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Liebe SF-Freunde! „Der Leser spricht zum Leser“ — Das ist das Mot...
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Liebe SF-Freunde! „Der Leser spricht zum Leser“ — Das ist das Motto, unter dem unsere heutige Diskussionsseite steht. Mit anderen Worten: Wir haben Ihnen wieder einen „Cocktail“ aus Zuschriften gemixt, die die Redaktion in letzter Zeit erreichten. Wir beginnen mit J. Freytag aus Bodelshausen, der sich zu P. R. wie folgt äußert: „Die Einigung des Imperiums ging mir zu glatt. Ich hätte gern erlebt, wie Rhodan einige zur Selbständigkeit strebenden Sternvölker an die Kandare nahm. Die kleine Mausbiberkolonie auf dem Mars wäre doch Gelegenheit für einen humoristischen Band! Würden sich die Bände mehr auf diese kleineren aber blutvolleren Dinge konzentrieren, so müßte man nicht ungeduldig abwarten, bis endlich eines der Rahmenthemen bis zur Erschöpfung abgehandelt ist. Besonders bei der Posbiserie schien es einfach nicht voranzugehen. Ich finde, daß unter den Autoren Kurt Mahr und K. H. Scheer am spannendsten zu schildern wissen.“ Zum gleichen Thema meint eine Leserin aus Griesheim, die sehr fleißig an die Redaktion schreibt: „Ich bitte die Autoren, doch dem ,Schrecken mit den Schreckwürmern' ein Ende zu machen. Mögen sie bald eine Lösung aus dem Dilemma finden.“ Lothar Schenk, Ludwigshafen, bemerkt zum HEYNE-SF-Band 3028 folgendes: „Ich möchte Gisela Stege ein Kompliment für ihre Übersetzung von THE WIND FROM NOWHERE, die unter dem Titel DER STURM AUS DEM NICHTS erschienen ist, machen. Ich fand die Übertragung ausgezeichnet.“ Klaus-Dieter Ottilie, Berlin, nimmt zur Moewig-SF Stellung und sagt u. a.: „Meine Lieblingsthemen sind die Zeit, Zeitverschiebung und die Theorien über die gesamte Entstehung und Entwicklung des Kosmos und besonders der Erde. Je phantastischer, um so besser. Am besten gefallen mir die Story-Bände. Die sind so richtig nach meinem Geschmack.“ Zum Abschluß noch eine Stellungnahme von Lothar Schoenawa, der ebenfalls in Berlin beheimatet ist: „Nach meinem Geschmack sind die TERRA-Bände das Drittbeste auf dem SF-Markt. TERRA-EXTRA ist das Zweitbeste, und das Beste ist die PERRY-RHODAN-Serie. Hier muß ich nur den Roman von Thoras Opfertod bemängeln.“ So, liebe Freunde, damit sei's genug für heute! Viele Grüße bis zum nächsten Mal von Ihrer SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
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Band 374 Ein deutscher Erstdruck
Das Gestirn des Lebens (THE STAR OF LIFE) von Edmond Hamilton 1.TEIL 1. Er war einsamer, als es je ein Mensch vor ihm gewesen war. Er war einsam — und er war tot. Sein Herz schlug noch; seine Augen sahen, seine Ohren hörten, und er konnte noch alles spüren. Dennoch hielt sich Kirk Hammond für einen toten Mann, der hier in seinem Sarg ruhte. Alles war so phantastisch komisch, daß sogar Sonne, Mond und alle anderen Sterne ihn auszulachen schienen. Eine große Nation hatte sich allen möglichen Anstrengungen unterzogen, viele hundert Männer hatten sich abgerackert, viele Millionen Dollar waren ausgegeben worden — und alles nur zu dem Zweck, Kirk Hammond ein Begräbnis zu verschaffen, wie es ein solches nie zuvor gegeben hatte. Er mußte selbst lachen. Dann schluchzte er. Ein leises Summen kam von seinem Funkgerät, und das war der letzte, dünne Faden, der ihn noch mit der Erde verband. Bald würde auch dieser Faden reißen, und dann war er für die Erde tot. „Cape Kennedy an Explorer Neunzehn, 17.44 Uhr. Der Präsident gibt offiziell bekannt, daß er die höchste Auszeichnung an den Astronauten Kirk Hammond verliehen hat. Er erklärte dazu, daß die Nation einem großen Helden Dank sage. Ende.“ Ausgezeichnet, dachte Hammond. Ich bin also ein Held und habe die entsprechende Dekoration bekommen. Nun, dann hätten sie ihm auch gleich einen Orden nach dem Tode verleihen können. Kurze Zeit später ertönte der Summer abermals. „Cape Kennedy an Explorer Neunzehn, 17.47 Uhr. Alle Menschen der Erde beten für Sie, Hammond. In jeder Kirche finden besondere Gottesdienste statt. Ende.“ Gebete für einen Toten, dachte er. Na, das war wirklich nett von ihnen — sehr nett! Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was sich jetzt auf der Erde abspielte. Die Leute kannten ihn doch gar nicht, und bis zum Abschuß von Explorer Neunzehn hatten sie nie etwas von ihm gehört. Jetzt wußten sie, daß er dem Tod nicht länger ausweichen konnte, und ihr Mitgefühl war zweifellos echt. Kirk Hammond war müde. Seit über hundert Stunden steckte er nun in dieser kleinen Kapsel, und seine Glieder waren steif geworden. Sein Verstand war ebenfalls gelähmt. Alles war einfach zu viel gewesen, und in einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne hatte er zu viel durchmachen müssen. Zuerst war der Schock des Abschusses gekommen. Als er das Bewußtsein wiedererlangte, hatte er das Funkgerät ein-
4 schalten müssen, um der Abschußrampe durchzugeben, daß er tatsächlich noch am Leben war. Darin waren die beiden anderen Raketenstufen gezündet worden, und schließlich hatte die winzige Kapsel den Weg zur Umkreisung des Mondes eingeschlagen. Kirk Hammond war der erste Mensch, der in diesem Zeitalter den Mond umkreisen sollte, um dann wieder auf der Erde zu landen. Seit dem Jahre 1957, als der erste russische Sputnik startete, waren viele Satelliten in den Weltraum geschossen worden. Zunächst hatte es sich um unbemannte Kapseln gehandelt, die eine Kreisbahn um die Erde beschrieben, und als die Technik dann mit neuen Erfahrungen aufwarten konnte, waren diese Raumkapseln so verbessert worden, daß schließlich die bemannte Raumfahrt begonnen werden konnte. Nunmehr war es Kirk Hammonds Aufgabe, den Mond zu umkreisen. Beim Zünden der dritten Raketenstufe hatte er gemerkt, daß irgend etwas nicht stimmte; seiner Ansicht nach handelte es sich um einen Fehler in der Zeitanlage. Die gesamte Berechnung stimmte jetzt nicht mehr, und Explorer Neunzehn würde das vorausgeplante Ziel nie mehr erreichen ... Das bedeutete, daß die kleine Raumkapsel nicht in eine Kreisbahn um den Mond einbog, sondern immer weiter und weiter durch den Wellraum rasen würde. Wieder ertönte der Summer des Funkgerätes. „Cape Kennedy an Explorer Neunzehn, 18.02 Uhr. Ihre stündliche Meldung ist bereits um zwei Minuten überschritten. Geben Sie bitte sofort den Stand Ihrer Instrumente bekannt. Ende.“ Kirk Hammond lachte leise vor sich hin. Das konnte nur John Willing sein, der jetzt da unten auf der Erde im Kontrollraum saß und ihm weismachen wollte, daß alles noch immer in bester Ordnung wäre. Für ihn war ja im Grunde genommen alles nur Routine. Während Kirk Hammond die betreffenden Zahlenreihen mit allen erforderlichen Informationen durchgab, wandte er sich auf seinem Sitz ein wenig um und warf einen Blick durch das hintere Bullauge seiner Kapsel. Seine Flugbahn ging in einiger Entfernung am Mond vorbei — und er wußte nur zu gut, was das zu bedeuten hatte: an einem gewissen Punkt mußte sein Tod eintreten. Jetzt schaute er zur Erde zurück, die wie ein riesiger Globus im Weltraum hing. Er sagte sich wieder, welch herrliche Aufgabe es doch im Grunde genommen war, sich so weit von der Erde zu entfernen. Warum hatte er sich auf ein solches Abenteuer eingelassen? Warum hatte er die Erde eigentlich verlassen? Nun, jeder mußte schließlich einmal sterben — aber noch niemand hatte einen solchen Tod vor Augen gehabt, denn die Unendlichkeit des dunklen Weltenraumes war geradezu überwältigend. Kirk Hammond erinnerte sich dieser Erde nur zu gut! Dort gab es regnerische Frühlingsnächte, alte Bäume neben einer Farm, den turbulenten Wirbel in den Straßen einer Großstadt, das Rollen der Meereswellen, den Wind und das lustige Gezwitscher der Vögel. Ja, das Leben hatte so unendlich viel zu bieten — und das spürte man erst in dem Augenblick, wo es zu Ende ging! Vermochte ein Toter überhaupt noch zu denken? Nun, bei Kirk Hammond war das zweifellos der Fall! Um das Zittern seiner Finger auszuschalten, ballte er die Faust und gab seine letzte Nachricht durch. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Cape Kennedy an Explorer Neunzehn, 18.24 Uhr. Letzte Nachricht eingetroffen.
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6 Geben Sie die Hoffnung noch nicht auf, Hammond! Es gibt schließlich immer noch die Aussicht auf ungewöhnliche und nicht voraussehbare Möglichkeiten der Gravitation, und somit dürfte Ihre Rückkehr zur Erde durchaus im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegen. Ende.“ Gegen seinen Willen mußte Kirk Hammond wieder lachen — und dann drückte er hastig auf die Taste des Funkgerätes. „Explorer Neunzehn an Cape Kennedy, 18.33 Uhr. Versuchen Sie gar nicht erst, mich bei guter Laune zu halten, Willing. Dazu besitze ich zu gute astronautische Kenntnisse. Meinen Berechnungen noch wird dieser Satellit verdammt weit fliegen, ehe er jemals an den Ausgangspunkt zurückkehrt. Ende.“ Mit mathematischer Genauigkeit konnte er sein Schicksal ausrechnen, und er wußte nur zu gut, was ihn schließlich erwarten würde. Explorer Neunzehn war weit davon entfernt, etwa eine Kreisbahn um den Mond zu beschreiben. Von einer etwaigen Rückkehr zur Erde war überhaupt nicht zu reden. Die Kapsel würde auf einer weiten Ellipse schließlich in einen Umlauf um die Sonne einbiegen — und die Chancen, daß sie nach Ablauf eines Jahrhunderts wieder mal zur Erde kommen würde, waren sehr unwahrscheinlich. Bestenfalls also in einem Jahrhundert! Dabei waren seine Vorräte an Luft, Wasser und Nahrungsmitteln für sechs Tage berechnet, und diese sechs Tage waren schon fast vergangen. Er schaute auf die automatische Steueranlage, an der auch der Fallschirm zur Landung auf der Erde befestigt war. Nun, all diese technischen Einrichtungen brauchte er jetzt nicht mehr, denn für ihn gab es keine Rückkehr zur Erde. „Cape Kennedy an Explorer Neunzehn, 18.55 Uhr. Die Verständigung wird jetzt schwächer — aber wir können Sie noch hören. Lassen Ihre Batterien nach? Haben Sie neue Nachrichten für uns? Ende.“ Ja, sagte sich Kirk Hammond, er hatte eine Nachricht für sie. Er wollte die Nachricht mit voller Lautstärke durchgeben. Er wollte von ihnen verlangen, ihn aus diesem winzigen Stahlsarg zu holen und ihn auf irgendeine Weise wieder zur Erde zu bringen. Aber eine solche Möglichkeit war nicht vorhanden. Niemand konnte ihn erreichen, um ihm zu helfen. Vielleicht würde es später mal die Möglichkeit geben, daß ein bemanntes Raumschiff eine solche Aufgabe übernehmen und durchführen könnte — aber so weit war die Raumfahrt jetzt noch nicht. Die Leute konnten nur seine Flugbahn verfolgen, die ihn immer tiefer in das dunkle Weltall trug, wo er schon vom Tod erwartet wurde. Hammond spürte plötzlich eine wilde Panik in sich aufsteigen. Er wußte, daß er sich davon nicht überkommen lassen durfte. Es hatte nicht den geringsten Wert, wenn er jetzt haltlos in das Mikrophon der Funkanlage schluchzte. Er hatte diese Aufgabe übernommen; er war sich der Gefahren nur zu gut bewußt gewesen — und es änderte nichts an der Tatsache, wenn er jetzt hier wie ein kleiner Junge schrie und jammerte. Aber er wußte nicht, ob er sich auf sich selbst verlassen konnte; vielleicht kam bald der Zeitpunkt eines hysterischen Anfalls. Kurz entschlossen schaltete er das Mikrophon ein. „Explorer Neunzehn an Cape Kennedy. Ja, meine Batterien sind annähernd leer. Dies ist mein letzter Kontakt. Lassen Sie sich in Zukunft nicht durch diesen Zwischenfall beeinflussen. Viel Glück für Sie alle, die Sie meine Flugbahn verfolgt haben. Ende.“ Mit einer fahrigen Bewegung hob Hammond die Schutzplatte des Funkgerätes ab und schlug die Faust in die Ansammlung von Röhren und Transistoren. Dann saß er zitternd auf seinem Platz. Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr zu einer weiteren Ver-
7 bindung. Jetzt brauchte er sich nicht länger zu beherrschen. Jetzt war er endgültig allein. Er schaute durch das Bullauge auf die glitzernde Kette der Sterne. Hier würde er seinen Tod finden __ an einer Stelle, die noch kein menschliches Auge je gesehen hatte. Nun, vielleicht lag in diesem Gedanken auch ein gewisser Trost. Kirk Hammond war sehr müde — und es kam ihm merkwürdig vor, daß man sich der Müdigkeit bewußt wurde, wenn man den Tod vor Augen hatte. Immerhin saß er nun schon weit über hundert Stunden in dieser kleinen Kapsel, und dabei war langsam auch sein Verstand erlahmt. Er war damals ein kleiner Junge in den Straßen von Ohio gewesen, und bei der ersten Nachricht über den Sputnik war er ebenso aufgeregt gewesen wie alle anderen. Hatten die vielen Stunden und Anstrengungen seiner Ausbildung und seines Trainings wirklich nichts anderes verdient als dies hier? Er versuchte sich vorzustellen, was man jetzt wohl auf der Erde über ihn reden würde. Immerhin hatte er zum guten Glück keine näheren Verwandten, die um ihn trauern konnten. Als seine Eltern vor ein paar Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte Willing ihn persönlich aus einer ganzen Gruppe von Freiwilligen herausgesucht. Ja, was mochten sie jetzt auf der Erde über ihn sagen? Na, das spielte wohl auch keine große Rolle mehr. Er war Kirk Hammond, er befand sich hier irgendwo im Universum, und er würde wohl bald sterben. Wie bald? Ein Blick auf die Sauerstoffflaschen zeigte ihm, daß sein Luftvorrat höchstens noch zwei Stunden reichen konnte. Er wünschte, der Vorrat wäre nicht so groß, denn er fürchtete, den Verstand zu verlieren, ehe der Tod kam. „Aber warum eigentlich warten?“ Es war, als hätte sich in seinem zermarterten Gehirn eine Stimme gemeldet. Warum sollte er auf den qualvollen Tod des Erstickens warten? Er brauchte schließlich nur die Haube zu öffnen und die Leere des Weltraums eindringen zu lassen, um einen schnellen und vermutlich schmerzlosen Tod zu finden. Hammond legte die Hand auf den Haubengriff. Diese Flucht vor dem drohenden Wahnsinn und Ersticken war doch wohl verzeihlich? Plötzlich regte sich in ihm der letzte Funke des Lebenswillens. „Du darfst die Haube nicht öffnen! Vielleicht wird die Kapsel zurückfliegen oder vielleicht kommt jemand mit einem Raumschiff zur Rettung — vielleicht .. .“ Er wußte, daß das alles verrückte und unmögliche Hoffnungen waren. Sein Unterbewußtsein sträubte sich gegen die klare Logik seiner Gedanken. Hammond brachte die Stimme zum Schweigen. Er mußte diese Sache sehr schnell machen — oder er konnte es überhaupt nicht mehr machen. Mit nervösen Bewegungen öffnete er die Verriegelung der Haube. Ein kleiner Spalt öffnete sich. Hammond ließ es bei diesem schmalen Spalt bewenden, um eine explosive Dekompression zu verhindern. Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück und ließ die Schultern hängen. Er war schon lange unterwegs, und seine Müdigkeit war durchaus verständlich. Sein ganzer Körper wurde von der eisigen Kälte des Weltraums ergriffen. Der Tod war also doch nicht schmerzlos, wie er es eigentlich erwartet hatte. Das war sein allerletzter Gedanke. 2. Es halte nur eine tiefe Dunkelheit gegeben — aber da war auch ein Schmerz. Er wünschte, der Schmerz würde vergehen, so daß er sich selbst überlassen war. Statt dessen wurde der Schmerz immer intensiver, und er durchbohrte seine Lungen-
8 flügel bei jedem einzelnen Atemzug. Wie konnte er überhaupt atmen, wenn er tot war? Das war Hammonds erster, verwirrter Gedanke. Vollkommen unmöglich — und dennoch füllten sich seine Lungenflügel krampfhaft mit Luft. Hammond versuchte, sich dieses augenscheinliche Problem zu erklären. Er bemühte sich, die Augen zu öffnen — aber das ging nicht. Er konnte sich überhaupt nicht bewegen — aber er spürte alles. Jetzt merkte er auch die Hitze der Armlehnen seines Sitzes. Er konnte auch hören; unmittelbar neben seinem Kopf war ein leises Zischen zu vernehmen, dessen Ton sich nicht veränderte. Der Schmerz wurde immer unerträglicher. Unter Aufbietung aller Kraftreserven konnte er eich schließlich ein wenig bewegen. Seine Augen öffneten sich. Er blickte durch einen rötlichen Nebel. Er saß noch immer auf seinem Platz in der Haube. Dünne Luft kam herein, und sie war von eisiger Kälte. Das Metall der Raumkapsel war jedoch so heiß, daß es förmlich glühte. Kirk Hammond hatte nur teilweise das Bewußtsein wiedererlangt — aber er spürte, daß er jetzt sterben mußte, weil es hier keinen Sauerstoff gab. Er erinnerte sich an seine Ausbildungszeit; dann zog er mit ungeschickten Bewegungen den Pressluftschlauch des Katapultsitzes hervor und öffnete das kleine Ventil. Mit tiefen Zügen atmete er den kostbaren Sauerstoff ein, und dabei starrte er mir blicklosen Augen auf die Sternenformationen, die am Bullauge vorbeizogen. Mit einer langsamen, majestätischen Bewegung tauchte eine riesige, grünliche Fläche vor dem Bullauge auf. Ein paar Wolken waren zu sehen, und dann kamen die Sternenformationen wieder in sein Blickfeld. Kirk Hammond schaute das alles verdutzt an. Knapp eine Minute später wiederholte sich das Phänomen. Jetzt mischte sich unter seine Verwirrung auch ein bißchen Neugier. Der Sauerstoff begann zu wirken, und Hammond wunderte sich am meisten über die große, grünliche Fläche. Er schob seinen Sitz ein wenig vor. um einen besseren Blickwinkel nach draußen zu bekommen. Ein heiserer Aufschrei entrang sich seiner. Kehle. Der unter ihm liegende Planet mit seiner grünlichen Farbe kam ihm bekannt vor. „Die Erde!“ Er flüsterte es vor sich hin — aber noch konnte er nicht daran glauben. Das dicke Glas des Bullauges begann zu schmelzen, und die gesamte Kapsel wurde immer heißer — aber er konnte den Blick nicht von der gigantischen Oberfläche dieses Planeten wenden. Nach diesem zweiten Blick konnte es keinen Zweifel mehr geben. Diesmal schrie er den Namen mit voller Lungenkraft, und dann wartete er ab, bis die Rotation seiner Kapsel nachlassen würde. Er stellte etwas ruhiger fest, daß er sich etwa vierzig Meilen oberhalb der Erdoberfläche befand und den Planeten mit einer Geschwindigkeit von ungefähr zwanzigtausend Meilen pro Stunde umkreiste. Er hatte sich auf dem Weg von der Erde hinweg befunden und schließlich die Kapselhaube geöffnet. Er war vollkommen überzeugt gewesen, daß Explorer Neunzehn jahre- und vielleicht sogar jahrzehntelang unterwegs sein würde. Es schien vollkommen unmöglich zu sein, daß diese Kapsel je wieder zur Erde kommen konnte — und dennoch war genau dieser Fall eingetreten. „Es könnte sein, daß Sie von unbekannten Gravitationsfaktoren wieder in eine Kreisbahn um die Erde gelangen ...“ Er erinnerte sich an diese vorletzte Nachricht von Cape Kennedy. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich gesagt, daß sie ihm wohl nicht alle Hoffnung rauben wollten. Vielleicht hatten sie wirklich recht gehabt? Jedenfalls war Explorer Neunzehn zur Erde zurück-
9 gekehrt und beschrieb nun eine Bahn um sie. Aber da war ein noch größeres Rätsel. Um den kommenden Tod zu beschleunigen, hatte er die Haube geöffnet. Er war also gestorben — und dennoch lebte er jetzt! Wie konnte ein Mann in kurzer Zeit buchstäblich erfrieren, und dann doch wieder leben? Kirk Hammond suchte nach irgendeiner Erklärung der unglaublichen Tatsache, daß er wieder zum Leben erwacht war. Vielleicht war er bei einer unbeschreiblich niedrigen Körpertemperatur irgendwie am Leben geblieben — schließlich war er kein Arzt und kannte sich in solchen Dingen nicht so aus. Vielleicht konnte man im freien Weltraum ganz andere Dinge vollbringen, als es in den Laboratorien für möglich gehalten wurde? Immerhin gab es doch so etwas wie eine suspendierte Animation. War es nicht denkbar, daß sein Wiedereintauchen in die irdische Atmosphäre ihn wieder zum Leben erweckt hatte? All diese Gedanken schwirrten durch Hammonds Kopf, denn als Mensch des 20. Jahrhunderts brauchte er eine rationale Erklärung für das scheinbar Unfaßbare. Dann vergaß er das alles. Wie immer er zur Erde zurückgekehrt sein mochte, wenn er nicht verdammt bald etwas unternahm, würde er wieder sterben. Die Raumkapsel wurde mit jeder verstreichenden Minute heißer. Er konnte das Metall schon jetzt nicht mehr anfassen. Wenn das so weiterging, mußte Explorer Neunzehn in den oberen Schichten verglühen. Wenn er nicht vorher ausstieg, mußte er ebenfalls verbrennen. Bislang hatte er sich nur darum gekümmert, wie er wohl in diese Lage gekommen sein mochte — aber jetzt meldete sich der reine Selbsterhaltungstrieb. Durch einen seltsamen kosmischen Faktor war Explorer Neunzehn zur Erde zurück gekehrt — und nun lag es ausschließlich in seiner Hand, die Kapsel zu verlassen, so lange sich dazu noch Zeit und Gelegenheit bot. Sein Körper schmerzte noch immer an allen möglichen und unmöglichen Stellen, und dennoch begann Kirk sich jetzt mit dem augenblicklich dringendsten Problem zu beschäftigen. Unmittelbar unter ihm lag jetzt die von der Sonne bestrahlte Hemisphäre der Erde, die jedoch unter einer dichten Wolkendecke verborgen lag. Es schien ihm, als könne er durch ein Loch in der Wolkendecke hindurch einen flüchtigen Blick auf die Iberische Halbinsel erhaschen. Wenn das stimmte, dann bewegte er sich jetzt über den Atlantik hinweg auf die nordamerikanische Küste zu. Seine Berechnungen mußten ganz exakt sein, denn er konnte nur über dem Festland abspringen. Während seine Hände über die einzelnen Hebel und Instrumente glitten, kam ihm plötzlich ein Gedanke, bei dem er unwillkürlich leise lächeln mußte. „Na, wird das eine Überraschung für sie werden, wenn der angeblich totgesagte Held plötzlich mit einem Fallschirm unmittelbar vor ihren Nasen landet. Ob sie mir wohl auch den Orden wieder abnehmen?'' Nachdem er alle erforderlichen Handgriffe durchgeführt hatte, war er jetzt mitsamt seinem Sitz in einer großen Plastikhülle. Nur auf diese Weise konnte ein Astronaut seine Kapsel zur rechten Zeit verlassen. Bullaugen versuchte er seine augenblickliche Lage festzustellen. „Zum Teufel mit den verwünschten Wolken! Auf diese Weise kann ich nicht mal einen Blick auf die beleuchteten Großstädte werfen, wenn sie unter mir auftauchen!'' Explorer Neunzehn sauste jetzt auf die im dunklen Schatten liegende Seite der Erde zu. Die Wolken hingen wie eine undurchdringliche Bank unter ihm. Auch in der Plastikhülle wurde es jetzt merklich wärmer. Der Aluminiumring, der das Bullauge einfaßte, begann langsam zu glühen. Die Raumkapsel hatte jetzt den kritischen Punkt erreicht, an dem der Prozeß der Verglühung einsetzen mußte. Kirk Hammond widerstand der Versuchung, sofort den Hebel der Katapultanlage zu betätigen. Er mußte jetzt etwa mitten über dem Atlantik sein; es war dunkle Nacht, und
10 wahrscheinlich würde es sehr lange dauern, bis er gefunden wurde. Er mußte sich vor dem Aussteigen in erster Linie davon überzeugen, daß Land unter ihm war. Aber konnte er so lange warten? Die ganze Außenseite der Kapsel hatte bereits eine dunkelrote Färbung angenommen. Er konnte sich natürlich nur auf eine ungefähre Schätzung seiner Position verlassen — aber ihm schien, als wäre er jetzt bereits über der Küste. Nun, er wollte noch ein wenig länger abwarten. Er bediente einen der Hebel. Nichts geschah. Panisches Entsetzen ergriff ihn. Wenn es ihm nicht gelang, diese Katapultanlage in Betrieb zu setzen, dann würde er niemals zur Kapsel hinauskommen. Verzweifelt zerrte er wieder an dem Hebel. Diesmal rastete er mit einem klickenden Geräusch ein. Das gesamte Unterteil der Kapsel verschwand. Jetzt hatte er einen freien Blick auf die dunklen Wolkenmassen unter ihm, und er bediente auch den zweiten Hebel. Er wurde aus der Kapsel gewirbelt, und die Plastikhülle blähte sich auf. Dabei rutschte ihm der Sauerstoffschlauch aus dem Mund, und in der Dunkelheit konnte er ihn nicht finden. Während es in seinen Lungenflügeln zu stechen begann, tastete er ungeschickt durch den Innenraum der Hülle — und endlich bekam er den Schlauch wieder zu fassen. Ein neuer Ruck schüttelte ihn durch, und jetzt sah er, daß sich der Fallschirm über ihm genau im richtigen Augenblick geöffnet hatte. Langsam schwebte er auf die dunkle Oberfläche der Erde zu. Ein tiefer Seufzer der Erleichterung kam aus seiner Brust. Bislang halte er alles wie im Unterbewußtsein getan, und seine Reaktionen und Handlungen waren diejenigen gewesen, die er während der langen Ausbildungszeit gelernt hatte. Jetzt aber handelte er wieder vollkommen bewußt. „Ich werde es schaffen ...“ Das Blut hämmerte in seinen Adern. Ein neuer Lebenswille überwand die bleierne Müdigkeit seines Körpers. Kirk Hammond richtete den Blick wieder nach unten — aber da war noch immer die dunkle Wolkendecke, und ehe er diese nicht durchstoßen hatte, konnte er keinen freien Blick auf die Oberfläche der Erde werfen. Es schien sehr lange zu dauern, bis der Fallschirm ihn endlich an die Wolkenbank brachte. Sein Herzschlag wurde kräftiger, und er nahm den Sauerstoffschlauch aus dem Mund; den brauchte er jetzt nicht mehr. Als er die Wolken durchstoßen hatte, schaute er erwartungsvoll nach unten, um die ersten Lichter auszumachen. Er sah keine Lichter. Undurchdringliche Dunkelheit hielt ihn umfangen, und er vermochte nicht einmal zu sagen, ob er sich schon außerhalb der Wolkendecke befand. Plötzlich sah er einen etwas helleren Lichtschimmer, der sich von der umgebenden Dunkelheit abhob. Das war das Meer. ER hatte sich also verrechnet und die Kapsel zu früh verlassen. Der Fallschirm schlug auf und wurde sogleich von einer Welle ergriffen. Hammond erinnerte sich rechtzeitig an seine Ausbildung und schnitt die Leinen durch. Sein Sitz war für eine eventuelle Landung auf dem Wasser vorbereitet und stellte ein kleines Schiff dar. Es tanzte über die Wellen. Hammond schlief ein. Als er erwachte, war es ihm, als wären inzwischen Stunden verstrichen. Ein frischer Wind war aufgekommen, und das kleine Boot wurde kräftig durchgerüttelt. Der Wind hatte die Wolken vertrieben, und am dunklen Himmel glitzerten die Sterne. Hammond schaute nach Westen, denn er glaubte noch immer, sich in der Nähe der Küste zu befinden. Dort, wo Meer und Himmel sich trafen, war am Horizont ein dunkler Strich zu sehen, und das kleine Boot wurde genau in diese Richtung getrieben. Er schaute zum Himmel hinauf. Es war schier unglaublich, daß er von dort oben zu-
11 rückgekommen war und den scheinbaren Tod im Weltall überwunden hatte. Was mochte die kleine Raumkapsel des Explorers veranlaßt haben, zur Erde zurückzukehren? Diese unheimliche Frage verschwand aus Hammonds Gedanken, als er weiterhin zum Himmel schaute. Sein Blick war starr auf die nördlichen Sternbilder gerichtet. Irgend etwas stimmte nicht mit diesen Sternen. Etwas war vollkommen falsch! 3. Kirk Hammond kannte die einzelnen Konstellationen sehr genau. Das war ein Teil der Ausbildung, die jeder Astronaut bekam, ehe er überhaupt nach Cape Kennedy berufen wurde. Diese nördlichen Konstellationen, die sich da am Horizont abzeichneten, waren falsch! Das Sternbild des Drachens hatte eine ganz andere Form und Stellung. und die Stelle, an der eigentlich der Polarstern strahlen sollte, wurde von einem viel schwächeren Stern eingenommen. Bei genauerem Hinsehen erkannte Hammond, daß es sich bei diesem Stern um Delta Cygni handelte. Er konnte es zuerst gar nicht glauben. Aber während das kleine Boot weiterhin der Küste zugetragen wurde und er die einzelnen Sternbilder betrachtete, die da oben wie kosmische Uhrzeiger ihre Bahn zogen, da konnte es keinen Zweifel mehr geben. Hammond stand vor einer erschütternden Erkenntnis. „Aber das kann doch nur bedeuten, daß inzwischen Jahrhunderte vergangen sind — nein, sogar Jahrtausende!" Unabänderlichen Gesetzen der Schöpfung zufolge beschrieb der Polarstern der Erde innerhalb von siebenundzwanzig Jahrtausenden einen kleinen Kreis. Jetzt stand er im Sternbild Delta Cygni, und das bedeutete, daß er bereits ein Drittel dieses Kreises zurückgelegt hatte. Somit mußten also etwa zehntausend Jahre vergangen sein, seit er diese Konstellationen am nördlichen Himmel zum letztenmal gesehen hatte. Zehntausend Jahre? Das war absurd und phantastisch. Entweder wurde das Licht der Sterne gebrochen, oder seine Augen waren nicht in Ordnung. Eine solche ungeheuere Zeitspanne konnte seit seinem Start in Cape Kennedy einfach nicht vergangen sein... Plötzlich wurde Kirk Hammond von einer eisigen Welle der Panik durchflutet. Vielleicht gab es eine Erklärung, an die er noch gar nicht gedacht hatte? Er war dort oben im Weltall nach dem Öffnen der Haube in suspendierte Animation gefallen, und als er wieder daraus erwachte, hatte er ganz automatisch angenommen, in der Zwischenzeit wäre nur eine kurze Zeitspanne vergangen — vielleicht ein paar Tage oder höchstens ein paar Wochen. Hatte er jedoch irgendeinen Grund zu dieser Annahme? Die absolute Kälte des Weltraums hatte jede einzelne Zelle seines Körpers ergriffen und durchdrungen — und diese Kälte war eine unveränderliche Tatsache. Sie konnte ihn ein Jahr in ihrem Griff gehalten haben __ oder auch Jahrtausende. Wie lange hatte er in diesem Zustand gelegen? Die einzelnen Sternkonstellationen gaben ihm die Antwort auf diese Frage — aber diese schreckliche Antwort konnte sein Verstand nicht aufnehmen. Dennoch war dies die einzig mögliche Erklärung für die Rückkehr von Explorer Neunzehn zur Erde. Als er die Kapselhaube geöffnet hatte, um einem qualvollen Tod zu entgehen, befand er sich bereits jenseits des Mondes auf einer weiten Ellipsenbahn. Er hatte nur berechnen können, daß diese kleine Kapsel irgendwann wieder einmal in die Anziehungskraft der Erde gelangen müßte. Das war dann auch tatsächlich geschehen, und die bei der Reibung entstehende Hitze hatte ihn wieder zum Leben erweckt.
