Franziska Weis Determinanten des Kundenanteils in industriellen Geschäftsbeziehungen
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Franziska Weis Determinanten des Kundenanteils in industriellen Geschäftsbeziehungen
GABLER RESEARCH Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung Editorial Board: Prof. Dr. Dieter Ahlert, Universität Münster Prof. Dr. Heiner Evanschitzky, University of Strathclyde/UK Dr. Josef Hesse, Schäper Sportgerätebau GmbH Prof. Dr. Gopalkrishnan R. Iyer, Florida Atlantic University/USA Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller, Universität Dortmund Prof. Dr. Gustavo Möller-Hergt, Technische Universität Berlin Prof. Dr. Lou Pelton, University of North Texas/USA Prof. Dr. Arun Sharma, University of Miami/USA Prof. Dr. Florian von Wangenheim, Technische Universität München Prof. Dr. David Woisetschläger, Universität Dortmund
The book series ”Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung“ is designated to the transfer of top-end scientific knowledge to interested practitioners. Books from this series are focused – but not limited – to the field of Marketing Channels, Retailing, Network Relationships, Sales Management, Brand Management, Consumer Marketing and Relationship Marketing / Management. The industrial focus lies primarily on the service industry, consumer goods industry and the textile / apparel industry. The issues in this series are either edited books or monographs. Books are either in German or English language; other languages are possible upon request. Book volumes published in the series ”Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung“ will primarily be aimed at interested managers, academics and students of marketing. The works will not be written especially for teaching purposes. However, individual volumes may serve as material for marketing courses, upper-level MBA- or Ph.D.-courses in particular.
Franziska Weis
Determinanten des Kundenanteils in industriellen Geschäftsbeziehungen Eine Mehrgruppenanalyse von Hauptlieferanten und Nebenlieferanten
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Eggert
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Paderborn, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2320-2
Geleitwort
V
Geleitwort Das Management des Lieferantenportfolios hat sich zu einem wichtigen Themengebiet innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung und Praxis entwickelt. Viele Unternehmen haben die Größe ihres Lieferantenportfolios deutlich reduziert. Statt Geschäftsbeziehungen mit einer Vielzahl konkurrierender Lieferanten zu unterhalten, konzentrieren sich Unternehmen zunehmend auf die Zusammenarbeit mit ausgewählten Lieferanten. Die Geschäftsbeziehungen mit ausgewählten Hauptlieferanten unterscheiden sich hinsichtlich wesentlicher Charakteristika von denen mit Nebenlieferanten. So bedienen Hauptlieferanten einen größeren Anteil am Beschaffungsvolumen des Kundenunternehmens. Oftmals übernehmen sie zusätzliche Funktionen, wie z.B. die Entwicklung von Innovationen für das Kundenunternehmen. Typischerweise ist die Geschäftsbeziehung zu Hauptlieferanten engerer Natur und unterliegt anderen Steuerungsmechanismen als die Beziehung zu Nebenlieferanten. Trotz dieser grundlegenden Unterschiede werden Kunden-Lieferantenbeziehungen in der empirischen Forschung ganz überwiegend als homogene Untersuchungsobjekte behandelt. Die Modelle zum Management industrieller Geschäftsbeziehungen haben den Lieferantenstatus als eine erklärende Variable bislang vernachlässigt. In der Folge könnten die vorliegenden Erkenntnisse durch den Einfluss unbeobachteter Heterogenität verzerrt sein. An dieser Stelle setzt die vorliegende Dissertationsschrift an. Sie geht von der Vermutung aus, dass sich das Management von Haupt- und Nebenlieferantenbeziehungen systematisch unterscheidet und sich diese Unterschiede im nomologischen Netzwerk des Beziehungsmarketing nachweisen lassen müssten. Als fokale Variable für das zu untersuchende nomologische Netz wählt die Verfasserin das Konstrukt des Kundenanteils, d.h. den Anteil eines Lieferanten an dem Beschaffungsvolumen seines Kunden in der betrachteten Produktkategorie. Vor diesem Hintergrund wirft die Verfasserin drei Forschungsfragen auf: 1.
Welche Funktionen übernehmen Haupt- und Nebenlieferanten?
2.
Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung eines Kundenunternehmens über die Festlegung des Kundenanteils?
3.
Beeinflusst der Lieferantenstatus die Bedeutung der Determinanten des Kundenanteils?
VI
Geleitwort
Die Verfasserin greift in ihrer Dissertationsschrift ein ebenso aktuelles wie relevantes Themengebiet auf. Das Management eines in Größe und Struktur sich verändernden Lieferantenportfolios gehört zu den zentralen Themen im Beschaffungsmarketing und Supply Chain Management. Die Identifikation sowie der Umgang mit (bislang) unbeobachteter Heterogenität stellt darüber hinaus ein grundlegendes methodologisches Problem der empirischen Forschung dar. Da die vorliegende Dissertationsschrift sowohl für die betriebswirtschaftliche Forschung als auch für die Unternehmenspraxis einen substantiellen Erkenntnisbeitrag zu leisten vermag, wünsche ich ihr eine weite Verbreitung und gute Rezeption.
Prof. Dr. Andreas Eggert
Vorwort
VII
Vorwort Die Praxis hat gezeigt, dass Kunden bei der Vergabe ihrer Beschaffungsvolumina die Erfüllung unterschiedlicher Funktionen von Hauptlieferanten und Nebenlieferanten erwarten. Daher kann vermutet werden, dass mögliche Faktoren diesen Entscheidungsprozess unterschiedlich stark beeinflussen, je nachdem, ob der Kunde über die Vergabe des Kundenanteils an einen Hauptlieferanten oder an einen Nebenlieferanten entscheidet. Mit dieser Forschungslücke habe ich mich in meiner Arbeit beschäftigt. Die theoretische und empirische Untersuchung zeigt, dass der Lieferantenstatus einen Einfluss auf die Stärke der Zusammenhänge zwischen den Determinanten und dem Kundenanteil hat. Mit diesem Ergebnis sind einige wichtige Implikationen für das Management von Kundenbeziehungen aus Lieferantensicht verbunden. Zum Gelingen dieser Arbeit haben eine Vielzahl von Personen beitragen, denen ich auf diesem Wege herzlich für ihre Unterstützung danken möchte. Bedanken möchte ich mich insbesondere bei meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Andreas Eggert, der mir stets in fachlicher und methodischer Hinsicht ein guter Gesprächspartner war und bei dem ich während des Lehrstuhlaufbaus für meinen weiteren beruflichen Lebensweg viel gelernt habe. Des Weiteren möchte ich mich bei den Mitgliedern der Promotionskommission, Herrn Prof. Martin Schneider, Frau Prof. Bettina Schiller und Frau Jun.-Prof. Anja Iseke für ihr Interesse an meinem Dissertationsthema bedanken. Mein besonderer Dank gebührt dabei Anja Iseke, die mich unermüdlich in jeder Phase meines Dissertationsprozesses unterstützt hat und die mich mit ihrer Begeisterung für mein Dissertationsthema immer wieder neu motiviert hat. Neben den Mitgliedern der Promotionskommission möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ulaga bedanken, der mir stets ein wertvoller Ratgeber war und mit dem ich gerne über mein Dissertationsthema diskutiert habe. Ebenfalls danken möchte ich meinen Kollegen und Freunden an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn, die mich während meiner Zeit in Paderborn in jeglicher Hinsicht unterstützt haben. Hier möchte ich vor allem Ina Garnefeld danken, mit der ich die freudigen und manchmal auch schwierigen Momente des Lehrstuhlaufbaus gemeinsam durchlebt habe. Sie hat mich immer wieder daran erinnert, dass es besser ist, sich mit mehr Gelassenheit und Pragmatismus der Erstellung einer Dissertation zu widmen. Außerdem möchte ich mich auch bei Eva Münkhoff und Sabine Hollmann bedanken, die sich immer Zeit für mich genommen haben und stets ein offenes Ohr hatten.
VIII
Vorwort
Auch die Teilnehmer zahlreicher Kolloquien haben mich durch ihre Anmerkungen während der anschließenden Diskussionsrunden dabei unterstützt, meine Arbeit inhaltlich und methodisch zu verbessern. So möchte ich mich bei der Jury und den Teilnehmern des 35. European Marketing Academy (EMAC) Doctoral Colloquium in Athen bedanken. Das Interesse an meinem Thema und die hilfreichen Hinweise haben mich in hohem Maße motiviert. Auch die Möglichkeit bei den halbjährlich stattfindenden Dissertantenwerkstätten mit den Marketinglehrstühlen der Universitäten Dortmund und Witten-Herdecke mein Thema einem wissenschaftlichen Publikum zu präsentieren, war sehr hilfreich. Gleichzeitig bin ich auch meiner Familie für die Unterstützung meiner wissenschaftlichen Ausbildung sehr dankbar. Meinen Eltern und meiner Schwester Charlotte danke ich für ihr Verständnis, ihre aufmunternden Worte und das richtige Maß an Ablenkung während des Dissertationsprozesses. Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinem Mann Martin Weis für seine unermüdliche Unterstützung in vielerlei Hinsicht bedanken. Ihm und meiner Familie ist diese Arbeit gewidmet.
Franziska Weis
Inhaltsübersicht
IX
Inhaltsübersicht 1
2
3
4
5
Einleitung .................................................................................................................................. 1 1.1
Relevanz des Themas und Problemstellung...................................................................... 1
1.2
Zielsetzung der Arbeit....................................................................................................... 3
1.3
Aufbau der Arbeit ............................................................................................................. 4
Konzeptionelle Grundlagen ..................................................................................................... 7 2.1
Lieferantenbeziehungen .................................................................................................... 7
2.2
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen............. 33
Theoretische Analyse.............................................................................................................. 61 3.1
Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem.............................................. 61
3.2
Theoretische Grundlagen ................................................................................................ 64
3.3
Ableitung der Hypothesen .............................................................................................. 86
Empirische Untersuchung ................................................................................................... 103 4.1
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse............................................. 103
4.2
Datenerhebung .............................................................................................................. 132
4.3
Überprüfung des Untersuchungsmodells ...................................................................... 149
Schlussbetrachtung............................................................................................................... 159 5.1
Ergebnissynopse............................................................................................................ 159
5.2
Implikationen ................................................................................................................ 163
5.3
Limitationen .................................................................................................................. 166
Literaturverzeichnis....................................................................................................................... 169 Anhang ............................................................................................................................................ 211
Inhaltsverzeichnis
XI
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis................................................................................................................... XV Tabellenverzeichnis..................................................................................................................... XVII Formelverzeichnis .........................................................................................................................XIX 1
2
Einleitung .................................................................................................................................. 1 1.1
Relevanz des Themas und Problemstellung...................................................................... 1
1.2
Zielsetzung der Arbeit....................................................................................................... 3
1.3
Aufbau der Arbeit ............................................................................................................. 4
Konzeptionelle Grundlagen ..................................................................................................... 7 2.1
Lieferantenbeziehungen .................................................................................................... 7 2.1.1
Bedeutung von Lieferantenbeziehungen ............................................................. 7
2.1.2
Transaktionale versus kollaborative Lieferantenbeziehungen ......................... 10
2.1.3
Lieferantenstatus............................................................................................... 15
2.1.4
Funktionen von Lieferantenbeziehungen .......................................................... 17 2.1.4.1 Direkte Funktionen ............................................................................. 18 2.1.4.1.1
Lieferfunktion................................................................... 18
2.1.4.1.2
Kostenreduzierungsfunktion ............................................ 20
2.1.4.1.3
Qualitätsverbesserungsfunktion....................................... 24
2.1.4.1.4
Investitionsfunktion.......................................................... 25
2.1.4.1.5
Innovationsentwicklungsfunktion..................................... 26
2.1.4.1.6
Abhängigkeitsreduzierungsfunktion................................. 28
2.1.4.1.7
Absicherungsfunktion....................................................... 30
2.1.4.2 Indirekte Funktionen........................................................................... 31 2.1.4.2.1
Scoutfunktion ................................................................... 31
2.1.4.2.2
Marktfunktion................................................................... 32
XII
Inhaltsverzeichnis
2.1.4.2.3 2.2
Allgemeine Unterstützungsfunktion ................................. 33
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen............. 33 2.2.1
Begriffsbestimmung........................................................................................... 34
2.2.2
Stand der Forschung zum Kundenanteil im Business-to-Business Kontext...... 42 2.2.2.1 Beziehungswert aus Kundensicht ....................................................... 42 2.2.2.2 Abhängigkeit ....................................................................................... 47 2.2.2.3 Kundenzufriedenheit ........................................................................... 49 2.2.2.4 Empirische Untersuchungen zum Zusammenhang ............................. 51
3
Theoretische Analyse.............................................................................................................. 61 3.1
Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem.............................................. 61
3.2
Theoretische Grundlagen ................................................................................................ 64 3.2.1
Einführung in die Entscheidungstheorie........................................................... 64
3.2.2
Grundmodell rationaler Entscheidungen ......................................................... 67 3.2.2.1 Komponenten des Entscheidungsverhaltens im Grundmodell ........... 67 3.2.2.2 Verhaltensannahmen im Grundmodell ............................................... 69
3.2.3
Entscheidungsanomalien .................................................................................. 74 3.2.3.1 Status Quo Verzerrung ....................................................................... 75 3.2.3.2 Eskalation von Commitment ............................................................... 79
3.2.4 3.3
Affekt Infusion bei Entscheidungen................................................................... 84
Ableitung der Hypothesen .............................................................................................. 86 3.3.1
Determinanten der Suche nach Alternativen .................................................... 87 3.3.1.1 Beziehungswert aus Kundensicht ....................................................... 88 3.3.1.2 Abhängigkeit ....................................................................................... 89
3.3.2
Determinanten des Kundenanteils .................................................................... 90 3.3.2.1 Suche nach Alternativen ..................................................................... 90 3.3.2.2 Beziehungswert aus Kundensicht ....................................................... 91
Inhaltsverzeichnis
XIII
3.3.2.3 Abhängigkeit ....................................................................................... 94
4
3.3.3
Die Rolle der Kundenzufriedenheit................................................................... 96
3.3.4
Zusammenfassung des Untersuchungsmodells ................................................. 98
Empirische Untersuchung ................................................................................................... 103 4.1
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse............................................. 103 4.1.1
Das Partial Least Squares-Schätzverfahren zur Strukturgleichungsanalyse . 103 4.1.1.1 Formale Bestandteile eines Strukturgleichungsmodells................... 103 4.1.1.2 Merkmale der Partial Least Squares-Pfadmodellierung.................. 108
4.1.2
Gütebeurteilung auf Messmodellebene........................................................... 112 4.1.2.1 Grundlegende Aspekte zur Reliabilität und Validität....................... 112 4.1.2.2 Gütekriterien..................................................................................... 117
4.2
4.1.3
Gütebeurteilung auf Strukturmodellebene...................................................... 124
4.1.4
Mediatoreffekte ............................................................................................... 125
4.1.5
Moderatoreffekte............................................................................................. 128
Datenerhebung .............................................................................................................. 132 4.2.1
Stichprobe ....................................................................................................... 132 4.2.1.1 Festlegung der Grundgesamtheit und der Stichprobenmerkmale .... 132 4.2.1.2 Datengrundlage ................................................................................ 134 4.2.1.3 Prüfung der Repräsentativität der Stichprobe.................................. 136 4.2.1.4 Prüfung systematischer Unterschiede .............................................. 136 4.2.1.5 Deskriptive Auswertungen zur Stichprobenzusammensetzung ......... 138
4.2.2
4.2.1.5.1
Branchenverteilung........................................................ 138
4.2.1.5.2
Dauer der betrachteten Geschäftsbeziehung................. 139
Erhebungsinstrument ...................................................................................... 141 4.2.2.1 Aufbau des Fragebogens .................................................................. 141 4.2.2.2 Operationalisierung der Konstrukte................................................. 142
XIV
Inhaltsverzeichnis
4.2.2.2.1
Abhängige Variable ....................................................... 143
4.2.2.2.2
Unabhängige Variablen................................................. 145
4.2.2.3 Pretests zum Fragebogen ................................................................. 148 4.3
Überprüfung des Untersuchungsmodells ...................................................................... 149 4.3.1
Gütebeurteilung der Messmodelle .................................................................. 149
4.3.2
Gütebeurteilung des Strukturmodells ............................................................. 153
4.3.3
Ergebnisse der Hypothesenprüfung................................................................ 154 4.3.3.1 Haupteffekte...................................................................................... 155 4.3.3.2 Mediatoreffekte ................................................................................. 156 4.3.3.3 Moderatoreffekte............................................................................... 157
5
Schlussbetrachtung............................................................................................................... 159 5.1
Ergebnissynopse............................................................................................................ 159
5.2
Implikationen ................................................................................................................ 163
5.3
5.2.1
Unternehmenspraxis ....................................................................................... 163
5.2.2
Forschung ....................................................................................................... 165
Limitationen .................................................................................................................. 166
Literaturverzeichnis....................................................................................................................... 169 Anhang ............................................................................................................................................ 211
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1.1:
Struktur der Arbeit................................................................................................... 4
Abbildung 2.1:
Vergleich von transaktionalem und kollaborativem Austausch ............................ 10
Abbildung 2.2:
Trade-off zwischen einem Hauptlieferanten und einem Nebenlieferanten ........... 29
Abbildung 2.3:
Funktionsverläufe des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil in der Literatur ................................................................................ 54
Abbildung 3.1:
Idealtypischer Entscheidungsprozess bei bestehenden Rahmenverträgen ............ 62
Abbildung 3.2:
Phasen des Entscheidungsprozesses ...................................................................... 65
Abbildung 3.3:
Wertfunktion der Prospect Theorie ....................................................................... 77
Abbildung 3.4:
Position eines Haupt- und eines Nebenlieferanten auf der Wertfunktion ............. 93
Abbildung 3.5:
Untersuchungsmodell ............................................................................................ 99
Abbildung 4.1:
Beispiel für ein PLS-Pfadmodell mit reflektiven Messmodellen ........................ 104
Abbildung 4.2:
Reflektives Messmodell ...................................................................................... 105
Abbildung 4.3:
Formatives Messmodell....................................................................................... 107
Abbildung 4.4:
Beispiel für einen mediierten Zusammenhang .................................................... 125
Abbildung 4.5:
Beispiel für einen moderierten Zusammenhang .................................................. 128
Abbildung 4.6:
Moderatoreffekt als Interaktionsvariable............................................................. 129
Abbildung 4.7:
Branchenverteilung in der Stichprobe ................................................................. 139
Abbildung 4.8:
Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Kunden- und Lieferunternehmen....... 140
Abbildung 4.9:
Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Lieferunternehmen..... 140
Abbildung 4.10: Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Vertriebsmitarbeiter ... 141
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 4.11: Haupteffektmodell inklusive mediierender Wirkbeziehungen............................ 153 Abbildung 4.12: Pfadkoeffizienten und ihre Signifikanz im Haupteffektmodell........................... 155
Tabellenverzeichnis
XVII
Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1:
Mögliche definitorische Bestandteile des Kundenanteils und deren Berücksichtigung in der Arbeitsdefinition ............................................................ 36
Tabelle 2.2:
Definitionen des Kundenanteils............................................................................. 37
Tabelle 2.3:
Übersicht zu Studien mit direktem Effekt von Kundenzufriedenheit auf Kundenanteil.......................................................................................................... 53
Tabelle 4.1:
Beurteilung des PLS-Schätzverfahrens ............................................................... 109
Tabelle 4.2:
Ergebnisse zum Mittelwertvergleich und Cohens d ............................................ 137
Tabelle 4.3:
Nähere Angaben zu den Befragten im Pretest..................................................... 148
Tabelle 4.4:
Gütebeurteilung des Konstrukts „Beziehungswert aus Kundensicht“ ................ 150
Tabelle 4.5:
Gütebeurteilung des Konstrukts „Abhängigkeit des Kunden“ ............................ 151
Tabelle 4.6:
Gütebeurteilung des Konstrukts „Kundenzufriedenheit“ .................................... 152
Tabelle 4.7:
Gütebeurteilung des Konstrukts „Suche nach alternativen Lieferanten“ ............ 152
Tabelle 4.8:
Prüfung der Diskriminanzvalidität mit Hilfe des Fornell-Larcker-Kriteriums.... 153
Tabelle 4.9:
Gütemaße für das Gesamtmodell ........................................................................ 154
Tabelle 4.10:
Pfadkoeffizienten und Ergebnisse der Bootstrapping-Prozedur.......................... 156
Tabelle 4.11:
Stärke der mediierenden Effekte ......................................................................... 157
Tabelle 4.12:
Gruppenvergleich zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten ................. 158
Tabelle 5.1:
Ergebnisse der Hypothesenprüfung..................................................................... 160
Formelverzeichnis
XIX
Formelverzeichnis Formel 4.1:
Strukturmodell als System linearer Gleichungen ................................................ 104
Formel 4.2:
Messmodell als System linearer Gleichungen..................................................... 104
Formel 4.3:
Reflektives Messmodell als System linearer Gleichungen.................................. 106
Formel 4.4:
Beziehung zwischen Reliabilität und Validität ................................................... 115
Formel 4.5:
Cronbachs Alpha ................................................................................................. 117
Formel 4.6:
Indikatorreliabilität .............................................................................................. 119
Formel 4.7:
Faktorreliabilität .................................................................................................. 120
Formel 4.8:
Durchschnittlich erfasste Varianz........................................................................ 121
Formel 4.9:
psa-Index............................................................................................................... 122
Formel 4.10:
csv-Index............................................................................................................... 123
Formel 4.11:
Effektstärke f2 ...................................................................................................... 124
Formel 4.12:
z-Wert .................................................................................................................. 127
Formel 4.13:
VAF-Wert ............................................................................................................ 127
Formel 4.14:
t-Statistik.............................................................................................................. 131
Formel 4.15:
vereinfachte t-Statistik ......................................................................................... 131
Formel 4.16:
Berechnung der Freiheitsgrade bei kleineren Stichproben.................................. 132
Formel 4.17:
Ȥ2-Wert................................................................................................................. 136
Formel 4.18:
Cohens d .............................................................................................................. 138
1
1 Einleitung 1.1 Relevanz des Themas und Problemstellung Zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien haben in den letzten Jahrzehnten ihre Lieferantenbasis teilweise drastisch reduziert (siehe für Unternehmensbeispiele Burt 1989, S. 129; Emshwiller 1991, S. B1; Dyer 1996a, S. 42; Minahan 1997, S. 39; Avery 1998, S. 39; Carbone 1999, S. 41). Auch aktuelle Beispiele aus der Luftfahrtindustrie zeigen, dass Kunden nach wie vor ihre Lieferantenbasis konsolidieren (Stundza 2009, S. 46). Airbus plant beispielsweise achtzig Prozent der bestehenden Lieferanten einzusparen und so die Gesamtzahl von momentan dreitausend auf fünfhundert Lieferanten zu reduzieren (o. V. 2006, S. 7). Der Flugzeugbauer Cessna hat ebenfalls seine Lieferantenbasis von 1.100 Lieferanten im Jahr 2003 auf aktuell 740 Lieferanten reduziert (Avery 2008, S. 53). Diese Beispiele zeigen, dass sich das Marktumfeld für Lieferanten verändert hat. Bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein haben Kunden von ihren Lieferanten überwiegend einzelne standardisierte Teile eingekauft. Diese standardisierten Teile können dadurch charakterisiert werden, dass sie weder zur Differenzierung des Kunden-Endprodukts beitragen noch kundenindividuell gefertigt werden müssen (Wagner/Boutellier 2002, S. 80). Jedes dieser einzelnen Teile hat ein Kunde ursprünglich von mehreren Lieferanten gleichzeitig eingekauft, die alle üblicherweise einen vergleichbaren Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden erhalten haben, z.B. jeweils 25 Prozent bei vier Lieferanten für Kugellager. Bei einer solchen Aufteilung des Beschaffungsvolumens haben alle beauftragten Lieferanten den Status eines Nebenlieferanten. Da Kunden für standardisierte Teile üblicherweise mehrere Lieferanten gleichzeitig beauftragen, ist eine große Lieferantenbasis nötig, die den Wettbewerb zwischen den Lieferanten fördert und dem Kunden die Möglichkeit bietet, Lieferanten jederzeit auswechseln zu können. Die Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Lieferanten für solche standardisierten Teile sind häufig durch eine kurze Vertragsdauer und geringe persönliche Interaktion zwischen den Parteien gekennzeichnet (Dwyer/ Schurr/Oh 1987, S. 13; MacNeil 1987, S. 275). Für standardisierte Teile übernimmt der Lieferant überwiegend eine Lieferfunktion, d.h. die fristgerechte Lieferung eines durch den Kunden genau spezifizierten Produkts zu festgelegten Konditionen (Ittner et al. 1999, S. 254). Durch gestiegenen Wettbewerbsdruck sind Kunden jedoch gezwungen gewesen, sich stärker auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Anstatt des Einkaufs einzelner Teile von mehreren Lieferanten haben sie in ihrer großen Lieferantenbasis nach Lieferanten gesucht, die ganze Komponenten herstellen können. Beim Einkauf von Komponenten suchen Kunden gezielt nach Lieferanten, die ihnen einen Mehrwert bieten können, in dem sie neben einer Lieferfunktion zusätzliche Funktionen
2
Einleitung
übernehmen. Sie fordern beispielsweise von ihren Lieferanten, dass sich diese an ihrem Produktentwicklungsprozess beteiligen (Goffin/Szwejczewski/New 1997, S. 426) und so eine Innovationsentwicklungsfunktion erfüllen. Der Kunde kann dadurch möglicherweise Produktentwicklungskosten einsparen, weil z.B. Prototypen vom Lieferanten aufgrund des intensiveren Informationsaustauschs mit dem Kunden früher verfügbar sind (Ittner et al. 1999, S. 255). Da Kunden von ihren Lieferanten beim Einkauf von Komponenten die Erfüllung zusätzlicher Funktionen erwarten, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Lieferanten bereit sind, solche Funktionen zu übernehmen, da sie für Lieferanten in der Regel mit einem größeren Ressourcenaufwand verbunden sind. Lieferanten sind vor allem dann geneigt, zusätzliche Funktionen beim Kunden zu übernehmen, wenn sie einen großen Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden für eine Komponente erhalten und dadurch vom Kunden als Hauptlieferant wahrgenommen werden. Der Lieferant entscheidet also aufgrund seines Anteils am Beschaffungsvolumen und seinem daraus resultierenden Status beim Kunden für ein bestimmtes Produkt darüber, welche Funktionen er bereit ist, beim Kunden zu übernehmen. Wenn ein Lieferant die Präferenzen des Kunden für eine bestimmte Aufteilung seines Beschaffungsvolumens kennt, kann dieser Lieferant zudem Zeit und Kosten einsparen. Durch sein Verständnis über die Präferenzen des Kunden für eine bestimmte Aufteilung seines Beschaffungsvolumens, ist der Lieferant besser in der Lage, Entscheidungen darüber zu treffen, bei welchen Kunden er nach einem Anteil am Beschaffungsvolumen strebt und wie viel Ressourcen er in die Beziehung mit diesem Kunden investiert. Wenn ein Kunde dafür bekannt ist, dass er für ein bestimmtes Produkt seinen Auftrag gleichmäßig zwischen mehreren Lieferanten aufteilt, kann der Lieferant entscheiden, ob sein potenzieller Anteil am gesamten Auftrag einerseits die Vorbereitung eines Angebots und andererseits die investierte Zeit der Vertriebsmitarbeiter für diesen Kunden rechtfertigt (Tullous/Utecht 1992, S. 7). Es geht in diesem Fall darum, ob ihm die mit seinem Status als Nebenlieferant verbundenen Funktionen beim Kunden genügend Nutzen erbringen würden. Aus diesen Überlegungen resultiert die erste für diese Arbeit relevante Forschungsfrage: Welche Funktionen übernehmen Lieferanten aufgrund ihres Lieferantenstatus beim Kunden? Mit der Entscheidung über die Aufteilung des Beschaffungsvolumens zwischen konkurrierenden Lieferanten verbindet der Kunde bestimmte Funktionen, die von den ausgewählten Lieferanten übernommen werden sollen. Die Entscheidung des Kunden, welcher Lieferant wie viel Anteil am Beschaffungsvolumen erhält, ist deshalb von strategischer Bedeutung. Der Kunde überlegt sich, welcher Lieferant die erforderlichen Fähigkeiten mitbringt, die mit der Erfüllung bestimmter Funktionen verbunden sind. Wenn er bei einem Lieferanten z.B. Potenzial für eine Einbindung in den
Relevanz des Themas und Problemstellung
3
eigenen Produktentwicklungsprozess sieht, wird er ihn als Hauptlieferant betrachten und an ihn den größten Anteil am Beschaffungsvolumen vergeben. Für den Lieferanten ist daher das Verständnis der Faktoren wichtig, die die Entscheidung des Kunden über seinen Anteil am Beschaffungsvolumen beeinflussen. Aus diesem Grund lautet die zweite Forschungsfrage dieser Arbeit: Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung des Kunden über die Festlegung des Kundenanteils eines Lieferanten? Kunden verbinden also mit einem bestimmten Lieferantenstatus die Erfüllung unterschiedlicher Funktionen. Bei der Entscheidung über die Festlegung des Kundenanteils wird der Kunde daher überlegen, welche Funktionen der Hauptlieferant und welche der Nebenlieferant erfüllen soll. Je nachdem, ob der Kunde über die Vergabe des Kundenanteils an einen Hauptlieferanten oder an einen Nebenlieferanten entscheidet, können mögliche Faktoren diesen Entscheidungsprozess unterschiedlich stark beeinflussen. Diese Frage wurde bisher noch nicht untersucht, so dass ihre Beantwortung ein zentraler Bestandteil dieser Arbeit ist: Beeinflusst der Lieferantenstatus die Bedeutung der Faktoren bei der Festlegung des Kundenanteils? 1.2 Zielsetzung der Arbeit Aus diesen Forschungsfragen ergeben sich folgende Zielsetzungen für die Arbeit. Der konzeptionelle Beitrag dieser Arbeit beinhaltet die Identifikation unterschiedlicher Funktionen von Lieferanten in Abhängigkeit von ihrem Lieferantenstatus. Bisher werden in der Literatur allgemein Funktionen von Lieferanten beschrieben (Walter et al. 2003, S. 161 f.), wobei keine Unterscheidung zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten gemacht wird. Diese Arbeit beschäftigt sich deshalb damit, welche Funktionen schwerpunktmäßig von Hauptlieferanten und welche eher von Nebenlieferanten übernommen werden. Gleichzeitig werden auch die Bedingungen erläutert, unter denen die Ausübung einer bestimmten Funktion wahrscheinlich ist. Der theoretische Beitrag dieser Arbeit umfasst die Entwicklung eines theoretischen Analyserahmens, der die Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem modelliert. Dazu werden entscheidungsrelevante Faktoren identifiziert und deren Wirkung auf den Kundenanteil hergeleitet. Darüber hinaus wird analysiert, inwiefern der Status eines Lieferanten die Wirkung der Determinanten auf den Kundenanteil beeinflusst. Eine solche entscheidungstheoretische Fundierung der Festlegung des Kundenanteils wurde bisher in der Literatur noch nicht vorgenommen. Schließlich wird das auf der Grundlage der Entscheidungstheorie entwickelte Untersuchungsmodell anhand einer Studie von industriellen Geschäftsbeziehungen mit Hauptlieferanten und mit Neben-
4
Einleitung
lieferanten empirisch überprüft. Im Anschluss daran werden insbesondere Handlungsempfehlungen für Hauptlieferanten und Nebenlieferanten abgeleitet, wie sie zukünftig ihre Geschäftsbeziehungen mit Kunden managen können. 1.3 Aufbau der Arbeit Ausgehend von den Forschungsfragen ist diese Arbeit in fünf Kapitel gegliedert. Die Struktur der Arbeit wird in Abbildung 1.1 dargestellt.
1 Einleitung 1.1 Relevanz des Themas und Problemstellung 1.2 Zielsetzung der Arbeit 1.3 Aufbau der Arbeit 2 Konzeptionelle Grundlagen 2.1 Lieferantenbeziehungen
2.2 Kundenanteil
3 Theoretische Analyse 3.1 Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem 3.2 Theoretische Grundlagen 3.3 Ableitung der Hypothesen
4 Empirische Untersuchung 4.1 Methodische Grundlagen 4.2 Datenerhebung 4.3 Überprüfung des Untersuchungsmodells
5 Schlussbetrachtung 5.1 Ergebnissynopse
Abbildung 1.1:
Struktur der Arbeit
5.2 Implikationen
5.3 Limitationen
Aufbau der Arbeit
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Nach der Einführung in die Relevanz des Themas und der darauf aufbauenden Problemstellung sowie der Zielsetzung der Arbeit in Kapitel 1 befasst sich das zweite Kapitel mit den konzeptionellen Grundlagen der Arbeit. Dazu wird im Abschnitt 2.1 zunächst auf grundlegende Aspekte von Lieferantenbeziehungen eingegangen. Im Anschluss daran wird der Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen diskutiert (siehe Abschnitt 2.2). Im dritten Kapitel wird zu Beginn im Abschnitt 3.1 die Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem erläutert. Die deskriptive Entscheidungstheorie und ihre Erweiterungen bilden die theoretischen Grundlagen der Arbeit (siehe Abschnitt 3.2). Der folgende Abschnitt 3.3 beinhaltet die Herleitung der Hypothesen aus der deskriptiven Entscheidungstheorie sowie deren abschließende Zusammenfassung in einem Untersuchungsmodell. Das vierte Kapitel beginnt mit einer Erläuterung der methodischen Grundlagen der Strukturgleichungsanalyse (siehe Abschnitt 4.1). Der Abschnitt 4.2 geht auf die Vorgehensweise bei der Datenerhebung ein. Im Abschnitt 4.3 wird schließlich das Untersuchungsmodell empirisch überprüft. Das Kapitel 5 rundet die Arbeit mit einer abschließenden Betrachtung der Untersuchung ab. Im Abschnitt 5.1 werden die Ergebnisse zusammenfassend diskutiert. Im Abschnitt 5.2 werden Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen für die Unternehmenspraxis und für die Forschung vorgestellt. Die Arbeit endet mit einem Überblick zu den Limitationen der Arbeit (siehe Abschnitt 5.3).
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2 Konzeptionelle Grundlagen Mit dem Einkauf von Komponenten haben Lieferantenbeziehungen an Bedeutung gewonnen. Für solche Komponenten vergeben Kunden einen großen Anteil ihres Beschaffungsvolumens an einen Hauptlieferanten, damit dieser auch bereit ist, über eine bloße Lieferfunktion hinausgehende Funktionen beim Kunden zu übernehmen. Mit diesen veränderten Rahmenbedingungen von Lieferantenbeziehungen beschäftigt sich Abschnitt 2.1. Im Anschluss daran wird erläutert, welche Bedeutung der Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen hat (siehe Abschnitt 2.2). 2.1 Lieferantenbeziehungen Mit der Auslagerung der Herstellung ganzer Komponenten an Lieferanten hat sich die Einkaufspolitik von Kunden verändert. Während früher überwiegend einzelne standardisierte Teile von Lieferanten eingekauft wurden, die beim Kunden erst zu Komponenten zusammengebaut wurden, werden diese Komponenten heutzutage komplett vom Lieferanten kundenspezifisch hergestellt. Durch diese Entwicklung ist die Bedeutung von Lieferantenbeziehungen für den Kunden gestiegen (siehe Abschnitt 2.1.1). Neben den bisher üblichen transaktionalen Lieferantenbeziehungen für standardisierte Teile haben Kunden deshalb die Notwendigkeit gesehen, für kundenspezifische Komponenten kollaborative Lieferantenbeziehungen aufzubauen, um konkurrenzfähig zu bleiben (siehe Abschnitt 2.1.2). Im Gegensatz zu standardisierten Teilen, für die der Kunde in der Regel mehrere Lieferanten gleichzeitig beauftragt, bestimmt er für kundenspezifische Komponenten üblicherweise einen Hauptlieferanten. Erst mit dem Einkauf von Komponenten sind unterschiedliche Statusse von Lieferanten relevant geworden, da für standardisierte Teile mehrere Lieferanten in der Regel einen vergleichbaren Anteil am Beschaffungsvolumen erhalten und sich damit ihr Status beim Kunden kaum unterscheidet (siehe Abschnitt 2.1.3). Mit dem Status eines Lieferanten verbindet der Kunde unterschiedliche Funktionen, die ein Lieferant erfüllen sollte. Im Abschnitt 2.1.4 werden diese Funktionen erläutert. 2.1.1 Bedeutung von Lieferantenbeziehungen Die gestiegene Bedeutung von Lieferantenbeziehungen zeigt sich besonders im Kontext der Automobilindustrie in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der Aufbau von eher partnerschaftlichen Beziehungen mit Lieferanten resultiert aus der Erkenntnis amerikanischer Automobilhersteller, dass sie durch ausländischen Wettbewerb, insbesondere durch japanische Konkurrenten, in Bedrängnis geraten sind. In diesem Konkurrenzkampf haben japanische Automobilhersteller de-
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Konzeptionelle Grundlagen
monstriert, dass eine qualifizierte und loyale Lieferantenbasis eine Hauptquelle für Wettbewerbsvorteile sein kann (Helper 1991, S. 16). Der Erfolg japanischer Unternehmen beruht dabei auf dem Partnermodell des Lieferantenmanagements (Dyer/Ouchi 1993, S. 54). Amerikanische Automobilhersteller haben auf den Konkurrenzdruck japanischer Automobilhersteller mit zwei unterschiedlichen Strategien reagiert. Eine Strategie ist die Beibehaltung des traditionellen „arm’s-length“-Modell des Lieferantenmanagements. Dabei haben die Automobilhersteller ihren Lieferanten gedroht, sich von ihnen zu trennen, wenn sie keine neuen Leistungen anbieten, wie z.B. Unterstützung beim Produktdesign oder den Aufbau von just-in-time (fertigungssynchroner) Lieferung. Das „arm’s-length“-Modell steht dabei für die Minimierung der Abhängigkeit von Lieferanten und die Maximierung der eigenen Verhandlungsmacht (Dyer/Cho/Chu 1998, S. 57). Nach Porter (1980, S. 123) geht es darum, Mechanismen zu finden, die die Macht des Lieferanten einschränken. Deshalb wird das Beschaffungsvolumen für ein Produkt unter mehreren Lieferanten so aufgeteilt, dass der Kunde dadurch seine eigene Verhandlungsmacht verbessert (Dyer/Cho/Chu 1998, S. 57). Der Kunde baut durch Wettbewerb zwischen Lieferanten Druck auf, um möglichst niedrige Preise von ihnen zu erhalten. Er hält seine Lieferanten bewusst auf Distanz und vermeidet jegliche Form der Verpflichtung gegenüber seinen Lieferanten. Solche Geschäftsbeziehungen zwischen Kunden und Lieferanten sind häufig durch mangelndes gegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet (Lamming 1994, S. 204). Eine andere Strategie ist die Übernahme des Partnermodells des Lieferantenmanagements. Die amerikanischen Automobilhersteller haben wie ihre japanischen Wettbewerber versucht, Geschäftsbeziehungen mit ihren Lieferanten zu etablieren, die sich eher auf Kostenreduzierungen durch die Anwendung effizienterer Techniken konzentrieren als die Gewinnspannen ihrer Lieferanten zu „drücken“ (Helper 1991, S. 16 f.). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das Partnermodell im Vergleich zum traditionell in der amerikanischen Automobilindustrie vorherrschenden „arm’slength“-Modell zu überdurchschnittlicher Leistung führt, weil erstens Partner Informationen teilen und dadurch besser voneinander abhängige Aktivitäten koordinieren können. Zweitens sind Partner eher bereit, in beziehungsspezifische Vermögenswerte zu investieren, die die Kosten senken, die Qualität verbessern und die Produktentwicklung beschleunigen (Dyer 1996b, S. 275). Drittens steuern Partner ihre Geschäftsbeziehungen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Das „arm’s-length“-Modell galt ursprünglich als der Ansatz, Lieferantenbeziehungen in der amerikanischen Automobilindustrie zu managen. Mit dem Erfolg japanischer Unternehmen durch partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen ist es allerdings nötig gewesen, die grundsätzlichen Annah-
Lieferantenbeziehungen
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men dieses Modells neu zu bewerten (Dyer/Cho/Chu 1998, S. 57 f.). Aus dieser Erkenntnis heraus haben sich Unternehmen weg von traditionell distanzierten Beziehungen mit einer großen Lieferantenbasis hin zu partnerschaftlichen Beziehungen mit einer kleineren Anzahl von Lieferanten orientiert, um wettbewerbsfähig zu bleiben (Spekman 1988, S. 313; Chow/Holden 1997, S. 276; Cousins/Lawson 2007, S. 124). Diese Veränderungen haben einerseits die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Kunden und Lieferanten erhöht (Tan et al. 1999, S. 1039). Andererseits muss berücksichtigt werden, dass solche partnerschaftlichen Beziehungen ressourcenintensiv sind und sie daher nur den Erhalt einer begrenzten Zahl dieser Art von Beziehungen erlauben (Gadde/Snehota 2000, S. 306). Am gerade beschriebenen Beispiel der amerikanischen Automobilindustrie zeigt sich, wie sich die Bedeutung von Lieferantenbeziehungen für Kunden verändert hat. Ein Grund für die gestiegene Bedeutung solcher Lieferantenbeziehungen ist insbesondere, dass Kunden die Herstellung von Komponenten an ihre Lieferanten ausgelagert haben (Avery 2008, S. 53). Dadurch müssen sich Kunden für wesentliche Materialien des eigenen Produktionsprozesses stärker auf ihre Lieferanten verlassen können (Elmaghraby 2000, S. 350). Dies bedeutet gleichzeitig, dass die eingekauften Produkte von Lieferanten einen größeren Prozentsatz an den Herstellungskosten für das KundenEndprodukt ausmachen. So ist beispielsweise der Prozentsatz von Zulieferprodukten an den Herstellungskosten beim Flugzeugbauer Cessna in den vergangenen fünf Jahren von vierzig bis fünfzig Prozent auf fünfzig bis sechzig Prozent angestiegen (Avery 2008, S. 53). Lieferanten bilden daher einen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette, weil die Verbesserung der Qualität des KundenEndprodukts von der Verbesserung der Qualität der Zulieferprodukte abhängig ist (Richardson/Roumasset 1995, S. 71). Für den Bedeutungszuwachs von Lieferantenbeziehungen für Kunden gibt es noch einen weiteren Grund. Kunden konzentrieren sich stärker auf ihre Kernkompetenzen und ihre technische Expertise in bestimmten Kernbereichen. Durch die Fokussierung auf ihre Kernkompetenzen müssen sie sich stärker auf Lieferanten verlassen, die ihre Anforderungen im Design- und Montageprozess unmittelbar umsetzen (Brennan 1997, S. 770), um gemeinsam Innovationen in der Produkt- und Prozesstechnologie vorantreiben zu können. Denn die Fähigkeit, Neuerungen einzuführen und kontinuierliche Verbesserungen umzusetzen, ist kritisch für den anhaltenden Erfolg des Kunden (Monczka/ Trent/Callahan 1993, S. 43).
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Konzeptionelle Grundlagen
2.1.2 Transaktionale versus kollaborative Lieferantenbeziehungen Bei Lieferantenbeziehungen wird üblicherweise zwischen zwei Austauschformen unterschieden: transaktional und kollaborativ (siehe Abbildung 2.1). Beide Austauschformen bilden zwei Gegenpole auf einem Beziehungskontinuum (Day 2000b, S. 25; Hutt/Speh 2007, S. 91), wobei Day (2000b, S. 24) hervorhebt, dass unabhängig von der Austauschform „every market relationship is an exchange process where value is given and received“. Transaktionaler Austausch
Kollaborativer Austausch
Austauschobjekt
Standardisierte Leistung
Kundenspezifische Leistung
Komplexität der Einkaufsentscheidung
Gering
Hoch
Wichtigkeit der Einkaufsentscheidung
Gering
Hoch
Hauptkriterium der Einkaufsentscheidung
Preis pro Stück
Beschaffungskosten insgesamt
Relevanz von Ausschreibungen
Gering
Hoch
Vertragsverhandlungen
Win-Lose-Situation
Win-Win-Situation
Verfügbarkeit von Lieferanten
Viele
Wenige
Zuliefermarkt
Stabil
Dynamisch
Lieferantenbasis
Groß
Klein
Beschaffungsstrategie
Multiple Sourcing
Eher Single Sourcing
Lieferantenwechsel
Häufig
Selten
Zeithorizont
Kurzfristig
Langfristig
Beziehungsspezifische Investitionen
Selten
Häufig
Verknüpfung von Systemen beider Parteien
Selten
Häufig
Gegenseitige Abhängigkeit
Gering
Hoch
Wechselkosten für den Kunden
Gering
Hoch
Zusammenarbeit zwischen Parteien
Gering
Hoch
Informationsaustausch
Gering
Hoch
Art der Kommunikation
Formell und unregelmäßig
Auch informell und regelmäßiger
Schnittstellen
Vertrieb-Einkauf
Multifunktional
Abbildung 2.1:
Vergleich von transaktionalem und kollaborativem Austausch
Lieferantenbeziehungen
11
In Abbildung 2.1 werden beide Austauschtypen anhand verschiedener Merkmale überblicksartig miteinander verglichen, wobei auf ähnliche Gegenüberstellungen von Merkmalen transaktionaler und kollaborativer Austauschbeziehungen verwiesen wird (siehe z.B. Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 55; Burt 1989, S. 128; Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 30; Matthyssens/van den Bulte 1994, S. 73; Goffin/Szwejczewski/New 1997, S. 424; Hutt/Speh 2007, S. 93). Im Anschluss werden zunächst die Merkmale transaktionaler Lieferantenbeziehungen erläutert, bevor auf die Merkmale kollaborativer Lieferantenbeziehungen eingegangen wird. Transaktionale1 Lieferantenbeziehungen finden sich häufig bei standardisierten Produkten, wie z.B. Verpackungsmaterialien (Stump 1995, S. 146; Araujo/Dubois/Gadde 1999, S. 500), Gebrauchsgütern (Spekman 1988, S. 314) oder Teilen, bei denen wenig Differenzierung zwischen den Lieferanten und eine hohe Produkthomogenität vorherrschen (Brennan 1997, S. 772). Die Einkaufsentscheidung bei solchen standardisierten Produkten ist daher weder komplex noch für die Erreichung der Unternehmensziele besonders relevant (Hutt/Speh 2007, S. 94). Bei standardisierten Produkten steht die rechtzeitige Lieferung zu wettbewerbsfähigen Marktpreisen im Vordergrund (Biong/Wathne/Parvatiyar 1997, S. 92; Day 2000b, S. 25), so dass Kunden primär auf der Grundlage des angebotenen Preises pro Stück einkaufen. Der Kunde nutzt dazu meist Ausschreibungen, um durch Wettbewerb zwischen Lieferanten den besten Preis für ein Produkt in einem bestimmten Markt zu sichern (Hutt/Speh 2007, S. 92). Der Verhandlungsprozess bei Ausschreibungen gleicht dabei einer Win-Lose-Situation (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 30) und wird maßgeblich durch den Preis bestimmt. Im Ausschreibungsprozess betrachtet der Kunde alle qualifizierten Lieferanten und ihre angebotenen Leistungen als homogen. Um eine solche Homogenität der angebotenen Leistungen gewährleisten zu können, sind vollständig entwickelte Spezifikationen des Kunden erforderlich, um bei mehreren Lieferanten für dasselbe Produkt eine einheitliche Produktqualität sicherstellen zu können (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 3 f.). Transaktionale Lieferantenbeziehungen sind üblich, wenn für ein bestimmtes Produkt viele Lieferanten im Markt verfügbar sind und der Zuliefermarkt stabil ist (Hutt/Speh 2007, S. 94). Kunden haben so die Möglichkeit, eine große Lieferantenbasis aufzubauen und ein bestimmtes Produkt von mehreren Lieferanten gleichzeitig einzukaufen. Diese Beschaffungsstrategie wird als Multiple
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Als Synonyme für transaktional gelten die folgenden Begriffe: Spotmarkt, im englischen Sprachgebrauch transactional, traditional, adversarial, arm’s-length market relationships (Duffy/Fearne 2004, S. 57), market relationships (Dyer/Singh 1998, S. 661), play-the-market position, open market bargaining (Landeros/Monczka 1989, S. 11; Carr/Pearson 1999, S. 498).
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Konzeptionelle Grundlagen
Sourcing bezeichnet, bei der Kunden von mindestens zwei Lieferanten einkaufen (Treleven/Schweikhart 1988, S. 96). Transaktionale Lieferantenbeziehungen sind außerdem dadurch gekennzeichnet, dass Kunden ihre Lieferanten häufiger wechseln, um den Wettbewerb aufrechtzuerhalten (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 3). Die Verbindung zwischen Kunde und Lieferant basiert auf „glaubwürdiger Drohung“, weil für den Kunden die Möglichkeit besteht, einen Lieferanten gegen einen anderen auszuspielen. Sobald ein anderer Lieferant einen günstigeren Preis, eine verbesserte Produktionstechnologie oder ein innovativeres Produktdesign bietet, kann der Kunde leicht zum vorteilhafteren Lieferanten wechseln. Folglich hat der Kunde maximale Kontrolle über die Einkaufssituation (Landeros/Monczka 1989, S. 11). Transaktionale Lieferantenbeziehungen basieren auf einer reinen Vertragsbeziehung zwischen zwei Parteien, die sich gegenüber der Fortführung der Beziehung in der Zukunft wenig verpflichtet fühlen (Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 54; Hutt/Speh 2007, S. 92). Diese Beziehungen werden als distanziert und kurzfristig charakterisiert. Sie dauern gewöhnlich nur solange wie die Laufzeit eines spezifischen Vertrags (Wagner/Macbeth/Boddy 2002, S. 254). Die Laufzeit eines solchen Vertrags beträgt in der Regel kaum länger als ein Jahr (Helper/Sako 1995, S. 83), um alle Vorteile sich ändernder Marktgegebenheiten ausnutzen und um jederzeit zu besseren alternativen Lieferanten wechseln zu können. Da in transaktionalen Lieferantenbeziehungen eher selten beziehungsspezifische Investitionen getätigt werden und die Systeme beider Parteien kaum miteinander verknüpft sind (Hutt/Speh 2007, S. 94), ist die gegenseitige technische oder organisationale Abhängigkeit zwischen Kunden und Lieferanten gering (Dyer/Singh 1998, S. 661; Araujo/Dubois/Gadde 1999, S. 500). Aus Kundensicht sind deshalb mit dem Wechsel von einem zum anderen Lieferanten geringe Kosten und Risiken verbunden. Der Lieferant weiß, dass vom Kunden kein zukünftiges Geschäft garantiert ist und dass sein aktueller Anteil am Beschaffungsvolumen vom Kunden als ein Verhandlungspunkt für jegliche Folgekäufe genutzt werden kann. Die Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten bezieht sich in transaktionalen Lieferantenbeziehungen überwiegend auf Aspekte, die das Zulieferprodukt unmittelbar betreffen. Ausgetauschte Informationen sind üblicherweise auf notwendige Bestandteile von Bestellungen (Morgan 1987, S. 51), wie z.B. Produkttyp, Menge, Preis und Lieferdatum, beschränkt (Cox et al. 2005, S. 29). Die Kommunikation zwischen Kunden und Lieferanten ist relativ formal und unregelmäßig (Frazier/ Spekman/O’Neal 1988, S. 54). Sie wird aus Angst vor der Preisgabe von Informationen stark einge-
Lieferantenbeziehungen
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schränkt, da der Geschäftspartner diese Informationen zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen könnte, wenn er mit seinem Gegenüber verhandelt (Galt/Dale 1991, S. 16). Jegliche Kommunikation und funktionsübergreifender Austausch sind auf Bereiche beschränkt, die direkt mit der Lieferung sowie den Zahlungsfristen und Konditionen des Rahmenvertrags verbunden sind (Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 54). Zwischen Kunden und Lieferanten besteht nur eine Vertrieb-EinkaufSchnittstelle, da multifunktionale Schnittstellen, wie z.B. für die gemeinsame Entwicklung neuer Produkte, nicht erforderlich sind (Dyer/Singh 1998, S. 661). Kollaborative2 Lieferantenbeziehungen liegen hingegen meist vor, wenn die eingekauften Produkte vom Lieferanten kundenspezifisch gefertigt werden müssen (Hutt/Speh 2007, S. 92), wie dies bei Komponenten häufig der Fall ist. Die Einkaufsentscheidung ist in diesem Fall meist komplex und für den Kunden von strategischer Wichtigkeit (Hutt/Speh 2007, S. 94). Dies bedeutet, dass die eingekauften Produkte von hoher Priorität für den Kunden sind (Cousins/Lawson 2007, S. 132). Kollaborative Lieferantenbeziehungen sind weniger vom Preis getrieben, sondern von den gesamten Beschaffungskosten eines Produkts (Burt 1989, S. 128). Das Kernprodukt und mehrwertstiftende Leistungen stehen im Mittelpunkt und nicht nur der Preis (Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 52). Ausschreibungen sind in kollaborativen Beziehungen deshalb eher selten. Die Vertragsverhandlungen gleichen einer Win-Win-Situation, in der beidseitige Vorteile berücksichtigt werden (Lyons/ Krachenberg/Henke 1990, S. 30) Wenn im Markt wenige alternative Lieferanten verfügbar sind und der Zuliefermarkt dynamisch ist, bevorzugen Kunden eher kollaborative Lieferantenbeziehungen mit ihren Lieferanten (Hutt/Speh 2007, S. 94). Die Lieferantenbasis ist im Vergleich zu transaktionalen Lieferantenbeziehungen kleiner und auf wenige Beschaffungsquellen beschränkt (Carr/Pearson 1999, S. 500). Im Extremfall liegt Single Sourcing vor. Bei dieser Beschaffungsstrategie konzentriert der Kunde sein gesamtes Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt auf einen einzigen Hauptlieferanten (Treleven/Schweikhart 1988, S. 95; Freter 1992, S. 11), auch wenn grundsätzlich mehrere alternative Beschaffungsquellen im Markt existieren. Auch bei Sole Sourcing sind kollaborative Lieferantenbeziehungen wahrscheinlicher, da der Kunde gezwungen ist, mit einem einzigen Hauptlieferanten zusammen zu arbeiten (Newman 1988, S. 11). Gründe für Sole Sourcing können die geographische Nähe des Lieferanten, bestehende Monopole, geschützte Produkte oder fehlende Alternativen sein (Treleven 1987, S. 19).
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Synonyme für kollaborativ sind die folgenden Begriffe: kooperativ (Ramsay 1996, S. 13) oder Allianzen bzw. Partnerschaften (Dyer/Singh 1998, S. 662), im englischen Sprachgebrauch auch relational (Duffy/Fearne 2004, S. 57).
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Konzeptionelle Grundlagen
In kollaborativen Lieferantenbeziehungen findet ein Lieferantenwechsel eher selten statt. Dies hängt damit zusammen, dass häufig beziehungsspezifische Investitionen, wie z.B. die Abstimmung von Systemen beider Partner aufeinander (Hutt/Speh 2007, S. 94), getätigt werden, die im Falle der Beendigung dieser Beziehung nicht auf andere Lieferantenbeziehungen übertragbar sind. Solche Investitionen erhöhen die Abhängigkeit, wodurch die Wechselkosten für den Kunden steigen. Deshalb sind gemeinsame Werte und Vereinbarkeit von Zielen aufgrund höherer gegenseitiger Abhängigkeit in kollaborativen wichtiger als in transaktionalen Beziehungen. Aufgrund dieser größeren gegenseitigen Abhängigkeit zwischen Kunden und Lieferanten reduziert sich in gewissem Maße eigennütziges Verhalten seitens beider Parteien (Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 54). Kollaborativen Lieferantenbeziehungen liegt eine langfristige Orientierung zugrunde (Spekman/ Johnston 1986, S. 528; Frazier/Spekman/O’Neal 1988, S. 52). Die Rahmenverträge laufen über einen längeren Zeitraum (Newman 1988, S. 16), wobei dies einen Verlust von Flexibilität für den Kunden bedeuten kann (Spekman 1988, S. 314). Sie basieren auf einer stärkeren Anerkennung der gegenseitigen Verpflichtung zwischen Austauschpartnern. Landeros und Monzcka (1989, S. 12) bezeichnen diese Verbindung zwischen Kunde und Lieferant als „glaubwürdiges Commitment“. Kunden und Lieferanten kommunizieren in kollaborativen Beziehungen regelmäßiger miteinander, auch auf informellem Weg, als in transaktionalen Beziehungen. Kunden arbeiten eng mit Lieferanten zusammen, um Prozesskontrollen zur Sicherung gleich bleibender Qualität der Zulieferprodukte zu etablieren. Dazu sind multifunktionale Schnittstellen notwendig, die über eine bloße EinkaufVertrieb-Schnittstelle, wie in transaktionalen Beziehungen üblich, hinausgehen. Kunden und Lieferanten verpflichten sich dabei zu kontinuierlichen Verbesserungen und gemeinsamen Nutzen durch offenen, fortlaufenden Informationsaustausch und gemeinschaftliche Problemlösung (Sako/Lamming/Helper 1994, S. 238). Nachdem die Merkmale kollaborativer Lieferantenbeziehungen erläutert wurden, wird deutlich, dass solche Beziehungen nicht für alle Lieferanten eines Unternehmen geeignet sind (Ganesan 1994, S. 14; Ramsay 1996, S. 14). Ein Unternehmen kann vom Beziehungsaufbau mit einigen Lieferanten für strategische Produkte profitieren, während transaktionale Beziehungen mit Lieferanten von standardisierten Produkten sinnvoller sein können (Ramsay 1996, S. 14). Es kann deshalb nicht das Ziel von Lieferanten bzw. Kunden sein, kollaborative, oft ressourcenintensive Beziehungen mit allen Austauschpartnern aufzubauen (Spekman/Kamauff/Myhr 1998, S. 114; Gadde/Snehota 2000, S. 310). Denn je stärker Kunden und Lieferanten zusammenarbeiten, desto höher ist auch der Koordinationsaufwand von Aktivitäten und Interaktionen zwischen Beteiligten auf beiden Seiten (Rich-
Lieferantenbeziehungen
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ardson/Roumasset 1995, S. 71) und desto ressourcenintensiver wird die Beziehung sein. Folglich müssen die Vorteile stärkerer Zusammenarbeit mit dem Austauschpartner die Investitionen in den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer solchen Beziehung kompensieren (Araujo/Dubois/Gadde 1999, S. 498). Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass die vom Kunden gewählte Austauschform vor allem davon abhängt, welchen Produkttyp er einkauft. Bei Komponenten wird ein Kunde eher zu kollaborativen Lieferantenbeziehungen tendieren, weil er die Übernahme zusätzlicher Funktionen von Lieferanten erwartet. Damit auch der Lieferant bereit ist, zusätzliche Funktionen beim Kunden zu erfüllen, muss der Kunde ihm einen bestimmten Status zuweisen. Die verschiedenen Möglichkeiten des Kunden bezogen auf den Status eines Lieferanten werden im folgenden Abschnitt beschrieben. 2.1.3 Lieferantenstatus Der Status eines Lieferanten resultiert aus dem Anteil, den ein Lieferant am Beschaffungsvolumen des Kunden für ein bestimmtes Produkt erhält. Der Kunde kann einem Lieferanten entweder den Status eines Hauptlieferanten oder eines Nebenlieferanten zuweisen. Bevor der Kunde allerdings den Status eines Lieferanten festlegen kann, muss er zunächst eine bestimmte Beschaffungsstrategie auswählen. Mit der Wahl der Beschaffungsstrategie bestimmt der Kunde, von wie vielen Lieferanten er das Produkt einkauft. Um mögliche Kombinationen von Beschaffungsstrategie und Lieferantenstatus diskutieren zu können, ist es notwendig, mögliche Beschaffungsstrategien vorzustellen. Grundsätzlich wird zwischen Single Sourcing und Multiple Sourcing unterschieden. Bei Single Sourcing erhält ein einziger Lieferant das gesamte Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt. Von Multiple Sourcing wird hingegen gesprochen, wenn der Kunde von mindestens zwei Lieferanten einkauft. Aus diesem Grund gilt Dual Sourcing als eine Sonderform des Multiple Sourcing, da der Kunde in diesem Fall von genau zwei Lieferanten einkauft. Sowohl Single Sourcing als auch Sole Sourcing bezieht sich immer auf einen Hauptlieferanten, der einen Anteil von hundert Prozent am Beschaffungsvolumen erhält. Bei Dual Sourcing und Multiple Sourcing hat der Kunde dagegen verschiedene Möglichkeiten, welchen Status er den ausgewählten Lieferanten zuweist. Einerseits kann er das Beschaffungsvolumen gleichmäßig auf alle Lieferanten aufteilen. Bei Dual Sourcing würde dies bedeuten, dass beide Lieferanten einen Anteil von jeweils fünfzig Prozent am Beschaffungsvolumen erhalten. Bei Multiple Sourcing mit z.B. insgesamt vier Lieferanten würde jeder Lieferant einen Anteil von 25 Prozent am Beschaffungsvolumen erhalten.
