Gruselspannung pur!
Mein Zweikampf mit dem Höllenritter
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Mephisto, der Hölle...
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Gruselspannung pur!
Mein Zweikampf mit dem Höllenritter
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Mephisto, der Höllenfürst, tobte vor Wut. Krachend hieb er seine geballte Faust auf den Tisch. »Dieser unwürdige Wicht, dieser verfluchte Hund!« schrie er und stieß schnaubend Rauchwolken aus. »Der hat mehr Glück als Verstand! Trotzdem werde ich ihn zerquetschen, denn ich bin der Herrscher über ein riesiges Reich!« Mephistos Stimme überschlug sich vor Zorn, doch er wirkte ratlos. Ein Räuspern erklang. Dann beugte sich Belial vor und sagte leise: »Ich wüßte einen Weg, ihn zu vernichten, mein Fürst.« Mephisto warf Belial einen lauernden Blick zu. Und während er dem Dämon zuhörte, erhellte sich langsam sein Teufelsgesicht. Schließlich lachte er lauthals auf. Mark Hellmanns Schicksal schien besiegelt! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! Mephistos Gelächter hallte an den Wänden des Thronsaales wider. Das Gewölbe befand sich im Zentrum seines Schreckensreiches, umgeben von
Kammern und Landstrichen, in denen die widerlichsten Dämonen und Kreaturen, der Hölle hausten und unzählige arme Seelen schrecklichen Qualen unterzogen. Stinkende Schwefeldämpfe durchzogen die Luft, und die Höllenfeuer hüllten alles in ein düsteres Rot. Mitten in diesem Reich befand sich ein riesiges, von einer Vielzahl Höhlen durchzogenes Felsengebirge. In der größten Höhle lag Mephistos Thronsaal. Von hier aus zog der Höllenfürst seine unsichtbaren Fäden, herrschte er über sein gewaltiges Reich und verbreitete Angst und Schrecken in der Welt. Mephisto war von der großen Tafel in der Mitte des Saales aufgestanden und hinkte auf seinem Pferdefuß umher. Sein spitzes Kinn schob sich vor. In einem grausamen Lächeln bleckte der oberste aller Dämonen die Zähne. »Und du meinst wirklich, es wird funktionieren?« fragte er. Belial trat langsam näher und nickte bestätigend. »Es ist ein guter Plan, das müßt Ihr zugeben, mein Fürst. Überlaßt mir getrost die Vorbereitungen, dann wird Mark Hellmann bald vernichtet oder in Eurer Hand sein.« Die Augen des Höllenfürsten blitzten erregt. Er trat auf Belial zu, legte ihm seine Klaue auf die breite Schulter und zog ihn zu sich heran. »Ich hoffe für dich, mein Freund, daß dein Plan gelingt. Du weißt, daß ich Versagern nicht gerade wohlgesonnen bin«, sagte er bedrohlich leise und stieß dabei dem Angesprochenen stinkenden Schwefelatem ins Gesicht. Belial, einer der größten und mächtigsten Dämonen im Reich der Finsternis, gab sich gelassen. Er war etwas kleiner als Mephisto, und ein prachtvolles, gelbes Wams umspannte seine Muskelpakete wie eine zweite Haut. Sein Gesicht und seine Hände waren mit eiternden Warzen übersät, und seine Augen schimmerten gelblich. »Mein Fürst, ich versichere Euch, daß ich alles tun werde, um den Plan zum Erfolg zu führen«, erwiderte er. »Mark Hellmann ist, wie Ihr es so trefflich auszudrücken pflegtet, ein unwürdiger Wicht, ein Nichts. Und deshalb wird er Balthasar auch nicht gewachsen sein.« Er grinste. »Glaubt mir, Ihr werdet sehr zufrieden sein, mein Fürst.« »Es wäre mir natürlich lieber, wenn ich Hellmann lebend in die Finger bekäme«, meinte Mephisto. »Aber wenn er getötet wird, habe ich auch nichts dagegen.« Der Höllenfürst ließ Belial los, schritt zu seinem Thron und ließ sich in den hochlehnigen Sessel fallen. Befriedigt streichelte er seinen Spitzbart und malte sich in Gedanken das Ende seines Erzfeindes Mark Hellmann aus. Belial machte mehrere Bücklinge und zog sich zurück. Als er das Gewölbe verließ, hallte Mephistos Triumphgelächter hinter ihm her.
* Belial überwand die unendlichen Weiten der Hölle in wenigen Augenblicken und stand schließlich vor einer Felsenburg, die von giftgrünen Nebelschwaden umwabert wurde. Als Eingang diente eine riesige ovale Öffnung. Statt Fenstern gab es in den Fels gehauene Löcher. Der Dämon trat durch den Eingang. Die Bewegungen links und rechts von ihm nahm er durch den Dunst nur vage wahr. Aus dem Nebel und dem Dämmerlicht heraus schälten sich die Umrisse zweier Gestalten. Sie waren mittelalterlich gekleidet, in Kettenhemd und Lederwams. Aus den leeren Augenhöhlen ihrer Totenschädel glotzten sie Belial an. Mit skelettierten Händen kreuzten sie Wurfspieße vor dem mächtigen Dämon. Belial stieß ein wütendes Knurren aus. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Das gelbliche Leuchten seines Blicks intensivierte sich. »Ihr wagt es, mir den Eintritt zu verwehren, Unwürdige?« fauchte er heiser. »Gebt den Weg frei, ich muß mit Balthasar sprechen!« Belial wartete eine Antwort oder Reaktion der beiden Knochenmänner nicht ab. Er spannte seine Muskeln an und fegte die Knöchernen mit fast lässig wirkenden Armbewegungen so heftig zur Seite, daß sie klappernd gegen die Wand krachten und daran entlang zu Boden rutschten. Die Wurfspieße entglitten ihren Knochenfingern. Der Dämon würdigte die beiden Gerippe keines weiteren Blickes. Er hatte es nicht nötig, sich mit niederem Fußvolk abzugeben. Ihm gehorchten ganze Dämonenscharen, und er wollte nur eins: noch mächtiger werden, ja vielleicht sogar eines Tages Mephistos Platz einnehmen! Und dazu war ihm jedes Mittel recht. Belial fand sich im Dunkel der Felsenburg ausgezeichnet zurecht und gelangte schließlich in eine Art Rittersaal. Auf einem Podest stand ein hoher, hölzerner Lehnstuhl, und darauf saß ein schwarzgekleideter Ritter. Vor dem Podest blieb Belial stehen. Er hob den Kopf und schaute in das skelettierte Antlitz des Ritters. »Sei gegrüßt, Balthasar!« hallte Belials Stimme durch den Saal. Balthasar nickte nur. Ein rotes Glimmen war in seinen dunklen Augenhöhlen zu sehen, mit denen er den Besucher anstarrte. »Du hast lange warten müssen, Balthasar, doch jetzt ist die Zeit gekommen«, sagte Belial ohne Umschweife. »Ich schicke dich auf die Erde zurück, damit du dort wieder Angst und Schrecken verbreitest! Wie vor vielen hundert Jahren.« Balthasar erhob sich. Er war eine hochgewachsene, imposante Gestalt. Der untote Ritter reckte sich. Seine knöchernen Glieder knackten unter der
schwarzen Rüstung. »Endlich«, klang ein heiseres Stöhnen aus seinem Maul. »Ich habe einen Wunsch, den du mir erfüllen mußt«, wurde Belial langsam konkret. »Und der wäre?« Balthasars Stimme dröhnte durch den Saal. Belial trat ein paar Schritte zurück und senkte den Kopf, als wolle er seine Worte überdenken. Dann schaute er wieder zu Balthasar auf. »Es gibt da einen Mann, der Mephisto, unserem Fürst, sehr im Wege steht. Ich denke, es ist nur recht und billig, wenn du diesen Mann beseitigst, sozusagen als Entschädigung für die Gunst, die dir gewährt wird.« Balthasar zögerte nicht einen Moment. »Dein Wunsch ist so gut wie erfüllt. Laß hören!« Belial fuhr sich mit der Zunge über die eitrigen Lippen. Genau so hatte er es sich vorgestellt. Ein zufriedener Ausdruck trat in seine Augen. Der Dämon offenbarte Balthasar seinen Plan. Und damit nahm das Unheil seinen Lauf. * »Tommy, fahr doch nicht so schnell!« Der Ruf des Mädchens erreichte Thomas Ehlers nur schwach. Er war auf seinem Mountain-Bike schon ein ganzes Stück von seiner Begleiterin entfernt. Die Straße führte mit ziemlichem Gefälle einen langen Abhang hinunter. Tommy bremste, hielt am Straßenrand und drehte sich um. Verena Kößler, seine Freundin, näherte sich langsam. Sie bremste immer wieder ab, das Gefälle schien ihr zu stark zu sein. Schließlich hatte sie ihren Freund erreicht und hielt aufatmend neben ihm an. »Hast du Schiß?« fragte Tommy scheinheilig. »Ist doch nicht steil.« Verena löste ihren Fahrradhelm und schüttelte das lange, dunkelblonde Lockenhaar frei. »Tommy, du bist ein Vollidiot!« fuhr sie ihn an. »Ich hab immerhin ein paar Kilo an Gepäck hinten drauf. Und du ebenfalls! Wenn du weiter so riskant fährst, brechen wir uns noch alle Knochen. Und das ist ja wohl nicht Sinn der Sache!« »He, du hast ja wirklich Angst gehabt«, erkannte Tommy plötzlich. Er nahm Verena in die Arme und küßte sie. »Tut mir leid, Schatz, ehrlich«, flüsterte er. Und damit brachte er Verenas Zorn zum Schmelzen wie Eis in der Sommersonne. Beide waren dreiundzwanzig und studierten Kunstgeschichte. Sie hatten
die warmen Septembertage genutzt, um eine Radtour durch die Oberlausitz, eine wald- und gebirgsreiche Gegend am östlichen Zipfel Sachsens, zu unternehmen. Dabei hatten sie vor, möglichst viele historische Gebäude und Kunstwerke zu besichtigen. In Zittau wollten sie die Rundreise beenden und von dort mit der Bahn nach Dresden zurückfahren. »Ist es noch weit?« fragte Verena. Tommy schüttelte den Kopf. »Eigentlich müßten wir ganz in der Nähe der Burg sein. Ich denke, hinter der nächsten oder übernächsten Wegbiegung können wir sie bereits sehen.« Verena befestigte wieder ihren Sturzhelm. »Also los!« gab sie das Startzeichen. »Aber etwas langsamer, wenn ich bitten darf.« »Euer Wunsch ist mir Befehl, edles Fräulein«, meinte Tommy und versuchte eine höfische Verbeugung mit Knicks, die ihm aber gewaltig mißlang. Verena lachte. »Üben, mein Lieber, üben!« Tommy hatte recht behalten. Sie brachten noch zwei Wegbiegungen hinter sich, dann lichteten sich die Bäume links und rechts der Straße etwas und gaben den Blick auf einen gewaltigen Felsen frei. Das war der Oybin, zwischen Zittau und Bautzen, in der Oberlausitz gelegen, und auf ihm erhob sich die mächtige Ruine einer mittelalterlichen Burg. »Na, hab ich dir zuviel versprochen?« Tommy konnte sich an dem prachtvollen Bild kaum satt sehen. Es war später Nachmittag geworden, und von Westen her zogen dunkle Wolken auf, die wohl gegen Abend oder in der Nacht Regen bringen würden. Außerdem war Wind aufgekommen, der über die erhitzten Gesichter der beiden Radler strich. Sie trugen nur T-Shirts, enganliegende Radlerhosen und Tennisschuhe. Verena fröstelte bereits. »Ich glaube, wir sollten uns besser einen Lagerplatz suchen. Die Wolken dahinten gefallen mir gar nicht«, meinte sie. Tommy stimmte ihr zu. Ein geeigneter Lagerplatz war auch bald gefunden, denn Tommy hatte da schon gewisse Vorstellungen gehabt und den kürzesten Weg auf den Felsen gesucht. Er schaffte die Schlafsäcke und ihre Rucksäcke in einen halb verfallenen Anbau neben der eigentlichen Burg. Die Fahrräder hatte er im dichten Gebüsch neben einem Baum abgestellt, wo sie vor dem drohenden Regen halbwegs geschützt waren. Es war düster geworden. Blitze zuckten über den grauen Himmel, doch Donner war noch nicht zu hören. »Komm, schaun wir uns mal in der Burg um«, schlug Tommy vor. »Kann das nicht bis morgen warten?« Verena war wenig begeistert. »Ist
sowieso schon unheimlich genug hier draußen.« Tommy Ehlers lachte. Er erhob sich, zog das T-Shirt so weit hoch, daß sein Kopf im Ausschnitt verschwand, und gab ein dumpfes »Uuuuh - Huuuh-Huuuh!« von sich. Dann warf er sich auf seine Freundin. »Angst vor Gespenstern, mein Schatz?« fragte er zwischen den Küssen. »Brauchst du nicht zu haben. Ich werde dich schon beschützen!« Verena hatte jedoch keine Lust, das alte Gemäuer zu erkunden, und sie ließ sich diesmal auch nicht überreden. Viel lieber schmiegte sie sich an ihren Freund. Bald waren der Regen und das Gewitter vergessen. Die Luft war trotz des Unwetters noch schwül. Verena kniete über ihrem Freund und streifte mit einer fließenden Bewegung ihr T-Shirt über den Kopf. Der Lichtschein der Blitze zuckte über ihren Körper und tauchte ihre kecken Brüste in fahles Licht. Die Leidenschaft, mit der sie sich liebten, stand der Kraft des Gewitters in nichts nach. Doch tief unter ihnen, in den Gewölben der Burgruine, erwachte das Grauen! * Als die Raubritterburg der Herren von Michelsberg im vierzehnten Jahrhundert zerstört worden war, hatte auch Balthasar von Michelsberg den Tod gefunden. Zusammen mit sechs seiner Gefolgsleute wurde er tief im Felsen unterhalb der Burg begraben. In den folgenden Jahren hatte man dann Teile der Burg neu errichtet und steinerne Standbilder der neuen Besitzer vor die Felswände gestellt, hinter denen Balthasar von Michelsberg und seine Getreuen ruhten. Kein Zeichen markierte die letzte Ruhestätte des gefürchteten Raubritters, und er geriet in Vergessenheit. Doch die Macht der Hölle war stark, und Belial hatte diese Nacht für Balthasars Rückkehr ausgewählt! Als das Gewitter seinen Höhepunkt erreicht hatte und Blitze und Donner direkt über der Burg die Nacht erfüllten, drang feiner Rauch unter den steinernen Überresten der Standbilder hervor. Lautes Stöhnen erfüllte das Gewölbe. Die Standbilder bewegten sich, erst langsam, dann immer heftiger. Schließlich fiel eines nach dem anderen mit lautem Krachen um. Der jahrhundertealte Stein zerbrach in unzählige Teile, und bald zeigte die Felswand erste Risse. Ein gewaltiger Blitz zerteilte den Himmel, und ein peitschender Donnerschlag ließ die Burg erzittern.
Im selben Augenblick durchbrach eine knöcherne Hand den Fels. Die Skelettfinger öffneten und schlossen sich. Ein weiterer Donnerschlag übertönte das Poltern des Gesteins, mit dem die mächtige Gestalt des Ritters Balthasar von Michelsberg, der vom Volk den Namen Balthasar der Grausame erhalten hatte, aus dem Felsengrab hervorbrach. Und mit ihm erwachten seine sechs Gefolgsleute zu untotem Leben. Umwabert von feinem Rauch tat Balthasar die ersten ungelenken Schritte und reckte sich. Er trug dieselbe schwarze Rüstung, in der er begraben worden war. Mitten auf dem Brustharnisch prangte leuchtend rot ein JB. Unter dem Helm grinste ein Totenschädel hervor, in dessen leeren Augenhöhlen es rot schimmerte. Balthasar holte sein Schwert aus der Grabnische und legte es um. Dann bückte er sich und brachte eine gewaltige Streitaxt zum Vorschein, die zu seinen Lebzeiten seine liebste Waffe gewesen war. Matt blinkten die beiden Axtblätter, die links und rechts vom Stiel ausgingen. Der untote Ritter hob die Axt und legte den Kopf zurück. »Aaah!« stöhnte er zufrieden auf. »Endlich bin ich frei! Endlich!!« Von nun an würde er im Zeichen des Dämons Belial das Land mit seiner Schreckensherrschaft heimsuchen. Der Höllenritter gab erste Anweisungen an seine skelettierten Getreuen, die, mit Schwertern und Wurfspießen bewaffnet, durch einen Geheimgang nach draußen hasteten. Balthasar folgte ihnen. Leise klirrte die Rüstung. Am Ende des Geheimganges gelangte er an einen schmalen Feldweg, der zu einer Waldlichtung führte. Dort wurde er mit einem freudigen Wiehern begrüßt. Im zuckenden Schein der Blitze sah er sein schwarzes Schlachtroß stehen. Es war ebenfalls skelettiert. Das Pferd schnaubte und furchte mit dem Vorderhuf den Waldboden auf. Der Skelettritter saß mit einer geschmeidigen Bewegung auf. Ein Gefolgsmann reichte ihm eine pechschwarze Lanze. Balthasar der Grausame war zurückgekehrt. Und er war begierig, seinem furchtbaren Ruf wieder gerecht zu werden! * Das Gewitter hatte sich verzogen. Verena und Tommy lagen nackt und verschwitzt auf einem Schlafsack in einer Ecke des Anbaus. Nachdem sie sich bis zur Erschöpfung geliebt hatten, waren die beiden engumschlungen eingeschlafen. Der Regen hatte etwas Abkühlung gebracht, doch die Nacht war immer
noch warm. Irgendwo schrie ein Käuzchen, und Grillen zirpten. Die Nacht zeigte schon leichte Spuren der Dämmerung, als Verena erwachte und sich aufrichtete. Sie griff nach einer Taschenlampe und ging in eine entgegengesetzte Ecke des Raums, wo sie in ihrem Rucksack herumkramte. »Was ist denn los?« murmelte Tommy verschlafen und stemmte sich auf den Ellbogen hoch. Verena drehte sich um und kam mit einer Rolle Toilettenpapier zu ihm zurück. »Ich tu nur schnell was für die Natur«, sagte sie lachend. »Aber nicht so, oder?« Verena schaute an sich hinab. »Wird schon kein Spanner hier rumschleichen. Und wenn doch, dann kann ich's auch nicht ändern.« Sie schlüpfte dann doch in T-Shirt und Radlerhose und verschwand mit Lampe und Papier nach draußen. Verena ging nicht weit. An den Fahrrädern vorbei drang sie ins Gestrüpp am Rande der kleinen Lichtung. Die Stelle schien ihr geeignet. Genau in dem Moment, als die junge Frau die Plastiktüte mit dem Papier niedergelegt hatte und an den Bund ihrer Radlerhose griff, legte sich eine bleiche Knochenhand um ihren Mund und riß sie nach hinten! Verena wurde völlig überrascht, doch sie faßte sich schnell. Sie packte die Skeletthand und zog sie von ihrem Mund weg. Gleichzeitig schlug sie mit der Taschenlampe nach hinten. Mit einem Ruck warf sie sich nach vorn und konnte sich so aus der Umklammerung des Gegners befreien. Das Mädchen wirbelte herum und leuchtete dem Angreifer ins Gesicht. Und dann kam der Schock! Sie starrte in die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels, der sie mit schiefen Zähnen angrinste. Verenas markerschütternder Schrei durchdrang die Nacht. Das Skelett griff wieder an und brachte Verena urplötzlich zum Verstummen. Mit dem Mut der Verzweiflung warf sie sich dem Knochenmann entgegen und stieß ihn zur Seite. Dann rannte sie in die Lichtung hinein. »Verena!« erklang Tommys Stimme hinter ihr. »Verena, wo bist du?« Verena antwortete und blieb mitten in der Lichtung stehen. Keuchend brach Tommy aus dem Gebüsch heraus. »Mensch, hast du mir einen Schreck eingejagt«, sagte er schnaufend. »Was ist passiert?« Die Antwort brauchte Verena nicht mehr zu geben, denn am anderen Ende der Lichtung erschien ein Reiter. Er saß auf einem schwarzen, skelettierten Pferd und trug eine mittelalterliche schwarze Rüstung mit einem leuchtendroten B auf der Brust. In den Knochenhänden hielt er eine
Lanze. Sein Totenschädel starrte ihnen entgegen. »Willkommen«, drang es dumpf zu ihnen herüber. »Willkommen auf der Burg von Balthasar, dem grausamen Ritter!« Dann richtete der Höllenritter die Lanze aus und gab seinem Schlachtroß die Sporen. Er galoppierte direkt auf die beiden jungen Leute zu! »Weg hier!« brüllte Tommy. »Hau ab! Ich versuche, ihn abzulenken!« Verena kreischte und wirbelte herum. Hinter ihr war der skelettierte Häscher erschienen, und zwei weitere Skelette brachen aus dem Gebüsch. Sie schrie wieder und wich den Skeletten aus, sprang an ihnen vorbei ins Gestrüpp und hetzte auf die Burgruine zu, die sich düster und drohend vor ihr in den Nachthimmel erhob. Tommy Ehlers warf sich dem Höllenritter entgegen. Er wich der Lanze aus und brachte Balthasar aus dem Gleichgewicht. Der Ritter ließ die Lanze fallen und versuchte sich im Sattel zu halten. Tommy hetzte auf die andere Seite der Lichtung, um dort in den Wald einzudringen. Er erreichte den Wald nicht. Tommy nahm noch das Sirren wahr, mit dem der Wurfspieß durch die Luft sauste, dann erhielt er einen furchtbaren Hieb in den Rücken, der ihn nach vorn warf. Tommy taumelte, konnte sich wieder fangen und richtete sich auf. Dann erst bemerkte er die blutige Spitze des Speers, die ihm aus der Brust ragte. Tommy Ehlers drehte sich langsam um. Maßloses Erstaunen spiegelte sich in seinem Blick. Blut drang ihm über die Lippen und tropfte zu Boden. Er wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Langsam sank er in die Knie. Dann fiel er vornüber und blieb reglos liegen. »Elender Narr!« schrie Balthasar. »Ich wollte ihn töten! Ich sollte dich in die Hölle zurückschicken, Nichtsnutz!« Der Höllenritter trieb sein Roß an und galoppierte auf den Häscher zu, der den Spieß geworfen hatte. Kurz bevor er den Knochenmann niedertritt, verhielt er sein Pferd. »Wage so was nicht noch mal, Harald! Das nächste Mal sorge ich dafür, daß du alle Qualen der Hölle erleidest!« Balthasar riß sein Pferd herum. »Sucht die Maid! Ich will sie haben! Ich will sie für Mephisto!« Die Gefolgsleute schwärmten aus, und Balthasar trieb sein Pferd an. Er ritt direkt zur Burgruine. Verena Kößler hatte es inzwischen geschafft, den Innenhof der Burg zu erreichen. Sie hetzte über den Hof und suchte nach einem Ort, wo sie sich verbergen konnte. Am Ende des Hofes tastete sie die Wände nach Nischen ab und kroch auf dem Boden herum, um ein geeignetes Versteck zu finden. Schmutz und Staub hatten Schlieren auf ihrem schweißnassen Gesicht
gezogen. Ihr T-Shirt war von Zweigen und Dornen zerfetzt worden. Verenas Atem ging stoßweise und wurde immer wieder von Schluchzen unterbrochen. Schließlich fand sie eine Nische und drückte sich hinein. Eilige Schritte waren zu hören. Balthasars Häscher näherten sich dem Innenhof und hasteten suchend umher. Doch sie übersahen Verena, die sich angsterfüllt noch tiefer in die Nische drückte. Die Schritte der Knochenmänner verklangen wieder. Verena wartete wenige Minuten ab, dann schob sie sich aus der Nische und an der Wand entlang. Sie zitterte am ganzen Leib und versuchte, ein Zähneklappern zu unterdrücken. Sie erreichte eine Ecke, umrundete sie und schob sich an der Wand weiter. Dabei bewegte sie sich auf einen kleinen Durchlaß in der Burgmauer zu. Als Verenas Finger die Öffnung in der Wand ertastet hatten, atmete sie auf. Hoffnung erfüllte sie. Die Knochenhand sauste durch die Öffnung, schob Verena zurück und drückte sie mit Wucht gegen die Wand. Pfeifend wurde ihr der Atem aus den Lungen gepreßt. Die riesige Gestalt des Höllenritters zwängte sich durch die Öffnung in der Mauer und stand drohend vor Verena. Der rote Schimmer in den Augenhöhlen leuchtete stärker. Verena roch modrigen Gestank. »Nein, bitte nicht!« bettelte sie weinend. »Ich will nicht sterben, bitte!« Balthasar hob die Rechte. Matt blinkte das zweischneidige Blatt der Streitaxt auf. Verenas Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Neeeiiin!!« Ihr gellender Schrei wurde von der niedersausenden Axt brutal unterbrochen. Balthasar der Grausame ließ den leblosen Körper des Mädchens achtlos zu Boden sinken und lachte dröhnend. Zwei Leben für Mephisto! Der Höllenfürst würde zufrieden sein. * »Und deshalb, meine Damen und Herren, sehe ich keinerlei Veranlassung, die geplante Lagerung von ausgedienten Atombrennstäben in dem stillgelegten Salzstock in der Gemarkung Heide-Süd nicht zu befürworten.« Buh-Rufe und wütende Pfiffe waren die Antwort. Dr. Ruth Kößler, Beauftragte des Umweltministeriums, stand am Rednerpult und warf der Menge aufgebrachter Bürger im Saal der Stadthalle einen verächtlichen Blick zu.