12 Kirk Hammond schrak vor diesen Gedanken zurück. Er konnte und wollte das einfach nicht glauben. Wenn es stimmte, dann waren seit seinem Start zahllose Generationen über die Erde gegangen. Fremde Völker und Imperien mußten entstanden und wieder wie eine Kerze im Wind ausgelöscht sein — und das alles in einer Zeitspanne, die ihm so kurz vorgekommen war. Seine alten Bekannten mußten längst zu Staub zerfallen sein. „John Willing, Barnett, Cray und das Mädchen da oben in Cleveland, und..." Nein, es mußte eine andere Erklärung geben. Wenn er erst mal die Küste erreicht hatte, würde er sich der Sache annehmen. Dann würde er sich vielleicht auch selbst auslachen, weil ihm solche phantastischen Gedanken gekommen waren. Willing und alle anderen würden ihn ebenfalls auslachen. Die Küste hatte sich bereits beträchtlich genähert, und er konnte jetzt auch schon den weißen Strand ausmachen. Plötzlich sprang die Angst ihn wieder an, denn er mußte damit rechnen, daß sein kleines Boot an den vor dem Strand liegenden Klippen zerschellen würde. Er öffnete seine Haltegurte, um notfalls aus dem Boot springen und zur Küste schwimmen zu können. Die Brandung ergriff das kleine Fahrzeug und trug es in einem weiten Bogen an den weißen Sandstrand. Sanft und behutsam, wie eine Mutter ihr Kind behandelt, ließ die Welle ihn an Land gleiten. Kirk Hammond sprang hinaus, und sofort stürzte er mit dem Gesicht nach unten in den weißen Sand. Seine Beine versagten den Dienst. Zu lange hatte er in der Enge der kleinen Kapsel gesessen. Seine Glieder waren verkrampft. Regungslos blieb er liegen. Eine kalte Welle plätscherte über ihn, und da er befürchten mußte, wieder ins Wasser getragen zu werden, stemmte er sich dagegen. Er konnte noch immer nicht stehen — aber er kroch auf allen vieren langsam den Strand hinauf, bis er einen Felsbrocken erreichte, an dem er mit den Händen Halt fand. Während er so halb kauerte und sich halb gegen den Stein lehnte, richtete er den Blick wieder auf die Konstellationen des nördlichen Himmels. Als er dann den Kopf wandte, erblickte er die Leuchtkäfer. So sahen sie wenigstens aus — wie drei oder vier Leuchtkäfer, die sich da draußen über dem Meer tummelten, woher er soeben gekommen war. Er wußte, daß es in Wirklichkeit natürlich keine leuchtenden Insekten sein konnten, und somit mußten es wohl die Positionslichter von irgendwelchen Flugzeugen sein — aber derartige Flugzeuge hatte er noch nie gesehen. Unvermittelt wurde Hammonds rechtes Handgelenk von dem festen Griff einer kräftigen Hand umspannt. „Was, zum Teufel...", stieß er hervor und versuchte, sich umzudrehen. Er kam jedoch nicht weit, denn sogleich wurde sein Arm wie von einem Schraubstock umklammert. Aus diesem Griff konnte Hammond sich nicht befreien, und er drehte den Kopf so weit es ging, um wenigstens einen Blick auf den Angreifer werfen zu können. Der Mann trug eine lose Jacke und eine lange Hose. Er war etwa einen Kopf größer als Hammond. Er hatte schwarzes Haar, und sein Hinterkopf wurde von einer Art Turban umspannt. Sein Gesicht entlockte Hammond einen Ausruf der Überraschung. Es war ein massives, irgendwie zerschlagen wirkendes Gesicht, das Hammond an einen Boxer erinnerte. Die schmalen, schlitz-artigen Augen schauten Hammond mißtrauisch an. Am schlimsten war jedoch die Farbe dieses im Sternenlicht schimmernden Gesichtes. Der Mann hatte ein blaßblaues Gesicht. Er hielt Hammond wie ein Kind und deutete mit der freien Hand auf die fernen Lichter der Leuchtkäfer, und dabei redete er in gutturalen Tönen auf Hammond ein. Kirk
13 Hammond konnte nicht ein einziges Wort verstehen. Es war weder Englisch noch sonst irgendeine Sprache, die er je im Leben gehört hatte. Während er hier am Strand der vermutlichen Küste des amerikanischen Kontinents stand und diesen Mann einer vollkommen fremdartigen Rasse betrachtete, gewann er die schreckliche Überzeugung, daß die Zeiger der kosmischen Uhr doch die Wahrheit gesprochen hatten, und daß seit seinem Start Äonen vergangen waren. Es schien den blauen Mann aufzuregen, daß Hammond ihn offensichtlich nicht verstehen konnte — außerdem schien ihm noch eine andere Tatsache ein paar Rätsel aufzugeben. Er deutete auf Hammonds Kopf, dann auf seinen eigenen und schließlich wieder auf die Lichter über dem Meer. „Vramen! Vramen!" wiederholte er scharf — und das konnte ebensogut ein Ausdruck des Mißtrauens wie der Warnung sein. Hammond verstand ganz und gar nichts. Abermals deutete der Mann auf Hammonds Kopf und dann auf seinen eigenen. Hammond schaute diesmal etwas genauer hin und sah, daß der Turban am Hinterkopf des blauen Mannes aus einer metallartigen Masse bestand. „Vramen!" schrie der Mann und deutete nach Osten. Hammond schaute übers Meer und sah, daß sich die Leuchtkäfer jetzt geteilt hatten, Einer von ihnen schwebte noch immer dicht über dem Wasser, während die anderen den Weg zur Küste eingeschlagen hatten. In dem blauen Gesicht des Mannes spiegelte sich jetzt eine gewisse Unentschlossenheit. Unvermittelt drückte er Hammond in den dunklen Schatten des Felsens, und gegen seine Kraft war jeder Widerstand sinnlos. Hammond sah das Flugzeug in niedriger Höhe näher kommen. Es flog vollkommen geräuschlos und mit großer Geschwindigkeit. Die Kanzel war durchsichtig und von innen beleuchtet, so daß der Eindruck eines Leuchtkäfers entstanden war. Augenscheinlich suchte das Flugzeug irgend etwas. Plötzlich sprang der Mann mit dem blauen Gesicht auf. Er band einen Streifen seines metallischen Turbans ab und schnitt diesen Streifen mit einem kleinen Messer ab. Das war eine so unverständliche Handlung, daß Hammond vollkommen vergaß, seine momentane Freiheit auszunutzen; er brummte nur überrascht. Unvermittelt ertönte eine vollkommen klare Stimme in Hammonds Gehirn. In dieser Stimme lag Autorität und eine hypnotische Kraft. „Kommen Sie aus Ihrem Versteck und zeigen Sie sich!" befahl die Stimme. „Zeigen Sie uns, wo Sie sind!" Mit mechanischen Bewegungen schickte Hammond sich an, den erhaltenen Befehl auszuführen und den Schatten des Felsens zu verlassen. Der blaue Mann umklammerte seine Beine und warf ihn zu Boden. Dann nahm er das von seinem Turban abgeschnittene Metallband und legte es um seinen Kopf. Im gleichen Augenblick war die Wirkung der hypnotischen Stimme verflogen. Kirk Hammond zitterte am ganzen Körper. Die ganze Episode hatte sich auf eine vollkommen unirdische Art und Weise abgespielt. Er lag hier im Schatten des Felsens wie ein gejagtes Tier. In was für eine Epoche war er hier hineingeschleudert worden? Für seinen Begleiter schien das alles eine ganz normale Sache zu sein. Mit einem verschlagenen Ausdruck schaute er zu dem Flugzeug hinauf, das noch immer über der Küste kreiste. Jetzt begann Kirk Hammond ein wenig von den Vorgängen zu begreifen. Der hypnotische Befehl mußte von dem suchenden Flugzeug gekommen sein, und da es ein telepathischer Befehl war, hatte es auch keinerlei Sprachschwierigkeiten gegeben. Das metallartige Band wiederum schirmte den Empfang solcher Befehle ab. Der blaue Mann hatte sich auf diese Weise gegen alle derartigen Befehle immun ge-
14 macht, und schließlich hatte er das auch bei Hammond erreicht. Der blaue Mann grunzte befriedigt vor sich hin. Das suchende Flugzeug schlug den Rückweg zu den anderen ein. Offensichtlich war die Suche eingestellt worden. Der blaue Mann richtete sich ein wenig auf und schaute Hammond an. Er schien noch immer auf der Hut zu sein, aber sein anfängliches Mißtrauen war verschwunden. Er legte sich den Finger auf die Brust. „Rab Quobba", sagte er. Diese Geste war unmißverständlich. Hammond legte sich ebenfalls den Finger auf die Brust und nannte seinen Namen. „Hammond?" wiederholte der andere in einem merkwürdig klingenden Akzent. Er schaute Hammond verständnislos an, und dann deutete er auf das im Westen liegende, dunkle Land. „Do Rurooma?" Hammond zuckte die Schultern. Er verstand die Worte nicht. Rab Quobba runzelte die Stirn. Er war ein großer und kräftiger Mann — aber Hammmond hielt ihn nicht gerade für eine besondere Leuchte der Intelligenz. Jetzt wies er wieder mit dem ausgestreckten Arm zum dunklen Land hinüber. „Rurooma? Dal Vramen?" Als Hammond abermals die Schultern zuckte, schien sich der blaue Mann zu einem plötzlichen Entschluß durchzuringen. Er bedeutete Hammond mit einer Handbewegung, ihm zu folgen, und sie gingen nebeneinander über den Strand. Hammond hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie gehen mochten und wer sein Begleiter mit der seltsam bläulichen Haut war. Er war auf diese Erde geschleudert worden, und sie kam ihm so fremd vor wie ein weit entfernter Planet. Immerhin hatte er irgendwie gespürt, daß von dem Flugzeug eine gewisse Bedrohung ausgegangen war, während sich Rab Quobba verhältnismäßig freundlich verhalten hatte — wenigstens bis jetzt. Nach den ersten paar Schritten blieb Kirk schwankend stehen. Seine Füße waren noch so schwach, daß er verschnaufen mußte. Der blaue Mann schien Kirks Schwäche zu erkennen, denn er legte ihm sogleich die Hand um den Rücken, um ihn zu stützen. Sie hielten sich nach Möglichkeit im Schatten der Felsen, und dabei warf Quobba immer wieder einen schnellen Blick auf die in der Ferne über dem Meeresspiegel schwebenden Lichtpunkte der Flugzeuge. Er schien es sehr eilig zu haben, diesen Strand zu verlassen. Ein nebelartiger Schleier legte sich über Hammonds Verstand. Seine Kräfte schwanden mehr und mehr, und er bewegte seine Beine wie eine defekte mechanische Puppe. Immer schwerer stützte er sich auf Quobbas starken Arm. Plötzlich zuckte in einiger Entfernung von ihnen ein blendendheller Lichtstrahl auf, der zum sternenübersäten Himmel stieg. Kurz darauf war ein dumpfes Grollen zu hören. Hammond sagte sich, daß dieser grelle Lichtschein ganz nach einem aufsteigenden Raumschiff ausgesehen hatte. Wenn also inzwischen all diese Jahrhunderte wirklich vergangen waren, hatte die Menschheit inzwischen gelernt, den Weltraum zu beherrschen und sogar interstellare Flüge durchzuführen? Wenn das aber der Fall war, warum versteckten sich dann einige Menschen dieser Erde — und vor wem? Im Schatten einer hoch aufragenden Felswand blieben sie stehen. Quobbas Blick glitt beobachtend über den sternenhellen Himmel. „Shan Tammas!" rief er. „Quobba — aben!" Die Wand öffnete sich und gab einen dunklen Eingang frei. Hammond glaubte zunächst, seine Augen würden ihm einen Streich spielen. Dann erkannte er, daß der
15 gesamte Felsen hohl sein und eine Art Deckung bieten mußte. Ihm blieb jedoch nicht viel Zeit zum Umschauen, denn Quobba zog ihn sofort durch die Öffnung. Das Tor verschloß sich mit einem klickenden Geräusch, und nun standen sie in absoluter Dunkelheit. Irgendwo über ihnen flammte eine Lampe auf. Drei Männer befanden sich im Raum; sie waren ebenfalls in dunkle Jacken und Hosen gekleidet. Einer der drei, den Quobba mit dem Namen Tammas anredete, war ein kleiner Bursche mit einem goldgelben Gesicht und schwarzen Augen. Alle drei starrten Hammond verdutzt an. Hammonds Blick fiel auf ein großes Instrument, das fast den ganzen Raum einnahm. Es sah aus wie ein auf ein Podest montiertes Teleskop, und dennoch waren da ein paar Vorrichtungen, die nicht zu einem Teleskop paßten. Ein Teil der Decke war so beschaffen, daß sich dort eine Öffnung bilden konnte, um das Ende dieses Instrumentes aufzunehmen. Quobba nahm Hammond den Turban ab und führte ihn zu einer Seitenöffnung in der Wand. Hier führte eine steile Wendeltreppe aus Metall durch den Schacht nach unten, und Quobba half Hammond über die Stufen hinunter. Shan Tammas folgte ihnen, und am Fuß der Wendeltreppe kamen sie in einen großen, in weißes Licht getauchten Raum. Ungewöhnliche Maschinen standen an den Wänden. Sie wurden von einer Anzahl von Männern bedient; darunter befanden sich jedoch auch einige Frauen, und diese waren mit Hemd und kurzer Hose bekleidet. Bei ihrem Eintreten wandten sie sich um und starrten Hammond verdutzt und betroffen an. Er erwiderte ihre Blicke, und er kam sich wie im Traum vor. Quobba ergriff wieder seinen Arm und führte ihn durch ein paar weitere unterirdische Räume zu einem kleinen Zimmer, das augenscheinlich ihr Ziel war. Eine Wand wurde von einem großen Regal ausgefüllt, in dem sich metallgebundene Bücher befanden. Weiterhin hingen an den Wänden große, astronomische Karten. „Ez Jon Wilson, lanf do nos Hoomen", sagte Quobba zu Hammond, indem er auf den Mann deutete, der ihnen entgegenkam. Jon Wilson war ein Mann mittleren Alters. Irgendwie erinnerte er Hammond an jemanden — und plötzlich fiel es ihm wieder ein. Vor langer Zeit hatte es bei Harper's Forty einem Mann namens John Brown gegeben — es war ein harter, fanatischer Führer gewesen. Er hatte verschiedene Bilder dieses Mannes gesehen, und der Mann vor ihm ähnelte ihm in jeder Beziehung. Er hatte das gleiche, schmale Gesicht, das stahlgraue Haar und die tief in den Höhlen liegenden, blitzenden Augen. Neben ihm stand ein Mädchen mit schlanker Gestalt, langem, dunklem, bis auf die Schulter fallendem Haar und dunklen Augen. Sie schaute Hammond verwirrt an. „Ez an do Vramen? fragte sie Rah Quobba. „Nun, Iva!" erwiderte der blaue Mann; er gab ein paar schnelle Erklärungen ab und deutete dabei wiederholt an die Decke. Kirk Hammond fühlte sich mehr und mehr wie im Traum. Bis jetzt hatte er sich mit den letzten Kraftreserven aufrecht gehalten — aber die unvermeidliche Reaktion konnte nicht länger ausbleiben. Ein schlanker Mann mit harten Augen und sandfarbenem Haar redete auf Jon Wilson ein. Dabei deutete er immer wieder auf Hammond, und in seinem Gesicht spiegelte sich ein tiefes Mißtrauen — und ein unverkennbarer Haß. „Dito, ez fa Vramen!" rief der Mann, und von den anderen kam ein zustimmendes Gemurmel. Quobba schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Ez nun, Lund!"