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Konzeptionelle Grundlagen
Bei einer gleichmäßigen Aufteilung des Beschaffungsvolumens haben alle Lieferanten einen vergleichbaren Status. Alle ausgewählten Lieferanten werden dann üblicherweise als Nebenlieferanten bezeichnet. Andererseits kann der Kunde einen Hauptlieferanten und je nach Beschaffungsstrategie einen oder mehrere Nebenlieferanten bestimmen. Als Hauptlieferant wird derjenige Lieferant bezeichnet, der den größten Anteil am Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt auf sich vereinen kann (Freter 1992, S. 11; Gassenheimer/Calantone/Scully 1995, S. 14). Hauptlieferanten werden vom Kunden fortlaufend als besonders wichtig für das Unternehmen eingestuft und tragen am meisten zum Wettbewerbsvorteil des Kunden bei (Pressey/Tzokas/Winklhofer 2007, S. 285). Sie liefern zudem häufig strategische Produkte, die einen hohen Wert haben, knapp sind oder erheblich zur Leistungsfähigkeit des Kunden beitragen (Corsten/Felde 2005, S. 446 f.). Als Nebenlieferanten werden dagegen alle Lieferanten bezeichnet, die im Gegensatz zum Hauptlieferanten einen geringeren Anteil am Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt erhalten. Bei vom Kunden schon in der Vergangenheit eingekauften Produkten erhält jeder potenziell neue Lieferant in der Regel zunächst einen geringen Anteil am Beschaffungsvolumen. Sein Lieferantenstatus ist mit dem eines Nebenlieferanten gleichzusetzen. Lieferanten streben danach, ihren Status auszubauen, weil der Kunde dann einerseits einen größeren Anteil am Beschaffungsvolumen an sie vergibt und andererseits mehr Ressourcen in eine solche Geschäftsbeziehung investiert. An der Spitze einer Lieferantenpyramide steht daher der Hauptlieferant, der auch als „preferred supplier“ bezeichnet wird (Christopher/Jüttner 2000, S. 120). Für jeden Lieferant besteht grundsätzlich die Möglichkeit die einzelnen Stufen einer Lieferantenpyramide aufzusteigen, wobei er seinen erreichten Status auch wieder verlieren kann (Stuart 1997, S. 234). Diese Unterscheidung von Lieferanten anhand ihres Anteils am Beschaffungsvolumen ist in der Praxis weit verbreitet. Überraschend ist jedoch, dass im Forschungskontext von empirischen Untersuchungen zu Kunden-Lieferantenbeziehungen kaum zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten unterschieden wird. Bei der Befragung von Einkaufsmanagern werden diese in den meisten Untersuchungen gebeten, sich auf den Lieferanten zu beziehen, mit dem sie kürzlich einen Rahmenvertrag verhandelt haben (siehe z.B. Wuyts/Geyskens 2005, S. 109). Es ist irrelevant, ob es sich dabei um einen Hauptlieferanten oder einen Nebenlieferanten handelt. Einige wenige empirische Untersuchungen (Corsten/Felde 2005, S. 452; Ulaga/Eggert 2006, S. 128; Pressey/Tzokas/Winklhofer 2007, S. 285) konzentrieren sich ausschließlich auf Geschäftsbeziehungen mit Hauptlieferanten. Ein expliziter Vergleich zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten wurde jedoch bisher
Lieferantenbeziehungen
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in keiner Untersuchung vorgenommen. Hier setzt die folgende Arbeit an, die sich mit der Bedeutung des Lieferantenstatus beim Management von Kunden-Lieferantenbeziehungen beschäftigt und sich auf potenzielle Unterschiede im Entscheidungsprozess für die Vergabe eines Anteils am Beschaffungsvolumen an einen Hauptlieferanten oder an einen Nebenlieferanten fokussiert. Im anschließenden Abschnitt werden mögliche Funktionen von Lieferantenbeziehungen erläutert. Dabei wird auch auf den Unterschied zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten eingegangen, um aufzuzeigen, welche Funktionen eher von Hauptlieferanten und welche eher von Nebenlieferanten erfüllt werden. 2.1.4 Funktionen von Lieferantenbeziehungen Unter Funktionen werden vom Lieferanten erbrachte Leistungen und von ihm bereitgestellte Ressourcen verstanden, wobei es um den Beitrag des Lieferanten zur Geschäftsbeziehung mit dem Kunden geht (Walter/Ritter/Gemünden 2001, S. 367). Die Aufrechterhaltung von Beziehungen mit Lieferanten dient also einem funktionalen Zweck (Håkansson/Turnbull 1982, S. 1). In KundenLieferantenbeziehungen sind die vom Lieferanten übernommenen Funktionen als ein Beitrag zur Geschäftstätigkeit des Kunden zu sehen. Die Erfüllung von Funktionen durch den Lieferanten bedeutet, dass der Kunde einen bestimmten funktionalen Input für seine Arbeitsabläufe erhält (Walter et al. 2003, S. 162). Der Abschnitt 2.1.4.1 geht zunächst auf direkte Funktionen von Lieferanten ein, die auch als primäre Funktionen (Anderson/Håkansson/Johanson 1994, S. 3) oder Funktionen 1. Ordnung (Håkansson/Johanson 1993, S. 14) bezeichnet werden. Wenn die Vorteile einer Beziehung innerhalb dieser Beziehung realisiert werden können, sind direkte Funktionen gemeint. Dies bedeutet, dass die Erfüllung von direkten Funktionen nicht von anderen Beziehungen oder Akteuren abhängt (Walter et al. 2003, S. 161). Der Abschnitt 2.1.4.2 stellt anschließend die indirekten Funktionen von Lieferanten vor, die auch als sekundäre Funktionen (Anderson/Håkansson/Johanson 1994, S. 3) oder Funktionen 2. bzw. 3. Ordnung (Håkansson/Johanson 1993, S. 21, 24) benannt werden. Diese indirekten Funktionen von Lieferanten sind für den Kunden nur zukünftig oder in anderen Beziehungen vorteilhaft, so dass für den Kunden kein unmittelbarer Nutzen entsteht (Walter et al. 2003, S. 161). Für die anschließende Beschreibung aller Funktionen gilt, dass zunächst die Funktion selbst näher erläutert wird. Im Anschluss daran wird ausgeführt, ob eine bestimmte Funktion eher von Hauptlieferanten oder eher von Nebenlieferanten übernommen wird. Bei einigen Funktionen ist es allerdings
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Konzeptionelle Grundlagen
zusätzlich notwendig, verschiedene Kombinationen von Lieferantentypen zu unterscheiden: nur Nebenlieferanten, ein einziger Hauptlieferant oder ein Hauptlieferant und einer oder mehrere Nebenlieferanten. 2.1.4.1 Direkte Funktionen Bei direkten Funktionen kann zwischen verschiedenen Bereichen unterschieden werden, in denen ein Kunde Vorteile durch Lieferanten erzielen kann. Der Abschnitt 2.1.4.1.1 geht zunächst auf die grundsätzliche Funktion aller Lieferanten ein, nämlich die rechtzeitige Lieferung eines bestimmten Produkts. Neben dieser Lieferfunktion ziehen Kunden vor allem aus der Kostenreduzierungsfunktion (siehe Abschnitt 2.1.4.1.2) und der Qualitätsverbesserungsfunktion (siehe Abschnitt 2.1.4.1.3) einen Nutzen. Ein weiterer Vorteil für den Kunden resultiert aus der Investitionsfunktion des Lieferanten (siehe Abschnitt 2.1.4.1.4), die kundenspezifische Investitionen des Lieferanten beinhaltet. Eine weitere Funktion bezieht sich auf die Beteiligung von Lieferanten an Innovationsprozessen des Kunden und wird als Innovationsentwicklungsfunktion bezeichnet (siehe Abschnitt 2.1.4.1.5). Abschließend werden im Abschnitt 2.1.4.1.6 und 2.1.4.1.7 zwei Funktionen vorgestellt, die vor allem Nebenlieferanten wahrnehmen. Dabei geht es um die Bedeutung eines Nebenlieferanten bei der Reduzierung der Abhängigkeit des Kunden vom Hauptlieferanten und bei der Absicherung des Kunden gegen Lieferausfälle, die beim Hauptlieferanten auftreten können.
2.1.4.1.1 Lieferfunktion Jeder Lieferant übernimmt unabhängig von seinem Status eine Lieferfunktion beim Kunden. Ein Lieferant erfüllt seine Lieferfunktion, in dem er das vom Kunden spezifizierte Produkt in der geforderten Menge zum vereinbarten Zeitpunkt liefert. Das Ziel des Kunden ist, das Risiko eines Produktionsstillstands durch nicht fristgerechte Lieferung zu reduzieren. Je nachdem welche Aufteilung der Kunde für das Beschaffungsvolumen gewählt hat, kann dieses Risiko auf unterschiedliche Art und Weise minimiert werden. Bei der Aufteilung des Beschaffungsvolumens kommen verschiedene Kombinationen von Lieferantentypen in Frage. Sie beeinflussen unter anderem auch die Entscheidung des Lieferanten, ob er bereit ist, eine bestimmte Funktion zu übernehmen. Durch die Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf mindestens zwei Lieferanten kann der Kunde Lieferunterbrechungen vermeiden und so die Verfügbarkeit von Materialien sicherstellen (Hahn/ Kim/Kim 1986, S. 4; Godefroid 2003, S. 91), indem er kurzfristig einen Teil des Beschaffungsvolumens auf einen oder mehrere andere Lieferanten verlagert. Die Lieferfunktion der anderen Lieferanten wird dadurch vorübergehend erweitert. Eine solche Nichterfüllung der Lieferfunktion durch
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einen Lieferanten kann in diesem Fall besser aufgefangen werden (McMillan 1990, S. 47; Gadde/Snehota 2000, S. 313), weil der Kunde in der Regel sofort zu einem anderen Lieferanten wechseln kann (Landeros/Monczka 1989, S. 11), der das gleiche Produkt schon an den Kunden liefert. Dies ist allerdings nur bei Produkten möglich, bei denen am Markt keine Knappheit herrscht. Bei solchen Produkten ist es zudem unerheblich, wie der Kunde sein Beschaffungsvolumen aufgeteilt hat, d.h. ob er nur Nebenlieferanten oder einen Hauptlieferanten in Kombination mit einem oder mehreren Nebenlieferanten beauftragt hat. Je nachdem von welchem Lieferanten der Lieferengpass verursacht wird, kann der jeweils andere Lieferant das Produkt jederzeit kurzfristig liefern. Bei einer Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf mindestens zwei Lieferanten ohne Hauptlieferantenstatus, kann allerdings dann ein Problem entstehen, wenn es zu Lieferschwierigkeiten bei knappen Produkten kommt. Der Lieferant nimmt seine Lieferfunktion für diese knappen Produkte möglicherweise nicht wahr, weil der Kunde aufgrund des an ihn vergebenen geringen Anteils am Beschaffungsvolumen für diesen Lieferanten nicht so bedeutend ist. Der Kunde wird dann bei knappen Produkten möglicherweise nur nachrangig beliefert, wenn der Lieferant für dieses Produkt weitere Aufträge von Kunden hat, bei denen er einen größeren Anteil am Beschaffungsvolumen auf sich vereinen kann. Bei Lieferunterbrechungen von knappen Produkten besteht in diesem Fall die Gefahr, dass kurzfristig kein Ersatzlieferant verfügbar ist. Ein solcher Lieferengpass kann beim Kunden schließlich zu Problemen führen, weil sich die Lieferzeiten für seine eigenen Endprodukte verlängern würden (Williamson 1991, S. 82 f.). Bei einem einzigen Hauptlieferanten für das gesamte Beschaffungsvolumen eines Produkts können mögliche Lieferengpässe verhindert werden (Elmaghraby 2000, S. 351), weil der Kunde vom Hauptlieferanten aufgrund des an ihn vergebenen großen Beschaffungsvolumens bevorzugt behandelt wird und so die Fertigung seiner Produkte bei der Produktionsplanung des Lieferanten vorrangig berücksichtigt wird. In einem solchen Fall besteht im Gegensatz zu mindestens zwei gleichzeitig beauftragten Lieferanten allerdings ein größeres Risiko für den Kunden, wenn dieser Hauptlieferant seine Lieferfunktion nicht erfüllen kann. Der Kunde kann bei auftretenden Lieferunterbrechungen möglicherweise kurzfristig nicht auf andere Lieferanten auszuweichen, wenn kein anderer Lieferant aus dem bestehenden Lieferantenpool für die Lieferung dieses Produkts in Frage kommt. Auf am Markt verfügbare Lieferanten kann auch nicht zurückgegriffen werden, da diese neuen Lieferanten erstmal „freigeprüft“ werden müssen. Darunter wird der gesamte Prozess verstanden, bei dem potenzielle Lieferanten nachweisen müssen, dass sie alle Voraussetzungen, z.B. ISO 9000Zertifizierung, zur Lieferung des Produkts an den Kunden erfüllen. Das Problem von Lieferunterbrechungen ist deshalb auch ein Hauptargument gegen die Beauftragung eines einzigen Hauptliefe-
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ranten (Treleven/Schweikhart 1988, S. 97). Kunden sind dadurch verwundbarer, weil keine weitere Beschaffungsquelle unmittelbar zur Verfügung steht (Galt/Dale 1991, S. 21). 2.1.4.1.2 Kostenreduzierungsfunktion Ein bedeutender Aspekt der Profitabilität des Kunden ist der Geldbetrag, der für den Einkauf von Leistungen ausgegeben wird. Kunden streben nach niedrigen Einkaufspreisen bei gleichzeitig hoher Qualität. Wenn eine Beziehung mit dem Lieferanten eine Plattform für geringere Beschaffungskosten bietet, ist die Kostenreduzierungsfunktion erfüllt (Walter et al. 2003, S. 161). Lieferanten erfüllen ihre Kostenreduzierungsfunktion beim Kunden in erster Linie dadurch, dass sie dem Kunden einen niedrigen Einkaufspreis bieten. Durch die gleichzeitige Beauftragung von mindestens zwei Lieferanten erzeugt der Kunde Wettbewerbsdruck (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 4; Godefroid 2003, S. 91). Dies führt zwar kurzfristig zu geringeren direkten Beschaffungskosten (Gadde/Snehota 2000, S. 313), weil die Lieferanten um einen höheren Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden konkurrieren. Sie bieten niedrigere Einkaufspreise oder andere wettbewerbsgetriebene Konditionen, um sich gegenseitig zu unterbieten und den Zuschlag zu erhalten (Landeros/Monczka 1989, S. 11). Demgegenüber führt die Forcierung des Wettbewerbs zwischen Lieferanten langfristig allerdings nicht zu niedrigeren Einkaufspreisen für den Kunden. Sie fühlen sich unter diesem Wettbewerbsdruck gezwungen, ihren Preis herabzusetzen, selbst wenn dadurch die Produktqualität leidet. Ein Lieferant könnte Material von fragwürdiger Qualität verwenden, solange er die festgelegten Kundenspezifikationen gerade so erfüllt. Die langfristigen Konsequenzen für den Kunden sind erhöhte Kosten für Qualitätsprüfungen und Nacharbeiten (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 6). Der Lieferant erfüllt zwar seine Kostenreduzierungsfunktion, nicht aber seine Qualitätsverbesserungsfunktion. Gleichzeitig sind Lieferanten durch den Wettbewerbsdruck gezwungen, in einem unsicheren Geschäftsumfeld zu operieren, weil sie jederzeit damit rechnen müssen, Aufträge an einen Wettbewerber zu verlieren. Daraus resultiert in der Regel auch ein kürzerer Planungshorizont für die Lieferanten. Diese Unsicherheit zwingt Lieferanten schließlich dazu, Entscheidungen zu treffen, die ihre eigenen langfristigen Produktions- und Materialkosten erhöhen (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 4 f.; Carr/ Pearson 1999, S. 500). Dadurch kann der Lieferant seine Kostenreduzierungsfunktion beim Kunden nicht erfüllen, weil er die Einkaufspreise für den Kunden aufgrund gestiegener Produktionskosten erhöhen müsste.
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Durch die Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf mindestens zwei Lieferanten hat der Kunde Zugang zu Vergleichsangeboten und erhält so bessere Informationen sowohl über die Leistungsfähigkeit von Lieferanten (McMillan 1990, S. 47) als auch über alternative Einkaufspreise, zu denen seine Bedürfnisse befriedigt werden könnten (Williamson 1991, S. 82). Konkurrierende Lieferanten können dem Kunden dabei helfen, seine Erwartungen bezüglich der Leistungsfähigkeit eines bestimmten Lieferanten zu bilden (Richardson 1993, S. 341). Sie dienen dem Kunden als „monitor of the incumbent’s costs“ und verhindern, dass ein Lieferant seine Kosten als überhöht darstellt (Demski/Sappington/Spiller 1987, S. 77). Die Beauftragung von mindestens zwei Lieferanten liefert dem Kunden also einen Standard für Lieferantenvergleiche bezüglich Kosten und Qualität. Der Erfolg eines Lieferanten bei der Generierung von Kosteneinsparungen bietet dem Kunden eine Kontrolle darüber, wie umfangreich die Bemühungen anderer Lieferanten sind und umgekehrt. Er kann durch solche Vergleiche Druck auf den Lieferanten ausüben, damit dieser sein momentanes Leistungsniveau aufrechterhält (Earls 2009, S. 39). Bei einem einzigen Hauptlieferanten hat der Kunde dagegen aufgrund des fehlenden Wettbewerbs kaum Zugang zu Vergleichsangeboten von unterschiedlichen Lieferanten. Eine solche Konstellation erschwert es dem Kunden, zu beurteilen, ob der aktuelle Hauptlieferant tatsächlich seine Kostenreduzierungsfunktion erfüllt. Im Extremfall kann es sogar passieren, dass potenzielle Wettbewerber die Erstellung eines Angebots gegen diesen Hauptlieferanten ablehnen, weil ihr Angebot vom Kunden nur als Vergleichsmaßstab für das Angebot dieses Hauptlieferanten genutzt werden würde, ohne dass für den anbietenden Lieferanten die Möglichkeit besteht, tatsächlich einen Auftrag zu erhalten (Brennan 1997, S. 771). Neben der Erzielung eines geringen Einkaufspreises durch den Aufbau von Wettbewerbsdruck auf die Lieferanten hat der Kunde noch andere Möglichkeiten. Bei der Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf einen Hauptlieferanten und einen oder mehrere Nebenlieferanten kann der Kunde vor allem mithilfe des Hauptlieferanten Kosteneinsparungen realisieren. Erstens besteht die Möglichkeit, dass der Hauptlieferant seine Kostenstruktur offen legt und der Kunde so durch die Kenntnis der Produktionskosten des Hauptlieferanten einen niedrigeren Einkaufspreis verhandeln kann. Zweitens kann der Hauptlieferant durch die Konzentration des Beschaffungsvolumens Skaleneffekte realisieren, die seine Produktionskosten senken und damit ebenfalls zu einem niedrigeren Einkaufspreis für den Kunden führen können. Drittens kann der Hauptlieferant den Kunden dabei unterstützen, seine eigenen Produktionskosten zu senken, in dem er Komponenten herstellt, deren einzelne Teile der Kunde bisher selbst produziert hat. Viertens kann der Hauptlieferant durch seine frühzeiti-
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ge Einbindung in den Produktentwicklungsprozess des Kunden dazu beitragen, die Produktentwicklungskosten sowie die Qualitätskosten des Kunden zu reduzieren. Hauptlieferanten sind aufgrund ihres höheren Anteils am Beschaffungsvolumen eher bereit, dem Kunden Zugang zu Informationen über ihre Kostenstruktur zu gewähren, sofern sie nicht das Gefühl haben, dass der Kunde diese Kosteninformationen in für sie nachteiliger Weise ausnutzt, indem er z.B. einen Einkaufspreis fordert, bei dem der Hauptlieferant keinen Gewinn mehr erwirtschaften kann. Diese Kosteninformationen sichern dem Kunden über die Vertragslaufzeit einen fairen und stabilen Preis (Treleven/Schweikhart 1988, S. 100). Durch diese detaillierten Informationen bezüglich der Produktionskosten eines Hauptlieferanten hat der Kunde gleichzeitig auch einen Verhandlungsvorteil gegenüber anderen Lieferanten in ähnlichen Produktkategorien (Sheridan 1988, S. 36). Bei langfristigen Verträgen verhandeln Kunden und Lieferanten häufig einen Anfangspreis und einigen sich auf jährliche anteilige Reduzierungen des Einkaufspreises über die Vertragslaufzeit (Newman 1989, S. 21). Solche Bedingungen bieten dem Kunden Kostensicherheit (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 32) und dem Lieferanten Bestellsicherheit und eine bessere Planung seiner Produktionskapazitäten (Han/Wilson/Dant 1993, S. 335). Bei Hauptlieferanten kann der Kunde durch die Konzentration des Beschaffungsvolumens eher von Skaleneffekten und Erfahrungskurveneffekten profitieren, die zu geringeren Produktionskosten beim Hauptlieferanten führen können (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 6; Sheridan 1988, S. 34). Dadurch, dass der Hauptlieferant aufgrund eines größeren Beschaffungsvolumens Skaleneffekte realisieren kann, ist er auch eher bereit, dem Kunden Nachlässe beim Einkaufspreis zu gewähren (Walter et al. 2003, S. 161). Größere Produktionsläufe beim Hauptlieferanten führen außerdem zu geringeren Einrichtungskosten pro Stück (Newman 1989, S. 21). Durch das über einen längeren Zeitraum vom Kunden zugesicherte höhere Beschaffungsvolumen kann der Hauptlieferant zudem seine Materialien in wirtschaftlicheren Mengen einkaufen und seine Anlagen effizienter einteilen (Sheridan 1988, S. 36). Der Hauptlieferant kann so das Zulieferprodukt zu geringeren Stückkosten produzieren (Treleven/Schweikhart 1988, S. 100; Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 31). Mit kumulierter Erfahrung durch kontinuierliche Produktion eines Zulieferprodukts ist der Hauptlieferant auch besser in der Lage, Verbesserungen im Produktionsprozess zu erreichen, die ebenfalls zu geringeren Stückkosten führen können (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 6). In den meisten Industrien verbessert sich die Qualität und die Kosten sinken, wenn sich die kumulative Erfahrung bezüglich der Produktion eines Produkts erhöht. Im Speziellen sinken die Stückkosten um zehn bis dreißig Prozent mit vergleichbarer Erhöhung in der Produktqualität, sobald sich die kumulierte Erfahrung verdoppelt
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(Dyer/Ouchi 1993, S. 53 f.; für eine Erläuterung des Erfahrungskurvenkonzepts siehe Kotler/ Keller/Bliemel 2007, S. 604 f.). Durch die üblicherweise umfangreichere Zusammenarbeit mit Hauptlieferanten kennen die Kunden deren Kompetenzen besser, wodurch eine Auslagerung der Teileproduktion an Hauptlieferanten erleichtert wird. Hauptlieferanten können so dazu beitragen, dass Kunden Einsparungen durch geringere Produktionskosten realisieren können. Diese Einsparungen können erzielt werden, weil Hauptlieferanten als Spezialisten gelten. Sie sind folglich besser in der Lage, auftretende Mehrkosten in der Produktion zu senken (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 31). Allerdings verbleibt trotz der Auslagerung vieler Aktivitäten an Hauptlieferanten die Verantwortung für das Management dieser Aktivitäten beim Kunden. Im Ergebnis führt dies zu einer komplexeren und anspruchvolleren Rolle des Kunden (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 33). Gleichzeitig ist damit auch eine gewisse Abhängigkeit vom Hauptlieferanten bezogen auf sein Fachwissen verbunden, wenn der Kunde allmählich die Fähigkeit verliert, die ausgelagerten Teile selbst zu entwickeln und zu spezifizieren (Fine/Whitney 1996, S. 21). Ein weiteres Problem bei Auslagerung der Teileproduktion an Hauptlieferanten ist, dass der Kunde nicht mehr im Detail weiß, was in sein eigenes Endprodukt eingeht (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 34). Hauptlieferanten können auch zu Kostenreduzierungsmaßnahmen des Kunden beitragen, in dem sie überhaupt bzw. früher in die Produktentwicklung des Kunden eingebunden sind. Sie können z.B. durch frühere Verfügbarkeit von Prototypen, gestiegene Standardisierung der Teile, erhöhte Konsistenz zwischen Design und Prozesskompetenzen des Hauptlieferanten sowie weniger Änderungen in der Konstruktion der Zulieferprodukte zur Reduzierung der Produktentwicklungskosten des Kunden beitragen. Die Entwicklung qualitativ höherwertiger Zulieferprodukte mit weniger Fehlern in Kooperation mit dem Hauptlieferanten ermöglicht es dem Kunden zudem, seine Qualitätskosten zu senken (Ittner et al. 1999, S. 255), weil weniger Ausschuss produziert wird. Bei der Vergabe des Beschaffungsvolumens an mindestens zwei Lieferanten mit Hauptlieferantenstatus muss der Kunde berücksichtigen, dass das an Nebenlieferanten vergebene Beschaffungsvolumen ausreichend ist, um kostendeckend produzieren zu können. Sie sind sonst aufgrund zu hoher Durchschnittskosten pro Stück zur Bedienung des Kunden nicht konkurrenzfähig. Sie können dem Kunden dann keine wettbewerbsfähigen Preise bieten. Somit könnte ein Nebenlieferant seine potenzielle Funktion nicht mehr erfüllen, Preisdruck auf den Hauptlieferanten auszuüben (Williamson 1991, S. 83). Dies hängt damit zusammen, dass der Hauptlieferant durch den an ihn vergebenen
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größeren Anteil am Beschaffungsvolumen zumeist günstiger produzieren und damit dem Kunden im Gegensatz zu Nebenlieferanten einen geringeren Einkaufspreis bieten kann.
2.1.4.1.3 Qualitätsverbesserungsfunktion Die Kunden können aus dem gelieferten Produkt selbst Nutzen ziehen, besonders dann, wenn der Lieferant seine Qualitätsverbesserungsfunktion wahrnimmt. Die Vorteile aus dem angebotenen Produkt werden daher als Qualitätsverbesserungsfunktion bezeichnet (Walter et al. 2003, S. 161). In einigen Fällen ist das Zulieferprodukt ein wichtiger Bestandteil des Kunden-Endprodukts, z.B. der Mikroprozessor eines Computers oder das Triebwerk eines Flugzeugs. Das Zulieferprodukt trägt zur Qualität des Kunden-Endprodukts bei. Der Lieferant kann aber auch den Kunden bei der Optimierung seiner Arbeitsabläufe unterstützen, in dem das Zulieferprodukt leicht einzubauen ist. Die Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf mehrere Nebenlieferanten geht damit einher, dass diese die Zulieferprodukte ausschließlich auf der Grundlage vorgegebener Spezifikationen des Kunden herstellen. Aufgrund des vergleichsweise geringen Anteils am Beschaffungsvolumen bemühen sich Nebenlieferanten in der Regel nicht aktiv um eine Verbesserung ihrer Zulieferprodukte, sondern reagieren nur auf Anpassungswünsche des Kunden. Bei der Beauftragung eines Hauptlieferanten und einem oder mehreren Nebenlieferanten ist es dagegen wahrscheinlicher, dass der Hauptlieferant eine Qualitätsverbesserungsfunktion übernimmt. Der Hauptlieferant ist eher geneigt, dem Kunden zu erlauben, ihn einer strengen Qualitätsprüfung, Zertifizierung und Schulung zu unterziehen (Burt 1989, S. 128). Dies führt im Ergebnis meist zu einer verbesserten Qualität der Zulieferprodukte. Gleichzeitig ist der Kunde eher bereit, den Hauptlieferanten bei der Entwicklung von verbesserten Prozessen in der Qualitätskontrolle zu unterstützen und sein Wissen an den Hauptlieferanten weiterzugeben. Durch Qualitätsverbesserungsteams mit Mitarbeitern beider Partner können solche qualitätsbildenden Maßnahmen gemeinsam umgesetzt werden (Treleven 1987, S. 21; Landeros/Monczka 1989, S. 14). Davon profitiert auch der Kunde, weil eine Qualitätsprüfung auf Kundenseite unnötig wird (Sheridan 1988, S. 35). Diese Aktivitäten können zu verbesserter Qualität beim Hauptlieferanten führen. In einer solchen Konstellation mit einem Hauptlieferanten und einem oder mehreren Nebenlieferanten können Nebenlieferanten von den Qualitätsverbesserungsmaßnahmen des Hauptlieferanten profitieren. Der Kunde wird gegebenenfalls seine Erfahrungen mit dem Hauptlieferanten an seine Nebenlieferanten weitergeben, so dass diese selbst keine eigenen Ressourcen für die Verbesserung der Qualität zur Verfügung stellen müssen. Aufgrund des vergleichsweise geringeren Beschaffungsvo-
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lumens werden Nebenlieferanten auch nicht bereit sein, in Qualitätsverbesserungen zu investieren, wenn sie ihre dafür getätigten Aufwendungen nicht zumindest langfristig mit dem Auftragsumfang des Kunden decken können.
2.1.4.1.4 Investitionsfunktion Eine Investitionsfunktion übernimmt ein Lieferant, wenn er in Fähigkeiten und neue Technologien investiert, die spezifisch für einen Kunden sind (Asmus/Griffin 1993, S. 70; McCutcheon/Stuart 2000, S. 282). Bei kundenspezifischen Investitionen können verschiedene Typen unterschieden werden: standortspezifische, materielle oder personelle Investitionen. Bei standortspezifischen Investitionen werden Produktionsstätten von Lieferanten so angesiedelt, dass sie größtenteils einem bestimmten Kunden gewidmet sind, um die Koordination zu verbessern sowie um Lagerhaltungsund Transportkosten einzusparen. Materielle Investitionen liegen vor, wenn Produktionsausrüstungen, wie z.B. Werkzeuge, Gussformen, Einspannvorrichtungen oder Maschinen, vom Lieferanten kundenindividuell gefertigt werden. Sie können dann nur für die Produktion eines bestimmten Kundenprodukts eingesetzt werden. Personelle Investitionen entstehen, wenn sich Designer und Fertigungsingenieure bedeutendes kundenspezifisches Wissen aneignen (Dyer/Ouchi 1993, S. 56). Solche kundenspezifischen Investitionen können für den Lieferanten nachteilig sein, weil sie nicht auf Geschäftsbeziehungen mit anderen Kunden übertragbar sind (Brennan 1997, S. 771). Die Spezialisierung von Vermögenswerten ist für den Lieferanten kostspielig und birgt ein strategisches Risiko, das aus der erhöhten Verletzlichkeit durch opportunistisches Verhalten des Kunden entstehen kann (Christopher/Jüttner 2000, S. 119). Solche spezifischen Investitionen können außerdem zu Wechselkosten sowohl für den Kunden als auch für den Lieferanten führen. Sobald sie getätigt werden, sind Kunden und Lieferanten zu einem gewissen Grad voneinander abhängig. Durch die Abhängigkeit vom Lieferanten ist der Kunde weniger flexibel, um auf Trends im Zuliefermarkt, z.B. bessere Technologien, zu reagieren bzw. diese auszunutzen (Ramsay/Wilson 1990, S. 23; De Toni/Nassimbeni 1999, S. 601). Außerdem besteht für beide Seiten das Risiko, an den falschen Partner gebunden zu sein. Ein Kunde hat beispielsweise eine Fehlentscheidung getroffen, wenn ein beauftragter Lieferant außerstande ist, in der Technologie führend zu bleiben und zu langsam auf sich ändernde Marktgegebenheiten reagiert. Ein Lieferant hat sich dagegen mit dem falschen Partner eingelassen, wenn der Kunde an Bedeutung verliert, weil der Marktanteil bei seinen Endkunden sinkt und dadurch das Geschäftsvolumen mit dem Lieferanten zurückgeht (Brennan 1997, S. 771). Spezifische Investitionen sind dann vorteilhaft, wenn die resultierenden Kostensenkungen und Qua-
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litätsverbesserungen die Nachteile überwiegen, die mit der Abhängigkeit von externen Partnern verbunden sind (Dyer/Ouchi 1993, S. 56). Bei der Investitionsfunktion ergeben sich für mögliche Konstellationen bei der Aufteilung des Beschaffungsvolumens keine Unterschiede. Wenn der Kunde von einem Lieferanten die Übernahme einer Investitionsfunktion erwartet, ist es entscheidend, dass er diesem Lieferanten den Status eines Hauptlieferanten zugesteht. Denn zu solchen kundenspezifischen Investitionen sind grundsätzlich eher Hauptlieferanten bereit, solange ihnen ein hoher Anteil am Beschaffungsvolumen über einen längeren Zeitraum zugesichert wird, damit sich die kundenspezifischen Investitionen auch für den Lieferanten auszahlen. Sie erhoffen sich dadurch einen längerfristigen Vorteil und sind deshalb bereit, kundenspezifisch zu investieren. Nebenlieferanten werden kaum spezifisch investieren, da ihr Anteil am Beschaffungsvolumen bei einem bestimmten Kunden in der Regel zu gering ist.
2.1.4.1.5 Innovationsentwicklungsfunktion Lieferanten können die Innovationsaktivitäten des Kunden unterstützen, indem sie frühzeitig in die Produkt-, Design- und Prozessentwicklung eingebunden werden (McCutcheon/Stuart 2000, S. 282) und dabei als Co-Designer fungieren (De Toni/Nassimbeni 1999, S. 603). Sie erfüllen beim Kunden dann eine Innovationsentwicklungsfunktion. Diese Innovationsunterstützung kann verschiedene Bereiche beinhalten: Weitergabe von innovativen Ideen, Lieferung innovativer Teile und Komponenten, Expertise bei der Konstruktion von Produktionsanlagen oder Beteiligung an einem gemeinschaftlichen Entwicklungsprojekt. Durch die Nutzung von Ressourcen des Lieferanten können Kunden ihren eigenen Entwicklungsprozess beschleunigen (Walter et al. 2003, S. 162). Lieferanten stehen dem Kunden bei Fragen zu Lieferaspekten bzw. zum richtigen Zeitpunkt der Markteinführung beratend zur Seite. Kunden können zudem von der Expertise des Lieferanten profitieren (Goffin/Szwejczewski/New 1997, S. 426), weil Lieferanten ihr Wissen als Mitglied im Entwicklungsteam des Kunden einbringen und beispielsweise die Funktion eines „technischen Gatekeepers“ übernehmen (McCutcheon/Stuart 2000, S. 283). Ein solcher Knowhow-Transfer wird auch deshalb möglich, weil die Grenzen zwischen den beteiligten Unternehmen durchlässiger werden (Heide/John 1990, S. 25) und so technische Expertise des Lieferanten zu Produktdesign, Prozessdesign und Prozessmanagement leichter transferiert werden kann (McCutcheon/Stuart 2000, S. 283). Bei der gleichzeitigen Beauftragung mehrerer Nebenlieferanten für die Herstellung eines bestimmten Zulieferprodukts durch den Kunden fehlt der Anreiz für diese Lieferanten eine solche Innovationsentwicklungsfunktion beim Kunden zu übernehmen und Produkt- oder Prozessinnovationen zu initiieren. Da in diesem Fall dasselbe Zulieferprodukt von mehreren Nebenlieferanten gleichzeitig
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geliefert wird, muss der Kunde potenziellen Lieferanten vollständig entwickelte und exakt beschriebene Produktspezifikationen zur Verfügung stellen. Diese Spezifikationen müssen von den Nebenlieferanten so übernommen werden, um die Einheitlichkeit der Produktqualität sicher zu stellen. Folglich ist es unwahrscheinlich, dass Nebenlieferanten bei der Berücksichtigung von Modifikationen die Initiative ergreifen, um die Produktqualität zu verbessern oder die Produktionskosten zu reduzieren, da ihr Engagement nur auf den bestehenden Vertrag ausgerichtet ist. Dieser Vertrag ist auf die Herstellung eines bestimmten Zulieferprodukts entsprechend der Spezifikationen des Kunden beschränkt (Hahn/Kim/Kim 1986, S. 6). Innovationen auf Initiative eines Lieferanten sind daher bei der gleichzeitigen Beauftragung mehrerer Nebenlieferanten unwahrscheinlich. Wenn der Kunde allerdings einen Hauptlieferanten beauftragt, werden von diesem eher gemeinsame Entwicklungsanstrengungen mit dem Kunden unternommen (Treleven/Schweikhart 1988, S. 103). Hauptlieferanten sind eher bereit, Informationen über eigene Produktentwicklungen mit dem Kunden zu teilen, weil durch die intensivere Zusammenarbeit zwischen beiden Partnern Bedenken bezüglich geistigem Eigentum abnehmen (Newman 1989, S. 21). Sie stellen dann ihre betriebliche und technische Expertise dem Kunden bereitwilliger zur Verfügung (Dowlatshahi 2000, S. 117). Sobald der Kunde also die Einführung eines neuen Produkts vorbereitet, werden Informationen mit dem Hauptlieferanten ausgetauscht. Sie ermöglichen es dem Hauptlieferanten, notwendige Veränderungen bei seinen Produkten und Prozessen durchzuführen. Die zusätzlichen Planungsinformationen erleichtern einerseits eine reibungslose Einführung des neuen Produkts (Treleven/Schweikhart 1988, S. 101). Andererseits kann die Zeit von der Konzeption bis zur Markteinführung neuer Produkte verkürzt werden (Sheridan 1988, S. 36; Tonkin 1989, S. 32; Cusumano/Takeishi 1991, S. 566; Ellram/Edis 1996, S. 26; Brennan 1997, S. 770). In der Automobilindustrie wird so üblicherweise ein größerer Prozentsatz richtiger „first time builds“ realisiert (Galt/Dale 1991, S. 17). Im Ergebnis führt dies in der Regel zu geringeren Gesamtkosten für die Herstellung des Kunden-Endprodukts (Larson/Kulchitsky 1998, S. 79). Mit ihrem Engagement während der Produktentwicklung beim Kunden erhoffen sich Hauptlieferanten, ihre Position als bevorzugter Lieferant beim Kunden auszubauen (Brennan 1997, S. 770) und bei der eigentlichen Auftragsvergabe schließlich einen großen Anteil am Beschaffungsvolumen zu erhalten. Aus diesem Grund übernehmen sie eine solche Innovationsentwicklungsfunktion. Durch das gemeinsame Entwicklungsprojekt mit dem Kunden erlangt der Hauptlieferant ein tiefes Verständnis über die Kundenanforderungen, so dass er proaktiv Produktverbesserungen vorschlagen und so die Kundenbedürfnisse besser bedienen kann (Han/Wilson/Dant 1993, S. 335). Damit profitiert der Kunde von der Zusammenarbeit. Im Gegenzug erwartet der Hauptlieferant allerdings, dass
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ihn der Kunde auch bei seinen Anstrengungen unterstützt, konkurrenzfähigere Zulieferprodukte zu entwickeln (McCutcheon/Stuart 2000, S. 283). Ein Nachteil für den Hauptlieferanten bei der Übernahme einer Innovationsentwicklungsfunktion kann allerdings sein, dass er über einen längeren Zeitraum daran gebunden ist, die Betriebsabläufe des Kunden zu unterstützen (Newman 1989, S. 24). Gleiches gilt auch für die Kundenmitarbeiter, die länger an einem bestimmten Entwicklungsprojekt beteiligt sind. Damit sind die Kundenmitarbeiter weniger flexibel einsetzbar, weil die Produktentwicklung komplexer wird, die Anforderungen bei der Koordination fachübergreifender Expertise höher werden und die Etablierung effektiver Kommunikation notwendig wird (Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 33).
2.1.4.1.6 Abhängigkeitsreduzierungsfunktion Bei der Beauftragung eines Hauptlieferanten und eines oder mehrerer Nebenlieferanten übernehmen diese Nebenlieferanten jeweils eine Abhängigkeitsreduzierungsfunktion. Ihre Funktion besteht darin, die Abhängigkeit des Kunden vom Hauptlieferanten zu reduzieren. Der Kunde sichert sich so gegen das Risiko opportunistischen Verhaltens durch den Hauptlieferanten ab, wie z.B. eine Erhöhung des Einkaufspreises durch den Hauptlieferanten aufgrund von Wechselkosten auf Seiten des Kunden. Mit der Beauftragung von mindestens einem weiteren Lieferanten verfolgt der Kunde das Ziel, „to keep the primary supplier honest“. So kann er dem Hauptlieferanten glaubwürdig damit drohen, dass er den Anteil des Nebenlieferanten erhöht, falls dieser seine Position auszunutzen beginnt (Williamson 1991, S. 82). Denn der Nebenlieferant ist „hungry to get more of your business“ (Sheridan 1988, S. 36). Im Folgenden wird die Konstellation mit einem Hauptlieferanten und einem Nebenlieferanten beschrieben, wobei die anschließenden Ausführungen auch für den Fall mit einem Hauptlieferanten und mehreren Nebenlieferanten gelten. Die Berücksichtigung eines Nebenlieferanten zur Reduzierung der Abhängigkeit vom Hauptlieferanten birgt auch Nachteile für Kunden. Es ist einerseits unwahrscheinlich, dass der Kunde vom Nebenlieferanten aufgrund des zumeist an ihn vergebenen geringen Beschaffungsvolumens als wichtig wahrgenommen wird, weshalb er auch nicht bevorzugt behandelt wird. Andererseits bedeutet die Umverteilung des Beschaffungsvolumens auf einen Nebenlieferanten, dass der Hauptlieferant einen geringeren Anteil erhält. Damit sinkt schließlich auch die Bedeutung des Kunden für den Hauptlieferanten. Der Kunde steht eventuell beim Hauptlieferanten nicht mehr an erster Stelle, wenn es um die Lieferung knapper Materialien geht. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Kunde wiederum seinen Endkunden keine kurzen Lieferzeiten mehr gewährleisten kann (Williamson 1991, S. 82 f.).
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Zusätzlich muss der Kunde bei der Hinzunahme eines Nebenlieferanten bedenken, dass beim Nebenlieferanten zur Bedienung des Kunden Fixkosten im Sinne von einer Mindestanzahl von Kundenbesuchen und Lieferungen entstehen. Falls die vom Nebenlieferanten an den Kunden gelieferte Menge zu gering ist, ist er aufgrund hoher durchschnittlicher Kosten pro Stück nicht konkurrenzfähig. Er könnte seine Funktion nicht mehr erfüllen und würde keinen Preisdruck mehr auf den Hauptlieferanten ausüben können (Williamson 1991, S. 83). Der Kunde muss also eine optimale Allokation des Beschaffungsvolumens zwischen beiden Lieferanten finden, damit er beim Hauptlieferanten seinen bevorzugten Status nicht verliert und der Nebenlieferant gleichzeitig noch seine Abhängigkeitsreduzierungsfunktion erfüllen kann. Der Hauptlieferant muss dazu einen hohen Anteil am Beschaffungsvolumen erhalten, damit der Kunde seinen Status als wichtigen und loyalen Kunden beim Hauptlieferanten sichern kann. Im Gegenzug kann der Kunde erwarten, dass der Hauptlieferant auf seine Anforderungen flexibel reagiert, so dass der Kunde Veränderungen bei den Bedürfnissen seiner Kunden schnell begegnen kann. Der Nebenlieferant benötigt zugleich einen ausreichenden Anteil am Beschaffungsvolumen, um bei gegebenen Fixkosten kostengünstig produzieren zu können. Das Entscheidungsproblem des Kunden wird in Abbildung 2.2 graphisch dargestellt.
hoch
50%
Anteil des Nebenlieferanten am gesamten Beschaffungsvolumen 25%
0%
niedrig
Preis des Nebenlieferanten (Skala rechterhand)
Flexibilität
niedrig
Preis
Flexibilität des Hauptlieferanten (Skala linkerhand)
hoch 50%
75% Anteil des Hauptlieferanten am gesamten Beschaffungsvolumen
Abbildung 2.2:
Trade-off zwischen einem Hauptlieferanten und einem Nebenlieferanten
Quelle:
In Anlehnung an Williamson 1991, S. 84
100%
30
Konzeptionelle Grundlagen
Entsprechend Abbildung 2.2 ist eine optimale Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf einen Hauptlieferanten und einen Nebenlieferanten dann gegeben, wenn der Hauptlieferant ausreichend flexibel reagieren kann und der geforderte Preis des Nebenlieferanten noch vergleichsweise niedrig ist. Der Hauptlieferant müsste dazu einen Anteil von mehr als 75 Prozent am Beschaffungsvolumen erhalten, während der Kunde an den Nebenlieferanten einen Anteil von weniger als 25 Prozent vergibt. Abbildung 2.2 macht zudem deutlich, dass eine gleichmäßige Aufteilung des gesamten Beschaffungsvolumens die Bedeutung des Kunden für den Hauptlieferanten verringert, während der Nebenlieferant aufgrund der höheren Stückzahlen einen geringeren Preis bieten kann. Der Kunde könnte vom Hauptlieferanten deshalb nicht die nötige Flexibilität auf seine Anfragen erwarten. Sobald die Anteile ungleich verteilt sind, steigt die Bedeutung des Kunden für den Hauptlieferanten, so dass er flexibler auf Änderungswünsche des Kunden reagieren wird. Bei einer ungleichen Verteilung des Beschaffungsvolumens strebt der Nebenlieferant danach, seinen Anteil zu erhöhen, um die Fixkosten für die Bedienung des Kunden auf mehr Stückzahlen verteilen zu können. Aufgrund seiner Position als Nebenlieferant kann er nur durch mehr Beschaffungsvolumen einen konkurrenzfähigen Preis bieten. Die Möglichkeit, einen Teil des Beschaffungsvolumens auf einen Nebenlieferanten zu verlagern, übt Preisdruck auf den Hauptlieferanten aus (Williamson 1991, S. 83). Wenn allerdings nur ein einziger Hauptlieferant beauftragt wird, fällt die Abhängigkeitsreduzierungsfunktion weg. Es besteht die Gefahr, dass dieser alleinige Hauptlieferant opportunistisch handelt und aufgrund vorhandener Wechselkosten des Kunden seine Preise erhöht (Treleven/ Schweikhart 1988, S. 99; Williamson 1991, S. 82). Dagegen spricht, dass sich durch die Konzentration des Beschaffungsvolumens auf einen einzigen Hauptlieferanten wiederum die Verhandlungsmacht des Kunden erhöht, was das Risiko opportunistischen Verhaltens durch den Hauptlieferanten minimieren kann (New/Ramsay 1997, S. 95).
2.1.4.1.7 Absicherungsfunktion Ähnlich der Abhängigkeitsreduzierungsfunktion übernehmen Nebenlieferanten häufig auch eine Absicherungsfunktion beim Kunden. Mit der gleichzeitigen Beauftragung eines weiteren Lieferanten verfolgen Kunden das Ziel, sich gegen Lieferausfälle beim Hauptlieferanten abzusichern. Viele Kunden bauen deshalb neben dem Hauptlieferanten für ein bestimmtes Produkt zusätzliche Beziehungen zu anderen Lieferanten auf. Sie ermöglichen es dem Kunden, sich gegen Lieferunterbrechungen oder -ausfälle abzusichern, wenn der Hauptlieferant bei der Lieferung eines Produkts versagt. Angesichts von Dynamik und Unsicherheit auf den Märkten müssen Kunden auf Nebenliefe-
Lieferantenbeziehungen
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ranten zurückgreifen können, wenn sich die Nachfrage bezogen auf das Beschaffungsvolumen oder die Spezifikationen verändert. Nebenlieferanten können als Versicherung (Håkansson 1982, S. 8) oder als Puffer gesehen werden (Walter et al. 2003, S. 161). 2.1.4.2 Indirekte Funktionen Neben den direkten Funktionen erfüllen Lieferanten auch indirekte Funktionen beim Kunden. Bei der Erfüllung einer indirekten Funktion durch den Lieferanten entsteht für den Kunden kein unmittelbarer Nutzen, sondern dieser kann häufig erst zukünftig oder in anderen Beziehungen realisiert werden (Walter et al. 2003, S. 161). Wenn ein Lieferant eine Scoutfunktion übernimmt, liefert er dem Kunden relevante Informationen (siehe Abschnitt 2.1.4.2.1). Bei der Marktfunktion unterstützt der Lieferant den Kunden, bei der Suche und bei der Auswahl von potenziellen Austauschpartnern (siehe Abschnitt 2.1.4.2.2). Mit der allgemeinen Unterstützungsfunktion ist die Bereitschaft des Lieferanten gemeint, persönliche Beziehungen zum Kunden aufzubauen (siehe Abschnitt 2.1.4.2.3). Alle indirekten Funktionen können grundsätzlich sowohl von Hauptlieferanten als auch von Nebenlieferanten übernommen, sofern sie sich daraus einen Vorteil versprechen.
2.1.4.2.1 Scoutfunktion Die Lieferanten erfüllen eine Scoutfunktion (= Spähfunktion), wenn sie technische, beziehungsoder marktbezogene Informationen an den Kunden weitergeben. Diese Funktion von Lieferanten ist für den Kunden wichtig, weil sie Informationen über ihre Umwelt benötigen und ihre Märkte genau kennen müssen, um erfolgreich zu sein. Die Lieferanten haben teilweise einen tieferen Einblick in bestimmte Bereiche oder langjährige Erfahrung, z.B. in einer bestimmten Industrie, die sie mit dem Kunden teilen können (Walter et al. 2003, S. 162). Bei der Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf mehrere Lieferanten sind diese Lieferanten in der Regel nicht bereit, eine solche Scoutfunktion zu erfüllen. Sie werden nur Informationen an den Kunden weitergeben, die zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zwingend erforderlich. Dieses Verhalten zeigt sich insbesondere bei Ausschreibungen. Da Kunden die Lieferanten bis zur letzten Minute ausspielen (Treleven/Schweikhart 1988, S. 102), erhalten Kunden nur Zugang zu technischen Informationen, die während der Ausschreibung nötig sind, um als Lieferant einen Zuschlag zu erhalten. Durch einen Ausschreibungswettbewerb hat der Kunde allerdings Zugang zu einer größeren Auswahl von potenziellen Lieferanten der modernsten Technologie (McMillan 1990, S. 46). Während des Ausschreibungsprozesses erhält er durch Nachfragen technische Informationen, die über die eigentliche Ausschreibung hinausgehen, weil sich die Lieferanten von der Infor-
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Konzeptionelle Grundlagen
mationsweitergabe einen Vorteil bei Auftragsvergabe versprechen. Durch ein solches Vorgehen vermeidet der Kunde, sich auf eine Technologie festzulegen, die zum Zeitpunkt des Produktionsbeginns veraltet sein könnte (Treleven/Schweikhart 1988, S. 102). Bei der Beauftragung eines einzigen Hauptlieferanten ist dieser hingegen eher bereit, eine Scoutfunktion beim Kunden zu erfüllen. Der Kunde erhält dann bei Technologieentscheidungen einen umfassenderen Zugang zum technischen Fachwissen des Hauptlieferanten. In Industrien mit gleich bleibender Technologie bevorzugen Kunden, sich frühzeitig auf einen Hauptlieferanten festzulegen und mit diesem zusammenzuarbeiten, um das Produkt zu entwickeln. In einem Markt mit gleich bleibender Technologie müssen sie nicht befürchten, dass sie an einen Hauptlieferanten gebunden sind, der mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten kann. Stattdessen können sie frühzeitig auf seine technische Expertise zurückgreifen. Dies wird möglich, weil der Kunde nicht mehr aktiv im Kontakt mit den direkten Konkurrenten des Hauptlieferanten steht. Sein Status als Hauptlieferant bietet ihm eine bessere Möglichkeit, seine Entwicklungskosten zu amortisieren (Treleven/Schweikhart 1988, S. 103; Lyons/Krachenberg/Henke 1990, S. 34).
2.1.4.2.2 Marktfunktion Ein Lieferant erfüllt eine Marktfunktion, wenn er den Kunden dabei unterstützt, Kontakte mit neuen potenziellen Austauschpartnern aufzubauen (Håkansson 1982, S. 8). Diese Kontakte können sich auf andere Lieferanten, aber auch auf Kunden, Industrieverbände oder staatliche Organisationen beziehen. Hierbei kann der Lieferant eine aktive Rolle übernehmen, in dem er den Kunden mit potenziellen Partnern zusammenbringt. Kunden nutzen solche Beziehungen mit angesehenen Lieferanten oft als Referenzen (Walter et al. 2003, S. 162). Wenn Kunden gute Beziehungen mit ihren Lieferanten pflegen, ist es für sie auch leichter, andere Austauschpartner zu gewinnen. Bei der Beauftragung mehrerer Lieferanten für ein bestimmtes Zulieferprodukt ist eine solche Marktfunktion unwahrscheinlich, zumindest wenn es um die Kontaktanbahnung mit anderen Lieferanten geht. Aufgrund des starken Wettbewerbsdrucks versucht der Lieferant eher zu verhindern, dass der Kunde Informationen über andere Lieferanten erhält, die möglicherweise in einigen Aspekten besser sind. Wenn der Kunde einen großen Anteil am Beschaffungsvolumen an einen Hauptlieferanten vergibt, kann der Hauptlieferant eher darauf vertrauen, dass der Kunde die von ihm zur Verfügung gestellten Informationen zum Vorteil aller Beteiligten verwendet.
Lieferantenbeziehungen
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2.1.4.2.3 Allgemeine Unterstützungsfunktion Eine weitere Funktion von Lieferantenbeziehungen stellt die allgemeine Unterstützungsfunktion dar. Bei der Unterstützung durch Lieferanten sind vor allem soziale Aspekte wichtig, weil die beidseitige Orientierung zwischen Unternehmen hauptsächlich auf einer beidseitigen Orientierung zwischen einzelnen Akteuren in diesen Unternehmen basiert (Johanson/Mattsson 1987, S. 40). Die Zusammenarbeit mit kooperativen und unterstützenden Partnern erzeugt eine gute Arbeitsatmosphäre. Die Beziehungen werden aufgrund ihrer persönlichen Bindungen aufrechterhalten, weil die Beteiligten gerne miteinander Geschäfte tätigen (Biong/Wathne/Parvatiyar 1997, S. 97). Personen sehen die Beteiligung an diesen Beziehungen als eine Quelle der Motivation und der Kreativität (Walter et al. 2003, S. 162). Bei der Vergabe des Beschaffungsvolumens an mehrere Lieferanten sind diese Nebenlieferanten kaum bereit, persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern des Kunden aufzubauen und diesen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zu helfen. Sie befürchten, dass sich die Preisgabe von Informationen nachteilig auswirkt und geben nur die nötigsten Informationen weiter. Auf dieser Grundlage können sich keine vertrauensvollen Beziehungen entwickeln, so dass Nebenlieferanten in diesem Fall kaum eine solche Unterstützungsfunktion übernehmen. Hauptlieferanten bauen dagegen bereitwillig Beziehungen zu Mitarbeitern auf Kundenseite auf, um dadurch ihre Position zu stärken und die entsprechenden Mitarbeiter von ihrer Leistungsfähigkeit zu überzeugen, so dass sie bei einem Folgeauftrag genügend „Fürsprecher“ beim Kunden haben. Nachdem im letzten Abschnitt direkte und indirekte Funktionen von Lieferantenbeziehungen ausführlich erläutert wurden, beschäftigt sich Abschnitt 2.2 mit dem Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen. 2.2 Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen Aus der Festlegung des Anteils eines Lieferanten am Beschaffungsvolumen durch den Kunden ergibt sich der Status dieses Lieferanten als Hauptlieferant oder Nebenlieferant. In Lieferantenbeziehungen ist die Entscheidung des Kunden über den Anteil eines Lieferanten am Beschaffungsvolumen für beide Seiten von hoher Relevanz. Dazu wird zunächst der Begriff des Kundenanteils näher erläutert (siehe Abschnitt 2.2.1). Im Anschluss daran werden bisher untersuchte Einflussgrößen des Kundenanteils im B-to-B Kontext vorgestellt, bei denen für Hauptlieferanten und für Nebenlieferanten unterschiedlich starke Zusammenhänge zwischen den Einflussgrößen und dem Kundenanteil vermutet werden können (siehe Abschnitt 2.2.2).
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Konzeptionelle Grundlagen
2.2.1 Begriffsbestimmung Zunächst werden verschiedene Begrifflichkeiten des Kundenanteils (Peppers/Rogers 1994, S. 37) sowohl in deutschsprachigen als auch in englischsprachigen Veröffentlichungen vorgestellt. Zusätzlich wird insbesondere auch auf das im B-to-C Kontext weit verbreitete Verständnis des Kundenanteils als Indikator von Kundenloyalität eingegangen. Daran anschließend wird die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition eingeführt und erläutert. In deutschsprachigen Veröffentlichungen aus dem B-to-B Kontext ist beispielsweise der Begriff des Lieferanteils als Synonym für den Kundenanteil verbreitet (Freter 1992, S. 5; Plinke 1997, S. 126). Daher sind auch die Definitionen beider Begriffe identisch, wobei es Unterschiede bei ihrer Verwendung gibt. Aus Lieferantensicht wird eher vom Kundenanteil gesprochen, d.h. welchen Anteil hat der Lieferant an einem bestimmten Kunden. Aus Kundensicht dominiert dagegen eher der Begriff des Lieferanteils, also welchen Anteil hat ein bestimmter Lieferant beim Kunden. Häufig wird aber auch der englische Begriff des „share of wallet“ übernommen (Nieschlag/ Dichtl/Hörschgen 2002, S. 1182; Belz/Bieger 2006, S. 35 f.). Dieser Begriff stammt ursprünglich aus dem US-Kreditkartengeschäft. Illek, Seidensticker und Wandhöfer (2003, S. 650) übersetzen den „share of wallet“ mit Kundenausschöpfung oder Bedarfsdeckungsrate. Bruhn (2001, S. 217) wie auch Eberling (2002, S. 133) dagegen sprechen von Kundendurchdringungsrate. Nach Eberling (2002, S. 133) gibt die Kundendurchdringungsrate den Ausschöpfungsgrad des aktuellen Erlöspotenzials des Kunden an und ähnelt daher dem Begriff der Kundenausschöpfung. Ein der Kundendurchdringungsrate ebenfalls ähnlicher Begriff ist die Kundenpenetrationsrate, die auch als Ausmaß der Kundenpenetration bezeichnet wird (Diller 2000, S. 30). Genauso wie in deutschsprachigen Veröffentlichungen gibt es auch in englischsprachigen Veröffentlichungen eine Vielzahl von Synonymen für den Begriff des Kundenanteils. Am verbreitesten ist der Begriff des „share of customer“ (Ahearne/Jelinek/Jones 2007, S. 606) oder auch der des „share of spending“ (Cooil et al. 2007, S. 68), da sie anders als die nachfolgenden Begrifflichkeiten nicht spezifisch für eine bestimmte Branche sind. Bei Finanzdienstleistungen wird nämlich typischerweise vom „share of wallet“ gesprochen (Garland 2004, S. 261; Baumann/Burton/Elliott 2005, S. 233). Im Einzelhandel ist der Begriff „share of (category) purchase“ oder „share of visits“ weit verbreitet (Macintosh/Lockshin 1997, S. 489; Mägi 2003, S. 98). Beim „share of visits“ wird die Anzahl der Besuche bei einem Einzelhändler in Relation zur Gesamtzahl der Besuche bei allen Einzelhändlern gesetzt wird. Ein Schnellrestaurant, wie z.B. Taco Bell oder McDonald’s, ermittelt den „share of stomach“ (Heskett et al. 1994, S. 170; Glazer 1999, S. 61). Beim Bekleidungshersteller
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
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Levis wird wiederum der „share of closet“ erhoben (Glazer 1999, S. 61). Im Automobilbereich wird schließlich vom „share of garage“ gesprochen (Jones/Sasser 1995, S. 94), während im Gesundheitswesen häufig der Begriff „share of care“ verwendet wird (Weinstein 2002, S. 262). Bevor die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition des Kundenanteils eingeführt wird, wird auf das Verständnis des Kundenanteils als Indikator eines Konstrukts eingegangen. In einer Vielzahl von Studien, insbesondere aus dem B-to-C Kontext, wird der Kundenanteil hauptsächlich als ein Indikator für verhaltensbasierte Kundenloyalität verstanden. Unter diesem Begriff wird auch die verhaltensbasierte Loyalität gegenüber einer Marke oder gegenüber einem Geschäft subsumiert. Damit beziehen sich die meisten Studien auf Jones und Sassers (1995, S. 94) Aussage, dass “the ultimate measure of loyalty, of course, is share of purchases in the category” (siehe auch Baldinger/Rubinson 1996, S. 22). Vereinzelt wird der Kundenanteil im B-to-C Kontext auch als „key marketing-performance indicator“ gesehen (Buttle 1996, S. 4; Abbott/Stone/Buttle 2001, S. 290; De Jong/De Ruyter/Lemmink 2004, S. 21). Dieses Verständnis des Kundenanteils als Indikator für die Vertriebsleistung des Anbieters ist im B-to-B Kontext häufiger zu finden (Leuthesser/Kohli 1995; Leuthesser 1997), während der Kundenanteil hier kaum als Indikator für verhaltensbasierte Kundenloyalität verstanden wird (siehe für eine Ausnahme Wind 1970; Bowman/Narayandas 2004, S. 437). In dieser Arbeit wird die Auffassung von Cooil et al. (2007, S. 68) übernommen, nach der Kundenloyalität und Kundenanteil als zwei unterschiedliche Konstrukte zu betrachten sind. Unter Kundenloyalität wird eine Verpflichtung gegenüber dem regelmäßigen Wiederkauf eines bevorzugten Produkts oder einer bevorzugten Dienstleistung in der Zukunft verstanden (Oliver 1999, S. 34). Auf den B-to-B Kontext übertragen impliziert diese Definition, dass Kunden dazu tendieren, frühere Anbieter zu bevorzugen, weil sie mit ihnen vertraut sind (Morris/Holman 1988, S. 117). Der Kundenanteil zielt dagegen auf den Anteil eines Lieferanten an den Gesamtausgaben des Kunden in einer Produktkategorie ab. Nachdem nun klargestellt wurde, dass Kundenanteil hier als eigenständiges Konstrukt zu verstehen ist, wird nachfolgend die dieser Arbeit zugrunde liegende Definition des Kundenanteils vorgestellt. Danach wird der Kundenanteil definiert als das Verhältnis der Einkäufe eines Kunden in Stückzahlen oder Geldeinheiten von einem einzelnen Lieferanten und den gesamten Einkäufen eines Kunden in Stückzahlen oder Geldeinheiten von allen Lieferanten bezogen auf eine bestimmte Leistung über einen festgelegten Zeitraum.
