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Von Arthur W. Upfield sind erschienen: Bony und der Bumerang Ein glücklicher Zufall Das rote Flugzeug Mr. Jellys Geheimnis Bony stellt eine Falle Todeszauber Der Kopf im Netz Bony und die Todesotter Bony wird verhaftet Der Pfad des Teufels Die Leute von nebenan Die Witwen von Broome Tödlicher Kult Der neue Schuh Die Giftvilla Viermal bei Neumond Der sterbende See Der schwarze Brunnen Der streitbare Prophet Höhle des Schweigens Bony kauft eine Frau Die Junggesellen von Broken Hill Bony und die schwarze Jungfrau Bony und die Maus Fremde sind unerwünscht Die weiße Wilde Wer war der Zweite Mann? Bony übernimmt den Fall Gefahr für Bony
Arthur W. Upfield
Bony kauft eine Frau Bony buys a woman Kriminalroman
Wilhelm Goldmann Verlag
Die Hauptpersonen Inspektor Napoleon Bonaparte John Pierce Thomas Wootton Mrs. Bell Linda Bell
wird von seinen Freunden Bony genannt Polizeiwachtmeister Farmer seine Haushälterin ihre Tochter
außerdem Farmarbeiter und Eingeborene Der Roman spielt in Südaustralien.
1. Auflage Oktober 1960 • 1.-30. Tausend 2. Auflage August 1972 • 31.-40. Tausend 3. Auflage November 1974 • 41.-52. Tausend 4. Auflage Oktober 1978 • 53.-64. Tausend Made in Germany 1978 © der Originalausgabe 1958 by Arthur W. Upfield ©der deutschsprachigen Ausgabe 1958by Wilhelm Goldmann Verlag, München Aus dem Englischen übertragen von Dr. Arno Dohm Umschlagentwurf: Creativ Shop, A. + A. Bachmann, München Umschlagfoto: Richard Canntown, Stuttgart Druck: Mohndruck Reinhard Mohn GmbH, Gütersloh Krimi 4781. Berens/Heiß ISBN 3-442-04781-1
1
F
ür Linda Bell war der siebte Februar ein Tag wie jeder andere. Freilich schien die Sonne schon um sechs Uhr morgens glühend heiß, nachdem lange vorher Wind aufgekommen und bei Sonnenaufgang zum Sturm angewachsen war. Er fuhr heulend über das sandige Gelände und brauste mit lautem Gebrüll durch die dünne Reihe von Kiefern, die die Farm Mount Eden von dem riesigen Lake Eyre trennt. Für Linda begann der Tag wie immer. Nachdem sie aus dem Bett gestiegen war, schaute sie auf den großen Kalender über dem Frisiertisch. Sie merkte sich das Datum, da sie aus Erfahrung wußte, wie gut es für ihre Stimmung war, wenn; sie nachher auf die übliche Frage richtig antworten konnte. Linda war schon sehr selbständig für ihre sieben Jahre. Niemand brauchte sie zu wecken oder ihr zu erklären, wie sie den Tag zu beginnen hatte. Sie nahm sich ein Handtuch vom Ständer, trippelte durch die offene Glastür zur Veranda und von dort durch den überdachten Gang zu den Duschkabinen. Während sie sich duschte, sang sie ein kleines Lied. Von Zeit zu Zeit stahl sich in das Lied das Wort ›sieben‹, das ihr durch das Köpfchen ging, als sie wieder in ihrem Zimmer war und sich ankleidete. Sie machte gerade ihr Bett, da rief auf dem Hof der Gong den Boß und seine Leute zum Frühstück. In der großen Küche der Farm war es ziemlich heiß; es roch nach Kaffee, brutzelnden Frikadellen und gegrillten Steaks. In einer Ecke stand ein kleiner Tisch, an dem Linda und ihre Mut5
