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Band 375 Ein deutscher Erstdruck
Das Gestirn des Lebens (THE STAR OF LIFE) von Edmond Hamilton 2. TEIL Zum Inhalt d...
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Band 375 Ein deutscher Erstdruck
Das Gestirn des Lebens (THE STAR OF LIFE) von Edmond Hamilton 2. TEIL Zum Inhalt des vorangegangenen Teils in TERRA-Band 374: Kirk Hammond erwartet den Tod! Seine Raumkapsel, die den Mond umkreisen und anschließend wieder auf der Erde landen sollte, kommt vom Kurs ab und strebt hinaus in die Weite des Alls. Kirk Hammond beschließt, aus dem Leben zu scheiden, bevor sein knapp bemessener Luftvorrat endgültig verbraucht ist. Er weiß, daß niemand ihm in seiner Not helfen kann — und er zieht daraus die Konsequenzen, indem er die Haube seiner Raumkapsel einen Spaltbreit öffnet... Kirk sucht ein schnelles Ende — doch er findet die Unendlichkeit. Sein Körper wird konserviert — und Kirk erwacht auf wunderbare Weise wieder zum Leben, als die Raumkapsel in ihrer weiten Ellipsenbahn nach Jahrtausenden wieder in die Lufthülle der Erde eindringt. Kirk, ein Pionier aus den Anfängen der irdischen Raumfahrt, lernt jetzt eine Erde kennen, deren Menschen schon vor Jahrhunderten die Galaxis erobert — und dann an die „Vramen“, ein Volk von Wissenschaftlern, verloren haben. Kirk stellt sich auf die Seite der „Hoomen“, der gewöhnlichen Menschen der fernen Zukunft, und beteiligt sich an einem Weltraumprojekt ihrer Untergrundbewegung. Dieses Projekt soll allen „Hoomen“ wieder die Freiheit im All zurückgeben, für die Kirk vor Äonen gestartet und „gestorben“ war — doch das Projekt mißlingt, und Kirk wird gemeinsam mit den anderen Verschwörern zu lebenslänglicher Verbannung auf dem Strafplaneten Kuum verurteilt... 1. Am hellen, wolkenlosen Himmel erhob sich ein tiefes Dröhnen, das wie Gottes Stimme klang und von dem dunklen Dschungel als Echo zurückgeworfen wurde. Die Männer, die gerade im Begriff standen, ihre Lastwagen zu besteigen, hielten mitten in der Bewegung inne und starrten zum Himmel hinauf, an dessen Horizont sich die strahlend weiße Sonne Spica wie ein Komet zum Untergang neigte. Kirk Hammond wurde von einer inneren Spannung ergriffen, als er zum Himmel hinaufschaute. Dort tauchte unvermittelt ein gigantischer, dunkler Schatten auf, der sich rasch dem Raumhafen näherte. Thol Orr, der neben dem Führerhaus des Lastwagens stand, schaute Hammond an. „Das dürfte es wohl sein, wie?“ „Ja, ich glaube es auch“, erwiderte Hammond ein wenig atemlos vor Erregung. „Ich hoffe es wenigstens.“
4 „Nun, wir werden es bald wissen“, murmelte der Algolianer, und dann startete er den Motor. Während der Lastwagen den Rand des Dschungels verließ und über die freie Fläche rollte, spürte Hammond die innere Spannung wachsen. Seit vielen Tagen wartete er bereits auf das Eintreffen des Raumschiffes. Es waren ganz und gar keine leichten Tage gewesen. Nur Rab Quobba kannte die Wahrheit; alle anderen hielten ihn für einen überführten Verräter. Hammond spürte deutlich, daß Gurth Lund und wahrscheinlich auch ein Großteil der anderen Gefangenen ihn auf der Stelle umbringen würden, sobald sich ihnen dazu eine Gelegenheit bot. Er hatte sich sowohl im Dschungel als auch in der Siedlung vorsichtig verhalten und darauf geachtet, daß er ihnen diese Gelegenheit nicht bot. Als er zwischendurch einmal Iva Wilson begegnete, hatte sie ihn mit schweigender Verachtung bestraft. In dem allgemeinen Haß gegen ihn gab es nur eine einzige Ausnahme, und das war Thol Orr. „Du willst also jetzt mit den Vramen zusammenarbeiten?“ hatte er ganz beiläufig gefragt. „Nun, vielleicht ist es am besten so.“ „Du scheinst die Vramen nicht so sehr zu hassen wie alle anderen“, sagte Hammond. „Dabei haben sie dich doch hierher verbannt.“ Thol Orr zuckte die Schultern. „Nun, ich bin ein Wissenschaftler, und du darfst nicht vergessen, daß die Vramen die größten Wissenschaftler sind. Ihre Erfindungen, die sie uns in den vergangenen Jahrhunderten gegeben haben, ermöglichten erst die Ausbreitung der Hoomen über die gesamte Galaxis.“ „Geht es dir denn gar nicht gegen den Strich, daß sie das Geheimnis des unbegrenzten Lebens für sich allein behalten?“ „Ich weiß nicht recht“, erwiderte der Algolianer. „Vermutlich geht es mir unbewußt gegen den Strich. Im Augenblick des Todes werde ich sie wahrscheinlich auch hassen. Andererseits führen die Vramen ein so hartes und abgeschlossenes Leben, daß ich sie keineswegs darum beneide.“ Mit dieser toleranten Haltung stand Thol Orr vollkommen allein da. Die anderen Gefangenen haßten die Vramen, und sie haßten auch Kirk Hammond, den sie für eine Kreatur der Vramen hielten. Nur Rab Quobba und Tammas kannten die Wahrheit. Der kleine Tammas, ohnehin immer der Schatten des großen und kräftigen Quobba, war inzwischen in das Geheimnis eingeweiht worden, und Hammond hatte ein paarmal Gelegenheit gefunden, sich von den anderen unbemerkt mit ihm zu unterhalten. Er hatte seinen Vertrauten viele Fragen vorgelegt; in erster Linie drehte es sich um die Strahlwaffe, die nicht tödlich war. Sodann erkundigte er sich nach den Schaltanlagen für die Lichtbarriere. Quobba versicherte ihm, daß er eine Reihe der mutigsten Gefangenen auf den bevorstehenden Ausbruch vorbereitet habe, ohne indessen Hammonds Namen zu erwähnen. Jetzt erreichte die lang währende Spannung der vergangenen Tage ihren Höhepunkt, und Hammond war überaus nervös, als sie sich auf dem Rückweg zur Siedlung befanden. In der Baracke wurde er bereits von einem Wachtposten erwartet, der ihn nicht gerade sehr freundlich ansah. „Ein Raumschiff von der Erde ist eingetroffen. Thayn Marden von den Vramen möchte Sie sprechen. Kommen Sie mit!“
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6 Hammonds Herz begann zu hämmern. Als er dem Posten folgte, starrten ihm die anderen in bitterem Haß nach. Er warf Rab Quobba einen kurzen Seitenblick zu, und dieser fiel sofort in seine vorbereitete Rolle. Mit einem wilden Fluch folgte er Hammond und dem Posten auf den Korridor hinaus. „Wir sind froh, daß wir dich endlich loswerden!“ rief er wütend. „Ich hoffe nur, daß ich dein verdammtes Verrätergesicht nie mehr zu sehen bekomme!“ Als sie sich ein wenig von der Tür entfernt hatten, senkte er die Stimme. „Jetzt? Heute abend?“ fragte er flüsternd, Hammond nickte rasch. „Geh mit Wilson und den anderen bis an die Barriere. Ich werde mir jedenfalls die größte Mühe geben.“ Der Wachtposten schaute sich um, und Quobba überschüttete Hammond wieder mit einer Anzahl von Schmähungen. Vor der Baracke stand ein kleiner Wagen, an dessen Lenkrad ein weiterer Wachtposten saß. Sie stiegen ein, und der Wagen verließ die kleine Siedlung und schlug den Weg zum Raumhafen ein. Spica stand wie eine strahlend weiße Gaskugel am Horizont, und die Strahlen dieser Sonne spiegelten sich in den Metalldächern der Gebäude. Auf der Straße schauten die Menschen dem kleinen Wagen nach. Iva Wilson warf ebenfalls einen Blick auf den Wagen; dann wandte sie sich kurz um und ging ins Haus. Hammond wußte genau, daß sie ihn gesehen und erkannt hatte. Unwillkürlich fiel ihm ein, daß sie die Wahrheit über sein Vorhaben vielleicht nie erfahren würde, falls dieses fehlschlug. Mit einemmal kam die Reaktion auf die Spannung der vergangenen Tage und Wochen. Warum sollte ich eigentlich nicht wirklich zu den Vramen überlaufen? fragte er sich. Warum nicht? Mochten sich diese Hoomen doch alle zum Teufel scheren, wenn sie ihn schon für einen Verräter und vielleicht noch Schlimmeres hielten! Nein, das konnte er nicht. Die Hoomen waren zwar nicht von seiner eigenen Rasse — aber sie kamen dieser entschieden näher als die Vramen. Außerdem handelte es sich hier auch nicht um Loyalität einer bestimmten Rasse gegenüber. Für Hammond war es eher die Loyalität zu einem Ideal, dem er vor über zehntausend Jahren gefolgt war. Er hatte sein Leben eingesetzt, um der Menschheit die Freiheit der Sterne zu erhalten. Er würde alles tun, was in seinen Kräften stand, um diese Freiheit zu erhalten. Weder die Vramen noch sonst eine Rasse durfte dieser Freiheit irgendwelche Zügel anlegen. Er war bereit, sein Vorhaben durchzuführen. Flüchtig dachte er daran, daß es vielleicht lächerlich war, wenn er seine Kräfte gegen diese annähernd unsterblichen Wesen einsetzte, die das gesamte Leben der Galaxis beherrschten. Sie kannten sich in Dingen aus, von denen er noch nicht mal gehört hatte. Dennoch verblieb ihm eine Chance, seine lange geschmiedeten Pläne zu verwirklichen. Ja, er wollte sein Bestes tun, und wenn er bei diesem Versuch starb, dann hatte er wenigstens die kleine und eigentlich lächerliche Genugtuung, daß Wilson und Lund sich voller Beschämung ihre Fehler eingestehen mußten. Der kleine Wagen rollte auf die Lichtbarriere zu und hielt an. Der Wachtposten beugte sich ein wenig zum Wagen hinaus und gab dem Kontrollturm mit erhobenem Arm ein Zeichen. Genau wie an jenem Tage, als Hammond hier eingetroffen war, verschwand ein kleiner Spalt der Barriere. Der Wagen fuhr rasch hindurch, und unmittelbar hinter ihm wurde die Barriere wieder geschlossen. Hammonds Herz pochte, als sie auf die Gebäude zufuhren. In einiger Entfernung hinter den Gebäuden lag ein dunkles Raumschiff von verhältnismäßig geringer Größe. Das Unterteil lag bereits im Schatten, aber der hoch aufragende Bug schien die-
7 letzten Strahlen der untergehenden Sonne Spica einzufangen — und es war wie eine gigantische Hand, die nach diesem Licht griff. Es war eine Hand, die auch nach Althar und dem größten Geheimnis der Unendlichkeit greifen konnte, dachte Hammond. Sie erreichten das Hauptgebäude des Raumhafens; es war weiß und drei Stockwerke hoch. Am rechten Ende erhob sich ein hoher Turm, der das Gebäude weit überragte. Der Raum im obersten Stockwerk des Turmes hatte durchsichtige Wände. Auf dem Weg zum Gebäude warf Hammond einen flüchtigen Blick auf dieses oberste Stockwerk des Turmes. Dort mußte sich der Kontrollraum befinden. Wenn Quobbas Angaben stimmten, die er von den älteren Gefangenen gesammelt hatte, dann befanden sich die Räume des Kommandanten in den unteren Stockwerken. Es stimmt genau. Die beiden Wachtposten begleiteten Hammond über einen langen Korridor zu einem Lift, der sogleich nach oben sauste. Sie kamen auf einen weiteren Korridor, und Hammond warf einen Blick auf zwei Treppen, die weiter nach oben führten. Eine dieser beiden Treppen mußte zum Kontrollraum führen. Der Kommandant des Raumhafens von Kuum war ein schlanker Hoomen mit der grünlichen Gesichtsfarbe der Bewohner des Sirius-Systems. Hammond streifte ihn nur mit einem flüchtigen Seitenblick, denn er hatte jetzt nur noch Augen für Thayn Marden. Thayn wandte sich vom Fenster ab, und ihre blauen Augen richteten sich forschend auf Hammonds Gesicht. Ihm kam zu Bewußtsein, daß er vergessen hatte, wie schön sie war. Die knappe, schwarze Kleidung brachte ihre Figur und das strahlend blonde Haar voll zur Geltung. Auf der Brust trug sie das Diamantabzeichen der Vramen, und ihre ganze Erscheinung war von atemberaubender Schönheit. „Du bist jetzt also bereit, unsere Historiker zu unterstützen, um die Freiheit zu gewinnen?“ fragte sie. Hammond nickte. „Von mir aus; die Hoomen halten mich ohnehin für einen Verräter.“ Es fiel ihm leicht, einen bitteren Unterton in seine Stimme zu legen. „Zunächst mußt du mir jedoch ein paar Fragen beantworten, um deine Aufrichtigkeit zu beweisen“, sagte Thayn Marden. „Dann werde ich dich zur Erde mitnehmen, wo du mit unseren Wissenschaftlern arbeiten wirst.“ Hammond richtete den Blick auf den Kommandanten. „Ich habe eine gewisse Bedingung zu stellen — aber diese ist nur für deine Ohren bestimmt, Thayn Marden.“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Die Vorschriften gestatten es nicht...“ „Es besteht keine Gefahr“, sagte Thayn rasch. „Geben Sie mir Ihren Strahler und warten Sie draußen!“ Der Kommandant schien noch immer nicht recht überzeugt zu sein — aber er machte eine knappe Verbeugung. „Sehr wohl — wie Sie wünschen.“ Er nahm das kleine Gerät aus der Ledertasche, das wie eine Taschenlampe aussah, und reichte es Thayn. Dann verließ er den Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloß. Thayn Marden hielt den Strahler vor sich. „Diese Entfernung, mußt du einhalten. Jetzt nenne mir mal deine Bedingung, die so vertraulich ist.“ Hammond riß sich zusammen, um seine einstudierte Rolle spielen zu können. Bis jetzt war alles gut gegangen, und nun hing alles von den nächsten Minuten ab. „Ich will nicht nur meine Freiheit, Thayn“, sagte er. „Ich tue dies alles in erster Linie für dich, und ich möchte immer in deiner Nähe sein.“ Ihr Blick war kalt und zynisch.
8 „Warum?“ „Weil ich dich liebe“, entgegnete Hammond. „Ich bin wahrscheinlich der größte Narr in der gesamten Galaxis — aber ich komme nun einmal nicht dagegen an.“ Er hatte eigentlich damit gerechnet, daß sie ihn jetzt auslachen oder ihn gar einen Lügner nennen würde — aber nichts von dem. Wahrscheinlich hatten seine Worte sehr überzeugend geklungen, denn sie schaute ihn an, und in ihrem bleichen Gesicht war jetzt ein leicht gequälter Ausdruck zu sehen. „Nein“, sagte sie nach einer längeren Pause. „Das ist nicht möglich. Du darfst zu mir nie mehr von Liebe reden.“ „Warum nicht?“ fragte er. „Du magst unsterblich oder vielleicht annähernd unsterblich sein — dennoch bist du eine. Frau, und ich liebe dich.“ „Du weißt ja gar nicht, was du da sprichst. Kein Vramen kann lieben und in dem von dir gemeinten Sinne heiraten — und ganz besonders keinen Hoomen. Du hast ja nicht die geringste Ahnung von alledem, was zwischen uns steht.“ Kirk Hammond stellte erfreut fest, daß sie seine Gefühle nicht im geringsten anzweifelte. Er hatte sich darauf verlassen, daß sie die Resultate der Encephalosonde anerkennen und sein rein physisch bedingtes Begehren als Liebe akzeptieren würde. Es war Lüge, wenn er zu ihr von Liebe sprach — aber diese Lüge war vollauf durch das gerechtfertigt, was sie ihm angetan hatte. Er hoffte nur, daß sein Trick ebenso gut gelingen mochte, wie das bei ihrem der Fall gewesen war. Er trat einen Schritt auf sie zu und breitete in einer beschwörenden Geste die Arme aus. Dabei legte er einen leidenschaftlichen Unterton in seine Stimme. „Das ergibt doch gar keinen Sinn, Thayn! Warum sollte eine Frau der Vramen nicht einen Hoomen heiraten können?“ Ein schmerzlicher Ausdruck trat in ihr Gesicht, und ihre Stimme wurde so leise, daß er sie kaum noch hören konnte. „Das kann ich dir nicht erklären — aber du kannst dich darauf verlassen, daß es stimmt, wenn ich dir sage, es wäre einfacher für dich, die Kluft der Zeit zu deinem eigenen Zeitalter zu überbrücken als den Abgrund, der uns beide voneinander trennt.“ Sie hatte nie schöner ausgesehen als in diesem Augenblick, als sie mit schmerzlichem und leicht zweifelndem Gesichtsausdruck vor ihm stand. Es fiel Hammond außerordentlich leicht, ihr seine angebliche Leidenschaft vorzuspielen. Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu. „Hör' mich an, Thayn! Was immer uns voneinander trennen möge, muß sich doch irgendwie überbrücken lassen . . .“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre blauen Augen waren wie gehetzt zur Seite gerichtet, als er weiter auf sie zutrat. Er holte kurz aus, und seine Faust landete voll auf ihrem Kinn. Thayn Marden sackte geräuschlos zu Boden. Er fing sie auf und bettete sie am Boden; dabei konnte er es jedoch nicht verhindern, daß der schwarze Strahler ihrer kraftlosen Hand entglitt und über den Boden rollte. Mit einer schnellen Bewegung bückte er sich und hob die Waffe auf. Dann blieb er einen Augenblick schweratmend und ein wenig zitternd stehen und schaute auf Thayn Mardens bleiches Gesicht hinunter. Sein Trick war gelungen: genau in dem Moment, auf den es ankam, hatte er Thayn ablenken können. Irgendwie hatte er indessen nicht erwartet, daß er sie mit seinen vorgetäuschten Liebesbeteuerungen so leicht hätte hinters Licht führen können. Fast schien es, als ob sie. . . Er schalt sich einen Narren, daß er hier stand und kostbare Sekunden vergeudete. In fieberhafter Eile untersuchte er den schwarzen Strahler. Die Regierung des Galaktischen Rates erlaubte nur den Gebrauch von Waffen, die nicht tödlich waren. Solche
9 Waffen, wie Jon Wilson sie zum Abschuß des Flugzeuges benutzt hatte, waren streng verboten. Nach Quobbas Darstellung enthielt dieser Strahler eine gewisse elektrische Aufladung. Der kleine Schieber am schwarzen Gehäuse des Strahlers entließ einen gewissen Teil dieser Ladung, die aus elektromagnetischen Wellen bestand und genau den Gehirnwellen eines Menschen angepaßt waren, so daß sie eine vollkommene Bewußtlosigkeit verursachten. Der Nachteil einer solchen Waffe bestand aus der verhältnismäßig kurzen Reichweite und dem schnellen Verbrauch der Ladung. Kirk Hammond nahm die kleine, unscheinbare Waffe zur Hand und wandte sich der Tür zum Außenbüro zu. Er öffnete sie mit einem Ruck. Drei Männer befanden sich in dem Raum: der Kommandant und die beiden Wachtposten, die ihn hergebracht hatten. Beim Öffnen der Tür fuhren sie herum, und als sie Hammond mit dem Strahler in der Hand erblickten, bewegten sie sich sehr schnell. Sie waren dennoch nicht schnell genug. Hammond bediente den Schieber des Strahlers. Die Waffe zischte wie eine wütende Klapperschlange. Mit ungeschickten Bewegungen schob Hammond den kleinen Drücker nach vorn und wieder zurück. Die drei auf ihn zustürzenden Männer stolperten und sanken zu Boden. Das ging alles so schnell, daß es einen Augenblick dauerte, ehe Hammond begriff, daß er diese Männer tatsächlich außer Gefecht gesetzt hatte und daß er jetzt nur noch die Ladung des Strahlers vergeudete. Hastig drückte er den kleinen Schieber in die Ausgangsstellung zurück. Was nun? Die Treppe! Eine dieser beiden Treppen mußte zum Kontrollraum führen. Vorsichtig schob er den Kopf durch den Türspalt und spähte über den Korridor. Er hörte schwaches Stimmengewirr aus den Büroräumen kommen — aber es war weit und breit niemand zu sehen. Mit einem schnellen Satz sprang er auf die nächste Treppe zu und jagte die Stufen hinauf. Sein Herz hämmerte — aber jetzt war er von einer festen Zielstrebigkeit erfüllt. So etwas hatte er noch nie im Leben getan, denn er war ja Astronaut und kein Soldat gewesen, der sich in derlei Situationen auskannte. Irgendwie berauschte ihn die ganze Angelegenheit. Am oberen Treppenabsatz kam er an eine geschlossene Tür. Sie mochte entweder in den Kontrollraum oder in die Wachstube führen. Hammond war jetzt so erregt, daß er sich wenig darum kümmerte. Er öffnete die Tür. Es war der Kontrollraum. Die durchsichtigen Wände gaben den Blick auf den Raumhafen. und auf die Lichtbarriere frei. In der Mitte des Raumes stand der hufeisenförmige Schalttisch mit den verschiedenen Instrumentenanlagen, Hebeln und Schaltern mit Blinklichtern. Innerhalb dieses Hufeisens saß ein Mann, der in einen Radarschirm schaute. Ein weiterer Mann stand unmittelbar neben dem Kontrolltisch und schaute durch die Wand nach draußen. Beide hatten Hammond den Rücken zugewandt. Er richtete den Strahler auf den stehenden Mann und drückte den Schieber nach vorn. Der Strahler zischte, und der Mann sank geräuschlos zu Boden. Der Mann innerhalb des Hufeisens wirbelte herum und starrte Hammond erschrocken an. Hammond richtete den Strahler auf ihn. Der Strahler zischte nicht mehr, und Hammond merkte zu seinem Entsetzen, daß er die Ladung mit seinen ungeschickten Manipulationen vorzeitig verbraucht hatte. Der
10 Mann ergriff ein kleines Handmikrophon und begann hastig zu sprechen. „Hier ist der Kontrollturm! Ein entflohener Gefangener ...“ Hammond sprang in die hufeisenförmige Öffnung und knallte dem Mann den schwarzen Strahler auf den Kopf. Einen solchen Schlag hatte er noch nie ausgeteilt, und er erwartete, daß der Mann sofort zu Boden stürzen würde. Das tat er jedoch nicht, sondern er stieß nur einen wilden Schmerzensschrei aus und duckte sich, um seinen Kopf zu schützen. Dabei sprach er immer weiter in das Mikrophon hinein. Verzweifelt krallte Hammond die Hand in das Haar des Mannes und schlug seinen Kopf hart gegen die Wand des Schalttisches. Diesmal sackte der Mann zu Boden und blieb reglos liegen. Irgendwo im Gebäude begannen Glocken zu schrillen, als die Alarmanlage ausgelöst wurde. „Oh, verdammt!“ stöhnte Hammond. Jetzt war der Rausch der Erregung vorüber. Er hatte alles vermurkst, und nun waren seine hochfliegenden Pläne zum Scheitern verurteilt. Ihm blieb jetzt höchstens hoch eine Minute Zeit, bis jemand in den Raum gestürzt kommen mußte. Sollte er die Tür versperren? Nein, sie war weder mit einem Schloß noch mit einem Riegel versehen, denn außer dem Wachpersonal hatte niemand etwas in diesem Gebäude verloren. Wie viele Sekunden möchten ihm bleiben, um den richtigen Schalter der Kontrollanlage zu finden? Bestimmt nicht viele — und wahrscheinlich bei weitem nicht genug! Verzweifelt irrte sein Blick über die einzelnen Schalter mit den entsprechenden Bezeichnungen. Die meisten konnte er überhaupt nicht verstehen. Iva Wilson und Thol Orr hatten ihn zwar in der gebräuchlichen Schrift unterrichtet — aber dabei hatten sie natürlich nicht alle technischen Einzelheiten und Bezeichnungen behandelt. Er versuchte gar nicht erst, die einzelnen Namen und Begriffe zu lesen. Er suchte lediglich nach dem Hebel, der die Lichtbarriere ausschaltete, und den Quobba ihm sorgfältig erklärt hatte. In all dieser Verwirrung würde er ihn wohl kaum finden können. . . Er fand ihn. Er befand sich unter einem großen Rheostat, und der Hebel war so lang wie sein Arm. Hammond umklammerte ihn und legte ihn auf die Nullstellung herum. Als er den hufeisenförmigen Schalttisch verließ und ans Fenster eilte, hörte er schwere Schritte auf der zum Kontrollraum führenden Treppe. Er schaute hinaus und stieß einen unterdrückten Schrei aus. Draußen schien es jetzt viel dunkler zu sein als zuvor, denn die den Raumhafen umgebende Lichtbarriere war verschwunden! An zwei, drei — nein, sogar an vier oder fünf Stellen kamen dunkle Gestalten herangeschlichen. Rab Quobba hatte Wort gehalten und die Gefangenen zur Flucht vorbereitet. Jetzt kamen sie scharenweise in das Innere des Raumhafens. Unter dem wilden, hysterischen Geheul der Sirenen sprangen die Männer des Wachpersonals aus ihren Räumen, um der ersten Gefangenenflucht zu begegnen, die es in der Geschichte des Planeten Kuum gab. Inzwischen befanden sich bereits über hundert Gefangene auf dem Gelände des Raumhafens, und es kamen immer noch weitere ... Die Tür wurde aufgerissen, und als Hammond herumwirbelte, erklang ein leises Zischen, und dann versank das ganze Universum in einer uferlosen Dunkelheit. Nichts. Eine zeitlose Periode hindurch war nichts — gar nichts. Dann drang eine Stimme an sein Ohr. „Er kommt wieder zu sich . . .“
11 Wozu denn? Sie haben dich auf eine Kreisbahn um den Mond geschickt — aber du kannst nie mehr heimkehren; du mußt immer weiter durch den dunklen Weltraum fliegen — für Jahrhunderte immer weiter und weiter . . . „Hammond?“ Er kannte diese Stimme. Er versuchte die Augen zu öffnen, und es gelang ihm nicht. Nach einer Weile versuchte er es wieder, und diesmal ging es. Thol Orr schaute auf ihn herunter. Über Orrs Kopf war eine gewölbte Metalldecke zu sehen, die von innen her beleuchtet zu sein schien. Eine solche Decke hatte er doch schon mal gesehen, und auch das dumpfe Dröhnen der Generatoren war ihm bekannt. „Ich dachte, ich wäre im Weltraum“, flüsterte er mühsam. Thol Orr nickte. „Das bist du auch.“ Dann fügte er hastig hinzu: „Versuch jetzt nicht, zu viel zu sprechen oder dich aufzurichten. Dein Nervensystem erholt sich langsam von der Wirkung des Strahlers — aber es wird noch eine Weile dauern.“ Der Strahler? Plötzlich konnte Hammond sich erinnern. Er schaute über Thol Orrs Schulter hinweg, und sein Blick fiel auf Iva Wilson, die seinen Blick glücklich erwiderte. „Wir haben den Raumhafen eingenommen, Kirk“, sagte sie. „Auch das Raumschiff haben wir erobert. Die Wachen haben die Lichtbarriere zwar wieder eingeschaltet — aber es war bereits zu spät, denn inzwischen waren schon zu viele Gefangene in das Gelände des Raumhafens eingedrungen. Erst nach dem Kampf erfuhren wir von Quobba, daß du es warst, der die Lichtbarriere ausgeschaltet hat.“ „Ihr habt das Raumschiff erobert?“ wiederholte er. „Dann sind wir . . .“ „Ja, wir sind an Bord des Raumschiffes.“ Ivas Augen leuchteten. „Wir sind bereits seit langen Stunden unterwegs — auf dem Weg zum Trifid-System.“ Hammond richtete sich trotz seines geschwächten Zustands ein wenig auf. Dann fiel ihm etwas anderes ein, und er spürte einen eiskalten Schauer über seinen Rücken laufen. „Vierunddreißig Personen an Bord dieses Raumschiffes“, fuhr Iva fröhlich fort. „Viele, die damals in den unterirdischen Katakomben gearbeitet haben, und noch ein paar andere. Nach allem, was du für uns getan hast, konnten wir dich doch nicht zurücklassen.“ Hammonds Kräfte kehrten zurück. Er richtete sich auf und stützte sich auf die Bettkante. Sein Blick war auf Thol Orr gerichtet. „Du bist auch mitgekommen. Warum?“ Der Algolianer zuckte die Schultern. „Sie dachten, daß ich ihnen bei meiner Kenntnis über das Trifid-System helfen könnte, dieses Raumschiff einzuschleusen. Außerdem ist mir das Leben auf Kuum langsam auf die Nerven gegangen. Wenn wir geschnappt werden, werden sie mich zweifellos wieder nach Kuum schicken — aber was habe ich denn dabei zu verlieren?“ „Das weißt du verdammt gut“, knurrte Hammond. „Dein Leben hast du zu verlieren! Dieses Raumschiff ist nicht so beschaffen wie jenes, das Ivas Leute in den Katakomben konstruieren wollten. Dieses hier hat doch die Geheimeinrichtung der Vramen an Bord, nicht wahr?“ Thol Orr nickte. „Das stimmt.“ „Wenn wir also entdeckt werden, brauchen sie nur auf einen Knopf zu drücken, um dieses Raumschiff zur Explosion zu bringen, nicht wahr?“ Thol Orr nickte wieder. „Das könnten sie — aber Wilson und wir alle glauben nicht, daß sie es tun werden.“ „Warum nicht?“ „Weil wir eine Geisel an Bord haben“, erwiderte Iva. „Eine der Vramen: Thayn Marden.“