16 Der Mann mit dem sandfarbenen Haar sprach nur noch lauter auf Quobba ein. Es wurde Hammond klar, daß sie ihn für einen Spion und Angehörigen ihrer Feinde hielten, die sie Vramen nannten. Wie sollte er ihnen die Wahrheit über sich erzählen, wo er doch nicht die geringste Ahnung von ihrer Sprache hatte? Und wie konnte er erwarten, daß sie ihm seine Geschichte glaubten? 4. Kirk Hammonds Blick fiel auf die astronomischen Karten, und dabei kam ihm ein Gedanke. Er schwankte darauf zu und betrachtete sie näher. Bei den meisten Karten handelte es sich um Darstellungen der Galaxis, aber auf einer war das Solare System mit allen Planeten und ihren Kreisbahnen um die Erde eingezeichnet. Er nahm einen Bleistift zur Hand und zeichnete an den Rand dieser Karte das Bild eines Mannes in einer Raumkapsel, die von der Erde startete. Er deutete auf den gezeichneten Mann und dann auf sich selbst. Die ablehnende Haltung der Männer blieb unverändert. „Wie, zum Teufel, kann ich ihnen klarmachen, daß ich Jahrhunderte hindurch in dieser Kapsel geschlafen habe?" knurrte er erschöpft vor sich hin. Er erblickte eine andere Darstellung der Konstellationen am nördlichen Himmel. Mit dem Bleistift veränderte er die Stellung des Polarsterns, und dann deutete er wieder auf die von der Erde startende Raumkapsel. Wenn sie ihn jetzt nicht verstanden, war alle Hoffnung vergeblich. Jon Wilson, der Anführer, begriff sofort. Die Feindseligkeit in seinem schmalen Gesicht wich einem Ausdruck der Ungläubigkeit. Er setzte zu einer Erwiderung an — aber irgend etwas in Hammonds Erscheinung hielt ihn zurück. Seine Augen verrieten eine tiefe Bestürzung. „Do phram?" fragte er ungläubig. Auch die anderen, unter ihnen das Mädchen Iva, schienen jetzt zu begreifen — aber für Hammond spielte das jetzt keine Rolle mehr, denn ihm wurde plötzlich schwarz vor Augen, und alles drehte sich im Kreis. Quobba und das dunkelhaarige Mädchen waren mit einem Satz bei ihm, und sie führten ihn über den Korridor in einen anderen Raum. Hammond spürte noch, daß sie ihn auf ein schmales Bett legten und zudeckten; dann übermannte ihn der Schlaf. Nach einem schweren, drückenden Traum wachte er plötzlich auf, und als er die Augen öffnete, sah er, daß er aufrecht im Bett saß. Quobba und das Mädchen Iva kamen in den Raum gestürzt. Der blaue Mann drückte ihn behutsam in die Kissen zurück und redete auf ihn ein, als wollte er ein Kind beruhigen. Iva schaute ihn nur mit ihren großen, dunklen Augen an. „Schon gut, es ist alles wieder in Ordnung", murmelte Hammond — aber dann fiel ihm ein, daß sie ihn ja gar nicht verstehen konnten, und er nickte ihnen nur lächelnd zu. „Ez nun do Vramen", sagte Quobba. Er ging in eine Ecke des Raumes und kehrte mit einigen Gegenständen zurück, die er Hammond mit der Miene eines Strafverteidigers zeigte, der soeben einen wichtigen Fall gewonnen hatte. Hammond erkannte seine pelzgefütterte Jacke und ein paar Dinge, die er in den Taschen gehabt hatte: ein Buch mit astronautischen Berechnungen und Tabellen, ein Rechenschieber und eine Glasröhre mit ein paar Tabletten. Quobba strahlte übers ganze Gesicht, und auch Iva lächelte ein wenig. Jon Wilson kam herein und gab Hammond eine Injektion in den Arm; er war zwar noch etwas
17 zurückhaltend, aber durchaus freundlich. Hammond erkannte jetzt, daß sie ihm glaubten. Seine kleinen, persönlichen Gegenstände, die aus einer für diese Menschen längst vergangenen Zeit stammten, hatten sie mehr überzeugt, als er das je mit Worten hätte schaffen können. Sie wußten jetzt, daß er kein Spion ihrer Feinde, der Vramen, war. Er entschloß sich zu einem weiteren Versuch, um ganz sicherzugehen. „Vramen!" rief er; dabei deutete er auf sich selbst und schüttelte heftig den Kopf. Dann deutete er auf sie und fragte: „Vramen?" Iva schüttelte den Kopf, daß ihre dunklen Haare flatterten, und ihre Augen blitzten. „Nun! Sin do Hoomen.'' Hoomen? War das der Name dieser Menschen? Es klang irgendwie nach „human". Er hätte brennend gern mehr darüber erfahren, aber Iva drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück. Sie redete auf ihn ein, und er vermutete, daß sie ihm befahl, wieder einzuschlafen. Er konnte den Zeitablauf nur nach den Perioden des Schlafes und des Wachseins einteilen, und er spürte, wie er allmählich wieder zu Kräften kam. Sie gaben ihm breiartige Nahrung, die seinen Appetit nicht sonderlich reizte, und dennoch gab sie ihm Kraft. Schließlich wollte er aufstehen, aber Jon Wilson und seine Tochter Iva ließen das nicht zu. In den Perioden des Wachseins konnte er nur an die Decke starren und an seine eigene Zeit zurückdenken, Alle seine damaligen Freunde und Lebensgewohnheiten waren seit Generationen ausgelöscht, und bei diesen Gedanken spürte er eine tiefe Einsamkeit in sich aufsteigen. Mitunter fürchtete er, den Verstand zu verlieren — und dann hielt ihn nur eine einzige Tatsache zurück. Das war seine Neugier. Er wollte alles über diese Welt der Zukunft erfahren, in die er so unversehens hineingeschleudert worden war. Er wußte, daß er dieses Ziel nur erreichen konnte, wenn er die Sprache dieser Menschen lernte. Iva verbrachte ungezählte Stunden an seinem Bett, und sie war eine vortreffliche Lehrerin. Mit Zeichensprache und Bildern brachte sie ihm geduldig eine Vokabel nach der anderen bei. Als er endlich soweit war, ein paar einfache Fragen formulieren zu können, schüttelte Iva traurig den Kopf. „Mein Vater wird dir diese Fragen beantworten." „Wann?" fragte er. „Bald?" „Ja, bald", erwiderte sie ausweichend. „Du kennst unsere Sprache noch nicht gut genug, und du mußt noch weitere Vokabeln lernen." Nach zwei weiteren Perioden Schlafes begehrte Hammond auf; er wollte mit aller Macht heraus aus seiner unterirdischen Zelle. „Ich brauche ein bißchen Sonnenschein“, brummte er. „Ich will hinaus.“ Iva schaute ihn ernst an. „Warte“, sagte sie und verließ den Raum. Statt ihrer kam Jon Wilson herein. Er schaute Hammond eine Zeitlang schweigend an und dieser hatte wieder das durchdringende Gefühl, hier einen fanatischen Anführer vor sich zu haben, der vor keinem Opfer zurückschrecken würde. „Du kannst noch nicht hinausgehen“, sagte er endlich. „Du kannst von Glück reden, überhaupt noch am Leben zu sein. Eine ganze Weile fürchteten wir, du würdest nicht überleben.“ „Wie lange . ..“. begann Hammond, aber dann brach er ab, denn er wußte nicht, wie er die betreffenden Fragen formulieren sollte. „Wie lange war ich tot?'' hatte er fragen wollen. „Wie viele Jahrhunderte hindurch ist
18 mein Körper durch die Unendlichkeit des Weltraums geflogen?“ Wie konnte ein Mensch solche Fragen stellen? Aber Jon Wilson schien ihn zu verstehen. „Die physische Form deines Körpers und die Gegenstände aus deinem Besitz stammen aus einem weit zurückliegenden Zeitalter. Unsere Chronologen schätzen auf das Zwanzigste oder das Einundzwanzigste Jahrhundert.“ „lch wurde im Jahre neunzehnhundertneunundvierzig geboren“, flüsterte Hammond. Wilson überlegte einen Augenblick. „Dann befinden wir uns jetzt nach der gleichen Chronologie, die wir allerdings längst nicht mehr benutzen, im Jahre Zwölftausend vierundneunzig.“ Es stimmte also, und die Zeiger der kosmischen Uhr hatten nicht gelogen; dennoch konnte sich Hammond mit diesem ungeheuerlichen Gedanken nicht vertraut machen. „Aber wie könnte ich dann leben? Ich habe zwar schon von allerlei Kälteexperimenten gehört — aber so etwas . . .“ Wilson zuckte die Schultern. „Ich kann dir nicht in wenigen Sätzen den Stand der Wissenschaften unseres Zeitalters erklären. Die meisten Ausdrücke und Begriffe würdest du ohnehin nicht verstehen. Wir haben jedoch schon in den Anfängen der Eroberung der Galaxis festgestellt, daß ein Mann, der der eisigen Kälte des Weltraums ausgesetzt war, wieder zum Leben erweckt werden kann. Wenn ein solcher Körper wieder der Wärme ausgesetzt wird, nehmen die Organe ihre normale Tätigkeit wieder auf, ohne den geringsten Schaden erlitten zu haben.“ Jon Wilson hielt inne und schaute Hammond eine Weile nachdenklich an. „In früheren Zeiten hätte man wahrscheinlich gesagt, du wärest durch die Vorsehung gerettet worden, weil deine Raumkapsel wieder in den Schwerkraftsbereich der Erde gekommen ist.“ Kirk Hammond schloß die Augen und schlug die Hände vors Gesicht. Um dieser ungeheuren Offenbarung auszuweichen, flüchtete er auf ein nebensächliches Gebiet. „Du erwähntest die Eroberung des Weltraums; dann ist diese Eroberung also vollkommen geglückt?“ „Ja“, antwortete Wilson. „Die gesamte Galaxis?“ „Ja.“ „Dann sind Quobba und Tammas . . .“ „Quobba wurde auf einem Planeten des Systems Wega geboren. Tammas kommt vom Mizar-System. Die Menschen haben sich seit deiner Zeit viele ferne Weiten unterworfen, Hammond.“ Das Blut hämmerte in Hammonds Adern. Die Träume seiner eigenen Zeit hatten sich also verwirklicht, und der Kosmos stand den Menschen jetzt offen. Er sagte das, und Jon Wilson lachte. Es war ein hartes, erschreckendes Geräusch, und Hammond sah das Aufblitzen in Wilsons Augen. „Oh, nein!“ entgegnete Wilson. „Du irrst dich. Der Weltraum wurde von Menschen deiner Zeit und von meinen Vorfahren erobert — aber er gehört uns nicht mehr. Er gehört jetzt den Vramen.“ „Wer sind die Vramen?“ fragte Hammond. „Sie sind der Grund, weshalb du nicht hinausgehen kannst“, antwortete Wilson. „Sie sind unsere Feinde — und sie sind auch deine Feinde. Sie suchen noch immer diese ganze Umgebung ab. Ihre Radaranlagen haben ihnen den Absturz deiner Raumkapsel gezeigt, und ihre Flugzeuge müssen wohl deinen auf dem Meer treibenden Fallschirm aufgespürt haben. Sie sind auf der Jagd nach dir, Hammond.“
19 5. Kirk Hammond lag wach in seinem Bett und starrte an die Decke. Jon Wilson hatte ihm alle Antworten gegeben, und nunmehr wurde die Situation langsam klar für ihn. Die Kinder der Erde waren ausgezogen und hatten den Weltraum durchforscht und erobert. Dennoch gehörte der Weltraum jetzt nicht den Kindern der Erde, sondern den Vramen. Es war seltsam für Hammond, zu spüren, daß er bereits begann, diesen Namen zu hassen. Er hatte noch nie einen Vramen zu sehen bekommen und wußte im Grunde genommen nur, was der fanatische Wilson ihm darüber berichtet hatte. Zu einem gewissen Teil beruhte sein Haß gegen die Vramen auch auf der Tatsache, daß er selbst zu einem, wenn auch recht bescheidenen Teil zur Eroberung des Wellraums beigetragen hatte. Dieser Weltraum sollte nach allen allen Träumen der Menschen frei sein, denn er war ja für jeden geschaffen. Nach Wilsons Angaben schienen die Vramen jedoch anders darüber zu denken. Wer waren denn diese Vramen, daß sie sich die Herrschaft über die gesamte Galaxis anmaßten? Es waren Männer und Frauen, die im Grunde genommen ebenfalls von der guten, alten Erde stammten. Allerdings unterschieden sie sich in einem sehr wesentlichen Punkt von den Hoomen, den eigentlichen Nachkommen der Menschen: Die Vramen starben nicht. Zum hundertsten Male durchdachte Kirk Hammond die Geschichte, die Wilson ihm erzählt hatte. Es war eine ganz unglaubliche Geschichte, aber Hammond sagte sich, wenn zu seiner eigenen Zeit im 20. Jahrhundert ein alter Römer plötzlich wieder zum Leben erwacht wäre, dann hätte er auch alles für unglaublich halten müssen, was sich da so in diesem atomaren Zeitalter tat. Die Vramen waren mehr oder weniger aus einem Zufall entstanden. Vor etwa zweitausend Jahren war eine Gruppe von Wissenschaftlern der Erde zu dem weitab gelegenen Trifid-System gekommen, und auf dem Planeten Althar hatten sie das Geheimnis des unendlich zu verlängernden Lebens gefunden. „Was für ein Geheimnis?“ hatte Hammond skeptisch gefragt. „Was für ein Ding könnte denn so etwas hervorbringen?“ „Es heißt allgemein“, erklärte Wilson, „daß sie in jener Welt einen Vorrat von superradioaktivem Material fanden — und zwar von einer Substanz, die uns vollkommen unbekannt war. Du wirst wohl selbst wissen, welche tiefe Wirkung Radiation auf alles Leben hat. Immerhin wissen wir nicht genau, was Sie eigentlich gefunden haben.“ Was immer dort auf Althar gefunden worden sein mochte, es verlieh den normalerweise alternden Organen unendliches Leben. Die Vramen waren zwar nicht unverletzlich — aber jegliche Krankheit und der Prozeß des Alterns waren ihnen unbekannt. Niemand vermochte zu sagen, wie alt ein Vrame eigentlich werden konnte, denn es gab niemanden, der so alt geworden wäre, daß er je einen Vramen hätte an Altersschwäche sterben sehen. Die ersten Vramen waren die Entdecker des Trifid-Systems gewesen. Sie hatten sich ausgebreitet, indem sie sorgfältig ausgewählte Männer und Frauen zu ihrer Welt Althar gebracht und sich somit dort vermehrt hatten. Nach dieser Periode wurde es niemandem mehr gestattet, auch nur in die Nähe von Althar zu kommen. Der Rest der Menschheit unterlag nach wie vor dem grausamen Schicksal der verhältnismäßig kurzen Lebensspanne. „Ist denn ihre Super-Langlebigkeit erblich?“ fragte Hammond. „Wird sie auf die Kinder fortgepflanzt?“
20 „Die Vramen haben keine Kinder“, antwortete Wilson. „Sie heiraten auch nicht in unserem Sinne; ich glaube allerdings, daß sie irgendeine Art von Zusammenleben führen.“ Da jeder einzelne Vrame ein ausgeprägter Wissenschaftler war, hatte es ihnen wenig Mühe bedeutet, den unorganisierten Angriff der Hoomen auf ihr Geheimnis und ihre Welt abzuschlagen. Sie schufen sich vollkommen neuartige, mächtige Waffen, und im Laufe von Dekaden übernahmen sie mehr und mehr die Kontrolle über die gesamte Galaxis. Im Laufe der Zeit mußten sich die Hoomen den Vramen beugen, da deren wissenschaftliche Überlegenheit unangreifbar war. Schließlich kontrollierten sie jedes einzelne Raumschiff, das sich in der Galaxis bewegte. „Nach den Gesetzen des Galaktischen Rates“, erklärte Ion Wilson, „ist in jedem einzelnen Raumschiff eine geheime, unantastbare Vorrichtung der Vramen eingebaut, die es ihnen ermöglicht, das betreffende Schiff zur Explosion zu bringen, falls es sich Althar nähert. In jedem einzelnen System der Galaxis sind die Vramen mit Radargeräten stationiert, die ihnen den Flug eines Raumschiffes genau anzeigen. Deshalb sind sie ja auch so scharf hinter dir her, Hammond — und sie werden nicht eher ruhen, bis sie dich aufgespürt haben.“ Kirk Hammond dachte an seine erste Begegnung mit den Vramen. Auch jetzt lief ihm noch ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er sich daran erinnerte, wie er dem hypnotischen Befehl Folge geleistet und sich selbst aufgegeben hätte, wenn Quobba ihn nicht im letzten Augenblick davor bewahrt hätte. Dann hatte Jon Wilson seine letzte Bombe platzen lassen. „Ich muß dir noch einen letzten Punkt erklären, Hammond, und dann mußt du selbst zu einem Entschluß kommen. Um es mit grausamer Ehrlichkeit zu sagen, wird dir kaum viel Wahl bleiben — aber ich will dir alles darüber sagen. Du hast dich ständig gewundert, warum wir uns hier in diese Katakomben verkrochen haben und es nicht wagen, den Kopf auf der Oberfläche der Erde sehen zu lassen. Es ist ein recht einfacher Grund: wir führen hier eine illegale Tätigkeit durch, und wenn wir dabei geschnappt werden, erwartet uns die Höchststrafe.“ Er hielt inne und schaute Hammond fest an. „Wir bauen hier ein Raumschiff“, fügte er dann sehr ruhig hinzu. „Ein Raumschiff“' fragte Hammond verdutzt. „Ja, und zwar wird dieses Raumschiff nicht die geheime Vorrichtung der Vramen an Bord haben. Die Mannschaft besteht aus lauter zuverlässigen und erfahrenen Leuten, und damit besteht die Aussicht, daß dieses Raumschiff sein gesetztes Ziel erreicht.“ Kirk Hammonds Herz begann zu hämmern, und er beugte sich vor. „Althar?“ „Ja, Althar — die verborgene, geheimnisvolle Welt der Vramen. Wir sind uns alle darüber klar, daß dieser Versuch einem Selbstmord gleichkommt, Hammond.“ Ein tiefes Leuchten trat in Jon Wilsons Augen. „Aber wenn unserem Versuch Erfolg beschieden ist, dann können wir der gesamten Menschheit das unendliche Leben bringen und sie gleichzeitig von der Tyrannei der Vramen befreien. Wir denken, daß es sich lohnt, ein solches Risiko einzugehen.“ Er stand auf und schaute auf Hammond hinunter. „Ich weiß nicht, ob du genau so denkst wie wir. Wir hoffen, daß du dich uns anschließt — aber die Entscheidung darüber liegt einzig und allein bei dir.“ Kirk Hammond schaute ihn ungläubig an. „Warum wollt ihr gerade mich? Das begreife ich nicht. Nehmen wir mal an das stimmt alles, obwohl ich nicht mal die Hälfte davon glaube — aber warum gerade ich? Ich kenne euere Technik doch gar nicht, und mit euch verglichen bin ich ein ganz primitiver Mensch. Inwiefern könnte ich euch nützen?“ „Wir haben einen großen Kampf vor uns“, erwiderte Wilson. „Selbst wenn wir Althar
21 erreichen und den Vramen ihr Geheimnis entreißen können, bleibt uns noch immer ein großer Kampf, denn die Menschen der einzelnen Wellen sind an die Herrschaft der Vramen gewöhnt, und es wird ihnen nicht leichtfallen, sich plötzlich umzustellen. Dazu brauchen wir dich, Hammond. Wenn wir ihnen beweisen, daß du einer jener Astronauten bist, die in der Ursprungszeit der Weltraumeroberung ihre ganze Kraft dafür einsetzten, eine freie Galaxis zu erhalten, dann werden sie unser Ziel erkennen.“ „Aha'', brummte Hammond. „Als Propagandamittel — na, das hätte ich mir eigentlich denken können.“ „Keine voreiligen Entschlüsse“, entgegnete Jon Wilson. „Überleg dir erst alles genau, berate dich mit Quobba, Tammas und den anderen — und dann entscheide dich.“ Kirk Hammonds Kopf brummte bereits vom vielen Denken — aber er mußte sich zu irgendeiner Entscheidung durchringen. Er knurrte vor sich hin. Warum, zum Kuckuck, hatten sich die Menschen überhaupt an die Eroberung des Weltraums gemacht? Damit hatten sie damals, im 20. Jahrhundert, wirklich einen verteufelten Stein ins Rollen gebracht! Schwere Schrille kamen über den Korridor, und dann trat Quobba ein. „Fehlt dir irgend etwas?“ „Alles in Ordnung“, antwortete Hammond, und dann richtete er sich im Bett ein bißchen auf. „Sag mir die Wahrheit, Quobba: bist du mein Krankenpfleger oder mein Wächter?“ Der blaue Mann trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Nun, ich glaube, beides.“ „Das heißt also, daß man mir noch immer nicht ganz traut?“ „Wir müssen erst abwarten, ob du dich für uns entscheidest. Wir wissen jetzt, daß all deine Angaben stimmen — aber du könntest noch immer den Versuch unternehmen, irgendwie die Vramen zu erreichen.“ „Aha.“ Hammond schaute Quobba nachdenklich an. Der Mann hatte augenscheinlich ein einfaches Gemüt und war keiner Verstellung fähig. „Was hältst du eigentlich von den Vramen?'' „Es sind Schufte!“ rief Quobba prompt. „Warum?“ „Wer will denn schon sterben?“ fragte Quobba einfach. „Niemand. Das brauchten wir auch gar nicht, wenn die Vramen ihr Geheimnis mit uns teilten. Sie leben immer weiter, während wir alt und schwach werden und schließlich sterben. Dabei wollen sie uns auch noch weismachen, es wäre zu unserem eigenen Wohl, wenn wir ihr Geheimnis nicht kennen ...“ Kirk Hammond schaute ihn wieder nachdenklich an. „Bist du wirklich von Wega?“ Diese Frage schien den blauen Mann zu überraschen. „Natürlich; von Wega Vier.“ „Wie ist es dort?“ Quobba zuckte die Schultern. „Es ist eine schöne Welt — aber natürlich ganz anders als hier. Ich habe mich nie an die gelblichrote Färbung der Sonne gewöhnen können — oder an grünes Gras und solche Dinge. Ich hätte meine Welt nie verlassen sollen, aber ich war verrückt nach Raumflügen. Nach zehn Jahren bei einer Mannschaft traf ich Shan und durch ihn Jon Wilson, und da entschloß ich mich, ihm zu folgen.“ Während der folgenden Stunden der Nacht unterhielt sich Kirk Hammond eingehend mit Rab Quobba über alle Einzelheiten im Leben eines Mannes, der sich der Raumfahrt verschrieben hatte. Die Stunden vergingen wie im Fluge, und Hammond lernte eine Menge dabei. Am Morgen kam Jon Wilson wieder. „Ich bin auf deiner Seite — falls alles, was du mir erzählt hast, der Wahrheit entspricht“, sagte Hammond.
22 „Es ist alles wahr“, erwiderte Wilson. „Ehe ich dich jedoch als einen der Unseren willkommen heißen kann, müssen die anderen noch zustimmen. Bis dahin bitte ich dich um Geduld.“ Kurz darauf kam Iva Wilson mit dem Frühstück herein, und Hammond schaute sie forschend an. „Hast du ebenfalls die Aufgabe, mich zu bewachen, Iva?“ „Natürlich nicht“, antwortete sie. „Ich habe dich nie für einen Spion der Vramen gehalten. Ich habe Gurth Lund gleich an jenem ersten Abend erklärt, daß die Vramen niemals eine so schwache und hilflose Person als Spion verwenden würden.“ Hammond lachte — und er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann er das letztemal gelacht hatte. Ivas Wangen röteten sich. „Oh — aber so habe ich es doch nicht gemeint! Nach allem, was du hinter dir hattest, mußtest du doch schwach und erschöpft sein.“ Einige Zeit später kam Rab Quobba mit einem breiten Grinsen herein. „Na, du hast eben deinen Kopf in die Schlinge gesteckt. Komm mit!“ Hammond ging mit dem blauen Mann, während Iva Wilson ihnen zu dem kleinen Raum folgte, den ihr Vater als Büroraum benutzte, und der eigentlich das Herz der gesamten Organisation dieser Katakomben war. Dort trafen sie außer Wilson noch Lund an, den Mann mit dem sandfarbenen Haar, an den Hammond sich so lebhaft erinnerte. Außerdem waren noch zwei weitere Männer anwesend. Lund kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen, und jetzt war alle Feindseligkeit aus seiner Haltung verschwunden. „Du bist in unseren Kreis aufgenommen worden, und damit hat sich alles andere erledigt“, sagte er ohne Umschweife. „Hoffentlich hältst du meine damalige Vorsicht nicht für übertrieben?“ „Natürlich nicht'', erwiderte Hammond, und dann fügte er hinzu: „Wenn mir jemand eine solche Geschichte erzählt hätte, wie ich sie zu berichten hatte, dann hätte ich ihm bestimmt auch nicht auf Anhieb geglaubt.“ „Jetzt wirst du also einer von uns“, sagte Jon Wilson zu Hammond. „Ich werde einfach das Gefühl nicht los, daß es die Hand des Schicksals war, die dir den Weg zu uns gewiesen hat. Dieses Schicksal hat dich auf eine höchst seltsame und geheimnisvolle Weise aus der fernen Vergangenheit zu uns gebracht — und zwar gerade in einem Augenblick, wo wir dich am dringendsten brauchen.“ Jetzt schaltete sich Lund ein. „Ich brauche dich wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, daß du die gleiche Strafe erleidest wie wir, wenn unser Unternehmen fehlschlägt.“ „Du meinst damit, daß wir von den Vramen umgebracht werden, wenn sie uns schnappen?“ fragte Hammond. „Die Vramen haben keine offizielle Position“, betonte Wilson. „Ihre Herrschaft beruht einzig und allein auf ihrem wissenschaftlichen Prestige. Sie hätten also lediglich die Möglichkeit, uns — falls sie uns erwischen — dem nächsten Gericht des Galaktischen Rates zu übergeben und Anklage wegen Verletzung der Gesetze über die Beschaffenheit von Raumschiffen zu erheben.“ Wilson und Lund führten Hammond durch die einzelnen Werkstätten der Katakomben, in denen eine fieberhafte Aktivität herrschte. Hammond stellte zunächst ein paar Fragen — aber das gab er bald auf und beschränkte sich darauf, alles genau zu betrachten. Abgesehen von den fehlenden technischen Voraussetzungen hatte er auch noch nicht die genügenden Sprachkenntnisse, um sich näher mit diesen Problemen beschäftigen zu können. Er sah, daß alle Antriebsaggregate von Atomkraft gesteuert waren — aber die technischen
23 Daten und Einrichtungen waren ihm genauso unverständlich wie einem Hottentotten etwa ein Radioapparat. Er hatte eigentlich erwartet, das Rahmengestell eines Raumschiffes zu sehen, und auf diese Ansicht hatte er sich besonders gefreut. Aber soweit war das Projekt noch nicht gediehen. Zur Zeit wurden erst alle Einzelteile des Raumschiffes hergestellt. Das erforderliche Metall wurde hier aus dem unterhalb der Katakomben gelegenen Boden gewonnen, und gerade aus diesem Grund war diese Stelle ausgesucht worden. Nach Fertigstellung der betreffenden Einzelteile würden die Trennwände der Katakomben mittels irgendeiner Energie, die ihm nicht näher erklärt wurde, aufgeschwungen werden, so daß sich eine Art unterirdischen Hangars ergab, in dem das erbaute Raumschiff Platz fand. „Wenn das Raumschiff dann startklar ist, werden wir einfach das Dach dieses unterirdischen Liegeplatzes öffnen und starten“, sagte Jon Wilson. „Aber wird der Start nicht von den Radarschirmen der Vramen in Ramooma geortet werden?“ fragte Hammond. „Diesen Punkt haben wir bereits geklärt“, sagte Gurth Lund. „Wir werden einen Sabotageakt unternehmen und gleichzeitig an den Start gehen. Die Vramen werden das erst merken, wenn wir längst auf dem Weg nach Althar sind.“ Jon Wilsons Augen blitzten. „Zum erstenmal seit langer, langer Zeit wird ein freies Raumschiff durch die Galaxis fliegen — ein Raumschiff, das die Vramen nicht mit einem einzigen Knopfdruck zerstören können.“ Kirk Hammond machte sich mit allen Mitgliedern dieser Organisation bekannt. Es waren insgesamt zweiunddreißig Männer und dreizehn Frauen, und sie alle verfügten über die erforderlichen technischen Kenntnisse und Erfahrungen im Raumflug; sie waren für dieses Projekt sorgfältig ausgewählt worden. Außer Rah Quobba und Tammas, der sich zur Zeit auf Wachtposten befand gab es noch vier weitere Menschen, die von anderen Systemen stammten: zwei rothäutige Ingenieure von Beteigeuze, einen dickhäutigen, kleinen Astronauten von Altair, und einen hohläugigen, grauhäutigen Techniker von Algol. Ungläubig schaute Hammond diese Menschen immer wieder an, und er konnte kaum den Blick von ihnen wenden; sie waren der beste Beweis für die Tatsache, daß sich der Raumflug wirklich schon bis in die entlegensten Winkel der galaktischen Systeme ausgebreitet hatte. Erst später kam ihm zu Bewußtsein, daß ihn diese Menschen mit der gleichen Verwunderung betrachteten. „Uns allen“, sagte Wilson, „erscheinst du schier unglaublich. Die Zeit, der du entstammst, ist für uns die älteste Geschichte, und nur wenige Unterlagen aus diesem Zeitalter haben bis jetzt überlebt.“ Ihre Unterhaltung wurde durch den stürmischen Eintritt von Shan Tammas unterbrochen. Er kam vom Wachtposten hergeeilt. „Quobba macht sich Sorgen“, meldete er. „über uns kreuzt ein Flugzeug der Vramen, und er hält es für möglich, daß sie unseren Standort ausmachen könnten.“ Wilson runzelte die Stirn. „Das kann ich mir auf keinen Fall vorstellen, aber ich werde mir die Sache mal selbst ansehen.“ In Begleitung von Lund und Tammas stieg er die enge Wendeltreppe hinauf. Hammond sehnte sich seit langem nach einem Blick auf den Himmel, und er folgte ihnen, ohne daß jemand eine Einwendung erhob. Er warf einen kurzen Blick zurück und sah, daß die Hoomen ihre Arbeit einstellten, während sich die alarmierende Nachricht unter ihnen verbreitete. Sie stellten sich in kleinen Gruppen auf und unterhielten sich ängstlich.