»Aber ich bitte Sie, meine Herrschaften, das Gelände eignet sich bestens dafür. Es gibt keine Sicherheitsbedenken.« Weiter kam sie nicht. Ich wartete die Kommentare der aufgebrachten Zuhörerschaft nicht ab, sondern begab mich nach draußen ins Foyer, wo ich mir erst mal ein Glas Sekt besorgte. Ich war nicht zu meinem Vergnügen hier. Ganz und gar nicht. Mein Chef bei der Weimarer Rundschau, Max Unruh, hatte mich nach Halle geschickt und mich auf Dr. Ruth Kößler angesetzt. Ich hatte zwar keine rechte Lust gehabt, den Auftrag zu übernehmen. Es handelte sich hier um ein heikles politisches Thema, und so was lag mir nun mal nicht besonders. Viel lieber hätte ich über eine kulturelle Geschichte oder ein Verbrechen berichtet. Da gab es mehr Abwechslung. Aber mein alter Freund und Spezi, Kripohauptkommissar »Pit« Langenbach, wurde zur Bewachung der Regierungstante abgestellt und hatte mich schließlich überredet, doch den Auftrag zu übernehmen. Abends hatte er schließlich dienstfrei, und da waren ein paar Bierchen immer drin. Ich nippte an meinem Sektglas und tauschte mit der Bedienung, einer gutgebauten, hübschen Blondine, freundliche Blicke. »Mensch, die Tussi geht mir vielleicht auf den Geist!« hörte ich da hinter mir eine Stimme. Ich drehte mich um und mußte unwillkürlich grinsen. Pit Langenbach stand vor mir. Im schwarzen Anzug, mit weißem Hemd und Krawatte. So kannte ich den guten Pit nur selten, denn im Polizeipräsidium in Weimar mußte er nicht so schnieke herumlaufen. »Nimm's nicht so tragisch, Alter«, riet ich. »Abgesehen davon, daß die Kößler die Arroganz in Person ist, sieht sie doch recht gut aus - für eine Regierungstante.« »Du findest auch an jeder Frau was Positives«, maulte Pit und bestellte sich ebenfalls ein Glas Sekt. Er trank einen großen Schluck von dem Prickelwasser. Bevor er das Glas ganz leeren konnte, nahm ich es ihm aus der Hand. »He, he, he!« rief ich, »wir sind im Dienst, Herr Hauptkommissar!« Wütend schnappte mir Pit den Sektkelch wieder weg. »Fang du jetzt auch noch an, mich zu nerven!« moserte er und schaute mich finster an. Dann zog er eine Packung Zigarillos aus der Tasche und zündete sich eines der dunkelbraunen Stäbchen an. Er versuchte zwar ständig, sich die Dinger abzugewöhnen, aber wenn er im Streß war, warf er seine guten Vorsätze regelmäßig über den Haufen. »Ich weiß, ich weiß«, sagte ich grinsend. »Gangster jagen liegt dir mehr. Aber irgend jemand muß ja auf Madame aufpassen, nicht?« »Und warum muß dieser Jemand ausgerechnet ich sein?« Pit blickte zur
Decke und verdrehte die Augen. »Was hab ich bloß verbrochen, daß ich so gestraft werde?« »Sie werden vermutlich nicht genügend Gangster gefangen haben, mein lieber Hauptkommissar«, erklang es hinter ihm. Pit versuchte hastig, sein Glas möglichst unauffällig irgendwo abzustellen, und ich verschluckte mich fast an meinem Sekt. Dr. Ruth Kößler war hinter uns aufgetaucht und schien Pits Worte gehört haben. Er hatte ja auch laut genug gesprochen. Pit drehte sich um und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. Seine Wangen zeigten einen rosigen Schimmer, der langsam in tiefes Rot überging. »Ah, Frau Dr. Kößler!« balzte er ungekonnt und versuchte zu lachen. »Ist Ihr Vortrag schon beendet, ja?« Die Kößler bedachte ihn mit einem eisigen Blick. »Sonst stünde ich ja wohl kaum vor Ihnen, Hauptkommissar. Besorgen Sie mir doch auch ein Glas, ja?« Pit schaute hilflos zu mir, machte dann eine Kehrtwendung und marschierte zur Sektbar. »Da es dem guten Hauptkommissar wohl an Manieren mangelt, muß ich mich eben selbst vorstellen«, meinte sie und streckte die Hand aus. »Ruth Kößler.« »Markus Hellmann«, erwiderte ich und ergriff ihre Hand. »Freunde nennen mich Mark.« Die Kößler sah verdammt gut aus, das mußte man ihr lassen. Sie hatte kastanienbraunes, nackenlanges Haar, grüne Augen und ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Ihr Kostüm war schlicht, betonte jedoch ihre schlanke Figur. »Sind Sie auch bei der Polizei?« fragte sie mich. Nicht die Spur von Arroganz schwang in ihrer Stimme mit. »Nee, bei der Presse.« Ihr Blick wurde wieder eisig. »Aber keine Angst«, beschwichtigte ich. »Ich schreibe nur das Beste über Sie. Bei einer Frau von Ihren Qualitäten!« Mit diesen Worten ließ ich unbewußt meine Blicke über ihre Superfigur gleiten. Pit erschien mit dem Sektkelch. Sie riß ihm das Glas förmlich aus der Hand, ohne ihm zu danken. »Da werden Sie wohl einen sehr kurzen Artikel verfassen, mein Lieber.« Sie trank. »Ich bin nicht sehr beliebt, müssen Sie wissen.« Ich zuckte die Achseln. »Ach, wissen Sie, es gibt über Jeden was Positives zu berichten«, meinte ich. »Und besonders über jede Frau«, murmelte Pit. Dr. Kößler schloß einen kurzen Moment angewidert die Augen, dann fuhr
sie zu Pit herum. »Ich glaube, ich hatte Ihnen mehrfach zu verstehen gegeben, daß ich nicht den geringsten Wert auf Ihre Meinung lege, Herr Hauptkommissar!« Sie musterte ihn verächtlich von oben bis unten. »Hatte ich Sie nicht gebeten, in meiner Gegenwart auf diese stinkenden Dinger zu verzichten?« Pit geriet in Panik und blickte sich verzweifelt nach einem Aschenbecher um. Die Kößler drückte ihm ihr halbvolles Glas in die Hand. »Hier, halten Sie das mal. Und dann entschuldigen Sie mich. Ich habe mit Herrn Hellmann etwas Wichtiges zu besprechen!«
Mann, was für eine Frau! Die hat's aber drauf! Den armen Pit einfach so abzukanzeln.
Ich schenkte Pit mein schadenfrohstes Grinsen, während ich Frau Dr. Kößler den Arm anbot. Gemeinsam strebten wir dem Ausgang zu. »Und wohin darf ich Madame entführen?« fragte ich, als wir das Freie erreicht hatten. Sie schaute mich ernst an. »Das überlasse ich Ihrem Einfallsreichtum. Aber Sie müssen nicht glauben, daß Sie die Situation für Ihre Zwecke ausnutzen können«, meinte sie. Und fügte dann hinzu: »Mark.« Wir fuhren nicht mit ihrem Dienstwagen, sondern nahmen meinen stahlblauen BMW. Pits Mitarbeiter vom Personenschutz versuchten zwar, uns zu folgen, aber ich hängte sie rasch ab. Dr. Kößler hatte ihren Spaß dabei. Von früheren Besuchen kannte ich mich in Halle ein wenig aus. Ich fuhr in die Burgstraße im Norden der Stadt, wo wir in der Gossenschänke einkehrten und ein ordentliches Abendessen zu uns nahmen. Danach verließen wir Halle und landeten schließlich in einer kleinen Diskothek am Rande der Stadt. Im Laufe des Abends war Dr. Kößler merklich aufgetaut. Wir hatten uns angeregt unterhalten, und ich wußte mittlerweile einiges aus ihrem Privatleben. Sie war ganz der Typ Karrierefrau, in deren Leben kein Platz für einen festen Partner war. Mit ihren vierunddreißig Jahren hatte sie es ziemlich weit gebracht, ohne dafür ihr Aussehen oder ihre Figur einsetzen zu müssen. Respekt. Ich hatte ebenfalls nicht hinter dem Berg gehalten und ihr auch einige Schwanke aus meinem Leben erzählt. Dabei erwähnte ich natürlich nicht, daß ich mich in meiner Eigenschaft als Kämpfer des Rings hauptsächlich mit Dämonen und Kreaturen der Hölle herumschlug. Das hätte sie mir wahrscheinlich auch gar nicht abgenommen, denn wer glaubt in unserer Zeit schon an die Existenz von Geistern, Dämonen oder gar an den Teufel? Eine nüchtern denkende Politikerin wie Ruth Kößler auf keinen Fall.
Ich jedenfalls war Mephisto, dem Herrscher der Hölle, meinem Erzfeind, schon mehrmals begegnet. Wer meine Hellmann-Gruselabenteuer liest, ist stets auf dem neuesten Stand. Mit achtundzwanzig war ich um einiges jünger als meine Begleiterin. Das schien sie aber nicht im geringsten zu stören. Ich übte eine ziemlich anziehende Wirkung auf die Damenwelt aus, nicht zuletzt wegen des silbernen Siegelrings mit dem stilisierten Drachen und den Buchstaben M und N, die darauf eingraviert waren. Auch bei Ruth Kößler hatte er Begeisterung hervorgerufen. Abgesehen von meinen blonden Haaren und einem athletischen Körperbau, den ich mir als Zehnkämpfer antrainiert und seitdem gepflegt hatte, hatte ich noch ein Merkmal, das einen außergewöhnlichen Reiz auf Frauen auszuüben schien. Es war ein siebenzackige Mal auf meiner linken Brust, das ein wenig an eine Tätowierung erinnerte. Daß ich dem Mal eine besondere Bedeutung im Kampf gegen die Höllenwesen beimaß, behielt ich lieber für mich. Vor kurzem erst hatte ich feststellen können, daß sich besonders Hexen vor dem Mal auf meiner Brust zu fürchten schienen. Ich hatte damals an einem Tribunal der Hexen teilgenommen und die Schwestern der Oberhexe Tabea vernichtet. (Siehe
Mark Hellmann Band 8)
Ich blieb lieber bei meiner Geschichte, daß ich als Vertreter der Presse über sie schreiben wollte. Irgendwie stimmte das ja auch. »Und was machen wir jetzt, Mark?« flüsterte mir Ruth ins Ohr. »Was hast du dir für den Rest der Nacht ausgedacht?« Beim Abendessen hatte sie mir das Du angeboten. Jetzt hielt ich sie fest im Arm, während wir zur Musik von Bryan Adams sanft über die Tanzfläche glitten. Ihr Kopf lag an meiner Schulter. Die Augen hatte sie geschlossen. »Wie wär's mit einem kleinen Abendspaziergang?« schlug ich vor. Ganz geheuer war es mir nicht, mich in der Öffentlichkeit und dazu so vertraulich mit dieser bekannten Frau zu zeigen. Immerhin hatte ich meiner Freundin Tessa versprochen, mich auf sie zu konzentrieren und mich bei anderen Frau mal zurückzuhalten. Aber ich wirkte in diesen Augenblicken wie ferngesteuert, schien keinen Einfluß auf meine Taten zu haben. Als wir am Ufer der Saale entlanggingen, blieb sie plötzlich stehen, legte mir die Arme um den Hals und küßte mich. Und wie! Ich brachte sie ins Maritim zurück. Aus der Hotelbar besorgte ich eine Flasche Prickelwasser und zwei Gläser. Pits Mitarbeiter bissen vor Wut die Zähne zusammen, als ich sie mit einem Grinsen bedachte und Frau Doktor auf ihr Zimmer folgte. Während ich im Schein der Nachttischlampe die Champagnerflasche öffnete, zog sie sich mit einem leisen Rascheln die Kleider aus. Ich wandte
mich mit den gefüllten Gläsern um. Sie streifte gerade ihren Slip ab und kam nackt auf mich zu. Ich hätte beinahe die Gläser fallen lassen. Ein Anblick war das! Dieses Superweib ging wie eine Göttin, und alles an ihr war in Bewegung. »Jetzt nicht«, hauchte sie und schob meine unsichere Hand mit dem Sektkelch beiseite, knöpfte mein Hemd auf und preßte sich an mich. Ich spürte ihre warmen Brüste auf meiner Haut, die harten Brustwarzen, und stellte wie benommen die Gläserweg. Energisch machte sie sich an meiner Hose zu schaffen, und ich ließ die störenden Klamotten unter mir. Dann hob ich Ruth hoch und trug sie zum Bett. In dieser Nacht wurde der Eisberg zum Vulkan! Ruth spuckte Feuer, und ich versuchte mitzuhalten. Gab mein Bestes. Sie war überhaupt nicht bescheiden, sagte, wie sie es wollte, oder sie nahm sich, was sie brauchte. Ein emanzipiertes Vollblutweib! Später schlief sie erschöpft und leise schnurrend an meiner Seite ein. Ich schloß ebenfalls die Augen. Die hat dich aber ganz schön zum Kochen gebracht, dachte ich. »Hoffentlich hast du es genossen, Mark Hellmann!« Plötzlich sah ich eine widerliche, mit eiternden Warzen übersäte Fratze vor mir und hörte eine höhnische Stimme. »Es war wohl deine letzte Liebesnacht, denn in der Hölle wirst du solche Nächte nicht erleben!« Dröhnendes Lachen ertönte. Die Fratze zerplatzte vor meinen Augen. Dafür erschien jetzt das Gesicht meines Erzfeindes, des Megadämons und Höllenfürsten Mephisto. Er bleckte seine Zähne in höhnischem Grinsen. »Ich freue mich schon auf dich, Mark Hellmann! Ich habe mir schon einen schönen Platz für deine Seele ausgesucht! Und mit ein wenig Glück bekomme ich dich sogar lebend in die Finger. Das wird ein Freudenfest!« Mephisto lachte schallend, und Schwefeldampf drang aus seinen Nüstern. Sein Gesicht tauchte ein in einen rötlichen Schimmer, bis es ganz verblaßte und nur noch das gellende Gelächter zu hören war. Dafür sah ich jetzt wieder das häßliche Warzengesicht vor mir. »Ich, Belial, zeige dir dein Schicksal!« ertönte es. »Paß gut auf, Mark Hellmann, und sieh dein Ende!« Ich erkannte eine Waldlichtung. Es war Nacht. An einem Ende der Lichtung teilte sich das Gebüsch. Ein schwarzer Ritter erschien. Auf einem ebenfalls schwarzen Streitroß trabte er auf die Lichtung. Unter dem Helm grinste mir ein Totenschädel entgegen. Den schwarzen Brustharnisch zierte leuchtend rot der Buchstabe B. Der Ritter trug ein langes Schwert. Am Sattel waren ein Schild, eine gewaltige, zweischneidige Streitaxt und ein Morgenstern befestigt. Der Ritter senkte mir seine Lanze entgegen. Dann gab er seinem Pferd
die Sporen. Schweiß brach mir aus. Ich begann rückwärts zu laufen, drehte mich dann um und rannte weiter. Ich warf immer wieder einen Blick zurück. Tatsächlich. Ich war langsamer. Der Ritter kam näher und näher, die Lanzenspitze drohte mich zu durchbohren! Ich brach durch Gebüsch und Gestrüpp und überquerte eine zweite Lichtung. An deren Rand konnte ich gerade noch stoppen. Vor mir lag ein Abgrund, in dessen Tiefe ich widerliche, höllische Kreaturen und Gewürm erkennen konnte. Hinter mir schnaubte das Roß. Dumpfer Hufschlag klang auf. Ich wirbelte herum und stieß einen heiseren Schrei aus! Abwehrend streckte ich beide Arme vor. Der schwarze Ritter zügelte sein Pferd nicht. Ich spürte den dumpfen Schlag, als mich die Lanze traf. Ich stolperte und verlor das Gleichgewicht. »Neeeiiinn!« schrie ich gellend auf, als ich rücklings in den Höllenschlund stürzte! * »Mark?« Ihre Stimme drang nur schwach an mein Ohr. Ich wälzte mich hin und her und wurde heftig geschüttelt. »Mark! Wach auf! Du hast geträumt! Hörst du mich? Mark!« Langsam kam ich in die Wirklichkeit zurück. Ruth hatte sich aufgerichtet. Ich sah ihren nackten Körper über mich gebeugt und spürte, wie sie mir über die verschwitzte Stirn strich. Dann nahm sie mich in die Arme, drückte meinen Kopf sanft an ihre warme Brust und streichelte mich. »Es ist vorbei, was immer es war«, sagte sie leise. »Du bist in Sicherheit. Es war nur ein Traum, Mark. Nur ein böser Traum.« Ja, aber was für einer! dachte ich. Der Traum hatte es ganz schön in sich gehabt. Immer noch sah ich die Gestalt des Ritters und das schreckliche Warzengesicht vor mir und fröstelte. »Hast du öfter solche Träume?« fragte Ruth. »Ab und zu«, antwortete ich ausweichend. Ich küßte sie, schob sie sacht zurück und schwang mich aus dem Bett. Aus der Minibar nahm ich eine Flasche Mineralwasser und leerte sie in einem Zug. »Was hast du denn geträumt?« wollte Ruth wissen. Ich zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur noch, daß es ein fürchterlicher Traum war.« Ich konnte ihr ja schlecht sagen, daß ich von einem Dämon und vom
Teufel geträumt hatte und im Traum von einem untoten Ritter getötet worden war. Ruth hätte sicherlich an meinem Verstand gezweifelt. Ich stellte das Glas auf den Tisch, ging auf das Bett zu und betrachtete ihren wunderschönen Körper. »Aber das ist jetzt vorbei«, sagte ich leise. »Laß uns nicht mehr davon reden, ja?« Am Morgen frühstückten wir im Hotelrestaurant. Pit Langenbach gesellte sich zu uns. »Frau Dr. Kößler, darf ich Sie daran erinnern, daß ich für Ihre Sicherheit verantwortlich bin? So was wie gestern abend kann ich nicht billigen. Ich muß Sie bitten, künftig auf solche Extratouren zu verzichten.« »Ihnen auch einen guten Morgen, Herr Hauptkommissar«, unterbrach ihn Ruth kalt und schaute Pit voller Arroganz an. Wieder ganz die Alte, dachte ich. Kaum zu glauben, daß jemand, der so leidenschaftlich liebt, doch so eiskalt sein kann. Aber wahrscheinlich mußte sie in ihrem Beruf so sein, um sich gegen die männlichen Kollegen behaupten zu können. Pit stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Verstehen Sie doch, Frau Dr. Kößler, es geht mir in erster Linie um Ihre Sicherheit«, versuchte er es noch mal. Sie schenkte ihm ein kaltes Lächeln. »Nehmen Sie doch Platz und frühstücken Sie mit uns, Herr Langenbach.« Oho, jetzt also auf die sanfte Tour! Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Ja, setz dich und iß, daß du zu Kräften kommst, Herr Hauptkommissar«, wiederholte ich Ruths Aufforderung. »Sie wissen, daß ich gegen elf eine Besprechung an der Universität in Dresden habe, Herr Langenbach«, meinte Ruth nach einer Weile. »Ich werde mit den Herren nach der Besprechung zu Mittag essen.« Sie schaute zu mir herüber, und der Hauch eines Lächelns zuckte über ihre Lippen. »Den Nachmittag werde ich in Gesellschaft von Herrn Hellmann verbringen.« Pit verdrehte die Augen. »Wie kann's auch anders sein«, brummelte er. Ruth hob eine Augenbraue. »Ich dachte, wir waren uns über Ihre Meinungsäußerungen in meiner Gegenwart einig.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Ich werde auf die Dienste Ihrer Mitarbeiter verzichten können, Herr Langenbach. Ich glaube, Herr Hellmann ist sehr gut in der Lage, auf mich aufzupassen.« »Aber das geht doch nicht.« Mehr sagte Pit nicht. »Dann wäre ja alles klar. Mark, ich wohne im Kempinski. Wir treffen uns dort gegen drei.« Mit diesen Worten rauschte sie von dannen. Pit warf mir einen bitterbösen Blick zu. »Das zahl ich dir heim, Alter. Verlaß dich drauf«, zischte er mir zu.
