erste Anfang der Ph ilosophie ereignete sich fur Hegel wie auch fur Husserl in der antiken griechischen Welt. Zwar kann zugegebenermaBen die Frage nach dem Anfang der Philosophie nie nur den historischen Anfang betreffen, sondern vorrangig den Anfang fur uns. Doch Ruckblicke auf die Bedingungen des griechischen Anfangs konnen Einsichten in das gewahren, was auch uns zum Philosophieren bewegen bzw. das Philosophieren begunstigen konnte -wenn es sieh, wie in Hegel s Vorlesungen ubet die Geschichte der Philosophie, urn philosophische Ruckblicke handelt. Fur einen Denker, der die Geschiehtliehkeit der Philosophie in den Mittelpunkt stellt, kann die Frage nach dem geschichtlichen Anfang der Philosophie keine Nebenfrage sein. Hegel setzt nicht einfach voraus, daB die Philosophie im antiken Griechenland begonnen hat (und noch weniger stellt er die These auf, daB sie irgendwo anders begonnen habe), sondern er fragt, was iiberhaupt Philosophie heiBt, urn dann erkunden zu konnen, wo sieh dies zum ersten Mal ereignet hat. Eine Aussage uber das Wesen der Philosophie zu machen, ist jedoch mit grofsen
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Vgl. Maurer (1980), S. 49£.
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Schwierigkeiten verbunden; denn die Philo sophie macht sich nicht »Gedanken uber etwas, einen Gegenstand, der schon vorher als Substrat zugrunde liegt« (GPh I, m). Wenn trotzdem eine vorlaufige Aussage tiber den Inhalt gemacht werden soll-eine Antwort, die ihre Konkretion erst im Verlauf gewinnt-, so kann gesagt werden, daB der Inhalt der Philosophie der Gedanke ist oder das Allgemeine (vgl. GPh I, 115). Die Philosophie fangt da an, »wo das Allgemeine als das allumfassende Seiende aufgefaBt wird oder wo das Seiende in einer allgemeinen Weise gefaBt wird « oder dort, wo das Denken uber sich selbst nachzudenken beginnt (115 f.). Ein sokhes Denken, das sich vom einzelnen Seienden lost und das Ganze des Seienden zu erfassen sucht, kommt zum Ausdruck in Aussagen wie: Der Urgrund aller Dinge ist »das Wasser, oder das Feuer, oder der Gedanke « (116). Daher kann Hegel mit Recht behaupten: »Erst im Abendlande geht diese Freiheit des SelbstbewuBtseins auf, das natiirliche BewuBtsein in sich unter und damit der Geist in sich nieder « (GPh I, 121). In diesem Satz taucht der Begriff auf, der in Hegels Uberlegungen zum Anfang der Philosophie entscheidend ist: Freiheit. Die Freiheit, die Voraussetzung der Philosophie ist, hat viele Seiten. Die Freiheit des Gedankens bedeutet, daB der Geist sich trennen, sich befreien muB »von seinem natiirlichen Wollen, Versenktsein in den Stoff« (117). Das natiirliche BewuBtsein ist unfrei, da es im Stofflichen verhaftet ist und einzelnes Seiendes will; sokhes natiirliche Wollen kann nie wirklich befriedigt werden, da es sich seinen Gegenstand aneignet und dann nach mehr verlangt, also nie zur Ruhe kommt. Hegel beschreibt diese Unfreiheit, indem er Willkiir vorn Willen unterscheidet: Die Willkiir geht auf ein Besonderes, so daB ich abhangig von einem Anderen und somit unfrei bin . Der Wille hingegen geht auf ein Allgemeines, beispielsweise auf das Gute . Indem ich dieses Allgemeine will, bin ich frei, da ich dieses Allgemeine denke und verstehe und mich durch dieses Wollen in einem Verhaltnis zu Anderen befinde, die mir gleich und somit auch frei sind (vgl. 122). Die praktische Seite dieser Freiheit ist die politische Freiheit, die ebenfalls im antiken Griechenland aufbluht - freilich mit einem klein en Schonheitsfehler behaftet, den Hegel nicht verschweigt: In Griechenland war die reale Freiheit »mit einer Einschrankung behaftet, da es noch Sklaven gab « (122). Die Einsicht in die Freiheit aller Menschen war also noch nicht zur Vollendung gelangt, aber dennoch machten die Griechen im Bedenken und Festschreiben politischer Freiheit einschneidende Fortschritte, die es rechtfertigen, hier von einem Anfang zu sprechen. Hegel ist ebenso wie Husserl der Meinung, daB die Entstehung der Philo sophie im antiken Griechenland keineswegs ein Zufall ist. Es gibt aufsere Bedingungen, die das Philosophieren begiinstigen oder iiberhaupt erst moglich machen. Die notwendige Bedingung ist, so sagt Hegel unter Berufung auf Aristoteles, daB die Not des Lebens so weit befriedigt ist, daf es moglich ist, »an allgemeine Gegenstande zu denken « (GPh I , 70). Dariiber hinaus setzt auch Hegel eine Krisensituation als auBere Bedingung an, die zum Philosophieren fuhren kann. Dort, »wo ein
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Bruch eingetreten ist zwischen dem inneren Streben und der auBeren Wirklichkeit«, kann es geschehen, daB der Geist sich »ein Reich des Gedankens « bildet (71). Der Bruch, den eine solche Krisensituation bedeutet, fiihrt dazu, daf das naturliche BewuBtsein aus der zufriedenen Versunkenheit in das Sinnliche herausgerissen wird. Das Selbstverstandliche muf aufgebrochen werden, dam it das Denken beginnt. So lebten beispielsweise Sokrates und Platon in einer Zeit, in der das Staatsleben Athens sich in einer Krise bzw. im Untergang befand (vgl. 72). Und seine eigene Zeit bezeichnet Hegel in der Vorrede zur Phanomenologie als »Zeit der Geburt und des Ubergangs zu einer neuen Periode « (PhG, 18). Es gibt also Ubereinstimmungen zwischen Hegel und Husserl hinsichtlich des Gedankens, daB eine Krise zum Philosophieren fuhren kann. Doch hier muf genauer zugesehen werden: Auf den ersten Blick scheint ein wesentlicher Unterschied darin zu bestehen, daB Husserl nicht die Situation im antiken Griechenland als Krise beschreibt, sondern die gegenwartige Lage Europas, wahrend Hegel seine Epoche zwar zum Zeitpunkt der Verfassung der Phanomenologie noch als im Ubergang befindlich betrachtete, den spateren Aufstieg Preufsens aber dann vielmehr als Vollendungszustand ansah." Es ware jedoch zu einfach, Husserl die Sicht einer Verfallsgeschichte, Hegel hingegen die einer Fortschrittsgeschichte zuzuschreiben. Fur Husserl ist die gegenwartige Krise in der antiken Urstiftung bereits angelegt und geht aus einer einseitigen Konzentration auf die Suche nach dem irrelativen Ansichsein der Dinge hervor. AuBerdem haben wir oben bereits gesehen, daB es verschiedene Formen der Krisenerfahrung geben kann. Obwohl Husserl bezuglich des antik-griechischen Anfangs der Philosophie nicht von einer Krise spricht, laBt sich die Begegnung mit dem Fremden und die daraus hervorgehende radikale Verunsicherung der heimischen Auffassungen auch als Krise beschreiben, die jedoch von der gegenwartigen Krise verschieden ist. Die gegenwartige Krise betrifft gewissermaBen die Wissenschaften im Inneren, in ihrem Kern; sie ist daher (insbesondere angesichts der grofsen Bedeutung der Wissenschaften) besonders bedrohlich. Welcher Art war die Krise, von der Hegel spricht? Es handelt sich weder urn ein Infragestellen des Heimischen durch das Fremde noch urn eine inn ere Krise der Wissenschaften (die ja zu jener Zeit erst aufkamen). Vielmehr spricht Hegel von einem Bruch zwischen der Welt des Gedankens und der aufseren Wirklichkeit, ein Bruch, der sich insbesondere in der prablematischen politischen Lage manifestiert. Diese Krise ist gewissermaBen eine Krise innerhalb der Heimwelt. Man konnte die problematische politische Situation der Griechen jedoch auch so auslegen, daB sie nicht unabhangig von der Begegnung mit den Fremdwelten ist. Dann ware die von Hegel attestierte Krisenerfahrung zwar nicht identisch, aber 23 Vgl. Karl-Heinz Volkmann-Schluck, der zum Verhaltnis von Phanomenologie und Enzyklopiidie schreibt: Die Phiinomenologie »ist eine -fruhe Arbeit « fruher in einem wesenhaften Sinne und nicht nur als blofse Zeitabfolge verstand en; denn inzwischen hat sich das Zeitalter gewandelt:
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doch verwandt mit dem von Husser! besprochenen Staunen, welches selbst krisenhaften Charakter hat. DaB die politischen Probleme der Griechen mit ihrem Dasein als Handelsnation zusammenhingen, dafur sprechen nicht nur die diversen Kriege, die definitiv mit der politischen Lage in Wechselwirkung standen, sondern auf philosophischer Seite das Interesse an den verschiedenen Staatsverfassungen. Mit anderen Worten, die griechische politische Lage wird nicht zuletzt deshalb als krisenhaft und im Bruch mit der inneren Wirklichkeit stehend erfahren, weil die Griechen sich dessen bewufst wurden, daB verschiedene Staaten ihre Verfassungen unterschiedlich konzipieren und die eigene Verfassung daher nicht als selbstverstandlich hingenommen werden kann. Dies fuhrt im weiteren zu Besinnungen auf die beste mogliche Verfassung-und sei diese eine Utopie.
Zusammenfassend laBt sich sagen, daB Hegel keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Beweggrund zum Philosophieren gibt. Gewisse auBere Bedingungen begunstigen das Philosophieren. Wenn das naturliche BewuBtsein scharfsinnig genug ist, mufste es seine Widerspruchlichkeit im Prinzip selbst erkennen; da dies jedoch fur das individuelle BewuBtsein im allgemeinen nicht gilt, bedarf es eines AnstoBes von auBen. Und falls das BewuBtsein zu trage, eitel oder empfindlich ist, den Weg weiter zu verfolgen, bedarf es noch weiterer Anstofse. Wie trage, eitel oder empfindlich das BewuBtsein ist und ob es den Entschluis, sich yom Stofflichen loszureifen und dem Gedanken zuzuwenden fassen wird - dies hangt wohl nicht zuletzt auch von der geschichtlichen Situation abo Sowohl Hegel als auch Husser! sehen, daB dem naturlichen BewuBtsein eine Tendenz innewohnt, auf seinem Standpunkt verbleiben zu wollen . Ein Anstofs von auBen kann hilfreich sein - doch er bietet nie eine Garantie. Fur Hegel ist der Anstof letztlich die dem Bewufstsein selbst innewohnende Widerspruchlichkeit und Negativitat, die allerdings, so gibt Hegel zu, dem BewuBtsein moglicherweise erst vor Augen gefuhrt werden mufs, Husser! beschreibt in seiner fruhen Philosophie den Ubergang als Willens akt, stellt aber insbesondere im Rahmen einer geschichtlichen Einfuhrung in die Philo sophie die Frage nach einer rnoglichen Motivation, die auch erklaren mufs, warum die Philosophie gerade bei den antiken Griechen aufkam. Wenngleich das Staunen nicht gerade die originellste Antwort auf die Frage nach einem Motivationsgrund darstellt, so laBt sich doch zeigen, daB das durch die Begegnung mit einer Fremdwelt hervorgerufene Staunen einerseits eine plausible Erklarung ange-
Das Absolute ist aus seiner abstrakten Herrschaft in die Einheit und Freiheit seines Wesens zuriickgekehrt, dergestalt, daB es sich nun als System der Wissenschaft in seinem eigenen Element auszubreiten vermag « (Volkmann-Schluck (1998), S. 136).
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siehts der gesehiehtlichen Situation der Grieehen darstellt und andererseits auf einer allgemeineren Ebene Husserls spate Theorie der Intersubjektivitat beleuehtet und bereiehert. In jedem Fane gilt, daB es keine zwingenden Griinde fur den Dbergang in die Philosophie gibt. Erst im naehhinein zeigt sieh, daB der Ubergang gegluckt ist; erst aus der Perspektive des philosophisehen BewuBtseins, das im nachsten Teil zum Thema wird, kann der Weg des natiirliehen BewuBtseins naehverfolgt werden.
TElL III
DAS PHILOSOPHISCHE BEWUSSTSEIN
Einfuhrende Bemerkungen
Im dritten Teil dieser Arbeit sollen WesenszOge des ph ilosophischen BewuBtseins untersucht werden. Husser! und Hegel stim men uberein, daB die Uberwindung der strikten Trennung von Erkennen und Erkanntem die entscheidende Aufgabe der Philosophie ist. Wir mussen begre ifen, daB Sein im mer Sein-fur-Bewulitsein ist oder, wie Hegel es ausdruckt, daB das Ansichsein das Fursichsein ist. In Husser!s Philosophie spiegelt sich diese Einsicht darin wider, daB das transzendentale BewuBtsein zum Forschungsgebiet wird-und zwar das transzendentale BewuBtsein mit allem, was in ihm in Erscheinung tritt, und das bedeutet letztlich, mit der Welt als erscheinender. BewuBtsein und Welt sind im Prinzip zwei Seiten derselben Sache, und so geht in der Phanornenologie nichts vom Reichtum der Welt ver!oren. Die Stufe der Philo sophie in Hegels Phiinomenologie des Geistes ist die des absoluten Wissens, das heiBt, des Geistes, der vollstandig zu sich gekommen ist und sich selbst weiB. Die fruheren Stufen, die Hegel auch als Abstraktionen des Geistes bezeichnet, sind im Geist aufgehoben und damit nicht nur uberwunden, sondern auch bewahrt. Die Bewegung, in der der Geist zu sich kommt, faBt Hegel im Bild des Kreises, der in sich zurOckgeht und seinen Anfang vorausssetzt, ihn aber erst im Ende erreicht. Das Bild des Kreises impliziert zweier!ei: Zum einen eine Abgeschloss enheit der Bewegung, zum anderen die Erkenntnis, daB erst am Ende der Anfang vollstandig sichtbar wird, gleichzeitig aber das Ende des Anfangs bedarf und aus ihm seine Richtung erfahrt. Letztere Einsicht teilt Husserl, erstere hingegen nicht. Husserl zufolge sind wir das, was wir heute sind, als Erben einer »Urstiftung «, namlich der ursprOnglichen Stiftung von Wissenschaft und Philosophie im antiken Griechenland. Die Urstiftung bestimmter Aufgaben und Ziele hat der europaischen Geistesgeschichte eine bestimmte Richtung gegeben, so daB sie sich als teleologische Geschichte zeigt. Das, woraufPhilosophie eigentlich» hinauswollte «, wird laut Husser! erst in der » Endstiftung « offenbar. Die Rede von einer Endstiftung bedeutet jedoch nicht, daB Husser! von einer Vollendung der Geschichte ausgeht, sondern bezieht sich auf die Etablierung eines zukunftigen Ziels, das erst den Ursprung als solchen zum Vorschein bringt. Solche Ziele konnen vorlaufig sein und transformiert werden. Laut Husser! ist der Urstiftungssinn der Philosophie gerade nicht erreicht worden; ganz im Gegenteil ist unsere Erfahrung die einer Krise. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen Husser!s und Hegels Geschichtsphilosophie: FOr Hegel ist die Gegenwart die Vollendung der Philosophie, fur Husserl
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ist die Gegenwart krisenhaft und bedarf daher gerade der Philosophie, die einen neuen Anfang wagt, urn dem Urstiftungssinn endlich gerecht zu werden.' Dieser unterschiedlichen Einschatzung des Verhaltnisses von Philosophie und Geschichte korrespondiert eine unterschiedliche Einschatzung der Rolle, die dem Phanomenologen zukommt. Der Phanomenologe in Husserls Spatphilosophie ist nicht nur selbst im geschichtlichen Prozefs inbegriffen (und kann insofern keinen auBergeschichtlichen Standpunkt einnehmen, wie es Husserl in seiner fruhen Philosophie wohl noch vorschwebte), sondern er hat auch teil an der Kritik und Erneuerung seiner geschichtlichen Welt. Durch ihren Bruch mit der naiven Selbstverstandlichkeit des Lebens und kraft ihrer kritischen Besinnungen auf die Geschichte werden die Philosophen, so Husserl, zu »Funktionaren der Menschheit «, die allen Menschen zu einem neuen Selbstverstandnis verhelfen. Der Philosoph in Hegels Phiinomenologie des Geistes hingegen solI sich rein beschreibend und nicht bewertend verhalten; eine Kritik seiner Gegenwart erubrigt sich freilich, da in ihr die Philosophie vollendet und der Geist in die Wirklichkeit getreten ist. In diesem Teil der Arbeit wird es demgemaf nicht nur urn das philosophische Bewufstsein im engeren Sinne gehen, sondern auch urn Fragen der Methode, urn die Rolle der Phanomenologen und urn die Gerichtetheit der Geschichte. Diese Fragekomplexe stehen in Beziehung zueinander, so wird hier behauptet. Inwiefern Husserls Auffassung des philosophischen BewuBtseins sich von derjenigen Hegels unterscheidet und unterscheiden mufs, wird besser verstandlich angesichts der Frage, wie sich Husserls Phanomenologie der offenen Horizonte beispielsweise in seinem Verstandnis von Geschichte widerspiegelt. Hegels System der Philosophie entspricht naturgernafs ein anderes Bild von Geschichte.
Dies ist, wie bereits erwahnt, nicht mit der Behauptung zu verwechseln, Hegel betrachte Geschichte als Fortschritt, Husser! als Verfall. Die Krise ist in der Urstiftung bereits angelegt, und daher muB der Urstiftungssinn selbst genauestens unter die Lupe genommen werden , wenn es der Phanomenologie urn eine Oberwindung der Krise geht.
KAPITEL
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Das Betrachtungsfeld der Philosophie Das Wesen der Phanornenologie (sowohl der Hegelschen wie aller modernen Phanomenologien) istes, Immanenz und Offenheit untrennbar miteinander zu verbinden: die eine iststets dieKehrseite der anderen. Merleau-Ponty, Vorlesungen
I,
239.
Am Ende der Phiinomenologie des Geistes steht der sich selbst wissende Geist; nach Durchfuhrung der Epochebei Husserleroffnetsich uns das Felddes transzendentalen BewuBtseins mit seinem gesamten Inhalt. Gemeinsam ist beiden Philosophien, daB sie den untrennbaren Zusammenhang von Immanenz und Welt enthiillen: Die eine ist die Kehrseite der anderen. Gleichwohl ist der hegelsche Geist nicht identisch mit der husserlschen transzendentalen Subjektivitat. Doch die transzendentale Subjektivitat, wie Husserl sie erforscht, ist dem hegelschen Geist naher als gemeinhin angenommen wird; auch fur Husserl spielt die Gemeinschaft eine entscheidende Rolle (sowohlim Sinne der Selbstvergemeinschaftung des BewuBtseins alsauch im Sinneder Gemeinschaftvon Bewufstseinen), und er erlautert sogar ausfuhrlich die Moglichkeit eines iiberpersonalen, gemeinschaftlichenBewuBtseins.
a. Dersich selbst wissende Geist beiHegel
Wie sich das philosophische BewuBtsein fur Hegeldarstellt, soll hier anhand einer Auslegung des letzten Kapitels der Phiinomenologie gezeigt werden. Das absolute Wissen bildet insofern eine Antwort auf die Frage nach dem philosophischen BewuBtsein, als es in der Tat am Wegende der Erfahrung des BewuBtseins steht, also am Ende des Weges des natiirlichen BewuBtseins in die Philosophie. Lautet die Frage jedoch, welches Betrachtungsfeld sich der Philosophie nach dem Weg eroffnet, dann muB auch das Verhaltnis von Geist und BewuBtsein sowie, in gewissem Grade,das Verhaltnisvon Phiinomenologie und Systemoder Wissenschaft der Logik angesprochen werden. Dies kann hier nur in skizzenhafter Weise und immer auf dem Boden des letzten Kapitels der Phiinomenologie geschehen. Die Stufe des absoluten Wissens weist einige Besonderheiten auf, durch die sie sich von allen anderen Stufen unterscheidet. Das absolute Wissen ist keine T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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BewuBtseinsgestalt im eigentlichen Sinne, da sie aIle bisherigen Gestalten in sich versammelt; sie ist das Ganze, das nicht uber sich hinausweist. Als Standpunkt des Ganzen muf das absolute Wissen in irgendeiner Weise schon am Anfang vorhanden sein, bevor das Absolute sich in einzelne Momente trennt und als solche zeigt: Das Absolute will bei uns sein. Wir stoBen hier auf eine eigentiimliche Gegenlaufigkeit; denn einerseits setzt das absolute Wissen das Durchlaufen der Momente voraus, andererseits setzen die Momente das Absolute voraus. Diese Problematik des Friiheren und des Spateren greift Hegel im Kapitel iiber das absolute Wissen auf, und wir werden darauf zuriickkommen. 1m absoluten Wissen laufen alle Faden zusammen; nur das absolute Wissen weif urn seine Entstehung und weiB sich als Resultat. Deshalb ist die Rekapitulation des Bisherigen in diesem Kapitel der Phiinomenologie so wichtig, obwohl es auch zu Beginn friiherer Kapitel Zusammenfassungen des durchlaufenen Weges gab; erst jetzt eroffnet sich der Blick auf den Weg in seiner Vollstandigkeit, 1m weiteren soll einer Reihe von Fragen nachgegangen werden, denen Hegel sich im letzten Kapitel zuwendet - wenngleich nicht unbedingt in zusammenhangender und systematischer Weise-, da sie sich notwendig am Ende der Phiinomenologie stellen. Zunachst muf geklart werden, wie das absolute Wissen sich aus der vorhergehenden Gestalt, der Religion, ergibt: Warum und inwiefern ist das religiose BewuBtsein unvoIlkommen im Vergleich zum absoluten Wissen? Es zeigt sich, daf die Religion bereits das Absolute zu ihrem Inhalt hat, jedoch in der falschen » Form «, also auf die falsche Weise: Sie stellt das Absolute vor, wahrend die Philosophie es begreift. Wenn sich das absolute Wissen als Aufhebung der Religion ergeben hat, dann muf deutlich werden, inwiefern dieses Wissen der in der Einleitung ausgesprochenen Forderung nach Obereinstimmung von Begriff und Gegenstand entspricht: Wie ist die Obereinstimmung von Begriff und Gegenstand zu denken, und insbesondere, wie ist sie zu denken, ohne in ein blofses Einerlei oder eine blof abstrakte Identitat zu verfaIlen? Die Obereinstimmung ist insofern kein Einerlei, als dennoch immer zwei Seiten oder Dimensionen existieren: Substanz und Subjekt. Das Verhaltnis dieser beiden Seiten muf genauer betrachtet werden; denn letztlich handelt es sich bei dem, was Hegel hier vorschlagt, urn die Einheit von Gegensatzen, Schliefslich folgen einige Uberlegungen zum Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik sowie zum Verhaltnis von Geist und Zeit - einem Thema, dem Hegel sich am Ende seines Kapitels zuwendet und das in dieser Arbeit im zehnten Kapitel noch einmal aufgegriffen wird. I. Obwohl das absolute Wissen sich als Resultat des gesamten Weges ergibt und inso fern aIle anderen Gestalten in ihm aufgehoben sind, so ist doch das Verhaltnis von Religion und absolutem Wissen besonders wichtig zum Verstandnis von letzterem.
DAS BETRACHTUNGSFELD DER PHILOSOPHIE
Die Religion geht dem absoluten Wissen unmittelbar voraus, und beide haben eine wichtige Gemeinsamkeit: ihren Inhalt. Der Inhalt des religiosen BewuBtseins ist bereits der absolute Geist, und »es ist allein noch urn das Autheben dieser bloBen Form zu tun « (PhG, 575), namlich der Form des Vorstellens . Der wesentliche Mangel der Religion besteht in der Form ihres Wissens, also darin, wie sie ihren Gegenstand auffaBt: Sie stellt das Absolute vor. Vorstellen bedeutet, daB mir etwas als von mir Getrenntes gegeniibersteht. Diese Trennung ist das, was iiberwunden werden muB. Die Trennung von BewuBtsein und Gegenstand ist allen unvollkommenen Gestalten gemeinsam, und deshalb kommt es darauf an zu sehen, wie sie sich gerade hier, auf der Stufe der Religion, ausspielt. Wichtige Kontrastausdriicke sind dabei die Vorstellung im Gegensatz zum Begriff sowie das Fiihlen im Gegensatz zum Anschauen (vgl. PhG, 574f.). In der Religion geht es urn das »Vorstellen eines Anderen «, wahrend der Begriff das » Tun des Selbst « ist (582). Was letzteres heilst, wird uns noch beschaftigen: zunachst geht es urn die Fremdheit des Gegenstandes der »religiosen Gemeinde « (586), wobei die Gemeinde das kollektive , oder, wie Hegel sagt, das allgemeine SelbstbewuBtsein der Religion ausmacht. Die Fremdheit besteht oberflachlich betrachtet zunachst darin, daB Gott die Welt erschaffen hat, nicht wir. Doch die Fremdheit bleibt nicht in dieser einfachen Form bestehen: Gott macht sich selbst zum Menschen und offenbart sich als solcher. Im Ereignis der Auferstehung gehen die Gegensatze von Mensch und Gott ineinander tiber: Gott, der sich in seiner Allgemeinheit zum Einzelnen, Endlichen gemacht hat, stirbt-doch dann nimmt der sterbende Einzelne wiederum den Charakter des Allgemeinen an, indem Christus aufersteht.' Dennoch wissen wir urn diesen Prozef als urn denjenigen Gottes und nicht unseren eigenen; das Wissen urn diesen Vorgang erscheint als ein Geschenk Gottes, also einer frernden Quelle entspringend.! Dies spiegelt sich wieder in der Form des christlichen BewuBtseins, in der wir dem Absoluten am nachsten kommen: im Gefuhl, welches das Gefuhl der Vereinigung der Gegensatze in der Auferstehung ist. Fuhlen jedoch ist unvermittelte Nahe, und Fiihlen ist die Auffassungsweise, in der wir uns am aufnehmendsten, am rezeptivsten verhalten. Obwohl der Mensch sich in der Vereinigung mit Gott gerade als Ebenbild Gottes und damit als autonom erfahren sollte, spurt er seine Autonomie im Uberkommenwerden von diesem Gefuhl gerade am wenigsten. Zwar sind Gott und Mensch inhaltlich eins, aber die Form, namlich das Gefuhltwerden, widerspricht dem : Das Gefuhl enspringt einem Anderen, mir Fremden. Es folgt, daB der Inhalt des religiosen BewuBtseins von
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Vgl. PhG, 565f.: »Denn in dieser Bewegung stellt es sich als Geist dar; das abstrakte Wesen ist sich entfremdet, es hat naturliches Dasein und selbstische Wirklichkeit ; dies sein Andersse in oder seine sinnliche Gegenwart wird durch das zweite Andersw erden zur iickgenommen und als aufgehobene, als allgemeine gesetzt; (. . .) dieser Tod ist dah er sein Erstehen als Geist « , Vgl. hierzu und zum folgende n Miller (1998), S. 429 .
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sich aus danach verlangt, daB die Form des Vorstellens und Fiihlens iiberwunden wird, damit der Inhalt zu seinem Recht kommt-im absoluten Wissen. Die angemessene Form ist allerdings auch bereits aufgetaucht, auf einer fruhe ren Stufe, namlich derjenigen der »schonen Seele«, also der letzten Stufe innerhalb des Abschnitts uber den seiner selbst gewissen Geist bzw. die Moralitat. Denn was zur Aufhebung des religiosen BewuBtseins notig ist, das ist der Ubergang vom gegenstandsorientierten BewuBtsein zum SelbstbewuBtsein, natiirlich auf allerhochster Ebene. Der schonen Seele ist die »einfache Einheit des Begriffs« eigen (PhG, 580), und damit hat sie die Form des absoluten Wissens, doch es mangelt ihr an Inhalt. Die schone Seele ist ein Moment des Gewissens; das Gewissen aber hat zum Inhalt die eigene GewiBheit des eigenen Selbst und auch die leere Pflicht und den leeren Willen (vgl. PhG, 466). Das Gewissen mochte ganz frei sein, unabhangig von jedem bestimmten Inhalt, der eine Fremdbestimmung bedeuten wiirde; doch eine solche Selbstbestimmung kann schlieBlich nur leer in sich selbst kreisen. Was als absolute Freiheit begann, erweist sich als Armut, die in sich selbst zusammenfallt. Das BewuBtsein »versinkt in diesem Begriffe seiner selbst« (482), und die vollendete Form der SelbstgewiBheit niitzt gar nichts, wenn sie nicht mit einem Inhalt vereinigt werden kann. »Die wirklichkeitslose schone Seele (... ) zerflieBt in sehnsiichtiger Schwindsucht« (491) .3 Indem jedoch die Form der schon en Seele und der Inhalt der offenbaren Religion vereinigt werden, gelangen wir zum absoluten Wissen. Das religiose BewuBtsein erkennt, daB das Absolute nicht im Jenseits zu suchen ist, und es geht dazu uber, dieses Absolute in einer selbstgewissen Weise zu wissen. Das Absolute ist nichts von uns Getrenntes, sondern es weiB sich in und durch uns. II. Wie faBt nun das absolute Wissen den Geist auf? Wie ist die angekundigte Ubereinstimmung von BewuBtsein und Gegenstand einerseits plausibel zu machen und andererseits davor zu bewahren, in eine unterschiedslose Identitat zu verschmelzen? Wer von diesem letzten Kapitel der Phiinomenologie einen iiberzeugenden und einleuchtenden Beweis fur Hegels These von der Ubereinstimmung von Begriff und Gegenstand erwartet hatte, der wird enttauscht. Im wesentlichen sagt Hegel: DaB es diese Ubereinstimmung gibt, haben wir ja inzwischen gelernt. Und dies ist schlieBlich auch nur konsequent: Wenn es moglich ware, das absolute Wissen in einem einzigen Schritt und aus sich heraus zu erklaren, dann ware der Gang des BewuBtseins bis hierher nur uberflussiges Beiwerk bzw. hubsche Ausschmuckung
3
Vgl. zu den philosophischen und literarischen Urspriingen der »schonen Seele«: Harris (1997), S. 479 If.
DAS BETRACHTUNGSFELD DER PHILOSOPHIE
gewesen. Statt dessen muB fur jede einzelne Gestalt eingesehen werden, daB die Trennung der Seiten nicht aufrechtzuerhalten ist. Alles andere ware eine bloB logische Ableitung der Ubereinstimmung, urn die es mindestens in diesem Werk nicht zu tun ist. Hegel will, daB wir konkret sehen, warum sich beispielsweise Wahrnehmung nicht verstehen laBt, wenn wir alles Gewicht auf den Gegenstand oder alles Gewicht auf das Wahrnehmen legen. Und auch wenn fur die geschichtliche Epoche der Neuzeit die Trennung von Subjektivitat und Objektivitat die mafsgebliche Trennungsgestalt ist, so reicht es doch nicht, diesen Gegensatz zu betrachten, sondern es muB aufgezeigt werden, wie es dahin gekommen ist. Insofern kommt es bei der Lekture dieses letzten Kapitels vielleicht sogar weniger darauf an, die Ubereinstimmung zu erklaren, als vielmehr zu zeigen, inwiefern dies kein unterschiedsloses lneinsfallen bedeutet. Dazu muB beachtet werden, daB wir es nach wie vor immer mit zwei Seiten, beispielsweise mit Subjekt und Substanz, zu tun haben. Zum Verstandnis der Gleichheit-und des Unterschieds-gibt Hegel uns mehrere Hilfen an die Hand: Zunachst rekapituliert er in groben Zugen den bisherigen Gang des BewuBtseins. Diese Rekapitulation ist jedoch weniger inhaltlicher als vielmehr logisch-systematischer Art, und sie dient unter anderem dazu, das Verhaltnis von Ding und Ich zu klaren. Die Ubereinstimmung von Ding und Ich, die sich in der Bewegung von Entaufserung und Erinnerung vollzieht, ist eine Seite des absoluten Wissens, die wir verstehen mussen. SchlieBlich und eigentlich aber kommt es darauf an, Fursich und Ansich, Form und Inhalt, Subjekt und Substanz in ihrem jeweiligen Wesen und in ihrem wahren Verhaltnis zueinander zu begreifen. Hegels Ruckblick auf die ersten drei Kapitel zeigt, daB das Ding sich yom unmittelbaren Sein als Gegenstand der sinnlichen GewiBheit uber das Verhaltnis (oder das Sein fur Anderes) als Gegenstand der Wahrnehmung bis hin zum Wesen oder Allgeme inen als Gegenstand des Verstandes entwickelt hat (vgl. 576). Interessanterweise macht Hegel uns hier bereits darauf aufmerksam, daB die Bewegung als eine solche von der Allgerneinheit uber die Bestimmtheit zur Einzelheit oder auch umgekehrt betrachtet werden kann. Die Entwicklung vollzieht sich also nie nur in eine Richtung; was Hegel immer wieder als Kreis beschreibt, der in seinem Ende in den Anfang zuruckkehrt, gilt nicht nur fur das Ganze, sondern auch fur klein ere Einheiten: Wir erreichen, wenn auch auf hoherer Stufe, immer wieder unseren Ausgangspunkt. Auch gibt es Einzelheit und Allgemeinheit uberhaupt nur in ihrem Verhaltnis zueinander, und deshalb ware es kurzschlussig zu denken, daB wir die Einzelheit zugunsten der Allgemeinheit hinter uns lieBen. Wir haben in den ersten drei Kapiteln der Phanomenologie gelernt, daB der Gegenstand nichts dem BewuBtsein Fremdes ist, oder, anders gesagt: »DasDingist Ich; (... ) es ist nichts an sich; es hat nur Bedeutung im Verhaltnisse, nur durch Ich und seine Beziehung aufdasselbe « (577). Die nachste Gestalt, das SelbstbewuBtsein, erfaBt die Identitat von Denken und Gegenstand, aber in bloB unmittelbarer Weise, narnlich ohne den Reichtum der Substanz in sich aufzunehmen. Von dieser
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Anreicherung erfahren wir in den Kapiteln tiber Vernunft und Geist: Die Vernunft beispielsweise findet in den Gegenstiinden der Natur sich selbst, und indem sie in ihr Extrem geht und sich das Ich selbst zum Gegenstand erwahlt, findet sie, »daf das Sein des Ich ein Ding ist« (577) . Eigentlich hat die Vernunft in der Erforschung der Natur namlich nur sich selbst gesucht, und die Suche ist zwar erfolgreich, aber sie fuhrt zum Ich als einem Fremden, einem blofen Ding. Die Aussage, daB das Ich ein Ding ist, ist in ihrer Unmittelbarkeit geistlos, sagt Hegel; doch sie ist darauf angelegt, zum Geistreichsten zu werden, wenn sie mit Inhalt bereichert und mit dem anderen Moment, daB das Ding Ich ist, versohnt wird . Indem das SelbstbewuBtsein den Weg der Bildung geht und durch die Aufklarung hindurch zum moralischen Gewissen kommt, reichert sich das Wissen, daB der Gegenstand nichts anderes ist als sein reines Wissen von sich selbst, immer mehr mit Substanz an. Wir erkennen im Ruckblick, daf das Selbst sich in aIle Dimensionen des Seins hinein entaufsert hat. Das BewuBtsein bringt nun die beiden Thesen, daB das Ich ein Ding und daB das Ding Ich ist, zusammen und urteilt: Ich =Ich. In diesem Urteil sind die Gegensiitze aufgehoben, und das einzelne Selbst weiB sich als aIlgemeines oder als aIle AIlgemeinheit in sich enthaltend (vgl. 579). Doch es kommt darauf an zu verstehen, daf »diese Gleichheit als absolute Negativitat der absolute Unterschied ist «, der » als die Zeit auszusprechen ist« (586f.). Entscheidend ist zunachst, daf das Ich immer einen Inhalt hat, den es von sich unterscheidet; das Ich =Ich bedeutet keine Inhaltsleere, und dam it bedeutet es auch kein unterschiedsloses Einerlei. Hegel erlautert dies durch die Begriffe von Subjekt und Substanz: Das Werden des Geistes besteht in der Verwancllungder Substanz in das Subjekt. In der Vorrede findet sich der bekannte Satz, in dem Hegel gegen Spinoza betont, es komme »alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrucken « (PhG, 22f.). Spinoza hat in seiner Lehre von der Substanz zwar etwas Wahres gedacht, dabei aber ubersehen, so Hegel, daB die Substanz als in sich lebendig bzw. als Subjekt gedacht werden muf (vgl. GPh III, 166). Die Substanz ist fur Hegel, grob gesagt, die trage Wirklichkeit oder das beharrliche Sein. In der reinen , unbegeisteten Substanz gibt es keine Unterschiede (vgl. PhG, 587). Die Substanz ist dafur verantwortlich, daB sich der Geist nur langsam und trage bewegen kann: Das Selbst hat »diesen ganzen Reichtum seiner Substanz zu durchdringen und zu verdauen« (PhG, 590). Das Subjekt ist das Selbst oder Selbstbewufstsein, welches die Substanz durchdringt, sich aneignet und eben dadurch belebt. Hegel bezeichnet diese Durchdringung der Substanz durch das Subjekt auch als Verwandlung des Ansich in das Pursich (vgl. PhG, 585), wodurch ebenfalls auf die Bewegung des Aneignens und In-Beziehung-Setzens verwiesen wird. Der Seite des Subjekts gehort die Kraft des Unterscheidens an; das Subjekt macht Unterschiede oder deckt die in der Substanz verborgenen Unterschiede auf. Zu Beginn des Kapitels tiber den Geist wird das Verhaltnis wie folgt beschrieben: » Als die Substanz ist der Geist die unwankende,
DAS BETRACHTUNGSFELD DER PHILOSOPHIE
gerechte Sichselbstgleichheit; aber als Fiirsichsein ist sie das aufgeloste, das sich aufopfernde gut ige Wesen (... ) « (PhG, 325). Das Subjekt ubernimmt gewissermaBen die Aufgabe, die Substanz zu verflussigen und in Bewegung zu bringen. Doch letztlich mach en beide Seiten Zugestandnisse; Versohnung heiBt, daB zwei von ihrer Einseitigkeit ablassen: Das Subjekt als » In-sich-in-seiner-Einzelheit-Sein« gibt sein Fursichsein auf und »entaufsert, bekennt sich «; die Substanz in ihrer abstrakten Allgemeinheit entsagt ihrer Harte, Unlebendigkeit und Unbeweglichkeit (582). Substanz und Selbst erganzen sich, und dadurch erst kommt der Geist in sein wahres Wesen. Das Subjekt »entaufs ert « sich in die Substanz; das SelbstbewuBtsein setzt sich als Gegenstand- und weiB damit urn die Unselbstandigkeit des Dinges. Der fur das gesamte Kapitel maBgebliche Begriff der Entaufserung wird erganzt und vervollstandigt durch die Er-Innerung, in der das Subjekt in sich zuruckgeht, dabei aber die Substanz mitnimmt und zu seinem Gegenstand und Inhalt macht. Die Erinnerung ist das Insichgehen, in dem das Subjekt vollstandig wissen will, was es ist-das aber kann es nur, wenn es seine Substanz weiB, die es daher in sich aufbewahrt (vgl. 590). Damit ist die Er-Innerung »die hohere Form der Substanz « (591), oder genauer: Die er-innerte Substanz ist die hohere Form der Substanz. Wenngleich Er-Innerung so wortlich wie moglich gehort werden muB und es dabei urn eine Bewegung der Entaufserung und Verinnerlichung zwischen Subjekt und Substanz geht, so kann es doch hilfreich sein, auch unseren alltaglichen Begriff von Erinnerung als Hintergrund im Blick zu behalten: Obwohl Erinnerungen scheinbar etwas rein Subjektives und Immaterielles sind, kann es keine Erinnerungen geben, in denen nicht etwas yom Reichtum der Welt aufbewahrt ware, an die sie so immer ruckgebunden bleiben . Die Versohnung von Subjekt und Substanz ist der Geist. Das absolute Wissen ist dann »der sich in Geistsgestalt wissende Geist oder das begreifende Wissen « (582), wobei Begreifen heiBt: im Anderssein bei sich selbst sein. Die Kraft des Geistes ist es, in der Entaufserung sich gleich zu bleiben (vgl. PhG, 588). Der Geist entaufsert sich in die Ausdehnung der Substanz, und er er-innert sich in die Tiefe des Subjekts; weder in der Weite noch in der Tiefe verliert er sich. Dabei werden aber auch nicht » die Unterschiede in den Abgrund des Absoluten« geworfen, sondern » das Wissen besteht vielmehr in dieser scheinbaren Untatigkeit, welche nur betrachtet, wie das Unterschiedene sich an ihm selbst bewegt und in seine Einheit zuruckkehrt« (588).
