Gruselspannung pur!
Der Dämon mit der Blutsichel
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es war kalt geworden. Die ...
112 downloads
850 Views
588KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Gruselspannung pur!
Der Dämon mit der Blutsichel
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Es war kalt geworden. Die Herbstnebel zogen von der Spree herauf und hüllten die Anlagen am Altstadtring fast völlig ein. Die Nebelwand zwischen den Bäumen und Büschen schien undurchdringlich. Nebelfetzen waberten über die Stadtpromenade von Cottbus, die bei diesem Wetter nachts wie ausgestorben war. Das Licht der Straßenlaternen blieb im dichten Nebel regelrecht stecken. Hastige Schritte ertönten auf dem Pflaster. Die junge Frau, die eilig auf der Promenade entlanglief, versuchte mit ihren Blicken die Nebelwand zu durchdringen. Mit einer Hand hielt sie den Kragen des Mantels vor dem Hals geschlossen. Die Hand, die aus der Nebelwand herausschoß, bemerkte sie erst, als sie sich hart um ihren Mund legte und sie ruckartig in den Nebel entführte! Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! Die Blondine strampelte, krallte ihre Hände um den Arm des
Angreifers und versuchte, ihn von ihrem Gesicht wegzuzerren. Vergeblich. Der Mann war wesentlich stärker als sie. Seiner Kraft hatte sie nichts entgegenzusetzen. Schließlich hatte er sein Ziel erreicht. Er preßte die Frau gegen einen Baumstamm und riß die Hand von ihrem Mund. »Hilfe!« schrie sie sofort. Doch ihre Stimme trug nicht weit. »Hilfe! Helft mir!« schrie sie wieder. »Niemand wird dir helfen, meine Kleine!«, sagte der Fremde heiser und kicherte spöttisch. »Wir sind allein.« Die blonde Frau drehte sich um. Jetzt sah sie ihn zum ersten Mal. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Hose und Umhang bildeten fast eine Einheit. Ein breitkrempiger, schwarzer Filzhut war tief in das pockennarbige Gesicht gezogen. Die schwarzen Lederhandschuhe umgaben die schmalen Hände wie eine zweite Haut. Beinahe sanft glitten die behandschuhten Finger über ihre Wangen. »Du bist so schön«, säuselte der Unheimliche. Die Frau schob seine Hand weg. »Bitte, tun Sie mir nicht weh!« flehte sie. »Können wir - reden?« stotterte sie. »Reden! Wenn es euch an den Kragen geht, wollt ihr reden! Früher hat keine mit mir reden wollen. Alle habt ihr mich ignoriert!« Plötzlich kicherte er. »Also gut, dann unterhalten wir uns eben. Und danach stelle ich dir meine Fragen. Wenn du sie beantwortest, kannst du gehen. Wenn nicht…« Er beendete den Satz nicht. Dafür griff er unter seinen Umhang. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, blinkte vor den Augen der jungen Frau im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung die halbmondförmige Klinge einer Sichel! Ihre Augen weiteten sich. »Du hast Angst!« sagte der Unheimliche. »Das ist gut.« Wieder kicherte er. »Über was willst du denn reden, Kleine?« »Am besten über die Sinnlosigkeit Ihrer Situation!« kam die Antwort, aber nicht von der jungen Frau, sondern von einem Mann, der nur wenige Schritte entfernt stand. Starke Scheinwerfer flammten auf und beleuchteten den unheimlichen Sichelmann und sein Opfer. Erschrocken fuhr der Unheimliche herum. Trotz des grellen Scheinwerferlichts konnte er die weitere Umgebung nur schemenhaft erkennen. Doch den Mann, der wenige Meter von ihm entfernt stand, sah er deutlich. »Geben Sie auf!« forderte der Unbekannte. »Sie sind umstellt. Werfen Sie die Sichel weg und geben Sie auf, Mann!«
Kriminalhauptkommissar Peter Langenbach stand breitbeinig und hob seine Pistole, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen. Der Mann mit der Sichel war unschlüssig. Einen Moment lang wußte er nicht, was er jetzt tun sollte. Diese Unsicherheit nutzte die Frau am Baum aus. Sie stützte sich am Stamm ab und riß den Fuß hoch. Der wuchtige Tritt traf den Unheimlichen voll. Mit einem Stöhnen brach er in die Knie. Die Frau hechtete aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. »Werfen sie die Sichel weg und legen Sie die Hände auf den Kopf!« befahl Peter Langenbach. »Es ist vorbei.« Der Mann mit der Sichel sprang auf. »Es ist noch lange nicht vorbei!« schrie er. »Ihr kriegt mich nicht! Jedenfalls nicht lebend. Und wenn ihr mich tötet, komme ich wieder. Dann wird es schlimmer als je zuvor!« Er hob die matt schimmernde Sichel und wischte mit ihr ein paarmal durch die Luft. Dann griff er mit einem wütenden Schrei den Hauptkommissar an. Peter Langenbach zögerte; er wollte den Mann lebend haben, doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen. Mündungslichter flammten im Nebel auf. Schüsse peitschten durch die Nacht. Der unheimliche Angreifer wurde von der Wucht der Einschläge hochgerissen, zurückgetrieben und stürzte zu Boden. »Ich komme zurück!« zischte er stockend und schmerzerfüllt. »Ihr werdet diesen Tag noch verfluchen!« Die Sichel entglitt seiner kraftlosen Hand. Unendlich langsam fiel er vornüber auf das Gesicht und blieb regungslos liegen. Peter Langenbach trat auf ihn zu und fühlte nach einem Puls. Der Mann war tot. Endlich war es gelungen, den unheimlichen Sichelmörder, der wochenlang den Spreewald unsicher gemacht hatte, zu stellen. Die Soko Sichel unter der Leitung von Hauptkommissar Langenbach hatte ganze Arbeit geleistet. »Alles in Ordnung, Chef?« fragte Tessa Hayden und zog sich die blonde Perücke vom Kopf. Langenbach nickte. Trotzdem schaute er mit gemischten Gefühlen zu, wie man den Sichelmörder abtransportierte. Pit mußte an die letzten Worte des Killers denken, an die Drohung, bald zurückzukehren. Darüber wollte er mit Mark Hellmann reden. *
Zwei Wochen später. Carola Börner hatte sich schon lange auf das Theaterstück gefreut. Jetzt bog sie sich vor Lachen und amüsierte sich köstlich über das Treiben auf der Bühne. Tränen rannen ihr über die Wangen. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war Carola immer noch Single, arbeitete als Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Cottbus und war das, was man als graue Maus bezeichnete. Dutt, Sommersprossen und die runde Nickelbrille beherrschten ihr Gesicht. Die junge Frau hätte mehr aus sich machen können, doch sie wollte nicht. Sie war überzeugt, daß für sie der Zug bereits abgefahren war. Sie würde keinen Mann mehr abbekommen. Carola zerfloß in Selbstmitleid. »Hey, Carola!« wurde sie angerufen, als sie gerade das Theater verlassen wollte. Sie schaute sich um und sah ihre Freundin Dorothee winken, die in Begleitung eines gutaussehenden Herrn war. »Grüß dich, Doro«, entgegnete sie. »Hast du keinen Dienst?« - »Doch«, antwortete die Theatergarderobiere, »aber ich habe mich kurz abgeseilt.« Betretenes Schweigen entstand. Carola schaute schüchtern vor sich nieder und wagte es nicht, Doros Begleiter auch nur einen kurzen Blick zuzuwerfen. Der sieht aber toll aus! dachte sie begeistert. Der hätte mir auch gefallen. »Darf ich dir Jochen Wißmann vorstellen?« fragte Doro. »Er ist neu an unserem Theater.« Carola-Maus hob zaghaft den Kopf und versuchte, Wißmann anzulächeln. »Sind Sie Schauspieler?« Wißmann schüttelte den Kopf. »Regieassistent.« »He, laßt uns doch was trinken gehen?« schlug Doro vor. »Wartet aber, bis ich hier fertig bin«, rief sie und verschwand in der Menge. Jochen Wißmann gelang es nach einiger Zeit, ein Gespräch in Gang zu bringen und Carola aus der Reserve zu locken. Schließlich sprachen sie über die laufenden Theaterproduktionen. Damit traf er ins Schwarze, denn Carola liebte das Theater. Der Bann schien gebrochen. »Na, ihr zwei Hübschen? Amüsiert ihr euch gut?« fragte Dorothee Lüders, als sie an den Bistrotisch zurückkehrte. Sofort ebbte Carolas Begeisterung ab. Sie betrachtete ein wenig neidisch die hübsche Doro in ihrem tief ausgeschnittenen Kleid. »Also, auf in die Altstadt!« rief Doro. Herbstlich feuchte Kälte schlug ihnen entgegen, als sie das Theater verließen und über die Bebelstraße Richtung Stadtpromenade gingen. Nebelschwaden
waberten durch die Stadt und waren an einigen Stellen so dicht, daß man nicht die Hand vor den Augen sehen konnte. Die Straßenlaternen dienten in dem dichten Nebel bestenfalls als Orientierungshilfe. »Das ist ja richtig gruselig«, meinte Doro, als sie am Rande des Altstadtrings mit seinen kahlen Bäumen entlanggingen. »Stellt euch vor, der irre Sichelmörder taucht vor uns auf.« Carola fröstelte und zog den Kragen ihrer Jacke enger. »Mensch, Doro, du machst einem aber Angst!« Jochen Wißmann drehte sich zu der schüchternen Carola um und legte ihr beschützend den Arm um die Schultern. »Keine Sorge, den Sichelmörder hat man längst geschnappt. Außerdem bin ich ja bei Ihnen«, fügte er beruhigend hinzu. Doro lachte laut auf und rief: »Wer hat Angst vorm Sichelmann? Keiner, der schnell rennen kann!« Es klang wie ein Kinderreim. Dann verschwand Doro zwischen den Bäumen und wurde von den undurchdringlichen Nebelschleiern verschluckt. Carola erwartete, ihre blonde Freundin jeden Moment aus dem Nebel auftauchen zu sehen. Doch nichts tat sich. Kein Laut war zu hören. »Doro?« rief Carola und blieb stehen. »Doro, wo bist du?« Besorgnis schwang in der Stimme mit. »Hör jetzt auf mit dem Blödsinn, Doro!« Die Antwort ließ ein paar Sekunden auf sich warten. Plötzlich zerriß ein markerschütternder Schrei die nächtliche Stille! Carola war entsetzt. »Tun Sie was, Jochen!« schrie sie ihn an. »Doro ist in Gefahr! Tun Sie endlich was!« Wieder erklang Doros gellender Schrei. »Wir müssen ihr helfen!« brüllte Carola. »Jetzt gehen Sie schon!« Jochen Wißmann schaute sich unschlüssig um, dann setzte er sich langsam in Bewegung. Im selben Augenblick stürzte ein dunkler Schemen aus der Nebelwand und warf sich mit lautem Gebrüll auf ihn. »Ich halt's nicht aus!« kreischte Doro. »Ihr hättet eure Gesichter sehen sollen! Ein Bild für die Götter, echt!« Die Blondine hielt sich vor Lachen den Bauch. Taumelnd und lachend näherte sie sich nun wieder der Nebelwand. Jochen Wißmann wußte nicht, ob er mitlachen oder sich ärgern sollte. Doro streckte den Arm aus und deutete auf ihre Freundin. »Carola, du hättest dich sehen sollen!« rief sie und kriegte erneut einen Lachanfall. »Dir ist richtig die Kinnlade runtergeklappt! Nimm's mir nicht übel, aber es war zu komisch!«
Die Hand schoß hervor, legte sich um Doros Mund und zog die junge Garderobiere in die Nebelwand. Jochen Wißmann packte Carola-Maus am Arm. »Kommen Sie, wir müssen hier weg!« rief er und zerrte sie mit sich. Sie flüchteten. Ihre Schritte trommelten auf dem Asphalt. Plötzlich wurden die Umrisse von Menschen sichtbar. Es waren drei Männer und eine Frau, auf die Jochen und Carola zuliefen. »Helfen Sie uns!« schrie Carola mit panikerfüllter Stimme. »Bitte! Unsere Freundin wurde entführt! Sie müssen uns helfen!« Carola riß sich von Jochen los und umklammerte hilfesuchend die Arme der Frau. Harte, gefühllose Augen schauten auf Carola nieder. Verständnislos beobachtete sie, wie Jochen von zwei Männern gepackt wurde. Der dritte legte ihm einen Arm um den Hals. Mit einem Ruck zogen die drei Männer Jochen Wißmann mit sich in den Nebel hinein. Erst jetzt fühlte Carola Börner das kalte Metall an ihrem Hals. Sie senkte den Kopf, bis sie erkennen konnte, was an ihrer Kehle lag. Es war die scharfe Schneide einer Sichel! »Neiiinnnn« brüllte Carola verzweifelt. Dann fühlte sie, wie sie am Haar gepackt und ihr Kopf nach hinten gezerrt wurde. Sekunden später hatte der Novembernebel auch Carola Börner verschluckt. * Das Gewölbe lag tief unter der Erde. Der Zugang war nur Eingeweihten bekannt. Unheimlicher Singsang hallte durch den düsteren Raum. Im Zentrum des Gewölbes befand sich eine riesige, ovale Steinplatte. Um sie herum war mit weißer Kreide ein doppelter Kreis gezogen worden, in dessen Rand man heidnische und schwarzmagische Symbole gezeichnet hatte. Zwischen den Symbolen standen schwarze Kerzen, deren flackerndes Licht den Raum nur schwach erhellte. Im Innern des Doppelkreises verliefen die Linien eines Pentagramms, dessen Mittelpunkt die Steinplatte bildete. Weit über ein Dutzend Menschen hatten um den Kreidekreis Aufstellung genommen. Sie hatten sich lediglich schwarze Umhänge locker über die nackten Körper gelegt. Kapuzen bedeckten ihre andächtig gesenkten Köpfe. Sie hielten sich an
den Händen und intonierten einen Sprechgesang in einer längst vergessenen, heidnischen Sprache. Carola Börner zitterte vor Kälte. Ihre Zähne klapperten. Benommen warf sie den Kopf hin und her. Kalte Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn. Der monotone Sprechgesang drang langsam in ihr Bewußtsein und riß sie in die Wirklichkeit zurück. Carola schlug die Augen auf - und stieß im nächsten Moment einen gellenden Schrei aus, der den Sprechgesang deutlich übertönte. Carolas Blick war auf Jochen Wißmanns reglose Gestalt gefallen, die über ihr kopfüber von der Gewölbedecke baumelte. Seine Füße waren mit einer Eisenkette umschlungen, die über eine Rollschiene an der Decke verlief und an einem Stützbalken befestigt war. Der junge Mann hatte die Augen geschlossen und stöhnte leise. Die ausgestreckten Arme schwangen kaum einen halben Meter über Carola hin und her. Die Bibliothekarin hob den Kopf und sah sich um. Jetzt erst bemerkte sie, daß sie auf einer rauhen Steinplatte lag. Sie war nackt und fror in der Kälte. Heftiger Atem hob und senkte ihre Brust, und ihr rascher Puls dröhnte in ihren Ohren. Ihr Haar war gelöst worden und breitete sich fächerförmig aus. Arme und Beine waren mit Ketten an den Rändern der Steinplatte befestigt. In einem plötzlichen Wutanfall riß sie daran. »Bindet mich los, ihr Irren!« schrie sie. Nicht mal der monotone Sprechgesang wurde durch ihr wütendes Schreien unterbrochen. Carola fühlte, wie die Kälte durch ihren Körper kroch und ihre Arme schmerzten. Mutlos ließ sie den Kopf auf die Steinplatte sinken und weinte leise. Das war also mein Leben! dachte sie. Ich befinde mich in der Hand von Verrückten, und der einzige Mann, der mir hätte helfen können, ist genauso hilflos wie ich. Sie hörte ein leises Stöhnen aus einer Ecke des Gewölbes kommen. Im schwachen, flackernden Licht der Kerzen erkannte sie Dorothee Lüders, die auf dem Boden kauerte und unverständliches Zeug vor sich hinbrabbelte. »Doro!« rief Carola. »Hörst du mich?« Ihre Freundin reagierte nicht. Sie starrte nur weiter vor, sich hin und murmelte belanglose Worte. Ein hochgewachsener Mann löste sich aus der Reihe der Anwesenden, trat an die Steinplatte heran und blieb neben Carola stehen. Er hob beide Hände. »Großer Radogar, höre uns an!« rief der Mann andächtig. »Wir haben uns hier versammelt, um dir,
unserem Gott und Meister, ein Opfer zu bringen. Wir bitten dich, nimm unsere Gaben an und erscheine! Die Zeit ist reif! Die Goldene Sichel ist geschmiedet und harret deiner! Wir haben einen Weg gefunden, dir einen Platz in unserer Mitte und in unserer Zeit zu verschaffen. Großer Radogar, wir bitten dich, erscheine und führe uns, damit wir gemeinsam den Weg bereiten für den einen, der noch größer ist als du: Mephisto!« In andächtigem Gemurmel wiederholten die anwesenden Männer und Frauen seine Worte. Irgendwo habe ich diese Stimme schon mal gehört, fuhr es Carola Börner durch den Kopf. Aber sie war zu aufgeregt, sich daran zu erinnern. Der Hohepriester an ihrer Seite packte Jochen Wißmanns Haar und zerrte den Oberkörper des jungen Mannes zu sich heran. »Nimm unser Opfer in Demut an, hochverehrter Radogar!« rief der Priester. Seine Hand tauchte in die Falten des Umhangs ein und kam mit einem blitzenden Gegenstand wieder zum Vorschein. Hoch hob er ihn über den Kopf. Carola riß die Augen weit auf. »Nein! Bitte nicht! Bitte, tun Sie das nicht!« bettelte sie. Die Sichel raste nach unten und fand ihr Ziel. Jochen Wißmann bäumte sich auf und zuckte. Blut spritzte in hohem Bogen auf Carolas nackten Körper. Schließlich hing Jochen Wißmann still über der jungen Frau. Die Dämonenjünger ließen den leblosen Körper des Mannes zu Boden gleiten. »Erscheine, großer Radogar!« kam es wieder von dem Priester. Carola starrte aus schreckgeweiteten Augen auf die blutverschmierte Sichel. Weißer Qualm drang unter der Steinplatte hervor, die zu beben begann. Carola warf den Kopf in ohnmächtiger Angst hin und her. Mit dumpfem Grollen wich die dicke Steinplatte zur Seite und legte eine Öffnung frei, aus der nun dicker schwefeliger Rauch quoll. Eine schuppige Klaue tauchte mit langen, gebogenen Krallen aus der Öffnung auf. Schwefelgestank breitete sich aus und raubte Carola fast den Atem. Sie schloß angewidert die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, fiel ihr Blick auf eine Gestalt von unbeschreiblicher Widerlichkeit. Der Körper war groß. Die Gestalt schob einen warzenübersäten Schmerbauch vor sich her. Langes, strähniges und verfilztes Haar fiel bis über die Schultern. Das Gesicht bestand aus einer schuppigen, mit eiternden Rissen und Schwielen übersäten Haut. Die Augen waren zwei schmale
Schlitze ohne Pupillen, die orangefarben leuchteten. Zwei schleimtriefende Löcher bildeten die Nase, und der Mund war eine riesige Öffnung ohne Lippen, in der vier Reihen spitzer Zähne blitzten. Zähflüssiger Geifer troff aus dem Maul. Carola bäumte sich in ihren Fesseln auf. Schweiß glänzte im flackernden Kerzenlicht auf ihrem Körper. Die ekelerregende Gestalt des dämonischen Heidengottes Radogar beugte sich über die nackte Frau, die sich angewidert abwandte. Geifer sabberte auf ihren Körper und vermischte sich mit Jochen Wißmanns Blut. Radogar langte mit einer Schuppenklaue zu und drehte Carolas Kopf, so daß sie ihn anblicken mußte. Langsam ließ er seine Krallen über ihren Hals abwärts wandern. Sie hinterließen blutende Kratzer auf Carolas Haut. »Du bist schön!« grollte der monsterhafte Dämon. »Du bist jung! Dein Blut wird mich laben und stärken!« Radogar warf seinen Kopf herum, daß die strähnigen Haare flogen, riß ihn zurück und stieß ein ohrenbetäubendes Gebrüll aus, daß der Geifer in großen Tropfen nach allen Seiten davon sprühte. Seine Jünger intonierten wieder den heidnischen Sprechgesang. Maßlose Angst hielt Carola gepackt. Einige Jünger lösten sich aus dem Kreis und trugen eine Bahre neben den Opferstein. Darauf lag die wachsbleiche Leiche des Sichelmörders. Auf der Haut waren bereits Verwesungsflecken zu erkennen. »Dieser Körper, großer Radogar, gehörte einem, der viele Seelen für Mephisto geholt hat. Er hat geschworen, einst zurückzukehren und die Schrecken der Hölle unter den Menschen zu verbreiten. Mögest du in seiner Gestalt dein grausiges Werk auf Erden vollbringen, großer Radogar!« sagte der Hohepriester. Der Dämon glotzte auf den leblosen Körper des Sichelmörders, dann auf den Hohepriester. Plötzlich verzog sich sein Maul zu einem häßlichen Grinsen. »Sehr gut!« grollte er. »Es könnte nicht besser sein!« Mit ungelenken Bewegungen beugte sich der Dämon zu der Leiche nieder, von der starker Verwesungsgeruch ausging. Die Krallen umfaßten Gesicht und Kiefer und überwanden mit unmenschlicher Kraft die Leichenstarre. Mit einem Ruck klappte der Kiefer auseinander. Radogar hob den Kopf und murmelte unverständliche Beschwörungsformeln. Sein häßlicher Körper wurde von einem orangefarbenen Leuchten umhüllt und schien zu schrumpfen. Diese Feuersäule näherte sich dem Kopf des Toten, drang in den offenen Mund und
verschwand in dem leblosen Körper. Minutenlang geschah nichts. Der tote Sichelmörder lag regungslos auf der Bahre. Die Dämonenjünger intonierten weiter ihren seltsamen Sprechgesang. Gebannt starrte der Hohepriester auf die Leiche. Nun schob sich plötzlich der Unterkiefer nach links, dann nach rechts. Die Bauchdecke und die Brusthöhle bewegten sich, als sei ein schlangenähnliches Wesen darunter eingesperrt. Die Hände formten eine Faust und öffneten sich wieder. Ruckartig richtete sich der tote Sichelmörder auf und erhob sich. Der wächserne Ausdruck seines Gesichts war verschwunden. Statt dessen leuchteten die toten Augen grell orange auf und verengten sich zu Schlitzen. Ein tiefes Stöhnen drang aus seinem Mund. Der Sichelmörder schloß die Kiefer und warf den Kopf zurück. Als er den Mund wieder öffnete, zeigten sich vier Reihen spitzer Zähne, und Geifer rann aus den Mundwinkeln. Mit einer plötzlichen Bewegung packte Radogars Linke zu. Die kalte Totenhand krallte sich um Carola Börners schlanken Hals und riß den Körper der jungen Frau so weit hoch, wie es die Fesseln erlaubten. Carola stöhnte. Stinkender Atem blies ihr ins Gesicht. Radogar hob die Rechte. Der Hohepriester trat mit einem schwarzen Samtkissen an die Seite des Dämons. Er hob ein Tuch vom Kissen und entblößte eine Sichel aus purem Gold, die im Schein der Kerzen matt schimmerte. Radogar ergriff die Sichel und holte weit aus. »Kraft für mich!« schrie er. »Und eine Seele für Mephisto!« Weit beugte sich der Dämon zurück. In diesem Moment fiel der Schein der flackernden Kerzen auf das Gesicht des Hohepriesters, das angespannt jede Reaktion des Dämons und seines Opfers verfolgte. Ein Ausdruck grenzenlosen Erstaunens trat in Carolas Augen. »Sie?« fragte sie heiser. »Aber wieso?« Weiter kam sie nicht. Die halbmondförmige, goldene Klinge blitzte durch die Luft und ließ Carola Börner für immer verstummen. Radogar richtete sich auf und atmete tief ein. Hoch hielt er die goldene Sichel, von deren Blatt Blut auf seine Hand tropfte. Der große Radogar war zurückgekehrt! Er, der heidnische Gott und Dämon, der schon vor urdenklichen Zeiten die Schicksale der Menschen in dieser Region beeinflußt hatte, war dem Ruf seiner Anhänger gefolgt, um sein Werk grausamer als jemals zuvor fortzusetzen und eine weitere Bastion für Mephisto, den Höllenfürsten, zu errichten!
Als die blonde Theatergarderobiere Doro Lüders einen gellenden Schrei ausstieß, ruckte der Kopf des Dämons herum. Das Leuchten seiner Augen wurde intensiver. Langsam schritt er auf Doro zu, die immer noch in ihrer Ecke kauerte. Ein häßliches Grinsen lag auf den Lippen des Dämons in Menschengestalt, als er ein weiteres Mal die goldene Sichel hob. * Wir waren seit langem mal wieder im Kino gewesen, anschließend durch die Stadt gebummelt und hatten eine Kleinigkeit gegessen. Die feuchte Kälte der Novembernacht war irgendwann durch unsere Kleidung gedrungen und hatte uns dazu bewogen, die obligatorische Frage zu stellen: »Zu dir oder zu mir?« Wir landeten schließlich in meiner kleinen Dachgeschoßwohnung in der Florian-Geyer-Straße. Die Kälte hatte ihren Weg sogar in das Treppenhaus gefunden. Tessa Hayden schlang zitternd die Arme um ihren Körper, während ich die Wohnungstür aufsperrte. Drinnen schloß ich Tessa in die Arme, drückte sie an mich und küßte sie sanft. »Wie wär's jetzt mit einem heißen Bad?« fragte ich leise. Tessa schloß die Augen und stöhnte genießerisch »Tolle Idee«, hauchte sie und erwiderte meinen Kuß. Sanft schob ich sie von mir. »Ich lasse schon mal Wasser ein«, sagte ich und verschwand im Bad. Wenig später verbreitete das dampfende Wasser wohlige Wärme im Bad. Eine riesige Schaumwolke schwamm auf der Wasseroberfläche. Aromatische Badeöle entluden ihren angenehmen Duft. Ich hatte nur eine kleine Wandleuchte eingeschaltet, die den Raum mit romantischem Licht versorgte. Gerade streifte ich meine Kleidung ab, als sich die Tür leise öffnete und Tessa hereinkam. Sie hatte sich bereits ausgezogen und eine Wolldecke locker um die Schultern gelegt. »Fertig?« fragte sie. »Irgendwie kriege ich die Kälte nicht aus den Knochen«, erklärte sie zähneklappernd. »Das wird sich gleich ändern«, versprach ich und zog sie an mich. Noch bevor ich sie küssen konnte, schrillte die Türglocke. »Laß es klingeln«, flüsterte Tessa. »Wer immer es ist, er soll morgen wiederkommen.« Mit diesem Vorschlag schien der
Störenfried da draußen gerechnet zu haben, denn er ließ den Daumen auf dem Klingelknopf. »Verflucht noch mal!« schimpfte ich. »Wenn das mein Vermieter ist, stopfe ich ihm seine blöde Klingel in den Hals!« Tessa löste sich sanft aus meiner Umarmung. »Laß nur, ich geh schon«, sagte sie und eilte zur Tür. »He! Wenn er dich so sieht, kriegt er einen Infarkt!« rief ich ihr hinterher und schlang ein Badetuch um meine Hüften. Aber da war es schon zu spät. »Moment noch, ich zieh mir nur rasch was über!« hörte ich Tessa in der Diele rufen und gleichzeitig den Türgriff betätigen, dann kam sie auch schon wieder zu mir und schlüpfte hastig in meinen Bademantel. »Das wollte ich Ihnen auch gerade vorschlagen«, hörte ich eine bekannte Stimme sagen. »Nicht, daß ich etwas gegen den Anblick einer hübschen Frau hätte, Tessa. Aber ich glaube, Mark wäre es ganz und gar nicht recht, wenn Sie hier nackt vor mir rumhüpfen würden.« Tessa wurde rot und verknotete den Gürtel des Bademantels, während mein bester Freund Peter Langenbach grinsend in der Badezimmertür erschien. »Och, weißt du, ich teile gerne«, meinte ich grinsend. »Warum sollte ich dir nicht auch mal einen schönen Anblick gönnen?« Im nächsten Augenblick hatte ich einen nassen Waschlappen im Gesicht. Ich fing ihn auf, bevor er zu Boden fallen konnte, und rieb mir die Nässe aus dem Gesicht. »Das geschieht dir recht, du Scheusal!« rief Tessa wütend und rauschte hinaus. »Du hast aber wirklich ein Talent, immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen«, maulte ich. »Aber so wird man wohl, wenn man bei der Polizei arbeitet.« Peter Pit Langenbach war Hauptkommissar bei der Weimarer Kripo. Er war ein hervorragender Kriminalist und hatte einen ausgezeichneten Ruf, der bis in höchste Berliner Kreise reichte. Neben seiner Polizeiarbeit unterstützte er mich kräftig bei meinem Kampf gegen die Mächte der Finsternis. Tessa Hayden war Fahnderin und Pit Langenbach direkt unterstellt. »Keine Angst, ich bin schon am richtigen Ort«, versicherte er mir. »Und wahrscheinlich bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen, sonst hätte ich wohl einen Eimer Eiswasser gebraucht, um Tessa von dir wegzukriegen.« Damit könntest du recht haben, dachte ich grinsend.
