Nr. 493
Die Dimensionsfalle Der Spuk in der Festung von H. G. Ewers
Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxi...
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Nr. 493
Die Dimensionsfalle Der Spuk in der Festung von H. G. Ewers
Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis ist längst aufgehoben. Der Zusammenbruch der dunklen Mächte begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, durch die Schwarze Galaxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis ge bracht wurde und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Dann löste die große Plejade den Lebensring um Ritiquian auf. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, starben aus. Doch das Schicksal der dunklen Mächte scheint damit noch nicht endgültig besie gelt zu sein. Der Dunkle Oheim traf jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ihnen startete. Die Lage, die gegenwärtig auf Pthor und den anderen Dimensionsfahrstühlen herrscht, ist schwer überschaubar. An vielen Orten ereignen sich seltsame Dinge – so auch in der FESTUNG. Dort gerät Atlan in DIE DIMENSIONSFALLE …
Die Dimensionsfalle
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide gerät in eine Dimensionsfalle.
Razamon - Der Berserker glaubt, daß sein Ende nahe ist.
Sigurd - Der Odinssohn fliegt Erkundung.
Bördo - Sigurds Sohn.
Mondar - Ein ehemaliger Pirat.
1. Kaum hatte ich den Saal der seufzenden Seelen betreten, als vor mir zischend eine bläuliche Stichflamme emporschoß. Die Finsternis verwandelte sich schlagartig in flackernde Helligkeit. Ich hatte mich unwillkürlich geduckt. Nur dadurch entging ich dem wilden Angriff ei nes großen geflügelten Wesens, das von schräg oben auf mich herabstieß. Es verfehl te mich um wenige Zentimeter. Hinter mir schwang es sich mit hastigen, flatternden Flügelschlägen wieder empor. Ich wich an die stählerne Wand neben dem Eingang zurück und lehnte mich an das kühle Metall. Die Stichflamme brannte un vermindert weiter. Ich sah, daß sie aus ei nem schalenförmigen Gefäß kam, das weni ge Schritte vor mir auf dem Stahlboden stand. Das anhaltende zischende Geräusch ließ mich vermuten, daß die Flamme nicht durch Magie, sondern durch Zuführung ei nes brennbaren Gases am Leben erhalten wurde. Das geflügelte Wesen kurvte indessen dicht unter der etwa acht Meter hohen Decke. Anscheinend bereitete es sich auf einen neuen Angriff vor. Zum erstenmal vermochte ich es richtig zu sehen. Es ähnelte verblüffend einem terranischen Uhu, nur daß es nicht den lautlosen Flug dieser Großeule besaß. Außerdem war der Kopf größer und nackt. Aus der dunkelbrau nen faltigen Lederhaut wölbten sich an den Seiten zwei hühnereigroße Augen hervor. In jedem spiegelte sich die bläuliche Flamme. Der Schnabel war handspannengroß, ge krümmt und lief dolchartig spitz und scharf aus. Die Krallen der beiden Füße waren
ebenfalls sehr groß und wirkten wie Dolche. Das Wesen war zweifellos äußerst gefähr lich, und da ich unbewaffnet war, überlegte ich, ob ich nicht lieber fliehen sollte. Wahr scheinlich hatte das Wesen nur angegriffen, weil es sein Territorium verteidigen zu müs sen glaubte. Doch ich kam nicht zur Flucht. Das Wesen setzte zu schnell zum nächsten Angriff an. Ich wollte mich in Richtung Ein gang zur Seite werfen, um dann schnell durch die Öffnung zu verschwinden. Doch das Wesen vereitelte meine Absicht, indem es sich im Sturzflug so herumschwang, daß es seitlich an der Öffnung vorbei auf mich herabstieß. Ich hatte keine andere Wahl, als mich nach vorn zu werfen, mich einer Rolle vor wärts zu unterziehen und anschließend auf die dunkle Öffnung in der gegenüberliegen den Wand des Saales zuzulaufen, ohne zu wissen, was mich dahinter erwartete. Hinter mir schrammten die Krallen des unheimlichen Wesens über die Stahlwand. Das beflügelte mich ungemein, und ich ver gaß für einige Sekunden das Schwinden des Zeitklumpens an meinem linken Bein und vermochte die damit verbundene psychische Behinderung zu überwinden. Dennoch erreichte das geflügelte Wesen die dunkle Öffnung fast gleichzeitig mit mir – und es hätte mich packen können, wenn es mir in die Dunkelheit hinein gefolgt wäre. Aus mir unerfindlichen Gründen schwenkte es jedoch scharf ab, streifte die Metallwand und stürzte zu Boden. Ich bremste meinen Lauf ab, duckte mich und spähte in die Finsternis. Es beunruhigte mich, daß das Wesen mir nicht gefolgt war, obwohl ich dieser Tatsache wahrscheinlich mein Leben verdankte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es die Verfolgung grundlos
4 abgebrochen hatte. Wenn seine Handlungs weise von einer hier irgendwo lauernden Gefahr bestimmt worden war, dann mußte es angesichts der Wehrhaftigkeit dieses We sens eine sehr große Gefahr sein. Aber ich konnte nichts hören, und sehen konnte ich wegen der undurchdringlichen Finsternis auch nichts. Ich trat zwei Schritte nach rechts und stieß mit der ausgestreckten Hand gegen ei ne geriffelte Metallwand. Langsam schlich ich vorwärts. Die Metallwand blieb. Ich be fand mich demnach in einer Art Korridor. Noch immer hörte ich nichts außer mei nen eigenen Atemzügen. Aber ich glaubte, einen ganz schwachen Geruch nach Fäulnis wahrzunehmen. Plötzlich wurde mir bewußt, daß es hier nicht völlig finster sein durfte, denn das grelle Licht der im Saal hochzischenden Flamme hätte auch in den Korridor fallen müssen. Dennoch vermochte ich hier nicht die Hand vor Augen zu sehen. Etwas hielt das Licht der Flamme davon ab, in den Korridor zu dringen. Andererseits konnte ich die Flamme sehen, wenn ich zurückschaute. Das waren zwei Fakten, die sich gegenseitig aus schlossen. Folglich mußte hier Magie im Spiel sein. Weshalb war ich eigentlich in diesen mir bisher unbekannten Teil der FESTUNG hin abgestiegen? Ich wußte es nicht mehr. Ich setzte meinen Weg fort – und plötz lich wurde die Finsternis von zahlreichen seifenblasenartigen Gebilden erhellt, die schwach glühend in einem großen und ho hen Saal schwebten. Und unter den leuchtenden Blasen lag das gräßlichste Ungeheuer, das ich bisher gese hen hatte: ein mammutgroßer Berg aus grün licher, sich schlangenähnlich windender Muskulatur, mit einem scheunentorgroßen Rachen, der allerdings zur Zeit geschlossen war und mit vier krallenbewehrten Tatzen, von denen jede so groß war wie die Platte eines runden Eßtischs. Ich blieb sofort stehen, bereit, bei jeder
H. G. Ewers Bewegung des Ungeheuers die Flucht zu er greifen. Aber das Ungeheuer schien fest zu schlafen. Es rührte sich nicht, und seine sup pentellergroßen Augenlider waren geschlos sen. Mein Blick fiel auf die Öffnung in der ge genüberliegenden Wand der Halle. Sie schi en ebenfalls in einen Korridor zu führen, und an seinem Ende glitzerte und gleißte et was gleich einem kleinen Berg geschliffener Diamanten. Vielleicht ein Schatz, der von dem Unge heuer bewacht wurde? Ich beschloß, das Risiko einzugehen, an dem schlafenden Ungeheuer vorbeizuschlei chen. Schritt für Schritt ging ich vorwärts. Das Ungeheuer rührte sich noch immer nicht. Ich erschauderte, als ich an der linken Tatze vor beikam und die Krallen aus unmittelbarer Nähe betrachtete. Sie waren fast so lang wie Kurzschwerter und wahrscheinlich ebenso scharf. Als ich an dem geschlossenen Rachen vorbeiging, sogen die darüber sitzenden be haarten Nüstern scharf die Luft ein. Er schrocken blieb ich stehen und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Langsam blies das Ungeheuer die Luft wieder zwischen den wulstigen, hornhautbedeckten Lippen aus. Und plötzlich öffneten sich die Augen. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Alles in mir schrie förmlich danach, die Flucht zu er greifen. Aber ich wußte, daß ich nicht weit kommen würde, wenn das Ungeheuer feind selig reagierte. Doch es rührte sich nicht, obwohl ich deutlich erkannte, daß es mich ansah. Se kunden später öffnete sich der Rachen einen Spalt breit, dann stemmte die Kreatur sich hoch. Das war zuviel für mich. Mit einem gel lenden Schrei sprang ich in die Luft und rannte danach in Richtung der glitzernden Öffnung davon. Erst, als ich in einer Kam mer stand und vor meinen Füßen zahllose aufgehäufte glitzernde Edelsteine sah, wußte
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ich, daß ich aus unerfindlichen Gründen mit dem Leben davongekommen war. Im nächsten Augenblick rief eine dumpfe Stimme meinen Namen. »Razamon!« Ich erwachte schweißgebadet auf meinem Lager …
* Als ich hochfuhr und mit beiden Händen mein linkes Bein abtastete, brach mir der Schweiß nochmal aus, denn es gab keinen Zweifel mehr daran, daß mein Zeitklumpen endgültig verschwunden war. Mein Hände zitterten; die Finger ver krampften sich umeinander. Ich fürchtete mich. Dabei hatte ich den Zeitklumpen, der mir als Strafe wegen Verstoßes gegen die Geset ze der Herren der FESTUNG auferlegt wor den war, in der Vergangenheit wieder und wieder verflucht. Er hatte mich dazu ge zwungen, über viele tausend Jahre hinweg nicht zu altern, während um mich herum Ge nerationen um Generationen geboren wur den, heranwuchsen, alterten und starben. Und ich hatte ruhelos über den Planeten Er de wandern müssen, unter immer neuen Na men und Tarnungen, damit meine Unsterb lichkeit nicht offenbar wurde. Wie oft hatte ich mich verzweifelt danach gesehnt, mein sinnloses Leben beenden zu dürfen. Aber es war eine Sache, sich als Un sterblicher nach dem Tode zu sehnen, und eine ganz andere, nach dem Verlust der Un sterblichkeit einem schnellen Altern und dem baldigen Tode ins Auge zu sehen. Allmählich überwand ich die Todesfurcht. Das heißt, ich schickte sie in einen Winkel meines Unterbewußtseins und wappnete mein Bewußtsein mit Fatalismus. Das Zittern meiner Hände hörte auf. Ich erhob mich und trat vor den Spiegel, den ich an einer Wand meiner Unterkunft befestigt hatte: der Kabine des Raumschiffs, das die riesige Pyramide der FESTUNG einst gewe sen war.
Gefaßt suchte ich nach Anzeichen der schnellen Alterung, die meiner Meinung nach in dem Augenblick eingesetzt haben mußte, als der Zeitklumpen endgültig ver schwunden war. Und ich fand sie: tiefe dunkle Ränder unter den Augen, eine durch zahlreiche Falten eingekerbte Oberlippe und eine graue ungesunde Haut – Boten des un erbittlich nahenden Todes. Was würde Atlan sagen, wenn er mich so sah? Plötzlich wußte ich, daß ich nicht hier bleiben konnte. Ich wollte nicht, daß mein bester Freund Zeuge meines Verfalls wurde, daß er mich umsorgte, während ich dahin siechte und nicht nur mein Körper, sondern auch mein Geist mehr und mehr verfiel. Das war etwas, das ich mit mir allein abmachen wollte. Ich dachte daran, daß draußen vor der FE STUNG zahlreiche Händler lagerten und daß viele von ihnen gute ausdauernde Reit tiere besaßen. Eines dieser Tiere würde ich mir ausborgen und auf ihm davonreiten. Aber da war noch etwas. Die Erinnerung an meinen Alptraum stand so plastisch vor meinem geistigen Au ge, daß ich nicht von ihr loskam. Ich war überzeugt davon, daß der Traum eine kon krete Beziehung zur Realität besaß. Hastig kleidete ich mich an, während ich mir die Lage jener Räumlichkeiten vorzu stellen versuchte, deren eine in meinem Traum der Saal der seufzenden Seelen ge wesen war. Es mußte sich um Räumlichkei ten handeln, die ich nie zuvor betreten hatte. Aber das war eigentlich nicht möglich, denn Atlan und ich hatten die große Pyramide bis in den letzten Winkel erforscht. Wahrscheinlich würde ich den Saal nicht finden, weil es ihn gar nicht gab. Dennoch mußte ich nach ihm suchen, da ich mir sonst später immer vorwerfen würde, diese Gele genheit nicht wahrgenommen und etwas sehr Wichtiges versäumt zu haben. Ich öffnete das Schott meiner Kabine, spähte vorsichtig hinaus und überzeugte mich davon, daß ich nicht beobachtet wurde.
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Dann eilte ich zum nächsten Verbindungs schacht und kletterte die schmale Metalleiter hinab …
2. Frohen Mutes lief ich die letzten Stiegen zu jenem Deck hinauf, auf dem Razamon in einer Kabine wohnte, die er sich nach sei nem Geschmack eingerichtet hatte. In den Taschen meiner Montur trug ich die Bruchstücke des Schlüssels, den Valschein zusammengesetzt hatte. Ich war über zeugt davon, daß der schwarze Kern von Pthor seine Macht verloren hatte, als ich den Schlüssel mit ihm in Berührung brachte. Je denfalls war die bedrückende bösartige Aus strahlung des Kerns erloschen. Es beunruhigte mich nicht, daß dieser Schlüssel danach wieder in seine Einzelteile zerfallen war. Seine Aufgabe war erfüllt, und wahrscheinlich ließ er sich deshalb nicht wieder zusammensetzen. Vor Razamons Unterkunft angekommen, schlug ich mit der Faust gegen das Schott. Nichts rührte sich. Ich schlug mehrmals dagegen und rief: »He, Razamon! Ich habe eine gute Nach richt! Öffne!« Als auch darauf keine Reaktion erfolgte, legte ich die Hand auf das Thermoschloß. Das Schott öffnete sich lautlos. Ich sah, daß Razamons Lager zerwühlt war. Auch die Hygienezelle war leer. Also war mein Freund unterwegs. Er konnte nicht weit sein, sonst hätte er eine schriftliche Nachricht hinterlassen. Ich wartete dennoch nicht auf seine Rückkehr, sondern stieg zu dem Deck hinauf, auf dem die Odinssöhne lebten. Mit ihnen war seit einiger Zeit eine Wandlung vorgegangen. Sie lebten nicht mehr in den Tag hinein wie früher, hielten sich nicht länger für berechtigt, die Privile gien von Göttersöhnen zu beanspruchen, oh ne zugleich Verantwortung zu übernehmen. Seit meiner Rückkehr hatten sie sich in Be scheidenheit geübt. Ich hatte sogar den Ein
druck gewonnen, als versuchten sie in ge wissem Maße, sich als Diener der Bewohner von Pthor zu fühlen statt als ihre Herren. Natürlich war ich froh über diese Entwick lung. Vor dem Haupttor zu den Unterkünften der Odinssöhne angekommen, betätigte ich den schweren eisernen Klöppel, den Sigurd dort angebracht hatte. Drei dröhnende Schläge hallten durch den Korridor. Nur wenige Sekunden später öffnete sich das Tor. Sigurd blickte mir entgegen. Er trug lediglich seine mit Metallplatten beschlage ne rote Hose und ein ärmelloses Hemd. »Ah, Atlan!« rief er lächelnd. »Tritt ein! Wir haben dich lange nicht gesehen.« Ich befolgte die Aufforderung und trat in die Vorhalle. Sigurd schloß das Tor wieder und führte mich anschließend zu seiner Ka bine. Als wir sie betraten, sah ich Bördo. Si gurds Sohn saß auf einem Schemel und las in einem Buch, das Informationen über die Völker Pthors enthielt. Sein Gesicht strahlte, als er mich erkann te. Er sprang auf und lief auf mich zu. »Ich sehe, du bist fleißig«, sagte ich nach der Begrüßung. »Er soll etwas Vernünftiges lernen«, er klärte Sigurd. »Für ihn ist es noch nicht zu spät.« »Das ist sehr klug«, lobte ich. »Aber auch für dich und deine Geschwister ist es noch nicht zu spät. Hat Razamon dir gesagt, wo er hinwollte, Sigurd?« »Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen«, erwiderte der Göttersohn. »Aber ich!« rief Bördo mit seiner hellen Knabenstimme. »Vor ungefähr einer halben Stunde begegnete ich ihm, wie er in einem Leiterschacht in die Tiefe der FESTUNG abstieg.« »Setz dich, Atlan!« sagte Sigurd. »Was darf ich dir anbieten? Ich habe gestern von einem Händler einen vorzüglichen Rotwein erstanden.« Ich setzte mich lächelnd auf einen Stuhl. »Ein Gläschen davon kann nicht schaden,
Die Dimensionsfalle Sigurd.« Während er zwei Gläser holte und danach aus einer Literflasche dunkelroten Wein ein goß, berichtete ich ihm mit knappen Worten über meine Begegnung mit dem schwarzen Kern von Pthor und der Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, nachdem er Kon takt mit dem Schlüssel gehabt hatte. Sigurds Gesicht verriet zu meiner Ver wunderung nichts darüber, daß er über mei nen Erfolg froh gewesen wäre, und nachdem wir angestoßen und den Wein gekostet hat ten, sagte er: »Auch ich habe Neuigkeiten, Atlan. Zwei Pthorer berichteten mir vor etwa zwei Stun den, daß in der Ebene von Kalmlech rätsel hafte Dinge geschehen.« Ich horchte auf. Eine seltsame Ahnung beschlich mich. Wenn die Pthorer gleich, nachdem sie ihre Beobachtungen gemacht hatten, zur FESTUNG aufgebrochen waren, dann mußten seitdem rund sieben Stunden vergangen sein – und das war ungefähr der Zeitpunkt, zu dem ich den Schlüssel in Kon takt mit dem schwarzen Kern von Pthor ge bracht hatte. »Was ist geschehen?« erkundigte ich mich beklommen. »Die Vollstrecker haben die neuen Hor den der Nacht im Stich gelassen und schei nen alle dem Mittelpunkt der Ebene zuzu streben«, sagte Sigurd. »Gibt es dort etwas Besonderes?« warf ich ein. Sigurd zuckte die Schultern. »Nicht daß ich wüßte, Atlan. Aber wenn es etwas Besonderes dort gäbe, könnten die beiden Pthorer es kaum gesehen haben. Sie wagen sich ja nicht tief in die Ebene hin ein.« Ich nickte. »Und was tun die Bestien?« »Sie stehen oder liegen nur herum«, er klärte der Göttersohn. »Es scheint, als ob sie jedes Interesse an ihrer Umgebung verloren hätten.« »Hm!« machte ich nachdenklich. »Dieser Angelegenheit sollte man auf den Grund ge
7 hen. Sigurd, ich kann vorerst nicht von hier weg. Würdest du vielleicht mit einem Zugor zur Ebene von Kalmlech fliegen und heraus zufinden versuchen, was dort gespielt wird?« »Das will ich gern tun«, erwiderte Sigurd zögernd und blickte zu seinem Sohn. »Aber ich würde gern Bördo mitnehmen.« Ich nickte. »Selbstverständlich, Sigurd. Ich bin sogar froh darüber, daß ihr gemeinsam etwas un ternehmt. Du solltest natürlich vorsichtig sein. Bördo muß erst noch praktische Erfah rungen sammeln.« »Ich habe schon viele Erfahrungen ge sammelt, Atlan«, warf Bördo ein. Ich lächelte. »Das weiß ich. Aber du brauchst noch mindestens zehn Jahre, um für alle Fälle so gewappnet zu sein, daß du jeder Lage ge wachsen bist. Geh mit deinem Vater und ler ne dazu!« »Ja, Atlan«, sagte Bördo mit strahlenden Augen und ging zu seinem Vater. Ich verabschiedete mich, kehrte in mein Quartier zurück und packte die Bruchstücke des Schlüssels aus. Noch einmal versuchte ich, die Stücke wieder zusammenzusetzen. Ich wußte ja, wohin jedes gehörte. Aber es war wie kurz nach meinem Erwachen in der Transmitter kammer. Jedesmal, wenn ich ein Bruchstück an seinen Platz schieben wollte, stemmte es sich förmlich dagegen. Es war, als versuchte ich, gleichnamige Magnetpole zusammenzu setzen. Schließlich gab ich es auf. Ich ging in den Raum, in dem die Wände mit Monitoren bedeckt waren. Auf ihnen konnte man alle Räume der FESTUNG be obachten, in denen die entsprechenden Sen soren installiert waren. Es interessierte mich, wo sich Razamon herumtrieb, doch ich vermochte den Pthorer nirgends zu entdecken. Natürlich konnte er sich gerade in Sektionen aufhalten, die nicht von der Überwachung erfaßt waren. Doch irgendwann hätte er wieder in überwachte
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Sektionen überwechseln müssen. Er tauchte jedoch nirgends auf. Nach denklich musterte ich abermals alle Monito ren. Plötzlich fiel mir auf, daß auch drei Bildschirme dunkel waren, die sonst das Ab bild dreier zusammenhängender Räume ge zeigt hatten: zwei Hallen sowie eine Kam mer, die mit einer der Hallen durch einen kurzen Korridor verbunden war. Allerdings waren diese Räume stets leer gewesen, und ich hatte nie etwas darin gefunden, was Rückschlüsse über ihre frühere Verwendung erlaubt hätte. Dennoch beunruhigte es mich, daß ich sie plötzlich nicht mehr beobachten konnte. Die Rundumaufnahme-Sensoren besaßen alle samt eine sehr hohe Lebensdauer. Einer konnte vielleicht ausgefallen sein, aber kaum drei – und noch dazu gleichzeitig. Irgend jemand mußte sie abgeschaltet ha ben. Anders konnte ich mir die drei leeren Bildschirme nicht erklären. Und irgendwie hatte ich eine Ahnung, daß Razamon sich in dieser Sektion der FESTUNG aufhielt und sich in Gefahr befand. Ich steckte meinen Waggu ins Gürtelhalf ter und machte mich auf den Weg in die »verdunkelte« Sektion …
3. Ich war ungefähr zehn Schritt weit gegan gen, nachdem ich das Schott passiert hatte, hinter dem drei miteinander verbundene lee re Räume lagen, als ich stutzte. Etwas an dem Schott war anders gewesen als sonst. Ich hätte jedoch nicht sagen kön nen, was. Über mich selbst den Kopf schüttelnd, ging ich zurück. Dann stand ich vor dem Schott und fragte mich, ob ich meinen Au gen nicht mehr trauen könnte oder ob mein Erinnerungsvermögen mich im Stich gelas sen hätte. Ich konnte mich jedenfalls nicht entsin nen, auf der metallenen Außenfläche dieses Schottes jemals das eingeätzte Bild stilisier ter Flammen gesehen zu haben, die bis zu
zwei Dritteln der Schotthöhe aufstiegen und sich dann so krümmten, als stießen sie auf einen unsichtbaren Widerstand. »Das ist unmöglich, Razamon!« sagte ich zu mir selbst. Vorsichtshalber ging ich an die nächste Korridorkreuzung zurück und vergewisserte mich durch einen Blick auf Schotte, Schachtöffnungen und an den Wänden ange brachte Orientierungshilfen, daß ich mich tatsächlich in der Sektion befand, in der ich mich zu befinden glaubte. Danach war ein Zweifel absolut ausge schlossen. Da ich an mir keinerlei Verände rung des Denkens verspürte, gab es nur einen logischen Schluß: Jemand mußte das alte Schott gegen das bebilderte vertauscht haben. Ich setzte meinen Weg in der alten Rich tung fort. Da ich etwas suchte, das sich nicht in den bekannten Sektionen der FESTUNG befinden konnte, hatte ich mich aufs unterste Deck begeben, in der Hoffnung, einen bisher unerkannten getarnten Zugang zu Räumlich keiten unterhalb der großen Pyramide zu fin den. Als ich zum zweitenmal an diesem Tag an dem erneuerten Schott vorbeikam, blieb ich unter einem inneren Zwang stehen. Ich betä tigte den Öffnungsmechanismus – und das Schott fuhr genauso lautlos in die Seiten wand wie sonst auch. Und doch war etwas anders als sonst. Die Beleuchtung des hinter der Öffnung liegenden Saales schaltete sich nicht auto matisch ein, wenn das Schott aufging. Es blieb dunkel dahinter. Glücklicherweise trug ich eine kleine Ta schenlampe bei mir. Ich schaltete sie ein und richtete den relativ dünnen Lichtkegel ins Innere des Saales. Glatte Wände, glatter Boden – alles wie gewohnt. Doch dann fiel der Lichtkegel auf den Mittelpunkt des Bodens – und ich spürte, wie sich meine Nackenhaare sträubten. Denn dort stand ein schalenförmiges Ge fäß auf dem Stahlboden, das ich nie zuvor
Die Dimensionsfalle dort oder anderswo gesehen hatte – außer in meinem Alptraum. Es dauerte einige Zeit, bis ich mein seeli sches Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Ich vermochte sogar darüber zu lachen, daß ich das, was ich suchte, entdeckt hatte, wenn auch nicht in einem Geheimraum innerhalb oder außerhalb der FESTUNG, sondern an einem bekannten Ort. Es war mir alles klar: Jemand hatte die Schale gefunden und hier her gebracht, wahrscheinlich derjenige, der auch das Schott ausgewechselt hatte. Abermals leuchtete ich die Wände an – und Sekunden später kroch mir das Entset zen eiskalt den Rücken hinauf. Denn neben der Schottöffnung, durch die ich eingetreten war, entdeckte ich mehrere tiefe Schrammen – und zwar genau dort, wo das geflügelte Wesen mit seinen Krallen über die Wand geschrammt war, als es mich verfehlt hatte. Als es mich in meinem Traum verfehlt hatte …! Unwillkürlich duckte ich mich in Erwar tung eines neuen Angriffs des geflügelten Wesens, doch alles blieb ruhig. Das konnte auch gar nicht anders sein, wie ich kurz darauf feststellte, als ich die Halle durchquerte, denn auf der anderen Sei te entdeckte ich in einer Ecke einen kleinen Haufen bleicher spröder Knochen – die Knochen eines geflügelten Wesens, das beim Sterben die Schwingen ausgebreitet hatte. Ich zweifelte allmählich an meinem Ver stand. Mir war es noch verständlich, daß je mand die Schale, aus der in meinem Traum die Flamme hochgeschossen war, in diesen Saal gebracht hatte. Aber warum jemand die Knochen des geflügelten Wesens hierher bringen und exakt in den richtigen Positio nen ausgelegt haben sollte, das überstieg mein Begriffsvermögen. Vor meinem geistigen Auge tauchte das Yirparion auf, jener Dimensionsverknüpfer, den ich an Bord des Organschiffs PHARYN einem Alven gestohlen und in einen Traum mitgenommen hatte, in den die anderen Al
9 ven mich und Atlan versetzten. Ich erschauderte. Mit dem Dimensionsverknüpfer hatte ich realmaterielle Dimensionen mit realimmate riellen Dimensionen verknüpft – und unter realimmateriellen Dimensionen waren Trau merlebnisse zu verstehen. Dabei war es zu einigen unbegreiflichen Vorfällen gekom men, bei denen Atlan und ich Traum und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderzuhal ten vermochten. Ich wollte fliehen, den Saal der seufzen den Seelen und damit eine Traumwelt ver lassen, um in die Wirklichkeit zurückzukeh ren. Aber etwas in mir zwang mich dazu, weiterzugehen.
