Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 106 � 106
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Der Zweikampf �
Sahara
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Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 106 � 106
Lee Roy Jordan �
Der Zweikampf �
Sahara
Sie überraschten Lobo, als er einen Moment nicht aufpaßte – aber danach hatten sie auch noch ihn auf ihrer Fährte. Die Hauptpersonen des Romans: Lobo – Er wurde vieles verzeihen, aber nicht, daß man ihn gezwungen hat, einen Menschen zu töten. Ward Willard – Der Sheriff ist ein harter Mann, aber am härtesten ist er gegen sich selbst. Dave Willard – Der Sohn des Sheriffs rettet Lobo das Leben. Wayne Ferguson – Er glaubt, selbst durch die Hölle gehen zu können, aber er hat sich überschätzt. Stirn Cutter – Der Bandit muß am Ende für alles Böse, das er anderen angetan hat, büßen. Es gibt einfach Tage, an denen alles schiefgeht. Dieser Tag war so einer. Ein Sonntag. Die Sonne schien durch einen milchigen Schleier, der den ganzen Himmel überzogen hatte. Die Luft war heiß und trocken. Staubteufel tanzten in heißen Windböen zwischen den Saguaros, den Chollas und den dornigen Dickichtfeldern entlang der ausgetrockneten Arroyos. Lobo hatte schon beim Frühstück Pech. Er verbrühte sich mit dem kochenden Kaffee die linke Hand, als er seine Tasse vollgießen wollte und ihn sein Buckskin unverhofft von hinten anstieß. Der Buckskin war Dusty, ein zähes Pferd, das Lobo vom Gila River zur Überlandstraße getragen hatte. Ein Apachenpferd mit Narben am Kopf und an den Beinen. Das Pferd hatte einem Whiskytrader gehört, den die Apachen gevierteilt hatten. Lobo hatte den Apachen das Pferd für ein paar Winchesterpatronen abgekauft. Die Apachen waren knapp an Winchesterpatronen, seit sich sogar die Kinder ihrer Haut wehren mußten. 2
Und Lobos Pferd, ein Fuchshengst, war im Gila River ertrunken. Hitzschlag und weg. Einfach so. Zum Glück war Lobo neun Tage später den Apachen begegnet, die, wiederum zum Glück, einen dieser skrupellosen und mörderischen Schnapshändler erwischt hatten. Lobo hatte das Pferd Dusty genannt. Ein guter Name für ein Pferd mit einem staubfarbenen Fell, dunklem Langhaar und richtig warmen Mutteraugen. Aber Dusty war keine Mutter. Konnte er nicht sein, denn er war ein Hengst. An diesem Tag, an dem Dusty Lobo von hinten anstieß, an diesem Tag ging alles schief. Auf Lobos Handrücken wuchsen schnell Blasen. Trotzdem verließ er das Lager am Wassertümpel. Er wollte weiter und versuchen, bei einem alten Freund im SanPedro-Tal einen Job zu kriegen. Er brauchte Geld. Seine Taschen waren leer, die Moks hatten Löcher, und das letzte Bier hatte er vor fast einem Monat getrunken. Aber an diesem Tag ging alles schief. Kurz vor Mittag machte Lobo Rast. Es war ein guter Platz. Rote Sandsteinbrocken umgaben ein kleines Wasserloch. Ein Gilamonster, das sich im Schattengewirr eines Kreosotbusches aufgehalten hatte, brachte sich eiligst zwischen zwei Felsen in Sicherheit und verdrückte sich in eine Gesteinsspalte. In der Nähe des Tümpels lag das blanke Skelett eines Kojoten. Und überall bleiche Knochen von Tieren und vielleicht von Menschen. Es war Apachenland, in dem sich Lobo befand. Apacheria! Er fühlte sich eigentlich wohl hier, obwohl er weder unter den Apachen noch unter den Weißen Freunde hatte. Er war ein Mann in der Mitte, ein Mann, dem man keine Chance gab, eine Seite zu wählen. Und eigentlich wollte Lobo gar keine Seite wählen. Längst hatte er sich daran gewöhnt, ein Einzelgänger zu sein. 3
Indianer nannten ihn ›Mann von zwei Träumen‹. Weiße nannten ihn ›Bastard‹. Er wußte, wer er war, und manchmal sehnte er sich nach einer anderen Welt. Nach Frieden. Nach einem Leben ohne Gewalt. Er hatte genug Kämpfe hinter sich. Tausend Narben waren übrig geblieben. Einige davon heilten nie. Lobo kniete am Wassertümpel nieder und streckte die Hand mit den Blasen in sein Spiegelbild. Das Wasser war lau, kühlte aber die heiße Hand. Lobo legte den Kopf in den Nacken. Über ihm wölbte sich der Arizona-Himmel eines glühenden Sommertages. Der Himmel war nicht blau, er war grau wie Blei. Und die Sonne war grell und weiß und ohne Kontur. Der Wind hob den Staub zu Wirbeln, die sich zwischen den, Felsformationen bewegten. Wie tanzende Teufel. Es waren vielleicht die Geister längst verlorener Seelen, wie die Apachen meinten. Dusty stand neben Lobo, die Vorderbeine im Wasser. Er soff lautlos. Nur am Hals, wo sich ab und zu der Kehlkopf bewegte, konnte Lobo erkennen, daß er das laue Wasser in sich hineinsog. Plötzlich hörte Lobo ein Geräusch hinter sich. Seine rechte Hand ging blitzschnell zum Griff des 45ers, der aus einem abgewetzten und zerkratzten Holster ragte. Sekundenlang verharrte Lobo. Dann drehte er ganz langsam den Kopf und lächelte, als er die Krötenechse sah, die unter einer dürren Tumbleweed-Kugel herumkroch. Sie hatte die Farbe des Bodens, rötlich-gelb. Lobo wußte, daß die Comanchen ein besonderes Verhältnis zu der Krötenechse hatten. Man sagte ihr nach, daß sie den Jägern immer den Weg zu den durchwandernden Büffelherden zeigen könne. Nein, es war niemand in der Nähe. Schon seit Tagen nicht mehr. Der letzte Mensch, dem Lobo begegnet war, hatte bis zum Hals in einem Ameisenhaufen gesteckt. Wahrscheinlich ein Prospektor. Die Ameisen hatten nicht mehr viel von ihm übrig 4
gelassen. Nein, es war wirklich niemand in der Nähe. Lobo war wachsam gewesen. In dieser Gegend konnte man es sich nicht erlauben, im Sattel zu träumen. In dieser Gegend konnte man es sich nicht einmal erlauben, in der Bettrolle zu träumen. Das wußte Lobo. Er kannte sich aus. Er war hier groß geworden, und schon als Kind hatte er beim Schlafen immer einen Arm angewinkelt unter seinen Kopf gelegt, um beide Ohren frei zu haben. Lobo nahm die Hand vom Revolver. Er setzte sich hin. Der Staub brannte in den Winkeln seiner Augen. Der Schweiß hatte auf seiner Stirn eine salzige Kruste gebildet. Lobo stellte sich einen Platz vor, wo er im Schatten liegen konnte, im kühlen grünen Gras, unter Kronen mächtiger Bäume, durch die der Wind wisperte. Ein schöner Platz. Ein Paradies. Ein Feuerstrahl schreckte ihn aus seinem Traum. Wie ein glühendes Stück Eisen strich er über seinen rechten Oberarm. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, und dann erst, nach Sekunden des Nichts, hörte er den peitschenden Knall und das Echo eines Schusses, das lange in den Felsen wühlte, bevor es verklang und dem Gelächter Platz machte, das Lobo einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Das Gelächter eines Vogels, schrill, heiser und abgehackt. Lobo hockte wie erstarrt am Boden. Er spürte, wie das Blut an seinem rechten Arm herunterfloß. Sein Herzschlag raste. Er hatte zuwenig Luft. Er atmete schnell. Fast wie ein Hund, der gerannt war. Das Gelächter brach ab. Es war totenstill. Dusty, der davongerannt war, stand mit aufgeblähten Nüstern und angespannten Muskeln im Schatten einer Felsnase, bereit, davonzulaufen. »Ich könnte ihm die nächste Kugel genau ins Genick schießen, Wayne!« Es war eine junge Stimme, fast mädchenhaft, erregt, drängend. 5
Jemand kicherte ganz leise. Dann war es wieder still. Lobo hatte sich beruhigt. Er atmete jetzt wieder normal. Die Schmerzen im Arm spürte er nicht mehr. Er hatte ihn ausgeschaltet. Er wußte, daß er am Rande eines tiefen Abgrundes kauerte, aus dem es keine Rückkehr mehr gab. War dies das Ende? Jetzt? Hier an diesem Tümpel und an diesem Tag, an dem nichts klappte und alles schiefging? Er hatte geträumt. Er hatte nicht aufgepaßt. Er hatte sich sicher gefühlt, und sein Instinkt hatte ihn nicht gewarnt. »Soll ich, Wayne? Sag's, und ich schieß ihm die Kugel in den Nacken.« Wieder ein Kichern. Dann ein metallisches Geräusch. Das Kichern erstarb. Aus den Augenwinkeln sah Lobo einen Schatten, der ein Stück über den Felsbrocken kroch, den Schatten eines Mannes. »Wetten, daß er gern wissen möchte, wer wir sind?« Das war eine krächzende Stimme, fast klirrend. Dann folgte das Kichern, und Lobo wußte, daß noch ein dritter Mann hinter ihm sein mußte. Der Mann, den er in das Echo des Schusses hinein hatte lachen hören. Das war nicht der Kicherer. Und es war nicht der Junge mit der Mädchenstimme, der so nervös war, daß er wahrscheinlich auch mit dem zweiten Schuß nicht richtig getroffen hätte. »Ich kann ihn töten, Wayne. Kein Problem. Ich brauch jetzt nur noch den Finger krumm zu machen, und er segelt in die Hölle. Soll ich ihn töten, Wayne? Soll ich euch zeigen, wie…« »Halt die Klappe, Kid!« Das war der Mann, der gelacht hatte. Das war Wayne. Ein Mann mit einer harten Stimme. Lobo bewegte sich nicht. Er wußte, daß er keine Chance hatte. Es hatte keinen Sinn, irgend etwas versuchen zu wollen, was an diesem Tag sowieso nie klappen konnte. Nicht heute, obwohl es ein Sonntag war. 6
»Zeig dem Jungen, wie man's macht, Slim!« Der Befehl war knapp und kam von dem Mann, der Wayne hieß. Lobos Muskeln spannten sich. Er wartete darauf, daß etwas passieren würde. Er lauschte. Kein Geräusch war zu hören. Aber Dusty tänzelte plötzlich seitwärts. Irgend etwas geschah hinter Lobo. Lobo hob den Kopf etwas an. Er lachte ganz leise auf und wunderte sich, daß seine Stimme nicht versagte. »Ich habe nichts«, sagte er. »Kein Geld. Nichts, außer dem Zeug, was ich trage, den Waffen und dem Pferd.« Ein Kichern war die Antwort. Dann ein leises Sausen. Lobo wollte sich bewegen. Wollte sich herumwerfen und zum Revolver greifen, aber in diesem Moment wurde er von einem scharfen Schlag getroffen, zur Seite gerissen und halb herumgewirbelt. Eine Ochsentreiberpeitsche aus geflochtenen Rohhautstreifen hatte ihn über Rücken, Nacken und Schulter getroffen. Sein Hemd war zerfetzt, seine Haut darunter aufgeplatzt. Der Schlag lähmte ihn für Sekunden. Und die Sekunden genügten dem Mann, die Peitsche einige Male um seinen Kopf kreisen zu lassen, bevor er die lange Schnur wieder gegen Lobo sausen ließ. Erneut wurde Lobo getroffen. Dieses Mal schlang sich die Peitschenschnur um seine Hüften. Lobo versuchte, sich an einem Busch festzuhalten und loszureißen, aber er schaffte es nicht. Feuer breitete sich in seinem Körper aus. Schmerzen durchjagten ihn. Er hörte sich brüllen, hörte den Aufschrei, als das Leder erneut auf ihn niederklatschte und ihm ein Stück des durchschwitzten Hirschlederhemdes vom Oberkörper riß. Fünf-, sechsmal wurde Lobo getroffen. Dann lag er am Boden, unfähig, sich zu rühren. Die Schmerzen blendeten ihn. Wie durch einen Schleier hindurch sah er die bucklige Gestalt auf sich zukommen. Stiefelleder knirschte. Staub prasselte auf Lobo 7
nieder, und ein harter Stoß traf ihn in die Seite. Er hörte ein Kichern, dann die schrille Stimme: »Mehr verträgt der nicht, Wayne. Nicht der hier. Der ist fertig.« Lobo sah zwei andere schemenhafte Gestalten aus den Nebeln auftauchen. Sie verharrten links und rechts von dem Buckligen. Einer hatte einen Revolver in der Hand. Für Sekunden lichteten sich die Nebel. Lobo konnte sie alle drei ganz klar und deutlich sehen. Den Jungen mit den blonden Haaren und dem schmalen Gesicht, das voller Sommersprossen war. Dann der bucklige Zwerg, dessen Gesicht fast so zerfurcht und höckrig war wie die Rinde eines alten Cottonwoodbaumes, und der hagere Mann mit der Narbe, die sich von seinem rechten Mundwinkel über die Wange zog, bis zur Schläfe hoch und dann hinunter zu dem Platz, wo das Ohr sein sollte. Aber das Ohr fehlte. Schrumplige Haut war dort, halb verdeckt von ein paar dunklen und verklebten Haarsträhnen. »Das ist einer, der zäh ist wie eine Katze«, sagte der Mann mit der Narbe. »Ich kenne diese Sorte, Slim, und du kennst sie auch. Den kannst du auspeitschen, bis ihm die Haut in Fetzen vom Leib hängt, ohne daß er mit der Wimper zuckt.« »Ich töte ihn, wenn du willst, Wayne. Ich…« »Junge, in dieser Einsamkeit geht einer wie du jedem anständigen Menschen derart auf die Nerven, daß du dich nicht zu wundern brauchst, wenn ich dich mal ein bißchen mit dem Messer kitzle.« Der Junge schloß den Mund. Sein Revolver zeigte noch immer auf Lobo, aber er nahm jetzt den Finger vom Drücker. Lobo bewegte seine Lippen. Dann die Zunge. Alles funktionierte. Er stieß einen Laut aus. Sehr leise. Rauh. »Uh-huh, er hat was gesagt!« rief der Bucklige. Lobo nickte kaum erkennbar. »Ja«, stieß er hervor. »Ich wollte fragen, warum ihr das 8
gemacht habt.« Jedes Wort bereitete ihm unsägliche Qualen. Seine Kehle war ausgetrocknet, und es schien, als wollte das Feuer in ihm ihn zerstören. Der hagere Mann mit der Narbe ließ sich auf ein Knie nieder. Jetzt sah Lobo sein Gesicht deutlich. Pulvergraue Augen. Die Haut grau im Schatten des schwarzen Filzhutes. Salzkristalle in den Falten. Schweiß glitzerte in den Bartstoppeln und den großen Poren. Seine Narbe war ziemlich gerade, mit einer weißlichen feinen Haut überzogen. Nur dort, wo das Ohr gewesen war, glänzten die Wülste speckig und rot. »Sag nur, du weißt nicht, wer ich bin, Bastard«, sagte der Mann leise. »Sag nur, du kennst mich nicht.« Lobo bewegte den Kopf. »Nein, ich – ich kenne dich nicht«, preßte er mühsam hervor. Der Mann lachte scharf auf. Es klang wie der Lockruf einer Wildgans. Lobo hatte sie gehört. Oben im Norden. Sie lachten in der Nacht. Manchmal klang es wie Hundegebell. »Slim, er weiß nicht, wer ich bin. Er hat keine Ahnung. Er ist unschuldig.« Der Bucklige kicherte. »Unschuldig wie ein Wickelkindchen«, rief er schrill. »Unschuldig! Unschuldig!« Der Mann mit der Narbe beugte sich wieder über Lobo. »Du weißt nicht, wer ich bin, Bastard? Du weißt nichts von einem Aufgebot, wie? Du hast keine Ahnung, wer Sheriff Ward Willard ist, was? Du bist ganz einfach zufällig hier?« »Das ist richtig«, sagte Lobo. »Uh-huh, dann, Bastard, dann muß dich entweder der Himmel oder die Hölle geschickt haben, denn wir brauchen dringend ein Pferd.« Lobo warf einen langen Blick hinüber zu Dusty. Fast drei 9
Wochen lang war er ihn geritten. Guter, alter Dusty. »Wir dachten, du bist der Fährtensucher von Willard. Wir dachten, daß er dich angeheuert hat, der alte rachsüchtige Sternträger. Er muß eine Rothaut dabei haben. Wir haben alles mögliche versucht, um ihn abzuschütteln, und Slim hat mal 'nen Burschen auf 'nem Buckskin gesehen. Der hatte allerdings kein Stirnband, sondern 'nen Topfhut auf seinem Schädel. Hast du 'nen Topfhut, Bastard?« »Nein.« »Dann hast du Pech gehabt.« Der Mann lachte. »Weiß du, man begegnet hier in dieser gottverlassenen Gegend selten einem Menschen. Daß du ausgerechnet uns über den Weg gelaufen bist, das ist ein verdammtes Pech. Ich bin Ferguson, Bastard. Wayne Ferguson. Schon mal von mir gehört?« Lobo bewegte den Kopf hin und her. »Nun, dann merk dir den Namen. Wayne Ferguson. Den hörst du noch einige Male, falls du hier wegkommen solltest. Und sonst kannst du mich dem Teufel empfehlen, Bastard. Mein Name ist Wayne Ferguson.« Ferguson lachte und stand auf. »Wir lassen ihn hier. Das ist zwar kein Platz zum Niederlassen, aber…« Der hagere Mann mit der Narbe brach ab. Es schien, als ob ihm ein seltener Einfall gekommen wäre. Er drehte sich langsam um seine eigene Achse, sah sich um, als ob er das Land kaufen wollte, prüfend, mit schmalen Augen. Dann kratzte er sich an der Stelle, wo die Wülste waren, nickte und hieb dem jungen Burschen mit dem Sommersprossengesicht die Hand auf die Schulter. »Okay, Kid, du wirst vielleicht heute doch noch zeigen können, was du wirklich taugst. Zieh die Hose, das Hemd und die Weste aus!« Der Junge verstand offensichtlich die Welt nicht mehr. Er stand 10
sekundenlang mit offenem Mund da und machte Augen wie eine Henne, die ein zu großes Ei legen wollte. »Tu, was ich dir gesagt habe, Junge«, ermahnte ihn Wayne Ferguson. »Mach dir dabei keine Gedanken. Gewöhn dich lieber daran, daß ich der einzige bin, der in diesem Verein denkt. Nicht wahr, Slim? Du überläßt mir das Denken.« Slim kicherte, dann sagte er: »Schon seit Jahren, Kid. Er ist der beste Denker, den ich kenne.« Wayne Ferguson wandte sich Lobo zu. »Na, Partner«, sagte er. »Wie fühlst du dich?« »Mies«, sagte Lobo. »Gut. Das macht schlapp. Und wer schlapp ist, kommt nicht auf dumme Gedanken.« Wayne Ferguson lachte glucksend. »Mann, du hast wirklich verdammt viel Pech gehabt, daß du ausgerechnet mir in die Hände gefallen bist. Ich bin ein wahrer Teufel. Weißt du, was mir eingefallen ist, als ich dich so in deinem Elend liegen sah? Mir ist eingefallen, daß ein Bastard wie du ein ganz beschissenes Leben haben muß. Und da dachte ich mir, daß du vielleicht ganz froh und glücklich darüber wärst, wenn deinem beschissenen Leben plötzlich mir nichts dir nichts ein schnelles und humanes Ende bereitet würde.« Ferguson lachte wieder und kniete nieder. Er schob zwei Finger unter Lobos Kinn und hob den Kopf etwas an. Lobo drehte ihn abrupt weg. »Stolz? Gut, das ist auch okay«, sagte Ferguson. »Du sollst ruhig stolz sein, Bastard. Wenn ein stolzer Bastard stirbt, verdunkelt sich vielleicht die Sonne. Wer weiß.« Ferguson stand auf und trat nach Lobo. Lobo krümmte sich vor Schmerzen am Boden zusammen, und Wayne Ferguson lachte über ihm, und der Bucklige kicherte, während sich der Junge auszog. »Nimm seine Kleider, Kid. Und zieh ihm deine an. Wenn er 11
Zicken macht, schneide ich ihm persönlich die Ohren ab. Ist das klar, Bastard?« Erneut wurde Lobo von Fergusons Stiefel getroffen. Lobo riß den Kopf hoch. Seine Augen tränten. »Ich weiß nicht, was du vorhast, Ferguson«, preßte er gequält hervor. »Aber wenn ich es überlebe, dann gnade dir Gott. Ich…« »Bastard, du wirst es nicht überleben!« Fergusons Stimme klang jetzt eiskalt. Er bückte sich, riß Lobos Colt aus dem Holster und öffnete den Waffengurt über seinem Bauch. Mit einem Ruck zog er den Gurt unter Lobo hinweg. »Los, zieht ihm das Zeug aus. Beeilt euch. Wir haben knapp zwei Stunden, bevor Willards Wolf da ist. Dann muß hier alles so vorbereitet sein, daß Willard erst dann die Falle riecht, wenn er schon in der Hölle brutzelt. Vorwärts, Kid. Los, hilf ihm, Slim. Und keine Zicken, Bastard. Es ist höllisch unehrenhaft, ohne Ohren in die Ewigen Jagdgründe zu segeln.« * Ward Willard hatte nur wenige Männer für sein Aufgebot ausgesucht. Er wußte, daß man Wayne Ferguson schon mit einer Armee gejagt hatte, ohne ihn zu erwischen. Vier Jahre lang war Wayne Ferguson gejagt worden. Von US Marshals, Sheriffs, von Kopfgeldjägern, Abenteuern und Wells-Fargo-Detektiven. Gute Männer hatten ihn gejagt. Chesterfield war ihm auf den Fersen gewesen. T.T. Chesterfield, der Jäger. Und er war der einzige gewesen, der eine Chance gehabt hätte, ihn einzuholen und ihn zu erledigen. Aber Ward Willard war Chesterfield zuvorgekommen. Ward Willard hatte Ferguson an jenem Tag erwischt, als Chesterfield bis auf Gewehrschußweite herangekommen war und eigentlich nur noch hätte abzudrücken brauchen. 12