»Zwischen dir und Tessa herrscht wohl gerade wieder Friede, Freude, Eierkuchen, was?« erkundigte sich Pit. Damit spielte er auf mein Verhältnis zu Tessa Hayden an. Sie wollte heiraten, und zwar mich, doch ich fühlte mich noch nicht reif dafür. Immer wieder packte sie die Eifersucht, wenn ich auf die Reize einer anderen Frau ansprang. Dann kam es zu ziemlich häßlichen Szenen, die unserer Beziehung nicht gerade zuträglich waren. Doch zur Zeit war alles bestens. Ich versuchte es Pit erklären. »Sagen wir so: Ich war gerade dabei, den Frieden zu festigen, Freude zu bereiten und den Ofen für den Kuchen anzuheizen, als du hier so störend dazwischengefunkt hast. Und was verschafft mir die Ehre deines Besuches?« wollte ich wissen. »Ich brauche Tessa«, antwortete Pit kurz. »Großeinsatz in Cottbus. Wir sind zur Soko Sichel abkommandiert.« Ich schaute ihn erstaunt an. »Ich dachte, das wäre längst vorbei. Ihr habt doch den Sichelmörder vor vierzehn Tagen geschnappt.« Pit schüttelte bedrückt den Kopf. »Das ist es ja gerade, was mich so verdammt sauer macht. Als wir ihn gestellt hatten, kündigte er mir an, daß er zurückkehren würde. Und jetzt hat er seine Drohung offenbar wahrgemacht.« »Meinen Sie das im Ernst, Chef?« fragte Tessa, die sich bereits angekleidet hatte, von der Tür her. »Meinen Sie wirklich, der Sichelmörder ist von den Toten auferstanden?« Zweifel lagen in ihrer Stimme. »Das wäre dann ja ein Fall für unseren Freund Mark. - Ich persönlich glaube da eher an einen Trittbrettfahrer, der die >Arbeit< des Killers fortsetzen will«, fügte sie hinzu. Ich ließ mich enttäuscht auf dem Wannenrand nieder und legte den Waschhandschuh wieder auf mein Gesicht. »Also muß ich jetzt wieder tagelang auf meine Freundin verzichten!« moserte ich dumpf unter dem Tuch hervor. »Sie ist meine rechte Hand bei dem Fall.« meinte Pit. Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln. »Es ist ja nur für ein paar Tage.« »Wie ich dich kenne, wirst du dir die Zeit schon vertreiben, bis Tessa wieder zurück ist.« »Hoffentlich hat sie das nicht gehört«, murmelte ich. »Sie hat!« erklang Tessas Stimme von der Badezimmertür her. Blitzschnell stand sie neben mir und riß mir mit einem Ruck das feuchte Tuch vom Gesicht. Ihre braunen Augen funkelten mich
an. »Laß dir bloß nicht einfallen, auf dumme Gedanken zu kommen, Mark Hellmann!« fauchte sie. »Wenn du diesmal Mist baust, ist es ein für allemal vorbei!« »Sag doch so was nicht, Tessa!« schmollte ich. »Das klingt so endgültig! Gib mir lieber einen Abschiedskuß«, bat ich. Statt eines Kusses bekam ich wieder das Tuch ins Gesicht. »Wir können dann, Chef!« sagte Tessa und verschwand nach draußen. Laut knallte die Wohnungstür hinter ihr ins Schloß. »Da siehst du, was du mit deiner blöden Bemerkung angerichtet hast!« sagte ich vorwurfsvoll. »Von wegen Friede, Freude, Eierkuchen!« »Du wirst es überleben.« Mit diesen Worten wandte sich Pit ebenfalls zur Tür. »Und tschüs!« rief ich ihm hinterher. Da saß ich nun auf dem Wannenrand und schaute ziemlich blöd drein. Pit hatte mir den Abend verdorben. Ein Job war im Moment auch nicht in Sicht, und mir wurde langsam kalt. Ich hätte ja den beiden hinterherfahren und eine Story über den neuen Sichelmörder schreiben können. Die Weimarer Rundschau, für die ich als freier Journalist tätig war, hätte vermutlich sogar eine Titelstory daraus gemacht. Doch Pit geizte mit Informationen, bis ein Fall abgeschlossen war. Langsam stand ich auf und betrachtete mich in dem breiten Spiegel. Tessa hatte schon recht. Ich war attraktiv. Durch intensives Zehnkampftraining hatte ich einen athletischen Körperbau bekommen. Mein Blick fiel auf das siebenzackige Mal auf meiner Brust. Es hatte Ähnlichkeit mit einer Tätowierung. Ich bezeichnete es als Hexenmal, das nicht nur auf Frauen reizvoll wirkte, sondern auch bei meinem Kampf gegen die Mächte der Hölle eine wichtige Rolle spielte. Woher ich es hatte, war mir genausowenig bekannt wie meine Vergangenheit. Ich war in der Nacht zum 1. Mai 1980 nackt und allein in Weimar aufgefunden worden. Das Ehepaar Lydia und Ulrich Hellmann hatte mich adoptiert und damals mein Alter auf zehn Jahre festgelegt. Inzwischen wußte ich, daß ich in der Vergangenheit eine kleine Schwester hatte, doch weitere Einzelheiten waren mir bis noch nicht bekannt. Dann gab es da noch einen Siegelring aus massivem Silber, den ich in jener Nacht an einem Band um den Hals trug. Der Ring zeigte einen stilisierten Drachen sowie die Buchstaben M und N, nach denen ich die Vornamen Markus Nikolaus erhalten hatte. Mit Hilfe des Rings war es mir schon
mehrfach gelungen, Zeitreisen in die Vergangenheit zu unternehmen. Natürlich konnte man mit dieser Betätigung kein Geld verdienen, es sei denn, ich erhielt einen Auftrag, zum Beispiel von der Polizei. Was sollte ich jetzt mit dem angebrochenen Abend anfangen? Es war kurz vor zwölf, und durch das Bad war ich wieder fit geworden. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel veranlaßte mich, eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Im selben Augenblick begann mein Siegelring zu vibrieren. Erschrocken starrte ich auf meine Hand. Der Ring strahlte hell auf. So reagierte er aber nur, wenn er massive dämonische Ausstrahlung in meiner Nähe wahrnahm. Doch in meinem Badezimmer schien alles normal zu sein. Schien! Im nächsten Augenblick schoß eine Hand aus dem Spiegel auf mich zu. Ich sah es aufblitzen und konnte mich gerade noch zurückwerfen. Die halbmondförmige Klinge einer Sichel rasierte haarscharf an meinem Gesicht vorbei! Schwer atmend suchte ich am Wannenrand Halt. Ich beobachtete den Spiegel, dessen Oberfläche plötzlich milchig weiß wurde, als würde sie beschlagen. Nebelschwaden schienen in der Spiegelfläche zu wabern. Die Hand mit der Sichel ruckte noch ein paarmal hin und her, dann verschwand sie. Dafür löste sich ein Teil des Nebels auf, und Bilder wurden sichtbar. Ich erkannte eine schwarzgekleidete Gestalt mit einem riesigen Schlapphut, der tief in das Gesicht gezogen war. Mit einer Hand hielt sie eine Frau am Hals gepackt. Die andere Hand schwang eine Sichel. Die Frau drehte mir das bleiche Gesicht zu. Das Opfer war Tessa! »Nein!« schrie ich erschrocken auf, als das blitzende Sichelblatt auf Tessa Hayden niederfuhr und sie sich aufbäumte. Der Sichelmörder warf den Kopf zurück, und das Bild verblaßte. Die Spiegelscheibe wurde wieder klar. Ich wollte sie untersuchen. Nichts. Absolut nichts Ungewöhnliches war zu entdecken. Ratlos zuckte ich mit den Achseln. Der Ring an meinem Finger pochte immer noch. Die beiden Hände, die aus dem Spiegel auf mich zurasten, schienen aus dem Nichts zu kommen. Es waren große Pranken. Die Arme waren in Leinen und eine Art Pelzärmel gekleidet. Die Hände packten mich am Hals und am Haar und zogen mich mit
gewaltiger Wucht zum Spiegel. Ich versuchte, mich mit den Händen an der Wand abzustützen und mich gegen die Kraft der Hände zu stemmen. Plötzlich erschien ein Gesicht vor mir. Ich erkannte lange, verfilzte schwarze Haare, buschige Augenbrauen über dunklen Augen, eine breite Nase und ein bärtiges Kinn. Das Gesicht näherte sich. Der Mund formte Worte, die ich nicht verstand. Dann aber schien eine Barriere durchbrochen worden zu sein, denn ganz deutlich vernahm ich, was der Kerl im Spiegel rief. »Hüte dich!« dröhnte es mir entgegen. »Hüte dich vor Radogar und der Macht der goldenen Sichel! Der große Radogar ist zurückgekehrt! Hüte dich!« Das Gesicht zuckte zurück und verschwand. Mit einem kraftvollen Stoß wurde ich zurückgeschleudert, verlor das Gleichgewicht und brach vor der Wanne in die Knie. Die beiden Pranken zogen sich in den Spiegel zurück. Sekunden später war alles so wie vorher. Der Spiegel war intakt. Der Ring zeigte keinerlei Reaktion mehr. Nur ich kniete halb benommen vor der Wanne und schüttelte den Kopf. Selten hatte ich einen so intensiven Traum gehabt, und in wachem Zustand schon gar nicht. Ich fragte mich, was ich davon halten sollte. Und wer, zum Henker, war dieser Radogar? Auf jeden Fall war eines sicher: Der Sichelmörder hatte irgend etwas mit der Hölle zu tun. Sonst hätte ich wohl kaum die seltsame Warnung erhalten und den Sichelmörder dabei beobachten können, wie er Tessa in den Krallen hatte. Ich wollte mich gleich am nächsten Morgen über Radogar schlau machen. Das Handy meldete sich und riß mich aus meinen Überlegungen. Ich tappte ins Wohnzimmer und meldete mich. »Hallo, Mark!« begrüßte mich eine Stimme, die so sinnlich klang, daß mir ein Schauer über den Rücken jagte. »Hier ist Miriam Maybach«, sagte die Anruferin. »Sie erinnern sich doch an mich?« Und ob ich mich an sie erinnerte! Miriam Maybach! Die Königin der Boulevardpresse! Wegen ihrer Initialen hatte man sie auch die Marilyn Monroe der Presse getauft. Die Frau war ein Vulkan! Ein geballtes Bündel an Energie, Leidenschaft und Schönheit. Wir waren ein paar mal unsanft aneinandergeraten, weil sie mir brisante Stories vor der Nase weggeschnappt hatte. Mir blieb buchstäblich die Spucke weg! »Hallo? Sind Sie noch dran?« hörte ich sie fragen. »Ja, klar!«
beeilte ich mich zu sagen, doch es klang nur wie ein heiseres Krächzen. »Mark, ich möchte mit Ihnen sprechen, aber nicht am Telefon. Haben Sie Zeit?« wollte sie wissen. Ich schluckte. »Aber für Sie doch immer«, antwortete ich und versuchte, ruhig zu klingen. »Wann und wo wollen wir uns…?« setzte ich an, aber sie unterbrach mich mit einem kurzen »Gut. Bis gleich!« und legte auf. Ich starrte einen Augenblick lang das Handy an. Ach du grüne Neune! Die Maybach kommt hierher! fuhr es mir durch den Kopf. Wenn mich Tessa mit der erwischt, schlägt sie mich tot… * Es klingelte an der Wohnungstür. Ich erstarrte. Das kann sie nicht sein! dachte ich. Wir haben doch gerade erst telefoniert! Ich lief zur Tür und öffnete einen Spaltbreit. Vor mir stand eine Schönheit mit feurig roten Locken, grünen Augen und dem verführerischsten Lächeln, das man sich vorstellen kann. Ich zog die Tür ganz auf. Sie musterte mich von oben bis unten. Ihre grünen Augen blitzten. »Ich komme wohl doch ungelegen«, sagte sie mit rauchiger Stimme. Jetzt erst bemerkte ich, daß ich lediglich das Badetuch um die Hüften trug. Heftig schüttelte ich den Kopf. »Nein, äh, ich wollte gerade ein Bad nehmen«, stotterte ich. »Aber kommen Sie doch rein.« Mit elegantem Hüftschwung schwebte diese Superfrau an mir vorbei und nebelte mich mit einer Chanelwolke ein. Sie legte ihre Pelzjacke ab und warf sie auf einen Sessel. Langsam drehte sie sich zu mir um. Ihr dunkelgrüner Rock schmiegte sich wie eine zweite Haut um ihre Hüften, und der passende Blazer gab den Blick auf ein atemberaubendes Dekollete frei. »Es ist ganz schön kalt draußen«, sagte sie. »Ein heißes Bad könnte ich jetzt auch vertragen.« Wieder ließ sie ihren Blick an mir hinabgleiten. »Haben Sie was zu trinken hier, Mark?« fragte sie. »Vielleicht einen Cognac zum Aufwärmen?« Als ich ihr ihn reichte, beugte sie sich weit vor, um ihn anzunehmen. Beim Blick auf ihre fast freischwingende Oberweite rutschte mir das Badetuch aus der Hand. »Ich ziehe mir nur rasch was an, Miriam«, versuchte ich mich zu entschuldigen und meinen Kleinen zu verstecken, der ganz unverhohlen Interesse anmeldete.
»Machen Sie sich keine Umstände, Mark«, sagte sie und machte es sich in ihrem Sessel weiter bequem. »Mich stört Ihr Aufzug nicht. Ganz im Gegenteil«, fügte sie schmunzelnd hinzu. Unsicher setzte ich mich ihr gegenüber. Wir prosteten uns zu. »Wie konnten Sie eigentlich so schnell hier sein?« fragte ich. »Ich habe unten vor dem Haus angerufen«, erklärte Sie. »Wenn Sie keine Zeit gehabt hätten, wäre ich eben morgen wiedergekommen.« »Und was kann ich für Sie tun?« fragte ich. Miriam Maybach lehnte sich zurück. »Ich arbeite an einer Story, bei der Sie mir vielleicht behilflich sein können, Mark«, begann sie. »Als ich vorhin zufällig Hauptkommissar Langenbach aus Ihrem Haus kommen sah, erinnerte ich mich daran, daß Sie ja mit ihm befreundet sind. Vielleicht könnte ich von Ihnen ein paar Hintergrundinformationen erhalten.« Jetzt fiel der Groschen. »Es geht um den Sichelmörder, nicht wahr?« fragte ich, während sie schon nickte. »Bedaure, Teuerste«, bemerkte ich und ließ einen Schluck Cognac durch meine Kehle rinnen. »Mark, ich weiß, wir hatten in der Vergangenheit unsere Differenzen«, gab sie zu. »Aber könnten Sie sich nicht vorstellen, unsere Rivalität zu vergessen? Wissen Sie, mir liegt sehr viel daran, über den Fall zu berichten.« Ich schüttelte den Kopf und erhob mich. »Tut mir leid, Miriam.« Sie stand auf und trat auf mich zu. »Und wenn wir gemeinsam an der Story dranbleiben, wäre das vielleicht ein akzeptabler Vorschlag für Sie?« fragte sie leise und kam noch näher. Dabei legte sie ihre schmalen Hände gegen meine Brust. Ihr Gesicht näherte sich meinem. »Es würde mir sehr viel bedeuten, Mark«, hauchte sie. Dann küßte sie mich. Plötzlich waren unsere Streitigkeiten von früher und der Grund ihres Besuches vergessen. Sie hatte ihre ganze Leidenschaft in den Kuß gelegt. Sanft streichelte sie mich. Ihre Hände glitten nach Süden und zogen das Badetuch zur Seite, das ich mit dem Gedanken an Tessa wieder ordentlich umzulegen versucht hatte. Dann legte sie ihre Blazer ab. »Hattest du nicht etwas von einem heißen Bad gesagt?« murmelte sie zwischen den Küssen und befreite ihre vollen Brüste von dem BH. Ich sah die halbnackte Miriam in meinem Bad verschwinden und atmete tief durch. Ich beobachtete, wie sie aus ihrem Höschen und dann in die Wanne stieg. Schön wie ein Engel. Verführerisch
wie keine Frau jemals zuvor. Und ich war ihr willenlos ausgeliefert. Mein Verstand war verreist. In Urlaub gefahren. Einfach so. Und hatte mich allein zurückgelassen. Wir hatten uns nicht abgetrocknet, sondern waren wenig später direkt vom Bad im Bett gelandet. Miriams Leidenschaft explodierte förmlich. Sie war wie ein feuerspeiender Vulkan, unersättlich. Schließlich sanken wir erschöpft in die Kissen. Irgendwann in der Nacht spürte ich ihre Finger über meinen Körper gleiten. »Dein Freund, dieser Kommissar, woran arbeitet der denn im Moment?« hörte ich ihre Stimme wie aus weiter Ferne fragen. »Soko Sichel«, murmelte ich und begann, ihre Handfläche zu küssen. »Wie? Das ist doch schon eine ganze Weile her. Haben wir jetzt auch so was hier in Weimar?« fragte Miriam. »Nicht Weimar«, antwortete ich und ließ meine Lippen ihren Arm entlanggleiten. »Cottbus.« Ich war an ihrer Schulter angelangt und bewegte meine Lippen Richtung Brust. So ganz wach war ich immer noch nicht, aber hätte man schöner träumen können? »Der Fall ist doch schon lange abgeschlossen, mein Schatz«, murmelte sie. Ich schüttelte im Halbschlaf den Kopf. »Nee, es geht von vorne los«, erwiderte ich und ließ meine Zunge über ihre Brust gleiten. Sie küßte mich, und ich versank wieder im Strudel der Lust. Es war noch dunkel draußen, als ich aus dem Schlaf hochschreckte. Das Bett neben mir war leer. Ich sah im Wohnzimmer und im Bad nach. Miriam Maybach war verschwunden. Ausgetrickst hatte sie mich. Verführt und ausgehorcht. Und jetzt war sie auf dem Weg nach Cottbus, um mir die Story vor der Nase wegzuschnappen. Hellmann, du bist ein Idiot! dachte ich. * Pit Langenbach raste mit Blaulicht über die B169 Richtung Cottbus. Immer wieder zogen Nebelfetzen über die Straße, doch Pit kam gut voran. »Ich kann mich immer noch nicht mit einer Wiedergeburt des Sichelmörders abfinden, Chef«, sagte Tessa Hayden. »Ich glaube, nur weil wir öfter in Marks Kampf gegen Schattenwesen verwickelt werden, vermuten wir schon hinter jedem ungewöhnlichen Fall, daß der Teufel seine Hand im Spiel
hat. Wir sollten nüchtern denken.« Peter Langenbach mußte ihr natürlich recht geben. Es klang schon etwas weit hergeholt, wenn er der Drohung des toten Sichelmörders Glauben schenken wollte. Sicherlich war es realistischer, einen Nachahmer des Serienkillers hinter den neuen Morden zu vermuten. Aber ein mulmiges Gefühl blieb doch in der Magengrube, wenn Pit an die Sichelmorde vom Spreewald zurückdachte. Wochenlang hatte dieser Irre den gesamten Polizeiapparat auf Trab gehalten. Seine blutige Spur zog sich durch den gesamten Spreewald. Fünf Frauen waren ihm in kurzer Zeit zum Opfer gefallen. Es waren ausnahmslos junge, hübsche Frauen gewesen. In Cottbus hatte seine Schreckensspur schließlich ein Ende gefunden. Man hatte nie herausgekriegt, warum der Mann ausgerechnet mit einer Sichel mordete und sich altertümlich kleidete. Das würde wohl immer ein Geheimnis bleiben. Pit lenkte den Wagen auf die B115 und über die Mehringstraße zum Goethepark. Schon von weitem konnte er durch die Nebelschwaden zuckende Blaulichter erkennen. Mit quietschenden Reifen brachte der Hauptkommissar schließlich sein Fahrzeug zum Stehen. Roland Metzger, stellvertretender Leiter der Soko, eilte auf Pit und Tessa zu. »Eine Riesensauerei!« begrüßte er seine Kollegen. »Diesmal sind es gleich drei Tote. Zwei Frauen und ein Mann. Kein schöner Anblick«, fügte er mit einem Seitenblick auf Tessa hinzu. »Keine Bange, ich bin nicht zimperlich«, versicherte sie. »Das habe ich gemerkt, als wir den Kerl geschnappt haben«, gab Metzger bewundernd zurück. »Dafür gebührt Ihnen heute noch Hochachtung.« Der Cottbuser Kripomann schien einen Narren an Tessa gefressen zu haben. Sie war sich dessen bewußt. Wenn das Mark wüßte, dachte sie schmunzelnd. Die drei Leichen waren nackt. Sie lagen halb im eiskalten Wasser der Spree. Roland Metzger hatte recht gehabt. Sie boten keinen sehr appetitlichen Anblick. Pit richtete sich auf und zog einen Zigarillo aus der Tasche. »Es paßt nicht«, sagte er, während er sich den Glimmstengel anzündete. »Unser erster Sichelmörder hat mit einem, höchstens zwei Schnitten getötet. Das hier ist das Werk eines Sadisten«, meinte er grimmig. Nachdenklich ging er ein paar Schritte zur Seite und schaute über die nebelverhangene Spree. »Ich krieg dich, du Bastard!«
murmelte Pit Langenbach. »Und wenn es das letzte ist, was ich tue! Ich kriege dich!« »Nehmen Sie's nicht so schwer, Chef«, sagte Tessa Hayden, die hinter ihn getreten war. »Wir haben dem ersten Mörder eine Falle gestellt, da wird uns der zweite auch ins Netz gehen.« Lautes Kichern ertönte. Es kam aus der Tiefe des Goetheparks, dort, wo der Nebel am dichtesten war. Pit wirbelte herum. »Dieses Schwein!« schimpfte er. »Der Mistkerl spielt Katz und Maus mit uns!« Aus dem Stand jagte Pit los. Seine Hand suchte die SIG Sauer im Schulterhalfter. »Er ist hier!« schrie Tessa den Kollegen zu. »Dort drüben - in der Nebelwand!« Dann hetzte sie ihrem Chef hinterher und riß im Laufen ebenfalls die Pistole heraus. Pit hatte inzwischen die Nebelwand erreicht, zögerte aber noch, in die milchigweiße Masse einzudringen. »Komm nur, wenn du dich traust!« hörte er die Stimme des Sichelmörders. Pit war sich ganz sicher. Das war er. Es war seine Stimme! »Ich warte auf dich, Bulle! - Ah, und die Kleine ist auch wieder dabei!« rief der unheimliche Killer. »Wir müssen uns noch miteinander unterhalten!« Langenbachs Blutdruck stieg. Wütend spuckte er den Zigarillo, den er sich beim Laufen zwischen die Zähne geklemmt hatte, aus. »Na, wie sieht's aus, Polizist? Kommst du, oder soll ich dich holen?« reizte der Mann mit der Sichel. »Du Mistkerl! Wenn ich dich in die Finger kriege!« knirschte Pit. »Was dann?« fragte der Killer zurück. »Willst du mich etwa wieder umlegen, du jämmerlicher Versager? Es wird auch diesmal nicht klappen, denn ich bin stärker!« Jetzt reicht's aber, verdammt noch mal! Dich kauf ich mir! jagte es durch Pits Kopf. Er war mit seiner Geduld am Ende. Mit einem wütenden Schrei warf er sich in die wirbelnde Nebelwand. Tessa Hayden schluckte, holte tief Luft und hetzte ihm hinterher. »Warten Sie, Chef!« rief sie, doch da hatte sie Pit bereits aus den Augen verloren. Der setzte langsam einen Schritt vor den anderen und lauschte auf jedes Geräusch. Einen Moment lang dachte er, Tessa hätte ihn angerufen, aber er verwarf den Gedanken wieder. Sie würde nicht so dumm sein, ebenfalls in diesem Nebel
herumzuschleichen. Und das, obwohl für den Unheimlichen der Nebel gar nicht zu existieren schien. »Komm nur, hier bin ich!« lockte der Killer. Pit vermutete die Stimme zu seiner Rechten. Er änderte seine Richtung und ging nun auf die Stelle zu, wo er die Stimme gehört zu haben glaubte. Hinter ihm erklang ein hämisches Kichern. »Ei, wo ist er denn?« machte sich der Sichelmann lustig. »Hier ist er nicht, dort ist er nicht. Wo ist er denn, der kleine Wicht?« Pit rastete beinahe aus, so wütend war er. Jetzt machte ihn der Kerl auch noch zur Witzfigur! Peter Langenbach ahnte die Bewegung mehr, als daß er sie sah. Er fuhr auf dem Absatz herum und warf sich gleichzeitig zur Seite. Diese Bewegung rettete ihm das Leben. Die blitzende Sichel schoß auf ihn zu. Die scharfe, halbmondförmige Schneide traf Pits Jackenärmel und trennte mit einem ratschenden Geräusch ein Stück Stoff ab. Pit schrie erschrocken auf und feuerte, doch da war nichts, worauf er hätte schießen können! Heftig atmend hielt er inne. »Der ging aber daneben, mein Freund!« triumphierte der Killer. »Aber du sollst sehen, daß es dir sowieso nichts genutzt hätte!« Pit drehte sich auf der Stelle. Überall sah er nur undurchdringlichen Nebel. Hinter jeder Nebelschwade glaubte er die schwarzgekleidete Gestalt mit dem großen Schlapphut zu erkennen. Pit schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Blick zu bekommen. Ich laß mich von dir nicht fertigmachen! nahm er sich vor. Von dir nicht, du Kanaille! »Da sind Sie ja, Chef!« erklang Tessas Stimme hinter dem Hauptkommissar. Pit wirbelte herum. »Machen Sie so was nie wieder, Tessa!« brummte er. »Ich war drauf und dran, Sie über den Haufen zu schießen!« Tessa legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Ist ja nichts passiert«, sagte sie. Jetzt erst fiel ihr Blick auf den teilweise zerfetzten Jackenärmel. »Chef, hat er Sie erwischt?« »Noch nicht, aber gleich«, antwortete der Sichelmann statt Pit. Ein schwarzer Schatten schoß auf Pit und Tessa zu. Starke Hände packten die Polizistin an den Jackenaufschlägen, hoben sie hoch und warfen sie nach hinten. Für einen winzigen Moment hatte sie das Gesicht des Sichelmörders sehen können. Es war zu einer schrecklichen, geifernden Maske geworden. Tessa prallte mit Wucht gegen einen Baumstamm und rutschte zu Boden, während
Pit auf den Sichelmann anlegte. Der Unheimliche stieß ein tiefes Knurren aus. »Fahr zur Hölle, du Satan!« fauchte Pit und drückte ab. Er leerte das Magazin in den schwarzgekleideten Körper des Sichelmannes, sah die Kugeln einschlagen und steckte hastig ein Ersatzmagazin in den Pistolengriff. Dann feuerte er zwei weitere Schüsse ab. Die schwarze Gestalt des Sichelmörders stand stocksteif vor dem Hauptkommissar. Langsam sackte sie in die Knie. »Du hast es - wieder - geschafft«, brachte der Mörder stockend hervor. Sein Körper sank zusammen. Pit näherte sich ihm langsam, die Pistole im Anschlag. Mit dem Lauf stieß er den unheimlichen Gegner an, der reglos auf dem Boden kniete. »Aber nur beinahe!« schrie es Pit Langenbach entgegen. Mit einer blitzschnellen, federnden Bewegung war der Sichelmann auf den Beinen, hob Pit Langenbach hoch und schüttelte ihn durch. »Du kannst mich nicht in die Hölle schicken, Polizist, denn von dort komme ich!« schrie der Angreifer. »Der Höllenfürst selbst hat mich, den großen Radogar, gesandt, um seine Herrschaft auf der Welt einzuleiten. Ich werde alles vorbereiten und eine Bastion für ihn schaffen. Und niemand wird Radogar aufhalten. Ein Wurm wie du schon gar nicht!« Der Hauptkommissar versuchte verzweifelt, seine Pistole in Anschlag zu bringen. Doch der Sichelmann rüttelte und schüttelte Pit durch, daß ihm die Zähne klapperten. »Mit dir lasse ich mir noch etwas Zeit!« verkündete der Sichelmörder. »Ich muß erst noch ein paar weitere Seelen für Mephisto gewinnen, dann kommt deine kleine Begleiterin dran. Dich hebe ich mir für den Schluß auf. Aber du sollst sehen, was dich erwartet!« Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete Pit, wie die Wangenknochen des Unheimlichen schmäler wurden und sich nach vorne verengten. Der Mund wurde zu einer gewaltigen Schnauze. Der unheimliche Killer riß das Maul auf und entblößte vier Reihen dolchartiger, rasiermesserscharfer Zähne, von denen der Geifer sprühte. Die Bestie stieß ein infernalisches Brüllen aus und hüllte mit ihrem widerlichen Gestank Pit Langenbach ein. Plötzlich zuckte der Körper des Sichelmörders. Er ruckte herum. Jetzt erst hörte Pit die Schüsse, sah die Kugeleinschläge in der Seite der Bestie. Das Monster ließ den Hauptkommissar los. Pit richtete die Waffe auf seinen Gegner und drückte ab. Immer
wieder. Die Bestie brüllte, und die Schnauze bildete sich zurück, bis das bekannte Gesicht des Sichelmannes zu erkennen war. »Noch nicht!« grollte er. »Noch ist es nicht soweit!« Dann warf er sich lachend zurück und tauchte im dichten Nebel unter. »Sagen Sie mir, daß ich geträumt habe, Chef«, bat Tessa Hayden. »Das habe ich unmöglich erlebt, oder?« Pit schüttelte den Kopf. »Ich wollte, ich könnte Ihnen recht geben, Tessa«, murmelte er. »Aber Sie haben nicht geträumt. - Jetzt kann uns nur noch Mark helfen.« Niedergeschlagen suchten Tessa und Pit ihren Weg aus der Nebelwand zurück zu ihren Kollegen. * Ich hatte den Rest der Nacht ziemlich unruhig verbracht. Die linke Tour der Maybach lag mir noch im Magen. Eine halbe Kanne Kaffee brachte mich wieder auf die Beine. Kurz vor neun rief ich bei meinen Eltern zuhause an. »Hallo«, meldete ich mich bei meinem Vater. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich habe nämlich einen Anschlag auf dich vor.« Ulrich Hellmann lachte. »Das hast du fast jedesmal, wenn du anrufst, Junge«, erwiderte er. »Was ist es denn diesmal?« Ich erzählte meinem Vater von der Vision im Badezimmer. »Und dabei ist mehrmals der Name Radogar gefallen?« hakte Ulrich Hellmann nach. »Genau«, gab ich zurück. »Und eine goldene Sichel wurde auch erwähnt«, fügte ich hinzu. Wenn mir jetzt jemand weiterhelfen konnte, dann vermutlich Ulrich Hellmann. Mein Adoptivvater war damals Pit Langenbachs direkter Vorgesetzter gewesen. Er hatte sich aber aus dem aktiven Polizeidienst zurückgezogen, nachdem er von einer Auseinandersetzung mit dämonischen Wesen eine Versteifung am linken Handgelenk und am rechten Fuß zurückbehalten hatte. Inzwischen war er so etwas wie ein Experte auf dem Gebiet der Parapsychologie und des Okkulten geworden. Ulrich Hellmann sammelte Informationen zu diesen Themen und unterhielt Kontakte zu Gleichgesinnten in aller Welt. Sein EDV-Archiv befand sich noch im Aufbau. »Hast du vor, es noch in der Bibliothek zu versuchen?« fragte er. Ich verneinte, denn ich versprach mir nicht allzu viel davon.