12 2. Es hatte mal einen Mann gegeben, der Goddard hieß, und der zugeschaut hatte, wie seine kleine Rakete in den Himmel von New Mexico aufgestiegen war — und der davon geträumt hatte, daß diese Rakete eines Tages noch weiter fliegen würde. Dann war da ein Mann namens Oberth gewesen, der die ersten Schritte zur Eroberung des Weltraums geplant hatte. Ein Hund namens Laika war gestorben, und ein Mann namens Kirk Hammond war so gut wie gestorben — und viele andere Männer des 20. Jahrhunderts hatten ihr Leben ausschließlich der Eroberung des Weltalls gewidmet. Aus all diesen Opfern war schließlich dieses Raumschiff entstanden, in dem Kirk Hammond sich jetzt befand. Er war schon einmal an Bord eines solchen Raumschiffes gewesen — aber in den abgeschlossenen Abteilungen für Gefangene. Jetzt aber befand er sich in der Pilotenkabine eines Raumschiffes, das durch die Unendlichkeit jagte. Er war dem Schicksal dankbar, daß es ihn einen solchen Augenblick erleben ließ. Aus vollem Herzen wünschte er, daß all jene Männer, mit denen er in Cape Kennedy gearbeitet hatte, und die ihr Leben lang von einem solchen Augenblick träumten, jetzt hier zugegen wären. „Ein überwältigender Anblick, nicht wahr?“ fragte Rab Quobba, ohne sich auf dem Pilotensitz umzuwenden. „Ja“, pflichtete Hammond ihm ein bißchen unsicher bei. „Das stimmt tatsächlich.“ Diesmal war es nicht nur der Ausblick durch die vorderen Bullaugen des Raumschiffes. Der Blick auf diese galaktische Wildnis war geradezu betäubend. In den weitgeschwungenen Nebelfeldern der Sternensysteme leuchteten hier und da einzelne Sonnen auf, deren Licht von einem magischen Zauber war. Zur linken Seite schwebte eine dunkle Wolke, die von den dahinter liegenden Sternen wie mit einem Glorienschein umgeben wurde. An der rechten Seite war ein Doppelstern zu sehen, dessen Strahlen ein fahles, gelblich schimmerndes Licht verbreiteten, das stellenweise in eine rauchig verhangene, rötliche Farbe überging, und der Umfang dieser gewaltigen Doppelsonne wurde mit jeder Sekunde größer. Für Hammond selbst war jedoch das Raumschiff das größte Erlebnis. Das traf besonders für diese kleine Kabine zu, in der Menschen damit beschäftigt waren, dieses gigantische Gebilde aus Metall genau auf dem von ihnen gewünschten Weg durch die Unendlichkeit der Galaxis zu lenken. Vor Quobba und zu beiden Seiten lagen die drei Schaltanlagen mit ihrer Vielzahl von Instrumenten. Ab und zu blinkte ein Licht dieser Instrumente auf, und dann nahm Quobba sogleich die erforderliche Korrektur durch. Das dumpfe Dröhnen der Generatoren behielt stets den gleichen Klang bei. Kirk Hammond war von Thol Orr in die Pilotenkabine geführt worden, und der Algolianer stand auch jetzt noch hinter ihm. „In technischer Beziehung ist diese Pilotenkanzel eigentlich überflüssig. Ich meine damit, daß dieses Raumschiff an sich von der automatischen Anlage gesteuert werden könnte, die du vorhin in dem Raum des Elektronengehirns gesehen hast. Diese automatische Steuerungsanlage beruht auf dem Ultra-Radar-System, zu dem keine direkte Sicht benötigt wird. In psychologischer Hinsicht muß man den Menschen jedoch das Gefühl geben, daß sie selbst es sind, die dieses Raumschiff lenken — und nur aus diesem Grund haben wir derartige Pilotenkanzeln noch in Betrieb.“ Quobba wandte den Kopf, und auf seinem bläulichen Gesicht lag ein breites Grinsen. „Zu meinem Glück brauche ich nur die einzelnen Kontrollschalter zu bedienen, denn der Kurs wird vom Elektronengehirn bestimmt und eingehalten. Willst du es vielleicht
13 auch mal versuchen?“ „Ich?“ fragte Hammond verdutzt. „Aber nein — ich könnte niemals . . .“ „Ich werde unmittelbar hinter dir stehen“, erwiderte Quobba gelassen, indem er vom Pilotensitz aufstand. „Setz dich nur hinein. Dieses Recht hast du dir, weiß Gott, verdient!“ Hammond setzte sich ungläubig auf den Pilotensitz. Wenn die einzelnen Signallichter aufblinkten, griff Quobba über seine Schulter und zeigte ihm, wie er die einzelnen Schalter zu bedienen hatte. Da saß Kirk nun in der Kanzel und hörte zu, wie Quobba und Thol Orr sich hinter ihm über den Kurs zum Planeten Althar unterhielten. Das Schicksal hatte es ihm vorbehalten, diesen glorreichen Augenblick zu erleben. Es war die Erfüllung eines lang ersehnten Traumes. Seine Finger glitten liebkosend über die einzelnen Instrumente und Kontrollschalter. Hier saß er und lenkte das Raumschiff, und er schaute dabei auf die vor ihm liegenden Sterne. Aber er schaute zu lange. Mit einemmal verließ ihn das Gefühl der Überlegenheit, und er verfiel in eine Art Selbsthypnose. Er starrte auf die strahlenden Sterne, und er vermochte den Blick nicht abzuwenden. Wie konnte er sich auch abwenden, wenn sein ganzer Körper eisenhart gefroren war? Seit vielen Jahrhunderten hatte er sich nicht mehr bewegt — und er würde sich wohl nie mehr bewegen. Auf alle Zeiten würde er in seiner kleinen Raumkapsel kauern und durch die Unendlichkeit des Weltalls fliegen — weiter und immer weiter. . Kirk Hammond spürte, wie er wieder an den ständig zurückkehrenden Alptraum erinnert wurde. Er stemmte sich mit ganzer Kraft dagegen — aber es war vergebens. Plötzlich gab er jeden Widerstand auf. Er gab sich selbst den Befehl, jeden Gedanken an Widerstand zu vergessen. Er wollte sich jetzt mit vollem Bewußtsein an alle Einzelheiten erinnern und sie als Tatsache hinnehmen. Ja, hämmerte er sich ein, du bist Jahrhunderte hindurch im wahrsten Sinne des Wortes tot gewesen. Ja, dein erstarrter Körper ist nur ein Staubkorn in der Unendlichkeit des Weltraums gewesen — Jahrtausende hindurch, in denen auf der Erde neue Generationen gekommen und verschwunden sind. Es war schrecklich — aber es war auch herrlich. Kein Mensch war je so lange ein Bestandteil des Weltalls wie du — und kein Mensch wird es je wieder sein. Der Zustand des annähernden Todes darf dich nicht erschüttern. Sei stolz darauf, daß du vom Schicksal zu einem solchen Leben ausersehen bist. Schau den Sternen fest in die Augen, wie du es Jahrtausende hindurch getan hast, und laß es in dein Bewußtsein eindringen, daß sie deine Brüder sind. Ganz allmählich löste sich der hypnotische Bann von Hammond, und jetzt vermochte er die Sterne ohne Furcht anzusehen. Der Druck des schrecklichen Alptraums war von ihm gewichen, und er glaubte nicht, daß dieser je wieder kommen würde. „Ich muß dich jetzt verlassen“, sagte der hinter ihm stehende Thol Orr. „Wir haben eine Art Kriegsrat anberaumt, und außerdem habe ich noch eine ganze Anzahl von Vorbereitungen zu treffen.“ Hammond, der noch immer träumerisch vor sich hinstarrte, hörte seine Worte kaum. Rab Quobba lächelte. Der Kriegsrat wurde einige Stunden später im Mannschaftsraum des Schiffes durchgeführt. Über vierzig Männer und Frauen versammelten sich hier; es waren alle, die zu dieser Zeit dienstfrei waren. Jon Wilson saß mit Gurth Lund und Rab Quobba hinter einem Tisch. Hammond, der
14 neben Iva saß, freute sich noch immer über die Worte, die Jon Wilson zu seiner Begrüßung gefunden hatte. „Damit wir uns richtig verstehen, Hammond“, sagte Wilson. „Wir haben dir unsere Flucht und damit unsere letzte Chance zu verdanken, Althar zu erreichen. Wir sind der Überzeugung, daß wir uns in allen Dingen auf dich verlassen können — mit einer einzigen Ausnahme.“ „Und das wäre?“ „Thayn Marden“, erwiderte Wilson grimmig. „Du darfst sie nicht allein sprechen. O ja — wir wissen natürlich, wie du auf Kuum mit ihr umgesprungen bist — aber im Hinblick auf die Resultate der Encephalosonde können wir es nicht zulassen, daß du sie unter vier Augen sprichst.“ Er streckte Hammond die Hand entgegen. „In allen anderen Punkten bist du jetzt wieder einer von uns.“ Hammond sagte sich mürrisch, daß sie nach allem, was er für sie getan hatte, endlich das Resultat der verdammten Encephalosonde vergessen könnten. Diesen Gedanken vergaß er jedoch bald und lauschte interessiert auf Wilsons Ausführungen über ihre gegenwärtige Situation. „Die mathematische Wahrscheinlichkeit unseres erfolgreichen Eindringens in das Trifid-System ist sehr gering“, sagte er. „Andererseits haben wir eine bessere Chance, als sie den Hoomen seit vielen Jahrhunderten geboten wurde, und deshalb müssen wir unseren Versuch unter allen Umständen durchführen. Seid ihr alle damit einverstanden?“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich im Raum, und alle nickten Wilson zu. „Wieviel Zeit bleibt uns für die Vorbereitungen?“ fragte Tammas. Wilson wandte sich wieder an Lund. „Du hast doch die entsprechenden Berechnungen angestellt, Gurth.“ Lund nickte kurz und nahm ein Blatt Papier zur Hand. „Wir haben die Sende- und Empfangsanlagen der kombinierten Funkgeräte und alle dazugehörigen Ersatzteile auf Kuum vernichtet, ehe wir den Planeten verließen. Somit können sie keinen Alarm geben, und ein Raumschiff steht ihnen nicht zur Verfügung. Aber ihr Schweigen und das Fehlen ihrer täglichen Berichte wird zweifellos zu einer näheren Untersuchung führen — und zwar innerhalb von vierundzwanzig Stunden.“ Er hielt inne und warf einen Blick auf die Zahlenkolonnen des Papiers. „Der Sitz der nächsten Polizeistelle der Regierung des Galaktischen Rates ist auf Alto-Vier. Von dort aus braucht ein Raumschiff zehn Tage, um nach Kuum zu gelangen.“ „Dann bleiben uns also zehn Tage bis zur Verbreitung des allgemeinen Alarms?“ fragte Quobba. „Das dürfte ausreichen, denn inzwischen sind wir bereits im TrifidSystem.“ „Es gibt natürlich einige Varianten in meinen Berechnungen“, brummte Lund. „Wenn sich zur Zeit ein Raumschiff der Polizei näher beim Kuum befindet als Alto-Vier, dann wird es zweifellos sofort mit einer Untersuchung beauftragt werden. Damit würde die errechnete Zeitspanne von zehn Tagen natürlich erheblich zusammenschrumpfen — vielleicht sogar bis auf einen einzigen Tag.“ Bei dieser Information wurden die Gesichter aller Anwesenden länger. Kirk Hammonds Gedanken bewegten sich jedoch in ganz anderen Bahnen. „Nehmen wir mal an, wir erreichen das Trifid-System“, sagte er. „Wenn uns die Vramen dort auf ihren Radarschirmen ausmachen, werden sie uns doch gewiß anrufen, nicht wahr?“ Thol Orr übernahm die Beantwortung dieser Frage. „Genau so war es, als sie mich damals schnappten. Urplötzlich wurde das kombinierte Funkgerät eingeschaltet, und die Vramen befahlen mir, mich nicht von der Stelle
15 zu bewegen und meine Verhaftung abzuwarten, denn andernfalls würde mein Raumschiff auf der Stelle vernichtet werden.“ „Wenn wir nun ebenfalls einen solchen Befehl erhalten — was machen wir dann?“ fragte Hammond. Er dachte bei dieser Frage an Ivas Worte, daß sie Thayn Marden als Geisel an Bord hatten. Er bemerkte Ivas schnellen Blick. Jon Wilson runzelte die Stirn. „Wenn wir ihnen zeigen, daß wir Thayn Marden an Bord haben . . .“ „Das wird sie nicht davon abhalten, unser Raumschiff zu vernichten“, erwiderte Thol Orr ruhig. „Ihr dürft mir glauben, daß die Vramen keine einzige Sekunde zögern werden, ein Mitglied ihrer eigenen Rasse zu zerstören, wenn sie uns dadurch den Weg nach Althar versperren können. Es gibt nur die von mir angeführte Möglichkeit.“ „Was für eine Möglichkeit?“ fragte Quobba prompt. „Thol Orr hat verschiedene Instrumente vorbereitet, die uns unter Umständen helfen könnten“, entgegnete Wilson ausweichend, und dann wandte er sich an Gurth Lund: „Hol Thayn Marden her.“ Hammond richtete sich trotzig auf. Wollten sie jetzt vielleicht wieder mit der verwünschten Encephalosonde anfangen? Das gefiel ihm jetzt ebensowenig wie zuvor — und außerdem versprach er sich gar nichts davon. Lund kehrte mit Thayn Marden zurück. An ihrem Kinn war noch ein leichter blauer Fleck zu sehen. Sie musterte Hammond mit einem langen Blick, und ihr Gesichtsausdruck überraschte ihn. Es war kein ablehnender oder gar feindseliger Ausdruck, wie er es eigentlich erwartet hatte, sondern eher ein sehr ernster und besorgter. Thol Orr stand auf und deutete höflich auf seinen Stuhl. Thayn Marden setzte sich; sie schaute Jon Wilson voll an, und ihr klares Profil war Hammond und den anderen zugewandt. Ehe jemand etwas sagen konnte, sprach sie leise auf Wilson ein. „Ich bitte euch, die Warnungen zu beachten, die ich euch bereits gegeben habe. Ihr könnt Althar nicht erreichen. Bei dem Versuch werdet ihr bestimmt umkommen — ihr alle!“ „Damit spielst du zweifellos darauf an, daß dieses Raumschiff vernichtet wird“, sagte Wilson. „Ihr könnt das Trifid-System nicht erreichen, ohne von den Radaranlagen der Vramen entdeckt zu werden“, erwiderte Thayn resigniert. „Gebt euch bitte nicht der Hoffnung hin, daß meine Anwesenheit an Bord dieses Raumschiffes den Offizier der Vramen davon abhalten wird, seine Pflicht zu tun.“ Wilson warf Thol Orr einen Seitenblick zu, und der Altgolianer wandte sich an Thayn Marden. „Nehmen wir mal an, wir hätten einen Weg, dieses Hindernis zu überwinden.“ „Einen solchen Weg gibt es nicht. Es ist euch doch sicher bekannt, daß dieses Raumschiff auf der Stelle explodiert, wenn ihr versuchen solltet, die eingebaute Sicherheitsvorrichtung zu entfernen.“ „Ja, das wissen wir“, entgegnete Thol Orr. „Es gibt dennoch einen solchen Weg. Davon kannst du uns nicht abbringen, und deshalb wäre es besser, wenn du uns hilfst, Thayn Marden.“ „Euch helfen, um nach Althar zu gelangen?“ fragte sie ungläubig. Thol Orr stellte ihr eine ganze Reihe von Fragen, und Thayn beantwortete sie ein wenig von oben herab. Hammond vermochte in all diesen Fragen keinen rechten Sinn zu erkennen. Sie drehten sich insgesamt um vollkommen beiläufige Dinge, und Hammond neigte zu
16 der Ansicht, daß Thol Orr im Ausfragen nicht gerade besonders geschickt war. Unvermittelt schaute Thayn Thol Orr fest an. „Hinter all diesen unwichtigen Fragen muß ein bestimmter Sinn verborgen sein. Ich habe euch nichts weiter zu sagen.“ Wilson nickte Lund zu. „Bring sie in ihre Kabine zurück, Gurth.“ Nachdem sie gegangen war, setzte sich Thol Orr wieder auf seinen Stuhl, und Wilson schaute ihn erwartungsvoll an. „Hast du es bekommen?“ „Ich glaube, ja“, erwiderte Orr. „Aber es war gar nicht so einfach. Thayn Marden ist bestimmt kein Dummkopf, und fast hätte sie unser Vorhaben durchschaut.“ „Und was, zum Teufel, war dein Vorhaben?“ fragte Quobba. Thol Orr trat an die Metallwand. Er drückte auf einen Knopf, und die Wand öffnete sich. Dahinter stand ein Gerät, das wie eine aufmontierte Kamera aussah. „Das ist ein mit einer Kamera kombiniertes Tonbandgerät“, erklärte er. „Ich habe das Gerät vom Raumflughafen von Kuum mitgenommen, weil ich mir dachte, daß wir es zu diesem Zweck verwenden können. „Für welchen Zweck?“ „Das Gerät hat automatische Aufzeichnungen von Thayn Mardens Bewegungen und Worten gemacht. Ich habe ihr die betreffenden Fragen gestellt, um sie auf diese Weise dazu zu bringen, bestimmte Worte zu sprechen. Jetzt werden wir das Band in die einzelnen Worte zerlegen und daraus ein neues Band herstellen, auf dem Thayn Marden einen bestimmten Satz sprechen wird.“ Die nächsten Tage verbrachte Thol Orr im Nachrichtenraum des Schiffes. Hammond konnte den ganzen Umfang seiner Arbeiten nicht ermessen. Er sah lediglich, daß Thol Orr ein neues Tonband herstellte und den Projektor so aufbaute, daß es aussah, als würde Thayns Person einen Satz sprechen. „Wenn wir nur ganz formell angerufen werden, dürfte es klappen“, sagte Thol Orr, und dann fügte er besorgt hinzu: „Die Gefahr besteht darin, daß längere Fragen gestellt werden. In dem Fall ist alles umsonst, denn man kann ein Tonband nicht auf eine bestimmte Unterhaltung präparieren.“ „Und wenn wir durchkommen?“ fragte Hammond. Der Algolianer deutete auf eine Anzahl von Geräten, die in einer Ecke des Raumes aufgestapelt waren. „Der Anruf wird von Althar aus erfolgen. Die Radarstrahlen werden von einer beträchtlichen Stärke sein. Das gibt uns die Möglichkeit, den Standpunkt des Planeten Althar innerhalb des Trifid-Systems auszumachen.“ Sechs Tage, nachdem Hammond an Bord des Raumschiffes aus der Betäubung erwacht war, kamen sie an eine dunkle Wolke, die ihnen wie ein Vorhang den Weg versperrte. Das Trifid-System lag vor ihnen. Dieses System war schon damals im 20. Jahrhundert sehr eindrucksvoll gewesen, als Hammond die vorhandenen Aufnahmen studiert hatte. Zu der Zeit hieß es noch der Trifid-Nebel. Aus der Nähe betrachtet, war der Anblick von einer überwältigenden Wucht. Um sie herum glitzerten große Sternwolken, und es waren diese vielen Sonnen der Milchstraße, die den warmen Sommernächten auf der fernen Erde den besonderen Zauber verliehen. Dahinter waren die vielen Lichtquellen zu sehen, die wie das wilde Feuer einer gigantischen Schmiede wirkten, in denen die einzelnen Sterne und Sonnen hergestellt wurden. In diesem Nebel waren Doppelsterne und andere Konstellationen zu erkennen, die sich weit in den Weltraum erstreckten. Einige der Sonnen hatten ein strahlendes Licht, während die anderen müde und dunkel wirkten. Der
17 Sternnebel des Trifid-Systems war ein Vorhang, in dem sich einige Risse befanden, die in ihren Ausmaßen Lichtjahre weit waren und den Weg in die Unendlichkeit dieses Systems freigaben. Die gewaltigen Lichtmassen spiegelten sich auf ihren Gesichtern in der Pilotenkanzel des Raumschiffes. Shan Tammas hatte den Pilotensitz eingenommen; dahinter standen Jon Wilson, Rab Quobba, Iva und Hammond. Hammond fragte sich unwillkürlich, ob sie von diesem Anblick wohl ebenso beeindruckt und überwältigt waren wie er selbst, denn ihm kam es jetzt inmitten all dieser Lichtpracht vor, als näherten sie sich dem Thron Gottes. Jon Wilsons Stimme brach den Zauber. „Wir können jetzt jeden Augenblick angerufen werden. Ich werde nachsehen, ob Thol auf dem Posten ist.“ Kirk Hammond wandte sich ab und folgte ihm. Er wollte dieses Schauspiel mit seiner unvorstellbaren Pracht nicht länger auf sich einwirken lassen, denn er befürchtete, daß er dabei den Mut verlieren würde. Im Nachrichtenraum nickte Thol Orr ihnen ruhig zu. „Alles ist bereit. Achtet streng darauf, daß niemand ein Wort spricht oder vor die Linse der Kamera kommt!“ Sie warteten. Die Generatoren brummten eintönig, und das Raumschiff flog weiter und weiter. Sie starrten wie gebannt auf den Schirm der kombinierten Anlage — aber nichts geschah. Plötzlich ertönte der Summer des Bildschirms, und Hammond zuckte ein wenig zusammen. „Das ist es !“ flüsterte Wilson gepreßt. „Ruhe!“ befahl Thorr Orr, und es klang, als wollte er ein paar nervöse Kinder beruhigen. Er legte einen Schalter herum. Auf dem Bildschirm erschien der Kopf eines Mannes. Es war ein junger, hübscher Mann, und hinter dem Kopf waren ein paar Instrumente und Geräte zu erblicken, die Hammond vollkommen unbekannt waren. Er sah aus wie irgendein beliebiger, junger Mann. Er war ein Vramen — und Hammond haßte ihn. „Geben Sie die Identität Ihres Raumschiffes bekannt!“ befahl der Mann. Thol Orr bediente einen weiteren Schalter. Der mit dem Tonbandgerät kombinierte Projektor klickte. Unmittelbar vor dem Kameraauge erschien das dreidimensionale Bild von Thayn Marden, und die Darstellung war so lebensecht, daß Hammond unwillkürlich den Atem anhielt. „Ich komme zu einer speziellen Konsultation“, sagte die Erscheinung von Thayn Marden. „An Bord dieses Raumschiffes befinden sich nur Vramen.“ Nur eine ganz leichte Verzerrung lag in diesen Worten — und ihre Echtheit war durchaus überzeugend. Hammond hoffte von ganzem Herzen, daß sie den jungen Vramen überzeugen mochten. Im anderen Fall brauchte dieser nur auf einen Knopf zu drücken, und sie würden nie mehr gewahr werden, was eigentlich mit ihnen geschah. Die Augen des jungen Mannes auf dem Bildschirm leuchteten auf. „Wir freuen uns über deine Rückkehr, Thayn“, sagte er, „Du hast dich schon lange nicht mehr bei uns blicken lassen. Setzt den Weg fort!“ Der Bildschirm wurde dunkel. Thol Orr bediente einen Schalter, und die lebensechte Erscheinung von Thayn Marden verschwand. Kirk Hammond spürte plötzlich, daß seine Brust während der letzten Sekunden wie
18 von einem Eisenring eingeschnürt worden war — und jetzt ließ der Druck nach. Erleichtert und mit einem unverhohlenen Triumph schauten sie sich gegenseitig an. „Gut gemacht, Thol“, sagte Wilson. „Diesmal ist es uns gelungen, die Vramen zu überlisten.“ Thol Orr schüttelte den Kopf. „Nicht auf lange Sicht. Vergiß nicht, daß die Vramen jetzt Thayn Mardens Landung auf ihrem Raumhafen von Althar erwarten, wo immer dieser liegen mag. Wenn sie dort nicht landet, wird das sogleich einen Alarm und eine Suchaktion auslösen.“ „Bis dahin werden wir hoffentlich schon irgend etwas erreicht haben“, murmelte Jon Wilson. Er ging zu North Abel hinüber, dem jungen Algolianer, der die ganze Zeit über an einem Tisch in der Ecke des Raumes an seinen Berechnungen gearbeitet hatte. „Hast du die Sache fixieren können, North?“ „Ja — aber ich muß die Berechnungen erst noch einmal überprüfen.“ Alle begaben sich in den kleinen Navigationsraum, wo sich Gurth Lund, North Abel, Jon Wilson und Thol Orr über einen Tisch beugten. Kirk Hammond warf einen Blick über ihre Schulter, aber die einzelnen graphischen Darstellungen und Linien hatten für ihn keinerlei Bedeutung. „Es stimmt“, sagte Abel schließlich. „Wenn sie nicht eine Relais-Station benutzt haben, dann ist dies die genaue Richtung zum Planeten Althar.“ Alle Blicke richteten sich auf Jon Wilson. Er zupfte sich nervös an der Unterlippe und starrte auf die graphischen Darstellungen hinunter. „Das ist der Weg, den wir nun mal einhalten müssen. Die Vramen kennen vielleicht einen besseren Weg, aber der ist uns unbekannt. Außerdem kommen wir auf diese Weise ein gutes Stück voran, ehe wir durch die Nebelwand müssen.“ Gurth Lunds hartes Gesicht wurde finster. „Es wird eine schwere Aufgabe, durch die Nebelwand zu stoßen.“ „Ja“, pflichtete Wilson ihm bei. „Aber es ist nun mal unsere einzige Chance.“ Hammond fand die Gelegenheit günstig, sich an Thol Orr zu wenden. „Warum ist es denn so schwierig, die Nebelwand zu durchdringen?“ fragte er. „Ich habe immer gedacht, die Nebelmaterie wäre so dünn, daß man sie kaum spürt.“ Thol Orr nickte. „Das stimmt. Das Trifid-System sieht nach einer gigantischen Masse aus — aber in Wirklichkeit ist es nur eine Reflexion der verschiedenen Lichtquellen, die innerhalb dieses Nebels vorhanden sind. Der eigentliche Dunst ist weicher als das harte Vakuum, das wir in unseren Laboratorien verwenden. Es wird den Flug unseres Raumschiffes kaum beeinflussen.“ „Was kann uns denn sonst noch Schwierigkeiten bereiten?“ „Die magnetischen Felder. Die Nebelwolken des Trifid-Systems sind in ständiger Bewegung, und gelegentlich prallen sie auch aufeinander. Ein solcher Zusammenprall schafft höchst intensive Kraftfelder, und auch diese unterliegen einem ständigen Wechsel. Du wirst dir wohl selbst vorstellen können, wie derartige magnetische Kraftfelder den Flug unseres Raumschiffes beeinflussen.“ Die Zeit verstrich, und das Schiff hielt immer noch Kurs auf das Trifid-System. Nach dem Abendessen ging Hammond zu Bett, und diesmal hatte er keine Angst, von dem gräßlichen Alptraum gequält zu werden. Dennoch merkte er beim Erwachen, daß er schlecht geträumt hatte. Es war ihm vorgekommen, als hätte er Thayn Marden in den Armen gehalten. Plötzlich hatte sie laut aufgelacht und war verschwunden. Er fragte sich, wie sie sich wohl in ihrer kleinen, verschlossenen Kabine fühlen mochte. Ob sie sich fürchtete?
