Roy Palmer Der See wolf kehrt zurück 1. Philipp Hasard Killigrew hob sich auf die Ellbogen, lag schräg aufgestützt in se...
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Roy Palmer Der See wolf kehrt zurück 1. Philipp Hasard Killigrew hob sich auf die Ellbogen, lag schräg aufgestützt in seinem Bett und beobachtete aus dieser Position die Vorkehrungen, die Gwendolyn, seine blutjunge Frau, traf. Er lächelte. Es war einige Zeit her, daß er das letzte Mal gelächelt hatte, aber jetzt konnte er es wieder, jetzt hatte er allen Grund dazu, denn die Zeit des Leidens und verbitterten Wartens, der Ungewißheit und Sorge, schien vorüber zu sein. Und das gleich in zweifacher Hinsicht: Er, der Seewolf, war weitgehend genesen, wie Sir Freemont ihm versichert hatte. Außerdem war Gwens Bruder Dan O’Flynn mit einem Pferd zum mutmaßlichen Versteck der ›Isabella V.‹ an der Nordwestküste von Cornwall unterwegs. Hasard hoffte, daß er bald zurückkehrte und ihm gute Nachrichten brachte. Gwen war mit ihren Vorbereitungen fertig. Auch der Kutscher nickte jetzt anerkennend. Er leistete ihnen in dem kleinen, versteckten Raum hinter der Geheimtür Gesellschaft, wie er das zumeist in diesen unendlich langsam verstreichenden Tagen getan hatte - ohne die Eintracht der jungen Ehe zu stören, versteht sich. »Ja«, sagte der Kutscher. »In dem Aufzug wird dich keiner entlarven.« Hasard sagte: »Es müßte schon jemand an dir vorbeigehen, der dein Gesicht kennt. Aber ich glaube nicht daran, daß beispielsweise Baldwin Keymis wie ein lauernder Fuchs vor dem Haus auf und ab streicht.« »Das bedeutet, du hast deinen alten Optimismus wieder?« fragte der Kutscher.
»So ist es.« »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.« Hasard grinste ein bißchen schief. »Mir scheint, ,du bist ein noch größerer Optimist als ich, Kutscher.« »Nach dem Schädelbruch, den du überstanden hast - ja. So habe ich noch keinen dem Teufel von der Schippe springen sehen.« Gwen humpelte probeweise vor dem Fußende des Bettes auf und ab. Sie trug ein verschlissenes, nahezu farbloses, sackähnliches Kleid, dessen Saum fast den Boden berührte. Um den Kopf hatte sie sich ein graues Tuch gebunden, das ihr Haar völlig verhüllte. Über dem linken Arm trug sie einen Korb aus Weidengeflecht. Jemand klopfte an die Geheimtür. Der Kutscher öffnete, und durch den Schrank im Nebenzimmer trat Sir Freemont ein, der schlanke Mann mit dem hageren Gesicht und jenen grauen Augen, die soviel auszudrücken vermochten - Klugheit, Menschenkenntnis, Verständnis und unendliche Hilfs- und Opferbereitschaft. Keinen Augenblick hatte der Arzt gezögert, Hasard bei sich aufzunehmen und ihm die Pflege zukommen zu lassen, die er so dringend brauchte. »Die Luft ist rein«, sagte Sir Freemont. »Aber passen Sie trotzdem wegen eventuell versteckter Posten auf, Gwendolyn. Donnerwetter, Ihr Aufzug ist ja perfekt!« »Ich bin eine humpelnde alte Marktfrau«, verkündete Gwen heiter. Sie ging zu Hasard und küßte ihn. »Keine Sorge«, sagte sie leise. »Ich gebe auf mich acht.« Damit verließ sie den kleinen Raum. Wenig später genoß sie es, vor dem gepflegten Haus Sir Freemonts zu stehen. Es war Abend. Frischer Wind blies aus Südwesten über den Plymouth Sound und die Mill Bay und über ganz Plymouth hinweg, streifte die nördlichen Viertel und verlor sich schließlich in der Finsternis. Der Wind umfächelte
Gwen. Sie atmete die kühle und klare Luft tief ein. Dann lenkte sie ihre Schritte durch den kleinen Garten des Hauses und - ohne dabei das Humpeln zu vergessen - über die North Road. Es war ihr erster Spaziergang seit jenem 10. Februar 1580, dem Tag, an dem sie mit der ›Isabella V.‹ in den Hafen von Plymouth eingelaufen waren und den schwer verletzten Seewolf sofort zu Sir Freemont gebracht hatten. Heute schrieb man den 5. März. Dreiundzwanzig Tage waren vergangen, Tage voller Angst und Zweifel, zuletzt aber auch voller Hoffnung. Endlich hatte die Zuversicht gesiegt. Hasard war genesen. Das Leben hatte einen Sieg davongetragen, das Leben fand seine Fortsetzung und auch seine Zukunft, denn Gwendolyn Bernice Killigrew, geborene O’Flynn, trug ein Kind unter dem Herzen. Im September würde es geboren werden, ein kleiner Seewolf oder gar eine Wölfin. Gwen humpelte in Richtung Stoke. Friedensrichter Samuel Taylor Burton aus Plymouth und Friedensrichter Baldwin Keymis aus Falmouth waren zwei durchtriebene Halunken, deren bloße Anwesenheit in dieser Stadt nach wie vor die Hoffnungen trübte. Sie hatten sich zusammengetan. Bisher hatten sie nichts unversucht gelassen, um den sagenhaften Schatz der ›Isabella‹ an sich zu reißen. Jedesmal waren sie gescheitert, doch deswegen warfen sie die Flinte nicht ins Korn. O nein, Gwen gab sich in der Beziehung keinen Illusionen hin. Wenn es auch in den letzten Tagen still um Sir Freemonts Haus geworden war, der Feind im Dunkel war allgegenwärtig und wartete nur auf seine Chance. Sie hatte daher allen Grund, ein wenig Maskerade anzulegen und sich zu tarnen. Keymis hatte zu den Menschen gehört, die die Spanier seinerzeit beim Überfall auf Falmouth gefangen hatten. Bis nach Santo Domingo auf der Insel Hispaniola hatten die Dons
ihre Geiseln verschleppt, doch dann hatte der Seewolf ihnen einen Strich durch die Rechnung gezogen. Er hatte seine Landsleute befreit. Aber Keymis hatte es ihm schlecht gedankt, genauso wie Sir John Killigrew sich alles andere als erkenntlich dafür gezeigt hatte, daß der »Bastard« ihm vor der Küste von Portugal aus der Patsche geholfen hatte. Alle beide hatten sich wie die reißenden Bestien benommen und kannten nur ein Ziel: den Schatz an sich zu bringen und somit der Königin von England vorzuenthalten. Burton, nicht minder verschlagen und korrupt als Keymis, bediente sich einer Art Geheimpolizei. Er hatte ja schon Sir Freemonts Haus von oben bis unten durchsucht und keine Spur vom Seewolf gefunden - jetzt mußte er nach anderen Mitteln greifen. Er schickte seine Spitzel aus. Er wollte Sir Freemont eine Falle stellen, Hasard festnehmen und durch ihn in den Besitz der immensen Gold-, Silber- und Diamantenbeute gelangen. Gwen hatte anfangs dem Plan, einen Spaziergang zu unternehmen, selbst skeptisch gegenübergestanden. Hasard hatte sie aber gedrängt, und auch Sir Freemont hatte immer wieder unterstrichen, wie gut ihr die frische Luft tat, nicht zuletzt im Hinblick auf das Kind. Schließlich hatte sie zugestimmt. Aber sie war auf der Hut. Sie sah den Schatten, der sich keine zwanzig Schritte entfernt in einen Hauseingang gedrückt hatte und nicht vom Fleck rührte. Garantiert war es einer der Burton-Posten. Gwen hinkte unverzagt auf ihn zu. Richtig, der Schatten entpuppte sich als die Gestalt eines Mannes! Unter ihrem Kopftuch richtete Gwen den Blick auf ihn, aber er konnte unmöglich ihr Gesicht sehen. Er mußte schon nähertreten. Er tat es nicht. Ungehindert gelangte sie an ihm vorbei. Kein Zweifel mehr, er hatte sie wohl aus Sir Freemonts Haus treten sehen, aber er hielt sie für eine Patientin, wahrscheinlich für einen jener armen Schlucker, die die Hilfe des Arztes in
Naturalien bezahlten. Sir Freemont hatte viele solche Patienten, aber von den meisten verlangte er nichts. Gwen erreichte den Hafenarm Stonehouse Mill Pond, der mit der North Road parallel lief. Sie gedachte, sich hier länger als eine Stunde aufzuhalten, und sie rechnete damit, daß der Posten in der Zwischenzeit abgelöst wurde. Der neue Posten wußte dann nichts von einer humpelnden alten Marktfrau, so daß sie getrost in das Haus zurückkehren konnte. Gwen schöpfte wieder tief Luft. Mit dem kleinen Ausflug zu abendlicher Stunde verband sich in ihrem Inneren auch ein erleichtertes Aufatmen. Es mochte an der Stille liegen, die sie umgab, oder an der guten Luft oder auch an der Tatsache, daß sie nicht belästigt worden war, jedenfalls fiel ihr endgültig ein Stein vom Herzen. Sie schritt am Wasser auf und ab und dachte dabei an Hasard. Er besaß schier unglaubliche körperliche Widerstandskräfte. Die Natur eines Bären. Nach Aussage von Sir Freemont hatte er es also in erster Linie sich selbst zu verdanken, daß er den komplizierten Schädelbruch so gut überstanden hatte. Hasard war wieder energiegeladen, er fieberte der Rückkehr Dan O’Flynns entgegen. Alles schien sich zum Guten zu wenden. 2. Der Besitzer des Mietstalles hatte keine Einwände gehabt, ihre Pferde unterzustellen, zumal Dan O’Flynn ihm eine Münze als Vorschuß in die Hand gedrückt hatte. Dan und Bob Grey verließen den Stall und wanderten auf Plymouth zu. Der Bau blieb hinter ihnen zurück und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Er lag etwas außerhalb der Stadt, jedoch am nördlichen Rand, so daß sie es zur North Road nicht weit hatten.
»Wieso sind wir eigentlich nicht direkt zu Sir Freemont geritten?« fragte Bob. Er war ein drahtiger Mann, blond, braunäugig, flink mit dem Messer und eigentlich auch geistig sehr gewandt. Aber jetzt blickte Dan ihn verblüfft von der Seite an. »Sag mal, willst du Buck den Rang ablaufen?« Buck Buchanan, auch einer der ehemaligen Karibik-Piraten an Bord der ›Isabella‹, gehörte ganz gewiß nicht zu den Schnellmerkern. »Es wäre Wahnsinn, dort mit den Pferden aufzukreuzen«, fuhr Dan fort. »Wir würden viel zu viel Aufsehen erregen. Nein, wir müssen schleichen.« »Wegen Burton und Keymis?« »Aha, jetzt fällt der Penny.« »Kleiner, hör auf zu unken. Ich dachte, die Hunde von Friedensrichtern hätten es allmählich aufgegeben, das Haus zu beschatten.« »Denken ist nicht wissen.« »Was du nicht sagst ...« »Ich habe bereits mit einem der Geheimposten von Burton einen Zusammenstoß gehabt, habe ich dir das nicht erzählt?« Bob grinste. »Ja, das war, als du aufbrachst, um nach uns zu suchen. Und für den Kerl ging die Sache tödlich aus. Burton wird deswegen getobt haben.« »Das glaube ich auch. Und wir müssen verdammt auf pasen.« »Darum bin ich zu deinem persönlichen Schutz mit hierher geschickt worden, Dan.« »Und darum haben wir die Gäule im Mietstall zurückgelassen«, entgegnete Dan und grinste wie ein Teufel. Während sie auf ihr Ziel zumarschierten, griff er noch einmal in die Tasche und tastete nach dem Beutel mit den Perlen und dem goldenen Tukan. Ben Brighton hatte ihm beides mitgegeben, und er, Dan, würde sich notfalls mit Händen und Füßen dagegen wehren, daß man ihm auch nur eine Perle abnahm.
Einmal hatte Sir Freernont ja bereits Bezahlung abgelehnt. Aber wenn er auch auf diesem Prinzip beharrte, so konnten doch Hasard und Gwen Zahlungsmittel benötigen. Der goldene Tukan stammte aus dem Privatschatz des spanischen Vizekönigs in Lima. Verschlungene Wege hatten den Seewolf und seine Männer zu den legendären GuanoInseln vor der Küste von Peru geführt. Dort hatten sie die Schatzkisten jenen armen Irren abgenommen, die ihn dorthin verschleppt und bitter dafür gebüßt hatten - mit dem Leben. Miguel Casias, der Wirt des »Gabian Feroce«, Antonio Savedra, Marcos Chocano, Esteban Pereda und Eloy Campoamor hatten diese Banditen geheißen - aber das Ganze lag lange zurück und schien fast schon einer Art Geschichtsepoche anzugehören, in unerreichbare Ferne gerückt und beinahe vergessen. Viele Abenteuer hatten die Männer der ›Isabella‹ seither unter ihrem Seewolf durchgestanden. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Alten und Neuen Welt waren so mannigfach, daß viele Einzelheiten inzwischen ihrem Gedächtnis verlorengingen. Und dann war da die Gegenwart die harte Wirklichkeit, die ihnen höchste Konzentration und ständige Einsatzbereitschaft abverlangte und keine Schwärmereien über die Vergangenheit zuließ. Endlich daheim in England! Der Schatz war in Sicherheit! Oh, das waren Träume gewesen, wie sie inzwischen hatten feststellen müssen. Und die Erkenntnis hatte einen gallebitteren Beigeschmack, denn alles hätte die Seewolf-Crew erwartet, nur diesen Empfang nicht. Baldwin Keymis und Samuel Taylor Burton waren heimtückische Schakale auf ihrer Spur, Sir John Killigrew nicht weniger als das, obwohl er auf eigene Faust vorging und mit den Burtons nichts zu schaffen haben wollte, da die beiden Sippen seit Menschengedenken in Fehde lagen. Ziel beider Parteien war es, den Schatz von der ›Isabella‹ zu rauben und dem Seewolf samt seiner Mannschaft den Garaus zu bereiten. Endlich war es gelungen, die Feinde zumindest
vorübergehend abzuwimmeln, da hatte sich ein neuer Widersacher eingestellt. Er hieß Crocker, war ein Bulle von Kerl und Anführer einer Bande von Strandräubern, die schon seit einiger Zeit die Bewohner von Cornwall in Atem hielt. Ed Carberry war in der Schenke »Bude Bay« in Bude als Oberhaupt der Strandräuberbande bezichtigt worden, und das hatte natürlich eine wüste Keilerei zur Folge gehabt. Dan, noch auf der Suche nach der in einer Bucht der Bude-RiverMündung ankernden ›Isabella‹, war zufällig vorbeigeritten und hatte in den Kampf eingegriffen. Die Crew hatte gesiegt, doch später waren zwei von Crockers Galgenvögeln auf ihren Fersen gewesen, als sie zu ihrer Galeone zurückkehrten. Als Dan O’Flynn wieder aufgebrochen war, hatten Crocker und seine Kerle ihn abgefangen und gefoltert. Dan hatte schon den für Gwen Killigrew bestimmten Perlensack und den als Geschenk für Sir Freemont ausgewählten goldenen Tukan bei sich getragen. Crocker hatte herauskriegen wollen, ob sich noch mehr Reichtümer an Bord der ›Isabella‹ befanden, aber Dan O’Flynn hatte eisern geschwiegen. Wenn ihn nicht Arwenack, der Schimpansenjunge, entdeckt hätte, wäre es wahrscheinlich mit ihm aus gewesen. So aber rief der Affe die Crew auf den Plan, und dann wurde die Räuberhöhle ausgehoben. Crocker hatte mit Dans Pferd fliehen können. Er besaß weitere Schlupfwinkel, seine Bande war längst noch nicht zerschlagen. Das war England! Kaum hatten sie sich eines aus dem Dunkel zuschlagenden Feindes erwehrt, war ein anderer zur Stelle. Irgendwie hatten sich Hasards Männer Hoffnungen hingegeben, im Heimatland wären sie sicher, aber auch diese Illusion hatten sie ausräumen müssen. Tausend Gefahren hatten sie getrotzt, aber hier standen sie Feinden gegenüber, die erheblich tückischer waren als jeder Gegner zur See. Ein Lichtblick bei der ganzen Sache war nur, daß sich Bootsmann Sullivan von der Kriegskaravelle ›War
Song‹ offen gegen Sir John gestellt hatte, nachdem er herausgefunden hatte, welche eigennützigen Ziele dieser verfolgte. Wenigstens Sullivan stand also auf ihrer Seite, wenn sie auch nicht mit ihm rechnen konnten. Der Himmel mochte wissen, wo er nach den letzten Auseinandersetzungen mit Sir John steckte. Dan streckte die Hand aus. »Wir sind gleich da, Bob.« »Gut. Hasard wird warten.« Häuser wuchsen aus der Dunkelheit vor ihnen empor, sie waren schemenhafte Schatten vor dem etwas helleren Nachthimmel. Der Stonehouse Mill Pond war nicht fern, und die beiden Männer konnten das Meer riechen. Dan erkannte das Gebäude von Sir Abraham Anthony Freemont. »Wir pirschen uns an, Bob.« »Wie die Katzen, mein Junge.« * Samuel Taylor Burton war ein sehr fetter Mann mit überlappendem Bauch, der wie ein mit Wasser gefüllter Schlauch von seinem Leib abstand. Burtons Kleidung war in Unordnung, er lag träge auf einem Diwan, der zu klein für seine Körperfülle geraten war, und ließ sich gehen, wie man das in seinen eigenen vier Wänden getrost tun konnte. Seine kurzen, dicken Finger hielten ein Glas. Er hatte getrunken, musterte Baldwin Keymis aus trüben Augen und zeigte keine Bereitschaft, sich dessen Gedanken zu öffnen. »Du bist ein Narr, Baldwin. Ich sage dir, du bist ein gottverdammter Narr.« Keymis war in der guten Stube seines Amtskollegen auf- und abgetigert, aber jetzt blieb er stehen und blickte Burton erbost an. »Ich lasse mich nicht beleidigen. Von dir schon gar nicht.« Er war ein hagerer Mensch mit einer Art Ziegenbart, rein äußerlich, jedoch auch von der Wesensart her das genaue
Gegenteil von Burton. Doch der Hang zur Intrige und die Gier nach Reichtum verband sie. Burton rülpste, wischte sich den Mund mit dem Handrücken und erwiderte: »Schon gut. Reg dich nicht gleich wieder auf.« »Ich sage dir, die Posten müssen kontrolliert werden.« »Sie können selbst auf sich aufpassen.« »Sie schlafen. Ich kenne diese Burschen.« »Du kennst sie nicht. Ich verlasse mich auf sie. Hundertprozentig.« Keymis lachte freudlos auf. »Das ist der reinste Hohn! Und der Kerl, der sich in jener verfluchten Nacht hat erledigen lassen? Wir wissen nicht, wer ihn umgebracht hat, aber ich schwöre dir, der Kutscher des Leiterwagens war’s nicht.« »Wer denn?« »Einer von den Hunden aus Freemonts Haus.« »Wer? Der Seewolf?« Keymis ballte die Hände und knirschte mit den Zähnen. »Du glaubst mir nicht. Du nimmst mich auf den Arm. Aber ich werde dir beweisen, daß Killigrew in dem Haus steckt und einige seiner Leute bei sich hat. Vielleicht hockt die Hure O’Flynn an seinem Krankenbett, vielleicht ist auch ihr Bruder zugegen.« Er hob einen bebenden Zeigefinger. »Der zum Beispiel! Der wäre imstande, einen Geheimposten kaltblütig ins Jenseits zu befördern.« Burton trank das Glas leer, schmatzte genüßlich und stellte es weg. Er führte die Hände zusammen, faltete sie und drehte die Daumen. »Baldwin, wir haben das verdammte Haus durchsucht und nicht die Spur von Killigrew und seinem Anhang gefunden.« »Und doch stecken sie dort.« »Du kannst das nicht beweisen, und somit haben wir nichts, mit dem wir Freemont zu Fall bringen können.« »Oh, dieser Bastard«, sagte Keymis erbittert. »Wie er uns erniedrigt hat! Aber ich werde mich dafür rächen. Der Henker
mag wissen, hinter welcher geheimen Luke er den Seewolf verborgen hält, aber ich kriege es noch heraus.« »Jedenfalls kannst du beruhigt sein, der Geheimposten und seine Ablösung sind von mir ins Gebet genommen worden. Sie melden jede Veränderung in der Nähe des Hauses. Hör zu, Baldwin, was immer sich dort tut, wir werden schon rechtzeitig alarmiert.« Burton grinste. Er sah wirklich aus wie ein gemästetes, zufriedenes Schwein. »Also komm her, setz dich und trink mit mir. Laß uns über vergangene Zeiten plaudern.« »Nein.« »Du bist ein Narr, ich sag’s ja.« »Und Gardener? William Gardener?« »Der Hauptmann der Stadtgarde? Was soll mit dem sein?« »Ich traue ihm nicht über den Weg«, erklärte Keymis. »Er ist dir nicht so ergeben, wie er es sein sollte. Er könnte was aushecken. Etwas, das Freemont unterstützt. Vielleicht plant er was, das den Posten vor Freemonts Haus ablenkt. Vielleicht für heute nacht.« Burton lachte, es klang fett und glucksend. »Du siehst ja Gespenster, Mann. Solltest mal ordentlich ausschlafen. Unsere Stunde schlägt, wenn du es am wenigsten erwartest.« Keymis sah ihn in einer Mischung aus Wut und Widerwillen an. »Wie du meinst. Aber ich gehe jetzt.« »Tu, was du nicht lassen kannst.« Baldwin Keymis verließ das Haus des Friedensrichters und bewegte sich raschen Schrittes durch die dunklen, nur teilweise durch Laternen erleuchteten Straßen und Gassen von Plymouth. Er verzichtete auf eine Kutsche. Er wollte überraschend bei dem Posten auftauchen. Seine vom Haß genährte Phantasie gaukelte ihm die wüstesten Bilder vor - beispielsweise, wie der Seewolf mit einer halben Streitmacht aus dem Haus des Arztes brach, den Posten niedermetzelte und sich mit Booten auf das Meer zurückzog. Konnte er nicht gesundet sein? Natürlich war das
möglich! Er, Baldwin Keymis, war dabeigewesen, als Philip Hasard Killigrew die halbe Spiere gegen den Schädel gekracht war. Er wußte, welcher Art die Verletzung war, aber er war auch darüber im Bilde, welch unverwüstliche Natur dieser Mann hatte. Keinen Augenblick verschwendete er an die Überlegung, der Tod könnte ihn dahingerafft haben. Je mehr er darüber nachgrübelte, desto mehr versteifte er sich darauf: Der Seewolf lebte! Der Seewolf würde die Stadt verlassen und seinen Schatz der Königin von England überbringen! Baldwin Keymis tauchte ohne jeglichen Laut neben dem Geheimposten auf - und dieser fuhr zusammen. Er zückte ein Messer, aber dann erkannte er den Friedensrichter von Falmouth und atmete auf. »Verdammt, haben Sie mich jetzt aber erschreckt, Sir!« »Du Hund döst mit offenen Augen.« »Nein, Sir.« »Besondere Vorkommnisse?« »Keine, Sir. Ich habe meinen Kollegen vor einer halben Stunde abgelöst.« Keymis nickte. Sie standen in einem hohen Hauseingang. Ihre Gestalten verschmolzen mit der Dunkelheit. Der Blick auf Sir Anthony Abraham Freemonts Haus war frei, und nichts von dem, was am und um das Gebäude passierte, konnte ihnen entgehen. Nur was im Inneren geschah, blieb ihnen verborgen. Keymis hätte viel Geld dafür gegeben, es in Erfahrung zu bringen. »Also schön«, sagte er gedämpft. »Ich bleibe hier, und wir kontrollieren jeden, der vorbeigeht.« 3. Etwa anderthalb Stunden hatte sich Gwen Killigrew am
Stonehouse Mill Pond ergangen, aber jetzt drängte es sie wieder nach Hause. Nach Hause! Ja, Sir Freemonts Haus war so etwas wie ein Heim für sie geworden. Bei der Gastfreundschaft Sir Freemonts und der großen menschlichen Wärme, die er ausstrahlte, war das wirklich kein Wunder. Und wenn sie daran dachte, daß sie den Arzt in Kürze wahrscheinlich verlassen würden, so tat es ihr jetzt schon weh. Typisch Frau, würde Dan sagen. Sie seufzte. So war das eben. Wer Zuneigung und Freundschaft tief empfand, der mußte im Leben auch leiden. Aber eine Welt ohne diese Gefühle wäre erbärmlich gewesen. Gwen beruhigte sich mit dieser Überlegung. Sie erhob sich von einer steinernen Bank, auf der sie sich zuletzt niedergelassen hatte, strebte von der Fassade der großen, dunklen Lagerhäuser fort und steuerte - nach wie vor humpelnd - auf die North Road zu. Rollengemäß trug sie auch noch ihren Korb aus Weidengeflecht, und zur größeren Sicherheit hatte sie den oberen Rand ihres Kopftuches tief in die Stirn gezogen. Wo der Posten stand, hatte sie sich gemerkt. Wie sie vermutete, war er inzwischen abgelöst worden, doch der Platz war derselbe geblieben - ein Hauseingang unweit der Ecke North Road und Stpke Hill, von der aus man einen wirklich großartigen Ausblick auf Sir Freemonts Haus hatte. Gwen hinkte mutig auf den Posten zu. Sie wollte an ihm vorüber, aber dann sprang plötzlich eine andere Gestalt aus dem Dunkel des Einganges hervor, und Gwen stellte zu ihrem Entsetzen fest, daß sie es jetzt mit zwei Männern zu tun hatte. Dann erkannte sie den Mann, der sich vor ihr aufbaute, und ihr Herz begann wild zu schlagen. Das war ja Baldwin Keymis! Gwen sah all ihre Hoffnungen in einem reißenden Bach davonschwimmen. Die schwarzen Krallen des Schicksals griffen nach ihr, um sie ins Unheil zu stürzen. »Lassen Sie die laufen, Sir«, sagte der Posten. »Das ist ein