Ich kannte mich inzwischen auch ein wenig in der Welt des Übersinnlichen aus, aber der Name Radogar klang so ungewöhnlich, daß ich kaum Chancen hatte, etwas über ihn in den üblichen Sagenbüchern zu finden. »Schau trotzdem nach, Junge«, riet mein Vater. »Gerade wenn man wenig Informationen hat, kann jeder Fingerzeig hilfreich sein. Vielleicht spielt der Zufall mit, und du stößt auf einen Hinweis.« Und schon hatte er mich überredet. »Ich mache mich gleich auf die Socken«, versprach ich. »Mittags bin ich dann wieder hier zu erreichen.« Die Mühe hätte ich mir allerdings sparen können. Ich fand nichts über den Begriff Radogar oder eine goldene Sichel. Dafür fand ich in einem Buch mit Märkischen Sagen etwas, das Pit interessieren würde. Die Sage vom Sichelmann stand da zu lesen. Vor einigen Hundert Jahren ging im Spreewald und in der Gegend um Cottbus ein schwarzgekleideter Mörder um. Er erschien immer mit dem ersten Herbstnebel. Seine unschuldigen Opfer mußten oft lange Gespräche mit ihm führen. Danach stellte er ihnen drei Fragen, die sie richtig beantworten mußten. Gelang ihnen dies nicht, so tötete sie der Unheimliche mit einer Sichel. Daher nannte man ihn den Sichelmann. Der Mörder in Cottbus hatte also die alte Sage Wirklichkeit werden lassen. Ich fotokopierte die Seite aus dem Buch. Wenn das den Ärger, den ich wegen Miriam Maybach bekommen würde, nicht abschwächte, würde überhaupt nichts helfen. Ich hatte mir gerade ein Fertiggericht in die Mikrowelle geschoben, als es an meiner Wohnungstür klingelte. Ich öffnete und sah das strahlende Gesicht meiner Mutter. »Hallo, mein Junge!« begrüßte sie mich. »Ich war zufällig in der Gegend, und da hat mich dein Vater gebeten, dir ein paar Informationen zu bringen. Bei der Gelegenheit kann ich mich dann auch gleich erkundigen, wie es dir geht«, sprudelte sie los und rauschte an mir vorbei in die Wohnung. »Mir geht's gut, Mutter«, beeilte ich mich zu sagen. Schnüffelnd rümpfte sie die Nase. »Was riecht denn hier so streng?« fragte sie, und schon sauste sie in die Küche. »Junge, ich habe dir tausendmal gesagt, daß dieses Fertigfutter schädlich für dich ist. Wie kannst du dir so was nur antun? Hättest du nur einen Ton gesagt, dann hätte ich dir was Richtiges gekocht, nicht so einen Fraß!« rief sie entrüstet. Ich nickte, trat zu ihr und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Ich weiß, Mutter, du bist mal wieder die Sorge in Person. Aber manchmal muß es eben schnell gehen, und dann kommt so ein Tiefkühlgericht ganz gelegen.« Skeptisch runzelte sie die Stirn. Nun huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Du weißt doch, ich meine es nur gut mit dir«, verteidigte sie sich. Ich ließ sie auf der Couch Platz nehmen und setzte Kaffeewasser auf. Mutter haßte Kaffeemaschinen. Bei ihr gab es nur frisch aufgebrühten Kaffee. Lydia Hellmann kramte in ihrer Handtasche herum. »Hier, das soll ich dir von Vater geben«, sagte sie endlich und reichte mir einige zusammengefaltete DIN-A4-Blätter. Langsam faltete ich sie auseinander und überflog sie. Es handelte sich um Faxe von einem Parapsychologen aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie um zwei eng beschriebene Seiten, die Vater aus einem Buch fotokopiert hatte. Darüber sah ich eine Einleitung in Ulrich Hellmanns Handschrift. Während meine Mutter ihren Kaffee schlürfte, vertiefte ich mich in die Lektüre. »Radugast und die Macht der goldenen Sichel«, war die Einleitung meines Vaters überschrieben. Ich war gespannt, was da auf mich zukommen würde. »Radugast war ein heidnischer Gott und Dämon, den vor allem das Volk der Wenden, der späteren Sorben, verehrte - und dem man Menschenopfer darbrachte«, las ich. »Es wird berichtet, daß die Wenden um das Jahr 1.000 in der heutigen Mark Brandenburg, besonders in der Gegend um Cottbus und den Spreewald herum, schrecklich gehaust haben. Die Barbaren kämpften im Zeichen der goldenen Sichel. Die Sichel war das Wahrzeichen für Reichtum und Fruchtbarkeit, doch die Anhänger Radugasts wandelten ihren Sinn ab. Die goldene Sichel wurde zum Symbol des Bösen, zum Symbol von Radugasts Anhängern, die unter der christlichen Bevölkerung wahre Massaker anrichteten. Die Hohepriester verbreiteten die Lehren Radugasts, um die Schar seiner heidnischen Anhänger zu vergrößern. Radugast selbst erschien zu Opferfesten, nachdem ihn die Hohepriester beschworen hatten. In späteren Überlieferungen wird berichtet, daß Radugast unter dem Namen Radogar ein mächtiger Dämon der Hölle ist und bereits seit urdenklicher Zeit an Mephistos Seite existiert. Es gab jedoch auch Wenden, die gegen Radugast und seine Schreckensherrschaft angingen. Es gibt Gerüchte, daß Radugast die Wenden bei der großen Schlacht gegen die Sachsen und
Thüringer im Jahre 933 im Stich gelassen hat und die Wenden dadurch aufgerieben wurden. Eine genauere Prüfung war leider nicht möglich. Nachstehend findest Du noch einige Erläuterungen und eine Abbildung Radugasts. Viel Erfolg, mein Junge.« Ich faltete die Blätter wieder zusammen. Wenn der heidnische Gott Radugast und der Dämon Radogar identisch waren, mußte er irgendwie mit dem Sichelmörder in Verbindung stehen. Und wenn das der Fall war, dann hatte Pit Langenbach unter Umständen mehr am Hals, als er verkraften konnte. Jetzt war Eile geboten. Ich mußte so schnell wie möglich nach Cottbus. »Also eins steht fest, Junge: Du brauchst eine Frau, die dir den Haushalt führt. So kann das nicht mehr lange weitergehen«, mischte sich Lydia Hellmann in meine Gedankengänge. Ich stand auf. »Wenn du damit auf Tessa anspielst, ihre hausfraulichen Qualitäten lassen zu wünschen übrig.« »Papperlapapp!« erwiderte Mutter und wischte meine Bedenken mit einer Handbewegung weg. »Man kann alles lernen.« Wenn ich jetzt nicht einen Riegel vorschob, würde sie morgen früh noch hier sitzen und in ihrem Lieblingsthema schwelgen. »Tut mir leid, Mutter, aber ich hab's ziemlich eilig. Ich muß heute noch nach Cottbus. Pit braucht mich.« informierte ich sie. »Immer hast du es eilig, Junge. Du mußt dir mehr Zeit lassen. Und paß auf dich auf, ja?« Ich brachte sie zur Tür. »Aber klar doch«, versprach ich. »Wie immer.« Kaum war sie weg, warf ich die Fertigmahlzeit in den Abfall, räumte das Kaffeegeschirr weg, schnappte mir meinen Einsatzkoffer und eine gepackte Reisetasche mit Ersatzkleidung und verließ fluchtartig die Wohnung. * Über ein Dutzend Männer und Frauen waren in dem Konferenzzimmer im obersten Stockwerk des Polizeipräsidiums zusammengekommen. Sie saßen um einen großen, ovalen Konferenztisch herum und redeten durcheinander. Manche hatten Kaffeetassen vor sich stehen, andere bevorzugten Mineralwasser. Hauptkommissar Peter Langenbach paffte einen seiner stinkenden Zigarillos. Die Tür öffnete sich, und eine attraktive Schwarzhaarige betrat
zusammen mit einem Adjutanten den Raum. Kripohauptkommissar Roland Metzger erhob sich. »Herrschaften, ich darf um Ruhe bitten!« rief er mit sonorer Stimme in den Raum. Schlagartig verstummten die Gespräche. Metzger wandte sich der Schwarzhaarigen zu. »Ich darf Ihnen zunächst die Staatsanwältin Dr. Eva Glaser vorstellen«, sagte er. »Gut«, begann sie, »nachdem wir nun die Formalitäten hinter uns gebracht haben, möchte ich gerne über den neuesten Stand der Ermittlungen informiert werden.« Sie sprach mit energischer Stimme. Typisch Karrierefrau! dachte Pit. Die Augen der Staatsanwältin blickten kalt in die Runde und saugten sich an Pit fest. »Man hat Ihnen die Leitung der Soko übertragen, Herr Langenbach. Schon vor zwei Wochen waren Sie mit den Ermittlungen betraut. Sie konnten den sogenannten Sichelmörder stellen. Können Sie mir dann bitte erklären, wie es kommt, daß er wieder frei herumläuft, obwohl er vor vierzehn Tagen erschossen wurde?« fragte Dr. Glaser energisch. Pit erhob sich zögernd. Er räusperte sich. »Nun, Frau Dr. Glaser, es gibt eine relativ einfache Erklärung dafür«, antwortete er. »Der Sichelmörder ist von den Toten auferstanden.« Verhohlenes Gelächter erklang. Nur Frau Dr. Glaser lachte nicht. Zornesröte stieg in ihr Gesicht. »Ich glaube, Sie verkennen den Ernst der Situation, Herr Hauptkommissar!« sagte sie in scharfem Ton. Sie stützte sich mit beiden Armen auf der Tischplatte auf und beugte sich vor Ihre Augen blitzten. »Herrschaften«, sagte sie mit wütender Stimme, »ich muß es Ihnen wohl nochmals in aller Deutlichkeit sagen: Wir brauchen konkrete Ergebnisse, und zwar schnell! Die Bevölkerung ist äußerst beunruhigt. Wir haben zwar eine Nachrichtensperre verhängt, aber Gerüchte machen schnell die Runde. Die drei Toten am Spreeufer sind nicht unbemerkt geblieben, Herrschaften. Die Frauen fühlen sich nicht mehr sicher, seit sie wissen, daß da draußen noch immer ein Irrer mit einer Sichel auf Opfer lauert. Was wir jetzt nicht brauchen können, ist eine Massenhysterie, ganz zu schweigen von einer schlechten Presse. Wir müssen den Mann unschädlich machen, Herrschaften!« Betretenes Schweigen folgte ihrer Rede. »In einem Punkt irren Sie sich, Frau Staatsanwältin«, meinte Pit. »Das da draußen ist kein Irrer mehr, kein Psychopath, sondern ein untoter Mörder. Was ich damit sagen will, ist
folgendes; was wir auch unternehmen, der Kerl wird uns immer einen Schritt voraus sein. Unsere Waffen sind nutzlos gegen ihn. Und wer sagt Ihnen denn, daß er nicht noch Helfer um sich geschart hat? Menschen, die ihm huldigen und alles für ihn tun würden. »Vielleicht haben wir es sogar mit einer ganzen Sekte zu tun«, gab Pit zu bedenken. Gemurmel kam unter den Anwesenden auf. Peter Langenbach hatte für neuen Diskussionsstoff gesorgt. »Warum haben Sie nicht auch noch Teufelsanbeter oder andere okkulte Einigungen erwähnt?« fragte Eva aber mit spöttischem Unterton. »Ich weiß, daß Sie in dieser Richtung schon einschlägige Erfahrungen gesammelt haben, Herr Langenbach. Ihr Ruf und der Ihres Freundes Mark Hellmann ist auch bis nach Cottbus gedrungen.« »Ich wollte es nicht mit solcher Deutlichkeit sagen«, erklärte Pit, »aber ich habe vor, die Ermittlungen in dieser Richtung zu führen. Ich bin überzeugt davon, daß dem Sichelmörder mit herkömmlichen Polizeimethoden nicht beizukommen ist. Deswegen beauftrage ich, Mark Hellmann als fachlichen Berater in die Soko aufzunehmen und ihm für seine Bemühungen einen Tagessatz von DM…« Die Staatsanwältin warf ihm einen weiteren spöttischen Blick zu, während sie ihn unterbrach. »Malen Sie die ganze Angelegenheit nicht ein wenig zu schwarz, Herr Langenbach?« fragte sie »Mir ist bekannt, welch große Stücke man auf Sie und Ihren Freund Hellmann in Polizeikreisen hält, aber nicht alle unlösbar scheinenden Fälle kann man darauf zurückführen, daß der Teufel seine Hand im Spiel hat.« »Das ist richtig, Frau Glaser. Aber vergessen Sie eins nicht: Ich habe den Sichelmörder gesehen. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wozu diese Bestie fähig ist. Wer von den Kollegen kann das schon von sich behaupten? Wenn ich sage, dieses Wesen ist auf unsere Art nicht zu bekämpfen, dann ist es so«, sagte Pit bestimmt. Die Staatsanwältin musterte ihn mit einem langen, prüfenden Blick. »Gut, ziehen Sie Herrn Hellmann hinzu«, entschied sie schließlich. »Geld nur bei Erfolg. - Aber wenn Sie mich hier lächerlich machen, werden Sie es bereuen!« Sie nahm ihre Aktenmappe auf und strebte dem Ausgang zu. »Hoffentlich wissen Sie, was Sie tun, Herr Hauptkommissar«, warf sie Pit im
Vorbeigehen zu. »Die mag Sie nicht, Chef«, raunte Tessa, als Eva Glaser mit hocherhobenem Kopf den Raum verließ. Pit zuckte die Achseln. »Na und? Hier geht es um die Sache.« Pit beschloß nach der Konferenz, noch einmal den Fundort der Leichen und dessen Umgebung zu besichtigen. Gemeinsam mit Tessa fuhr er zum Goethepark. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum die drei Toten am Spreeufer abgelegt wurden und nicht in der Anlage, wo wir dem Sichelmörder damals eine Falle gestellt hatten«, überlegte Pit laut. Ein paar Sonnenstrahlen versuchten, die düstere Wolkendecke zu durchdringen, als Pit und Tessa am Spreeufer aus dem Wagen stiegen. Die Fundstelle der drei Toten war weiträumig abgesperrt worden. »Wenn wir uns die nähere Umgebung angesehen haben, sollten Sie sich in der hiesigen Szene umhören, Tessa«, gab Pit Langenbach Anweisung. »Sie wissen schon, Jugendclubs, Discos, Bistros. Eben das ganze Programm. Vielleicht erfahren Sie was über eine okkulte Vereinigung oder eine Sekte.« Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen, schaute zu der Baumgruppe hin, wo ihm der Sichelmörder aufgelauert hatte, und wieder zurück zur anderen Seite der Absperrung. Plötzlich stutzte er. Am äußersten Rand der Sperrzone erkannte er einen uniformierten Polizisten, der sich angeregt mit einer attraktiven Rothaarigen unterhielt. »Moment mal!« rief Pit Langenbach und hastete auf die beiden zu. »Was fällt Ihnen eigentlich ein, Mensch?« herrschte er den Polizisten an, der völlig überrumpelt zurückwich. »Es wurde eine totale Nachrichtensperre verhängt. Gehen Sie, bevor ich Ihnen ein Disziplinarverfahren anhänge, Mann!« Dann wandte sich Pit der Frau zu. »Wenn ich Sie wäre, Frau Maybach, würde ich mich schleunigst irgendwo verkriechen und nicht wieder hervorkommen, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind«, fauchte er sie an. Miriam Maybach warf sich in die Brust und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. »Warum sind wir denn so unhöflich, Herr Kommissar?« fragte sie. »Ich schau mich hier nur ein wenig um. Das ist doch wohl nicht verboten, oder?« »Für die Königin der Klatschpresse schon! Außerdem schleicht hier in der Gegend ein Irrer herum, der es auf hübsche Frauen abgesehen hat«, brummte Pit. Sollte sie ruhig in dem Glauben bleiben, daß es sich bei dem Sichelmann um einen Psychopathen
handelte. »Ich wußte gar nicht, daß Sie auch Komplimente machen können, Herr Langenbach«, erwiderte die Reporterin. »Darf ich Sie zitieren? Ich meine, das mit dem Irren?« »Unterstehen Sie sich!« schrie Pit. »Wie kommt es eigentlich, daß Sie hier sind und nicht in Weimar, wo Sie hingehören?« wollte er wissen. Miriam lachte hell. »Ihr Freund Mark war so nett, mir zu verraten, von wo aus die Soko Sichel operiert. So ist es eben mit den Männern. Wenn man sie richtig anpackt, können sie kein Geheimnis für sich behalten! Wir sehen uns bestimmt bald wieder, Herr Kommissar!« Damit ließ sie Pit stehen und ging mit elegantem Hüftschwung zu ihrem Wagen. Pit glühte. Auch mit Mark hatte er also noch ein Hühnchen zu rupfen. * Als ich am späten Nachmittag in Cottbus eintraf, versuchte ich als erstes, Pit im Präsidium zu erreichen. Aber die Mühe hätte ich mir sparen können. Von der Dame an der Information erfuhr ich, daß er erst am Abend wieder zurückerwartet wurde. Ich checkte im zentral gelegenen Holiday Inn am Berliner Platz ein. Hier erwarteten mich schon die ersten Gerüchte und Neuigkeiten über den dreifachen Mord von der vergangenen Nacht. Ich aß eine Kleinigkeit, bummelte dann durch die Altstadt und versuchte es gegen halb sieben wieder im Präsidium. Man verwies mich an ein Büro im dritten Stock. Die reinste Besenkammer. »Mein lieber Freund!« rief ich. »Da haben sie dich aber nicht sehr ehrenvoll untergebracht.« Pit sprang auf. »Von wegen mein Lieber!« brüllte er. »Und Freund schon gleich gar nicht! Bist du eigentlich völlig übergeschnappt?« Er schoß auf mich zu und senkte mit Mühe die Stimme. »Wie kommst du dazu, dieser Zeitungsschmiererin zu verraten, was hier abgeht? Verdammt noch mal, wenn ich nicht mal mehr dir trauen kann, wem dann?« fauchte er mich an. »Du hast dich wohl wieder von deinen Samensträngen leiten lassen, statt vom Hirn«, vermutete Pit. »Heute morgen hab ich sie dabei erwischt, wie sie sich in unsere Ermittlungen eingemischt hat.«
Ich hob beide Hände und schob ihn einen Schritt zurück. »Ich gebe ja zu, daß ich ihr auf den Leim gegangen bin«, sagte ich. »Kannst du deinem alten Kumpel noch mal verzeihen?« Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte ich mir Pits ewigen Zorn zugezogen. Dann erhellte sich sein Gesicht. »Wenn du schon mal hier bist, kannst du dich auch nützlich machen«, meinte er. »Ich hab dich als fachlichen Berater in die Soko eingebracht. Und Geld gibt's dafür auch. Bei Erfolg. Aber komm nicht auf den Gedanken, irgendwelche Informationen an deine Zeitung weiterzugeben. Ist das klar?« Ich versprach es. »Wo ist eigentlich Tess?« »Sie klappert die Szene ab«, informierte mich Pit. »Und was ist jetzt mit dem Sichelmörder?« Pit schaute mich ernst an. »Deswegen habe ich dich ja in die Soko aufnehmen lassen, Mark«, erklärte er und berichtete von drei Toten an der Spree. »Ich bin dem Mistkerl übrigens begegnet. Er kann sich verändern.« »Was meinst du mit verändern?« hakte ich nach. Pit paffte eine Runde. »Na, das Aussehen, das Gesicht. Er kann es zu einer wolfsähnlichen Schnauze verändern und sich in eine wahre Bestie verwandeln.« »Und er hat dich einfach so laufenlassen?« fragte ich. »Nicht einfach so. Er hat mir angedroht, daß er sich erst Tessa greifen will, dann mich.« Ich kramte nervös in meiner Jackentasche herum. »Hier habe ich was für dich«, sagte ich und hielt ihm die Kopien aus der Weimarer Bibliothek und von meinem Vater hin. Pit las aufmerksam die Sage über den Sichelmann. »Das Schwein hat doch nicht alle Tassen im Schrank gehabt«, meinte er schließlich. »Lies erst mal die anderen Blätter«, bat ich ihn. »Vielleicht gibt es da einen Zusammenhang zum Sichelmörder.« Für mich stellte die Vision im Badezimmerspiegel bereits einen Zusammenhang dar. Ich hatte den Sichelmörder gesehen und im nächsten Moment Radogars Namen gehört. Pit konzentrierte sich auf die Lektüre der Blätter. Plötzlich hieb er mit der Faust auf den Tisch. »Ja, gibt's denn so was?« rief er. »Der Sichelmörder und dieser Radogar sind ein und dieselbe Person, Mark!« Jetzt war es an mir, überrascht zu tun. »Wie kommst du denn
darauf?« wollte ich wissen. »Es paßt alles zusammen, Mark«, kam die Antwort. »Er hat sich Radogar genannt, als er sich vor meinen Augen verwandelte und mich mit einer goldenen Sichel zu ermorden versuchte. Verstehst du, Mark? Radogar und der Sichelmörder sind eins!« »Dann ist der Dämon also aus der Hölle zurückgekehrt und benutzt die Leiche des Sichelmörders als Wirtskörper«, resümierte ich. »Ich werde mich morgen früh im Wendischen Museum umschauen. Vielleicht erfahre ich dort mehr über Radogar. Und in der Bibliothek, wo diese Carola Börner gearbeitet hat, will ich auch noch kurz reinschauen.« »Sonst hat der Herr keine Wünsche mehr?« fragte Pit. Ich schüttelte den Kopf. »Doch. Ich will mir die Anlagen bei der Stadtpromenade und den Park ansehen. Aber bei Nacht. Vielleicht gibt sich unser Freund ja die Ehre.« * »Radogar! Radogar!« Die Anhänger des Dämons riefen monoton seinen Namen, daß es in dem Gewölbe widerhallte. Wie in Trance wiegten sie sich hin und her, vor und zurück. Kalter Schweiß lief ihnen über die Gesichter. Radogars Anhänger waren bereits arg erschöpft, als sich endlich der schwere Opferstein in der Mitte des Gewölbes zur Seite schob und ihr Herr und Meister erschien. Langsam schob sich seine häßliche Gestalt aus der Öffnung und blieb schließlich vor den Jüngern stehen. Die tote Hülle des Sichelmörders hatte er abgelegt, denn wenn er ruhte oder seinen Jüngern gegenübertrat, fühlte er sich in seiner wahren Gestalt wohler. »Großer Radogar!« grüßte ihn der Hohepriester mit gesenktem Haupt und erhobenen Händen. »Wir danken für dein Erscheinen.« Radogar wandte ihm sein geiferndes Maul zu. »Was ist euer Begehr? Ich erwarte ein Opfer, wenn ihr mich ruft. Wo ist es?« grollte er mit dumpfer Stimme und Schleim sprühend. »Verzeih, großer Radogar! Wir haben ein Problem…« »Problem? Es gibt keine Probleme für Radogar und seine Anhänger! Wenn ihr nicht fähig seid, selbst eine Lösung zu finden, seid ihr nicht würdig, mir zu dienen!« schrie der Dämon. Der Hohepriester wandte sich an die Dämonenjünger und