* Als der Lichtkegel meiner Lampe aus dem Korridor in die benachbarte Halle stach, bebte der Boden unter meinen Füßen. Beinahe wäre ich gestürzt, so heftig war die Erschütterung. Aber bevor ich darauf reagie ren konnte, war alles wieder ruhig. Ich holte tief Luft, dann leuchtete ich die Halle aus, in der Erwartung, in ihrer Mitte einen riesigen Knochenberg zu finden, die Überbleibsel jenes riesigen Ungeheuers, das mir in meinem Traum erschienen war. Doch ich fand nicht einen einzigen Kno chen. Meine Lampe war nicht stark genug, als daß ihr Lichtstrahl bis zur gegenüberliegen den Seite der Halle gereicht hätte, wo ich im Traum die Öffnung und dahinter in einer Kammer einen Haufen glitzernder Edelstei ne gesehen hatte. Deshalb ging ich weiter – und in der Mitte der Halle stieß mein Fuß gegen etwas Har tes. Ich leuchtete nach unten. Im nächsten Augenblick hielt ich unwill kürlich den Atem an, denn vor meinem Fuß lag eine Statuette aus zahllosen winzigen grünschimmernden Kristallen, die die Figur des Ungeheuers detailgetreu wiedergab. Ich bückte mich und hob die Statuette auf. Sie
10 war so klein, daß sie mühelos in die ge schlossene Hand paßte, aber dabei so schwer, als bestünde sie aus Terkonitstahl. Wenn das Licht meiner Lampe auf sie fiel, reflektierten die zahllosen Kristalle, aus der sie zusammengefügt war, so stark, daß ich geblendet die Augen schließen mußte. Gedankenverloren schob ich die Statuette in eine Tasche meiner Montur. Jemand hatte also das Ungeheuer aus geschliffenen Edel steinen nachgebildet – wenn auch stark ver kleinert – und die Nachbildung dorthin ge legt, wo das Ungeheuer zu Lebzeiten ge haust hatte. Wo war der Sinn einer solchen Handlung? Alles wurde immer rätselhafter, ja un heimlicher. Ich ging weiter. Endlich fiel das Licht meiner Lampe durch die Öffnung der Kammer. Enttäuscht stellte ich fest, daß der Haufen Edelsteine verschwunden war. Ich vollführte vor Schreck einen Luft sprung, als eine Stimme meinen Namen raunte. Dann stand ich da und ärgerte mich über mich selbst. Etwas mehr Selbstbeherr schung sollte ich wirklich üben. »Wer hat hier gesprochen?« rief ich laut und sah mich um. Aber die Kammer war so leer wie Sekunden zuvor. »Nimm es!« raunte dieselbe Stimme. »Nimm es, Razamon!« Es war nicht dieselbe Stimme wie in mei nem Alptraum. »Was soll ich nehmen?« fragte ich. »Und wer spricht überhaupt?« »Das Schwert von Algyr spricht zu dir«, raunte es. »Nimm den Schild Montfar, Raza mon! Du wirst ihn brauchen.« Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Wie konnte ein Schwert zu mir sprechen? Aber vielleicht war es eine Person, die den Namen »Schwert von Algyr« führte. »Ich würde den Schild ja gern nehmen«, erwiderte ich verärgert. »Aber dazu müßte ich ihn erst einmal sehen. Oder ist er etwa so unsichtbar wie du, Schwert von Algyr?« »Der Schild Montfar ist kein Gegenstand,
H. G. Ewers Razamon«, belehrte mich die raunende Stimme. »Er ist ein Temporalstabilisator. Ohne ihn kämst du nie wieder heraus. Nimm ihn!« »Ein Temporalstabilisator?« Eine dunkle Ahnung beschlich mich. »Was ist das? Und wie soll ich ihn greifen, wenn ich ihn nicht sehe?« Die Stimme schwieg. Plötzlich griff etwas mit imaginären Fin gern durch meine Schädelknochen und ver suchte, mein Gehirn um hundertachtzig Grad zu drehen. Unwillkürlich preßte ich die Hände an den Schädel und versuchte die fremden Finger abzuwehren. Natürlich fand ich nichts, aber die Finger drehten weiter an meinem Gehirn. Mir quol len vor wahnsinnigem Schmerz die Augen aus den Höhlen. Bis ich begriff, daß ich mich gegen einen rein geistigen Eingriff sträubte, der, wenn er vom Schwert von Algyr ausging, nicht feindselig sein konnte, sondern … Ich entspannte mich, gab meinen geisti gen Widerstand auf – und im nächsten Au genblick hörte der Schmerz auf. Ich merkte nur, daß irgend etwas mit einem Gehirn ge schah, aber es fühlte sich lediglich so an, als würde es geistig liebkost. Und dann war alles vorüber. Ich sah mich noch einmal in der Kammer um, dann wandte ich mich zum Gehen. Das Echo meiner Schritte hallte hohl von den Wänden der Halle des Ungeheuers wider. Ich erreichte den Korridor und den Saal der seufzenden Seelen. Schon hatte ich ihn zur Hälfte durchquert, als ich das Gefühl hatte, als streifte mich et was. Ich sah mich um, konnte aber nichts entdecken. Auch in der Ecke, in der ich zu vor die gebleichten Knochen des geflügelten Wesens gesehen hatte, war nichts mehr zu sehen. Der Knochenhaufen war verschwun den, als hätte es ihn nie gegeben. Ahnungsvoll leuchtete ich die Wand ne ben dem Schott an, durch das ich gekommen war. Die Schrammen, die das geflügelte We sen mit seinen Krallen gerissen hatte, waren
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verschwunden. Ich trat näher. Wenn die Schrammen mit zähflüssigem Stahlplastik ausgegossen und die Stelle an schließend geschliffen und poliert worden war, dann mußte das mit einer solchen Per fektion geschehen sein, wie ich sie nie zuvor kennengelernt hatte. Es sei denn, sie würden erst noch in die Wand geritzt werden. Dieser Gedanke eröffnete Aspekte, die mich mit Grauen erfüllten. Ich öffnete hastig das Schott, eilte auf den Korridor hinaus und wartete dort, bis das Schott sich wieder ge schlossen hatte. Als ich die glatte Metallplastikfläche sah, nickte ich. Die stilisierten Flammen waren nicht mehr darauf zu sehen. Also war der Aus tausch des Schottes rückgängig gemacht worden – oder er war noch nicht erfolgt. Al les das, was ich hinter der gezeichneten »Tür« gesehen hatte, gehörte entweder zu einer fernen Vergangenheit oder zu einer fernen Zukunft. Wahrscheinlich zu einer fernen Zukunft. Und ich? Würde ich in einer fernen Zukunft dorthin zurückkehren? Würde dann etwas anfangen, von dem ich heute noch nicht das mindeste ahnte? Ich erschauderte. Heute jedenfalls war ich wieder in einer ganz normalen Zeit, wenn auch ganz und gar nicht in einem normalen Teil des Univer sums.
4. Wie vom Donner gerührt stand ich vor dem Schott, das den einzigen Zugang zur »verdunkelten« Sektion versperrte. Ich war schon viele Male hier vorbeige kommen und hatte die drei hinter dem Schott liegenden Räume schon zweimal be treten, aber noch nie hatte ich an seiner Au ßenfläche eine Ziselierung gesehen. Und da ich ein photographisches Ge dächtnis besaß, hätte ich mich daran erin
nern müssen – wenn es sie zuvor gegeben hätte. Die eingeätzte Ziselierung sah jedoch kei neswegs frisch aus, sondern hatte, wie die übrige Oberfläche des Schottes, Patina ange setzt. Sie mußte demnach viele Jahre alt sein. Das bedeutete, jemand hatte das Schott ausgewechselt. Etwas gelassener dachte ich daran, wie lange ich von Pthor abwesend gewesen war. Irgend jemand konnte das Schott also ausge wechselt haben, ohne daß ich es bemerkt hatte. Die Frage war nur, warum das gesche hen war. Kopfschüttelnd betätigte ich die Öff nungsautomatik. Ich wollte sehen, ob etwas in den hinter dem Schott liegenden Räumen verändert worden war. Das Schott öffnete sich sofort. Eine Weile starrte ich verblüfft in die da hinter liegende Dunkelheit, denn ich hatte erwartet, daß sich die Beleuchtung des er sten Raumes wie sonst auch einschalten würde, wenn das Schott sich öffnete. Sekunden später wurde es hell. Ich konnte einen Ausschnitt des Saales sehen, der hinter der Öffnung lag. Er sah aus wie immer – bis auf eine von innen heraus leuchtende Schale im Mittelpunkt des Bodens. Das Licht, das den Saal erhellte, ging einzig und allein von dieser Schale aus. Das also war die Veränderung, deretwe gen jemand das Schott ausgewechselt hatte! Ich zuckte zusammen, als mich ein gera dezu verzweifelter Warnimpuls meines Ex trasinns traf. Im nächsten Augenblick er losch die Helligkeit. Der Warnimpuls ließ mich warten. Aber als es wieder hell wurde, betrat ich den Raum. Hinter mir schloß sich das Schott wieder. Ich sah mich um. Der Saal war so leer wie sonst auch – bis auf die leuchtende Schale. Langsam ging ich weiter. Und abermals traf mich ein verzwei felter Warnimpuls meines Extrasinns. Wovor fürchtest du dich? dachte ich.
Ich weiß es nicht! erwiderte mein Extra
12 sinn. Ich ahne nur, daß eine ungeheuerliche Gefahr lauert. Du solltest diesen Raum schleunigst wieder verlassen! Unsinn! gab ich zurück – und in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, als streifte mich etwas, etwas Vertrautes und zugleich Fremdartiges. Ich sah mich hastig um, vermochte aber nichts zu entdecken – und dann erlosch das Licht wieder. Es ärgerte mich, daß ich keine Lampe bei mir hatte. Im Dunkeln wollte ich nichts un ternehmen. So mußte ich jedesmal untätig stehenbleiben, bis die Schale wieder auf leuchtete. Als das geschah, vernahm ich hinter mir ein Geräusch. Es klang wie das dumpfe Auf prallen von Metall gegen Metall. Doch als ich herumfuhr, sah ich wieder nichts. Zu spät! teilte mein Extrasinn mir mit. Dann erlosch die Schale wieder, aber es wurde diesmal nicht dunkel. Ein rötliches Dämmerlicht erfüllte die ganze Halle – und in diesem Dämmerlicht bewegten sich un deutliche Konturen. Es schien, als wären es humanoide oder annähernd humanoide Ge stalten. Nur die Köpfe wirkten alles andere als humanoid. Leider waren alle Formen so undeutlich, daß ich keine Einzelheiten er kennen konnte. Dann wurde es wieder hell. Die Schale leuchtete im alten hellen Licht – und die Spukgestalten waren verschwunden! Ich wirbelte herum, hastete zum Schott zurück und wollte den Öffnungsmechanis mus betätigen. Aber als ich die Hand darauf legte, merkte ich, daß es sich nur um eine Verzierung handelte. Ich hatte mich wohl in der Seite geirrt. Also ging ich zur anderen Seite neben dem Schott, um den echten Öffnungsmechanis mus zu betätigen. Doch dort war überhaupt keiner. Ich stieß eine Verwünschung aus – und abermals erlosch das Licht. Doch es wurde auch diesmal nicht völlig dunkel – und er neut bewegten sich in rötlichen Dämmer licht spukhafte Gestalten. Einmal verdichte
H. G. Ewers te sich eine Erscheinung, und ich sah für den Bruchteil einer Sekunde in wache intelligen te Augen, die mich aus einem wolfsartigen Gesicht anblickten, hinter dem sich eine mächtige Mähne zu befinden schien. Die Erscheinung verwehte zu schnell, als daß ich Genaueres erkennen konnte. An an deren Erscheinungen glaubte ich so etwas wie Raumkombinationen zu sehen, besetzt mit prächtigen Dekorationen. Doch jedesmal, wenn ich eine Erscheinung intensiv mustern wollte, wurde sie transparent. Und durch sie hindurch erblickte ich mit Goldornamenten und Edelsteinen ge schmückte Wände … Es schien, als wäre ich in den Zeiten der rötlichen Dämmerung an einen anderen, fernen Ort versetzt, der nichts mit dem Dimensionsfahrstuhl zu tun hatte. Wieder strahlte die Schale in hellem Licht, und diesmal untersuchte ich die Wandleisten zu beiden Seiten des Schottes genauer – und ich erhielt die Gewißheit, daß es für mich keinen Weg aus jener Örtlichkeit gab, in der sich offenbar verschiedene Di mensionen in kurzen Intervallen überlappten …
5. Die beiden Händler entfernten sich, wäh rend sie um den Preis irgendeiner Ware feilschten. Ich musterte die Reihe der etwa fünfzig Woddels, die angepflockt im Gras standen oder lagen und geruhsam wiederkäuten. Es handelte sich um Reit- und Lastentiere, die terranischen Yaks glichen und sowohl kräf tig als auch ausdauernd waren. Eines dieser Tiere brauchte ich, wenn ich wegreiten woll te, aber ohne Sattel mochte ich nicht auf ihm sitzen. Ich löste mich von dem Baum, hinter dem ich gestanden hatte und ging zu einer An sammlung von Rundzelten hinüber. Die Ge fahr, entdeckt zu werden, war nicht groß, denn seit sich die dunkle Hülle um die Di mensionsfahrstühle geschlossen hatte, herrschte selbst tagsüber nur eine trübe Hel
Die Dimensionsfalle ligkeit. Nachdem ich eine Weile durch das Däm merlicht gespäht hatte, entdeckte ich in zirka dreißig Metern Entfernung einen großen Stapel Sättel. Ohne zu zögern ging ich zwi schen Zelten hindurch auf den Stapel zu. Die meisten Händler hatten sich um Feuer versammelt, von denen eines nur etwa zehn Meter von dem Stapel entfernt war. Aber die Händler dort unterhielten sich so lebhaft, daß sie kaum herübersehen würden. Aller dings hatten sie einen Posten aufgestellt, der die Sättel bewachen sollte. Ich ging offen auf ihn zu. Als ich nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war, wehte mir eine Alkoholfahne entgegen, und ich blickte in zwei glänzende, weit abwesen de Augen. Eine milde Kopfnuß von mir ge nügte, um den Mann, einen Valjaren, end gültig ins Reich der Träume zu befördern. Danach suchte ich mir einen guten Sattel sowie eine Satteldecke aus. Links am Sattel war sogar ein Kurzschwert mit Scheide in einem Lederfutteral befestigt. Ich warf die Decke über den Sattel, lud mir alles auf die Schultern und kehrte zu den Woddels zu rück. Dort suchte ich mir ein kräftiges Tier mit schwarzbraunem Fell aus, an dessen Rückenfell ich erkannte, daß es bisher nur Reitsättel, aber keine Lastensättel getragen hatte. Nachdem ich die Decke aufgelegt, den Sattel darübergeschnallt und das Zaumzeug überprüft hatte, stieg ich auf. Beinahe wäre ich wieder abgesprungen, als ich aus dem Dämmerlicht einen Zugor in geringer Höhe auf mich zufliegen sah. Doch dann erkannte ich hinter dem Instrumenten sockel eine hochgewachsene Gestalt, die einen orangefarbenen Schulterumhang und einen Federhelm trug. Das war kein Händler, sondern der Göt tersohn Sigurd. Er wich mir aus, indem er den Zugor in sanftem Bogen nach rechts steuerte. Doch er erkannte mich nicht, denn sein Blick war in die Ferne gerichtet. Als der Zugor vorüberflog, erschien über seinem Rand ein Knabengesicht, und eine Jungen
13 hand winkte mir zu. Das war Sigurds Sohn Bördo – und er hat te mich erkannt. Ich winkte zurück. Der Zugor hatte mich abgelenkt, und bei nahe wäre mir das zum Verderben gewor den. Als ich mich wieder umwandte, sah ich eine Gruppe von fünf Händlern auf mich zu laufen. Sie hielten Schwerter und Knüppel in den Händen und hatten es offenbar auf mich, den Woddeldieb, abgesehen. Ich grinste und riß an der Leine, die vom Zaumzeug zu dem Pflock im Boden führte. Der Pflock flog heraus, und ich holte ihn ein. Dann ließ ich das Woddel angaloppie ren – und zwar genau auf die fünf Händler zu. Überrascht stoben sie vor mir auseinan der, aber einer hatte mich erkannt, denn er schrie: »Es ist Razamon!« In etwa zwanzig Metern Entfernung hielt ich mein Reittier an und rief zurück: »Ich habe das Woddel nur geliehen und bringe es entweder zurück oder bezahle da für!« Dann brach ich endgültig auf. Ich wandte mich nach Nordwesten, in Richtung Taam berg, denn ich wußte, daß sich dort viele Berserker niedergelassen hatten. Wenn ich schon sterben mußte, dann wollte ich es im Kreise von Angehörigen meines Volkes tun.