19 Er bezweifelte es, denn sie war eine arrogante und ganz und gar nicht menschliche Person — aber sie hatte noch immer Mut bewiesen. Vermutlich war sie sehr wütend; er hoffte es wenigstens. Unvermittelt fragte er sich, warum, zum Teufel, er überhaupt an sie dachte. Kopfschüttelnd stand er auf und verließ seine Kabine. Der Ausblick von der Pilotenkanzel traf ihn wie ein Schlag. Der unmittelbar vor dem Bug des Raumschiffes wallende Nebel des Trifid-Systems war von gigantischen Ausmaßen. Sterne und Sternengruppen leuchteten hier und dort, und das Licht spiegelte sich in den Nebelwänden. Die großen, dunklen Schatten dieses Systems, die sogar von der Erde aus sichtbar waren, nahmen hier gewaltige Dimensionen an. Das Raumschiff steuerte eine breite Kluft in diesem dunklen Vorhang an. Shan Tammas wandte sich auf dem Pilotensitz um, und auf seinem gelblichen Gesicht lag ein breites Grinsen. „Schön, nicht wahr? Nur die verdammten Vramen können den Wunsch haben, in einer solchen Welt zu leben!“ Nach einer Weile erschien zu beiden Seiten des Raumschiffes eine gewaltige Lichtwand, während sie nach vorn in die Dunkelheit flogen. Inzwischen hatte Rab Quobba den Pilotensitz übernommen, und das Raumschiff folgte dem Verlauf der beiden Lichtwände. Wie eine vom Licht angezogene Motte tasteten sie sich dicht an der Wand entlang, und die dazwischen gähnende Dunkelheit reichte bis in den Nebel hinein und war groß genug, um das gesamte solare System aufnehmen zu können. Kirk Hammonds Gedanken wirbelten durcheinander. Schließlich war er ja ein Kind des 20. Jahrhunderts und stammte von der kleinen Erde; dieses Monstrum von einer Nebelwolke war nicht der geeignete Platz für einen Menschen. Das vielfältige Licht drang in ihre Augen, und er sah, daß Tammas, Iva und Abel davon ebenso stark beeindruckt waren wie er selbst. Jon Wilson kam in die Pilotenkanzel. „Ihr solltet euch jetzt auf den Sitzen festschnallen. Unser Kurs bringt uns jetzt direkt in die Nebelwand hinein, und dabei müssen wir die automatische Steuerung einschalten.“ Iva verließ die Kanzel. Rab Quobba deutete auf einen leeren Platz; Hammond setzte sich und schnallte die Sicherheitsgurte um. „Automatische Steuerung!“ kam Gurth Lunds Stimme aus dem Lautsprecher. „Na schön“, brummte Quobba. „Ich hoffe nur, daß das verwünschte Elektronengehirn keine falschen Berechnungen gibt.“ Mit einem Schalter schloß er den bestimmten Stromkreis; dann wandte er sich grinsend an Hammond. „Jetzt bekommst du eine Lektion für Fortgeschrittene. Es ist immer eine kitzlige Sache, eine Nebelwand zu durchstoßen — aber der Trifid-Nebel ...“ Seine Worte gingen in dem plötzlichen Dröhnen der Generatoren unter. Die Steuerung des Raumschiffes war jetzt von der Anlage des Elektronengehirns übernommen worden, dessen Gedanken und Reaktionen vielfach schneller waren als die eines Menschen. Dieses Elektronengehirn hatte die Aufgabe erhalten, das Raumschiff durch den Nebel hindurch zum Planeten Althar zu bringen. Die erforderlichen Berechnungen wurden in Bruchteilen von Sekunden durchgeführt, und dann gab das Elektronengehirn die erforderlichen Anweisungen — nicht in hörbaren Worten, sondern in elektrischen Impulsen, die von der automatischen Steuerung aufgegriffen und durchgeführt wurden. Das Dröhnen der Generatoren verstärkte sich, und das Raumschiff bewegte sich jetzt mit einer Geschwindigkeit, die für den Menschen gerade noch erträglich war. Hammond sah die Lichtwand kommen, die bis an den sternenübersäten Horizont
20 reichte. Unwillkürlich stemmte er sich gegen einen Aufprall, von dem er doch wußte, daß er nicht kommen würde. Und er behielt recht, denn es gab keinen Anprall, als sie gegen die Nebelwand stießen. Das um sie herum herrschende Licht wurde noch intensiver. Weiter und weiter drangen sie durch den unendlich scheinenden Vorhang vor, und schließlich tauchte zur rechten Seite vor ihnen die Konstellation einer dreifachen Sonne auf, deren Licht die Nebelwand durchdrang. Das Raumschiff erbebte unter ständig neuen Stößen. Es wurde in die magnetischen Kraftfelder der einzelnen Sterne gerissen, und vor Kirk Hammonds Augen begann sich plötzlich alles zu drehen. Das Dröhnen der Generatoren wurde immer stärker, und damit verstärkte sich auch das Klicken des Elektronengehirns. Es hatte die Kursabweichung bemerkt und ergriff sogleich die erforderlichen Gegenmaßnahmen. Das Raumschiff löste sich aus der Zange des magnetischen Kraftfeldes; es verließ die Nähe der dreifachen Sonne, und dann wurde es wieder erfaßt. Es schien Hammond, daß sie dieser mächtigen Kraft nicht entgehen konnten und schließlich in eine dieser drei Sonnen prallen mußten, die furchterregend groß vor ihnen lagen, und von denen zwei ein gelblich warmes und die dritte ein kalt bläuliches Licht ausschickten. Aber das Elektronengehirn nahm unbeirrt den Kampf gegen die Nebelwände auf. Wo die Menschen kläglich versagen mußten, führte dieses von ihnen geschaffene Instrument ihren Kampf durch. Hammond wiederholte in Gedanken, daß dies kein Aufenthaltsort für Menschen war. Nur eine technische Vorrichtung, die weder Nerven noch Gefühle kannte, vermochte einen solchen Kampf durchzustehen. Sie ließen die drei Sonnen hinter sich, und dann trat eine trügerische Periode der Ruhe ein. Hammond sah das Aufblinken der Instrumente; es war, als wollten sie vor einer tödlichen Gefahr warnen. Er konnte die Bedeutung dieser Blinkzeichen nicht verstehen — aber Rab Quobba verstand sie nur zu gut, und er stöhnte vor sich hin. „Jetzt stecken wir mitten drin — und das hat uns gerade noch gefehlt!“ Bis jetzt hatten sie sich auf das Elektronengehirn voll und ganz verlassen können, und Hammond zollte ihm in Gedanken Bewunderung. Jetzt schien es jedoch den Kampf verloren zu haben. Während der folgenden Minuten wurde das Raumschiff wiederholt kräftig durchgeschüttelt. Sie wurden immer wieder gegen die Sicherheitsgurte geschleudert, und bei dem Blick durch die vorderen Bullaugen wurde es ihnen schwindlig. Plötzlich hörte Hammond auch einen Aufprall. Es klang, als würde einmal die rechte und dann die linke Seite des Raumschiffes von einem Hagelschauer getroffen werden. „Das sind die winzigen Staubkörnchen der Nebelwand!“ rief Quobba ihm beruhigend zu; er mußte seine ganze Stimmstärke aufwenden, um in dem wilden Getöse gehört zu werden. „Unser Radar-System wird uns schon durchbringen.“ Während das Raumschiff den Weg fortsetzte, rechnete Hammond jeden Augenblick damit, daß es in Stücke gerissen wurde. Die Sicherheitsgurte schnitten sich bereits tief in das Fleisch ein. Immer weiter drangen sie durch die Nebelwand vor. Entfernt liegende Sterne und Sonnen glitten vorüber, und das Elektronengehirn sorgte unbeirrt dafür, daß sie den vorgeschriebenen Kurs genau einhielten, auch wenn sie immer wieder neue magnetische Kraftfelder zu überwinden hatten. Schließlich schlief Hammond in den Sicherheitsgurten seines Sitzes ein. Nach allem,
21 was er hatte sehen müssen, wurde er nicht von physischer, sondern von psychischer Schwäche übermannt. Das veränderte Dröhnen der Generatoren weckte ihn. Er rieb sich die gequälten Augen und schaute sich nach allen Seiten um. Das Raumschiff bebte jetzt nicht mehr, und irgend etwas hatte sich verändert. Er warf Quobba einen fragenden Blick zu. „Unsere Geschwindigkeit hat sich verringert“, sagte Quobba. „Unsere Radaranlagen haben einen vor uns liegenden Stern ausgemacht — und wir glauben, daß es sich dabei um den Planeten Althar handelt.“ Beim Klang dieses Namens wurde Hammond plötzlich hellwach. Er beugte sich hastig vor und warf einen Blick durch das vordere Bullauge. Vor ihnen lag eine durch den Nebel schimmernde Lichtquelle. Gurth Lund und Jon Wilson kamen in die Pilotenkanzel und spähten lange hinaus. Die Lichtquelle kam allmählich näher, und Hammond merkte jetzt, daß sich die Geschwindigkeit des Raumschiffes während seines Schlafens beträchtlich verringert haben mußte. „Ich habe Thol und North angewiesen, die entsprechenden Berechnungen durchzuführen. Jede kosmische Substanz in der Nähe dieser Sonne kann uns Deckung gegen die Radarstrahlen der Vramen geben.“ Wilsons Worte klangen recht überzeugend. Kurz darauf kam North Abel in die Pilotenkanzel. Er hielt einen Bogen Papier in den Händen. „Das sind die Unterlagen für eine mögliche Deckung.“ Wilson warf einen Blick auf den Bogen, und dann reichte er ihn zu Quobba hinüber. „Gar nicht so schlecht“, murmelte er. „Vielleicht können wir diese Deckung voll ausnützen.“ Die vor ihnen liegende Nebelwand wurde immer dünner. Das kam Hammond vollkommen natürlich vor, denn das magnetische Kraftfeld der Sonne mußte ja die einzelnen Partikel anziehen und aufsaugen. Nun waren sie wieder in der Dunkelheit des Weltraumes, und gegen diesen Hintergrund zeichnete sich die betreffende Sonne besonders hell ab. Ihre vielfarbige Pracht führte er auf die Tatsache zurück, daß sie sich noch immer in den letzten Ausläufern des Nebels befanden, in dem alle Lichtquellen gebrochen und reflektiert wurden. Er hörte auch den hagelartigen Aufprall der kleinen Staubpartikel — aber die anderen nahmen überhaupt keine Notiz davon. Sie alle starrten ebenso fasziniert nach vorn wie er selbst — Jon Wilson, Rab Quobba, North Abel und Gurth Lund. Als das Raumschiff die letzten Nebelschleier hinter sich ließ, wurde die fremdartige Sonne immer klarer und deutlicher zu erkennen. Sie lag hier inmitten des TrifidSystems, und sie besaß einen einzigen Planeten der etwa von der Größe der Erde war. Dieser Planet konnte durchaus Althar sein, dessen Erreichen die Hoomen seit so unendlich langer Zeit ersehnt hatten. Dennoch schaute in diesem Augenblick niemand auf den Planeten, denn ihre Blicke wurden magnetisch von dieser Sonne angezogen. „Bei allen Göttern des Weltraums“, murmelte Rab Quobba. „Einen solchen Stern habe ich noch nie im Leben gesehen.“ Seine Worte blieben vollkommen unbeachtet, denn alle standen jetzt im Bann dieser Sonne. Ihr vielfarbiges Aussehen hatte nicht auf einer Rückspiegelung der Nebelwand beruht. Der nackte, unverschleierte Anblick dieser Sonne war jetzt noch viel überwälti-
22 gender als zuvor. Von dieser leuchtenden Gaskugel gingen rote, grüne und goldene Strahlen aus, und der einzige Planet war voll in dieses Licht getaucht. Wilson brach das tiefe Schweigen im Raum. „Ich dachte, ich würde alle Typen von Sternen kennen, aber dieser . . .“ „Einen solchen Stern hat es überhaupt noch nicht gegeben“, erwiderte North Abel, auf dessen Gesicht der Ausdruck einer tiefen Betroffenheit lag. „Ich muß Thol sofort herholen!“ Hammond schaute ihm nach, wie er aus der Kanzel stürzte, und dann richtete er den Blick auf die anderen. „Ist dieser Planet Althar?“ Wilsons Augen leuchteten. „Das könnte er schon sein.“ Quobba schaute ihn fragend an. „Dann werden wir also auf diesem Planeten landen?“ „Ja __ aber wir müssen uns, solange es irgend geht, in Deckung halten. Bring die erforderlichen Angaben zum Elektronengehirn, Gurth.“ Lund verließ die Kanzel. Hammond blieb bei Wilson und Quobba, und sie starrten gemeinsam auf den strahlenden Stern. Diese Strahlen wurden bei ihrer weiteren Annäherung immer intensiver. Wie hypnotisiert schaute Hammond auf das sich ständig verändernde Farbenspiel dieser Sonne. Das war etwas ganz anderes als die Sterne seiner eigenen Galaxis. Fast schien es ihm, als wäre diese Sonne ins Leben gerufen worden, um diese abgelegenen Teile des Weltraumes mit ihrem einzigartigen Licht zu erhellen. Als Iva Wilson in die Pilotenkanzel kam und einen Blick nach vorn warf, stieß sie einen unterdrückten Aufschrei aus. „Wie herrlich — aber irgendwie flößt mir diese Sonne Furcht ein!“ „Thol möchte dich sprechen“, sagte North Abel zu Wilson. „Und zwar sofort. Er hat etwas über diesen Stern festgestellt.“ „Was?“ Abel konnte seine Aufregung nicht verbergen, obwohl er sich die größte Mühe gab, ruhig zu erscheinen. „Das wird er dir selbst sagen. Er möchte dich sofort sprechen.“ Wilson schaute ihn durchdringend an; dann wandte er sich kurz um und verließ die Pilotenkanzel. Iva und Hammond folgten ihm. Das Gesicht des Mädchens war sehr nachdenklich, und Hammond spürte das Pochen seines Herzens. Thol Orr befand sich im Navigationsraum des Schiffes. Bei ihrem Eintritt wandte er sich von dem spektroskopischen Instrument ab, das genau auf den seltsam schillernden Stern gerichtet war. Einen solchen Ausdruck wie in diesem Augenblick hatte Hammond im Gesicht des Algolianers noch nie gesehen. Seine Hände zitterten. „Ihr wißt doch, daß ich früher als Strahlenfachmann gearbeitet habe, nicht wahr?“ begann er verhalten. „Es ist euch weiterhin bekannt, daß ich zum Planeten Kuum geschickt wurde, weil ich bei der Feststellung von höchst ungewöhnlichen Strahlungen zu nahe an das Trifid-System gekommen bin, nicht wahr?“ „Ja, das wissen wir alles“, entgegnete Wilson ungeduldig. „Ich möchte jetzt in erster Linie mehr über diesen Stern erfahren. Ist es die Sonne des Planeten Althar?“ „Ich versuche ja gerade, euch das zu erklären“, sagte Thol Orr. „Das unerwartete Auftauchen der Strahlungen, die ich seinerzeit weiter verfolgen wollte — diese Strahlungen kommen von diesem Stern, und zwar mit großer Intensität. Es handelt sich um Strahlungen, wie sie noch nie gefunden wurden.“ Er hielt inne; augenscheinlich fehlten ihm die Worte, um all das ausdrücken zu können, was jetzt in ihm vorging. Hammond sah mit einemmal, daß Thol Orr sich fürchtete. „Es ist seit jeher vermutet worden, daß es Strahlen geben könnte, deren Frequenzen
23 noch höher als die der kosmischen Strahlen sind. In theoretischen Erwägungen ist festgelegt worden, daß elektromagnetische Vibrationen von derartig hoher Frequenz einen unberechenbaren Einfluß auf die Zellen des menschlichen Körpers haben dürften. Und — genau diese Strahlen kommen von dem vor uns liegenden Stern.“ „Nehmen wir mal an, du hast recht“, sagte Wilson. „Welchen Einfluß . . .“ Er brach unvermittelt ab, und sein Gesicht wurde aschfahl. Er warf einen langen Blick auf den strahlenden Stern, und dann schaute er den Algolianer an. Thol Orr nickte. „Genau das meine ich. Ich glaube, wir brauchen das Geheimnis der Vramen nicht länger auf dem Planeten Althar zu suchen. Meiner Ansicht nach liegt die Lösung dieses Geheimnisses genau vor uns.“ Bei diesen Worten deutete er auf die vielfarbig leuchtende Sonne. 4. Seit Beginn der Schöpfung hatte die gewaltige Nebelwolke des Trifid-Systems ein Geheimnis bewahrt. Es überstieg das Begriffsvermögen des menschlichen Verstandes, welches Zusammenspiel von kosmischen Kräften und chemischen Substanzen ein solches Geheimnis bewirkt haben mochte. Hinter der Nebelwolke war etwas ins Leben gerufen worden, das im ganzen Kosmos einmalig war. Dann waren vor zweitausend Jahren, also acht Jahrtausende nach Beginn der Eroberung des Weltraums, die ersten Raumschiffe der Menschen in diesen abgelegenen Winkel des Alls gekommen und hatten das Geheimnis entdeckt. War es dieser Stern? Nein, dachte Hammond. Das würde allen Gesetzen der Vernunft Hohn sprechen. Was immer es sein mochte, das sie hier gefunden hatten und das ihnen ein schier unendliches Leben verlieh — es konnte nicht an diesem Stern liegen. Oder doch? Thol Orr redete bereits seit einigen Minuten, und in seiner Stimme lag eine leidenschaftliche Überzeugung, wie Hammond sie nie zuvor gehört hatte. Es drehte sich um Strahlungen, Frequenzen, elektromagnetische Kräfte und ihren Einfluß auf das Zellengewebe des menschlichen Körpers; es wurde von der natürlichen Wiedergeburt und Festigung dieser Zellen gesprochen, die unter dem Einfluß derartiger Kräfte niemals altern oder gar sterben konnten. Während seiner Ausführungen deutete Thol Orr wieder und wieder auf die leuchtende Sonne, und seine Augen strahlten. Er sah aus wie ein Mann, der endlich die Erfüllung all seiner Wunschträume gefunden hat. Jon Wilson hob gebieterisch die Hand. „Wir wollen erst mal nachdenken! Wenn dieser Stern wirklich so ist, wie du es glaubst. . .“ Quobba starrte ebenfalls wie gebannt auf den Stern. „Wenn das alles richtig ist, dann können uns die Strahlen dieses Sternes — allein das Sonnenlicht — unendliches Leben verleihen und uns somit in Vramen verwandeln!“ Unmöglich, dachte Hammond. Diese Menschen haben so lange auf die Erfüllung ihrer Sehnsüchte gewartet, daß sie jetzt in einen Wahn verfallen! Das sagte ihm seine klare Vernunft — und dennoch konnte er diesen Stern nicht aus den Augen lassen, und sein Herz hämmerte. Leben! Leben! Leben! Mit einemmal herrschte ein wüstes Durcheinander von Stimmen und Schritten im Raumschiff, als sich Männer und Frauen in die Pilotenkanzel und an die einzelnen Bullaugen drängten, um einen Blick auf diesen vielfarbigen Stern zu werfen. Entweder North Abel oder ein anderer hatte ein paar Worte fallenlassen, und dadurch war eine Erregung hervorgerufen worden, die fast hysterisch zu nennen war. Sein ganzes
24 Leben lang war sich der Mensch des Todes bewußt, der wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf schwebte, und so lange das nun mal der normale Verlauf war, nahm niemand Anstoß daran und schickte sich in das Unvermeidliche. Aber im gleichen Universum leben, altern und sterben zu müssen, in dem es andere Menschen gab, die weiter und weiter lebten — und nun plötzlich vor der allmächtigen Quelle zu stehen, aus der dieses unendliche Leben gespeist wurde, das war für diese Menschen zuviel! Alle Prinzipien der Disziplin wurden in dieser hysterischen Aufwallung vergessen, und das Raumschiff drohte sich in wenigen Minuten in ein Tollhaus zu verwandeln. Nicht umsonst jedoch war Jon Wilson ihr erwählter Anführer. Er erhob seine Stimme, gab ihnen entsprechende Befehle und riß sie buchstäblich eigenhändig aus ihrer hysterischen Erregung zurück in die Gegenwart. „Das alles steht noch längst nicht mit Sicherheit fest!“ rief er. „Habt ihr mich gehört? Nichts steht fest! Die Strahlen dieses Sternes können vielleicht das Geheimnis des Lebens sein — aber nur vielleicht! Wenn ihr euch hier wie Kinder benehmt, werden wir nie die Chance in die Hand bekommen, das mit Sicherheit zu klären. Denkt an die Vorrichtung, die sich an Bord dieses Raumschiffes befindet!“ Die Erinnerung an die Vorrichtung der Vramen, die das Raumschiff jeden Augenblick zur Explosion bringen konnte, ernüchterte sie. Jetzt, da das Ziel des unendlichen Lebens zum Greifen nahe vor ihnen lag, war der Gedanke an einen gewaltsamen Tod noch schrecklicher als je zuvor. „Bring die Leute in den Gemeinschaftsraum“, sagte Wilson zu Gurth Lund. „Und hol Thayn Marden her.“ „Wir müssen die Deckung jetzt jeden Augenblick verlassen“, sagte Quobba. „Was nun ?“ Hammond schaute auf den kleinen, grünen Planeten, der in das strahlende Licht dieser Sonne getaucht war. Wilsons Blick war auf das gleiche Ziel gerichtet, und seine Augen blitzten entschlossen auf. „Wir nehmen direkten Kurs auf den Planeten!“ ordnete er an. „Aber sobald wir die Deckung verlassen, können uns die Radarstrahlen der Vramen erreichen“, warnte Quobba. „Das macht nichts; die Vramen werden nach wie vor glauben, es wäre Thayn Mardens Raumschiff — zumindest noch für einige Zeit.“ Das Elektronengehirn hatte bereits den neuen Kurs errechnet, und das Raumschiff bewegte sich mit voller Geschwindigkeit. Die automatische Steuerung war jetzt wieder ausgeschaltet, und Hammond schaute zu, wie Quobba mit seinen kräftigen Händen die einzelnen Instrumente der Schaltanlagen bediente. Das Dröhnen der Generatoren hatte jetzt wieder einen ruhigen Und monotonen Klang. Gurth Lund führte Thayn Marden herein. Ohne Hammond oder die anderen Anwesenden eines Blickes zu würdigen, schaute sie durch das Bullauge auf die vielfarbige Pracht des Sternes. Ihr bleiches Gesicht spannte sich und verlor jeden Ausdruck. „Der Planet ist Althar, nicht wahr?“ fragte Wilson. Sie schaute ihn an — aber sie gab keine Antwort. „Zum Schweigen ist es jetzt zu spät, Thayn Marden!“ sagte Wilson nachdrücklich. „Wir werden in jedem Fall auf dem Planeten landen.“ Ihr Gesicht wurde noch bleicher. „Nein!“ flüsterte sie kaum hörbar. „Ich bitte euch — kehrt auf der Stelle um! Sofort!“ Gurth Lund lachte spöttisch. Thol Orr wandte sich an die Frau der Vramen. „Die hohen Frequenzstrahlungen dieses Sternes dort — das ist das Geheimnis, nicht wahr?“ fragte er eifrig.
25 Thayn schaute ihn an; ihr Blick streifte Wilson und richtete sich plötzlich voll auf Hammond. Er sah unaussprechliche Qual in ihren Augen, und ihr Gesichtsausdruck jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. „Ja“, antwortete sie schließlich. Wilson atmete tief; es war wie der Seufzer eines Mannes, der sein Leben lang auf einen Berg geklettert war und nun den Gipfel vor sich sah. „Wie lange dauert es?“ fragte Thol Orr. „Wie lange müssen wir unseren Körper den Strahlen dieser Sonne, aussetzen, damit er so wird wie deiner?“ Ihr Blick blieb nach wie vor auf Hammond gerichtet. „Viele Tage — viel zu viele! Wenn ihr auf Althar landet, werdet ihr nicht so lange leben.“ Erst jetzt wandte sie den Blick von Hammond und schaute alle Anwesenden an. In ihrer Stimme lag jetzt eine leidenschaftliche Beschwörung. „Tut es nicht! Ihr greift nach dem Leben — und ihr wißt nicht, was hinter allem steckt. Diese Strahlen haben eine schreckliche Wirkung. Wenn ihr euch diesen Strahlen zu lange aussetzt. . .“ „Bitte, Thayn Marden“, fiel Jon Wilson ihr ins Wort. „Versuch gar nicht erst, uns wie kleine Kinder einzuschüchtern. Wenn diese Strahlen eine verhängnisvolle Wirkung hätten, dann hättet ihr Vramen ja nicht so lange leben können.“ Thayns runde Schultern sanken ein wenig herab. „Hoffnungslos“, murmelte sie. „Deshalb haben wir Vramen euch ja niemals die Wahrheit gesagt. Wir wußten nur zu gut, daß es hoffnungslos ist, und daß ihr niemals glauben würdet.“ „Wir könnten doch zumindest einmal anhören, was sie darüber zu sagen hat“, warf Hammond ein. Gurth Lund starrte ihn wütend an. „Das habe ich von dir nicht anders erwartet! Ich habe ja immer gesagt, daß wir dir nicht trauen können — weder jetzt noch zu sonst einer Zeit!“ Die in Hammond angestaute Spannung brach sich Bahn. „Hör mal zu! Du weißt verdammt gut, daß du ohne mich gar nicht hergekommen wärst!“ Jon Wilson schüttelte sich wie ein gereizter Löwe. „Genug davon! Bei Gott — ich werde hier keinen weiteren Streit zulassen!“ Er wandte sich wieder an Thayn Marden. „Wo befindet sich der Raumhafen der Vramen auf diesem Planeten?“ „In den hohen Bergmassiven am Nordpol von Althar. Wenn ihr überhaupt auf dem Planeten landen wollt, dann könnt ihr das nur dort. Alle anderen Regionen des Planeten sind für euch nicht sicher.“ „Sicher?“ wiederholt Lund, und dann lachte er wieder spöttisch. „O ja, du meinst die Sicherheit in den Armen der Vramen.“ „Ihr versteht das nicht“, sagte sie. „Wir Vramen kontrollieren nur das Land am Nordpol. Annähernd alle anderen Gebiete des Planeten werden von einer anderen Rasse beherrscht — von den Dritten Menschen. Ihr dürft nicht in einem Gebiet landen, wo ihr in ihre Hände fallt.“ „Warum müssen wir uns eigentlich all diese Lügen anhören?“ fragte Lund hitzig. „Sie will uns doch nur etwas vormachen.“ Thayn setzte zu einem letzten Versuch an. „Ihr wollt also nicht in Sharanna landen, im Raumhafen von uns Vramen?“ „Hältst du uns wirklich für so dumm?“ fragte Wilson. Thayn schaute sie der Reihe nach an, und ihr Blick heftete sich fest auf Hammonds Gesicht.