Das war in Dolores gewesen. Hart an der Grenze zu Mexiko. Ward Willard hatte Ferguson dort eine Falle gestellt. Zusammen mit seinen drei Söhnen Frank, James und Dave. Ferguson kam am Mittag in die Stadt. Die Falle schnappte zu, aber Ferguson wehrte sich wie eine Klapperschlange. Er tötete Frank. Und er tötete James, den jüngsten. Dann bekam er Ward Willards Kugel ins Kreuz. Er lag zwei Jahre im Spital von Tucson. Dann erst wurde er abgeurteilt. Lebenslänglich Zwangsarbeit in Yuma. Anderthalb Jahre war er drin. Dann tötete er drei Wächter und floh zusammen mit Slim Cutter, einem buckligen Mörder, der seine Frau und deren Liebhaber kaltblütig umgebracht hatte. Ein Verrückter. Gefährlich wie eine Ratte. Giftig, unberechenbar und kaltblütig bis ins Herz. Was dann geschah, war unglaublich. Bevor die Nachricht vom Ausbruch Tucson erreichte, überfielen Wayne Ferguson und Slim Cutter zusammen mit einem jungen Burschen die Bank von Vulture City, raubten dreieinhalbtausend Dollar, erschossen den Kassierer, den sie als Geisel mitgenommen hatten, und verwundeten bei der Flucht einen Jungen, der Zeitungen austrug. Der Junge starb vier Tage später. Ward Willard wartete keinen Tag länger. Obwohl Vulture City nicht in seinem Bezirk lag, stellte er ein Aufgebot zusammen und ritt los. Er hatte seinen Sohn Dave dabei, weil Dave damals nicht unschuldig daran gewesen war, daß es Ferguson gelingen konnte, Frank und James zu töten. Dave war dreiundzwanzig Jahre alt. Er wollte eigentlich studieren und beschäftigte sich mit Astronomie, Geologie und Biologie. Ward Willard wollte aus ihm aber einen Mann machen, was bis jetzt überhaupt nicht geklappt hatte. Daß sein Sohn längst ein Mann war, das wollte Ward Willard nicht einsehen. Es gab Leute, die behaupteten, er hasse seinen Sohn und wolle sich an ihm für den Tod von Frank und James rächen. Vielleicht war da sogar etwas dran. Vielleicht 13
auch nicht. Niemand wußte es genau, aber Dave Willard studierte nicht, war wortkarg und verschlossen, arbeitete als Waffenschmied, obwohl er Waffen und Gewalt haßte, verbrachte die Nächte manchmal auf dem Hausdach und trug tagsüber statt eines Revolvers im Holster einen Bleistift in der Hemdtasche. Jetzt war er dabei. Ein großer, breitschultriger junger Mann mit einem markanten Gesicht, dunklen, warmen Augen, mittelbraunen Haaren und großen, schwieligen Händen. Er konnte lesen, schreiben, rechnen. Er war klug, hatte aber den falschen Vater und, seit er laufen gelernt hatte, keine Mutter mehr. Sie war an Schwindsucht gestorben. Jung, hübsch, klug, eine Lehrerin aus dem Osten. Zerbrochen an ihrem Mann, sagten Leute. Andere meinten, daß das Land schuld sei. Oder die Zeit. Ward Willard hatte noch drei Männer dabei. Ausgesuchte Männer. Horatio Ross, seinen Deputy. Ross war kaum ein halbes Jahr älter als Dave. Hager, mit stahlgrauen Augen. Ein harter Bursche. Einer der besten Gewehrschützen im County. Einer der besten Reiter im County. Braungebrannt und sympathisch. Ein Herzensbrecher. »So müßtest du sein«, hatte Ward Willard mindestens schon tausendmal gesagt. »So wie er, dann wärst du ein Mann!« Dann war noch Jack McCall dabei. Ein Mann aus Montana. Untersetzt, eckig. Er trug zwei Revolver. Er hatte eine Sammlung kleiner Postkarten, auf denen nackte Frauen mit großen Brüsten abgebildet waren. Manchmal blätterte er darin herum. Er war irgendwann nach Tucson gekommen, hatte sich im Alhambra in ein Pokerspiel eingekauft und von Colonel Fred Steenson an einem Abend zweitausend Dollar und ein paar Zerquetschte gewonnen. Als Ward Willard, der ein Menschenkenner war, ihn fragte, ob er mitkommen wolle, hatte er ja gesagt. Sonst nichts. Nur ja. Der andere Mann war Colonel Steensons Vormann, Nat Mur14
dock. Ein Texaner. Groß, breitschultrig und mit schmalen Hüften. Auch er trug zwei Revolver. Er war etwas älter als Ross und McCall und er war Ward Willards bester Freund. Ein guter Mann. Ausdauernd, wachsam und zuverlässig. Der letzte Mann war der Bastard mit dem Topfhut. Ein Mischling. Halb Yaqui, halb Weißer. Klein, mager, mit einem verwitterten Gesicht und kleinen schwarzen Mäuseaugen, die ständig in Bewegung waren. Er hieß José. Sonst hatte er nur noch einen indianischen Namen. »Feuermacher«, hieß er. Ein schöner Name. José, der Feuermacher. Er war eigentlich nie bei den anderen. Er ritt entweder voran oder hinterher. Nur selten kam er und machte Meldung. Wenn man nicht aufpaßte, konnte man glatt vergessen, daß er überhaupt dabei war. Aber vorläufig war er der wichtigste Mann, denn er hatte dreißig Meilen von Vulture City entfernt die Fährte von Wayne Ferguson, Slim Cutter und dem jungen Burschen aufgenommen, von dem noch niemand den Namen wußte. »Zwei Stunden Rückstand«, signalisierte José mit seinem Taschenspiegel von einem Hügel aus und verschwand wieder. Zwei Stunden hinter Wayne Ferguson. Ward Willard bekam für einen Moment feuchte Handflächen. Er ritt neben Nat Murdock, dem Texaner. Murdock saß auf einem grauen Hengst. Er trug als einziger Chaps. Und er hatte den Hut mit der breitesten Krempe. Vorn hochgebogen. Ein Schnurrbart mit hängenden Enden bedeckte den schmalen Mund. In seinem Mundwinkel hing eine krumme Zigarette. Wenn er redete, klebte sie schief an seiner Unterlippe. »Wir kriegen ihn am Abend, falls er ein Lager aufschlägt«, sagte Nat Murdock. »Und das wird er, falls er noch nicht weiß, daß wir ihm so dicht auf den Hacken sind.« »Dann wird dies der letzte Sonnenuntergang sein, den er 15
erlebt«, entgegnete Ward Willard. Der Sheriff war ein knochiger Mann, groß, mit einem schmalen Totenkopfgesicht, borstigem Grauhaar und harten Augen. Er hatte eine Winchester im Scabbard, und eine Schrotflinte hing in einer Schlinge von seinem Sattel. In seinem Holster, das er hoch an der rechten Hüfte trug, steckte ein langläufiger Peacemaker, an dessen Lauf das Korn weggefeilt war. Er galt als sicherer und schneller Schütze und als ein gnadenloser Mann. Aber er vertrat das Gesetz. Ein schwieriges Unterfangen in einer wilden Stadt wie Tucson. Um die Arbeit zu tun, die getan werden mußte, brauchte es einen Mann wie Ward Willard. Dave Willard saß steif im Sattel. Sein Hintern brannte schon seit vier Tagen. Er hatte Salbe auf die Blasen gestrichen. Und Puder. Es nützte alles nichts. Er redete kaum ein Wort und verrichtete die Arbeit, die ihm sein Vater auftrug. Er holte Holz, machte Feuer, sattelte die Pferde ab, sattelte sie am Morgen wieder auf, gab ihnen Futter, hielt Nachtwache, braute Kaffee und grub mit seinem Messer in trockener Erde herum, bis er auf Wasser stieß. Es war ein mühsamer Ritt. Für Dave war er qualvoll. Aber er beklagte sich nicht. Er ritt tagein, tagaus hinter seinem Vater her, starrte auf den breiten Rücken mit der fleckigen Lederweste und dem Nackenwulst, der immer schweißnaß war. »He, Sohn, das ist der letzte Tag!« rief Ward Willard. Und er lachte. Dave hob nur den Kopf. Er sagte nichts, und das Lachen erstarb. »Mann, manchmal wünsche ich, daß ich dich daheimgelassen hätte, verdammt noch mal«, knurrte der Sheriff. »Du hockst im Sattel wie ein Sack und machst ein Gesicht wie einer, der zum Galgen reitet. Herrgott, versuch wenigstens einmal in deinem Leben, die richtige Einstellung zu einer Sache zu finden. Du 16
würdest sehen, daß das ein verdammt großer Vorteil für dich wäre.« Dave lächelte. »Ich versuche gerade, mein Gewicht immer so zu verlagern, daß ich nicht auf den wunden Stellen sitze, Vater«, erwiderte er beinahe fröhlich. »Ich bin froh, daß es der letzte Tag ist. Wir können in zwei Wochen wieder daheim sein.« Ward Willard hatte eine Stange Kautabak aus der Westentasche geholt und biß ein Stück davon ab. Er wechselte mit Nat Murdock einen schnellen Blick. Der Texaner zog die Schultern hoch. Ross lachte. »In zwei Wochen reitest du auf dem Zahnfleisch, Dave«, sagte er. Dave lachte auch, obwohl ihm nicht danach zumute war. Sie ritten einen Arroyo entlang. Links waren kahle Berge. Rechts waren kahle Berge. Vor ihnen war nichts, und hinter ihnen war nur der Staub, den die Pferde hochwirbelten. Sie kamen gut voran. Und sie holten auf. Schon seit drei Tagen, als eines der Pferde der Banditen sich den rechten Vorderlauf gebrochen hatte. Jose meinte, es sei das Pferd des Jungen gewesen, von dem noch niemand den Namen kannte. Der Junge hatte den Kassierer erschossen. Das wußte man, weil eine Bankkundin alles gesehen hatte. Und Wayne Ferguson hatte den Jungen Kid genannt. Nun ritten der Bucklige und der Junge zusammen auf einem Pferd. Sie kamen deshalb nur langsam voran, aber sie schienen nicht beunruhigt. Warum sollten sie auch? Wer hätte ihnen aus Vulture City länger als fünf oder sechs Tage lang folgen sollen? Kein Aufgebot würde das durchhalten. Und solange noch keine Kopfpreise ausgesetzt waren, so lange würden es auch keine Jäger wie Chesterfield versuchen. Sie ritten langsam, die drei Mörder und Banditen. Und sie gaben sich keine Mühe, ihre Spuren zu verwischen. Sie 17
schwenkten auch nie von der Richtung ab, die sie eingeschlagen hatten. Sie ritten schnurgerade südostwärts auf Nogales zu. Aber Nogales war noch weit. Zu weit für Wayne Ferguson und seine Kumpane. Viel zu weit. Das dachte wenigstens Ward Willard, der Sheriff, der noch einmal ausgezogen war, um Wayne Ferguson zu jagen. Und dieses Mal wollte er ihn töten. Er wollte ihn sozusagen unschädlich machen, und als Vertreter des Gesetzes hatte er sogar das Recht und die Pflicht dazu. * Wayne Ferguson kauerte neben Lobo am Boden. Er schien mit sich und der Welt sehr zufrieden und zweifelte nicht im geringsten daran, daß seine tödliche Falle im rechten Moment wirksam zuschnappen würde. Lobo war sich über eines inzwischen im klaren: Er hatte noch nie einen gefährlicheren Mann kennengelernt als Wayne Ferguson. Fergusons Verstand arbeitete schnell, gut und gründlich, Er war wie eine Maschine. Nachdem er sich einmal entschlossen hatte, hier auf Ward Willard und seine Männer zu warten, plante er sein Vorhaben bis ins letzte Detail. Er ließ nichts aus, und am Ende wußte Lobo, daß er eigentlich kaum eine Chance hatte, mit dem Leben davonzukommen. Und Wayne Ferguson war stolz. »Na, Bastard?« fragte er, als die Sonne tief über einigen Felsformationen stand, von denen das Licht heruntertropfte wie flüssiges Gold. Lobo verzichtete darauf, Wayne Ferguson eine Antwort zu geben. Der Mann spielte ein übles Spiel mit seinem Opfer. Und dafür haßte Lobo ihn, obwohl er längst gelernt hatte, daß Haß ein mieser Begleiter war. Wayne Ferguson ließ keine Chance aus, 18
Lobo zu quälen und ihn zu demütigen. Er spielte mit ihm wie eine Katze mit der Maus. Und Lobo war wehrlos. Lobo war ihm ausgeliefert. Er lag am Boden. Halb aufgerichtet und mit beiden Füßen an zwei tief in den Boden gerammte Pflöcke gebunden. Seine Arme waren frei, denn er sollte sie noch gebrauchen müssen. Zwei Schritte entfernt brannte ein kleines Feuerchen. Ein Bündel lag im Staub. Es sah alles danach aus, als ob ein völlig erschöpfter Mann hier die nächste Nacht verbringen wollte. Ein Mann, der zu Fuß war. Lobo trug die Kleider des Jungen mit dem Sommersprossengesicht. Im Dämmerlicht würde man aus einer Entfernung von hundert Schritten schon nicht mehr erkennen können, daß das Gesicht unter dem grauen Schlapphut dunkel war. »Na, Bastard?« sagte Wayne Ferguson noch einmal und zupfte an Lobos Weste herum. »Du weißt, was du zu tun hast, nicht?« Lobo versuchte, mit der Zunge seine Lippen zu benetzen. Aber die Zunge war trocken, und die Lippen fühlten sich hart an. Wayne Ferguson hatte den Buckligen zweimal daran gehindert, Lobo Wasser zu geben. »Solange er Durst hat, weiß er, daß er uns ausgeliefert ist«, hatte Ferguson gesagt. Und so war es. Lobo litt unter Schmerzen, und der Durst quälte ihn. Aber er bat nicht um Wasser. Er bat nicht um Gnade. Er schwieg eisern und wünschte sich, am Leben zu bleiben, um diesen Mann für alles, was er getan hatte, zu bestrafen. Nur noch Wayne Ferguson war bei Lobo. »Denk daran, daß du eine Chance hast, Bastard. Wenn du dich wehrst, dann bleibst du vielleicht am Leben. Wenn du schießt, dann bist du besser dran, als wenn du nicht schießt. Denk daran. Ich ziele auf dich. Und wenn du nicht mitmachst, dann drücke ich ab. Glaubst du mir, daß ich dich genau treffe? Sicher, Bastard. Du glaubst mir. Ich bin keine fünfzig Schritte weit weg. 19
Ich treffe dich genau, Bastard, und du weißt, wie das ist. Du verstehst, was ich dir sagen will, Bastard. Siehst du, das ist nur 'ne Warnung. Ich bin kein Unmensch, Bastard. Ich warne dich. Du kriegst von mir eine Chance. Jeder kriegt von mir seine Chance. Nur Ward Willard nicht. Den bring ich um. Das habe ich ihm geschworen!« Er hatte ziemlich schnell gesprochen. Wie im Fieber. Seine Augen glühten. Dieser Mann war eine Bestie. Oder er war krank. Vielleicht war er eine kranke Bestie. »Es ist sicher, daß der Fährtensucher zuerst kommt, Bastard. Er ist eine Rothaut. Oder ein Bastard. Vielleicht dein Bruder.« Ferguson lachte. »Du tötest ihn, Bastard!« »Und wenn ein anderer der erste ist?« fragte Lobo heiser. »Du tötest auf jeden Fall den ersten. Er wird von dort oben kommen, wo der Wildpfad zwischen den Felstürmen verschwindet. Er wird dort oben am Ende des Hanges anhalten und wird herunterschauen und sich fragen, was los ist. Du bleibst ruhig liegen. So, als seist du vor Erschöpfung eingeschlafen. Er wird dann entweder zurückreiten und Willard seine Meldung machen, oder er kommt näher heran. Du hast in jedem Fall dann eine Chance, wenn er dort oben sein Pferd anhält, Bastard. Dann kannst du ihn treffen.« Lobo nickte. »Ward Willard wird den Schuß hören.« »Sicher. Er hat Ohren wie ein Luchs. Und er wird zu Fuß herankommen. In diesem Gelände ist ein Jäger zu Fuß besser dran. Willard ist ein erfahrener Mann. Also wird er zu Fuß kommen und die Pferde zurücklassen. Wir werden ihn abfangen, wenn er hier in der Senke ist. Denk daran, daß du ruhig liegen bleibst und keinen Mucks mehr machst, wenn du getroffen hast. Willard soll glauben, daß du tot bist. Oder zumindest schwer verletzt.« »Es wird nur ein Schuß fallen«, sagte Lobo kehlig. »Willard ist 20
kein Narr, Ferguson.« »Das brauchst du mir nicht zu sagen, Bastard. Ich kenne Willard besser, als er denkt. Nein, du hast zwar nur eine Kugel, aber es werden zwei Schüsse fallen.« Wayne Fergusson lächelte hintergründig. »Einen feuerst du ab, und einen werde ich abschießen. In deine Richtung, Bastard. Und wenn mir an der Sache etwas nicht gefällt, dann trifft die Kugel, und du brauchst kein Schauspiel mehr abzuziehen. Geht das in deinen Kopf rein, Bastard?« Lobo ließ sich zurückgleiten, aber Wayne Ferguson packte ihn am Hemd und riß ihn hoch. »Ich will wissen, ob alles klar ist!« stieß er heiser hervor. Lobo zögerte einen Moment. Der Zorn, der in ihm wühlte, ließ Trotz in ihm aufsteigen. Aber Wayne Fergusons Augen warnten ihn. Es waren die Augen eines Killers. »Ja«, sagte Lobo, und er konnte dabei nicht verstehen, wieso es einem Menschen soviel Spaß machen konnte, ein wehrloses Opfer zu quälen. Ferguson fühlte sich großartig in seinem Blutrausch. Ein mächtiger Mann. Im Grunde genommen war er aber nichts anderes als ein ganz erbärmlicher Kerl ohne Rückgrat und ohne einen Funken Anstand im Leib. Vielleicht wußte er dies sogar, und dieses Wissen machte ihn um so gefährlicher. »Und noch etwas, Bastard«, sagte Ferguson hart. »Falls Willard oder seine Leute dich abschießen, dann ist das dein Pech. Ich gönn's dir nicht, Bastard, denn du bist auch einer, der die Knochen vorgeworfen kriegt, die andere abgenagt haben.« »Ich habe mich nie in der Gosse herumgetrieben«, erwiderte Lobo, und es gelang ihm, seiner Stimme einen etwas festeren Klang zu geben. »Mach dir um mich keine Sorgen, Ferguson. Du bist es, mit dem du eigentlich Mitleid haben müßtest.« Für einen Moment sah es aus, als wollte Ferguson Lobo an die Kehle fahren. Die Adern an seinen Schläfen schwollen jäh an. 21
Sein graues Gesicht rötete sich vom Hals her. Beide Hände kamen gleichzeitig hoch und langten nach Lobos Hals. In diesem Moment aber erklang die Stimme des Jungen. »Wayne, Willards Spürhund ist. noch zwei Meilen entfernt.« Ferguson riß den Kopf herum. Er blickte zu den Felsen hoch, wo der Junge aufgetaucht war. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Er nahm die Hände zurück und stand auf. »Gut«, sagte er. »Tu, was ich dir gesagt habe, Bastard. Das ist die einzige Chance, die du hast.« Ohne eine Antwort Lobos abzuwarten, drehte er sich um und ging zu einem Felsbrocken neben dem Tümpel. Dort lehnte eine Winchester. Lobo wußte, daß sie nur eine Patrone im Lauf hatte. Das Magazin war leer. Wayne Ferguson ergriff das Gewehr. »Deckt ihn!« rief er zu den Felsen hoch. »Wenn er danach greift, tötet ihn!« »Man würde die Schüsse hören«, sagte Lobo leise. Wayne Ferguson nickte. »Dir, Bastard, dir würde das allerdings auch nichts mehr nützen.« Er kam herüber, legte die Winchester auf Armlänge von Lobo entfernt nieder, richtete sich auf und ging davon. Für Sekunden dachte Lobo daran, mit einem schnellen Griff die Winchester an sich zu reißen, hochzunehmen und Wayne Ferguson niederzuschießen. Nur eine Sekunde, dachte Lobo daran, und vielleicht hätte er es an einem anderen Tag sogar versucht. Nicht heute. * Zuerst sah Ward Willard den Truthahngeier, der plötzlich über einigen bizarr geformten Felsformationen auftauchte. Der Geier flatterte im Wind, flog hoch in den Himmel, bis ihn das Licht der 22
Sonne traf, die hinter einer Bergkette untergegangen war. Der rote Kopf leuchtete auf, dann trieb der Geier weg, schwebte in den Abendschatten der Felsen und flog in die Wüste hinaus, über der sich das Zwielicht ausbreitete wie eine graue Decke. Dann sah Ward Willard den Mischling. Er tauchte auf einer Anhöhe auf, wo ein paar Saguaros standen, einer davon geknickt und schwarz wie die riesige Krallenhand eines Fabeltieres. Ward Willard und seine Männer hielten an. Nur Dave, der seinen Gedanken nachhing, ritt noch ein Stück, bevor er merkte, daß irgend etwas los war. Der Mischling auf dem Hügel machte ein paar Zeichen, die Nat Murdock den anderen fortlaufend erklärte. »Er signalisiert, daß er einen Menschen entdeckt hat. Einen Knaben. Damit meint er wohl den Jungen, der dabei ist. Kein Pferd. Nur der Junge, ein Feuer, ein Gewehr – sonst niemand. Er reitet hin. Wir sollen ihm langsam folgen.« Das war alles. Der Mischling wartete keine Antwort ab. Er drehte seinen Schecken und ritt davon. »Wie weit von hier hat er nicht gesagt, was?« knurrte Ward Willard. »Und ob wir reiten oder zu Fuß weitergehen sollen, das hält er wohl auch nicht für wichtig. Mann, der hat die Zuversicht eines Halbwüchsigen.« »Es scheint, als ob Ferguson und Cutter den Jungen zurückgelassen haben«, sagte Horatio Ross, der junge Deputy Sheriff mit dem dunklen, ebenmäßigen Piratengesicht. »Wir haben den Jungen, Sheriff.« »Ich will nicht den Jungen, ich will Wayne Ferguson«, gab Ward Willard hart zurück. »Wenn Ferguson den Jungen zurückließ, dann bedeutet das erstens, daß er uns wahrscheinlich entdeckt hat, und zweitens, daß er jetzt genauso schnell vorwärtskommt wie wir. Außerdem hat er die Nacht für sich, und mor23
gen früh ist sein Vorsprung um einiges größer. Leute, es scheint, daß ich mich geirrt habe. Das ist nicht der letzte Tag. Das ist vielleicht erst der Anfang.« Er warf seinem Sohn einen bedeutungsvollen Blick zu, hob die Zügel und ritt an. »Wir folgen dem Wildpfad zu dem Sattel zwischen den beiden Hügeln hoch. Das ist mit Sicherheit der Weg, den Ferguson eingeschlagen hat.« Sie ritten weiter. Vorsichtiger als zuvor. Jack McCall hatte die Winchester aus dem Scabbard gezogen. Horatio Ross wartete eine Weile. Dann ritt er im Abstand hinter den anderen her, die rechte Hand am Schaft seines Gewehres. Jetzt waren sie wachsam. Sie beobachteten die Gegend. Nichts entging ihren Augen. Keine Unebenheit des Bodens. Kein Busch und keine Spalte im Gestein, wo sich ein Mann hätte verstecken können. Sie verhielten ihre Pferde im Schritt und sicherten nach allen Seiten. Aber Jose hatte nur einen Menschen signalisiert. Den Jungen, von dem keiner den Namen kannte. Der Junge hatte den Kassierer erschossen. Einfach so. Als ob er bei Wayne Ferguson Eindruck hätte machen wollen. Das hatte jedenfalls die Zeugin ausgesagt. Es stand in den Zeitungen. Der Junge hätte einfach den Kassierer mit einem Genickschuß niedergestreckt. Brutal. Niemand wußte, woher er kam. Er war nicht mit Ferguson aus Yuma geflohen. Bei dem Ausbruch waren noch drei andere beteiligt gewesen, die aber in einer Feuersalve der GatlingSchnellfeuerkanone, die auf dem Wachtturm vor dem Haupttor stationiert war, gestorben waren. Nur Cutter und Ferguson hatten es geschafft. Und jetzt hatten sie einen jungen Burschen dabei, für den das Leben eigentlich erst anfangen würde. Vielleicht jünger als Dave. Die Zeugin hatte gesagt, daß er vielleicht achtzehn sei. Vielleicht neunzehn. Genau konnte sie es nicht sagen. Der Gedanke, den Jungen töten zu müssen, war zum Kotzen. 24