ter aßen. Ein Anbau bildete den Speiseraum für die Männer, die soeben hereinkamen und sich an den Tisch setzten. Mrs. Bell fragte jeden nach seinen Wünschen und servierte entsprechend. Dann setzte sie, ohne zu fragen, Linda eine Mehlspeise vor und trug Mr. Woottons Frühstückstablett zum Eßzimmer in der Wohnung. Mrs. Bell war eine blonde, rundliche und sympathische Frau von dreißig Jahren. Wie es hieß, war ihr Mann Trainer von Rennpferden gewesen. Sie selbst hatte früher als Lehrerin gearbeitet. Nach ihrer Meinung bestand zwischen Kindern und Pferden kein wesentlicher Unterschied: Sie mußten mit fester Hand und Güte ›trainiert‹ werden, und wenn man mit der Erziehung zu spät anfing, wurde aus dem Kind ein unbrauchbarer Mensch. Also scheute Mrs. Bell keine Mühe mit Linda und ersparte sich daher manchen Kummer. »Du hast dich ja heute morgen so hübsch frisiert, Linda«, bemerkte sie, als sie sich zu ihrer Tochter an den Tisch setzte. »Wenn man’s gleich ordentlich macht, hat man nachher mehr freie Zeit. Welches Datum haben wir heute?« »Den siebenten Februar«, erwiderte Linda und blickte sie mit ihren grauen Augen, aus denen der Schalk guckte, groß an. »So ist es brav, mein Kind«, lobte Mrs. Bell. »Mr. Wootton will heute in die Stadt fahren, und an deinem Kamm fehlen, wie ich gesehen habe, zwei Zinken. Welche Farbe soll der neue haben?« Linda wählte Blau, war aber nicht ganz bei der Sache, da sie die Männer den Speiseraum verlassen hörte. Ihre Mutter forderte sie auf, ihr nach der Wanduhr die Zeit zu sagen. Linda, die gern rasch mit dem Frühstück fertig werden wollte, blickte auf die Uhr. Sie rätselte erst ein bißchen, denn es fiel ihr immer noch schwer, zwischen ›vor‹ und ›nach‹ sicher zu unterscheiden. Aber jetzt riet sie richtig mit ihrer Antwort: »Sieben vor sieben, Mutter.« »Fein, Linda. Jetzt möchtest du doch gewiß zusehen, wenn die Männer zur Arbeit reiten. Na, dann lauf nur. Es wird ein scheuß6
lich heißer Tag, also werden wir uns nachher mit den Aufgaben schön beeilen, ja?« Die Gutsgebäude von Mount Eden umgrenzten, im Viereck angeordnet, einen großen Hof. Das Haupthaus nahm die Ostseite ein, gegenüber lagen die Quartiere der Männer, an den anderen Seiten das Büro, der Lagerschuppen, die Pferdeställe, die Warenausgabe, der Brunnen und die Wassertanks. In einer Ecke des Hofes stand eine runde, ganz aus Schilfrohr gefertigte Hütte. Linda sprach hastig das Tischgebet, dann lief sie aus der Küche, war mit wenigen Schritten im offenen Hof. Die Schatten nahmen schon scharfe Konturen an, große Staubwolken fegten, vom Westwind getrieben, über das Männerquartier zum Wohnhaus und rasten den Abhang hinauf durch die Kette von Kiefern bis zur riesigen Fläche des ausgetrockneten Lake Eyre. Die Männer kamen zum Empfang der Tagesbefehle aus ihren Quartieren. Es waren vier, alles Weiße. Drei trugen Sporen an ihren Stiefeln. Einer wirkte ziemlich groß und massig, zwei waren hager, der vierte, ein noch junger, gutaussehender Mann von dunklem Typ, kleidete sich im Vergleich zu den anderen beinah gekkenhaft, wie ein Filmcowboy. Dicht vor der Tür des Büros blieben sie stehen. Der junge Mann winkte Linda zu, der große begrüßte sie mit einem lauten ›Guten Morgen‹. Dann kam Mr. Wootton von der Seitenveranda des Farmhauses. Er war klein und stämmig und hatte ein rotes Gesicht, während seine Leute von der Sonne braungebrannt waren. Sein gestutzter Schnurrbart war dunkel, das kurzgeschnittene Haar an den Schläfen ergraut, die kleinen Augen, von klarem Grün, blickten Linda stets freundlich an. Für sie war er der Big Boss, der König von Mount Eden. Er mußte auf jeden Fall mit Mister angeredet werden. Stets trug er ein Sporthemd mit weichem Kragen und Krawatte, eine Gabardinehose und Halbschuhe, nie Reitstiefel. 7