Die Gegensatze verlieren nicht ihren Gegensatzcharakter; vielmehr kommen sie durch die verbindende Einheit erst in ihr volles Wesen als Gegensatze, Diesen Gedanken gibt es schon bei Heraklit, den man nur dann als Denker der Gegensatze bezeichnen darf, wenn man dabei im Auge behalt, daB es ihm wesentlich auf die Einheit der Gegensatze ankommt. Beispielhaft ausgedruckt findet sich dieser Gedanke in Heraklits Fragment B 57: » Lehrer aber der meisten ist Hesiod. Von ihm sind sie uberzeugt, am meisten wisse er. Er, der doch Tag und Nacht nicht erkannte.
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Sind sie doeh eins! «4 Dieses Fragment will nieht zum Ausdruek bringen, daB Tag und Naeht ineinander iibergehen, ineinander einmiinden, sondern daB der Tag die aufgehellte Naeht ist so wie die Naeht der verdunkelte Tag.' Hegel hat Heraklits Philo sophie sehr zu schatzen gewuBt;6 gleiehwohl kommt es Hegel darauf an, den Gedanken der Einheit der Gegensatze nieht nur an Einzelbeispielen festzumaehen, sondern aufden Grundgegensatz, der fur Hegel derjenige von Subjekt und Substanz ist, auszuweiten. In der Versohnung von Subjekt und Substanz erseheint der an und fur sieh seiende Geist. Indem der Geist seinen Begriffvon sieh gewonnen hat, entfaltet er sieh in diesem Element und bewegt sieh somit in der Wissensehaft. Wie aber verhalt sieh der Geist zum Bewufstsein, urn dessen Erfahrung es doeh in der Phiinomenologie des Geistes mindestens aueh geht? Das BewuBtsein ist der un mittelbar existierende Geist, oder, in der Spraehe der Enzyklopadie ausgedriiekt, das BewuBtsein ist »nur das Erscheinen des Geistes« (Enz. III, §414)-deshalb haben wir es hier mit einer »Phanomenologie «des Geistes zu tun. Die Beifugung »nur« deutet daraufhin, daB das Erseheinungshafte ein Mangel ist. In der Tat werden Wesen und Erseheinung in der Wirkliehkeit aufgehoben (und damit freilieh aueh bewahrt): »das hohere als die bloBe Erseheinung ist zunachst die Wirklichkeit« (Enz. I, 263). Doeh Hegel wiirdigt aueh die Bedeutung des Erseheinungshaften in einem Satz, der ihn im Gegensatz zu den sonstigen Erklarungen iiber die Einseitigkeit der Erseheinungen wieder in die Nahe Husserls bringt: Die Erseheinung ist uberhaupt eine sehr wiehtige Stufe der logisehen Idee, und man kann sagen, daB die Philosophie sich vom gemeinen BewuBtsein dadurch unterscheidet, daB sie dasjenige, was diesem als ein Seiendes und Selbstandiges gilt, als blofse Erscheinung betrachtet. (Enz. I, 262)
Aueh in der Phiinomenologie betont Hegel im letzten Kapitel, daB der » Obergang des Begriffsins Bewufitsein« (PhG, 589) als der Erseheinungsseite des Geistes notwendig sei. Wie die Phanomenologie uns zum absoluten Wissen gefuhrt hat, so fuhrt uns dieses zuriiek zur Erfahrung des BewuBtseins. Das Verhaltnis von BewuBtsein und Geist, das nur aus einem griindliehen Studium der Enzyklopadie heraus verstandlich wird , urn das es hier nieht gehen kann, laBt sieh aueh mit den Begriffen von Subjekt und Substanz in Verbindung bringen: In der Systematik der Enzyklopadie, deren dritter Teil- die Philo sophie des Geistes-sieh in subjektiven, objektiven und absoluten Geist gliedert, gehort die » Phanomenologie des Geistes « dem subjektiven Geist an . Dem steht der objektive Geist gegeniiber, der sieh eine Wirkliehkeit ersehafft, sieh in eine Welt hinein ver4 5 6
Obersetzung nach Volkmann-Schluck (1992). Vgl. C. Hochkeppel (1997), S. 46. Hegel schreibt uber Heraklit: »Das Dunkle dieser Philosophie Iiegt aber hauptsachl ich darin, daB ein tiefer, speku lativer Gedanke in ih r au sgedruckt ist- (GPh 1,323).
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gegenstandlicht. Diese Verwirklichung des objektiven Geistes nimmt die Formen an von Recht, Moralitat und schliefslich Sittlichkeit in den drei Abschnitten der Familie, der biirgerlichen Gesellschaft und des Staates. Hegel sagt vom objektiven Geist auch, er sei »die absolute Idee, aber nur an sich seiend « (Enz. III, §483). Das BewuBtsein als Element des subjektiven Geistes beschreibt die» unendliche Beziehung des Geistes auf sieh, aber als subjektive, als Gewifiheit seiner selbst« (Enz. III, §413). Dem Bewufstsein mangelt es an Substanz; wichtiges Element des Bewufstseins in der Enzyklopiidie ist der Ubergang zum Selbstbewufstsein, zur vollbrachten SelbstgewiBheit. Gegeniiber den vorhergehenden Formen des subjektiven Geistes, namlich der natiirliehen und der fuhlenden Seele, zeichnet sich das BewuBtsein als SelbstbewuBtsein dadurch aus, daf hier die Seele ihrer selbst bewufst wird bzw. zum Ich erwaeht. Diese kurzen Andeutungen zeigen bereits, daB es in der Phiinomenologie des Geistes nicht blof um Erfahrung des BewuBtseins geht; in der Phiinomenologie wird auch der Gang des objektiven Geistes durehlaufen, und am Ende gelangen wir in der Tat zum absoluten Geist als Versohnung von Subjekt und Substanz. Es laBt sich kaum bestreiten, daf die Phiinomenologie Wissensehaft des BewuBtseins ebenso wie des Geistes ist;? gleiehwohl ist die Phiinomenologie nieht im gleichen Sinn Wissensehaft des Geistes wie die Wissenschaft derLogik. III.
Das Verhaltnis von Phiinomenologie und Logik oder Phiinomenologie und »Wissensehaft«, wie Hegel es ausdriiekt, solI hier rein aus der Sieht der Phiinomenologie betraehtet werden, so daB sieh nur einige wenige, auf un sere Problematik bezogene Gesichtspunkte ergeben. In der Phiinomenologie geht es nieht um ein Wissen als »reines Begreifen des Gegenstandes «-dies ware Inhalt der Logik-, sondern um das Werden des Wissens oder um das Wissen in Form von BewuBtseinsgestalten (PhG, 576). Der BewuBtseinsgestalt als blofsem Moment einer Totalitat steht die Totalitat als ganze gegeniiber, die nicht in Momente aufgelost ist. Die Logik hat es mit dieser Totalitat oder mit der »geistigen Wesenheit« zu tun (ebd .). SolI dies nun heiBen, daB es in der Logik ausschliefslich um das Ganze und nie um seine Momente geht? Wie solI die Totalitat als Totalitat iiberhaupt denkbar sein? Nun, in der Logik geht es aueh um Momente, aber dergestalt, daB in jedem Moment das Ganze prasent ist. In den Anfangsgestalten der Phiinomenologie haben wir es tatsachlich mit den bloBen Momenten zu tun, und das philosophisehe Bewufstsein, das schon weils, wo es lang geht, wird gezwungen, sich so weit wie moglich im Hintergrund zu halten . Die Momente hingegen, die in der Logik auftauehen, sind keine Gestalten des
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Vgl. z.B. Marx (1981), S. 70.
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BewuBtseins mehr, sondern » bestimmte Begriffe«, deren » in sich selbst gegriindete Bewegung« betrachtet wird (PhG, 589). Hegel sagt auch, das Moment trete in der Wissenschaft »nicht als diese Bewegung auf«, sondern in seiner »reinen Bestimmtheit « (ebd.). Dies klingt nun beinahe, als waren statische Begriffe Gegenstand der Logik, wah rend die Phanomenologie bewegte, dynamische Begriffe zum Inhalt hatte-vaber Hegel wiirde sich selbst untreu, wenn er sich mit statischen Begriffen begnugen wiirde. Auch die Begriffe der Logik bewegen sich; doch sie bewegen sich vielleicht eher im Verhaltnis zueinander, als daB sie in sich selbst bewegt waren, Wenn man freilich jene vielzitierte Stelle heranzieht, es gehe in der Logik urn die »Darstellung Gottes (. .. ), wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes « ist (WdL 1, 44), dann wird offenkundig, daB Hegel hier in der Tat von der sich in Raum und Zeit befindlichen Wirklichkeit weiter entfernt ist als in der Phiinomenologie, so daB Bewegung in der Logik jedenfalls keine raumzeitliche, sondern eine rein begriffliche sein wird. Urn ein kurzes Beispiel zu betrachten: Das Sein, das am Anfang der Wissenschaft derLogik steht, weist nicht zufallig bedeutende Ahnlichkeiten mit dem Gegenstand der sinnlichen GewiBheit auf. Dem reinen Sein kommt unbestimmte Unmittelbarkeit zu, und auch der Gegenstand der sinnlichen GewiBheit war vor allem ein unmittelbarer, von dem die GewiBheit nur dies wuBte, daB er ist. Aber hier taucht gleich ein wichtiger Unterschied auf: Dem unmittelbaren Sein am Anfang der Logik wird kein Wissen gegeniibergestellt, sondern es wird rein als Kategorie betrachtet." Wahrend die Phiinomenologie den Unterschied von Wissen und Wahrheit ken nt , der in jeder Gestalt im Spiel ist, so enthalt hingegen die Wissenschaft diesen Unterschied nicht, sondern in ihr treten »die gegenstandliche Form der Wahrheit und des wissenden Selbst in unmittelbarer Einheit « auf (PhG, 589 ). Am Ende der Phiinomenologie sind aIle Momente in sich verbunden, und das absolute Wissen stellt die Einheit jener Momente dar. Wenngleich die Phiinomenologie gewissermaBen den Vorlauf zur Logik darstellt und auf dem Standpunkt des absoluten Wissens von dieser abgelost wird," so ist die Phiinomenologie doch alles andere als uberflussig: »Die Wissenschaft enthalt in ihr selbst diese Notwendigkeit, der Form des rein en Begriffs sich zu entaufsern, und den Ubergang des Begriffs ins Bewufitsein« (PhG, 589). Dies liegt wohl nicht zuletzt daran, daB wir eben zunachst wissendes Selbst sind und noch keine Wissenschaftler; das Absolute
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Vgl. zu diesem Beispiel und uberhaupt zum Verhaltnis von Phanomenologie und Logik ausfiihr Iicher: Hyppolite (1946), S. 553 tf. Hegel sagt in der Wissenschaft der Logik deutlich, daB die Phanomenologie des Geistes den Begritf der Wissen schaft zu ihrem Resultat habe , und : »Der Begritf der reinen Wissenschaft und seine Deduktion wird in gegenwartiger Abhandlung also insofern vorausgesetzt, als die Phanomenologie des Geistes nichts anderes als die Ded uktion desselben ist « (WdL 1, 43). Vgl. auch die Diskussion in der Sekundarliteratur, die ich in der Einleitung erwahnt habe und in der meines Erachtens Fuldas Position uberzeugend ist, die der Phanomenologie auch nach Entwic klung des EnzyklopiidieSystems eine wichti ge Rolle als Einleitung zumi Bt.
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aber will bei uns sein und sich durch uns wissen- und uns erkennen lassen, daB wir letztlieh nieht von ihm getrennt sind, sondern in Einheit mit ihm stehen. Obwohl die Logik am Ende der Phiinomenologie steht, sind die BewuBtseinsgestalten doch nicht bloBe Vorlaufer der bestimmten Begriffe, mit denen es die Logik zu tun hat: Iedem »abstrakten Momente der Wissenschaft« entsprieht »eine Gestalt des erscheinenden Geistes uberhaupt « (589). Doch welche Bedeutung haben »fruher« und »spater« im Hinblick auf Phiinomenologie und Logik uberhaupti Hegel sagt, daB die Wissenschaft »in der Zeit und Wirklichkeit« nieht eher erscheint, »als bis der Geist zu diesem BewuBtsein tiber sich gekommen ist« und sein SelbstbewuBtsein mit seinem BewuBtsein ausgeglichen hat (PhG, 583).10 Vorher, so sagt Hegel ganz ausdrucklich, war Wissenschaft nicht anderswo, sondern es gab sie nicht. Wie aber kann ein uberzeitliches absolutes Wissen zeitliehe Bedingungen in der Geschiehte haben?" Wohl nur dergestalt, daB dieses Wissen nieht uberzeitlich ist - und die Bedingungen nicht bloB konkrethistorische sind . GleiehwohllaBt Hegel keinen Zweifel daran, daB der Geist sich erst an sieh, als Weltgeist, vollendet haben muB, bevor er sich als selbstbewuBter Geist vollendet (PhG, 585). Hier wird eine bestimmte, festgelegte Reihenfolge angesprochen. Zu Beginn des Abschnitts tiber den Geist gibt Hegel eine Erklarung, die fur die gesamte Phiinomenologie Gultigkeit hat und aufschluBreich ist: Aile bisherigen, also vor dem Geist-Kapitel behandelten Gestalten des BewuBtseins sind »Abstraktionen desselben «, namlich des Geistes, und das »Isolieren solcher Momente hat ihn selbst zur Voraussetzung und zum Bestehen « (PhG, 325) . Der Geist ist das konkrete Ganze, und die BewuBtseinsgestalten sind Abstraktionen von diesem Ganzen. Aristotelisch gesprochen ist der Geist das proteron te physei, das den Gestalten vorhergeht und zugrundeliegt. Fur uns aber sieht die Sache anders aus: Das proteron pros hemas ist die unmittelbarste Gestalt, die sinnliehe GewiBheit. Es ist ein trugerischer Schein, daf die Momente selbstandig bestunden; der Geist ist ihr Grund, und die Phanomenologie bewegt sich damit in jene Richtung zuruck, aus der die Momente ursprunglich entsprangen. In diesem Sinn sagt Hegel auch im Kapitel tiber das absolute Wissen, daB dem SelbstbewuBtsein von der Substanz zunachst nur die abstrakten Momente angehoren, bis es die ganze Substanz in sieh aufgenommen und aus sieh heraus wiederhergestellt hat. Der Geist hat den Weg schon durchlaufen, doch das SelbstbewuBtsein muf diesem Weg Stuck fur Stuck nachgehen, sich in jeder Gestalt wiederfinden und sie aus sich hera us noch einmal hervorbringen. Fur das SelbstbewuBtsein sind die Momente 10
Int eressanterweise auBert sich Hu sser! in einem Manuskript aus den 1930er Iahren sehr ahnl ich: »Nachdern die Wissenschaft in der Welt als Kulturgestalt erwach sen ist, hat die Welt die Gestalt einer Welt angenommen, die sich selbst erkennt. (. ,,) 1m Erwachen zur Vernunft und zur universalen Philosophie erwachst das Monadenall zum Selbstwissen , das stufenweise emporsteigt, und damit ist auch von der konstituierten Welt zu sagen, sie sei eine Welt, die zum Selbstbewufstsein etc. erwacht ist « (Manuskript K 11 5/11, zitiert nach Luft (1999), 114). So fragt Hyppolite (1946), S. 575.
s.
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fruher als das Ganze; im »Bewufstsein dagegen ist das Ganze, aber unbegriffene, fruher als die Momente « (584). Das BewuBtsein steht hier als unbegriffenes dem SelbstbewuBtsein gegeniiber und reprasentiert die Seite der Substanz. Solange der Geist in seine Momente unterschieden ist, hat er seine Substanz noch nicht erreicht und ist noch nicht an sich selbst absolutes Wissen. Dieser Unterschied, der im Laufe des Weges aufgehoben wird-das ist die Zeit (vgl. 587). Der Geist erscheint notwendig so lange in der Zeit , bis er seinen reinen Begriff erfafst, d. h. die Zeit tilgt (vgl. 584). DaB jedoch im ab soluten Wissen die Unterschiede nicht vernichtet sind, sondern erst in ihr wahres Wesen kommen, deutet bereits darauf hin, daf das Tilgen der Zeit nicht schlechthin ihre Abschaffung bedeuten kann. Auf dieses Thema werden wir im zehnten Kapitel zuruckkommen,
b. Die transzendentale Subjektivitiit beiHusserl Das philosophische BewuBtsein bei Husserl ist reines bzw. transzendentales BewuBtsein; was das heifst, muf untersucht werden. Wie wir im zweiten Teil der Arbeit gesehen haben, entwickelt Husserl verschiedene Wege der Einfuhrung in die Phanomenologie. Irn Prinzip haben zwar alle diese Wege das gleiche Ziel: In der Epoche richtet sich der Blick nicht mehr geradehin auf die Gegenstande, sondern auf ihr Erscheinen im BewuBtsein. Das BewuBtsein - mit all seinen Inhalten - wird damit zum Untersuchungsfeld der Phanomenologie. Doch das Ziel ist nicht unabhangig yom Weg. Wir haben es hier nicht mit zwei fixen Punkten im Raum zu tun, die gleichsam durch verschiedene Linien verbunden werden konnen (was schon insofern nicht moglich ist, als naturliches und transzendentales BewuBtsein nicht zwei verschiedene BewuBtsein(e) sind), sondern der Weg bestimmt, was wir zu sehen bekommen, welche Erkenntnisse wir auf dem Weg gewinnen und wie »reich « insofern unser Betrachtungsfeld ist. Das Wesen der transzendentalen Subjektivitat andert sich im Laufe von Husserls Denken, oder vielmehr, es treten Wesensziige an den Tag, die vorher verdeckt blieben, wenngleich sie implizit bereits vorhanden waren. Zunachst haben wir es mit dem transzendentalen Ich zu tun; dann enthullt sich die transzendentale Subjektivitat als transzendentale Intersubjektivitat, und im Rahmen von Husserls teleologischem Geschichtsdenken zeigt sich schliefslich ein noch hoheres Absolutes, namlich Gott. Diese Entwicklungen sollen hier in gewisser Ausfiihrlichkeit untersucht werden-aus folgendem Grund: Husserl ist oftmals der Vorwurf gemacht worden, daf er trotz aller gegenteiligen Versuche eine solipsistische Philosophie entwickelt habe. Dieser Vorwurf wurde im allgemeinen aus Sicht der franzosischen Phanomenologie gemacht, und er ist von der Husserl-Literatur mittlerweile entkraftet worden. Aus hegelianischer Sicht wurde der entsprechende Vorwurflauten, daB Husserl den Dimensionen der Intersubjektivitat, der Geschichte und des sozialen oder politi-
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schen Bereichs nicht gerecht wird. Insbesondere, so konnte man behaupten, fehlen bei Husserl all diejenigen Bereiche, die Hegel unter den Begriffen des objektiven und des absoluten Geistes bespricht. In diesem Kapitel solI gezeigt werden, daf Husserl diese vermeintlich fehlenden Dimensionen behandelt; allerdings tut er dies auf phanomenologische, nicht auf metaphysische Weise, soweit dies moglich ist. Indem Husserl die transzendentale Subjektivitat untersucht, wird er gleichsam von selbst tiber ein einzelnes BewuBtsein hinausgefuhrt. Urn mein BewuBtsein zu erkennen, muf ich immer schon mehr als mein BewuBtsein in den Blick nehmen (und auch auf diese Weise werde ich keine vollkommene Erkenntnis erlangen). Ein Leitfaden bei dieser Untersuchung der transzendentalen Subjektivitat ist die Frage nach einem Absoluten im wortlichen Sinne: einer Ebene, die losgelost, selbstandig ist. Diese Suche fuhrt - wie sol1te es anders sein -schlieBlich zur Frage nach Gott. Im folgenden wird zunachst herausgestellt, inwiefern die Seinsweise des transzendentalen Ich problematisch ist: In seinem Fungieren ist das transzendentale Ich uns unzuganglich. Es wird sich zeigen, daB das Fremdich eine Hilfe darstel len kann, urn die eigentumliche Geeintheit des transzendentalen Ich zu verstehen. Sowohl beim fungierenden Ich als auch bei der Gemeinschaft von Ich und Fremdich handelt es sich urn eine Einheit-in-Mannigfaltigkeit, die nicht in meiner Hand liegt. Die Subjektivitat fuhrt zur Intersubjektivitat. Daruber hinaus bespricht Husserl sogar ausfuhrlich die Moglichkeit eines uberpersonalen BewuBtseins; er nennt dies eine »Personalitat hoherer Ordnung«. Der Status dieser Personalitaten hoherer Ordnung muf untersucht werden, insbesondere im Verhaltnis zu Heimwelt und Fremdwelt. Von besonderer Bedeutung sind solche Subjektgemeinschaften auch insofern, als Husserl in ihnen ein konkreteres und hoheres (wenngleich vielleicht nicht hochstes) Absolutes im Vergleich zum Einzelich sieht. 1.
In den Ideen I tritt das reine Bewufstsein in den Blick als Antwort auf die Frage, wie Phanomenologie als Wissenschaft moglich sein soll, wenn die Epoche radikal durchgefuhrt wird und damit aIle Seinssetzungen unmoglich werden. Wenn das BewuBtsein als Forschungsfeld von der Epoche ausgenommen werden solI, ohne die Universalitat der Epoche aufzuheben, muf gezeigt werden, daB das Sein des BewuBtseinsvon grundsatzlich anderer Art ist als das Sein der Welt. Das BewuBtsein ist kein Seiendes in der Welt; zugleich kann es aber nichts neben oder auBerhalb der Welt sein, da die Welt als Universalhorizont alles umfafst. Es bleibt nur ein Ausweg: Das BewuBtsein ist die Welt, aber sozusagen von einer anderen Seite betrachtet; BewuBtsein und Welt sind zwei Seiten derselben Sache. Dies aber bedeutet, daf das vom naturlichen BewuBtsein geglaubte Ansichsein der Welt nichts anderes ist als das Erscheinen der Welt fur das BewuBtsein. JeglichesAnsichsein ist ein Erscheinen
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fur das BewuBtsein-dies ist der phanomenologische Idealismus . »Niemals ist ein an sich seiender Gegenstand ein solcher, den BewuBtsein und BewuBtseins-Ich nichts anginge « (Hua III, 112). Die Korrelation, die unaufhebbare Bezogenheit von Welt und BewuBtsein ist der Kerngedanke der husserlschen Phanornenologie. Unglucklicherweise wird dieser Gedanke in den Ideen I dadurch verdunkelt, daB Husserl, wie bereits erwahnt," das Sein des BewuBtseins von dem der Welt unterscheiden will, indem er das Gedankenexperiment der Weltvernichtung durchfuhrt. Statt dessen wurde es zur Betonung der unterschiedlichen Seinsweise genugen, immer den Korrelationsgedanken im Auge zu behalten, demgemaf das BewuBtsein die Kehrseite der Welt ist. Entscheidend ist, was Husserl auch schon in den Ideen I betont: »Wir haben eigentlich nichts verloren, aber das gesamte absolute Sein gewonnen, das, recht verstanden, aIle weltliche Transzendenzen in sich birgt , sie in sich -konstituiert c« (Hua III, 119) . Die »Konstitutionsanalyse «der Phanomenologie bedeutet auch, daB Husserl im Gegensatz zu Kant die »Dinge an sich« nicht als unerkennbar aus der Forschung ausschlieBt, sondern gerade danach fragt, wie das BewuBtsein jeweils das Setzen eines Ansichseins vollzieht. Dies ist also ein wichtiger Punkt, in dem Husserl Kritik an Kant ubt. Was den Begriff »transzendental« angeht, den Husserl zur Kennzeichnung des reinen BewuBtsein verwendet, so verandert sich auch hier der Sinn gegenuber der ursprunglichen Bedeutung bei Kant;" in gewisser Weise stellt sich Husserl jedoch in die Nachfolge Kants und betreibt Transzendentalphilosophie dergestalt, daB er die Gegenstande nicht geradehin, sondern im Wie ihres Erscheinens betrachtet und damit nach deren Erkenntnisart fragt." Husserl erklart in der Krisis, er gebrauche den Begriff »transzendental« im weitesten Sinne fur die Verfolgung des neuzeitlichen Motivs, namlich des Motivs »des Ruckfragens nach der letzten Quelle aller Erkenntnisbildungen, des Sichbesinnens des Erkennenden auf sich selbst und sein erkennendes Leben « (Hua VI , 100) . Es geht also insbesondere urn die Ruckfrage nach dem Ort, an dem die Konstitution aller Objektivitat stattfindet. In diesem Sinne bestimmt Husserl an anderer Stelle das Transzendentale auch als dasjenige, welches die Transzendenz der Welt konstituiert (vgl. Hua I, 65); »transzendental« versteht sich also aus der Korrelation zur » Transzendenz«, DaB Husserl seine Philosophie ausdrucklich in der Nachfolge Kants entwickelt, zeigt sich auch in der Bedeutung, die Husserl dem transzendentalen Ich beimiBt. Ahnlich dem » Ich denke « der transzendentalen Apper zeption bei Kant" br ingt das transzendentale Ich den »Strorn« meiner Erlebnisse zu einer Einheit. Obwohl die
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Vgl. Kapitel sa) .
13 Auf diese Unterschiede kann hier nicht genau er eingegangen werden; vgl. dazu Kern (1964). 14 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B 25: »Ich nenne aile Erkenntnis transzendental, die sich nicht
sowohl mit Gegenstanden, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenstanden, insofern diese a priori moglich sein soli, uberhaupt beschaftigt«. 15 Vgl. Kritik der reinen Vernunft, B131, B 136.
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Seinsweise des transzendentalen Ich selbst problematiseh bleiben mufs, »irnmer mit einem Rest, der unthematiseh, der sozusagen in Anonymitat bleibt« (Hua VI, in), stellt das transzendentale Ich den (unruhigen) Boden und Zusammenhalt aller Erfahrung und Wahrnehmung dar. Das transzendentale Ich geht aus der Paradoxie, daf wir einerseits Objekt in der Welt, andererseits die Welt konstituierendes Subjekt sind, dergestalt hervor, daB es sieh vorn empirisehen Ich, welches Objekt in der Welt ist, nieht nur unterseheidet, sondern jenes konstituiert-denn es konstituiert die Welt, der das empirisehe Ich zugehort, Mein empirisehes Ich kann zum Objekt fur mieh werden, es kann Gegenstand meiner Betraehtung werden, indem ieh meiner so bewuBt werde, wie andere Mensehen mieh sehen. Wenngleieh ieh einen direkteren Zugang zu mir habe, als es anderen Mensehen moglich ist, so handelt es sieh doeh urn eine prinzipielle Ubereinstimmung in der Betrachtungsweise." Das transzendentale Ich ist bestimmt als Subjekt, das nie Objekt werden kann. In diesem Sinne sprieht Husser! von der »Einzigkeit« und »Undeklinierbarkeit« des transzendentalen Ich, das aueh noeh seine eigene Deklinierbarkeit (narnlich das empirisehe Ich) konstituiert (Hua VI, 188). Doeh wie solI dann tiber das transzendentale Ich gesproehen werden? Husser! erklart, daB das reine Ich zum Objekt der Betraehtung werden kann, wenn wir unter einem Objekt nieht mehr einen Gegenstand in der Welt verstehen (vgl. Hua IV, 101). Es wird sieh jedoeh zeigen, daB das transzendentale Ich ein Gegenstand sehr eigentumlicher Art ist, der nur in einem eingeschrankten Sinne wirklieh zum Untersuehungsgegenstand werden kann. Die Seinsweise des transzendentalen Ich solI im folgenden untersueht
werden." Grundlegender Wesenszug des Ich ist seine Intentionalitat, sein dynamisehes
Gerichtetsein-auf." Demgemaf kann Husser! das Ich als »Zentrum« besehreiben, von dem Strahlen der Aufmerksamkeit ausgehen und in das Strahlen der Affektion eingehen: »Das -Gerichtetsein auf (... ) birgt notwendig in seinem Wesen dies, daf es eben ein ,YOn dem Ich dahin- oder im umgekehrten Riehtungsstrahl -zum Ich hin- ist-und dieses Ich ist das reine« (Hua III, 195). Wenn Intentionalitat so verstanden wird, ergibt sieh aueh, daB Konstitution der Welt keineswegs besagen kann, daB ieh die Welt in ihrer Existenz hervorbringe, sondern vielmehr, daB die
16 Vgl. Carr (1999), S. 116ff.Carr betont, daB viele Aspekte meines empirischen Ich auch mir selbst nicht zuganglich sind; beispielsweise kann ich keine vollstandige Kenntnis meines Charakters und meines psychischen Zustandes erlangen . 17 Bezuglich dieser Fragestellung bildet Klaus Helds Buch Lebendige Gegenwart die entscheidende Grundlage. In jener Arbeit sind auch die Manuskriptstellen zitiert, auf den en Helds systematische Auslegung beruht. Held beleuchtet vielfaltige Dimensionen der Problematik, die in vorliegender Arbeit ausgeklammert werden mussen, da hier nur aufgenommen werden kann, was fur die Fragestellung unmittelbar von Bedeutung ist. Bei einer Arbeit, deren Argumentationsgang so k1ar und dicht ist wie der von Lebendige Gegenwart, fuhrt eine solche selektive Wiedergabe unvermeidlich zu spurbaren Lucken. 18 Vgl. KapiteJ zb),
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Welt von mir ihren Sinn erhalt ." Dies muf immer im Auge behalten werden, insbesondere im Hinblick auf die Absolutheit des transzendentalen BewuBtseins: Das transzendentale Ich ist absolut, da es der Welt Sinn gibt und letztere insofern relativ, auf das BewuBtsein bezogen oder in ihrem Sinn von ihm abhangig ist. Keineswegsjedoch ist sie relativ zum BewuBtsein hinsichtlich ihrer Existenz: Das transzendentale Ich ist kein Schopfergott ." Das transzendentale Ich ist, vorlaufig gesagt, das Zentrum seines Konstituierens von Welt. Es ist normalerweise auf die Welt bezogen und bleibt verdeckt; erst durch Epoche und Reduktion kommt das immer schon stattfindende Fungieren des transzendentalen Ich zum Vorschein. Der MusterfaIl aller Welthabe ist fur Husserl, wie oben besprochen, die Wahrnehmung in ihrer Horizonthaftigkeit. Das transzendentale BewuBtsein ist immer bezogen auf Welt, und wenn man den Begriff der Intentionalitat ernstnimmt, muf man sogar sagen, daB das tran szendentale BewuBtsein nichts anderes ist als eben dieser Weltbezug." Wir haben oben gesehen, daf der Grundzug des BewuBtseins die Synthesisbildung ist, die sich auf aktiver und passiver Ebene vollzieht und deren grundlegendste Form die Synthesen des ZeitbewuBtseins sind. Will man tiber diese Grundzuge hinaus die Seinsweise des transzendentalen Ich in den Blick nehmen, so ist eine besondere Art der Ruckwendung erforderlich, eine Reflexion, die noch tiber die phanornenologische Reduktion im weiteren Sinne hinausgeht-denn die phanomenologische Reduktion fuhrt nur zu den bereits genannten Strukturen und nicht zum Ich als Zentrum aIles Intendierens. Es bedarf daher einer Radikalisierung der Reduktion, die uns auf das transzendentale Ich in seiner Absolutheit fuhrt ." Die Synthesen des ZeitbewuBtseins, die aIle Wahrnehmung und damit alle Erfahrung uberhaupt fundieren, bilden aus der Mannigfaltigkeit von Retention, Urimpression und Protention eine Einheit. Auf der Grundlage dieser Einheitsbildung konnen wir dann Gegenstande als einheitliche wahrnehmen, indem wir ihre verschiedenen Erscheinungsweisen zusammennehmen. Das Feld dessen, was mir gegenwartig gegeben ist, hat also immer schon eine gewisseAusdehnung oder Breite; das Ganze von Retention, Urimpression und Protention nennt der spate Husserl »Iebendige Gegenwart«." Urn zum Zentrum oder Kern dieser lebendigen Gegenwart vorzudringen, mussen Vergangenheits- und Zukunftshorizont einge-
19 Vgl. Held (1966), S. 4. David Carr weist daraufhin, daf Husserls Begriffder »hyletischen Daten «, welcher sich in seinen fruhen Schriften findet, irrefuhrend ist: »If in transcendental philosophy th e mind does not create the world, it is not because some kernel of uncreated, pre-given stuff is required for the mix. It is because what the mind genuinely does produce is not existence but meaning- (Carr (1999), S. 108). 20 Wir werden sehen, daB Husserl die Absolutheit Gottes als Absoluth eit anderer Art bezeichnet -ob er dabe i einen Schopfergott im Sinn hat , ist eine andere und schwierige Frage. 21 Vgl. Carr (1999), S. 106. 22 Vgl. Held (1966), S. 62ff. 23 Vgl. Held (1966), S. 19.
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klammert werden ; es bleibt das »reine Da « als Gegenwart. In dieser radikalisierten Reduktion stoBe ich einerseits auf einen sich durchhaltenden, verharrenden Kern, mache aber gleichzeitig die Erfahrung, daB dieser Kern im standigen Stromen begriffen ist und sich insofern immer entzieht. Den merkwurdigen Doppelcharaktervon Stehen und VerflieBenkennen wirvom zweifachen Sinn des» [etzt«;» Ietzt« bezeichnet einerseits die sich durchhaltende Form der Anwesenheit, andererseits eine Mannigfaltigkeit von mitwandernden Zeitstellen." Diese ursprungliche Form von Einhe it-in-Mannigfaltigkeit bildet die Grundlage dafur, daB mir ein Ding als Identisches begegnen kann. Den Zusammenhang von bleibender einheitlicher Form und verstromender Mannigfaltigkeit stellt Held anschaulich dar: »Das Ietzt als stehende und bleibende Form aktueller Anwesenheit pragt jegliches durch es HindurchflieBende, druckt ihm gleichsam den Stempel der einen Gegenwart auf und bewirkt auf diese Weise, daB das autgepragte Ietzt sich sogleich in ein Zeitstellenjetzt verwandelt «.25 Es gilt also, dieses Zusammenspiel von Stehen und Stromen zu bedenken. Interessant ist, daB Reflexion uberhaupt nur auf der Grundlage jenes merkwurdigen Doppelcharakters moglich ist, so daB es nicht urn eine Oberwindung jener Spannung gehen kann. Reflektieren ist namlich nur moglich als Uberbrucken von Abstand, setzt also eine Spaltung voraus zwischen dem reflektierenden Ich und dem Ich, auf das reflektiert wird. Gleichzeitig muB die Einheit des Ich dabei bewahrt werden; denn das Ziel der Reflexion ist ja eben dieses Ich selbst." Die Breite des Prasenzfeldes ermoglicht diese Einigung auf Abstand: Infolge des Strornens des Feldes habe ich immer schon einen Abstand von mir, und doch liegt aufgrund der wesensmafsigen Breite des Feldes ein Zusammenhang vor. Fur die Reflexion gilt einerseits , daB ich immer zu spat komme und das Ich nie wirklich aktuell in seinem Fungieren erfasse: »Immer ist zu scheiden der urlebendige Pol im urlebendigen Akte (... ) und der zum Gegenuber gewordene und als das nicht mehr lebendige Pol, der fur einen neuen, urlebendigen Pol da ist «." Andererseits kann ich nur aufgrund dieses Zuspatkommens uberhaupt reflektieren: Ohne Distanz sehen wir geradezu noch weniger als in der Nacht, in der aile Kuhe schwarz sind. Damit gilt, daB das Ich nur deshalb aufsich zuruckkommen kann, weil es bestandig fortstromt, und es sich nur deshalb mit sich identifizieren kann, weil es in der beharrenden Standigkeit des Ich schon mit sich geeint ist." Die lebendige Gegenwart ist notwendig vorzeitlich; denn sonst wurden wir in einem unendlichen Regref der Ruckfrage nach der ihr zugrundeliegenden
24 25 26 27
Vgl. Hu sserl, EU , 467f. Held (1966), S. 32. Vgl. Held (1966), S. 80f. Ms. E 1II 2, S. 27 (1920/21),zitiert nach Held (1966), S. 121. Held hat aus einleuchtenden Grunden die Reihenfolge der Worter, die im Original »nicht mehr als das- lautete, geandert, 28 Vgl. Held (1966), S. 96.
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Zeitigung geraten. Dies macht noch einmal und in verscharfter Weise deutlich, daf wir des letztfungierenden Ich nicht habhaft werden konnen: Sobald wir es zum Untersuchungsgegenstand in einem noch so weiten Sinne machen, betrachten wir es als etwas Zeitliches und verfehlen damit sein Wesen: »( ... ) im Grunde ist die Urzeit (=die stromende Gegenwart [K. Held]) noch nicht ernstlich Zeit, sondern nur Vorstufe der Zeit als Koexistenzform «." Trotz Stellen wie den hier zitierten hat Husserl im allgemeinen die Tendenz , das Ich als letztlich doch zuganglich zu denken, den Aspekt des Stehens starker zu betonen als den des Strornens und die Vorzeitlichkeit eher als ein Noch-nicht-in-der-Zeit-Sein denn als ein Aufser-derZeit-Sein zu betrachten." Doch urn dem Phanomen gerecht zu werden, mussen Stromen und Stehen als gleich entscheidende Wesensztige angesehen werden, die beide konstitutiv fur die Moglichkeit jeder Selbstreflexion sind . DaB das fungierende Ich sich letztlich der Betrachtung entzieht, kann als seine »Anonymitat « beschrieben werden:" Das letztfungierende Ich kann sich selbst nicht reflexiv einholen; es lernt sich sozusagen nie wirklich kennen. Indem es jeder Erfahrung eines gezeitigten Gegenstandes vorausgeht, kann dieses anonyme Ich auch als »Faktum « oder »absolutes Faktum « bezeichnet werden." Gibt es dann tiber das bisher Gesagte hinaus irgendeine Moglichkeit, sich dem transzendentalen Ich weiter zu naherni Eine mogliche Strategie bestunde darin, die anderen Ich in die Betrachtung einzubeziehen; interessanterweise kann tatsachlich der in Husserls Phanomenologie zweifelsohne nicht unproblematische Bereich der Intersubjektivitat zu weitergehenden Einsichten verhelfen. Diese Vorgehensweise erinnert an Hegels Theorie des SelbstbewuBtseins; doch bei Husserl kommt es nicht zu einem Kampf von Herr und Knecht.
