Nr. 406
Die Ewige Karawane Der Kampf gegen die Burg der Düsteren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die ...
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Nr. 406
Die Ewige Karawane Der Kampf gegen die Burg der Düsteren von H. G. Francis
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Nach gefährlichen Abenteuern auf Enderleins Tiegel, dem Schrottplaneten, auf Xudon, dem Marktplaneten, und bei den Insektoiden von Gooderspall wirkt sich die Begegnung mit dem Spezialkurier beinahe tödlich für den Arkoniden und seine Gefährten aus. Jedenfalls sind Atlan und die Mitglieder seiner Gruppe wieder einmal zu Gejagten geworden. Um den Nachstellungen ihrer Verfolger zu entgehen, bietet sich ihnen nur eine Chance: der Anschluß an DIE EWIGE KARAWANE …
Die Ewige Karawane
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Thalia - Der Arkonide und seine Gefährtin erkämpfen sich den Zugang zur Burg der Düsteren. Hordinal - Ein Geschöpf der Ewigen Karawane. Fälser - Leiter von Atlans Dellos. Kerelkrejan - Anführer einer Gruppe von Krejoden. Kärtel - Ein Scuddamore.
1. »Wir müssen uns entscheiden«, sagte Thalia. »Wir müssen etwas tun. Wir wissen, daß die Scuddamoren uns jagen. Darauf müssen wir reagieren.« »Die Frage ist nur, wie«, entgegnete Atlan. Sie befanden sich in der Zentrale der HORIET. Bei ihnen waren vier Dellos. Die anderen Androiden hielten sich in anderen Räumen des Schiffes auf und ruhten. Der Arkonide wandte sich an Bronniter-Vrang, die lebende Galionsfigur des Raumers. »Kannst du uns eine Welt nennen, auf die wir uns für einige Zeit zurückziehen können?« fragte er. »Ich könnte schon«, antwortete BronniterVrang. »Du könntest, aber du hast Bedenken«, erwiderte Atlan. »Auf einer solchen Welt könnten wir uns verstecken und warten, bis über die Nergal-Sache Gras gewachsen ist. Ich kann mir allerdings nur schwer vorstellen, daß die Jagd auf uns jemals eingestellt wird.« »Die Landung auf einem Planeten würde bedeuten, daß wir im Fall einer Entdeckung in einer Sackgasse sitzen«, stellte BronniterVrang fest. Seine Stimme hallte aus den Lautsprechern an der Decke. »Eine Flucht in den Weltraum wäre schwierig.« »Sich zurückzuziehen wäre nicht gut«, stimmte Atlan zu. »Uns wären die Hände gebunden«, sagte Thalia. »Wir kämen bei unseren Ermittlungen nicht weiter und könnten keine Nachforschungen anstellen, was ja schließlich der Sinn unseres Unternehmens ist.« »Du hast recht«, erwiderte der Unsterbli-
che. »Vergessen wir diese Idee. Es lohnt sich nicht, sich damit zu befassen. Unsere Freunde auf Pthor brauchen Hilfe. Wir können es uns nicht leisten, in einem Versteck zu warten.« »Bronniter-Vrang, hast du …?« begann Thalia, kam jedoch nicht weiter, weil der Angesprochene sie unterbrach. »Moment mal, bitte«, rief die Galionsfigur. »Da ist etwas.« »Du hast etwas geortet?« fragte sie. »Ja – eine Flotte«, antwortete BronniterVrang. »Stört mich jetzt nicht: Ich fürchte, es ist eine Jagdflotte der Scuddamoren.« Atlan und Thalia blickten sich an. Sie waren bleich geworden. Sie waren sich darüber klar, daß sie einer ganzen Flotte von suchenden Raumschiffen nicht entgehen würden. Einige Minuten verstrichen. Vergeblich sprach Atlan Bronniter-Vrang in dieser Zeit an. Die Galionsfigur der HORIET antwortete nicht. Schließlich schwieg der Arkonide, um sie bei ihrer Arbeit nicht zu stören. Schließlich aber meldete das blaue Quallenwesen, daß es sich geirrt hatte. »Es kann keine Jagd oder Suchflotte sein«, berichtete es. »Organschiffe sind nicht dabei. Es sind auch keine Raumschiffe der Hauptvölker des Marantroner-Reviers darunter.« »Hast du solche Schiffe schon mal gesehen?« fragte Atlan. »Noch nie«, antwortete Bronniter-Vrang. »Die Raumschiffe ziehen in einer langen Kette dahin.« Jetzt endlich erhellten sich die Ortungsschirme in der Zentrale, so daß Atlan, Thalia und die Dellos die Flotte sehen konnten. Sie war allerdings so weit von der HORIET entfernt, daß auf den Schirmen nur Lichtpunkte
4 zu erkennen waren. Bronniter-Vrang aber wußte mehr. Er verfügte offenbar über bessere Instrumente. »Es sind faßförmige Raumschiffe«, berichtete er und erklärte, sie seien etwa dreihundert Meter lang und einhundert Meter dick. Sie hätten verschiedenartige Auswüchse, deren Funktion jedoch nicht auszumachen sei. Er schätzte die Zahl der Raumschiffe auf annähernd dreitausend und erklärte, alle flögen im Abstand von etwa einhundert Meter zueinander. Die Geschwindigkeit betrüge etwas mehr als halbe Lichtgeschwindigkeit. »Was ist das für eine Flotte?« fragte Thalia. »Ich habe eine Vermutung«, sagte Bronniter-Vrang, »aber es fällt mir schwer, daran zu glauben, daß sie richtig ist.« »Sprich sie aus«, forderte Atlan ihn auf. »Es könnte sich um die Ewige Karawane handeln«, erwiderte das Quallenwesen. »Was ist die Ewige Karawane?« fragte Thalia, als Bronniter-Vrang nicht weitersprach. »Ich habe nur wenig von ihr gehört«, antwortete das Quallenwesen nach einiger Zeit. »Eigentlich nur als Gerücht. Ich glaube, niemand im Marantroner-Revier weiß genau, ob es die Ewige Karawane wirklich gibt. Wenn auf den Ortungsschirmen jedoch keine Phantombilder erscheinen, dann muß das da draußen diese Karawane sein.« »Diese Flotte ein Gerücht?« Atlan schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Niemand soll sie bisher gesehen haben? Bei der technischen Ausstattung der Organschiffe ist das unwahrscheinlich.« »Es muß ein besonderes Rätsel um die Ewige Karawane geben«, bemerkte Thalia. »Wir werden die Gelegenheit ergreifen und uns die Karawane ansehen«, sagte Atlan. »Vielleicht gelingt es uns, einige Antworten auf unsere Fragen zu bekommen.« »Ich halte das für zu gefährlich«, wandte Thalia ein. »Wenn es lediglich Gerüchte um die Karawane gibt, dann stellt sie wahrscheinlich
H. G. Francis keine Macht des Schwarzen Oheims dar. Vielleicht vereinigten sich in ihr gar die Gegenkräfte. Wenn es so ist, dann ist es für uns um so wichtiger, Verbindung mit ihr zu bekommen. Ich schlage daher vor, daß wir uns vorsichtig an die Karawane …« »Sie ist weg«, schrie Bronniter-Vrang. »Die Karawane ist verschwunden!« Verblüfft blickte Atlan auf die Ortungsschirme. Tatsächlich zeichnete sich dort kein Reflex mehr ab. Die Karawanenschiffe waren von einem Augenblick zum anderen verschwunden. »Damit wird natürlich erklärbar, wieso sie bisher nicht entdeckt und verfolgt werden konnten«, sagte der Arkonide, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Er fühlte sich unwillkürlich an geschichtliche Ereignisse von der Erde erinnert. Gab es dort nicht auch zahllose Erzählungen über »Geisterschiffe« und über einen »Fliegenden Holländer«? Einige dieser Berichte waren stets als »Seemannsgarn« abgetan worden, andere wiederum hatten sich als wahr erwiesen. Standen er und seine Begleiter vor einem vergleichbaren Phänomen? Bronniter-Vrang meldete sich erneut. »Ortung«, sagte er erregt. »Die Scuddamoren haben uns entdeckt.« Ein Verband von Organschiffen erschien auf den Ortungsschirmen. Er kam schnell näher. »Sie funken uns an«, berichtete das Quallenwesen, das als lebende Galionsfigur diente. Es nahm eine Umschaltung vor, so daß Atlan, Thalia und die Dellos die Stimmen der Scuddamoren hören konnten. »Ergeben Sie sich«, hallte es aus den Lautsprechern. »Sie können uns nicht mehr entkommen.« »Ich will das nicht hören«, sagte der Arkonide. »Ausschalten, Bronniter-Vrang. Wir fliehen.« »Dazu ist es zu spät«, entgegnete Thalia. »Sie erwischen uns.« »Das wäre das sichere Ende«, stellte der Unsterbliche fest. »Führe uns dorthin, wo die Karawane verschwunden ist.«
Die Ewige Karawane Die HORIET beschleunigte mit Höchstwerten. Dennoch holten die Verfolger auf. »Wir schaffen es nicht«, sagte Thalia entsetzt. »Wir kommen nicht weg.« Atlan schwieg. Er war der gleichen Ansicht wie sie, dennoch ließ er die Flucht nicht abbrechen. Er wollte nicht aufgeben, solange noch ein Funke Hoffnung in ihm war, zumal er sich gut vorstellen konnte, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie den Scuddamoren in die Hände fielen. Gnade hatten sie nicht zu erwarten. Bronniter-Vrang meldete sich. »Sie geben uns eine letzte Frist«, erklärte er. »Wenn wir nicht kapitulieren, schießen sie uns ab.« Atlan blickte zu den Bildschirmen. Auf ihnen war auch ohne die Hilfe der Rechner zu erkennen, daß die Verfolger sie in wenigen Minuten eingeholt haben würden. »Wir müssen versuchen, sie aufzuhalten«, sagte er. »Vielleicht können wir verhandeln. Versuche, eine Verbindung mit ihnen herzustellen. Ich will mit ihnen reden.« »Warte«, bat das Quallenwesen. Während der Arkonide überlegte, was er den Scuddamoren anbieten sollte, geschah erneut etwas Überraschendes. Die Verfolgerschiffe verschwanden plötzlich. »Die Karawanenschiffe sind wieder da«, rief Thalia. Die Dellos schwatzten aufgeregt. Thalia blickte Atlan hilfesuchend an. Sie konnte sich das Phänomen nicht erklären. »Wie ist das möglich?« fragte sie verwirrt. »Es war, als seien wir in eine Art Schleier eingetaucht«, teilte Bronniter-Vrang mit. »Auf irgendeine Weise sind wir in zwischendimensionale Bereiche eingedrungen«, sagte Atlan. »Vielleicht haben die Karawanenschiffe so etwas wie ein Energiefeld hinterlassen, das uns mitgerissen hat.« »Warum folgen uns die Scuddamoren nicht?« fragte Thalia. »Können Sie nicht auch in diese Bereiche eintauchen?« »Schwer zu sagen. Vielleicht unterscheiden wir uns maßgeblich von ihnen durch et-
5 was, was wir an Bord haben. Vielleicht durch die große Plejade oder durch die Besatzung? Vielleicht hat uns aber auch die Besatzung der Karawanenschiffe geholfen. Vermutlich werden wir noch erfahren, warum.« Atlan und seine Begleiter warteten ab. Mehr als eine Stunde verstrich, ohne daß etwas geschah. Die Verfolgerschiffe tauchten nicht auf. Es schien, als sei die HORIET in Sicherheit. In regelmäßigen Abständen versuchte Bronniter-Vrang über Funk Verbindung mit den Besatzungen der Karawanenschiffe aufzunehmen, doch er erhielt keine Antwort. Schweigend raste die Ewige Karawane durch die Unendlichkeit. Die HORIET näherte sich ihr allmählich. Sie flog mit gleicher Geschwindigkeit auf Parallelkurs auf der Höhe des hinteren Drittels der Karawane. Bronniter-Vrang ließ die HORIET langsam an die tonnenförmigen Schiffe herantreiben. Hin und wieder diskutierten Atlan und er über Sinn und Funktion gewisser Teile an den Karawanenschiffen, ohne dabei jedoch zu schlüssigen Ergebnissen zu kommen. Schließlich trennten die HORIET kaum noch hundert Meter von einem der anderen Raumschiffe. »Wir steigen aus«, entschied der Arkonide. »Wir sehen uns an Bord dieses Schiffes um.« Er zeigte auf den Bildschirm. BronniterVrang näherte sich dem anderen Raumschiff noch weiter, bis die HORIET nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Thalia nickte Atlan zu. Sie schloß ihren Raumanzug. Wenig später schwebte sie neben dem Arkoniden zu dem Karawanen-Raumschiff hinüber. Sie glitten zu einer kastenförmigen Erhebung. Diese hatten sie bereits vorher mit Hilfe der Beobachtungsgeräte ausgemacht. Sie waren sich einig darüber, daß es das Schott einer Schleuse war. Atlan gelang es nach mehreren vergeblichen Versuchen, es zu öffnen. Er zog Thalia in eine erleuch-
6 tete Schleusenkammer. Das Schott schloß sich hinter ihnen, und dann strömte eine würzige Luft in die Schleuse. Das Innenschott glitt zur Seite. »Das dürfte eine Aufforderung sein«, sagte der Arkonide. »Man gibt also die bisherige Zurückhaltung auf.« Atlan betrachtete die technische Einrichtung der Schleuse. Er stellte fest, daß sie sich auf einem hohen Niveau befand. Sie hielt jeden Vergleich mit entsprechenden Einrichtungen auf terranischen Raumschiffen stand. Der Arkonide und das Mädchen traten auf einen Gang hinaus, der mit einem weißen Material verschalt war. Die Wände waren mit sinnlos erscheinenden Zeichnungen verziert. Eine Reihe von fremdartigen Schriftzeichen auf dem Boden und an der Decke weckte seine Aufmerksamkeit. Atlan hatte das Gefühl, sie entziffern zu können. »Sieh dir das an«, sagte er und deutete auf den Boden. Die Zeichen schimmerten in einem Farbton, der zwischen Gold und Rot lag. »Kommt dir das nicht bekannt vor?« »Ja – irgendwie schon.« Der Arkonide schritt den Gang hinunter, wobei er mal auf den Boden, mal zur Decke blickte. Das Licht kam aus Leuchtbändern an der Decke. Es schien zu pulsieren, sobald Atlan sich jedoch darauf konzentrierte, ging eine beruhigende Kraft von ihm aus. »Nein, wir haben uns geirrt«, sagte Thalia, die dem Arkoniden gefolgt war. »Ich kenne nichts von diesen Schriftzeichen. Zunächst dachte ich, ich hätte das eine oder andere schon mal gesehen. Aber das stimmt nicht.« Der Gang endete an einem Schott. Es öffnete sich, als Atlan es mit den Fingerspitzen berührte. Dahinter lag ein quadratischer Raum, von dem vier schmale Türen abgingen. Zwei von ihnen führten zu Lagerräumen, die jedoch lediglich leere Gestelle enthielten, eine zu einem weiteren Gang, und die vierte zum Maschinenraum. Atlan vernahm das gleichmäßige Summen des Antriebs, als er die Tür öffnete. »Sehen wir uns das mal an«, schlug er
H. G. Francis vor. »Wenn wir Glück haben, finden wir jemanden im Maschinenraum. Wartungsfrei ist dieses Schiff jedenfalls nicht.« Er betrat einen Vorraum und öffnete ein weiteres Schott. Dann sah er einen Teil der Maschinenanlage. Das Summen des Antriebs steigerte sich zum Getöse. »Warum gehst du nicht weiter?« fragte Thalia. Atlan streckte den Arm aus. Seine Fingerspitzen berührten ein unsichtbares Energiefeld. Es war hart wie Stahl. »Es geht nicht«, erwiderte er. »Man gewährt uns zwar einen Blick auf die Maschinen, mehr aber auch nicht.« Er machte Thalia Platz, damit sie ebenfalls in den Maschinenraum sehen konnte. »Niemand hält sich darin auf«, stellte sie fest. »Es lohnt sich also nicht, noch länger hier zu bleiben.« »Jedes Raumschiff hat eine Hauptleitzentrale«, sagte er. »Dort sollte sich jemand aufhalten, falls überhaupt jemand im Schiff ist.« Sie gingen weiter. Mühelos drangen sie in die verschiedenen Bereiche des Raumschiffs ein, wobei Atlan immer wieder konstatierte, daß sich die technischen Einrichtungen auf einem hohen Entwicklungsstand befanden. Sie waren teilweise besser als die der HORIET. Eine Besatzung schien nicht vorhanden zu sein. Auch in der Zentrale war niemand. Atlan untersuchte die Anlagen der Zentrale. Sie unterschieden sich wesentlich von denen der HORIET und von denen, die er von arkonidischen und terranischen Raumschiffen her kannte. Dennoch stellten sie kein Geheimnis für ihn dar. Nach einiger Zeit gelang es ihm, Funkverbindung mit Bronniter-Vrang aufzunehmen. Er berichtete ihm, was sie vorgefunden hatten. »An Bord hält sich niemand auf«, schloß er. »Ich glaube auch nicht, daß die anderen Schiffe der Karawane eine Besatzung haben.« »Irgendeinen Sinn muß die Karawane ha-
Die Ewige Karawane ben«, entgegnete das Quallenwesen. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Geisterschiffe durch die Peripherie der Schwarzen Galaxis fliegen, ohne eine Aufgabe zu erledigen.« »Ich auch nicht«, sagte Thalia. »Die Karawane muß eine Aufgabe haben.« »Das ist nicht unbedingt richtig«, widersprach der Arkonide. »Gibt es etwas im Zusammenhang mit der Ewigen Karawane, was du uns nicht erzählt hast, BronniterVrang?« »Nein. Nichts. Ich verstehe, was du meinst. Du glaubst, es könne das Gerücht umgehen, daß jeder sterben muß, der ein Schiff der Karawane betritt. Daß ein Fluch auf den Schiffen liegt oder etwas ähnliches. Das ist nicht der Fall. Es gibt nur das Gerücht, daß diese Karawane existiert, daß sie seit Äonen durch diese Galaxis geistert. Ich habe niemals etwas über die Besatzung gehört und auch niemals etwas darüber, daß es vielleicht gar keine Besatzung gibt.« »Was wirst du tun?« fragte Thalia. »Willst du alle Raumschiffe untersuchen?« »Das ist unmöglich. Wenn ich für jedes nur eine Stunde nähme, wären wir auf Monate hinaus damit beschäftigt.« »Aber irgend etwas müssen wir tun.« »Wir können uns wieder von der Karawane entfernen und zu irgendeinem Sonnensystem fliegen, das in Richtung Zentrum der Schwarzen Galaxis liegt. Wir könnten der Karawane aber auch folgen, bis sich etwas Neues ergibt.« Der Arkonide ging zum Steuerleitpult, dessen Hauptschaltungen mit blaßblauen Energiestrahlen versiegelt war. »Wir könnten aber auch eine Provokation versuchen«, fuhr er fort. »Wir könnten irgend etwas tun, was den Gesamtbetrieb der Karawane stört, und dann die Reaktion abwarten. Ich kann mir vorstellen, daß die Karawane so etwas wie eine übergeordnete Zentrale hat, die dafür sorgt, daß der Betrieb aller Raumschiffe der Karawane störungsfrei verläuft.« »Das wäre ein Angriff«, wandte Thalia
7 ein. »Vielleicht wollen diejenigen, die die Karawane fliegen, uns prüfen? Warum warten wir nicht ab?« »Wie lange?« »Ich weiß auch nicht, wie lange. Vielleicht genügen einige Stunden?« Atlan fand den Vorschlag nicht befriedigend, wußte jedoch auch keinen besseren zu machen. Er wandte sich an Bronniter-Vrang. »Kannst du irgendwo Unterschiede feststellen?« fragte er. »Gibt es irgendwo etwas, was auffällt, oder sind alle dreitausend Raumschiffe völlig identisch miteinander?« »Sie sind alle gleich«, erwiderte das Quallenwesen nach einiger Zeit, die es für eine nochmalige Überprüfung benötigte. »Ich kann keine Unterschiede feststellen.« »Gibt es irgendwo Anzeichen für eine Besatzung?« »Keine Anzeichen.« Atlan blickte Thalia an. »Vielleicht hast du recht«, sagte er. »Es könnte besser sein, einige Zeit abzuwarten. Wir werden uns einige Tage lang von der Karawane mitführen lassen und abspringen, wenn sich irgendwo ein interessantes Ziel bietet. Einverstanden?« »Einverstanden«, erwiderten Thalia und Bronniter-Vrang wie aus einem Mund. »Wir werden einige Dellos als Wache auf diesem Karawanenschiff lassen«, erklärte Atlan. »Immerhin könnte es sein, daß eine Botschaft über die Bildgeräte kommt. Wenn jemand hier ist, empfangen wir sie.« Er wollte die Zentrale verlassen, als Bronniter-Vrang sich plötzlich wieder meldete. »Da ist etwas«, rief er. Seine Stimme bebte vor Erregung. »Ich habe etwas gesehen.« »Was hast du gesehen?« fragte der Arkonide. »Beschreibe es.« »Das kann ich nicht. Es ging zu schnell. Da war irgend etwas außen an eurem Schiff.« Ein schwerer Körper prallte gegen das Schiff, das wie eine Glocke dröhnte. Ein Licht über dem Symbol einer Tür zeigte an, daß etwas durch die Schleuse eingedrungen war.
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H. G. Francis
Atlan und Thalia waren nicht mehr allein an Bord.
