Nr. 135
Zweikampf in Fesseln Die Zeitnomaden greifen ein – die Kontaktler werden entführt von Peter Terrid
Auf den St...
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Nr. 135
Zweikampf in Fesseln Die Zeitnomaden greifen ein – die Kontaktler werden entführt von Peter Terrid
Auf den Stützpunkten der USO, den Planeten des Solaren Imperiums und den übrigen Menschheitswelten schreibt man Anfang März des Jahres 2843. Der Aufbau des Solaren Imperiums geht kontinuierlich voran. In der Galaxis herrscht relative Ruhe, abgesehen natürlich von den üblichen Geplänkeln und Reibereien an den Grenzen des Imperiums. Dennoch sind die obersten Führungskräfte des Imperiums mit Sorge erfüllt. Schuld daran ist ein Ereignis, das, obwohl es sich fern von der Erde und in ferner Vergangenheit abspielte, auch auf die gegenwärtige Menschheit Auswirkung hat. Es begann in dem Augenblick, da die Bernaler, die sich aus den Fesseln der Körperlichkeit lösten und zu Zeitnomaden wurden, ihre programmierten Urgene in unserem Kosmos zurückließen. Menschen, die mit diesen Urgenen in Kontakt kamen, erlangten unheimliche Fähigkeiten – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. Doch als die Bernaler, die sich in der Dimension des »Zeitflimmerns« aufhalten, bemerken, was sie in ihrem Ursprungskosmos angerichtet haben, greifen sie ein. Die Kontaktler werden entführt – und für sie beginnt der ZWEIKAMPF IN FESSELN …
Zweikampf in Fesseln
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Lordadmiral soll zum Objekt einer Erpressung werden. Bilfnei Gloddus und Lelle Salgouz - Kontrahenten des »Zweikampfes in Fesseln«. Das Yüülz - Ein Baum, der seine Früchte nicht kennt. Possert Egk Flangkort - Ein Zeitnomade.
1. Ich war nicht zum erstenmal gefangen; während der mehr als zehntausend Jahre, die ich auf der Erde verbracht hatte, waren mir Dutzende von Malen Fesseln angelegt worden – Seile, lederne Bänder, Bronzeketten und Handschellen aus erstklassigem Stahl. Und es wäre mehr als unwahrscheinlich, würde diese Gefangennahme die letzte meines Lebens sein. Und doch: Diese Haft unterschied sich beträchtlich von dem, was ich bereits erlebt hatte. Die Männer, in deren Gewalt ich mich befunden hatte, waren stets bereits einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte darum bemüht gewesen, sich an die Macht zu bringen. Mit solchen Männern umzugehen, war ich gewohnt – Gloddus aber stellte mich vor eine neuartige Problematik. Die Karriere des Bilfnei Gloddus hatte vor weniger als vier Monaten begonnen. Es war völlig ausgeschlossen, daß der Mann die Lage richtig beurteilen und demgemäß handeln konnte. Bei Gloddus mußte ich mit Reaktionen rechnen, die seiner offenkundigen Machtgier hohnsprachen. Von den Männern, die mich umgaben, war keine Hilfe zu erwarten. Die Besatzungsmitglieder des Forschungsschiffes SMARGENT standen vollkommen unter dem Einfluß des ehemaligen Kartographen. Einige aufmerksame Blicke zeigten mir, daß Gloddus' Einfluß nicht auf Hypnoblocks oder Ähnliches zurückzuführen war – die Männer der SMARGENT verrichteten ihre Aufgaben nicht wie Marionetten, eher wie unzurechnungsfähige Fanatiker. Es war mir ein Rätsel, mit welchen parapsychologischen Mitteln es Gloddus geschafft hatte, diese hochqualifizierten Männer und Frauen auf seine Seite zu ziehen.
Auch mit Lelle Salgouz konnte ich nicht rechnen; der Ammavoler steckte in einem energetischen Käfig, der seine Fähigkeiten wirkungsvoll blockierte. Längst hatte ich die Hoffnung aufgegeben, daß mir eines der vierhundert USO-Schiffe, mit denen ich das O-vendeno-System angeflogen hatte, zu Hilfe kommen könnte. Gloddus' Schiff, die SMARGENT, war irgendwo unter der Oberfläche von Toulminth versteckt, die USOFlotte hatte den Raumer während des Anfluges auf Toulminth nicht anpeilen können – offenbar hatte Gloddus seine neuerworbenen Fähigkeiten dazu genutzt, um das Schiff einen undurchdringlichen Ortungsschutz zu legen. »Du solltest versuchen, die Konstruktionsdaten dieses Schutzes zu ermitteln!« meldete sich mein Extrasinn. Nicht nur die Ortungsabwehr hätte mich interessiert; es wäre auch wichtig gewesen, genau herauszufinden, wie Gloddus seine Machtübernahme bewerkstelligt hatte. Wie Lelle Salgouz hatte Gloddus eine Informationsquelle angezapft, die für USO und Solare Flotte gleichermaßen bedeutungsvoll sein konnte und vermutlich auch war. »Nun, Arkonide?« Gloddus hatte gesprochen, nachdem er mich fast zehn Minuten lang durchbohrend angestarrt hatte. Auch er steckte in einer energetischen Hülle, die aber seine Fähigkeiten nicht zu neutralisieren schien. Woher die annähernd vier Meter hohe Energieaura ihre Energie bezog, war ein weiteres Geheimnis, das ich Gloddus zu entreißen hoffte. »Er versucht, dich zu reizen!« signalisierte mein Extrasinn. »Er will auf deine Kosten sein Selbstwertgefühl erhöhen!« Ich gab keine Antwort, was Gloddus sehr zu reizen schien. Er erhob sich aus dem Sitz
4 des Piloten und kam langsam näher. »Was wird ein ehemaliger Imperator des Arkonidenreiches für einen Wert haben?« überlegte Gloddus laut. »Vielleicht weißt du es, Arkonide – was wird Rhodan für deine Befreiung zahlen?« »Nicht viel!« gab ich kühl zurück. »Auf jeden Fall weniger, als Sie sich erhoffen!« Gloddus lachte spöttisch, er wollte mir anscheinend nicht glauben. »Nicht doch!« widersprach er belustigt. »Ich weiß genau, daß die USO mehr als einmal Milliarden von Solar vergeudet hat, um Rhodan aus einer schwierigen Lage zu befreien. Ich nehme an, daß Rhodan ähnlich spendabel sein wird, wenn es darum geht, einen seiner ältesten Freunde zu befreien!« »Wieviel Solar fordern Sie, Gloddus?« fragte ich kurz. »Habt ihr das gehört?« lachte Gloddus laut auf. »Er will mich mit Solar abspeisen. Nein, verehrter Lordadmiral – ich habe andere Wünsche. Auf meiner Liste steht beispielsweise ein Zellaktivator!« »Sie können meinen haben!« entgegnete ich scheinbar ungerührt. Mein Gegenüber wußte sehr genau, was er wollte; er spielte ein äußerst gewagtes Spiel. Er schien zu ahnen, daß selbst seine Machtmittel und seine neuerworbenen Fähigkeiten auf lange Sicht nicht ausreichten, erfolgreich gegen das Imperium anzugehen – notfalls konnten die Personen, die er am meisten zu fürchten hatte, verschwinden und abwarten, bis er sich verausgabt hatte. Im Besitz eines Zellaktivators konnte Gloddus ebenfalls warten, bis der Zeitpunkt zum Zuschlagen für ihn günstig war. Zudem brachte ein Aktivator fast zwangsläufig eine große Zahl von Gefolgsleuten mit sich – mit einem Unsterblichen paktierten skrupellose Gestalten weit eher als mit einem Glücksritter, dem von Natur aus nur ein kurzfristiges Auftreten auf der Bühne der galaktischen Politik beschieden war. Während ich den Aktivator aus dem Brustausschnitt meiner Uniformjacke zog, schüttelte Gloddus abweisend den Kopf.
Peter Terrid »Behalte ihn!« sagte er spöttisch. »Dein Aktivator ist auf deine persönlichen Schwingungen abgestimmt und würde mich umbringen, würde ich ihn längere Zeit tragen!« Sein Blick bekam etwas Lauerndes, als er fortfuhr: »Du wirst von Rhodan einen anderen Zellaktivator verlangen, einen von der Sorte, die jeder tragen kann – es ist mir gleichgültig, ob er das Gerät jemandem wegnehmen muß, oder ob er einen Aktivator in der Schreibtischschublade liegen hat. Außerdem verlange ich die genauen Konstruktionsunterlagen für die Transformkanonen!« »Nicht schlecht!« kommentierte mein Extrasinn. »Damit hat er fast alles, was er benötigt, um erfolgreich gegen die USO und das Solare Imperium angehen zu können. Er wird die Blues damit ausrüsten wollen!« Schreckensbilder tauchten aus meiner Erinnerung auf – Hunderte, Tausende von Fragmentraumern der Posbis, der Erfinder der Transformkanonen, die mit robotischer Wut verzweifelte Angriffe gegen molkexgepanzerte Bluesraumer flogen – und unterlagen. Bisher hatte die furchtbare Wirkung der Transformkanonen ausgereicht, die Blues in der Eastside der Galaxis festzuhalten; waren sie einmal im Besitz dieser Waffe, würde es kaum eine Möglichkeit geben, sich ihrem Angriff erfolgreich zu widersetzen. Allein die Bevölkerung der Eastside war dank der ungeheuren Fruchtbarkeit der Blues der Menschheit und ihren Verbündeten hundertfach überlegen, und auch der technologische Vorsprung des Imperiums war seit der großen Auseinandersetzung zwischen Imperium und Blues geschmolzen, was hauptsächlich auf das verräterische Umtreiben der Akonen und Springer zurückzuführen war. Auch der USO war es nicht gelungen, die Weitergabe wichtiger Informationen an die Blues zu verhindern. »Glauben Sie allen Ernstes, Gloddus«, fragte ich zurück, »daß Perry Rhodan ausgerechnet Ihnen das größte militärische Geheimnis der Menschheit ausliefern wird?« »Er wird!« stellte mein Extrasinn brutal
Zweikampf in Fesseln fest. »Rhodan ist ein sentimentaler Narr, wie fast alle Terraner. Ihm fehlt die Entschlossenheit, aus machtpolitischen Gründen nötigenfalls über Leichen zu gehen!« »Genau das glaube ich!« meinte Gloddus, begleitet von einem spöttischen Kichern. »Natürlich wird Rhodan in die Unterlagen einen Haufen von Fehlern einbauen, die dazu führen würden, daß mir die erste selbstgebaute Transformkanone beim Probeschuß um die Ohren fliegt. Und er wird mir die gefälschten und entstellten Unterlagen gern als Tauschobjekt gegen seinen alten Freund Atlan zur Verfügung stellen. Er weiß nur nicht, daß es mir ein leichtes sein wird, diese Fehler aufzuspüren und zu eliminieren!« »Die Bernaler!« bemerkte mein Extrasinn. »Sie könnten tatsächlich fähig sein, die eingebauten Fehlerquellen auszuschalten!« Ich hatte Mühe, nicht meine Beherrschung zu verlieren. Ich war darauf gefaßt gewesen, in Bilfnei Gloddus einen gefährlichen Gegner vor mir zu haben, aber ich hatte nicht geahnt, daß sich dieser unscheinbare Dutzendmann innerhalb von vier Monaten zur galaxisweiten Gefahrenquelle entwickeln würde. Im Augenblick hatte Gloddus tatsächlich alle Trümpfe in seiner Hand. Ich war ihm ausgeliefert, und ich sah zu diesem Zeitpunkt keinerlei Möglichkeiten, diesen unerfreulichen Zustand zu beenden. »Sie sehen«, bemerkte Gloddus selbstgefällig, »ich habe an alles gedacht. Bevor Sie sich zu früh freuen, Lordadmiral, will ich Ihnen auch verraten, wie ich mir einen echten Zellaktivator besorgen kann!« Ich war gespannt; es war anzunehmen, daß Perry Rhodan sich den Bedingungen, die ihm der ehemalige Kartograph diktierte, nur zum Schein fügen würde. Gloddus hatte bereits durchschaut, zu welchen Tricks der Terraner im Fall der Transformkanone greifen würde. Was hatte der Größenwahnsinnige jetzt vorzuweisen. »Ich vermute«, erklärte Gloddus, »daß Rhodan mir tatsächlich einen Zellaktivator schicken wird. Es wird mit Sicherheit kein echtes Gerät sein – vielmehr irgendeine At-
5 trappe, die auf hypnotischem Wege das Gefühl vermittelt, einen Aktivator zu tragen. Dem Gerät könnte beispielsweise ein unsichtbares Gas entweichen, das mit Stimulanzien versetzt ist. Besonders raffiniert wäre ein Gemisch, das mich nach einiger Zeit mit einer Krankheit ansteckt, die man nur auf dem medizinischen Geheimplaneten der USO heilen kann. Damit wäre Rhodan der Sieger. Habe ich recht, Arkonide? Wird Rhodan so vorgehen?« »Vollkommen richtig!« bestätigte mein Logiksektor ungefragt. »Das ist genau die Vorgehensweise der Solaren Abwehr!« Ich zog es vor zu schweigen; eine unbedachte Äußerung hätte Gloddus nur zu weiteren Schlußfolgerungen verleiten können. »Ich werde Rhodan zum Ausgleich für sein Geschenk ebenfalls einen Aktivator schenken!« fuhr Gloddus spöttisch fort. »Deinen Aktivator, Arkonide! Und ich werde Rhodan von diesem Umtausch berichten. Anschließend werde ich dir den Aktivator umhängen, den Rhodan mir überlassen hat. Perry Rhodan wird wissen, daß es nur eine Möglichkeit gibt, dein Leben zu retten – er muß mir einen echten Aktivator überlassen. Solltest du drei Tage nach dem Tausch noch leben, dann lasse ich dich frei – du hast dann sechzig Stunden Zeit, zu deinem Freund und deinem Aktivator zurückzukehren! Wie gefällt dir das, Arkonide?« »Glänzend!« gab ich zurück und lächelte dazu, als wäre ich von dem überzeugt, was ich sagte. »Ich gehe jede Wette ein, daß Sie trotz Ihres Planes letztlich Ihr Spiel verlieren werden!« »Die Wette wirst du verlieren!« kommentierte mein Logiksektor. »Es sei denn, bislang unbekannte Faktoren beeinflussen die Auseinandersetzung!« Genau damit rechnete ich – das heißt, mir blieb gar nichts anderes übrig, als mit unwahrscheinlichen Lösungen zu rechnen. »Und was soll aus mir werden?« erkundigte sich Lelle Salgouz. »Wogegen wollen Sie mich eintauschen?« Gloddus wandte den Kopf und betrachtete
6 gelassen die Energiesphäre, in der Salgouz eingeschlossen war. Nach kurzem Nachdenken entschied er: »Für Sie habe ich keine Verwendung! Im Gegenteil – Sie sind eine der wenigen Personen, die mich in meinen Plänen ernsthaft behindern könnten. Sie werden verstehen, daß ich unter den gegebenen Umständen dafür sorgen muß, daß sie mich nicht mehr stören können!« Mit einer Handbewegung gab er einem der bewaffneten Männer in der Zentrale ein Zeichen. Der Mann trat vor und richtete seinen Desintegrator auf die Energieblase, die Salgouz einschloß. Unwillkürlich wollte ich mich auf den Gefährdeten zubewegen, aber Gloddus' Männer rissen mich zurück. Ohne daß Gloddus auch nur einen Muskel bewegt hätte, verschwand das Schirmfeld um Salgouz. Gleichzeitig erlosch auch die Aura, die Gloddus selbst umgab. Der Mann stieß einen entsetzten Schrei aus und sah fassungslos an sich herunter; noch während sein Unterkiefer langsam heruntersank, begann sich seine Gestalt aufzulösen. Sie verschwand innerhalb weniger Sekunden. Gleichzeitig löste sich auch Lelle Salgouz auf und verschwand vor unseren Augen. Die Männer in der Zentrale der SMARGENT standen starr vor Erstaunen; offenbar hatte das plötzliche Verschwinden der beiden Männer auch sie völlig überrascht – obwohl sie eigentlich mit dergleichen Vorgängen längst hätten vertraut sein müssen. Es war immerhin nicht das erste Mal, daß Gloddus sich in jenen Bereich zurückzog, den wir »Zeitflimmern« nannten. »Gloddus und Salgouz sind nicht in das Zeitflimmern eingetaucht!« erklärte mein Extrasinn. »Sie wurden unfreiwillig in das Medium gezerrt!« Daß etwas Besonderes geschehen war, konnte ich an den Gesichtern der Männer ablesen, die mich umgaben. Fast schlagartig sanken die Läufe ihrer Waffen nach unten; verblüfft und ratlos sahen sich die Männer an, dann ging ein Aufatmen durch den
Peter Terrid Raum. Bevor ich etwas sagen konnte, trat Docro Ktamvayn einige Schritte näher. »Sir!« begann er vorsichtig, dann wurde ihm bewußt, daß er noch immer einen entsicherten Impulsstrahler auf mich gerichtet hielt. Rasch steckte er die Waffe zurück. »Sir …!« Es war dem Mann anzumerken, daß er sich nicht recht auskannte in der veränderten Lage; Ktamvayn suchte nach Worten. »Sie wollen mir sagen, daß es Ihnen leid tut, mich gefangenzuhalten!« bemerkte ich kühl. Noch war ich nicht sicher, daß meine Vermutung zutraf, daß Gloddus' hypnotischer Einfluß die Männer nicht mehr in seinen Bann geschlagen hatte. »Sir!« stammelte Ktamvayn betroffen. »Wir … waren nicht mehr wir selbst. Dieser Gloddus hat …« »Sie allesamt beeinflußt«, half ich dem Mann weiter. Ich konnte mir vorstellen, wie den Männern der SMARGENT zumute sein mußte. Es ist nie angenehm, plötzlich mit den Taten konfrontiert zu werden, die man unter dem hypnotischen Einfluß eines anderen getan hat. »Was sollen wir tun?« fragte Ktamvayn mit hörbarer Sorge. Ich ahnte, welche Gedanken den Mann bewegten; er rechnete mit harter Bestrafung – und natürlich mit der Rückkehr von Bilfnei Gloddus. Jede der beiden Möglichkeiten war für die Besatzung der SMARGENT unangenehm. »Als erstes stellen Sie mir eine Funkverbindung mit den Schiffen der USO-Flotte her, die das System abgeriegelt hat!« bestimmte ich. Es stand zu befürchten, daß meine Männer trotz gegenteiliger Befehle versuchen würden, mich herauszuhauen. Es dauerte nur wenige Minuten, dann stand die Verbindung. Ich gab den Kommandanten Befehl, Toulminth anzufliegen und zu umkreisen, vorläufig jedoch keine weiteren Schritte zu unternehmen. Ich hatte das sichere Gefühl, daß das Verschwinden der beiden Männer noch nicht das Ende der Geschichte um das Zeitflim-
Zweikampf in Fesseln mern war. Dafür sprach vor allem die Tatsache, daß auch Lelle Salgouz verschwunden war; der Ammavoler war gewiß kein mustergültiger Vertreter seiner Rasse, aber kein Verbrecher wie Gloddus. Daß er ebenfalls im Zeitflimmern verschwunden war, führte mich zu der Überlegung, daß er früher oder später wieder auftauchen würde.
2. Hätte Gloddus noch einen Körper besessen, hätte er sich vor Angst in Krämpfen gewunden. Die Tatsache, daß er gegen seinen Willen entkörperlicht im Zeitflimmern schwebte, hatte sein plötzlich gewonnenes Selbstbewußtsein rasch verfliegen lassen. Er fühlte sich wieder wie an jenem Tag, an dem er mit dem Urgen in Berührung gekommen und zum erstenmal in das milchige, nebelhafte Kontinuum eingetaucht war, in dem er jetzt wieder schwebte. Furchtbare Angst hielt seinen Geist gefangen und lähmte jeden Gedanken. Nur schwach nahm Gloddus wahr, daß neben ihm – sofern dieser Ausdruck überhaupt zutraf – Lelle Salgouz schwebte. Deutlich war zu spüren, daß auch der Ammavoler nicht frei von Furcht war. »Wir haben euch geholt!« sagte eine körperlose Stimme. »Wir?« dachte Gloddus erschrocken. »Sind etwa mehrere Bernaler am gleichen Ort zu gleicher Zeit versammelt?« »So ist es, Terraner!« wurde ihm erklärt. »Wir sind gekommen, um zu handeln! Wir werden nicht länger deinem Treiben tatenlos zusehen!« »Welchem Treiben?« erkundigte sich Gloddus. Die erste Furcht war verflogen; rasch hatte sich die Verfassung des Mannes geändert. Gloddus war wieder jener Mann, der fest entschlossen war, für sich das Weltall zu erobern. Die Tatsache, daß man ihn nach wie vor nicht bedrohte, gab ihm neuen Mut. »Wir haben die Ereignisse der letzten Zeit genau verfolgt«, wurde den beiden Menschen bedeutet. »Ein Bernaler ist sogar ge-
7 storben! Und wir wissen auch, daß dein Tun, Bilfnei Gloddus, den Tod weiterer Menschen gefordert hat. Wir wissen, daß ihr beide euch bekämpft. Wir wollen, daß dieser Kampf ein Ende findet – so oder so!« »Was habt ihr vor?« erkundigte sich Gloddus besorgt. »Wollt ihr einen von uns in eurem Kontinuum festhalten? Oder muß einer von uns sterben?« »Ihr werdet es selbst erleben!« verkündete die Stimme. Lelle Salgouz verhielt sich ruhig, während sich in Gloddus eine immer stärker werdende Unruhe ausbreitete. Unüberhörbar war der Zorn des Bernalers, der sprach, und im Hintergrund war deutlich zu erkennen, daß seine Freunde ähnlich gestimmt waren. »Wir haben keine großen Kenntnisse in jenem Wissensgebiet, das ihr Terraner Psychologie nennt!« fuhr der Sprecher der Bernaler fort. »Wir wissen nicht genau, was in euch vorgeht, warum ihr so handelt und nicht anders. Darum werden wir euch testen!« »Schon wieder Fragebogen!« entfuhr es Lelle Salgouz unwillkürlich. »Nein!« lautete die rasche Antwort des Bernalers. »Keine Fragebogen. Wir werden euch auf einem Planeten aussetzen. Eure Aufgabe wird es sein, eine von uns errichtete Station zu erreichen. Wie ihr sie erreicht, mit welchen Mitteln ihr euch behelft, ist allein eure Sache!« »Und wie heißt diese Welt?« wollte Salgouz wissen. »Wir nennen sie KOYSCH!« lautete die knappe Antwort. Bevor Gloddus oder Salgouz darauf eingehen konnten, war der Kontakt abgerissen.