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Konzeptionelle Grundlagen
Neben der hier verwendeten Arbeitsdefinition gibt es eine Vielzahl weiterer Definitionen in der Literatur, die sich anhand der in Tabelle 2.1 dargestellten Merkmale unterscheiden. Definitorische Bestandteile des Kundenanteils
Berücksichtigung in der Arbeitsdefinition
Marke als Bezugsobjekt
8
Geschäft als Bezugsobjekt
8
Anbieter als Bezugsobjekt
9
Mengenmäßiges Verhältnis
9
Wertmäßiges Verhältnis
9
Absolutes Verhältnis
9
Relatives Verhältnis
8
Zeitraumbezug
9
9 8
Merkmal wird in der Arbeitsdefinition berücksichtigt Merkmal wird in der Arbeitsdefinition nicht berücksichtigt
Tabelle 2.1:
Mögliche definitorische Bestandteile des Kundenanteils und deren Berücksichtigung in der Arbeitsdefinition
Bei den definitorischen Bestandteilen des Kundenanteils können zunächst verschiedene Bezugsobjekte unterschieden werden, wobei entsprechend den in der Literatur bisher verwendeten Definitionen eine Marke, ein Geschäft oder ein Anbieter als Bezugsobjekt in Frage kommen. Die Tabelle 2.2 beinhaltet bezogen auf das jeweilige Bezugsobjekt eine mögliche Definition des Kundenanteils. Im B-to-C Kontext wird häufig der Anteil einer Marke an den gesamten Ausgaben für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktkategorie untersucht. Teilweise wird der Kundenanteil bezogen auf eine spezifische Marke in diesem Zusammenhang als Indikator für die Loyalität des Kunden gegenüber dieser Marke aufgefasst (siehe z.B. Brody/Cunningham 1968, S. 53). Besonders in frühen Studien zum Kundenanteil aus den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird der Kundenanteil in dieser Art und Weise definiert (Cunningham 1956, S. 118; 1961, S. 133). Eine andere Art der Definition des Kundenanteils findet sich insbesondere bei Studien, die sich auf den Einzelhandel beziehen. Dabei steht der Anteil der Ausgaben eines Kunden für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktkategorie in einem spezifischen Geschäft eines Händlers an den gesamten Ausgaben des Kunden für dieses Produkt oder für diese Produktkategorie in allen Geschäften verschiedener Händler im Mittelpunkt der Untersuchung (siehe z.B. East et al. 1995,
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
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S. 99; 2000, S. 308). In diesem Fall wird der Kundenanteil teilweise auch als Indikator für die Loyalität gegenüber einem Geschäft verwendet (Macintosh/Lockshin 1997, S. 488). Autoren
Bezugsobjekt
Definition
Day 1969, S. 30,
Marke
siehe auch für ähnliche Definitionen: Ahearne/Jelinek/Jones 2007, S. 606, Bhattacharya et al. 1996, S. 6, Bowman/Narayandas 2001, S. 287, Fader/Schmittlein 1993, S. 481, Pritchard/Havitz/Howard 1999, S. 338, Wirtz/Mattila/Lwin 2007, S. 328. Reynolds/Arnold 2000, S. 92,
„the proportion of total purchases of the product that buyers devoted to brand m over the period of the study”
Geschäft
siehe auch für ähnliche Definitionen: Babakus/Yavas 2008, S. 974, Babin/Attaway 2000, S. 96, De Wulf/Odekerken-Schröder 2003, S. 98, De Wulf/Odekerken-Schröder/Iacobucci 2001, S. 37, Macintosh/Lockshin 1997, S. 489, Meyer-Waarden 2007, S. 224, Oedekerken-Schröder/De Wulf/Schumacher 2003, S. 183. Verhoef 2003, S. 30,
„[…] we define Share of Purchases as that portion of a customer’s monthly clothing/accessories purchases that s/he spends in the particular store”
Anbieter
„Customer share is defined as the ratio of a customer’s purchases of a particular category of products or services from supplier X to the customer’s total purchases of that category of products or services from all suppliers”
siehe auch für ähnliche Definitionen: Cooil et al. 2007, S. 68, De Jong/De Ruyter/Lemmink 2004, S. 21, Homburg/Droll/Totzek 2008, S. 30, Hutt/Speh 2007, S. 448 Lacey 2007, S. 321, Leenheer et al. 2007, S. 32, Meyer-Waarden 2008, S. 108, Verhoef 2001, S. 16. Tabelle 2.2:
Definitionen des Kundenanteils
Im B-to-B Kontext ist die dritte Art der Definition bezogen auf einen spezifischen Anbieter am verbreitesten, wobei es um den Anteil eines Lieferanten am relevanten Gesamteinkauf des Kunden geht (Freter 1992, S. 5). Darunter wird schließlich das Verhältnis der Ausgaben eines Kunden für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Produktkategorie bei einem Lieferanten und den gesamten Ausgaben des Kunden für dieses Produkt oder für diese Produktkategorie bei allen Lieferanten verstanden. Einige Autoren (Wind 1970, S. 455; Biong 1993, S. 22) verstehen den Kundenanteil in diesem Zusammenhang auch als Indikator für die Loyalität gegenüber einer Bezugsquelle. Da der Anbieter als Bezugsobjekt im B-to-B Kontext dominiert, wird er deshalb auch in der vorliegenden Arbeitsdefinition als Bezugsobjekt übernommen. Andere Bezugsobjekte, wie z.B. eine Marke oder ein Geschäft, spielen im B-to-B Kontext nur eine untergeordnete Rolle und sind daher für diese auf den B-to-B Kontext bezogene Arbeit nicht relevant.
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Konzeptionelle Grundlagen
Ein weiterer definitorischer Bestandteil ist die Betrachtung des Kundenanteils als mengenmäßige oder wertmäßige Verhältnisgröße. Eine mengenmäßige Verhältnisgröße bedeutet, dass der Berechnung des Kundenanteils Einkäufe in Stückzahlen zugrunde liegen, während sich eine wertmäßige Berechnung auf Einkäufe in Geldeinheiten bezieht. Im Folgenden wird jeweils an einem fiktiven Beispiel aus dem B-to-C Kontext und aus dem B-to-B Kontext sowohl der mengenmäßige Kundenanteil als auch der wertmäßige Kundenanteil näher erläutert. Im B-to-C Kontext wird der mengenmäßige Kundenanteil üblicherweise als Quotient aus den Stückzahlen einer Marke in einer bestimmten Produktkategorie und den gesamten Stückzahlen aller Marken in dieser Produktkategorie gebildet. Das bedeutet z.B., dass ein Konsument monatlich zwölf Becher à 150 g der Marke „Activia natur“ und acht Becher à 150 g der Marke „LC1 pur“ von insgesamt zwanzig Bechern der Produktkategorie „Naturjoghurts“ einkauft. Die Marke „Activia natur“ hat in diesem Beispiel einen mengenmäßigen Kundenanteil von sechzig Prozent gegenüber der Marke „LC1 pur“ mit vierzig Prozent in der Produktkategorie „Naturjoghurts“. Der mengenmäßige Kundenanteil wird im B-to-B Kontext häufig durch das Verhältnis von Stückzahlen in einer Produktkategorie beim betrachteten Anbieter und den gesamten Stückzahlen in dieser Produktkategorie bei allen Anbietern berechnet. Der Kunde BMW kauft beispielsweise für die 7er-Reihe jährlich insgesamt hunderttausend Stück in der Produktkategorie „Bremsen“ ein, wovon der Anbieter Bosch siebzigtausend Stück und Knorr-Bremse dreißigtausend Stück liefert. Danach verfügt Bosch über einen mengenmäßigen Kundenanteil von siebzig Prozent gegenüber KnorrBremse mit dreißig Prozent. Unter dem wertmäßigen Kundenanteil wird im B-to-C Kontext typischerweise das Verhältnis zwischen den monetären Ausgaben für eine Marke in einer bestimmten Produktkategorie und den monetären Gesamtausgaben für alle Marken in dieser Produktkategorie verstanden. Für zwölf Becher à 150 g der Marke „Activa natur“ gibt der Konsument monatlich 7,29 Euro aus. Die acht Becher à 150 g der Marke „LC1 pur“ kosten 5,28 Euro. Dies entspricht monatlichen Gesamtausgaben in Höhe von 12,57 Euro in der Produktkategorie „Naturjoghurts“. Die Marke „Activia natur“ hat in diesem Fall einen wertmäßigen Kundenanteil von 58 Prozent, während die Marke „LC1 pur“ auf 42 Prozent kommt. Im B-to-B Kontext wird der wertmäßige Kundenanteil in den meisten Untersuchungen als Verhältnis zwischen den monetären Ausgaben für eine bestimmte Produktkategorie beim betrachteten Lieferanten in Relation zu den monetären Gesamtausgaben in dieser Produktkategorie bei allen Lieferanten verstanden. Bezogen auf das oben erwähnte Beispiel liefert Bosch die siebzigtausend Brem-
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sen zu einem Stückpreis von 359 Euro, während Knorr-Bremse bei einem Absatzvolumen von dreißigtausend Stück einen Stückpreis von 384 Euro verlangt. Danach betragen die Ausgaben für Bosch Bremsen insgesamt 2,513 Millionen Euro, während die Ausgaben für Knorr-Bremse bei 1,152 Millionen Euro liegen. Bosch hat danach einen wertmäßigen Kundenanteil von 68 Prozent gegenüber Knorr-Bremse mit 32 Prozent. Sowohl eine mengenmäßige als auch eine wertmäßige Berechnung des Kundenanteils werden im B-to-B Kontext verwendet, so dass beide Berechnungsarten in der Arbeitsdefinition berücksichtigt werden. Die Unterscheidung zwischen dem Kundenanteil als absoluter oder als relativer Verhältnisgröße bildet einen weiteren definitorischen Bestandteil. Der absolute Kundenanteil wird dabei als Umsatzanteil in Stückzahlen oder Geldeinheiten des vom betrachteten Lieferanten an den Kunden gelieferten Produkts im Verhältnis zum gesamten Umsatz bzw. Bedarf in Stückzahlen oder Geldeinheiten für dieses vom Kunden eingekauften Produkts bei allen Lieferanten verstanden (Freter 1992, S. 5). Der relative Kundenanteil wird hingegen aus dem Quotienten zwischen dem absoluten Kundenanteil in Stückzahlen oder Geldeinheiten des betrachteten Lieferanten und dem absoluten Kundenanteil in Stückzahlen oder Geldeinheiten des umsatzstärksten Wettbewerbers des betrachteten Lieferanten bei diesem Kunden berechnet. Sowohl eine absolute als auch eine relative Berechnung des mengenmäßigen Kundenanteils wird nun an einem fiktiven Beispiel aus dem B-to-B Kontext verdeutlicht. Der Kunde BMW hat einen jährlichen Gesamtbedarf von zehn Millionen Pkw-Reifen. Pirelli liefert pro Jahr vier Millionen Reifen an BMW, während Continental jährlich zwei Millionen Reifen an BMW liefert. Die restlichen sechs Millionen Reifen verteilen sich auf andere Lieferanten, die jeweils einen kleineren mengenmäßigen Anteil am Beschaffungsvolumen als Continental oder Pirelli haben. Pirelli hält bei BMW einen absoluten mengenmäßigen Kundenanteil von vierzig Prozent gegenüber Continental mit zwanzig Prozent. Pirelli kann also den größten Kundenanteil mit vierzig Prozent auf sich vereinen. Da Pirelli der umsatzstärkste Wettbewerber von Continental ist, beträgt der relative mengenmäßige Kundenanteil von Continental bei BMW 0,5. Dieses Verhältnis besagt, dass der absolute mengenmäßige Kundenanteil von Continental halb so groß ist wie der vom stärksten Wettbewerber, nämlich Pirelli (Freter 1992, S. 5 f.). Diese Überlegungen gelten analog auch für die absolute und relative Berechnung des wertmäßigen Kundenanteils. Bei einer absoluten oder relativen Berechnung des mengenmäßigen oder wertmäßigen Kundenanteils muss zudem berücksichtigt werden, ob sich das Beschaffungsvolumen des Kunden über die Zeit verändert. Der absolute Kundenanteil gibt lediglich an, wie viel ein Lieferant, gemessen in
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Stückzahlen oder in Geldeinheiten, im Vergleich zu anderen Lieferanten am gesamten Beschaffungsvolumen des Kunden erhält. Das Beschaffungsvolumen in Geldeinheiten für Reifen kann beispielsweise bei BMW von zehn Millionen Euro im Jahr 2004 auf vier Millionen Euro im Jahr 2008 schrumpfen, wodurch der Umsatz von Continental mit BMW sinkt. Das verringerte Beschaffungsvolumen in Geldeinheiten führt aber nicht unbedingt zu einer Veränderung des absoluten wertmäßigen Kundenanteils von Continental. Continental hat beispielsweise im Jahr 2004 einen wertmäßigen Kundenanteil von zwanzig Prozent bei BMW, was einem Umsatz von zwei Millionen Euro entspricht. Auch im Jahr 2008 hält Continental einen wertmäßigen Kundenanteil von zwanzig Prozent, wobei der Umsatz auf achthunderttausend Euro gesunken ist. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall eines wachsenden Kunden, bei dem das gesamte Beschaffungsvolumen in Geldeinheiten größer ist. Trotz identischen Kundenanteils kann der Lieferant dann aufgrund des insgesamt größeren Beschaffungsvolumens seinen Umsatz steigern (Freter 1992, S. 10). Bei einer periodischen Betrachtung des Anteils eines Lieferanten am Beschaffungsvolumen muss daher auch das Beschaffungsvolumen insgesamt berücksichtigt werden, da mit der Betrachtung des absoluten Kundenanteils an sich noch keine Aussage über die Umsatzentwicklung des Lieferanten möglich ist. Da der Kundenanteil häufig in Verbindung mit dem Marktanteil diskutiert wird, ist es notwendig, den Kundenanteil vom Marktanteil abzugrenzen. Der einzige Unterschied zwischen beiden Begriffen liegt darin, dass im Falle des Marktanteils der gesamte Markt das Bezugsobjekt bildet, während beim Kundenanteil der einzelne Kunde im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Daraus resultieren unterschiedliche Strategien, wie der Marktanteil oder der Kundenanteil gesteigert werden kann. Um den Marktanteil zu steigern, werden üblicherweise „so viele Produkte wie möglich an so viele Kunden wie möglich“ verkauft. Beim Kundenanteil geht es dagegen darum, dass jeder einzelne Kunde möglichst viel der Marke eines bestimmten Produkts kauft (Peppers/Rogers 1994, S. 37). Im Ergebnisse können aber beide Strategien gleichermaßen zu einer Umsatz- und Gewinnsteigerung führen (Peppers/Rogers 1994, S. 43). Wie beim Kundenanteil wird auch beim Marktanteil zwischen einer absoluten und einer relativen mengenmäßigen oder wertmäßigen Berechnung unterschieden. Der absolute Marktanteil wird dabei als Verhältnis des mengen- oder wertmäßigen Umsatzes eines Unternehmens zum gesamten Umsatz in einem Teilmarkt über eine bestimmte Periode definiert. Der Marktanteil spiegelt dabei den Grad der Ausschöpfung des gesamten Marktvolumens wider (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 247). Beim absoluten Marktanteil wird das Absatzvolumen eines Unternehmens bezogen auf ein bestimmtes Produkt ins Verhältnis zum gegenwärtig realisierten gesamten Marktvolumen für dieses Produkt gesetzt (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 55). Genauso wie beim relativen Kunden-
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anteil stellt der relative Marktanteil das Verhältnis zwischen dem absoluten Marktanteil eines spezifischen Unternehmens im Vergleich zum absoluten Marktanteil des umsatzstärksten Wettbewerbers dar (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2008, S. 55). In den bisherigen Untersuchungen zum Kundenanteil im B-to-B Kontext wird der Kundenanteil ausschließlich absolut berechnet. In der hier verwendeten Arbeitsdefinition steht ebenfalls die absolute Berechnung des Kundenanteils im Mittelpunkt. Die Bedeutung einer relativen Berechnung soll jedoch am Beispiel von Marktanteilen erläutert werden. Bei der Berechnung von absoluten Marktanteilen für verschiedene Märkte kann es große Unterschiede geben. In einem Markt kann der umsatzstärkste Wettbewerber einen absoluten Marktanteil von vierzig Prozent haben, während in einem anderen Markt der umsatzstärkste Wettbewerber nur einen absoluten Marktanteil von zehn Prozent hat. Wenn nun der zweitstärkste Wettbewerber in einem Markt einen absoluten Marktanteil von zwanzig Prozent erreicht und in einem anderen Markt nur einen absoluten Marktanteil von fünf Prozent hat, ergibt eine relative Berechnung des Marktanteils in beiden Märkten, dass der umsatzstärkste Wettbewerber einen doppelt so großen Umsatz hat wie der zweitstärkste Wettbewerber. Durch eine relative Betrachtung des Marktanteils sind beide Märkte trotz unterschiedlicher absoluter Marktanteile der einzelnen Marktteilnehmer vergleichbar. Ein letzter definitorischer Bestandteil hebt den Zeitraumbezug hervor, der auch in der hier verwendeten Arbeitsdefinition berücksichtigt wird. Bei einer Definition des Kundenanteils muss schließlich auch ein bestimmter Zeitraum berücksichtigt werden, auf den sich die Berechnung des Kundenanteils beziehen soll. Bei den in der Literatur verwendeten Definitionen des Kundenanteils wird allerdings in vielen Fällen auf die Angabe eines genauen Zeitraums verzichtet, für den der Kundenanteil berechnet bzw. geschätzt werden soll. Dadurch sind jedoch die Angaben zum Kundenanteil eher ungenau und zwischen den Befragten nicht unbedingt vergleichbar, da jeder Befragte implizit einen eigenen Bezugszeitraum festlegt. Die Festlegung eines genauen Zeitraums findet sich also nur selten. Eine Ausnahme bildet Plinkes (1997, S. 126) Definition des absoluten Kundenanteils, die diesen zeitlichen Aspekt beinhaltet und von einer bestimmten Periode ausgeht, die im Vorhinein festgelegt werden muss. Als Zeitraum wird im B-to-B Kontext üblicherweise ein Geschäftsjahr verwendet, während es sich im B-to-C Kontext auch um einen Monat oder ein Quartal handeln kann. Nachdem nun die definitorischen Merkmale des Kundenanteils ausführlich dargestellt wurden, geht es im folgenden Abschnitt um den bisherigen Stand der Forschung zu den Einflussgrößen des Kundenanteils im B-to-B Kontext.
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2.2.2 Stand der Forschung zum Kundenanteil im Business-to-Business Kontext In diesem Abschnitt wird der untersuchungsrelevante Forschungsstand zum Kundenanteil im B-to-B Kontext dargestellt. Konkret werden die in der Literatur diskutierten Einflussgrößen identifiziert. Während sich im B-to-C Kontext schon eine Vielzahl von Forschern mit den Determinanten des Kundenanteils beschäftigt haben, trifft dies auf Untersuchungen im B-to-B Kontext weniger zu (für einen Überblick siehe Anhang 1). Die zur Erforschung von Kunden-Lieferantenbeziehungen als zentral betrachteten Variablen des Beziehungswerts (siehe z.B. Ulaga/Eggert 2005, S. 74) und der Abhängigkeit (siehe z.B. Jarratt/Morrison 2003, S. 235 f.) werden bisher nur in einer Studie von Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 560) als Determinanten des Kundenanteils modelliert. Eine Limitation dieser Studie ist jedoch, dass der Kundenanteil als Verhaltensabsicht gemessen wird. Zudem wird in dieser Studie das Untersuchungsmodell nur für den Bereich Finanzdienstleistungen überprüft und ist daher auf eine Branche beschränkt. Diese Arbeit beschäftigt sich daher insbesondere mit dem Beziehungswert (siehe Abschnitt 2.2.2.1) und der Abhängigkeit (siehe Abschnitt 2.2.2.2) als Determinanten des Kundenanteils. Die Zusammenhänge werden schließlich im Rahmen einer Querschnittsanalyse untersucht, bei der der Kundenanteil als tatsächlicher Anteil eines Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden gemessen wird. Um die stärkere Bedeutung des Beziehungswerts im Vergleich zur Kundenzufriedenheit im B-to-B Kontext untersuchen zu können, wird in dieser Arbeit auch die Kundenzufriedenheit (siehe Abschnitt 2.2.2.3) als Determinante des Kundenanteils angenommen. Dieser Zusammenhang ist im B-to-B Kontext bisher am häufigsten untersucht worden, wobei nur in einer Studie sowohl der Beziehungswert als auch die Kundenzufriedenheit als Determinanten des Kundenanteils modelliert wurden (Liu/Leach/Bernhardt 2005). Deshalb werden in dieser Arbeit beide Variablen als Determinanten des Kundenanteils berücksichtigt. Abschließend werden empirische Untersuchungen vorgestellt (siehe Abschnitt 2.2.2.4), die den Zusammenhang zwischen den hier relevanten Einflussgrößen und dem Kundenanteil schon untersucht haben. Dabei wird insbesondere auf das Vorzeichen und auf den funktionalen Verlauf des betrachteten Zusammenhangs eingegangen. 2.2.2.1 Beziehungswert aus Kundensicht In dieser Arbeit wird der Beziehungswert aus Kundensicht in Anlehnung an Eggert und Ulaga (2002, S. 110; siehe auch Eggert/Helm 2003, S. 104) definiert als Abgleich zwischen den vom Kunden wahrgenommenen mehrdimensionalen Nutzen- und Kostenbestandteilen des Angebots eines
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Lieferanten im Vergleich zu verfügbaren Angeboten alternativer Lieferanten in einer spezifischen Verwendungssituation. Der Beziehungswert aus Kundensicht stellt somit den wahrgenommenen Wert einer Geschäftsbeziehung aus der Perspektive des Kunden dar (Maas 2001, S. 46). Die hier verwendete Arbeitsdefinition des Beziehungswerts aus Kundensicht beinhaltet vier definitorische Bestandteile, die im Folgenden näher erläutert werden. Erstens liegt dem Beziehungswert aus Kundensicht ein subjektives Verständnis zugrunde (Morris 1987, S. 79; Kortge/Okonkwo 1993, S. 133; Maas 2001, S. 46). Zweitens wird er als Abgleich zwischen Nutzen und Kosten konzeptualisiert (Zeithaml 1988, S. 13). Drittens besteht der Beziehungswert aus Kundensicht aus multiplen Nutzen- und Kostenkomponenten (Matzler 2000, S. 290). Viertens wird er in Relation zu Konkurrenzangeboten betrachtet (Gale 1994, S. 13). Das erste definitorische Merkmal bezieht sich auf den Beziehungswert als subjektives Konzept, wobei diese Subjektivität sowohl auf die Person des Wertenden als auch auf eine spezifische Verwendungssituation zurückzuführen ist. Das bedeutet, dass die Beurteilung des Beziehungswerts zum einen abhängig von der Person des Wertenden ist. Eine explorative Studie mit Konsumenten von Zeithaml (1988, S. 13) bestätigt dies. Sie fand heraus, dass das Wertkonstrukt “highly personal and idiosyncratic“ ist. Holbrook (1994, S. 35) verweist ebenfalls auf die “interpersonal relativity of value“. Desarbo, Jedidi und Sinha (2001, S. 846) betonen zudem, dass uneinheitliche Interpretationen des wahrgenommenen Werts existieren, je nachdem welcher Kunde den wahrgenommenen Wert eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung einschätzt. Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die Einschätzung des Werts je nach befragter Person variiert (Holbrook 1994, S. 36). Smith, Andrews und Blevins (1992, S. 25) stellen mit ihrer Wertdefinition diesen Aspekt in den Vordergrund. Die Beurteilung des Werts hängt danach davon ab, was Kunden glauben, welcher Nutzen mit einem Produkt verbunden ist und welche Kosten zur Erlangung dieses Nutzens nötig sind. In englischsprachigen Veröffentlichungen wird häufig der Begriff des „customer-perceived value“ verwendet, um das Merkmal der Subjektivität zu unterstreichen (Lapierre 2000, S. 123; Ulaga/Chacour 2001, S. 528 f.; Eggert/Ulaga 2002, S. 109 f.). Zum anderen beeinflusst neben der Person des Wertenden auch die Situation, in der eine Person ein Produkt oder eine Dienstleistung beurteilt, das Ergebnis. Der Wert eines Angebots ist in hohem Maße situationsspezifisch. Ravald und Grönroos (1996, S. 22) verdeutlichen diese Situationsabhängigkeit des Werts an einem eingängigen Beispiel. Wenn eine Person mit ihrem Auto in einer ihr unbekannten Umgebung, weit entfernt vom eigentlichen Reiseziel, liegen bleibt, würde eine teure
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Reparatur (hohe Kosten), mit der sie es nur bis zum eigentlichen Reiseziel schafft (geringe Qualität), trotzdem mit einem hohen Wert verbunden sein. Woodruffs (1997, S. 142) Definition von Wert betont diese Situationsspezifität, in dem er den wahrgenommenen Wert aus Kundensicht so versteht, dass der Kunde sowohl die Produkteigenschaften als auch mögliche Konsequenzen aus der Produktnutzung bewertet, die die Ziel- bzw. Zweckerreichung in einer bestimmten Verwendungssituation vereinfachen oder erschweren können. Um die Abhängigkeit des Werts von der Verwendungssituation auszudrücken, werden die Begriffe „value in use“ (Payne/Holt 2001, S. 163) oder „usage value“ bzw. „use value“ (Anderson/Jain/Chintagunta 1993, S. 5) genutzt. Diese Begriffe zielen auf die Leistungsfähigkeit des Produkts ab (Reuter 1986, S. 79). Das zweite definitorische Merkmal beinhaltet den Kosten-Nutzen-Vergleich. In frühen Arbeiten wird zunächst ein engeres Verständnis des Beziehungswerts zugrunde gelegt, indem vor allem das Verhältnis von Qualität und Preis betrachtet wird (Bolton/Drew 1991, S. 276 f.; Gale 1994, S. 29; Fornell et al. 1996, S. 9). Dabei wird die Konzeptualisierung des Beziehungswerts ausschließlich auf die Produktqualität als Nutzenkomponente und den bezahlten Preis als Kostenkomponente beschränkt. Hutt und Speh (1998, S. 296) fassen diese Sichtweise folgendermaßen zusammen: „In essence, value equals quality relative to price“. Andere Autoren haben zumindest den Kostenbegriff weiter gefasst und betrachten nicht nur den Einkaufspreis, sondern den allgemeinen Aufwand (Dodds 1991, S. 30; Dodds/Monroe/Grewal 1991, S. 308). Während einige wenige Autoren vom Beziehungswert als Differenz zwischen unterschiedlichen Nutzendimensionen und dem wahrgenommenen Preis oder mehreren verschiedenen Kostendimensionen ausgehen (Day 1990, S. 142; Leszinski/Marn 1997, S. 100; Day 2000a, S. 10), verstehen die meisten Forscher in aktuellen Untersuchungen im B-to-B Kontext den Beziehungswert als Verhältnis zwischen multiplen Nutzen- und Kostenkomponenten (Eggert/Ulaga 2002, S. 110; Monroe 2003, S. 104, 194), das über einen bloßen Preis-Qualitäts-Vergleich hinausgeht (Grisaffe/Kumar 1998, S. 6). Christopher (1982, S. 39) beschreibt diese Sichtweise als „trade-off between all the costs involved on the one hand and the perceived benefits resulting from acquisition on the other“. Mögliche Kostenkomponenten umfassen dabei alle Kosten, mit denen der Kunde beim Kauf und bei der Nutzung eines Produkts konfrontiert ist, z.B. Kaufpreis, Akquisitions- und Betriebskosten, Transport, Montage, Bestellabwicklung, Lagerhaltung, Reparatur, Wartung, Entsorgung, Ausfallrisiko oder schlechte Leistung (Liljander/Strandvik 1993, S. 15; Wenben Lai 1995, S. 386; Christopher 1996, S. 58; Ravald/Grönroos 1996, S. 21 f.). Potenzielle Nutzenkomponenten können sowohl tangible und intangible Eigenschaften des Produktes oder der Dienstleistung (Khalifa 2004, S. 649)
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als auch Nutzenaspekte umfassen, die sich aus der Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten ergeben, wie z.B. die technische Unterstützung durch den Lieferanten (Payne/Holt 2001, S. 168). Das dritte definitorische Merkmal zielt auf die Multidimensionalität der Kosten- und Nutzenkomponenten ab. Während der Beziehungswert in früheren Untersuchungen nur anhand von Qualität und Preis konzeptualisiert wurde, wird er aktuell als multidimensionales Konstrukt verstanden (Chen/Dubinsky 2003, S. 324; Lin/Sher/Shih 2005, S. 321). Bolton und Drew (1991, S. 383 f.) z.B. stellen in einer empirischen Studie im Dienstleistungsbereich fest, dass ihre Ergebnisse entgegen dem bisherigen Verständnis von Wert als Abgleich von Qualität und Aufwand eine höhere Komplexität des Wertkonstrukts vermuten lassen. Sinha und Desarbo (1998, S. 237) betonen ebenfalls, dass „perceived value is clearly a multidimensional construct“. Es geht also um die Frage, welche Wertdimensionen vom Kunden als relevant eingeschätzt werden (Treacy/Wiersema 1995, S. 165). Die Multidimensionalität des Wertkonstrukts wird durch die Vielzahl bereits identifizierter Nutzenund Kostendimensionen deutlich (siehe für einen Überblick z.B. Woodall 2003, S. 12). Zwei Definitionen von Flint, Woodruff und Fisher Gardial (1997, S. 171) und Gassenheimer, Houston und Davis (1998, S. 328) beinhalten unter anderem das Merkmal der Multidimensionalität, indem sie auf alle relevanten Nutzen- und Kostenkomponenten abstellen. Das vierte definitorische Merkmal bezieht sich schließlich darauf, dass der Beziehungswert aus Kundensicht im Vergleich mit Wettbewerbsangeboten bewertet wird. Die Beurteilung des Werts eines bestimmten Angebots durch den Kunden hängt also von den Angeboten anderer Wettbewerber ab (Anderson/Thomson/Wynstra 2000, S. 308; Ulaga/Chacour 2001, S. 529; Ulaga 2003, S. 678). Das bedeutet, dass der Wert des betrachteten Angebots ein relatives Urteil darstellt (Sinha/DeSarbo 1998, S. 238), das im Vergleich zu alternativen Angeboten bewertet wird (Anderson/Jain/Chintagunta 1993, S. 5). Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 560) konzeptualisieren den Beziehungswert daher als Kosten-Nutzen-Verhältnis des betrachteten Lieferanten in Relation zum Kosten-Nutzen-Verhältnis verfügbarer alternativer Lieferanten und berücksichtigen explizit Konkurrenzangebote. Als theoretische Grundlage für den Vergleich mit Wettbewerbsangeboten im B-to-B Kontext wird häufig die soziale Austauschtheorie (Thibaut/Kelley 1959) herangezogen, bei der explizit mehrere Alternativen anhand eines Vergleichsniveaus beurteilt werden können (siehe z.B. Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 560). Thibaut und Kelley (1959, S. 21-23) unterscheiden dabei ein Vergleichsniveau (CL) und ein alternativenbezogenes Vergleichsniveau (CLalt) (für die deutsche Übersetzung der verwendeten theoretischen Begriffe siehe Homburg/Bruhn 2008, S. 12). Das Vergleichsniveau gilt
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als Referenzpunkt für die Erwartungen der beurteilenden Person. Es ist das Ergebnis aus den in der betrachteten Geschäftsbeziehung und in anderen, vergleichbaren Geschäftsbeziehungen gemachten Erfahrungen und den in verwandten Situationen erzielten Resultaten anderer Personen. Das alternativenbezogene Vergleichsniveau beschreibt das Kosten-Nutzen-Verhältnis der besten verfügbaren Alternative. Der Beziehungswert wird als attraktiv bewertet, wenn das Ergebnis der betrachteten Geschäftsbeziehung größer als das Vergleichsniveau ist (Plinke/Söllner 2008, S. 82). Eine Geschäftsbeziehung wird dann fortgesetzt, wenn das Ergebnis dieser Beziehung größer als das vergleichbarer, alternativer Geschäftsbeziehungen ist (Gassenheimer/Houston/Davis 1998, S. 324). Das Ergebnis einer Geschäftsbeziehung ist mit dem „best net value“ gleichzusetzen, wenn diese Geschäftsbeziehung im Vergleich zu allen anderen Wettbewerbsalternativen den höchsten Nettonutzen stiftet (Stahl/Bounds 1991, S. xv). Neben dem hier im Mittelpunkt stehenden Beziehungswert aus Kundensicht wird häufig auch die gegensätzliche Perspektive des Beziehungswerts aus Anbietersicht betrachtet, wobei diese beiden Perspektiven in der Literatur nicht immer eindeutig voneinander abgegrenzt werden (Beutin 2000, S. 7; Eggert 2006, S. 43). Grönroos (1997, S. 412) bezeichnet diese beiden Perspektiven als „value of the customer“ und „value to the customer“. Ersteres zielt auf die Anbieterperspektive ab, während letzteres die Kundenperspektive meint. Für den Beziehungswert aus Kundensicht wird in englischsprachigen Veröffentlichungen eine Vielzahl verschiedener Begriffe, häufig „relationship value“ (siehe z.B. Ulaga 2003, S. 678 f.), „customer-perceived value“ (siehe z.B. Grönroos 1997, S. 412), „customer value“ (siehe z.B. Gale 1994; Parasuraman 1997) oder „perceived value“, verwendet (siehe für eine Übersicht Woodall 2003, S. 1). In deutschsprachigen Veröffentlichungen wird von Kundenvorteil (Belz/Bieger 2006, S. 31) oder Kundennutzen (Beutin 2000, S. 7-15). Für den Beziehungswert aus Anbietersicht werden in englischsprachigen Veröffentlichungen meist die Begriffe „customer equity“ (Tomczak/Rudolf-Sipötz 2006, S. 129) oder „customer lifetime value“ (Berger et al. 2002, S. 40) verwendet, während sich in deutschsprachigen Veröffentlichungen der Begriff des Kundenwerts (Günter/Helm 2006, S. 7) durchgesetzt hat. Auch wenn der Beziehungswert aus Anbietersicht nicht im Fokus dieser Arbeit steht, muss er definiert werden, um den Unterschied zum Beziehungswert aus Kundensicht deutlich zu machen. Der Beziehungswert aus Anbietersicht ist der quantifizierbare Nutzen, den ein Unternehmen aus der Beziehung zum Kunden zieht (Rudolf-Sipötz 2001, S. 14). Er wird als der vom Anbieter wahrgenommene Beitrag eines einzelnen Kunden oder aller Kunden insgesamt zur Erreichung monetärer und nicht-monetärer Ziele definiert. Dabei können je nach Kundenbewertungsverfahren sowohl aktuelle als auch zukünftige Beiträge eines Kunden berücksichtigt werden (Cornelsen 2000, S. 43).
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Zur Berechnung dieses Beziehungswerts aus Anbietersicht gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze. Im Rahmen einer Typologisierung von Kundenbewertungsverfahren wird üblicherweise zwischen monetären und nicht-monetären Ansätzen unterschieden (Günter 2006, S. 245). Im Folgenden wird jeweils exemplarisch ein monetäres, ein nicht-monetäres und ein gemischtes Verfahren vorgestellt. Zu den monetären Ansätzen zählt z.B. die weit verbreitete ABC-Analyse, bei der die Kunden entsprechend ihrem Umsatzanteil in drei oder vier Umsatzklassen eingeteilt werden (Krafft/Albers 2000, S. 519). Sie kann allerdings nur den schon realisierten Wert abbilden, so dass keine Potenzialeinschätzung für die Zukunft möglich ist (Tewes 2003, S. 143). In den letzten Jahren wurden daher verstärkt periodenübergreifende Verfahren entwickelt, die den Lebenszyklus des Kunden berücksichtigen und so auch Kundenpotenziale ermitteln können (Homburg/Schnurr 1998, S. 183-186). Zu den nicht-monetären Ansätzen der Kundenbewertung zählt beispielsweise das Loyalitätspotenzial, das die Neigung des Kunden beschreibt, die Beziehung zu einem bestimmten Anbieter fortzusetzen (Rudolf-Sipötz 2001, S. 104). Es finden sich aber zunehmend auch Kundenbewertungsmodelle, die monetäre und nicht-monetäre Größen integrieren und daher zu den gemischten Verfahren zählen. Ein Beispiel dafür sind Scoringmodelle, bei denen quantitative und qualitative Größen mittels normierter Skalen bewertet, gewichtet und aufaddiert werden (Eberling 2002, S. 199 f.). Einen umfassenden Überblick über verschiedene Kundenbewertungsverfahren liefern beispielsweise Eberling (2002, S. 167-226) und Wachter (2006, S. 9-12). 2.2.2.2 Abhängigkeit Die Abhängigkeit eines Unternehmens von einem Partner wird traditionell als die Notwendigkeit des Unternehmens definiert, eine Geschäftsbeziehung mit dem Partner aufrechtzuerhalten, um die eigenen Ziele zu erreichen (Beier/Stern 1969, S. 94; Frazier 1983, S. 158; 1984, S. 69). Diese Definition wird auch in der vorliegenden Arbeit übernommen. Im Einklang mit der Definition von Emerson (1962, S. 32) wird Abhängigkeit als Ausmaß verstanden, zu dem ein Partner wertvolle Ressourcen bereitstellt, für die es nur wenige alternative Beschaffungsquellen gibt (Buchanan 1992, S. 65; Hibbard/Kumar/Stern 2001, S. 48). Buchanan (1992, S. 65) argumentiert, dass Partner für die Lieferung solcher wertvoller Ressourcen nur schwer ersetzt werden können, weil diese Ressourcen in der Regel knapp sind und ein starker Wettbewerb um ihre Nutzung existiert. Außerdem sind für diese wertvollen Ressourcen häufig nur wenige oder keine potenziellen alternativen Austauschpartner verfügbar, so dass der Ersatz bzw. der Austausch eines bestehenden Partners schwierig ist und die wahrgenommene Abhängigkeit dementsprechend hoch ist (Anderson/Weitz 1989, S. 312). Grundsätzlich können zwei Arten der Abhängigkeit unterschieden werden. Die erste Form der Abhängigkeit bezieht sich auf die einseitige Abhängigkeit, also die wahrgenommene Abhängigkeit
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eines Austauschpartners. Sie kann sowohl die Abhängigkeit des Kunden vom Lieferanten als auch die Abhängigkeit des Lieferanten vom Kunden beinhalten. Der Lieferant kann z.B. der Inhaber eines Patents für ein Produkt oder einen Prozess sein, so dass dadurch eine Abhängigkeit des Kunden entsteht. Der Kunde kann dagegen z.B. einen großen Anteil am Umsatzvolumen des Lieferanten auf sich vereinen, so dass daraus eine Abhängigkeit des Lieferanten resultiert (Morris/Holman 1988, S. 122). Die einseitige Abhängigkeit wird in der Literatur bisher unterschiedlich erhoben. Heide (1994, S. 79 f.) befragt beispielsweise sowohl Kunden als auch Lieferanten zu ihrer wahrgenommenen Abhängigkeit vom jeweiligen Partner, während Noordewier, John und Nevin (1990, S. 92) sowohl die Abhängigkeit des Kunden vom Lieferanten als auch die Abhängigkeit des Lieferanten vom Kunden ausschließlich vom Kunden beurteilen lassen. Ganesan (1994, S. 7 f.) dagegen verbindet beide Vorgehensweisen miteinander. Er befragt jeweils Händler und Lieferanten zu ihrer eigenen Abhängigkeit vom jeweiligen Partner und zur wahrgenommenen Abhängigkeit des jeweiligen Partners von ihnen (siehe auch El-Ansary 1975, S. 66). Die zweite Form der Abhängigkeit wird als relative, reziproke oder gegenseitige Abhängigkeit bezeichnet (Robicheaux/El-Ansary 1976, S. 22; Anderson/Lodish/Weitz 1987, S. 95; Anderson/Narus 1990, S. 43). Die Fähigkeit des Kunden, den Lieferanten zu beeinflussen, beruht nicht nur auf seiner Abhängigkeit vom Lieferanten, sondern auch auf der Abhängigkeit des Lieferanten vom ihm (Dickson 1983, S. 41). Es geht also um die wahrgenommene Abhängigkeit eines Unternehmens in Relation zur Abhängigkeit des Partners. Die relative Abhängigkeit bestimmt das Ausmaß, in dem ein Unternehmen Einfluss auf den Partner nehmen kann bzw. von ihm beeinflusst wird (Anderson/Narus 1990, S. 43). Anderson und Narus (1990, S. 43) definieren relative Abhängigkeit als die vom Unternehmen wahrgenommene Differenz zwischen der eigenen Abhängigkeit und der des Partners von der Geschäftsbeziehung mit dem jeweils anderen. Die Austauschpartner müssen sich bei der Erreichung ihrer Ziele also gegenseitig einbeziehen (Cadotte/Stern 1979, S. 133). Gegenseitige Abhängigkeit existiert, sobald ein Partner nicht alle Bedingungen kontrollieren kann, die zur Erreichung einer Aktivität bzw. ihres erwünschten Ergebnisses notwendig sind (Pfeffer/Salancik 1978, S. 40). Es geht dabei um das Ausmaß, zu dem Verhalten, Aktivitäten oder Ziele eines Partners vom Verhalten, Aktivitäten oder Zielen eines oder mehrerer anderer Partner abhängt (Tedeschi/Schlenker/Bonoma 1973, S. 234). Unternehmen werden als Ergebnis ihrer Beteiligung am Austausch voneinander abhängig, weil sie Ressourcen außerhalb ihrer Kontrolle beschaffen müssen, die zur Erreichung ihrer Ziele notwendig sind (Gundlach/Cadotte 1994, S. 517).
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Die relative Abhängigkeit wird von Forschern auf unterschiedliche Art und Weise erhoben. Anderson und Narus (1990, S. 47) befragen jeweils zwei Schlüsselinformanten von einem Hersteller und von einem Händler zu ihrer gemeinsamen Geschäftsbeziehung. In dieser Untersuchung wird sowohl die relative Abhängigkeit des Händlers als auch die des Herstellers erhoben. Der Händler schätzt seine relative Abhängigkeit über eine Bewertung der Gesamtkosten eines Herstellerwechsels ein. Der Hersteller schätzt dagegen seine relative Abhängigkeit über die Verfügbarkeit alternativer Händler ein (Anderson/Narus 1990, S. 49, 51). Hibbard, Kumar und Stern (2001, S. 48, 50 f.) gehen bei der Erhebung der relativen Abhängigkeit ähnlich vor wie Anderson und Narus (1990, S. 49, 51) und befragen sowohl Hersteller als auch Händler. Die relative Abhängigkeit ergibt sich dabei aus der Differenz zwischen der Abhängigkeit des Händlers vom Hersteller und der Abhängigkeit des Lieferanten vom Hersteller (siehe auch Kumar/Scheer/Steenkamp 1995, S. 349). Neben der relativen Abhängigkeit berechnen sie auch eine totale Abhängigkeit, bei der die Abhängigkeit beider Partner addiert wird. Um die Differenz für die relative Abhängigkeit bzw. die Summe für die totale Abhängigkeit zu bilden, wird jeweils der Durchschnitt über alle Indikatoren beider Skalen zur Abhängigkeit vom jeweiligen Partner berechnet. Kumar, Scheer und Steenkamps (1995, S. 349) Erhebung der totalen und relativen Abhängigkeit basiert auf dem gleichen Vorgehen. Im Unterschied zu Hibbard, Kumar und Stern (2001) werden allerdings sowohl die Abhängigkeit des Händlers vom Lieferanten als auch die des Lieferanten vom Händler durch den Händler eingeschätzt. 2.2.2.3 Kundenzufriedenheit Bei einer Definition von Kundenzufriedenheit können grundsätzlich zwei Ansätze unterschieden werden: kognitive versus affektive und transaktionsspezifische versus beziehungsspezifische Kundenzufriedenheit. Im Folgenden wird zunächst auf das Verständnis von kognitiver und affektiver Kundenzufriedenheit eingegangen, bevor zwischen transaktionsspezifischer und beziehungsspezifischer Kundenzufriedenheit unterschieden wird. Im B-to-C Kontext dominierte lange Zeit das Verständnis von Kundenzufriedenheit als primär kognitivem Konstrukt. Basierend auf dem Konfirmations/Diskonfirmations-Paradigma (siehe für eine ausführliche Darstellung Oliver 1997, S. 98-126; Homburg/Stock-Homburg 2008, S. 20-23) ist Zufriedenheit danach das Ergebnis eines kognitiven Vergleichs von wahrgenommener Leistung und einem Vergleichsstandard (Westbrook/Oliver 1991, S. 85). In neueren Überlegungen wird jedoch davon ausgegangen, dass Kundenzufriedenheit sowohl aus einer affektiven als auch aus einer kognitiven Komponente besteht (Koschate 2002, S. 14; Homburg/Stock-Homburg 2008, S. 22).
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Anders als aktuell im B-to-C Kontext liegt den Untersuchungen im B-to-B Kontext zumeist ein anderes Verständnis zugrunde, wonach Kundenzufriedenheit von der Mehrzahl der Autoren als überwiegend affektives Konstrukt verstanden wird (siehe z.B. Geyskens/Steenkamp/Kumar 1999, S. 224). Diese Art der Definition von Kundenzufriedenheit kann darauf zurückgeführt werden, dass im B-to-B Kontext häufig das Konstrukt Beziehungswert die kognitive Komponente der Kundenzufriedenheit im B-to-C Kontext ersetzt. Danach wird der Beziehungswert aus Kundensicht als primär kognitives Konstrukt verstanden, das ähnlich dem Vergleich von Erwartungen und wahrgenommener Leistung im Konfirmations/Diskonfirmations-Paradigma auf einem Kosten-Nutzen-Vergleich basiert (Patterson/Spreng 1997, S. 421), während die Kundenzufriedenheit ausschließlich auf einer affektiven Komponente beruht (Eggert/Ulaga 2002, S. 109; Lam et al. 2004, S. 296). Neben der Unterscheidung von affektiver und kognitiver Kundenzufriedenheit wird auch die transaktions- oder produktspezifische Kundenzufriedenheit von der beziehungsspezifischen oder kumulativen Kundenzufriedenheit abgegrenzt (siehe z.B. Johnson 2001, S. 3199; Shankar/Smith/Rangaswamy 2003, S. 156; Lam et al. 2004, S. 295). Bei der transaktionsspezifischen Kundenzufriedenheit bildet der Kunde sein Urteil auf Basis seiner Erfahrungen mit der Nutzung bzw. mit dem Kauf eines bestimmten Produkts oder mit einer einzelnen Transaktion mit dem Anbieter. Nachdem der Kunde ein Produkt gekauft hat, bewertet er also eine spezifische Einkaufssituation (Srinivasan/Moorman 2005, S. 195). Im Gegensatz dazu umfasst die beziehungsspezifische Kundenzufriedenheit die gesamte Erfahrung des Kunden mit allen Produkten und durchgeführten Transaktionen mit einem Anbieter über die gesamte Dauer der Geschäftsbeziehung (Abdul-Muhmin 2005, S. 620). Diese Art der Kundenzufriedenheit wird daher auch als „overall postpurchase evaluation“ (Fornell 1992, S. 11) oder „customer’s total consumption experience“ (Johnson/Fornell 1991, S. 272) beschrieben (siehe auch Johnson/Anderson/Fornell 1995, S. 699). Es geht um das Zufriedenheitsniveau, das sich während der gesamten Kunden-Lieferantenbeziehung über die Zeit entwickelt hat (Homburg/Stock 2004, S. 150). Homburg und Rudolph (2001, S. 16) weisen darauf hin, dass Kundenzufriedenheit im B-to-B Kontext als beziehungsspezifisch zu verstehen ist. Dieses Verständnis liegt auch einer Vielzahl von Untersuchungen zur Kundenzufriedenheit in Kunden-Lieferantenbeziehungen zugrunde (z.B. Bharadwaj/Matsuno 2006, S. 66). Basierend auf den vorangegangenen Erläuterungen wird die Kundenzufriedenheit in dieser Arbeit in Anlehnung an Anderson und Narus (1984, S. 66; 1990) definiert als positiver, affektiver Zustand, der aus der Bewertung aller Aspekte der Geschäftsbeziehung mit einem Lieferanten resultiert.
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Diese Arbeitsdefinition beruht sowohl auf einem affektiven als auch einem beziehungsspezifischen Verständnis der Kundenzufriedenheit (siehe auch Andaleeb 1996, S. 80). Danach wird die Kundenzufriedenheit als affektiver bzw. emotionaler Zustand beschrieben (Schul/Little/Pride 1985, S. 13; Scheer/Stern 1992, S. 133 f.; Ganesan 1994, S. 4; Brock Smith/Barclay 1997, S. 5), d.h. als eine Reaktion auf eine Erfahrung oder eine Reihe von Erfahrungen mit dem Lieferanten (Homburg/ Stock 2004, S. 146). Zugleich zielt die Kundenzufriedenheit auch auf eine globale Beurteilung aller Facetten einer Geschäftsbeziehung ab (Dwyer/Oh 1987, S. 352). Ruekert und Churchill (1984, S. 227) beschreiben den letzteren Aspekt als „the domain of all characteristics of the relationship between a channel member and another institution in the channel“. Eine solche Definition von Kundenzufriedenheit als affektivem Zustand in Kombination mit einer globalen Beurteilung der Geschäftsbeziehung wird von zahlreichen Autoren übernommen, deren Untersuchungen sich mit Kunden-Lieferantenbeziehungen beschäftigen (siehe z.B. Skinner/Gassenheimer/Kelley 1992, S. 179; Gassenheimer/Calantone/Scully 1995, S. 10; MacKenzie/Hardy 1996, S. 22; Bruggen/ Kacker/Nieuwlaat 2005, S. 142; Del Bosque Rodríguez/Collado Agudo/San Martín Gutiérrez 2006, S. 666). 2.2.2.4 Empirische Untersuchungen zum Zusammenhang Nun werden verschiedene empirischen Studien vorgestellt, die sich mit dem Zusammenhang zwischen den gerade beschriebenen Einflussgrößen und dem Kundenanteil beschäftigen. Ziel ist es, einen Überblick über die bisherigen empirischen Ergebnisse der für diese Untersuchung relevanten Zusammenhänge zu liefern, da sie auch einen Ausgangspunkt für die theoretische Analyse bilden. Zunächst wird auf den Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil eingegangen, bevor der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit und dem Kundenanteil im Mittelpunkt steht. Abschließend werden verschiedene Studien zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenanteil näher erläutert. In der Untersuchung von Liu, Leach und Bernhardt (2005) wird ein positiver Effekt vom Beziehungswert aus Kundensicht auf den Kundenanteil vermutet. Der Kundenanteil wird dabei allerdings nur als Verhaltensabsicht gemessen (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 563) und nicht in Form eines tatsächlichen Anteils des Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden. Dieser positive Zusammenhang wird einerseits dadurch begründet, dass die Fortsetzung der Geschäftsbeziehung wahrscheinlicher ist, wenn der Beziehungswert des aktuellen Lieferanten im Vergleich zu anderen verfügbaren alternativen Lieferanten größer ist. Andererseits verweisen Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 560) auf Studien, die gezeigt haben, dass der wahrgenommene Wert die Kaufabsicht positiv beeinflusst (siehe z.B. Sweeney/Soutar/Johnson 1997, S. 46) und übertragen dieses Ergebnis auf
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die Absicht, den Kundenanteil zu steigern. Der vermutete positive Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert und dem Kundenanteil wird durch ihre Untersuchung bestätigt (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 566). Der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit und dem Kundenanteil wird ebenfalls von Liu, Leach und Bernhardt (2005) untersucht. In dieser Studie wird ein Zusammenhang zwischen den wahrgenommenen Wechselkosten und dem Kundenanteil konstatiert. Die Wechselkosten werden dabei als die Leichtigkeit oder Schwierigkeit des Kunden verstanden, einen bestehenden Lieferanten zu ersetzen (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 561). Dieses Verständnis liegt häufig auch der Abhängigkeit zugrunde. Wenn es dem Kunden aufgrund von durch beziehungsspezifische Investitionen verursachten Wechselkosten schwer fällt, einen bestehenden Lieferanten zu ersetzen, dann fühlt er sich von diesem Lieferanten abhängig. Aus diesem Grund wird die Studie von Liu, Leach und Bernhardt (2005) den empirischen Untersuchungen zum Zusammenhang von Abhängigkeit und Kundenanteil zugeordnet. Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 561) vermuten einen positiven Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit und dem Kundenanteil. Sie begründen diesen positiven Zusammenhang damit, dass Kunden bestehende Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten aufrechterhalten, um die bei einem Wechsel zu einem anderen Lieferanten entstehenden Kosten einzusparen (Jackson 1985, S. 24). Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass wahrgenommene Wechselkosten zukünftiges Commitment gegenüber dem Lieferanten erhöhen (Heide/John 1990, S. 27) und die Absicht verringern, die Geschäftsbeziehung zum Lieferanten zu beenden. Erlernte Arbeitsabläufe, etablierte Normen, persönliche Beziehungen oder andere beziehungsspezifische Investitionen werden zu einem Wechselhindernis, auch dann, wenn Kunden von mehreren Lieferanten einkaufen (Heide/John 1988, S. 22; Wathne/Biong/Heide 2001, S. 55 f.). Wenn die Abhängigkeit als hoch wahrgenommen wird, tendieren Kunden eher dazu, Vertragsbedingungen mit dem bestehenden Lieferanten neu zu verhandeln anstatt zu alternativen Lieferanten zu wechseln (Wathne/Biong/Heide 2001, S. 56). Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 562) vermuten außerdem, dass der positive Zusammenhang zwischen Abhängigkeit und Kundenanteil bei länger andauernden Geschäftsbeziehungen von drei und mehr Jahren stärker ist. Dies kann dadurch begründet werden, dass in länger andauernden Geschäftsbeziehungen schon beziehungsspezifische Investitionen getätigt worden sind. Die Ergebnisse zum Zusammenhang bestätigen ihre postulierten Hypothesen (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 566). Während die Zusammenhänge zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht bzw. der Abhängigkeit und dem Kundenanteil bisher nur in einer Studie untersucht werden, existiert für den Zusam-
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
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menhang von Kundenzufriedenheit und Kundenanteil eine Vielzahl von Untersuchungen (siehe Tabelle 2.3). Bei der Erläuterung dieses Zusammenhangs werden sowohl Studien aus dem B-to-C Kontext als auch solche aus dem B-to-B Kontext berücksichtigt, um ein umfassendes Verständnis zu möglichen Erklärungen über unterschiedliche Funktionsverläufe zu erlangen. Autoren
Kontext
Vermuteter Zusammenhang
Tatsächlicher Zusammenhang
Leuthesser/Kohli 1995
B-to-B, Querschnittsanalyse
linear
linear
Reynolds/Beatty 1999
B-to-C, Retailing
linear
linear
Mägi 2003
B-to-C, Retailing
linear
linear
Verhoef 2001
B-to-C, Finanzdienstleistungen
linear
linear
Liu/Leach/Bernhardt 2005
B-to-B, Finanzdienstleistungen
linear
Kurze Geschäftsbeziehung: kein statistischer signifikanter Zusammenhang; Lange Geschäftsbeziehung: linear
Silvestro/Cross 2000
B-to-C, Retailing
linear
Kein statistisch signifikanter Zusammenhang
Sivadas/Baker-Prewitt 2000
B-to-C, Retailing
linear
Kein statistisch signifikanter Zusammenhang
Ahearne/Jelinek/Jones 2007
B-to-B, Pharma
linear
Kein statistisch signifikanter Zusammenhang
Bowman/Narayandas 2004
B-to-B, Metall
linear, progressiv, degressiv
progressiv
Bowman/Narayandas 2001
B-to-C, Retailing
linear
degressiv
Helgesen 2006
B-to-B, Fischexport
linear
s-förmig
Keiningham/PerkinsMunn/Evans 2003
B-to-B, Finanzdienstleistungen
nichtlinear, asymmetrisch
Käufergruppe 1 und 3: invers s-förmig, Käufergruppe 2: u-förmig
Cooil et al. 2007
B-to-C, Finanzdienstleistungen
nichtlinear, asymmetrisch
nichtlinear, asymmetrisch
Verhoef 2003
B-to-C, Finanzdienstleistungen
kein Zusammenhang
kein Zusammenhang
Tabelle 2.3:
Übersicht zu Studien mit direktem Effekt von Kundenzufriedenheit auf Kundenanteil
Insgesamt haben sich bisher 14 Untersuchungen mit dem direkten Effekt von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil beschäftigt, wovon sechs dem B-to-B Kontext und acht Studien dem B-to-C Kontext zuzuordnen sind. Die meisten Studien gehen dabei von einem positiven Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil aus (siehe für eine Ausnahme
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Konzeptionelle Grundlagen
Verhoef 2003). Beim funktionalen Verlauf werden sowohl lineare als auch nichtlineare Zusammenhänge vermutet. Die tatsächlichen funktionalen Verläufe für den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil unterscheiden sich teilweise stark zwischen den einzelnen betrachteten Studien (siehe Tabelle 2.3). Abbildung 2.3 liefert einen Überblick über die sechs in den betrachteten Studien gefundenen Funktionsverläufe für den Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil. Kundenanteil
Kundenanteil
a) linear
b) u-förmig
Kundenzufriedenheit Kundenanteil
Kundenzufriedenheit Kundenanteil
c) progressiv
d) degressiv
Kundenzufriedenheit Kundenanteil
Kundenzufriedenheit Kundenanteil
e) s-förmig
Kundenzufriedenheit
f) invers s-förmig
Kundenzufriedenheit
Abbildung 2.3:
Funktionsverläufe des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil in der Literatur
Quelle:
In Anlehnung an Nerdinger/Neumann 2007, S. 143; Homburg/Bucerius 2008, S. 60
Bei zehn von insgesamt 14 Studien zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kundenanteil wird ein linearer Effekt (siehe Abbildung 2.3a) vermutet (siehe z.B. Leuthesser/Kohli 1995, S. 224; 229). Dies bedeutet, dass die Veränderung der unabhängigen Variable um eine Einheit zu einer Veränderung einer anderen Variable um ein konstantes Vielfaches führt, unabhängig davon, ob die Veränderung bei mittleren oder extremen Werten der betrachteten Variable auftritt
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
55
(Anderson/Mittal 2000, S. 109). Bei drei dieser Untersuchungen (Silvestro/Cross 2000, S. 253; Sivadas/Baker-Prewitt 2000, S. 77; Ahearne/Jelinek/Jones 2007, S. 611) kann jedoch kein statistisch signifikanter linearer Zusammenhang nachgewiesen werden. Zudem werden bei zwei weiteren Untersuchungen (Bowman/Narayandas 2001, S. 292; Helgesen 2006, S. 257) lineare Zusammenhänge konstatiert, aber nichtlineare Zusammenhänge gefunden. Ein linearer Zusammenhang wird meist damit begründet, dass zufriedene Kunden gegenüber dem Unternehmen loyal sind und deshalb mehr einkaufen (Heskett et al. 1994, S. 167). Bei der Erklärung eines solchen Zusammenhangs wird zudem häufig auf Ergebnisse zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und (Wieder-)Kaufabsicht (Cronin/Taylor 1992, S. 63; Anderson/Sullivan 1993, S. 137; Anderson 1994, S. 23; Jones/Mothersbaugh/Beatty 2000) oder tatsächlichem Kaufverhalten (Bolton/Lemon 1999, S. 181) zurückgegriffen (für eine Meta-Analyse zur Kundenzufriedenheit siehe auch Szymanski/Henard 2001, S. 22). Teilweise wird aber auch auf Untersuchungen zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Cross-Buying als einer besonderen Form des Kaufverhaltens verwiesen (Verhoef/Franses/Hoekstra 2001, S. 362; Bolton/Lemon/Verhoef 2004, S. 277). Die Untersuchungen zum Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Kaufabsicht bzw. tatsächlichem Kaufverhalten haben gezeigt, dass der Effekt von Kundenzufriedenheit auf tatsächliches Kaufverhalten schwächer ist als der Effekt auf die Kaufabsicht. Daher ist zu vermuten, dass auch der Effekt der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil schwächer ausgeprägt ist. Mittal und Kamakura (2001, S. 135) begründen diese Erkenntnis damit, dass sich die Kundenzufriedenheitsniveaus unterscheiden, bei denen ein Kunde seine Kaufabsicht äußert und bei denen er tatsächlich kauft. Das bedeutet, dass die Kundenzufriedenheit erst eine bestimmte Schwelle erreicht haben muss, damit der Kunde auch tatsächlich kauft. Für die Erklärung des Zusammenhangs zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil erscheint es plausibel, insbesondere auf solche Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten zurückzugreifen. Eine Veränderung des Kundenanteils bedeutet schließlich, dass der Kunde sein Kaufverhalten anpasst. Neben dem Rückgriff auf die Ergebnisse ähnlicher Untersuchungen zum Effekt von Kundenzufriedenheit und Kaufverhalten begründen Bowman und Narayandas (2001, S. 284) einen linearen Zusammenhang im B-to-C Kontext damit, dass der Kundenanteil weitgehend unbeeinflusst von extremer (Un-)Zufriedenheit oder (Un-)Zufriedenheit mit einer einzelnen Transaktion ist. Im Rahmen dieser Untersuchung wird der Zusammenhang zwischen der transaktionsspezifischen Zufriedenheit mit einem kundeninitiierten Kontakt zu Konsumgüterherstellern und dem Kundenanteil untersucht. Sie gehen davon aus, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ein Kunde die Aufteilung seiner Einkäufe auf bestimmte Marken oder Unternehmen kurzfristig aufgrund extremer (Un-)Zufriedenheit
56
Konzeptionelle Grundlagen
mit einem einzelnen Kontakt zum Unternehmen überproportional stark verändern wird. Sie nehmen an, dass die transaktionsspezifische Zufriedenheit eines Kunden zu keiner starken Veränderung des Kundenanteils führt, weil ein einzelner Kontakt zu unbedeutend ist, um die Aufteilung des Einkaufsbudgets grundlegend zu überdenken. Mägi (2003, S. 99) liefert im Kontext von Lebensmitteleinkäufen eine weitere alternative Erklärung für einen linearen Effekt. Kunden, die mit ihrem Hauptsupermarkt sehr zufrieden sind, konzentrieren auch einen größeren Anteil ihrer Ausgaben für Lebensmittel auf diesen Supermarkt und sind weniger geneigt, andere Supermärkte zu besuchen. Sie begründet gleichzeitig aber auch einen möglicherweise nicht vorhandenen Effekt von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil. Bei Kunden, die regelmäßig mehrere Supermärkte aufsuchen und ziemlich zufrieden mit allen Supermärkten sind, ist nicht ihre Zufriedenheit mit einem bestimmten Supermarkt ausschlaggebend dafür, wie oft dieser Supermarkt besucht wird. Es könnte eher das Sortiment des jeweiligen Supermarkts eine Rolle spielen, z.B. umfangreiche Fischauswahl in einem bestimmten Supermarkt. Mägi (2003, S. 102) findet schließlich einen schwachen Effekt von Kundenzufriedenheit auf Kundenanteil im Hauptsupermarkt. Sie führt dies darauf zurück, dass Kunden trotz hoher Zufriedenheit mit ihrem Hauptsupermarkt mehrere Supermärkte für ihre Lebensmitteleinkäufe aufsuchen. Neben einem linearen Zusammenhang werden ausgehend von Überlegungen zum Effekt von der Kundenzufriedenheit auf das Kaufverhalten (Coyne 1989, S. 73; Bloemer/Kasper/Lemmink 1990, S. 45; Oliva/Oliver/MacMillan 1992) teilweise auch nichtlineare Zusammenhänge zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil angenommen. Als Beispiel für einen solchen Effekt gilt der Unterschied bei Zufriedenheitsurteilen nach negativer bzw. positiver Diskonfirmation, der anhand der Wertfunktion von Kahneman und Tversky (1979, S. 279) erklärt wird. Verluste werden danach stärker gewichtet als Gewinne, so dass das Ausmaß einer Änderung des Zufriedenheitsniveaus bei negativer Diskonfirmation stärker als bei positiver Diskonfirmation sein sollte (Anderson/Sullivan 1993, S. 129; Mittal/Ross/Baldasare 1998, S. 34). Dies bedeutet, dass eine Verschlechterung bezogen auf eine bestimmte Produkteigenschaft einen stärkeren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit hat als eine Verbesserung derselben Produkteigenschaft in gleicher Höhe (Mittal/Baldasare 1996, S. 24). Ein solcher s-förmiger Zusammenhang (siehe Abbildung 2.2e) zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil wird z.B. von Helgesen (2006, S. 257) nachgewiesen. Ein weiteres Beispiel ist die Annahme eines abnehmenden Grenznutzens, wonach eine Erhöhung um eine Einheit einen geringeren Einfluss hat als die vorangegangene Erhöhung um eine Einheit (Mittal/Ross/Baldasare 1998, S. 108). Ein solcher degressiver Effekt (siehe Abbildung 2.2d) von Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil wird z.B. von Bowman und Narayandas (2001, S. 292) bestätigt.