altes Weib.« Keymis rührte sich nicht vom Fleck. Gwen verstellte ihre Stimme. »Ach bitte, lassen Sie mich doch vorbei«, sagte sie krächzend. »Mein Alter säuft sich in der Kneipe den Hals voll, aber wenn er eher nach Hause kommt als ich, schlägt er mich windelweich.« »So?« Keymis ließ sich nicht beirren. Er griff nach dem Kopftuch und riß es mit einem Ruck zurück. Gwens Gesicht lag frei. Keymis öffnete die Augen weit, sperrte dann auch den Mund auf und stieß einen Schrei aus. »Die Hure O’Flynn! Habe ich dich endlich, du Miststück!« Der Posten stand verdattert, Gwen wich keuchend zurück, Keymis setzte ihr sofort nach und stürzte sich auf sie. »Hilf mir, du Idiot«, rief er dem Geheimposten zu. Gwen hob den Korb und ließ ihn auf Keymis Kopf niedersausen, aber das nutzte nicht viel. Er duckte sich, bekam den Hieb in den Nacken, fuhr dann sofort wieder hoch und schlug ihr mit Wucht auf den Unterarm. Gwens Hand war plötzlich wie gelähmt. Sie mußte den Korb loslassen. Damit hatte sie ihre einzige Waffe verloren. Der Posten war heran und packte gemeinsam mit Keymis zu. Gwen wich noch ein Stück zurück, spürte plötzlich aber die Mauer in ihrem Rücken und wußte, daß es aus war. »Ich hab’s gewußt, ich hab’s gewußt«, sagte Baldwin Keymis immer wieder. »Der Hurensohn befindet sich im Haus des Arztes. Das bricht euch allen das Genick. Das ist die Stunde des Triumphes.« »Fort!« fuhr Gwen ihn an. »Verschwinde, du elender alter Ziegenbock, du hast schon genug Unheil angerichtet. Laß mich in Ruhe, oder es geht dir schlecht.« Keymis grinste. »Irrtum, du Luder. Mich schüchterst du nicht ein. Wenn wir dich als Geisel haben, läßt sich der Spieß nicht mehr umdrehen. Auf diese Gelegenheit habe ich lange gewartet.«
Sie zerrten an ihren Armen, aber Gwen setzte sich wieder zur Wehr. Sie biß, kam wieder frei, kratzte, schlug, gebärdete sich wie eine Furie, doch Keymis und sein Begleiter steckten natürlich nicht auf. Erbost versuchten sie, sie zu bändigen. Gwen war eine fauchende Wildkatze. Keymis verflixter Ziegenbart wurde arg gefleddert, da nutzte ihm alles Fluchen nichts. Der Posten kriegte aber wieder Gwens Arme zu fassen, und dann holte Keymis aus und gab ihr eine schallende Ohrfeige und gleich darauf noch eine. In diesem Augenblick wußte Gwen, daß sie keine Chance mehr gegen sie hatte. Sie duckte sich, schützte sich, so gut es ging, dachte an ihr Kind ... Unvermittelt war da ein feines Geräusch. Etwas schien durch die Luft zu surren oder zu zischen. Den Bruchteil einer Sekunde später gab der Posten einen röchelnden Laut von sich. Keymis fuhr zusammen und wandte den Kopf. Gwen richtete sich auf. Der Posten gab sie frei und sackte mit verzerrtem Gesicht nach hinten weg. Gwen sah zwei Gestalten hinter dem Friedensrichter aus dem Dunkel wachsen. Plötzlich begriff sie. »Dan«, flüsterte sie. »Und Bob. Bob Grey.« Keymis war klar, daß der Posten ihn nun nicht mehr unterstützen konnte. Der Mann würde nie mehr etwas unternehmen können, weder für ihn noch für Samuel Taylor Burton noch für sonst jemanden auf der Welt, denn er hatte Bob Greys Messer in der Seite stecken - dort, wo jeder normalbeschaffene Mensch das Herz hatte. Er war tot. Keymis hatte eine Schußwaffe. Es war eine handliche Pistole, die unter seinem Jackenaufschlag im Bund des Wamses steckte. Seine Hand tastete danach. Aber Gwen versetzte ihm einen Schubs. Er taumelte und war für einen Augenblick irritiert - dann war Dan O’Flynn neben ihm. Dans Fäuste schlugen auf Keymis’ Arm. Plötzlich vergaß Keymis jeden Gedanken an die Pistole und war nur noch auf
eine Abwehr gegen diese gnadenlosen Fäuste aus. Es war ein wahres Trommelfeuer von Hieben, das auf ihn einprasselte. Sie trafen seine Brust, seine Arme, seine Schultern - seinen Kopf. Keymis erhielt zwei Hiebe gegen seine Schläfen, daß er meinte, ein Pferd habe ihn getreten. Er glaubte, Glocken läuten zu hören, dann brach die Gasse in der Mitte auf, nahm ihn gefangen und riß ihn in einen gähnenden Schlund. Finsternis deckte alles zu. Dan richtete sich von dem zusammengebrochenen Keymis auf. »Ist er - tot?« fragte Gwen. »Nein, bewußtlos. Schwesterchen, wie geht es dir? Himmel, das Kind ...« »Es ist alles in Ordnung, Dan.« Dan schaute sich nach Bob um. Der hatte, als sein Freund augenscheinlich keine Hilfe mehr benötigte, den toten Geheimposten gepackt und durch einen schmalen Gang direkt zum Hafenarm geschleppt. Jetzt verriet ein Klatschen, was er mit dem Mann unternommen hatte. »Gut«, sagte Dan. »Das gleiche machen wir auch mit diesem Hund.« Er hob Baldwin Keymis auf und zog ihn an den Armen hinter sich her. Keymis Schuhe schleiften über die Pflastersteine und riefen rhythmische, schwach klappernde Laute hervor. Wenig später hievten Dan und Bob den Ohnmächtigen über die Kaimauer und schleuderten ihn ins Wasser. Es waren schwärzliche, unheimlich wirkende Fluten, die die beiden Widersacher aufnahmen und mit sich davontrugen. Dan schaute ihnen nach. »Ablaufendes Wasser«, sagte er. »Die treiben Richtung Stonehouse Pool, und der Pool öffnet sich zum Plymouth Sound.« Erst jetzt sagte Gwen: »Allmächtiger, daß ihr da seid! Genau im richtigen Moment seid ihr aufgetaucht, ich kann es immer
noch nicht ganz fassen.« »Ja«, erwiderte Dan grimmig. »Da siehst du mal, was du an deinem Brüderchen hast.« »Danke, Dan. Danke, Bob.« »Wir dürfen hier nicht länger stehen«, sagte Bob Grey. »Jemand könnte etwas gehört oder gesehen haben. Wände haben Augen und Ohren, das ist ein alter Hut.« »Nichts wie zu Hasard, dem Kutscher und Sir Freemont«, raunte Dan. »Jetzt müssen dringend Entscheidungen getroffen werden.« * Wie eine Gruppe Verschwörer drängten sie sich in das Haus, sobald der Kutscher ihnen geöffnet hatte. Er bestürmte sie mit Fragen, aber sie antworteten nicht, bevor sie nicht oben waren, bei Hasard und Sir Freemont in dem versteckten Raum. Es wurde eng, aber dem maß niemand Bedeutung bei. Gwen sank in Hasards Arme und küßte ihn. Dan berichtete, was sich abgespielt hatte. »Keymis, dieser Dreckskerl«, sagte der Kutscher. »Das geschieht ihm recht. Jetzt hat er sein Fett. Und um den Posten ist es auch nicht schade. Er hat nun mal auf der falschen Seite gestanden - auf der der Verräter.« »Sonnenklar«, entgegnete Bob Grey. »Aber was unternehmen wir jetzt?« »Hier sind wir nicht mehr sicher«, sagte Dan. »Burton kriegt spätestens beim nächsten Wachwechsel spitz, was gelaufen ist. Irgendwann wacht vielleicht auch Keymis wieder auf und schwimmt an Land. Ich schätze, er ist zu zäh zum Absaufen. Was dann?« »Wir müssen fort«, sagte Hasard. Sir Freemont untersuchte Gwen und stellte fest: »Glücklicherweise hat der Überfall dieser Halunken zu keinen
bitteren Folgen geführt. Mutter und Kind sind wohlauf, will ich mal sagen. Ja, und Sie, Hasard, können sich auch als genesen betrachten. Sie müssen noch auf sich aufpassen, aber ich habe keine Bedenken mehr, was Ihren Zustand betrifft.« »Na, Gott sei Dank«, sagte Bob Grey. »Dann hat die ›Isabella V.‹ ja beste Aussichten, endlich ihren Kapitän wieder an Bord zu kriegen.« »Wie steht es um die Crew?« fragte Hasard. »Nun laßt euch doch nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. He, Dan, heraus mit der Sprache! Gibt es etwa Dinge, die ihr mir lieber verschweigen würdet?« »Nein«, erwiderte Dan - und grinste. Und dann schilderte er in knappen Zügen, aber ausführlich genug, was sich im einzelnen zugetragen hatte, seit Hasard von Bord gebracht worden war; Was vorher seit dem verhängnisvollen Unglück vor Portugals Küste vorgefallen war, wußte der Seewolf ja bereits durch Gwens Erzählungen. Aber jetzt, nachdem er die neuesten Begebenheiten erfahren hatte, lehnte er sich zurück und stieß einen Pfiff aus. »Ihr Teufelsbraten! Wie ihr das wieder alles geschafft habt!« Vorläufig war das sein einziger Kommentar. Er mußte die Geschehnisse noch verarbeiten, und später würde er dann noch auf das eine oder andere zu sprechen kommen, besonders auf die Vorfälle, in die Sir John Killigrew, sein hinterhältiger Alter, als Initiator verwickelt war. Jetzt hatte anderes den Vorrang. »Kurze Beratung«, sagte Hasard. »Die Frage ist, wie verhalten wir uns? Daß wir Sir Freemonts Hilfe nicht länger in Anspruch nehmen können, ist ebenso einleuchtend wie die Notwendigkeit, Plymouth noch in dieser Nacht den Rücken zu kehren.« »Dann ist doch alles klar«, meinte Bob Grey. »Wir ziehen ab. Pferde kriegen wir im Mietstall, zwei, die wir in Bude gekauft haben, sind dort sowieso schon untergestellt. Spätestens in drei Tagen sind wir bei der ›Isabella‹ ...«
»Moment mal«, wandte Dan ein. »So scharf können wir mit Gwen nicht reiten. Denk doch an den Nachwuchs.« »O verdammt«, gab Bob zurück. »Das war mir ganz entfallen.« Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Womit wir beim Hauptthema wären«, sagte Hasard. Er zog seine junge Frau zu sich heran. »Gwen, wir Männer brechen nach Bude auf. Aber dich können wir da unmöglich mitnehmen. Das mußt du einsehen.« »Aber Hasard - nach allem, was geschehen ist, kann ich nicht von deiner Seite weichen.« »Du mußt.« »Du verlangst Unmögliches von mir.« »Nein. Mit ein klein wenig Selbstüberwindung gelingt es dir. Vergiß nicht, daß du jetzt außer für dich auch noch für jemand anders verantwortlich bist.« »Aber ...« Sie diskutierten eine Weile herum, aber dann beugte sich Gwen natürlich Hasards Worten. Außerdem sah sie wirklich ein, daß sie erstens keinen Ritt riskieren durfte und zweitens das Leben an Bord des Schiffes zu beschwerlich für sie geworden war. Beide Eheleute mußten den inneren Zwiespalt, der sie quälte, unterdrücken. Die Vernunft siegte. »Also gut«, sagte Gwen. »Dann bleibe ich eben. Aber wo verstecke ich mich? Burton wird dieses Haus noch einmal durchsuchen lassen, und diesmal stellt er es so lange auf den Kopf, bis er mich gefunden hat. Nein, das kann ich Sir Freemont nicht zumuten. Er hat soviel für uns getan. Es ist nicht recht, daß wir ihn noch weiter in Gefahr bringen.« Der Arzt hatte Aufstellung am Fußende des Bettes genommen. »Mein liebes Kind«, sagte er. »Ihre Uneigennützigkeit in Ehren, aber denken Sie lieber mal an sich selbst. Wer hier in Teufels Küche gerät, wenn Sie entdeckt werden, sind Sie selbst. Ich würde mir das niemals verzeihen.«
Er wandte sich dem Seewolf zu. »Hören Sie, Hasard. Ich habe einen Vorschlag zur Lösung des Problems zu unterbreiten. Nördlich der Stadt, am River Tavy bei Bere Ferrers, steht mein Landhaus. Ich brauche jemanden, der das Haus versorgt, und im Dorf könnte ich Gwendolyn ohne weiteres als meine Haushälterin ausgeben. Ich meine, dies wäre eine Möglichkeit, die Sie beide in Betracht ziehen sollten. Selbstverständlich bleibt es aber Ihrer Entscheidung überlassen, ob sich dieser Plan durchführen läßt oder nicht.« Hasard stand auf. »Mein Gott, auch das wollen Sie noch für uns tun?« »Wir sind Freunde geworden, nicht wahr?« »Ja, Sir Freemont, aber bisher haben nur Sie dazu beigetragen, diese Freundschaft zu besiegeln und durch entsprechende Taten zu festigen«, erwiderte Hasard. »Machen Sie sich doch darüber keine Sorgen«, sagte Sir Freemont. Es klang fast barsch. »Ganz gleich, wie lange Gwendolyn sich noch verstecken muß, in Bere Ferrers wäre sie auf jeden Fall gut aufgehoben. Das Landhaus steht sonst leer. Sie könnte sich dort wie zu Hause fühlen und wäre unbeobachtet. Und sie könnte auch der Entbindung im September in aller Ruhe entgegensehen. Die Leute von Bere Ferrers achten mich, und sie sind mir auch verpflichtet. Nun, Gwendolyn, wie denken Sie über meinen Vorschlag?« »Ich finde, daß Sie ein großartiger Mensch sind, Sir.« »Nun übertreiben Sie doch nicht.« »Also, ich würde nach Bere Ferrers gehen«, sagte Gwen tapfer. »Es ist für alle die beste Lösung. Hasard könnte sich nicht frei bewegen, wenn ich bei der Flucht und auf der ›Isabella‹ unausgesetzt an seiner Seite wäre. Er würde an meine Gesundheit und die des Kindes denken und irgendwann einen tragischen Fehler begehen. Ich sehe das ein. Und nicht zuletzt ist es das Los aller Seemannsfrauen, mit Trennungen fertigzuwerden, oder?«
»Du bist ein feiner Kerl«, sagte der Kutscher. Hasard blickte ihn in gespieltem Zorn an. »Jetzt aber Schluß mit der Süßholzraspelei, oder ihr kriegt es mit mir zu tun.« Dan trat vor und drückte seiner Schwester den Lederbeutel mit den Perlen in die Hand. »Hier, dadurch bist du finanziell unabhängig. Du weißt, daß diese netten runden Dingerchen unschätzbaren Wert haben.« »Und ob.« Dan ging zu Sir Freemont. Er hatte plötzlich den goldenen Tukan zwischen den Fingern, drehte ihn ein wenig, wollte etwas Passendes sagen, griff dann aber einfach nach der Hand des Arztes und drückte ihm die Kostbarkeit hinein. »Augenblick«, sagte Sir Freemont mit ungläubigem Blick auf den Tukan. »Was soll denn das heißen? Seid ihr nicht recht bei Trost? Das ist ja pures Gold!« Hasard hatte sich rasch angekleidet. »Nichts kann dem Blick eines Kenners und gelehrten Mannes entgehen. Richtig, Sir Freemont, es handelt sich um massives Gold. Bei nächster Gelegenheit erzähle ich Ihnen, welches tolldreiste Abenteuer sich mit dem Vogel verbindet. Und, bevor Sie sich wieder sträuben, eine kleine Aufmerksamkeit anzunehmen: Ich würde mich persönlich beleidigt fühlen, falls Sie ablehnten.« »Aber, aber«, sagte Sir Freemont. »Wir wollen es doch nicht wie die Spanier oder Italiener mit ihren übertriebenen Ehrbegriffen halten, mein lieber Freund.« Hasard entgegnete: »Das nicht, aber ich stehe so und so ewig in Ihrer Schuld, ob ich Ihnen nun den Tukan überreiche oder nicht.« »Dann nehmen Sie ihn getrost zurück.« Hasard schüttelte energisch den Kopf. »Kommt nicht in Frage.« Sir Freemonts Widerstand zerbrach an der Hartnäckigkeit des Seewolfes. Sir Freemont erkannte nun vollends, welch große Charakterfestigkeit und Stärke dieser schwarzhaarige Mann mit
den eisblauen Augen besaß, und im stillen bewunderte er ihn. Sie stiegen ins Erdgeschoß des Hauses hinunter, und Sir Freemont sagte: »Ich werde einen Ehrenplatz für den Goldtukan finden.« »Recht so«, meinte der Kutscher. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Zum erstenmal las er so etwas wie Verlegenheit im Gesicht seines ehemaligen Dienstherrn. »Beeilen wir uns«, sagte Hasard. »Solange kein neuer Beobachtungsposten aufgezogen ist, können wir alle ungesehen das Haus verlassen.« »Auch wir brechen sofort auf«, sagte der Arzt zu Gwen. »Wir spannen die Pferde vor die Kutsche und unternehmen einen Ausflug nach Bere Ferrers.« Hasard zog seine Frau an sich. »Bis bald, Gwen. Hab keine Sorge um mich.« Er küßte sie. »Gib auf dich acht«, erwiderte sie leise. »Und denk nicht so viel an mich, ich befinde mich, ja in besten Händen.« Dann konnte sie die Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Sir Freemont stand mit unbewegter Miene, aber der Kutscher trat von einem Bein auf das andere, Dan kaute auf seiner Unterlippe herum und Bob Grey war auch anzusehen, wie merkwürdig ihm in diesem Augenblick zumute war. Hasard schüttelte Sir Freemont die Hand. »Ich werde nie vergessen, was Sie für mich getan haben, Sir.« Der Arzt verzog das Gesicht. »Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt. Sparen Sie sich den Rest der Rede, Junge. Nehmen Sie die Beine in die Hand und rücken Sie mit Ihren Kameraden ab, ehe es zu spät ist. Kutscher, daß mir keine Klagen über deine Art der Wundbehandlung und über deine Kochkünste kommen!« »Aye, aye, Sir.« Dan und Bob stießen sich an. Der Kutscher konnte zwar immer noch nicht schwimmen, aber die Seebeine waren ihm gewachsen. Natürlich sehnte er sich nach der ›Isabella‹ und
konnte es kaum erwarten, wieder die Decksplanken unter den Füßen zu haben. So ging es ihnen allen. Ein letzter Gruß, dann trennten sie sich. Während Sir Freemont mit Gwen im Stall neben dem Wohnhaus verschwand, stahlen sich Hasard und seine drei Begleiter in nördlicher Richtung davon. Unter Dans und Bobs Führung gelangten sie rasch zum Mietstall. Zum Schein feilschte Hasard eine Weile mit dem Besitzer herum. Es wäre zu sehr aufgefallen, wenn er es nicht getan hätte. Schließlich hatten sie zu den zwei Pferden von Dan und Bob zwei weitere hinzugekauft. Es waren ein hochbeiniger Falbe mit weißer Blesse und weißen Fesseln und eine gutmütige braune Stute. Hasard wählte den Falben. Der Kutscher schwang sich in den Sattel der Stute. Wenig später jagten sie durch die Nacht nordwärts. Philip Hasard Killigrew war noch blaß und schmal im Gesicht, er trug die Spuren der gerade überstandenen Krankheit, und es würde wohl auch noch einige Zeit dauern, bis er sie wieder abgelegt hatte. Die Sonnenbräune der Karibik war dahin, mit ihr hatte er auch etwas von seiner angeborenen Heiterkeit verloren. Er war ernster geworden, dieser tollkühne schwarzhaarige Teufel - und noch härter. Er hatte Menschlichkeit kennengelernt. In Sir Freemont hatte er einen neuen, hochverehrten Freund gefunden, den er zu schätzen und zu achten wußte. Gelernt hatte er von ihm, aber er wußte auch, daß die Gewaltlosigkeit eines Sir Freemont an den Bedingungen seiner altgewohnten Umgebung scheitern mußte. Dort nutzte Klugheit nur etwas, wenn sie einen Vorteil gegenüber dem Feind einräumte - der Schnellere und Stärkere trug den Sieg davon. Dort draußen, auf See, herrschten andere Gesetze, ungeschriebene. Dort konnte man sich nicht auf Paragraphen berufen, und die Persönlichkeit und Stellung eines Mannes hatten in der Auseinandersetzung nichts zu sagen.
Dies war Hasards Konflikt. Aber er wußte, daß er ihn bezwingen würde, sobald er wieder auf seiner ›Isabella‹ war. Er würde zu sich selbst zurückfinden. Doch es würde nichts an der grenzenlosen Verachtung ändern, die er Menschen wie Burton und Keymis gegenüber empfand. Nichts haßte er mehr als gottverfluchtes Intrigenspiel. Diese Einstellung hatte ihn auch stets gegenüber Sir John aufgebracht. Sir John - mit ihm war es zum offenen Bruch gekommen, weil der Alte in seiner Gier unersättlich war. Hatte Hasard sich etwas vorzuwerfen? Nein. Er hatte Sir John vor dem sicheren Tod gerettet, und John Malcolm hätte niemals ins Gras beißen müssen, wenn er nicht Mordpläne gehegt hätte. Und noch etwas sprach gegen Hasards Gewissensbisse. Sir John war gar nicht sein leiblicher Vater. Big Old Shane, der Schmied von Arwenack, hatte es ihm gesagt. Und er, Hasard? Er wußte ja nicht einmal, wer er selbst war. 4. Jason Robinson Marable genoß den fortwährenden Zustand uneingeschränkter Freiheit, und daran änderte sich auch nichts, wenn ihn zwei- bis dreimal im Laufe des Jahres die Stadtgarde oder die Polizei von der Straße auflas und ins Gefängnis von Plymouth warf. Nichts, aber auch gar nichts konnte sein sonniges Gemüt erschüttern. Er war überzeugt, daß dies der Schlüssel zum Geheimnis einer einfachen, jedoch durch und durch gesunden Lebensweise war. Also schön, er hatte meistens keinen müden Penny in der Tasche und brachte sich mehr schlecht als recht durch. Aber gab es nicht immer wieder irgendeinen Passanten, der sich von ihm anbetteln ließ, der bereit war, ihm gnädigst eine Münze vor die Füße zu werfen? Na also.
Zugegeben, er wusch sich selten. Mit Seife schon gar nicht. Hauptmann William Gardener von der Stadtwache hatte einmal gesagt, er stinke wie ein Straßenköter. Also schön, er stank. Aber Dreck machte nicht krank. Dreck störte auch nicht. Dreck hielt warm. Letzteres war für Jason Robinson Marable ein höchst wichtiger Umstand, denn er pflegte im Freien zu übernachten. Und in Plymouth wurde es nachts verdammt kalt, besonders in den letzten Herbstmonaten und vor Anbruch des Frühlings, vom Winter ganz zu schweigen - und besonders, wenn man unter einer gestrandeten, wracken Schaluppe am Devils Point sein Quartier aufgeschlagen hatte. Marable hatte sich wie ein Igel eingerollt, aber, zum Teufel, die kalte Luft durchdrang seine schäbige Kleidung, und er zitterte am ganzen Leib. Das Zittern war eine Abwehrreaktion des Körpers. Schließlich breitete sich doch wieder ein bißchen Wärme in seinem mageren Leib aus, und zufrieden döste er doch noch bis in die Morgenstunden. Dann, als die ersten Sonnenstrahlen ihn wachkitzelten, aalte er sich wieder einmal in der bescheidenen Erkenntnis, daß es besser als er kein Mensch auf der Welt haben könnte. Bitte: Ihn rief keine Arbeit, kein nörgelnder Aufpasser, keine verhärmte Ehefrau, die morgens nichts weiter zu sagen wußte als: »He, Jason, verdammt, steh endlich auf, du elender Faulenzer, es ist schon spät!« Ihm waren keine Zwänge auferlegt. Er hatte kein Geld, brauchte sich aber auch nicht halbtot zu schuften, um eine Familie zu ernähren. Er hatte es nicht nötig, jemandem Rechenschaft abzulegen, brauchte sich mit keinem herum zuzanken, war sein eigener Herr. Alles Dinge, die er für ausgesprochen gesundheitsfördernd hielt. Auf den ersten Blick schien dieser frühe Morgen des 6. März 1580 ein Tagesanbruch wie jeder andere zu sein. Noch wußte Jason Robinson Marable schließlich nicht, daß etwas für einen
gewissen Aufschwung in seinem Dasein sorgen würde. Er blinzelte also unter dem Dollbord der umgekippt liegenden Schaluppe hervor und überlegte zunächst, ob er diesen Tag annehmen oder lieber weiterpennen sollte. Devils Point war der äußerste Punkt von der Spitze eines Kurzstiefels und wies in westliche Richtung, indes der Hacken nach Osten zur Mill Bay plaziert lag. Der Stiefel trug den Namen Stonehouse und war ein Ortsteil von Plymouth. Marable blickte also von Devils Point auf die glitzernden Wellen der See hinaus. Er ließ den Blick hin und her schweifen, vor und zurück, und die ganze Zeit über sann er nach, was am besten zu tun sei. Dann stockte er plötzlich. Seine Augen sahen starr auf eine dunkle Masse an Land. Sie befand sich rund dreißig, vierzig Schritte von ihm entfernt und hob sich deutlich aus dem üblichen Sammelsurium von toten Fischen, Strandgut, Abfällen und Treibholz ab. Die Masse war ein großes Etwas. Jason Robinson Marable war gefesselt. Er raffte sich auf und ging hin. Das Etwas entpuppte sich als Mensch. Jason war jetzt regelrecht aufgestachelt. Er ging nicht mehr, er lief. Er stoppte dicht vor dem Mann und drehte ein paar Runden um ihn herum. Dabei nahm er ihn ganz genau in Augenschein. Der Kerl war schlank und nicht besonders groß, hatte kein sympathisches Gesicht und trug einen lächerlichen Ziegenbart am Kinn. Der Teufel mochte wissen, wer er war und wie er ins Wasser geraten war, aber einiges konnte Jason sich ausmalen. Beispielsweise, daß der Bursche bei Stonehouse Mill Pond oder irgendwo in der näheren Umgebung nicht ganz freiwillig ins Wasser gekippt war. Der Ebbstrom hatte ihn dann abgeladen und hier an Land geschwemmt. Devils Point bedeutete soviel wie Teufelsspitze. Jason Robinson Marable fand, daß es wirklich ein ganz verteufelter Zufall war, diesen Fremden entdeckt zu haben.