* Der Orkan tobte bereits seit Stunden. Mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als einhundert Stundenkilometern raste der Windüber das Land, riß mit seiner feuchtigkeitsgeschwängerten Luft Sträucher und Gräser aus dem Boden, trieb mannsdicke Bäume
8 vor sich her. Über dem flachen Land lag der wilde Orgelton entfesselter Winde und ließ die Tiere in die dichten Dschungel zurückweichen. Milliarden feiner Sandkörner fegten mit dem Sturm und schliffen an den Felsen der nahen Gebirge. Lelle Salgouz hielt sich krampfhaft an dem mächtigen Stamm eines Baumes fest und schnappte verzweifelt nach Luft. Erbarmungslos schlug der Orkan auf ihn ein, preßte seinen Körper gegen das rissige Holz; rasende Schmerzen durchzuckten den Mann, als sich die Rippen durchbogen unter dem Druck, den der Baum und der Sturm auf den Körper des Mannes wirken ließen. Splitter bohrten sich in die Haut und drangen tiefer. »Hilfe!« schrie eine Stimme in Salgouz' Nähe; trotz der Verzerrungen, die durch den Orkan verursacht wurden, erkannte Salgouz deutlich das Organ von Bilfnei Gloddus. Der Kartograph stand auf der anderen Seite des Stammes und klammerte sich so fest, wie es sein ungeübter Körper zuließ. »Scher dich zum Teufel!« knurrte Salgouz. Der Mann hatte nur kurze Zeit benötigt, um einige Tatsachen feststellen zu müssen, die alles andere als erfreulich waren. Er war nackt; auch wenn er sich selbst nicht sehen konnte, weil das dichte Gewölk jeden Lichtschimmer stoppte, konnte er doch spüren, wie der Sand auf seine ungeschützte Haut peitschte. Die zweite Feststellung war noch weit betrüblicher: Alle Fähigkeiten, die Salgouz dem Kontakt mit den Bernalern verdankte, waren verschwunden. Keine Parabegabung mehr, keine überragende Intelligenz. Eine dritte Tatsache drang einstweilen nicht in das Bewußtsein des Mannes; ein nackter Mann hat keine Taschen, und wo keine Taschen zu finden sind, da vermißt man gewöhnlich auch Alkohol. Zum Glück war Salgouz einstweilen mit dem Orkan so beschäftigt, daß dieser niederschmetternde Umstand unbemerkt blieb. »Helfen Sie mir!« hörte Salgouz eine dünne Stimme; er spürte, wie sich ein paar Fin-
Peter Terrid ger langsam und krampfhaft an seine Hände heranarbeiteten und Halt suchten. Salgouz konnte sich gegen dieses Anklammern nicht wehren; wenn er seinen Griff lockerte, mußte er befürchten, weggeweht zu werden und irgendwo einem Felsen oder Baumstamm zu begegnen, der mit Sicherheit wesentlich stabiler sein würde als sein Skelett. Der Wind drehte sich langsam; entsetzt spürte Salgouz, wie ihn die Gewalt des Sturmes langsam aber unerbittlich um den Stamm des Baumes herumschob. Sekunden, bevor der Kontakt endgültig abgerissen wäre, bekam Salgouz an beiden Händen Gloddus' Handgelenke zu fassen. »Festhalten!« schrie Salgouz, während er sich langsam um den Baum herumbewegte. Die Splitter in seiner Brust verbreiteten einen satanischen Schmerz; eines der Holzstückchen bohrte sich durch und blieb an einer Rippe hängen, an der es bei jedem Windstoß scheuerte. Salgouz stöhnte unterdrückt auf; der Splitter lag unmittelbar auf der von Nerven förmlich übersäten Knochenhaut. Ein schmetternder Schlag am Knöchel ließ ihn laut aufschreien – ein herumgewirbelter Ast war vom Wind gepackt und gegen seine Füße gerissen worden. »Durchhalten!« schrie Salgouz; mit aller Kraft, über die er verfügte, klammerte er sich an Gloddus fest. Der Kartograph kehrte jetzt dem Orkan den Rücken zu. Wenn er seinen Griff löste, war Salgouz verloren. Gegen die Naturgewalten des Sturmes war Muskelkraft ungefähr so wirkungsvoll wie Feuerzeugbenzin als Raumschiffsantrieb. Zu allem Ü-berfluß begannen die Wolken, die Landschaft mit einem sintflutartigen Regen zu überschütten. Binnen weniger Minuten standen die beiden Männer bis an die Knöchel in einem zähen Morast, der langsam immer tiefer wurde. »Nicht lockerlassen!« keuchte Salgouz; er hätte vor Wut und Enttäuschung schreien können, als er spürte, daß Gloddus' Kräfte allmählich nachließen. Immer lockerer wurde der Doppelgriff, mit dem die beiden Männer gegenseitig ihre Handgelenke um-
Zweikampf in Fesseln klammert hielten. Für Sekunden verlor Gloddus vollständig den Halt, und nur die Tatsache, daß Salgouz mit letzter Kraft die Handgelenke des Kartographen umklammert hielt, verhinderte, daß der Ammavoler vom Sturm weggerissen wurde. Dann begannen auch die Kräfte von Salgouz zu schwinden; in ohnmächtiger Verzweiflung fühlte Salgouz, wie sich Gloddus' Handgelenke langsam bewegten, durch seine verkrampften Finger glitten. Salgouz versuchte, fester zuzugreifen, aber die geschundene Muskulatur war nicht mehr fähig, die Willensanstrengung in die Tat umzusetzen. Zeitlupenhaft langsam begann Salgouz, den rettenden Halt zu verlieren. Der Mann stieß einen erstickten Schrei aus, als seine Hände endgültig abrutschten und sich sein Körper unter dem Ansturm des Windes zu bewegen begann. Salgouz verlor die Kontrolle über seinen Körper, wurde von den Beinen gerissen und unbarmherzig vom Sturm über den morastigen Boden gewälzt. Salgouz schnappte verzweifelt nach Luft; in regelmäßigen Abständen wurde sein Kopf in den Schlamm gepreßt. Wenn er den Mund öffnete, sobald er mit dem Rücken auf der Erde lag, schien ihm der Sturm die Kiefer auseinanderreißen zu wollen. Dann prallte Salgouz mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand; fast schlagartig verlor er das Bewußtsein. Er kam wieder zu sich, als er die Stimme von Bilfnei Gloddus hörte. Der Kartograph stand über Salgouz gebeugt und schüttelte den Liegenden an den Schultern. »Schnell!« rief Gloddus drängend; Salgouz wunderte sich, daß er die Stimme überhaupt hören konnte. »Der Orkan hat für kurze Zeit nachgelassen, aber er wird in wenigen Minuten wieder losbrechen. Wir müssen uns ein sicheres Versteck suchen, wenn wir nicht an irgendeinem Felsen zerschmettert werden wollen!« »Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?« wollte Salgouz wissen, während er sich langsam und mit dröhnendem Schädel erhob. Gloddus verzog das Gesicht zu einem
9 säuerlichen Lächeln. »Mir blieb gar nichts anderes übrig!« erklärte er finster. »Die Bernaler haben uns in einen Energiekäfig gesteckt. Wir können uns nur knapp fünf Meter voneinander entfernen. Als Sie Ihren Halt verloren, mußte ich mit Ihnen über den Boden rollen – mir blieb nichts anderes übrig!« »Darüber reden wir später!« bestimmte Salgouz hastig; das Pfeifen des Windes begann sich langsam wieder in Heulen zu wandeln. »Wir müssen zusehen, daß wir uns in irgendeinem Loch verkriechen!« Rasch sahen sich die beiden Männer um, wenn die Informationen stimmten, die sich in ihrem Gedächtnis befanden, dann waren sie in einem ausgedehnten Savannengürtel, genauer gesagt an seinem Rand, wie die dichte grüne Masse bewies, die in einigen Kilometern Entfernung den unteren Rand des Gesichtsfelds umsäumte. Dahinter waren undeutlich die Spitzen des Gebirgszuges zu erkennen, der ebenfalls zwischen den beiden Männern und der Station lag, die sie nach dem Willen der Bernaler zu erreichen hatten, wobei es – so besagten es jedenfalls die Informationen, die die Bernaler ihnen mitgegeben hatten – nicht darauf ankam, welche Zeit die beiden Männer benötigten, um die Station zu erreichen. Und noch etwas fiel Salgouz und Gloddus fast gleichzeitig ein – es war auch nicht unbedingt erforderlich, daß beide Männer ihr Ziel erreichten. Gloddus wies mit der Hand nach vorne. »Sehen Sie dort den Hügel?« fragte er drängend. »Wenn ich richtig sehen kann, dann ist dort eine Höhle, in der wir uns verkriechen könnten, bis der Sturm abgezogen ist. Anschließend können wir uns überlegen, wie es weitergehen soll!« »Einverstanden!« stieß Salgouz hervor, dann setzten sich die beiden Männer in Marsch. Nach kurzer Zeit beschleunigten sie ihren Schritt und fielen in einen Trab; mehr ließ die Muskulatur nicht zu. Hinter ihnen türmte sich eine grauschwarze Wand in die Höhe, aus der von Zeit zu Zeit ein greller Blitz über die Landschaft fuhr.
10 »Schneller!« rief Salgouz und forcierte das Tempo. »Ich kann nicht so schnell laufen!« keuchte Gloddus erschöpft; er stolperte über einen Ast, der zum größten Teil von Schlamm bedeckt und daher kaum zu sehen war. Salgouz stieß ein verächtliches Knurren aus und wollte weiterrennen, prallte aber nach wenigen Schritten gegen eine unsichtbare Wand, die ihn zurückwarf und in die Knie brechen ließ. Der Ammavoler gab eine Serie wilder Flüche von sich, während hinter ihm Gloddus mühsam wieder aufstand und sich in Bewegung setzte. Auch Salgouz raffte sich wiederauf und lief neben Gloddus her. Nach wenigen Minuten war der Hügel erreicht, eine sanftgewölbte Kuppel von weniger als sechzig Meter Höhe. Am Fuß der Erhebung gab es tatsächlich, wie Gloddus gesehen hatte, eine Höhlung. Bevor der Kartograph in die Ö-nung hineinzukriechen begann, hielt er noch einen Augenblick inne, dann nickte er zufrieden. »Was freut Sie derart?« brummte Salgouz gereizt. »Der Wind!« erklärte Gloddus zufrieden. »Der Wind weht in einer Richtung, die zum Eingang der Höhle einen Winkel von neunzig Grad bildet. Das bedeutet, daß der Orkan nicht in die Höhle hinein, sondern an ihr vorbei rasen wird.« »Wenigstens etwas!« brummte Salgouz. »Es ist Ihre Höhle – kriechen Sie als erster hinein!« Im gleichen Augenblick wurde dem Ammavoler klar, daß dieser Vorschlag keinerlei Vorteile für ihn bot. Sollte sich ein wildes Tier in die Höhle geflüchtet haben, so wäre seine Lage dadurch um keinen Deut verbessert worden. Sollte ein solches Tier Gloddus anfallen und töten, hätte sich Salgouz für den Rest seines Marsches vor dem Problem gesehen, ständig eine Leiche im Schlepp zu haben. Gloddus schien die Gedankengänge des Ammavolers annähernd richtig erraten zu haben; er bedachte Salgouz mit einem ver-
Peter Terrid ächtlichen Grinsen, dann bückte er sich und kroch auf allen vieren in die kaum hüfthohe Öffnung. Langsam folgte Salgouz. Bereits wenige Meter hinter der Öffnung wölbte sich die Höhlendecke in die Höhe, gleichzeitig schienen sich die Wände voneinander zu entfernen. »Platz genug für eine Großfamilie!« stellte Salgouz nach einigem Tasten fest. »Wenn wir nur Licht hätten!« »Ich bin ebenso unvollkommen bekleidet wie Sie!« bemerkte Gloddus spöttisch. »Mit einem Handscheinwerfer kann ich nicht dienen!« Salgouz tastete auf dem Boden herum; er fand eine Menge Holz und größere Brocken einer festen, bröckeligen Masse. Dazwischen lagen, wie er entsetzt feststellte, etliche glatte, gebogene Stäbe, kurz und an den Enden mit merkwürdigen Verdickungen versehen – Knochen, wie Salgouz nach kurzem Überlegen ermittelte. Und Knochen, zumal wenn sie derart verstreut waren, ließen nur einen Schluß zu: Es gab irgendein Lebewesen, das die Knochen verstreut hatte – nachdem es vorher vermutlich den Besitzer der Knochen angefallen, getötet und verzehrt hatte. »Haben Sie auch so merkwürdige Hölzer gefunden?« ließ sich die Stimme von Bilfnei Gloddus vernehmen; deutlich konnte Salgouz die Unsicherheit in der Stimme des Mannes erkennen. »Das sind keine Hölzer, mein Bester!« stellte er mit rauher Stimme fest. »Das sind Knochen!« »Glauben Sie«, forschte Gloddus ängstlich, »daß sich der Eigentümer dieser Knochen melden wird?« »Schwerlich!« erwiderte Salgouz nach einigem Nachdenken. »Wäre der Besitzer der Höhle vor kurzer Zeit hier gewesen, müßten wir eigentlich Verwesungsgeruch wahrnehmen können. Außerdem wäre der Kot des Tieres nicht so trocken!« »Kot?« wiederholte Gloddus mit einem leichten Würgen in der Stimme. »Glauben Sie, das Tier hätte seine Schlaf-
Zweikampf in Fesseln stelle mit Torfmull ausgepolstert?« bemerkte Salgouz spöttisch. »Wenn wir nur Licht in dieser Finsternis hätten!« »Hm!« machte Gloddus. »Vielleicht kann ich uns helfen?« »Können Sie zaubern?« spottete Salgouz; seine rauhe Stimme hatte einen verächtlichen Klang. »Vielleicht!« gab Gloddus zurück. Salgouz konnte nicht sehen, was der Mann im Dunkeln tat. Nach wenigen Augenblicken hörte er ein leises Kratzen von Holz auf Holz; Sekunden später sah der Ammavoler einen winzigen rötlichen Punkt, der schwach durch die Dunkelheit schimmerte. »Blasen Sie ganz leicht auf die Glut!« befahl Gloddus. »Aber nur ganz schwach!« Salgouz kniete nieder und folgte der Aufforderung; nach kurzer Zeit hatte sich der rote Punkt vergrößert. Behutsam streute Gloddus einige Krümel des getrockneten Dungs über die Glut. »Sie scheinen doch nicht so dumm zu sein, wie Sie aussehen, Gloddus!« meinte Salgouz ein paar Minuten später. Inzwischen brannte in der Höhle ein kleines Feuer, von Gloddus vorsichtig mit Dung und Holz versorgt. Zwar verbreitete sich bald in der Höhle ein durchdringender Geruch, aber dafür war es hell und sogar angenehm warm. Die beiden Männer saßen dicht am Feuer und starrten sich an. »Sobald wir die Station erreicht haben«, versprach Salgouz grimmig, »werde ich dafür sorgen, daß die Galaxis künftig vor Ihnen sicher ist!« Gloddus brach in ein selbstgefälliges Lachen aus. »Mein lieber Salgouz«, erklärte er feierlich. »Wenn wir die Station erreicht haben, werde ich Sie töten – nicht umgekehrt. Vergessen Sie nicht, daß ich wesentlich öfter und länger mit den Bernalern verkehrt habe. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann ich wieder im Besitz meiner Fähigkeiten bin. Und dann werde ich meinen Vorsatz wahr machen!« »Mich zu töten?« erkundigte sich Salgouz
11 mit leichter Beklemmung. »Sie werden vielleicht das fertigbringen, aber keinesfalls mehr!« »Warten Sie es ab!« empfahl Gloddus mit erstaunlicher Sicherheit. »Ich habe weitreichende Pläne, und ich werde sie verwirklichen. Die Galaxis muß von einem Mann regiert werden, der überragende Fähigkeiten hat – und diese Fähigkeiten werde ich wieder haben, sobald dieses Abenteuer hinter mir liegt!« »Hinter uns!« korrigierte Salgouz spöttisch. »Sie vergessen, daß wir in einer Energiefessel stecken und nur zusammen die Station erreichen können!« »Sie irren sich, Salgouz!« versetzte Gloddus. »Das Fesselfeld besteht nur in unserer Psyche. Erinnern Sie sich: Wir standen uns an dem Baumstamm gegenüber. Als der Sturm Sie wegwehte, mußte ich folgen; das Feld zwang mich dazu. Aber der Baum steht immer noch da, wo wir ihn verlassen haben!« »Das bedeutet«, überlegte Salgouz laut, »daß das Feld auf tote Gegenstände nicht wirkt!« »Genau!« kicherte Gloddus. »Sie haben es begriffen – und Sie werden auch bald ein toter Gegenstand sein!« Bevor Salgouz richtig begriffen hatte, wovon Gloddus sprach, stob vor ihm eine Funkenwand in die Höhe. Gloddus hatte blitzschnell einen faustgroßen Brocken des überall herumliegenden Dungs in die Feuerstelle geworfen. Für Sekunden war Salgouz handlungsunfähig; Rauch wirbelte ihm in die Augen, und auf seiner Haut brannten einige Hundert winziger Teilchen. Aus dem Wirbel von stickigem Rauch und Myriaden tanzender Glutpunkte schoß ein gelblicher Knochen heran und traf den unvorbereiteten Salgouz am Kopf. Der Ammavoler fiel zurück und war sekundenlang benommen. Diese Spanne genügte für Gloddus; mit einem Sprung überwand er den Qualmvorhang und stand vor dem liegenden Salgouz. In der Hand hielt er einen armlangen Knochen; instinktiv schloß Salgouz die Augen, als Glod-
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dus ausholte und seine Keule auf den Kopf des Liegenden heruntersausen ließ. Erst als Gloddus einen schmerzerfüllten Schrei ausstieß, blickte Salgouz wieder auf. Gloddus kniete vor ihm auf dem Boden, hielt mit der linken Hand sein rechtes Handgelenk umklammert und wimmerte vor Schmerz. »Ganz so eingebildet scheint die Energiefessel doch nicht zu sein!« höhnte Salgouz, der rasch begriffen hatte, warum Gloddus schmerzerfüllt das Gesicht verzog. Ein Energiefeld mußte den Schwung von Gloddus' Waffe abrupt gestoppt haben, und der Mann konnte froh sein, wenn dieser gewaltsame Stopp nicht einen Knochenbruch nach sich zog. »Lassen Sie sehen!« knurrte Salgouz und hockte sich neben Gloddus auf den Boden. Langsam streckte er die Hände aus; sie trafen auf keinen Widerstand, als er behutsam nach dem Handgelenk seines Feindes griff und es vorsichtig abtastete. »Passen Sie doch auf!« stöhnte Gloddus. »Wollen Sie mir noch einen Knochen brechen?« »Keine schlechte Idee!« murmelte Salgouz. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er die Gelegenheit nicht nutzen sollte. Ein rascher Griff an die Kehle von Gloddus, ein kräftiger Druck … bevor Salgouz dazu kam, den Gedanken weiterzuverfolgen, prallte ervon einem unsichtbaren Faustschlag getroffen zurück. »Es scheint, als würden wir überwacht!« stellte Gloddus mit einem schiefen Grinsen fest. »Solange wir uns streicheln, hat niemand etwas dagegen. Gehen wir uns an die Gurgeln, greift ein Beobachter ein und trennt uns!« »Wir werden also zusehen müssen, daß wir zusammen die Station erreichen!« stellte Salgouz bitter fest. »Wir sind sozusagen Partner durch Zwang!«
3. Als die beiden Männer am nächsten Tag
erwachten, stand die Sonne bereits recht hoch am Horizont. Gloddus steckte als erster den Kopf aus der Höhle und blinzelte in die Höhe; blau und heiß strahlte die Sonne auf die Savanne herab. Wo gestern noch knietiefer Schlamm vorgeherrscht hatte, sprossen nun Millionen von Pflanzen aus dem Boden. Vermutlich würde die farbige Pracht ebenso schnell, wie sie gewachsen war, auch wieder verschwinden. Im Hintergrund war der Rand des Dschungels zu erkennen, dahinter erhoben sich die Berge. Gloddus schätzte die Höhe der eisbedeckten Gipfel auf mehr als zehntausend Meter. Ein Schnaufen ließ ihn herumfahren; hinter ihm kroch Lelle Salgouz prustend und ächzend aus der Höhle. Der gewichtige Körper des Mannes war unbeschreiblich schmutzig, dazu verrieten zahlreiche kleine Brandblasen überall auf der Haut, daß Gloddus' Angriff doch nicht ganz ohne Folgen geblieben war. Das Haar des Ammavolers war filzig und für Gloddus' Geschmack um etliche Zentimeter zu lang. Leicht angewidert sah Gloddus die roten Flecke im Gesicht von Lelle Salgouz, in denen sich kleine Adern deutlich abzeichneten. »Sie sehen widerlich aus, Salgouz!« brummte Gloddus angewidert. »Fett und häßlich! Daß Sie zu jener Rasse gehören sollen, die bisher am erfolgreichsten nach den Sternen griff, erscheint mir fast als Lästerung!« Salgouz schien sich an der merkwürdigen Begrüßung nicht zu stören. Gleichmütig erwiderte der Ammavoler: »Sie sehen auch nicht besser aus, Gloddus!« Er kicherte leise und fuhr fort: »Wenn ich mir vorstelle, daß die Bernaler uns für typische Exemplare des Homo sapiens halten, kann ich nur laut lachen!« »Sie haben recht!« gab Gloddus zurück. »Jedenfalls für Ihre Person. Ich rechne mich nicht mehr zu dieser Spezies. Wenn ich erst meine Parafähigkeiten wieder einsetzen kann …« »… wird Ihr Dutzendhirn wieder die Ausgeburten eines Größenwahnsinnigen ausbrü-
Zweikampf in Fesseln ten!« ergänzte Salgouz brutal. »Ich wäre Ihnen dankbar, würden Sie dieses nutzlose Geschwätz einstellen. Wir haben eine bestimmte Aufgabe, wir haben nichts zu essen, nichts zu trinken, kein Werkzeug, keinerlei Bekleidung, keine Waffe, wir wissen noch nicht einmal genau, wo diese Station überhaupt liegt, die wir erreichen müssen!« »Irrtum!« verbesserte Gloddus. »Während wir schliefen, haben uns die Bernaler zumindest mit Informationen versorgt!« Er kroch in die Höhle zurück, wobei Salgouz ihm notgedrungen folgen mußte; das unsichtbare Fesselfeld ließ es nicht zu, daß sich die beiden Männer voneinander trennten. Als Gloddus wieder zum Vorschein kam, hielt er eine Rolle in der Hand. Als er das Lederstück ausbreitete, erkannte Salgouz eine präzise Karte der näheren Umgebung. Sogar die Höhle, in der Gloddus die Karte gefunden hatte, war eingezeichnet. Gloddus und Salgouz beugten die Köpfe über das Leder und betrachteten mit großer Sorgfalt, was die Bernaler aufgezeichnet hatten. Der Weg, den sie zu beschreiten hatten, war nicht vorgeschrieben, aber aus der Lage der Station ging eindeutig hervor, daß den Männern allerlei Unannehmlichkeiten bevorstanden. Zwischen ihnen und dem Ziel lag zunächst ein schmaler Streifen der Savanne, in der sie sich bereits befanden. Es folgte ein ausgedehnter Dschungelstreifen. Was dieses Gebiet an Gefahren aufzuweisen hatte, ging nicht aus der Karte hervor, der Streifen Land war intensiv dunkelgrün gefärbt, darauf war schwarz ein Schriftzug zu lesen: Dschungel. Daran schloß sich ein brauner Streifen mit weißen Flecken an – Gebirge. Nach einer schmalen Küstenregion folgte ein Meerbusen, in dem zahlreiche kleinere Inseln zu erkennen waren. Und hinter diesen Schären wiederum befand sich auf der größten erkennbaren Insel die mit einem orangefarbenen Kreuz gekennzeichnete Station, die es zu erreichen galt. »Wie weit wird die Insel entfernt sein?« überlegte Gloddus laut.
13 Es war kein Maßstab eingezeichnet, aber für einen halbwegs guten Kartographen mußte es möglich sein, anhand des einzigen zur Verfügung stehenden Wertes die Distanz annähernd zu ermitteln. Gloddus schätzte die Entfernung von seinem Standpunkt bis zum Beginn des Dschungelgürtels, verglich den Schätzwert mit der Breite des Savannenstreifens auf der Karte und kam zu dem Ergebnis, daß den beiden Männern ein Marsch von fast fünfhundert Kilometern bevorstand. »Heilige Galaxis!« stöhnte Salgouz auf. »Sind Sie sich darüber im klaren, was sie da berechnet haben?« »Ziemlich genau sogar!« gab Gloddus zurück. »Was ich geschätzt habe, ist die Entfernung in gerader Linie; wie der Weg sich wirklich gestalten wird, wissen allein die Bernaler!« Spöttisch grinste Gloddus seinen Partner an; zwar hatte der Kartograph selbst ein nicht unbeträchtliches Übergewicht aufzuweisen, aber verglichen mit der Statur des Ammavolers war er fast schlank zu nennen. Salgouz wog annähernd einhundert Kilogramm; das waren bei seiner Größe mindestens zwölf Prozent zuviel. Obendrein war Salgouz mühelos anzusehen, daß zu seinen bevorzugten Freundinnen die Flasche zählte. Die Folgen waren selbst für einen medizinischen Laien wie Gloddus leicht abzuschätzen: Eine stark verfettete Leber, die größeren Strapazen vielleicht nicht mehr gewachsen sein würde; ob der Kreislauf der doppelten Strapaze von Gewaltmärschen und Alkoholentzug gewachsen sein würde, war eine andere Frage von Bedeutung. »Was gibt es so zu grinsen?« wollte Salgouz wissen. »Haben Sie sich eigentlich schon einmal mit Überlebenstechnik befaßt?« fragte Gloddus zurück. »Vermutlich nicht, wie mir die Tatsache beweist, daß Sie nicht einmal wußten, wie man mit zwei Holzstücken und trockenem Dung ein Feuer macht!« »Verdammt, das Feuer!« knurrte Salgouz. »Wir hätten es nicht erlöschen lassen sollen!«
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Gloddus machte eine wegwerfende Handbewegung. »Unwichtig!« meinte er kurz. »Wir hätten die Glut ohnehin nicht transportieren können!« »Sie wissen wohl alles, Sie Schlaukopf?« ärgerte sich der Ammavoler. »Wir werden sehen, wer von uns als erster schlappmacht – Sie oder ich!« »Machen wir den Test!« schlug Gloddus vor und setzte sich in Bewegung.
* Beide Männer waren keine Sportler; sie verfügten weder über ausreichendes Training, noch über Spezialausbildung, wie sie für terranische Raumsoldaten ebenso üblich war wie für USO-Männer. Lediglich Gloddus hatte eine leise Ahnung, wie er sich in den nächsten Tagen und Wochen zu verhalten hatte. Zu seiner bevorzugten Lektüre gehörten Geschichten, in denen sich die meist in zartes Lindgrün gekleideten Helden erfolgreich gegen alle Unbilden zur Wehr setzten. Allerdings konnte Gloddus nur hoffen, daß die Autoren solcher Geschichten auch wußten, wovon sie schrieben – einigen Episoden zufolge hätte der Besitz eines einzigen Nagezahns bereits ausgereicht, um mittelstarke Raumflotten zu verscheuchen. Wie wenig das Wissen von Heldentaten anderer nützlich war, stellte sich bereits nach wenigen Stunden heraus, als den beiden Männern langsam die Luft wegzubleiben begann. Die Beine begannen zu schmerzen; Antigravlifte waren nicht eben das ideale Überlebenstraining, stellte Gloddus erbittert fest. Zudem erwiesen sich die Gräser, die bis an den Horizont hinter ihnen das gesamte Land bedeckten, als unangenehm scharfkantig. So schwach die Zellstruktur der Blätter auch sein mochte – an den Rändern waren die Kanten so dünn, daß sie millimetertief in die nackte Haut schnitten. Die Verletzungen bluteten kaum, aber die Anzahl solcher Schnittwunden nahm allmählich bedrohliche Ausmaße an. Unter der Hitze
der blauen Sonne verdampfte das Wasser, das in der Nacht noch das Leben der beiden Männer bedroht hatte. Weißliche Schwaden stiegen aus dem dichten Steppengras und nahmen den Männern die Sicht; zudem erschwerte die feuchtigkeitsgeschwängerte Luft das Atmen. Besonders Lelle Salgouz hatte unter der Treibhausluft zu leiden; in dicken Tropfen lief ihm der Schweiß am Körper herunter, und immer, wenn die salzigen Tropfen in eine der Schnittwunden gerieten, stieß der Mann einen unterdrückten Schmerzenslaut aus. In regelmäßigen Abständen blickte Gloddus nach oben, aber von Raubvögeln war einstweilen nichts zu sehen. »Wenn Ihnen die Strapaze nicht reicht, können Sie ja mich tragen!« spottete Salgouz, als er sah, wie sich Gloddus bückte und zwei Äste aufhob. Der Kartograph zuckte mit den Schultern und verzichtete auf eine Antwort. Langsam begann Lelle Salgouz seinen Leidensgefährten zu hassen. Er hatte nicht vergessen, daß er nur durch das Eingreifen der Bernaler davor bewahrt worden war, in grünliche Gasschwaden aufgelöst zu werden. Und ihm war auch nur zu gut bewußt, was Gloddus anstellen würde, sollte er jemals wieder in eine Machtposition geraten, wie er sie noch vor wenigen Stunden innegehabt hatte. Unwillkürlich mußte der Ammavoler an seinen Hund denken, der ebenfalls mit einem Urgen in Berührung gekommen war; der Hund war verrückt geworden – er hatte getötet werden müssen. Und eine ähnliche Therapie hielt Salgouz auch im Fall des Bilfnei Gloddus für angebracht. Der Ammavoler ahnte nicht, daß sich sein Partner zur gleichen Zeit mit ähnlichen Fragen beschäftigte, wenn auch nicht mit der gleichen Verbissenheit. Für Gloddus stellte Salgouz kein übermäßig großes Problem dar. Der Ammavoler war fett, aufgeschwemmt und vermutlich im Denken ebenso langsam, wie er es im Reden war. Wahrscheinlich würde er beim Erreichen der Station reif für den Fangschuß sein, und Gloddus war entschlossen, dem schwerfälligen Mann rasch
Zweikampf in Fesseln den Garaus zu machen. Dafür gab es mehr als einen Grund: Zunächst einmal war Salgouz der einzige, der außer ihm Kontakt mit den Bernalern gehabt hatte. Nur er konnte sich erfolgreich gegen Gloddus zur Wehr setzen. War der Ammavoler erst ausgeschaltet, stellte Atlan in Gloddus' Hand ein Faustpfand von unschätzbarem Wert dar. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Gloddus den Platz eingenommen haben würde, der ihm nach seinem eigenen Selbstverständnis gebührte. Der zweite Grund für Salgouz' Tod lag in Gloddus selbst begründet; der Kartograph der SMARGENT hatte sich stets durch penetrante Unauffälligkeit ausgezeichnet. Bis zu dem Kontakt im Zeitflimmern war Gloddus nie auffällig geworden – weder positiv noch negativ. In den Jahren seiner Isolation hatte Gloddus aus der Not eine Tugend gemacht; er hätte sich sehr gewundert, wäre er von irgendeinem Beobachter als Erzspießer bezeichnet worden – was seine moralischen Auffassungen indes präzise getroffen hätte. Gloddus ekelte sich vor Salgouz; der vom Alkohol aufgeschwemmte Körper des Ammavolers, das lückenhafte, ungepflegte Gebiß von Salgouz widerten ihn ebenso an wie die Tatsache, daß der Ammavoler auch sein Liebesleben so einrichtete, wie es ihm paßte, und sich ganz offenkundig den Teufel darum scherte, was seine Zeitgenossen von seiner Lebensführung hielten. Gloddus war sich durchaus der Tatsache bewußt, daß er unter normalen Umständen in keiner Beziehung bemerkenswert war, und dieser Umstand trieb ihn jetzt vorwärts. Gloddus war von der Entschlossenheit besessen, diese einmalige Chance nicht zu vertun; niemals wieder, das wußte der unscheinbare Mann sehr genau, würde sich ihm die Gelegenheit bieten, aus der Anonymität auszubrechen und eine wichtige Persönlichkeit zu werden – und es war ihm gleichgültig, ob er als großer Held oder als Erzverbrecher in die Geschichte eingehen würde. Wichtig war nur, daß er nicht wieder in die Bedeutungslosigkeit zurückfiel.