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
57
Insgesamt fünf Untersuchungen weisen einen nichtlinearen Effekt von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil nach, wobei dieser nur teilweise im Vorhinein auch als solcher postuliert wird. Danach kann der Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil uförmig (Keiningham/Perkins-Munn/Evans 2003, S. 43), progressiv (Bowman/Narayandas 2004, S. 444), degressiv (Bowman/Narayandas 2001, S. 292), s-förmig (Helgesen 2006, S. 257) oder invers s-förmig (Keiningham/Perkins-Munn/Evans 2003, S. 46 f.) sein. Im Folgenden werden die entsprechenden Funktionsverläufe erklärt. Keiningham, Perkins-Munn und Evans (2003, S. 43) weisen für Einkäufer aus dem Produktmanagement einen u-förmigen Effekt (siehe Abbildung 2.2b) von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil nach. Dieser u-förmige Effekt bedeutet, dass der Kundenanteil nahe der Extrempunkte von „sehr unzufrieden“ und „sehr zufrieden“ höher ist als für mittlere Zufriedenheitsniveaus (für ein Beispiel mit einem u-förmigen Effekt siehe Anderson 1998, S. 8). Die Autoren verzichten allerdings auf eine Erklärung für einen solchen Effekt. Auch wenn in dieser Studie der Kundenanteil bei extremer Unzufriedenheit nur geringfügig höher ist als bei Zufriedenheitswerten im mittleren Bereich, ist dieser Funktionsverlauf eher ungewöhnlich. Bowman und Narayandas (2004, S. 444) erklären einen progressiven Funktionsverlauf (siehe Abbildung 2.2c) mit dem Phänomen der Kundenbegeisterung (customer delight) (Oliver/Rust/Varki 1997; Narayandas 1998, S. 118; Keiningham/Vavra 2001, S. 25), wonach Zufriedenheit ab einem bestimmten Ausmaß zu Begeisterung führt und die Loyalität überproportional ansteigt (Giering 2000, S. 30). Sie verweisen dabei auf Jones und Sasser (1995, S. 91), die am Beispiel von Xerox zeigen, dass nur ein hohes Zufriedenheitsniveau zu erhöhter Kundenloyalität führt. Bei sehr zufriedenen Kunden ist danach ein Wiederkauf wahrscheinlicher als bei lediglich zufriedenen Kunden. Diese Überlegungen werden auf den Kundenanteil übertragen. Erst hohe Kundenzufriedenheit hat einen Effekt auf die Steigerung des Kundenanteils. Entgegen ihrer Vermutung finden Bowman und Narayandas (2001, S. 292) keinen linearen Effekt, sondern einen degressiven Effekt von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil (siehe Abbildung 2.2d), d.h. mit steigender Kundenzufriedenheit wird der Effekt auf den Kundenanteil überproportional schwächer. Es kommt zu einem Sättigungseffekt. Im Umkehrschluss bedeutet ein degressiver Zusammenhang, dass sich geringe Zufriedenheitswerte stärker auf den Kundenanteil auswirken. Im Ergebnis bedeutet dieser Effekt, dass Kunden bei Unzufriedenheit ihren Anteil eher verringern, als dass sie ihren Anteil bei hoher Zufriedenheit erhöhen. Die Autoren heben deshalb hervor,
58
Konzeptionelle Grundlagen
dass unzufriedene Kunden zu vermeiden sind, weil in diesem Bereich der Effekt auf den Kundenanteil stärker ist. Helgesen (2006, S. 257) interpretiert den Effekt von Kundenzufriedenheit auf Kundenanteil als einen s-förmigen Funktionsverlauf (siehe Abbildung 2.2e und für Beispiele mit einem s-förmigen Effekt siehe Burmann 1991, S. 256; Homburg/Koschate/Hoyer 2005, S. 86). Das Zufriedenheitsniveau muss zunächst einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, damit die Kundenzufriedenheit einen stärkeren Einfluss auf die Kundenloyalität hat (Keiningham et al. 1999, S. 58; Anderson/Mittal 2000, S. 109). Die Kurve gleicht daher zunächst einem progressiven Verlauf. Wenn Unternehmen das Zufriedenheitsniveau ihrer Kunden über einen bestimmten Schwellenwert steigern können, ist damit ein stärkerer Effekt auf die Kundenloyalität verbunden. Bei sehr hohen Zufriedenheitsniveaus verläuft die Kurve wiederum degressiv, d.h. höhere Zufriedenheitsniveaus haben dann einen positiven, aber zugleich abnehmenden Effekt auf die Kundenloyalität (Ittner/Larcker 1998, S. 13). Sowohl für die Beteiligten an Kaufentscheidungen aus dem Bereich Einkauf als auch für die aus dem Bereich IT weisen Keiningham, Perkins-Munn und Evans (2003, S. 46 f.) einen inversen sförmigen Effekt (siehe Abbildung 2.2f) von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil nach. Ein solcher Effekt bedeutet, dass die Funktion bei geringen Zufriedenheitsniveaus degressiv ist, während sie bei hohen Zufriedenheitsniveaus progressiv verläuft (Homburg/Koschate/Hoyer 2005, S. 86). Die Autoren liefern allerdings keine Erklärung für einen solchen Effekt. Die Begründung von Homburg, Koschate und Hoyer (2005, S. 86) für einen inversen s-förmigen Zusammenhang von Kundenzufriedenheit und Preisbereitschaft auf Basis der Regrettheorie kann jedoch auf den betrachteten Zusammenhang übertragen werden. Die Regrettheorie berücksichtigt Emotionen der Enttäuschung und Begeisterung in ihrer Nutzenfunktion (Bell 1982; Loomes/Sugden 1986; Inman/Dyer/Jia 1997). Diese Theorie geht davon aus, dass Enttäuschung auftritt, wenn das Ergebnis einer Wahl unter den vorherigen Erwartungen bleibt, wohingegen Begeisterung entsteht, wenn das Ergebnis einer Wahl die vorherigen Erwartungen übertrifft. Je größer der Unterschied zwischen Ergebnis und Erwartungen, desto größer ist die Enttäuschung oder Begeisterung einer Person. Die Theorie nimmt an, dass beide Emotionen zusätzlichen Nutzen zum grundsätzlichen Wert der Konsum- oder Nutzungserfahrung stiften. Genauer gesagt führt Begeisterung in der Regel zu einem Wertzuwachs und Enttäuschung zu einer Wertminderung. Ein wichtiger Aspekt dieser Theorie ist, dass beide Emotionswerte in einem größeren Ausmaß an den Extrempunkten ansteigen, was eine degressive Funktion für Enttäuschungswerte und eine progressive für Begeisterungswerte bedeutet (Loomes/Sugden 1986). Basierend auf dieser Funktion kann vermutet werden, dass extreme Unzu-
Kundenanteil als strategische Entscheidungsgröße in Lieferantenbeziehungen
59
friedenheit bzw. Zufriedenheit in stärkerem Ausmaß auf den Kundenanteil wirkt. Eine geringe Verbesserung im Bereich starker Unzufriedenheit wirkt sich überproportional positiv auf die Höhe des Kundenanteils aus, ebenso wie geringe Veränderungen bei bestehenden hohen Zufriedenheitsniveaus. Bei den bisher beschriebenen Untersuchungen wird stets vermutet, dass ein linearer oder ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil besteht. Verhoef (2003, S. 33) vermutet dagegen keinen Effekt von einer Veränderung der Kundenzufriedenheit auf eine Veränderung des Kundenanteils bei einem Versicherer und liefert dafür zwei alternative Begründungen. Veränderungen des Kundenanteils treten im Zeitablauf auf, wenn Kunden die Menge schon gekaufter Produkte oder in Anspruch genommener Dienstleistungen nach oben oder unten anpassen bzw. zusätzliche Produkte oder Dienstleistungen vom betrachteten Anbieter oder von Konkurrenten hinzukaufen (Verhoef 2003, S. 42). Er erklärt diesen nicht vorhandenen Effekt bei Versicherungsleistungen dadurch, dass eine positive Beurteilung einer aktuell in Anspruch genommenen Dienstleistung nicht unbedingt auf eine andere Dienstleistung übertragbar ist. Während eine Erhöhung des Kundenanteils bei Produkten, vorausgesetzt die Bedarfsmenge insgesamt bleibt gleich, in den meisten Fällen durch den Einkauf größerer Stückzahlen des gleichen Produkts realisiert werden kann, ist in diesem speziellen Fall von Versicherungen eine Veränderung des Kundenanteils nur darauf zurückzuführen, dass ein Kunde z.B. zu seiner Kfz-Versicherung noch eine private Haftpflichtversicherung vom gleichen Versicherer hinzukauft. Wenn man vom Versicherungsspektrum einer Einzelperson ausgeht, besitzt diese von jedem Versicherungstyp nur eine Versicherung. Die Zufriedenheit mit einer bestimmten Versicherungsleistung erhöht nicht unbedingt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde zusätzliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt und sich dadurch der Kundenanteil eines bestimmten Versicherers vergrößert (Verhoef 2003, S. 33). Eine andere Erklärung für einen nicht vorhandenen Effekt zielt auf die Berücksichtigung von Konkurrenten ab, denn eine Veränderung des Kundenanteils beinhaltet häufig auch den Wettbewerb. Eine Veränderung des Kundenanteils könnte z.B. stärker durch verkaufsfördernde Aktivitäten alternativer Lieferanten als durch eine gestiegene Zufriedenheit mit einer in Anspruch genommenen Dienstleistung eines bestimmten Anbieters beeinflusst sein. Kunden können sowohl mit dem Angebot des betrachteten Versicherers als auch mit dem von Konkurrenten zufrieden sein (Verhoef 2003, S. 33). Die Ausführungen zu den einzelnen Funktionsverläufen für den Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und Kundenanteil zeigen, dass in der Literatur keine Einigkeit über diesen Zusam-
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Konzeptionelle Grundlagen
menhang besteht. Anhand der betrachteten empirischen Studien kann auf keinen dominanten Funktionsverlauf für den Effekt von der Kundenzufriedenheit auf den Kundenanteil geschlossen werden. Die gegensätzlichen Ergebnisse zum funktionalen Zusammenhang könnten jedoch auf eine Vielzahl unterschiedlicher Messungen der Kundenzufriedenheit zurückzuführen sein. Außerdem könnte auch der jeweilige Kontext eine Erklärung dafür liefern, dass sich der Funktionsverlauf für den Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil bei den betrachteten Studien unterscheidet. Aus dem gerade beschriebenen aktuellen Stand der Forschung zum Kundenanteil im B-to-B Kontext lassen sich einige Forschungslücken ableiten, auf die sich diese Arbeit konzentriert. Erstens werden im B-to-B Kontext als zentral angesehene Variablen wie der Beziehungswert aus Kundensicht oder die Abhängigkeit kaum als Determinanten des Kundenanteils modelliert. Zweitens handelt es sich bei der Festlegung des Kundenanteils um ein regelmäßig auftretendes Entscheidungsproblem, so dass eine entscheidungstheoretische Fundierung sinnvoll erscheint. Ein solcher entscheidungstheoretischer Ansatz wurde jedoch bisher in keiner Studie vorgenommen. Drittens wird bei Untersuchungsmodellen im B-to-B Kontext nicht zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten differenziert, obwohl vermutet werden kann, dass sich der Entscheidungsprozess und die dabei berücksichtigten Variablen bei der Festlegung des Kundenanteils für Hauptlieferanten von dem für Nebenlieferanten unterscheiden.
61
3 Theoretische Analyse Mit der Festlegung des Kundenanteils bestimmt der Kunde den Status eines Lieferanten als Hauptlieferant oder als Nebenlieferant. Je nach Lieferantenstatus ergeben sich für den Lieferanten verschiedene Funktionen beim Kunden, die vom Lieferanten zu erfüllen sind. Die Aufteilung des Beschaffungsvolumens stellt daher eine strategische Entscheidung für den Kunden dar (siehe Abschnitt 3.1). In dieser Arbeit wird vermutet, dass die Wirkzusammenhänge zwischen den betrachteten Einflussgrößen und dem Kundenanteil je nach Lieferantenstatus unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Ausgehend von den Annahmen der deskriptiven Entscheidungstheorie (siehe Abschnitt 3.2) werden die Hypothesen abgeleitet (siehe Abschnitt 3.3), wobei insbesondere auf den Einfluss des Lieferantenstatus eingegangen wird. 3.1 Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem Ein Entscheidungsproblem bezieht sich immer auf die Frage, welche Handlungsalternative aus einer Menge von mehreren Alternativen ausgewählt werden soll. Ein solches Entscheidungsproblem liegt aber nur dann vor, wenn eine Wahlmöglichkeit existiert, d.h. es müssen mindestens zwei Alternativen vorhanden sein. Zudem müssen sich bei zwei Alternativen diese in einer Art und Weise unterscheiden, dass mit der Wahl einer bestimmten Alternative ein vorher festgelegtes Ziel mehr oder wenig gut erreichbar ist als mit der Wahl einer anderen Alternative. Andernfalls liegt zwar eine Wahlsituation vor, aber kein Entscheidungsproblem, weil eine Person dann eine beliebige Alternative auswählen kann (Laux 2007, S. 4). Mit einem solchen Entscheidungsproblem ist auch ein Kunde im B-to-B Kontext regelmäßig konfrontiert, wenn er entscheiden muss, welches Produkt er von wie vielen Lieferanten in welchen Mengen einkauft. Ein solcher idealtypischer Entscheidungsprozess eines Kunden bei bestehenden Rahmenverträgen für ein bestimmtes Produkt ist in Abbildung 3.1 dargestellt. Dieser Entscheidungsprozess beginnt damit, dass die Rahmenverträge für ein bestimmtes Produkt ausgelaufen sind und neu verhandelt werden müssen. Der Kunde muss zunächst entscheiden, ob er die bisherige Produktvariante oder eine andere Produktvariante einkauft, je nachdem welche am ehesten seinen Spezifikationen entspricht. Anschließend muss er überlegen, ob er die bisherige Anzahl der Lieferanten beibehält, verringert oder vergrößert. Sofern er die gleiche Anzahl von Lieferanten wieder beauftragt, muss er zudem entscheiden, ob er von den bisherigen Lieferanten einkauft oder einen neuen Lieferanten hinzunimmt. Wenn er sich für die bisherigen Lieferanten entscheidet, muss er überlegen, ob er die bisherige Aufteilung des Einkaufsvolumens beibehält oder dieses neu aufteilt. Dazu überprüft er die bestehenden Rahmenverträge mit den aktuellen Lieferanten und verlängert diese Verträge.
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Theoretische Analyse
Rahmenverträge sind ausgelaufen
Alternative Produktvariante auswählen
Bisherige Produktvariante auswählen
Alternative Produktvariante ist ausgewählt
Bisherige Produktvariante ist ausgewählt
Neue Anzahl Lieferanten festlegen
Bisherige Anzahl Lieferanten übernehmen
Neue Anzahl Lieferanten ist festgelegt
Bisherige Anzahl Lieferanten wird beibehalten
Neue Lieferanten auswählen
Bisherige Lieferanten auswählen
Neue Lieferanten sind ausgewählt
Bisherige Lieferanten sind ausgewählt
Lieferant vom Markt auswählen
Lieferant aus Lieferantenpool auswählen
Einkaufsvolumen neu aufteilen
Bisherige Aufteilung des Einkaufsvolumen
Aufteilung des Einkaufsvolumen ist neu
Aufteilung des Einkaufsvolumen ist neu
Aufteilung des Einkaufsvolumen ist neu
Aufteilung des Einkaufsvolumen wie vorher
Abbildung 3.1:
Idealtypischer Entscheidungsprozess bei bestehenden Rahmenverträgen
Festlegung des Kundenanteils als Entscheidungsproblem
63
Anschließend muss er überlegen, ob er die bisherigen Anteile unverändert lässt oder bei einzelnen Lieferanten dessen Anteile nach oben oder unten anpasst. Falls er einen neuen Lieferanten hinzunimmt, hat er zwei Möglichkeiten. Erstens kann er einen Lieferanten aus seinem Lieferantenpool auswählen, mit dem er schon Erfahrungen beim Kauf anderer Produkte gesammelt hat, aber von dem er dieses Produkt bisher noch nicht gekauft hat. Zweitens kann er das Produkt von einem neuen Lieferanten einkaufen, mit dem er bisher noch gar nicht zusammengearbeitet hat oder diese Zusammenarbeit schon einige Jahre zurückliegt. Der Entscheidungsprozess endet damit, dass der Kunde sein Beschaffungsvolumen auf die einzelnen Lieferanten neu aufteilt. Die Marktverhältnisse und die Einkaufspraktiken des Kunden können diese Entscheidung bei bestehenden Rahmenverträgen gegebenenfalls vereinfachen. Erstens existieren im Markt z.B. nur einige wenige Lieferanten, die die Kundenspezifikationen erfüllen können. Zweitens nutzt das Unternehmen für dieses Produkt üblicherweise nur einen einzigen Hauptlieferanten. Wenn allerdings eine vorherige Qualifizierung des Lieferanten notwendig ist, weil mit diesem Lieferanten bisher noch keine Geschäfte abgewickelt werden, verlängert sich der Entscheidungsprozess in der Regel. Der Lieferant muss zunächst „freigeprüft“ werden, damit er dieses Produkt an den Kunden liefern darf. Solche Gegebenheiten können die Anzahl verfügbarer Lieferanten von Vornherein festlegen bzw. beschränken (Kauffman/Popkowski Leszcyc 2005, S. 3). Durch aktuelle Trends hin zu Partnerschaften und Allianzen sowie zur Konsolidierung der Lieferantenportfolios wird die Entscheidung über die Aufteilung des Beschaffungsvolumens noch wichtiger. Eine mögliche Fehlentscheidung bei der Festlegung der Anteile von Lieferanten kann aufgrund einer geringeren Anzahl von Lieferanten mit höheren Anteilen und üblicherweise mehrjährigen Verträgen negative Konsequenzen haben. Es kann z.B. zu unerwarteten Veränderungen der Marktverhältnisse kommen, so dass bei langfristigen Verträgen die Gefahr besteht, an den einen Partner gebunden zu sein, der mit diesen Veränderungen nicht Schritt halten kann (Kauffman/Popkowski Leszcyc 2005, S. 3 f.). Mit diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Festlegung des Kundenanteils ein zentrales, regelmäßig wiederkehrendes Entscheidungsproblem ist. Um entsprechende Hypothesen zur Festlegung des Kundenanteils ableiten zu können, werden im Folgenden zunächst die Grundlagen der Entscheidungstheorie erläutert.
64
Theoretische Analyse
3.2 Theoretische Grundlagen Wie gerade dargelegt, ist ein Kunde bei der Festlegung des Kundenanteils mit einem Entscheidungsproblem konfrontiert. Aus diesem Grund wird die Fragestellung dieser Arbeit im Rahmen einer entscheidungstheoretischen Analyse beantwortet. Zunächst werden die Grundlagen der Entscheidungstheorie erläutert (Abschnitt 3.2.1). Im Anschluss daran werden die theoretischen Bestandteile des Grundmodells erläutert (siehe Abschnitt 3.2.2). Die Erkenntnisse der deskriptiven Entscheidungstheorie haben allerdings gezeigt, dass das Grundmodell reale Entscheidungen unzureichend modelliert. Denn in realen Entscheidungen können Entscheidungsanomalien auftreten (siehe Abschnitt 3.2.3), die mithilfe des Grundmodells nicht erklärbar sind. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Affekt in Entscheidungen eine Rolle spielen kann. Eine Vielzahl empirischer Studien hat außerdem gezeigt, dass die affektive Kundenzufriedenheit eine wesentliche Einflussgröße des Kundenanteils ist. Die Ergebnisse dieser Studien sind jedoch teilweise uneinheitlich. Einige dieser Studien gehen beispielsweise davon aus, dass die Kundenzufriedenheit keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Festlegung des Kundenanteils hat. Mithilfe des Affekt Infusion Modells (AIM) kann erklärt werden, unter welchen Bedingungen, Affekt eine Entscheidung beeinflusst (siehe Abschnitt 3.2.4). 3.2.1 Einführung in die Entscheidungstheorie Gegenstand der Entscheidungstheorie sind Situationen, in denen sich eine Person zwischen mindestens zwei Optionen entscheidet, d.h. sie zieht eine Option gegenüber einer oder mehreren anderen Optionen vor. Als Optionen kommen sowohl Objekte, z.B. Computer, als auch Handlungen, z.B. Abschaltung eines technischen Systems, in Betracht. Die Entscheidung kann dabei durch eine Feststellung, wie z.B. Frank zieht X gegenüber Y vor oder ein Verhalten, wie z.B. Frank kauft X und nicht Y, ausgedrückt werden (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 3). Im Rahmen der Entscheidungstheorie wird eine Entscheidung als vergleichender Prozess verstanden, der durch zwei zentrale Bestandteile charakterisiert wird: Beurteilung (judgment) und Wahl (choice). Dieser Prozess beginnt, wenn eine Person erkennt, dass es mindestens zwei Optionen gibt, zwischen denen sie sich entscheiden muss. Der Prozess kann aber auch dadurch ausgelöst werden, dass eine Person eine Diskrepanz zwischen dem gegebenen und einem erwarteten Zustand wahrnimmt und dadurch nach Alternativen sucht, die ihren Erwartungen stärker entsprechen. Die Entscheidung ist im Allgemeinen getroffen, wenn sich eine Person durch die Wahl einer Option festlegt. Sie kann aber auch erst mit der Umsetzung der getroffenen Wahl bzw. der retrospektiven Bewertung einer Entscheidung enden (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 4).
Theoretische Grundlagen
65
Dieser Prozess der Entscheidungsfindung wird im Folgenden überblicksartig beschrieben. Die einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses sind in Abbildung 3.2 dargestellt und werden anschließend näher erläutert. Die Beschreibung der einzelnen Phasen basiert auf Laux (2007, S. 8-13).
Zielbestimmung
Abbildung 3.2:
Ermittlung von Restriktionen
Suche nach Alternativen
Vorhersage von Konsequenzen
Auswahl einer Alternative
Umsetzung der Alternative
Phasen des Entscheidungsprozesses
Der Entscheidungsprozess beginnt mit der Zielbestimmung. Um eine Entscheidung treffen zu können, müssen Zielvorstellungen existieren, mit deren Hilfe die Alternativen beurteilt werden können. Die Bestimmung der Ziele ist notwendig, da sie als Beurteilungsmaßstab für die Auswahl einer Alternative dienen. Anschließend sind die Restriktionen möglicher Alternativen zu ermitteln. Die zu realisierende Alternative muss bestimmten Restriktionen oder Bedingungen genügen. Restriktionen ergeben sich z.B. aus den momentan verfügbaren Produktionskapazitäten. Die Berücksichtigung von Restriktionen ist erforderlich, um zu entscheiden, welche Alternativen überhaupt realisiert werden können. Im nächsten Schritt muss der Entscheider in der Regel nach Alternativen suchen, die diese Restriktionen erfüllen können, da er von vornherein nicht alle möglichen Alternativen kennt. Um schließlich zu einer Entscheidung zu gelangen, muss der Entscheider die Konsequenzen abschätzen, die sich aus der Wahl einer bestimmten Alternative ergeben würden. Da der Entscheider in der Realität üblicherweise nur über unvollständige Informationen verfügt, können die Konsequenzen nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Der Entscheider kann nur die Wahrscheinlichkeit abschätzen, mit der er eine bestimmte Konsequenz erwarten würde. Nachdem der Entscheider die Konsequenzen der Wahl einer bestimmten Alternative abgewägt hat, wählt er die Alternative aus, die den gegebenen Restriktionen genügt und seinen formulierten Zielen am nächsten kommt. Der Entscheidungsprozess endet mit der Umsetzung der Alternative. Nachdem die grundlegenden Bestandteile der Entscheidungstheorie dargestellt wurden, wird nun auf ihre theoretische Fundierung eingegangen. Die Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility Theory, EUT) zählt zu den wichtigsten theoretischen Grundlagen der Entscheidungstheorie und geht auf die Arbeiten von Bernoulli (1738; 1954) sowie Neumann und Morgenstern (1955) zurück (Klose 1994, S. 1). Sie wurde erstmals axiomatisch durch Neumann und Morgenstern (1955) fundiert. Ihre mathematische Grundidee geht auf Bernoulli (1738; 1954) zurück. Das Axiomensystem der Erwartungsnutzentheorie, auch als Bernoulli-Prinzip oder Risiko-Nutzen-Theorie bekannt, er-
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klärt rationale Entscheidungen unter Risiko (Klose 1994, S. 20). Ein weiterer, bekannter Vertreter dieser Theoriebasis ist Savage (1954). Im Wesentlichen beruht die Entscheidungstheorie auf der Anwendung eines Werterwartungsmodells. Sie unterstellt, dass Entscheider rational handeln. Damit liegt ihr das Menschenbild des Homo Oeconomicus zugrunde (Wolf 2005, S. 102). Hierbei betrachtet der Entscheider absolute Nutzenniveaus verschiedener Alternativen und deren Wahrscheinlichkeiten, mit der bestimmte Konsequenzen einer Alternative erwartet werden. Auf dieser Basis trifft er seine Entscheidung. Der Entscheider wählt dabei die Alternative, die den höchsten erwarteten Nutzen bietet (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 8). Verhält sich der Entscheider konsistent mit den Axiomen von Neumann und Morgenstern (1955), maximiert er den erwarteten Nutzen, d.h. den Durchschnitt, gewichtet über die Wahrscheinlichkeiten alternativer Ergebnisse einer Wahl (Simon 1959, S. 257). Die Entscheidungstheorie geht daher von einem rational handelnden Entscheider aus, der nach Nutzenmaximierung strebt (Simon 1959, S. 256). Grundsätzlich wird zwischen präskriptiver und deskriptiver Entscheidungstheorie unterschieden (Meyer 2000, S. 2), wobei beide Theorieansätze eng miteinander verknüpft sind (Jungermann/ Pfister/Fischer 1998, S. 6). Als Synonyme der präskriptiven Entscheidungstheorie gelten die Begriffe der Entscheidungslogik (Martin 1989, S. 259), der normativen (Kirsch/Seidl 2004, S. 281) bzw. formalen Entscheidungstheorie (Schneeweiß 1991, S. 83), Decision Analysis (Eisenführ/Weber 2003, S. 2), Rational Choice Theory oder der Theorie der rationalen Wahl (Opp 2002, S. 424). Sie eignet sich dazu (1) aktionsbezogene Entscheidungen (Was ist zu tun?), (2) entscheidungsregelbezogene Entscheidungen (Anhand welcher Regeln soll in einer bestimmten Entscheidungssituation entschieden werden?) und (3) entscheidungsstrukturbezogene Entscheidungen (Wie soll das Entscheidungsproblem organisiert werden?) zu untersuchen (Szyperski/Winand 1974, S. 2). Sie versucht, Vorschläge für idealtypisches Verhalten von Entscheidern zu machen und deren Folgen aufzuzeigen. Ihr Ziel ist die Unterstützung des Verhaltens von Entscheidern (Wolf 2005, S. 99) durch formalisierte Regeln und Methoden zur Strukturierung und Verarbeitung von Informationen (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 6). Ihr Ergebnis sind handlungsbezogene Sollaussagen (Wolf 2005, S. 102). Dabei geht es vorrangig um die Entwicklung von Entscheidungsmethoden und Entscheidungsmodellen (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 7), mit denen optimale bzw. zumindest befriedigende Vorgehensweisen abgeleitet werden können (Hill/Fehlbaum/Ulrich 1992, S. 428). Im Mittelpunkt dieser Theorie steht der eigentliche Entscheidungsakt, also die zielgerichtete Auswahl aus verfügbaren Handlungsalternativen (Wolf 2005, S. 101 f.). Andere Bestandteile des Entscheidungsprozesses wie die Zielbestimmung, die Suche nach Alternativen, die Vorhersage von Hand-
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lungskonsequenzen, die Umsetzung der ausgewählten Alternative oder die Kontrolle über die Zielerreichung spielen nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz zur präskriptiven Entscheidungstheorie wird im Rahmen der deskriptiven Entscheidungstheorie (behavioral decision theory, Eisenführ/Weber 2003, S. 358) tatsächliches Verhalten in Entscheidungssituationen untersucht (Wolf 2005, S. 99). Dabei wird versucht, die Frage zu beantworten, wie Entscheidungsprozesse ablaufen (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 7). Sie beschäftigt sich damit, wie sich Personen in gegebenen Situationen typischerweise verhalten. Sie gilt deshalb als realtypischer Ansatz. Es geht darum, Hypothesen zu entwickeln, wie sich eine Person in einer oder mehreren Entscheidungssituationen verhalten hat und warum (Meyer 2000, S. 2). Auch im Entscheidungsprozess auftretende Entscheidungsanomalien zählen zur deskriptiven Entscheidungstheorie. Ausgangspunkt für die Entwicklung der deskriptiven Entscheidungstheorie sind die Überlegungen von Simon (1957; March/Simon 1993, S. 158-162) zur beschränkten Rationalität. Durch die beschränkte Kapazität des kognitiven Systems und eine situationsbedingte unvollständige Nutzung der vorhandenen Kapazitäten ist tatsächliches Verhalten, anders als das aus der präskriptiven Entscheidungstheorie abgeleitete Verhalten, meist als beschränkt rational zu charakterisieren (Jungermann/ Pfister/Fischer 1998, S. 6). Die folgende Argumentation beruht daher auf der deskriptiven Entscheidungstheorie, weil es in dieser Arbeit darum geht, reales Entscheidungsverhalten von Einkäufern zu erklären. 3.2.2 Grundmodell rationaler Entscheidungen Im Abschnitt 3.2.2.1 werden zunächst die Komponenten vorgestellt, die das Entscheidungsverhalten im Grundmodell beschreiben. Im nachfolgenden Abschnitt 3.2.2.2 werden schließlich die Verhaltensannahmen im Grundmodell erläutert. 3.2.2.1 Komponenten des Entscheidungsverhaltens im Grundmodell Das Entscheidungsverhalten im Grundmodell kann durch vier Komponenten charakterisiert werden: Alternativen, Umweltzustände, Konsequenzen sowie Ziele und Zielfunktionen (Laux 2007, S. 19 f.). Die erste Komponente sind die einem Akteur zur Verfügung stehenden Alternativen, auch als Handlungsalternativen, Optionen, Aktionen oder Strategien bezeichnet (Eisenführ/Weber 2003, S. 16). Alternativen können dabei vier verschiedene Formen annehmen. Kaufentscheidungen sind meist Situationen, in denen der Entscheider vor einer Alternativenzahl steht und aus zwei oder mehreren Objekten, z.B. Fahrrädern, eine Alternative auswählen kann. Handlungen, z.B. zum Arzt
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gehen, sind in der Regel auf ein konkretes Ziel, in diesem Fall gesund zu werden, ausgerichtet, das durch diese Handlung verwirklicht werden soll. Als Voraussetzung gilt dabei, dass der Entscheider dazu befähigt ist, die Handlung ausführen zu können. Es ist allerdings möglich, dass das beabsichtigte Ziel mit der gewählten Handlung nicht erreicht wird. Eine weitere mögliche Alternative ist auch die Entscheidung darüber, ob der Status Quo beibehalten oder aufgegeben wird. Eine Strategie, z.B. sparen, beinhaltet dagegen eher allgemeine Zielrichtungen, die keine konkreten Handlungen festlegen, mit denen diese Strategie realisiert werden soll. Bei einer Regel, z.B. einen Berater hinzuziehen, geht es schließlich darum, wie Entscheidungen zu treffen sind (Jungermann/Pfister/ Fischer 1998, S. 17 f.). Eine zweite Komponente sind die möglichen Umweltzustände bzw. -einflüsse oder Ereignisse. Sie sind als Rahmenbedingungen einer Entscheidung zu verstehen (Wolf 2005, S. 105) und können das Ergebnis einer Entscheidung beeinflussen. Darunter werden alle Vorkommnisse und Sachverhalte subsumiert, die der Entscheider einerseits selbst nur teilweise oder gar nicht beeinflussen kann und andererseits Auswirkungen auf die Realisierung der Alternativen haben können. Umweltzustände, die die Konsequenzen der Auswahl einer Option beeinflussen, führen zu unsicheren Entscheidungssituationen (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 19). Über solche Umweltzustände kann der Entscheider lediglich Erwartungen bilden (Eisenführ/Weber 2003, S. 16). Die dritte Komponente bilden die Konsequenzen bzw. Folgen oder Ergebnisse, die bei der Umsetzung einer Alternative in Kombination mit einem bestimmten Umweltzustand eintreten können. Dabei wird festgelegt, was passieren wird, wenn eine Alternative in Verbindung mit einer bestimmten Umweltsituation ausgewählt wird. Es werden hierbei nur die Konsequenzen berücksichtigt, die bezüglich der definierten Ziele des Entscheiders auch relevant sind (Laux/Liermann 2005, S. 37). Die Konsequenzen sind dabei multidimensional. Eine Konsequenz kann aus vielen Attributen bestehen, z.B. dem Preis für ein Auto, das Design oder der Energieverbrauch. Welche Attribute der Entscheider beim Abwägen über die Konsequenzen einer Entscheidung als relevant einschätzt, hängt von seinen Zielen ab. Hat ein Autokäufer das Ziel, möglichst in kürzester Zeit von einem Ort zum nächsten zu gelangen, ist für ihn die Geschwindigkeit als Attribut besonders relevant (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 21 f.). Ziele und Zielfunktionen stellen die vierte Komponente dar. Ziele beschränken die grundsätzlich unendliche Menge an Optionen und deren Attribute sowie Konsequenzen, die eine Person während ihrer Entscheidungsfindung einbezieht. Das Ziel, z.B. Finanzvorstand in einem börsennotierten Unternehmen zu werden, grenzt ein, welche Optionen berücksichtigt werden, z.B. Studium der Be-
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triebswirtschaftslehre bzw. Auswahl einer Universität mit herausragendem Ruf in diesem Studiengang und welche nicht, z.B. Studium der Politologie, welche Konsequenzen der jeweiligen Optionen antizipiert, und welche Attribute der Konsequenzen als relevant erachtet werden (Jungermann/ Pfister/Fischer 1998, S. 22). Ziele dienen als Entscheidungskriterium, anhand dessen die Konsequenzen von Kombinationen verschiedener Alternativen und möglicher Umweltzustände und damit die Handlungsalternativen selbst evaluiert werden können. Diese Sollvorgaben von Entscheidern werden in einer Zielfunktion als formale Darstellung der Entscheidungsregel abgebildet (Laux 2007, S. 25). Die Zielfunktion enthält Angaben darüber, was in welchem Ausmaß angestrebt wird. Die Frage des Ausmaßes bezieht sich auf ein Optimierungskriterium. Maximierung, z.B. des Umsatzes, Minimierung, z.B. von Qualitätsmängeln, oder Satisfizierung, z.B. Erreichung eines vorab festgelegten Marktanteils, sind übliche Optimierungskriterien im betriebswirtschaftlichen Kontext (Wolf 2005, S. 107). Die hier dargelegten Komponenten beschreiben das Entscheidungsverhalten einer Person im Grundmodell. Sie legt zunächst ihr Ziel fest, das mögliche Alternativen und deren Konsequenzen eingrenzt. Entsprechend ihrem Ziel befinden sich verschiedene Alternativen im Alternativenraum. Gleichzeitig muss sie die Rahmenbedingungen ihrer Entscheidung berücksichtigen. Diese Umweltzustände können die Konsequenzen der Auswahl einer bestimmten Alternative beeinflussen. Eine Konsequenz kann dabei aus vielen Attributen bestehen. Welche Attribute als relevant eingestuft werden, hängt wiederum vom formulierten Ziel der Person ab. Sie wählt schließlich die Alternative, die ihr den größten Nettonutzen bietet. 3.2.2.2 Verhaltensannahmen im Grundmodell Dieser Arbeit liegt eine moderne Interpretation des Homo Oeconomicus3 zugrunde, die auf dem ökonomischen Verhaltensmodell basiert (Frey 1980, S. 23-25;1990b, S. 4-8). Im Gegensatz zum in der mikroökonomischen Theorie verbreiteten Verständnis des Homo Oeconomicus als Person, die immer optimal handelt, als „wandelnder Computer durch die Welt schreitet und immer die beste aller vorhandenen Möglichkeiten blitzschnell ermittelt“ (Kirchgässner 2000, S. 17), wird der moderne Homo Oeconomicus nicht immer und überall als Optimierer auftreten. Neben der „abgeschwächten“ Optimalitätsbedingung ist der moderne Homo Oeconomicus auch deshalb mit dem Konzept der beschränkten Rationalität vereinbar, weil beide Konzepte auf den gleichen Annahmen beruhen, nämlich Bewertung (eines Teils) der Alternativen, Entscheidung zwi-
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schen den bewerteten Alternativen gemäß dem relativen Vorteil und Beeinflussbarkeit des Entscheidungsverhaltens durch veränderte Rahmenbedingungen (Kirchgässner 2000, S. 31). Die Verhaltensannahmen des modernen Homo Oeconomicus stimmen eher mit dem realen Entscheidungsverhalten überein (Simon 1959, S. 79). Personen sind entgegen dem mikroökonomischen Verständnis nicht in der Lage, alle denkbaren Alternativen wahrzunehmen, alle Konsequenzen möglicher Alternativen einzuschätzen und eine vollständige und konsistente Bewertung aller Konsequenzen vorzunehmen (Berger/Bernhardt-Mehlich 2006, S. 177 f.; Erlei/Leschke/Sauerland 2007, S. 7). Sie verfügen aufgrund ihres eingeschränkten Zugangs zu Informationen und ihrer begrenzten Verarbeitungskapazität nur über ein „verzerrtes subjektives Abbild der objektiven Realität“ (Wessling 1991, S. 115). Sie handeln zwar „beabsichtigt“ rational, können aber eben aufgrund beschränkter kognitiver Kapazitäten der Informationsaufnahme und -verarbeitung keine objektiv rationalen Entscheidungen treffen (Berger/Bernhardt-Mehlich 2006, S. 177). Diese gerade beschriebenen Grenzen des menschlichen Intellekts subsumiert Simon (1957, S. 80 f.) unter dem Begriff der begrenzten oder auch beschränkten Rationalität (bounded rationality). Daraus resultiert satisfizierendes Verhalten von Personen, d.h. „they satisfice because they have not the wits to maximize“ (Simon 1957, S. xxiv). Eine Person orientiert sich dabei an Routinen oder einfachen Daumenregeln, um in einer komplexen Umwelt handlungsfähig zu bleiben und trotzdem vernünftige Entscheidungen treffen zu können (Simon 1957, S. xxvi). Um eine Alternative auswählen zu können, legt sie Anspruchsniveaus fest und begnügt sich mit Ergebnissen, die dieses Anspruchsniveau erfüllen. Sie sucht unter den ihr zugänglichen Alternativen nicht mehr die beste, sondern eine hinreichend akzeptable Alternative (Simon 1955, S. 108; Kirchgässner 2000, S. 31). Eine solche zufrieden stellende Alternative ist dann gefunden, wenn sie dazu beiträgt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen und gleichzeitig einer Reihe von zusätzlichen Bedingungen genügt (Cyert/Simon/Trow 1956, S. 237). Das Entscheidungsverhalten des Homo Oeconomicus kann nun anhand der Phasen des Entscheidungsprozesses beschrieben werden. Zu Beginn müssen Ziele und Restriktionen bestimmt werden. Denn diese Ziele und Restriktionen einer Person bilden den Referenzpunkt für die anschließende Beurteilung möglicher Alternativen (Erlei/Leschke/Sauerland 2007, S. 3) und dienen als Maßstab bei der Suche nach Alternativen. Die Ziele ergeben sich aus den Absichten einer handelnden Person. Eine Person wählt aus den ihr zur Verfügung stehenden Alternativen anhand ihrer Ziele aus,
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In der Sozialwissenschaft wird der Homo Oeconomicus als REMM bezeichnet: Resourceful, Evaluating, Maximising Man (Jensen/Meckling 1994).
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wonach sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung beurteilt (Simon 1957, S. 75; Kirchgässner 2000, S. 2). Die Person ist selbstinteressiert und verfolgt ihren eigenen Vorteil. Neben den Zielen einer Person sind in einer bestimmten Entscheidungssituation auch Restriktionen, z.B. das Einkommen der Person, die auf dem Markt geltenden Preise oder rechtliche Rahmenbedingungen zu beachten, die den Alternativenraum der Person beschränken können. Nachdem Ziele und Restriktionen für eine bestimmte Entscheidungssituation ermittelt wurden, beginnt nun die Suche nach Alternativen. Da einer Person zu Beginn ihres Entscheidungsprozesses in der Regel noch nicht alle möglichen Alternativen bekannt sind (Cyert/Simon/Trow 1956, S. 237; 246), müssen diese erst eine nach der anderen entdeckt werden (Selten 2002, S. 13 f.). Im Rahmen dieses Suchprozesses werden typischerweise mehrere mögliche Alternativen generiert (Simon 1992, S. 27). Um beurteilen zu können, welche der generierten Alternativen eine zufrieden stellende Alternative darstellt, müssen zunächst Informationen über diese Alternativen eingeholt werden. Mit der Suche nach Informationen über Alternativen strebt eine Person danach, Unsicherheit zu reduzieren (Grønhaug 1975, S. 15), da sie in der Regel weder über vollständige Informationen über die verschiedenen Alternativen noch über solche zu deren Konsequenzen verfügt (Kirchgässner 2000, S. 17; Frey/Benz 2007, S. 6). Die Suche nach Informationen über mögliche Alternativen bedeutet allerdings Aufwand für die entscheidende Person (Beatty/Smith 1987, S. 85; Srinivasan/Ratchford 1991, S. 235). Dabei muss sie die Kosten der Informationsgewinnung und den Nutzen einer möglicherweise besseren Entscheidung abwägen (Marschak 1959; Stigler 1961; Ratchford 1982; Weiss/Heide 1993, S. 221; Bunn/Butaney/Hoffman 2001, S. 62). Falls die entsprechenden Informationen direkt verfügbar sind, ist der Suchaufwand gering, so dass auch die Kosten für die Informationsgewinnung vergleichsweise niedrig sind. Wenn allerdings eine aktive Informationssuche erforderlich ist, kann der Suchaufwand und die damit verbundenen Kosten für die Suche nach Informationen entsprechend hoch sein (Lanzetta/Kanareff 1962, S. 459 f.). Der größte Nutzen aus einer Suche nach Informationen über Alternativen ist die Erkenntnis darüber, dass die ausgewählte Alternative die beste verfügbare Option darstellt (Bunn/Butaney/Hoffman 2001, S. 62). Diese Suche nach Informationen über Alternativen kann aufgrund von Restriktionen bezüglich Zeit, Aufmerksamkeit oder anderer knapper Ressourcen allerdings nicht unendlich andauern (Gigerenzer 2002, S. 38 f.). Da die Beschaffung von Informationen auch in den meisten Fällen nicht kostenlos möglich ist (Kirchgässner 2000, S. 17), müssen möglicherweise entstandene Kosten, z.B. in Form von Ausgaben und/oder durch den Einsatz von Arbeit und Zeit sowie psycho-
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logischen Kosten der Informationsverarbeitung, im Entscheidungskalkül mitberücksichtigt (Srinivasan/Ratchford 1991, S. 235) und einem möglichen Nutzen gegenübergestellt werden. Unter Umständen können bestimmte Alternativen nicht mehr realisiert werden, wenn erst umfangreiche Informationen über deren Konsequenzen eingeholt werden. Die Entscheidung darüber, ob Informationen beschafft werden sollen oder nicht, erfordert also ein Abwägen ihrer Kosten und ihres Nutzens (Lanzetta/Kanareff 1962, S. 460; Laux/Schabel 2008, S. 23). Als Stoppregel gilt der Punkt, an dem die Kosten einer weiteren Suche nach zusätzlichen Informationen den Nutzen übersteigen, den eine anhaltende Suche erbringen würde (Stigler 1961; Webster 1965, S. 373). Eine Informationsbeschaffung ist daher vorteilhaft (nachteilig), wenn die tatsächlichen Kosten der Informationsbeschaffung niedriger (höher) als der Nutzen dieser Informationen sind (Laux/Schabel 2008, S. 23). Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Personen ihren Suchaufwand nach Informationen über Alternativen erhöhen, solange der wahrgenommene Nutzen die wahrgenommenen Kosten übersteigt. Gerade der zeitliche Aufwand kann das Ausmaß der Suche und folglich die Anzahl identifizierter und berücksichtigter Alternativen beschränken, denn Personen müssen häufig unter Zeitdruck Entscheidungen treffen (Kirchgässner 2000, S. 17). Bei vielen Einkaufsentscheidungen müssen vor allem solche zeitlichen Restriktionen beachtet werden, wie z.B. ein bestimmtes Datum, an dem die Bestellung erfolgen oder die Lieferung eintreffen muss oder zu dem das Material in der Produktion angefordert wird (Webster 1965, S. 373). Eine Person wird deshalb möglicherweise aufgrund seiner beschränkten zeitlichen Ressourcen die Suche nach Alternativen unterlassen (Bunn/Butaney/Hoffman 2001, S. 66), wenn sie bereits aus früheren Entscheidungen einige Alternativen kennt. Die Kosten einer Suche nach Informationen über Alternativen können also dadurch beeinflusst werden, dass bei nachfolgenden Entscheidungen schon Wissen über mögliche Alternativen vorhanden ist. Danach könnte eine Person eine bestimmte Alternative von Vornherein bevorzugen und würde ihre Suche nach Informationen über weitere Alternativen einschränken, um so Kosten einzusparen (Grønhaug 1975, S. 17; Srinivasan/Ratchford 1991, S. 235). Neben der Überlegung, den Zeitpunkt, zu dem die Kosten der Suche nach Informationen über Alternativen ihren Nutzen übersteigen, als Auslöser für die Beendigung der Suche zu verwenden, muss eine entscheidende Person häufig auch Regeln über die Anzahl zu berücksichtigender Alternativen beachten. Danach ist die Suche erst dann beendet, wenn die vorgegebene Anzahl an Alternativen identifiziert und der Alternativenraum festgelegt wurde (Webster 1965, S. 373). Moore (1969, S. 91) hat bei seinen Untersuchungen im Kontext von Einkaufsentscheidungen beispielsweise
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herausgefunden, dass der Alternativenraum bei kritischen Bauteilen zumeist aus drei Alternativen besteht, der gelegentlich um einige zusätzliche Alternativen für spezielle Bedürfnisse ergänzt wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Person bei der Auswahl auch alle im Alternativenraum berücksichtigten Optionen einbezieht. Nachdem eine Person die Suche nach Informationen über Alternativen beendet hat, kann sie mithilfe der vorhandenen Informationen beurteilen, ob die generierten Alternativen vorgegebene Anspruchsniveaus erfüllen. Ein Anspruchsniveau ist der Wert einer Zielvariable, der durch eine zufrieden stellende Alternative erreicht oder übertroffen werden muss. Das Anspruchsniveau bildet die Trennlinie, die den Alternativenraum in zufrieden stellende und in nicht zufrieden stellende Alternativen unterteilt (Kirsch 1977, S. 88; Erlei/Leschke/Sauerland 2007, S. 7 f.). Solche Anspruchsniveaus sind jedoch nicht dauerhaft festgelegt, sondern werden dynamisch der jeweiligen Entscheidungssituation angepasst. Sie werden erhöht (verringert), wenn zufrieden stellende Alternativen leicht (schwer) zu finden sind. Wenn die Person beispielsweise mehrere Alternativen mit zufrieden stellend bewertet, wird sie das Anspruchsniveau schrittweise erhöhen. Sie beabsichtigt damit, Alternativen zu eliminieren, bis im besten Fall zum Ende des Entscheidungsprozesses nur noch eine Alternative übrig bleibt. Falls zunächst keine zufrieden stellende Alternative gefunden werden kann, wird die Person ihre Suche erweitern und über vertraute Routinen hinausgehen, sofern dies kostengünstig möglich ist (Simon 1957, S. 62). Falls auch mit einer erweiterten Suche nach Informationen über Alternativen keine angemessene Alternative gefunden wird, passt die Person das Anspruchsniveau nach unten an (Erlei/Leschke/Sauerland 2007, S. 8). Bevor eine Person eine bestimmte Alternative auswählen kann, muss sie mögliche Konsequenzen abschätzen. Bei der anschließenden Wahl einer Alternative wägt die Person dann Nutzen und Kosten sowie Vor- und Nachteile der einzelnen Alternativen gegeneinander ab und entscheidet gemäß ihrem relativen Vorteil. Sie bringt die Konsequenzen möglicher Alternativen in eine Rangfolge und wählt die Alternative aus, die an erster Stelle steht (Simon 1957, S. 73). Diese entspricht am ehesten ihrem Ziel, so dass sie sich von ihr den höchsten „Nettonutzen“ erwartet (Kirchgässner 1988, S. 129; Wessling 1991, S. 32; Kirchgässner 2000, S. 13 f.; Frey/Benz 2007, S. 1). Eine solche Bewertung von Alternativen unter Anwendung eines Kosten-Nutzen-Kalküls wird als Rationalitätsprinzip bezeichnet. Als Synonyme für dieses Prinzip werden häufig auch die Begriffe Prinzip der Nutzenmaximierung, ökonomisches Prinzip oder Wirtschaftlichkeitsprinzip verwendet (Erlei/ Leschke/Sauerland 2007, S. 4). Nach Kirsch (1977, S. 27) versucht die im Sinne dieses Prinzips entscheidende Person, ihre gegebenen Mittel so einzusetzen, dass sie dabei ein Maximum an Zweckerfolg erreicht. Tietzel (1981, S. 118) sieht im Rationalitätsprinzip die wichtigste Eigenschaft
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des Homo Oeconomicus. Eine Person handelt rational, wenn seine Handlungen berechenbar oder vorhersehbar in dem Sinne sind, dass sie „unter Abwesenheit physischen und psychischen ‚Zwanges’, leidenschaftlicher ‚Affekte’ und ‚zufälliger’ Trübungen des Urteils vollzogen werden und einen klar bewussten ‚Zweck’ durch … adäquate ‚Mittel’ verfolgen“ (Weber 1973, S. 226 f.). Der Entscheidungsprozess ist schließlich beendet, wenn die Person auf diesem Weg eine ihre Zwecke erfüllende Alternative gefunden hat und diese Alternative umsetzt. Es wird dabei die Alternative gewählt, die als angemessenes Mittel zur Erreichung eines erwünschten Ziels erachtet wird (Simon 1957, S. 62). Dieses Verhalten ist insoweit rational, als dass die zur Zielerreichung am besten geeignete Alternative ausgewählt wird (Simon 1957, S. 5). Dabei kann die Person ihre Auswahl auch treffen, ohne vorher alle möglichen Alternativen zu prüfen und ohne ermitteln zu müssen, dass die gefundenen tatsächlich alle Alternativen darstellen (Simon 1957, S. xxvi). 3.2.3 Entscheidungsanomalien Entscheidungsanomalien sind empirisch beobachtbare, systematische Abweichungen individuellen Urteils- und Entscheidungsverhaltens (Klose 1994, S. 1), die im Widerspruch zu den Axiomen der Erwartungsnutzentheorie stehen (Frey 1990a, S. 71). Darunter wird jedes Verhalten subsumiert, das „vom theoretisch prognostizierten optimalen Verhalten des Homo Oeconomicus abweicht“ (Erlei/Leschke/Sauerland 2007, S. 12 f.). In der Literatur existiert eine Vielzahl von Synonymen für den Begriff der Entscheidungsanomalie (Klose 1994, S. 44): Cognitive Illusions (Gigerenzer 1991, S. 85), Mental Pitfalls, Irrationalitäten (Frey 1990a, S. 67), Entscheidungsfehler (Nitzsch 2002, S. I), (Verhaltens)-anomalie oder Paradoxon (Eichenberger/Frey 1990, S. 270; Frey 1990a, S. 69). Während die Begriffe der Anomalie und des Paradoxons in der Ökonomie am verbreitesten sind und üblicherweise synonym verwendet werden (Frey/Eichenberger 1989, S. 82), vertreten Güntzel und Weil (1992, S. 310-312) einen anderen Standpunkt. Sie unterscheiden verschiedene Paradoxa auf Mikro-, Aggregations- und Makroebene, wobei sie den Begriff der Anomalie für Mikro-Paradoxa als sinnvoll erachten. Die für diese Arbeit relevanten Entscheidungsanomalien werden im Folgenden beschrieben. Zunächst wird im Abschnitt 3.2.3.1 auf die Status Quo Verzerrung eingegangen, bevor im Abschnitt 3.2.3.2 die Eskalation von Commitment erläutert wird.
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3.2.3.1 Status Quo Verzerrung Eine Verzerrung gegenüber dem Status Quo stellt eine Entscheidungsanomalie dar (Grund 2004, S. 81). Üblicherweise beeinflusst die anfängliche Wahl eines Entscheiders seinen Alternativenraum in der folgenden Entscheidung (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 34). Es kommt zu einem Ankereffekt, weil nachfolgende Entscheidungen teilweise in vorangegangenen Entscheidungen „verankert“ sind (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 22). Dabei ist es unerheblich, ob die vorangegangene Entscheidung von der Person getroffen wurde, die nun mit der Folgeentscheidung konfrontiert ist (Burmeister/Schade 2005, S. 15). Die Aufrechterhaltung des Status Quo bedeutet, nichts zu tun bzw. die aktuelle oder vorherige Entscheidung beizubehalten (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 8). Ritov und Baron (1992, S. 49) sowie Schweitzer (1994, S. 457) heben hervor, dass Entscheidungen gegenüber dem Status Quo verzerrt sind, wenn Personen den aktuellen Zustand bevorzugen und deshalb gegenüber einer Handlung abgeneigt sind, die diesen Zustand verändern würde. Die Änderung des Status Quo erfordert demnach eine Handlung, während die Beibehaltung des Status Quo nur eine Unterlassung bzw. Untätigkeit voraussetzt. Ein Entscheider bleibt deshalb häufig bei der Status Quo-Alternative, wenn er mit neuen Alternativen konfrontiert ist (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 8). Sobald eine Person eine Entscheidung getroffen hat, neigt sie dazu, diese zu wiederholen (Inman/Zeelenberg 2002, S. 116; Anderson 2003, S. 143). Sie tendiert dazu, die Bewahrung des Status Quo einer Veränderung vorzuziehen, obwohl die Konsequenzen einer Veränderung dieses Zustands besser sind als die bei einer Aufrechterhaltung des Status Quo (Corbin 1980, S. 57; Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 309). Ein häufig verwendeter Erklärungsansatz für eine Status Quo Verzerrung basiert auf der Prospect Theorie (Herrmann 1998, S. 113). Sie liefert eine Erklärung dafür, warum in vielen Entscheidungssituationen mit mindestens einer vorangegangenen Entscheidung eine Verzerrung gegenüber dem Status Quo auftritt (Tversky/Kahneman 1991, S. 1042). Dazu werden zunächst die grundlegenden Charakteristika der Prospect Theorie beschrieben, um nachvollziehen zu können, wie mithilfe der Prospect Theorie eine Status Quo Verzerrung erklärt werden kann. Die Prospect Theorie (Kahneman/Tversky 1979) zählt zu den deskriptiven Entscheidungstheorien und basiert auf der Annahme beschränkt rationalen Verhaltens von Individuen (Felten 2002, S. 69). Sie bildet den Nutzen einer Entscheidung unter Unsicherheit als gewichteten Durchschnitt aller Nutzenwerte der Ergebnisse. Die Nutzenmessung in der Prospect Theorie stimmt strukturell mit der in der Erwartungsnutzentheorie (Savage 1954; Neumann/Morgenstern 1955) überein. Diese grund-
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legende Struktur wird um eine Wertfunktion (Value-Function) und eine Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion (ʌ-Function) erweitert (Kaas 2005, S. 33). Das Entscheidungsverhalten von Personen besteht in der Prospect Theorie aus einem zweistufigen Prozess. In der Framing-Phase, ursprünglich als Editing-Phase bezeichnet (Kahneman/Tversky 1979, S. 274), analysiert eine Person das Entscheidungsproblem und restrukturiert die Handlungsalternativen so, dass die nachfolgende Beurteilung und die Auswahl von Alternativen vereinfacht wird. In dieser Phase kodiert die Person die mit einer Alternative verbundenen Konsequenzen als Gewinne oder Verluste relativ zu einem Referenzpunkt. Der Referenzpunkt entspricht dabei normalerweise der aktuellen Vermögensposition. Die Position des Referenzpunkts und die anschließende Kodierung der Konsequenzen als Gewinne oder Verluste können durch die Formulierung der Alternativen und durch die Erwartungen des Entscheiders beeinflusst werden. In der nachfolgenden Beurteilungsphase weist die Person jeder Alternative einen Nutzen zu und wählt die Alternative mit dem höchsten Nutzen (Qualls/Puto 1989, S. 180). Der Nutzen einer Alternative bzw. eines Prospects URPT (x) entspricht der Summe aus den bezüglich eines Referenzpunkts R bewerteten Gewinnen und Verlusten der Konsequenzen einer Alternative vPT (zs), die mit Wahrscheinlichkeitsgewichten ʌ (ps) multipliziert werden (Felten 2002, S. 71). Die Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion gibt an, welches Gewicht ein Entscheider einer Wahrscheinlichkeit p bei der Entscheidung zuweist (Eisenführ/Weber 2003, S. 375). Die Prospect Theorie basiert im Wesentlichen auf drei Merkmalen, die in Abbildung 3.3 graphisch aufbereitet sind. Die Referenzpunktbezogenheit bezieht sich darauf, dass der Referenzpunkt den Ursprung der Wertfunktion bildet. Abweichungen vom Referenzpunkt werden vom Entscheider als Gewinne oder Verluste wahrgenommen. Den Referenzpunkt bildet gewöhnlich der Status Quo. Es können aber auch Abweichungen von einem Anspruchsniveau oder anderen Referenzpunkten abgebildet werden (Levy 1994, S. 10). Die Verlustaversion bedeutet, dass die Wertfunktion im Verlustbereich steiler als im Gewinnbereich verläuft. Aufgrund von Verlustaversion ist der Einfluss einer Differenz bezüglich einer Dimension generell größer, wenn diese Differenz als Verlust wahrgenommen wird, als wenn die gleiche Differenz als Gewinn gesehen wird. Der Wert eines Gewinns ist kleiner als der absolute Betrag eines Verlusts in gleicher Höhe. Verluste bzw. Konsequenzen, die unterhalb des Referenzpunkts liegen, wiegen demnach schwerer als Gewinne bzw. Konsequenzen, die oberhalb des Referenzpunkts liegen (Kahneman/Knetsch/Thaler 1991, S. 199).
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Die abnehmende Sensitivität bedeutet, dass die Wertfunktion im Verlustbereich konvex und im Gewinnbereich konkav verläuft. Die konkave Funktion im Gewinnbereich erklärt, warum ein Entscheider bei Gewinnchancen eher risikoscheu reagiert. Bei niedrigen Beträgen steigt die Funktion steil an, d.h. der subjektive Wert steigt schneller als die Gewinnhöhe. Anschließend wird die Funktion flacher. Die konvexe Funktion im Verlustbereich erklärt hingegen, warum ein Entscheider bei drohenden Verlusten eher risikofreudig reagiert. Die Unterschiede zwischen geringen Verlusten werden subjektiv höher beurteilt, weil die Funktion bei kleinen Beträgen steil abfällt. Danach wird die Kurve flacher und zusätzliche Verluste spielen eine geringere Rolle (Tversky/Kahneman 1991, S. 1039 f.; Herrmann/Bauer 1996, S. 679; Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 217 f.; Grund 2004, S. 83).