* »Das war Razamon!« rief Bördo mir zu. »Razamon?« rief ich über die Schulter zu rück, dann richtete ich meine Aufmerksam keit wieder auf das, was vor dem Zugor lag. In dem trüben Dämmerlicht, das den Tag von Pthor beherrschte, war die Navigation recht schwierig. »Du bist ihm doch eben erst ausgewichen, ihm und seinem Woddel«, erklärte mein Sohn. »Aha!« gab ich zurück. Ich zog den Zugor etwas höher, als ich weiter vorn die Straße der Mächtigen sah, beziehungsweise einen Teil jenes Abschnitts, der die Städte Agh
14 month und Donkmoon miteinander verband. Ich brauchte mich nur an ihr zu orientieren und an ihr entlang nach Westen zu fliegen, um Donkmoon und damit das Ausfalltor in die Ebene von Kalmlech zu erreichen. Allerlei Gedanken gingen mir durch den Kopf, während ich den Zugor durch die Dämmerung steuerte. Sie befaßten sich teil weise mit der Zukunft von Pthor. Atlan hatte uns erklärt, daß die Entscheidung bald fallen würde und daß er fest an unseren Sieg über den Dunklen Oheim glaubte. Meine Zweifel waren davon nicht ausge räumt worden, aber ich hatte inzwischen ge lernt, diesen Arkoniden zu bewundern, der trotz aller Rückschläge und Niederlagen nie aufgehört hatte, für die Freiheit der Völker der Schwarzen Galaxis und der Dimensions fahrstühle zu kämpfen. »Wo Atlan wohl sein mag?« sagte Bördo in die Stille hinein. Ich zuckte die Schultern. »Irgendwo in der FESTUNG wahrschein lich, Bördo.« »Aber wir haben nach ihm suchen lassen, und er war nirgends zu finden«, erwiderte mein Sohn. Ich lachte leise. »Atlan ist schon oft verschwunden, aber er tauchte immer wieder auf.« Doch ich merkte, daß diese Antwort Bördo nicht be friedigen konnte. Er war ohnehin für sein Alter außergewöhnlich aufgeweckt. »Na, ja! Ich glaube, er suchte nach Razamon.« »Aber Razamon ist auf einem Woddel fortgeritten«, entgegnete Bördo. »Atlan kann ihn also gar nicht finden. Sollten wir nicht zurückfliegen und Razamon Bescheid sagen, daß Atlan ihn sprechen will?« »Wir dürfen nicht umkehren«, erklärte ich. »Atlan hat uns beauftragt, in der Ebene von Kalmlech nach dem Rechten zu sehen – und ich habe den Auftrag angenommen. Al so müssen wir ihn auch durchführen, und zwar ohne große Verzögerung. Razamon wird schon nicht allzu weit reiten.« Als mein Sohn nichts darauf erwiderte, sah ich mich nach ihm um und stellte fest,
H. G. Ewers daß er sich auf die Seite gelegt hatte und schlief. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wie der nach vorn. In zirka hundert Metern Tiefe sah ich das Band der Straße schräg unter mir liegen – und bald tauchte am westlichen Ho rizont die Silhouette der Stadt Donkmoon auf. Dicht vor der Stadt zog ich den Zugor noch etwas höher. Unten herrschte ein unde finierbares Gewimmel, das mir nichts über die Verhältnisse in der Stadt der Gordys sag te. Es interessierte mich zur Zeit auch nicht. Ich hatte einen Auftrag Atlans auszuführen. Schnell blieb Donkmoon hinter uns zu rück. Ich ging wieder tiefer – und dann ent deckte ich die ersten Ungeheuer der neuen Horden der Nacht. Es handelte sich um eine Herde saurier hafter Wesen, die unbeholfen in einem Ge röllfeld herumkrochen. Ich fragte mich, wa rum sie sich hier aufhielten, anstatt eine sumpfige Gegend mit flachen Tümpeln auf zusuchen, die doch der passende Lebens raum für diese schweren Ungeheuer waren. Etwas später erreichten wir steppenartiges Gelände. Ungefähr ein Dutzend Riesenspin nen rannten auf ihren langen dürren Beinen von links nach rechts. Als ich in die Rich tung schaute, aus der sie kamen, erblickte ich drei Vollstrecker. Offenbar waren die Riesenspinnen vor ih nen geflohen, aber die Wesen in den roten Roben kümmerten sich gar nicht um sie, sondern marschierten stur nach Westen. Ihre Lähmungsstäbe trugen sie über den Schul tern. Ich kreiste zweimal über ihnen, doch sie nahmen keine Notiz von dem Zugor. Plötzlich wurde es dunkel. Ich war nicht beunruhigt darüber, obwohl es die Durchführung meines Auftrags er schweren würde. Die Dunkelheit bedeutete lediglich, daß es Nacht geworden war. Auf allen zu einem Pseudoplaneten vereinigten Dimensionsfahrstühlen verlief der Tag Nacht-Rhythmus absolut synchron. Tags über gaben die Wölbmäntel ein trübes Licht
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ab, das gerade dazu ausreichte, eine Däm merung zu schaffen. Nachts wurden sie dun kel. Dennoch herrschte auch dann keine to tale Finsternis, denn entlang der Linien, an denen die verschiedenen Wölbmäntel sich berührten, entstand ein schwaches Glimmen. Allmählich gewöhnten sich meine Augen an das schwache Licht. Hinter mir regte sich mein Sohn. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen«, sagte ich. Bördo gähnte. Nach einer Weile rief er aufgeregt: »Dort brennt es, Vater!« Ich wandte mich um und sah, daß er mit ausgestrecktem Arm nach Süden deutete. Als ich in diese Richtung blickte, entdeckte ich tatsächlich fernen flackernden Licht schein. »Das sehen wir uns an«, erklärte ich und änderte den Kurs des Zugors entsprechend.
6. Die fernen Gipfel des Taamberg-Massivs glommen noch einmal matt im Schein des Wölbmantels auf, dann versanken sie ebenso in der Dunkelheit wie die Umrisse der nähe ren Umgebung. Ich wartete, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten und das schwa che Licht sammelten, das von den Berüh rungsstellen der Wölbmäntel ausging. Vor wenigen Minuten hatte ich voraus eine An sammlung ärmlicher Hütten gesehen. Dort wollte ich hin. Ich kannte diese Siedlung nicht, denn sie war offenbar erst kürzlich errichtet worden, wahrscheinlich von Flüchtlingen, die überall auf Pthor umherirrten und eine neue Heimat suchten. Solange es drunter und drüber ging, konnte jemand sich glücklich preisen, wenn er sich irgendwo mit Freunden niederzulas sen vermochte. Als ich meine nähere Umgebung halb wegs sehen konnte, trieb ich mein Woddel zu einem leichten Trab an. Minuten später wich ich einem Feld aus, auf dem die Spros
se der Szaan-Pflanze wuchsen, deren knol lenartig verdickte Wurzeln ein beliebtes Nahrungsmittel vieler Pthorer waren. Das Feld war der Beweis für mich, daß ich es mit einer Siedlung friedliebender Pthorer zu tun hatte. Viele Flüchtlinge lebten nämlich von Diebstählen oder Raubüberfällen, anstatt sich durch ehrliche Arbeit zu ernähren. Oft gab es allerdings diese Möglichkeit nicht für sie. Am anderen Ende des Szaan-Feldes ent deckte ich ein breites Gebüsch. Als ich be merkte, daß mehrere Zweige sich bewegten, wußte ich Bescheid. Die Siedler hatten einen Posten aufgestellt, der das Feld bewachen und vor Dieben schützen sollte. Ich zügelte das Woddel und rief: »Hier gut Freund! Ich bitte um Gast freundschaft!« Eine untersetzte, mit einer Armbrust be waffnete bärtige Gestalt trat hinter dem Ge büsch hervor. Die Waffe zielte auf mich. Ich breitete die Arme aus und zeigte mei ne leeren Hände. »Ich unbewaffnet, mein Freund.« »Steig ab!« befahl der Untersetzte, dann stieß er einen lauten Pfiff aus. »Was ist los, Peerkeen?« rief eine Stimme aus der Dunkelheit hinter dem Posten. »Besuch«, antwortete Peerkeen einsilbig. »Holst du ihn oder löst du mich ab?« »Warte!« erscholl es aus dem Dunkel. Knapp eine Minute später tauchte ein wei terer untersetzter Mann auf. Er war mit einer Lanze bewaffnet. Nachdem er mich eine Weile gemustert hatte, fragte er: »Wie heißt du?« »Razamon«, antwortete ich. »Ich bin auf dem Weg zum Taamberg und bitte darum, in eurer Siedlung übernachten zu dürfen.« »Darüber kann ich nicht entscheiden«, meinte der Mann. »Ich heiße übrigens Nur tel. Komm mit, Razamon! Ich bringe dich zu Mondar. Führe dein Woddel hinter dir her, aber laß die Finger von deinem Schwert!« Ich gehorchte. Nurtel führte mich zwischen zwei frisch
16 gepflügten Äckern entlang und auf einen von Radspuren zerfurchten Weg, der zu ei nem kleinen Platz zwischen mehreren Hüt ten ging. Nur durch die Fenster der größten Hütte schimmerte Licht. Dorthin wandte sich Nurtel. Als wir den einzigen Raum der Hütte be traten, sah ich etwa zwanzig Männer, die um einen langen Tisch saßen und diskutierten. »He, ich bringe einen Gast!« rief Nurtel. Die Diskussion brach ab, und plötzlich sprang ein hünenhafter Mann am Kopfende des Tisches auf und rief: »Razamon!« »Der bin ich«, erwiderte ich und musterte das verwegene und von einer bleichen Narbe entstellte Gesicht des Hünen. »Ich kenne dich zwar nicht, aber du mußt ein ehemali ger Flußpirat sein.« Der Hüne lachte verlegen. »Ich wurde Pirat, weil mein Vater einer war, so wie sein Vater und wie dessen Vater. Aber jetzt bin ich kein Pirat mehr, sondern stehe einer kleinen Gemeinde fleißiger Frau en und Männer vor, die sich in Achternay ei ne neue Heimat geschaffen haben. Ich habe viel von dir gehört, und jemand hat dich mir beschrieben. Deshalb erkannte ich dich so fort.« Ich ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Darf ich mich als euren Gast betrach ten?« Der Hüne schlug mit einer schwieligen Hand ein. »Wir fühlen uns geehrt, Razamon. Ich bin Mondar.« Er zeigte nacheinander auf die üb rigen Anwesenden und stellte auch sie vor. Danach deutete er auf einen großen Ton krug. »Ich möchte dich zu einem Becher Selbstgebranntem einladen, wenn dir unser Schnaps gut genug ist.« Jemand rückte mir einen Stuhl zurecht, und ich setzte mich. »Was gut genug für euch ist, ist es auch für mich«, erklärte ich lächelnd. Ich sah mir die Siedler an. Bis auf Mondar waren sie al le untersetzt und hatten von der Sonne ge
H. G. Ewers gerbte Haut. »Ihr seid vom rechten Ufer des Flusses Xamyhr gekommen, wenn mich nicht alles täuscht.« Mondar schenkte einen Becher voll kla rer, leicht gelblich schimmernder Flüssigkeit und schob ihn dem Berserker hin. »Diese Leute kommen alle aus Dörfern am Xamyhr«, erklärte er dabei. »Wir trafen uns nördlich des Taambergs. Sie auf der Flucht, weil ihre Dörfer niedergebrannt wa ren – und ich als einziger Überlebender des Drachenschiffs GOOMAHR.« Er verzog das Gesicht. »Als einziger Pirat, der einem von Berserkern veranstalteten Gemetzel entkom men konnte.« »Das tut mir leid«, sagte ich. »Ich hatte gehofft, meine Leute wären friedlich gewor den.« Auf den Gesichtern der Bauern zeigte sich Entsetzen. »Der ist ein Berserker?« rief Nurtel und griff nach seiner Waffe. Mondar machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Razamon ist ein abtrünniger Berserker, Freunde. Er hat gemeinsam mit Atlan gegen den Dunklen Oheim und dessen Verbündete gekämpft. Außerdem hatte ich euch nicht al les erzählt. Wir von der GOOMAHR gerie ten in einen Hinterhalt der Berserker, als wir einen Raubzug durch ihre Dörfer unternah men. Sie waren also im Recht, als sie uns töte ten.« Ich atmete auf. »Dann kann ich also doch zu ihnen wei terziehen. Und du, Mondar, hast du dem Pi ratentum endgültig abgeschworen?« »Mondar ist kein Pirat mehr!« rief ein Bauer. »Ohne ihn stünde Achternay noch nicht«, sagte ein anderer. »Mondar hat alles organi siert.« »Dann trinke ich auf euch alle und auf ei ne friedliche Zukunft!« erklärte ich und hob mein Glas. Der Selbstgebrannte war offenbar erst we nige Tage alt, denn er brannte wie Feuer in
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der Kehle und hinterließ einen kratzigen Nachgeschmack. Dennoch leerte ich meinen Becher, ohne eine Miene zu verziehen. Ungefähr zwei Stunden lang sprachen wir noch miteinander, tauschten Erfahrungen aus und sprachen dem Selbstgebrannten zu. Danach brachen die Bauern auf. Mondar öffnete die Fenster seiner Hütte und bereite te mir aus Decken ein Lager. Er selbst sch lief auf einem ähnlichen Lager. Es dauerte nicht lange, da war ich einge schlafen. An den verschwundenen Zeitklum pen hatte ich den ganzen Abend über nicht einmal gedacht.
* Das Feuer war weiter entfernt, als Bördo und ich zuerst angenommen hatten. Ich mußte den Zugor mit Höchstgeschwindig keit fast eine Stunde lang nach Süden jagen, bevor ich erkannte, was da brannte. Es waren die Holzhäuser einer Siedlung, deshalb schlugen die Flammen so hoch, daß wir sie aus großer Entfernung gesehen hat ten. Am Rand der riesigen Feuerstätte ball ten sich die Bewohner zusammen und beob achteten, wie ihre Behausungen nieder brannten. Ich steuerte den Zugor in einem großen Bogen um das Flammenmeer und ging mit der Geschwindigkeit herunter. »Siehst du jemanden, der Hilfe braucht, Bördo?« fragte ich meinen Sohn. »Nein, Vater. Aber da bewegt sich etwas. Dort auf der anderen Seite.« Er hatte die jüngeren und besseren Augen, denn ich brauchte eine Weile, um zu erken nen, daß jenseits der Feuersäulen etwas Großes herumlief. Es versuchte anschei nend, in die brennende Siedlung einzudrin gen. Als wir näher herangekommen waren, sah ich, daß es sich um ein Monstrum aus den Horden der Nacht handelte. Eine kleine Gruppe Männer sprang um das Untier herum und warf mit Steinen und Speeren nach ihm. Seltsamerweise griff das Tier die Leute nicht
an. Es schien sie sogar kaum zu beachten. Plötzlich stürzte es vorwärts, zwischen zwei brennenden Häusern hindurch und mit ten in ein drittes brennendes Haus hinein. Glühende Bretter und Balken wirbelten her um, als der riesige Körper eine Wand durch brach. »Es verbrennt, Vater!« schrie Bördo und umklammerte meine Beine. Tatsächlich schien das Untier nicht mehr aus dem brennenden Haus herauszufinden. Ich sah, wie seine dunkle Masse sich darin bewegte und wie plötzlich dunkler Qualm aus dem Haus wirbelte. Im nächsten Mo ment brach der lodernde Scheiterhaufen zu sammen. Dampf und noch mehr dunkler Qualm wallten empor, und ein widerliches Zischen war zu hören. Die kleine Gruppe der Männer johlte und lachte. Ich begriff nicht, was hier vorging, des halb steuerte ich den Zugor zu ihnen und landete. Sie wurden still, als sie mich als Götter sohn erkannten, dann kamen sie langsam nä her und umringten das Fahrzeug. »Wie ist das Feuer entstanden?« fragte ich. »Und warum lief das Ungeheuer in sei nen Tod?« Ein hagerer hochgewachsener Quenine mit der charakteristischen Zöpfchenfrisur und geschwärztem Gesicht sagte: »Viele Ungeheuer haben unsere Siedlung überfallen, Sigurd. Uns blieb nichts weiter übrig, als unsere Häuser anzuzünden und zu fliehen. Aber es kamen immer noch mehr Ungeheuer, und sie rannten einfach in die Flammen.« »Das begreife ich nicht«, erwiderte ich. »Haben die Ungeheuer jemanden von euch getötet?« »Soviel wir wissen, niemanden«, antwor tete der Quenine. »Sie drangen einfach in die Siedlung ein und legten sich vor oder hinter den Häusern nieder. Einige kleinere Ungeheuer konnten wir mit Speeren und Pfeilen töten, aber gegen die großen richte ten unsere Waffen so gut wie nichts aus.«
18 »Und bei den Kämpfen ist niemand von euch umgekommen?« fragte Bördo verwun dert. »Kämpfe?« Der Quenine lachte rauh. »Es hat keine Kämpfe gegeben. Die Untiere wehrten sich überhaupt nicht. Sie blieben einfach stehen oder liegen.« »Aber dann brauchtet ihr sie doch nicht zu verbrennen«, sagte Bördo entrüstet. »Würdest du an einem Ort leben wollen, wo du alle paar Minuten fast auf ein Unge heuer trittst, Junge!« entgegnete der Queni ne. »Es waren grauenhafte Monstren dabei.« »Schon gut«, sagte ich. »Nein, es ist nicht gut!« protestierte mein Sohn. »Kommt ihr nicht auf den Gedanken, daß diese Ungeheuer von einem Rest der Er innerungen an ihre frühere Existenz herge trieben worden sein könnten? Sie haben vielleicht einmal hier gelebt.« Der Quenine lachte. »Einen solchen Unsinn habe ich lange nicht gehört.« »Es ist kein Unsinn!« fuhr ich ihn an. »Denkt selbst einmal darüber nach, warum die Ungeheuer in eure Siedlung kamen und lieber verbrannten, als sie wieder zu verlas sen!« Ich winkte kurz, dann startete ich den Zugor wieder. »Du glaubst mir also, Vater?« erkundigte sich Bördo. Ich zuckte die Schultern und steuerte den Zugor nach Nordwesten. »Möglich, daß etwas Wahres an deiner Vermutung ist, Bördo. Aber wir dürfen den Leuten nicht vorwerfen, daß sie sich vor den Horden der Nacht so sehr fürchten, daß sie sogar ihre eigenen Häuser anzünden, um sie loszuwerden.« »Aber, bedenke doch, woraus die neuen Horden der Nacht entstanden, Vater!« »Ich weiß es ja, Bördo«, erwiderte ich. »Aber was sollen wir tun! All das Schreckli che, was geschehen ist und noch geschehen wird, es hat seinen Ursprung in Ereignissen fernster Vergangenheit, die wir heute nicht mehr beeinflussen können.«
H. G. Ewers
7. Mitten in der Nacht wurde ich durch laute Stimmen geweckt. Ich setzte mich auf und hörte, daß auch Mondar sich aufrichtete. Wenig später wurde die Tür der Hütte auf gerissen. »Wer ist da?« rief Mondar. »Ich bin es, Nurtel!« kam die Antwort ein wenig atemlos und aufgeregt. »Mondar, draußen in dem neuangelegten Szaan-Feld hockt ein riesiges Ungeheuer!« Der ehemalige Pirat und ich sprangen gleichzeitig auf. »Kommst du mit, Razamon?« fragte Mondar. »Selbstverständlich«, sagte ich. »Aber ich möchte mein Schwert mitnehmen. Es hängt noch am Sattel meines Woddels.« »Ich hole es dir«, erklärte Nurtel und eilte davon. Mondar und ich traten ins Freie. Draußen waren etwa fünfzehn Bauern versammelt. Einige von ihnen trugen Fackeln, so daß wir etwas weiter als nur ein paar Schritte sehen konnten. »Es kam von Süden«, berichtete ein Bau er. »Und es stampfte einfach in das SzaanFeld hinein und legte sich nieder. Ich bin so fort zurückgelaufen und habe Nurtel ver ständigt.« »Wir jagen es fort!« schrie ein anderer Bauer und schwang eine schwere Axt. Nurtel kam aus einem Stallgebäude und überreichte mir mein Schwert. Inzwischen waren noch mehr Bauern aus ihren Hütten gekommen. Aus den Türen und Fenstern schauten die verängstigten Gesichter von Frauen und Kindern. »Los, jagt das Untier!« brüllte jemand. Der Ruf pflanzte sich fort – und mit ei nemmal stürmten die Bauern ungeordnet los, Heugabeln, Dreschflegel, Sensen, Äxte, Speere und Keulen schwingend. »Halt!« schrie Mondar hinter ihnen her. Doch sie waren nicht zu bremsen. »Komm!« sagte ich zu ihm. »Sehen wir
Die Dimensionsfalle zu, daß sie sich nicht blindlings ins Verder ben stürzen. Die Hordenungeheuer sind alles andere als wehrlos.« Wir rannten den Bauern nach. »Ich begreife nicht, wie es hierhergekom men ist«, sagte Mondar unterwegs. »Die Horden der Nacht sollten doch die Ebene von Kalmlech nicht verlassen.« Ich eilte an den letzten Hütten vorbei. Von vorn erklang wildes Geschrei und Ge johle; brennende Fackeln wurden ge schwenkt. Dann ertönte ein zorniges Fau chen und dann ein ohrenbetäubendes tieri sches Gebrüll. Die Bauern flohen so schnell, daß sie Mondar und mich beinahe überrannt hätten. Der ehemalige Pirat eilte ihnen nach. Ich da gegen beschloß, mir das Untier wenigstens einmal anzusehen. Da ich keine Fackel bei mir hatte, schalte te ich meine kleine Taschenlampe an. In ih rem dünnen Schein tastete ich mich langsam vorwärts. Schon bevor ich das Szaan-Feld erreichte, hörte ich ein Wühlen, Schnauben und Schmatzen. Dann sah ich das Ungeheuer. Es glich entfernt einem terranischen Nashorn, war aber mindestens fünfmal so groß. Mit seinem riesigen Horn wühlte es den Boden auf und fraß die Pflanzen. Mich bemerkte es gar nicht. Plötzlich packten mich Hände von hinten und rissen mich zurück. Ich schüttelte mich, und die beiden Bauern fielen zu Boden. »Mondar hat gesagt, wir sollen dich zu rückbringen«, sagte einer von ihnen, wäh rend er wieder aufstand. »Er will einen An griff organisieren und braucht dich dazu.« »Du hättest das Ungeheuer sowieso nicht töten können, mit deinem kleinen Schwert«, meinte der andere Bauer. Ich zuckte die Schultern. »Na, schön! Gehen wir zurück!« In der Siedlung erwartete Mondar mich, umringt von etwa dreißig Männern, die sich mit allem bewaffnet hatten, was sich als Waffe benutzen ließ. »Razamon!« rief er mir zu. »Ich habe
19 einen Angriffsplan entworfen und würde mich freuen, wenn du dein Urteil darüber abgeben könntest.« »Sprich!« erwiderte ich. »Wir werden das Untier umzingeln und mit brennenden Fackeln und Steinen bewer fen«, sagte der ehemalige Flußpirat. »Wenn es angreift, weicht die jeweils angegriffene Gruppe aus, während alle anderen Gruppen von hinten und von beiden Seiten gegen das Biest vorgehen.« Er strahlte mich an. »Was hältst du davon, Razamon?« »Wenig«, erklärte ich trocken. »Ich habe mir das Ungeheuer angesehen. Es ist stark, schnell und vor allem gepanzert. Wenn es angreift, kann die angegriffene Gruppe nicht schnell genug ausweichen. Einige Männer würden sterben. Noch mehr Männer würden sterben, wenn die übrigen Männer das Tier von der Seite und von hinten angriffen. Sie könnten mit ihren Waffen die Panzerhaut des Untiers nicht durchdringen und würden von ihm umgeworfen und zertrampelt wer den.« Mondars Gesicht verfinsterte sich. »Du hast gut reden, Razamon. Aber wir haben nun einmal keine Energiewaffen und müssen uns mit dem behelfen, was wir besit zen.« Zustimmendes Gemurmel ertönte von den Bauern. »Wenn er so schlau ist, soll er einen bes seren Plan entwerfen!« rief einer. »Ganz richtig«, pflichtete Mondar ihm bei. »Ich werde es versuchen«, erklärte ich. »Als erstes: Habt ihr in der Nähe einen Sumpf oder eine tiefe Schlucht?« »Einen Sumpf gibt es hier nicht, wohl aber eine Schlucht«, sagte Nurtel. »Sie ist nur knapp dreihundert Meter lang, aber da für fast zwanzig Meter tief.« »Und wie breit?« fragte ich. »Oben etwa acht Meter«, sagte Mondar. »Nach unten zu wird sie schmaler.« »Das ist ideal«, sagte ich. »Stellt aus star ken Stricken ein Netz her, das zwölf Meter lang und ebenso breit ist! Rammt an beiden
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H. G. Ewers
Schluchträndern Pfähle in den Boden und befestigt das Netz daran! Besitzt jemand Pfeil und Bogen?« »Hier!« riefen zwei Bauern und hoben primitive Bögen hoch. »Das ist nicht viel, aber es muß reichen«, erklärte ich. »Stellt Brandpfeile her! Danach postiert an jedem Pfahl einen Mann mit ei nem Beil oder einer Axt – auf der Schlucht seite, die dem Ungeheuer abgewandt ist, selbstverständlich! Ich werde einen Bogen nehmen und dann gemeinsam mit dem ande ren Bogenschützen Brandpfeile auf das Un geheuer schießen. Alle anderen Männer ma chen soviel Lärm wie möglich. Sobald das Ungeheuer genug gereizt ist und angreift, ziehen wir Bogenschützen uns in Richtung Schlucht zurück, schießen wei ter Brandpfeile ab und flüchten schließlich über das Netz auf die andere Seite. Wenn das Untier uns folgt, müssen die Verbindun gen des Netzes mit den Pfählen gekappt werden – nicht zu früh und nicht zu spät. Das Ungeheuer muß mitsamt dem Netz in die Schlucht stürzen, dann ist es erledigt.« Eine Weile war es still, dann brüllten die Bauern vor Begeisterung.