Der Mann war bewußtlos. Jason stellte es durch einfaches Horchen an seiner Brust fest. Er war nicht tot, nur ohne Besinnung. Ganz gleich, wie lange er in den Fluten gelegen hatte, eigentlich hätte er ersaufen müssen, er schien aber die Zähigkeit einer Katze oder eines Frosches zu besitzen. Vorläufig kam er nicht zu sich, und das gestaltete die ganze Sache sehr, sehr viel einfacher. Jason begann, ihn systematisch zu durchsuchen. Ja, er filzte ihn gründlich von oben bis unten. Als er auf Geld stieß, war er endgültig überzeugt, daß dieser Mann ein Geschenk des Himmels oder des Leibhaftigen oder von allen beiden zusammen war. Er raffte alles an sich, was Wert besaß. Dazu gehörte auch die Kleidung des Mannes. Jason Robinson Marable ließ ihm nur das Unterzeug. Dann lief er fort, in Richtung Stadt, um die Kleider beim nächsten Hehler umzusetzen. Es waren teure Kleidungsstücke. Gute Ware. Mit dem Geld, das er dafür erhielt, und mit dem Geld, das er in den Taschen entdeckt hatte, war er für einige Zeit fein heraus. Es lebe die Freiheit, dachte er begeistert. * Baldwin Keymis begriff nicht, warum er, wenn er sich doch so hundeelend fühlte, die Augen aufschlagen sollte. Er hätte sie gern zugelassen, hätte sich zurück in die Sphäre gerettet, aus der er kam und in der es keinen Schmerz und keine Übelkeit gab. Aber es funktionierte nicht. Jemand schob ihm etwas zwischen die Lippen. Es fühlte sich widerlich an. Eine Flüssigkeit rann über seine Zunge und danach den Rachen hinunter. Sie brannte fürchterlich. Keymis wußte jetzt, daß es ein minderwertiger Whisky war. Er wehrte sich gegen die Behandlung, spuckte, hustete, richtete sich abrupt auf.
Das bekam seinem Kopf nicht. Er dröhnte wie unter Hammerschlägen. Rote Schleier wogten vor seinen Augen, Feuerräder drehten sich, und durch das Inferno gewahrte Keymis das Gesicht eines Mannes. »Na endlich«, sagte der Mann. »Ich dachte schon, Sie kehren nicht ins Leben zurück.« »Wer sind Sie?« fragte eine brüchige Altmännerstimme. Keymis erkannte, daß es seine war. »Ralph Sutton ist mein Name.« »Aus Plymouth?« »Ja.« »Wo bin ich?« »Am Devils Point von Stonehouse.« Sutton grinste. »Ich bin Fischer, wissen Sie. Ich wollte hier meine Netze flicken, da sah ich Sie liegen. Sie können froh sein, daß Sie überhaupt jemand entdeckt hat. Hier kommen so früh wenig Leute her. Und in Ihrem Zustand können Sie sich leicht den Tod holen.« Keymis fröstelte. Zum erstenmal blickte er an sich hinunter und stellte fest, daß er fast nackt war. Die roten Schleier und Räder vor seinen Augen waren verschwunden, aber der Schmerz im Kopf war noch da. Kalte Wut stieg plötzlich in ihm auf. Er hob die Faust gegen den Fischer. »Du! Du hast mich ausgeplündert! Du scheinheiliger Hund, weißt du überhaupt, wer ich bin? Dir werde ich zeigen, was es heißt, den Friedensrichter von Falmouth seiner Habseligkeiten zu berauben ...« »Ausgeplündert? Beraubt?« Ralph Sutton korkte ganz schnell seine kleine Whiskyflasche zu. Er stand auf. »Da hilft man nun einem klatschnassen Narren auf die Beine, und was ist der Dank? Beschimpft wird man. Als Strauchdieb bezichtigt wird man. Du kannst mich mal.« »Räuber! Mörder!« Keymis keuchte. Er erhob sich und stand wankend auf seinen dünnen, beharrten Beinen. »Ich bin der
Friedensrichter von Falmouth, bei mir kommst du damit nicht durch. Gib sofort meine Sachen heraus!« »Du bist ja nicht ganz dicht«, antwortete Ralph Sutton. Er wollte davonstapfen, aber Keymis war neben ihm und rammte ihm ohne weitere Vorwarnung die Faust in die Seite. Da wandte sich der Fischer zu ihm um und packte ihn. Er war sonst ein sehr gutmütiger Mensch, dieser Ralph Sutton, aber jetzt empfand er Zorn. »Ich kann das nicht leiden«, sagte er. »Hör bloß auf, oder du kriegst was vor den Laden, daß es nur so kracht.« Keymis wollte nicht aufhören. Er steigerte sich immer mehr in seinen Zorn und Haß hinein, und sein Gefluche und Geschrei erreichten ein Maß, das den Krug endgültig zum Überlaufen brachte. Sutton konterte jetzt wirklich. Seine Fäuste schienen aus Eisen zu sein. Sie begruben Keymis unter sich, brachten ihn zu Fall, zerschmetterten jeden Widerstand und schienen ihn in den grauen, schmutzigen Strand von Devils Point stampfen zu wollen. Jetzt kehrte der Friedensrichter in die vorher herbeigesehnten Bereiche zurück - ins Land der Träume. Er wachte wieder auf und wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war. Seine Kopfschmerzen spürte er stärker als je zuvor. Stöhnend richtete er sich auf. Aus zusammengekniffenen Augen spähte er nach der Sonne. Ihrem Stand entnahm er, daß es noch Vormittag war. Er entsann sich der Vorfälle: wie der Bruder der Hure O’Flynn auf ihn losgegangen war. Wie es nachtdunkel um ihn geworden war, während der Geheimposten sein Leben auf den Pflastersteinen ausgehaucht hatte. Wie dieser Ralph Sutton ihn unsanft geweckt hatte. Hundesöhne, dachte er, Bastarde. Er befand sich immer noch am selben Fleck. Devils Point. Er blickte wieder an sich hinunter - er war immer noch hüllenlos bis auf eine schmutzige Unterhose. Er fror. Sutton war verschwunden und hatte keine Spuren zurückgelassen. Kein
Mensch hielt sich in der Nähe auf. Baldwin Keymis verfluchte die gesamte Menschheit und setzte sich in Bewegung. Er wankte der Stadt entgegen. Ostwind blies über den Hafen und erfaßte seine Gestalt. Es war kalt, so bitter kalt. Keymis fror immer stärker. Als er die Great Western Docks erreichte, wünschte er sich nichts sehnlicher als ein heißes Bad, frische Kleidung und eine Tasse dampfenden Tee. Er nieste dreimal. Kurz darauf verharrte sein Blick auf einem Mann in Polizeiuniform. Der Mann sah ihn auch und näherte sich. Baldwin Keymis erkannte, daß es sich um einen Konstabler handelte. Er atmete auf. Er sah den Mann zum erstenmal, aber er würde wissen, wie der Friedensrichter von Falmouth aussah. Es ist die Rettung, sagte sich Keymis. * Es war kein Zufall, daß sich Konstabler Arnold Winding um diese Stunde an den Great Western Docks aufhielt. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit breiten Schultern, Anfang der Vierzig, verheiratet, mit drei Kindern. Die strengen Prinzipien, mit denen er seine Familie regierte, waren die gleichen, die er auch während der Dienstzeit anwandte. Eine besondere Abneigung hegte er gegen Schmutz und Unmoral. Der Morgen hatte nicht besonders gut begonnen, denn Jason Robinson Marable, dieser Faulpelz, war ihm über den Weg gelaufen. Winding hatte ihn angehalten und die Hand zur Unterstützung seiner Worte auf den Degenknauf gelegt. »Wohin des Weges, Jason?« »Ich habe ein Stück Strandgut gefunden und es umgesetzt, Sir.« »Wo?« »An der östlichen Seite der Mill Bay.«
»Was, Jason?« »Einen gut erhaltenen Bootsriemen und eine Ruderpinne.« »Du lügst, Jason.« »Nein! Sie können ja Carmichael, den Geschäftsmann, fragen!« Carmichael! Der redet viel, wenn der Tag lang war, und Schwindeln gehörte zu seinem Geschäft. Daß er mit geklauten Waren handelte, war ein offenes Geheimnis, doch Winding hatte ihn nie in flagranti ertappen können. Konstabler Winding sah ein, daß es zwecklos war, noch weiter in Marable zu dringen. Er hatte nur noch die Nase gerümpft und gesagt: »Du stinkst, Jason. Du hast Flöhe und Läuse. Laß dich in dem Zustand nicht mehr in der Stadt erwischen, sonst gibt es Ärger.« »Ich werde ein Bad nehmen, Sir«, hatte der Penner versprochen. Später hatte Winding dann Ralph Sutton getroffen. Sutton war ein ehrlicher Mann, der als Fischer an harte Arbeit gewöhnt war. Der Konstabler schätzte seine Aufrichtigkeit. Keinen Augenblick zweifelte er an der Glaubwürdigkeit seiner Worte, als Sutton ihm eine Mitteilung machte. »Am Devils Point liegt ein gefährlicher Verrückter. Er hat nur eine schäbige Unterhose an und schlägt um sich, wenn man ihn anrührt. Den sollten Sie sich mal kaufen, Konstabler.« »Das werde ich tun«, hatte Winding grimmig erwidert. Und deswegen befand er sich jetzt an den Great Western Docks. Er hatte überlegt, ob zwischen der Begebenheit mit Marable und dem Hinweis des Fischers ein Zusammenhang bestehen könne. Er war zu dem Ergebnis gelangt, daß das schlecht der Fall sein konnte. Marable traute sich an einen Gemeingefährlichen nicht heran, außerdem hatte er sich ja an diesem Morgen östlich der Mill Bay befunden. Devils Point lag westlich. Nein, es gab da zu viele Widersprüche. Wer war nun dieser Halbnackte?
Konstabler Arnold Winding setzte eine steinerne Miene auf und blickte dem Heranwankenden entgegen. Der Konstabler stand mit leicht abgewinkelten Beinen, und er legte die Hand unwillkürlich auf den hölzernen Kolben seiner Steinschloßpistole, als der Bursche ihm nahe war. Der Kerl wollte ihm doch tatsächlich die Hand auf den Arm legen! Winding tat einen Schritt zurück. Ein widerwärtiger Geruch stieg ihm in die Nase. Das Individuum roch schlimmer als ein vergammelter Fisch und besaß auch noch die Frechheit, einen vertrauensseligen Ton anzuschlagen! »So ein Glück, daß Sie da sind, Mann, Sie hätten aber auch eher erscheinen können, Konstabler!« Es war die Höhe! Winding musterte den Kerl von oben bis unten. Er war schmutzig und zitterte. Er stank, und die dreckige Unterhose drohte ihm die mageren Hüften hinab zurutschen. Winding wagte sich gar nicht auszumalen, was passierte, wenn dieses Scheusal nach Plymouth gelangte und etwa einer Lady über den Weg lief. Er zückte die Steinschloßpistole. Sicher ist sicher,dachte er. Er spannte den Hahn. Ein metallisches Knacken ertönte. »Name, Wohnort, Beruf«, sagte er kalt. Baldwin Keymis taumelte auf der Stelle. Träumte er? »Hören Sie, Konstabler, stecken Sie die Pistole weg. Die Sache könnte Folgen für Sie haben.« Seine Zuversicht verflog, die Wut kehrte wieder. »Name, Wohnort, Beruf!« brüllte Konstabler Winding. Und Keymis schrie zurück: »Baldwin Keymis, Friedensrichter von Falniouth!« Winding wußte nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Er japste und suchte nach Worten. »So was«, sagte er schließlich, »ist mir in sechzehn Jahren Dienstzeit noch nicht passiert. Was maßen Sie sich eigentlich an, Kerl?« »Ich wiederhole«, sagte Keymis. »Ich bin der Friedensrichter
von Falmouth und verlange, zu meinem Amtskollegen Samuel Taylor Burton geführt zu werden. Es gibt Ärger, wenn Sie sich weigern. Ich werde dafür sorgen, daß Sie rausfliegen.« »Ich weiß, was du vorhast«, entgegnete Winding fast sanft. »Du willst Mr. Burton den Hals umdrehen, nicht wahr? Du hast es dir in den Kopf gesetzt, mag der Himmel wissen, warum.« »Ich bin ausgeplündert worden.« »Von wem denn, wenn man fragen darf?« »Von einem Kerl namens Sutton. Ralph Sutton.« »Da lachen ja die Hühner. Sutton würde so was nie tun. Für den lege ich meine Hand ins Feuer.« »Ich bin das Opfer einer Verschwörung!« schrie Keymis. Konstabler Winding legte mit der Pistole auf ihn an. »Schluß jetzt. Ich nehme dich wegen ungebührlichen Aufzugs und Verdachts auf gemeingefährlichen Wahnsinn fest. Gehen wir. Widerstand ist sinnlos.« Keymis schnappte nach Luft. »Das ist - ungeheuerlich. Dich lasse ich öffentlich auspeitschen, du Bastard von einem Polizeiknüppel.« »Amtsbeleidigung also auch noch!« rief der Konstabler aufgebracht. Er packte Keymis und zerrte ihn mit sich fort. Als dieser dann wieder und wieder behauptete, der Friedensrichter von Falmouth zu sein und sich mit Händen und Füßen wehrte, hieb Winding erbost mit dem Pistolenkolben zu. Zum dritten Male binnen weniger Stunden wurde Keymis ohnmächtig. Er kam zu sich, als man ihn auf hartem, kaltem Steinboden absetzte und eine Eisengittertür hinter ihm zuwarf. Er vernahm die Stimme des Konstablers in seinem Rücken. »Ein Verrückter. Klarer Fall. So was darf nicht frei herumlaufen.« Keymis rappelte sich auf und drehte sich um. Sein Kopf tat entsetzlich weh, seine Lippen waren spröde, seine Zunge lag wie ein pelziger Klumpen in der Mundhöhle. Er fühlte sich total ausgelaugt. Durch das Gitter sah er den Konstabler und
drei Polizisten im Gang stehen. »Dich lasse ich vom Dienst suspendieren, du Hund«, sagte er zu Winding. »Noch so eine Beleidigung, und ich lasse dich in Ketten legen.« Der Konstabler sprach’s, winkte seinen Männern zu und marschierte mit ihnen ab. Keymis warf sich vor, griff nach den Gitterstäben und rüttelte daran. »Laßt mich raus, ich bin unschuldig!« rief er immer wieder. »Laßt mich’raus!« Hinter ihm raschelte es. Er zuckte zusammen und wandte den Kopf. Zuerst glaubte er, es mit einer Ratte zu tun zu haben, aber dann stellte er fest, daß er nicht allein war. Er war unter Menschen. Aus dem Halbdunkel der hinteren Raumhälfte erhoben sich Gestalten. Undeutlich erkannte Keymis Strohballen, die als Lager dienten. Erinnerungen an den Kerker von Santo Domingo drängten sich ihm auf. Wie hatte er dort schmachten müssen! Wie gemein waren die Spanier mit ihm und den anderen Gefangenen aus Falmouth umgesprungen! Hundeelend hatte er sich damals gefühlt, und wären die Befreier nicht erschienen, wäre er wahrscheinlich bald gestorben. Das Selbstmitleid ergriff ihn und preßte ihm fast Tränen in die Augen. Vom Regen in die Traufe! Und an allem war der Seewolf schuld. Sollte ihm doch keiner erzählen, daß er sie aus menschlichen Motiven aus den Händen der Spanier befreit hatte. Bereichern wollte er sich. Als Geisel hatte er ihn, Baldwin Keymis, benutzen wollen. Ein Lösegeld hatte er erpressen wollen, was denn sonst? Aber er hatte sich dagegen gewehrt. Von Anfang an. Sir John Killigrew war ein guter Verbündeter an Bord der ›Isabella V.‹ gewesen, aber leider hatten sich seine Pläne, das Schiff unter sein Kommando zu stellen, nicht verwirklichen lassen. Samuel Taylor Burton war auch ein guter Verbündeter
gewesen, aber jetzt begann Keymis an ihm zu zweifeln. Warum hatte er die Gefahr nicht gespürt? Warum suchte er ihn jetzt nicht, warum hatte er nicht längst etwas gegen den Seewolf und seine Meuchelmörder-Kumpane unternommen? Zwei Kerle traten auf ihn zu, der eine dürr wie eine Bohnenstange, der andere muskelbepackt. Der Muskelmann hatte einen Schnauzbart, aber kein Haupthaar mehr. Seine Glatze schimmerte matt. Er trug nichts auf dem Oberkörper. Er war ein brutales Monstrum. Der andere trug die schäbigsten Kleider, die man sich vorstellen konnte. Fetzen war wohl eine bessere Bezeichnung. Er musterte Keymis mit unflätigem Grinsen. »Ein Verrückter, wie?« sagte der Dürre. »So was kriegt man nun als Gesellschaft. Pinter, was hältst du von diesem Knaben?« »Nicht viel«, antwortete der Muskelmann. »Ich auch nicht.« »Wir auch nicht«, sagte jemand aus dem Halbdunkel hinter ihnen. Eine ganze Meute, von wüsten Kerlen schien hier eingepfercht zu sein. »Soll ich ihm mal auf den Zahn fühlen?« fragte Pinter. »Noch nicht«, meinte der Dürre. »He, Neuer, wie heißt du, und was hast du ausgefressen?« »Wo bin ich hier?« fragte Keymis. Der Dürre verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »He, ich frage ihn was, und er kommt mir mit einer Gegenfrage. Pinter, wie findest du das?« »Sauschlecht.« Im Hintergrund kicherte jemand. »Wo er ist, will er wissen. Ist das nicht herrlich?« »Sag’s ihm, Switch!« rief ein anderer. Switch, wie der Dürre also hieß, sagte: »Stadtgefängnis, Sammelzelle. Genügt das?« »Mein Gott«, stammelte Keymis.