Verlustaversion vPT
abnehmende Sensitivität (konkaver Verlauf)
Referenzpunkt
z
abnehmende Sensitivität (konvexer Verlauf)
Verlustbereich (zs-)
Gewinnbereich (zs+)
Abbildung 3.3:
Wertfunktion der Prospect Theorie
Quelle:
Felten 2002, S. 71, in Anlehnung an Kahneman/Tversky 1979 , S. 279; Nitzsch 2002 , S. 105
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Theoretische Analyse
Mit der Annahme der Verlustaversion in der Prospect Theorie kann nun die Tendenz des Entscheiders hin zum Status Quo erklärt werden, sofern die Status Quo-Alternative als Referenzpunkt gilt (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 309). Verlustaversion verursacht eine Verzerrung gegenüber der Status Quo-Alternative (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 36; Tversky/Kahneman 1991, S. 1042), weil Entscheider mit der Aufgabe des Status Quo mehr Nachteile als Vorteile verbinden (Kahneman/Knetsch/Thaler 1991, S. 197). Dies hängt damit zusammen, dass Entscheider bei der Bewertung von Alternativen Verluste und Gewinne aus der Änderung des Status Quo asymmetrisch einschätzen (Hartman/Doane/Woo 1991, S. 141). Ein gegebener Unterschied zwischen zwei Optionen hat dann einen stärkeren Einfluss, wenn er als Unterschied zwischen Verlusten gesehen wird, anders als wenn er als Unterschied zwischen Gewinnen betrachtet wird. Die Status Quo-Alternative hat damit aufgrund ihrer asymmetrischen Position einen Entscheidungsvorteil (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 37). Wenn eine Alternative A den Status Quo darstellt, ist es wahrscheinlich, dass die wahrgenommenen Verluste durch den Wechsel zu einer anderen Alternative B die wahrgenommenen Vorteile durch einen Wechsel „überschatten“ (Tetlock/Boettger 1994, S. 2). Ein Entscheider, der in einem neutralen Punkt t gegenüber den Alternativen A und B indifferent ist, wird A gegenüber B ausgehend von A bzw. B gegenüber A ausgehend von B vorziehen (Tversky/Kahneman 1991, S. 1042; Bardi Kleiser/Wagner 1999, S. 595). Neben der Verlustaversion als Erklärung für die Aufrechterhaltung der Status Quo-Alternative können aber auch andere Gründe eine Rolle spielen. Der Entscheider behält die Status Quo-Alternative z.B. aufgrund von Bequemlichkeit, Gewohnheit bzw. Trägheit oder Unternehmenspolitik bei (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 10). Entscheider empfinden den Status Quo als angenehm und vermeiden es, Maßnahmen zu ergreifen, die ihn verändern würden (Hammond/Keeney/Raiffa 2006, S. 121). Seine vergangene Wahl ist bei anderen bekannt und er „lebt“ mit seiner Status QuoAlternative schon seit einiger Zeit (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 10). Er könnte auch deswegen seine vorherige Wahl beibehalten wollen, um seine Reputation und seine Entscheidungsautorität zu erhalten. Wenn er seine aktuelle Wahl in Frage stellen würde, könnte das bedeuten, dass er ursprünglich eine schlechte Wahl getroffen hat (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 38). Er kann aber auch einfach mit seiner aktuellen Wahl vertraut und zufrieden sein. Er ist dann der Überzeugung, dass eine andere Alternative nicht den gleichen Nutzen wie die aktuelle Option erbringen würde (Hartman/Doane/Woo 1991, S. 154). Auch das im Gegensatz zum Nicht-Handeln größere Bedauern gegenüber negativen Folgen beim Handeln kann die Beibehaltung des Status Quo fördern und daher die Wahl zwischen der Status Quo-Alternative und anderen Alternativen beeinflussen (Kahneman/Tversky 1982, S. 142; Land-
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man 1987, S. 531; Simonson 1992, S. 106). Nicht-Handeln wird nämlich weniger als die Ursache nachfolgender Konsequenzen gesehen und beinhaltet weniger Verantwortung auf Seiten des Entscheiders als Handeln (Corbin 1980, S. 49 f.; Hammond/Keeney/Raiffa 2006, S. 121). Darüber hinaus gilt Nicht-Handeln als die umsichtigere und übliche Alternative und wird als Norm oder Standardoption gesehen (Kahneman/Miller 1986, S. 145). Entscheider neigen deshalb dazu, stärkeres Bedauern und Verantwortung zu empfinden, wenn sie Initiative zeigen und den Status Quo ändern und dann herausfinden, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen haben. Entscheider antizipieren auf Basis ihrer früheren Erfahrung, dass die Beibehaltung des Status Quo mit geringerem potenziellen Bedauern und Verantwortung verbunden ist (Simonson 1992, S. 106). Kahneman und Tversky (1982, S. 142) vergleichen am Beispiel zweier Investoren dieses Problem des Bedauerns verbunden mit Handeln und Nicht-Handeln. Ein Investor erwägt, seine Kapitalbeteiligung zu verkaufen, verkauft nicht und stellt fest, dass er mit dem Verkauf besser dran gewesen wäre. Der andere Investor verkauft seine Kapitalbeteiligung und ist der Auffassung, dass es besser gewesen wäre, nicht zu verkaufen. Der Investor, der gehandelt hat, nämlich seine Kapitalbeteiligung verkauft hat, wird größeres Bedauern empfinden. Das größere Bedauern entsteht, weil der Investor mit der verkauften Kapitalbeteiligung dazu neigt, sein Ergebnis nach dem Verkauf mit dem Ergebnis des Nicht-Handelns zu vergleichen. Der Investor, der nicht verkauft hat, würde hingegen dazu tendieren, sein Ergebnis als das erwartete Resultat zu betrachten (Simonson 1992, S. 106). Die Beibehaltung des Status Quo im Sinne von Nicht-Handeln, nämlich kein Verkauf der Kapitalbeteiligung, wird demnach sein erwartetes Bedauern mindern (Bardi Kleiser/Wagner 1999, S. 596). Während der Entscheider bei einer Status Quo Verzerrung den Status Quo beibehält, wird er bei einer Eskalation von Commitment nicht nur am Status Quo festhalten, sondern noch mehr Ressourcen in die Aufrechterhaltung dieses Status Quo investieren. Eine solche Eskalation von Commitment wird im folgenden Abschnitt beschrieben. 3.2.3.2 Eskalation von Commitment Eine weitere Entscheidungsanomalie stellt die Eskalation von Commitment dar. Um zu verstehen, wie Commitment in Entscheidungssituationen eskalieren kann, werden zunächst die Merkmale von Situationen aufzeigt, bei denen die Eskalation von Commitment wahrscheinlich ist. Im Anschluss daran werden unterschiedliche Motive beschrieben, die zur Eskalation von Commitment führen können, wobei insbesondere die Rechtfertigung schon versunkener Kosten ein solches Motiv darstellt. Schließlich werden zwei alternative Erklärungsansätze für die Eskalation von Commitment erläutert.
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Theoretische Analyse
Wenn Personen in Organisationen eine Entscheidung treffen, entwickeln sie oft eine Verpflichtung gegenüber dieser (Armstrong/Coviello/Safranek 1993, S. 247). Erhält der Entscheider dann eine Rückmeldung darüber, dass sein Projekt schlecht läuft, muss er sich zwischen den Alternativen Weiterverfolgung oder Beendigung eines Versuchs zur Zielerreichung entscheiden (Moser/Wolff/ Kraft 2003, S. 244). Es kann dabei zur Eskalation seiner Verpflichtung kommen, wenn er trotz negativer Rückmeldung an seiner Entscheidung oder einem unwirtschaftlichen Projekt festhält bzw. sein Ziel weiterverfolgt (Brockner/Rubin 1985, S. 4 f.; Staw/Ross 1987, S. 40; Brockner 1992, S. 39; Cheng et al. 2003, S. 64; Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 244), obwohl es eigentlich angemessen wäre, weitere Investitionen in diese Alternative zu beenden (Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 255). Sie reagieren in derartigen Situationen häufig unangemessen, weil sie sich und anderen nicht eingestehen wollen, dass frühere Ressourenallokationen vergeblich waren (Brockner 1992, S. 43) und das Projekt gescheitert ist (McNamara/Moon/Bromiley 2002, S. 443). Anstatt zu akzeptieren, dass das Projekt fehlgeschlagen ist, erhöhen sie die Ressourcen für dieses Projekt und setzen es jenseits des Zeitpunkts fort, den eine rationale Analyse als Ausstiegszeitpunkt empfehlen würde (McNamara/ Moon/Bromiley 2002, S. 443). Dieses oben beschriebene Verhalten wird unter dem Begriff der eskalierenden Verpflichtung (escalating commitment, escalation of commitment oder escalation bias; im deutschen Sprachgebrauch Bindungseskalation, siehe Zayer 2007, S. 63) zusammengefasst, der auf Staw (1976) zurückgeht. Das der eskalierenden Verpflichtung zugrunde liegende Phänomen, nämlich ein Engagement ungeachtet ihres Wertes fortzusetzen, sobald Zeit, Mühe oder Ressourcen investiert wurden, wird in der Literatur unter einer Vielzahl von verschiedenen Begriffen diskutiert (Whyte 1993, S. 430): „Too much invested to quit“ (Teger 1980, S. 1), dead loss effect (Kahneman/Tversky 1984, S. 349) oder entrapment (Brockner/Rubin 1985). Auch im Marketingkontext wird die Eskalation einer Verpflichtung bei Folgeentscheidungen, z.B. experimentell bei Produktentwicklungen (Boulding/Morgan/Staelin 1997; Biyalogorsky/Boulding/Staelin 2006) und bei Werbeaktivitäten (Hantula/DeNicolis Bragger 1999), untersucht. Damit eine solche Eskalationssituation auftreten kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Der Entscheider hat sich auf eine bestimmte Alternative festgelegt und in diese Zeit, Geld und/oder Mühe mit der Erwartung investiert, dass er dadurch ein bestimmtes Ziel erreicht. Der Entscheider investiert dabei im Zeitablauf wiederholt, wenn er Rückmeldung darüber erhält, dass seine anfängliche Ressourcenallokation nicht zur Zielerreichung ausreicht. Er ist schließlich für die ursprüngliche Entscheidung verantwortlich und fühlt sich gegenüber den unwiderruflichen Konsequenzen seiner Entscheidung verpflichtet (Schaubroeck/Williams 1993, S. 1307). Seine Beteiligung an der
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anfänglichen Entscheidung beeinflusst daher nachfolgende Entscheidungen direkt (Biyalogorsky/ Boulding/Staelin 2006, S. 109). Staw (1976, S. 39) zeigt z.B., dass Entscheider erheblich mehr Ressourcen investieren, wenn sie persönlich verantwortlich für die negativen Konsequenzen sind. Seine Verpflichtung gegenüber einer Entscheidung kann aber nur eskalieren, wenn das erwartete Ziel nicht erreicht wird. Dem Entscheider ist bewusst, dass er sein Ziel noch nicht erfüllt hat. Er ist unsicher, ob er sein Ziel durch zusätzliche Investitionen erreichen kann. Er ist sich aber auch im Klaren darüber, dass mit der Wahl einer anderen Alternative seine bisherigen Investitionen in die jetzige Alternative verloren sind (Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 243). Er hat aber grundsätzlich die Freiheit, zu entscheiden, ob das Projekt fortgesetzt wird (Brockner/Rubin 1985, S. 4; Brockner 1992, S. 40; Keil et al. 1995, S. 80; Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 243 f.). Bei der ursprünglichen Entscheidung können durchaus rationale Gründe für die gewählte Alternative existiert haben. Wenn allerdings das Ausmaß der Verpflichtung gegenüber einer Alternative zunimmt, sind Entscheider weniger durch rationale Gründe, sondern mehr durch Rationalisieren ihrer Gründe motiviert (Brockner/Rubin 1985, S. 4 f.). Warum Entscheider ihr Engagement für eine Alternative erhöhen, kann verschiedene Motive haben: (1) Sie streben nur noch danach, ihre Ziele um der Zielerreichung willen zu erreichen. (2) Sie haben den Wunsch, ihr Gesicht gegenüber anderen zu wahren (Brockner/Rubin/Lang 1981, S. 78). (3) Sie wollen nicht als „verschwenderisch“ wahrgenommen werden (Arkes/Blumer 1985, S. 125; Arkes 1993, S. 7). (4) Sie wollen anderen durch weitere Investitionen demonstrieren, dass sie entschlossene Entscheider sind, die sich nicht einfach abschrecken lassen (Brockner/Rubin 1985, S. 4 f.). (5) Sie wollen gute Ergebnisse erbringen und zeigen, dass das Projekt letztlich doch erfolgreich ist, um z.B. durch höheres Gehalt, Beförderung oder Anerkennung entsprechend entlohnt zu werden (Boulding/Morgan/Staelin 1997, S. 165). Neben den bereits genannten Motiven ist eine häufige Begründung für das Auftreten von eskalierender Verpflichtung bei Entscheidern ihr Bedürfnis, schon versunkene Kosten zu rechtfertigen (Brockner et al. 1984, S. 79; Brockner/Rubin 1985, S. 3; Brockner 1992, S. 40; Heath 1995, S. 38). Versunkene Kosten stellen unwiderrufliche, also nicht mehr rückgängig zu machende Investitionen in eine Alternative dar (Whyte 1993, S. 431; Wang/Yang 2001, S. 179). Sie sind in der Vergangenheit angefallen, wobei deren Höhe gegenwärtig bzw. zukünftig nicht mehr beeinflussbar ist. Gemäß den Annahmen der präskriptiven Entscheidungstheorie dürfen versunkene Kosten nicht in das Entscheidungskalkül einbezogen werden, weil sie keinen Einfluss auf zukünftige Zustände haben (Whyte 1993, S. 431) und deshalb als „entscheidungsirrelevant“ (Hummel/Männel 2000, S. 117) gelten. Ökonomisch rational wäre es also, bei einer aktuellen Entscheidung schon versunkene Kosten nicht zu berücksichtigen (Frank 2006, S. 264). Die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen
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Theoretische Analyse
sollte nur danach entschieden werden, wie zukünftige Zustände zu bewerten sind. Da vergangene Investitionen unwiderruflich getätigt wurden, sollten sie deshalb bei der aktuellen Entscheidung für oder gegen eine Alternative vernachlässigt werden (Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 245). Wenn Personen mit der Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung einer vorher initiierten Handlungsoption konfrontiert sind (Garland/Newport 1991, S. 55; Boulding/Morgan/Staelin 1997, S. 165), berücksichtigen sie jedoch häufig solche versunkenen Kosten, weil sie entgegen den Annahmen der präskriptiven Entscheidungstheorie zukünftiges Verhalten in realen Entscheidungssituationen doch motivieren (Fox/Staw 1979, S. 451). Der Entscheider neigt deshalb eher dazu, ein sich im Verlust befindliches Projekt nicht zu beenden, weil für dieses schon versunkene Kosten entstanden sind (Nitzsch/Friedrich 1999, S. 48). Er hält an seiner anfänglich gewählten Alternative fest (Moser/Wolff/Kraft 2003, S. 245), auch wenn die Wahrscheinlichkeit auf zukünftigen Erfolg gering und folglich die Fortsetzung dieser Handlung riskant ist (Kameda/Davis 1990, S. 71). Er entscheidet nicht mehr danach, was unter Berücksichtigung der möglichen Folgen richtig erscheint (Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 71). Zur Erklärung von eskalierender Verpflichtung werden verschiedene Ansätze herangezogen (Staw/Ross 1978, S. 41-45; McCain 1986, S. 281). Dabei kann insbesondere die abnehmende Sensitivität als Merkmal der Wertfunktion aus Kahneman und Tverskys (1979) Prospect Theorie eine solche auftretende Eskalation von Commitment erklären (Northcraft/Neale 1986; Whyte 1986; 1993). Eskalierende Verpflichtung ist das Ergebnis davon, wie Personen Entscheidungen rahmen und zwischen riskanten Alternativen wählen. Die Konsequenzen von sequentiellen Entscheidungen können zur Übernahme eines Entscheidungsrahmens für nachfolgende Entscheidungen führen, der diese Ergebnisse widerspiegelt. Negative Rückmeldungen über wiederholte Verluste in der Vergangenheit verleiten den Entscheider dazu, zukünftige Entscheidungen als eine Wahl zwischen Verlusten zu rahmen. Wenn der Entscheider z.B. schon eine Million Euro investiert hat und diese anfängliche Investition verloren ist, geht es bei der Folgeentscheidung darum, ob die Fortsetzung der Handlungsoption beendet und Verluste eingeschränkt werden oder weiter investiert wird. Eine zusätzliche Ausgabe von hunderttausend Euro würde einen vergleichsweise geringen Verlust bedeuten, weil die Wertfunktion für Verluste in diesem Bereich schon ziemlich flach ist. Da die zweite Entscheidung mit der ersten zusammenhängt, wird der Entscheider die anfängliche Vermögensposition als Referenzpunkt beibehalten. Die Folgeentscheidung wird im Hinblick auf den negativen Saldo verursacht durch die verlorene Investition (versunkene Kosten) getroffen, der auf dem psychologischen Konto für diese
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Alternative existiert. Die zusätzliche Ausgabe von hunderttausend Euro wird mit der schon investierten einen Million Euro zusammengefasst. Als Ergebnis davon wird die Folgeentscheidung eine Wahl zwischen einem sicheren Verlust (der anfängliche Verlust der Investition) und der Möglichkeit eines größeren Verlustes sein, verbunden mit der Möglichkeit zum Referenzpunkt zurückzukehren (Whyte 1986, S. 316; 318). Die Beendigung eines Projekts würde demnach als Akzeptanz eines sicheren Verlusts wahrgenommen werden, wohingegen Eskalation in Form von weiteren Investitionen als möglicherweise steigende Verluste in Kombination mit der Aussicht betrachtet wird, dass diese Verluste vermieden werden können (Whyte 1993, S. 433). Die Prospect Theorie besagt, dass ein solcher Entscheidungsrahmen risikofreudiges Verhalten bewirkt. Auch wenn der mögliche größere Verlust einen niedrigeren Erwartungswert als der sichere Verlust hat, bevorzugt ein Entscheider den möglichen größeren Verlust (Whyte 1986, S. 318). Eskalierende Verpflichtung ist die Konsequenz einer negativ „gerahmten“ Entscheidung für eine Alternative (siehe auch Thaler 1980, S. 47-50; Whyte 1993, S. 433; Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 73). Eine alternative Erklärung bezieht sich auf die Selbstrechtfertigungstendenz (Aronson 1968) eines Entscheiders (Staw 1976, S. 27; Bazerman/Guiliano/Appelman 1984, S. 142; Brockner 1992, S. 41; Moser 1996, S. 20). Sie beschäftigt sich mit dem Bedürfnis von Entscheidern, den Anschein von Rationalität in ihrem eigenen Verhalten wiederherzustellen (Staw 1976, S. 40). Selbstrechtfertigung zielt also auf das Streben von Entscheidern ab, ihr vorheriges Verhalten zu rationalisieren oder sich psychologisch gegen für sie nachteilige Konsequenzen zu schützen (Staw 1976, S. 28). Bezogen auf die eskalierende Verpflichtung wird angenommen, dass an einer Entscheidung festgehalten und Folgeinvestitionen getätigt werden, um frühere Fehlinvestitionen zu rechtfertigen oder die Rationalität der ursprünglichen Handlungsoption zu demonstrieren (Staw 1976, S. 29). Der Entscheider fühlt sich gegenüber der gewählten Handlungsoption verpflichtet, weil er sich selbst und anderen nicht eingestehen will, dass die vorherige Entscheidung falsch und die Investitionen erfolglos waren (Brockner 1992, S. 40 f.). Im Rahmen des Rechtfertigungsprozesses für eine fehlgeschlagene Alternative spielt auch die Art der Informationsnutzung eine Rolle. Entscheider können ihre Wahl stützen, indem sie einerseits aktiv nach unterstützenden Informationen suchen, um ihre Position zu rationalisieren und indem sie andererseits Argumente finden, die ihre Wahl rechtfertigen (Staw 1980; Caldwell/O’Reilly 1982, S. 122). Diese Strategie des Selbstschutzes (Miller/Ross 1975; Bradley 1978) erlaubt dem Entscheider, sich als rational darzustellen und bietet ihm gleichzeitig die Möglichkeit, weiter in eine erfolglose Handlungsoption zu investieren (Caldwell/O’Reilly 1982, S. 122). Wenn ein Entscheider mit Hinweisen auf den Misserfolg einer Alternative konfrontiert wird, würde er das Feedback ignorie-
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ren oder so interpretieren, dass er negative Aspekte herunterspielt (Caldwell/O’Reilly 1982, S. 124). Er könnte auch Informationen verzerren bzw. selektiv nutzen, um Argumente zugunsten der gewählten Alternative zu finden (O’Reilly 1978, S. 175). Selbstrechtfertigung durch gegenüber einer Alternative verpflichtete Entscheider kann also zu einer bewussten Manipulation von Informationen gegenüber anderen führen, um die Interpretation eines Misserfolgs durch andere zu steuern. Ein solches Vorgehen beinhaltet die Tendenz, Informationen zurückzuhalten, die sich negativ auf die fehlgeschlagene Handlungsoption auswirken würden und positive Hinweise hervorzuheben (Caldwell/O’Reilly 1982, S. 124). Schulz-Hardt (1997, S. 106) bezeichnet dieses Verhalten als „selbstdienlichen Umgang mit Informationen“. 3.2.4 Affekt Infusion bei Entscheidungen Die Affekt Infusion bezieht sich auf einen Prozess, in dem affektiv angereicherte Informationen den Urteilsprozess beeinflussen, Teil des konstruktiven Denkprozesses des Entscheiders werden und schließlich das Ergebnis einfärben können (Forgas 1994, S. 2; 1995, S. 39). Im AIM wird davon ausgegangen, dass Affekt Denken sowie Urteile durch die konstruktive Verarbeitung von Informationen beeinflusst (Forgas 1994, S. 3). Konstruktive Verarbeitung zielt dabei eher auf die substanzielle Veränderung als auf die bloße Reproduktion kognitiver Inhalte sowie die Nutzung von Strategien der Informationssuche ab. Sie ist eher mit der unmittelbaren Erschließung eines Urteils oder einer Entscheidungsregel verbunden als mit dem Rückgriff auf eine bestehende Regel oder ein vorheriges Urteil (Bettman/Luce/Payne 1998, S. 188; Homburg/Koschate/Hoyer 2006, S. 23). Diese Sichtweise basiert darauf, dass Affekte kognitive Prozesse am ehesten beeinflussen, wenn die kognitive Aufgabe die aktive Generierung neuer Informationen im Gegensatz zum passiven Rückgriff auf bestehende Informationen beinhaltet (Fiedler 1990, S. 5). Je konstruktiver die Urteilsstrategie, d.h. je substanzieller die Veränderung kognitiver Inhalte, desto eher werden Urteile durch Affekt beeinflusst sein. Ein Ziel des AIM ist es daher, die Bedingungen zu identifizieren, unter denen Affekt Urteile am stärksten bzw. am schwächsten beeinflusst (Forgas 1994, S. 2; 1995, S. 39 f.). Das AIM beruht dabei auf zwei Annahmen. Die erste Annahme ist, dass Entscheider aufwandminimierende Informationsverarbeiter sind, die in der Regel die einfachste und mit dem geringsten Aufwand verbundene Verarbeitungsstrategie übernehmen, um zu einem Urteil zu gelangen (Forgas 1992a, S. 233;1994, S. 6 f.). Die zweite Annahme der Prozessmediation bedeutet, dass die Art und das Ausmaß des Affekteinflusses auf Urteile davon abhängt, auf welche Strategie der Verarbeitung von Informationen der Entscheider zurückgreift.
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Im AIM werden vier Strategien der Urteilsfindung unterschieden, die durch verschiedene Affekt Infusion Potenziale charakterisiert sind (Forgas 1992b, S. 865; 1993, S. 100). Zwei dieser Strategien, (1) die Strategie des direkten Zugangs zu einer vorher vorhandenen Bewertung und (2) die motivierte Verarbeitung im Dienste eines vorher existierenden Ziels, gehen mit vorgegebenen Informationssuchmustern einher und erfordern wenig konstruktive Verarbeitung. Affekt Infusion ist unter diesen Bedingungen unwahrscheinlich. Im Gegensatz dazu erfordern viele Urteile ein gewisses Maß an konstruktiver Verarbeitung, wenn sich Entscheider auf (3) eine heuristische bzw. vereinfachte oder (4) eine substanzielle bzw. erweiterte Verarbeitung stützen, um zu einem Ergebnis zu gelangen. Diese Strategien sind mit hoher Affekt Infusion verbunden, die einen gewissen Grad an generativem Denken voraussetzen, um zu einem Urteil zu gelangen (Fiedler 1991, S. 96). Die Strategie des direkten Zugangs ist die einfachste Methode, ein Urteil basierend auf dem direkten Wiederabruf einer vorher vorhandenen, gespeicherten Bewertung zu bilden. Die meisten Entscheider haben ein umfassendes Repertoire von solchen vorgeformten Urteilen, auf die sie zurückgreifen können. Die Annahme der Aufwandminimierung besagt, dass sie diese Strategie so oft wie möglich nutzen. Diese Strategie ist am wahrscheinlichsten, wenn das erwünschte Ergebnis bekannt oder vertraut ist und Merkmale aufweist, die mit einem schon gespeicherten und verfügbaren Urteil übereinstimmen. Es ist eine Strategie mit geringer Affekt Infusion (Funke/Holt 2006, S. 83), weil sie wenig oder keine konstruktive Verarbeitung beinhaltet. Auch wenn Urteile im Sinne einer Strategie des direkten Zugangs typischerweise nicht durch aktuelle Affekte beeinflusst sind, kann der Zugang zu einer vergangenen affektiven Erfahrung ein wichtiger Bestandteil vieler gespeicherter Urteile sein (Forgas 1994, S. 7; 1995, S. 46). Die motivierte Verarbeitungsstrategie ist dann sinnvoll, wenn ein bestimmtes Urteilsergebnis erreicht werden soll. Entscheider suchen dabei selektiv nach Informationen. Die Integration von Informationen dient dazu, ein vorher definiertes und bevorzugtes Ergebnis zu erreichen. Motivierte Verarbeitung ist eine Strategie mit geringer Affekt Infusion, weil die Informationssuche und das daran anschließende Urteil durch ein vorher vorhandenes Ziel gesteuert werden (Forgas 1994, S. 7; 1995, S. 47). Wenn Entscheider motiviert sind, zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen oder vorher festgelegte Motive für ihr Verhalten haben, dann ist Affekt Infusion unwahrscheinlich. Ihre Strategien der Informationssuche, ihre Urteile und ihr Verhalten werden durch vorher vorhandene Ziele dominiert. Motivierte Verarbeitung tritt dann auf, wenn Entscheider einen zielgerichteten, selektiven Denkstil übernehmen, der die Wahrscheinlichkeit mindert, sich auf zufällig aktivierte affektive Informationen zu verlassen (Forgas/George 2001, S. 11).
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Die heuristische Verarbeitung ist am wahrscheinlichsten, wenn Entscheider weder eine frühere Bewertung noch ein bestimmtes Ziel haben, das sie dabei unterstützt, das Ergebnis zu bestimmen. Sie streben danach, mit dem geringsten Aufwand zu einem Urteil zu gelangen. Sie berücksichtigen dabei nur einen Teil der verfügbaren Informationen und nutzen ihnen verfügbare Abkürzungen oder Vereinfachungen aller Art. Heuristische Verarbeitung tritt meist dann auf, wenn das Bezugsobjekt einfach oder typisch ist, keine spezifischen Ziele existieren, die kognitive Kapazität des Entscheiders beschränkt ist und die Entscheidungssituation keine Genauigkeit oder detaillierte Erörterung erfordert. Entscheider bilden demnach ein Urteil aus ihrem aktuellen affektiven Zustand heraus (Clore/Parrott 1991, S. 111; Schwarz/Bless 1991, S. 57). Affekt Infusion ist daher während der heuristischen Verarbeitung wahrscheinlich (Forgas 1994, S. 7 f.; 1995, S. 47). Die substanzielle Verarbeitung erfordert vom Entscheider bei der Urteilsfindung, neue Informationen über ein Bezugsobjekt auszuwählen und zu interpretieren. Diese Informationen werden mit vorher vorhandenen Wissensstrukturen in Verbindung gebracht. Die substanzielle Verarbeitung ist wahrscheinlich, wenn das Ziel komplex und untypisch ist und der Entscheider eine ausreichende kognitive Kapazität besitzt. Die meisten kognitiven Modelle implizieren, dass eine solche umsichtige Informationsverarbeitung in Urteilen die Norm ist. Im Gegensatz dazu ist die substanzielle Verarbeitung im AIM im Wesentlichen eine Option, die nur dann übernommen wird, wenn einfachere und weniger aufwändigere Strategien für die Urteilsfindung unangemessen erscheinen. Die substanzielle Verarbeitung wird am besten im Sinne von Denkprinzipien verstanden, die Auswahl, Lernen, Interpretation und Aufnahme neuer Informationen in eine vorher vorhandene Wissensbasis behandeln. Affekt spielt eine bedeutende Rolle in der substanziellen Verarbeitung (Forgas 1992a, S. 236). Im Sinne des AIM bedeutet dies, je intensiver diese Verarbeitungsstrategie genutzt wird, desto wahrscheinlicher beeinflusst Affekt Infusion das anschließende Urteil (Forgas 1994, S. 8). Nachdem die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit ausführlich erläutert wurden, werden nun die Hypothesen auf Basis der deskriptiven Entscheidungstheorie und ihrer Erweiterungen sowie des AIM abgeleitet. 3.3 Ableitung der Hypothesen In diesem Abschnitt wird die Auswahl der untersuchten Konstrukte unter Rückgriff auf die Entscheidungstheorie begründet. Im Sinne der Entscheidungstheorie entscheiden Kunden gemäß ihrer Zielfunktion. Im Kontext von Kunden-Lieferantenbeziehungen sind für Kunden insbesondere zwei Ziele relevant: Nutzenmaximierung (siehe z.B. Muthuraman et al. 2006, S. 9) und Abhängigkeitsminimierung (siehe z.B. Dyer/Cho/Chu 1998, S. 57). Die Nutzenmaximierung besteht dabei aus
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zwei Zieldimensionen: dem Beziehungswert als kognitiver Zieldimension und der Zufriedenheit als affektiver Zieldimension. Entsprechend seiner Ziele strebt der Kunde danach, mindestens eine Alternative auszuwählen. Dazu muss der Kunde in einem ersten Schritt entscheiden, ob und wie intensiv er nach Alternativen sucht, da diese Alternativensuche Kosten verursacht und daher nicht immer mit einem positiven Nettonutzen verbunden ist. Die Suche nach Alternativen beeinflusst zudem seine nachfolgende Entscheidung über die Festlegung des Kundenanteils, da mit der Suche nach Alternativen möglicherweise der Alternativenraum erweitert wird. Nachdem der Kunde die Alternativen ausgewählt hat, muss er in einem zweiten Schritt überlegen, wie er das Beschaffungsvolumen aufteilt und welcher Lieferant welchen Kundenanteil erhält. Je nach Kompetenzen der ausgewählten Lieferanten legt der Kunde ihren jeweiligen Lieferantenstatus als Hauptlieferant oder als Nebenlieferant fest und erwartet vom Lieferanten entsprechend seinem Status die Erfüllung bestimmter Funktionen. Der Kunde steht also vor einem zweistufigen Entscheidungsproblem. Zunächst muss er entscheiden, ob er nach Alternativen sucht, bevor er schließlich darüber entscheiden kann, wie er sein Beschaffungsvolumen aufteilt und an welche Lieferanten er Anteile an seinem Beschaffungsvolumen vergibt. Entsprechend seiner Ziele wird der Kunde in beiden Entscheidungen die Abhängigkeit von bestehenden Lieferanten und deren Beziehungswert berücksichtigen. Die Bedeutung dieser Variablen in einer bestimmten Entscheidungssituation kann allerdings davon abhängen, ob der Kunde gerade nach einem Hauptlieferanten oder nach einem Nebenlieferanten sucht bzw. den Kundenanteil eines Hauptlieferanten oder eines Nebenlieferanten festlegt. Der Lieferantenstatus stellt daher einen potenziellen Moderator dar. Basierend auf dem zweistufigen Entscheidungsproblem des Kunden werden im Abschnitt 3.3.1 zunächst die Hypothesen zu den Determinanten der Suche nach Alternativen abgeleitet. Im Anschluss daran werden Zusammenhänge zu den Determinanten des Kundenanteils postuliert (siehe Abschnitt 3.3.2). Im Abschnitt 3.3.3 werden Hypothesen zu den Antezedenz- und Konsequenzvariablen der Kundenzufriedenheit aufgestellt. Abschließend werden alle postulierten Hypothesen im Untersuchungsmodell zusammengefasst (siehe Abschnitt 3.3.4). 3.3.1 Determinanten der Suche nach Alternativen Die Suche nach Alternativen orientiert sich an den Zielen des Kunden, wonach er nach Nutzenmaximierung und Abhängigkeitsminimierung strebt. Daher stellen der Beziehungswert aus Kunden-
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sicht (siehe Abschnitt 3.3.1.1) und die Abhängigkeit (siehe Abschnitt 3.3.1.2) Determinanten der Suche nach Alternativen dar. 3.3.1.1 Beziehungswert aus Kundensicht Das satisfizierende Verhalten im Grundmodell liefert eine Begründung für den negativen Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Suche nach Alternativen. Wenn der Kunde eine Entscheidung darüber trifft, ob er an seinen bisherigen Lieferanten den gleichen Anteil am Beschaffungsvolumen vergibt, diesen Anteil nach oben oder unten anpasst bzw. einen neuen Lieferanten berücksichtigt, weiß er zunächst nicht, welche Lieferanten ihm insgesamt zur Verfügung stehen. Der Kunde muss also alternative Lieferanten erst identifizieren. Dabei kann er auf seinen vorhandenen Lieferantenpool zurückgreifen und/oder nach einem neuen Lieferanten außerhalb seines bestehenden Lieferantenportfolios suchen. Da allerdings die Anzahl möglicher Lieferanten unendlich groß ist, sind auch die Suchkosten nach dem besten Lieferanten im Voraus unbekannt (Lindenberg 2001, S. 240). Aufgrund begrenzter kognitiver Kapazitäten der Informationsaufnahme und -verarbeitung über die Charakteristika der einzelnen Lieferanten berücksichtigt der Kunde bei seiner Entscheidung häufig nur wenige Lieferanten. Er verhält sich daher als Satisfizierer. Alle von ihm identifizierten Lieferanten teilt er entsprechend einem von ihm vorher festgelegten Anspruchsniveau in zufrieden stellende und in nicht zufrieden stellende Alternativen auf. Er kann dabei für verschiedene Kriterien, die ein Lieferant erfüllen sollte, unterschiedliche Anspruchsniveaus haben. Bezogen auf ein Kriterium wird ein Lieferant vom Kunden in die Teilmenge der zufrieden stellenden Alternativen eingeordnet, wenn er dieses erfüllt und damit auf oder über dem Anspruchsniveau liegt. Falls zunächst mehrere Lieferanten über dem Anspruchsniveau liegen, wird er dieses sukzessive erhöhen, um Lieferanten ausschließen zu können (Vyas/Woodside 1984, S. 34). Er wählt letztlich den Lieferanten, der seinen Zielen am ehesten entspricht und ihm den höchsten Nettonutzen bietet. Je höher er den Nettonutzen des aktuellen Lieferanten einschätzt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er einen anderen Lieferanten findet, der ihm einen ebenso hohen oder höheren Nettonutzen als der aktuelle Lieferant bieten kann und desto weniger sucht er dann nach alternativen Lieferanten. Aus der Annahme satisfizierenden Verhaltens lässt sich daher für beide Lieferantentypen die folgende Hypothese ableiten: H1-: Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten.
Ableitung der Hypothesen
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3.3.1.2 Abhängigkeit Im Folgenden wird die Abhängigkeit als Determinante der Suche nach Alternativen hergeleitet, wobei dieser negative Zusammenhang durch das Vorhandensein von Informationskosten im Grundmodell erklärt wird. Die aktuelle Entscheidungssituation des Kunden ist dadurch gekennzeichnet, dass er an den aktuellen Lieferanten gebunden ist und kurzfristig nicht wechseln kann. Seine wahrgenommene Abhängigkeit vom aktuellen Lieferanten schränkt seinen Alternativenraum ein und kann dazu führen, dass er darauf verzichtet, überhaupt bzw. außerhalb seines bestehenden Lieferantenportfolios nach Alternativen zu suchen. Als Folge der wahrgenommenen Abhängigkeit sehen Kunden im Allgemeinen keine Möglichkeit für einen Lieferantenwechsel und haben daher auch einen geringen Anreiz, aktiv nach Informationen über Alternativen zu suchen (Weiss/Heide 1993, S. 221). Darüber hinaus ist die Beschaffung von Informationen in der Regel nicht kostenlos möglich, so dass der Kunde den Nutzen und die Kosten einer Informationssuche über alternative Lieferanten abwägen muss (Lanzetta/Kanareff 1962, S. 460; Laux/Schabel 2008, S. 23). Je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto geringer ist der Nutzen, der ihm aus der Suche nach alternativen Lieferanten entstehen würde. Er würde Kosten, z.B. in Form von Ausgaben und/oder durch den Einsatz von Arbeit und Zeit, für die Suche nach Informationen über potenzielle andere Lieferanten aufwenden müssen, könnte aber im Ergebnis aufgrund vorhandener Wechselkosten seinen aktuellen Lieferanten nicht austauschen. Damit würden die Kosten der Informationssuche einen möglichen Nutzen übersteigen, der sich durch die Entdeckung eines potenziell besseren Lieferanten ergeben könnte. Der Nettonutzen der Informationssuche ist daher negativ. Je höher also die Wechselkosten bei einem bestehenden Lieferanten, desto weniger lohnt sich die Suche nach alternativen Lieferanten für den Kunden. Die wahrgenommene Abhängigkeit des Kunden wirkt sich deshalb negativ auf die Suche nach alternativen Lieferanten aus. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Hypothese: H2-: Je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten. Es wird vermutet, dass der Einfluss der Abhängigkeit auf die Suche nach Alternativen bei Hauptlieferanten stärker ausgeprägt ist als bei Nebenlieferanten. Bei Hauptlieferanten wird vermutet, dass die Kosten für einen Wechsel zu einem anderen Lieferanten höher sind als bei Nebenlieferanten. Dies hängt mit den vom Hauptlieferanten üblicherweise beim Kunden übernommenen Funktionen zusammen. Der Hauptlieferant erfüllt beim Kunden verschiedene Funktionen, die die Abhängigkeit des Kunden verstärken können. Beispielsweise übernimmt der Hauptlieferant beim Kunden eine Innovationsentwicklungsfunktion. Wenn der Kunde nun diesen Hauptlieferanten auswechseln wür-
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Theoretische Analyse
de, müsste er auch auf sein Knowhow bei der Produktentwicklung verzichten. Möglicherweise muss der Kunde dann bei seinem eigenen Endprodukt Qualitätseinbußen hinnehmen, weil er auf das Knowhow dieses Hauptlieferanten nicht mehr zurückgreifen kann. Der Kunde wird bei seiner Suche nach potenziellen alternativen Lieferanten diese Wechselkosten mitberücksichtigen. Durch die höheren Wechselkosten beim Hauptlieferanten ist es unwahrscheinlich, dass er diesen durch einen anderen Lieferanten ersetzt, wenn er bei seiner Suche nach Alternativen auf einen Lieferanten stößt, der ihm einen höheren Nettonutzen als der aktuelle Hauptlieferant bietet. Der Nettonutzen aus einer Suche nach Informationen über alternative Lieferanten für Hauptlieferanten ist deshalb im Gegensatz zu dem für Nebenlieferanten negativ. Für Hauptlieferanten wird daher vermutet, dass der negative Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten stärker ausgeprägt ist. Die entsprechende Moderatorhypothese lautet: H2M: Der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten wird durch den Lieferantenstatus moderiert. 3.3.2 Determinanten des Kundenanteils In der vorliegenden Arbeit werden insgesamt drei Determinanten des Kundenanteils berücksichtigt. Um die Anteile der einzelnen Lieferanten am Beschaffungsvolumen festlegen zu können, muss der Kunde zunächst entscheiden, ob er nach Alternativen sucht. Daher wird im Abschnitt 3.3.2.1 die Suche nach Alternativen als Determinante des Kundenanteils beschrieben. Der Entscheidung des Kunden über die Festlegung des Kundenanteils liegen die gleichen Ziele zugrunde wie der Entscheidung über die Suche nach Alternativen. Er strebt auch hier nach Nutzenmaximierung und Abhängigkeitsminimierung. Daher stellen der Beziehungswert aus Kundensicht (siehe Abschnitt 3.3.2.2) und die Abhängigkeit (siehe Abschnitt 3.3.2.3) ebenfalls Determinanten des Kundenanteils dar. 3.3.2.1 Suche nach Alternativen Das Rationalitätsprinzip bei der Beurteilung von Alternativen im Grundmodell dient als Grundlage für die Erklärung des negativen Zusammenhangs zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Kundenanteil. Danach wird der Kunde den Lieferanten auswählen, der ihm nach Abwägen von Kosten und Nutzen den höchsten Nettonutzen bietet. Durch die Suche nach Alternativen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten zusätzlichen Lieferanten zu finden. Je mehr der Kunde also nach alternativen Lieferanten sucht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Lieferanten entdeckt, der ihm einen höheren Nettonutzen bietet und desto eher wird er den Anteil des aktuellen Lieferanten verringern. Dies hängt auch mit seinem Ziel der Abhängigkeitsminimie-
Ableitung der Hypothesen
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rung zusammen. Ein Kunde strebt eher danach, sein Beschaffungsvolumen auf mehrere Lieferanten zu verteilen, um so seine Abhängigkeit vom aktuellen Lieferanten zu reduzieren. Daher wird folgende Hypothese postuliert: H3-: Je mehr der Kunde nach alternativen Lieferanten sucht, desto geringer ist der Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden. Für Nebenlieferanten wird vermutet, dass dieser Zusammenhang schwächer als bei Hauptlieferanten ausgeprägt ist. Möglicherweise besteht für Nebenlieferanten auch kein Zusammenhang. Eine intensivere Suche nach alternativen Lieferanten durch den Kunden führt in der Regel kaum dazu, dass der Kunde den Anteil des Nebenlieferanten am Beschaffungsvolumen verringert. Der Nebenlieferant hat üblicherweise einen Anteil am Beschaffungsvolumen, der es ihm gerade erlaubt, kostendeckend zu produzieren. Würde der Kunde nun bei gleichem Beschaffungsvolumen weniger Stückzahlen abnehmen, ist der Nebenlieferant gezwungen, vom Auftrag zurückzutreten oder den Preis pro Stück zu erhöhen. Dadurch könnte der Nebenlieferant aber seine Abhängigkeitsreduzierungsfunktion bzw. seine Absicherungsfunktion nicht mehr erfüllen. Um seine Abhängigkeit vom Hauptlieferanten nicht noch zu erhöhen, ist der Kunde jedoch darauf angewiesen, dass er einen Anteil am Beschaffungsvolumen an mindestens einen Nebenlieferanten vergeben kann. Damit signalisiert er dem Hauptlieferanten, dass er einen Teil seines Beschaffungsvolumens auch auf den Nebenlieferanten umverteilen könnte. Die aus diesen Überlegungen resultierende Moderatorhypothese lautet: H3M: Der Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Anteil des Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert. 3.3.2.2 Beziehungswert aus Kundensicht Eine Erklärung für den positiven Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil liefert das Rationalitätsprinzip im Grundmodell. Wenn der Kunde einen Lieferanten auswählt, wird er Kosten und Nutzen einer Beauftragung dieses Lieferanten abwägen. Er wird dabei Kosten und Nutzen verschiedener verfügbarer Lieferanten miteinander vergleichen und ihren jeweiligen Nettonutzen abschätzen (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 560). Er wird schließlich den Lieferanten auswählen, von dem er sich den höchsten Nettonutzen erwartet. Wenn ihm ein Lieferant einen höheren Wert bietet, wird er diesen auch mit einem höheren Anteil an seinem Beschaffungsvolumen belohnen. Es wird daher folgende Hypothese postuliert:
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Theoretische Analyse
H4+: Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto höher ist sein Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden. Beim Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil werden für Hauptlieferanten und für Nebenlieferanten unterschiedlich starke Zusammenhänge angenommen. Bei Hauptlieferanten wird vermutet, dass die Entscheidung des Kunden gegenüber dem Status Quo verzerrt ist und daher kein Zusammenhang besteht. Eine solche Status Quo Verzerrung kann durch die Prospect Theorie erklärt werden. Da bei diesem Zusammenhang nur die Steigerung des Beziehungswerts aus Kundensicht betrachtet wird, steht der Verlauf der Wertfunktion im Gewinnbereich im Mittelpunkt. Die Wertfunktion verläuft in diesem Bereich konkav. Das bedeutet, dass der Grenzwert der positiven Abweichungen vom Referenzpunkt mit steigendem Ausmaß abnimmt (Kahneman/Tversky 1979, S. 278). Die konkave Funktion im Gewinnbereich erklärt, warum ein Entscheider bei Gewinnchancen eher risikoscheu reagiert. Die Unterschiede zwischen geringen Gewinnen werden subjektiv höher beurteilt, weil die Funktion bei niedrigen Beträgen steil ansteigt. Anschließend wird die Funktion flacher und zusätzliche Gewinne spielen eine geringere Rolle (Tversky/Kahneman 1991, S. 1039 f.; Jungermann/Pfister/Fischer 1998, S. 217 f.). Als Referenzpunkt dient der Wert, den die Beziehung mit dem Lieferanten dem Kunden stiften muss, damit er diesen Lieferanten beauftragt. Beide Lieferantentypen erfüllen diese Mindestanforderung und liegen daher oberhalb des Referenzpunkts im Gewinnbereich der Wertfunktion. Für Hauptlieferanten und Nebenlieferanten können folgende Konstellationen im Gewinnbereich der Wertfunktion vermutet werden, wobei davon ausgegangen wird, dass der Hauptlieferant dem Kunden einen höheren Beziehungswert stiftet als der Nebenlieferant. In Abbildung 3.4 sind diese möglichen Positionen zweier Lieferanten (Punkt 1 und 2) auf der Wertfunktion abgetragen. Punkt 1 steht dabei für einen Hauptlieferanten, während sich Punkt 2 auf einen Nebenlieferanten bezieht. Ein Hauptlieferant, der dem Kunden schon einen hohen Beziehungswert stiftet, befindet sich eher in einem Bereich der Wertfunktion, wo die Kurve schon relativ flach ist. Ein Nebenlieferant, der dem Kunden einen vergleichsweise niedrigeren Beziehungswert stiftet, liegt eher in einem Bereich der Wertfunktion, wo die Kurve steiler verläuft. Da der Grenzwert positiver Abweichungen vom Referenzpunkt mit steigendem Ausmaß abnimmt, wird eine weitere Verbesserung eines schon hohen Beziehungswerts kaum dazu führen, dass der Hauptlieferant einen größeren Kundenanteil auf sich vereinen kann. Der Kunde wird den bisherigen Anteil des Hauptlieferanten am Beschaffungsvolumen unverändert lassen, so dass es zu einer Status Quo Verzerrung kommt (Falk et al. 2007, S. 148). Im Gegensatz dazu befindet sich der Nebenlieferant im steilen Bereich der Wertfunktion
Ableitung der Hypothesen
93
und kann mit einer vom Kunden wahrgenommenen Steigerung des Beziehungswerts einen höheren Anteil am Beschaffungsvolumen erzielen. Legende:
Verlustaversion
1 Hauptlieferant 2 Nebenlieferant
vPT
abnehmende Sensitivität (konkaver Verlauf)
1 2
Referenzpunkt
z
abnehmende Sensitivität (konvexer Verlauf) Verlustbereich (zs-)
Gewinnbereich (zs+)
Abbildung 3.4:
Position eines Haupt- und eines Nebenlieferanten auf der Wertfunktion
Quelle:
Darstellung der Wertfunktion in Anlehnung an Felten 2002, S. 71
Mit der Aufgabe einer nutzenstiftenden Status Quo-Alternative verbindet der Kunde grundsätzlich mehr Nachteile als Vorteile (Samuelson/Zeckhauser 1988, S. 35 f.; Kahneman/Knetsch/Thaler 1991, S. 197), weil er bei der Bewertung von Alternativen Verluste und Gewinne aus der Änderung des Status Quo asymmetrisch einschätzt (Hartman/Doane/Woo 1991, S. 141). Die Beibehaltung des Status Quo bietet Sicherheit gegenüber den Vorteilen der aktuellen Situation (Ritov/Baron 1992, S. 50), während bei einer Veränderung des Status Quo Unsicherheit darüber herrscht, ob die neue Situation mindestens genauso nutzenstiftend ist (Falk et al. 2007, S. 148). Wenn man die Verluste und Gewinne bei einer Veränderung des Status Quo bei Hauptlieferanten und Nebenlieferanten miteinander vergleicht, wiegen die möglichen Verluste bei Hauptlieferanten schwerer als die bei Nebenlieferanten. Bei Hauptlieferanten mit einem hohen Beziehungswert sind bei einer Veränderung
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Theoretische Analyse
des Status Quo die möglichen Verluste größer als die möglichen Gewinne. Der Kunde hat in diesem Fall mehr zu verlieren, wenn er den Status Quo anpasst. Er neigt daher beim Hauptlieferanten eher zur Beibehaltung seines bisherigen Kundenanteils und belässt es beim Status Quo. Bei Nebenlieferanten kann dagegen vermutet werden, dass die möglichen Gewinne größer als die möglichen Verluste aus einer Änderung des Status Quo sind. Beim Nebenlieferanten hat der Kunde weniger zu verlieren, so dass er eher bereit ist, den Kundenanteil zu erhöhen, um die vergleichsweise möglichen höheren Gewinne in Form eines höheren Beziehungswerts ausschöpfen zu können. Bei Hauptlieferanten ist aufgrund der Status Quo Verzerrung von keinem Zusammenhang auszugehen. Bei Nebenlieferanten wird dagegen ein positiver Zusammenhang vermutet. Aus diesem Grund wird angenommen, dass der Lieferantenstatus diesen Zusammenhang moderiert. Die entsprechende Moderatorhypothese lautet: H4M: Der Zusammenhang zwischen dem wahrgenommenen Beziehungswert aus Kundensicht und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert. 3.3.2.3 Abhängigkeit Der positive Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Abhängigkeit des Kunden vom aktuellen Lieferanten und seinem Kundenanteil wird durch die Eskalation von Commitment auf Kundenseite aufgrund schon versunkener Kosten erklärt. Wenn ein Kunde eine Entscheidung für die Zusammenarbeit mit einem Lieferanten trifft, fühlt er sich häufig gegenüber dieser Entscheidung verpflichtet (Armstrong/Coviello/Safranek 1993, S. 247). Falls der Kunde dann eine Rückmeldung darüber erhält, dass es in der Zusammenarbeit mit dem Lieferanten Schwierigkeiten gibt, kann seine Verpflichtung gegenüber der Entscheidung für diesen Lieferanten eskalieren, weil er sich auf diesen festgelegt und in ihn investiert hat. Er fühlt sich für seine ursprüngliche Entscheidung verantwortlich. Der Kunde tendiert deshalb aufgrund seiner wahrgenommenen Abhängigkeit vom Lieferanten, die einen kurzfristigen Wechsel zu einem anderen Lieferanten unmöglich macht, dazu, an diesem festzuhalten. Er will erreichen, dass sich seine Entscheidung für den aktuellen Lieferanten zu einem späteren Zeitpunkt doch noch als richtig erweist (Armstrong/Coviello/Safranek 1993, S. 247). Er versucht durch die Bereitstellung weiterer Ressourcen, schon versunkene Kosten zu rechtfertigen (Brockner 1992, S. 40), weil diese durch eine Beendigung der Zusammenarbeit mit diesem Lieferanten verloren wären. Diese Eskalation von Commitment resultiert daraus, dass der Kunde seine Folgeentscheidung als Wahl zwischen Verlusten rahmt. Wenn schon versunkene Kosten entstanden sind, hat der Kunde
Ableitung der Hypothesen
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bei einer Folgeentscheidung zwei Möglichkeiten. Er kann entweder die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten beenden und so Verluste begrenzen oder er investiert weitere Ressourcen in die Geschäftsbeziehung. Da die nachfolgende mit der vorangegangenen Entscheidung zusammenhängt, wird der Kunde die anfängliche Vermögensposition als Referenzpunkt betrachten. Die Folgeentscheidung wird gerahmt als eine Wahl zwischen einem sicheren Verlust (den bereits entstandenen versunkenen Kosten) und der Chance durch einen noch größeren Verlust zum Referenzpunkt zurückzukehren. Die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Lieferanten würde einen sicheren Verlust bedeuten, während die Investition weiterer Ressourcen möglicherweise dazu führen könnte, dass weitere Verluste vermieden werden (Whyte 1993, S. 433). Diese Investitionen führen zu immer höheren Wechselkosten für den Kunden. Er wird daher eher die Vertragsbedingungen mit dem aktuellen Lieferanten neu verhandeln als zu einem anderen Lieferanten zu wechseln (Wathne/ Biong/Heide 2001, S. 63), um so die sonst entstehenden Wechselkosten zu vermeiden. Je höher die Wechselkosten, desto abhängiger fühlt sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten und desto mehr Ressourcen wird er bereitstellen, damit die Zusammenarbeit letztlich doch noch zum Erfolg führt. Mit steigender Abhängigkeit wird er den Anteil des Lieferanten am Beschaffungsvolumen weiter erhöhen. Aus der Eskalation von Commitment aufgrund versunkener Kosten lässt sich folgende Hypothese ableiten: H5+: Je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto höher ist sein Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden. Bei Hauptlieferanten wird vermutet, dass eine Eskalation von Commitment wahrscheinlicher ist, weil in der Regel mehr versunkene Kosten entstanden sind als bei Nebenlieferanten. Der Kunde hat vergleichsweise weniger Ressourcen in die Zusammenarbeit mit dem Nebenlieferanten investiert. Es sind daher kaum versunkene Kosten entstanden, die zu rechtfertigen sind, falls die Zusammenarbeit mit dem Nebenlieferanten nicht mehr rentabel ist. Während bei Hauptlieferanten der Zusammenhang stärker ausgeprägt ist, weil eine Eskalation von Commitment wahrscheinlicher ist, wird bei Nebenlieferanten kein Effekt erwartet, weil die Abhängigkeit keine Rolle spielt. Es wird daher angenommen, dass der Lieferantenstatus den Zusammenhang moderiert. Die Moderatorhypothese lautet folgendermaßen: H5M: Der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert.
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Theoretische Analyse
3.3.3 Die Rolle der Kundenzufriedenheit Zunächst geht es um den Zusammenhang zwischen dem kognitiven Konstrukt des Beziehungswertes aus Kundensicht und dem im B-to-B Kontext eher als affektiv verstandenem Konstrukt der Zufriedenheit des Kunden mit dem aktuellen Lieferanten. Das Rationalitätsprinzip im Grundmodell dient als Grundlage zur Herleitung dieses Zusammenhangs. Der Kunde beurteilt entsprechend seiner Ziele die jeweiligen ihm zur Verfügung stehenden Lieferanten, aus denen er auswählen kann. Er wägt Nutzen und Kosten für die einzelnen Lieferanten gegeneinander ab, wenn er mit ihnen zusammenarbeiten und einen Anteil an seinem Beschaffungsvolumen an sie vergeben würde. Er entscheidet sich gemäß seinem relativen Vorteil für den Lieferanten, von dem er sich den höchsten Nettonutzen erwartet (Kirchgässner 2000, S. 13 f.). Mit der Beurteilung des Nettonutzens eines Lieferanten geht eine affektive Reaktion einher. Je höher der Kunde den Nettonutzen des aktuellen Lieferanten im Vergleich zu anderen Lieferanten einschätzt, desto zufriedener ist er mit dem gewählten Lieferanten. Für beide Lieferantentypen lässt sich daher folgende Hypothese deduzieren: H6+: Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto zufriedener ist er mit diesem Lieferanten. Ebenfalls basierend auf dem Rationalitätsprinzip im Grundmodell wird der Zusammenhang zwischen der Suche nach Alternativen durch den Kunden und seiner Zufriedenheit mit dem aktuellen Lieferanten abgeleitet. Der Kunde vergrößert durch die Suche nach alternativen Lieferanten seinen Alternativenraum. Er kann so weitere Lieferanten identifizieren, aus denen er einen Lieferanten für die Vergabe seines Beschaffungsvolumens auswählen kann. Damit steigt gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass sich in seinem vergrößerten Alternativenraum ein Lieferant befindet, der gemäß dem relativen Vorteil eine bessere Alternative gegenüber dem aktuellen Lieferanten bildet. Der Kunde ist unzufriedener mit seiner derzeitigen Wahl, wenn er durch seine verstärkte Suche einen besseren Lieferanten findet. Diese Vermutung gilt sowohl für Hauptlieferanten als auch für Nebenlieferanten, weil der Kunde sowohl bei der Suche nach einem potenziellen Hauptlieferanten als auch bei der Suche nach einem potenziellen Nebenlieferanten einen besseren Lieferanten identifizieren kann. Die Hypothese lautet deshalb: H7-: Je mehr der Kunde nach alternativen Lieferanten sucht, desto unzufriedener ist er mit seinem aktuellen Lieferanten. Im Gegensatz zum B-to-C Kontext, in dem üblicherweise ein positiver Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit des Kunden mit dem aktuellen Lieferanten und seinem Kundenanteil postuliert wird, wird im B-to-B Kontext vermutet, dass sowohl für Hauptlieferanten als auch für Nebenliefe-
Ableitung der Hypothesen
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ranten kein Zusammenhang existiert. Narayandas (2005, S. 136) Aussage stützt diesen nicht vorhandenen Zusammenhang. Er vermutet z.B., dass anders als bei Konsumgütern auf Industriegütermärkten der Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Kundenanteil als Messgröße für Loyalität (Doorn/Verhoef 2008, S. 125) schwach oder gar nicht vorhanden ist. Selbst wenn der Lieferant die Zufriedenheit des Kunden steigern kann, wirkt sich dies auch deswegen nicht auf einen höheren Anteil am Beschaffungsvolumen aus, weil Kunden im B-to-B Kontext nicht aus einem positiven, affektiven Zustand heraus entscheiden würden (Aurifeille/Clerfeuille/ Quester 2001, S. 302). Die Bedingungen, unter denen Kunden üblicherweise im B-to-B Kontext einkaufen, machen einen Zusammenhang zwischen Affekt und Verhalten unwahrscheinlich. Ein Einkäufer in einem Einkaufsgremium kann es sich nicht leisten, aufgrund eines positiven Affekts zu entscheiden, weil er seine Entscheidung gegenüber anderen Beteiligten rechtfertigen muss. Neben den Einkaufsbedingungen im B-to-B Kontext liefert das AIM (Forgas 1995) eine Begründung für den nicht vorhandenen Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil. Die Strategie des direkten Zugangs sowie die motivierte Verarbeitungsstrategie aus dem AIM können erklären, warum die Kundenzufriedenheit keinen Einfluss auf den Kundenanteil ausübt. In beiden Verarbeitungsstrategien sind affektive Variablen kaum bedeutsam. Homburg, Koschate und Hoyer (2006, S. 22) stellen z.B. im Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit fest, dass Affekt besonders in frühen Entwicklungsphasen der Zufriedenheit relevant ist, wenn ein Kunde über wenig Wissen über das Produkt oder über die Dienstleistung verfügt. Wenn er jedoch Erfahrungen gesammelt hat, steigt der Einfluss von Kognitionen. Bei Einkaufsentscheidungen für schon in der Vergangenheit gekaufte Produkte überlegt der Kunde üblicherweise, ob er seinen aktuellen Lieferanten oder einen neuen Lieferanten beauftragt. Wenn Kunden einen neuen Lieferanten beauftragen wollen, haben sie typischerweise kaum Informationen weder über affektive noch über kognitive Bewertungen im Gedächtnis, auf die sie zurückgreifen könnten. Für die erste Erfahrung mit einem neuen Lieferanten haben Kunden deshalb wenig gespeicherte Informationen in ihrem Gedächtnis, auf die sie ihr Urteil stützen können. Daher verlassen sie sich eher auf affektive Bewertungen. Wenn der Kunde allerdings Erfahrungen mit dem Lieferanten gesammelt hat und eine länger andauernde Geschäftsbeziehung existiert, erlangt er mehr Informationen über den Lieferanten. Bei nachfolgenden Entscheidungen kann der Kunde frühere Informationen über kognitive Bewertungen abrufen, die ihm bei der Entscheidungsfindung helfen. Dieses Vorgehen steht im Einklang mit der Strategie des direkten Zugangs im AIM, die gegenüber Affekt Infusion resistent ist (Homburg/Koschate/Hoyer 2006, S. 23).
98
Theoretische Analyse
Bei Kunden im B-to-B Kontext kann außerdem vermutet werden, dass auch die motivierte Verarbeitung im Sinne eines vorher vorhandenen Ziels eine Rolle spielt und mit der Strategie des direkten Zugangs kombiniert wird. Sie schließt stark vorgegebene und gezielte Schemata der Informationssuche ein, die wenig konstruktive Verarbeitung erfordern und den Wirkungsbereich des Affekts beschränken (Forgas/George 2001, S. 9). Affektive Variablen spielen bei der Entscheidungsfindung in Form einer motivierten Verarbeitung daher nur eine eingeschränkte Rolle. Sie liegt vor, wenn sich Entscheider an einem bestimmten Ziel orientieren, so dass zufällig aktivierte affektive Informationen während des Entscheidungsprozesses kaum berücksichtigt werden. Wenn Kunden motiviert sind, zu einer bestimmten Entscheidung zu gelangen oder vorher festgelegte Motive haben, die ein bestimmtes Verhalten auslösen, ist Affekt Infusion eher unwahrscheinlich. Ihre vorher vorhandenen Ziele beeinflussen also ihre Strategien der Informationssuche, ihre Entscheidungen und ihr Verhalten (Forgas/George 2001, S. 11). Affektive Bewertungen, wie z.B. Zufriedenheitsurteile, werden deshalb die Entscheidung des Kunden über den Anteil des aktuellen Lieferanten kaum beeinflussen. Es wird daher für beide Lieferantentypen kein Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit und dem Kundenanteil postuliert. Dieser nicht vorhandene Zusammenhang wird im anschließenden Untersuchungsmodell als H8 ausgewiesen, um sich explizit darauf beziehen zu können. H8:
Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil.
