OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
AM TOR DER JNEUE...
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OTTO ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
AM TOR DER JNEUEN WELT unter diesem Titel erscheint Anlang 1953 der Doppelband 25/26 der neuartigen Weltgeschichte. Der Doppelband behandelt das 15. Jahrhundert n.Ch.
Die Menschen beginnen die Welt mit neuen Augen zu sehen. Das geographische und wissenschaftliche Bild der Erde dehnt sich über die engen Grenzen des alten Universums: Columbus entdeckt Amerika, Vasco da Gama findet den Seeweg nach Indien. Der Geist bricht über die Schranken trommer Bindung in unabsehbare Räume. Die Buchdruckerkunst gibt jedem neuen, revolutionären Gedanken, jeder Entdeckung weltweites Echo. Donnernd springt das Tor zu einer größeren Welt auf, die Neuzeit hebt an.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgesdiiossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dam Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU MÜNCHEN
K L E I N E B I B L I O T H E K DES WISSEN S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
A l f r e d
Die
E d m u n d
HEFTE
B r e h m
Karawane Durch das Sandmeer der nubischen Wüste
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU / MÜNCHEN
Aufbruch der Karawane
Scheich el Djemali Am Saum der Wüste, unter einer dichten Palmengruppe, steht ein kleines Zelt. Ringsum liegen in bunter Reihe, wallartig geordnet, Kisten und Ballen. Weiter nach außen stehen, hocken und sitzen festlich gekleidete, d. h. frisch mit Hautsalbe eingefettete, nubische Männer. Wir sind auf einem Nilboot bis hierher gelangt und beabsichtigen, den weiten Bogen des von nun an klippen- und stromschnellenreichen Stromes abzuschneiden und die von ihm umschlossene Wüste kennenzulernen. Es ist um die Mittagszeit. Die Sonne steht fast senkrecht über dem Zelt am wolkenlosen, tiefblauen Himmel; ihre sengenden Strahlen werden durch die sperrigen Wedel der Dattelpalmen kaum gehindert. Drückende Glut liegt auf der Ebene zwischen Strom und Wüste, und die Luftschichten über dem erhitzten Boden wogen und flimmern, so daß jedes Bild sich verzerrt und verschleiert.
Ein Reiterzug kommt von der Wüste her, taucht am Rande des Gesichtskreises auf und wendet sich, ohne nach dem landeinwärts liegenden Dorfe einzulenken, geradewegs dem Zelte zu. Dunkelbraune, ärmlich gekleidete, in lange und weite, eher graue als weiße Burnusse gehüllte Männer steigen unter den Palmen von ihren mageren, jedoch nicht unedlen Pferden. Einer von ihnen nähert sich dem Zelt und tritt mit der Würde eines Königs ein. Es ist das Oberhaupt der Kameltreiber, der Scheich el Djemali, dem wir Botschaft gesandt, um uns durch seine Hilfe mit den erforderlichen Führern, Treibern und Kamelen zu versehen. „Heil mit euch", sagt er beim Eintreten und legt grüßend seine Hand auf Mund, Stirn und Herz. „Mit dir, o Scheich, Heil, die Gnade Gottes und sein Segen!" ist unsere Antwort. „Groß war mein Sehnen, euch zu sehen, o Fremdlinge, und eure Wünsche zu vernehmen", versichert er, nachdem er sich auf dem Polster neben uns, und zwar zu unserer Rechten, auf dem Ehrenplatz niedergelassen hat. „Möge Gott, der Erhabene, dein Sehnen vergelten, o Scheich, und dich segnen", erwidern wir und befehlen unseren Dienern, ihm, früher als uns selbst, frisch angezündete Pfeifen und Kaffee zu reichen. Halbgeschlossenen Auges labt er sich durch Kaffee und Pfeife; in dichte Wolken hüllt er sein ausdrucksvolles Haupt. Fast lautlose Stille herrscht im Zelt, das der Wohlgeruch des köstlichen Djebilitabaks durchduftet und der Rauch durchzieht, bis wir endlich glauben, die beabsichtigten Verhandlungen beginnen zu dürfen, ohne uns der Unhöflichkeit schuldig zu machen. „Wie ist dein Befinden, o Scheich?" „Der Spender alles Guten sei gepriesen! — wohl, dir zu dienen. Und wie steht es um dein Wohlsein?" „Dem Herrn der Welt sei Ruhm und Ehre; ich befinde mich ganz wohl. Groß war unser Sehnen, dich zu sehen, o Scheich!" „Möge Gott, der Erbarmende, euer Sehnen vergelten und euch segnen! Ist euer Wohlbefinden zufriedenstellend?" „Allah und sein Prophet, Gottes Gnade über ihn, seien gepriesen!" „Amen,* es sei, wie du gesagt hast!" Neue Pfeifen werden gereicht; neue, fast endlose Höflichkeitsbezeugungen werden ausgetauscht; dann endlich gestattet der Brauch, geschäftliche Angelegenheiten zu behandeln. 3
„0 Scheich, ich will mit des Allerharmenden Hilfe diese Wüstenstrecke durchreisen." „Möge Allah dir Geleit geben!" „Bist du im Besitz von Trabern und Lastkamelen?" „Ich bin's! Befindest du dich wohl, mein Bruder?" „Der Erhabene sei gelobt: es ist so. Wie viele Kamele kannst du mir stellen?" Anstatt einer Antwort entquellen nur zahllose Rauchwolken dem Munde ides Scheichs, und erst als 'wir unsere Bitte .wiederholt haben, legt der Mann für einige Augenblicke die Pfeife zur Seite und spricht würdevoll: „Herr, die Anzahl der Kamele der Beni Said kennt nur Allah; ein Sohn Adams hat sie noch nie gezählt!" „Nun wobl, so sende mir fünfiindizwianzig Tiere, darunter sechs Traber. Außerdem brauche ich zehn große Schläuche." Der Scheich raucht von neuem, ohne zu reden. „Wirst du sie mir senden, die gewünschten Tiere?" wiederholen wir dringlicher. „Ich werde es tun, um dir zu dienen; allein ihre Besitzer fordern hohe Preise." „Und welche?" „Mindestens das Vierfache der üblichen Löhne und Mieten." „Aber Scheich, möge dich Allah, der Erhabene erleuchten! Das sind Forderungen, dir dir niemand bewilligen wird. Preise den Propheten!" „Gott, der Allerhaltende, sei gepriesen und sein Gesandter gesegnet! Du irrst, mein Freund: der Kaufmann, der dort oben lagert, hat mir das Doppelte geboten von dem, was ich verlange; nur meine Freundschaft zu dir ließ mich so geringe Forderung stellen." Vergeblich scheint alles Feilschen, vergeblich jede weitere Verhandlung. Frische Pfeifen werden gebracht und geraucht, neue Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht, Wohl und Befinden gegenseitig auf das genaueste festgestellt, bis endlich die erlernte Sitte der angeborenen weicht und wir die Geduld verlieren. „So wisse, Scheich, daß ich im Besitze von Geleitbriefen des Gouverneurs bin; hier sind beide, was forderst du jetzt noch?" „Aber Herr, wenn du einen Geleitbrief seiner hohen Herrlichkeit besitzest, warum forderst du nicht das Haupt deines Sklaven? Es steht dir zu Diensten, ihm zu Befehl. Deine Wünsche nehme ich auf meine Augen, auf mein Haupt. Du befiehlst! Die Preise der Regierung kennst du. Das Heil Allahs über dich; morgen sende ich dir Männer, Tiere und Schläuche." 4
Aufbruch der Karawane Der Europäer, der glauben wollte, daß mit dieser Verhandlung alle Vorbereitungen zur Wüstenreise beendet seien, würde die -Sitten und Gewohnheiten des Landes völlig verkennen. Nicht am andern Morgen, wie versprochen, erscheinen die gemieteten Treiber und Tiere; erst in den Nachmittagsstunden finden sie sich allmählich ein, und nicht am nächsten Morgen, sondern frühestens um -die Zeit des NachmittagSigeibetes des folgenden Tages kann an den Aufbruch gedacht werden. „Bukra inschallah — morgen, so Gott will!" ist die Losung, und sie widersteht jedem Machtgebot. Zum Glück gibt es noch viel zu tun, vieles zu regeln, vieles zu ordnen, manches instandzusetzen, bevor die Reise angetreten werden kann. Um das Zelt entwickelt sich ein buntes, lebendiges Bild. Zwischen Gepäckstücken bewegt sich die Schar der ausgedörrten Söhne der Wüste. Die Gepäckstücke werden auseinandergezerrt, einzeln aufge-