Wie jeden Tag schob Thomas Wootton den Schlüssel in die Tür zum Büro und ging hinein. Einige Minuten blieb er unsichtbar, und Linda wußte, daß er jetzt das dicke Buch auf seinem Schreibtisch studierte. Sie wußte auch, warum: Dieses Buch gab ihm Auskunft über alles, was auf der Farm geschah, besonders auch darüber, was als nächstes getan werden mußte. Als er im Türrahmen erschien, rief er zuerst Arnold. Arnold war der große, massige Mann, der alles konnte: Pferde beschlagen genausogut wie Motoren reparieren. Beim Heulen des Windes und dem Gekrächze der vorbeifliegenden Krähen mußte Mr. Wootton sehr laut sprechen. »Brauchen Sie heute etwas aus der Stadt, Arnold?« Der Mann schüttelte den Kopf und antwortete: »Ich glaube kaum, Mr. Wootton. Jedenfalls nicht für die Wirtschaft.« »Na schön. Draußen bei Boulka wird der Wind wohl nicht so stark sein. Sie könnten mit dem Lastwagen noch eine Ladung Eisenblech holen. Lassen Sie sich nur Zeit, damit Sie die Blechplatten loskriegen, ohne Löcher hineinzureißen.« »Aber klar«, sagte Arnold auf seine ruhige Art, und schon fragte Linda: »Darf ich mit Arnold mitfahren, Mr. Wootton?« »Wenn deine Mutter es erlaubt«, meinte er und rief Eric zu sich, einen schlaksigen Mann mit derben Knochen, der sich langsam bewegte. Linda rannte ins Wohnhaus. Als sie zurückkam, sagte Eric gerade zum Boss: »Bei dem Schlamm können die Tiere noch sechs Wochen lang nicht über den See, selbst wenn es nicht regnet, was unwahrscheinlich ist. Die Ochsen sind von selbst so schlau, das Sumpfgelände nicht zu betreten. Im übrigen werden wir, bevor der Boden hart genug ist, um sie zu tragen, das Flutwasser aus den Bergen kriegen und den Überfluß vom Diamantina.« »Wäre möglich, Eric«, antwortete Mr. Wootton. »Na, reiten Sie mal zur Station vierzehn und kontrollieren Sie dort die Vorräte. Soll ich Ihnen etwas aus der Stadt mitbringen?« 8
Eric lachte trocken und blinzelte Linda zu. »Tja«, sagte er bedächtig, »Sie könnten mir eine Schachtel Schokoladenstangen mitbringen, mit Nüssen. Ich glaube, ich muß meinem Mädchen mal was schenken. Muß mich doch gut mit ihr stellen.« »Ja, Ihrer Liebsten müssen Sie natürlich etwas schenken«, stimmte Mr. Wootton ernsthaft zu. »Heißt sie etwa Linda?« »Wird nicht verraten, Mr. Wootton.« Wieder das Augenzwinkern. Auf dem Gesicht des kleinen Mädchens erschien ein strahlendes Lächeln. Der nächste, der aufgerufen wurde, war Harry, der gutaussehende junge Mann. Er kam mit wiegenden Schritten heran, und das Klirren seiner Sporen war sogar bei dem Wind zu hören. Harry wurde beauftragt, eine Strecke des Grenzzauns abzureiten. Der vierte Mann, der Bill hieß, sollte zur Senke White Gum reiten und über den Zustand der Weide berichten. Ihm stellte Mr. Wootton einige Fragen über die Eingeborenen. »Etwas bemerkt von Canute und seinem Stamm, Bill?« »Sie meinen, hier in der Nähe? Nein, Mr. Wootton. Die sind nie da, wenn man sie braucht. Sie sind jetzt wohl oben am Neales River, tanzen ihren Korrobori und quälen die jungen Burschen mit der Jünglingsweihe.« »Charlie hat versprochen, bald wieder herzukommen, um bei der Viehmusterung zu helfen.« »Charlie werden Sie sehen, sobald Meena auftaucht, und das geschieht nur, wenn Canute es erlaubt. Ob Sie die jungen Leute in die Missionsschule schicken oder nicht – letzten Endes richten sie sich doch nur nach dem alten Canute.« »Ja, ich weiß«, gab Wootton gereizt zurück. »In Ordnung, Bill. Brauchen Sie etwas aus der Stadt?« »Nun, Sie könnten mir wieder so eine graue Hose besorgen wie vorigen Winter. Ach ja, und wie wär’s mit ein paar Damentaschentüchern? Kleine, mit Spitzenbesatz und einem L in der Ecke. Ich habe nämlich so eine Art Schwester mit dem Namen … Nanu, Linda, dich hatte ich ja gar nicht bemerkt.« 9