»Mußt du nicht hinter ihr her?« fragte ich scheinheilig. »Ich meine, wegen der Sicherheit und so.« Pit wollte noch etwas sagen, aber im selben Moment sah er Ruths Kehrseite durch die Restauranttür entschwinden. Er sprang auf, warf die Serviette auf den Tisch, zeigte noch mal drohend mit dem Zeigefinger auf mich und sauste ihr hinterher. Ich blieb noch eine Weile sitzen und dachte an meinen Traum. Konkrete Hinweise darauf, wann der Angriff des Zombie-Ritters erfolgen würde, hatte ich nicht. Daher nahm ich den Traum als Warnung und ging davon aus, daß der Ritter in allernächster Zukunft meinen Weg kreuzen würde. Und dann war da noch die neue Figur im Spiel: Belial. Die pickelgesichtige Höllenkreatur war mir zum ersten Mal erschienen. Ich wollte versuchen, mehr über ihn und vor allem über seine Verbindung zu dem Skelettritter herauszufinden. Über den Ritter selbst wußte ich noch zu wenig. Ich kannte weder seinen Namen noch den Herkunftsort. Vielleicht würde ich später mehr über ihn erfahren. Als ich mich an letzte Nacht erinnerte, dachte ich wieder an Ruths wundersame Wandlung von der eiskalten, unnahbaren Frau zur leidenschaftlichen Liebhaberin. Es war für mich total verblüffend, wie sich jemand so schnell so sehr ändern konnte. Meine Gedanken schweiften ab, und das hübsche Gesicht von Tessa Hayden, meiner »Dauerfreundin«, erschien vor meinem geistigen Auge. Sie nahm gerade an einem Seminar an der Polizeischule in Berlin teil. Ich würde sie wohl erst nach meiner Rückkehr nach Weimar wiedersehen. Einen Vergleich zwischen Tessa und Ruth wollte ich nicht anstellen, aber ich wußte schon jetzt, daß die Affäre mit Ruth nicht von langer Dauer sein konnte. Und irgendwie hing ich ja auch an Tessa. Wir stritten uns zwar häufig, aber an Trennung dachten wir beide nicht ernsthaft. Bevor ich mich auf den Weg nach Dresden machte, rief ich bei meinem Vater, Ulrich Hellmann, in Weimar an. Wenn mir jemand in Sachen Belial weiterhelfen konnte, dann er. Mein Vater war fünfundsechzig und Pit Langenbachs ehemaliger Chef. Er und seine Frau Lydia hatten mich 1980 adoptiert, als ich damals, im Alter von zehn Jahren, aufgefunden worden war. Ich trug damals nur den Ring bei mir. Hinweise auf meine Herkunft gab es nicht. (Siehe Mark Hellmann
Band 1)
Die Hellmanns' hatten mich nach den Buchstaben auf meinem Ring
Markus Nikolaus genannt. Für mich waren sie wie Vater und Mutter. Ich
hätte mir keine besseren Eltern wünschen können. Genau wie ich, war Vater ebenfalls schon mit dem Bösen aneinandergeraten. Von dieser Begegnung hatte er eine Versteifung an der
linken Hand und am rechten Fuß zurückbehalten. Seitdem beschäftigte er sich intensiv mit dem Übersinnlichen und hatte Kontakte zu Okkultisten und Parapsychologen in aller Welt. Alles Wissen wurde elektronisch gespeichert, um darauf schneller zurückgreifen zu können. »Hallo, Vater!« sagte ich, als sich Ulrich Hellmann meldete. Dann schilderte ich ihm den Traum. »Und was hältst du davon?« fragte er. »Zunächst nicht viel. Ich denke, man wollte mich warnen. Das entspricht zwar nicht ganz Mephistos Hinterlist, aber vielleicht wollen sie mich ja auf die Falle vorbereiten, damit es spannender wird.« »Was gedenkst du zu tun?« »Im Moment möchte ich erst mal etwas über Belial erfahren«, antwortete ich. »Ich hatte dabei an dich und deine Verbindungen gedacht.« »Ich werde sehen, was sich machen läßt. Wo kann ich dich erreichen?« Ich nannte ihm das Hotel Kempinski in Dresden, wo ich vermutlich am Abend zu erreichen war, bedankte mich und beendete das Gespräch. Dann machte ich mich auf den Weg in diese wunderschöne Stadt, die im Volksmund Elb-Florenz genannt wurde. * Nachdem ich im Kempinski eingecheckt hatte, schlenderte ich durch die Stadt. Ich richtete es so ein, daß ich gegen drei Uhr nachmittags wieder im Hotel war, um Ruth nicht warten zu lassen. Es kam jedoch genau umgekehrt: Sie ließ mich warten. Erst eine knappe Stunde nach unserem vereinbarten Treffen kam Ruth ins Hotel. Sie holte ihren Zimmerschlüssel, eine Art Chipkarte, von der Rezeption, und ich begleitete sie in den zweiten Stock. »Tut mir leid, Mark, wenn du warten mußtest«, entschuldigte sie sich, »aber du kennst das ja: Ein Wort gibt das andere, und auf einmal dauert so eine Besprechung viel länger als vorgesehen.« Sie hauchte mir einen Kuß auf die Wange. »Ich springe nur noch schnell unter die Dusche, ja?« Ich plünderte die Minibar und goß uns Mineralwasser ein. Da klopfte es an der Tür. »Frau Dr. Kößler?« rief eine männliche Stimme. Ich öffnete. Zwei Männer mittleren Alters standen vor mir. »Kriminalpolizei«, sagte einer der beiden und zeigte mir seine Dienstmarke. »Ist Frau Dr. Kößler zu sprechen?« »Polizei?« Ruth war hinter mich getreten und verknotete gerade den Gürtel ihres Bademantels. »Bitte, treten Sie ein, meine Herren.«
Die beiden Beamten blickten betreten vor sich nieder, dann rückten sie mit der Sprache heraus. »Frau Dr. Kößler, wir müssen Ihnen leider mitteilen, daß - Ihre Cousine, Verena Kößler, tot ist.« Ruth starrte die Beamten ungläubig an. »Aber das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte sie. »Sie und ihr Begleiter, ein gewisser Thomas Ehlers, wurden heute früh von einem Förster gefunden«, sagte der Beamte. Tränen schimmerten in Ruths Augen. Sie setzte sich und hielt sich die Hände vor das Gesicht. »Wir möchten Sie bitten, uns zu begleiten, Frau Dr. Kößler. Wegen der Identifizierung. Sie verstehen?« Ich folgte Ruth in die Halle. Pit kam auf uns zu. Ich informierte ihn leise. Er war sofort bereit, mit uns zur Gerichtsmedizin zu fahren. Es war kalt in den kahlen Gängen der Pathologie. Hier roch es nach Tod. Ich konnte mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Wir traten an die Kühlfächer heran. Der Leichenbeschauer öffnete zwei, zog die Leichen heraus und hob die Laken von den leblosen Körpern. Im selben Moment spürte ich ein leichtes Prickeln an der rechten Hand. Mein Ring meldete sich. Ruth war gefaßt, als sie die Identifizierung vornahm. Thomas Ehlers wies eine Stichwunde in der Brust auf, Verena Kößler hingegen eine tiefe Kopfwunde. Pit geleitete Ruth zum Wagen. Ich trat an die beiden Toten heran und näherte meine rechte Hand den Wunden. Der Ring erwärmte sich. Ein schwaches Glimmen ging von ihm aus, das jedoch bald wieder erlosch. Doch die Anzeichen genügten mir. Die beiden jungen Leute waren mit Sicherheit dämonischen Wesen zum Opfer gefallen. Ich nahm einen der Beamten zur Seite. »Wo hat man sie denn gefunden?« wollte ich wissen. »Das ist ja das Seltsame«, meinte der Kripomann. »In der Nähe von Zittau, in der Oberlausitz. Bei der Burgruine auf dem Oybin. Normalerweise verirrt sich da kaum jemand hin, so abgeschieden ist die Gegend. Nur Wald, Felsen und diese verfallene Burg. War reiner Zufall, daß ein Förster dort langging.« Wir brachten Ruth ins Hotel zurück, wo ich ihr zwei Beruhigungspillen besorgte und sie ins Bett steckte. Dann gingen Pit und ich in die Hotelbar. Über Handy rief ich meinen Vater an. »Vater, ich glaube, ich bin auf was Größeres gestoßen. Wir haben hier zwei Tote. Vielleicht haben die was mit meinem Traum zu tun. Sie wurden
nämlich bei einer alten Burgruine gefunden. Und eine Verbindung zwischen Burgruine und Ritter liegt schon ziemlich nahe, oder?« Ulrich Hellmann pflichtete mir bei. »Da ist was dran, Junge. Aber ich habe auch was für dich.« Er machte eine kurze Pause. »Paß auf, ich steige in den nächsten Zug und komme nach Dresden. Ich ruf dich an, sobald ich die Ankunftszeit weiß.« Bevor ich widersprechen konnte, legte er auf. So war mein Vater eben. Wo er gebraucht wurde, war er garantiert zur Stelle. Er hatte nur wenig Gepäck dabei, als ich ihn abholte und in mein Hotel brachte. Seiner Tasche entnahm er ein dickes Notizbuch. Dann begaben wir uns in die Bar, suchten uns eine ruhige Sitzecke und versorgten uns mit Getränken. Pit Langenbach hatte ich inzwischen auch von meinem Traum erzählt. Er war ebenso gespannt wie ich auf das, was Ulrich Hellmann zu berichten hatte. »Ich habe das Gefühl, du suchst dir immer die ganz dicken Dinger heraus, mein Junge«, kam Vater ohne Umschweife aufs Thema zu sprechen. Ich schaute ihn fragend an. »Dieser Belial, den du im Traum gesehen hast, ist offenbar ein ganz Großer in Mephistos Reich. Nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, muß er über ziemlich viel Macht und Einfluß verfügen.« Vater trank von seinem Bordeaux. »Was hast du herausgefunden?« wollte ich wissen. Ulrich Hellmann schlug das Notizbuch auf und schaute mich über den Rand seiner Brille ernst an. »Mehr, als dir lieb sein dürfte«, meinte er. »Paß auf.« Und dann begann er zu lesen: »Ich habe diesen Bericht aus verschiedenen Quellen zusammengefaßt und ihn von einem Okkultisten bestätigen lassen. Also, wie ich schon sagte, Belial ist einer der mächtigsten Dämonen überhaupt. Er steht in der Hierarchie der Hölle ziemlich weit oben und herrscht über ein gewaltiges Gebiet mit unzähligen Kreaturen der Finsternis. Eine große Anzahl seiner Untergebenen sind Skelette. Deswegen wird er in einigen Überlieferungen auch Herr der Skelette genannt.« Ich hörte aufmerksam zu, als mein Vater nach einer Kunstpause und einem Schluck Rotwein mit seinen Ausführungen fortfuhr. »Belial existiert schon seit undenklichen Zeiten. Seine Spezialität sind Kriege und Kampfhandlungen. Wo immer in der Geschichte unserer Erde ein Krieg oder Kampfhandlungen und Fehden ihren Anfang nahmen, hatte Belial die Hand im Spiel. Er versteht es großartig, ganze Völker
gegeneinander aufzuwiegeln. Wie jeder Dämon, so kann auch Belial seine Gestalt nach Belieben ändern. Sein wahres Gesicht hast du bereits im Traum gesehen, Mark.« »Du meinst dieses eitrige Pickelgesicht?« Vater trank wieder und nickte. »Genau«, bestätigte er. »Belials Gesicht und Hände sind mit eitrigen Warzen und Pickeln übersät. Er wird groß, breitschultrig und als wahres Muskelpaket dargestellt.« »Und als Herr der Skelette dürfte er auch über den schwarzen Knochenritter befehlen, den ich im Traum sah«, warf ich ein. »Davon kannst du ausgehen. Zwei Gründe sprechen dafür: Zum einen Belials Funktion als Herrscher über die Knochengerippe. Zum anderen die Tatsache, daß er im Mittelalter jedem Ritter, der mit Mephisto ein Bündnis einging, mit Rat und Tat zur Seite stand. Er fungierte damals sozusagen als Mephistos Botschafter. Es ist anzunehmen, daß auch der Skelettritter zu Lebzeiten einen Bund mit der Hölle schloß.« Ich nickte ernst. »Dann dürfte also mein alter Freund Mephisto die Falle gestellt haben, und Belial hat den Knochenritter auf mich angesetzt.« Ich sah meinem Vater zu, wie er das Notizbuch schloß. »Was ich noch nicht ganz begreife ist, warum Mephisto mich mit dem Traum gewarnt hat«, sagte ich. Vater lehnte sich zurück. »Du kennst die Verschlagenheit der Dämonen, Mark. Wahrscheinlich wollten sie dich nicht warnen, sondern dich aus der Ruhe bringen, dich zappeln lassen, wie man so schön sagt. Und wenn ihnen das gelingt, haben sie leichtes Spiel.« »Keine Angst«, begann ich, »so leicht bringt man den großen Mark Hellmann nicht aus der Fassung.« Es klang wie Galgenhumor. Wir tranken auf meinen Mut. Es stimmte schon: Dank meiner Glückssträhne hatte Mephisto mehrmals in den letzten Wochen den kürzeren gezogen, doch er würde nun bestimmt stärkere Geschütze auffahren. Und jede Glückssträhne ging einmal zu Ende. Das war mir klar. Bei meiner Auseinandersetzung mit der Spinnendämonin Uma Aranea hatte ich erleben müssen, über welch scheußliche Kreaturen Mephisto herrschte. Dabei hatte ich aber auch herausgefunden, wie ich Dämonen mit Hilfe meines Rings vernichten konnte, indem ich seine Kraft für kurze Zeit auf herkömmliche Waffen übertrug. (Siehe Mark Hellmann Band 7). »Du sagtest, die beiden Toten wurden bei einer Burgruine gefunden?« unterbrach Ulrich Hellmann meine Gedanken. »Ja, in der Nähe von Zittau. Eine knappe Autostunde von hier entfernt. Aber das ist noch nicht alles. Es steht zweifelsfrei fest, daß die beiden von Dämonen getötet wurden.« »Aber wie kannst du so sicher sein? Die waren schließlich schon eine
Weile tot, als man sie fand. Und die Knochenmetzger in der Pathologie haben die Leichen gewaschen und an ihnen rumgeschnippelt.« Pit meldete berechtigte Zweifel an. »Mein Ring hat trotzdem noch dämonische Ausstrahlung registriert, wenn auch nur schwach«, antwortete ich. »Das heißt dann also, daß wir uns mal in dieser Burg umsehen sollten«, meinte Pit. »Richtig erfaßt, Herr Hauptkommissar.« Ich lächelte. »Und zwar gleich morgen früh. Oder willst du heute nacht noch in einer Geisterburg rumkriechen?« Pit winkte ab. »Nee, du, da weiß ich was Besseres.« »Eben.« Ich erhob mich. »Ich kümmere mich jetzt ein wenig um Ruth. Sie wird's brauchen können.« Auf mein Klopfen an Ruths Zimmertür erhielt ich keine Antwort. Es war nicht abgeschlossen, und ich trat ein. Ruth Kößler war verschwunden. Auf dem Kopfkissen lag ein gefaltetes Blatt. Ich will den Ort sehen, wo Verena starb. Ich muß dorthin. Versteh mich bitte, Mark. Es tut mir leid. Ruth. Ich verstand sie. Sehr gut sogar. Aber ich verstand auch noch etwas anderes: Ruth war in höchster Gefahr. Denn wenn sie jetzt, bei Nacht, zur Burgruine auf dem Oybin fuhr, lief sie dem Höllenritter wahrscheinlich direkt in die Arme! Ich eilte in die Hotelbar zurück. »Was ist?« rief mir Pit entgegen. »Hat sie dich rausgeschmissen?« Wortlos reichte ich ihm Ruths Nachricht. Pit überflog das Blatt und sprang auf. »Die ist wohl total verrückt geworden!« rief er. »Sie hat bestimmt den Dienstwagen genommen. Wenn wir uns beeilen, holen wir sie vielleicht noch ein.« »Oder wir können das Schlimmste verhindern«, hoffte ich. »Nun komm ich heute doch noch in die Geisterburg«, sagte Pit Langenbach trocken. »Also los!« Wir nahmen den BMW. Vater hatte darauf bestanden, uns zu begleiten. Außer Pits Dienstpistole, Ulrich Hellmanns Krückstock und einem kleinen silbernen Kreuz, das mein Vater um den Hals trug, hatten wir keine Waffen dabei. Und die Zeit drängte. Ich fuhr mit Bleifuß. Wenig später hatten wir Dresden hinter uns gelassen und rasten in die Nacht hinein. *
Mit eingeschaltetem Fernlicht rollte der rote Mercedes 190 durch die nächtliche Lausitz. Der Wagen hatte bei Bautzen die Autobahn verlassen und war auf der Bundesstraße Richtung Zittau weitergefahren. In einem kleinen Dorfgasthof hatte sich Hubert Pätzold, der Chauffeur, nach dem Weg zur Burgruine auf dem Oybin erkundigt. Die Scheinwerfer tauchten die kurvenreiche, waldgesäumte Landstraße in helles Licht. Hubert Pätzold hatte die Fahrt etwas verlangsamt. »Können Sie nicht schneller fahren, Hubert?« Ruth Kößlers Stimme klang nervös. »Tut mir leid, Frau Doktor«, erwiderte Pätzold. »Es gibt zu viele Kurven hier, und ich kenne die Strecke nicht.« »Schon gut«, lenkte Ruth Kößler ein. »Aber nicht bummeln!« Sie wußte selbst nicht, was sie dazu bewogen hatte, noch in dieser Nacht den Ort aufzusuchen, an dem ihre Cousine Verena umgebracht worden war. Es war wie ein innerer Zwang gewesen. Wie gerne hätte sie Mark jetzt an ihrer Seite gehabt. Doch als sie aufgewacht war, hatte sie ihn in seinem Zimmer nicht angetroffen und keine Zeit mit einer langen Suche vergeuden wollen. Irgend etwas hatte sie gedrängt, sich sofort auf den Weg zu machen. Trauer erfüllte sie, wenn sie an Verena dachte. Warum ausgerechnet
Verena? Sie war so jung, so hübsch und immer gut drauf. Sie hatte das ganze Leben noch vor sich.
Sie hatten sich immer gut verstanden, wie Schwestern. Nein, eher wie die besten Freundinnen, trotz des Altersunterschieds. Ruth Kößler verfügte über Einfluß. Und sie hatte sich geschworen, nicht eher zu ruhen, bis der Täter gefaßt war. Sie vermutete ein Sexualverbrechen. In den letzten Monaten waren diese Delikte ja zu einer Art Gesellschaftskrankheit geworden, die das ganze Land überschwemmte. Auf einmal fiel ihr auf, daß sie diesbezüglich weder die Kripobeamten noch den Pathologen befragt hatte. Sie würde das unverzüglich nachholen. »Wie weit ist es noch, Hubert?« fragte sie. »Ich denke, daß wir die Ruine hinter einer der nächsten Wegbiegungen zu sehen bekommen, Frau Doktor.« Die Limousine hatte gerade ein Gefälle überwunden und folgte weiter der kurvigen Straße. Hubert Pätzold gab etwas Gas. Es würde nicht mehr lange dauern. Hoffentlich bleibt sie nicht zu lange, dachte er. Ich hätte eigentlich noch
Lust auf ein Bierchen oder zwei!
Der Mercedes brachte eine weitere Biegung hinter sich. Im selben Augenblick schrie Ruth Kößler gellend auf. Hubert Pätzold
stockte der Atem. Und dann ging alles blitzschnell! Der Höllenritter saß auf seinem Schlachtroß und sah dem heranschießenden Mercedes entgegen. Seine Knochenfinger hielten eine Lanze, deren Spitze auf den stark motorisierten violetten Wagen gerichtet war. Der Totenschädel grinste unter dem Helm hervor, und das blutrote B auf seiner Brust leuchtete hell. Der grausame Balthasar gab seinem Roß die Sporen. Das Knochenpferd verwandelte sich in ein richtiges, bäumte sich auf, wieherte schrill und galoppierte dem Wagen entgegen. Hubert Pätzold geriet in Panik. Ein Skelett zu Pferde griff ihn an! Das gibt's doch nicht! zuckte es durch sein Hirn. Das ist unmöglich! Ruth Kößler schrie wieder gellend auf. Instinktiv trat der Chauffeur auf die Bremse. Zu spät! raste es durch seinen Kopf. Der Skelettritter schien plötzlich zu wachsen, tauchte riesengroß vor der Limousine auf. Mit einem peitschenden Knall zersplitterte die Frontscheibe des inzwischen brennenden Mercedes. Die Lanzenspitze drang Hubert Pätzold in die linke Schulter und nagelte ihn förmlich an der Rückenlehne fest. Der Wagen geriet ins Schleudern, brach aus und kam von der Straße ab. Er pflügte durch dichtes Gestrüpp und prallte gegen einen Baum. Ruth Kößler war durch den Aufprall gegen die Tür geschleudert worden und mit dem Kopf gegen den Türholm geknallt. Blut strömte aus einer Platzwunde an der linken Stirnseite. Die Fahrertür war aufgesprungen. Mit einiger Anstrengung drückte Ruth die Hintertür auf und ließ sich aus dem Wagen fallen. Benommen schüttelte sie den Kopf. Knistern war zu hören. Die Flammen schlugen unter der eingedrückten Motorhaube hervor. Auf Händen und Knien kroch Ruth Kößler am Auto entlang nach vorn. Ihre Strumpfhose zerriß, aber das war jetzt Nebensache. Hubert Pätzold war wichtiger. Ruth schaffte es schließlich, sich neben Pätzold aufzurichten. Die Lanze steckte noch in der Schulter, und aus der Wunde quoll Blut. Rauchschwaden drangen ins Wageninnere. Ruth zögerte einen Moment. Dann packte sie die Lanze und zog sie mit einem heftigen Ruck aus der Wunde. Sie hustete. Über Pätzolds Körper gebeugt, löste sie den Sicherheitsgurt und zerrte den Fahrer aus dem Wagen. Im selben Augenblick schlugen die ersten Flammen in den Innenraum
des Mercedes. Wenige Meter von dem Fahrzeug entfernt ließ sie Pätzold ins Gras sinken und schob ihm ihren zusammengerollten Blazer unter den Nacken. Daß skelettierte Hände die Lanze aus dem Fahrzeug hoben und wegtrugen, bemerkte sie nicht. Ruth wischte sich mit fahrigen Bewegungen das Blut aus dem Gesicht. Dann hörte sie dumpfen Hufschlag, und eisiger Schrecken durchzuckte sie. Sie warf den Kopf herum. Der schwarze Skelettritter hatte sein Pferd hinter dem brennenden Mercedes zum Stehen gebracht. Er hielt wieder seine Lanze in den knochigen Fingern. »Seid willkommen, holde Maid!« dröhnte es Ruth entgegen. »Ich, Balthasar von Michelsberg, grüße Euch! Ihr könnt Euch geehrt schätzen, daß Euch die Gunst gewährt ist, mich zu begleiten!« Ruth Kößler schüttelte ungläubig den Kopf. Der ganze Mummenschanz ging ihr gehörig auf die Nerven. Dieser Idiot mit seinem blöden Kostüm hatte einen Unfall verursacht, der ihren Fahrer beinahe das Leben gekostet hatte. »Hören Sie, Sie Spinner! Nehmen Sie die Maske ab und kommen Sie von diesem dämlichen Gaul runter. Der Mann hier braucht Hilfe! Vielleicht können Sie wieder ein wenig von dem gutmachen, was Sie hier angerichtet haben!« »Ha!« schrie Balthasar. »So seid Ihr nicht Willens, mir aus freien Stücken zu folgen?« Er kicherte dumpf. »Ihr werdet wohl keine Wahl haben, Gnädigste. Packt sie!« Balthasars skelettierte Gefolgsleute brachen durchs Gebüsch und zerrten Ruth Kößler hoch. Sie schrie gellend auf, denn jetzt hatte sie erkannt, daß es sich nicht um Maskierte handelte, sondern um lebende Skelette! Sie wehrte sich verzweifelt, trat und schlug um sich, doch Balthasars Schergen waren unerbittlich. Sie zerrten Ruth vor den Höllenritter. Balthasar betrachtete sie lange. »Du bist schön«, sagte er schließlich. »Du wirst mir folgen - zurück in meine Zeit. Agnes von Bärenstein war mir verwehrt, so wirst eben du an meiner Seite sein und mein Schicksal teilen! Schafft sie fort!« Die Knochenmänner zerrten die schreiende Ruth Kößler davon. Balthasar schaute noch einmal auf den brennenden Wagen und folgte ihnen langsam. *
Wir hatten die Autobahn verlassen und rasten über die B96 Richtung Zittau. Pit saß neben mir und studierte im Schein der Innenbeleuchtung eine Straßenkarte. »Nach der nächsten Ortschaft mußt du links ab und auf der Landstraße weiter«, wies er mich an. Ich war gefahren wie der Teufel, aber ich hatte kaum noch Hoffnung, Ruth einzuholen. Ich konnte nur beten, daß ich ihr zu Hilfe kommen konnte, bevor der Zombie-Ritter sie angriff. In halsbrecherischem Tempo jagte ich die kurvenreiche Landstraße entlang. Zu beiden Seiten der Straße huschten Büsche und Bäume schattenhaft vorbei. »Wir dürften gleich da sein«, meldete sich Pit. Es war die reinste Achterbahnfahrt. Eine Anhöhe hinauf, einen Abhang hinunter, dann wieder Kurven. Ich nahm die nächste Biegung wieder ziemlich eng und stieg plötzlich auf die Bremse. Wir wurden gegen die Gurte gepreßt. Die Reifen quietschten kaum, dank ABS, und der BMW glitt nach vorn. Direkt auf einen brennenden Mercedes zu! Der Wagen war frontal gegen einen Baum geprallt. »Das ist ihr Wagen!« schrie Pit. Ein paar Meter hinter dem brennenden Fahrzeug kam der BMW zum Stehen. Pit und ich sprangen raus und stürzten auf den Mercedes zu. Doch wir kamen nur ein paar Schritte weit. Eine Detonation ließ den Boden erzittern. Der Wagen wurde von einem gewaltigen Feuerball umhüllt. Wir wandten uns ab, um unsere Gesichter vor der enormen Hitze zu schützen. »Hier könnt ihr nichts mehr tun, mein Junge«, sagte Ulrich Hellmann. Er war ebenfalls ausgestiegen und zu uns getreten. Pit holte einen Feuerlöscher aus dem BMW und versuchte, die Flammen einzudämmen. Es gelang ihm, das Feuer im Innenraum des Wagens zurückzudrängen. »He, Mark, da ist keiner drin!« rief er. Hoffnung kam in mir auf. Ich rannte zu ihm hin und überzeugte mich selbst. Keine verkohlten Leichen im Innenraum. Vielleicht waren die Reisenden beim Aufprall gegen den Baum aus dem Wagen geschleudert worden. Ich ging von der Fahrertür weg und fand eine Schleifspur im Gras. Wenig später kniete ich neben einem Verletzten. »Das ist Hubert Pätzold, der Fahrer«, erklärte Pit. »Und das ist Ruths Blazer«, sagte ich und deutete auf die
zusammengerollte Jacke unter Pätzolds Nacken. »Also muß sie hier noch irgendwo sein. Vielleicht hat sie einen Schock und irrt hier rum.« »Der Ritter«, stöhnte Pätzold plötzlich. »Der - Ritter. Er - war auf einmal - da. Skelett. Er - ist ein - Skelett!« Dann verlor Pätzold wieder das Bewußtsein. Pit Langenbach rief über Handy Notarzt und Rettungswagen herbei. Ich erhob mich. »Vielleicht ist Ruth noch in der Nähe«, sagte ich. »Ich schau mich mal um.« »Oder der Ritter hält sich hier noch auf«, meinte mein Vater. »Wenn dem so ist, kann ich ihm ja gleich seine verfaulten Zähne einschlagen«, erwiderte ich. »Wär vielleicht gar nicht schlecht. Dann wüßte er wenigstens, daß er mit mir kein leichtes Spiel haben wird.« Pit begleitete mich. Mein Vater wollte bei dem Verletzten bleiben. Mit Taschenlampen leuchteten wir die Umgebung ab. Als ich nach oben schaute, sah ich die Burgruine, die düster und drohend in den Nachthimmel ragte. Der Weg auf den Felsen war rasch gefunden. Nach wenigen Minuten standen wir auf dem Platz vor der Burg. Ich spürte auf einmal das Prickeln an meiner Hand und sah, daß mein Siegelring zu glimmen begann. »Vielleicht gibt's da drin ein Verlies oder so was«, meinte Pit. »Da könnte sich die Kößler in ihrer Panik versteckt haben.« Ich zuckte die Achseln. »Bleibt uns nur ein Weg, das herauszufinden«, orakelte ich. »Du kannst dir den Weg sparen, Mark Hellmann. Sie ist nicht mehr hier!« Wir fuhren herum. Die Stimme war hinter uns erklungen. Und im Schein der Taschenlampe sah ich, wem sie gehörte. Es war der schwarze Skelett-Ritter aus meinem Traum. Seine Lanze deutete auf mich. Da stand er also leibhaftig vor mir. Würde sich jetzt der Traum erfüllen? Würde er jetzt auf mich losgaloppieren und mich mit der Lanze treffen? Er tat nichts dergleichen. Er verhielt sich ruhig. »Wo ist sie? Was hast du mit ihr gemacht?« fragte ich. Der Höllenritter lachte dumpf. »Ich habe sie zu mir geholt, in meine Zeit. Sie wird an meiner Seite sein.« »Warum?« wollte ich wissen. »Was hat sie dir getan?« »Getan? Nichts hat sie mir getan! Sie nimmt nur die Stelle einer anderen Maid ein, die ich haben wollte und nicht bekam. Außerdem ist sie ein Pfand.« »Ein Pfand?« Der Kerl reizte mich. »Ein Pfand für dich, Mark Hellmann. Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.«
Er ritt langsam näher, senkte die Lanze und berührte vor mir den Boden. »Ich, Balthasar der Grausame, fordere dich, Mark Hellmann, zum Zweikampf!« Ich war verblüfft. Spielte er jetzt mit mir, oder hatte er tatsächlich so was wie ritterliche Ehre in seinem knöchernen Leib? »Um was kämpfen wir? Geht es um die Frau?« Wieder lachte er. »Wir kämpfen, weil es Mephistos Wille ist. Ich werde dich in die Hölle schicken, Mark Hellmann. Du hast mir nichts entgegenzusetzen, denn ich kämpfe mit der Kraft der Hölle. Es wird sein wie in alten Zeiten«, schwärmte er. »Damals gab es niemanden, der mich im Zweikampf besiegen konnte. Auch dir wird es nicht gelingen!« »Dann gib die Frau frei. Sie hat damit nichts zu tun!« »Noch ist der Zeitpunkt des Kampfes nicht gekommen, Mark Hellmann. Ich behalte die Maid, bis es soweit ist. Nur, damit du nicht auf den Gedanken kommst, den Kampf vor der Zeit zu beginnen oder mir Fallen zu stellen.« »Wenn Mephisto so erpicht auf einen Kampf ist, warum kommt er dann nicht selbst? Ist er zu feige?« fragte ich höhnisch. Der Höllenritter hob die Schultern, daß die Rüstung schepperte. »Mephisto hat Wichtigeres zu tun. Er hat mich auserwählt, weil er weiß, daß es keinen Besseren gibt!« Der Kerl ist ganz schön von sich überzeugt, dachte ich. Wird Zeit, daß
ihm mal jemand auf die Knochenfinger klopft.