Aber Ward Willard versuchte, mit ihm zurechtzukommen. Frank war damals einundzwanzig gewesen, als Ferguson ihn erwischt hatte. Und James zwanzig. Sie waren als Deputys gestorben. Für das Gesetz, für die Ordnung im Lande und für all jene Leute, die beschützt werden mußten, weil sie sich nicht selber schützen konnten. Aber der Junge, der mit Ferguson geritten war und den Kassierer umgebracht hatte, der würde umsonst sterben. Einfach so. Wie ein Tier. Kaum hatte er gelebt. Ward Willard versuchte, sich auszudenken, was einen Jungen dazu bringen konnte, einfach einen Kassierer zu erschießen. Einen Vater von fünf Kindern. Was immer dieser Junge in seiner Jugendzeit auch erlebt hatte, durch den Mord an einem anderen Menschen konnte er nichts ändern. Es konnte nichts besser werden. Das hätte er wissen müssen, bevor er den Finger krumm gemacht hatte. »Was wirst du mit ihm machen, Vater?« fragte Dave ruhig. Ein zorniger Funke sprang in die Augen des Sheriffs. »Das, mein Sohn, das wird auf ihn ankommen«, sagte er scharf. Dave lachte kurz auf. »Wir können ihn nicht gefangennehmen und mitschleppen, Vater. Er würde uns behindern. Das ist doch klar.« Es klang sehr ruhig, aber Ward Willard, der seinen Sohn zu kennen glaubte, hörte den leisen, sarkastischen Unterton nur zu gut heraus. Er spürte auch den alten Zorn in sich aufsteigen, hielt aber sein Temperament im Zaume. Mit mühsam unterdrücktem Spott fragte er: »Was schlägst du vor, mein Sohn? Es stimmt, daß wir ihn schlecht mitnehmen können. Aber was sonst können wir tun?« »Du könntest zum Beispiel einen von uns mit ihm zur nächsten Stadt schicken.« »Und wen hast du für diesen Job im Sinn, Söhnchen?« »Du könntest McCall schicken oder Horatio.« 25
»Oder dich, wie?« »Ja. Natürlich. Du könntest mich schicken. Es wäre zwar keine leichte Aufgabe, aber ich würde es ganz bestimmt schaffen, Vater.« »Das glaube ich kaum. Dave. Ich brauche Horatio, und ich brauche McCall. Und ich will dich bei mir haben. Nein, Dave, so einfach, wie du dir das vorstellst, so einfach ist es nicht.« »Das heißt, daß du ihn töten wirst, Vater?« Obwohl es eine Frage war, klang es mehr wie eine Feststellung. »Das kommt auf den Jungen an, Dave. Er ist ein Mörder. Eigentlich hat er sein Leben verwirkt. Wenn er vor ein Gericht käme, würde er zum Tode verurteilt. Niemand könnte ihn davor bewahren.« »Du bist aber nicht sein Richter, Vater. Du bist der Sheriff.« »Herrgott, was willst du eigentlich? Habe ich gesagt, daß ich ihn töten werde? Habe ich gesagt, daß ich ihn richten werde? Verdammt noch mal, du willst mich provozieren, mein Junge. Aber das klappt nicht. Ich weiß, was ich zu tun habe, wenn ich vor einem Menschen stehe, der für uns alle eine Gefahr ist. Und er ist eine Gefahr, das steht fest. Er ist ein Mörder, und das ist bewiesen.« »Er ist ein Mensch.« »Sicher. Er hat einen Kopf, zwei Beine. Arme und alles, was sonst noch an einem Menschen dran ist oder drin ist. Er ist ein Mensch, verdammt. Das gebe ich gerne zu.« »Aber du bist bereit, einen Menschen zu töten, Vater.« »Jawohl! Ich bin bereit, einen Menschen zu töten. Ich war bereit, als ich mich entschloß, den Stern zu tragen, mein Sohn. Und es war weiß Gott kein einfacher Entschluß. Du warst noch ein Wickelkind damals. Deine Brüder waren ein bißchen älter. Ich wußte, worauf ich mich einlassen würde. Aber man brauchte mich, und ich habe mich dafür entschlossen, den Stern zu tragen 26
und meine Arbeit zu tun. Was willst du eigentlich, Dave? Was willst du von mir?« »Nichts, Vater.« »Dann halt den Mund, verdammt!« »Ich wollte nur wissen, ob er getötet wird oder ob er eine Chance hat.« »Du kennst die Antwort, Junge«, sagte Nat Murdock. »Es kommt alles auf den Jungen an. Wenn er sich wehrt, braucht ihn kein Richter mehr zu verurteilen und kein Henker mehr aufzuknüpfen. Und wenn du meine Meinung wissen willst, Junge: Ich hoffe, daß er sich wehrt.« Dave Willard nickte. »Ja, eigentlich wußte ich die Antwort, bevor ich die Frage stellte. Vater ist dabei, sich für den Tod von zwei Söhnen zu rächen, und er hat sich für diese Arbeit die richtigen Männer ausgesucht. Ich…« Ward Willard riß sein Pferd jäh herum, und bevor sich Dave versah, wurde er von einem fürchterlichen Schwinger am Kinnwinkel getroffen. Er wurde im Sattel herumgerissen. Sein Pferd machte einen Bocksprung und brach danach zur Seite aus. Dave verlor den Halt und flog aus dem Sattel. Er fiel zwischen die Hufe der Pferde, rollte durch den Staub, stürzte in einen Erdgraben und blieb liegen. Blut lief aus seinem Mundwinkel, als er sich aufrichtete. Ward Willard saß wie ein Klotz im Sattel. »Junge, du mußt dich daran gewöhnen, daß du zuerst denkst und dann redest«, sagte der Sheriff mit einer leisen, zitternden Stimme. Dann griff er nach den Zügeln von Daves Pferd und warf sie seinem Sohn zu. »Steig auf, wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte er kurz. Dave zögerte. Mit dem Handrücken wischte er sich das Blut vom Kinn. Dann stand er auf, ergriff die Zügel und schwang sich in den Sattel. Er trieb sein Pferd scharf an, riß es aber dann 27
zurück. Horatio Ross schloß zu ihm auf. »Mann, sei vernünftig. Du kennst ihn doch. Warum willst du ihn ärgern?« »Ich wollte ihn nicht ärgern«, preßte Dave Willard mühsam hervor. »Ich wollte ihm sagen, daß ich ihn durchschaut habe.« Horatio Ross schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. * Lobos Gedanken jagten sich wie im Fieber. Er überlegte hin und her, aber er fand keine Lösung. Neben ihm lag die Winchester mit einer Kugel. Diese Kugel sollte seine Chance sein, aber Lobo glaubte nicht daran. Trotzdem hatte er keine Wahl. Er mußte sie abschießen. Er mußte einen Menschen töten, um wenigstens die Möglichkeit offenzulassen, selbst am Leben zu bleiben. Es war ein teuflisches Spiel, das sich Wayne Ferguson ausgedacht hatte. Lobo fühlte sich hundeelend. Der Durst plagte ihn jetzt zwar nicht mehr so sehr, und manchmal vergaß er sogar die Schmerzen und den brennenden Rücken, von dem ihm der Bucklige mit der Ochsenpeitsche die Haut abgezogen hatte. Er dachte nur an den Moment, an dem er die Winchester hochreißen und einen Mann töten mußte, der nicht sein Gegner und nicht sein Feind war. Er hätte sein Bruder sein können, sein Freund. Lobo sah, wie sich der Himmel verfärbte. Ein einzelner Stern glitzerte hoch über ihm. Der Truthahngeier, der vor einer halben Stunde hochgeflogen war, tauchte am Horizont auf, flog einen Halbkreis und verschwand wieder. Minuten verstrichen. Das Licht wurde langsam schwächer. Der Wind war erstorben. Irgendwo war ein schabendes Geräusch. Ein Käfer, vielleicht eine Echse. Der Sand wurde kalt. Im Westen zogen sich noch glühende Wolkenstreifen über den Himmel. 28
Lobo wußte, wo sich Wayne Ferguson befand. Schräg hinter ihm in den Felsen, mit dem Finger am Drücker. Der Teufel mit der Winchester. Ein anderes Geräusch. Von weiter weg. Lobo lag still. Es war ihm für einen Moment, als ob sein Herzschlag aussetzen würde. Sekunden später tauchte genau dort, wo Ferguson vermutet hatte, ein Reiter auf. Lobo lag zur Seite gedreht, so als ob er schlafen würde. Aber er hatte die Augen geöffnet. Angestrengt blickte er den steilen Hang hoch zu einem schmalen Sattel, der links und rechts von Felsen begrenzt wurde. Der Mann auf dem Schecken war zweifellos ein Indianer. Oder ein Halbindianer. Im schwächer werbenden Tageslicht wirkte das Gesicht unter der flachen Krempe des Topfhutes beinahe schwarz. An der Hose oder den Leggings blinkten silberne Conchos. Auch das Zaumzeug und der Sattel waren mit Silberstücken beschlagen. Der Mann hielt den Schecken an. Er verharrte ruhig im Sattel. Lobo konnte erkennen, daß er nicht einmal ein Gewehr in der Hand hielt. Er schien seiner Sache ziemlich sicher zu sein. Er beugte sich etwas vor, und Lobo wußte, daß jetzt die Zeit gekommen war. Er mußte auf diesen Mann schießen. Er mußte ihn treffen, wenn er selbst am Leben bleiben wollte. Für Sekunden lag Lobo wie erstarrt am Boden, unfähig sich zu rühren. Aber dann hob der Mann auf dem Schecken die Zügel etwas an. Entweder wollte er das Pferd wenden oder den Hang heruntertreiben. Vielleicht wollte er auch absteigen. Genau war das nicht mehr zu erkennen, denn Lobo hechtete mit dem Oberkörper zur Seite, packte die Winchester, warf sich hoch, legte an und feuerte. Und während er den Finger krumm machte, wußte er, daß er treffen würde. Aus den Augenwinkeln sah er, wie neben ihm ein Steinbrocken splitterte, und in das Echo seines eigenen Schusses fiel ein häßliches Zirpen. Ein Querschläger 29
bohrte sich keinen Yard von seinen Füßen entfernt in den Sand, und oben am Hang überschlugen sich Pferd und Reiter. Steine gerieten ins Rollen. Das Pferd schrie. Der Mann flog aus dem Sattel, wirbelte durch die Luft, prallte am Boden auf und rollte mit den Geröllbrocken den Hang hinunter in eine Rinne. Er überschlug sich haltlos, wurde von Steinen überrollt, verschwand in wirbelnden Staubwolken, tauchte wieder auf, rollte weiter und rutschte über ein Stück blanken Felsen. Keine sechs Schritte von Lobo entfernt blieb er lang ausgestreckt am Boden liegen, einen Arm unter seinem Körper, den anderen weit von sich gestreckt. Er lag still. Der Staub legte sich über ihn. Die letzten Steine kollerten herunter. Der Schecke hatte Halt gefunden und humpelte ein Stück weit, bevor er stehenblieb und den linken Vorderlauf hob. Das Echo der Schüsse war verrollt. Totenstille herrschte, über einigen Felstürmen stieg ein blasser Mond auf. Mitten in die Stille hinein zerplatzte knallend ein Stück Holz in dem kleinen Feuer, das beinahe niedergebrannt war. Lobo lag halb aufgerichtet im Staub, die Winchester immer noch in den Händen. Er starrte auf den kleinen Mann, der am Fuß des Hanges lag. Auf dem weißen Hemd, das er trug, vergrößerte sich rasch ein dunkler Fleck. Lobo hätte schreien können. Das Feuer, das in ihm brannte, fraß sein Herz. Er hatte zum ersten Mal im Leben einen unschuldigen Menschen getötet. Einen Mann, den er nicht einmal kannte. Lobo riß den Kopf hoch. »Ferguson!« brüllte er. »Töte mich, Ferguson! Los, schieß doch!« Er lauschte seiner Stimme nach, bis sie verhallt war. Keine Antwort. Nichts rührte sich, und Lobo wußte, daß Ferguson ihn Ward Willard überlassen wollte. Der Sheriff und seine Männer 30
würden ihn töten, wenn sie kamen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Lobo legte die Winchester weg. Sie nützte ihm nichts mehr. Er wollte sich zurücklegen und die Augen schließen, als er sah, wie der Mann ganz leicht seinen Kopf bewegte. Lobo erstarrte, als er in die dunklen Augen blickte, in denen sich bereits der Tod spiegelte. Noch nie war es Lobo schwerer gefallen, einen Menschen sterben zu sehen. Er öffnete den Mund. »Bruder«, hörte er seine Stimme heiser flüstern. »Bruder, verzeih mir.« Der Mann am Boden verzog sein Gesicht. Die Finger seiner linken Hand krallten sich in den Erdboden. Er starrte Lobo durchdringend an. »Wer – wer bist du?« fragte er dann mühsam. »Man nennt mich Lobo, Bruder. Und deine Leute kennen mich als den Mann von zwei Träumen. Siehst du, daß ich mit den Füßen an den Pflöcken festgebunden bin, Bruder?« »Ja, das sehe ich«, erwiderte der Mann, der mit dem Tode rang. »Du bist nicht – nein – du bist nicht der Junge mit den Sommersprossen, der den Mann von der Bank…« »Es ist eine Falle, Bruder. Sie haben mich erwischt, und jetzt warten sie auf ihre Jäger.« Der Mann hustete krampfhaft. Ganz langsam kam der andere Arm unter seinem Körper hervor. Dann die Hand. Und in der Hand war ein Bowiemesser. Der Mann hatte die Lippen fest zusammengepreßt. Seine Augen funkelten. Die Blicke hatten sich an Lobo festgekrallt. Lobo bewegte sich nicht. Er hielt jetzt sogar den Atem an, als sich der Mann Zoll um Zoll auf seinen Ellbogen näher an ihn heranzog. Haarstränen hingen in das zerfurchte, pockennarbige Gesicht. Es dauerte fast fünf Minuten, bis er einen Yard geschafft hatte. 31
Dann hielt er erschöpft inne. Sein Atem ging schnell und pfeifend. »Mein – mein Name ist José«, preßte er hervor. »Ich habe – nicht mehr viel Zeit, mein Freund. Bist du bereit?« Lobo nickte. Ein trockener Kloß steckte in seiner Kehle. Er brachte keinen Ton hervor, aber er war bereit. Und in diesem Moment sprang José auf. Wie eine Katze stieß er sich vom Boden weg und warf sich über Lobo. Die Faust mit dem Messer fuhr nieder und die Klinge durchtrennte die Schlingen, mit denen Lobo an den Pflöcken festgebunden war. Schüsse krachten. Lobo spürte, wie José über ihm die Kugeln einfing. Er spürte die Stöße, aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Er stieß José von sich, hechtete zur Seite, überrollte sich am Boden, sprang auf und jagte im Zickzack durch die Mulde. Als er die ersten Felsbrocken erreichte, merkte er, daß die Kugeln jetzt nicht mehr ihm galten. Oben zwischen den Felsen schossen drei Männer so schnell, wie sie ihre Winchestergewehre nachladen konnten. Und Pferde wieherten, Männer brüllten. Es klang, als wäre eine Schlacht im Gange. Lobo warf sich zwischen die Felsen und kauerte sich nieder. Er sah, wie oben plötzlich ein Reiter auftauchte, der sich an der Mähne seines Pferdes festhalten mußte, um nicht aus dem Sattel zu fallen. Aber er schaffte es nicht. Plötzlich wechselte das Pferd die Richtung. Der Mann stürzte, blieb aber mit dem linken Stiefel im Steigbügel hängen. Das Pferd schleifte ihn mit sich über einen Felsgrat. Etwa fünf Minuten lang krachten Schüsse. Dann war es plötzlich still. Die Schlacht war vorbei wie ein kurzes aber schlimmes Gewitter. Pulverrauchschwaden wallten zwischen den Felsen. Hufschlag wurde schwächer und verstummte. Dann herrschte Totenstille. Auch Lobo rührte sich nicht vom Fleck. Er sah, daß José einen 32
Revolver in seinem Hosenbund stecken hatte. José lag verkrümmt am Boden, tot. Zwei oder drei Kugeln hatten ihn getroffen, als er Lobo befreit hatte. Lobo äugte über den Felsbrocken hinweg zum Hang hoch. Aber dort oben tat sich lange Zeit nichts mehr. Dann zerriß plötzlich der Todesschrei eines Mannes die Stille. Lobo rührte sich nicht. Ganz tief duckte er sich zwischen den Felsbrocken. Die Nacht ließ nicht mehr lange auf sich warten. Dunkelheit kroch aus den Ritzen und Spalten der Felsen und aus den Furchen in der Senke. Immer mehr Sterne glitzerten am Himmel, und der Mond zeigte sich strahlender. Der Wind war tot. Aber die Wüste begann zu leben. Tiere machten Geräusch. Kriechtiere, Vögel, die aus den Felsspalten kamen und in der Kühle der Nacht tanzten. Krächzendes Tiergeschrei. Ein Fuchs gab heisere Bellaute von sich. Irgendwo fauchte ein Puma. Lobo hätte jetzt vielleicht versuchen können, aus der Senke hinauszukommen. Die Nacht war seine Zeit. Er liebte die Dunkelheit. Aber wohin hätte er gehen sollen? Er befand sich inmitten von Nirgendwo. Die nächste Ansiedlung mochte hundert Meilen weit entfernt sein. Vielleicht sogar zweihundert Meilen. Vielleicht gab es eine Farm irgendwo in einer Mulde, wo das Wasser der Sommerstürme sich sammeln konnte und den Boden nährte. Vielleicht eine Ranchería. Lobo hatte eigentlich keine Ahnung, wo genau er sich befand. Er wußte nicht, ob es in der Nähe Wassertümpel gab. Und die Möglichkeit, verbitterten und zornigen Apachenkriegern zu begegnen, war groß. Lobo blieb. Und das war vielleicht ein Fehler. Aber an einem Tag wie diesem konnte er tun, was er wollte, es war immer falsch. Es vergingen fast zwei Stunden. Lobo bewegte sich nur, um die Glieder warm und sich selbst wach zu halten. Der Tümpel war 33
etwa zwanzig Schritte weit entfernt, aber er wußte, daß die Chance, eine Kugel abzukriegen, größer war als die, den Durst zu löschen. Und er hatte Durst. Mehr als zuvor. Und er verspürte ein nagendes Gefühl in sich, das Gewissen vielleicht. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu jenem Moment zurück, an dem er die Winchester hochgerissen und geschossen hatte. Hatte er einen Menschen ermordet? Der Gedanke bereitete ihm Qualen, und er versuchte, sich einzureden, daß er genau das getan hatte, was er tun mußte, um selbst am Leben zu bleiben. Jetzt lebte er, und ein Mann, den er nicht gekannt hatte, ein Mischling wie er selbst, lag tot im bleichen Licht des Mondes. Lobo wußte, daß sie kommen würden. Und er ließ sich nicht überraschen. Etwas mehr als zwei Stunden waren vergangen, als er sie hörte. Jemand flüsterte. Dann raschelte etwas. Ein Kieselstein kollerte in einen Graben. Erdkruste bröckelte, und die Tiere schwiegen plötzlich. Sie kamen vom Hang her. Zu Fuß Es waren zwei. Lobo sah sie, als sie den Schatten eines Felsturms verließen. Zuerst den einen, dann den zweiten. Der zweite tauchte wieder in den Schatten des Felsens, während sich der erste nur duckte. »Was ist? Hast du Angst?« stieß der erste hervor. Vom zweiten war nichts zu hören und nichts mehr zu sehen. Ein Mann mit einer Waffe hätte den ersten abschießen können. Aber Lobo besaß keine Waffe. Der Colt steckte noch immer im Leibgurt des Toten. Der erste Mann stand geduckt, drehte den Kopf in ruckartigen Bewegungen nach allen Seiten. Er trug keinen Hut. Sein Gesicht war dunkel, aber er war ein Weißer. Als er sich drehte, blinkte etwas an seiner Brust. War dies Willard? »Da ist keiner mehr«, sagte der Mann. Er sagte es leise und richtete sich dabei auf. Er hatte eine Winchester in den Händen. 34
Der Lauf zeigte zu Boden. Im Gestrüpp raschelte etwas. Der Mann fuhr zusammen, und der Lauf kam hoch. Der Schuß krachte. Sekundenlang beleuchtete grelles Mündungsfeuer die Felsen. Pulverrauch breitete sich aus, und dort, wo die Kugel die Erdkruste aufgerissen hatte, stand ein Staubpilz. »Da war keiner«, sagte der Mann im Schatten. Er hatte eine helle Stimme. »Verdammt, du machst mich nervös«, gab der andere heiser zurück. »Ich kann richtig spüren, daß du Angst hast.« Der Mann richtete sich auf. Er war groß, schlank und hatte breite Schultern. Er hatte vergessen, die Winchester nachzuladen. »Ich wette, daß da keiner mehr ist«, sagte er rauh. »Das war eine Falle, und sie sind alle drei weggeritten.« »Vater sagt, daß nur zwei weggeritten sind.« »Dann sag mir, verdammt, wo sich der dritte befindet?« Der Mann drehte sich um seine eigene Achse und breitete die Arme aus. »Kein Mensch da, niemand. Siehst du? Da ist keiner außer José, und der wird tot sein.« Lobo räusperte sich. Der Mann stand wie erstarrt. Er bewegte sich nicht mehr. Er stand dort, als ob er an einem unsichtbaren Kreuz befestigt wäre. Die Winchester hatte er in der rechten Hand. Im Schatten der Felsen bewegte sich der andere Mann blitzschnell. Dann kam eine helle, fast etwas schrille und erregte Stimme aus der Finsternis. »Geh in Deckung, Mann! Da ist doch einer.« Aber der Mann ließ die Winchester fallen und hob die Hände hoch über den Kopf. »Nicht schießen! Ein Mord an einem Deputy Sheriff würde dich an den Galgen bringen, Junge! Denk daran! Bis jetzt hast du eine Chance, Junge. Wenn du jetzt abdrückst, dann bist du geliefert. Hörst du, Junge? Dann wirst du gehängt, todsicher, Junge!« 35