3.3.4 Zusammenfassung des Untersuchungsmodells Abbildung 3.5 fasst die zuvor abgeleiteten Hypothesen graphisch zusammen. Der negative Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Suche nach alternativen Lieferanten basiert auf der Annahme satisfizierenden Verhaltens im Grundmodell (siehe Hypothese 1). Je höher der Kunde den Beziehungswert des aktuellen Lieferanten einschätzt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er durch eine Suche nach alternativen Lieferanten einen Lieferanten entdeckt, der ihm einen vergleichbaren oder höheren Beziehungswert bieten kann als der aktuelle Lieferant. Er wird daher seine Suche weiter einschränken. Die Hypothese 2 zum negativen Zusammenhang von Abhängigkeit und Suche nach alternativen Lieferanten basiert auf dem Vorhandensein von Informationskosten im Grundmodell, die eine Suche nach Alternativen kostenintensiv machen, wenn das Auffinden eines besseren alternativen Lieferanten aufgrund der Abhängigkeit vom aktuellen Lieferanten nicht zu einem Austausch des bestehenden Lieferanten führen kann. Der Nettonutzen aus der Suche nach Informationen über alternative Lieferanten ist daher negativ. Es wird vermutet, dass diese Hypothese durch den Lieferantenstatus moderiert wird (Hypothese 2M). Für Hauptlieferanten wird angenommen, dass je höher die
Ableitung der Hypothesen
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Kosten für einen Wechsel sind, desto weniger wird der Kunde nach alternativen Lieferanten suchen. Bei Nebenlieferanten wird dagegen vermutet, dass dieser Zusammenhang schwächer ausgeprägt ist. Die Kosten für einen möglichen Wechsel sind geringer, so dass er seinen Nebenlieferanten eher ersetzen kann, wenn er während der Suche einen alternativen Nebenlieferanten findet, der ihm im Vergleich zum aktuellen Nebenlieferanten einen höheren Nettonutzen bietet.
Lieferantenstatus
H4M
Beziehungswert aus Kundensicht
H1-
Suche nach alternativen Lieferanten
H2-
H3M
H4+ H3Kundenanteil
H7H8 H6+ Abhängigkeit des Kunden
Kundenzufriedenheit
H2M
Abbildung 3.5:
Lieferantenstatus
H5+
H5M
Untersuchungsmodell
Zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Kundenanteil wird ein negativer Zusammenhang vermutet (siehe Hypothese 3). Dieser Zusammenhang wird anhand des Rationalitätsprinzips im Grundmodell erklärt. Je mehr der Kunde nach Alternativen sucht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Suche nach Alternativen einen anderen Lieferanten entdeckt, der ihm einen höheren Nettonutzen als der aktuelle Lieferant bieten kann und desto eher wird er das Beschaffungsvolumen des aktuellen Lieferanten verringern. Es wird vermutet, dass der Lieferantenstatus diesen Zusammenhang moderiert. Bei Nebenlieferanten wird angenommen, dass dieser Zusammenhang im Gegensatz zu Hauptlieferanten schwächer ausgeprägt ist (siehe Hypothese 3M).
100
Theoretische Analyse
Eine verstärkte Suche nach Alternativen führt nicht unbedingt dazu, dass das Beschaffungsvolumen des Nebenlieferanten verringert wird. Der Kunde muss damit rechnen, dass der aktuelle Nebenlieferant aufgrund zu geringer Stückzahlen auf den Auftrag ganz verzichtet und so seine Funktionen beim Kunden nicht mehr erfüllen könnte, wenn der Kunde seinen Anteil am Beschaffungsvolumen verringern würde. Der positive Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil kann durch das Rationalitätsprinzip im Grundmodell erklärt werden (siehe Hypothese 4). Danach wägt der Kunde Kosten und Nutzen bei der Vergabe seines Beschaffungsvolumens ab. Die Lieferanten, die ihm den höchsten Nettonutzen bieten, werden schließlich beauftragt. Die Vermutung, dass dieser Zusammenhang durch den Lieferantenstatus moderiert wird (siehe Hypothese 4M), basiert auf Überlegungen, die bei Hauptlieferanten eine Verzerrung gegenüber dem Status Quo annehmen. Die Prospect Theorie liefert eine Erklärung für eine solche Status Quo Verzerrung. Das Merkmal der abnehmenden Sensitivität erklärt, wie sich eine Erhöhung des Beziehungswerts bei einem Hauptlieferanten und bei einem Nebenlieferanten auswirkt, die unterschiedliche Positionen im Gewinnbereich der Wertfunktion innehaben. Bei einer Position im steilen Gewinnbereich führt eine Verbesserung des Beziehungswerts zu einem höheren Kundenanteil, während eine Erhöhung des Beziehungswerts ausgehend von einer Position im flachen Bereich kaum zu einem größeren Kundenanteil führt. Darüber hinaus sind auch mögliche Verluste bei einer Änderung des Kundenanteils gegenüber potenziellen Gewinnen bei Hauptlieferanten größer als bei Nebenlieferanten. Deshalb führt eine Erhöhung des Beziehungswerts bei Nebenlieferanten eher zu einem höheren Kundenanteil als bei Hauptlieferanten. Bei Hauptlieferanten wird dagegen eher die Status QuoAlternative beibehalten, weil bei einer Änderung dieser nutzenstiftenden Status Quo-Situation die möglichen Verluste im Vergleich zu den möglichen Gewinnen größer sind. Der positive Einfluss der wahrgenommenen Abhängigkeit des Kunden auf den Kundenanteil wird durch die Eskalation von Commitment erklärt (siehe Hypothese 5). Der Kunde wird aufgrund schon entstandener versunkener Kosten am aktuellen Lieferanten festhalten. Er hat bereits Ressourcen investiert, die bei einer Beendigung dieser Geschäftsbeziehung verloren wären. Da er sich abhängig fühlt und deshalb auch nicht wechseln kann, wird er versuchen, die Zusammenarbeit mit diesem Lieferanten durch die Bereitstellung weiterer Ressourcen zu stärken. Dies kann dazu führen, dass er den Anteil des Lieferanten am Beschaffungsvolumen erhöht. Bei Nebenlieferanten wird vermutet, dass dieser Zusammenhang schwächer ausgeprägt ist als bei Hauptlieferanten (siehe Hypothese 5M). In der Regel werden in solche Geschäftsbeziehungen mit Nebenlieferanten kaum Ressourcen investiert werden, die später zu rechtfertigen sind. Dadurch ist die Abhängigkeit auch geringer
Ableitung der Hypothesen
101
ausgeprägt oder nicht vorhanden. Es kommt zu keiner Eskalation von Commitment gegenüber dem Nebenlieferanten. Das Rationalitätsprinzip im Grundmodell liefert eine Erklärung für den positiven Einfluss des Beziehungswerts aus Kundensicht auf die Kundenzufriedenheit (siehe Hypothese 6). Der Kunde wählt aus seinem Alternativenraum den Lieferanten, von dem er sich den höchsten Nettonutzen verspricht. Je höher er den Nettonutzen dieses Lieferanten im Vergleich zu anderen Lieferanten einschätzt, desto zufriedener ist er mit seiner gewählten Alternative. Auf den gleichen Überlegungen basiert auch der negative Effekt der Suche nach alternativen Lieferanten auf die Kundenzufriedenheit (siehe Hypothese 7). Mit den Suchanstrengungen des Kunden steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Lieferanten entdeckt, der ihm einen größeren Nettonutzen stiften könnte. Wenn er feststellt, dass ihm der entdeckte Lieferant im Vergleich zum aktuellen Lieferanten einen größeren Nettonutzen bieten könnte, ist er mit seinem aktuellen Lieferanten unzufriedener. Es wird vermutet, dass die Kundenzufriedenheit keinen Einfluss auf den Kundenanteil hat (siehe Hypothese 8). Im B-to-B Kontext kann davon ausgegangen werden, dass Affekt Verhalten nicht beeinflusst, da Einkaufsmanager ihre Entscheidungen gegenüber anderen Entscheidungsträgern rechtfertigen müssen. Affektive Bewertungen, wie z.B. Zufriedenheitsurteile, führen daher nicht zu einer Veränderung des Kundenanteils. Mithilfe des AIM kann erklärt, warum affektive Bewertungen in einem solchen Kontext kaum eine Rolle spielen. In einem solchen Kontext wird vor allem auf Strategien der Verarbeitung von Informationen zurückgegriffen, bei denen Affekt unbedeutend ist. Der Rückgriff auf die Strategie des direkten Zugangs bedeutet, dass bei Folgeentscheidungen in bestehenden Geschäftsbeziehungen überwiegend kognitive Bewertungen aus dem Gedächtnis abgerufen werden, die die Entscheidung vereinfachen. Auch die Strategie der motivierten Verarbeitung führt dazu, dass kaum affektive Informationen berücksichtigt werden, weil sich der Entscheider an seinen vorher festgelegten Zielen orientiert und entsprechend seiner vorher definierten Motive handelt. Aufgrund der Verwendung beider Strategien ist es unwahrscheinlich, dass Zufriedenheitsurteile zu einer Veränderung des Kundenanteils führen. Dieses Kapitel zeigt, dass eine entscheidungstheoretische Analyse prüfbare Hypothesen ergibt. Das entwickelte Untersuchungsmodell dient nun als Grundlage für die empirische Überprüfung der abgeleiten Hypothesen.
103
4 Empirische Untersuchung Um das Untersuchungsmodell empirisch überprüfen zu können, werden im Abschnitt 4.1 die methodischen Grundlagen erläutert. Im Anschluss daran wird die Vorgehensweise bei der Datenerhebung zur vorliegenden empirischen Untersuchung beschrieben (siehe Abschnitt 4.2). Im Abschnitt 4.3 wird schließlich das Untersuchungsmodell überprüft. 4.1 Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse Im Abschnitt 4.1.1 wird zunächst das Partial-Least-Squares (PLS)-Schätzverfahren als eine Methode zur Strukturgleichungsanalyse erläutert. Im Abschnitt 4.1.2 wird darauf aufbauend die Vorgehensweise bei der Gütebeurteilung von Messmodellen erklärt, bevor im Abschnitt 4.1.3 auf die Gütebeurteilung des Strukturmodells eingegangen wird. Im Abschnitt 4.1.4 und im Abschnitt 4.1.5 werden schließlich die methodischen Grundlagen von Mediatoreffekten und Moderatoreffekten erläutert. 4.1.1 Das Partial Least Squares-Schätzverfahren zur Strukturgleichungsanalyse Im Abschnitt 4.1.1.1 werden die formalen Bestandteile eines Strukturgleichungsmodells erläutert, wobei auch auf die Unterscheidung zwischen reflektiven und formativen Messmodellen eingegangen wird. Im Anschluss daran werden die Merkmale der PLS-Pfadmodellierung als varianzbasiertem Schätzverfahren vorgestellt und diese im Hinblick auf Vorteile und Nachteile gegenüber kovarianzbasierten Schätzverfahren beurteilt (siehe Abschnitt 4.1.1.2). 4.1.1.1 Formale Bestandteile eines Strukturgleichungsmodells Ein Strukturgleichungsmodell wird üblicherweise in Form eines Pfadmodells dargestellt (siehe Abbildung 4.1). Es werden komplexe Wirkzusammenhänge zwischen Konstrukten modelliert, die mit mehreren Indikatoren gemessen werden. Nach Bagozzi und Fornell (1982, S. 24) wird ein Konstrukt als „an abstract entity which represents the ‘true’, nonobservable state or nature of a phenomenon“ definiert. Da es sich somit um eine nicht direkt messbare Größe handelt, wird häufig auch der Begriff „latente Variable“ (Homburg/Giering 1996, S. 6) oder „hypothetisches Konstrukt“ (Hildebrandt 1984, S. 41) verwendet. Um empirische Erkenntnisse über nicht beobachtbare Konstrukte zu gewinnen, ist es notwendig, Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Indikatoren und dem entsprechenden Konstrukt zu unterstellen. Mit Hilfe dieser Zusammenhänge kann schließlich das Konstrukt beschrieben und gemessen werden (Homburg/Giering 1996, S. 6). In Strukturgleichungsmodellen werden solche Wirkzusammenhänge als kausale Relationen modelliert (Betzin/ Henseler 2005, S. 50).
104
Empirische Untersuchung
ȗ1 į1
x1
į2
x2
į3
Ȗ1
Ȝx1 Ȝx2
y1
İ1
y2
İ2
y3
İ3
ȗ1
ȟ
Ȝx3
Ȝy1
Ș1
Ȗ2
x3
Ȝy2 Ș2
Abbildung 4.1:
Beispiel für ein PLS-Pfadmodell mit reflektiven Messmodellen
Quelle:
In Anlehnung an Fornell/Bookstein 1982, S. 444
Ȝy3
Ein Strukturgleichungsmodell besteht aus verschiedenen Komponenten. Das Strukturmodell (auch „inner relations“ oder inneres Modell) gibt Zusammenhänge zwischen Konstrukten an (siehe Formel 4.1). Ș = ǺȘ + īȟ + ȗ mit: Ș:
Vektor des endogenen Konstrukts
ȟ:
Vektor des exogenen Konstrukts
ȗ:
Vektor des Messfehlers
Formel 4.1:
Strukturmodell als System linearer Gleichungen
Quelle:
Cassel/Hackl/Westlund 1999, S. 437
Das Messmodell (auch „outer relations“ oder äußeres Modell) beschreibt Beziehungen zwischen Konstrukten und ihren Indikatoren (siehe Formel 4.2). exogen:
x = ȁx ȟ + į
endogen:
y = ȁyȘ + İ
mit: ȁx, ȁy:
Regressionsmatrizen
į, İ:
Vektoren der Messfehler
Formel 4.2:
Messmodell als System linearer Gleichungen
Quelle:
Cassel/Hackl/Westlund 1999, S. 437
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
105
Bei reflektiv spezifizierten Konstrukten wird der Korrelationskoeffizient zwischen Konstrukt und Indikator als Faktorladung Ȝ bezeichnet, während bei formativ spezifizierten Konstrukten von Gewichten ʌ gesprochen wird. Im Folgenden werden zunächst reflektiv spezifizierte Konstrukte erläutert, bevor auf formativ spezifizierte Konstrukte eingegangen wird. Latente Variablen lassen sich also grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten spezifizieren: mittels eines reflektiven oder eines formativen Messmodells (Bollen/Lennox 1991, S. 305 f.; MacCallum/Browne 1993, S. 533; Law/Wong 1999, S. 144-146; Diamantopoulos/Winklhofer 2001, S. 269). Abbildung 4.2 zeigt eine latente Variable, die über ein reflektives Messmodell operationalisiert wird.
x1
į1 r12 į2
r13
Ȝ1
ȟ: latente Variable
Ȝ2
Ȝi: Regressionskoeffizienten
xi: Indikator
x2
Ȝ3
r23 į3
mit:
ȟ
(Faktorladungen) įi: Messfehler (Störvariable) r: Kovarianz
x3
Abbildung 4.2:
Reflektives Messmodell
Quelle:
Fassott/Eggert 2005, S. 37
Formal lässt sich das reflektive Messmodell als System linearer Gleichungen beschreiben (siehe Formel 4.3). Zufällige und systematische Messfehler aller Indikatoren werden dabei in einer Störvariable įi zusammengefasst.
106
Empirische Untersuchung
O i [ Gi
xi
(i = 1, …, n)
mit: xi:
Indikator
Ȝi :
Ladung
ȟ:
latente Variable
įi:
Störvariable
Formel 4.3:
Reflektives Messmodell als System linearer Gleichungen
Quelle:
Edwards/Bagozzi 2000, S. 161
Im reflektiven Messmodell werden die Ausprägungen der beobachtbaren Indikatoren durch das Konstrukt verursacht. Diese Indikatoren werden deshalb als „reflective“ (Fornell/Bookstein 1982, S. 441 f.), „effects“ (Bollen/Lennox 1991, S. 305 f.), „eliciting“ (Rossiter 2002, S. 316 f.) oder „indicator variables“ (Fayers/Hand 2002, S. 237) bezeichnet. Aus der Wirkbeziehung resultiert die Annahme, dass Veränderungen in der Ausprägung der latenten Variable zu Veränderungen aller Werte ihrer beobachteten Indikatoren führen (Bollen 1989, S. 222). In einem reflektiven Messmodell sollten daher alle Indikatoren stark korreliert sein (Ley 1972, S. 111), weil sie als austauschbare Messungen der latenten Variable gelten (Bollen/Lennox 1991, S. 308). Dieser Vorstellung liegt das Domain-Sampling Modell zugrunde (Nunnally/Bernstein 1994, S. 216-220), nach dem die Begriffsbestimmung eines hypothetischen Konzepts gleichzeitig sein definitorisches Feld beschreibt. Die Kernannahme des Domain-Sampling Modells ist, dass die Menge an Indikatoren eines theoretischen Konzepts einen gemeinsamen Kern hat (Churchill 1979, S. 68; Torkzadeh/Doll 1999, S. 331). Aus diesem Grund können nicht oder nur gering korrelierte Indikatoren nicht zum definitorischen Bereich des Konstrukts gehören und gelten daher für die Operationalisierung des Konstrukts als ungeeignet (Churchill 1979, S. 68). Diese Sichtweise der klassischen Testtheorie (Lord/Novick 1974) geht davon aus, dass Veränderungen bei Messungen des Konstrukts eine Funktion des „wahren“ Werts inklusive Messfehler sind (Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 199; Diamantopoulos 2006, S. 8 f.). Churchill (1979, S. 66) entwickelte basierend auf der Annahme reflektiver Messmodelle eine beispielhafte Vorgehensweise zur Operationalisierung von latenten Variablen. Die dabei vorgeschlagenen Methoden zur Evaluation von Reliabilität und Validität eines Messinstruments mit Hilfe von Cronbachs Alpha und der Faktorenanalyse gehen auf das Domain-Sampling Modell zurück. Insofern ist Churchills (1979) Prozedere nur bei reflektiven Messmodellen anwendbar, bei denen die Kausalrichtung vom Konstrukt zu den Indikatoren geht.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
107
Im Gegensatz zum reflektiven Messmodell verursachen im formativen Messmodell die Indikatoren das Konstrukt. Abbildung 4.3 zeigt ein solches formatives Messmodell.
x1 r12 r13
ȗ
Ȗ1
mit: Ș: latente Variable xi: Indikator
x2
Ȗ2 Ȗ3
r23
Ȗi: Regressionskoeffizienten
Ș
(Gewichte) ȗ Messfehler (Störvariable) r: Kovarianz
x3
Abbildung 4.3:
Formatives Messmodell
Quelle:
Fassott/Eggert 2005, S. 39
Da im formativen Messmodell die Indikatoren das Konstrukt beeinflussen, werden diese Indikatoren als „formative“ (Fornell/Bookstein 1982, S. 441; Edwards/Bagozzi 2000 162), „causes“ (Bollen/Lennox 1991, S. 306) oder auch „formed“ (Rossiter 2002, S. 314 f.) bezeichnet. Die Veränderung eines einzelnen Indikators führt zur Veränderung des Konstrukts. Ob und inwieweit die Veränderung eines einzelnen Indikators auch zu einer Veränderung der anderen Indikatoren dieses Konstrukts führt, ist über die Korrelationen zwischen den Indikatoren bestimmt. Die Korrelationen zwischen den Indikatoren eines Konstrukts können alle Werte im Bereich zwischen -1 und +1 annehmen, d.h. die einzelnen Indikatoren können auch vollkommen unkorreliert sein (Jarvis/MacKenzie/Podsakoff 2003, S. 202), ohne dass dadurch eine Aussage über die Güte der Messung gemacht werden kann. Jeder einzelne Indikator eines Konstrukts ist unabhängig von den anderen Indikatoren für die inhaltliche Bestimmung dieses Konstrukts notwendig. Die Indikatoren eines formativ spezifizierten Konstrukts stellen anders als bei reflektiv spezifizierten Konstrukten keine austauschbaren Messungen dar. Aus diesem Grund können die etablierten Testverfahren nicht angewendet werden, da sie auf die Korreliertheit der Indikatoren abzielen und eine hohe Korrelation der Indikatoren als Hinweis auf eine reliable und valide Messung des Konstrukts auffassen (Fassott/Eggert 2005, S. 38).
108
Empirische Untersuchung
Nachdem die formalen Bestandteile von Strukturgleichungsmodellen dargelegt wurden, werden nun die Vorteile und Nachteile der PLS-Pfadmodellierung gegenüber anderen Verfahren der Strukturgleichungsanalyse diskutiert. 4.1.1.2 Merkmale der Partial Least Squares-Pfadmodellierung Eine Methode zur Analyse von Strukturgleichungsmodellen ist das Verfahren der partiellen kleinsten Quadrate (Partial Least Squares), das von Wold (1982b, S. 327-339; 1982a, S. 8-24) entwickelt wurde. Im Zusammenhang mit PLS wird aufgrund der fehlenden Verteilungsannahmen auch von „Soft Modeling“ gesprochen (Bookstein 1982, S. 349; Wold 1982b, S. 325). Die Grundidee von PLS ist ein iterativer Prozess, bei dem ein Teil der Parameter bei der Schätzung als bekannt angenommen und konstant gehalten wird, während der andere Teil geschätzt wird (Helm/Eggert/Garnefeld 2009). Die gesamte Parametermenge wird in Einheiten zerlegt und Kleinste-Quadrate-Schätzer bezüglich der verschiedenen Parameter ermittelt (zur Funktionsweise des PLS-Schätzalgorithmus siehe Fornell/Cha 1994, S. 62 f.; Cassel/Hackl/Westlund 1999, S. 438). Ein varianzbasiertes Schätzverfahren, wie z.B. die PLS-Methode, hat gegenüber kovarianzbasierten Verfahren Vor- und Nachteile, die nun vorgestellt werden (siehe dazu und im Folgenden Herrmann/Huber/Kressmann 2006, S. 39-44). In Tabelle 4.1 werden die Merkmale des PLS-Schätzverfahrens zunächst übersichtlich dargestellt und im Hinblick auf die Anwendung dieses Schätzverfahrens gegenüber kovarianzbasierten Verfahren der Strukturgleichungsanalyse beurteilt. Zur Bestimmung der Modellparameter nutzen kovarianzbasierte Schätzverfahren alle in der Kovarianzmatrix vorhandenen Informationen, so dass sie auch als „full information approaches“ bezeichnet werden. Beim PLS-Schätzverfahren werden Kovarianzen hingegen nur blockweise verwendet. Aus diesem Grund werden Beziehungen im Strukturmodell allein auf Basis der über die Gewichte berechneten Konstruktwerte ermittelt. Da in der Kovarianzmatrix weniger Informationen zur Parameterschätzung vorhanden sind, führt das PLS-Schätzverfahren zu ungenaueren Schätzern. Diese werden jedoch mit dem Ziel bestimmt, die tatsächliche Datenstruktur bestmöglich zu reproduzieren. Somit haben sie aber gleichzeitig bessere Vorhersageeigenschaften als Schätzer kovarianzbasierter Verfahren. Ein Vorteil von PLS ist, dass komplexe Modelle auch bei einer kleinen Stichprobengröße geschätzt werden können. Dies hängt damit zusammen, dass PLS auf der Schätzung einzelner Regressionsgleichungen im Modellzusammenhang basiert. Bei kovarianzbasierten Schätzungen können kleine Stichproben dagegen zu Problemen führen, wie z.B. unsinnige Lösungen (MacCallum 1986, S. 116)
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
109
oder irrtümliche Übernahme von fehlspezifizierten Modellen aufgrund überhöhter Fitindizes. Bei kleinen Stichproben mit weniger als hundert Fällen, die kaum asymptotische Eigenschaften aufweisen, ist die Eignung von Fitindizes zur Beurteilung der globalen Güte eingeschränkt (Hu/Bentler 1998, S. 429).
Merkmal des PLS-Schätzverfahrens
Beurteilung im Hinblick auf die Anwendung des PLS-Schätzverfahrens gegenüber kovarianzbasierten Verfahren
Ungenauere Schätzer
-
Bessere Vorhersageeigenschaften der Schätzer
+
Schätzung komplexer Modelle auch bei kleinen Stichproben möglich
+
Keine Normalverteilung der Eingangsdaten erforderlich
+
Fehlende Inferenzstatistik mangels Verteilungsannahmen
-
Konservative Schätzung der Strukturparameter
+
Consistency-at-large Eigenschaft
+
Keine Identifikationsprobleme bei rekursiven Modellen
+
Keine unsinnigen Werte
+
Keine Fitindizes zur Beurteilung der Güte des Gesamtmodells
-
Einfachere Berücksichtigung formativ spezifizierter Konstrukte
+
+ -
Vorteil des PLS-Schätzverfahrens gegenüber kovarianzbasierten Schätzverfahren Nachteil des PLS-Schätzverfahrens gegenüber kovarianzbasierten Schätzverfahren
Tabelle 4.1:
Beurteilung des PLS-Schätzverfahrens
Bei dem am häufigsten verwendeten Maximum Likelihood (ML)-Algorithmus in kovarianzbasierten Schätzverfahren ist eine multivariate Normalverteilung der Daten zwingend notwendig. Bei einem nicht-parametrischen Schätzverfahren wie PLS ist es dagegen nicht erforderlich, dass die Eingangsdaten normalverteilt sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass OLS (ordinary least squares)-Schätzungen einzeln zur Parameterbestimmung verwendet werden (Fornell/Bookstein 1982, S. 443). Die Beurteilung der Signifikanz von Pfadkoeffizienten ist aufgrund mangelnder Verteilungsannahmen nur durch Hilfs-Prozeduren, z.B. durch Bootstrapping, möglich (für eine Erläuterung der Vorgehensweise dieses Verfahrens siehe Abschnitt 4.1.3). Die Signifikanz der geschätzten Pfadkoeffizienten wird durch Bootstrapping näherungsweise bestimmt. Dieses Verfahren ist weniger zuverlässig und daher der Schätzung von Modellparametern in kovarianzbasierten Schätzverfahren auf Basis des ML-Algorithmus mit normalverteilten Daten unterlegen.
110
Empirische Untersuchung
Die Konstruktwerte sind das Ergebnis linearer Kombinationen der mit Messfehlern behafteten Indikatoren. Das bedeutet aber, dass die Konstruktwerte teilweise Messfehler der Indikatoren beinhalten. Daraus resultiert die Inkonsistenz der Konstruktwerte und der damit einhergehenden Parameterschätzungen (Fornell/Cha 1994, S. 66; Chin/Newsted 1999, S. 328). Durch die auftretende Inkonsistenz überschätzt PLS die Zusammenhänge zwischen Indikator und Konstrukt, während die Beziehungen zwischen Konstrukten unterschätzt werden (Dijkstra 1983, S. 86). Diese Eigenschaft wirkt sich aber nicht negativ auf die Vorhersagequalität der PLS-Schätzung aus. Areskoug (1982, S. 106) hat nachgewiesen, dass sich die Überschätzung im Messmodell und die Unterschätzung im Strukturmodell gegenseitig aufheben und deshalb die Korrelationen zwischen den Indikatoren verschiedener Konstrukte wiederum konsistent sind (Fornell/Cha 1994, S. 67; Chin/Newsted 1999, S. 329). Damit verfügt PLS über eine gute Vorhersagequalität. Darüber hinaus hebt Wold (1980, S. 52 ) hervor, dass varianz- und kovarianzbasierte Schätzer ko-konsistent sind, weil kein substanzieller Unterschied zwischen den Schätzern beider Verfahren zu erkennen ist. Ein Vorteil von PLS im Gegensatz zu kovarianzbasierten Schätzverfahren ist, dass die Unterschätzung der Strukturparameter zu einer konservativen Schätzung führt. Je größer die Stichprobe und je größer die Anzahl der Indikatoren je Konstrukt, desto besser können PLS-Schätzer die Konstellationen in der Grundgesamtheit reproduzieren. Chin, Marcoulin und Newsted (2003, S. 204 f.) stellen in ihrer Simulationsstudie allerdings fest, dass nur eine erhöhte Indikatorenanzahl zu einer konsistenteren Schätzung der Modellparameter führt, während dies nicht für größere Stichproben gilt. Je mehr Indikatoren bei der Schätzung der Konstruktwerte berücksichtigt werden, desto eher wird der Bedeutungskern des Konstrukts erfasst und desto weniger wirken sich Messfehler bei der Bestimmung der Konstruktwerte aus. Diese Eigenschaft von PLS, bei der bei hoher Indikatorenzahl konsistente Schätzer vorliegen, wird als „Consistency-at-large“ bezeichnet. Auch wenn Chin, Marcoulin und Newsted (2003, S. 204) bei der Nutzung von PLS für eine größere Stichprobe keine konsistenteren Schätzer feststellen können, liefert ein größerer Stichprobenumfang entsprechend dem asymptotischen Verständnis von Konsistenz jedoch bessere Eingangsdaten. Folglich ergeben sich eher Schätzer, die den Gegebenheiten in der Grundgesamtheit entsprechen (Hui/Wold 1982, S. 125; McDonald 1996, S. 248). Bei rekursiven Modellen entstehen bei der Verwendung von PLS keine Identifikationsprobleme, weil nur jede Teilregression identifiziert sein muss (Chin/Newsted 1999, S. 313). Schon bei kleinen Stichproben sind die durch PLS generierten Ergebnisse robust gegenüber nicht-normalverteilten Ausgangsdaten, dem Auslassen unabhängiger Variablen und Multikollinearität (Cassel/Hackl/Westlund 1999, S. 442-445).
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
111
Im Gegensatz zu kovarianzbasierten Schätzverfahren können keine unsinnigen Werte oder negative Varianzen, sog. Heywood-Cases (siehe für Details Rindskopf 1984; Chen et al. 2001), auftreten. Dies hängt damit zusammen, dass PLS auf einfachen OLS-Regressionen basiert (Fornell/Bookstein 1982, S. 442). Bei PLS werden die Konstruktwerte von Beginn an bei der Schätzung der Zusammenhänge berücksichtigt. In PLS berechnete Konstruktwerte sind deshalb für die Vorhersage geeigneter. In kovarianzbasierten Verfahren werden alle Gleichungen simultan über eine bestmögliche Replikation der Kovarianzmatrix geschätzt. Der globale Modellfit kann daher durch die Annäherung an die Kovarianzmatrix der Daten beschrieben werden. Im Gegensatz dazu werden die Parameter beim PLS-Schätzverfahren nicht simultan geschätzt, so dass für die Beurteilung der Güte des Gesamtmodells keine Fitindizes verfügbar sind. Solche Fitindizes können bei PLS nur für Teilmodelle berechnet werden, weil PLS das gesamte Modell in einzelne Regressionsgleichungen aufteilt. Diese Gleichungen werden blockweise iterativ geschätzt. PLS zielt dabei auf die Erklärung der Varianzen der abhängigen Variablen ab. Kovarianzbasierte Verfahren greifen auf die Faktorenanalyse zurück, die von einer reflektiven Spezifikation der Konstrukte ausgeht. Um formative spezifizierte Konstrukte abzubilden, wird ein solches Konstrukt als indikatorlos dargestellt und über Einzelindikatorkonstrukte bestimmt. Diese Einzelindikatorkonstrukte sind mit den formativen Indikatoren gleichzusetzen (MacCallum/Browne 1993, S. 536). Im PLS-Schätzalgorithmus können formative Messmodelle dagegen explizit berücksichtigt werden. PLS nutzt dabei die multiplen Regressionskoeffizienten als Gewichte, die die Wirkung eines Indikators auf das dazugehörige Konstrukt messen (Cassel/Hackl/Westlund 1999, S. 438; Hackl/Westlund 2000, S. 823). Der Vergleich des PLS-Schätzverfahrens mit kovarianzbasierten Schätzverfahren zeigt, dass durch die weniger „harten“ Anforderungen an die originären Daten die Vorteile beim PLS-Schätzverfahren überwiegen. PLS ist zwar aufgrund der ungenaueren Schätzer für das Erkennen von tatsächlichen strukturellen Zusammenhängen innerhalb der Grundgesamtheit weniger geeignet als kovarianzbasierte Verfahren. Bei der Betrachtung von Zusammenhängen auf Indikatorenebene gilt PLS allerdings gegenüber kovarianzbasierten Verfahren als gleichwertig. Die bei PLS vorhandene Überschätzung auf Messmodellebene und die Unterschätzung auf Strukturmodellebene gleichen sich aus, so dass die Indikatorkorrelationen wieder konsistent sind. Durch die Unterschätzung auf Strukturmodellebene wird daher von einer konservativen Schätzung der Pfadkoeffizienten gesprochen. Die PLS-Schätzer verfügen insgesamt über bessere Vorhersageeigenschaften, weil ihre Be-
112
Empirische Untersuchung
stimmung mithilfe der Kleinstquadrate-Schätzung auf die Reproduktion konkreter Datenpunkte abzielt (Herrmann/Huber/Kressmann 2006, S. 43). 4.1.2 Gütebeurteilung auf Messmodellebene Jede Konstruktmessung muss hinsichtlich ihrer Güte beurteilt werden. Im Abschnitt 4.1.2.1 werden deshalb zunächst die grundlegenden Aspekte zur Reliabilität und Validität erläutert. Anschließend werden Gütekriterien zur Beurteilung eines reflektiv spezifizierten Konstrukts und eines formativ spezifizierten Konstrukts vorgestellt (siehe Abschnitt 4.1.2.2). 4.1.2.1 Grundlegende Aspekte zur Reliabilität und Validität Um die Verlässlichkeit der Konstruktmessung zu gewährleisten, müssen die Kriterien der Reliabilität (Zuverlässigkeit) und der Validität (Gültigkeit) erfüllt sein (Bollen 1989, S. 184). Das Kriterium der Reliabilität wird definiert als „degree to which measures are free from random error and thus reliability coefficients estimate the amount of systematic variance in a measure” (Peter/Churchill 1986, S. 4). Unter der Reliabilität eines Messinstruments wird die Stabilität und Genauigkeit einer Messung verstanden (Berekoven/Eckert/Ellenrieder 2006, S. 88; Himme 2007, S. 375). Ein Messinstrument ist somit unter der Voraussetzung konstanter Messbedingungen reliabel, wenn die Messwerte stabil und präzise (Herrmann/Homburg 2000, S. 23) und bei wiederholter Messung mit dem gleichen Messinstrument reproduzierbar sind (Himme 2007, S. 375). In der Literatur werden drei Arten unterschieden, wie die Reliabilität einer Messung überprüft werden kann (Peter 1979, S. 8-10; Hildebrandt 1984, S. 41 f.; Friedrichs 1990, S. 102): Test-RetestReliabilität, Parallel-Test-Reliabilität und Interne-Konsistenz-Reliabilität. Die Test-Retest-Reliabilität, auch Wiederholungsreliabilität genannt, beinhaltet die Korrelation zwischen der Messung und einer Vergleichsmessung mit demselben Messinstrument und denselben Teilnehmern zu einem späteren Zeitpunkt. Dieses Vorgehen ist nur dann sinnvoll, wenn davon ausgegangen werden kann, dass die wahren Messwerte im Zeitablauf unverändert bleiben (Stier 1999, S. 54). Zur Gewährleistung der zeitlichen Stabilität der Messwerte sollten die Messergebnisse von zeitlich aufeinander folgenden Messungen mit dem gleichen Messinstrument stark miteinander korrelieren (Peter 1979, S. 8). Zur Bestimmung der Test-Retest-Reliabilität wird denselben Teilnehmern das gleiche Messinstrument, z.B. ein Fragebogen, unter möglichst identischen Bedingungen zweimal vorgelegt (Himme 2007, S. 377). Die Test-Retest-Reliabilität wird allerdings kaum angewandt, weil dabei vor allem zwei Probleme auftreten können: Erinnerungseffekte und Veränderungen im Meinungsbild bei den Teilnehmern.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
113
Das erste Problem stellen Erinnerungseffekte der Teilnehmer dar, die zu einer Überschätzung der Reliabilität führen können. Es besteht dann die Gefahr, dass sich die Teilnehmer an ihre Antworten in der ersten Messung erinnern und versuchen werden, möglichst konsistent zu antworten (Stier 1999, S. 54). Dieses konsistente Antwortverhalten der Teilnehmer kann dazu führen, dass bei der Entwicklung eines Messinstruments, bei dem die Indikatoren kaum miteinander korreliert sind und daher kein gemeinsamer Nenner existiert, die Antworten zu jedem Indikator in beiden Messungen stark miteinander korrelieren. Dieses Ergebnis ist irreführend, da eine hohe Korrelation der Messwerte in beiden Messungen als Hinweis auf einen geringen Messfehler des Messinstruments interpretiert werden würde (Churchill 1979, S. 70). Das zweite Problem bei der Test-Retest-Reliabilität zielt auf Veränderungen im Meinungsbild der Teilnehmer aufgrund von Lernprozessen oder anderen Einflüssen ab, wodurch die Reliabilität unterschätzt wird (Himme 2007, S. 377). Bei der ersten Messung setzen sich die Teilnehmer intensiv mit dem Thema der Befragung auseinander, was zu Meinungsänderungen führen kann, die ohne die Befragung nicht aufgetreten wären und die sich dann in der zweiten Messung zeigen (Stier 1999, S. 54). Ob eine Veränderung im Antwortverhalten durch eine solche Meinungsänderung oder durch eine unreliable Messung hervorgerufen wird, kann jedoch nicht voneinander getrennt werden (Himme 2007, S. 377). Neben den beiden genannten Problemen spricht aber auch der für die Datenerhebung benötigte zeitliche Aufwand gegen die Test-Retest-Reliabilität. Churchill (1979, S. 70) rät aufgrund der erläuterten Probleme von der Verwendung der Test-Retest-Reliabilität ab. Um das Problem der Abhängigkeit der Reliabilitätsschätzung vom Zeitintervall zu vermeiden, wurde die Parallel-Test-Reliabilität entwickelt. Bei der Parallel-Test-Reliabilität werden mit denselben Teilnehmern zwei Messungen zum selben Zeitpunkt durchgeführt. Anders als bei der Test-RetestReliabilität wird aber nicht dasselbe, sondern ein gleichwertiges Messinstrument verwendet. Das zweite Messinstrument ist dem ersten sehr ähnlich und misst dasselbe Konstrukt (Himme 2007, S. 378). Die Reliabilität wird über die Korrelation der Messwerte beider paralleler Messungen geschätzt (Stier 1999, S. 54) Für die Überprüfung der Parallel-Test-Reliabilität müsste beispielsweise für jeden Indikator des Konstrukts „Einstellung“ ein vergleichbarer Indikator entwickelt werden. Das Hauptproblem bei der Parallel-Test-Reliabilität liegt in der Verfügbarkeit einer echten Parallelform, bei der im Paralleltest andere Indikatoren als im ersten Test zur Messung desselben Konstrukts nötig sind. Bei einer tatsächlichen Parallelform müssen schließlich die Mittelwerte, Varianzen und Kovarianzen der Indikatoren beider Messungen übereinstimmen (Fisseni 2004, S. 53). Bei der Prüfung der Parallel-Test-Reliabilität ist ebenfalls ein hoher zeitlicher Aufwand für die Daten-
114
Empirische Untersuchung
erhebung erforderlich. Zusätzlich muss auch ein vollständiges zweites Messinstrument zur Messung aller Konstrukte entwickelt werden, wobei dieses zweite Messinstrument gleichermaßen auf Reliabilität und Validität getestet werden müsste (Himme 2007, S. 378). Aus den genannten Gründen ist auch die Parallel-Test-Reliabilität nicht praktikabel. Da die Überprüfung der Reliabilität durch die bereits erläuterten Reliabilitätsarten zu aufwendig und mit Problemen behaftet ist, wird in der Mehrzahl empirischer Untersuchungen die interne Konsistenz als Reliabilitätskriterium herangezogen. Die interne Konsistenz zielt dabei auf die Homogenität der Indikatoren ab (Peter 1979, S. 8). Die Grundform der Konsistenzschätzung ist die SplitHalf-Reliabilität, die sich auf die Korrelation der Messwerte von in zwei Hälften aufgeteilte Indikatoren des gleichen Konstrukts bezieht. Die Aufteilung der Indikatoren kann entweder zufällig oder anhand der Odd-Even-Methode vorgenommen werden, bei der die mit ungeraden Zahlen benannten Indikatoren der ersten Hälfte und die mit geraden Zahlen bezeichneten Indikatoren der zweiten Hälfte zugeordnet werden. Ein grundlegendes Problem dieser Split-Half-Reliabilität ist allerdings, dass verschiedene Aufteilungen der Indikatoren zu unterschiedlichen Reliabilitätsschätzungen führen, wobei nicht nachvollziehbar ist, welches der „wahre“ Reliabilitätskoeffizient ist. Um dieses Problem zu lösen, wird der Mittelwert über alle möglichen Split-Half-Koeffzienten gebildet. Dieser mittlere Reliabilitätskoeffizient ist gleichbedeutend mit Cronbachs Alpha (Peter 1979, S. 8). Neben der Reliabilität muss auch das Kriterium der Validität einer Messung erfüllt sein. Die Reliabilität ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Validität einer Messung (Carmines/Zeller 1979, S. 13; Churchill 1979, S. 65; Peter 1979, S. 6). Während die Reliabilität nur Zufallsfehler berücksichtigt, bezieht die Validität sowohl systematische Fehler als auch Zufallsfehler mit ein (Churchill/Iacobucci 2005, S. 295). Nach Churchill (1979, S. 65) ist ein Messinstrument valide, wenn “the differences in observed scores reflect true differences on the characteristic one is attempting to measure and nothing else” (ähnlich Selltiz/Wrightsman/Cook 1976, S. 169). Es geht also darum, inwieweit ein Messinstrument das misst, was es messen soll (Heeler/Ray 1972, S. 361). Der während der Messung beobachtete Wert (XO) setzt sich zusammen aus dem wahren Wert (XT) plus dem systematischen Fehler (XS) und dem zufälligen Fehler (XR) (Churchill 1979, S. 65). Die Reliabilität bezieht sich dabei auf den zufälligen, unsystematischen Fehler (Himme 2007, S. 376). Der zufällige Fehler beinhaltet alle Einflussfaktoren, die bei jeder Messung in anderer Stärke auftreten und dadurch die Ergebnisse ohne erkennbare Systematik beeinflussen. Der systematische Fehler tritt unabhängig von zufälligen Einflüssen bei wiederholter Messung immer in gleicher Höhe auf. Mit diesen Ausführungen wird deutlich, dass eine Messung vollkommen reliabel ist, wenn der zu-
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
115
fällige Fehler gleich Null ist. Damit eine Messung auch valide ist, muss der systematische Fehler ebenfalls gleich Null sein, so dass der beobachtete Wert mit dem wahren Wert übereinstimmt (Churchill 1979, S. 65). Das würde bedeuten, dass die Messung frei von Messfehlern ist. In Strukturgleichungsmodellen können diese beiden Messfehlerarten jedoch nicht getrennt voneinander betrachtet werden, da es nur einen „aggregierten“ Messfehler gibt. Die Beziehung zwischen Reliabilität und Validität lässt sich anhand der Formel 4.4 zeigen.
XO = XT + XS + XR mit: XObserved:
beobachteter Wert
XTrue:
wahrer Wert
XSystematic:
systematischer Fehler
XRandom:
zufälliger Fehler
Formel 4.4:
Beziehung zwischen Reliabilität und Validität
Quelle:
Churchill 1979, S. 65
In der Literatur existieren unterschiedliche Validitätsbegriffe (Bagozzi 1979, S. 23; Churchill 1979, S. 69 f.; Peter 1981, S. 134 f.; Bagozzi/Phillips 1982, S. 468 f.; Peter/Churchill 1986, S. 4 f.; Churchill 1992, S. 75-77), die jeweils einzelne Facetten einer Messung betrachten (Jacoby 1978, S. 91 f.; Peter 1981). Dabei wird üblicherweise zwischen Inhalts- und Konstruktvalidität unterschieden. Die Konstruktvalidität beinhaltet wiederum die Konvergenzvalidität und die Diskriminanzvalidität sowie die nomologische Validität (Hildebrandt 1984, S. 42). Die Inhaltsvalidität bezeichnet den Grad, zu dem die Indikatoren eines Messinstruments dem inhaltlich-semantischen Bereich eines Konstrukts angehören (Bohrnstedt 1970, S. 92) und dabei alle Bedeutungsinhalte bzw. Facetten des Konstrukts abbilden (Balderjahn 2003, S. 131). Ähnlich beschreiben Churchill und Iacobucci (2005, S. 293) Inhaltsvalidität als „adequacy with which the domain of the characteristic is captured by the measure“. Zur Überprüfung der Inhaltsvalidität ist eine präzise inhaltliche Definition des Konstrukts erforderlich (Himme 2007, S. 382). Einige Autoren schlagen zur Überprüfung der Inhaltsvalidität eine qualitative Herangehensweise vor (Parasuraman/Zeithaml/Berry 1988, S. 28; Kumar/Stern/Achrol 1992, S. 242), wonach die Inhaltsvalidität subjektiv durch Experten begutachtet wird. Deshalb wird teilweise auch von Expertenvalidität gesprochen (Himme 2007, S. 382). Im Gegensatz zum qualitativen Vorgehen verstehen Krafft, Götz und Liehr-Gobbers (2005, S. 73) die explorative Faktorenanalyse als geeignete Methode, um die Indikatoren auf ihre zugrunde liegende Faktorenstruktur hin zu untersuchen. Sofern bei der explora-
116
Empirische Untersuchung
tiven Faktorenanalyse eine einfaktorielle Konstruktstruktur vorliegt und der identifizierte Faktor einen hohen Varianzerklärungsanteil aufweist, gilt das Kriterium der Inhaltsvalidität als erfüllt. Die Konstruktvalidität bezieht sich auf die Validität der Konstrukte und der postulierten Zusammenhänge zwischen den Konstrukten. Sie liegt vor, wenn gemessene Konstrukte und empirische Zusammenhänge der Theorie entsprechen (Balderjahn 2003, S. 132). Sie ergibt sich einerseits aus dem Grad, zu dem eine Messung tatsächlich das beabsichtigte Konstrukt misst (Bagozzi 1998, S. 52) und nicht durch Merkmale anderer Konstrukte verfälscht wird (Hildebrandt 1984, S. 43) und andererseits aus dem Grad, zu dem ein empirischer Zusammenhang einen theoretisch postulierten Zusammenhang widerspiegelt. Wenn beispielsweise im Rahmen einer Befragung Kundenzufriedenheit und Kundenbindung beurteilt werden, dann sind sowohl die Messung beider Konstrukte als auch die postulierten Zusammenhänge zwischen beiden Konstrukten auf ihre Validität hin zu überprüfen (Balderjahn 2003, S. 132; Himme 2007, S. 383). Die empirische Prüfung im Rahmen der Konstruktvalidität greift auf ein Netz von Hypothesen (nomologisches Netzwerk) über das Konstrukt und dessen Zusammenhänge mit anderen Konstrukten zurück (Balderjahn 2003, S. 132). Der Grad der Übereinstimmung zwischen theoretisch postulierten Zusammenhängen zweier Konstrukte und den aus der empirischen Untersuchung resultierenden Zusammenhängen dieser Konstrukte wird als nomologische Validität bezeichnet (Campbell 1960, S. 547; Bagozzi 1979, S. 23). Die Prüfung der nomologischen Validität erfordert, dass die Zusammenhänge zwischen den untersuchten Konstrukten aus einem übergeordneten theoretischen Bezugsrahmen abgeleitet werden (Ruekert/Churchill 1984, S. 231). Um Konstruktvalidität nachzuweisen, sind die Konvergenz- und Diskriminanzvalidität zu prüfen. Die Konvergenzvalidität beschreibt dabei den Grad, zu dem mehrere verschiedene Messungen des gleichen Konstruktes stark miteinander korrelieren (Bagozzi/Phillips 1982, S. 468). Je stärker der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Messungen des gleichen Konstrukts, desto höher ist auch die Konvergenzvalidität (Balderjahn 2003, S. 132). Die Diskriminanzvalidität wird dagegen als das Ausmaß definiert, zu dem sich Messungen verschiedener Konstrukte mit dem gleichen Messinstrument unterscheiden (Bagozzi/Phillips 1982, S. 469). Die Diskriminanzvalidität ist umso höher, je geringer die Assoziation zwischen den Indikatoren unterschiedlicher Konstrukte ist. Der Zusammenhang zwischen zwei Indikatoren unterschiedlicher Konstrukte sollte niedriger sein als der zwischen zwei Indikatoren desselben Konstrukts (Heeler/Ray 1972, S. 362; Bagozzi/Yi/Phillips 1991, S. 425).
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
117
4.1.2.2 Gütekriterien Bei der Beurteilung der Güte einer Konstruktmessung gibt es je nach Konstruktspezifikation unterschiedliche Gütekriterien. Für reflektiv spezifizierte Konstrukte sind im Rahmen von Strukturgleichungsmodellen folgende Gütekriterien relevant: Cronbachs Alpha, Item-Skala-Korrelation, Indikator- und Faktorreliabilität, durchschnittlich erfasste Varianz und Fornell-Larcker-Kriterium. Für formativ spezifizierte Konstrukte gelten folgende Gütekriterien: psa-Index, csv-Index und Variance Inflation Factor zur Prüfung von Multikollinearität. Im Folgenden werden zunächst die für reflektiv spezifizierte Konstrukten relevanten Gütekriterien erläutert, bevor auf die Gütekriterien für formativ spezifizierte Konstrukte eingegangen wird. Bei reflektiven Messmodellen wird vor allem Cronbachs Alpha zur Gütebeurteilung genutzt. Cronbachs Alpha (Cronbach 1947; 1951) gilt allgemein als das am häufigsten verwendete Reliabilitätsmaß. Cortina (1993, S. 98) stellt fest, dass „Coefficient alpha (Cronbach, 1951) is certainly one of the most important and pervasive statistics in research involving test construction and use” (ähnlich Carmines/Zeller 1979, S. 44; Peterson 1994, S. 382; Voss/Stem/Fotopoulos 2000, S. 177). Dieses Kriterium ist ein Maß für die interne Konsistenz der Indikatoren eines Konstrukts (Streiner 2003, S. 99) und wird mit folgender Formel 4.5 berechnet.
D
N 2· § ¦V ¸ ¨ § N · ¨ i 1 i ¸ ¨ ¸ 1 2 © N 1¹ ¨ Vt ¸ ¨ ¸ © ¹
mit: N: 2
Anzahl der Indikatoren des Konstrukts
ıi :
Varianz des Indikators i
ıt 2 :
Varianz der Summer aller Indikatoren des Konstrukts
Formel 4.5:
Cronbachs Alpha
Quelle:
Cronbach 1951, S. 299, Streiner 2003, S. 101
Der Wertebereich von Cronbachs Alpha liegt zwischen Null und Eins. Je stärker sich die Werte Eins annähern, desto höher ist die Reliabilität. Cronbachs Alpha ist umso größer, je stärker die einzelnen Indikatoren eines Konstrukts korrelieren und je niedriger der Standardfehler ist (Anderson/Gerbing/Hunter 1987, S. 434). Ein hohes Cronbachs Alpha bedeutet, dass „ein wesentlicher Anteil der Varianz eines Indikators durch das zugrundeliegende Konstrukt erklärt wird“ (Homburg/Pflesser 2000, S. 420).
118
Empirische Untersuchung
Ein Kritikpunkt bei der Berechnung von Cronbachs Alpha ist, dass die Anzahl der Indikatoren einen wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung der Messskala hat (Malhotra/Birks 2006, S. 314), d.h. Cronbachs Alpha nimmt mit der Indikatorenanzahl zu. Cronbachs Alpha kann dann bei einer großen Anzahl an Indikatoren trotz geringer interner Konsistenz einen hohen Wert aufweisen (Cortina 1993, S. 101). Dieser Effekt ist allerdings, anders als häufig angenommen (Homburg/Giering 1996, S. 8), abhängig von der Korrelation des neu aufzunehmenden Indikators mit den ursprünglichen Indikatoren (Himme 2007, S. 379). Als akzeptabel wird ein Schwellenwert von 0,7 angesehen (Nunnally 1978, S. 245). Dieser Mindestwert ist jedoch umstritten. Deshalb werden teilweise Grenzwerte für Cronbachs Alpha je nach Anwendungszweck unterschieden. Peter (1999, S. 180) erachtet einen Wert von 0,4 bei zwei bis drei Indikatoren als sinnvoll. In der vorliegenden Untersuchung wird jedoch der konservativere Schwellenwert von 0,7 auch bei Konstrukten mit drei Indikatoren verwendet. Die Item-Skala-Korrelation (Item-to-Total Korrelation) untersucht ebenfalls eine Gruppe von Indikatoren, die dasselbe Konstrukt messen. Sie beschreibt die Korrelation zwischen einem Indikator und der Summe aller diesem Konstrukt zugehörigen Indikatoren (Bohrnstedt 1969, S. 543). Churchill (1979, S. 68) empfiehlt bei geringem Cronbachs Alpha, Indikatoren mit niedrigen Item-SkalaKorrelationen zu eliminieren. Lord und Novick (1974, S. 98) bemerken wiederum, dass bei der Berechnung der einfachen Item-Skala-Korrelation die Berücksichtigung des jeweils betrachteten Indikators bei der Summenbildung zu Verzerrungen führt. Sie schlagen die korrigierte Item-SkalaKorrelation vor, bei der der betreffende Indikator in die Summenbildung nicht einbezogen wird. Für die (korrigierte) Item-Skala-Korrelation gilt ein Grenzwert von mindestens 0,5 als zufrieden stellend (Zaichkowsky 1985, S. 343; Bearden/Netemeyer/Teel 1989, S. 475). Dieser Schwellenwert wird auch in der vorliegenden Untersuchung verwendet. Ein weiteres Reliabilitätsmaß ist die Indikatorreliabilität bzw. Kommunalität (Tenenhaus et al. 2005, S. 173). Sie zeigt den Anteil der durch das zugehörige Konstrukt erklärten Varianz eines einzelnen Indikators an der Gesamtvarianz dieses Indikators an (Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 73; Himme 2007, S. 380). Es geht also darum, wie gut ein Indikator die latente Variable misst. Die Indikatorreliabilität wird folgendermaßen berechnet (siehe Formel 4.6).
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
rel x i
119
O2ij I jj O2ij I jj T ii
mit: rel (xi): Reliabilität des Indikators xi ȟj:
latente Variable
Ȝij:
geschätzte Faktorladung zwischen dem Indikator xi und der latenten Variable ȟj
I jj :
geschätzte Varianz von ȟi
șii:
geschätzte Varianz von įi
įi:
Messfehler des Indikators xi
Formel 4.6:
Indikatorreliabilität
Quelle:
Bagozzi 1982, S. 156; Homburg/Giering 1996, S. 10
Für die Indikatorreliabilität wird ein Schwellenwert größer 0,5 als akzeptabel angesehen, weil dann mehr als fünfzig Prozent der Varianz eines Indikators auf das Konstrukt zurückzuführen sind (Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 73). Dies impliziert Faktorladungen größer als 0,7, weil erst dann die gemeinsame Varianz zwischen Konstrukt und Indikator größer ist als die Fehlervarianz (Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 727). Da sich die Indikatorreliabilität aus der Quadrierung der Faktorladung ergibt, ist es unverständlich, warum für die Indikatorreliabilität teilweise nur ein Mindestwert von 0,4 gefordert wird (Bagozzi/Baumgartner 1994, S. 402; Homburg/Baumgartner 1995, S. 170; Homburg/Rudolph 1998, S. 253). Dies würde bedeuten, dass sechzig Prozent der Varianz eines einzelnen Indikators nicht auf das Konstrukt, sondern auf den Messfehler zurückzuführen wären. Aus diesem Grund wird auch kritisch angemerkt, dass bei einer noch als akzeptabel angesehenen Indikatorreliabilität von 0,4 (Homburg/Giering 1996, S. 13) und gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer durchschnittlich erfassten Varianz von fünfzig Prozent einige Faktorladungen deutlich über 0,7 liegen müssen (Hildebrandt/Temme 2006, S. 14). Dies hängt, wie gesagt, damit zusammen, dass die Indikatorreliabilität einerseits gleich der quadrierten (standardisierten) Faktorladung ist (Homburg/Krohmer 2006, S. 366) und sich andererseits auf die durch das zugehörige Konstrukt erklärte Varianz eines einzelnen Indikators bezieht. Die durchschnittlich erfasste Varianz bildet also gewissermaßen den Durchschnitt über alle Indikatorreliabilitäten eines Konstrukts. Nach Prüfung der Reliabilität werden die eventuell reduzierten Skalen einer explorativen Faktorenanalyse unterzogen, die eine Gruppe von Indikatoren auf die ihnen zugrunde liegende Faktorenstruktur hin untersucht (Backhaus et al. 2006, S. 260). Die Zugehörigkeit eines Indikators zum Faktor wird durch die Faktorladungen angegeben. Die Faktorladungen stellen Korrelationen zwischen
120
Empirische Untersuchung
Faktoren und ihren Indikatoren dar (Backhaus et al. 2006, S. 266). Homburg und Giering (1996, S. 8) gehen beispielsweise von einem Mindestwert von 0,4 aus, was einer durch den Faktor erklärten Varianz des Indikators von 16 Prozent entspricht. Damit werden allerdings 84 Prozent der Gesamtvarianz des Indikators nicht durch den zugrunde liegenden Faktor erklärt. Aufgrund des geringen erklärten Varianzanteils bei einer Faktorladung von 0,4 wird für diese Untersuchung der in der Literatur üblichere Schwellenwert für die Faktorladung von größer 0,7 verwendet (Krafft/Götz/ Liehr-Gobbers 2005, S. 73). Mit Hilfe der Faktorreliabilität (composite reliability) und der durchschnittlich erfassten Varianz (average variance extracted) kann überprüft werden, wie gut ein Konstrukt durch die Gesamtheit der ihm zugeordneten Indikatoren gemessen wird. Die Faktorreliabilität ist ein Maß für die interne Konsistenz. Für die Faktorreliabilität wird ein Mindestwert von 0,6 gefordert (Bagozzi/Yi 1988, S. 82; Homburg/Baumgartner 1995, S. 170). Sie kann Werte zwischen Null und Eins annehmen. Die Faktorreliabilität kann zudem als ein Maß für die Konvergenzvalidität interpretiert werden (Fritz 1992, S. 136). Der Schwellenwert von 0,6 für die Faktorreliabilität wird auch in dieser Untersuchung verwendet. Die Faktorreliabilität wird wie folgt errechnet (siehe Formel 4.7). 2
rel [ j
§k · ¨ ¦ O ij ¸ I jj ©i 1 ¹ 2
k §k · ¨ ¦ O ij ¸ I jj ¦ T ii i 1 ©i 1 ¹
mit: rel (ȟi): Reliabilität der latenten Variable ȟi k:
Anzahl der Indikatoren
įi:
Messfehler des Indikators xi
ȟj:
latente Variable
Ȝij:
geschätzte Faktorladung zwischen xi und ȟj
I jj :
geschätzte Varianz von ȟi
șii:
geschätzte Varianz von įi
Formel 4.7:
Faktorreliabilität
Quelle:
Fornell/Larcker 1981, S. 45
Den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Diskriminanzvalidität bildet die durchschnittlich erfasste Varianz (identisch mit durchschnittlicher Kommunalität siehe Tenenhaus et al. 2005, S. 173), die durch die folgende Formel 4.8 berechnet wird.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
DEV [ j
121
k 2 ¦ O ij I jj i 1 k 2 k ¦ O ij I jj ¦ T ii i 1 i 1
mit: DEV (ȟi): durchschnittlich erfasste Varianz der latenten Variable ȟi k:
Anzahl der Indikatoren
įi:
Messfehler des Indikators xi
ȟj:
latente Variable
Ȝij:
geschätzte Faktorladung zwischen xi und ȟj
I jj :
geschätzte Varianz von ȟj
șii:
geschätzte Varianz von įi
Formel 4.8:
Durchschnittlich erfasste Varianz
Quelle:
Fornell/Larcker 1981, S. 46
In der Literatur wird ein Schwellenwert von 0,5 vorgeschlagen (Bagozzi/Yi 1988, S. 82; Homburg/Baumgartner 1995, S. 170). Dies hängt damit zusammen, dass eine durchschnittlich erfasste Varianz der latenten Variable von weniger als 0,5 bedeutet, dass mehr Varianz auf den Fehlerterm entfällt. Damit gilt sowohl die Validität der Indikatoren als auch die des Konstrukts als fragwürdig (Fornell/Larcker 1981, S. 46). Daher wird auch für diese Untersuchung ein Mindestwert von 0,5 gefordert. Ein vollständiger Validierungsprozess erfordert neben der Prüfung von Reliabilität auf Indikatorund Konstruktebene sowie der Konvergenzvalidität auch die Untersuchung der Diskriminanzvalidität. Die Diskriminanzvalidität wird mithilfe des Fornell-Larcker-Kriteriums geprüft4. Nach dem Fornell-Larcker-Kriterium liegt Diskriminanzvalidität vor, wenn die gemeinsame Varianz zwischen dem Konstrukt und seinen Indikatoren größer ist als die gemeinsame Varianz dieses Konstruktes mit anderen Konstrukten. Die durchschnittlich erfasste Varianz eines Konstrukts muss also größer sein als jede quadrierte Korrelation dieses Konstrukts mit einem anderen Konstrukt (Fornell/Larcker 1981, S. 46; Hulland 1999, S. 199).