»Du bist ganz schön aufgeblasen, Bursche!« reizte ich ihn. »Wer sagt mir, daß du wirklich so stark bist, wie du vorgibst?« Der Höllenritter schrie vor Wut. »Du Wicht willst mich auf die Probe stellen. Sei's drum. Ich zeige dir, was dich erwartet!« Ich lachte, obwohl mir nicht danach zu Mute war. Er hob die skelettierte Rechte. »Harald, zeig ihm, daß ich's ernst meine!« In den Büschen rings um den Platz entstand Bewegung, dann brachen sechs Skelette hervor, die ebenfalls mittelalterliche Kleidung trugen und mit Schwertern und Wurfspießen bewaffnet waren. Pit zog seine Pistole und schoß. Die Kugel fegte einen Knochenmann von den Beinen, aber der erhob sich sogleich wieder. »Und was jetzt?« fragte Pit Langenbach. »Jetzt nehmen wir die Kerle auseinander. Auf geht's zum Knochenmikado!« rief ich. Ich sprang hoch und traf den Anführer der Schergen, der auf den Namen Harald hörte, mit dem gestreckten Fuß mitten ins Knochengesicht. Es knirschte laut, und seine Fratze zeigte erste Risse. Sofort setzte ich ihm nach und packte den Wurfspieß. Ich ließ mich auf
den Rücken fallen, trat dem Skelett in den Bauch und warf es über mich hinweg. Dabei ließ es den Spieß los. Hart kam das Skelett auf dem Boden auf. Ich erhob mich, sprang über den Knochenmann hinweg und kam Pit Langenbach zu Hilfe, der gleich von zwei Skeletten bedrängt wurde. Einem Knochenmann trat ich gegen die Wirbelsäule, packte ihn dann im Nacken und warf ihn zur Seite. Klappernd schlugen seine Knochen aufeinander, als er sich überschlug. Pits zweiter Gegner wich vor den Karateschlägen des Hauptkommissars zurück. Doch außer Gefecht setzen konnte ihn Pit damit nicht. Mit dem Wurfspieß fuchtelte das Skelett schließlich vor Pits Gesicht herum und hielt ihn auf Distanz. Ich hatte endgültig genug. »He, Klappermann, jetzt heißt es Abschied nehmen!« rief ich. Das Skelett wirbelte zu mir herum, und ich warf mich gleichzeitig nach vorn. Mein Spieß drang ihm ins weit geöffnete Maul und durchbrach die Schädeldecke. Ein unmenschliches Brüllen ertönte. Feiner weißer Rauch drang aus dem Totenschädel. Das Skelett riß die knöchernen Arme hoch, versuchte, den Spieß zu packen und aus dem Schädel zu ziehen. Es gelang ihm nicht mehr. Der Rauch wurde stärker. Gleichzeitig setzte der Auflösungsprozeß ein. Die Knochen zerfielen zu Staub, der vom Wind verweht wurde. »Hast du gesehen, wie ein Profi so was macht?« sprach ich Pit an. »Okay, dann schnapp ich mir eben auch so einen von den Zahnstochern«, meinte Pit und riß einem verblüfften Skelett den Wurfspieß aus den Händen. »Skelettmann, grüß mir die Hölle!« rief er und rammte den Spieß durch das Nasenbein in den Totenschädel. Ich wartete den Zerfall des Skeletts nicht ab, sondern griff mir einen Wurfspieß, der am Boden lag, und schleuderte ihn mit aller Kraft dem Höllenritter entgegen. Der hob lässig den Schild und wehrte den Spieß gekonnt ab. »Du bist gut, Mark Hellmann, wirklich gut«, meinte er anerkennend. »Aber nicht gut genug für mich!« Mit diesen Worten galoppierte er auf mich zu. Er warf dem skelettierten Harald, der sich wieder aufgerappelt hatte, die Lanze zu und zog einen Morgenstern vom Sattel. Weit beugte er sich zur Seite und schwang die mit Eisendornen gespickte Kugel. Bald nach meiner Rückkehr in die Vergangenheit wich ich mit einem blitzschnellen Hechtsprung aus. Der Morgenstern verfehlte mich um
Haaresbreite! »Glück gehabt, Mark Hellmann. Das nächste Mal wirst du mehr brauchen als nur Glück. Wir sehen uns wieder!« Balthasars Stimme hallte durch den nächtlichen Wald. Er galoppierte zwischen die Büsche und verschwand. Seine knöchernen Gefolgsmänner hetzten ihm nach. Wir durchsuchten zwar noch rasch die Ruine, aber das hätten wir uns auch sparen können. Wie Balthasar gesagt hatte, war Ruth Kößler nirgends zu finden. »Komm, laß gut sein«, sagte ich schließlich. »Und wie geht's jetzt weiter?« erkundigte sich Pit. »Jetzt werde ich erst mal jemanden auftreiben, der mir was über Balthasar erzählen kann. Und dann hole ich Ruth zurück.« Langsam kehrten wir zur Straße zurück. * Wir sahen zu, wie der schwerverletzte Hubert Pätzold abtransportiert und das ausgebrannte Fahrzeug entfernt wurde. Dann fuhren wir nach Zittau weiter. Dort hoffte ich, etwas über den schwarzen Ritter zu erfahren. Auf dem örtlichen Polizeirevier konnten wir uns frisch machen. Pit Langenbach hatte seine Mitarbeiter vom Personenschutz gebeten, unsere Kleider von Dresden nach Zittau zu bringen. Wir zogen uns um und bekamen frisch aufgebrühten Kaffee angeboten, der hervorragend schmeckte. Pit zündete einen seiner gefürchteten Zigarillos an und inhalierte tief. Die Dinger stanken zwar wie die Pest, aber er hatte es sich verdient. »Über die Burg auf dem Oybin weiß heute kaum einer mehr etwas zu berichten«, sagte der Revierleiter, den ich dazu befragt hatte. »Wissen Sie, die jungen Leute heutzutage interessieren sich sowieso nicht mehr für diesen altmodischen Kram, von wegen Burgen und Ritter und so.« »Ein Heimatmuseum haben Sie sicher auch nicht hier. Wenn ich im Stadtarchiv rumkrame, kann das Tage dauern«, erwiderte ich. »Wissen Sie wirklich niemanden, der mir weiterhelfen könnte?« Der Revierleiter überlegte. »Höchstens noch im Pfarrhaus. Ich bin sicher, Pastor Gerlitz hat noch alte Unterlagen. Sie wissen ja, wie das zu DDRZeiten mit der Kirche war. Da hat der alte Pastor eben mehr Zeit mit der Geschichte der Gegend verbracht als mit dem Predigen. Versuchen Sie's dort mal.« Und das taten wir dann auch.
Pastor Gerlitz war ein kleiner, dicker Mann in den Siebzigern, dem ständig ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen lag. Er war nur zu gern bereit, uns weiterzuhelfen. In einem kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Pfarrhauses hatte er ein umfangreiches Archiv angelegt, in dem er Unterlagen über die geschichtlichen Ereignisse der Oberlausitz und der Gegend um Zittau aufbewahrte. Er hatte uns Weißwein angeboten, eine fruchtige Riesling-Spätlese. Der Tropfen ging runter wie Öl. Wir saßen gemütlich um einen kleinen Tisch, auf dem neben unseren Gläsern auch ein Stapel Dokumente lag, die der Pastor herausgesucht hatte. Er prostete uns zu. »Den beziehe ich aus einem Weingut in der Nähe von Meißen.« Er schloß die Augen und kaute genüßlich auf seinem Schluck Wein herum. »Man gönnt sich ja sonst nichts«, sagte er, und wieder trat dieser verschmitzte Ausdruck auf sein Gesicht. Der Mann ist nach meinem Geschmack, dachte ich. Der läßt sich
bestimmt auch nicht unterkriegen.
Pastor Gerlitz nahm noch einen Schluck und schaute mich an. »Balthasar und die Burg auf dem Oybin«, sagte er. »Kommt selten vor, daß sich jemand dafür interessiert. Außer Ihnen hat sich nur noch ein junges Studentenpaar danach erkundigt, die mich in den nächsten Tagen besuchen wollen. Deshalb habe ich auch die Dokumente schon zusammengesucht.« Ich blickte den Pastor ernst an. »Ich fürchte, Sie werden keinen Besuch erhalten, Pastor. Die beiden jungen Leute sind tot.« Pastor Gerlitz erschrak. »Tot? Aber das ist ja schrecklich!« »Sie sind tot, weil sie Balthasar begegnet sind«, fügte ich hinzu. Der verschmitzte Ausdruck in Gerlitz' Gesicht verschwand. »Wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, junger Mann, dann sind Sie aber an der falschen Adresse«, fuhr er zornig auf. »Im Gegenteil, Herr Pastor. Ich bin Balthasar auch begegnet. Sie als Kirchenmann sollten eigentlich über die Macht der Hölle Bescheid wissen«, sagte ich. »Es ist wahr. Balthasar lebt. Er ist als Skelett zurückgekehrt, und ich will ihn aufhalten, bevor es noch mehr Tote gibt.« Gerlitz leerte sein Glas auf einen Zug und schenkte sich erneut ein. »Verzeihen Sie«, sagte er, »aber so was ist mir in meiner ganzen Amtszeit noch nicht passiert.« »Seien Sie froh, Pastor. Darf ich Sie jetzt bitten, mir alles über Balthasar zu erzählen, was Sie wissen? Bitte, lassen Sie nichts aus.« Pastor Gerlitz holte tief Luft und räusperte sich dann. Er blätterte in den Dokumenten auf dem Tisch.
»Also. Balthasar der Grausame hieß eigentlich Balthasar von Michelsberg. Er stammte nicht von hier. Zusammen mit seinem Bruder Arno nahm er im Jahre 1343 die Burg auf dem Oybin in Besitz. Sechs Jahre lang verbreiteten sie Angst und Schrecken im Land. Eigentlich war Arno der Burgherr, aber Balthasar konnte nach Belieben schalten und walten. Die Burg wurde zum Sitz der berüchtigtsten und gefürchtetsten Raubritter des Landes.« Ich lauschte interessiert. »Unter Balthasar wurde gemordet, geschändet und gebrandschatzt, was das Zeug hielt. Seine Männer benahmen sich wie die Tiere, und bald gab man ihm den Beinamen der Grausame. Keine Frau war vor ihm sicher, und wenn ihm eine in die Hände fiel, durchlebte sie tausend Qualen, bevor sie starb.« Arme Ruth, dachte ich. Ich sah schwarz für sie. Wenn Balthasar wirklich solch ein Unmensch gewesen war, würde sie die Hölle auf Erden erleben. »Nicht mal vor der Kirche machte er Halt«, fuhr Pastor Gerlitz fort. »An Priestern, Mönchen und Nonnen ließ er besonders gern seine Wut aus. Ist ja auch kein Wunder, denn man sagt, er habe sich mit dem Teufel verbündet.« »Wird der Teufel in den alten Überlieferungen beschrieben?« erkundigte ich mich. Gerlitz nickte bestätigend. »An einer Stelle steht, daß Balthasar einen Berater hatte, einen Einsiedler, der von kräftigem Wuchs war. Er trug einen dichten Bart und langes, pechschwarzes Haar. Aber eine Magd will ihn einmal im Wald beobachtet haben, bei Vollmond, nackt. Nach ihren Angaben soll er über und über mit eitrigen Pusteln bedeckt gewesen sein.« Ich tauschte einen vielsagenden Blick mit meinem Vater. »Belial«, sagte Ulrich Hellmann. »Wie bitte?« Pastor Gerlitz konnte mit diesem Namen nichts Rechtes anfangen. »Belial«, wiederholte mein Vater, »ist einer der mächtigsten Dämonen der Hölle. Nach allem, was wir wissen, muß er Balthasars Berater gewesen sein.« »Tja, also da kenne ich mich nicht so aus, meine Herren.« Pastor Gerlitz räusperte sich wieder und fuhr fort: »Nun, Balthasar trieb es eines Tages zu weit.« »Erst brachte er aus Machtgier seinen eigenen Bruder um. Dann entführte er Agnes von Bärenstein, ein junges Edelfräulein, das auf dem Wege zur Vermählung mit dem Grafen von Erlenfels war. Agnes war beim Volk sehr beliebt, und die Vorstellung, sie in den Händen des grausamen Ritters zu wissen, genügte, um die Menschen auf die Barrikaden zu
treiben.« »Und was geschah dann weiter?« fragte ich. »Das alles geschah im Jahre 1349. Bernhard von Erlenfels ersuchte Karl IV. von Böhmen um Hilfe. Dem war das Treiben des Raubritters schon lange ein Dorn im Auge. Am 24. September 1349 stürmte der Böhmenkönig die Burg und befreite Agnes. Und das war das Ende vom grausamen Balthasar. Gemeinsam mit einer Handvoll seiner treuesten Gefolgsleute wurde er in Felsnischen unter der Burg begraben. Man hatte ihm ein christliches Begräbnis verweigert. Die Burg wurde zerstört.« Pastor Gerlitz lehnte sich zurück. Ich schwieg eine Weile nachdenklich. Dieser Balthasar hatte also schon damals die Gunst der Hölle genossen. Er war ein Schlächter gewesen. Ein Sadist, dem es Vergnügen bereitete, den Menschen Übles anzutun und sie zu unterjochen. Ich mußte zusehen, daß ich Ruth irgendwie befreien konnte. Und ich mußte mir wegen des bevorstehenden Zweikampfes etwas einfallen lassen. »Was hast du jetzt vor, Mark?« unterbrach Ulrich Hellmann meine Gedanken. Mein Entschluß stand bereits fest. »Zunächst einmal werde ich mich um Ruth kümmern. Vielleicht kann ich sie vor Balthasar in Sicherheit bringen. Das würde seiner Überheblichkeit sicherlich einen Dämpfer versetzen. Bei der Gelegenheit werde ich noch versuchen, mir eine echte Chance für den Zweikampf zu verschaffen«, erklärte ich. Ich hatte begonnen, einen bestimmten Plan für die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem Höllenritter zu entwerfen. Er war zwar noch nicht ganz ausgereift, aber ich wollte doch schon einige Vorkehrungen treffen. Ich konnte ja nicht wissen, ob ich nach meiner Rückkehr dafür noch Zeit hatte. Auf meine Bitte hin besorgte mir Pit Langenbach aus einer Apotheke zwei dünnwandige Glasröhrchen. Ich bat den Pastor, diese mit Weihwasser zu füllen. Die vollen Röhrchen stöpselte ich zu und steckte sie ein. Dann erbat ich mir von Pastor Gerlitz noch drei geweihte Rosenkränze und ein Kruzifix, die er mir gerne überließ. Wir nahmen Abschied und versprachen dem Pastor, ihn über die weitere Entwicklung der Ereignisse auf dem laufenden zu halten. Ohne Zögern machten wir uns auf den Weg zur Burg. Ich legte meine Kleidung ab und reichte meinem Vater die beiden Weihwasserröhrchen und die Rosenkränze. »Gib gut darauf acht«, sagte ich. »Wenn alles so klappt, wie ich es mir denke, müssen wir bald nach meiner Rückkehr mit dem Zweikampf
rechnen.« Vater umarmte mich. »Paß auf dich auf, mein Junge«, sagte er. Pit Langenbach drückte mir wortlos die Hand.: An dem sternförmigen Mal auf meiner Brust aktivierte ich den Ring. Er erwärmte sich, begann zu glimmen, und sandte schließlich einen starken Lichtstrahl aus. Mit dem Strahl zeichnete ich Runen aus dem FutharkAlphabet für das keltische Wort Reise auf den Steinboden. Die Schrift war deutlich auf dem Boden sichtbar: Wenige Augenblicke nach dem Beginn meiner Zeitreise würde sie jedoch verblassen und dann ganz erlöschen. Wie bei meinen bisherigen Reisen hatte ich den Eindruck, der stilisierte Drache auf meinem Ring wachse ins Unermeßliche. Das weitaufgerissene Maul schien mich verschlingen zu wollen. Ich hörte die bekannten Sphärenklänge, und ein Flammenblitz raste durch meinen Kopf. Plötzlich schien sich ein heller Schacht vor mir zu öffnen, und ich stürzte in eine unendliche Tiefe. * Es war dunkel, als ich am Ziel meiner Reise anlangte. Benommen schüttelte ich den Kopf, um einen klaren Blick zu bekommen. Kühle Nachtluft umwehte meinen nackten Körper und verursachte eine Gänsehaut. Ich stemmte mich hoch und schaute mich um. Ich befand mich am Rande einer Waldlichtung. Dichtes Gebüsch und Bäume umgaben mich. Auf der anderen Seite der Lichtung sah ich Rauch aufsteigen. Ich bewegte mich so leise wie möglich durch den Wald, um nicht sofort auf mich aufmerksam zu machen. Zuerst mußte ich sehen, wo ich Kleidung herbekam und wie weit es zu Balthasars Raubritternest war. Leider war es so, daß ich auf diesen Zeitreisen nicht meine Kleidung mitnehmen konnte. Dafür war es mir einmal gelungen, mich von meinen Freund Pit begleiten zu lassen. Das war schon die Sensation, als wir pudelnackt im Wald landeten. Dazu noch weit in der Vergangenheit. Nur noch wenige Meter trennten mich von der vermeintlichen Feuerstelle. Bald erkannte ich, daß ich eine Köhlerhütte vor mir hatte. Wenn ich Glück hatte, würde mir der Köhler mit Kleidung aushelfen. Die kleinen Leute waren zu jener Zeit sehr gastfreundlich, was man von der Ritterschaft nicht unbedingt behaupten konnte. Ich hatte mich der Hütte von der Rückseite her genähert und richtete mich auf. Doch sofort duckte ich mich wieder, denn dumpfer Hufschlag
klang auf, und eine Gruppe bewaffneter Reiter erschien mitten auf der Lichtung. Vor der Köhlerhütte verhielten sie die schnaubenden Pferde. Sie waren zu viert. Im Mondlicht konnte ich sie deutlich erkennen. Sie waren mit Kettenhemd, Lederwams und enganliegenden Hosen bekleidet. Lange Schwerter hingen an ihren Sätteln. Drei von ihnen hielten Wurfspieße in den Händen. Der vorderste Reiter hatte eine Armbrust bei sich. »Köhler-Hannes, komm heraus!« schallte die Stimme des Armbrustträgers über die Lichtung. »Komm heraus, und bring dein Töchterlein gleich mit!« Grölendes Gelächter begleitete die Worte. Knarrend öffnete sich eine Tür. Schritte erklangen. Dann sah ich eine hochgewachsene, breitschultrige Gestalt vor die Reiter treten. »Ich hätte nicht gedacht, daß du rauskommst, Köhler!« Der Reiter lachte gehässig. »Sonst seid ihr armen Schweine doch alle Feiglinge.« Er drehte sich zu seinen Kameraden um, vermutlich, um sich vor ihnen hervorzutun. Schließlich wandte er sich wieder an den Köhler. »Wo ist deine Tochter?« fragte er verdächtig leise. »Ihr werdet sie nicht bekommen«, antwortete der Köhler, »das habe ich euch schon mal gesagt.« Seine Stimme war tief und entschlossen. »Ich glaube gar, du verstehst immer noch nicht, Köhler.« Der Reiter mit der Armbrust schien die Geduld zu verlieren. Ein Zittern klang in seiner Stimme mit, und seine Augen blitzten zornig. »Also noch mal: Balthasar von Michelsberg, unser Herr, hat uns eine Magd für unsere treuen Dienste zugesprochen und uns die freie Wahl gelassen. Und wir haben deine Tochter Lotte ausgewählt. Ich denke, sie wird ihren Spaß an uns haben.« Wieder erklang höhnisches Lachen. Schlagartig wurde das Gesicht des Reiters ernst. »Also gib endlich den Weg frei!« schrie er. Sie alle gaben ihren Pferden die Sporen. Im letzten Augenblick warf sich Köhler-Hannes zur Seite, sonst hätten sie ihn niedergeritten. Die drei Gefolgsleute des Armbrustträgers stürmten die Hütte. Schreie erklangen. Eine Frau wurde nach draußen gezerrt, dann ein junger Mann. Danach erklangen wieder spitze Schreie, vermischt mit derben Flüchen. Ein Bewaffneter erschien vor der Hütte und hielt ein blutjunges Mädchen umklammert, das sich heftig wehrte, biß und kratzte. Mit einem Wutschrei schleuderte er das Mädchen zu Boden und trat zurück. »Zähme deine Wildkatze selbst, Bodo!« keuchte er. »Die hat den Teufel im Leib!«
Ich schätzte sie auf achtzehn Jahre. Sie hatte pechschwarzes Haar, das ihr in Locken bis über die Schultern fiel. Sie war bildschön und gertenschlank. Ihr grobes Leinenhemd war bis über die Schenkel hochgerutscht, was den Bewaffneten lüsterne Blicke entlockte. Der Reiter mit der Armbrust, den die anderen Bodo genannt hatten, grinste und leckte sich lüstern die Lippen. »Ich werde der Maid den Teufel schon austreiben«, sagte er heiser. »Ihr könnt euch schon mal die Alte vornehmen!« rief er. »Und du, Köhler, wirst zusehen: als Strafe für deine Widerborstigkeit!« Bodo wollte sich aus dem Sattel schwingen. Doch da sprang der junge Bursche auf, den man aus der Hütte gezerrt hatte. »Rühr sie nicht an, du Schwein! Ich bring dich um!« schrie er und stürzte Bodo entgegen. Ein verächtliches Lächeln umspielte Bodos Lippen, als er seine Armbrust auf den Jungen richtete. »Sieh an, das Bürschlein zeigt Mut!« rief er. »Es nützt ihm nur nichts!« Mit so was wie Bedauern auf seinem Gesicht drückte Bodo ab. Der Bolzen sirrte von der Sehne, drang dem Jungen mit dumpfem Schlag in die Brust und durchschlug den schmächtigen Körper. Von der Wucht des Bolzens zurückgeworfen, überschlug sich der Junge und blieb reglos liegen. »Was für eine Verschwendung«, meinte Bodo lakonisch. »Er wäre sicherlich ein guter Köhler geworden.« Seine Begleiter quittierten Bodos Worte mit grölendem Hohngelächter. Dann warfen sie sich auf die Köhlersfrau. Wie die Tiere fielen sie über die schreiende Köhlersfrau her. Bodo legte einen neuen Bolzen ein und richtete die Armbrust auf den Köhler. »Komm nicht auf dumme Gedanken, Hannes!« warnte er. »Greift euch Lotte!« rief der seinen Gesellen zu. »Zeigt mir, was sie zu bieten hat!« Trotz heftiger Gegenwehr zerrten zwei von Bodos Kameraden auch Lotte das Hemd vom Körper. Splitternackt war sie Bodos lüsternem Blick ausgeliefert. Mit den Händen versuchte sie verzweifelt, ihre Blöße zu bedecken. Jetzt reicht's aber! dachte ich. Freundchen, dir zieh ich die Hammelbeine
lang!