rief er. Lobo richtete sich noch etwas auf. »Ich bin nicht der Junge«, sagte er, und seine eigene Stimme kam ihm fremd vor. Sie klang rauh und brüchig. »Und ich habe keine Waffe, Mister.« Der Mann rührte sich nicht. Sekunden vergingen. Dann ließ er sich plötzlich fallen, packte die Winchester, riß sie hoch und repetierte. Er war so schnell, daß Lobo annehmen mußte, er übe dieses Kunststück jeden Morgen vor dem Frühstück. »Komm raus, Mann!« schnarrte der Mann. »Komm raus, oder ich laß die Kugeln fliegen, daß dir Hören und Sehen vergeht!« »Ich habe gesagt, daß ich keine Waffe habe«, sagte Lobo heiser. »Dann komm raus, verdammt! Aber ein bißchen plötzlich! Und die Hände oben bei den Sternen, verdammt! Hörst du, bei den Sternen, Mann!« »Ich bin unbewaffnet, und ich bin keiner von Fergusons Männern«, sagte Lobo. »Der Mischling dort hat mir das Leben gerettet. Ich…« »Keine Geschichten, Mann! Komm raus, verdammt! Komm nur schön raus aus deinem Bau, damit ich dich sehen kann. Ich bin Deputy Sheriff Ross, Mann. Und ich will dich sehen.« In den Felsenschatten rührte sich etwas. Eine Gestalt wurde sichtbar. »Mister, kommen Sie heraus und zeigen Sie sich. Wenn Sie nichts mit Ferguson zu tun haben, dann passiert Ihnen nichts. Dafür garantiere ich.« »Halt den Mund, Dave! Davon verstehst du nichts. Der Bursche soll sich zeigen, und dann entscheide ich schon, was mit ihm passiert.« »Du nimmst besser den Finger vom Drücker, Horatio«, mahnte der andere Mann. »Du bist nervös. Du könntest einen Fehler 36
machen.« »Red mir nicht drein, Dave. Ich weiß, was ich zu tun habe. Das ist mein Job, verdammt. Ich weiß haargenau, auf was es ankommt.« Der Mann löste sich von den Felsschatten. Er kam herüber und blieb schräg hinter dem Deputy Sheriff stehen. »Sie können kommen, Mister. Ich werde dafür sorgen, daß Ihnen nichts geschieht.« Lobo zögerte einen Moment. Dann erhob er sich ganz langsam. Und er hob die Hände so hoch, wie er nur konnte. Lange blieb er zwischen den Felsbrocken stehen. Er starrte die beiden Männer an. Die beiden Männer starrten ihn an. Dann blies der Deputy die Luft durch die Nase. »Komm näher!« schnappte er. Lobo bewegte sich. Er machte keine schnelle Bewegung, als er um die Felsbrocken herumging. Etwa zehn Yards von den Männern entfernt blieb er stehen. Das Licht des Mondes zeichnete sein Gesicht deutlich. »Wer – wer sind Sie?« fragte der eine Mann, der aus dem Schatten gekommen war. »Man nennt mich Lobo«, sagte Lobo ruhig. »Wo – wo kommen Sie denn so plötzlich her?« »Ich war zuerst hier.« »Ah.« Der Mann lachte leise, so als könnte er nicht glauben, was er sah. Der andere trat zwei Schritte näher. Sein Gewehr zeigte genau auf Lobos Bauch. »Nein, du bist keiner von Ferguson«, sagte er fast erleichtert. »Ferguson hat Cutter dabei und einen Jungen.« Langsam senkte er die Winchester, hob die linke Hand und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf den Toten. »Weißt du, wer ihn abgeschossen hat, Mann?« fragte er. 37
Lobo nickte. »Der Junge?« Der Mann fragte es scharf. »War es der Junge mit den Sommersprossen?« »Nein.« »Wer dann, verdammt? War es der Bucklige? Cutter?« »Nein, Mister«, sagte Lobo heiser. »Ich war es.« Der Deputy duckte sich, als wäre ihm ein Steinbrocken auf den Kopf gefallen. Und im nächsten Moment war der Lauf der Winchester wieder auf Lobo gerichtet, und er schrie mit schriller Stimme: »Rühr dich nicht vom Fleck, Mann, sonst blas ich dich aus den Stiefeln!« Lobo stand still. Er wußte, daß diesem Mann mit dem Blechstern alles zuzutrauen war. * Slim Cutter blutete furchtbar aus einer Wunde etwa ein Zoll unterhalb des linken Auges. Wo die Kugel war, konnte in der Eile nicht festgestellt werden, aber Cutter konnte nicht mehr reden und hatte unheimliche Schmerzen. Die ganze Nacht hindurch preßte er ein zusammengeknülltes Taschentuch gegen sein Gesicht. Aber Cutter war zäh. Im ersten Morgengrauen hielten sie an. Sie befanden sich am Rande eines Kakteenfeldes. Die Luft war kalt und klar. Cutter fror erbärmlich und blutete noch immer. Als er reden wollte, kamen nur krächzende Laute aus seiner Kehle. Nach einer Pause von fast einer Stunde ritten sie weiter. Dann ging die Sonne auf und drei Stunden später, als es schon ziemlich heiß war, fiel Slim Cutter aus dem Sattel. Zuerst glaubten sie, er sei tot. Aber als Wayne Ferguson aus dem Sattel stieg, um ihm die Waffen und die Geldbörse abzunehmen, hörte er Slim Cutter röcheln. 38
Wayne Ferguson richtete sich auf. Er nahm die Wasserflasche vom Sattel des Buckskins und legte sie neben Slim Cutter in den Sand. Dann stieg er auf, knotete die Zügelenden um das Sattelhorn des Buckskins und nickte dem Jungen zu. »Okay, Kid, wir reiten.« Der Junge sah aus, als wären zehntausend Büffel über ihn hinweggetrampelt. Der Schreck zeichnete noch immer sein Gesicht. Noch nie hatte er eine Schlacht wie die letzte erlebt. Was wie ein leichter Spaß ausgesehen hatte, war von einem Moment auf den anderen blutiger Ernst geworden. Er hatte gesehen, wie Cutter die Kugel ins Gesicht kriegte und er hatte den Mann mit den Chaps getötet. Dann war er weggerannt, und Wayne Ferguson hatte ihn eingeholt und ihm eine Ohrfeige gegeben, sonst wäre er wahrscheinlich über den Abgrund hinausgelaufen und zu Tode gestürzt. Noch immer saß ihm der Schock in den Gliedern. Er war fast grau im Gesicht. Seine Augenlider waren gerötet. Er hatte es sich immer so leicht und einfach vorgestellt. Es war nichts Besonderes gewesen, dem Kassierer eine Kugel in den Nacken zu schießen. Er konnte eigentlich darauf noch nicht einmal recht stolz sein, und manchmal, besonders nachts vor dem Einschlafen, begegnete er seinem anderen Ich und spuckte sich selbst ins Gesicht. Aber jetzt war es etwas anderes gewesen. Es hatte Slim Cutter getroffen, und er hatte die Kugeln haarscharf an seinem Kopf vorbeizischen gefühlt. Glühend heiß wie der Hauch des Todes. »Wir reiten jetzt, Kid!« Noch einmal hörte er Wayne Fergusons Worte in sein Bewußtsein vordringen. Wie aus weiter Ferne. Er blickte auf. »Ja«, sagte er. Er wollte sein Pferd antreiben, aber in diesem Moment erwachte Slim Cutter aus der Ohnmacht. Er riß die Augen weit auf und lallte etwas, was niemand verstehen konnte. 39
Ferguson stieg ab. Vorsichtig näherte er sich Cutter. »Tut mir leid, Alter«, sagte er. »Aber wir haben abgemacht, daß der, der nicht mehr kann, zurückbleibt. Das war abgemacht.« Cutter hustete krampfhaft, und Wayne Ferguson kniete nieder, öffnete die Kantine und träufelte dem Buckligen ein bißchen Wasser in den Mund. Cutter konnte nicht mehr schlucken. Er würgte und kriegte keine Luft mehr. Der Junge auf dem Pferd konnte nicht mehr hinsehen. Schließlich schwang sich Wayne Ferguson in den Sattel und ritt hart an. Der Junge warf einen letzten Blick auf Cutter. Der alte Bandit saß gegen einen Felsbrocken gelehnt und hatte die linke Hand leicht erhoben. Wie zum Gruß. Aber seine Augen waren geschlossen. »Bye, Cutter«, sagte der Junge. Er erhielt keine Antwort. * »Dreh dich um! Ganz schön langsam, Bastard! Und versuch nichts, sonst schieß ich dich mitten durch!« Lobo gehorchte. Es hatte keinen Sinn, dem Deputy Schwierigkeiten zu machen, denn der Deputy war nahe daran, durchzudrehen. Lobo drehte sich ganz langsam, bis er den Männern den Rücken zudrehte. Dann stand er wieder still und hörte, wie der andere Mann den Deputy fragte, warum er denn nicht zuerst einmal frage, was eigentlich passiert sei. Aber der Deputy wollte davon nichts wissen. Er sagte: »Ich weiß schon, was passiert ist, Dave. Dieser Bastard hier, der hat Jose umgelegt. Der Teufel weiß warum, aber eines steht fest: Ich verhafte ihn.« Lobo lachte heiser auf, sagte aber kein Wort, als er die Eisen rasseln hörte. 40
»Leg ihm die Spangen um, Dave!« hörte er den Deputy im Befehlston zu seinem Begleiter sagen, der offensichtlich weit mehr Verstand unter dem Hut hatte und außerdem ein Mann zu sein schien, der wußte, was er tat. Schritte knirschten. Der Mann näherte sich Lobo und blieb hinter ihm stehen. »Legen Sie die Hände auf den Rücken, Mister«, sagte der Mann. Lobo gehorchte. »Danke«, sagte der Mann. »Übrigens, mein Name ist Dave Willard. Ich bin der Sohn von Sheriff Ward Willard.« Lobo sagte nichts. »Beeil dich, verdammt!« schnappte der Deputy. »Entschuldige, Mister«, sagte Dave Willard, als er Lobo die Handschellen um die Gelenke legte. »Ich wollte, ich müßte das nicht tun.« »Red keinen Quatsch, Dave. Er hat zugegeben, daß er Jose abgeschossen hat. Er hat's zugegeben.« Lobo hob den Kopf. »Darf ich mich jetzt umdrehen?« fragte er. »Sicher, Bastard. Jetzt darfst du dich umdrehen.« Der Deputy kam herüber, zielte aber die ganze Zeit auf Lobos Bauch. »He, was bist du? Apache?« Lobo nickte. »Ah. Apache. Gut, Bastard. Komm, ich bring dich zu jemandem, der entscheiden wird, was mit dir passiert. Entweder du kriegst eine Kugel, oder wir nehmen dich mit. Wahrscheinlich kriegst du eine Kugel.« Der Deputy lachte, als ob er einen vorzüglichen Scherz gemacht hätte, und hieb Lobo die flache Hand auf die Schulter. Und zwar genau dorthin, wo einer der Peitschenschläge eine tiefe blutende Furche hinterlassen hatte. Lobo, der nicht darauf vorbereitet war, ging beinahe in die Knie und 41
stöhnte auf vor Schmerzen. »Heh, was ist mit dir, Mann?« rief der Deputy. »Hast du Geschwüre oder was?« Lobo warf den Kopf herum und faßte ihn ins Auge. Er war ein noch junger Mann mit einem richtig scharfen Piratengesicht. Und er hielt sich für was Besonderes. Wahrscheinlich war er dort, wo er herkam, auch was Besonderes. »Ferguson, Cutter und der Junge überfielen mich am Abend. Cutter hat eine Ochsentreiberpeitsche dabei, und er hat mir die Haut in Streifen abgezogen, Mister Deputy Sheriff. Dann mußte ich die Kleider des Jungen anziehen, und man hat mich mit Stricken an jenen Pflöcken dort festgebunden. Die Winchester, die mir Ferguson in die Hand drückte, hatte eine Kugel im Lauf. Nur eine, Mister Deputy Sheriff. Und ich hatte die Wahl. Entweder würde ich den ersten Mann von euch treffen, oder ich würde von Ferguson eine Kugel kriegen. Ich entschied mich dafür, am Leben zu bleiben.« Lobo sagte es schnell, und als er fertig war, hatte er mit Atmen Mühe. Er taumelte ein paar Schritte und zeigte auf die Pflöcke, an denen noch die zerschnittenen Stricke hingen. »Ich traf ihn. Er rollte den Hang herunter, und er wußte, daß er sterben würde. Er sagte mir seinen Namen, bevor er mich losschnitt und die Kugeln auffing, die mir galten. Und das ist die ganze Geschichte, Mister Deputy Sheriff. Du kannst sie glauben oder nicht, mir ist das schon fast scheißegal.« Lobo drehte sich einfach um und humpelte zum Tümpel. Dort ließ er sich auf die Knie nieder, beugte sich vor und ließ sich zur Seite fallen. Mühsam schlürfte er das laue Wasser. Als er sich aufrichtete, standen die beiden nebeneinander hinter ihm. Dave Willard fragte mit leiser Stimme: »Ist das wahr, was du uns erzählt hast, Mister?« Lobo lächelte. »Glaubst du, ich habe mich selbst ausgepeitscht, 42
Junge?« »Nein, das glaube ich nicht.« »Also. Trotzdem stehst du da und starrst auf mich nieder, als hätte ich dich angelogen.« »Es ist schwer zu glauben, Mister.« »Sicher, es ist schwer zu glauben.« Lobo erhob sich. »Well, Mister Deputy Sheriff, wo ist der Mann, der über mich das Urteil fällen wird?« »Dort oben«, knurrte der Deputy grimmig. »Geh voran! Und versuch nicht, mich übers Ohr zu hauen, Mann. Das würde dir schlecht bekommen.« Lobo ließ ihn stehen. Er ging an dem Toten vorbei und marschierte den steilen Hang zum Sattel hoch, wo vor einigen Stunden José der Feuermacher aufgetaucht war. Oben blieb Lobo stehen. Sein Atem ging keuchend. Er drehte sich um. Der Deputy war dicht hinter ihm. Dave Willard folgte in einigem Abstand. »Wo geht's lang?« fragte Lobo mühsam. »Siehst du den überhängenden Felsen dort?« fragte der Deputy. Lobo nickte. »Gut. Geh dorthin. Aber immer schön langsam. Schritt für Schritt.« Lobo ging weiter. Ein schwacher Windhauch trieb ihm den süßlichen Geruch von Blut entgegen. Irgendwo lagen Tote. Ein Pferd schnaubte in der Dunkelheit. Dann ertönte die Stimme eines Mannes: »Was ist los, verdammt noch mal? Wo seid ihr?« »Hier, Sheriff. Wir haben einen. Er hat José erschossen.« Ein Ächzen war zu hören. Leder knirschte. Dann wurde der Hahn eines Revolvers gespannt. »Bringt ihn her!« 43
Der Deputy stieß Lobo die Mündung seiner Winchester hart ins Kreuz, und Lobo taumelte vorwärts. Er verlor beinahe das Gleichgewicht, und als er sich wieder auffangen konnte und hochrichtete, sah er den Mann, der an der Felswand lehnte und einen Revolver in der Hand hielt. Eigentlich sah er nur die Konturen des Mannes und helle Streifen mit dunklen Flecken. Der Mann hatte ein Bein verbunden, trug keine Hose und keinen Hut. Lobo blieb stehen. »Das ist der Mann, Sheriff, keuchte der Deputy. »Das ist er. Ein Bastard.« Kein Laut war zu hören. Fast eine Minute verstrich. Dann hörte Lobo den Mann tief einatmen. »Wer bist du?« fragte er hart. »Lobo«, sagte Lobo kehlig. »Hast du José erschossen?« »Ja.« Wieder Stille. Dieses Mal nur für Sekunden. Dann befahl der Mann im Dunkeln seinem Deputy mit eiskalter Stimme, aus dem Weg zu gehen. Und der Deputy wollte gehorchen. Aber im Moment, als er sich bewegte, sprang Dave Willard vor und stellte sich vor Lobo. »Vater, wenn du ihn erschießen willst, mußt du zuerst mich töten!« Der Ruf Daves war ein wilder Aufschrei. Er stand breitbeinig vor Lobo und beugte sich etwas vor. In seinem Nacken glitzerte Schweiß. »Schieß, wenn du ihn töten willst, Vater, schieß!« Der Mann im Dunkeln bewegte sich. »Junge, geh weg von ihm«, sagte er mit einer fast tonlosen Stimme. »Nein, Vater. Er mußte es tun. Er hatte keine Wahl. Er tötete 44
José, um sein eigenes Leben zu retten.« »Du weißt, daß ich nie etwas zweimal sage, Junge«, sagte der Mann im Dunkeln. »Ja, ich weiß, daß du nie etwas zweimal sagst, Vater!« rief Dave Willard scharf. »Aber dieses Mal wirst du nicht darum herumkommen, mich aus dem Weg zu räumen, um deinen Haß zu befriedigen. Dieses Mal mußt du mit mir rechnen, Vater.« Für einen Moment war nur der scharfe Atemzug von Ward Willard zu hören. Dann die Frage: »Ich nehme an, du weißt, was du sagst?« Es waren ruhige, aber harte Worte. »Ja, Vater«, erwiderte Dave Willard fest. »Und ich muß dir nicht mehr sagen, daß ich den Stern trage und das Gesetz bin?« »Du bist nicht das Gesetz, Vater. Du vertrittst das Gesetz. Aber dieser Mann hier ist unschuldig. Er gehört nicht zu Wayne Ferguson. Er wurde von Ferguson überfallen, bestohlen und zu einem Todesschuß gezwungen. Dieser Mann, Vater, ist kein Verbrecher.« »Und du willst dich für ihn einsetzen. Du willst dich für ihn gegen mich stellen, Dave?« fragte Willard jetzt lauernd. »Wenn du mich dazu zwingst, dann werde ich versuchen, ihn zu beschützen.« Ward Willard löste sich von der Felswand. Er zog das verbundene Bein nach. Sein Revolver zeigte genau auf seinen Sohn. Nach ein paar Schritten blieb er stehen, und jetzt konnte Lobo sein Gesicht sehen, denn das Licht des Mondes traf ihn. Es war ein hartes, eckiges Gesicht mit scharfen Falten. »Ross«, sagte Ward Willard, und er nannte seinen Deputy selten beim Vornamen. »Ross, zeig ihm, daß er sich nicht gegen das Gesetz stellen kann!« Ward Willards Stimme klang jetzt messerscharf, Horatio Ross, der junge Deputy, stand wie angewurzelt. »Sheriff, ich – ich weiß nicht, ob…« 45
»Das war ein Befehl von deinem Vorgesetzten, Ross«, sagte Willard halblaut. Horatio Ross wurde von den Worten seines Bosses förmlich geschlagen. Er duckte sich. Dann hob er die Winchester. »Sei vernünftig, Dave«, stieß er hervor. »Sei vernünftig, und geh aus dem Weg.« Dave Willard schüttelte beinahe wild den Kopf. Sein Revolver steckte noch immer im Holster. Das Gewehr hatte er gegen einen Felsbrocken gelehnt. Als der Deputy auf ihn zuging, warnte er ihn. »Faß mich nicht an«, sagte er leise. »Faß mich nur nicht an!« Horatio Ross zögerte. Er warf Ward Willard einen fragenden Blick zu, aber der Sheriff rührte sich nicht. »Mann, warum, zum Teufel, nimmst du nicht Vernunft an, Dave? Der Mann hat zugegeben, José erschossen zu haben. Seine Geschichte ist unglaubwürdig. Und dein Vater vertritt das Recht. Du stehst ihm im Wege.« »Der Mann ist unschuldig«, wiederholte Dave Willard. Kaum hatte er ausgesprochen, sprang ihn Horatio Ross von der Seite an. Er brüllte dabei heiser auf und holte mit der Winchester zum Schlag aus. Wahrscheinlich wäre Dave Willard vom Lauf mitten ins Gesicht getroffen worden, wenn Lobo nicht zuerst reagiert hätte. Er hechtete vor, stieß Dave Willard zur Seite, unterlief die Winchester und duckte sich, als der Deputy von der Wucht seines eigenen Schlages herumgewirbelt wurde. Lobo rammte ihm den Kopf in die Magengrube, und der Deputy stürzte nach hinten, schlug hart auf, wollte die Arme zur Deckung hochreißen, vermochte aber nicht mehr zu verhindern, daß ihm Lobo mit beiden Knien auf den Brustkorb niederknallte. Horatio Ross stieß einen ächzenden Laut aus und kriegte für Sekunden keine Luft mehr. Die Zeit genügte Lobo, sich neben Dave Willard niederzuwerfen. Der Junge hatte jetzt seinen Revolver in der Hand. 46
Die Mündung zeigte auf den Deputy, der keuchend am Boden lag. »Vater, wenn du mich zwingst, werde ich schießen«, sagte Dave mit herausgepreßtem Atem. Ward Willard hatte sich die ganze Zeit nicht vom Fleck gerührt. Auch jetzt bewegte er sich nicht. Sein Gesicht war wie eine Maske aus Stein. Er starrte auf seinen Sohn nieder und hatte die Lippen fest zusammengepreßt. »Wenn es sein muß, schieße ich, Vater!« stieß Dave hervor. »Dann, Dave, dann müßtest du erst einmal den Hammer spannen«, sagte Ward Willard mit tonloser Stimme. Dave spannte sofort den Hammer. Auf seinem Gesicht glitzerte Schweiß. Er ließ keinen Blick von Horatio Ross, der sich umständlich hochrappelte. »Mach ihn los, Horatio!« befahl Dave Willard, als der Deputy endlich auf den Füßen stand. »Öffne seine Handschellen! Er ist ein freier Mann und kann gehen, wohin er will.« Der Deputy schüttelte benommen den Kopf. Seine Winchester lag am Boden. Er zog seine Hose hoch, rückte sein Hemd zurecht und suchte mit seinen Augen Hilfe bei seinem Boß. »Ich würde tun, was ich sage, Horatio«, sagte Dave Willard. »Was soll ich tun, Sheriff?« fragte der Deputy. Ward Willard sagte kein Wort. Plötzlich drehte er sich um und wankte ein paar Schritte weit. Dann taumelte er, stolperte, suchte mit der freien Hand vergeblich nach einem Halt und stürzte auf die Knie und dann vornüber. Als er am Boden lag, rührte er sich nicht mehr. »Schließ auf!« schnappte Dave jetzt schärfer, und der Deputy suchte nach dem Schlüssel, fand ihn und kniete bei Lobo nieder. Er öffnete die Handschellen. Lobo erhob sich, als er frei war. Er stand ruhig und sagte rauh: »Versteht einer etwas von Schußverletzungen?« 47
Dave und Horatio Ross schüttelten beide gleichzeitig den Kopf. Lobo zeigte ihnen seine Zähne. »Das habe ich mir beinahe gedacht«, sagte er mit leisem Spott in seiner Stimme. »Wenn er stirbt, dann seid ihr beide in diesem menschenfeindlichen Land so ziemlich verloren.« »Von einer Kugel im Bein stirbt er nicht«, sagte Horatio Ross grimmig. Lobo lächelte. »Er hat nicht nur eine Kugel im Bein, Mister Deputy Sheriff. Er hat auch eine Kugel oberhalb der Gürtellinie abgekriegt. Wenn ihr die Augen aufmacht, seht ihr den dunklen Fleck auf seinem Hemd. Das ist Blut, und es kommt nicht von seinem Bein.« Dave lief sofort zu seinem Vater, kniete nieder und zerrte hastig das Hemd hoch. Unter dem Hemd hatte Ward Willard ein Stück seiner Hose mehrfach gefaltet auf eine häßliche Wunde gelegt. Es war ein Einschußloch, handbreit unterhalb der rechten Brustwarze. Wahrscheinlich hatte die Kugel eine oder zwei Rippen gebrochen und war irgendwo steckengeblieben. »Er muß schnellstens zu einem Arzt«, sagte Dave Willard und blickte zu Lobo auf. Lobo ging hinüber. »Wenn ihr genug Licht macht, sehe ich mir die Wunde mal an«, sagte er. »Verstehst du was davon?« »Ein bißchen schon. Mein Vater war ein Medizinmann.« Lobo grinste. »Los, macht ein Feuer zwischen den Steinen dort.« »Und wenn Ferguson noch in der Nähe ist, dann…« Horatio Ross brach ab, als ihn Lobos Blick traf. »Gut«, sagte er. Dann drehte er sich um und fing an, trockenes Holz zu sammeln. *