15 Nach einem fünfstündigen Marsch hatten die beiden Männer den Savannengürtel hinter sich gebracht; vor ihnen lagen die ersten Ausläufer des Dschungels. Aus der Luft hätte sich eine unregelmäßige, nichtsdestotrotz jedoch scharfe Abgrenzung zwischen den beiden Gebieten erkennen lassen. Genau besehen, war diese scharfe Trennung unnatürlich – normalerweise gab es zwischen Landschaftszonen fließende Übergänge. Auch Lelle Salgouz fand diese Tatsache erstaunlich. »Was halten Sie davon?« fragte er und machte eine Handbewegung, in der das gesamte umliegende Gebiet eingeschlossen war. »Finden Sie es normal, daß eine Savanne schlagartig in Dschungel übergeht?« Gloddus zuckte hilflos mit den Schultern. »Eigentlich«, murmelte er nachdenklich, »haben Sie recht, aber ich befürchte, auf Koysch ist vieles anders, als wir es gewohnt sind. Die Gesetze, die wir aus unserer Galaxis kennen, müssen hier nicht unbedingt Gültigkeit haben!« »Unserer Galaxis?« echote Salgouz verblüfft. »Glauben Sie, daß wir uns nicht in unserer Milchstraße aufhalten?« »Möglich wäre es!« bemerkte Gloddus gelassen; er genoß es offensichtlich, daß er – wenigstens zu diesem Zeitpunkt – derjenige war, der den Ton angab. »Die Bernaler halten sich im Zeitflimmern auf. Wenn sie die Zeit kontrollieren und für ihre Zwecke einsetzen, warum nicht auch den Raum. Immerhin hat Räumliches stets auch einen zeitlichen Aspekt!« »Wie meinen Sie das?« fragte Salgouz weiter. »Stellen Sie sich vor, Sie würden jetzt eine Zeitreise machen«, erklärte Gloddus geduldig. »Wohlgemerkt eine Zeitreise ohne Ortsveränderung. Bei einer Zeitverschiebung von einigen Stunden werden Sie vielleicht in einem Vulkan landen – weil sich der Planet unter Ihnen weggedreht hat. Es gibt nämlich zwei Methoden, sich zu bewegen. Entweder überwindet man die räumliche Distanz und reist zu dem Ort, den man
16 besuchen will – oder man bewegt sich durch die Zeit und wartet, bis das gewünschte Ziel dank seiner Eigenbewegung von selbst kommt. Vielleicht sind wir Lichtjahrmilliarden von unserer Milchstraße entfernt, vielleicht sind wir auch Milliarden von Jahren von unserer Realzeit entfernt. Möglich wäre es auch, daß wir uns in einem ganz anderen Universum befinden, in dem völlig andere Gesetze die Natur bestimmen, als wir es gewöhnt sind!« »Sind Sie sich da sicher?« forschte Salgouz. »Nein!« gestand Gloddus ein. »Es sind nur Theorien. Es gibt Spekulationen, die ein normales Menschenhirn sich überhaupt nicht vorstellen kann. Jedes normale Hirn versagt bei dem Versuch, sich einen in sich selbst gekrümmten Raum vorzustellen. Wieviel größer wird die Schwierigkeit, in der Einbildung eine in sich selbst gekrümmte Zeit zu formen?« Lelle Salgouz verzichtete darauf, das Experiment zu machen; er richtete seine Aufmerksamkeit auf die ersten Dschungelpflanzen, die vor ihm auftauchten. Ein unübersehbarer Wirrwarr von Gewächsen aller Art war zu sehen; nur selten schimmerte der schwarzbraune Stamm eines Baumes durch das dichte Blattwerk. Meist waren die Stämme bis an die dichtbelaubten Kronen mit Flechten bedeckt; zwischen den Ästen spann sich ein verwirrendes Netzwerk von Lianen und Luftwurzeln, und der Boden war bedeckt von Moosen und Farnen mit riesigen Blättern. Salgouz schluckte unwillkürlich; die Vorstellung, tagelang durch diese Wildnis marschieren zu müssen, hatte etwas Erschreckendes an sich. Daher war der Ammavoler nicht erstaunt, als Gloddus kurz vor dem Dschungelgebiet verharrte und sich in das Gras hockte. »Darf man erfahren, was Sie vorhaben?« erkundigte sich Salgouz, als Gloddus mit den beiden Holzstücken zu hantieren begann, die er seit geraumer Zeit mit sich trug. »Ich mache Feuer!« versetzte Gloddus ruhig. »Falls es in diesem Urwald Tiere geben
Peter Terrid sollte, die uns gefährlich werden können, werden wir sie nur mit Feuer abwehren können!« Nach erstaunlich kurzer Zeit brannte auf dem Savannenboden ein kleines Feuer; sorgfältig hatte Gloddus zuvor einen kreisförmigen Fleck vom Gras befreit. Jetzt dienten die ausgerissenen Halme dazu, das Feuer zu nähren. Gloddus schichtete sein Brennmaterial so, daß das Feuer einige Zeit auch ohne sein Zutun weiterbrennen würde, dann gab er Salgouz mit dem Kopf ein Zeichen, ihm zu folgen. Der Ammavoler wußte zwar nicht, was sein Mitgefangener plante, aber er folgte, obwohl seine Beine von der Anstrengung des Marsches schmerzten. Interessiert sah Salgouz zu, wie Gloddus einige Meter weit in das Dschungeldickicht eindrang und offenbar nach etwas suchte. »Helfen Sie mir!« hörte Salgouz es aus dem Dickicht klingen; der Ammavoler hatte es vorgezogen, einstweilen noch im Gras stehenzubleiben. Jetzt machte er einige Schritte vorwärts; fast schlagartig verschwand das helle Licht der Sonne und machte einem blaugrünen Dämmern Platz. In der trüben Beleuchtung sah Salgouz nur nach einiger Zeit der Anpassung seinen Leidensgefährten. Gloddus zerrte mit aller Kraft an einem Gewächs, das ziemlich genau senkrecht aus dem Boden ragte. »Worauf warten Sie?« knurrte Gloddus. »Helfen Sie mir!« Mit vereinten Kräften der beiden Männer gelang es nach einiger Zeit, den Stamm des kleinen Baumes aus dem Boden zu zerren. Obwohl Salgouz keinen Sinn in Gloddus' Aktionen erkannte, half er, auch noch einen zweiten Stamm aus dem Boden zu reißen. Anschließend fiel Gloddus' Interesse auf ein längst abgestorbenes Bambusgewächs, das auf dem feuchten Boden lag und eine Dicke hatte, die etwa der von Salgouz' Oberschenkel entsprach. Gloddus sammelte noch einige kleinere Holzstücke von toten Bäumen, dann traten die beiden Männer den Rückzug an. »Hören Sie«, meinte Salgouz düster. »Ich
Zweikampf in Fesseln weiß nicht, was Sie vorhaben, aber können Sie mir verraten, was das alles soll?« Gloddus gab keine Antwort; mit dem mitgebrachten Holz schürte er das Feuer, dann befreite er die beiden Stämme von allem Blattwerk und hielt die Spitzen in die Flammen. Das feuchte Holz brannte nicht; nur eine Schicht Glut fraß sich allmählich weiter. Gloddus ließ die Spitzen im Feuer liegen, während er das Bambusstück aushöhlte. Den Boden des Köchers, der auf diese Weise entstand, füllte er mit feuchten Blättern, anschließend wurden die festen Holzstücke des Feuers vorsichtig in den Behälter gelegt. »Fertig!« murmelte Gloddus und sah Salgouz überlegen an. »Jetzt haben wir Feuer, und wir können es transportieren!« Er warf Salgouz einen der beiden angekohlten Stämme zu, den der Ammavoler geschickt auffing. »Wenn Sie die Holzkohle am Boden abscheuern«, bemerkte Gloddus beiläufig, »werden sie hoffentlich begreifen, was mein Manöver für einen Zweck hatte!« Neugierig folgte Salgouz der Aufforderung; es stellte sich heraus, daß durch den Prozeß des Anglimmens aus dem dünnen Stamm eine zwar unhandliche, dennoch aber brauchbare Lanze geworden war, deren Spitze eine verblüffende Schärfe und Härte aufwies. »Jetzt haben wir Feuer und Waffen!« stellte Salgouz fest; in seiner Stimme schien ein leiser Anklang von Achtung mitzuschwingen, wie Gloddus festzustellen glaubte. »Was folgt nun? Ich schlage vor, wir marschieren weiter und versuchen, irgendein pelztragendes Tier zu erlegen. Wir brauchen wenigstens eine Andeutung von Schuhwerk. Wahrscheinlich wimmelt es in dem Dschungel von Ameisen, Skorpionen und ähnlichem Getier!« »Ausnahmsweise haben Sie recht!« stimmte Gloddus zu. »Gehen wir!«
4. Ich hatte es mir in der Zentrale der
17 SMARGENT so bequem gemacht, wie dies in einer solchen Räumlichkeit überhaupt möglich war. Meine Füße lagen auf dem Pult vor dem Kommandantensessel, den Docro Ktamvayn mir förmlich aufgedrängt hatte. Der Kommandant der SMARGENT schien noch immer nicht die Tatsache überwunden zu haben, daß er im Dienste eines Verbrechers gegen die Menschheit gearbeitet hatte. Er war von Schuldgefühlen geplagt, das war deutlich zu sehen. Er saß im Sitz des Kopiloten, den er so gedreht hatte, daß er mich ansehen konnte. Soweit das möglich war, hatte er sich um militärische Haltung bemüht. Merkwürdig, dachte ich unwillkürlich, daß Terraner sich immer dann in formelhaftes Verhalten flüchten, wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen. Andere Völker wahren auch dann die Formen, wenn sie eigentlich Besseres zu tun hätten. Ein Arkonide aus der Frühzeit des Imperiums – des arkonidischen Imperiums – fiel mir ein; der Mann war an Bord seines Flaggschiffs geblieben, obwohl der Atombrand fast acht Zehntel seines Schiffes bereits verschlungen hatte. Er hatte sich geweigert, auf das Schiff eines Untergebenen zu gehen, da er keine frische Uniform zur Verfügung hatte. Der Mann war im Atombrand gestorben, aber seine Haltung galt allgemein als vorbildlich. Unwillkürlich begann ich zu lachen. Ktamvayn sah schüchtern zu mir herüber, dann getraute er sich zu fragen: »Darf ich mich erkundigen, was Ihre Heiterkeit hervorruft, Lordadmiral?« »Ich dachte gerade über Ihre Bemühungen nach, sitzend strammzustehen, wenn Sie begreifen, was ich meine!« klärte ich ihn auf. »Und dabei fielen mir einige Bilder ein, die für die Presse des Solaren Imperiums Millionen von Solar wert wären!« »Von mir?« fragte Ktamvayn sichtlich erschrocken. Ich wehrte ab. »Keine Angst, Kapitän!« erklärte ich ihm. »Nein, ich dachte an einen Einsatz in der Nähe von Mechanica. Dort trieb sich eine
18 hochgestellte Persönlichkeit des Nachts in den Gängen der THEODERICH herum – bekleidet mit einem überschweren Impulsstrahler und einer Pyjamahose mit aufgedruckten Schmetterlingen!« »Doch nicht etwa …?« staunte Ktamvayn. »Nicht Rhodan«, widersprach ich, »obwohl … nein, es handelte sich um Reginald Bull!« Auch ohne meine Ausbildung hätte ich mühelos erkennen können, wie es in dem Mann arbeitete. Es war immer wieder das gleiche Phänomen – für Menschen, die nicht näher mit der Führungsspitze des Imperiums in Berührung kamen, waren die Männer und Frauen ganz oben keine Menschen mehr, sondern Halbgötter. Sie wurden nicht mehr gesehen, wie sie waren, sondern so, wie man sich einen Großadministrator eben vorzustellen pflegte – und für diese Vorstellung war das Wort Vollkommenheit nur ein schwacher Abklatsch. Einmal hatte ich es nur der Unbestechlichkeit der Identifizierungsautomatiken von dem Quinto-Center zu verdanken gehabt, überhaupt eingelassen zu werden. Der Leutnant in der Transmitterempfangsstation hatte mich nicht durchgelassen – mit der Begründung, ein Lordadmiral mit einem blaugeschlagenen Auge könne nur ein Betrüger sein. »Worauf warten wir eigentlich, Sir?« riß mich die Stimme Ktamvayns aus meinen Erinnerungen. »Auf Bilfnei Gloddus und Lelle Salgouz!« klärte ich ihn auf. »Oder wenigstens auf einen der beiden Männer!« »Glauben Sie wirklich, daß sie zurückkehren?« wollte Ktamvayn wissen. »Eine Gegenfrage«, begann ich meine Erklärung. »Sehen Sie sich häufiger Video-Filme an?« Docro Ktamvayn verneinte entschieden. »Diese Streifen sind zu simpel für meinen Geschmack!« wehrte er ab. »Besonders die mehrteiligen Filme mag ich nicht. Wenn zu Beginn einer Folge ein Zeuge als wichtig herausgestellt wird, kann man fast sicher sein, daß er am Ende der Folge tot ist. Be-
Peter Terrid sonders einfach ist die Lösung der Fälle in der Commissioner-Serie: Dort ist es immer der bestbezahlte Darsteller einer Nebenrolle. Wenn beispielsweise Tarn Oliver Sagarre, der pro Drehtag mindestens tausend Solar fordert und auch erhält, in den ersten fünfzig Minuten eines einstündigen Streifens nur zehn belanglose Sätze gesagt hat, kann ich darauf wetten, daß er noch eine große Szene zum Schluß hat, damit das Geld für ihn nicht sinnlos vergeudet ist. Und in diesen großen Schlußszenen wird meist der Mörder entlarvt – eben jener Star, der bisher so wenig zu tun hatte!« Ich nickte anerkennend, und der Kommandant der SMARGENT lächelte zufrieden. »Genau das meinte ich«, fuhr ich fort. »Obwohl Sie die Drehbücher nicht kennen, haben Sie doch nach kurzer Zeit eine ziemlich exakte Ahnung davon, wie es weitergehen muß. Und die Erfahrungen, die ich im Laufe meiner Tätigkeit unter den Terranern gewonnen habe, sagen mir, daß Salgouz und Gloddus zurückkehren werden!« »Mehr als zehntausend Jahre Erfahrung!« murmelte Ktamvayn nachdenklich; ich glaubte zu ahnen, was Ktamvayn jetzt fragen würde – ein Zellaktivatorträger wird immer wieder das gleiche gefragt. Doch ich hatte mich geirrt. »Was werden Sie mit Gloddus machen«, wollte Ktamvayn wissen. »Das heißt – wenn er überhaupt wieder auftaucht?« Ich zuckte mit den Schultern; ganz genau wußte ich selbst noch nicht, was mit dem merkwürdigen Mann geschehen sollte. Ich stellte wieder eine Gegenfrage: »Wie genau kennen Sie Gloddus, Ktamvayn?« »Nur wenig!« gestand er ohne Umschweife. »Er ist oder war unscheinbar, höflich zu jedermann, weder beliebt noch unbeliebt. Gloddus raucht nicht, trinkt nicht; man hat ihn weder Karten in der Hand halten sehen, es sei denn astronomische Karten. Und von den Mädchen an Bord kann sich keines erinnern, jemals einen Annäherungsversuch be-
Zweikampf in Fesseln merkt zu haben. Dieser Mann ist einfach nirgendwo zu fassen!« »Das eben macht ihn so gefährlich!« murmelte ich; ich bemerkte den fragenden Blick des Kommandanten. »Haben Sie ein Laster, Ktamvayn?« Er sah mich verblüfft an, dann zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht!« räumte er ein. »Ich weiß nicht, ob man es Laster nennen kann, aber ich bin – so drückt sich jedenfalls mein Erster Offizier aus – sternensüchtig. Ich würde alles dafür geben, weiter mit einem guten Schiff durch diese Galaxis fliegen und suchen zu können!« »Irgendwo hat jeder normale Terraner ein Laster«, meinte ich. »Und Ihre Sucht ist ein verbreitetes Laster. Gloddus aber hat überhaupt kein Hobby, keine Leidenschaft. Er ist die Verkörperung des Mittelmaßes in jedem Sinne. Und er ist zu intelligent, um nicht genau zu wissen, wie beschränkt seine Fähigkeiten sind. Wenn er tatsächlich Macht bekommen sollte, wird er sie dazu nutzen, andere auf sein Maß zurückzuzwingen. Nichts ist schlimmer als ein Mensch, der seine Fehler zu Tugenden ummünzt – und dann noch als Missionar seiner Ansichten auftritt. Ein Moralapostel mit dem Desintegrator in der Hand ist eine der unangenehmsten Erscheinungsformen des Homo sapiens, die ich kenne!« »Haben Sie etwas gegen Moral?« fragte Ktamvayn erstaunt; ich hatte völlig übersehen, daß auch Docro Ktamvayn Alkohol, Zigaretten und Glücksspiele scheute. »Sie mißverstehen mich!« widersprach ich lächelnd. »Wie Sie Ihr Leben gestalten, ob Sie rauchen, trinken oder Ihr Glück in den Karten versuchen – das ist allein Ihre Sache. Ich wäre nur dagegen, wenn Sie Ihre private Auffassung zur allgemein verbindlichen Richtschnur erheben wollten. Ob oder wann Sie heiraten, ist Ihre Sache – aber Sie haben natürlich kein Recht, andere zu zwingen, bis zu ihrem dreißigsten Lebensjahr enthaltsam zu leben. Zu diesem Thema fällt mir übrigens ein uraltes japanisches Sprich-
19 wort ein, das ich für sehr weise halte: Schämen soll sich immer derjenige, der hinsieht!« »Ich verstehe!« bemerkte Ktamvayn nickend. »War es früher tatsächlich so schlimm?« »Es ging ziemlich hart zu!« bestätigte ich seufzend. »Als am Ende des zweiten Jahrmillenniums die ersten empfängnisverhütenden Medikamente gefunden wurden, gab es noch viel Ärger um die Unmoral der Jugend. Und bei vielen herrschte ganz offenkundig die neidische Devise vor: Ihr sollt nicht den Spaß haben, den wir in eurem Alter auch nicht haben durften!« »Apropos Spaß!« lenkte Ktamvayn ein. »Was, glauben Sie, wird zu dieser Zeit eigentlich mit Gloddus und Salgouz gemacht?« »Ich weiß es nicht!« gestand ich. »Aber ich glaube nicht, daß die beiden viel Spaß haben werden!«
* Am Abend des zweiten Tages auf Koysch waren beide Männer hochgradig erschöpft. Sie hatten inzwischen kaum mehr als dreißig Kilometer zurückgelegt, und das, obwohl sich der Marsch durch den Dschungel leichter gestaltete, als sie ursprünglich angenommen hatten. Es gab zwischen den Bäumen genügend Raum, und die Lianen und Luftwurzeln hatten sich nicht als großes Hemmnis erwiesen. Was die Männer geschwächt hatte, war vor allem der Boden gewesen; bis an die Knöchel waren sie bei jedem Schritt in den Grund eingedrungen, und das Herausziehen der Füße kostete viel Kraft. Zudem waren ihre Nerven einer Dauerbelastung ausgesetzt gewesen; zwischen den Bäumen tummelten sich unzählige Affen, deren Geschrei die Männer fast verrückt machte. Bilfnei Gloddus' Schädel wurde von zwei beachtlichen Beulen geziert; die Affen verstanden es ausgezeichnet, mit faustgroßen Früchten zu werfen und auch zu treffen. Dazu kam die feuchtwarme Luft des Dschun-
20 gels, die sich auf die Lungen schlug und das Atmen zur Strapaze machte. »Ich bin müde!« stöhnte Gloddus. »Ich glaube, wir sollten uns nach einer Schlafgelegenheit umsehen!« »Einverstanden!« krächzte Salgouz, der ebenfalls die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht zu haben schien. »Aber wo sollen wir hier schlafen? Auf dem Boden, wo uns jederzeit irgendein giftiges Insekt stechen oder beißen kann? Oder auf den Bäumen, wo uns die Affen mit ihrem Geschrei wachhalten werden?« »Auf dem Boden!« schlug Gloddus vor; er hatte sich bereits gesetzt, und sein Atem ging schwer. »Wir werden eben versuchen müssen, uns irgendwie zu schützen!« »Glauben Sie, daß uns das gelingen wird?« zweifelte Salgouz bitter. »Was wissen wir denn schon von diesem Urwald!« »Nicht übermäßig viel!« gestand Gloddus. »Aber wir wissen eines – es muß für uns eine reelle Chance geben, die Station zu erreichen und die Aufgabe zu bewältigen, die die Bernaler uns gestellt haben. Folglich werden alle Schwierigkeiten so beschaffen sein, daß wir sie meistern können. Wohlgemerkt können – nicht müssen! Die Bernaler können sich mühelos ausrechnen, daß zwei ungeübte Männer nach einiger Zeit ermüden werden und schlafen wollen. Im Schlaf sind sie wehrlos – folglich wird uns nur eine Gefahr drohen, die wir rechtzeitig bemerken werden. Gegen Gift aber sind wir völlig ohne Mittel!« »Hört sich gut an!« stimmte Salgouz nachdenklich zu. »Aber ich habe meine Zweifel! Ich würde vorschlagen, daß einer von uns wacht!« Gloddus warf ihm einen prüfenden Blick zu, dann nickte er; offenbar befürchtete der Mann, im Schlaf von Salgouz überfallen zu werden. Das aber, hatte er sich rasch überlegt, wäre auch für den Angreifer sinnlos gewesen – schließlich wußten die Männer nicht, ob sie für den Fall, daß einer von ihnen starb, den anderen als Leiche mitzuschleppen hatten.
Peter Terrid »Wer wacht als erster?« überlegte Salgouz laut. »Ich?« »Einverstanden!« knurrte Gloddus. Er suchte sich einen großen Haufen Blätter zusammen und baute sich daraus ein Lager. Wenige Augenblicke, nachdem er sich auf dem improvisierten Bett ausgestreckt hatte, war er auch schon eingeschlafen. Nachdenklich sah Lelle Salgouz auf den Schläfer herab, dann zuckte er mit den Schultern, als wolle er ausdrücken, daß er aus Gloddus nicht schlau wurde. Salgouz lehnte sich an einen Baumstamm und versorgte das Feuer auf dem Boden. Neben ihm lagen die beiden Speere – es hatte sich gezeigt, daß diese primitiven Waffen außerordentlich wirkungsvoll sein konnten. Instinktsicher hatte sich Gloddus für ein Holz entschieden, das alle anderen an Härte übertraf. Kräftig geworfen oder gestoßen, blieben die Spitzen der Speere in jedem Baum stecken. Salgouz stand auf; innerhalb des fünf Meter umfassenden Feldes suchte er Holz zusammen, mit dem er das Feuer unterhalten wollte. Sobald er einen genügend großen Stapel Brennholz aufgeschichtet hatte, setzte er sich wieder. Ein spöttisches Grinsen flog über sein Gesicht, als er Gloddus' Schnarchen wahrnahm. Es dauerte jedoch nicht lange, dann schnarchte auch er. Am sternenarmen Himmel über Koysch gingen nacheinander fünf Monde auf, die ein ziemlich helles Licht abgaben. Genug Licht jedenfalls, um einige Meter weit sehen zu können.