4
In kovarianzbasierten Strukturgleichungsmodellen wird zur Überpüfung der Diskriminanzvalidität auch der Ȥ2Differenztest verwendet. Dabei wird getestet, ob die Annahme, dass die Indikatoren zweier Konstrukte dasselbe Konstrukt messen, zu einer signifikanten Verschlechterung des Modellfits führt (für eine ausführliche Darstellung zu diesem Test, siehe u.a. Jöreskog 1971b, S. 118; Jöreskog/Sörbom 1982, S. 408; Anderson/Gerbing 1988, S. 416).
122
Empirische Untersuchung
Für die Gütebeurteilung von formativen Messmodellen sind hingegen andere Gütekriterien relevant. Zunächst werden die formativen Messmodelle anhand eines Pretests überprüft. Die Teilnehmer dieses Pretests sollten aus der gleichen Grundgesamtheit wie die Teilnehmer der anschließenden Befragung stammen. In diesem Pretest werden den Teilnehmern zufällig angeordnete Indikatoren verschiedener Konstrukte vorgelegt. Sie werden gebeten, die Indikatoren den einzelnen Konstrukten zuzuordnen (Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 76). Nach Anderson und Gerbing (1991, S. 734) können so zwei Indizes auf Indikatorebene berechnet werden: der psa-Index und der csvIndex. Der psa-Index als Maß für die Eindeutigkeit der Zuordnung gibt das Ausmaß der Übereinstimmung zwischen der durch den Forscher im Vorhinein vermuteten und der tatsächlichen Zuordnung eines Indikators zum entsprechenden Konstrukt an. Er kann Werte zwischen Null und Eins annehmen. Größere Werte weisen auf ein höheres Maß an Übereinstimmung hin. Eggert (1999, S. 118) schlägt einen psa-Grenzwert von 0,75 vor, wonach 75 Prozent der Befragten den Indikator richtig zugeordnet haben (siehe Formel 4.9).
p sa
nc N
mit: nc:
Anzahl der Befragten mit der a priori als richtig angesehenen Zuordnung eines Indikators zum entsprechenden Konstrukt
N:
Anzahl aller Befragten
Formel 4.9:
psa-Index
Quelle:
Anderson/Gerbing 1991, S. 734
Der csv-Index als Maß für die inhaltliche Relevanz wird aus der Differenz der Anzahl der „richtigen“ und der am häufigsten genannten „falschen“ Zuordnung gebildet. Diese Differenz wird ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Befragten gesetzt (siehe Formel 4.10). Der csv-Index kann Werte im Bereich zwischen -1 und +1 annehmen. Hohe positive Werte deuten auf eine höhere inhaltliche Relevanz hin. Bei hohen negativen Werten kann davon ausgegangen werden, dass der betrachtete Indikator eine hohe inhaltliche Relevanz zu einem anderen als dem vorgesehenen Konstrukt aufweist. Für den csv-Index empfiehlt Eggert (1999, S. 118) einen Grenzwert von 0,5.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
c sv
123
nc no N
mit: nc:
Anzahl der Befragten mit der a priori als „richtig“ angesehenen Zuordnung eines Indikators zum entsprechenden Konstrukt
no :
Anzahl der Befragten mit der am häufigsten „falschen“ Zuordnung zu einem anderen als dem „richtigen“ Konstrukt
N:
Anzahl aller Befragten
Formel 4.10:
csv-Index
Quelle:
Anderson/Gerbing 1991, S. 734
Um die Relevanz eines Indikators zur Messung eines Konstrukts zu prüfen, werden die Gewichte aller berücksichtigten Indikatoren miteinander verglichen. So wird ermittelt, welcher Indikator am stärksten zur Konstruktbildung beiträgt. Die Indikatoren formativ spezifizierter Konstrukte können untereinander positiv, negativ oder nicht korreliert sein. Deshalb können die Gewichte nicht im Sinne von Faktorladungen interpretiert werden. Die Indikatoren mit geringen Gewichten dürfen deshalb auch nicht eliminiert werden, da sonst möglicherweise die inhaltlichen Facetten des Konstrukts verfälscht werden (Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 77 f.). Die Indikatoren sind nur dann zu eliminieren, wenn Multikollinearität vorliegt. Hohe Korrelationen zwischen formativen Indikatoren können zu verzerrten Parameterschätzungen führen, weil der Einfluss eines einzelnen Indikators im Messmodell dann nicht mehr isolierbar ist. Zur Prüfung von Multikollinearität kann insbesondere der Variance Inflation Factor (VIF) herangezogen werden. Der VIF ergibt sich aus dem Kehrwert der Toleranz und basiert auf dem Varianzanteil eines Indikators, den die übrigen Indikatoren eines Konstrukts erklären können. Der Minimalwert von VIF ist Eins, d.h. die betrachteten Indikatoren sind vollkommen unabhängig. VIF-Werte größer Eins geben an, um welchen Faktor sich die Varianzen der entsprechenden Indikatoren durch Multikollinearität vergrößern. Als Grenzwert schlagen Krafft, Götz und Liehr-Gobbers (2005, S. 79) einen VIF-Wert von maximal zehn vor. Diese drei gerade beschriebenen Gütekriterien stellen die gebräuchlichsten Kriterien zur Beurteilung von formativen Messmodellen dar. Weitere Gütekriterien finden sich bei Krafft, Götz und Liehr-Gobbers (2005, S. 79-83).
124
Empirische Untersuchung
4.1.3 Gütebeurteilung auf Strukturmodellebene Zur Prüfung eines Strukturmodells mittels des PLS-Schätzverfahrens werden nicht-parametrische Tests herangezogen (Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 83). Im Wesentlichen werden dabei erklärte Varianzanteile untersucht (Mathes 1993, S. 36-38; Chin 1998, S. 316-321). Als ein Gütekriterium gilt das Bestimmtheitsmaß (R2) der endogenen Konstrukte aus den Regressionen des Strukturmodells. Das R2 gibt den Anteil der erklärten Varianz der latenten Variable an (Panten/Boȕow-Thies 2007, S. 322). Das R2 ist eine normierte Größe und nimmt Werte zwischen Null und Eins an. Je höher der Anteil der erklärten Streuung der zugeordneten unabhängigen Variablen an der Gesamtstreuung ist, desto größer ist auch das R2. Chin (1998, S. 323) schätzt den Erklärungsbeitrag eines R2 von 0,67 als substanziell ein, während er bei Werten von 0,33 bzw. 0,19 von einem moderaten bzw. schwachen Beitrag ausgeht. Im Gegensatz dazu weisen Backhaus et al. (2006, S. 97) darauf hin, dass keine allgemein gültigen Aussagen darüber gemacht werden können, ab welcher Höhe ein R2 als gut einzuschätzen ist, da die Beurteilung von der Problemstellung abhängt. In der vorliegenden Untersuchung wird die von Chin (1998, S. 323) vorgeschlagene Beurteilung des R2 für varianzbasierte Strukturgleichungsmodelle zugrunde gelegt. Zusätzlich lässt sich untersuchen, ob ein exogenes Konstrukt eine substanzielle Wirkung auf ein endogenes Konstrukt ausübt. Diese Wirkung wird über eine Änderung im R2 des endogenen Konstrukts beurteilt und durch die Effektstärke f2 gemessen (Cohen 1988, S. 410-413; Chin 1998, S. 316 f.). Formel 4.11 gibt an, wie die Effektstärke f2 berechnet wird.
f2
2 2 R included R excluded 2 1 R included
Formel 4.11:
Effektstärke f2
Quelle:
Krafft/Götz/Liehr-Gobbers 2005, S. 84
Die Änderung im R2 des endogenen Konstrukts wird berechnet, in dem das Strukturmodell einmal
2 2 und einmal exklusive R excluded des betrachteten exogenen Konstrukts geschätzt inklusive R included
wird. f2-Werte von 0,02, 0,15 und 0,35 geben an, ob ein exogenes Konstrukt einen schwachen, moderaten oder starken Einfluss auf das endogene Konstrukt ausübt (Cohen 1988, S. 413; Chin 1998, S. 317).
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
125
Die Stärke der Wirkbeziehung zwischen Konstrukten kann durch die Pfadkoeffizienten ermittelt werden. Diese können als standardisierte Beta-Koeffizienten interpretiert werden. Bei der Überprüfung der Signifikanz der Pfadkoeffizienten wird auf das Bootstrapping-Verfahren (Bollen/Stine 1993; Wernecke 1993) zurückgegriffen, da eine Signifikanzprüfung im inferenzstatistischen Sinne Verteilungsannahmen erfordert. Über das Bootstrapping-Verfahren können t-Werte geschätzt werden (Chin 1998, S. 320). Bei der Resampling-Prozedur sollten genauso viele Bootstrap-Stichproben aus den Ausgangsdaten gezogen wie die originäre Stichprobe Fälle beinhaltet (Efron/Tibshirani 1993, S. 13). Dabei handelt es sich also um mehrmaliges zufälliges Ziehen mit Zurücklegen aus der vorhandenen Stichprobe. Diese wird als Grundgesamtheit interpretiert, aus der Unterstichproben (Samples) generiert werden, die alle dieselbe Zahl von Elementen wie die originäre Stichprobe enthalten. Aufgrund des Zurücklegens müssen jedoch nicht alle Elemente der ursprünglichen Stichprobe darin enthalten sein. Die Unterstichproben werden anschließend zusammengefasst und bilden eine Quasi-Grundgesamtheit. Auf Basis dieser können schließlich Signifikanzwerte berechnet werden (Herrmann/Huber/Kressmann 2006, S. 40). Das Strukturmodell wird dabei bei jeder Wiederholung neu geschätzt. Im Ergebnis führt dies zu einer empirischen Verteilung der Modellparameter. 4.1.4 Mediatoreffekte
Bei einer mediierten Wirkbeziehung wird der Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable teilweise oder vollständig durch eine oder mehrere Variablen, sog. Mediatoren (auch intervening oder process variable siehe Kenny/Kashy/Bolger 1998), vermittelt (Iacobucci/Saldanha/ Deng 2007, S. 139). Ein solcher Zusammenhang wird in Abbildung 4.4 dargestellt.
Mediator
a
unabhängige Variable
b
c
Abbildung 4.4:
Beispiel für einen mediierten Zusammenhang
Quelle:
In Anlehnung an Baron/Kenny 1986, S. 1176
abhängige Variable
126
Empirische Untersuchung
Eine Variable fungiert als Mediator, wenn erstens Veränderungen der unabhängigen Variable zu Veränderungen der Mediatorvariable führen (Pfad a), genauso wie zweitens eine Wirkbeziehung zwischen Mediatorvariable und abhängiger Variable (Pfad b) existieren muss (siehe Abbildung 4.4). Eine dritte Bedingung ist, dass der Pfad c signifikant kleiner ist, d.h. zwischen Null und dem Pfad c’ in einem Alternativmodell ohne Mediatorvariable liegt (Baron/Kenny 1986, S. 1176). Dieses Verständnis geht auf Baron und Kenny (1986) zurück und stellt die ursprüngliche Variante zur Prüfung eines Mediatoreffekts dar. Insgesamt können zwei Mediatoreffekte unterschieden werden: perfekt und partiell. Im Extremfall von perfekter Mediation existiert keine direkte Wirkbeziehung zwischen unabhängiger und abhängiger Variable. Der direkte Effekt zwischen unabhängiger und abhängiger Variable ist dann nicht signifikant von Null verschieden, so dass der geschätzte Pfadkoeffizient c nahe bei Null liegt. Von partieller Mediation wird gesprochen, wenn noch ein direkter Wirkzusammenhang zwischen unab-
hängiger und abhängiger Variable besteht, wobei allerdings die Stärke dieses Zusammenhangs kleiner ist. Pfad c ist danach signifikant kleiner als der entsprechende Pfad c’ in einem alternativen Modell, in dem der Mediator nicht berücksichtigt wird (Judd/Kenny 1981, S. 605; Kenny/Kashy/ Bolger 1998, S. 259; Shrout/Bolger 2002, S. 424; siehe auch Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 105). Bei partieller Mediation ist es auch möglich, dass der Pfad c und der indirekte Effekt a b unterschiedliche Vorzeichen haben. In diesem Fall wird von einem Suppressoreffekt gesprochen (Shrout/ Bolger 2002, S. 430-432). Anders als von Baron und Kenny (1986, S. 1177) ursprünglich vorgeschlagen, ist es nach Eggert, Fassott und Helm (2005, S. 105; siehe auch Iacobucci/Saldanha/Deng 2007, S. 141, Fn. 3) ausreichend, ein Strukturmodell zu berechnen und die Signifikanz des indirekten Effekts (Pfad a b ) nachzuweisen, wobei der direkte Effekt (Pfad c) mitmodelliert wird. Hierzu kann der von Sobel (1982; 1986) entwickelte z-Test für den indirekten Effekt der unabhängigen Variable über den Mediator auf die abhängige Variable angewendet werden. Hierbei lautet die Nullhypothese, dass kein indirekter Effekt besteht, also H 0 : a b berechnet.
0 . Die Testgröße z wird gemäß der folgenden Formel 4.12
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
z
127
ab b 2 s a2 a 2 s 2 b
mit: a:
Pfadkoeffizient zwischen unabhängiger Variable und Mediatorvariable
b:
Pfadkoeffizient zwischen Mediatorvariable und abhängiger Variable
sa:
Standardfehler des Pfadkoeffizienten a
sb:
Standardfehler des Pfadkoeffizienten b
Formel 4.12:
z-Wert
Quelle:
Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 106
Die Standardfehler sa und sb sind das Ergebnis der Bootstrapping-Prozedur im PLS-Schätzverfahren. Wenn der berechnete z-Wert größer als 1,96 ist, kann auf einem Signifikanzniveau von p kleiner 0,05 die Nullhypothese abgelehnt werden, nach der kein indirekter Effekt besteht (Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 105 f.). Nach dem Nachweis über einen vollständigen oder partiellen Mediatoreffekt sollte die Stärke seines Ausmaßes ermittelt werden. Hierzu kann die so genannte „variance accounted for“ (VAF) berechnet werden, wobei der indirekte Einfluss der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable ( a b ) ins Verhältnis zu ihrem Gesamteinfluss ( a b c ) gesetzt wird (Shrout/Bolger 2002, S. 434). Mit der folgenden Formel 4.13 wird VAF berechnet.
VAF
ab ab c
mit: a:
Pfadkoeffizient zwischen unabhängiger Variable und Mediatorvariable
b:
Pfadkoeffizient zwischen Mediatorvariable und abhängiger Variable
c:
Pfadkoeffizient zwischen unabhängiger und abhängiger Variable
Formel 4.13:
VAF-Wert
Quelle:
Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 106
VAF ist der prozentuale Anteil des Gesamteffekts, der durch den indirekten Effekt bedingt wird. Ein VAF-Wert von 0,5 bedeutet, dass fünfzig Prozent des Effekts der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable auf die Mediatorvariable zurückzuführen ist (Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 106). Bei perfekter Mediation ist der VAF-Wert gleich Eins.
128
Empirische Untersuchung
4.1.5 Moderatoreffekte
Im Gegensatz zu Mediatoren beeinflussen Moderatoren die Stärke des Zusammenhangs zwischen einer unabhängigen und einer abhängigen Variable. Baron und Kenny (1986, S. 1174) definieren eine Moderatorvariable als „a qualitative (e.g. sex, race, class) or quantitative (e.g. level of reward) variable that affects the direction and/or strength of the relation between an independent or predictor variable and a dependent or criterion variable”. Abbildung 4.5 zeigt einen solchen moderierten Zusammenhang.
Moderatorvariable
unabhängige Variable
Abbildung 4.5:
Beispiel für einen moderierten Zusammenhang
Quelle:
In Anlehnung an Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 104
abhängige Variable
Je nach Skalenniveau der Moderatorvariable gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Im Falle stetiger Moderatorvariablen werden Interaktionsterme gebildet (für einen detaillierten Überblick siehe Henseler/Fassott 2009), während bei diskreten (nominalen) Moderatoren eine Mehrgruppenanalyse (Chin 2000) durchgeführt wird. Jede stetige Moderatorvariable kann dabei auf eine Variable mit diskretem Skalenniveau reduziert werden. Beide Vorgehensweisen werden im Folgenden erklärt. Zur Analyse von Moderatoreffekten mit stetigen Moderatorvariablen werden insgesamt drei Pfade untersucht: Pfad a zwischen unabhängiger und abhängiger Variable, Pfad b zwischen Moderatorvariable und abhängiger Variable und Pfad c zwischen Interaktionsvariable und abhängiger Variable (siehe Abbildung 4.6). Die Moderatorhypothese wird bestätigt, wenn die Beziehung zwischen Interaktionsvariable und abhängiger Variable (Pfad c) signifikant ist. Für die Signifikanz des Interaktionseffekts ist es unerheblich, welche Ausprägungen die Pfadkoeffizienten der beiden anderen Pfade a und b haben.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
129
y1 y2
Unabhängige Variable
a
y3 z1 z2
Moderatorvariable
b
Abhängige Variable
z3
c y1 x z1 Unabhängige X Moderator y3 x z3
Abbildung 4.6:
Moderatoreffekt als Interaktionsvariable
Quelle:
In Anlehnung an Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 107
Bei der Bildung des Interaktionseffekts muss beachtet werden, ob die betrachteten Konstrukte reflektiv oder formativ spezifiziert sind, da sich daraus unterschiedliche Vorgehensweisen ergeben. Bei reflektiv spezifizierten Konstrukten werden die ursprünglichen Indikatoren der unabhängigen Variablen und der Moderatorvariablen zuerst standardisiert, wonach ein Mittelwert von Null und eine Varianz von Eins angenommen werden. Bei der Multiplikation der Indikatorwerte würde sich sonst ein Multikollinearitätsproblem ergeben. Zudem erleichtert die Standardisierung die Interpretation der Pfadkoeffizienten. Anschließend werden die Indikatoren der Interaktionsvariable gebildet, in dem die Indikatoren einer unabhängigen Variable und einer Moderatorvariable jeweils paarweise miteinander multipliziert werden (Götz/Liehr-Gobbers 2004, S. 725). Bei formativ spezifizierten Konstrukten ist eine paarweise Indikatormultiplikation von unabhängiger Variable und Moderatorvariable nicht möglich, weil bei formativen Indikatoren nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie das gleiche zugrunde liegende Konstrukt messen. Die Produktindikatoren zweier formativ spezifizierter Konstrukte werden aus diesem Grund auch nicht unbedingt den gleichen Interaktionseffekt messen (Chin/Marcolin/Newsted 2003, Appendix D, S. 11). Für die Bildung der Interaktionsvariablen werden die standardisierten Konstruktwerte auf Fallebene für die unabhängige Variable und die Moderatorvariable berechnet. Die Interaktionsvariable wird schließ-
130
Empirische Untersuchung
lich mit einem einzigen Indikator gebildet, der sich aus der Multiplikation der jeweiligen Konstrukte ergibt (Eggert/Fassott/Helm 2005, S. 108). Nachdem die Interaktionsvariable gebildet wurde, kann das Strukturgleichungsmodell geschätzt werden. Die Stärke des Interaktionseffekts kann anhand der Veränderung des Bestimmtheitsmaßes beurteilt werden, wenn neben der unabhängigen Variable und der Moderatorvariable auch die Interaktionsvariable zur Erklärung der Varianz der abhängigen Variable herangezogen wird. Dazu wird die Effektstärke f2 berechnet (siehe Formel 4.11). Bei diskreten Moderatorvariablen werden Mehrgruppenanalysen durchgeführt. Bei Mehrgruppenanalysen (Vorgehensweise bei kovarianzbasierten Strukturgleichungsanalyse siehe Jöreskog 1971a; Reinecke 1999, S. 95-100) werden die durch die Ausprägungen des Moderators gebildeten Untergruppen der gesamten Stichprobe jeweils paarweise miteinander verglichen. Die gesamte Stichprobe wird also entsprechend der Ausprägungen des Moderators in Teilgruppen aufgeteilt und das zugrunde liegende Strukturmodell wird für jede dieser Teilgruppen getrennt geschätzt. Rigdon, Schumacker und Wothke (1998, S. 1) sprechen hierbei von einem ‘multisample’ Ansatz, bei dem sich der Interaktionseffekt aus der Differenz der Pfadkoeffizienten ergibt, wenn das gleiche Strukturmodell auf unterschiedliche, aber verbundene Stichproben angewendet wird. Da bei der Verwendung der PLS-Methode keine vergleichbaren Verteilungsannahmen vorliegen, ist es nicht möglich, ein globales Gütemaß für alle Teilgruppen zu berechnen und die Pfadkoeffizienten beider Teilgruppen inferenzstatistisch zu vergleichen (Jöreskog 1971a). Aus diesem Grund schlägt Chin (2000) folgende Vorgehensweise vor. Das Haupteffektmodell wird zunächst für jede Teilstichprobe getrennt geschätzt. Dazu müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Erstens muss das für den Vergleich verwendete Haupteffektmodell akzeptable Gütewerte aufweisen. Zweitens sollten die Daten nicht zu sehr von einer Normalverteilung abweichen. Drittens dürfen sich die Messmodelle in den Teilgruppen nicht zu stark voneinander unterscheiden. Die Faktorladungen zwischen Indikatoren und zugehörigem Konstrukt sollten in beiden Teilgruppen etwa gleich hoch sein (Chin 2000). Daran anschließend wird untersucht, ob sich die Standardabweichungen der Pfadkoeffizienten in beiden Teilgruppen unterscheiden. Dazu werden die im Bootstrapping generierten Standardfehler verwendet. Zur Berechnung der Differenz der Pfadkoeffizienten in beiden Teilgruppen wird danach unterschieden, ob die Varianzen signifikant unterschiedlich sind. Bestehen keine signifikanten Unterschiede der Varianzen, wird die Differenz mit Hilfe der folgenden t-verteilten Teststatistik ermittelt (Chin 2000). Zur Berechnung der t-Statistik wird Formel 4.14 verwendet.
Methodische Grundlagen zur Strukturgleichungsanalyse
t
131
Path sample1 Path sample2
m 1
2
m n 2
2 s.e.sample 1
n 1 2
m n 2
2 s.e.sample 2
1 1 m n
~ tm+n-2
mit: Pathsample1:
Pfadkoeffizient der Teilstichprobe 1
Pathsample2:
Pfadkoeffizient der Teilstichprobe 2
m:
Zahl der Fälle in Teilstichprobe 1
n:
Zahl der Fälle in Teilstichprobe 2
s.e.sample1:
Standardfehler der Teilstichprobe 1
s.e.sample2:
Standardfehler der Teilstichprobe 2
Formel 4.14:
t-Statistik
Quelle:
Chin 2000
Der erste Wurzelterm im Nenner von Formel 4.14 ist der gepoolte Standardfehler. Sofern die Varianzen der Pfadkoeffizienten signifikant unterschiedlich sind, vereinfacht sich die t-Statistik folgendermaßen (siehe Formel 4.15).
t
Path sample1 Path sample2 2 2 s.e.sample 1 s.e.sample 2
mit: Pathsample1:
Pfadkoeffizient der Teilstichprobe 1
Pathsample2:
Pfadkoeffizient der Teilstichprobe 2
s.e.sample1:
Standardfehler der Teilstichprobe 1
s.e.sample2:
Standardfehler der Teilstichprobe 2
Formel 4.15:
vereinfachte t-Statistik
Quelle:
Chin 2000
Für kleinere Stichproben ist eine abgewandelte Berechnung der Freiheitsgrade notwendig (siehe Formel 4.16).
132
Empirische Untersuchung
s.e.
df
2 sample1
2 s.e.sample 2
2
2 2 § s.e.sample s.e.sample 1 2 ¨ ¨ m 1 n 1 ©
· ¸ ¸ ¹
2
mit: df:
Freiheitsgrad
s.e.sample1:
Standardfehler der Teilstichprobe 1
s.e.sample2:
Standardfehler der Teilstichprobe 2
m:
Zahl der Fälle in Teilstichprobe 1
n:
Zahl der Fälle in Teilstichprobe 2
Formel 4.16:
Berechnung der Freiheitsgrade bei kleineren Stichproben
Quelle:
Chin 2000
Im folgenden Abschnitt 4.2 wird nun die Datenerhebung für die anschließende empirische Untersuchung beschrieben. 4.2
Datenerhebung
Die Datenerhebung gliedert sich in zwei Abschnitte. Zunächst werden die Merkmale der Stichprobe erläutert (siehe Abschnitt 4.2.1), bevor im Detail auf das verwendete Erhebungsinstrument eingegangen wird (siehe Abschnitt 4.2.2). 4.2.1 Stichprobe
Zunächst werden die Grundgesamtheit und die Stichprobenmerkmale festgelegt (siehe Abschnitt 4.2.1.1). Im darauf folgenden Abschnitt 4.2.1.2 wird die Datengrundlage ausführlich vorgestellt. Mit der Prüfung der Repräsentativität der Stichprobe für die Grundgesamtheit beschäftigt sich Abschnitt 4.2.1.3, während Abschnitt 4.1.2.4 die Prüfung systematischer Unterschiede zwischen antwortenden und nicht-antwortenden Unternehmen beinhaltet. Der Abschnitt 4.2.1.5 umfasst deskriptive Auswertungen zur Stichprobenzusammensetzung. 4.2.1.1 Festlegung der Grundgesamtheit und der Stichprobenmerkmale
Die Festlegung der Grundgesamtheit ist die Grundlage jeder Datenerhebung. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, branchenübergreifende und damit generalisierbare Aussagen für die Bedeutung des Lieferantenstatus im B-to-B Kontext abzuleiten. Aus diesem Grund ist eine Querschnittsanalyse nötig. Die für diese Arbeit relevante abhängige Variable ist der Kundenanteil. Eine Auswertung empirischer Studien zum Kundenanteil im B-to-B Kontext (siehe Anhang 1) zeigt je-
Datenerhebung
133
doch, dass nur fünf von insgesamt 25 Untersuchungen5 eine Querschnittsanalyse zugrunde liegt (siehe z.B. Walter/Gemünden 2000; Palmatier et al. 2007). Die übrigen Studien sind auf einzelne Industrien beschränkt. Insgesamt fünf Untersuchungen stammen aus dem Bereich Finanzdienstleistungen (siehe z.B. Keiningham/Perkins-Munn/Evans 2003; Liu/Leach/Bernhardt 2005). Jeweils drei Studien können dem Bereich Pharma (siehe z.B. Ahearne/Gruen/Jarvis 1999; Ahearne/Jelinek/ Jones 2007) und dem Bereich Informationstechnologie (siehe z.B. Reinartz/Thomas/Kumar 2005; Bolton/Lemon/Verhoef 2008) zugeordnet werden. Zwei Studien konzentrieren sich auf LkwHersteller (siehe z.B. Keiningham et al. 2005a). Die restlichen Studien verteilen sich auf unterschiedliche Branchen: Metall (Bowman/Narayandas 2004), Chemie (Stump 1995), Elektronik (Wind 1970), Fischexport (Helgesen 2006), Büromöbel (Gassenheimer/Calantone/Scully 1995), Telekommunikation (Rundle-Thiele/Mackay 2001) und Logistikdienstleistungen (Doorn/Verhoef 2008). Durch die Beschränkung auf einzelne Industrien kann jedoch kaum eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse gewährleistet werden. Ein Drittel dieser empirischen Studien ist nicht nur auf eine Branche, sondern gleichzeitig auch auf die Kunden eines einzelnen Anbieterunternehmens beschränkt. Dieses Vorgehen wird vor allem im Bereich Finanzdienstleistungen gewählt wird. Vorteilhaft ist dabei, dass so zumindest schon Daten zu den Einkäufen des Kunden beim entsprechenden Unternehmen über einen längeren Zeitraum verfügbar sind. Da eine Auswahl aller existierenden Branchen in der Grundgesamtheit für die Querschnittsanalyse eine zu große Stichprobe erforderlich machen würde, werden für die empirische Studie einige Branchen ausgewählt. Bei der Auswahl der Branchen wird sowohl auf die gesamtwirtschaftliche Bedeutung geachtet als auch darauf, dass es sich bei dem eingekauften Zulieferprodukt um ein Bauteil handelt, das Bestandteil des Endprodukts des Kundenunternehmens wird. Aus diesem Grund werden insbesondere Original Equipment Manufacturer (OEM) kontaktiert, die das vom Lieferanten eingekaufte Produkt als Bestandteil in ihr neu produziertes Produkt integrieren (Homburg/Krohmer 2006, S. 1055). Damit geht einher, dass sich diese Untersuchung nach der Klassifikation von Geschäftstypen im Industriegütermarketing (Backhaus 1993, S. 101; Homburg/Krohmer 2006, S. 1064) auf Geschäftsbeziehungen im Zuliefergeschäft konzentriert. Das Zuliefergeschäft ist von längerfristigen Geschäftsbeziehungen geprägt, in denen meist vom Lieferanten speziell für einen bestimmten Kunden maßgeschneiderte Leistungen entwickelt werden. Im Zuliefergeschäft entwickeln Lieferanten und Kunden häufig gemeinsam neue Produkttechnologien, so dass sie für die Dauer des Produktlebenszyklus aneinander gebunden sind (Homburg/Krohmer 2006, S. 1066).
5
Veröffentlichungen mit mehreren von den Autoren getrennt ausgewerteten Stichproben (Rundle-Thiele/Mackay 2001; Keiningham et al. 2005a; Perkins-Munn et al. 2005) werden einzeln gezählt.
134
Empirische Untersuchung
Fisher, Ramdas und Ulrich (1999, S. 300) unterscheiden zwei Formen von Bauteilen: Bauteile, die einen starken bzw. einen schwachen Einfluss auf die Qualität des Kundenproduktes haben. Als Beispiele für Bauteile aus dem Automobilbereich mit starkem Einfluss auf die Produktqualität beziehen sie sich auf Audiosysteme, Kotflügel oder Autobatterien. Entsprechend dieser Charakterisierung werden die Probanden gebeten, ausschließlich Bauteile auszuwählen, die einen starken Einfluss auf die Qualität des eigenen Endproduktes haben. In der vorliegenden Untersuchung werden gemäß der NACE (Code Nomenclature of economic activities)-Einteilung Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes (D) berücksichtigt, um zu gewährleisten, dass die Probanden bei der Wahl des Zulieferprodukts ausschließlich auf Bauteile zurückgreifen. In dieser Studie werden schließlich folgende Branchen berücksichtigt: Herstellung von chemischen Erzeugnissen (24), Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren (25), Metallerzeugung und bearbeitung (27), Maschinenbau (29), Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, verteilung u.Ä. (31), Rundfunk- und Nachrichtentechnik (32), Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik (33), Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (34), Sonstiger Fahrzeugbau (35), Herstellung von Möbeln, Sportgeräten und Spielwaren (36) (Statistisches Bundesamt 2003, S. 169-311). Die Zahlen in Klammern geben jeweils die entsprechende NACE-Kodierung an. Neben der Auswahl bestimmter Wirtschaftszweige wird ebenfalls eine Einschränkung bezüglich der Größe der Unternehmen nach Umsatz und/oder Mitarbeiterzahl vorgenommen. Gemäß der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 zur Definition von Kleinstunternehmen sowie kleineren und mittleren Unternehmen (2003/361/EG) (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003, S. 39) werden Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz bzw. einer Bilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro ausgeschlossen. Sofern eines der beiden Merkmale erfüllt ist, wird das Unternehmen als Kleinstunternehmen klassifiziert und nicht weiter berücksichtigt. Diese Vorgehensweise liegt darin begründet, dass als Ansprechpartner nur Personen in Frage kommen, die ausschließlich auf den Einkauf von Bauteilen spezialisiert sind. Das ist bei solchen Kleinstunternehmen nicht durchgängig gewährleistet, da dort Mitarbeiter typischerweise mehrere Funktionen innehaben. 4.2.1.2 Datengrundlage
Die Datenerhebung fand in Deutschland im Zeitraum vom 25. Mai bis 8. Juli 2007 statt. Aus der Hoppenstedt Firmendatenbank für Hochschulen wurden zufällig 2.322 Unternehmen telefonisch kontaktiert und um ihre Teilnahme an der Untersuchung gebeten. Bei der Auswahl der Unterneh-
Datenerhebung
135
men werden die vorher erwähnten Restriktionen bezüglich Umsatz oder Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl berücksichtigt. Da es in dieser Arbeit um die Beurteilung von Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten geht, ist die Kundenperspektive entscheidend. Als Schlüsselinformanten von organisationalen Kunden kommen also nur Personen in Frage, die eine Geschäftsbeziehung zu einem Lieferanten aus der Perspektive des Kunden bewerten können. Bei der Identifikation kompetenter Ansprechpartner in Kundenunternehmen ist es also entscheidend, dass diese bestehende Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten umfangreich einschätzen und beurteilen können. Für solche Aussagen sind insbesondere Einkaufsmanager bzw. Lieferantenmanager geeignet (für eine Diskussion des Schlüsselinformanten-Designs siehe Phillips 1981; John/Reve 1982; Kumar/Stern/Anderson 1993). Die Kompetenz der Befragten bezüglich ihrer Einschätzung der Lieferantenbeziehungen wird in Anlehnung an Doney und Cannon (1997, S. 42) geprüft. Dazu werden die Probanden auf einer 7er-Likertskala von 1 = „stimme vollkommen zu“ bis 7 = „stimme gar nicht zu“ um eine Beurteilung gebeten, (1) wie stark sie in die Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten involviert sind ( x = 5,86, s = 1,33), (2) welchen Einfluss sie auf Einkaufsentscheidungen haben, die den Lieferanten betreffen ( x = 5,98, s = 1,35) und (3) wie gut sich mit dem Lieferanten insgesamt auskennen ( x = 5,91, s = 1,08). Die Kompetenzaussagen liegen im Durchschnitt bei einem Wert von knapp sechs, so dass davon ausgegangen werden kann, dass alle Befragten als kompetent gelten. Die Befragten verfügen durchschnittlich über insgesamt 13,4 Jahre Erfahrung im Bereich Einkauf und davon über 10,8 Jahre bei ihrem aktuellen Arbeitgeber. In den meisten Firmenprofilen aus der Hoppenstedt Firmendatenbank für Hochschulen wird der Einkaufsleiter namentlich erwähnt. Die zentrale Telefonnummer des Unternehmens wird angerufen und um eine Weiterleitung an den Einkaufsleiter gebeten. Sofern sich der Befragte bereit erklärt, an der Untersuchung teilzunehmen, wird seine Emailadresse notiert. Anschließend wird ihm per Email ein Link zum Fragebogen gesendet. Um den Befragten eine Alternative zum Ausfüllen des Fragebogens online zu bieten, wird der Fragebogen in der Email ebenfalls als Datei angehängt. Somit kann der Fragebogen auch per Fax zurückgeschickt werden. Nach dem telefonischen Erstkontakt sind 1.151 Einkaufsverantwortliche einverstanden, an der Befragung teilzunehmen. Zwei Wochen nach dem Erstkontakt wird jeweils eine Erinnerungsemail an die Befragten versandt. Die Stichprobe umfasst letztlich 317 vollständig ausgefüllte Fragebögen. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 27,5 Prozent.
136
Empirische Untersuchung
4.2.1.3 Prüfung der Repräsentativität der Stichprobe
Mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests (Goodness-of-Fit-Tests) wird überprüft, ob die Stichprobe repräsentativ für die Grundgesamtheit ist (Aaker/Kumar/Day 2003, S. 460). Dazu wird auf die Einteilung von Betrieben nach Beschäftigtenklassen im verarbeitenden Gewerbe des Statistischen Bundesamts (2006, S. 370) zurückgegriffen. Zur Berechnung wird folgende Formel 4.17 verwendet.
F2
k
O i E i 2
i 1
Ei
¦
, wobei E i
pi n
mit: Oi:
beobachtete Werte in Zelle i in der Stichprobe
Ei:
erwartete Werte in Zelle i unter Unabhängigkeit in der Grundgesamtheit
k:
Anzahl der Kategorien
Formel 4.17:
Ȥ2-Wert
Quelle:
Aaker/Kumar/Day 2007, S. 461
Ei wird aus dem Produkt des prozentualen Anteils einer Kategorie ki in der Grundgesamtheit pi und der Stichprobegröße n berechnet. In diesem Fall gibt es drei Kategorien für die Beschäftigungsklassen: klein, mittel und groß. Der empirische Ȥ2-Wert beträgt 5,14 und ist bei Freiheitsgraden von df = 2 und Į = 0,05 kleiner als der tabellarische Ȥ2-Wert, d.h. die Stichprobe ist bezüglich der Beschäftigungsklassen repräsentativ für die Grundgesamtheit. 4.2.1.4 Prüfung systematischer Unterschiede
Schließlich wird untersucht, ob systematische Unterschiede zwischen den in der Stichprobe enthaltenen Unternehmen und denjenigen Unternehmen vorliegen, die nicht geantwortet haben. Als Weiterentwicklung der von Armstrong und Overton (1977) vorgeschlagenen Methode wird die Empfehlung von Mentzer, Flint und Hult (2001) zum Nonresponse Bias (Verzerrung durch NichtAntwortende) übernommen. Bei der Methode von Armstrong und Overton (1977) werden Unternehmen miteinander verglichen, die sofort geantwortet haben und die zu einem späten Zeitpunkt geantwortet haben. Dabei wird davon ausgegangen, dass Unternehmen, die gar nicht geantwortet haben, in ähnlicher Weise antworten würden, wie solche, die den Fragebogen spät zurückgeschickt haben. Es gibt allerdings keine Erklärung dafür, warum die Aussagen von Spät-Antwortenden mit den Aussagen von Nicht-Antwortenden identisch sein sollen. Entsprechend der Vorgehensweise von Mentzer, Flint und Hult (2001, S. 88) werden stattdessen 31 zufällig ausgewählte, bisher nicht antwortende Schlüsselinformanten telefonisch zu den Schlüsselkonstrukten befragt. Sie werden
Datenerhebung
137
gebeten, die Aussagen zum Beziehungswert aus Kundensicht für ihren Hauptlieferanten zu beantworten. Als Hintergrundinformationen werden das eingekaufte Bauteil, das dazugehörige Endprodukt des Kunden sowie die Anzahl der Lieferanten und ihr Anteil am Beschaffungsvolumen erfragt. Um einen Nonresponse Bias ausschließen zu können, wird zunächst ein Mittelwertvergleich für unabhängige Stichproben durchgeführt. Dazu werden die Mittelwerte beider Stichproben, Antwortende versus Nicht-Antwortende, für die vier Indikatoren des Beziehungswerts aus Kundensicht berechnet (siehe Tabelle 4.2). Ein Wert gleich oder kleiner als 0,05 für die Signifikanz bedeutet, dass ein signifikanter Unterschied zwischen den Mittelwerten besteht. Indikatorbezeichnung
Stichprobe
Mittelwert
Signifikanz
Cohens d
Beziehungswert1
Antwortende
5,97
0,355
0,23
Nicht-Antwortende
5,74 0,052
0,49
0,956
0,02
0,246
0,29
Beziehungswert2 Beziehungswert3 Beziehungswert4
Tabelle 4.2:
Antwortende
6,03
Nicht-Antwortende
5,50
Antwortende
5,52
Nicht-Antwortende
5,50
Antwortende
5,90
Nicht-Antwortende
5,62
Ergebnisse zum Mittelwertvergleich und Cohens d
Um festzustellen, wie stark die Unterschiede zwischen den Stichproben sind, wird eine Effektgröße berechnet. Dabei wird die Effektgröße als Statistik definiert, „that quantifies the degree to which sample results diverge from the expectations (e.g., no difference in group medians, no relationship between two variables) specified in the null hypothesis” (Vacha-Haase/Thompson 2004, S. 473). Die Nullhypothese lautet, dass es keinen Unterschied zwischen den beiden Stichproben der Antwortenden und Nicht-Antwortenden gibt. Kotrlik und Williams (2003, S. 4) schlagen Cohens d als Effektgröße für t-Tests bei unabhängigen Stichproben vor (siehe auch Henson 2006, S. 621). Zur Berechnung von Cohens d wird Formel 4.18 verwendet. Im Nenner wird dabei die gepoolte Standardabweichung angegeben.
138
Empirische Untersuchung
Cohens d
>n
x1 x 2 1 s1 n 2 1 s 2 >n 1 1 n 2 1 @ 2
1
2
@
mit:
x 1 : Mittelwert Stichprobe 1 x 2 : Mittelwert Stichprobe 2 n1 :
Größe der Stichprobe 1
n2 :
Größe der Stichprobe 2
s1:
Standardabweichung Stichprobe 1
s2:
Standardabweichung Stichprobe 2
Formel 4.18:
Cohens d
Quelle:
Kotrlik und Williams 2003, S. 4
Die Ergebnisse zu Cohens d sind ebenfalls in Tabelle 4.3 aufgeführt. Cohens d gibt dabei die standardisierte Mittelwertdifferenz an (Machill/Köhler/Waldhause 2006, S. 492). Cohen (1988, S. 2527) schlägt zur Beurteilung von Cohens d folgende Einteilung vor: 0,2, 0,5 und 0,8 für einen kleinen, mittleren und großen Effekt (siehe auch Kotrlik/Williams 2003, S. 5). Cohens d liegt für den Indikator „Beziehungswert2“ bei 0,49, wonach von einem mittleren Unterschied gesprochen werden kann. Für die restlichen Indikatoren kann der Unterschied als klein bewertet werden (für eine Diskussion potenzieller Probleme bei der Interpretation dieser Einteilung siehe z.B. Kline 2004, S. 132-136). Insgesamt betrachtet kann aber davon ausgegangen werden, dass kein Nonresponse Bias vorliegt. 4.2.1.5 Deskriptive Auswertungen zur Stichprobenzusammensetzung
Die deskriptiven Auswertungen umfassen zum einen die Branchenverteilung in der Stichprobe (siehe Abschnitt 4.2.1.5.1) und zum anderen Auswertungen zur Dauer der betrachteten Geschäftsbeziehung zwischen verschiedenen Bezugsobjekten (siehe Abschnitt 4.2.1.5.2). Dabei wird zwischen der Geschäftsbeziehung zwischen Kundenunternehmen und Lieferunternehmen, der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Lieferunternehmen und der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Vertriebsmitarbeiter unterschieden.
4.2.1.5.1 Branchenverteilung
Die ausgewählten Branchen sind in dieser Stichprobe folgendermaßen verteilt. Den prozentualen Anteil der untersuchten Branchen in der Stichprobe zeigt Abbildung 4.7.
Datenerhebung
139
Branchenbezeichnung 19%
Maschinenbau
13%
Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung Herstellung von Möbeln
12%
Rundfunk- und Nachrichtentechnik
9%
Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren
9%
Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik
8%
Herstellung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen
7%
Herstellung von optischen Instrumenten
7%
Metallerzeugung und -bearbeitung
6%
Sonstige Branchen
12% 5%
10%
15%
20%
Prozentualer Anteil der Branche in der Stichprobe n = 317 Abbildung 4.7:
Branchenverteilung in der Stichprobe
Die Unternehmen der Branche Maschinenbau sind mit 19 Prozent am stärksten in der Stichprobe vertreten. An zweiter Stelle folgen mit 13 Prozent Unternehmen, die Geräte der Elektrizitätserzeugung und -verteilung herstellen. Mit 12 Prozent sind Unternehmen der Möbelindustrie in der Stichprobe vorhanden. Insgesamt sind die Unternehmen relevanter Branchen relativ gleichmäßig verteilt. Der prozentuale Anteil der anderen Branchen liegt zwischen 6 und 12 Prozent. Zu den sonstigen Branchen zählen Unternehmen des Glas-, Verlags- und Druckgewerbes sowie der chemischen Industrie.
4.2.1.5.2 Dauer der betrachteten Geschäftsbeziehung
Zur Beurteilung der Geschäftsbeziehung werden die Probanden um eine Angabe auf drei verschiedenen Ebenen gebeten. Zunächst wird nach der Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Kundenunternehmen und Lieferunternehmen gefragt (siehe Abbildung 4.8). 36 Prozent der Geschäftsbeziehungen dauern zwischen einem Jahr und fünf Jahren. Mit dreißig Prozent folgen Geschäftsbeziehungen, die zwischen sechs und zehn Jahren dauern. Immerhin noch 18 Prozent erstrecken sich über einen Zeitraum von 11 bis 15 Jahren.
140
Empirische Untersuchung
Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Kunden- und Lieferunternehmen mehr als 30 Jahre 26 - 30 Jahre
3% 1%
21 - 25 Jahre
3%
16 - 20 Jahre
6% 18%
11 - 15 Jahre 6 - 10 Jahre
30%
1 - 5 Jahre weniger als 1 Jahr
36% 1% 10%
30%
40%
Prozentualer Anteil der Kategorie in der Stichprobe
n = 312, k.A. = 5 Abbildung 4.8:
20%
Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Kunden- und Lieferunternehmen
In einem zweiten Schritt werden die Probanden danach befragt, seit wie vielen Jahren sie persönlich im Kontakt mit dem Lieferunternehmen stehen (siehe Abbildung 4.9). Die Hälfte der Einkäufer arbeitet zwischen einem Jahr und fünf Jahren mit dem Lieferunternehmen zusammen. Bei 27 Prozent dauert die Geschäftsbeziehung schon zwischen sechs und zehn Jahren. Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Lieferunternehmen mehr als 30 Jahre
0,3%
26 - 30 Jahre
0,6%
21 - 25 Jahre
0%
16 - 20 Jahre
3%
11 - 15 Jahre
14%
6 - 10 Jahre
27%
1 - 5 Jahre weniger als 1 Jahr
50% 6%
10% n = 309, k.A. = 8 Abbildung 4.9:
20%
30%
40%
50%
60%
Prozentualer Anteil der Kategorie in der Stichprobe Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Lieferunternehmen
Datenerhebung
141
In einem letzten Schritt werden die Einkäufer gefragt, seit wie vielen Jahren sie persönlich im Kontakt mit dem derzeitigen Vertriebsmitarbeiter des Lieferanten stehen (siehe Abbildung 4.10). Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Einkäufer arbeitet zwischen einem Jahr und fünf Jahren mit dem derzeitigen Vertriebsmitarbeiter zusammen. Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Vertriebsmitarbeiter mehr als 30 Jahre
0,3%
26 - 30 Jahre
0%
21 - 25 Jahre
0%
16 - 20 Jahre 11 - 15 Jahre
2% 8%
6 - 10 Jahre
26%
1 - 5 Jahre weniger als 1 Jahr
58% 9%
10%
30%
40%
50%
60%
Prozentualer Anteil der Kategorie in der Stichprobe
n = 109, k.A. = 7 Abbildung 4.10:
20%
Dauer der Geschäftsbeziehung zwischen Einkäufer und Vertriebsmitarbeiter
Mit den deskriptiven Auswertungen zur Dauer der betrachteten Geschäftsbeziehung zwischen einem Kunden und einem Lieferanten endet die Beschreibung der Datenerhebung. Im Folgenden wird nun das Erhebungsinstrument vorgestellt. 4.2.2 Erhebungsinstrument
Im Abschnitt 4.2.2.1 wird der Aufbau des Fragebogens beschrieben. Darauf aufbauend wird im nächsten Abschnitt 4.2.2.2 auf die Operationalisierung der relevanten Variablen im Fragebogen eingegangen. Im Abschnitt 4.2.2.3 werden die durchgeführten Pretests zum Fragebogen erläutert. 4.2.2.1 Aufbau des Fragebogens
Der Fragebogen gliedert sich in insgesamt drei Abschnitte. Der erste Teil beginnt mit der Angabe eines spezifischen Bauteils durch den Einkäufer. Eine Bedingung für die Auswahl eines geeigneten Bauteils ist, dass dieses im abgelaufenen Kalenderjahr 2006 von mindestens zwei Lieferanten eingekauft worden ist. Entsprechend der ABC-Analyse dürfen nur als A-Teile oder B-Teile kategori-
142
Empirische Untersuchung
sierte Bauteile berücksichtigt werden, um zu gewährleisten, dass das Bauteil für den Kunden von hinreichender Bedeutung ist. Anschließend werden die Einkäufer gebeten, das zum ausgewählten Bauteil dazugehörige Endprodukt anzugeben. Die Einkäufer werden ebenfalls gefragt, von wie vielen Lieferanten sie dieses Bauteil im Kalenderjahr 2006 eingekauft haben. Anschließend werden sie danach gefragt, wie sie das Beschaffungsvolumen für das ausgewählte Bauteil, gemessen in Stückzahlen, im Kalenderjahr 2006 auf die Lieferanten aufgeteilt haben. Die Anteile der einzelnen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden werden in Prozent angegeben und müssen sich zu hundert Prozent aufaddieren. Zusätzlich zur Aufteilung des Beschaffungsvolumens auf die einzelnen Lieferanten werden die Einkäufer auch danach gefragt, ob es bei diesem Bauteil grundsätzlich möglich ist, dass ein einziger Hauptlieferant das gesamte Beschaffungsvolumen auf sich vereinen kann. Dabei geht es um eine mögliche Obergrenze für den maximalen Anteil eines Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden. Im Online-Fragebogen wird im Anschluss daran zufällig der Hauptlieferant oder ein Nebenlieferant ausgewählt, dessen Geschäftsbeziehung der Einkäufer anschließend beurteilt. Beim Versenden des Fragebogens als Email-Anhang wird im Wechsel ein Fragebogen zum Hauptlieferanten und beim nächsten Mal ein Fragebogen zu einem Nebenlieferanten angehängt. Der zweite Teil bezieht sich auf die Einflussgrößen des Kundenanteils. Dazu schätzen die Einkäufer zunächst den Zuliefermarkt für das ausgewählte Bauteil ein. Anschließend werden sie zur aktuellen Einkaufssituation für dieses Bauteil befragt. Zum Abschluss dieses Teils beurteilen sie die Geschäftsbeziehung mit einem ausgewählten Lieferanten. Sie schätzen beispielsweise ihre Zufriedenheit mit der Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten ein und beurteilen den Wert, den diese Geschäftsbeziehung ihnen bietet. Im dritten Teil wird um Angaben zur Person des befragten Einkäufers gebeten. Dieser dritte Teil beginnt mit der Angabe der aktuellen Position des Befragten. Darauf aufbauend wird nach seiner Berufserfahrung im Einkauf gefragt. Schließlich soll er selbst beurteilen, ob er ein kompetenter Ansprechpartner für die Einschätzung der Geschäftsbeziehungen mit dem Hauptlieferanten oder mit einem Nebenlieferanten ist. Zum Schluss werden noch einige Angaben zum Unternehmen erfragt: Branche, Umsatzvolumen und Vollzeit-Mitarbeiter im Kalenderjahr 2006. Der Fragebogen endet mit der Frage, ob die Teilnehmer einen Ergebnisbericht wünschen. 4.2.2.2 Operationalisierung der Konstrukte
Im Abschnitt 4.2.2.2.1 wird der Kundenanteil als abhängige Variable operationalisiert. Im Abschnitt 4.2.2.2.2 wird die Operationalisierung der unabhängigen Variablen vorgestellt. Dazu zählen
Datenerhebung
143
der Beziehungswert aus Kundensicht, die Abhängigkeit, die Kundenzufriedenheit, die Suche nach Alternativen sowie der Lieferantenstatus.
4.2.2.2.1 Abhängige Variable
Bei der Messung des Kundenanteils gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten, wobei grundsätzlich drei Formen unterschieden werden können: objektiv, eine Kombination aus objektiver und subjektiver Messung sowie subjektiv. Eine umfassende Übersicht des Messung des Kundenanteils findet sich für alle Studien sowohl aus dem B-to-C Kontext als auch aus dem B-to-B Kontext nach Erstautoren in alphabetischer Reihenfolge sortiert im Anhang 1. Eine objektive Messung des Kundenanteils ist im B-to-B Kontext eher selten. Eine Ausnahme bilden zwei Untersuchungen (Ahearne/Gruen/Jarvis 1999; Ahearne/Jelinek/Jones 2007), die auf eine unternehmensübergreifende Datenbank zu verschreibungspflichtigen Medikamenten in den Vereinigten Staaten zurückgreifen. Dort werden alle Verschreibungen solcher Medikamente durch Mediziner dokumentiert. Eine weitere Untersuchung von Wind (1970) verwendet die Einkaufsdaten eines Kunden und ermittelt so objektive Kundenanteile für die einzelnen Lieferanten. Dagegen ist eine objektive Messung des Kundenanteils im B-to-C Kontext aufgrund von Konsumentenpanels oder Haushaltsprotokollen verbreiteter. Eine Kombination aus objektiver und subjektiver Messung des Kundenanteils ist im B-to-B Kontext ebenfalls eher selten. Die Ausgaben des Kunden in einer bestimmten Produktkategorie beim betrachteten Anbieter können der Kundendatenbank dieses Anbieters entnommen werden und sind daher als objektiv zu bezeichnen. Die Ausgaben des Kunden in einer bestimmten Produktkategorie bei allen Anbietern werden beim Kunden erfragt, so dass die Erhebung der gesamten Ausgaben eines Kunden subjektiv ist. Im B-to-B Kontext finden sich insgesamt drei Untersuchungen (Reinartz/Thomas/Kumar 2005; Helgesen 2006; Bolton/Lemon/Verhoef 2008), die den Kundenanteil in dieser Art und Weise messen. Im B-to-C Kontext sind es zwei Studien (Verhoef 2001; 2003). Im B-to-B Kontext überwiegt die subjektive Messung des aktuellen Kundenanteils anhand einer Prozentzahl durch Angabe des Befragten. Die Untersuchung von Palmatier et al. (2007) im B-to-B Kontext nimmt bei den Studien mit subjektiver Messung des Kundenanteils eine Sonderstellung ein, weil zusätzlich zum aktuellen Kundenanteil auch der zukünftige Kundenanteil in drei Jahren vom Kunden eingeschätzt wird. Jeweils knapp die Hälfte aller Untersuchungen im B-to-B Kontext verwendet eine solche Art der Messung. Vereinzelt wird im B-to-B Kontext bei einer subjektiven Messung des Kundenanteils auch ein Ranking anstatt einer Prozentzahl verwendet. Für alle Anbie-
144
Empirische Untersuchung
ter wird dann eine Rangfolge gebildet, wonach der Anbieter mit dem höchsten Kundenanteil eine Eins erhält. Der Anbieter mit dem zweithöchsten Anteil nimmt Rang zwei ein usw. Diese Form der Messung findet sich bei insgesamt fünf Untersuchungen (Gassenheimer/Calantone/Scully 1995; Bowman/Farley/Schmittlein 2000; Keiningham/Perkins-Munn/Evans 2003; Keiningham et al. 2005a; Keiningham et al. 2005b). Auch im B-to-C Kontext wird in den meisten Untersuchungen auf eine subjektive Messung des Kundenanteils zurückgegriffen. Diese Variante einer subjektiven Messung des Kundenanteils wird auch in der vorliegenden Arbeit verwendet. Die Teilnehmer der Untersuchung werden bezogen auf ein spezifisches Bauteil nach ihrer Aufteilung des jährlichen Beschaffungsvolumens auf die beauftragten Lieferanten befragt. Diese subjektive Messung hängt mit dem Ziel dieser Arbeit zusammen, wonach die Ergebnisse der empirischen Untersuchung generalisierbar sein sollen. Dazu ist eine Querschnittsanalyse über mehrere Branchen nötig. Auf einzelne Kunden- oder Lieferantendatenbanken kann daher nicht zurückgegriffen werden. Neben diesen drei üblichen Varianten gibt es noch andere Messungen für den Kundenanteil, die allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei insgesamt zwei Untersuchungen aus dem B-to-B Kontext (Auh/Shih 2005, S. 84; Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 563) wird nach einer Verhaltensabsicht gefragt. Der Kunde schätzt anhand von einer oder mehreren Aussagen ein, wie sich der Kundenanteil eines Anbieters zukünftig entwickelt, d.h. ob er größer oder kleiner wird bzw. gleich bleibt. Bei der Messung des Kundenanteils muss zudem zwischen einer wertmäßigen Messung in Geldeinheiten oder einer mengenmäßigen Messung in Stückzahlen unterschieden werden. Beide Messformen werden im B-to-B Kontext verwendet, wobei die wertmäßige Messung überwiegt. Bowman und Narayandas (2004, S. 442) fragen beispielsweise explizit nach dem Anteil am Beschaffungsvolumen in US-Dollar. In vielen Untersuchungen ist allerdings nicht eindeutig erkennbar, ob der Kundenanteil in Geldeinheiten oder in Stückzahlen gemessen wird. Dieser Arbeit liegt eine mengenmäßige Messung des Kundenanteils in Stückzahlen zugrunde, weil es bei der Konzentration auf Stückzahlen anstatt monetärer Ausgaben keine Verzerrungen bei der Berechnung des Kundenanteils aufgrund unterschiedlicher Stückpreise gibt. Neben der Überlegung, den Kundenanteil wertmäßig oder mengenmäßig zu messen, muss auch festgelegt werden, ob der Kundenanteil absolut oder relativ gemessen wird. Der absolute Kundenanteil ist danach der Anteil eines spezifischen Lieferanten in einer bestimmten Produktkategorie am gesamten Beschaffungsvolumen des Kunden für diese Produktkategorie. Beim relativen Kundenanteil wird ein Quotient aus dem absoluten Anteil des betrachteten Lieferanten in Relation zum abso-
Datenerhebung
145
luten Anteil des stärksten Wettbewerbers gebildet. Alle bisherigen Veröffentlichungen zum Kundenanteil im B-to-B Kontext basieren ausschließlich auf der Messung des absoluten Kundenanteils. Im B-to-B Kontext muss jedoch eine Besonderheit berücksichtigt werden, die eine andere Form der relativen Messung des Kundenanteils sinnvoll erscheinen lässt. Viele Kunden haben für den Kundenanteil Obergrenzen, z.B. sechzig Prozent, definiert, um nicht zu sehr von einem Lieferanten abhängig zu werden (Freter 1992, S. 11). Dies bedeutet, dass der Lieferant maximal sechzig Prozent des gesamten Beschaffungsvolumens in einer bestimmten Produktkategorie erzielen kann. Diese Obergrenze muss daher in Relation zum absoluten Kundenanteil eines Lieferanten gesetzt werden, so dass der Kundenanteil eines Lieferanten von sechzig Prozent bei einer Obergrenze von sechzig Prozent mit einem Kundenanteil von hundert Prozent gleichzusetzen ist. Diese Art der relativen Berechnung des Kundenanteils wird in der vorliegenden Arbeit verwendet. Bei empirischen Studien zum Kundenanteil im B-to-B Kontext ist zudem auffällig, dass dabei in vielen Fällen auf die Angabe eines genauen Zeitraums verzichtet wird, für den der Kundenanteil berechnet bzw. geschätzt werden soll (für eine Ausnahme siehe Leuthesser/Kohli 1995, S. 230; Leuthesser 1997, S. 253; Keiningham/Perkins-Munn/Evans 2003, S. 39; Keiningham et al. 2005a, S. 36; 2005b, S. 175). Dadurch sind jedoch die Angaben zum Kundenanteil eher ungenau und zwischen den Befragten nicht unbedingt vergleichbar, da jeder Befragte implizit einen eigenen Bezugszeitraum festlegt. Eine Ausnahme bilden dabei vor allem Studien, die Paneldaten oder unternehmensübergreifende Datenbanken nutzen (siehe z.B. Bhattacharya et al. 1996, S. 6; Ahearne/Gruen/ Jarvis 1999, S. 282; Ahearne/Jelinek/Jones 2007, S. 610; Cooil et al. 2007, S. 72). Für die vorliegende Arbeit wird deshalb ein genauer Bezugszeitraum gewählt. Der Bezugszeitraum ist das Kalenderjahr 2006. Im B-to-B Kontext wird häufig ein Geschäftsjahr als Bezugszeitraum verwendet, wobei bei dieser Vorgehensweise problematisch ist, dass ein Geschäftsjahr in vielen Unternehmen nicht mit dem Kalenderjahr zusammenfällt. Zusammenfassend wird der Kundenanteil in dieser Arbeit in Form eines absoluten, mengenmäßigen Kundenanteils in Stückzahlen für das Kalenderjahr 2006 gemessen, der in Relation zum maximal möglichen Anteil am Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt gesetzt wird.
4.2.2.2.2 Unabhängige Variablen
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Untersuchungsmodell beinhaltet fünf unabhängige Variablen: Beziehungswert aus Kundensicht, Abhängigkeit, Kundenzufriedenheit, Suche nach Alternativen, und Lieferantenstatus.