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Die Kugel hatte tatsächlich eine Rippe zersplittert, bevor sie eine andere Richtung genommen hatte. Lobo fand sie, als er mit den Fingern vorsichtig die Seite von Ward Willard abtastete. Sie steckte über dem Hüftgelenk in einem Fettwulst, und Lobo hatte keine Schwierigkeiten, sie herauszuoperieren. Sheriff Ward Willard erwachte aus der Ohnmacht, als Lobo die Kugel zwischen den Fingern und in das Licht hielt. Er schlug die Augen auf, wollte sich jäh aufrichten, zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen und legte sich stöhnend zurück. »Das ist eine Winchesterkugel«, sagte Lobo trocken. »Aus weiter Entfernung abgefeuert. Die Durchschlagskraft war nur noch gering.« Lobo stand auf. Er übergab die Kugel Dave Willard. »Heb sie auf für deinen Vater. Er soll deinen Kindern mal eine anständige Geschichte erzählen können.« Dave grinste, steckte die Kugel in die Hosentasche und beugte sich über seinen Vater. »Wie fühlst du dich?« fragte er ihn. Ward Willard zog die Oberlippe etwas hoch. Unter seinem rechten Auge zuckte ein Muskel. Lange sah er seinem Sohn in die Augen. Dann versuchte er noch einmal, den Kopf zu heben, aber es gelang ihm nicht. »Saumäßig, David«, sagte er, und genauso selten, wie er den Deputy Ross nannte, gebrauchte er den richtigen Namen seines Sohnes. Dave konnte sich überhaupt nicht erinnern, wann er das letzte Mal aus dem Mund seines Vaters diesen Namen gehört hatte. Und das hatte zweifellos irgend etwas zu bedeuten. »Willst du etwas Wasser?« Er bewegte nur die Augenlider, und Dave nahm eine Kantine auf und gab ihm zu trinken. Ward Willard schluckte, spuckte Blut aus und wehrte mit der linken Hand ab. »Wir sind knapp an Wasser«, keuchte er. »Da unten ist ein Tümpel, Vater. Dort liegt Jose.« 49
Sofort richteten sich die Augen des Sheriffs auf Lobo. »Wer bist du?« fragte er mit fester Stimme. »Lobo.« Ward Willard atmete seufzend auf. »Paßt auf ihn auf, sagte er. »Der ist wie ein Wolf.« Lobo lächelte. »Deinem Sohn brauchst du kaum Ratschläge zu geben, Willard«, sagte er. Seine Worte rissen den Sheriff hoch. Die Schmerzen trieben ihm zwar das Wasser in die Augen, und er verzog sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse, aber er hob die linke Hand, ballte sie zur Faust und rief wütend: »Junge, für dich bin ich gottverdammt nicht einfach Willard! Für dich bin ich Sheriff Willard oder Mister Willard!« Er schüttelte die Faust. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren. »Denk daran, Junge! Für dich bin ich der Sheriff. Ist das klar?« Lobo nickte. »Sicher, Willard«, sagte er. »Für mich bist du der Sheriff. Du machst zwar eine ziemlich unglückliche Figur, aber der Sheriff bist du trotzdem.« Ward Willard stemmte sich hoch, und er kam fast auf die Beine. Als er beinahe das Gleichgewicht verlor, packte er den Arm seines Sohnes, und es dauerte fast eine Ewigkeit, bis er sich an ihm hochgezogen hatte und auf seinen Beinen stand. »Traut ihm nicht«, knurrte er heiser. »Traut diesem Burschen nur nicht, sonst könnte es sein, daß er euch mit einer Überraschung aufwartet, die euch glatt aus den Stiefeln hebt. Ist das klar, Dave?« »Ja, Vater.« »Gut.« Er wiegte den Kopf hin und her. Der Schweiß rann ihm jetzt in Bächen über das Gesicht und den Oberkörper. »Gut.« Er warf seinem Deputy nur einen kurzen Blick zu. »Hol die Pferde, Ross. Wir übernachten dort, wo es Wasser gibt. Jose, Nat und 50
McCall müssen beerdigt werden. Morgen früh bei Tagesanbruch sind wir auf Fergusons Fährte. Das heißt, daß wir hier alles noch in dieser Nacht erledigen müssen.« Horatio Ross warf das Kinn hoch. »Und was ist mit dem da?« fragte er und meinte Lobo. Ward Willard zögerte mit der Antwort. Schließlich sagte er heiser: »Wenn du ihn an die Kette legen willst, hättest du ihm vorher die Zähne ziehen müssen, Ross.« Der Deputy schnaufte scharf durch die Nase. »Das hätte ich getan, verdammt! Du weißt, daß ich das getan hätte, Sheriff. Aber dein Sohn hat seine Schwingen über ihm ausgebreitet und Schutzengel gespielt.« Ward Willard drehte sich um, zwinkerte Dave mit einem Auge zu und wollte sich auf einem Stein niederlassen. Aber plötzlich taumelte er wieder, lallte ein paar unverständliche Worte und fiel erneut hin. Dave schüttelte den Kopf. »Er kann unmöglich morgen früh wieder die Verfolgung aufnehmen. Es hat ihn übel erwischt«, sagte er. »Niemand wird ihn daran hindern können«, stieß Horatio Ross hervor. »Du auch nicht, Dave.« »Er stirbt vielleicht, wenn er nicht zu einem Arzt gebracht wird.« »Hier ist im Umkreis von vielleicht zweihundert Meilen kein Arzt!« Horatio Ross drehte sich auf dem Absatz um. »Ich hole jetzt die Pferde«, sagte er und stampfte davon. »Er ist wütend bis in die Stiefel hinein«, sagte Dave kopfschüttelnd. Lobo nickte, während er hinter dem Deputy hersah. »Das ist nicht das Schlimmste«, sagte er nachdenklich. »Er haßt dich genug, um dich zu töten, wenn er eine Gelegenheit dazu kriegt.« Dave warf den Kopf herum. 51
»Mich? Das ist doch – he, soll das ein Scherz sein?« fragte er verblüfft. »Glaubst du, mir ist zum Scherzen zumute?« fragte Lobo, und er gab sich die Antwort selbst. »Nicht heute, Dave. Nicht an diesem Tag.« »Ein besonderer Tag für dich und für uns, Lobo.« Lobo nickte. »Ja, ein besonderer Tag.« Er blickte zum Mond und den Sternen hoch. »Bald ist Mitternacht.« Ward Willard erwachte, als es noch dunkel war. Er weckte zuerst Horatio Ross, dann seinen Sohn Dave. Lobo tat, als würde er nichts merken. Er lag zusammengekauert in einer Sandmulde, eingehüllt in die Decke von José, die nach Salbei, Pferdeschweiß und Tabak roch. Ward Willard war wirklich ein zäher Mann. Und hart gegen sich selbst. Er mußte furchtbare Schmerzen haben, aber er ließ sich nichts anmerken. Nur manchmal klang seine Stimme gepreßt, und Lobo, der ihn haarscharf beobachtete, konnte genau erkennen, wenn er Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Oft wischte er sich mit dem Hemdärmel den Schweiß vom Gesicht und verschnaufte einige Sekunden, während er unsicher stand und hin und her schwankte wie einer, dem schwindelig war. Da der Proviant schon seit Tagen knapp war, ließ Ward Willard die Rückenstücke braten, die sein Sohn und Ross dem toten Pferd von Jose noch vor dem Schlafengehen weggeschnitten hatten. Jose hatte in seinen Satteltaschen noch ein Pfund Kaffee und einige Haferbrötchen der Armee. Es gab Kaffee zum Frühstück. Kaffee und Pferdefleisch. Etwas abseits vom Wassertümpel, mitten auf einem Erdbuckel, war ein frischer Hügel aus Steinbrocken. In einen Sandsteinbrocken hatte Dave Willard ein Kreuz und die Initialen der Toten geritzt. Ward Willard, dem bei der Beerdigung die Tränen über 52
das zerfurchte Gesicht liefen, hatte seinem Freund Nat versprochen, ihn hier bei der ersten Gelegenheit herauszuholen und zur Ranch zu bringen. »Hier draußen soll keiner von ihnen liegenbleiben«, hatte er gesagt, bevor er die ersten Erdschollen in die Grube geworfen hatte, in der die drei Toten unter ihren Regenumhängen lagen. Ward Willard war ein seltsamer Mensch. Lobo nahm sich vor, ihn mit Vorsicht zu genießen. Trotzdem wollte er sich nicht von ihm den Daumen in den Nacken drücken lassen. Lobo wußte, daß Ward Willard früher oder später Schwierigkeiten mit seinen Wunden haben würde. Vielleicht nicht mit der Wunde am Brustkorb, aber die Kugel, die ihn in den linken Oberschenkel getroffen hatte, war ein Querschläger gewesen. Sie hatte Muskelbänder aufgerissen, den Knochen gesplittert und ein großes Stück Fleisch aus dem Oberschenkel geschlagen. Es war eine schlimme Wunde, die eigentlich von einem Arzt behandelt werden sollte. Aber Ward Willard hatte sie mit Schwefelpulver bestreut und mit Streifen von Nat Murdocks Hemd umwickelt. Damit hatte es sich. Und er gab sich Mühe, nicht zu humpeln. Wenigstens dann nicht, wenn er sich beobachtet glaubte. Er war es, der ihn schließlich mit dem Stiefel hart anstieß. Lobo öffnete nur die Augen und blickte zu ihm auf. »Frühstück«, sagte er grimmig, drehte sich um und ließ sich bei dem kleinen Feuer nieder. Nach dem Frühstück sattelte er als erster sein Pferd, einen mausgrauen Hengst mit weißen Strümpfen und einem weißen Stern auf der Stirn, den er »Flash« nannte. Und er war auch der erste, der sich in den Sattel ziehen wollte. Lobo, Dave und Horatio Ross beobachteten ihn dabei mit angehaltenem Atem. Er schaffte es nicht. Er brachte das kaputte Bein einfach nicht hoch. Schließlich warf er den Kopf herum und brüllte: »Was starrt ihr mich an wie drei Idioten! Helft mir lieber in den Sattel.« 53
Alle bewegten sich gleichzeitig. »Nur einer, verflucht noch mal!« rief Ward Willard. Horatio Ross, der Junge mit dem Piratengesicht, war der erste bei ihm, und Ward Willard stützte sich auf seiner Schulter, zog sich ächzend hoch und schaffte es schließlich. »Danke«, sagte er knapp. Im Sattel war ihm sichtlich wohler. »Löscht das Feuer. Füllt die Wasserflaschen. Es ist noch knapp eine halbe Stunde, bis es Tag wird. Ich reite unterdessen ein Stück.« »Wohin?« fragte Dave sofort. »Vater, es wäre viel vernünftiger, wenn du den Rückweg einschlagen würdest. Du brauchst einen Arzt und…« »Dave, das Thema ist erledigt«, unterbrach Ward Willard seinen Sohn. Dave schüttelte den Kopf. »Du könntest den Brand in die Wunde kriegen, Vater. Lobo meint auch, daß…« »Was der meint, interessiert mich nicht«, knurrte der Sheriff grimmig. »Es sei denn, er sagt etwas über eine Fährte, die ich jetzt suchen werde.« Lobo, der beim Feuer stand, hob den Kopf. »Soll das vielleicht eine Einladung sein?« fragte er freundlich. »Verstehst du was von Fährten?« fragte Ward Willard zurück. »Ich kann einen Pferdeabdruck von einem Ochsenabdruck unterscheiden, Willard.« Der Sheriff schnaubte durch die Nase. Für einen Moment sah es aus, als wolle er aus dem Sattel springen. Aber dann richtete er sich auf. »Du nimmst Nats Pferd, den rostfarbenen Hengst dort. Es ist ein ausgezeichnetes Tier, das glatt seine dreihundert Dollar wert ist. Ich will es mit zurück nach Tucson nehmen.« »Ich behandle es als Leihgabe«, sagte Lobo ironisch. »Was ist mit Waffen?« Ward Willard zog die Brauen etwas zusammen. »Ich sehe, daß 54
du den Colt von José im Hosenbund hast, Junge.« »Ein alter Army Colt, auf Patronen umgebaut. Viel taugt der nicht, Willard.« »So, davon verstehst du also auch was.« »Ein wenig«, gestand Lobo mit einem Lächeln. »Ich weiß, was bei…« »Spar dir die Luft, Junge! Schau dir lieber mal McCalls Winchester an. Ich glaube nicht, daß du an ihr was auszusetzen hast.« Lobos Lächeln verstärkte sich zu einem Grinsen. »Und was ist mit den beiden Revolvern mit den Elfenbeingriffschalen?« »Das sind McCalls Revolver.« »Krieg ich sie, oder krieg ich sie nicht?« »Es sind zwei Prachtexemplare. Peacemaker. Ziselierte Rahmen. McCall hat sie einem Texas Ranger Captain beim Pokerspiel abgenommen.« »Und?« Ward Willard holte Luft. »Gut. Gib sie ihm, Dave. Aber ebenfalls nur eine Leihgabe, versteht sich. Genau wie die Winchester auch.« »Die Winchester hat drei eingekratzte Kreuze im Kolben«, sagte Dave. »Die werden ihn kaum stören«, schnappte Horatio Ross. Er zog seinen Rappen herum und ging zum Wassertümpel, um die Blechflaschen zu füllen. Lobo sattelte den rostroten Hengst, der Nat Murdock gehört hatte. Der Hengst war angehobbelt. Lobo legte ihm den Sattel von Jack McCall auf, der ihm besser gefiel als der große Hamley von Murdock. Die ganze Zeit, während Lobo mit dem Hengst beschäftigt war, verharrte Sheriff Ward Willard regungslos im Sattel. Er beobachtete jede Bewegung von Lobo. Keine Sekunde ließ er ihn aus den 55
Augen. Und Lobo tat, als würde er nicht merken, daß er von Willard beobachtet wurde. Er wärmte die Gebißstange des Zaumzeuges kurz in seiner Achselhöhle, bevor er sie dem Hengst zwischen die Zähne schob. Dann zog er den Sattelgurt noch ein Stück enger, löste den Hobbel, nahm die Zügel in die Linke und schwang sich in den schwarzen, abgewetzten Sattel. Im Osten zeigten die ersten Silberstreifen über dem Horizont den neuen Tag an. Zwielicht kroch über den Steinhang in die Mulde. Es war kalt. Der Atem stand den Pferden in Wolken vor den Nüstern. In der Ferne war ein langgezogener Heulton zu hören. Lobo zog den Hengst herum. Er gehorchte auf Schenkeldruck. Er ging rückwärts, als Lobo kurz an den Zügeln zog. »Kommst du?« fragte Ward Willard. »Oder willst du erst mal versuchen, ob er einen Kopfstand machen kann?« »Ich werde mich auf dieses Pferd verlassen müssen, Willard«, antwortete Lobo ruhig. »Es soll mich dorthin bringen, wo ich Wayne Ferguson treffe. Es soll mich zum Ende einer Fährte bringen.« Willard lachte rauh auf. »Komm, suchen wir den Anfang dieser Fährte«, sagte er. »Dann werden wir weitersehen.« Lobo gab dem Hengst die Absätze. Er sprang sofort an, galoppierte an Ward Willard vorbei und wirbelte dabei eine Menge Staub auf, den der Sheriff schlucken mußte, als er hinter Lobo herritt, den Steilhang hoch zum Sattel und von dort am Rand der Senke entlang bis zu einer Stelle, wo fünf Messinghülsen am Boden lagen. Hier schwang sich Lobo vom Pferd. Er beugte sich nieder und hob einen Stein auf, der einen dunklen Fleck aufwies. »Blut«, sagte er. »Hier, auf dem Stein. Und dort drüben noch mehr.« Er zeigte auf einen tellergroßen Fleck in der Erdkruste. Ward Willard verzog sein Gesicht. »McCall hat einen getroffen, bevor er starb«, sagte er grimmig. 56
»Ich weiß nur nicht, wer es war.« »Es war Cutter«, sagte Lobo. »Woran siehst du das?« »Er hat nicht nur einen Buckel, sondern einen verkrüppelten linken Fuß, der mit den Zehen einwärts gedreht ist, wenn er geht. Außerdem weiß ich, daß dies hier sein Platz war. Der Junge war dort drüben, und Ferguson befand sich bei jenem grünlich schimmernden Granitbrocken dort.« »Dann bedeutet das, daß es Cutter erwischt und er wahrscheinlich Schwierigkeiten hat.« »Er hat kaum größere Schwierigkeiten, als du sie hast, Willard«, entgegnete Lobo trocken. Der Sheriff winkte ab. »Ich komme schon zurecht«, brummte er. Er zog sein Pferd herum und ritt an. Nichts konnte ihn mehr aufhalten. Er hatte jetzt wieder seine Fährte, und der Haß in ihm war größer als je zuvor. Lobo fragte sich nur, wie lange er es durchhalten konnte, Es war der Haß, der ihm Kraft gab, aber die Blutung an seinem Bein konnte er nicht stillen. Es war nur eine Frage der Zeit. Das wußte Lobo, als er dem großen, hageren Mann mit dem eckigen Gesicht nachblickte. Irgendwann würde er einfach aus dem Sattel fallen und sterben. Irgendwann war für ihn die Jagd endlich zu Ende. * Cutter kicherte in sich hinein, während er mit seinen gelben Fingernägeln seinen Namen in den Sand kratzte. Er kicherte, betrachtete jeden Buchstaben lange Zeit, bevor er den nächsten setzte. Er hatte in Yuma lesen gelernt. Von der Frau des Gefängnisdirektors. Sie hatte Gefangenen, die lesen und schreiben lernen 57
wollten, Unterricht gegeben. Er hatte sich damals oft gefragt, wozu er eigentlich schreiben lernte. Er hatte nichts zu schreiben. Er hatte eigentlich nicht einmal etwas zu sagen. Es gab niemand, der irgend etwas von ihm wissen wollte. SLIM CUTTER. Das war sein Name. Er betrachtete ihn. Ein gehörnter Käfer kroch an dem C entlang. Cutter zog den Revolver und zerquetschte den Käfer mit dem Kolben. Danach mußte er den Buchstaben noch einmal frisch nachziehen. Irgendwann fiel ihm dann ein, was er eigentlich zu sagen hatte. Und er kratzte es in die Erdkruste. Er schrieb unter seinen Namen: HIER STARB DER BUCKLIGE SATAN. Und damit hatte es sich. Er warf den spitzen Stein von sich, kroch in den Schatten des Busches zurück und blickte aus fiebrigen Augen den Fährten entlang. Irgendwann würde er kommen, dieser Ward Willard. Irgendwann. * Es war Spätnachmittag, als sie ihn sahen. Zuerst glaubten sie, er sei ein Tier, das auf der Suche nach einem Platz zum Sterben in den breiten, ausgetrockneten Wash hineingefallen war. Aber als die letzten Sonnenstrahlen Metall aufblinken ließen, erkannten sie, daß es sich um einen Menschen handelte, der eine etwa hundert Yards lange Schleifspur durch den Graben gezogen hatte, die im Schattengewirr eines abgestorbenen Eisenholzbaumes endete. »Das ist Slim Cutter«, sagte Lobo mit kehliger Stimme. »Der Bucklige«, sagte Dave leise. »Er hat dich mit seiner Peitsche geschlagen, nicht wahr?« Lobo nickte. Er sah, wie Slim Cutter dort unten herumkroch, so 58
als hätte er etwas verloren. Und er wühlte mit beiden Händen im Staub herum wie ein Verrückter. Lobo wandte sich im Sattel um und blickte die Fährte zurück, die er und Dave hinterlassen hatten. Etwa eine halbe Meile entfernt, bewegten sich Horatio Ross und Ward Willard. Sie durchritten im Schritt eine Ebene, kreuzten einen Arroyo und näherten sich von Südwesten dem flachen Hügelrücken, auf dem Lobo und Dave ihre Pferde gezügelt hatten. Ward Willards Gesicht war noch knochiger geworden. Er hatte die Lippen fest zusammengepreßt. Seine Augen lagen in dunklen Höhlen. Er trug jetzt die Hose von Nat Murdock. Das linke Hosenbein war dunkel vom Blut. Es war ein mörderischer Ritt gewesen, den Ward Willard an diesem Tag hinter sich hatte. Selbst Horatio Ross war gezeichnet. Die Hitze war das Schlimmste gewesen. Die Kleider klebten an der Haut fest, verhärtet durch eine Kruste von Staub und salzigem Schweiß. Ross hatte zwei große Fieberblasen an der Unterlippe und klagte über Bauchschmerzen. Aber Ward Willard hatte sie Meile um Meile vorangetrieben. So als hätte er selbst die Kraft eines Übermenschen. Als wäre er unbezwingbar. Jetzt, als er den Hügel hochritt, grub er die Zähne in seine Unterlippe. Sein Gesicht war fast weiß vom Salz, das sich auf seiner Haut gesammelt hatte und in seinen Bartstoppeln glitzerte. Man sah ihm an, daß er sich mit letzter Kraft im Sattel halten konnte, und als er oben auf dem Hügelrücken ankam, den Hengst anhielt und sich vorbeugte, verlor er das Gleichgewicht und stürzte beinahe vom Pferd. Im letzten Moment gelang es ihm, sich am Sattelhorn und an der Mähne festzuhalten. Er atmete keuchend, und es dauerte eine Weile, bis er sich aufrichtete und den Kopf hob. Er blickte hinunter in die öde, zerfurchte Senke, die durchzogen war von einem Grabengewirr und übersät mit dunklen Felsbrocken. Dazwischen wuchsen 59
Mesquitesträucher, Chollas, Ocotillos und andere Kakteen, die zusammen mit dem Dornengestrüpp an einigen Stellen ein undurchdringbares Dickicht bildeten. Beim Anblick dieser Wildnis stieß Ward Willard den Atem scharf durch die Nase. Dann wollte er etwas sagen, aber nur ein trockenes Krächzen kam aus seinem Mund. Er griff nach der Wasserflasche, die hinten an seinem Sattel festgemacht war, öffnete sie mit zittrigen Fingern und hob sie an den Mund. Er trank ein paar kleine Schlucke, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und verschloß die Flasche wieder. »Herrgott, er ist mitten durch die Hölle geritten«, sagte er mit einer brüchigen Stimme. »Und er hat Slim Cutter zurückgelassen, Vater«, sagte Dave und zeigte hinunter zu dem mächtigen Eisenholzbaum, wo Cutter am Boden kniete und aus Sand eine Pyramide baute. Ward Willard wurde sofort steif. Aus engen Augen starrte er in die Senke hinunter. Neben ihm zog Ross seine Winchester aus dem Scabbard. »Ist er allein?« fragte der Sheriff rauh. Dave blickte Lobo an und der Mischling nickte. »Ja, er ist allein«, sagte er kehlig, »und es sieht danach aus, als ob er verrückt geworden wäre.« »Der war schon immer nicht ganz beieinander«, sagte Dave. »Das stand doch sogar in den Zeitungen.« Ward Willard blickte Lobo von der Seite forschend an. Lobo erwiderte den Blick. »Bist du sicher, daß dies nicht wieder eine Falle ist?« Lobo lächelte. »Siehst du die Büsche dort, Willard?« fragte er und zeigte auf ein Dickicht, das vielleicht fünzig Yards vom Arroyo entfernt war, in dem Slim Cutter mit Sand spielte. »Ja.« 60