Ich ging an der Hütte vorbei und griff mir im Vorübergehen einen langen Holzstab, der an der Hüttenwand lehnte. »Schluß jetzt!« rief ich. »Vergreift euch nicht an Schwachen, sondern kämpft wie Männer!« Meine Stimme hallte über die nächtliche Lichtung und wurde als Echo zurückgeworfen.
Nackt, wie ich war, schritt ich an dem Köhler vorbei und baute mich vor Bodo auf. Stille war auf der Lichtung eingekehrt. Bodos Freunde ließen von der Köhlersfrau ab, die hastig ihr zerrissenes Hemd zusammenraffte. »Ei, was haben wir den hier?« fragte Bodo höhnisch. »Sieht mir aus wie ein frischgeschlüpftes Küken!« Seine Gefährten lachten wieder. Sie mußten einen irrsinnigen Spaß empfinden. »Aus dem Küken wird gleich ein Falke, der dir die Augen auskratzt, du Großmaul«, gab ich zurück. Zorn spiegelte sich in Bodos Gesichtsausdruck. »Du wagst es, du Hund!« schrie er und hob die Armbrust. Ich reagierte blitzschnell! Mit einem Hechtsprung nach vorn entging ich dem Armbrustbolzen, der über mich hinwegsirrte. Ich kam an Bodos Seite auf, rollte mich auf den Rücken und hieb mit dem Holzstab zu. Der Hieb war so kräftig geführt, daß er Bodos rechten Unterarm brach. Mit einem Schmerzensschrei ließ er die Armbrust fallen. Ich kam sofort hoch und warf mich Bodos Begleitern entgegen. Sie hatten die Wurfspieße auf mich gerichtet. Einer hielt ein Schwert in der Hand. Offenbar warfen sie die Spieße nicht, aus Angst, Bodo zu treffen. Das war meine Chance. Bevor sie reagieren konnten, rammte ich einem der Bewaffneten den Stab gegen den Hals und hieb einen anderen um. Mit einem gellenden Wutschrei stürzte sich der Mann mit dem Schwert auf mich. Ich unterlief ihn, hebelte ihn über meine Schulter und rammte ihm den Stab in den Leib, als er auf dem Boden aufschlug. Bodo hatte es inzwischen geschafft, mit der Linken sein Schwert zu ziehen. Er galoppierte mit einem heiseren Schrei auf mich zu. Ich fuhr herum. Drohend blitzte die Schwertklinge über mir auf. Ich duckte mich, und der Hieb verfehlte mich um Haaresbreite. Zu einem zweiten Schlag kam Bodo nicht mehr. Der riesige Köhler-Hannes warf sich Bodos Pferd entgegen und riß an den Zügeln. Bodo geriet aus dem Gleichgewicht. Ich packte seinen Schwertarm und wuchtete Bodo aus dem Sattel. Schwer krachte er auf dem Waldboden auf. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geprellt. Bodo zog einen langen Dolch aus dem Gürtel. »Ich schneid dir die Ohren ab, du Hund!« keuchte er und griff an. Er warf sich regelrecht auf mich. Ich blockte den Dolcharm ab und drückte ihn zur Seite. Dann packte ich Bodo am Kragen und ließ mich nach hinten fallen. Mit den Füßen stemmte ich seinen Körper über mich hinweg.
Sofort rollte ich zur Seite und kam auf die Füße. Doch der Kampf war vorbei. Bodo lag auf dem Rücken. Seine blicklosen Augen starrten in den nachtschwarzen Himmel. Aus seiner Brust ragte der Dolch, in den er gefallen war. Köhler-Hannes trat auf mich zu und reichte mir seine Hand, die ich gerne drückte. »Ich danke dir, Fremdling. Ohne dich…« Er sprach nicht weiter, sondern warf den beiden Frauen einen Blick zu, die hastig an uns vorbei in die Hütte liefen, um sich anzuziehen. »Nicht der Rede wert, Hannes«, sagte ich. »Aber wenn du was zum Anziehen für mich hättest, wäre mir sehr geholfen.« Ich grinste ihn an. »Auf die Dauer wird's mir so doch zu kalt.« Hannes erwiderte mein Lachen. »Kommt nicht oft vor, daß mich jemand besucht, und dann auch noch nackt und bloß wie am Tag der Geburt.« Er wandte sich zur Hütte. »Lotte!« rief er, »bring Kleidung für unseren Freund!« Ein paar Augenblicke später kam die Köhlerstochter zu uns und reichte mir ein Bündel Kleider. Nachdem sie alles verschämt betrachtet hatte, senkte sie den Blick und wurde rot. Man traf auch nicht jeden Tag einen splitterfasernackten Mann im Wald! Die Kleider des Köhlers paßten. Er hatte ungefähr die gleiche Statur wie ich. »Marie, richte was zum Essen! Unser Freund wird hungrig sein!« wies der Köhler seine Frau an. Er wandte sich an mich. »Und was führt dich in diese gottverfluchte Gegend?« fragte er. »Ich bin Markus Hellmann«, stellte ich mich vor. »Und ich bin auf dem Wege zu Burg Michelsberg.« Der Blick des Köhlers verdüsterte sich. »Was willst du von der Michelsbergschen Brut? Bist du etwa ein Freund von Balthasar?« Ich schüttelte den Kopf. »Ganz gewiß nicht. Wäre ich sonst so mit Balthasars Schergen umgesprungen?« Ich deutete auf die reglosen Körper der Bewaffneten. »Ist auch wieder wahr«, meinte Hannes. Gemeinsam untersuchten wir die Bewaffneten. Sie waren tot. Die Hiebe mit dem Stab waren wohl doch stärker gewesen, als ich angenommen hatte. Wir begruben die Toten unter Steinen. Ein Schwert behielt ich für mich, die übrigen Waffen überreichte ich Hannes. Beim nächsten Überfall konnte er sich wenigstens zur Wehr setzen. Beim Essen erkundigte ich mich nach Burg Michelsberg. »Wenn du nach Westen durch den Wald gehst, kommst du nach gut zwei
Stunden an den Waldrand. Von dort siehst du den Oybin und die Burg«, erklärte der Köhler. Hannes kaute auf einem großen Stück Brot herum und spülte es mit klarem Quellwasser hinunter. »Was willst du eigentlich auf der Burg?« fragte er beiläufig. »Balthasar hat eine Frau entführt, die ich befreien will«, antwortete ich. Lotte warf mir einen fragenden Blick aus ihren dunklen Augen zu und senkte dann wieder den Kopf. »Ich muß irgendwie in die Burg gelangen, ohne gleich entdeckt zu werden«, fuhr ich fort. »Kennst du dich dort aus?« Hannes schüttelte verneinend den Kopf. »Ich kann dir da leider nicht helfen, mein Freund.« »Aber ich!« Lotte hatte sich zu Wort gemeldet. »Ich war schon in der Burg, das weißt du sehr gut, Vater!« »Es ist zu gefährlich, Tochter!« erwiderte Hannes. »Wir haben heute unseren Gesellen verloren. Ein junges, hoffnungsvolles Leben einfach ausgelöscht wie eine Kerzenflamme. Ich will dich nicht auch noch verlieren.« Er leerte seinen Becher und erhob sich. »Und nun kein Wort mehr davon.« Damit zog er sich vor sich hinbrummend in seine Schlafkammer zurück. »Wenn du dich frischmachen willst, nicht weit von hier ist ein kleiner Weiher«, sagte Lotte. Ich ließ mir gerne den Weg zeigen. Schweigend schritt Lotte neben mir her. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann lag eine glatte Wasserfläche vor uns, die im Mondlicht glitzerte. „Ich fing an, meine Kleidung abzustreifen. Lotte trat ein paar Schritte zur Seite und drehte mir den Rücken zu. Mit lautem Planschen ließ ich mich in das kühle Wasser gleiten und seufzte wohlig auf. Es tat gut. Ich tauchte unter und kam prustend wieder hoch. Lotte stand am Ufer und ließ ihr Kleid zu Boden gleiten. Das Mondlicht malte Schatten auf ihren schlanken, nackten Körper. Langsam stieg sie ins Wasser und schwamm mir entgegen. »Diese Frau, die du aus der Burg herausholen willst, Markus«, begann Lotte, als wir gemeinsam ans Ufer gingen. »Bedeutet sie dir viel?« »Du meinst, ob ich sie liebe?« fragte ich. Lottes Blick war Antwort genug. »Nein«, sagte ich. »Aber ihre Freundschaft ist mir sehr wichtig.« »Dann bringe ich dich in die Burg«, flüsterte sie. »Ich war mal als Magd in die Badestube befohlen. Damals habe ich einen Geheimgang entdeckt.«
Ich fieberte schon vor Neugier. * Lotte hatte noch einige Mühe, ihren Vater von der Notwendigkeit zu überzeugen, mich in Balthasars Raubritterburg zu führen. Auch ich versprach Hannes hoch und heilig, daß ich für Lottes Sicherheit sorgen würde. Widerwillig gab er schließlich seine Zustimmung. »Aber wenn Lotte in Haar gekrümmt wird, brech ich dir sämtliche Knochen«, raunte er mir beim Abschied zu. Ich drückte noch mal beruhigend seine Hand. »Keine Sorge. Ich paß schon auf sie auf«, versicherte ich ihm. Die Köhlerstochter führte mich auf verborgenen Pfaden durch dichten Wald und Gebüsch, bis wir schließlich einen breiten Fahrweg erreichten, der Spuren von Wagenrädern zeigte. »Den Weg benutzen die Bauern mit ihren Ochsenkarren, wenn sie Vorräte in die Burg bringen«, erklärte Lotte. Sie wollte schon in den Weg einbiegen, aber ich hielt sie zurück und zog sie tiefer in den Wald. Fragend sah sie mich an. »Hufschlag«, flüsterte ich und legte meinen Finger an die Lippen, damit sie sich still verhielt. Wir mußten schließlich damit rechnen, daß es sich bei den Reitern um Balthasars Schergen handelte. Bald sah ich es rechter Hand zwischen den Blättern aufblitzen. Dann erkannte ich einen etwa zwanzig Mann starken Reitertroß, in dessen Mitte drei Frauen im Trab ritten. Eine von ihnen war vornehm gekleidet und ausgesprochen hübsch. »Das ist Agnes von Bärenstein«, flüsterte mir Lotte ins Ohr. »Sie ist auf dem Weg zu ihrem Bräutigam. Agnes ist eine gütige Frau und genießt beim Volk großes Ansehen.« Agnes von Bärenstein! erinnerte ich mich. Die hat Balthasar doch damals
entführt!
Mir schwante Fürchterliches. Und mit Recht! Kaum hatte ich mir die unrühmliche Chronik des Höllenritters ins Gedächtnis zurückgerufen, als von links weiteres Hufgetrappel ertönte. Ich legte Lotte die Hand auf den Kopf und drückte sie tiefer ins Gebüsch. Ein Trupp Bewaffneter erschien auf dem Weg. An ihrer Spitze ritt auf einem schwarzen Schlachtroß ein hochgewachsener Ritter in pechschwarzer Rüstung. Niemand brauchte ihn mir vorzustellen: Das war Balthasar der Grausame!
»Halt!« erklang seine tiefe Stimme. Der Reitertroß mit den Frauen verhielt die Pferde. »Ich, Balthasar von Michelsberg, heiße Euch willkommen, edles Fräulein! Euch wird die Ehre zuteil, mein Gast zu sein!« Er lachte schallend. Der Führer der Eskorte war damit gar nicht einverstanden. »Euer Name steht für Angst und Schrecken im Land!« erwiderte er. »Gebt den Weg frei, oder Ihr sollt es bereuen!« Damit griff er zum Schwert. Das war natürlich ein Fehler, und ich konnte nichts unternehmen, um zu helfen. Balthasars Männer hoben ihre Armbrüste und drückten ab. Im Nu entstand ein unentwirrbares Knäuel von Pferden und Menschenschreie klangen auf, unterbrochen von Flüchen, Pferdeschnauben und Kampflärm. Einige der Überfallenen versuchten, sich zu beiden Seiten des Weges in die Büsche zu schlagen. Doch sie kamen nicht weit. Wurfspieße und Armbrustbolzen brachten sie zu Fall. »Harald! Die Frauen!« Balthasars Schrei übertönte den Kampflärm. Sofort brachen sich einige Schergen einen Weg zu Agnes von Bärenstein und ihren Zofen, ergriffen die Zügel ihrer Pferde und zogen die drei Frauen mit sich fort. Ich beschloß, Balthasar und seinen Geiseln zu folgen, sobald sie sich auf den Weg zur Burg machten. Parallel zum Fahrweg huschten Lotte und ich durch den Wald, um den Raubritter nicht aus den Augen zu verlieren. Es gelang uns sogar, bis dicht an die mächtige Burg auf dem Oybin-Felsen heranzuschleichen. In einem Gebüsch versteckt, beobachteten wir, wie Balthasar mit den beiden Frauen und seinen Gefolgsleuten durch das Burgtor ritt. »Und wie kommen wir jetzt da rein?« fragte ich. Lotte gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie umrundete die Burg und wand sich durch ein Gebüsch, hinter dem sich eine schmale Öffnung im Fels befand. »Das hier ist ein Geheimgang, der auf der rechten Seite des Burghofes, gegenüber den Ställen und dem Badehaus, endet«, erklärte sie. »Danke. Du kehrst jetzt besser nach Hause zurück«, sagte ich. Sie schaute mich an, und ihr Blick war ernst. »Ich lasse mir die Gelegenheit nicht entgehen, Balthasar eins auszuwischen«, erwiderte sie. Bevor ich sie zurückhalten konnte, war sie in der Felsenöffnung verschwunden. Ich sah zum Himmel und verdrehte die Augen. O Mann, warum passiert
so was immer nur mir? Warum kann eine Frau nicht ein einziges Mal das tun, was ich ihr sage? Es war zum Verrücktwerden mit dem Weibervolk!
Mir herrschte zuviel Trubel im Burghof. Ich beschloß, bis zum Einbruch der Dunkelheit im Geheimgang zu warten. Wir fanden eine Nische nahe beim Ausgang zum Burghof und drückten uns hinein. Mit Lotte in den Armen kam mir die Wartezeit nicht so lang vor. Als es dunkel geworden war, krochen wir aus der Nische. »Ich werde für dich herausfinden, wo das Fräulein ist, das du befreien möchtest«, flüsterte Lotte. »Warte am Badehaus auf mich.« »Schau dich auch nach Agnes von Bärenstein um«, sagte ich. »Wenn es möglich ist, nehmen wir sie mit.« Lotte verschwand in der Dunkelheit. Ich richtete mich auf und schlenderte über den Burghof. * Lotte schlich sich in einen Trakt hinter dem Gesindehaus, wo auch die Schlafräume der Köchinnen und Wäscherinnen lagen. Dort gab es eine kleine Pforte, die in den Westflügel der Burg führte. Als die Köhlerstochter vor einigen Monaten zum Aushilfsdienst im Badehaus befohlen worden war, hatte sie durch Zufall diesen Zugang zur Burg entdeckt. Sie beschloß, von hier aus in die Gemächer im oberen Drittel der Burg vorzudringen. Falls sie Agnes von Bärenstein nicht fand, wollte sie über einen Verbindungsgang in den Turm eindringen und dort nach der Entführten suchen. Langsam drang sie über breite Wendeltreppen in die oberen Stockwerke vor. Es war kalt hier und düster. Hin und wieder steckten flackernde Pechfackeln in eisernen Haltern und warfen zuckende Schatten an die Wände. Das Mädchen hatte den obersten Gang schon fast erreicht, als sie eine Stimme vernahm, der das Klirren von zerbrechendem Geschirr folgte. »Niemals werde ich das Weib dieses dieser - Bestie!« Das war Agnes von Bärensteins Stimme! Ein Lächeln huschte über Lottes Gesicht. Keine Angst! dachte sie. Wir
holen Euch hier raus, bevor Euch Balthasar ein Leid antut!
Agnes von Bärenstein wütete in dem Gemach. Vor der Tür standen zwei Wachtposten. Sie warfen sich höhnische Blicke zu und machten sich über den Zorn der edlen Dame lustig. Lotte nahm ihren gesamten Mut zusammen. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Sie löste einige Schnüre ihres Mieders und erweiterte ihren Ausschnitt, so daß die Ansätze ihrer Brüste sichtbar wurden. Mit den Fingern fuhr sie sich durchs Haar. Dann gab sie sich einen Ruck und
schlenderte auf die beiden Wachtposten zu. »Holla, was haben wir denn hier für ein hübsches Kind!« rief einer der beiden Wachen. »Kommst du, um uns den Wachdienst zu versüßen? Es soll dein Schaden nicht sein!« Er schaute verschmitzt zu seinem Kameraden. »Wir werden dich gebührend entlohnen. Nicht wahr, Georg?« Der mit Georg Angesprochene lachte lauthals. »Und wie wir dich entlohnen werden. Du wirst es nicht bereuen, Maid!« Seine lüsternen Blicke hingen an Lottes Ausschnitt. Lotte schenkte den beiden Posten ein besonders freundliches Lächeln. »Ich fürchte, ich kann nicht bei Euch verweilen, ihr Herren!« sagte sie laut. »Herr Harald schickt mich, Euch zu holen.« Enttäuschung machte sich auf den Gesichtern der beiden Männer breit. »Ihr sollt ins Badehaus kommen. Dort wartet eine Belustigung auf Euch. Herr Harald hat zur Feier des Tages ein paar Mägde dorthin befohlen. Eure Ablösung wird gleich hierhergeschickt werden!« »Das ist ein Wort!« schrie Georg. »Auf geht's!« Er rannte an Lotte vorbei, gefolgt von seinem Kameraden. Plötzlich blieb Georg noch mal stehen und drehte sich um. »Und du, meine Süße?« fragte er. »Kommst du nicht mit?« »Geht nur schon voraus, Herr Georg. Ich soll hier auf die Ablösung warten und später zu Euch kommen.« Das genügte. »Laß uns nur nicht zu lange warten, Maid!« rief er, dann rannten die beiden die Treppe hinunter, um so schnell wie möglich ins Badehaus zu gelangen. Lotte hatte sich bald Zutritt zum Gemach verschafft, in dem Agnes von Bärenstein gefangengehalten wurde. Überrascht sah ihr die Gefangene entgegen. »Ich habe jetzt keine Zeit für Erklärungen, edle Dame!« Lottes Stimme überschlug sich fast. »Es ist einer in der Burg, der gekommen ist, Euch zu befreien! Ich habe die Wachtposten weggelockt. Folgt mir, ich verstecke Euch im Gesindehaus der Köchinnen und Wäscherinnen. Dort seid Ihr sicher, bis wir Euch aus der Burg bringen.« Agnes von Bärenstein fragte nicht lange, sondern folgte Lotte, ohne zu zögern. Nachdem Lotte Agnes im Gesindehaus verborgen hatte, eilte sie zum Turm. Dort suchte sie alle Gemächer ab, aber von Ruth Kößler fand sie keine Spur. Sie wußte nicht, wie die Freundin von Markus aussah, aber er hatte sie ihr gut beschrieben. Blieb also nur noch ein Ort, an dem sie sein konnte: das Verlies!
Auch in den Tiefen des Turms kannte sich Lotte bestens aus. Sie hatte dem Kerkermeister früher die Speisen bringen müssen. Es gelang ihr, unbemerkt bis zur Tür des Verlieses vorzudringen. Dort hörte sie leises Stöhnen. Lotte riskierte einen kurzen Blick. Ruth Kößlers Hände waren von eisernen Handfesseln umschlossen, die, an die Wand gekettet waren. Die Frau ließ erschöpft den Kopf hängen. Der Kerkermeister leerte gerade einen Krug mit Wein, rieb sich schmatzend mit dem fetten Handrücken über den Mund und rülpste laut. Dann schlurfte er auf die Tür des Verlieses zu. Lotte verlor keine Zeit mehr. Sie hatte gefunden, was sie suchte. Jetzt mußte sie Markus benachrichtigen, und zwar schnell! So schnell sie konnte, rannte sie zum Badehaus. Dabei war sie sich des Risikos, den beiden Wachtposten in die Hände zu laufen, sehr wohl bewusst. Aber es mußte sein! Am Badehaus herrschten Trubel und helle Aufregung. Die Köhlerstochter wartete hinter einem Anbau bei den Ställen und beobachtete das Durcheinander. Markus war nirgends zu sehen. Vielleicht hatten sie ihn geschnappt? Nein! Dazu ist er zu schlau! Er hatte sicherlich herausgekriegt, wo Balthasar zu finden war. Bestimmt würde sie Markus dort finden. Und zwar im Rittersaal! Leichtfüßig schlüpfte sie durch den Zugang zu der breiten Treppe, die zum Rittersaal führte, und rannte die Stufen hinauf. Als sie den Eingang des Saals erreichte, hielt sie inne. Sie atmete heftig. Schweiß strömte über ihr Gesicht und ihren Hals. Sie hatte Markus gefunden. Er befand sich mit zwei anderen Männern im Rittersaal, und in seinen Augen spiegelte sich eiskalte Wut! * Feuer waren im Burghof entfacht worden. Ochsen und Schweine hingen an Spießen über den Flammen, und aus riesigen Fässern flossen Wein und Bier in Strömen. Im Hof wimmelte es von Söldnern, Knappen und Wachtposten. Man aß, trank, lärmte und war vergnügt. Langsam näherte ich mich dem Badehaus. Irgendwo knarrte eine Tür. Ein Bewaffneter trat auf den Hof und stieß zwei junge Frauen vor sich her. Es waren die Zofen Agnes von Bärensteins! »Vorwärts, Mädels!« rief er. »Balthasar hat euch zum Dienst im Badehaus befohlen, und diesen Befehl werdet ihr befolgen. Ob's euch paßt
oder nicht!« »Dein feiner Herr hat uns gar nichts zu befehlen!« schrie eine der beiden Frauen und spuckte dem Schergen ins Gesicht. Daraufhin erhielt sie einen Schlag ins Gesicht, der ihre Unterlippe aufplatzen ließ. Mir ging bei der Aktion fast die Galle über vor Wut. Die drei verschwanden im Badehaus. Die Tür wurde geschlossen. Ich huschte hinterher und preßte mich neben der Tür an die Wand. Eine Frau schrie. Grölendes Männergelächter war die Antwort. Ich wartete ab, bis das Gelächter wieder aufbrandete, dann drückte ich die schwere Holztür so weit auf, daß ich ins Badehaus schlüpfen konnte. Hinter einem leeren Badezuber ging ich in Deckung. In dem Raum kam ich mir vor wie im Dampfbad, so heiß und feucht war es. Ich erkannte in dem Nebel einen gewaltigen Holzzuber mit dampfendem Wasser, der in der Mitte des Raumes stand. Im Zuber standen zwei nackte Männer. Sie hielten eine der beiden Zofen gepackt. Ihr Kleid war naß, das Haar zerzaust und das Mieder aufgerissen. Rauhe Hände drückten sie unter Wasser und zogen sie wieder hoch. Zwei weitere Männer waren gerade dabei, die andere Zofe in den hinteren Teil des Raumes zu zerren. »Stellt euch nicht so an! Eure Herrin braucht euch nicht mehr, jetzt kümmert ihr euch um unser Wohlergehen!« posaunte einer der Männer im Zuber. »He, Harald, laß uns noch was von ihr übrig!« kam ein Ruf vom hinteren Teil des Badehauses. Harald! Der Anführer von Balthasars Gefolgsleuten! Die Gelegenheit konnte und wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ich wartete nicht länger. Mit zwei Sätzen war ich am Badezuber, packte Haralds Nebenmann und versetzte ihm einen Schlag ins Genick, der ihn sofort ins Reich der Träume schickte. Er sank vornüber in die heiße Brühe. »Was zum Teufel?!« schrie Harald. »Männer, zu Hilfe. Ich werde angegriffen!« Aber bevor seine beiden Freunde aus dem rückwärtigen Teil des Badehauses herbeieilen konnten, warf ich mich ihnen schon entgegen. Mein gestreckter Fuß traf einen der Schergen unterhalb des Halses und brach ihm das Schlüsselbein. Er taumelte zurück und knallte gegen einen Stützpfeiler, an dem er halb besinnungslos herunterrutschte. Sein Kumpel lief genau in meine rechte Faust. Sein Kopf wurde zurückgeworfen. Ich drehte mich, rammte ihm den Ellbogen gegen Brust und Kinn, packte ihn am Wams und warf ihn nach vorn. Mit dem Kopf krachte er gegen den Badezuber und sank ohnmächtig zu Boden. Jetzt krallte ich mir Harald. Meine Finger schlossen sich um seine Kehle.