24 Im Beobachtungsraum befand sich außer Rab Quobba noch ein weiterer Mann. Der Posten war so schmal, daß Hammond sich förmlich gegen die Plattform zwängen mußte, um überhaupt an das teleskopartige Instrument zu gelangen. „Sieh dir nur mal an, wie dieses Flugzeug genau über uns seine Kreise zieht“, sagte Quobba zu Wilson. Wilson beugte sich über eine kleine Linse, und Lund folgte seinem Beispiel. Hammmond entdeckte eine weitere Linse und beugte sich ebenfalls darüber. Die Linse war so angebracht, daß sie einen Blick über einen weiten Bereich bot. Das Küstengebiet war in strahlenden Sonnenschein getaucht. Hammonds Blick fiel auf die Wellen der Brandung, die gegen den weißen Strand züngelten. Das Bild kam ihm vertraut vor — herrlich und vollkommen friedlich. Dann entdeckte er das Flugzeug der Vramen. Ganz plötzlich kam es in sein Blickfeld; der schlanke, langgestreckte Rumpf strahlte wie ein Torpedo in der Sonne, und es hatte weder Flügel noch Antriebsaggregate, die nach außen sichtbar waren. In immer enger werdenden Kreisen zog es seine Bahn um den Standort der Hoomen. „Sie können uns gar nicht entdeckt haben“, sagte Wilson. „Ihre Strahlen vermögen unseren Schutzschild gar nicht zu durchdringen.“ Immerhin lag eine gewisse Besorgnis in seiner Stimme, und Hammond konnte sich den Grund dafür vorstellen, obgleich er nichts von derartigen Strahlen und Schutzschilden verstand. Die Kreise des Flugzeugs wurden immer enger, und schließlich schwebte es bewegungslos ein paar hundert Meter über der Katakombendecke. Wilson stöhnte. „Jetzt kann es keinen Zweifel mehr geben. Wir müssen das Flugzeug herunterholen — und zwar rasch, damit es keine Verstärkung anfordern kann.“ Rab Quobbas Gesicht zuckte nervös. „Ich werde es herunterholen. Öffne die Decke, Tammas!“ Mit unvorstellbarer Geschicklichkeit schwang sich der kleine Mann unter das Dach. Quobba hatte bereits seinen Platz am unteren Ende des teleskopartigen Instrumentes eingenommen, und Hammond merkte plötzlich, daß dieses Instrument eine Waffe war. 6. Rab Quobba bediente ein paar Schalter, und am unteren Ende des teleskopartigen Instruments bildete sich so etwas wie eine längliche Trommel mit einer runden Öffnung. Er drückte auf einen Knopf. Ein weißes Wölkchen stieg aus der Öffnung auf Hammond dachte zunächst, daß dies eigentlich eine recht harmlose Waffe sein müßte — aber er mußte seine Meinung sehr schnell ändern. Das Wölkchen vergrößerte sich nämlich zusehends und nahm in Sekundenschnelle die langgestreckte Form eines Geschosses an. Der Flieger der Vramen versuchte verzweifelt, diesem Geschoß zu entgehen — aber seine Bemühungen kamen zu spät. Ein Teil des Gebildes traf das Flugzeug am Rumpfende und schmolz es sofort zusammen. Das energiegeladene Gebilde stieg weiter auf, und Hammond folgte seinem Weg mit bestürzten Blicken, bis es sich plötzlich auflöste. Erst dann richtete er den Blick wieder auf das Flugzeug der Vramen. Es stürzte, indem es sich haltlos ein paarmal um die eigene Achse drehte und zerschellte an einem Felsen, „Erwischt!“ rief Rab Quobba mit vor Erregung leuchtenden Augen. „Gurth und Rab!“ befahl Jon Wilson. „Beseitigt sofort alle Spuren des Flugzeuges, ehe das Wrack dort gefunden werden kann!“ Er öffnete das verborgene Tor zur Außenseite der Katakomben und eilte hinaus,
25 während Lund und Quobba ihm unmittelbar auf den Fersen folgten. Kirk Hammond überlegte einen kurzen Augenblick; dann gab er seinem Impuls nach und folgte ihnen. Er war noch ein bißchen unsicher auf den Beinen, aber der helle Sonnenschein tat ihm wohl, und er atmete die frische, von der See kommende Brise mit vollen, gierigen Zügen ein. Das war endlich mal etwas anderes als die Luft in den Katakomben. Sein Blick fiel jetzt auf das Flugzeugwrack, und er sah, daß das Vorderteil des torpedoförmigen Rumpfes aus durchsichtigem Metall zu bestehen schien. Das konnte er sich nicht recht erklären. Rab Quobba zerrte an einer Tür. Dann zwängte er sich durch die Öffnung hinein, während Lund und Wilson ebenfalls auf die Tür zuliefen. „Sie sind tot — alle beide!“ rief Quobba. Hammond kroch ebenfalls in das Wrack, und über die Schultern der anderen hinweg fiel sein Blick auf zwei Gestalten, die reglos zwischen ein paar Metalltrümmern saßen. Er schickte sich an, weiter nach vorn zu gehen, um einen besseren Blick auf die beiden Toten zu erhaschen, als er hinter sich ein leises Geräusch hörte. Er wirbelte herum, und dann riß er verdutzt den Mund auf. Im Halbdunkel des verbeulten Rumpfes erhob sich langsam eine Gestalt vom Boden. Es war kein Mann, sondern eine Frau, denn er sah deutlich ihr langes, blondes Haar und ein weißes, volles Knie, als sie sich schwankend vom Boden erhob. Sie war noch jung, und sie trug die gleiche Kleidung, wie er sie bei den Frauen der Hoomen gesehen hatte. Mit großen blauen Augen, in denen sich noch immer das Entsetzen über den Absturz spiegelte, schaute sie Hammond und die hinter ihm stehenden Hoomen an. Kirk Hammond sagte sich, daß das Gesicht dieser Frau selbst in diesem Augenblick das schönste war, das er je im Leben gesehen hatte — aber es war nicht nur schön, sondern es verriet auch viel innere Kraft. In Hammonds Augen überwog diese Kraft die Schönheit der Frau, denn er spürte instinktiv, daß sie ihm auf vielen Gebieten überlegen war, und diese Überlegenheit würde er niemals ausgleichen können. Ein paar Sekunden verstrichen, während Hammond die Frau betrachtete und den Schmerz und Schock in ihren Augen sah. Dann drehte Lund sich um, und zunächst sah er nur Hammond hinter sich. „Was machst du denn hier?“ fragte er verärgert. „Geh sofort zurück zur...“ Er brach unvermittelt ab, und ein paar Sekunden lang herrschte tiefes Schweigen. Dann sagte Lund nur zwei Worte: „Thayn Marden!“ Wilson riß den Kopf herum. „Marden! Schnapp sie, Lund — aber sei vorsichtig, daß sie nicht verletzt wird!“ Die Männer kamen, so schnell es in dem verbeulten Rumpf ging, durch den Gang. Der Klang von Lunds Stimme schien die Frau aus ihrer Betäubung gerissen zu haben. Sic sprang mit einem Satz an die Wand und zerrte an dem Griff einer Tür, die sich jedoch nicht öffnen ließ. Wilsons Warnung zeigte Hammond ganz deutlich, daß die Situation gefährlich war. Was immer die Frau aus diesem kleinen Schrank, dessen Tür verklemmt war, herauszuziehen beabsichtigte, mußte Gefahr für die Männer bedeuten. Kirk Hammond stand der Frau am nächsten. Er sprang hastig vor und griff nach ihr. Im nächsten Augenblick vermeinte er, eine Wildkatze angegriffen zu haben. Die physische Kraft, die in diesem zarten Frauenkörper steckte, war so unerwartet groß, daß er fast den Halt verloren hätte. Verzweifelt umklammerte er sie und preßte das Gesicht gegen ihr blondes Haar. Sie sahen jetzt aus wie ein Liebespaar in einer stürmischen, leidenschaftlichen Umarmung. Rab Quobba stürzte heran und packte die Frau mit seinen muskulösen Händen. „Die Hände fesseln!“ rief Wilson. „Schnell, schnell!“
26 Lund riß ein dünnes Kabelende aus der Wand des verbeulten Rumpfes und benutzte das unisolierte Ende, um die Hände der Frau zu fesseln. Hammond stand keuchend neben ihnen. Als ihre Handgelenke gefesselt waren, gab die Frau jeden weiteren Widerstand auf. Ihre Augen sprühten vor Zorn — aber sie sprach kein Wort. „Bring sie zu unserem Unterschlupf!“ sagte Wilson zu Quobba. „Gurth und ich werden uns um das Wrack hier kümmern.“ Dann wandte er sich an Hammond und fügte gereizt hinzu: „Geh mit ihnen — hier mußt du hinaus!“ Quobba nahm die gefesselte Frau wie ein Kind in die Arme und trug sie durch die demolierte Tür in den Sonnenschein hinaus, Hammond folgte ihm. Der blaue Mann eilte über den steinigen Boden auf die Felswand zu, in der sich die Katakomben befanden. Iva Wilson erwartete sie am Tor. Überrascht schaute sie auf die Frau der Vramen. „Thayn Marden!“ rief sie. „Du kennst sie?“ fragte Hammond. Iva nickte. „Natürlich. Sie ist eine der Frauen der Vramen von Rurooma, und sie war schon lange vor meiner Geburt dort.“ Das war wieder ein Schlag für Hammond. In der Aufregung hatte er ganz vergessen, daß die Vramen ja ein langes Leben haben sollten. Als er jetzt diese Frau betrachtete, die allgemein Thayn Marden genannt wurde, kam ihm diese Behauptung noch unglaublicher vor als zuvor. Gewiß, trotz ihrer auffallenden Schönheit war ihre überlegene und machtvolle Haltung unverkennbar — aber rein körperlich gesehen machte sie keineswegs einen älteren Eindruck als Iva. Thayn Marden hatte inzwischen ihre Haltung zurückgewonnen. Sie stand vollkommen aufrecht, und sie schaute sie nach Hommonds Ansicht wie ein verärgerter Erwachsener an, der mit den Kindern unzufrieden ist. „Da fliegt das Wrack in die Luft!“ rief Shan Tammas voller Schadenfreude. Hammond wandte sich um und sah, daß Jon Wilson und Gurth Lund inzwischen das abgestürzte Flugzeug verlassen hatten und nun in der Deckung einer Felswand kauerten. Im verbeulten Rumpfteil glühte jetzt ein greller Lichtpunkt, der sich innerhalb weniger Sekunden zu einer lautlosen Energieexplosion verstärkte, die das gesamte Wrack erfaßte. Hammond war momentan von dem grellen Licht geblendet, und als er endlich wieder sehen konnte, war das Flugzeugwrack vollkommen verschwunden, und am steinigen Boden war nur noch ein schwarzer Fleck zu sehen. Wilson und Lund liefen auf die Stelle zu und streuten Sand über den dunklen Fleck. Nachdem alle Spuren beseitigt waren, kamen sie zum Tor der Katakomben geeilt. Wilson betätigte schweratmend den Mechanismus, und das Tor schloß sich mit einem klickenden Geräusch. Ohne von Thayn Marden die geringste Notiz zu nehmen, eilte er auf das teleskopartige Instrument zu und schaute in eine der Linsen. „Wenn es ihnen gelungen ist, vor dem Abschuß noch eine Nachricht an Rurooma durchzugeben, dann werden hier innerhalb weniger Minuten weitere Vramen auftauchen. Wir müssen jetzt abwarten.“ Sie warteten. Langsam verstrichen die Minuten. Niemand sprach ein Wort in der dumpfigen Enge des kleinen Räumes. „Nichts“, sagte Wilson schließlich. „Sie haben keine Nachricht mehr durchgeben können.“ Rab Quobba, der Thayn Marden noch immer am Arm hielt, atmete erleichtert auf. Wilson trat auf Hammond zu; sein Gesicht war jetzt wie aus Stein gemeißelt. „Warum bist du uns nach draußen gefolgt? Ich habe doch nur Gurth und Quobba
27 aufgetragen, mir zu folgen.“ Hammond paßte der Ton gar nicht. „Ich wollte euch begleiten — und es war gut für euch, daß ich das getan habe.“ Wilson schaute ihn mürrisch an. „Na schön, du kennst es ja noch nicht anders. Aber merke dir ein für allemal, ganz gleich, aus was für einem anarchistischen Zeitalter du stammen magst — hier hast du zu gehorchen, wenn du zu uns gehörst.“ Hammond wollte abermals aufbegehren, aber er riß sich zusammen. Wilson wandte sich an Thayn Marden, und erst jetzt sah Hammond, daß die aufsässige Wut vollkommen aus dem Gesicht der Frau verschwunden war. Mit gespanntem Interesse hatte sie den kurzen Wortwechsel zwischen den beiden Männern beobachtet, und jetzt war ihr Blick auf Hammond gerichtet, als wäre sie von seinem Anblick fasziniert. Zum erstenmal begann sie zu sprechen. „Wer ist das?“ fragte sie Wilson, ohne den Blick von Hammond zu wenden. „Das wird euer Volk schon noch erfahren“, entgegnete Wilson grimmig. „Bald wird es die gesamte Galaxis erfahren.“ „Was meintest du mit der Zeit, aus der er stammt?“ Wilson nahm keine Notiz von ihrer Frage. „Ich habe eine Gegenfrage für dich, Thayn Marden. Wie habt ihr unseren Unterschlupf finden können, obwohl er gegen alle Strahlen abgeschirmt ist?“ Thayn Marden betrachtete ihn mit verächtlichem Schweigen. „Vielleicht“, fuhr Wilson nachdenklich fort, „liegt es gerade an der Tatsache, daß die Suchstrahlen hier auf den Widerstand unserer Schutzschirme trafen — aber das kann sie auch nicht auf unsere Spur geführt haben, denn wir haben ja alles so sorgfältig angelegt, daß sie in diesem Felsen Metall vorkommen vermuten mußten.“ Lund nickte zustimmend. „Diese Tarnung hätte für die meisten Vramen ausgereicht, und sie war auch tatsächlich vollkommen in Ordnung. Aber du mußt bedenken, daß Thayn Marden die höchste Wissenschaftlerin der Vramen in unserem gesamten System ist. Sie hat das entdeckt, was von jedem anderen übersehen worden war.“ Hammond, der neben Iva an der Wand des kleinen, überfüllten Raumes stand, konnte diese technischen Erwähnungen von Suchstrahlen und Schutzschirmen nur zu einem Bruchteil verstehen. Er war daran auch gar nicht so sehr interessiert wie an der Frau selbst. Sie war das erste Mitglied der Rasse der Vramen, das er zu sehen bekam, und er glaubte sich jetzt vorstellen zu können, warum diese Rasse so gehaßt wurde. Es mußte einem ja förmlich an die Nerven gehen, wenn man in der gesamten Galaxis auf Menschen stieß, die einen nicht nur mit offener Überheblichkeit und Verachtung ansahen, sondern mit der unverkennbaren Ungeduld, die man mit vollkommen unintelligenten Wesen hat. Während des Wortwechsels zwischen Wilson und Lund glitt Thayn Mardens Blick wiederholt verstohlen zu Hammond, und in diesem Blick lag unverhohlenes Interesse. Diese strahlend blauen Augen versuchten ihn förmlich zu durchdringen — und doch hatte sie keinen Erfolg dabei. Hammond erkannte, daß er, wenn auch vielleicht nicht persönlich, für sie ein Problem darstellte, das sie nicht zu lösen vermochte. Wilson deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Wendeltreppe. „Da hinunter, Thayn Marden!“ „Du sollest diesem Unfug lieber gleich ein Ende bereiten und mit mir nach Rurooma kommen“, erwiderte sie. „Du weißt doch selbst, daß es nicht lange dauern wird, bis man mich sucht.“ „Sie sind nicht alle so gerissen wie du“, knurrte Jon Wilson. „Und außerdem haben wir dich jetzt als Geisel. Also los — hinunter!“
28 Alle Augen waren auf die Frau der Vramen gerichtet — und in ihnen spiegelte sich ein zügelloser Haß. Besonders ausgeprägt war dieser Haß bei Gurth Lund. Thayn Marden zuckte die runden Schultern und ging die Treppe hinunter. Sie folgten ihr, während Tammas und ein weiterer Mann im Beobachtungsraum blieben. Als sie unten ankamen, sah Hammond die Aufregung unter den anderen Hoomen. Haßerfüllt und dennoch ein wenig eingeschüchtert starrten sie die Gefangene an. In wenigen Worten erklärte Wilson ihnen die Situation, und dann führte er den Weg zu dem kleinen Raum an, in dem er sich gewöhnlich aufhielt. Thayns kühlen Blicken entging keine Einzelheit der Maschinen und technischen Einrichtungen der Laboratorien, und als sie den kleinen Raum erreichten, fiel ihr Blick sofort auf die astronomischen Karten mit den einzelnen Konstellationen der Galaxis. „Deshalb also habt ihr Rurooma verlassen und euch hier versteckt“, sagte sie. „Ihr versucht, ein illegales Raumschiff zu konstruieren.“ „Es ist nicht nur ein Versuch“, entgegnete Wilson. „Wir tun es tatsächlich.“ Thayn Marden runzelte die Stirn. „Aber ihr habt doch erst damit begonnen. Dies kann nicht das Raumschiff sein, das wir vor einiger Zeit auf unseren Radaranlagen verfolgten. Ihr müßt noch ein weiteres Raumschiff haben.“ Wilson deutete auf Hammond. „Das war seine Raumkapsel. Möchtest du wissen, woher sie kam?“ „Ja.“ Wilson berichtete es ihr. Das nahm einige Minuten in Anspruch, und Hammond spürte während der ganzen Zeit die forschenden Blicke der Frau, die jede Einzelheit seiner Erscheinung einer genauen Musterung unterzogen. Als Wilson schloß, spiegelte sich auf ihrem Gesicht der Ausdruck einer tiefen Ungläubigkeit. „Ich weiß zwar nicht, welche Rolle dieser Mann in eurer Verschwörung spielt“, sagte sie, „aber das ist absoluter Unsinn!“ „Kein Unsinn, Thayn Marden“, widersprach Wilson. „Du kennst dich ja in Dingen der suspendierten Animation aus. Er kommt tatsächlich aus jenem Zeitalter, und er kann es durch viele Tatsachen beweisen.“ „Woher wollt ihr das wissen?“ fragte Thayn Marden. „Selbst wir wissen nur sehr wenig über jenes ferne Zeitalter. Was sollte außerdem ein solcher Mensch ausgerechnet mit euch zu schaffen haben?“ „Er ist jetzt einer von uns“, entgegnete Wilson. „Wenn das Raumschiff fertiggestellt ist, wird er uns zum Trifid-System und nach Althar begleiten.“ Tiefe Stille senkte sich über den kleinen Raum. Thayn Mardens Gesichtsausdruck blieb unverändert, und es schien Hammond, daß sich hinter diesem Ausdruck ein tiefes und mächtiges Gefühl verbarg. „Nein“, sagte sie schließlich mit leiser Stimme „Oh, nein! Ihr werdet Althar niemals erreichen!“ „Doch“, erwiderte Wilson ruhig. „Und wie immer das Geheimnis des Lebens beschaffen sein mag, das ihr dort verborgenhaltet — wir werden es finden. Für uns und für alle Hoomen.“ „Ihr seid wie die Kinder“, flüsterte Thayn. „Ihr redet von Dingen, von denen ihr gar nichts wißt. Wenn ihr nur eine Ahnung hättet, was sich wirklich auf Althar ...“ „Du weißt es“, sagte Wilson hart. „Deshalb bist du so wertvoll für uns. Wenn unser Raumschiff auf dem Weg dorthin ist, werden wir keine eurer verwünschten Vorrichtungen an Bord haben, und damit scheidet die erste Gefahr bereits aus. Du wirst uns bei der Beseitigung aller anderen Gefahren hellen, indem du uns ganz genau sagst, wo und in welcher Form wir auf sie treffen werden.“ Thayn Mardens blaue Augen blitzten. „Ich werde euch gar nichts sagen. Ihr solltet die Vramen doch eigentlich besser ken-
29 nen.“ Wilsons finsteres Gesicht wurde noch härter. „Du wirst es uns sagen — und zwar die reine Wahrheit. Du wirst es uns nämlich unter dem Einfluß der Encephalosonde sagen.“ Dieses Wort hatte für Hammond nicht die geringste Bedeutung — aber Thayn Marden schien es genau zu verstehen, denn sie zuckte unmerklich zusammen. „Ihr habt gar keine“, sagte sie. „Wir können aber eine bauen. In unserer Gruppe gibt es eine ganze Reihe von Spezialisten, und darunter sind auch zwei Psycho-Techniker. Solltest du versuchen, dich dagegen zu stellen, dann . . .“ „Ihr könnt meinen Verstand zerstören — aber ihr werdet nichts erfahren“, entgegnete sie, und dann fügte sie bitter hinzu: „Die Encephalosonde selbst ist ja auch eines der Dinge, die ihr der Wissenschaft der Vramen verdankt.“ Wilson ging auf diese Bemerkung nicht ein. „Es wird einige Zeit dauern, die Encephalosonde zu konstruieren. Während dieser Zeitspanne kannst du deine Entscheidung treffen. Du darfst dir aber nicht selbst etwas vormachen. Wir werden das Gerät bei dir zur Anwendung bringen, und wenn du versuchst, dich dagegen zu sperren, dann hast du dir alle daraus entstehenden Folgen selbst zuzuschreiben.“ Er wandte sich unvermittelt ab. „Bring sie in den kleinen, leeren Vorratsraum am Ende des Nordganges, Quobba, und stell vor der Tür einen Posten auf.“ Kirk Hammond schaute mit gemischten Gefühlen zu, wie Thayn Marden hinausgeführt wurde. Er folgte bis zum Korridor und schaute ihr nach. Dann wandte er sich an Iva Wilson. „Was meinte sie damit, daß ihr Verstand zerstört werden könnte? Was für ein Ding ist diese Encephalosonde, von der sie gesprochen haben?“ „Es ist ein Instrument, das von den Psycho-Technikern verwendet wird“, antwortete Iva. „Man kann damit das Gehirn lesen.“ Hammond starrte sie ungläubig an. „Es stimmt“, fuhr sie fort. „Ich bin zwar keine Wissenschaftlerin, aber alle Welt kennt dieses Gerät. Man kann damit die Gehirnströme erfassen und aufzeichnen. Natürlich kann das Gerät nicht alles lesen — aber es bringt die wesentlichsten Tatsachen zum Vorschein, wie etwa seine Erinnerungen, seine Gefühle und dergleichen.“ „Aber — wie könnte ein solches Gerät ihren Verstand zerstören?“ „Wenn sich jemand mit seiner ganzen Willenskraft gegen die Encephalosonde stemmt, kann sie durchaus seine Gehirnzellen zerstören.“ Hammond schaute das Mädchen entsetzt an. „Das hört sich ja gräßlich an. So etwas könnte dein Vater doch gewiß nicht tun?“ „Unser Leben und vielleicht das Schicksal der gesamten Menschheit mag davon abhängen“, erwiderte Iva. „Ja, ich glaube, er könnte es tun.“ Sie schaute ihn herausfordernd an und fragte: „Ist dir dieser Gedanke so verhaßt, weil Thayn eine so schöne Frau ist?“ Hammond lächelte. „Sie ist schön — aber sie ist kein Mensch wie wir“, fuhr Iva fort. „Die Frauen der Vramen kennen keine Liebe und haben keine Kinder. Sie trachten nur nach Wissen und Macht. Laß dich von ihrer Schönheit nicht täuschen.“ Hammond sah das gerötete Gesicht des Mädchens; in den dunklen Augen schimmerte ein starkes Gefühl. „Aber, Iva — das hört sich ja ganz so an, als wärest du eifersüchtig“, sagte er lächelnd. Sie ging nicht auf seinen leichten Tun ein. „Wenn du das glaubst“, fauchte sie, „dann müssen deine Gedanken noch vom vielen
30 Schlaf umnebelt sein.“ Sie wandte sich kurz um und ging den Korridor hinunter — aber er hatte gerade noch ein paar Tränen des Zorns in ihren Augenwinkeln blitzen sehen. Er schaute ihr nach, und dann schüttelte er mit einer gemurmelten Verwünschung den Kopf. Kurz bevor sich die Dämmerung über die Außenwelt senkte, kam Shan Tammas aus dem Beobachtungsraum und brachte von der Ablösung beunruhigende Nachrichten mit. „Vor etwa einer Stunde tauchten hier zwei Flugzeuge der Vramen auf. Anscheinend befinden sie sich bereits auf der Suche nach Thayn Marden.“ Jon Wilson nickte grimmig. „Gib sofort den Befehl durch, daß niemand das Gewölbe verlassen darf — unter gar keinen Umständen!“ Kirk Hammond schaute sie an — und plötzlich sagte er sich, daß er diese Hoomen ganz und gar nicht kannte. In der langen Zeit seiner Rekonvaleszenz waren sie ihm immer vertrauter geworden, und er hatte sie fast wie Freunde aus seiner eigenen Zeit betrachtet. Jon Wilson war ihm wie ein alter Fanatiker und Querkopf vorgekommen, wie er sie auch in seinem Zeitalter gekannt hatte. Derartige Männer hatten nur ihr Ziel im Auge, und alles andere interessierte sie nicht. Nun stand Wilson im Begriff, dieser Frau der Vramen etwas anzutun, das Hammond zurückschrecken ließ. Nun, er halte seine Entscheidung getroffen — und es war richtig so. Er mußte an der Seite der Hoomen kämpfen. Es war ein Unrecht der Vramen, das gesamte Universum mit all seinen verschiedenen Welten zu beherrschen. In seiner eigenen Zeit, im 20. Jahrhundert, waren zu viele Menschen für das Ziel eines freien Weltraums gestorben. Dennoch spürte Kirk Hammond jetzt mit aller Deutlichkeit, daß der Abgrund zwischen seinem Zeitalter und dem jetzigen für ihn unüberbrückbar war. Unter diesen Hoomen war er im Grunde genommen ein Fremder und würde es immer bleiben. Er war ein innerlich einsamer Mensch, der sein eigenes Zeitalter für immer verloren hatte. 7. Vier Tage später geschah das Unerwartete. Während dieser Zeitspanne war die Enge der Katakomben für Kirk Hammond immer unerträglicher geworden. Er sehnte sich mit aller Macht nach der Außenwelt. Es war qualvoll für ihn, aus dem weiten Weltraum zurückgekehrt zu sein, um nun hier nichts von der Erde zu sehen und immer nur gegen die Wände der engen Katakomben starren zu müssen. Nach wie vor bestand Jon Wilsons ausdrücklicher Befehl, daß niemand das Gewölbe verlassen durfte. „Flugzeuge der Vramen suche diese Gegend noch immer nach Thayn Mardens Maschine ab“, sagte er. „So leicht geben sie nicht auf, und die Suchaktion wird wohl noch eine ganze Weile dauern.“ „Was soll ich denn die ganze Zeit machen?“ fragte Hammond. „Hier hat jeder seine Beschäftigung — nur ich habe nichts zu tun.“ „Du wirst noch mehr als genug Arbeit bekommen“, erwiderte Wilson. „Aber erst mußt du noch lernen. Du kannst ja unsere Schrift noch gar nicht lesen, und du verstehst auch nicht die Symbole unserer Maschinen und technischen Einrichtungen. Das alles hast du zu lernen.“ Hammond verbrachte also lange Stunden mit Iva und den Büchern. Das junge Mädchen der Hoomen gefiel ihm — aber er war zu ruhelos, um ihre Gesellschaft und das Lernen genießen zu können. Immer wieder zog es ihn zu dem kleinen Beobachtungsraum, wo er hungrig und sehnsüchtig durch die Linsen auf die im Sonnenschein liegende Außenwelt schaute.
