Jan Tschichold Buchherstellung als Kunst
Gescannt aus: Typographie und Bibliophilie : Aufsätze und Vorträge über die K...
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Jan Tschichold Buchherstellung als Kunst
Gescannt aus: Typographie und Bibliophilie : Aufsätze und Vorträge über die Kunst des Buchdrucks aus zwei Jahrhunderten / ausgewählt und erläutert von Richard von Sichowsky ... Hamburg : Maximilian-Gesellschaft, 1971. (Jahresgabe der Maximilian-Gesellschaft in Hamburg ; 1969)
Jan Tschichold Buchherstellung als Kunst 1951
In der frühzeit des buchdrucks waren drucker und verleger eine und dieselbe person. Der drucker wählte selber die werke aus, die er verlegen wollte; oft war er selber entwerfer und hersteller der typen, mit denen er druckte; er beaufsichtigte selber den satz und setzte vielleicht selber mit. Dann druckte er den satz, und das einzige, was er nicht selber lieferte, war das papier. Nachher benötigte er vielleicht noch den rubrikator, der die initialen einzuschreiben hatte, und einen buchbinder, falls er das werk gebunden auf den markt brachte. Das alles ist schon seit langem anders geworden. Das neunzehnte jahrhundert bereits zeigt eine weitgehende arbeitsteilung. Drucker und verleger waren nicht mehr stets eine und dieselbe person; daß der drucker seine schriften selbst herstellte, war ungewöhnlich. Noch immer aber bestimmte der drucker alle einzelheiten des satzes. Heutzutage sind die drucker, die ein buch selber in vollkommener form bilden können, ganz seltene ausnahmen geworden. Seit über zwanzig jahren ist zu den alten berufen des schriftgießers, des verlegers und des druckers ein neuer, noch seltener beruf hinzugekommen, der des buchentwerfers. Dieser ist nicht nur ein entwerfer von einbänden — einband und gar schutzumschlag sind keine unentbehrlichen teile des buches, da das buch auch ohne sie vollständig ist —, sondern ein mann, der alle einzelheiten des satzes, des formats und des papiers bestimmt und darüber hinaus den einband und den schutzumschlag entwirft 5
oder deren entwürfe leitet. Unter umständen ist er ein künstler, auf jeden fall aber ein spezialist, der sich in allen druck verfahren, auf dem gebiete des papiers und der einbandtechnik gründlich auskennen muß, da seine angaben sich nach dem preise richten müssen, der für das fertige buch erwartet werden kann. Die erste frage, die sich beim planen eines neuen buches erhebt, ist die nach dem geeigneten format. Dies wird vor allem durch den zweck bestimmt. Lassen wir die üble angewohnheit gewisser verleger beiseite, ein buch vorsätzlich so schwer und dick zu machen als möglich. Ich glaube, die zahl jener, die den wert eines buches nach seinem gewicht bemessen, ist unendlich viel kleiner, als diese schlecht beratenen verleger meinen. Der gute verleger soll sachlich urteilen und ein buch so handlich wie möglich machen. Für romane hat sich das format des französischen romans vortrefflich bewährt. Daneben gibt es noch die etwas kleinere taschenausgabe in der größe 17,2 × 10,3 cm (= 5:3), deren format viel häufiger benutzt werden sollte. Beide buchgrößen sind für das lesen im fauteuil oder im bett sehr geeignet. Ihr gewicht muß erlauben, sie lange in einer hand zu halten; denn am tisch werden sie seltener gelesen. Lehrbücher sind größer; kunstgeschichtliche tafelwerke werden bereits häufig im quartformat hergestellt, und noch größere bücher sind ausnahmen. Die allermeisten bücher sind viel zu schwer. Wir sollten unsere anstrengungen darauf richten, 6