II. An der Stelle der Krisis, an der Husserl sich mit der Auflosung der Paradoxie von Ich als Objekt in der Welt und Ich als weltkonstituierendem Subjekt beschaftigt, sagt er zum Thema der transzendentalen Intersubjektivitat, daf das transzendentale Ich »von sich aus und in sich die transzendentale Intersubjektivitat konstituiert, der es sich dann zurechnet « (Hua VI , 188). Die Rede vom »von sich aus und in sich « ist in der Tat problematisch. Selbstverstandlich rnuf auch hier berticksichtigt werden, daf die Anderen mir nicht ihre Existenz verdanken, sondern ich ihnen Sinn gebe; aber mindestens gleichursprunglich verdanke ich mich doch auch der Sinngebung der Anderen!? Wir werden sehen, daf Husserl in der Tat diese Moglichkeit nicht nur offengelassen, sondern sich in manchen Texten auch in dieser Richtung geau-
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Ms. c 7 I, S. 17 (1932), zitiert nach Held (1966), S. 1l6. Vgl. Held (1966), S. 75 und 1l7. Vgl. Held (1966), S. 131ff. Ms. C 1, S. 4 (1934), zitiert nach Held (1966), S. 149.
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Bert hat. Aber, so betont Husserl: Selbst wenn ich behaupte, daB ich mich als Ich den Anderen verdanke (wie es beispielsweise in Hegels Theorie der Anerkennung der Fall ist), so gilt doch, daB ich der Ort bin, an dem dieser Sachverhalt ans Licht kommt. Ich bin die Instanz von allem, was ich tiber meine Abhangigkeit sagen kann : »Methodisch kann nur vom ego aus und der Systematik seiner transzendentalen Funktionen und Leistungen die transzendentale Intersubjektivitat und ihre transzendentale Vergemeinschaftung aufgewiesen werden « (Hua VI , 189). Dieser methodische Vorrang der Ichinstanz bildet auch die Grundlage dafur, daB Husserl dem transzendentalen Ich Einzigkeit zuspricht. Die Einzigkeit des Ich ist keine numerische Einzigkeit, sondern verweist vielmehr auf die Moglichkeit anderer einziger Ich: »Das einzige Ich-das transzendentale. In seiner Einzigkeit setzt es )andere < einzige transzendentale Ich - als )andere c, die selbst wieder in Einzigkeit andere setzen «." Die Moglichkeit einziger anderer Ich ist damit eindeutig zugestanden; doch in welchem Sinn verhelfen mir die anderen Ich, wie angekundigt, zu vertieften Einsichten in mein Ich? Da wir nach der Seinsart des transzendentalen Ich fragen, kann es nicht darum gehen, daB die Anderen mir etwas tiber meinen Charakter, mein Temperament oder meine Gestimmtheit verraten . Vielmehr ist dem transzendentalen Ich eine eigentumliche Geeintheit eigen, die besser verstanden werden kann, wenn man sie damit in Verbindung bringt, wie Andere mir gegeben sind. Das transzendentale Ich als stehend-strornendes ist in sich gewissermaBen die Einheit einer Pluralitat; denn das Ich, auf das ich reflektiere, geht dem reflektierenden Ich immer schon voraus, und doch bilden beide eine Einheit. Urn zu erlautern, wie intersubjektive Erfahrung moglich ist, vergleicht Husserl die Fremderfahrung gerne mit der Wiedererinnerung (vgl. Hua I, § 55). Die Gemeinsamkeit besteht darin, daB wir es sowohl in der Wiedererinnerung als auch in der Intersubjektivitat mit einer Vielheit von Erfahrungen desselben Gegenstandes zu tun haben, einmal in der Form des zeitlichen Nacheinanders, das andere Mal in der Form der Gleichzeitigkeit. Vermittelnder Bezugspunkt ist in beiden Fallen die Identitat des Gegenstandes. DaB das andere Ich mir als anderes Ich begegnet, liegt daran, daB ich es mittels der gemeinsam erfahrenen Welt als fungierendes, konstituierendes Ich auffasse. Es bestehen freilich auch entscheidende Unterschiede zwischen Wiedererinnerung und Fremderfahrung; denn die Erlebnisse der Anderen sind mir prinzipiell nur im Modus der Unzuganglichkeit zuganglich, wahrend meine vergangenen Erlebnisse zum gleichen BewuBtseinsstrom gehoren wie meine gegenwartigen ." Gleichwohlkonnte essein, daBgerade die Unzuganglichkeit des anderen Ich mir etwas daruber sagt, daB auch mein vergangenes Ich mir in gewisser Weise fremd ist. In diesem Fall dient nicht nur die uns vertraute, sich »in uns «abspielende Wiedererinnerung zur Erhellung der vermeintlich unverstandlicheren Erfahrung 33 Ms. B I 14 XI, S. 24, zitiert nach Held (1966), S. 161. 34 Vgl. Steinbock (1995), S. 51ff.
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des anderen Ich, sondern auch umgekehrt verrat uns die intersubjektive Erfahrung etwas tiber die Seinsweise unseres eigenen transzendentalen Ich. Husserl redet von der » Gerneinschaft« des gegenwartigen mit dem vergangenen Ich und entleiht somit eindeutig einen Begriff aus dem intersubjektiven Bereich: »In der Einfuhlung, im sie ursprunglich Verstehen und sie als Personen in Mitgegenwart Haben bin ich mit ihnen in Puhlung als Ich mit dem Du, mit dem anderen Ich, ahnlich wie ich in der Erinnerungsdifferenz in Fuhlung bin, in BewuBtseinsgemeinschaft mit dem vergangenen leh«.35 Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist Freilich: 1st der Ausdruck »Gemeinschaft«, der eine Se1bstvergemeinschaftung des Ich mit seinem vergangenen Ich impliziert, bloB ein anderer Begriff fur »Einigung« oder »Synthesis«, oder gibt es Grunde in der Sache selbst, die dafur sprechen, diesen Ausdruck zu verwenden? Helds Antwort lautet, daB dieser Begriffin demjenigen Bereich, in dem wir es bereits mit gezeitigten Monaden zu tun haben, in der Tat nur ein anderes Wort fur Einigung ist. 1m Bereich des vor-zeitlichen absoluten Ich ist der Ausdruck der Se1bstvergemeinschaftung jedoch aufschluBreich: » Der Gedanke der Selbstgegenwart als Se1bstvergemeinschaftung im einzigen -Ich fungiere- kann wesenhaft nur in eins und zusammen mit dem Gedanken der Mitgegenwart gedacht werden; denn die Aussage ist wortlich zu nehmen, daB das letztfungierende Ich seine eigene anonyme und einzige Vorgegebenheit in gleicher Weise hinnimmt wie die Gegebenheit des Andern, - obwohl- und darin liegt dann das Unterscheidende von Selbst- und Mitgegenwart-es dabei sein Erste-Person-Sein niemals aufgibt«." Es handelt sich also urn eine Vergemeinschaftung nicht nur dergestalt, daB eine Pluralitat zusammengenommen wird, sondern diese Einheit-in-Mannigfaltigkeit liegt nicht in meiner Hand; sie ist mir ebenso vorgegeben, wie die Anderen mir vorgegeben sind. Diese Ubereinstimmung in der Gegebenheitsweise ist gleichwohl, wie der Ausdruck schon sagt, immer eine Gegebenheit fur das leh . Held weist selbst daraufhin, daB Husserl sich mit der Einsicht, das Ich sei tatsachlich keine statische Identitat, sondern das Geschehnis einer Selbstunterscheidung und Selbstvergemeinschaftung, in der Nahe von Hegel bewegt-doch Held warnt vor vorschnellen Vergleichen, die wegen der grundsatzlich unterschiedlichen Denkweise gefahrlich sind." Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, daB fur Husserl jede Intersubjektivitat zuletzt immer aufdas Ich zuruckfuhrt, dem sie gegeben ist, wah rend fur Hegel dem Wir nicht nur BewuBtsein, sondern ein hoheres BewuBtsein als dem Ich zukommt. Doch auch Husserl sagt ausdrucklich, daB transzendentale Subjektivitat notwendig zur Intersubjektivitat fuhrt, und es findet sich bei ihm sogar der Gedanke eines uberindividuellen BewuBtseins: Er spricht von »Personalitaten hoherer Ord35 Ms. E III 9, S. 84 (1931),zitiert nach Held (1966), S. 166. 36 Held (1966), S. 168. 37 Vgl. Held (1966), S. 170.
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nung « (Z. B. Hua VI , 191 f.; Hua I, § 5S). Das Konzept der Personalitat hoherer Ordnung entwickelt Husserl, nachdem er zugesteht, »daf Subjektivitat nur in der Intersubjektivitat ist, was sie ist: konstitutiv fungierendes Ich« (Hua VI , 175). Noch deutlicher heiBt es in einem Manuskript zur Intersubjektivitat: »So erweitert sich die transzendentale Subjektivitat zur Intersubjektivitat oder vielmehr, eigentlich gesprochen, erweitert sie sich nicht , sondern es versteht sich selbst nur die transzendentale Subjektivitat besser« (Hua xv, 17). Diese Stelle bewegt sich in erstaunlicher Nahe zu den Grundgedanken Hegels: Indem die Subjektivitat zu besserem Selbstverstandnis kommt, indem sie also zu sich kommt, entdeckt sie sich als Intersubjektivitat; es handelt sich gewissermaBen urn eine Bewegung vom Ansich zum Fursich. Wenn die Subjektivitat zu ihrem Selbstverstandnis als Intersubjektivitat gekommen ist, dann wird offenkundig, daB es Einheiten von Subjekten gibt, die mehr sind als eine bloBe Summe ihrer Mitglieder. Es muB allerdings unterschieden werden zwischen »losen Gesellschaften «, den en eine ubergreifende Personalitat fehlt (beispielsweise Gruppen von Menschen, die sich bloB zufallig oder gezwungenermaBen am gleichen Ort befinden) und solchen Einheiten, den en Merkmale der individuellen Person zukommen, wenngleich in bloB analoger Form (Hua XIV, 405 f.). Husserl nennt die Familie, den Verein und das Staatsvolk als Beispiele-sehr ahnlich zu Hegels Betrachtung der verschiedenen Institutionen der Sittlichkeitund erklart, daB in einem Staat der Staatswille verschieden vom Burgerwillen ist. Insofern ist es gerechtfertigt, von der »Einheit eines uberpersonalen Bewusstseins« (Hua XIV, 199) und von einer »Gemeinschaftsperson« (203) zu sprechen. Husserl vergleicht das Verhaltnis von individuellen Person en und einer Gemeinschaftsperson bzw. Personalitat hoherer Ordnung mit dem Verhaltnis zwischen Zellen und einem aus Zellen gebildeten Organismus. Ein Organismus ist offensichtlich mehr als ein bloBer Zellhaufen; er fungiert als spezifische Einheit, und ihm ist eine inn ere Organisation eigen. Gibt es eine Antwort auf die Frage, ob der Organismus der Zelle vorangeht oder umgekehrt? Ohne in biologische Debatten zu geraten, laBt sich wohl festhalten, daB fur unseren Fall der Organismus den Zellen vorhergeht, daB wir also zuerst und normalerweise dem Organismus begegnen . Widerspricht Husserl damit Hegel, der die Institutionen wie Familie, burgerliche Gesellschaft und Staat spater behandelt als das Individuum, da sie zwar das an sich fruhere, aber fur uns spatere sind? Wohl kaum. Zum einen sollten aus Husserls Bild vom Organismus nicht zu viele Schlusse gezogen werden, da es sich lediglich urn ein Bild handelt und er es kaum entwickelt. Zum anderen wurde auch Hegel zustimmen, daB ich mich immer schon in Familie, burgerlicher Gesellschaft und Staat bewege-bloB erfasse ich die Begriffe dieser Institutionen erst spater, erst nachdem ich beispielsweise ein BewuBtsein meiner selbst gewonnen habe. Damit von einer Personalitat hoherer Ordnung gesprochen werden kann, muB es in ihr eine »verharrende Habitualitat« geben, ahnlich der des Individuums (Hua XIV, 405). Mit anderen Worten, eine Personalitat hoherer Ordnung muB
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durch eine gemeinsame Geschichte geeinigt sein. Schon allein deshalb kann eine Gruppe von Personen, die sieh an einer Bushaltestelle versammelt hat, keine Personalitat hoherer Ordnung sein -auch wenn der Bus lange auf sich warten laBt. Damit sich ein uberindividuelles BewuBtsein bilden kann, muB es »gemeingeistige Erinnerungen«, muB es eine Tradition geben (Hua XIV, 205). Gleichwohl gibt es sehr verschiedene Arten der Einigung, und Personalitaten hoherer Ordnung muss en unterschieden werden von» bloss kommunikativen Gemeinschaften, Wirkungsgemeinschaften; eine Sprache entsteht nieht so wie eine Staatsverfassung im parlamentarischen Staat« (Hua XIV, 201). Damit ist nieht ausgeschlossen, daf einer Sprachgemeinschaft ein ubergreifendes BewuBtsein eigen sein kann; doch es genugt nieht, ausschlieBlich die Sprache zu teilen . Die Franzosen sind geeint durch eine gemeinsame Verfassung, und die bloBe Tatsache, daB ein Teil der belgischen Bevolkerung die franzosische Sprache verwendet, heifst noch lange nieht, daB es eine Personalitat hoherer Ordnung gabe, die aus den Franzosen und einem Teil der Belgier bestiinde. Wie laBt sieh allgemein die Einigung einer Personalitat hoherer Ordnung bestimmen? Husserls Behandlung der Intersubjektivitat hat gezeigt, daB die Begegnung mit den Anderen immer durch die Begegnung mit der gemeinsamen Welt oder dem gemeinsamen Gegenstand vermittelt ist. Umgekehrt gibt es Welt nur als intersubjektive: In der Wahrnehmung wird die Objektivitat des Gegenstandes erst dadurch gewahrleistet, daB andere diesen Gegenstand auch wahrnehmen und ich mich mit ihnen tiber diesen Gegenstand verstandigen kann." Im Fall einer »Gemeinschaftsperson« ist das Paradigma der gemeinsamen Erfahrung nicht so sehr der wahrgenommene Gegenstand als vielmehr das gemeinsame Handeln, das gemeinsame Verwirklichen." Indem die Gruppe eine gemeinsame Absicht hat-sei es eine so spezielle Absicht wie das Auffuhren eines Theaterstiicks, sei es eine umfassendere Absieht wie das geregelte Zusammenleben in einem Staat - konstituiert sie
38 Vgl. dazu Kapitel ja); vgl. genauer Zahavi (1996), der zeigt, daf die einheitliche Gegebenheit eines raumzeitlichen Gegenstandes iiberhaupt nur als intersubjektive moglich ist. 39 Vgl. Carr (1987),S. 27f. Carr untersucht ausfiihrlich, inwiefern der vermeintlich unphanomenologische Begriff der Personalitat hoherer Ordnung sich doch phanomenologisch ausweisen laEt. Dabei ist wiederum entscheidend, von meiner Zugehorigkeit zu einer Gruppe auszugehen und nicht von einer mir gegeniiberstehenden Gruppe (vgl. in dieser Arbeit Kapitel za), Carr behauptet, ein wichtiger Unterschied zwischen Husser! und Hegel bestiinde darin, daE fur Hegel die Ziele der Gruppe dem Individuum unbekannt sein konnen, wahrend fur Husser! die Mitglieder der Gruppe sich der gemeinsamen Absichten immer bewuEt seien (vgl. Carr (1987),S. 273). Dieser Auffassung Carrs widersprechen Aussagen Husser!s wie die folgende : »Meine geistige Wirkung pflanzt sich fort , ohne meine Absicht, in unbekannte Personen und Umgebungen, die auch von mir nichts zu wissen brauchen (personale Wirkungsgemeinschaften ohne Einheit einer umspannenden Gemeinschaftswollung und-handlung)« (Hua XIV, 195). Nachdem die personale Gemeinschaft einmal geeinigt worden ist, durch welche gemeinsame Absicht, Aufgabe oder Erfahrung auch immer, besteht sie gewissermaEen durch Habitualisierung fort , ohne daf noch ein gemeinsamer Wille oder ein ind ividuelles BewuEtsein auszumachen waren.
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sich als Gruppe durch das gemeinsame Gerichtetsein-auf Wie das Wahrnehmen, ja sogar offensichtlicher noch als jenes, ist das Handeln intentional. Dem uberindividuellen BewuBtsein ist wesentlich Erinnerung an eine Vergangenheit und dynamische Gerichtetheit auf eine Zukunft inne. Wenngleich die ursprungliche Absicht der Gruppe nach einer gewissen Zeit nicht mehr notwendig prasent sein mufs, so fungiert sie doch noch als habitualisierte. In der Tat spricht Husserl also bestimmten Gruppen ein uberindividuelles BewuBtsein zu; doch was ist der Status dieser Personalitaten hoherer Ordnung, und inwiefern lassen sie sich oder lassen sie sich nicht mit Hegels Begriff des Geistes in Verbindung bringen?
III. DaB Husserl jene durch ein gemeinsames Bewufstsein vereinten Gruppen als »Personalitaten hoherer Ordnung« bezeichnet, ist ohne Zweifel eine etwas umstandliche Sprechweise, durch die aber gewisse Charakteristika der Intersubjektivitat zum Ausdruck kommen. Wie verhalten sich »Personalitaten hoherer Ordnung« zu den im siebten Kapitel betrachteten Heimwelten und Fremdwelten? Es gibt wohl keine Heimwelt, der Husserl nicht zumindest ein habitualisiertes uberindividuelles Bewufstsein zusprechen wurde, und ebenso ist keine uns zugehorige Personalitat hoherer Ordnung vorstellbar, die uns nicht als geschichtlich gewordene so vertraut ware, daf wir uns nicht in irgendeinem Sinne in ihr heimisch fuhlen wurden . Letztlich scheint es sich also urn dasselbe Phanomen zu handeln. Zwar finden sich keine AuBerungen Husserls, in denen er diese Dbereinstimmung ausdrucklich bekunden wurde, aber in Paragraph 58 der Cartesianischen Meditationen, in dem Husserl die »Personalitaten hoherer Ordnung« einfuhrt, spricht er zur Erlauterung ausfuhrlich von» Kulturwelten « und davon, daB meiner Kulturwelt eine fremde gegeniibersteht. Man darf vermuten, daB der Terminus» Heimwelt« erstens einem spateren Abschnitt husserlschen Forschens zugehort und deshalb vorrangig im letzten der drei Intersubjektivitatsbande auftaucht (Hua xv), wahrend von den Personalitaten hoherer Ordnung vor allem im mittleren Band die Rede ist (Hua XIV). Zweitens werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt: Indem die Bedeutung der Geschichte in Husserls Denken zunimmt und er auBerdem den Begriff der Lebenswelt zum Zentrum seines Denkens macht, sind» Heimwelt « und »Fremdwelt « geeignete Ausdrucke fur solche geschichtlichen, sich wechselseitig konstituierenden Welten. Der Ausdruck »Personalitaten hoherer Ordnung « ist aber nicht nur einfach ein fruherer, weniger ausgereifter Begriff,sondern in ihm spiegelt sich einerseits Husserls Ausgangspunkt wider, namlich das individuelle personale BewuBtsein, mit dem das uberindividuelle BewuBtsein bestimmte Wesensziige teilt; zum anderen druckt »hoher« eine Hoherstufigkeit aus, welche die Fortentwicklung von Husserls Philosophie ankundigt.
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Husser! bezeichnet die »generativen Probleme von Geburt und Tod« als Probleme der »hoheren Dimension «, hoher im Vergleich zum individuellen Ego und seinem inneren ZeitbewuBtsein (Hua I , 169). Es geht ihm dabei urn Phanornene der sozialen Vergemeinschaftung im allgemeinen, also insbesondere auch urn die Bildung von Personalitaten hoherer Ordnung. »Hoherstufigkeit« bei Husser! meint gewiB keine Aufhebung im hegelschen Sinne-wenngleich das individuelle BewuBtsein tatsachlich im iiberindividuellen BewuBtsein aufbewahrt, negiert und auf eine hohere Stufe gehoben wird. Ein entscheidender Unterschied besteht, wie be reits angesprochen, darin, daf bei Husser! alle Phanornene letztlich wieder auf das einzelne BewuBtsein riickbezogen werden rnussen. Gleichwohl gibt es eine weitere interessante Ubereinstimmung zwischen Hegel und Husserl, wenn man »hoherstufig« in Verbindung zur Thematik von »abstrakt « und »konkret« bringt. Husser! erklart: Die Konstitution einer verharrenden Mitmenschlichkeit, allgemeinen Gesellschaftlichkeit in korrelativer Bezogenheit zu einer praktischen Umwelt, kann abstrakt schon vor der Generation behandelt werden, und so liegtverrnoge der Art der Zeitigung dieser praktischen Umweltals personal bedeutsamer schon eine abstrakte Historizitat darin beschlossen. Wird die Generation ins Spiel gesetzt, so ist dieser Fortschritt in der Konkretion auch eine Konkretisierung der bleibenden Mitmenschlichkeiten, Mutter bzw. Eltern und Kind etc., und zugleich haben wir eine konkreter, generativgeformte Zeitigung und historischeUmwelt. (Hua xv, 138 Fn. 2)
Generative Phanomene sind also die konkreteren im Vergleich zu statischen und genetischen Phanornenen. In ahnlicher Weise hat Husser! zuvor die genetische Phanomenologie von der statischen durch einen Fortschritt in der Konkretion unterschieden, da erstere sich mit der konkreten Monade beschaftigt und mit dem konkreten Ich, das aus abstrakten Elementen aufgebaut ist (vgl. Hua XIV, 34, 43, 47).40 Wir finden also eine Bewegung ahnlich wie bei Hegel: Das Abstrakte ist das proteron pros hemas; am Ende der Betrachtungen kommen wir zum Konkreten, welches proteron te physei ist. Es zeigt sich am Ende, daB alle friiheren Gestalten Abstraktionen des sich absolut wissenden Geistes waren. So zeigt sich auch bei Husserl, daf wir mit der statischen Phanomenologie anfangen, diese sich aber letztlich als die abstrakteste erweist : Genetische Phanomenologie abstrahiert von der geschichtlichen Dimension, und statische Phanomenologie stellt eine weitere Abstraktion dar, die von allem zeitlichen Werden absieht." Interessant ist, daB wir mit diesem Fortschreiten auch ein neues Absolutes erhalten: Nicht mehr das transzendentale Ich ist das letzte Absolute, sondern »konkret genommen ist absolut: diese Vielheit als eine Vielheit von Subjektpolen, 40 Vgl. Steinbock (1998), S. 183. 41 Vgl. Steinbock (1998), S. 183f.
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Polenfur ein jedemsolchen Pol gesondert zugehoriges konkretes Leben,konkretes Meinen,Erfahren, (.. .)« (Hua XIV, 276, Hervorhebung T.S.).Nachdemsichgezeigt hat, daB das transzendentale Ich nur Welterfahrung im eigentlichen Sinne haben kann, indem es mit anderen seinesgleichen in Gemeinschaft ist (vgl. Hua I , 166), muB die Absolutheitder Gemeinschaft zugesprochenwerden und nicht mehr dem einzelnen Ich. Dan Zahavi erlautert die Absolutheit der Monadengemeinschaft, indem er auf die Relativitat von Ich und Fremdichhinweist: » Fremdich«istin jedem Fallein Relationsbegriff; die Redevon einem Fremdichsetzt immer den Ruckbezug auf das Eigenich voraus, dem jenes andere Ich fremd ist. DaB das transzendentale Ich in gewisser Weise auch sich selbst fremd ist, wie wir oben gesehen haben, andert daran nichts. Zum einen hatte sichdie Fremderfahrung dort alsMoglichkeit gezeigt, mehr uber das Wesen des transzendentalen Ich zu erfahren, und in diesem Sinne ist sie ursprunglicher, Zum anderen nimmt das letztfungierende Ich seine Vorgegebenheit zwarebenso hin wiedie Gegebenheit anderer,doch der Ruckbezug auf das Ich wird dabei nie aufgegeben, und insofern konnen wir die Erfahrung der Anderen nie mit der Erfahrung unserer selbst verwechseln. Das Fremdich ist also Fremdichfur mich; uber dasAnsichsein desFremdichwird dabeinichts ausgesagt. 42 Gleichzeitig ist aber auch das Ich ein Relationsbegriff: Gabe es kein Du, dann gabe es kein Ich im Gegensatz dazu:" gabe es kein Fremdes,dann gabe es kein Eigenes. SowohlEigenich als auch Fremdich haben also die Seinsart der Relativitat. Daher gilt, daB erst die Monadengemeinschaft im eigentlichenSinne absolut ist: Absolut ist die »intersubjektive Aufeinanderbezogenheit absoluter Subjektivitaten « (Hua XIII,
480) .
Auch Zahavi weist darauf hin, daB Husserls Darstellung dieser Problematik an Hegels Idealismus erinnert, bezieht sich aber dann auf Fink zuruck, der betont hat, daB Husserls Auffassung keine »metaphysische Konstruktion« sei." Dies erklart auch Husser!selbst: » PhanomenologischeAuslegung ist also wirklich nichts dergleichen wie metaphysische Konstruktion und nicht, weder offen noch versteckt, ein Theoretisieren mit ubernommenen Voraussetzungen oder Hilfsgedanken aus der historischen metaphysischen Tradition« (Hua I, 177). Husserl hebt immer wieder hervor, daB seine Ergebnisse uber die Intersubjektivitat auf » BewuBtseinstatsachen« zuruckgehen und daBdie Verbindungvon Einzelsubjekten zu Personalitaten hoherer Ordnung »unmittelbarste Tatsache « der Erfahrung sei (Hua XIV, 197, 405). Gleichzeitig aber sagter,daBseine Ergebnisse metaphysisch sind, »wenn eswahr ist, daB letzteSeinskenntnisse metaphysische zu nennen sind« (Hua I, 166). Auf die Fragen nach der Moglichkeit und Notwendigkeit metaphysischer Erkenntnisse und auf die Unterschiede zwischen Hegels absolutem Idealismus und 42 Vgl. Zahavi (1996), S. 98. 43 Vgl. Zaha vi (1996), S. 65; vgl. Hua 44 Vgl. Zahavi (1996), S. 96.
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Husserls transzendentalem Idealismus werden wir in den folgenden beiden Kapite1n zuruckkomrnen, An dieser Stelle soIlen nur kurz einige von Husserl aufgeworfene metaphysische Fragen genannt werden, bevor abschlieBend die Verschiedenheit von Hege1s und Husserls Auffassung bezuglich Subjektivitat und Intersubjektivitat betrachtet wird. Husserl uberlegt, we1cheWesensziige dem Monadenall uber seine Absolutheit hinaus zukommen: » Absolut selbstandig ist, wird man ansetzen, das Monadenall « (Hua XIV , 295). Es ist nahe1iegend, dem absoluten Monadenall Selbstandigkeit zuzuschreiben; doch Husserls Formulierung zeigt seine Vorsicht: » man « wird so ansetzen, aber das heiBt noch nicht, daB es sich wirklich urn einen aufweisbaren Sachverhalt hande1t. Letztlich laBt Husserl die Frage nach der Selbstandigkeit des Monadenalls offen, ebenso wie die Fragen danach, ob das Monadenall eine Substanz ist und ob ihm SelbstbewuBtsein zukommt (vgl. Hua XIV, 295 f.). Er ist sich der Schwierigkeit dieser Fragen und ihrer komplexen metaphysischen Implikationen bewuBt und versucht daher nicht einmal, Antworten zu geben." Was Husserls Verhaltnis zum spekulativen Idealismus angeht, so kritisiert er diesen dafur, die Subjektivitat zu uberspringen (vgl. Hua VI, 272). Es ist fraglich, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist; die Frage ware zunachst, ob Husserl hier die einze1ne oder die gemeinschaftliche Subjektivitat im Auge hat. In ersterem Fall stellt das SelbstbewuBtsein jedenfalls eine entscheidende Stufe der Phiinomenologie des Geistes dar-auch wenn sie uberwunden werden muB, so kann sie doch nie iibersprungen werden. In diesem Sinne konnte Husserl hochstens sagen, daB Hegel nicht bei der Subjektivitat stehenbleibt bzw. nicht immer wieder darauf zuriickkommt. Ist jedoch eine hohere Stufe der Subjektivitat geme int, dann muB beachtet werden, daB gerade Hegel betont, das Absolute rnusse ebenso als Subjekt wie als Substanz gedacht werden. Hegel geht es allerdings darum, die neuzeitliche Entzweiung von Subjektivitat und Objektivitat zu versohnen. Wenngleich auch Hu sserl diese Spaltung durch das Korrelationsprinzip und die Intentionalitat des BewuBtseins uberwindet, so ist es fur Husserl doch unumganglich, immer wieder zur konstituierenden Subjektivitat zuruckzukehren. Das Wir wird fur Husserl vorn transzendentalen Ich konstituiert und muB sich immer dort ausweisen lassen. Trotz dieses Unterschiedes gibt es im Rahmen von Husserls Betrachtung der Personalitaten hoherer Ordnung interessante AuBerungen uber die »Leiblichkeit « dieser Personalitaten, in denen Husserl gewissermaBen die Notwendigkeit betont, daf jene gemeinschaftlichen BewuBtseinsformen sich verobjektivieren: Eine Sub-
45 Vgl. Hua XIV, Beilage XXXVII , die mit den Satzen endet : »Verstehen wir unter einer >Monade der Mon aden «eine solche absolut selbstandige Verknupfung vieler Mon aden, so wurden wir sagen, nur eine .Monade der Monaden «kann (als absolut selbstandige) den hoh eren Substanzbegriff erfullen im Sinn Descartes'. Es kann dann nur eine solche Substanz geben, well, wenn es zwei waren, die Moglichkeit offen stunde, dass eine fur die andere sei, dass sie in Beziehung und in Wechselbeeinflussun g traten etc." (Hua XIV, 296).
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jektivitat wird nur dadurch allgemein erfahrbar, daf sie sich in einer Leiblichkeit bekundet, und so gibt es eine » gewisse Prioritat « des » Physischen, und zwar als physische Leiblichkeit, in der Erfahrung der objektiven Welt« (Hua XIV , 404 So gilt fur die Personalitaten hoherer Ordnung, »dass, sage ich, auch der >Mensch im grossen ( so etwas wie Leiblichkeit hat und eine physische Umwelt als eine Welt leiblich vermittelter Wirkungen « (Hua XIV, 206) . Auch wurdigt Husserl in deutlichen Worten den idealistischen Begriff des Gemeingeistes: »Die unter dem Einfluss des deutschen Idealismus vor mehr als einem Iahrhundert begrundete neue Geisteswissenschaft sprach gern vorn Gemeingeist. Nichts ist gewohnlicher, als dass diese Rede als Mystik oder als eine bloss fiktive herabgewurdigt wird . Das ist aber grundverkehrt (.. .) « (Hua XIV, 404). Obwohl Husserl den hegelschen Begriff des Geistes aufgreift (und sich sogar des Ursprungs dieses BegriffesbewuBt istl), gibt es tiber das bereits Angesprochene hinaus weitere entscheidende Unterschiede. Wir haben im vorhergehenden Kapitel gesehen, daB und wie das absolute Wissen aus dem religiosen BewuBtsein hervorgeht, mit dem es den Inhalt, aber nicht die Form teilt. Der hegelsche Geist ist mehr als ein bloBes KollektivbewuBtsein; er fangt als Wir-BewuBtsein an, doch wenn er sich selbst wirklich durchschaut, erkennt er sich als Gott, der bei uns sein will und sich in uns erkennt. Die Gottesfrage taucht in Husserls Werk in verwickelter Form auf; an dieser Stelle konnen nur zwei Gedankenstrange kurz verfolgt werden. Eine Moglichkeit, die sich bei Husserl aber blof in Form von Fragen angedacht findet, liegt darin , die Suche nach dem Absoluten im Sinne des Nichtrelativen weiter zu verfolgen. Unser letztes Ergebnis war, daf nicht das transzendentale Ich, sondern das Monadenall, nicht die transzendentale Subjektivitat, sondern die transzendentale Intersubjektivitat absolut ist. Doch inwiefern ist das Monadenall wirklich absolut? Inwiefern gibt es nach Entdeckung der Struktur von Heimwelt und Fremdwelt iiberhaupt noch ein Monadenall? Das Verhaltnis von Heimwelt und Fremdwelt ist ein relatives; obwohl sich die Grenzen der jeweiligen Welten wandeln und verschieben konnen, bleibt die Struktur als solche immer bestehen. Heimwelt und Fremdwelt lassen sich nicht in eine Welt aufheben, und damit kommt die Frage nach einem Absoluten auf, das eine hohere Stufe bildet und gewissermaBen die Struktur der verschiedenen Welten als solche bezeichnet. Ware dies etwas Gottlichesi Die Frage muf offenbleiben. Fraglich ist auch, ob es dem Charakter von Husserls Phanomenologie uberhaupt gerecht wird, tiber die Pluralitat der Welten hinaus nach einem einheitlichen Grundzug zu suchen. Andererseits hat Husserl selbst definitiv diese, gewissermaBen monotheistische, Tendenz. Eine andere, von Husserl in vielen Manuskripten angesprochene, jedoch kaum ausfuhrlicher erlauterte oder begrundete Moglichkeit ist es, tiber die teleologische Struktur der Geschichte zu einem Gottlichen zu kommen. Darauf wird in den nachsten beiden Kapiteln zuruckzukommen sein; vorgreifend sei hier nur gesagt, daB auch an dieser Stelle ein Unterschied zwischen Hegel und Husserl zum Vorschein kommt: Insofern sich erweisen wird, daB der teleologischen Gestalt
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der Geschichte bei Husserl eine wesensmafsige Offenheit bzw. UnabschlieBbarkeit eigen ist, so daf das Ziel der Geschichte im Unendlichen liegt, ist auch Gott weitaus weniger »greifbar « als bei Hegel. Dies fuhrt auf eine sehr wichtige Verschiedenheit: Bei Hegel kommt der Geist im absoluten Wissen zu sich selbst und gelangt zu vollstandiger Selbsterkenntnis. Husserls Denken hingegen laBt so etwas wie vollige Durchsichtigkeit nicht zu, und zwar nicht nur aufgrund der unabschlieBbaren Teleologie der Geschichte, sondern bereits aufgrund der Horizonthaftigkeit aller Erfahrung. Diese Horizonthaftigkeit bezeichnet gewissermaBen die teleologische Struktur im Kleinen , namlich die nie abbrechende Dynamik von Intention und Erfullung oder Enttauschung. In der Intentionalitat gibt es nie vollstandige, universale Klarheit . Etwas entzieht sich immer, und was ich klar erkenne, ist umgeben von einem Horizont der dunklen Unbestimmtheit, welcher sich zwar verschiebt, indem ich meinen Blick in ihn hineinschicke, welcher sich aber damit gleichzeitig nur zuruckzieht. Diese Dunkelheit wird nie autgehoben." Husserls Kritik an den positiven Wissenschaften beruht wesentlich auch darauf, daB diese falschlicherweise annehmen, zu volliger Klarheit kommen zu konnen, wodurch sie die unaufhebbare Unbestimmtheit der Lebenswelt ubersehen, Auf der Subjektseite entspricht der Horizonthaftigkeit das vorzeitliche Stromen, in dem ich meiner nie ganz habhaft werden kann, so daB jedes reflektierende Nachgewahren zu spat kommt. Damit waren wir wieder beim Beginn dieses Kapitels angekommen - Husserls Vorgehensweise entsprechend, gemaB der er immer auf die Subjektivitat zuruckkommt, Husserl selbst erklart gegen Ende seiner Betrachtungen zur Intersubjektivitat in der v. Cartesianischen Meditation : »Der Schein eines Solipsismus ist aufgelost , obschon der Satz die fundamentale Geltung behalt, daB alles, was fur mich ist, seinen Seinssinn ausschlieBlich aus mir selbst, aus meiner Bewufstseinssphare schopfen kann « (Hua l , 176).
In diesem Kapitel hat sich gezeigt, daB auch Husserl der gemeinschaftlichen Dimension genauestens nachgeht. Wie in der Philosophie Hegels, so bildet auch bei Husserl die Frage nach dem Absoluten in dieser Hinsicht einen Leitfaden : Die Gemeinschaft stellt ein hoheres und konkreteres Absolutes dar. Wenngleich Husserl betont, nicht mit metaphysischen Konstruktionen zu arbeiten, muf er doch zugeben, daB Fragen wie diejenige nach dem Absoluten ihn unweigerlich in metaphyische Gewasser fuhren. Ein Versuch, den festen Boden unter den FuBen nicht zu verlieren, ist Hu sserls Forderung, daB aIle besprochenen Phanomene dem BewuBtsein gege46 Starker noch ist dieser Gedanke bei Heidegger zu linden, in seinen Besinnungen auf die Wahrheit als aletheia, als Un-verborgenheit. Die Unverborgenheit entstammt einer urspriinglichen Verborgenheit, welche nie beseitigt wird (vgl. z:B. Vom Wesen der Wahrheit).
DAS BETRA CHTUNGSFELD DER PHILOSOPHIE
ben sein und alle Behauptungen sich anhand von Erscheinungen im BewuBtsein bekunden lassen mussen. Sowohl bei Hegel alsauch bei Husserlhaben wir esletztlichmit einer Bewegung )von auBen nach innen <, von der Weltins BewuBtsein zu tun. Freilichverlauft die Bewegung in beide Richtungen, doch der Schwerpunkt liegt auf der Verinnerlichung und Aneignung. Dies tritt in Hegels Begriffder Er-Innerung zutage; der Erinnerung geht zwar notwendig die Entaufierung vorher, doch die Entaufserung hat immer schon den Drang zur Ruckkehr, Husserls Konzept der Intentionalitat betont vielleicht starker das unerlafsliche dynamische Gerichtetsein auf die Welt, schlieBlich aber geht es urn die Aufnahme ins reine Bewufstsein, welches unser phanomenologischesUntersuchungsfeldbildet. Phanomenologenwie Heidegger und Merleau-Pontyweisendemgegenuberauf den ekstatischenCharakter unserer Existenz hin: Die Seinsweise des Menschen ist das In-der-Welt-sein (Heidegger) bzw. das Zur-Welt-sein (Merleau-Ponty). Wir sind immer schon aufser uns, )drauBen<, und darin liegtdie Zerbrechlichkeit, aber auch die Faszination unseres Daseins. Es ware wohl ubereilt zu behaupten, daf Hegel und Husserl dies ubersehen batten: sie legen jedoch den Schwerpunkt auf die umgekehrte Bewegungsrichtung und damit gewissermaBen auf die )sichere Seite-. 1m nachsten Kapitel wird es urn die Frage nach der Methode gehen: Wie kommen wir von innen nach auBen und zurucki Die zweite, damit verbundene Frageist die nach der Rolle des Philosophen, und insbesonderedie Frage: Inwiefern darf oder solIder Philosoph die Weltveranderni
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Die phanornenologische Methode und die Rolle des Phanomenologen Wir sind Menschen, frei wollende Subjekte, die in ihre Urnwelt tatig eingreifen, sie bestandig rnitgestalten. Ob wir es wollen oder nicht, ob schlecht oder recht, wir tun so. Konnen wir es nicht auch verniinftig tun, steht Verniinftigkeit und Tiichtigkeit nicht in unserer Macht? Husserl, Hua XXVII, 4.