* Alles war vorbereitet. Es hatte über drei Stunden gedauert, bis das Netz geflochten und befestigt war. Ich lief einige Male darüber hinweg und forderte den Bauern, der gemeinsam mit mir das Un tier zur Schlucht locken sollte, auf, es mir nachzutun. Nach anfänglichem Zögern turn te er mehr schlecht als recht hinüber. Ich ließ ihn solange üben, bis ich sicher war, daß er im entscheidenden Augenblick nicht versagte. Danach überprüfte ich die Schneiden der Äxte und Beile der Bauern, die die Taue kappen sollten und schärfte ih nen ein, daß sie keine Sekunde zögern durf ten, wenn das Ungeheuer das Netz betrat. Anschließend postierte ich die Bauern, die mit allen möglichen Geräten lärmen sollten, so, daß sie sich vor dem Ungeheuer rechtzei
tig in Sicherheit bringen konnten. Dann ging ich mit Uvtar, wie der zweite Bogenschütze hieß, zu dem Szaan-Feld. Zwei andere Bau ern begleiteten uns. Sie trugen die Brand pfeile und sollten sie nach Bedarf anzünden und uns zureichen. Sie hielten außerdem brennende Fackeln in den Händen. Als wir das Szaan-Feld erreichten, wären meine Begleiter beinahe geflohen, denn statt des einen Untiers hockten deren drei darin. »Keine Angst!« ermahnte ich sie. »Solange wir nur vor uns Ungeheuer haben, spielt es keine Rolle, wie viele es sind. Fan gen wir an!« Mein erster Pfeil traf ein Ungeheuer an den Nüstern. Der Pfeil meines Begleiters da gegen verfehlte sein Ziel um mehrere Meter. Das getroffene Untier schüttelte den Brandpfeil ab, schnaubte zornig und starrte zu uns herüber. Ich schoß den nächsten Pfeil ab. Er prallte zwischen den Augen des Untiers ab. Diesmal setzte es sich in Bewegung. Es trabte relativ langsam. Dennoch stand ich plötzlich allein da, denn meine drei Mitstrei ter hatten Pfeile, Bögen und Fackeln wegge worfen und waren in der Dunkelheit unter getaucht. Ich wollte dennoch nicht aufgeben, hob einen Brandpfeil auf, entzündete ihn an ei ner auf dem Boden liegenden Fackel und schoß. Er traf das Untier genau am Maul. Das reichte ihm offenbar, denn es fiel in einen leichten Galopp. Ich hob einen weite ren Pfeil und eine Fackel auf und rannte in Richtung Schlucht. Doch ich kam nicht weit. Vor mir tauch ten plötzlich fünf weitere Ungeheuer auf. Sie ähnelten entfernt terranischen Orang Ut ans, waren aber so groß wie Elefanten. Mit wiegendem Gang kamen sie auf mich zu. Ich wich nach rechts aus, um sie zu umge hen. Von weiter hinten ertönte das Klirren und Klappern von Lärminstrumenten und lautes Geschrei. Eines der Untiere wischte mich mit einer schnellen Armbewegung von den Beinen. Ich überschlug mich ein paar mal und landete in einem Entwässerungsgra
Die Dimensionsfalle ben. Das mich verfolgende Ungeheuer über sprang den Graben und galoppierte weiter – auf die Quelle des Lärms zu. Ich arbeite mich aus dem Graben und folgte ihm, so schnell ich laufen konnte. Wenn der Plan schon nicht mehr in seiner ersten Fassung zu verwirklichen war, so wollte ich wenigstens versuchen, die Bauern zur Kappung der Taue zu bewegen, falls das Untier die Schlucht auf dem Netz überqueren sollte. Ich mußte ihnen zurufen, was zu tun sei, sonst würden sie untätig dastehen und auf mich warten – und das Untier würde sie überrennen. Doch als ich die Schlucht erreichte, hatte das Untier sie bereits überquert. Es sah sich genauso suchend um wie ich, denn die Bau ern, die noch vor knapp einer Minute auf der anderen Seite gelärmt hatten, waren ver schwunden. Resignierend warf ich meine Fackel auf das Netz, das schon nach wenigen Sekunden lichterloh brannte. Danach kehrte ich ins Dorf zurück. Ich ahnte Schlimmes, als ich im Grauen des nächsten Dämmertages vor dem Dorf ankam und aus ihm lautes Geschrei und Wehklagen vernahm. Nachdem ich einen flachen Hügel bestiegen hatte, sah ich dann die Bescherung. Mindestens zwanzig Ungeheuer aus den neuen Horden der Nacht hatten die Siedlung umzingelt. Sie taten nicht viel, sondern sa ßen und standen nur da und blickten in die Siedlung hinein. Aber die Bauern mußten natürlich mit einem baldigen Angriff rech nen. Frauen und Kinder schrien wie am Spieß. Die Männer hatten sich teilweise von ihrem Schrecken erholt und verbarrikadier ten die Zwischenräume der Hütten unter An leitung Mondars mit den Planwagen, mit de nen sie diesen Ort der trügerischen Hoffnun gen erreicht hatten. Ich schüttelte den Kopf. Die Barrikaden würden die Untiere kaum länger als ein paar Minuten aufhalten, wenn sie ernsthaft angreifen sollten. Es waren et
21 wa fünf dieser nashornartigen Riesen sowie mehrere Utanähnliche und verschiedene an dere Ungeheuertypen dabei. Ein unverhoffter Schwächeanfall zwang mich dazu, mich zu setzen. Vor meinen Au gen flimmerte es, und ein Druck auf der Brust ließ mich nur mühsam atmen. War das Ende nahe? Bewirkte das Ver schwinden meines Zeitklumpens einen so schnellen Tod? Die Vorstellung, auf diesem Hügel ein sam und ruhmlos mein Leben aushauchen zu müssen, ließ mich schier verzweifeln. Wahr scheinlich hatten die mit dem Auftauchen der Ungeheuer verbundenen Aufregungen und Anstrengungen den Verfall meiner Kräfte noch beschleunigt. Ich zog das Schwert aus der Scheide, hielt es mit beiden Händen am Boden fest, so daß die Spitze auf meine Brust gerichtet war, dann richtete ich mich auf. Etwas Feuchtes stieß mir von der Seite ins Gesicht. Etwas schnaubte in mein Ohr. Als ich mich umwandte, erblickte ich mein Woddel. Es sah mich aus treuen Augen an. Irgendwie mußte es sich losgerissen ha ben und aus dem Stall ausgebrochen sein. Für mich war es ein Wink des Schicksals. Ich würde nicht schmachvoll sterben müs sen, sondern so sterben dürfen, wie ich es verdient hatte: im Kampf. Diese Aussicht verlieh mir neue Kraft. Ich rief mein Woddel zu mir, zog mich am Sat telgurt hoch und brachte es fertig, mich beim ersten Versuch in den Sattel zu schwingen. Nachdem ich gewartet hatte, bis es sich vor meinen Augen nicht mehr drehte, trieb ich das Woddel zum Galopp an. Ich lenkte es auf eine Gruppe dreier Utanähnlicher zu, hob mein Schwert und stieß einen alten Kampfschrei aus. Die Bauern in der Siedlung fuhren herum und blickten in meine Richtung. Ich reckte mich hoch auf und stieß dem Woddel die Absätze in die Weiche. Es ging sofort zum gestreckten Galopp über. »Jahaa!« Schwertschwingend ritt ich auf den links
22 stehenden Utanähnlichen zu, dann bückte ich mich und ließ die Klinge durch die Luft sausen. Es war ein mörderischer Hieb gewesen, der einen Menschen von oben bis unten hät te spalten können. Aber dem Untier machte es nichts aus, denn er traf nicht. Der Utan ähnliche war im letzten Moment blitzschnell ausgewichen. Der Schwung des Galopps trieb mein Woddel fast in einen umgekippten Planwa gen hinein. Ich konnte es gerade noch recht zeitig herumziehen, stoppen und auf der Stelle wenden. Die drei Utanähnlichen hatten sich halb aufgerichtet und starrten in meine Richtung. Sie gaben grunzende Laute von sich, schie nen aber nicht sehr aggressiv zu sein. »Razamon!« Ich drehte den Kopf und sah Mondar. Der ehemalige Flußpirat war auf den umgestürz ten Planwagen gestiegen und winkte. »Komm ins Dorf!« rief er. »Die Ungeheu er werden dich töten!« »Ich fürchte den Tod im Kampfe nicht!« rief ich zurück. Abermals trieb ich mein Woddel zum Ga lopp an und ritt auf einen der Utanähnlichen zu. Diesmal bremste ich den ungestümen Lauf des Tieres dicht vor dem Ziel ab, ließ es herumtänzeln und dirigierte mich so in ei ne gute Kampfposition. Doch auch diesmal kam ich zu keinem Treffer. Die Untiere wichen stets im aller letzten Augenblick schnell und geschickt aus. Seltsamerweise beließen sie es dabei, obwohl ein einziger Prankenhieb von ihnen mich hätte töten können. Nach kurzer Zeit hatte ich mein Woddel so nervös gemacht, daß es völlig durchein ander war und nicht mehr reagierte, sondern völlig sinnlos herumtänzelte. Kurz entschlossen sprang ich ab, schlug es aufs Hinterteil und griff die Utanähnli chen zu Fuß an. Verblüfft hielt ich inne, als das elefanten große Untier, auf das ich losgestürmt war, sich zu Boden warf und mir seinen Nacken
H. G. Ewers darbot. Das konnte nur eine Halluzination sein. Ich schüttelte den Kopf, um in die Wirklich keit zurückzufinden. »Razamon, schlag zu!« brüllte Mondar vom Planwagen aus. »Schlag zu, schlag zu!« fielen mehrere Bauern ein. Verwirrt blinzelte ich den Nacken des vor mir liegenden Ungeheuers an – verwirrt, weil die Rufe Mondars und der Bauern be wiesen, daß ich keiner Halluzination zum Opfer gefallen war. Und nur aus dieser Verwirrung heraus war es verständlich, daß ich zum tödlichen Schlag gegen ein Wesen ausholte, das sein Leben in meine Hand gelegt hatte. Glücklicherweise konnte ich den Schlag nicht ausführen, denn ein anderer Utanähnli cher hielt mit seiner riesigen Hand plötzlich das Gelenk meiner Schwerthand fest. Er wandte nur einen Bruchteil der Kraft an, die ihm zur Verfügung stand, sonst hätte er mein Handgelenk zerquetschen können. Als die Spannung meiner Armmuskeln nachließ, nahm das Ungeheuer seine Pranke weg. Ich ließ den Schwertarm sinken und starrte auf die Monstren, die sich langsam von allen Seiten näherten. Ihre Haltung ver riet, daß sie mich nicht angreifen wollten. Mit einemmal erinnerte ich mich daran, wie die neuen Horden der Nacht entstanden waren und daß viele ihrer Ungeheuer früher intelligente Pthorer gewesen waren. Anscheinend war ihre Erinnerung an die se Zeit geweckt worden, und sie versuchten, sich mit mir zu verständigen. Ich sah zum Dorf hinüber. Zahlreiche Männer, Frauen und Kinder hatten sich um Mondar geschart und blick ten mit mehr oder weniger großen Augen und offenen Mündern zu mir herüber. Ich hatte das Gefühl, als genossen sie die kalten Schauer des Grauens, die ihnen dabei über die Rücken liefen. Wahrscheinlich glaubten sie, daß die Ungeheuer mich in Stücke rei ßen würden. Ich schob mein Schwert in die Scheide
Die Dimensionsfalle
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zurück. »Ihr freut euch zu früh!« rief ich den Pthorern zu. »Ich werde eine Möglichkeit finden, mich mit diesen Wesen zu verständi gen.« Dann wandte ich mich den Ungeheuern zu …
8. Als der nächste trübe Tag anbrach, konn ten Bördo und ich uns einen ersten Über blick über das verschaffen, was in der Ebene von Kalmlech vorging. Die Vollstrecker in ihren roten Roben wanderten von allen Seiten in Richtung des Mittelpunkts der riesigen Ebene. Die Unge heuer aus den Horden der Nacht gingen ih nen aus dem Weg und irrten mehr oder we niger ziellos umher. Allerdings bildete sich hier und da Grup pen aus vielen verschiedenartigen Ungeheu ern, die sich immer mehr aufspalteten und dabei zum Rand der Ebene von Kalmlech zogen. Einige dieser Untergruppen verließen sogar die Ebene und belagerten Siedlungen oder Städte. Sie liefen vielerorts direkt in die Waffen aufgeschreckter Pthorer hinein, ohne ihre überlegenen Kräfte zu gebrauchen. An dere Untergruppen verkrochen sich in Wäl dern, Schluchten und zwischen Felsen. Gegen Mittag beendeten wir unseren Rundflug im Westen der Ebene. »Ich werde den Zugor zum Mittelpunkt steuern«, erklärte ich meinem Sohn. »Damit wir feststellen, was das Ziel der Vollstrecker ist.« Als Bördo nichts darauf erwiderte, wandte ich den Kopf und sah mich nach ihm um. Er blickte starr nach Westen, wo der Ostrand des Blutdschungels gleich einem dunkel grauen Saum am Horizont stand. Plötzlich streckte er die Hand aus. »Ich dachte immer, die Technos wären al le verschwunden, Vater!« rief er. Ich blickte in die Richtung, in die sein Arm wies und sah einen hochgewachsenen Humanoiden zwischen den blubbernden
Tümpeln der Region des Tödlichen Nebels in Richtung Osten gehen. Seine Größe, die rotbraune Hautfarbe und das schwarze Haar waren typisch für einen pthorischen Techno. Die Tatsache, daß er statt der Lederrüstung eines Technos einen grünlich schillernden Overall trug, hatte nichts zu bedeuten. Ich drehte unseren Zugor und flog dem Westen mit geringer Geschwindigkeit entge gen. Es bewegte sich mit konstanter Ge schwindigkeit durch die gefährliche Region und schien nicht zu wissen, wie schnell und heimtückisch der Tod dort zuschlagen konn te. Nur wenige Sekunden später schrien Bör do und ich entsetzt auf, denn einer der Tüm pel vor dem Fremden spie plötzlich blauwei ße Nebelschwaden aus, die unheimlich schnell über den Boden krochen und das Wesen im nächsten Moment erreichten. Es hatte unsere Schreie gehört und sah in unsere Richtung. Dabei wurde Bördo und mir klar, daß es sich nicht um einen Techno handelte, denn dieses Wesen besaß nicht zwei, sondern drei Augen. Das war – außer seiner Kleidung – allerdings auch der einzi ge sichtbare Unterschied. Zu spät begriff der Fremde, daß wir mit unseren Schreien ihn hatten warnen wollen. Als der Nebel ihn berührte, wurde er allmäh lich durchsichtig. Sein Gesicht verzerrte sich in jähem Entsetzen. Dennoch ging er stur weiter. Weit kam er allerdings nicht mehr. Er wurde blasser und blasser, nahm die Far be des tödlichen Nebels an und ging schließ lich in ihm auf. Bördo und ich sahen uns an. Auch wir waren blaß geworden. Ich bremste den Zugor ab, ließ ihn etwas höher steigen und be obachtete die Umgebung westlich von uns. Meine Vermutung bestätigte sich. Überall in der Region des Tödlichen Ne bels bewegten sich grünlich schillernde Tup fen zwischen den Tümpeln hindurch. Die nächsten waren als Humanoide zu erkennen. Anscheinend kamen sie aus dem Blutd schungel. Und ab und zu wurde eines dieser Wesen
24 von einem Nebelausbruch erfaßt, in Nebel verwandelt und in den blauweißen Nebel in tegriert, der zuletzt irgendwo in Bodenspal ten versickerte. »Wir müssen sie warnen, Vater!« sagte Bördo. »Es sind keine Pthorer«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu meinem Sohn. »Demnach kommen sie von einem anderen Dimensionsfahrstuhl. Ich möchte wissen, was sie bei uns wollen.« »Aber sie sind völlig ahnungslos, Si gurd«, erwiderte Bördo. »Wir dürfen sie nicht in ihr Verderben laufen lassen.« »Vielleicht sind sie Invasoren«, gab ich zurück. »Wir werden einen von ihnen gefan gennehmen und verhören. Übrigens sollten sie trotz der großen Entfernungen zwischen ihnen sehen, was hin und wieder mit Gefähr ten von ihnen geschieht. Wenn sie dennoch nicht umkehren, ist ihnen nicht zu helfen.« Langsam steuerte ich den Zugor am Rand der Nebelregion entlang nach Norden. Dort, wo die Region des Tödlichen Nebels aufhör te und Bördo und ich von Ferne den Däm mersee sehen konnten, setzte sich die weit auseinandergezogene Formation der Frem den fort. Auch sie marschierten nach We sten. »Kannst du eine Schlinge in das Tau da vorn knüpfen, Bördo?« sagte ich. »Ich bin schon dabei«, erwiderte mein Sohn. Ich nickte ihm anerkennend zu und steu erte den Zugor tiefer – und gleichzeitig in Richtung eines weitab gehenden Fremden. Bördo überprüfte die Schlinge, die er ge knüpft hatte, legte sich das Tau aufgerollt zurecht und beugte sich über die Bordwand des Fahrzeugs. Als der Zugor in wenigen Metern Höhe dicht vor dem Fremden schwebte, schwang mein Sohn das Tauende mit der Schlinge mehrmals über dem Kopf, dann ließ er es fahren. Die Schlinge fiel weitgeöffnet über den Kopf des Fremden, glitt über die Schultern, die Oberarme – und zog sich zusammen, als
H. G. Ewers ich den Zugor leicht beschleunigte. Der Fremde stürzte, ohne einen Laut von sich zu geben, wurde ein paar Meter durch kniehohes Gras geschleift und blieb liegen, als ich den Zugor anhielt. Als ich den Zugor jedoch ein Stück zurückschweben ließ, sprang der Fremde auf und versuchte, sich von der Schlinge zu befreien. Das gelang ihm jedoch nicht, weil Bördo das Tau sofort strammzog. Daraufhin stürzte sich der Fremde mit gesenktem Kopf auf meinen Sohn. Ich hob die Garpa, um jeder zeit eingreifen zu können. Aber ich brauchte es nicht, denn Bördo hatte sein Schwert ge zogen und ließ den Fremden mit der Stirn gegen den Knauf rennen. Ächzend taumelte der Fremde zurück. Ich schwang mich über die Bordwand, packte den Dreiäugigen und wollte ihn in den Zugor werfen. Überrascht setzte ich ihn wieder ab, denn er machte sich schwer und stemmte sich gegen meinen Griff. Als er plötzlich die Schlinge abstreifte und nach mir griff, setzte ich ihm die Spitze meiner Garpa auf die Brust. Diese Sprache verstand er, und er ließ die Arme sinken. »Wie heißt du?« fragte ich. Er sah mich nur aus seinen drei Augen an, sagte aber nichts. »Woher kommst du?« Auch darauf bekam ich keine Antwort. Ich drückte die Spitze meiner Waffe fester gegen die Brust. Doch er preßte nur die Lip pen zusammen, um sich gegen den Schmerz zu wappnen, den er erwartete, weil er an nahm, ich wollte ihn foltern. Damit hatte ich jedoch nichts im Sinn. Ich forderte ihn durch eine Handbewegung auf, in den Zugor zu steigen. Er blieb störrisch. Deshalb trat ich schräg hinter ihn und stieß ihn vorwärts. Er taumelte zwei Schritte, dann sprang er Bördo an. Ich war sofort wieder hinter ihm, denn ich hatte eine solche Reaktion erwartet. Doch auch diesmal ließ Bördo sich nicht überrum peln. Er packte ein Handgelenk des Fremden und warf sich zurück. Der Fremde schrie auf, dann segelte er über Bördo hinweg in
Die Dimensionsfalle den Zugor. Ich sprang hinterher. »Es wäre besser für dich, wenn du keine Dummheiten machen würdest«, erklärte ich. »Stell dich vor den Instrumentensockel!« Er gehorchte. Ich reichte meinem Sohn die Garpa und sagte: »Du hast bewiesen, daß du tapfer und um sichtig handeln kannst, Bördo. Paß auf ihn auf und benutze die Waffe, wenn er Unfug anstellen will!« Bördo strahlte übers ganze Gesicht. »Danke, Vater!« Ich nickte ihm zu und stieg auf das Podest hinter dem Instrumentensockel, dann startete ich den Zugor und nahm Kurs nach Osten. Indem ich auf dreihundert Meter Höhe ging, konnte ich den Regenfluß sehen und mich an ihm orientieren, denn er kam von Osten, aus dem Taamberg-Massiv. »Wir werden ihn in der FESTUNG ablie fern, Bördo«, erklärte ich. »Es wird Atlan interessieren, was die seltsame Invasion die ser Fremden zu bedeuten hat – und er bringt den Burschen zum Sprechen.« Der Dreiäugige verhielt sich ruhig – bis wir ungefähr ein Drittel der Strecke bis zur FESTUNG zurückgelegt hatten. Da wurde er mit einemmal unruhig, blickte nach Sü den, nach vorn und wieder nach Süden. »Was ist los?« fragte ich ihn. Und diesmal antwortete er. »Ich darf keine Zeit vergeuden«, sprudelte es in einer Abart des Pthora aus ihm heraus. Abermals sah er sich wie gehetzt um. »Ich muß auf dem kürzesten Wege zum Oheim.« Bevor ich etwas erwidern oder reagieren konnte, sprang er mit einem mächtigen Satz über Bord. Beinahe wäre Bördo, der ihn auf zuhalten versuchte, hinterhergeflogen. Ich bremste ab und ließ den Zugor in stei lem Winkel abwärts fliegen, während ich ihn zurückkurven ließ. Doch für den Fremden kam alles zu spät. Er schlug auf hartem Savannenboden auf, bevor ich gewendet hatte. Ich konnte nur noch neben ihm landen und mich vergewis sern, daß für ihn jede Hilfe vergebens gewe
25 sen wäre. Als Bördo neben mich trat, sah ich an sei nem Gesicht, daß ihn der Tod des Fremden erschüttert hatte. Ich legte ihm den Arm um die Schultern. »Wir konnten nicht ahnen, daß er aus ei nem fliegenden Zugor springen würde, mein Junge«, tröstete ich ihn. »Es ist so sinnlos«, erwiderte Bördo leise. »Er sagte, er dürfe keine Zeit vergeuden – und jetzt …« »Jetzt hat er alle Zeit des Universums«, sagte ich. »Aber er sprach davon, daß er zum Oheim müsse, und das ist Grund genug für uns, zur FESTUNG zurückzufliegen und Atlan Bericht zu erstatten. Er muß wissen, was vorgeht. Komm!«
* »Hast du das gesehen, Vater?« rief Bördo vom Bug des Zugors aus. »Was soll ich gesehen haben?« rief ich zurück. Wir mußten fast schreien, denn da ich den Zugor mit Maximalgeschwindigkeit flog, brauste und heulte der Fahrtwind um uns und ließ meinen Umhang waagerecht nach hinten wehen. »Die FESTUNG!« erwiderte Bördo. »Mir war eben, als wären ihre Umrisse ver schwommen. Aber jetzt sieht sie wieder ganz normal aus.« Ich kniff die tränenden Augen zusammen. Die FESTUNG war nicht mehr weit ent fernt. Deutlich konnte ich die riesige Pyra mide sowie die restlichen fünf kleinen Pyra miden ausmachen. Dunkelgrau schwammen die Gebäude in der bleigrauen Luft. Das Leuchten des Wölbmantels wurde teilweise von einer schwarzen Wolkenfront verdeckt, wodurch es nicht gerade heller wurde. Doch abgesehen davon, konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Hinten bei der Wolkenfront wetterleuchtete es. Die Umris se der FESTUNG traten vor dem flackernd erhellten Hintergrund deutlicher hervor – und plötzlich hatte auch ich den Eindruck,
26 als wollten sie verschwimmen. »Da!« schrie Bördo. »Das ist unmöglich«, stammelte ich und fühlte, wie meine Mundhöhle trocken wur de. »Was hast du gesagt?« rief Bördo. Vor meinen Augen tanzten tausend flim mernde Punkte. Ich schüttelte den Kopf und nahm etwas Fahrt weg. »Es ist der Wind!« schrie ich erleichtert. »Er hat die Augen ausgedörrt. Unsere Wahr nehmungen sind verschwommen, nicht die Pyramiden der FESTUNG.« Der Zugor überflog die Grenze des Terri toriums der FESTUNG. Ich sah mehrere Flüchtlingslager und die Gehege, in denen Händler ihre Reit- und Lasttiere untergestellt hatten. Wir Göttersöhne förderten die Tätig keit der Händler, denn wenn Pthor aus den Klauen des Dunklen Oheims befreit worden war, würden wir mit ihrer Hilfe die Kommu nikation zwischen den. Städten und Dörfern des Dimensionsfahrstuhls aufbauen und das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Bewoh ner Pthors stärken. Ich bremste ab, als die FESTUNG nur noch drei Kilometer entfernt war. Wenig später setzte der Zugor sanft vor dem Haupteingang der großen Pyramide auf. Der Eingang war offen, und ich sah vor dem Hintergrund der Innenbeleuchtung eine weiße Gestalt stehen. Unwillkürlich er schauderte ich, obwohl ich wußte, daß das nur Balduur sein konnte. Er pflegte inner halb der FESTUNG manchmal, wie früher in seinem Heim, einen schlichten weißen Umhang zu tragen. Aber die Erlebnisse in den Randgebieten der Ebene Kalmlech und die erschreckende optische Täuschung vor hin hatten mich so beeindruckt, daß mein Unterbewußtsein die Gestalt als geisterhafte Erscheinung einstufte. Bördo und ich verließen den Zugor und gingen auf Balduur zu. »Wo steckt Atlan?« wollte ich wissen. »Seltsame Dinge gehen vor«, sagte Bal duur mit dumpfer Stimme. Bördo kicherte verstohlen.