Letzte Mahlzeit vor dem Wüstenritt
hoben, gewogen, auf Gewicht und Umfang geprüft, mit anderen verglichen, auserwählt und verworfen, zusammengeschleppt und wieder getrennt. Jeder Treiber versucht den anderen zu überlisten, jeder für seine Tiere die leichteste Ladung zu gewinnen; alle lärmen und toben, schreien und schelten, schwören und fluchen, bitten und verwünschen. In Erwartung des Kommenden helfen gewöhnlich auch die Kamele getreulich mit, den Lärm zu verstärken; und wenn sie wirklich, statt zu brüllen, zu stöhnen, zu brummen, zu klagen, einmal schweigen sollten, so bedeutet das nur so viel: unsere Zeit ist noch nicht gekommen, aber sie kommt! Gleichviel, ob mit, ob ohne Kamelbegleitung: das Ohr wird gemartert, förmlich zerrissen durch alle die verschiedenen Stimmen, die sich gleichzeitig aufdrängen. Lange Stunden nacheinander währt das Gewimmel, Gewirr und Getöse; es wird gezankt und gestritten; dann erst ist das Vorspiel zu Ende. Nach dem Friedensschluß beginnt man, mitgebrachte Bastfasern zu Stricken und Seilen zu drehen; hierauf werden in geschickter Weise Kisten und Ballen umschnürt und Ösen gebildet, um je zwei Gepäckstücke auf dem Sattel des Tieres ebenso rasch verbinden wie lösen zu können. Man bessert eiligst noch die mitgebrachten Tragnetze notdürftig aus und wendet sich dann einer genauen Prüfung der verschiedenen großen und kleinen Schläuche zu, um auch an ihnen noch zu arbeiten und zu flicken und sie endlich mit Teer einzuschmieren. Schließlich unterzieht man das an der Sonne getrocknete Fleisch einer nochmaligen Besichtigung, füllt einige Bastsäcke mit Kaffernhirse oder Durra, andere mit Holzkohlen, einige auch wohl mit dem gesammelten Kamelmist, spült die Schläuche oberflächlich aus, füllt sie mit frischem Wasser und beschließt die langwierige Arbeit mit einem allseitig wiederholten, aus tiefster Brust hervorgestoßenen „El hamdu lillahi" — Gott sei Dank. All dieseVorbereitungen hat der Chahir oder Führer der Karawane zu leiten. Je nach ihrer Bedeutung nimmt er eine mehr oder minder hohe Stellung ein; unter allen Umständen aber muß er ein „Kundiger" sein — wie sein Titel besagt — kundig des Weges und der Verhältnisse. Erprobte Erfahrung, Redlichkeit, Klugheit, Mut und Tapferkeit sind Voraussetzungen für sein schwieriges, nicht selten gefährliches Amt. Er kennt die Wüste wie der Schiffer das Meer, kennt die Gestirne, ist in jeder Oase, an jedem Brunnen der Reisestrecke daheim, in dem Zelt jedes Beduinen- oder Wanderhirtenhäuptlings willkommen; er versteht allerlei Mittel gegen Beschwerden und Gefahren anzugeben, vermag Schlangenbisse und Skorpionenstiche unschädlich zu machen oder wenigstens die Schmerzen zu lin6
dern, führt
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und eilen hinter dem Führer einher. Unser Reitkamel, ein schlankes, ] leichtgebautes, hochbeiniges Tier, fällt augenblicklich in jenen gleichmäßigen, anhaltenden, weitiausgreifenden und daher ungemein fördernden Trab, der ihm von frühester Jugend an beigebracht wurde und es hoch über alle Lastkamele erhebt, und (heftet sich an die Sohlen seines Vorgängers. Die Tiere «trecken ihre kleinen Köpfe weit vor; leicht werfen sie die langen Beine unter sich hin; und hinter ihnen stieben Sand und kleine Steine durch die Luft. Die Burnusse der Reiter flattern im Wind; Waffen und Geräte klingen gegeneinander; anspornende Zurufe wenden laut; die Reiselust ist geweckt. Bald ist die vorausgezogene Lastkarawane überholt, bald jede Spur der letzten menschlichen Ansiedlung verschwunden; nach allen Seiten erstreckt sich endlos die Wüste.
El Bahhr bela maa — das Meer ohne Wasser Ringsum scharf begrenzt, bedeckt sie, ein ungeheures eigenartiges Reich, den größten Teil Nordafrikas vom Roten bis zum Atlantischen Meer, vom Mittelmeer bis zur mittelafrikanischen Steppe; sie faßt ganze Länder in sich, umschließt fruchtbare Landstriche, tausendfältig abwechselnd und im wesentlichen doch immer und überall sich gleichend. Neun- bis zehnmal überbietet dieses Wunderreich an Flächeninhalt Gesamtdeutschland, drei- bis viermal das Mittelländische Meer. Kein iSterblicher hat es bisher von West bis Ost oder von Ost bis West durchwandert; aber jeder Erdgeborene, der es betrat und auf Strecken hindurchzog, ist im innersten Herzen ergriffen worden von seiner Größe und Erhabenheit, seinem Zauber, seinen Schrecken; jeder, auch der nüchternste Europäer, der in ihm weilte, hat die strahlende Sonnenglut und sengende Hitze seiner Tage, den himmlischen Frieden und die märchenhaften Traumbilder seiner Nächte, die Gaukelei seiner glutzitternden Luft, die Fruchtbarkeit seiner bergelbewegenden Stürme der Seele unauslöschlich eingeprägt und manch einem mag es ergangen sein, wie es den in ihm geborenen Menschen ergeht: daß er sich später nach der Wüste zurücksehnt, nur einmal noch einen Tag, eine Stunde in ihr atmen möchte — daß er Heimweh fühlt nach der Wüste. Sie ist wirklich und wahrhaftig „El Bahhr heia maa" — das Meer ohne Wasser, und sie ist arm, unendlich arm; tot aber ist sie nicht, mindestens nicht für diejenigen, die das Leben in ihr aufzusuchen und aufzufinden wissen. Wer nicht zu beobachten versteht, sieht frei-
lieh nichts anderes, als Sandebenen und Felskegel, kahle Niederungen und nackte Gebirge, übersieht vielleicht sogar die spärlich hervorsprossenden schilfartigen Gräser und die strauchartigen Bäume der tieferen Einsenkungen, übersieht ebenso die wenigen lebenden Wesen, die sich hier wie dort befinden; wer aber seihen will, erschaut unendlich mehr. Arm, nicht aber tot ist die Wüste. Schon ihre Bodenverhältnisse wechseln. Auf weite Strecken bin ist die Wüste ein Felsenmeer mit absonderlich gestalteten Kegeln, jäh abstürzenden Wänden und tief eingerissenen Schluchten, scharf gekanteten Graten und wunderlich getürmten Kuppen, die der stetig wehende Wind bald mit Sand überdeckt, bald ausfüllt, bald wieder leert, immer aber bearbeitet, schleift, aushöhlt, schärft und zuspitzt. Schwarze, in der Sonne glühende Sandstein-, Granit- oder Syenitmassen, seltener Kalke und Schiefer, hier und da auch vulkanische Gebilde, bauen sich zu ausdrucksvoll gezeichneten Höhenzügen auf; von der einen Seite her entblößt sie der Wind von jeder Decke, treibt aber unausgesetzt feinen Sand über ihre Wände hinweg, hüllt sie, wenn er zum Sturm anwächst, mit diesem Sand förmlich in einen Schleier ein und laßt ihn erst dann zur Ruhe kommen, wenn er ihn über die höchsten Gipfel hinweggetrieben hat; diann legt er der anderen, vom Winde nicht getroffenen Seite der Gebirge goldgelbe, aus dem reinsten Rollsande bestehende Schichten auf, die meterhoch übereinander liegen, ewig in Bewegung sind, sich fortwährend von oben nach unten schieben, beständig von der einen Seite her ersetzt werden und als breite, von den dunklen Wänden lebhaft abstehende, weithin sichtbare Bänder erscheinen. Derartige Bergzüge dürfen 'mit Recht Kleinodien der Wüste genannt werden; wer die glühende Zone nicht kennt, ist außerstande, den wunderbaren Farbenreichtum, Glanz und Schimmer und den unendlichen Reiz zu begreifen, den das so überreich quellende Sonnenlicht iauf dem ödesten, wildesten Gebirge ins Leben rufen kann. Das Gebirge der Wüste ist niemals mit freundlich grünendem Wald bedacht; höchstens seine äußersten Gipfel gestatten niedrigem Gestrüpp, das von den niederschlagenden Dünsten ernährt wird, ärmliches Wachstum; dem Gebirge fehlt das Flüstern der Buchen, das Rauschen der Kiefern und Fichten, das anheimelnde Murmeln, lustige Schwatzen und hallende Brausen des lebendigen Wassers, das unserem Hochgebirge eigen ist; ihm fehlt die Eis- und Schneedecke, die die Sonne im Früh- und Abendrot mit P u r p u r überhaucht oder um die Mittagszeit in blitzenden Schimmer kleidet; ihm fehlt das saftig frische Grün der Matten, kurz aller Zauber, alle Lieblich9