26 „Dann spielt alles keine Rolle mehr. Wir werden nicht mehr lange leben. Leb' wohl, Kirk Hammond!“ Während Shan Tammas sie hinausführte, klangen ihre Abschiedsworte in Hammmonds Ohren nach. Lund schaute ihn durchdringend an, und dann wandte er sich an Wilson. „Du weißt doch, was sie damit meinte, als sie sagte, daß wir nicht mehr lange leben würden.“ Wilson nickte kurz. „Das liegt auf der Hand. Die Radarstrahlen sind schon jetzt auf uns gerichtet. Wenn wir an einer anderen Stelle als in ihrem Raumhafen landen, werden die Vramen merken, daß irgend etwas nicht stimmt — und dann werden sie zweifellos das Raumschiff zur Explosion bringen.“ Quobba wandte sich im Pilotensitz um; auf seiner breiten Stirn perlten ein paar Schweißtropfen. „Also?“ „Also“, erwiderte Wilson, „werden wir genauen Kurs auf den Nordpol einhalten. Dann lassen wir das Raumschiff plötzlich taumeln und landen sehr schnell. Sie werden glauben, wir hätten irgendeinen Schaden an den Generatoren.“ „Glaubst du, das wird sie davon abhalten, das Raumschiff zur Explosion zu bringen?“ fragte er skeptisch. „Na, wenigstens wird es uns eine Chance geben“, entgegnete Wilson unwirsch. „Vielleicht werden sie sich erst mit uns in Verbindung setzen oder uns gar jemanden zur Unterstützung schicken.“ „Und wenn sie uns dann finden?“ „Jedenfalls wird es für sie nicht ganz reibungslos abgehen. Wir werden das Raumschiff sehr schnell verlassen und dabei alles mitnehmen, was irgend möglich ist. Dazu werden wir unsere strahlensicheren Turbane anlegen, so daß uns ihre hypnotischen Befehle nicht erreichen können. Außerdem haben wir ja vom Kuum eine Anzahl von Strahlern mitgebracht, mit denen wir uns verteidigen können.“ „Wie lange?“ fragte Thol Orr zweifelnd. „Vielleicht lange genug“, antwortete Wilson. „Vielleicht werden wir auf Hilfe stoßen. Wenn die Vramen hier Feinde haben, dann könnten diese Feinde unsere Freunde werden. Ihr habt ja gehört, daß Thayn Marden von einer Rasse sprach, die sie die Dritten Menschen nannte.“ „Eine Lüge, die uns in die Arme der Vramen treiben sollte“, knurrte Gurth Lund verächtlich. „Das mag schon sein“, versetzte Wilson. „Denk' aber mal an das, was sie Hammond damals auf der Erde sagte, als sie davon sprach, daß wir auf Althar noch andere Hindernisse als die Vramen antreffen würden. Wer weiß denn, welche anderen Rassen außer den Menschen diese Sonne gefunden haben — diesen Stern des Lebens?“ Auf diesen Gedanken war Hammond noch gar nicht gekommen, und er versetzte ihm einen Schock. Es war ein seltsamer Gedanke über die Möglichkeit, daß es anderen, vielleicht aus einer fernen Galaxis stammenden Rassen gelungen sein mochte, diesen Stern zu entdecken, dessen Strahlen unendliches Leben verliehen. Es war wie ein Magnet, der Menschen und andere Wesen des Weltraums anzog, so daß sie wie die Motten um dieses Licht schwirrten und nach dem Leben auf Althar strebten. Dabei mochten sie sich eifersüchtig bekämpfen . . . „Wir müssen von der unabänderlichen Voraussetzung ausgehen, daß die Vramen dieses Raumschiff bald vernichten werden“, sagte Wilson. „Alles muß so vorbereitet sein, daß wir es im Moment der Landung von Bord schaffen können. In erster Linie brauchen wir die atomaren Generatoren und Werkzeuge, die gesamte technische Ausrüstung, sowie alle Waffen und Lebensmittelvorräte. Macht euch an die Vorberei-
27 tungen, und beeilt euch dabei!“ Eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete sich an Bord des Raumschiffes. Gurth Lund und Thol Orr bezeichneten die einzelnen technischen Geräte und Ausrüstungen, die nach der Landung sofort von Bord geschafft werden sollten. Schraubenschlüssel und andere Werkzeuge klirrten, während die Männer die Befestigungen der Maschinen lösten, deren Bedeutung Hammond zumeist unbekannt war. Schweißtriefende Männer zerrten die Maschinen in die unmittelbare Nähe der Laderampe. Hammond und North Abel trugen Pappschachteln mit Nahrungskapseln, die Iva Wilson ihnen aus der Vorratskammer reichte, an die Ladeluke. Geschäftiges Treiben herrschte auf allen Gängen des Raumschiffes, und das aufgeregte Stimmengewirr der Menschen übertönte sogar das Dröhnen der Generatoren. Als Hammond wieder einmal zur Vorratskammer zurückkam, um eine neue Schachtel in Empfang zu nehmen, hielt Iva ihn einen Augenblick auf. „Was hat Thayn Marden gesagt?“ fragte sie. „Eine ganze Menge; in erster Linie wollte sie uns wohl Angst machen, damit wir nicht auf Althar landen.“ Sie schaute ihn forschend an. „Hör auf ihre Warnungen, Kirk. Vielleicht ist sie um uns nicht so sehr besorgt — aber ich glaube nicht, daß sie dich sterben sehen möchte.“ Er zuckte zusammen. „Das ist heller Wahnsinn, wenn du etwa glaubst. . .“ Weiter kam er nicht. Plötzlich ertönte an der Außenwand des Raumschiffes das ungewohnte Rauschen von Luft, und die Lautsprecheranlagen erwachten zum Leben. „Sofort die Sicherheitsgurte anlegen!“ Alle eilten auf die Plätze zu. Hammond und Iva fanden zwei leere Sitze; sie schnallten sich hastig fest und schauten durch das Bullauge. Vor ihnen lag die beleuchtete Hälfte des Planeten. Es waren keinerlei Meere zu sehen, und die ganze Oberfläche dieser Hälfte des Planeten Althar schien aus fremdartigen Wäldern zu bestehen. Zwischen diesen dunkelgrünen Flächen gab es hellgelbe Tupfen, deren Anblick Hammond unwillkürlich an die Hügel von New Mexico erinnerte. Unvermittelt verschwand das Bild vor ihren Augen, und das Raumschiff schien plötzlich um seine eigene Achse zu taumeln. Die Sicherheitsgurte schnitten tief in Hammonds Körper, und er hörte Ivas leisen Aufschrei. Sie taumelten auf den Planeten zu, und er fragte sich unwillkürlich, ob Quobba nur den erhaltenen Befehl ausführte, so daß es nach einem Absturz des Raumschiffes aussah, oder ob es ein tatsächlicher Absturz war. Er hielt es für einen wirklichen Absturz, denn ein solches Taumeln konnte seiner Ansicht nach kaum vorgetäuscht werden. Das Rauschen der Luft wurde immer stärker, und der dunkle Wald schien immer schneller auf sie zuzukommen. Dann kam ein Aufprall, und dann setzte eine atemberaubende Stille ein. Zum erstenmal seit dem Verlassen des Planeten Kuum war keinerlei Geräusch oder Bewegung zu vernehmen. Der Lautsprecher brach die Stille. „Alles von Bord! Schafft die Ausrüstungen hinaus!“ Hammond half Iva, die Sicherheitsgurte zu lösen, und dann liefen sie mit den anderen zu den Ladeluken. Die Luken waren bereits geöffnet, und draußen lag strahlender Sonnenschein, der auf merkwürdig grüne, hohe Gebilde fiel. Die einströmende Luft war warm und trocken. An den Ladeluken ging es zu wie in einem Tollhaus. Treppen wurden ausgefahren, und die Männer machten sich daran, die schweren, atomgetriebenen Maschinen und Geräte auszuladen. Andere, unter denen sich auch Hammond, Iva Wilson und North Abel befanden, ü-
28 bernahmen es, die Vorräte in die sichere Deckung eines hohen Mooshügels zu tragen, der in beträchtlicher Entfernung vom Raumschiff aufragte. Erst als Hammond seine Ladung abgelegt hatte und sich umwandte, um eine neue zu holen, fand er einen Augenblick Zeit, sich die bizarren Formen des Mooswaldes anzusehen, der sie ringsum umgab. Jon Wilson stand neben der Laderampe und trieb die Männer zur Eile an. „Schneller! Das Raumschiff kann jeden Augenblick in die Luft fliegen! Bringt alles in Deckung und laßt nichts in der Nähe des Schiffes liegen!“ Irgendwo auf diesem seltsamen Planeten konnte ein Vrame auf einen bestimmten Knopf drücken, und dabei würden sie in Nichts aufgelöst werden. Dieses Wissen spornte die Männer an, und sie schleppten die Maschinen und technischen Ausrüstungen schweißtriefend in die Deckung des Mooshügels. Schließlich standen sie alle vor der geretteten Ausrüstung versammelt. Erst jetzt fanden sie Zeit zum Aufatmen und zu einem Blick in ihre unmittelbare Umgebung. Zu allen Seiten erhoben sich diese bizarren Mooshügel. Sie wirkten wie gigantische Kissen und ragten hoch in die Luft auf. Dazwischen lagen freie Flächen, die von dunkelgrünem Moos oder gelblichem Gras bewachsen waren. Kirk Hammond richtete den Blick auf den Himmel. Die Strahlen der untergehenden Sonne waren durch den hohen Mooshügel verdeckt — aber sie zuckten in unglaublicher Pracht wie eine Aurora über den Himmel. In diesen Mooswäldern gab es weder Insekten noch Vögel. Kein Laut unterbrach die tiefe Stille dieser Welt, nach der sie sich so gesehnt hatten. 5. Die Nacht senkte sich über den Planeten Althar — aber es war eine Nacht, wie Kirk Hammond sie noch nie erlebt hatte. Weder Mond noch Sterne waren am Himmel zu sehen. Statt dessen lag ein tiefes, nebelhaftes Leuchten am Firmament, und dieses Licht fiel auf die bizarren Formen der Mooswälder. Die Hoomen standen in einem Halbkreis um ihre aus dem Raumschiff geretteten Geräte und Maschinen herum. Seit dem Sonnenuntergang war bereits eine gute Stunde vergangen. Einige von ihnen hatten sich erschöpft schlafen gelegt, während andere, mit den schwarzen Strahlern bewaffnet, Wachposten bezogen hatten. Kirk Hammond dachte nicht an Schlaf — und Thayn Marden ebenfalls nicht. Er schaute zu der Stelle hinüber, an der sie am Boden kauerte. Unmittelbar hinter ihr saß Shan Tammas, und Hammond wußte, daß dieser seinen Strahler ununterbrochen auf die Frau der Vramen gerichtet hielt, ohne sie auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. In dem fremdartig anmutenden Licht konnte Hammond den hellen Fleck ihres Gesichtes erkennen. Er wünschte, er könnte jetzt mit ihr sprechen. Plötzlich entschloß er sich, zu ihr zu gehen und sich mit ihr zu unterhalten. Zum Teufel mit Jon Wilson, Gurth Lund und ihren Anweisungen! Er stand auf. Ein greller Lichtstrahl zuckte auf. Er beleuchtete momentan die erschreckten Gesichter der Hoomen, und dann kam ein dumpfes Donnergrollen. Hammond stolperte; im letzten Augenblick gewann er das Gleichgewicht zurück und wirbelte herum. Ein riesiger Atompilz ragte hoch in die Luft hinauf. „Das Raumschiff!“ schrie Quobba. Hammonds Blick fiel auf die dunklen Rauchwolken über der Stelle, an der das Raumschiff gelegen hatte. Heiße Luft drang herüber. Jon Wilson war aufgesprungen und unwillkürlich auf die Stelle zugelaufen. Jetzt blieb er stehen und wandte sich um.
29 „Bleibt zurück!“ rief er. „Die Vramen haben das Raumschiff zur Explosion gebracht — und damit haben wir ja gerechnet.“ Hammond spürte einen kalten Schauer über seinen Rücken jagen. Die Explosion hätte sich jeden Augenblick ereignen können, seit sie sich dem Trifid-System genähert hatten. Dieses Wissen zerrte an seinen Nerven, und sein Haß auf die Vramen verstärkte sich. Wie konnten sie es sich anmaßen, in der gesamten Galaxis die Herren über Tod und Leben zu spielen? Jon Wilson wandte sich um und trat auf Thayn Marden zu. Sie stand auf, und ihr bleiches Gesicht war in diesem unirdischen Licht vollkommen ausdruckslos. „Das war das Werk deiner Freunde!“ knurrte Wilson. „Warum haben sie das Raumschiff in die Luft gesprengt, statt dir zu Hilfe zu kommen?“ „Die Angehörigen meines Volkes kommen niemals in diese Regionen von Althar“, antwortete sie. „Das ist zu gefährlich. Ich habe es euch ja bereits gesagt.“ „O ja!“ schnaubte Gurth Lund höhnisch. „Die Dritten Menschen. Der Klabautermann, der uns in die Arme der Vramen treiben sollte.“ „Ich glaube, die Dritten Menschen werden jeden Augenblick herkommen“, sagte Thayn. „Unsere Leute haben das an den Radaranlagen von Sharanna gesehen. Dabei bemerkten sie die Annäherung feindlicher Flugzeuge, und somit blieb ihnen gar keine andere Wahl, als das Raumschiff explodieren zu lassen.“ Ihre Stimme hatte bislang monoton geklungen — aber jetzt setzte sie zu einer leidenschaftlichen Beschwörung an. „Ich bitte euch zum letztenmal: zerstört alle Maschinen und überhaupt alles Metall, das ihr hier angesammelt habt. Wenn das in die Hände der Dritten Menschen fällt.. .“ „Natürlich möchtest du erreichen, daß wir hier ohne Waffen und Ausrüstung verbleiben“, fiel Wilson ihr finster ins Wort. Er wandte sich um und erhob seine Stimme. „Bleibt alle auf der Hut und haltet eure Strahler bereit. Wartet in jedem Fall meine Anweisungen ab!“ Kirk Hammond hielt ebenfalls einen der kleinen, schwarzen Strahler in der Hand. In einem regelrechten Kampf hielt er das Ding nicht gerade für eine besonders wirkungsvolle Waffe, und er hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. „Es muß gar nicht zu einem Kampf kommen“, entgegnete Wilson. „Wenn es irgend geht, werde ich das zu verhindern suchen. Wer immer diese anderen Menschen auch sein mögen, wenn sie den Vramen feindlich gesinnt sind, dann könnten sie logischerweise zu unseren Freunden werden. Ich möchte nicht, daß jemand eine solche Chance durch sein unbedachtes Vorgehen zu Schanden macht.“ „Hört mal!“ rief Iva. Schrilles Pfeifen war aus der Ferne zu vernehmen. Dieses durchdringende Geräusch wurde immer stärker. „Flugzeuge“, sagte Thayn Marden. „Wahrscheinlich haben sie die Explosion des Raumschiffes gesehen.“ „Behalte sie fest im Auge“, sagte Wilson zu Shan Tammas. „Laß dich durch nichts ablenken — was immer auch passieren mag!“ In Lunds Begleitung eilte er davon, und dann standen sie in einer Gruppe mit den anderen Hoomen neben einem hohen Mooshügel und starrten in den so sonderbar erleuchteten Nachthimmel hinauf, wo sich das durchdringende Pfeifen mehr und mehr verstärkte. Thayn schaute Hammond an. „Du müßtest jetzt eigentlich sehr glücklich sein“, sagte sie. „Du hast das erreicht, von dem alle Hoomen seit Jahrhunderten geträumt haben. Jetzt habt ihr den Planeten Althar erreicht, und im Laufe der Zeit werden die Strahlen dieses Sternes euch ebenso unsterblich machen, wie wir Vramen es sind — und dann werdet ihr ebenso glücklich sein wie wir.“
30 Eine unbeschreibliche Bitterkeit lag in ihrer Stimme. Das zerrte an Hammonds Nerven, und er trat dicht an Thayn heran. „Was ist denn, Thayn? Was erwartest du jetzt?“ Sie schnaubte verächtlich. „Gar nichts; ich erwarte überhaupt nichts mehr. Ich tische nur weitere Lügen der Vramen auf.“ Sie hielt inne, und Hammond lauschte einen Augenblick auf das pfeifende Geräusch der näherkommenden Flugzeuge. „Eure neuen Freunde kommen“, fuhr Thayn fort. „Lauft ihnen doch entgegen und bereitet ihnen einen würdigen Empfang. Sie werden euch bestimmt gegen die verhaßten Vramen unterstützen.“ Hammond konnte nichts mehr sagen, denn das pfeifende Geräusch war jetzt bereits zu stark geworden. Er schaute auf und erblickte vier schlanke Flugzeuge, die sich dunkel gegen den hellen Nachthimmel abzeichneten. Die Flugzeuge zogen einen weiten Bogen und kehrten wieder zurück. Eines von ihnen war diesmal viel tiefer, und während die anderen drei die Stelle noch einmal umkreisten, setzte dieses hinter dem Mooshügel zur Landung an. Sie warteten; sie hielten die Strahler in den Händen, und die Spannung wuchs mit jeder verstreichenden Sekunde. Niemand kam, und nichts geschah. Nur die drei Flugzeuge zogen da oben ihre Kreise. Thayn Mardens bittere Worte hatten Hammond unsicher gemacht — und diese Unsicherheit wuchs jetzt, während er die weitere Entwicklung der Dinge abwartete. Er trat auf Wilson zu, der etwas abseits von den anderen neben dem Mooshügel stand. „Das gefällt mir gar nicht recht“, sagte Hammond. „Sie könnten uns von allen Seiten umzingeln, während wir hier abwarten.“ „Es wird zu keinem Kampf kommen, denn das ist ganz und gar nicht erforderlich“, brummte Wilson halsstarrig. Dann trat der Anführer der Hoomen noch ein paar Schritte vor, und seine laute Stimme tönte über den Hügel hinweg. „Wir sind Freunde!“ Alles blieb ruhig. Nur das pfeifende Geräusch der drei Flugzeuge war zu hören, die unbeirrt ihre Bahnen zogen. Dann wurde von der anderen Seite des Hügels her das letzte Wort von einer kalten, starken Stimme wiederholt. „Freunde?“ „Wir sind keine Vramen, sondern Hoomen!“ rief Wilson laut. „Wir wissen nicht, wer ihr seid — aber wir nehmen an, daß ihr auch nicht zu den Vramen gehört.“ Diesmal ließ die Antwort nicht so lange auf sich warten, und sie kam in der gleichen, universellen Sprache, die in der ganzen Galaxis üblich war. Es schien Hammond, als läge eine leise Ironie in dieser kalten, durchdringenden Stimme. „Nein, wir sind keine Vramen“, sagte die Stimme. „Oh, nein! Die Vramen sind nicht unsere Freunde.“ „Unsere auch nicht!“ rief Wilson schnell. „Sie haben uns ständig gejagt und mit allen Mitteln zu verhindern getrachtet, daß wir hier auf diesem Planeten landen. Sie haben auch unser Raumschiff vernichtet. Wir haben einen von ihnen als Gefangenen bei uns.“ „Einen Vramen als Gefangenen?“ fragte die Stimme überrascht. „Ja. Wenn ihr also Feinde der Vramen seid, dann könnt ihr nicht unsere Feinde sein.“ Eine kurze Pause trat ein, und während die Spannung immer drückender wurde, glaubte Hammond von der anderen Seite des Hügels hastige Flüstertöne zu vernehmen. Dann kam wieder die klare, durchdringende Stimme. „Ich bin Mar Kann von den Dritten Menschen, und ich komme jetzt unbewaffnet zu euch. Es gibt keinen Grund, weshalb wir nicht Freunde sein sollten.“ Hammond schaute mit den anderen auf die Höhe des Hügels hinauf. Dort erschien
31 ein Mann, dessen dunkle, hohe Gestalt sich gegen den hellen Horizont abzeichnete. Er kam auf sie zu, und jetzt sahen sie, daß er über zwei Meter groß war und eine wohlgeformte Gestalt hatte. Er trug eine eng anliegende Tunika; Arme und Beine waren nackt. Nicht ein einziges Haar war auf seinem Kopf zu sehen. In den Reihen der Hoomen stieß eine Frau einen unterdrückten Aufschrei aus, der sowohl ein verhaltenes Kichern als auch ein gewisses Erschrecken ausdrücken mochte. Rab Quobba seufzte tief. Iva schmiegte sich dicht an Harnmond, und ihre Hand krallte sich in seinen Unterarm. Hammond schaute ebenfalls betroffen zu. Der erste Anblick dieses Mannes hatte all seine. Spekulationen über das etwaige Vorhandensein fremdartiger Wesen aus der Galaxis zunichte gemacht. Er hatte ein wenig erleichtert aufgeatmet — aber jetzt konnte er auch das Gesicht dieses Mannes erkennen. Es war ein vollkommen haarloses Gesicht; an den Augen befanden sich weder Lider noch Augenbrauen. Die einzelnen Gesichtszüge waren wohlgeformt — aber in den Augen fehlte jede Wärme. Es war das kalte, maskenstarre Gesicht eines Gottes, der keine Gnade kennt. Der Mann blieb einige Schritte vor ihnen stehen und schaute sie an. Dann richtete er den Blick wie gebannt auf die Maschinen und aufgestapelten Geräte. Schließlich wandte er den Kopf und sah sie der Reihe nach an. Hammond spürte diesen Blick wie einen physischen Anprall. „Lassen Sie mich den Gefangenen der Vramen sehen“, sagte die kalte Stimme. Wilson wandte sich um und deutete auf Thayn Marden, die ein wenig hinter ihnen stand. Mar Kann schaute sie eine Weile schweigend und forschend an. „Ich kenne sie nicht. Eigentlich hatte ich gehofft, daß mich enge Bande mit ihr verknüpfen.“ „Diese Schande ist mir erspart geblieben“, entgegnete Thayn, und obgleich Hammmond den Sinn ihrer Worte nicht verstehen konnte, spürte er die tiefe Verachtung und den Haß ihrer Stimme. „Da sieht man wieder einmal die Ungerechtigkeit der Vramen“, sagte Mar Kann ein wenig von oben herab. „All diese Jahrhunderte hindurch haben sie uns gehaßt — und dabei sollten sie gerade uns am meisten lieben.“ Wilson konnte die in diesen Worten liegende Anspielung nicht verstehen, aber er hatte einen einzigen Satz gehört, und ein sehnsüchtiger Ausdruck trat in sein Gesicht. „All diese Jahrhunderte hindurch? Dann habt ihr, die Dritten Menschen, also auch ein unendliches Leben?“ „Aber gewiß“, antwortete Kann. „Es bereitet den Vramen viel Sorge — aber alle, die von unserer Sonne bestrahlt werden, haben dieses lange Leben.“ „Einschließlich der geliebten Kinder der Dritten Menschen!“ sagte Thayn Marden. Auch diese Anspielung war Hammond unverständlich, aber er sah, daß Mar Kanns ironische Belustigung unvermittelt verschwand, und er starrte Thayn Marden haßerfüllt an. Wilson ließ sich nicht von seinem lebenslang erhofften Ziel abbringen. „Dann können die Strahlen dieses Sternes also auch uns Hoomen ein solches langes Leben geben?“ Er wartete gespannt auf die Antwort, und Hammond sah, daß auch die anderen Hoomen wie gebannt auf Mar Kann schauten. Der Dritte Mensch erwiderte diese Blicke, und in seinen Augen schimmerte ein verschlagener Ausdruck. „Deshalb seid ihr also zum Althar gekommen“, murmelte er. „Ah, ja. Nun, ihr seid nicht vergebens gekommen. Wenn ihr ein paar Wochen unter den Strahlen unserer Sonne lebt, werden alle Zellen eures Körpers einer Regeneration unterzogen, und dadurch wird jede Krankheit und jeder Altersprozeß ausgeschlossen.“ Er wandte sich
32 jetzt an alle, und seine Stimme wurde lauter. „Ihr könnt uns helfen, und wir können euch helfen. Kommt mit in unsere Hauptstadt Vonn. Dort werden wir alle Einzelheiten besprechen.“ Ehe jemand etwas dazu sagen konnte, schaltete sich Thayn Marden ein. „Ihr dürft den Dritten Menschen nicht trauen! Sie wollen in Wirklichkeit nichts anderes als ...“ „Sei ruhig, Frau!“ sagte Mar Kann, indem er einen Schritt auf sie zutrat; seine Stimme war eiskalt. Hammond sah, wie Thayn Marden den Dritten Menschen anschaute, und er sah die plötzliche Veränderung in ihrem Gesicht. Ihre Stimme verstummte, und ihre Augen wurden stumpf und verloren allen Glanz. Ihr schlanker Körper erschlaffte, und sie stand da wie eine Marionette, die keiner Bewegung fähig war. Hammond sprang vor. „Was hast du mit ihr angestellt?“ Mar Kann wandte sich an ihn, und Hammond spürte den Zwang, der von diesen lidlosen Augen ausging. „Sie ist unverletzt. Ich habe sie nur durch einen telepathischen Befehl zum Schweigen gebracht.“ „Aber keine Hypnose kann so schnell wirken“, knurrte Hammond. „Du hast irgendeine Waffe verwendet...“ Kann lächelte verächtlich. „Die geistige Beherrschung der Vramen ist sehr einfach. Schaut sie euch nur an! Und dennoch hält uns dieses Volk auf Althar gefangen.“ „Gefangen?“ wiederholte Jon Wilson verdutzt. „Das verstehe ich nicht...“ „Es wird euch alles genau in Vonn erklärt werden“, sagte Mar Kann beruhigend. „Ich bin überzeugt, daß wir uns verbünden werden. Wir brauchen nicht euch, sondern nur diese Maschinen und technischen Geräte, die ihr hier bei euch habt. Sie bestehen nämlich aus Elementen, die auf diesem Planeten außerordentlich selten sind.“ Wilson schaute ihn eine Weile an, und dann wandte er sich den wartenden Hoomen zu. „Ich bin dafür, daß wir mitgehen! Wenn diese Menschen die Feinde der Vramen sind, dann sollte uns diese Tatsache allein genügen.“ „Du hast eine sehr weise Entscheidung getroffen“, erwiderte Mar Kann, indem er Wilson zunickte. „Wir werden mehr Flugzeuge brauchen, als wir im Augenblick hier haben, um euch und eure ganzen Geräte nach Vonn zu bringen. Wartet hier auf mich, während die anderen Flugzeuge angefordert werden.“ Er wandte sich um, erklomm den Mooshügel und ging davon. Seine dunkle Gestalt zeichnete sich noch einmal gegen den hellen Horizont ab, und dann war er verschwunden. Mit Ausnahme von Hammond schauten sie ihm alle nach. Hammond war inzwischen auf Thayn Marden zugetreten. Er ergriff ihre Hand und sprach auf sie ein. Sie gab keine Antwort, und ihre Augen blieben stumpf. Thol Orr kam herbei und betrachtete sie genau. „Ich glaube nicht, daß ihr etwas fehlt; sie steht unter einem post-hypnotischen Befehl“, sagte er. „Aber was sind das nur für Menschen, die sogar über die Vramen eine solche Gewalt ausüben können?“ Gurth Lund wandte sich wütend an Hammond. „Um ein Haar hättest du unsere Chance zu einem Bündnis mit den Dritten Menschen zunichte gemacht — und nur wegen deines verdammten Mitleids für diese Frau der verhaßten Vramen!“ „Ich frage mich nur“, murmelte Hammond. „welche Rolle ihr wohl in einem Bündnis mit Menschen spielen wollt, denen selbst die Vramen unterlegen sind.“ Jon Wilson nickte nervös. „Daran habe ich auch schon gedacht. Dennoch müssen die Vramen den Dritten Menschen irgendwie überlegen sein, denn ihr habt ja selbst gehört, daß diese hier