»Wie tief bin ich gesunken.« Switch trat noch näher und nahm die dunklen Rattenaugen nicht von ihm. »Tief gesunken, was? Unschuldig ist er. Den Konstabler suspendieren lassen will er.« »Der hat wirklich einen Schlag weg«, meinte Pinter. »Mein Name ist Baldwin Keymis«, sagte Keymis. »Ich bin der Friedensrichter von Falmouth, verstanden? Ich warne euch. Kommt mir bloß nicht zu nahe, das kann ich nicht leiden.« »Er kann es nicht leiden«, brummte Pinter, und dann grölte er los vor Lachen. Die anderen fielen ein. Keymis fühlte sich erniedrigt, geschmäht und beschmutzt. Er war dem Abschaum der Menschheit in die Klauen geraten. Zu Galgenvögeln und Trunkenbolden hatte man ihn gesperrt. Ihn! Er schrie sie an, schleuderte ihnen entgegen, was er von ihnen hielt, wiederholte seinen Amtstitel. Er wünschte sich seine Kleider und seinen Degen herbei, damit hätte er ihnen schon den nötigen Respekt eingebleut. Aber an den Gegebenheiten ließ sich nichts ändern. Switch legte ihm die Hand auf die Schulter und äußerte etwas Niederträchtiges über seinen Aufzug. Keymis konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Er holte zum Schlag aus. Aber da schrie Switch: »Er hat mich herausgefordert!« »Dem Aas breche ich die Knochen!« rief Pinter. Dann ging es los. Baldwin Keymis konnte diesen dürren Verbrecher nicht mehr schlagen. Er fühlte sich gepackt und durch die Zelle gewirbelt. Es kreiste und dröhnte in seinem Schädel, ihm wurde schwindlig, er stürzte zu Boden. Etwas Stroh minderte die Wucht des Aufpralls. Keymis hatte keine Zeit, sich darüber zu freuen. Pinter kam und griff mit riesigen Pranken nach ihm. Sein Schrei wurde durch eine Pranke erstickt. Sie preßte sich auf seinen Mund. Die andere grub sich in seinen Körper. Pinter stieß ihn zu Switch, und Switch beförderte ihn zu den anderen. Keymis wurde durchgewalkt, wie er es noch nie erlebt
hatte. Der Kerker von Santo Domingo war das Paradies dagegen gewesen. Auch das Kielholen, zu dem ihn der Seewolf auf der ›Isabella V.‹ verdonnert hatte, nahm sich dagegen wie der reinste Sonntagsspaziergang aus. Keymis hörte Switchs Stimme wie durch dicken Kork. »Der Friedensrichter, wie? Nehmen wir mal an, es stimmt. Ich habe mir schon immer gewünscht, einen von diesen Hunden vor die Fäuste zu kriegen.« »Ich bring ihn um«, sagte Pinter. »Überlaßt ihn mir«, forderte ein anderer. »Reicht ihn mir mal rüber!« rief ein Kerl. »Laßt ihn reihum gehen«, schlug Switch vor. »So hat jeder was von dem Spaß.« Keymis gab einen gurgelnden Laut von sich. Er schlug kurz die Augen auf - er hatte sie geschlossen gehabt, um nicht auch noch sehen zu müssen, wie sie ihn vornahmen - und erblickte Pinter, der wie ein Koloß über ihm stand. Er hielt ein Büschel Stroh in der Faust. »Dir stopf ich das Maul, dann kannst du nicht mehr quieken, du Schwein«, sagte er. 5. Samuel Taylor Burton holte sich hin und wieder ein liederliches Frauenzimmer ins Bett. Wenn er aber keine Lust darauf verspürte, so war es sein zweitschönstes Vergnügen, sich mit Bier und Whisky volllaufen zu lassen, bis der allerhöchste Pegelstand erreicht war. Nachdem Baldwin Keymis ihn verlassen hatte, hatte er das getan. Entsprechend lange hatte er an diesem Vormittag geruht. Erst gegen elf Uhr stand er auf. Er fühlte sich wieder nüchtern und halbwegs wohl, wenn er auch entsetzlichen Durst verspürte. Zunächst trank er etwa einen Liter Wasser, dann
wusch und rasierte er sich. Danach kleidete er sich an und war für seine ersten Amtshandlungen bereit. Das Frühstück, so beschloß er, würde er mit dem Mittagessen zugleich einnehmen. Von zwei bis drei Uhr tat er dies, und zwar reichlich. Sein Hunger war gewaltig. Seine Magenwände hatten sich im Laufe der Jahre wegen der Völlerei gedehnt, und das ganze Ding mußte aussehen wie eine aufgeblasene Schweinsblase. Burton pflegte sich nach Herzenslust. Von drei bis fünf ruhte er sich vom Mittagessen aus. Erst gegen Abend begann er Keymis zu vermissen. Er ließ den Geheimposten rufen, der Dienst gehabt hatte, als Keymis sich auf den Weg begeben hatte. Der Mann war nicht zu finden. Burton, hellwach geworden, verlangte nach dem Mann, der vorher das Haus von Sir Freemont beschattet hatte. Dieser erklärte ihm: »Ich habe mich pünktlich von Bobson ablösen lassen, aber er war verschwunden, als seine Ablösung aufzog.« »Und Keymis?« »Den hat keiner von uns gesehen.« »Keiner?« Burton war alarmiert. Er stellte weitere Nachforschungen an, aber von Bobson, dem Posten, der von Keymis kontrolliert werden sollte, fehlte jede Spur. Von dem Friedensrichter aus Falmouth auch. Burton befragte auch William Gardener, den Hauptmann der Stadtgarde, und dieser zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, Sir, aber dazu weiß ich Ihnen wirklich nichts zu berichten. Ich kenne Bobson, ich kenne Keymis, aber ich habe während der letzten vierundzwanzig Stunden keinen der beiden gesehen.« »Schon gut. Gibt es irgendwelche anderen Neuigkeiten in der Stadt? Strengen Sie Ihren Kopf mal an, Gardener.« »Neuigkeiten, Sir?«
»Delikte aller Art, ungewöhnliche Vorkommnisse«, sagte Burton ungeduldig. »Eben alles, was die Zuständigkeit der Stadtgarde und der Polizei betrifft. Ihnen kommt doch jede noch so unwichtig erscheinende Kleinigkeit zu Ohren. Mir sonst auch, aber ich, nun, ich war heute morgen unpäßlich.« Gardener hatte Mühe, sich ein ironisches Lächeln zu verkneifen. Er kannte diesen dicken Mann und seine Laster nur zu genau. Gardener richtete die Augen gegen die Decke von Burtons Amtszimmer, dann erwiderte er: »Da wäre etwas, aber ich weiß nicht, ob es für Sie von Interesse ist, weil es überhaupt nicht das Geringste mit Mr. Baldwin Keymis und Bobson zu tun hat ...« »Spielt keine Rolle. Schießen Sie schon los.« »Heute früh ist ein gefährlicher Irrer ins Stadtgefängnis eingeliefert worden. Er wurde am Devils Point gesehen und dann an den Great Western Docks von Konstabler Winding aufgegriffen. Soll sich wie ein Tobsüchtiger aufgeführt haben.« »Haben Sie ihn gesehen?« »Nein.« »Danke, das genügt. Bis später, Gardener.« Burton kümmerte sich nicht um die verwunderte Miene des Hauptmanns, er war mit den Gedanken bereits woanders. Ein Irrer? Devils Point? Burton hatte den kompletten Grundriß von Plymouth wie ein Bild im Gedächtnis. Er konstruierte rasch eine Verbindung zwischen der North Road, dem Stonehouse Mill Pond, Stonehouse Pool und Plymouth Sound. Jetzt brauchte er keine Assoziationen mehr zu knüpfen, sie kamen von selbst. Und Burton erhob sich mit einer Geschwindigkeit, die ihm wenige zugetraut hätten, von seinem Stuhl. Er fuhr zum Stadtgefängnis und marschierte sogleich in die grauen Amtsstuben der Verwaltung. »Konstabler Winding«, sagte er. »Ich verlange ihn augenblicklich zu sprechen.« »Natürlich, Mr. Burton«, erwiderte der Direktor, der
gleichzeitig auch einer der höchsten Polizeibeamten von Plymouth war. »Aber warum denn so aufgeregt?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Ich habe meine Gründe«, sagte Burton schnaufend. Der hastige Aufbruch und die wenigen Schritte von der Kutsche ins Gefängnis hatten seinen Atem mächtig in Schwung gebracht. Aber was sein Blut in Wallung versetzte, waren die düsteren Gedanken, die seinen Geist bewegten. Konstabler Arnold Winding erschien und salutierte. Samuel Taylor Burton wandte sich sofort an ihn. »Zeigen Sie mir den gemeingefährlichen Verrückten, den Sie heute früh eingesperrt haben.« »Sie wollen ihn verhören, Sir?« »Ich will ihn sehen«, gab Burton rüde zurück. »Es steht Ihnen nicht zu. Fragen zu stellen, Mann.« Winding war eingeschüchtert. Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt voran. Der Gefängnisdirektor schloß sich vorsichtshalber gleich an. Der Konstabler, Burton und der Direktor durchmaßen düstere Gänge des großen Gebäudes, begaben sich bis tief in das Herz und näherten sich schließlich dem Trakt, in dem unter anderem auch die Sammelzelle untergebracht war. Schon von weitem vernahmen die Männer Lärm. »Was ist da los?« fragte der Konstabler einen der Posten. »Wieder Aufruhr«, entgegnete der Mann mit unsicherem Blick zu Burton und dem Direktor. »Dabei hat es heute mittag schon fast Mord und Totschlag gegeben.« »Schweinerei«, sagte Burton. »Wie bitte?« Der Gefängnisdirektor, ein beherrschter Mann, vermochte die Brauen nicht höher zu ziehen. »Vorwärts, weiter«, heischte Burton. »Ich kann es kaum erwarten, mir diese Sammelzelle ein wenig näher zu betrachten. Ich habe den Eindruck, hier geschieht eine gewaltige Schweinerei.«
Dann standen sie in einem finsteren Gang vor der Eisengittertür, hinter der sich die Trunkenbolde und Gewalttäter, die Strolche und Vagabunden mit irgend jemandem prügelten. Zwei Wachtposten waren im Begriff, die Tür zu öffnen und sich durch den Spalt zu drängen, aber Burton war plötzlich zwischen ihnen und erzwang den Vortritt. Dann bestätigten sich seine bösen Ahnungen. Inmitten einer Meute verwahrloster Individuen stand schwankend und zerzaust der Friedensrichter Baldwin Keymis. Er war nackt bis auf eine schmutzige, halb zerrissene Unterhose. Sein Körper und sein Gesicht waren eine einzige Zurschaustellung blauer und roter Flecken und Schrammen. Blut tropfte aus seiner Nase. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. »Er hat wieder verrückt gespielt«, sagte ein dürrer Galgenvogel. »Was können wir denn dafür, wenn er anfängt, wie besessen um sich zu schlagen?« »Halts Maul, Switch«, sagte der Konstabler. Burton holte tief Luft. »Baldwin, komm her.« Keymis taumelte mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Pinter, der glatzköpfige Riese, wollte ihm ein Bein stellen, aber Switch hielt ihn zurück. Keymis erreichte seinen Amtskollegen unbehelligt. Er hielt sich an dessen Arm fest und stammelte etwas. »Gott, wie du aussiehst«, sagte Burton angewidert. »Diese Hunde ...« »Was ist mit Bobson?« »Tot ...« »Wer?« »Dan O’Flynn«, stieß Keymis haßerfüllt hervor. »Der Bruder der Hure Gwendolyn O’Flynn. Er und ein anderer aus der Seewolf-Bande, ein gewisser Bob Grey - sie fielen wie die Tiere über uns her, als ich die kleine, dreckige Hure entlarvte. Wer von den beiden das Messer geworfen hat, weiß ich nicht.«
»Es spielt auch keine Rolle«, entgegnete Burton gefährlich leise. »Komm jetzt, du kannst mir alles andere unterwegs genauer erzählen.« Er drehte sich zu den Wachtposten, dem Konstabler und dem erstarrten Gefängnisdirektor um. In der Langsamkeit seiner Bewegung lag die gleiche Drohung wie in der Art, wie er sprach. »Narren«, sagte er. »Habt ihr nicht gewußt, daß dies Baldwin Keymis, der Friedensrichter von Falmouth, ist?« Konstabler Winding geriet ins Stottern. »Dann - also, dann ist es ja doch wahr - aber - aber ich - Sutton, der Fischer, hatte doch hoch und heilig versichert ...« »Wir haben da einen richtigen Fehlgriff getan«, meinte der Gefängnisdirektor. »So etwas wird kein zweites Mal passieren, dafür garantiere ich.« »Kein zweites Mal?« wiederholte Burton. Und dann brach es aus ihm hervor, dann fing er an zu brüllen, daß die Gitterstäbe zu klirren und die Wände zu beben drohten. Er stauchte den Konstabler und den Direktor zusammen und ließ auch an den Wachtposten kein gutes Haar. Er drohte mit Suspensionen und Prozessen und Strafen, stieß die fürchterlichsten Verwünschungen aus und zitierte Teufel, Henker und einige andere Schauergestalten herbei. Seine Zuhörer wurden dabei scheinbar immer kleiner. Sie schrumpften förmlich. Nur Baldwin Keymis nicht - der erholte sich erstaunlich schnell von den Hieben und Maulschellen, die er hatte einstecken müssen. Burton hörte auf zu brüllen. Für eine Weile war nur sein pfeifender Atem in der Stille zu vernehmen. Dann sagte er zu Keymis: »Baldwin, was machen wir mit diesen Idioten?« »Dem Konstabler würde ich einen Monatslohn streichen.« »Ist das nicht zu wenig?« »Der Mann hat Familie«, wandte der Direktor ein. »Bitte überlegen Sie sich doch, was Sie tun.«
»Ruhe!« donnerte Burton. »Konstabler, hauen Sie ab und lassen Sie sich erst morgen wieder hier blicken. Für einen Monat versehen Sie Ihren Dienst umsonst, verstanden?« »Jawohl, Sir.« »Und diesen Mißgeburten legt ihr Ketten an«, befahl Burton mit einer Geste zu den Gefangenen hin. »Auch einen Monat lang. Ich will sehen, wie sie allmählich weichgeklopft werden und kapieren, was es heißt, sich an einem Friedensrichter zu vergreifen. Und Sie!« Er wirbelte zu dem Direktor herum. Die flinke Gebärde verlieh ihm etwas Groteskes. »Was stehen Sie so herum? Besorgen Sie Kleidung für Mr. Keymis. Es ist das Mindeste, was Sie tun können.« »Jawohl«, erwiderte der Direktor. »Wir müssen so schnell wie möglich zu Freemont«, sagte Keymis. »Der Hund muß büßen. Wenn wir den Seewolf und seine Komplicen bei ihm finden, ist er reif für den Galgen.« »Darauf kannst du Gift nehmen«, entgegnete der fette Burton. * Sie kehrten in Burtons Haus zurück. Während Baldwin Keymis sich wusch, sich die Wunden verbinden ließ und etwas zu essen und zu trinken zu sich nahm, rief Burton den Hauptmann William Gardener zu sich. Wenig später, noch zur Abendstunde, rasten die beiden Friedensrichter in einer Kutsche an der Spitze eines Aufgebotes der Stadtgarde zum Haus von Sir Freemont. Der Arzt öffnete auf ihr heftiges Klopfen. Er zeigte keine Überraschung und lächelte sogar ein bißchen. »Sie schon wieder? Nun, damit war ja zu rechnen. Sie lassen sich nicht abschrecken, Mr. Burton, nicht wahr? Ich komme wohl doch nicht umhin, Beschwerde bei Hof zu erstatten.« »Diese Frechheit«, sagte Keymis gepreßt. Sir Freemont musterte ihn, und jetzt zeigte er doch
Verwunderung und einen Anflug von Besorgnis. »Himmel, wer hat Sie denn so zugerichtet, Mr. Keymis? Sie brauchen Ruhe und Pflege. Dringend.« »Ich auch, oder?« erkundigte sich Burton. »Das habe ich Ihnen doch bereits bei Ihrem ersten Besuch verschrieben«, erwiderte Sir Freemont gelassen. »Aber wer nicht hören will ...« »Sirrr!« herrschte Burton ihn an. Er war jetzt dunkelrot im Gesicht. »Ich fordere Sie hiermit auf, zur Seite zu treten. Wir durchsuchen Ihr verdammtes Haus, und wenn Sie der Königin höchstpersönlich Bericht erstatten.« »Bitte.« Sir Freemont gab den Weg frei. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können.« Burton und Keymis rauschten an ihm vorüber. Der nächste war Hauptmann William Gardener. Er blickte den Arzt fast entschuldigend an und meinte: »Es ist klug, daß Sie keinen Widerstand leisten, Sir. Sehr klug.« »Ja«, sagte Sir Freemont. »Aber es ist die Stunde der Narren, und die Torheit regiert ihr Handeln.« In der nächsten Stunde stellte die Garde das gesamte Haus buchstäblich auf den Kopf. Das Zimmer mit der Geheimtür wurde dann aber doch nicht gefunden. Sir Freemont, der im Erdgeschoß verweilte, hatte die leise Ahnung, daß Hauptmann Gardener dafür nicht ganz unverantwortlich war. Dieser Mann hegte gelinde Zweifel an der Aktion, außerdem kannte Sir Freemont ihn und wußte, daß er ein gewissenhafter Mensch ohne Tadel war - ganz im Gegensatz zu Burton und Keymis. »Nichts zu finden«, wetterte Burton, der soeben mit seinem Kollegen aus dem Obergeschoß nach unten zurückkehrte. »Kein Seewolf. Keine Hure O’Flynn. Es ist zum Aus-der-Haut fahren. Verfluchter Mist.« »Ich weiß immer noch nicht, wen Sie eigentlich bei mir suchen«, sagte Sir Freemont. »Diese Frechheit«, stieß Keymis wieder mit geballten Händen
aus. »Diese bodenlose Unverschämtheit!« Er stapfte ins Wohnzimmer. Am liebsten hätte er vor Wut alles zertrümmert, aber das ging zu weit. Burton hatte ihn aus dem Stadtgefängnis geholt, aber er würde ein derartiges Vorgehen denn doch nicht billigen. Keymis schnürte wie ein Hund auf der Fährte durch den Raum. Plötzlich blieb er vor dem Kamin stehen. Auf dem Sims hatte eine Art Statuette ihren Platz. Das Besondere an ihr war, daß sie einen seltsamen, exotisch anmutenden Vogel darstellte und aus einem wertvollen Material bestand. »Gold«, sagte Keymis leise. »Pures Gold. Samuel! He, Samuel!« Burton kam und verharrte ebenfalls vor dem Kaminsims. »Schön«, sagte er. »Ein Kleinod von unschätzbarem Wert. Man könnte damit eine Menge feiner Sachen kaufen. So was würde mir für meinen Kaminsims auch gefallen.« Sir Freemont stand jetzt hinter ihnen. Er hörte alles mit und wußte, daß Burtons Bemerkung ein Wink mit dem Zaunpfahl war. Eine offene Aufforderung zur Bestechung. Er wollte den Goldtukan einheimsen. Aber auf dem Ohr war Sir Freemont taub. Er legte nur die Hände auf den Rücken und lächelte. Keymis nahm den Tukan in die Hand und drehte sich zu ihm um. Im Flur standen die Männer der Stadtgarde, unter der Türfüllung erschien die Gestalt von Hauptmann Gardener. »Sir Freemont«, sagte Keymis scharf. »Was ist das?« »Die Nachbildung eines Tukans«, antwortete der Arzt ruhig. »Um Sie aufzuklären und weiteren Fragen zuvorzukommen: Ein Tukan ist ein spechtartiger Vogel, ein Pfefferfresser, dessen Lebensraum in Mittel- und Südamerika liegt.« »Aha.« »Was bedeutet das, aha?« Keymis Augen waren nur noch schlitzweit geöffnet. »Das will ich Ihnen verraten, Sie Schlauberger. Ein solch absonderlicher und zugleich kostbarer Gegenstand ist nie und
nimmer in England hergestellt worden.« »Das habe ich auch nicht behauptet.« »Es handelt sich um fremdartiges Kunsthandwerk.« »Zu dieser Feststellung bedarf es nicht viel Scharfsinn, Mr. Keymis. »Ich sage, der Tukan kommt geradewegs aus der Neuen Welt.« »Und wenn es so ist?« »Indianische Arbeit«, sagte Keymis schrill. »Woher haben Sie das Ding, Freemont?« »Für Sie immer noch Sir Freemont«, sagte der Arzt eisig. »Antworten Sie - Sir!« »Ein Freund hat mir den Tukan als Geschenk mitgebracht.« Sir Freemont tat zwei Schritte auf die beiden Friedensrichter zu. »Und nun hören Sir mir gut zu, Gentlemen. Die Grenze dessen, was ich als Bürger und allgemein geachteter Arzt von Plymouth hinzunehmen bereit bin, ist überschritten, und zwar bei weitem. Schluß mit dem Spaß!« Samuel Taylor Burton setzte ein öliges Grinsen auf. »Immer mit der Ruhe, Sir, wir haben ja nun allen Anlaß gehabt, diese Haussuchung durchzuführen. Sie sollten sich zumindest erklären lassen, was meinem Amtskollegen widerfahren ist, als er - äh - sich letzte Nacht zufällig in der Nähe Ihres Hauses aufhielt.« »Er weiß es«, sagte Keymis. »Ich verlange, daß du ihn festnimmst, Samuel.« Burton drehte und wand sich wie ein Aal. Er wußte nur zu genau, daß Sir Freemont Freunde und Gönner bei Hof hatte. In der Beziehung spielte sich der Mann keineswegs auf, er berief sich nur auf Tatsachen. Und er galt viel, sehr viel in Plymouth. Die meisten Leute zogen auf der Straße den Hut, und die Frauen verneigten sich, wenn er an ihnen vorbeiging. Er war hier der Arzt schlechthin. »Ich rate Ihnen, jetzt zu gehen«, sagte Sir Freemont.
»So einfach, wie Sie es sehen, ist das alles nicht«, erwiderte Burton ausweichend. »Festnehmen«, sagte Keymis stur. »Du kannst nicht umhin, diesen Schurken zu verhaften.« Er drückte Burton den Goldtukan in die Hand, und das war es wohl, was sich entscheidend auf das Gemüt des Dicken auswirkte. Der Tukan wog schwer. Er war nur ein winziger Teil der riesigen Beute an Bord der ›Isabella V.‹. Gab es denn noch Zweifel daran, daß der Seewolf ihn dem Arzt geschenkt hatte? Natürlich nicht. »Sie stehen unter dem Verdacht, der Komplice von Mördern, Piraten und Deserteuren zu sein«, sagte Keymis zu Sir Freemont. Burton nickte. Eben hatte er noch geschwankt. Da war der Schatz des Seewolfes - da war aber auch die Vernunft, die ihm eingab, daß er mit dem angesehenen Arzt nicht umspringen durfte wie mit jedem x-beliebigen Galgenstrick. Doch jetzt schienen ihn die Edelsteinaugen des Goldtukans anzublicken. Sie suggerierten ihm, die Chance beim Schopf zu packen, nicht mehr zu zögern. Ich bin dein, schrien sie, und es gibt mehr Gold, mehr, mehr, mehr ... Burtons Miene festigte sich. Die Gier hatte gesiegt. »Gardener!« »Sir?« »Führen Sie diesen Mann ab«, sagte Burton. »Und achten Sie darauf, daß er keine Dummheiten unternimmt. Er ist gerissen. Er könnte einen Fluchtversuch wagen. Ich ziehe Sie zur Verantwortung, wenn etwas Derartiges geschieht.« Sir Freemont musterte Burton. Verachtung lag in seinem Blick. »Ich werde keine Schwierigkeiten bereiten. Ich schätze keine Hinterhältigkeiten - im Gegensatz zu gewissen Leuten.« Keymis trat vor. »Sie gehen zu weit, Sir! Hüten Sie Ihre Zunge.« »Sie werden Ihren Schritt bereuen. Sie auch, Burton.«
»Schluß«, sagte Burton. »Fort mit ihm. Wir verlassen alle dieses Haus und treffen uns im Stadtgefängnis wieder. Da werden wir dann sehen, ob unser stolzer Vogel es vorzieht, weiterhin zu schweigen - oder ob er ein goldenes Ei legt.« Er lachte fett. Sein Bauch geriet bedrohlich ins Wackeln, die Hängewangen schwabberten im Gleichklang mit. Burton steckte den goldenen Tukan ein. »Der ist beschlagnahmt«, verkündete er. 6. Vor dem Haus nahmen zwei Männer der Stadtgarde den Arzt in ihre Mitte und hielten ihn mit Musketen in Schach. Ein anderer fesselte Sir Freemonts Hände mit Ketten. »Tut mir leid, Sir«, sagte Gardener leise. »Aber das ist Vorschrift. Halten Sie mich nicht für einen Stiefellecker, aber der Friedensrichter Burton kanzelt mich fürchterlich herab, wenn ich mich nicht daran halte.« »Sie tun doch nur Ihre Pflicht, Hauptmann.« »Sie fügen sich, Sir?« »Was bleibt mir denn anderes übrig.« »Ich bedaure zutiefst, daß ich das erleben muß.« Sir Freemont lächelte. »Gehen wir, Hauptmann.« Er schritt mit seinen Bewachern vor der marschierenden Stadtgarde, und Gardener hatte sich ari die Spitze gesetzt. Die Kutsche mit Burton und Keymis rollte vorüber. Das Klappern der Pferdehufe und das Rattern der Räder eilte davon und verlor sich in den Gassen von Plymouth. »Die haben es eilig«, sagte Sir Freemont. »Sie glauben, einen Sieg feiern zu können. Aber sie irren sich.« Gardener verlangsamte seinen Schritt etwas und war wieder neben ihm. »Feiern? Sie erwarten uns im Stadtgefängnis, das haben Sie doch sicher gehört, Sir.«
»Ja, natürlich. Die Nacht ist noch nicht zu Ende. Halten Sie mich nicht für naiv, Hauptmann. Ich weiß, was mir blüht. Die Folter ist ein beliebtes und verbreitetes Mittel, starrköpfigen Menschen die Zunge zu lösen. Ich verachte die Gewalt.« »Ich auch«, sagte Gardener etwas unbeholfen. »Sie dürfen es mir glauben, so aberwitzig das bei meinem Beruf klingt.« »Ich glaube Ihnen.« Gardener wurde von heftigen Bedenken geqält. Er hatte Skrupel, Sir Anthony Abraham Freemont seinem furchtbaren Schicksal zu überlassen. Da war eine Art innere Stimme, die ihm immer wieder sagte: Es ist Unrecht, William, du darfst das nicht tun! Hier geschieht ein Verbrechen! Ja, Gardener hielt etwas auf die persönliche Ehre eines Mannes. Er war einer von denen, die keinem Menschen Verdruß bereiteten, wenn nicht tatsächlich handfeste Gründe dafür bestanden. Kurzum, all dies war ihm nicht geheuer. Und aus einem natürlichen Instinkt heraus hegte er eine Abneigung gegen die beiden Friedensrichter und deren kaltschnäuzige Machtvollkommenheit. Wie sie sich aufspielten! Wie sie auftrumpften! Oh, Gardener hatte den Verdacht, daß es Burton und Keymis weniger um Recht und Unrecht und die Festnahme von mutmaßlichen Gesetzesbrechern als vielmehr um materielle Dinge ging. Er brauchte nur daran zu denken, wie die beiden den Goldtukan angestarrt hatten. Und er wußte ja, was man in Plymouth so munkelte. Burton sei korrupt, hieß es allenthalben hinter vorgehaltener Hand, er fülle sich die Taschen, betreibe dunkle Geschäfte, habe überall seine Spitzel und unterhalte ein regelrechtes Netz von Geheimpolizisten und Agenten. William, mahnte ihn seine innere Stimme wieder, unternimm etwas. Du wirst es dir nie verzeihen, Sir Freemont so mir nichts, dir nichts an die goldgierigen Friedensrichter ausgeliefert zu haben.