machte ein Zeichen. Eine junge Frau erhob sich und trat schüchtern auf Radogar zu. Demütig senkte sie den Kopf, ließ den Umhang von den Schultern gleiten und kniete nackt und zitternd vor dem Dämon. »Sprich!« fauchte Radogar. »Die Polizei hat einen Mann um Unterstützung gebeten, der dir gefährlich werden kann. Er steht in dem Ruf, den Mächten der Hölle den Kampf angesagt zu haben. Sein Name ist Mark Hellmann«, erzählte die junge Frau. Der Dämon humpelte auf seinen schuppigen Stummelbeinen auf sie zu, packte die junge Frau und riß sie an sich. »Und warum habt ihr diesen Mann nicht gleich erledigt? Warum mußtest du mich mit einer solchen Kleinigkeit belästigen?« fragte der Dämon gefährlich leise. Sein stinkender Atem trieb dem Mädchen Tränen der Übelkeit in die Augen. »Er ist ständig von Polizisten umgeben. Dieser Kommissar Langenbach ist sein bester Freund. Es ist unmöglich, an Hellmann ranzukommen!« versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Er ist ein Nichts! Ein Niemand!« schrie Radogar und stieß die Frau gegen die Gewölbewand. Benommen rutschte die Nackte daran zu Boden. Der Dämon wandte sich geifernd an die Anwesenden. »Ihr werdet euch um diesen Hellmann kümmern!« wies er sie an. »Noch in dieser Nacht!« Demütig senkten die Anwesenden den Kopf, während Radogar auf den Hohepriester zutrat. »Wähle aus, wem du diese Aufgabe übertragen willst«, knurrte er. »Aber wähle gut!« Dann schlurfte der Dämon auf das halb ohnmächtige Mädchen zu. »Du hast dich nicht würdig erwiesen, mir zu dienen. Ich habe keine Verwendung mehr für dich«, tönte er brutal und verachtend. Sie richtete sich auf und schaute Radogar aus tränenverschleierten Augen an. »Meister, ich will dir dienen«, wimmerte sie. »Ich werde mich würdig erweisen. Nimm mich und verfüge über mich!« Flehend hob sie ihm die Hände entgegen. Radogars Augen blitzten grell auf. »Du kannst mir nur noch einen Dienst erweisen. Deine Kraft wird in mich übergehen!« In Sekundenbruchteilen veränderte sich sein Kopf. Die Gesichtsknochen dehnten sich, wurden länger, und bildeten schließlich eine gewaltige Schnauze. Mit einem zornigen Grollen schoß der Kopf vor. Radogars Linke packte den Hals der Frau. Die langen Nägel rissen schmerzhafte Wunden. Radogar hob die Dämonenjüngerin hoch und ließ sie auf die Platte des Opfersteins
fallen, wo sie wimmernd liegenblieb. Der Hohepriester eilte herbei und legte die goldene Sichel in Radogars Hand. Die Frau strampelte und wand sich. Mit einem pfeifenden Geräusch sauste die Sichelklinge nach unten und fand ihr Ziel. Erstaunen und Schmerz spiegelten sich im Blick der jungen Frau, als sie Radogar aus brechenden Augen anstarrte. * Nachdem Tessa unverrichteter Dinge von ihrer Szenetour zurückgekehrt war, hatten wir in der Altstadt zu Abend gegessen. Jetzt schlenderten wir über die Stadtpromenade und näherten uns der Stelle, an der Tessa den Sichelmörder in eine Falle gelockt hatte. Es war kalt. Auch in dieser Nacht hing eine undurchdringliche Nebelwand zwischen den Bäumen des Altstadtrings. Nebelfetzen wehten über die Promenade. Sie war wie ausgestorben. »Ich bin dafür, daß wir jetzt in der Hotelbar noch einen Schlaftrunk genehmigen«, erklärte Pit. »Das gibt heute nichts mehr.« Sekunden später. Das Kichern erklang aus dem Nebel und ließ mir Eisschauer über den Rücken rieseln. Ich wirbelte herum. Auch Pit und Tessa drehten sich zu der Nebelwand um und versuchten, etwas zu erkennen. Vergeblich. Wieder erklang das Kichern. Diesmal schien es ganz nah zu sein. Dann rief Pit: »Das ist er! Der Schweinehund beobachtet uns!« Erneut klang das Kichern auf. Pit sprang an den Rand der Nebelwand vor. »Radogar! Komm raus und zeig dich uns! Los, Sichelmann, oder bist du dazu zu feige?« Die Antwort war wieder nur ein Kichern. Schritte erklangen. Leise, gedämpfte Schritte. Sie kamen langsam von links auf Pit zu. »Aufpassen!« schrie Tessa und zog ihre Dienstpistole. Aus dem undurchdringlichen Grau der Nebelwand lösten sich fünf Gestalten. Sie waren allesamt schwarz gekleidet und näherten sich uns. Es waren drei Männer und zwei Frauen. Sie starrten uns aus kalten, ausdruckslosen Augen entgegen. Mit ihren bleichen Gesichtern wirkten sie fast wie Zombies. »Kriminalpolizei! Bitte verlassen Sie die Promenade!« Pits Aufforderung wurde mit einem dümmlichen Lächeln und Schweigen beantwortet. »Ich fordere Sie hiermit zum letzten Mal
auf, die Promenade zu verlassen, Herrschaften!« rief Pit in autoritärem Ton. Er hatte die kleine Gruppe jetzt fast erreicht. Plötzlich kam Bewegung in die fünf Schwarzgekleideten. Die vorderste Gestalt riß den Arm hoch. Im schwachen Licht der Straßenlaternen erkannte ich die halbkreisförmige Schneide einer Sichel. »Zurück, Pit!« brüllte ich und rannte aus dem Stand los. Pit Langenbach reagierte buchstäblich im allerletzten Moment. Die Klinge sauste auf ihn zu, als er sich bereits in der Bewegung befand. Mit einem ratschenden Geräusch fetzte sie in seinen Trenchcoat. Wütend riß der Angreifer die Sichel frei. Mit einem gellenden Schrei stürzte er sich erneut auf den Hauptkommissar. »Radogar!« schrie der Angreifer mit der Sichel. Auch seine vier Begleiter fielen in den Ruf ein. »Radogar!« erklang es jetzt fünfstimmig. Ich ging zum Gegenangriff über. Während Pit zur Seite wegkreiselte und seine SIG Sauer zog, sprang ich wie ein Panther durch die Luft. Mein gestreckter Fuß traf den Mann mit der Sichel an der Brust und raubte ihm den Atem. Mit einem erstickten Schmerzenslaut taumelte er zurück. Und dann ging alles blitzschnell! Seine Kameraden warfen sich nach vorn und stürzten auf uns zu. Zwei rannten an mir vorbei, um Pit und Tessa zu übernehmen. Eine Frau wirbelte auf mich zu und umklammerte mit beiden Armen meinen Hals. Wütendes Fauchen drang an meine Ohren. Ich versuchte, mich aus der Umklammerung zu lösen, aber sie gebärdete sich wie eine Wildkatze. »Mach ihn fertig!« schrie sie keuchend dem letzten der fünf Angreifer zu. »Los, schlitz ihn auf! Radogar will es so!« Ich beugte mich ruckartig vor, kreiselte herum und versuchte so, die Frau abzuschütteln, doch es gelang mir nicht. Sie ließ einfach nicht locker, sondern krallte sich verbissen an meiner Jacke fest. Keuchend richtete ich mich auf und blieb mit der Frau auf dem Rücken so ruhig wie möglich stehen. Auch mein zweiter Gegner hielt nun eine Sichel in der Hand und kam langsam auf mich zu. Ein häßliches Grinsen spielte um seine Lippen. Immer wieder hieb er mit der Sichel quer durch die Luft. Das Sichelblatt erzeugte ein leises, pfeifendes Geräusch. »Zeit zum Abschiednehmen!« zischte er. »Dann sag mal tschüs«, gab ich zurück und trat blitzschnell zu. »So, Schluß für heute!« Mein Fuß traf mit Wucht sein Handgelenk
und prellte ihm die Sichel aus der Hand. Sie flog durch die Luft und fiel irgendwo klirrend zu Boden. Erstaunt starrte der Kerl erst seine leere Hand und dann mich an. Ich gab ihm keine Zeit für einen erneuten Angriff und schaltete ihn mit einem letzten Tritt aus. Er brachte keinen Ton mehr hervor. Mit der Frau im Rücken gelang es mir, mich ruckartig hochzuwuchten und einen Tritt unter das Kinn meines Gegners zu setzen. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, dann stürzte er und blieb reglos liegen. Mein Anhängsel meldete sich nun wieder und begann, auf mich einzuschlagen, zu kratzen und mich an den Haaren zu ziehen. »Jetzt hört der Spaß aber auf, Süße!« schrie ich und griff nach hinten. Ich bekam ihr dichtes Haar zu fassen und zerrte daran. Die Frau schrie gellend auf und fletschte wutentbrannt die Zähne. Mit einem Schrei warf sie sich auf mich. Ich packte ihre Handgelenke und drückte sie zur Seite. Die Frau gebärdete sich wie wild, keifte, spuckte und war die Hysterie in Person. Meine schallende Ohrfeige ließ sie schlagartig verstummen und erstarren. Hinter mir peitschte ein Schuß. Ich wirbelte herum. Durch die Nebelschwaden erkannte ich Tessa, die breitbeinig vor einem Angreifer stand und die Pistole in Beidhandanschlag hielt. Der Mann kniete vor ihr auf dem Boden und preßte seinen rechten Arm an den Körper. Vor ihm lag eine Sichel auf dem Pflaster. Mit der Linken griff er nach dem Schneidegerät. »Sichel, Messer, Schere, Licht, sind für böse Buben nicht!« reimte Tessa spöttisch und trat dem Gegner heftig auf die Hand. Mit einem schmerzerfüllten Brüllen ließ er von der Sichel ab. Tessa kickte sie zur Seite weg. Pit hatte unterdessen alle Hände voll mit einer Frau zu tun, die ebenfalls vorhatte, ihn aufzuschlitzen. Seine Pistole schien sie überhaupt nicht zu beeindrucken. Mit flirrenden Bewegungen hieb sie die Sichel nach ihm und stieß bei jedem Hieb einen gequälten Stöhnlaut aus, wie man das von Tennisspielerinnen beim Matchball kannte. Pit zögerte. Er wollte nur schießen, wenn es unvermeidbar war. Im Moment konnte er den Hieben gerade noch ausweichen. Mit einem gezielten Schuß konnte er die Angreiferin nicht entwaffnen, denn ihr ganzer Körper befand sich ständig in Bewegung. Sie war ungeheuer flink und wendig. Dann aber erwischte ihn die Sichel, und Pit erhielt endlich Gelegenheit
zu einem Gegenschlag. Die Klinge hatte sich in seinem Mantelaufschlag verfangen. Wütend riß die Angreiferin an der Sichel, aber es war schon zu spät. Pit hämmerte ihr den Pistolenlauf auf die Hand. Sie schrie auf und ließ die Sichel los. Pit versetzte ihr einen Hieb mit der flachen Hand vor die Brust, der sie zurücktaumeln ließ. Dabei kam sie dem ersten Angreifer, der meinen Tritt gegen den Brustkorb kassiert hatte, in die Quere. Er hatte sich wieder gefangen und sich diesmal den Hauptkommissar als Gegner ausgesucht. Die taumelnde Frau prallte mit dem Rücken gegen ihren Kumpan. Ein Ausdruck maßlosen Erstaunens trat in ihre Augen. Dann sank sie in die Knie und fiel vornüber. Ihr Komplize stand mit entsetztem Gesichtsausdruck da und starrte auf das blutige Sichelblatt in seiner Hand. Ich entwaffnete den Mann, während Pit ihm Handschellen anlegte. Auch Tessa schloß ihrem Gegner die stählerne Acht um die Handgelenke. Die anderen drei Angreifer waren vorläufig nicht in der Lage, irgend etwas gegen uns zu unternehmen. Über Handy rief Pit die Kollegen und den Notarzt an, um die Sichelschwinger abholen zu lassen. »Und ich dachte, wir hätten es nur mit einem Dämon zu tun«, stöhnte Pit. »Aber nein, es muß ja gleich eine ganze Horde Irrer mit Sicheln hier rumtanzen!« Er kramte in seinen Taschen nach einem Zigarillo. »Chef, Ihre Theorie mit einer Sekte oder okkulten Gruppe scheint zu stimmen«, meinte Tessa. »Es sah mir ganz so aus, als hätten die fünf nicht aus eigenem Antrieb gehandelt. Dieses Wort, das sie riefen, Radogar, klang wie ein heiliger Name. Vielleicht ist er das Idol ihrer Sekte.« »Radogar dürfte der Dämonengott sein, den sie anbeten«, meldete ich mich zu Wort. »Ich hatte gestern nacht eine Art Vision, in der ich vor diesem Radogar gewarnt wurde.« Pit warf mir einen wütenden Blick zu. »Damit kommst du aber reichlich spät rüber, Mark«, maulte er. Während wir sprachen, gingen wir langsam auf der Promenade auf und ab und näherten uns wieder der Stelle, an der die Leiche von Dorothee Lüders gefunden worden war. Dann das Ungeheuerliche! Eine Hand tauchte aus der Nebelwand hervor, packte Tessa und riß sie mit. Ich wollte sofort hinterher, doch Pit hielt mich auf. »Der Kerl ist inzwischen über alle Berge!«
Wir lauschten auf ein Zeichen von Tessa. Nichts. Es war, als würde der Nebel jedes Geräusch im Keim ersticken. Sekunden tickten vorbei. Dann hörten wir heftiges Atmen, und das häßliche Kichern erklang wieder. »Du gefällst mir«, hörten wir die Stimme des Sichelmörders. »Das gibt ein nettes Plauderstündchen mit dir, meine Schöne.« Im nächsten Augenblick stürzte Tessa aus der Nebelwand auf uns zu. Wir fingen sie auf und stützten sie. Radogar verabschiedete sich mit einem häßlichen Gelächter. * »Wir haben es also einwandfrei mit einer okkulten Gruppierung zu tun, der es gelungen ist, den Dämon Radogar aus der Hölle zu rufen, damit er seine Schreckensherrschaft erneut beginnt«, dozierte Pit. Wir befanden uns im Konferenzsaal des Polizeipräsidiums. Dr. Eva Glaser stand am Kopfende des Besprechungstisches. Sie schien immer noch nicht so recht zu glauben, was Pit gerade erzählt hatte. »Die fünf Verhafteten haben noch immer nichts über diese mysteriöse Vereinigung ausgesagt?« fragte sie. Pit schüttelte den Kopf. »Und auf die Frage, warum der Dämon Frau Hayden und Sie letzte Nacht am Leben ließ, haben Sie wohl auch keine Antwort«, polterte die Staatsanwältin; und Pit zuckte die Achseln. Ich stand auf und leistete ihm Schützenhilfe. »Wenn ich die Frage beantworten darf, Frau Staatsanwältin. Dämonen bereitet es ein Vergnügen, sich an der Angst ihrer Opfer zu weiden. Ich nehme an, daß Radogar sehen wollte, wie weit wir bei seinen Anhängern gehen würden. Wahrscheinlich deutet er den Umstand, daß wir die Angreifer nicht getötet haben, als Schwäche. Das kann ein Vorteil für uns werden. Mit uns spielte er wohl nur. Deswegen ist uns nichts passiert«, erklärte ich. »Ah ja, Herr Hellmann«, erwiderte sie und blitzte mich aus ihren kalten Augen an. »Unser Experte in Sachen Hölle. Sie haben wohl für alles eine Erklärung. Machen Sie es sich nicht ein bißchen zu einfach?« Ich schüttelte den Kopf und schaute sie ernst an. »Nee, Frau Glaser. Ich nehme die Sache sehr ernst!«
Betretenes Schweigen trat ein, das die Staatsanwältin schließlich unterbrach. »Es sieht also ganz so aus, als hätten Sie mit Ihrer Vermutung ins Schwarze getroffen, Herr Hauptkommissar«, meinte sie dann. »Ich hoffe nur, es gelingt Ihnen, dieses Wesen zu stoppen, bevor es noch mehr Menschen umbringt.« Sie wandte sich jetzt direkt an mich. »Ich verlasse mich auf Sie, Hellmann.« Dann sauste sie davon. »Und jetzt?« fragte Pit. »Auf geht's zur Bibliothek!« schlug ich vor. Irgendwo mußten wir ja weitermachen. Wenig später saßen wir im Büro des Leiters der Stadtbibliothek. Herbert Corten war ein stämmiger Mann Mitte Fünfzig. »Ja, Carola Börner war hier als Bibliothekarin angestellt«, sagte er mit sonorer Stimme. Er schüttelte betrübt den Kopf. »Das arme Ding. Sie war eine unscheinbare Person, müssen Sie wissen. So eine Art Mauerblümchen. Unauffällige Kleidung, Dutt. Und schüchtern war sie. Doch sie arbeitete gern hier. Auf sie war Verlaß.« »Hatte sie Männerbekanntschaften, Freunde, Liebhaber?« fragte Pit. Der Bibliotheksleiter schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Kommissar. Carola war die Zurückhaltung in Person. Sie konnte nicht mal mir in die Augen schauen, geschweige denn einem Fremden. Das war ihr Problem…« »Eine Frage noch«, sagte ich. »Ist Ihnen der Begriff Radogar schon mal untergekommen?« »Nicht daß ich wüßte«, antwortete Corten, ohne groß zu überlegen. »Aber schauen Sie sich doch in unserer Bibliothek um. Vielleicht finden Sie dort etwas darüber.« Und genau das tat ich dann auch. Pit fuhr ins Präsidium zurück, und ich verkroch mich zwischen Büchern. Doch der Begriff Radogar tauchte nirgends auf. Zwei Stunden später holte mich Pit in der Bibliothek ab. »Und?« fragte er. »Fündig geworden?« Ich schüttelte den Kopf. »Deshalb versuche ich jetzt mein Glück im Wendischen Museum.« Langsam durchschritten wir die Ausstellungsräume wendischer Kultur. Die wenigen Besucher verloren sich in dem Museum. Trachten wurden hier ebenso präsentiert wie Bücher, Schriftproben, Kunst und allgemeine Gebrauchsgegenstände. Ich suchte die Vitrinen nach Hinweisen auf den heidnischen Gott Radugast ab. Mein Blick fiel auf einen schmalen Glasschrank, wo ich gebannt auf die ausgestellten Gegenstände starrte. Pit kam
mir hinterher. »Was ist?« fragte er. »Hast du was gefunden?« Mein Herz schlug schneller, als ich auf die Ausstellungsstücke vor mir deutete. »Die goldene Sichel!« brachte ich heiser hervor. Mitten in der Vitrine, umgeben von anderen, kleineren Gebrauchsartikeln der Wendenzeit, lag auf einem leicht erhöhten Podest eine goldene Sichel. »Sie sieht genauso aus wie die Sichel, mit der mich Radogar angegriffen hat«, erklärte Pit. »Kann ich Ihnen behilflich sein, meine Herren?« hörten wir hinter uns eine Stimme. »Ich heiße Drewitz und bin der Museumsdirektor.« Der Mann, der gesprochen hatte, war eher unscheinbar. Ich schätzte ihn um die Fünfzig. Er hatte schütteres, blondes Haar und trug einen dunklen Anzug. Pit hielt ihm seinen Ausweis unter die Nase. »Wir müssen alles über diese Sichel wissen«, sagte er und deutete auf die Vitrine. »Sie interessieren sich also für die goldene Sichel. Nun, es gibt nicht viel darüber zu berichten. Die Sichel galt bei den Wenden als Fruchtbarkeitssymbol. Mit ihr schnitt man auf dem Feld, was man zum Leben brauchte. Und im Zeichen der Sichel brachte man den Fruchtbarkeitsgöttern Opfer in Form von Nahrungsmitteln dar. Die Wenden waren ein heidnisches Volk, müssen Sie wissen.« - »Das ist alles sehr interessant, guter Mann«, meinte Pit. »Aber was wir wissen wollen, ist folgendes: Fand die goldene Sichel auch noch eine andere Verwendung?« Hilmar Drewitz starrte den Hauptkommissar zunächst irritiert an, dann nickte er zögernd. »Wie bei allen Völkern, so gab es auch bei den Wenden religiöse Vereinigungen. Man sagt, daß die goldene Sichel auch das Symbol des Bösen darstellte. Bei manchen Wendenstämmen hat man die Sichel dem Gott Radugast geweiht und ihm damit Menschenopfer dargebracht…« Ich beugte mich vor. »Erzählen Sie uns bitte alles über Radugast«, forderte ich ihn auf. Und Hilmar Drewitz redete wie ein Wasserfall. Seine Erzählungen deckten sich weitgehend mit den Informationen, die ich von meinem Vater erhalten hatte. »In den Überlieferungen der Wenden und später auch der Sorben wird immer wieder ein mächtiger Dämonengott namens Radugast erwähnt, der irgendwann wiederkehren soll, um die Herrschaft des Schreckens auf der Erde auszuweiten. Aber das sind die üblichen Geschichten, mit denen man Weltuntergangsstimmung verbreiten wollte«, fügte er lächelnd hinzu.
Wenn Sie sich da nur nicht irren, Meister! dachte ich. »Und wie alt ist die Sichel?« fragte ich. Drewitz lachte. »Es ist nur eine Nachbildung«, erwiderte er. »Die echte goldene Sichel ist verschwunden.« Wir dankten ihm und gingen in Gedanken versunken Richtung Ausgang. Plötzlich kam mir noch was in den Sinn. »Sagen Sie«, wandte ich mich erneut an den Museumsdirektor, »haben diese religiösen Fanatiker, die Radugast anbeteten, auch hier in Cottbus und Umgebung gehaust?« Drewitz kam nickend auf uns zu. Seine Antwort: »Drüben auf dem Schloßberg, in der Nähe des Turms, soll früher eine Opferstätte von Radugasts Priestern gewesen sein. Bei der Restaurierung des Turms, im vergangenen Jahrhundert, hat man allerdings alles beseitigt. Da ist nichts mehr zu finden«, meinte er. »Es gibt keinen Ort, der sich besser als Versammlungsstätte für Radogars Anhänger eignen würde als dieser Schloßturm«, stellte ich fest, während wir uns eine Currywurst genehmigten. Pit schüttelte kauend den Kopf. »Du hast doch gehört, was Drewitz gesagt hat. Im vorigen Jahrhundert ist die Opferstätte entfernt worden. Und im Turm selbst kann sich die Dämonensekte nicht treffen, das wäre zu auffällig.« Meine Überlegungen gingen in eine andere Richtung. »Diese okkulten Fanatiker sind oft mit allen Wassern gewaschen. Wäre es nicht denkbar, daß man mit einer Entdeckung rechnen mußte? Daß man damals zwei Opferstätten geschaffen hatte. Eine, die entdeckt werden sollte, damit die Behörden oder neugierige Gelehrte zufriedengestellt waren. Und eine andere, die heute noch existiert.« »Das würde bedeuten, daß der Versammlungsort von Radogars Jüngern ganz in der Nähe des Schloßturms liegt«, spann Pit meine Idee weiter. »Es würde zu dem Fundort der Leichen passen. Vom Schloßberg braucht man nur die Uferstraße zu überqueren, und schon ist man an der Spree.« »Ich werde mir nachher noch die nähere Umgebung des Schloßturms anschauen«, entschied ich. »Und in der Nacht lege ich mich dort auf die Lauer. Ich halte es für ziemlich wahrscheinlich, daß sich die Sekte dort jeden Abend trifft. Vor allem jetzt, wo der Dämon höchstpersönlich in ihrer Mitte weilt.« Pit warf sein Currywurstschälchen in den Abfall. »Also auf zum
Turm!« gab er das Kommando. * Die Nacht hatte sich über Cottbus gesenkt. Nebelschwaden stiegen von der Spree und den Teichen in den Parks auf und verdichteten sich. Bald würden die Büsche und Bäume wieder von einer undurchsichtigen Wand verdeckt werden und damit dem unheimlichen Sichelmörder ein ideales Versteck bieten. Nur wenige Menschen waren unterwegs. Frauen wagten sich wegen der lauernden Gefahr nur noch selten allein auf die Straße, doch eine von ihnen schien keine Angst zu haben. Miriam Maybach wollte es wissen! Die rothaarige Sensationsreporterin hatte sich von Hauptkommissar Langenbach nicht einschüchtern lassen. Ganz im Gegenteil. Seine ablehnende Haltung hatte in ihr eine Trotzreaktion hervorgerufen. Miriam hatte sich in den Kopf gesetzt, den Sichelmörder aufzuspüren. Sie hatte sich dafür gut ausgerüstet: sportliche Kleidung, Elektroschockgerät, Handy, Taschenmesser. Die Schlagzeile sah sie schon vor sich. In dicken, schwarzen Lettern und rot unterstrichen: Reporterin stellt Sichelmörder! Reporterin als Heldin des Tages! Ein Lächeln umspielte vor Stolz ihre Lippen. Miriam lehnte an einer Straßenlaterne auf der Promenade und beobachtete die vorbeiziehenden Nebelschleier. Dabei steckte sie sich eine Zigarette an. Vielleicht konnte sie so den Sichelmörder aus seinem Versteck locken. »Junge Frau, Sie sollten aber nicht so allein hier rumstehen!« sagte eine Stimme hinter ihr, und eine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter. Miriam stieß einen spitzen Schrei aus und hätte vor Schreck beinahe die Zigarette fallen lassen. Sie drehte sich um. Zwei Streifenpolizisten standen vor ihr und schauten sie ernst an. »Sind Sie noch ganz bei Trost, Mann?« schrie die Reporterin. »Wie können Sie mir einen solchen Schreck einjagen? Ich hätte gute Lust, mich über Sie zu beschweren!« Jetzt wurde aber auch der Beamte sauer. Er hatte es doch gut gemeint. »Hören Sie, hier draußen ist es nicht ungefährlich für Sie«, erwiderte er. »Sie haben bestimmt schon vom Sichelmörder gehört. - Was machen Sie eigentlich so mutterseelenallein hier?« »Ich warte«, kam die knappe Antwort von Miriam Maybach.