33 auf dem Planeten gefangen gehalten werden. Nun, ohne Raumschiff sind wir ebenfalls Gefangene dieses Planeten, und schließlich wollen wir ja eines Tages in die Galaxis zurückkehren und allen Menschen das Geheimnis dieses Sternes erzählen. Unsere beste Chance liegt jedenfalls in der Zusammenarbeit mit den Dritten Menschen.“ Das Gemurmel der anderen Hoomen war zustimmend — aber es klang gar nicht besonders begeistert. Als Hammond sich abwandte, kam Rab Quobba auf ihn zu. „Wer, zum Teufel, sind diese Dritten Menschen denn eigentlich?“ fragte er. Hammond schüttelte den Kopf. „Ich wünschte, ich wüßte es. Und ich wünschte weiterhin, ich wüßte, was Thayn uns gerade erklären wollte — aber vielleicht wäre es auch nur eine weitere Lüge der Vramen gewesen.“ Sie hatten den Planeten erreicht, von dem die Hoomen seit Jahrhunderten geträumt hatten, und dennoch kam es Kirk Hammond vor, als würde die Freude an ihrem Triumph durch die dunklen Geheimnisse getrübt werden, die sie hier auf allen Seiten umgaben. Es war der Planet, nach dem sich alle sehnten, und dennoch schien es eine freudlose und gefährliche Welt zu sein. „Hast du seine Hände gesehen?“ fragte Quobba. „Seine Hände? Nein“, erwiderte Hammond. „Er hielt sie ja hinter dem Rücken verborgen.“ Quobba nickte. „Ja, ich weiß — aber ich stand unmittelbar neben ihm, als er sich umwandte, und dabei habe ich sie gesehen. Es waren Hände mit sechs Fingern. Diese Wesen mögen wie Menschen aussehen — aber sie gehören ganz und gar nicht zu unserer Rasse.“ 6. Kirk Hammond stand am Fenster, und die Strahlen der vielfarbigen Sonne fielen auf sein Gesicht und auf seine Hände. Er war in Gedanken versunken. Wie wird das unendliche Leben sein? Wie werde ich mich in hundert oder gar in tausend Jahren fühlen? Laß diese Tatsache in deinen Verstand eindringen — und betrachte sie von allen Seiten. Es ist unmöglich, daß der von der Erde stammende Kirk Hammond plötzlich ein praktisch unendliches Leben besitzt. Es ist unmöglich — aber es ist wahr! Das auf deinen Körper eindringende Sonnenlicht ist mehr als nur bloßes Sonnenlicht. Es sind die Strahlen eines in der gesamten Galaxis einzigartigen Sternes — und vielleicht gibt es diesen Stern überhaupt nur einmal im ganzen Kosmos. Dieser Stern ist ein gigantischer Generator von bislang völlig unbekannten elektromagnetischen Kräften. Die hohe Frequenz dieser Strahlungen erneuert bereits in diesem Augenblick sämtliche Zellen deines Körpers, und diese polarisierende Wirkung wird deine gesamte Zellenstruktur in kurzer Zeit völlig verändern. Jede einzelne Zelle wird so regeneriert, daß es in Zukunft für sie weder eine Krankheit noch einen Altersprozeß gibt. Kurz gesagt, die Wirkung dieser Strahlen wird dich durch und durch verändern. Du wirst praktisch unsterblich sein. Kirk Hammonds Gedanken beschäftigten sich mit diesen gewaltigen Problemen, und die Stimme der anderen Menschen im Raum drangen nur schwach an sein Ohr. Sie saßen noch immer an dem langen Tisch in der Mitte des Raumes und sprachen. Seit ihrem Eintreffen in dieser Stadt hatten sich Wilson und weitere zwölf Hoomen ununterbrochen mit den vier Vertretern der Dritten Menschen unterhalten. Sie hatten in dieser Unterhaltung viele merkwürdige Punkte berührt — aber als die absolute Gewißheit des unendlichen Lebens erörtert wurde, war Hammond aufgestanden und
34 ans Fenster getreten. Er mußte sich erst mit diesem Gedanken vertraut machen. Er schaute über die Stadt Vonn. Häuser und Straßen waren aus dunklem Material gebaut und so angeordnet, daß die Strahlen dieser einzigartigen Sonne ungehindert einfallen konnten. Die Stadt war verhältnismäßig klein — aber sie machte einen starken und massiven Eindruck. Die einzelnen Gebäude und vor allem die Straßenzüge waren so angeordnet, daß sie genau auf dieses hohe Gebäude zuliefen, aus dessen Fenster er jetzt schaute. Zwischen den einzelnen Wohnhäusern waren auch kleinere Gebäude zu sehen, in denen vielleicht Laboratorien oder irgendwelche Werkstätten untergebracht sein mochten. Auf dem Parkplatz des hohen Gebäudes stand eine Anzahl von Flugzeugen. Hier waren sie auch bei ihrem Eintreffen in der Stadt gelandet. Hammond dachte über diese Flugzeuge nach. Ihr Anblick war eine Überraschung für ihn gewesen. Sie waren nicht aus Metall konstruiert, sondern aus einer Art Plastik, und sie wurden auch nicht von Atomaggregaten angetrieben, wie er es inzwischen in allen Teilen der Galaxis gesehen hatte. Alle Einzelteile dieser Flugzeuge bestanden aus plastischem oder keramischem Material. Männer und Frauen bewegten sich zwischen diesen Flugzeugen auf dem Platz, und stellenweise waren spiegelnde Figuren von Robotern zu erkennen. Hammond war diesen Robotern bei der Landung begegnet, und sie gefielen ihm gar nicht recht. Während er jetzt auf den Platz hinabschaute, starteten zwei Flugzeuge. Sie erhoben sich senkrecht in die Luft und schwirrten dann davon. Er schaute ihnen nach; sie glitzerten noch einen Augenblick in den vielfarbigen Strahlen dieser Sonne, und dann waren sie verschwunden. Er fragte sich, wohin sie wohl fliegen mochten — und er fragte sich auch, wohin ihn sein Weg führen mochte. „Hammond!“ rief Jon Wilson ungeduldig. „Willst du nicht endlich wieder mal herkommen?“ Hammond wandte sich vom Fenster ab und setzte sich wieder auf seinen Platz am Tisch. Tisch und Stühle bestanden aus einer schwarzen Plastikmasse, während die Wände des Raumes eine für die Augen angenehme graue Farbtönung besaßen. Es fiel Hammond auf, daß diese Dritten Menschen an Farben keinen Gefallen zu finden schienen. Die zwingenden Augen dieser vier Angehörigen der Dritten Menschen, die am anderen Ende des langen Tisches saßen, waren ihm verhaßt. Er zwang sich dennoch, sie anzusehen. „Das alles ist nur schwer zu verarbeiten, nicht wahr?“ fragte Holl Gormon ihn freundlich. „Aber euer Eintreffen auf Althar war schon seit langer Zeit überfällig und schafft nun eine Situation, in der wir nicht länger zögern dürfen. Wir möchten euch alles klar verständlich machen.“ Holl Gormon war einer der Direktoren der Dritten Menschen. Hammond hatte über die Bedeutung dieses Titels nicht die geringste Ahnung — aber er vermutete, daß Gormon irgendein hoher Vertreter in der Regierung dieser Menschen war, und zu dieser Regierung gehörten zweifellos auch Mar Kann und die beiden anderen Männer am Ende des schwarzen Tisches. Es störte ihn irgendwie, daß sich diese Männer so überaus ähnlich sahen. Augenscheinlich bestand kein Altersunterschied zwischen ihnen, an dem man sie hätte identifizieren können. Sie standen alle an der Schwelle des Übergangs von der Jugend zum Mannestum, ihre Gestalten waren von der gleichen Form, und auf ihren Gesichtern lag der gleiche ernste und kalte Ausdruck. Die am Tisch versammelten Hoomen machten mit der Verschiedenartigkeit ihres Aussehens in der Anwesenheit der Dritten Menschen einen geradezu kläglichen Ein-
35 druck. „Ihr sagtet vorhin“, nahm Wilson mit einem gereizten Seitenblick auf Hammond das Wort auf, „daß ihr einverstanden seid, allen Hoomen in der gesamten Galaxis das Geheimnis des unendlichen Lebens preiszugeben.“ „Ja“, pflichtete Holl Gormon ihm bei. „Wir wollen keinen Anspruch auf ein Monopol für dieses Leben erheben. Ganz im Gegensatz zu den Vramen, die das bisher getan haben. Es wäre natürlich unmöglich, all die verschiedenen Bewohner der Galaxis zum Planeten Althar zu holen — aber wir sind fest davon überzeugt, daß es uns im Laufe der Zeit gelingen wird, die Strahlen unserer einzigartigen Sonne auf künstliche Weise herzustellen und sie auf diese Weise allen Hoomen zugänglich zu machen.“ Jon Wilson war begeistert. „Es geht mir nicht um meine eigene Person“, sagte er, „aber wenn ich es erleben kann, daß alle Hoomen in den Besitz dieses Geheimnisses gelangen . . .“ „Das läßt sich ohne weiteres machen“, erwiderte Gormon. „Und es wird gemacht werden. Das lange, eifersüchtig behütete Monopol der Vramen wird jetzt gebrochen werden. Euer Kommen hat uns den dazu erforderlichen Schlüssel gebracht.“ Er schaute die Hoomen der Reihe nach an, und wieder zuckte Hammond unter der Ausstrahlung dieser kalten und zwingenden Augen ein wenig zusammen. Es war schwer, mit diesen Männern an einem Tisch zu sitzen und dabei zu wissen, daß sie jederzeit ihre hypnotischen Kräfte einsetzen konnten. Hirn fiel ein, wie Mar Kann Thayn Marden mit seinem Willen bezwungen hatte, und er fragte sich, ob sie wohl noch immer unter diesem hypnotischen Bann stand. Sie war in eines der Zimmer gebracht und unter die Bewachung eines Hoomen gestellt worden, so daß Hammond bislang noch keine Möglichkeit gefunden hatte, sie aufzusuchen. „Wir Dritten Menschen sind auf diesem Planeten geboren worden und besitzen somit seit unserer Geburt das unsterbliche Leben“, führte Holl Gormon aus. „Trotz unserer großen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften haben wir nie die Möglichkeit zum Verlassen dieses Planeten in die Hand bekommen. Auf diesem Planeten gibt es nämlich keinerlei Erzvorkommen.“ Unvermittelt wurde es Hammond klar, daß er bislang noch keinen einzigen Gegenstand aus Metall in Gebrauch gesehen hatte — weder an Bord des Flugzeuges noch irgendwo in diesem großen Gebäude. „Wollt ihr damit sagen, daß eure gesamte Zivilisation hier auf einer nicht-metallischen Grundlage beruht?“ fragte Thol Orr ungläubig. Holl Gormon nickte. „Wir hatten gar keine andere Wahl. Die unmetallische Konstitution unserer Sonne, deren Strahlen so einzigartig sind, ist auf diesem einzigen Planeten der Sonne in gleichem Maße vorhanden. Wir haben uns daran gewöhnen müssen, das fehlende Metall durch Plastik, Keramik und Beton zu ersetzen. Das läßt sich alles machen — aber ohne Metall kann man kein Raumschiff bauen. Zur Konstruktion seines Rahmens, seiner atomaren Generatoren und sonstigen elektromagnetischen Geräte und Instrumente braucht man unbedingt Metall. Aus diesem Grund haben wir also kein einziges Raumschiff. Die einzigen Raumschiffe in dieser Region der Galaxis gehören den Vramen, und sie landen stets in Sharanna, dem nördlichen Polargebiet von Althar, das von allen Seiten streng bewacht wird. Sie verhindern es mit allen Mitteln, daß wir uns diesem Gebiet nähern, denn sie wollen es nicht zulassen, daß wir die Bewohner der Galaxis über das Geheimnis des Lebens aufklären.“ Er breitete die Hände aus. „Ihr seht also, daß ich euch in aller Aufrichtigkeit begegne. Die von euch geretteten Maschinen und Geräte stellen auf diesem Planeten einen unermeßlichen Wert dar.
36 Damit können wir sogleich alle erforderlichen Elemente der Materialien herstellen, die wir hier so dringend benötigen. Aus diesen wiederum können wir uns eine Waffe schmieden, die wesentlich stärker ist als all jene, mit denen die Vramen von Sharanna aus den Planeten Althar beherrschen.“ Wilson beugte sich auf seinem Platz ein wenig vor. „Wir wollen alles ganz klar stellen: was bekommen wir für unsere Ausrüstung und Hilfe?“ „Das Geheimnis des Sterns des Lebens kann der gesamten bewohnten Galaxis mitgeteilt werden, denn inzwischen werden wir uns mit den erforderlichen Raumschiffen versehen“, antwortete Gormon prompt. „Außerdem steht ihr unter dem Schutz unserer Waffe gegen die Vramen. Sobald sie von unseren Plänen erfahren, werdet ihr einen solchen Schutz dringend brauchen.“ Er stand auf. „Denkt an diese Tatsachen und besprecht alles noch einmal untereinander. Wie immer eure Entscheidung ausfallen mag — ihr seid in jedem Fall unsere Gäste. Wir hoffen natürlich, daß ihr auch unsere Verbündeten werdet.“ „Ich denke, ihr könnt uns bereits jetzt zu euren Verbündeten zählen“, erwiderte Wilson herzlich. „Das freut mich“, sagte Gormon ernst. „Immerhin werdet ihr euch jetzt erst mal ausruhen und die ganze Sache in aller Ruhe besprechen wollen.“ Das war mehr oder weniger eine unverblümte Entlassung — aber Gormon erleichterte ihnen die Situation, indem er sie höflich an die Tür begleitete. „Wir haben euch noch viele Dinge zu erklären — aber das kann im Augenblick noch warten“, sagte er. „Ihr seid die ersten Besucher, die wir je hatten, und alle von uns sind sehr erfreut über euer Kommen.“ Bei diesen Worten erinnerte sich Kirk Hammond plötzlich an die Worte, die Thayn Marden Mar Kann entgegengeschleudert hatte. „Bislang habe ich hier nur Männer und Frauen zu sehen bekommen“, sagte er. „Habt ihr denn gar keine Kinder?“ Gormon wirbelte herum, und in seinen Augen stand plötzlich ein gefährliches Leuchten. Hammond spürte diesen Blick wie einen physischen Schlag — aber Gormon hatte sich sofort wieder in der Gewalt. „Unsere Kinder wohnen von uns getrennt“, erwiderte er freundlich. „Das liegt an gewissen Sicherheitsvorkehrungen, die ihr erst später verstehen werdet.“ Er drückte auf einen Knopf, und die Tür öffnete sich. Draußen stand einer der Roboter. Die Hoomen hatten bereits erfahren, daß diese Roboter durch chemische Energie angetrieben wurden. Ihre Form hatte ganz und gar nichts Menschliches an sich. Dieser hier sah genau wie jene aus, die Hammond vom Fenster aus betrachtet hatte. Der breite, massig wirkende Körper bestand aus dunklem Plastik; die Arme ruhten in beweglichen Scharnieren und waren an Stelle von Händen mit Greifzangen versehen, und der Roboter bewegte sich auf kleinen Rädern. In den kastenförmigen Kopf waren photo-elektronische Linsen eingebaut, und der gesamte Mechanismus machte einen so klobigen Eindruck, daß Hammond seine Abscheu kaum verhehlen konnte. „Führe unsere Gäste zum Korridor Vier-Zwei-Neun“, sagte Gormon. Der Roboter sprach durch einen kleinen Schlitz des an seiner Seite angebrachten Lautsprechers. „Bitte folgen Sie mir.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und begann zu rollen. „Er wird euch zu euren Quartieren bringen“, sagte Gormon. „Wenn ihr euch ausgeruht habt, werden wir eine neue Konferenz anberaumen.“ Der Roboter rollte den Gang hinunter, bog in einen anderen ein und führte den Weg über eine kleine Rampe zu einem weiteren Korridor. „Bitte folgen Sie mir“, sagte er
37 an jeder einzelnen Abbiegung. Schließlich erreichten sie einen Korridor, in dem einige Türen geöffnet waren. Der Roboter blieb stehen. „Ihre Quartiere. Ein Knopf zur Bedienung der Anlage für Nahrungs- und Genußmittel befindet sich neben jeder Tür. Der daneben liegende rote Knopf bringt sogleich einen von uns herbei.“ Der Roboter wandte sich um und rollte über den Gang zurück. Hammond folgte Wilson über den Gang zum großen Gemeinschaftsraum. Sie kamen an einer Tür vorbei, vor der Shan Tammas auf Posten stand. „Irgendwelche Schwierigkeiten?“ fragte Wilson. Tammas schüttelte den Kopf. „Nein. Seit unserem Eintreffen hat sie nicht ein einziges Wort gesprochen.“ Hammond fragte sich, ob Thayn Marden wohl noch immer unter dem hypnotischen Einfluß von Mar Kann stand. Wilson hatte dafür gesorgt, daß Thayn und Hammond auf verschiedenen Flugzeugen hergebracht wurden und daß sie auch hier nicht zusammentreffen konnten. Der Gedanke an den stumpfen Glanz ihrer Augen war ihm unerträglich. Sie gingen in den großen Gemeinschaftsraum, wo sie von den anderen Hoomen erwartet wurden. Iva lief sogleich auf ihren Vater zu. „Nun?“ Jon Wilson schaute in die erwartungsvollen Gesichter. „Alles ist in bester Ordnung. Diese Leute hier wollen uns zu Freunden haben. Es liegt ihnen ebenso sehr am Herzen wir uns, diesen Planeten möglichst rasch verlassen zu können, um den anderen Bewohnern der Galaxis das Geheimnis des Lebens mitzuteilen. Die Vramen werden das zu verhindern suchen — aber wir sind jetzt im Kampf gegen die Vramen verbündet.“ Er hielt inne und überlegte einen Augenblick. „Sie sind uns in wissenschaftlicher und technischer Beziehung so weit überlegen, daß sie uns eigentlich nur wegen zwei Punkten brauchen: sie benötigen dringend die von uns aus dem Raumschiff geretteten Maschinen und atomaren Geräte, und sie wollen von uns mehr über die Beschaffenheit der Galaxis erfahren. Ich denke, wir können uns glücklich preisen.“ „Na, ich weiß nicht recht“, brummte Hammond. „Diese Dritten Menschen sprechen sehr verächtlich über die Vramen. Wer weiß denn, was sie uns gegenüber empfinden?“ Rab Quobba nickte besorgt. „Der Blick aus ihren Augen jagt mir jedesmal einen kalten Schauer über den Rükken!“ „Wir haben das Glück gehabt, hier starke Verbündete zu finden“, knurrte Wilson gereizt, „und schon beginnt ihr, irgendwelche Fehler an ihnen zu entdecken. Vielleicht halten sie nicht allzuviel von uns Hoomen — aber was hat das schon zu bedeuten? Es kommt doch in erster Linie darauf an, daß wir mit ihrer Hilfe allen Hoomen das unendliche Leben bringen können.“ Thol Orr hatte bislang schweigend zugehört. „Es wird eine schwere Aufgabe werden, die Strahlen dieses Sterns auf künstliche Art zu reproduzieren, um sie dann in der gesamten Galaxis anzuwenden — aber ich halte es für möglich, daß diese Aufgabe im Laufe der Zeit zu lösen ist.“ Wilson nickte begeistert. „Und damit wird das lange Leben, das die Vramen bislang sich selbst vorbehalten haben, allen anderen zugänglich werden.“ „Ich würde es für klug halten“, sagte Thol Orr langsam und bedächtig, „die Wirkung dieser Strahlen zunächst einmal genau zu untersuchen, ehe wir uns diesen Strahlen zu lange und zu intensiv aussetzen.“ „Wie meinst du das?“ fragte Wilson. „Zweifelst du etwa an der uns mitgeteilten Wir-
38 kung der Strahlen?“ „Ich glaube durchaus, daß uns die Strahlen ein unendliches Leben verleihen“, antwortete Thol Orr. „Aber solche Strahlen können auch noch andere Wirkungen haben. Es hat mich überrascht zu hören, daß es hier überhaupt keine Kinder gibt.“ Es dauerte einen Augenblick, bis die Hoomen den Sinn dieser Worte begriffen hatten, und dann schrie eine der Frauen plötzlich auf. „Soll das heißen, daß die Strahlen uns steril machen könnten?“ fragte Gurth Lund betroffen. „Das wäre durchaus möglich“, entgegnete Thol Orr. „Strahlen von so hohen Frequenzen können einen mächtigen Einfluß auf das gesamte Drüsensystem ausüben.“ „Das ist Unsinn!“ rief Wilson gereizt. „Na, ich weiß nicht recht“, murmelte Quobba. „Bislang hat noch nie jemand etwas davon gehört, daß die Vramen Kinder hätten.“ Hammond mußte unwillkürlich an den Baum der Erkenntnis denken, und warum es den Menschenkindern verboten war, von seinen Früchten zu essen. Diese Gedanken wurden jedoch sogleich von einem anderen verdrängt. „Nein“, sagte er zu Thol Orr. „Thayn Marden hat zu Mar Kann von den Kindern der Dritten Menschen gesprochen, als ob diese tatsächlich existierten.“ „Außerdem“, warf Wilson ein, „hätten die Vramen es gewiß der ganzen Galaxis mitgeteilt, wenn das Geheimnis des Lebens mit Sterilität verbunden wäre. In diesem Fall hätten die Hoomen nicht weiterhin nach der Lösung des Geheimnisses gestrebt.“ Der algolianische Wissenschaftler nickte nachdenklich. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Sterilität kann es also kaum sein — und dennoch bin ich überzeugt, daß diese Strahlen einen großen Einfluß auf das Drüsensystem ausüben.“ Das Gespräch drehte sich in einem schier endlosen Kreis um Hoffnungen, Befürchtungen und Sorgen, bis Hammond der Kopf zu schwirren begann. Diese seltsame Welt, nach der sie sich so sehr gesehnt hatten, ermüdete ihn — und die endlosen Spekulationen über die möglichen Schritte der Vramen und der Dritten Menschen ermüdeten ihn ebenfalls. Er verließ den Raum und begab sich zu einem der kleinen Schlafzimmer. Es würde noch eine ganze Weile hell bleiben — aber er brauchte jetzt Schlaf. Er streckte sich auf dem dunklen Plastikbett aus und schlief sofort ein. Da träumte er, daß eine riesige, sechsfingrige Hand nach seiner Kehle griff. Mit einem heiseren Aufschrei fuhr er hoch und sah, daß es mittlerweile bereits dunkel geworden war. Iva Wilson stand an seinem Bett und rüttelte ihn an den Schultern. „Was, zum Teufel . . .“, begann er, und dann sah er den angespannten und besorgten Zug in ihrem bleichen Gesicht. Er sprang vom Bett. „Was gibt es denn, Iva?“ „Ich wollte mit dir reden“, erwiderte sie. „Ich habe solche Angst, und mit Vater kann ich überhaupt nicht mehr sprechen. Er ist seit vielen Jahren so besessen vom Geheimnis des Lebens, daß er mich überhaupt nicht mehr anhört.“ Hammond ergriff ihren Arm und zog sie ans offene Fenster. Die Gebäude der Stadt dieser Dritten Menschen waren in ein bläulich schimmerndes Licht getaucht, das die Dunkelheit der einzelnen Gebäude noch vertiefte. An der anderen Seite der Stadt zuckte hin und wieder ein greller Lichtstrahl auf, und ein fernes Hämmern war zu hören, das es hier zuvor nicht gegeben hatte. Die harten Klänge brachen sich an den Häuserwänden unter dem nebelhaften Licht dieses Firmamentes. Iva erschauerte. „Ich wünschte, wir wären nie hergekommen. Mir gefällt dieser Planet nicht, und die Augen dieser Menschen erschrecken mich.“
39 „Ich kann dir nur zustimmen“, murmelte Hammond. „Sie mögen aussehen wie Menschen — aber sie sind es nicht.“ Iva wandte ihm ihr bleiches Gesicht zu; sie war außerordentlich ernst. „Willst du mir in einem bestimmten Punkt die reine Wahrheit sagen, Kirk?“ „Natürlich. Worum geht es denn?“ „Liebst du Thayn Marden?“ Hammond war sprachlos. „Um alles in der Welt — willst du denn schon wieder davon anfangen?“ fragte er ungeduldig. „Ich habe dir doch wieder und wieder erklärt, daß das Resultat der Encephalosonde meilenweit von der Wahrheit entfernt war!“ Iva nickte. „Das sagst du — aber damit hast du mich ebensowenig überzeugen können wie Thayn Marden es mir verhehlen konnte, daß sie dich liebt.“ „Thayn liebt mich?“ wiederholte er verdutzt. „Aber das ist doch heller Wahnsinn, Iva! Sie haßt mich — sie verachtet mich...“ „Ich weiß genau, daß sie dich liebt“, sagte Iva. „Ich habe den Blick bemerkt, mit dem sie dich im Raumschiff angesehen hat. Es muß wirklich eine unendlich große und starke Liebe sein, wenn sie dabei vergessen kann, daß sie selbst zu den Vramen gehört, während du ein Hoomen bist.“ Hammond war wie betäubt. Langsam erwuchs aus dem Chaos seiner Gedanken die Gewißheit. Er hatte sich die ganze Zeit über dagegen gestemmt. Er hatte das alles ins Unterbewußtsein verbannt, wo es nur von der Encephalosonde und von Iva aufgespürt werden konnte. Aber es war tatsächlich die Wahrheit. Er hatte Thayn Marden vom ersten Augenblick an geliebt. Jetzt wußte er es, und dieses Wissen würde bis zu seinem letzten Atemzug anhalten. Iva schien die plötzliche Offenbarung von seinem Gesicht abzulesen. „Ich bin meiner Sache von Anfang an sicher gewesen — und deshalb muß ich dir jetzt etwas sagen.“ „Was denn?“ „Während du geschlafen hast, ist mein Vater das endgültige Bündnis mit den Dritten Menschen eingegangen, Kirk. Dabei hat er all unsere geretteten Maschinen und Ausrüstungen an sie ausgeliefert, und sie wurden zu jenem Gebäude gebracht.“ Bei diesen Worten deutete sie mit dem Kopf in die Richtung des Gebäudes, aus dem die zuckenden Lichtblitze und das hämmernde Geräusch kamen. Hammond war plötzlich sehr wütend, aber Iva ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Die Dritten Menschen haben weiterhin die Bedingung gestellt, daß Thayn Marden ihnen ausgehändigt würde. Sie sagten, es wäre von absoluter Wichtigkeit, sie einem eingehenden Verhör zu unterziehen. Mein Vater hat sie ihnen bereits vor einigen Stunden übergeben.“ 7. Im ersten Augenblick kam es Kirk Hammond vor, als hätte es ihm die Sprache verschlagen. Seine Befürchtungen und seine Abneigung gegen die Dritten Menschen konzentrierten sich auf die wilde Angst um Thayn Marden. Dann stieg eine unbeherrschte Wut in ihm auf, und er rüttelte Iva scharf an den Schultern. „Dazu hätte Wilson kein Recht!“ stürmte er. „Ich habe die Eroberung des Raumschiffes aus Thayns Händen ermöglicht — und dennoch liefert er sie aus, ohne mir gegenüber auch nur ein Wort davon zu erwähnen.“ Iva ließ den Kopf hängen. „Er wußte nur zu gut, daß du Einwendungen zu machen hättest, und deshalb ließ er dich nicht wecken.“ Wie zur Verteidigung ihres Vaters fügte sie hastig hinzu: „Aber obgleich er von dem Geheimnis des Lebens besessen ist, kann man ihn doch nicht
40 als grausam bezeichnen. Die Dritten Menschen mußten ihm das feierliche Versprechen geben, daß sie ihr weder körperlich noch seelisch den geringsten Schaden zufügen.“ „Na, bei diesen Schuften hat ein solches Versprechen bestimmt nicht viel zu bedeuten“, knurrte Hammond wild. Er war plötzlich von einem so zügellosen Haß besessen, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Die schlagartige Erkenntnis seines wahren Empfindens für Thayn Marden und die unmittelbar darauf folgende Tatsache ihrer tödlichen Bedrohung erschütterte ihn durch und durch. „Bitte, Kirk“, flüsterte Iva. Tränen schimmerten in ihren Augen, und erst jetzt merkte er, daß er ihre schmalen Schultern noch immer in einem festen Griff umklammert hielt. „Entschuldige, Iva“, murmelte er, indem er sie freigab. „Schließlich ist es nicht dein Fehler, und dennoch bist du zu mir gekommen, um mir alles zu sagen.“ „Mein Vater und Gurth Lund werden mich als Verräterin bezeichnen“, sagte sie. „Ich empfinde gewiß keine Liebe für die Vramen — aber vor diesen Dritten Menschen fürchte ich mich noch viel mehr. Ich kann mich wehren wie ich mag — aber ich muß immer an Thayns Worte denken, mit denen sie uns vor diesen Menschen gewarnt hat.“ Hammond versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hatte sich nie einsamer und hilfloser gefühlt als in diesem Augenblick — und dennoch faßte er den Entschluß, zu Thayn zu gehen, ganz gleich, welche Hindernisse er dabei zu überwinden haben mochte. „Weißt du, wo sie sich jetzt befindet?“ fragte er. „Vater erwähnte, sie wäre zu dem gleichen Raum gebracht worden, in dem ihr zuvor die Konferenz abgehalten habt“, antwortete Iva. „Ich weiß natürlich nicht, wo sich dieser Raum befindet.“ „Aber ich weiß es.“ Hammond überlegte rasch. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß der kleine, schwarze Strahler in seiner Tasche steckte, fragte er: „Schlafen sie alle?“ Iva nickte. „Ich habe gewartet, bis sie alle schliefen, damit ich zu dir kommen und dir alles berichten konnte.“ „Warte hier, bis ich herausgefunden habe, ob ich zu diesem Raum gelangen kann oder nicht“, sagte Hammond. „Sollte inzwischen jemand aufwachen, darfst du ihm nichts davon sagen.“ Er ging auf den Korridor hinaus und kam an den Türen vorüber, hinter denen die Hoomen schliefen. Er folgte dabei dem Weg, auf dem sie hergeführt worden waren und bog um eine Ecke. In der Mitte des Ganges stand ein Roboter. Die Maschine richtete den Blick der bizarren Linsen auf ihn und sprach mit seiner gleichtönigen, metallisch klingenden Stimme. „Welches sind Ihre Wünsche? Wenn Sie die Absicht haben, irgendwohin zu gehen, muß ich meiner Anweisung folgen und meine Herren rufen.“ Hammond blieb stehen, und der Roboter wiederholte die gleichen Worte. Als das Ding zur dritten Wiederholung ansetzte, wandte er sich kurz um und kehrte zu dem Raum zurück, den er eben verlassen hatte. „Wir sind praktisch Gefangene“, sagte er zu Iva. „Wir werden von Robotern bewacht.“ Ihr besorgter Gesichtsausdruck vertiefte sich. „Dann trauen uns also diese Dritten Menschen nicht über den Weg? Das will mir gar nicht recht gefallen.“ Hammond trat ans Fenster. Die Stadt Vonn schlief in dem merkwürdig bläulichen Licht. Alles war ruhig, und nur