viel leichtere papiere zu erhalten und ständig ein chinesisches buch vor uns liegen haben, um uns zu erinnern, wie leicht ein buch sein sollte. Auch in ihrer biegsamkeit sind die chinesischen bücher ein noch unerreichtes vorbild. Zum format gehört aber auch die stärke des fertigen buches, das heißt das verhältnis seiner dicke zur größe der seite. Hier heißt es jede unförmigkeit vermeiden. Zu dicke bücher wirken plump und unerfreulich. Mittels eines papiers von geeigneter stärke läßt sich wohl immer eine angenehme lösung finden. Umfangreiche bücher sollten in zwei oder mehr bände aufgeteilt werden, wenn man sie nicht auf dünndruckpapier drucken kann. Die proportion der buchseite wird bis zu einem gewissen grade durch die üblichen papierformate bestimmt, wenn die höhe der auflage keine sonderanfertigung zuläßt; denn man wünscht nicht, das kostbare papier, das man ja bezahlen muß, zu einem guten teil wieder abzuschneiden und damit wegzuwerfen. Dennoch sollten wir unser augenmerk darauf richten, eine angenehme proportion des papierformats zu erhalten. Die schönsten sind die proportionen 3:2 und 5:3 oder eine andere abart des goldenen schnitts, etwa 34:21. Das echte quartformat, sein doppel (4:3), ist unschön und nur für tafelwerke geeignet. Das format A4 (29,7 × 21 cm) ist etwas besser; doch wird entweder das satzformat nicht befriedigen, falls es aus dem papierformat entwickelt wird, oder das buch wird unschöne ränder aufweisen, wenn das satzformat 7
selber eine gute proportion zeigt. Doch läßt sich nur in diesem einzigen fall ein normalformat der A-reihe, ja überhaupt eins dieser normalformate für ein buch verwenden. Das häßliche format A5 (21 × 14,8 cm) ist mindestens für alle zum lesen bestimmten bücher völlig ungeeignet, ganz abgesehn davon, daß diese formatnormung von laienhaften und irrigen voraussetzungen ausgeht. Wo immer wir das format selbst frei bestimmen können, also wenn das papier eigens angefertigt wird, sollte das hauptaugenmerk auf die oben erwähnten grundproportionen gelegt werden, die sich natürlich auf die beschnittene buchgröße beziehen. Die auswahl der grundschrift und die herstellung von probeseiten bilden den nächsten schritt. Daß ein buch noch im handsatz hergestellt wird, ist heute zur ausnahme geworden. Schöne schriften, die den heutigen ansprüchen genügen, sind wohl nirgendwo in so großer menge zu finden, daß ein umfangreiches buch damit gesetzt werden kann. Auf allen setzmaschinen findet man heute typen, die sich für schöne bücher eignen. Ich vermeide eine kritik der einzelnen systeme, muß aber meine stimme zum lobe der alten schriftgießer und ihrer handwerker erheben, die schönere schriften hervorgebracht haben als wir. Die neuzeit geht ein wenig zu weit in der hochschätzung der neusten schriften, die mindestens in ihrer ›zurichtung‹ fast alle große mängel aufweisen. Die 8
setzmaschinenschriften, die noch vorhandene alte schriften oder vorzügliche moderne reproduzieren, wie Monotype Caslon (serie 128), Monotype Walbaum und Monotype Lutetia, sind zwar fast so gut wie die handsatzschriften, doch zeigen die neuschnitte nach der sogenannten Garamond, der Bembo, der Fournier dem geübten auge leichte und schwere mängel verschiedener art. Zum teil sind die kleinsten und größten grade bloße photographische verkleinerungen oder vergrößerungen benachbarter grade, zum teil leiden diese imitationen unter einer peinlichen glätte, einer übertriebenen rechtwinkligen regelmäßigkeit, die allzusehr ins auge springt und von der selbstverständlichen schönheit einer Janson, Fleischmann, Walbaum oder Didot noch zu weit entfernt ist. Man spürt das kurvenlineal. Ich kann auch die lieblosigkeit nicht übersehn, mit der in vielen dieser modernen schriften die interpunktionen, akzente und ziffern behandelt worden sind. Hier fehlte die hand des schriftkünstlers. Vielen dieser laut gerühmten schriften haftet der geschmack der konserve an, und sie sehn aus wie künstlich gefärbte erbsen oder kirschen. Werde ich aber vor die wahl gestellt, entweder eine mittelmäßige ältere handsatzschrift, wie etwa Gewöhnliche Mediäval, oder einen modernen nachschnitt der Garamond zu verwenden, so werde ich wohl dem nachschnitt den vorzug geben. Beim entwurf der probeseiten ist vom gewählten beschnittenen papierformat auszugehn und ein 9