146
Empirische Untersuchung
Der Beziehungswert aus Kundensicht wird in dieser Arbeit als Nettonutzen operationalisiert (Beutin 2000, S. 63). Dabei findet ein Kosten-Nutzen-Vergleich statt, bei dem der Nutzen und die Kosten des Kunden aus der Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten gegenübergestellt werden (siehe z.B. Ulaga/Eggert 2005, S. 97). Der Befragte beurteilt in dieser Arbeit ausschließlich den Nettonutzen, der sich auf die Geschäftsbeziehung im Ganzen konzentriert. Eine verbreitete Operationalisierung des Nettonutzens basiert auf vier Indikatoren (Beutin 2000, S. 130; Menon/Homburg/Beutin 2005, S. 34; Ulaga/Eggert 2006, S. 135), die auch in dieser Arbeit verwendet werden. Eine durchaus übliche Operationalisierung des Beziehungswerts aus Kundensicht im Sinne eines Konstrukts höherer Ordnung mit jeweils einem formativen Messmodell für den Beziehungsnutzen und einem weiteren formativen Messmodell für die Beziehungskosten (Ulaga/Eggert 2006, S. 130) wird nicht verwendet, da es in dieser Arbeit nicht um eine möglichst vollständige Erfassung aller Facetten des Konstrukts „Beziehungswert aus Kundensicht“ geht. Der Beziehungswert aus Kundensicht wird hier dagegen als eine mögliche Einflussgröße des Kundenanteils verstanden, deren Zusammenhang je nach Lieferantenstatus unterschiedlich stark ausgeprägt sein könnte. Bezogen auf die Zielsetzung dieser Arbeit ist eine Messung des Beziehungswerts aus Kundensicht anhand multipler Nutzen- und Kostenkomponenten nicht erforderlich. Die Abhängigkeit kann sowohl einseitig als auch beidseitig gemessen werden. In den meisten Untersuchungen bezieht sich die Erhebung der beidseitigen Abhängigkeit häufig nur auf die Befragung eines Austauschpartners, der sowohl seine eigene Abhängigkeit vom jeweils anderen Partner als auch die des anderen Partners einschätzt. Die Aussagen zur Abhängigkeit des jeweils anderen Partners können nur auf Vermutungen basieren. Da in dieser Arbeit nur ein Austauschpartner, nämlich der Kunde, befragt wird, wird aus diesem Grund die Abhängigkeit einseitig gemessen. Genaue Angaben kann der Befragte schließlich am ehesten zu seiner eigenen wahrgenommenen Abhängigkeit machen. Als primäre Ursache für die Abhängigkeit wird das Fehlen von Alternativen gesehen (Ganesan 1994, S. 4). Aus diesem Grund wird auch die Schwierigkeit des Unternehmens, den Austauschpartner auswechseln zu können als Hinweis auf die Abhängigkeit des Unternehmens von seinem Partner aufgefasst. Diese Art der Messung von Abhängigkeit wird von einer Vielzahl von Forschern übernommen (El-Ansary/Stern 1972, S. 49; Etgar 1976, S. 257; Phillips 1981, S. 399; Brown/ Lusch/Muehling 1983, S. 55; Heide/John 1988, S. 23; Frazier/Rody 1991, S. 59; Buchanan 1992, S. 65; Heide 1994, S. 79; Lusch/Brown 1996, S. 35; Kim/Yamada/Kim 2008, S. 95). Neben der Beurteilung verschiedener Aussagen zur Schwierigkeit des Austauschs eines Partners wird teilweise auch auf die Anzahl verfügbarer alternativer Austauschpartner als Indikator zurückgegriffen (El-
Datenerhebung
147
Ansary 1975, S. 64 f.). Dies hängt damit zusammen, dass neben anderen Faktoren das NichtVorhandensein adäquater Alternativen ein Hauptgrund ist, warum ein Partner schwierig zu ersetzen ist. Diese Variante der Operationalisierung von Abhängigkeit hat sich in der Literatur durchgesetzt. Für diese Arbeit wird daher die Operationalisierung von Heide (1994, S. 80) anhand von vier Indikatoren übernommen. Die Definition von Kundenzufriedenheit als affektivem und beziehungsspezifischem Konstrukt im B-to-B Kontext bildet den Ausgangspunkt für die Operationalisierung dieser unabhängigen Variablen. Die Mehrzahl der Untersuchungen bezieht sich dabei auf die Definition von Anderson und Narus (1984, S. 66; 1990, S. 45), auf die sich auch diese Arbeit bezieht. Als adäquates Beispiel für eine Operationalisierung von affektiver, beziehungsspezifischer Kundenzufriedenheit kann im B-toB Kontext auf Cannon und Perrault (1999, S. 448) zurückgegriffen werden (siehe z.B. Homburg/ Stock 2004, S. 150; Stock 2005, S. 72; Kaufman/Jayachandran/Rose 2006, S. 584). Dabei werden verschiedene Aussagen zum Ausmaß der Zufriedenheit des Kunden mit der Geschäftsbeziehung zum Lieferanten beurteilt. Eine typische Formulierung ist „Insgesamt bin ich/sind wir/ist mein Unternehmen mit der Geschäftsbeziehung zum Partner sehr zufrieden“ (siehe z.B. Leonidou/Talias/ Leonidou 2008, S. 97; Skarmeas et al. 2008, S. 33 f.). Über die Operationalisierung von affektiver, beziehungsspezifischer Kundenzufriedenheit im B-to-B Kontext sind sich die Forscher weitgehend einig, so dass diese Art der Operationalisierung von Kundenzufriedenheit auch für diese Arbeit übernommen wird. Konkret wird die Skala von Cannon und Perreault (1999, S. 448) mit insgesamt fünf Indikatoren verwendet. Zur Operationalisierung der Suche nach Alternativen kann nur teilweise auf eine bestehende Skala zurückgegriffen werden. Die vorhandene Skala von Eggert und Ulaga (2002, S. 118) wird entsprechend angepasst. Bei der Suche nach Alternativen geht es vor allem um eine Beobachtung des Markts für ein bestimmtes Produkt, um mögliche neue Lieferanten auf dem Markt frühzeitig identifizieren zu können. Dadurch besteht die Möglichkeit, aktuelle Lieferanten durch neue Lieferanten zu ersetzen. Zusätzlich zur Operationalisierung der gerade beschriebenen Variablen muss erläutert werden, wie der Lieferantenstatus als Moderatorvariable gemessen wird. Der Lieferantenstatus orientiert sich am Kundenanteil eines Lieferanten. Beispielsweise vergibt der Kunde sein Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt an insgesamt drei Lieferanten, von denen ein Lieferant siebzig Prozent, ein anderer Lieferant zwanzig Prozent und ein weiterer Lieferant zehn Prozent erhält. Der Lieferant mit einem Anteil von siebzig Prozent am Beschaffungsvolumen des Kunden kann den größten Anteil
148
Empirische Untersuchung
auf sich vereinen und hat deshalb den Status eines Hauptlieferanten inne. Alle anderen Lieferanten sind Nebenlieferanten. Bei mehr als einem Nebenlieferant wird jeweils der Nebenlieferant mit dem zweitgrößten Anteil am gesamten Beschaffungsvolumen ausgewählt. Die Eins kennzeichnet dabei einen Hauptlieferanten, während die Zwei für einen Nebenlieferant steht. 4.2.2.3 Pretests zum Fragebogen
Nach Abschluss der Entwicklung des Erhebungsinstruments wird ein Pretest durchgeführt. Zu diesem Zweck werden 16 Einkaufsleiter sowie -sachbearbeiter aus deutschen Unternehmen der angestrebten Grundgesamtheit in persönlichen Interviews um Feedback zur Sprache, Struktur und Inhalt gebeten (siehe Tabelle 4.3). Position des Befragten
Branche
Unternehmensgröße
Hergestelltes Produkt
Einkaufsleiter
Maschinenbau
Umsatz: 32 Mio. € Beschäftigte: 200
Fertigungsmodule
Einkaufssachbearbeiter
Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, verteilung u.Ä.
Umsatz: 87 Mio. € Beschäftigte: 700
Elektrische Antriebstechnik, z.B. Motoren
Einkaufsmanagerin
Herstellung von Möbeln
Einkaufsleiter technischer Einkäufer Einkaufsleiter Einkaufssachbearbeiter
Herstellung von Metallerzeugnissen Herstellung von Spielwaren Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, verteilung u.Ä. Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung, verteilung u.Ä.
Einkaufsleiter
Maschinenbau
Einkaufsleiter
Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren
Einkaufsleiter
Maschinenbau
Geschäftsführer Einkaufsleiter Assistent des Einkaufsleiters Strategischer Einkäufer
Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen
Einkaufsleiter
Maschinenbau
Einkaufsleiter
Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen
Tabelle 4.3:
Nähere Angaben zu den Befragten im Pretest
Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte:
60 Mio. € 400 20 Mio. € 70 1007 Mio. € 5493
Möbel Stahlerzeugnisse Spielgeräte
313 Mio. € Umsatz: Beschäftigte: 2200
Elektronische Bauelemente
Umsatz: 313 Mio. € Beschäftigte: 2200
Elektronische Bauelemente
Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte: Umsatz: Beschäftigte:
11 Mio. € 45 12 Mio. € 80 7 Mio. € 65 44 Mio. € 140 46 Mio. € 370 46 Mio. € 370 104875 Mio. € 308439 43684 Mio. € 257754 7123 Mio. € 11444
Stromerzeuger Büroprodukte aus Kunststoff Technische Bürsten Kunststoffprofile Kunststoffteile, z.B. Tanks Kunststoffteile, z.B. Tanks Fahrzeuge (elektro-)mechanische Bauteile Fahrzeuge
Datenerhebung
149
Das Ziel dieses Pretests ist die Überprüfung des Messinstruments auf seine Eignung und Gültigkeit. Dabei werden die Verständlichkeit der einzelnen Aussagen im Fragebogen, die Richtigkeit der verwendeten Fachbegriffe, Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Fragen und Ermüdungserscheinungen beim Befragten überprüft (Schnell/Hill/Esser 2005, S. 348). In Tabelle 4.3 sind einige deskriptive Angaben zu den befragten Personen zusammengefasst, die sich am Pretest beteiligt haben. Die Interviews dauern durchschnittlich zwei Stunden. Neben der inhaltlichen Bedeutung hängt die Eignung eines Erhebungsinstruments auch vom zeitlichen Umfang, der optischen Gestaltung des Fragebogens sowie der Struktur des Fragebogens ab. Dieser Pretest ergibt schließlich einige Änderungen und Ergänzungen bei der Formulierung von Aussagen im Fragebogen. Zudem werden die Probanden dieses Pretests über einen Anreiz bezüglich der Teilnahme an einer solchen Untersuchung befragt. Die Mehrzahl der Probanden gibt an, dass eine Zusammenfassung der Studienergebnisse als möglicher Anreiz sinnvoll wäre. Diese Zusammenfassung wird schließlich sowohl den Teilnehmern der Pretests als auch denen der eigentlichen Datenerhebung angeboten. Im Anschluss wird ein zweiter Pretest durchgeführt, mit dem der entwickelte Fragebogen von dreißig Einkaufsmanagern auf Reliabilität und Validität geprüft wird. Danach wird Cronbachs Alpha sowie die korrigierte Item-Skala-Korrelation berechnet (siehe Abschnitt 4.1.2.2 zur Berechnung der Reliabilitätsmaße). Abschließend werden eine Korrelationsanalyse sowie eine explorative Faktorenanalyse für die jeweiligen Konstrukte durchgeführt. Die Ergebnisse erfüllen die an sie gestellten Anforderungen. 4.3 Überprüfung des Untersuchungsmodells
Nun wird das Untersuchungsmodell überprüft. Im Abschnitt 4.3.1 wird dazu zunächst die Güte der Messmodelle der verwendeten Konstrukte eingeschätzt, bevor im Abschnitt 4.3.2 auf die Beurteilung der Güte des Strukturmodells eingegangen wird. Im Abschnitt 4.3.3 werden schließlich die Ergebnisse der Hypothesenprüfung vorgestellt. 4.3.1 Gütebeurteilung der Messmodelle
Die Aussagekraft der untersuchten Hypothesen ist nur dann gewährleistet, wenn sowohl die Messmodelle als auch das Gesamtmodell valide und reliabel sind. Im Folgenden werden alle im Untersuchungsmodell berücksichtigten Konstrukte anhand von Gütekriterien beurteilt. Der Ausgangspunkt ist eine explorative Faktorenanalyse mit der gesamten Indikatorenzahl aller vier reflektiv spezifizierten Konstrukte. Dabei werden vier Faktoren mit Eigenwerten größer Eins extra-
150
Empirische Untersuchung
hiert. Die Indikatoren laden jeweils am höchsten auf das Konstrukt, dem sie im Vorhinein über die Operationalisierung zugeordnet wurden. Kreuzladungen zwischen Indikatoren des Konstrukts „Kundenzufriedenheit“ und „Beziehungswert aus Kundensicht“ sind am höchsten, wobei aufgrund unterschiedlicher theoretischer Konzeptualisierungen beider Konstrukte von verschiedenen Konstrukten auszugehen ist (Eggert/Ulaga 2002, S. 110 f.; 113). Im Anschluss werden für jedes reflektiv spezifizierte Konstrukt die Ergebnisse der Gütebeurteilung dargestellt. Da die Indikatorreliabilität mit der quadrierten Faktorladung gleichzusetzen ist (Homburg/Krohmer 2006, S. 366), wird diese deshalb nicht gesondert angegeben. Das Konstrukt „Beziehungswert aus Kundensicht“ (siehe Tabelle 4.4) wird mit vier Indikatoren gemessen (Beutin 2000, S. 130; Menon/Homburg/Beutin 2005, S. 34; Ulaga/Eggert 2006, S. 135). Die in der Literatur verbreiteten Schwellenwerte werden für das Konstrukt „Beziehungswert aus Kundensicht“ erreicht. Konstrukt „Beziehungswert aus Kundensicht“ Korrigierte Indikator/Aussage Item-Skala Korrelation Grenzwert 0,5 In Relation zu den Aufwendungen stiften uns die Vorteile aus der Ge0,620 schäftsbeziehung mit diesem Lieferanten einen hohen Nutzen. Wir erhalten einen hohen Nutzen von 0,718 diesem Lieferanten. Der Nutzen, den wir aus der Geschäftsbeziehung mit diesem Liefe0,575 ranten ziehen, ist erheblich höher als unsere Aufwendungen. Dieser Lieferant bietet uns einen sehr 0,753 hohen Nutzen. Tabelle 4.4:
Faktorladung
Cronbachs Alpha
Erklärte Varianz
Faktorreliabilität
DEV
0,7
0,7
0,5
0,6
0,5
0,837
0,674
0,890
0,672
0,821
0,853
0,705
0,888
Gütebeurteilung des Konstrukts „Beziehungswert aus Kundensicht“
Das Konstrukt „Abhängigkeit des Kunden“ (siehe Tabelle 4.5) wird anhand von vier Indikatoren gemessen, die aus einer Skala von Heide (1994, S. 80) stammen. Die Abhängigkeit wird darüber gemessen, wie leicht ein Austauschpartner ersetzt werden kann (Heide 1994, S. 79). Bei zwei von vier Indikatoren der Abhängigkeit des Kunden wird der Schwellenwert für die korrigierte ItemSkala-Korrelation leicht unterschritten. Ein Indikator liegt marginal unter dem Mindestwert von 0,7 für die Höhe der Faktorladung. Eine geringfügige Verletzung einzelner Gütekriterien sollte jedoch nicht automatisch zur Ablehnung des in dieser Form operationalisierten Konstrukts führen (Homburg 2000, S. 93). Kleinere Abweichungen von den geforderten Schwellenwerten werden noch als
Überprüfung des Untersuchungsmodells
151
akzeptabel bewertet, so dass alle Indikatoren zur Messung der Abhängigkeit des Kunden beibehalten werden. Konstrukt „Abhängigkeit des Kunden“ Indikator/Aussage Grenzwert Wenn wir uns dafür entscheiden sollten, nicht mehr bei diesem Lieferanten einzukaufen, könnten wir das Beschaffungsvolumen leicht bei den anderen Lieferanten platzieren. Es gibt mehrere konkurrenzfähige Lieferanten für dieses Bauteil. Die Zusammenarbeit mit einem neuen Lieferanten würde seitens unseres Unternehmens nur einen begrenzten Entwicklungsaufwand erfordern. Unser Produktionssystem kann leicht auf den Einsatz von Bauteilen eines anderen Lieferanten umgerüstet werden.
Korrigierte Item-Skala Korrelation 0,5
Faktorladung
Cronbachs Alpha
Erklärte Varianz
Faktorreliabilität
DEV
0,7
0,7
0,5
0,6
0,5
0,733
0,557
0,833
0,556
0,561
0,772
0,588
0,818
0,457
0,672
0,476
0,711
Tabelle 4.5: Gütebeurteilung des Konstrukts „Abhängigkeit des Kunden“
Das Konstrukt „Kundenzufriedenheit“ (siehe Tabelle 4.6) wird anhand von fünf Indikatoren gemessen, wobei zwei Indikatoren revers kodiert sind. Das bedeutet, dass diese zwei Indikatoren nicht Zufriedenheit sondern Unzufriedenheit messen. Mit der Verwendung revers kodierter Indikatoren wird versucht, Antwortverzerrungen zu vermeiden, die bei reflektiv spezifizierten Konstrukten durch Indikatorformulierungen in einer Richtung auftreten können (Herche/Engelland 1996, S. 366). Ein solches Antwortverhalten wird in der Literatur auch unter dem Begriff der Zustimmungstendenz (acquiescence bias) diskutiert (Baumgartner/Steenkamp 2001, S. 154). Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass bei gemischten Skalen eines einfaktoriellen Konstrukts revers kodierte Indikatoren bei der Durchführung einer Faktorenanalyse einen weiteren Faktor bilden, wodurch die Eindimensionalität der Skala nicht mehr gewährleistet ist (Pilotte/Gable 1990, S. 607; für eine Diskussion weiterer Probleme bei revers kodierten Indikatoren siehe Herche/Engelland 1996, S. 367 f.). Die hier verwendete Skala basiert auf Cannon und Perreaults (1999, S. 448) Indikatoren für Kundenzufriedenheit. In dieser Untersuchung konnte trotz zweier revers kodierter Indikatoren ein Faktor identifiziert werden. Bei den revers kodierten Indikatoren der Kundenzufriedenheit wird allerdings der Grenzwert von 0,7 für die Höhe der Faktorladung leicht unterschritten. Aufgrund dieser geringfügigen Abweichungen werden jedoch keine Indikatoren eliminiert.
152
Empirische Untersuchung
Konstrukt „Kundenzufriedenheit“ Indikator/Aussage Grenzwert Wir sind sehr zufrieden mit dem, was dieser Lieferant für uns leistet. Wir sehen es als eine Fehlentscheidung an mit diesem Lieferanten Geschäfte zu machen. (R) Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit diesem Lieferanten. Wenn wir komplett von vorne anfangen müssten, würden wir uns immer noch für diesen Lieferanten entscheiden. Wir sind NICHT vollständig zufrieden mit diesem Lieferanten. (R) Tabelle 4.6:
Korrigierte Item-Skala Korrelation 0,5
Faktorladung
Cronbachs Alpha
Erklärte Varianz
Faktorreliabilität
DEV
0,7
0,7
0,5
0,6
0,5
0,840
0,616
0,887
0,615
0,692
0,841
0,522
0,659
0,744
0,880
0,659
0,831
0,546
0,684
Gütebeurteilung des Konstrukts „Kundenzufriedenheit“
Das Konstrukt „Suche nach Alternativen“ (siehe Tabelle 4.7) wird in Anlehnung an die Skala von Eggert und Ulaga (2002, S. 118) entwickelt. Der Schwellenwert von 0,5 für die korrigierte ItemSkala-Korrelation wird von einem Indikator unterschritten. Ein weiterer Indikator erreicht nicht die erforderliche Höhe der Faktorladung von 0,7. Da die restlichen Gütekriterien aber alle erfüllt sind, wird auch hier von einer Elimination einzelner Indikatoren abgesehen. Konstrukt „Suche nach alternativen Lieferanten“ Korrigierte Indikator/Aussage Item-Skala Korrelation Grenzwert 0,5 Wir suchen fortlaufend nach alterna0,690 tiven Lieferanten für dieses Bauteil. Wir beobachten den Markt fortwährend, um potenzielle alternative Lie0,549 feranten zu identifizieren. Wir versuchen diesen Lieferanten durch einen anderen Anbieter zu 0,392 ersetzen.
Faktorladung
Cronbachs Alpha
Erklärte Varianz
Faktorreliabilität
DEV
0,7
0,7
0,5
0,6
0,5
0,715
0,645
0,777
0,551
0,712 0,514
0,940
Tabelle 4.7: Gütebeurteilung des Konstrukts „Suche nach alternativen Lieferanten“
Zur Prüfung der Diskriminanzvalidität wird das Fornell-Larcker-Kriterium (Fornell/Larcker 1981) herangezogen. Um die Diskriminanzvalidität der reflektiv spezifizierten Konstrukte bestätigen zu können, muss die durchschnittlich erfasste Varianz aller Konstrukte (Diagonale in Tabelle 4.8) größer sein als die quadrierte Korrelation der Konstrukte. Wie aus Tabelle 4.8 zu erkennen ist, sind alle Konstrukte diskriminanzvalide.
Überprüfung des Untersuchungsmodells
153
r2 (ȟiȟj)
Beziehungswert aus Kundensicht
Beziehungswert aus Kundensicht
0,672
Kundenzufriedenheit
0,420
0,615
Abhängigkeit des Kunden
0,001
0,013
0,556
Suche nach alternativen Lieferanten
0,051
0,253
0,019
Kundenzufriedenheit
Abhängigkeit des Kunden
Suche nach alternativen Lieferanten
0,551
Legende: Diagonale Unterhalb der Diagonale
Durchschnittliche erfasste Varianz eines Konstrukts Quadrierte Korrelation zweier Konstrukte
Tabelle 4.8: Prüfung der Diskriminanzvalidität mit Hilfe des Fornell-Larcker-Kriteriums
Damit ist die Gütebeurteilung auf Konstruktebene abgeschlossen. Im Anschluss daran wird nun die Güte des Gesamtmodells bewertet. 4.3.2 Gütebeurteilung des Strukturmodells
Die Parameter für das gesamte Strukturmodell werden mit der Software smartpls 2.0 M3 geschätzt. Als inneres Gewichtungsschema wird dabei das Pfadgewichtungsschema („path weighting scheme“) gewählt, da es gerichtete Zusammenhänge in Strukturgleichungsmodellen am ehesten abbildet. Je nachdem, ob das jeweilige Konstrukt eine Antezedenz- oder Konsequenzvariable in einem Strukturzusammenhang ist, wird der Korrelationskoeffizient beim Pfadgewichtungsschema gewichtet (Chin/Newsted 1999, S. 317 f.).
Beziehungswert aus Kundensicht
Suche nach alternativen Lieferanten
H1H2-
H4+ H3Kundenanteil
H7H8 H6 Abhängigkeit des Kunden
Abbildung 4.11:
+
Kundenzufriedenheit
Haupteffektmodell inklusive mediierender Wirkbeziehungen
H5+
154
Empirische Untersuchung
Das Haupteffektmodell inklusiver mediierender Effekte (siehe Abbildung 4.11) resultiert aus den Hypothesen des Untersuchungsmodells (siehe Abschnitt 3.3.4). Die Güte wird auf Basis des Haupteffektmodells inklusive mediierender Zusammenhänge mit Berücksichtigung der gesamten Stichprobe beurteilt. Dabei steht vor allem das R2 als zentrales Gütekriterium im Vordergrund, das auf die erklärten Varianzanteile der endogenen Konstrukte abzielt. Bei der Evaluation der Höhe von R2 muss das Erkenntnisziel berücksichtigt werden. Sofern das Ziel der Untersuchung ist, eine abhängige Variable möglichst vollständig zu erklären, kann ein Schwellenwert von 0,4 für R2 sinnvoll sein. Wenn es allerdings, wie in der vorliegenden Untersuchung, primär um die Prüfung vermuteter Wirkzusammenhänge zwischen Konstrukten geht, sind Mindestanforderungen nicht relevant. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist das R2 jedoch einzubeziehen (Homburg/Baumgartner 1995, S. 172). In Tabelle 4.9 werden die Ergebnisse zu den Gütekriterien des Gesamtmodells dargestellt. Gütekriterien
R2
Konstrukt Beziehungswert aus Kundensicht
n/v
Kundenzufriedenheit
0,554
Abhängigkeit des Kunden
n/v
Suche nach alternativen Lieferanten
0,068
Kundenanteil
0,157
f2 bezogen auf das endogene Konstrukt Suche nach alternativen Lieferanten
Kundenzufriedenheit
Kundenanteil
0,049
0,704
0,056 0,000
0,011
0,060 0,280
0,001
Tabelle 4.9: Gütemaße für das Gesamtmodell
Die Kundenzufriedenheit hat einen erklärten Varianzanteil von 55,4 Prozent, während das Zielkonstrukt Kundenanteil zu 15,7 Prozent durch seine Determinanten erklärt wird. Die Effektgröße f2 variiert stark und liegt zwischen 0,001 und 0,7. Damit reicht der Effekt einer unabhängigen Variablen auf die zu ihr in einem Wirkzusammenhang stehenden abhängigen Variablen von keinem bis zu einem substanziellen Einfluss. Beispielsweise hat der Beziehungswert aus Kundensicht mit einem f2-Wert von 0,7 einen substanziellen Effekt auf die Kundenzufriedenheit. 4.3.3 Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Bei den Ergebnissen der Hypothesenprüfung werden sowohl die Haupteffekte (siehe Abschnitt 4.3.3.1) als auch die Mediatoreffekte (siehe Abschnitt 4.3.3.2) zunächst für die gesamte Stichprobe vorgestellt. Im Abschnitt 4.3.3.3 wird schließlich mithilfe einer Mehrgruppenanalyse geprüft, ob sich die Pfadkoeffizienten der einzelnen Zusammenhänge zwischen beiden Teilgruppen „Hauptlieferanten“ und „Nebenlieferanten“ signifikant voneinander unterscheiden.
Überprüfung des Untersuchungsmodells
155
4.3.3.1 Haupteffekte
Die Pfadkoeffizienten für das Haupteffektmodell werden für die gesamte Stichprobe mit 337 Fällen in Abbildung 4.12 angegeben. Entsprechend der Empfehlung genauso viele Bootstrap-Stichproben zu ziehen wie die originäre Stichprobe umfasst, wird für die Bootstrapping-Prozedur eine Einstellung von dreihundert Bootstrap-Stichproben gewählt. Für die Auswahl des theoretischen t-Werts je nach Signifikanzniveau wird die Anzahl der Freiheitsgrade mit dreihundert angegeben. Damit ergibt sich für gerichtete Hypothesen bei einem einseitigen Test ein t-Wert von 1,286 bei Į = 0,10, von 1,653 bei Į = 0,05 bzw. von 2,345 bei Į = 0,01.
H4+ 0,28*** Beziehungswert aus Kundensicht
H1- -0,22***
Suche nach alternativen Lieferanten
H3-
-0,04n.s.
-0,13**
H2-
Kundenanteil
H7- -0,38*** 0,02n.s.
H6+
H8
0,56***
Abhängigkeit des Kunden
Kundenzufriedenheit
H5+: 0,24*** signifikanter Pfad nicht-signifikanter Pfad
Abbildung 4.12:
mit: *** ** *
p < 0,01 p < 0,05 p < 0,10
Pfadkoeffizienten und ihre Signifikanz im Haupteffektmodell
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Hypothesenprüfung noch mal tabellarisch zusammengefasst (siehe Tabelle 4.10.), um einen detaillierten Überblick über die Resultate aus der ResamplingProzedur zu geben.
156
Empirische Untersuchung
Zusammenhang H1-:
Pfadkoeffizient
Standardfehler
t-Wert
Sig.
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Suche nach alternativen Lieferanten
-0,221
0,068
3,236
***
-
Abhängigkeit des Kunden ĺ Suche nach alternativen Lieferanten
-0,130
0,074
1,748
**
-
Suche nach alternativen Lieferanten ĺ Kundenanteil
-0,043
0,070
0,614
n.s.
+
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenanteil
0,284
0,070
4,060
***
+
Abhängigkeit des Kunden ĺ Kundenanteil
0,236
0,057
4,150
***
+
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenzufriedenheit
0,563
0,042
13,523
***
-
H7 :
Suche nach alternativen Lieferantenĺ Kundenzufriedenheit
-0,376
0,040
9,325
***
H 8:
Kundenzufriedenheit ĺ Kundenanteil
0,015
0,084
0,175
n.s.
H2 : H3 : H4 : H5 : H6 :
Tabelle 4.10: Pfadkoeffizienten und Ergebnisse der Bootstrapping-Prozedur
Die folgende Zusammenfassung bezieht sich ausschließlich auf die Haupteffekte in der gesamten Stichprobe. Der negative Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Suche nach alternativen Lieferanten wird bestätigt (H1). Hypothese H2 wird ebenfalls bestätigt, d.h. je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten, die seinen aktuellen Lieferanten ersetzen könnten. Die Vermutung, dass sich eine stärkere Suche nach alternativen Lieferanten negativ auf den Kundenanteil auswirkt (H3), kann nicht bestätigt werden. Sowohl der positive Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil (H4) als auch der positive Einfluss der Abhängigkeit auf den Kundenanteil (H5) können bestätigt werden. Der vermutete positive Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Kundenzufriedenheit kann ebenfalls bestätigt werden (H6). Auch der negative Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und der Kundenzufriedenheit wird bestätigt (H7). Die Vermutung, dass zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil kein Zusammenhang besteht, kann ebenfalls nachgewiesen werden (H8). 4.3.3.2 Mediatoreffekte
Im folgenden Abschnitt wird nun überprüft, ob und wie stark mediierende Wirkzusammenhänge vorliegen. Dies ist notwendig, auch wenn keine expliziten mediierenden Wirkzusammenhänge postuliert werden. Diese Mediatorbeziehungen werden für die gesamte Stichprobe überprüft. Um die Signifikanz des indirekten Effekts nachzuweisen, wird der z-Wert berechnet (siehe Tabelle 4.11).
Überprüfung des Untersuchungsmodells
157
Mediierter Wirkzusammenhang
Mediator
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenanteil
Suche nach alternativen Lieferanten
z-Wert
Sig.
VAF
0,603
n.s.
n/v
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenzufriedenheit
Suche nach alternativen Lieferanten
3,058
***
12,86%
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenanteil
Kundenzufriedenheit
0,176
n.s.
n/v
Abhängigkeit des Kunden ĺ Kundenanteil
Suche nach alternativen Lieferanten
0,579
n.s.
n/v
Suche nach alternativen Lieferanten ĺ Kundenanteil
Kundenzufriedenheit
-0,176
n.s.
n/v
Tabelle 4.11: Stärke der mediierenden Effekte
Die Prüfung mediierter Wirkbeziehungen im Gesamtmodell ergibt eine partielle Mediation. Danach fungiert die Suche nach alternativen Lieferanten als Mediator für den Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Kundenzufriedenheit. Der VAF-Wert bedeutet, dass etwa 13 Prozent des Effekts der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable auf die Mediatorvariable zurückzuführen ist. Für alle anderen mediierten Wirkbeziehungen kann kein signifikanter indirekter Effekt nachgewiesen werden. 4.3.3.3 Moderatoreffekte
Da es sich bei der Moderatorvariablen „Lieferantenstatus“ um eine Variable mit diskreter Ausprägung handelt, wird eine Mehrgruppenanalyse durchgeführt. Dieses Vorgehen wird zur Prüfung aller Moderatorhypothesen angewendet. Danach wird bei insgesamt vier postulierten Zusammenhängen vermutet, dass diese durch den Lieferantenstatus moderiert werden. Die Hypothesen können gestützt werden, wenn sich die Pfadkoeffizienten in beiden Teilgruppen signifikant voneinander unterscheiden. Gleichzeitig werden auch alle anderen direkten Effekte auf einen potenziellen Einfluss der Moderatorvariablen „Lieferantenstatus“ hin überprüft, auch wenn zu diesen Effekten explizit keine Moderatorhypothesen formuliert werden (siehe Tabelle 4.12).
158
Empirische Untersuchung
Pfadkoeffizient in Teilgruppe
Differenz der Pfadkoeffizienten
Gepoolter Standardfehler
t-Wert
Sig.
-0,370
0,182
1,929
0,833
n.s.
-0,231
-0,087
-0,144
1,193
-1,066
n.s.
-0,182
-0,150
-0,031
1,579
-0,176
n.s.
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenanteil
0,011
0,245
-0,235
1,031
-2,009
**
+
Abhängigkeit des Kunden ĺ Kundenanteil
0,278
0,056
0,222
1,138
1,724
*
+
H6 :
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Kundenzufriedenheit
0,582
0,483
0,099
0,627
1,393
n.s.
H7-:
Suche nach alternativen Lieferanten ĺ Kundenzufriedenheit
-0,360
-0,424
0,064
1,584
0,356
n.s.
H 8:
Kundenzufriedenheit ĺ Kundenanteil
-0,047
0,004
-0,052
1,208
-0,378
n.s.
Zusammenhang
Hauptlieferant
Nebenlieferant
Beziehungswert aus Kundensicht ĺ Suche nach alternativen Lieferanten
-0,184
-
Abhängigkeit des Kunden ĺ Suche nach alternativen Lieferanten
-
Suche nach alternativen Lieferanten ĺ Kundenanteil
+
H1-: H2 : H3 : H4 : H5 :
Tabelle 4.12: Gruppenvergleich zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten
Aus Tabelle 4.12 wird deutlich, dass die Moderatorhypothesen H4M und H5M bestätigt werden können. Es besteht jeweils ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Teilgruppen. Während der Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil (H4) bei Nebenlieferanten signifikant positiv, ist diese Wirkbeziehung bei Hauptlieferanten nicht signifikant. Mit dem Gruppenvergleich kann gezeigt werden, dass dieser Unterschied signifikant ist und damit H4M bestätigt wird. Für den Einfluss der Abhängigkeit des Kunden auf den Kundenanteil (H5) gilt der umgekehrte Fall. Bei Hauptlieferanten ist dieser Zusammenhang signifikant, während bei Nebenlieferanten kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden kann. Der Unterschied zwischen beiden Teilgruppen ist für diesen Zusammenhang ebenfalls signifikant, so dass H5M bestätigt wird. Die Moderatorhypothesen H2M und H3M können dagegen nicht bestätigt werden. Zwar wird für Hauptlieferanten ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten (H2) bestätigt, während dieser Zusammenhang bei Nebenlieferanten nicht signifikant ist. Insgesamt kann für diesen Zusammenhang aber kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Teilgruppen nachgewiesen werden. Gleiches gilt auch für den Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Kundenanteil (H3), der für Hauptlieferanten signifikant negativ ist, während für Nebenlieferanten kein signifikanter Zusammenhang existiert. Im Ergebnis besteht für diesen Zusammenhang aber zwischen den Teilgruppen kein signifikanter Unterschied.
159
5 Schlussbetrachtung Im Abschnitt 5.1 werden die Ergebnisse der Arbeit diskutiert. Anschließend werden die aus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit resultierenden Implikationen vorgestellt (siehe Abschnitt 5.2). Die Arbeit endet mit den Limitationen der durchgeführten Untersuchung (siehe Abschnitt 5.3). 5.1 Ergebnissynopse
Die in dieser Arbeit identifizierte Forschungslücke basiert auf Überlegungen, die eine Unterscheidung zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten im Kontext von Kunden-Lieferantenbeziehungen als notwendig erachten. Dazu wurde zunächst konzeptionell untersucht, welche Funktionen von Lieferanten aufgrund ihres Statusses als Hauptlieferant oder Nebenlieferant beim Kunden übernommen werden. Sofern sich die Funktionen je nach Lieferantentyp unterscheiden, wird der Kunde diese Funktionen bei der Festlegung des Kundenanteils berücksichtigen und Lieferanten entsprechend ihrer Kompetenzen bezüglich der Erfüllung solcher Funktionen auswählen. Beide Lieferantentypen erfüllen grundsätzlich eine Lieferfunktion beim Kunden. Aufgrund ihres vergleichsweise hohen Anteils am Beschaffungsvolumen übernehmen Hauptlieferanten beim Kunden eher folgende Funktionen: Kostenreduzierungs-, Qualitätsverbesserungs-, Investitions- und Innovationsentwicklungsfunktion. Nebenlieferanten sind in der Regel dazu nicht bereit, da sich ihr Aufwand bei einer Erfüllung dieser Funktionen aufgrund des zu geringen Anteils am Beschaffungsvolumen nicht rentiert. Nebenlieferanten erfüllen beim Kunden dagegen häufig eine Absicherungsbzw. eine Abhängigkeitsreduzierungsfunktion. Eine Scout-, Markt- oder Unterstützungsfunktion können wiederum sowohl Hauptlieferanten als auch Nebenlieferanten erfüllen, sofern sie sich davon ein Nutzen versprechen. Eine in Kunden-Lieferantenbeziehungen entscheidende Ergebnisgröße ist der Kundenanteil. Für Lieferanten ist es notwendig, zu wissen, welche Faktoren die Entscheidung des Kunden über die Festlegung des Kundenanteils beeinflussen und wie sich ihr Status darauf auswirkt. Dabei wurde vermutet, dass sich die Bedeutung der Einflussgrößen bei der Entscheidung über den Kundenanteil je nach Status des Lieferanten unterscheidet. Um diese Forschungsfragen zu beantworten, wurden die Einflussgrößen des Kundenanteils entscheidungstheoretisch hergeleitet und schließlich anhand einer Querschnittsanalyse empirisch überprüft. Eine entscheidungstheoretische Fundierung ergab einen kohärenten Analyserahmen, der bisher noch in keiner Untersuchung angewandt wurde. In der folgenden Tabelle 4.13 werden nun die einzelnen Hypothesen und ihr Ergebnis noch mal zusammengefasst, bevor diese Ergebnisse mit denen bereits durchgeführter Studien verknüpft werden.
160
Schlussbetrachtung
Hypothese
Bestätigt
Haupteffekte H1-:
Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten.
9
-
Je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten.
9
-
Je mehr der Kunde nach alternativen Lieferanten sucht, desto geringer ist der Anteil dieses Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden.
8
+
H4 :
Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto höher ist der Anteil dieses Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden.
9
H5+:
Je abhängiger sich der Kunde vom aktuellen Lieferanten fühlt, desto höher ist der Anteil dieses Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden.
9
H6+:
Je mehr Wert die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten dem Kunden stiftet, desto zufriedener ist er mit diesem Lieferanten.
9
-
Je mehr der Kunde nach alternativen Lieferanten sucht, desto unzufriedener ist er mit seinem aktuellen Lieferanten.
9
.
Kein Zusammenhang zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden.
9
H2 : H3 :
H7 : H8 :
Moderatoreffekte H2M:
Der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten wird durch den Lieferantenstatus moderiert.
8
H3M:
Der Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert.
8
H4M:
Der Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert.
9
H5M:
Der Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und dem Anteil des aktuellen Lieferanten am Beschaffungsvolumen des Kunden wird durch den Lieferantenstatus moderiert.
9
Legende: 9: 8:
Hypothese bestätigt Hypothese abgelehnt
Tabelle 5.1: Ergebnisse der Hypothesenprüfung
Alle Haupteffekte können mit Ausnahme von Hypothese 3 für das Gesamtmodell bestätigt werden. Hypothese 1 wird bestätigt, wonach ein negativer Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und der Suche nach alternativen Lieferanten besteht. In der vorliegenden Arbeit wird dieser Zusammenhang mit dem satisfizierenden Verhalten eines Kunden erklärt. Je höher der Kunde den Beziehungswert des aktuellen Lieferanten einschätzt, desto unwahrscheinlicher ist, dass er einen vergleichbaren Lieferanten findet und desto weniger sucht er nach alternativen Lieferanten. Diese Arbeit kann an die Untersuchung von Kim, Yamada und Kim (2008, S. 100) anknüpfen, die ebenfalls im Kontext von Kunden-Lieferantenbeziehungen ein solchen negativen Effekt nachweisen. Die Forscher begründen diesen Zusammenhang in ähnlicher Weise wie in der vorliegenden Arbeit. Danach ist der Kunde aufgrund des überlegenen Nutzens, den die Beziehung mit dem aktuellen Lieferanten ihm stiftet, eher geneigt, in diese zu investieren. Wenn der aktuelle Lieferant einen überlegenen Nutzen stiftet, wird es unwahrscheinlicher, dass der Kunde einen besseren Lieferanten
Ergebnissynopse
161
identifizieren kann, um den aktuellen Lieferanten zu ersetzen. Der überlegene Nutzen des aktuellen Lieferanten macht es für den Kunden schwierig, diesen Lieferanten auszutauschen, da dadurch seine Wechselkosten steigen und so seine Suche nach alternativen Lieferanten eingeschränkt wird (Kim/Yamada/Kim 2008, S. 89 f.). Der negative Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten wird ebenfalls bestätigt (H2). Dieser negative Effekt wird durch das Vorhandensein von Informationskosten begründet. Je höher die Wechselkosten des Kunden, desto weniger wird er nach alternativen Lieferanten suchen. Da er seinen aktuellen Lieferanten aufgrund von Wechselkosten nicht austauschen kann, entstehen ihm bei einer Suche zwar Kosten, aber kaum Nutzen, der ihm die Entdeckung eines besseren Lieferanten stiften würde. Der Nettonutzen einer Suche ist daher negativ. Bei diesem Zusammenhang kann ebenfalls auf die Untersuchung von Kim, Yamada und Kim (2008, S. 85) verwiesen werden, die von der gleichen Wirkbeziehung ausgehen. Sie begründen diesen Effekt damit, dass je höher die Abhängigkeit vom Lieferanten, desto geringer ist der Anreiz des Kunden nach alternativen Lieferanten zu suchen und desto weniger Ressourcen stellt er für diese Suche zur Verfügung. Sie gehen allerdings davon aus, dass die Abhängigkeit durch einen Mangel an alternativen Lieferanten verursacht wird, so dass nur eine geringe Chance besteht, mit der Suche nach Alternativen einen besseren Lieferanten zu finden (Kim/Yamada/Kim 2008, S. 92). Die dazugehörige Moderatorhypothese kann jedoch nicht bestätigt werden (H2M), nach der der negative Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und der Suche nach alternativen Lieferanten durch den Lieferantenstatus moderiert wird. Der negative Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und dem Kundenanteil wird für diese Stichprobe nicht bestätigt (H3-). Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Kunde sein Beschaffungsvolumen nicht unmittelbar umverteilen kann, wenn er durch seine Suche nach alternativen Lieferanten einen geeigneten Lieferanten entdeckt. Er ist häufig an Rahmenverträge gebunden, die eine Mindestabnahmemenge festlegen. Solange solche Rahmenverträge nicht neu verhandelt werden, ist er an seine bisherige Aufteilung gebunden. Auch die Vermutung, dass dieser Zusammenhang für beide Teilgruppen unterschiedlich stark ist, wird nicht bestätigt (H3M). Die Hypothese 4 zum positiven Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil kann bestätigt werden. Dies stimmt mit den Ergebnissen aus einer Untersuchung von Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 566) überein. Sie begründen diesen positiven Zusammenhang damit, dass der Kunde die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten eher fortführt, wenn ein Vergleich des aktuellen Lieferanten mit verfügbaren alternativen Lieferanten
162
Schlussbetrachtung
ergibt, dass der aktuelle Lieferant einen höheren Nettonutzen stiftet als die anderen Alternativen (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 560). Auch die entsprechende Moderatorhypothese (H4M) kann für die Stichprobe nachgewiesen, wonach sich zwischen den Pfadkoeffizienten der Teilgruppen signifikante Unterschiede ergeben. Da der Hauptlieferant dem Kunden schon einen vergleichsweise hohen Beziehungswert stiftet, tendiert der Kunde bei einem Hauptlieferanten dazu, den Status Quo zu erhalten, weil er dadurch die potenziell höheren Verluste bei einer Änderung des Kundenanteils vermeidet. Die potenziellen Gewinne aus einer Erhöhung des Kundenanteils für Hauptlieferanten fallen bei seiner Entscheidung kaum ins Gewicht. Aus diesem Grund ist der Zusammenhang für Hauptlieferanten nicht signifikant. Bei Nebenlieferanten sieht der Kunde eher die mit einem höheren Beziehungswert verbundenen potenziellen Gewinne, die sich aus einer Änderung des Kundenanteils ergeben würden. Bei Nebenlieferanten ist der Zusammenhang daher positiv. Der vermutete positive Zusammenhang zwischen der Abhängigkeit des Kunden und dem Kundenanteil wird ebenfalls bestätigt. Dieses Ergebnis deckt sich wiederum mit den Vermutungen von Liu, Leach und Bernhardt (2005, S. 566) zum Zusammenhang. Die Forscher argumentieren, dass Kunden häufig bestehende Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten, um Wechselkosten zu vermeiden. Wechselkosten können zukünftiges Commitment erhöhen und Wechselabsichten reduzieren. Wechselkosten entstehen durch beziehungsspezifische Investitionen, so dass Kunden eher dazu neigen, neue Vertragsbedingungen mit dem aktuellen Lieferanten zu verhandeln anstatt zu einem alternativen Lieferanten zu wechseln. Da die Wechselbarrieren im Zeitablauf steigen, spielen sie in Folgeentscheidungen eine immer größere Rolle, je länger die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten andauert (Liu/Leach/Bernhardt 2005, S. 561). Eine ähnliche Begründung liegt dieser Arbeit zugrunde, nach der das Commitment des Kunden gegenüber der Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Lieferanten aufgrund vorhandener Wechselkosten eskaliert. Auch die Moderatorhypothese H5M kann für diese Stichprobe nachgewiesen werden. Bei Hauptlieferanten existiert dieser positive Zusammenhang, weil hier eine Eskalation von Commitment wahrscheinlicher ist. Bei Nebenlieferanten ist der Zusammenhang dagegen nicht signifikant. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass der Kunde weniger Ressourcen in die Geschäftsbeziehung zum Nebenlieferanten investiert hat, so dass kaum versunkene Kosten entstanden sind, die er bei einer Beendigung dieser Geschäftsbeziehung berücksichtigen müsste. Bei Nebenlieferanten ist die Abhängigkeit für die Entscheidung über die Höhe des Kundenanteils unbedeutend. Der positive Einfluss des Beziehungswerts aus Kundensicht auf die Kundenzufriedenheit wird bestätigt (H6). Dieses Ergebnis stimmt mit der üblicherweise in anderen Untersuchungen angenommenen Wirkbeziehung überein (siehe z.B. Eggert/Ulaga 2002, S. 113). In dieser Arbeit wird der Zu-
Ergebnissynopse
163
sammenhang durch das Rationalitätsprinzip begründet. Auf die Beurteilung des Nettonutzens folgt eine affektive Reaktion. Danach ist der Kunde mit dem aktuellen Lieferanten umso zufriedener, je höher er den Nettonutzen dieses Lieferanten im Vergleich zu anderen Alternativen einschätzt. Der Zusammenhang zwischen der Suche nach alternativen Lieferanten und der Kundenzufriedenheit ist (H7), wie vermutet, negativ und kann ebenfalls durch das Rationalitätsprinzip erklärt werden. Mit der Suche nach Alternativen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde einen besseren Lieferanten entdeckt. Wenn dieser Fall eintritt, ist er mit seinem aktuellen Lieferanten unzufriedener. Zwischen der Kundenzufriedenheit und dem Kundenanteil wurde kein Zusammenhang vermutet (H8). Die empirische Überprüfung bestätigt diese Vermutung. Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass Affekt die Festlegung des Kundenanteils beeinflusst, weil der Einkäufer seine Entscheidung gegenüber anderen Beteiligten rechtfertigen muss. Zum anderen wählt er entsprechend dem AIM während des Entscheidungsprozesses Strategien zur Verarbeitung von Informationen, bei denen eine affektive Beurteilung kaum eine Rolle spielt. Zusammenfassend hat die empirische Überprüfung gezeigt, dass sich das theoretische Modell bewährt hat. Die entscheidungstheoretische Analyse erklärt die Vergabe des Kundenanteils in adäquater Art und Weise. Auch die Unterscheidung zwischen Hauptlieferanten und Nebenlieferanten erweist sich für die betrachteten Zusammenhänge als relevant. 5.2 Implikationen
Bei den Implikationen wird zuerst auf solche für die Unternehmenspraxis eingegangen (siehe Abschnitt 5.2.1), bevor die Relevanz der Ergebnisse für die Forschung dargelegt wird (siehe Abschnitt 5.2.2). 5.2.1 Unternehmenspraxis
Der Status eines Lieferanten determiniert, mit welcher Bindungsstrategie er seinen Anteil am Beschaffungsvolumen des Kunden am ehesten ausbauen kann. Die Verfolgung einer Gebundenheitsstrategie durch den Hauptlieferanten kann ihm dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen. Unter einer
Gebundenheitsstrategie des Hauptlieferanten ist der Aufbau von Wechselbarrieren zu verstehen, die es dem Kunden erschweren, den Hauptlieferanten gegen einen Wettbewerber auszutauschen (Kotler/Keller/Bliemel 2007, S. 62). Da Kunden in der Regel an den Hauptlieferanten gebunden sind, können sie kurzfristig nicht wechseln (Bliemel/Eggert 1998, S. 44). Sie haben keine Wahl und
164
Schlussbetrachtung
sind gezwungen, mit dem Hauptlieferanten zusammenzuarbeiten. Dies hängt zumeist damit zusammen, dass sie schon umfangreiche Ressourcen in die Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Hauptlieferanten investiert haben und diese Investitionen bei einem Wechsel zu einem Konkurrenten verloren wären. Diese versunkenen Kosten berücksichtigt der Kunde bei seinen Überlegungen, zu einem anderen Lieferanten zu wechseln. Gleichzeitig würde aber auch der Aufbau einer neuen Geschäftsbeziehung mit einem anderen Lieferanten zusätzliche Investitionen notwendig machen, die der Kunde vermeiden möchte. Für den Hauptlieferanten kann diese Strategie vorteilhaft sein, weil der Kunde aufgrund seiner schon getätigten Investitionen daran interessiert ist, dass die Zusammenarbeit erfolgreich verläuft. Aufgrund der entstandenen versunkenen Kosten ist es daher unwahrscheinlich, dass der Kunde den langwierigen Prozess des Austauschs seines Hauptlieferanten initiiert. Da der Kunde von Hauptlieferanten die Übernahme verschiedener Funktionen, wie z.B. Investitions-, Innovationsentwicklungs- oder Qualitätsverbesserungsfunktion, erwartet, muss er einen gewissen Grad an Abhängigkeit in Kauf nehmen. Denn der Hauptlieferant ist nur dann bereit, beziehungsspezifisch zu investieren, sich an der Produktentwicklung des Kunden zu beteiligen oder ihn bei der Verbesserung der Qualität seiner Endprodukte zu unterstützen, wenn der Kunde ihm über einen längeren Zeitraum einen hohen Anteil am Beschaffungsvolumen zusichert. Ein Nebenlieferant wird seinen Anteil am Beschaffungsvolumen dagegen eher mit der Verfolgung einer Verbundenheitsstrategie (Bliemel/Eggert 1998, S. 44) ausbauen können. Er sollte danach streben, dass sich die Kunden ihm und seinen Produkten gegenüber verbunden fühlen (Kotler/Keller/ Bliemel 2007, S. 63), indem er ihnen einen hohen Beziehungswert bietet. Die Kunden können aufgrund kaum getätigter Investitionen jederzeit zu einem anderen Lieferanten wechseln, wobei sie eine Beibehaltung der Geschäftsbeziehung mit dem aktuellen Nebenlieferanten aufgrund bestehender Vorteile bevorzugen. Aus diesem Grund werden sie bei der Erneuerung von Rahmenverträgen weniger alternative Wettbewerbsangebote einbeziehen und den Anteil des Nebenlieferanten an ihrem Beschaffungsvolumen möglicherweise erhöhen. Während Anbieter im B-to-C Kontext durch eine Steigerung der affektiven Zufriedenheit des Kunden häufig einen größeren Anteil am Einkaufsbudget des Kunden erzielen können, trifft dieser Zusammenhang im B-to-B Kontext nicht zu. In bestehenden Kunden-Lieferantenbeziehungen spielt die affektive Komponente eine untergeordnete Rolle. Für bestehende Lieferanten ist eine solche Situation von Vorteil, weil sie nicht damit rechnen müssen, dass der Kunde ihren Anteil am Beschaffungsvolumen kurzfristig anpasst, weil er mit einer Lieferung durch den aktuellen Lieferanten unzufrieden war. Der Kunde konzentriert sich eher auf den Nutzen, den ihm die Beziehung mit dem
Implikationen
165
Lieferanten insgesamt stiftet. Einzelne Ereignisse während der Beziehung, die zu Unzufriedenheit führen, fallen kaum ins Gewicht. Die Ressourcen, die Lieferanten regelmäßig zur Befragung ihrer Kunden zur affektiven Zufriedenheit aufwenden, sollten beispielsweise eher in die Verbesserung der Zulieferprodukte investiert werden, d.h. die Steigerung des wahrgenommenen Beziehungswerts. Kunden entscheiden bei der wiederholten Beauftragung eines aktuellen Lieferanten auf der Basis umfassender Bewertungsschemata, die sich eher an „harten“ Kriterien, wie z.B. dem Vorhandensein ausreichender Kapazitäten für die Produktion des Bauteils mit zukünftigem Ausbaupotenzial, orientieren, anstatt von Zufriedenheitsurteilen auszugehen. Bei bestehenden Lieferantenbeziehungen wird hauptsächlich danach entschieden, ob der gesamte Lieferprozess reibungslos abgelaufen ist und die entsprechenden Bewertungskriterien vom Lieferanten über die Dauer des Rahmensvertrags erfüllt wurden. Zudem sind in der Regel mehrere Personen an einer Einkaufsentscheidung beteiligt, so dass die Beauftragung eines Lieferanten gegenüber anderen Beteiligten gerechtfertigt werden muss. Beispielsweise müssen Vertreter der Produktion erklären, warum das bisher eingebaute Zulieferprodukt auch weiterhin eingekauft werden soll. Bei einer solchen Entscheidung geht es zunächst darum, ob in der Vergangenheit irgendwelche Probleme beim Einbau aufgetreten sind und wie Vertriebsmitarbeiter des Lieferanten darauf reagiert haben. Wenn der Lieferant also die ihm vom Kunden zugewiesenen Funktionen erfüllt, kann er in der Regel damit rechnen, dass der Kunde seinen momentanen Anteil am Beschaffungsvolumen unverändert lässt. Die Lieferanten sollten sich daher darauf konzentrieren, zur erfolgreichen Geschäftstätigkeit des Kunden beizutragen anstatt Ressourcen in die Erhebung und Auswertung von Zufriedenheitsurteilen des Kunden zu investieren, die kaum zu einem Folgeauftrag führen. 5.2.2 Forschung
Diese Arbeit hat gezeigt, dass die Stärke der untersuchten Zusammenhänge unterschiedlich ist, je nachdem, ob es sich um einen Hauptlieferanten oder um einen Nebenlieferanten handelt. Wenn man nur das Gesamtmodell ohne eine anschließende getrennte Schätzung des Strukturmodells je nach Teilgruppe betrachtet, würde man die unterschiedlichen Effekte nicht entdecken können. Beispielsweise wird im Gesamtmodell der positive Zusammenhang zwischen dem Beziehungswert aus Kundensicht und dem Kundenanteil (H4) bestätigt. Eine getrennte Schätzung des Strukturmodells für Hauptlieferanten und für Nebenlieferanten ergibt für die Hauptlieferantenstichprobe allerdings keinen Zusammenhang, während für die Nebenlieferantenstichprobe ein positiver Zusammenhang
166
Schlussbetrachtung
nachgewiesen wird. Hier ergeben sich signifikante Unterschiede zwischen den Teilgruppen, die im Gesamtmodell nicht erkannt werden können. Um eine solche Heterogenität in den Daten aufzudecken, sollten Forscher deshalb im Kontext von Kunden-Lieferantenbeziehungen den Lieferantenstatus als Kontrollvariable erheben, sofern sich eine Untersuchung sowohl auf Hauptlieferanten als auch auf Nebenlieferanten bezieht. Falls diese Heterogenität in den Daten nicht berücksichtigt wird, kann dies die Ergebnisse verzerren und schließlich zu Fehlinterpretationen führen. Bei zukünftigen Studien sollte im Vorhinein überlegt werden, ob die Stärke der untersuchten Zusammenhänge möglicherweise für Lieferantentypen unterschiedlich ist. Je nachdem, zu welchem Ergebnis im Rahmen ihrer Überlegungen die Forscher gelangen, sollten sie explizit Hauptlieferanten und Nebenlieferanten einbeziehen. Zukünftige Forschung könnte sich schließlich mit der Frage beschäftigen, welche Charakteristika eines Lieferanten seinen Status beim Kunden determinieren. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls untersucht werden, unter welchen Bedingungen ein Nebenlieferant zum Hauptlieferanten aufsteigt bzw. ein Hauptlieferant zum Nebenlieferanten absteigt. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Voraussetzungen beispielsweise ein Nebenlieferant erfüllen muss, damit er zum Hauptlieferanten aufsteigt. Eine Überlegung wäre, dass der Kunde danach entscheidet, ob der bisherige Nebenlieferant fähig ist, grundsätzliche Funktionen von Hauptlieferanten zu übernehmen. 5.3 Limitationen
Im Folgenden werden einige Limitationen der vorliegenden Untersuchung erläutert. Eine mögliche Limitation ist, dass alle Angaben auf selbstberichteten Aussagen eines Schlüsselinformanten basieren. Um robustere Daten für den Kundenanteil zu erhalten, wäre es von Vorteil, auf Unternehmensdatenbanken zurückzugreifen. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Kundendatenbanken eines Lieferanten oder Lieferantendatenbanken eines Kunden. In einigen Untersuchungen zum Kundenanteil wird teilweise auf Kundendatenbanken eines Lieferanten zurückgegriffen (siehe z.B. Bolton/Lemon/Verhoef 2008, S. 53). Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist allerdings, dass zwar der Anteil dieses Lieferanten am Beschaffungsvolumen eines einzelnen Kunden für ein bestimmtes Produkt oder für eine bestimmte Produktkategorie aus der Unternehmensdatenbank generiert werden kann und somit eine objektive Größe darstellt. Gleichzeitig muss der betrachtete Kunde aber zu seinem Beschaffungsvolumen insgesamt für das ausgewählte Produkt befragt werden. Damit verlässt sich der Forscher ebenfalls teilweise auf selbstberichtete Daten durch den Schlüsselinformanten. Ein weiterer Nachteil bei der Verwendung von solchen Unternehmensdatenbanken eines Lieferanten ist, dass sich die Untersuchung meist auf eine einzelne Branche beschränkt.
Limitationen
167
Eine andere Möglichkeit besteht darin, Lieferantendatenbanken eines Kunden zu verwenden. Dabei können die Anteile der einzelnen Lieferanten am gesamten Beschaffungsvolumen für ein bestimmtes Produkt oder für eine bestimmte Produktkategorie objektiv ermittelt werden. Für die hier untersuchte Fragestellung ist allerdings die Kundenperspektive entscheidend. Bei diesem Vorgehen kommen ausschließlich Einkäufer dieses Kunden als Schlüsselinformanten in Frage, die dann zu unterschiedlichen Lieferanten befragt werden müssten. Daraus würde ein vergleichsweise hoher Befragungsaufwand für den einzelnen Einkäufer resultieren. Ein solcher Ansatz erscheint daher trotz des Vorteils einer objektiven Erhebung des Kundenanteils in diesem Kontext nicht sinnvoll. Im B-to-B Kontext sind unternehmensübergreifende Datenbanken mit verschiedenen Branchen anders als im B-to-C Kontext kaum vorhanden (siehe für eine Ausnahme Ahearne/Gruen/Jarvis 1999; Ahearne/Jelinek/Jones 2007). Daher muss im B-to-B Kontext immer zwischen einer zumindest teilweise objektiven Ermittlung des Kundenanteils bei gleichzeitiger Beschränkung auf eine Branche und einer subjektiven Erhebung des Kundenanteils durch selbstberichtete Daten mit der Möglichkeit einer Querschnittsanalyse abgewägt werden. Eine weitere Limitation ist zudem, dass sich alle Daten auf die Aussagen eines Schlüsselinformanten stützen. Auch wenn einige Autoren die Befragung mehrerer Schlüsselinformanten des gleichen
Unternehmens empfehlen (Golden 1992), wird häufig nur ein Schlüsselinformant pro Unternehmen befragt. Dies hängt besonders mit zwei Problemen zusammen, die bei der Befragung mehrerer Schlüsselinformanten auftreten können. Kumar, Stern und Anderson (1993, S. 1634) sprechen dabei vom Auswahlproblem und vom Übereinstimmungsproblem. Das Auswahlproblem bezieht sich auf die Herausforderung, zwei oder mehrere Schlüsselinformanten im gleichen Unternehmen zu identifizieren, die gleichermaßen kompetent bezüglich der Aussagen zu einer bestimmten Geschäftsbeziehung sind. Dieses Auswahlproblem trifft insbesondere auf den Kontext dieser Arbeit zu. Einkaufsabteilungen sind in der Regel nach eingekauften Produktkategorien aufgeteilt. Ein Einkäufer ist daher für den Einkauf von Produkten einer festgelegten Produktkategorie verantwortlich. Da Lieferanten eher ähnliche Produkte anbieten, stehen sie meist im Kontakt mit einem bestimmten Einkäufer. Ein anderer Einkäufer könnte diesen Lieferanten dann nicht umfassend beurteilen, so dass es schwierig wäre, einen zweiten gleichermaßen kompetenten Schlüsselinformanten zu finden. Das Übereinstimmungsproblem kann auftreten, wenn zwei gleich kompetente Schlüsselinformanten identifiziert werden können. Darunter sind häufige Unterschiede in den Aussagen mehrerer kompetenter Schlüsselinformanten zu verstehen, die die anschließende Datenauswertung erschweren.
168
Schlussbetrachtung
Die Nutzung einer Datenquelle im Rahmen einer einmaligen Befragung stellt ebenfalls eine Limitation dar. Dabei kann Common Method Variance auftreten, womit ein systematischer Messfehler gemeint ist, der dadurch hervorgerufen wird, dass die Messmethode die Varianz der Messungen beeinflusst (Cote/Buckley 1987, S. 315). Common Method Variance ist aber nur dann bei der Schätzung von Zusammenhängen zwischen Konstrukten problematisch, wenn diese zu einer Verzerrung der Korrelationen zwischen Konstrukten und damit zu einem Common Method Bias führt (Meade/Watson/Kroustalis 2007, S. 1). Malhotra, Kim und Patil (2006, S. 1877) haben beispielsweise gezeigt, dass bei Strukturgleichungsmodellen der Einfluss von Common Method Bias auf die Höhe der Pfadkoeffizienten vernachlässigbar ist. Eine praktikable Möglichkeit zur Reduzierung der Common Method Variance bei einmaligen Erhebungen kann einerseits die Befragung eines Schlüsselinformanten zu den unabhängigen Variablen und andererseits die Befragung eines weiteren Schlüsselinformanten zur abhängigen Variable sein. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn es sich bei den abhängigen Variablen um objektive Größen handelt, die in Unternehmensdatenbanken dokumentiert sind (Rindfleisch et al. 2008, S. 262; siehe auch für die ausführliche Diskussion der Ursachen von Common Method Variance und möglicher Verfahren zur Diagnose und Kontrolle Temme/Paulssen/Hildebrandt 2009).
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