»Hast du wohl, Bill!« sagte Linda, deren Gesicht vor Freude strahlte. »Oh, Linda!« rief Mr. Wootton. »Na, erlaubt dir deine Mutter, Arnold zu begleiten?« »Mutter sagt, ich muß hierbleiben, um ihr zu helfen, weil Meena und die anderen Frauen noch fort sind.« »Daran hatte ich nicht gedacht, Linda. Natürlich mußt du deiner Mutter helfen. Ist gut, Bill, die Taschentücher werde ich nicht vergessen – und die Schachtel mit Nußschokolade auch nicht.« Mr. Wootton trat wieder in sein Büro, während Linda mit Bill Harte in die Pferdeställe ging, wo die zwei anderen Männer schon sattelten. Sie sah zu, wie sie abritten, dann lief sie wieder, ins Haus und trocknete brav das Frühstücksgeschirr ab. Anschließend machte sie am Küchentisch ihre Hausaufgaben, bis Mrs. Bell um neun Uhr gongte und Tee mit Butterbrötchen servierte. Mr. Wootton kam zu diesem zweiten Frühstück in die Küche, stand dort eine Weile und notierte auf einem Block die Dinge, die Mrs. Bell benötigte. Linda begleitete ihn zur Garage und beobachtete, wie das Auto auf dem Wege nach Loaders Springs in dicken Staubwolken verschwand. Sie konnte nun bis Mittag tun, was sie wollte, durfte ermahnen, schelten und liebkosen, anstatt selber gescholten oder liebkost zu werden, denn neben der Garage stand ja ihr ›eigenes Haus‹ aus Schilfrohr. Ein kleines Haus für ein kleines Mädchen, von ihren Freunden erbaut. Für Linda war es auch jetzt noch ein Tag wie jeder andere. Sie eilte die zwei Stufen hinauf und ging hinein. Hier konnte der tobende Wind nicht eindringen; es war still und friedlich. An der Südwand war ein richtiges Fenster. In dem Raum gab es einen niedrigen Tisch und einen Stuhl von entsprechender Höhe. Ein grobgezimmertes Bücherbord enthielt richtige Bücher, und auf dem obersten Brett saßen vier Puppen. Eine dieser Puppen glich genau Lindas Mutter, eine andere Mr. Wootton. Die dritte war eine hübsche junge Frau mit glat10
tem schwarzem Haar und großen, dunkelbraunen Augen, und die vierte stellte einen älteren Mann dar, der ein langes Gesicht mit hellblauen Augen und einen struppigen, grauen Schnauzbart hatte. Linda trat vor die Puppen hin und sagte: »Meena! Welches Datum haben wir heute? Nein, es ist nicht der zehnte Februar, Meena, das solltest du wissen, du bist doch zur Missionsschule gegangen. Na gut, dann sag du es, Ole Fren Yorky. Neunter Februar, sagst du? Natürlich ist heute auch nicht der neunte.« Linda blickte die Puppe mit den hellblauen Augen und dem lächerlich schlappen Schnurrbart streng an und rief, ihre Mutter nachahmend: »Alter Freund Yorky, ich hatte dich gefragt, welchen Tag wir heute haben. Meine Güte, wirst du das denn nie kapieren?