2. Thalia sprang auf. Sie blickte sich verängstigt um. Sie suchte nach einer Waffe, mit der sie sich gegen den Unbekannten behaupten konnte. Atlan blieb in seinem Sessel sitzen. »Willst du nichts tun?« fragte sie. »Willst du warten, bis es hier ist?« »Warum nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, daß es gekommen ist, um uns umzubringen.« »Und wenn es doch so ist?« Er stand auf und reckte sich. »Es ist absolut unlogisch, daß hier irgend etwas sein sollte, das nichts anderes im Sinn hat, als uns zu töten.« »Wenn es nur Verbindung mit uns aufnehmen will, könnte es das über Funk tun.« »Auch richtig. Es steht jedoch noch lange nicht fest, daß es diese Technik auch beherrscht. Warten wir erst einmal ab.« Atlan gab sich betont sorglos, obwohl er das nicht war. Er wollte Thalia jedoch nicht unnötig beunruhigen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehe nach, was da zu uns gekommen ist.« Sie machte Anstalten, die Zentrale zu verlassen, doch der Arkonide hielt sie zurück. »Ich gehe.« Er drückte einige Tasten auf dem Instrumentenpult, die nicht durch Energiestrahlen versiegelt waren. Er hoffte, sie mit Hilfe eines Beobachtungssystems informieren zu können, aber die Monitorschirme erhellten sich nicht. Es schien, als hätten seine Schaltungen überhaupt keinen Effekt. »Ich bleibe nicht hier«, sagte Thalia entschlossen. »Wir gehen zusammen.« »Was ist los?« fragte er. Ihm fiel auf, daß sie ungewöhnlich bleich war. »Ich weiß auch nicht«, entgegnete sie mit stockender Stimme. »Ich spüre etwas, was mir nicht gefällt.« Damit sprach sie aus, was den Arkoniden
ebenfalls beunruhigte. Er wehrte sich mit aller Macht gegen ein Gefühl der Beklemmung. Am liebsten hätte er das Raumschiff fluchtartig verlassen. Doch das hätte bedeutet, daß er sich auch mit der HORIET hätte zurückziehen müssen und daß er auf die Informationen verzichtete, die er dringend benötigte. Er ging zum Schott und öffnete es. »Komm«, sagte er. »Wir sehen uns an, was da hereingeschneit ist.« Voller Unbehagen verließen sie die Zentrale. Je weiter sich Atlan von ihr entfernte, desto intensiver wurde das Gefühl der Bedrohung. Es ist eine Waffe, stellte der Logiksektor fest. Das fremde Wesen besitzt eine Ausstrahlung, die diese Empfindungen bei dir und Thalia auslöst. Das läßt darauf schließen, daß es körperlich schwach ist. Hoffentlich stimmt das, entgegnete der Arkonide in Gedanken, während er sich vergeblich bemühte, einen Wandschrank zu öffnen. Er hoffte, darin Waffen zu finden. Thalia trat einige Schritte weiter gegen die Tür eines anderen Schrankes. »Wenn ich nur irgend etwas hätte, mit dem ich mich wehren könnte«, sagte sie. Atlan stand vor dem Schott am Ende des Ganges. Er wartete auf sie. Als sie noch etwa fünf Meter von ihm entfernt war, legte er seine Hand auf die Sensorplatte neben dem Schott. Lautlos glitt es zur Seite. Thalia schrie auf. Kaum drei Schritte von dem Arkoniden entfernt kauerte ein schwarzes Wesen, das aussah wie eine Mischung aus einem schwarzen Panther und einer Schildkröte. Es hatte einen muskulösen Leib mit sechs kräftigen Beinen. Der Rücken war mit Hornplatten gepanzert. Der Kopf glich dem einer riesigen Schildkröte. Der Schwanz ragte steil in die Höhe. Er war mit fingerlangen Dornen besetzt, deren Spitzen mit Widerhaken versehen waren. Es griff wild an. Atlan konnte nicht mehr zur Seite springen. Die Pranken erfaßten ihn und schleuderten ihn zu Boden. Die Krallen
Die Ewige Karawane bohrten sich in das Goldene Vlies, konnten es jedoch nicht durchstoßen. Der Arkonide schlug mit voller Kraft nach dem Kopf des Angreifers. Er traf ihn seitlich an der Kinnlade an einer Stelle, an der er äußerst empfindlich zu sein schien. Brüllend wich das monströse Wesen zurück. Es schlug mit den Pranken um sich und fetzte die Wandverkleidung herunter. Atlan rollte sich zur Seite, schnellte sich hoch und drückte die Hand gegen die Sensorplatte. Das Schott schloß sich. Thalia blickte ihn an. »Ich dachte, jetzt erwischt es dich«, sagte sie entsetzt. Atlan lehnte sich gegen die Wand. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Was war das nun?« fragte er. »War das ein Tier, eine Halbintelligenz oder ein intelligentes Wesen?« Er gab ihr mit einem Handzeichen zu verstehen, daß sie weiter zurücktreten sollte. Dann legte er die Hand erneut gegen die Sensorplatte. Das Schott glitt zur Seite. Das monströse Wesen war mehr als zwanzig Meter von ihm entfernt. Es lag mitten auf dem Gang und blickte aus verengten Augen zu ihm herüber. Aus seinem geöffneten Rachen kam ein drohendes Zischen. »Schluß jetzt«, sagte Atlan. Er sprach Garva-Guva. Wenn das Wesen aus dieser Galaxis stammte, mußte es ihn verstehen. »Es scheint so, als ob wir allein auf den Schiffen der Karawane sind. Unter diesen Umständen hat es wenig Sinn, wenn wir uns gegenseitig bekämpfen.« Das katzenähnliche Wesen griff erneut an. Atlan bemerkte, daß sich die Muskeln des Wesens spannten, dann raste es auch schon auf ihn zu. Er drückte die Hand gegen die Sensorplatte. Das Schott schloß sich. Der Angreifer prallte dagegen. »Es sieht nicht so aus, als könnten wir mit Vernunft etwas ausrichten«, sagte er zu Thalia. »Wir müssen eine Falle bauen«, entgegnete sie. »Es greift blindlings an.«
9 Sie deutete auf den Boden, um anzuzeigen, was sie meinte. »Wir lösen einige Bodenplatten und lassen es in ein Loch fallen, aus dem es allein nicht mehr herauskommt.« »Und dann? Willst du es verhungern lassen?« »Wir müssen irgend etwas tun«, stellte sie fest. »Richtig. Wir müssen uns mit ihm verständigen. Nur so kommen wir weiter.« Er hob die Hand, um das Schott erneut zu öffnen, doch Thalia fiel ihm in den Arm. »Nein«, entgegnete sie. »Das ist zu gefährlich. Warum verlassen wir das Schiff nicht einfach? Wir könnten zur HORIET überwechseln und das Biest allein lassen.« »Wenn ich wüßte, wie wir an ihm vorbei zur Schleuse kommen, würde ich das tun.« Sie kehrten in die Zentrale zurück. Atlan hoffte, hier Hinweise über den Aufbau des Raumschiffes zu finden. Er suchte alle ihm zugänglichen Bereiche der Zentrale ab, bemühte sich, elektronische Sperren und Energiesiegel zu beseitigen, erzielte jedoch keine wesentlichen Erfolge. Daher beschloß er, von der HORIET Hilfe anzufordern. Die Dellos konnten sich mit allerlei Geräten bewaffnen und so ausgerüstet gegen das monströse Wesen vorgehen. Als er das Funkgerät einschalten wollte, rumpelte und polterte es plötzlich im Schiff. Immer wieder prallte ein schwerer Gegenstand gegen die Wand. Atlan öffnete das Schott und blickte auf den Gang hinaus. Jetzt war der Kampflärm wesentlich lauter. Er hörte das Brüllen und Kreischen der Bestie. Kunststoffmaterial zersplitterte. »Was hat das Biest vor?« fragte Thalia. Atlan trat auf den Gang hinaus, blieb jedoch nach einigen Schritten zögernd stehen. Während er sich zu Thalia umwandte, stützte er sich mit einer Hand an der Wand ab. Plötzlich glitt eine Platte zur Seite. Dahinter wurde ein Schrankfach sichtbar, in dem allerlei Ausrüstungsgüter lagerten. In einer Schlaufe hing eine pistolenförmige Waffe
10 mit kurzem Lauf. Der Arkonide nahm sie an sich. Sie lag gut in der Hand. »Das ist schon was«, sagte er. Thalia kam zu ihm. Sie durchwühlte den Schrank, entdeckte jedoch keine zweite Waffe. Mit den anderen Gegenständen im Schrank wußte sie nichts anzufangen. »Nimm sie«, sagte Atlan und reichte ihr die Waffe. »Aber sei vorsichtig. Ich habe keine Ahnung, wie sie funktioniert.« Sie lächelte dankbar und nahm die Waffe entgegen. Währenddessen wurde es ruhiger im Schiff. Nur hin und wieder brüllte das fremde Wesen noch einmal auf. Thalia hantierte an der Waffe, bis die Batteriekammer aufsprang. »Leer«, sagte sie enttäuscht. Sie richtete den Projektor auf das Schott, hinter dem sich das monströse Wesen befand, und drückte auf den Auslöser. Nichts geschah. Thalia wollte die Waffe in den Schrank zurücklegen. »Behalte sie«, sagte Atlan. »Vielleicht finden wir etwas, womit wir sie laden können.« »Du hast recht«, erwiderte sie und steckte die Waffe ein. Sie zeigte auf das Schott, hinter dem das fremde Wesen war. »Wir sollten nachsehen, was da los war.« Das Biest ist tot, signalisierte Atlans Logiksektor. Es gibt keine Parastrahlung mehr. Der Arkonide horchte überrascht in sich hinein. Tatsächlich fühlte er sich nicht mehr so bedroht wie zuvor. Dennoch mochte er nicht daran glauben, daß der schwarze Eindringling tot war. Er ging zum Schott und legte die Hand gegen die Sensorplatte. Das Schott glitt zu Seite. »Das ist doch nicht möglich«, sagte Thalia verstört. Sie kam zu dem Arkoniden. Ihnen bot sich ein chaotisches Bild. Auf dem Gang hatte ein schwerer Kampf stattgefunden. Die Wände waren aufgerissen. Kunststoffsplitter bedeckten den Boden. Aus der Decke hingen Versorgungsleitungen herab. Eine gelbe Flüssigkeit sickerte aus der Wand.
H. G. Francis Auf dem Boden lag das monströse Wesen inmitten von Trümmern. Es blutete aus zahllosen Wunden. Es war noch nicht tot, aber Atlan zweifelte nicht daran, daß es in wenigen Minuten tot sein würde. »Die Verletzungen kann es sich nicht selbst beigebracht haben«, sagte Thalia. »Es hat mit jemandem gekämpft.« »Außer uns ist niemand an Bord«, stellte der Arkonide fest. »Das ist ein Irrtum«, widersprach Thalia. »Es muß jemand da sein. Wer sollte dieses Biest denn sonst umgebracht haben?« »Das soll uns egal sein. Wir verschwinden. Ich hätte gern gewußt, wer dieses Wesen ist. Ich hätte auch gern mehr über die Karawane erfahren, aber es sieht nicht so aus, als lohnte es sich, noch länger hier zu bleiben.« Etwa fünf Meter von Atlan entfernt öffnete sich eine winzige Luke in der Wand. Ein krebsähnlicher Roboter kroch aus der Wand. Er eilte auf sechs Beinen quer über den Gang und verschwand in einer anderen Öffnung, die plötzlich entstand und sich wieder schloß, als der Roboter hindurchgekrochen war. »Ganz allein scheinen wir doch nicht zu sein«, bemerkte der Arkonide. »Zumindest einen Roboter gibt es hier.« »Zwei.« Thalia deutete auf einen anderen Roboter, der den Gang überquerte. Er sah ebenfalls aus wie ein Krebs. Er hatte vier Arme, die in verschiedenen Werkzeugen endeten. Der Roboter verschwand jedoch nicht in der Wand. Er schweißte eine zerrissene Leitung zusammen. Zwei weitere Roboter gleicher Art schwebten aus der Decke herab. Sie waren ebenfalls nur so groß wie eine Männerhand. Sie begannen damit, die zerstörten Wandplatten abzulösen und die Reste zu entfernen, um Platz für neue Platten zu machen. Aus dem Boden tauchten wie aus dem Nichts sieben weitere Roboter auf und kehrten die Splitter zusammen. Ein Schott öffnete sich. Eine Platte schwebte herein. Ihr folgten etwa zwanzig
Die Ewige Karawane Roboter, die mit zahllosen Werkzeugen ausgerüstet waren. Sie hoben das monströse Wesen hoch und legten es auf die schwebende Platte. Dann begleitete ein Teil von ihnen die Platte auf dem Rückweg, während die anderen blieben und ebenfalls mit Aufräumund Reparaturarbeiten begannen. Innerhalb weniger Minuten füllte sich der Gang mit Hunderten von Robotern. Sie arbeiteten unglaublich schnell und genau, beachteten Thalia und Atlan jedoch nicht. Der Arkonide bückte sich und griff nach einem von ihnen. Der Roboter wich so schnell aus, daß Atlan ihm kaum mit den Blicken folgen konnte. »Glaubst du, daß sie dieses Wesen umgebracht haben?« fragte Thalia. »Es sieht so aus.« »Laß uns verschwinden, bevor sie uns angreifen.« »Das hätten sie längst tun können, wenn sie es gewollt hätten, oder wenn ihnen jemand den Befehl dazu gegeben hätte.« Unschlüssig beobachtete der Arkonide das Geschehen. Die Roboter kamen rasch voran. Nach kaum zwanzig Minuten sah der Gang wieder so aus, als habe nie ein Kampf stattgefunden. Die Roboter verschwanden in den Wänden, im Boden und in der Decke, wobei sich die Öffnungen fugenlos wieder schlossen, sobald sie hineingekrochen waren. »Ich schlage vor, daß wir in die Zentrale gehen«, sagte der Unsterbliche. »Eigentlich müßte sich jemand bei uns melden.« Als sie die Zentrale betraten, sahen sie einen Roboter aus dem Steuerleitpult kriechen. Seine Arme waren mit winzigen Laserstrahlern, Linsen und Klebertuben versehen. »Das ist immerhin schon mehr als vorhin«, stellte Atlan fest. Als sich das Schott hinter ihm und Thalia geschlossen hatte, tauchten überall Roboter auf. Sie krochen, flogen und hüpften scheinbar ziel und planlos in der Zentrale umher. Atlan und die Tochter Odins beobachteten sie und versuchten, ihr Verhalten zu enträtseln. Als et-
11 wa hundert Roboter in der Zentrale waren, klang plötzlich eine Stimme auf. Sie sprach in einer Atlan unbekannten Sprache. »Verstehst du etwas?« fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Die Stimme klang erneut auf. Sie war voll und kräftig. Atlan konnte nicht bestimmen, woher sie kam. Er glaubte jedoch, daß ein Roboter, der über das Instrumentenpult kroch, zu ihm sprach. Er antwortete in Pthora, doch diese Sprache schien wiederum der Roboter nicht zu beherrschen. Er sagte erneut etwas, was weder Atlan noch Thalia verstand, wechselte dann offensichtlich in eine andere Sprache über und danach in eine vierte. Atlan hob bedauernd die Hände. »Ich spreche nur Garva-Guva«, sagte er. »Wie steht es damit?« »Fabelhaft«, erwiderte der Roboter. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wieso habt ihr euch während der ganzen Zeit in einer fremden Sprache miteinander unterhalten? Warum nicht in Garva-Guva? Alles wäre viel leichter für uns gewesen.« »Das ist mir gar nicht aufgefallen«, erwiderte der Arkonide. »Außerdem wußten wir nicht, daß jemand an Bord war, der uns belauscht. Andernfalls hätten wir Grund gehabt, Garva-Guva zu sprechen, denn wir wollten ja Kontakt haben.« »Das ist uns klar geworden. Wir haben euch beobachtet.« »Warum habt ihr das schwarze Wesen getötet?« fragte Thalia. »Warum laßt ihr uns in Ruhe?« »Den Schwarzen jagen wir schon seit Jahren«, erklärte der Roboter. Atlan sah, daß er seinen Laser hob. »Er hat es verstanden, uns zu neutralisieren. Irgend etwas Unerklärliches war an ihm, das ihn unangreifbar für uns machte. Dann seid ihr gekommen. Er hat sich durch euch bedroht gefühlt und seine ganze Kampfkraft auf euch gerichtet. Wir wurden dadurch frei und konnten ihn endlich für die Schäden zur Verantwortung ziehen, die er an Bord der Raumschiffe angerichtet hat, auf denen er war.« »Armer Teufel«, sagte Atlan in Pthora, so
12 daß nur Thalia ihn verstand. »Ihn hat es auf ein Schiff der Ewigen Karawane verschlagen. Er hat sich gegen die Roboter behauptet, und irgendwann hat er wahrscheinlich den Verstand verloren. Wenn es uns doch geglückt wäre, uns mit ihm zu verständigen.« Er wandte sich an den Roboter. »Gibt es sonst noch jemanden in der Karawane der Raumschiffe, gegen den ihr kämpft?« »Es gab einige«, erwiderte der Roboter und richtete sich höher auf. »Wir haben sie alle besiegt und in die Schranken verwiesen. Niemand kann den Großen Wächter überwinden.« »Der Große Wächter?« fragte Thalia. »Wer ist das?« »Ich«, brüllten alle Roboter in der Zentrale. »Ich«, dröhnte es aus den Lautsprechern an der Decke. »Wer war das?« forschte Thalia. Der Roboter auf dem Steuerleitpult lachte. »Fehlt nur noch, daß er sich gegen die Brust klopft«, murmelte Atlan. Es war das Raumschiff, konstatierte der Logiksektor. Der Große Wächter ist das Schiff mit allen Einrichtungen. Die Roboter eingeschlossen. »Wir sind also die einzigen lebenden Wesen in der Karawane«, bemerkte der Arkonide. »Wir möchten euch dafür danken, daß ihr uns geholfen habt. Unser Raumschiff wurde verfolgt, und ohne eure Hilfe wären wir verloren gewesen.« »Wir haben die positiven Impulse empfangen«, erklärte der Roboter, während er eine winzige Luke am Steuerleitpult öffnete. Er holte eine Glaslinse aus einer Vertiefung und hielt sie sich vor die Optik, die für Atlan und Thalia plötzlich deutlich vergrößert erschien. Der Arkonide und seine Begleiterin hatten das Gefühl, daß der Roboter sie durch die Linse musterte, doch Atlan wußte, daß es eine andere Erklärung für das Verhalten des Roboters geben mußte. Er vermutete, daß die »Linse« ein hochentwickeltes Unter-
H. G. Francis suchungsinstrument darstellte, das alles andere, nur keineoptischen Aufgaben zu bewältigen hatte. »Die positiven Impulse waren Anlaß genug für uns, euch zu helfen«, fuhr der Roboter in seiner Erklärung fort. Atlan vermutete, daß er die von der großen Plejade ausgehenden Impulse meinte, wollte jedoch auch nicht ausschließen, daß die Impulse des Zellaktivators gemeint waren. Er hielt es auch für möglich, daß der Zellaktivator die Wirkung der großen Plejade verstärkte. »Wohin fliegt die Karawane?« fragte Thalia. »Können wir für einige Zeit bei euch bleiben, bis wir vor den Verfolgern sicher sind?« »Wir bringen euch zur Silberwelt«, erklärte der Roboter und ließ die Linse im Pult verschwinden. »Ein seltsamer Name für einen Planeten«, sagte Atlan. »Was bedeutet er?« Der Roboter antwortete nicht. Er öffnete eine Klappe zwischen den Instrumentenanzeigen, kletterte hinein und zog sie hinter sich zu. »Moment mal«, rief der Arkonide. »Erwartet ihr, daß wir an Bord dieses Schiffes bleiben, oder seid ihr damit einverstanden, daß wir zur HORIET zurückgehen?« Die Klappe öffnete sich wieder. Der Roboter blickte heraus und winkte mit einem Arm. »Geht nur zu eurem Schiff. Ich habe nichts dagegen.« »Danke.« »Wie großzügig«, spöttelte Thalia, als sie die Zentrale verließen. Mittlerweile hatten sich alle Roboter zurückgezogen. Jetzt wirkte das Schiff wieder so, als seien sie allein an Bord. Wenig später schwebten sie zur HORIET hinüber, ohne aufgehalten zu werden. »Ich möchte wissen, was passiert, wenn wir mit der HORIET flüchten«, sagte Thalia, als sie ihren Raumhelm aufklappte. »Ob der Große Wächter damit einverstanden wäre?« »Lassen wir es lieber nicht auf einen Ver-
Die Ewige Karawane such ankommen.« Sie gingen in die Zentrale, wo sich alle dreißig Dellos versammelt hatten, und berichteten, was geschehen war. BronniterVrang hörte mit. Er stellte hin und wieder eine Frage und ließ erkennen, daß er von den freundschaftlichen Absichten des Roboter überzeugt war. »Ich habe niemals etwas Negatives über die Ewige Karawane gehört«, erklärte er. »Daher glaube ich, daß wir dem Großen Wächter vertrauen können.« »Eine Überraschung hat er noch für uns bereit«, sagte Thalia und deutete auf einen der Bildschirme. Eine menschenähnliche Gestalt schwebte auf die HORIET zu. Sie sah bizarr und unfertig aus. Atlan hatte den Eindruck, sie werde im nächsten Moment zerfallen und sich in Einzelteile auflösen. »Was soll das sein?« fragte Fälser, der Kommandant der Dellos. »Eine Karikatur?« »Das sind lauter kleine Roboter, die sich zu dieser Gestalt zusammengefügt haben«, stellte Thalia fest. »Laß das Ding herein, Bronniter-Vrang«, befahl Atlan. »Ich habe die Schleuse geöffnet«, erwiderte das Quallenwesen. Einige Minuten verstrichen. Dann glitt das Schott der Zentrale auf, und die bizarre Gestalt trat schwankend und wankend ein. Sie setzte sich aus mehr als hundert Einzelrobotern zusammen, die sich in ständiger Bewegung befanden. Dabei veränderte die Gestalt ihr Aussehen mehr und mehr, so daß sie dem Äußeren eines Menschen immer ähnlicher wurde. Unsicher schritt sie in der Zentrale auf und ab, doch gelang es ihr von Minute zu Minute besser, die Bewegungen zu koordinieren. »Hordinal«, verkündete sie schwerfällig und kaum verständlich. »Nennt mich Hordinal. Das ist mein Name.« »Hordinal«, antwortete der Arkonide. »Du bist uns willkommen. Was führt dich zu uns?« »Ich will euch helfen«, erwiderte das Ro-
13 botergebilde. Seine Stimme wurde klarer und verständlicher. »Die Karawane wird bald zum überlichtschnellen Flug übergehen. Dann müßt ihr bei ihr bleiben können. Dazu sind einige Berechnungen und Neuprogrammierungen notwendig. Ich werde sie gemeinsam mit dem Organteil dieses Schiffes erarbeiten.« Wiederum schritt er in der Zentrale auf und ab. Jetzt waren seine Bewegungen sicher. Sie wirkten leicht und geschmeidig. Das Robotergewirr war zur Ruhe gekommen. Jeder einzelne Roboter schien seine endgültige Position gefunden zu haben. Plötzlich wandte sich Hordinal dem Steuerleitpult zu. Er betrachtete es einige Minuten lang und führte dann eine Reihe von Schaltungen durch. Bronniter-Vrang meldete sich. Er gab knappe Kommentare zu den Schaltungen ab und bestätigte immer wieder, daß sie richtig durchgeführt wurden. Dann entwickelte sich ein technischer Dialog zwischen Hordinal und Bronniter-Vrang, und plötzlich beschleunigte das Raumschiff. Atlan blickte auf die Bildschirme. Die Sterne verfärbten sich. Die Ewige Karawane beschleunigte ebenfalls. Die HORIET veränderte ihre Position zu ihr nicht. Dann verschwanden die Sterne von den Bildschirmen. Weiße, wabernde Glut schien das Schiff zu umhüllen. Die Schiffshülle begann zu dröhnen. Thalia legte Atlan besorgt die Hand auf den Arm. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er beruhigend zu ihr. »Die HORIET fliegt schneller, als sie je geflogen ist. Sie muß es, wenn sie mithalten will.«
3. Als die Sterne wieder auf den Bildschirmen erschienen, glitt die HORIET an einer riesigen blauen Sonne vorbei. BronniterVrang ermittelte innerhalb von Sekunden, daß die Sonne vierzehn Planeten hatte. Hordinal nahm eine Kurskorrektur vor, die das Schiff von der Ewigen Karawane
14 trennte. Gleichzeitig sank die Geschwindigkeit der HORIET. Sie näherte sich dem vierten Planeten der blauen Sonne, einer Welt, die von einer leuchtenden Aura umgeben zu sein schien. »Es ist die Silberwelt«, erklärte Hordinal. »Dort könnt ihr euch für einige Zeit verstecken. Auf ihr seid ihr sicher vor euren Verfolgern.« »Das kann niemand wissen«, entgegnete Atlan. »Sie werden euch nicht finden«, betonte der Roboter. »Ich werde bei euch sein und euch helfen, das Raumschiff an einen Ort zu bringen, an dem niemand es entdecken wird.« Die Karawane verschwand aus dem Ortungsbereich der HORIET, als diese die Silberwelt erreichte. Gebannt blickten Atlan, Thalia und die Dellos auf die Bildschirme. Der Planet leuchtete hell wie eine Sonne. Der Arkonide zählte neun Kontinente, während die HORIET die Silberwelt umkreiste und dabei in die Atmosphäre glitt. Auf allen Kontinenten gab es weite Landstriche, die intensiv strahlten. »Was ist das?« fragte Thalia. »Wieso leuchten diese Gebiete so?« »Ich kann noch nichts erkennen«, erwiderte der Unsterbliche. »Es könnten Kristallwälder sein. Das würde dieses Strahlen und Flimmern erklären.« Die HORIET näherte sich der Küste eines Kontinents, der auf der südlichen Halbkugel des Planeten lag. Die Konturen der Landschaft waren nicht auszumachen. Sie wurden von dem intensiven Leuchten und Glitzern überstrahlt. Hordinal lenkte das Raumschiff auf eine Landzunge zu, die weit ins Meer ragte. Auf ihr erhob sich ein Felsen, auf dem eine Burg stand. Riesige Wellen brandeten gegen die Küste. Sie brachen sich gischtend an Mauern, die rings um die Landzunge errichtet waren. Wo die Landzunge ins Ufer überging, stand ein Tor, das von zwei vogelähnlichen Metallgebilden flankiert wurde. Das ist kein Versteck, warnte der Logik-
H. G. Francis sektor, als erkennbar wurde, daß Hordinal in unmittelbarer Nähe des Tores landen wollte. Hier sitzt ihr wie auf dem Präsentierteller. Atlan schnellte sich mit aller Kraft gegen Hordinal. Er schleuderte ihn zur Seite und überraschte ihn. Der Roboter stürzte zu Boden und löste sich scheppernd und krachend in seine Einzelteile auf. Ein chaotisches Durcheinander von Kleinstrobotern entstand, während der Arkonide die Schaltungen änderte. »Weiterfliegen, Bronniter-Vrang«, schrie er. »Wir dürfen auf keinen Fall hier landen.« Er blickte auf den Boden. Die Kleinstroboter krochen übereinander und setzten sich erneut zu einem menschenähnlichen Gebilde zusammen. Atlan konnte absehen, daß Minuten vergehen würden, bevor Hordinal wieder aktionsfähig war. Die HORIET stieg wieder an und raste über die Burg hinweg. Bei den beiden Metallvögeln blitzte es auf. Ein heftiger Schlag traf die HORIET und warf sie herum. Für einen kurzen Moment schien es, als werde sie auseinanderbrechen. »Sie haben uns getroffen«, rief BronniterVrang entsetzt. »Ich kann das Schiff nicht mehr halten. Helft mir.« Atlan unterstützte das Quallenwesen so gut er konnte. Die HORIET entfernte sich von der Burg. Sie jagte über strahlende und glitzernde Kristallwälder. »Schaffst du es?« fragte Thalia. »Nein«, antwortete der Arkonide. »Das Schiff ist verloren. Sie haben den Antrieb getroffen.« Er verzögerte. Die HORIET schüttelte sich, als wenn sie von zahllosen Geschossen getroffen würde. Gleichzeitig sackte sie ab. Sie streifte die Spitzen einiger hoch aufragender Kristalle. Dann öffnete sich ein grünes Tal vor ihr. Atlan machte die letzten Kräfte der Maschinen mobil. Schwankend und bebend setzte die HORIET auf. Gleichzeitig erschütterten mehrere Explosionen das Schiff. »Verlaßt das Schiff«, befahl der Arkonide. »Schnell.«
Die Ewige Karawane Thalia und die Dellos rannten aus der Zentrale. Hordinal richtete sich schwerfällig auf. Er folgte ihnen. Atlan blieb noch am Steuerleitpult. »Bronniter-Vrang«, sagte er leise. »Hörst du mich?« »Ich höre dich, Atlan.« »Ich habe alles versucht und getan, was in meiner Macht stand.« »Ich weiß es.« »Es tut mir leid.« »Du kannst mein Schicksal nicht ändern. Nicht du bist schuld, sondern jene, die mich mit diesem Schiff verbunden haben. Geh jetzt, sonst ist es zu spät für dich.« »Ich verliere einen Freund.« »Du gibst mir Mut. Ich danke dir.« Atlan senkte den Kopf. »Ich werde dich rächen, Bronniter-Vrang. Ich werde dafür kämpfen, daß die Schuldigen bestraft werden, und daß sie nie wieder in der Lage sein werden, anderen das anzutun, was sie dir angetan haben.« »Ich weiß es, Atlan.« Die Stimme des Quallenwesens klang gequält. Sie ließ erkennen, daß Bronniter-Vrang Schmerzen litt. Rauchwolken zogen in die Zentrale. »Geh jetzt. Das Schiff steht in Flammen. Wenn du noch länger bleibst, kannst du die HORIET nicht mehr verlassen. Mein Tod ist nicht das Ende. Ich werde in anderer Form leben. Das ist gewiß, und dadurch wird mir das Sterben leichter. Lebe wohl, Atlan.« Ein lautes Knacken zeigte dem Arkoniden an, daß Bronniter-Vrang die Verbindung abgebrochen hatte. Der Boden unter den Füßen des Arkoniden erzitterte. Immer neue Explosionen erschütterten das Schiff. Atlan wandte sich um und rannte durch das offene Schott hinaus. Überall im Schiff brannte es. Der Boden wurde immer heißer unter den Füßen des Unsterblichen. Die Wandplatten barsten unter dem Einfluß der Hitze. Rauchschwaden zogen durch das Schiff. Hustend und keuchend erreichte Atlan die Schleuse. Er floh taumelnd aus dem sterbenden Schiff.