*
Vorläufig blieb Gardener nichts anderes übrig, als Sir Freemont weisungsgemäß zum Stadtgefängnis zu bringen und dort abzuliefern. Schon am Haupteingang wurden sie vom Direktor höchstpersönlich und einigen Wachtposten empfangen. Der Direktor machte auf Gardener einen unruhigen, fast gehetzten Eindruck. Er schien Schwierigkeiten gehabt zu haben. Gardener fragte aber nicht danach, was ihn bewegte. Es stand ihm nicht zu, außerdem wäre es wohl der unpassendste Augenblick gewesen, Fragen zu stellen. Gardener erstattete also nur seine Meldung. Sir Freemont trat freiwillig zu den Gefängnisposten. Sie packten ihn an den Schultern und zogen ihn derb zu sich heran. Seine Handketten klirrten. Er suchte den Blick des Direktors, der ihn selbstverständlich bestens kannte, aber der Mann hütete sich, ihn anzuschauen. »Gut so, danke, Hauptmann«, sagte der Direktor. »Sie können mit Ihren Männern abrücken. Für Sie ist der Fall erledigt.« Gardener rührte sich nicht vom Fleck. »Was wird nun mit dem Gefangenen?« »Um den kümmern wir uns.« »Wohin bringen Sie ihn?« Die Miene des Direktors verfinsterte sich. »Auf was wollen Sie hinaus, Hauptmann? Wir beide haben doch ganz klare Befehle von Friedensrichter Burton.« »Schön, aber ich müßte demnach Sir Freemont begleiten, bis er Mr. Burton und Mr. Keymis gegenübersteht, denn so lautet meine Order.« »Hören Sie, wir bringen Sir Freemont jetzt in einen Nebentrakt, zu dem die Stadtgarde nun mal keinen Zutritt hat. Habe ich deutlich gesprochen?«
Ja, das hatte er. Hauptmann Gardener wußte nur zu gut, um welchen Seitentrakt es sich da handelte, und ihm war auch bekannt, mit welchen Praktiken dort Gefangene verhört wurden. Er war im Bilde, aber er konnte nicht daran rütteln, denn es entzog sich tatsächlich seiner Kompetenz. Polizei und Stadtgarde waren zweierlei Dinge. Der Gefängnisdirektor und die gesamte Verwaltung und die Wachtposten des Kerkers waren der Polizei zuzuordnen. Gardener hatte ihnen gegenüber also nichts zu melden. Die Stadtgarde hatte im wesentlichen Verteidigungsfunktion bei äußeren Angriffen auf die Stadt, wurde beispielsweise aber auch bei Unruhen und Rebellionen eingesetzt. In diesem Sinne war sie auch eine Truppe der Königin. »Leben Sie wohl, Hauptmann«, sagte Sir Freemont. Dann wurde er abgeführt. Gardener hörte die Schritte der Posten in den Gebäudegängen hallen und verklingen. Sie wurden verschluckt, wie der Kerker alles verschlang und nicht wieder hergab: die Schreie von Menschen, ihre Qualen, ihre Geheimnisse, ihr Schicksal. Solange dies alles wirkliche Delinquenten betraf, wollte Gardener nicht weiter darüber nachdenken. Aber Sir Freemont - Himmel, ihm wurde immer mulmiger zumute! Er, William Gardener, wollte etwas unternehmen. Aber was? Ihm waren die Hände gebunden. Er kam sich in diesem Moment grenzenlos dumm und hilflos vor. Seine Männer standen da und blickten ihn an. Eine Entscheidung mußte gefällt werden. Gardener schritt langsam und versonnen die Stufen des Gefängniseinganges hinab. Er überlegte noch, welche Möglichkeiten des Einschreitens er wohl hatte, da wandten seine Soldaten die Köpfe. Eine Kutsche ratterte heran. Als sie vor ihnen stoppte, hob Gardener ebenfalls den Kopf. Er sah eine prunkvolle Kutsche mit einem Vierergespann. Sie hatte hohe Räder, und im Schein ihrer Laternen konnte der
Hauptmann sehen, daß die Vorhänge zugezogen waren. Der Kutscher beugte sich vom Bock. »Verzeihung«, sagte er. »Bitte, Sie müssen mir helfen. Ich suche das Haus von Sir Freemont.« William Gardener trat zu ihm und blickte zu ihm auf. Er kannte den Mann nicht, hatte ihn in Plymouth noch nie gesehen - ebenso, wie ihm die Kutsche unbekannt war. »Sir Freemont?« wiederholte er. »Es eilt«, drängte der Kutscher. »Mein Herr ist krank.« »Wer ist dein Herr?« Der Kutscher antwortete: »Der junge Charles Blount, achter Lord Mountjoy, Graf von Devon. Aber nun verraten Sie mir doch schon, wo ich den Arzt finde. Nur er kann den Grafen retten. Er hat eine Blutvergiftung.« »Allmächtiger.« Gardener hatte unwillkürlich Haltung angenommen. Natürlich hatte er von dem jungen Lord Blount gehört, natürlich wurde hier in Plymouth gelegentlich ehrfürchtig von ihm gesprochen - und er witterte seine Chance! Es war die Lösung! Der Graf, das war auch allgemein bekannt, war ein Günstling der Königin. Vor ihm schmolz die Macht eines Burton und eines Keymis wie Butter in der Sonne dahin. Vor ihm mußten die beiden kuschen. »Kutscher«, sagte der Hauptmann. »Ich verlange, mit deinem Herrn zu sprechen. Ich muß es, verstehst du? Sir Freemonts Haus befindet sich an der Ecke North Road und Stoke, aber ihr werdet ihn dort nicht antreffen.« »Sondern wo?« Der Mann auf dem Kutschbock rutschte hin und her. Er litt mit seinem Herrn. Er war nervös und drohte die Beherrschung zu verlieren. »Shawn« sagte eine Stimme aus dem Wageninneren. »Himmel, Shawn, was hat denn dieser Aufenthalt zu bedeuten? Fahren wir endlich weiter.«
Shawn, der Kutscher, wollte etwas erwidern, aber Gardener handelte jetzt höchst eigenmächtig. Er pfiff auf Etikette und Anstand und Vorschriften. Er dachte an Sir Freemont. Er trat an die Kutschtür, legte die Hand auf die Klinke und öffnete. Zwei Männer saßen im Schein einer kleinen Talglampe in dem luxuriös ausgestatteten Fahrgastraum. Der eine, halb unter Decken versteckt und aschfahl im Gesicht, mußte Lord Mountjoy sein. Der andere war zweifellos sein Diener. Er blickte wütend drein und hatte die Hand bereits auf den Pistolenkolben gelegt. Die Pistole steckte in seinem Gurt. Gardener hob die Hand. »Ruhig bleiben. Ich bin der Hauptmann der Stadtgarde von Plymouth. Ich bitte ergebenst um Verzeihung, den Grafen gestört und behindert zu haben, aber ich konnte mich nicht anders verhalten.« »Was wollen Sie?« sagte der Diener. »Sehen Sie nicht, wie der Graf leidet? Mein Gott, er muß so schnell wie möglich von Sir Freemont behandelt werden, sonst ...« Der Graf unterbrach ihn mit schwacher Stimme. »Lassen Sie den Hauptmann reden, Rigsby. Es scheint wichtig zu sein.« Und Gardener sprach. Es gelang ihm, die Geschehnisse um Sir Freemont in knappe Sätze zu kleiden, und er teilte dem Grafen seine Bestürzung mit. Da richtete sich der kranke Mann auf, streckte die Hand aus und sagte: »Hauptmann, ich erteile Ihnen hiermit kraft meiner Befehlsgewalt als Graf von Devon die Order, Sir Freemont sofort aus dem Gefängnis zu holen. Ich warte hier.« Schneller hatte Gardener selten salutiert. Er fuhr herum, kommandierte seine Männer und jagte dann mit ihnen wieder die Stufen zum Gefängniseingang hinauf. Unter seinen wuchtigen Faustschlägen gegen das Türholz wurde geöffnet, und Sekunden später hetzte das Aufgebot durch einen Innenhof und steuerte direkt auf den Seitentrakt zu, in dem der Hauptmann den Arzt wußte. Zwei Posten verstellten ihnen den Weg.
»Hier darf keiner rein«, sagte der eine unverblümt. »Im Namen des Grafen von Devon«, erwiderte Gardener. »Räumt den Weg. Es geht um Leben und Tod. Zur Seite, oder wir verschaffen uns mit Gewalt Einlaß.« »Das versucht mal!« rief der Posten. »Ihr habt hier gar nichts zu sagen. Friedensrichter Burton hat ...« Gardener riß die Faust hoch und ließ sie dem Mann unters Kinn krachen. Er stieß den Mann gegen seinen Kameraden, schlug auch diesen nieder und sagte: »Brecht das Tor auf, Männer. Beeilt euch.« Er ließ von den zusammensinkenden Wächtern ab und fügte noch hinzu: »Burton. Burton ist nicht allmächtig. Burton ist nicht König.« Die Garde rammte das Tor. Es flog unter zwei, drei heftigen Stößen auf, dann präsentierten sich neue Wachtposten mit gezückten Musketen. Sie wagten es aber nicht, auf die Soldaten zu schießen. Sie wurden niedergerannt und ihrer Waffen entledigt. Somit hatte das Aufgebot freie Bahn. Gardener war tatsächlich noch nie in diesem berüchtigten Trakt gewesen. Aber er kannte Beschreibungen. Er führte seine Männer mit größter Zielsicherheit in den Keller und durch Gänge und Seitengänge in einen saalgroßen, von Fackeln erhellten Raum. Hier bot sich seinen Augen ein Bild, das er nie in seinem Leben vergessen würde. Zwischen mannsdicken Säulen, die die Gewölbedecke abstützten, umstanden beide Friedensrichter und zwei halbnackte Kerle Sir Freemont. Sie hatten ihn bereits auf das Streckbett gebunden. Die Folterknechte hatten die Fäuste um die Hebel geschlossen, die die Winde drehten und Sir Freemonts Gliedmaßen in die Länge zerren würden. Holzkohlefeuer waren geschürt worden, damit der bedauernswerte Mann mit glühenden Zangen gezwackt werden konnte, andere Instrumente für das peinliche Verhör standen und lagen bereit. Dies war also Burtons streng geheimgehaltenes Zentrum für die »Behandlung« widerspenstiger Gefangener. Wie viele
Geständnisse hatte er hier schon armen Teufeln entlockt, um sich anschließend ihre Besitzungen anzueignen? Gardener war geschockt. Ja, er hatte schon einige Male gehört, daß sich Burton dieser Methoden bediente, aber sein Geist hatte sich wohl den Tatsachen verschlossen, hatte sie einfach nicht hinnehmen wollen, bevor er nicht mit der Nase daraufgestoßen wurde. Burton fuhr herum. Keymis blickte auch auf und stieß einen Fluch aus. Die Folterknechte hielten inne und schauten sich verblüfft an. Burton schnappte nach Luft. Er lief hochrot an und schien kurz vor einem Schlaganfall zu stehen. »Gardener - was hat das zu bedeuten? Wer hat Sie eingelassen?« »Ich«, sagte der Hauptmann. »Das bricht Ihnen das Genick!« schrie Keymis. Gardener fühlte sich sicher wie nie zuvor, als er kalt entgegnete: »Sir Freemont steht ab sofort unter dem Schutz der Stadtgarde und des Grafen von Devon. Der Graf wartet vor dem Gefängnis darauf, Sir Freemont unverzüglich zu sehen.«. * Das saß. Baldwin Keymis wollte aufbegehren. Burton hielt ihn am Arm zurück. Er hatte als erster begriffen, was die Stunde geschlagen hatte. Gardener sprach die Wahrheit, daran bestand kein Zweifel. Er wäre der letzte gewesen, der gewagt hätte, sie mit einem billigen Trick hinters Licht zu führen. »Ich hab’s gewußt«, sagte Keymis gepreßt. »Ich habe dir letzte Nacht schon gesagt, daß ich diesem Hund von einem Hauptmann nicht über den Weg traue.« »Das ändert nichts an den Tatsachen.« »Er lügt. Es gibt keinen Grafen von Devon draußen vorm Tor.«
»Ich kenne Gardener.« »Also doch, Samuel.« »Was, Baldwin?« »Du kapitulierst.« »Wir müssen es tun. Die Staatsräson verlangt es. Es gibt Grenzen. Ich will nicht meinen Kopf riskieren.« Gardener ließ seine Soldaten mit gezückten Musketen vortreten. Aber es war nicht nötig, den Arzt mit Gewalt zu befreien. Schon gab Burton den Folterknechten ein Zeichen. Sie banden Sir Freemont los. Zähneknirschend sahen die beiden Friedensrichter zu, wie sich der hagere Mann erhob und ihnen wissend zulächelte - der Mann, von dem sie zu erpressen gehofft hatten, wo sich der Seewolf und das sagenhafte Schatzschiff befanden. Sir Freemont trat zu Hauptmann William Gardener »Das ist eine glückliche Fügung des Schicksals«, sagte er ernst. »Und ich habe schon fast an einer überirdischen, ausgleichenden Gerechtigkeit gezweifelt.« Gardener wußte nicht recht, was er darauf antworten sollte. »Ich freue mich für Sie, Sir«, erwiderte er. Er tat drei Schritte nach vorn und stand vor Burton. Er streckte die Hand aus. »Bitte händigen Sie mir den goldenen Tukan aus, den Sie beschlagnahmt haben.« Burton zögerte nicht, aber er schnitt eine fast wehleidige Grimasse, als das wertvolle Stück den Besitzer wechselte. »Das büßt du«, sagte Keymis leise zu dem Hauptmann. »Sei still«, forderte Burton ihn auf. »Sie können mich nicht rügen«, entgegnete Gardener ruhig. »Sie wissen, daß ich meine Pflicht tue. Sie selbst haben den Bogen überspannt, nicht ich.« Er beschrieb eine zackige Wendung, setzte sich wieder an die Spitze seiner Männer und führte Sir Freemont mit sich aus dem Folterkeller. Keiner, weder Burton noch Keymis noch die beiden Folterknechte, trafen Anstalten, den Trupp am
Verlassen des Baus zu hindern. »Aber ich werde nicht aufgeben«, versicherte Keymis. Burton rang die fleischigen Hände. »Mein lieber Baldwin, ich glaube, du hast immer noch nicht richtig begriffen, welches Schwert da über uns geschwebt hat.« Instinktiv rieb er sich den Nacken. »Freemont genießt Immunität, aber für uns war es nur noch ein Schritt zur Vogelfreiheit und Verurteilung zum Tode. Dein Haß verblendet dich, deshalb siehst du es nicht ein.« Er wandte sich den Folterknechten zu. »Ihr sprecht nicht über das, was ihr hier vernommen habt. Ihr bezahlt mit eurem Leben, wenn ihr auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verliert.« »Jawohl, Sir«, erwiderten sie. »Ihr könnt gehen.« Burton wartete, bis sie fort waren, dann sagte er zu Keymis. »Wir mußten Freemont laufenlassen. Diese Sache ist kein Geschäft mehr für uns. Lassen wir die Finger davon.« Keymis musterte ihn in einer Mischung aus Verachtung und Hohn. »Geschäft? Für mich ist es mehr. Ich werde nach London reisen und alles daransetzen, diesem Philip Hasard Killigrew über den Lordkanzler eine Falle zu stellen. Eins ist mir nämlich klargeworden, Samuel. Der Seewolf will seine Beute tatsächlich der Königin übergeben. Der ist seiner ›Lissy‹, wie er sie nennt, wirklich und wahrhaftig treu ergeben. Der sture Hund.« »Der Narr«, pflichtete Burton ihm bei. Zur selben Zeit stieg Sir Anthony Abraham Freemont in die Kutsche des jungen Charles Blount, achter Lord Mountjoy, Graf von Devon. Hauptmann Gardener ließ sein Aufgebot salutieren, dann schloß der Diener Bigsby die Kutschentür. Shawn schnalzte mit der Zunge und ließ die Peitsche knallen. Das Vierergespann zog, die Kutsche ruckte an. Die Stadtgarde marschierte hinterdrein. »Ich bin Ihnen zu unendlichem Dank verpflichtet«, sagte Sir Freemont zu dem Grafen. »Ich hoffe, Sie entschuldigen meinen
Aufzug.« Er blickte an sich herab. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig. Der Graf brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Aber ich bitte Sie, mein Freund. Sie werden mir noch ausführlich über dieses Abenteuer berichten - wenn mir noch die Zeit bleibt.« »Ich möchte Sie gleich hier untersuchen.« »Ich bitte darum.« Sir Freemont legte mit wenigen Handgriffen den Oberkörper des Grafen frei und untersuchte die Wunden, die er sich zugezogen hatte. »Ein Unfall, Mylord?« fragte er. »Ja. Heute früh. Ich bin beim Morgenritt vom Pferd gestürzt und dummerweise in Morast gelandet. Dort muß ich mir die Vergiftung zugezogen haben. Alles Auswaschen und Verbinden der Wunden, die ich durch das Zaum- und Sattelzeug erlitten habe, hat nichts genutzt. Die Schmutzstoffe tun ihre Wirkung, die Blutvergiftung nimmt ihren Lauf. Das Fieber beginnt und der Starrkrampf wird mich lähmen, nicht wahr, Sir Freemont?« »Sie dürfen nicht soviel reden«, warnte Bigsby. »Sehr richtig«, meinte der Arzt. »Im übrigen ist es ein Glück, daß Sie sofort zu mir aufgebrochen sind, Mylord. Im Frühstadium einer solchen Vergiftung kann man dank neuer Medikamente heutzutage viel ausrichten.« »Das heißt?« Sir Freemont lächelte. »Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, daß ich Sie heilen werde. Ich würde das nicht sagen, wenn ich nicht überzeugt wäre.« 7. In der Nacht des 7. März 1580 fand an einem einsamen, düsteren Platz an der Nordküste von Cornwall eine heimliche Versammlung statt. Crocker, der Anführer der berüchtigten
Strandräuberbande, hatte gerufen, und alle waren erschienen. Ihr Tagungsort war eine Höhle, die man nur über einen schmalen, schlüpfrigen Felspfad erreichte. Die Höhle befand sich rund zehn Fuß oberhalb der Sohle einer steil aufragenden Gesteinswand. Sie verfügte über eine Art Sims, auf dem der natürliche Pfad endete, und führte tief in den Fels hinein. Rundum existierten noch etwa sechs dieser Höhlen, aber Crocker hatte die höchstgelegene gewählt. Sie war praktisch uneinnehmbar. Unten auf dem Sandstrand war ein Mann als Wache postiert. Oben, auf dem Gipfel des Felsens, stand ebenfalls ein bewaffneter Mann. Der geheime Schlupfwinkel lag nördlich von Bude, etwa dreieinhalb Meilen von der Stadt entfernt. Ganz in der Nähe der Höhlen befand sich Lower Sharpnose Point, und das Rauschen der Meeresbrandung war die Untermalung bei dem denkwürdigen Gespräch der Galgenvögel. Crocker hatte sämtliche Anhänger mobilisiert und dabei auch Randgruppen von Strauchdieben erfaßt. Von Devon und Cornwall waren sie angerückt - lichtscheues Gesindel der übelsten Sorte. Der Hinweis, es gelte ein Schatzschiff zu plündern, hatte sie angelockt wie der Teig die Maden. Im Schein eines winzigen Feuers hatten sie sich an die Höhlenwände gekauert. Eine Flasche ging reihum. Erwartungsvoll und lauernd blickten die Männer Crocker an. Crocker, ein Bulle von einem Kerl, hockte sehr dicht am Feuer. Der zuckende Lichtschein warf Schattenmuster auf sein wüstes Gesicht, was ihn noch brutaler erscheinen ließ. Er hatte eiskalte, wasserhelle Augen, die alles, nur keine Menschlichkeit, ausdrückten. Sein Gesicht war eine häßliche Wüste mit zerschlagener Nase und Rammkinn. Ein gedrungener Mann mit kurzen Armen und breiten Schultern erhob sich. Sein Name war Hamilton. Er sagte: »Spann uns nicht länger auf die Folter, Crocker.
Spuck’s aus, was das für ein Schiff ist, wegen dem du uns gerufen hast.« »Seit wann bist du eigentlich so darauf erpicht, daß wir uns mit dir zusammentun?« wollte ein anderer wissen. Soweit Crocker sich entsann, stammte er aus Devon, und zwar aus der Gegend um Witheridge. »Wie heißt du?« fragte Crocker. »Rughes, warum?« »Hör zu, Rughes, warum bist du hier erschienen, wenn du was gegen eine Zusammenarbeit hast?« »Das habe ich damit nicht sagen wollen.« Crocker stocherte mit einem Stock in der Feuerglut herum. »Also, die Sache ist ganz einfach. Wir haben es da mit einem gewaltigen Brocken zu tun. Ist verdammt schwer zu knacken. Er wird von Kerlen gehütet, die mit allen Wassern gewaschen sind. Eine Kostprobe davon habe ich zu spüren gekriegt.« Er sah Hamilton an, dann Rughes, dann die anderen. »Ich brauche jeden Mann. Jeden.« Einer, den sie Blair nannten, stand jetzt auf. Sein schwarzer Vollbart war dicht, seine großen dunklen Augen funkelten, und er trug eine Messernarbe quer über dem Gesicht. Sein Kopf war mit einem breitkrempigen schwarzen Hut bedeckt. Jeder unbescholtene Bürger nahm allein bei seinem Anblick vor ihm Reißaus. »Wir anderen, die wir nicht zu deiner Bande zählen, sollen uns also deinem Kommando unterstellen«, sagte er. Crocker fuhr hoch. Er riß den Stock empor. Etwas Glut stob auf und flog durch die Höhle. Einige Männer zuckten zusammen. Sie duckten sich in einer Abwehrreaktion und tasteten nach ihren Waffen. Aber es gab keine Waffen, denn Crocker hatte sie zuvor wohlweislich einsammeln lassen. Auch seine Pistole und sein Messer waren auf dem Berg gelandet, der sich unten auf dem Sandstrand angehäuft hatte. Gleich daneben standen die Musketen, sie waren mit den Läufen
bündelförmig gegeneinandergelehnt. O ja, Crocker hatte gewußt, was er da verlangte. Die nicht zur Bande Gehörigen konnten leicht Schwierigkeiten bereiten. Jeder von ihnen war ein Vulkan an Temperament und Angriffslust. Ein Funke genügte, um eine Explosion hervorzurufen. Crocker hatte Erfahrung im Umgang mit Untergebenen. Man mußte sie gleich von Anfang an zusammenstauchen und ihnen klar und deutlich auseinandersetzen, wer den Ton angab. Sonst kriegte man später Verdruß. »Hamilton, Rughes und Blair und wie ihr alle heißt«, rief er mit dröhnender Stimme. »Daß wir uns einig sind: Es kann in diesem Unternehmen nur einen Anführer geben, und das bin ich. Wem das nicht in den Kram paßt, der soll sich jetzt gleich wegscheren. Noch Fragen?« Blair grinste. »Wie sollen wir uns entscheiden, wenn wir immer noch keine Ahnung haben, um was es überhaupt geht?« Crocker schritt über das Feuer hinweg und baute sich breitbeinig vor ihm auf. Er stemmte die Fäuste in die Seiten. »Wir haben uns doch verstanden, oder? Spiel dich hier nicht wie ein Narr auf, Blair.« »Du spuckst große Töne.« »Suchst du Streit? Bist du deswegen erschienen?« Blair sah in der zuckenden Feuerglut wie der Teufel höchstpersönlich aus. Er sah in Crockers Augen. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Eine Weile standen sie so, und es sah aus, als wollten sie sich gegenseitig an die Gurgel springen. Es war eine stumme Kraftprobe. Blair entspannte schließlich seine Züge. »In Ordnung, Crocker. Ich bin dabei, vorausgesetzt, du verlangst nichts Unmögliches. Ich habe vier Männer mitgebracht.« Lachend schlug Crocker ihm auf die Schulter. »Gut. Du wirst es nicht bereuen, dich mit mir auf diesen Zug zu begeben.« Er fuhr herum. »Hat noch jemand was zu sagen?«
Schweigen breitete sich aus. Es wurde durch ein Scharren vor der Höhle unterbrochen. Alle Blicke richteten sich zum Ausgang. Der Posten, der unten am Strand gestanden hatte, schaute herein und sagte: »Alles in Ordnung, Crocker?« »Ja. Geh wieder.« »Ich habe jemanden brüllen hören.« Crocker zeigte seine breiten Zahnreihen. »Schon gut. Das war ich. Hau jetzt ab, du Ratte.« Er trat zurück auf seinen Platz, setzte sich und stocherte wieder mit dem Stock in der Glut herum. »Folgendes also. Das Schiff, um das es sich handelt, ist eine stattliche Dreimastgaleone. Wahrscheinlich ein Freibeuterschiff der Königin. Wir werden es plündern. Ich weiß, daß es sich lohnt, denn meine Männer belauschten in Bude einige Besatzungsmitglieder, die sich dann in der Kneipe Bude Bay mit ein paar Fischern und Knechten herumprügelten. Ihr hättet mal sehen müssen, wie diese Kerle rumhurten und mit Münzen förmlich um sich warfen. Prassen war da schon untertrieben.« »Warum habt ihr die Henne nicht sofort ausgenommen?« wollte Shutt, ein dünner Mann mit Vogelgesicht, Wissen. Crockers Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Wir haben einen Boten abgefangen, der vom Schiff kam. Er hatte Gold und Perlen bei sich. Aber der Hund konnte uns durch eine List entwischen.« Schwaches Bild, wollte Blair sagen. Es lag ihm auf der Zunge, aber dann bremste er sich doch. Crocker war in dieser Beziehung empfindlich. Es hatte keinen Zweck, sich mit ihm anzulegen. »So weit, so gut«, meinte Hughes. »Aber wie groß ist die Beute nun?« Crocker grinste. »Gewaltig, habe ich gesagt. Im Schiffsbauch müssen Unmengen Gold, Silber, Perlen und Edelsteine aus der
Neuen Welt lagern. Das ist genug, um uns alle bis ans Ende unserer Tage reich zu machen. Reizt euch das nicht?« »Doch«, sagte Hamilton. »Und je eher wir zuschlagen, desto besser.« »Wann geht es los?« rief jemand. »Brechen wir noch diese Nacht auf«, schlug ein anderer vor. »Wo liegt der Kahn denn?« erkundigte sich Shutt. Crocker hob beide Hände. »Ruhe. Ich kenne den Liegeplatz genau. Meine Männer sind zum Teil auch schon darüber im Bilde. Also, es handelt sich um eine versteckte Bucht in der Mündung des Bude River, und die Galeone ankert nur etwa dreißig Yards vom Land entfernt. ›Isabella‹ heißt sie übrigens.« »Isabella, die Milchkuh«, sagte Blair. »Goldenes Kalb ist wohl besser«, meinte Rughes, und die ganze Meute lachte vor Vergnügen. Crocker wartete, bis wieder Stille eintrat. »Ich will jetzt Unterführer ernennen«, sagte er. »Wir werden uns in Gruppen teilen, und da muß jede natürlich ihren Kopf haben. Alle unterstehen aber mir, daran ändert sich nichts.« »Klarer Fall«, erwiderte Blair. »Blair, du bist der erste Unterführer.« Crocker hob den Stock und benutzte ihn als Zeigestab. »Hamilton, Rughes und Shutt, ich ernenne euch zu den anderen drei Unterführern. Und nun zu meinem Schlachtplan. Wir nehmen einen Zangenangriff vor, kapiert? Es bietet sich förmlich an. Eine Hälfte von uns greift mit Booten von See her an, die anderen marschieren an Land auf und legen die kurze Entfernung zur Galeone schwimmend zurück. Oder, wenn wir genügend Boote schnappen, in Kähnen, damit sie keine nassen Ärsche kriegen.« Shutt lachte glucksend. »Dann ist bloß noch das Problem, woher kriegen wir die Boote.« »Von Fischern«, entgegnete Crocker.