H. G. Ewers »Was soll das?« fragte ich unwirsch. »Was für seltsame Dinge geschehen, Bru der?« »Die FESTUNG hat sich in ein Spuk schloß verwandelt«, erklärte Balduur. Er zuckte schreiend zusammen, als Bördo hinter ihn trat und ihm die vom Fahrtwind eiskalten Finger ins Genick preßte. Mein Sohn entfernte sich lachend. Balduur blickte ihm nach. »Dieser mißratene Bursche!« schimpfte er. »Bördo ist in Ordnung«, widersprach ich. »Aber mit dir scheint etwas nicht zu stim men. Du zitterst wie ein altes Weib, das einen Poltergeist erlebt hat. Weißt du, wo sich Atlan aufhält?« »Ich habe ihn seit gestern nicht mehr ge sehen«, antwortete Balduur. »Und auch Raz amon scheint sich in Luft aufgelöst zu ha ben.« Abermals zuckte er zusammen, dies mal, weil fernes Donnergrollen die Luft er schütterte. Ich ging an ihm vorbei. Manchmal war mit meinem Zweitältesten Bruder nichts an zufangen. Das lag daran, daß er in ferner Zeit einen Teil der Energie aus seiner Kör peraura hatte abgeben müssen. Diesmal schien es ihn allerdings besonders schlimm erwischt zu haben. Seine Nerven mußten arg zerrüttet sein, wenn er an Wahnvorstellun gen litt und offenbar auch noch daran glaub te. Über Stiegen und Leitern kletterte ich nach oben. Dabei nahm ich mir vor, bei nächster Gelegenheit in den Labyrinthen un ter der FESTUNG nach Maschinen zu su chen, mit denen sich ein Antigravlift ein richten ließ. Es war mühsam und zeitrau bend, sich in der immerhin 438 Meter hohen Pyramide kletternd auf- und abbewegen zu müssen. Vorerst allerdings gab es wichtigere Din ge zu tun. Nach einer halben Stunde blieb ich ste hen, um zu verschnaufen. Dabei sah ich nach den Markierungen an den Wänden, um festzustellen, wie weit ich noch klettern
Die Dimensionsfalle mußte, um Atlans Unterkunft zu erreichen. Ich mußte dreimal hinsehen, bevor ich glaubte, daß ich mich erst auf dem dritten Deck – von unten gerechnet – befand, ob wohl ich nach meiner Kletterei erwartet hat te, mindestens auf dem zwanzigsten Deck zu sein. Zornig schlug ich mit der geballten Faust gegen die Wand und verwünschte Balduur. Er mußte mich mit seiner Spinnerei so irri tiert haben, daß ich ganz in Gedanken mal aufwärts und mal abwärts geklettert war. Nach kurzer Pause setzte ich meinen Auf stieg fort – und auf dem nächsten Deck fing ich an, an meinem Verstand zu zweifeln, denn die Markierungen sagten aus, daß es sich um das zweiundzwanzigste Deck han delte. Ich lehnte mich gegen die Wand, dann riß ich mich zusammen und stieg ein Deck tiefer. Jemand mußte die Markierungen ge ändert haben, um uns Göttersöhne zu ver wirren. Es konnte gar nicht anders sein – es sei denn, Balduur hätte die Wahrheit gesagt und die FESTUNG hatte sich in ein Spuk schloß verwandelt. Ich lachte – und dann blieb mir das La chen in der Kehle stecken, denn die Markie rung auf dem nächsttieferen Deck wies es als das einundzwanzigste aus. Ich stieß eine Verwünschung aus, eilte den Korridor entlang und prüfte die Markie rungen neben den anderen Schächten. Aber sie glichen allesamt der zuerst gelesenen Markierung. Ich rieb mir die Augen und fühlte mich plötzlich unsagbar müde. Es war wohl alles zuviel für mich gewesen, so daß ich unter Halluzinationen litt. Ein heißes Bad, ein Krug Wein und zehn Stunden Schlaf würden jedoch alles wieder in Ordnung bringen. Aber vorher mußte ich Atlan Bericht er statten. Ich setzte meinen Weg fort, und endlich erreichte ich das Deck, auf dem sich Atlans Quartier befand. Vor dem Schott blieb ich stehen und versuchte, meine Nerven zu be ruhigen.
27 Nachdem ich sicher war, keinen schlech ten Eindruck zu machen, betätigte ich den Türsummer, rückte meinen Schulterumhang zurecht und stellte die Garpa mit der Spitze senkrecht auf den Boden. Als ich damit rechnen durfte, daß das Schott sich öffnete, lächelte ich gewinnend. Doch das Schott blieb geschlossen. Nach einer Weile betätigte ich den Tür summer erneut, rückte noch einmal an mei nem Umhang und überzeugte mich davon, daß die Garpa gerade stand. Aber auch diesmal öffnete sich das Schott nicht. Ich scharrte verlegen mit den Füßen, dann gab ich mir einen Ruck und aktivierte die Öffnungsautomatik des Schottes. Es wider strebte mir, unangemeldet bei Atlan einzu dringen, aber da ich wichtige Nachrichten brachte, fühlte ich mich nicht nur dazu be rechtigt, sondern auch dazu verpflichtet. Das Schott glitt augenblicklich zur Seite. Fest auftretend, ging ich in den Vorraum. In der Mitte blieb ich stehen und räusperte mich. Ich wünschte mir, ich hätte die Forschheit besessen, mit der dereinst der Kosmische Kundschafter und seine vogel hafte Begleiterin aufgetreten waren. Aller dings war damals Atlan nicht auf Pthor ge wesen, doch war ich überzeugt davon, daß Algonkin-Yatta und Anlytha nicht anders aufgetreten wären, wenn er persönlich dage wesen wäre. Ich seufzte, dann öffnete ich die Tür zu Atlans Wohnräumen. »Atlan!« Keine Antwort. Ich trat ein und sah auf einem Tisch die Bruchstücke des Schlüssels liegen. Ganz in Gedanken trat ich heran und versuchte, die Stücke zusammenzusetzen. Sie lagen ja in der richtigen Anordnung beisammen, ledig lich durch handbreite Zwischenräume von einander getrennt. Aber die Bruchstücke sträubten sich dage gen, zusammengefügt zu werden. Nach ei ner Weile wurde es mir zu dumm. Ich kehrte dem Tisch den Rücken, durchsuchte die üb
28 rigen Wohnräume und begab mich dann in den Raum, dessen Wände mit Monitoren be deckt waren. Die kleinen Bildschirme waren hell – bis auf die, die zur Überwachung von Räumlichkeiten dienten, in denen meine Ge schwister und unsere Helfer und natürlich Bördo und ich uns wohnlich eingerichtet hatten. Auf dem Monitor, der einen Korridor ab bildete, entdeckte ich meinen Bruder Baldu ur. Er schritt geistesabwesend dahin. Kopfschüttelnd musterte ich die anderen Monitoren. Sie zeigten nichts Besonderes. Plötzlich stutzte ich. Ich erinnerte mich genau daran, daß drei der Bildschirme, die jetzt dunkel waren, frü her das Abbild dreier zusammenhängender Räume gezeigt hatten. Zwar waren diese Räume leer, aber das war kein Grund, aus gerechnet die Bildübertragung aus ihnen ab zuschalten. Ich ging zu den Kontrollen, um das zu än dern. Verblüfft stellte ich fest, daß sie gar nicht abgeschaltet waren. Sie waren akti viert. Folglich hatten die drei Monitoren hell sein und die drei Räume abbilden müssen. Ich schaltete sie mehrmals aus und ein, ohne daß sich etwas änderte. Die drei Bild schirme blieben dunkel. Nach einer Weile ließ ich verärgert davon ab. Wahrscheinlich waren die betreffenden Sensoren ausgefallen. Das brauchte mich aber nicht zu kümmern. Ich suchte Atlan und sonst nichts. Zögernd aktivierte ich die Rundrufanlage. »Achtung, hier spricht Sigurd!« sagte ich in das Rillenmikrophon. »Hier Sigurd! Ich rufe Atlan! Atlan, bitte melde dich! Ich bin mit wichtigen Nachrichten zurückgekehrt!« Ich setzte mich in einen Sessel und warte te darauf, daß der Arkonide – falls er mich gehört hatte – sich in einen optisch über wachten Raum begab und mir zu verstehen gab, daß er in sein Quartier kommen würde oder daß wir uns an einem anderen Ort tref fen sollten. Als einer der drei »verdunkelten« Bild schirme einen pulsierenden Lichtpunkt zeig
H. G. Ewers te, schloß ich die Augen. Ich hatte keinen Bedarf an weiteren Halluzinationen. Als ich nach einiger Zeit vorsichtig ein Auge öffnete, stellte ich aufatmend fest, daß es keine Halluzinationen mehr gab. Aller dings zeigte sich Atlan auf keinem der Bild schirme. Er schien die FESTUNG verlassen zu haben. Das verstand ich nicht ganz, da er doch auf Nachrichten von mir wartete. Aber er war mir ja keine Rechenschaft schuldig. Ich suchte nach einer Schreibfolie und ei nem Stift und legte meinen Bericht schrift lich nieder. Zum Schluß fügte ich die Mittei lung hinzu, daß ich Razamon aufsuchen würde, um mir von ihm raten zu lassen, ob ich in der FESTUNG auf Atlans Rückkehr warten oder wieder zur Ebene von Kalmlech fliegen sollte.
9. Als ich auf den Korridor vor Atlans Quar tier trat, glaubte ich, den Boden unter mei nen Füßen zittern zu spüren. Ich blieb stehen. Aber wenn der Boden tatsächlich gezittert hatte, dann nur kurz. Jetzt war davon nichts mehr zu merken. Ich legte mir die Garpa über die Schulter und ging zum nächsten Leiterschacht. Diese Leitern und Stiegen hatte ich schon so oft benutzt, daß ich gar nicht mehr dar über nachdachte, wie ich ein- beziehungs weise auszusteigen hatte. Die entsprechen den Bewegungen waren sozusagen automa tisiert – so, wie die Schaltvorgänge bei ei nem Zugor. Da es sich beim nächsten Schacht um einen Leiterschacht handelte, hatte ich mich wohl vor der Öffnung umgedreht, mich ge bückt und die Beine in den Schacht gleiten lassen, um mit den Füßen etwa anderthalb Meter tiefer Halt zu suchen. Gewohnheitsge mäß pflegte ich erst danach mit einer Hand an der obersten Leitersprosse Halt zu su chen. Als meine Füße nach der bewußten Spros se tasteten, stießen sie jedoch nur gegen eine glatte Wandung – und bevor ich mit der frei
Die Dimensionsfalle en Hand Halt suchen konnte, fiel ich bereits. Ich schrie erschrocken auf. Erst dann merkte ich, daß ich nicht stürzte, sondern sanft hinabschwebte. Die Garpa, die ich im ersten Schreck fallen gelassen hatte, sank neben mir hinunter, als wäre sie eine Flaum feder. Dem ersten Schreck folgte der zweite, als mir klar wurde, daß ich etwas Unmögliches erlebte. Schließlich gab es in der großen Py ramide nirgends einen Antigravschacht. Da ich aber unzweifelhaft einen Antigrav schacht hinabschwebte, konnte ich mich nicht mehr in der großen Pyramide befinden. Eine unbekannte Kraft mußte mich in ein Gebäude auf einem anderen Dimensions fahrstuhl versetzt haben. Natürlich dachte ich sofort an die Magier aus der Barriere von Oth. Aber ich vermochte mir einfach nicht vorzustellen, was meine Versetzung für einen Sinn haben sollte. Vorsichtshalber angelte ich mir meine Garpa, denn ich wußte ja nicht, was mich auf dem unbekannten Dimensionsfahrstuhl erwarten würde. Auf jeden Fall mußte ich mich gegen Angriffe wehren können. Sekunden später kam der dritte Schreck, denn aus dem Schweben wurde ein Sturz – und ich hatte zuvor gesehen, daß es unter mir noch rund zweihundert Meter in die Tie fe ging. Dennoch konnte ich gerade noch den Na men meines Vaters rufen, bevor ich auf schlug. Ich spürte den Aufprall, merkte, daß mir der Helm vom Kopf flog, und verlor das Bewußtsein. Lange konnte ich nicht bewußtlos gewe sen sein, denn als ich zu mir kam, hielt ich die Garpa noch fest in der rechten Hand. Wenige Schritte vor mir sah ich meinen Helm an der Wand eines Leiterschachts lie gen. Benommen starrte ich die Metalleiter an und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Ich war in einen Leiterschacht gestiegen, der sich als Antigravlift entpuppt hatte – und wenig später war ich abgestürzt, weil der
29 Antigravlift gar kein Antigravlift gewesen war, sondern ein simpler Leiterschacht. »Ich sagte dir doch, daß es hier spukt«, hörte ich die Stimme Balduurs. Fluchend rappelte ich mich auf und sah mich um. Aber von meinem Bruder war nichts zu sehen – und doch hatte er eben erst zu mir gesprochen. »Balduur!« Mein Ruf verhallte ungehört in dem zirka zehn Meter hohen Leiterschacht. Glückli cherweise gab es keine durchgehenden Schächte in der großen Pyramide, sondern nur gegenseitig versetzte kleine Schachtabschnitte, sonst wäre ich nicht aus wenigen Metern, sondern aus mehreren hundert Me tern Höhe abgestürzt. Allerdings schlich sich bei dieser Überle gung der Gedanke in mein Bewußtsein, daß ich dann wenigstens tot wäre und nicht um meinen Verstand fürchten müßte. Es ließ sich ja nur mit angegriffener gei stiger Gesundheit erklären, daß ich die Lei tersprossen mitten im Schacht losgelassen hatte, weil ich mir einbildete, einen Anti gravschacht hinabzuschweben. Und leider war das nicht die einzige Halluzination, der ich seit der Rückkehr in die FESTUNG zum Opfer gefallen war. Ich hob meinen Helm auf, steckte der krö tenartigen Tierfigur auf der Stirnseite die Zunge heraus und stülpte ihn mir wieder über den Kopf. Danach überlegte ich, was ich tun sollte, um nicht vollends den Ver stand zu verlieren. Wenn ich mir vorstellte, daß mein Vater mich hätte sehen können, hatte ich das Gefühl, vor Scham im Boden versinken zu müssen. Das half mir, mich zusammenzureißen. Zuerst mußte ich Razamon aufsuchen. Der Unsterbliche mit all seinen Erfahrungen würde mir am ehesten helfen können, solan ge Atlan nicht zurück war. Ich blickte mich um und orientierte mich an den Markierungen. Danach setzte ich den Abstieg fort. Allerdings ließ ich die dazu notwendigen Bewegungen nicht mehr unbe wußt ablaufen, sondern kontrollierte sie ge
30 nau. Etwa zehn Minuten später stand ich vor dem Schott, hinter dem sich die Kabine be fand, die der Berserker sich nach seinem Ge schmack eingerichtet hatte. Einen Türsum mer gab es hier nicht. Deshalb schlug ich ein paarmal mit dem Knauf der Garpa gegen das Schott. Als sich daraufhin nichts rührte, betätigte ich die Öffnungsautomatik. Das Schott öff nete sich lautlos. Ich betrat die Kabine. Raz amons Lager war zerwühlt, aber leer. Ich klopfte an der Tür zur Hygienezelle. Als sich Razamon auch daraufhin nicht meldete, öffnete ich die Tür und überzeugte mich, daß er nicht in der Zelle war. Wo mochte er dann sein? Atlan hatte ihn zwar auch nicht gefunden, aber das war gestern gewesen. Es war nicht Razamons Art, einen Tag und eine Nacht wegzubleiben, ohne Atlan oder uns Göttersöhnen Bescheid zu sagen. Es sei denn, er hatte nur kurz wegbleiben wollen und war irgendwo aufgehalten wor den. Als ich Schritte hinter mir hörte, fuhr ich mit erhobener Garpa herum. Erleichtert er kannte ich Bördo. »Hast du Atlan oder Razamon gesehen?« fragte ich. Bördo schüttelte den Kopf. »Razamon ist mit einem Woddel wegge ritten, Vater. Das haben wir doch beide ge sehen.« Ich erinnerte mich. »Du hast ihn gesehen, ich nicht, Bördo. Das heißt, ich habe ihn nicht erkannt. Aber er wird sicher längst zurück sein.« Wieder schüttelte mein Sohn den Kopf. »Ein Händler aus Orxeya hat sich bei Heimdall darüber beschwert, daß Razamon sich gestern ein Woddel bei ihm ausgeliehen und noch nicht zurückgebracht hat. Er sprach sogar von Diebstahl, gab aber zu, daß Razamon ihm versichert hatte, das Tier zu rückzubringen oder zu bezahlen. Der Berser ker hat aber bisher weder das eine noch das andere getan.«
H. G. Ewers »Das sieht ihm gar nicht ähnlich«, erwi derte ich matt. »Aber Atlan sollte dann we nigstens da sein. Ich muß ihn sprechen.« »Du hast ihm doch einen schriftlichen Be richt hinterlassen«, sagte Bördo. »Ich habe ihn gelesen, als ich nach Atlan suchte.« »Warum hast du nach Atlan gesucht?« »Weil ihm Gefahr droht, Vater. Ich fühle es. Atlan ist irgendwo in der FESTUNG, und er befindet sich in Gefahr. Seit ich das fühle, suche ich nach ihm. Aber ich konnte ihn bisher nicht finden. Es ist, als existiere er nicht mehr körperlich.« »Sondern nur noch als sein Geist, wie?« spottete ich. Ich tastete mich nach einem Stuhl und setzte mich, als mich die Ahnung überfiel, daß mit dem Arkoniden tatsächlich etwas nicht stimmte und daß das irgendwie mit den Halluzinationen zu tun haben könnte, unter denen ich gelitten hatte. »Hast du ebenfalls gemerkt, daß es hier spuckt?« fragte Bördo. Erst jetzt sah ich, daß sein Gesicht bleich und spitz wirkte. »Du auch?« erkundigte ich mich. Bördo nickte. »Ja, und es muß etwas mit der Gefahr zu tun haben, die Atlan droht.« Ich stand auf. »Du sagtest, Atlan sei irgendwo in der FESTUNG, Bördo. Nun, gut! Ich sage den anderen Bescheid, damit wir gemeinsam Raum für Raum durchsuchen können. Inner halb weniger Stunden werden wir Atlan ge funden haben.« »Du hast mich nicht verstanden, Sigurd«, entgegnete mein Sohn. »Wenn ich sagte, daß es hier spukt, dann meine ich das nicht so primitiv wie Balduur. Spuk ist etwas Unna türliches und daher Unmögliches. Was in der FESTUNG vorgeht, widerspricht nicht den Naturgesetzen. Wenn wir es nicht kon kret erklären können, dann bedeutet das nur, daß wir nicht alle Naturgesetze kennen.« »Ich bin also nicht dabei, den Verstand zu verlieren«, stellte ich fest. Bördo grinste.