15 Thalia, die Dellos und Hordinal warteten etwa hundert Meter von der HORIET entfernt auf ihn. »Verräter«, sagte Atlan zum Roboter. »Du hast uns hierher gelockt, obwohl du genau wußtest, daß man uns angreifen würde. Du hast uns in eine Falle geführt.« »Das ist nicht wahr«, entgegnete Hordinal entrüstet. »Der Große Wächter hat mir befohlen, euch hierher und in Sicherheit zu bringen.« »Du bist der Große Wächter«, erwiderte Atlan erregt. Seine Augen tränten. »Ich bin nur ein Teil von ihm«, stellte Hordinal richtig. »Allein kann ich nicht entscheiden.« Atlan fühlte, daß die Erregung ihn zu übermannen drohte. Er wußte, daß sie darauf zurückzuführen war, daß Bronniter-Vrang in diesen Sekunden mit der HORIET starb. Er mußte an sich halten, um sich nicht auf Hordinal zu stürzen. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn plötzlich. »Die große Plejade«, sagte er und klopfte seine Taschen ab. »Sie ist nicht da.« »Du hast sie in der Zentrale abgelegt«, bemerkte Thalia. »Ich habe es gesehen. Sie liegt in einem Fach am Steuerleitpult.« »Ich muß sie holen«, sagte Atlan und rannte los. »Sie darf nicht mit dem Schiff untergehen.« »Das ist Wahnsinn«, rief Thalia. »Du kannst sie nicht mehr retten.« Atlan ließ sich nicht aufhalten. Er rannte auf das Raumschiff zu, dessen Heck bereits rotglühend war. Auch der Bug stand in hellen Flammen. Die transparente Halbkugel, in der Bronniter-Vrang gelebt hatte, war zerborsten. Von dem Quallenwesen war nur noch ein schwärzlich verbrannter Klumpen übrig. »Bleib hier«, brüllte Hordinal und eilte mit Riesensätzen hinter dem Arkoniden her. Er holte ihn etwa dreißig Meter vor dem Raumschiff ein, packte ihn an der Schulter und riß ihn zurück. Atlan strauchelte und stürzte zu Boden. Der Roboter eilte an ihm vorbei.
16 »Ich hole die große Plejade für dich«, rief er ihm zu. »Ich werde dir beweisen, daß ich kein Verräter bin.« Atlan richtete sich langsam auf. Flammen schossen aus der Schleuse. Hordinal sprang mitten in sie hinein, als habe er die Hitze nicht zu fürchten. In diesem Moment wurde dem Arkoniden klar, daß er es nicht geschafft hätte, ins Schiff zu kommen. Die glühende Hitze hätte ihn zurückgetrieben. Nur ein Roboter durfte es noch wagen, die HORIET zu betreten. Er benötigte keinen Sauerstoff für seinen Betrieb, konnte sich also selbst mitten im Feuer noch bewegen, wo jeder Mensch augenblicklich bewußtlos geworden wäre. Schritt für Schritt wich Atlan vor dem Raumschiff zurück. Einige Explosionen rissen das Heck der HORIET auf. »Sei froh, daß er dich zurückgehalten hat«, sagte Thalia, als er sie und die Dellos erreichte. »Hätte er es nicht getan, wärest du jetzt schon tot.« »Die große Plejade ist zu wertvoll«, bemerkte der Arkonide. »Sie hat eine zu große Bedeutung für die Völker dieser Galaxis. Ich hätte nicht so leichtfertig damit umgehen dürfen.« »Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen«, widersprach sie. »Du konntest nicht wissen, daß man uns angreifen würde. Im Gegenteil. Wenn du nicht rechtzeitig reagiert hättest, dann hätten die beiden Metallvögel das Schiff noch besser getroffen, und wir wären auf der Stelle abgestürzt. Niemand wäre lebend herausgekommen.« »Mag sein, aber das ist kein Trost für mich.« Nach einigen weiteren Explosionen zerbrach die HORIET in drei Teile. Glutflüssiges Material sickerte aus den Bruchstellen. »Ich glaube, wir müssen Hordinal abschreiben«, sagte Thalia, als etwa fünf Minuten verstrichen waren. »Er kommt nicht mehr.« »Und die große Plejade«, fügte Atlan hinzu. Er wollte sich bereits abwenden und den
H. G. Francis Dellos befehlen, sich weiter vom Wrack, zurückzuziehen, als sich ein glühendes Gebilde aus den Trümmern löste. Er bewegte sich torkelnd auf ihn zu. »Hordinal«, rief Thalia. »Aber das ist doch nicht möglich.« Von Hordinal war kaum mehr als ein zerschmolzenes und verbogenes Stück Metall übriggeblieben, das sich nur mühsam voranbewegte. Und auch dieser Rest hielt sich nicht, sondern löste sich auf. Atlan rannte auf das Roboterwrack zu, obwohl die Hitze nahezu unerträglich wurde. Schützend hielt er die Hände vor das Gesicht. »Hordinal«, schrie er. »Hast du die große Plejade?« Im gleichen Augenblick schalt er sich einen Narren. Er konnte nicht annehmen, daß dieses glühende Stück Metall ihn hören konnte. Doch dann zeigte sich, daß seine Skepsis verfrüht war. Hordinal stürzte zu Boden und löste sich dabei in seine Einzelteile auf. Dabei kamen einige Kleinstroboter zum Vorschein, die noch nicht glühten. Eine Kugel rollte über den Boden auf Atlan zu. Die große Plejade! Sie war so heiß, daß sich das Gras verfärbte, wo sie es traf. Atlan blickte zu Hordinal hinüber. Er sah, daß die Einzelroboter bewegungslos liegenblieben. Sie hatten ihren letzten Auftrag erfüllt. Jetzt vergingen sie. Die große Plejade blieb vor seinen Füßen liegen. Er glaubte, ihre Ausstrahlung zu fühlen. Er warf etwas Erde über sie, um sie abzukühlen, entfernte sie nach einigen Sekunden und tauschte sie gegen kühle Erde aus. Diese Prozedur wiederholte er einige Male, bis die Plejade sich so weit abgekühlt hatte, daß er sie in die Hände nehmen konnte. Er steckte sie ein und eilte zu Thalia. »Wir haben noch einmal Glück gehabt«, sagte er. »Komm.« Sie entfernten sich hinter einige Erdwälle, so daß sie bei einer Explosion des Triebwerks einen gewissen Schutz hatten. Jetzt erst nahm Atlan sich die Zeit, sich umzuse-
Die Ewige Karawane hen, um sich darüber zu informieren, wo sie gelandet waren. Sie befanden sich in einem üppig grünenden Tal, das durch sanft ansteigende Hügelketten begrenzt wurde. An einigen Stellen erhoben sich Kristallwälder. Sie glichen zu Bündeln zusammengefaßten Scheinwerferstrahlen, die von Vertiefungen im Boden ausfächerförmig zu den Wolken aufstiegen. Dabei strahlten und funkelten die Kristalle in gleißendem Licht. Sie schienen das Licht des Feuers in sich aufzusaugen, um es vielfach verstärkt und farblich verfremdet wieder abzustrahlen. Die Pflanzen hatten fremdartige Formen, die Atlan an Bilder aus dem Mikrokosmos erinnerten, so daß er das Gefühl hatte, in eine Welt geraten zu sein, in der Viren und Bakterien herrschten, die ins Gigantische vergrößert waren. Zwischen den Bäumen und Büschen dieser seltsamen Vegetation wimmelte es von fliegenden Insekten aller Art und Größe. Glücklicherweise belästigten sie Atlan und seine Begleiter nicht. »Was jetzt?« fragte Fälser, der Kommandant der Dellos. »Ich schlage vor, daß wir zur Burg gehen«, erwiderte der Arkonide. »Es ist das einzige Bauwerk, das ich bei unserem Absturz beobachtet habe.« »Genügt dir die Abfuhr noch nicht, die wir uns geholt haben?« fragte Thalia. Atlan lächelte nachsichtig. »Dir sitzt der Schreck noch in den Gliedern, Thalia«, sagte er. »Ich gebe zu, daß es nicht besonders angenehm ist, mit einem Raumschiff abzustürzen. Nach einer solchen Schlappe neigt man dazu, den Gegner zu überschätzen. Es bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als uns mit der Burg zu befassen.« »Willst du mir Feigheit vorwerfen?« fragte sie hitzig. »Du weißt, daß ich das nicht will«, antwortete er. »Du weißt aber auch, daß wir keine andere Möglichkeit haben, als gegen die Burg zu kämpfen. Oder willst du aufgeben, dich hier irgendwo auf der Silberwelt
17 ansiedeln und Pthor vergessen? Auf Pthor gibt es immer noch einige, die glauben, daß wir vor den drohenden Gefahren weggelaufen sind. Ich werde ihnen nicht dadurch recht geben, daß ich mich verstecke und den Dunklen Oheim gewähren lasse.« »Du hast recht«, sagte sie. »Wie immer.« Sie lächelte unsicher und fuhr sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. »Wir werden es denen in der Burg heimzahlen, daß sie uns abgeschossen haben.« »Ich weiß auch jetzt noch nicht, ob Hordinal uns betrogen hat oder nicht.« »Ich glaube nicht.« »Ich neige auch dazu, das anzunehmen, andernfalls hätte er wohl kaum die große Plejade gerettet und sich dabei geopfert. Ich meine, daß Hordinal durch den Angriff überrascht wurde. Er wollte, daß wir in der Nähe der Burg landen. Daraus können wir schließen, daß die Burg eine Schlüsselstellung auf der Silberwelt einnimmt. Wir müssen zur Burg, wenn wir klären wollen, welches Geheimnis es um die Silberwelt gibt und wenn wir wieder zu einem Raumschiff kommen wollen, mit dem wir diesen Planeten verlassen können.« »Ich sagte ja schon, daß du recht hast«, entgegnete Thalia gereizt. »Wir sollten nicht reden, sondern endlich aufbrechen.« »Dagegen habe ich nichts einzuwenden.« Atlan erstieg einen der Hügel in der Nähe, um von hier aus die Richtung festzulegen, in die sie gehen mußten. Die landende HORIET hatte eine deutliche Spur im Boden hinterlassen, so daß noch gut zu erkennen war, aus welcher Richtung sie gekommen war. Der Weg zur Burg führte durch glitzernde und strahlende Kristallwälder, die sich bis zum Horizont erstreckten. Atlan schätzte, daß sie wenigstens fünfzig Kilometer bis zur Küste zurücklegen mußten. Die Sonne hatte den Horizont überschritten. In einigen Stunden war der Tag zu Ende. Dennoch entschloß er sich dazu, sofort aufzubrechen, um keine Zeit zu verlieren, zu-
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H. G. Francis
mal sie keinen Vorteil davon hatten, wenn sie in der Nähe der HORIET blieben. Er gab Thalia und den Dellos das Zeichen zum Aufbruch.
* Ein geheimnisvolles Wispern erfüllte den Kristallwald. Es schien aus ständig wechselnden Richtungen zu kommen. Tausendfältig brach sich das Licht der untergehenden Sonne in den Kristallen und schuf Trugbilder. Mehrere Male mußte Atlan beruhigend auf die Dellos einreden, um sie vor einer sinnlosen Flucht zu bewahren. Sie meinten, fremdartige Gestalten zwischen den Kristallgebilden wahrgenommen zu haben, und sie fühlten sich bedroht. Je weiter sie in den Wald vordrangen, desto verschüchterter wirkten sie. Das war für Atlan um so überraschender, als sie sich bisher als zuverlässig und furchtlos erwiesen hatten, seit sie Pthor verlassen hatten. Selbst Fälser, der sonst nicht so leicht zu beeindrucken war, wurde immer unsicherer. Er suchte in auffallender Weise die Nähe Atlans. Mühsam arbeiteten sich Atlan und seine Begleiter voran. Sie mußten ständig über Hindernisse aus Kristallen oder umgestürzten Bäumen klettern. Je tiefer die Sonne sank, desto lauter wurde das Wispern und Flüstern, bis selbst Atlan glaubte, menschliche Stimmen zu vernehmen. Er blieb stehen und hob die Hand, um den anderen zu bedeuten, daß sie ruhig sein sollten. Er glaubte, eine humanoide Gestalt zu sehen, die sich zwischen den hoch aufragenden Kristallen vor ihm bewegte. »Wir sind nicht allein«, wisperte Thalia. »Irgend jemand ist da.« Sie zeigte auf die Kristalle, die bis zu einer Höhe von zwanzig Metern und darüber aufragten. »Jemand verfolgt uns.« Atlan lief los. Er schnellte sich über einige Kristalle hinweg und stürmte auf eine glitzernde Wand zu, hinter der er deutlich ei-
ne hochgewachsene Gestalt erkannte. Als er auch das letzte Hindernis umlaufen wollte, prasselte plötzlich ein Kristallschauer gegen seinen Rücken. Dann zuckten Blitze aus den Wolken herab. Eine Bö fegte über das Land und wirbelte Milliarden von winzigen Kristallen auf. Zahllose Kristallgebilde, die bis dahin wie unzerstörbare Monumente einer fremden Macht erschienen waren, zerplatzten in winzige Fragmente, die vom Wind aufgewirbelt wurden. Atlan hielt sich die Hände schützend vor die Augen. Thalia und die Dellos schlossen ihre Raumhelme. Die fremde Gestalt war verschwunden. Atlan ging einige Schritte weiter, weil er hoffte, sie doch noch zu sehen, aber er blickte nur in ein Gewirr von glitzernden, schimmernden und strahlenden Kristallen, die alles Licht in sich zu vereinen schienen. Der Wind steigerte sich zum Sturm. Er trieb Kristalle vor sich her, die Faustgröße erreichten und wie Geschosse auf Atlan, Thalia und die Dellos herabprasselten. »Legt euch auf den Boden«, schrie der Arkonide, der Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Er sah, daß einige Dellos fliehen wollten, obwohl es nirgendwo einen Ort gab, an dem sie vor dem Kristallsturm in Sicherheit waren. Er kämpfte sich zu ihnen hin und warf sie zu Boden. Schützend kreuzten sie die Arme über dem Kopf. Atlan sank neben Thalia nieder. Ihre Augen waren weit geöffnet. Ein Kristall hatte sie so unglücklich getroffen, daß sie das Bewußtsein verloren hatte. Er konnte nichts tun. Er konnte nur abwarten, bis der Sturm abflaute, doch Stunde um Stunde verstrich, ohne daß sich etwas änderte. Der Sturm peitschte die Kristalle mit unverminderter Wucht über das Land. Die Dunkelheit brach an, und die Nacht senkte sich herab. Atlan spürte, wie die Kristalle gegen seinen Körper prallten. Er hatte den Wunsch, sich irgendwo zu verkriechen, wo er vor dem Trommelfeuer der Kristalle sicher war, doch es schien nichts in seiner Nähe zu geben, was Schutz gewährte.
Die Ewige Karawane Erst als der Tag anbrach, ließ der Sturm nach. Überall hatten sich Kristallwehen gebildet, die teilweise so hoch waren, daß die Dellos darunter verschwunden waren. Atlan raffte sich mühsam auf. Er kämpfte sich zu einem Dello vor, von dem nur noch die Beine zu sehen waren. Mit den Händen schaufelte er die Kristalle zur Seite, bis er den Dello aus dem glitzernden Berg ziehen konnte. Es war Fälser. Sein Gesicht war eingefallen und von den überstandenen Strapazen gezeichnet. Die anderen Dellos sahen nicht anders aus. Sie waren so erschöpft, daß sie sich nicht auf den Beinen halten konnten. Auch Thalia war so geschwächt, daß sie auf dem Boden sitzen blieb. »Ich muß etwas trinken«, sagte sie, nachdem sie den Raumhelm geöffnet hatte. »Wir haben nichts«, erwiderte Atlan. »Uns fehlt überhaupt so ziemlich alles, was wir benötigen.« Thalia schrie auf. Atlan fuhr herum. Zwischen den hoch aufragenden Kristallen, die den Sturm zum Teil unbeschädigt überstanden hatten, tauchten ausgemergelte Gestalten auf. Es waren Krejoden. Sie waren so dürr, daß es Atlan wie ein Wunder erschien, daß sie sich auf den Beinen halten konnten. Sie trugen Metallstangen in den Händen. Grüßend hob der Arkonide die rechte Hand. »Endlich treffen wir jemanden«, sagte er. »Wir dachten schon, wir seien allein auf diesem Planeten.« Er zählte zwanzig Krejoden. Sie waren alle über zweieinhalb Meter groß. Sie wirkten besonders groß und dünn, weil sie alle fast nackt waren. Und was sie noch am Leib trugen, hing in Fetzen herunter. Einer der Krejoden gab knarrende Töne von sich. Atlan verstand seine Worte nicht, begriff deren Sinn jedoch augenblicklich. Die Krejoden griffen an. Sie stürmten auf ihn und den erschöpften Dellos zu. Atlan warf sich ihnen entgegen, obwohl er wußte, daß er sich gegen sie nicht behaupten konnte. Er stand ihnen praktisch allein gegenüber, weil Thalia und die Dellos
19 zu geschwächt waren. Er wehrte einige Hiebe mit den Händen und den Armen ab. Dann riß ihn ein Krejode von hinten um, und eine Metallstange traf ihn am Kopf. Wie gelähmt fiel er zu Boden. Er verlor das Bewußtsein nicht, doch die Schmerzen, die seinen Körper überfluteten, waren so stark, daß er sich nicht mehr erheben konnte. Jegliches Gefühl wich aus Armen und Beinen, während die Krejoden ihm alles abnahmen, was er bei sich trug. Er sah, daß sie auch Thalia und die Androiden ausplünderten. Niemand leistete ernstzunehmenden Widerstand. Der Anführer der Gruppe trat an Atlan heran und stieß ihm den Fuß in die Seite. »Das hat euch nicht gefallen«, sagte er in Garva-Guva. »Natürlich nicht. Es ist jedoch nicht zu ändern. Seht zu, daß ihr weiterkommt. Dies ist unser Gebiet. Wenn ihr es noch einmal betretet, sehen wir uns gezwungen, andere Waffen einzusetzen.« Er griff unter die schmutzigen Fetzen, die seinen Körper bedeckten, und zeigte Atlan einen Energiestrahler. Dann gab er seinen Begleitern das Zeichen zum Aufbruch und verschwand mit ihnen im Kristallwald.