Ein Kapitel, das ankundigt, sich mit den Methoden Hegels und Hus serls zu beschaftigen, setzt sich gewissen Erwartungen aus. Die Mehrzahl solcher Erwartungen mussen in diesem Kapitel enttauscht werden: Eine auch nur halbweg s befriedigende Beschaftigung mit der Frage nach der Methode wiirde eine ganze Arbeit fullen, und das ware dann nicht mehr die vorliegende Arbe it. Hier konnen nur einige kurze Bemerkungen gemacht werden. Der wesentliche Unterschied, so wird in diesem Kapitel behauptet, besteht darin, daB Hegels Philosophie ein absoluter Idealismus ist, Husserls Phanomenologie hingegen ein transzendentaler Idealismu s. Idealismus ist dab ei nicht aus einer Entgegensetzung zu einem Realismu s heraus zu verstehen; es kann gezeigt werden, daB beide Philosophien durchaus realistische Elemente enthalten. Was Idealismus jeweils bedeutet, sollte im Canzen dieser Arbeit bereits vorlaufig deutlich geworden sein. Die Spezifizierungen »transzendental« bzw. »absolut« beziehen sich darauf, daB Husserls Phanomenologie Reflexionsphilosopie ist und bleibt, also immer auf die transzendentale Subjektivitat zuruckgeht, I wahrend Hegel eine Phanornenologie der absoluten Idee schreibt. Das Absolute ist es, welches gedacht wird und welches denkt. Des weiteren ist die Rolle des Phanomenologen entscheidend, urn die Positionen der beiden Philo sophen voneinander abzuheben: Fur Husserl ist diese Rolle eine deskriptive, fur Hegel eine normative.
DaB die tra nszendentale Subjektivitat verschiedene Formen anneh men kann und keineswegs notwend ig solipsistisch zu verstehen ist, ist im vergangenen Kapitel gezeigt worden.
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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a. Die Idee des transzendentalen Phanomenologen beiHusserl Die Uberschrift » Die Idee des transzen dentalen Phanomenologen « solI einen Doppelsinn markieren. Zunachst geht es urn die Ideen, die der transzendentale Phanomenologe nach Husserl hat, also urn den transzendentalen Idealismus als Methode. AnschlieBend wird die Idee des transzendentalen Phanomenologen betrachtet, also die Rolle des Phanornenologen, der fur Husserl das Ideal des »wahren, echten und guten Menschen « darstellt. Diese Formulierung klingt freilich sehr hochtrabend, was nicht in Husserls Absicht gelegen haben durfte-vgeht es ihm doch vor allem urn ein Leben der kritischen Selbstbesinnung, das fur Husserl gleichsam von selbst ein ethisches Leben ist, sofern wir wirklich aufrichtige Kritik uben. Husserl versteht Idealismus wortlich, als Betrachtung von Wesenheiten. Die Weise dieser Betrachtung andert sich in Abhangigkeit von den zu betrachteten » Sachen « und ihren jeweiligen Wesen. Den Phanomenologen kommt damit die Aufgabe der theoretischen und praktischen Kritik zu. Husserl strebt eine Erneuerung der Menschheit durch » Rationalisierung « an: durch verstarkte Durchsetzung der Vernunft im Sinne des griechischen Logos. In unserem Handeln orientieren wir uns an Mafsstaben, die insofern , fest < sind, als ich uber sie Rechenschaft ablegen kann; sie sind jedoch wandelbar, wenn die Urns tande eine solche Transformation erfordern. Auf der Ebene der Gemeinschaft bezeichnen wir solche Mafsstabe als Normen. Im letzten Teil dieses Unterkapitels geht es daher urn den merkwurdigen Charakter der Normen, einerseits gemacht, andererseits ubemommen zu sein . Dem kritischen Hinterfragen aller Normen steht der Wert der Oberlieferung gegenuber: die normative Rolle der Phanomenologen befindet sich in eben dieser Spannung.
1. Husserl bezeichnet seine Philosophie selbst als transzendentalen Idealismus.' Er weist allerdings mehrfach darauf hin, daB wir dem Verstandnis eines Idealismus im phanornenologischen Sinne nicht naher kommen, wenn wir ihn aus der Entgegensetzung zu einem Realismus heraus begreifen: » Dieser Idealismus ist nicht ein Gebilde spielerischer Argumentationen, im dialektischen Streit mit , Realismen < als Siegespreis zu gewinnen « (Hua I, ux) . Ware der transzendentalphanomenologische Idealismus das -Gegenteil - eines Realismus, dann ware er nicht nur von diesem abhangig, sondern der Sinn des Idealismus ware abhangig von der jeweiligen Gestalt des Realismus, die zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung und Abhebung gemacht wurde. Auf solche Streitigkeiten will Husserl sich nicht einlas sen, da er sie fur unfruchtbar halt. ' 2 3
Vgl. z.B. Hua I, §§41, 49, 52; Hua v, 150ff. Vgl. auch Hua Y, 150f. (Nachwort zu den IdeenI): " Ich darfhier aber nicht versaumen, ausdrucklich
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Vielmehr ergibt sich aus der Entwicklung der transzendentalen Phanomenologie selbst, daB sie Idealismus ist. Der husserlsche Idealismus ist nicht aus der Entgegensetzung zu anderen Philosophien heraus zu verstehen, sondern: »Der Erweis dieses Idealismus ist also die Phanomenologie selbst« (Hua I, 119). Der transzendentale Idealismus bestreitet nicht, daB die Welt existiert , sondern er laBt es in der Epoche dahingestellt, ob die Welt ein Sein unabhangig von ihrem Sein fur uns hat. Wesentlich fur den husserlschen Idealismus sind der Korrelations- und Konstitutionsgedanke: Welt und BewuBtsein sind korrelativ aufeinander bezogen, und das BewuBtsein konstituiert die Welt-aber, wie schon mehrfach betont, nicht indem es der Welt ein Sein verleiht, sondern indem es ihr Sinn gibt (vgl. Hua v, 152f.).
Ein so verstandener Idealismus kann dann sogar als Realismus bezeichnet werden, wenn auch freilich nicht als Realismus im traditionellen Sinne. Der traditionelle Realismus stellt fur Husserl wohl nichts anderes dar als den Versuch, die von der natiirlichen Einstellung gemachten Annahmen uber die unabhangige Existenz der Welt in eine Philosophie zu verwande1n-ein Versuch, der in Husserls Augen nur scheitern kann; denn die naturliche Einstellung ist eben gerade nicht philosophisch, da sie sich selbst und ihre implizit gemachten Voraussetzungen nicht hinterfragt. Sehr wohl ist Husserls Phanomenologie aber ein Realismus im wortlichen Sinne. Er sagt sogar: »Einen starkeren Realismus kann es also nicht geben, wenn dieses Wort nicht mehr besagt als: -ich bin dessen gewiB, ein Mensch zu sein, der in dieser Welt lebt usw., und ich zweifle daran nicht im mindesten ( « (Hua VI , 190 f.). Versteht man sowohl Realismus als auch Idealismus wortlich, d. h. in einem strengen Sinne, dann ist Husserls Philosophie realistischer Idealismus oder idealistischer Realismus: Sie geht zuruck auf die Sachen (lat.: res) selbst und befragt diese auf ihr Wesen (griech .: idea, eidos) hin. Uberlegungen zur Methode verleiten zu Pauschalisierungen, ebenso wie sie dazu verleiten, sich von den in Frage stehenden »Sachen« zu entfernen. Husserls Methode steht immer im Zusammenhang mit den von ihm behandelten Phanomen en; indem er sich anderen Phanomenen zuwendet, greift er auch eine andere Methode auf bzw. entwickelt eine neue Methodik, sofern die Sache es erfordert. Allerdings halt die explizite Ausarbeitung einer neuen Methode nicht immer mit dem Aufgreifen neuer Phanornene Schritt. Texte zum Unterschied von statischer und genetischer Methode verfafst Husserl erst, nachdem er die genetische Methode schon ausgiebig angewandt hat, und eine generative »Methode« finden wir tiberhaupt nur in der Anwendung, nicht in eigenstandigen methodischen Uberlegungen.
zu erklaren, daB ich hins ichtlich des transzendentalphanomenologischen Idealismus durchaus nichts zuruckzunehmen habe , daB ich nach wie vor jede Gestalt des ublichen philo sophi schen Realismus fur prinzipiell wider sinn ig halte, nicht minder jeden Idealism us, zu welchem er sich in seinen Argumentationen in Gegensatz stellt, den er -widerlegt- « ,
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Husserl expliziert seine Methoden also nicht immer; er entwickelt sie nicht immer »systematisch «, Aber was wurde die systematische Entwicklung einer Methode iiberhaupt heiBen? Eine Methode muf sich immer nach den zu behandelnden Phanomenen richten, ihre Auswahl muf sich an diesen bemessen. Insofern stimmt Husserl mit Hegels Uberlegungen in der Einleitung zur Phiinomenologie des Geistes iiberein: Es ist nicht moglich bzw. fuhrt zu unauflosbaren Widerspriichen, »erkenntnistheoretische« Fragen zu klaren, bevor man sich an das wirkliche Erkennen begibt. Die systematische Explikation einer Methode konnte also immer nur nachtraglich, nach ihrer Anwendung erfolgen.' Dieses Anliegen hat Husserl durchaus, und in diesem Sinne findet sich bei ihm auch der Wunsch, seine Philosophie zu einem System zu entwickeln. ' DaB es dennoch nicht zur wirklichen Ausgestaltung eines Systems kommt, hangt sicherlich nicht nur dam it zusammen, daB Husserl nicht geniigend Zeit geblieben ist, sondern ist vor allem darauf zuruckzufuhren, daB er im Zuriickblicken immer auch nach vorne geschaut hat: Wahrend er >sein System < in den Blick nehmen wollte, ist er gleichzeitig mit neuen Analysen, neuen Phanomenen, neuen methodischen Entwicklungen beschaftigt gewesen. In gewisser Weise entspricht das Versagen in der Ausarbeitung eines Systems also nur dem offenen Charakter von Husserls Phanornenologie, seiner »Arbeitsphilosophie«. Was Husserl in der Ausgestaltung eines Systems eigentlich leisten wollte, war eine griindliche Kritik seiner eigenen Philosophie, eine »Kritik der Kritik «, Es ist, wie gesagt, nicht zur wirklichen Ausarbeitung einer solchen »Metakritik« gekommen; doch Kritik ist das bestimmende Anliegen von Husserls gesamter Phanomenologie, und in seinen unablassigen kritischen Besinnungen untersucht Husserl auch durchaus seine eigene Kritik-nur eben nicht in endgiiltiger, systematischer Weise. Die umfassende und griindliche Kritik, die Husserls Philosophie ubt, bezieht sich keineswegs blof aufunsere Erkenntnismoglichkeiten und -fahigkeiten: es han delt sich nicht nur urn eine theoretische, sondern urn eine >praktische < Kritik. Dies kommt in Husserls sparer Philosophie immer mehr zum Vorschein: Das Bediirfnis des Philosophierens entsteht aus einer Krisenerfahrung, und das Anliegen der Phanomenologie ist letztlich, die Menschheit zu einem kritischen und damit >besseren < Leben zu fuhren. -Besser- ware ein solches kritisches Leben in dem Sinne, daB dem urspriinglichen Bediirfnis der Menschen nach Selbst- und Welterkenntnis geniige getan und der Entfremdungszustand, der durch den Objektivismus der Wissenschaften hervorgerufen wird und der sich in der diagnostizierten Krisenerfahrung widerspiegelt, iiberwunden wurde. Somit kommt den Phanornenologen eine entscheidende ethische Aufgabe zu. Unerachtet der Frage, ob Husserl dam it
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Vgl. auch Hua VI , 158: »Am Anfang ist die Tat. Sie macht die noch unsichere Vorhabe bestimmter und zugleich immer klarer an Stiicken gelingender Durchfuhrung. Nachher bedarfes (und das ist das Zweite) der methodischen Reflexion (.. . ) «. Vgl. auch Luft (1999) .
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eine durehfiihrbare Aufgabe stellt, ja, ob seine Vorstellung uberhaupt erstrebenswert ware, soll hier zunachst kurz Husserls Idee der Rolle der Phanomenologen dargestellt werden. II. Die Kaizo-Aufsatze," die Husserl in den Iahren 1922 und 1923 verfaBte, nehmen in mehrfaeher Hinsieht eine einzigartige Stellung in seiner Philo sophie ein. Nieht nur werden hier zum ersten Mal Themen aufgegriffen, den en Husserl sieh ansehlieBend erst in den 1930er Iahren wieder zuwendet, sondern es tauehen sogar bestimmte Problemkreise auf, mit den en Husserl sieh uberhaupt nieht mehr oder jedenfalls nieht mehr in dieser Ausfuhrlichkeit beschaftigen wird. Mit Recht werden diese Aufsatze daher als Kernstuck von Husserls Ansatzen zur Entwieklung einer phanomenologisehen Ethik angesehen. Da es sieh urn Aufsatze handeIt, die eine gewisse Unabhangigkeit voneinander besitzen, ja deren Reihenfolge sogar in Frage steht, ist eine zusammenhangende Interpretation sehwierig. Diese steht hier aueh gar nieht zur Frage;' vielmehr sollen die Aufsatze unter einigen Hauptgesiehtspunkten kurz beleuehtet werden. Ethik ist fur Husserl die» Wissensehaft von dem gesamten handelnden Leben einer vernunftigen Subjektivitat unter dem dieses gesamte Leben einheitlieh regelnden Gesiehtspunkte der Vernunft « (Hua XXVII, 21). Urn ethiseh zu handeln, ori entieren wir uns an einem Ideal, am Ideal des wahren und ethisehen Mensehen. Dieses Ideal ist letztlieh unerreiehbar, und doeh fungiert es als Richtmafs, als »Polidee«. Husserl sagt, daB jedes, aueh das nieht vollig konsequente Leben der Selbstregulierung, ethiseh heifst (vgl. Hua XXVII, 39)-damit stoBen wir erneut auf die Problematik von Relativitat und Absolutheit. Im weiteren Verlauf muB daher untersueht werden, was Vernunft fur Husserl heiist und in welcher Weise das Ideal des ethisehen Mensehen fungiert. Husserl sieht in der »Rationalisierung« der Praxis eine wiehtige Aufgabe (Hua XXVII, 9); er ist uberzeugt, daf sieh mit der Durehsetzung der Vernunft fruher oder sparer aueh das Gute durehsetzt. Dieses Vertrauen in die Vernunft hat seine Grundlage wesentlieh in der Naehvollziehbarkeit vernunftiger Begrundungen: Wenn wir aus Grunden handeln, die wir anderen erklaren konnen, ist mindestens die Mogliehkeit eines gelingenden Zusammenlebens gegeben. In diesem Gedanken klingt bereits an, daf Vernunft fur Husserl dasjenige ist, woran wir alle teilhaben. Hus6
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Die Einleitung des Husserliana-Bandes XXVII, in dem die Kaizo-Artikel veroffentlicht sind, informiert uns daruber, daB der Herausgeber der japanischen Zeitschrift TheKaizo Husser! bat, einen Beitrag zur verfugung zu stellen . Husser! kam der Bitte nach, da sie ihm Gelegenheit bot, sich einem Thema zu widmen, das ihn seit Kriegsende beschaftigt hatte: dem Thema der »Erneuerung«, was die Ubersetzung von »Kaizo« ist. Nur die ersten drei Aufsatze wurden tatsachlich veroffentlicht: danach kam es zu Spannungen mit dem Ver!ag (vgl. Hua XXVII, S. Xff.) Vgl. dazu Welton (1991).
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serl entwickeltkeinen bestimmten philosophischen Begriffvon Vernunft,"sondern er scheint vielmehr an unser alltagliches Verstandnis von vernunftigem Handeln, Handeln aus Grunden etc. anzuknupfen, Eine der wenigen Stellen, an denen Husserl sich explizit uber seinen VernunftbegriffauBert, lautet: Dadurch erhalt der Begriff des Logos als autonomer Vernunft und zunachst theoretischer Vernunft, als des Verrnogens eines -selbstlosen < Urteilens, dasalsUrteilen aus reiner Einsicht ausschlieBlich auf die Stirnmen der Sachen -selbst- hort, seine ursprungliche Konzeption undzugleich seine weltumgestaltende Kraft. (HuaXXVII, 83)
Husserl rekurriert hier also auf den griechischen Begriff des Logos. Zum einen definierte bekanntlich Aristoteles den Menschen als das den Logos habende Lebewesen. Wie wir noch sehen werden, geht es auch Husserl in diesen Aufsatzenunter anderem urn spezifische Fahigkeiten, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden: Fahigkeiten, sich zu seinem Leben zu stellen, es zu »uberschauenund Verantwortung fur es zu ubernehmen. Zum anderen ist eine der vielen Bedeutungsfacetten von Logos -Sprache« wie bereits erwahnt, ist Mitteilbarkeit und Nachvollziehbarkeitvon>Grunden < (eine weitere Bedeutung von Logos) ein wichtiges Anliegen Husserls. Weil wir Sprache haben, konnen wir fur unser Handeln Grunde angeben und konnen so fur unsere Handlungen -Rechenschaft geben« >logon didonai.. Des weiteren erfahren wir im obigen Zitat, daf fur Husserl die theoretische Vernunft einen Vorrang vor der praktischen hat, dergestalt, daB wir zuerst die Lageerkennen und beurteilen mussen, bevor ein angemessenes Handeln moglich ist. An dieser Stelle wurde Emmanuel Levinas Husserl dafur kritisieren, daf er gemeinsam mit der gesamten philosophischen Tradition der Ethik eine unteroder mindestens nachgeordnete Rolle zurnifst." Dazu ist zu sagen, daB einerseits das ethische Anliegen in Husserls Philosophie durchaus eine grundlegende Rolle spielt, und zwar deswegen, weil eine kritische Erneuerung unseres Lebens Antrieb seines Philosophierens ist. Andererseits ergibt sich ein Vorrangdes Erkennens wohl zwangslaufig und folgerichtig, wenn der Vernunft die entscheidende reformierende Kraft zugesprochen wird. Es ist, wie sich spater noch zeigen wird, nicht Husserls Absicht, sich von der Tradition abzuwenden; er geht sowohl auf Kant als auch auf das sokratisch-platonische Philosophieren zuruck, In leichter Abwandlung des sokratischen Diktums, daB, wer das Gute weiB, auch das Gute tut, sagt Husserl: »Dern echten Wissen folgt das Handeln« (Hua XXVII , 87). 8
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Gleichwohl konnte man vermutlich argumentieren, daB Husser! in gewissem Grade den kantischen Vernunftbegr iffiibernimmt-immerhin spielt Kant in den Kaizo-Aufsatzen eine wichtige Rolle, wie sich noch zeigen wird. Vgl. Levinas, Totalitat und Unendlichkeit, S. 442: »Die Moral ist nicht ein Zweig der Philosophie , sondern die erste Philosophie . .
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Ein »echtes Wissen« im Sinne eines vollkommenen, unfehlbaren Wissens ist allerdings den Menschen als endlichen Wesen prinzipiell verschlossen . Husserl erkennt dies an, erhebt jedoch die »absolute Vernunft « im Sinne der absolut gesteigerten theoretischen und praktischen Vernunft zum Ideal. Eine Person, die diese absolute Vernunft besafse,ware, wenn wir sie zugleich als allmachtig dachten, Gott (vgl. 33). Das Ideal fungiert also als im Unendlichen liegender Pol. »Der absolute Limes (.. .) ist die Gottesidee «; sie ist das »echte und wahre Ich «,von dem wir immer unendlich weit entfernt sind (33f.). Bevor Husserl jedoch diese Uberlegungen zur Gottesidee anstellt, gibt er ein phanomenologisch einholbares und einfaches Argument fur die Existenz eines solchen Ideals: Wenn wir unsere gegenwartige Menschheit als verbesserungsbedurftig kritisieren, so liegt diesem Urteil der Glaube an eine »gute«, »wahre« und »echte« Menschheit als ideale Moglichkeit zugrunde (10). Wir konnen keine Kritik uben, ohne nicht die Vorstellung eines Besseren zu haben; und wenn wir Kritik uben bezuglich ethischer Fragen, mufs dieses Bessere eine bessere Menschheit sein. Das Ideal des Menschen ist der »ethische Mensch« (23), in dem sich das Wesen des Menschen vollendet. Dieser vollkommen wahre, echte, gute Mensch kann fur uns jedoch nur durch den Begriff des unerreichbaren Ideals gefaBt werden, nach dem wir dennoch fortlaufend streben, insofern wir ein kritisches Leben fuhren, Als Menschen sind wir nie unfehlbar und erreichen nie denjenigen Punkt, an dem keine Steigerung im Hinblick auf das ethische Ideal mehr moglich ware. Eben wegen dieser notwendigen Beschranktheit nennt Husserl auch das »nicht vollig konsequente Leben« ethisch . Der Wesenszug, der gewissermaBen die Bedingung der Moglichkeit fur das sich am Ideal des guten Menschen orientierende Leben bildet , ist, daB der Mensch sein Leben uberschauen kann, und zwar sein »ganzes« Leben, das Leben in seiner Gesamtheit (25,31). Dieser Gedanke ist befremdlich:Wir verfugen doch schliefslich uber keinen Standpunkt, von dem aus wir unser Leben in seiner Gesamtheit in den Blick nehmen konntenl? Eventuell ware dies in der .Stunde unseres Todesmoglich, dann aber freilich im Ruckblick, und Husserl geht es hier ja gerade urn Zukunft, urn Streben. Wie so11 eine Uberschau moglich sein angesichts dessen, daf ich zwar urn meine Endlichkeit und Sterblichkeit weiis, der Zeitpunkt meines Todes sich mir aber ganzlich entziehti'? Vor dem Hintergrund dieser paradoxen Situation ist es wenig verwunderlich, daf Husserl im gleichen Abschnitt, in dem er die Moglichkeit der Uberschau des gesamten Lebens erortert, auch von der »grenzenlosen Unendlichkeit des Lebens« spricht (27). Mein Leben ist endlich und unendlich zugleich, da ich urn meinen Tod als solchen, aber nicht urn das Wann des Todes weiB; oder, urn es weniger widerspriichlich auszudriicken: Trotz meiner Beschranktheit setze ich mir
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Heidegger bezeichnet den Tod als Moglichkeit der absoluten Unmoglichkeit (vgl. SuZ, 250) .
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unendliche Ziele; die Endlichkeit des Lebens schlieBt unendliche Verantwortung nicht aus, sondern schlieBt sie gerade ein." Wenn man dieseZusammenhange im Augebehalt,leuchtet auch ein, inwiefern Husserldoch mit gewissem Rechtvon einer UberschaudesganzenLebenssprechen kann: Wir haben eine Vorstellung von unserer Zukunft, auch wenn dieser Vorstellung eine wesensmafsige Unbestimmtheit eignet. Fur diese Zukunft konnen wir uns Ziele setzen. Der Mensch kann sich sogar ein einheitliches Lebensziel setzen; gleichwohl kann er dieses natiirlich andern, ja wornoglich muB er es andern, den Umstanden entsprechend. Und doch halt sichim Wechseletwasdurch: Der Mensch bleibt in Einstimmigkeit mit sich selbst, er will sich selbst lieben, wie Husserl an anderer Stelle sagt." Das heiBt: Der Menschwillseinem Gewissen treu bleiben, im Einklang mit seinem Gewissen handeln. DaBder Menschsein Leben uberschauen kann, bedeutet, daf er ein Gewissen hat. Esbedeutet, daB er Rechenschaft ablegen kann tiber sein Handeln und daB immer die Gefahr besteht, mit einer bestimmten Handlung .nicht leben- zu konnen. In dem bisher Gesagten kommen zwei wesentliche Grundzuge von Husserls Ethik zum Vorschein: Einerseits gibt es so etwas wie feste Ziele oder Malsstabe, die der Mensch sich setzt und an denen er sich in seinem Handeln orientiert. -Pest- bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch keineswegs unwandelbar; die Richtlinien sind nur fest und bestimmt, solangesie fur mich Geltung haben. >Fest< bezeichnet gewissermaBen das Gegenteil von Beliebigkeit, und es bedeutet, daB ich meine Handlungsmafsstabe zu einem gegebenen Zeitpunkt formulieren kann, wenn ich darum gebetenwerde,wenn ichalsoRechenschaft ablegenmuG. 1mLaufe der Zeit konnen oder mussen sich meine Zieleaber durchaus wandeln und andern. Auf die Gemeinschaft, den » Menschen im groBen « ubertragen (der in den Kaizo-Aufsatzen eine bedeutende Rolle spielt), heiBen Mafsstabe, die diesen bestimmt-wandelbaren Charakter haben, Normen . Normen entwickeln sich tiber die Zeit, und dies macht es notwendig, daB wir uns tiber sieverstandigenkonnendank unserer Teilhabe am Logos. Eine Norm ist das, waszu einem gegebenenZeitpunkt » normal « ist- normal jedoch nicht einfachim SinnedesDurchschnittlichen, sondern im husserlschenSinnevon normal: Normal kann einstimmig, typisch,vertraut oder optimal heilien." 1mRahmen der Wahrnehmung ist zunachst vor allem das Normale alseinstimmigbedeutsam, wahrend eine ethischeNorm vertraut und optimal sein sollte. 1steine Norm nur noch vertraut, aber nicht mehr optimal, dann sollte eine Umwertung stattfinden. Wir sind durchaus bereit, das zuvor Anomale
11 Vgl. Bernet (1998), S. 108. 12 Vgl. Man uskript E 111 4, » Teleologie «, S. 12a: » Absolut e Ziele ( .. .) sind so, daB ich mich nur lieben kann, wenn ich ihnen folge«. Ich danke dem Direktor des Hu sserl-Archivs in Leuven, Prof. Dr. Rudolf Bernet , fur die Genehmigung, aus diesem Manuskript und aus dem Manuskript E 111 1zu zitieren. 13 Vgl. Steinbock (1995), Kapitel B, 9, 10.
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als neue Norm anzuerkennen, wenn es sich als optimal erweist. Die Durchsetzung neuer Normen kann gleichwohl zunachst Unwillen hervorrufen, wie im Falle eines Kindes mit Zahnschmerzen, das von den Eltern zum Zahnarzt gebracht wird, damit dieser eine neue , optimale Norrnalitat herstellt." Urn die Entstehung und Entwicklungvon Normen zu betrachten, kann eine statische Vorgehensweise nicht zureichen; eine »dynamisch-genetische « Sichtweise ist notig (Hua XXVII , 55).15 Doch Husserl betrachtet in den Kaizo-Aufsatzen nicht blof die Genesis von Normen, wie er es in den verschiedenen Manuskripten zur Normalitat tut. Insbesondere der Aufsatz »Formale Typen der Kultur in der Menschheitsentwicklung«, der als funfter und letzter Aufsatz abgedruckt ist (Hua XXVII, 59-94), besteht aus geschichtlichen Betrachtungen, die zum einen das Bestehen und die Veranderung von Normen tiber die Generationen hinweg betreffen, zum anderen die unterschiedliche Rolle von Normen in Antike, Mittelalter und Moderne untersuch en. Insofern gehen Teile der Betrachtungen tiber eine genetische Phanomenologie hinaus und gehoren einer geschichtlich-generativen Phanomenologie an .
III. Normen haben den merkwurdigen Doppelcharakter, daB sie von uns . gemacht -, gestaltet, hervorgebracht werden und wir sie gleichzeitig ubernehmen und immer schon ubernommen haben. Dieser Doppelcharakter verlangt nach einer geschichtlichen Betrachtung. Man konnte meinen, daB Husserls Forderung nach »Rationalisierung«, nach vernunftiger Kritik, ihn naturgemaf dazu bringen wurde, ein kritisches Hinterfragen aller Normen anzustreben, dergestalt, daB keine Norm unbefragt ubernommen wurde. Diese moderne, vom Geist der Aufklarung inspirierte Tendenz ist wohl in der Tat die in Husserls Denken vorherrschende-aber sie wird begleitet von einem BewuBtsein fur den Wert » -altehrwu rdiger - Tradition « (Hua XXVII, 58). Die Tradition ist zwar nicht unantastbar, verlangt aber eine besondere Achtung, und zwar deshalb, weil Normen nicht nur immer schon von uns ubemommen worden sind, sondern weil diese Habitualisierung notwendig ist fur ethisches Handeln: Wir konnen nicht in jeder gegebenen Situation die Normen in Frage stellen und eine kritische Entscheidung treffen. Dies wurde nicht bloB zu viel Zeit in Anspruch nehmen (also schnelles Handeln unmoglich machen), sondern uns auch hoffnungslos uberfordern. Nur indem gewisse Normen uns zur »zweiten Natur « geworden sind (37), ist ethisches Handeln moglich.
14 Husser! selbst zieht bevor zugt ein bestimmtes medizinisches Beispiel heran, namlich eine Augenoperation oder das Tragen einer Brille, wodurch der Sehsinn optimiert wird . Hier wird eine neu e Norm etabl iert, die dem Betroffenen zuvor als solche unbekannt war (vgl. Ms. D 13 II, 206b, in: Steinbock (1995), S. 146 u. 297). 15 Die ersten beiden Kaizo-Aufsatze gehoren der statischen Phanomenologie an: im dritten Aufsatz
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Wahrend das kritische Hinterfragen, wie bereits erwahnt, eine neuzeitliche Errungenschaft ist, die allerdings gewisse Wurzeln in der griechischen Antike aufweist, findet Husser! eine besonders ausgepragte Form der Habitualisierung von Normen in der religiosen Kultur. Die »Stufe religioser Kultur « und die »Stufe wissenschaftlicher Kultur« sollen nun kurz skizziert werden. Husser! sagt, daB wir in jeder »hoherentwickelten Kultur « eine Kulturform der »Religion« finden (60).16 In Religionen haben bestimmte Gesetze den Status absoluter Normen, also solcher Normen, die nicht nur faktisch, unter der Herrschaft eines bestimmten Machthabers oder zu einer bestimmten Zeit gelten, sondern derer wir uns als unbedingt geltende bewuBt sind . Die Festsetzer dieser absoluten Normen sind die transzendenten Machte, die in dieser Religion als Gottheiten gelten. Eine Religion enthalt demgemaf ein System absoluter Geltungen. Solange die Vorherrschaft der Religion unangestastet bleibt, deckt sich das normale Leben mit dem religiosen (vgl. Hua XXVII , 61). Husser! faBt die religiosen Verhaltnisse in folgender lakonischen Bemerkung zusammen: »Eine Spannung zwischen Autoritat und Freiheit kann es nicht geben , so wenig wie es fur den Traumenden ein BewuBtsein der Illusion gibt; es setzt eben das Erwachen voraus« (ebd .). Auch wenn wir aus der Religion etwas tiber die Existenz unbedingter Sollensanspruche und tiber die Habitualisierung von Normen erfahren konnen und wenngleich ein solches Leben zunachst in sich konsistent ist und ein friedliches Zusammenleben ermoglicht, ist das Erwachen doch unumganglich. Dies liegt nicht zuletzt daran, daf die religiosen Kulturen zumeist hierarchische waren und sind ; Husser! spricht explizit von der »imperialistischen « Gemeinschaft der Priester im Mittelalter (90). Eine hierarchische Kultur hat unvermeidlich den Charakter der Unfreiheit (vgl. 63);damit aber steht sie gerade unserem ethischen Vermogen, unserem Verrnogen kritischer Stellungnahme entgegen, das nichts anderes ist als unsere Freiheit. So erwachst der Religion zwangslaufig eine religiose Freiheitsbewegung. Es ist bemerkenswert, daB Husser! sich auf die aus der Religion selbst hervorgehende Bewegung der Kritik konzentriert, auf die immanente Kritik also, anstatt den Blick auf die von Philo sophie und Wissenschaft ausgehende externe Kritik zu rich ten . Er sagt vielmehr, daf sich die religiose Freiheitsbewegung und jene anderen Freiheitsbewegungen kreuzen, also zusammenspielen, daB die Selbstkritik der Religion und ihre Umgestaltung aber sehr wohl ein eigener, sich tatsachlich vollziehender Vorgang ist (Hua XXVII, 67). Die Betonung dieses Sachverhalts ist ein weiterer Beleg fur die Wertschatzung, die Husser! der Religion und damit im weiteren Sinne einer Habitualisierung von Normen entgegenbringt.
fuhrt Husserl, wie er selbst erklart, eindeutig eine genetische Analyse durch. Vgl. auch Welton (1991), S. 586. 16 Warum Husserl nur von »h oherenrwickelten- Kulturen spr icht, soli hi er dahingestellt bleiben. Moglicherweise ist diese Beschrankung in seinem Begriff von Religion begrundet, der die Existenz einer in gewissem MaBe ausg earbeiteten Lehre impliziert.
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Dem steht die Stufe wissenschaftlicher Kultur gegenuber, die »Stufe einer sich selbst und ihre Umwelt aus rein autonomer Vernunft und naher aus wissenschaftlicher Vernunft gestaltenden Kulturmenschheit « (73). Obwohl Philosophie und Wissenschaft ihre Urstiftung im antiken Griechenland erfahren haben , findet die Stiftung einer Ethik auf der Grundlage »rein autonomer Vernunft « erst in Kants Philosophie statt. Kant spielt daher eine wichtige, wenngleich nicht immer eindeutige Rolle in den Kaizo-Aufsatzen. Husserl spricht an vielen Stellen vorn kategorischen Imperativ, der fur jeden Menschen in Geltung ist, so daB ein Mensch nur dann ein »wahrer « Mensch ist, das heifst, dem Ideal entspricht, wenn er sich und sein Handeln dem kategorischen Imperativ unterstellt. Gleichwohl will Husserl mit dem Ausdruck des kategorischen Imperativs nicht »die Kantische Formulierung und die Kantische Begriindung, kurz die Kantischen Theorien ubernehmen, nur das eine sei gesagt, daB der einzelne Mensch ein Leben lebt, das, nicht in beliebiger Weise dahingelebt, einen Wert hat « (44). Diese Erklarung schafft zugegebenermaBen nicht allzuviel Klarheit. Worum es Husserl eigentlich geht, wird im weiteren Zusammenhang der Aufsatze deutlich: Den kategorischen Imperativ versteht Husserl vor allem wortlich, als einen unbedingten, also absoluten Sollensanspruch, dem wir unterstehen und den wir zur Grundlage unseres Handelns mach en konnen, Ziel ist ein Leben der Selbstreflexion, der Selbstbestimmung aus reiner Vernunft. »Die absolut rationale Person ist also hinsichtlich ihrer Rationalitat causa sui «, sagt Husserl (Hua XXVII, 36). Damit bewegt er sich nah an Kants Forderung, nicht bloB der Pflicht gemafs, sondern aus Pflicht zu handeln bzw. den kategorischen Imperativ nicht nur zum principium diiudicationis (Entscheidungsprinzip), sondern auch zum principium executionis (Ausfuhrungsprinzip) zu erheben . In der Neuzeit streben Religion und Philosophie notwendig auseinander. Dies besagt nicht, daB der Glaube als solcher und seine Inhalte verworfen werden-die Vorherrschaft autonomer Vernunft bedeutet jedoch, daB nichts aufgrund kirchlicher Autoritat ungepruft hingenommen werden kann (vgl. 92). Damit richtet sich die Neuzeit insbesondere gegen das Mittelalter. Dort hatte die Herrschaft der Religion so dogmatische und imperialistische Formen angenommen, daB die Neuzeit sich zu einem radikalen Gegenschlag gezwungen sah. Dabei wurden die Vorzuge vorneuzeitlicher Kultur iibersehen bzw. gingen in den Reformbewegungen unter. Husserl zufolge unterscheidet sich die neuzeitliche Philosophie von der antiken insbesondere darin, daB sie samtliche traditionelle Wissenschaften der radikalen Vernunftkritik unterwirft, welcher schlieBlich nur die Mathematik standhalten kann (vgl. ebd.). Indem Husserl die Vorzuge der religiosen Kultur ebenso wie ihre Nachteile hervorhebt, macht er darauf aufmerksam, daB dort Einsichten zu finden sind, die nicht vorschnell verabschiedet werden sollten. Ein solche Einsicht ist die der Habitualisierung von Normen. Damit einhergehend steht der neuzeitlichen Indi-
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vidualisierungstendenz, also der Tendenz, das Gewieht auf das Gewissen und die Vernunft der handelnden Person zu legen, eine alteuropaische Tradition vergemeinsehafteter Normen gegenuber, Trotz der vielfaehen Bezugnahmen auf Kant weieht Husserl daher von der kantisehen Ethik insofern ab, als eine ethisehe Handlung fur Husserl keinen spontanen Neuanfang bedeutet. Im Rahmen von Husserls Philosophie ist ein ethiseher unbe dingter Neuanfang schon insofern nieht rnoglich, als die intentionale Grundstruktur von Erwartung und Erfullung oder Enttauschung aIle Bereiehe durehdringt. Fur die Ethik heiBt dies, daB bestimmte Erwartungen an uns herangetragen werden, zu denen wir uns auf versehiedene Weise verhalten konnen. Egal, was wir tun und wie wir im konkreten Fall handeln (und sei es, daB wir allen expliziten und impliziten Erwartungen widerspreehen): Unser Handeln steht in Beziehung zu diesen Erwartungen. Auf welche Weise die vorneuzeitliehen Einsiehten in das neuzeitliehe Konzept der Vernunftautonomie aufgenommen oder mit diesem vermittelt werden konnten, erklart Husserlleider nieht genauer. Er gibt allerdings zwei wiehtige Hinweise. Erstens sprieht Husserl von einer Urstiftung ethisehen Lebens, die jede Person fur sieh vollziehen muB, indem sie sieh besinnt und den EntsehluB faBt, ein ethisehes Leben zu fuhren und sieh unbedingten Sollensanspruchen zu unterstellen (vgl. 43). Auf diese Urstiftung folgt die Habitualisierung der kritisehen Einstellung, so daB eine »habituelle kritisehe Stellungnahme «gebildet wird (63). Der Entschlufs, kritiseh zu leben und zu handeln, muB damit nieht immer wieder von neuem gefaBt werden. Gleiehzeitig besteht die Moglichkeit, daB ieh eine gewisse Norm fur mieh dergestalt iibernehme, daB ich sie gewissermaBen intuitiv in bestimmten Situationen zur Anwendung bringe, ohne jedes Mal wieder .von vorn anzufangen ( und die Norm zu reehtfertigen. Damit haben wir aber die Ebene des Individuums noeh nieht verlassen. Der zweite Punkt bezieht sieh darauf, daB Normen »den Charakter eines verfugbaren Besitzesund Gutes «annehmen konnen, »fur das einzelne Individuum, aber aueh fur die Gemeinschaft « (Hua XXVII, 75). Die verniinftige Begriindung der Norm muB zwar prinzipiell moglich sein, wird aber fur die faktisehe Anwendung der Norm nieht notwendig durehgefuhrt; denn die Norm gehort sehlieBlieh einem »verfugbaren Besitz« an. Doeh dam it die Norm zu einem solchen uberlieferten Besitz wird, sollten sieh versehiedene Person en uber langere Zeit hinweg ihrer Vernunftigkeit versiehern, und die Person, welche die Norm zur Anwendung bringt, muB jene der Moglichkeit naeh, wenn aueh nieht zwangslaufig der Wirkliehkeit naeh begrunden. Gibt Husserl uns damit einen MaBstab an die Hand fur die Festlegung bestimmter normativer Gesetze? Alle Begrundung von spezifisehen Gesetzen, so sagt er, gehort »zum Aufbau der Individualethik selbst und nieht mehr zum Entwurf ihrer prinzipiellen Richtlinien « (43). Dies ist nur konsequent im Sinne von Husserls Absiehten in diesen Aufsatzen und bewahrt ihn zudem davor, sieh in die Untiefen
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der Ausarbeitung einer Ethik zu begeben. Es ist nicht Husserls Anliegen, eine vollstandige ethische Theorie zu entwickeln und einen Standort in der kontroversen Diskussion solcher Theorien einzunehmen. Gleichwohl konnen mindestens aus seinen Analysen von Heimwelt und Fremdwelt bestimmte Schlusse gezogen werden, was die Anerkennung von Grenzen betrifft. Darauf werden wir im nachsten Kapitel zuruckkommen. Was die Rolle des Phanornenologen oder der Phanomenologin angeht, so laBt sich festhalten, daB diese Rolle keineswegs blof deskriptiv, sondern vielmehr normativ iSt. 17 »Die Philosophen sind die berufenen Reprasentanten des Geistes der Vernunft, das geistige Organ, in dem die Gemeinschaft (... ) zum Bewufstsein ihrer wahren Bestimmung (ihres wahren Selbst) kommt« (54). Die Philosophen gehen gewissermaBen mit gutem Beispiel voran, indem sie ein kritisches Leben der Selbstbesinnung und Selbstbefragung fuhren. Husserl geht sogar so weit, den Philo sophen als »echten Menschen « und dam it als Ideal des ethischen Strebensprozesses zu bezeichnen (89). Husserls Philo sophie sieht nicht vor, daf die Phanornenologen blof die bestehenden Verhaltnisse und ihre Veranderungen konstatieren, sondern ihre Aufgabe ist es, Krisen ebenso wie Verbesserungen wahrzunehmen und im Fall einer Krise durch kritische Besinnung eine Diagnose vorzunehmen. Damit stellt sich freilich die Frage, wie die Philosophen eine Krisensituation erkennen. Doch Husserl zufolge ist dies keine wirkliche Schwierigkeit: Eine Krisensituation macht sich durch Unzufriedenheit im Bewufstsein der Gemeinschaft bemerkbar, wie es zur Zeit der Abfassung der Kaizo-Aufsatze der Fall war und wie es in anderer Weisebeispielsweise im Mittelalter geschah. Der Phanomenologe hat demnach die Aufgabe, solchen Stimmungen gegeniiber aufmerksam zu sein. Er muf also mit der Gemeinschaft in enger Beruhrung bleiben, was auch die Voraussetzung fur jede positiv-kritische Beeinflussung der Gemeinschaft durch den Philosophen ist. Diese Feststellungen werfen ein Licht aufbestimmte Bedingungen des Verhaltnisses von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein, urn das es im Schlufsteil dieser Arbeit gehen wird .
b. Die Phiinomenologie der absoluten Idee beiHegel Hegel unterscheidet seinen absoluten Idealismus vorn subjektiven Idealismus Kants und Fichtes; er wirft beiden vor, daf in ihren Philosophien alle Objektivitat letztlich Subjektivitat ist. An Husserls Phanomenologie hatte Hegel voraussichtlich dieselbe Kritik geubt, Dies ware insofern ungerechtfertigt, als Husserl ebenso wie Hegel den kantischen Abgrund zwischen Ding als Erscheinung und Ding an sich ablehnt und sein transzendentaler Idealismus realistische Elemente enthalt, Gerechtfertigt ware
17 Vgl. Steinbock (1998).
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die Kritik aber insofern, als Husserl immer auf die transzendentale Subjektivitat zuruckgeht, und sei sie auch als transzendentale Intersubjektivitat verstanden. Hegels Denken dagegen ist Denken des Absoluten. Das Absolute ist Einheit von Subjektivitat und Objektivitat; es ist damit die Einheit zweier Entgegengesetzter und birgt die Negation in sich." In der Phiinomenologie des Geistes beobachten wir, wie das Absolute zu sich kommt. Damit bleibt un s anscheinend nicht viel zu tun. Im folgenden soU nach einigen einleitenden Oberlegungen zur hegelschen Methode untersucht werden, ob das Zusehen des Phanomenologen bei Hegel ganzlich unwirksam bleiben muf in bezug auf die Wirklichkeit. Dazu ist es notig, Hegels oftmals als reaktionar kritisierte Oberlegungen zum Verhaltnis von Moralitat und Sittlichkeit zu bedenken. Dieses Verhaltnis steUtsich in der Phiinomenologie anders dar als in der Rechtsphilosophie; eine Frage lautet daher, warum in der Phiinomenologie die Sittlichkeit der Moralitat vorangeht. Diese Betrachtung fiihrt auf das Gewissen als Kern des Moralitatskapitels in der Phiinomenologie. Anhand der Parallelitat zwischen sinnlicher GewiBheit und Gewissen soU der Gang des Gewissenskapitels skizziert werden .