schriftgrad zu wählen, der dem geplanten umfang des buches entspricht. Der umfang des buches bestimmt auch die satzbreite. Schriftart, durchschuß, satzbreite und seitenhöhe bilden einen zusammenhängenden fragenkomplex, der nur als ganzes gelöst werden kann. Denn nicht jede schrift kann zum beispiel stark durchschossen werden, und eine englaufende schrift verlangt unter umständen eine andere satzbreite als eine normallaufende. Selbst die papierränder sind je nach dem schriftstil verschieden breit zu halten. Auch sind weder breite ränder stets schön, noch sehr schmale stets häßlich. Das wissen um so viele feinheiten setzt eine lange übung, unausgesetztes studium und ein hochempfindliches auge voraus. Ist es doch die unauffällige schönheit der einzelnen seite und niemals die illustration, die das wesen wahrer buchkunst ausmacht. Ein buch, dessen normalseite nicht befriedigt, ist niemals ein kunstwerk. Hohe qualität des satzes selber ist eine vorbedingung für eine gut aussehende und angenehm zu lesende seite. Noch ist der zu weite satz in fast allen ländern die regel. Er ist ein erbe des neunzehnten jahrhunderts, dessen dünne, spitzigen und zu hellen schriften den satz mit halbgevierten geradezu fordern. Unsere etwas kräftigeren schriften verlieren ihren zusammenhang als zeile, wenn sie so weit gesetzt werden. Der satz mit drittelgevierten und noch enger sollte zur unbedingten richtschnur, und nicht nur in büchern, gemacht werden. Nach dem schlußpunkt den wortabstand 10
zu vergrößern, ist unnötig, falls das werk nicht aus ungewöhnlich langen einzelsätzen besteht. Die anfänge der absätze sollen unbedingt eingezogen werden. Satz ohne einzüge ist eine unsitte, die bekämpft werden muß. Der einzug, der in der regel ein geviert betragen soll, ist das einzige sichere mittel, einen absatz zu kennzeichnen, da das auge, am ende einer zeile angelangt, zu träge ist, einen schmalen ausgang zu bemerken, der in werken ohne einzüge häufig erst nachträglich hergestellt werden muß. Es kommt ja auch nicht so sehr auf eine möglichst ruhige silhouette der seite an, als auf beste leserlichkeit und klarheit. Daher ist der satz ohne einzüge als irrtum zu verwerfen. Das satzbild selber soll ruhig und unauffällig aussehen. Die anführung der gesprochenen rede mit ihren unnötigerweise verdoppelten zeichen bildet daher ein noch selten gelöstes problem. So wie im englischen ›single quotes‹ genügen (doppelte nur für anführungen in einer anführung), so sollten wir anstelle der doppelten gänsefüßchen (») einfache erhalten und die doppelten nur für anführungen in einer anführung verwenden. Ich würde solche den umgedrehten kommas vorziehen. Eins meiner schmerzenskinder sind die notenziffern. Sie sind selten in einem mediävalschnitt vorhanden, da sie meist noch aus dem neunzehnten jahrhundert stammen, da man alles in jüngerer antiqua setzte. In einem aus einer antiqua ältern stils, wie Garamond oder Fournier, gesetzten werk müssen auch diese bruchziffern mindestens 11
irgendeiner mediäval angehören. Für große textgrade kann ein monotypebetrieb eigene bruchziffern aus einem kleinen grade derselben schrift selber gießen. Die als notenziffern verwendeten bruchziffern benötigen in der regel keine klammer. In der fußnote selber sind bruchziffern sinnlos. Sie sind auch sehr undeutlich. Hier sind gewöhnliche ziffern mit nachstehenden schlußpunkten am platze; die erste zeile jeder fußnote wird mit soviel punkten eingezogen wie der text. Ganz kurze einzelne fußnoten stellt man am besten zur mitte. Trennungslinien zwischen fußnoten und text sind überflüssig und stören. Die letzte zeile einer fußnotengruppe muß mit einer gewöhnlichen schlußzeile linie halten und sollte daher stets mit ein oder zwei punkten, je nachdem, unterlegt werden. Dies geschieht fast nie. Ich pflege fußnoten in der regel mit ebensoviel punkten zu durchschießen