»Okay. Die sind voller Cactus Wrens. Die Vögel tummeln sich im Geäst, tanzen, spielen und singen. Sie nehmen keine Notiz mehr von Cutter, weil sie wissen, daß er ihnen nicht gefährlich werden kann. Wären außer Cutter noch andere Menschen in der Nähe, wäre es ruhig in den Büschen.« »Und wenn Rothäute in der Nähe waren?« »Du meinst Indianer?« fragte Lobo scharf »Apachen? Nein, die hätten Cutter erledigt. Oder sie würden mit ihm spielen. Wer weiß.« Ward Willard nickte. »Gut, Leute«, sagte er. »Dann holen wir uns jetzt Slim Cutter.« »Wie willst du das anstellen, Vater? Slim Cutter mag zwar verrückt sein und verletzt, aber gefährlich ist er immer noch. Siehst du das Gewehr, das neben ihm im Sand liegt? Und er trägt einen Revolver.« »Ich könnte ihn von hier aus erschießen«, schlug Horatio Ross vor. »Das wäre kein Problem.« »Wir sind keine Heckenschützen«, sagte Ward Willard. »Das beste ist, wenn wir ihn in die Zange nehmen, angreifen und ihn auffordern, sich zu ergeben, wenn er sieht, daß er keine Chance mehr hat.« »Slim Cutter wird sich kaum ergeben, Willard«, sagte Lobo. »Außerdem gehört er mir.« Ward Willard drehte den Kopf. Seine Augen funkelten. Durchdringende Blicke trafen Lobo. »Der Mann da unten ist ein entlaufener Mörder«, sagte er, und er betonte jedes einzelne Wort. »Der Mann da unten gehört nicht dir, Junge, er gehört dem Gesetz!« Lobo zog die Oberlippe von den Zähnen. Er sah jetzt gefährlich aus. Aggressiv und wütend. »Der Mann hat mich ausgepeitscht, Willard«, sagte er mit einer fast tonlosen Stimme. »Der Mann hat mich geschlagen wie einen 61
Hund. Niemand wird mich daran hindern, ihn dafür zu bestrafen, Willard. Auch das Gesetz nicht.« Horatio Ross schien auf diesen Moment gewartet zu haben. Er richtete sofort die Winchester auf Lobo und zischte: »Wer sich dem Gesetz widersetzt, macht sich strafbar, Bastard! Wenn du jetzt noch einen Mucks machst, kriegst du eine Kugel.« Lobo drehte ganz langsam den Kopf. Seine Augen richteten sich auf den Deputy. Sekundenlang hielten alle den Atem an. Dann duckte sich Lobo etwas, und plötzlich lag seine rechte Hand über dem weit aus dem Holster ragenden Revolvergriff mit den Elfenbeinschalen. »Ross«, sagte Lobo sehr, sehr leise. »Ross, wenn du mich noch einmal Bastard nennst, bist du tot.« Der Deputy wurde für einen Moment unsicher. Aber dann lachte er auf. »Glaubst du, daß du mir mit deinen Drohungen etwa Angst einjagen könntest?« Lobo schüttelte den Kopf. »Nein, Ross«, sagte er noch immer sehr leise. »Dazu bist du zu dumm. Du merkst einfach nicht, wann du vorsichtig werden mußt. Du merkst nicht, wann es genug ist, Ross. Und dafür wirst du eines Tages mit größter Sicherheit in die Hölle fahren.« Lobo drehte sein Pferd halb herum, und Horatio Ross saß wie versteinert im Sattel. Da er aber die Bewegung Lobos mit der Winchester nicht mitmachte, kam er wieder einmal zu spät. Blitzschnell warf sich Lobo im Sattel herum, und in seiner rechten Hand lag jetzt Jack McCalls Peacemaker. Der Hammer war gespannt, der Lauf zeigte auf Horatio Ross. »Steck die Winchester weg, Mister Deputy Sheriff, sagte Lobo hart. »Du hast dazu genau zehn Sekunden.« Horatio Ross wurde ziemlich bleich um die Nase, obwohl sein Gesicht von der Sonne gebräunt war. Er zögerte aber kaum zwei 62
oder drei Sekunden, dann stieß er die Winchester mit der Mündung voran in den Scabbard und fletschte seine Zähne. Ein schlimmes und vernichtendes Feuer war in ihm entfacht worden, und er hatte Mühe, es unter Kontrolle zu halten. »Eines Tages werde ich dann abdrücken, wenn ich die Chance dazu habe, dich zu töten«, sagte er heiser. »Eines Tages werde ich dich einfach töten!« »Du wirst darauf warten müssen, daß ich dir den Rücken zudrehe, Ross«, gab Lobo zurück, »oder du kannst es versuchen, wenn ich schlafe. Nur eines laß dir gesagt sein. Es sieht manchmal nur so aus, als würde ich schlafen. Und es sieht manchmal nur so aus, als würde ich einem Mann wie dir den Rücken zudrehen.« Dave Willard schüttelte verständnislos den Kopf. »Was ist eigentlich los mit euch? Horatio, jeder weiß, daß du ein schneller und guter Schütze bist, der seinen Mann stehen kann. Das weiß jeder in Tucson und dem ganzen County. Was ist nun plötzlich los mit dir?« »Laß mich in Ruhe«, sagte Horatio Ross. »Der Kerl gefällt mir nicht. Das ist alles.« Lobo lächelte, als er den Peacemaker zurück in das Holster gleiten ließ. »Eine gut ausbalancierte Waffe«, sagte er. »Ich glaube, ich könnte auf fünf Schritte Entfernung einem Sheriffstern glatt die Zacken wegschießen.« Ward Willard verzog sein Gesicht. »Manchmal, Junge, manchmal wird mir ganz warm ums Herz, wenn du den Mund aufmachst«, sagte er grimmig. »Nur nicht aufregen, Willard«, sagte Lobo. »Dein Deputy Sheriff gibt sich alle Mühe, und dein Sohn hat auch keine Schwierigkeiten, einiges zu lernen. Der einzige sture Bock in dieser Gesellschaft bist du. Zum Glück hast du selbst darunter zu leiden.« 63
Der Sheriff verzog das Gesicht zu einem Grinsen. Das war sicher nicht einfach, denn Ward Willard wußte selbst, daß Lobo eigentlich recht hatte. Die Schmerzen fraßen ihn langsam auf. Nur sein Bein tat nicht mehr so weh wie am Anfang. Der Verband war auch nicht mehr feucht, und es schien, als ob die Wunde zu bluten aufgehört hätte. Ein gutes Zeichen, das Ward Willard zuversichtlich machte. »Ich hole jetzt Slim Cutter«, sagte Lobo. »Und wie willst du das anstellen?« fragte Ward Willard sofort. Lobo hob die Schultern. »Das weiß ich selbst noch nicht, Willard. Es kommt halt darauf an, was Cutter macht.« »Warum reiten wir ihn dann nicht einfach nieder?« »Weil er jederzeit in der Lage ist, mit einem Glücksschuß einen von uns zu treffen. Oder ein Pferd. Wer von uns will den Rest des Weges zu Fuß gehen?« Ward Willard mußte einsehen, daß Lobo recht hatte. Er verlangte nur, daß Lobo nicht Selbstjustiz ausübte, wenn er Slim Cutter erwischte. »Denk daran«, ermahnte ihn der Sheriff, »denk daran, daß er dem Gesetz gehört.« »Ich werde mir Mühe geben, um die Frage herumzudenken, was du mit einem verletzten Gefangenen machen willst, Willard. Cutter können wir nicht gebrauchen.« »Das bestimme ich und niemand sonst!« gab Willard scharf zurück. Lobo zuckte mit den Schultern. Er drehte sein Pferd und ritt davon. Er wollte Slim Cutter von der anderen Seite angehen. Und er wollte ihm keine Chance geben, denn die hatte der Bucklige nicht verdient. *
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Slim Cutter hatte eine kleine Grube ausgehoben, die er mit abgestorbenen Buschästen und Kaktusadern auffüllte. Er kroch auf allen vieren im Arroyo herum, und Lobo, der sich ihm vom Norden her näherte, hörte ihn einmal irgend etwas sagen, was wie ein Gebet klang. Cutter zündete ein dürres Grasbüschel an und schob es zwischen die Holzstücke in der Grube. Flammen züngelten hoch, und der Feuerschein erhellte ein Stück des Arroyos, in dem sich Cutter verkrochen hatte. Die Abenddämmerung hatte sich über der Wüste ausgebreitet. Der Wind war tot, und die Kühle des Abends drängte die Tageshitze in die Erdspalten und Gräben zurück, wo sie sich noch eine Weile einnisten konnte. Slim Cutter warf noch ein paar Äste auf das Feuer. Die Flammen loderten nun hoch, und der bucklige Bandit begann damit, sich im flackernden Feuerschein auszuziehen. Zuerst warf er die Hose ins Feuer. Für einen Moment schien es, als würden die Flammen erstickt, aber dann züngelten sie an den Stoffrändern hoch, und die Hose ging in Flammen auf. Cutter warf die Weste und das Hemd ins Feuer, dann legte er den Hut darauf und zuletzt seine Stiefel mit den schiefgetretenen Absätzen. Er trug jetzt nur noch das löchrige rostrote Unterzeug, hockte sich neben dem Feuer hin und verharrte regungslos. Der Flammenschein zuckte über sein verschwollenes Gesicht, das von einer Blutkruste bedeckt war. Seine Augen glühten. Das schüttere Haar hing ihm in dünnen Stähnen über die Ohren und die Stirn. Seine Füße waren schneeweiß. Fast fünf Minuten lang hockte er beim Feuer. Dann bewegte er sich, drehte sich ächzend zur Seite, legte sich lang und ergriff seinen Revolver. Er hob langsam die Mündung an seine Schläfe. Der Daumen lag auf dem Hammer. Lobo hörte ihn erneut kichern, aber er spannte den Hammer nicht. 65
Lobo war jetzt bis auf zehn Schritte an ihn herangekommen. Cutter konnte ihn unmöglich sehen, denn Lobo benutzte jeden Busch und jeden Stein als Deckung. Als Slim Cutter endlich den Hammer spannte, war Lobo noch zwei Schritte von ihm entfernt. Er sprang mit einem Satz über das Feuer hinweg und traf Cutters Arm mit einem kräftigen Fußtritt. Cutter wurde von dem Angriff derart überrascht, daß er nicht einmal den Finger krumm machen konnte. Der Colt flog aus seiner Hand und landete in einer Sandmulde. Lobo stand breitbeinig über dem buckligen Banditen, den Revolver in seiner rechten Hand. »Hallo, Cutter«, sagte Lobo mit ruhiger Stimme. »Du wolltest dir eben einen Gefallen tun, wie?« Cutters Rattenaugen glänzten fiebrig. Er atmete schnell und stoßweise. Es sah aus, als wollte er etwas sagen. Aber er brachte nur ein paar heisere Laute hervor. Lobo starrte wild auf ihn nieder. Hier lag er nun, dieser kleine, bucklige Teufel, der ihn ausgepeitscht hatte. Hier lag er, ein kaltblütiger Mörder, der sich am Sterben seiner Opfer erfreuen konnte. Er war so schwer verletzt, daß er eigentlich längst hätte tot sein sollen. Aber er war zäh, so zäh, daß er sich jetzt selbst hatte töten wollen, um seinen Qualen ein Ende zu bereiten. Lobo hatte ihn daran gehindert und ihn für das, was er ihm angetan hatte, bestraft. Mehr wollte er nicht. Den Rest konnte das Gesetz erledigen. Durch Sheriff Ward Willard, der mit seinem Sohn und seinem Deputy auf ein Zeichen von Lobo wartete. Lobo bückte sich, nahm die Winchester von Slim Cutter vom Boden auf und entfernte sich von dem Banditen. Er trat in den Feuerschein, hob die Hand mit dem Revolver und winkte zum Hang hoch, wo sich der Sheriff und seine beiden Begleiter aufhielten. Slim Cutter wand sich unterdessen am Boden wie ein zu Tode 66
verwundetes Tier. Er wollte dorthin kriechen, wo sein Revolver in den Sand gefallen war. Aber er hatte keine Kraft mehr. Lobo, der beim Feuer stand, fühlte sich nicht so recht wohl in seiner Haut. Er hatte es sich ganz anders vorgestellt. Er hatte zumindest erwartet, daß Slim Cutter sich wehren würde. Aber der Bandit hatte mit einem Fuß die Schwelle des Todes schon überschritten. Er war wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag und sich nicht mehr umdrehen konnte. Daß er noch am Leben war, war ein Wunder. Ward Willard, Dave und der Deputy zügelten ihre Pferde am Rande des Feuerscheins. Alle drei hatten ihre Gewehre in den Händen. »Was ist mit ihm?« fragte Ward Willard heiser. Lobo hob die Schultern. »Schau ihn dir selbst an, Willard«, erwiderte er. »Viel von dem, was er einmal war, ist nicht übrig geblieben.« Lobo ging zu Dave und nahm die Zügel seines Pferdes in Empfang. Er führte den Hengst aus dem Arroyo hinaus in eine Mulde, wo ein bißchen Gras wuchs. Dort hobbelte er ihm die Vorderbeine, bevor er ihn absattelte und abzäumte. Als Lobo mit dem Sattel und dem Zaumzeug in den Arroyo zurückkehrte, hing ein Strick über einem der dicken, weit ausladenden Äste des Eisenholzbaumes. Die Schlinge baumelte mannshoch über dem Boden. Lobo blieb bocksteif stehen. Was seine Augen erblickten, konnte er fast nicht glauben. Ward Willard und Horatio Ross schleiften Slim Cutter vom Feuer weg unter den Eisenholzbaum. Dave Willard hockte auf einem Steinbrocken, vornübergebeugt wie ein alter Mann, die Hände vor dem Gesicht. Sie lehnten Slim Cutter gegen den Stamm des Baumes. Dann holte Ross sein Pferd. Ward Willard drehte sich um. In dem Moment sah er Lobo, der den Sattel in der linken, das Zaumzeug 67
in der rechten Hand hatte. Lobo stand breitbeinig und etwas vornübergebeugt. Er sah, wie die rechte Hand des Sheriffs sofort zum Revolver, fuhr. »Bleib weg, wenn du es nicht mitansehen kannst!« rief der Sheriff mit heiserer Stimme. Lobo sagte kein Wort. Er ging auch nicht weg. Er sah zu, wie sie Slim Cutter auf den Rücken des Pferdes hoben und ihm die Schlinge um den Hals legten. Cutter kreischte wie ein Tier, aber die beiden Sternträger kannten keine Gnade. Ward Willard gab dem Pferd einen Klaps. Das Tier sprang an. Sie warteten noch fast fünf Minuten, während denen sich keiner von ihnen rührte. Dann holten sie Slim Cutter herunter. Lobo ging zum Feuer, legte seinen Sattel hin und hängte das Zaumzeug an den Ast eines Strauches. Ward Willard humpelte herüber. Er setzte sich Lobo gegenüber auf einen Stein und begann, die Stiefel auszuziehen. »Was passiert jetzt mit ihm?« rief Dave wild herüber. »Wollt ihr ihn etwa liegenlassen?« Er erhielt keine Antwort. Da stand Dave auf, ging zu Slim Cutter und schleifte die Leiche ein Stück weit den Arroyo hinunter. Er legte ihn unter eine überhängende Böschung, die er anschließend zum Einsturz brachte. Damit war die Sache erledigt. Der bucklige Bandit lag mindestens zweihundert Yards von jener Stelle entfernt, wo er seinen Namen in die Erdkruste geritzt hatte. * Die Apachen hatten eine Armeepatrouille erwischt. Die Soldaten lagen alle dicht beisammen auf einem kleinen Hügel, umgeben von ihren toten Pferden, aus deren Kadavern die Apachen große 68
Fleischbrocken herausgehackt hatten. Es waren sechs Soldaten und ein junger Leutnant, der brandrotes Haar hatte. Messinghülsen blinkten in der Sonne. Aus dem Rücken des Leutnants ragte der abgebrochene Schaft eines Pfeiles. Die anderen hatten alle Kugeln abgekriegt und dann hatten die Apachen den Hügel gestürmt, die Stellung der Soldaten überritten und ihre Lanzen in die Körper der Verletzten und Toten gestoßen. Einige der Leichen waren grausig verstümmelt. Alle waren entkleidet. Nur der Leutnant trug noch seine Hose, das Hemd und die Stiefel. Außerdem hielten seine verkrampften Finger einen Army Colt umschlossen. Wayne Ferguson umritt den Hügel mehrere Male und untersuchte die Spuren. Schließlich wußte er Bescheid. »Keiner ist entkommen«, sagte er zu dem Jungen, der auf dem Pferd saß und ein Taschentuch vor den Mund und die Nase hielt. »Es waren ungefähr dreißig Krieger. Alle sind beritten und vorzüglich bewaffnet. Sie haben den Trupp in die Zange genommen. Etwa zehn sind von dort aus dem Arroyo gekommen, zehn haben hinter dem Hügelzug dort gewartet, und die anderen kamen gleichzeitig von allen Seiten.« »Wo sind sie nach dem Kampf hingeritten?« »Zuerst haben sie dort im Canyon gefeiert. Sie haben ein Feuer gemacht, Soldatenkleider angezogen, den Schnaps aus den Kantinen getrunken und Soldatenpferde gefressen. Dann haben sie getanzt, gestritten, geschlafen, und heute morgen sind sie weggeritten.« »Wohin?« »Südostwärts.« »Das ist verdammt unsere Richtung!« stieß der Junge hervor. »Richtig, Kid. Das ist unsere Richtung. Aber es ist auch die Richtung, die Willard einschlagen muß. Ich kenne mich aus mit 69
den Apachen, Kid. Ich habe schon mit Cochise Handel getrieben. Sie kennen mich. Sie nannten mich früher ›Viele Gewehre‹.« »Hast du ihnen Gewehre verkauft?« »Sharps aus Armeebeständen. Das war damals ein gutes Geschäft. Dann gab es immer mehr Leute, die aus dem Krieg Profit schlagen wollten. Ehrbare Leute. Leute mit gutem Namen, von denen niemand wußte, daß sie schmutzige Geschäfte tätigten. Da habe ich aufgehört und die erste Bank überfallen, um den ehrbaren Leuten ein bißchen von dem Geld wegzunehmen, das sie auf eine schmutzige Art verdient hatten. Ich hielt das für eine gute Sache. Ich nahm vielen von ihnen nur Blutgeld weg und sonst nichts.« Wayne Ferguson lachte. »Komm, wir reiten weiter. Ich möchte nicht, daß Willard das Gefühl hat, als würde er uns müde hetzen. Ich will, daß er sich jeden Tag gottverdammt abmühen muß und ins Schwitzen kommt. Ich will, daß er sich grün ärgert, wenn er am Morgen merkt, daß er schon wieder ein paar Meilen…« Wayne Ferguson kam nicht weiter. Er sah, wie sich die Augen des Jungen plötzlich weiteten, und er im Sattel zusammenzuckte. Dann riß er das Gewehr aus dem Scabbard und wollte es hochnehmen. In diesem Moment warf Wayne Ferguson den Kopf herum und blickte in die Richtung, in die die Winchester des Jungen zeigte, aber außer einigen verwitterten Felsbrocken und ein paar Kakteen, war nirgendwo etwas zu sehen. »Da war einer«, stieß der Junge fast tonlos hervor. Wayne Ferguson suchte mit seinen Blicken die Felsen ab. Nichts war zu sehen. Nichts rührte sich. Nur der Wind bewegte das zähe Drahtgras, das aus den Erdrissen wuchs. »Du spinnst, Kid«, sagte Ferguson grimmig, während er sich an jener Stelle kratzte, wo einmal sein Ohr gewesen war. »Apachen bleiben nie dort, wo Tote herumliegen. Das bringt Unglück. 70
Und sie fürchten die Geister der Toten, die vor allem nachts auftauchen. Sie erschrecken sich vor jedem Glühwürmchen, weil sie glauben, es sei eine Soldatenseele.« »Ich hab's deutlich gesehen«, sagte der Junge erregt. »Dort drüben. Genau neben dem Felsen, der oben eine Kerbe hat, aus der ein Strauch wächst. Genau rechts davon. Da stand einer.« »Ein Apache?« »Was denn sonst? Auf jeden Fall kein Soldat. Ich konnte sogar den weißen Strich sehen, den er quer im Gesicht hatte. Genau unter den Augen. Und ein rotes Tuch hat er sich um den Kopf gewickelt. Er trug eine Armeejacke und einen Lendenschurz. Und er hatte ein Gewehr in den Händen. Er stand ganz still dort und hat uns beobachtet. Ganz still, sag ich dir. Als ich nach der Winchester langte, da verschwand er blitzschnell.« Wayne Ferguson glaubte dem Jungen zwar nicht, aber er schwang sich trotzdem auf sein Pferd, zog sein Gewehr aus dem Sattelschuh und nickte dem Jungen zu. »Komm, wir sehen uns da hinten mal um«, sagte er kurz. Sie ritten nebeneinander durch eine Mulde, erreichten die Felsen und suchten sich einen Weg zu einer kleinen Anhöhe hoch. »Hier stand er. Genau hier.« Der Junge zeigte auf eine zerfurchte Felsplatte. »Ich habe ihn genau gesehen, verdammt! Glaub mir, meine Augen sind gut.« Wayne Ferguson stieg ab. Er suchte lange herum, fand aber keine Spur von einem Lebewesen im Umkreis von mindestens fünfzig Schritt. Kein Mokassinabdruck. Keine Pferdefährte, nichts. »Du mußt dich geirrt haben, Kid«, sagte Wayne Ferguson schließlich. »Kein Mensch treibt sich hier herum, ohne daß er Spuren hinterläßt.« »Ein Mensch vielleicht nicht, aber ein Apache schon.« Der Junge sagte es bierernst, und Wayne Ferguson lachte sein gluck71
sendes Lachen. »Junge, die Zeitungen schreiben zwar, daß die Apachen keine Menschen sind. Und die ganzen hysterischen Weiber verbreiten Geschichten, wonach die Apachen kleine Kinder fressen. Wer diesen Quatsch glaubt, der ist selber schuld, Kid. Ich hatte mit ihnen zu tun. Gut, sie sind anders als wir. Manche sind wie Bestien. Die bringen ihre eigenen Mütter um, wenn sie Hunger haben. Aber im Grunde sind sie nicht schlechter und nicht besser als wir.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Mir ist scheißegal, was die Zeitungen schreiben. Mir ist aber auch scheißegal, was du mir erzählst. Ich habe ein flaues Gefühl in der Magengegend, seit ich die Soldaten dort gesehen habe. Mir ist ganz einfach nicht mehr wohl in meiner Haut.« »Beruhige dich, Kid. Ich kenne die Burschen, und sie kennen mich. Wenn wir Glück haben, kann ich sie dazu überreden, Willard abzufangen. Was meinst du, was die mit Willard machen würden, wenn sie ihn erwischen? Kid, das müßtest du sehen. Willard würde wünschen, daß er nie geboren worden wäre, das sage ich dir.« »Und wenn sie uns erwischen?« »Verlaß dich auf mich, Kid. Ich weiß Bescheid.« Der Junge blickte sich nach allen Seiten mißtrauisch um. »Hoffentlich, Wayne«, sagte er halblaut. »Hoffentlich weißt du wirklich Bescheid.« * Ward Willard hatte am fünften Tag hohes Fieber, als er am Morgen aufwachte. Es war das erste Mal, daß er nicht zuerst aufstand. Er machte nicht einmal den Versuch, sich zu erheben. Sein Gesicht glühte unter dem Schweiß. Er hatte heftige Schüttel72