4. »Ich gebe die große Plejade nicht auf«, sagte Atlan. »Wir holen sie uns wieder.« »Trotz der Waffe?« fragte Fälser, der sich inzwischen etwas erholt hatte. Atlan lächelte. Er hatte die Lähmung überwunden. »Er muß uns erst einmal beweisen, daß sie auch geladen ist.« Er folgte den Krejoden ins Dickicht des Kristallwalds. Thalia gab den Dellos einen befehlenden Wink und schloß sich ihm an. Er kletterte auf einen scharfkantigen, etwa zehn Meter hohen Kristall. Von hier aus hatte er einen guten Überblick. Er sah, daß die Krejoden etwa hundert Meter von ihm entfernt in eine Höhle stiegen. Zwei von ihnen blieben zurück. Sie gingen zu einem meterhohen Spinnennetz, das sich zwischen den
20 Kristallen spannte. Mit einigen Schlägen vertrieben sie große, dunkle Spinnen aus dem Netz. Dann nahmen sie mehrere faustgroße Kugeln daraus hervor und eilten nun ebenfalls in die Höhle. »Sie haben ein Spinnennetz geplündert«, berichtete Atlan, als er wieder bei Thalia war. »Willst du behaupten, daß sie Spinneneier essen?« fragte sie und erschauerte vor Abscheu. »Ich weiß nicht, ob sie sie essen«, erwiderte er. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wozu sie die Eier sonst verwenden.« »Ich würde eher sterben, als Spinneneier zu essen.« »Du bist keine Krejodin. Wenn du eine wärst, würdest du sie vielleicht sogar als Delikatesse ansehen.« Sie schüttelte sich vor Entsetzen und bat ihn zu schweigen. »Laß uns lieber weitergehen«, sagte sie. »Die Krejoden rechnen bestimmt nicht damit, daß wir ihnen schon jetzt folgen.« »Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch.« Vorsichtig drangen Atlan und seine Begleiter weiter vor, wobei sie sich bemühten, jegliches Geräusch zu vermeiden. Bald zeigte sich, daß die Krejoden tatsächlich nicht mit einer Verfolgung rechneten. Sie hatten nur wenig erbeutet, und nichts davon mochte ihnen so wertvoll erscheinen, daß jemand dafür sein Leben riskierte. Atlan erreichte den Höhleneingang, ohne bemerkt worden zu sein. Er bestimmte neben Fälser noch vier weitere Dellos, die ihn in die Höhle begleiten sollten. Die anderen sollten unter Thalias Kommando vor der Höhle bleiben. Doch damit war die Tochter Odins nicht einverstanden. »Sie sind in der Überzahl«, sagte sie. »Wir müssen mit allen Dellos angreifen.« »Wir würden uns nur den Fluchtweg versperren, wenn wir mit zuvielen in die Höhle gehen«, widersprach Atlan. »Wenn sich zeigt, daß sich ein Angriff lohnt, hole ich die anderen nach.« Der in die Tiefe führende Gang erwies
H. G. Francis sich als so schmal, daß die Männer nur langsam vorankamen. Kristalle ragten an vielen Stellen in den Gang. Sie verbreiteten so viel Licht, daß der Gang ausreichend beleuchtet war. Die Kristalle leiteten das Sonnenlicht, das sie über den Felsen einfingen, in die Tiefe. Als Atlan etwa zwanzig Meter weit vorgedrungen war, vernahm er die knarrenden Stimmen der Krejoden. Vorsichtig schob er sich weiter vor, bis er über einige Felsbrocken hinweg in eine weite Höhle sehen konnten. Hier hielten sich etwa vierzig Krejoden auf. Sie befanden sich alle in einem äußerst schlechten Zustand. Die meisten von ihnen sahen aus, als stünden sie unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Sie scharten sich um einen meterhohen, blau strahlenden Kristall, auf dem ein Krejoden-Junges hockte. Dieses Kind machte einen ausgesprochen gesunden und frischen Eindruck. Es spielte mit der großen Plejade. Es warf die Kugel in die Höhe und fing sie wieder auf, wobei es vergnügt knarrte. Atlan wußte, daß die Krejoden ihre Kinder wie Götter behandelten. Für ihn war klar ersichtlich, daß die Krejoden in der Höhle sich für das Kind aufopferten. Sie selbst lebten in ärgster Not. Sie hungerten und gaben dem Kind alles, was dieses haben wollte. Dieses Kind war wahrscheinlich das einzige Krejoden-Kind auf der Silberwelt. Dadurch war es für die Krejoden besonders wichtig, es zu pflegen und umhegen. Atlan zog sich einige Schritte weit zurück und befahl einem der Dellos, Thalia und die anderen Androiden zu holen. Der Dello eilte davon. Atlan kehrte zu seinem Beobachtungsplatz zurück. Er sah, wie die Krejoden sich mit dem Kind beschäftigten, wie sie alles nur Erdenkliche taten, es zu unterhalten. Dabei übersahen sie völlig, daß das Kind viel lieber mit sich und den Sachen allein gewesen wäre, die sie ihm zum Spielen gegeben hatten. Einige Minuten verstrichen. Dann erschien Thalia neben dem Arkoniden. Sie berieten sich flüsternd. Thalia war sofort mit dem
Die Ewige Karawane Vorschlag einverstanden, den der Unsterbliche ihr unterbreitete. Atlan drehte sich um und gab Fälser das Zeichen zum Angriff. Die Dellos brüllten laut auf und warfen sich in die Höhle. Der Arkonide schnellte sich über die Felsbrocken hinweg, hinter denen er sich versteckt hatte, und rannte auf das Kind zu. Die Krejoden warfen sich ihm entgegen. Sie versuchten, ihn aufzuhalten, doch sie waren viel zu schwach. Sie konnten sich gegen ihn nicht behaupten. Er fegte sie mit den Armen zur Seite und kämpfte sich zum Kind durch. Er packte es mit der rechten Hand, nahm die große Plejade mit der linken und flüchtete zu einer Felswand. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und umklammerte das Kind, das vor Angst knarrende Laute von sich gab. Die Krejoden standen wie gelähmt in der Höhle und blickten ihn an. Einige von ihnen waren zusammengebrochen. Sie lagen bewegungslos auf dem Boden. Die Dellos hatten gar nicht in den Kampf eingegriffen. Lediglich Thalia hatte gekämpft. Sie hatte einige Gegner niedergeschlagen. »Rückt die Sachen wieder heraus, die ihr uns abgenommen habt«, befahl der Arkonide. Der Anführer der Krejoden trat auf ihn zu. Er hielt den Energiestrahler in den Händen. »Niemals«, rief er. Atlan lachte lautlos. Er drückte das Kind fester an sich. »Schon gut«, sagte er. »Hoffentlich verkraftet ihr die Folgen.« Der Anführer der Krejoden schrie auf. »Du wirst dem Kind nichts tun.« »Wir wollen zur Küste«, erklärte Atlan. »Wir werden die Burg angreifen. Deshalb interessiert uns eure Situation nicht. Wir benötigen jedoch die Ausrüstung. Wir nehmen sie uns zurück und verschwinden. Daran wird uns niemand hindern. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch uns anschließen. Wenn ihr nicht wollt, bleibt hier. Aber haltet uns nicht auf.« Der Anführer der Krejoden schob seine
21 Waffe wieder in den Gurt, der seinen dürren Körper umspannte. »Ihr seid Narren«, sagte er mit knarrender, schwer verständlicher Stimme. »Die Burg ist unangreifbar. Auf dieser Welt kann man nur eines tun. Man muß sich ganz darauf konzentrieren zu überleben. Alles andere kommt einem Selbstmord gleich. Aber was rede ich. Euer Verhalten zeigt, daß euch mit Vernunft nicht beizukommen ist. Ihr habt euer Leben gewagt, um ein paar Nebensächlichkeiten zurückzugewinnen. Ihr werdet nicht überleben.« »Ihr ebenfalls nicht«, entgegnete Atlan. »Ihr habt euch schon aufgegeben. Ihr kämpft nicht mehr. Ihr begreift noch nicht einmal, daß ihr diesem Kind keine Chance gebt.« »Das kannst du wohl kaum beurteilen.« »Seht euch doch an. Ihr alle steht vor dem Zusammenbruch. Keiner von euch sieht auch nur halbwegs gesund aus. Was wird aus dem Kind, wenn keiner von euch mehr lebt? Wer wird es dann versorgen? Es ist noch klein. Es ist abhängig von euch. Wenn ihr sterbt, dann stirbt es auch.« »Verschwende deinen Atem nicht. Wir tun das, was wir als richtig erkannt haben.« »Kämpft. Kommt mit uns und kämpft gegen jene, die in der Burg sitzen.« »Niemand kommt an den metallenen Geiern vorbei. Sie töten jeden, der der Burg zu nahe kommt.« »Habt ihr es versucht?« »Wir sind keine Narren.« »Ihr seid abgeschossen worden?« »Sonst wären wir nicht hier.« »Nun gut. Wenn ihr nicht kämpfen wollt, dann bleibt hier. Wir geben nicht auf. Dellos. Nehmt euch eure Sachen, aber nur sie.« »Ihr seid Narren«, sagte der Anführer der Krejoden verächtlich. »Mit dieser Einstellung werdet ihr nicht überleben. Ihr könnt nur durchkommen, wenn ihr alles nehmt, was ihr bekommen könnt.« »Ein seltsamer Vorschlag des Opfers«, entgegnete Atlan. »Er mag sogar richtig sein. Dennoch werden wir nichts von eurem Eigentum nehmen.«
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Einer der anderen Krejoden trat neben den Anführer. »Der Fremde hat recht«, sagte er. »Wenn wir ehrlich mit uns selbst sind, müssen wir zugeben, daß wir Sterbende sind. Das Kind hat nur eine Zukunft, wenn wir kämpfen. Ich schlage vor, daß wir die Fremden zur Burg begleiten.« Dieser Vorschlag traf den Anführer und die anderen Krejoden völlig überraschend. Er löste eine heftige Diskussion aus, die nicht in Garva-Guva, sondern in der Sprache der Krejoden geführt wurde, so daß Atlan nichts verstand. Die Dellos holten sich ihre Sachen zurück, die man ihnen widerspruchslos überließ. Atlan hielt das Kind fest. Er rechnete damit, daß es versuchen würde, sich zu befreien, doch es blieb ruhig. Etwa zwanzig Minuten verstrichen. Dann wechselten die Krejoden zu Garva-Guva über. Sie wollten, daß Atlan sie verstand. Schließlich wandte sich der Anführer dem Arkoniden zu. »Wir werden euch begleiten«, sagte er, »wenn ihr wollt. Wir werden zur Küste gehen, weil die Lebensbedingungen dort vielleicht besser sind als hier, wo wir nur Spinneneier essen können. An der Küste werden wir dann entscheiden, ob wir mit euch zusammen kämpfen oder nicht.« Er zog seine Waffe und reichte sie Atlan. »Sie ist nicht geladen«, erklärte er. »Ich habe kein Magazin dafür.« Der Arkonide nahm die Waffe und untersuchte sie. Der Krejode hatte die Wahrheit gesagt. »Also gut«, sagte Atlan. »Packt eure Sachen und kommt mit.«
* Die Krejoden räumten die Höhle und schlossen sich Atlan und seinen Begleitern an. Dabei beförderten sie so wenig Habseligkeiten zu Tage, daß Atlan sich wunderte, daß sie unter den extremen Bedingungen der Silberwelt überlebt hatten. Wichtigstes Ausrüstungsstück schien ihnen eine primitive
Trage zu sein, die sie selbst gebaut hatten. Sie setzten das Kind darauf und sechs Männer trugen es, obwohl es selbst hätte gehen können. »Muß das sein?« fragte Atlan Kerelkrejan, den Anführer der Krejoden. »Wir kommen schneller voran, wenn das Kind geht.« »Katelphe wird getragen«, erwiderte der Krejode energisch. »Darüber reden wir nicht.« Atlan erkannte, daß eine Diskussion über das Kind das Verhältnis zu den Krejoden unnötig belasten würde. Er ging an die Spitze der Gruppe. Der Weg führte durch dichte Kristallwälder. Er war beschwerlich, weil die Hindernisse oft nur mühsam überklettert werden konnten. Immer wieder mußten Atlan, Thalia und Dellos warten, weil die Krejoden das Kind vorsichtig und behutsam über die Kristalle hoben. Als sie eine Hügelkette erstiegen, konnten Atlan und seine Begleiter das Meer sehen. Zu dieser Zeit hatten sie etwa zwanzig Kilometer zurückgelegt. »Von jetzt an wird es leichter«, sagte Thalia. »Die wenigen Kristallinseln vor der Küste können wir umgehen.« Das Gelände war übersichtlicher als bisher. Aus dem Grün der Bäume und Büsche erhoben sich nur wenige Kristalle. Der Boden schien fest und trocken zu sein. Auf einigen Lichtungen sah Atlan äsende Tiere. »Warum habt ihr nicht hier gelebt?« fragte er den Anführer der Krejoden. »Habt ihr nicht gewußt, daß hier keine Kristallwälder sind?« »Wir konnten es nicht riskieren«, erwiderte Kerelkrejan. »Es gibt gefährliche Tiere in dieser Gegend. Daher konnten wir nicht sicher sein, daß wir Katelphe schützen können.« »Hat sich jetzt etwas geändert?« »Wir haben erkannt, daß wir in der Höhle verhungert wären. Das wäre auch für Katelphe das Ende gewesen. Wir werden auf der Hut sein. Zudem seid ihr bei uns. Die Gruppe ist größer geworden. Wenn ständig genügend Männer bei Katelphe sind, kann nichts
Die Ewige Karawane passieren.« Atlan ging schweigend weiter. Es war ein Fehler, sie mitzunehmen, signalisierte der Logiksektor. Sie sind nicht in der Lage zu kämpfen. Sie behindern dich, weil sie nur an das Kind denken. Du mußt dich von ihnen trennen. Doch dazu war der Arkonide nicht bereit. Er fühlte sich in gewisser Weise für die Krejoden verantwortlich, weil er sich darüber klar war, daß sie sich selbst nicht helfen konnten. Wenn er sie verließ, würden sie sich in ihrer Angst um das Kind wieder in die Kristallwälder zurückziehen und dort umkommen. Er ließ die Dellos ausschwärmen. In breiter Front drangen sie in das offene Land vor, während die Krejoden sich ängstlich um das Kind scharten. Die Dellos an den Flügeln gingen schneller, als die in der Mitte, so daß sich bald ein Halbkessel bildete. Er schloß sich zu einem Kessel, als mehrere antilopenähnliche Tiere in den Halbkreis gerieten. Die Dellos trieben die Tiere vor sich her. Einige Tiere brachen aus dem Kessel aus, zwei aber landeten in den Armen der Dellos. Die Androiden töteten sie und weideten sie aus. Sie schichteten Holz auf und zündeten ein Feuer an, um das erlegte Wild darüber zu garen. Danach ließ Atlan ein Lager errichten, das durch Büsche und Äste nach außen hin geschützt wurde. Am nächsten Morgen gingen Thalia und der Arkonide voraus. Bald darauf konnten sie die Burg sehen, vor der sich die metallenen Vögel erhoben. Ein steifer Wind blies von See her. Er peitschte das Wasser auf. Einemächtige Brandung brach sich an der Küste. Atlan hatte sich während der Nacht einen Plan zurecht gelegt. Er wollte ein Floß bauen und die Burg von See her angreifen. Jetzt erkannte er, daß er sich in dieser tosenden Brandung niemals halten konnte. Er mußte warten, bis es windstill wurde. Aber selbst dann schienen die Aussichten, von der Rückseite her an die Burg zu kommen, gering zu sein, denn die Wasserbewegungen
23 ließen erkennen, daß es starke Strömungen gab. »An den Metallvögeln kommen wir nicht vorbei«, sagte Thalia. »Sie speien Feuer und verbrennen uns.« »Ich vermute, daß Thermostrahler in ihnen verborgen sind«, entgegnete der Arkonide. »Wahrscheinlich sind sie nur in begrenztem Maß schwenkbar. Es könnte also sein, daß wir uns dem Tor von der Seite her nähern können, ohne angegriffen zu werden.« Kerelkrejan kam zu ihnen, um sich ebenfalls ein Bild von der Lage zu machen. »Wir benötigen Waffen«, sagte er. »Als wir abgeschossen wurden, habe ich gesehen, daß in dieser Gegend die Wracks von Raumschiffen lagen. Wir sollten sie aufsuchen. Vielleicht finden wir darin etwas, was wir gebrauchen können.« »Ich habe nichts gesehen«, erwiderte Atlan. »Wieso seid ihr eigentlich zur Silberwelt gekommen?« »Wir haben gegen die Macht des Schwarzen Oheims gekämpft«, erwiderte der Krejode. »Es war ein aussichtsloser Kampf. Ich weiß es heute, aber wir mußten ihn aufnehmen, weil das Leben unserer Kinder bedroht war.« »Ist es das jetzt nicht mehr?« fragte Thalia. »Nur noch Katelphe lebt«, antwortete der Krejode. »Du wolltest uns sagen, wie ihr zur Silberwelt gekommen seid«, bemerkte Thalia. »Die Mächte des Schwarzen Oheims haben uns angegriffen. Wir wurden bis zu einer Raumschiffswerft zurückgedrängt. Uns blieb nur die Flucht. Wir wußten jedoch nicht, wohin wir fliehen sollten. Da kam Hordinal. Er hat es uns gesagt.« »Hordinal? Hast du wirklich Hordinal gesagt?« »Das habe ich gesagt, Thalia. Kanntest du ihn? Er war ein Roboter, der sich aus mehr als hundert kleinen Robotern zusammensetzte. Er gehörte zur Werft.« »Ja«, erwiderte Thalia. »Ich kannte Hordinal.«
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»Hordinal ist mit uns an Bord eines Raumschiffs gegangen, das zur Wartung in der Werft war. Damit sind wir geflüchtet. Hordinal hat uns zur Silberwelt gebracht. Er sagte, hier seien wir sicher. Doch dann wollten wir landen. Wir kamen in die Nähe der Burg und wurden beschossen. Es gelang uns, das Raumschiff bis in die Nähe der Kristallwälder zu bringen. Dort stürzte es ab. Wir konnten das Schiff verlassen. Hordinal ist darin verbrannt.« »Bist du sicher?« »Ganz sicher. Ich habe gesehen, wie er in geschmolzenes Metall stürzte und darin verbrannte.« »Vielleicht ist es nur ein Zufall«, sagte Atlan. »Es ist kein Zufall, daß wir von einem Roboter der gleichen Art hierhergebracht wurden«, widersprach Thalia. »Wir suchen nach dem Wrack. Vielleicht finden wir tatsächlich etwas.« »Tatsächlich habe ich auch in einem anderen Fall von Hordinal gehört«, sagte der Krejode, während sie zu den anderen zurückkehrten. »Für einige Tage war ein Havare bei uns. Er war der Sohn eines Raumfahrers, der von der Ewigen Karawane gerettet worden ist.« Atlan und Thalia blickten sich flüchtig an. Sie wollte Kerelkrejan Fragen stellen, doch in diesem Moment eilte ein Dello auf sie zu. »Ich habe das Wrack eines Raumschiffs gesehen«, berichtete er. »Es ist in gutem Zustand. Es ist zerbrochen, aber es ist nicht ausgebrannt.« »Das sehen wir uns an«, sagte der Arkonide. »Komm. Führe uns.«
* Das Wrack lag nur etwa einen Kilometer entfernt in einer Bodenrinne hinter hohen Bäumen verborgen, so daß man es erst sah, wenn man direkt davor stand. Es war das Wrack eines stabförmigen Raumers, der etwa vierzig Meter lang und fünfzehn Meter dick war. Beim Absturz war es in drei Teile
zerbrochen. An einem Ende befand sich die Hauptleitzentrale in einem halbkugelförmigen Aufbau, der durch eine transparente Haube überdeckt war. »Hast du schön einmal so ein Schiff gesehen?« fragte Atlan den Krejoden. »Noch nie. Ich weiß auch nicht, wer es geflogen haben könnte.« Atlan betrat das Wrack durch eine offene Schleuse. Thalia und einige Krejoden folgten ihm. Sie untersuchten das Schiff, das innen beträchtliche Beschädigungen aufwies. Von der ehemaligen Besatzung waren nur noch Skelette übrig. Diese lagen so im Schiff verteilt, daß für Atlan mühelos zu erkennen war, daß sie vergeblich versucht hatten, das Schiff zu verlassen. Im Wrack befanden sich noch zahllose Gegenstände, die als Ausrüstung für Atlan und seine Begleiter interessant waren. Der Arkonide rief auch die Dellos ins Schiff, um auch sie suchen zu lassen. Er selbst interessierte sich nur für die Hauptleitzentrale: Er hoffte, dort Hinweise auf die Bewaffnung des Schiffes zu finden. Die Einrichtungen des Instrumentenpults waren jedoch so fremdartig, daß er sie nicht entziffern konnte. Er verließ das Raumschiff wieder und untersuchte die Außenhaut. Bald entdeckte er mehrere Ausschußöffnungen. Sie waren mit Platten verschlossen. Er versuchte, sie zu öffnen. Nachdem er fast eine Stunde daran gearbeitet hatte, sprang eine der Platten plötzlich zur Seite, nachdem er eine andere leicht verschoben hatte. Unter der Platte verbarg sich die Spitze eines Raketengeschosses. Jetzt öffnete Atlan auch die anderen Verschlüsse und legte auf diese Weise sieben Raketen frei. Die Geschosse waren etwa zwei Meter lang. Atlan rief Kerelkrejan zu sich und zeigte ihm den Fund. »Wir müssen versuchen, sie zu zünden und auf die Metallvögel zu lenken«, sagte er. »Wenn wir das schaffen, nehmen wir die Burg ebenfalls. Das ist dann kein Problem mehr.« Zusammen mit dem Anführer der Krejodenkehrte er in die Hauptleitzentrale zurück.