wie den text, um ein gleichmäßiges grau der seite zu erreichen. Auf keinen fall darf die fußnote viel dunkler wirken als der text. Falls der text noch schwächere unterbrechungen als die starke einteilung in kapitel aufweist, so sollte hier ein stern in der mitte zweier blinder zeilen angebracht werden, da eine blindzeile, wenn sie am ende einer seite auftritt, nicht deutlich genug ist. Sonst muß das erste wort des neuen abschnitts aus versal und kapitälchen gesetzt werden. Dieses würde ich einziehen, während ich die erste zeile eines kapitels nicht einziehe und das erste 12
wort aus versal und leicht gesperrten kapitälchen setze. Kapitelüberschriften müssen entweder im gleichen schriftstil wie der text oder in einer wirklich dazu passenden auszeichnungsschrift gesetzt werden. Ob sie etwas gesenkt werden oder bündig mit der ersten textzeile anfangen sollen, ist eine frage des persönlichen ermessens. Dasselbe gilt natürlich für die größe der grade, die in einer kapitelüberschrift verwendet werden. Hier beginnt die arbeit des buchentwerfers vielleicht selbst dem uneingeweihten sichtbar zu werden. Der haupttitel und seine nachbarseiten sind zwar kaum die wichtigsten teile des buches, aber sie enthüllen die fähigkeiten des buchentwerfers am sinnfälligsten. Unnötig zu sagen, daß sie eine resultante des stils der buchseite sein und aus derselben schriftfamilie wie der text gesetzt werden müssen. Falls eine fremde schriftart für die kapitelüberschriften gebraucht worden ist, so wird sie wohl auch in einer zeile des haupttitels verwendung finden müssen. Die rückseite des titelblattes ist ein stiefkind der meisten bücher. Wie oft wird übersehn, sie sorgfältig zu gestalten. Ein satz aus leicht gesperrten kapitälchen eines oder zweier grade der grundschrift ist oft die beste lösung. Hier ist der platz, einiges über den satz von gemeinen und versalien zu sagen. Da im antiquasatz anstelle der im fraktursatz unumgänglichen sperrung für hervorgehobene wörter kursiv tritt, ist die gefahr gering, daß die gemeinen der antiqua 13
und kursiv gesperrt werden. Dennoch soll festgehalten werden, daß gemeine niemals gesperrt werden dürfen. Ihr wortbild ist einwandfrei, und sperrung würde es, besonders im falle der kursiv, zerstören. Anders steht es mit den versalien. Diese müssen stets und unter allen umständen gesperrt werden, und zwar mindestens mit einem sechstel der kegelstärke. Dies ist jedoch nur als optischer durchschnittswert anzusehen, da die spatien zwischen versalien sorgfältig ihrem optischen werte nach gegeneinander ausgeglichen werden müssen. Dies kann nur der handsetzer, und es sollte sein stolz sein, das ausgleichen von versalien zu beherrschen. Der ausschluß von wörtern in versalien muß größer sein als der zwischen wörtern in gemeinen; doch ist er oft viel zu groß. Er soll zwar deutlich wahrnehmbar sein, aber nicht unnötig dick. Ein titelblatt muß, wenn es nicht eingerahmt ist, nicht unbedingt so groß sein wie die gewöhnliche textseite. Falls es schmäler und zugleich niedriger ist, so sollte das verhältnis des obern papierrandes zum untern proportional dasselbe sein wie dasjenige der textseiten. Eine gute regel verlangt, die anzahl der auf einem titel verwendeten grade so stark zu beschränken als nur möglich; drei grade sind oft genug. Eine übertriebene abstufung der grade in vielzeiligen titeln ist schwerlich gut. So wenig schriftkästen wie möglich aufzustellen, führt auch hier zu einer erfreulichen arbeit. Es ist aber 14