41 aus der Gegend der großen Schmiede kam das hämmernde Geräusch. Über der Stadt hing das sonderbar nebelhaft beleuchtete Firmament, das auf diesen Planeten im Herzen des Trifid-Systems herabfiel. In diesem riesigen Gebäude hier schien alles ruhig zu sein. Zwischen den auf dem Platz vor dem Gebäude abgestellten Flugzeugen bewegten sich ein paar dunkle Schatten — aber das war auch alles. Er wandte sich wieder an Iva. „Ich werde an der Wand hinunterklettern“, sagte er rasch. „Hilf mir, ein Seil zu drehen.“ Sie zerrissen die Bettdecke in schmale Streifen und knüpften ein Seil daraus. Hammmond befestigte es am Fensterkreuz, überprüfte die einzelnen Knoten noch einmal und ließ es dann hinabfallen. Er schwang sich über das Fenstersims und ließ sich an dem Seil hinunter, während Iva ihm aus dem Fenster nachschaute. Bald hatte er festen Boden unter den Füßen, und er kauerte erst mal einen Augenblick in der Deckung der hohen Wand. Dabei umklammerte seine Faust den kleinen, schwarzen Strahler, und er schaute sich lauschend nach allen Seiten um. Langsam schlich er an der Wand entlang, bis er an eine Tür kam. Er öffnete sie und spähte schnell hinein. Nachdem er durch die Tür geschlüpft war, befand er sich auf einem matt erleuchteten Korridor, und er versuchte, sich zu orientieren. Wenn seine etwas verschwommenen Erinnerungen richtig waren, dann mußte sich der Raum, in dem sie die Konferenz abgehalten hatten, irgendwo auf der rechten Seite befinden. Das war der Flügel des Gebäudes, der dem Platz mit den abgestellten Flugzeugen zugewandt war. Hammond schlug die entsprechende Richtung ein und schlich über den Korridor. Er gelangte an eine Kreuzung, und ehe er den Weg fortsetzte, vergewisserte er sich sorgfältig, daß die Luft nach allen Seiten rein war. Plötzlich vernahm er das unterdrückte Gemurmel von Stimmen, die auf ihn zukamen. Er rang nach einem hastigen Entschluß: sollte er einfach auf die Männer zugehen, oder wäre es besser, sich schnell irgendwo zu verstecken? Ein einziger Schrei dieser Männer konnte das ganze Gebäude alarmieren, und er entschloß sich für die letztere der beiden Möglichkeiten. Geräuschlos schlich er zur Kreuzung zurück und folgte dem langen Korridor, bis er an eine Tür gelangte, die sich öffnen ließ. Er huschte über die Schwelle in einen dunklen Büroraum und duckte sich hinter der Tür. Das Stimmengewirr wurde lauter, und als er durch den schmalen Türspalt spähte, fiel sein Blick auf zwei hohe Gestalten. Die Dritten Männer kamen direkt an dieser Tür vorüber, und dabei konnte er auch ihre Worte verstehen. „Das ist wirklich eine schlechte Nacht für die Vramen“, sagte einer der beiden mit spöttischem Humor. „Und auch für die Vierten Menschen“, fügte der andere grimmig hinzu. Sie setzten ihren Weg fort, und ihre Stimmen verhallten im Hintergrund des langen Korridors. Hammond blieb noch einen Augenblick hinter der Tür, denn die Worte der beiden Männer hatten ihn erschreckt. Wer waren diese Vierten Menschen? fragte er sich. Existierte hier auf Althar noch eine weitere Rasse, von der er noch gar nichts gehört hatte? Es war nicht der richtige Zeitpunkt für Überlegungen. Er schlich wieder über den Gang und folgte dem Weg, auf dem die beiden Männer gekommen waren. „Wenn ich nur nicht auf einen Roboter treffe . . .“, murmelte er vor sich hin. Er fürchtete sich vor diesen Robotern, die sich vollkommen geräuschlos auf ihren Rädern bewegen konnten. Verzweifelt irrte er durch die einzelnen Gänge und Korridore des schlafenden Gebäudes. Wenn er sich nur besser an den Weg erinnern könnte, dem sie am Vormit-
42 tag gefolgt waren! Irgendwo am Ende eines Ganges hörte er ein schwaches, eintöniges Geräusch. Langsam schlich er darauf zu, und da sah er auch eine verschwommene Bewegung. Im nächsten Augenblick schämte er sich seiner Furcht, denn die Bewegung kam von einer Rolltreppe, deren Mechanismus leise schnurrte. Er schöpfte wieder Hoffnung, denn das war genau die Rolltreppe, über die sie der Roboter geführt hatte. Wenn das stimmte, dann kannte er den Weg von hier aus. Ja, es war der richtige Weg. Eine Minute später stand er vor der Tür des Raumes, in dem sie die Konferenz mit den Dritten Menschen durchgeführt hatten. Hammond preßte das Ohr gegen die Türfüllung und lauschte. Nichts. Er drückte auf ein Paneel, und die Tür öffnete sich lautlos. Am hinteren Ende des langen, dunklen Tisches saß Thayn Marden an ihren Stuhl gefesselt. Sie blickte ihm entgegen, und ihr Gesicht war jetzt wieder vollkommen klar. Sie machte einen erschöpften Eindruck. Ihre blauen Augen öffneten sich weit, als sie Hammond erkannte. „Hinter dir!“ rief sie. Er hörte ein schwaches Geräusch hinter sich und wirbelte herum. Aus der Ecke des Raumes kam ein Roboter auf ihn zugerollt. „Hier darf niemand eintreten!“ sagte die mechanische Stimme. „Nach dieser Warnung muß ich zum Angriff übergehen. Kehren Sie sofort um!“ Hammond richtete den kleinen Strahler auf den Roboter und drückte den kleinen Schieber nach vorn. Er gab sich der verzweifelten Hoffnung hin, daß der Strahler den Stromkreislauf des Roboters unterbrechen könnte. Der Strahler hatte keine Wirkung. Ohne die Warnung zu wiederholen, kam der Roboter schnell auf ihn zugerollt, und seine langen, mit den Zangen versehenen Arme griffen nach ihm. „Spring hinauf, Kirk!“ rief Thayn Marden. „Spring auf den Kopf!“ Er hatte sich durch einen schnellen Sprung retten können, aber der Roboter wirbelte sofort herum und griff wieder nach ihm. Hammond duckte sich verzweifelt, und dann sprang er mit einem gewaltigen Satz auf den flachen, viereckigen Kopf des Roboters. Dieser rollte jetzt mit unglaublicher Geschwindigkeit in die einzelnen Ecken des Raumes. Hammond befürchtete zunächst, daß der Roboter ihn abschütteln wollte, aber dann merkte er, daß dieser immer wieder suchend durch den Raum rollte. Der Mechanismus konnte ihn hier oben nicht wahrnehmen. In schneller Erkenntnis der Lage hatte Thayn Marden den einzig sicheren Platz gefunden. Hammond kauerte auf dem kastenförmigen Kopf des Roboters; er beugte sich ein wenig vor und knallte den schwarzen Strahler gegen die Augenlinse. Sie zersprang mit einem leisen Knacken. Es kam Hammond fast vor, als hätte er einem lebenden Wesen das Auge ausgeschlagen. Er biß die Zähne zusammen, holte zu einem weiteren Schlag aus und zerschmetterte auch die andere Linse. Es kam, wie er es gehofft hatte: irgendwo im Inneren des Roboters schaltete sich die automatische Sicherungsanlage ein, und das Ding blieb bewegungslos stehen. Hammond sprang schweratmend hinunter und trat auf Thayn zu. Ihr Gesicht war sehr bleich, und die großen, blauen Augen waren voll auf ihn gerichtet. „Haben sie dich verletzt?“ fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich war stundenlang unter Hypnose, während sie mich ausfragten.“ Ihr Gesicht zuckte gequält. „Noch nie zuvor war ihnen ein Vrame als Gefangener in die Hände gefallen, und sie haben viel von mir erfahren — viel zuviel!“ Er kniete neben ihr und untersuchte die Fesseln, mit denen ihre Handgelenke an den Stuhl gebunden waren. Die Fesseln bestanden aus kräftigen Plastikspiralen, und sie waren schwerer zu öffnen als Stahlfedern.
43 „Ich muß dir etwas sagen, Kirk“, flüsterte Thayn erregt. „Wenn du mich jetzt befreist, muß ich sofort versuchen, meine Freunde in Sharanna zu erreichen, um sie vor den Plänen der Dritten Menschen zu warnen.“ Er hatte inzwischen die erste Plastikspirale aufgebogen und zerrte jetzt an der zweiten. „Was planen sie denn?“ fragte er, ohne aufzuschauen. „Einen Generalangriff auf Sharanna! Sie haben das schon oftmals vergeblich versucht — aber da sie jetzt aus dem von euch Hoomen mitgebrachten Material Waffen schmieden können, wird dieser Angriff wesentlich gefährlicher werden als alle bisherigen. Du darfst mir glauben, daß sie euch nur ausnutzen — in ihren Augen seid ihr nichts als Tiere!“ „Das glaube ich dir ohne weiteres“, murmelte er, während er noch immer an der Plastikspirale zerrte. „Sie dürfen auf keinen Fall in die Galaxis gelangen, Kirk! Das war stets unsere größte Befürchtung. Wenn sie uns jetzt schlagen können und . . .“ Sie brach ab, und Hammond wurde an die Worte der Dritten Menschen erinnert, die er vorhin aufgeschnappt hatte. „Wer sind die Vierten Menschen, Thayn?“ fragte er. Die Frage schien Thayn zu erschrecken. „Wie kannst du — es ist eine weitere Rasse, die hier auf Althar lebt. Jetzt bleibt uns keine Zeit zu langen Erklärungen, denn die Männer, die mich ausgefragt haben, geben nur einen vorläufigen Bericht ab und kommen dann gleich wieder her!“ Endlich hatte er auch die zweite Plastikspirale aufgebogen — aber ehe Thayn sich aufrichten konnte, ergriff er ihre beiden Handgelenke und schaute ihr forschend in die Augen. „Du hast mich schon einmal mit einem Trick bezwungen, Thayn. Willst du mich jetzt wieder hinters Licht führen?“ Ihre strahlenden Augen wichen seinem Blick nicht aus. „Nein.“ „Du weißt doch, weshalb ich hergekommen bin, nicht wahr?“ „Sprich nicht davon“, flüsterte sie. „Warum sollte ich nicht davon sprechen? Ich bin dumm, genug, dir jetzt zu erklären, daß ich dich liebe und hoffe, die Liebe erwidert zu sehen.“ Ihre vollen Lippen zuckten. „Ja, aber ...“ Er wartete nicht länger. Er küßte sie, und sie erwiderte den Kuß mit einer verzweifelten Leidenschaft. Dann löste sie die Hände von seinem Nacken. „Es ist hoffnungslos! Wir Vramen können niemanden wirklich lieben. Ich dachte, ich hätte all solche Gefühle längst vergessen.“ „Warum ist es hoffnungslos, Thayn?“ fragte er drängend. „Was hält uns voneinander getrennt?“ „Ein Abgrund, der größer ist als Raum und Zeit“, antwortete sie, und in ihren Augen schimmerten Tränen. Mit einer behutsamen Bewegung schob sie ihn von sich und stand auf. Hammond stand im Wirbel vieler auf ihn eindringender Empfindungen. Er kannte die unmittelbare Gefahr, in der sie sich hier befanden, und Thayns Worte hatten seinen Eindruck von den auf diesem Planeten des Lebens lauernden Gefahren noch verstärkt. Über alle Gedanken hinweg kam ihm nur zu Bewußtsein, daß er eine Frau liebte, die nicht zu seiner eigenen Rasse gehörte, und daß diese Liebe von ihr erwidert wurde. „Wir haben nur eine einzige Chance zur Flucht — und zwar in einem ihrer Flugzeuge!“ Thayns drängende Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Ich kenne mich in der Bedienung aus, denn wir haben schon einige von ihnen erbeutet.“ Hammond versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
44 „Ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen, Thayn.“ „Hilfst du ihnen denn, wenn du hierbleibst, so daß ihr alle von den Dritten Menschen umgebracht werdet? Du kannst ihnen jetzt nur helfen, indem wir rechtzeitig Sharanna warnen.“ Er blieb unentschlossen stehen. „Ich habe sie um deinetwillen schon einmal verraten.“ Sie trat dicht auf ihn zu und blickte ihm forschend in die Augen. „Glaubst du wirklich, daß ich dich jetzt anlüge?“ Er umfing ihr Gesicht mit einem Blick, und das genügte. In diesem einen langen Augenblick ging in seinem Herzen etwas Endgültiges vor: nichts auf der Welt würde ihm von jetzt ab mehr bedeuten als diese Frau, die hier vor ihm stand. „Nein“, erwiderte er. „Ich habe keine Zweifel mehr. Gehen wir!“ Das ungewohnte Licht des nächtlichen Firmaments senkte sich auf sie herab, als sie sich auf dem Gebäude schlichen. Unterwegs waren sie niemandem begegnet, aber wenn die Männer, die Thayn zuvor ausgefragt hatten, jetzt zurückkehrten, dann durften sie keine einzige Sekunde verlieren. Sie blieben einen Augenblick vor der Tür stehen, spähten vorsichtig nach allen Seiten und liefen dann zu dem Platz hinüber, wo die schwarzen Flugzeuge abgestellt waren. Zwischen den Flugzeugen war alles ruhig. Hammond warf hastig einen Blick auf das hohe Gebäude zurück, das sich gegen den, hellen Horizont abzeichnete — aber auch dort war niemand zu sehen. Sie erreichten das am nächsten stehende Flugzeug, und Thayn kletterte bereits mit geschmeidigen Bewegungen in die kleine Pilotenkanzel, als hinter Hammond plötzlich die metallische Stimme eines Roboters erklang. „Bitte die Ausweise vorzeigen!“ Hammond wirbelte herum und starrte in die Linsen des Roboters. „Bitte die Ausweise vorzeigen! Nach dieser zweiten Warnung muß ich den Alarm auslösen!“ „Rasch von der Tragfläche weg!“ rief Thayn aus der kleinen Kabine. Hammond und der Roboter standen unmittelbar vor der breiten Tragfläche des Flugzeuges. Er erkannte Thayns Plan und schnellte zur Seite. Der Roboter schickte sich an, ihm zu folgen — aber im gleichen Augenblick heulte der Motor auf, und das Flugzeug schoß vor. Die Tragfläche ergriff den Roboter und schleuderte ihn seitlich zu Boden. Dabei prallte er gegen die Tragfläche des nächsten Flugzeugs und blieb dann hängen. Sein Mechanismus wurde jedoch durch den Aufprall nicht ausgeschaltet, und jetzt begann er wie eine Alarmsirene zu heulen. Thayn hatte das Flugzeug angehalten, und Hammond kletterte schnell in die Kabine. „Festhalten!“ rief Thayn vom Pilotensitz. Die Rotoren begannen sich zu drehen, und das Flugzeug stieg senkrecht empor. Während Hammond sich an seinen Sitz klammerte, bediente Thayn einige Hebel, und das Flugzeug schoß jetzt waagerecht über die Stadt hinweg. In wenigen Augenblicken hatten sie Vonn hinter sich und flogen jetzt über die freien Flächen. Bald tauchten die ersten Mooshügel unter ihnen auf, die im Schein der nebelhaften Beleuchtung lagen. „Sie werden uns verfolgen“, sagte Thayn. „Schau ständig nach hinten!“ Hammond wandte den Kopf, und nach einer Weile erkannte er ein paar glitzernde Punkte am Horizont. Weiter und weiter jagten sie, und die Plastikwände des Flugzeuges erhitzten sich immer mehr. Sie flogen unmittelbar über den Mooswäldern, und der Ausblick war schwindelerregend. Die Verfolger schoben sich langsam näher heran. „Sie kennen sich in der Bedienung dieser Flugzeuge besser aus als ich, und mittler-
45 weile haben sie uns bestimmt schon auf ihren Radarschirmen“, sagte Thayn. Hammond blickte auf ihr klares Profil, das in das matte Licht der Armaturenbeleuchtung getaucht war; ihr Gesicht war gespannt, aber es verriet nicht die geringste Furcht. Ihre schlanken Hände glitten über die einzelnen Instrumente und Hebel. Er vergaß die drohende Gefahr, und er war plötzlich sehr stolz. Sie mochte nicht gerade eine in jeder Beziehung menschliche Frau sein — aber sie war die schönste Frau, die er je im Leben gesehen hatte, und diese Frau hatte er für sich gewonnen! Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Wir können Sharanna nicht erreichen, denn wir werden zuvor in die Reichweite ihrer Waffen kommen. Nur eine einzige Chance bleibt uns.“ Hammond murmelte vor sich hin. Thayn spähte nach vorn. „Der schwarze See dürfte nicht mehr weit sein. Wenn wir ihnen vortäuschen könnten, daß sie uns abgeschossen haben . . .“ Noch immer fegten sie über die Mooshügel hinweg. Plötzlich tauchte vor ihnen inmitten der Mooswälder die glitzernde Oberfläche eines kleinen Sees auf. „Da ist er!“ rief Thayn. „Öffne die Kabinentür und warte, bis ich die automatische Steuerung eingeschaltet habe.“ Er öffnete die kleine Tür und klammerte sich am Türrahmen fest, während der scharfe Wind an ihm zerrte. Die Geschwindigkeit des Flugzeugs verringerte sich merklich, und sie sanken so tief hinunter, daß sie fast die Mooshügel berührten. „Nimm meine Hand und spring im gleichen Augenblick hinaus wie ich!“ rief Thayn ihm ins Ohr. In Hammonds Augen sah es nach Selbstmord aus — aber einerseits regte sich in ihm der Stolz, und andererseits hatte er grenzenloses Vertrauen zu Thayn. Er umspannte ihre schmale Hand. „Los!“ rief sie, und sie sprangen nebeneinander durch die Tür. 8. Kirk Hammond erwartete einen heftigen Aufprall bei diesem Sturz aus dem Flugzeug — aber sie landeten mitten in einem weichen Mooshügel, der den Anprall auffing. Thayn hatte genau den richtigen Augenblick zum Absprung berechnet. Während sie im weichen Moos lagen, setzte das führerlose Flugzeug den Weg fort und schwebte nun über dem dunklen Wasser des kleinen Sees. Im nächsten Augenblick schwirrten die Flugzeuge der Dritten Menschen über ihre Köpfe hinweg. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie das führerlose Flugzeug über dem See eingeholt. Von der Anwendung einer Waffe war nichts zu sehen oder zu hören — aber plötzlich stürzte das Flugzeug getroffen ab und versank im dunklen Wasser. Eine steile Fontäne erhob sich an der Stelle, aber bald glätteten sich die Wellen wieder, und die Oberfläche des Sees war so ruhig wie zuvor. „Sie werden denken, daß wir noch in der Kabine sind“, sagte Thayn, während sie neben Hammond im Moos kauerte. „Es sei denn, sie haben unseren Trick durchschaut.“ Die Flugzeuge der Dritten Menschen kreisten eine Weile über der Absturzstelle. Als hätten sie sich vergewissert, daß den Absturz niemand überlebt hatte, wandten sie sich um und schlugen den Rückweg nach Vonn ein. „Wir sind ihnen entkommen“, sagte Thayn erleichtert. Ihr Gesicht spannte sich wieder. „Aber wir sind noch ziemlich weit von Sharanna entfernt, und wir können es jetzt nur noch zu Fuß erreichen.“ Hammond half ihr den Mooshügel hinunter, und als sie den festen Boden erreichten,
46 schlug sie sogleich die entsprechende Richtung ein. „Wir müssen um den See herum und dann auf die nördlichen Berge zu“, sagte sie. „Sharanna liegt in diesen Bergen.“ Es war eine merkwürdige Sache, dieser Marsch durch die nächtlichen Mooswälder von Althar. Über ihnen schimmerte das nebelhafte Licht des nächtlichen Firmaments. Die Wellen des dunklen Sees plätscherten ans Ufer, und das war das einzige Geräusch in dieser Stille. Weit und breit war keinerlei Leben zu erblicken. „Die Zeit drängt, und wir sind noch viele Stunden von Sharanna entfernt“, sagte Thayn, indem sie ihre Schritte beschleunigte. „Auch wenn es den Dritten Menschen gelingen sollte, aus den von uns mitgebrachten Materialien eine Waffe zu schmieden, dann dürfte das doch einige Zeit in Anspruch nehmen“, erwiderte Hammond. Sie schüttelte den Kopf. „Du kennst ihre wissenschaftlichen Errungenschaften nicht. Sharanna wird nur von verhältnismäßig wenig Vramen bewacht, und die Dritten Menschen werden in großen Scharen angreifen. Sie haben lange auf diese Chance warten müssen, um die Vramen schlagen zu können — ja, und auch ihre eigenen Kinder.“ Hammond schaute sie verdutzt an. „Das hört sich an, als wären sie ihren eigenen Kindern feindlich gesinnt. Wo halten sich denn diese Kinder eigentlich auf?“ Ein dunkler Schatten huschte über Thayns Gesicht. „Du hast mich vorhin nach den Vierten Menschen befragt. Ich will dir sagen, wer die Vierten Menschen sind: die Kinder der Dritten Menschen!“ Er blieb überrascht stehen. „Aber warum haben sie einen solchen Namen? Und warum...“ Er brach kopfschüttelnd ab und schaute Thayn an. „Ich habe von Anfang an das Gefühl gehabt, daß es auf diesem Planeten schreckliche Geheimnisse gibt. Was hat das alles zu bedeuten, Thayn? Jetzt habe ich mir doch gewiß das Recht erworben, darüber aufgeklärt zu werden, nicht wahr?“ „Ja“, entgegnete sie. „Das Recht hast du.“ Dennoch schien es, als müßte sie sich zu den Worten zwingen. Sie begann mit der Frage: „Was haben die Dritten Menschen dir über ihren Ursprung erzählt?“ Er zuckte die Schultern, „Nicht viel; sie erwähnten lediglich, daß sie auf diesem Planeten geboren wären.“ „Das stimmt“, sagte Thayn. „Sie wurden hier vor vielen Jahrhunderten geboren — und ihre Eltern waren die Vramen.“ Die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage war von einer so betäubenden Wucht, daß es eine Weile dauerte, bis Hammond die Sprache zurückfand. „Diese unmenschlichen Dritten Menschen — Kinder der Vramen!“ murmelte er schließlich. „Das ist unmöglich, Thayn!“ „Ich wünschte, es wäre so“, erwiderte sie, „aber es ist die volle Wahrheit. Daher stammt ja auch ihr Name. Die Hoomen sind die direkten Nachkommen der ersten Menschen. Wir Vramen sind die Zweiten Menschen. Die Kinder der Vramen sind durch Veränderungen der Erbmasse zu den Dritten Menschen geworden. Ihre Kinder wiederum bilden durch die gleichen Veränderungen die Vierten Menschen.“ Sie ergriff seine Hand und setzte sich wieder in Bewegung. „Wir dürfen keine Pausen einlegen, Kirk, denn wir müssen Sharanna so schnell wie möglich erreichen.“ Unterwegs sprach Thayn weiter, und sie berichtete von der Tragödie der Vramen. „Es begann vor etwa zweitausend Jahren, als einige Wissenschaftler der Hoomen die innere Beschaffenheit des Trifid-Systems erkundeten und dabei auf diesen Stern und seinen Planeten stießen. Sie landeten hier auf Althar, um die merkwürdigen Strahlen dieses Sternes zu untersuchen. Nachdem sie sich einige Wochen hindurch
47 diesen Strahlen ausgesetzt hatten, begann die einzigartige Wirkung dieser hohen Frequenzen: die Zellen ihrer Körper wurden regeneriert und biologisch so zusammengesetzt, daß sie nicht mehr altern und absterben konnten. Sie wurden die ersten Vramen.“ „Das hat mir Jon Wilson damals in den unterirdischen Katakomben erzählt“, warf Hammond ein. „Dann wählten sie andere Hoomen aus und brachten sie ebenfalls her, um aus ihnen Vramen zu machen.“ „Ja“, sagte Thayn. „Sie träumten davon, im Laufe der Zeit aus allen Hoomen Vramen zu machen. Sie brachten andere Hoomen zum Planeten Althar, und in der Region des Nordpols bauten sie die Stadt Sharanna. Und dann ...“ Und dann; erfuhr Hammond, machten sie eine schreckliche Entdeckung: sie waren in eine biologische Falle getappt. Inzwischen waren hier Kinder geboren worden — und diese Kinder waren weder Hoomen noch Vramen. Es war eine vollkommen neue Rasse mit hohen Gestalten, sechsfingrigen Händen und geistigen Fähigkeiten, die die ihrer Eltern weit übertrafen. Das waren die Dritten Menschen! Die Vramen erkannten zu ihrem Entsetzen, daß die Strahlen dieser einzigartigen Sonne nicht nur ewiges Leben verliehen sondern gleichzeitig die Drüsenfunktionen und damit die Erbanlagen veränderten. Die Vramen hatten natürlich aufgrund ihrer Kenntnisse über Frequenzstrahlungen mit einigen leichteren Veränderungen der Erbfaktoren gerechnet, und sie hatten auch zur Vorsicht eine gewisse Geburtenkontrolle eingeführt. Eine so ungeheure Mutation hatten sie jedoch nicht in Betracht gezogen, denn hier war eine völlig neue Rasse entstanden. Hammond erfuhr weiterhin, daß die Vramen sich viel von dieser neuen und so überaus reichlich mit Fähigkeiten ausgestatteten Rasse versprochen hatten. Als die Dritten Menschen heranwuchsen, waren diese Hoffnungen zum Scheitern verurteilt. Die psychologische Kluft zwischen, ihnen und ihren Eltern war unüberbrückbar. Selbst die Gefühle ihrer Eltern waren ihnen völlig fremd. Die Entwicklung der. Mutation verlieh ihnen in geistiger und körperlicher Beziehung enorme Kräfte und Fähigkeiten — aber es war, als geschähe dies auf Kosten des Gemüts. Als die Dritten Menschen heranwuchsen, bildete sich in ihnen die unumstößliche Überzeugung, daß sie vom Schicksal zur Beherrschung der gesamten Galaxis auserkoren waren. Sowohl die Hoomen als auch die Vramen waren in ihren Augen minderwertige Geschöpfe, denen sie ihre Herrschaft aufzwingen mußten. „Auf diese Weise wurden die Vramen zu einer Entscheidung getrieben“, fuhr Thayn in ihren Erklärungen fort. „Ihre eigenen Kinder, diese neue und fremdartige Rasse, stellte für alle Bewohner der Galaxis eine drohende Gefahr dar, und deshalb durften sie den Planeten Althar unter keinen Umständen je verlassen. Ehe es zu spät war, ergriffen die Vramen die erforderlichen Maßnahmen gegen ihre Kinder . . .“ Hammond konnte sich nur zu gut vorstellen, wie schwer es ihnen gefallen sein mußte, derartige Maßnahmen gegen ihre eigenen Kinder zu ergreifen. „Und die Vramen zwangen sie zum Verlassen von Sharanna“, nahm Thayn den Faden wieder auf. „Die Dritten Menschen, denen jegliches Gefühl für ihre eigenen Eltern fehlte, bauten eine neue Stadt und nannten sie Vonn. Im weiteren Verlauf der Jahre erzielten sie mit ihrer überlegenen Intelligenz mancherlei wissenschaftliche und technische Fortschritte. Sie hätten zweifellos den Versuch unternommen, Sharanna zu erobern und ihre Eltern von diesem Planeten zu jagen, wenn sich nicht unvermittelt neue Gesichtspunkte ergeben hätten, die die ganze Sachlage von Grund aus veränderten.“ Die Dritten Menschen hatten untereinander geheiratet und Kinder bekommen. Die Strahlen dieser Sonne, die bereits eine Mutation verursacht hatte, riefen nunmehr