»So, Sie warten? Auf was?« Da der Beamte keine Antwort erhielt, schickte er Miriam Maybach wegen einer angeblich kurz bevorstehender Polizeiaktion fort. Widerwillig folgte die Reporterin seiner Aufforderung. Kopfschüttelnd schauten ihr die Beamten nach. »So was Unvernünftiges!« meinte einer der beiden Uniformierten. »Man muß die Leute immer erst zu ihrem Glück zwingen.« Mies gelaunt durchquerte Miriam die Innenstadt. Als sie den Amtsteich erreicht hatte, tauchten bereits die ersten Nebelfetzen auf, die den Park durchzogen. Miriam überquerte eine Brücke und betrat den nächtlichen Goethepark. Es war totenstill. Miriams Atemzüge und ihre Schritte klangen deshalb unnatürlich laut. Langsam folgte die Reporterin dem breiten Weg, der zwischen den Bäumen und Rasenflächen hindurch bis an die Spree führte. Ein Rascheln erklang plötzlich zu ihrer Linken! Miriam Maybach fuhr herum. »Hallo?« rief sie, doch ihre Stimme klang nicht besonders laut. »Ist da jemand?« Sie erhielt keine Antwort. Die Parklaternen warfen schwache Lichtbahnen auf den Weg. Miriam wartete kurz und näherte sich dann einer Stelle, wo der Weg schmaler wurde und einen Knick machte. Zu beiden Seiten des Weges reichten die Büsche und Bäume bis dicht an den Wegrand heran. Auf einmal meinte die Reporterin, Schritte zu hören. Es waren kurze, schlurfende Schritte, die immer wieder unterbrochen wurden. Miriam blieb stehen und atmete tief durch. Sie lauschte angestrengt und vernahm sie jetzt ganz deutlich. Sie schienen sich ihr zu nähern. Miriams Hand verschwand in ihrer Umhängetasche und suchte das Schockgerät. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen. Miriam gab sich einen Ruck, hetzte mit einigen schnellen Sprüngen um die Biegung und riß das Schockgerät hoch. Nichts! Vor ihr waberten Nebelschleier hin und her. Sonst war nichts zu sehen. Miriam hätte sich vor Wut in den Hintern treten können und verfluchte ihre schwachen Nerven. Die schmächtige, dunkle Gestalt wuchs so unverhofft vor Miriam hoch, daß die vor Schreck das Schockgerät fallen ließ und einen gellenden Schrei ausstieß. Der Kerl sah schrecklich aus. Langes, verfilztes Haar, ein unrasiertes Gesicht, abgerissene Kleidung. »Haste mal 'ne Mark für mich, Puppe? Oder 'ne Zigarette?« fragte er mit heiserer, nuschelnder Stimme. Seine Alkoholfahne wehte
Miriam entgegen. Angewidert verzog Miriam das Gesicht. »Du Blödmann!« schrie sie den verdutzten Penner an. »Du hast mich zu Tode erschreckt! Hau bloß ab!« kreischte sie und versetzte dem Mann einen heftigen Stoß. Der brummelte Unverständliches vor sich hin und setzte schlurfend seinen Weg fort. Miriam blickte ihm nach, bis ihn der Nebel ihren Blicken entzog. Wütend bückte sie sich und hob das Schockgerät auf. Sie drückte den Knopf. Ein bläulicher Blitz flammte grell zwischen den Kontakten auf. Das Gerät gab ein summendes Geräusch von sich. Beruhigt schob Miriam den Apparat wieder in die Tasche und setzte ihren Weg fort. Es dauerte, bis sie die nächste Biegung erreicht hatte. Wenn sie sich vorstellte, den Park heute nacht noch einige Male ablaufen zu müssen, verstärkte sich ihre schlechte Laune noch. Heftiges Atmen erklang da rechts von ihr aus der Nebelwand. Dann war wieder alles still. Die Reporterin wurde bleich. Erneut erklang das Atemgeräusch. Und wieder Stille. »Hallo?« rief Miriam, nachdem sie allen Mut zusammengenommen hatte. »Zeigen Sie sich! Ich will Sie sehen!« forderte sie den Unsichtbaren auf. Ein häßliches, leises Kichern war die Antwort, das immer lauter wurde und schließlich abrupt abbrach. »Es genügt, wenn ich dich sehen kann, Kleine!« brummte eine heisere Stimme. Die Reporterin versuchte, in dem dichten Nebel etwas zu erkennen, doch sie gab nach wenigen Augenblicken auf. Lauschend wartete sie ab. Sekunden verstrichen. Kein Atmen war mehr zu hören, kein Kichern. Es war wieder totenstill. Zögernd setzte Miriam ihren Weg fort. Sie war ganz sicher gewesen, daß der Sichelmörder in ihrer Nähe war. Doch allmählich bekam sie Zweifel. Hatte er sich etwa zurückgezogen? Hatte er ein anderes Opfer gefunden? Diese Stille raubte ihr noch den letzten Nerv. Dann geschah es. Er schälte sich hinter ihr aus dem Nebel, doch sie bemerkte es nicht. Sein schwarzer Arm legte sich um ihren Hals, so plötzlich, daß sie nicht mal mehr Zeit zum Schreien hatte. Mit einem Ruck riß er ihren Kopf nach hinten. Ihre Augen erkannten den breitkrempigen Schlapphut, das bleiche, pockennarbige Gesicht und die schmalen Lippen, die sich zu einem höhnischen Grinsen verzogen hatten. Vier Reihen spitzer Zähne waren zu sehen. Geifer rann aus seinen Mundwinkeln. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden, in denen es
organgefarben aufblitzte. »Nun, meine Schöne!« krächzte er heiser, und fauliger Atem stieß ihr entgegen. »Jetzt siehst du mich! Gefalle ich dir?« Sein Kichern hallte in ihren Ohren wieder. »Natürlich gefalle ich dir«, gab er sich selbst Antwort. »Ich bin der Mann deiner Träume. Der Mann deiner Alpträume!!« Irres Gelächter folgte seinen Worten. Dann sah Miriam die goldene Sichel, die er in der hocherhobenen Rechten hielt. Miriam Maybach wollte schreien, doch sein Arm schnürte ihr die Kehle zu. Sie krallte ihre Hände in seinen Jackenärmel, riß daran, strampelte und versuchte zu beißen. Endlich lockerte sich sein Griff. »Ah, die kleine Wildkatze zeigt die Krallen«, sagte er spöttisch. Die Reporterin kniete am Boden und rieb sich den Hals. »Nicht nur die Krallen, du Bastard!« brachte sie hervor, packte das Schockgerät und warf sich dem Sichelmörder entgegen. Sie drückte ihm das Gerät gegen den Hals und drückte den Knopf. Nichts! Miriam hätte vor Wut heulen können. Sie riß das Gerät hoch und schüttelte es kräftig, dann rammte sie es dem Unheimlichen gegen die Brust und versuchte es erneut. Wieder nichts. Miriam schrie ihre Verzweiflung hinaus. »Scheißding!« fluchte sie hilflos. Radogar stand still da und verfolgte amüsiert ihre Bemühungen. »Wirf dein Spielzeug ruhig weg«, bemerkte er schließlich. »Damit hast du gegen mich keine Chance.« »Das könnte dir so passen, du Schwein!« knirschte Miriam zwischen den Zähnen hervor. Mit einem heiseren Wutschrei warf sie sich erneut auf den Sichelmörder und rammte ihm das Schockgerät ins bleiche Gesicht. Diesmal war das Summen zu hören, und der bläuliche Blitz zuckte über Radogars Fratze. Blaue Flämmchen hüllten den Kopf des Dämons ein. Radogar stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus und riß die Arme nach oben. Miriam ließ von ihm ab. Langsam sank der Sichelmörder auf die Knie. Rauch kräuselte aus seinem Mund und der Nase. Die Reporterin war unschlüssig. Hatte sie den Sichelmörder bereits außer Gefecht? Sie beschloß, das Gerät ein weiteres Mal einzusetzen. Langsam streckte sie die zitternde Hand mit dem Schockgerät nach dem Sichelmörder aus. Miriam reagierte nicht schnell genug, als die bleiche Hand des Unheimlichen sie packte. Sie starrte in sein lachendes Gesicht.
»Ich sagte, dein Spielzeug taugt nichts!« rief er, sprang mit einem Satz auf die Beine und riß Miriam Maybach das Gerät aus der Hand. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie zu, wie der Sichelmörder das Gerät in einer Hand zerquetschte, als sei es aus Schaumgummi. Mit einem blitzschnellen Griff packte Radogar die überraschte Reporterin an der Kehle, trieb sie in die Nebelwand hinein und wuchtete sie gegen einen Baumstamm. Schmerzen zuckten durch Miriams Rücken. Mit Entsetzen fiel ihr Blick auf die goldene Sichel, die sich hoch über ihrem Kopf erhob. Ihre gesamten Gefühle vereinigten sich in einem gellenden Schrei, als die Sichel nach unten sauste. Es war mehr als knapp! Ein paar rote Haarsträhnen fielen zu Boden. Mit einem Ruck riß Radogar die Sichel aus dem Holz. »Das war Absicht«, flüsterte er. Miriam Maybach verdrehte die Augen und stürzte in den tiefen Schacht der Bewußtlosigkeit. * Am Nachmittag hatten wir den Schloßberg aufgesucht, wo sich der knapp fünfzig Meter hohe Schloßturm erhob. Ich hatte mir die Umgebung genau eingeprägt. Nicht weit vom Turm entfernt, an den sich das Gerichtsgebäude anschloß, erkannte ich Grünanlagen. Hier wollte ich mich am Abend umsehen. Bei Tage hätte eine Suche nach alten Opferstätten oder Gewölben zuviel Aufsehen erregt. Der Schloßturm, der im zehnten Jahrhundert Teil der größten slawischen Burg der damaligen Zeit war, erschien mir als geeignetster Ort für Radogars Helfer, um ihre Opfermessen abzuhalten. Ich bezweifelte jedoch, daß sich die Opferstätte im Turm selbst befand. Viel wahrscheinlicher war, daß man die Versammlungsstätte in der Nähe des alten Burgwalls eingerichtet hatte. Ich hatte mich für den abendlichen Erkundungsgang gut vorbereitet. Aus meinem Einsatzkoffer nahm ich die SIG Sauer, die ich mit geweihten Silberkugeln geladen hatte. Neben einem Ersatzmagazin nahm ich noch einen Weihwasserflakon mit, für den Fall, daß ich auf den Dämon Radogar selbst stieß. Tessa war zu einem neuen Streifzug durch die Szenekneipen aufgebrochen. Pit hatte mich begleitet und hielt sich direkt am Schloßturm auf. Ich hatte mich vom Turm entfernt und näherte
mich der Grünanlage, die ich am Nachmittag entdeckt hatte. Über Funk hielt ich mit Pit Langenbach Verbindung. Auch hier herrschte Nebel, aber er war längst nicht so dicht wie in den Anlagen des Altstadtrings oder am Spreeufer. Wie zarte Schleier umschmeichelten mich die Nebelfetzen, die sich erst dicht bei den Büschen wieder zusammenzogen. Hier, etwas abseits von der Innenstadt, war von dem Treiben in den Lokalen und auf den Straßen nichts zu merken. Stille war eingekehrt. Nur der Verkehrslärm von der nahegelegenen Durchgangsstraße drang schwach zu mir herüber. Ich schritt langsam an den Büschen entlang, bog hier und dort Zweige zur Seite, leuchtete mit einer Taschenlampe über die Gebüschwipfel hinweg, aber ich konnte nichts Auffälliges entdecken. Langsam kroch mir die Kälte in die Glieder. Trotz allem gab ich die Hoffnung nicht auf. Das Walkietalkie knackte. »Hast du was gefunden?« fragte Pit, als ich mich meldete. »Nein«, gab ich zurück. »Und wie steht's bei dir?« »Bei der Kälte überhaupt nicht«, antwortete Pit trocken. »Aber Spaß beiseite. Hier oben am Turm ist von einer Opferstätte nichts zu sehen. Einen verborgenen Zugang habe ich auch nicht entdecken können.« Ich teilte Pit mit, daß ich hier unten die Suche noch eine Zeitlang fortsetzen würde und unterbrach die Verbindung. Es war aber auch wie verhext. Jetzt, wo wir endlich eine konkrete Spur hatten, drohte sie wieder im Sande zu verlaufen. Ich hatte inzwischen die Bäume am diesseitigen Rand der Spreeuferstraße erreicht und versuchte, auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas zwischen den Baumstämmen zu erkennen, als ich das Geräusch hörte. Es klang wie ein Peitschenknall. Ich fuhr herum. So leise wie möglich schlich ich auf die Stelle zu, an der ich das Geräusch vermutete. Jemand war dort auf einen trockenen Ast getreten, da war ich ganz sicher. Und wenn sich außer mir noch weitere Leute in diesen Anlagen aufhielten, mußten sie einen verdammt guten Grund dafür haben. Ich bemerkte die dunkel gekleidete Gestalt erst, als ich mich ganz in ihrer Nähe befand. Mit schnellen, vorsichtigen Schritten ging sie wenige Meter entfernt an mir vorüber. Es war ein Mann, groß und breitschultrig. Dennoch bewegte er sich geschmeidig zwischen den Bäumen. Er war sichtlich bemüht, keine weiteren Geräusche mehr zu verursachen. Jetzt konnte ich Pit auf keinen
Fall verständigen. Also huschte ich dem Unbekannten hinterher. Bald konnte ich ihn genau vor mir erkennen. Er hatte eine Baumgruppe erreicht, zwischen deren Stämmen er die Zweige eines riesigen Gebüschs zur Seite schob und dazwischen verschwand. Volltreffer! dachte ich. Hat mich meine Nase doch nicht im Stich gelassen! Ich hastete zu dem Gebüsch und bog ebenfalls die Zweige auseinander. Dicht über dem Boden sah ich eine niedrige alte Steinumrandung und davor eine dunkle Öffnung, die mit einer Eisenplatte versehen war. Meine Hand schloß sich um das Funkgerät. Als ich Pit anfunken wollte, vernahm ich erneut das Knacken von Ästen, das Rascheln von Herbstlaub und Schritte. Wer immer jetzt auch kam, er machte sich nicht die Mühe, dies zu verbergen. Eilig verzog ich mich zwischen einige Bäume und duckte mich. Eine Gruppe Männer und Frauen erschien. Alle waren dunkel gekleidet. Hastig drangen sie nacheinander in das Gebüsch ein. Die Scharniere der Eisenplatte quietschten leise. Einige Minuten blieb es still. Dann näherte sich wieder jemand. Diesmal blieb mir aber das Herz fast stehen. In der Gestalt mit dem schwarzen Umhang und dem Schlapphut erkannte ich Radogar, den Dämon im Körper des Sichelmörders! Er sah genauso aus, wie er mir im Spiegel erschienen war. Und über seiner Schulter lag ein schlanker Frauenkörper! Mich hielt nichts mehr. Ich hetzte dem Unheimlichen so leise wie möglich hinterher. Bevor er sich in die Büsche schlug, fiel mein Blick auf die leuchtend rote Haarflut, die vom Kopf der Frau nach unten hing. Miriam! schrie es in mir. Der Kerl hat Miriam Maybach! Mit einem dumpfen Geräusch schloß sich die Eisenplatte. Ich angelte das Funkgerät hervor und drückte die Sprechtaste. »Pit! Hörst du mich?« fragte ich. Keine Antwort. Wütend schleuderte ich das Walkie-talkie zu Boden. »Drecksding, verfluchtes!« Lange Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Miriam war in höchster Gefahr. Ich mußte etwas unternehmen, bevor man sie dem Dämon opferte. Kurz entschlossen zwängte ich mich zwischen die Büsche, packte den Griff an der Eisenplatte und hievte sie hoch. Eine schwarze, gähnende Öffnung tat sich vor mir auf. Im Schein der Taschenlampe erkannte ich Stufen, die in die Tiefe führten. Ohne zu zögern, kletterte ich nach unten. Dann
knallte die Eisenplatte zu! Dunkelheit umfing mich. Mir kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, bis ich das Ende der schmalen Treppe erreicht hatte. Der Abstieg war anstrengend gewesen. Schwer atmend blieb ich stehen. Ich hörte Rascheln und Quieken. Vor mir öffnete sich ein niedriger Gang, dessen Wände vor Feuchtigkeit glänzten. Geduckt setzte ich meinen Weg fort. Der Strahl der Taschenlampe zauberte ein bizarres Muster auf die Tunnelwände. Ich hatte bald das Gefühl, der Tunnel würde überhaupt kein Ende nehmen. Ein seltsames Rauschen und Pulsieren begleitete mich. Als ich eine weitere Biegung in dem Geheimgang umrundete, merkte ich, woher das Pulsieren kam. Es war ein immer lauter werdender Sprechgesang, den Radogars Jünger angestimmt hatten! Er hallte von den Wänden wider und dröhnte mir in den Ohren. Mein Siegelring begann sich zu erwärmen, vibrierte und sandte einen hellen Strahl aus. Er nahm Radogars dämonische Ausstrahlung wahr und reagierte heftig darauf. Besorgnis stieg in mir auf. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. Die Opferzeremonie war vermutlich schon in vollem Gange. Ich zog die Pistole und beschleunigte meine Schritte. Der Gang mündete in ein riesiges Gewölbe. »Radogar! Radogar!« dröhnte mir der Sprechgesang entgegen. Flackerndes Licht erhellte eine bizarre Szenerie. Ich erkannte einen Opferstein, um den ein doppelter Kreidekreis gezogen war. Im Rand des Kreises waren magische Zeichen zu erkennen. Das Innere des Kreises zeigte ein Pentagramm, dessen Mittelpunkt der ovale Opferstein war. Um den Kreis herum wiegten sich Männer und Frauen in schwarzen Kutten wie in Trance. An der Seite des Opfersteins aber stand Radogar, der Dämon in Menschengestalt. Er ließ den schlaffen Körper von Miriam Maybach ziemlich unsanft auf die Steinplatte fallen. Neben ihm bemerkte ich die hochgewachsene Gestalt des Mannes, der als erster den Geheimgang betreten hatte. Er schien eine Art Hohepriester zu sein, denn er hob die Arme und gab den anwesenden Dämonenjüngern ein Zeichen. Sofort verstummte der Sprechgesang. »Großer Radogar, wir grüßen dich in unserer Mitte!« erklang die sonore Stimme des Priesters. »Wieder hast du deine Macht gezeigt und ein Opfer gefunden, das deiner würdig ist. Von nun an werden jeden Tag neue Anhänger zu uns stoßen. Deine Macht wird bald
ungebrochen sein, denn die ungeheure Kraft der goldenen Sichel lebt in dir fort. Was vor Äonen begann und vor tausend Jahren seinen Höhepunkt fand, wird nun fortgesetzt. Es gibt dort draußen noch unzählige Opfer für dich, großer Radogar. Die Zeit ist gekommen, daß du sie pflückst wie reife Früchte.« Der Priester machte eine Pause, bevor er tief Luft holte und fortfuhr: »Bereitet nun das Opfer vor, das unseren Herrn und Meister mit Stärke erfüllen soll! Kraft für Radogar, eine Seele für Mephisto!« Sein letzter Ruf wurde von den Dämonenjüngern aufgegriffen und in einen Choral umgewandelt. »Kraft für Radogar! Eine Seele für Mephisto.« erklang es aus vielen Stimmen. Vier Gefolgsleute des Dämons lösten sich aus dem Kreis und traten an Miriam Maybach heran. Aus einem Krug schütteten sie ihr Wasser ins Gesicht. Prustend und spuckend wachte die Reporterin auf. Verwirrung lag in ihrem Blick, als sie auf die Umstehenden starrte. Harte, unnachgiebige Hände packten sie und zerrten an ihren Kleidern. Miriam wehrte sich verzweifelt, aber Radogars Helfer waren zu stark. Bald lag die rothaarige Reporterin nur noch mit Unterwäsche bekleidet auf dem Opferstein. Sie fröstelte. Die kalte Luft in dem Gewölbe ließ eine Gänsehaut über ihren Körper laufen. Der Hohepriester wandte sich ab und hob ein schwarzes Samtkissen vom Boden auf. Im nächsten Moment brachte er eine goldene Sichel zum Vorschein, die im flackernden Kerzenlicht matt glänzte, und rief: »Nimm die Sichel, großer Radogar, das Zeichen deiner Herrschaft, und weihe sie mit dem Blut deines Opfers!« Miriam Maybach schrie, als der Dämon auf sie zutrat und die Sichel hob. Ich mußte einschreiten. »Halt!« brüllte ich und warf mich zwischen seine Jünger. »Du wirst keine Opfer mehr bekommen, Radogar!« Der Sprechgesang riß ab. Unwilliges Gemurmel ertönte. Der Dämon stieß ein zorniges Knurren aus und drehte sich zu mir um. Orangefarbenes Licht gleißte in seinen Augenschlitzen. »Packt ihn!« wies er seine Gefolgsleute an. »Ich will ihn haben!« Radogars Helfer reagierten sofort. Starke Hände griffen nach mir, zerrten an meiner Kleidung und versuchten, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich gab einen schnellen Schuß auf den
Dämon ab und sah, wie die Silberkugel in seine Schulter fetzte. Radogar warf den Kopf zurück und schrie seinen Schmerz hinaus. Mit einer Silberkugel konnte ich ihn nicht vernichten, doch Schmerzen würde sie ihm bereiten. Verbissen wehrte ich mich gegen die Angreifer. Ich nahm jetzt keine Rücksicht mehr darauf, ob ich Frauen oder Männer vor mir hatte. Ringsum teilte ich harte Schläge und Karatetritte aus. Schießen wollte ich nicht, denn für mich waren die Anhänger des Dämons unschuldige Mitläufer, deren Geist manipuliert worden war. Es gelang mir, die Angreifer ein paar Schritte zurückzutreiben und mir etwas Luft zu verschaffen. Radogar hatte sich wieder seinem rothaarigen Opfer zugewandt, das schreiend und zitternd auf dem Opferstein lag. »Nein!« schrie ich und hechtete auf den Dämon zu. Dabei jagte ich Schuß um Schuß aus der Pistole. Der Gastkörper des Dämons wurde von den Silberprojektilen getroffen. Die Wucht der Geschosse riß ihn zurück, trieb ihn gegen die Wand und schwächte ihn. Ein infernalisches Röhren drang aus seiner Kehle. Jetzt stand nur noch der Hohepriester zwischen mir und Miriam. »Zurück!« befahl ich. »Geh zurück, oder Radogar muß sich einen neuen Priester suchen!« Zögernd wich der Hohepriester einige Schritte nach hinten und rang wütend die Hände. Dabei verrutschte seine Kapuze und gab den Blick auf sein Gesicht frei. »Sieh mal einer an, unser lieber Bibliotheksleiter!« entfuhr es mir. Herbert Corten warf mir haßerfüllte Blicke zu. »Du kommst hier nicht raus, Hellmann!« giftete er. »Wir sind zu stark für dich. Auch dein Freund Langenbach wird bald erkennen müssen, daß die ganze Polizei Radogars Macht nichts entgegenzusetzen hat!« »Er ist ein Feind der Hölle!« meldete sich Radogar aus dem Hintergrund und zeigte auf mich. »Packt ihn! Seine Stärke soll in mich übergehen. Sein Körper soll der meine werden! Mephisto wird zufrieden sein!« »Du irrst dich, Dämon!« schrie ich. »So einfach ist das nicht!« Ich rammte das Ersatzmagazin in die Pistole und feuerte vor Radogars Jüngern auf den Boden. Querschläger spritzten jaulend durch das Gewölbe und ließen die Kuttenträger noch weiter zurückweichen. Corten zwang ich mit zwei Schüssen in Deckung. Doch er hatte recht. Meine Lage war nicht besonders. Auf Verstärkung konnte ich nicht hoffen, weil niemand wußte, wo ich
mich befand. Und allein war ich dem Dämonengott und seiner Meute nicht gewachsen. Aber es gab noch eine letzte Möglichkeit, aus Radogars Klauen zu entfliehen und Miriams Leben zu retten. Vielleicht konnte ich dann sogar etwas unternehmen, um Radogars Macht und die Macht der goldenen Sichel zu schwächen, wenn nicht gar zu brechen. Ich mußte es einfach riskieren! Blitzschnell stürzte ich auf Miriam Maybach zu, packte ihr Handgelenk und riß sie von der Steinplatte herunter. »Gott sei Dank! Mark…« - »Rasch, nach hinten in die Ecke!« Ich drängte sie in die angegebene Richtung. In der hintersten, dunkelsten Ecke des Gewölbes kniete ich mich vor ihr nieder, um sie mit meinem Körper gegen eventuelle Angriffe zu decken. Mit dem gleißenden Strahl, den mein Siegelring aussandte, malte ich hastig die Runen des keltischen Wortes für Reise auf den Boden und ergriff Miriams Hand. Im selben Augenblick erklangen Sphärenklänge. Ein Blitz zuckte in meinem Kopf auf. Ich sah Spektralfarben. Der stilisierte Drache auf meinem Ring wuchs ins Unermeßliche und schien mich mit seinem Maul verschlingen zu wollen. Entfernt hörte ich Miriams gellenden Angstschrei und das wütende Geheul von Radogar und seinen Anhängern. Dann öffnete sich ein tiefer, heller Schacht, und ich stürzte kopfüber hinein. * Der riesige Drache mit dem weit aufgerissenen Rachen schrumpfte zusammen, wurde kleiner und war schließlich ganz verschwunden. Die Sphärenklänge erstarben. Etwas unsanft kam ich auf dem Boden auf. Benommen schüttelte ich den Kopf und öffnete die Augen. Ich hörte vielstimmigen Gesang, der schon fast mit Grölen gleichzusetzen war. Rötlicher Feuerschein erhellte schwach meine Umgebung. Ich schaute mich um und stellte fest, daß ich in einem dichten Gebüsch gelandet war. Unter mir fühlte ich Waldboden. Von Miriam Maybach war nichts zu sehen. Langsam rappelte ich mich auf. Ich wollte Miriam suchen und für uns dann Kleidung besorgen. Dichter Wald umgab mich. Ich folgte dem Gesang und suchte vorsichtig meinen Weg aus dem Dickicht. Im selben Augenblick hörte ich einen gellenden, angsterfüllten Schrei. Miriam! ging es mir durch den Kopf. Verflixt noch mal, in
was ist sie jetzt wieder gestolpert? fragte ich mich. Ich beachtete die Äste und Zweige nicht, die meinen nackten Körper zerkratzten, sondern hetzte los. Barfuß! Jetzt war trotzdem Eile geboten. Ich wußte nicht, wohin und in welches Jahrhundert uns die Zeitreise verschlagen hatte. Ich wußte nur eines: Ich würde Miriam nicht im Stich lassen! Als ich aus dem Unterholz herausstürzte, bot sich mir ein makabres Schauspiel. Ich stand am Rand einer riesigen Waldlichtung, in deren Mitte mehrere gewaltige Lagerfeuer brannten. Bratspieße mit ganzen Schweinen drehten sich. Das spritzende Fett ließ die Flammen hin und wieder auflodern. Über einem Feuer hing ein dickbauchiger Kessel mit einer brodelnden Flüssigkeit. Schmutzige, langhaarige Gestalten mit bärtigen Gesichtern wimmelten auf der Lichtung umher. Zwei von ihnen hielten Miriam Maybachs Arme umklammert und schleiften sie in die Mitte des Platzes. Miriam wehrte sich verzweifelt, strampelte und trat um sich, doch es half ihr nicht viel. Die wilde Horde brach in Gelächter aus. Der Anblick der splitternackten Rothaarigen schien die rauhen Gesellen nur noch mehr anzustacheln. Miriam hatte aufgehört, gegen die Übermacht anzukämpfen. Mit gesenktem Kopf stand sie inmitten der wild aussehenden Horde. Das zuckende Licht des Feuers tanzte über ihren Körper und ließ ihr feuerrotes Haar noch leuchtender erscheinen. »Wo kommt das Weib her?« donnerte eine tiefe Stimme in einer gutturalen Sprache. Seltsamerweise verstand ich jedes Wort. Ich hatte schon lange aufgehört, mich über dieses Phänomen zu wundern. Wenn ich eine Zeitreise unternahm, versetzte mich der Siegelring in die Lage, mich am jeweiligen Zielort mit der dortigen Sprache und Lebensart bestens zurechtzufinden. »Wir wissen es nicht, erhabener Baltar«, gab einer der Umstehenden Antwort. »Wir hörten es in den Büschen rascheln und vermuteten einen Späher der Sachsen oder Thüringischen. Als wir den Lauten nachgingen, fanden wir diese nackte Wildkatze.« Die Menge teilte sich und gab den Blick auf Baltar frei. Der Kerl war ein regelrechter Kleiderschrank von einem Mann, mit breiten Schultern, einem gewaltigen Bizeps und dicht behaarter Brust. Ein dunkelroter Umhang, der mit einer Spange vor dem Hals geschlossen war, fiel über seinen Rücken. Seine Hosen bestanden aus Bärenfell und wurden von einem breiten Gürtel gehalten. An
den Füßen trug er Fellschuhe, die um die Waden geschnürt wurden. Schwarzes, verfilztes Haar fiel ihm bis über die Schultern. Sein Bart triefte vor Fett. Offenbar halte man ihn beim Essen gestört, denn mit der linken Pranke hielt er eine gebratene Schweinshaxe umklammert. Lüstern betrachtete er Miriam von oben bis unten. »Das Kätzchen gefällt mir«, brummte er. »Wir werden ihr schon das Schnurren beibringen. Ruft Ragnar, den großen Zauberer, und bringt sie zur Opferstätte. Wenn wir ihm diese rothaarige Katze zum Geschenk machen, wird uns unser großer Kriegsgott Radugast besonders gewogen sein und uns die Kraft der goldenen Sichel schenken. Dann fegen wir die sächsischen und thüringischen Christenhunde hinweg, wie ein Sturm die Blätter hinwegfegt!« Vielstimmiges Geheul erscholl. Schwerter wurden aus den Gürteln gezogen und zum Himmel gestreckt. Die Barbaren befanden sich bald in einem wahren Siegestaumel. Er sprach von einem Kampf gegen die Sachsen und Thüringer! Nach Vaters Informationen konnten das Wenden sein! überlegte ich. Noch wollte ich nicht einschreiten. Ich mußte abwarten, wer dieser Ragnar war, von dem der Anführer der Barbarenhorde gesprochen hatte. Man ließ mich nicht lange warten. Miriam lag auf einem gewaltigen Opferstein am hinteren Rand der Lichtung und bäumte sich gegen die Griffe der wilden Gesellen auf, die sie eisern festhielten. Plötzlich wichen die Krieger ehrfürchtig zurück. Ein hochgewachsener, schlanker Mann mit ergrautem Haar und weißem Bart trat zwischen ihnen hindurch und blieb vor dem Opferstein stehen. Lange schaute er schweigend auf Miriam nieder, die seinen Blick ängstlich erwiderte. »Was habt ihr mit diesem Weib im Sinn?« fragte Ragnar mit heiserer Stimme. »Wir wollen sie unserem Götzen Radugast zum Opfer darbringen!« rief Baltar. »Und du, großer Zauberer, wirst das Opfer vornehmen!« Wieder folgte ein langer Blick Ragnars, dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Dieses Weib ist nicht für Radugast bestimmt!« verkündete er. »Ihr wißt, was ich von diesen Menschenopfern halte. Nichts. Wir haben schon in meinen jungen Jahren Radugast als Gott der Fruchtbarkeit verehrt, nicht als Gott des Krieges und der Zerstörung. Ich werde dieses junge, blühende Leben nicht auslöschen, um euren blinden Glauben zu nähren. Gebt sie frei!« forderte Ragnar.