1. Genauere Ausfiihrungen uber die hegelsche Methode finden sich im funften, sechsten und achten Kapitel der vorliegenden Arbeit. Hier seien drei Wesenszuge hervorgehoben, die aus verschiedenen Aufsatzen tiber Hegels Methodik entliehen worden sind: a. Hegels Methode in der Phiinomenologie des Geistes ist deskriptiv-phanornenologisch, nicht dialektisch." Dialektisch ist die Erfahrung des BewuBtseins selbst, die wir phanomenologisch betrachten. Unsere Aufgabe ist es, uns ganz auf die Entwicklung unseres Gegenstandes einzulassen und diese zu verfolgen. Dieses Sicheinlassen unterscheidet den Phanomenologen im hegelschen Sinne von einem ganzlich unbeteiligten Analytiker, der aUes Leben in dem auseinanderzulegenden Gegenstand abtotet. Unser Gegenstand ist nicht tot, sondern in lebendiger dialektischer Entwicklung begriffen. DaBdie Erfahrung des Bewufstseins dialektisch ist, hangt wesentlich mit der bedeutenden RoUe der Sprache zusammen: BewuBtsein ist Dialog, Dialog zwischen natiirlichem und philosophi schem Bewufstsein, Dialog zwischen solchen, die einander widersprechen und einander damit herausfordern, den eigenen Standpunkt zu bedenken, zu begrunden und in Frage zu steUen.
Vgl. Volkrnann-Schluck (1998), S. 10 f. Volkmann-Schluck sagt: »Das Absolute, die Einheit Entgegengesetzter, birgt also die Negation in sich. Und das ist eine une rhorte Neuerung innerhalb der Denkgeschichte«. 19 Vgl. Dove (1971). Vgl. zu Hegels phanomenologischer Methode auch Pippin (1975).
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b. Hegels Philosophie ist ein Idealismus, aber auch ein Realismus. Genauer gesagt ist sein Idealismus ein epistemologischer Realismus, wie Kenneth R. Westphal in subtilen Analysen aufgewiesen hat, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann." Beispielsweise ist der Begriff nicht etwas aufserhalb der Welt Befindliches, sondern besteht nur als die Verbindung von Dingen und ihren Eigenschaften in der Welt." Es gibt kein den Erscheinungen transzendentes Ansichsein, sondern das Wirkliche ist wesensmafsig auf das Erscheinende bezogen. Der Gegenstand des Erkennens ist die Welt selbst. Das Bewufstsein ist die Realitat, und die Realitat ist das Bewufstsein- hierdurch erhalt nicht nur die Realitat ihre Bestimmung (im Sinne eines Idealismus), sondern auch das Bewulstsein die seine (im Sinne eines Realismus). Hegel erklart in der Einleitung der Phanomenologie, daf die Prufung der Wahrheit des Bewufstseinsdarin besteht zu sehen, ob der Begriff dem Gegenstand oder der Gegenstand dem Begriff entspricht (vgl. PhG, 77). Der erste Weg war traditionell die Prufrichtung der Realisten, der zweite die der Idealisten - Hegel zeigt auf, daB beides dasselbe ist.22 c. Hegels Methode ist deskriptiv, nicht normativ," Wir werden in der Einleitung aufgefordert, unsere Auffassungen beiseite zu lassen und blof zuzusehen, wie das Bewufstseinsich entwickelt. Der Phanomenologe bzw. die Phanomenologin im hegelschen Sinne beobachtet, ohne selbst Stellung zu beziehen. Die Besonderheit oder die Faktizitat des Phanornenologen gehen nicht in die Betrachtung ein. Der hegelsche Phanomenologe kann sich rein deskriptiv verhalten und die Entwicklung der Weltgeschichte beschreiben, weil diese sich vollendet und damit die Zeit getilgt hat. Damit nimmt der Philosoph im hegelschen Sinne einen Standort aufserhalb der Geschichte ein und beschreibt im Riickblick, wie sie sich ereignet hat - freilich nicht im Sinne einer Tatsachenbeschreibung, sondern im Hinblick auf die logische Entwicklung des Geistes selbst. Dennoch bleibt das Problem bestehen, daf der Hegelianer nicht an der Entwicklung von geschichtlichen Bedeutungen teilhat, da er eben nicht in dieser Geschichte steht bzw. sich am Vollendungspunkt der Geschichte befindet. Vollendung der Geschichte bedeutet dabei nicht, daB sich nichts mehr ereignet, sondern vielmehr, daB die wesentlichen Gestalten ausgeschopft sind. Die Gestalten konnen in besonderer Form wieder und wieder auftreten, aber es kommt keine wesentlich neue Gestalt hinzu; dazu mehr im nachsten Kapitel.
20 VgI. Westphal (1989) . 21 VgI. Westphal (1989), S. 144. 22 Vgl. Dove (1971). 23 Vgl. hier zu und zum folgend en Steinbock (1998), S. 176.
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Aus der Tatsache, daf keine neuen Gestalten mehr auftreten und der hegelsche Philosoph vom Vollendungszustand aus zuruckblickt, leitet Steinbock einen wichtigen Unterschied zwischen Husserl und Hegel ab:24 Der Phanomenologe im hegelschen Sinne erfahrt keine Krisen, wahrend Krisenerfahrungen wesentlicher Bestandteil der husserlschen Phanomenologie sind und sogar eine diese Philosophie motivierende Rolle spielen. DaB es in Hegels Philosophie keine Krisenerfahrungen gibt, heiBt nicht , daB es keine miBlichen Entwicklungen gibt. Eine Krise jedoch bezieht sich auf das Ganze und bedeutet, daf auf dieses Ganze bezogene Reformen notwendig sind. Nun ist der Vorwurf, daB Hegels Philosophie keine Kritik an der geschichtlichen Situation einschlieBt und insofern konservativ im wortlichen Sinne ist, keineswegs neu, und er fordert schon allein aufgrund seiner Popularitat dazu auf, ihn mit Vorsicht zu betrachten. Gleichzeitig laBt sich vermuten, daB der Vorwurf eine gewisse Berechtigung hat; zumal AuBerungen dieser Art nicht nur pauschal, sondern durchaus im Blick auf und unter Kenntnisnahme von Details hegelscher Philosophie geaufsert wurden." Eine Stelle,an der Hegel sich ganz deutlich daruber auBert, daf er nicht sagen will, was sein soll, ist folgender Abschnitt aus der Vorrede der Rechtsphilosophie: So soli denn diese Abhandlung, insofern sie die Staatswissensehaft enthalt, nichts anderes sein als der Versuch, den Staat alsein in sich Vernunftiges zu begreifen und darzustellen. Als philosophisehe Sehrift mug sie am entferntesten davon sein, einen Staat, wie ersein soli, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nieht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soli, sondern vielmehr, wie er, das sittliehe Universum, erkannt werden solI. (...) Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist aueh die Philosophie ihre
Zeit in Gedanken erfaflt. (RPh, 26)
Diese Stelle ist so eindeutig, daB sie wohl kaum der Interpretation bedarf. Urn zu sehen, inwiefern Hegel durchaus auch Uberlegungen dazu einbringt, wie das gemeinschaftliche Leben der Menschen verbessert werden kann, mussen wir tiefer in die Problematik von Moralitat und Sittlichkeit eindringen. Hier nur so viel: Ein Grund dafur, warum Hegel sich gegen eine Darstellung des Staates, »wie er sein soll «, ausspricht, ist, daB eine solche Darstellung in willkurliche Phantaste24 Steinbo ck (1998). 25 Urn nur ein Beispiel zu geben, das aufgrund seiner Relevanz fur die betrachtete Problematik ausgewahlt worden ist, sei hier Tugendhat zitiert : »Die Moglichkeit eines selbstverantwortlichen, krit ischen Verhaltnisses zum Gemeinwesen, zum Staat, wird von Hegel nicht zugelassen, vielmehr horen wir: die bestehenden Gesetze haben eine absolute Autor itat: was vom Ind ividuum zu tun ist, steht in einem Gemeinwesen fest; das eigene Gewissen des Einzelnen hat zu verschwinden , und an die Stelle der Reflexion tritt das Vertrauen ; das ist es, was Hegel mit der Aufhebung der Moralitat in Sittlichkeit meint - (Tugendhat (1979),S. 349).
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rei munden konnte, Wer sich davon last, wie der Staat ist, verliert die Realitat aus den Augen - und Hegel ist, wie oben kurz angesprochen, durchaus auch ein Realist. Hegel sagt selbst, daB es nicht darum gehen kann, den ideal en Staat zu »konstruieren «. Es kommt aber auch nicht nur darauf an, das Bestehende zu betrachten, sondern darauf zu untersuchen, wie der Staat »erkannt werden soll «. Dies ist entscheidend; denn damit ist gesagt, daB es verschiedene Moglichkeiten gibt, dies zu tun, und wir in Abhangigkeit von der Erkenntnisweise auch Unterschiedliches erkennen. Wenn wir den Staat vernunftig ansehen, werden wir auch Vernunft in ihm tinden. Daruber hinaus ist die uns gegebene Wirklichkeit von solchem Reichtum, daB sie uns vieles sagen kann, wenn wir sie nur zu lesen wissen. Die Wirklichkeit selbst kann uns sagen, was wir tun sollen, namlich tun sollen angesichts dieser Wirklichkeit (und nicht im -Iuftleeren Raum-) . II. DaB wir die Wirklichkeit nicht aus den Augen verlieren sollen, ist eine banale, aber gleichwohl wichtige Feststellung, die in Hegels Ausfuhrungen uber Moralitat und Sittlichkeit ihre Konkretion erhalt, In der Phanomenologie tauchen Moralitat und Sittlichkeit zwar auf; doch das Verhaltnis beider ist nicht so deutlich und systematisch entwickelt wie in Hegels spaterem Werk und vor allem in der Rechtsphilosophie. Es sollen hier einige kurze Bemerkungen zum allgemeinen Verhaltnis dieser beiden Begriffe gemacht werden-so allgemein, daB sie auch dem Verstandnis der Phiinomenologie dienlich sein konnen, in der das Zusammenspiel beider angelegt ist. Grab gesagt bezieht sich Moralitat auf ein individuelles BewuBtsein, wah rend Sittlichkeit immer mit einer Gemeinschaft zu tun hat: Es gibt nicht -rneine- Sitte, sondern es muf sich mindestens urn die Sitte einer kleinen Gemeinschaft wie einer Familie handeln (»In unserer Familie ist es Sitte, zu Weihnachten ... «}, Den Begriff der Moralitat ubernimmt Hegel von Kant, der ihn mit der Legalitat kontrastiert hatte: Dem blof pflichtgemafsen Handeln steht das Handeln aus Pflicht gegenuber, Die Moralitat ist vernunftig und frei. Sie entspricht dem Geist der Moderne, der das Subjekt zum obersten Prinzip erhebt und kein Gesetz ungepruft iibernimmt. Auf dem Standpunkt der Moralitat ist es das hochste Recht des Subjekts, »nichts anzuerkennen, was ich nicht als verniinftig einsehe « (RPh, §132). Es handelt sich somit urn eine hohere Geistesstufe als die Stufe der antiken Sittlichkeit: In der Antike lebte der Einzelne nach den Gesetzen der Gemeinschaft, ohne diese in Frage zu stellen. Es herrschte Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft."
26 Es versteht sich von selbst, daB Ausnahmen hiervon existiert en-aber fur Hegels Betrachtungen
kommt es auf den Geist an, der die Zeit durchdrang, und nicht darauf, ob es einige Zweifler oder gar Revolution are gab.
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Der Zustand der Moralitat ist damit ein Entzweiungszustand, in dem das Individuum seinen eigenen Willen als den Gesetzen der Gemeinschaft gegenuberstehend und unter Umstanden mit diesen im Konflikt befindlieh erkennt. Ein Hauptkritikpunkt Hegels am Standpunkt der Moralitat nach Kant ist die Inhaltsleere, die sieh daraus ergibt, daB das Subjekt sich seine Gesetze selbst gibt. Es deutet sich bereits an, daB die Moralitat als Entzweiungsgestalt aufgehoben werden mufs, Dies geschieht in einem Zustand, den Hegel als Sittlichkeit bezeichnet; freilieh handelt es sich nieht mehr urn die unmittelbare Sittlichkeit der antiken Welt. An die Stelle der Identitat von individuellem Willen und gemeinschaftlichen Gewohnheiten und Sitten tritt ein Verhaltnis beider, so daB das Individuum die Sitten aus Uberzeugung iibernimmt. Diese Form der Sittlichkeit ist im christliehen europaischen Staat
verwirklicht." In diesen vorlaufigen Uberlegungen tritt bereits eine gewisse Schwierigkeit des Verhaltnisses von Moralitat und Sittlichkeit zutage : Historisch betrachtet geht die Sittlichkeit der Moralitat voraus und folgt ihr auch nach oDie unmittelbare Form der Sittliehkeit finden wir in der Antike, die vermittelte Form in den europaischen Staaten der Zeit Hegels. Die vermittelte Form der Sittlichkeit hatte Hegel zur Zeit der Abfassung der Phiinomenologie noch nicht durchdacht (-wie sieh auch sein Staat noch im Umbruch befand). Dies ist, ganz grab gesagt, der Grund dafur, daB in der Phiinomenologie die Sittlichkeit (narnlich die antike Sittlichkeit) der Moralitat vorhergeht und die Moralitat dann gleieh in die Religion einmundet," wahrend in der Rechtsphilosophie die Sittlichkeit auf die Moralitat folgt." In der Enzyklopiidie findet sich eine besonders klare Definition der Sittlichkeit: Diese Einseitigkeiten aufgehoben, so ist die subjektive Freiheit als der an und fur sich allgemeineverniinftige Wille, der in dem BewuBtseinder einzelnen Subjektivitat sein Wissen von sich und die Gesinnung wie seine Betatigung und unmittelbare allgemeine Wirklichkeit zugleich als Sitte hat,-die selbstbewuBte Freiheit zur Natur geworden. (Enz. III, § 513)
27 » [Dlie Gegenwart hat ihre Barbarei und unrechtliche Willku r und die Wahrheit hat ihr Ienseits und ihr e zufallige Gewalt abgestreift, so daB die wahrhafte Versohnung objektiv geworden, welche den Staat zum Bilde und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet (. . . ) « (RPh, § 360) - Das germanische Reich ist der Rechtsphilosophie zufolge die Versohnung von Subjektivitat und Objektivitat, Das griechische Reich war noch bestimmt durch die Einheit von Subjekt ivitat und Objektivitat: in ihm herrschte die Verkliirung zur »freien und heiteren Sittlichkeit « (RPh, §356) . 1m rom ischen Reich findet die Zerreifsung des sittlichen Lebens in die Extreme privaten SelbstbewuBtseins und abstrakter Allgemeinhe it statt (RPh, § 357),die im germanischen Reich au fgehoben werden muB.Vgl. zu den Problemen dieser Position, die solche Staaten auBer acht liiBt, in denen sich noch kein vernunftiger Freiheit sbegriffverwirklicht hat : Siep (1982), S. 92. 28 Eine andere Frage ware die danach, inwiefern die Religion gewisse strukturelJe Ahnlichkeiten mit der entwickelten Form der Sittlichkeit aufweist und die Gemeinde den Charakter einer sittlichen Gemeinschaft hat . 29 Innerhalb des Teils »Die Sittlichkeit- kann man dann freilich nochmal unterscheiden zwischen
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Die Sittlichkeit ist die Aufhebung der vorhergehenden Einseitigkeiten, der Entzweiung von subjektiver Freiheit und allgemeiner Sitte. Die subjektive Freiheit wird zum an und fur sich seienden Willen; sie hat Wissen von sich selbst, aber sie hat auch eine auBere Wirklichkeit, namlich als Sitte. Die Freiheit muB zur Natur werden, also zur allgemeinen Wirklichkeit, aber auch zur zweiten Natur des Individuums, das die Gesetze verinnerlicht und habitualisiert und nicht jede s Mal von neuem eine Entscheidung trifft (denn sonst kame es nie zum Handeln). An der zitierten Stelle deutet sich bereits an, daB Sittlichkeit nicht als eine bloBe Ubernahme bestehender Gesetze und Sitten zu verstehen ist. Ludwig Siep zeigt, inwiefern die Aufhebung der Moralitat in Sittlichkeit bedeutet, daB der Moralitat auf der Ebene der Sittlichkeit immer noch ein gewisses Recht eingeraumt wird." Es sind verschiedene Stufen der Sittlichkeit zu unterscheiden, und wenn wir uber den Standpunkt der unmittelbaren Sittlichkeit hinausgegangen sind, kommen wir zu einer durch »Reflexion« und »Einsicht durch Grunde « vermittelten Sittlichkeit (RPh, §147). Siep beschreibt den Zustand der Sittlichkeit bei Hegel treffend, indem er sagt: »Das Zutrauen, daB meine private und offentliche Selbstverwirklichung in einem autonomen Rechts-, Sozial-, und Kulturstaat im groBen und ganzen gesichert ist, darfalso nicht mit blindem Vertrauen in jede Art staatlicher Autoritat, Gesetz oder gar Befehl verwechselt werden «.31 Gleichwohl weist Siep auf Problerne des hegelschen Standpunkts in der Rechtsphilosophie hin: Hegel sieht zum Beispiel keine Anderungen von Verfassungen auf der Grundlage der sich wandelnden offentlichen Meinung vor, wie er sie in seiner [enaer Philosophie vertreten harte." Zur Zeit der Abfassung der Phiinomenologie waren Hegels Uberlegungen weniger systematisch ausgearbeitet, enthielten aber vielleicht gerade dadurch mehr Spielraum fur Veranderung. Das Verhaltnis von Moralitat und Sittlichkeit in der Phanomenologie solI hier kurz skizziert werden. Obwohl in der Phiinomenologie die Sittlichkeit (namlich als antike, unmittelbare Sittlichkeit) der Moralitat vorangeht, stellt sich bei genauem Zusehen die Sachlage komplexer dar: Der Standpunkt Kants-und damit in gewisser Weise der Standpunkt der Moralitat, obwohl nicht als solcher bezeichnet- findet sich schon einmal vor der Sittlichkeit, namlich am Ende des Vernunftkapitels. Unter den Uberschriften der gesetzgebenden und gesetzprufenden Vernunft kritisiert Hegel Widerspruche, die er in Kants Theorie finder ." Die gesetzgebende Vernunft, so
der Pamilie, die eher die unmittelbare Form der Sittlichkeit rep rasentiert, der burgerlichen Gesel!schaft als Entzweiungsform, die dahe r Elemente der Moralitat aufweist, und dem Staat als vol! entwickelter Sittlichkeit. 30 Vgl. Siep (1982). 31 Vgl. Siep (1982), S. 92. 32 Vgl. Siep (1982), S. 92. 33 Inwiefern diese Kritik der kantischen Theorie gerecht wird, kann hier nicht untersucht werden. Hegels Einwande sind jedoch relativ aufserlich, so daB sie wahrscheinlich im Sinne Kants entkraftet werden konnen. Der grundsatzliche Einwand gegen die Inhaltsleere und Subjektivitat der
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Hegel, sagt nicht das, was sie wirklich meint. Wenn sie sagt » Ieder solI die Wahrheit sprechen «, so meint sie eigentlich: »... wenn er die Wahrheit weiB« (PhG, 313) . Damit erhalt der allgemeine Satz einen besonderen Inhalt. Die Vernunft kann sich nicht durchhalten-wir treten in das Reich des Geistes ein; »der Geist aber ist diesittliche Wirklichkeit « (PhG, 325). Die unmittelbare, harmonische Sittlichkeit, wie wir sie historisch im antiken Griechenland finden, geht in der »forrnalen Allgemeinheit des Rechts « unter (326f.). Es stehen sich als entzweite Formen Bildung und Glauben gegenuber, die durch die Aufklarung revolutioniert werden. Es kommt zur Ruckkehr in das moralische SelbstbewuBtsein und damit zur Wiederkehr von Kants Theorie, allerdings auf hoherer Stufe. Nun geht es nicht mehr urn das Geben und Prufen von mehr oder weniger allgemeinen Gesetzen, sondern urn das gemeinschaftliche Zusammenleben, in dem beispielsweise das Problem des Verhaltnisses von Moralitat und Gluckseligkeit auftaucht (vgl. 445). Das Postulat der Ha rmonie von Moralitat und Gluckseligkeit ist problematisch, weil damit unreine Motive an das moralische BewuBtsein kommen. Angesichts dieser widerspruchlichen Motive zieht das moralische SelbstbewuBtsein sich »rnit Abscheu in sich zuruck « (464) und wird zum reinen Gewissen. Der Standpunkt des Gewissens solI nun in gewisser Ausfuhrlichkeit behandelt werden; die dabei zugrundeliegende These ist, daf wir in der Phiinomenologie aufgrund der im Vergleich zur Rechtsphilosophie noch nicht so streng ausgearbeiteten Systematik eine grofere Offenheit der Gedanken und mehr Raum fur Kritik an der Wirklichkeit finden . III. Das Gewissen weist gewisse Ahnlichkeiten mit der sinnlichen GewiBheit auf." Freilich befinden wir uns jetzt auf einer ganzlich anderen, fortgeschrittenen Stufe: Wir haben es mit dem Geist zu tun, wahrend es zuvor urn die sinnliche GewiBheit des Individuums ging. Doch daB die sinnliche GewiBheit ihren Standpunkt nicht aufrechterhalten konnte, hing wesentlich damit zusammen, daf wir uns immer schon in der Gemeinschaft anderer und insbesondere im Gesprach mit anderen befinden. Die Gestalt des Gewissens wiederum kehrt, wie wir sehen werden, in gewisser Weise zum Individuum zuruck, obwohl wir uns schon im Bereich des Geistes befinden. Auch hier ist es letzlich das Gesprach mit den anderen, in dem sich Moralitat trifft schon eher den Kern der Theorie. 34 Hegel selbst erwahnt die sinnliche GewiBheit implizit durch Verwendung bereits bekannter Formulierungen sowie explizit in einem Vergleich am Anfan g der Gewissensanalyse (PhG, 467). H. S. Harris weist daraufhin, daf wir es in der moralischen Welt mit Handlungen als » Dingen « zu tun haben -mit vielfachen Aspekten von Handlungen etc.-, wahrend das Gewissen zum Anfang zuruck geht (vgl. Harris (1997), S. 460) . Dariiber hinaus vergleicht Harris den Standpunkt des Gewissens mit der » moral sense«-Philosophievon Shaftesburyund and eren : Das Handeln griindet in einem mo ralischen Gefuhl.
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das Gewissen aufhebt-jedoch nicht ohne zuvor noch einen Versuch zu machen, tiefer in sich hineinzugehen und den Standpunkt des Gewissens aufrechtzuerhalten, indem alle einander in ihrem Recht anerkennen und das Gewissen zur schonen Seele wird. Eine weitere Verbindung zwischen der sinnlichen GewiBheit und dem Gewissen besteht darin, daB beiden ein Anfangscharakter eigen ist: Die sinnliche GewiBheit steht am Anfang des Gangs des BewuBtsein, und das Gewissen steht in gewisser Weise am Anfang der Ethik. Zwar handelt Hegel das Gewissen nicht direkt zu Beginn seiner Betrachtungen von Sittlichkeit und Moralitat ab; doch wenn wir vom genauen Gang der Phiinomenologie des Geistes fur einen Moment absehen, zeigt sich das Phanomen des Gewissens als ein >fruhes ( Phanornen: Beispielsweise wird es oftmals vom naturlichen BewuBtsein zur Erklarung herangezogen." Hegels Analyse des Gewissens entlarvt-ebenso wie seine Analyse der sinnlichen GewiBheit-, daB es keine unbedingten Anfange gibt und daB der vermeintlich unbedingte Anspruch des Gewissens nicht im luftleeren Raum statt findet. Die Ahnlichkeiten zwischen sinnlicher GewiBheit und Gewissen sollen hier als Strukturierungshilfe dienen, da die sinnliche GewiBheit im zweiten Kapitel ausfuhrlich besprochen wurde. Es wiirde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, der Gewissensanalyse in ihrer ganzen Komplexitat nachzugehen. Urn kurz den Vorlauf zur Moralitat und dann zum Gewissen zu rekapitulieren: Zu Beginn des Geist-Kapitels haben wir es bereits mit einem Gesetz zu tun, das ist -aber eben als ein dem BewuBtsein vorgegebenes Gesetz, dem jenes sich unterworfen hatte. Nach dem Durchgang durch die Entfremdung des Geistes in Bildung und Aufklarung handelt es sich nun urn ein Gesetz, dessen Sein in der GewiBheit der inneren Welt grundet.36 Das Gewissen als in sich zuruckgekehrter, »konkteter moralischer Geist « (PhG, 466) ist die unmittelbare Einheit von sich verwirklichendem moralischem Wesen und Handlung als konkreter moralischer Gestalt. Durch die Handlung steht das BewuBtsein in Verbindung mit der Wirklichkeit. Konkret existiert das Gewissen , indem es »nicht diese oder jene Pflicht« erfullt, sondern »das konkrete Rechte « weiB (467). Aus dieser erneuten Kritik an Kants Moralphilosophie geht als positives Resultat hervor, daB das Gewissen den Widerspruch der moralischen Weltanschauung auflost, indem es handelt, anstatt dem Widerstreit verschiedener Ptlichten hilf- und tatenlos gegenuberzustehen, Das Gewissen weiB, daB es in einer einzigartigen Situation steht und ihm keine Kasuistik helfen kann. Indem das Gewissen handelt, steht es in der Gemeinschaft mit anderen; der Tat kommt Wirklichkeit zu, und so kann sie von anderen anerkannt oder verworfen werden. Genauer gesagt wird die Handlung gerade dadurch wirklich, daB sie in 35 Man denke an Erklarungen wie » Ich habe es nicht getan , weil ich sonst ein schlechtes Gewissen gehabt hatte- usw. 36 Vgl. Harr is (1997), S. 457.
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der Moglichkeit der Anerkennung steht und nach jener verlangt: Das Tun ist das Obersetzen des Einzelnen in das Allgemeine (vgl. 470). Gut ist also nicht der gute Wille (der sich nicht realisiert und so nicht anerkannt werden kann), sondern die gute Tat. Gleichwohl weiB das Gewissen um die Schwierigkeit des Handelns, die sich daraus ergibt, daB es unzahlige Handlungsumstande gibt, die ihm nicht in ihrer Gesamtheit bekannt sein konnen. Die Umstande breiten sich »ruckwarts in ihre Bedingungen, seitwarts in ihrem Nebeneinander, vorwarts in ihren Folgen « unendlich aus (472)-ahnlich dem Reichtum der sinnlichen GewiBheit, der im Raum und in der Zeit keine Grenzen kennt. Aufgrund dieser UnermeBlichkeit ubersieht das Gewissen zwangslaufig einige fur sein Handeln entscheidende Gesichtspunkte und ist damit immer schon schuldig. Der Fall des Odipus konnte als Extrembeispiel zur Veranschaulichung dienen. Da das Gewissen nicht zum vollstandigen Wissen kommen kann, gilt ihm sein Wissen als hinreichend vollkommenes Wissen-wie sich ja auch die sinnliche GewiBheit auf ihr Meinen beruft und ihren jeweiligen Gegenstand als die Wahrheit nimmt. Andernfalls kame das Gewissen nie zum Handeln: Das Problem der moralischen Weltanschauung bestand gerade darin, daB sie zu sehr mit der Mangelhaftigkeit ihrer Anschauung beschaftigt war, um jemals zum Handeln fortzuschreiten. Die moralische Weltanschauung hatte es mit dem Widerstreit von Ptlichten zu tun, von Ptlichten, die letztlich inhaltslos waren; das Gewissen legt in die Ptlicht seinen jeweiligen Inhalt ein, den es aus seiner Individualitat nimmt (vgl. 476) . Indem das Handeln in Verbindung mit der Wirklichkeit und mit den Anderen steht, scheint eine Ungleichheit an das Tun des Gewissens zu kommen: Die Handlung ist eine bestimmte, »ungleich mit dem Elemente des SelbstbewuBtseins Anderer, also nicht notwendig anerkannt« (477). Das Gewissen ist nie ein bloBes Privaturteil, sondern verlangt nach allgemeiner Anerkennung. Es stehen sich verschiedene Gewissen gegenuber; denn jede(r) hat ein Gewissen-ahnlich wie sich in der sinnlichen GewiBheit herausstellte, daB jede(r) ein Ich ist. Wir wissen nicht, ob die anderen Gewissen moralisch gut oder bose sind. Vielmehr mussen wir das Gewissen des Anderen fur bose nehmen: Nur dadurch konnen wir unser eigenes Selbst behaupten (vgl. 477f.); wie die sinnliche GewiBheit sind wir nur von unserer eigenen Wahrheit uberzeugt, Doch es ist notwendig, daB wir unsere Oberzeugung ausprechen. Die Tat spricht nicht fur sich selbst, sondern wir geben Grunde an, rechtfertigen uns gegen die uns unterstellte bose Absicht. »Wir sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes « (478). Mit der Sprache kommen die Anderen wirklich ins Spiel, so daB wir es erst hier mit dem Geist im eigentlichen Sinne zu tun haben, wahrend das moralische BewuBtsein noch »stumrn« war (479). Die Sprache-und nicht die Handlung-ist die eigentliche Verbindung mit der Welt; durch Sprache wird die Entfremdung aufgehoben. Die Sprache verbindet das eine SelbstbewuBtsein mit dem anderen. Sprache ist die Moglichkeit der Verstandigung, der Rechtfertigung
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und der Anerkennung. Dies erinnert an die besondere Bedeutung des Logos bei Husserl: Wir teilen mit den anderen den Logos als Sprache, die es uns errnoglicht, Griinde fur unser Handeln anzugeben, also uns zu rechtfertigen (logon didonai) . Das Moment der Anerkennung ist bei Husserl nur implizit vorhanden; er legt den Schwerpunkt auf die Annaherung an das ethische Ideal, und wenn uns diese Annaherung gelingt, erfahren wir die Anerkennung der vernunftigen Anderen. Das Gewissen sucht zwar im Grunde nach der Anerkennung der Anderen, aber letztlich ist es doch davon iiberzeugt, daB es immer Recht hat; es weiB am besten Bescheid, weil nur es selbst die Situation genau kennt. Die Anderen konnen zwar nach einer Rechtfertigung fragen, aber schliefslichschulden sie dem Gewissen Respekt. Als »Genialitat « hebt das Gewissen den Unterschied von abstraktem SelbstbewuBtsein und seinem eigenen SelbstbewuBtsein auf, geht in sich zuriick und wird zu seiner arrnsten Gestalt (482). Auf diese Gestalt der »schonen Seele«, die ihre »Herrlichkeit« nicht mit der Wirklichkeit »beflecken « will, solI hier nicht ausfuhrlicher eingegangen werden, zumal Hegel sich auch nur vergleichsweise kurz tiber sie aufsert." Die schone Seele ist kraftlos, da sie der Entaulserung ermangelt. Die Sprache zerfallt damit in die Ungleichheit des einzelnen Fiirsichseins . Die beobachtende Gemeinschaft ist aber doch noch da, und sie klagt das Gewissen der Heuchelei an. Das Gewissen gesteht sich als bose ein, indem es nach seinem eigenen Gesetz handelt; denn damit handelt es gegen die Anderen und »rnilihandelt« sie (486). Doch nicht nur das Bewufstsein, das sich sein eigenes Gesetz gibt, sieht ein, daB es bose ist, sondern auch das beurteilende Bewufstsein muf seine eigene Bosheit erkennen, weil es die Handlung teilt. Handelndes und beurteilendes BewuBtsein sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille; das Beurteilen handelt nicht, doch es weiB, daf gehandelt werden mufs. Insofern ist es mitschuldig. Indem das beurteilende BewuBtsein sich dem handelnden gleich macht, wird es von diesem als identisch erkannt. Beide erkennen, daB sie nicht »objektiv« sein und aIle Aspekte in Betracht ziehen konnen. Dies ist die Erkenntnis, daf jedem zunachst das eigene Wohlergehen am Herzen liegt-und wir dies einander verzeihen konnen. Das Eingestandnis der Selbstsucht eroffnet die Moglichkeit der Besserung. Durch das Zugeben der Schuld und das Anerkennen des Anderen wird das Gewissen zum Ausdruck der Moglichkeit eines besseren Lebens." Die beiden BewuBtseinsformen verzeihen einander, versohnen sich und erkennen einander als ein und dasselbe Ich (vgl. 494). Mit dieser Erkenntnis kommt Hegels phanornenologische Analyse des Gewissens zum Schlufs: und in der Tat sind wir damit vertraut, daf das Phanomen des Gewissens von merkwiirdig gedop-
37 Die »scho ne Seele« wurde bereits in Kapitel8a ) kurz erortert-- Harriswirft die Frage auf, ob diese Gestalt wirklich zwangslaufig durchlaufen werden muB oder ob es rnoglich ist, direkt die Stufe der Versohnung zu erreichen (vgl. Harris (1997),S. 457). Meines Erachtens waren abgeschwachte Versionen der »schonen Seele - denkbar. 38 Vgl. Harris (1997), S. 502.