48 eine zweite ins Leben. Die Kinder der Dritten Menschen waren ganz und gar nicht wie sie selbst. Es war wiederum eine vollkommen neue Rasse: die Vierten Menschen. Diese Vierten Menschen standen in jeder Beziehung auf einer anderen Entwicklungsstufe. Sie waren ausschließlich rein geistige Wesen, wie sie bislang in der menschlichen Rasse in dieser Form noch nie existiert hatten, und sie verabscheuten jede körperliche Anstrengung oder Aktion. Der Streit zwischen ihren Eltern und Großeltern interessierte sie überhaupt nicht. Sie lebten ausschließlich in der Welt ihrer Gedanken. Ihre Eltern, die Dritten Menschen, hatten vorausgesehen, daß ihre Kinder Mutanten wären — und sie hatten sich dabei der Hoffnung hingegeben, daß sie die enormen geistigen Fähigkeiten dieser neuen Rasse für ihre eigenen Zwecke einsetzen könnten. Aber die Vierten Menschen, denen Aktion und Ehrgeiz verhaßt waren, ließen sich nicht auf diese Weise ausnützen. Nachdem sie aufgewachsen waren, verließen sie ihre Eltern und bauten sich eine eigene, neue Stadt, wobei sie sich strikt weigerten, irgendeine Verbindung mit den Vramen oder den Dritten Menschen aufzunehmen. „Und dort“, schloß Thayn, „haben sie die ganze Zeit über in der Welt ihrer Gedanken gelebt, denn darin erblicken sie ihr eigentliches Lebensziel.“ Hammond war überwältigt von der Geschichtsepoche dieser Mutation der menschlichen Rasse in einer Welt des unendlichen Lebens. „Haben diese Vierten Menschen dann eine weitere Mutation verursacht?“ fragte er schließlich. Thayn schüttelte den Kopf. „Nein; die Vierten Menschen sind steril. Sie sind das ausgesprochene Endprodukt der menschlichen Entwicklung in dieser Welt. Aber natürlich haben sie unter den Strahlen dieser Sonne das gleiche lange Leben wie wir Vramen und die Dritten Menschen.“ Blitzartig wurden Kirk Hammond viele Dinge klar. Jetzt wußte er, warum Mar Kann Thayn so spöttisch gefragt hatte, ob sie vielleicht eine Frau wäre, die ihm besonders nahestand — und warum Thayn verächtlich geantwortet hatte, daß ihr diese Schande zum Glück erspart geblieben wäre. Er erkannte auch, warum Thayns Bemerkung über die geliebten Kinder der Dritten Menschen Mar Kann so tief getroffen hatte. „Und das ist der Grund“, fügte Thayn finster hinzu, „weshalb wir Vramen den Hoomen den Planeten Althar und das Geheimnis des Lebens vorenthalten haben.“ „Aber, du lieber Gott, warum habt ihr denn der ganzen Galaxis nicht einfach die Wahrheit gesagt?“ fragte Hammond betroffen. „Wenn den Menschen bekannt wäre, was hinter diesem Geheimnis des Lebens lauert, dann würde ihnen bestimmt die Lust dazu vergehen.“ Thayn schaute ihn forschend an. „Wirklich?“ Als Hammond die ganze Angelegenheit noch einmal durchdachte, wurde er unsicher. Der Wille zum Leben war das stärkste Element im Menschen. Angenommen, ein gewöhnlicher Sterblicher erfährt plötzlich, daß es eine Möglichkeit gibt, unsterblich zu werden. Er erfährt gleichzeitig, daß es da einen gewissen Haken gibt, nämlich, daß seine Kinder ihm sowohl in geistiger wie auch in körperlicher Beziehung weit überlegen sein werden. Würde diese Tatsache ihn davon abhalten, nach dem langen Leben zu trachten? Hammond mußte sich eingestehen, daß das wohl kaum der Fall sein würde. Die Kinder eines solchen Menschen, also die neue Rasse der Dritten Menschen, würden ebenfalls nach den Strahlen trachten, die ihnen langes Leben verliehen, und somit würde eine neue Mutation entstehen. Das führte dann zum Entstehen der sterilen Vierten Menschen — und damit war die menschliche Rasse in eine Sackgasse gera-
49 ten, aus der es keinen Ausweg gab. „Du hast recht, Thayn“, murmelte er schließlich. „Die Menschen würden diesen Stern umschwärmen wie die Motten das Licht.“ „Und im Laufe der Zeit würde die Flamme die menschliche Rasse verzehren“, erwiderte sie. „Es würde natürlich sehr lange dauern — aber zum Schluß wären nur noch die Vierten Menschen da — und dann nichts mehr.“ Sie schwieg eine Weile und hing ihren Gedanken nach. „Eins ist jedenfalls eine feststehende Tatsache: die Dritten Menschen sind nicht nur eine Bedrohung für die Vramen, sondern auch für die Vierten Menschen. Diese Tatsache könnte unter Umständen unsere Rettung bedeuten.“ Schweigend setzten sie den Weg durch die im hellen, nebelhaften Licht liegenden Mooswälder fort. Hammond war so in seine Gedanken über das eben Gehörte vertieft, daß ihm Thayns plötzliche Schweigsamkeit gar nicht auffiel. Er dachte wieder an den Baum des Lebens, dessen Früchte den Menschen verboten worden waren. Es schien ihm kein Zufall zu sein, daß dieser Stern des Lebens in der Tiefe des TrifidNebels verborgenlag, der nur schwer zu durchdringen war. Dennoch hatten ihn die Menschen gefunden — zu ihrem eigenen Schaden. Jetzt hatte auch er, Kirk Hammond, ihn erreicht, und bei dieser Erkenntnis kam ihm eine Frage in den Sinn. Viele Stunden vergingen, bis Thayn endlich anhielt und das Schweigen brach. „Wir müssen eine Pause einlegen, denn wir haben noch einen langen Weg vor uns.“ Hammond sagte sich, daß sie wahrscheinlich nicht so müde war wie er selbst. Er setzte sich neben sie am Fuße eines Mooshügels und betrachtete ihr Profil. Unvermittelt wandte sie den Kopf und schaute ihn voll an. „Hat sich dein Gefühl zu mir jetzt verändert, nachdem du weißt, daß ich zu einer ganz anderen Rasse gehöre?“ Er starrte sie verdutzt an. „Hast du die ganze Zeit hindurch über diesen Punkt gebrütet, Thayn? Ein für allemal: nein!“ Er ergriff ihre Schultern, aber sie wich kopfschüttelnd zurück, und auf ihrem bleichen Gesicht schimmerte ein tragischer Ausdruck. „Es hat keinen Zweck, Kirk. Du bist ein Hoomen, und als solcher wirst du dich nach Kindern sehnen. Keine Frau der Vramen darf aber eine Ehe eingehen und Kinder bekommen. Das alles lassen wir weit hinter uns, wenn wir uns den Strahlen dieser Sonne hingeben.“ „Aber, Thayn. . .“, begann er — doch sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. „Bei mir liegt diese Entsagung schon zweihundert Jahre zurück — und ich habe genau gewußt, was es bedeutete. Die Vramen, die mich seinerzeit einluden, ihrer Rasse beizutreten, haben mir die schreckliche Geschichte erzählt, was sich vor zweitausend Jahren abgespielt hat — genau so, wie ich sie dir vorhin erzählte. Ja, ich habe die Bedingungen genau gekannt, bevor ich nach Althar kam und zum Vramen wurde.“ Mit einer behutsamen Bewegung legte er ihr die Hand auf den Mund. „Jetzt laß mich mal reden. Du vergißt etwas, Thayn. Du vergißt, daß ich ebenfalls ein Vramen werde, wenn ich erst einige Zeit unter den Strahlen dieses Sternes gelebt habe.“ „Nein“, flüsterte sie. „Das darfst du nicht. Im Laufe der Zeit wirst du deine Entscheidung bereuen — und dann wirst du mich hassen.“ Er erwiderte nichts darauf. Dunkel ragten die hohen Mooshügel auf, und um sie herum herrschte die tiefe Stille des bizarren Mooswaldes, der in die nebelhafte Beleuchtung des nächtlichen Firmamentes getaucht war.
50 9. Sharanna, die Stadt der Vramen, tauchte am späten Nachmittag vor ihnen auf. Der Stern des Lebens stand tief am westlichen Horizont, und seine purpurnen, rötlichen und grünen Strahlen fielen auf das gigantische Gebäude, das zum Himmel emporragte. Hammond schauderte. Es schien ihm ein böses Omen zu sein, daß er die Stadt der Vramen beim ersten Anblick in dieses Licht getaucht sehen mußte. Es war, als läge bereits der Schatten der Vernichtung über ihr. Er vermochte nicht zu sagen, ob Thayn Marden sein Gefühl teilte oder nicht. Ihr bleiches Gesicht war den ganzen, bitteren Tag lang wie eine starre, ausdruckslose Maske gewesen. Sie war so unendlich weit von ihm entfernt, als weilte sie auf einem anderen Stern, und das schmerzte ihn tief. Dennoch spürte er mit feinem Empfinden, daß sie sich innerlich von ihm zurückzog, weil sie ihn liebte. Wieder und wieder hatte er sich bemüht, diese Schranke des Schweigens zu durchbrechen — aber schließlich hatte er sich damit abgefunden und war schweigend neben ihr hergegangen. Jetzt lag die Stadt Sharanna vor ihm. Die hohen Berge des Polargebietes waren in rötliche Nebelwolken gehüllt, und sie wirkten wie stumme Zuschauer in einer Arena, in der der Kampf auf Leben und Tod abrollen sollte. Thayns Schritte wurden immer schneller, und es fiel Hammond schwer, ihr in diesem Tempo zu folgen. Das in den Himmeln aufstrebende Gebäude lag hinter dem Raumhafen, und seine streng geordneten Linien standen in krassem Gegensatz zu den wild zerklüfteten Bergen der Umgebung. Hammond konnte keinerlei Verteidigungsanlagen erkennen. Zum erstenmal seit langen Stunden ergriff Thayn seine Hand. „Halte dich dicht bei mir und folge genau meinen Schritten, Kirk!“ sagte sie. Sie umspannte seine Hand mit einem festen Griff, und sie folgten einer imaginären Linie: ein paar Schritte in diese Richtung, dann ein paar in jene und schließlich wieder in eine andere. Er wußte, daß sie ihn durch ein breites Minenfeld führte. Vielleicht lag es nur an seiner Einbildung — aber seinen überreizten Nerven kam es vor, als wäre hier die ganze Luft elektrisch geladen. Thayns Hand war kühl — und er schämte sich ein wenig über die schweißfeuchte Innenfläche seiner eigenen Hand. Schließlich gab sie ihn frei. Sie standen unmittelbar vor dem aufragenden Gebäude. Hammond wischte sich verstohlen die Hände an der Jacke ab, und er sah die Vramen heranstürzen. Dann spielte sich alles sehr rasch ab. Hammond hatte mit dem allem nichts zu schaffen, denn dies war Thayns Welt und ihre Rasse — dennoch konnte er sich den auf ihn eindringenden Bildern nicht entziehen. Ehe er sich's versah, war er bereits im Innern des gigantischen Gebäudes. Die Stimmen hallten über weite Flure, und dann war er plötzlich in irgendeinem Vorzimmer, wo er von zwei schweigenden Vramen bewacht wurde. Er saß auf einem Stuhl und hörte, wie die ganze Stadt plötzlich zum Leben erwachte. Sirenen schrillten, Glocken läuteten und hastige Schritte eilten über die Korridore. Das Licht der fremdartigen Sonne drang durchs Fenster herein. Thayn sprach im Nebenraum mit den Führern der Vramen. Hammond wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als sich die Tür öffnete. Wahrscheinlich hatte es nicht lange gedauert, denn diese Menschen, die bisher so viel
51 Zeit zu ihrer Verfügung gehabt hatten, waren plötzlich zur Eile gezwungen. Thayn stand auf der Schwelle und bat ihn mit einer kurzen Handbewegung in den Raum. Fünf Männer saßen an einem Tisch. Sie wirkten älter als alle Vramen, die Hammond bislang zu sehen bekommen hatte. Es waren keineswegs Greise — aber sie sahen aus, als hätten die vergangenen Jahrhunderte ihre Spuren in diese Gesichter gegraben. In ihren klaren Augen schimmerte Intelligenz und Weisheit — aber im Augenblick lag noch ein anderer Ausdruck darin. Sie betrachteten Hammond, wie Männer ein Kind betrachten mochten, das verbotenerweise mit dem Feuer gespielt hat. „Es ist hart“, sagte einer von ihnen, „den Wunsch zu unterdrücken, dich auf der Stelle zu töten.“ Er stand unvermittelt auf und wandte Hammond den Rücken zu, als fürchtete er, die Beherrschung zu verlieren. „Ich habe ihnen berichten müssen, wie sich alles abgespielt hat“, sagte Thayn. Hammond schwieg. Es gab keine Worte zur Erklärung seines ungeheuren Fehlers — und dennoch war er überzeugt, daß es ein ehrlicher Fehler war, für den die Vramen zum Teil selbst verantwortlich waren. Offensichtlich war der Mann hinter dem Tisch auch zu diesem Schluß gekommen, denn er wandte sich plötzlich wieder um. „Vermutlich hat alles eines Tages so kommen müssen“, sagte er hart. „Wahrscheinlich ist es überhaupt ein Wunder, daß es so lange gedauert hat.“ Er schaute Hammond durchdringend an. „Thayn hat uns berichtet, daß sie dir die Möglichkeit zur Flucht von den Dritten Menschen zu verdanken hat — andernfalls wären wir überhaupt nicht gewarnt worden. Jetzt wirst du vor eine weitere Entscheidung gestellt. Diese Aufgabe übernimmst du, Thayn.“ Ihre Stimme hatte einen müden Unterton, und sie wich seinem Blick aus. „Ich will dir alles ganz klar vor Augen führen, Kirk, damit jeder Irrtum ausgeschlossen wird. Möglicherweise hängt dein Leben von der Entscheidung ab. Wir lassen sofort unsere Raumschiffe aufsteigen, um auf diese Weise zu verhindern, daß sie in die Hände der Dritten Menschen fallen. Du kannst an Bord eines dieser Raumschiffe gehen. Du kannst aber auch hierbleiben und dich auf dein Glück verlassen . . .“ „Was wirst du machen?“ fiel er ihr ins Wort. „Ich bleibe hier — aber . . .“ „Dann bleibe ich auch“, sagte er fest. Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. „Hör mich doch erst an, Kirk. Wir haben uns entschlossen, die Vierten Menschen um Hilfe und Unterstützung zu bitten. Das mag sich ganz einfach anhören — aber es ist ganz und gar nicht einfach. Die Vierten Menschen gestatten es niemandem, in ihre Nähe zu kommen. Ganz gleich, ob sich ein Dritter Mensch oder ein Vrame ihrem Aufenthaltsort nähert, er bekommt sogleich die hypnotische Kraft der Vierten Menschen zu spüren, die ihm gar keine Möglichkeit läßt, ihre Stadt zu erreichen, geschweige denn mit ihnen zu sprechen. Ich dachte . . .“ Sie zögerte, und alle Blicke der anwesenden Vramen waren jetzt auf sie gerichtet. Sie seufzte tief. „Ich dachte, daß du unsere einzige Hoffnung wärst, uns Zutritt in ihre Stadt zu verschaffen — falls du überhaupt bereit bist, uns zu helfen.“ „Ich verstehe nicht . . .“, murmelte Hammond. „Deine Vergangenheit, Kirk. Dein Ursprung. Die Vierten Menschen interessieren sich für die Wissenschaften. Vielleicht sind sie so stark an dem interessiert, was sie in deinen Gedanken lesen, daß sie dir Zutritt gewähren.“ Einer der am Tisch sitzenden Vramen ergriff das Wort. „Ohne die Hilfe der Vierten Menschen haben weder wir Vramen noch ihr Hoomen eine Chance, diesen bevorstehenden Kampf als freie Individuen zu überstehen. Den
52 Dritten Menschen ist jetzt die Möglichkeit in die Hand gegeben, uns alle zu überrennen. Es ist lediglich eine Maßnahme der Verzögerung, wenn wir durch das Aufsteigen der Raumschiffe verhindern, daß ihnen diese jetzt in die Hand fallen. Deine Freunde haben den Dritten Menschen die langersehnten Metalle und atomaren Geräte in die Hände gespielt. Sie werden sich sofort an die Aufteilung der einzelnen Elemente machen, und somit wird es nicht lange dauern, bis sie ihre eigenen Raumschiffe konstruieren können. Dann wird die Galaxis ihnen gehören, denn es gibt keine Macht, die ihnen widerstehen kann.“ „Mit Ausnahme der Vierten Menschen“, sagte Hammond. „Ja, mit Ausnahme der Vierten Menschen — falls es uns gelingt, sie für uns zu gewinnen und ihnen zu zeigen, daß sie sich jetzt einschalten müssen, ehe ihnen die Situation über den Kopf wächst. Es interessiert sie herzlich wenig, was aus uns oder auch aus der gesamten Galaxis wird. Vielleicht gelingt es uns, ihnen beizubringen, daß es sie interessieren müßte, was aus ihnen selbst wird.“ Hammonds Blick fiel durch das offene Fenster auf den Raumhafen, dessen Lichter jetzt eingeschaltet wurden. Die helle Fläche zeichnete sich von der dunklen Umgebung ab. Er fühlte sich müde und erschöpft, und sein Heimweh nach der eigenen Welt war wie ein körperlicher Schmerz. Er hatte seine ganze Energie in dem Kampf aufgebraucht, diesen Planeten zu erreichen und den Vramen das Geheimnis des Lebens zu entreißen. Der teuer errungene Sieg hatte sich in einen gräßlichen Alptraum verwandelt: alles war vergebens gewesen, und er steckte jetzt in einem Dilemma. Ja, er war unendlich müde. Er sehnte sich danach, sich auf der kleinen, so unendlich fernen Erde verstecken zu können, um alles zu vergessen, was hinter ihrem Horizont lag. Er wandte unvermittelt den Kopf und begegnete Thayns Blick. Sie schlug die Augen nieder, und ihre Wangen röteten sich. Er lächelte ein wenig, denn er sah, daß sie insgeheim gehofft hatte, er würde den Vorschlag ablehnen und sich an Bord eines der aufsteigenden Raumschiffe begeben, wo er zunächst einmal Sicherheit und Geborgenheit finden konnte. Diese Geborgenheit mochte für den Rest seines Lebens bestehen bleiben, denn bei all ihren Fähigkeiten würden die Dritten Menschen immerhin eine verhältnismäßig lange Zeit brauchen, um die ganze Galaxis zu erobern. Hammond wandte sich an den Führer der Vramen. „Mir bleibt eigentlich gar keine Wahl, nicht wahr? Wird mich jemand begleiten, oder soll ich es ganz allein versuchen?“ „Ich werde dich begleiten!“ rief Thayn rasch, indem sie auf ihn zukam. „Nein“, sagte der Führer der Vramen. „Die Vierten Menschen gewähren möglicherweise zwei von uns Zutritt — aber bestimmt nicht mehr, und der zweite muß aus verständlichen Gründen ich selbst sein. Mit einem anderen werden sie sich auf keinerlei Verhandlungen einlassen.“ „Aber Rymer!“ rief Thayn hitzig. „Ich dachte . . .“ Rymer schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, wie sie jegliches Gefühl verabscheuen. Ich fürchte, die Verbindung, die du mit einem Hoomen eingegangen bist, würde sie schockieren.“ Hammond stand gerade im Begriff, sich gegen diese unverhohlene Zurechtweisung von Thayn aufzulehnen, da legte sie ihm rasch die Hand auf den Arm. „Viel Glück, Kirk“, sagte sie. Sie lächelte ihm noch einmal zu, und dann ging sie hoch erhobenen Hauptes durch die weiße Tür. Hammond rief ihren Namen — aber sie schritt, ohne sich umzuwenden oder zu zögern, weiter durch den Raum, der in dieses seltsam fremde Farbenspiel von Purpur-
53 rot und Dunkelgrün getaucht war und wie ein Alptraum wirkte. Hammond rief noch einmal ihren Namen, und dann schickte er sich an, ihr zu folgen — aber Rymer schnitt ihm den Weg ab und stellte sich vor die Tür. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte er. Eine knappe Viertelstunde später jagte ihr kleines Flugzeug durch das nebelhafte Licht nach Osten. Die dunklen Umrisse der Berge blieben hinter ihnen zurück. Eine Zeitlang sah Hammond noch die strahlenden Lichter des gigantischen Gebäudes und das Aufblitzen der startenden Raumschiffe. Dann verschwand alles hinter ihnen. „Du solltest jetzt schlafen, solange sich dazu noch die Möglichkeit bietet“, sagte Rymer freundlich. Hammond glaubte nicht, daß er je wieder schlafen könnte. Unablässig hatte er das Bild Thayns vor Augen, und er war von einer innerlichen Kälte ausgefüllt, die ihn nicht verlassen wollte. Irgendwo brannte auf diesem dunklen Kontinent ein bläulich zuckendes Licht, und in der Stadt Vonn wurden Waffen geschmiedet, die Sharanna vernichten sollten. Er fragte sich, ob den Hoomen wohl inzwischen klargeworden war, was sie überhaupt angerichtet hatten. Er fragte sich weiterhin, ob sie überhaupt noch am Leben waren. Er fragte sich, wer wohl morgen um diese Zeit überhaupt noch am Leben sein mochte. Rymer rüttelte ihn, und erst jetzt merkte er, daß er gegen seinen Willen eingeschlafen war. Das Flugzeug war auf einer freien Fläche gelandet, wo es weit und breit weder einen Baum noch einen Mooshügel gab. Vor ihnen zeichnete sich ein hoher, dunkler Hügel ab, dessen Umrisse gegen den hellen Hintergrund des Horizontes zu erkennen waren. „Den letzten Teil des Weges müssen wir zu Fuß zurücklegen“, sagte Rymer, und dann fügte er hinzu: „So weit wir überhaupt kommen.“ Hammond vermutete, daß Rymer befürchtete, beim Eintreffen des hypnotischen Befehls die Gewalt über das Flugzeug zu verlieren und abzustürzen. Er folgte dem Vramen beim Verlassen der Kabine und schaute sich verdutzt nach allen Seiten um. „Ich sehe keine Stadt.“ Rymer deutete auf den dunklen Hügel. „Da — mitten im Felsen. Dort gibt es Tausende von Höhlen und Löchern. Sie leben wie Ameisen in einem Hügel. Doch dieser Hügel ist unzerstörbar.“ Er schüttelte den Kopf, und er sah aus wie ein Mann, der sich zu einer notwendigen, wenn auch verhaßten Aufgabe anschickt. „Komm“, sagte er. „Vergiß Thayn, wenn du es kannst. Denk an deine Vergangenheit und an die Lebensverhältnisse vor über zehntausend Jahren. Versuch, deine Gedanken darauf zu konzentrieren.“ Sie schritten auf den Hügel zu. Kirk Hammond dachte an die Erde, die gute alte Erde, die ihm nun für immer verloren war; er dachte an die Geräusche und Farben, und er dachte an das kalte Glitzern des Erdenmondes. Nur im Unterbewußtsein spürte er, wo er war und was er tat. Er war ganz und gar nicht auf das vorbereitet, was dann plötzlich geschah. Es war wie ein Tornado, der das gesamte Universum erschütterte — und doch ging alles ohne jegliches Geräusch ab und war nur in seinem Kopf vorhanden. Er konnte es nicht aushalten; er konnte sich nicht dagegen wehren. Er konnte nichts anderes tun, als blindlings weiterzulaufen. Er stürzte zu Boden, und er spürte einen bitteren Geschmack im Mund. Die Wucht des hypnotischen Angriffs war abgeschwächt — aber irgend etwas stimmte noch immer nicht in seinem Kopf. Er spürte, wie sich jemand mit seiner Vergangenheit beschäftigte — es war, als würden die einzelnen Blätter eines Buches aufgeschlagen werden.
54 Instinktiv versuchte er, aufzuspringen und zu laufen — aber er war keiner Bewegung fähig. Eiskalte Schauer, jagten über seinen Rücken. „Es ist dir gestattet, die Stadt zu betreten“, sagte eine Stimme. Hammond stand auf. Die Gegenwart hing wie ein dünner Faden vor ihm. Dieser Faden zog ihn mit sanfter, aber unwiderstehlicher Gewalt auf den Hügel zu. Rymer kam auf ihn zu und schritt neben ihm her. Hammond hörte seine keuchenden Atemzüge. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Hammonds Gedanken befanden sich in einer sonderbaren Verwirrung. Nichts war ihm mehr klar. Die Wand des Hügels ragte dunkel und undurchdringlich vor ihnen in den Nachthimmel auf. Nirgends war eine Art Öffnung zu erkennen — und dennoch gingen Hammmond und Rymer genau auf einen Punkt zu. Vor ihren Augen öffnete sich plötzlich lautlos eine kleine Tür. Sie betraten die Stadt der Vierten Menschen. Hammonds Betäubung legte sich ein wenig. Er schaute sich nach allen Seiten um. Er und Rymer befanden sich in einem kleinen. Raum, dessen Wände aus Glas zu bestehen schienen. An dem plötzlichen Druck unter den Füßen merkte er, daß sie sich in einer Art Aufzug befanden, der sie nach oben brachte. Dabei fiel ihm ein, daß ein etwaiger Eindringling hier niemals seinen Weg finden könnte — selbst wenn es ihm gelingen sollte, die verborgene Tür zu entdecken. Rymer hatte von einem riesigen Ameisenhügel gesprochen, der unzerstörbar war. Aber inzwischen waren einige Veränderungen vorgegangen: in Vonn schmiedeten die Dritten Menschen einen gigantischen Hammer, dessen Schlag diesen Hügel vollkommen zertrümmern könnte. Der Aufzug hielt an. Die Wand öffnete sich lautlos, und sie kamen auf einen Korridor, dessen Wände ebenfalls aus Glas bestanden und in mattes Licht getaucht waren, dessen Quelle nicht zu erkennen war. Der Gang war recht niedrig, so daß Hammond und Rymer sich ein wenig ducken mußten, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Unvermittelt stand jemand vor ihnen. Zuerst meinte Hammond, daß es sich um ein kleines Kind handelte. Es trug eine Art Hemdhose und war etwa einen Meter groß. Der Körper hatte die noch unentwickelten Formen eines Kindes. Der Kopf war im Verhältnis zum Körper viel zu groß. Die Gesichtszüge waren von einer seltsam fremdartigen Natur — aber keineswegs häßlich. Das Hervorstechendste jedoch waren die Augen: ihre Größe und strahlende Leuchtkraft erweckten den Eindruck, daß sie Dinge sahen, die den Augen eines gewöhnlichen Sterblichen für immer verborgen bleiben mußten. „Verehrter Großvater“, sagte der kleine Mann mit eisiger Ironie zu Rymer. „Ich bin Clede.“ Er richtete den Blick mit unverhohlenem Interesse auf Hammond. „Das ist der erste Hoomen, den ich im Leben zu sehen bekomme. Sein Geist ist ungeformt — aber in seinem Gedächtnis gibt es Anhaltspunkte über eine interessante Vergangenheit. Wir werden nur ein paar Augenblicke brauchen, um diese Angaben festzuhalten. In der Zwischenzeit, verehrter Großvater ...“ „In der Zwischenzeit“, fiel Rymer ihm hart ins Wort, „solltet ihr euch lieber mit meinem Kopf beschäftigen, damit ihr überhaupt seht, aus welchem Grund der Hoomen hergebracht worden ist.“ „Oh“, entgegnete Clede, „das ist doch bereits getan worden. Ich wollte dir gerade erklären, daß sich drei von uns deine Geschichte anhören wollen, während sich die anderen mit dem Hoomen beschäftigen. Bewegt euch bitte möglichst lautlos, denn Geräusche lenken die Gedanken ab.“ Clede führte sie über ein paar Gänge. Zu beiden Seiten der Gänge erblickte Kirk kleine Zellen, die kaum die Größe einer Kinderstube hatten. Auch diese Wände bestanden aus einer glasartigen Substanz. In jeder einzelnen Zelle saß ein kleiner Mann in tiefe Gedanken versunken.