Die Dimensionsfalle
31
»Was zu verlieren …?« Er seufzte. »Es war nur Spaß, Vater. Aber es wäre zwecklos für uns, Atlan suchen zu wollen; das ist mir klargeworden. Wir müssen zu Razamon. Nur er kann Atlan helfen.« Ich lachte bitter. »Na, schön, suchen wir Razamon! Wo fangen wir an? Im Blutdschungel? In der Barriere von Oth? In der Wüste Fylln?« »Der Händler hat gesagt, Razamon sei nach Nordwesten geritten«, erklärte Bördo. »Nordwestlich von hier aber liegt das Taam berg-Massiv, und von dort stammen die Ber serker aus der Familie Knyr, zu der auch Razamon gehört.« »Du vermutest, er sucht Kontakt zu sei nen Leuten?« Bördo nickte. »Das ist doch wahrscheinlich, nicht wahr? Hattest du nicht auch bemerkt, daß in der letzten Zeit eine Veränderung mit ihm vor gegangen ist? Seine Kräfte schienen zu ver fallen. Wohin aber zieht sich ein Mann zu rück, wenn er sein Ende nahen glaubt?« »Ins Land der Väter«, antwortete ich. »Du bist wirklich ein intelligenter Junge, Bördo. Ich bin stolz auf dich. Vielleicht wirst du einmal Pthor regieren.« Bördo spie auf den Boden. »Rede nicht soviel, sondern handle, alter Mann!«
* Meine anfangs so zuversichtliche Stim mung erreichte gegen Mittag ihren absoluten Tiefpunkt. Alle Versuche, eine Verständigung mit den Ungeheuern aus der Ebene von Kalm lech zu erreichen, waren gescheitert. Wenn ich zu ihnen sprach, lauschten sie, als ver stünden sie jedes Wort. Auf eine Antwort hatte ich jedoch bisher vergeblich gewartet. Natürlich besaßen nicht alle Ungeheuer die organischen Voraussetzungen dafür, sich auf Pthora mit mir zu verständigen. Aber zu mindest die Utanähnlichen wären dazu in der Lage gewesen. Schließlich waren sie ja
aus intelligenten Pthorern entstanden, und aus ihrem Verhalten mir gegenüber hatte ich den Schluß gezogen, daß sie sich noch an ihr früheres Leben und damit auch an ihre Spra che erinnerten. Aus der Siedlung näherte sich Mondar. Dem Gesicht des ehemaligen Flußpiraten war deutlich anzusehen, daß es ihn große Überwindung kostete, sich in die unmittel bare Nähe der Ungeheuer zu wagen. Einige Schritte von mir entfernt blieb er stehen. »Gib es auf, Razamon!« sagte er. »Du siehst ja, daß mit den Untieren keine Ver ständigung möglich ist.« Er wich erschrocken zurück, als eines der nashornartigen Ungeheuer den riesigen Schädel senkte, sich in seine Richtung wandte und mit den Vorderfüßen den Boden aufscharrte. Ich eilte zu dem Wesen und stellte mich mit ausgebreiteten Armen vor ihm auf. »Halt!« befahl ich. »Du wirst diesem Mann nichts tun! Niemand von euch wird einem Bewohner dieses Dorfes etwas tun oder etwas im Dorf beschädigen!« Das nashornartige Wesen hörte auf zu scharren, blickte mich an und ging dann ei nige Schritte rückwärts – und dann ließ es sich auf den Boden fallen. »Es hat dir gehorcht!« rief Mondar ehr fürchtig aus. Ich ließ resignierend die Arme sinken. »Sie hören alle auf mich, ja. Aber was ist das schon! Auch früher haben die Ungeheu er aus den Horden der Nacht mir gehorcht, aber das waren eben nur Ungeheuer. Diese hier sind aber wahrscheinlich aus intelligen ten Pthorern entstanden. Und doch antwor ten sie mir nicht.« Aus der Menge der Dorfbewohner, die noch immer beobachtend und abwartend bei ihren Hütten standen, ertönten aufgeregte Schreie. Ich hörte mehrmals das Wort »Zugor« heraus und sah, wie einige Bauern nach Südosten deuteten. Als ich mich in diese Richtung wandte, erblickte ich tatsächlich eine der Flugscha
32 len, die sich früher im Besitze der Technos befunden hatten. Sie schien an der Siedlung vorbeifliegen zu wollen, doch dann änderte sie plötzlich ihren Kurs und hielt auf die An sammlung der Ungeheuer zu. Als der Zugor nur noch etwa dreißig Me ter entfernt war, erkannte ich hinter der Steuersäule eine hochgewachsene Gestalt in Waffenrock und gepanzertem Lederwams und mit einem federgeschmücktem Helm auf dem Kopf. Der Fahrtwind ließ einen of fenen orangefarbenen Schulterumhang hin ter der Gestalt herflattern. »Sigurd!« rief ich und winkte. »Der Göttersohn!« sagte Mondar und nahm eine unterwürfige Haltung ein. Als der Zugor dicht hinter mir landete, sah ich, wie Bördo sich darin aufrichtete. Sigurd schwang sich über die Bordwand des Fahrzeugs, nahm die schwere Garpa in beide Hände und näherte sich in kampfberei ter Haltung. Neben mir blieb er stehen, nickte mir knapp zu. »Soll ich sie töten?« erkundigte er sich und blickte die Ungeheuer an. Ich sah, daß Mondars Gesicht sich gläu big verklärte und konnte nur mühsam ein Grinsen unterdrücken. »Du fürchtest dich anscheinend nicht vor ihnen, Sigurd«, erwiderte ich. »Nicht im geringsten«, versicherte der Göttersohn. »Mit meiner Garpa schlage ich sie alle in Stücke.« »Drachentöter sind nicht mehr gefragt, Vater«, sagte Bördo, der ebenfalls herge kommen war. »Die Zeiten der Götterschlachten sind vorüber. Heute ist Grips ge fragt statt Bizeps.« Ich lachte innerlich über den Bengel und darüber, daß sich alles seit Ewigkeiten im mer wiederholte. Die Jungen verachteten die Methoden der Väter, die im gleichen puber tären Alter ihrerseits die Methoden ihrer Vä ter verachtet hatten. Sigurd blickte seinen Sohn strafend an. »Dich gäbe es überhaupt nicht, wenn ich nicht stets fähig und bereit gewesen wäre,
H. G. Ewers mein Leben und meine Freiheit mit der Waf fe in der Hand zu verteidigen.« »Hier muß niemand etwas verteidigen«, erklärte ich beschwichtigend. »Die Unge heuer sind harmlos, solange ich dabei bin. Sie gehorchen mir aufs Wort. Hat Atlan euch geschickt?« Sigurd schnaufte. »Kann ein Geist jemanden schicken?« »Sollte das eine vernünftige Antwort auf eine klare Frage sein, Vater!« meinte Bördo. »Hör zu, Razamon, Atlan hat uns nicht di rekt geschickt. Aber wir sind wegen Atlan hier. Wir brauchen deine Hilfe. Vielmehr braucht Atlan deine Hilfe.« Sigurd entspannte sich und lächelte spöt tisch. »Du bist ein kluger Junge, Bördo, aber du kannst dich vor lauter Klugheit nicht ver ständlich ausdrücken. Laß mich das in mei ner einfachen, aber klaren Männersprache tun!« Er wandte sich mir zu. »Mein Sohn behauptet, Atlan befände sich in der FESTUNG und würde in großer Gefahr schweben. Es war uns jedoch nicht möglich, ihn zu finden, da es in der FE STUNG nicht geheuer ist.« Er sah seinen Sohn streng an. »Ich habe nicht gesagt, in der FESTUNG würde es spuken, nicht wahr?« »Nein, aber du hast nur einen anderen Ausdruck für ›spuken‹ verwandt«, erwiderte Bördo. »In der FESTUNG geschehen rätsel hafte Dinge, die sich mit den uns bekannten Naturgesetzen nicht erklären lassen, Raza mon. Es kommt zu partiellen Veränderun gen, die aber nicht lange anhalten. Die FE STUNG wird dadurch jedoch zu einem völ lig unübersichtlichen Labyrinth – und ir gendwo in diesem Labyrinth scheint Atlan gefangen zu sein.« Damit konnte ich nicht viel anfangen. Deshalb ließ ich mir Beispiele für die parti ellen Veränderungen nennen. Auch sie sag ten mir nicht viel – bis Sigurd die drei dunklen Monitoren erwähnte, die drei mit einander verbundene Räume nicht zeigten,
Die Dimensionsfalle obwohl die betreffenden Sensoren aktiviert waren. Mir wurde schwindlig, und Sigurd mußte mich stützen, damit ich nicht umfiel. Wie aus weiter Ferne hörte ich Bördo sa gen: »Hatte ich dir nicht gesagt, er sei am ab nippeln, Vater!« Trotz meiner furchtbaren Ahnung mußte ich darüber grinsen. »Hast du gar keinen Respekt!« schimpfte Sigurd. »Woher hast du überhaupt diesen Ausdruck? Ich habe ihn nie zuvor gehört.« »Aber verstanden hast du mich sofort«, gab Bördo zurück. Ich riß mich zusammen, machte mich von Sigurd los und sagte: »Wahrscheinlich befindet sich Atlan wirklich in großer Gefahr. Ich nehme an, bei den rätselhaften partiellen Veränderungen handelt es sich um Dimensionseinbrüche temporaler Natur. Hatte Atlan irgendwann nach mir gefragt?« »Ja, gestern«, antwortete Bördo. »Ich sag te ihm, daß ich dich sah, wie du in einem Leiterschacht in die Tiefe der FESTUNG stiegst.« »Du hast mich gesehen?« fragte ich. »Ich habe dich gar nicht bemerkt.« »Weil du mit offenen Augen geträumt hast, Razamon«, meinte Bördo. Ich nickte. »So ähnlich war es. Nur träumte ich nicht, sondern dachte über einen Traum nach, den ich in der Wirklichkeit wiederfinden wollte. Damit hat offenbar alles angefangen. Wir brechen sofort mit dem Zugor auf! Mondar, sorge inzwischen für mein Woddel!« »Du willst uns verlassen, Razamon?« jammerte Mondar. »Das darfst du nicht! Die Ungeheuer würden über uns herfallen.« »Sie tun euch nichts«, erwiderte ich und wandte mich an die Wesen aus den neuen Horden der Nacht. »Hört zu! Ich verlasse euch, kehre aber bald zurück. Ihr werdet euch von dieser Siedlung und von den Fel dern der Bewohner dieser Siedlung fernhal ten, niemandem etwas tun und nichts be
33 schädigen oder zerstören! Entfernt euch ein Stück von hier, aber nicht zu weit!« Ich sah, wie Bördo mit geweiteten Augen die Ungeheuer beobachtete, die sich lang sam umdrehten und davontrotteten. »Sie gehorchen dir, Razamon!« rief er be wundernd. »Du bist doch der Größte! Ent schuldige, daß ich das mit dem abnippeln gesagt habe, vorhin. Es war nicht so ge meint. Aber fühlst du dich wirklich kräftig genug, um nach Atlan zu suchen?« »Solange ich noch nicht tot bin, habe ich immer Kraft genug, um einen Freund zu ret ten, wenn Rettung möglich ist«, erklärte ich und ging auf den Zugor zu.
10. Blitze zuckten vor der schwarzen Wol kenwand hernieder, die sich östlich der FE STUNG aufgetürmt hatte. Wahrscheinlich würde die Gewitterfront während der Nacht den Bereich der FESTUNG erreichen. »Da, da ist es wieder!« rief Bördo durch das Heulen des Fahrtwinds und das Grollen des Donners. Ich folgte seinem ausgestrecktem Arm mit den Augen und erschrak, als ich sah, wie die Umrisse der großen Pyramide ver schwammen. Das Entsetzen griff mit imagi nären Eiskrallen nach meinem Herzen. »Ich sagte dir doch schon letztens, es ist der Fahrtwind, der uns alles verschwommen sehen läßt!« rief Sigurd, der mit flatterndem Umhang hinter der Steuersäule des Zugors stand. Ich vermochte erst wieder zu sprechen, als die Konturen der großen Pyramide klar und deutlich wie sonst auch zu sehen waren. »Es liegt nicht an den Augen, Sigurd«, er klärte ich. »Das Verschwimmen der Kontu ren der FESTUNG ist eine Folge von Di mensionseinbrüchen temporaler Natur.« »Diesen Ausdruck hast du schon einmal verwendet, Razamon«, sagte Bördo. »Aber ich weiß zu wenig über solche Dinge, um ihn zu verstehen.« Ich antwortete nicht gleich, denn abermals
34 verschwammen die Umrisse der großen Py ramide. Diesmal war der Vorgang deutlicher zu sehen, da wir uns der FESTUNG weiter genähert hatten. Deshalb erkannte ich auch, daß das Verschwimmen am stärksten im un teren Teil der Pyramide auftrat. Als die Konturen wieder klar hervortra ten, sagte ich: »Es wäre zu schwierig und zu zeitrau bend, dir das wissenschaftlich exakt erklären zu wollen, Bördo. Sagen wir so: Die Zeit ist eine Dimension unseres Kontinuums, die für uns im allgemeinen kontinuierlich verläuft. Aber unsere Sinne sind nicht fähig, die Zeit an sich zu erfassen. Wir brauchen Hilfsmit tel, um sie zu messen, beispielsweise die Be wegungen der Gestirne. Aber jenseits unserer Sinneswahrnehmun gen und jenseits der Möglichkeiten unserer Hilfsmittel existiert die Zeit als selbständige Größe – und zwar vom Anbeginn der Ewig keit bis zum Ende der Ewigkeit, und viel leicht sogar darüber hinaus. Gäbe es jeman den, der die Zeit als Ganzes überschauen könnte, er würde gleichzeitig alles Vergan gene und Zukünftige wahrnehmen, denn für die Zeit als Ganzes gibt es nichts Werdendes und nichts Vergehendes. Für sie existiert al les gleichzeitig. Glücklicherweise verhindern die Naturge setze, daß für Wesenheiten wie uns und für die uns bekannten Tiere und Pflanzen alles gleichzeitig existiert. Um ganz korrekt zu sein: Wir und das Leben, wie wir es kennen, konnte sich nur deshalb bilden und ent wickeln, weil die Zeitdimension nur indirekt auf das dreidimensionale Raumkontinuum wirkt, so daß wir mit und in unserem Konti nuum abgekapselt gegen Vergangenheit und Zukunft sind. Es kommt aber gelegentlich vor, daß Ein wirkungen hyperenergetischer Natur diese Abkapselung aufreißen. Dabei können so wohl Phänomene der Zukunft oder Vergan genheit in unser Kontinuum einbrechen als auch Phänomene unseres Kontinuums in die Zukunft oder Vergangenheit verschwinden. Das ist, wie gesagt, keine wissenschaftli
H. G. Ewers che Erklärung, denn die wäre mit Formeln und Berechnungen gespickt, die, hinterein ander geschrieben, dreimal um einen Plane ten wie die Erde reichen würden. Ich habe nur versucht, eine bildhafte Vorstellung zu erzeugen.« »Mir hat es gereicht«, meinte Sigurd. »Übrigens lande ich den Zugor gleich.« »Ich denke, ich habe es verstanden«, sagte Bördo. »Und du meinst, in der FESTUNG sei so etwas geschehen, Razamon?« »Ich bin ziemlich sicher, daß es so ist«, erwiderte ich. »Und ich denke, daß es sich um einen Dimensionseinbruch aus der Ver gangenheit handelt, bei dem eine Wesenheit aus der Vergangenheit in die FESTUNG verschlagen wurde.« »Wie kommst du darauf?« fragte Sigurd und setzte den Zugor sanft vor dem Haupttor der großen Pyramide auf. »Ich hatte Kontakt mit dieser Wesenheit«, erklärte ich wahrheitsgemäß. »Was?« rief Bördo mit glänzenden Au gen. »Mann, das ist ein Ding! Wie sah das Wesen aus, Razamon?« »Überhaupt nicht«, sagte ich. »Ich konnte es jedenfalls nicht sehen. Ich sagte ja auch nicht Wesen, sondern Wesenheit.« »Und diese Wesenheit ist noch in der großen Pyramide?« fragte Bördo gespannt. »Höchstwahrscheinlich«, gab ich zurück. »Doch jetzt ist nicht die Zeit zum Reden, sondern die Zeit zum Handeln.« Ich schwang mich aus der Flugschale. Sigurd stand im nächsten Moment neben mir, die Garpa mit beiden Händen stoßbereit gepackt und einen grimmigen Ausdruck im Gesicht. Auch Bördo schien zu glauben, daß ein Waffengang bevorstünde, denn er hatte den gleichen Ausdruck im Gesicht wie sein Va ter, und seine Rechte lag auf dem Knauf sei nes Schwertes. Ich schüttelte den Kopf. »Die Wesenheit trägt sich meiner Erfah rung nach nicht mit feindseligen Absichten. Sie hat mir sogar geholfen, aus der Dimensi onsüberlappung zu entkommen, in der sie
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offenbar festsitzt. Wir brauchen also nicht zu kämpfen, sondern müssen gemeinsam mit ihr überlegen, wie wir auch Atlan dort her ausbekommen.«
* Ich blickte wieder auf die glatte Metall plastikfläche des Schottes, das den Zugang zu den drei miteinander verbundenen Räu men darstellte. Die stilisierten Flammen waren nicht dar auf zu sehen. Das bedeutete aber nicht, daß es sie nicht gab – innerhalb der Ganzheit Zeit. Es bedeutete nur, daß die Dimensions überlappung das Schott nicht einbezogen hatte. »Dahinter ist es?« fragte Sigurd beklom men. Ich zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, als mir einfiel, daß ich, als ich den Saal der seufzenden Seelen auf dem Rückweg halb durchquerte, das Gefühl ge habt hatte, als streifte mich etwas. Atlan? Ich fröstelte. Es konnte nicht Atlan in seiner körperli chen Erscheinungsform gewesen sein, denn da ich durch den Schild Montfar gegen die Dimensionsüberlappung geschützt war, mußten wir uns in verschiedenen Zeiten be funden haben. Aber etwas von Atlan war es gewesen, da war ich mir plötzlich sicher. Sein Geist? Dazu hätte ich wissen müssen, was die Wissenschaft unter dem Begriff »Geist« ver stand. Aber bisher war der Wissenschaft Terras und der anderen galaktischen Zivili sationen eine exakte Definition dieses Be griffes noch nicht gelungen. Man nahm an, daß es sich um eine sechsdimensionale Kon stante handelte, die bei der Realisierung ei nes genetischen Kodes aus einer Art Pool auf das entstehende Lebewesen überging und beim Tode dieses Lebewesens dorthin zurückkehrte. Doch das war nur eine Hypo these und keine mit Beweisen untermauerte
Theorie. Immerhin, wenn der Geist eines Lebewe sens sechsdimensional war, dann gab es für ihn keine Beschränkung auf ein Augen blicksZeitfenster. Folglich hätten sich Atlans und meine sechsdimensionalen Konstanten berühren können, auch wenn uns Hunderte, Tausende oder Millionen Jahre trennten. »Fürchtest du dich?« fragte Bördo. »Sei nicht vorlaut, Junge!« rügte Sigurd. Ich atmete tief durch, dann erklärte ich: »Mir ist klar geworden, daß ich euch nicht mitnehmen kann. Ich muß allein gehen, denn ihr würdet nur ebenfalls von der Zeit überlappung eingefangen, da ihr keinen Temporalstabilisator besitzt wie ich.« »Einen was …?« fragte Sigurd. Bördo schrie leise auf und deutete auf das Schott. »Seht nur! Seht!« »Bei Hödurs Augen!« rief Sigurd. »Ein Zeichen!« Ich blickte erst verständnislos auf die Me tallfläche des Schottes, denn sie war so leer wie vorhin. Doch dann begriff ich, daß ich infolge meines Temporalstabilisators nicht sehen konnte, daß die Dimensionsüberlap pung auf das Schott übergegriffen hatte. »Ihr seht stilisierte Flammen, nicht wahr?« Sigurd und Bördo nickten, dann blinzelten sie und betasteten das Schott. »Sie sind wieder weg«, stellte Bördo fest. Ich atmete auf. »Ein Glück, daß die Überlappung nicht über das Schott hinausgegriffen hat, sonst wärt ihr wahrscheinlich eingefangen wor den. Wartet hier, aber zieht euch ein Stück zurück, wenn ihr erneut die stilisierten Flammen seht.« »Wie willst du Atlan herausholen?« fragte Sigurd. »Ich weiß es noch nicht«, gab ich zu. Entschlossen betätigte ich die Öffnungs automatik. Das Schott öffnete sich. Wie ich erwartet hatte, lag der Saal dahinter im Dun keln. Rasch trat ich ein, schaltete meine Ta schenlampe an und wartete darauf, daß das
36 Schott sich hinter mir schloß. Anschließend durchquerte ich den Saal der seufzenden Seelen, ging durch die Halle des Ungeheuers und betrat die Schatzkam mer. Ich war ein wenig enttäuscht darüber, daß es zwischen den sechsdimensionalen Konstanten Atlans und mir zu keiner Berüh rung gekommen war. Aber vielleicht gab es so etwas nur unter ganz bestimmten Voraus setzungen, die nicht die Regel, sondern die Ausnahme bildeten. »Schwert von Algyr?« flüsterte ich. Vor Erregung vermochte ich nicht lauter zu spre chen. Keine Antwort. »Bist du noch hier, Schwert von Algyr?« fragte ich. »Wenn ja, dann melde dich!« Als auch diesmal keine Antwort erfolgte, ahnte ich, daß der Schild Montfar gleich ei ner unsichtbaren Mauer zwischen der frem den Wesenheit und mir stand. Er isolierte mich praktisch in meiner Zeit, während die Wesenheit sich in der fremden Zeit befand. Leider war der Schild Montfar kein Ge genstand, den man einfach ablegen konnte. Er war etwas, das meinem Gehirn oder mei ner sechsdimensionalen Konstante aufge prägt war. Doch wie wurde man so etwas wieder los? Verzweifelt irrte ich durch die drei Räum lichkeiten, von denen ich wußte, daß sie in der Zone einer Dimensionsüberlappung la gen. Atlan, der durch keinen Temporalstabi lisator dagegen geschützt war, befand sich zwar wahrscheinlich an diesem Ort, aber in einer Zeit, die weit in der Vergangenheit oder Zukunft floß. Er war hier und doch nicht hier. Wie sollte ich ihn unter diesen Umständen befreien? Ich setzte mich und schaltete meine Lam pe aus. Wenn Atlan in der Dimensionsüberlap pung gefangen war, was würde er dann tun? Würde er nicht versuchen, diese Räumlich keiten zu verlassen? Konnte er sie überhaupt verlassen? Und wenn ja, würde ihm das überhaupt