keit des nordischen Hochgebirges: und dennoch steht es ihm kaum an Farbenpracht und sicherlich nicht an Großartigkeit und Erhabenheit nach. In ihm kommt jede einzelne Schicht, jede eigene Färbung zur Geltung und Wirkung. Und dennoch sind es weniger die oft sehr lebhaft gefärbten, zuweilen grell voneinander abstechenden Schichten, sondern mehr noch die durch den ewig schleifenden Sand geschaffenen, auffallend gestalteten und schwungvoll gezeichneten Kegel, Spitzen, Zacken, Rillen, Risse, Schluchten der Wüstengebirge, auf denen das Himmelslicht das wunderbarste Farbenspiel hervorzaubert. Es ist ein ununterbrochenes Wechseln zwischen Licht und Schatten, ein fortwährendes Entstehen und Vergehen von Farben und Tönen. Auch die Gebirge der Wüste erglühen purpurn im ersten und letzten Sonnenstrahl; auch über sie haucht die Ferne ihren blauen Duft: auch sie leben im Licht. An anderen Orten ist die Wüste auf weite Strecken hin eben oder wellenförmig sanft bewegt. Meilenweit überdeckt sie feinkörniger, goldgelber Sand, in dem Mensth und Tier einige Zentimeter tief einsinken. Hier sieht man oft keinen Grashalm, kein lebendiges Geschöpf. Der blaue, gleichförmige Himmel legt sich wie ein Dach auf diese goldene Fläche und trägt wesentlich dazu bei, solche Stellen dem Meer ähnlich werden zu lassen. Denn auch diese Flächen verwischen bald die eingedrückte Spur des „Schiffes der Wüste"; auch in ihnen gibt es keinen erkennbaren Weg, kein Verkehrszeichen; auch für sie wurde der Kompaß erfunden. Wechselvoller, jedoch nicht angenehmer sind andere Stellen, auf denen lockerer, erdiger oder staubiger Sand den Boden bildet und giftige Koloquintenkürbisse oder heilkräftige Sennah ernährt. Hier wechseln langgestreckte, niedrige Hügel mit flach eingesenkten und schmalen Einbuchtungen ab; ein von fernher frisch erscheinender Pflanzenteppich überzieht sie. Menschen und Tiere meiden solche Strecken, weil der wandelnde Treiber wie das Kamel oft fußtief in das lockere Gefüge der Bodendecke einsinken. Wieder andere Stellen sind mit grobkörnigem Kies und Flintsteinen, einzelne auch wohl mit stark eisenhaltigen, sandgefüllten Hohlkugeln bedeckt, die aussehen, als ob sie von Menschenhand gebildet wären und deren Entstehung mit Sicherheit noch nicht erklärt werden konnte. Zuweilen treten auf solchen Strecken auch Tausende von Quarzkristallen zu Tage, einzeln oder in Drusen vereinigt; sie gleichen von Künstlerhand gefaßten Brillanten. Mit ihnen treibt die Sonne offenbar Zauberei; solche Strecken glänzen, funkeln und blitzen, daß das geblendete Auge sich abwenden muß. In den tiefsten Niederungen endlich bildet staubige Erde den Boden, und 10
Auch dieses Felsgebirge gehört zur Wüste dann bekleiden ihn unfehlbar die riedgrasähnliche, aber sehr harte, trockene, scharfschneidige, schwarzgriine Haifa, schirmförmige Mimosen, vielleicht sogar Tompalmen — freundliche Zeugen des Leben«.
Die Wüste ist nicht tot Von diesem allüberall sich regenden Leben gibt aber auch die Tierwelt Kunde. Wer die Wüste als tote Einöde auffaßt, irrt ebenso wie der, der sie als Heimat des Löwen ansieht. Sie ist zu arm, als daß sie Löwen ernähren könnte, aber reich genug, um Tausenden von anderen Tieren Unterhalt zu gewähren. Und alle in ihr lehenden Tierarten erscheinen im höchsten Grade beachtenswert; denn alle geben sich in jeder Beziehung als ihre treuen Kinder zu erkennen. Mehr noch als durch ihr Pflanzenkleid, das sich stets der herrschenden Bodenfärbung auf das genaueste anpaßt und daher gewöhnlich sandfarben ist, zeichnen sich die Wüstentiere durch leichten und zier11
liehen Leibesbau, auffallend große, zu ungewöhnlicher Scharfe befähigende Augen und Ohren und ebenso anspruchsloses als selbstbewußtes Wesen aus. Unstet und flüchtig zu sein, ist das Los aller in der Wüste geborenen Geschöpfe; denn sie ist zu dürftig an Nahrung: aber die Wüste verlieh den Tieren unvergleichliche Behendigkeit, unermüdliche Ausdauer, nie ermattende Beharrlichkeit, schärfte die Sinne, so daß auch das wenige, was sie zu bieten vermag, erspäht werden kann; sie spendete ihnen ein schützendes, bergendes Kleid, und machte so ihre Geschöpfe geschickt, ein vielleicht kärgliches, keineswegs aber freudloses Leben zu führen. Dank des fast allen Wüstentieren eigenen, mit der Umgebung verschmelzenden, in ihr aufgehenden Kleides gewahrt der Wüstenreisende, der nicht ein geübter Beobachter ist, mindestens im Anfang wenig von der ihn umgebenden Tierwelt. Die Wüste erscheint schon deshalb bei weitem ärmer, als sie ist, weil die meisten in ihr lebenden Tiere erst mit der Dämmerung des Abends ihre Ruhe und Versteckplätze verlassen und zu leben beginnen; einzelne Wüstentiere aber drängen sich dem Auge förmlich auf. Wer die Wüstenlerchen, die überall seinen Pfad kreuzen, nicht beachten will, wird unmöglich die Wüstenhühner übersehen können, und wer achtlos an den in die Erde eingegrabenen Bauen der Springmäuse vorüberreitet, wird doch durch eine unfern des Weges äsende Gazelle auf die Tierwelt hingelenkt. Die Gazelle darf man ein urbildlich gestaltetes Wüstentier nennen. Obwohl durchaus ebenmäßig gebaut, erscheinen doch Kopf und Sinneswerkzeuge fast zu groß und ihre Glieder allzu zart, beinahe gebrechlich. Aber dieser Kopf umfaßt in seiner Schädelhöhle ein Gehirn, das zu einer unter Wiederkäuern ungewöhnlichen Klugheit und geistigen Beweglichkeit befähigt; die Glieder sind wie aus Stahl gebaut, ungemein kräftig und federnd und ermöglichen höchste Beweglichkeit und unermüdliche Ausdauer. Wer die Gazelle nur in der Gefangenschaft, im engen Gehege eines Tierparks gesehen hat, kann nicht beurteilen, wie sie in der Wüste auftritt. Welche Beweglichkeit, Gewandtheit und Geschmeidigkeit, Zierlichkeit und Anmut entfaltet sie hier in ihrer Heimat! Auf ihr sandfarbenes Gewand, wie auf ihre unvergleichliche Schönheit vertrauend, äugt sie mit den klaren Lichtern fest, anscheinend sorglos auf Kamele und Reiter. Ohne sich durch die heranziehende Karawane beunruhigt zu zeigen, äst sie weiter. Von dem blütenbedeckten Mimosenstnauch nimmt sie eine Knospe, einen saftigen Schößling, zwischen der schneidigen Haifa findet sie ein zartes Hälmchen. 12