»So, Freundchen, und jetzt erzählst du mir, wo ich Balthasar finde!« herrschte ich ihn an. »Er - er ist im Rittersaal«, stotterte Harald. »Und wie finde ich dort hin?« »Nicht weit vom Badehaus ist eine kleine Tür. Von dort führt eine Treppe direkt zum Rittersaal.« Harald schlotterte. Ob vor Kälte oder vor Angst, es war mir schnurzegal. »Du bist eine Memme, Harald. Wenn ich dein Herr wäre, hätte ich dir schon längst in den Hintern getreten und dich zum Teufel gejagt«, sagte ich. Ich half der Zofe aus dem Zuber. »Hol das andere Mädchen und versteckt euch. Du wirst deine Herrin bald wiedersehen«, versprach ich ihr. Ihre Augen widerspiegelten das Entsetzen, das sie hinter sich hatte. Ich war schon auf dem Weg zur Tür, als mir noch etwas einfiel. Ich kehrte deshalb zum Zuber zurück. »Halt ja dein Maul, Harald!« zischte ich. »Wenn du Alarm schlägst, reiße ich dich in Stücke.« Ich sah den angstvollen Blick in seinen Augen. Der Kerl nickte sofort. »Am besten ist, du tauchst erst mal unter«, sagte ich, packte ihn und drückte ihn unter Wasser, als Vorgeschmack für das, was ihm drohte, wenn er sich nicht kooperativ zeigte. Dann zog ich ihn hoch. Prustend sank Harald gegen die Zuberwand. Er würde erst mal genug mit sich selbst zu tun haben. Es war einfacher, als ich gedacht hatte. Lotte würde mich zwar am Badehaus suchen, aber ich wollte mir Balthasar greifen. Der Moment schien mir günstig. Ich hastete die Stufen der breiten Wendeltreppe hinauf. Die Treppe endete am Eingang eines riesigen Saals. Eine gewaltige Tafel verlief in Hufeisenform an drei Wänden des Raumes entlang. In der Mitte der Tafel aber saß er: Balthasar der Grausame! * Und er war nicht allein. Neben ihm stand ein breitschultriger Mann mit schwarzem Haar und einem schwarzen Vollbart. Belial! Da hatte ich also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. »Sieh einer an, der schwarze Ritter in trauter Zweisamkeit mit dem Abgesandten der Hölle!« Ich marschierte in den Saal. Dumpf hallten meine Schritte auf den Steinfliesen. Balthasar sprang auf. »Wer, zum Teufel, wagt es, hier so frech
einzudringen? Bist du von Sinnen, Bursche?« schrie er wutentbrannt. Ich pflanzte mich vor den beiden auf. »Ich bin Markus Hellmann. Du kennst mich schon, Balthasar. Aus einer anderen Zeit!« »Der Kerl ist wirklich nicht bei Verstand«, meinte Balthasar. »Schade eigentlich. Du würdest gut in meine Gefolgschaft passen.« »Ich pfeife auf deine Gefolgschaft. Sag mir lieber, wo du Ruth versteckt hältst, und gib Agnes von Bärenstein frei!« Jetzt lachte Balthasar lauthals auf. »Agnes freigeben? Niemals. Ich wollte sie schon immer haben, und heute nacht wird sie mein!« Er hob einen Becher und leerte ihn in einem Zug. Rotwein lief aus seinen Mundwinkeln und tropfte von seinem Kinn. »Was die andere Maid angeht, so ist sie mir zu widerspenstig. Ich denke, sie gibt einen schönen Zeitvertreib für meine Mannen ab!« Ich verlor langsam die Geduld. »Du willst mich bloß reizen, Balthasar. Laß dir gesagt sein, daß die Entführung von Agnes deinen Tod bedeutet. Wenn du mir nicht glaubst, frag den Teufelsdiener dort. Und bevor du stirbst, gibst du Ruth frei!« Balthasar wurde ernst und stellte den Humpen weg. »Du hast recht, Hellmann. Ich wußte, daß du hierherkommen würdest, um das Weibsbild zu befreien. Es ist alles so, wie mein Freund Belial es mir vorhergesagt hat. Es trifft sich gut, daß du hier bist. So kann ich dich gleich der Hölle übergeben und muß meine Zeit nicht mit lächerlichen Spielchen vergeuden.« »Belial, du hast dir wirklich alles gut ausgedacht.« Ich hatte mich an den Dämon gewandt. »Aber um mich fertigzumachen, braucht es etwas mehr als einen skelettierten Ritter. Was Mephisto nicht gelang, willst du fertigbringen? Wenn du dich da mal nur nicht übernimmst!« Der Dämon schaute mich aus gelb schimmernden Augen wütend an. »Du hast vieles herausgefunden, Mark Hellmann. Aber du hast einen Fehler gemacht. Du hast dich zu weit vorgewagt, hast dich direkt in die Hände deiner Feinde begeben, um ein jämmerliches Menschenleben zu retten. Du bist verloren, Hellmann!« »Und du bist überheblich, Dämon. Genauso überheblich wie Mephisto.« Ich trat einen Schritt vor. »Hast du es Balthasar schon gesagt? Daß er sterben wird und Agnes von Bärenstein nie an seiner Seite sitzen wird? Hast du ihm gesagt, daß er ein Dasein in der Hölle fristen muß, als Skelett, als widerlicher, häßlicher Knochenmann?« Der Raubritter hieb mit der Faust auf den Tisch. »Du lügst! Ich werde ewig leben. Die Macht der Hölle steht hinter mir. Ich werde Agnes besitzen. Und ich werde weiterhin der gefürchtetste Ritter des Landes sein! Ich, Balthasar von Michelsberg, bin unsterblich!« schrie er.
»Wenn du das sagst«, entgegnete ich nichtssagend und zuckte mit den Schultern. »Dann kannst du mir ja ruhig sagen, wo Ruth ist, und ich mach mich dann ganz still von dannen. Ich will nämlich nicht mit ansehen, wie du jämmerlich zugrunde gehst.« »Sag es ihm nicht!« mischte sich Belial ein. »Er gehört Mephisto. Er soll mit ansehen, wie die Frau, die er retten will, ein qualvolles Ende findet! Das ist nur der Anfang der Torturen, die er in der Hölle erleiden wird!« »Verdammter Dämon!« brüllte ich und warf mich auf Belial. Ich packte ihn am Kragen. »Halt endlich dein Schandmaul, oder ich reiß dir deine schwarze Zunge aus dem Leib!« Zu Balthasar gewandt, rief ich: »Zum letzten Mal: Wo ist Ruth? Sag es, oder ich nehm dich auseinander!« Im selben Augenblick tauchte Lottes zierliche Gestalt im Eingang des Rittersaales auf. »Ich weiß, wo sie ist, Markus!« rief sie. »Nein! Das darf nicht sein! Der Fluch der Hölle komme über dich, Balthasar, wenn du sie nicht aufhältst!« Belials Stimme überschlug sich fast. »Nicht so hastig, Freunde!« sagte ich heiser und warf den verblüfften Belial mit aller Kraft gegen Balthasars nächtigen Körper. Der Ritter verlor das Gleichgewicht, und beide gingen zu Boden. Ich letzte auf Lotte zu. »Sie ist im Verlies!« rief sie und rannte vor mir her die Treppe hinab. Lote schien sich in der Burg wirklich bestens auszukennen. Ich achtete nicht sonderlich darauf, wo sie mich hinführte, sondern folgte ihr blindlings. Wir rannten durch Flure, Säle, über Wendeltreppen und durch Kellergewölbe. Schließlich blieb Lotte stehen. Ihr Atem rasselte. »Das Verlies ist hinter der nächsten Ecke«, sagte sie keuchend. Vor der Tür zum Verlies zog ich das Schwert. Ich würde Ruth heraushauen, dazu war ich fest entschlossen. Doch bevor ich in den Raum stürmen konnte, klangen schwere Schritte auf. Ich drückte Lotte hinter mich. Wir verbargen uns hinter einem schmalen Mauervorsprung. Der Raubritter hastete um die Ecke, gefolgt von einigen Schergen. Er riß die Tür zum Verlies auf. Ich konnte in den Raum sehen. Überall standen und lagen Folterwerkzeuge herum. In der Mitte des Raumes brannte ein Feuer. In dessen Schein erkannte ich Ruth. Sie war an die Wand gekettet worden. Ihre Kleidung war zerfetzt, und ihr Gesicht war schmutzig und blutverschmiert. Balthasar der Grausame trat an Ruth heran und strich ihr über die Wange »Na meine Schöne?« sagte er höhnisch. »Etwas einsam hier, nicht wahr?
Tröste dich, bald bekommst du Gesellschaft. Ein lieber, alter Freund von dir ist angekommen und geradezu begierig darauf, an deiner Seite zu sein!« Ruth Kößler spuckte ihm ins Gesicht, »nimm deine dreckigen Pfoten von mir, du Lustmolch!« fauchte sie. »Wenn ich hier rauskomme, sorge ich dafür, daß du nie wieder eine Frau anrührst! Und wenn ich's eigenhändig tun muß. Mach dich auf was gefaßt, du feiges Schwein!« Balthasar packte ihr Kinn und umklammerte es mit seinen harten Fingern. »Immer noch widerspenstig, wie ich sehe.« Er lachte. »Nun, ich werde dir schon noch Gehorsam beibringen!« Ruth trat nach ihm. »Ach, geh zum Teufel, du Aas!« rief sie. »Keine Angst, das wird er. Und zwar früher, als ihm lieb ist!« rief ich und sprang in den Raum. Der Raubritter wirbelte herum. »Du Hund!« schrie er. »Jetzt hab ich dich da, wo ich dich haben wollte. Hier kommst du nicht mehr lebend raus. Verabschiede dich von dieser Welt, Mark Hellmann!« Er zog sein Schwert und stürzte, mir entgegen. Ich wich ihm geschickt aus und ließ ihn immer wieder ins Leere laufen. Als ich glaubte, ihn soweit ermüdet zu haben, daß ich zum Gegenangriff übergehen konnte, geschah etwas Unerwartetes. »Herr Balthasar!« Harald kam keuchend ins Verlies getaumelt. »Herr, der König von Böhmen greift mit seiner Streitmacht die Burg an! Er sagt, er kommt wegen Fräulein von Bärenstein!« »Verflucht!« schrie Balthasar. Er schob Harald zur Seite, rannte zur Tür und drehte sich noch mal um. »Wir beide rechnen später ab, Hellmann!« Mit diesen Worten war er verschwunden. Harald folgte ihm auf dem Fuß. Mit dem Schwert zerhieb ich Ruths Ketten. Erleichtert schloß ich sie in die Arme. Sie bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Plötzlich fiel mein Blick auf Lotte, und ich sah ihren wütenden Gesichtsausdruck. Als ich Ruth zum Eingang des Verlieses führte, murmelte sie: »So sieht also die Freundschaft aus, die dir so viel bedeutet, Markus.« Ich lächelte sie verlegen und entschuldigend an. Wir beeilten uns, nach oben zu kommen. Kampflärm hallte uns entgegen. Ich nahm Lotte beiseite. »Nimm Ruth mit und hole Agnes von Bärenstein«, bat ich sie. »Bring sie zum Geheimgang. Verbergt euch in der Nische. Ich komme nach, so schnell ich kann!« Ich bahnte mir mit dem Schwert einen Weg zur Wendeltreppe, die in den Rittersaal führte. Auch auf der Treppe wurde heftig gekämpft. Die Angreifer hatten die Burgmauern und das Burgtor gestürmt und lieferten Balthasars Gefolgsleuten eine blutige Schlacht.
Mit langen Schritten hetzte ich die Treppe hoch und drang in den Rittersaal. Balthasar, Harald und fünf weitere Gefolgsleute kämpften gegen eine Horde Angreifer. Belial war es nicht gelungen, sich rechtzeitig zu verdrücken. Auch er kämpfte gegen böhmische Streiter. Ich warf mich auf den Dämon. »Ich hab dir schon mal gesagt, du sollst dich hier raushalten«, fuhr ich ihn an. »Fahr zurück in die Hölle und sag Mephisto, er soll's selbst versuchen oder jemanden schicken, der fähiger ist als du!« Wie wild hieb ich auf den Dämon ein. Belial brüllte vor Wut. Ich konnte ihm mit dem Schwert keine nennenswerten Wunden beibringen, und ich bezweifelte, daß er mir die Gelegenheit gab, die Kraft des Rings auf das Schwert zu übertragen. Aber ich konnte Belial auf die Nerven fallen und ihn aus der Fassung bringen. Stinkender Atem schlug mir entgegen, als Belial mich anbrüllte. Die Augen des Dämons leuchteten gelb. Er wich zurück. Ich trieb ihn mit meinen Schlägen zum Fenster. Belial schlug nach mir, doch ich wich seinen Pranken aus. Und dann zeigte mir Belial sein wahres Gesicht! Er verwandelte sich in die Kreatur, die ich bereits im Traum gesehen hatte. Ein Meer von eitrigen Pickeln und Warzen bedeckte Gesicht, Hals und Hände des Dämons. »He, Pickelgesicht! Du solltest was gegen deine Mitesser tun!« rief ich. »So was Häßliches wie du kommt bei den Frauen gar nicht gut an!« Belial brüllte vor Wut. Eiter spritzte von seinem Kopf weg. Er ballte die Fäuste und schrie wieder. »Noch hast du nicht gewonnen, Mark Hellmann!« kam es dumpf aus seinem Mund. Seine Stimme war tief wie Donnergrollen. »Erst mußt du den Zweikampf bestehen. Den Zweikampf mit Balthasar, dem Höllenritter! Freu dich nicht zu früh, Mark Hellmann! Bedenke, Balthasar kämpft mit der Kraft der Hölle! Du wirst versagen, Mark Hellmann, kläglich versagen. Und dann gehörst du mir. Mir und Mephisto!« Jetzt hab ich aber genug von deiner blöden Angeberei! jagte es mir durch den Kopf. Zu allem entschlossen, hob ich das Schwert. »Dein leeres Geschwafel nervt, Dämon. Hau ab, und grüß Mephisto von mir!« Die Schwertklinge blitzte auf, als ich zuschlug. Tief drang sie dem widerlichen Dämon in den Leib. Kein Blut lief daran entlang, sondern ekliger, dünnflüssiger Eiter. Ich packte mit beiden Händen den Schwertgriff, schob den Dämon zum Fenster, hob ihn hoch und stieß ihn hinaus. Aufatmend lehnte ich mich an die Wand. Dann schaute ich aus dem
Fenster nach unten, aber Belials Körper war nicht zu sehen. Der Dämon war spurlos verschwunden. Ich wandte mich Balthasar, dem Grausamen, zu. »Siehst du, Balthasar, wie trügerisch die Versprechungen der Hölle sind?« sprach ich ihn an. »Wo ist Belial, der große Beschützer und Berater, jetzt? Aus dem Staub gemacht hat er sich, weil's brenzlig wurde. Sieh es endlich ein, Balthasar: Du stehst allein. Du hast verloren!« Balthasar schaute sich um. »Nein! Du lügst! Belial kämpft an einer anderen Stelle weiter! Die Hölle wird mir die Kraft geben, den Sieg zu erringen.« Ich schüttelte den Kopf. »Glaub mir, Balthasar, die Hölle hat dich verlassen. Noch heute nacht wirst du sterben. Du weißt es sehr wohl, denn du bist von den Toten in eine andere Zeit zurückgekehrt, um mich zum Zweikampf herauszufordern. Von dort hast du Ruth hierhergebracht, weil du hofftest, mich schon hier fertigzumachen. Doch du schaffst es nicht.« »Nein, du lügst. Alles Lüge! Niemand hat je Balthasar besiegt. Niemandem wird es jemals gelingen!« »Balthasar, der Teufel hat dir die Unsterblichkeit versprochen. Und er wird sein Versprechen halten. Aber zu welchem Preis? Du wirst ein Dasein als Skelett fristen, als Knochenmann. Nicht tot und nicht lebendig. Du wirst im Reich der Finsternis deinen Platz einnehmen, einsam und allein, ohne Freunde, ohne Weib. Ist es wirklich das, was du willst?« Der Raubritter verlor die Beherrschung. Jetzt hatte ich ihn soweit. Ich hatte ihn an der Macht und dem Beistand der Hölle zweifeln lassen, aber er wollte es sich nicht eingestehen. »Ich habe genug von deinen Lügen, Mark Hellmann!« schrie der Raubritter. »Stirb endlich!« Er hob sein Schwert mit beiden Händen und stürzte auf mich zu! Die Wut und die Enttäuschung darüber, von der Hölle im Stich gelassen worden zu sein, verdoppelten seine Kräfte. Balthasar hieb auf mich ein, daß die Funken sprühten. Ich parierte seine Schläge, so gut ich konnte, aber ich geriet immer mehr in die Defensive. Schließlich hielt ich mein Schwert mit beiden Händen und wehrte nur noch seine Hiebe ab, ohne selbst einen Hieb oder Stich anbringen zu können. Der Raubritter trieb mich durch den ganzen Saal. Um uns herum kämpften Harald und seine Kameraden verzweifelt gegen die Soldaten des Königs von Böhmen. Schließlich drängte mich Balthasar gegen die Tafel und drückte mich auf die Tischplatte hinunter. »Jetzt hab ich dich, Hellmann!« zischte er. Ich hob die Beine an und trat ihm kräftig in den Leib. Balthasar wurde
einige Schritte zurückgeschleudert. Das verschaffte mir etwas Luft. Doch er war schneller, als ich vermutet hatte. Noch während ich mich aufrappelte, warf er sich auf mich. Ich hob das Schwert, aber er hatte zuviel Kraft in seinen Hieb gelegt. Die Klinge wurde mir aus der Hand geprellt, knallte gegen die Wand und fiel scheppernd zu Boden. »Ich seh dich in der Hölle, Mark Hellmann!« schrie Balthasar und hob sein Schwert. Verloren! dachte ich. Jetzt gewinnt das Großmaul doch noch! Ich schloß die Augen. Der tödliche Streich kam jedoch nicht. Als ich vorsichtig die Augen öffnete, stand Balthasar immer noch mit zum Schlag erhobenen Schwert über mir. Seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Lippen bewegten sich. Blut drang ihm aus dem Mund und tropfte am Kinn herab. Ich bemerkte, daß Balthasars Knie nachgaben, und rollte mich zur Seite. Das Schwert entglitt seinen Fingern und fiel auf die Stelle, auf der ich gerade gelegen hatte. Balthasar der Grausame fiel vornüber auf die Tafel, neben sein Schwert. Jetzt erst sah ich den böhmischen Soldaten, der hinter ihm gestanden und eine Armbrust auf ihn abgeschossen hatte. Der Bolzen hatte die Rüstung durchschlagen und war von hinten tief in Balthasars Brust gedrungen. »Du hattest recht, Hellmann«, flüsterte er. Ein plötzlicher Hustenanfall trieb ihm Blut über die Lippen. »Ich - hätte nie geglaubt…« »Das war dein großer Fehler, Balthasar«, sagte ich. »Du hättest glauben sollen.« Ein letztes Zucken ging durch seinen massigen Körper. Balthasar von Michelsberg war tot. Ich schaute mich im Rittersaal um. Auch Harald und seine Kameraden hatten den Kampf nicht überlebt. Erschöpft verließ ich den Saal. Überall lagen tote Schergen und Gefolgsleute des Raubritters. Es gab auch zahlreiche Verwundete. Rauch quoll aus einigen Fenstern in der Burg und im Turm. Die Böhmen hatten Feuer gelegt. Balthasar von Michelsbergs Burg wurde niedergebrannt. Was an Schätzen zu holen war, hatten die böhmischen Soldaten bereits in Truhen gepackt und nach draußen geschafft. Die Ausbeute konnte sich sehen lassen. Unbemerkt erreichte ich den Geheimgang. Dort traf ich auf Lotte, Ruth und das schöne Edelfräulein Agnes von Bärenstein. Sie warteten vor dem Eingang des Tunnels auf mich. »Ihr also seid der tapfere Held, dem, ich meine Rettung zu verdanken habe«, sagte Agnes von Bärenstein. Ich schüttelte den Kopf. »Dankt Lotte, der Köhlerstochter! Sie hat Euch
schließlich in die Freiheit geführt.« Agnes lächelte. »Ihr habt recht, Markus Hellemann.« Sie wandte sich an Lotte und legte ihr den Arm um die Schultern. »Dafür wird Lotte und ihre Familie auch reich belohnt werden. Ich denke, am Hof meines Bräutigams, des Grafen. von Erlenfels, wird noch ein Platz für sie zu finden sein.« Agnes wandte sich wieder mir zu. »Euch aber, Markus Hellemann, möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen. Ihr habt das Leben und die Ehre meiner Zofen bewahrt. Sagt, wie ich Euch belohnen kann.« Ich legte den Arm um Ruth und nickte den beiden Zofen zu, die etwas abseits standen. Dann schaute ich Agnes an. »Euer Lächeln ist Belohnung genug«, sagte ich. »Ihr seid ein seltsamer Mensch, Markus. Nun denn, ich werde Euren Wunsch befolgen.« Ich verbeugte mich vor ihr. »Werdet glücklich, edles Fräulein.« Dann wandte ich mich an Lotte. »Das gleiche wünsche ich dir«, sagte ich leise und streichelte ihr über die Wange. Tränen schimmerten zum Abschied in ihren Augen. Ich küßte sie sanft auf die Stirn, dann winkte ich allen noch mal zu und verschwand mit Ruth im Geheimgang. Auf der anderen Seite des Tunnels suchte ich eine Stelle in der Nähe der Burgmauer, an der wir uns auf die Rückkehr vorbereiten konnten. Sie erfolgte automatisch, wenn mein Auftrag erfüllt war. Es sei denn, ich verzögerte die Rückreise oder brach gar früher auf. »Und wie kommen wir jetzt wieder nach Hause?« fragte Ruth. »Das zu erklären, dauert jetzt zu lange. Aber laß mich nur machen«, antwortete ich. Da hörte ich auch schon die Sphärenklänge… * Sonnenlicht fiel zwischen den Ästen hindurch auf mein Gesicht. Ich blinzelte und mußte niesen. Benommen richtete ich mich auf. Dicht neben mir vernahm ich ein Stöhnen. Ruth Kößler beschattete ihre Augen mit einer Hand und schaute sich verwundert um. Dann erblickte sie mich, und ich las Erleichterung in ihrem Blick. »Gott sei Dank, Mark! Ich dachte schon, es wäre aus.«
Ich schüttelte lächelnd den Kopf. »So schnell stirbt man nicht«, beruhigte ich sie. Sie schaute sich wieder um. »Sag mal, wo sind wir hier eigentlich?« fragte sie, ohne daß ihr bisher aufgefallen wäre, daß wir nackt waren. »Die Gegend müßte dir eigentlich bekannt vorkommen«, erwiderte ich. »Wir sind ganz in der Nähe der Burgruine auf dem Oybin. Dort, wo dich der Skelettritter entführt hat.« »Aber wie kannst du so sicher sein?« fragte sie. »Du hast keinerlei Anhaltspunkt dafür.« »Ich mache solche Reisen nicht zum ersten Mal«, sagte ich. »Glaub mir. Es müßte schon verdammt viel schiefgegangen sein, wenn wir nicht auf den Oybin zurückgekehrt wären.« Wie zur Bestätigung meiner Worte raschelte es im Gebüsch, und mein Kumpel Pit Langenbach trat zwischen den Sträuchern hervor. »Mensch, bin ich froh, daß ihr wieder da seid!« rief er. »Und, wie war's im Mittelalter?« Ich hob die Schultern. »Wie's halt damals so war«, antwortete ich. »Ein bißchen Prügeln, ein wenig Fechten, zwischendurch eine schöne Frau befreien und ein miserabler Zimmerservice.« »Na, mit Komfort kann ich euch im Moment auch nicht dienen«, bemerkte Pit lachend. »Moment«, mischte sich Ruth Kößler in unser Geplänkel ein. »Soll das etwa heißen, wir waren tatsächlich im Mittelalter?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ich meine, die Burg, das Verlies, der Ritter - das war alles echt? Das hab ich alles wirklich erlebt?« Ich nickte und lachte. »So wirklich wie die Sonnenstrahlen, die jetzt deinen schönen Körper bräunen«, bestätigte ich. Ruth starrte mich einen Moment lang fassungslos an. Dann dämmerte ihr, was ich gerade gesagt hatte. Sie schaute an sich hinab und bemerkte erschrocken, daß sie splitternackt war. »Wenn man euch beide so sieht, kommt man sich beinahe wie ein Spanner vor«, bemerkte Pit Langenbach grinsend. Und damit machte er alles nur noch schlimmer. Ruth stieß einen spitzen Schrei aus und riß die Hände hoch, um sich notdürftig vor Pits Blicken zu verbergen. »Oh, Sie…« Ihr fehlten die rechten Worte. Ruths Gesicht lief rot an. Ob aus Zorn oder Scham, konnte ich nicht genau sagen. Sie bemühte sich sichtlich um Fassung. Eiseskälte lag in ihrer Stimme, als sie Pit verächtlich anschaute und sagte: »Ich habe das Gefühl, Sie tauchen immer gerade dort auf, wo Sie fehl am Platze sind, Herr Hauptkommissar! Und Sie haben nicht einen Funken Anstand im Leib, sonst würden Sie sich
jetzt umdrehen!« Sie wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich an mich. »Mark, sag diesem Dilettanten, er soll sich hier wegscheren und uns etwas zum Anziehen bringen!« Willkommen zuhause! dachte ich. Ich grinste Pit an. Ich hatte schon fast vergessen, wie groß die Haßliebe zwischen den beiden war. »Also los, verkrümel dich schon«, bat ich in anderen Worten. »Und bring uns ein paar Klamotten. Ich kann Balthasar schließlich nicht wie Adam gegenübertreten. Der hatte wenigstens ein Feigenblatt!« »Die Kleider habe ich mitgebracht«, hörte ich die Stimme meines Vaters. »Aber es wäre vielleicht doch besser, wenn Sie sich zurückziehen würden, Herr Langenbach.« Schmollend und mit einem schmachtenden Blick nach Ruths verführerischem Körper verzog sich Pit. Ulrich Hellmann erschien neben uns und reichte jedem von uns ein Kleiderbündel. Als er Ruth die Hand reichte, um ihr aufzuhelfen, sagte ich: »Darf ich dir meinen Vater vorstellen? Ulrich Hellmann. Vor ihm brauchst du dich nicht zu schämen, er hat in seinem Leben schon genug gesehen. Vater, das ist Dr. Ruth Kößler.« Dankbar lächelte Ruth meinen Vater an. Pit hatte uns bequeme Kleidung besorgt. Jeans und eine Hemdbluse für Ruth sowie Jeans und ein Polohemd für mich. Auf der Lichtung vor der Burg hatte Pit ein kleines Lagerfeuer entfacht und einige Konservendosen erhitzt. »Ist zwar 'ne karge Mahlzeit, aber über den ersten Hunger hilft's hinweg«, meinte er. Ich mußte ihm zustimmen. Es war einfach, aber bekömmlich. Ruth und ich waren so ausgehungert, daß wir kräftig zulangten. Schließlich ließen wir uns zufrieden ins Gras sinken. »Rechnest du dir eine Chance gegen Balthasar und seine Helfer aus?« fragte Ulrich Hellmann. »Schwer zu sagen.“ Ich habe zwar versucht, ihm zu beweisen, daß auch die Dämonen mal klein beigeben müssen, aber ob ich ihn überzeugt habe?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin mir da nicht so sicher.« »Und wie willst du dem Knochenritter beikommen?« Pit beugte sich vor. Der Flammenschein des Lagerfeuers zuckte über sein Gesicht. »Zunächst ist wichtig, daß sich seine Spießgesellen raushalten. Gegen ein Skelett, und sei es auch so mächtig wie der Ritter, kann ich vielleicht gewinnen. Aber gegen fünf auf keinen Fall.« Ich nahm einen Schluck Wasser aus der Feldflasche, die Pit kurz zuvor an einem Bach gefüllt hatte.