leichter gesagt als getan. Aus ein paar schriftzeilen ein überzeugendes ganzes zu gestalten, das keine künstlerisch leeren stellen aufweist, das, ohne mit eigenwilligen ansprüchen aufzutreten, doch einen feinen reiz ausübt, ist eine kunst, die ich einmal mit der steinbildhauerei verglichen habe, weil die aufgabe von großer spröde ist und dem entwerfer nur wenige freiheiten gewährt. Die meisten heutigen titel sind leider schlechter als selbst die des ausgehenden neunzehnten jahrhunderts. Wir haben wohl eine ganze anzahl schöner schriftarten, viel bessere als jene zeit, aber nicht viele können mit ihnen umgehn. Es wird, auch von den verlegern, oft zu wenig beachtet, welch enger zusammenhang zwischen schrift und papier besteht. Nicht jedes papier eignet sich für jede schrift. Ein weit verbreitetes vorurteil hält schneeweißes papier für das schönste. Nichts ist irriger. Rein weißes papier eignet sich nur für die schriften der klassizistischen periode (Bodoni, Walbaum, Didot), für alle andern ist es der tod. Die papierfabriken bleichen heute gerne alles papier. Ungebleichtes papier, das beste für wertvolle bücher, die bestand haben sollen, ist leider sehr selten. Für bücher zweiten und noch geringem ranges kann man die gebleichte papiermasse, selbst die geringste qualität, in jeder tönung färben lassen, doch wird davon leider nur selten gebrauch gemacht. Eine leichte elfenbein-tönung ist fast überall am platz. Sie muß ganz unauffällig sein. Sobald sie vom leser bemerkt wird, ist sie 15
schon zu gelblich. Der buchentwerfer sollte auch das papier in allen seinen eigenschaften entwerfen, also nicht nur die tönung durch ein muster bestimmen, sondern auch zusammensetzung, leimung, oberflächencharakter, fasernzusätze undsoweiter. Nur wenn alle diese eigenschaften geplant werden, besteht aussicht, daß die gewählte schriftart auf dem papier ihre größte schönheit entfaltet. Im grunde verlangt jede der klassischen schriften einen besonderen charakter des papiers, und das nicht nur wegen ihres duktus. Auch die verschiedenen schriftgrade fordern feinere und gröbere papierstrukturen. Ein paar worte nur über die laufrichtung des papiers. Die papierfasern, die alle in einer richtung liegen, üben den lebhaftesten einfluß auf die flexibilität der seite aus. Diese biegt sich nur dann gut, wenn die fasern parallel zum rücken des buches liegen. Das buch knarrt, wenn sie im rechten winkel zum rücken verlaufen, und der buchbinder hat dann seine liebe not, einen gut funktionierenden einband zu erstellen, der sich leicht öffnen läßt. Wer das papier bestellt, muß daher angeben, in welcher laufrichtung das papier geliefert werden soll. Es darf nicht dem zufall überlassen bleiben. Die richtige laufrichtung ist auch bei allen weiteren materialien, dem vorsatzpapier, dem überzugpapier des einbandes, dem leinen und dem schutzumschlagpapier sorgfältig zu beobachten. Am wenigsten wichtig ist die laufrichtung des lose umgelegten schutzumschlags, der trotz 16
der ausstattung, die ihm heute zuteil wird, nicht zum buche selbst gehört und weggeworfen werden sollte. Ist der umfang des buches auf grund der probeseiten und der umfangschätzung der buchdruckerei bekannt, so muß ein gebundenes blindmuster hergestellt werden, das dem einbandentwerfer als grundlage dient. Bücher mit einem schönen einband, einem anziehenden oder wenigstens nicht häßlichen rücken, sind leider ausnahmen. Und doch wird das buch schließlich, ohne schutzumschlag, in eine bibliothek gestellt, wo es nur seinen rücken zeigt. Die buchrücken verdienen bedeutend mehr aufmerksamkeit seitens der verleger und auch seitens der entwerfer, als sie erhalten. Mit gold und einer farbe läßt sich der schmälste und der breiteste rücken reizvoll gestalten. Name oder signet des verlegers sollen auf dem rücken des schutzumschlags stehn, haben aber auf dem einbandrücken nichts zu suchen. Die vorderseite der leinenbände braucht dagegen nicht notwendigerweise einen aufdruck. Doch ist eine dekoration nötig, wenn das auge von der nichtssagenden struktur einer billigen leinensorte abgelenkt werden soll. Warum gibt es so viele leinenbände? Wieviel hübscher wären halbleinenbände mit einem buntpapierüberzug! Geeignete dekorierte papiere sind unschwer zu beschaffen, auch in haltbarer qualität, wenn man ein wenig sucht, und viele buchbinder könnten einfache kleisterpapiere zu einem 17