I Mehr und mehr nähert sich ihr der Reisezug. Sie erhebt den Kopf, lauscht, wittert, äugt wieider, schreitet einige Schritte vor und verfährt wie früher. Da: urplötzlich schnellen die federnden Läufe gegen den Boden, und dahin eilt sie, so rasch, so behend, so gewandt, so anmutig, als sei ihr die fast unerreichbare Bewegung nur Spiel und Scherz. Über die sandige Ebene jagt sie mit der Schnelligkeit des Gedankens, über größere Steine oder Tamariskengelbüsche springt sie mit flugähnlichen Sätzen. Erdfrei scheint sie geworden zu sein: so überraschend schön ist ihr Lauf. Wenige Minuten später ist sie jeder Gefahr entrückt; vergebens .müht sich selbst der beste Traber, ihr nachzukommen; nicht einmal ein Windhund könnte sie einholen. Bald mäßigt sie ihr Tempo; noch einige Augenblicke, und wieder steht und äugt sie. Neckilustig, wie sie ist, läßt sie den jagenden Reiter, der sie ernstlich zu verfolgen beginnt, herankommen, und vorsichtig entzieht sie sich zum zweiten-, drittenmal dem Bereich seiner Waffe, bis sie endlich, erschreckt, aller weiteren Gefahr mühelos entrinnt. Zarter erscheinen Leib und Glieder, mehr und mehr verschwimmen die Umrisse in der Ferne; sie verschwindet auf der sandigen Fläche, und endlich verschmilzt sie gänzlich mit ihr, so daß es aussieht, als habe sie sich aufgelöst wie ein Dufthauch. Auch der Europäer wird nunmehr verstehen, warum die Gazelle in dem Dichterherzen des Morgenländers so köstliche Blüten treibt, warum er das Auge der Geliebten mit dem der Gazelle vergleicht, warum er den Hals der Angebeteten den einer Gazelle nennt, warum der Wüstenbewohner seiner Gattin eine gezähmte Gazelle ins Zelt bringt, damit sie sich an deren schönem Auge labe und ihre Schönheit auf dias erhoffte Pfand der Ehe »vererben möge, warum sogar der fromme Sänger die zierliche Antilope als ein sinnlich wahrnehmbares Bild seiner Sehnsucht nach dem Erhabenen betrachtet. Weniger anmutig treten andere Wüstentiere auf. Zwischen spärlich aufsprossender Haifa läuft ein zahlreiches Heer taubengroßer Vögel trippelnden Schrittes hin und her. Scharrend, mit dem Schnabel arbeitend, picken sie nach Nahrung. Ohne Besorgnis lassen auch sie den Reiter bis auf weniger als hundert Schritte herankommen. Im scharfen Fernrohr kann man jede ihrer Bewegungen und die hervorstechendsten Farben ihres Gefieders erkennen. Mit geducktem Kopf, eingezogenem Hals und fast waagerecht gehaltenem Leibe laufen sie umher, um Sämereien, die wenigen Körner der Wüstengräser, »frisch aufsprossende Rispen und Kerbtiere aufzunehmen. Einige sichern von Zeit zu Zeit mit vorgestrecktem Hals, andere dagegen paddeln sorglos im Sand, putzen und federn sich 13
oder legen sich halb auf den Bauch, halb auf die Seite, um sich zu sonnen. Man kann das alles deutlich sehen, kann sie zählen urid sich vergewissern, daß es mehr als fünfzig sind. Welchen Jäger der Wüste sollten sie nicht zur Jagd verlocken?! Beutesicher setzt der noch unerfahrene Weidmann sein Glas ab, um dafür das Jagdgewehr zur Hand zu nehmen, und langsam reitet er näher an die bunte Schar heran. Da aber verschwinden die Vögel vor seinen Augen. Keiner von ihnen lief oder flog hinweg, und dennoch läßt sich keiner mehr blicken. Es ist, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Auf die Gleichfarbigkeit des Bodens und ihres Gefieders bauend, haben sie sich platt in den Sand gedrückt. Im selben Augenblick sind sie zu Steinen und Sandhäufchen geworden. Der noch ungeübte Jäger reitet an sie heran, ohne sie zu sehen, und schrickt auf, wenn sie sich urplötzlich erheben, laut rufend und polternd auffliegen und brausend dahinstürmen. Gelingt es ihm dennoch, einen der Vögel zu erlegen, so überrascht ihn die ungewöhnliche Färbung und seltsame Zeichnung ihres Gefieders kaum weniger als ihr Gebaren. Die sandfarbene, bald mehr ins Grauliche, bald mehr ins Hellgelbe spielende Färbung der Oberseite wird lebhaft geschmückt durch breite Bänder, schmälere Streifen, zierliche Säume, durch Tüpfel, Flecken, Punkte und Strichelchen, so daß man meinen möchte, ein solches Huhn müsse weithin sichtbar sein; aber alles Farbengemisch ist nichts anderes als die getreueste Wiedergabe der Färbung des Sandes selbst; jede dunkle, jede lichte Stelle, jedes Steineben, jedes Sandkorn scheint sich in diesem Gefieder zu spiegeln. Kein Wunder also, daß die Erde es förmlich in sich aufnimmt, anscheinend sogar die Gestalt des Vogels verwischt und ihn mindestens ebenso sichert, wie seine kraftvolle, unvergleichlich schnelle Schwinge. Auch alle anderen Wüstentiere haben sich den Besonderheiten ihres Lebensraumes angepaßt. In der Wüste lebt ein Luchs, der Karakal; er ist schlanker und hochbeiniger, langohriger und großäugiger als jeder andere, auch nicht gestreift oder gefleckt, sondern bis auf die schwarzen Ohrspitzen, Augenstreifen und Lippenflecke sandfarben, je nach der Gegend, die er bewohnt, heller oder dunk^ ler, rötlicher oder lichter gefärbt. In der Wüste wohnt auch ein Fuchs, der Fenek: er ist der Zwerg der ganzen Hundefamilie, trägt ein blondfarbenes Kleid und besitzt wahrhaft riesige Ohren; die Wüste erzeugt ein kleines Nagetier, die sogenannte Springmaus: sie ist ein Häschen in zwerghafter Känguruhgestalt, mit außerordentlich hohen Beinen, ganz verkümmerten Vorderfüßen und mehr als 14
Wie Meereswogen werfen sich die Dünen auf leibeslangem, zweizeilig behaartem Schwanz, harmloser und gutmütiger, aber auch geschwinder und gewandter als jeder andere INager. Dasselbe Gepräge zeigen die Vögel, die Kriechtiere, selbst die Kerfe, wie wechselvoll auch die Änderungen in Gestalt und Färbung sein mögen. Macht sich in oder neben dem Sandgelb eine andere Färbung geltend, zeigt das Haar-, Feder- oder Schuppenkleid sonst noch Schwarz oder Weiß, Aschgrau oder Braun, Rot, Blau usw., so tritt die Farbe doch immer nur an solchen Stellen auf, die das von oben oder von der Seite her spähende Auge nicht wahrnehmen kann. Türmt sich aber mitten in der Wüste ein Hochgebirge auf, so zeigt sich sein wechselvolles Bild auch in der Tierwelt, die in ihm lebt: auf den grauen Felsen mancher Wüstenstriche klettert der Wüstensteinbock, haust der Klippschliefer, horstet der Geieradler, bevölkert eine nicht unbedeutende Artenzahl von anderen Vögeln Spitzen und Klüfte, Wände und-Täler; von den dunklen Feldstücken niederer Wüsten singt der tiefschwarze Trauerstein15
schmätzer sein ton- und klangreiches Lied herab. So spricht «ich die Einhelligkeit der Wüste in jedem ihrer Teile, jedem ihrer Geschöpfe aus, und »so erhöht sie gerade hierdurch den Eindruck, iden sie auf jeden gedamken-, gefühl- und kraftvollen Menschen vom ersten Taige an ausübt und mit jedem folgenden steigert. Empfänglichkeit verlangt freilich die Wüste von jedem Menschen, der sie erkennen oder bis zu einem gewissen Grade in ihr heimisch werden will. Wer Reiselbeschwerden nicht ertragen kann, wer die Sonne fürchtet, sich vor dem Sand scheut, möge sie meiden. Der Tag in der Wüste ist auch bei reinem Himmel, bei ruhig heiterer Luft, ja selbst beim kühlenden Hauche des 'Nordwindes eine schwere Zeit. Fast plötzlich, beinahe ohne Dämmerung, tritt der Tag seine Herrschaft an. Nur in der Nähe des Meeres oder großer, die Wüste durchströmender Flüsse säumt die Morgenröte den östlichen Himmelsrand mit Purpur ein; inmitten weiter Sandebenen aber tritt mit dem ersten Rot im Osten schon die Sonne hervor. Sie erhebt sich über der Siandebene wie eine Feuerkugel, die nach allen Seiten hin ihre Hülle zu sprengen scheint. Mit ihrem Erscheinen ist die Morgenfrische dahin. Unmittelbar nach ihrem Aufgang sendet sie Glutstrahlen nieder, als ob sie im Mittag stände. Auch der monatelang wehende, oft erquickend frische Wind bringt nicht so viel Kühlung mit sich, daß das eigentümliche Zittern und Wogen der über dem Sand liegenden Luft verschwinden könnte. In Lichtüberfülle flimmern Himmel und Erde; unbeschreibliche Glut strömt von der Sonne aus und prallt vom Sand nach oben (zurück. Jede Stunde steigert Licht und Glut, und gegen beide gibt es kein Ausweichen.