Die Ewige Karawane Er diskutierte die Einrichtungen mit ihm, konnte sich jedoch nicht mit ihm darüber einigen, von wo aus die Raketen gelenkt wurden. »Wir sollten versuchsweise eine Rakete abfeuern«, schlug Kerelkrejan vor. »Das wäre ein Fehler. Wir würden unnötig Aufmerksamkeit erregen und jene alarmieren, die in der Burg sind«, widersprach Atlan. Er schlug vor, eine der Raketen auseinanderzunehmen und zu untersuchen. Damit war der Krejode einverstanden. Einige Dellos holten eine Rakete aus dem Abschußrohr. Die Krejoden zogen sich fluchtartig zurück und gaben Atlan damit deutlich zu verstehen, für wie gefährlich sie sein Experiment hielten. Thalia blickte ihnen bestürzt nach. »Geh ruhig mit ihnen«, sagte der Arkonide lächelnd, »wenn dir danach ist.« Sie setzte sich ins Gras. »Feiglinge«, sagte sie verächtlich. »Wir hätten sie nicht mitnehmen sollen. Hast du gesehen, daß einer von ihnen einen Energiestrahler gefunden hat? Jetzt haben sie eine Waffe, mit der sie uns deutlich überlegen sind.« Atlan schraubte den Kopf der Rakete ab, nachdem er einige Sicherungen entfernt hatte. Der Kopf ließ sich in zwei Teile zerlegen, die sich wiederum öffnen ließen. »Atomare Sprengsätze«, stellte der Arkonide fest. »Die Sprengwirkung dürfte jedoch gering sein.« Er baute den Kopf wieder zusammen und untersuchte danach den Treibkörper der Rakete. Die Technik war einfach und überschaubar. Die Rakete wurde von festem Treibstoff angetrieben. Die Zündung erfolgte elektronisch über ein halbkreisförmiges Gerät im Abschußrohr. Nachdem Atlan die Rakete untersucht hatte und wußte, wie sie funktionierte und gesteuert wurde, versuchte er erneut, den Feuerleitstand zu finden. Es gelang ihm auch jetzt nicht. »Es hilft alles nichts«, sagte der Arkonide zu Thalia, die ihn auf Schritt und Tritt be-
25 gleitete. »Ich muß mir meinen eigenen Feuerleitstand bauen.« »Kannst du das denn?« »Ich muß wohl.« Der Unsterbliche begann nun damit, das Instrumentenpult auseinanderzubauen und Teile des Computers herauszulösen. Kerelkrejan kam und sah ihm zu. Er verstand von diesen Dingen ebensowenig wie Thalia. Nach einiger Zeit gelang es dem Arkoniden, aus verschiedenen Einzelteilen einen neuen Computer zu bauen und mit einem Bildschirmgerät zu koppeln. Danach hatte er einige Stunden damit zu tun, den Computer mit Informationen zu füttern und diese zu speichern. Darüber brach die Nacht herein. Thalia wurde ungeduldig. »Ich verstehe nicht, warum das so lange dauert«, sagte sie. »Ich bin gleich fertig«, erwiderte Atlan. »In zehn Minuten können wir eine Raketensalve abfeuern.« »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Kerelkrejan, der sich ihnen unbemerkt genähert hatte. »Wir schießen zunächst eine Rakete ab. Erreicht sie ihr Ziel, feuern wir die anderen hinterher.« »Welchen Sinn sollte das haben?« »Ich muß an Katelphe denken«, erläuterte der Krejode. »Wenn es über der Burg einen Energieschirm gibt, oder wenn die Metallvögel die Raketen abschießen, bekommen wir die Wirkung der Explosionen zu spüren. Dadurch könnte das Kind gefährdet werden. Du verstehst jetzt hoffentlich, daß wir dieses Risiko nicht eingehen können. Erst eine Rakete, und wenn wir Erfolg haben, alle. So und nicht anders gehen wir vor.« »Ach, nein«, sagte Atlan. »Wirklich?« »Ich sehe, daß du mich verstanden hast.« »Du scheinst vergessen zu haben, daß wir euch mitgenommen haben, um euch zu helfen. Das Kommando führe immer noch ich«, entgegnete Atlan. »Ich mache dir nicht das Kommando streitig«, sagte Kerelkrejan. »In dieser Hinsicht habe ich keinen Ehrgeiz. Ich denke nur an Katelphe. Seine Sicherheit geht vor.«
26 »Dann bringt den verdammten Jungen doch weg«, schrie Thalia zornig. »Geht weit weg mit ihm.« »Das geht nicht«, erwiderte der Krejode ruhig. »Wenn wir uns von euch entfernen, gehen wir ein Sicherheitsrisiko ein. Wenn zu wenig Männer zu seinem Schutz bei ihm sind, könnte er von wilden Tieren angefallen werden. Er bleibt hier.« »Ich ändere den Plan nicht«, erklärte Atlan. »Du willst keine Rücksicht auf Katelphe nehmen? Der Krejode war fassungslos. Er schien sich nicht vorstellen zu können, daß sich jemand über die Interessen Katelphes hinwegsetzte. Und er begriff nicht, daß der Junge für Atlan nur ein Junge war, aber kein göttliches Wesen. »Grabt euch mit Katelphe ein«, schlug der Arkonide vor. »Zieht euch in eine Senke oder einen Graben zurück, in dem ihm nichts geschehen kann. Macht ein Feuer an, um die wilden Tiere zu vertreiben. Wenn ihr wollt, stelle ich euch alle Dellos als Wachen zur Verfügung, aber haltet mich nicht auf.« Kerelkrejan griff unter sein zerfetztes Gewand und holte einen Energiestrahler hervor. Er richtete ihn auf den Unsterblichen. »Dieses Mal habe ich eine Waffe, mit der ich auch schießen kann«, erläuterte er. »Und ich werde es tun, wenn du dich meinen Befehlen widersetzt.« Atlan lehnte sich seufzend zurück. »Ich beuge mich deinen überaus überzeugenden Argumenten«, sagte er. »Ich werde also nicht alle Raketen auf einmal abfeuern, sondern erst eine.« »Und das auch nicht während der Dunkelheit«, befahl Kerelkrejan. »Warum das denn nicht?« fragte Atlan überrascht. »Wenn die in der Burg keine Radaranlage haben, können sie die Raketen während der Dunkelheit kaum abwehren. Die besten Chancen haben wir daher jetzt.« »Katelphe schläft«, erklärte der Krejode. »Der Lärm würde seine Ruhe stören.« »Das darf doch nicht wahr sein«, sagte
H. G. Francis Thalia ärgerlich. »Wir riskieren Kopf und Kragen, aber ihr denkt nur daran, daß Katelphe auch ja ruhig schläft.« »So ist es«, bestätigte Kerelkrejan. »Je früher du das begreifst, desto besser.«
5. Als der neue Tag anbrach, war Atlan sich mit Thalia darüber einig, daß sie sich dem Diktat des Krejoden nicht beugen würden. Sie waren entschlossen, sich nur nach strategischen Notwendigkeiten zu richten. Atlan bereitete den Abschuß der Raketen vor. Noch einmal überprüfte er die Programmierung des Computers und dessen fehlerfreies Funktionieren. Thalia besprach währenddessen mit Fälser, was mit Kerelkrejan geschehen sollte. Zusammen mit einigen Dellos wollte sie ihn abfangen und entwaffnen, bevor er Atlan in die Arme fallen konnte. Doch dann kam alles anders als erwartet. Der Dello Caahan kam zu dem Arkoniden. Er hatte auf einem Hügel gestanden und Wache gehalten. »Gleiter verlassen die Burg«, rief er erregt. »Sie kommen in unsere Richtung.« Atlan erschrak. Zu keiner Zeit hatte er damit gerechnet, daß irgend jemand die Burg verlassen und zur Offensive übergehen würde. »Sage den anderen Bescheid«, rief er dem Dello zu. »Sie sollen sich unter Bäumen und Büschen verstecken. Auch die Krejoden.« Hastig schichtete er Trümmerstücke des Raumschiffs über die Teile seiner Raketenabschußanlage, die er zwangsläufig unter freiem Himmel hatte errichten müssen. Danach rannte er zu einem Hügel. Als er ihn erreicht hatte, sah er die Gleiter. Sieben große, gepanzerte Maschinen bewegten sich langsam in südöstlicher Richtung auf die Kristallwälder zu. Für Atlan war augenblicklich klar, daß die Besatzungen es nicht auf sie abgesehen hatten, sondern auf jemanden, der weit von ihnen entfernt in den Kristallwäldern lebte. Die Scheiben der Gleiter waren verspie-
Die Ewige Karawane gelt, so daß der Arkonide die Insassen nicht sehen konnte. Thalia und Kerelkrejan kamen zu ihm. Die Gleiter waren etwa hundert Meter von ihnen entfernt. Sie waren mit Raketenwerfern und Energiestrahlprojektoren großen Kalibers bestückt und stellten eine unbezwingbare Übermacht dar. Langsam zogen die Maschinen vorbei. Sie flogen in einer Höhe von nur etwa dreißig Metern. »Hoffentlich werden sie nicht mißtrauisch«, sagte der Krejode. »Die Feuerstellen können sie gar nicht übersehen. Daraus müssen sie schließen, daß wir hier in der Gegend sind. Wenn sie Infrarotortungsgeräte haben, finden sie uns mühelos.« »Auf jeden Fall müssen wir mit dem Raketenangriff auf die Burg warten, bis sie zurückgekehrt sind«, stellte Atlan fest. »Wir müssen ganz darauf verzichten«, entgegnete der Krejode. »Unter diesen Umständen wäre es Selbstmord, die Burg anzugreifen.« »Es steht euch frei, abzuziehen«, sagte Atlan. »Kehrt in die Kristallwälder zurück und bleibt dort, bis der Kampf hier zu Ende ist. Haben wir ihn verloren, spielt das für euch keine Rolle. Es ändert sich nichts. Haben wir ihn gewonnen, könnt ihr kommen und euch uns wieder anschließen.« »Du wirfst uns Feigheit vor«, erwiderte Kerelkrejan. »Darüber werden wir noch zu reden haben. Jedoch nicht jetzt. Dafür ist die Bedrohung für Katelphe zu groß.« Die Kampfgleiter aus der Burg hatten die Kristallwälder erreicht. »Als wir in den Kristallwäldern waren, haben wir außer euch niemanden getroffen«, sagte Thalia. »Wißt ihr, ob noch andere Gestrandete in den Wäldern leben?« »Noch viele«, antwortete der Krejode. »Ehrlose Noots, Havaren, verkommene Camagurs, nutzlose Tamater und noch viele andere. Sie hausen in versteckten Höhlen. Keiner von ihnen wagt sich in die fruchtbaren Wälder oder Ebenen hinaus. Keiner von ihnen ist aber auch bereit, dieses Land oder
27 gar diesen Kontinent zu verlassen, um irgendwo an anderer Stelle auf diesem Planeten zu leben. Es ist der Abschaum aller Völker.« »Ihr Krejoden seid eine löbliche Ausnahme«, bemerkte Atlan ironisch. »In der Tat«, erwiderte Kerelkrejan überzeugt. »Wir verehren die göttlichen Kinder, wir achten sie und wir stellen unser Leben auf sie ein. Von niemandem sonst wird ihre Göttlichkeit anerkannt.« Atlan und Thalia wechselten einen flüchtigen Blick miteinander. Kerelkrejan hatte deutlich gemacht, daß auch sie nicht besonders hoch in seiner Achtung standen, da sie Katelphe ebenfalls nicht den Respekt entgegenbrachten, den er für unabdingbar hielt. »Ich verstehe«, sagte der Arkonide. Bei den Kristallwäldern blitzte es auf. Die sieben Gleiter zogen in weitgefächerter Formation nach Südosten. Dabei feuerten sie nahezu pausenlos mit Raketenwerfern und Thermostrahlern in die Kristallwälder. Überall stiegen pilzförmige Explosionswolken auf. »Das ist nicht das erste Mal«, bemerkte Kerelkrejan. »Es kommt ihnen darauf an, die Gestrandeten zu vernichten. Kein Gegner des Schwarzen Oheims soll jemals wieder die Gelegenheit haben, gegen die Mächte des Schwarzen Oheims zu kämpfen.« Die Augen des Arkoniden begannen zu tränen. »Es ist ungeheuerlich«, sagte er. »Ich verstehe nicht, daß sich niemand wehrt«, bemerkte Thalia, die nicht weniger erschüttert war als er. »Warum tun sich nicht alle Gestrandeten zusammen und greifen die Burg an? Wenn alle an einem Strang ziehen, muß es möglich sein, die Burg zu erobern.« »Jeder denkt nur ans Überleben. Jeder hofft, daß die anderen die Burg stürmen, und daß man sich anschließen kann, wenn alles vorbei ist«, antwortete der Krejode. »Wir sind da anders. Wir hätten den Kampf längst auf genommen, wenn wir nicht auf Katelphe hätten Rücksicht nehmen müssen. Wäre das Kind nicht hier auf der Silberwelt, hätten wir
28 die Burg längst erobert.« »Natürlich«, sagte Atlan, obwohl er von dem Gegenteil überzeugt war. »Das hättet ihr getan.« Der Krejode wandte sich würdevoll ab. »Man muß diesen Kampf nicht unbedingt sehen«, sagte er. »Wichtiger ist jetzt, Katelphe in Sicherheit zu bringen. Wir müssen damit rechnen, daß die Gleiter uns aufspüren. Ich erwarte, daß ihr sie dann auf euch lenkt.« Er schritt davon. Thalia blickte ihm verblüfft nach. »Ich könnte ihm den Hals umdrehen«, erklärte sie, als er außer Hörweite war. »Was bildet er sich eigentlich ein? Glaubt er denn wirklich, daß wir uns opfern, damit dieses Balg überlebt?« Atlan lächelte nachsichtig. »Ja. Das glaubt er, Thalia. Und wir dürfen es ihm noch nicht einmal übelnehmen. Er ist im Glauben an die Göttlichkeit der Kinder aufgewachsen. Als er Kind war, wurde er selbst als gottähnliches Wesen behandelt. Wie sollte er jetzt umdenken können?« Der Boden erzitterte unter ihren Füßen. Pausenlos schlugen die Raketen ein, bis eine dichte, schwarze Wolkenwand über dem Kristallwald hing. Dann kehrten die Gleiter zurück. »Wir greifen an«, sagte Atlan entschlossen. »Sobald die Gleiter die Burg erreicht haben, schieße ich die Raketen ab. Du bleibst hier auf dem Hügel und beobachtest die Gleiter. Gib mir ein Zeichen, wenn es soweit ist.« »Du kannst dich auf mich verlassen«, erwiderte Thalia. Atlan eilte davon, während sie unter einige Büsche kroch, um sich vor den Besatzungen der Gleiter zu verstecken. Der Arkonide sah, daß die Kampfmaschinen wesentlich schneller flogen als zuvor. Das war ein beruhigendes Zeichen für ihn, glaubte er doch daraus schließen zu können, daß die Besatzungen ihn und seine Begleiter nicht bemerkt hatten. Die Gleiter zogen in schneller Fahrt an
H. G. Francis dem Hügel vorbei, auf dem Thalia lag. In fieberhafter Eile bereitete Atlan den Abschuß der Raketen vor, während Fälser und einige andere Dellos ihn abschirmten. Der Arkonide fürchtete, daß Kerelkrejan eingreifen würde, doch der Krejode ließ sich nicht blicken. Thalia tauchte zwischen den Büschen auf. Sie winkte mit beiden Armen. Atlan drückte einige Knöpfe und warf sich hinter eine Bodenwelle. Fauchend schossen die Raketen aus den Rohren. Sie stiegen steil auf, gehorchten dann den Funkimpulsen und schwenkten herum. Atlan sprang auf. Er rannte auf Thalia zu und stürmte zu ihr auf den Hügel. Doch er kam zu spät. Er sah nur noch, daß die Raketen explodierten. Ein riesiger Feuerball stieg über der Burg auf, und ein glühend heißer Wind schlug ihm entgegen, so daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Auf allen vieren kroch er den Hügel hinauf. »Eine Rakete ist angekommen«, schrie ihm Thalia zu. »Die anderen haben sie vorher abgeschossen. Ich glaube, alle sieben Kampfgleiter sind erledigt.« Atlan richtete sich auf der Kuppe des Hügels auf. Er schützte die Augen mit den Händen. Die Burg war unversehrt. Nur an ihrer Rückseite klaffte ein riesiges Loch in der Schutzmauer. Die Brandung gischtete hinein und löschte die Glut. Auf dem Vorhof der Burg lagen die Gleiter. Thalia hatte sich geirrt. Die Raketen hatten nicht sieben Maschinen zerstört, sondern nur sechs. Eine Maschine schien noch relativ unbeschädigt zu sein. Zudem waren die Gleiter nicht völlig zerschlagen worden. Atlan konnte nicht erkennen, was aus ihrer Besatzung geworden war. Ein Schott im Boden öffnete sich. Der stählerne Arm eines Krans hob sich aus ihm hervor, ergriff ein Gleiterwrack und trug es in die Tiefe. Gleich darauf erschien der Arm wieder, um das nächste Wrack zu holen. Kaum fünf Minuten verstrichen, und alle Trümmer waren aus dem Vorhof entfernt, ohne daß jemand von
Die Ewige Karawane der Gleiterbesatzung ausgestiegen wäre. Kerelkrejan stürmte den Hügel hoch. Er hielt den Energiestrahler in den Händen. Bevor er ihn jedoch auf den Arkoniden richten konnte, stürzten sich Fälser und vier weitere Dellos auf ihn und entrissen ihm die Waffe. »Für dieses Verbrechen wirst du mir büßen«, schrie der Krejode mit knarrender Stimme. »Das war gegen alle Abmachungen.« »Vielleicht«, entgegnete der Arkonide gelassen. »So aber haben wir wenigstens eine Rakete ins Ziel gebracht. Alle anderen wurden in der Luft abgeschossen, und das, obwohl der Angriff völlig überraschend gekommen sein muß. Was glaubst du wohl, was passiert wäre, wenn ich erst einmal eine Rakete zur Probe abgeschossen hätte? Die Kampfgleiter wären hier erschienen und hätten uns einen nach dem anderen getötet, ohne daß wir etwas dagegen hätten tun können.« »Sie werden auch jetzt kommen«, erwiderte Kerelkrejan. »Wir sind verloren.« »Noch lange nicht. Ich führe sie in die Irre.« Atlan deutete nach Norden. »Geht ihr an der Küste entlang bis zu den Felsen dort hinten. Versucht, einen Unterschlupf zu finden. Ich gehe mit Thalia nach Süden und lege eine falsche Spur. Ich komme später zu euch.« »Du willst Katelphe und uns in den sicheren Tod schicken.« »Ich gebe euch die Dellos mit. Sie werden für eure Sicherheit sorgen«, entgegnete Atlan und tat, als habe er die Anschuldigung nicht gehört. Dann nahm er von Fälser den Energiestrahler entgegen und bat Thalia, ihn zu begleiten. Sie schloß sich ihm sofort an. »Was hast du vor?« fragte sie, als sie sich weit genug von dem Krejoden und den Dellos entfernt hatten. »Das, was ich gesagt habe. Ich werde sie auf eine falsche Spur locken.« »Das verstehe ich nicht.« »Es ist ganz einfach. Ich habe den Energiestrahler. Den stelle ich auf Minimalwirkung und schieße damit in den Boden.« At-
29 lan richtete die Waffe auf den Waldboden, nachdem er sich unter einen Baum mit weit ausladender Krone gestellt hatte. Ein nadelfeiner Energiestrahl fuhr in den Boden, und ein glühender Fleck blieb zurück. Während er weiterging, erläuterte er: »Wahrscheinlich wird man uns mit Hilfe von Infrarotgeräten suchen. Dann wird man die Wärmequellen auf dem Boden rasch finden. Vielleicht lassen sich unsere Verfolger täuschen. Vielleicht glauben sie, daß wir diese Wärme ausstrahlen, oder daß wir diese intensiv strahlenden Spuren hinterlassen haben.« »Die Hitze ist viel zu groß«, gab Thalia zu bedenken. »Sie paßt nicht zu lebenden Wesen.« »Zu lebenden Wesen, von denen die Burgbesatzung absolut nichts weiß. Am wenigsten ist sie über unsere Körpertemperatur informiert. Die Täuschung könnte also durchaus gelingen. Wir müssen es jedenfalls versuchen.« Atlan war sich darüber klar, daß die Erfolgsaussichten seiner Täuschungsmethode nicht so groß waren, wie er Thalia glauben machen wollte. Wenn die Unbekannten in den Kampfgleitern Individualtaster hatten, und damit rechnete er insgeheim, dann erreichte er mit der Hitzespur überhaupt nichts. Er dachte jedoch nicht daran, von vornherein aufzugeben. Als sie etwa zehn Kilometer zurückgelegt hatten, wandte der Arkonide sich der Küste zu. Sie kehrten in Richtung Burg zurück. »Ein Gleiter kommt«, sagte Thalia wenig später, als sie eine Felsbarriere überklettert hatten. Eine Kampfmaschine stieg über der fernen Burg auf und flog landeinwärts, bog jedoch schon bald in ihre Richtung ab. Wenig später blitzte der Thermostrahler auf. Der Energiestrahl war gegen den Boden gerichtet und setzte einige Bäume in Brand. »Sie fallen darauf herein«, sagte Atlan. »Sie wissen nicht, was die Wärmeherde sind, und schießen.«
30 »Sie sind zu feige, sich aus der Nähe anzusehen, was sie unter den Bäumen vermuten.« »Sie gehen kein Risiko ein«, stellte Atlan fest. »Man kann es ihnen noch nicht einmal verdenken. Sie wissen, daß sie verhaßt sind, und sie rechnen ständig damit angegriffen zu werden. Also sind sie vorsichtig.« »Sie müßten längst gemerkt haben, daß keiner von den Gestrandeten kämpft. Ich glaube, sie wollen nur vernichten. Niemand soll überleben. Sie wollen diesen Planeten für sich allein. Aus welchen Gründen auch immer.« »Wir gehen weiter«, sagte Atlan. »Achte darauf, daß wir in Deckung bleiben, damit sie uns nicht zufällig entdecken.« Während sie sich der Burg näherten, folgte der Kampfgleiter der Hitzespur, die Atlan gelegt hatte. Immer wieder feuerte die Besatzung der Maschine den Energiestrahler ab. Atlan und Thalia versteckten sich hinter hoch aufragenden Felsen, als sich der Gleiter mit ihnen auf gleicher Höhe befand. In einer Entfernung von etwa zweihundert Metern zog er an ihnen vorbei. Die Besatzung schoß in Abständen von vierzig bis fünfzig Sekunden. Überall stiegen Flammen auf. Der Wind wehte landeinwärts und trieb das Feuer vor sich her. Es war abzusehen, daß die Vegetation bis hin zu den Kristallwäldern verbrennen würde, aber das schien die Besatzung des Gleiters nicht zu stören. Atlan und Thalia begannen zu rennen. Sie wollten die Burg passiert haben, wenn der Gleiter zurückkehrte. Doch das schafften sie nicht. Die Tochter Odins blickte immer wieder zurück. Sie bemerkte den Gleiter zuerst. »Er kommt«, schrie sie. Atlan zog sie hinter eine Felsnadel, die sich aus dem weißen Sand erhob. Die Wellen brandeten nur wenige Schritte von ihnen entfernt ans Ufer. Vorsichtig spähte der Arkonide um die Felskante. Erschrocken fuhr er zurück. Der Gleiter raste heran. Er hatte die Felsnadel fast erreicht. Atlan riß Thalia herum und flüchtete, um die Felsen zwischen sich und die vorbeiflie-
H. G. Francis gende Maschine zu bringen. Die Tochter Odins begriff und folgte ihm. Die Kampfmaschine kam hinter dem Felsen hervor und raste mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Atlan und Thalia glaubten bereits, es geschafft zu haben, als der Gleiter jäh verzögerte. Dem Arkoniden war augenblicklich klar, was das bedeutete. Er verließ die sichere Deckung und stürmte auf den etwa fünfzig Meter entfernten Gleiter zu, der nun in einer Höhe von kaum fünf Metern über dem Strand schwebte und sich drehte. Die Besatzung wollte die Bugstrahler auf den Arkoniden richten. Der Unsterbliche blieb stehen und riß den Energiestrahler hoch. Er hielt ihn mit beiden Händen und zielte auf den Gleiter. Ein dünner Energiestrahl jagte aus dem Projektor der Waffe und schlug krachend in die Seite des Kampfgleiters. Glutflüssiges Metall spritzte zu den Seiten weg. Atlan schoß erneut. Dieses Mal zielte er auf die spiegelnden Scheiben der Maschine. Er traf, doch seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Scheiben barsten nicht. Sie verfärbten sich und warfen sich in Blasen auf, gaben das Geheimnis der Insassen der Maschine jedoch nicht preis. Die Besatzung stand offenbar unter einem Schock. Sie schien nicht damit gerechnet zu haben, mit einer derart wirksamen Waffe angegriffen zu werden. Atlan gelang ein dritter Treffer. Dieses Mal schlug der Energiestrahl ins Heck der Maschine. Dabei hatte der Arkonide die drei Schüsse in so schneller Folge abgegeben, daß der Gleiter sich noch immer nicht voll gedreht hatte. Mit dem letzten Schuß riß Atlan einen Teil der Heckverkleidung weg. Der Gleiter sackte plötzlich bis fast auf den Boden ab. Atlan warf sich hinter einen Felsen in Deckung, doch der befürchtete Angriff kam nicht. Die Besatzung der Maschine fühlte sich offenbar zu stark gefährdet. Der Pilot zog den Gleiter herum und flüchtete. Atlan feuerte seine Waffe noch einmal ab, doch der Energiestrahl zog wirkungslos an der
Die Ewige Karawane Kabine vorbei. »Du hast sie in die Flucht geschlagen«, rief Thalia jubelnd. »Du hast es ihnen gezeigt.« Sie eilte durch den weichen Sand zu ihm hin. »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »habe ich nicht mehr daran geglaubt, daß sie aufgeben würden. Ich dachte, sie würden wenigstens einen Schuß auf mich abgeben.« »Es wäre einer zuviel gewesen«, stellte sie fest. »Das war mir klar. Ich hatte jedoch keine andere Wahl. Wenn sie uns beide voll im Visier gehabt hätten, wäre ich nicht mehr zum Schuß gekommen.« »Auf jeden Fall sind sie gewarnt. Sie wissen, daß sie es bei uns nicht mit Feiglingen zu tun haben und daß wir zumindest eine gute Waffe haben.« »Hoffentlich nützt uns das etwas.« Er ging jetzt landeinwärts, weil er fürchtete, daß die Unbekannten der Burg mit einem anderen Gleiter zurückkehren und den Strand nach ihm absuchen würden. Der Wind drehte, so daß sich das Feuer nicht weiter landeinwärts ausbreiten konnte. Dichte Rauchwolkenschlugen Atlan und seiner Begleiterin entgegen, so daß Thalia es vorzog, den Raumhelm zu schließen. Im Schutz der Rauchwolken eilten sie an der Burg vorbei, während dort ein Kampfgleiter aufstieg und sich in entgegengesetzter Richtung entfernte, um nach ihnen zu suchen. Wenige Minuten später trafen sie den Dello Pagir, der auf sie wartete, um sie zu den anderen zu führen. Nach etwas mehr als einer Stunde anstrengenden Marsches durch die Wildnis erreichten sie die anderen Androiden und Kerelkrejan mit seinen Begleitern. Der Krejode kam sofort zu Atlan, als er ihn sah. »Ich erwarte, daß du mir die Waffe wiedergibst«, eröffnete er ihm. Der Arkonide schüttelte ablehnend den Kopf. »Das können wir uns nicht leisten«, erwiderte er. »Du bist nicht bereit, die Waffe
31 konsequent gegen die schwarzen Mächte einzusetzen. Ich verstehe das sogar, denn du darfst wegen Katelphe kein Risiko eingehen.« »Du willst das Kind einem Risiko aussetzen?« fragte der Krejode empört. »Nein, das will ich nicht«, antwortete Atlan. »Ich bin jedoch nicht bereit, mein Leben aufs Spiel zu setzen, um Katelphes Leben für einige Stunden zu retten. Ich will eine Lösung, die uns endgültig von jenen Mächten in der Burg befreit, und keine, die uns nur vorübergehend Sicherheit gibt.« »Du willst mir die Waffe also nicht geben?« »Nein.« »Dann werden wir euch allein lassen. Auf unsere Hilfe müßt ihr verzichten.« »Willst du dich wieder in die Kristallwälder zurückziehen?« »Das habe ich vor.« »Wenn du diese Gegend verläßt, läufst du in den sicheren Tod. Die Wesen in der Burg warten nur darauf, daß sich irgend etwas in dem Gelände zwischen der Küste und den Kristallwäldern bewegt. Sobald du dich mit deinen Männern und Katelphe dort sehen läßt, schießen sie.« »Wir werden die Dunkelheit nutzen.« »Die Dunkelheit hilft dir nicht. Du weißt ebensogut wie ich, daß die Gleiter über Ortungsgeräte verfügen, mit denen man dich auch in der Nacht findet. Bleib hier, Kerelkrejan. Nur hier hast du eine Chance.« »Welchen Plan hast du?« »Ich will die Burg angreifen«, erklärte der Unsterbliche. »Ich werde mir aus den Raumschiffwracks Teile ausbauen und daraus ein Floß konstruieren. Dann werde ich auf die See hinausfahren und mich der Burg von der Rückseite her nähern.« »Das ist unmöglich.« »Das wird sich zeigen«, erwiderte Atlan kühl.