»Ja«, sagte Blair. »Wir klopfen an ihre Hütten und fragen ganz höflich, ob wir uns mal ihre dämlichen Nußschalen ausleihen dürfen.« Wieder hallte Gelächter durch die Höhle. Crocker war zufrieden. Der Bann war gebrochen. Seine Kumpane waren fasziniert von dem Plan, ihre Gier war geweckt, sie konnten es kaum, noch erwarten, über die Galeone herzufallen und die Mannschaft niederzumetzeln. »Ruhe!« brüllte Crocker. Augenblicklich verstummten die Kerle. »Mitternacht vom 8. auf den 9. März wird unsere Stunde sein. Bis dahin haben wir genügend Zeit, die Boote zu klauen. Blair, du ziehst mit deinem Haufen nach Bude und siehst zu, dir so viele wie möglich unter den Nagel zu reißen. Hamilton!« »Crocker?« »Du wählst ein halbes Dutzend Burschen aus und machst dich mit ihnen nach Flexbury auf den Weg, um dort das gleiche zu unternehmen. Daß ihr euch nicht packen lassen dürft, brauche ich wohl nicht noch erst zu erwähnen.« Die Unterführer schnitten Grimassen, als wollten sie sagen: Na, hör mal, für wen hältst du uns eigentlich? Sie äußerten aber nichts, weil sie inzwischen begriffen hatten, daß Crocker Schwätzer nicht leiden konnte. »Sammelpunkt ist hier, bei Lower Sharpnose Point«, fuhr Crocker fort. »Wer nicht pünktlich bei Dunkelwerden am morgigen Abend zurück ist, hat Pech gehabt. Auf Nachzüglicher warten wir nicht. Noch Fragen?« »Wie teilen wir die Beute?« sagte Blair. Crocker schaute zu ihm auf, »Gerecht. Jeder kriegt seinen Batzen, keiner zu wenig, keiner zuviel. Noch Fragen?« »Jetzt nicht mehr.« Crocker stieß seinen Stock in die Feuerstelle, daß die Funken sprühten und wirbelten. »Tod den Freibeutern! Der Teufel wird sich freuen. Das wird ein Fest. Ich will verdammt sein, wenn
wir die ›Isabella‹, diese bepißte Jungfrau, nicht mit Haut und Haaren vernaschen.« * »Du bist schön«, sagte Pete Halcox. »Habe ich dir das noch nie gesagt?« Mary Greenfield lächelte, zog ihn zu sich heran und küßte ihn auf den Mund. »Tausendmal«, flüsterte sie dann. »Aber es gefällt mir, wenn du dich wiederholst.« Er nestelte aufgeregt an den Trägern ihres Kleides herum und schob sie ihr über die Schultern. Zwischen den Duchten einer Schaluppe war es nicht besonders bequem, aber man war ungestört. Pete, der junge, gut gebaute und blendend aussehende Sohn eines Fischers von Bude, spürte, wie sein Herz schneller und schneller schlug, Und um die Lenden herum wurde es ihm heiß, sehr heiß. »Mein Mann bringt dich um, wenn er uns ertappt«, sagte sie hastig. »Er findet uns nicht. Schläft er?« »Als ich aus dem Haus schlich, wie ein Murmeltier.« »Er erfährt nichts.« »Niemals?« »Niemals. Wir sind zu geschickt für ihn. Er ist ein Tölpel.« Pete schob ihr die Hand in den Ausschnitt. Was er fand, brachte sein Blut noch mehr in Wallung. »O Pete«, hauchte Mary. Sie war schon über Dreißig, aber ihre Schönheit hatte deswegen keineswegs eine Einbuße erlitten. Im Gegenteil, sie war eher zur Vollkommenheit ausgereift - eine Augenweide für jeden Mann, der Traum jedes Heranwachsenden aus Bude. Pete hatte sie einmal beim Spaziergang auf den Klippfelsen
begleitet. Sie war gestolpert und fast gefallen, und er hatte sie aufgefangen, und dann hatte sich jener erste, brennende Kuß ganz von selbst ergeben. Von da an war es eine ausgemachte Sache gewesen. Fischer Greenfield sollte Hörner aufgesetzt bekommen. Ein ganzes Hirschgeweih. Es war soweit. »Ich liebe dich«, sagte Pete, während er Mary mit den Händen bearbeitete. »Ich dich auch«, raunte sie. »Aber sei leise.« Er küßte sie und zog sie dabei aus. Fast war er am Ziel seiner Wünsche angelangt, da erstarrte Mary plötzlich und legte ihm ihre kleine Hand auf den Mund. »Pst! Ganz still. Hörst du nicht?« »Was?« forschte er undeutlich. »Stimmen«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Männerstimmen. Mein Gott, ich habe solche Angst. Wenn nun mein Mann ...« »Er schläft tief und fest«, brummte Pete. Dann vernahm er aber auch die Stimmen mehrerer Männer. Sie näherten sich, unterhielten sich gedämpft und schienen irgend etwas bei den auf dem Strand ruhenden Schaluppen der Fischer von Bude vorzuhaben, denn sie hielten genau darauf zu. Pete wollte über das Dollbord der Schaluppe lugen, aber Mary hielt ihn zurück. Etwas knirschte auf sandigem Untergrund. Jemand keuchte. Pete hatte doppelt so viel Kraft wie Mary. Er machte sich frei und riskierte nun doch einen Blick. Er erblickte die düsteren Gestalten von sechs Männern. Einer von ihnen trug einen breitkrempigen Hut. Er schien auch einen Bart zu haben. Pete Halcox war überzeugt, sie nie zuvor gesehen zu haben. Wer immer sie waren, sie schoben eines der vorderen Boote auf die Brandung zu. Sie arbeiteten rasch und konzentriert. »He«, sagte Pete verdutzt. »Die stehlen ja. Und das Boot dort - es gehört meinem Vater!« Er war aus der Schaluppe, bevor Mary Greenfield ihn daran
hindern konnte. Vorerst beschloß sie, nur eins zu tun: Sie knöpfte sich das Kleid zu. Pete rannte auf nackten Fußsohlen zu den fremden Männern. »Heda!« rief er. »Aufhören! Was fällt euch ein? Das ist mein Boot! Ich rufe den Konstabler. Ich trommle ganz Bude wach, wenn ihr nicht sofort verschwindet.« Sie ließen von der Schaluppe ab und fuhren herum. Blair, ihr Anführer, besaß die Geistesgegenwart, beschwörend die Hände zu heben. »Bitte nicht! Haben Sie doch ein Herz! Wir wollten nur nachsehen, ob sich in dem Boot etwas Eßbares befindet. Wir haben Hunger.« »Vagabunden also«, sagte Pete wütend. »Lumpenpack.« Er fühlte sich stark und überlegen. Er stapfte auf sie zu. »Euch sollte man mit den Köpfen nach unten auf dem Marktplatz aufhängen und öffentlich bespucken lassen. Wartet, ich will mir eure Visagen ansehen.« Blair bedeutete seinen Männern, nichts zu unternehmen. Er wartete auf den jungen Mann. Als er vor ihm stand und sich ihre Leiber fast berührten, zückte Blair das Messer. Pete Halcox sah es und wehrte sich. Es nutzte ihm nichts. Blair trieb ihm die Klinge ins Herz. Er riß sie wieder heraus und fing den zusammensackenden Pete auf. Ohne eine Miene zu verziehen, sagte er: »Weitermachen. Wir binden diesem Narren einen Stein ans Bein, nehmen ihn mit auf See und werfen ihn den Fischen zum Fraß vor.« Mary Greenfield wagte es, Ausschau zu halten und gewahrte, wie die Mörder zwei Boote zu Wasser brachten, hineinkletterten und durch die Brandung pullten. Pete Halcox befand sich nun an Bord des einen Bootes, und er regte sich nicht mehr. Mary hatte gehört, was der Schwarzbärtige mit dem Hut gesagt hatte. Zitternd kauerte sie noch Minuten zwischen den Duchten. Erst dann nahm sie sich ein Herz und ließ sich auf den Strand sinken. Sie fiel hin, schluchzte, stand wieder auf und rannte in
panischer Flucht davon. Später öffnete sie mit fliegenden Fingern die Hintertür ihres Hauses. Im Bett vergrub sie ihr Gesicht verzweifelt im Kissen. Sie war froh, daß ihr Mann, der neben ihr ruhte, einen so gesunden Schlaf hatte. Er wachte nicht auf. Mary Greenfield wußte, daß man am nächsten Tag, dem 8. März, nach Pete Halcox zu suchen beginnen würde. Aber sie würde keine Hinweise auf das gräßliche Geschehen der Nacht geben können, denn damit würde unweigerlich auch herauskommen, wie sie es mit der ehelichen Treue hielt. Und sie würde sich auch nie wieder mit einem Liebhaber am Strand in einem Boot treffen können. Nie wieder. 8. Der Morgen des 8. März 1580 präsentierte sich den Männern der ›Isabella V.‹ grau und eintönig. Der Himmel war völlig wolkenverhangen, ein steifer Wind blies aus Südwesten fast parallel zur Küste. Jean Ribault hatte wieder seinen Posten als Ausguck bezogen. Nach Dan O’Flynn hatte er schließlich bewiesenermaßen die schärfsten Augen an Bord. Er teilte den Hauptmars wieder einmal mit Arwenack, dem Schimpansenjungen. Arwenack hatte irgendwo doch noch einige Rosinen aufgestöbert, obwohl Jean der festen Meinung gewesen war, sie wären nun endgültig alle. Arwenack schob sich eine Rosine nach der anderen ins Maul und zerkaute sie schmatzend. »Du bist unersättlich, mon ami«, sagte der Franzose. Arwenack ließ sich nicht beirren. Unverdrossen kaute er weiter. »Manieren hast du immer noch keine, obwohl wir dir inzwischen sogar einen feinen Anzug verpaßt haben.« Jean
wies auf die Jacke und Hose aus Segeltuch. Der Schimpanse trug sie, weil es in diesen Breiten zu kalt für ihn war. Arwenack knackte mit den Zähnen Rosinen und schluckte sie herunter. »Wenn du aufhörst, spreche ich dir ein Lob aus«, sagte Jean. Arwenack war taub. »Wenn du aufhörst, kriegst du zum Mittagessen eine Extraration und einen Schluck Whisky.« Jean führte ein imaginäres Glas an seine Lippen, legte den Kopf in den Nacken und machte »Gluck-gluck«. Da begriff der Affe. Er stellte das Kauen ein, steckte die Rosinen weg und faltete brav die Hände. Er grunzte leise und rollte mit den Augen. »Du bist ein Ehrenmann von Format«, teilte Jean ihm ernst mit. »Ich wußte es.« Die erquickliche Unterhaltung fand ihr Ende, als Jean das Spektiv zur Hand nahm und die Kimm routinemäßig absuchte. Plötzlich verharrte er. Arwenack richtete sich auf und reckte den Hals. »Mastspitzen«, sagte Jean. Dann beugte er sich über die Segeltuchverkleidung des Großmarses, legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund und rief es nach unten. Ben Brighton, Ferris Tucker und Big Old Shahe schauten vom Achterdeck auf. Der alte O’Flynn befand sich bei Carberry in der Kuhl, beide hoben witternd die Köpfe. Matt Davies, Karl von Hutten und die anderen von der Crew, die sich gerade auf Deck aufhielten, blickten nicht minder interessiert. »Abwechslung?« sagte Carberry. »Das kann doch wohl nicht möglich sein. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, hier allmählich vor Langeweile zu verschimmeln - hol’s der Henker.« »Du willst Verdruß?« fragte der alte Donegal Daniel O’Flynn. »Habe ich das gesagt?« Der Profos grinste.
»Es fragt sich doch überhaupt, wer der einsame Segler dort draußen ist - Freund oder Feind.« »Und wenn’s ein Gegner ist?« »Er zieht bestimmt vorbei.« »Drei Masten«, meldete Jean jetzt lautstark aus dem Großmars. »Er ist platt vor dem Wind gelaufen, aber jetzt hält er auf uns zu.« Carberry stieß den alten O’Flynn mit dem Ellenbogen an. »Hab ich’s nicht gesagt?« »Aus dir soll einer schlau werden.« Ben Brighton war mit Ferris Tucker und Shane an das Backbordschanzkleid des Achterkastells getreten. Er hob den Kieker ans Auge und blickte hindurch. Die Optik ließ zunächst wenig von dem fremden Schiff erkennen, denn Morgendunst dehnte sich in weiten Schleiern unmittelbar über der Wasserfläche aus. Dann aber schälten sich die Konturen des Dreimasters allmählich heraus. Ben sah den Vorsteven und den Bug mit dem steil aufragenden Bugspriet, darunter blähte sich die Blinde. Das Schiff segelte mit dichtgeholten Segeln über Backbordbug. Es pflügte die See, seine Bugsee war ein hoher, geschwungener Doppelschweif, der zu den Seiten abfiel und den Rumpf zu rahmen schien. Bauart und Takelung verrieten Ben, um welche Art Schiff es sich handelte. »Eine Karavelle«, sagte er. »Eine Karavelle!« rief nun auch Jean Ribault aus dem Großmars. Ferris Tucker runzelte die Stirn. »Wer, zum Teufel, ist das? Ein Engländer? Ein Spanier? Irgendein Freibeuter?« »Ich habe da ein merkwürdiges Gefühl«, sagte Shane, der Schmied und Waffenmeister von Arwenack. Seine mächtigen Fäuste umspannten die Handleiste der Reling. Er war ein Koloß von Mann. Sein wirres Bartgestrüpp reichte ihm fast bis auf die Brust, seine Haare stellten sich widerspenstig im Wind
auf, seine grauen Augen schienen Feuer zu versprühen. »Eigentlich ist es mehr eine Ahnung«, fügte er hinzu. »Und zwar?« fragte Ben. »Die Kriegskaravelle ›War Song‹ - habt ihr die ganz vergessen?« »Himmel«, sagte Ferris. »Sie wird längst nach Plymouth zurückgesegelt sein, nachdem die Auseinandersetzung mit Sir John Killigrew ein Ende gefunden hat.« Was sich nach dem Gefecht der ›Isabella‹ mit der ›War Song‹ genau abgespielt hatte, konnten sie sich nur ausmalen. Fest stand aber folgendes: Dan O’Flynn war auf das Geheiß des Seewolfes hin von Plymouth aufgebrochen, um nach der ›Isabella‹ zu forschen. Dabei hatte er - und zwar in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar - in einer Bucht bei Pentire Point an der Nordküste von Cornwall sowohl die Kriegskaravelle als auch eine Schaluppe entdeckt. Dan hatte Sir John an Bord der Karavelle erkannt, und einem Wortwechsel hatte er auch entnommen, daß der Kapitän der Schaluppe Sir Johns sauberer Sproß Llewellyn war. Dan hatte sich einiges klarmachen können, vor allem natürlich, daß sich die Schiffe auf der Jagd nach der ›Isabella‹ befanden. Daher hatte er die Ankertrossen gekappt. Sein Anschlag war gelungen - beide Schiffe waren bei ablandigem Wind hinaus auf See getrieben. Später war Dan dann Zeuge geworden, wie Sir John und seine Bande ein paar Meilen vor Tintagel an Land gesetzt worden waren. Da hatte er beschlossen, ein bißchen »Gespenst« zu spielen und den Kerlen in Einzelaktionen das kalte Grausen beizubringen. Es war ihm auch geglückt. Besonderen Aufruhr hatte es in Tintagel gegeben, als er Sir John mit einer Schleuder einen Stein gegen den Kopf gepfeffert hatte. Da hatten seine Männer wirklich vor dem »Geist des König Artus« zu schaudern begonnen. Dan hatte sich verstecken können. Sir John, wutschnaubender
denn je, hatte eine Einmastschaluppe »requiriert«, um erneut die ›Isabella‹ zu suchen, aber auch diesmal hatte der junge O’Flynn ihm einen dicken Strich durch die Rechung gezogen. Heimlich hatte er nachts die Wanten und das Vorstag des Schaluppenmastes angeschnitten. Am Tag darauf war Sir John in See gegangen, doch dann, bei hartem, auflandigem Wind, war der Mast gebrochen und die Schaluppe war zwischen Riffs vor der Küste zerschellt. Die Männer der ›Isabella V.‹ waren vor Schadenfreude fast außer Rand und Band geraten, als Dan ihnen das erzählt hatte. Gleichzeitig hatte sich auch wieder das gute Bild bestätigt, das sie von Bootsmann Sullivan von der ›War Song‹ gewonnen hatten. Kein anderer als Sullivan konnte Sir John und dessen Strolche an Land gesetzt haben. Sullivan war der Königin treu ergeben, das verbündete ihn mit der ›Isabella‹-Crew und stellte ihn gegen Sir John. Jean Ribault meldete sich wieder. »He, ho, Männer, das ist die ›War Song‹!« rief er. Shane blickte Ferris an. Ferris war jetzt noch nachdenklicher. »Moment mal«, sagte er. »Mir ist die Sache nicht ganz geheuer. Was will die Karavelle hier? Uns suchen? Warum?« »Das wissen die Götter«, entgegnete Shane. »Aber ich halte es für ausgeschlossen, daß sie uns in unserer Bucht entdeckt.« »Da würde ich nicht so sicher sein«, meinte Ben Brighton. Er hatte rasch seinen Entschluß gef aßt, wandte sich nun von der Backbordreling ab und trat nach vorn an die Balustrade, die den Querabschluß zwischen Achterdeck und Quarterdeck bildete. »Profos!« »Sir?« »Alle Mann auf Gefechtsstation! Klar Schiff zum Gefecht.« »Aye, aye, Sir!« Und Carberry gab seine Kommandos. Zwar brüllte er nicht, denn es bestand die Gefahr, daß sein gewaltiges Organ bis an
Bord der Karavelle gehört wurde. Aber er spickte seine Befehle mit den üblichen Ausdrücken wie »ihr Affenärsche« und »ihr Rübenschweine«, »miese Kakerlaken« und »gesengte Säue«, ein ganzes Stakkato von Flüchen, das seiner Meinung nach einfach bei keinem Manöver fehlen durfte. Die Kombüsenfeuer brauchten nicht gelöscht zu werden. Die Decks wurden nur wie üblich mit Sand bestreut, es wurde Seewasser zum Befeuchten der Wischer in Holzkübeln herauf gezogen, und zur selben Zeit schwangen die Stückpforten hoch. Die Brooktaue wurden gelöst, die Culverinen rumpelten aus und wurden in Ladestellung gebracht. Während auf beiden Seiten der Kuhl die Vorbereitungen an den 17-Pfündern auf Hochtouren liefen, wurden auch auf der Back und auf dem Achterkastell die Drehbassen geladen und in Feuerstellung gebracht. Ben Brighton verfolgte wieder durch den Kieker, welche Manöver die Karavelle unternahm. Sie hielt ihren Kurs stur und segelte jetzt geradewegs in die Mündung des Bude. Ben wurde von quälenden Fragen geplagt. Sullivan war ein aufrechter Kerl, schön und gut. Aber welche Order hatte er? Und - befand sich etwa Sir John doch wieder an Bord? Das hätte Kampf bedeutet, Verschleiß an Material und Menschenopfer - kompromißlos bis zum letzten. Jean Ribault stieß oben im Mars einen Fluch in seiner Muttersprache aus. Ben winkte ihm zu. Er hatte schon verstanden. Der Bewegung der ›War Song‹ war zu entnehmen, daß ihre Besatzung nun auch die ›Isabella‹ entdeckt hatte. Daran ließ sich nicht rütteln. Wieder luvte die Karavelle etwas an, bis sie hart am Wind segelte. Sie tat das fast spielend. Sie war ein schnelleres und wendigeres Schiff als die behäbige ›Isabella‹. Galeonen waren vornehmlich Raumschotsegler, man konnte ihnen nicht abverlangen, was man mit einer Karavelle anstellen konnte. Bei einer Seeschlacht konnten diese Dinge von entscheidender
Bedeutung sein. Ben und die anderen wußten das nur allzu genau. Die ›Isabella IV.‹ war eine Karavelle gewesen. Sie hatten sie im Golf von Darien aufgebracht und gekapert. Später hatte der Seewolf die unglaubliche Kühnheit besessen, einem spanischen Konvoi von über dreißig Galeonen seinen »Geleitschutz« anzubieten - und Don Francisco Rodriguez, dem GeneralKapitän, sein Flaggschiff ›San Josefe‹ abzunehmen. Die ›San Josefe‹ war die fünfte ›Isabella‹ geworden, denn für die Atlantiküberquerung benötigte Philip Hasard Killigrew ein größeres Schiff als die Karavelle. Sie war ideal für den Transport der immensen Schatzbeute, und sie bot auch alle Voraussetzungen, um Gold, Silber, Perlen und Edelsteine zu verteidigen - sie war eine schwimmende Festung mit zwölf 17 Pfündern auf jeder Seite der Kuhl und insgesamt zehn Drehbassen. Der Seewolf hatte es immer Verstanden, die jeweiligen Schiffe nach seinen Bedürfnissen auszuwählen. Er benötigte keinen Schnellsegler zum Kapern mehr, er brauchte ein Kastell zur See, das kein Gegner erobern konnte. Einige Widersacher hatten schon zu spüren bekommen, was in diesem Schiff mit dieser Crew steckte. Nicht nur Sir John hatte sie wiederholt zurückgeschlagen, auch einem Verband der Spanier, der tolldreist und verwegen bei Falmouth hatte landen wollen, hatte sie Paroli geboten. Und jetzt war Ben Brighton entschlossen, auch die Karavelle ›War Song‹ zu den Fischen zu schicken - wenn es sein mußte. Die Crew stand klar bei Lunten, als sich die ›War Song‹ in die Bucht schob. Schweigen hatte sich an Bord ausgebreitet. Carberry und die Crew zeigten angespannte Mienen. Auf was warten wir, stand darin zu lesen. Ben Brighton suchte mit dem Spektiv die Decks der Karavelle ab. Er trachtete danach, irgendwo die Gestalt von Bootsmann Sullivan zu erkennen. Und dann sah er ihn, sah den stämmigen Mann mit den breiten Schultern, wie er sich weit
außenbords lehnte und aufgeregt winkte. Die Karavelle war schon so weit heran, daß Ben auch sein Gesicht groß genug vor Augen hatte. Er stellte fest, daß Sullivan fröhlich grinste - und damit war der Bann gebrochen. »He!« rief Ben. »Sie kommen als Freunde!« Carberry drehte sich um und schaute herauf. »Wir knallen ihm also keins vor den Bug?« »Nein, du Barsch«, erwiderte Shane drohend. »Dir juckt es wohl in den Fingern, was?« sagte der alte O’Flynn. »Was ihr immer habt«, brummte Carberry. »Man wird doch wohl noch einen Witz reißen dürfen, was, wie?« Beim Eingang der Bucht ließ Sullivan sein Schiff fast in den Wind drehen, so daß es an Fahrt verlor. Die Segel wurden aufgegeit, der Anker rauschte aus, und wenig später wurde das Beiboot an seinen Galgen abgefiert und zu Wasser gelassen. Etwas mehr als ein halbes Dutzend Männer, allen voran Sullivan, enterte an der Jakobsleiter ab und begab sich an Bord. Die Männer pullten das Boot zur ›Isabella‹ herüber. Ben brauchte Carberry kein Zeichen zu geben, er sorgte schon dafür, daß eine Jakobsleiter oben am Backbordschanzkleid der Kuhl belegt und dann abgelassen wurde. Kurz darauf stiegen die Männer der ›War Song‹ an Bord. Ben, Ferris, Shane, Carberry und der alte O’Flynn bildeten den Kopf der Gruppe, die Sullivan empfing. »Na!« sagte Ferris. »Braucht ihr wieder ein Notruder?« Sullivan lachte und streckte die Hand zur Begrüßung aus. »Diesmal nicht, Freunde, aber ich werde euch nie vergessen, wie fair ihr euch nach unserem vertrackten Gefecht verhalten habt.« Ben drückte die ihm dargebotene Hand. »Was führt euch zu uns? Können wir was für euch tun?« »Ich habe euch aus eigenem Entschluß gesucht«, erklärte Sullivan mit plötzlichem Ernst. »Wir sind Sir John, diesen
Verräter und Galgenstrick, endgültig los, und jetzt geht es mir darum, die für die Königin bestimmten Reichtümer zusammen mit euch zu schützen und zu sichern. Wenn ihr damit einverstanden seid! Ich hoffe aber, ihr schlagt mein Anerbieten nicht aus. Es ist ehrlich.« »Mit anderen Worten, ihr wollt uns eine Art Geleitschutz geben?« »Ja.« »Ich nehme gern an.« Sullivan strahlte. »Großartig. Wir werden uns schon zusammenraufen. Leider habe ich nur noch sage und schreibe elf Mann von meiner Stammcrew. Das ist nicht viel, um mit einer Karavelle voll aktiv zu werden. Immerhin hat sie auf jeder Seite zehn Stückpforten und vorn und achtern je zwei Drehbassen. Im Fall eines Gefechtes hätte unser Haufen alle Hände voll zu tun, aber das ist immer noch besser als gar nichts, oder?« »Das meine ich auch«, erwiderte Ben. »Himmel, ihr habt also arg Federn lassen müssen.« »Ja«, sagte Sullivan grimmig. »Und das alles wegen dieses Teufels John Killigrew.« Er berichtete, welchen Ärger er mit Sir John gehabt hatte. Zwar kannten Ben und die Crew schon die Version, die Dan O’Flynn ihnen geliefert hatte, aber die vermittelte ja praktisch nur einen Eindruck vom Ende des Ganzen. Sullivan indessen schilderte, wie es nach der Schlacht bei Lizart Point an Bord der ›War Song‹ zugegangen war. Er hatte den Fehler begangen, Sir John nicht scharf genug bewachen zu lassen. Der Mann hatte sich befreit, hatte sein Häufchen Männer um sich geschart und das Kommando an sich gerissen. In Falmouth hatte er die schwer angeschlagene Karavelle reparieren und die von Will Thorne hergestellten Notsegel und das von Ferris Tucker gebastelte Notruder durch vollwärtige Stücke ersetzen lassen. Anschließend war er mit
der Karavelle und einer Schaluppe unter der Führung seines sauberen Sohnes Llewellyn ausgelaufen, um die ›Isabella‹ zu jagen - und dann hatte Dan O’Flynn in jener besagten Nacht die Ankertrossen der beiden Schiffe gekappt. Was hatte sich danach abgespielt? Sullivan hatte wieder Oberhand über seine ›War Song‹ gewonnen. Die Schaluppe war auf ein Riff gelaufen und hatte von der Karavelle befreit werden müssen - Sir John hatte die Chance genutzt, um von neuem einen Kampf vom Zaune zu brechen. Sullivan hatte das Achterkastell besetzt und gegen Sir John und dessen Meute verteidigt. Als Llewellyn auf Sir Johns Befehl mit der Schaluppe angegriffen hatte, hatte Sullivan sie kurzerhand versenkt. Danach hatte er auch Sir John mit seiner Restmannschaft von zwölf Männern überwältigt und mit eisernen Manschetten in der Vorpiek fesseln lassen. Llewellyn war als einziger Überlebender der Schaluppe aus dem Meer gezogen worden. Doch damit war es noch nicht ausgestanden. Mit verbitterten Mienen lauschten Ben Brighton und seine Männer, wie Bootsmann Sullivan fortfuhr: Sir John hatte es trotz Ketten geschafft, zwei Männer der ›War Song‹-Stammcrew zu ermorden. Sullivan hatte die Mörder bei Tintagel ausgesetzt. Hier knüpfte wieder die Schilderung Dan O’Flynns an, und Sullivan und seine Begleiter hörten verblüfft und belustigt zugleich zu, wie der alte O’Flynn ihnen die Ereignisse in Tintagel vor Augen führte. »Seither hat keiner von uns den Hund wiedergesehen«, schloß Donegal Daniel O’Flynn. Er hatte ja auch seine Gründe, mit Sir John auf Kriegsfuß zu stehen. Als die Spanier Falmouth überfallen und Gefangene gemacht hatten, hatte Sir John keinen Finger für ihn gekrümmt. »Wir auch nicht«, meinte Sullivan. »Er soll sich auch bloß nicht blicken lassen, sonst kriegt er von uns den Rest.« Ben betrachtete die Männer der ›War Song‹. Nein, sie sahen
weiß Gott nicht so aus, als würden sie beim ersten Schuß gleich die Köpfe einziehen - trotz allem. Ihr Kampfgeist war ungebrochen. Und Ben war überzeugt, daß ihnen Sullivans Beistand noch verdammt gelegen kommen würde. Auf dem Weg nach London konnte sich noch viel ereignen. Das Land wimmelte von zweibeinigen Raubtieren, und die Kunde über den Schatz der ›Isabella‹ verbreitete sich gewiß wie ein Lauffeuer. Da war es gut, einen Verbündeten zu haben. »Ich lade euch auf ein Glas Wein in die Kapitänskammer ein«, sagte Ben. »Da sagen wir nicht nein«, erwiderte Bootsmann Sullivan. Er lächelte. Er war heilfroh, die ›Isabella‹ endlich gefunden zu haben und verspürte große Erleichterung. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen. Weder er noch Ben noch irgend jemand an Bord der beiden Schiffe hatte zu diesem Zeitpunkt die geringste Ahnung von dem, was sich um sie herum zusammenbraute. 9. Mitternacht. Blair stand aufrecht im Bug seiner einmastigen Schaluppe und blickte in die Dunkelheit. Großsegel und Fock blähten sich prall und schoben das kleine Schiff von der See aus in die Mündung des Bude. Der Wind hatte gedreht und blies jetzt aus Westen, aber er würde, wie Blair vermutete, noch weiter drehen, bis er aus Nordwest bis Nord einfiel. Das war günstig. Die sechs Fischerboote näherten sich rasch und lautlos der Bucht, die Crocker als Liegeplatz des Schatzschiffes angegeben hatte. Vom Bude River kreuzten gleichzeitig zwei weitere Boote heran. Crocker führte den Trupp, der sich von Land aus anpirschte. Die ›Isabella‹ wurde
also regelrecht eingekreist. Unterführer Hamilton hatte das Kommando über die beiden Boote vom Bude River. Blair befehligte ebenfalls zwei, und neben ihm segelten, fast alle auf gleicher Höhe, die anderen vier unter Rughes und Shutt. Es war ein guter Plan, und Blair glaubte fest daran, daß der Überfall eine Art Paradestück werden würde. Was sich eine Nacht zuvor am Strand von Bude ereignet hatte, hatte er Crocker gar nicht erst erzählt. Der junge Fischer, dessen Name er nicht kannte, war mit einem Stein am Bein in den Fluten verschwunden. Kein Hahn krähte mehr nach ihm. Man würde den Burschen suchen, aber deswegen brauchte Crocker noch längst nichts davon zu wissen. Was er nicht wußte, machte ihn nicht heiß. Ein Mord hatte das große Unternehmen eingeleitet. Blair schwor sich selbst, daß noch weitere Tote seinen Weg zeichnen würden - viele Tote. Ihr Blut beschrieb den Weg, der in die Frachträume der Dreimastgaleone zu dem sagenhaften Schatz führte. Blair war ein Schakal, der Blut geleckt hatte. Er würde nicht ruhen, bis er am Ziel war. Damit nicht genug, er würde nicht rasten, bis er Crocker den Platz streitig gemacht hatte. Er, Blair, wartete schon lange auf diese Gelegenheit. Was bildete sich dieser Crocker eigentlich ein? Der Posten des Oberanführers stand Blair zu. Ich bin der bessere Mann, sagte er sich, ich werde es beweisen. Dann würde er den ganzen Schatz an sich reißen und allenfalls unter seinen Leuten verteilen. Dann würde seine Bande die herrschende Meute an der Nordküste von Cornwall sein, eine Vorrangstellung, die er notfalls mit den Zähnen verteidigen würde. Crocker hatte noch mehr Verstärkung erhalten. Zehn Mann schlichen mit ihm von Land her auf das Schiff zu. Fünf waren es in jedem Boot. Das machte insgesamt fünfzig. Fünfzig Mann, um eine Crew von schätzungsweise zwei Dutzend
Kerlen niederzumetzeln. Eine imposante Übermacht! Blair, schon so gut wie siegesgewiß, gab seinem Steuermann ein Zeichen. Der Mann drückte die Pinne etwas mehr nach Backbord, und die einmastige Schaluppe glitt in die Einfahrt der versteckten Bucht. Zwei Boote fielen etwas zurück, denn nebeneinander konnten nicht alle sechs laufen. Die Einfahrt war dafür denn doch zu schmal. Blair begann mit einem Mal leise zu fluchen. »Was ist?« fragte einer seiner Komplicen. »Idiot, siehst du das nicht? Da liegen jetzt zwei Schiffe in der Bucht!« Deutlich erkannten sie alle die schwärzlichen Umrisse der großen dreimastigen Galeone, und, schräg versetzt davor nahe der Einfahrt zur Bucht, die Konturen einer Karavelle. Blair witterte Unrat. Sofort richtete sich sein Unbehagen gegen Crocker. »Der Hund«, flüsterte er. »Er hätte davon wissen müssen. Was hat das zu bedeuten?« »Da«, raunte sein Nebenmann ihm zu. »Verdammt, da sind zwei Gestalten an Bord der Karavelle!« Blair kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Das schwache Mondlicht reichte gerade aus, um die Schattenrisse zweier Männer auf der Back der dreimastigen Karavelle zu erkennen. »Die Deckswachen«, sagte Blair erbittert. »Wenn die nicht blind sind, müssen sie uns ganz einfach entdecken.« In der Tat: Sie waren gesichtet worden. Das paßte nicht in ihren Plan, das war nicht beabsichtigt, das drohte jetzt die ganze Sache zum Platzen zu bringen. Blair verfluchte im stillen Crocker und all seine Kumpane. Langsam hob er seine Muskete. Er spannte den Hahn. Seine Komplicen folgten dem Beispiel. Drüben auf der Back der Karavelle bewegten sich die beiden Wachtposten. Es war deutlich zu sehen, wie sie sich über das Schanzkleid lehnten.