« Und so unterhielt sie sich weiter mit den vier Puppen über vielerlei, auch über eine Schachtel voll Nußschokolade und über spitzenbesetzte Taschentücher mit einem L in der Ecke. Sie saß jetzt auf ihrem Stuhl, die Puppen vor sich auf dem Tisch. Gerade hatte sie Mr. Woottons Schlips glattgezogen, Meena das Haar gekämmt und war jetzt damit beschäftigt, Ole Fren Yorky den Schnurrbart zu zwirbeln, als ein Schuß knallte. »Na, halt doch still, Ole Fren Yorky«, schalt Linda, »dein Bart sieht ja schändlich aus. Das war eben gewiß Mr. Wootton beim Krähenschießen. Du weißt ja, wie frech die sind, da muß er manchmal welche schießen.« Doch Freund Yorky wollte nicht stillhalten, und Linda konzentrierte sich ganz darauf, ihn zur Räson zu bringen. Nach einigen Minuten fiel ihr ein, daß Mr. Wootton ja vor einer Stunde nach Loaders Springs abgefahren war. Eine kleine Falte grub sich zwischen ihre dunklen Augenbrauen. Sie schob Ole Fren Yorky beiseite und stützte die Hände auf den Tisch, um aufzustehen, da erschien im Eingang der richtige Yorky, ihr alter Freund. Entsetzen erfaßte das Kind, denn seine sonst so blassen Augen glühten und brannten förmlich. Er sprang, ein leichtes Bündel über der Schulter, sein Gewehr in der linken Hand, auf sie 11
zu. Linda schnellte vom Stuhl und mußte sogleich spüren, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte. Ein nackter Arm hatte sie umfaßt und hochgehoben. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, da wurde ihr Gesicht grob gegen eine schweißige Brust gedrückt, und nun war es für Linda nicht mehr ein Tag wie jeder andere …
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B
is vier Uhr war der Tag für Arnold Bray ganz normal verlaufen. Wie viel kraftvolle Menschen pflegte Bray mit großer Ruhe zu denken und zu handeln, so daß ihn die Leute für langsam hielten. Obwohl er noch nicht dreißig war, begegnete man ihm im allgemeinen mit Respekt. Er war sehr tüchtig und verstand sich auf jedes Handwerk. Wootton hätte ihm nicht erst zu sagen brauchen, wie Wellblechplatten vom Dach abmontiert werden. Das Gebäude, zu dem er an diesem Tage fuhr, lag über zwanzig Kilometer von der Farm entfernt und hatte als Scherschuppen gedient, als noch Schafe gezüchtet worden waren. Da in der trockenen Luft dieses Landes die Rostbildung äußerst gering ist, lohnt es sich durchaus, das Wellblech noch für andere Zwecke zu verwenden. Gegen drei Uhr hatte Arnold genug Platten beisammen. Er sicherte die Fuhre mit dicken Stricken gegen den starken Wind, mit dem er rechnen mußte, sobald er diese geschützte Stelle zwischen den hohen Eukalyptusbäumen verließ. Bevor er abfuhr, machte er noch schnell Wasser warm und goß sich eine Kanne Tee auf. 12
Eine halbe Stunde später rief er die Hunde in die Fahrerkabine und startete den Motor. Kaum hatte der Wagen die Baumgruppe verlassen, da zerrte auch schon der Wind heftig an der Ladung, so daß das Steuern auf dem schmalen, kaum ausgefahrenen Weg ein Kunststück wurde. Der Lastwagen brummte gewaltig, als es eine lange Steigung ins sogenannte Hochland hinaufging, das aber nirgends mehr als sechzig Meter über der durch Bäche, Sümpfe und Senken deutlich markierten Niederung lag. Hier, an den kahlen Hängen, gab es unzählig viele silbrig glitzernde Brocken Eisenkies, die auf der lehmigen Erdschicht lagen und vom Sturm so blank geschliffen waren, daß sich das Sonnenlicht auf ihnen spiegelte. Heute schienen Erde und Himmel ganz ineinander überzugehen. Arnold konnte den Kamm der langen Steigung nicht erkennen, so verzerrt war die Landschaft durch den Wind, den Staub und das stark