Wasser, Wasser — der einzige Gedanke Die Karawane ist heute mit dem ersten Sonnenstrahl aufgebrochen und zieht lautlos dahin. Weitaus schreiten die Lastkamele, federnden Ganges die Treiber daneben oder 'hinter ihnen her; im vollen Trab eilen die Reitikamele an ihnen vorüber und dem Reisezug voraus; bald verlieren die Reiter den Lastzug aus den Augen. Vorwärts geht es mit ungeminderter Eile. Alle Knochen scheinen unter den Stößen der hastenden Reittiere zu knacken. Sengend brennt die Sonne hernieder, stechend dringt sie durch alle Kleider, so viele auch übereinander getragen werden. Unter der dichten Hülle rieselt der Schweiß über den ganzen Körper, verdunstet, sowie er auf die Haut tritt. Die Zunge klebt am Gaumen. 16
Wasser, Wasser! ist der einzige Gedanke. Aber das Wasser ist, anstatt in eisernen Behältern und Flaschen, in die landesüblichen Schläuche gefüllt; in der vollen Glut auf dem Rücken der Kamele ist es mehr als lauwarm, übelriechend, dick, braun und vom Lederund Teergesebmack, übelschmeckend, ekel- und brecherregend geworden. Solches Wasser wird nicht zur Labung, sondern verursacht nur neue Beschwerden, selbst peinigende Leibschmerzen, macht daher die Begierde nach irgendwelchem Getränk noch brennender. Aber es läßt sich ebensowenig verbessern als ersetzen. Sein durchdringender Geschmack und Geruch spotten aller Versuche, es in Gestalt von Kaffee oder Tee oder mit Wein oder Branntwein vermischt zu genießen; unvermiischter Wein aber würde nur den brennenden Durst und die erdrückende Hitze vermehren. Der Zustand des Reisenden wird qualvoll, noch bevor die Sonne in Mittagshöhe steht, und die Qual nimmt in demselben Maße zu, in dem das Wasser sich verschlechtert. Aber sie muß ertragen werden und wird ertragen. Gegen Mittag wird gerastet. Ist eine Niederung in der Nähe, so findet sich in ihr wohl eine schirmförmige Mimose, deren dünnes Blätterdach spärlichen Schatten bietet; ist ringsum nur die sandige Fläche, so bilden vier in den Siand gestoßene Lanzen und die zwischen ihnen ausgespannte Wolldecke ein dürftiges Schattendach. Der Sand, der zum Lager werden muß, ist glühend heiß, und drückend ist die Luft, die man atmet: Mattigkeit und Schlaffheit bemächtigt sich selbst den Eingeborenen. Man "ersehnt Ruhe, ohne sie zu finden, Erquickung, ohne sie zu genießen. Von dem überquellenden Licht und der flimmernden Luft geblendet, schließt man die Augen; von der sengenden Hitze gequält, von dem brennenden Durst gepeinigt, wälzt man sich schlaflos auf seinem Lager. Der Lastzug schwankt langsam vorüber und entschwindet dem Auge in einem dunstigen Luftsee, auf dessen wogenden Wellenschichten die Kamele zu schweben scheinen. Noch immer verweilt man in derselben Lage, leidet man unter denselben Beschwerden. Die Sonne hat die Mittagshöhe längst überschritten; aber nach wie vor sendet sie ihre glühenden Strahlen mit gleicher Stärke hernieder. Endlich, in den Spätnachmittagsstunden, bricht man von neuem auf. Und wiederum ein schneller Ritt, damit die rasche Bewegung einen beinahe kühlenden Luftzug entgegenführt, bis die Lastkarawane wieder in Sicht kommt und bald darauf erreicht wird. Singend schreiten die Kamelführer hinter ihren Tieren einher. Einer von ihnen trägt das Lied vor, die übrigen schließen jeden einzelnen Vers mit regelmäßig wiederkehrendem Endreim. 17
Leila — die sternhelle Wüstennacht Wenn die Sonne zur Rüste geht, scheinen sich die Glieder dieser ausgedörrten Wüstenkinder neu zu erfrischen; denn auch sie gleichen in allem und jedem ihrer erhabenen Mutter, der Wüste. Mit ihr erglühen sie um die Mittagszeit, mit ihr erglühen sie zur Zeit der Nacht. Sobald die Sonne sich neigt, spinnt ihre Dichtergabe goldene Träume noch im Wachen aus. Der Sänger preist wasserreiche Brunnen, Palmengruppen um sie her und dunkle Zelte unter ihnen; er grüßt ein braunes Mädchen in einem Zelt, rühmt ihre Schönheit, vergleicht ihre Augen mit denen der Gazelle, ihren Mund mit einer Rose. Seine Genossen aber mahnen ihn, noch höhere Sehnsucht zu empfinden und richten deshalb seine Gedanken auf den Propheten, „der unsere Sehnsucht, unser Verlangen stillt". Auf wenige Schritte nur erhellt das kleine Feuer die E,be ne. (jeschäftig bewegen sich in seiner Nähe die halbnackten dunklen Söhne der Wüste. Die Flamme wirft zauberhafte Lichter auf sie, sie werden im Halbdunkel der Nacht zu Schatten. Ballen und Kisten, Sättel und Geräte nehmen wundersame Formen an; die im weiten Kreise lagernden Kamele wandeln sich zu Spukgestalten, wenn ihre Augen im Widerscheine des Feuers düster glühen. Still und stiller wird es im Lager. Einer der Wüstensöhne nach dem andern verläßt die Kamele, mit denen er sein ärmliches Nachtmahl geteilt, hüllt sich in sein langes Leibtuch, sinkt auf den Boden nieder und verschmilzt mit dem Sand. Das Feuerchen flackert noch einmal auf, verliert seinen Schein und erlischt. Es ist wirklich Nacht geworden im Lager. Wer vermöchte sie zu schildern, die Nacht in *ler Wüste! Wer wäre imstande, auch wenn er sie selbst erlebt, durchwacht, durchträumt hat, ihre Schönheit zu beschreiben! Nach des Tages Glut ist sie die milde, vergeltende, versöhnende Spenderin unsagbaren Hochgefühls. „Leila", die sternhelle Nacht der Wüste, ist dem Araber mit Recht der Inbegriff alles Hohen und Herrlichen. Leila nennt er seine Tochter; mit den Worten: „meine sternhelle Nacht" schmeichelt er seiner Geliebten; „Leila, o Leila", fügt er seinen Gedichten als klingenden Endreim bei. Aber welch eine Nacht ist es auch, die hier in der Wüste, nach all des Tages Last und Beschwerde, Sinn und Gemüt umstrickt! In nie geahnter Reinheit und Helle leuchten die Gestirne am 'dunklen Himmelsdom. Mit vollen Zügen atmet der Mensch die reine, frische, kühlende, erquickende Luft; mit Entzücken läßt er sein Auge von einer Sternensonne zur anderen schweifen. Mehr und mehr scheint das Licht der Sterne sich zu ihm 18
herabzusenken; der Geist hält Zwiesprache mit anderen Welten. Kein Laut, kein Geräusch, nicht einmal das Zirpen einer Heuschrecke unterbricht Sinnen und Denken. Die Großartigkeit und Erhabenheit der Wüste wird ihm erst jetzt erkennbar; ihr unsäglicher Frieden zieht in sein Herz. Aber auch Selbstbewußtsein füllt die Brust: hier inmitten der unendlichen Einöde, allein, jeder menschlichen Gemeinschaft und Hilfe entrückt, nur auf sich selbst angewiesen, erstarken Vertrauen, Mut und Hoffnung. Traumbilder voll unendlichen Reizes weben sieb vor 'dem wachen Auge und spinnen sich lebendig und fesselnd weiter fort, auch wenn die Sterne zu flimmern und zu zittern beginnen und die Augen sich schließen. Fortwährend bedroht von dem Mangel am Notwendigsten, ist jede Wüstenreise ein ruheloses Drängen und Vorwärtseilen, entbehrt daher vollständig der Gemächlichkeit, mit der man sonst gern wandern mag. Ein Tag verläuft wie der andere; jede Nacht gleicht, mindestens in der günstigen Jahreszeit, der vorhergegangenen. In der Oase, am Brunnen, wird der Tag erst zum Fest, der Abend zur heiteren Feier, die Nacht zur wirklich erlabenden Ruhezeit.
Ein Tag in der Oase Jede Oase verdankt ihr Entstehen einer becken- oder talarartigen Eintiefung und einem sprudelnden Quell oder einem künstlichen Brunnen; ohne Wasser wäre reicheres Pflanzenleben undenkbar. In den wenigsten Niederungen aber quillt reines, kühles Wasser hervor; die meisten Quellen sind salzig, eisen- oder schwefelhaltig, sehr häufig auch warm und deshalb vielleicht größtenteils heilkräftig, keineswegs aber immer trinkbar oder der Fruchtbarkeit förderlich. Frisches Rasengrün ruft wohl keine einzige hervor. Und nur unter besonders günstigen Umständen tritt das Wasser überhaupt zu Tage; in den meisten Fällen sickert es in Felsenspalten oder in gegrabenen Schächten tropfenweise zusammen und muß oft künstlich gehoben werden. Und auch da, wo es quillt, verrinnt es in der Regel schnell im Sande, wenn der Mensch nicht nachhilft und es sammelt und berechnend verteilt. Gleichwohl ruft es unter Umständen erfrischendes, in solcher Einöde doppelt willkommenes Leben wach. Mimosen und Palmen sind die Charakterbäume aller Oasen, sie fehlen also auch dort nicht, wo viele Quellen und Brunnen vorhanden sind, so daß man Gärten und Felder anlegen konnte. Hier beischränken sie sich gleichsam als Vorposten gegen den andringen19