H. G. Ewers etwas nützen? Würde er nicht dennoch Teil der Dimensionsüberlappung bleiben, so daß er auch draußen in der Zeit blieb, die durch den Dimensionseinbruch herübergekommen war? Ich merkte, daß ich noch viel zu wenig über das Wesen der Zeit wußte, um diese Fragen beantworten zu können. Es gab ein Regulativ, das Zeitparadoxa verhinderte. Das hatte sich am Beispiel Kennons gezeigt. Aber wie wirkte es im Einzelfall? Was be wirkte es im Fall Atlans? Mit einemmal wurde mir klar, wie ich an Atlans Stelle gedacht hätte. Ich hätte fest da mit gerechnet, daß er versuchen würde, mir zu helfen, denn er mußte ja früher oder spä ter darauf kommen, was mit mir geschehen war. So, wie ich darauf gekommen war, was mit ihm geschehen war. Wenn er die Berührung unserer sechsdi mensionalen Konstanten ebenfalls gespürt hatte, würde er dann nicht versuchen, eine Wiederholung herbeizuführen? Aber wo? Mein Blick fiel auf den Mittelpunkt des Saales der seufzenden Seelen. Er unter schied sich nur darin von dieser Stelle inner halb der Dimensionsüberlappung, daß ihm das schalenförmige Gefäß fehlte. Wenn das da, wo oder wann sich Atlan befand, eben falls der einzige Unterschied war – oder wenn er annahm, daß es für mich den einzi gen Unterschied darstellte –, dann würde er wahrscheinlich genau an dieser Stelle auf mich warten. Ich erhob mich und ging langsam auf den Mittelpunkt des Saales zu. Dabei fiel mir ein, daß ich in der benachbarten Halle die miniaturisierte Nachbildung des Ungeheuers gefunden und sie eingesteckt hatte. Ich griff in die Tasche meiner Montur, in der sie ver staut war – und griff ins Leere. Nachdem ich auch alle anderen Taschen durchsucht hatte, wußte ich, daß die Statuet te in der anderen Zeit zurückgeblieben war, als ich infolge der Temporalstabilisierung in meine Zeit zurückkehrte. Sie gehörte dem
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nach zu der fremden Zeit, die durch den Di mensionseinbruch herübergekommen war. Während dieser Überlegungen hatte ich den Mittelpunkt des Saales erreicht. Lang sam umkreiste ich ihn – und dann spürte ich die flüchtige Berührung, die ich schon ein mal gespürt hatte. Ich blieb sofort stehen, doch das Gefühl einer Berührung war bereits wieder geschwunden. Ich überlegte noch, in welche Richtung Atlans sechsdimensionale Konstante ver schwunden sein könnte, da kam das Gefühl der Berührung wieder. Und diesmal hielt es an …
11. Ich ahnte, daß ich unablässig zwischen ferner Vergangenheit und ferner Zukunft hin- und herpendelte, wobei die Örtlichkei ten wechselten. In der Vergangenheit befand ich mich in der großen Pyramide der FESTUNG von Pthor, während ich mich in der Zukunft an einem völlig anderen Ort befand, den ich nicht zu identifizieren vermochte, der aber nichts mit Pthor zu tun hatte. Ich zweifelte nicht daran, daß ich irgend wann in der Zukunft mein Leben an diesem anderen Ort verbringen würde, den ich lei der nur vage sah. Das gab mir Hoffnung, denn da sich dieser Ort nicht auf dem Di mensionsfahrstuhl befand, mußte ich irgend wann aus dem Teufelskreis der Dimensions überlappung ausbrechen, um ihn in der fer nen Zukunft meines Lebens zu erreichen. Was die Vergangenheit anging, so fragte ich mich, ob es sich tatsächlich um meine ei gene Vergangenheit handelte, denn ich konnte mich nicht erinnern, irgendwann ein mal wirklich in diesem Saal gewesen zu sein, als sich dort noch das schalenförmige Gefäß auf dem Boden befand. Aber was besagte das schon! Ich wußte, daß tief unter der Oberfläche meines Bewußtseins noch Erinnerungen an meine ferne Vergangenheit begraben lagen. Einige von ihnen waren durch bestimmte Er
eignisse wieder an die Oberfläche getragen, mir bewußt geworden. Die wichtigsten Erin nerungen aber schlummerten noch, und eini ge von ihnen mußten unmittelbar mit ver schiedenen rätselhaften Ereignissen zur Zeit des Untergangs von Atlantis zusammenhän gen – und zwischen Atlantis und dem Di mensionsfahrstuhl Pthor gab es geheimnis volle schicksalhafte Verbindungen. Ich gab es auf, länger darüber zu grübeln, sondern dachte darüber nach, wie es zu der Dimensionsüberlappung gekommen sein könnte. Es mußte einen Dimensionseinbruch temporaler Natur gegeben haben. So etwas kam ziemlich oft vor. Die Aufzeichnungen von Spukerscheinungen beruhten zum Teil auf solchen Ereignissen. Aber es kam sehr selten vor, daß ein sol cher Dimensionseinbruch sich stabilisierte – und das mußte hier der Fall sein. Ich war von den temporalen Kräften eingefangen worden und vermochte den Wirkungsbe reich der Dimensionsüberlappung nicht zu verlassen. Und das, obwohl ich das Schott vor mir sah, durch das ich hereingekommen war. Ich hielt das für ungewöhnlich, denn zeitliche Phänomene sollten eigentlich räumliche Veränderungen nicht ausschließen. Meiner Meinung nach ließ sich das nur damit erklä ren, daß ich, wenn ich diese drei Räume ver ließ, auf jeden Fall ein Zeitparadoxon her beiführen würde. Da es aber ein Naturgesetz gab, das echte (nicht scheinbare) Zeitpara doxa verhinderte, gab es einfach keine Schaltung für die Öffnungsautomatik des Schottes mehr. Jedenfalls nicht für mich. Ich lächelte bitter, als ich daran dachte, daß man mich einmal den Einsamen der Zeit genannt hatte. Jetzt war ich im wahrsten Sin ne des Wortes ein Einsamer der Zeit. Wieder einmal erlosch das Leuchten der Schale, und wieder einmal bewegten sich spukhafte Gestalten durch rötliches Däm merlicht, Gestalten, die transparent wurden, wenn ich sie intensiv ansah und durch die hindurch ich dann mit Goldornamenten und
38 Edelsteinen geschmückte Wände zu erken nen glaubte. Als die Schale abermals aufleuchtete und der Saal in helles Licht getaucht war, kon zentrierte ich mich auf andere Überlegun gen. Ich mußte so schnell wie möglich aus der Dimensionsüberlappung entkommen. Nicht nur, weil ich sonst in absehbarer Zeit verschmachtet wäre, sondern auch, weil »draußen« die Auseinandersetzung mit dem Dunklen Oheim ihrem Höhepunkt zustrebte und meine Freunde meine Hilfe dringender als je zuvor brauchten. Vor allem Razamon … Nach ihm hatte ich gesucht, bevor ich in die Dimensionsfal le geraten war – und die Dimensionsfalle be fand sich genau in jenen drei Räumen, in de nen ich den Pthorer vermutet und in Gefahr geglaubt hatte. Konnte es sein, daß er sich ebenfalls hier befand, nur in einer anderen Zeit als ich – oder in anderen Zeiten? Und gab es eine Möglichkeit, das herauszufinden? Er ist nicht hier. Zum erstenmal seit langer Zeit hatte sich mein Extrasinn also wieder gemeldet. Woher weißt du das? Es hat eine flüchtige Berührung zwischen euren sechsdimensionalen Konstanten statt gefunden, aber ihr habt euch dabei nicht ge sehen oder körperlich berührt. Folglich be findet sich Razamon auf einer anderen Zei tebene als du. Warum hast du mir das nicht gleich mit geteilt? Weil es unwesentlich ist. Damit meinte mein Extrasinn wohl, daß mir dieses Wissen nichts nützen könne. Aber Wissen konnte irgendwann immer einen Nutzen bringen, auch wenn sich das nicht vorhersagen ließ. Ich rief die Erinnerung an meine ersten Minuten in diesem Saal ins Bewußtsein. Ja, ich hatte das Gefühl gehabt, als streifte mich etwas – etwas Vertrautes und zugleich Fremdartiges. Wenig später hatte ich ein Ge räusch wie das Aufprallen von Metall gegen Metall wahrgenommen.
H. G. Ewers Das Schließen des Schottes? Ich schüttelte den Kopf. Das Schott hatte sich stets lautlos ge schlossen. Warum sollte das ein einziges Mal anders gewesen sein? Aber erst danach war es zu den Überlappungserscheinungen zweier verschiedener Dimensionen gekom men. Hatte ein energetischer Nebeneffekt der Schließung dieses Teufelskreises meine Sinne so getäuscht, daß sie glaubten, ein hal lendes Geräusch wahrzunehmen? Wieder erlosch das Leuchten der Schale. Ich schloß die Augen, da ich mich nicht ab lenken lassen wollte, denn ich hatte einen Denkansatz gefunden, der mir eine Lösung des Problems zu versprechen schien. Der Teufelskreis hatte sich geschlossen, nachdem Razamon sich von mir entfernt hatte. Angenommen, es war ihm gelungen, aus dem Bereich des Dimensionseinbruchs zu entkommen, was würde er dann unter nommen haben? Vorerst wahrscheinlich nichts. Aber in nerhalb der folgenden Stunden war ich be stimmt vermißt worden, entweder von ihm oder von den Göttersöhnen. Sie würden sich fragen, wo ich hingegangen war – und ir gendwann würden Razamon und Bördo zu sammenkommen und würde Bördo Raza mon sagen, daß ich ihn gesucht hatte, bevor ich verschwunden war und daß er, Bördo, mir verraten hatte, daß er ihn, Razamon, beim Abstieg in die Tiefen der großen Pyra mide beobachtet hatte. Da der Berserker ebensogut logisch den ken konnte wie ich, würde er zwei und zwei zusammenzählen und vermuten, daß ich auf der Suche nach ihm hierher gekommen war. Und wahrscheinlich hatte auch er das va ge Gefühl einer Berührung gehabt, als er diesen Saal durchquerte – und er würde dar auf kommen, daß dieses Gefühl von der flüchtigen Berührung unserer sechsdimen sionalen Konstanten verursacht worden war. Schließlich hatten wir beide in ruhigen Stun den viel über Körper und Geist diskutiert und über die wissenschaftliche Hypothese, die sich mit einem Reservoir aus sechsdi
Die Dimensionsfalle
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mensionaler Energie und seiner Beziehung zu allen Lebewesen auseinandersetzte. Da ich – anders als er – verschwunden ge blieben war, würde er nicht daran zweifeln, daß ich in einer Dimensionsüberlappung ge fangen saß, und er würde das gleiche tun, das ich im umgekehrten Fall tun würde. Er würde versuchen, mich zu befreien. Abermals leuchtete das schalenförmige Gefäß auf. Mir wurde plötzlich klar, daß dieser Saal sich von dem in meiner Normal zeit nur durch die Anwesenheit dieser Scha le unterschied. Razamon würde das eben falls feststellen – und damit war der Punkt vorgegeben, an dem wir uns treffen konnten, ohne uns zu sehen oder zu hören. Wir muß ten uns einfach beide ständig im Mittelpunkt des Saales aufhalten. Ich ging zu der Schale hinüber. Als ihr Leuchten erlosch, schloß ich wieder die Au gen – und als heller Lichtschein durch meine Lider drang, öffnete ich sie wieder. Ich war nur noch drei Schritte von der Schale entfernt. Langsam ging ich weiter, erreichte die Schale und umrundete sie. Plötzlich war das Gefühl einer Berührung wieder da – und dann war es auch schon wieder weg. Das war nicht verwunderlich. Razamon und ich hatten uns bewegt und uns vonein ander entfernt, bevor wir stehenbleiben konnten. Wir würden uns aber bald wieder finden. Da sah ich ein kleines grünschimmerndes Gebilde in der Luft schweben, die Abbil dung eines Ungeheuers, zusammengesetzt aus zahllosen winzigen grünen Kristallen. Aber wie konnte so etwas in der Luft schweben? Im nächsten Moment wußte ich es – und ich ging darauf zu, blieb dicht davor stehen und atmete auf, als das Gefühl der Berüh rung wiederkam und blieb …
* In der Luft blitzten plötzlich zahllose win zige Lichtpünktchen auf. Ich hatte das Ge
fühl, als bräche das Universum auseinander – und im nächsten Moment wußte ich, daß tatsächlich ein kleiner Teil eines wichtigen Gefüges des Universums zerbrochen war. Anders wäre es nicht möglich gewesen, daß Atlan und ich uns gemeinsam auf einer Zeitebene wiedergefunden hatten. Die Frage war nur, auf welcher. Unter uns hüllte eine unbewegte Nebeldecke die Beine bis zu den Knien ein. Rings um uns standen in einer Entfernung von rund zehn Metern weiße Nebelwände – und etwa drei Meter über unseren Köpfen schos sen Wolkenschleier mit rasender Geschwin digkeit dahin, ohne daß wir auch nur den ge ringsten Luftzug spürten. Gleichzeitig glomm Zweifel in den Augen des Freundes auf – und gleichzeitig streck ten wir uns die Hände entgegen, um zu prü fen, ob der Freund real oder nur eine Projek tion war. Atlans Hand faßte sich so fest an wie im mer, und in seinen Augen verschwand der Zweifel – wie sicherlich in meinen auch. »Razamon!« sagte er. »Atlan!« erwiderte ich. Er lächelte zuversichtlich. »Anscheinend befinden wir uns auf einer zeitneutralen Ebene«, sagte er. »Anders war die Begegnung wohl nicht möglich. Übri gens fand ich dich dank einer grünen Statu ette wieder, die jetzt allerdings verschwun den ist.« »Das Ungeheuer!« entfuhr es mir. Ich griff in die Tasche, in der ich es schon einmal vergeblich gesucht hatte. Auch dies mal war es nicht da. »Es kann ja nicht da sein«, meinte Atlan. »Aber warum nanntest du die kleine Tierfi gur Ungeheuer?« »Weil es sich um die miniaturisierte Nachbildung eines riesigen Ungeheuers han delt, dem ich in der Halle neben dem Saal der seufzenden Seelen begegnete.« Atlan wölbte die Brauen. »Seufzende Seelen …? Nun, ja, wir haben wohl recht unterschiedliche Erlebnisse ge habt, mein Freund.«
40 »Eigentlich fing alles mit einem Traum an«, erklärte ich. Und ich berichtete, was ich in meinem Traum erlebt hatte und wie ich die drei Räume in der Wirklichkeit vorfand. Atlan wurde ernst. »Ich glaube, alles hängt mit dem Kampf des Dunklen Oheims um seine Existenz zu sammen«, meinte er. »Anscheinend werden dabei Kräfte von Wesenheiten geweckt, die in ferner Vergangenheit in Pthor eingingen und sich teilweise erhalten haben.« »Aber warum sollte eine Wesenheit aus ferner Vergangenheit ausgerechnet mich ge gen die Dimensionsüberlappung schützen?« erwiderte ich. »Zwischen uns gibt es doch gar keine Beziehung.« Der Arkonide legte mir den Arm um die Schultern. »Vielleicht doch. Es wäre immerhin mög lich, daß sich seine und deine sechsdimen sionalen Konstanten in ferner Vergangenheit begegneten. Deine sechsdimensionale Kon stante könnte damals zu einem anderen Le bewesen gehört haben, vielleicht einem Mächtigen von Pthor, dessen Gebeine längst vermodert sind.« Ich erschauderte. »Dann sind manche Träume möglicher weise Erinnerungen der sechsdimensionalen Konstante des betreffenden Wesens an frü here Existenzen. Atlan, das ist ungeheuer lich!« »Es ist tröstlich, Razamon«, widersprach Atlan. »Es ist tröstlich, zu wissen, daß alles Leben im Universum von Ewigkeit zu Ewig keit durch ein unzerstörbares Band mitein ander verbunden ist, daß es immer wieder aus derselben Quelle schöpft und wieder in dieselbe Quelle zurückkehrt.« Nach einer Weile fügte er lächelnd hinzu: »Aber wir wollen uns nicht länger in me taphysischen Betrachtungen ergehen, son dern überlegen, wie wir in unsere Realzeit zurückkehren können. Durch den Kontakt unserer sechsdimensionalen Konstanten bin ich offenbar Mitbenutzer deines Temporal stabilisators geworden. Da seine Leistungs kapazität jedoch nicht ausreicht, um zwei
H. G. Ewers Personen in ihre Realzeit zurückzubringen und dort zu halten, müssen wir den Kontakt lösen.« Bevor ich etwas sagen konnte, trat er rasch einige Schritte zurück. »Atlan!« rief ich und wollte ihm folgen. Doch ich lief lediglich ein paar Schritte durch einen Saal, in dem sich außer mir nie mand befand. Ich streckte die Hände in dem vergeblichen Versuch aus, Atlan nachzuzie hen. Doch ich war infolge meines Temporal stabilisators in meiner Realzeit, während At lan auf einer zeitneutralen Ebene gefangen war. Ich stutzte. Wenn ich in meiner Realzeit weilte und wenn auch dieser Saal zur Realzeit gehörte, dann hätte seine Beleuchtung brennen müs sen. Das tat sie jedoch nicht – und sie hatte es auch nicht getan, als ich den Saal zum zweitenmal betreten hatte. Die Dunkelheit wurde nur durch meine Lampe erhellt, die ich unverändert in der linken Hand hielt. Plötzlich öffnete sich das Schott. Auch dahinter war es dunkel – jedenfalls für mei ne Augen. Und aus der Dunkelheit kamen Sigurd und Bördo herein in den Wirkungs bereich der Dimensionsüberlappung. »Nein!« rief ich. »Kehrt um, bevor es zu spät ist!« Krachender Donner hallte durch den Saal. Der Boden schwankte, so daß ich Mühe hat te, mich auf den Beinen zu halten. Im nächsten Augenblick wurde es schlag artig hell – und wenige Schritte neben mir stand Atlan, ein undefinierbares Lächeln auf dem Gesicht. »Du wolltest dich opfern«, sagte ich vor wurfsvoll zu ihm. Er schüttelte den Kopf. »Nur, wenn es gar nicht anders gegangen wäre, Razamon. Aber ich hoffte, daß deine sechsdimensionale Konstante mich nachzie hen würde, weil auch meine inzwischen durch deinen Temporalstabilisator aufgela den worden war. Wie du siehst, hat sich die se Hoffnung erfüllt.«
Die Dimensionsfalle
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Ich sah ihn genauer an. Meine Augen wei teten sich. »Du hast Schnee auf deinem Haar, Atlan! Schnee! Wo kommst du her?« Er lächelte versonnen. »Mein Weg war weit, mein Freund, aber wie du siehst, habe ich keine Zeit verloren.« »Bördo und ich sind sehr froh, dich wie der zu sehen, Atlan«, sagte Sigurd. »Ihr hät tet in euer Verderben laufen können«, erwi derte ich. »Ich sagte doch, ihr solltet drau ßen auf mich warten.« »Bördo meinte, je mehr Elemente der Realzeit in den Bereich des Dimensionsein bruchs gebracht würden, um so schneller würde er wieder verschwinden«, erklärte Si gurd. »Und das traf ja auch zu«, sagte Atlan. »Vielmehr wirkte alles zusammen. Ich dan ke euch. Gehen wir in mein Quartier! Dort können wir uns mit einem Glühwein aufwär men und du kannst mir berichten, was ihr in der Ebene von Kalmlech festgestellt habt, Sigurd.« Entgeistert sah ich, als er seine Hände rieb, daß sie rotgefroren waren. Er mußte in der vergleichsweise winzigen Zeitspanne, die zwischen meinem Verschwinden von der zeitneutralen Ebene und dem Rückgang des Dimensionseinbruchs vergangen war, Tage, Wochen oder Monate in einer fernen Zeit und auf einer anderen Welt gewesen sein. Doch offenkundig wollte er nicht darüber sprechen.