6. Wildes Geschrei weckte Atlan in der
32 Nacht. Er fuhr auf. Jemand packte ihn. »Was ist los?« fragte er. »Still«, flüsterte ihm eine männliche Stimme zu. Er glaubte, die Stimme Fälsers zu erkennen. »Die Krejoden spielen verrückt.« Ein Feuer flammte auf. Atlan sah miteinander kämpfende Gestalten. Dann goß jemand Wasser in die Flammen, und das Feuer erlosch wieder. »Sie wollten über dich herfallen«, berichtete Fälser. »Sie wollten dich erstechen und dir die Waffe abnehmen. Wir konnten sie jedoch aufhalten.« »Es ist gut. Danke«, erwiderte Atlan. Er schob Fälser von sich. Dann rief er mit lauter Stimme: »Schluß jetzt. Hört auf. Wenn die Krejoden nicht sofort Ruhe geben, werde ich den Energiestrahler abfeuern. Minuten später sind die Bewohner der Burg hier. Ich werde für meine Leute und mich kämpfen, nicht jedoch für die Krejoden, wenn sie nicht augenblicklich Ruhe geben.« Es wurde still. Einige Minuten verstrichen. Dann hallte die knarrende Stimme Kerelkrejans durch die Nacht. »Wir sind einander zu fremd«, sagte er. »Unsere Ansichten decken sich nicht. Wir können nicht miteinander auskommen. Das ist mir jetzt klar. Deshalb werden wir euch verlassen, bevor wir uns gegenseitig töten.« »Wohin wollt ihr gehen?« fragte Atlan. »Zu den Kristallwäldern. Wir werden schon irgendwie überleben. Vielleicht verlassen wir dieses Land ganz und ziehen weiter in den Süden. Ich habe gehört, daß es dort Land geben soll, in dem man leben kann.« »Warte noch einige Tage«, bat der Arkonide. »Oder wenigstens solange, bis ich die Burg angreife. Das lenkt die aus der Burg ab und verschafft euch Luft. Wenn ihr jetzt geht, finden sie euch und töten euch.« »Keine Angst. Sie finden uns nicht.« Atlan, der davon überzeugt war, daß die Krejoden unter den gegebenen Umständen keine Chance hatten, versuchte geduldig,
H. G. Francis Kerelkrejan davon zu überzeugen, daß er bleiben mußte. Über eine Stunde lang diskutierte er mit ihm, um ihn vom Abzug zurückzuhalten. Der Krejode zeigte sich uneinsichtig. Er glaubte, daß er das Leben Katelphes nur retten könnte, wenn er sich von Atlan und seinen Begleitern trennte. Kein Argument konnte ihn davon abbringen. Er war noch nicht einmal bereit, einige Stunden zu warten. Schließlich gab der Arkonide auf. »Ihr müßt wissen, was ihr tut«, sagte er. »Vielleicht schafft ihr es ja tatsächlich.« »Gib uns die Waffe mit.« Atlan lehnte ab, da er fürchtete, daß Kerelkrejan den Energiestrahler gegen ihn richten würde, sobald er ihn hatte. Die Krejoden standen schweigend auf und gingen wortlos davon. Sie verabschiedeten sich nicht, und sie dankten nicht für den Schutz, den Atlan ihnen gewährt hatte. »Undankbare Geschöpfe«, sagte Thalia ärgerlich. »Warum gabst du dich so lange mit ihnen ab?« »Sie sind nicht undankbar«, widersprach er. »Sie sind fest davon überzeugt, daß sie weitaus mehr geleistet haben als wir, und daß wir ohne sie nicht überlebt hätten. Sie sehen die Ereignisse der letzten Tage völlig anders als wir.« »Du bist zu tolerant«, warf sie ihm vor. »Die Krejoden waren anmaßend und beleidigend. Sie waren feige und haben immer uns vorgeschickt, wenn es darauf ankam. Sie selbst haben nichts geleistet.« »Du irrst dich«, erwiderte er lächelnd. »Aus ihrer Sicht haben sie sehr viel getan. Katelphe lebt und erfreut sich bester Gesundheit. Das ist für die Krejoden mehr wert als alles andere.« Der neue Tag kündigte sich an. Es dämmerte. Atlan schickte die Dellos aus. Sie sollten nach Raumschiffswracks suchen. Er selbst beteiligte sich auch an der Suche, hatte jedoch keinen Erfolg. Als er an den Lagerplatz zurückkehrte, wartete Fälser auf ihn. »Ich habe ein Raumschiff gefunden«, be-
Die Ewige Karawane richtete er. »Es ist das Wrack eines Organschiffs. Es ist völlig schwarz.« Thalia tauchte zwischen den Felsen auf. »Ein Gleiter verläßt die Burg«, sagte sie erregt. »Kommt er hierher?« fragte Fälser. »Nein – er fliegt zu den Kristallwäldern. Von da oben kann man ihn sehen.« Sie zeigte auf eine Felsspitze, die leicht zu erklettern war. Zusammen mit Atlan und Fälser stieg sie nach oben. Alle drei ahnten, was der Start des Gleiters zu bedeuten hatte, doch keiner sprach aus, was er dachte. Als er den Gipfel erreicht hatte, sah der Arkonide die Maschine. Sie war etwa sieben Kilometer von ihm entfernt und flog in geringer Höhe. Er kreuzte über einem von Büschen bewachsenen Gelände. Trotz der Entfernung konnte Atlan die hochgewachsenen Gestalten der Krejoden deutlich erkennen, die in wilder Panik vor dem Gleiter flüchteten. »Ich habe es geahnt«, sagte Thalia stöhnend. »Sie rennen in ihr Verderben.« »Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen«, bemerkte Atlan. »Du hast alles getan, sie davon abzuhalten«, erklärte Fälser. »Sie wollten nicht bleiben.« Beim Gleiter blitzte es auf. Sonnenhelle Energiestrahlen rasten auf die Fliehenden herab und töteten sie. Die Besatzung der Kampfmaschine kannte keine Gnade. Sie feuerte, bis sich niemand mehr auf dem Gelände bewegte. »Vielleicht haben es einige doch noch geschafft«, sagte Thalia erschüttert. »Vielleicht sind einige entkommen.« Atlan schwieg. Er glaubte nicht daran. Die Besatzung des Gleiters war taktisch äußerst geschickt vorgegangen. Der Gleiter kreiste noch einige Minuten lang über den brennenden Büschen, ohne abermals zu schießen. Dann flog er zur Burg zurück und landete dort. »Sie haben noch immer wenigstens einen Gleiter«, bemerkte Thalia. »Wenn wir uns ihnen vom Meer her nähern, könnten, sie
33 uns damit angreifen. Wir würden nichts gegen sie ausrichten, wenn sie uns auf dem offenen Meer überraschen.« »Das ist mir klar«, antwortete der Arkonide. »Dennoch werde ich es versuchen. Du brauchst mich nicht zu begleiten.« »Ich bin dabei«, erklärte sie energisch. »Wir sollten jedoch nach einem Material suchen, das nicht so leicht zu orten ist.« Atlan lächelte nachsichtig. »Das ist nicht so einfach«, erwiderte er. »Wir können es nur versuchen. Da wir jedoch nicht genau wissen, wie ihre Ortungsgeräte arbeiten, und worauf sie ansprechen, können wir auch nicht sagen, welches Baumaterial wir nehmen müssen.« Fälser führte sie nun zu dem Wrack, das er gefunden hatte. Es lag fast zehn Kilometer vom Lager entfernt an der Küste in einer von hohen Felsen geschützten Bucht. Es war ein Organschiff von fast zweihundert Metern Länge. Es war zylinderförmig. Das Heck mit dem größten Teil des Triebwerks war nicht mehr da. Die Brandung hatte es weggerissen. Die Außenhaut des Schiffes bestand aus einem schwarzen, lichtschluckenden Material. Breite Risse und klaffende Einschußlöcher zeugten davon, daß der Raumer von der Burg aus beschossen worden war. »Ich begreife nicht, daß so viele Schiffe zur Silberwelt gekommen und hier abgeschossen worden sind«, sagte Thalia. »Glaubst du, daß der Roboter Hordinal die Aufgabe hat, die Raumschiffe in eine Falle zu führen?« »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete der Arkonide, während er damit begann, das Wrack zu untersuchen. Er fand eine offene Schleuse und betrat das Schiff. Er wandte sich dem Heck zu. »Was willst du da?« fragte Thalia überrascht. »Da hinten ist doch alles zerstört.« »Ich brauche Material für ein Floß«, erklärte er. »Das finde ich am ehesten im Triebwerksbereich.« Je weiter er zum Heck hin vordrang, desto stärker wurden die Zerstörungen, die die See
34 angerichtet hatte. Doch das störte den Arkoniden nicht. Er wollte keine intakten Maschinen aus dem Triebwerk entfernen. Er suchte nach Tanks oder anderen geschlossenen Behältern, die er für ein Floß verwenden konnte. Im Maschinenraum eines Raumschiffs gab es immer derartige Behälter, die meistens aus einem hochwertigen, korrosionsfesten Material bestanden. »Ich schlage vor, daß Fälser und ich uns nach Waffen umsehen«, sagte Thalia. »Bestimmt gibt es noch welche an Bord.« »Einverstanden«, erwiderte Atlan. »Ich habe schon gefunden, was ich suche. Wahrscheinlich benötige ich einige Stunden, um alles auszubauen und aus dem Schiff zu bringen. Fälser könnte zu den anderen laufen und Hilfskräfte für mich holen.« Der Dello nickte Atlan zu und eilte davon. Thalia blieb noch einige Minuten bei dem Arkoniden, der damit begann, einen vier Meter langen Metallzylinder abzuschrauben. Der Zylinder hatte einen Durchmesser von etwa achtzig Zentimetern. Er bildete zusammen mit vier anderen Zylinder gleicher Art eine Tankeinheit. »Wie willst du das Floß steuern?« fragte sie. »Die Wellen sind mindestens zwei Meter hoch, und die Strömung ist stark. Sie reißt uns weg, wenn wir keine vernünftige Steuereinrichtung haben.« »Ich habe gesehen, daß dieses Raumschiff viele kleine Steuerdüsen hat«, erklärte der Arkonide. »Das ist bei allen Raumern dieser Bauweise so. Das Schiff muß stabilisiert werden, wenn es im Raum ist. Es muß den Kurs jederzeit ändern können. Dazu genügen Hecktriebwerke nicht. Diese Düsen lassen sich wahrscheinlich recht leicht ausbauen. Ich werde sie nehmen und am Floß befestigen, wenn ich den notwendigen Treibstoff und eine entsprechende Elektronik finde, mit der ich die Triebwerke steuern kann. Dazu gehören Treibstoffpumpen, Druckleitungen und Ventile.« »Ich verstehe«, erwiderte sie. »Eine komplizierte Arbeit.« »Leider. Anders geht es nun mal nicht,
H. G. Francis wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen.« Er wandte sich der Arbeit zu. Thalia verließ den Triebwerksbereich. Der Arkonide baute zunächst alle Teile aus, die er benötigte, und schleppte sie dann durch die Schleuse nach draußen. Als er etwa eine Stunde gearbeitet hatte, trafen die ersten Dellos ein. Sie halfen ihm, so daß er nun schneller vorankam und nicht jeden Handgriff selbstmachen mußte. Erfreut stellte er fest, daß er auch für die Düsensteuerung alles zur Verfügung hatte, was er benötigte. Diese Teile des Raumschiffs waren nicht zerstört worden. Einige Male kam Thalia zu ihm und teilte ihm mit, daß sie keinen Erfolg bei ihrer Suche nach Waffen gehabt hatte. »Entweder hat die Schiffsbesatzung alles mitgenommen«, sagte sie, »oder die Leute aus der Burg sind hier gewesen und haben alles herausgeholt, was man als Waffe verwenden kann.« Atlan bat sie, weiterzusuchen. Er zeigte ihr den Energiestrahler, den er dem Krejoden abgenommen hatte. »Wir haben diese gefunden«, sagte er, »und wir finden vielleicht auch noch mehr. Die Dellos sollen dir helfen.« Doch auch mit Unterstützung der Androiden war Thalia nicht erfolgreicher. Atlan kam mit seiner Arbeit gut voran. Das Floß nahm Gestalt an. Er koppelte die Zylinder aneinander, so daß sie eine feste Basis bildeten. Es war leicht und tragfähig, wie ein kurzer Test in der Brandung bewies. Danach montierte der Arkonide die Steuerdüsen an. Er befestigte sie an einer Brüstung, die er an allen vier Seiten des Floßes errichtete. Dabei war er sich darüber klar, daß er sie nicht ganz vor dem Wasser schützen konnte. Er kalkulierte ein, daß die Brecher über das Floß schlagen und die Arbeit der Düsen beeinträchtigen würden. Lieber hätte er einen Unterwassermotor eingebaut, weil dieser einen besseren Vortrieb geleistet hätte. Doch dazu fehlten ihm alle notwendigen Bauteile. Er konnte nur das nehmen,
Die Ewige Karawane was ihm das Raumschiff bot. Während des Tages berichtete ihm Fälser, daß der Gleiter mehrere Male von der Burg zu Suchaktionen startete. »Die Zeit wird knapp«, sagte Thalia, als sie davon hörte. »Früher oder später wird man uns hier auch finden, wenn wir nicht bald verschwinden.« »Wir brechen beim ersten Tageslicht auf«, entgegnete Atlan. »Vorher schaffe ich es nicht.« Es war schon lange her, daß er eine so umfangreiche und komplizierte Arbeit hatte ausführen müssen, und daß er dabei ganz auf sich allein angewiesen war. Keiner der anderen verstand genügend von Technik, um ihm helfen zu können. Lange vor Anbruch des neuen Tages war er fertig. So blieb ihm noch etwas Zeit zum Schlafen. Er legte sich in der zerstörten Hauptleitzentrale des Schiffes in einen der gepolsterten Sessel und schlief augenblicklich ein. Thalia weckte ihn einige Stunden später. »Es ist soweit«, sagte sie leise. »In einer Stunde beginnt der neue Tag. Wir sollten aufbrechen, bevor es hell wird.« Atlan war sofort wach. Er ging mit Thalia hinaus. Es war noch dunkel, doch ein leichtes Licht stieg über dem Meer auf, so daß zumindest zu erkennen war, wo das Wasser war. »Wenn wir jetzt losfahren, sind wir schon weit draußen, wenn es hell wird«, sagte Thalia. »Das hat den Vorteil, daß man uns von der Burg aus bestimmt nicht beobachtet.« »Einverstanden«, erwiderte der Arkonide. Er ging zum Wasser und erfrischte sich, indem er sich das Gesicht benetzte. Dann befahl er den Dellos, das Floß zu Wasser zu bringen. Zehn Androiden nahmen es auf. Es erwies sich als schwerer als erwartet. Dennoch war Atlan davon überzeugt, daß es sicher schwimmen würde. Ein steifer Wind wehte von See her. Er peitschte das Wasser auf und trieb mehrere Meter hohe Wellen an die Küste. Donnernd brach sich die Brandung
35 im flachen Wasser. Die Dellos scheiterten bei dem ersten Versuch, das Floß durch die Brandung zu bringen. Sie gingen nicht energisch genug vor, und eine gischtende Welle schleuderte das Floß bis auf den Strand zurück. »Wir packen mit an«, entschied Atlan, der ursprünglich geplant hatte, erst ins Wasser zu gehen, wenn das Floß vor der Brandung schwamm. Auch Thalia griff beim zweiten Versuch mit zu. Atlan wartete einen günstigen Moment ab. Dann gab er den Befehl. Die Männer stürmten mit dem Floß ins Wasser und warfen sich der Brandung entgegen. Für einige Sekunden schien es, als würden sie wie Spielbälle hinweggeschleudert. Tosend und donnernd brach das Wasser über ihnen zusammen. Der Boden schien unter ihren Füßen in Bewegung geraten zu sein. Dann durchstieß das Floß die schäumende Welle. Es schoß nach vorn in das nächste Wellental hinein. Atlan sprang auf das Floß. Er riß Thalia zu sich hoch, während die Dellos es weiterschoben. Einer der hinteren Düsenmotoren heulte auf. Er warf das Floß nach vorn. Atlan schrie den Dellos zu, sich zurückzuziehen. Doch das war gar nicht nötig. Sie konnten sich ohnehin nicht mehr halten. Die Brandungswelle packte sie und warf sie auf den Strand. Das Floß tauchte tief ins Wasser, bis Atlan einen weiteren Motor zündete. Dann richtete es sich wieder auf und überwand die nächste Welle. »Wir haben es geschafft«, schrie Thalia. Atlan antwortete nicht. Voller Bedenken blickte er auf die Brandungswellen zurück. Noch hatte er sich nicht aus ihrem Sog befreit. Er schaltete einen weiteren Motor auf Vortrieb, und jetzt endlich schob sich das Floß weiter hinaus aufs Meer. Atlan und Thalia hielten sich an der Brüstung fest. Die Wellen rissen das Floß mehrere Meter hoch, um es im nächsten Moment wieder in die Tiefe stürzen zu lassen. Dabei war es so dunkel, daß Atlan die Richtung nur ahnen
36 konnte, in die sie fahren mußten. Das Donnern der Brandung hinter ihm gab ihm ein wenig Orientierungshilfe. Die Strömung vor der Küste wirbelte das Floß herum, so daß der Arkonide immer wieder Kurskorrekturen vornehmen mußte. Je weiter sie sich von der Küste entfernten, desto schwieriger wurde es für ihn und die Tochter Odins, ihre Position zu bestimmen. Das ändert sich auch nicht, als es endlich hell wurde. Die See ging hoch. Das Floß tanzte auf den Wellen, und der Gischt schäumte. Er bildete einen Dunstschleier über der See, der die Sicht bis auf wenige hundert Meter beschränkte. So sehr Atlan und Thalia sich auch bemühten, sie konnten die Küste nicht mehr sehen. Allein die Windrichtung zeigte ihnen an, wo sie sein mußte. Der Arkonide gestand sich schon bald ein, daß er sich einen Angriff auf die Burg von See her leichter vorgestellt hatte. Er begann zu zweifeln, daß sein Plan realisierbar war. »Wir müssen näher an die Küste«, rief er Thalia zu. Er hatte ein eigenartiges Gefühl im Magen, wie er es noch nie erlebt hatte. Sein Magen schien sich selbständig zu machen. Die Bewegungen des Floßes lösten zunehmendes Unbehagen in ihm aus. Du wirst seekrank, stellte der Logiksektor fest. Alles in ihm sträubte sich gegen diese Erkenntnis. Er war über zehntausend Jahre alt und war unzählige Male auf See gewesen. Nicht ein einziges Mal war er seekrank geworden. Und ausgerechnet jetzt sollte ihm so etwas passieren? Mit aller Kraft kämpfte er gegen das Gefühl der Übelkeit an, gleichzeitig aber erwachte so etwas wie Haß gegen das Floß in ihm. Das primitive Gefährt rüttelte sich, es stampfte und schlingerte, bäumte sich auf und schien immer wieder kentern zu wollen, wenn es zu den Wellenkämmen hinaufkletterte. Es knirschte und krachte in allen Fugen, als würde es sich schon im nächsten Moment in lauter Einzelteile auflösen.
H. G. Francis Der Wind steigerte sich zum Sturm, der den aufschäumenden Gischt über das Wasser trieb. Thalia klammerte sich an die Brüstung. Sie kniete, weil sie sich sonst nicht halten konnte. Immer wieder blickte sie zu Atlan hinüber, als könne er das Toben der Gewalten beenden. Der Arkonide hantierte an der Steuerung der Düsenmotoren. Er war bleich, und seine Augen tränten, so daß er kaum etwas sehen konnte. Selbst das Goldene Vlies bot ihm nun keinen Schutz mehr. Plötzlich schrie Thalia auf. Das Floß schoß mit scharfer Beschleunigung auf einen Wellenkamm. Die Tochter Odins streckte den Arm aus. Atlan richtete sich auf, um besser sehen zu können. Für einen kurzen Moment erkannte er die Burg, doch sie lag in einer ganz anderen Richtung als vermutet. Erschrocken stellte er fest, daß der Wind gedreht hatte. Er schaltete die Motoren hoch. Das Floß wälzte sich herum. Ein Brecher überspülte es und riß Thalia mit, obwohl sie sich verzweifelte bemühte, an Bord zu bleiben. Atlan sah sie in den Fluten verschwinden. Er warf sich nach vorn und versuchte, sie zu packen, doch er erreichte sie nicht. Das Floß stürzte in ein Wellental. Eine Welle brach über ihm zusammen, und der Arkonide versank bis zum Hals im Wasser. Er glaubte, daß das Floß unter ihm wegsackte und von der Strömung in die Tiefe gezogen wurde. Doch dann stieg es wieder in die Höhe und tauchte auf. Thalia befand sich kaum zwei Meter neben ihm. Atlan zündete einen der Motoren. Das primitive Gefährt reagierte überraschend schnell. Es schob sich nach vorn. Die Tochter Odins klammerte sich an die Stahlstangen der Brüstung. Abermals rollte ein Brecher über das Floß und begrub Thalia und Atlan unter sich. Der Arkonide fürchtete, daß die Tochter Odins sich nicht halten konnte. Er konnte ihr nicht helfen, wenn er sich nicht selbst aufgeben wollte. Es schien, als werde das Floß nie mehr auftauchen. Die Wassermassen schienen
Die Ewige Karawane sich höher und höher über ihm aufzubauen. Atlan blickte mit weit geöffneten Augen um sich. Das Wasser sah schwarz aus. Nirgendwo war Licht. Er war versucht, die Brüstung loszulassen und sich nach oben zu arbeiten. Dann plötzlich zerriß die Wasserwand. Das Floß tauchte auf. Es schwebte für einige Sekunden wie schwerelos auf einem Wellenkamm. Atlan warf sich nach vorn. Er packte die Schultern Thalias und half ihr, auf das Floß zu kommen. »Wir müssen uns festbinden«, schrie er ihr zu. »Wir müssen zurück zur Küste«, rief sie. »So schaffen wir es nie. Es ist unmöglich.« Sie wollte noch mehr sagen, aber ein weiterer Brecher erstickte jedes weitere Wort. Atlan kämpfte mit zunehmender Übelkeit. Zugleich fuhr er die Düsenmotoren auf höhere Leistung. Es gelang ihm, das Floß zu stabilisieren. Er brachte es auf einen günstigeren Kurs, bei dem es nicht gegen die Wellen kämpfte, sondern ihre Bewegungen nutzte. Er ließ sich gezielt auf die Wellenkämme tragen und lernte bald, das Floß auch dann auf Kurs zu halten, als die Wellen es von hinten bedrängten. Thalia erholte sich rasch. Sie richtete sich hoch auf und gab dem Arkoniden wenig später an, wo die Burg lag. Der Sturm steigerte sich noch weiter, doch überraschenderweise gefährdete er das Floß nun weit weniger als zuvor. Bald sah auch Atlan die Burg. Die Wellen brachen sich an ihren Mauern und gischteten mehrere Meter hoch. Deutlich war die Lücke zu erkennen, die die Rakete gerissen hatte. Noch war die Burg etwa zwei Kilometer entfernt. Das Wasser sah hell aus und brach sich überall an Steinen und Klippen. Thalia legte Atlan die Hand an den Arm. Er wandte sich ihr zu. Schweigend deutete sie aufs Wasser hinaus. Ein Schwarm großer Fische näherte sich ihnen. Die Tiere schnellten sich spielerisch leicht über die Wellen. Atlan schätzte, daß
37 sie wenigstens vier Meter lang waren. »Das sind Raubfische«, sagte sie, als die Fische sich ihnen bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatten. »Sie haben es auf uns abgesehen.« Sie hatte diese Worte kaum über die Lippen gebracht, als der erste der Fische aus dem Wasser sprang und wuchtig gegen die Reling prallte. Thalia konnte ihre Hände gerade noch zurückreißen. Nur knapp entging sie den Zähnen. Dann jagten zwei weitere Fische heran, schnellten sich aus dem Wasser und griffen den Arkoniden und das Mädchen an. Einer von ihnen wagte sich so weit vor, daß er auf das Floß zu fallen drohte. Er hing auf der stählernen Brüstung und schlug wild mit den Flossen. Atlan warf sich mit der Schulter gegen ihn und stieß ihn in die Wellen zurück, während sich das Floß bedrohlich neigte. Kaum hatte es sich ein wenig wieder aufgerichtet, als die nächsten Angriffe erfolgten. Die Fische stürzten sich auf das Floß und versuchten, es umzukippen. Thalia und Atlan kämpften verzweifelt. Sie stießen die Fische zurück, wobei sie Mühe hatten, den Zähnen der Räuber zu entgehen. »Sie sind intelligent«, rief Thalia. »Sie wissen genau, daß sie uns nur erwischen, wenn es ihnen gelingt, das Floß zum Kentern zu bringen.« Das primitive Gefährt kam aus dem Kurs. Die Strömung wirbelte es herum, und wieder rollten die Brecher über die beiden Insassen hinweg. »Du mußt schießen«, sagte die Tochter Odins. »Es geht nicht anders.« Atlan blickte zur Burg hinüber. Er wollte ihre Insassen nicht auf sich aufmerksam machen, doch jetzt blieb ihm keine andere Wahl mehr. Die Fische waren allzu gefährlich, und nur mit der Schußwaffe konnte er sie abwehren. Er ließ sich auf die Knie sinken, während Thalia mit beiden Fäusten auf die Räuber einschlug, die nun nach den Stahlstangen der Brüstung schnappten, um das Floß in die Tiefe zu ziehen. Atlan tauchte den Energiestrahler ins Wasser und löste ihn aus. Ein
38 sonnenheller Energiestrahl schoß aus dem Projektor. Das Wasser verdampfte. Die Fische ließen sich fallen. Sie tauchten weg. Das vor Hitze brodelnde Wasser verscheuchte sie. Nur zwei blieben an der Oberfläche. Sie umkreisten das Floß in sicherer Entfernung. Atlan steuerte die Düsen aus und erhöhte die Schubleistung. Abermals stabilisierte sich das Floß und glitt auf die Burg zu. Der Arkonide tauchte die Hand ins Wasser und schoß. Dieses Mal raste der Energiestrahl dicht unter der Oberfläche durch die Wellen. Er verbreitete glühende Hitze, und jetzt ergriffen auch die letzten beiden Fische die Flucht. »Ich dachte, wir schaffen es nicht mehr«, sagte Thalia erleichtert. Die Entfernung bis zur Burg betrug nur noch etwa eintausend Meter. Eine Barriere von Klippen trennte sie von dort. Atlan begriff, daß er die Burg nicht erreichen würde, wenn das Floß so weitertrieb wie bisher. »Wir richten alle Abstrahldüsen nach unten«, sagte er. »Schnell. Hilf mir.« Sie stellte keine Frage, sondern packte wortlos mit an. Sie vertraute Atlan und seinen technischen Kenntnissen blind. Zunächst änderte sich nicht viel, als alle Düsen nach unten gerichtet waren. Dann aber erhöhte der Arkonide die Leistung der Motoren bis zur Höchstgrenze. Eine Welle packte das Floß und trug es in die Höhe. Thalia erwartete, daß es danach wie so oft wieder absinken würde, doch es geschah nicht. Das Floß blieb auf der Höhe der Wellenkämme. Atlan veränderte die Stellung der hinteren Triebwerke. Sie drückte das Floß voran, so daß es wie ein Antigravgleiter über die Wellen glitt. Jetzt kamen sie schnell voran. Die Burg rückte in greifbare Nähe. »Warum haben wir das nicht schon viel früher gemacht?« fragte Thalia. Verwundert stellte sie fest, daß sich Atlans Gesicht grünlich verfärbt hatte. Gequält schnappte er nach Luft.