* Ein Geräusch klang über die Lichtung, die sich Gloddus und Salgouz als Lagerstätte ausgesucht hatten; es war das Schnarchen von zwei Männern. Das Yüülz wartete ab; Warten gehörte zu seinem Leben, die Geduld dazu war fast schon genetisch programmiert. Das Yüülz kannte keine Eile, es wußte, daß ihm die Beute nicht entgehen konnte. Mit den schwachen telepathischen Fähig-
Zweikampf in Fesseln keiten seiner Art sondierte das Yüülz die Hirnschwingungen seiner Beute; zwar vermochte es nicht festzustellen, was die Beutetiere dachten, aber es war ihm rasch klar, daß ihre Aufmerksamkeit stark vermindert war. Langsam senkten sich die Sensoren auf die Körper der Beute hinab, zuckten wieder zurück, als sich bei einem der Beutetiere die Augen heftig bewegten, wenn auch unter geschlossenen Lidern. Der empathische Sensor stellte eine erhöhte Hirnaktivität fest. Ein kaum anmeßbarer elektrischer Stromstoß fuhr durch das feinverzweigte Nervensystem des Yüülz und stoppte die Angriffsbewegungen. Das Yüülz war nicht intelligent, aber die Automatismen einer perfekten Instinktschaltung ließen es fast logisch handeln. Im Laufe einer langen, stammesgeschichtlichen Entwicklung hatten sich nur solche Yüülz fortpflanzen können, deren biochemisch gesteuerten Reflexe mit größter Präzision arbeiteten. Wieder wartete das Yüülz. Stromstöße in den Nervenfasern wurden weitergeleitet, verzweigten sich und trafen auf Schnittpunkte; das Yüülz konnte keine Informationen verarbeiten, dazu war sein Nervensystem zu primitiv, aber in das System von Reflexen und chemisch gesteuerten Handlungen waren genügend Informationen und Entscheidungsmöglichkeiten eingespeichert, um das Yüülz zu befähigen, eine beträchtliche Reihe von verschiedenen Lagen zu beurteilen und sich darauf einzustellen. Der Reflex, der jetzt weitergeleitet wurde, besagte: Angriff auf das Wesen mit verminderter Aufmerksamkeit, das andere Wesen kann später angegriffen werden! Wieder senkten sich die Sensoren auf die Beute hinab; die bräunlichen Fäden sandten unhörbare Schwingungen aus und empfingen sie auch. Die Reize wurden weitergeleitet, verarbeitet und zur weiteren Steuerung der Sensoren verwendet. Präzise einen Hundertstelmillimeter über der Haut des Opfers verharrte der Sensor. Ein nur nach Zehntelmillimetern zu bemessender Kanal öffnete
21 sich an der Spitze des Sensors, zeitlupenhaft langsam quoll ein Tropfen aus der Öffnung. Ein höherentwickeltes Lebewesen hätte vor Aufregung gezittert; der alles entscheidende Augenblick war gekommen – in diesen wenigen Sekundenbruchteilen entschied es sich, ob das Opfer noch eine hauchdünne Chance hatte, dem Verhängnis zu entkommen. Aber die Beute rührte sich nicht, als der Flüssigkeitstropfen an die Haut des Opfers stieß. Sofort begann das Sekret zu wirken. Einige Millionen von komplizierten Molekülen krochen durch die winzigen Poren in der Haut des Opfers und drangen in das Blutsystem ein. Wenig später öffneten sich die Poren weiter. Ein neuer Schwall chemischer Roboter drang durch die Öffnung in den Körper des Opfers und nahm seine Arbeit auf. Die Riesenmoleküle hatten noch weniger Bewußtsein als das Yüülz, genau betrachtet überhaupt keins. Aber das schloß nicht aus, daß eine Serie von Vorgängen begann, die in sich selbst ein sinnvolles, hochgradig logisches System bildeten, das präzise und unbeirrbar auf einen bestimmten Zweck hinarbeitete. Ein einziges, riesiges Molekül kann Vorgänge steuern, kontrollieren und beeinflussen, die um einige Zehnerpotenzen schwieriger sind als der Bau eines Ultraschlachtschiffs. Zudem ist ein Ultraschlachtschiff eine ausgesprochen ungeschlachte und primitive Konstruktion, wenn man sie mit den technischen Finessen eines Systems vergleicht, das sich selbst und andere steuert, seine eigene Arbeit dutzendfach überwacht, gegensteuert und die Mittel zu diesem komplizierten Prozeß in ebenso schwierigen Abläufen herstellt. Das Ultraschlachtschiff hätte sich die fünftausend Mann Besatzung, die gesamte Werft nebst Personal, die Forschungsabteilungen, die das Schiff entwickelt hatten, selbst herstellen müssen, um einen Vergleich mit einem dieser Moleküle wagen zu können. Die Moleküle hefteten sich an die näch-
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sten Zellverbände, die sie antrafen. Dann liefen etliche Prozesse ab, die zur Folge hatten, daß die Zellen einen Stoff herzustellen begannen, der den Körper des Opfers völlig lähmte. Dann erst begann die eigentliche Arbeit der Moleküle. Sie verkrochen sich in die Zellmembranen und begannen, ihre Verstecke umzukonstruieren. Fast nebenbei führte diese Neukonstruktion dazu, daß sich die Moleküle vermehrten, bis ihre Anzahl genau der Menge von Zellen entsprach, die das Opfer aufzuweisen hatte. Anschließend machten sich die chemischen Roboter daran, die unfreiwilligen Wirte zu genetischen Zeitbomben umzuarbeiten. Sobald diese Arbeit beendet war, sonderten die präparierten Zellen einen Stoff ab, der dem Yüülz signalisierte, daß die Aufgabe beendet war. Und während sich das Yüülz behutsam zurückzog, waren die Moleküle damit be-schäftigt, die Spuren ihrer Tätigkeit zu verwischen. Dann machte sich das Yüülz daran, das zweite Opfer anzugreifen.
* Gloddus erwachte abrupt. Er wußte nicht, was ihn geweckt hatte, aber die fieberhafte Angst vor Gefahren ließ ihn sofort aufspringen. Diese Bewegung rettete ihn, denn in dem schwachen Licht, das von dem Feuer und den fünf Monden stammte, sah Gloddus entsetzt die bräunlichen Luftwurzeln, die von einem Baum auf Lelle Salgouz herunterhingen und ruckartig in die Höhe schnellten. »Salgouz!« schrie Gloddus erregt. »Wachen Sie auf!« Der Körper des Ammavolers rührte sich nicht, dafür verschwanden die Luftwurzeln immer rascher im Blattwerk des Baumes, unter dem Salgouz lag. Gloddus ging zu dem Liegenden hinüber und schüttelte ihn an den Schultern. Erschrocken stellte Gloddus fest, daß Salgouz wie steifgefroren wirkte. Gloddus strengte sich an, aber er vermochte nicht, Salgouz' Arm auch nur um
einen Zentimeter zu bewegen. Rasch fühlte Gloddus nach dem Puls seines Leidensgefährten; das Herz schlug fest und regelmäßig – aber mit nur dreißig Schlägen in der Minute, grob geschätzt. Neugierig beugte er sich tiefer über Salgouz; auf den Schultern fielen ihm ein halbes Dutzend rötliche Flecke auf. Gloddus erinnerte sich – als Salgouz die Wache übernahm, hatte er die Flecken noch nicht gehabt. Gleichzeitig fielen ihm die Luftwurzeln ein, die sich so rasch in die Höhe zurückgezogen hatten. Entschlossen griff Gloddus zu einem brennenden Holzstück und leuchtete den Baum ab. Es war reiner Zufall, daß er die lodernde Flamme unmittelbar unter einen Ast hielt. Unwillkürlich sprang Gloddus einen Schritt zurück, als der Ast mit verblüffender Geschwindigkeit in die Höhe schnellte. »Sollte dieser Baum …?« murmelte der Kartograph ratlos. Er hatte sich nie sonderlich für Pflanzen interessiert, aber seine Lieblingslektüre hatte auch auf diesem Gebiet mit etlichen pflanzlichen Monstren aufwarten können. Für Gloddus erschien es durchaus möglich, daß Salgouz von dem Baum angegriffen und betäubt worden war. Vermutlich war Gloddus gerade noch rechtzeitig erwacht, um den Baum daran zu hindern, Salgouz zu verschlingen oder sein Blut auszusaugen. Jetzt hielt Gloddus die Flamme der Fackel absichtlich an den Stamm. Obwohl er mit einer Reaktion gerechnet hatte, stieß er einen Laut der Überraschung aus, als sich der Stamm nach innen zu wölben begann. Offenbar fürchtete die Pflanze das Feuer. »Warte!« flüsterte Gloddus. »Du wirst keinen Terraner mehr anfallen!« Rücksichtslos setzte er den Baum in Brand; zwar dauerte es einige Zeit, bis die noch feuchten Wurzeln der Pflanze Feuer fingen, dann aber fraß sich die Glut langsam in die Höhe. Der Baum schien sich in Krämpfen zu winden; seine Äste peitschten durch die Luft, und Gloddus sah sich genötigt, zwei Schritte zurückzutreten, um nicht
Zweikampf in Fesseln getroffen zu werden. Aus den Blättern des Baumes begann eine bläuliche Flüssigkeit herabzutropfen; zischend vergingen die Tropfen in der Glut, die sich immer rascher vom Boden aus in die Höhe fraß. Während der Baum allmählich verglühte, spürte Gloddus langsam zunehmende Kopfschmerzen. Zunächst glaubte er, der ätzende Rauch, der von den Brandstellen ausging, sei an den Beschwerden schuld. Ächzend schleppte Gloddus den leblosen Körper von Lelle Salgouz zur Seite, da er sich anders nicht sehr weit von dem glühenden Baum entfernen konnte. Als sich eine schwache Brise erhob und den Rücken von Bilfnei Gloddus bestrich, begriff der Mann, daß der Rauch nichts mit seinen immer stärker werdenden Schmerzen zu tun hatte. Der Wind trieb den Qualm von ihm weg, die Kopfschmerzen jedoch nahmen zu. Ächzend und stöhnend versuchte Gloddus, die Distanz zwischen sich und der Pflanze zu vergrößern, doch seinen Bemühungen stellte sich ein neues Hemmnis entgegen. Lelle Salgouz begann trotz seiner Bewußtlosigkeit und Lähmung unkontrolliert zu zucken. Stöhnend vor Schmerz versuchte Gloddus, den tobenden Salgouz zu beruhigen, aber der mörderische Druck, der sich auf sein Hirn gelegt hatte, verstärkte sich von Minute zu Minute. Gloddus stöhnte immer lauter, dann brach er mit einem lauten Aufschrei besinnungslos vor Schmerz zusammen. Er sah nicht mehr, wie der Baum sich ächzend neigte, als die Glut ihn seines Haltes beraubt hatte. Eine Funkensäule stieg auf, als der Stamm auf den Boden prallte. Das Feuer fraß sich weiter, bis der gesamte Stamm verzehrt war. Als die Sonne über dem Horizont erschien, fiel ihr Licht auf zwei regungslos am Boden liegende Männer, neben denen eine Säule aus stickigem Qualm in die Höhe stieg. Die Sonne beschien auch das Wesen, dessen marmorweiße Augen aus einer sicheren Deckung heraus die Szenerie betrachteten.
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5. »Gestatten Sie mir eine etwas persönliche Frage, Sir?« Docro Ktamvayn hatte einen Teil seiner Selbstsicherheit wiedergefunden; langsam schien er zu der Überzeugung zu gelangen, daß man nicht ihn für die Ereignisse um Bilfnei Gloddus verantwortlich machen würde. »Endlich!« signalisierte mein Logiksektor. »Er wäre kein Mensch, wenn er diese Frage nicht stellen würde!« »Nur zu!« ermunterte ich ihn. Ich wußte, daß jetzt mein Zellaktivator an der Reihe war. Obwohl ich etliche tausend solcher Fragen beantwortet hatte, war es doch immer wieder interessant festzustellen, wie sehr sich normale Sterbliche mit dem Gedanken an die Unsterblichkeit beschäftigten. »Wann werden Sie Ihren Aktivator freiwillig ablegen?« wollte Ktamvayn wissen. »Irgendwann müßte doch auch ein Unsterblicher vom Leben genug haben!« Ich war verblüfft, denn ich hatte die Standardfrage erwartet, wie sich ein relativ Unsterblicher fühlte. Mit dieser Form von Neugierde hatte ich nicht gerechnet. »Wahrscheinlich nie«, gab ich wahrheitsgemäß Auskunft. »Ich bin nicht selbstkritisch genug, um diesen Schritt zu wagen!« Ktamvayn nickte nachdenklich. Ich war gespannt, wie er meine Antwort verarbeiten würde. »Ich glaube, ich verstehe Sie«, murmelte der Kommandant der SMARGENT. »Sie sehen, wie unersetzlich Perry Rhodan ist und all die anderen Aktivatorträger – und kommen so zu dem Schluß, daß auch Sie unentbehrlich sind. Richtig?« »Ungefähr!« räumte ich ein. »Solange Männer, deren Urteil ich hoch einschätze, mir sagen, ich sei würdig genug, ein solches Gerät zu tragen, werde ich es auch behalten. Und ich glaube, das Fiktivwesen von Wanderer ist halbwegs kompetent, solche Urteile
24 abzugeben. Andernfalls hätte ich den Aktivator nicht. Außerdem – unersetzlich ist niemand. Die Menschheit wäre übel daran, wenn sie ohne Aktivatorträger nicht auskäme. Mit relativ Unsterblichen geht es aber auf jeden Fall etwas leichter. Genau kann ich Ihnen Fragen zu diesem Themenkomplex nicht beantworten – vor allem deshalb nicht, weil nur ich meinen Aktivator tragen kann. Diese Tatsache schafft für Rhodan und mich eine Sonderstellung sogar in der Gruppe der Aktivatorträger!« »Es müßte interessant sein«, überlegte Ktamvayn laut, »einmal zu beobachten, wie sich ein normaler Terraner verhält, wenn er einen Aktivator trägt. Eigentlich müßte er glücklicher sein als jeder andere!« »Da irren Sie sich gewaltig!« widersprach ich ihm. »Es wird kaum Menschen geben, die so wenig Angst vor dem Tod haben wie Aktivatorträger!« »Bitte?« staunte Ktamvayn. »Aber …!« »Sie vergessen die Anfangszeit!« erläuterte ich. »Wer einen Aktivator bekommt, ist seines Lebens weniger sicher als zuvor. Jeder wird ihn jagen und versuchen, ihn zu töten, um sich in den Besitz des ewigen Lebens zu versetzen. Außerdem weiß jeder Mensch, daß er sterben muß, und vor diesem Muß sind alle – fast alle – Menschen gleich. Ein Aktivatorträger muß nicht sterben – aber er kann. Für einen relativ Unsterblichen ist der Tod zehnmal grausamer als für andere. Nur wer bereits in Gedanken tausend Tode gestorben ist, kann einen Aktivator tragen, ohne darüber verrückt zu werden – und davor schützt auch ein Zellaktivator nicht!« »Paradox!« stellte Ktamvayn fest. »Jeder würde erwarten, daß Unsterbliche den Tod besonders fürchten!« »Sie fürchten ihn auch«, bemerkte ich. »Je-der Mensch versucht, seinen Tod solange wie möglich zu vermeiden und hinauszuzögern – auch Aktivatorträger sterben ungern! Es ist erstaunlich, mit welcher Zähigkeit Terraner um ihr Leben zu kämpfen vermögen. Selbst ein so träger Mann wie Lelle Salgouz, dem alles gleichgültig zu sein
Peter Terrid scheint, wird sich verbissen wehren, wenn es ihm an den Kragen geht!«
* Als Bilfnei Gloddus wieder zu sich kam, fand er neben sich einen stöhnenden Salgouz. Auch der Ammavoler erwachte aus seiner totenähnlichen Starre. Fast neun Zehntel des Baumes waren verbrannt, wie Gloddus mit einem raschen Blick feststellte, aber noch immer standen Teile der Pflanze in dunkler Glut. »Glück gehabt!« murmelte Gloddus, als er sah, daß das von ihm am Abend angelegte Lagerfeuer inzwischen erloschen war. »Verdammt!« hörte er neben sich Salgouz fluchen. »Mein Kopf tut höllisch weh!« Interessiert musterte Gloddus den Körper des Mannes; von den roten Flecken, die am Abend auf seinen Schultern zu erkennen gewesen waren, konnte er jetzt nichts mehr entdecken. »Sie haben ein nahezu unwahrscheinliches Glück gehabt!« stellte Gloddus kühl fest. Er berichtete dem Ammavoler, was in der Nacht geschehen war, und er sparte auch nicht mit Vorwürfen über Salgouz' Einschlafen. »Wenn ich nicht zufällig zur rechten Zeit aufgewacht wäre«, fauchte Gloddus, »lägen wir jetzt beide erdrosselt auf dem Boden!« »Auch gut!« knurrte der Ammavoler. »Dann wären unsere Probleme gelöst! Im übrigen habe ich Hunger!« Auch Gloddus' Magen machte sich bemerkbar; seit die Bernaler die beiden Männer auf dem Planeten abgesetzt hatten, waren sie ohne Nahrung ausgekommen. Salgouz sah sich kurz um, dann ging er auf eine Gruppe von Büschen zu, und begann die faustgroßen, dunkelblau schimmernden Früchte abzupflücken. Als er versuchte, eine der Früchte anzubeißen, wurde er von Gloddus zurückgehalten. »Sind Sie wahnsinnig!« rief Gloddus. »Woher wollen Sie wissen, ob diese Früchte nicht giftig sind?«
Zweikampf in Fesseln »Ganz einfach!« gab Salgouz wütend zurück. »Sie selbst, Verehrtester, haben mir gestern erklärt, daß es für uns keine unüberwindlichen Hindernisse geben wird. Und es ist uns völlig unmöglich, Früchte auf ihre Giftigkeit für unseren Metabolismus zu untersuchen. Also sind sämtliche Früchte eßbar!« Gloddus schwieg gekränkt, dann machte auch er sich über die Früchte her. Das Fleisch war leicht säuerlich, schmeckte aber vorzüglich. Salgouz kletterte unter beträchtlichem Stöhnen und Ächzen auf einen nahen Baum und besorgte sich eine Handvoll großer Nüsse, die entfernt an terranische Kokosnüsse erinnerten. Nachdem sie sich gesättigt hatten, marschierten die beiden ungleichen Partner weiter, dem Gebirge entgegen. Unterwegs legten die Männer eine Pause ein; während diesmal Gloddus für das Essen sorgte, versuchte sich Salgouz daran, aus den in übergroßer Menge vorhandenen Lianen ein Wurfseil zusammenzuflechten. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen; Gloddus machte die Erfahrung am eigenen Leibe, als sich ihm eine geschickt geworfene Schlinge um den Hals legte. Bevor der Mann reagieren konnte, schnürte ihm das Seil bereits den Hals zu. Sekunden danach wallten schwarzrote Schleier vor seinen Augen auf, schlagartig wurde er besinnungslos.
* »Diese Wurfseile sind eine gute Waffe!« stellte Lelle Salgouz fest. Er mußte es wissen, denn auch er hatte den Druck am Hals verspürt und war bewußtlos geworden. Jetzt lag er neben Gloddus auf einem Boden aus gestampftem Lehm; beide Männer waren solide gefesselt. Verzweifelt versuchte sich Gloddus etlicher Tricks zu erinnern, mit denen man sich einer Fesselung entledigen konnte, aber wer immer auch die Seile geworfen hatte – er schien die gleichen Bücher gelesen zu haben wie Gloddus. Die Männer brachten es gerade
25 noch fertig, ihre Zehen und Finger zu bewegen, mehr nicht. »Wer mag die Seile geworfen haben?« rät-selte Salgouz. Die Umgebung war nicht sehr beeindruckend; in dem schwachen Licht, das durch eine Öffnung in der Wand fiel, waren nur der Boden und die Wände ihres Gefängnisses zu erkennen. Die Wände bestanden aus einem strohähnlichen Material, das mit Lehm verputzt worden war, um den Wind abzuhalten. Die Decke war nicht zu sehen, dazu war das Licht zu schwach, das durch die Eingangstür fiel. »Knapp zwei Meter!« schätzte Gloddus die Höhe der Öffnung. »Wer auch immer uns gefangengenommen hat, er wird ungefähr unsere Größe haben!« Nur langsam gewöhnten sich die Augen der Gefangenen an das Dämmerlicht; allmählich wurden Einzelheiten der Einrichtung sichtbar. Salgouz erkannte langschäftige Speere, die an die Hüttenwand gelehnt waren; daneben lagen Köcher, die mit buntgefiederten Pfeilen gespickt waren. Auch Blasrohre fehlten nicht; eine Waffe erregte Gloddus' besonderes Interesse – es handelte sich um ein Messer mit hölzernem Griff. Allerdings wies das Messer eine recht ungewöhnliche Form auf – es sah auf den ersten Blick aus wie der Rest einer flachen Metallscheibe, aus der irgend jemand beträchtliche Kerben herausgeschnitten hatte. Langsam begriff Gloddus, worum es sich handelte – ein Wurfmesser besonderer Konstruktion. Der Griff des Messers war hohl; wenn das Metall genügend Schwung hatte, zischte es aus dem hölzernen Griff und raste als sirrende Scheibe aus Metall dem Gegner entgegen. Wie auch immer das Geschoß auftraf – eine der Schneiden der Konstruktion traf gewiß. Jetzt ahnte Gloddus auch, welchen Sinn die Lücken in der Scheibe hatten – schmalere Klingen drangen tiefer ein, zudem verlor das Geschoß so an überflüssigem Gewicht. Gloddus und Salgouz sahen sich unwillkürlich an, als sie das Instrumentarium gemustert hatten; ihre Gesichter waren wachs-
26 gelb vor Angst. »Mir kommt dieses Messer bekannt vor!« murmelte Salgouz beklommen. »Irgendwo habe ich derartige Wurfgeschosse schon einmal gesehen!« »Mit ähnlichen Waffen haben vor Jahrhunderten die Erdbewohner gegeneinander gekämpft!« erinnerte sich Gloddus. »Jetzt fällt es mir ein – solch ein Wurfmesser ist in einem meiner Bücher abgebildet. Irgendein irdisches Volk in Afrika hat solche Waffen benutzt!« »Steht in dem Buch auch, um was für Völker es sich handelte?« fragte Salgouz unsicher. »Ich meine – was pflegten sie mit ihren Gefangenen anzustellen?« »Was man früher auf der Erde halt mit Gefangenen machte!« erklärte Gloddus, Salgouz glaubte hören zu können, wie der Mann schluckte. »Entweder ließ man sie frei oder man hielt sie als Sklaven. Im ungünstigsten Fall wurden Gefangene getötet!« »Irgendwie werden wir auch diese Krise überstehen!« versuchte sich Salgouz zu trösten. Der Frage, wie sich dieses Irgendwie zu gestalten hatte, wurde er durch das Eintreten einer Gestalt enthoben. Ein Mann war in die Hütte getreten und musterte die beiden Terraner schweigend. Besorgt betrachtete Salgouz die Malerei auf dem Gesicht des Mannes; die Farben ließen das Gesicht zu einer Satansmaske werden, die drohend auf die Gefangenen herabstarrte. Der Mann war ein Hüne von Gestalt; er hatte sich beim Eintreten bücken müssen, und die Ausmaße seiner Schultern hatten ihn genötigt, die Hütte seitwärts zu betreten. Gloddus erkannte auf den ersten Blick, daß ein halbes Dutzend Männer seiner Sorte gegen diesen Baum von einem Mann ohne Siegeschancen angetreten wären. Der Bemalte drehte sich herum und rief mit kehliger Stimme einige Kommandos; eine halbe Minute, nachdem er die Hütte wieder verlassen hatte, erschienen vier Männer, die nur wenig hinter seinen Ausmaßen zurückblieben. Gloddus und Salgouz wurden
Peter Terrid aufgehoben und wie Puppen aus der Hütte getragen. Geblendet schlossen die beiden Männer die Augen, als das Sonnenlicht auf sie hereinbrach. Als sie wieder sehen konnten, lagen sie wieder auf dem Boden. Mehr als dreißig Hütten standen um einen großen Platz gruppiert, und die Bewohner dieser Hütten – etwas mehr als zweihundert Männer, Frauen und Kinder – hatten sich um den Platz geschart, auf dem die beiden Gefangenen lagen. Zwischen zwei Hütten warein Thron aufgebaut worden, auf dem der Bemalte Platz genommen hatte. Zehn speertragende Männer standen neben dem Hochsitz als Wache und bedachten die beiden Gefangenen mit geringschätzigem Lächeln. Lässig trat einer der Männer vor und zerschnitt die Fußfesseln der beiden. Ein kräftiger Fußtritt, der von irgendwoher aus der Menge kam, bedeutete den Gefangenen aufzustehen. Anschließend wurden auch die Handfesseln gelöst. Dennoch war an Flucht nicht zu denken; die Wachen hatten die beiden Männer eingekreist, und die gefällten Speere zeigten deutlich, was im Falle eines Fluchtversuchs getan würde. »Eine verteufelte Lage!« knurrte Salgouz. »Ich möchte wissen, wie wir hier wieder herauskommen sollen!« »Sehr beeindruckend sehen wir wahrlich nicht aus!« stellte Gloddus trübsinnig fest. Er warf einen Blick auf die Wölbung von Salgouz' Bauch und stellte fest, daß ihrer beider Körper vor Schmutz starrten. Der Häuptling des Dorfes – dafür jedenfalls hielten die Gefangenen den Bemalten – sagte wieder einige Sätze, die bei der Dorfbevölkerung lautes Gelächter auslösten. Das Gelächter verstärkte sich, als einige Männer mit gefüllten Eimern zu den Gefangenen traten und sie mit eiskaltem Wasser überschütteten. Salgouz hatte ein paar wütende Bemerkungen auf der Zunge, schwieg aber, als er sah, wie die Wasserträger hastig zurücksprangen. Hinter ihm wich auch die Menge einige Schritte zurück. »Eton kho verron, thal Yüülz!« rief der Bemalte.