krämpfe und fror erbärmlich. Dave gab ihm ein bißchen Wasser zu trinken, das der Sheriff sofort wieder erbrach. »Hast du Schmerzen, Vater?« fragte Dave, während er das Gesicht des Sheriffs mit einem feuchten Tuch abwischte. »Nicht im Bein«, stieß Ward Willard brüchig hervor. »Ich – ich weiß nicht, aber vielleicht brauche ich nur noch ein bißchen Schlaf. Ich bin – Herrgott, ich bin todmüde.« »Lobo soll sich die Wunden ansehen«, sagte Dave bestimmt. »Bleib nur ruhig liegen. Wir haben Zeit. Fergusons Vorsprung beträgt schon fast zwei Tagesritte. Es ist nicht mehr möglich, daß wir ihn noch vor dem San Pedro einholen. Lobo meint, daß Ferguson sowieso nicht zum San Pedro reitet, sondern zum Rio Pecos im Süden. Wenn er dann die mexikanische Grenze passiert, ist er in Sicherheit.« »Nicht, solange ich am Leben bin«, keuchte Ward Willard. Er packte seinen Sohn am Arm. »Los, hilf mir auf die Beine, David! Lobo kann sich die Wunden über den Mittag ansehen, wenn wir sowieso gezwungen sind, eine Pause einzulegen, um aus der Hitze rauszukommen.« »Nein, Vater, wir reiten nicht weiter, bevor dich Lobo verarztet hat.« Dave riß sich los und drehte sich nach Lobo um, der immer noch am Boden lag, die Decke von José bis unters Kinn hochgezogen. »Lobo! Vater kommt nicht mehr hoch!« rief Dave. Lobo drehte den Kopf und blinzelte in das Licht der aufgehenden Sonne. »Gestern abend hat er doch noch gesagt, daß die Wunden zu sind und nicht mehr bluten.« Dave hob die Schultern. »Du mußt es dir ansehen, Lobo.« Lobo richtete sich auf. »Wo ist der Deputy Sheriff?« fragte er, als er weder Ross noch dessen Pferd sehen konnte. 73
»Er hat Fährten entdeckt. Beschlagene Pferde. Vielleicht eine Armeepatrouille. Aber es sind Apachen in der Nähe. Dort auf dem Hügel sind zwei frische Mokassinabdrücke im Sand.« Lobo gähnte und stand auf. Er sah sich nach allen Seiten um, fand aber nirgendwo Anzeichen einer Gefahr. Horatio Ross tauchte auf einem Felsgrat auf. Er winkte herunter. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Lobo streckte sich und ging zu Dave hinüber, der neben seinem Vater am Boden kauerte. Ward Willard sah alt aus. Sein Gesicht war jetzt wie ein Totenschädel, an dem die Haut lose herunterhing. Seine Augen lagen in tiefen dunklen Höhlen und seine Nase war spitz geworden. Er atmete keuchend, und die Krämpfe schüttelten ihn durch. Lobo kauerte sich nieder und blickte in die Augen des Sheriffs. »Schlimm?« fragte er knapp. Ward Willard fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er hob jetzt den Kopf etwas. »Verdammt, hebt – mich in den – Sattel, dann geht es schon.« »Du bist ein närrischer alter Mann, Willard«, sagte Lobo hart. »Du weißt, daß du das Spiel verloren hast, aber aufgeben willst du nicht. Ist es wirklich die Pflicht, von der du dich treiben läßt, oder ist es nicht doch der grenzenlose Haß, der in dir glüht?« »Geh zum Teufel!« schnappte Ward Willard. »Ich habe eine Aufgabe, verdammt. Und ich habe mir geschworen, daß ich Ferguson unschädlich machen werde, koste es, was es wolle.« »Wenn du weitermachst, kostet es dich das Leben«, erwiderte Lobo kühl. Er fing an, das schmutzige Hemd über Ward Willards Brust aufzuknöpfen. Willard wollte sich wehren, aber Dave packte seine Handgelenke und hielt ihn fest. »Laß ihn deine Wunden versorgen, Vater. Was nützt es, wenn du draufgehst, bevor du Ferguson erwischt hast?« Ward Willard legte sich zurück. Der Schweiß floß ihm über das 74
Gesicht. Er hatte die Zähne zusammengebissen, als Lobo ihm den verkrusteten und harten Verband über der Wunde aufschnitt. Die Reste des Hemdstoffes, die an der Wundkruste klebten, weichte Lobo zuerst mit Wasser auf, bevor er sie vorsichtig entfernte. Die Wunde über der Hüfte von Ward Willard sah nicht schlecht aus. Er schien gutes Heilfleisch zu haben. Die Kruste war an einigen Stellen schon ziemlich fest. Noch waren die Wundränder entzündet, und als Lobo ein Krustenstück leicht anhob, platzte es, und Eiter floß heraus. Lobo bestreute die Wunde mit Schwefelpuder und verband sie mit Stoffresten aus dem Hemd, das McCall getragen hatte. Als er mit Dave zusammen die Hose vom verletzten Bein des Sheriffs zog, kam Horatio Ross zurück. »Was ist los?« fragte er scharf. »Warum reiten wir nicht weiter? Es sind weder Soldaten noch Apachen in der Nähe. Aber im Süden fliegen mindestens vier Dutzend Geier und Bussarde in einem Kreis. Dort gibt es scheinbar was zu fressen.« »Wir bleiben hier, bis sich Vater besser fühlt«, sagte Dave Willard hart. »Er kann unmöglich weitermachen.« »Den Teufel kann ich!« brüllte Ward Willard gepreßt. »Wir reiten, so bald der Medizinmann fertig ist, Ross!« Lobo zerschnitt jetzt den Verband am Bein. Er sah besser aus, als der am Körper des Sheriffs. Vor allem war er nicht mehr durchgeblutet. Aber als Lobo den Verband anhob, schrak er gleichzeitig mit Dave zurück. Ein penetranter Fäulnisgestank stieg ihnen in die Nase. Lobo mußte sich zwingen, weiterzumachen. Vorsichtig öffnete er den Verband und legte die Wunde frei. Sie war nicht geschlossen, wie es Ward Willard vermutet hatte. Es hatte sich überhaupt keine Kruste gebildet, aber rund um die Wunde herum war die Haut bläulichrot, während die Wunde selbst voll war mit Brandwasser und Eiter. 75
Horatio Ross, der auf dem Pferd saß und herunterschaute, stieß den Atem scharf durch die Nase. »Das ist ja – das ist der – der…« Er sagte nicht, was er dachte. Dazu fehlte ihm der Mut. Aber Lobo und Dave wußten es ohnehin. Sie sahen sich sekundenlang schweigend an. Dann schüttelte Dave verständnislos den Kopf. »Oh, mein Gott, womit hat er das verdient?« stöhnte er. Ward Willard lag still. Aber er roch den Gestank. Seine Blicke trafen Lobo. »Das sieht wohl nicht gut aus, was?« fragte er. Lobo schüttelte den Kopf. »Nein, das sieht nicht gut aus, Willard«, sagte er. »Was meinst du, Medizinmann?« fragte Willard gepreßt. Lobo wich seinem Blick aus. Er schaute in die Ferne. »Da ist der Brand drin«, hörte er sich sagen. »So riecht es«, sagte Willard. »Herrgott, und ich dachte, es ist alles in Ordnung, weil die Schmerzen weg waren.« »Nichts war in Ordnung, Vater. Du hättest sofort zu einem Arzt gebracht werden müssen. Statt dessen hast du…« »Reden hilft jetzt nichts, David«, unterbrach Willard seinen Sohn. »Das Bein muß weg. Und zwar sofort. Weißt du, wie man das macht, Junge?« Lobos Blick kehrte aus der Ferne zurück. »Ich hab's schon einmal gesehen«, sagte er. »Da hatte einer eine Säge. Wir haben aber keine Säge, Willard.« »Du – du brauchst keine Säge, Junge«, stieß der Sheriff hervor. Lobo blickte ihn fragend an, und Ward Willard stemmte sich auf die Ellbogen hoch. Er lächelte schwach. »He, macht keine solchen Gesichter, zum Teufel. Hörst du, Dave? Noch gibt es keinen Grund. Tränen zu vergießen. Das gleiche gilt für dich, Ross. Das Bein muß amputiert werden, das ist klar. Da ich es selbst 76
nicht tun kann, muß es einer von euch tun.« »Wir haben keine Säge und keine Axt, Vater.« »Richtig, David. Aber wir haben eine Schrotflinte. Mit der kann man Bäume fällen.« Er lachte auf. »Was ist, Medizinmann? Willst du die Operation durchführen, oder muß ich es selbst tun?« Lobo schluckte. Er blickte Dave an, während er seine Unterlippe zwischen die Zähne zog. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, sagte er hart. »Gut, mein Junge«, sagte Willard heiser. »Dann sag ich dir jetzt, was du zu tun hast. Ich weiß Bescheid, Junge. Ich hab's mal im Krieg gemacht bei einem Rebellen. Er ist sogar durchgekommen und hat mir nach dem Krieg mal eine Postkarte aus Carolina geschickt.« Willard zupfte seinen Sohn am Ärmel. »Mach ein Feuer, Dave. Wir brauchen ein gutes Feuer und ein wenig heißes Wasser, um die Instrumente zu desinfizieren. Als Skalpell kannst du den Buffalo Skinner von Nat Murdock verwenden, Junge. Der ist rasiermesserscharf. Du machst damit oberhalb der Wunde einen schönen Rundschnitt um den Knochen herum. Dann schneidest du auf zwei Seiten etwa vier Zoll hoch, damit du die Fleischlappen hochlegen kannst, so daß der Knochen frei ist. Dann nimmst du die Schrotflinte, hältst die Mündungen an den Knochen und drückst ab. Es könnte sein, daß es ein bißchen splittert, aber das macht auch nichts. Hauptsache, das Bein ist ab. Du entfernst die Splitter, falls es welche gibt, streust genug Pulver aus den Schrotpatronen auf das Fleisch, zündest es an, und damit hat es sich. Die Adern und so schrumpfen beim Abbrennen zusammen, und es kann kein Blut mehr durch. Am Ende bepflasterst du alles mit der grauen Salbe, die ich in der Satteltasche habe, legst die Fleischlappen über die Wunde, verschnürst sie wie eine Wurst und wickelst einen Verband darum 77
herum. Ich wette, daß dir die Operation gelingt, Junge.« Lobo stand auf. »Ich weiß nicht, Willard«, sagte er. »Aber der Gedanke, daß du mir unter dem Messer wegsterben könntest, gefällt mir überhaupt nicht.« »Mach dir nur keine Sorgen Junge. Ich weiß schon, was…« Ein furchtbarer Schüttelfrost riß ihm die Worte von den Lippen. Seine Zähne klapperten aufeinander. Er fiel zurück auf den Rücken, und seine Finger krallten sich in den Jackenärmel seines Sohnes, der zu Lobo aufblickte. »Wenn du es nicht tust, stirbt er«, sagte Dave scharf. »Es ist wenigstens eine Chance, Lobo.« Lobo wußte, daß er die Operation durchführen mußte. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Ward Willard hatte den Gasbrand im Bein, und daran war nichts mehr zu ändern. Er konnte nur hoffen, daß er noch nicht so weit fortgeschritten war, daß selbst eine Beinamputation nicht mehr half. Lobo half Ross und Dave beim Holzsammeln. Sie machten ein großes Feuer, über das sie die Kaffeekanne mit Wasser hängten. Bis es kochte, öffneten sie Schrotpatronen und schütteten das Schwarzpulver auf einen Fetzen einer alten Zeitung. Schließlich waren sie bereit. Lobo hielt die Klinge des Buffalo Skinners in das siedende Wasser und ließ sie fünf Minuten lang drin. Die Fußgelenke des Sheriffs waren an Pflöcke gebunden. Auf seinem linken Arm kniete Horatio Ross, auf seinem rechten sein Sohn. Ward Willard hatte ein Stück Holz zwischen den Zähnen. Als Lobo das Messer aus dem Wasser nahm, nickte er ihm aufmunternd zu und Lobo zögerte keinen Augenblick mehr. Der Sheriff stöhnte auf. Sein Körper bog sich durch und das Holz zwischen seinen Zähnen knarrte. Lobo spürte, wie er mit der Klingenspitze den Knochen berührte. Gekonnt machte er einen kreisrunden Schnitt um den Oberschenkelknochen herum. 78
Willard stöhnte ununterbrochen. Als Lobo die beiden Schnitte und die Fleischlappen hochlegte, mußte sich Horatio Ross übergeben. Lobo legte das Messer weg und ergriff die Schrotflinte. Er kniete auf und hielt den Doppellauf gegen den Oberschenkelknochen, etwa zwei Handbreit über der Wunde, die kaum mehr blutete, seit die Blutzufuhr mit einer Rohhautschlinge abgebunden war. »Paß auf, Willard!« sagte Lobo heiser. Ward Willards Augen weiteten sich jäh. Im selben Moment drückte Lobo ab. Im Knall des Schusses konnte er den Aufschrei, mit dem der Sheriff in Ohnmacht fiel, nicht hören. Aber als der Pulverrauch verzogen war, schob Lobo das linke Bein des Sheriffs zur Seite. Der Knochen war tatsächlich glatt durchgetrennt. Er schien weder gespalten noch gesplittert, aber das konnte man nicht genau sehen. »Los, das Pulver drauf und fertig!« zischte Horatio Ross. Lobo warf ihm einen kurzen Blick zu, nahm das Stück Zeitungspapier vom Boden auf und streute das Schwarzpulver über das rohe Fleisch. Dann riß er ein Streichholz an und hielt die Flamme dagegen. Ward Willard erwachte nicht mehr aus der Ohnmacht, während Lobo die Operation beendete. Er bestreute die Fleischlappen mit Schwefelpulver, bevor er sie über dem Knochen zurücklegte und verschnürte. Dann bestrich er den Beinstumpf dick mit Zinksalbe und umwickelte ihn mit Hemdstücken. Als er sich endlich aufrichtete, war Lobo schweißgebadet. Die Operation hatte knapp eine Viertelstunde gedauert, und Dave Willard konnte jetzt die Rohhautschlinge durchschneiden, mit der das Bein abgebunden worden war. Lobo stand auf. Seine Hände zitterten, und es war ihm, als 79
hätte er eine ungeheure Anstrengung hinter sich gebracht. Er ging ein Stück weiter weg und öffnete mit zitternden Fingern sein Hemd. Der frische Morgenwind kühlte ihn etwas. Als sich Lobo umdrehte und den Arroyo entlangblickte, dem Wayne Ferguson und der Junge gefolgt waren, sah er die fünf Reiter, die aus dem Schatten eines roten Sandsteinturmes auftauchten. Es waren Apachen, und sie durchritten den Arroyo, schwenkten auf die Fährte von Ferguson und dem Jungen ein und näherten sich im Schritt. Auch Horatio Ross entdeckte jetzt die Indianer. Er sprang sofort auf und lief zu seinem Pferd. Er angelte die Winchester aus dem Scabbard und spannte den Hammer. »Versteck dich dort hinter dem Felsbrocken, Ross!« sagte Lobo rauh. »Wenn ich dir ein Zeichen gebe, schießt du. Nicht vorher, verstanden?« Horatio Ross gehorchte sofort. Er verschwand hinter einem Felsbrocken. Lobo holte die Schrotflinte und schob zwei Patronen in die Läufe. »Bleib bei deinem Vater, Dave«, sagte er. »Aber vergiß nicht, aufzupassen. Es gibt unter ihnen Ratten vom Schlage eines Ferguson.« Dave nickte. Er legte seine Winchester über seine Knie. Der Hammer war gespannt. Lobo ging mit der Schrotflinte ein Stück weit auf die anreitenden Apachen zu. Dann blieb er stehen. Er sah, daß der Anführer ein blutiges Bündel in der linken Hand hatte. * Wayne Ferguson lachte, als der Junge erneut einen Apachen gesehen zu haben glaubte. »Junge, du drehst noch durch, wenn du dich nicht zusammen80
reißt«, sagte er. Da hatte der Junge genug. Er stieß einen gepreßten Fluch aus, riß sein Pferd herum und gab ihm die Sporen. Das Tier sprang sofort an und galoppierte einen Pfad entlang, zwischen zwei Felstürmen hindurch und auf eine Ebene hinaus, die gut übersichtlich war. Er ritt einen Kreis und zügelte dann in der Mitte der Ebene sein Pferd. Rund um ihn herum hob sich der Staub wie Nebel. Nur langsam riß ihn der Wind auseinander. Der Junge verharrte still im Sattel, die Winchester schußbereit. Er lauschte. Nichts war zu hören, nichts zu sehen. Langsam legte sich der Staub. Der Junge zog sein Pferd herum und entschloß sich, zu Wayne Ferguson zurückzureiten. Er kam genau zwanzig Yard weit. Dann hörte er ein schwirrendes Zischen. Sein Herz blieb stehen. Er war wie gelähmt. Dann stieg sein Pferd wiehernd. Ein Pfeil ragte aus seinem Hals. Ein zweiter Pfeil bohrte sich in den Körper des Tieres, und ein dritter traf es in die Brust. Das Tier drehte sich halb, stürzte, brach zur Seite weg und knallte hart in den Staub. Dem Jungen gelang es zwar, aus dem Sattel zu kommen, aber er verlor den Hut, und er verlor die Winchester. Er riß sich den linken Arm an einem Dornbusch auf, kam aber trotzdem auf die Beine und lief ein paar Schritte. Er blieb stehen, als wäre er gegen eine Mauer gelaufen, als er die Krieger sah, die ihn umzingelt hatten und überall hinter kleinen Steinbrocken und Sträuchern auftauchten. Es waren häßliche, untersetzte Gestalten mit breitflächigen dunklen Gesichtern, die sie mit Farben bestrichen hatten. Die meisten hatten das strähnige Haar mit Tüchern umwickelt. Einige waren bis auf ihre kniehohen Mokassins und den Lendenschurz nackt. Andere trugen Kleidungsstücke von Weißen und Teile von Soldatenuniformen. Einer hatte seinen muskulösen Oberkörper in ein Korsett gezwängt, und ein anderer hatte einen Blumenhut auf dem Kopf. 81
»Ferguson!« schrie der Junge, und seine Stimme überschlug sich. Er warf sich herum und starrte zu den Felsen hinüber. Aber von Ferguson war nichts zu sehen. »Hierher, Ferguson!« schrie der Junge. Seine Stimme verhallte. Er erhielt keine Antwort. Da riß er seinen Colt aus dem Holster und warf ihn den Apachen entgegen. »Ich bin waffenlos!« rief er. »Ich bin wehrlos! Ich kann nicht kämpfen. Seht her! Ich bin wie ein Kind!« Er breitete die Arme aus und drehte sich langsam um, so daß sie ihn alle sehen konnten. Und die Tränen liefen ihm über das Gesicht. Seine Stimme brach. Er rief: »Ich bin allein. Ich bin wehrlos. Ihr könnt mich nicht töten. Nein!« Er fiel auf die Knie und er bettelte um Gnade. Sie ließen ihn lange betteln. Dann näherten sich ihm drei junge Krieger, die fast noch Knaben waren. Der älteste mochte vielleicht vierzehn Jahre alt sein. Die beiden anderen ein Jahr jünger. Sie waren nur mit ihren Messern bewaffnet. Und sie näherten sich ihm wie Wölfe. Der Junge, von dem niemand den Namen kannte, richtete sich auf. Er wischte die Tränen von seinem Gesicht. Er lachte und er weinte gleichzeitig. »Nein, ihr seid keine Mörder«, sagte er. »Ihr seid noch Kinder. Ihr könnt mich nicht töten.« Er hatte keine Ahnung, wie früh ein Apache das Töten lernen mußte, seit der weiße Mann in seinem Land war. Er wußte nichts von der Lebensart dieses bedrängten Volkes, das schon seit Jahren einen mörderischen Überlebenskampf führte. Der Junge, der sich auf Wayne Ferguson verlassen hatte, hatte keine Ahnung. Und deshalb war es für die drei Apachenknaben nicht sehr schwer, ihn zu töten. Sie näherten sich ihm von drei Seiten. Als einer von ihnen einen kehligen Schrei ausstieß, warf sich der Junge herum. Die anderen beiden fielen ihn an. Als der dritte über ihm war und ihm sein Messer ins Herz stieß, war der Junge eigentlich schon 82
tot. Nur einer der Apachenknaben stieß einen Schrei des Triumphes aus. Die beiden anderen wischten ihre Messer sauber und gingen zurück zu ihren Leuten. Es war zu einfach gewesen, das Weißauge zu töten. Es hatte keinen Spaß gemacht und würde nicht einmal Ehre einbringen. Man hätte das Weißauge ebensogut krepieren lassen können. Aber jenseits der Felstürme, da war ein anderer Mann. Und dieser Mann behauptete, er sei ein Freund der Apachen. Er behauptete, er hätte Cochise gekannt und sein Name wäre ›Viele Gewehre‹«. Er war dabei, mit Sena zu verhandeln. Sena war ein Sohn von Victorio, und er haßte alle Weißaugen. Er haßte aber besonders die, die behaupteten, sie wären die Freunde der Apachen. * »Nimm Bündel, Mann von zwei Träumen«, sagte der großgewachsene Apache, der die obere Hälfte seines Gesichts mit gelber Farbe bestrichen hatte. »Es enthält Dinge, die du kennst.« Die fünf Apachen saßen noch immer auf ihren Ponys. Der Anführer war Sena. Lobo kannte ihn. Sena war der jüngste Sohn von Victorio. Er mochte inzwischen etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein. Lobo hatte mit ihm gespielt und war mit ihm auf die Jagd gegangen. Aber das war lange Zeit her. Und es hatte sich inzwischen einiges geändert. Die Wärme, die Sena als Junge in den Augen gehabt hatte, war verschwunden. Er hatte eine gräßliche Narbe über dem rechten Brustmuskel, und an seiner linken Hand fehlten zwei Finger. Die Krieger, die er dabei hatte, waren jung und trotzdem erfahren. Zwei hatten Winchestergewehre, einer einen Sharps-Karabiner und der andere ein Colt-Trommelgewehr, dessen Schaft er 83