den Wüstensand auf die äußere Umrandung der Wüsteninseln, während sich im Innern anspruchsvollere, wasserbedürftigere Pflanzen entfalten. In der Nähe der Quellen oder am Brunnen breiten sich oft reizende Gärten aus, in denen man fast alle Fruchtarten Nordafrikas anbaut. Hier klettert die Bebe, glüht die Orange im dunklen Laub, öffnet die Granate ihren rosigen Mund, breitet die Banane ihre Wedelblätter, rankt die Melone sich durch die Gemüsebeete, wachsen .Feigenkaktus und Ölbaum, vielleicht sogar Feigen-, Aprikosen- und Mandelbäume. Weiter entfernt dehnen sich Felder aus, auf denen mindestens Kaffernhirse, günstigenfalls Weizen, ja selbst Beis gebaut wird. In so reichen Oasen hat der Mensch feste Wohnsitze gegründet, wogegen er in den ärmeren Niederungen nur vorübergehender, mehr oder Weniger regelmäßig erscheinender Gast sein darf. Das Dorf oder Städtchen der Oase ähnelt im wesentlichen dem des benachbarten Fruchtlandes: denn es hat seine Moschee, seine Kaufhallen und Kaffeehäuser; die Menschen aber sind Kinder eines anderen Geistes als die Bauern oder Städtebewohner des Nil- oder Küstenlandes. Obwohl meist verschiedenen Stämmen angehörend, haben sie doch die gleiche Sitte und Gewohnheit angenommen. Die Wüste hat sie aus- und umgeprägt. Ihre hagere Gestalt, die scharf geschnittenen Züige, die unter buschigen Brauen liegenden blitzenden Augen lassen sie sofort als Söhne der Wüste erkennen; aber ihre Sitten und Gewohnheiten bezeichnen «ie noch schärfer. Sie sind anspruchslos, streb-, reg- und genügsaim, gastfrei, offen, ehrlich und treu, aber auch selbstbewußt, reizbar und jähzornig, manchmal zu Gewalttaten geneigt, ähnlich den Beduinen. Eine einziehende Karawane ist ihnen eine willkommene Abwechslung,' der Beisende ihrer Ansicht nach aber oft zu Zoll und Abgabe verpflichtet. Von solchen Oasen-Bastorten sind andere, in denen sich nur hie und da ein Brunnen befindet, sehr verschieden. Die arabischen Wanderihirten, die aus ihm schöpfen, sind zufrieden, wenn er ihnen und ihren Herden für einige Monate oder auch nur Wochen notdürftig Trinkwasser gewährt; die hier rastende Karawane darf froh sein, wenn sie ihren Bedarf im Laufe einiger Tage deckt. Gewöhnlich ist der Brunnen ein tiefer Schacht, dessen Wände eher Wasser ausschwitzen, als in rieselnden Adern zur Tiefe senden. Einige Tompalmen erheben ich zwischen den spärlich stehenden Mimosen und Salikariengebüschen im Umkreis des Brunnens; einzelne Grashalme sprossen aus der dürren Erde. Unsagbar arme Menschen sind die Wamderhirten, die hier ihre 20
Oasendorf im kargen Schatten der Palmen
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Zelte aufschlagen, solange ihre schwachen Ziegenherden Nahrung finden; ihr Kampf ums Dasein ist nichts anderes als eine einzige Kette von Mühsal, Entbehrung und Not. Ein langes dunkles Tuch aus Ziegenwolle, in seiner Mitte über ein einfaches Gerüst gelegt, mit seinen beiden Enden an den Boden gepflockt, hinten durch ein Stück aus demselben Zeug, vorn durch eine Matte aus Palmenblättern geschlossen, bildet ihr Zelt, die Brautgabe der Frau, an der sie vom achten bis zum sechzehnten Jahr sammelte, spann und webte; aus einigen Matten, die als Lagerstätten dienen, einer Granitplatte und dazugehörigem Reibstein zum Zerkleinern des eingetauschten Getreides, einer flachen To'nplatte zum Rösten der Fladen, zwei bauchigen Töpfen, einigen Ledersäcken und Schläuchen, einer Axt und mehreren Lanzen besteht der ganze Hausrat; eine Herde von zwanzig Ziegen gilt als reicher Besitz der Familie. Aber diese Leute sind ebenso brav als arm, ebenso liebenswürdig als wohlgestaltet, ebenso gutmütig als schön, ebenso freigebig als anspruchslos, ebenso gastfrei als ehrlich, ebenso sittenrein als gläubig. Uralte Bilder tauchen auf vor der Seele des Europäers, der zum erstenmal mit ihnen zusammentrifft; biblische Gestalten treten ihm lebend gegenüber und reden mit ihm in der ihm von der Kindheit her vertrauten Sprachweise. Tausende von Jahren sind über diese Wanderhirten der Wüste hinweggegangen wie ein einziger Tag; heute noch denken, reden und handeln sie, wie die biblischen Erzurväter dachten, redeten und handelten. Derselbe Gruß,den Abraham entbot, klingt von ihren Lippen dem Fremden entgegen; dieselben Worte, die Rebekka zum Knecht des Erzvaters sprach, hörten wir, als wir durstgepeinigt am Brunnen der Bahiuda von den Kamelen sprangen und zu trinken begehrten. Da stand sie vor mir, die vor Jahrtausenden gewesene Rebekka, leibhaftig, lebend und in unverwelklicher Jugend, eine andere als jene, von der die Bibel erzählt, und doch dieselbe. Beim Eintreffen einer Karawane versammelt sich die ganze Bewohnerschaft der Siedlung. Der Älteste tritt aus ihrer Mitte vor und spricht den Gruß des Friedens; alle übrigen heißen die Fremdlinge willkommen. Dann bietet man das Köstlichste, was in dieser Stunde begehrt werden kann: frische« Wasser; bietet alles, was man besitzt, und bietet es mit würdevoller Freundlichkeit. Gierig schlürfen die Reisenden in langen Zügen das erquickende Naß; ungestüm -drängen sich auch die Kamele zur Tränkstelle, obwohl sie aus Erfahrung wissen könnten, daß sie erst entlastet, gefesselt und auf die Weide gesandt zu werden pflegen, bevor man ihnen gestattet, nach 22
vier- bis sechstägiger Entsagung wieder einmal den Durst zu löschen. Man gibt ihnen auch am Brunnen keinen überflüssigen Tropfen, gibt ihnen daher zunächst das etwa vorhandene Schlauchwasser zum besten und tränkt sie erst, nachdem man alle Schläuche wieder gefüllt hat, mit Rücksicht auf den vorhandenen Wasservorrat. Nur an reichlich wasserhaltigen Brunnen stillt man ihren maßlos scheinenden Durst, und sieht dann nicht ohne Heiterkeit, wie sie schlürfen, ohne einmal dabei aufzusehen, und dann mit absonderlichen, unschönen, durch ihre Fesseln bedingten Sätzen der nicht minder ersehnten Weide zueilen, um ihrem nun wie eine halbvolle Tonne polternden Magen auch Speise zuzuführen. F ü r Reisende und Lagerbewohner aber bricht ein wahrer Festtag an. Die Fremden haben frisches Wasser, vielleicht sogar Milch und Fleisch; die Oasenbewohner aber begrüßen die Unterbrechung ihres in guten Tagen gleichmäßig sich abspinnenden Lebens. Einer der Kamelführer hat im nächsten Zelt das beliebteste Instrument der Wüstenbewohner, die Tambura oder fünfsaitige Zither, aufgefunden und versteht es meisterhaft, seinen einfachen Gesang zu begleiten. Der Klang lockt die Töchter des Lagers herbei, und schlanke, schöne Frauen und Mädchen drängen sich fragend um die fremden Männer, heften ihre dunklen Augen auf sie und ihre Habseligkeiten, erkundigen sich ungeziert nach diesem und jenem. Und nunmehr will alles zu Klang und Dichtung werden. Um den Zitherspieler ordnen sich Gruppen zum Tanz, und derbe und weiche Hände begleiten taktschlagend Zithertöne, Lieder und den ebenmäßig wogenden Tanz. Neue Gestalten kommen, bekannt gewordene verschwinden wieder: es ist ein beständig wechselndes Treiben, Drängen und Drehen rings um die Fremden. Alle Beschwerden der Wüstenreise sind vergessen, Sehnsucht und Verlangen gestillt; denn Wasser, Wasser sprudelt in genügender Fülle und erfüllt alle Wünsche. Die Rast labt Leib und Seele. Gestärkt und ermuntert setzt die Karawane ihre Reise fort; und wenn die Tage nichts Schlimmeres bringen als Sonnenbrand und Glut, Durst und Ermattung, erreicht sie ungeschwächt auch den zweiten, dritten Brunnen und endlich das Ziel der Reise, die erste Ortschaft jenseits der Wüste.