Zweikampf in Fesseln »Thal Yüülz!« wiederholte die Menge dumpf. »Salgouz!« rief Gloddus erschrocken. »Wieso schimmert Ihre Haut grün?« »Grün?« empörte sich Salgouz. »Sind Sie völlig übergeschnappt?« »Sehen Sie sich an!« forderte ihn Gloddus auf; in seiner Stimme schwang Entsetzen mit. Salgouz senkte den Blick. Seine Miene erstarrte. Gloddus hatte recht; die Haut an Salgouz' Körper wies einen leichten Grünschimmer auf. Diese Farbe schien auch für das Erschrecken der Dorfbewohner verantwortlich zu sein. Salgouz fragte sich, was für diesen Effekt verantwortlich sein mochte, aber er fand keine Antwort. Daran hinderten ihn auch die Dorfbewohner, die ihn erneut in Seile verpackten. Willig fügte sich Salgouz in sein Schicksal; dabei nahm er sich die Zeit, die Dorfbewohner etwas genauer zu betrachten. Die Eingeborenen besaßen eine beneidenswert bronzefarbene Haut, die in der Sonne leicht glänzte. Salgouz konnte keinen einzigen Mann erkennen, der nicht makellos gewachsen war – hoch und muskulös. Die Männer bewegten sich mit der Geschmeidigkeit großer Katzen. »Sehen Sie sich mal um, Gloddus!« empfahl der Ammavoler. »Sehen Sie sich die Mädchen an, eines appetitlicher als das andere!« Gloddus errötete leicht, dennoch folgte er dem Vorschlag. Auch die weiblichen Angehörigen des Stammes zeichneten sich durch ebenmäßigen Wuchs aus, besonders die Mädchen und Frauen waren wahre Schönheiten, wie dank der dürftigen Bekleidung unschwer festzustellen war. »Läuft Ihnen da nicht das Wasser im Munde zusammen?« erkundigte sich Salgouz. »Wenn ich nicht gefangen wäre …!« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge, während Gloddus langsam käsig anlief. Einige herumliegende Gegenstände und Utensilien hatten ihn zu unerfreulichen Schluß-
27 folgerungen veranlaßt. »Ich fürchte«, sagte er leise, »daß auch den von Ihnen so geschätzten Mädchen das Wasser im Munde zusammenläuft – wenn auch aus anderen Gründen!« Salgouz brauchte mehr als eine Minute, bis er Gloddus' Bemerkung verarbeitet hatte. »Sie meinen …?« ächzte er. »Genau das!« bestätigte Gloddus. »Diese Herrschaften pflegen eine Form der Gastronomie, die wissenschaftlich Anthropophagismus bezeichnet wird, halbwissenschaftlich als Kannibalismus und vulgär als Menschenfresserei anzusehen ist, woraus zu folgern wäre, daß wir auf der nächsten Speisekarte dieser gastlichen Stätte einen bevorzugten Rang einnehmen werden – das heißt, solange, bis die Bewohnerschaft uns vereinnahmt hat!« »Ihr Gemüt möchte ich haben!« bemerkteSalgouz. Die Eingeborenen hatten zwar nicht verstanden, was Gloddus gesagt hatte, dafür verstand Gloddus sehr wohl, was man mit ihm plante. Ein alter Mann ging auf den Gefangenen zu, musterte ihn kritisch, schüttelte dann den Kopf und knurrte einige unverständliche Worte zum Häuptling hinüber. »Es scheint, wir sind ihm nicht appetitlich genug!« hoffte Salgouz, der als nächster der Musterung unterzogen wurde – mit einem noch geringeren Wohlwollen, wie die leicht angewidert erscheinende Mimik des alten Mannes bewies. »In der Not frißt der Koyschane auch fette Terraner!« wandelte Gloddus ein altes irdisches Sprichwort ab. »Ich fürchte, diese Leute nehmen auf unseren Zustand nur geringe Rücksicht!« Seine düstere Prophezeiung bewahrheitete sich rasch; der Alte kehrte mit einer farbigen Fettmasse zu Gloddus zurück und begann ihn mit langen Strichen zu versehen. »Eisbein, Schinkenschnitzel, Lendenbraten …« Salgouz machte sich einen makabren Spaß daraus, die Vorgänge um Gloddus' Körper zu kommentieren. »Der Alte scheint so etwas wie der Metzgermeister des Ortes
28 zu sein. Erstaunlich, daß er trotz des Fettes weiß, wo er zu tranchieren hat!« Bei dem Wort »tranchieren« biß Gloddus die Zähne zusammen, er warf einen raschen Blick in die Runde. Bevor er sich darüber im klaren war, wie er fliehen sollte, hatten ihn bereits vier Männer gepackt und schleppten ihn mit sich. Salgouz freute sich zu früh, auch er wurde abtransportiert. Während Gloddus auf einem Gestell ausgebreitet und festgebunden wurde, hielten die Männer Salgouz aufrecht. »Keine Heiterkeit, mein Bester!« hörte Salgouz den gefesselten Gloddus sagen. »Ich bin sicher, daß sich die Feinschmecker dieser Ortschaft eines Tages auch dazu durchringen werden, ihre bemerkenswert wohlgeratenen Zähne auch in Ihr traniges Fleisch zu schlagen!« Plötzlich bildeten die Dorfbewohner eine Gasse; der Blick wurde frei auf ein Tiergehege, in dem sich vier große Katzen im Schleichgang bewegten und ab und zu ein heiseres Fauchen hören ließen. Besorgt musterte Salgouz die Tiere, die nur auf den ersten Blick an Katzen erinnerten. Die Köpfe entsprachen eher normalen Hunden, großen Hunden allerdings, die nicht ungefährlich waren. Weiße Reißzähne mit schwarzen Rändern aus getrocknetem Blut waren in den leicht geöffneten Fängen zu sehen. Durch die plötzlich eintretende Stille klang das überschnappende Gelächter von Bilfnei Gloddus. »Sieh an!« kicherte der Gefesselte. »Sie sind gar nicht wert, hier zubereitet zu werden. Ich habe mir immer schon gedacht, daß Sie bestenfalls als Viehfutter zu gebrauchen sind!« Salgouz knirschte mit den Zähnen; er versuchte sich zu wehren, aber die präzise Fesselung und der unnachgiebige Griff seiner Bewacher ließen jeden Versuch des Widerstands sinnlos werden. Plötzlich stoppte der Vormarsch; Salgouz atmete erleichtert auf, als er hinter sich ein dumpfes Stöhnen hörte. Fassungslos starrten die Dorfbewohner auf das Gestell, auf dem man Bilfnei Glod-
Peter Terrid dus festgeschnallt hatte. Die Konstruktion hatte sich bewegt, obwohl kein einziger Mann näher als zwei Schritt an Gloddus herangekommen war. Der gefesselte Gloddus sah, wie sich der Häuptling über ihn beugte; zwei vollständig weiße Augen sahen verwundert auf den Gefesselten herab. Eine Handbewegung des Anführers veranlaßte die Krieger, Salgouz weiterzuzerren. Wieder bewegte sich das Gestell, auf dem Gloddus lag. Der Häuptling stutzte. Ein zweites Kommando bewirkte, daß einige Männer vortraten und an dem Gestell zerrten – diesmal wurden Salgouz' Wachen Schritt für Schritt zurückgedrängt. Der Häuptling des Dorfes war ein Mann von praktischer Intelligenz; obwohl er vermutlich mit dem Begriff eines Fesselfeldes überhaupt nichts anfangen konnte, hatte er dennoch nach einigen Minuten eifrigen Experimentierens herausgefunden, daß seine beiden Gefangenen sich nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen ließen. Er kümmerte sich nicht um das Wie und Warum, sondern gab eine Reihe von Befehlen. Sobald seine Anordnungen ausgeführt waren, lag Gloddusmitsamt seinem Gestell neben dem Käfig, und einen halben Meter weiter stand Lelle Salgouz, vor Angst schwitzend, und sah bebend zu, wie ein Fallgitter langsam in die Höhe gezogen wurde. Als der Durchlaß für ihn groß genug war, hörte er hinter sich das Surren einer geschwungenen Messerklinge, gleichzeitig traf ihn ein wuchtiger Fußtritt. Seiner Fesseln ledig, stolperte Salgouz in den Käfig und stürzte zu Boden, während sich hinter ihm wieder das Fallgitter senkte. »Mit dem Rücken stets an einer Käfigwand bleiben!« schrie Gloddus mit aller Kraft. »Versuchen Sie, aus Ihren Fesseln eine Art Peitsche zu basteln!« »Kalter Vurguzz!« knurrte Salgouz. »Auf diese Idee bin ich längst gekommen!« In seinem Rücken spürte er das harte Holz der Käfigwände, in seinen Ohren dröhnte das Geschrei der Dorfbewohner. So rasch es ging, sammelte Salgouz die Reste seiner
Zweikampf in Fesseln Fesseln ein und verknotete sie. Glücklicherweise ließen ihm die Caniparden, wie er die Tiere getauft hatte, genügend Zeit, aus den Stricken ein zwei Meter langes Seil zusammenzuknoten. »Ganz ruhig, Freunde, gaaanz ruhig!« sagte der Ammavoler leise. Hinter ihm hielt die Menge den Atem an, auch Gloddus schwieg. Fasziniert beobachtete er, wie Salgouz langsam auf die Caniparden zuging und dabei ohne Unterbrechung sprach. Die Silben, die er ausstieß, ergaben keinen Sinn, aber sie reihten sich zu einer einlullenden Satzmelodie, die wie ein lauwarmer Sommerregen auf die Tiere niederging. Unentwegt redend, ging Salgouz Schritt für Schritt vor. »Langsam!« hörte er hinter sich Gloddus fast zärtlich sagen. »Wenn Sie noch einen Schritt vorwärts machen, läßt das Feld Sie stolpern!« »Danke!« gab Salgouz im gleichen Tonfall zurück. Er machte einen Schritt zurück, hockte sich langsam, bis sein Kopf auf der gleichen Höhe mit den Schädeln der Caniparden war. Dabei unterbrach er seinen melodischen Singsang keine Sekunde lang. Das Babygestammel, das er von sich gab, hätte andernorts vermutlich endlose Lachsalven ausgelöst, aber hier erreichte es eine ganz andere Wirkung. Langsam kamen die Tiere näher, die Schwänze halbhoch, mit heraushängenden Zungen. Zeitlupenhaft langsam streckte Salgouz die rechte Hand aus, einem der Tiere entgegen. Der Caniparde kam näher, öffnete den gefährlichen Fang und biß zu. Gloddus unterdrückte einen entsetzten Schrei, als er sah, wie sich die langen Reißzähne in Salgouz' Unterarm bohrten. Salgouz zuckte mit keinem Muskel, ganz langsam zog er den Caniparden an seinem Arm näher, bis sich die beiden Köpfe fast berührten. Gloddus konnte sehen, wie sich der Biß des Tieres allmählich zu lockern begann. In diesem Augenblick griff Salgouz an; bevor das völlig überraschte Tier zu reagie-
29 ren vermochte, hatte Salgouz es auf den Rücken geworfen und lag halb auf dem Körper des Caniparden. Seine Zähne schwebten wenige Millimeter über der Halsschlagader des Tieres, das sich nicht zu rühren wagte. Langsam zog Salgouz den Kopf zurück. Obwohl der Caniparde Gelegenheit dazu gehabt hätte, verharrte er in der Stellung, die ihm Salgouz aufgezwungen hatte. Die anderen Tiere wichen so weit zurück, wie es der Käfig zuließ, und starrten mit eingezogenen Schwänzen auf das Bild ihres Anführers, der seine Demutsstellung nur zögernd aufgab, aber sofort wieder einnahm, als Salgouz ein drohendes Knurren hören ließ. Fassungslos sahen die Eingeborenen, wie Salgouz aufstand und den Tieren den Rücken zukehrte. Mit ruhigen Schritten ging Salgouz zum Fallgitter und schob es langsam in die Höhe; von den Bißwunden in seinem Arm tropfte grünes Blut auf den lehmigen Boden. Salgouz bewegte kurz den Kopf – sofort kamen die Caniparden näher und umringten ihren neuen Anführer. Die Dorfbewohner wichen angsterfüllt zurück, als Salgouz das Fallgitter in die Höhe geschoben und so verkeilt hatte, daß es nicht wieder zurückgleiten konnte. Die Caniparden fletschten drohend die Zähne, aber noch griffen sie nicht an. Ohne sich um die respektvoll zurückweichenden Eingeborenen zu kümmern, ging Salgouz auf Gloddus zu und löste seine Fesseln. »Das haben Sie verdammt gut gemacht!«entfuhr Gloddus ein unfreiwilliges Lob; Salgouz grinste ihn verwegen an. »Gelernt ist gelernt!« stellte er knapp fest. Zusammen gingen die beiden Männer an der Spitze des Rudels auf den Häuptling zu. »Ein tapferer Mann!« stellte Salgouz anerkennend fest. Die hochgewachsene Gestalt des Bronzehäutigen bewegte sich nicht, als Salgouz und Gloddus auf ihn zugingen. Die beiden Männer setzten sich vor ihm auf den Boden; langsam folgte der Häuptling dem Beispiel. »Was nun?« wollte Gloddus wissen.
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Peter Terrid
»Sollen wir die Tiere als Leibgarde mitnehmen?« Salgouz nickte, dann streckte er die Rechte aus. Der Häuptling zögerte einen Augenblick lang, dann erwiderte er den Händedruck. Die beiden ungleichen Männer grinsten sich an – leicht verlegen der Häuptling, fast überheblich Lelle Salgouz. »Oh kho!« stellte der Häuptling fest; er machte eine weitausholende Handbewegung, die das gesamte Dorf einschloß. »Oh kho!« »Einverstanden!« bemerkte Salgouz, obwohl er nicht genau wußte, was der Häuptling gesagt hatte. Er stand auf und ging, ohne sich weiter um den Eingeborenen zu kümmern, in die Hütte, in der die beiden Gefangenen gelegen hatten. Als er zurückkehrte, war er bis an die Zähne bewaffnet; die Hälfte des Kriegsmaterials gab er an Gloddus weiter. Dann verließen die beiden Männer das Dorf, hinter sich eine hochgradig verblüffte und stark beeindruckte Dorfbevölkerung zurücklassend. »Ist Ihnen übrigens etwas aufgefallen?« erkundigte sich Gloddus lächelnd. »Die lieben Eingeborenen waren so freundlich, uns fast zwanzig Kilometer weit zu schleppen!« »Nett von ihnen«, brummte Salgouz. »Aber haben Sie bemerkt, was für einen Blödsinn wir vorhin zusammengeschwätzt haben? In irgendeiner der Früchte, die wir gegessen haben, muß eine stark anheiternde Substanz gewesen sein. Wir werden in Zukunft besser aufpassen müssen!« Gloddus stimmte nachdenklich zu.
* Sobald sich die beiden Männer weit genug vom Dorf der Eingeborenen mit den weißen Augen entfernt glaubten, machten sie sich daran, ihre Waffenbestände zu überprüfen. Salgouz hatte für jeden einen Speer, Bogen samt Pfeilen sowie eines der gefährlichen Wurfmesser mitgebracht. Außerdem gab es zwei Blasrohre, allerdings hatte Salgouz nur einen kleinen Köcher mit Pfeilen
gefunden. Vorsichtig zog Gloddus eines der gefiederten Geschosse aus dem Behälter und betrachtete aufmerksam die Spitze. »Sehen Sie diese leichte Verfärbung?« wandte er sich Salgouz zu. »Diese Pfeile sind vergiftet! Wir müssen damit sehr vorsichtig umgehen!« »Apropos Vorsicht!« bemerkte Salgouz. »Ich habe einen Vorschlag zu machen. Wir sollten die sinnlosen Streitereien einstellen – jedenfalls solange wir uns noch auf Koysch befinden. Später können wir uns immer noch gegenseitig den Schädel einschlagen!« Gloddus überlegte nur wenige Sekunden, dann nickte er und gab Salgouz die Hand. Fürs erste war ein Waffenstillstand geschlossen.
6. Die primitive Karte, die die Bernaler den beiden Männern mitgegeben hatten, zeigte nur an, wie ungefähr die Landschaft beschaffen war, durch die sie zu wandern hatten. Andere Hinweise fehlten völlig – so auch ein Hinweis darauf, auf welche Weise man am besten das Gebirge überquerte. Mißmutig starrte Gloddus auf das Lederstück, dann rollte er es wieder zusammen. Nach dem Verlassen des Eingeborenendorfs waren ihnen unangenehme Überraschungen einstweilen erspart geblieben, aber beide Männer wußten, daß ihnen noch allerlei bevorstand. Inzwischen fühlten sie sich den zu erwartenden Gefahren besser gewappnet; stundenlang hatten sie mit den erbeuteten Waffen geübt, bis sie mit hinlänglicher Sicherheit ihre Ziele trafen. Vier Schlangen, deren Fleisch vorzüglich geschmeckt hatte, waren die ersten Opfer ihrer Pfeile geworden. In einem verlassenen Eingeborenendorf hatten sie zudem genügend gegerbte Tierfelle gefunden, um sich notdürftig bekleiden zu können. »Das sieht verdammt düster aus!« kommentierte Salgouz beklommen, als er an den
Zweikampf in Fesseln Bergen hochblickte. Von diesem Standort aus war zu erkennen, daß Gloddus sich bei seiner ersten Schätzung nur wenig geirrt hatte – die höchsten Erhebungen ragten bis in eine Höhe von elftausend Metern empor. Die Eiskappe der Gipfelregion erstreckte sich fast neuntausend Meter in die Tiefe – wenn es im Gebirge nicht niedrige Pässe gab, überlegte Salgouz, war ein Marsch durch eine Schneeund Eiswüste unvermeidlich. Angesichts der dürftigen Bekleidung der beiden Männer waren die Aussichten, ohne zusätzliche Hilfen eine Gletscherregion zu durchqueren, fast gleich Null. »Entweder gibt es einen Paß«, stellte Gloddus nüchtern fest, »oder die Bernaler werden uns helfen – anders werden wir das Gebirge niemals überqueren können!« Salgouz stimmte mit einem Nicken zu. »Es fragt sich nur«, brummte er, »wann die Bernaler es für notwendig erachten, uns zu helfen!« Zusammen mit den vier Caniparden machten sich die Männer an den Aufstieg. Die ersten Kilometer erwiesen sich als halbwegs erträglich; der Boden stieg nur sanft an, und zwischen den Felstrümmern waren genügend große Lücken, um ein rasches Vorwärtskommen zu gestatten. Ganz ohne Schwierigkeiten verlief der Marsch nicht; mühsam mußten sich die Männer ihren Weg selbst heraussuchen – offenbar scheuten die Eingeborenen die Bergwelt, denn selbst in den Randzonen gab es keine Trampelpfade oder ähnliche Zeichen menschlichen Lebens. Der schmale Pfad war mit kleinen und mittelgroßen Steinen übersät, deren Spitzen zwar das zähe Leder der improvisierten Fußbekleidung nicht durchdringen konnten, dennoch aber Schmerzen hervorriefen, die sich im Laufe des Marsches bis an die Grenze der Unerträglichkeit steigerten. Als Gloddus nach sechs Stunden eine Rast vorschlug, hatten die beiden Männer knapp vierhundert Meter Höhenunterschied überwunden, und die Distanz zu ihrem Ziel
31 hatte sich nur um zwei Kilometer verringert. Während sich die Sonne langsam hinter dem Gebirge senkte, gelang es den Männern, eine Höhle aufzuspüren. Die Männer fanden genügend trockenes Holz, um ein Feuer machen zu können, über dem sie das Fleisch eines Affen brieten, der sich auf Pfeilschußweite genähert hatte und diesen Leichtsinn nun als Braten büßte. Das Fleisch war zäh, schmeckte aber vorzüglich, obwohl die anatomische Ähnlichkeit des Bratens zu den Verzehrenden die beiden Esser unangenehm an ihre Begegnung mit den Eingeborenen erinnerte. Doch die Männer waren zu hungrig, um sich lange mit derartigen Gedanken zu beschäftigen – jedenfalls solange nicht, bis ein markerschütterndes Brummen am Eingang der Höhle verriet, daß sich dort der Besitzer der Höhle meldete – und seine Absichten bezüglich der beiden Männer waren vermutlich die gleichen wie die der Männer dem Affen gegenüber. So schnell es ging, warfen die Männer die Knochen weg, an denen sie hingebungsvoll geknabbert hatten; rasch zogen sie sich in das Innere der Höhle zurück. »Verdammt!« knurrte Gloddus. »Was machen wir jetzt? Ich habe noch nie mit einem wilden Tier gekämpft!« »Glauben Sie, ich?« gab Salgouz zurück. »Ich kann mit Hunden umgehen, nicht mit Höhlenbären!« Brummend kam der Bär näher; der Rauch stieg dem Tier in die Augen, und das Brennen reizte es noch mehr. Glücklicherweise verging einige Zeit, bis der Bär hinter dem Feuer die Urheber des Brandes erkannte. Langsam kam das Tier näher, das leise Tappen der krallenbewehrten Tatzen auf dem lehmigen Boden mischte sich mit dem Knistern des Feuers zu einem bedrohlichen Geräusch. Die beiden Männer hatten inzwischen ihre Bögen gespannt; fast gleichzeitig ließen sie die Sehnen schwirren. Die Pfeile rasten dem Bären entgegen, aber das unsichere Licht ließ kein genaues Zielen zu. Die Pfeile drangen dem Tier in die Flanken, ohne aber tödlich zu treffen. Der Bär riß das
32 Maul auf und ließ ein furchterregendes Brüllen hören. In diesem Augenblick warfen sich die Caniparden nach vorne; zwei der Tiere verbissen sich im Hals des Bären. Ein drittes geriet in den Bereich der Pranken und wurde von einem gewaltigen Hieb getroffen. Der Caniparde flog sich überschlagend durch die Luft, prallte mit dem Schädel gegen den Fels und blieb regungslos liegen. Das letzte Tier hatte sich geduckt, den Bären vorbeitappen lassen und schlug nun seine mörderischen Fänge in die Hinterläufe des Bären. Das Tier schrie ohrenlärmend auf, als zwei scharfe Zähne die Sehnen des rechten Hinterlaufes mit einem Biß durchtrennten; der Bär taumelte, warf sich nach vorne und krachte einen halben Schritt vor den beiden vor Angst fast gelähmten Männern auf den Boden. Ein Prankenhieb verfehlte Gloddus' Beine nur um wenige Millimeter; dafür verfingen sich die Krallen im Leder der Fußbekleidung. Bevor Gloddus reagieren konnte, riß ihn eine gewaltige Kraft von den Beinen; sein Kopf prallte gegen die Wand, und er verlor das Bewußtsein. Salgouz stand nur einen halben Meter hinter Gloddus, als dieser umgeworfen wurde. Während sich der Bär wieder mit den Caniparden beschäftigte, die mit wütenden Bissen seine Halsschlagader zu treffen versuchten, preßte sich Salgouz an die Wand und schob sich langsam an dem Bären vorbei. Als er auf gleicher Höhe mit dem gigantischen Schädel des Bären war, dessen mächtige Kiefer bei wütenden Bissen immer wieder ohne Ziel krachend zusammenklappten, hob er das Wurfmesser. Mit dem Mut der Verzweiflung ließ er die Waffe auf den Hals des Bären heruntersausen, dann warf er sich mit einem gewaltigen Satz dorthin, wo Gloddus bewußtlos auf dem Boden lag. Das wütende Brüllen des Bären ging in ein dumpfes Gurgeln über; die Klinge hatte das Ziel getroffen. Mit jagendem Puls lag Salgouz am Boden, unfähig, sich zu rühren; atemlos wartete er ab, bis der Bär am Blutverlust starb, aber die wenigen Minuten, in
Peter Terrid denen das sterbende Tier um sich schlug und biß, schienen für ihn nicht vergehen zu wollen. Erst als die überlebenden Caniparden ein triumphierendes Heulen anstimmten, schlug sein Herz wieder etwas langsamer. Neben ihm kam allmählich Bilfnei Gloddus wieder zu sich; benommen sah Gloddus um sich, erkannte den bewegungslosen Körper des Bären. »Es ist vorbei?« flüsterte er, als fürchte er sich, das Gegenteil verkündet zu bekommen. »Der Bär ist tot!« stellte Salgouz fest. »Und zwei unserer Begleiter auch!« Er deutete auf zwei der Caniparden, die mit eingeschlagenem Schädel in der Höhle lagen. »Der Weg durchs Gebirge fängt gut an!« stellte Gloddus bitter fest. »Der Bär dürfte erst der Anfang sein!« »Aber noch lange nicht das Ende!« kommentierte Salgouz selbstbewußt. »Los, helfen Sie mir!« Mit vereinten Kräften gelang es den beiden Männern, den Körper des Bären zu enthäuten, über das freigelegte Fleisch machten sich die Caniparden her. Die Männer hatten wenig Erfahrung, aber dem Bären war das hohe Alter deutlich anzusehen, und aus diesem Grunde verzichteten sie auf den Versuch, das Fleisch zu braten. Mit den Messern wurde die dicke, übel riechende Schicht aus Fett abgekratzt, dann wurde die Innenseite des Fells mit Asche und Sand ausgerieben. Wenn der Versuch gelang, konnte das Fell des Bären während der Durchquerung des Gebirges vielleicht als Wärmeschutz dienen. Nachdem es den Männern gelungen war, den Körper des Bären aus der Höhle zu zerren, legten sie sich schlafen – in der Hoffnung, daß niemand diesen Schlaf stören würde. Beide Männer waren zu erschöpft, um Wachdienst zu versehen – diese Aufgabe wurde den Caniparden zugedacht.