erschwinglichen preise wenigstens für kleinere auflagen herstellen. Der rücken braucht dann weniger reich dekoriert zu werden, und das fertige buch ist viel besser angezogen als in einem jener öden ganzleinenbände. Reine pappbände würden ebenfalls reizend aussehen, wenn sie mit buntpapier überzogen und mit einem schildchen auf dem rücken, wenn nötig auch einem solchen auf dem vorderdeckel versehen würden. Leider sind derartige bücher seltene ausnahmen, obwohl sie in der herstellung nicht teurer wären als die üblichen, nach einer zeichnung hergestellten bände. Ein fester einband verteuert das fertige buch, auch in massenauflagen, außerordentlich. Bücher könnten viel billiger sein, wenn das publikum nicht soviel wert auf feste einbände legte. Ein flexibler einband für bücher im taschenformat ist gewiß das eleganteste und beste, aber solange man sich nicht entschließt, das buch für alle zeiten aufzubewahren, genügt auch eine broschur. Ich habe eine vorliebe für bücher im taschenformat, die nicht beschnitten sind und in umschlägen verkauft werden. Wenn ein buntpapier mit schildchen auf rücken und vorderseite um sie gelegt wird, sind sie fast so weich, so zierlich und angenehm wie chinesische bücher. Der schutzumschlag, den heute jedes gebundene buch erhalten muß — nicht so sehr zur bequemlichkeit des lesers, als um den käufer anzulocken und den verleger vor beschädigung des teuren 18
einbands zu bewahren — ist kein eigentlicher teil des buches. Sein entwurf darf daher im buche so wenig erwähnt werden wie ein plakat, das für das buch gemacht worden ist. Er soll aber in seinem stil und seiner farbigkeit zum buche und zum einband passen. Er ist ein plakat, das von ferne wirken soll. An seiner ausführung läßt sich das bildungsniveau der leser oder auch die meinung des verlegers über die käufer seiner bücher genau ablesen. Schutzumschläge sollten auf einem nicht zu dauerhaften papier hergestellt werden, damit sie möglichst bald in den papierkorb wandern müssen. Sie sind verpackung und gehören nicht zur buchkunst, sondern zur reklame. Nicht alle bücher sind rein typographisch. Literarische werke werden oft mit zeichnungen illustriert, kunstbücher enthalten tafeln, und wissenschaftliche werke benötigen diagramme und photographische illustrationen. Keine noch so gute illustration ist an sich buchkunst, sondern zunächst im besten falle reine kunst. Nur der typograph kann sie mit dem text zum buchkunstwerk vereinigen. Es kommt nämlich nicht nur auf eine geistvolle, dem wesen des werkes angemessene illustrationstechnik an, sondern noch viel mehr auf den zusammenklang von typographie und zeichnerischer linienführung, den nur der buchentwerfer erreichen kann. Dieser soll daher auch dem zeichner richtlinien für die proportionen und endgrößen der zeichnungen geben. Ganz-, halb- und drittelseitige 19
zeichnungen sind dem wesen des buches und seiner tektonik adäquater als hie und da eingestreute bildchen. Es gibt keine üblere unsitte als die das typographische gefüge zerstörenden, in ecken und auf rändern ›frei‹ gestreuten und gar am rande angeschnittenen zeichnungen. Sie kam in Frankreich während der Hokusai-mode der achtziger jahre auf und wurde von den großen zeichnern des impressionismus begünstigt. Ein buch ist aber kein skizzenbuch, sondern architektur. Mögen die zeichnungen noch so glänzend sein — buchkunstwerke sind mit dieser art der anordnung nicht zu bilden. Ihr flüchtiger stil mag für illustrierte zeitungen geeignet sein; im buche hat er nichts zu suchen. Hier ist es nicht erwünscht, durch scheinbar witzige seitenaufteilung billige effekte zu erhaschen. Wer das für freiheit hält, hat noch viel zu lernen. Alle zeichnungen müssen im gleichen maßstab gezeichnet sein und dürfen nicht in verschiedener art verkleinert werden, damit die gleiche strichstärke durch das ganze buch erhalten bleibt. Zunächst ist eine schrift zu suchen, deren charakter dem stil und der strichstärke der zeichnungen möglichst nahe kommt. Die feinsten striche der schrift dürfen nicht feiner sein als die der zeichnung, und wenn die dicksten stellen der zeichnung ebenfalls nicht stärker sind als die grundstriche der schrift, so ist das nur erwünscht. Durchschuß des satzes und ränder des buches müssen ebenfalls sorgfältig den zeichnungen angepaßt werden. 20