reflektierte Sonnenlicht. Ein hoher, einzelner Baum wurde zu einem abgebrochenen, winzigen Stämmchen, ein Felsblock, den der Wagen in wenigen Sekunden erreichen mußte, sah so aus, als liege er zehn bis zwölf Kilometer entfernt. Und was wie eine hohe Sanddüne wirkte, war nur eine ganz kleine Erdfalte. Wie aus dem Boden geschossen, stand plötzlich die Farm vor ihm: das Viereck der Häuser, die Kieferngruppe … Das alles schien wie ein auf den Boden gefallenes Bild. In Wirklichkeit waren es bis zur Farm noch fast zwei Kilometer. Den böigen Wind, der das Lastauto peitschte, hätten die wettergewohnten Weidereiter zwar als etwas unangenehm, aber nicht als unerträglich bezeichnet. Die beiden Hunde, die auf dem Sitz neben dem Fahrer kauerten, waren glücklich und zufrieden, bis sich der Wagen nur noch wenige hundert Meter von.der Farm befand. Da begannen beide gespannt zu horchen und zu schnüffeln. Schließlich stimmten sie ein gedämpftes Geheul an. Arnold konnte Eric auf seinem Pferd erkennen, das beinahe reglos mitten im Hof zwischen den Gebäuden stand. Die Beine des Tieres schienen dreißig Meter hoch zu sein, und Eric selbst 13
sah aus als sitze er auf einem Faß. Arnold mußte lachen, denn er langweilte sich nie bei den optischen Täuschungen, die dieses Land dem Menschen vorgaukelte. Doch dann machten ihm das seltsame Verhalten der Hunde und die ungewöhnliche Haltung des Reiters stutzig. Er gab ordentlich Gas und hielt nach wenigen Minuten beim Motorschuppen, wo das Wellblech gestapelt werden sollte. Eric sprang aus dem Sattel und führte sein Pferd zu Arnold, der mit den Hunden sofort ausgestiegen war. »Hier war der Teufel los«, sagte er mit angsterfüllter Stimme. »Kein Mensch hier außer mir. Das Kind … Ich kann das Kind nirgends finden. Mrs. Bell liegt drüben an der Küchentür – ich habe sie zugedeckt. Ich …« »Was ist denn passiert?« fragte Arnold, dessen ruhige Stimme nicht zu der Angst in seinen Augen paßte. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß Mrs. Bell erschossen ist, tot. Der Boss …« »… wollte in die Stadt fahren«, ergänzte Arnold. »Seit wann bist du zurück?« »Seit einer Viertelstunde vielleicht, ich weiß es nicht. Als ich zu den Ställen ging, fielen mir die vielen Krähen bei der Küchentür auf; dort sind nämlich sonst keine. Ich ritt hin und sah, was los war. Ich rief verzweifelt nach dem Kind, aber es kam nicht. Es war keine Menschenseele da. Ich begreife das nicht. Ich begreife das einfach nicht, Arnold.« »Wir werden die Sache aufklären. Mach das Pferd irgendwo fest. Warte, nein, vielleicht brauchen wir es ganz schnell.« Arnold blickte flüchtig auf seinen Schatten, um festzustellen, wie spät es ungefähr war, und überlegte, daß Mr. Wootton meistens zwischen fünf und sechs aus der Stadt zurückkam. Sehr viele Krähen kreisten in der Luft. Zu Dutzenden hockten sie auf dem Dach des Wohnhauses und auf Lindas Spielhaus. Was sie schon an Hals und Armen der toten Frau angerichtet hatten … Aber zweifellos war es Mrs. Bell, die da lag. Arnold breitete sanft 14