Dann ertönte ein Ruf: »Wahrschau! Wer da?« »Satan höchstpersönlich«, sagte Blair gepreßt. »Er wird euch die Haut in Streifen abziehen und euch versengen.« * Bootsmann Sullivan hatte sich noch nicht zur Ruhe begeben. Gedankenverloren stand er auf dem Achterdeck und blickte zur ›Isabella V.‹ hinüber. Eine feine Crew, dachte er, aber wie mag dieser legendäre Seewolf sein? Mann Gottes, nur einmal möchte ich dem begegnen, nur einmal ... Er hörte den Ruf der Wache auf der Back und fuhr herum. Einen Augenblick spähte er verwirrt ins Dunkel. Dann aber erkannte er, was sich da aus Richtung der Buchteinfahrt heranschob. Boote. Zwei, drei - nein, noch mehr waren es. Sullivan lief ein kleiner Schauer über den Rücken. »Verflucht und zugenäht«, sagte er. »Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt.« Keinen Moment nahm er an, es handle sich bei den einmastigen Schaluppen tatsächlich um Fischerboote, wie man sie hier an der Küste oft antraf. Sullivan war kein Illusionist. Er war ein praktischer, gewandter Mann. Er wußte sofort, daß es jetzt brenzlig wurde. Und die Ahnung bestätigte sich. Die Boote drangen in die Bucht ein. Kein Mensch antwortete auf den Zuruf. Sullivan hastete in die Kuhl und weckte seine Männer durch einfaches Klopfen gegen das Schott des Vordecks. Er lief zum Backbordschanzkleid der Kuhl und sah, daß es sechs Boote waren, die sich näherten. Sechs! Stur hielten sie weiter ihren Kurs. Zwei staffelten jetzt ab und steuerten geradewegs auf die ›War Song‹ los. Zwei Männer der Crew stürmten aus dem Schott, die anderen folgten dichtauf. »Nun seht euch das an«, sagte Sullivan. »Die sind doch wohl des Wahnsinns. Hölle und Teufel, ist das etwa schon wieder
dieser verdammte Sir John?« »Er kriegt die Hucke voll«, entgegnete ein Mann rechts neben ihm, und er meinte es ernst, todernst. »Eins steht fest«, sagte Sullivan. Er war jetzt kalt und berechnend. »Die Kerle in den Booten, wer immer sie sind, haben keine freundschaftlichen Absichten. Die wollen Stunk. Geschütze haben sie bestimmt nicht. Höchstens Musketen. Und für die ist die Distanz noch zu groß. Also los, Schiff klar zum Gefecht, bevor die Hunde auf Schußweite heran sind.« »Aye, aye, Sir«, gaben die Männer zurück. Ihre nackten Fußsohlen trappelten auf Deck. Sie stürmten auf die Gefechtsstationen und zogen die Stückpforten hoch. Rumpelnd rollten die Kanonen aus. Sullivan sah, daß auch die Wachen auf der Back sich an den Bassen zu schaffen machten. »Ausgezeichnet«, murmelte er. Dann wandte er sich um, hetzte zum Niedergang und klomm wieder zum Achterdeck hoch. Er hielt nach der ›Isabella‹ Ausschau. Hoffentlich hat die Crew die Boote auch bemerkt, dachte er. Er nahm hinter einer Drehbasse Aufstellung. Bestimmt haben sie sie bemerkt, sagte er sich noch. Dann konzentrierte er sich ganz auf den Ladevorgang. Seine elf Männer hatten alle Hände voll zu tun, er mußte auf dem Achterdeck schon allein fertigwerden. Fachmännisch öffnete er das Bodenstück des Geschützes. Drehbassen waren Hinterlader, das vereinfachte einiges. Sullivan füllte Pulver ein, brachte die Kugel samt dem üblichen Knäuel Kabelgarn in ihre Lage, schloß das Bodenstück und ließ auch den Zündkanal mit Pulver vollrieseln. Mit Feuerstein und Feuerstahl entfachte er die Lunte. Er zielte auf das vorderste der beiden Boote, die auf sie zuhielten. Er stellte die Basse in ihrer drehbaren Lafette fest, dann schrie er: »Stop, ihr Himmelhunde. Dreht sofort ab, oder es gibt Zunder!«
Er erhielt keine Antwort. Noch einmal brüllte er seine Aufforderung. Und diesmal folgte eine Erwiderung. Eine Muskete blaffte in dem vorderen Boot auf. Es gab einen stechenden Mündungsblitz, Pulverqualm puffte hoch und Sullivan zog den Kopf ein. Zischend fuhr die Ladung der Muskete über ihn weg. Gehacktes Blei, dachte er. Dann senkte er die glimmende Lunte auf den Zündkanal der Drehbasse. Die Glut fraß sich knisternd bis aufs Zündkraut. Die Pulverladung detonierte, unter kurzem, trockenen Donner jagte die Kugel aus dem Lauf. Das Geschütz schien sich in seiner Haltung aufbäumen zu wollen. Ein vibrierender Schlag durchlief das Schanzkleid an der Backbordseite. Sullivan riskierte einen Blick übers Schanzkleid. Knapp einen Yard neben der Steuerbordwand des vorderen Bootes rauschte eine Wasserfontäne hoch, verbunden mit einem dumpfen Geräusch. Auf dem Boot hatte sich die kleine Besatzung zwischen die Duchten geworfen. »Knapp verfehlt«, sagte Bootsmann Sullivan grimmig. »So ein Pech, ihr Ratten.« Dann begannen auf den Booten wieder die Musketen zu krachen. Die Schlacht war eröffnet. * Jean Ribault befand sich wieder auf dem ihm vertraut gewordenen Ausguckposten im Hauptmars. Arwenack war unruhig geworden, und das hatte den Franzosen alarmiert, noch bevor die Fischerboote überhaupt zu sehen waren. Dann hatte Jean die Schaluppen unter Segeln in die Bucht gleiten sehen und hatte die Meldung auf Deck gerufen. Fast schlagartig hatte rege Tätigkeit an Bord der ›Isabella‹ eingesetzt. Ben Brighton fackelte nicht lange, er ließ das Schiff
klar zum Gefecht rüsten. Ferris, Shane, der alte O’Flynn und er stellten sich ungefähr die gleichen Fragen, die auch Sullivan zur selben Zeit beschäftigten. Drüben bei der Karavelle krachte der erste Musketenschuß. Gleich darauf brüllte die Drehbasse auf dem Achterdeck auf. Dann knatterte wieder Musketenfeuer. Auf der ›Isabella‹ geschahen verschiedene Dinge gleichzeitig. Arwenack verließ den Hauptmars und ging stiften. Er turnte über die Großmarsrah, ließ sich an einem Fall in die Tiefe sausen, kriegte eine Schot des Fockmastes zu fassen, pendelte zu den Steuerbordwanten des Mastes hinüber und hangelte dann in den Webeleinen hoch. »Du Sohn eines Affen«, wetterte Jean. »Willst du wohl zurückkommen?« Unten auf der Kuhl fluchte Carberry, daß selbst eine im Dienst ergraute und hartgesottene Hafenhure noch rot geworden wäre. Die Männer waren an den Geschützen. Ben Brighton wollte ankerauf gehen lassen und der ›War Song‹ zu Hilfe eilen, da hatte Jean oben auf seinem luftigen Posten die Geistesgegenwart, landwärts zu schauen. Es lag so etwas wie Widersinn in seinem Handeln, aber es war der Instinkt des erfahrenen Kämpfers, der ihn dazu trieb. Während dort drüben an der Buchteinfahrt um die ›War Song‹ gebalgt wurde weshalb sollte nicht irgend jemand die Gerissenheit haben, der ›Isabella‹ in den Rücken zu fallen? Hasard hatte ja auch schon ähnliche Ablenkungsmanöver inszeniert. Jean sah Männer, die wie Schemen über den Strand huschten. Sie schoben Boote ins Wasser. Sie hatten sie mit sich getragen, es waren rechte Nußschalen, aber höchst geeignet für ihre Art von Unternehmen. Jean brüllte: »Wahrschau, Männer, der Feind greift von zwei Seiten an!« Ben Brighton wirbelte herum. Zum Wundern blieb einem hier
keine Zeit. Die Gegner hatten die Boote gewassert, waren an Bord gejumpt und pullten jetzt, was das Zeug hielt. Rasch stellten sie fest, daß sie gesehen worden waren - und stimmten ein wahres Kriegsgeheul an. Es machte den Indianerhorden, mit denen der Seewolf und seine Männer in der Neuen Welt zu tun gehabt hatten, alle Ehre. Gut dreißig Yards lagen zwischen der ›Isabella‹ und dem Land. Das war eine winzige Distanz. Der Feind rückte mit erschreckender Geschwindigkeit an. Ben erteilte Carberry das Zeichen. Der schrie »Feuer!« und im nächsten Augenblick brach das wirkliche Inferno los. Es richtete sich feuerspeiend gegen den heimtückischen Widersacher. Eine volle Steuerbordbreitseite löste sich aus der ›Isabella‹, ihr Rückstoß brachte das Schiff zum Krängen. Feuerkronen blitzten vor den Stückpforten auf, die Geschütze rasten auf ihren Hartholzrädern zurück und wurden von den Brooktauen aufgefangen. Orgelnd brandeten die 17-PfünderKugeln gegen die kleinen Boote der Angreifer an. Ben Brighton paßte auf und ließ sich nicht blenden. Da war zwar ein Volltreffer zu verzeichnen. Trümmer wirbelten in hohem Bogen durch die Luft. Wasserfontänen stoben hoch. Eine richtige Wand erhob sich aus den Fluten und fiel wieder in sich zusammen. Aber es fehlten die Schreie der Sterbenden und Verwundeten. Es war eine Finte gewesen. Die Gegner lagen längst im Wasser, schwammen, tauchten. Sie hatten sich über die Bordwände ihrer Boote fallen lassen, bevor es zu spät war. »Aufpassen!« rief Ben zur Kuhl. »Nehmt die Musketen und schießt auf alles, was sich im Wasser bewegt.« »Aye, aye, Sir«, erwiderte Profos Carberry. Er fluchte, fühlte sich in seinem rauhen Element und würde, wie er das gelegentlich selbst ausdrückte, sich lieber den Kopf abreißen oder in Stücke schneiden lassen, ehe er zuließ, daß die
›Isabella‹ geentert wurde. Darauf lief es hinaus. Weder Ben noch seine Gefährten hatten die geringste Ahnung, wer die Angreifer waren. Aber sie wollten den Schatz. Die Tatsache, daß sie von seiner Existenz und vom Liegeplatz der Galeone wußten, ließ einige Rückschlüsse zu. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Ben ließ den Blick schweifen. Drüben an der ›War Song‹ wurde jetzt auch mordlustig gebrüllt. Und die Kanonen und Musketen lieferten ein bedrohliches Konzert. War es nicht Irrsinn, die Kriegskaravelle mit Schaluppen anzugreifen? Keineswegs. Auch die Karibik-Piraten bedienten sich gern kleiner Schiffe. Sie waren für Enterunternehmen geradezu ideal. Man konnte mit ihnen das gegnerische Feuer praktisch »unterlaufen« und war ungemein beweglicher als jede Galeone, Karavelle, Galeere oder Karacke. Ben entdeckte auch die beiden Boote, die sich aus der Mündung des Bude River heranschoben. Er wußte jetzt, auf welch gerissene Art man sie in die Zange genommen hatte. Es wimmelte rundum nur so von Angreifern. Wie viele waren es? Drei Dutzend? Vier Dutzend? Wahrscheinlich noch mehr. Die Crew begann, aufs Wasser zu feuern. Ein kehliger Schrei verkündete, daß ein schwimmender Angreifer getroffen worden war. Der Profos quittierte dies mit einem Hurra-Ruf, und auch die Männer der ›Isabella‹ jubelten. Noch war nichts gewonnen, aber sie brauchten das, um sich selbst anzuspornen. Ben schlich, einem unbestimmten inneren Antrieb folgend, ganz nach achtern und beugte sich über die Heckreling. Die ›Isabella‹ war eine schmucke spanische Lady mit einem weit hochgezogenen, sich nach achtern verjüngenden Hinterteil. Die Heckgalerie wurde von zwei Laternen gekrönt. Ben spähte zwischen den Laternen nach unten. Plötzlich glaubte er fest daran, daß er so etwas wie einen sechsten Sinn besaß. Denn unten schob sich die Gestalt eines Kerls aus dem Wasser. Erstaunlich geschickt erklomm er das Ruder, zog sich
daran empor und kletterte auf die Hennegatöffnung zu. In diesem Augenblick hatte Ben bereits seine Radschloßpistole gezückt. Radschloßpistolen waren ohnehin kostbarere Waffen als Pistolen mit gewöhnlichem Steinschloß. Diese hier verfügte über besonders raffinierte Schnitzereien und andere Verzierungen. Aber nicht deswegen schätzte Ben Brighton sie. Es war ihre Zielgenauigkeit, die sie zu einem überragenden Modell machte. Ben spannte den Hahn und drückte ab. Der Sperrhebel wurde durch eine Feder freigegeben, das mit einem Schlüssel aufgezogene Rad schnurrte ab. Der Schwefelkies begann Funken zu sprühen. Sie zündeten die Pulverladung. Die Pistole zuckte in Bens Hand. Sie spuckte Feuer, Rauch und Blei, und der halbnackte, triefende Mann vor der Hennegatöffnung richtete sich plötzlich auf. Er reckte die Arme, verrenkte sich geradezu grotesk und öffnete dabei den Mund. Langsam kippte er nach hinten über, wurde dann schneller, überschlug sich in der Luft und stieß kopfunter in die Fluten. Ben hatte keine Zeit zum Nachladen. Die Lage spitzte sich zu. Während an der Steuerbordseite noch der Kampf gegen die heranschwimmenden und tauchenden Widersacher fortdauerte, mußte sich die Crew nun auch der Backbordseite widmen. Zwei Boote lagen immer noch im Widerstreit mit der ›War Song‹, aber die anderen vier hatten die Karavelle passiert und steuerten direkt auf die ›Isabella‹ zu! Ben hantierte mit einer Drehbasse der AchterkastellBackbordseite. In der Kuhl kauerten die Männer hinter den Culverinen. Es war, als wußten die Feinde die Gedanken der SeewolfCrew zu lesen. Der Bootsverband fächerte in der Mitte auseinander. Je zwei Boote stahlen sich zu jeder Seite davon die 17-Pünder zielten ins Leere. Der Gegner hatte ja die
Steuerbordbreitseite wummern hören und konnte sich nun ein Bild von der Kampfkraft und Bereitschaft der Galeone machen. Ben preßte die Lippen fest zusammen. Er folgte mit dem Rohr der Drehbasse dem Kurs einer Schaluppe, gab etwas Vorlauf und zündete dann. Er legte alles in diesen Schuß und betete, seine Fertigkeit möge ihn nicht im Stich lassen. In das Krachen des Schusses mischte sich das Schreien der Kerle auf der Schaluppe. Die Ladung der Basse hatte ihr glatt den Vorsteven weggerissen. Die Mannschaft ging baden. Traurig neigte sich das Boot vorn nach unten und streckte den Achtersteven aus dem Wasser. Al Conroy zündete ungefähr zehn Sekunden später eine der Drehbassen auf der Back der ›Isabella‹ und schoß einer Schaluppe den Mast weg. Das Zeug begrub die fluchenden Gegner unter sich. Der ganze Salat aus Masttrümmern und Takelage sowie laufendem und stehendem Zeug kippte nach Steuerbord und brachte die Schaluppe zum Krängen. Sie nahm Wasser über. Al Conroy lachte. Er war allein auf der Back, denn seine Kameraden hatten auf der Kuhl genug zu tun. Sie war klein geworden, die Seewolf-Crew. Doppelt so viele Männer wären gerade die richtige Zahl gewesen, um ein Schiff dieser Größe zufriedenstellend zu besetzen. Aber man mußte sich behelf en. Al blickte auf die angeschlagene Schaluppe und vergaß darüber für einige Augenblicke die andere, weiter östlich manövrierende Schaluppe aus dem Verband der Gegner. 10. Crocker fluchte verhalten. Es hatte ein Überraschungsangriff werden sollen, aber die Karavelle hatte alles verpatzt. Immerhin, die Strandräuber waren hart am Feind und brachten ihm das Fürchten bei, aber es war doch ein Tauziehen, statt
eines abrupten, schnell und sauber geführten Handstreiches, wie Crocker ihn geplant hatte. Trotzdem konnte er noch beruhigt sein. Während seine Kumpane ihren Kopf hinhielten und ihre Haut zu Markte trugen, hockte er an Land hinter einem Steinquader und beobachtete die Entwicklung der Dinge. Nein, dieses Mal wollte er nicht sofort eingreifen, diesmal schickte er seine Kerle vor, bevor er sich wieder die Jacke vollhauen ließ. Hamilton, Rughes, Shutt und Blair - sollten sie und ihre Gruppen doch etwas tun für das gemeinsame Ziel! Der Schatz wollte unter Schweiß, Blut und Entbehrungen erkämpft werden! Er, Crocker, würde im Falle des Sieges noch frühzeitig genug zum Zug gelangen. Wenn der Schußlärm verebbte und seine Männer von Bord der eroberten Schiffe den Triumph verkündeten - dann, erst dann würde er übersetzen. Crocker grinste. Und wenn es übel für sie ausging? Nun, er glaubte nicht daran, denn sie befanden sich in der Überzahl und hatten Erfahrung in dieser Art von Überfällen. Jedoch, sollte es das Schicksal schlecht mit ihm meinen, so blieb ihm immer noch Zeit für einen taktischen Rückzug. Die Unterführer hatte er selbstverständlich glauben lassen, er würde die Landpartei konsequent bis dicht an den Feind führen. Er hatte das auch seinen Männern bis zuletzt erklärt. Aber dann, als sie die Boote ins Wasser geschoben und sich an Bord begeben hatten, hatte er sich in den Hintergrund zurückgezogen. Ihre Nußschalen waren zerrieben worden. Crocker hatte selbst den Kopf eingezogen, denn die 17-Pfünder-Kugeln waren bedrohlich dicht an ihm vorbeigehagelt. Dann aber hatte er deutlich gesehen, daß sich seine Gruppe ins Wasser gerettet hatte - diese Füchse! Zu seiner Wut hatte er allerdings auch miterleben müssen, wie der, der das Ruder der ›Isabella‹ erklommen hatte, von einem Mann erschossen worden war.