* Die Männer hatten sich im Solarium eingefunden, dem größten Raum, den das
Zweikampf in Fesseln Flaggschiff der Solaren Flotte aufzuweisen hatte. Wer von der fünftausend Mann starken Besatzung in diesem Raum keinen Platz gefunden hatte, konnte die Vorgänge im Solarium über die Interkom-Verbindung verfolgen. Der Anlaß der Versammlung war ebenso erfreulich wie bedrückend: Erdkolonisten auf dem Planeten WELDARN waren in Schwierigkeiten geraten, in die auch die Besatzung des Flaggschiffs verwickelt wurde, als Perry Rhodan zufällig das System anflog. Der Geheimstützpunkt der Akonen und Blues hatte sich nicht lange halten können – doch bei dem Versuch, den Stützpunkt einzunehmen, waren vierunddreißig Männer in eine tödliche Falle gelaufen. Perry Rhodan nutzte die Gelegenheit, den mehr als fünfhundert Kadetten an Bord des Flaggschiffs klarzumachen, warum er eingegriffen hatte, und welche Prinzipien seine Vorgehensweise beeinflußt hatten. Die Kadetten saßen in den ersten Reihen vor dem Pult, von dem aus Rhodan sprach; die Ausdrücke auf den Gesichtern schwankten zwischen grenzenloser Ehrfurcht und peinlicher Verlegenheit. »Leutnant Salgouz!« sagte Rhodan plötzlich. »Sir!?« Der Leutnant verließ seinen Platz und eilte nach vorne. Teufel auch! dachte Salgouz. Was habe ich an Bord von Rhodans Flaggschiff zu suchen? »Sie führten die Gruppe achtzehn, nicht wahr?« fragte Rhodan eisig. Gruppe achtzehn? fragte sich Salgouz. Wer ist oder war Gruppe achtzehn? Was soll das ganze Theater überhaupt? Erschrocken hörte er sich selbst sagen: »Jawohl, Sir!« Neben Perry Rhodan stand so ziemlich alles, was im Imperium Rang und Namen hatte. Atlan, Reginald Bull, Julian Tifflor, Allan D. Mercant – und alle starrten Salgouz mißbilligend an. Der Leutnant glaubte sogar, deutliche Verachtung aus den Blicken her-
33 auslesen zu können. »Sie hatten den Auftrag, sich dem Stützpunkt zu nähern, ihn einzukreisen und abzuwarten, bis die Mutanten eingreifen würden! Stimmt das, Leutnant Salgouz?« »Es stimmt, Sir!« hörte sich Salgouz sagen. Seine Gedanken bewegten sich in völlig anderen Bahnen. Salgouz begriff nicht, was diese Zeremonie zu bedeuten hatte. Ihm war klar, daß Perry Rhodan die Gelegenheit dazu ausnutzte, ihn vor versammelter Mannschaft bloßzustellen und zu demütigen. Merkwürdig, dachte er, ein Mann wie Rhodan sollte wissen, daß es mir egal ist, was andere Menschen von mir denken. Von mir aus kann er mir gestohlen bleiben! »Und Sie haben, Leutnant Salgouz«, fuhr Rhodan erbarmungslos fort, »diesen Befehl – einen klaren, eindeutigen Befehl – mißachtet und Ihre Gruppe angreifen lassen! Habe ich recht, Leutnant Salgouz?« Hör endlich auf! dachte Salgouz. Ich bin nie Leutnant der Flotte gewesen, und derart dumm, einen Befehl so grob zu mißachten, wäre ich auch nie gewesen. Wo, zum Teufel, bin ich hier überhaupt? Aber unabhängig von seinen Gedanken antwortete er leise: »Ja, Sir!« »Sprechen Sie lauter, Leutnant!« befahl Rhodan. »Sie sprechen doch sonst immer recht laut!« »Ja, Sir!« wiederholte Salgouz, der innerlich vor Wut tobte über das Verhalten von Perry Rhodan, der offenbar eine fast sadistische Freude daran fand, den Leutnant moralisch zu foltern. Salgouz begrif immer noch nicht, wie diese Szene überhaupt zustande kam – er war doch auf Koysch eingeschlafen. Wie kam er jetzt an Bord von Rhodans Flaggschif? »Ihre Befehlsverweigerung, Leutnant Salgouz«, schlug Perry Rhodan weiter zu, »hat das Leben von vierunddreißig Männern gekostet, vierunddreißig Männer, von denen jeder zehnmal mehr wert war als Sie, Leutnant!«
34 Das letzte Wort spuckte Rhodan fast aus; Salgouz wunderte sich immer mehr. Irgendwie, überlegte er, stecken die Bernaler hinter diesem widerlichen Schauspiel. A-ber was wollen sie damit erreichen? »Sie werden mir jetzt sagen wollen, daß Sie den Tod dieser Männer bedauern, nicht wahr?« sagte Perry Rhodan. »Es tut Ihnen doch leid? Mir aber tut es leid, daß ich Sie überhaupt auf mein Schiff gelassen habe!« Meinetwegen wirf mich 'raus! dachte Salgouz, während Perry Rhodan ihm eigenhändig die Achselstücke abriß und vor ihm auf den Boden warf. »Ich degradiere Sie hiermit!« sagte Rhodan verächtlich. »Die restliche Strafe wird ein Kriegsgericht festlegen! Und jetzt verschwinden Sie!« Salgouz drehte sich herum und ging steif zurück; er versuchte, nicht hinzusehen, aber das verächtliche Lächeln der Kadetten war nicht zu übersehen. Salgouz spürte deutlich, daß er hier ein Fremdkörper war – unbeliebt bei den meisten, bei einigen sogar verhaßt. Schlagartig begriff Salgouz die Zusammenhänge: Die Szene, die er erlebte, war nicht real; sie fand nur in seinen Träumen statt. Und der Zweck dieser Aufführung war offenkundig, ihn zu demütigen. Die Tatsache, daß ein Mann wie Salgouz über ein außerordentlich souveränes Selbstverständnis verfügte, ließ solche Versuche ziemlich wirkungslos werden. Ganz anders lag der Fall, wenn man sich Bilfnei Gloddus in einer solchen Situation vorstellte. »Langsam beginne ich zu begreifen!« murmelte der Mann. Er öffnete die Augen und fand sich in der Höhle wieder, bewacht von zwei aufmerksamen Caniparden, die sofort die Köpfe zu ihm drehten, als er sich bewegte. »Dieser Traum galt nicht mir, sondern Gloddus – so ungefähr muß der Inbegriff von Gloddus' Ängsten aussehen: verächtlich, das Gespött der Menge, gedemütigt. Davor hat er Angst!« Er wollte sich zu Gloddus umdrehen, aber der Mann war verschwunden. Salgouz be-
Peter Terrid gann zu ahnen, wo sich sein Gefährte zu diesem Zeitpunkt aufhielt – in der ganz privaten Welt der Ängste von Lelle Salgouz. Und Salgouz begann sich zu fragen, was wohl Gloddus dort antreffen mochte.
* Als Lelle Salgouz am nächsten Morgen erwachte, war Gloddus noch immer verschwunden. Offenbar konnte er erst zurückkehren, wenn er ebenfalls erkannt hatte, daß die auf ihn einstürmenden Traumbilder nicht ihm, sondern seinem Gefährten galten. Salgouz schürte das Feuer und wartete eine Zeitlang; nach seiner Schätzung waren mehr als drei Stunden vergangen, als ihm die Lust verging, noch länger auf das Wiederauftauchen von Bilfnei Gloddus zu warten. Salgouz raffte seine Waffen zusammen, schüttete einen Teil der glimmenden Holzstücke in den Transportbehälter und versuchte, die Höhle zu verlassen. Überraschenderweise gelang ihm der Versuch. Kein Fesselfeld hielt ihn auf; ohne Störung marschierte Lelle Salgouz weiter, der bernalischen Station entgegen, die auf der anderen Seite des Gebirges lag. Hinter ihm trabten die Caniparden, deren Anwesenheit stark dazu beitrug, Salgouz' Stimmung zu heben. Die Tiere konnten ihm sehr nützlich sein, sollte er wieder in Gefahr geraten. Der Aufstieg wurde zusehends schwieriger. Der Weg, den sich Salgouz erst mühsam suchen mußte, wurde immer steiler; immer häufiger führte sein Marsch unter überhängenden Felsstücken durch, die aussahen, als könnten sie in jedem Augenblick auf den Mann herabstürzen und ihn unter sich begraben. Salgouz marschierte mehr als zwei Stunden lang, dann wurde er müde und legte eine Pause ein. Er wartete fast eine Stunde, dann faßte er einen Entschluß – ohne Aufenthalt ging er den Weg zurück und suchte die Höhle auf, in der er die Nacht verbracht hatte.
Zweikampf in Fesseln Salgouz entfachte das Feuer neu und wartete. Erst als die Sonne den Höhepunkt ihrer Wanderung am Himmel überschritten hatte, erschien Gloddus wieder, leicht benommen, aber im vollen Besitz seiner Kräfte. Er sah, als er aufwachte, Salgouz merkwürdig lächelnd an, dann packte er ohne Worte seine Sachen zusammen und folgte Salgouz. Da er den Weg bereits kannte, brauchte der Ammavoler für die Wiederholung seines Marsches wesentlich weniger Zeit als zuvor. Von der Stelle an, die Salgouz als äußerste erreicht hatte, übernahm Gloddus die Führung – er schien an den sicheren Bewegungen des anderen erkannt zu haben, was sich in den letzten Stunden abgespielt hatte, aber er verlor darüber kein Wort. Ihr Weg führte durch eine stark zerklüftete Landschaft und folgte dem Lauf eines Wildbachs, der sich tief in die Felsen eingeschnitten hatte. Immer wieder mußten die beiden Männer den Bach durchqueren, um ihren Weg fortsetzen zu können. Das Wasser war eisig kalt und vermutlich nur der heftigen Bewegung wegen noch nicht völlig eingefroren. Immerhin stürzte Gloddus einmal und schnitt sich an den vereisten Kanten den Arm auf, wenn auch nicht sehr tief. »Ich kann bald keinen Schritt mehr gehen!« stöhnte Gloddus, als sich bereits die ersten Nebelschleier der nahen Dämmerung ankündigten. »Wir sollten uns einen Schlafplatz suchen!« »Eine vorzügliche Idee!« stimmte Salgouz brummend zu. »Nur – sehen Sie irgendwo eine Möglichkeit, für die Nacht unterzukriechen? Hier im Freien können wir jedenfalls nicht übernachten – am nächsten Morgen wären wir steifgefroren!« Gloddus nickte düster. Seine Füße schmerzten, und aus der Schnittwunde am linken Arm fiel in unregelmäßigen Abständen ein Blutstropfen auf den Boden und markierte die Spur. Die Schlucht, durch die sich der Eisbach wälzte, war zusehends enger geworden; fast lotrecht stiegen die Felswände rechts und links in die Höhe.
35 Auch an ein Zurück war nicht zu denken. Die Männer waren zu erschöpft, und sie hätten länger als drei Stunden laufen müssen, um einen anderen Weg einschlagen zu können. Ihnen blieb keine andere Wahl als bedingungsloser Vormarsch. »Wir haben uns verirrt!« stellte Gloddus eine halbe Stunde später fest; seine Stimme war von Erschöpfung gezeichnet. »Wir laufen in den Berg hinein!« Salgouz mußte zustimmen. Es war inzwischen fast völlig dunkel geworden; nur noch schemenhaft konnten die beiden Männer wahrnehmen, was sich um sie herum befand. Inzwischen wateten sie durch das beißend kalte Wasser – der Weg, sofern man davon sprechen wollte, folgte dem Verlauf des Bachbetts. Zwar konnten die Männer nur schätzen, aber nach ihrem Zeitgefühl hätten sie längst einen der fünf Monde sehen müssen, die Koysch umliefen. Daß kein Lichtstrahl die Finsternis durchbrach, ließ nur einen Schluß zu – die beiden Männer befanden sich bereits im Innern des Berges, dem der Bach entsprang. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann würde sich die Höhlung derartig verengen, daß an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken war. »Ende!« sagte Salgouz, der wieder die Führungsrolle übernommen hatte, nach kurzer Zeit. »Es geht nicht mehr weiter!« Er hob die Fackel und versuchte, das Hindernis vor ihnen auszuleuchten. Er stieß einen Laut der Überraschung aus, als er bemerkte, daß der Weg durch eine massive Metallwand versperrt wurde. Die Platte schloß fugenlos mit den Wänden der Höhle ab, nur am Boden gab es eine kopfgroße Öffnung, aus der mit starkem Strahl das Wasser des Baches strömte. Erschöpft sanken die Männer zusammen; sie schienen nicht mehr zu spüren, wie das eisige Wasser sie umspülte. Neben ihnen knurrten die Caniparden, die die Kälte ebenfalls nur schlecht vertrugen. »Es muß weitergehen!« behauptete Salgouz nach einer kurzen Pause. »Diese Absperrung kann nur von den Bernalern stam-
36 men – folglich stellt sie ein Hindernis auf unserem Marsch dar. Und Hindernisse sind überwindbar – die Frage ist also, wie wir dieses Hemmnis beseitigen!« Salgouz starrte sehnsüchtig auf die Metallplatte; ohne genau zu wissen warum, ahnte er, daß es hinter dieser Wand warme Betten gab, üppige Mahlzeiten – alles, was den beiden Männern jetzt fehlte. Unwillkürlich sah Salgouz auf Gloddus, dessen Armwunde noch immer Blut absonderte. Der arme Kerl braucht dringend medizinische Hilfe! fuhr es ihm durch den Kopf. »Die Platte bewegt sich!« schrie Gloddus plötzlich. Er hatte sich nicht geirrt, tatsächlich hatte sich die Platte um eine Handbreit gehoben. Endlich! überlegte Salgouz. Vielleicht gibt es da drinnen sogar etwas zu trinken! Im gleichen Augenblick glitt die Platte in ihre ursprüngliche Stellung zurück. Salgouz begriff sehr schnell – nur dann würde sich die Platte endgültig heben, wenn jeder der beiden Männer an den anderen dachte – und das möglichst positiv und mitfühlend. Gloddus braucht Hilfe! dachte Salgouz angestrengt. Er muß verbunden werden, sonst verblutet er! Wieder glitt die Platte in die Höhe und die Bewegung hielt an. Als das Metall einen Meter über dem Boden schwebte, versuchte Gloddus unter der Platte durchzukriechen. Gerade noch rechtzeitig schnellte er zurück; Sekundenbruchteile später hätte ihm das herabsausende Metallstück den Schädel zertrümmert. »Sie Narr«, fauchte Salgouz, »begreifen Sie nicht, wie wir vorgehen müssen, um die Platte in die Höhe zu heben?« Mit vereinten Kräften machten sich die Männer ans Werk; die Platte zog sich rasch in die Höhe zurück. Dahinter waren schwach beleuchtete Räume zu erkennen, in denen etwas metallisch schimmerte. Wir haben es geschafft! triumphierte Salgouz in Gedanken. Endlich hat dieser Trottel be …!
Peter Terrid Wieder knallte die Platte in ihre Ausgangsstellung zurück. Gloddus bedachte Salgouz mit einem mörderischen Blick; beide Männer waren hart am Rande ihrer Selbstbeherrschung angelangt. Nur die Angst, den Innenraum hinter der Platte nicht erreichen zu können, hielt sie davon ab, trotz der Fesselfelder aufeinander loszugehen. Das kalte Wasser brannte an den Beinen, die allmählich gefühllos zu werden begannen. Die Männer waren erschöpft, hungrig und müde – sich unter diesen Umständen auf friedliche Gedanken zu konzentrieren, war fast unmöglich. Immer wieder rafften sich die Männer auf, hob sich die Platte, aber immer wieder schlug der Versuch fehl. Wenn der erste versuchte, das Innere zu erreichen, machten sich augenblicklich bei dem anderen neiderfüllte Gedanken bemerkbar, die von einer diabolisch perfekten Automatik angepeilt und mit dem Schließen der Tür bestraft wurden. Erst als beide Männer kaum mehr zu stehen vermochten, gelang es ihnen, das Hindernis zu überwinden – sie waren nervlich so erschöpft, daß sie nur noch den einen Gedanken hatten, es möge ein Ende nehmen. Die Platte fuhr in die Höhe und verharrte dort; langsam krochen die beiden Männer vorwärts, grinsten sich schwach an. »Geschafft!« murmelte Gloddus kaum verständlich. »Danke, Lelle!« »Gern geschehen, Bilfnei!« gab Salgouz kaum hörbar zurück; in diesem Augenblick spürte er tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit und Bewunderung für den anderen. Er wußte, daß er selbst kaum noch bei Besinnung war – um so größer die Leistung des anderen, der ebenfalls noch nicht versagt hatte, obwohl jeder der beiden Männer vom anderen angenommen hatte, er sei der Schwächere und der Belastung nicht gewachsen. Sobald die Sperre überwunden war, brachen die Männer zusammen, und neben ihnen lagen, gleichfalls erschöpft, die Caniparden. Es dauerte mehrere Stunden, bis sie sich wieder so weit erholt hatten, um weiter
Zweikampf in Fesseln in den Berg eindringen zu können. Salgouz' dumpfe Ahnung bewahrheitete sich; es gab in der Gebirgsstation tatsächlich weiche Betten. Und die Vorratskammern waren mit hochwertigen Nahrungsmitteln gefüllt, die ausnahmslos terranischer Fertigung waren. Was Salgouz besonders freute, war eine Zehnliterflasche Schnaps in einer Qualität, von der der Ammavoler bisher nur zu träumen gewagt hatte. »Zwölf Jahre alter Cognac!« staunte er, als er die Flasche fand. »Diese Bernaler scheinen doch keine so üblen Burschen zu sein!« Gloddus schüttelte den Kopf; er hatte eine Büchse mit Konservenfleisch geöffnet und schlang gierig die Fleischbrocken hinunter. »Bevor Sie in Freudentränen ausbrechen«, sagte er undeutlich und grinste, »sollten Sie einmal einen Blick in den Spiegel werfen!« Salgouz sah ihn verwundert an. »Wozu das?« wollte er wissen, nachdem er die Flasche abgesetzt hatte. Gloddus zuckte nur vielsagend mit den Schultern; daraufhin suchte sich Salgouz einen spiegelnden Gegenstand und sah neugierig hinein. Es war zweifellos sein Gesicht, das ihm aus der blanken Metallfläche entgegenleuchtete; allerdings hatte sich Salgouz stark verändert. Seine Gesichtshaut schimmerte in einem intensiven Grün; unwillkürlich begann Salgouz sein verändertes Gesicht abzutasten. Sein Entsetzen steigerte sich, als er spürte, daß die zahlreichen kleinen Adern, die sich früher rot unter seiner Haut abgezeichnet hatten, nun farblos waren und dem Druck der Finger Widerstand entgegensetzten. Die Nägel seiner Finger hatten sich braun verfärbt und erwiesen sich als beträchtlich härter als die früheren Nägel. »Was, was …?« stammelte Salgouz fassungslos. »Sie sind langsam damit beschäftigt, sich in einen Baum zu verwandeln!« stellte Gloddus mitleidslos fest.* Biochemisch gesehen, waren die ersten Stationen der Umwandlung
37 verhältnismäßig einfach. Die Ribonukleinsäuren, die sich in den Zellmembranen versteckt hatten, spalteten lange Enzymketten ab und schickten sie in die Blutbahn. Dort ging der Prozeß weiter: Die Enzyme trennten alle überflüssigen Radikale von dem vierfachen Prophinringsystem ab, dann wurden die vier Ringe auseinandergerissen und das zentrale EisenII-Atom entfernt. An seine Stelle wurde ein Magnesiumatom eingesetzt, dann schloß sich das Ringsystem wieder. Die vorher abgespalteten Seitenketten wurden durch neue Radikale ersetzt – aus dem Blutfarbstoff Häm war der für Pflanzen charakteristische Farbstoff Chlorophyll geworden. Gleichzeitig lief eine Fülle andersartiger Vorgänge ab; in komplizierten chemischen Reaktionen bauten die Infektoren des Yüülz einen fließenden Übergang zwischen den chlorophyllhaltigen Zellen der Haut, die zu ihrer Erhaltung Licht brauchten, und den hämoglobinhaltigen Zellen des Körperinnern. Stufenweise wurde auch die Nahrungschemie des Körpers umgestellt; in den Körperzellen in der Nähe des Tageslichts, vor allem in den Hautzellen, wurden aus einfachen chemischen Bausteinen komplizierte Moleküle zusammengesetzt. Der bereits pflanzliche Teil des unfreiwilligen Wirtes ernährte sich autotroph – er konnte das, was er zum Leben brauchte, selbst herstellen. Der restliche Körper war heterotroph, also darauf angewiesen, daß bereits vorgeformte Moleküle zur Ernährung geliefert wurden. Gleichzeitig diente der Sauerstoff, der bei der autotrophen Ernährung gleichsam als Abfall entstand, zur Belieferung der heterotrophen Zellen. Rein theoretisch war ein solcherart umgeformter Körper erheblich leistungsfähiger als zuvor – er verband die Fähigkeit der Pflanzen, selbst unter extremen Umweltbedingungen existieren zu können, mit der Beweglichkeit tierischer Organismen. Dies galt allerdings nur dann, wenn der Umwandlungsprozeß an einer bestimmten Stelle anhielt.
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* Lelle Salgouz war zu erschrocken, um vollständig zu begreifen, was mit ihm geschah, aber eines war ihm sofort bewußt – er mußte schnellstens die bernalische Station erreichen, wenn er die Verwandlung stoppen und rückgängig machen wollte. Denn nur die Bernaler waren dazu fähig – wenn es überhaupt jemanden gab, der den unheilvollen Prozeß aufhalten konnte. »Wie konnte das geschehen?« fragte sich Salgouz niedergeschlagen. Immer wieder starrte er auf seine Hände, deren Fingernägel – darüber gab es keinen Zweifel mehr – sich in Holz verwandelt hatten. Auch die Tatsache, daß das Holz eine edle Maserung aufzuweisen hatte, konnte den Ammavoler nicht mit seinem Schicksal versöhnen. »Wie konnte es dazu kommen!« rätselte Salgouz. »Was hat diese Veränderungen hervorgerufen?« Gloddus zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich sehe nur eine Möglichkeit«, erklärte er nachdenklich. »Sie erinnern sich an die zweite Nacht auf Koysch, in der ich Sie gerade noch davor bewahren konnte, von einem Baum erwürgt zu werden!« »Sie haben es nicht versäumt«, stellte Salgouz grimmig fest, »mich immer wieder auf diese Rettungstat hinzuweisen!« »Nur um Ihnen klarzumachen, wie sehr es mich freut, Ihnen geholfen zu haben«, fuhr Gloddus spöttisch fort. »Ich vermute, daß der Baum gar nicht vorhatte, Sie zu erdrosseln!« »Sondern?« erkundigte sich Salgouz. »Er wollte sich mit Ihrer Hilfe fortpflanzen!« überlegte Gloddus laut. »Bin ich eine Biene?« wollte Salgouz wissen; er grinste ungläubig. »Wie stellen Sie sich diese Zusammenarbeit vor?« »Von Zusammenarbeit möchte ich nicht reden«, meinte Gloddus gleichmütig. »Dieser Baum – wenn wir ihn weiterhin so nennen wollen – hat Sie mit seinem Erbma-
terial infiziert. Das Verfahren ist fast schon genial – anstatt seine Samen wild durch die Landschaft zu streuen, wobei ein großer Teil in Ermangelung fruchtbarer Erde zugrunde ginge, macht der Baum sich an Tiere heran« -Gloddus grinste Salgouz boshaft an – »und überträgt ihnen sein Erbmaterial. Daraufhin baut sich der Samen aus dem Körper des Opfers seinen eigenen Körper auf. Das hat den Vorteil, daß sich der Baum rasch über weite Strecken ausbreiten kann. Obendrein kann das Erbmaterial dafür sorgen, daß der Wirt sich ein fruchtbares Plätzchen suchen kann, bevor ihm die Wurzeln aus den Füßen sprießen!« Unwillkürlich starrte Salgouz auf seine Füße, als suche er nach Wurzeln. Einstweilen sah er nur Blasen, deren weißliche Haut sich stark von dem dichten Schmutz abhob, der die Füße bedeckte. »Sie sind ein Sadist!« knirschte Salgouz. »Tz, tz!« machte Gloddus vorwurfsvoll. »Ich sage nur die Wahrheit – und die ist bekanntlich wertfrei! Wer die Fackel der Wahrheit durchs Gedränge trägt, darf sich nicht wundern, wenn er anderen den Bart versengt, hat ein kluger Terraner einmal bemerkt – es tut mir leid, daß Sie diesmal derjenige sind, dessen Kinnschmuck brutzelt!« Gloddus genoß die Situation offensichtlich, und Salgouz hatte große Mühe, an sich zu halten. Der Ammavoler spülte den gröbsten Ärger mit einem tiefen Schluck aus der Flasche hinunter, dann suchte er sich aus den reichhaltigen Konservenbeständen ebenfalls ein Abendessen zusammen. Einen Teil des Fleisches verfütterte er an die Caniparden, die gierig über die Mahlzeit herfielen. »Vielleicht gibt es hier eine Positronik!« fiel Salgouz plötzlich ein. »Mit ihrer Hilfe kann ich vielleicht ein Mittel finden, diese gräßliche Metamorphose zu beenden!« »Es gibt hier keine Positronik!« eröffnete ihm Gloddus gnadenlos. »Ich habe nachgesehen. Medikamente fehlen übrigens auch! Einstweilen kann Ihnen niemand helfen, Salgouz! Wir müssen uns eben beeilen, damit wir die Bernalerstation rechtzeitig errei-
Zweikampf in Fesseln chen!« »Und was soll sich dort abspielen?« fragte Salgouz bitter. »Werden die Bernaler mich mitschleppen, um mich irgendwo in einem botanischen Garten anzusiedeln? Das würde Ihnen gefallen, nicht wahr?« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Gloddus hart. »Was wir auf Koysch erleben, ist ein Auswahltest, den nur einer von uns gewinnen kann. Da die heimtückische Pflanze Sie nur durch einen Zufall ausgewählt hat, wird Ihre Verwandlung uns höchstens hemmen, nicht aber stoppen. Ohne Sie kann ich die Station nicht erreichen – also wird es eine Möglichkeit geben, trotz Ihrer Metamorphose weiterkommen zu können!« »Hoffentlich haben Sie recht!« wünschte sich Salgouz. Gloddus verzog das Gesicht zu einem bösartigen Grinsen. »Ich überlege nur«, murmelte er, »was passiert, wenn die hundeähnlichen Caniparden Ihre Umwandlung zum Baum bemerken und sich entsprechend benehmen!«
7. »Gehen wir zurück und suchen einen anderen Weg?« rätselte Salgouz. »Oder versuchen wir, das Gebirge unterirdisch zu durchqueren?« Unsicher standen die beiden Männer mit ihren vierbeinigen Gefährten in der Höhle, in der sie die Nacht verbracht hatten. Gloddus zeigte sich erholt und ausgeruht; Salgouz hingegen hatte eine unruhige, von Alpträumen durchsetzte Nacht zugebracht. Immer wieder starrte der Mann auf seine Hände, suchte nach Anzeichen einer weitergehenden Veränderung. Gerade die schleichende Verwandlung von Salgouz machte die Auswahl besonders problematisch. Hatten die beiden Männer früher geglaubt, ihnen stünde unbegrenzte Zeit zur Verfügung, so galt es jetzt, so schnell wie möglich vorwärtszukommen. Die Männer wußten, wie die Entscheidungsmöglichkeiten aussahen:
39 Entweder zurück, dem Lauf des Baches folgend; bei der ersten sich bietenden Möglichkeit mußte dann ein neuer Weg über das Gebirge gesucht werden. Oder durch das Höhlensystem der Bernaler durch das Gebirge. Offenkundig waren auch die Risiken: der Weg über das Gebirge führte durch eine Eiswüste, und die Ausrüstung der Männer war denkbar ungeeignet, um dieses Hindernis überwinden zu können. Folgten sie dem System der unterirdischen Gänge, liefen sie Gefahr, daß die Gänge irgendwo ein Ende fanden – dann mußten sie den gesamten Weg noch einmal in der entgegengesetzten Richtung durchlaufen und anschließend der ersten Möglichkeit folgen. »Wir müssen es wagen!« entschied Salgouz. »Der Weg über die Berge wird zuviel Zeit in Anspruch nehmen!« »Wenn wir uns irren«, wandte Gloddus ein, »verlieren wir mehr als doppelt soviel Zeit!« »Ich weiß!« entgegnete Salgouz nervös. »Aber ich gehe das Risiko ein!« »Ich?« murmelte Gloddus, während er sich in Bewegung setzte. »Sie meinen wohl wir? Wenn Sie irgendwo Wurzeln schlagen …« Er sah, wie Salgouz die Lippen zusammenpreßte. »Entschuldigen Sie!« bat Gloddus rasch. »Es ist mir herausgerutscht; ich wollte Sie nicht kränken.« Salgouz marschierte neben Gloddus und schüttelte verwundert den Kopf; er war sich immer noch nicht klar darüber, was in dem unscheinbaren Mann an seiner Seite vorging. Gestern abend noch hatte Gloddus ihn fast bis zur Weißglut gereizt, und jetzt entschuldigte er sich für eine Bemerkung, die ungewollt eine doppelte Bedeutung hatte. Neugierig schnüffelnd liefen die beiden Caniparden den Männern voran; Salgouz und Gloddus folgten ihnen mit größter Vorsicht. Sie befürchteten, daß irgendwo eine Falle für sie vorbereitet war. Nach einigen hundert Metern verzweigte sich der Gang, wenig später folgten weitere Abzweigungen.