Baltars Krieger schwiegen. Für einen Augenblick war nur das Knistern der Lagerfeuer zu hören. Der Zauberer hatte die Aufmerksamkeit der gesamten Horde auf sich gezogen. Jetzt war der Zeitpunkt für mich gekommen, um zu handeln. So leise wie möglich huschte ich auf die Lichtung und schaute mich um. Bald hatte ich gefunden, wonach ich gesucht hatte. Rechts von mir, in einer Ecke der Lichtung, umgeben von Bäumen, stand eine kleine Hütte. Über dem Eingang hingen Fetische und kahle Tierschädel. Daneben stand ein einachsiger Karren. Mit wenigen Schritten war ich bei der Hütte und sprang hinein. Im Innern glomm schwach ein kleines Feuer. Davor saß ein junges Mädchen, dessen Kopf zu mir herumruckte. Schwarze Augen starrten mich erschrocken an. Ich legte einen Finger in unmißverständlicher Geste vor den Mund. »Ich brauche Kleider und ein Schwert!« zischte ich. »Rasch!« Das Mädchen erhob sich und bückte sich in einer Ecke der Hütte nieder. Sie warf mir eine Fellhose zu, einen passenden Gürtel und ein blitzendes Schwert. »Es gehörte meinem Bruder«, sagte sie leise und ließ sich wieder am Feuer nieder. Draußen erhob sich schallendes Gebrüll und Geheul. Blitzschnell fuhr ich in die Hosen, band mir den Gürtel um, ergriff das Schwert und hetzte nach draußen. »Ragnar, du bist ein Narr!« schrie Baltar. »Die Christenhunde haben dir den Kopf verdreht! Radulf, dein unfähiger Sohn wartet in der Festung, bis die Sachsen und Thüringischen angreifen und ihn ausräuchern, aber wir warten nicht. Hinweg mit dir, Ragnar, du Nichtsnutz! Man hole Samo, den Priester des großen Radugast!« Der alte Zauberer versuchte, sich gegen Baltar zu stellen, während zwei Krieger die Lichtung verließen. »Das dürft ihr nicht, Baltar! Radugasts Zorn wird über euch kommen. Lange Zeit gab er sich mit Opfern aus unseren Ernten zufrieden. Doch eure Verblendung hat dazu geführt, daß sein Blutdurst geweckt wurde. Ihr habt begonnen, ihm Menschenopfer darzubringen. Das war ein Fehler, Baltar! Radugast war uns nur wohlgesonnen, um eines Tages das Blatt umzudrehen und sich gegen uns zu stellen. Dann werdet ihr alle seine Opfer. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen, Baltar! Hört auf mich! Laßt ab von eurem Tun!« »Schafft diesen alten Mann hier fort!« erklang eine neue Stimme. Ein schlanker, junger Mann mit wallendem, weißem
Gewand drängte sich zwischen die wilden Gesellen, gefolgt von den beiden Kriegern, die ihn geholt hatten. »Großer, ehrwürdiger Samo!« rief Baltar. »Diese Weib ist auserkoren als Opfer für unseren Götzen Radugast. Doch Ragnar will das Opfer nicht vollziehen!« »Hört nicht auf diesen alten Narren!« rief Samo, der offenbar die Rolle des Zauberers übernehmen wollte. »Jagt ihn fort! Er ist nicht würdig, euer Zauberer zu sein! Was weiß er von Radugast und seiner Gunst? Was weiß er von der Kraft der goldenen Sichel? Ich, Samo, habe Radugast gesehen! Ich weiß, daß er auf unserer Seite steht, wenn wir gegen die Feinde in den Kampf ziehen. Laßt uns das Opfer vollbringen! Nur dann wird uns Radugast die Kraft der goldenen Sichel verleihen!« Wieder hoben sich die Schwerter. Die Kehlen der Barbaren riefen den Namen ihres Kriegsgottes, der in Wirklichkeit ein Dämon war. Aber das konnten sie in ihrer Einfalt nicht erkennen. Baltar wandte sich an den alten Zauberer und riß ihm die goldene Sichel aus dem Gürtel. Er reichte Radugasts Wahrzeichen an Samo weiter. »Vollbringe es, Samo! Stimme Radugast günstig!« brüllte er, um das Geschrei seiner Leute zu überstimmen. Der alte Zauberer wurde beiseite geschoben. Samo hob die Sichel und näherte sich Miriam. Ich hetzte los. Wie ein Berserker kam ich über die Barbaren. Die Wendenkrieger reagierten völlig überrascht. Mit kraftvollen Schlägen und Karatetritten fegte ich sie aus dem Weg. Ein gewaltiger Satz brachte mich über den Opferstein hinweg und vor Samo, dem ich die Schwertspitze gegen die Kehle richtete. »Halte ein, Verblender, und lege die Sichel weg, sonst stirbst du!« fuhr ich ihn an. Baltar wich verdutzt zurück. »Wer bist du?« - »Einer, der gekommen ist, um euch zu warnen«, erwiderte ich. »Auch ich bin eurem Götzen Radugast bereits begegnet. Er ist ein Dämon, ein Wesen der Finsternis. Ihr werdet die Macht der goldenen Sichel niemals zu spüren bekommen, denn Radugast wird sich von euch abwenden. Ihr alle, die ihr auf dem Schlachtfeld euer Blut vergießt, werdet ein willkommenes Opfer für den Dämon sein. Erst wenn ihr alle euer Leben für ihn gegeben habt, wird er zufrieden sein!« »Er lügt! Glaubt ihm kein Wort!« versuchte Samo das überraschte Gemurmel der Wendenkrieger zu überstimmen. Doch
kaum einer hörte ihm mehr zu. Ich nahm ihm die Sichel aus der Hand und reichte sie an Ragnar weiter, der sie dankbar entgegennahm. »Befehle deinen Leuten, das Weib freizugeben, Baltar!« forderte ich. Jetzt wandelte sich das überraschte Gemurmel der Barbaren in Wutgeheul. Sie hatten die nackte Rothaarige gefunden und betrachteten sie als Kriegsbeute. Und sie waren nicht bereit, sie sich abnehmen zu lassen. Ich verstärkte den Druck der Schwertspitze an Samos Hals. »Wenn du nicht willst, daß dieser Verblender sein armseliges Leben zu deinen Füßen aushaucht, gibst du deinen Männern den Befehl!« drohte ich Baltar. Der Wendenführer wandte sich an seine Horde und nickte. Unwillig brummend zogen sich die Krieger vom Opferstein zurück. Aufatmend setzte sich Miriam hin und rieb sich die schmerzenden Arme. Ich nickte dem alten Ragnar zu. Der Zauberer legte seinen Arm um Miriam und führte sie hastig aus dem Kreis der Barbaren hinaus zu seiner Hütte. Ich packte Samo an den Haaren und drückte ihm weiterhin das Schwert gegen die Kehle. »Du wirst mich ein paar Schritte begleiten, Freund«, zischte ich und warnte: »Wenn es einer von deinen Kriegern wagt, sich mir in den Weg zu stellen, ist er tot, Baltar!« Mit Samo als lebendem Schild zog ich mich ebenfalls zu Ragnars Hütte zurück. Dort versetzte ich Radugasts Priester einen kräftigen Tritt ins Hinterteil, der ihn in die Reihen der Barbaren beförderte. In der Hütte hatte sich das schwarzhaarige Mädchen bereits um Miriam gekümmert und sie mit Kleidung versorgt. Nun war die Reporterin vor den lüsternen Blicken der Wendenkrieger einigermaßen sicher. »Fremder, stimmt es, was du eben gesagt hast? Ist Radugast wirklich ein Wesen der Finsternis?« fragte der alte Zauberer leise. Ich nickte. »Es stimmt, Ragnar. Ich komme aus einer anderen Zeit und habe dort bereits gegen Radugast gekämpft. Er ist in meiner Zeit unter dem Namen Radogar erschienen, um Schrecken und Verderben unter die Menschen zu bringen«, bestätigte ich. Ragnar schaute mich offen an. »Ich schenke deinen Worten Glauben. Wenn es so ist, wie du sagst, dann werden wir gegen die
Krieger der Sachsen und Thüringischen nicht bestehen können.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Baltar ist verblendet, und Samo bestärkt ihn noch in seinem Irrglauben«, sagte er. Das schwarzhaarige Mädchen trat an seine Seite und umklammerte den Arm des Alten. »Vater, wir müssen Radulf warnen. Die Feste wird überrannt werden. Wenn Radugast nicht auf unserer Seite steht, wird auch der Burgwall die Feinde nicht abhalten können«, sagte sie. »Keine Sorge, Slawiga«, versuchte der Alte das Mädchen zu beruhigen. »Wir machen uns gleich auf den Weg.« Draußen erhob sich wieder Wutgeheul. Die Krieger schienen sich gegenseitig aufzustacheln. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie die Hütte stürmten. »Kommt mit mir!«, forderte der alte Zauberer Miriam und mich auf. »Es gibt einen geheimen Weg in die Feste, der nur mir, Radulf und Slawiga bekannt ist.« Ohne Zögern packte ich Miriams Handgelenk und zog sie hinter mir her, als ich dem Alten und seiner Tochter folgte. Wir verließen die Hütte durch einen Schlitz an der Rückwand, schlichen auf einem schmalen Pfad durch dichten Wald und gelangten schließlich an eine hohe Mauer. »Der Burgwall«, erklärte Ragnar. »Wir werden sogleich mit Radulf sprechen.« Schweigend folgten wir dem Alten. Er führte uns ein gutes Stück an der Burgmauer entlang, bis er einen schmalen Durchlaß erreicht hatte, der durch ein hohes Gebüsch verdeckt wurde. Im Innenhof angelangt, eilten wir Ragnar hinterher, der sich in das Hauptgebäude der Burg begab, eine breite Treppe emporhastete und schließlich eine riesige Halle betrat. Mehrere Wendenkrieger saßen an einer Tafel. Sie aßen und tranken und waren ziemlich guter Laune. Ragnar schritt vor uns her an der Tafel entlang und blieb vor einem hochlehnigen Stuhl am Kopfende der Tafel stehen. Fragend blickte ein stattlicher junger Mann zu ihm auf und richtete dann seinen Blick auf mich. Ich stand Radulf, dem Führer der Wenden, gegenüber! * Der Dämon Radogar sprühte vor Zorn. Sein Körper schmerzte, wo ihn die Silberkugeln dieses dreisten blonden Burschen getroffen hatten. Die Wut des Dämons war groß. Er ließ seinen
Unmut an seinen Anhängern aus, die er mit lautem Gebrüll und gewaltigen Streichen seiner Krallenarme durch das Gewölbe fegte. Wieder hatte er seinen Gastkörper verlassen und seine wahre, furchtbare Gestalt angenommen. »Ich will ihn! Ich will diesen verfluchten Hund!« schrie er und packte Herbert Corten, den Hohepriester, am Kragen. »Wo ist er hin? Wieso konnte er so einfach verschwinden? Erklär mir das!« Corten schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht erklären, Meister. Er malte etwas auf den Boden und war weg. Nur seine Kleidung blieb zurück«, antwortete er dem Dämon. Mit einer wuchtigen Bewegung drückte Radogar seinen Hohepriester gegen einen Gewölbepfeiler. Der Bibliotheksleiter stöhnte auf. Er fühlte ein paar Rippen knacken und spürte den süßlichen Geschmack von Blut im Mund. »Zeig es mir!« forderte Radogar. Mit schleppenden Schritten führte Corten den Dämon in die hintere Ecke des Gewölbes, wo dieser Hellmann mit dem Mädchen verschwunden war. Die Schriftzeichen auf dem Pflaster waren nur noch schwach zu erkennen. Radogar entzifferte sie und brüllte wutentbrannt los. Mephisto, der Höllenfürst, hatte ihn gewarnt. Doch Radogar hatte die Warnungen des Megadämons in den Wind geschlagen. Er hätte auf ihn hören sollen, dann wäre er auf so was vorbereitet gewesen. »Mark Hellmann, der Träger des Rings!« entfuhr es ihm grollend. »Dieser Hund hat sich und die Frau in eine andere Zeit versetzt! Ich hätte es wissen müssen. Mephisto hat mich vor ihm gewarnt!« Plötzlich stieß der Dämon so etwas wie ein Lachen aus. »Doch er wird bald zurückkehren!« grollte er. »Er muß zurückkehren. Und wenn er es tut, werde ich eine Überraschung für ihn haben.« Seine orangefarbenen Augenschlitze starrten den Hohepriester eindringlich an. »Ich will die Frau! Sie bedeutet Hellmann viel, das habe ich gespürt! Meine Wunden schmerzen mich, deshalb wirst du dich darum kümmern. Schafft sie her! Morgen nacht wird sie mir gehören und sich wünschen, nie meinen Weg gekreuzt zu haben. Ich hoffe, sie hält durch, bis der Träger des Rings zurückkehrt. Dann wird es eine doppelte Freude für mich werden!« rief er, daß es in dem Gewölbe hallte. Herbert Corten verbeugte sich und zog sich zu den Dämonenjüngern zurück. »Priester!« rief ihm der Dämon nach. »Sorg dafür, daß alle
deine Brüder und Schwestern morgen hier versammelt sind. Ohne Ausnahme.« Er beugte sich vor, damit Corten sein häßliches Gesicht besser sehen konnte. »Und noch etwas: Versage diesmal nicht, Priester! Es wäre nicht gut für dich, wenn du meinen Zorn auf dich ziehst!« Herbert Corten führte die anderen Kuttenträger aus dem Gewölbe und durch den Geheimgang ins Freie. Er würde nicht versagen. Auf keinen Fall! * Hauptkommissar Peter Langenbach machte sich die größten Sorgen. Mark Hellmann war in der Grünanlage verschwunden und hatte sich seit einiger Zeit nicht mehr gemeldet. Pit würde ihm noch eine halbe Stunde zugestehen. Hatte er dann nichts von Mark gehört, würde er das Gelände absuchen lassen. Die halbe Stunde verging ohne Meldung von Mark. Pit kehrte zu seinem Wagen zurück und informierte die Zentrale. Daß inzwischen mehrere schwarzgekleidete Gestalten durch die Grünanlage davoneilten und in der Dunkelheit verschwanden, bekam er nicht mit. Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es in der Anlage beim Schloßberg von Polizisten. Die Umgebung wurde schematisch abgesucht. Sogar die Hundestaffel war im Einsatz. Doch Mark Hellmann blieb verschwunden. »Sie hätten Herrn Hellmann nicht in die Soko aufnehmen sollen, Hauptkommissar!« sagte Staatsanwältin Eva Glaser vorwurfsvoll. »Es ist ein unkalkulierbares Risiko, einen Zivilisten mit in die Ermittlungen einzubeziehen. Als erfahrener Kriminalbeamter hätte Ihnen das klar sein müssen!« Die Staatsanwältin war vor wenigen Minuten am Schloßberg eingetroffen und stand nun mit Pit beim Turm. Pit Langenbach war sauer. Was ihn am meisten ärgerte, war die Tatsache, daß die Glaser recht hatte. Er selbst machte sich die größten Vorwürfe. Mark und er hätten zusammenbleiben müssen. Doch für Selbstkritik war es zu spät. Mark war und blieb verschwunden. »Chef, wir haben was gefunden!« rief ein Beamter und winkte. Pit warf der Staatsanwältin einen hoffnungsvollen Blick zu. »Sie entschuldigen mich?« fragte er und rannte auf seinen Kollegen zu. Wenig später stand er im Dickicht und starrte auf das Walkie-
talkie, mit dem Mark ausgerüstet gewesen war. »Vielleicht ist er angegriffen worden und hat es dabei verloren«, überlegte der Kollege. Pit nickte und drückte die Sendetaste. Nichts. Kein Ton. »Vielleicht hat er es weggeworfen, weil es nicht funktionierte«, sprach Pit wütend die andere Möglichkeit aus und drückte dem Beamten das Funkgerät in die Hand. »Was haben wir denn da?« fragte der Hauptkommissar, als sein Blick auf eine Eisenplatte fiel, die teilweise von Laub verdeckt wurde und nur schwach zu erkennen war. Der Beamte neben ihm zuckte die Achseln. Pit fegte mit dem Schuh Blätter und Zweige zur Seite und fand so den Haltegriff. Er spannte die Muskeln und hob die schwere Platte an. Dann schaute er zu dem Beamten hoch. »Meinen Sie nicht, daß es jetzt langsam Zeit wäre, die anderen herzuholen?« fragte er gefährlich sanft. Wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann waren es Kollegen, die nur auf Anweisung handelten und keine Eigeninitiative entwickelten. Erschrocken fuhr der Kripomann zusammen. »Klar, Chef, bin schon unterwegs«, versicherte er und rannte los. Pit knipste seine Taschenlampe an und leuchtete in die Öffnung, die sich vor ihm auftat. Langsam stieg er die schiefen, schmalen Stufen hinab und erreichte den Stollen. Über sich vernahm Pit die dumpfen Geräusche, als sich seine Kollegen anschickten, ihm zu folgen. Der Hauptkommissar wartete nicht. Mit raschen Schritten brachte er den Geheimgang hinter sich und erreichte ein riesiges Gewölbe, in dem seine Schritte widerhallten. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe huschte über die Wände und den Boden und riß Einzelheiten aus dem Dunkeln. Pit erkannte die ovale Steinplatte, den Kreidekreis mit dem Pentagramm sowie die Kerzen und die Wandfackeln. Hinter ihm betraten andere Beamte das Gewölbe. Auf einmal war der Raum erfüllt mit einer Vielfalt von Geräuschen. Taschenlampen und Handscheinwerfer erhellten das Gewölbe. In der hintersten Ecke bemerkte Pit ein Kleiderbündel. Mit dem Fuß schob er die Kleidungsstücke auseinander. Es war Mark Hellmanns Kleidung, darin bestand kein Zweifel. Auch Damenunterwäsche lag dabei. »Darf man fragen, was Sie davon halten?« hörte er Eva Glasers Stimme hinter sich. Die Staatsanwältin hatte es sich nicht nehmen lassen, ebenfalls das Gewölbe zu besichtigen. Pit wandte
sich von den Kleidungsstücken seines Freundes ab. Er war sicher, daß Mark mit Hilfe seines Rings eine Zeitreise unternommen hatte, und zwar zusammen mit einer Frau. Pit selbst hatte seinen Freund bereits auf einer solchen Reise begleitet. Allerdings hatte er nicht vor, die Staatsanwältin darüber zu informieren. »Ich denke, daß dies der Versammlungsraum der okkulten Vereinigung ist«, antwortete er ausweichend. »Dort drüben, bei der Steinplatte, wird man wohl dem Dämon huldigen. Vielleicht erscheint der dämonische Sichelmörder hier seinen Anhängern«, dachte Pit laut nach. Die Staatsanwältin schaute sich prüfend um. Dann schüttelte sie den Kopf. »Meiner Meinung nach ist dieses Gewölbe viel zu alt, um jetzt noch von Teufelssekten oder ähnlichen Gruppen genutzt zu werden. Es stammt wohl noch aus dem Mittelalter oder sogar aus der Wendenzeit«, sagte sie. »Möglicherweise haben hier ja tatsächlich mal Beschwörungen oder geheime Versammlungen stattgefunden, aber das dürfte längst vorbei sein. Ich glaube vielmehr, daß sich die Sekte, wenn es eine solche wirklich gibt, einen moderneren Aufenthaltsort gesucht hat.« »Und wie erklären Sie sich, daß Mark Hellmanns Kleidung hier herumliegt?« fragte Pit. Eva Glaser hob ratlos die Schultern. »Vielleicht dient dieses Gewölbe als Zufluchtsort für Obdachlose. Wer weiß, vielleicht hat ein Penner Herrn Hellmanns Kleider gefunden und mitgenommen? Mehr fällt mir dazu auch nicht ein«, antwortete Pits Vorgesetzte. Sie verließ die dunkle Ecke und trat ein paar Schritte auf den Opferstein zu. »Wie sieht Ihre weitere Vorgehensweise aus, Herr Langenbach?« fragte sie über die Schulter. »Nun, ich werde das Gewölbe rund um die Uhr bewachen lassen«, bekam sie zur Antwort. »Falls sich Radogars Anhänger in der kommenden Nacht hier wieder versammeln, erfolgt der Zugriff. Damit könnten wir die Vereinigung zerschlagen. Der Sichelmörder hätte dann keine Helfer mehr und wäre geschwächt. Vielleicht würde das unsere Chancen erhöhen, ihn zu stellen«, erklärte Pit. Eva Glaser drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir vergeuden hier nur unsere Zeit, während wir die Fahndung nach Mark Hellmann und den Sektenmitgliedern intensivieren sollten.« Sie überlegte kurz. »Ich möchte, daß während der nächsten achtundvierzig Stunden die Fahndung nach
Herrn Hellmann, dem Sichelmörder und dieser ominösen okkulten Vereinigung auf den gesamten Großraum Cottbus und Teile des Spreewaldes ausgedehnt wird. Setzen Sie Ihre ganzen Anstrengungen ein, um Mark Hellmann zu finden, Hauptkommissar! Es geht um das Leben eines Zivilisten, der noch dazu in Polizeikreisen sehr angesehen ist.« Pit starrte die Staatsanwältin ungläubig an. »Aber ich bin immer noch der Ansicht, daß wir hier eine größere Erfolgschance hätten«, versuchte er einen Einwand. Dr. Glaser schaute Pit aus kalten, gefühllosen Augen an. »Sie verrennen sich in eine fixe Idee, Langenbach, während Ihr Freund wahrscheinlich in Lebensgefahr schwebt«, sagte sie in eisigem Ton. »Ich wünsche, daß meine Anweisungen befolgt werden, Herr Hauptkommissar!« Komisch, dachte Pit, wieso ist die so engstirnig? Sie muß doch selbst erkennen, daß sich Radogars Jünger höchstwahrscheinlich hier versammeln. Alles spricht dafür! Eva Glaser wandte sich dem Ausgang zu und drehte sich nochmals zu Pit um. »Ich kann also mit Ihrer Kooperation rechnen, Herr Langenbach?« fragte sie und warf ihm einen eindringlichen Blick zu. »Sie werden Ihre Bemühungen auf die Fahndung nach Herrn Hellmann konzentrieren und diesen angeblichen Versammlungsort zunächst vergessen?« Pit Langenbach nickte schweigend. Als die Staatsanwältin das Gewölbe verlassen hatte, ließ Pit Dampf ab. »Alte, wenn du dich irrst und Mark durch deine Schuld was passiert, kannst du deine verdammte Karriere an den Nagel hängen!« fauchte er seiner Vorgesetzten halblaut hinterher und folgte ihr mit hängenden Schultern. * »Dein Name ist also Markus«, sagte Radulf, der Wendenführer, und rieb sich das Kinn. »Bist du ein Römer? Viele Römer heißen Markus.« Da hatte er auch wieder recht. Als ich mich vorgestellt hatte, war er sofort hellhörig geworden. Die Wenden hatten zwar keinen Streit mit den römischen und langobardischen Truppen, aber wer konnte schon sagen, ob sich die lauernden Feinde nicht Verbündete bei den Südländern geholt hatten? Ich lächelte und
schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Römer, Radulf«, versicherte ich. »Was bist du dann? Ein Christ? Damit wärst du unser Feind und des Todes«, gab er zu bedenken. Bevor ich mir eine zufriedenstellende Antwort zurechtlegen konnte, mischte sich der alte Zauberer Ragnar ein. »Er kommt aus einer anderen Zeit, mein Sohn«, erklärte er. »Er hat das rothaarige Weib davor bewahrt, beim Opferritual getötet zu werden. Baltar und seine Krieger sind von Samo aufgestachelt. Sie sind nicht mehr aufzuhalten.« Er schaute kurz zu mir, bevor er fortfuhr. »Wenn Markus nicht gewesen wäre, hätten Baltars Männer auch mich und deine Schwester getötet!« rief er. Radulf nickte. »Und wenn Markus nicht gewesen wäre, hätte Baltar überhaupt nicht gewagt, gegen euch die Hand zu erheben, Vater«, gab er leise zu bedenken. Der Wendenführer verfiel in Schweigen, starrte nachdenklich vor sich hin und rieb sich das Kinn. Schließlich erhob er sich und trat auf mich zu. »Ich danke dir, Fremder, daß du das Ritual verhindert und meine Liebsten gerettet hast«, sagte er mit tiefer Stimme. »Ich hoffe, du wirst an unserer Seite kämpfen, wenn die Sachsen und Thüringischen angreifen.« Ich schaute ihn schweigend an und wandte mich ab. Es fiel mir ungeheuer schwer, ihm ins Gesicht zu sagen, daß sein Kampf von vornherein zum Scheitern verurteilt war und ihn der Feind überrennen würde. »Was hast du, Markus?« wollte er wissen. »Habe ich dich beleidigt? Habe ich etwas Falsches gesagt?« »Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, Radulf«, begann ich zögernd. »Ich komme aus einer anderen Zeit, das hat dir dein Vater schon gesagt. Frage mich nicht, wie es geschehen ist, sondern glaube es einfach. Da ich aus einer fernen Zeit komme, weiß ich auch, wie der Angriff deiner Feinde enden wird.« Ich atmete tief ein und drehte mich zu ihm um. Erwartungsvolle Blicke trafen mich. »Der Feind wird euch überrennen, Radulf«, teilte ich ihm ernst mit. »Die Feste wird eingenommen und die Wenden zurückgedrängt.« Vielstimmiges Gemurmel erklang von den Gästen im Saal. »Es wird nicht für immer so sein«, lenkte ich ein. »Es wird immer wieder Wendenstämme geben, die in dieses Land einfallen und die Feste besetzen. Doch die Sachsen und Thüringer werden ihnen immer überlegen sein!« »Das sind dann Leute wie Baltar und seine Barbaren!« rief der
Wendenführer. »Sie finden ein Vergnügen daran, zu rauben, zu morden und zu brandschatzen! Ich war bemüht, meinem Volk ein friedliches Leben in diesem Land zu bieten. Doch Männer wie Baltar machen alles zunichte.« Betrübt schüttelte er den Kopf. Er wandte sich an seinen Vater. »Du bist ein weiser Mann, Vater«, sagte er. »Wie soll es nun weitergehen?« »Das können wir dir sagen, Radulf!« rief einer der anwesenden Gäste, bevor Ragnar antworten konnte. »Du bist der einzige, der von einem friedvollen Leben geträumt hat. Wir sind Kämpfer, Krieger, und Baltars Weg entspricht mehr unseren Vorstellungen als deiner. Wenn die Feinde angreifen, werden wir sie bis aufs Blut bekämpfen. Wir werden ihre Reihen lichten und das Land mit ihrem Blut tränken. Und dann werden wir uns ihre Schätze, ihre Weiber und Kinder nehmen, wie es das Gesetz verlangt!« »Wessen Gesetz ist es?« fragte Radulf höhnisch. »Es ist das Gesetz der goldenen Sichel! Das Gesetz eures Gottes Radugast, der euch dazu verleitet, immer weiter in die Barbarei zurückzufallen. Seht euch an! Ihr seid wie die Tiere. Ihr nehmt euch, was ihr haben wollt und seid bereit, dafür zu töten. Ist das der Wille eines Gottes, dessen Sichel einmal ein Zeichen der Fruchtbarkeit und des Friedens war? Ihr bringt ihm Menschenopfer dar, damit er euch unterstützt. Aber wenn er das wirklich will, warum hat er nicht bereits verhindert, daß unsere Feinde zum Kampfe antreten? Warum stehen die Sachen und Thüringischen mit unverminderter Stärke vor unseren Toren?« fragte er laut. Ich bekam Respekt vor Radulf. Der Mann wußte, wovon er sprach. Er hatte die Falschheit des Dämonengottes Radugast erkannt. Vielleicht hatte ihn sein Vater dazu bewogen, aber Radulf schien von dem, was er sagte, überzeugt zu sein. Jetzt erhoben sich mehrere Gäste von ihren Stühlen. Drohend wurden Fäuste geschwungen. Aufgebrachte Stimmen schrien durcheinander. »Wenn du den Kampf scheust, Radulf, bist du nicht mehr würdig, unser Führer zu sein!« rief man ihm entgegen. »Wir schließen uns Baltar an. Der große Radugast wird uns zur Seite stehen und uns Kraft geben. Wir raten dir, dich zurückzuziehen, bevor ein Sachsenspieß dich durchbohrt! Baltar wird von jetzt an unser Führer sein! Holt Baltar!« Die anderen Gäste fielen in den Ruf ein, schrien Baltars Namen und reckten die Fäuste im Rhythmus nach oben.