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peltem Wesen ist: Es ist die Natur des Gewissens, einen Dialog im individuellen BewuBtsein zu fuhren, in dem ich mich gewissermaBen von mir distanziere und meine eigenen Vorsatze, mein eigenes Handeln beurteile. Ich tue dies nicht freiwillig, sondern es stoBt mir in gewisser Weise zu; dies verstarkt den Eindruck, daB sich eine mir auBerliche Stimme einmischt. Das Gewissen ist kein solipsistisches Phanomen; es steht nicht bloB im Monolog mit sich selbst: Nur indem wir uns mit Anderen in einer Gemeinschaft befinden, haben wir Gewissen. Gewissen ist notwendig das Zusammenspiel von Einzelheit und Allgemeinheit. Ein Gewissen allein hat keine Moglichkeit zu entscheiden, was gut ist. Damit befinden wir uns in der Nahe zu dem, was Hegel in der Fortentwicklung seiner Philosophie als Sittlichkeit bezeichnet, namlich der Aufnahme von allgemeinen Gesetzen, die gleichwohl nicht ungepruft iibernommen werden, und der Habitualisierung solcher Gesetze, so daB sie zur zweiten Natur werden. Gleichwohl gibt es in der Phiinomenologie des Geistes die entwickelte Form der Sittlichkeit, wie sie sich insbesondere in der Rechtsphilosophie findet, noch nicht. Die Stelle der Phanomenologie, in der Hegel dem Standpunkt der Rechtsphilosophie vielleicht am nachsten kommt, lautet: Aber das wirkliche Gewissen ist nicht dieses B,eharren auf dem Wissen und Willen, der dem Allgemeinen sich entgegensetzt, sondern das Allgemeine ist das Element seines Daseins, und seine Sprache sagt sein Tun als die anerkannte Pflicht aus. (PhG,486)
Das »wirkliche Gewissen« befindet sich nicht im Konflikt, sondern in Ubereinstimmung mit dem Allgemeinen. Dennoch tibernimmt es das Allgemeine nicht blind; denn es liegt in der Natur des Gewissens, alles seinem eigenen Urteil zu unterwerfen. Das wirklich verniinftige Gewissen wird laut Hegel von der Kraft des allgemeinen Gesetzes iiberzeugt, nicht iiberredet. In der Rechtsphilosophie ist von einem »wahrhaften Gewissen« die Rede. Dieses »wahrhafte Gewissen« entspricht dem »wirklichen Gewissen« der Phiinomenologie insofern, als es sich jeweils urn die zur Vollendung gebrachte Gestalt des Gewissens handelt, die dem Allgemeinen nicht mehr entgegengesetzt ist. Das wahrhafte Gewissen ist die »Gesinnung, das, was an und fur sich gut ist, zu wollen« (RPh, § 137); es hat feste Grundsatze, welche die objektiv geltenden Bestimmungen sind. Das wahrhafte Gewissen ist in der Rechtsphilosophie erst auf dem Standpunkt der Sittlichkeit vorhanden, und insofern unterscheidet es sich vom »wirklichen Gewissen« der Phanomenologie, da hier noch keine Sittlichkeit im spateren Sinne auftaucht. Der Sache nach aber handelt es sich urn dasselbe Phanomen, das erst sparer genauer entwickelt wurde ."
39 Gleichwohl sagt Hegel in der Rechtsphilosophie wenig tiber das wahrhafte Gewissen; dies hat beigetragen zu der oben referierten Auffassung, Hegel ginge es nur urn die Manifestierung des Vorhandenen. Dahlstrom (1993) richtet sich gegen jene Auffassung und untersucht das wahrhafte
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Dadurch, daB Hegel in der Phanomenologte eine weniger systematisch entwikkelte Darstellung von Moralitat und Sittlichkeit vorlegt, bieten sich mehr Moglichkeiten zur Veranderung und Kritik. Die entscheidende Rolle kommt der Sprache zu, also auch der Verstandigung mit den Anderen. Diese Verstandigung bewegt sich in dem durch Schuld, Verurteilung oder Anerkennung und Versohnung eroffneten Spielraum, und man konnte meinen, es stiinde noch zur Entscheidung, wohin uns das Durchlaufen dieses Spielraums fuhrt. Pur Hegel jedoch fuhrt es eindeutig in die Religion, zur Gemeinde: Im Wort der Versohnung ist Gott anwesend, da es nicht an uns ist, vollstandig zu verzeihen.
In der Ethik haben wir es mit einem Zusammenspiel von freien Vernunftentscheidungen und habitualisierten Gesetzen zu tun. Dieses Zusammenspiel hat in der Geschichte verschiedene Formen angenommen, und zu unterschiedlichen Zeiten ist das eine oder das andere Element in den Vordergrund getreten. Wahrend Husserl eher der neuzeitlich-kantischen Sichtweise zuneigt, betont Hegel die notige Versohnung von SelbstbewuBtsein und allgemeinem Gesetz, in der das Gesetz mir zur zweiten Natur wird - dies ist die gelaufige Auslegung der beiden Philosophien, und ihr kommt ein gewisses Recht zu. Beachtet werden muB jedoch, daB Hegel und Husserl jeweils beide Aspekte der Ethik, den der Moralitat und den der Habitualisierung betonen. Das husserlsche Vernunftpathos laBt bisweilen iibersehen, daB er in seinen geschichtlichen Besinnungen natiirlich auch die Bedeutung der Tradition und des Erbes (in seinen verschiedenen Ausformungen) betont. Die Kaizo-Aufsatze sind daher hier mit Schwerpunkt auf einen Bereich gelesen worden, der auf den ersten Blick nicht im Zentrum der Aufsatze zu stehen scheint: die »Stufe religioser Kultur «. DaB hiermit aber nicht ein untergeordneter Aspekt ins Rampenlicht geriickt wurde und Husser! Hegel zuliebe gegen den Strich gelesen worden ware, zeigt sich darin, daB Habitualisierung und Sedimentierung Grundthemen der hus serlschen Phanomenologie sind. In volligem Einklang mit Husserls Grundtendenz steht daher auch die Idee der Urstiftung eines ethischen Lebens auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene. Ebenso entsprechen die Besinnungen auf das Wesen von Normen als vertraut-optimalen Mafsstaben und die Rolle der Phanomenologen im Wahrnehmen von Krisen und im Befragen von (rnoglicherweise nicht mehr optimalen) Normen dem >Geist
Gewissen , indem er es dem formellen Gewissen als einer weniger weit entwickelten Gewissensform gegenuberstellt, Die gener elle Idee dieser Gegenuberstellung entspricht dem, was in Kapitel 5b) tiber das Verhaltnis von »sich vollbringendem « und »unvollstandigem- Skeptizismus gesagt wurde.
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der Norm in einer Weise, wie sie Kants kategorischem Imperativ fremd ist . Damit geht Husser! auf die vorneuzeitliche Ethik der Normen als -zweiter Natur «zuruck. In bezug aufHegels Philosophie sollte in diesem Kapitel deutlich geworden sein, daf der Phiinomenologie nicht einfach eine im Vergleich zur Rechtsphilosophieweniger ausgereifte Moraltheorie zugesprochen werden kann. Vielmehr laBt sich gerade hier zeigen, daB Hegel der konstruktiven Rolle des Gewissens ihr Recht zukommen laBt, so daf das Gewissen in seiner vollendeten Gestalt als »wirkliches« bzw. »wah rhaftes « Gewissen dem Allgemeinen nicht mehr entgegengesetzt ist. Trotz dieser grofseren Offenheit fur Veranderung in der Phiinomenologie kommt dem Phanornenologen doch blof eine beschreibende und keine kritisierend-normative Rolle zu, wie Hegel betont. Eine genaue Beschreibung konnte freilich in sich Anregungen zur Kritik und Veranderung bieten - doch dieser Moglichkeit geht Hegel nicht nacho Vielmehr legt er in seinen spateren Werken das Gewicht verstarkt auf den vorneuzeitlichen Aspekt der gelebten Ethik, und der Philosoph wird nicht mehr als solcher thernatisiert, geschweigedenn in seiner moglicherweise kritischen Rolle. Umso wichtiger ist es, die Phanomenologie gerade auch im Hinblick auf Hegels Moraltheorie ernstzunehmen. Fur ethische Fragestellungen ist die Geschichte in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung: Zum einen im Hinblick auf das Element der Habitualisierung von Gesetzen und im Hinblick darauf, daf uns immer schon Gesetze vorgegeben sind, die wir gewissermaBen als Erbe ubernehmen; zum anderen im Hinblick auf die Vorherrschaft verschiedener ethischer Auffassungen und Gewichtungen zu verschiedenen Zeiten. Eine Moralphilosophie, welche die Geschichtlichkeit ernstnimmt, wird zweifelsohne die Habitualisierung von Normen einbeziehen. Das heifst aber auch, daf im Gegensatz zur kantischen Ethik eine gute Handlung nicht als autonomer, spontaner Anfang betrachtet werden kann, sondern immer nur als Anfang auf Grundlage des Gegebenen - in diesem Fall, der gegebenen Gesetze und Normen. Dies erkennen Hegel und Husser! an. Wenn nun die voneinander abweichenden Geschichtsauffassungen von Hegel und Husser! untersucht werden, wirft dies auch noch einmal ein neues Licht auf die Rolle der Phanomenologen.
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Die Gerichtetheit der Geschichte' DasStaunen daruber, daB die Dinge,die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert )noch( moglichsind, ist kein philosophisches. Es steht nicht am Anfangeiner Erkenntnis, es sei denn der, daBdie Vorstellung von Geschichte, aus der es stammt, nicht zu haltenist. Walter Benjamin, Illuminationen, 255. Die Geschichte spielt sowohl im Denken Hegels als auch in Husserls Spatphilosophie eine ganz entscheidende Rolle, und eine wesentliche Ubereinstimmung besteht darin, daB beide Philosophen eine teleologische Geschichtsauffassung haben. Der Charakter dieser Teleologie unterscheidet sich jedoch: Hegel sieht in seinem eigenen Zeitalter die Vervollkommnung des geschichtlichen Prozesses, wahrend Husserl davon ausgeht, daB das Ziel, welches die teleologische Entwicklung leitet, ein unerreichbares Ideal ist. Geschichte ist fur Husserl ein offener, unendlicher Prozess der Annaherung an Ideale, die modifiziert werden konnen: Hegel dagegen vertritt die problematische These einer Vollendung der Geschichte. Diese Unterschiede wirken zuruck auf die unterschiedliche Einschatzung der Rolle des Phanomenologen (normativ bei Husserl, deskriptiv bei Hegel). Hegel und Husserl sprechen der Gegenwart eine gewisse Vorrangstellung gegentiber den anderen Zeitdimensionen zu; beide vertreten eine Auffassung von Zukunft, die sich kritisieren laBt und oftmals kritisiert worden ist. Hier soll gezeigt werden, daB die problematische Rolle der Zukunft bei Hegel im Ansatz seiner Philosophie angelegt ist und somit wesensmafsig auftritt; Husserl hingegen staBt dadurch auf Probleme, daB er seinem eigenen Ansatz nicht immer treu bleibt. Wenngleich die husserlsche Philosophie demgemaf nicht notwendig zu einer unbefriedigenden Auffassung von Zukunft fuhrt, so weist sie doch gewisse Einseitigkeiten in der Behandlung von Zukunft auf; die Erfahrung dessen, daB Zukunft auf uns zukommt und nicht in unserer Hand ist, wird zu wenig berucksichtigt.
Eine fruhere Version dieses Kapitels ist unter dem Titel »Die Gerichtetheit der Geschichte: Teleologie bei Hegel und Husserl- veroffentlicht in dem Band Subjektivittu-: Verantwortung-
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
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a. Vollendung der Geschichte beiHegel Obwohl Hegel nie wortlich von einem »Ende der Geschichte « spricht, so wird doch an vielen Stellen offensichtlich, daB er seine Gegenwart als Vollendung der Geschichte ansah. Sehr deutlich ist dies in den Vorlesungen iiber die Philosophie der Geschichte, wenn Hegel sagt, daB sich in der Gegenwart das »Ziel der Weltgeschichte « realisiert habe (PhiGe, 141). Der Geist hat sich in der Wirklichkeit eingefunden, was sich auBerlich beispielsweise darin zeigt, daB Staat und Kirche einander gleichgeordnet sind . Das Germanische Reich, so Hegel, entspricht, wenn man es mit den Lebensaltern des Menschen vergleicht, dem »Greisenalter«; doch im Gegensatz zum Greisenalter des Individuums, das eine Zeit der Schwache darstellt, ist das Greisenalter des Geistes dessen »vollkommene Reife« (PhiGe, 140). Hegel warnt uns also vor voreiligen Parallelisierungen, und so ware es auch kurzschlussig, aus der Bezeichnung »Greisenalter« zu schliefsen, daB auf dieses Alter der Tod des Geistes folgen wird . Dennoch - wenn sich das Ziel der Weltgeschichte realisiert hat, was solI danach noch folgen? Was kann vor dem Hintergrund einer teleologischen Geschichtsauffassung noch ein nachster Schritt sein, wenn das Ziel erreicht ist? Ein weiteres Argument dafur, daB Hegel in der Tat von einer Voll-endung der Geschichte ausgegangen ist, bildet die Parallelitat von Weltgeschichte und System der Logik: Die Geschichte ist das System in der Entwicklung.' Der Geist entaufsert sich in Raum und Zeit; die Entaufserung in den Raum ist die Natur, die Entaufserung in die Zeit die Geschichte (vgl. PhG, 590) . Wenn die Entwicklung des Geistes mit den Stufen der wirklichen Geschichte parallel verlauft und wenn sich die Entwicklung des Geistes in einem au Berst komplexen, aber doch iiberschaubaren System darstellen laBt-dann stellt sich in der Tat die Frage nach einem moglichen Ende der Geschichte. Freilich nicht in dem Sinne, daB nichts mehr passieren wiirde ; aber doch wohl so, daf sich nichts wesentlich Neues mehr ereignet, nichts mehr, das nicht schon an irgendeiner Stelle im System behandelt worden ware. Bezogen auf die Phiinomenologie des Geistes heiBt dies, daf aIle wesentlichen Gestalten des BewuBtseins abgehandelt wurden. Sie konnen sich wiederholen, und sie konnen sich sogar in modifizierter Form wiederholen; doch der Geist ist am Ende zu sich gekommen, und so gibt es keinen Antrieb mehr, aus der Gestalt des absoluten Wissens heraus in eine grundsatzlich neue Gestalt iiberzugehen. Damit bleibt nicht die Zeit stehen-ob allerdings eine Entwicklung, die nichts wirklich Neues mehr zulafst, den Namen Geschichte verdient, ist eine schwierige Frage, die hier nicht
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Wahrheit. Neue Aspekte der Phiinomenologie Edmund Husserls, herausgegeben von David Carr & Christian Lotz. Frankfurt a. M. 2002. Vgl. PhG, 589: »Umgekehrt entspricht jedem abstrakten Moment der Wissensch aft eine Gestalt des erscheinenden Geistes uberhau pt «.
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endgultig beantwortet, aber auf verschiedenen Ebenen genauer untersucht werden soll, zunachst in allgemeinerer Form, dann direkt aufdie Phiinomenologie bezogen. 3 Allgemein liegt Hegels Philosophie der Gedanke zugrunde, daB Gott sich in der Gegenwart offenbart habe und es damit zu einer Versohnung von Zeit und Ewigkeit gekommen sei. Deshalb ist in der Gegenwart ein absolutes und vollkommenes System der Philo sophie moglich. In der Phiinomenologie wird dieser Grundgedanke als »Tilgen« der Zeit in der »begriffenen Geschichte« aufgenommen. 1.
Mit Hegels Philosophie kommt die Geschichte der Philo sophie zu ihrer Vollendung. Diese These laBt verschiedene Interpretationen zu. Klar ist, daB es ein Zeichen von Hybris ware, wenn Hegel behauptete, die philosophische und geschichtliche Entwicklung nach seiner Zeit vorhersehen zu konnen. Doch seine Behauptungen sind starker als eine bloBe Verleugnung hellseherischer Krafte. Der Geist ist zu sich gekommen, der Begriff »tilgt« die Zeit (PhG, 584)-damit sagt Hegel nicht, daB er seine Betrachtungen nun abbricht und andere sie fortsetzen werden, sondern daB es keine Notwendigkeit einer solchen Fortsetzung mehr gibt. Ware das Ende von Hegels Philosophie jedoch ein offenes Ende, dann wurde Hegel sich selbst widersprechen: Seine Philosophie kann nicht eine von vielen sein, wie die Philosophien vor ihm;' denn »das Wahre ist das Ganze« (PhG, 24), und »die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein« (14). Damit verschiebt sich die Frage dahingehend, ob ein vollendetes System der Philosophie moglich ist oder ob nicht gerade das Wesen der Geschichte ein solches System unrnoglich macht. Gemeint ist in jedem Fall nicht, daB nach Hegels Tod nicht mehr philosophiert wurde. Wenn Hegel in den Vorlesungen iibet dieAsthetik sagt, daB die Kunst» nach
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In den allermeisten Aufsatzen, die zu diesem Thema veroffentlicht worden sind, wird der schatzenswerte Versuch gemacht, Hegel >gegenden Strich < zu lesen und zu argumentieren, daB mit dem Zu-sich-Kornmen des absoluten Geistes die Geschichte erst wirklich beginne. lch ware erfreut, wenn sich dies zeigen lieBe-aber bisher habe ich in keinem Aufsatz ein uberzeugendes Argument gefunden. Mehr noch : Wah rend die Aufsatze argumentieren, daB Hegel sich selbst nicht richtig verstanden hat, wenn er von einer Vollendung der Geschichte und vom Tilgen der Zeit spricht, schliefse ich mich vielmehr Peperzak an, der betont, daf Hegel sich mifsverstunde, wenn er von einem offenen Ende gesprochen hatte (vgl. Peperzak (1987)). Urn nur drei Beispiele fur zu wohlmeinende Interpretationen aufzufuhren: Baptist (1998) (z. B. S. 258:» . .. sondern er [Hegel] meint gerade die Moglichkeit, eine offene Zeit und offene Geschichte immer vom Neuen begrifflich zu versammeln und durch »neue Geburten- zu verwirklichen«), Caponigri (1974), Miller (1998). Vgl. Peperzak (1987), S.175. Vgl. auch S. 180: »Wenn das Ende der Enzyklopadie in dieser Hinsicht ein offenes Ende ware, so hatte Hegel selbst den Fehler gemacht, den er immer wieder mit grofster Scharfe angreift: er hatte es bei einer Form ohne Inhalt bewenden lassen, oder er hatte nur eine einzige Stufe des philosophischen Wegesdargestellt, ohne sich zu fragen, was die Bedeutung dieser Gestalt fur das Ganze der Wahrheit (d. h. fur die Wahrheit uberhaupt) bedeuten mUBte«.
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der Seite ihrer hochsten Bestimmung fur uns ein Vergangenes« ist und bleibt (Asth. I, 25), so ist damit auch nicht gerneint, daB zu Hegels Zeiten keine Kunstwerke mehr geschaffen wurden, sondern vielmehr, daB Kunst nicht mehr der adaquate Ausdruck des Geistes ist. Zu Hegels Zeit war, so seine These, die Philosophie der angemessenste Ausdruck des Geistes, und die Philosophie erreichte damit ihren Hohepunkt, DaB die Philosophie in unserem gegenwartigen Zeitalter in der Tat keine herausragende Rolle mehr spielt, bestatigt Hegels These.' Auch haben die Philosophien unserer Zeit einen grundlegend anderen Charakter als Hegels Philosophie, welche die letzte groBe Systemphilosophie war. Dies sind mogliche, wohlwollende Lesarten. Doch noch einmal- Hegels Aussagen sind starker, und sie ergeben sich notwendig und folgerichtig aus seinem philosophischen Ansatz. Es ware nicht bloB vermessen, sagen zu wollen, wie die Welt zu sein habe , sondern: »Die Einsicht nun, zu der, im Gegensatz jener Ideale, die Philosophie fuhren soll, ist, daB die wirkliche Welt ist, wie sie sein soll« (PhiGe, 53)-und zwar deshalb, weil Gott die Welt vollbracht hat und in der gegenwartigen Welt seine Herrschaft angetreten hat: »Gott regiert die Welt, der Inhalt seiner Regierung, die Vollfuhrung seines Plans ist die Weltgeschichte « (ebd.). DaB Gott die Welt regiert, heiBt zweierlei. Es bedeutet zum einen, daB nichts mehr aussteht, daB wir auf nichts mehr hoffen und warten mussen-soder durfen. Zum anderen heiBt es, daB die Zeit getilgt ist bzw. daB Zeit und Ewigkeit zur Versohnung gekommen sind." Der Geist »gehort der Ewigkeit an « (PhiGe, 141) ,7 Wie sollen wir diese Rede von der Ewigkeit verstehen? Ewigkeit ist fur Hegel definitiv nicht die Negation von Zeit; das ware eine schlechte Ewigkeit, da sie von der Zeit abhangig bliebe. Die Thematik ist eng verbunden mit der Unterscheidung von »schlechter« und »wahrhafter « Unendlichkeit. Die schlechte Unendlichkeit ist eine solche, die sich aus der Entgegensetzung zur Endlichkeit versteht und damit von dieser bestimrnt, von dieser abhangig ist. Der Unendlichkeit kann nichts entgegengesetzt sein, wenn sie wahre Unendlichkeit sein solI. Vor diesem Hintergrund lehnt Hegel den unendlichen ProgreB ab, der die Endlichkeit noch an sich hat und bloB ihre Negation ist, indem er immer wieder uber die Grenze hinausgeht. Das Bild des unendlichen Progresses ist die »gerade Linie, an deren beiden Grenzen nur das Unendliche « ist (WdL I, 164). Das Problem wird offensichtlich, wenn man sich diese Linie vorstellt. Wir konnen uns namlich immer nur eine endliche Linie vorstellen, so daB sich an beiden Enden die Frage stellt: Wie geht 5
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Eine Hypothese ware, daB die Wissenschaften diese herausragend e Rolle tibernommen haben , so daB ein Philosoph wie Husserl sich permanent mit den Wissenschaften auseinandersetzen mufs, wie es sich nicht nur im Titel seines letzten Hauptwerks Die Krisis der europiiischen Wissenschaften ... widerspiegelt. Vgl. hierzu genauer : Trawny (2000). Vgl. auch Enz. III, § 577: »(... ) und diese Bewegung ebensosehr die Tatigkeit des Erkennens ist, die ewige an und fur sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betatigt, erzeugt und geniefst«,
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es weiter? Es geht genau SO weiter, wie es bis dorthin gewesen ist. Die Grenzen, die Endpunkte der Linie werden immer wieder iiberschritten, aber nur, urn zu neuen Endpunkten zu gelangen, die iiberschritten werden miissen. Das Bild der wahrhaften Unendlichkeit ist der Kreis, »d ie sich erreicht habende Linie, die geschlossen und ganz gegenwartig ist, ohne Anfangspunkt und Ende« (ebd.). Auf das Bild des Kreises werden wir zuriickkommen. Die Ewigkeit ist die »absolute Gegenwart « (Enz. II, 26) , die nicht sein wird, sondern ist. Der Geist ist ewig, und das heifst, »er ist nicht vorbei und ist nicht noch nicht, sondern ist wesentlich jetzt« (PhiGe, 105), als gegenwartiger Geist, der aIle friiheren Stu fen in sich begreift. Der Begriff der absoluten Gegenwart ruft interessante Anklange an die lebendige Gegenwart bei Husserl hervor. Beide sind Denker der Gegenwart. II. Bevor genauer gefragt wird, welche Probleme die hegelsche Geschichtsauffassung mit ihrem Vorrang der Gegenwart hervorruft, solI ein Blick auf die Darstellung von Zeit und Geschichte im letzten Kapitel der Phiinomenologie des Geistes geworfen werden. »Die Zeit ist der Begriff selbst, der da ist«, sagt Hegel; und der Geist erscheint notwendig in der Zeit, allerdings nur so lange, »als er nicht seinen reinen Begriff erfaflt, d.h. nicht die Zeit tilgt « (PhG, 584). Die Zeit ist das »Schicksal« des Geistes, »der nicht in sich vollendet ist « (S84f.) . Wie haben wir diese Aussagen zu verstehen? Wenn die Zeit das Dasein des Begriffs ist, dann kommt ihr offenbar eine wesentliche Rolle zu. Das Tilgen der Zeit kann demnach nicht bedeuten, daB die Zeit ver schwindet; ein Verschwinden ware Hegels Philosophie ohnehin nicht angemessen. Es ist daher naheliegend, das Tilgen als Aufheben zu verstehen. Wie bereits erwahnt, geht es urn die Versohnung von Ewigkeit und Zeit und nicht urn das Abschaffen der letzten zugunsten der ersten. Eine wichtige Aufgabe besteht darin zu verstehen, wie zwei wesensmsfsig verschiedene Ietzt, narnlich das negative, verschwindende Ietzt der sinnlichen Gewilsheit und das positive, ewige [etzt, unzertrennlich zusamrnengehoren." Wir haben es gewissermafsen mit der Versohnung von stehendem und stromendern [etzt zu tun-ein interessanter Verweis auf die entscheidenden Wesensziige von Husserls lebendiger Gegenwart und ein weiteres Zeichen dafur, daB der Gegenwart sowohl bei Hegel wie auch bei Husser! der Vorrang zukommt. Der letzte Satz der Phiinomenologie gibt entscheidenden AufschluB tiber das Verhaltnis von Zeit , Geschichte und Geist: Ihre [der Geister1Aufbewahrung nach der Seiteihres freien, in der Form der Zufalligkeit erscheinenden Daseins ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffenen 8
Vgl.
Harris (1997), S. 731.
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Organisationaber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens;beidezusarnrnen, die begriffene Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schadelstatte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheitund GewiBheit seines Throns (...). (PhG, 591) Hier werden drei Begriffe von Geschichte unterschieden:" Erstens die Geschichte im gewohnlichen Sinne, die unmittelbare Geschichte; zweitens die »begriffene Organisation« als Wissenschaft; drittens die »begriffene Geschichte «, Die in der Form der Zufalligkeit erscheinende Geschichte bezeichnet die bloBe Abfolge der Zeit, das Nacheinander datierbarer Ereignisse. Dies ist die unmittelbare Weise, in der uns der Geist erscheint, und sie stelIt das Geschichtsverstandnis des naturlichen BewuBtseins dar (und damit freilich auch noch das Geschichtsverstandnis des Historikers) . Dieser unmittelbaren Geschichte steht das gegenuber, was auf den ersten Blick gar nichts mit Geschichte zu tun hat: die Wissenschaft, die begriffene Organisation. Diese begriffene Organisation fallt nicht in das zeitliche Dasein - was beispielsweise im FaIle mathematischer Gesetze (Satz des Pythagoras etc.) und formalIogischer Satze (Satz vom Widerspruch etc.) unmittelbar einleuchtet. Bezogen auf die Phiinomenologie gehoren dieser Seite die Gestalten in ihrem logischen Zusammenhang zu; hier wird gleich deutlich, daB sich dieser Bereich doch nicht wirklich von der Geschichte abtrennen laBt. Denn Hegels Philosophie zeigt gerade, daB diese Gestalten in einem entwicklungsmafsigen, teleologischen Zusammenhang stehen, und selbst logischen Gesetzen kommt in dieser Entwicklung ein ganz bestimmter Ort ZU, dem etwas vorhergeht und etwas nachfolgt." Die Seite der Wissenschaft ist die Seite des vollendeten, ewigen Geistes-doch das Resultat kann nur zusammen mit seinem Werden verstanden werden. Das Resultat zusammen mit dem Werden ist die begriffene Geschichte. Es ist die nur in sich unterschiedene Einheit, bestehend »in dieser scheinbaren Untatigkeit, welche nur betrachtet, wie das Unterschiedene sich an ihm selbst bewegt und in seine Einheit zuruckkehrt« (PhG, 588). Bezeichnend ist, daB Hegel die begriffene Geschichte als »Schadelstatte« des Geistes bezeichnet, womit die Gegenwart zum Aufbewahrungsort der Vergangenheit wird, von Zukunft jedoch keine Rede ist. 9
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Vgl. hierzu und zum folgenden Kohler (1998). Kohler setzt in Anlehnung an Poggeler (1993) die drei am Ende der Phanomenologie auftauchenden Geschichtsbegriffe zueinander ins Verhaltnis, Wenig uberzeugend ist allerdings seine Bemerkung tiber Heidegger, in der er behauptet, Heidegger lege in seiner Vorlesung tiber Hegels Phanomenologie ein unvollstandiges und unbefriedigendes Verstandnis von Hegels Geschichtsbegriffan den Tag (vgl. Kohler (1998), S. 46) . In seiner Vorlesung (und in den von Kohler angefuhrten Stellen) geht es Heidegger gar nicht urn Hegels Geschichtsbegriff. Dort, wo Heidegger Hegels Geschichtsauffassung hinterfragt, namlich in Sein und Zeit, wird meines Erachtens offenkundig, daB er die Problematik von Hegels Geschichtsbegriff auf einer sehr tiefgehenden Ebene versteht. Wie Hegel ja auch gerade im Fall mathematischer Gesetze darauf hinweist, daB wir ein Gesetz nur dann verstehen, wenn wir wissen, wo es herkommt; das heiBt, daB wir nicht nur den Beweis kennen, sondern auch die zugrundeliegenden Begriffe und Axiome verstehen mussen,
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Doch sehen wir genauer zu. Wenn Hegel von »Erinnerung« spricht (PhG, 590 f.), dann ist nicht einfach die Zuwendung zur Vergangenheit gemeint. Er-Innerung ist, wie bereits erwahnt, die Gegenbewegung zur Ent-aufserung, also das In-sichGehen, Zu-sich-Zuruckkommen des Geistes. Wir haben es mit einer Bewegung ins Innere hinein zu tun; in diesem Sinne sagt Hegel, daB das Ziel die »Offenbarung der Tiefe« sei (591). Angestrebt wird die Ruckkehr aus der Entaufserung, aus der Zeit. Zusammengenommen damit, daB die Bewegung des Geistes der Kreis ist (vgl. PhG, 585), kann diese teleologische Bewegung vielleicht als sich nach innen windende Spirale vorgestellt werden. Wie alle Bilder, so birgt auch dieses einige Probleme in sich. Anfang und Ende fallen zusammen; die Bewegung wiederholt auf hoherer Ebene bereits bekannte Gestalten - so weit, so gut. Aber wie steht es mit der Dimension der Zukunft? Der Geist kreist in sich," in seiner Vollkommenheit. Die Zeit geht weiter; doch der entscheidende Wesenszug der Zukunft ist nicht, daB nach dem Ietzt immer noch ein weiteres Ietzt kommt, sondern daB sie letztlich unserem Zugriff entzogen ist. Die Zukunft kommt auf uns zu. DaB wir planen und Ziele haben, scheint dem >Kommen
Sehr treffend bringt dies Peter Trawny zum Ausdruck: »Der die Geschichte bewegende Geist bewegt sich notwendig in der Zeit. (.. .) Ind em er aber die Geschichte beschlieBt, enden Zeit und Bewegung . Nicht kann ihm vollige Bewegungslosigkeit zufallen. Diejenige Bewegungsweise aber, die dem Stillstand am nachsten kornmt, ist ein Kreisen in sich « (Trawny (2000),5.12) . 12 Vgl. Landgrebe (1967), S. 65 If. 13 Landgrebe (1967), S. 67.
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Diese Uberlegungen erinnern in gewissem Grade an die platonische Auffassung von Ideen; doch fur Hegelliegt das Ganze des Seins nicht in einem AuBerhalb, sondern wir bewegen uns immer schon in ihm-freilich ohne uns dessen bewuBt zu sein. Aufgabe der Philosophie ist es daher, uns diese Zusamrnenhange ins BewuBtsein zu rufen. Wir haben es immer schon mit dem Ganzen zu tun, und Einzelnes kann es fur uns nur vor diesem (unthematischen) Hintergrund geben. Das Ganze aber ist letztlich Gott, und daB Hegel eine Philosophie des Ganzen niederschreiben zu konnen meint, fuhrt er darauf zuruck, daB Gott sich uns in Hegels Zeit offenbart habe. Hierin (und nicht darin, daB die Quantitat des Wissens uberwaltigend ist) liegt jedoch das entscheidende Problem, so Landgrebe: Wer urteilt denn uberhaupt, daB Gott sich uns offenbart hat? Doch wir Menschen im Lichte der geoffenbarten gottlichen Vernunft. Damit mach en wir letztlich die menschliche Vernunft zum Richter uber die gottliche und denken die letzte nach dem Vorbild der ersten - und setzen uns uber unsere Endlichkeit hinweg. Der sich vollkommen offenbarende Gott Hegels steht im krassen Gegensatz zum sich entziehenden Gott Holderlins, In Hegels System kann es kein prinzipiell noch Ausstehendes geben, wenn es ein vollkommenes System sein solI. Damit steht jedoch auch keine Zukunft im eigentlichen Sinne mehr aus.
b. Offene Teleologie beiHusserl Auch Husserl sieht die Geschichte wesentlich durch eine ihr innewohnende teleologische Gerichtetheit bestimmt; in der Charakterisierung dieser Teleologie benutzt er Formulierungen, die denen Hegels erstaunlich ahnlich sind. 1m Gegensatz zu Hegel betont Husserl allerd ings die Offenheit der Geschichte: Das Telos ist eine im Unendlichen liegende Idee absoluter Vollkommenheit. In diesem Kapitel sol1en zunachst kurz Husserls Gedanken zum teleologischen Charakter der Geschichte wiedergegeben werden. AnschlieBend wird der Vorwurf untersucht, Husserls Geschichtsauffassung entwerfe ein Bild der Zukunft, das deren Wesen nicht gerecht werde . Dieser Vorwurfwird zunachst aufder Ebene des inneren ZeitbewuBtseins, dann auf der Ebene der Geschichte in Augenschein genommen. Die These bezuglich beider Ebenen lautet, daB Husserls Phanomenologie der offenen Horizonte fur das Phanomen der Zukunft durchaus in befriedigender Weise aufkommen konnte. Allerdings schieBt Husserl bisweilen uber den Rahmen seiner eigenen Philosophie hinaus; er legt den Schwerpunkt zu sehr auf die Planbarkeit der Zukunft und berucksichtigt zu wenig, inwiefern die Zukunft nicht bloB un sere Plane durchkreuzt, sondern auf uns zukommt als das, worauf wir wirklich nicht gefaBt waren. Wenn die Horizonthaftigkeit aller Erfahrung konsequent gedacht wird, so zeigt sich die Starke der husserlschen Philo sophie als einer Arbeitsphilosophie,
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die er nicht beenden, sondern beginnen wollte. Horizonthaftigkeit stellt sich auf der Ebene der Geschichte als Verhaltnis von Heimwelten und Fremdwelten dar. Bei genauem Hinsehen enthalt Husserls Philosophie damit eine grundlegende ethischeDimension, dieseineGeschichtsauffassung vor einem blof en Relativismus bewahrt. 1.
»DieTeleologie, welche jetzt alseine Eigenwesentlichkeit der Philosophiegeschichte unser Thema ist, bezeichnet naturlich nichts weniger als eine wie immer zu empfehlende metaphysische Substruktion.«- Mit diesem Satzleitet Husserl ein Manuskript uber Teleologie in der Philosophiegeschichte ein, das ins Umfeld des Krisis-Werkes gehort (Hua XXIX, 362). Unter Teleologie versteht Husserl eine innere Sinnhaftigkeit, eineTendenz, die dasbezeichnet,»worauf >es<( ••• ) in alldiesen Philosophen -hinauswolltec « (Hua VI, 74), namlich in den verschiedenenPhilosophen der Philosophiegeschichte. Geht es Husserl also nur urn die Philosophiegeschichte und nicht urn die Menschheitsgeschichte im ganzen? Ist Teleologie nur in der Philosophiegeschichte wirksam? Die Tatsache, daB Husserl von der »Krisis der europaischen Wissenschaften « bzw. im Titel des ursprunglichen Wiener Vortrags von der »Krisis des europaischen Menschentums« spricht, zeigt an, daB es ihm nicht bloBurn die Philosophiegeschichte geht. Die Philosophen sind» Funktionare der Menschheit«, VordenkergewissermaBen, und insofern erkennen siedurch ihre Besinnungen,worauf .es- in der Menschheitim ganzen -hinauswolltec Anders als Hegelthematisiert Husserl das Verhaltnis von Philosophiegeschichte und Menschheitsgeschichte aber nicht wirklich.'" Ein naheliegender Einwand gegendie These von der teleologischen Gerichtetheit der Geschichte kommt sogleich auf, wenn man Husserls Auffassung seiner Gegenwart mit derjenigen Hegels ins Verhaltnis setzt: Husserl sieht seine Zeit keineswegs als Vollendung, sondern als Krisensituation an. Wie kann eine teleologischeEntwicklungin eine Krise munden]! Siekann es insofern, als die Philosophen nicht wirklich dessen gewahr wurden, worauf -es« in ihnen -hinauswollte - bzw. insofern, als sie den Urstiftungssinn einseitigauslegten. Das, was die Rede von der Teleologie rechtfertigt,ist der Urstiftungssinn, also der Sinn, mit dem Philosophie und Wissenschaften im antiken Griechenland autkamen. Dieser Urstiftungssinn hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt bzw. ist umgestiftetworden; er ist kein statischer, sondern ein geschichtlicher Sinn, der in der Wandlung doch seine Einheitlichkeit bewahrt. Der Urstiftungssinn, zuverlassige Einsicht in das Seiende im
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Allerdings stellt er rhetorische Fragen wie die folgend e: » Ist vielleicht die Philosophie nur Exempel fur die universale Wahrhcit, daB die tiefste und wahrste Geschichte diejenige ist, die sich in der gewohnlichen Geschichte der aufserlichen Motivationszusammenhange als Ideengeschichte abspielt, in dern zunachst an der Philosophi c klarzumachenden Sinn? « (Hua XXIX, 418) .
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ganzen zu gewinnen, ist im Laufe der Philosophiegesehiehte versehleiert worden, fehlgeleitet und auf die eine oder andere Weise miBverstanden - vor allem aber vereinseitigt zugunsten objektiver Erkenntnis, welche die Subjektrelativitat allen Erkennens und dessen Verhaftung in der Lebenswelt ubersieht. Dieses MiBverstandnis ist also letztlieh nieht auf eine Blindheit der Philosophen, sondern auf eine Zweideutigkeit im Urstiftungssinn selbst zuruckzufuhren. Husser! sagt: Es muBte ein Philosoph kommen, der dessen innewurde, daf der Besitz der philosophisehen Aufgabe aus iibernommener Tradition, von der Sehule her oder der literarisehen Belehrung, noeh nieht die einsiehtige Moglichkeit der Aufgabe oder, was gleiehkommt, die erst mit dieser Einsieht gegebene Methode besage, ein Philosoph, der dabei dessen aueh innewurde, daf Philosophie als personale Vorhabe ein personal zu Verantwortendes und dureh personale verantwortliehe Tat allein verwirklieht sein kann (...). (Hua XXIX, 401)
Dieser Philosoph ist Husser!- und wir konnen ihm die gewisse Arroganz, die aus diesen Satzen spricht, vielleieht vor dem Hintergrund dessen verzeihen, daB es ihm nieht urn personlichen Ruhm, sondern wirklieh urn Verantwortung der Mensehheit gegeniiber ging; davon abgesehen handelt es sieh urn ein Manuskript und nieht urn einen veroffentlichten Text. Ebenso wie Hegel sieht demnaeh aueh Husser! in seiner Philosophie die Uberwindung der Unklarheiten und Unvollkommenheiten anderer Philosophien-aber es gilt, daB das »Ende der Entwieklung vielmehr ein Anfang « ist, ein Anfang fur die »unendliche Aufgabe der offenen Unendlichkeit kiinftiger Forschergenerationen « (Hua XXIX, 408) . Aueh fur Hegel war das Ende der Anfang gewesen- daher das Bild des Kreises-, doeh nieht der Anfang von etwas Neuern, das sich in die Unendliehkeit hinein erstreekt. Die bisherige Denkgesehiehte ist fur Husser! dureh Unvollkommenheit und Defizienz bestimmt; die Defizite stellen jedoeh Unzulanglichkeiten dar, die dureh mangelhafte Selbstbesinnung hervorgerufen sind und von der Phanornenologie iiberwunden werden konnen." Die Einseitigkeiten und Unzulanglichkeiten in der Philosophiegesehiehte gehen allerdings nieht auf kontingente Schwierigkeiten einzelner Philosophen zuruck, sondern griinden in der objektivistisehen Tendenz, welche schon in der griechisehen Urstiftung angelegt ist und dann insbesondere in der Neuzeit zur Auswirkung kommt. Kann die transzendentale Phanornenologie aber unter diesen Bedingungen als Telos der Gesehiehte angesehen werden? Die 15
Vgl. Janssen (1970), S. 123 f., S. 203 ff. Janssens Analyse der husser!schen Auffassung von Geschichte in Gegeniiberstellung zur hegelschen ist iiberzeugend; Jans sens Behauptung, die Geschichte des Denkens stelle sich fur Husser! nicht als durch » Notw endigkeit « bestimmt dar, sondern lasse » nur subjektiv verschuldete, negativ auszuscheidende Faktoren als Grund fur die Bewegungen des philosophischen Denkens zu, um die gegenwartige Wesensmoglichkeit des eigenen Denkens als unendliche Aufgabe zukiinftiger Forschung zu rett en « (123), scheint mir jedoch der husser!schen Auffassung teleologi scher Geschichte nicht wirklich gerecht zu werden .