31 Dann wanderte er ruhelos durch die einzelnen Werkstätten, wo die schier endlose Konstruktion des Raumschiffes durchgeführt wurde. Zwei Männer hatten ihre ursprüngliche Arbeit verlassen und eine neue Aufgabe übernommen. Einer von ihnen war ein normaler Hoomen, und der andere, North Abel, stammte vom Algol-System; er war ein großer, schlanker Mann mit einem seltsam grauen Gesicht. Sie konstruierten ein Gerät, das Hammond wie ein elektrischer Stuhl aus seiner eigenen Zeit vorkam. Er erfuhr, daß dies die Encephalosonde war. Hammond betrachtete das Ding mit unverhohlener Abneigung. „Stimmt es, daß dieser Apparat ursprünglich von den Vramen erfunden worden ist?“ fragte er. „Gewiß“, erwiderte Abel. „Sie haben es uns überlassen. Warum auch nicht? Es ist ja zu ihrem eigenen Vorteil. Unsere Gerichte verwenden dieses Gerät bei jedem, der eines Verbrechens gegen die Vramen verdächtigt wird. Bei diesem Gerät ist jeder Irrtum ausgeschlossen.“ „Aber“, widersprach Hammond, „Iva erklärte mir, daß man sich mit aller Willenskraft dagegen stemmen könnte — auch wenn die Gehirnzellen dabei Schaden erleiden. Bei einem willensstarken Mann wäre das Ding also nutzlos.“ Abel schnaubte verächtlich. „Die Vramen schenken uns schließlich nicht all ihre Erfindungen, Hammond. Ich habe gehört, du hättest ihre hypnotischen Verstärker bereits kennengelernt? Nun, damit können sie jeden Widerstand brechen, falls sich jemand gegen die Encephalosonde wehrt.“ „Aber so etwas habt ihr doch nicht“, brummte Hammond. „Und deshalb...“ Der Algolianer zuckte die Schultern. „Wenn Thayn Marden sich dagegen stemmt, wird es ihre Gehirnzellen vernichten. Ich hoffe nicht, daß es dazu kommt, denn sonst wäre unsere ganze Arbeit umsonst gewesen.“ Seine gleichgültige, ungerührte Haltung wurmte Hammond — aber er wußte ja inzwischen nur zu gut, wie diese Leute zu den Vramen standen. Er hoffte ebenfalls, daß Thayn Marden sich nicht gegen das Gerät stemmen würde. Es ging ihm entschieden gegen den Strich, zu sehen, daß die Gehirnzellen einer Person zerstört wurden. Ja, er hoffte von ganzem Herzen, daß sie sprechen möge, daß die Konstruktion des Raumschiffes bald beendet wäre, so daß sie sich endlich auf den Weg nach Althar machen könnten — oder auch zu irgendeinem anderen Ziel. Wenn sie nur endlich dieses verwünschte Gewölbe verlassen konnten! Zu diesem Zeitpunkt kam für Hammond die große Überraschung. Er ging zu Jon Wilson, um ihn zu fragen, ob bei der Frau der Vramen irgendwelche Fortschritte zu verzeichnen waren — aber Wilson, der sich mit Lund unterhalten hatte, kam seiner Frage zuvor. „Ich wollte dich gerade holen lassen, Hammond. Ich habe eine sonderbare Neuigkeit für dich: Thayn Marden möchte dich sprechen!“ Hammond starrte ihn verdutzt an. „Mich? Warum, um alles in der Welt...“ Lund fiel ihm ins Wort. „Die Sache gefällt mir ganz und gar nicht. Du kennst doch die Vramen. Es steckt bestimmt irgendein Trick dahinter!“ „Das ist möglich“, räumte Wilson ein. „Aber mit uns spricht sie überhaupt nicht. Vielleicht kann Hammond sie überreden, ihren Widerstand gegen die Encephalosonde aufzugeben.“ Er wandte sich wieder an Hammond. „Sie ist sehr an dir interessiert. Sie behauptet, daß deine Angaben, aus der fernen Vergangenheit zu stammen, ein großangelegter
32 Schwindel sind — aber sie ist sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Deshalb möchte sie mehr darüber erfahren. Alle Vramen sind an der fernen Vergangenheit außerordentlich interessiert. Wenn du sie von der Richtigkeit deiner Angaben überzeugen und sie auf diese Weise zum Sprechen bringen kannst, dann wäre es dir vielleicht auch möglich, sie davon zu überzeugen, daß es uns mit der Anwendung der Encephalosonde blutiger Ernst ist.“ Hammond war plötzlich sehr aufgeregt. „Aber vielleicht durchschaut sie meine Absicht.“ „Natürlich“, sagte Wilson hart. „Die Vramen mögen alles mögliche sein — aber sie sind bestimmt keine Dummköpfe, denn dazu haben sie in ihrem langen Leben viel zu viele Erfahrungen gesammelt. Das mußt du dir immer vor Augen halten.“ Der Wachposten vor Thayn Mardens Raum hatte bereits die entsprechenden Anweisungen erhalten. Sorgfältig öffnete er die Tür, ließ Hammond eintreten, und dann drehte er sofort wieder den Schlüssel herum. Das matte Licht der an der Decke hängenden Glühbirne erhellte den Raum. Außer einem Bett und einem Stuhl enthielt er kaum noch etwas. Bei seinem Eintritt stand Thayn Marden auf und schaute ihn an. Sie sah jetzt nicht wie eine der Beherrscherinnen des Weltraumes aus, von denen Hammond so viel gehört hatte. Sie machte eher den Eindruck einer außerordentlich schönen Blondine mit intelligenten, blauen Augen und einer schlanken Figur, die sich in ihrer knappen Tracht voll abzeichnete. Unter normalen Umständen hätte Kirk Hammond beim Anblick einer Frau mit einer solchen Figur einen Pfiff ausgestoßen — aber das tat er jetzt nicht, denn im Augenblick fühlte er sich gar nicht recht wohl in seiner Haut. Thayn Marden deutete mit einer knappen Handbewegung auf den Stuhl. „Setz dich, bitte. Warum starrst du mich eigentlich so an?“ Hammond setzte sich achselzuckend auf den Stuhl. „Das weiß ich nicht. Es liegt wohl daran, daß ich noch niemals mit einer unsterblichen Frau gesprochen habe.“ Thayn schnalzte verächtlich. „Unsterblich? Es ist doch immer wieder das alte Ammenmärchen. Weil wir ein langes Leben haben, müßt ihr Hoomen daraus gleich . . .“ Sie brach unvermittelt ab. „Aber ich habe ja ganz vergessen, daß du eigentlich gar nicht zu diesen Hoomen gehörst, nicht wahr?“ „Nein.“ Er schaute sie fasziniert an. „Wie lang ist euer Leben denn? Wie alt bist du?“ „Etwas über zweihundert Jahre'', antwortete Thayn. Kirk Hammond zuckte zusammen; er kam sich vor wie in der Nähe eines ganz und gar unirdischen Wesens. Seine Empfindungen mußten sich wohl in seinem Gesicht gespiegelt haben, denn die Frau ging sofort darauf ein. „Warum bist du denn plötzlich so entsetzt? Wenn deine Behauptungen stimmen, bist du selbst sogar über zehntausend Jahre alt.“ „Aber diese Zeit habe ich nicht bewußt durchlebt“, sagte Hammond. „Du erinnerst dich an gar nichts aus dieser Zeitspanne?“ fragte sie skeptisch. Ich erinnere mich nur an einen Traum, dachte Hammond. Der Traum eines Mannes, der in seiner kleinen Raumkapsel wie ein König auf dem Thron sitzt; sein Gesicht ist von der Kälte erstarrt, und seine blicklosen Augen sind in die Unendlichkeit des Weltraumes gerichtet. Ewigkeiten hindurch bleibt es stets das gleiche Bild. „Nichts“, erwiderte Hammond — und er sagte es im Flüsterton. Thayn Mardens Gesichtsausdruck veränderte sich, und ein neuer Tonfall trat in ihre Stimme. „Du machst nicht gerade den Eindruck eines Schauspielers.“ „Ich wünschte bei Gott, ich wäre einer“, entgegnete Hammond. „Darf ich dir ein paar Fragen stellen?“ „Bitte sehr.“
33 Ihre Fragen kamen schnell und sehr präzis. In erster Linie drehte es sich um das 20. Jahrhundert. Einige dieser Fragen schienen sich in gewissen Abständen zu wiederholen, und langsam wurde es Hammond klar, daß sie seine einzelnen Antworten mit der Genauigkeit eines Wissenschaftlers überprüfte. Sie wollte alles über die ersten Schritte der Raumfahrt wissen. Nach Beendigung der Fragen leuchteten ihre blauen Augen in einem verhaltenen Feuer. „Jetzt könnte ich fast glauben, daß du aus jener fernen Vergangenheit stammst'', sagte sie. „Wir Vramen haben eine hypothetische Rekonstruktion jenes fernen Zeitalters vorgenommen, und kein Hoomen kennt das Resultat unserer Bemühungen. Deine Antworten decken sich mit wenigen Ausnahmen genau mit unseren Thesen. Diese Ausnahmen könnten auf von uns begangenen Fehlern beruhen.“ „Eine hypothetische Rekonstruktion?“ fragte Hammond. „Wißt ihr denn nicht aus euren Unterlagen, wie jenes Zeitalter beschaffen war?“ Thayn schüttelte den Kopf. „Es sind keinerlei Unterlagen vorhanden. Die interplanetarischen Kriege des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts haben alle Unterlagen zerstört — sowohl auf der Erde als auch auf dem Mars und der Venus.“ „Interplanetarische Kriege?“ wiederholte Hammond verblüfft. „Na, das lasse ich mir gefallen! Dafür also haben wir gearbeitet und unser Leben eingesetzt. Das wundervolle Zeitalter des Raumflugs! Interplanetarische Kriege, und nun auch noch die Vramen, die den Weltraum beherrschen und von allen Menschen gehaßt werden. Das also ist aus unseren herrlichen Träumen von der Eroberung der Galaxis geworden!“ Das Leuchten in Thayn Marders Augen vertiefte sich. „Entweder du bist der größte Schauspieler, von dem man je gehört hat — oder deine Geschichte ist tatsächlich wahr. Alles stimmt genau. Auch der Fallschirm ist von einer Art, wie sie seit langem nicht mehr üblich ist...“ Sie brach ab, und ihre Stimme wurde noch eindringlicher. „Hör zu, Kirk Hammond. Laß dich nicht auf diese Verschwörung der Hoomon ein. Es wird ohnehin nichts dabei herauskommen, und du läufst nur unnötig Gefahr, getötet zu werden.“ „Deine Besorgnis um mich ist rührend — aber ganz und gar nicht überzeugend“, brummte Hammond mürrisch. Ihr Blick wurde ungeduldig. „Glaubst du, es macht mir etwas aus, was dir persönlich zustößt? Wenn deine Geschichte der Wahrheit entspricht, dann bist du eine schier unerschöpfliche Quelle von Informationen über die ferne Vergangenheit. Ich möchte nicht, daß diese Quelle der Informationen beseitigt wird.“ Das klang recht vernünftig in Hammonds Ohren — und dabei kam er auf einen Gedanken. Bis jetzt waren alle Informationen von ihm gekommen, aber nun wollte er mal versuchen, den Spieß umzudrehen. „Es gibt keine solche Gefahr“, sagte er ein wenig von oben herab. „Wenn die Konstruktion unseres Raumschiffes beendet ist, werden wir nach Althar fliegen und dort feststellen, wie ihr Vramen zu eurem langen Leben kommt.“ „Ihr habt nicht die allergeringste Chance, Althar je zu erreichen“, erwiderte Thayn. „Dazu ist unsere Überwachung des gesamten Trifid-Systems viel zu gut organisiert. Aber selbst wenn ihr an den Vramen vorbeikommen würdet . . .“ Sie brach hastig ab. „Ja?“ fragte Hammond. Thayn schüttelte den Kopf. „Oh, nein! Die Hoomen werden keinerlei Informationen von mir bekommen — weder durch irgend welche Tricks noch durch die Anwendung der Encephalosonde.“ „Auch nicht um den Preis deiner Gesundheit und der Erhaltung deiner Gehirnzellen?“ „Nein — um gar keinen Preis“, entgegnete sie, und es klang sehr überzeugend. „Ihr Unternehmen ist vollkommen aussichtslos, das darfst du mir glauben. Wenn sie zum Selbstmord entschlossen sind, dann kann ich ihnen auch nicht helfen. Aber ich will
34 dich und all deine Kenntnisse vor einem sinnlosen Tod bewahren.'' In ihrem Eifer legte sie ihm die kleine, schmale Hand aufs Handgelenk, und bei der Berührung zuckte Hammond unwillkürlich ein wenig zusammen. Thayns Haltung änderte sich sofort. „Du hast dich also bereits von dem Haß der Hoonmen gegen uns beeinflussen lassen?“ fragte sie, indem sie ihn forschend ansah. „Hältst du uns auch für Unmenschen?“ Er suchte nach Worten, um das abzustreiten — aber Thayn wandte sich bereits von ihm ab. Sie sah sehr enttäuscht aus, und Hammond spürte plötzlich eine gewisse Sympathie für sie. „Bist du wirklich so halsstarrig, die Gefahr einzugehen, daß sie deinen Verstand vernichten?“ fragte er. „Ich werde nichts sagen, das den Hoomen helfen könnte, Althar zu erreichen“, erwiderte sie noch immer von ihm abgewandt. „Aber sie — das heißt, wir — werden ohnehin dorthin kommen“, sagte Hainmond. „Deshalb macht es gar nichts aus, wenn du uns alles erzählst.“ „Warum bist du denn um jemanden besorgt, den du gar nicht zu den Menschen zählst?“ fragte sie. Dann wandte sie sich plötzlich um und kam ganz dicht an ihn heran. „Bin ich denn in deinen Augen wirklich so fremdartig, daß du mich verachten mußt?“ Sie schaute zu ihm auf und auf ihrem bleichen Gesicht lag jetzt der Ausdruck einer gespielten Unschuld. Der weiche Duft ihres Haares drang auf ihn ein, und sein Puls begann zu hämmern. Kleine Teufelchen tanzten in ihren Augen; ihre schmalen Hände legten sich auf seine Schultern, und ihr roter Mund war verlockend nahe. „Bin ich das wirklich, Kirk Hammond?“ Er durchschaute ihre Absicht __ aber um keinen Preis der Welt konnte er sich diesen Kuß entgehen lassen, den sie ihm so einladend bot. Ihre leicht geöffneten Lippen waren seltsam kühl und süß, und ihr schlanker Körper schmiegte sich elastisch in seine Arme. Im nächsten Augenblick wurde er zurückgeschleudert, und auf Thayns Gesicht lag jetzt der Ausdruck eines verächtlichen Triumphes. „Mir scheint, ich komme dir doch nicht so ganz fremdartig vor — aber du bist jetzt für mich verächtlich. Ich möchte mich lieber von einem dummen Tier berühren lassen!“ Kirk Hammernd fand sofort die Fassung zurück. „Na schön; ich habe dein Empfinden verletzt, und du wolltest dich dafür revanchieren. Sind wir jetzt quitt?“ Verachtung und Ärger verschwanden aus Thayn Mardens Gesicht. „Du hast recht. Den Haß der Hoomen bin ich gewohnt, aber du kommst schließlich aus einem ganz anderen Zeitalter, und deine Haltung hat mich verletzt. Ich habe mich eben gemein und niedrig benommen.“ Sie sagte das so rückhaltlos ehrlich, daß Hammond sie bewundern mußte. Er vermeinte den Duft ihres Haares noch immer zu spüren. „Ich habe wirklich aus ehrlicher Überzeugung gesprochen, Thayn. Es wäre mir verhaßt, zu sehen, daß deine Gehirnzellen vernichtet werden.“ „Ich kann und will diesen Leuten nicht helfen“, entgegnete sie. „Das kannst du ihnen ausrichten. Wenn sie es dir gestatten, dann komm wieder zu mir. Ich habe noch viele Fragen über dein Zeitalter auf Lager.“ Der Wachtposten ließ ihn vorsichtig heraus und versperrte die Tür wieder. Während Hammond die einzelnen Werkstätten auf der Suche nach Wilson durchschritt, hatte er eine ganze Menge nachzudenken. Wilson hörte seinem Bericht aufmerksam zu, und nachdenklich wiederholte er die Stelle, an der Thayn über Althar gesprochen hatte.
35 „Dazu ist die Überwachung des gesamten Trifid-Systems viel zu gut organisiert. Aber selbst wenn ihr an den Vramen vorbeikommen würdet...“ Wilson dachte eine Weile nach. „Daraus scheint hervorzugehen, daß es für uns auf Althar außer den Vramen noch andere Hindernisse gibt. Hat sie diesen Worten nichts hinzugefügt?“ „Nein. Sie brach ganz abrupt ab — als fürchtete sie, ihr könnten wertvolle Informationen entschlüpfen.“ „Bei den Vramen ist so etwas höchst ungewöhnlich“, murmelte Wilson. „Ihre sogenannte Information kann pure Berechnung gewesen sein.“ „Ich könnte mich ja noch einmal mit ihr unterhalten“, schlug Hammond vor. „Nachdem sie jetzt so gut wie überzeugt ist, daß meine Angaben stimmen, möchte sie natürlich noch mehr über mein Zeitalter erfahren.“ Es war seltsam, dachte er, wie gespannt er auf Wilsons Erwiderung zu diesem Vorschlag wartete — als hinge für ihn eine Menge davon ab. Er wußte selbst nicht woher diese Empfindungen kamen. Immerhin war Wilsons Antwort dann ein Schock für ihn. „North Abel hat mir verkündet, daß die Encephalosonde morgen nacht fertig wird. Am folgenden Morgen werden wir das Gerät zur Anwendung bringen, und wenn sich Thayn Marden widersetzt, dann hat sie sich alle Folgen selbst zuzuschreiben.“ „Aber in dem Fall könntest du doch gar nichts von ihr erfahren“, entgegnete Hammmond. „Wenn es mir jedoch gelingt, sie zu überreden, dann erfährst du alles von ihr.“ Wilson nickte. „Du kannst ruhig noch einen weiteren Versuch unternehmen, sie zur Vernunft zu bringen. Ich werde den Posten benachrichtigen, dich morgen nachmittag noch einmal in ihren Raum zu lassen.“ Er musterte Hammond mit einem abwägenden Blick. „Die Encephalosonde flößt dir Schrecken und Abscheu ein, nicht wahr? Die Notwendigkeit der Anwendung eines solchen Gerätes geht dir offensichtlich gegen den Strich.“ Hammond nickte. „Es gefällt mir nicht, die Gehirnzellen eines Menschen vernichtet zu sehen — auch nicht die eines Vramen.“ „Mir gefällt das auch nicht“, brummte Wilson. „Ich bin nicht wie Lund und einige der anderen, obwohl ich einräume, daß ihr Haß auf die Vramen guten Gründen entspringt. Aber ob es uns nun gefällt oder nicht, da es hier um die Zukunft der ganzen Menschheit geht, werden wir die Sache durchführen. Du brauchst nur versuchen, ihr das klarzumachen.“ Als Kirk Hammond am nächsten Nachmittag den kleinen Raum von Thayn Marden betrat, stand sein Entschluß fest. Er wußte noch immer nicht, ob ihm diese Frau gefiel oder ob er sie verachtete — aber er hatte keineswegs den Wunsch, ihre Gehirnzellen vernichtet zu sehen. Das erklärte er ihr mit vollem Nachdruck. Thayn Marden schüttelte den Kopf. „Ich mache nicht freiwillig mit.“ „Wäre es denn wirklich so schrecklich, wenn alle anderen Menschen, Männer und Frauen, ebenfalls ein langes Leben erhielten?“ fragte Hammond. „Ja, es wäre schrecklich“, antwortete Thayn. „Aber warum?“ „Das kann ich dir nicht sagen — und ich werde es niemandem sagen, auch nicht unter der Encephalosonde.“ Hammond wurde wütend, weil er sich seine eigene Hilflosigkeit eingestehen mußte. „Na schön“, knurrte er. „Mir liegt so etwas zwar ganz und gar nicht — aber wenn du entschlossen bist, deine Kastentreue über die eigene Gesundheit zu stellen, dann kann ich auch nichts daran ändern.“ Thayn schwieg eine Weile, und ihr Blick war forschend auf sein Gesicht gerichtet.
36 „Du möchtest also nicht, daß man aus mir eine Idiotin macht?“ „Ich habe dir doch bereits erklärt, daß ich niemandem ein solches Schicksal wünsche.“ „Wenn du willst, kannst du es verhindern“, sagte sie, und als er zu einer Erwiderung ansetzen wollte, fügte sie rasch hinzu: „Nein, ich erwarte nicht, daß du mir zur Flucht verhilfst. Ich weiß, daß du so etwas nie tun würdest.“ „Was dann?“ „Die Encephalosonde war ursprünglich eine Erfindung der Vramen“, sagte sie schnell. „Wir haben den Hoomen beigebracht, wie ein solches Gerät konstruiert wird — und sie folgen dabei unseren ursprünglichen Plänen, die auf ultrahohen Strahlungen beruhen, um den menschlichen Verstand abtasten zu können. Das von euch konstruierte Gerät folgte dem gleichen Schaltschema wie jedes andere.“ Hammond schaute sie verständnislos an. „Na und?“ „Die Schaltanlage befindet sich unter einem kleinen Deckel an der Rückseite des Gerätes. Dort sind zwölf numerierte Schaltungen vorhanden. Es wäre ganz einfach, diese Schaltungen umzupolen. Kabel zwölf muß an die Klemme Vier angeschlossen werden, Kabel Vier an Klemme Sechs, und Kabel Sechs muß vollkommen abgeklemmt werden.“ Hammond begriff langsam. „Und was wäre damit erreicht?“ „Eine Veränderung der Strahlungen. Dadurch könnte ich mich gegen die Sonde sträuben, ohne daß meine Gehirnzellen vernichtet werden.“ Hammond stand auf. „In diesem Kampf habe ich mich auf die Seite der Hoomen gestellt, ich glaube an ihr Ziel, und ich kann nicht einsehen, warum der Weltraum und das Geheimnis des langen Lebens allein den Vramen gehören soll. Jetzt verlangst du von mir, daß ich an ihnen zum Verräter werde.“ „Darauf läuft es hinaus“, räumte Thayn ein. „Aber die erforderlichen Informationen werden sie ohnehin nicht von mir bekommen. Eine solche Maßnahme könnte jedenfalls meinen Verstand retten. Nach der Anwendung der Encephalosonde könnte ich ihnen ja etwas vorspielen.“ Hammond schüttelte den Kopf; er wurde von Minute zu Minute gereizter. „Nein, das kann ich auf keinen Fall tun. Es tut mir leid, daß sie dir so etwas antun werden, und es tut mir noch mehr leid, daß du keine Vernunft annehmen willst. Immerhin trage ich keine Verantwortung daran.“ „Du hast recht, die Verantwortung liegt nicht bei dir“, sagte Thayn vollkommen unerwartet. „Ich kann dir keinen Vorwurf machen. Ich wünschte nur, du wärest bei deiner wunderbaren Rückkehr aus ferner Vergangenheit im Lager der Vramen gelandet statt in dem dieser Hoomen.“ Plötzlich lächelte sie ein wenig. „Da wir an den morgigen Maßnahmen ohnehin nichts ändern können, wollen wir die ganze Sache jetzt vergessen. Ich möchte mehr über jene Zeit erfahren, als die Menschen sich anschickten, den Weltraum zu erobern.“ Die Stunden verrannen, während sie immer neue Fragen über jene Zeit stellte — und dabei erwähnte sie mit keinem Wort das grausame Schicksal, das ihr morgen bevorstand. Als Hammond sich anschickte, den Raum zu verlassen, kam sie ganz dicht an ihn heran. „Ich glaube, wir müssen uns jetzt Lebewohl sagen, Kirk Hammond. Ich habe dich nur noch um einen letzten Gefallen zu bitten, und ich denke, daß die Hoomen ihn mir gewähren, wenn du dich dafür einsetzt.“ „Es hat keinen Zweck, Thayn“, erwiderte er „Sie sind fest entschlossen, die Encepha-
37 losonde anzuwenden, und das kann ich ihnen nicht ausreden.“ „Das habe ich auch gar nicht gemeint“, sagte sie. „Aber wenn alles vorüber ist, willst du sie dann in meinem Namen bitten, meinen Körper zu vernichten? Ich habe schon sehr lange gelebt — und ich habe keineswegs den Wunsch, in Zukunft ohne Verstand weiterzuleben.“ Er wußte nicht, was er darauf erwidern sollte. Er schaute sie eine Weile schweigend an, und dann nickte er langsam. Er wandte sich um und klopfte an die Tür, um sich vom Wachtposten öffnen zu lassen. In dieser Nacht fand Kirk Hammond keinen Schlaf. Er hatte Jon Wilson noch einmal beschworen, von der Anwendung der Encephalosonde Abstand zu nehmen, und dabei war er auf so scharfe Ablehnung gestoßen, daß er in dieser Richtung keinen weiteren Versuch unternommen hatte. Er fragte sich, ob Thayn Marden wohl schlafen mochte. Irgendwie spürte er, daß sie tatsächlich schlief, obwohl der morgige Tag ihre gesamte Persönlichkeit zerstören könnte. Er verwünschte das Schicksal, das ihn aus seinem eigenen Zeitalter gerissen und in diese verrückte Welt geschleudert hatte. Diese Menschen hatten technische Vorrichtungen, die jene seiner eigenen Zeit weit übertrafen, und sie hatten inzwischen die Sterne erobert. Es war wirklich ein Jammer, daß sie, besonders Thayn Marden, keine Vernunft annehmen wollten. Nun, er wusch seine Hände in Unschuld. Schließlich war das alles nicht sein Fehler. Er konnte ohnehin nichts daran ändern. Jetzt wollte er endlich einschlafen. Er schlief aber nicht ein. Nach einer Weile stand er auf und trat verstohlen, ohne die Schuhe anzuziehen, auf den Korridor hinaus. „Ich bin ein verdammter Narr“, murmelte er vor sich hin. Na schön, dann war er eben ein Narr — und zwar einer von der Sorte, die ein so gräßliches Ding einfach nicht zulassen wollten. Er stand auf der Seite der Hoomen. Er hätte Thayn Marden unter keinen Umständen zur Flucht verholfen, denn damit hätte er eine Gefahr für seine Freunde heraufbeschworen. Aber es ging ihm entschieden gegen den Strich, daß diese schöne Frau zu einem absoluten Idioten degradiert wurde, ohne daß dadurch etwas zu gewinnen war. In den Werkstätten und Laboratorien war niemand zu sehen. Das Licht war überall gedämpft, und bis auf den Posten im Beobachtungsraum schlief alles. Kirk Hammond wandte sich der Encephalosonde zu. Thayns Beschreibung war sehr exakt gewesen. In wenigen Augenblicken hatte er die Änderung des Schaltsystems durchgeführt. Hammond ging wieder zu Bett und schlief. Als er am nächsten Morgen erwachte, stellte er zu seiner eigenen Überraschung fest, daß er sich keineswegs schuldbewußt fühlte. Er war sogar irgendwie erleichtert. Erst jetzt merkte er, wie sehr ihn die ganze Angelegenheit belastet hatte. „Sie werden Thayn Marden jetzt zur Encephalosonde bringen.“, sagte Iva Wilson etwas später. „Du wirst nicht zugegen sein?“ fragte Hammond. Iva schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war sehr blaß. „Das könnte ich einfach nicht. Ich hasse die Vramen, und ich hasse Thayn Marden — aber so etwas könnte ich mir nie ansehen, auch wenn ich weiß, daß es notwendig ist.“ Hammond verließ sie und ging zum Hauptlaboratorium. Nur wenige der Hoomen schienen Ivas Gefühle zu teilen, denn die meisten hatten sich hier versammelt, um dem Versuch beizuwohnen.