»Damit ist wohl alles entschieden«, sagte ich und legte Radulf eine Hand auf die Schulter. »Es hat keinen Sinn, daß du dich für eine verlorene Sache opferst, Radulf. Das hat nichts mit Feigheit zu tun, sondern ist unter Umständen mutiger, als einen sinnlosen Tod zu sterben. Ich rate dir, suche deine Getreuen zusammen, deine Familie, und sieh zu, daß ihr euch in Sicherheit bringt, bevor der Ansturm der Feinde erfolgt. Baltar hat die Führung übernommen, und niemand wird sich gegen ihn stellen!« Radulf überlegte nicht lange. »Es sind nicht viele, die mit mir kommen werden, Markus. Gehen wir. Ich möchte noch Vorbereitungen treffen. Baltar soll nicht mitbekommen, was wir vorhaben, sonst wird er uns aufzuhalten versuchen.« Eilig verließen wir unter dem grölenden Gelächter der Anwesenden den Saal. Während sich Radulf unverzüglich daran machte, seine wenigen Getreuen um sich zu scharen, zeigte mir Ragnar die Feste. Dies war also die wendische Burg, deren Überreste man später in Cottbus noch sehen konnte. Auf dem Festungswall erwartete mich ein grandioser Anblick. Die größte slawische Burg der Niederlausitz war ein gigantisches Bauwerk für die damalige Zeit. In den Wäldern um die Feste brannten Feuer. Im Burghof selbst herrschte ein wildes Durcheinander. Baltars Krieger bereiteten sich offenbar auf den drohenden Angriff der Feinde vor. Ragnar führte mich schließlich in ein Gemach im Westteil der Festung, wohin sich seine Tochter Slawiga und Miriam Maybach bereits zurückgezogen hatten. Ich ließ mich auf einem Freilager nieder und nutzte die Gelegenheit, Kräfte zu sammeln. Die bevorstehende Schlacht bereitete mir Sorgen. Ich befürchtete außerdem, daß die Feinde früher als erwartet angriffen. Slawiga reichte mir ein paar fellbesetzte Schnürschuhe. Ich legte sie an und beobachtete dabei den alten Zauberer, der in der Nähe eines kleinen Lagerfeuers saß und nachdenklich die goldene Sichel in seiner Hand betrachtete. »Ist das Radugasts goldene Sichel?« fragte ich leise und ließ mich an seiner Seite nieder. Andächtig strichen die dürren Finger des Alten über das matt glänzende Sichelblatt. »Sie ist aus purem Gold und wurde vor langer Zeit dem Gott Radugast als Zeichen der Fruchtbarkeit geweiht. Über viele Generationen war diese Sichel das Zeichen, unter dem das Volk der Wenden zu Reichtum und Wohlstand
gelangte. Unsere Ernten waren immer reichhaltig, und Radugast erhielt seinen Teil davon. Doch die Zeiten änderten sich«, meinte er betrübt. »Männer wie Baltar und Samo begannen, gierig zu werden und Radugast um Beistand für ihr frevlerisches Tun zu bitten. Viele junge Frauen und Männer verloren ihr Leben, um Radugast zufriedenzustellen. Das heilige Zeichen der goldenen Sichel wurde in Blut gebadet.« Er schüttelte traurig den Kopf und starrte in die Flammen. »Du hast Radugasts wahre Gestalt gesehen, nicht wahr?« fragte ich. Der Alte nickte still. Eine Weile war Schweigen zwischen uns. »Lange, nachdem die Blutopfer ihren Anfang genommen hatten, erschien mir Radugast. Er war schrecklich anzusehen. Ich bekam Angst, und er weidete sich daran. Es bereitete ihm Freude, mich zittern zu sehen. Radugast sprach zu mir von einer neuen Zeit, die nun angebrochen sei. Von seiner Schreckensherrschaft, die mit dem ersten Menschenopfer begonnen hatte und nun wie eine Heimsuchung über die Menschen kommen sollte. Und alles sollte im heiligen Zeichen der goldenen Sichel geschehen.« Er hob die Sichel ins Licht der Flammen. »Ein mächtiger Zauberer, von dem ich abstamme, hat die Sichel geschmiedet. Man sagt, Radugast selbst habe ihm das Gold verschafft. Viele Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Wo wird es wohl enden?« fragte er und starrte gedankenverloren in die Flammen. »Es wird erst ein Ende haben, wenn Radogar, das Wesen aus der Schattenwelt, vernichtet ist«, antwortete ich. »Er ist in meiner Zeit erschienen, um seine Schreckensherrschaft schlimmer als jemals zuvor über die Menschen zu bringen. Er hat auch in meiner Zeit Menschen gefunden, die ihm hilfreich zur Seite stehen. Und er hat eine goldene Sichel.« Ragnar fuhr herum und starrte mich ungläubig an. »Das ist unmöglich!« rief er. »Dies hier ist die einzig wahre heilige Sichel Radugasts! Es gibt keine zweite!« Jetzt war ich an der Reihe, erstaunt zu sein. Wenn der alte Zauberer recht hatte, dann war die goldene Sichel, mit der Radogar seine Morde beging, eine Fälschung. Vielleicht war die echte Sichel verschwunden, und seine Dämonenjünger hatten ein Duplikat geschmiedet. Wenn dem so war, dann hatten sie vielleicht sogar den Dämon getäuscht, um ihn dazu zu bringen, vor ihnen zu erscheinen. Dann konnte vielleicht die echte Sichel dazu dienen, ihn zu vernichten!
»Glaubst du, man könnte den Dämonengott vernichten, indem man die Sichel zum Schmelzen bringt?« fragte ich den Alten. Aber er machte meine vage Hoffnung zunichte. »Das würde nichts helfen. Nur die heilige Sichel selbst könnte ihm vermutlich tödliche Wunden beibringen«, meinte Ragnar. Damit war mir die einzige Möglichkeit genommen, den Dämon zu vernichten. Wenn ich in meine Zeit zurückreiste, würde ich die Sichel zurücklassen müssen. Noch nie war ich mir so hilflos vorgekommen. Ich dachte an Pit, an Tessa und die Menschen in Cottbus, die darauf vertrauten, daß ich ein Mittel fand, um den Dämon zu besiegen. Doch die einzig wirksame Waffe gegen ihn blieb mir verwehrt. Ich legte Ragnar dankend die Hand auf die Schulter und ging zu meinem Lager zurück. Vielleicht würden mir ein paar Stunden Ruhe einen rettenden Einfall bescheren. Als ich erwachte, hatten sich über ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder in dem Gemach versammelt. Still saßen sie auf dem Boden und warteten auf Radulf. Es dauerte nicht lange, bis er zu uns stieß. »Die Dunkelheit bricht an«, sagte er. »Der Angriff der Feinde steht kurz bevor. Es liegt was in der Luft, ich spüre es. Laßt uns gehen!« Ich nahm Miriam Maybach bei der Hand. »Was immer auch geschieht, du bleibst dicht bei mir. Ist das klar?« Sie schaute mich aus großen Augen an und nickte. »Höre wenigstens einmal auf das, was man dir sagt! Du hast mich in Weimar ganz schön reingelegt, aber wenn du diesmal Zicken machst, kann es passieren, daß dir diese Barbaren die Gurgel durchschneiden«, fügte ich in aller Deutlichkeit hinzu. Vielleicht kapierte sie jetzt. Wir suchten unseren Weg durch dunkle Gänge und über Treppen, bis wir an eine schmale Treppe gelangten, die in die Tiefe unterhalb des Festungswalls führte. Wir wollten gerade die Stufen hinabsteigen, als wir einen gellenden Schrei vernahmen. Ein junger Wende, der die Nachhut unserer kleinen Gruppe übernommen hatte, stürzte uns hinterher. »Sie greifen an!« schrie er aufgeregt. * Tessa Hayden hatte erst am dritten Abend ihrer Nachforschungen Erfolg. Im Cafe Total Normal, einer Diskothek
im Zentrum von Cottbus, war ihr ein junger Mann aufgefallen, der sich überraschend oft in ihrer Nähe aufhielt und ihr auch wiederholt zulächelte. Tessa schätzte ihn auf Anfang Zwanzig. Er hatte eine sportliche Figur, lange, schwarze Haare und ein schmales Gesicht. Also gut, mein Junge! Schauen wir mal, was du alles weißt! dachte sie, hob ihren Bacardi-Orange und prostete ihm zu. Wenig später trat der Schwarzhaarige auf sie zu. »Hi«, sagte er und atmete noch etwas heftig vom Tanzen, »ich bin Thomas.« Tessa erwiderte den Gruß, nannte ihren Namen und deutete auf den Barhocker neben sich. Thomas setzte sich und fächelte sich Wind zu. »Das Rumgehopse strengt ganz schön an«, meinte er. Tessa schenkte ihm ein wissendes Lächeln, nippte an ihrem Drink und fragte: »Bist du öfter hier?« - »Jetzt bestimmt, nachdem ich dich getroffen habe«, erwiderte Thomas und winkte dem Barkeeper. »Für die Dame noch mal das gleiche und für mich einen Wodka Tonic!« Tessa betrachtete ihn aufmerksam. Der Junge war ganz in Schwarz gekleidet, in Jeans und Rollkragenhemd. Durch das Fächeln hatten die Haare den Blick auf die Ohren freigegeben. Tessas Augen weiteten sich einen Moment, als sie die kleine, silberne Sichel entdeckte, die Thomas als Ohrring trug. Donnerwetter! dachte Tessa. Volltreffer! Sie beschloß, den Jungen nicht mehr aus den Augen zu lassen. Immer wieder versuchte die Fahnderin, Thomas in ein Gespräch zu verwickeln und ihn über den Ohrring und okkulte Gruppierungen hier in Cottbus auszufragen, aber der Junge zeigte sich verschlossen. Nur zaghaft rückte er mit der Sprache heraus. Schließlich war es spät geworden. Thomas stand auf. »Ich muß jetzt gehen«, erklärte er. »Muß morgen früh raus.« Er beugte sich vor und hauchte Tessa einen Kuß auf die Wange. »War nett mit dir. Hoffentlich sehen wir uns mal wieder«, sagte er. Wahrscheinlich schneller als dir lieb ist! dachte die Fahnderin. Kaum war er draußen, schnappte sie ihre Umhängetasche und folgte ihm. Er ging Richtung Wendisches Viertel und bog dann plötzlich nach links ab. Was will der Kerl denn im Park, zum Teufel? wunderte sich Tessa. Jetzt lief sie Gefahr, den jungen Mann aus den Augen zu verlieren, denn die Nebelschleier verdichteten sich im Park zu einer undurchdringlichen Suppe. Tessa zog ihr Handy aus der Tasche. »Chef, ich glaube, ich bin
ganz dicht an was dran. Ich habe einen jungen Mann getroffen, der etwas über Radogars Dämonenjünger zu wissen scheint. Übrigens, er trägt eine Sichel als Ohrring.« Peter Langenbachs Stimme war nur schwach zu hören und wurde immer wieder unterbrochen. Sie konnte gerade noch einige warnende Worte des Hauptkommissars verstehen. »Ja, ja, ich paß schon auf«, versicherte sie. »Sobald ich mehr weiß, melde ich mich.« Dann unterbrach sie die Verbindung und ließ den Apparat in ihre Tasche gleiten. Tessa beeilte sich, Thomas zu folgen. Der Weg führte über eine kleine Brücke und setzte sich dann im Goethepark fort. Tessa kriegte jetzt doch ein wenig Magendrücken, als ihr einfiel, daß in diesem Park die letzten drei Opfer des Sichelmörders gefunden worden waren. Dumpf hallten Tessas Schritte auf. Ihr Puls beschleunigte sich. Ihre Finger schlossen sich um den Griff der Pistole. Nach einigen Metern blieb Tessa stehen, hielt den Atem an und lauschte. Wie aus unendlicher Weite meinte sie die Schritte des jungen Mannes zu hören. Der Weg machte eine Biegung nach links und schlängelte sich gleich darauf um ein Gebüsch nach rechts. Tessa brachte mit geschmeidigen Bewegungen die erste Wegbiegung hinter sich. Sie hatte ihre Pistole gezogen und hielt sie im Beidhandanschlag. Auf beiden Seiten des Weges hing die dicke Nebelwand, die keinen Blick zwischen Bäume und Sträucher zuließ. Tessa bewegte sich seitwärts und drehte sich alle paar Schritte um. Sie hastete weiter durch den Nebel und erreichte die nächste Wegbiegung. Plötzlich glaubte sie, hinter sich heftiges Atmen zu hören. Sie wirbelte herum und riß die Pistole hoch. Der Atem verstummte. Stille umfing sie. Der Nebel erstickte jeden Laut in ihrer Nähe. Unwillig schüttelte Tessa den Kopf, drehte sich um und hastete weiter. Sie wollte Thomas nicht entkommen lassen. Der Nebel lichtete sich etwas und ließ die stille Wasseroberfläche des Amtsteiches erkennen, der im Zentrum des Parks lag. Wie ein mahnender Zeigefinger ragte die Düse der Wasserfontäne aus der Mitte des Teichs empor. Man hatte die Pumpe abgestellt. Tessa umrundete den Teich und näherte sich der kleinen Bastion. Vor sich vernahm sie wieder knirschende Schritte auf dem Kiesweg. Na warte, Freundchen! Jetzt habe ich die Spielchen aber satt! dachte Tessa Hayden grimmig. Sie umklammerte den Kolben der Waffe fester und hetzte auf den
Eckbau der Bastion zu. Langsam strich sie an der Wand entlang bis zur nächsten Ecke und beugte sich vor. Schemenhaft sah sie Thomas, der sich an der Seitenwand der Bastion weiterbewegte. Tessa wirbelte herum, jagte um das Gebäude und näherte sich Thomas nun von der anderen Seite. Zwangsläufig mußte er ihren Weg kreuzen. Als sich seine Gestalt aus dem Nebel schälte, handelte Tessa. Blitzschnell sprang sie Thomas in den Weg, packte ihn und warf ihn gegen die Wand. Ihr Pistolenlauf saß an seinem Hinterkopf, während sie ihn abtastete. Dann drehte sie den jungen Mann herum. »So, mein Lieber, Schluß mit dem Versteckspielen. Jetzt spuck mal schön aus, was du über Radogars Helfer weißt!« Thomas schaute in die Mündung der Pistole und lachte dennoch hell auf. »Wie kommst du eigentlich darauf, daß ich dir etwas erzählen kann?« fragte er frech. »Du trägst Sichelohrringe. Das sagt mir genug«, gab Tessa zurück. Das Grinsen verschwand schlagartig vom Gesicht des Mannes. »Du kommst dir wohl unheimlich schlau vor, was?« fragte er in verächtlichem Ton. »Dabei weißt du nichts, gar nichts!« »Das kannst du ja gleich ändern, indem du mir was erzählst«, erwiderte die Fahnderin. »Los, mach's Maul auf!« Aus dem Nebel hinter Tessa Hayden löste sich eine weitere dunkle Gestalt. Im nächsten Moment spürte Tessa das kalte Metall einer Pistolenmündung in ihrem Nacken. Ihre Muskeln verkrampften sich. Angst kroch in ihr hoch und streckte ihre kalten Finger nach Tessas Herz aus. »Nimm ihr die Waffe ab, Thomas«, sagte eine tiefe Stimme hinter Tessa. Der Druck in ihrem Nacken verstärkte sich. Und die Worte »Mach keine Zicken, verstanden?« klangen bereits um einiges brutaler. Mit einem Grinsen nahm ihr Thomas die Waffe aus der Hand. Sofort verschwand der Druck in Tessas Nacken. Sie drehte sich um und sah einen hageren Mittvierziger vor sich, der ebenfalls schwarz gekleidet war. »Die Waffe gehörte deinem Kumpel, diesem Schnüffler. Er mußte sie leider zurücklassen, als er verschwand«, erklärte der Hagere. Mark Hellmanns Waffe! zuckte es durch Tessas Kopf. Verdammt, sie haben Mark geschnappt! Kalte Wut stieg in ihr hoch. Sie setzte alles auf eine Karte. Blitzschnell trat sie nach
hinten aus und hörte Thomas schreien. In der Bewegung beugte sie sich vor, schlug den Waffenarm des Hageren zur Seite und warf sich auf ihn. Ihr Gegner stieß einen überraschten Schrei aus. Tessa hieb ihm die Faust in die Magengrube und versuchte, einen Handkantenschlag anzubringen, den der Hagere aber mit dem Pistolenlauf abblockte. Bevor die Fahnderin jedoch zu einem weiteren Schlag ausholen konnte, traf sie ein brutaler Hieb in den Nacken. Rasender Schmerz zuckte durch Tessas Körper. Sie warf den Kopf zurück und brach in die Knie. Ihr wurde schwarz vor Augen. »Das war für den fiesen Tritt von vorhin«, erklärte der Kerl. Thomas schnippte mit den Fingern. Der Hagere zog eine matt glänzende Sichel aus dem Gürtel und reichte sie an Thomas weiter. Der junge Mann packte Tessa am Kragen und legte ihr die Sichel um den Hals. »Wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang, meine Hübsche!« sagte er rauh. »Radogar, unser Meister, freut sich schon auf dich!« Er näherte seinen Mund ihrem Ohr. »Eines kann ich dir jetzt schon versprechen, Süße«, raunte er. »Langweilig wird der Abend bestimmt nicht!« Sein gellendes Gelächter hallte gemein in Tessas Ohren. Sie mußten nicht weit gehen. Bald hatten sie den Einstieg zum Gewölbe unter dem Schloßberg erreicht. Thomas trieb die Fahnderin über die schmale Treppe nach unten und den Geheimgang entlang. Schließlich erreichten sie den Eingang zum Versammlungsraum. Herbert Corten trat auf Tessa und ihre beiden Begleiter zu und ergriff ihre Hände. »Sei gegrüßt, meine Liebe! Welch edler Glanz in unserer Mitte!« begrüßte er sie mit falscher Liebenswürdigkeit. »Es ist einer unter uns, der sich ganz besonders freut, dich zu sehen!« Mit diesen Worten zog er Tessa Hayden mit einem Ruck nach vorn und schleuderte sie in die Mitte der Dämonenjünger. Grobe Hände stießen sie weiter, bis sie direkt vor den Opferstein taumelte. Mit großen Augen schaute Tessa auf die dunkle Gestalt, die in schwarzem Umhang und breitkrempigem Schlapphut hinter dem Opferstein stand und ihr den Rücken zukehrte. Mit einem plötzlichen Ruck wandte sich der Unheimliche zu ihr um. Sein gehässiges Grinsen zog sich über das ganze Gesicht und entblößte vier Reihen nadelspitzer Reißzähne. Seine Augenschlitze versprühten kleine, orangefarbene Blitze. Wie aus dem Nichts schoß seine bleiche Hand vor und krallte sich um
Tessas Kehle. »Nun, meine Schöne«, krächzte der Sichelmörder heiser, »du wolltest dich doch mit mir unterhalten! Jetzt hast du die Gelegenheit dazu. Zum letzten Mal in deinem erbärmlichen Leben! Rede endlich! Ich will deine Stimme hören!« schrie Radogar, der Dämon in Menschengestalt. Seine Rechte zuckte hoch. Tessa Hayden stieß einen markerschütternden Schrei aus, als die goldenen Sichel auf sie niedersauste. * Radulf und ich verständigten uns mit Blicken. Der junge Wendenführer zückte sein Schwert. »Beeilen wir uns!« rief er. »Wenn es hart auf hart kommt, verteidigen wir uns. Soll Baltar sehen, wie Radugasts Beistand ihn verläßt!« Mit diesen Worten trieb er seine Schutzbefohlenen zu noch größerer Eile an. Die ersten Kampfgeräusche drangen schwach zu uns herunter. Grölendes Siegergeheule und Todesschreie vermischten sich. Radulf führte uns durch verschiedene Geheimgänge und Flure, bis wir schließlich außerhalb des Festungswalles in den Wald traten. Wir erreichten eine Lichtung unweit vom Schloßturm. Hier hatte Radulf in weiser Voraussicht einige Pferdekarren bereitgestellt. Wir halfen den Frauen und Kindern hinauf. Die ersten Karren wurden schon angetrieben, als wir den monotonen Singsang vernahmen. Verwirrt blickte ich mich um. Der Gesang schien aus der Erde zu kommen. »Das kommt von der Versammlungsstätte, wo Samo seine Opferriten abhält!« rief der alte Ragnar. Ich warf ihm einen verständnislosen Blick zu. »Ich dachte, der Opferstein im Wald sei der Versammlungsort gewesen«, sagte ich. Ragnar schüttelte den Kopf. »Samo hat die neue Opferstätte geheimgehalten und nur zu ganz besonderen Anlässen benutzt.« Er lächelte verschmitzt. »Vor mir kann man so was aber nicht verbergen«, meinte er. »Weiß Baltar davon?« fragte ich. Der alte Zauberer vermutete, daß dem so war. Ein gellender Schrei von dem Karren, der zuletzt abgefahren war, ließ uns herumfahren. Eine Gruppe von Baltars Kriegern hatte den Karren gestoppt und schleppte gerade Slawiga, die Tochter des Zauberers, davon. Mit einem Wutschrei auf den Lippen hetzte ich zwischen die
Bäume und auf Baltars Männer zu. Radulf folgte mir. Einige der Barbaren verlegten uns zähnefletschend den Weg. Wie ein Rachegott warf ich mich ihnen entgegen. Meinen Hieben und Tritten konnten sie nicht lange standhalten, zumal mich der junge Wendenführer tatkräftig unterstützte. Auch Miriam Maybach hatte sich ein Schwert gegriffen und hieb auf die Gegner ein. Dabei achtete sie allerdings darauf, daß sie weitgehend hinter mir in Deckung blieb. Mit heftigen Streichen drang Radulf auf seine ehemaligen Kampfgenossen ein. Wenig später lagen sie tot oder verwundet zu unseren Füßen. In der Festung und auf dem Burgwall wurde heftig gekämpft. Die Sachsen und Thüringer erwiesen sich als geschickte Streiter, die den Wenden außerdem zahlenmäßig weit überlegen waren. Ich nahm die Reporterin wieder an der Hand und hetzte auf die Stelle zu, an der wir den Sprechgesang vernommen hatten. Ragnar folgte uns keuchend. Er führte uns in einen Wald, der hinter dem Schloßturm begann. Irgendwo im Unterholz fand er eine schmale Öffnung, in die wir uns hineinschoben. Grob gehauene Steinstufen führten in die Tiefe. Mit vorgestreckten Schwertern folgten wir dem alten Zaubermeister in die Tiefen des Gewölbes. Ich erkannte, daß ich diesen Weg schon einmal gegangen war. Es war der Zugang zu dem Gewölbe in Cottbus. Der Sprechgesang wurde lauter, schwoll an und verebbte wieder. Vor uns wurde der Tunnel breiter und mündete in einen riesigen Raum. Mehrere Barbaren hatten den Sprechgesang angestimmt und verstummten jetzt, als sie uns erblickten. Die beiden Wendenkrieger, die Slawiga verschleppt hatten, hielten das schreiende Mädchen auf einen Opferstein nieder. Unweit vom Steinaltar loderte ein helles Feuer, dessen Schein auf Slawigas angsterfülltes Gesicht fiel. »Laß ab von ihr, Elender!« donnerte Ragnars wutentbrannte Stimme durch das Gewölbe. Samo zuckte von dem Steinaltar zurück. Ragnar riß die goldene Sichel aus dem Gürtel und stürzte sich auf den Dämonenpriester. »Ragnar, nicht!« schrie ich, aber meine Warnung kam zu spät. Baltars Barbaren schienen auf die Gelegenheit nur gewartet zu haben. Sie ergriffen den alten Zaubermeister und rissen ihm die Sichel aus der Hand. Radulf und ich hielten uns nun ebenfalls nicht mehr zurück. Unsere Schwerter fanden ihr Ziel. Ein heftiger Kampf entbrannte. Es gelang mir, Ragnar vor einem tödlichen
Schwerthieb zu bewahren; ich stieß dem Angreifer meine Klinge in den Leib, packte seine Waffe und kämpfte mit zwei Schwertern weiter. Das Gewölbe hallte von Schwertergeklirr und den Schreien der Getroffenen wider. Miriam sprang an meine Seite und kümmerte sich um Ragnar, der erschöpft zusammensackte. Es sah so aus, als könnten Radulf und ich die Barbaren zurückdrängen. Da erscholl ein durchdringendes Gebrüll, das die Wände des Gewölbes erzittern ließ. Ich wirbelte herum und stand Baltar höchstpersönlich gegenüber. Sein wutverzerrtes Gesicht war schweißüberströmt. Sein muskulöser Oberkörper blutete aus zahlreichen Wunden, und auch seine Beine wiesen Schnitt- und Stichwunden auf. Wahrscheinlich hatte er sich aus dem Kampf gegen die Sachsen und Thüringer zurückgezogen, um in diesem Gewölbe Radugast um Hilfe anzuflehen. Baltar gab mir keine Zeit, mich auf sein Erscheinen einzustellen. »Stirb, du Christenhund!« schrie er und stürzte sich auf mich. Ich reagierte nicht schnell genug. Sein wuchtiger Schwerthieb prellte mir die Klinge aus der Hand. Ein gewaltiger Schlag mit der flachen Schwertklinge traf mich am Kopf. Ich sah Sterne, taumelte zur Seite und ging in die Knie. Baltar schlug erneut zu und traf mich in die Seite. Brennender Schmerz durchfuhr meinen Körper. Ich fiel hin und japste. Meine Lungen brannten. Wie durch einen Schleier beobachtete ich Baltar, der Miriam Maybach am Arm packte und sie durch die Reihen der Kämpfenden zum Opferstein zerrte. Plötzlich war Radulf an meiner Seite. »Komm hoch, Markus!« rief er. »Baltar stachelt seine Männer an und gibt ihnen neuen Mut. Wenn es ihnen gelingt, das Opfer zu vollziehen, sind wir verloren!« Ich versuchte die Benommenheit abzuschütteln und sah die Barbaren, die auf Radulf eindrangen, sah den Sohn des Zauberers aufspringen und sich den Wendenkriegern entgegenwerfen. Mit einem Fluch auf den Lippen rappelte ich mich auf und stürzte mich mit neu aufgeflammter Wut in das Kampfgetümmel. Meine Schwertklinge rammte und fetzte zwischen die massigen Leiber. Blut spritzte und befleckte meinen Körper. Radulf stieß einen lauten Kampfschrei aus, als er mich an seiner Seite bemerkte. Erschrocken wichen Baltars Barbaren vor uns zurück. »Haltet ein, oder der ewige Zorn von Radugast, unserem Gott