Nur dann können diese zur vollen geltung kommen. Aber zeichnungen buchkunst zu nennen, ist ebenso irrig wie wandbilder als baukunst zu bezeichnen. Beider rolle ist dienend. In wissenschaftlichen werken lassen sich kleinere diagramme, die nicht die ganze breite füllen, nicht immer vermeiden, aber eine weitsichtige planung und sorgfältige vorbereitung des manuskriptes kann ihre folge, eine umständlichere satzart, erleichtem. Abfallende photoklischees, die eine zeitlang in mode gewesen sind, sind für den tiefdruck, besonders in großen formaten, nicht völlig ungeeignet, finden aber im großen und ganzen meine billigung nicht. In der buchdrucktechnik sind sie zu verwerfen, mindestens weil sie die fertigstellung des buches erschweren. Ästhetisch ist gegen sie einzuwenden, daß sie die kontinuität des buchganzen durch ihre ausdehnung noch mehr zerstören, als ihr dreidimensionaler charakter ohnehin bewirkt, überhaupt ist das buch kein tummelplatz für experimente, und den versuchen, in büchern asymmetrische typographie anzuwenden, ist kein allgemeiner erfolg beschieden gewesen. Der bleibende charakter eines buches gebietet, sich von allen tagesmoden fernzuhalten. Es ist vor allem der gute geschmack, der sich im buche beweisen muß, nicht was gemeinhin als persönlichkeit bezeichnet wird. Takt, zurückhaltung, das bewußtsein, diener des werkes zu sein und zu seiner wertschätzung durch eine wirklich angenehme, erfreuliche, elegante, handliche, ja schöne 21
darbietung beizutragen, sind die wichtigsten erfordernisse für einen echten buchkünstler. Er soll eine type auswählen, die dem charakter des textes voll entspricht, ein format und ein papier bestimmen, das beidem gerecht wird und das buch in einen einband kleiden, der auch in künftigen jahren noch befriedigt. Das ganze buch soll so aussehn, daß man es mit freude zur hand nimmt. Es soll den wunsch erwecken, es dauernd zu besitzen. Eine vollkommene einheit aus buchgröße, typographie, papierfarbe, papierstruktur, der biegsamkeit des buches, dem aufbau des titels und der überschriften, der art des entwurfs des einbandes zu erschaffen, ist eine größere kunst als der uneingeweihte vermuten kann. Es gibt nur wenige vollendet gemachte bücher. Keineswegs alle der in vielen ländern alljährlich ausgewählten besten bücher sind schön. Hier ist der begriff schön sehr relativ zu nehmen. Noch ist kein land so weit, alljährlich dreißig bis fünfzig, geschweige denn hundert schöne bücher hervorzubringen. Kleine länder könnten stolz auf zehn, große auf zwanzig wirklich schöne bücher im jahre sein. Die wirklich besten bücher der gegenwart aus allen ländern zeigen in ihrem streben eine auffällige übereinstimmung, und von einem stilstreit ist nichts zu bemerken. Nicht infolge eines geheimen abkommens, sondern auf grund aufmerksamen studiums der geschichte der schrift und der typographie, im verein mit wirklicher liebe zum buche, sind die besten lebenden buchkünstler zu höchst 22
ähnlichen arbeitsmethoden gelangt. Wir verneigen uns vor den großen buchkünstlern der vergangenheit und den gelehrten der gegenwart, die uns glänzende beispiele und wichtige forschungsresultate geliefert haben und auf deren schultern wir stehn. Eine neue blüte der kultur des buches ist nicht fern. Ein jeder sollte sie fördern; denn bücher sind unsere besten freunde, und wir haben es gern, wenn sie sich auch angenehm und schön präsentieren.