»Eure Aufgabe wird es sein, mir die Schergen des Höllenritters vom Leib zu halten. Ich kümmere mich darum, daß ich ihn irgendwie von seinem Gaul runterkriege. Zu Pferd ist er mir überlegen. Auf dem Boden ist er vielleicht nicht ganz so beweglich, wegen seiner Rüstung.« »Und wie sollen wir die Schergen erledigen?« wollte Pit wissen. »Ich kann ihnen zwar noch mal so einen Spieß wegnehmen, aber die Kerle haben bestimmt dazugelernt. Ich glaube kaum, daß sie es uns diesmal so leicht machen wie beim letzten Mal.« »Ihr habt die Rosenkränze und das Kruzifix«, überlegte ich laut. »Und wenn du zusätzlich noch an einen Wurfspieß herankommen kannst, Pit, würde das sicherlich auch helfen. Auf jeden Fall müßt ihr sie mir so lange vom Leib halten, bis ich Balthasar auf dem Boden habe.« »Was ist mit Frau Kößler?« fragte Vater. Er bedachte Ruth mit einem ernsten Blick, in dem Besorgnis lag. Ich schaute sie an. »Es ist wohl am besten, wenn du nach Zittau fährst«, sagte ich. »Es kann hier bald verdammt ungemütlich werden.« Ruth lehnte ab. »Danke, Mark, aber ich bleibe. Vergiß nicht, dieser Ritter hatte mich in seiner Gewalt und hätte mich beinahe umgebracht. Außerdem hat er Verena auf dem Gewissen. Ich helfe dir, so gut ich kann, Mark. Je mehr wir sind, desto größer sind deine Chancen.« Ich stand auf und streckte mich. »Soweit wäre alles klar«, sagte ich und gähnte. »Wir sollten jetzt zusehen, daß wir etwas Schlaf kriegen. Je ausgeruhter wir sind, desto besser. Schließlich kann Balthasar jeden Moment erscheinen.« Pit hatte sogar Schlafsäcke besorgt. Sie waren rund um die Lichtung verteilt. Mein Vater würde am gegenüberliegenden Rand der Lichtung schlafen. Pit übernahm die erste Wache. Nach der Ablösung würde sein Schlafplatz an der Einmündung in den Pfad liegen, der direkt zur Burgruine führte. Stille trat ein. Nur die üblichen Geräusche der Nacht und das Knistern des Feuers waren zu hören. Pit Langenbach saß vornübergebeugt am Feuer und überprüfte seine Dienstpistole. »Ich habe Angst«, flüsterte Ruth, und kuschelte sich an mich. »Da bist du nicht die einzige«, entgegnete ich. »Aber wir werden es schon schaffen.« Ich versuchte, beruhigend zu klingen. Nach einer Weile des Schweigens sagte sie: »Du machst so was öfter, nicht wahr? Ich meine, gegen solche Wesen wie den Ritter zu kämpfen.« »Ja«, bestätigte ich. »Es ist eine ganz besondere Aufgabe, Ruth. Der Kampf gegen das Böse, geegen die Mächte der Hölle, ist zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden. Er hat sogar Vorrang vor allem anderen.«
»Hast du keine Angst, daß du den Kampf eines Tages verlieren könntest?« »Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, gestand ich. »Ich möchte auch nicht daran denken. Jedenfalls jetzt noch nicht. Bis jetzt habe ich immer Glück gehabt, und es wird auch diesmal so sein.« »Hoffen wir das Beste«, flüsterte sie und war bald darauf eingeschlafen. * Der Höllenritter stellte unsere Geduld auf eine harte Probe. Weder in dieser noch in der nächsten Nacht ließ er sich blicken. Daß er bei Nacht zum Zweikampf erscheinen würde, stand für mich zweifelsfrei fest. Dämonen und Kreaturen der Hölle lieben die Dunkelheit. Außerdem war es eine ganz einfache taktische Überlegung. Bei Nacht war der Gegner üblicherweise müde, und das schwache Licht eines Feuers oder des Mondes würde die skelettierte Gestalt des Ritters noch furchterregender erscheinen lassen als am Tage. Damit war sein Gegner schon von vornherein geschwächt. In der dritten Nacht löste ich meinen Vater kurz nach zwölf ab. Ich trat leise ans Feuer und legte etwas Holz nach. »Wenn er in dieser Nacht nicht kommt, kann er mich mal gern haben. Ich laß mich doch von so einem hergelaufenen Wegelagerer nicht zum Hampelmann machen!« Langsam verlor ich die Geduld. »Wenn du auf den Zweikampf verzichtest, wird Mephisto und seine gesamte Höllenbrut künftig über den Namen Mark Hellmann nur noch lachen«, gab mein Vater zu bedenken. »Du mußt aushalten, Mark. Auch wenn es dir noch so schwerfällt. Du bist der Kämpfer des Rings, und nur du kannst das Land von Balthasar befreien. Tust du es nicht, verbreitet er wieder Angst und Schrecken, und dann kann ihn niemand mehr aufhalten.« Ulrich Hellmann hatte natürlich recht. Ich hätte mir selbst in den Hintern treten können vor Wut. Wie konnte ich auch bloß solche Gedanken haben! Ich war dazu auserwählt, gegen die Mächte der Hölle zu kämpfen und durfte nicht aufgeben. Niemals. Balthasars Zermürbungstaktik würde bei mir nicht wirken. Du wartest hier auf ihn! sagte ich mir. Es kann nicht mehr lange dauern.
Verdammt, du hältst durch!
Mein Vater zog sich auf seinen Schlafplatz zurück, und ich blieb am Feuer sitzen und hing meinen Gedanken nach. »Aaaahhh!« Ruths gellender Schrei riß mich in die Höhe.
Im flackernden Schein des Feuers sah ich Ruth Kößler am Rand der Lichtung stehen. Unter ihrem Kinn blinkte schwach die Spitze eines Wurfspießes. Eine Skelettfratze starrte mich über Ruths Schulter hinweg an. Überall im Gebüsch raschelte es, und dumpfer Hufschlag war zu hören, der sich rasch näherte. Dann teilte sich das Gebüsch, und Balthasar trabte auf seinem Schlachtroß auf die Lichtung. Der Höllenritter war zum Zweikampf erschienen! * Leuchtend rot prangte das B auf seinem Brustharnisch. Seine Knochenfinger umklammerten den Schaft der Lanze. Bleich schimmerte der Totenschädel unter dem Helm, und die leeren Augenhöhlen, in denen es rot schimmerte, glotzten mich an. Balthasars Gefolgsleute brachen zwischen den Büschen hervor. Pit Langenbach und mein Vater waren an meine Seite getreten. Pit hielt seine Pistole in der Hand, obwohl er sich damit allenfalls für ein paar Sekunden Luft verschaffen konnte, wenn es hart auf hart ging. »Gib mir das Weihwasser!« raunte ich meinem Vater zu. Er reichte mir die Röhrchen, und ich schob sie in die Brusttasche meines Hemdes. Ich trat dem Skelettritter entgegen. »Du kommst spät!« rief ich. »Du bist wohl doch nicht so mutig, wie du zu sein vor gibst!« Balthasar lachte verächtlich. »Leeres Geschwätz, Hellmann. Ich bin gespannt, ob du solch große Worte noch führen kannst, wenn du an meiner Lanze zappelst!« Ich spürte das Prickeln an meiner rechten Hand und schaute auf den Ring. Er leuchtete hell auf. Ich fühlte die Hitze an meinem Finger. Der Ring zeigte intensive dämonische Ausstrahlung an. Das kommt bestimmt nicht von Balthasar allein! war mein erster Gedanke. Der Mistkerl hat Verstärkung mitgebracht! »Laß uns beginnen, Mark Hellmann!« Die Stimme des untoten Raubritters hallte über die Lichtung. Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht dumm, Balthasar! Du spielst falsch! Ich weiß, daß du Verstärkung mitgebracht hast! Also bist du doch der Feigling, für den ich dich hielt!« Der Höllenritter schüttelte unwillig die Lanze. Es raschelte wieder am Rande der Lichtung. Und dann erschien eine
Gruppe widerwärtiger Gestalten. Sie trugen Lumpen, hatten schleimige Gesichter, die aussahen wie zerlaufendes Wachs, mit Froschaugen und Mundöffnungen, in denen spitze Zähne schimmerten. In den Händen hielten sie Wurfspieße. In ihrer Mitte aber befand sich Belial, der Dämon mit dem Pickelgesicht! Was will denn der Schleimbeutel hier? Ich war überrascht. »So sehen wir uns wieder, Mark Hellmann!« rief er und trat nach vorn. »Du hast mich in Balthasars Burg zum Narren gemacht, Hellmann! Mich, den mächtigen Belial! Das hat vor dir noch keiner gewagt. Du wirst verstehen, daß ich so was nicht auf mir sitzen lassen kann!« »Findest du nicht, daß die Chancen ein wenig ungerecht verteilt sind?« fragte ich. Er lächelte mich herablassend an. »Du mußt eben versuchen, das Beste daraus zu machen. Aber ich glaube kaum, daß dir das gelingen wird«, meinte er überheblich. Ich drehte mich zu Pit um. »Nehmt euch Balthasars Genossen zuerst vor«, raunte ich ihm zu. »Sie werden zu sehr auf die Kraft von Belials Höllenwesen vertrauen und unvorsichtig sein. Ihr müßt versuchen, euch Speere zu beschaffen. Damit könnt ihr euch Belials Horde vom Leib halten.« Pit nickte. Ich wußte, daß er und mein Vater bis zum Äußersten kämpfen würden, während ich mich auf Belial und den Höllenritter konzentrierte. Ich wollte nicht mehr länger warten. Ich suchte die Entscheidung. »Dafür reiß ich dir deine Pickelohren runter!« schrie ich und stürzte auf den Dämon zu. Im selben Augenblick warf sich Pit Langenbach auf einen Knochenmann und riß dem völlig überraschten Skelett den Speer aus der Hand. Belial stieß einen heiseren Schrei aus, doch ich erreichte ihn nicht. Ich schlug einen Haken und hechtete statt dessen auf Balthasar zu. Hart krachte ich mit der Schulter gegen die Seite des Schlachtrosses. Meine Finger schlossen sich um den Griff der mächtigen Streitaxt, die an Balthasars Sattel hing. Mit einem Ruck riß ich sie los und warf mich zurück. Keinen Augenblick zu spät! Balthasars Morgenstern pfiff durch die Luft und sauste genau an der Stelle vorüber, an der ich mich noch vor Sekundenbruchteilen befunden hatte. Wie ein Footballspieler jagte ich auf die gegnerischen Reihen zu. Im Rennen sah ich, wie Pit einem Knochenmann den Speer durch den Schädel rammte. Mein Vater hatte unterdessen bereits eines von Belials Höllenwesen erledigt. Er riß gerade den geweihten Rosenkranz vom Hals der
zerfallenden Schleimgestalt und warf sich auf einen weiteren Schleimer, dem er ebenfalls die geweihte Kette über den Kopf streifte. Das Höllenwesen schrie bestialisch auf und brach in die Knie. Mit den Schultern rammte ich die Angreifer aus dem Weg, dann wirbelte ich herum und schwang Balthasars Axt. Das Schlachtbeil war schwer, aber die Waffe war ausgewogen und lag wunderbar in der Hand. Ich hieb die Schneide einem höllischen Angreifer in den Leib und riß ihn förmlich auseinander. Ein weiterer Geselle Belials bekam die Axt in die Brust und brach zusammen. Der Dämon tobte und schrie. Seine Stimme überschlug sich vor Wut. Er hetzte auf mich los. Ich sah nur eine Möglichkeit, den Zweikampf mit Balthasar zu bestehen: Erst mußte ich Belial loswerden! Die Axt in meiner Hand hatte zwar dämonische Kräfte, doch diese würden kaum ausreichen, Belial aufzuhalten. Aber wenn ich die Kräfte des Rings auf die Streitaxt übertragen konnte, dann hatte ich vielleicht eine wirksame Waffe gegen den Dämon in der Hand! Mit kraftvollen, weitausholenden Schritten gab ich Fersengeld. Ich hetzte auf den Waldrand zu und verschwand zwischen den Bäumen in der Dunkelheit. Kampfgeräusche, Fluchen und Wutgeschrei drangen zu mir herüber. Ich drückte mich ins Unterholz und legte die Streitaxt vor mir nieder. Seit meinem Kampf gegen die Spinnendämonin vor einigen Wochen wußte ich, was ich nun zu tun hatte. Der Ring sandte nur noch ein schwaches Glimmen aus, seit ich den Kampfplatz verlassen hatte. Ich drückte den Ring gegen das sternförmige Mal auf meiner linken Brust, konzentrierte mich und sprach: »Gib mir die Kraft! Hilf mir, wer immer du auch bist!« Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Brust. Der Ring erhellte sich und sandte im nächsten Moment einen grellen Lichtstrahl aus. Ich richtete den Strahl auf die Axt und zeichnete die Runen für das Wort Waffe auf das Axtblatt. Kleine, blaue Flämmchen erschienen wie aus dem Nichts und hüllten die Axt in ein kaltes, blaues Licht. Der Ring leuchtete weiter. Mein Ringfinger brannte wie Feuer. »Sucht den Bastard!« hörte ich Belial schreien. »Ich will ihn haben! Findet ihn! Wagt nicht, ohne ihn zurückzukehren!« Belials Häscher drangen in den Wald ein. Als sie nahe genug heran waren, sprang ich auf und kam wie ein Rachegott über sie!
* Ruth Kößler stand immer noch am Rand der Lichtung. Das Skelett hinter ihr preßte die Speerspitze schmerzhaft unter ihr Kinn. Ruth beobachtete, wie sich Pit Langenbach und Ulrich Hellmann verzweifelt gegen Balthasars Gefolgsleute und die Schergen des Dämons wehrten. Sie haßte es, hier untätig rumstehen zu müssen und sich nicht am Kampf beteiligen zu können. Unbändige Wut erfaßte sie. Und dann hatte sie den rettenden Einfall! Ruth Kößler sackte plötzlich zusammen und ließ sich dabei nach hinten gegen das Skelett sinken. Der Knochenmann mußte den Eindruck gewinnen, daß sie ohnmächtig geworden war. Ruths Rechnung ging auf. Das Skelett ließ den Speer sinken und versuchte, Ruth aufzurichten. Sie hieb ihm mit aller Kraft den Ellbogen in das Knochengesicht. Das Nasenbein brach. Sie wirbelte herum und versetzte dem überraschten Skelett einen gewaltigen Stoß vor die Brust. Der Knöcherne begann zu taumeln. Den Spieß hielt er eisern fest, aber Ruth sah, daß er noch eine andere Waffe trug: sein Schwert. Mit einem blitzschnellen Griff zog sie die lange Klinge aus der Scheide. »So, Freundchen, jetzt gibt's Saures!« zischte sie und stieß zu. Die Klinge drang tief in den knöchernen Leib und trat am Rücken wieder aus. Erleichtert sah Ruth, wie feiner Rauch aus der Stichwunde trat und das Skelett in die Knie brach. Sie wartete nicht ab, bis sich das Gerippe aufgelöst hatte, sondern wandte sich sofort wieder dem Kampfgeschehen zu. Ulrich Hellmann wurde von zwei Gegnern gleichzeitig bedrängt. Er versuchte, sie mit einem Kruzifix zurückzudrängen. Doch die beiden Angreifer hoben ihre Speere. Mit einem Wutschrei jagte Ruth Kößler über die Lichtung. In diesen Augenblicken wuchs sie über sich selbst hinaus. Ein gewaltiger Satz noch, und sie hing einem der beiden Schleimwesen auf dem Rücken. Mit beiden Armen umklammerte sie ihn. Der Schleim, den die Bestie absonderte, war einfach widerlich, aber Ruth biß die Zähne zusammen und schluckte ihren Ekel hinunter. Für einen Moment war das höllische Schleimwesen abgelenkt. Es versuchte, Ruths Griff von seinem Hals zu lösen. Ulrich Hellmann erkannte seine Chance. Er ließ das Kruzifix fallen, riß dem Schleimmonster den Spieß aus der Hand und rammte ihn dem zweiten
Angreifer mitten in das weit aufgerissene Maul! Belials Höllenmonster stieß einen gellenden Schrei aus. Die Schleimhaut auf seinem Gesicht schien in Sekundenschnelle auszutrocknen und wurde brüchig. Ulrich Hellmann wartete nicht, bis das Monster zu Staub zerfallen war, sondern griff sich dessen Spieß und wirbelte zu dem zweiten Angreifer herum. Der hatte Ruth inzwischen abgeschüttelt. Ulrich Hellmann hatte freie Bahn. Der Spieß fuhr durch den schleimigen Körper und beendete auch dieses höllische Leben. Pit Langenbach lichtete ebenfalls die Reihen der Angreifer, indem er ihnen entweder blitzschnell einen Rosenkranz überstreifte oder sie mit Wurfspieß oder Schwert, was immer gerade zur Hand war, durchbohrte. Schleimspritzer bedeckten seine Kleidung. Hin und wieder schüttelte er sich angewidert. »Schnapp dir das Weib, Harald! Durch sie kriegen wir Hellmann!« Der Befehl des Höllenritters übertönte das Kampfgetümmel. Als er Ruth Kößlers gellenden Schrei hörte, wirbelte der Hauptkommissar herum. Was er sah, jagte ihm den Schreck durch alle Glieder. Harald, die rechte Hand des Höllenritters, hielt Ruth an den Haaren gepackt und zerrte sie zu einer Baumreihe am Rande des Kampfplatzes. Dort zwang er sie in die Knie. Seine Knochenfinger rissen ihr die Bluse auseinander und entblößten Ruths Oberkörper und Hals. Dann zog Harald sein Schwert und legte die scharfe Klinge an den Hals der knienden Frau. »Hellmann, hörst du mich?« schrie der Höllenritter. »Ich habe das Weibsbild in meiner Gewalt! Komm raus, wenn du sie noch mal lebend sehen willst!« Er wartete ein paar Augenblicke, dann schrie er erneut. »Hörst du, Hellmann? Ich habe das Weibsbild!« Nicht mehr lange! dachte Pit Langenbach grimmig. Und dann trat er in Aktion! Mit einer blitzschnellen Bewegung riß er einem Höllenschleimer den Spieß aus der Klaue und stieß ihm einen Rosenkranz ins weit geöffnete Maul. Er bekam nicht mehr mit, daß der Kopf platzte und Schleimfetzen nach allen Seiten davonflogen. Pit Langenbach setzte alles auf eine Karte. Wie ein Speerwerfer bei den Olympischen Spielen stürmte er über die Lichtung, holte aus und warf den Spieß. Ruth Kößler hatte Pits Absicht erkannt, schrie gellend auf und schloß die Augen. Aus! dachte sie. Sie hörte das Sirren des heransausenden Speers und den dumpfen Aufprall. Die Schwertklinge löste sich von ihrem Hals und sank zu Boden.
Als Ruth die Augen öffnete, bemerkte sie über sich den zitternden Schaft des Wurfspießes. Er hatte Harald mitten im Gesicht getroffen und den Kopf des Skeletts förmlich an den Baumstamm genagelt. Pit Langenbach kam keuchend herbeigelaufen und half Ruth hoch. Sie schaute ihn an, und ein Lächeln stand auf ihren Lippen. »Ein großartiger Wurf«, sagte sie leise. Sie legte Pit einen Arm um den Nacken und küßte ihn auf die Wange. »Danke«; hauchte sie und fügte ein leises »Pit« hinzu. Der Hauptkommissar wurde wieder mal rot bis über beide Ohren. * Ich wütete unter Belials Häschern wie die sprichwörtliche Axt im Walde. Links und rechts fetzte ich mit der Streitaxt in ihre Körper und vernichtete die Schleimwesen aus der Hölle. »Bringt ihn mir endlich!« schrie der Dämon. Durch die Zweige konnte ich ihn sehen. Er stampfte auf dem Boden auf und verspritzte Eiter nach allen Seiten. Jetzt hab ich aber die Nase voll, mein Junge! Wut erfüllte mich. Wut über die Hinterhältigkeit des Dämons, der sich angemaßt hatte, bei meinem Zweikampf mit Balthasar mitzumischen. Wut aber auch über die Feigheit des Höllenritters, der erst mal den Höllenwesen die Vorarbeit überließ, um mich dann um so leichter abservieren zu können.
Jetzt bringt euch Onkel Mark mal die Flötentöne bei!