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»Wohin?« überlegte Gloddus halblaut. »Wenn wir uns in diesem Labyrinth verlaufen, sind wir verloren!« Wortlos deutete Salgouz auf die Caniparden, die ihm aufs Wort gehorchten. »Zurück kommen wir immer!« behauptete er selbstbewußt. »Ich habe folgenden Vorschlag. Wenn dieses Gangsystem tatsächlich durch den Berg hindurchführt, dann gibt es irgendwo auch einen Ausgang. Wir wissen nicht, wo dieser Ausgang liegt, also ist jeder Gang für uns gleich wahrscheinlich!« »Aber auch gleich unwahrscheinlich!« warf Gloddus ein. »Richtig!« stimmte Salgouz zu. »Der für uns günstigste Weg wäre der kürzeste, der geradlinige Weg. Und diesen Weg werden wir einschlagen!« »Ich wäre Ihnen dankbar«, bemerkte Gloddus höflich, »würden Sie mir mitteilen, wie Sie diesen kürzesten Weg zu finden gedenken?« »Ganz einfach!« meinte Salgouz selbstsicher. »Wir nehmen die linke Abzweigung und von da an immer die rechte! Auf diese Weise bleiben wir der fiktiven Mittellinie des Systems am nächsten!« Gloddus nickte anerkennend. Allerdings, überlegte er rasch, funktionierte der Plan nur dann, wenn es innerhalb des Gangsystems nur Verzweigungen, nicht aber Kreuzungen gab. Und ihm erschien es ziemlich sicher, daß sich in den Gängen Gefahren verbargen – bislang war kein Tag verstrichen, ohne daß die Männer nicht eine Probe zu bestehen gehabt hätten.
* »Es sieht so aus, als wäre unsere Taktik richtig!« stellte Salgouz befriedigt fest. Die beiden Männer hatten nach einem vierstündigen Marsch die zwölfte Verzweigung des Systems erreicht. Wenige Meter hinter dem Beginn der linken Abzweigung entdeckten die Männer ein Depot; der kleine Raum enthielt eine Kochstelle, einen gutgefüllten Konservenschrank und sogar eine
Kleiderkammer. Gloddus entdeckte feste Stiefel, warme Pelze und heizbare Unterwäsche; auch der faustgroße Energiespender für die Heizdrähte der Wäsche fehlte nicht. Die Ladeanzeige leuchtete grün – das Magazin war voll. »Das Sortiment ist reichhaltig!« meinte Salgouz bei näherer Betrachtung des Vorrats an Kleidungsstücken. »Wir haben Garderobe für ein komplettes Jahr – die Frage ist, was nehmen wir mit?« Gloddus biß sich angestrengt nachdenkend auf die Lippen, dann sagte er zögernd: »Es läge nahe, wenn wir uns mit Winterkleidung eindeckten. Aber mir erscheint dieses Arsenal irgendwie zu verführerisch. Nach dem Gebirge erwartet uns der Küstenstreifen; da wir augenblicklich den planetaren Sommer erleben, wird es dort ziemlich heiß sein! Pelze wären da nicht gerade die bestmögliche Bekleidung!« »Hört sich vernünftig an«, stimmte Salgouzmit vollem Mund zu. »Wenn wir uns irren, erwartet uns in wenigen Kilometern der Ausgang des Höhlensystems. Dann stehen wir in Badehosen auf einem Gletscher!« Gloddus nickte dumpf; ihm fiel auf, daß Salgouz beim Essen seine Hände so bewegte, daß er nach Möglichkeit die Nägel nicht sehen mußte. Die flachen Stücke gewachsenen Holzes ragten inzwischen einen halben Zentimeter über die Fingerkuppen hinaus. Der Grünton von Salgouz' Haut hatte sich verstärkt, sein Puls schlug wesentlich langsamer, und Gloddus war aufgefallen, daß sein Partner in immer größer werdenden Abständen Atem schöpfte. »Ich stimme für Sommerkleidung!« entschloß sich Gloddus endlich. »Wenn wir die Berge nicht unterirdisch überwinden können, werden uns auch Pelze nicht viel helfen!«
* Nach einer kurzen Pause machten sich die Männer wieder auf den Weg; der Marsch war nun einfacher, was hauptsächlich den
Zweikampf in Fesseln bequemen Stiefeln zuzuschreiben war. Immer noch hielten sie sich an Salgouz' Rezept und wählten stets die linke Abzweigung. Da sie keine Instrumente besaßen, konnten sie nur schätzen, welche Strecke sie zurückgelegt hatten – während Gloddus auf dreißig Kilometern beharrte, schätzte Salgouz, daß sie ungefähr zwanzig Kilometer an diesem Tag marschiert waren. Obwohl die Frage nebensächlich war, schaukelten sich die Meinungen hoch; zu stark war die nervliche Belastung, die an den beiden Männern zerrte. Vor allem Salgouz war am Rande seiner Fassungskraft angelangt. In seinem Innern wütete die panische Angst, im nächsten Augenblick buchstäblich Wurzeln zu schlagen und sich nicht mehr bewegen zu können. Obwohl er über dieses Thema ab und zu bösartige Witze riß, zitterte auch Gloddus diesem Augenblick entgegen – er hätte auch für ihn das Ende bedeutet. Bevor die Männer dazu kamen, handgreiflich zu werden, verlöschte das Licht der Fackeln, mit denen die Männer den Gang vor ihnen ausleuchteten. Salgouz schrie erschrocken auf, als der Boden unter seinen Füßen ruckartig wegsackte und er in eine bodenlos erscheinende Tiefe zu stürzen begann. »Hilfe!« schrie Gloddus instinktiv und klammerte sich an Salgouz fest; neben ihnen ertönte das ängstliche Heulen der Tiere, die den Fall mitmachten. In unregelmäßigen Bewegungen wirbelten die Männer in die Tiefe, bis ein harter Schlag ihr Bewußtsein auslöschte.
* Als die beiden Männer wieder erwachten, lagen sie gefesselt auf zwei hohen Tischen aus weißlackiertem Metall. Ihre Arme und Beine wurden von stählernen Klammern am Tisch festgehalten, und auch über den Nabel erstreckte sich eine solche Fessel. »Was soll das schon wieder?« ächzte Salgouz, als sich der tobende Schmerz in sei-
41 nem Schädel langsam wieder legte. »Wo sind wir?« Er versuchte den Kopf zu drehen; knapp fünf Meter neben sich sah er Gloddus, ebenso sicher gefesselt wie er selbst. Von den Caniparden fehlte jede Spur, dafür lagen in einem Winkel der Halle die Waffen der Männer. »Sieht aus wie ein Operationssaal!« stellte der wiedererwachte Gloddus finster fest. »Wir sollten versuchen, von hier zu verschwinden, bevor die Männer mit den Messern kommen!« Er bäumte sich auf, und die Fesseln gaben nach; im gleichen Augenblick schrie Salgouz schmerzerfüllt auf. »Zurück!« keuchte er mühsam. Als Gloddus sich wieder auf den Rücken gelegt hatte, begriff er den Grund für Salgouz' Schmerzen. Im gleichen Maße, in dem seine Klammern nachgaben, verstärkte sich der Druck auf Salgouz' Körper. »Teuflisch!« stöhnte Gloddus. »Einer von uns wird die Zähne zusammenbeißen müssen!« Fast gleichzeitig ruckten die Männer empor und fielen schreiend wieder zurück; der Versuch, den anderen zu überlisten, war schon beim ersten Mal fehlgeschlagen. »Wer fängt an?« wollte Salgouz wissen. »Einer muß beginnen, sonst liegen wir hier, bis wir verhungert sind!« Er bekam keine Antwort. Schon der erste Versuch hatte gezeigt, daß die Klammern eng anlagen. Wahrscheinlich würden bei der Befreiung die Fesseln bis hart an die Knochen in das Fleisch einschneiden – vielleicht war es sogar nötig, daß sich einer der beiden Männer freiwillig einen Knochen brechen ließ. Gloddus fuhr in die Höhe und biß die Zähne zusammen; neben ihm schrie Salgouz seinen Schmerz heraus. Doch Gloddus war zu geschwächt, um sich nur mit Hilfe seiner Bauchmuskulatur aufrichten zu können. Ächzend sank er wieder zurück. »Sie widerlicher … ah!« knirschte Salgouz haßerfüllt und stöhnte laut; seine Wut
42 trieb ihn an, und Sekunden später lag auch Gloddus wimmernd vor Schmerz auf seiner Unterlage. »Wenn wir erst frei sind …!« Unverhohlene Mordlust schwang in Gloddus' Stimme mit, und auch Salgouz wand sich in einer Mischung aus mörderischer Wut und teuflischem Schmerz. Fünfmal versuchten die Männer, sich gegenseitig zu überlisten, aber jeder Anlauf endete gleich – mit Schmerzensschreien, und dem letzten Versuch folgte eine Ohnmacht. »Hören Sie, Gloddus!« flüsterte Salgouz schwach, sobald er wieder bei Bewußtsein war. »Versuchen Sie, ganz langsam den rechten Arm ein Stück zu heben. Wenn ich Ihnen ein Zeichen gebe, ziehen Sie den Arm ein Stück zurück! Vielleicht kommen wir so frei!« Die Angst hatte über die Wut gesiegt; zwar hätte Salgouz seinen Gefährten am liebsten mit dieser satanischen Apparatur erdrosselt, aber er wußte genau, daß dies auch sein Todesurteil sein würde. Er sah auch ein, daß Gloddus niemals von sich aus bereit sein würde, den unangenehmen Teil der Prozedur zu übernehmen. Aber Salgouz wollte leben, und mit jeder Minute, die er ohnmächtig und gefesselt in der peinlich sauberen Halle verbrachte, sanken seine Chancen, noch rechtzeitig die bernalische Station zu erreichen. »Langsam, Gloddus!« flüsterte Salgouz; der Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er besagte, daß Salgouz sich gnadenlos rächen würde, sollte Gloddus den Druck über das unumgänglich nötige Maß steigern. Millimeterweise hob Gloddus den rechten Arm; aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie sich die Klammer um Salgouz' rechten Unterarm in die Tischplatte senkte. Salgouz biß die Zähne zusammen und stöhnte unterdrückt auf. »Noch einen halben Zentimeter!« ächzte der Ammavoler. »Jetzt!« Gloddus versuchte, den rechten Arm zurückzuziehen. »Es funktioniert!« keuchte er atemlos.
Peter Terrid »Salgouz – es funktioniert!« »Ich merke es!« gab der Ammavoler ächzend zurück. »Das Ganze noch einmal – aber mit viel Gefühl!« Es dauerte mittlere Ewigkeiten lang, dann hatte Gloddus seinen rechten Arm befreit. Sekunden später war auch der Arm von Salgouz frei; ein schmaler Blutfaden rann grünlich den Arm hinunter und ließ schwere Tropfen auf den Boden der Halle fallen. »Jetzt ist die Reihe an Ihnen!« sagte Salgouz rauh. »Ich werde meinen linken Arm bewegen!« »Wenn ich schreien sollte«, murmelte Gloddus schwach, »dann stören Sie sich nicht daran – ich bin nicht übermäßig standhaft, wenn es um das Ertragen von Schmerzen geht!« Salgouz verkniff sich ein Grinsen, dann machte er sich ans Werk. Gloddus hatte mit seiner selbstkritischen Prognose recht; lange bevor Salgouz seinen Arm bewegen konnte, schrie er bereits vor Schmerzen. Salgouz machte ungerührt weiter, und er hielt auch nicht an, als Gloddus nach einem gellenden Schrei in Ohnmacht fiel. »Jetzt kommt es auf das Tempo an!« knurrte der Ammavoler; er nutzte die Schwäche seines Partners aus, und als Gloddus wieder zu sich kam, hatte Salgouz auch schon beide Beine befreit. »Was halten Sie von guten Tischsitten?« erkundigte sich Salgouz, sobald Gloddus erwacht war; die geglückte Befreiung seiner Gliedmaßen hatte dem Ammavoler einen Teil seines angeschlagenen Selbstbewußtseins zurückgebracht. »Sie haben einen merkwürdigen Humor,Salgouz!« bemerkte Gloddus krächzend. »Was soll die Frage?« »Ich wiege beträchtlich mehr, als ich sollte!« stellte Salgouz trocken fest. »Diesem Umstand verdanke ich auch einen stattlichen Leibesumfang. Kommen Sie mit?« »Ich begreife, daß Sie fett sind!« meinte Gloddus zweifelnd. »Mehr aber auch nicht!« »Mein Magen ist derzeit mit ziemlich viel Luft gefüllt!« fuhr Salgouz fort. »Und ich
Zweikampf in Fesseln werde jetzt versuchen, diesen Vorrat durch ausdauerndes Rülpsen zu vermindern! Daher meine Frage!« »Tun Sie sich keinen Zwang an!« meinte Gloddus schwach. »Es dient einer guten Sache!« Ihm war klargeworden, was wirklich hinter Salgouz' Gerede steckte; die Klammern in der Höhe des Bauchnabels lagen bei beiden Männern fest an. In Gloddus' Fall bedeutete das, daß er keine Chancen hatte, durch diese Ö-nung zu schlüpfen – sowohl sein Becken als auch sein Brustkorb waren entschieden breiter als seine Taille. Anders lag der Fall bei Salgouz; wenn sein Leibesumfang, in der Taille gemessen, Gloddus' Schulter- oder Beckenbreite übertraf, mußte es Gloddus möglich sein, durchzukommen. Allerdings mußte Salgouz zu diesem Zweck seinen Magen extrem weit einziehen. »Fangen Sie an!« bestimmte Gloddus. Salgouz atmete so tief aus, wie es ihm möglich war, während Gloddus den Spielraum benutzte, um sich in Schlängelbewegungen in die Höhe zu schieben. »Stop!« keuchte Salgouz und schnappte nach Luft. Gloddus unterdrückte einen Schmerzenslaut, als sich die Klammer hart um seine Hüftknochen spannte. An dieser Stelle lag die mit empfindlichen Nerven durchsetzte Haut über dem Knochen nur wenig unter der Haut. Die stählerne Klammer drückte auf die Knochenhaut und schuf eine Welle des Schmerzes. »Weiter!« keuchte Gloddus. »Schlafen Sie nicht ein!« Über seine Stirn rann dickperliger Schweiß, zu gleichen Teilen von Schmerz und der körperlichen Anstrengung hervorgerufen. Wieder lockerte sich der Druck der Klammer; Gloddus krümmte und wand sich, stemmte sich mit den Händen ab und mühte sich, den Unterkörper durch die enge Klammer zu zerren. Obwohl Salgouz keuchte und stöhnte, kämpfte Gloddus mit der Fessel.
43 Ein doppelter Schrei hallte durch den Raum, als Gloddus endgültig sein Becken durch die Öffnung gebracht hatte. »Geschafft!« jubelte Gloddus und richtete sich auf. »Salgouz, Sie …!« Er sah sich nach dem Ammavoler um; der Mann lag besinnungslos auf dem Tisch neben ihm. Rasch glitt Gloddus von der kühlen Platte und rannte zu Salgouz hinüber. Nach wenigen Minuten war es ihm gelungen, den ohnmächtigen Mann von seinen Fesseln zu befreien. »Wie fühlen Sie sich?« fragte Gloddus teilnahmsvoll, als der Ammavoler erwachte. »Bei Ihrem Anblick?« krächzte Salgouz, dann verzog er die Lippen zu einem schmerzlichen Grinsen. »Danke, es läßt sich ertragen!« Während sich Salgouz von der Strapaze erholte, suchte Gloddus nach einem Ausgang aus der Halle. Er fand keine Öffnung, durch die die Männer hätten entkommen können. Plötzlich wurde die Stille durch einen hallenden Beckenschlag durchbrochen, danach erklang ein gleichmäßiges Ticken. Salgouz und Gloddus sahen sich erstaunt an. Ein Blick auf die Tische zeigte ihnen rasch, was die Geräusche zu bedeuten hatten. So langsam, daß man die Bewegung kaum erkennen konnte, versanken die Klammern im Unterteil der Tische. »Das war knapp!« stöhnte Gloddus entsetzt auf. »Hätten wir länger gezögert, würden uns die Klammern jetzt jeden Knochen brechen!« »Diese verdammten Bernaler!« schimpfte Salgouz empört. »Los, verschwinden wir, bevor sie sich eine neue Teufelei einfallen lassen!« Er deutete auf eine mannshohe Öffnung, die sich erst bei dem Beckenschlag aufgetan hatte; in dem erleuchteten Rechteck waren Felsen zu erkennen. Gleichzeitig wehte ein Schwall kühler Luft in die Halle. Salgouz schnupperte und grinste. »Immerhin!« stellte er zufrieden fest. »Wir sind am Meer oder zumindest in seiner Nä-
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he! Ich bin gespannt, wie es jetzt weitergeht!«
8. »Langsam fange ich an, Erde und Wasser zu hassen!« bemerkte Salgouz düster. Über Koysch hatte sich die Nacht gesenkt; drei der fünf Monde standen über dem dunklen Horizont und spendeten ein bleiches Licht, das die Küste in eine Geisterlandschaft zu verwandeln schien. Die beiden Männer hatten genügend treibendes Holz gesammelt, um ein großes Feuer entfachen zu können. Auf einem improvisierten Grill drehten sich zwei Dutzend Fische, die von der Flut überrascht und in einem Sandloch abgeschnitten worden waren. Salgouz hatte die Fische entdeckt und gespeert; jetzt drehte er eifrig an dem Grillspieß und sah zu, wie aus den Leibern Fett tropfte und zischend im Feuer verbrannte. Die Feuerstelle lag windgeschützt zwischen Felsbrocken, und darüber hing ein Aroma, das den Männern verführerisch in die Nasen stieg. Minutenlang starrten beide Männer schweigend in die Flammen, bis ein unheilverkündendes Knistern sie aufschreckte. Gerade noch rechtzeitig drehte Salgouz den Spieß weiter; bei einem Fisch allerdings kam die Rettung zu spät, wie der verkohlte Schwanz bewies. Unwillkürlich starrten sich die Männer an und grinsten. Seit ihrer Landung auf Koysch hatte sich vieles geändert. Beide hatten viel Gewicht verloren; ihre Muskeln waren besser zu sehen und arbeiteten auch länger, ohne zu ermüden. Ihre Gesichter wurden von struppigen Bärten geziert; die Haare hingen verfilzt bis auf die Schultern. Seit zwei Wochen suchten sie nach einer Möglichkeit, die Küste zu verlassen. Immer wieder hatten sie verzweifelt nach einer Transportmöglichkeit Ausschau gehalten, aber sie hatten nichts finden können. Die der
Küste zugewandte Seite des Gebirges war völlig kahl, und der Rückzug ins Innere des Massivs war ihnen ebenfalls versperrt. Salgouz hatte mehrere Tobsuchtsanfälle bekommen, die sich erst gelegt hatten, als er eingesehen hatte, daß auch dies ihn nicht vor dem unausweichlich Erscheinenden bewahren konnte. Zu Streitigkeiten war es nicht mehr gekommen. »Heiß!« zischte Salgouz, als er einen der Fische betastete; mit einem wehleidigen Gesicht blies er auf den Finger, den er sich verbrannt hatte. »Passen Sie auf!« In den vergangenen Tagen hatte sich der Umgangston der beiden Männer auf seltsame Weise entkrampft; zu vordergründig und wichtig war das beiden gemeinsame Problem des Überlebens – die Frage, was sie miteinander anstellen würden, wenn diese Prüfung beendet war, konnte später beantwortet werden. Selbst unter gänzlich anderen Umständen, stellte Salgouz sachkundig fest, würden die gebratenen Fische als Delikatesse anzusehen sein. Die Tatsache, daß die Fische gefiedert waren, störte in dieser Betrachtung nicht. Es war den Männern aufgefallen, daß es auf Koysch einige Phänomene gab, die den in der Galaxis gültigen Gesetzen Hohn sprachen. Die gefiederten Fische zählten ebenso dazu wie der Umstand, daß die fünf Monde Umlaufbahnen besaßen, die schon nach wenigen Jahrhunderten unweigerlich zu einer Kollision führen mußten. Wie sich unter diesen Begleitumständen überhaupt ein System von fünf Monden hatte bilden können, blieb ein Rätsel – zu allem Überfluß standen die Monde auch noch dicht beieinander, was nach den allgemein gültigen astrophysikalischen Gesetzen völlig ausgeschlossen war. Die beiden Männer hatten sich mit der Tatsache abgefunden – Koysch war eben anders als andere Welten. »Mir ist aufgefallen«, stellte Salgouz eifrig kauend fest, »daß Sie eigentlich ein ganz vernünftiger Mann sind!« »Danke!« meinte Gloddus grinsend. »Was erwarten Sie sich von solchen
Zweikampf in Fesseln Schmeicheleien?« »Nichts!« gab Salgouz zurück. »Ich frage mich nur, was der Bilfnei Gloddus, der jetzt vor mir sitzt, mit dem Bilfnei Gloddus zu tun hat, der dem Regierenden Lordadmiral der USO Ultimaten stellt!« Gloddus blickte betroffen zur Seite. »Lassen Sie das!« sagte er rauh, aber es klang eher wie eine Bitte, denn als Befehl. »Das ist allein meine Sache!« »Nicht ganz!« kommentierte Salgouz unbeeindruckt. »Immerhin wollten Sie mich erschießen lassen. Und auf Ihr Konto gehen noch ein paar andere Leichen!« »Es tut mir leid!« Völlig unbeteiligt kam die Floskel über Gloddus' Lippen; Salgouz schüttelte den Kopf. »Das nehme ich Ihnen nicht ab«, widersprach er kalt. »Was wollen Sie eigentlich?« Gloddus drehte sich herum und sah Salgouz hart an. »Nach oben!« sagte er fest. »Nach ganz oben – und eines Tages werde ich dort oben stehen, und Sie werden vielleicht froh darüber sein, mich kennen zu dürfen!« Salgouz wollte versuchen, mehr aus Gloddus herauszuholen, darum bemühte er sich, ein abfälliges Gelächter zu unterdrücken. »Und was werden Sie tun, wenn Sie ganz oben sind«, wollte er wissen. »Über die Menschen nachdenken, die für diesen Aufstieg sterben mußten?« Gloddus biß sich auf die Unterlippe und sagte tonlos: »Ich werde mich bemühen, ohne Gewalt auszukommen! Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen! Oder hatten Sie mehr erwartet?« »Glauben Sie«, setzte Salgouz nach, »daß es Ihnen gelingen könnte, beispielsweise Großadministrator zu werden, wenn Sie sich in offener Wahl stellen? Anders als mit Gewalt werden Sie niemals dorthin gelangen, wohin Sie wollen! Diese Plätze sind besetzt!« »Ich weiß!« bemerkte Gloddus bitter. »Alle Plätze sind besetzt – der neue Adel
45 Terras!« »Es gibt keinen Adel der Geburt mehr!« wurde er erinnert. »Es gibt nur noch einen Adel der Fähigkeiten. Mit einigen Schönheitsfehlern im mittleren Bereich, wie ich zugeben muß. Aber wenn es jemand gibt, der tatsächlich fähiger ist als Rhodan und seine Freunde, können Sie darauf wetten, daß dieser Jemand binnen kürzester Zeit auch den Platz eingenommen hat, der seinen Fähigkeiten entspricht.« »Wenn man Sie reden hört«, meinte Gloddus spöttisch, »könnte man glauben, Terra sei das reine Paradies!« »Das Paradies werden Sie nirgendwo finden«, konterte Salgouz schnell. »Oder überall – es kommt nur darauf an, wo Sie suchen. Beginnen Sie mit der Suche beispielsweise bei sich selbst. Wenn du einen Mann glücklich machen willst, dann mehre nicht seinen Besitz, sondern mindere seine Begierden. Der Spruch ist von einem Mann, der seit fast fünftausend Jahren tot ist. Er hieß Seneca!« »Zitieren scheint eine Ihrer Stärken zu sein!« bemerkte Gloddus mit unüberhörbarem Spott. »Zu dieser Bemerkung«, gab Salgouz grinsend zurück, »fällt mir eine alte Weisheit ein: Wer nicht die Argumente, sondern den Argumentierenden angreift, verrät die Schwäche seiner eigenen Stellung!« »Wenn ich verspreche, ohne Gewalt vorzugehen«, versuchte Gloddus das Thema zu wechseln, »werden Sie dann auf meiner Seite stehen?« Salgouz schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich stehe auf keiner Seite«, sagte er ruhig. »Ich bin nur deshalb hier, weil man mir erklärte, nur ich könne eine galaxisweite Gefahr bekämpfen!« Instinktiv lächelte Salgouz. Gloddus als galaktische Gefahr anzusehen, stieß auf einige Schwierigkeiten. Der ehemalige Kartograph der SMARGENT war nach Größe, Alter, Gewicht und einer Fülle anderer Meßdaten ein überdurchschnittlich durchschnitt-
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licher Mann. Wäre er nicht zufällig mit einem Urgen in Berührung gekommen, hätte niemand je von ihm Notiz genommen. Aber vielleicht lag gerade da das Problem des Bilfnei Gloddus. »Ich will nur eines«, fuhr Salgouz fort. »Meine Ruhe! Mehr …!« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Lautlos sprangen aus dem Dunkeln Dutzende von Gestalten in den Lichtkreis, den das Feuer warf. Salgouz erkannte bemalte Gesichter, die an Satansmasken erinnerten. Von irgendwoher kam eine kopfgroße Keule angesaust, der Salgouz in letzter Sekunde entgehen konnte. Der Kampf war lautlos, nur das heftige Atmen der Streiter war zu hören. Gloddus und Salgouz wehrten sich verbissen gegen die Übermacht. Gloddus schwang seinen Speer in einem Halbkreis hüfthoch durch die Luft; schreiend taumelten einige Angreifer zurück. Salgouz hieb einer der Gestalten die rechte Handkante gegen den Hals; ächzend brach der Mann zusammen. Ein Messer streifte Gloddus am linken Arm; der Mann stöhnte leise auf und ließ den Speer herumwirbeln. Das stumpfe Ende traf, brachte einen Angreifer zu Fall und brach dann. Bevor Gloddus sich von der Überraschung erholt hatte, krachte etwas auf seinen Schädel und setzte ihn außer Gefecht. Salgouz konnte sich nur wenig länger behaupten; mit einer erbeuteten Keule hielt er sich die Angreifer vom Leibe, dann zischte ein Wurfseil heran, legte sich um seinen Hals. Salgouz spürte noch das Einschneiden des Stricks in der Haut, dann sackte er haltlos zusammen.