mit Rohhautstreifen umwickelt und mit Messingnägeln verziert hatte. Lobo bückte sich, langte nach dem Bündel, hob es aber nicht auf. Er öffnete es mit der linken Hand und warf einen Blick hinein. Es enthielt einen blutigen Skalp. Blondes langes Haar. Lobo richtete sich auf. Sein Herz hämmerte, als er in die dunklen Augen des jungen Apachenhäuptlings blickte. »Ihr habt ein Weißauge getötet, dem ich mit meinen Freunden gefolgt bin wie ein Jäger seinem Wild.« »Unsere Jungkrieger haben das Weißauge getötet«, sagte Sena mit kehliger Stimme. »War das Weißauge allein, mein Bruder?« fragte Lobo. Sena schüttelte den Kopf. »Nein.« »Was ist mit dem anderen Weißauge?« fragte Lobo. »Ist es euch entkommen?« »Kein Weißauge kann uns entkommen«, sagte Sena hart. »Dann habt ihr es auch getötet?« fragte Lobo lauernd. »Nein, es lebt.« »Ihr habt es gefangen genommen?« »Ja, das ist richtig. Wir haben das Weißauge gefangengenommen.« »Und ihr werdet es töten?« »Nein.« »Was werdet ihr tun mit ihm?« »Meine Kundschafter haben mir die Kunde gebracht, daß du hier bist, Mann von zwei Träumen. Es ist eine lange Zeit vergangen, seit wir Brüder waren. Unsere Wege haben sich getrennt. Es ist Krieg zwischen den Weißaugen und den Apachen. Mein Vater ist tot. Cochise ist tot. Mangas ist tot. Mein Bruder Socorro ist tot. Viele Soldaten sind im Land. Viele Weißaugen. Wir können sie nur töten, denn sie lassen sich nicht vertreiben. Mein Herz war froh, als ich hörte, daß du hier bist. Wir waren Brüder. 84
Und ich habe dir ein Geschenk gebracht.« Lobo zeigte auf den Beutel. »Diesen Skalp?« fragte er kopfschüttelnd. »Nein. Das ist kein gutes Geschenk. Das ist die Art der Weißaugen, einander mit Apachenskalps eine Freude zu bereiten. Das ist nicht unsere Art, Mann von zwei Träumen. Und das weißt du.« Lobo mußte ihm recht geben. Apachen hatten ihre Feinde nie skalpiert, und sie taten es selbst heute, nachdem sie es von Weißen gelernt hatten, nur selten. »Ich hörte von meinen Kundschaftern, daß du hinter dem Mann her bist, der Ferguson heißt. Er behauptet, ein Freund der Apachen zu sein. Er sagt, daß er ein Freund und Bruder von Cochise gewesen ist. Er hat Cochise Gewehre verkauft, und er hat uns auch Gewehre versprochen und Geld, wenn wir hingehen und dich und deine Freunde töten. Meine Krieger wollten den Handel mit ihm machen. Wir brauchen Waffen, und wir brauchen Munition. Aber ich habe gesagt, daß dieser Mann ein Lügner ist. Ich habe ihnen gesagt, daß er ein schlechter Mann ist und daß du, mein Bruder, ihn haben willst. Da haben wir eine Beratung abgehalten und beschlossen, daß wir dir den Mann übergeben, Mann von zwei Träumen. Er ist mein Geschenk an dich.« »Ich freue mich darüber, Sena«, sagte Lobo und lächelte dabei. »Aber ich habe dir nichts mitgebracht.« »Das ist nicht wahr, mein Bruder«, sagte Sena und zeigte auf Ward Willard und seinen Sohn. »Ich will den Mann haben, der den Stern trägt!« Lobo wurde von dieser Forderung derart überrascht, daß ihm für Sekunden die Luft wegblieb. Er warf den Kopf herum. Dave Willard schaute zu ihm auf. Er war bleich im Gesicht, und er hielt beide Hände seines Vaters fest. 85
»Das ist Sheriff Ward Willard aus Tucson«, sagte Lobo heiser. »Er ist ein guter Mann.« »Das glaubst du, Mann von zwei Träumen. Aber du kennst ihn nicht. Seit drei Tagen beobachten wir euch. Ich weiß, daß du ihn nicht kennst. Er ist nicht dein Freund, obwohl du viel für ihn tust.« Sena zeigte auf das amputierte Bein, das im Staub lag. »Du hast ihm heute morgen das Bein abgenommen, damit er am Leben bleibt. Aber er wird sterben, Mann von zwei Träumen. Er wird sterben.« »Ihr wollt ihn töten?« »Ja. Ich werde ihn töten.« »Du weißt, daß ich das nicht dulden werde.« Senas Augen blitzten auf. Er machte eine herrische Handbewegung. »Wir sind dreimal so viele Krieger, wie du Finger an deinen Händen hast. Wir haben euch lange beobachtet. Ich weiß, daß der Mann mit dem Stern halbtot ist. Willst du gegen uns kämpfen, Bruder? Du und die beiden Kinder, die du dabei hast?« Der Spott in der Stimme des Apachen war nicht zu überhören. Lobo spürte den Zorn in sich aufsteigen. Er trat zwei Schritte vor, nahm den Beutel mit dem Skalp auf und warf ihn Sena zu. Der Häuptling fing ihn auf und warf ihn ins Feuer. Seine dunklen Augen blitzten. »Du hast nicht viel Zeit, um es dir zu überlegen, Bruder«, sagte er kehlig. Lobo bleckte seine Zähne. »Warum willst du Willard?« stieß er scharf hervor. Senas Augen wurden schmal. »Er war dabei, als die Leute das Lager bei Camp Nichols überfielen, Bruder. Er hat Frauen und Kinder getötet. Er hat meinen Bruder Socorro getötet, und er hat zwei meiner Schwestern getötet. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Und diese Krieger hier«, Sena zeigte auf seine Begleiter, 86
»diese Krieger haben gesehen, wie er ihre Brüder und Schwestern umbrachte und ihre Mütter und Väter. Ich spreche in ihrem Namen zu dir, Mann von zwei Träumen. Und ich weiß, daß dieser Knabe dort sein Sohn ist. Ich verlange nicht seinen Sohn. Ich will nicht seinen Sohn töten oder den anderen Knaben, der auch einen Stern trägt. Ich will nur ihn haben, mein Bruder. Und du sollst für ihn jenen Mann bekommen, der sich Ferguson nennt.« Lobo senkte für einen Moment den Kopf. Er hörte, wie hinter ihm Ward Willard aufstöhnte. Als sich Lobo umdrehte, hatte der Sheriff die Augen geöffnet. Er starrte auf die fünf Indianer, die mit ausdruckslosen Gesichtern auf ihren Ponys hockten und sich nicht rührten. »Was – was wollen die?« krächzte Willard und hob den Kopf etwas an. »Vater, sie haben Ferguson erwischt«, sagte Dave schnell. Ward Willard richtete sich jäh auf. »Habt ihr – ihr Hurensöhne, habt ihr ihn etwa getötet? Seid ihr mir etwa zuvorge…« Er brach ab, griff mit der linken Hand in die Luft, verzerrte sein Gesicht und fiel haltlos zurück. »War er bei dem Massaker dabei, Dave?« fragte Lobo leise. Dave nickte. »Ja«, sagte er. »Er war dabei. Er war damals nicht Sheriff. Brady hatte die Wahl gegen ihn gewonnen. Brady, der Republikaner. Als es passierte, war Brady nicht mehr in der Stadt. Er hatte sich einfach abgesetzt. Aber mein Vater ritt mit ihnen. Er führte sie nicht, aber er ritt mit ihnen. Sie glaubten alle, etwas Gutes zu tun, als sie zum Camp Nichols hochritten und das Apachenlager von Chief Seccothe überfielen. Ja, Lobo, mein Vater war dabei.« Lobo schüttelte den Kopf. »Ich war dort«, sagte er heiser. »Ich sah ihn nicht.« Er hob den Kopf. »Ja, Bruder, ich war dort und habe alles gesehen. Es war, 87
als ob die Welt untergehen würde.« Lobo erinnerte sich noch genau an das Massaker, bei dem einige hundert Frauen, Männer und Kinder von aufgewiegelten Bürgern der Stadt Tucson niedergemetzelt worden waren Lobo wandte sich Dave zu. »Dave, ich glaube nicht, daß dein Vater wirklich eine Chance hat«, sagte er und gab sich Mühe, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. »Diese Leute haben sich entschlossen, ihn zu töten, und keine Macht der Welt wird sie daran hindern können.« In diesem Moment tauchte hinter dem Felsen Horatio Ross auf, seine Winchester im Anschlag. »Ich werde sie daran hindern können!« rief er scharf. »Sag ihnen, daß sie sich zum Teufel scheren sollen, sonst schieß ich den Chef ab. Sag ihnen das, Bastard.« Lobo stand wie ein Pfahl. Er wußte, daß er im Moment keine Möglichkeit hatte, den Deputy Sheriff vor seinem nächsten Fehler zu bewahren. »Los, Bastard! Du bist doch einer von ihnen. Sag deinem Bruder dort, daß ich mit diesem Gewehr so schnell schießen kann, daß ich mit größter Wahrscheinlichkeit alle fünf nacheinander aus den Satteln schie…« Der peitschende Schuß unterbrach Horatio Ross. Als Lobo herumwirbelte, taumelte der junge Deputy Sheriff hinter dem Felsbrocken hervor. Sein Gesicht war zu einem ungläubigen Staunen verzerrt. Die Winchester entglitt seinen Händen, und er stürzte auf die Knie. »Das – das habe ich nicht erwartet«, stieß er heiser hervor. »Nein, damit habe ich nicht gerechnet.« Kaum hatte er ausgesprochen, stürzte er vornüber auf sein Gesicht. Dave Willard war aufgestanden. Seine Blicke hetzten von Horatio Ross auf die fünf Indianer und dann zu jenem Krieger hoch, der etwa fünfzig Yards entfernt auf einer Felsnase stand. 88
Rauch kräuselte aus der Mündung des Winchestergewehres, das er in der Armbeuge hielt. Ward Willard rührte sich. Er zog das gesunde Bein jäh an. Seine Augen öffneten sich, und er schaute sich verwirrt um. Dann fand er sich zurecht und er stemmte sich mühsam hoch. »Die – die sind ja immer noch da«, sagte er müde. »Was wollen diese Hurensöhne?« »Sie wollen dich, Vater«, sagte Dave scharf. »Sie wollen dich bestrafen für das, was bei Camp Nichols passiert ist.« Ward Willard hob die Brauen. »Camp Nichols, eh?« fragte er. Seine Gedanken jagten in die Vergangenheit. Ja, er erinnerte sich an alles, so als ob es erst gestern gewesen wäre. Seine Gedanken kehrten zurück zu jenem Gemetzel in den Bergen, nordöstlich von Tucson. Er blickte an sich nieder und sah, daß er nur noch ein Bein hatte. Er lächelte schwach, als er zu Lobo aufblickte. »Gut gemacht, Junge«, sagte er rauh. »Gut gemacht.« »Umsonst«, sagte Lobo kehlig. »Sie werden dich töten.« Ward Willard schüttelte den Kopf. »So, als ob es was Besonderes wäre, mich zu töten. Es hilft ihnen nichts, verdammt noch mal. Ihre Leute sind tot, und damit hat sich's. Nun haben sie mich erwischt. Herrgott, was nützt es ihnen, wenn sie mich töten?« »Sie wollen dich für die Morde an ihren Freunden und Verwandten bestrafen, Willard«, sagte Lobo rauh. »Der Mann in der Mitte, das ist Chef Sena. Er ist das Gesetz, Willard. Genau wie du. Nur trägt ein Apache keinen Stern.« Ward Willard wiegte den Kopf. Er starrte den jungen Häuptling lange an. Plötzlich nickte er. »Gut«, preßte er hervor. »Komm her und töte mich, du Hurensohn!« In Senas Gesicht bewegte sich kein Muskel. Seine Augen waren 89
auf Ward Willard gerichtet. Lange schwieg er. Dann hob er die rechte Hand. »Ich komme morgen früh hierher zurück«, sagte er kehlig. Dann wandte er sich an Lobo. »Nimm dein Pferd und komm«, befahl er ruhig. »Ich bringe dich dorthin, wo der Mann ist, der sich Ferguson nennt.« Lobo zögerte. Er sah Ward Willard an. Dann Dave. Der Junge machte einen völlig verstörten Eindruck. »Bleib bei deinem Vater, Dave«, sagte Lobo heiser. »Und versuch nicht, mit ihm zu fliehen. Es hätte keinen Sinn.« Dave schluckte und öffnete den Mund. Er wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton hervor. Lobo drehte sich auf dem Absatz und holte den Hengst. Er zäumte ihn auf, sattelte ihn, sprang auf und ritt mit Sena und seinen Kriegern in südlicher Richtung davon. * Sie erreichten das Camp am Abend. Es bestand aus etwa vier Dutzend Wickiups, die geschützt in einem Canyon verstreut standen. Die Hütten aus Astwerk und Bärengras beherbergten etwa zweihundert Menschen, von den mehr als die Hälfte Frauen und Kinder waren. Als sich Sena mit seinen Kriegern und mit Lobo dem Camp näherten, entstand Unruhe. Kinder unterbrachen ihre Spiele und rotteten sich zusammen. Frauen, die an großen Feuern kochten, schenkten ihre Aufmerksamkeit dem heranreitenden Trupp, und aus dem größten Wickiup traten ein paar ältere Männer. Krieger versammelten sich in der Mitte des Lagers, dort wo ein nackter Mensch mit gespreizten Beinen und Armen an vier Pflöcken festgebunden am Boden lag. Der Mann hatte keine Wunden. Aber der Staub klebte an seinem Körper wie eine brüchige 90
Kruste. Lobo erkannte Ferguson sofort. Und Ferguson hob den Kopf, sah Lobo und zeigte ihm seine Zähne. »He, Bastard!« rief er, »wenn du Einfluß auf diese Bestien hast, dann sage ihnen, daß sie mich freilassen sollen!« Seine Stimme klang heiser, aber kräftig. Und seine Augen funkelten. Lobo wurde von einigen Kriegern in die Mitte genommen, nachdem er vom Pferd gestiegen war. Sie führten ihn in die größte Rundhütte, wo ein kleines Feuer brannte, das einen würzigen Geruch verbreitete. Nacheinander kamen alte Männer und Krieger herein. Keine Frauen. Die Rundhütte füllte sich, bis kein Mensch mehr darin Platz hatte. Kinder guckten durch die Ritzen herein. Eine Pfeife wurde gestopft und angezündet. Rana, ein alter Medizinmann und Schamane, rauchte zuerst, weihte den Rauch den vier Winden und hielt eine kurze Rede, in der er für alle Weißaugen das Böse heraufbeschwor und den Apachen den Sieg gegen alle Feinde weissagte. Auch Lobo bekam die Pfeife. Er erzählte eine Geschichte über die Zeit, die er unter den Weißaugen verbracht hatte. Sie lauschten alle, freuten sich, wenn er scherzte, lachten klatschten in die Hände und lobten ihn schließlich für seine Geschichte. Nach Lobo sprachen ein paar andere Chiefs, bevor schließlich Sena aufstand und zur Sache kam. Er erzählte, daß er zusammen mit Lobo aufgewachsen sei, daß sie Brüder gewesen wären und daß Lobo ihnen einen der Männer hergebracht habe, die damals das Mimbreno Lager bei Camp Nichols überfallen und viele Apachen niedergemetzelt hatten. Dafür habe er sich entschlossen, Lobo den Gefangenen zu übergeben, den er draußen an den Pflöcken festgebunden habe und den man zuerst eigentlich hatte den Hunden zum Fraß vorwerfen wollen. Ein paar der jüngeren Krieger unterbrachen ihn scharf, aber Sena verschaffte sich immer wieder Ruhe, und schließlich fragte er die Alten um ihre 91
Meinung. Vier von ihnen sagten, daß es gut sei, den Mann mit dem Stern zu haben. Zwei sagten, daß man beide töten solle, ohne Rücksicht auf eine alte Freundschaft. Es ging lange hin und her, aber schließlich war man bereit, Lobo gegen Ferguson kämpfen zu lassen. Dafür waren selbst die jungen Krieger Feuer und Flamme. Ein Kampf, das war Unterhaltung. Gegen einen Kampf hatten sie nie etwas einzuwenden. Lobo wurde gar nicht mehr gefragt. Krieger verließen sofort die Beratungshütte und trafen die Vorbereitungen. Lobo mußte noch einige Geschichten erzählen und rauchen. Schließlich verließ Sena die Hütte. Er blieb fast eine halbe Stunde lang weg. Als er zurückkam, nahm er Lobo beim Arm. »Komm, Bruder«, sagte er und führte Lobo hinaus. Draußen auf dem Platz brannten vier große Feuer. Und das ganze Dorf hatte sich versammelt. Wayne Ferguson stand mitten auf dem Platz. Zu Lobos Überraschung trug er seine Hose, ein Hemd, die Stiefel und den Waffengurt. In seinem Holster steckte ein Revolver. Um den Hals hatte Ferguson eine Rohhautschlinge, deren Ende von einem riesigen Apachen gehalten wurde. »Es wurde beschlossen, daß jeder von euch eine Kugel hat«, sagte Sena zu Lobo. »Wir sollen uns schießen?« fragte Lobo ungläubig. »Ja, das wurde beschlossen.« Sena hob die Schultern. »Entschuldige. Bruder«, sagte er. »Ich wollte, daß das Messer entscheiden soll. Oder die Keule. Aber sie wollen sehen, wie Weißaugen kämpfen und sterben. Für viele von ihnen bist du ein Weißauge, Bruder.« Lobo nickte. »Ich weiß«, sagte er, und die Enttäuschung war aus seiner Stimme herauszuhören. »Für die Weißaugen bin ich ein Apache, für die Apachen bin ich ein Weißauge. Gut, hier, nimm meine Revolver. Gib mir den rechten zurück, mit einer Kugel. Dann 92
werde ich gegen Wayne Ferguson kämpfen und dieses Lager verlassen.« Sena nickte nur. Er leerte die Trommeln der Revolver. Dann schob er eine Patrone in eine Kammer und gab Lobo den Revolver zurück. »Hier Bruder«, sagte er. »Viel Glück.« Lobo gab ihm keine Antwort. Er drängte sich durch die Apachen, die dicht gedrängt einen Kreis um den Platz gebildet hatten, auf dem Ferguson stand. Fergusons Gesicht war dunkel vor Aufregung und Spannung. Er trug keinen Hut. Seine rechte Hand hing wie eine Klaue über dem Griff seines Revolvers. »Ha, da bist du ja, Bastard«, stieß er hervor. Lobo blieb stehen. Seine Augen richteten sich auf den Mann, der ihn zu einem Mord gezwungen hatte. Hier stand er nun, der Mann, den er haßte wie niemand zuvor in seinem Leben. Lobo war eiskalt. Er duckte sich etwas. Sekundenlang standen sie sich regungslos gegenüber. Die Apachen rührten sich ebenfalls nicht mehr. Kein Laut war zu hören. Nur die Feuer knisterten, und irgendwo winselte ein Hund. »Ich soll dir schöne Grüße von Ward Willard bringen, Ferguson«, sagte Lobo leise. Ferguson zog eine Grimasse. »Wie geht es ihm? Wo ist er?« fragte er spöttisch. »Wenn du Pech hast, begegnest du ihm auf dem Weg zur Hölle, Ferguson.« Wayne Ferguson lachte auf. »Soll das heißen, daß es ihn erwischt hat?« Lobo schüttelte den Kopf. »Er hat vielleicht noch eine kleine Chance, Ferguson«, erwiderte er. »Genau wie ich, was?« Ferguson lachte wieder. 93
Lobo hob die Schultern etwas an. »Nein, Ferguson«, sagte er kehlig. »Du hast keine.« Und mit dem letzten Wort griff Lobo nach dem Colt. Er sah, wie Ferguson im Feuerschein zusammenzuckte. Dann kam sein Colt hoch, und er war blitzschnell. Zwei Schüsse krachten. Grelles Mündungsfeuer blendete Lobo. Fergusons Kugel streifte ihn am linken Oberarm und zog eine brennende Furche. Durch den Pulverrauch sah er, wie Ferguson zusammenbrach und reglos liegenblieb. Lobo ging zu Sena, nahm seinen zweiten Revolver in Empfang und sagte mit lauter Stimme: »Ich gehe jetzt zurück, dorthin, wo ich hergekommen bin. Ich werde den Mann dort mitnehmen.« Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Die Apachen hatten zwar geglaubt, daß es noch ein Fest geben würde, aber sie respektierten Lobos Entschluß, das Lager sofort wieder zu verlassen. Lobo erhielt von Sena ein Pferd, auf dem er den Leichnam von Wayne Ferguson festbinden konnte. »Der Mann mit dem Stern hat ihn gejagt, mein Bruder«, sagte Lobo zu Sena. »Er soll ihn haben, bevor er stirbt.« Sena lächelte. »Sag ihm, daß ich ihn bei Sonnenaufgang töten werde«, sagte er. Lobo nickte. Er legte Sena die Hand auf die Schulter. Sekundenlang blickten sie sich wortlos in die Augen. Dann drehte sich Lobo um und schwang sich auf seinen Hengst. Mißtrauische Augenpaare blickten ihm nach, bis ihn die Dunkelheit geschluckt hatte. Und Lobo wußte wieder einmal mehr, daß er auch hier bei den Apachen keinen Platz hatte. Er ritt ziemlich schnell nordwestwärts. Die Fährten, denen er folgte, waren im Mondlicht deutlich zu erkennen. Lobo brauchte trotzdem den Rest der Nacht, bis er vor sich den Feuerschein 94
sah. * � Dave Willard erwartete ihn. Sein Vater saß gegen einen Felsbrocken gelehnt. Er hatte ein Gewehr in den Händen und den Hut auf dem Kopf. Dave kam Lobo ein paar Schritte entgegen. Sein Gesicht war sehr bleich. Er sah jetzt älter aus, als er war. »Ist das – Ferguson?« fragte er und zeigte auf den Toten. Lobo nickte. »Ja, das ist Ferguson«, erwiderte er. »Dein Vater wird sich freuen, Dave.« Dave senkte den Kopf. Er drehte sich um und ließ sich beim Feuer auf die Absätze seiner Stiefel nieder. Lobo schwang sich vom Pferd. »In einer Stunde geht die Sonne auf, Dave«, sagte er mit ruhiger Stimme. Dave hob den Kopf. »Dann kommt dieser Apache, wie?« »Bei Sonnenaufgang«, sagte Lobo. »Wir haben eine Stunde Zeit, von hier zu verschwinden. Komm, weck deinen Vater auf. Wir reiten.« Dave schüttelte den Kopf. »Er ist tot«, sagte er halblaut. Dann stand er auf. »Er starb, ohne daß ich es gemerkt habe. Er hat sich dort hingesetzt und das Gewehr in die Hände genommen. Er wollte kämpfen, wenn der Apache kommt. Ich habe am Feuer gesessen. Irgendwann ging ich zu ihm und wollte ihm Laudanum und Wasser geben. Da war er tot.« Lobo holte tief Luft. Für eine Weile schaute er in das zerfallene Gesicht des Sheriffs, der noch im Tode die Augen geöffnet hatte. 95
Dann drehte er sich um, zerschnitt die Schnüre, mit denen Ferguson festgemacht war, und hob die Leiche vom Pferd. Er trug sie hinüber zu Ward Willard und legte sie vor dem Sheriff nieder. Dave kam vom Feuer herüber. »Wir können sie alle drei hier begraben«, sagte er. »In der selben Grube.« Lobo hob den Kopf. »Etwas anderes bleibt uns kaum übrig, Dave«, sagte er rauh. »Der Boden hier ist hart genug. Wenn wir jetzt anfangen, sind wir vielleicht bis zum Mittag fertig.« Als die Sonne aufging, schaufelten Lobo und Dave mit der Kaffeekanne und einem Blechteller Erde aus einer noch flachen Grube. Und von den Hügeln aus sahen ihnen ein paar Apachenkrieger zu. Sena befand sich unter ihnen. Er wußte, daß er zu spät gekommen war, aber das machte ihm nichts aus. ENDE
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