38 Thayn war sehr ruhig, als sie von Lund und North Abel hereingeführt wurde. Sie streifte Hammond mit einem beiläufigen Blick, ohne etwas zu sagen oder zu nicken. „Deine letzte Warnung, Thayn Marden“, sagte Jon Wilson grimmig. „Wenn du dich jetzt dagegen wehrst, hast du dir die Folgen selbst zuzuschreiben.“ Sie gab keine Antwort. Mit einer etwas unsicheren Handbewegung deutete North Abel auf den Sitz der Encephalosonde. Als Thayn sich ruhig auf den Stuhl setzte, atmete der Algolianer erleichtert auf, als hätte er erwartet, Gewalt anwenden zu müssen. Ihr Blick war frei nach vorn gerichtet, während ihr der Helm mit den verschiedenen Kabeln auf den Kopf gedrückt wurde. Ihr Gesicht war kalt und vollkommen ausdruckslos. „Keinen Widerstand — entspannen!“ sagte Abel, und dann wiederholte er beschwörend: „Entspannen!“ Er trat an die Schalttafel und bediente ein paar Schalter. Atemlose Stille lag über dem Raum. Ein tiefes Brummen kam von dem Gerät. Abel drehte einen weiteren Schalter. Thayn Marden zuckte ein wenig zusammen, und dann schloß sie die Augen. „Jetzt geht's los!“ rief Abel. Er legte einen Hebel herum, und jetzt kam ein schmaler Papierstreifen aus dem Schlitz der klickenden Maschine. Hammond hielt den Atem an. Hatte er etwa einen Fehler begangen, und bekam die Frau jetzt die volle Wucht dieses Gerätes zu spüren? Ihr Gesicht war jetzt sehr bleich und hatte einen sonderbaren Ausdruck. Vielleicht hatte er die falschen Kabel umgepolt, und nun ... North Abel beugte sich über den Papierstreifen und las die einzelnen Daten ab. Plötzlich richtete er sich steil auf. „Ich kann das einfach nicht begreifen . . .“, sagte er verdutzt. Hammond atmete erleichtert auf. Er hatte also doch keinen Fehler begangen, und Thayn spielte nur Theater. Mit wildem Geschrei kam der Posten vom Beobachtungsraum die Wendeltreppe heruntergejagt, und alle Augen richteten sich auf ihn. „Unsere Radaranlagen verzeichnen hohe Stromstöße, die von hier unten kommen müssen!“ rief er. „Was treibt ihr denn eigentlich?“ Sie starrten ihn ungläubig an. „Du mußt dich irren“, sagte Jon Wilson. „Wir haben hier keine Strahlungen, die unseren Schutzschirm durchdringen könnten.“ „Ich irre mich nicht'„ rief der Mann. „Ihr solltet dieses Loch möglichst rasch verstopfen, wenn ihr nicht bald jedes einzelne Flugzeug der Vramen herlocken wollt, denn diese Strahlen sind auf ihren Radaranlagen zu sehen.“ Mit einem gewaltigen Ruck sprang Gurth Lund zu North Abel hinüber. „Schalt das Gerät aus! Sofort!“ rief er. Der Algolianer starrte ihn begriffsstutzig an — aber er gehorchte und drehte die Schalter zurück. Das Brummen des Gerätes verstummte. Thayn Marden öffnete die Augen. „Du sagtest, das Gerät funktioniert nicht richtig“, sagte Lund zu Abel. „Nur von diesem Ding können die Ausstrahlungen stammen.“ Abel schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Unmöglich! Ich habe das Gerät selbst ausprobiert.“ In diesem Augenblick hatte Hammond eine schreckliche Vorahnung, und ihm war, als würde die Decke über seinem Kopf einbrechen. Er richtete den Blick auf Thayn Marden und spürte eine wilde Wut in sich aufwallen. „Überprüf das Gerät!“ trug Wilson North Abel auf. Abel nahm den Deckel der Schaltanlage ab, schaute auf die Kabelanschlüsse und
39 hob entsetzt den Kopf. „Die Anschlüsse sind umgepolt worden! Vorsätzlich — um den Signalanlagen der Vramen ein Zeichen zu geben!“ Hammond konnte den Blick nicht von Thayn Marden wenden, und unter dem Helm hervor schaute sie ihn ruhig an. „Du ...“, begann er, und seine Stimme überschlug sich vor Erregung. Lund begriff sofort, was hier vorging. „Da steht unser Verräter!“ rief er, indem er mit dem ausgestreckten Finger auf Hammond deutete. „Schaut ihn euch nur an! Ich habe euch ja gleich gesagt, was passieren würde, wenn er in Thayn Mardens Gewalt gerät. Ich habe euch gesagt . . .“ Er sprang vor und drückte die Hände um Hammonds Hals. Hammond schleuderte ihn von sich; ein dumpfes Rauschen kam in seine Ohren; er hörte das Gewirr von vielen Stimmen, und plötzlich war alles ruhig. In der eingetretenen Stille schien Hammond eine Stimme zu hören, die seinen Verstand durchdrang. Es war die gleiche, metallisch hart klingende Stimme, die er damals vernommen hatte, als er neben Quobba in der Deckung des Felsens am Strand kauerte. „Legt alle eure Waffen aus der Hand!“ befahl diese harte Stimme. Hammond schaute auf Lund, dessen Angriff er soeben abgewehrt hatte. Ein halbes Dutzend Männer kam die Wendeltreppe herunter. Zwei von ihnen trugen Instrumente in der Hand, die etwa wie vergrößerte Taschenlampen aussahen, und deren Strahlen alle Anwesenden umfingen. Das war die Waffe, von der alle hypnotischen Befehle ausgingen und verstärkt wurden. Bei dieser Erkenntnis kam es Hammond zu Bewußtsein, daß weder er noch die anderen im Augenblick mit dem Turban ausgestattet waren, der ihnen vor dieser Waffe Schutz gegeben hätte. Er schaute auf die ruhigen Gesichter der eintretenden Männer, und dann schaute er noch einmal zu Thayn Marden hinüber. Er hörte Jon Wilsons Stöhnen. „Die Vramen! Das . . .“ Niemand sprach ein weiteres Wort. Wieder vernahm Hammond den kalten, hypnotischen Befehl, gegen den es kein Aufbäumen gab. „Schlafen!“ tönte es. „Schlafen!“ Um ihn herum sanken alle Hoomen zu Boden, und auch er selbst versank in einer unendlichen Dunkelheit. 8. Kirk Hammond erwachte mit einem ungewöhnlichen Gefühl der Frische und Stärke. Zum erstenmal seit seiner seltsamen Rückkehr auf diese Erde spürte er keine Schwäche mehr. Selten in seinem Leben hatte er sich so wohl gefühlt wie jetzt. Er sah sich betroffen um. Er lag auf einer weichen, niedrigen Couch. Am Fußende stand eine Art Leselampe, und die große Glühbirne warf einen rosigen Schein auf die Couch. Er fragte sich unwillkürlich, ob es wohl die Wirkung der Strahlen dieser Lampe war, die alle Schwäche in seinem Körper ausgemerzt hatte. Dann schaute er sich weiter im Raum um. Er war verhältnismäßig klein; Decke und drei der Wände schienen aus einer Substanz zu bestehen, die ihn an grünes Porzellan erinnerte. Die vierte, etwas gewölbte Wand war vollkommen durchsichtig und ließ die Strahlen der Sonne in den Raum dringen. „Großer Gott!“ stieß Hammond unvermittelt hervor, als ihm die Erinnerung an die letzten Vorgänge kam. „Die Vramen ...“ Mit voller Wucht setzte jetzt die Erinnerung ein — und diese Erinnerung war für ihn
40 ein schmerzlicher Schock. Thayn Marden hatte ihn zum Narren gehalten, und das war ihr so leicht wie bei einem kleinen Kind gefallen. Mit einem einfachen Trick hatte sie ihn bewogen, die Kabel der Encephalosonde umzupolen, so daß sich hieraus ein Signal für die Radaranlagen an Bord der Flugzeuge der Vramen ergab, und somit konnten diese das unterirdische Gewölbe aufspüren. Weiterhin erinnerte er sich noch an die metallisch klingende Stimme mit den hypnotischen Befehlen zum Schlafen und nun dies hier! Hammond sprang von der Couch und lief auf die einzige Tür des Raumes zu. Sie war verschlossen, und auch sein Klopfen brachte kein Resultat. Er wandte sich wieder ab und trat an die gewölbte, durchsichtige Wand, die im Grunde genommen nichts als ein großes Fenster war. Er schaute hindurch, und der Anblick fuhr ihm in die Glieder. Er befand sich hier hoch über einer großen Stadt — und es war eine Stadt, wie weder Kirk Hammond noch ein anderer seiner Zeitgenossen aus der fernen Vergangenheit sie je zu sehen bekommen hatte. Dies war keine planlos gewachsene Metropole. Die ganze Stadt bestand aus kaum mehr als hundert Gebäuden — aber jedes einzelne dieser Gebäude ragte mindestens eine Meile hoch in die Luft. Die einzelnen Wohnungen dieser gigantischen Gebäude waren so angeordnet, daß die Fenster ein Maximum von Sonnenlicht aufnahmen. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in diesen Fenstern. „Rurooma“, flüsterte Hammond erschüttert. „Die Stadt Rurooma, wie die Hoomen sie mir beschrieben haben. Das bedeutet...“ Seine Anwesenheit in diesem Gebäude und in dieser Stadt bedeutete eine Tragödie. Es bedeutete nichts anderes, als daß er und all seine Freunde unter den Hoomen von den Vramen überwältigt und anschließend hierhergebracht worden waren, um wegen ihrer Verschwörung vor Gericht gestellt und verurteilt zu werden. Das Schuldbewußtsein meldete sich in Hammond. Es war eine bittere Ironie des Schicksals, daß gerade er, dem so unendlich viel an der Freiheit des Weltraumes lag, das gemeinsame Ziel der Hoomen verraten hatte. Wo mochten sich jetzt wohl Jon Wilson, Iva und all die anderen befinden? Er hörte das Öffnen der Tür und wirbelte herum. Als er sah, daß es Thayn Marden war, trat er mit geballten Fäusten auf sie zu. Thayn hielt ein kleines Instrument in der Hand, das ihn irgendwie an eine große Taschenlampe erinnerte. „Wenn du mich dazu zwingst, kann ich dich mit diesem Gerät jeden Augenblick zu Boden strecken“, sagte sie ruhig und beherrscht. Hammond blieb stehen; eine wilde Wut tobte in ihm. Dennoch mußte er sich eingestehen, daß diese Frau jetzt schöner als je zuvor aussah. Sie trug ein dunkles Seidenhemd und eine gleichfarbige, kurze Hose, und in dieser Bekleidung kam ihre schlanke, biegsame Figur voll zur Geltung. Es hatte fast den Anschein, als wären die Kleidungsstücke durchsichtig. Auf ihrer Brust prangte ein glitzerndes Abzeichen, und in ihrem blonden Haar steckte ein Juwelendiadem. Ihr Gesicht war vollkommen ruhig, und der Blick ihrer strahlendblauen Augen war forschend auf Hammond gerichtet. „Was habt ihr mit Jon Wilson, Quobba und all den anderen angestellt?“ fragte er hart. „Sie sind alle voll auf dem Posten“, erwiderte Thayn prompt. „Sie befinden sich, genau wie du, seit vier Tagen in diesem Gebäude, um auf die Verhandlung zu warten.“ „Vier Tage?“ fragte Hammond erstaunt „Ist inzwischen wirklich so viel Zeit vergangen?“ Thayn nickte.
41 „Als unsere Medico-Techniker dich untersuchten, stellten sie fest, daß dein Körper noch immer unter den Nachwirkungen der suspendierten Animation litt. Sie haben angeraten, dich einige Zeit hindurch unter dem Einfluß dieser therapeutischen Strahlung zu belassen.“ Hammonds Gedanken kehrten wieder zu dem Punkt zurück, an dem sie seine Freunde erwähnt hatte. „Du behauptest, Wilson und die anderen wären vollkommen auf dem Posten. Woher soll ich wissen, ob du mich nicht anlügst?“ „Wir Vramen haben nicht die Gewohnheit, zu lügen.“ „Na, war es vielleicht kein lügnerischer Trick, den du bei mir angewandt hast?“ „Ich habe dir erklärt, daß es meinen Verstand retten würde, wenn die Umpolung der einzelnen Kabel vorgenommen wird. Das war doch die reine Wahrheit, nicht wahr?“ „Du hast mir aber nicht gesagt, daß ich dadurch ein Signal an deine Freunde durchgeben würde“, entgegnete Hammond bitter. „Und das ist einer Lüge gleichzusetzen.“ Thayn behielt auch auf diesen Einwurf eine unerwartet ehrliche Haltung bei. „Das stimmt“, räumte sie ein. „Allerdings hat es sich dabei um eine Notlage gehandelt. Wenn es gilt, die Hoomen von einem Flug nach Althar abzuhalten, dann ist jedes Mittel recht.“ „Du hast dich vorsätzlich auf mein Mitleid verlassen“, sagte Hammond. „Keine anständige, menschliche Frau würde je einen solchen Trick anwenden. Bei einer Frau dagegen, die ganz und gar nicht menschlich, gefühlsarm und über zweihundert Jahre alt ist, kommt so etwas wohl ganz natürlich.“ Er wollte sie mit aller Macht treffen — und das gelang ihm auch. Thayn zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, und der Schmerz drückte sich auch in ihrer Stimme aus. „Du hast ein Recht zu diesen Worten.“ Sie blickte ihn fest an. „Nachdem du das nun angebracht hast, möchtest du vielleicht wissen, warum ich gekommen bin?“ „Um mir zu eröffnen, daß ich zusammen mit den anderen verurteilt und bestraft werde?“ fragte er zurück. „Na schön, ich bin bereit.“ „Du wirst nicht bestraft werden — es sei denn, du nimmst eine störrische Haltung ein, die jeder Vernunft spottet“, erwiderte Thayn Marden. „Während deines langen, hypnotischen Schlafes bist du in unseren Laboratorien sehr gründlich untersucht worden. Wir wissen jetzt, daß deine Angaben über die Rückkehr aus einer fernen Vergangenheit in allen Punkten der Wahrheit entsprechen, denn wir haben dich auch mit einer Encephalosonde untersucht.“ Hammond kochte vor Wut. „lhr habt das verdammte Ding bei mir zur Anwendung gebracht?“ „Vor einer Gerichtsverhandlung werden die Angeklagten stets einer solchen Untersuchung unterzogen. Dabei achten wir besonders darauf, daß sich die betreffende Person nicht dagegen sträuben kann.“ „Ich hoffe, es hat euch gefallen, zu erfahren, wie und was ich über die Vramen denke!“ „Wir haben eine ganze Reihe von Dingen erfahren. Aber die Encephalosonde kann schließlich nicht den gesamten Umfang einer Persönlichkeit ertasten, sondern nur die vorherrschenden Erinnerungen und Empfindungen. Wir haben sehr verlockende Bruchstücke aus der fernen Vergangenheit deines Zeitalters erfahren, von dem wir, wie ich dir ja schon sagte, fast gar keine Unterlagen mehr haben.“ Sie trat dicht an ihn heran, und ihr Tonfall wurde sehr ernst. „Du könntest sehr viel zur Erweiterung unserer Kenntnisse über die Anfänge der Raumflüge beitragen. Wenn du bereit bist, unseren Wissenschaftlern und PsychoTechnikern in jeder Beziehung zu helfen, werden wir beim Gericht der Hoomen beantragen, daß deine Strafe an der Teilnahme der Verschwörung zur Bewährung ausgesetzt wird.“
42 „Nichts zu machen“, knurrte Hammond. „Ich habe ganz und gar nicht die Absicht, dir oder deiner kleinen Kaste von Übermenschen auch nur im mindesten zu helfen. Ich ziehe es vor, zu Wilson und meinen anderen Freunden zu stehen.“ „Das rührt nur daher, weil du die Wahrheit nicht kennst“, entgegnete Thayn Marden. „Sie sind eifersüchtig auf die Erfolge der Vramen, und mit dieser Eifersucht haben sie dich angesteckt. Sie hassen uns, und dennoch entspricht es der vollen Wahrheit, daß wir Ihnen niemals den geringsten Schaden zugefügt, sondern ihnen ganz im Gegenteil jederzeit nur geholfen haben.“ „Na, wenn ihr schon so darauf erpicht seid, der gesamten Menschheit zu helfen, warum laßt ihr ihnen dann nicht das gleiche lange Leben zukommen, wie ihr es selbst habt? Oder wäre das eine zu große Hilfe für sie?“ Thayn schaute ihn resigniert an. „Ich sehe schon, daß du einfach keine Vernunft annehmen willst. Du verläßt dich ganz einfach auf die Vorurteile der Hoomen und folgst ihnen. Deine ablehnende Haltung gegen mich persönlich beruht auf der Tatsache, daß du mich liebst.“ „Daß ich dich liebe. . .“ Hammond starrte sie betroffen an. „Großer Gott — das glaubst du wohl wirklich, wie? Wie bist du nur auf einen so verrückten Gedanken gekommen? Liegt es vielleicht an der Tatsache, daß ich dir helfen wollte?“ Thayn Marden lächelte. „Ich habe dir doch bereits erklärt, daß die Encephalosonde alle vorherrschenden Erinnerungen und Empfindungen genau registriert. Ich habe alle vorhandenen Unterlagen einer genauen Prüfung unterzogen und dabei festgestellt, daß du mich vom ersten Augenblick an liebst, seit du mich gesehen hast. Allerdings hat dein Vorurteil gegen uns Vramen dich bewogen, deine Gefühle für mich ins Unterbewußtsein zu verbannen.“ Ehe Hammond auch nur eines jener Dinge erwidern konnte, die ihm jetzt auf der Zunge brannten, wandte sie sich kurz um und verließ den Raum. Hammond stieß eine Verwünschung hervor. Das also war der eigentliche Wert dieser Encephalosonde und der damit verbundenen Erfassung der Gehirnwellen eines Menschen! Er war von Thayn Mardens äußerer Erscheinung angezogen worden, genau wie das bei jedem anderen Mann der Fall sein mußte. Da sie selbst kein Mensch im eigentlichen Sinne war und somit auch die menschlichen Empfindungen nicht kannte, hatte sie diese Tatsache so ausgelegt, daß er sie liebte. Bei dem Gedanken, daß er eine Frau lieben sollte, die über zweihundert Jahre alt war, mußte er unwillkürlich lachen. Eine Stunde später wurde die Tür wieder geöffnet, und zwei Männer traten ein. Sie waren jung, trugen schwarze Uniformen, und an ihrer Brust prangten Abzeichen von ineinander verschlungenen Sonnen. Nach Quobbas Beschreibungen handelte es sich dabei um das Abzeichen des Galaktischen Rates. Somit mußten diese jungen Männer Hoomen sein. „Begleiten Sie uns, bitte'', sagte einer der beiden. „Wir haben den Auftrag, Sie zum Gerichtssaal zu bringen.“ Bei keinem der beiden Männer war eine Waffe zu sehen — aber Hammond zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie eine solche unter der Uniform verborgen trugen. Achselzuckend folgte er ihnen. Sie kamen auf einen weiten Korridor, dessen Decke und Außenwände aus einer grünlich schimmernden Substanz bestanden, die von innen her beleuchtet zu sein schien. Sie hielten bei einer Gruppe von Menschen, die von einigen uniformierten Männern bewacht wurde. In dieser Gruppe befanden sich Jon Wilson, Rab Quobba und all die anderen Hoomen aus dem unterirdischen Gewölbe. Hammond trat auf sie zu. „Wilson — Iva — ist bei euch alles in Ordnung? Ich habe schon befürchtet ...“ Eisiges
43 Schweigen empfing Kirk. Jon Wilson schaute ihn feindselig an, und Gurth Lund sah aus, als wollte er ihn auf der Stelle umbringen. Selbst Rab Quobba und der kleine Tammas wichen seinen Blicken aus, und Iva Wilson schaute niedergeschlagen auf den Fußboden hinunter. „Hört mal zu“, fuhr Hammond fort. „Ich weiß, was ihr denkt, und ich kann eure Gefühle nur zu gut verstehen. Aber ich bitte euch . . .“ Einer der uniformienen Männer trat auf ihn zu. „Sie dürfen hier nicht reden! Die Verhandlung wird jeden Augenblick beginnen.“ Schweigend wurden sie in einen kleinen Raum geführt, und es stellte sich bald heraus, daß dies ein Lift war, der mit atemberaubender Geschwindigkeit nach unten sauste. Hammond stand unmittelbar neben Iva. „Siehst du es denn gar nicht ein, daß Thayn Marden mich mit einem Trick übertölpelt hat, Iva? Ich habe das doch nicht vorsätzlich getan!“ Sie streifte ihn mit einem flüchtigen Blick, und dann schaute sie wieder zur Seite. „Sie behaupten aber, du hättest vorsätzlich gehandelt und uns alle verraten — nur um Thayns willen.“ Der Lift hielt an, und sie wurden in einen großen und seltsam schön wirkenden Saal geführt. Die Wände waren unmittelbar über dem Fußboden dunkelgrau, und diese Farbe wurde nach oben hin immer heller, und an der Decke war es strahlend weiß. Im Hintergrund des Saales stand eine Reihe von halbrund angeordneten Bänken, die voll besetzt waren. Auf einer kleinen Plattform saß ein Mann mit dem Abzeichen des Galaktischen Rates und das gleiche Abzeichen war in vielfach vergrößerter Form hinter ihm an der Wand zu sehen. Hammond sah keine Geschworenen, kein Pult für den Staatsanwalt, und überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Gerichtssaal des 20. Jahrhunderts. Auf einer der vorderen Sitzreihen erblickte er Thayn Marden, und neben ihr saßen drei Männer, die das gleiche seltsame Abzeichen trugen wie sie selbst. „Die verdammten Vramen sind nur gekommen, um sich zu vergewissern, daß wir auch die richtige Strafe bekommen“, knurrte Rab Quobba zu dem neben ihm sitzenden Tammas. Als Kirk Hammond mit den anderen vor das kleine Podium des Richters treten mußte, vernahm er das unterdrückte Stimmengewirr der Zuschauer, und plötzlich wurde er sich bewußt, daß sie ihn alle anstarrten. Augenscheinlich hatte sich seine sonderbare Lebensgeschichte bereits herumgesprochen. Selbst der Richter, ein Hoomen mittleren Alters mit einem strengen Gesicht, schaute ihn interessiert an. Dann richtete er sich an alle Angeklagten. „Sie werden beschuldigt, den Versuch zur Konstruktion eines illegalen Raumschiffes unternommen zu haben. Während der Ausübung dieser Tätigkeit und als direkte Folge davon, haben Sie das Leben von zwei Vramen zerstört, indem sie deren Flugzeug mittels einer illegalen Waffe zum Absturz gebracht haben. Weiterhin haben sie eine dritte Angehörige der Vramen gewaltsam der Freiheit beraubt und ihr körperlichen und seelischen Schaden angedroht.“ Er hielt inne und kramte eine Weile in den auf seinem Schreibtisch liegenden Papieren herum. „Die offiziellen Unterlagen der bei Ihnen allen angewandten Encephalosonde liegen dem Gericht vor. Sie hatten ausreichende Gelegenheit, Einsicht in diese Unterlagen zu nehmen. Haben Sie irgendwelche Einwendungen dagegen zu erheben?“ „Wir haben keine Einwendungen gegen diese Unterlagen“, erwiderte Jon Wilson, in
44 dessen Augen wilder Haß loderte. Der Richter blickte Thayn Marden an. „Sie, Thayn Marden, haben als die Person, die all diese Anschuldigungen vorbringt, ebenfalls Gelegenheit gehabt, Einsicht in diese Unterlagen zu nehmen. Liegen bei Ihnen irgendwelche Einwendungen vor?“ „Nein.“ Zu diesem Zeitpunkt wurde es Hammond klar, daß die Angelegenheit der legalen Formalitäten so schnell abgewickelt werden konnte, weil im Grunde genommen niemand an der Richtigkeit der Unterlagen der Encephalosonde zweifeln konnte. Wie hätte man auch an der Richtigkeit solcher Angaben zweifeln können, wo eine Encephalosonde eingesetzt worden war, die alle Gedanken eines Menschen offenbarte? In diesem super-modernen Gerichtssaal war wirklich kein Raum für Anwälte und juristische Winkelzüge. Der Richter wandte sich wieder an die Angeklagten. „Es ist Ihnen bekannt, daß Sie gegen die Gesetze des Galaktischen Rates verstießen, als Sie den Versuch zur Konstruktion eines illegalen Raumschiffes unternahmen. Es ist Ihnen weiterhin bekannt, daß unsere Regierung bereits vor langer Zeit mit den Vramen ein Abkommen getroffen hat, das ausdrücklich besagt, daß in jedem herzustellenden Raumschiff die betreffende Vorrichtung der Vramen eingebaut und vorhanden sein muß.“ „Wir erkennen die Bindung dieser Abmachung nicht an — nicht für die gesamte Menschheit und für alle Zeiten“, entgegnete Jon Wilson mit leidenschaftlicher Heftigkeit. Er wandte sich ein wenig um, so daß er jetzt nicht nur zum Richter, sondern gleichzeitig zu allen Zuschauern sprach. „Wir sehen keinen Grund, weshalb die Vramen uns die Möglichkeit des langen Lebens vorenthalten, das sie selbst in vollem Maße genießen.“ Hammond hörte das beifällige Gemurmel aus den Reihen der dichtbesetzten Zuschauerbänke. Offensichtlich teilten alle anwesenden Hoomen Wilsons Einstellung — zumindest in diesem Punkt. Das Geräusch, das aus ihren Reihen kam, war wie das verhaltene Knurren eines auf der Lauer liegenden Raubtieres. Die Haltung von Thayn Marden und der drei Männer ihrer Begleitung blieb vollkommen ruhig und gelassen. „Die Gültigkeit unseres seinerzeitigen Abkommens mit den Vramen steht hier nicht zur Debatte“, sagte der Richter. „Es wurde unsererseits freiwillig unterzeichnet — gewissermaßen als kleine Gegengabe für all die Wohltaten, die die Vramen der Menschheit erwiesen haben. Durch den Bruch dieses Abkommens und durch die Anwendung von Gewalt haben Sie alle ein Staatsverbrechen begangen. Da Sie keinerlei mildernde Umstände anführen können und auch die Richtigkeit der Unterlagen der Encephalosonde nicht anfechten, ist Ihre Schuld erwiesen. Somit ergeht das Urteil, daß Sie den Rest Ihres Lebens auf dem Strafplaneten des Systems Spica zu verbringen haben.“ „Wir haben kein anderes Urteil erwartet“, erwiderte Jon Wilson mit gemessener Würde. „Aber der Tag wird kommen, an dem die Herrschaft der Vramen über unsere gesamten Zivilisationen abgeschüttelt werden wird. Zum gleichen Zeitpunkt werden wir ihnen das Geheimnis des langen Lebens entreißen.“ Wieder lief ein beifälliges Raunen durch die Reihen der Zuschauer. Der Richter gebot Einhalt. „Unser Urteil bezieht sich auf alle Beschuldigten mit Ausnahme von Kirk Hammond“, sagte er. „Die hier anwesenden Vertreter der Vramen haben den Antrag gestellt, seine Strafe auf Bewährung auszusetzen.“ Er richtete den Blick auf Thayn Marden. Sie stand auf und schaute in Hammonds trotzig verschlossenes Gesicht.