Wie standen die Dinge? Zwei Boote bedrängten immer noch die ›War Song‹. Aus der Mündung des River Bude stießen jetzt die Hamilton-Boote zur Verstärkung nach. Crocker hatte geglaubt, daß Blair gegen die Karavelle kämpfte, doch das stellte sich jetzt als Irrtum heraus. Blair war an der ›Isabella‹, gemeinsam mit Hughes und seinen beiden Booten. Rughes hatte ein Boot verloren, eine Kugel hatte ihm den Vorsteven weggefetzt. Shutt mußte es also sein, der drüben mit der ›War Song‹ rang. Und was tat Blair? Er rundete mit seiner Schaluppe fast den Bug der ›Isabella‹ und ging dann dicht unter ihre Galion. Hier befand er sich im toten Winkel für die gegnerischen Geschütze. Er bereitete sich aufs Entern vor. Du gerissener Hund, dachte Crocker nicht ohne Anerkennung. * Al Conroy bemerkte etwas zu spät, was die Stunde geschlagen hatte. Am liebsten hätte er sich die Haare ausgerupft. Er sah die Mastspitze der einen Schaluppe förmlich auf den Bugspriet der ›Isabella‹ zuwandern, von dem Boot war schon nichts mehr zu erkennen. Der Rumpf befand sich unter der Galion. Al stürzte an die Backbord am nächsten zum Bugspriet plazierte Drehbasse. Er hatte sie vorsorglich geladen. Jetzt versuchte er, sie in Zielposition zu bringen. Aber ihr Lauf ließ sich nicht weit genug nach unten drücken, jedenfalls nicht so weit, daß er auch nur auf das Heck der Schaluppe wies. Es hatte keinen Zweck, das Geschütz überhaupt zu zünden. Die Angreifer schossen. Al wich zurück. Er war kreidebleich. Er taumelte ein bißchen, stolperte fast und schrie: »Sie entern! Hölle, Tod und Teufel, die Schweinehunde entern!« Carberry wirbelte herum und blickte wie eine Kuh vorm
Kalben. Er schien es nicht fassen zu können. An Reaktion fehlte es ihm dann aber doch nicht. »Auf sie!« rief er. »Zeigen wir den Läusefressern, was eine Harke ist! Wir geben ihnen Saures!« Al hatte eine Muskete zur Hand genommen und feuerte sie über die Bordwand nach unten ab. Er warf sich wieder zurück. Keinen Augenblick zu früh, denn auf seinen Schuß folgte sofort erbittertes Pistolenkrachen des Gegners. Getroffen hatte er aber, das verkündete ein tierischer Schrei von außenbords. Ein paar Mann der Crew hielten die Stellung am Steuerbordschanzkleid, aber das Gros stürmte jetzt zur Back. Unaufhaltsam kletterten die Angreifer von außen empor und drohten, sich wie eine Flut über Deck zu ergießen. Ben Brighton stürmte. Er hatte das Gefühl, das Blut würde ihm in den Adern gerinnen. Carberry hatte die oberste Stufe des Steuerbordniederganges zur Back erreicht, als der Kopf. eines Gegners über dem Vorderabschluß des Vorkastells erschien. Al Conroy schlug mit der leergefeuerten Muskete zu. Der Angreifer, ein Kerl mit pockennarbigem Gesicht und langen, fettigen Haaren, verschwand mit einem erstickten Laut. Aber weitere Gegner tauchten auf, und Al kämpfte auf einsamem Posten. O Hölle, sie hatten die Galion längst geentert, klebten wie die Fliegen an den vorderen Aufbauten und drängten in dichtem Verbund über die vordere Schmuckbalustrade. Al warf die Muskete weg und zückte den Degen. Er nahm sich einen Gegner vor, aber das vermochte die anderen keineswegs aufzuhalten. Carberry brüllte »Arwenack!« und nahm die Back mit drei riesigen Sätzen. Dann ließ er die Klinge seines Schiffshauers mit gewaltigem Schwung auf den Schädel eines Gegners niedersausen. Der Kerl riß den Kopf zur Seite und bekam die Klinge in die linke Schulter. Sein Gebrüll begleitete das
mörderische Durcheinander, das sich jetzt auf der Back entwickelte. Die Crew warf sich dem Feind entgegen - allen voran Ben Brighton, der sich mit ein paar Schritten neben Carberry brachte. Degenklingen wurden gekreuzt, Schüsse abgefeuert. Al Conroy hatte immer noch mit dem Burschen zu tun, der ihm vor die Klinge gesprungen war. Er hatte kein leichtes Spiel, denn der Mann erwies sich als vortrefflicher Degenkämpfer wie überhaupt alle diese Burschen nicht zu unterschätzen waren. Sie zeigten Zähne und Krallen und waren von der Gier nach dem Schatz im Schiffsbauch beseelt. Dieser fanatische Kampfeifer trieb sie bis in die Selbstzerstörung. Opfer schienen für sie keine Bedeutung zu haben. Immerhin war es nur eine Handvoll Kerle, die da die Back stürmte, und sie hatten beinahe zwei Dutzend wütende Männer der ›Isabella‹ gegen sich. Es gehörte also schon äußerster Mut dazu, einen Keil in diese lebende Barriere zu treiben - und die kompromißlose Bereitschaft, das Leben dafür zu geben. Carberry focht gegen zwei Kerle, die ihn zur Seite abzudrängen trachteten. Sie wollten ihn gegen das Backbordschanzkleid treiben und ihn niederstechen, sobald er nicht mehr vor und zurück konnte. Carberry kämpfte wie ein Berserker. Sein Schiffshauer surrte wie eine Sense durch die Luft. Ben Brighton sah sich einem schwarzbärtigen Mann mit breitkrempigem Hut gegenüber. Der Art, wie dieser auftrat und sich mit seinen Begleitern verständigte, entnahm er, daß es sich um den Anführer der Meute handelte. »Streck die Waffen und streich die Flagge!« rief der Kerl. »Hol sie dir«, entgegnete Ben. »Stech ihn ab!« schrie einer der Kerle hinter dem Schwarzbart. »Mach ihn fertig, Blair.« Und Blair stürmte mit dem Entermesser gegen Ben an. Ben
führte eine glänzende Parade mit dem Degen, wehrte den Angriff ab und brachte nun seinerseits Blair in Bedrängnis. Das Blättchen drohte sich zu wenden, als der Schuft in Blairs Rücken mit der Pistole auf Ben Brighton anlegte. Ben hatte genug damit zu tun, sich gegen den Schwarzbärtigen zur Wehr zu setzen, er konnte nicht auch noch nach der Pistole greifen. Die Radschloßwaffe war abgefeuert, aber er hatte noch eine Steinschloßpistole im Gurt stecken. Doch die war für ihn plötzlich in unerreichbare Ferne gerückt. Da huschte etwas über die Köpfe der Männer weg. Ben blickte kurz hoch und gewahrte Arwenack, den Schimpansenjungen. Arwenack hatte auf seinen Augenblick gewartet. Jetzt sauste er, festgeklammert an ein loses Marsfall, mannshoch über das Deck hin. Er hielt etwas Längliches in der rechten Hand - einen Belegnagel. Der Kerl mit der Pistole kriegte den Belegnagel auf den Kopf und sackte sofort zusammen. Arwenack keckerte. Einer der Schatzräuber wollte ihn mit seinem Enterbeil traktieren, aber Karl von Hutten war zur Stelle und rammte ihm den Degen in die Brust. Der Gegner zeigte ein ungläubiges, von grenzenlosem Entsetzen gezeichnetes Gesicht, dann stürzte auch er. Von Hutten riß seinen Degen aus der tödlichen Wunde. Arwenack schwang am Marsfall zurück. Er holte weit aus und pendelte dann wieder vor. Wie ein Irrwisch raste er auf Al Conroys Gegner zu, streckte die Beine nach vorn und trat dem Kerl in den Bauch. Der krümmte sich und taumelte. Al nutzte seine Chance. Er hieb zu und tötete den Mann. Unterdessen war es einigen schwimmenden Angreifern doch gelungen, bis an die ›Isabella‹ zu tauchen und an der Steuerbordwand aufzuentern. Arwenack nahm einen von ihnen ins Visier, jagte kreischend auf ihn zu und katapultierte ihn förmlich vom Schanzkleid. Der Bursche fiel ins Wasser zurück. Er zappelte und spuckte, aber dann unternahm er nichts
mehr, denn Smoky feuerte die Muskete auf ihn ab. Carberry hatte sich eines seiner beiden Widersacher entledigt. Der andere hatte wenig zu lachen, denn der Profos konnte jetzt seine sämtlichen Ausfälle auf ihn konzentrieren. Und wo er hinschlug, da wuchs wirklich kein Gras mehr. Blair unternahm eine Finte, kriegte für einen Augenblick Luft und tänzelte an Ben Brighton vorbei. Er flankte mit einem Scherenschlag über die Balustrade der Back zur Kuhl. Sicher landete er unten auf den Planken. Er hätte jetzt gern den nächsten Weg in den Schiffsbauch genommen, wäre in die Frachträume vorgedrungen, um sich den Schatz aus der Nähe anzusehen - aber Jean Ribault vereitelte das Vorhaben. Er war aus dem Hauptmars abgeentert, um in den Kampf einzugreifen. Hier wurde jeder Mann gebraucht. »Nun zu uns, mon ami«, sagte er. »Ich hoffe, du legst Wert auf Unterhaltung.« »Aus dem Weg, Schwätzer!« rief Blair. Jean stoppte seine Attacke mit dem Degen, dann dirigierte er ihn rückwärts über die Kuhl auf die Gräting zu. »Der Schwätzer ist ein adliger Hugenotte, der nach der Bartholomäusnacht Frankreich verließ und ein Abenteurer wurde«, erklärte Jean. »Unsereins konnte schon mit der Waffe umgehen, als du und deinesgleichen noch die Windeln näßtet.« »Dich spieße ich auf«, knurrte Blair. »Leere Versprechungen«, erwiderte der Franzose. »Man soll nie mit Dingen prahlen, die man doch nicht in die Tat umsetzen kann.« Jeans spöttische Reden reizten den Bandenführer. Blair hatte schon viel erlebt, aber er hatte noch keinen Gegner vor der Klinge gehabt, der dabei plauderte, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Er fühlte sich auf merkwürdige Art verunsichert, und das trieb seine Wut auf den Gipfelpunkt. Gerade das war es, was Jean erreichen wollte.
Er trieb Blair zur Gräting. Der Schwarzbärtige besaß noch die Geistesgegenwart, den Fuß zu heben und auf das hölzerne Gitterwerk zu steigen. Kurz darauf stolperte er aber doch, so hart wurde er von Jean Ribault bedrängt. Blairs Entermesserhiebe wurden hastig und unkontrolliert. Er ließ sich von seinem Haß überwältigen, hatte die Ruhe verloren. Jean ließ Blair noch eine Weile wüten. Dann führte er den Degen mit vollendeter Kunst, brach die gegnerische Deckung auf und versetzte ihm den tödlichen Stich ins Herz. Blitzschnell riß er den Degen wieder zurück. Damit entging er dem erbitterten Hieb, den Blair noch mit seiner Waffe führte. Es war seine letzte Handlung. Blair hatte nicht mehr die Kraft, das Entermesser zu heben. Er konnte es nicht mehr halten. Es entglitt seinen Fingern und polterte auf Deck. Blair kippte von der Gräting und blieb auf dem Rücken liegen. Das letzte, was er auf der Welt sah, war der Franzose. Jean trat in sein Blickfeld und füllte es aus. Blair konnte das Gesicht über sich nur noch undeutlich erkennen. Schleier bewegten sich wogend vor seinen Augen. »So stirbt ein Narr«, sagte Jean kalt. Nein, er hatte kein Mitleid. Wer gekämpft hatte wie er und aus Erfahrung die Gnadenlosigkeit des Feindes kannte, hatte für derlei Empfindungen keinen Platz mehr in seinem Herzen. »Crocker«, sagte Blair mit brüchiger Stimme. Jean horchte auf. »Ist Crocker der Anführer?« »J-Ja.« »Wo ist er?« »An - Land.« Blair hob die Rechte, um mit letzter Kraft nach Steuerbord zu weisen. »Packt ihn. Er ist ein Lump.« Mit diesem Wort auf der Zunge starb Blair. Ein Zucken durchlief noch seinen Körper, dann lag er still. Er hatte seinen letzten Wunsch geäußert. Wenn er den Schatz nicht in die Hände bekam, so sollte auch Crocker ihn nicht haben. »Ein Lump«, wiederholte Jean. »Das sagt ein gemeiner
Strauchdieb.« Er blickte zur Back und sah, daß die Crew der Angreifer fast Herr geworden war. Soeben streckte Carberry einen Mann nieder. Karl von Hutten blutete aus einer Schulterwunde, aber es schien nichts Ernstes zu sein. Matt Davies stand auf der Kuhl neben einem Burschen, der von Steuerbord aufgeentert war. Er hatte ihm mit seiner eisernen Hakenprothese wahrhaftig den Schädel gespalten. Jean schaute zum Strand. »Crocker, dies wird die schwärzeste Stunde deines Lebens.« Er sah den Strandräuber nicht, aber plötzlich entdeckte er etwas, das sein Herz bis zum Hals hinauf schlagen ließ. Reiter! * Sie hatten den Kanonendonner von weitem gehört und ihre Pferde bis zum äußersten angetrieben. Der Seewolf - er ritt immer noch den hochbeinigen Falben mit der weißen Blesse und den weißen Fesseln - war jetzt wirklich heilfroh, daß Gwen bei Sir Freemont geblieben war. Was immer der Anlaß für den Schuß-wechsel in der Bucht war, er mußte eingreifen. Der Kutscher auf seiner braunen Stute fiel etwas zurück, aber Dan O’Flynn und Bob Grey hielten das Tempo mit Hasard. Sie jagten über flaches Land. Es konnte tausend Hindernisse geben, die die Tiere zum Straucheln brachten - Fuchs- oder Kaninchenbauten beispielsweise. Hasard dachte nicht daran. Er setzte jetzt alles auf eine Karte. Sie erreichten die Böschung und galoppierten zum Strand hinunter. Die ›Isabella V.‹ lag vor ihnen, an Bord tobte der Kampf. Zu seinem großen Erstaunen gewahrte der Seewolf im Hintergrund noch ein anderes Schiff. Es war eine Karavelle. Nach Dans Schilderungen gab es nur eine Schußfolgerung. Es mußte die ›War Song‹ sein.
Hasard erkannte auch die einmastigen Schaluppen, die den beiden Schiffen zu Leibe rückten, und er wußte, was sich hier abspielte. Zweibeinige Haie schlugen zu und wollten der ›Isabella‹ ihren Schatz entreißen. Wer sie waren, hatte keine Bedeutung. Die Tatsache allein hatte Gewicht: England war nicht das gelobte Land, überall lauerten Feinde. Fast mußten Gold und Silber hier stärker verteidigt werden als drüben in der Neuen Welt, wo Hasard die Reichtümer den Spaniern abgenommen hatte. Dan war es, der die kauernde Gestalt hinter einem Felsquader am rechten Ende des Strandstreifens entdeckte. »Da!« Er streckte die Hand aus. »Hasard! Das ist Crocker, der Hund von einem Bandenführer, der mich gefoltert hat!« Hasard lenkte seinen Falben auf den Platz zu. Die drei Männer preschten ihm nach. Crocker sprang von seinem »Gefechtsstand« hoch und brachte seine Pistole in Anschlag. Er mußte übergeschnappt sein. Er bildete sich ein, in der Nacht ein bewegliches Ziel zu treffen. Er drückte ab. Hasard und seine Begleiter duckten sich. Die Ladung flog über sie weg und verpuffte wirkungslos im Dunkeln. Hasard trieb sein Pferd an. Er richtete sich in den Steigbügeln auf. Auf der ›Isabella‹ stieß jemand einen gellenden Pfiff aus, dann folgte ein Ruf: »Männer, der Seewolf! Der Seewolf ist zurück!« Hasard glaubte, Jean Ribaults Stimme erkannt zu haben. Das Brüllen seiner Crew war Balsam in seinen Ohren, es verlieh ihm Auftrieb. Sie hatten sich also wacker geschlagen, diese Teufel! Sie ließen sich nicht unterkriegen, nicht von Crocker und seiner verfluchten Bande ... Als der Falbe Crocker nahe war, stand Hasard fast auf dem Sattel. Crocker hatte natürlich nicht die Zeit gehabt, seine Pistole nachzuladen. Und eine andere Schußwaffe hatte er nicht. Er suchte sein Heil in der Flucht. Ja, er hetzte fort, als
säße ihm der Teufel im Nacken. Hasard stieß sich ab, als er neben ihm war. Er segelte mit ausgebreiteten Armen durch die Luft und warf sich auf den bulligen Bandenführer. Crocker brüllte auf. Sie gingen zu Boden, wälzten sich, balgten, verkeilten sich förmlich ineinander. Crocker wollte den Seewolf erwürgen, aber er kriegte Hasards Stiefel in den Bauch. Er fiel zurück. Hasard sprang auf und zückte seinen Degen. »Stell dich und kämpfe wie ein Mann, Crocker«, sagte er. Crocker erhob sich. »Wer bist du?« »Der Kapitän des Schiffes, das du entern wolltest.« »Du bist der, den sie den Seewolf nennen?« »Ja.« Crocker riß den Degen aus der Scheide. »Es wird mir ein Vergnügen sein, dir Bastard die Klinge in den Leib zu jagen.« Hastig warf er den anderen drei Reitern einen Blick zu. »Schick die Kerle weg. Brauchst du etwa Hilfe?« »Sie greifen nicht ein.« »Ich habe dein Wort?« »Ja.« Hasard forderte ihn mit der Klinge heraus, und Crocker antwortete. Er hatte wohl geglaubt, seine Kenntnisse im Fechten wären überragend. Mit ein paar ruppigen Ausfällen wollte er Hasard gleich zu Beginn den Garaus bereiten, aber er hatte sich gewaltig getäuscht. Hasard blockte alle Attacken sicher und gelassen ab. Und dann brachte er Crocker erst noch bei, was Fechten hieß. Er duellierte sich mit wirbelnder Degenklinge mit dem Obergalgenvogel und trieb ihn über den Strand. Die Crew der ›Isabella‹ johlte und pfiff dazu, und dann tobte ihr alter Schlachtruf über die Bucht. »Ar-we-nack!« Dan, Bob und der Kutscher lenkten ihre Pferde über das Ufer hart an der Brandung entlang. Einige Halunken waren schwimmend von der ›Isabella‹ an Land zurückgekehrt. Sie
wateten durch das flache Uferwasser und begannen zu laufen, als sie die Gegner heranjagen sahen. Auch sie gaben Fersengeld, aber auch sie entkamen nicht. Hamilton, Rughes und Shutt, die drei noch lebenden Unterführer, wollten nicht aufgeben. Sie setzten ihren Kampf von den Fischerbooten aus fort. Wieder krachten Schüsse, wieder donnerten die Kanonen. Die Schlacht war noch nicht vorbei. »Ar-we-nack!« tönte es wieder und wieder. Der Seewolf war zurück, der Seewolf kämpfte wieder, und er war der Alte geblieben. Alle sahen, wie er den bulligen Crocker in höllische Bedrängnis brachte und ihn dann mit einem blitzenden Hieb nahezu enthauptete. Da gab es kein Halten mehr. Die entfesselte Seewolf-Crew schlug gegen die letzten Angreifer los. Es gab kein Pardon. Sullivan hatte mit seiner Karavelle zwei Schaluppen abgewehrt, und er wurde jetzt Zeuge, wie die Männer des Seewolfes dreinhieben. Sein Stil war das nicht. Niemals würde er so kämpfen können. Er war nahe daran, sich zu bekreuzigen, denn so etwas hatte er noch nicht erlebt. Unter Drehbassen-Schüssen der ›Isabella‹ ging einer Schaluppe der Mast in die Brüche. Gleich darauf erwischte es die nächste, und zwar am Heck. Sie trieb ohne Ruderpinne wie eine flügellahme Ente und war ein leichtes Ziel für die Kanonen der Galeone geworden. Ein einziger gezielter Schuß traf sie in der Mitte. Plötzlich stob ein Lichtblitz himmelan. Das ohrenbetäubende Krachen der Explosion übertönte alle anderen Geräusche. Trümmer wirbelten durch die Luft. Zwischen den Trümmern flogen auch menschliche Gliedmaßen und Leiber. Al Conroy, der Waffenmeister und Präzisionsschütze der ›Isabella‹, hatte die Pulvervorräte auf der Schaluppe getroffen. Die letzten beiden intakten Boote - es waren die von Hamilton
- versuchten unterdessen, sich wie zuvor Blair unter die Galion der ›Isabella‹ zu schleichen. Aber dieses Mal war die SeewolfCrew auf der Hut. Beide Schaluppen schlugen unter dem Feuer aus Bassen und Musketen leck. Die Überlebenden mußten sich ins Wasser stürzen, es blieb ihnen keine Wahl mehr. Sullivan, vom Kampfgeist der ›Isabella‹-Mannschaft angesteckt, ließ den Anker der ›War Song‹ lichten und trieb auf das Ufer zu - selbst auf die Gefahr hin, dabei zu stranden. Wenig später sprangen die Männer von der Karavelle und von der Galeone ins Wasser und schwammen hinter den Gegnern her. Panisches Entsetzen saß Crockers Verbündeten jetzt wie eine Faust im Nacken. Sie hätten alles darum gegeben, sich aus dem Staub machen zu können. Doch die, die sie umbringen wollten, waren unerbittlich. Rughes fiel, als er sich noch im flachen Wasser befand. Bob Grey war zur Stelle und hatte sein Messer geworfen. Seine Kameraden brüllten vor Begeisterung. Sie erhoben sich aus dem Wasser und stürmten durch die Brandung dem fliehenden Shutt, Hamilton sowie deren Komplicen nach. Carberry sprintete hinter Shutt her. Wer hatte ihm zugetraut, daß er so laufen konnte? Den letzten halben Yard, der ihn noch von dem Schurken trennte, überbrückte er durch einen pantherhaften Satz. Dann warf er Shutt mit seinem Körpergewicht nieder. Der Zweikampf war kurz. Er wurde ohne Waffen ausgetragen. Als der Profos wieder aufstand, lag Shutt mit gebrochenem Genick da. Dan O’Flynn stellte Hamilton und bewies, daß er auf der ›Isabella‹ das Fechten gelernt hatte. Philip Hasard Killigrew, sein großer Lehrmeister, sah ihm schweigend zu. Er hatte die Arme verschränkt. Hinter ihm lag Crocker, mit seinem Degen im Leib. Sullivan hatte nun auch das Land erreicht. Ehrfurcht und Ergriffenheit lagen in seinen Worten, als er sagte: »Jawohl, das
sind Wölfe. Richtige Seewölfe. Daß ich das erleben darf.« Keiner der Galgenstricke überlebte. Der Strand war mit Toten übersät. Im Wasser der Bucht schwammen zwischen den Bootstrümmern Leichen und Leichenteile. Die Fluten waren mit Blut durchzogen. Die jetzt schweigenden Kanonen der ›Isabella‹ und der ›War Song‹ schmauchten noch, die Luft war von beißendem Qualm geschwängert. Die Crew der ›Isabella V.‹ trat fast schüchtern auf ihren Kapitän zu. Fast schienen die Männer jetzt daran zu zweifeln, daß er wieder unter ihnen war. Carberry trat neben Hasard und faßte nach seinem Arm. »Er ist es«, sagte er. »He, ihr triefäugigen Kanalratten, wir haben es mit keinem Gespenst zu tun, es ist unser Seewolf in Fleisch und Blut.« Und er atmete wirklich auf. Die Männer jubelten. Der Bann, der sich für kurze Zeit über sie gelegt hatte, war wieder gebrochen. Hüte wurden hochgeworfen, Carberry hieb Dan O’Flynn auf den Rücken, daß dieser sich krümmte, dann hoben die Männer ihren Seewolf auf die Schultern. Sie wollten ihn herumtragen, aber er bestand darauf, wieder zu Boden gelassen zu werden. »Willkommen bei uns«, sagte Ben Brighton und schneuzte sich. Hasard umarmte ihn. »Danke, Freunde. Aber übertreibt bitte nicht. Ich bin kein Fürst, dem man einen Triumphzug bereitet.« Sullivan trat durch das Gewühl von Leibern auf ihn zu. »Nein. Aber Sie sind schon zu Lebzeiten eine Legende, Kapitän Killigrew. Und ich bin froh, endlich einen vernünftigen Vertreter der Killigrew-Sippe kennenzulernen.« »Tja«, sagte Ferris Tucker. »Wenn nur alle Killigrews so wären ...« Hasard drückte Sullivan stumm die Hand. Ihm fiel keine passende Erwiderung ein, denn er hatte ja selbst schwer an dem zu kauen, was sich mit Arwenack und den Killigrews verband.
Noch hatte er auch das Rätsel nicht gelöst, das seine Herkunft umgab. Würde er jemals den Schleier lüften können? ENDE Sturm über Arwenack-Castle von Roy Palmer Der Seewolf gab den Befehl zum Feuern, und seine drei Schiffe entluden ihre Breitseiten - die Rohre auf die Ringmauer der Feste Arwenack gerichtet. Tregwin, der Burghauptmann auf dem Wehrturm der Feste, duckte sich, als es im Hafen aufblitzte. Die Kugeln und gehacktes Blei orgelten heran. Sie gruben sich in die Ringmauer und fetzten sie auseinander. Der Burghauptmann wurde von der Plattform gefegt wie ein welkes Blatt. Das war Philip Hasard Killigrews letzter eiserner Gruß an Sir John, den Tyrannen von Arwenack. An dem Seewolf würde sich der Alte die Zähne ausbeißen ...