* Gleichmäßiges Singen, begleitet von einem monotonen Plätschern, weckte Gloddus; er stöhnte unterdrückt auf, da sein Kopf unter den Nachwirkungen des Keulenhiebs zu zerplatzen schien. »Endlich!« hörte er neben sich eine vertraute Stimme. »Ich fürchtete schon, man
hätte Sie für immer ausgeschaltet!« Bilfnei Gloddus drehte mühsam den Kopf und sah in das von einem skeptischen Grinsen verzerrte Gesicht von Lelle Salgouz. Der Ammavoler war wie Gloddus fest verschnürt, er konnte gerade noch den Kopf bewegen. »Sie werden staunen«, versprach Salgouz grinsend, »wenn Sie sehen, wer uns gefangengenommen hat!« Gloddus wandte den Kopf und erstarrte. Zunächst sah er nur zwei Beine, gerade gewachsen und schlank. Erstaunlich lang waren die Beine, und sie mündeten in einem kurzen Rock aus perlenbesticktem Tuch. Über dem Rock erkannte Gloddus den Rest einer Anatomie, der unverkennbar weiblich war. Aus vollständig weißen Augen sah eine junge Frau auf die gefesselten Männer herunter. »Yüülz, hery doo dov!« zischte die junge Frau und verabreichte Salgouz einen wuchtigen Fußtritt. »Ihr Typ scheint hier nicht sonderlich beliebt zu sein!« stellte Gloddus fest; er lief dunkelrot an, als sich die Frau kniete und seinen Bizeps betastete. Der skeptische Blick, der diese Handlung begleitete, ließ seine Verlegenheit noch stärker werden. »Kein Wunder!« bemerkte Salgouz neidisch. »Wo gibt es schon eine Frau, die sich in einen Baum verliebt? Einstweilen frage ich mich, was die Damen mit uns vorhaben! Vielleicht wollen sie uns zu Zuchtzwecken halten!« Sein Gesicht überzog sich mit einem honungsvollen Schimmer, aber als sein Blick wieder auf Gloddus fiel, seufzte er auf und schüttelte den Kopf. »Immerhin!« murmelte Gloddus. »Wir liegen in einem Boot. Ein Transportmittel haben wir nun! Aber wie stellen wir es an, daß das Boot den Kurs nimmt, den wir uns wünschen?« Die Aussichten waren schlecht. Die Männer waren gefesselt und ohne Waffen; die Zahl der Frauen an Bord schätzte Gloddus auf mindestens fünfzig, von de-
Zweikampf in Fesseln nen die Hälfte damit beschäftigt war, das Boot mit gleichmäßigen Paddelschlägen vorwärtszutreiben. Ein Segel gab es offenbar nicht. »Zwecklos!« kommentierte Salgouz, dem nicht entgangen war, was sich in Gloddus' Gedanken offenkundig abspielte. »Selbst wenn wir diese anatomischen Perlen vor die Meerschweine werfen – zu zweit können wir das Riesenboot nicht von der Stelle bewegen!« »Wir könnten uns ein Segel basteln«, schlug Gloddus vor. »Es gibt Stoff an Bord!« »Röcke als Antrieb?« überlegte Salgouz grinsend. »Das mag gesellschaftlich möglich sein – seemännisch ist es blanker Unfug! Wir müssen warten! Haben Sie übrigens verstanden, was das Mädchen gesagt hat?« »Vielleicht«, meinte Gloddus nachdenklich. »Das Wort Yüülz kam auch im Wortschatz des Eingeborenenhäuptlings vor, dessen Leute uns verzehren wollten. Vielleicht ist das der Name für Leute, die mit diesem Unglücksbaum in Berührung gekommen sind – vielleicht ist dies sogar der Name der Pflanze?« Die Männer grinsten sich an; merkwürdigerweise verspürten sie keine Angst. Sie vertrauten darauf, daß jedes Hemmnis auf Koysch für sie überwindbar war – also mußte es auch eine Möglichkeit geben, sich aus der Gewalt der Amazonen zu befreien. Es galt nur ruhig zu bleiben und die erste sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Es dämmerte schon wieder, als die Männer an einem dumpfen Knirschen unter ihnen spürten, daß das Boot an seinem Ziel angelangt war. Ein Teil der Mädchen sprang aus dem Boot und half, den Kiel weit den Strand hinauf zu ziehen. Dann wurden Gloddus und Salgouz aufgestellt, und die Anführerin der Mädchen – erkenntlich an einem Metallreif um die Stirn – durchschnitt die Fesselung der Beine. Ein Stoß mit dem stumpfen Ende eines Speeres trieb die Männer vorwärts. Das Boot hatte an einer Insel angelegt und
47 lag nun auf einem hellen, feinkörnigen Sand. Hinter dem Strand begann ein dichter Wald, der deutliche Zeichen menschlicher Bearbeitung aufzuweisen hatte. Salgouz sah sich rasch um und sah mindestens einhundert Boote auf dem Strand liegen – das bedeutete, daß auf der Insel mindestens fünfhundert Menschen lebten, unter Umständen ein Mehrfaches davon. Unwillkürlich schluckten die Männer, als sie die Verzierungen der Boote sahen. An den hochaufragenden Bugen bleckten gebleichte Schädel die Männer an; das Heck und die Bordwände der Boote wiesen nicht minder grausigen Zierrat auf. Unsanft stießen die Mädchen die Männer vorwärts, den Strand hinauf und in den Wald. Nach kurzem Marsch war eine Lichtung erreicht, bei deren Anblick beide Männer überrascht aufschrien. In der Mitte der Lichtung stand eine metallene Halbkuppel, über der schwach ein Energiefeld leuchtete. »Die Station der Bernaler!« flüsterte Gloddus heiser. »Wir sind am Ziel!« »Die Mädchen haben uns zwar hierher geschleppt«, widersprach Salgouz beklommen, »aber ich zweifle, ob sie uns gutwillig in die Station eindringen lassen werden. Sehen Sie sich die Umgebung der Kuppel einmal genauer an!« Gloddus folgte der Aufforderung, und seine Züge verdüsterten sich schlagartig. Ein Ring von dreißig Obelisken, jeder mindestens zehn Mannslängen hoch, umgab die Station; zwischen den Pfeilern waren Altäre zu erkennen – und auf den Platten lagen festgeschnallte Männer, die sich verzweifelt gegen die Fesselung zu wehren versuchten. Im Hintergrund erkannte Gloddus einen abgegrenzten Bezirk, in dem merkwürdige Bäume standen. Erst bei näherem Hinsehen wurde Gloddus klar, um welche Gewächse es sich handelte. »Der Hain der Yüülz!« stellte Salgouz rauh fest. »Wir sind tatsächlich am Ziel! Während man mich vermutlich einpflanzen wird, werden Sie als Opfer zu meinen Ehren geröstet!«
48 Salgouz ballte die Fäuste; er konnte sich kaum noch beherrschen. Wochenlang waren die Männer marschiert, hatten sich körperlich und geistig verausgabt, sich aus einem halben Dutzend tödlicher Fallen befreit – nur um wenige Meter vor dem Ziel zu scheitern? »Das darf nicht wahr sein!« stöhnte Gloddus auf. »Es darf einfach nicht – es wäre ungerecht!« Salgouz warf ihm einen spöttischen Blick zu. Schluß, dachte der Ammavoler. Ende der Vorstellung. Irgendwann mußte es so sein; Pech, daß es so enden muß. Salgouz war zu erschöpft, zu ausgepumpt, um noch kämpferische Instinkte zu haben. Er fügte sich in sein Schicksal, gleichgültig, wie es aussehen mochte. »Eine winzige Chance haben wir noch!« meinte Gloddus plötzlich. »Ich sehe neunundzwanzig Altäre, aber nur siebenundzwanzig Opfer. Wenn man mich dazu rechnet, fehlt noch immer ein Mann. Wir haben also noch Zeit – wenn auch nicht sehr viel!« Salgouz zuckte mit den Schultern. Während er zu dem Yüülz-Hain geschoben wurde, schleppten die Mädchen Gloddus zu einem der beiden noch leeren Altäre und schnallten ihn darauf fest. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Salgouz sehen, daß Gloddus Arme und Beine so stark wie möglich anspannte, während man ihn fesselte – vermutlich wollte er auf diese Weise erreichen, daß die Fesseln nicht allzu straff anlagen. Vier mannshohe, gekalkte Steine markierten den Bereich des Haines; Salgouz zählte mehr als fünfzig Exemplare des Yüülz, die auf dem grasbedeckten Boden eingepflanzt waren. Drei der Frauen gingen ihm voran und setzten hölzerne Spaten an. Blitzartig wurde Salgouz klar, was die Mädchen planten – sie wollten ihn buchstäblich einpflanzen. Angstschweiß lief über die Stirn des Mannes; er spürte, daß er in kürzester Zeit festwachsen würde, waren seine Füße erst einmal im Erdboden eingegraben.
Peter Terrid Salgouz stieß einen Schrei aus und schlug zu. Mit einer einzigen Bewegung seiner Arme fegte er drei der Mädchen von den Beinen. Andere Mädchen wichen starr vor Schrecken einige Schritte zurück – offenbar war es ein ungeheuerlicher Vorgang, daß sich ein Betroffener gegen das Einpflanzen zur Wehr setzte. Salgouz hob eine Keule auf und schwang sie durch die Luft; schreiend liefen die Mädchen davon und verschwanden im Wald. Nur eine zehnköpfige Truppe faßte sich und ging zum Gegenangriff über. Pfeile zischten heran und schlugen in Salgouz' Körper ein. Der Mann schrie vor Schmerz auf, aber seine Haut entsprach schon so sehr der eines Yüülz, daß die Pfeile nicht sehr tief eindringen konnten. Rasch lief Salgouz den Amazonen entgegen und stieß dabei ein urweltliches Brüllen aus. Auf dem Boden lagen verstreut etliche Speere; Salgouz bückte sich und schickte den Frauen eines der Geschosse nach dem anderen entgegen. Salgouz tobte; beim Bücken hatte er festgestellt, daß seine Bewegungsfähigkeit immer stärker nachließ – es konnte nur noch kurze Zeit dauern, bis er endgültig erstarrt war. Fast mechanisch führte er einen Speer nach hinten und schnellte den Arm vorwärts; der Speer raste gradlinig durch die Luft und traf eine der Frauen in die Brust; schreiend brach die Getroffene zusammen. Vor Salgouz' Füßen bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch ein Speer in den Boden; der Mann riß das Geschoß aus dem Boden und schleuderte es zurück. Wieder traf er, und die Tatsache, daß der förmliche Hagel von Pfeilen, der auf seinen Körper niederging, keine Wirkung zeigte, lähmte die Widerstandskraft der Amazonen. Nach wenigen Minuten wandte sich auch das letzte Mädchen zur Flucht. Salgouz stieß ein Triumphgeschrei aus, dann riß er nacheinander sämtliche Pfeile aus seinem Körper. Von Grauen geschüttelt, starrte er auf das harzige Sekret, das anstelle des Blutes aus den Wunden quoll. »Los!« schrie Gloddus von seinem Platz.
Zweikampf in Fesseln »Helfen Sie mir – wir haben es geschafft. Beeilen Sie sich, bevor die Mädchen zurückkommen!« Langsam stapfte Salgouz auf den Altar zu, auf dem Gloddus festgebunden war. Achtlos hob er ein Kampfbeil auf und durchtrennte die Fesseln. Gloddus stand rasch auf und rieb sich die schmerzenden Glieder. »Nichts wie weg!« murmelte er. »Betreten wir die Station!« Salgouz wollte nicken, aber ein furchtbarer Schmerz, der seinen Körper durchzuckte, nahm ihm die Luft. Er wollte schreien, aber kein Ton kam über seine Lippen. Salgouz konnte nur mit größter Mühe den Mund önen, aber mehr als ein Ächzen brachte er nicht mehr zuwege. Das Yüülz schlug zu. In rasender Geschwindigkeit liefen die Vorgänge ab; aus dem Holz der Fußnägel entwickelten sich in Minutenschnelle haardünne Wurzeln, die sich rasch in den Boden bohrten. Salgouz' Haare, seit langem schon grün, entfalteten sich – die filigrane Struktur von dünnen Blättern wurde sichtbar. Aus den Fingern begannen Luftwurzeln zu sprießen, während sich Salgouz' Haut mehr und mehr bräunte und dunkler wurde. Mit schreckgeweiteten Augen taumelte Gloddus zurück, als er die grauenvolle Verwandlung sah. Er stammelte sinnlose Silben, hielt beide Arme von sich gestreckt, als wolle er das Verhängnis von sich fernhalten. Salgouz stöhnte dumpf; er konzentrierte sich auf seinen rechten Fuß, wollte ihn heben. Vergeblich; die Wurzeln waren zwar dünn, aber ungeheuer zäh. Es gelang Salgouz nicht, sich von der Stelle zu bewegen. Ohnmächtige Wut, gepaart mit dumpfer Verzweiflung, überschwemmte den Geist des Ammavolers. Mit dem letzten wachen Funken seines Verstandes sah Salgouz, wie Gloddus immer weiter zurückwich; hinter dem Mann fiel der Energieschirm um die Kuppel lautlos zusammen – eine Tür öffnete sich in der Halbkugel. Aber Salgouz sah etwas anderes.
49 Gloddus war mehr als fünf Meter von ihm entfernt! Das Fesselfeld bestand nicht mehr. Gloddus hatte gewonnen, er konnte die Station betreten, während Salgouz mehr und mehr an den Boden gefesselt wurde. Tobender Zorn erfüllte den Ammavoler, mit dem letzten Einsatz seines Willens zwang er den rechten, immer steifer werdenden Arm zurück. Dann schnellte der Arm nach vorn. Das Kampfbeil flog, sich mehrfach überschlagend, durch die Luft und schlug mit einem dumpfen Laut in Gloddus' Rücken ein. Der Mann straffte sich, fiel. Noch in der Bewegung drehte er sich herum, und Salgouz konnte zwei von Fassungslosigkeit geweitete Augen sehen. Ächzend brach Gloddus in die Knie, während das Beil in seinem Rücken sich löste und dumpf auf dem Boden aufschlug. »Warum?« stöhnte Gloddus und schüttelte schmerzlich den Kopf. »Warum?« Seine rechte Hand verschwand in seiner Jacke; als sie wieder zum Vorschein kam, klammerten sich die Finger um den Kolben eines Desintegrators, dessen Ladeanzeiger volle Ladung signalisierte. Salgouz begriff. Irgendwo während des Marsches, wahrscheinlich in einem der unterirdischen Depots, hatte Gloddus die tödliche Waffe gefunden. Und er hatte sie nicht gebraucht; längst hätte er Salgouz töten können, seinen Körper in grünliche Gasschwaden auflösen können. Mit dieser Waffe hatte Gloddus die Chance gehabt, sich ohne Schwierigkeiten von seinem lästigen Begleiter zu trennen – ohne dabei auf das Fesselfeld Rücksicht nehmen zu müssen. Gloddus, die galaktische Gefahr, hatte auf diese Möglichkeit verzichtet. Salgouz, der den Auftrag hatte, in diesem Kampf das Gesetz, das Recht zu vertreten, hatte versagt. Während Gloddus' Augen brachen und er vornüber auf den Boden fiel, starb auch etwas in Lelle Salgouz – das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.
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Nein! schrie es innerlich in dem Ammavoler. Du wolltest die Welt verbessern, die Menschen glücklicher machen. Jetzt hast du einen einen Mann heimtückisch getötet! Die Umwelt verschwand vor Salgouz' Augen, überzog sich mit einem grünen Schleier. Die Verwandlung lief nach Programm ab. Nicht einmal in Gedanken wagte Salgouz einen Widerspruch. Er hatte versagt, vor der höchsten Instanz, die er für sich anerkannte – vor seinem Gewissen. Und Salgouz war bereit, die Sühne anzunehmen, die ihm auferlegt war.
9. »Wir haben einen Fehler gemacht«, sagte die Stimme niedergeschlagen. »Oder, um ehrlich zu sein – ich habe einen Fehler gemacht! Niemals hätte ich die Urgene aussetzen dürfen!« »Possert Egk Flangkort!« klang eine andere Stimme auf. »Jedes Wesen macht Fehler – warum nicht auch du. Wir haben den Fehler gesehen; zwar können wir nur wenig wiedergutmachen, aber wir sollten wenigstens versuchen, künftigen Schaden zu verhindern!« »Wesen sind gestorben!« klagte Flangkort. »Ich hätte es wissen müssen – kein Leben im Normaluniversum kann sich gegen die Naturgesetze entwickeln. Die Abläufe sind vom Schicksal vorgeschrieben. Sprünge in der Entwicklung, wie sie von den Urgenen hervorgerufen wurden, stören den natürlichen Ablauf der Dinge!« »Ich werde die Urgene wirkungslos machen«, sagte Flangkort. »Es bleibt keine andere Wahl. Und wir, Freunde, werden die Zeitnomaden bleiben müssen – es darf keinen Kontakt mehr geben. Ich weiß, daß diese Tatsache betrüblich ist – gerne hätten wir den Völkern dieses Universums geholfen. Aber ich habe eingesehen, daß wir ihnen in Wirklichkeit nur geschadet haben!« »Verzweifle nicht!« wurde ihm beruhigend zugeredet. »Eines Tages wird unsere Einsamkeit im Zeitenstrom ein Ende finden
– dann, wenn irgendein Volk des Universums unsere Entwicklung nachvollzogen hat. Solange werden wir die Nomaden der Zeit bleiben, unstet und flüchtig! Aber das Warten wird sich lohnen!«
* Ich sah auf die Borduhr. Seit dem Verschwinden von Gloddus und Salgouz war fast eine Woche verstrichen, und inzwischen war mir klar geworden, daß es sinnlos war, weiter auf das Wiederauftauchen der beiden Männer zu warten. Für die Bernaler war Zeit eine bewegliche Größe, für uns war sie konstant. Ich war zu dem Schluß gekommen, daß die Bernaler wissen mußten, daß uns nicht alle Zeit des Universums zur Verfügung stand. Was immer sie auch mit den beiden Männern gemacht haben mochten, es hätte für sie ein leichtes sein müssen, selbst einen mehrjährigen Aufenthalt im Zeitflimmern auf einen Sekundenbruchteil unserer Zeitrechnung zusammenschrumpfen zu lassen. »Kommandant!« sagte ich müde. »Lassen Sie die SMARGENT klarmachen; ich will nicht länger warten!« Ktamvayn nickte kurz zur Bestätigung, dann erteilte er seine Befehle. Plötzlich … Ich wollte gerade den Startbefehl geben, als überraschend zwei Gestalten in der Zentrale der SMARGENT materialisierten. Noch während ich zur Waffe griff, erkannte ich Salgouz und Gloddus. Beide Männer waren unbewaffnet, dennoch zog ich vorsichtshalber meinen Strahler und richtete ihn auf Gloddus; er durfte nicht dazu kommen, seine Paragaben schlagartig gegen uns einzusetzen. Ich durfte die Position, die ich gerade erst gewonnen hatte, nicht aufs Spiel setzen. Wie ich aus den Augenwinkeln heraus sehen konnte, waren die Männer in der Zentrale blitzschnell in Deckung gegangen. Mindestens zwei Dutzend Mündungen zielten auf den Körper von Bilfnei Gloddus.
Zweikampf in Fesseln »Keine Panik, Leute!« hörte ich den Ammavoler sagen. »Das Theater ist beendet!«
* »Was machen wir mit den beiden Menschen?« wollte einer der Zeitnomaden wissen. »Der Test ist negativ verlaufen. Beide Testpersonen haben keine klaren Vorstellungen, kein verbindliches Handlungsschema. Während Salgouz genau weiß, daß er auf der Seite des sogenannten Guten steht, ist Gloddus sich der Tatsache bewußt, daß er nach den für seine Spezies geltenden Moralbegriffen ein Verbrecher ist. Und doch hat Salgouz Gloddus ermordet – nicht umgekehrt!« »Nur zum Schein!« warf Flangkort ein; er spürte die Anwesenheit von Gloddus und Salgouz, die beide nicht begriffen, was um sie herum vorging. »Schließlich kämpften sie auf einer Fiktivwelt!« »Wir sollten sie in ihr Kontinuum zurückschicken«, schlug jemand vor. »Wie ich den Gedanken der Wesen entnehmen kann, gibt es dort ein als verbindlich angesehenes System von Verhaltensvorschriften. Bei Verstößen wird bestraft – diese Arbeit sollten wir dem Kontinuum überlassen, aus dem die Wesen stammen!« »Ich stimme zu!« erklärte Possert Egk Flangkort. »Aber ich schlage vor, daß wir ihnen sowohl die Fähigkeit nehmen, die sie durch uns erworben haben, als auch einen Großteil der Erinnerung!« »Einverstanden!« stimmte das Kollektiv zu.
* Schlagartig wurde mir klar, was geschehen war. Es genügte, einen Blick auf Bilfnei Gloddus zu werfen. Vor mir stand ein unscheinbarer Mann, der vor Verlegenheit fast in Ohnmacht fiel. Und neben ihm stand ein geistesabwesender Salgouz, dem alles fehlte, was ihn für kurze Zeit ausgezeichnet hatte. Beide Männer hatten ihre Sonderbegabun-
51 gen eingebüßt – sie waren wieder so, als hätte es nie Bernaler gegeben. Ich steckte die Waffe zurück und sah Gloddus scharf an; unter dem Blick schien der Mann förmlich zusammenzuschmelzen. »Was wissen Sie noch, Bilfnei Gloddus?« fragte ich ihn. »Nicht mehr sehr viel!« gestand der Mann schüchtern. »Ich weiß nur noch, daß ich versucht habe, Sie zu erpressen, Sir! Ich bitte um Verzeihung!« Das genügte mir nicht; hart fragte ich weiter: »Wissen Sie wenigstens noch, warum Sie so gehandelt haben, Gloddus?« Bilfnei Gloddus biß sich auf die Unterlippe, dann straffte sich seine Gestalt. Ich war überrascht, als er den Kopf hob und mich unverwandt ansah. »Sir!« begann er mit ruhiger Stimme. »Auch Sie werden eines Tages sterben. Und wenn nach Ihrem Tod zehntausend Jahre verstrichen sind, wird man fragen – Atlan, wer war das noch? Vielleicht wird es länger dauern, vielleicht nicht – aber eines Tages wird man Sie vergessen haben!« Gloddus' Lippen zuckten; ich begann zu ahnen, was jetzt kommen würde. »Sie wissen dies alles natürlich«, fuhr er fort; seine Stimme begann zu schwanken und wurde undeutlicher. »Was Sie aber nicht wissen, sind die Gefühle eines Mannes, der von sich selbst genau weiß, daß er unbedeutend ist. Schlimmer noch: Wenn ich über meiner Arbeit an Bord der SMARGENT tot zusammengebrochen wäre, hätten meine Mitarbeiter im gleichen Augenblick gefragt: Gloddus, wer ist das überhaupt?« Sein Unterkiefer zuckte krampfartig. »Wissen Sie, was das für ein Gefühl ist?« fragte Gloddus stockend. »Zur völligen Bedeutungslosigkeit verdammt zu sein? Ahnen Sie, wie man sich als lebendes Möbelstück fühlt, als jederzeit austauschbares, namenloses Ersatzteil?« Gloddus hörte auf zu sprechen; er drehte sich um, lehnte den Kopf an eine Wand und begann lautlos zu weinen; sein Körper
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Peter Terrid
schüttelte sich. Ich sah die Verachtung in den Blicken der Männer in der Zentrale, Salgouz ausgenommen. Gloddus irrte sich. Ich wußte nur zu gut, was Einsamkeit ist – besonders jene Einsamkeit, bei der man förmlich in Menschenmassen eingekeilt ist. Gesichter tauchten aus meiner Erinnerung auf; Männer und Frauen, prachtvolle Menschen, die meine Freunde hätten werden können – wenn ich nicht einen Zellaktivator getragen hätte. Eine Beziehung zwischen einem Unsterblichen und einem normalen Menschen ist nur für kurze Zeit möglich; ich hatte mich jedesmal dazu überwinden müssen, nach dieser kurzen Zeit gewaltsam den Abschied herbeizuführen – bevor aus der Freundschaft eine Tragödie wurde. Die Männer in der Zentrale sahen mich erwartungsvoll an; offenbar erhofften sie von mir, daß ich hart mit Gloddus ins Gericht gehen würde. Für sie war der Mann ein Mörder, der härteste Bestrafung verdient hatte. Ich kannte diese Männer; sie waren tapfer, treu und idealistisch; sie waren moralisch viel zu integer, um sich auch nur annähernd in die Psyche eines Mannes wie Gloddus versetzen zu können. »Stellen Sie eine Hyperfunkverbindung mit Tahun her!« befahl ich. Der Funker starrte mich sekundenlang verständnislos an, dann machte er sich an die Arbeit. Wenige Minuten später sah ich auf dem Bildschirm das faltige Gesicht von Igis De Urf, dem Leiter der Psychosomatischen Abteilung auf Tahun, dem terranischen Gegenstück zu Aralon. »Haben Sie in Ihrer Abteilung noch einen
Platz frei?« fragte ich den greisen Psychoanalytiker. »Ich habe einen Fall für Sie.« »Wichtig?« fragte der Mann zurück. »Oder gefährlich?« »Beides!« gab ich ebenso knapp zurück. »Der Patient steht vor der Alternative, entweder sich oder andere umzubringen! Ich würde gern beides verhindern!« »Ich werde mich darum kümmern!« versprach De Urf, dann trennte ich die Verbindung. Der Fall war beendet. Salgouz und Gloddus hatten ihre Paraeigenschaften verloren, desgleichen ihr Gedächtnis. Die Bernaler hatten ihnen nur eine Information mitgegeben, die Salgouz immer wieder aussprach: »Es wird keinen Kontakt mehr geben!« Ich wußte, daß diese Lösung die beste war, obwohl ich andererseits bedauerte, daß uns die immensen Kenntnisse der Bernaler nicht zur Verfügung standen. Aber die Bernaler hatten recht: Noch waren die Menschen für diese Entwicklung nicht reif genug. Während die SMARGENT von Toulminth abhob und die im Raum wartende USO-Flotte anflog, begann ich mich zu fragen, wann endlich Einsätze wie dieser überflüssig werden würden. Hofentlich bald! bemerkte mein Logiksektor. Ich konnte ihm nur zustimmen.
ENDE
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