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gegenwartige Erfahrung ist, wie gesagt, die einer Krise, und Husserl sagt selbst: »In der Tat, die Philosophie seit Descartes zeigt nichts weniger als das Bild einer sich vollendenden Teleologie« (Hua XXIX, 398). Sehen wir uns also die Teleologie in der Philosophiegeschichte, wie Husserl sie entwickelt, noch etwas genauer an . Fur Husserl ist die Philo sophie eine, »welche eben den Plural ausschliefst« (Hua XXIX, 378); die Philosophien im Plural tauschen eine Mannigfaltigkeit vor, die sich aber bei genauem Zusehen als Einzigkeit zeigt. Bestimmt ist die philosophische Entwicklung durch Vernunft, die sich realisiert; die Philosophen sind »Trager der zu sich selbst kommenden absoluten Vernunft « (Hua VI , 275). Diese Vernunft ist »uberzeitlich« , »allzeitlich « bzw. »ewig«, wie Husserl es in einem Manuskript aus den 1930er Iahren ausdruckt." So weit Husserl- und man konnte meinen, man hore Hegel sprechen. Haben wir eshier nicht mit metaphysischen Annahmen zu tun? Inwiefern lassen sich uberzeitliche Vernunft und einheitliche teleologische Entwicklung phanomenologisch aufweisen? Nun, ein Anhalt fur die Uberzeitlichkeit der Vernunft findet sich beispielsweise im Bereich der Mathematik, also Husserls Herkunftsbereich. Mathematische Aussagen erheben den Anspruch universaler Gultigkeit; doch tun sie dies wirklich? Die Winkelsumme im Dreieck betragt 180 Grad, aber nur, wenn es sich urn ein ebenes Dreieck (im Gegensatz zu einem spharischen) handelt. Der Satz des Pythagoras scheint eine stabilere Geltung zu haben, doch auch er hat seine Voraussetzungen, namlich daf wir es uberhaupt mit ausgedehnten Flachen und Korpern zu tun haben. Vorausgesetzt ist also in jedem Fall die Lebenswelt." Bei universalen Aussagen mussen jeweils die Voraussetzungen" bedacht und benannt werden -unter Umstanden eine starke Einschrankung der Universalitat. Gleichwohl hat Vernunft einen uberzeitlichen Charakter: >Metaphysisch ( wird sie erst, wenn sie substantialisiert wird. Demgegenuber bringt uberzeitliche Vernunft als Idee oder Ideal, an das wir uns im unendlichen Prozef annahern, einen wichtigen Aspekt aller philosophischen Aussagen zum Ausdruck: ihre Verbindlichkeit. Mag diese Verbindlichkeit auch ihre Grenzen haben (die dann ebenfalls untersucht werden mussenl-swir gehen doch davon aus, daf es nicht im Belieben unseres Gesprachspartners steht, unseren Aussagen zuzustimmen oder zu widersprechen." 16 Manuskript E III 4, »Teleologie«, 22b und 23a. 17 Vgl. Husserl, »Realitatswissenschaften und Idealisierung.-Die Mathematisierung der Natur«, Erste Abhandlung in Hua VI, S. 279-293. 18 Dies ist in der Mathematik oftmals ein sehr miihseliges Unterfangen: Auf welchem Bereich ist beispielsweise eine Funktion definiert, und wie verhalt sie sich an den Randern ihres Definitionsbereichs? Konnen wir die Rander aufnehmen, oder miissen wir sie in der Voraussetzung des Satzes ausschlieBen? Etc. 19 Vgl. auch Gail Soffer, die vor den Gefahren eines radikalen Relativismus warnt: »Yet the same thinking which holds >our truths are valid for us, th eir truths for them c easily degenerates into the much more sinister >our truth are valid for us, no matter what anyone else thinks ., Thu s relativism provides sanction for the absence of any public debate or attempt to establish consensus« (Soffer (1991), S. 203 f.).
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Auch fur die Einzigkeit der Philo sophie gibt es einen phanomenologischen Anhalt, namlich eben den einen Urstiftungssinn, der sich zwar wandelt, aber doch durchhalt. Wenn die verschiedenen Philosophien nicht implizit auf dasselbe hinauswollten, wiirden sie sich nicht bestandig im Dialog miteinander befinden und die anderen Philosophien aufgreifen oder ablehnen-oder gerade in der starksten Ablehnung aufgreifen. Problematisch ist gleichwohl Husserls Voraussetzung, daf wir auf eine Durchsetzung der Vernunft und aufAufklarung ausgerichtet sind." Diese Annahme steht im Zusammenhang mit dem Konzept der Intentionalitat, dem dynamischen Ausgerichtetsein auf immer genauere Kenntnisnahme. Bietet das Konzept der Intentionalitat mit dem Grundschema Erwartung und Erfullung bzw. Enttauschung hinreichenden Spielraum fur Uberraschendes, Neues? Und , aufder geschichtlichen Ebene: Tragt Husserls Philo sophie dem Wesen der Zukunft in zufriedenstellender Weise Rechnung, da Zukunft doch mehr und anderes zu sein scheint als blof der Prozef fortschreitender Rationalisierung? II. Husserl ist vielfach dafur kritisiert worden, daB seine Auffassung von Zukunft nichts »wesentlich Neues« zulasse" bzw. die »unerwartete, uberraschende Zukunft« verleugne." Ihren wohl prominentesten Ausdruck find en diese Vorwiirfe im Denken von Emmanuel Levinas: Levinas zufolge ist die Zukunft das absolut Andere, welches in keiner Weise begriffen oder auch nur antizipiert werden kann. Die Zukunft ist absolut uberraschend-iund dies haben, so Levinas, alle Zeittheorien von Bergson bis Sartre ubersehen, indem sie die Zukunft als Projektion der Gegenwart ansetz-
Vgl. Janssen (1970) , S. 126, FuBnote: »Husserl setzt nicht, wie es uns seit Nietzsche, Marx, Freud und Heidegger vertraut ist, ein ur sprungliches, im Wesen des Lebens seIber gelegenes Interesse an Verdeckung und Unwahrheit voraus.: 21 Vgl. Janssen (1970) , S. 114. Janssen erklart zunachst bezuglich Hegels Konzept ion von Geschichte: »So laBt die historische Teleologie die Zukunft wesenlos werden, wei! die Gegenwart als aufbewahrende Vollendung der Vergangenheit das Wesen der Zukunft mitenthalt, so daB aus ihr nichts .wesentlich Neues- mehr kommen kann.« Eine zugehorige FuBnote besagt: »Auch dieser Grundzug gilt fur die histor ische Teleologie Hegels wie Husserls. Bei Husserl ist er verdeckter, da bei ihm die Zukunft als unendlicher Ho rizont phanomenologischer Forschungsarbeit und Entwicklung auftritt. Aber dieser Zukunftshorizont steht unter den Bedingungen der transzendentalen Phanomenologie, die daruber vorweg bestimmen, daB in ihm nur ihnen Konformes auftreten kann .« 22 Vgl. Bernet (1983), S. 30 f.: »Die erkenntnistheoretisch orientierte Zeitanalyse baut den naturlich vorausgesetzten Vorzug der jetzigen Gegenwart weiter aus, bedient sich dabe i jedoch der unnaturli chen Reduktion der vergangenen Gegenwart auf die gegenwartige Erinnerung (, Vergegenwartigung .) der Vergangenheit sowie der zukiinftigen Gegenwart auf die gegenwartige Erwartung (,Entgegenwartigung< ) der Zukunft. Sie verleugnet damit die vergessene Vergangenhe it und die unerwartete, uberrasch ende Zukunft.«
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ten und so ihr wahres Wesen verfehlten." Der fur die husserlsche Phanomenologie so entscheidende Begriff der Intentionalitat macht es laut Levinas unmoglich, die Zukunft in ihrem eigentlichen Wesen als das absolut Andere zu sehen: »In der intentionalen Beziehung der Vorstellung ist das Selbe in einer Beziehung mit dem Anderen, aber in der Weise, daf in dieser Relation das Andere nicht das Selbe bestimmt, daB vielmehr das Selbe immer das Andere bestimmt «." Nun kann man Levinas' Begriffdes »absolut Anderen« immer die (mehr hegelsche als husserlsche) Frage stellen, was denn absolute Andersheit besagt, wenn sie absolut, also in keiner Weise auf ein Selbes bezogen sein solI. Die phanomenologische und konkreter auf die Zukunft bezogene Form dieser Frage lautet : Wie kann die Zukunft uns uberraschen, wenn uberraschen nicht bedeutet, daf sie einer Erwartung entgegenlauft bzw. sich als von jeglicher Erwartung verschieden herausstellt? Verbleiben wir einen Moment auf der Ebene der Intentionalitat im individuellen Zeitbewufstsein: In der Tat besteht das Grundschema der Intentionalitat, wie Husserl es beispielsweise in den Analysen zur passiven Synthesis entwickelt, darin, daf wir eine Erwartung haben, wie sich der Wahrnehmungsverlauffortsetzen wird , und diese Erwartung wird erfullt oder enttauscht. Dabei kann es zur ruckwirkenden Durchstreichung kommen, wenn wir beispielsweise feststellen, daB das, was wir fur einen Menschen hielten, eigentlich eine Schaufensterpuppe ist und gewesen ist. Unsere Erwartung grundet freilich in un serer gegenwartigen Wahrnehmung; aber sie kann immer enttauscht werden, und wir wissen urn die Moglichkeit dieser Enttauschung. Dieses Grundschema kann auch fur die Besonderheiten der Intersubjekt ivitat im Gegensatz zur Dingwahrnehmung autkommen: Die Anderen sind wesentlich zuganglich im Modus der Unzuganglichkeit: ich habe zwar auch hier Erwartungen und schliefsebeispielsweisevon mir auf andere, aber dabei stofse ich bestandig aufdie Unzulanglichkeiten solchen SchlieBens: Die Anderen uberraschen mich, bieten mehr und zugleich weniger, als ich erwartet hatte. Man kann Husserl allerdings sehr wohl vorwerfen, daB er die Seite des Unvorhersehbaren nicht hinreichend betont hat, und es kommt in seiner spaten Philosophie auch zu einer starkeren Betonung dieser Seite-freilich ohne daB Husserl seine Methode vollig uberarbeiten oder darstellen wurde , wie sich die Grundbegriffe seiner Philosophie modifizieren. Die »positive « Rolle des Durchstreichenden mufste starker betont werden (und dies ist ein Punkt, den man mit Hegel gegen Husserl machen konnte): Die Durchstreichung ist nicht blof »Hemmung« (vgl. Hua XXIX, 366) oder »Enttauschung« (vgl. Hua XI, 25). Zwar haben die Begriffe Hemmung und Enttauschung fur Husserl keine negative, sondern eine neutrale Bedeutung-aber es ist dennoch kein Zufall, daB er zu diesen Ausdriicken greift und nicht davon spricht, daB etwas auf uns zukommt oder uns uberkornmt. 23 Vgl. Levinas, DieZeit und derAndere, S. 48. 24 Vgl. Levinas, Totalitat und Unendlichkeit, S. 174.
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Auf der Ebene der Geschichte ist die Situation ohne Zweifel komplexer als auf der des Zeitbewufstseins, und unsere Plane-iindividuelleoder gemeinschaftlichewerden wesensgemaf auf weniger durchschaubare Weise durchkreuzt. Spielt die Zukunft in HusserlsAuffassung von Geschichtewomoglichwirklicheine unbedeutende Rolle, da es ihm doch vor allem urn »Rationalisierung«zu gehen scheint?Fur diese Behauptung spricht die Tatsache, daf fur Husserldie transzendentale Phanomenologie dieAufgabe hat, den Urstiftungssinn zu erfullen,der in verdeckter Weise in der vergangenen Philosophie am Werkwar.Damit scheinen die Aufgaben, Moglichkeiten und Grenzen der Phanornenologie im voraus festzustehen. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist und der eine Ruckwendung bezeichnet, ist derjenigeder »Reaktivierung «. Reaktiviertwird ein erster stiftender Akt (vgl. Hua XXIX, 371), beispielsweise der Akt der Urstiftung von Philosophie und Wissenschaft. In dieser Reaktivierung liegt jedoch, und das ist entscheidend, ein Gerichtetsein auf die Zukunft, welches darin besteht, »daf ich nun -hinfort : diese bleibende Willensrichtung habe « (371 f.). Reaktivierung bedeutet also, daf ich durch Besinnung einen Entschluf oder eine Aufgabe wieder aufnehme. Darin liegt aber zum einen, daf ich diese Aufgabe nicht einfach wiederhole, sondern sie fur mich neu lebendig mache (und sie dabei notwendig so modifiziere, daB sie fur mich gegenwartig lebendig sein kann). Zum anderen ist durch das bloBe Wiederverlebendigeneiner Aufgabe oder Richtung noch nichts uber die wirkliche Ausfuhrung gesagt; so einfach ist die Sachlage dann doch nicht. Vielmehr besinnen wir uns auf die Vergangenheit, urn einen aufgehelltenSinn dessen zu bekommen, wie wir unsere Zukunft gestaltensollten- was schwieriger ist als >in den Taghinein zu leben -. DaB wir Zukunft haben und uns urn unsere Zukunft sorgen, unterscheidet uns von den Tieren, so Husserl." Diese Sorge grundet in der »Schicksals- und Todesstruktur der Welt«26- und eben dieser Struktur begegnet der Mensch mit seinerVernunft,mit vernunftigem Planen.WielaBtsichdieVernunftaufweisen, wie tritt sie in Erscheinung? Im Zusammenhang der Kaizo-Aufsatze zeigtesich bereits, daf Husserl Vernunft im Sinne des griechischen Logos versteht, der dasjenige bezeichnet, an dem die Menschen teilhaben." Das, was die Menschen teilen, findet einen Ausdruck im Logos als Sprache. Dies deutet auf die entscheidende Rolle der Intersubjektivitat im Rahmen von Husserls teleologischem Geschichtsdenkenhin. Gleichzeitig zeigt sich das Phanomen der Sprache nicht alsetwasEinheitliches, sondern wir haben es normalerweise
Vgl. Manuskript E III 4, »Teleologie«, 3a: »Das Leben des Tieres als Leben in der konkreten Gegenwart, mit ihrem kleinen Bestand von Zukunft. Das Menschenleben als Leben in eine weite Lebenszukunft hinein, als Leben in der Vorsorge, die zur universalen Sorge fur die ganze Lebenszukunft wird. . 26 E III 4, ioa. 27 Vgl. Kapitel oa). 25
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mit einer Muttersprache, eventuell einigen halbwegs vertrauten Fremdsprachen und vielen ganz fremden Sprachen zu tun. Husserls Intersubjektivitatstheorie erhalt im Rahmen einer Phanomenologie der Geschichte eine neue Form, die wesentlich durch das Verhaltnis von heimischen und fremden Welten bestimmt ist. Daraus ergeben sich bestimmte ethische Forderungen hinsichtlich dessen, wie die Grenzen zwischen Heimischem und Fremdem uberschritten werden konnen, ohne daB sie miBachtet oder verletzt wurden." Die Grenzen zu achten heiBt zum einen, daB die Standorte von Heimischem und Fremdem nicht austauschbar sind: Heimwelt und Fremdwelt befinden sich in einem Verhaltnis der unauflosbaren Asymmetrie. Wir bleiben immer an unsere heimische Welt ruckgebunden und konnen nur von dort aus die Grenzen uberschreiten; es gibt fur uns keine »Vogelperspektive«, von der aus wir die Welten uberschauen konnten." DaB es keine solche Vogelperspektive gibt, heiBt zum anderen, daB Heimwelt und Fremdwelt sich nicht in eine hohere Einheit auflosen lassen. Wenngleich die Grenzen von Heimwelt und Fremdwelt sich verandern konnen und dies unablassig tun, so werden sich die Grenzen der Heimwelt doch nie zur einen Welt hin ausdehnen lassen. Der Standpunkt einer moglichen einen Welt kann mit gutem Recht als Imperialismus bezeichnet werden, und zwar deshalb , weil wir immer von unserer heimischen Welt ausgehen mussen und hochstens deren Grenzen ausdehnen konnen: wir konnen nicht alle Grenzen uberspringen und auf diese Weise eine einheitliche Welt gewinnen. Husserls Rede von der allzeitlichen Vernunft erweckt den Eindruck, als gebe es die eine Vernunft, die allen Menschen gemeinsam ist. DaB es eine solche Vernunft gebe, war wohl auch Husserls Uberzeugung - doch muB unterschieden werden zwischen der )Idee- einer solchen Vernunft, die sich auf verschiedene Weise verwirklicht, und dem Postulat einer wirklich existierenden einheitlichen Vernunft. Obwohl manche Formulierungen Husserls so klingen, als vertrete er die zweite dieser heiden Auffassungen, so kann er im Sinne seiner Phanornenologie doch nur die erste vertreten." Erneut hilft es, Vernunft als Logos zu denken: Wenngleich es keinen homogenen Boden der Verstandigung zwischen den Menschen gibt, so gehen wir dennoch davon aus, daB Verstandigung moglich ist. Wir konnen unsere Meinung dem Anderen »ansinnen «,31 mussen dabei jedoch immer im Auge behalten, daB Mifsverstandnisse moglich sind und es keine Garantie gibt. Konkret spiegelt sich diese Situation im Logos wider, der sich in verschiedenen Sprachen realisiert: Ubersetzung ermoglicht die Verstandigung zwischen Heimischem und Fremdem, und doch sind Mifsverstandnisse nie ausgeschlossen. 28 Vgl. Steinbock (1995), S. 250ff. Vgl. auch Waldenfels (1991), S. 39: »Die Achtung vor dem Gesetz entspringt, wie Kant durchaus wufste. nicht selbst dem Gesetz. Anstatt Grenzerfahrungen vorweg zu moralisieren, sollte man vielmehr versuchen, so etwas wie ein Ethos von Grenzachtung und Grenzverletzung her zu denken «. 29 Vgl. Held (2000b), S. 11. 30 Vgl. auch Ladr iere (1960), S. 187. 31 So formuliert Held im Anschluf an Kants dritte Kritik: Held (2000b), S. 12 .
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Diese Zusamrnenhange werfen ein neues Licht auf die These von der einen Philosophie: Sicherlich haben wir eine einheitliche Idee von Philosophie, dergemaB wir Philosophisches von Nichtphilosophischem unterscheiden. Aber ist uns nicht Philosophie konkret immer gegeben in Form solcher Philosophien, die uns naher und vertrauter, und solcher, die uns weniger nah sind, je nachdem, woher wir kommen? Ist nicht fur die Phanomenologen beispielsweise die analytische Philosophie etwas wenn auch nicht Unzugangliches, so doch zunachst Fremdes? Dennoch konnen wir das Fremde, in gewissen Grenzen, verstehen . Dies hangt damit zusammen, daf sich auch im Eigenen schon etwas Fremdes findet . Beispielsweiseist mein transzendentales letztfungierendes Ich mir nicht vollig zuganglich, sondern entzieht sich." Diesem Entzugscharakter hatte Husser! mehr Recht zukommen lassen sollen. Dem Entzug entspricht auf der anderen Seite das Kommen einer Zukunft, die letztlich nicht in unserer Hand ist. Zwar ist es -gut-, daB wir planen und entwerfen und nach Vernunftverwirklichung streben." Doch wir mussen uns dessen bewuBt sein, daB dies nicht alles ist, und daB manches gerade dann gluckt, wenn wir es nicht .intendiert - hatten. Husser! hat gewisse, bisweilen personlich anmutende Schwierigkeiten mit dem, was unverfugbar ist; an einer Manuskriptstelle fragt er, beinahe verzweifeIt: »Wie kann ich aber leben, wenn dieses [i. e. das Leben unter der Idee der Echtheit] unerreichbar ist?« 34 Die Antwort kann nur lauten, daB die Herausforderung gerade darin besteht, trotzdem zu leben und nach dem Telos zu streben, auch wenn es keine einfachen Losungen und Auswegegibt. Die wesentlichen Fragen lassen sich nie endgultig entscheiden . So erklart Husser! im gleichen Manuskript selbst: »Ich kann nur gut werden und nicht gut sein «." Im Wesen der Horizonte liegt, daf sie begrenzt sind, wenngleich sie wandelbare Grenzen haben. In ihrem Wesen liegt auch, daf immer Horizonte im Dunkel liegen. Horizonthaftigkeit aller Erkenntnis und Erfahrung bedeutet, daB wir nie alle Zusammenhange uberschauen, »daf keine Sache ganz isoliert ist«, und so »schreitet die Erkenntnis (.. .) fort «, sich immer mehr erweiternd (Hua XXVII, 79).
32 Vgl. Kapitel 8b). So argumentiert auch Bernet in seinem uberzeugenden Aufsatz » Encounter with the Stranger: Two Interpretations of the Vulnerabilit y of the Skin«, in dem er die Starken der husserlschen Interpretation im Vergleichzu Levinas' Interpretat ion aufzeigt: » Sticking to the First Interpretation and its conception of an analogous apprehension of the Other, one would then have to say that there must be a strangeness in myself the understanding of which guides me in my apprehension (or appre sentation) of the Other's strangeness. Several texts of Husserl seem to be willing to go as far as this « (Bernet (1998), S. 97). 33 Vgl. Trawny (2000) , S. 18. 34 Manu skript E III 1, )} Metaphysik, Teleologie«, jb, 35 Ebd.
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Wir haben es jeweils mit verschiedenen heimischen und fremden Horizonten zu tun, nicht mit einer einheitlichen Welt. Ebenso laBt sich Geschichte nicht auf eine abschlieBbare Einheit reduzieren, sondern offene Horizonte erstrecken sich in die Zukunft hinein.
Die Unterschiede zwischen der Teleologie Hegels und derjenigen Husserl wurzeln in ihren verschiedenen Auffassungen vom Telos der Geschichte: FOr Hegel ist das Ziel erreichbar und unwandelbar; fur Husserl ist es unerreichbar, und es kann im Laufe der Geschichte umgewandelt werden. Aufgrund dieser Moglichkeit der Umwandlung des Zieles kommt den Phanornenologen bei Husserl eine normative, bei Hegel jedoch eine deskriptive Rolle zu. Wenngleich man meinen konnte, daB eine teleologische Geschichtsauffassung folgerichtig eine besondere Gewichtung der Zukunft mit sich bringen wurde, ist dies weder fur Hegel noch fur Husserl der Fall. FOrHegel ist die Gegenwart Vollendung der teleologischen Entwicklung. 1m Fall Husserls ist die Gegenwart insofern entscheidende Zeitdimension, als sie die Schnittstelle ist zwischen dem Urstiftungssinn der Vergangenheit und den Zielen der Zukunft. Unsere Erwartungen und Ziele fur die Zukunft sind uns in der Gegenwart (teilweise) bewulst, wenn sie auch nicht erfullt sind; ob sie sich in der Zukunft erfullen, bemifst sich im Vergleich zu diesen Erwartungen. Obwohl es, wie in diesem Kapitel besprochen, berechtigt ist, eine Uberraschung phanomenologisch als dasjenige zu beschreiben, was unseren Erwartungen zuwiderlauft, legt Husserl doch zu wenig Gewicht auf den )positiven ( und nicht blof durchstreichenden Aspekt dessen, daf Zukunft als uberraschend und neu auf uns zukommt. Somit gilt, daB Hegel und Husserl- wenngleich auf verschiedene Weise- in ihrer Geschichtsauffassung dem Phanomen der Zukunft kein hinreichendes Recht zukommen lassen. 1m Falle Hegels ist diese Unzulanglichkeit im Wesen seiner Philosophie begrundet, wahrend Husserls Phanomenologie prinzipiell mehr Raum laBt fur das Kommen der Zukunft. Hegel halt also im Einklang mit seiner Philosophie, Husserl jedoch gegen die Moglichkeiten seiner Phanomenologie am Vorrang der Gegenwart fest. Dies zeigt sich auch auf der Ebene der gemeinschaftlichen Geschichte: Husserls Bestrebungen, die verschiedenen Heimwelten und Fremdwelten auf die eine Welt hin zu ubersteigen, laufen seiner eigenen Philosophie zuwider. Auch widmet Husserl den Beschreibungen der Heimwelt bedeutend mehr Raum als den en der Fremdwelt. Zugegeben, eine Phanomenologie des Fremden hat grundsatzlich anderen Charakter als die des Heimischen; hier mufste von den verschiedenen Formen des Bruches mit der heimischen Erfahrung, von verschiedenen Weisen des Infragestellens die Rede sein. Husserl will gewissermaBen den sicheren, heimischen Boden so lange als moglich unter den FOBen bewahren; dabei hat er doch selbst
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TElL III • KAPlTEL 10
bereits eingesehen, daf das Heimische immer von Fremdem durchdrungen ist, und daf selbst das vermeintlich selbstgewisse transzendentale Ich sich entzieht. In einem ahnlichen Sinne kritisiert Sartre Hegel, hier bezuglich der Intersubjektivitat, indem er ihn cines ontologischen und epistemologischen Optimismus' anklagt: Hegel nehme den Gesichtspunkt des Ganzen ein und habe sich damit aufserhalb des BewuBtseinsbegeben; er versuche, die» Pluralitat « aufdie » Totalitat « hin zu uberschreiten." Doch es ist uns nicht moglich, den Standpunkt der Totalitat einzunehmen: »Kein logischer oder epistemologischer Optimismus kann also diesen Skandal der Pluralitat der BewuBtseine beenden. Wenn Hegel das geglaubt hat, so deshalb, weil er nie die Natur jener besonderen Seinsdimension erfafst hat, die das BewuBtsein (von) sich ist«." Der Wunsch, den Blickpunkt einer umfassenden Totalitat einzunehmen, ist verstandlich und menschlich. Eine Zukunft gewinnen wir jedoch nur um den Preis dessen, daB wir die vollige Durchsichtigkeit aufgeben.
36 Sartre, DasSein und dasNichts, S. 441. 37 Sartre, DasSein und dasNichts, S. 442.
SCHLUSS
Das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem Bewulstsein Soweit als moglich verbindet Hegels Text die Philosophie und die Nicht-Philosophie. Die Philosophie dringt in die Nichtphilosophie, d.h. in das Leben der Nicht-Philosophen ein. Merleau-Ponty, Vorlesungen
I, 240.
Keiner ist je gerettet,und keiner ist je ganz verloren. Merleau-Ponty, Phiinomenologie der Wahr-
nehmung, 204.
Hegel und Husserl sind sich daruber einig, daB natiirliches und philosophisches BewuBtsein keine zwei verschiedenen BewuBtsein(e), sondern zwei Weisen ein und desselben BewuBtseins sind. Das natiirliche BewuBtsein ist auf das philosophische BewuBtsein hin angelegt, und wenn es sich in seinem Wesen durchschaut hat, ist es in der Philosophie. Dies bedeutet einerseits, daB wir uns nie in der Sicherheit wahnen durfen, nun ein fur allemal in der Philosophie angekommen zu sein. Andererseits bedeutet es aber auch, daf wir nicht befurchten mussen, jemals ganz den Boden unter den FuBen zu verlieren und nicht mehr zuruckzufinden. Wir verlassen das natiirliche BewuBtsein nie ganz; doch wenn die Philosophie sich einmal gezeigt hat, bleibt das Wissen urn diese Moglichkeit, und wir kehren nie wieder vollstandig dorthin zuruck, woher wir gekommen sind. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe der Philosophie, fortlaufend ihr Verhaltnis zur Nichtphilosophie zu bedenken und sich nicht etwa von dieser abzuwenden . Philosophie muB ein »konsequentes Verhaltnis-Denken«! sein. Sie darf sich weder mit einem Uberlegenheitsanspruch auf ihre eigene Position zuruckziehen, noch sich selbst zunichte machen, indem sie sich ganz der nichtphilosophischen Seite hingibt, dem Leben, der Existenz, der Alltagssprache o. a. Vielmehr muB sie das Verhaltnis dieser beiden Seiten bedenken; denn erst in diesem VerhaltnisDenken zeigen sich beide Seiten in ihrem Wesen.'
2
Held (1980), S. 4. Indem die Phanornenologie Husserls es sich zur Maxime gemacht hat, -die Sachen selbst . zu
T. Stähler, Die Unruhe des Anfangs © Kluwer Academic Publishers 2003
236
SCHLUSS
Was aber ist ein Verhaltnisi In einem Verhaltnis halt sich zweierlei oder mehreres so, daB es jeweils nur in diesem Halten das ist, was es ist. Ein Verhaltnis kann auch ein Streit sein , ja ist notwendig immer ein Streit in dem Sinne, daB die m iteinander im Verhaltnis Stehenden auseinanderstreben (oder besser: gegeneinanderstreben); solches, was dem anderen nichts entgegenzuhalten hat, fallt in eins. In dem streitenden Verhaltnis eroffnet sich ein Zwischenraum, ein Spielraum. Wir bewegen uns gewissermaBen fortlaufend zwischen beiden BewuBtseinsformen hin und her. Dies zeigt sich im Dialog jener beiden BewuBtseinsformen in Hegels Phiinomenologie des Geistes, der in dem sich eroffnenden )Zwischen < stattfindet. Ebenso ist Husserls Phanomenologie der Lebenswelt ein Ausdruck dieses Dialogs; denn die Lebenswelt ist die Welt des naturlichen Bewufstseins, in die gleichzeitig unablassig Erkenntnisse der Philosophie und Wissenschaft »einstrornen «, Die Schwierigkeit, daB das naturliche BewuBtsein sich erst aus der Sicht des philosophischen BewuBtseins zeigt und Philosophie doch immer mit dem naturlichen BewuBtsein anfangen muf, bestimmt Hegels Phiinomenologie des Geistes: »Wir « lassen alle Annahmen beiseite und verfolgen das naturliche BewuBtsein auf seinem Weg, und doch sind wir dem naturlichen BewuBtsein immer schon ein Stuck voraus. Ahnliche Schwierigkeiten werden in der Struktur vorliegender Arbeit deutlich - Querverweise und Ruckverweise sind unerlafslich, Das Fortschreiten kann kein streng lineares sein, sondern wir mussen uns gewissermaBen vorwarts, ruckwarts und seitwarts bewegen, wenn wir uns den Phanomenen nahern und Verbindungen aufweisen wollen. Im Verhaltnis von naturlichem BewuBtsein und philosophischern BewuBtsein zeigt sich die Bedeutung von Geschichtlichkeit: Das Verhaltnis ist kein statisches, in dem zuerst das eine, dann das andere BewuBtsein existieren wurde, so daB, abgesehen von dem kurzen Moment des Ubergangs, Zeit keine Rolle spielte. Wir haben vielmehr notwendig immer wieder die Moglichkeit, zuruckzugehen und hin- und herzugehen. Gleichzeitig ist mein Weg in die Philosophie nie nur mein Weg, und BewuBtsein ist nie bloB individuelles BewuBtsein: Wir haben es immer schon mit einem Erbe von Ideen zu tun. Es hat sich in dieser Arbeit gezeigt, daB der Weg des natiirlichen BewuBtseins in die Philosophie ein geschichtlicher Weg ist. Das Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein laBt sich nicht verstehen, ohne auf die Geschichte einzugehen. Die Beleuchtung bestimmter Wesens ziige des Phanomens Geschichte kann daher helfen, jenes Verhaltnis besser zu verstehen. Gleichzeitig
Wort kommen zu lassen und dam it das aufierphilosoph isch sich Darbietende so hinzunehmen, wie es sich uns zeigt, verpflichtet sie sich selbst, »das eigene Vorgehen imm er wieder auf seine Unbefangenheit gegeniiber dem sich von sich selbst her Zeigenden zu uberprufen - (Held (1980), S·5) ·
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wirft die Problematik des Anfangs der Philosophie ein Licht auf die Geschichte: Wenn Geschichte in ihrem Wesen eine Geschichte von Ideen ist und damit eine Geschichte der Philosophie, dann muf ein angemessener Begriff von Geschichte diejenigen Momente widerspiegeln, die sich im Verlauf dieser Arbeit als fur das Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem Bewufstsein wesentlich gezeigt haben. Damit wird gleichzeitig die Schwierigkeit, einen geeigneten Begriff von Geschichte zu finden, offenbar. Folgende Momente sind zum Vorschein gekommen: Der Ubergang zum philosophischen Bewufstsein hat den Charakter eines Sprunges; das philosophische ist keine kontinuierliche Fortsetzung des naturlichen Bewufstseins (vgl. Kapitel s). DaB es Einschnitte und Sprunge gibt, ist auch fur das Phanomen der Geschichte wesentlich. Der Name fur die geschichtlichen Einheiten, die durch soIehe Einschnitte entstehen, hat interessanterweise denselben Ursprung wie Husserls Bezeichnung fur den Sprungcharakter des Ubergangs: Epoche stammt von »epoche « bzw. »epechein« . In der Geschichte gibt es Momente des Innehaltens im Fluf; Philosophie bedeutet nach dem Erscheinen von Kants Kritikderreinen Vernunft nicht mehr dasselbe wie zuvor. Analoges gilt fur einschneidende politische und soziale Ereignisse, welche die Kontinuitat durchbrechen (besonders deutlich im Fall von Revolutionen) oder fur entscheidende Erkenntnisse in den Wissenschaften, fur die Namen wie Einstein, Darwin oder Freud einstehen. Von Hegel erfahren wir freilich, daf es sich dabei nicht urn isolierte Taten Einzelner handelt, sondern daB diese einzelnen Personen Entwicklungen des Weltgeistes zum Ausdruck bringen und ihre Zeit in Gedanken (im Fall der Philosophie) oder in Taten oder Formeln fassen. Husserl stellt die These auf, daB die »Bruchstellen in der Geschichte « zusammenfallen mit entscheidenden Entwicklungen in der Philosophie, da sie die Stellen sind, »an denen eine Motivation zu neuer, radikalster Besinnung merklich wird « (Hua XXIX, 417). Als Beispiel verweist er auf den Ubergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Hegel betont ebenfalls, daf Bruchstellen-oder genauer, Stellen, »wo ein Bruch eingetreten ist zwischen dem inneren Streben und der aufseren Wirklichkeit « (GPh I, 71)-das Philosophieren begunstigen. Hegel zufolge treten Bruche in der Geschichte dann auf, wenn der Geist seine innere Weiterentwicklung noch nicht in die Tat, also in die Wirklichkeit umsetzen konnte; die Wirklichkeit hinkt gewissermafsen hinterher, so daf ein Sprung oder StoB notig ist. Geschichte ist kein Kontinuum, ebensowenig wie der Ubergang in die Philosophie es ist. DaB zwei Ereignisse einen Abstand von zwanzig Iahren haben, bedeutet nicht dasselbe, wenn in der Mitte dieser zwanzig Jahre ein Weltkrieg stattgefunden hat, wie wenn es sich urn eine verhaltnismafsig ruhig verlaufende Zeitspanne von zwanzig Iahren im Mittelalter handelt. Geschichtliche Zeit ist also keine objektive Zeit, laBt sich nicht in [ahren messen . Ebenso handelt es sich aber auch nicht urn die subjektive Zeit eines Individuums. Fur Hegel ist es die Zeit des Weltgeistes; auch 1.
238
SCHLUSS
bei Husserl finden sich Ansatze zu der Idee eines uberpersonalen BewuBtseins, dem dann eine eigene Zeitlichkeit zukame.' Der Ubergang zum philosophischen BewuBtsein hat den Charakter eines Weges; der Ubergang gelingt nicht auf einen Schlag (vgl. Kapitel 6). Es gibt Vorlaufe, Ruckschlage, Umwege und neue Versuche. Gleichzeitig ist die Bewegung immer eine gerichtete, d. h. teleologische, oder sie weicht ab von dieser Gerichtetheit, was sich aber ebenfalls am MaBstab der Richtung bemiBt. Die Gerichtetheit zeigt sich freilich erst aus der Perspektive des philosophischen BewuBtseins . Das naturliche BewuBtsein scheint auf ganz andere Dinge ausgerichtet zu sein als auf die Philosophie; doch wenn es nicht das Telos Philosophie schon in sich truge, konnte es nie dort ankommen. Anzeichen dieser Ausrichtung im nattirlichen BewuBtsein sind beispielsweise sein Unbehagen, wenn es in Widerspruche gerat, sowie die Tendenz, sich selbst und andere nach Grunden zu fragen. Analoges gilt fur die Bewegung der Geschichte: Es gibt Ausrichtungen und Abweichungen von diesen Ausrichtungen. Ereignisse wie beispielsweise der Holocaust stellen kein Argument gegen die Teleologie dar: Zum einen war auch hier eine-besonders heimtuckische-Planmafsigkeit am Werk; zum anderen zeigt gerade unser Entsetzen, daB es sich hierbei urn eine erschreckende Abweichung handelt von dem, was wir erwartet oder mindestens erhofft hatten, namlich eine verstarkte Durchsetzung der Vernunft im zwanzigsten Iahrhundert. Es genugt freilich nicht, solche Ereignisse als Abweichungen zu beschreiben; und doch werden sie zunachst einmal augenfallig als solches, was radikal von dem Erwarteten abwe icht. Noch etwas Entscheidendes zeigt sich hier: Erst im Ruckblick erkennen wir das wahre Ausmaf des Schreckens. Erst im Ruckblick erkennen wir, wie sehr vom Gang der Vernunft abgewichen wurde und wie sehr doch eine Planmafsigkeit am Werk war, die womoglich so etwas wie die dunkle Ruckseite der Vernunft ausmacht.' Auch mogliche Ursachen-wenngleich, in diesem Falle, keine Rechtfertigungen-zeigen sich erst im nachhinein. Die Gerichtetheit der Geschichte kommt erst wirklich zum Vorschein, wenn wir uns umwenden; so wie sich die Richtung des naturlichen BewuBtseins erst aus der Sicht des philosophischen zeigt. Oder, wie Husserl sagen wurde: Erst in der Endstiftung offenbart sich die Urstiftung (vgl. Hua VI, 74).
2.