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Jan Tschichold Jan Tschichold (geboren 1902,) hat schon früh durch Elternhaus und Studium ein nahes Verhältnis zu Schrift und ihrer Geschichte gefunden und dadurch ein ursprüngliches Wissen um die Zusammenhänge von Schreibschrift und Drucktype erworben. Das setzte ihn in den Stand, auf der einen Seite in seiner Schatzkammer der Schreibkunst (1945) Meisterwerke der Kalligraphie aus vier Jahrhunderten zu präsentieren, auf der anderen die Entwicklung der Druckschrift in großen Zusammenhängen klarzulegen (Geschichte der Schrift in Bildern, 1941; Meisterbuch der Schrift, 1952). Die Werke gehören heute zu den wesentlichen Veröffentlichungen über die Schriftgeschichte. Tschichold studierte an der Staatlichen Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig bei Hermann Deutsch, Hugo SteinerPrag und Walter Tiemann. Durch das Erlebnis einer Bauhaus-Ausstellung öffnete er sich den formalistischen Ideen der Bauhaus-Typographie; er wurde ein engagierter Verfechter der konstruktivistischen Druckgestaltung. Sein Handbuch Die neue Typographie (1928) wurde das grundlegende Lehrbuch der neuen Richtung. 1927 holte ihn Paul Renner als Lehrer an die neugegründete Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker nach München. 1933 entlassen, emigrierte er in die Schweiz. 1946 bis 1949 übernahm er die typographische Neuordnung der ›Penguin Books‹ in London. 25
Buchentwerfer von internationalem Rang, hat sich Tschichold zu einem entschiedenen Verfechter der Tradition im Buchschaffen entwickelt. Sein Eintreten für die neue Typographie der zwanziger Jahre war ein notwendiger Durchgang, um das sichere Fundament eines von der Tagesmode unabhängigen Buchtypus zu finden. Aus dem, was das Studium der Schriftgeschichte lehren kann, und dem, was die Praxis fordert, hat Tschichold ein festes Regelgebäude entwickelt, das er nicht müde geworden ist, in seinen Büchern und Aufsätzen zu propagieren. Es ist auch in dem hier abgedruckten Aufsatz entwickelt, der Einleitung zu seiner 1951 erschienenen Veröffentlichung Im dienste des buches, einer Sammlung eigener typographischer Buchentwürfe. Er faßt die Arbeitsmethoden zusammen, die heute als Fazit aus historischen Erkenntnissen und sachlicher Zweckmäßigkeit gezogen werden können. Die Individualität des Typographen muß hinter dem Werk zurücktreten; »das Buch ist kein Tummelplatz für Experimente«; Takt und Zurückhaltung sollen den Buchentwerfer auszeichnen. Die Illustration ist nicht notwendiger Bestandteil des schönen Buches; die »unauffällige Schönheit der einzelnen Seite« ist Gradmesser der typographischen Kunst. Keine Einzelheit, wie die Frage der Einzüge, der Fußnoten, der Sperrungen, ist Tschichold zu klein, um nicht im Gesamt der Buchgestaltung bedacht zu werden. Man würde indes Tschichold mißverstehen, wenn man in solchem Regelwerk nur ein rational 26
gestaltetes handwerkliches Mittel sähe. Es umreißt nur die Vorbedingungen der Buchgestaltung. Die Buchherstellung als Ganzes bleibt eine Kunst, die sich aus tieferen Quellen speist. Tschicholds eigene Produktion zeugt davon. Er hat sich während dreier Jahrzehnte von dem chinesischen Buchund Farbendruck anregen lassen; 1970 ist seine Bildersammlung der Zehnbambushalle erschienen. Um 1964 hat Tschichold die Zeichnung der Werkschrift ›Sabon‹ einheitlich für den Handsatz (D. Stempel) und den Maschinensatz (Linotype und Monotype) begonnen. Sie liegt nunmehr vor. Damit hat er eine klare, ausgereifte RenaissanceAntiqua, benannt nach dem Nachfolger Egenolffs, für eine vielseitige Verwendung geschaffen, Produkt des Wissens und der Praxis.
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