H. G. Francis »Weil dann der Treibstoffvorrat längst zu Ende wäre«, antwortete er.
7. Das Floß schwebte über das gischtende und brodelnde Wasser hinweg, das vom Sturm gegen die Klippen getrieben wurde und von diesen zu dichten Schleiern aufwirbelte. Atlan blickte zu den Mauern der Burg hinüber. Ihm war so schlecht, daß er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er sehnte das Ende der Fahrt herbei. Du bist eben auch nur ein Mensch, stellteder Logiksektor fest. »Ich habe nie etwas anderes behauptet«, erwiderte er mit schwankender Stimme. »Sagtest du etwas?« fragte Thalia. Er schüttelte den Kopf. Die Triebwerke begannen zu stottern. Das Floß schwankte und sackte auf der einen Seite immer wieder ab. Atlan zog Thalia zur anderen, um die gefährdete Seite zu entlasten. Noch etwa hundert Meter trennten sie von den Mauern der Burg. Sie erreichten ruhigeres Wasser. Atlan sah, daß sich zwischen scharfkantigen Felsen immer wieder tiefe Mulden befanden. Er hatte den Eindruck, daß sich bizarres Getier darin bewegte, konnte jedoch keine Einzelheiten erkennen. Er hantierte an den Motoren und legte den Treibstoffbehälter auf die Seite, um auch die letzten Tropfen Treibstoff herauszuholen. Doch schließlich war alle Mühe vergebens. Die Triebwerke verstummten. Das Floß stürzte ins Wasser und prallte gegen eine Klippe. Krachend zerplatzte ein Trägerkörper. Das Floß sank in eine Mulde und verfing sich in den Felsen. Nur noch knapp fünfzig Meter trennten Atlan und seine Begleiterin von den Mauern der Burg. Der Arkonide sah, daß diese auf gewachsenem Felsen errichtet war. Ihre Wand war so glatt, daß er sie nicht besteigen konnte, zumal sie größtenteils mit Algen bedeckt war. Diese hielten sich, obwohl die Wellen pausenlos gegen die Mauer brandeten. Doch etwa zweihundert Meter von At-
Die Ewige Karawane lan entfernt befand sich die Lücke. Dort war die Mauer so weit aufgerissen, daß sie eindringen konnten. »Es hilft nichts«, sagte der Arkonide. »Wir müssen aussteigen.« Er fühlte sich bereits wesentlich besser, da das Floß endgültig zur Ruhe gekommen war. Thalia blickte auf die Felsen, die sie noch von der Mauer trennten. »Mir wäre es lieber gewesen, wir wären bis an die Mauer geflogen«, erwiderte sie mit einem matten Lächeln. »Aber jetzt ist wohl nichts mehr zu ändern.« Sie sprang über die Brüstung und landete auf einer Klippe. Das Wasser reichte ihr bis über die Knie. Atlan folgte ihr. »Hoffentlich zerschlagen die Wellen das Floß«, sagte er. »Wir brauchen es nicht mehr. Es könnte uns höchstens verraten.« »In einer halben Stunde ist es weg«, schätzte sie, während sie sich vorsichtig vorantastete. Sie konnte nicht verhindern, daß eine Welle sie von dem Felsen trieb. Schwimmend erreichte sie die nächste Klippe. Atlan schnellte sich von Felsen zu Felsen, wobei er die Wellen geschickt nutzte. Er sah einige armlange Krebstiere, die vor ihm flüchteten. Der Arkonide half Thalia aus dem Wasser und arbeitete sich gemeinsam mit ihr voran. Je näher sie der Mauer kamen, desto leichter wurde es für sie. Jetzt zeigte sich, daß das Glück auf ihrer Seite war. In diesem Bereich der Burg befanden sich so viele Felsen, daß die stärkste Brandung weit vor der Burg lag. In anderen Bereichen war das nicht der Fall. Dort rollten Wellen von mehreren Metern Höhe bis an die Mauer. In ihnen wären Atlan und Thalia verloren gewesen. Sie hätten sich nicht in ihnen halten können. Erschöpft sanken sie auf die Felsen, als sie die Mauer erreicht hatten. Atlan spürte, daß der Zellaktivator ungewöhnlich heftig pulsierte. Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß er seinem Körper die letzten Reserven abverlangt hatte.
39 Er blickte an der schimmernden Mauer empor. Wenn jetzt jemand aus dem Innern der Burg erschien, war er nicht in der Lage, Gegenwehr zu leisten. Thalia ging es noch schlechter als ihm. Sie war einem Zusammenbruch nahe. Teilnahmslos blickte sie auf die Wellen, und es störte sie nicht, daß ihr der Gischt ins Gesicht flog. »Wenn ich vorher gewußt hätte, was auf uns wartet«, sagte sie, nachdem fast eine Stunde verstrichen war, »hätte ich nach einem anderen Weg gesucht.« »Wir haben jetzt den Vorteil, daß uns aus dieser Richtung bestimmt niemand erwartet«, erwiderte Atlan. »Und wir haben keine andere Wahl. Wir müssen etwas gegen die Insassen der Burg tun, oder wir bleiben für den Rest unseres Lebens auf der Silberwelt.« »Das ist nicht gerade das, wovon ich träume«, gestand sie. »Ich denke fast ständig an Pthor, und ich frage mich, ob wir es jemals wiedersehen werden.« »Wenn wir hier sitzen bleiben, bestimmt nicht.« Sie lächelte flüchtig. »Du hast recht. Wir müssen weiter.« Die Sonne stand bereits im Zenit. Atlan erhob sich und half Thalia hoch. Einige Meter weit konnten sie aufrecht auf den Felsen gehen. Dann mußten sie ein Stück durch die Brandung zu einem anderen Felsen schwimmen. Doch jetzt strengte sie der Kampf gegen die Wellen nicht mehr so an wie zuvor. Sie wußten, daß sie es praktisch schon geschafft hatten. Nach etwa einer Stunde erreichten sie die Lücke in der Mauer. Atlan kletterte auf herabgefallenen Steinen hoch und blickte hindurch. Die Burg lag greifbar nahe vor ihm. Auf ihrer Rückseite sah sie aus, als sei sie aus zahlreichen Röhren zusammengesetzt, von denen jede einen Durchmesser von wenigstens zehn Metern hatte. Die grauen und schwarzen Flächen wurden von silbrig schimmernden Fenstern in allen nur erdenklichen Formen unterbrochen.
40 Die Rückseite der Burg war etwas mehr als hundert Meter von dem Arkoniden entfernt. Zwischen ihm und ihr befand sich ein unübersichtliches Gelände, in dem rote und grüne Büsche und Bäume wuchsen. Versteckt zwischen ihnen lagen einige primitive Holzhütten. Zwischen ihnen und der Burg erhob sich ein Stahlgitter, dessen Höhe Atlan auf vier Meter schätzte. Ein Tor war mit einer Eisenkette verriegelt. Thalia schloß zu ihm auf. »Hast du schon gesehen, daß es Öffnungen in der Mauer gibt?« fragte sie. »Komm mit.« Sie führte ihn einige Meter weit an der Mauer entlang bis zu einem Stahlgitter. Es war von innen mit mächtigen Riegeln verschlossen. Ein mehrere Meter breiter Wassergraben reichte etwa zehn Meter weit in den Innenhof der Burg. In ihm schwammen drei Fische von der Art, die das Floß angegriffen hatten. Sie hingen an Metallschnüren, die am Ufer befestigt waren. Atlan erkannte sogleich, was das zu bedeuten hatte. »Verstehst du?« fragte er. »In den Hütten wohnen Wesen, die von den Bewohnern der Burg innerhalb der Mauern geduldet werden. Es sind Fischer. Sie fangen diese Fische mit langen Schnüren und zerren sie in diesen Graben. Hier bleiben die Tiere, bis die Bewohner der Burg frisches Fleisch verlangen.« Er deutete auf einen Platz an der Mauer, an dem sich zahllose Fischskelette stapelten. »Also haben wir es doch noch nicht geschafft«, sagte sie enttäuscht. »Wir müssen an den Fischern vorbei und über das Gitter klettern.« Atlan zeigte ihr den Energiestrahler. »Damit zerschneide ich die Gitterstäbe«, erwiderte er. »Das ist kein Problem.« Sie lächelte. »Daran habe ich nicht gedacht«, sagte sie. »Wollen wir es jetzt versuchen, oder warten wir, bis es dunkel wird?« »Jetzt.«
H. G. Francis Atlan blickte auf die tobende See hinaus. Von dem Floß war nichts mehr zu sehen. Die Wellen hatten es an den Felsen zerschmettert. »Solange der Sturm anhält, rechnet da drinnen ohnehin niemand damit, daß von hier jemand kommt.« Sie kehrten an die Lücke in der Mauer zurück und stiegen in den Innenhof. Sie versteckten sich hinter einem Busch und warteten einige Minuten. Doch nichts regte sich. Geduckt eilten sie auf das Gitter zu. Plötzlich tauchten überall zwischen den Büschen zwergenhafte Gestalten auf. Sie waren humanoid, erreichten jedoch nur eine Größe von etwa einem Meter. Dabei waren ihre Köpfe nicht kleiner als der Atlans. Sie hatten untersetzte, muskulöse Körper und wirkten ungemein kräftig. Ihre Gesichter waren mit hellen Farben bemalt und wirkten geisterhaft und leer. Feuerrote Ringe umgaben die Augen. Die Ohren wurden durch überwiegend grüne Farben betont. Atlan sah aber auch einige Männer, die rote und blaue Ohren hatten. Es schien, als führten die Männer mit den roten Ohren das Kommando. Die Fischer waren mit Messern und kleinen Beilen bewaffnet. Damit stachen und hieben sie auf Atlan und Thalia ein. Diese konnte sich ihrer kaum erwehren. Der Arkonide zögerte, seinen Energiestrahler gegen sie einzusetzen. Die Fischer kamen ihm wegen ihrer geringen Körpergröße zu schwach und unterlegen vor. So stieß er sie mit Händen und Füßen zurück. Die Messerklingen und die Beile prallten wirkungslos am Goldenen Vlies ab. Auch konnten sie das Material des Raumanzugs von Thalia nicht durchdringen. Sie brachten ihnen nur einige Kratzer bei, die weiter nicht gefährlich waren. Schließlich aber sprangen die zwergenhaften Männer an Atlan und Thalia hoch und klammerten sich an sie. Als sie merkten, daß sie damit die Kampfkraft der beiden erheblich verringerten, taten es ihnen andere gleich, so daß der Arkonide
Die Ewige Karawane und seine Begleiterin unter einer Traube von Angreifern zu versinken drohten. Jetzt griff Atlan energisch an. Er drehte sich mehrmals um seine Achse und schleuderte die Fischer von sich. Diejenigen, die auch dann noch nicht wichen, stieß er mit den Fäusten fort. Thalia übernahm seine Kampftaktik sofort und befreite sich auf diese Weise ebenfalls. Atlan zog den Energiestrahler aus dem Gürtel. »Zurück zur Mauer«, rief er Thalia zu. Sie erkannte seine Absicht und rannte zur Mauer, um wenigstens den Rücken frei zu haben. Atlan schoß in den Boden. Die Fischer fuhren schreiend vor dem glühenden Fleck zurück, der im Sand entstand. Einige von ihnen schleuderten ihre Waffen nach dem Arkoniden, verfehlten ihn jedoch. Atlan und Thalia lehnten mit dem Rücken an der Wand. Die Fischer verharrten etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt bei den Büschen und blickten sie forschend an. »Wir wollen nichts von euch«, rief der Arkonide ihnen in Garva-Guva zu. »Laßt uns durch. Wir müssen zur Burg.« Ein Fischer, der rote Ohren hatte, antwortete mit einem Beilwurf. Er traf Atlan an der Schulter, verletzte ihn jedoch nicht. Die zwergenhaften Wesen sahen, daß sie auf diese Weise nichts erreichten. Einige von ihnen drängten sich zusammen und berieten, wobei sie immer wieder zu Atlan und Thalia blickten. Der Arkonide überlegte verzweifelt, wie er den Bereich der Fischer durchbrechen konnte. Nach wie vor war er entschlossen, die Energiestrahlwaffe nicht einzusetzen, um niemanden zu töten oder zu verletzen. Doch er sah keinen Ausweg mehr. »Wenn wir nicht bald etwas tun, ist es zu spät«, sagte Thalia. »Haben wir soviel riskiert, um jetzt aufzugeben?« Sie rückte näher an ihn heran. »Wenn du nicht willst, nehme ich die Waffe. Ich setze sie ein. Mir tun diese Ungeheuer nicht leid. Siehst du denn nicht, daß sie nichts anderes im Sinn haben, als uns umzubringen? Sie stellen keine Fragen. Sie
41 versuchen noch nicht einmal, mit uns zu reden. Sie wollen nur töten.« »Das ist kein Grund für mich, es genauso zu machen«, erwiderte Atlan. »Außerdem wollte ich die Leute in der Burg nicht durch eine Schießerei aufmerksam machen. Aber Vorsicht ist nun wohl unangebracht.« Atlan schoß abermals in den Boden. Schreiend wichen die Fischer zurück, während der Arkonide noch einmal feuerte. Dieses Mal aber schlug der Energiestrahl einige Meter neben der ersten Einschußstelle ein, so daß zwei Glutseen entstanden. »Komm«, sagte er, eilte vor und löste die Waffe in schneller Folge mehrere Male aus. Die Energiestrahlen rasten in den Sand. Dieser glühte auf und verflüssigte sich. So bildete sich innerhalb weniger Sekunden eine Doppelreihe von Hitzeherden, die die Fischer auseinandertrieb. Atlan und Thalia, die durch ihre Anzüge ausreichend geschützt waren, drangen unter diesem Hitzeschild vor. Die Fischer heulten und brüllten vor Wut. Sie schleuderten ihre Waffen, Äxte und Steine gegen den Arkoniden und das Mädchen, konnten ihren Vormarsch jedoch nicht aufhalten. Einige von ihnen warfen Seile und hofften, daß Atlan oder Thalia sich darin verfangen würden, erreichten jedoch auch damit nichts. Die Büsche und Bäume fingen Feuer. Das Holz war feucht und entwickelte beißenden Rauch, der den Fischern am meisten zusetzte. Atlan sah, daß viele von ihnen zum Wasser eilten, um den Brand zu löschen. Die Angriffe auf ihn und Thalia wurden schwächer. Die Fischer zogen sich vor dem Stahlgitter zusammen. Ein letztes Mal bäumten sie sich gegen die Eindringlinge auf. Doch als Atlan direkt vor ihnen weitere Glutherde entstehen ließ, flüchteten sie. Ungehindert erreichte der Arkonide das mit einer Kette gesicherte Tor. Er schoß auf die Kette. Sie platzte aufglühend auseinander, und das Tor öffnete sich wie von selbst. Die Fischer brüllten vor Wut, versuchten jedoch nicht, Atlan und das Mädchen aufzuhalten.
42 Atlan betrat den Innenhof, während Thalia ihm rückwärtsschreitend folgte. Sie wollte verhindern, daß sie von den Fischern verfolgt wurden. Sie schlug das Tor zu. »Du mußt es verschließen«, sagte sie und versuchte, einen Stein vor das Tor zu wälzen. Atlan richtete den Energiestrahler auf eines der Torscharniere und verwandelte es in einen Klumpen geschmolzenen Metalls. Danach behandelte er ein Scharnier des anderen Torflügels ebenso. »Das ist viel wirksamer«, sagte er. Thalia nickte nur. Sie war bleich. Unruhig blickte sie zur Burg. Zwischen ihr und ihnen befand sich freier, deckungsloser Raum. Auch links und rechts von der Burg gab es nichts, was ihnen irgendeinen Schutz gewährt hätte. Die Mauern ragten steil zu beiden Seiten auf. Sie waren auch von der Innenseite her nicht zu erklimmen. Eine Entscheidung mußte fallen. Atlan und Thalia konnten sich nicht mehr zurückziehen. Der Arkonide beobachtete die Fenster. Alles blieb ruhig. Nirgendwo war eine Bewegung zu sehen. Es schien, als sei die Burg ausgestorben. »Ob niemand darin lebt?« fragte Thalia beklommen, während sie sich dem Gebäude näherten. »Ich weiß es nicht«, antwortete der Unsterbliche. »Vielleicht ist die Burg nicht mehr als eine automatische Überwachungsstation, ausgerüstet mit ein paar Robotern.« Er beschleunigte seine Schritte. »Wir müssen zur Vorderseite«, sagte er. »Ich fürchte, daß sie uns einen Kampfgleiter entgegenschicken. Wir müssen ihn rechtzeitig abfangen.« Sie begannen zu laufen, wobei sie ständig damit rechneten, daß einer der Gleiter vor ihnen auftauchen würde. Doch als sie die Vorderseite der Burg erreichten, sahen sie, daß das Schott im Boden noch geschlossen war. Es bestand aus einem dunklen Metall und war mehr als zwanzig Meter breit. »Man muß uns doch bemerkt haben«,
H. G. Francis sagte Thalia. »Man hat uns auch bemerkt. Davon bin ich überzeugt. Ich weiß nur nicht, weshalb man nicht auf uns reagiert.« »Ich glaube nicht, daß es nur Roboter in der Burg gibt«, sagte die Tochter Odins. »Die Fischer versorgen die Leute in der Burg. Also müssen es lebende Wesen sein.« »Das ist nur eine Annahme, die durch nichts bewiesen ist«, widersprach der Arkonide. Er entfernte sich etwa zehn Meter von der Burg und blickte nach oben. Die Fenster glitzerten in der Sonne, als spiegelten sich die Kristallwälder in ihnen. Nirgendwo bewegte sich etwas. Thalia ging zögernd weiter. Sie suchte nach einem Eingang. »Irgendwo muß eine Tür sein«, rief sie Atlan zu. Sie wurde von Minute zu Minute unruhiger. Sie hatte sich den Angriff auf die Burg ganz anders vorgestellt. Sie hatte damit gerechnet, auf heftigen Widerstand zu stoßen und kämpfen zu müssen. Daß nichts geschah, zerrte stärker an ihren Nerven, als jeder Kampf es getan hätte. Atlan schloß sich ihr an. Zusammen mit ihr umrundete er die Burg. Es gab keinen Eingang. »Was jetzt?« fragte sie. »Wir müssen warten«, entgegnete er. »Wenn sich das Schott öffnet, werden wir eindringen.« »Vielleicht öffnet es sich erst in einem Jahr. Dann sind wir verhungert. Warum schießen wir nicht ein Loch in die Mauer der Burg und steigen dort ein?« »Wenn sich nicht bald etwas tut, bleibt uns nichts anderes übrig.« Nachdenklich blickte Atlan zum Tor und den beiden Metallvögeln, die schimmernd in die Höhe ragten. »Vielleicht ist das aber gar nicht notwendig. Vielleicht gibt es am Tor einen Eingang, durch den wir zu den Anlagen unter uns kommen, und von dort aus geht es dann wahrscheinlich weiter bis in die Burg.« Sie eilten zum Tor, das die Burganlage von der Außenwelt trennte. Thalia suchte
Die Ewige Karawane nach einem Öffnungsmechanismus, doch sie fand keinen. Es gab auch keine Tür in der Mauer, durch die sie hätten eindringen können. Wir haben keine Wahl«, sagte Thalia und zeigte auf die Burg. »Wir müssen uns hineinschießen.« Sie wollte fortfahren, doch Atlan bat sie durch ein Zeichen, ruhig zu sein. Dann hörte sie es auch. Ein fernes Donnern kündigte ein Raumschiff an. »Das nächste Raumschiff, das in die Falle geht?« fragte sie. »Es sieht so aus.« Atlan zeigte nach Norden. Ein dunkler Körper näherte sich ihnen. Schon nach wenigen Sekunden stand fest, daß er sich auf einem Landekurs befand, der dem der HORIET exakt glich. Das Raumschiff war tropfenförmig. Es ließ einen rötlichen Streifen verbrannter Gase hinter sich. Atlan und Thalia wichen bis an die Mauer zurück. Sie spürten die Gefahr, konnten jedoch nichts tun, um sie abzuwehren. Das Raumschiff raste heran. Rasch verlor es an Höhe. Die Bugtriebwerke heulten auf. Sonnenhelle Glutstrahlen schossen aus den Abstrahlschächten. Der Raumer wurde langsamer und glitt in einer Höhe von kaum mehr als hundert Meter über die Burg. Es flog in Richtung Kristallwälder. Als das Schiff etwa hundert Meter von den Mauern der Burg entfernt war, geschah, was Thalia und Atlan erwartet hatten. Die Energiestrahler, die in den Schnäbeln der metallenen Vögel verborgen waren, blitzten auf. Armdicke Energiestrahlen rasten auf das Raumschiff zu, erreichten und durchbohrten es. Für einige Sekunden schien es, als hätten sie keinerlei Wirkung. Der Raumer flog weiter und schien zur Landung anzusetzen. Dann aber brachen die Metallwände auf. Das Raumschiff explodierte. Eine ungeheure Druckwelle fegte über den Vorhof der Burg und schleuderte Atlan und Thalia zu Boden. Obwohl der Arkonide geblendet war, erkannte er, daß ein ovaler Körper aus dem Feuer der Explosion aufstieg und sich
43 schnell entfernte. Einige der Besatzungsmitglieder hatten sich in einem Rettungsboot aus dem Raumer geschleudert und flohen. Das Raumschiff stürzte auf die Ebene vor den Kristallwäldern. »Ich wußte es«, sagte Thalia erschüttert. »Hordinal hat uns in eine Falle geführt. Wir kommen hier nicht mehr weg. Uns wird es genauso ergehen wie allen anderen. Dies ist das Ende.« Atlan sah, daß sie Tränen in den Augen hatte. Ihr Gesicht war von Verzweiflung gezeichnet.