3. Wir kommen immer wieder auf das naturliche BewuBtsein zuruck, und dennoch handelt es sich nicht mehr urn das gleiche naturliche BewuBtsein, das den allerersten Ausgangspunkt gebildet hatte. Wir kommen zuruck, doch wir fallen
3 4
Heideggers » Seinsgeschichte«, die hier nicht naher erlautert werden kann , stellt einen anderen Ansatz dar, Phanornenen der beschrieben en Art gerecht zu werden. Das, was hier ganz unzure ichend mit der Bezeichnung dunkle Riickseite der Vernunft betitelt wird, kommt zugegebenermaBen sowohl bei Hegel als auch bei Husserl fast gar nicht vor, Eine
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nicht wieder ganz zuruck, Insofern kann man mit Hegel sagen, daB es sich urn eine Ruckkehr auf hoherer Stufe handelt, und insofern eignet sich das Bild der Spirale zur Veranschaulichung der Bewegung. Derartige Bewegungen des Zuruckkommens auf hoherer Stufe finden wir auch in der Geschichte, wie Hegel uns zu Recht vor Augen fuhrt. Bestimmte Grundstrukturen tauchen immer wieder auf, aber in verwandelter Form. DaB die Beispiele, die zuerst in den Sinn kommen, solche von Unterdruckung und Krieg sind, konnte auch ein Grund dafur sein, daB Hegels Kapitel tiber Herrschaft und Knechtschaft so vielfaltig rezipiert worden ist. »Auf hoherer Stufe « heiBt dabei nicht unbedingt, daB die Menschheit gelernt hat-zumindest nicht notwendig in dem Sinne, daB sie -besser- geworden ist und immer .besser - wird. Es heifst vielmehr, daB die einmal gemachten Erfahrungen integriert, einverleibt werden. Es wird nicht genau derselbe Fehler wiederholt-aber vielleicht kann die Verfeinerung des Fehlers in gewisser Weise auch eine Verschlimmerung bedeuten. Es gilt damit, daB die Bewegung der Geschichte nicht linear verlauft, ebensowenig wie die Bewegung zwischen naturlichem und philosophischem BewuBtsein. Wenn wir die drei bisher ausgefuhrten Wesensztige in ein Bild fassen wollten, kamen wir zu einer -Spirale mit Sprungen -. Die Geschichtsauffassung, die sich bis hierhin ergeben hat, ist derjenigen Hegels sehr nahe, impliziert jedoch nicht, daB es notwendig zu einer Vollendung kommt. In der Tat stellt sich bezogen auf das philosophische BewuBtsein die Frage, ob wir jemals zu einer vollendeten Gestalt der Philosophie kommen, und ob dies uberhaupt erstrebenswert ware? Warum sollte denn die Philosophie ihren Namen ablegen, Liebe zum Wissen zu sein? Zu Recht hat doch zum Beispiel Platon betont, daB die Philosophie in enger Verbindung mit dem Eros steht: Wir streben nach Wissen. Die Hybris, die im hegelschen Gedanken der Inbesitznahme von wahrem Wissen enthalten ist, sei hier beise ite gelassen; ganz abgesehen davon ist es fraglich, ob ein Kreisen in sich ein Zustand des Glucks oder nicht eher der Langeweile ware. Diese Einwande andern jedoch nichts daran, daB Hegel entscheidende Grundzuge der Geschichtlichkeit und des Verhaltnisses von naturlichern und philosophischem BewuBtsein aufgewiesen hat-und gezeigt hat, wie jenes Verhaltnis notwendig ein geschichtliches ist! Husserls Geschichtsauffassung ist Yager, weniger ausgearbeitet als diejenige Hegels; doch auch sie enthalt auf die eine oder andere Weise die drei aufgefuhrten Grundzuge. Wo Husserl in bezug auf Entschiedenheit und Eindeutigkeit hinter Hegel zuruckfallt, da ist er letzterem doch gleichzeitig mit der Einsicht in die Horizonthaftigkeit aller Erfahrung voraus. Es ist hier insofern berechtigt, von
interessante Aufgabe ware es, be ide Philo sophen im Hinblick auf das Problem des Bosen zu lesen . Es sollte in diesen knappen Ausfuhrungen aber deutlich geworden sein, daB es unangemessen ist, wenn man meint, Hegel und Husser! seien mit dem Verweis auf den Holocaust schon wide rlegt .
240
SCHLUSS
einem Zuruckfallen zu sprechen, als Husserl in der Tat ahnliche Ziele wie Hegel hatte und er auch ein System seiner Philosophie entwickeln wollte. Es liegt jedoch im Wesen der husserlschen Phanomenologie, daB sie keine Systembildung zulaBt: Wie sollte dies mit dem Gedanken der offenen Horizonte vereinbar sein? Husserl selbst hat diese SchluBfolgerung allerdings nicht gezogen, sondern dies haben erst andere Phanomenologen nach ihm getan . Der Grundgedanke der Horizonthaftigkeit zeigt insbesondere, wie es zu verstehen ist, daB sich Erfahrung in offener, aber doch nicht unkontrollierter Weise fortsetzt. Das Stichwort hierfur lautet »bestimmte Unbestimmtheit«. Die Verweisungen zwischen den Horizonten sind keine beliebigen, sondern es verweist der Schreibtisch auf das sich daraufbefindliche Photo, das Photo auf den abwesenden Freund etc.-und doch ist es nicht von vornherein bestimmbar, welchen Verweisungen ich nachgehe: Lasse ich mich dar auf ein, an den abwesenden Freund zu denken, oder verweist mich das Photo darauf, daB ich dringend einmal staubwischen mtiBte und das Photo ohnehin besser im Schrank aufgehoben ware, wo es weder verstaubt noch mich an den Freund erinnert? Durch die Horizonthaftigkeit der Erfahrung werden wir tiber das Auffassen von Zustandlichkeiten und das Wahrnehmen von Einzelgegenstanden hinausgefuhrt (Kapitel 1-3). Das einzelne Ding weist tiber sich hinaus auf den Zusammenhang, in dem es erscheint, und ist nur aus diesem heraus verstandlich. Hegel bringt diesen Sachverhalt zum Ausdruck, wenn er sagt, daB das Ding nur im Verhaltnis zu anderen Dingen dieses bestimmte Ding sein kann: Es ist fur sich, indem es fur andere, und fur andere, indem es fur sich ist. Das Ding begegnet uns als Ding aus der Welt heraus; der Zusammenhang als Welt ist es, dessen die Naturwissenschaften sich annehmen wollen . Die Naturwissenschaften gehen zu einer ubersinnlichen Welt tiber, die sie als vollstandig bestimmbare Totalitat ansehen, und messen die Erscheinungswelt an dieser idealen Welt. Damit sind sie vermeintlich dem natiirlichen BewuBtsein uberlegen, wahrend sie tatsachlich nicht nur dieselbe Voraussetzung der Trennung von BewuBtsein und Gegenstand machen, sondern auch die Subjektivitat vergessen sowie dem Charakter der Welt als universalem Horizont nicht an gemessen Rechnung tragen konnen (Kapitel a). Horizonte sind offen und doch begrenzt. Die Horizonte von Heimwelt und Fremdwelt sind konkreter, aber auch komplexer als die Innen- und AuBenhorizonte eines Gegenstandes. Wo Husserl tiber das innere ZeitbewuBtsein hinausgeht und sich der Geschichte zuwendet, werden seine Ausfuhrungen notwendig andeutungsund luckenhafter, Die Geschichte ist eben nicht wirklich am Modell des inneren ZeitbewuBtseins zu verstehen, und dies liegt wesentlich daran, daB sie intersubjektiv ist. Dadurch gibt es zwangslaufig immer mehr, als ich erfassen kann. Und damit ergibt sich ein vierter Wesenszug von Geschichte: die Zukunft als Einbrechen von Neuem (Kapitel io). Auch dieser Wesenszug findet sich im Verhaltnis von naturlichern und philosophischem BewuBtsein:
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4. Der Ubergang in die Philosophie ereignet sich notwendig als etwas Uberraschendes, Unerwartetes. Die Philosophie ist nicht festlegbar, nicht antizipierbar. Deshalb ist die Motivation der Philosophie ein so problematisches Thema (vgl. Kapitel 7): Wenn der Ubergang geschieht, ist er da, aber wir konnen ihn nicht herbeifiihren. Die Uberraschung, welche die Philosophie darstellt, laBt sich jedoch nur im Verhaltnis zum natiirlichen BewuBtsein und dessen Erwartungen feststellen. Der Ubergang kann in den husserlschen Begriffen von Norrnalitat und Anomalitat beschrieben werden," Vor der Philosophie macht das natiirliche BewuBtsein die Normalitat aus-vertraut, einstimmig und verlafilich . Die Anomalitat des philosophischen BewuBtseins durchbricht diese Vertrautheit. Doch indem sich herausstellt, daB das philosophische BewuBtsein eine Verbesserung darstellt hinsichtlich der Selbstbesinnung und Selbsterforschung des BewuBtseins, etabliert sich das philosophische BewuBtsein als .uber c-normales oder optimales-analog der neuen optimalen Sichtweise des Kurz- oder Weitsichtigen, der eine Brille bekommt." So gibt es auch in der Geschichte Entwicklungen, die in kleineren oder groBeren MaBen vom Vertrauten abweichen und deshalb die Menschen zunachst mit MiBtrauen erfullen. Dieses MiBtrauen ist berechtigt, wenn es ebenso von Offenheit begleitet ist: Erweist sich das Neue als ein Optimum oder als Verschlimmerung, Ruckfall usw.? 1m Ruckblick laBt sich dies feststellen, ruckblickend sehen wir die Verbindungen, die wir nicht im Vorblick zu erkennen verrnogen.' Entscheidend ist, daB Geschichte solche Uberraschungen fur uns bereithalt und daB Geschichte ohne Einbrechen von Neuem keine Geschichte ware . Ebenso ware Philosophie keine Philosophie, wenn sie sich fur das naturliche BewuBtsein nicht als grundlegend Neues, Unerwartetes zeigte.
Wenn wir die drei ausgefiihrten Wesenszuge der Geschichte urn diesen vierten erganzen, ist spatestens hier keine angemessene Verbildlichung mehr mogl ich. Eine Verbildlichung gelingt vielleicht ruckwirkend, im Ruckblick auf die Vergangenheit, aber nicht vorblickend auf die Zukunft. Geschichte aber umfaBt alle diese Dimensionen, und daher muB eine Philosophie, die der Geschichtlichkeit gerecht werden will, ein sehen, daB sie es nicht zu vollendeter Durchsichtigkeit und Systematizitat bringen kann. Husserl muBte dies, wenn er seiner Einsicht in die Horizonthaftigkeit gerecht wird, zugestehen.
5 6 7
Vgl. Steinbock (zoooa) . Vgl. Kapitel e, FuBnote 14. Vgl. Husserls Ausfuhrungen in einem Manuskript aus dem Jahre 1935 unter dem Tite! »Einstromen «: »Ruckgewendet - fur die Menschen bestanden diese Erkenntnismoglichkeiten fruher nicht, aber Apper zeption der fruheren Realitaten und fruheren Welt wird nun notwendig und hat ihre Weisen, indirekt sich zu bestimmen und in der Bestimmtheit zu bewahren oder entwahren « (Hua XXIX ,
83).
242
SCH LUSS
Zwei Philosophen, deren Denken sowohl von Hegel als au ch von Husserl wesentlich gepragt wurde und die besonderes Gewicht darauf legen, daB es kein vollsta ndiges Zu-sich-kommen, keine vollendete Durchsichtigkeit gibt, sind Hei degger und Merl eau- Ponty. Bei Heidegger spricht sich diese Einsicht unter anderem darin aus, daB er betont, Wahrheit sei im Sinne der griechische n aletheia zu denken , also im Sinne einer Un- verborgenheit, die einer ursprunglichen und nicht aufhebbaren Verborgenheit entspringt. Merl eau-Ponty erklart mit Bezug auf Hus serls Philosophie, da B es einen Schatten gibt , der »nicht bloB die fakti sche Abwesenheit zukun ftigen Licht s ist «." Bezuglich Husserls Spatphilosophie heiBt dies, daB er die Leben swelt kon sequent als dasjenige denken mufst e, das sich wesensm afsig ni cht vollstandig erhellen laBt. Husserl erkennt zwar der doxa ein eigenes Recht zu im Vergleich zur episteme; das bedeutet auch, daB Philosophieren nicht darin besteht, da s naturliche BewuBtsein hinter sich zu lassen , sondern darin, tiefer in da s naturliche BewuBtsein einzudringen. Gleichwohl strebt Husserl ebenso wie Hegel danach, aile Dunkelheit zu erhellen und zu uberwinden, Der kurze Hinweis auf Heid egger und Merleau-Ponty soli daran erinnern, daB da s Verhaltnis von Hegel und Hu sserl ein fruchtbares Arbeitsfeld fur viele Philosophen und Philosophinnen geboten hat, insbesondere im Bereich der deutschen und fran zosischen Phan orn en ologie. In dieser Arb eit geht es ebe nso urn da s Verhaltnis von naturlichern und philosophischem Bewu Btsein wie urn das Verhaltnis von Hegel und Husser!. Es ist der Versuch gemacht wor den, Hegel und Husserl im Hinblick auf die Frage nach dem Anfang de s Ph ilosophi eren s miteinander, inei na nder und gegeneina nde r zu lesen. He gels Denken fordert eine rseits zum Durchbrechen seiner Systematik auf, zieht un s aber andererseits immer wieder in seine ersta unliche n Beobachtungen und Analysen hinein ; und wen n es ein fach ware , seine System atik zu widerlegen, kehrten wir nicht immer wiede r zu ihr zuruck. Eine Starke der hegelsch en Phil osophie ist ihre KompromiBiosigkeit und das Betonen dessen , da B es in der Philosophie auf Verbindlichkeit anko m m t. Eine weitere Starke ist die Ged uld, m it der Hegel sich allen Stufen des Bewu Btseins, auch den ersten und -untersten- , zuwendet. »Aufhebung « bedeutet eben nicht, diese Stu fen hinter sich zu lassen; sondern wenn wir nicht wirklich verstehen, was sich auf diesen Stufen abspielt, bleibt Hegel s Philosophie unzuganglich. Mit anderen Worten: Wenn wir un s nicht voll und ganz auf das naturliche BewuBtsein einl assen, seinen Standpunkt ern stne hm en und im einzelnen untersuchen, ist un s das philosophische BewuBtsein vers chlossen.
8
Merleau- Ponty, Signes, S. 225. Vgl. auch Fink (1957), S. 325: »Das SO umgangig Verbra uchte, Durc hdachte, aber nicht eigens Bedacht e eines ph ilosoph ierenden Denkens nenn en wir die ope rativen Begriffe. Sie sind - bildlich gesprochen - der Schatten einer Philosophie. (... ) Das philosoph ische Denken ist nie AIl-Wissenheit. (. . .) Fur die Philosophie selbst ist dies ein sta ndiges Argernis und eine beirre nde Unr uhe . Sie versucht imm er wieder, tiber ihren eigenen Schatten zu springen «,
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243
Gleichzeitig sind Hegels Analysen der Wahrnehmung, des Verstandes etc. so interessant und aufschlulsreich, daB es verfuhrerisch ist, sie herauszulosen und sie als »phanomenologische Betrachtungen « im husserlschen Sinne zu lesen. Dies lauft jedoch den hegelschen Absichten streng zuwider: Wer Hegels Philosophie und damit sein System ernstnimmt, muf sich das Verbot auferlegen , » ihm Begriffe zu entnehmen oder isolierte Aussagen zu manipulieren und durch ihre Ubertragung in das Element eines ihnen fremden Diskurses Effekte zu erzeugen « .9 Die Herausforderung besteht darin, den Bewegungen der hegelschen Philo sophie nachzugehen und sich auf den von ihr erhobenen Anspruch einzulassen. Ebenso verlangt Husserls Philosophie, auf ihren Anspruch, strenge Wissenschaft zu sein, einzugehen. Husserls Denken unterliegt Wandlungen, Modifikationen , Selbstkorrekturen - und doch bleibt es sich im Wesen treu. Damit eroffnet sich die Phanomenologie als konsistente Methode mit Moglichke it zur Wandlung . Auf den ersten Blick stellt sie denjenigen, die sich ihr widmen wollen, mehr Freiheitsspielraum zur Verfiigung als Hegels System. Doch letztlich ist vielleicht das geduldige Abklopfen der Moglichkeiten und der Versaumnisse husserlscher Phanomenologie auf seine Weise ebenso muhsam wie das Sichabarbeiten an den deutlicheren Widerstanden der hegelschen Philosophie. Es kann hier nicht urn eine Entscheidung tiber Dialektik versus Phanomenologie gehen . Eine solche Entscheidung ist auch insofern nicht angebracht, als Hegel, wie oben erlautert worden ist (vgl. Kapitel o), in der Phiinomenologie des Geistes keine dialektische, sondern eine phanomenologische Methode in Anschlag bringt. In gewisser Weise ist er dam it .phanomenologischer . als Husserl selbst, namlich im Sinne der fruhen Phanomenologie als blofser Beschreibung des Erscheinenden . Indem Husserl seine Phanomenologie weiterentwickelt, radikalisiert er das Beschreiben und geht dam it immer mehr tiber ein blofses Beschreiben hinaus; er betont die Verantwortung der Philosophie gegenuber der Nichtphilosophie. Die Phanornenologen im hegelschen Sinne hingegen geben sich weitestgehend unbeteiligt - wenngleich es offenkundig sein sollte, daB sie selbst der von ihnen beschriebenen Bewegung zugehoren und ihre Beschreibung insofern nicht folgenlos bleiben kann. Urn an zwei weitere wesentliche Unterschiede zu erinnern: Hegels Philosophie ist keine Transzendentalphilosophie, und die Frage danach, wem das Erscheinende erscheint, kann und soll damit nicht bis in Letzte geklart werden (vgl. Kapitel S), Husserls Philosophie wiederum stoBtan ihre Grenzen, wo sie metaphysische Fragen beruhrt wie die Frage nach einem letzten Absoluten oder nach einer teleologischen Geschichte der Durchsetzung der Vernunft; sie kann hier phanomenologische Anhalte und Hinweise in Anschlag bringen, aber keine letztgultigen Antworten
9
Derrida, Die Schriftund die Differenz, S. 382.
244
SCHLUSS
geben - was auch nicht unbedingt ein Problem fur eine Phanomenologie darstellen mufste, ware da nicht der husserlsche Anspruch auf Letztbegrundung. Husserl untersucht den griechischen Urstiftungssinn und fragt, wie dieser im Laufe der Geschichte miBverstanden bzw. fehlgeleitet wurde ; doch er fragt nicht, ob in diesem Urstiftungssinn moglicherweise schon eine Paradoxie enthalten und somit ein Mifsverstandnis angelegt ist. Husserl zufolge besteht der Urstiftungssinn darin, daB die Philosophie universale Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigung sein will. Wenn Lebenswelt jedoch eine notwendige Unbestimmtheit mit sich fuhrt, die beispielsweise die Naturwissenschaften ubersehen, dann ist im Urstiftungssinn eine Spannung angelegt, der sich die Philosophie immer wieder aussetzen muB . Philosophic gibt es nur im Verhaltnis zur Nichtphilosophie bzw. in der Spannung von Licht und Dunkelheit. Die Philosophie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Dunkelheit aufzuhellen; wie erfolgreich sic dabei ist, hangt nicht zulctzt auch davon ab, inwiewcit sie im Auge behalt, daB es keine vollstandige Durchsichtigkcit gibt. In der Phanomenologie geht es urn das Erscheinen-und jcgliches Erscheinen setzt einen Abstand voraus, eine Differenz. Das philosophische BewuBtsein erscheint dem naturlichen BewuBtsein, und umgekehrt. Es ist nicht verwunderlich, daB gerade in der Phanomenologie (sei es die Phanomenologie Hegels, Husserls, oder eine andere) die Frage nach dem Verhaltnis von naturlichem und philosophischem BewuBtsein im Mittelpunkt steht; denn wenn Philosophie als Phanomenologie eine Lehrc vom Erscheinen ist, dann muB die Philosophie in einer Differenz zur Nichtphilosophie stehen, damit sie erscheinen und dam it ihr etwas erscheinen kann. Gleichzeitig deutet sich hier bereits die entscheidende Schwierigkeit an: Das Erschcinen kann nicht vollstandig sein. Das philosophische BewuBtsein kann dem naturlichen nicht ganzlich erscheinen; denn sonst bliebe dem naturlichen BewuBtsein keine Natiirlichkeit bestehen, sondern es ware schon ganz philoso phisches BewuBtsein. Das naturliche BewuBtsein kann aber auch-und dies ist vielleicht iiberraschender-dem philosophischen nicht vollstandig erschcinen; es bleibt immer ein Rest, der sich nicht in die Philosophie aufheben liiBt. Ware dem nicht so, dann gabe es wiederum keincn Unterschied. Weder Hegel noch Husserl widmen der Verborgenheit im Erscheinen hinreichende Aufmerksamkeit. Insofern teilen sie gewissermaBen die gleichc Blindheit gegenuber einer wesensmafsigen Verborgcnheit in der Philosophic. Husserl nahert sich dieser Verborgenheit in seinen Betrachtungen der Lebenswelt weiter an als Hegel dies tut. Doch auch Husserl geht den Schritt nicht , den Heidegger dann unternimmt, namlich die Frage nach dem Nichterschcinenden im Erscheinen zu stellen." 10
Vgl. Sein undZeit, Paragraph 7, S. 35: » Was ist es, was in einem ausgezeichneten Sinne .Phanomen ( genannt werden muB? (... ) Offenbar solches, was sich zun achst und zumei st gerade nicht zeigt, was gegeniiber dem, was sich zun achst und zumeist zeigt, verborgen ist, aber zugleich etwas ist,
YOM NATURLICHEM UND PHILOSOPHISCHEM BEWUSSTSEIN
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Es hat sich gezeigt, daB die Frage nach dem Anfang eigentlich die Frage nach der Geschichte ist. Der Anfang steht nicht wirklich am Anfang der Geschichte, sondern in der Geschichte. Der Geschichte kommt das merkwiirdige Wesen zu, soIche Anfange zu errnoglichen bzw. Diskontinuitaten in der Kontinuitat zu erlauben. Philosophie hat einmal angefangen, so daf wir wieder mit ihr anfangen konnen. Oder, urn eine paradox anmutende Formulierung Heideggers aufzugreifen: Ein wahrer Anfang ist immer einmalig und immer wiederholbar," Was offenkundig geworden sein sollte, das ist, daf die Fragen nach dem Anfang, nach der Geschichte und nach dem Verhaltnis von natiirlichem und philosophischem BewuBtsein wesentliche Fragen der Philosophie darstellen, die in untrennbarem Zusammenhang stehen. Darin kommen die Philosophien Hegels und Husserls iiberein. Beide stellen vielleicht letztlich zu hohe (im Sinne von : nicht einlosbare) Anspriiche in bezug aufVerbindlichkeit, Durchsichtigkeit, Vollstandigkeit und Letztbegriindbarkeit-aber urn dies zu sehen, muf man damit einen Anfang machen, sich ihren Anspriichen zu stellen. Wenn wir dam it anfangen, zeigt sich auch, daB der Anfang letztlich nicht in unserer Hand liegt, da wir geschichtliche Wesen sind: Wir sind die, die immer schon angefangen haben.
11
was wesenhaft zu dem, was sich zunachst und zumeist zeigt, gehort, so zwar, daB es seinen Sinn und Grund ausmacht.« Vgl. Beitriige zur Philosophie (Vom Ereignis), S. 55.
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mit Eigensehaften, 52-58 Dove, Kenley R., 5Fn, 103(Fn) ff., 204(Fn) f. Dusing, Klaus, 108Fn Einstromen, 61, 78f., 83,132, 236, 241Fn
REGISTER
Einzelnes, Einzelheit, 29, 52 ff., 116, 165ff., 214, 224 Endstiftung, 135Fn, 138, 144, 159, 238 Entwicklung, 9, 75, 111-118, 122 f., 140, 165, 204 f., 217ff., 226 f. Epoche, 12, 87, 89-101, 105 f., 109 f., 126-29, 134, 138, 145, 161,172f., 176, 193,237 Erbe, 11, 125, 133,150, 159, 215f., 236 Erdboden, 80, 141 Ewigkeit, 219ff. Fink, Eugen, 4Fn, 29(Fn) ff., 57, 62Fn, 65Fn, 67Fn, 69Fn, 114Fn, 138, 143ff., 148, 185, 242Fn Flay, Joseph c, 65Fn, 69Fn Fulda, Hans Friedrich, 6Fn, 7, 109Fn, 170Fn Fundieren, 26 f., 30, 32, 38 f., 50, 79
sinnliche Gewifiheit, 26-33, 36, 39, 52-55, 64, 101, 108, 114,119, 165, 170 f., 204, 210 ff., 221 Gott, 43, 92, 116,163, 170, 172f., 176, 187f., 197,200, 215, 219 f., 224 Habitualisierung, 10, 97, 124, 181,183, 199-202,209, 214ff. Harris, H.S., 63Fn, 65Fn, 103Fn, 164Fn, 21O(Fn) f., 213Fn, 221Fn Heidegger, Martin, 2 ff., 7 f., 17Fn, 25Fn, 30Fn, 39, 50 f., 54Fn, 65Fn, 77Fn, 80Fn, 101Fn, 103Fn, 133Fn, 139Fn, 188Fn, 189, 197Fn, 222Fn, 228Fn, 238Fn, 242, 244f. Held, Klaus, 35Fn, 43, 49Fn, 72Fn, 81Fn, 93Fn, 96Fn, 127Fn, 141Fn, 142(Fn) ff., 175-79Fn, 180, 231Fn, 235(Fn) f.
Gadamer, Hans-Georg, 69Fn
Herr-Knecht-Dialektik, 4, 104, 115 f.,
Galilei, 76 f. Gegenwart, 43, 159f., 176-80, 217-22, 225,228,233 Geist, 6 ff., 102, 104, 111-14, 116-19,
118,135, 178, 239 Hochkeppel, Christiane, 168Fn Holenstein, Elmar, 35Fn Horizont, 10, 41 f., 47 f., 50 f., 57, 76-82, 90, 92, 123, 140 f., 160, 173, 176, 188, 224 f., 232 f., 239 ff. Innen- und Aufienhorizont, 48, 77,
135f., 149-53, 159-64, 166-73, 183, 187 f., 203, 207, 210 ff., 218-23, 237 Geometrie, 76 Geschichte, 3, 9, 12f., 32, 111 ff., 118 f., 123, 125, 129-36, 140, 144, 150 f., 153,159 f., 17If., 182f., 188, 205,215-27, zjo f., 233, 236-41, 243ff. Geschichtlichkeit, 8 f., 13,108, 112, 121, 133Fn, 134f., 140, 151, 216, 236, 239, 241 Gesellschaft, 12, 169, 181,184, 207 Gewissen, 3, 164 ff., 198, 202, 204, 210-16 GewiBheit, 7, 27, 64, 91f., 101, 116, 164 f., 169, 222
24° Hyppolite, Jean, 69Fn, 103Fn, 170 f., 170Fn Ich, 22, 31f., 38, 43, 51, 83, 97, 100, 104 f., 114,124 f., 134, 141, 148, 165f., 169, 179, 212f. transzendentales Ich, 173-80, 184-87,234 Idealismus, 12, 83, 106, 174, 186 f., 191 transzendentaler, 186, 191ff. absoluter, 185,191, 204 f. Idee, 46 f., 56, 58, 74 f., 82, 113, 132,141, 169, 191f., 195, 224, 227, 231f.
257
REGISTER
Intentionalitat, 33f., 175 f., 186,188 f., 228f. Intersubjektivitat, 4f., 11, 36, 41, 51, 104, 122 f., 126, 128, 132, 135, 138, 141 f., ISS, 172 f., 178-83, 185-88, 204,229-31
Janssen, Paul, 226Fn, 228Fn Kaizo-Aufsatze, 195-203 Kant, Immanuel, 2Fn, 30 f., 65, 67, 103,112Fn, 114Fn, 148Fn, 174, 196, 201 ff., 207-11, 215 f., 231Fn, 237 Kern, Iso, 73Fn, 120,121(Fn)f., 127(Fn) f., 174Fn Kohler, Dietmar, 222Fn Kojeve, Alexandre, 104Fn konkret, 11, 108,112, 118, 139, 150, 184f., 188,211, 240 Krise, 62, 70 ff., 82, 111, 127, 131 ff., 138, 144f., 152ff., 159 f., 194, 203, 206, 215, 225, 227 Kroner, Richard , 103Fn Kuster, Friederike , 99Fn Ladriere, Jean, 5Fn, 231Fn Landgrebe, Ludwig, 5Fn, 55Fn, 92, 223 f. Lebenswelt, 61, 63,71-75, 78-83, 120f., 127-34, 141, 183, 188, 226 f., 236,242, 244 Ontologie der, 72, 79, 120f., 127, 130, 141 Vergessenheit der, 71, 81f., 131 f. Levinas, Emmanuel, 2, 39, 196, 228f., 232Fn Lowith, Karl, 112Fn Logos, 192,196, 198, 213, 230f. Luft, Sebastian , 171Fn, 194Fn
Marx , Werner, 102Fn,104(Fn ) f., 169Fn
Maurer, Reinhart K., 151Fn Merleau-Ponty, Maurice, 2, 4, 49Fn, 161, 189,235, 242 Methode, 4f., 18,61,160, 189,191-94, 204f., 229, 243 Miller, Mitchell H., 219Fn Monade, 10f., 125, 135, 171Fn, 180, 184-87 Monolog, 37, 214 Moralitat, 164,169, 204, 206-11 Motivation, 88, 91, 110, 128, 133, 13639,142 f., 145 f., 154, 206, 237, 241 Naturwissenschaften, 8, 11, 61-65, 69, 71,73f., 77f., 80-83, 240, 244 Negation, 34f., 66, 91,106-10, 113, 115, 119, 149, 204, 220
Noema.aaf noematischer Sinn, 45 noematischer Kern , 45 normativ, 191 f., 202f., 205, 216 f., 233 Norm, 192,198-202, 215 f. Ontologie
ontologischer Gottesbeweis, 30 ontologischer Weg in die Phiinomenologie, 120-30,
133
derLebenswelt, vgl. Lebenswelt Passivitat, 26 f., 32 f., 35-39, 41ff., 124 und Aktivitat, 26, 33,38, 41, 43, 124 Peperzak, Adriaan, 219Fn Personalitaten hoherer Ordnung, 173, 180,182-87 Phanomenologie, 2, 8 f., 21, 82, 90 f., 96, 161, 168, 170,172, 191, 194, 204, 224,230 f., 240, 243f. generative, 10f., 121, 125, 140,184, 194,199 genetische, 10f., 121-23, 125, 135, 184,193, 199
REGISTER
statische, 10f., 49 f., 66, 121-23, 135, 184,193, 199 Pippin, Robert B., 204Fn Platon, 27, 94Fn, 113Fn, 139, 148, 153, 196, 224, 239 Poggeler, Otto, 6Fn, 222Fn Protention, 35, 43, 48, 123, 176 Religion, 11, 162-64, 200 f., 208, 215 Retention, 35f., 43, 48, 123, 176 Ricoeur, Paul, 5Fn, 8Fn Riedel, Manfred, 114Fn, 117Fn Rockmore, Tom, 5Fn Sartre, Jean-Paul, 2, 4, 228, 234 schone Seele, 164, 213 Schuhmann, Karl, 2Fn, 4Fn SelbstbewuBtsein, 53, 63,70, 83, 100,102,104 f., 112, 114-18, 152, 164f., 166f., 169,171 f., 178, 186, 212f. Sextus Empiricus, 89, 94f., 108Fn Siep, Ludwig, 116Fn, 208Fn, 209 Sinn, 34 f., 45 f., 72, 74, 80, 127, 131 f., 140,144,176,178,193,225 noematischer Sinn, vgl. Noema Sittlichkeit, 169, 181, 204, 206-11, 214f. Skepsis, Skeptizismus, 12, 89f., 93-96, 100ff., 106-10, 134 Soffer, Gail, 227Fn Solipsism us, 172, 188, 214 Spiegelberg, Herbert, 2Fn Sprache, 27ff., 31, 33, 37, 39, 135, 142, 182, 196, 204, 212-15, 230f. Sprung, 11 f., 87f., 93, 98f., 105 f., 110 f., 122,237 Staunen, 137-39,143-47, 154, 217 Steinbock, Anthony J., 5Fn, lO(Fn) f., 13Fn,35Fn, 37Fn, 49Fn, 72Fn, 79Fn, 122Fn, 124(Fn) f., 140(Fn) f., 143Fn,179Fn, 184Fn,198(Fn) f., 203Fn, 205Fn, 206, 231Fn, 241Fn
Stirnmung (Pathos), 138 f., 145, 147 Straker, Elisabeth, 98Fn Subjektivitat, 7,63, 70 f., 81, 97,127 f., 130 ff., 134, 136, 140, 161, 165, 172 f., 180f., 186 ff., 191, 203f., 240 Synthesis, 33ff., 38, 43, 48, 52, 123 f., 140, 176, 180 System, 5-9, 13, 160, 194, 210,218 ff., 223 f., 240-43 Teleologie, 133, 188, 217, 224f., 227f., 233,238 transzendental, 79, 94, 96, 121, 126-32, 134,138,141,145,159,161,172-76, 178-81,185-87,191-93,204,226, 228,243 Trawny, Peter, 220Fn, 223Fn, 232Fn Tugendhat, Ernst, 206Fn unmittelbar, Unmittelbares, 27ff., 39, 108,116,118,151,165 f., 168,170f., 208-11,222 Unruhe, 28, 70, 146,148, 242Fn Urstiftung, 10, 124, 131, 133, 135, 138 ff., 144f., 153, 159 f., 201 f., 215, 225-28, 230, 233, 238, 244, 253 Vergangenheit, 35f., 98, 119, 125, 133 f., 176, 183, 222f., 230, 233, 241 Vernunft, 10, 58, 63f., 113, 124,132, 147, 166,192,195 ff., 201 ff., 206 f., 209f., 215,224, 227f., 230ff., 238, 243 Verstand, 41,52f., 57f., 62-71, 82f., 102,114, 165 Volkrnann-Schluck, Karl-Heinz, 7, 29Fn, 153(Fn) f., 168Fn, 204Fn Waelhens, Alphonse de, 5Fn Wahrheit, 7,18, 21, 24ff., 28f., 31 f., 36, 53-56, 62, 66, 95, 101, 104, 113 f., 134, 139, 170,205, 210, 212, 219, 222, 242
259
REGISTER
Wahrnehmung, 10 ff., 23, 27-59, 62, 64, 67, 74, 81-83, 90 , 98, 102, 119, 123, 161, 165, 172, 182, 198, 229 Waldenfels, Bernhard, 141Fn, 231Fn Welt, 22-23, 37,47, 51, 58, 61-64,66-73, 76-83,90-93,96-99, 104,145,159, 173-76,189,193,2°5,220,231,24° Heimwelt, Fremdwelt, 140-44, 183, 187,203, 225, 231, 233, 240 verkehrte Welt, 62, 68 f., 83 Weltvernichtung, 92, 97, 109 f., 128-30, 133-36, 174 Welton, Donn, 81Fn, 122Fn, 195Fn, 200Fn Westphal, Kenneth R., 52Fn, 205
Westphal, Merold, 30Fn, 57Fn Wissenschaft, Philosophie als, 6-9, 17f., 28, 91, 93, 96, 99, 107 ff., 131, 145, 148, 169 ff., 173, 243f. Yamaguchi, Ichiro, 37Fn Zahavi, Dan, 37Fn , 93Fn, 182Fn, 185 Zeit, 10, 27, 29, 32, 39, 76, III f., 118 f., 123,166, 170 ff., 178, 205 f., 218-25, 236f. Zickzack, 99 Zukunft, 217, 222 ff., 228-34, 240 f. Zweifel , 91 f., 128
Phaenomenologica
I.
2.
3. 4. 5/6. 7. 8. 9.
10. II .
12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.
E. Fink: Sein, Wahrheit, Welt. Vor-Fragen zum Problem des Phanornen-Begriffs. 1958 ISBN 90-247-0234-8 H.L. van Breda and 1. Taminiaux (eds.): Husserl et la pensee moderne / Husserl und das Denken der Neuzeit. Actes du deuxieme Colloque International de Phenomenologie / Akten des zweiten Internationalen Phanomenologischen Kolloquiums (Krefeld, 1.-3. Nov. 1956). 1959 ISBN 90-247-0235-8 ISBN 90-247-0236-4 J.-C. Piguet: De l 'esthetique ala metaphy sique. 1959 E. Husserl: 1850-1959. Recueil commernoratif publie 11 l'occasion du centenaire de la naissance du philosophe. 1959 ISBN 90-247-0237-2 H. Spiegelberg: The Phenomenological Movement. A Historical Introduction. 3rd revised ed. with the collaboration of Karl Schuhmann. 1982 ISBN Hb: 90-247-2577-1; Pb: 90-247-2535-6 A. Roth: Edmund Husser/s ethische Untersuchungen. Dargestellt anhand seiner Vorlesungsmanuskripte. 1960 ISBN 90-247-0241-0 E. Levinas: Totalite et infini. Essai sur I' exteriorite, 4th ed., 4th printing 1984 ISBN Hb: 90-247-5105-5; Pb: 90-247-2971-8 ISBN 90-247-0243-7 A. de Waelhens: Laphilosophie et les experiences naturelles. 1961 L. Eley: Die Krise des Apriori in der transzendentalen Phiinomenologie Edmund Husserls. 1962 ISBN 90-247-0244-5 A. Schutz: Collected Papers, 1. The Problem of Social Reality. Edited and introduced by M. Natanson. 1962; 5th printing: 1982 ISBN Hb: 90-247-5089-X; Pb: 90-247-3046-5 Collected Papers, II see below under Volume 15 Collected Papers, III see below under Volume 22 Collected Papers, IV see below under Volume 136 1.M. Broekman: Phiinomenologie und Egologie. Faktisches und transzendentales Ego bei Edmund Husser!. 1963 ISBN 90-247-0245-3 W.J. Richardson: Heidegger. Through Phenomenolo gy to Thought. Preface by Martin Heidegger. 1963; 3rd printing: 1974 ISBN 90-247-02461-1 J.N. Mohanty: EdmuruJHusser/ 's Theory of Meaning . 1964; reprint: 1969 ISBN 90-247-0247-X A. Schutz: Collected Papers, 1I. Studies in Social Theory. Edited and introduced by A. Brodersen. 1964; reprint: 1977 ISBN 90-247-0248-8 1. Kern: Husserl und Kant. Eine Untersuchung iiber Husserls Verhaltnis zu Kant und zum Neukantianismus. 1964; reprint: 1984 ISBN 90-247-0249-6 R.M. Zaner: The Problem of Embodiment . Some Contributions to a Phenomenology of the Body. 1964; reprint: 1971 ISBN 90-247-5093-8 R. Sokolowski: The Formation of Husserl' s Concept of Constitution. 1964; reprint: 1970 ISBN 90-247-5086-5 U. Claesges: Edmund Husserls Theorie der Raumkonstitution. 1964 ISBN 90-247-0251-8 M. Dufrenne: Jalons. 1966 ISBN 90-247-0252-6 E. Fink: Studien zur Phiinomenologie, 1930-1939. 1966 ISBN 90-247-0253-4 A. Schutz: Collected Papers, 111. Studies in Phenomenological Philosophy. Edited by 1. Schutz. With an introduction by Aaron Gurwitsch. 1966; reprint: 1975 ISBN 90-247-5090-3 K. Held: Lebendige Gegenwart. Die Frage nach der Seinsweise des transzendentalen Ich bei Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik. 1966 ISBN 90-247-0254-2 O. Laffoucriere: Le destin de la pensee et 'La Mort de Dieu ' selon Heidegger: 1968 ISBN 90-247-0255-0 E. Husserl: Briefe an Roman lngarden. Mit Erlauterungen und Erinnerungen an Husser!. Hrsg. von R.Ingarden. 1968 ISBN Hb: 90-247-0257-7; Pb: 90-247-0256-9 R. Boehm: Vom Gesichtspunkt der Phiinomenologie (I) . Husserl-Studien. 1968 ISBN Hb: 90-247-0259-3; Pb: 90-247-0258-5 For Band 1I see below under Volume 83
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