Sandsturm der Wüste Doch leicht veränderlich, wie 'der Ozean, ist auch das Meer des Sandes. Auch in ihm toben Stürme, die seine Schiffe brechen und verderbenbringende Wellen dahinrollen. In der Zeit, in der der 23
monatelang wehende Nordwind mit südlichen Luftströmungen im Kampf liegt oder ihnen die Herrschaft gänzlich abgetreten hat, sieht der Reisende urplötzlich den Sand lebendig werden, zu mächtigen, ebenso hohen als dicken Säulen sich gestalten und auftürmen, die nun bald langsamer, bald schneller über die Ebene wirbeln. Die Sonnenstrahlen verleihen ihnen zeitweilig den blutigen Schimmer von Flammen, bald wieder erscheinen sie farblos, bald schauerlich dunkel; der sie bewegende Sturmwind verstärkt sie, trennt sie und vereinigt zwei oder mehrere zu einer einzigen, bis zu iden Wolken ragenden Sandhose. Man möchte der Bewunderung über das großartige Schauspiel nicht laut Ausdruck geben! Die ängstlichen Blicke und Worte der Begleiter aber lähmen die Zunge. Wehe der Karawane, die von solchem rasenden Wirbelsturm erreicht wird: sie darf froh sein, wenn das Leben der Menschen und Tiere erhalten bleibt! Und wenn sie, ohne Schaden zu bringen, an dem Reisezug vorüberrasen, so ist sie dennoch nicht ungefährdet; denn der Sandhose folgt in der Regel der Samum oder „Giftsturm" nach. Keineswegs steigert sich dieser in der Wüste gefürchtete Wind, der als Chamasin durch Ägypten, als Schirokko bis nach Italien, als Föhn durch die Alpen, als Tauwind durch Nordeuropa braust, immer zum Sturm; nicht selten weht er kaum merklich, und dennoch läßt er manches Mannesherz erzittern. Man hat viel über den Wüstensturan gefabelt: so viel aber entspricht der Wahrheit, daß dieser Wind unter Umständen jeder Karawane in hohem Grade gefährlich werden kann und daß seiner Gewalt die gebleichten Gerippe der Kamele und die vom Sand halb verschütteten und ausgedörrten Mumien der Menschen, die man an den Wüstenstraßen findet, zugeschrieben werden müssen. Denn nicht seine Stärke, sondern seine Beschaffenheit, seine elektrische Spannung, bringt Leiden und Verderben über die das Sandmeer durchwandernden Menschen und Lasttiere. Mindestens einen, oft mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Eingeborene wie der landeskundige Fremde den Sandsturm. Untrügliche Zeichen gehen ihm voraus. Die Luft wird schwül, schwer und lästig, leichter, gräulich oder rötlich erscheinender Dunst trübt den Himmel, kein Lufthauch regt sich. Alle lebenden Wesen leiden sichtlich unter der mehr und mehr sich steigernden Schwüle. Die Menschen klagen und stöhnen; das Wild zeigt sich scheuer als je; die Kamele werden unruhig und störrisch, drängen sich aneinander, bleiben stehen, legen sich wohl auch auf den Boden nieder. Farblos geht die Sonne zur Rüste. Kein Abendrot säumt den Himmel; jedes 24
Licht geht in dem Dunstmantel unter. Die Nacht bringt weder Kühlung noch Erquickung, eher Steigerung der" Schwüle, Kraftlosigkeit und Unbehaglichkeit; trotz aller Mattigkeit flieht Schlaf das Auge. Sind Menschen und Tiere noch imstande, «ich zu rühren, so rastet man nicht, zieht im Gegenteil mit ängstlicher Eile weiter, solange der Führer noch eines der Himmelslichter wahrnimmt. Allein der Dunst wird zum trockenen Nebel und verhüllt ein Gestirn nach dem anderen, auch Mond und Sonne, die im günstigsten Falle nur halb so groß als sonst, bleich und mit verschwommenen Rändern erscheinen. Zuweilen beginnt der Wind um Mitternacht seine Schwingen zu regen, gewöhnlicher um die Mittagszeit. Ohne Uhr vermag niemand diese Zeit zu bestimmen; denn d e r Nebel ist inzwischen so dicht geworden, daß er die Sonne vollständig verschleiert und trübe Dämmerung über die Wüste bricht, in der alle Gegenstände bereits in kurzer Entfernung verschwimmen. Leise, kaum fühlbar, regt sich endlich die Luft. Es ist kein Wehen, nur ein Hauchen, das man wahrnimmt. Aber dieser Lufthauch ist glühend heiß, dringt wie eisiger Wind durch Mark und Bein, verursacht dumpfen Kopfschmerz, erschlafft und beängstigt. Dem ersten Hauch folgt wahrnehmbares Wehen, gleich ertötend wie früher. Einzelne kurze Stöße brausen heulend dahin. Jetzt ist es höchste Zeit, zu lagern. Auch die Kamele zeigen es an. Keine Peitsche bringt sie vorwärts. Angsterfüllt legen sie sich nieder, strecken den Hals lang vor sich, drücken ihn auf den Sand und schließen die Augen. Ihre Treiber lösen eiligst die Lasten, erbauen rasch aus den Gepäckstücken einen Wall, häufen alle Schläuche übereinander, um die dem Wind preisgegebene Oberfläche zu verringern, decken auch noch etwas vorhandene Matten über sie, hüllen sich, wie salle Mitreisenden, so dicht wie möglich in ihre Tücher ein, feuchten den um das Haupt gewundenen Teil an und suchen hinter dein Gepäck Zuflucht und Schutz. Das alles geschieht mit Hast und Eile; denn der Sandsturm läßt nunmehr nicht lange auf sich warten. Den einzelnen Stößen folgen anhaltendere; sie verschmelzen miteinander, und wenige Minuten später rast der Sturm einher. Es braust und dröhnt, pfeift und heult in den Lüften, rausdit und tobt im Sand des Bodens, knistert, knallt und kradit in dem Lager, daß die Bretter der Kisten zerplatzen. Die herrschende Schwüle nimmt fortwährend zu und steigert sich bis aur Unerträglichkeit, entzieht dem in Schweiß gebadeten Körper die Feuchtigkeit, verursacht auf 25
allen Schleimhäuten Risse, 'die zu bluten .beginnen, legt die nach Wasser lechzende Zunge, wie ein Stück Blei in den Mund, beschleunigt den Pulsschlag und krampft das Herz zusammen, zerreißt endlich auch die Haut, in deren Ritzen der rasende Sturm sofort feinen Sand wirft, und schafft dadurch neue Qualen. Die Söhne der Wüsten beten und ächzen, der Abendländer stöhnt und klagt. In der Regel währt das ärgste Toben des Sandsturmes nicht lange, eine, zwei, drei Stunden nur. so wie bei uns zu Lande das Gewitter, dem er entspricht. Mit seinem Ermatten legt sich der Staub und klärt sich die Luft, tritt auch wohl eine Gegenströmung aus Norden auf; die Karawane ordnet sich wieder und zieht weiter. Währt der Samum aber einen halben oder ganzen Tag, dann kann es dem Reisenden ergehen, wie es dem französischen Forscher Thibaut erging, der, als er durch die nördliche Bahiuda zog, den letzten Brunnen versiegt fand und mit fast geleerten Schläuchen aufbrechen mußte, um den vier Tagreisen entfernten Nil zu erreichen. Über ihn und seine angstgehetzte Karawane, der alles nicht notwendige Gepäck am versiegten Brunnen zurückgelassen hatte, brach der Giftsturm los. Die unglückliche Reisegesellschaft lagerte, hoffte auf das Ende des Sturmes, harrte vergeblich, klagte, verzagte und verzweifelte. Einer von Thibauts Dienern sprang auf, überheulte den Sturm, tobte, wütete, stürzte endlich gebrochen auf seinen Herrn nieder, röchelte und starb. Ein zweiter lag, vom Hitzschlag getötet, als Leiche auf seiner Ruhestätte, als der Sturm endlich schwieg; ein dritter blieb, nachdem man wieder aufgebrochen war und, um Tod und Leben spielend dahineilte, hinter den übrigen zurück und verschmachtete. Von den Kamelen stürzte die Hälfte. Thibaut erreichte mit den übriggebliebenen Leuten und Tieren den Nil; aber sein kohlschwarzes Haar war im Verlaufe zweier Tage weiß geworden. Von solchen Stürmen rühren, wie gesagt, die mumienhaften Leichen her, die man an den Karawanenstraßen findet. Der Sturm, der die Menschen getötet, begräbt auch sie und überschüttet sie mit Sand; der Sand entzieht dem Leichnam so rasch alle Feuchtigkeit, daß er, anstatt zu verwesen, eindorrt und zur Mumie wird. Über sie wirft der eine Wind neuen Sand, ein anderer entfernt die bergende Decke wieder. Dann streckt der Leichnam eine Hand, einen Fuß, sein Gesicht dem Reisenden entgegen, und einer der Kameltreiber folgt der Mahnung des Toten, tritt zu ihm heran, wirft wiederum Sand über ihn und zieht weiter mit den Worten: „Schlafe, Knecht Gottes, schlafe in Frieden!" 26
Die Täuschung der Fata Morgana Solche Stürme sind es auch, die in der Seele der Überlebenden Traumbilder der Fata Morgana wecken. Solange der Mensch mit voller, ungeschwächter Kraft und mit gesunden Sinnen seines Weges zieht, stellt sich ihm die Luftspiegelung wohl als eines der beachtenswerten Naturschauspiele, nimmermehr aber als Fata Morgana dar. Während der heißen Jahreszeit entsteht in der Wüste um die Mittagszeit, von neun Uhr vormittags bis drei Uhr nachmittags, tagtäglich das „Meer des Teufels". Eine graue, seeartige, richtiger noch eine einer überschwemmten Gegend ähnelnde Fläche gestaltet sich auf jeder pflanzenlosen Ebene in einer gewissen Entfernung um den Reisenden, wogt und wellt, flimmert und schimmert, läßt alle tatsächlich vorhandenen Gegenstände sichtbar bleiben, erhebt sie aber bis zur Höhe ihrer oberen Schicht und spiegelt sie nach unten wider. In der Ferne dahinziehende Kamele oder Pferde erscheinen wie gemalte Engel auf Wolken schwebend, und wenn man ihre Bewegungen unterscheiden kann, sieht es aus, als ob sie jedes ihrer Beine auf ein Durcstpolster setzen wollten. Die Entfernung, in der die dem Auge zugekehrte Grenze der Erscheinung liegt, bleibt immer dieselbe, solange der Beobachter nicht den Sehwinkel ändert; sie ist daher für den Reiter anders als für den Fußgänger. Das ganze Wunder beruht auf dem bekannten Gesetz, daß ein Lichtstrahl, der durch ein ungleiches Mittel fällt, gebrochen wird; das geschieht hier, wenn die untersten Luftschichten durch Rückstrahlung des erhitzten Sandes ungleich ausgedehnt werden. Kein Araber verhüllt beim Anblick der Luftspiegelung sein Gesicht, wie manche Reisende ihren Lesern erzählt haben; keiner unterlegt der von ihm gern gebrauchten Bezeichnung „Meer des Teufels" einen tieferen Sinn. Wenn aber als Folgen eines Sandsturmes Angst, Entbehrung, Ermattung und Not auftreten, und sich in diesem Zustand dem Wüstenwanderer die Luftspiegelung zeigt, dann kann sie zur Fata Morgana werden. Die krankhaft gereizte Einbildungskraft täuscht Bilder vor, die mit dem heißesten Wunsch des Augenblicks, der Sehnsucht nach Wasser und Ruhe, im Einklang stehen. Auch mir, der ich die Luftspiegelung hundertmal beobachtet habe, ist sie einmal zur Fata Morgana geworden, als ich nach vierun.dzwanzigstündi.gem, qualvollem Durst das „Meer des Teufels" vor mir flimmern und glitzern sah. Da glaubte ich freilich auch den heiligen Nilstrom und Boote mit geblähten Segeln, Palmenwälder und Haine, Gärten und Landhäuser vor mir zu sehen. Aber da, wo vor meinen krankhaften Sinnen ein 27
Palmenwald grünte, sah mein gleich mir verschmachtender Gefährte Segelboote, und da, wo ich Gärten zu erkennen vermeinte, spiegelten sich seiner Seele traumhafte Wiälder vor. Und alle Trugbilder verschwanden, sowie wir uns mit zufällig uns beschertem Wasser erquickt hatten; nur der graue Nebelsee blieb immer noch sichtbar.