12. Nachdem wir uns an einem hervorragen den Glühwein gelabt hatten und Sigurd und Bördo ihren Bericht gegeben hatten, sagte der Arkonide nachdenklich: »Es scheint, als hätte ich mit dem Parra xynt-Schlüssel den schwarzen Kern von Pthor so verändert, daß sich völlig neue Ge schehnisse anbahnen. Möglicherweise wur de dadurch auch erst der Dimensionsein bruch verursacht.« Er runzelte die Stirn, setzte das halbge
füllte Glas, das er gerade zum Mund heben wollte, ab und sah mich fragend an. »Was hast du dort unten in den drei Räu men erlebt, Razamon?« »Das sagte ich doch schon«, erwiderte ich. »Ich betrat den Saal der seufzenden See len, wurde von einem geflügelten Wesen an gegriffen, flüchtete in die benachbarte Halle und schlich an einem Ungeheuer vorbei. Es erwachte zwar dabei, aber ich konnte in die Schatzkammer entkommen. Herrliche Edel steine waren dort angehäuft! Na, ja! Dann rief jemand meinen Namen und ich … und ich …« Ich schüttelte den Kopf. »Dann bist du erwacht«, ergänzte der Ar konide. »Ja!« rief ich überrascht. »Dann bin ich erwacht! Aber dann war das ja nur mein Traum!« »Du erinnerst dich also auch nicht mehr an das, was im Bereich der Dimensionsüber lappung tatsächlich geschah?« fragte Atlan. »Es geht mir nicht besser, mein Freund. Im mer, wenn ich mich zu erinnern versuche, glaube ich, einen Zipfel der Ereignisse fas sen zu können. Doch dann entgleitet er mir wieder.« »Aber es war doch real, was wir erleb ten«, erwiderte ich. »Oder doch nicht?« »Es war durchaus real«, erklärte Atlan und betrachtete seine Hände. »Zwei Frost beulen, abgebrochene Fingernägel, Risse in der Haut und Füße, die, hm, dringend eines Bades bedürfen. Das sind Realitäten, die ich mir nicht auf dem Pthor der Realzeit geholt habe.« »Aber warum entgleiten uns dann die Er innerungen?« sagte ich zu mir selbst. Ich versank in dumpfes Brüten. Etwas von den Erlebnissen im Bereich der Dimen sionsüberlappung wollte in mein Bewußt sein aufsteigen, aber es erreichte niemals die Oberfläche. Nachdenklich schob ich die Hand in eine Außentasche meiner Montur – und plötzlich zuckte ich zusammen. Ich hatte einen harten Gegenstand ertastet, der sich völlig fremd anfühlte.
42 Langsam zog ich ihn ins Freie. Es handelte sich um eine kleine Statuette, eine aus zahllosen funkelnden grünen Kri stallen zusammengesetzte Nachbildung ei nes fremdartigen Tieres. »Das Ungeheuer!« rief Atlan. »Das Ungeheuer?« wiederholte ich. Es schien, als drängte sich eine Erinnerung an die Oberfläche meines Bewußtseins, doch wieder schaffte sie es nicht. »Was weißt du darüber, Atlan?« Er schüttelte den Kopf. »Nichts, Razamon. Ich habe keine Ah nung, warum ich die Abbildung dieses klei nen Tieres Ungeheuer nannte. Ein Impuls, mehr nicht. Aber du hast die Statuette nie mals vor den Ereignissen in der Dimensions überlappung besessen. Folglich brachtest du sie von dort mit.« »Also ein weiterer Beweis dafür, daß un sere Erlebnisse real waren«, stellte ich fest. »Aber warum können wir uns dann nicht an sie erinnern?« »Vielleicht würde sonst ein Zeitparado xon entstehen, wer weiß«, meinte der Arko nide. »Ich wollte, ich hätte bei euch sein und eure Abenteuer miterleben können!« rief Bördo mit leuchtenden Augen. »Pah!« machte Sigurd. »Was hättest du von Abenteuern, an die du dich hinterher nicht erinnern kannst!« Atlan lachte. »Das nenne ich Pragmatismus!« Er wurde wieder ernst. »Aber, weil ich schon von Pragmatismus rede, ich denke, wir sollten nach einer angemessenen Ruhepause wieder unseren Aufgaben nachgehen. Ihr, Sigurd und Bördo, werdet euch um die Ergebnisse in der Ebene von Kalmlech kümmern! Du, Razamon, solltest die Siedler von Achternay nicht allzu lange warten lassen, denn sie werden sich der Ungeheuer wegen nicht aus ihrem Dorf trauen! Und ich werde mit einem Zugor die vier Materiebrücken aufsuchen, die sich in der Nähe der Stadt Moondrag, nördlich der Feste Grool und jenseits des Blutdschungels zwischen Pthor und dem al
H. G. Ewers lernächsten Dimensionsfahrstuhl gebildet haben. Ich muß wissen, was dort vorgeht, und ob die Bewohner vielleicht eine zweite Invasion Pthors planen.« Er trank sein Glas leer, dann meinte er mit um Entschuldigung bittendem Lächeln: »Erlaubt, daß ich mich zurückziehe, um ein Bad zu nehmen. Ich fühle mich, als hätte ich einige Wochen lang nicht gebadet.« Er musterte mich. »Wie fühlst du dich, Raza mon?« Ich zuckte die Schultern. »Recht gut, Atlan. Nur müde bin ich.« Erst da fiel mir auf, daß das Gefühl des körperlichen Verfalls und der zunehmende Schwäche, das mich seit dem Verschwinden des Zeitklumpens befallen hatte, nicht mehr vorhanden war. Ich tastete an meinem Bein herab, aber der Zeitklumpen war nicht zurückgekehrt. Als ich aufsah, begegnete ich einen wis senden Blick Atlans. Ich seufzte. »Nun, ja, ich wollte mich zum Sterben ins Taamberg-Massiv zurückziehen, das stimmt. Aber jetzt fühle ich mich wieder völlig ge sund.« Atlan lächelte. »Es freut mich, daß die Zeitkur dir gehol fen hat, Razamon.« Er lachte und entfernte sich in Richtung seiner Hygienezelle. Ich erhob mich ebenfalls. »Fragt mich bitte nichts!« bat ich Sigurd und Bördo, denn ich sah ihnen an, daß sie mich am liebsten in ein Kreuzfeuer von Fra gen genommen hätten. »Auch ich werde ba den, ein paar Stunden schlafen und dann wieder meinen Pflichten nachgehen.«
* Der neue Morgen graute, als ich mit ei nem Zugor in Achternay eintraf. Die Siedler hatten ihr Dorf noch stärker verbarrikadiert und auf dem freien Platz in der Mitte ein Feuer angezündet, um das ver mummte Gestalten saßen. Außerdem stan den an jeder Barrikade Wachen.
Die Dimensionsfalle Ich hielt das für übertrieben, denn die Un geheuer, deren Zahl allerdings auf minde stens hundert angewachsen war, hielten sich außerhalb der Felder auf Achternay auf und erweckten auch nicht den Eindruck, als wollten sie irgendwann das Dorf stürmen. Als ich mit dem Zugor auf dem Dorfplatz landete, stürzten Bauern aus allen umliegen den Häusern und umringten mich. Mondar erschien wenig später, bahnte sich einen Weg durch die anderen Männer und schüttelte mir die Hand. »Wir dachten schon, du kämst nie zurück, Razamon«, sagte er. Er ahnte ja nicht, daß seine Befürchtung beinahe eingetroffen wä re. »Wie du siehst, hält ein Mitglied der Fa milie Knyr sein Wort«, erwiderte ich. »Sie kommen!« schrie ein Wachtposten von einer der Barrikaden. »Die Ungeheuer greifen an!« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Sie werden gemerkt haben, daß ich wieder da bin. Ich gehe ihnen entgegen.« Ich beeilte mich, denn es war nicht auszu schließen, daß die Ungeheuer die Barrikaden niedertrampelten, nur um in meine Nähe zu kommen, wenn ich ihnen nicht zuvorkam. Als ich die Barrikade erreichte, von der der Ruf gekommen war, sah ich sie: eine rie sige Masse aus dunkelgrauen, schwarzen, braunen und gefleckten Leibern, die sich auf das Dorf zuwälzte. Schnell sprang ich über die Barrikade und lief den Monstren entgegen. Für einen Mo ment überlegte ich, wie ich mich wohl in Si cherheit bringen sollte, wenn ich mich geirrt hatte und die Wesen mir nicht mehr ge horchten. Doch als ich die Arme hob, kamen sie in einer gewaltigen Staubwolke wenige Meter vor mir zum Stehen. Ich hatte mir bereits während des Fluges überlegt, was ich mit den Ungeheuern aus den Horden der Nacht anstellen sollte. Eine echte Verständigung schien nach allen bis herigen Erfahrungen unmöglich zu sein. Doch dann hatte ich mich daran erinnert,
43 daß ich Ähnliches vor mehr als zehntausend Jahren schon einmal erlebt hatte. Es war die Zeit gewesen, als der Stamm der Berserker beim Dunklen Oheim noch nicht in Ungnade gefallen war und es unsere Aufgabe war, die Horden der Nacht zu dirigieren. Uns Berserkern hatten damals die Horden der Nacht genauso selbstverständlich ge horcht, wie sie jetzt mir gehorchten. Soweit mit meinen Überlegungen gekom men, war in mir der schreckliche Verdacht aufgekeimt, ob der Dunkle Oheim mich und meine Stammesgenossen abermals als seine Werkzeuge einzusetzen gedachte. Vielleicht, um durch die Horden der Nacht alle Bewoh ner Pthors vernichten zu lassen, die sich ge gen ihn stellten. So etwas durfte ich natürlich auf keinen Fall zulassen, und deshalb hatte ich mir eine entsprechende Taktik zurechtgelegt. »Noch ist es nicht soweit!« rief ich den Ungeheuern – absichtlich vage formuliert – zu. »Ihr müßt noch kurze Zeit hier warten. Ich werde nur einen von euch mit zum Taamberg-Massiv mitnehmen – vorerst je denfalls.« »He!« rief Mondar, der mir nachgekom men war. »Das geht aber nicht, daß du uns die Bestien hierläßt! Nimm sie gefälligst alle mit!« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe meine Gründe, vorerst nur ei nes dieser Wesen mitzunehmen, Mondar.« »Das ist mir egal!« beharrte der ehemali ge Flußpirat auf seinem Standpunkt. »Du nimmst deine Bestien mit!« »Es sind nicht meine Bestien«, erwiderte ich. »Sie sind zu eurem Dorf gekommen, nicht zu mir. Vergiß das nicht! Ich habe nur versucht, euch zu helfen – und immerhin ha be ich die Wesen von eurem Dorf und von euren Feldern ferngehalten.« »Hättest du den Göttersohn Sigurd ge währen lassen; er hätte sie alle getötet«, ent gegnete Mondar. »Das bezweifle ich. Sigurd hatte zwar den Mut dazu, aber gegen diese ganze Herde hätte auch er nichts ausrichten können.«
44 Ich bahnte mir einen Weg zwischen den zuvorderst stehenden Ungeheuern hindurch zu einem, der einem pferdegroßen Dober mann mit mächtigen Hauern glich. Es sah mir ganz danach aus, als könnte es schnell und ausdauernd laufen. Die anderen Ungeheuer machten ihm be reitwillig Platz. Vor dem Dobermannähnlichen blieb ich stehen und sagte: »Du wirst mich zum Taamberg begleiten. Wenn ich nachher mit einem Zugor das Dorf verlasse, läufst du mir nach. Ich werde so niedrig fliegen, daß du mich nie aus den Au gen verlieren kannst.« Das Wesen sah mich aus großen Augen an. Das blieb seine ganze Reaktion. Ich war jedoch sicher, daß es mich verstanden hatte und meine Anordnung wortgetreu befolgen würde. Als ich zurückging, stellte Mondar sich gemeinsam mit drei Bauern mir in den Weg. »Es tut mir leid, Razamon«, erklärte er verlegen. »Aber ich trage die Verantwortung für Achternay und seine Bewohner. Deshalb kann ich nicht zulassen, daß du dich entf ernst, es sei denn, du würdest die Ungeheuer alle mitnehmen.« »Wie willst du verhindern, daß ich mich entferne?« erkundigte ich mich freundlich. Er wurde noch verlegener. »Wir müßten dich festhalten, Razamon.« »Also Gewalt anwenden«, erwiderte ich. »So funktioniert es nicht, Mondar. Erstens würde ich ganz allein mit euch fertig wer den, und zweitens würden die Ungeheuer al le über euch herfallen, sobald auch nur einer von euch mich angreift. Das aber würde euch noch mehr leid tun, als wenn ich allein wegginge.« Mondar senkte den Kopf. »Wir fürchten uns nicht«, erklärte einer der Bauern. »Nun, wenn ihr den Tod nicht fürchtet, dann haltet mich auf!« erwiderte ich und ging an Mondar und den Bauern vorbei auf das Dorf zu. »Razamon!« rief der ehemalige Pirat mir
H. G. Ewers nach, als ich gerade die nächste Barrikade erreicht hatte. Ich drehte mich um. »Ja?« »Sie zertrampeln unsere Felder, Raza mon! Kannst du sie nicht wegschicken?« Ich nickte. »Entfernt euch!« rief ich den Ungeheuern zu. »Haltet euch fern von diesem Dorf und seinen Feldern! Wartet ab, bis ich zurück kehre und gehorcht bis dahin niemand ande rem!« Gehorsam drehte die Herde sich um und trabte davon. Nur der Dobermannähnliche blieb. Ich winkte Mondar zu, dann ging ich zu meinem Zugor und stieg unter den mehr oder weniger mürrischen Blicken der Bau ern ein. Dann startete ich und flog zu dem Dobermannähnlichen hinüber. Dort angekommen, legte ich den Zugor auf die Seite, so daß das Ungeheuer mich sah und winkte. »Lauf, Höllenhund!« rief ich ihm zu. Ich beschleunigte, und das Monstrum jag te dem Zugor in weiten Sprüngen nach …
* »Hallo, Atlan!« tönte ein Ruf an meine Ohren. Ich blickte mich um, sah aber niemanden in der Nähe meines Zugors. Deshalb verließ ich meinen Platz hinter der Steuersäule, ging zum Rand der Flugschale und beugte mich hinüber. Ungefähr hundert Meter unter mir und fünfzig Meter über dem Boden entdeckte ich einen anderen Zugor. Er flog genau in meine Richtung – und hinter der Steuersäule stand Razamon und winkte. Weit hinter Razamons Zugor sah ich eine riesige hundeähnliche Kreatur, die mit weit heraushängender Zunge hinter dem Zugor des Berserkers herhetzte. Ich winkte zurück. »Wohin fliegst du, Razamon?« »Zum Taamberg!« rief er zurück. »Ich
Die Dimensionsfalle biege gleich wieder ab.« »Ich fliege zur Küste der Stille hinter der Feste Grool«, gab ich zurück. »Übrigens jagt ein Schoßhund hinter dir her.« Razamon lachte schallend. »Das ist mein Höllenhund. Er ist zurück gefallen, weil ich das Tempo gesteigert hat te. Viel Glück, Atlan!« »Viel Glück, Razamon!« Ich beobachtete, wie die Flugschale des Berserkers zurückfiel und nach Steuerbord ausscherte. Allmählich holte das Ungeheuer wieder auf. Ich kehrte an die Steuersäule zurück, überprüfte den Kurs und erhöhte die Ge schwindigkeit etwas. An Steuerbord ragten die Gipfel des Taamberg-Massivs aus einer Dunstschicht. Sie waren infolge des trüben Lichts, das der Wölbmantel abgab, nur sche menhaft zu erkennen. Bis zur Feste Grool hatte ich noch ungefähr dreihundert Kilome ter zu fliegen. Sie war allerdings nicht mein Ziel. Das war der Abschnitt der Küste der Stille, der westlich von ihr lag. Während des Fluges gab es nichts weiter zu tun, als die Umgebung im Auge zu behal ten. Das füllte einen Mann wie mich natür lich nicht aus. Deshalb schweiften meine Gedanken schon bald ab. Ich dachte an die zahllosen Abenteuer, die ich auf Pthor und an vielen anderen Orten innerhalb und außerhalb der Schwarzen Ga laxis bestanden hatte. Viele Erlebnisse wa ren so grauenvoll gewesen, daß ich mir wünschte, ich könnte sie für immer verges sen. Doch wegen meines photographischen Gedächtnisses vermochte ich sie lediglich ins Unterbewußtsein zu verbannen. Aber sie alle würden früher oder später wieder hoch kommen und mich psychisch zermürben, wenn ich sie mir nicht von der Seele redete. Niemals vor der Zeit, als ich das neue At lantis beziehungsweise den Dimensionsfahr stuhl Pthor betrat, hätte ich mir vorgestellt, daß es so etwas wie den Dunklen Oheim, seine Neffen und die alles vergiftenden schwarzen Kerne der Sonnen in der Schwar zen Galaxis geben könnte.
45 Dieses finstere Reich, das der Dunkle Oheim sich geschaffen hatte, war so unge heuer monströs und entsetzlich, daß man es mit der biblischen Hölle vergleichen konnte. Die Wesen, die darin gelebt hatten, waren wahrhaftig durch eine Art Fegefeuer gegan gen. Ich wußte von Kennon, daß meine Tage auf Pthor gezählt waren – und dementspre chend mußten auch die Tage des Dunklen Oheims gezählt sein, denn es war für mich unvorstellbar, daß ich Pthor verlassen wür de, bevor diese Monstrosität ausgelöscht war. Rund zwei Jahre nach dem ersten Betre ten Pthors, so hatte mir Kennon verraten, würde ich in die heimatliche Milchstraße und zu meiner Wahlheimat Terra zurück kehren. Ich freute mich auf das Wiedersehen mit alten Freunden, obwohl ich, wie ich zugeben mußte, auch auf Pthor Freunde besaß. Selt samerweise konnte ich ohne Groll daran zu rückdenken, daß ich während dieser Zeit ge schunden, gehetzt, gefoltert und verfolgt worden war, daß ich gefroren und gehun gert, geschwitzt und gedürstet hatte, daß ich von Wind und Wetter und von unvorstellba ren Strapazen ausgelaugt worden war und daß ich mich selbst immer wieder auf der Jagd nach den Geheimnissen der Schwarzen Galaxis restlos verausgabt hatte. So war eben mein Leben. Ich konnte nicht ruhen, wenn es wichtige Probleme zu lösen gab. Ich mußte mich immer voll einsetzen, einschließlich des eigenen Lebens. Als vor mir die weite stille Fläche des Dämmersees auftauchte, schob ich alle diese Gedanken beiseite. Vom Dämmersee war es nicht weit bis zur Feste Grool und zu jener Materiebrücke, die sich zwischen Pthor und dem nächsten Nachbarn gebildet hatte, als sich durch die Erschütterungen eines etwas unsanften Kontakts Teile beider Dimensi onsfahrstühle gelöst und vereinigt hatten. Ich straffte mich und spähte nach Westen …
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H. G. Ewers
* Diesmal erblickten wir die ersten Dreiäu gigen schon weit östlich des Blutdschungels. Es waren ungefähr siebzig Wesen, die über einen ausgetrockneten Salzsee in der Ebene von Kalmlech marschierten. Natürlich marschierten sie nicht in einer Kolonne, aber für das sture und monotone Gleichmaß ihres Ganges, der keine Ermü dung zu kennen schien, gab es kein besseres Wort als Marschieren. »Fangen wir wieder einen, Vater?« fragte Bördo. »Ja, aber wir nehmen ihn nicht mit«, er widerte ich. »Wir fragen ihn nur nach dem Weg.« Bördo lachte darüber. Ich steuerte den Zugor tiefer und hielt nach einem Dreiäugigen Ausschau, der weit abseits der anderen Fremden marschierte. Als ich ihn gefunden hatte, flog ich auf ihn zu. Bördo fing ihn in gewohnter Manier mit einem Lasso ein. Gemeinsam schleppten wir den sich heftig sträubenden Fremden zum Zugor und legten ihn an eine der dort ange brachten Ketten. Er kämpfte verbissen dage gen an, so daß ihm bald Schaum vor den Mund trat. »Vielleicht lassen wir dich frei, wenn du uns eine Frage beantwortest«, sagte ich, als die Verzweiflung des Dreiäugigen stark ge nug geworden war. Erneut rannte er gegen seine Fessel an, dann gab er es auf. »Stelle deine Frage!« stieß er atemlos her vor. »Sage mir, ob du auch zum Oheim willst?« fragte ich. »Ja!« schrie das Wesen. »Und ich darf keine Zeit verlieren!« Ich öffnete seine Fessel – und im nächsten Moment stürmte er vehement davon. »Los, wir folgen ihm!« rief ich Bördo zu. Wir schwangen uns in den Zugor. »Darf ich mal steuern, Sigurd?« fragte
mein Sohn. Als ich nickte, stellte er sich auf den Sockel hinter der Steuersäule, während ich mich ans Heck setzte. Bördo bewies, daß er einen Zugor ebenso gut steuern konnte wie ich. Er folgte unse rem ehemaligen Gefangenen in geringer Entfernung und Höhe. Der Dreiäugige schien es nicht einmal zu bemerken. Er stürmte mit gesenktem Kopf weiter. Als er zu den anderen Fremden auf geholt hatte, wurde er wieder langsamer. »Wenn die Burschen ihre Richtung beibe halten, weißt du, wohin sie dann kommen?« fragte Bördo mich bedeutungsvoll. »Zum Mittelpunkt der Ebene von Kalm lech, Junge. Aber das muß ihr Ziel nicht sein. Sie könnten genauso gut zur FE STUNG wollen.« »Aber wenn der Mittelpunkt ihr Ziel ist …«, erwiderte Bördo. Ich erschauderte, denn ich wußte, was mein Sohn meinte. Im Mittelpunkt der Ebe ne von Kalmlech befand sich jener unheim liche Krater, aus dem vor gar nicht langer Zeit die neuen Horden der Nacht emporge stiegen waren. Es war nicht nur unheimlich dort, sondern auch gefährlich. Aber was es zu bedeuten hatte, daß die dreiäugigen Fremden, die überhaupt nicht von Pthor stammten, dorthin marschierten – wenn der Krater ihr Ziel war – das vermochte ich mir nicht vorzustellen. Doch wenn es so war, dann mußten wir es herausfinden. Deshalb hielten wir uns stur hinter den Fremden. Es war schon Abend, als Bördo und ich am Horizont den düsteren Kraterwall auftau chen sahen. Und wir sahen auch, daß sich von überallher, aus allen Richtungen, Wesen diesem Kraterwall näherten. Es sah von wei tem so aus, als würden diese Wesen von un sichtbaren Fäden zum Krater hingezogen. »Unsere Vermutung trifft also zu«, sagte Bördo tonlos. »Diese Wesen kommen zum Krater und verschwinden darin. Aber warum meinen sie dann, sie müßten zum Oheim?« »Das mußt du entweder den Oheim selbst
Die Dimensionsfalle
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fragen – oder du mußt warten, bis wir es herausgefunden haben, Bördo«, erwiderte ich so forsch wie möglich. Aber ich fühlte mich gar nicht forsch, sondern beklommen und von düsteren Ah nungen ergriffen. Was würde uns dort bei oder in dem Kra
ter erwarten – und würden wir dieses Rätsel lösen oder doch noch umkommen? Die nächsten Stunden mußten es zeigen.
ENDE
Weiter geht es in Atlan-Band 494 von König von Atlantis mit: Krater der toten Seelen von H. G. Ewers