45 „Das war unsere ursprüngliche Absicht“, sagte sie. „Aber da Kirk Hammond sich geweigert hat, unsere Forschungen zu unterstützen, ziehen wir unseren Antrag zurück.“ Der Richter sah Hammond stirnrunzelnd an. „Das ist wirklich sehr bedauerlich. Der Hintergrund Ihrer Geschichte ist uns bekannt, und als ein Mann, der durch ein großes Wunder aus ferner Vergangenheit in unsere Zeit geschleudert wurde, wären Sie uns unter normalen Umständen als geschätzter und verehrter Gast willkommen. Nach den Unterlagen der Encephalosonde haben Sie jedoch an der Verschwörung dieser Männer gegen uns teilgenommen, obwohl es Ihnen durchaus bekannt war, daß Sie dabei gegen unsere bestehenden Gesetze verstoßen. Auch bei voller Würdigung der ungewöhnlichen Tatsachen ihres persönlichen Hintergrundes kann sich dieses Gericht nicht der Erkenntnis verschließen, daß Sie vorsätzlich gegen unsere gültigen Gesetze verstoßen haben. Somit kann ich die gegen Sie erkannte Strafe nur dann auf Bewährung aussetzen, wenn die Vertreter der Vramen einen entsprechenden Antrag stellen.“ „Wir sind nach wie vor zu diesem Antrag bereit, wenn Hammond gewillt ist, uns bei unseren historischen Forschungen zu unterstützen“, sagte Thayn Marden ruhig. Der Richter schaute Hammond ernst an. „Ich würde Ihnen dringend raten, die Bedingungen dieses Antrags anzunehmen.“ Hammond richtete den Blick auf Thayn Marden. Er war wütend, daß sie ihn in diese Position gebracht hatte. Es ärgerte ihn, daß die Vramen jetzt in arroganter Weise den Weltraum beherrschten, den zu erobern er seinerzeit mitgearbeitet hatte. Er haderte mit seinem Schicksal, das ihn aus seiner eigenen Zeit gerissen und in dieses merkwürdige Zeitalter geworfen hafte. Seine ganze aufgestaute Wut machte sich in einem einzigen Satz Luft. „Ich will verdammt sein, wenn ich zustimme!“ „Dann müssen Sie die verhängte Strafe auf dem Planeten Kuum verbüßen, der sich im Spica-System befindet“, entgegnete der Richter. „Eine Entlassung von dort kommt erst in Frage, wenn Sie es sich anders überlegen und dem Vorschlag der Vramen zustimmen.“ Gemeinsam mit den anderen verließ Hammond den Gerichtssaal. Es war wie ein Schock für ihn. Alles hatte sich so schnell und reibungslos abgespielt, daß ihm das Urteil zur lebenslänglichen Verbannung auf einen Strafplaneten kaum zu Bewußtsein gekommen war. „Gibt es denn keine Möglichkeit zur Berufung?“ fragte er, ohne sich dabei an eine bestimmte Person zu wenden. „Hat man denn gar keine Möglichkeit zur Bewährung...“ Jon Wilson fiel ihm ins Wort, und seine Stimme klang merkwürdig distanziert. „Alle zehn Jahre wird eine Encephalosonde eingesetzt. Wenn die Resultate ergeben, daß der Beschuldigte vollkommen rehabilitiert ist, und daß er sein Verbrechen nicht wiederholen wird, steht seiner Rückkehr zur Gesellschaft nichts im Wege. Aber darüber brauchst du dir doch gar keine Sorgen zu machen, Hammond.“ „Warum denn nicht?“ „Wir alle haben doch Thayn Mardens Ausführungen gehört. Das Tor steht dir jederzeit offen.“ Schweigen trat ein, während ihre Schritte über den Korridor hallten. „War das ein Teil des Versprechens, das sie dir gegeben hat, Hammond?“ fragte Wilson leise. „Als Bezahlung für den Verrat?“ 9. „Ich möchte eines Tages in den Weltraum hinausfliegen!“ hatte vor langer Zeit irgendwo in Ohio ein kleiner Junge ausgerufen.
46 Er hatte diesen Plan tatsächlich durchgesetzt und dabei das seltsamste Schicksal erlebt, das in den Annalen der Geschichte verzeichnet war. Jetzt befand Hammond sich wiederum im Weltraum — aber diesmal nicht in einer kleinen Raumkapsel, sondern in einem Raumschiff von gigantischen Ausmaßen, und das Ziel lag irgendwo in der Galaxis. Zu groß, dachte er, während er zum Bullauge hinausschaute. Zu groß und zu weit. Er war von alledem noch immer wie betäubt. Innerhalb weniger Stunden nach der Gerichtsverhandlung war er mit den anderen von den uniformierten Männern abgeholt und im geschlossenen Wagen durch die Stadt Rurooma transportiert worden. Der Anblick der meilenhohen, glitzernden Gebäude dieser Stadt war geradezu überwältigend gewesen. Aber erst beim Anblick des enormen Raumflughafens war er sich des krassen Unterschieds zwischen seinem eigenen Zeitalter und der jetzigen Zeit bewußt geworden. Unwillkürlich mußte er dabei an Cape Kennedy mit den armseligen Rampen und Vorkehrungen für eine Raumkapsel denken, die den Mond umkreisen und dann zur Erde zurückkehren sollte. Wie winzig und unbedeutend kam ihm das alles in der Erinnerung vor, als er dann auf einer Bahn stand, die sich meilenweit bis zum Horizont erstreckte — ganz zu schweigen von den einzelnen Rampen, Lagerhäusern und sonstigen technischen Vorrichtungen, von denen er nicht die geringste Ahnung hatte. Und dann erst die Raumschiffe! Welcher Unterschied bestand doch zwischen diesen Riesen und den unscheinbaren Raumkapseln des 20. Jahrhunderts! Ihre dunklen Leiber wölbten sich wie Gewitterwolken über den Menschen und Fahrzeugen am Raumhafen. Im Augenblick ruhten sie aus — aber es war das Ausruhen von wahren Giganten, die an den Schwellen der Unendlichkeit gerüttelt hatten, die die Wege zu fernen Sonnensystemen und fernen Welten kannten, deren metallische Körper die Spuren von Zusammenstößen mit Meteoriten und weiten Sternennebeln aufwiesen, und die diesen winzigen Planeten Erde in kurzer Zeit wieder verlassen würden, um in ihre eigentliche Heimat, in die Unendlichkeit des Weltraumes zurückzukehren. Während sie zu einem dieser Raumschiffe geführt wurden, an dessen Bug das Abzeichen des Galaktischen Rates prangte, hatte Hammond einen Blick auf das geschäftige Treiben in diesem Raumhafen werfen können. Da waren alle Sorten von Hoomen vorhanden: rothäutige, grünhäutige, rosa-, blau- und grauhäutige; die Hautfarbe entstammten ihren jeweiligen Heimatplaneten __ sie alle aber kamen aus der Saat, die die Menschen bei ihrer Eroberung des Weltalls ausgestreut hatten. Auch der Start dieses gigantischen Raumschiffes unterschied sich in allen Einzelheiten von dem einer Raumkapsel seines Zeitalters. Aus seinem eifrigen Studium im unterirdischen Gewölbe der Hoomen wußte er bereits einige Tatsachen über die Raumschiffe dieser Zeit. Sie wurden durch unvorstellbare Kräfte angetrieben, deren Vorhandensein man bereits in seinem eigenen Zeitalter vermutet hatte. Verschiedenartige technische Errungenschaften ermöglichten es, daß ein solches Raumschiff mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit durch das All raste. * Hammond und die anderen saßen in stoßgesicherten Stühlen in der Mitte der Halle, die den Gefangenen gemeinsam zur Verfügung stand. Dem intensiven Brummen der Generatoren folgte das Gefühl eines ständig steigenden Drucks, das jedoch in keiner Phase unerträglich wurde. Die anderen in seiner Nähe schienen überhaupt nicht die geringste Notiz davon zu
47 nehmen. Jon Wilson hielt sein mürrisches Schweigen bei; Quobba und Tammas unterhielten sich über private Dinge. Sie alle waren ja an derartige Raumflüge gewöhnt. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, zu den Bullaugen hinauszuschauen. Aber Hammond schaute hinaus. Er wußte lediglich, daß dieses Bullauge in Wirklichkeit gar kein Fenster war. Man konnte nicht hindurch- sondern nur hineinschauen, als wäre es die Mattscheibe eines Fernsehgerätes aus alten Tagen. Mittels einer technischen Vorrichtung wurden hier die für das menschliche Auge nicht mehr wahrnehmbaren Lichtstrahlen so transformiert, daß man den Eindruck hatte, direkt in den offenen Weltraum zu schauen. Kirk Hammond hatte den Weltraum bereits zuvor gesehen. Er kannte den Schimmer der strahlenden Sterne und Sonnen, die sich gegen den dunklen Hintergrund des Alls abhoben. Er kannte auch die Farben der Sonnen, die ihre Planeten in unendlicher Folge mit der erforderlichen Energie versorgen. Ja, das alles hatte er bereits gesehen — und dennoch schaute er fasziniert zu, wie die Sonne und die einzelnen Planten des Solaren Systems vorbeiglitten. Er konnte sich einfach nicht von diesem Bullauge abwenden. Er schaute und schaute — und plötzlich schien die gesamte Umgebung des Raumschiffes verschwunden zu sein. Jetzt war er allein im Weltraum, und außer ihm und dem All schien es nichts mehr zu geben. Sein Blick war auf die fernen Sterne gerichtet, und sie erwiderten diesen Blick ohne jedes Mitleid. Jetzt saß er wieder in seiner winzigen Raumkapsel . . . Er war blind, vollkommen erfroren und lag in einem todesähnlichen Zustand, und die Sterne verfolgten seine Umlaufbahn, die kein Ende nehmen wollte. „... und ich betrachte mich als König des Weltraums, wenn ich nicht so gräßliche Träume hätte.“ Es war in Wirklichkeit ein Traum der Angst, daß er immer weiter auf diese Weise durch den Weltraum rasen würde, ohne daß ein Ende abzusehen war. „Kirk?“ Die Stimme drang in sein Ohr; eine Hand legte sich auf seinen Unterarm — und plötzlich war der Bann gebrochen. Er saß wieder in dem gigantischen Raumschiff, und Iva Wilson zog ihn vom Bullauge fort. „Dein Gesicht“, flüsterte sie. „Ich konnte das einfach nicht länger ertragen. Es war — es war einfach — schrecklich.“ Es bereitete ihm trotz allem erhebliche Mühe, in die Wirklichkeit zurückzufinden. „Mitunter werde ich von den mir inzwischen schon bekannten Alpträumen heimgesucht“, sagte er mühsam. „Ich glaube, daran läßt sich wohl kaum etwas ändern. Vielen Dank, Iva.“ Hinter ihm erklang Jon Wilsons harte Stimme. „Laß ihn in Ruhe, Iva!“ Hammond wandte sich um; er spürte den Schweiß auf seinem Rücken. Jon Wilson, Gurth Lund und ein paar der anderen Hoomen waren hergekommen, und der feindselige Ausdruck ihrer Gesichter war unverkennbar. Die einzige Ausnahme bildeten Rab Quobba und Tammas. „Einen Augenblick!“ sagte Hammond. Er hatte den Schock des schweren Alptraums noch immer nicht ganz überwunden — aber er zwang sich mit allen Kräften zur Beherrschung. „Ich kann es euch nicht verübeln, daß sich euer Zorn gegen mich richtet. Ich wurde zum Narren gehalten, und ich habe eine Verhängnisvolle Dummheit begangen. Aber niemals habe ich euch vorsätzlich verraten!“ Jon Wilsons Gesicht wurde noch härter. „Ich könnte einen Fehler verzeihen — auch wenn dadurch unsere ganze Arbeit vernichtet worden ist. Aber ich glaube nicht, daß es sich um einen Fehler handelt. Ich
48 neige eher zu der Ansicht, daß du auf Thayn Mardens Wunsch hin den Vramen absichtlich das Signal gegeben hast.“ „Das kannst du doch nicht im Ernst glauben, Vater!“ rief Iva. Langsam stieg die Wut in Hammond auf. „Zum Teufel!“ rief er. „Wenn ich so etwas wirklich im Sinn gehabt hätte, warum sollte ich dann das Angebot der Vramen ausschlagen?“ „Das“, entgegnete Wilson, „ist etwas, das ich auch gern wissen möchte. Es sei denn, die Vramen haben dich uns als Spion zugeteilt.“ „Für eine solche Anklage habt ihr nicht den geringsten Anhaltspunkt“, sagte Hammmond hitzig. „Ihr...“ „Ganz sicher habe ich einen solchen Anhaltspunkt“, gab Wilson zurück. „Als Anführer der Angeklagten war es meine Pflicht, die Unterlagen der Encephalosonden vor der Gerichtsverhandlung zu prüfen.“ Quobba, Lund und die anderen starrten Wilson verständnislos an — aber Hammond hatte eine deutliche Vorahnung von dem, was jetzt kommen mußte. „In den Unterlagen deiner Encephlosonde, Hammond, habe ich den klaren Beweis gefunden, daß du Thayn Marden liebst.“ Ein Wutgeheul kam von den anderen, und es wurde nur von Lunds Stimme übertroffen. „Er hat uns ihretwegen verraten!“ rief er. Bei diesen Worten kam er auf Hammond zu. Dieser Angriff traf Hammond vollkommen unvorbereitet. Lunds Faust landete voll an seinem Kinn, schleuderte ihn rücklings zu Boden und raubte ihm momentan die Besinnung. Lunds Hände umklammerten seinen Hals und schnürten ihm die Kehle zu; Lund war wie ein beutegieriger Tiger über ihn gebeugt. Mit letzter Kraft zog Hammond die Knie an und schleuderte den Gegner mit einem Tritt von sich. Jon Wilson packte Lund bei den Schultern und hielt ihn fest. „Nein! Damit lockst du nur die Wachen herbei, und dann werden wir einzeln in unsere Zellen gesperrt.“ Hammond stand wieder auf. Ohne von Lund und den anderen weitere Notiz zu nehmen, wandte er sich direkt an Wilson. „Ich habe euch nicht verraten — wenigstens nicht mit Absicht. Auch liebe ich Thayn Marden nicht, ganz gleich, was immer die Unterlagen der Encephalosonde besagen mögen!“ „Ein Mensch kann lügen, und er kann sich irren“, entgegnete Wilson nachdrücklich. „Aber eine Encephalosonde lügt und irrt sich nicht. Ob du den Vramen dieses Signal nun absichtlich geschickt hast oder nicht — einem Mann, der eine der Vramen liebt, darf man nicht über den Weg trauen.“ Er wandte sich um, ergriff Ivas Arm, und die anderen folgten ihm. Hammond schaute ihnen verwirrt und wütend nach. Zum Teufel mit ihnen! dachte er. Wenn sie nicht mehr von ihm hielten, dann konnte er schließlich auch das Angebot der Vramen annehmen. Als er dann jedoch an Thayn Marden dachte, erkannte er, daß er das niemals tun konnte. Dieser eiskalten, unmenschlichen Imitation einer Frau würde er diese Genugtuung niemals gönnen. Das Mißtrauen der Hoomen ging ihm gegen den Strich — aber für die Vramen konnte er nur Haß empfinden. Vielleicht kam das daher, daß er sich ihnen so unterlegen fühlte — aber jedenfalls wußte er genau, daß er sie wegen ihrer Beherrschung der gesamten Galaxis haßte. Schließlich hatten sie darauf ebensowenig ein Recht wie auf das Geheimnis ihres verlängerten Lebens. Wieder einmal kam es Hammond in aller Deutlichkeit zu Bewußtsein, daß er einfach nicht in dieses Zeitalter paßte. Er konnte die Psychologie dieser Menschen nicht verstehen, denn der Abgrund zwischen ihm und ihnen war zu groß. Dennoch wollte er nicht aufgeben,
49 denn wenn ihm nichts mehr blieb, woran er sich klammern konnte, dann würde er wohl für immer den Verstand verlieren. Er mußte das Leben in diesem merkwürdigen Universum leben und verbuchen, das Beste daraus zu machen. „Dabei habe ich bereits einen wundervollen Start hinter mir“, brummte er vor sich hin. „Die einzigen Freunde, die ich hier hatte, stellen sich voller Mißtrauen gegen mich.“ Ein leiser Gong ertönte, und der Lautsprecher verkündete die Mittagszeit für die Gefangene. Alle verließen den Aufenthaltsraum, ohne von Hammond Notiz zu nehmen. Da er nicht hungrig war, blieb er in dem gemeinsamen Aufenthaltsraum, und plötzlich hörte er leichte Schritte hinter sich. Er wirbelte herum. Es war Iva Wilson; auf ihrem hübschen Gesicht lag ein unglücklicher Ausdruck. „Ich bin noch einmal zu dir gekommen, Kirk. Es — es tut mir leid, daß es so gekommen ist.“ „Dann hältst du mich also nicht für einen vorsätzlichen Verräter?“ „Natürlich nicht“, erwiderte sie rasch. „Es war alles Thayn Mardens Werk.“ Sie hielt inne, und dann fragte sie unvermittelt: „Ist es eigentlich wahr, daß du sie liebst?“ „Zum Teufel — nein!“ explodierte er. ,,Sie ist schön, und ich fühlte mich von dieser Schönheit irgendwie angezogen. Bei welchem Mann wäre das wohl nicht der Fall? Diese Tatsache kam durch die Encephalosonde ans Licht, und sie legten das so aus, daß ich sie liebe. Das ist die reine Wahrheit!“ Iva schaute ihn erleichtert an. „Ich war sicher, daß es so ähnlich sein mußte, denn es ist einfach unmöglich, daß ein Hoomen eine Frau der Vramen liebt.“ „Dein Vater erklärte mir früher mal, daß die Vramen nicht heiraten und auch keine Kinder bekommen“, sagte Hammond. „Soll das heißen, daß sie gar keine richtigen Gefühle kennen?“ „Über das Gefühlsleben der Vramen wissen wir eigentlich kaum etwas“, erwiderte Iva. „Sie sind merkwürdig — und gar nicht menschlich.“ In ernstem Tonfall fuhr sie fort: „Im Laufe der Zeit werden die anderen auch merken, daß du kein Verräter bist, Kirk. Wir werden lange Zeit auf Kuuma bleiben, und das wird Vater und den anderen Gelegenheit geben, eingehend über alles nachzudenken. Du darfst dich nicht mehr mit ihnen streiten, dann wird alles schon wieder in Ordnung kommen.“ „Ich hoffe es wenigstens“, brummte Hammond zweifelnd. „Aber ich kann es mir nicht recht vorstellen, daß mir Gurth Lund je freundschaftlich entgegenkommt. Warum haßt er mich denn so?“ „Sein Haß ist gegen die Vramen gerichtet“, antwortete Iva. „Vor einigen Jahren ist das Mädchen, das er von Herzen liebte, an einer Krankheit gestorben. Seitdem grübelt er ständig darüber nach, daß sie nicht hätte zu sterben brauchen, wenn wir Hoomen in das Geheimnis des Lebens eingeweiht wären. Bei meinem Vater ist es ganz ähnlich. Der Tod meiner Mutter hat in ihm den unumstößlichen Entschluß reifen lassen, den Vramen dieses Geheimnis des Lebens zu entreißen und es allen Hoomen zugänglich zu machen.“ Sie deutete zum Bullauge hinaus; der Himmel war mit glitzernden Sternen übersät, zwischen denen einzelne Sonnen strahlten. In weiter Ferne zeichnete sich ein dichter Sternennebel ab. „Was würdest du wohl empfinden, wenn der Mensch, den du von allen am meisten liebst, plötzlich stirbt — und dennoch gibt es da draußen ein Geheimnis, das diesen Tod hätte verhindern können?“ Hammond starrte überwältigt auf die strahlende Pracht des Weltraums. „Dann liegt also da irgendwo vor uns das Trifid-System, wie?“ Iva nickte. „Das Trifid-System — und Althar.“
50 Hammond konnte Lunds Haß und Wilsons grimmige Entschlossenheit gut verstehen. Es war kein Wunder, daß sie derartige Gefühle für die Vramen hegten. Er ergriff Ivas Hand. „Ich danke dir, daß du mir glaubst. Was immer die anderen denken mögen, ich halte auf jeden Fall zu dir — mag kommen, was will.“ Iva schüttelte resigniert den Kopf. „Für uns ist der Kampf vorüber.“ Sie wandte sich ab. „Jetzt muß ich gehen, ehe mich hier jemand sieht. Das würde Vater sehr wütend machen.“ Hammond hielt ihre Hand noch immer in der seinen. Einem plötzlichen Impuls folgend, beugte er sich über sie und küßte sie. Ihre Lippen waren weich und warm. Er fragte sich unwillkürlich, welcher Teufel ihm gerade jetzt diesen Gedanken durch den Kopf schießen ließ — aber bei diesem Kuß spürte er nicht jenes elektrische Knistern wie bei Thayn Mardens Kuß. Nachdem Iva gegangen war, schaute er lange Zeit durch das Bullauge auf die fremdartige, wilde Schönheit dieser Sonnen- und Sternensysteme. Die Strahlen der einzelnen Sonnen schienen eine Art Lichtwand zu sein, die irgend etwas abzuschirmen hatten. Aber was? Was war es, das die Vramen dort draußen irgendwo hatten und das ihnen ein schier endloses Leben verlieh? Althar war ein Name, der an sich gar nichts bedeutete. Was verbarg sich hinter diesem Namen? Mit einemmal vergaß Hammond seine eigene Situation, und er spürte die übermächtige Kraft der Rätsel und Geheimnisse dieser Galaxis, die Wunder, die in der Unendlichkeit dieser Systeme verborgen liegen mußten. Während der nächsten „Tage“ hielt er sich zurück und übersah geflissentlich die feindselige Haltung der anderen Gefangenen. Früher oder später, wenn sich ihre erste Wut erst einmal ein wenig gelegt hatte, würde er sie schon irgendwie überzeugen können, daß er kein Verräter war. Bei dem engen Beisammensein fiel ihm die Durchführung seines Entschlusses nicht immer leicht. Die „Tage“ verstrichen, und an Bord des Raumschiffes erkannte man die Zeiteinteilung nur an den Signalen für die Schlafenszeit und an den regelmäßigen Inspektionen der Beamten vom Galaktischen Rat. Wenn es aber innerhalb des Raumschiffes kaum eine Veränderung gab, so traf das bei weitem nicht auf die Außenwelt zu. Tag für Tag änderten sich die einzelnen Konstellationen, und daran war die unglaubliche Geschwindigkeit zu erkennen, mit der das Raumschiff durch die Galaxis geschleudert wurde. Hammond konnte sich nur schwer vorstellen, daß zur gleichen Zeit andere Raumschiffe durch das All sausten, die vielleicht auf dem Weg zum roten Antares, zum grünen Sirius oder zum finsteren Algol waren. Noch immer vermochte er die Zivilisation der vergangenen zehntausend Jahre nicht voll zu begreifen. Zweimal fuhr Hammond während der Schlafenszeit schweißgebadet im Bett hoch; immer wieder plagte ihn der schreckliche Alptraum, daß er im Kälteschlaf in seiner kleinen Raumkapsel kauerte. Er glaubte, er würde nie darüber hinwegkommen — zumindest nicht, solange er sich im freien Weltraum befand. Wenn die Schlafenszeit am Ende eines Tages angekündigt wurde, fürchtete er sich, zu Bett zu gehen. Dann kam der Zeitpunkt, zu dem sich das Raumschiff der weißglühenden Kugel von Spica näherte. Die unvorstellbare Geschwindigkeit des Raumschiffes hatte sie quer durch die gesamte Galaxis getragen, und nun näherten sie sich ihrem Ziel. Das Dröhnen der gewaltigen Generatoren nahm einen neuen Klang an, während sie in einem weiten Bogen in eine Kreisbahn um Spica kamen.
51 Durch einen Zufall in der kosmischen Entwicklung hatte diese große, weiße Sonne nur einen einzigen Planeten, nämlich Kuum. Offensichtlich war die völlige Isoliertheit dieses Systems der Grund dafür, daß Kuum zu einem Strafplaneten erklärt worden war. Ihren Blicken bot sich der Planet schwarz und weiß abgezeichnet dar. Er war kaum größer als die Erde; Meere und Kontinente zeichneten sich ab, und das Land war stellenweise mit fahlem, grauem Gras bewachsen, und zwischendurch gab es große Flächen unberührten Dschungels. Als das Raumschiff sich dem Landeplatz näherte, erblickten sie eine meilengroße, freie Fläche, die an allen Seiten von dichtem Dschungel umgeben war. In dieser Fläche war der Boden kultiviert, und dort erhob sich auch eine kleine Stadt mit metallischen Häusern. In einer Entfernung von der kleinen Stadt lag der Raumhafen, und er war ringsum von einer Barriere fahlen, schimmernden Lichtes abgegrenzt. „Das also ist Kuum“, sagte Rab Quobba. „Es ist eine der wenigen Welten, die ich noch nicht aufgesucht habe — und dazu hatte ich auch nicht die geringste Lust.“ „Die Sache scheint hier verdammt gut organisiert zu sein“, brummte Tammas. „Schaut euch nur mal diese Lichtbarriere an, die sich um den ganzen Raumhafen zieht!“ „Ja, ich sehe sie“, erwiderte Jon Wilson; in seiner Stimme lag eine unbeschreibliche Mutlosigkeit und Enttäuschung. „Jetzt verstehe ich auch, warum es noch nie einem Gefangenen gelungen ist, von diesem Planeten zu fliehen.“ 10. Kirk Hammond saß in dem seltsam weißen Licht der fremdartigen Sonne. Er bückte sich und riß ein kleines Grasbüschel aus. Dieses Gras hatte breite Blätter und war von schwarz-weißer Färbung, die schon auf kurze Entfernung wie ein fahles Grau wirkte. Der an den Wurzeln hängende Boden war tiefschwarz. „Das ist keine Erde“, murmelte Hammond vor sich hin. „Ich bin hier nicht auf der Erde, sondern in einer vollkommen fremden Welt.“ Er versuche, sich die einzelnen Abweichungen in die Erinnerung zu rufen. Die Luft war warm und feucht; sie roch nicht gerade angenehm, aber sie stank auch nicht. Die Gravitation war etwas geringer als auf der Erde, und das verlieh dem Körper eine größere Wendigkeit und Geschmeidigkeit. Der Himmel hatte keine blaue Färbung, und die weiße Sonne war viel größer als jene der Erde. Wenn sie sich am Abend dem fernen Horizont zuneigte, wirkte sie wie ein strahlender Komet, der unvermittelt von der Bildfläche verschwand. Hammond schaute sich langsam um. Er saß auf einer Bank vor einer langgestreckten Metallbaracke. Es war eins von zwölf gleichartigen Gebäuden, und dahinter lag eine dunkle Straße. Vor den einzelnen Baracken waren Beete angelegt, die sich von den umliegenden Grasflächen abhoben und mit fremdartigen Blumen bewachsen waren. In der Ferne zeichnete sich eine dunkle Linie ab. Das war der wilde Dschungel, der die kleine Siedlung an dieser Seite abgrenzte. Das alles kam Hammond ganz und gar nicht wie eine Strafkolonie vor. Überrascht hatte er gesehen, wie sich hier die Frauen von Tür zu Tür unterhielten, und wie die Kinder auf der Straße spielten. Dann waren die Männer mit ihren schweren Maschinen und Geräten von der Arbeit im Dschungel zurückgekehrt. Es waren alles Hoomen, die von den verschiedensten Welten der Galaxis stammten.