8. Sie sind in einem Beiboot entkommen, stellte der Logiksektor fest. Das können sie nicht zulassen. Sie müssen es verfolgen, denn das Beiboot könnte in den Weltraum entkommen. Er packte Thalias Arm. »Komm«, rief er und sprang auf. »Wo willst du hin?« fragte sie. »Zum Schott. Es öffnet sich gleich. Schnell, sonst kommen wir zu spät.« Sie erhob sich und folgte ihm zögernd. »Das hat doch alles keinen Sinn mehr«, sagte sie. »Es ist zu spät für uns. Wir hätten niemals hierher fliegen dürfen.« »Noch gebe ich nicht auf.« Das Schott im Boden des Burghofs zog Atlan förmlich an. Er spürte, daß es sich in wenigen Sekunden öffnen würde. Dann wollte er bereit sein. Neben dem Schott legte der Arkonide sich auf den Boden. »Hinlegen«, befahl er. »Schnell.« »Ich weiß nicht, was das soll«, erwiderte Thalia, gehorchte jedoch. »Einige sind aus dem Raumschiff geflohen«, erklärte Atlan. »Ich habe es gesehen, und ich bin sicher, daß man sie verfolgt.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, als sich das Schott bewegte. Es spaltete sich in der Mitte und glitt zu den Seiten weg. Atlan und Thalia preßten sich auf den Boden. Sie
44 hörten das Dröhnen und Heulen von Maschinen. Der Arkonide hob den Kopf und blickte in die Öffnung. Er konnte jedoch nur eine senkrecht abfallende Stahlwand sehen. Dann stieg ein kleines Raumschiff auf. Es hatte einen Durchmesser von kaum zehn Metern und sah aus wie eine mit zahllosen Stacheln bewehrte Kugel. Röhrend und heulend schwebte es aus dem subplanetarischen Hangar empor. Eine Welle glühend heißer Luft jagte über Atlan und Thalia hinweg. Der Arkonide robbte sich an die Öffnung im Boden heran. Er schützte das Gesicht mit den Händen, während das Raumschiff scharf beschleunigte und rasch an Höhe gewann. Etwa drei Meter unter dem Schott befand sich ein Kampfgleiter, der in einer Nische parkte. »Komm«, rief der Arkonide seiner Begleiterin zu. Er ließ sich über die Kante fallen. Thalia folgte ihm augenblicklich. Sie landeten auf dem Dach des Gleiters, während sich über ihnen das Schott wieder schloß. Der Arkonide hielt den Energiestrahler schußbereit in den Händen. Sie befanden sich in einer Halle, die etwa hundert Meter hoch war, und einen Durchmesser von mehr als zweihundert Metern hatte. Sie reichte weit über die Mauern der Burg hinaus. In der Halle standen nur zwei Gleiter und ein Raumschiff. Es war ein zylinderförmiges Schiff, das eine gewisse Ähnlichkeit mit den Raumern der Ewigen Karawane hatte. »Wie ist das möglich?« fragte Thalia. »Das Raumschiff ist so groß, daß es nicht durch das Schott paßt. Es kann unmöglich starten. Es muß hier gebaut worden sein.« Das Raumschiff war etwa sechzig Meter lang und hatte einen Durchmesser von annähernd fünfzehn Metern. Es konnte die Halle nicht durch das Schott verlassen. »Es ist für den Notfall«, entgegnete der Arkonide. »Wenn es startet, durchbricht es die Decke und zerstört alles.« »Es ist niemand in der Halle«, sagte sie. »Man hat uns nicht bemerkt.« Atlan stieg vom Gleiter, der hoch über
H. G. Francis dem Boden der Halle in einer Parknische stand. Eine Treppe führte in die Tiefe. Der Arkonide ging jedoch noch nicht nach unten, sondern sah sich erst in der Halle um. Sie bot keine Überraschungen, sondern glich den Hangars, die er von Raumschiffen und von Stützpunkten kannte. Das Raumschiff war von technischen Einrichtungen umgeben, die der Wartung dienten. An den Wänden standen einige Maschinen, deren Funktion er nicht kannte. Ein runder Schacht stieg an der Stelle zur Decke der Halle auf, über der sich die Burg erhob. Atlan öffnete die Tür des Gleiters. Es war die Maschine, die er beschossen und beschädigt hatte. »Wir müssen nach unten«, sagte Thalia drängend. »Hier verlieren wir nur Zeit.« »Ich suche eine Waffe für dich«, erklärte er. Der Gleiter hatte vier gepolsterte Sitzplätze. Das Instrumentarium war eindeutig für Lebewesen eingerichtet, die anatomisch kaum anders gebaut waren als der Arkonide. Atlan setzte sich hinter das Steuer. »Roboter haben diese Maschine jedenfalls nicht geflogen«, sagte er. »Weiß der Teufel, wie die Fremden aussehen, Roboter sind es jedenfalls nicht.« Er durchsuchte die Kabine, öffnete sämtliche Fächer, blickte unter die Sitze und in die Stauräume an Heck und Bug, fand jedoch nichts, was sich als Waffe eignete. »Es hilft nichts«, sagte er. »Wir müssen es so versuchen.« Er reichte Thalia den Energiestrahler, doch sie wies ihn zurück. »Behalte du ihn«, bat sie. »Du brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen«, sagte er. »Ich werde vorangehen, während du mir den Rücken deckst. So kommen wir ganz gut aus.« Zögernd nahm sie die Waffe. »Außerdem bin ich im Goldenen Vlies ganz gut geschützt«, fügte er hinzu und ging die Treppe hinunter. Sie folgte ihm. Hin und wieder blieb er
Die Ewige Karawane stehen und horchte. Je tiefer sie kamen, desto stärker wurde das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Es gab keine seitlichen Ausgänge. Sie mußten bis zum Ende der Treppen gehen, wenn sie die Halle wieder erreichen wollten. Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, zeigte ihnen ein lautes Dröhnen und Heulen an, daß das Raumschiff zurückkehrte. »Schnell«, sagte Atlan. »Wir müssen unten sein, wenn es gelandet ist.« Sie übersprangen mehrere Stufen zugleich. Atlan glaubte schon, daß sie es schaffen würden, rechtzeitig zum Ende der Treppe und damit zum Zugang zur Halle zu kommen, als sie plötzlich auf ein Stahlschott stießen. In aller Hast untersuchte der Arkonide es, fand jedoch keine Sensorplatte als Öffnungsschalter. Die Triebwerksgeräusche verstummten. »Wir müssen es aufschießen«, sagte Thalia. »Aber nicht jetzt«, erwiderte er. »Wir müssen warten, bis die Besatzung des Raumschiffes die Halle verlassen hat.« Er nahm sich nun mehr Zeit, das Schott zu untersuchen, fand aber keinen Schalter. »Wie öffnen sie es?« fragte Thalia. »Sie müssen doch irgend etwas haben, mit denen sie es öffnen, wenn sie vom Gleiter kommen und in die Halle wollen.« »Bestimmt sogar. Wahrscheinlich hat die Tür einen Individualtaster, der auf ihre Gehirnschwingungen anspricht. Eine bessere Sicherung gibt es nicht.« »Wie lange warten wir?« »Einige Minuten«, erwiderte er. »Sie müssen in der Burg sein, sonst erwischen sie uns noch auf der Treppe.« »Ich laufe nach oben und sehe nach.« »Nein. Sie könnten dich bemerken. So ist es besser.« Endlos langsam verstrich die Zeit. Thalia wurde von Minute zu Minute unruhiger. Sie wollte den entscheidenden Kampf. Sie wollte um keinen Preis auf der Silberwelt blei-
45 ben. »Könnten wir nicht versuchen, mit dem Raumschiff zu fliehen?« fragte sie. »Wir kämen nicht weit. Erstens weiß ich nicht, wie das große Schott geöffnet wird, und zweitens würden sie uns sofort abschießen, wenn es uns gelänge zu starten.« Er ließ sich den Energiestrahler geben, trat einige Schritte zurück und schoß auf die Stelle, an der er den Verschluß vermutete. Das Schott sprang unter der Wucht des sich plötzlich ausdehnenden Materials auf. Atlan gab Thalia die Waffe zurück und eilte die letzten Stufen der Treppe hinunter, begleitet vom Heulen einer Alarmsirene. Ein offener Durchgang führte zum Hangar. Atlan sah, daß sich mehrere Türen geöffnet hatten. Kugelförmige Roboter rollten auf Raupenketten auf ihn zu: Sie waren mit allerlei Werkzeugen für die Arbeit am Raumschiff ausgerüstet, nicht jedoch mit Waffen. »Schieß«, rief er Thalia zu, als er sah, daß sie zögerte. Sie feuerte auf den Roboter, der Atlan am nächsten war. Der Energiestrahl durchschlug die Kugel und zerstörte das Triebwerk. Atlan deutete auf den Aufgang zur Burg. »Dorthin«, sagte er. Sie schoß erneut und zerstörte einen zweiten Roboter. Aus einer Öffnung im Boden stieg eine Platte mit drei Robotern auf. Sie hatten ebenfalls einen Kugelkörper, verfügten jedoch über gefährlich aussehende Zangen und Schweißgeräte. Thalia zielte sorgfältig. Sie umfaßte den Griff mit beiden Händen. Atlan sah, daß ein anderer Roboter sie von hinten angriff. Er kehrte um und warf sich auf den Automaten. Er packte ihn an zwei Werkzeugarmen und stürzte ihn um. Währenddessen hatte Thalia geschossen. Damit hatte sie die beiden gefährlichsten Roboter ausgeschaltet. Sie zeigte Atlan die Waffe. »Ich glaube, das Magazin ist bald leer«, sagte sie. »Die Strahlen waren schwach.« Er nahm die Waffe, während sie einigen
46 angreifenden Roboter auswichen, und überprüfte sie. Obwohl sie ihm fremd war, und er ihre Technik nicht ganz verstand, erkannte er, daß Thalia recht hatte. »Geh sparsam damit um«, bat er. »Du hast vielleicht noch vier oder fünf Schüsse. Mehr nicht. Sie könnten entscheidend sein.« Sie rannten unter das Raumschiff. Thalia lockte einen Roboter auf sich, der ihnen bedrohlich nahe gekommen war. Atlan blieb hinter einem der Stützbeine des Raumschiffes stehen. Surrend schob sich der Roboter an ihm vorbei. Er setzte ihm nach, packte ihn an den hinteren Armen und versuchte, ihn umzuwerfen. Doch jetzt merkte er, daß er dem Roboter in die Falle gelaufen war. Die Maschine krallte die Metallfinger in seine Arme und hielt ihn fest. Atlan schrie vor Schmerz auf. Der Roboter warf ihn zu Boden. Thalia blieb keine andere Wahl. Sie mußte schießen, um die Maschine schnell funktionsunfähig zu machen. Atlan sah, daß der Energiestrahl nur noch blaß war. Er reichte jedoch aus, den Roboter zu zerstören. Die Stahlklauen lösten sich. Atlan sprang auf. Jetzt waren die anderen Automaten bis auf wenige Schritte heran. »Schnell. Zum Aufgang«, rief Thalia. »Sonst schaffen wir es nicht mehr.« Sie trennten sich und zwangen die Roboter dadurch, sich für einen von ihnen zu entscheiden. Dadurch verschafften sie sich einige Sekundenbruchteile Vorsprung. Doch die genügten. Der Vorsprung vor den Maschinen wuchs. Sie erreichten ein offenes Schott, eilten hindurch und befanden sich in dem Turm, der die Verbindung zur Burg darstellte. Eine breite Spirale führte nach oben. Atlan sah eine Sensorplatte neben dem Schott, legte seine Hand dagegen und schloß das Schott, so daß die Roboter ihnen nicht folgen konnten. Dann eilte er auf das Band der Spirale. Ein Kraftfeld erfaßte ihn und trug ihn nach oben. Thalia blieb bei ihm. Sie hielt den Energiestrahler schußbereit in der Hand. Atlan versuchte stehenzubleiben und um-
H. G. Francis zukehren, um sich zu vergewissern, ob er es im Notfall auch tun konnte. Es ging nicht. Das Energiefeld schob ihn und Thalia mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt nach oben. »Vorsicht«, warnte Atlan, als sie sich dem Ende der Spirale näherten. »Inzwischen weiß man hier oben, daß wir kommen.« Thalia zielte mit ausgestreckten Armen auf die nächste Biegung. Sie war bereit, sofort zu schießen, wenn sich irgend jemand über ihnen zeigte. Atlan blickte sich immer wieder um. Er glaubte, Geräusche wahrzunehmen, die ein Verfolger verursachte. Dann tauchte plötzlich eine schattenhafte Gestalt vor ihnen auf. Thalia feuerte. Der Energiestrahl zuckte zu der Gestalt hinüber, verfehlte sie jedoch. Er schlug in die Wand und riß aufglühende Kunststoffbrocken heraus. Atlan rannte los. Er überholte Thalia. Er wollte sich auf die schattenhafte Gestalt werfen, die er eben noch auf dem Band der Spirale gesehen hatte. Er erreichte das Ende des Transportbands. »Er ist weg«, sagte er verblüfft. Vor ihnen lag ein langer Gang, von dem einige andere abzweigten. Der Boden war tiefschwarz. Die Decke bestand aus mehreren Lichtbändern, die den Gang erhellten. Seltsame Zeichnungen, die eine düstere Ausstrahlung besaßen, verzierten die Wände. »Er kann doch nicht einfach verschwunden sein«, bemerkte Thalia verstört. »Was war das überhaupt? Ein Schatten?« »Ich weiß nicht«, erwiderte der Arkonide. »Genau habe ich es nicht gesehen. Es ging viel zu schnell.« Er ging einige Schritte weiter. »Vielleicht war es nur eine Projektion, mit der man uns verleiten wollte, die Waffe abzufeuern. Das ist ja auch gelungen.« Thalia reichte ihm den Energiestrahler. »Ich glaube, jetzt ist Schluß«, sagte sie. Er überprüfte die Energiekammer. Dann
Die Ewige Karawane richtete er die Waffe auf das Ende des Ganges und drückte ab. Die Waffe versagte ihm den Dienst. Achtlos warf er sie zur Seite. »Ich hätte mir bessere Voraussetzungen für einen Kampf gewünscht«, sagte er sarkastisch. »Die Chancen sind ein wenig ungleich verteilt.« »Es tut mir leid. Ich hätte nicht schießen dürfen.« »Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich hätte es auch getan.« »Warum greifen sie uns nicht energischer an?« fragte Thalia. »Sind sie so sicher, daß wir nichts gegen sie erreichen?« Atlan erreichte einen abzweigenden Gang. Einige Meter von ihm entfernt stand ein düsteres Schattenwesen. Der Arkonide glaubte, seltsam fließende Bewegungen hinter dieser Schattenwand zu erkennen, die er als Energieschirm identifizierte. »Ein Scuddamore«, sagte Thalia. Atlan warf sich dem Düsteren entgegen. Ein blasser Energiestrahl schoß aus der schattenhaften Gestalt hervor und schlug ihm ins Gesicht. Für einen kurzen Moment schien es so, als werde das Goldene Vlies ihn beschützen, doch dann brach er zusammen. Eine Lähmung erfaßte seinen ganzen Körper. Bei vollem Bewußtsein sah er, daß auch Thalia vergeblich versuchte, den Scuddamoren anzugreifen. Ihr erging es nicht anders als ihm. Paralysiert stürzte sie zu Boden. Sie fiel auf das Gesicht, während er auf dem Rücken lag und sehen konnte, was geschah. Der Scuddamore zog sich zurück. Er bewegte sich lautlos wie ein fließender Schatten. Es schien, als habe er keine Berührung mit dem Boden unter seinen Füßen. Doch Atlan glaubte zu spüren, daß es nicht so war. Verzweifelt bemühte er sich, die Lähmung zu überwinden. Er hatte damit gerechnet, überraschend einem Gegner gegenüberzustehen, aber er hatte sich auch eine Chance ausgerechnet. Er hatte sich auf seine Re-
47 aktionen und seine Erfahrung verlassen, doch die hatten ihm nichts geholfen. Dennoch gab er noch nicht auf. Der Scuddamore hatte ihn paralysiert. Atlan war sich darüber klar, daß er ihn auch hätte töten können. Die Erfolgsaussichten des Unternehmens waren von Anfang an zu gering, konstatierte der Logiksektor. Wir hatten keine andere Wahl, als es dennoch zu versuchen, dachte er. Wir mußten es tun. Der Logiksektor schwieg. Zwei Scuddamoren erschienen in seiner Nähe. Ein Antigravfeld erfaßte den Arkoniden und hob ihn hoch. Es richtete ihn auf. Ein Schatten senkte sich über ihn. Es schien, als ob das Licht ausginge. Atlan fühlte, daß er bewegt wurde. Wenig später wurde es wieder hell. Er befand sich in einem kleinen Raum. Durch ein Fenster sah er die Wellen, die gegen die Burgmauern brandeten. Thalia stand neben ihm. Drei Scuddamoren erschienen vor ihnen. Vergeblich versuchte der Arkonide, die düsteren Energieschirme mit seinen Blicken zu durchdringen. »Ihr habt es geschickt angestellt«, sagte einer der Spezialagenten des Neffen. »Beinahe wäre es euch gelungen, uns zu überraschen. Wir haben in der Tat nicht damit gerechnet, daß jemand so verrückt sein könnte, uns von See her anzugreifen.« »Bedauerlich, daß euch die Fischer in die Quere gekommen sind«, bemerkte ein anderer Scuddamore höhnisch. »Durch sie sind wir auf euch aufmerksam geworden.« »Wer seid ihr?« fragte Atlan mühsam. Die Lähmung ließ nach, doch er war noch weit davon entfernt, sich frei bewegen zu können. »Ich bin Kärtel«, erklärte der größte der drei Scuddamoren. »Ich bin der Kommandant. Es würde mich interessieren, wen du eigentlich hier in der Burg erwartet hast. Solltest du nicht damit gerechnet haben, uns hier vorzufinden?«
48 »Nein«, erwiderte der Arkonide aufrichtig. »Das habe ich nicht. Ich habe Hordinal vertraut, und im Grunde genommen tue ich das jetzt auch noch.« Er glaubte, ein höhnisches Lachen zu hören. »Hordinal meint es tatsächlich ehrlich«, antwortete Kärtel mit sichtlichem Vergnügen. »Er ahnt nicht, daß die Silberwelt eine Falle ist. Irgendwann in ferner Vergangenheit ist die Ewige Karawane aus einer anderen Galaxis zu uns gekommen. Sie verfügt über einen Kollektivschirm, mit dessen Hilfe sie sich unsichtbar machen kann. Ihr selbst habt es erlebt.« »In der Tat«, entgegnete Atlan. »Die Roboter der Ewigen Karawane, die sich den Kollektivnamen Hordinal zugelegt haben, haben sich gegen die Neffen gestellt, doch schon bald gelang es den Mächten um Chirmor Flog, die sogenannten Rettungswelten der Ewigen Karawane, zu denen auch die Silberwelt gehört, aufzuspüren und unter ihre Kontrolle zu bringen.« »Dann ist die Ewige Karawane unfreiwillig zu einem Verbündeten Chirmor Flogs geworden«, stellte Atlan erschüttert fest. »Man läßt die Karawane gewähren, um auf diese Weise alle Gegner einfangen zu können.« »Ich kann dich nur loben«, sagte der Scuddamore höhnisch. »Du hast die volle Wahrheit erfaßt. Rebellen und Abtrünnige werden auf diese Weise in gut vorbereitete Fallen geleitet – und vernichtet. Auch du bist in eine solche Falle gegangen.« »Aber ihr habt mich nicht getötet wie jene dort draußen in den Kristallwäldern.« »Willst du dich deswegen beschweren?« »Natürlich nicht.« Atlan schluckte mühsam. Seine Kehle war so trocken, daß er kaum noch sprechen konnte. »Leider habt ihr einen schwerwiegenden Fehler gemacht.« »Ausgeschlossen.« »Bei der Vernichtung der HORIET habt ihr auch die Ärgetzos verbrannt.« Jetzt vernahm der Arkonide ein deutliches Lachen. Einer der Scuddamoren glitt zur
H. G. Francis Seite. Als er wieder in Atlans Blickfeld erschien, zeigte er ihm die Plastikbehälter mit den 250 Kügelchen. »Wir haben sie natürlich rechtzeitig aus dem Wrack geholt«, erklärte Kärtel. »Die Kästen bestehen aus einem hitze- und feuerbeständigen Kunststoff.« »Wir haben nichts davon bemerkt«, gestand Atlan bestürzt. Kärtel lachte erneut. »Es war nicht unsere Absicht, euch etwas merken zu lassen.« Atlan hatte das Gefühl, auf der ganzen Linie verloren zu haben. Die Scuddamoren hatten in ihm und Thalia die wichtigsten Mitglieder der HORIET-Besatzung erkannt. Für ihn war deutlich geworden, daß die Scuddamoren an den Dellos nicht das geringste Interesse hatten. »Wir werden euch nach Breisterkähl-Fehr bringen«, eröffnete ihm Kärtel. »Dort werdet ihr untersucht und verhört werden.« »Was geschieht danach?« fragte Thalia mit krächzender Stimme. »Danach ist euch der Tod sicher«, bemerkte der Anführer der Scuddamoren. Atlan dachte an Atlantis. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es ihm noch einmal gelingen würde, nach Pthor zurückzukehren. Noch hatte er die große Plejade in der Tasche des Goldenen Vlieses, darauf stützten sich seine letzten Hoffnungen. »Bringt sie in die Energiekabinen«, befahl Kärtel. »Das Abholkommando wird bald hier sein.« Einer der Scuddamoren richtete ein kastenförmiges Gerät auf den Arkoniden. Atlan fühlte, daß er angehoben und herumgedrückt wurde. Er konnte sich nur wenig bewegen. Es schien, als spannten sich unsichtbare Energiefelder um ihn. Vor dem Scuddamoren schwebte er durch die Gänge der Burg und über die Spirale hinab in den Raumschiffshangar. Wenig später tauchte Thalia neben ihm auf. Der Scuddamore brachte ihn und sie an Bord des kleinen Raumschiffs, ohne daß sie sich dagegen wehren konnten. In einem Beiboothangar befanden sich zwei Energiebla-
Die Ewige Karawane
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sen. Der Düstere schuf Strukturlücken und schob die Gefangenen in die Blasen. Hier sanken sie auf den Boden. Atlan richtete sich sogleich wieder auf, während Thalia hilflos liegen blieb. Der Scuddamore verschwand.
Es ist vorbei, stellte der Logiksektor fest. Ohne Hilfe von außen kommst du hier nicht wieder heraus.
ENDE
Weiter geht es in Band 407 von König von Atlantis mit: Sklaven des Mittleren Forts von Peter Terrid