den leeren Sack wieder über die Tote und blickte dem verstörten Eric in die Augen. Die Hunde schlichen davon. Eric sagte: »Ich habe sie zugedeckt. Dann bin ich wieder zu meinem Pferd gegangen und habe nach Linda gerufen. Ich hatte schreckliche Angst und rechnete jeden Augenblick damit, daß jemand auf mich schoß. Was sollen wir bloß machen?« »Das Kind suchen. Wo hast du schon nachgesehen?« »Nirgends, ich habe nur gerufen. Diese Krähen! Sie muß schon am Morgen erschossen worden sein.« »Reiß dich zusammen, Eric.« Arnold sagte das so gelassen, daß auch Eric Maundy ruhiger wurde. Seine leicht zuckenden Lippen wurden fester und preßten sich zornig zusammen. »Wir wollen zuerst mal das Haus durchsuchen«, schlug Arnold vor. »Es ist ja sonst niemand in der Nähe, nach den Krähen zu urteilen.« In der Küche riefen sie beide nach dem Kind und lauschten, ob eine Antwort kam. Hier konnte der Wind nicht eindringen, und es herrschte die gewohnte drückende Hitze. Ihre Rufe hallten weit, aber es blieb still. Als sie in das Wohnzimmer traten, stolperten sie über die Trümmer des Funksprechgeräts und des Telefons. Eric war zum erstenmal in diesem Zimmer, während Arnold schon oft das Telefon benutzt hatte. Andere Dinge waren nicht beschädigt, alles befand sich an seinem Platz. Eric entdeckte die Axt, die zum Zertrümmern der Geräte benutzt worden war. Sie lag unter einem Stuhl. Über den Hof fegte der Staub. Unter dem glasigen, weiß flimmernden Himmel flogen unzählige Krähen hin und her. »Sind mehr von diesen elenden Krähen da als sonst«, sagte Eric noch einmal. »Verdammte Mistviecher!« Arnold antwortete nicht, und Eric folgte ihm in die übrigen Räume. Sie kontrollierten das Kühlhaus, sahen nach, ob Büro und Vorratslager abgeschlossen waren, und gingen dann in Lindas Spielhaus. Drei von den vier Puppen saßen auf dem Tisch, die Puppe Ole Fren Yorky war umgekippt und lag auf dem Rü15
cken. Der Raum sah aus wie immer. Verstecken konnte sich Linda hier nirgends. Beim Hinausgehen blickten sie noch unter die Plattform. Nichts. Als sie auch das Männerquartier durchsucht hatten, ein Haus, das aus vier Schlafräumen und einem Wohnzimmer bestand, bemerkte Arnold den jungen Harry Lawton am Tor bei den Rinderpferchen. Er sprang gerade aus dem Sattel. Als Arnold ihn rief, hielt Lawton beim Abzäumen des Pferdes inne und ging zu ihnen hinüber. »Du wirst dein Pferd noch brauchen«, sagte Arnold. »Mrs. Bell ist erschossen worden, und Linda ist verschwunden.« »Um Gottes willen!« rief Harry. »Linda kann doch ihre Mutter nicht erschossen haben. Ist noch mehr passiert?« »Reicht das etwa nicht?« fragte Eric und sah Arnold fragend an. »Ihr beide reitet die Gegend ab, sucht nach Spuren und nach … Ihr wißt schon – nach Linda. Es muß jemand hergekommen sein, nachdem der Boss abgefahren ist.« Sie gehorchten ohne Widerspruch. Arnold ging zum Quartierhaus. Ihn quälte die Frage, wer diese grauenhafte Tat begangen hatte. Ein Landstreicher? Kaum. In Mount Eden endeten alle Wege – abgesehen von dem wenig benutzten Pfad, der bis zu der früheren Farm Boulka führte, und von dort war Arnold eben selbst gekommen. Einen Wanderer hatte man hier noch nie zu Gesicht bekommen. Die Eingeborenen waren alle am Neales River, achtzig Kilometer nördlich von Mount Eden. Das nächste Städtchen, Loaders Springs, lag über sechzig Kilometer südwestlich und die nächste Farm fast hundertachtzig Kilometer entfernt, am Südende des Lake Eyre. Was blieb übrig? Fünf weiße Männer, die auf der Farm gefrühstückt hatten und von denen jeder einzelne, auch er selbst, ohne Wissen der anderen hätte zurückkommen und die Frau erschießen können. Und das Kind? Nein … Nein! Daran mochte Arnold nicht glauben. Linda hatten sie alle fünf sehr gern. Obgleich er wußte, daß er nichts finden würde, suchte er nun doch nach Fuß16