Begegnung mit Beduinen Das „Meer des Teufels" breitet sich wohl vor jedem Reisenden aus, der eine Wüstenstrecke der Nilländer durchzieht; nicht jeder aber erschaut eines der lebendigsten Bilder, das die Wüste gestaltet. Arn äußersten Rande des Gesichtskreises, vielleicht von der Luftspiegelung gehoben und duftig verschleiert, tauchen Reiter auf, die windesschnelle, hirschgliedrige Rosse zügeln, nähern sich rasch und brausen endlich, ihre bis dahin geschonten Reittiere zu vollem Laufe antreibend, gegen die Karawane heran. Ich bin ihnen stets gern begegnet, den hageren, stilvoll gekleideten Männern; denn ich habe auch in ihnen und ihren Pfaden die Einhelligkeit der Wüste und ihrer Kinder zu erkennen geglaubt. Er erschien mir als getreuer Sohn der Wüste, der Beduine, und als ihr und sein Spiegelbild das Pferd, das er reitet. Denn auch er ist ernst und rätselvoll wie der Tag, freundlich und miild wie die Nacht der Wüste. Treu seinem gegebenen Wort, unverbrüchlich gehorsam dem Gesetz der Sitte und dem Brauch seines Stammes, würdevoll in seinem Auftreten, feierlich in seiner Ausdrucksweise, unübertroffen im Entsagen, Entbehren, empfänglich wie kaum ein anderer Mensch für mutvolle Tat, Ruhm und Ehre, nicht minder für das Märchennetz, in das auch heute noch seine gestaltungsreiche Dichtergabe wunderbar prächtige Bilder einzuweben weiß; doch er ist auch wieder listig dem Feind gegenüber, willenloser Sklave seiner Gewohnheiten; kurz, wechselvoll und veränderlich, wie die Wüste selber, tritt er dem Fremden entgegen. Sein Roß besitzt dasselbe kluge, feurige, ausdrucksvolle Auge, 'dieselbe Stärke und Geschmeidigkeit der mageren, fast schwächlich erscheinenden Glieder, dieselbe Ausdauer, dieselbe Genügsamkeit, dasselbe Wesen wie er; denn beide wurden in demselben Zelt groß, beide ruhen und wohnen unter demselben Dach. Das Tier ist nicht der Sklave, sondern der Genosse, der Freund des Menschen, der Spielgefährte seiner Kinder. In der freien Wüste stolz, mutig und selbst wild, ist es im Zelt fromm wie ein Lamm; und deshalb erscheint es geradezu als unzertrennlicher Bestandteil seines Herrn und Gebieters. 2(1
Ausschau nach der Hauptkarawane In allen Wüsten jenseits des Nils spielen die Beduinen heutzutage bei weitem nicht mehr die Rolle wie in früheren Zeiten. Zwischen ihnen und den Regierungen sind bindende Verträge abgeschlossen worden, die sie verpflichten, Karawanen unangefochten idurch ihr Gebiet ziehen zu lassen. Raubüberfälle inmitten der Wüste zählen heute zu den ganz seltenen Ereignissen, und ein Zusammentreffen mit Beduinen erregt auch aus dem Grunde wenig Besorgnis, weil 29
die Söhne der Wüste in der Regel die Besitzer der gemieteten Kamele sind; gleichwohl lieben es die an den alten Gewohnheiten hängenden wirklichen Herren der Wüste, wenigstens den' Schein einer gewissen Überlegenheit zu wahren. Ein Zusammentreffen des Reisenden mit den Söhnen der Wüste spielt sich ungefähr folgendermaßen ab: Aus der Reiterschar hervor sprengt einer der sonnverbrannten Männer und wendet sich an den Führer oder den Ausrüster der Karawane. „Heil mit dir, Fremder!" „Mit dir das Heil Gottes, seine Gnade und Barmherzigkeit, o Häuptling!" „Wohin zieht ihr Männer?" „Nach Belled-Aali, o Scheich." „Zieht ihr im Geleit?" „Wir ziehen mit dem Geleitbrief Seiner Herrlichkeit, des Gouverneurs." „So seid willkommen und gesegnet!" „Der Segenspendende begnadige dich und deinen Vater, o Häuptling!" „Habt ihr Bedürfnisse? Im Wadi Ghitere stehen unsere Zelte, und ihr seid in ihnen willkommen, wenn ihr Rast suchen wollt. Wenn nicht, so möge Allah euch glücklichen Weg verleihen." „Er wird mit uns sein; denn er ist gnädig." „Und Führer auf allen guten Wegen." „Amen, o Häuptling!" Und dahin fliegt die Schar; Reiter und Rosse verwachsen wieder in eins; die leichten Hufe der Tiere scheinen den Boden kaum zu berühren; die weißen Burnusse flattern im Wind, und in der Seele werden die Worte des Dichters lebendig: „Beduin', du selbst auf deinem Rosse, Bist ein phantastisches Gedicht."
Das Dorf am Nil ist erreicht! Solche Bilder zaubert die Wüste vor das Auge. Je mehr man mit ihr vertraut wird, um so gestaltsamer treten %ie vor uns, um so wirksamer mildern und schwächen sie Mühsal und Beschwerde. Trotzdem bringen doch erst die letzten Stunden der Wüstenreise die höchsten Wonnen. Wenn das erste Palmendorf des bebauten 30
Landes, wenn 'das Silberband des heiligen Stromes wieder vor dem Auge liegt, sind diese Stunden gekommen. Menschen und Tiere eilen, als ob die ersehnte Wirklichkeit nur ein Traumbild sei und in Nebel zerrinnen könne. Deutlicher und schärfer aber tritt das Reiseziel hervor; man glaubt niemals frischere Farben gesehen zu haben; man meint, daß es nirgendwo grünere Bäume und kühleres Wasser geben könne. Mit letzter Kraft streben die Kamele vorwärts, ihren ungeduldigen Reitern noch viel zu langsam. Da werden freundliche Grüße laut. Das Dorf am Nil ist erreicht. Aus den Hütten hervor drängen sich, idie Wanderer zu bewillkommnen, Männer und Frauen, Greise und Kinder. Jeder eifert, hilfreiche Hand, labende Erquickung zu bieten. Zuerst spendet man Wasser, frisch aus dem Brunnen geschöpftes, köstliches Wasser; dann bringt man herbei, was man gerade besitzt. Vm die Freunden bewegen sich neugierige Menschen, frageeifrige Männer und Frauen, Mädchen und Jünglinge. Selbst das Kreischen der Schöpfräder am Strom, vormals tausendfach verwünscht, wird heute zur klangvollen Weise. Der Abend bringt neue Genüsse. Auf federndem, kühlen Ruhebett behaglich gelagert, trinkt der Europäer mit dem Eingeborenen um die Wette den Nektar des Landes, Palmwein oder Meriesa, und Zither- und Trommelschall, taktmäßiges Stampfen und Händeklatschen der Tanzenden begleiten das Trinkgelage. Endlich fordert die weiterschreitende Nacht ihre Rechte. Tambura und Tarabuka verstummen, der Reigen endet. Einer der erquickten, übersättigten Reisenden nach dem anderen sucht die Ruhe. Nur ein einziger von ihnen, ein Sohn Khahiras, der Mutter der Welt, vermag noch immer nicht Schlaf zu finden. Vom verglimmenden Lagerfeuer her tönt zitternd die einfache Weise seines Liedes. Aber auch dieser Klang erstirbt, und nur noch die Wellen des Stromes murmeln und flüstern.
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