52 Nachdem sie ihre Frauen und Kinder begrüßt hatten, starrten sie neugierig auf die Gruppe der Neueingetroffenen, und sie sahen in Hammonds Augen ganz und gar nicht wie Gefangene aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, daß sich die Zivilisation inzwischen ja erheblich gewandelt hatte. Die Regierung des Galaktischen Rates konnte in diesem Zeitalter auf harte Bestrafung verzichten. Kuum war mehr ein Internierungslager als eine Strafkolonie. Weit und breit war kein Wärter oder Wachtposten zu sehen. Strenggenommen waren es eigentlich die Wachtposten, die sich hier wie Gefangene vorkommen mußten. In der Richtung, die Hammond für Osten hielt, zeichnete sich der hohe Kontrollturm des Raumhafens gegen den Horizont ab. Zwischen dieser kleinen Siedlung der Gefangenen und dem Raumhafen lag die ständig eingeschaltete Lichtbarriere. Diese Barriere von Energiestrahlen schloß den gesamten Raumhafen mit seinen einzelnen Gebäuden und Einrichtungen von allen Seiten her ein. Unmittelbar nach der Landung ihres Raumschiffes war ein Offizier des Wachpersonals der Hoomen zu ihnen gekommen. Er hatte auf diese Barriere gedeutet und ihnen erklärt, daß es sich dabei um ein elektrodynamisches Kraftfeld handelte, das ständig von den Generatoren gespeist wurde, die sich in der Anlage des Raumhafens befanden. „Die Berührung dieser Lichtbarriere wird euch nicht umbringen“, sagte er, „aber ihr werdet dabei auf lange Zeit das Bewußtsein verlieren. Es ist also ratsam, der Barriere niemals zu nahe zu kommen.“ Dann hatte er dem hohen Kontrollturm ein kurzes Zeichen gegeben, und sogleich war ein schmaler Teil dieser seltsamen Lichtbarriere verschwunden. Nachdem die Gefangenen in Einzelreihe durch dieses Loch in der Barriere marschiert waren, hatte sie sich hinter ihnen sofort wieder fest geschlossen. „Das verdammte Ding kann nur vom Kontrollturm ausgeschaltet werden“, knurrte Rab Quobba. „Na, das ist fein — wirklich sehr fein!“ Endlich hatte Kirk Hammond begriffen. Diese Welt konnte man nur in einem Raumschiff verlassen. Raumschiffe landeten und starteten jedoch nur innerhalb dieser Fläche, die den Gefangenen durch die Lichtbarriere versperrt war. Der gesamte Planet stand den Gefangenen zur freien Verfügung — aber eine Flucht war unmöglich! Die Unterkünfte waren ihnen zugeteilt worden. Die Ledigen kamen in Gemeinschaftsbaracken, während die Familien einzeln in kleinen Metallhäusern untergebracht wurden. Sie hatten kaum Zeit gehabt, sich hier ein wenig umzuschauen, als auch schon die Männer von der Arbeit zurückgekehrt waren und sie mit einer Vielzahl von Fragen überfallen hatten. Hammond hatte dieser Unterhaltung verwirrt zugehört, denn die meisten Namen der fremden Welten und Sterne der Galaxis waren ihm ja vollkommen fremd. Schließlich hatte er sich auf diese kleine Bank zurückgezogen, um seinen Gedanken nachzuhängen. Er befand sich hier auf einer Welt, die auf einer ganz anderen Seite der Galaxis lag als die Erde. Ein Mann kam heraus und setzte sich neben Hammond. Hammond wandte sich schnell um und nahm Verteidigungsstellung ein — aber dieser Mann war ihm vollkommen fremd. In seinem schmalen, merkwürdig fahl wirkenden Gesicht waren sehr intelligente Augen zu sehen. Die Farbe seines Gesichtes entsprach der von North Abel, aber dieser Mann schien wesentlich älter und reifer zu sein als Abel. „Ich bin Thol Orr“, sagte er. „Und du bist also Kirk Hammond von der Erde, nicht
53 wahr?“ Hammond nickte. „Stammst du vielleicht vom Algol?“ fragte er.“ „]a, das stimmt — aber ich bin schon sehr lange hier auf Kuum.“ Orr hielt inne, und dann fügte er langsam hinzu: „Da drinnen behaupten sie, du wärest ein Spion der Vramen.“ Hammonds Mut sank. „Das stimmt nicht“, murmelte er schwerfällig. „Aber ich kann sie einfach nicht davon überzeugen.“ Er hatte bereits alle Hoffnung verloren. Wenn er anfänglich auch gehofft hatte, die Hoomen würden früher oder später zur Vernunft kommen und seinen Standpunkt begreifen, sah er sich in dieser Annahme getäuscht. Niemand gab sich mit ihm direkt ab oder sprach mit ihm — nicht mal sein ehemaliger Freund Rab Quobba. Für sie schien er gar nicht vorhanden zu sein. Er war während der ganzen Reise von ihnen geschnitten worden — und die gleiche Haltung wurde nun auch hier auf Kuum beibehalten. Zum Teufel mit Thayn Marden! Er schob ihr die ganze Schuld in die Schuhe — nicht den Hoomen. Ihr allein verdankte er seine gegenwärtige Lage. Er hatte den unbezähmbaren Wunsch, sich dafür nicht nur an ihr, sondern an der ganzen Rasse der Vramen zu rächen. Thol Orr musterte ihn mit unverhohlenem Interesse. „Sie behaupten außerdem, daß du aus einer fernen Vergangenheit stammst. Diese Tatsache erscheint mir viel unglaubhafter.“ Hammond erklärte es ihm, und dabei war es ihm ziemlich gleichgültig, ob der Mann ihm nun glaubte oder nicht. Als er seine Geschichte beendete, schüttelte Thol Orr den Kopf. „Eine vollkommen unglaubliche Geschichte — und dennoch wäre sie wissenschaftlich gesehen durchaus möglich. Ich möchte mehr darüber erfahren, und deshalb werde ich dafür sorgen, daß du meiner Arbeitsgruppe zugeteilt wirst.“ Er erklärte Hammond, daß sich die Gefangenen auf Kuum die Arbeit selbst einteilten. Die Regierung des Galaktischen Rates zahlte ihnen einen festen Lohn für die Beseitigung des Dschungels, der die Siedlung umgab. Schwere Maschinen, Lastwagen und andere Geräte standen ihnen dabei zur Verfügung — aber es waren alles Geräte, aus denen sich keine Waffe herstellen ließ. Sie wurden von keinem Wachtposten behelligt, und an jedem Abend machte ein Beamter eine flüchtige Inspektion. „Bei der gegen dich bestehenden Feindschaft wirst du es in meiner Arbeitsgruppe leichter haben“, sagte der Algolianer. „Dann glaubst du also nicht daran, daß ich ein Spion der Vramen bin?“ Thol Orr lächelte. „Die Vramen brauchen keinen Spion. Das Geschwätz entspringt nur dem Haß der Hoomen.“ „Du scheinst die Vramen nicht so seht zu hassen“, sagte Hammond neugierig. Thol Orr zuckte die Schultern. „Die Vramen haben mich hierhergeschickt, aber andererseits hätten sie mich auch auf der Stelle töten können — und das haben sie nicht getan.“ Er hielt inne und dachte eine Weile nach. „Ich bin früher mal ein recht bekannter Arzt gewesen. Meine Begeisterung für wissenschaftliche Forschungen hat mir dieses Leben eingebracht. Ich war unterwegs in einem kleinen, gecharterten Raumschiff und bin zu nahe an das Trifid-System gekommen.“ Hammond schaute ihn gespannt an. „Du wolltest nach Althar gelangen?“ „Nein, ganz und gar nicht. Ich habe die kosmischen Strahlungen untersucht, und in
54 der Nähe des Trifid-Systems bin ich auf ganz seltsame Spektren gestoßen. Das hat mich so sehr interessiert, daß ich dem System zu nahe kam. Die Vramen hätten unser kleines Raumschiff mit voller Berechtigung vernichten können — aber das haben sie nicht getan. Ich wurde zu lebenslänglichem Aufenthalt auf Kuum verurteilt, und die Mitglieder meiner Mannschaft bekamen je fünf Jahre. Ich habe das für ein recht mildes Urteil gehalten.“ Die weiße Sonne Spica war inzwischen untergegangen, und am dunklen Nachthimmel gab es keinen Mond. Unvertraute Konstellationen waren an diesem dunklen Himmel zu sehen, und drüben, am Rande der Siedlung, schimmerte das merkwürdige Licht der Barriere des Raumhafens wie eine fremdartige Aurora. Thol Orr stand auf und streckte sich. „Wir stehen sehr früh auf“, sagte er. „Du solltest deshalb so viel schlafen wie irgend möglich.“ Hammond folgte ihm zögernd und widerstrebend in den großen Gemeinschaftsraum der Baracke, denn er hatte nicht die geringste Lust, sich den anderen Hoomen zu zeigen. Die sechzig oder siebzig Bewohner dieser Baracke hatten sich am hinteren Ende des Raumes in einem Halbkreis um die neu eingetroffenen Gefangenen versammelt. Hammond hörte Rab Quobbas Stimme, und aus den aufgeregten Bemerkungen der anderen schloß er, daß hier über Jon Wilsons vergeblichen Versuch berichtet worden war. „Bei allen Sonnen — ich wünschte, ihr hättet es geschafft!“ rief ein dicker Mann mit einem rosafarbenenen Gesicht. „Wenn wir nur die Hände auf das legen könnten, was dort auf Althar verborgen ist...“ „Schluß jetzt damit!“ rief Gurth Lund. Er schaute auf Hammond, und im nächsten Moment waren alle Augenpaare auf ihn gerichtet. Hammond sagte sich, daß er noch nie im Leben einer solchen Vielzahl von feindlichen Blicken ausgesetzt gewesen war. Er wollte zu ihnen sprechen, um sie zu überzeugen, daß er weder ein Verräter noch ein Spion war — aber er erkannte, daß sie ihm nicht mal zuhören würden. Schweigend wandte er sich ab und ging zu dem kleinen Raum, der ihm zugeteilt worden war. Während er auf dem Bett des kleinen, dunklen Zimmers lag, kristallisierte sich aus seiner Wut ein verwegener Entschluß heraus. Diese Hoomen haßten ihn, und sie mißtrauten ihm, weil er es in seiner Dummheit verhindert hatte, daß sie Althar erreichen konnten. Na schön, er würde dafür sorgen, daß sie diesen Haß und das Mißtrauen gegen ihn vergaßen. Er würde es in die Wege leiten, daß sie alle das Gefängnis dieses Planeten verlassen und sich auf den Weg nach Althar machen konnten. Er wußte selbst noch nicht, wie er das anstellen könnte — aber irgendwie würde es ihm früher oder später gelingen. Er wollte ihnen ein für allemal zeigen, was er wirklich für die Vramen empfand! Am nächsten Morgen saß Kirk Hammond schweigend am Frühstückstisch. Niemand wechselte ein Wort mit ihm. Als dann die Arbeitsgruppen eingeteilt wurden, rief Thol Orr seinen Namen auf. „Du kannst in meinem Wagen mitfahren“, sagte Orr, als sie zu den wartenden Lastwagen gingen. Die Männer kletterten bereits auf die Ladepritschen der Wagen. Hammond hatte nicht die geringste Lust, sich ihnen zuzugesellen. „Sie werden es dir verübeln, daß du dich mit mir abgibst“, sagte er zu Orr. Thol Orr
55 lächelte. „Das glaube ich kaum, denn dazu bin ich schon zu lange hier. Außerdem würde ich dieses Risiko ohnehin eingehen, denn ich möchte mich mit dir über deine Vergangenheit unterhalten.“ Als sie die ebene Fläche überquert und den Rand des Dschungels erreicht hatten, stand die Sonne Spica bereits hoch am Firmament. Die Luft war feucht und dumpf. Kirk Hammond hatte noch nie im Leben so etwas wie diesen dunklen Dschungel gesehen. Dieser Urwald wirkte wie das Bild eines dämonischen Malers: zwischen dunklen Bäumen und dichtem Unterholz standen massenweise Sträucher, deren bizarre Zweige dicke, fleischige Blätter trugen. Bäume und Unterholz mußten mittels eines riesigen Traktors aus dem Boden gerissen werden. Nachdem eine kleine Fläche auf diese Weise gerodet worden war, wurde sie sofort tief umgepflügt, und dabei wurden Chemikalien in dem Boden verteilt, die das Nachwachsen von Bäumen und Sträuchern verhinderten. Statt dessen wurde Grassamen ausgestreut. „Du kannst eine der Ketten nehmen“, sagte Thol Orr zu Hammond. „Wir reißen die Bäume mit dem Traktor aus.“ Hammond arbeitete nun in einer kleinen Gruppe, die von dem Algolianer geleitet wurde. „Schlingt die Ketten um den Baum dort“, ordnete Orr an. „Nein — weiter unten! Jetzt geht aus dem Weg!“ Der mächtige, atomgetriebene Generator des Traktors heulte auf, die Ketten bohrten sich in den Boden, und der Baum wurde mitsamt der Wurzel ausgerissen. Während er umfiel, schwirrte ein ganzer Schwarm von Infekten aus den Zweigen hoch. Die Hitze wurde immer drückender. Von den Bäumen hingen lange Schlingpflanzen herab, die sich immer wieder um Hammonds Körper wanden und sich mit ihren Saugnäpfen an Kopf und Armen festklammerten. Bereits am frühen Nachmittag war Hammond in Schweiß gebadet und ziemlich erschöpft — aber er arbeitete unverdrossen weiter, denn er wollte sich die Routine dieser Arbeit aneignen. Er hatte noch eine ganze Menge über diese seltsame Dschungelwelt des Planeten Kuum zu lernen. Er zog eine der langen Ketten durch das dichte Unterholz, als ihm plötzlich ein penetranter Gestank in die Nase drang. Im nächsten Augenblick versank er in einem tiefen Loch. Dieses Loch begann sich zu bewegen! Ein langer, kräftiger Greifarm langte nach ihm aus und packte ihn. Wie betäubt erkannte er jetzt vor sich ein fremdartiges Tier von dem Aussehen einer riesigen, mit einem Panzer versehenen Schildkröte. Ein leichtes Zucken lief unvermittelt durch den Greifarm und setzte sich über den ganzen massiven Körper des Tieres fort. Hilflos war Hammond dem unlösbaren Griff dieses Armes ausgeliefert, und er konnte nicht einmal um Hilfe rufen. Die anderen Männer waren weit hinter dem Unterholz. Die Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, und er mußte unwillkürlich daran denken, daß es doch vom Schicksal vollkommen verrückt war, ihn so lange am Leben erhalten zu haben, nur damit er jetzt hier in dieser bizarren Welt fern von der Erde in den Fängen eines fremdartigen Tieres sterben sollte. Das Zucken im Körper des Untiers verstärkte sich. Der Halt des Greifarmes wurde immer schwächer und lockerte sich schließlich. Dann sah Hammond etwas, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Der schwere Panzer des Tieres platzte krachend auf, und aus der entstandenen Öffnung kam das genaue Abbild dieses Tieres gekrochen — nur viel kleiner. „Thol Orr!“ rief Hammond verzweifelt, indem er rückwärts stolperte. Der Algolianer kam mit seinem mächtigen Traktor durch das Unterholz gefahren. Das kleinere Tier,
56 das soeben aus dem Körper des größeren gekrochen war, wandte sich hastig um und strebte dem Dschungel zu. „Ein Sumpf-Phönix“, sagte Orr. „Hat er dir etwas angetan?“ Hammond berichtete ihm, was er soeben erlebt hatte, und Orr pfiff durch die Zähne. „Na, da hast du aber Glück gehabt! Du bist gerade im Augenblick der Geburt auf dieses Tier gestoßen, und nur dieser Tatsache hast du deine Rettung zu verdanken. Der Sumpf-Phönix ist asexual, und seine Geburt erfolgt auf die von dir beobachtete Weise, wobei das alte Tier stirbt. Wenn sie ausgewachsen sind, stellen sie eine erhebliche Gefahr dar. Haben dir denn die anderen Männer nicht erklärt, was du zu erwarten hast, wenn du auf diesen typischen Gestank stößt?“ „Nein, davor haben sie mich nicht gewarnt“, entgegnete Hammond kurz. Jetzt erkannte er, wie sehr sie ihn haßten. Sie hatten ihn mit voller Absicht einer solchen tödlichen Gefahr ausgesetzt! Als sie gegen Abend zur Siedlung zurückfuhren, wurde die Feindschaft der Männer immer spürbarer. Sie unterhielten sich im Aufenthaltsraum, in den kleinen Geschäften und auf der Straße — aber sobald Hammond irgendwo auftauchte, verstummte das Gespräch sofort, und sie starrten ihn feindselig an. Er erblickte Iva Wilson in der Tür eines Hauses; bei seinem Anblick senkte sie den Kopf, wandte sich um und ging ins Haus. Das zeigte ihm, daß Jon Wilson seiner Tochter verboten hatte, mit ihm zu sprechen. Nur Thal Orr stand ihm in allen Dingen zur Seite. Er lieh ihm Bücher und unterrichtete ihn in der Schrift. Hammond vermutete, daß er das nur tat, weil er ein starkes, wissenschaftliches Interesse an seiner Vergangenheit hatte. Bei den anderen war das nicht der Fall, und somit war bei ihnen auch kein Gegengewicht für den Haß vorhanden. Na schön, dachte Hammond, mochten sie ihn hassen; schließlich hatten sie ein Recht dazu. Er mußte seine Chance abwarten — eine Chance, sich an Thayn Marden und allen Vramen rächen zu können. Sie hielten ihn also für einen Verräter und für einen Spion der Vramen? Nun, vielleicht würden sie eines Tages an diesen Gedanken ersticken! Während die Tage verstrichen, brütete Hammond in grimmiger Entschlossenheit über allerlei Fluchtplänen. Bislang war es noch keinem Gefangenen gelungen, von Kuum zu fliehen. Das lag an der Tatsache, daß sich hier nur sehr selten mal ein Raumschiff sehen ließ, und wenn dann wirklich mal eins kam, dann blieb es innerhalb der Lichtbarrieren des Raumhafens, zu dem die Gefangenen keinen Zutritt hatten. Immer wieder stieß er in seinen Plänen auf das unbezwingbare Hindernis der Lichtbarriere, und dabei mußte er einen Plan nach dem anderen verwerfen. Unvermittelt erkannte er aber, daß von allen Gefangenen nur er allein die Möglichkeit hatte, zu einem Raumschiff zu gelangen — und damit war ihm alles weitere klar. Während der vielen langen, einsamen Stunden arbeitete er seinen Plan bis in die winzigsten Kleinigkeiten aus, bis er schließlich die Gewißheit hatte, daß alles klappen würde. Da aber fiel ihm ein letztes Hindernis ein. „Es kann nur klappen, wenn die anderen mir folgen“, murmelte er vor sich hin. „Aber gerade das werden sie nicht tun. Sie werden mich nicht mal anhören, denn sie werden befürchten, daß ich sie in eine Falle der Vramen führe.“ Das war eine unabwendbare Tatsache. Während dieser Wochen machte die Arbeit im Dschungel Kirk Hammond immer härter; sein Körper war von der Sonne gebräunt, und er hatte sich langsam an die Einsamkeit gewöhnt. Thol Orr hatte ihm die Bedienung des Traktors erklärt, und er fuhr gerade mit einem
57 dieser Ungetüme am Rand des Unterholzes vorbei, als er plötzlich einen erstickten Aufschrei hörte. Sofort schwang Hammond den Traktor herum und preschte ins Unterholz hinein. Ein penetranter Gestank drang in seine Nase, und dann erblickte er vor sich den dunklen Panzer eines Sumpf-Phönix, der annähernd so groß war wie jener, dem er an seinem ersten Tag im Dschungel gerade noch entkommen war. Die grotesk wirkenden Greifarme standen gerade im Begriff, den Körper eines Mannes zu umklammern. Hammond fuhr genau auf das Untier zu. Der Aufprall war so stark, daß er aus dem Sitz des Traktors geschleudert wurde und in einem Gebüsch landete. Er rappelte sich hoch und sah, daß der Traktor über das Untier gerollt war, ehe sich die automatische Haltevorrichtung eingeschaltet hatte. Ein paar Schritte weiter erhob sich der Mann, der von dem Sumpf-Phönix angegriffen worden war, vom Boden, und Hammond sah, daß es Rab Quobba war. Quobba wischte sich den Schmutz von der Kleidung; er war augenscheinlich unverletzt, und er schaute Hammond ein wenig verlegen an. „Hammond“, sagte er. „Danke — ich.. .“ Er brach zögernd ab; dann stieß er eine Verwünschung hervor, trat auf Hammond zu und reichte ihm die Hand. „Ich bin wirklich ein verdammter Dummkopf gewesen!“ „Soso“, erwiderte Hammond hart. „Weil ich dir zufällig eben das Leben retten konnte, bin ich also plötzlich kein Spion der Vramen mehr.“ Rab Quobba trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben — ich habe nie daran geglaubt“, sagte er leise und ein bißchen beschämt. „Ich war nur so wütend, weil uns diese verdammte Hexe der Vramen alle Pläne zunichte gemacht hat.“ Hammond wurde ruhiger. „Nun, dazu haltest du jedes Recht.“ Plötzlich erkannte er, daß sich ihm hier die Gelegenheit bot, auf die er bislang vergeblich gewartet halte. Er ergriff sie sogleich beim Schopf. „Hör zu, Quobba. Würdest du und all die anderen, wenn es möglich wäre, von hier fliehen und noch einmal den Weg nach Althar antreten?“ „Natürlich“, antwortete Quobba, ohne auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu zögern. Seine Augen begannen zu glitzern. „Wie könnten wir das anstellen?“ „Wilson und alle anderen müssen dabei helfen. Sie können mit einem Raumschiff umgehen, wenn wir eins in die Hände bekommen. Aber sie haben kein Vertrauen zu mir. Dir würden sie bedingungslos folgen.“ „Welche Pläne hast du?“ „In kurzer Zeit wird hier ein Raumschiff landen ...“, sagte Hammond. Quobba fiel ihm sogleich ins Wort. „Nein! Das wird noch etwa einen Monat dauern. Das letzte Versorgungsschiff war ja erst vor wenigen Tagen hier.“ Hammond lächelte. „Ich kann es bewerkstelligen, daß zu jeder beliebigen Zeit ein Raumschiff herkommt — und zwar nicht nur ein Versorgungsschiff.“ „Nun“, murmelte Quobba. „Weiter! Ich höre gern zu.“ Hammond berichtete von den Plänen, die er geschmiedet hatte. Quobba hörte aufmerksam zu, und sein Gesicht wurde immer länger. Als Hammond endete, schütttelte er nachdenklich den Kopf. „Es wird nicht leicht werden — und das größte Risiko liegt dabei auf deinen Schultern.“ Er schwieg eine Weile, und dann fügte er hinzu: „Aber es könnte geschafft werden.“ „Machst du mit?“ Quobba grinste breit. „Ich bin ein alter Raumfahrer, und die Arbeit im Dschungel hat mich noch nie besonders gereizt. Welche Aufgabe soll ich denn übernehmen?“
58 „Ich werde gleich anfangen, meine Pläne in die Tat umzusetzen“, erwiderte Hammmond. „Du mußt inzwischen die anderen vorbereiten, damit sie dir jederzeit folgen können. Nur meinen Namen darfst du nicht erwähnen — das ist alles. Sag ihnen einfach, du hättet einen bestimmten Plan, über den du im Augenblick noch keine näheren Angaben machen kannst.“ Quobba nickte. „Ich werde sie schon auf Trab bringen. Aber du mußt sehr vorsichtig sein, Hammond. Was du für heute abend vorhast, wird die anderen noch mehr gegen dich verbittern als es bisher der Fall war.“ „Das weiß ich“, entgegnete Hammond, und dann wandte er sich abrupt ab. Als an diesem Abend der Wachtoffizier bei seiner Inspektion durch die Siedlung kam, ging Hammond auf die Straße und hielt ihn auf. „Ich habe ein Gesuch vorzutragen“, sagte er, und dabei sah er, daß die anderen Gefangenen in der Nahe stehenblieben, um zu lauschen. „Worum geht es denn, Hammond?“ „Bei meiner Verurteilung“, sagte Hammond vorsichtig, „hat das Gericht erklärt, daß meine Bestrafung auf Bewährung ausgesetzt wird, sofern ich bereit bin, den Vramen bei ihren historischen Nachforschungen zu helfen. Jetzt erkläre ich mich dazu bereit. Wollen Sie bitte die entsprechenden Behörden verständigen __ und vor allen Dingen Thayn Marden, die Vertreterin der Vramen auf der Erde?“ Der Offizier war Beamter des Galaktischen Rates — aber er war ein Hoomen, und als solcher hatte er gewisse Vorurteile. Er zuckte ein wenig zusammen und schaute Hammond unfreundlich an. „Na schön; ich werde sogleich veranlassen, daß die entsprechende Nachricht zur Erde durchgegeben wird.“ Nachdem der Offizier abgefahren war, starrten Gurth Lund und die anderen Gefangenen Hammond gehässig an. „Deine Zeit als Spion ist wohl vorüber, und nun willst du zu deinen Freunden, den Vramen, zurückkehren, wie?“ fragte Lund bissig. Hammond gab keine Antwort. Der gegen ihn aufgestaute Haß war jetzt so stark, daß es nur eines einzigen Wortes bedurfte, um eine Explosion herbeizuführen. Der Offizier kam nach drei Stunden zurück. „Das Gesuch ist von der Regierung des Galaktischen Rates auf der Erde genehmigt worden. Thayn Marden, die Vertreterin der Vramen wird sich unverzüglich auf den Weg hierher machen, und wenn sie sich von der Aufrichtigkeit Ihrer Angaben überzeugt hat, wird das Urteil ausgesetzt.“ „Danke sehr“, erwiderte Hammond. Der Offizier verließ die Siedlung. Tiefe Stille herrschte im Raum. Hammond wandte sich seinem Zimmer zu. Dabei fiel sein Blick auf die Gesichter der anderen Gefangenen, und er wußte, daß er sich jetzt außerordentlich vorsichtig verhalten mußte. Vielleicht konnte er sogar von Glück reden, wenn er beim Eintreffen des Raumschiffes überhaupt noch am Leben war... Ende des ersten Teils Aus dem Amerikanischen übertragen von Heinz F. Kliem
Der 2. Teil dieses Romans ist zusammen mit dem I. Teil im Klarsichtbeutel ausgeliefert worden. Falls Sie ihn nicht erhielten, bestellen Sie ihn bitte zur schnellen und portofreien Lieferung direkt beim Verlag. Postkarte genügt.
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