und Meister, wird euch treffen!« erklang die Stimme von Samo, dem Priester des Dämonengottes. »Haltet sofort ein, oder ihr weckt den Zorn des großen Radugast!« Seine Stimme überschlug sich. Die wenigen überlebenden Barbaren stellten die Kampfhandlungen tatsächlich ein. Radulf und ich entwaffneten sie, drängten sie zur Seite und sprangen auf den Opferstein zu. Samo hob die goldene Sichel. Der Feuerschein ließ ihre Klinge aufblitzen. »Nicht!« schrie Radulf und hob die Hand, um dem Priester Einhalt zu gebieten. Ein siegessicheres Lächeln stahl sich auf die Lippen des Dämonenpriesters. »Legt die Schwerter nieder!« befahl er. Radulf warf mir einen bittenden Blick zu und ließ sein bluttriefendes Schwert fallen. Samo lachte laut auf und wandte sich kurz zu Baltar um, der hinter den Priester getreten war. Mit der linken hielt der Barbarenführer immer noch Miriam Maybachs Arm umklammert. Die Reporterin versuchte vergeblich, sich aus dem stählernen Griff zu befreien und zur Seite hin wegzuspringen. »Siehst du, Baltar, was der bloße Anblick dieser goldenen Sichel bewirkt? Die tapferen Streiter sind nun nicht mehr wert als ein paar unbewaffnete Bauern! Und alles wegen dieses Weibes, das wir Radugast als Opfer weihen werden!« Wieder lachte Samo. Ein fanatischer Ausdruck trat in sein Gesicht. Er warf den Kopf zurück, riß die goldene Sichel hoch und rief: »Großer Radugast, nimm unser Opfer an! Gib uns die Kraft, dem Angriff der Feinde standzuhalten. Nimm dieses junge Leben, großer Radugast, und schenke uns die Kraft deiner goldenen Sichel!« »Niemals, Samo!« protestierte ich und stürmte los. Hinter mir hörte ich Radulf erschrocken aufschreien. Ich mußte schnell sein, verdammt schnell, das war mir klar. Die aufgestaute Energie kam in einem gellenden Schrei zum Ausbruch. Ich benutzte die Altarplatte als Sprungbrett und stieß mich ab. Genau in dem Augenblick, als die Klinge der goldenen Sichel auf Slawiga niederzuckte, trafen meine Füße den Dämonenpriester mit voller Wucht. Samo wurde herumgerissen und gleichzeitig gegen Baltar geworfen, der immer noch hinter ihm stand. Ich fiel zu Boden und rollte mich ab. Die beiden Wendenkrieger, die Slawiga auf dem Stein festgehalten hatten, wichen entsetzt zurück. Ein Ruck ging durch den Körper des Dämonenpriesters. Einen
Moment lang sah es so aus, als würden er und Baltar in einer Umarmung verharren. Dann aber löste sich Samo von dem Barbaren und taumelte rückwärts. Langsam drehte er sich um. Ein Wimmern erklang, das sich zu einem schmerzerfüllten Schrei steigerte. Blut färbte Samos weißes Gewand rot. Hinter ihm erkannte ich Baltar, der erschrocken auf seine blutige Schwertklinge starrte, in die Samo durch die Wucht meines Trittes gestürzt war. Mit ausgebreiteten Armen machte Samo noch einen Schritt und verdrehte die Augen. »Radugast! Nimm deinen treuen Diener!« schrie er. Dann sank er über dem Opferstein zusammen. Baltar stand noch immer regungslos vor mir. Seine Linke öffnete sich. Miriam Maybach hastete sofort zur Seite und rieb ihren schmerzenden Arm. Baltars Blick fiel auf Radulf, wanderte dann zu dessen Vater und verharrte schließlich auf der jungen Slawiga, die immer noch auf dem Altarstein kauerte. Samos lebloser Körper lag über ihren Beinen. Vergeblich versuchte sie, sich zu befreien. Ein häßliches Grinsen verzerrte Baltars Gesicht. Schwankend machte er einen Schritt auf den Steinaltar zu. Im Bruchteil einer Sekunde erkannte ich, was der Wende vorhatte. Radulf war neben mich getreten und starrte fassungslos auf den Barbaren, der erneut einen zitternden Schritt auf Slawiga zuging und seine blutige Klinge hob. Ich riß Radulf das Schwert aus der Hand und erhob mich auf ein Knie. »Baltar!« schrie ich dröhnend. Der Wendenkrieger wandte sich halb um. Jetzt erst bemerkte ich den Blutfaden, der aus seinem Mundwinkel lief und den schwarzen Bart rot färbte. »Baltar! Hier bin ich!« Baltar reckte sich plötzlich. Ein Ruck ging durch seinen muskulösen Körper. Er hustete, und Blut lief über seine Lippen. Baltars Linke kam hinter dem Rücken hervor und brachte die bluttriefende goldene Sichel zum Vorschein, die sich in seinen Rücken gebohrt hatte, als Samo gegen ihn gefallen war und ihn umarmt hatte. Der Wendenkrieger ließ die Sichel fallen und stieß einen heiseren Schrei aus. Dann hob er das Schwert, um es mit aller Kraft auf Slawiga niederzustoßen. Ich holte aus und schleuderte Radulfs Schwert. Sirrend wirbelte die Klinge durch die Luft und drang mit einem dumpfen Geräusch tief in Baltars Brust. Die Bewegung von Baltars Schwertarm wurde gestoppt. Klirrend
fiel sein Schwert zu Boden. Eine Hand umklammerte den Schwertgriff, der aus seiner Brust ragte. Ich erhob mich und trat langsam auf ihn zu. »Glaubst du nun, daß dich Radugasts Macht verlassen hat, Baltar?« fragte ich ruhig. »Die goldene Sichel hat dir nicht helfen können. Im Gegenteil, sie hat dir schwere Wunden zugefügt«, sprach ich weiter. »Radugast hat euch schon lange seine Gunst versagt. Ihr wart für ihn nur ein Werkzeug, um seine Schreckensherrschaft unter den Menschen zu festigen.« Baltar starrte mich ungläubig an. Dann schloß er die Augen und sank vornüber. Ich half Slawiga vom Steinsockel. »Dank sei dir, Markus!« hauchte sie und fiel weinend an meine Brust. Ich schob sie sacht von mir. »Radulf, kümmere dich um deine Schwester und bringe deine Gefolgsleute in Sicherheit«, wies ich ihn an. Ich ergriff Miriams Hand und zog sie in eine stille Ecke des Gewölbes. »Du gehst zurück in deine Zeit, Markus, nicht wahr?« fragte Ragnar. Der alte Zauberer hatte Tränen in den Augen. »Laß mich mit dir gehen, Markus, und dir helfen, das Wesen der Finsternis zu besiegen. Ich habe mein Leben gelebt, meine Kinder kommen ohne mich zurecht. Dir aber könnte ich von Nutzen sein.« »Das geht leider nicht, Ragnar«, erwiderte ich betrübt. Als ich seinen enttäuschten Gesichtsausdruck sah, drückte ich dankbar seinen Arm. »Du kämst in meiner Zeit nicht zurecht, Ragnar. Außerdem müßtest du bei der Reise die Sichel zurücklassen, und gerade sie ist die einzige Waffe, die den Dämon schlagen kann.« Ich schüttelte den Kopf. »Deine Kinder brauchen dich, Ragnar. Es ist besser so, glaube mir«, versuchte ich ihn zu überzeugen. Ragnar sah mir traurig zu, wie ich mich mit Miriam niederkniete. Ich wollte nicht warten, bis die automatische Rückkehr einsetzte, deshalb aktivierte ich den Ring, indem ich ihn gegen das siebenzackige Mal auf meiner Brust preßte. Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Körper. Der Ring begann zu leuchten. Mit dem Strahl malte ich wieder das Runenwort auf den Boden, hörte die Sphärenklänge um mich herum, starrte in das Drachenmaul und stürzte in den hellen Schacht. *
Tessa Hayden lag auf dem Opferstein und zitterte. Der Dämon in der Gestalt des toten Sichelmörders beugte sich über sie. Stinkender Geifer tropfte aus seinem Maul auf ihre nackte Haut. Kalter Schweiß stand auf Tessas Stirn. Ihre Brust hob und senkte sich in schnellen Atemzügen. »Wir haben uns prächtig unterhalten, findest du nicht?« grollte der Dämon und fletschte sein vierlagiges Gebiß. Seine kalten Finger strichen über Tessas Körper. Die Fahnderin bäumte sich auf und schrie wütend. »Bring es endlich zu Ende, du Bastard!« brüllte sie. Die Angst war einer ohnmächtigen Wut gewichen. »Verdammt, mach endlich Schluß! Dann muß ich deine widerliche Drecksfratze nicht länger ertragen, du Stinker!« »Wie schön du bist, wenn dich die Wut packt«, knurrte Radogar. »Ich habe beschlossen, dich noch eine Weile bei mir zu behalten. Soviel Kraft hatte noch keines meiner Opfer. Du wirst mir in die Tiefen der Finsternis folgen. Ich werde mich lange mit dir beschäftigen. Sehr lange!« Der Dämon warf in Vorfreude den Kopf zurück und lachte röhrend. »Doch dafür muß eine andere deinen Platz einnehmen. Ich will auf mein Opfer heute nacht nicht verzichten«, beschloß Radogar. Er wandte sich den Kuttenträgern zu. »Unter euch ist eine, die an die Stelle des Hohepriesters treten will!« rief er. »Sie möge vortreten!« Eine große, schlanke Frau verließ den Kreis der Dämonenjünger und schritt auf Radogar zu. Mit demütig gesenktem Kopf blieb sie vor dem Dämon stehen. »Du behauptest, der Priester hätte Fehler gemacht. Du beanspruchst seinen Platz, da du ihn für unwürdig hältst, seine Aufgaben weiter zu erfüllen. Ist das richtig?« fragte Radogar die Frau. Sie hob den Kopf, schaute ihm fest in die Augenschlitze und nickte. »Es trifft zu, Meister«, antwortete sie. Radogar hob die Hand und schob ihre Kapuze zurück. Dadurch gab er den Blick auf ein blasses, aber attraktives Gesicht frei. Tessa Hayden stockte der Atem. Sie kannte die Frau. Der Dämon betrachtete seine Helferin eingehend. »Der Priester weist jeden Vorwurf zurück«, grollte er. »Er gibt dir die Schuld an den Fehlern, die gemacht wurden. Du hättest viel früher etwas unternehmen können, um die Arbeit der Polizisten zu verhindern. Wie stehst du dazu?« Die Frau starrte mit haßerfülltem Blick auf Herbert Corten. »Er ist ein Nichtskönner, großer Radogar! Ich
trage nicht die geringste Schuld. Er ist einfach zu alt für die wichtigen Aufgaben, die du stellst!« erwiderte Staatsanwältin Dr. Eva Glaser. Radogar antwortete nichts. Lange stand er schweigend da. Schließlich starrte er die Staatsanwältin wieder an. »Du bist schön und stark«, knurrte der Dämon. »Du könntest den Aufgaben, die dir als meiner Priesterin zufallen würden, gewachsen sein.« Er hob den Arm und deutete auf den Kreis der Kapuzenträger. »Erweise dich der Ehre würdig, meine Priesterin zu sein. Wähle eine von jenen dort aus, die den Platz der Polizistin auf dem Opferstein einnehmen soll!« drängte Radogar. Er wandte sich ab und verharrte mit gesenktem Kopf. Im nächsten Moment preßte er die Hände aufeinander, konzentrierte sich und lenkte einen orangefarbenen Blitz aus seinen Augenschlitzen auf die Opferplatte. Wie ein Ring lag der Blitzstrahl um die Platte. Mit dumpfem Grollen wich sie zur Seite. Eine dampfumwölkte Öffnung tat sich neben Tessa auf. Die schaute in die gähnende Tiefe, aus der nur stinkender Schwefeldampf emporquoll. Radogar packte Tessa und stieß sie an den Rand der Öffnung. »Mach dich bereit, mich in mein Reich zu begleiten«, befahl er. Doch Tessa war nicht gewillt, dem Dämon zu folgen. Sie riskierte noch einmal alles. Mit einem Hechtsprung setzte sie über die Öffnung und kam hart auf dem Gewölbeboden auf. Der Dämon warf sich herum und deutete auf Eva Glaser. »Ich habe genug von der Widerspenstigkeit dieser Frau. Sie wird mit mir kommen, ich habe es so beschlossen. Schafft sie her!« herrschte er die Staatsanwältin an. »Nun hast du eine noch wichtigere Aufgabe bekommen! Erledige sie schnell und zu meiner Zufriedenheit, und ich verleihe dir unermeßliche Macht. Versagst du aber, wirst du an ihrer Stelle auf dem Opferstein liegen!« Eva Glaser suchte sich zwei Männer aus dem Kreis der Dämonenjünger aus und sprang auf Tessa Hayden zu. Tessa versuchte zwar noch, den heranstürmenden Häschern auszuweichen, doch sie schaffte es nicht. Vor ihr gähnte der dampfende Höllenschacht, neben ihr lag der Opferstein, und zurück konnte sie auch nicht, denn dort war eine Gewölbewand. Die beiden Männer packten Tessa. Einer kassierte einen schmerzhaften Tritt von der Fahnderin, doch im nächsten Augenblick schoß Eva Glasers Hand vor und klatschte wuchtig in
Tessas Gesicht. »Gib endlich deinen Widerstand auf!« zischte sie die Polizistin an. »Radogar bekommt immer, was er will! Wer weiß«, fuhr sie mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen fort, »vielleicht gefällt dir sogar, was er mit dir macht!« Mit einer ruckartigen Kopfbewegung wies sie ihre beiden Begleiter an, Tessa zu Radogar zu schaffen. Der Dämon bewegte sich auf den Rand des Höllenschachtes zu. Seine Helfer schleiften die Polizistin zu ihm und warfen sie gegen die Schachtumrandung, an der sich Tessa abstützte. Der Dämon lachte. »Siehst du, meine Kleine, nun mußt du mir doch folgen. Ob du willst oder nicht!« Seine bleiche Hand raste auf sie zu, um ihr den entscheidenden Stoß zu versetzen. »Nein!« schrie eine Stimme und stoppte Radogars Hand, als sie schon fast Tessas Körper berührte. Und dann brach in dem Gewölbe die Hölle los! * Wieder hörte ich die bekannten Sphärenklänge und sah den Drachen schrumpfen, dann krachte ich auf harten Steinboden. Laut hallende Stimmen ertönten. Der Siegelring an meinem Finger begann sofort zu vibrieren, wurde heiß und sandte einen hellen Lichtstrahl aus. Er mußte starke schwarzmagische Ausstrahlung ganz in meiner Nähe aufnehmen. Ich richtete mich auf und bemerkte Miriam, die sich stöhnend hochstemmte. Mein Blick fiel auf die Dämonenjünger. Schlagartig wurde mir bewußt, wo wir uns befanden. Ich erkannte den Opferstein und davor eine runde Öffnung, aus der Rauchschwaden quollen. Tessa Hayden stützte sich am Rand der Öffnung ab. Und hinter ihr sah ich den Sichelmörder, dessen bleiche Hand auf Tessa zuschoß. »Nein!« brüllte ich. Mein Schrei ließ die Anhänger Radogars herum wirbeln und mir wutentbrannte Blicke zuwerfen. Ich schaute hinter mich und bemerkte ein Bündel Kleider, die scheinbar unachtsam auf den Boden geworfen worden waren. Sofort bückte ich mich und suchte in der Jackentasche nach dem Weihwasserflakon, den ich vergangene Nacht eingesteckt hatte. Ich zog ihn heraus und rannte auf Radogar und seine Helfer zu. »Du bist zurückgekehrt?!« brüllte der Dämon. »Du hast es
tatsächlich gewagt, mir ein weiteres Mal in die Quere zu kommen? Wicht! Es nützt dir nichts! Was du auch gegen mich unternehmen willst, es wird sinnlos sein!« Radogars Stimme steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Brüllen. Sein Maul mit den vier Lagen scharfer Zähne versprühte stinkenden Geifer wie ein kleiner Rasensprenger. Nackt und verletzbar stand ich vor dem Dämon, aber darüber machte ich mir jetzt keine Gedanken. Ich packte Tessa und zog sie von der Schachtöffnung weg. Gleichzeitig versetzte ich dem Dämonengott einen Tritt. Radogar taumelte unwillig knurrend zurück, setzte aber gleich wieder nach. »Dann nehme ich dich eben auch noch mit in mein Reich, du Wurm. Deine Qualen werden tausendfach sein. Ich lasse mir Zeit, viel Zeit!« stieß mir der dämonische Sichelmörder entgegen. »Abwarten!« erwiderte ich. »Nimm erst mal einen Drink auf mein Wohl, aber paß auf, daß du dich nicht verschluckst!« Mit diesen Worten zog ich den Korken aus dem Flakon und spritzte Radogar das Weihwasser in seine häßliche Visage. Infernalisches Gebrüll ertönte. Der Dämon schrie wie am Spieß. Er mußte irrsinnige Schmerzen haben. Wie ein waidwundes Tier bäumte er sich auf. Anscheinend blind geworden, stürzte er nach vorn und fiel halb über die Öffnung des Höllenschachtes. Ich bückte mich und packte seine Beine. Mit einem Ruck stieß ich den Dämon kopfüber in die unauslotbare Tiefe. Sein gellender Schrei verebbte langsam. Stille trat ein. Die Dämonenjünger waren schockiert. Mit allem hatten sie gerechnet, nur nicht damit. Ich legte meinen Arm um Tessa und führte sie in die Ecke, wo meine Klamotten waren. Dort legte ich ihr die Jacke um die Schultern. Miriam hatte ihre Blöße notdürftig mit meinem Hemd bedeckt. Tief unten im Höllenschacht rumorte es. Dumpfes Grollen klang zu uns herauf. Ich sprang auf den Hohepriester zu und packte ihn am Kragen. »Wo ist die Sichel?« brüllte ich ihn an und schüttelte ihn. »Wo ist die Sichel?« Mit zitternder Hand zeigte er auf ein schwarzes Samtkissen, das neben der Wand auf dem Boden lag. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis ich das kalte Metall der goldenen Sichel in der Hand fühlte. Wenn der Dämon wider Erwarten nicht erledigt war und in das Gewölbe zurückkehrte, würde er seine
eigene Sichel zu spüren bekommen. Und Radogar kam! Doch nicht nur er, sondern noch jemand anders. Dicht beim Eingang des Gewölbes flirrte die Luft, und eine Gestalt manifestierte sich. Ein überraschter Ausruf kam über meine Lippen. »Ragnar!« rief ich. »Wie konntest du hierher gelangen?« Der alte Zauberer lief lächelnd auf mich zu. »Auch ich kenne ein paar Zauberformeln, Markus«, erwiderte er mit seinem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. »Sieh, was ich dir mitgebracht habe«, sagte er und zog das einzige echte Wahrzeichen des Dämonengottes aus dem Gürtel: Die uralte goldene Sichel! »Ragnar, ich stehe tief in deiner Schuld!« sagte ich und legte ihm dankbar die Hand auf die Schulter. Statt einer Antwort stieß er mich zur Seite. »Paß auf, Markus!« schrie er. Im selben Augenblick stieg der Dämonengott Radogar aus dem Höllenschacht empor. Aber wie hatte er sich verändert. Die Kleidung des Sichelmörders war zerfetzt. Das Weihwasser hatte riesige Löcher hineingefressen, wie auch in die Haut von Radogars Gastkörper. Qualm kräuselte von den Wunden hoch. Radogar brüllte, daß uns Hören und Sehen verging. Dann reckte er sich. Seine Finger gruben sich tief in die Haut des Brustkorbs. Mit einem Ruck fetzte der Dämon seinen Gastkörper auseinander. Es war ein scheußlicher Anblick. Was da unter dem toten Körper des Sichelmörders zum Vorschein kam, war die wahre Gestalt des widerlichen Dämonengottes. Wieder brüllte Radogar ohrenbetäubend auf und fuchtelte mit den Armen. Sein Gesicht hatte sich zu einer langen Wolfsschnauze mit vier Lagen blitzender Reißzähne verformt. »Ich zerreiße dich, du Wurm!« schrie er mir entgegen und beugte seinen Oberkörper weit aus der Schachtöffnung vor. »Vergib mir, Markus!« raunte mir Ragnar, der alte Zaubermeister, zu. Bevor ich ihn aufhalten konnte, stürzte er nach vorn. »Du hast genug Menschenblut vergossen, Dämonengott!« schrie er Radogar entgegen. »Weiche zurück in die Tiefen der Finsternis, aus denen du gekommen bist!« Die hagere Gestalt des alten Zauberers warf sich hoch, schwang seine goldene Sichel in der Luft und ließ die halbmondförmige Klinge auf den Dämon niedersausen. Volltreffer! Einen Augenblick lang geschah nichts. Reglos verharrte Radogar
in der Öffnung des Schachts. Dann hüllte ein goldenes Licht, das von der Sichel abstrahlte, den gesamten Körper des Dämons ein. Radogar sank langsam nach unten. Wir atmeten auf. Ich umarmte Tessa und sah den dankbaren Blick ihrer Augen. Die Dämonenjünger schwiegen betroffen. Ragnar lächelte befriedigt und winkte mir zu. Radogars widerlicher Körper schoß ein letztes Mal aus der Tiefe des Höllenschachtes empor. Der Auflösungsprozeß hatte bereits eingesetzt. An vielen Stellen wiesen der massige Körper und der Kopf Spuren von Zerfall auf. Ich stieß einen Warnschrei aus. Da aber hatten Radogars Krallenhände bereits den alten Zauberer erfaßt und rissen ihn in den Schacht. Ragnar schrie nicht. Stumm stürzte er dem Tod entgegen. Das letzte, was ich sah, war Radogars Schädel, den die goldene Sichel in zwei Hälften gespaltet hatte. Die beiden Schädelhälften fielen der Hölle entgegen. Und mit ihnen verschwand die goldene Sichel für immer von dieser Welt. * Als wir auf den Ausgang des Gewölbes zugingen, verlegte uns keiner der Dämonenjünger den Weg. Es hätte ihnen auch nichts genutzt, denn bevor wir den Ausgang erreicht hatten, tauchte Hauptkommissar Pit Langenbach auf, dicht gefolgt von Roland Metzger und seinen Leuten. Es tat gut, Pit wiederzusehen. Wir umarmten uns. Auch Tessa fiel ihm um den Hals. Radogars Helfer wurden festgenommen. Als man die Staatsanwältin Dr. Eva Glaser an Pit vorbeiführte, grinste er sie an. »Sehen Sie, manchmal ist es doch angebracht, die Anweisungen von Vorgesetzten zu ignorieren«, sagte er. »Sie haben übertrieben, meine Liebe. Sie hätten nicht darauf bestehen sollen, dieses Gewölbe nicht zu observieren.« Jegliche Emotion war aus Eva Glasers Blick verschwunden. Teilnahmslos ließ sie sich abführen. Der Einfluß des Dämons hatte aus der machthungrigen Staatsanwältin eine gebrochene Frau gemacht. Pit hatte Wolldecken und heißen Tee mitgebracht, den wir dankbar schlürften. Tessa Hayden drängte sich ganz nah an mich. Miriam Maybach ging an uns vorbei zu einem der Streifenwagen, der sie in ihr Hotel bringen würde. »He, Miriam!« rief ich. »Hat
Spaß gemacht, mit dir zu arbeiten. Wenn du mal wieder eine brisante Story hast und einen zweiten Mann brauchst, weißt du, wo du mich finden kannst!« Die rothaarige Reporterin drehte sich zu mir um und hob abwehrend die Hände. »Tu mir einen Gefallen, Mark Hellmann! Bleib mir in Zukunft vom Leib, ja? Was ich heute mit dir erlebt habe, reicht mir für ein ganzes Leben.« Sie sah zu, daß sie zu dem Streifenwagen kam. »Was hat sie denn?« fragte Pit. »Die kenne ich doch sonst ganz anders. Junge, du kriegst aber auch jede Frau klein!« meinte er und lachte. Meine Buchung im Holiday Inn wandelte ich in ein Doppelzimmer für Tessa und mich um. »Ich spüre jeden einzelnen Knochen im Leib!« stöhnte sie, als ich die Zimmertür aufschloß. »Mir geht es auch nicht besser«, erklärte ich. »Jetzt freue ich mich auf ein weiches Bett.« Tessa ging ins Bad und knipste das Licht an. Sie begutachtete die geräumige halbrunde Wanne. »Du hattest mir doch ein heißes Bad versprochen«, erinnerte sie mich. »Oder habe ich da was verpaßt?« Ich grinste und küßte sie auf die Nasenspitze. Während ich das Wasser einließ, streifte sie die Wolldecke und meine Jacke ab, kam auf mich zu und schlang ihre Arme um mich. »Laß dir was einfallen, Mark, um mich wachzuhalten, wenn ich in der Wanne liege. Sonst bin ich spätestens nach zwei Minuten im Reich der Träume, so geschafft bin ich«, murmelte Tessa. Freunde, ich ließ mir was einfallen. Und sie schlief erst nach zwei Stunden in meinen Armen ein.
ENDE »Wir durchfliegen gerade den Luftraum des Bermuda-Dreiecks«, sagte der Kapitän zu seinem Kollegen im Cockpit. »Wenn wir Pech haben, werden wir alle gleich von außerirdischen Monstern gekidnappt…« Drei der vier Crew-Mitglieder lachten über die Bemerkung des erfahrenen Flugkapitäns, die sie als Scherz auffaßten, doch das Schicksal der vierhundert Menschen in dem Jumbo war längst besiegelt. Erst spielte der Kompaß verrückt, dann streikte das Bordradar, und bald fielen sämtliche Computer aus…
Stratophanus diesem gefährlichen Streamer, waren die vierhundert Seelen ausgeliefert. Entzückt verfolgte er die Kommentare des Towers. Die Crew ist mit Drogen vollgepumpt! Die 747 ist vom Radarschirm verschwunden! - Das Bermuda-Dreieck hat sie verschlungen! Mark Hellmann Band 19 - ein Spitzenroman von C.W. Bach!