55 „Da unsere Verständigung auf rein telepathischem Wege vor sich geht“, murmelte Clede, „können wir uns bei größeren Problemen zu einer Gruppe zusammenschließen. Die meisten von uns gehören ständig zu derartigen Gruppen, nur wenige können sich vollkommen frei mit anderen, privaten Dingen beschäftigen — und auch das ist eine schmerzliche Unterbrechung. Wir wollen es so kurz wie möglich machen.“ Rymer setzte zu einer harten Erwiderung an — aber er schloß den Mund wieder mit einem hörbaren Laut, ohne auch nur ein einziges Wort gesprochen zu haben. Hammond mußte gegen seinen Willen lächeln. Der Chef der Vramen, der ihm selbst in jeder Beziehung so unendlich überlegen war, wurde in Gegenwart dieser kleinen Kreatur unsicher und ängstlich. Dann aber fragte sich Kirk, warum er eigentlich lächelte. Die Situation war alles andere als komisch. Schließlich lag jetzt nicht nur sein eigenes und Thayns Leben in der Hand dieser kleinen Kreaturen, sondern das Leben aller Vramen und Hoomen überhaupt. Er schaute auf die kleinen Gestalten, die mit gefalteten Händen und blicklosen Augen in den einzelnen Zellen saßen, und dabei gewann er unvermittelt die Überzeugung, daß diese kleinen Männer hier reglos sitzen bleiben würden, bis die Welt buchstäblich über ihren Köpfen einstürzte. Sie waren der Wirklichkeit des Lebens so weit entrückt, daß sie erst viel zu spät erkennen würden, was eigentlich um sie herum gespielt wurde. „Hier hinein, verehrter Großvater“, sagte Clede, indem er auf eine durchsichtige Glastür deutete. Hammond erkannte drei der Vierten Menschen, die wartend in diesem Raum saßen. Rymer streifte Hammond mit einem kurzen Seitenblick; dann atmete er tief ein und ging durch die Tür, die sich hinter ihm wieder schloß. „Komm“, sagte Clede, und um seine schmalen Lippen huschte momentan der Anflug eines Lächelns. „Du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden dir keinerlei Schaden zufügen. Deine Gedanken liegen vollkommen klar und offen vor mir. Du fragst dich jetzt, ob mein Geschlecht wohl männlich oder weiblich ist. Du fragst dich weiterhin, wie es möglich ist, ohne ein Geschlecht, ohne Liebe und ohne überhaupt irgendein Gefühl zu leben. Mach deine Gedanken so aufnahmebereit, wie es nur geht. Vielleicht kann ich dir dann ein wenig Verständnis bringen — nur ein wenig, denn du hast ja keinerlei Übung in diesen Dingen, und deine Fähigkeit ist so begrenzt . . .“ Der kleine Mann ging einen weiteren Korridor entlang, und Hammond folgte ihm. Er bewegte sich wie in einem nebelhaften Licht, und Hammond war plötzlich ruhig und furchtlos. Er hatte jegliches Gefühl verloren und nahm nur im Unterbewußtsein wahr, daß sie in einen großen Saal kamen, an dessen Wänden sich lauter Zellen befanden. In jeder einzelnen Zelle war eine kleine, dunkle Gestalt zu sehen. „Das ist unser Gruppengedächtnis“, flüsterte Clede kaum hörbar. „Bleib hier stehen.“ Hammond stand da, und die Gruppenversammlung der Vierten Menschen leerte sein Gedächtnis, wie man eine Kaffeetasse leert. Er empfand nicht den geringsten Schmerz — und er merkte auch nicht, wann alles vorüber war. Er spürte gar nichts, und plötzlich ging er wieder über den Korridor. Jemand war neben ihm. Das war nicht Clede — es war Rymer. Sie kamen wieder zu dem Aufzug, fuhren hinunter und verließen den Hügel auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren. Die kleine Tür schloß sich hinter ihnen — und dann war sie nicht mehr zu erkennen. Schweigend schlugen sie den Rückweg zum Flugzeug ein. Hammonds Gedanken waren vollkommen ruhig; er empfand nicht die geringste Neugier. Erst als sie das Flugzeug erreicht hatten, löste sich der merkwürdige Bann, der auf ihnen gelegen hatte. Anscheinend hatten die Vierten Menschen sie in diesen Zu-
56 stand versetzt, um nicht durch ihre Gedanken abgelenkt zu werden. Die beiden Männer schauten sich an, als wären sie eben aus einem tiefen Schlaf erwacht. „Was haben sie gesagt?“ fragte Hammond hastig. „Werden sie uns helfen?“ In Rymers Stimme lag der Unterton einer hilflosen Wut. „Sie sagten, sie wollten sich der Sache annehmen. Jede Art von Störung ist ihnen verhaßt. Immerhin erkennen sie im augenblicklichen Verhalten der Dritten Menschen eine gewisse Bedrohung ihres Friedens, und deshalb wollen sie sich der Sache annehmen.“ „Was?“ rief Hammond verzweifelt. „Was wollen sie denn unternehmen?“ „Vorläufig gar nichts“, antwortete Rymer. „Sie wollen sich erst vergewissern, ob ihr Frieden tatsächlich bedroht ist. Derartige Störungen gefallen ihnen eben nicht.“ Er warf einen Blick auf den dunklen Hügel. „Ich hoffe, daß sie jetzt gründlich aufgestört werden. Ich hoffe, daß sie — nein! Ich benehme mich jetzt schlimmer als ein Hoomen. Ich habe gar nicht gewußt, daß ich nach zweitausend Jahren noch solcher kindischer Gefühle fähig wäre.“ Er wandte sich um und strebte auf das Flugzeug zu. Hammond folgte ihm. „Zweitausend Jahre?“ fragte er, als sich das Flugzeug in die Luft erhob. „Ja“, erwiderte Rymer. „Ich war einer der ersten. Mein Blut ist in den Dritten Menschen vorhanden — und somit auch in den Vierten. Ich war von Anfang an hier auf dem Planeten Althar.“ Das Flugzeug nahm Kurs nach Westen, und bald stieg hinter ihnen der Stern des Lebens auf. Diesmal schlief Hammond nicht. Er saß nach vorn gebeugt und starrte angespannt voraus, um das Auftauchen von Sharanna abzuwarten. Der Rückweg schien viel länger zu sein. Der Stern des Lebens klomm am Horizont empor, und seine vielfarbigen Strahlen fielen auf die riesigen Mooswälder, die unter ihnen zurückblieben. Hammonds Herz hämmerte, und eine dumpfe Vorahnung zerrte an seinen Nerven. Sie erreichten Sharanna kurz vor Mittag — und es war bereits zu spät. 10. Über den Bergkuppen stand am Himmel eine gigantische Lichtbank. Die Hand eines Gottes schien dieses aus Energiestrahlen bestehende Schwert zu führen — aber es war keine Hand zu sehen. Nur die scharfe Klinge der Vernichtung war zu erkennen, sie zuckte von den Bergen herab und durchschnitt alles, was sich ihr in den Weg stellte, mit unwiderstehlicher Gewalt. Schon beim ersten Anblick erkannte Hammond entsetzt, daß es sich hier um Energiekräfte handeln mußte, die für den menschlichen Verstand unvorstellbar waren. Sie lösten die gesamte Materie in ein Nichts auf. Die getarnten Verteidigungswaffen der Vramen nahmen rings um die Stadt herum den Kampf auf. Lichtblitze zuckten über den Himmel; hier und da waren raketenartige Geschosse zu sehen, die in riesigen Pilzen explodierten. Das große Schwert des Himmels nahm gar keine Notiz von diesen Waffen. Es wurde von Kräften gelenkt, die für die Waffen der Vramen unerreichbar waren. Es war keine leere Drohung gewesen, als die Dritten Menschen davon gesprochen hatten, daß sie eine Waffe herstellen könnten, gegen die es keinen Widerstand gab! Bislang hatten ihnen dazu lediglich die erforderlichen Metallelemente gefehlt. Nun hatten sie ihre langersehnten Träume verwirklicht und eine Waffe geschmiedet, die Sharanna zerschmetterte. Das hohe Gebäude, in dem eine ganze Stadt untergebracht war, stand nun in zwei
57 Hälften gespalten inmitten der Trümmer. Wieder und wieder sauste das gigantische Schwert herab und vollendete sein grausames Werk. „Haltet es auf! Oh, mein Gott — haltet es auf!“ schluchzte Hammond verzweifelt. „Thayn . . .“ Es war jedoch nicht aufzuhalten. Immer wieder sauste es auf die Festung der Vramen herunter und legte alles in Schutt und Trümmer. Selbst die Bergkuppen konnten dieser Wucht nicht widerstehen. Unvermittelt verschwand das strahlende Schwert vom Himmel. „Rymer!“ rief Hammond. „Rymer!“ Rymer kauerte zusammengesunken auf dem Pilotensitz, und seine Hände lagen schlaff auf den Armaturen; sein Gesicht war eine steinerne Maske. Er hatte die Vernichtung von Sharanna gesehen, und das war das Ende seiner eigenen Welt und Ära. Er hörte Hammond überhaupt nicht. Hammond schrie ihm ins Ohr, und als das nichts half, hämmerte er mit den Fäusten auf ihn ein und deutete fieberhaft an den südlichen Horizont, wo ein paar dunkle Punkte zu sehen waren. „Landen!“ schrie Hammond. „Verdammt — du mußt sofort landen! Bis jetzt haben sie sich in sicherer Deckung gehalten — aber nun kommen sie!“ Rymer starrte ihn mit, blicklosen Augen an. Dann bewegte er seine Hände über die einzelnen Instrumente. Das Flugzeug senkte sich über die Steinwüste von Sharanna. Er bediente die einzelnen Hebel mit der Perfektion eines Roboters, und das Flugzeug landete unmittelbar vor der Ruine des hohen Gebäudes. Hammond sprang aus der Kabine. Die dunklen Punkte waren inzwischen herangekommen, und nun kreisten sie wie Aasgeier über den Trümmerfeldern dieser zerschlagenen Stadt der Vramen. Rymer blieb neben dem Flugzeug stehen und starrte zum Himmel hinauf, während Hammond auf die Ruine zueilte. Die Luft roch versengt, und der Boden war stellenweise ausgebrannt. Hammond kam an einem bizarr geformten Klumpen vorüber und sah, daß es geschmolzenes Metall war. Überall lagen Stein- und Metalltrümmer herum. Auch Leichen waren zu sehen. Thayn war jedoch nicht unter ihnen — soweit sie überhaupt noch erkennbar waren. Hammond hastete weiter auf die Ruine zu. Er wußte selbst nicht, warum er gerade diesem Weg folgte. Er erreichte den Eingang. Die Tür war aus den Angeln gerissen und zerschmettert. Dahinter war ein Stück des Korridors unbeschädigt geblieben, und inmitten all dieser grauenhaften Vernichtung wirkte dieser Korridor seltsam ruhig und friedlich. Dann sah er Thayn. Sie saß am Ende des Ganges, und ihr Rücken war gegen die eingestürzte Mauer gelehnt. Es war, als säße sie dort, um auf ihn zu warten. Als sie ihn erblickte, zwang sie sich zu einem kleinen Lächeln und flüsterte seinen Namen. Sie wirkte wie eine kleine, zerbrochene Puppe, und als er herankam, sah er, daß ihre ganze Seite aufgerissen war. Sie hielt sie gegen die Steinmauer gepreßt. „Kirk“, flüsterte sie. Er kniete neben ihr und nahm sie behutsam in die Arme. „Du brauchst Hilfe“, flüsterte er mit versagender Stimme. „Ich werde irgendwo Hilfe auftreiben.“ Er konnte sich selbst nicht vorstellen, wo er inmitten dieses Trümmerfeldes von Sharanna Hilfe finden sollte — und außerdem erkannte er, daß es ohnehin keinen Zweck mehr hatte. Nur der unendlichen Vitalität der Vramen hatte sie es zu verdanken, daß sie überhaupt noch am Leben war. Sie zog ihn ganz dicht an ihre Brust, und der Duft ihres Haares mischte sich mit der versengten Luft.
58 „Es gibt keine Hilfe“, sagte sie leise. „Auch die Vramen müssen einmal sterben. Ich habe recht lange gelebt — aber erst ganz zum Schluß hat mein Leben einen Wert bekommen, als ich dich kennen und lieben lernte, wie dich eine Frau der Hoomen nicht stärker hätte lieben können...“ Er konnte nur immer wieder ihren Namen flüstern, und er umklammerte sie, als wollte er das mit jedem Atemzug verlöschende Leben festhalten. „Ich wünschte, ich könnte dich in Sicherheit wissen“, flüsterte sie. „Ich werde schon durchkommen.“ „Kirk!“ keuchte sie unvermittelt. Ihr Gesicht veränderte sich plötzlich; jetzt war es nicht mehr das stolze Gesicht von einer Vramen. Ein scheuer, ängstlicher Ausdruck huschte über dieses Gesicht, und sie klammerte sich noch fester an ihn. Dann fielen ihre Hände schlaff hinab. Er hielt sie noch immer in den Armen, obwohl er wußte, daß jetzt alles vorüber war. Bewegungslos kauerte er am Boden. Er hörte das Landen vieler Flugzeuge, und er wußte, daß Sharanna zerschmettert war — aber Thayn war gestorben, und daneben hatte der Sturz eines Imperiums gar nichts zu bedeuten. Er wünschte, er wäre ebenfalls tot. Er wünschte, er wäre für immer auf seinem eisigen Thron geblieben, wo er mit blicklosen Augen auf die Sterne starren konnte, ohne je wieder erwachen zu müssen. Er saß auf dem Korridor des zerschmetterten Gebäudes, und plötzlich wurde er durch ein seltsames Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Es war das Geräusch eines triumphierenden Gelächters. Hammond stand langsam auf und trat in den hellen Schein der vielfarbigen Sonne hinaus. Er hörte das Rufen eines Mannes, und das Gelächter verstärkte sich. Inmitten der Trümmer von Sharanna stand Rymer, und seine Stimme überschlug sich in wilden Verwünschungen der Dritten Menschen. Er war eine grotesk wirkende Figur; alle Würde des langen Lebens war von ihm abgefallen; er raste und tobte wie ein Irrer. Die Dritten Menschen lachten ihn schallend aus. Viele von ihnen waren gekommen. Einige durchsuchten die Trümmer von Sharanna, während andere die betäubten Vramen zusammentrieben, die diese Welle der Vernichtung als einzige überlebt hatten. Eine kleine Gruppe der Dritten Menschen hatte sich abgesondert und betrachtete den tobenden Rymer. Groß und mächtig wie Götter standen sie da, erfüllt von einem unendlichen Selbstbewußtsein und Stolz. Sie hatten einen Sieg errungen, und ihr größter Triumph war dieser vor ihnen stehende, tobende Mann. Sie waren glücklich, und sie lachten. Sie hatten Thayn ermordet! Mit schwerfälligen Bewegungen ging Hammond langsam auf sie zu. Vielleicht würde es ihm gelingen, einen von ihnen zu töten — nur einen einzigen, aber das war auch schon etwas! Rymer verstummte plötzlich, und sein Blick war auf Hammond gerichtet. Die Dritten Menschen schauten ebenfalls auf Hammond, und er sah die kalte Feindseligkeit ihrer Gesichter. Plötzlich merkte er, daß die Blicke gar nicht ihm galten, und er wandte sich um. Hinter der Ruine des ehemals hohen Gebäudes kamen vier knabenhafte Gestalten hervor. Das waren die Vierten Menschen, und Hammond glaubte, Clede zu erkennen. Tiefes Schweigen trat ein. Die Dritten Menschen schoben sich enger zusammen, und die vier kleinen Gestalten gingen weiter auf sie zu. Hammond hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie nach Sharanna gekommen sein mochten. Vielleicht waren sie mit einem Flugzeug irgendwo hinter den Ruinen gelan-
59 det — aber er hielt es auch durchaus für möglich, daß sie auf dem Wege der Teleportation hier aufgetaucht waren. Die vier kleinen Gestalten betrachteten die mächtigen Gestalten ihrer Eltern, während Rymer und Hammond schweigend zuschauten. Endlich waren alle vier Rassen der menschlichen Entwicklung an einem Ort vereint, und über ihren Köpfen stand der vielfarbige Stern des Lebens, den es wenig interessierte, welche Tragödie er hier angerichtet hatte. Ein bitterer Unterton lag in Cledes Stimme, als er sich an die Dritten Menschen wandte. „Ihr seid glücklich. Ihr habt Althar mit Krieg und Verwirrung erfüllt — und das haltet ihr für gut.“ Holl Gorman ergriff das Wort. „Unsere Kinder sind gekommen, um uns eine Lektion zu erteilen. Hört sie euch nur aufmerksam an!“ Er lachte verächtlich, und seine Augen blitzten drohend. „Ihr Träumer und Narren, die ihr nur euren Gedanken nachhängen könnt — jetzt werdet ihr mal etwas lernen! Wir haben euch gezeugt. Euer Verstand sollte für unsere Ziele eingesetzt werden — und so wird es jetzt auch kommen. Jetzt werdet ihr gehorsam unsere Anweisungen befolgen — oder ihr geht zugrunde! Kehrt zurück und richtet das eurem schwächlichen Volk aus!“ „Das wäre vollkommen überflüssig“, murmelte Clede. „Die Gedanken unseres ganzen Volkes bilden im Augenblick einen einzigen, großen Ring. Wir handeln in absoluter Übereinstimmung. Ihr seid unsere Väter — aber ihr dürft weder euch selbst, noch uns oder gar alle Gedanken auf dem Planeten Althar vernichten. Davor müssen wir euch bewahren — und zwar auf der Stelle!“ Ein ängstlicher Schatten huschte über Holl Gormons Gesicht; er setzte zu einem Schrei an, aber ehe er einen Laut ausstoßen konnte, geschah es. Das plötzliche Einsetzen einer gewaltigen, geistigen Kraft drohte Hammonds Kopf zur Explosion zu bringen, er stieß einen Schrei aus — und dabei spürte er, daß er nur am Rand dieser gigantischen Kraftentladung stand, deren Explosion ein anderes Ziel hatte. Er schloß die Augen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Er wußte — und dieses Wissen kam nicht aus seinem eigenen Verstand —, daß es die geistige Kraft aller Vierten Menschen war, die jetzt von Clede ausgelöst wurde. Ja, er stand wirklich nur am Rande der Explosion. Es verschwand genau so urplötzlich, wie es gekommen war. Hammond öffnete die Augen und starrte wie betäubt in seine Umgebung. Nichts war geschehen. Nichts? Irgend etwas in der Haltung der Dritten Menschen kam ihm sonderbar vor. Ihre Haltung war jetzt nicht mehr stolz und herrisch. Auf einigen Gesichtern lag ein leeres Lächeln. Andere saßen friedlich im Staub und spielten mit den Trümmern. Wieder andere stolperten herum und jammerten wie kleine Kinder, die sich verloren vorkamen. „Mein Gott!“ flüsterte Rymer atemlos. „Ihr ...“ Clede wandte ihm den Blick zu, und Rymer brach mitten im Satz ab, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. „Was wir getan haben, geschah nicht um euretwillen“, sagte Clede. „Vergiß das nicht, ehrwürdiger Großvater — nicht für euch haben wir es getan!“ Der Ausdruck einer kalten Verachtung lag in Cledes Gesicht, und er wurde in den Gesichtern seiner drei kleinen Begleiter widergespiegelt. Sie schauten auf die stolpernden, krauchenden und spielenden Gestalten, die einmal die mächtigen Dritten Menschen gewesen waren. Hammond betrachtete sie ebenfalls — und ihm war plötzlich übel.
60 „Wir haben den Verstand unserer Väter nicht vollkommen vernichtet“, sagte Clede. „Wir haben nur den Haß, den Machthunger und alle Erinnerungen aus ihnen entfernt. Sie sind jetzt wieder kleine Kinder — so, wie sie seinerzeit von euch geboren wurden. Aber jetzt stehen sie in unserer Obhut, und vielleicht wird es uns gelingen, sie zu besseren Menschen zu erziehen, als ihr das getan habt. All das geschah in ihrem eigenen und in unserem Interesse — und nicht für euch Vramen, deren Hunger nach der Unsterblichkeit dies alles über uns gebracht hat!“ Clede hielt inne und dachte nach. „Ihr habt hier auf Althar bereits genug Schaden angerichtet“, fuhr er fort. „Wir können hier weder Vramen noch Hoomen gebrauchen. Ruft eure Raumschiffe zurück, geht an Bord und verlaßt diese Welt. Kommt nie wieder hierher zurück!“ „Aber . . .“, begann Rymer. Clede streckte seine kleine Hand aus und berührte damit die Wange eines Dritten Menschen, der wie ein Baby neben ihm im Staub spielte. Es war eine sonderbare Geste, in der sowohl Zärtlichkeit als auch ein grausamer Spott lagen. Ohne seine Worte zu wiederholen, schaute er Rymer an. Rymer wich einen Schritt zurück. „Gut“, sagte er. „Wir werden Althar verlassen.“ Clede lächelte. Er schaute zum Stern des Lebens hinauf, dessen Strahlen sich auf seinem Gesicht spiegelten. „Es ist ein gefährlicher Stern“, murmelte er. „Die Menschen haben ihn jetzt bereits zweimal entdeckt — und sie werden ihn auch in Zukunft wieder entdecken. Sie werden nach ihm suchen, solange seine Strahlen das unbegrenzte Leben verleihen. Nun, ich denke, wir können dem allem ein Ende bereiten. Es dürfte uns wohl nicht schwerfallen, sein Gravitationsfeld so zu verändern, daß der Stern selbst in die Nebelwolken gehüllt wird, wobei seine Strahlen diese gefährliche Kraft verlieren. Dann wird hier endlich der Friede einziehen.“ Er wandte sich von dem Vramen ab und streckte seine kleinen Hände dem neben ihm im Staub spielenden Dritten Menschen entgegen. „Komm“, sagte er behutsam. „Es wird Zeit, heimzugehen.“ Danach war für Hammond jeglicher Begriff für die Zeit verschwunden. Er saß im Schatten des zerschmetterten Gebäudes, und er fühlte sich leer und ausgebrannt. Die Raumschiffe landeten; die Vramen kamen auf ihn zu und redeten auf ihn ein — und er gab keine Antwort. Die Zeit verstrich, und es kamen andere, um auf ihn einzureden. Sie sprachen in den Stimmen von Iva, Quobba und Thol Orr, und sie berichteten davon, wie die Vierten Menschen nach Vonn gekommen waren und aus den Dritten Menschen willenlose Wesen gemacht hatten. Die Hoomen waren nach Sharanna geschickt worden. Hammond hörte all diese Stimmen, und sie drangen wie in einem Traum an sein Ohr, während sein Blick in einen dichten, undurchdringlichen Nebel gerichtet war. Allmählich lichtete sich der Nebel, und er erkannte, daß er sich an Bord eines Raumschiffes der Vramen befand, dessen Generatoren dröhnten. Als er den Blick durch das Bullauge richtete, sah er den Stern des Lebens. Triumphierend stand er am Horizont, und seine vielfarbigen Strahlen fielen auf den Planeten Althar. Hammond sagte sich, daß dieser Stern wohl nicht mehr lange zu sehen sein würde. Sollten die Menschen überhaupt noch einmal in diese Gegend des Trifid-Systems gelangen, dann würde dieser Stern hinter einer Wolke verborgen liegen, wie Clede es vorausgesagt hatte. Damit hatte der lange Kampf zwischen den Vramen und den Hoomen sein Ende gefunden. Die Menschen würden jetzt die Suche nach dem Planeten Althar aufgeben — und somit würde Thayn ihre ewige Ruhe finden.
61 „Vergiß nicht“, sagte Quobbe, „daß uns jetzt der ganze Weltraum offensteht, denn die Vramen haben ja nichts mehr vor uns zu verbergen. Du bist ein alter Pionier des Weltraums — einer der ersten. Daran solltest du dich klammern, Kirk Hammond.“ „Wirklich?“ fragte Hammond. „War es wirklich eine so gute Sache, den Weltraum zu erobern? Damals im zwanzigsten Jahrhundert haben wir das stets gedacht — aber ist es wirklich so?“ Er schaute in die Dunkelheit des Universums hinaus — aber von dort bekam er keine Antwort auf seine Frage. Es würde auch niemals eine Antwort geben, denn es war ja letzten Endes nicht eine einfache Frage von Gut oder Böse. Den Menschen blieb jetzt keine Wahl mehr, denn er hatte diese Wahl bereits in der fernen Vergangenheit entschieden, als er seine Hände nach den glitzernden Sternen ausstreckte. Der Mensch würde auch weiterhin nach fernen Welten streben, und dabei würde er in mancherlei Fallen des Kosmos geraten, wie es hier bei diesem Stern des Lebens der Fall gewesen war. Es kam Hammond zu Bewußtsein, daß er jenes Glück gefunden hatte, nach dem sich alle Menschen sehnten. Er hatte einen weiten Weg durch Zeit und Raum zurücklegen müssen, um es zu finden — und schließlich war es ihm nur für eine kurze Stunde, für einen kurzen Tag beschieden gewesen. Aber er hatte es gefunden, und die Erinnerung daran erfüllte ihn plötzlich mit einer stillen Zufriedenheit. ENDE Der 1. Teil dieses Romans ist zusammen mit dem 2. Teil im Klarsichtbeutel ausgeliefert worden. Falls Sie ihn nicht erhielten, bestellen Sie ihn bitte zur schnellen und portofreien Lieferung direkt beim Verlag. Postkarte genügt. Ihr nächster TERRA-Band (Nr. 376)
Die Sternzigeuner und andere Stories von Paul Anderson In wenigen Tagen überall im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis 70 Pfennig.
Der Moewig -Verlag in München ist Mitglied der Selbstkontrolle deutscher Romanheft -Verlage
„TERRA“ Utopische Romane, Science Fiction, erscheint wöchentlich im Moewig-Verlag, München 2, Türkenstraße 24, Postscheckkonto München 139 68. — Erhältlich bei allen Zeitschriftenhandlungen. Preis je Heft 70 Pfennig. — Gesamtherstellung: Buchdruckerei Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Für die Herausgabe und Auslieferung in Österreich verantwortlich: Farago & Co., Baden bei Wien. — Printed in Germany. — Zur Zeit ist Anzeigenpreisliste Nr. 9 gültig. Dieses Heft darf nicht in Leihbüchereien und Lesezirkeln geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.