Ich bahnte mir einen Weg durchs Unterholz und stapfte schließlich auf die Lichtung. Dabei fällte ich noch im Vorbeigehen die letzten drei Schleimwesen, die Belial hinter mir hergejagt hatte. »Keine Sorge, Belial! Ich komme von selbst. Man braucht mich nicht zu holen«, rief ich. Je näher ich dem Dämon kam, desto intensiver glühte mein Ring. Belial mußte wirklich ein mächtiger Dämon sein, daß er eine solch gewaltige höllische Ausstrahlung hatte. Belial verschluckte sich fast vor Wut über meine Dreistigkeit. Und dann zeigte er mir seine ganze Scheußlichkeit. Belials pickeliger Körper dehnte sich aus und wuchs in die Höhe. Seine Kleidung platzte weg. Die Augen des Dämons leuchteten gelb und sandten feurige Strahlen aus, denen ich jedoch immer wieder auswich. Die Strahlen schlugen in den Waldboden wie kleine Granaten, verbrannten das Gras und schleuderten Erde hoch. Aus dem Körper des Dämons war nun ein einziger, Eiter verspritzender
Pickel geworden. Er walzte auf mich zu und streckte die Arme aus. »Ich reiß dich in Stücke, Hellmann! Ich zerquetsche dich wie eine Wanze, du unwürdiger Menschenwurm! Das wird ein Freudentag für Mephisto!« dröhnte es mir entgegen. »Noch ist es nicht soweit. Mephisto wird eher Tränen der Wut wegen deines Versagens vergießen!« gab ich zurück. Drohend und riesengroß ragte Belials Gestalt über mir in die Höhe. »Sag der Welt Auf Wiedersehen, du Mitesser!« rief ich und schleuderte die Streitaxt. Die schwere Waffe wirbelte durch die Luft und trennte mit einem wuchtigen Hieb Belials linken Arm vom Körper! Einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Wie in Zeitlupe sah ich den Arm des Dämons herabfallen, dann hörte ich den Aufprall, als die Axt auf den Waldboden schlug. Belial stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Er mußte furchtbare Schmerzen verspüren. Dort, wo ihm die mit der Kraft des Rings geladene Axt den Arm abgetrennt hatte, brannten kleine blaue Flämmchen rund um die Wunde. Wieder schrie Belial, der Dämon. »Dafür bezahlst du, Mark Hellmann! Die Hölle wird dir die Rechnung präsentieren! Du kannst nicht immer gewinnen, du Wurm. Eines Tages wird dich das Glück verlassen. Dann wirst du meine Rache spüren. Und sie wird furchtbar sein! Furchtbar!« Belial schrumpfte. Schließlich stand er in seiner normalen Größe vor mir und umklammerte mit der rechten Hand seinen Armstumpf. »Eines Tages, Hellmann, wirst du die tausendfachen Qualen der Hölle erleiden! Und ich werde zusehen. Das wird der glücklichste Tag meines Lebens sein!« »Freu dich nicht zu früh, Dämon. Und jetzt mach 'nen Abgang. Ich hab noch was zu erledigen!« gab ich zurück. Mit einem Wutschrei auf den Lippen schrumpfte Belial weiter zusammen, bis er eine faustgroße Kugel bildete. Dann fuhr er wie ein Blitz zwischen die Bäume und war verschwunden. Ich übersah den Kampfplatz. Balthasars Schergen und Belials Schleimmonster waren vernichtet. Nicht mal Staub war von ihnen übriggeblieben. Ruth Kößler, Pit Langenbach und mein Vater standen am Rande der Lichtung beisammen. Sie sahen ziemlich ramponiert aus, aber sie lebten. Ruth lächelte mir zu, und Pit gab mir ein Zeichen, daß alles in Ordnung war. Ich wandte mich an Balthasar, den Höllenritter. »So, mein Freund, und nun zu uns beiden«, sagte ich. »Du hast mich
zum Zweikampf herausgefordert. Ich nehme die Kriegserklärung an. Mal sehen, ob du wirklich Mut oder nur eine große Klappe hast!« Der Zombie-Ritter schaute sich um. Niemand war mehr da, der ihm beistehen konnte. Jetzt war es nur noch eine Sache zwischen ihm und mir. »Schau dich nur um, Balthasar!« rief ich. »Du bist allein. Ich stehe allein vor dir. Meine Freunde werden sich nicht einmischen, egal wie der Kampf ausgeht. Aber eines ist gewiß: Die Hölle hat dich im Stich gelassen. Du bist auf dich allein gestellt und auf dein Können und deine Kraft angewiesen!« Balthasar von Michelsberg reckte seine imposante Gestalt im Sattel. Mit Belials Verschwinden war auch das blutrote B auf dem Brustharnisch nicht mehr zu sehen. Er richtete den Blick aus seinen leeren, rotglimmenden Augenhöhlen auf mich. »Was Belial nicht geschafft hat, werde ich besorgen. Ich vernichte dich, Mark Hellmann!« kam es dumpf von ihm herüber. Der Höllenritter wendete sein Knochenpferd und trabte auf die andere Seite der Lichtung. Dann legte er die Lanze ein, gab dem Roß die Sporen und galoppierte auf mich zu. Mein Zweikampf mit dem Höllenritter hatte begonnen! * »Mach diesen Angeber fertig, Mark!« rief mir Ruth zu. »Tu es für Verena und für mich!« Ruhig sah ich dem heranpreschenden Ritter entgegen. Im letzten Moment würde ich mich zur Seite werfen und ihn ins Leere laufen lassen. Doch soweit kam es nicht. Wenige Schritte vor mir riß der Höllenritter sein Pferd zurück. Die Hufe pflügten tiefe Furchen in den Waldboden. Schweigend lenkte der Skelettritter sein Roß herum und trabte auf Ruth Kößler zu. Vor ihr zügelte er sein Pferd und senkte die Lanze. »Wenn ich mit Mark Hellmann fertig bin, gehörst du mir, Weib! Und du wirst mich dann auf Knien um einen schnellen Tod anflehen, so wie ich ihn dem Mädchen vor dir gewährt habe! Doch dir werde ich diese Gnade nicht zuteil werden lassen!« Der Höllenritter lachte dumpf, dann zog er sein Pferd wieder herum, um zu seinem Ausgangspunkt zurückzureiten. Ruth Kößler rastete aus. »Ich bring dich um, du Schwein!« kreischte sie. »Du hast Verena getötet! Ich schlag dir deine verfaulten Zähne ein, du Aas!« Nur mit Mühe gelang es meinem Vater und Pit Langenbach, Ruth davon abzuhalten, dem untoten Ritter hinterherzustürzen. Keuchend hing sie im
Griff der beiden Männer. Tränen der Wut und der Enttäuschung rannen über ihre Wangen. Mir blieb keine Zeit mehr, mich um meine drei Gefährten zu kümmern. Der grausame Balthasar hatte seinem Schlachtroß erneut die Sporen gegeben. Jetzt ging es ums Ganze! Riesengroß erschien mir die Gestalt des Ritters, als er auf mich zu galoppierte. Ich warf mich zur Seite, bevor mich die Lanzenspitze traf. Fluchend riß Balthasar das Roß herum und jagte erneut auf mich zu. Wieder wich ich knapp aus. Beim dritten Ansturm war ich vorbereitet. Die Lanze raste mir entgegen. Ich packte den Schaft und riß kräftig daran. Balthasar geriet aus dem Gleichgewicht. Es gelang ihm jedoch, im Sattel zu. bleiben. Der muß runter von seinem Zossen! fuhr es mir durch den Kopf. Zu Pferd war mir der Höllenritter überlegen. Am Boden konnte ich ihm besser beikommen. Der Skelettritter versuchte es noch mal. Ich probierte mein Glück wieder, und diesmal verlor er seine Lanze. Langsam trabte er weiter und rückte sich im Sattel zurecht. Ich hetzte ihm hinterher und packte den Schild, den er am Sattel befestigt hatte. Das Roß schleifte mich ein paar Meter mit. »Du verfluchter Hund!« schrie Balthasar. »Jetzt hat dein letztes Stündlein geschlagen!« Er hieb mit seinem Morgenstern nach mir. Ich duckte mich, und die Eisenkugel rasierte über meinem Kopf hinweg. Das Pferd tänzelte. Ich riß den Schild vom Sattel und versetzte Balthasar einen wuchtigen Schlag. Doch ich hatte ihn unterschätzt. Er ließ blitzschnell den Morgenstern auf mich niedersausen, und ich hatte gerade noch Zeit, den Hieb mit dem Schild abzuwehren. Jetzt geriet ich in arge Bedrängnis. Immer schneller und heftiger kamen die Hiebe mit der eisernen Dornenkugel. Einige Schläge waren so stark, daß ich zu Boden ging. »Deine lächerliche Eisenkugel hilft dir auch nicht viel weiter!« keuchte ich. Die Antwort des Höllenritters war ein wütendes Knurren.
Ich muß ihm das Ding abnehmen! Und zwar schnell!
Aber wie? Ich rannte los und machte ein paar rasche Schritte in die Mitte der Lichtung hinein. Der Höllenritter folgte mir und ließ seinen Morgenstern kreisen. Ich wartete den richtigen Moment ab und riß meinen Schild hoch. Die
Eisenkugel rammte eine weitere Beule in den bereits arg ramponierten Schild. Als Balthasar den Morgenstern erneut hochreißen wollte, wuchtete ich den Schild wieder gegen ihn. Dann schleuderte ich den verbeulten Schild weg, packte Balthasars Hand und schwang mich mit einer geschmeidigen Bewegung hinter ihm in den Sattel. »Mach ihn fertig!« kam es von meinen Gefährten. »Du schaffst es, Mark!« schrie Ruth. Ich hörte kaum hin. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, im Sattel zu bleiben und den Morgenstern aus den knöchernen Fingern des Ritters zu winden. Wir rangen verzweifelt um die gefährliche Waffe. Das Streitroß wurde immer nervöser. Es war nicht daran gewöhnt, zwei Reiter zu tragen. Ich schlang meinen linken Arm um den Hals des Höllenritters und zog seinen Oberkörper zurück. Gleichzeitig bog meine Rechte den Waffenarm des Skelettritters über meinen Schenkel. Blitzschnell schlug ich zu und hörte, wie die Knochen brachen. Für einen Moment wurde der Arm des Höllenritters schlaff. Ich riß ihm den Morgenstern aus den Skelettfingern und schleuderte ihn weit von mir. Balthasar stieß ein wütendes Geheul aus. Natürlich konnte ihm ein Knochenbruch nichts anhaben, denn er hatte dämonisches Leben in sich und spürte keinen Schmerz. Der Arm würde in wenigen Augenblicken wieder voll funktionsfähig sein. Ich mußte rasch handeln. »Du steigst jetzt besser ab, Meister«, sagte ich. »Dein alter Klepper hat ausgedient!« Balthasar knurrte und versuchte, den Kopf so weit zu drehen, daß er einen Blick auf mich erhaschen konnte, um meine nächste Aktion abwehren zu können. Ich gab ihm keine Gelegenheit dazu. Mit einem schnellen Griff zog ich die beiden Weihwasserröhrchen aus der Brusttasche meines Hemdes, nahm in jede Hand eines, langte mit beiden Armen um das Gerippe des Höllenritters herum, beugte mich so weit wie möglich nach vorn und rammte die Röhrchen in die leeren Augenhöhlen des Pferdes! Mit leisem Klirren zersplitterten die dünnen Glaswände, und das Weihwasser verteilte sich im Knochenschädel des Streitrosses. Wie vom Blitz getroffen, blieb das Knochenpferd plötzlich stehen. Ein wütendes Schnauben erklang. Dann ging ein Ruck durch den Skelettkörper. »Was hast du getan, Hellmann?« schrie Balthasar. »Was, zur Hölle, hast du getan?« Ich hatte keine Zeit mehr für eine Antwort. Ein schrilles Wiehern erklang.
Das Streitroß bäumte sich plötzlich auf, stieg auf die Hinterfüße, und Qualm drang aus seinen Nüstern und Augenhöhlen. Wir verloren das Gleichgewicht und stürzten aus dem Sattel. Ich hatte so was geahnt. Noch im Fallen drehte ich mich und kam an der Flanke des Pferdes auf dem Boden auf. Balthasar stürzte hart auf den Rücken. Seine Rüstung schepperte. Das Streitroß bäumte sich erneut auf und brach dann zusammen. Das Weihwasser hatte bereits den halben Kopf zerfressen. Bevor das Pferd auf mich fallen konnte, rollte ich mich zur Seite. »Mark, paß auf!« schrie Ruth. »Hinter dir!« Der Höllenritter war schneller nieder auf den Beinen, als ich angenommen hatte. Er hatte sein Schwert gezogen und stürzte sich auf mich! Matt blinkte die Klinge im Schein des Lagerfeuers, das immer noch brannte. Ich wich dem Hieb aus und riß dann meinen Fuß hoch. Balthasar wurde quer vor der Brust getroffen. Der Tritt riß ihn von den Beinen, aber er erhob sich blitzschnell wieder. Ich versuchte, ihn mit Karatetritten in die Richtung meiner Gefährten zu treiben, um ihm dort mit einem Rosenkranz den Garaus zu machen, aber der Skelettritter stellte sich auf meine Angriffe ein und konterte. Ich mußte aufpassen, daß er mir nicht ein Bein abschlug. So kam ich ihm nicht bei. Er ließ mir keine Zeit für eine neue Taktik. Mit dem Schwert drang er auf mich ein. Er war wirklich gut, das mußte ihm der Neid lassen. Seine Schläge kamen gekonnt und hart. Mehrmals entging ich nur knapp der Klinge. »Niemals hat mich jemand im Zweikampf besiegt«, dröhnte die Stimme des Höllenritters. »Auch dir wird es nicht gelingen, Hellmann! Du wirst durch mein Schwert sterben, und ich lege Mephisto dein Haupt zu Füßen! Und die Köpfe deiner Freunde gleich dazu! Nur das Weib behalte ich für mich!« Triumph schwang in seinem Lachen mit. Er hielt das Schwert mit beiden Händen und hieb immer wilder auf mich ein. Ich geriet ganz schön ins Schwitzen. Aber ich gab nicht auf. »Was willst du mit ihr anfangen?« fragte ich keuchend. »Schau dich an. Es ist, wie ich dir im Rittersaal sagte: Du bist kein Mann mehr, nur noch ein Knochengerippe. Und ein blödes noch dazu! Zu dämlich, um einen unbewaffneten Mann zu töten!« Meine Worte reizten ihn bis ins Knochenmark. Er fluchte und schrie. Seine Schläge wurden nun von Wut dirigiert. Er wurde unvorsichtig. Der nächste Schlag rasierte knapp an mir vorbei, und die Klinge grub sich in den Boden. Ich trat zu. Das Schwert wurde Balthasar aus der Hand
geprellt. Ich wirbelte herum und machte, daß ich wegkam. Beim Rennen bemerkte ich das schwache bläuliche Leuchten auf dem Waldboden. Die Streitaxt! Sie würde inzwischen zwar die Kraft des Ringes weitgehend verloren haben, doch für den Höllenritter würde sie noch ausreichen. Balthasar, der Höllenritter, hetzte klappernd hinter mir her und schwang sein Schwert. Er war schnell, unglaublich schnell. Bevor ich mich nach der Streitaxt bücken konnte, erhielt ich einen fürchterlichen Hieb mit der flachen Klinge, der mich vornüber warf. Hart fiel ich zu Boden und rollte mich auf den Rücken. Drohend erhob sich die hochgewachsene Gestalt des Höllenritters über mir. Das Schwert hatte er mit beiden Knochenhänden zum Schlag erhoben.
Jetzt oder nie!
Ich packte die schwere Streitaxt, die in Griffweite lag, und spannte die Muskeln. »Mephisto freut sich schon auf dich!« schrie der Höllenritter. Dann schlug er zu! »Sag ihm, daß ich später zum Essen komme!« Mit wildem Stöhnen riß ich die Streitaxt hoch und hieb ihm die breite Klinge mit aller Kraft genau zwischen die knöchernen Beine. »Oh!« entfuhr es dem Höllenritter, als er den Schlag spürte und das Splittern seiner Knochen hörte. Die Schwertklinge sauste rasiermesserscharf an meinem Kopf vorbei und bohrte sich in den Waldboden. Ich riß die Axt frei, schob mich nach hinten und holte erneut aus. Es war ein wuchtiger Hieb, der den schwarzen Brustharnisch des Höllenritters spaltete. »Du Bastard!« brüllte er. »Du Hund! Du wirst es niemals schaffen!« Feiner Rauch drang aus seinem Maul und aus seinen Augenhöhlen. Das rote Glimmen wurde schwächer. Balthasar machte ein, zwei unsichere Schritte auf mich zu. Ich zerrte das Beil ein drittes Mal frei. »Das war's dann wohl«, meinte ich. »Die Zeit deiner Schreckensherrschaft ist endgültig vorbei, Balthasar von Michelsberg. Grüß Belial von mir!« Einen Sekundenbruchteil, bevor die schwere Axt durch die Luft pfiff, erkannte das Skelett meine Absicht und stieß einen gellenden, angsterfüllten Schrei aus.
Dann traf ihn die Axt. Der Totenschädel flog durch die Luft und prallte auf den Boden. Das Skelett fiel vornüber. Dichter, beißender Qualm stieg auf. Das Knochengerüst des Raubritters Balthasar von Michelsberg löste sich auf, und mit ihm seine Rüstung und seine Waffen. Der Zweikampf war beendet. Der Höllenritter war vernichtet! * »O Mark, ich bin so froh, daß dir nichts passiert ist!« Ruth Kößler fiel mir um den Hals und küßte mich. Ich schob sie sanft von mir. Vater und Pit wollten mir auch noch gratulieren. »Abgesehen davon, daß ich jeden Knochen im Leib spüre, fühle ich mich wohl«, sagte ich und grinste. »Auf die Dauer ist so ein Zweikampf aber nichts für mich. Davon kriege ich nur blaue Flecken und Muskelkater.« »Nun, wo alles vorbei ist, kann ich mir ja endlich einen genehmigen!« verkündete Pit. Er zündete sich einen Zigarillo an und nahm einen tiefen Zug. Ruth schaute zu ihm hoch und lächelte. »Keine Einwände, Frau Doktor?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Er hat ihn sich schließlich verdient. Nicht wahr, Pit?« »Pit?« Ich glaubte, nicht richtig zu hören. »Und was ist mit dem Dilettanten?« »Ich glaube, den hat Pit mir schon längst verziehen, oder?« Ruth schenkte Pit Langenbach ein strahlendes Lächeln. Vor Verlegenheit vergaß Pit fast, an seinem Glimmstengel zu ziehen. Nichts auf der Waldlichtung zeugte mehr von dem schlimmen Kampf gegen die höllischen Mächte. Wir räumten unsere Sachen zusammen, löschten das Lagerfeuer und gingen zu meinem Wagen, der am Straßenrand geparkt stand. Ich warf einen letzten Blick auf die Burgruine auf dem Oybin. Nie wieder würde das Böse von diesen Gemäuern ausgehen. Wir kehrten nach Dresden zurück. Todmüde fielen wir in die Hotelbetten. Sogar das Frühstück ließen wir am nächsten Morgen ausfallen. Am Nachmittag besuchten wir Pastor Gerlitz, der uns ebenfalls beglückwünschte. Ich sah ihm an, wie erleichtert er war, daß wir noch lebten. Unser letzter Besuch galt Hubert Pätzold im Krankenhaus. Er hatte zwar noch Schmerzen in der Schulter, aber er würde bald wieder in Ordnung sein.
»Beeilen Sie sich mit dem Gesundwerden, Hubert, damit. Sie mich bald wieder in der Gegend rumkutschieren können«, sagte Ruth und lachte. »Frau Doktor?« Pätzold richtete sich im Bett auf, als wir gehen wollten. Ruth trat noch einmal an seine Seite. »Ich wollte Ihnen danken, daß Sie mich aus dem Wagen geholt haben«, sagte er leise. Sie drückte seine Hand und lächelte. »Nicht der Rede wert, Hubert. Das hätten Sie doch auch für mich getan.« In Dresden hieß es auch für mich Abschied nehmen. Abschied von Ruth Kößler. Sie hauchte mir einen Kuß auf die Wange. »Es war schön mit dir«, flüsterte sie. »Danke für alles.« Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie in den Wagen des Personenschutzes stieg. Pit Langenbach würde sie persönlich nach Berlin zurückfahren. Über die Vorgänge auf dem Oybin würde strengstes Stillschweigen bewahrt werden. Das hatte sie mir versprochen. Hätte auch blöd ausgesehen, für sie als Politikerin, wenn die Zeitungen über ihren Kampf mit lebenden Skeletten berichtet hätten. Vater fuhr in meinem Wagen mit zurück nach Weimar. Unterwegs hielten wir an einer Raststätte, und ich nutzte die Gelegenheit, um bei mir zuhause anzurufen und meinen Anrufbeantworter abzuhören. Sofort klang mir Tessa Haydens Stimme entgegen. Sie war wieder in Weimar und bat mich, sie nach meiner Rückkehr anzurufen. Das tat ich lieber gleich. »Hey, Mark, du Ausreißer!« Sie klang erfreut über meinen Anruf. »Wo steckst du denn?« »Zwischen Dresden und Weimar auf einer Raststätte«, antwortete ich. »Ich habe schon öfter versucht, dich zu erreichen. Wo bist du denn gewesen?« »Och, ich habe bloß einen Abstecher ins Mittelalter gemacht«, sagte ich beiläufig. »Und dabei hast du dich wieder durch sämtliche Kemenaten geschlafen und ein Edelfräulein nach dem anderen flachgelegt.« Sie konnte diese Sticheleien nie lassen. Immer vermutete sie nur das Schlimmste in mir. »Nein, keine Edelfräulein, aber das glaubst du mir ja sowieso nicht.« »Eben«, gab sie zu. »Wann kommst du in Weimar an?« Ich schaute auf die Uhr. »Mal sehen, so gegen sieben. Ich bin ziemlich geschafft, aber ich komme trotzdem bei dir vorbei. Ich will vorher nur kurz nach Hause. Du kannst mir dann ja den Rücken massieren.« »Alles klar. Ich freue mich!« Sie legte auf. Ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, meinen Vater zuhause in der Siedlung Landfried abzusetzen und kurz meine Mutter zu besuchen. Mein leibliches Wohl lag ihr wieder mal am Herzen, wie immer. »Junge,
du ißt zuwenig«, sagte sie. »Du bist schmal geworden.« Ich lehnte eine Einladung zum Abendessen jedoch ab. Schließlich wartete Tessa auf mich, und ich mußte noch duschen. Das Essen würde ich im Laufe der Woche nachholen. Als ich meine Wohnung in der Florian-Geyer-Straße im Weimarer Westen betrat, merkte ich nicht, daß etwas nicht stimmte. Ich goß mir ein Glas Saft ein, stellte die Stereoanlage an, zog mich aus und ging Richtung Badezimmer. Ich öffnete die Tür zum Bad. Der Raum war dunkel. Rund um die Badewanne war ein Meer von Teelichtern aufgestellt worden. Selbst im Badewasser schwammen einige der kleinen Kerzen herum. Ein Sektkühler mit einer Flasche stand am Kopfende der Wanne. Tessa Hayden erhob sich aus dem Wasser. Das flackernde Licht der Kerzen huschte über ihren schönen, nackten Körper, und die Wasserperlen glitzerten auf ihrer Haut. »Da bist du ja endlich, mein Schatz!« begrüßte sie mich. »Ich habe schon alles vorbereitet. Nach dem Bad im kalten Waldsee kannst du nun in einer heißen Wanne baden. Und statt der Burgfräulein darfst du mit mir Vorlieb nehmen. Das Wasser ist heiß und der Schampus kalt. Und deine Massage kannst du auch gleich bekommen.« Tess, du bist eine Wucht! dachte ich. Ich stieg in die Wanne und nahm sie in die Arme. Sanft streichelte ich ihre weiche Haut. »Kann ich sonst noch was für dich tun?« fragte sie zwischen den Küssen. Sie konnte. Was ich nach den Aufregungen der letzten Stunden am meisten brauchte, waren Streicheleinheiten. Und die bekam ich reichlich. ENDE Mareike hat Angst! Denn an diesem Januarabend kommen ihr die Straßen ihrer Heimatstadt Franeker feindlich und abstoßend vor. Etwas Fremdes geht von ihnen aus, und die mächtigen Alleebäume scheinen mit ihren Ästen wie mit Armen nach ihr greifen zu wollen. Und doch ist das alles nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Mareike noch bevorsteht. Unvorstellbar Grausames sucht sie heim und
Die Parallelwelt der Vampire Entdeckt von dem Reporter Vincent van Euyen! Bekämpft von dem Dämonenjäger Mark Hellmann!