spuren von Fremden oder nach Fährten, die ungewöhnliche Bewegungen verraten mochten. Als er noch den harten Erdboden absuchte, trat Bill Harte zu ihm. Sie sahen sich wortlos an. Harte war klein und drahtig, hatte krumme Beine, eisernen Fäuste und ein verwittertes Gesicht. Seme Züge trugen die Merkmale verschiedener Rassen. Jetzt teilten sich seine schmalen Lippen, und er sagte: »Ich habe Eric getroffen, als ich zurückkam. Er hat es mir erzählt. Noch keine Spur von dem Kind?« »Nichts, Bill. Sieh du mal nach, du verstehst das besser als ich.« Sie gingen zu der Töten. Harte hob den Sack hoch. »Sie lief, als sie das Geschoß traf. Der Täter muß in der Tür gestanden haben. Wahrscheinlich wollte sie Linda in Sicherheit bringen. Das Kind muß in seinem Spielhaus gewesen sein, als es passierte. Da habt ihr natürlich schon nachgesehen, oder?« Arnold gab auf die unnötige Frage keine Antwort. Harte entfernte sich, er rannte beinah und suchte tief gebückt den Boden ab. Arnold, der ihn beobachtete, wurde klar, daß er als Fährtensucher im Vergleich zu Bill Harte ein Laie war. Was ließ sich jetzt noch tun? Mit der Leiche mußte etwas geschehen, denn sie lag schon mehrere Stunden im Freien. Nach dem Stand der Sonne schätzte Arnold, daß es etwa fünf Uhr war, also mußte Wootton bald zurück sein. Harte lief wie ein verstörter Hund um die Nebengebäude, von den anderen Männern war noch keiner in Sicht. Ja, herumstehen nutzte nichts, er mußte etwas tun. Vielleicht kam der Boss erst, wenn es schon dunkel war. Arnold holte aus der Werkstatt einige Holzpflöcke und einen Hammer, Die Pflöcke trieb er um die Tote herum in die harte Erde, um die Konturen festzuhalten, dann wischte er die Ameisen von ihrem Körper, drehte sie herum und blickte eine Weile in das schmerzverzerrte Gesicht und die geweiteten Augen, die ihm deutlich sagten, wie sehr sie sich gegen den Tod gewehrt hatte. 17
Ohne Anstrengung hob Arnold Bray die Tote vom Boden, trug sie in ihr Schlafzimmer und legte sie auf das Bett, wo er sie mit einem Laken zudeckte. Sie war eine brave Frau gewesen, ihm an Bildung überlegen. Er hatte sie verehrt und geachtet. Er fragte sich, warum sie ermordet worden war, doch bald erschien es ihm sinnlos, darüber nachzudenken. Ohne zu wissen, warum, ließ er die Jalousie hinunter und ging durch die ganze Wohnung, um sämtliche Vorhänge zuzuziehen. Bill Harte rief von der Haustür. Mit neuer Hoffnung ging Arnold zu ihm und war wieder bitter enttäuscht, sobald er Bill in die Augen sah. »Komm mit«, sagte Harte rauh. »Du sollst es nachprüfen.« Er ging voraus. An der Rückseite des Kühlhauses blieb er stehen und betrachtete aufmerksam den Boden. »Was siehst du hier?« fragte er schließlich. Arnold entdeckte zuerst nichts außer der Fährte eines Hundes, doch dann erkannte er immer deutlicher auf der hellroten Erde größere Fußspuren. Es waren die Abdrücke eines Männerstiefels, ungewöhnlich deshalb, da kein Absatz zu erkennen war. »Diese Abdrücke mußt du schon irgendwo gesehen haben«, behauptete Bill. »Möglich, aber ich wüßte nicht, wo«, gab Arnold zurück. »Jedenfalls sieht es so aus, als stammen sie von einem laufenden Mann. Keine Absätze zu erkennen. Ich weiß, Ole Fren Yorky hat so einen Gang, als laufe er ständig im Trab. Es sind seine Fußspuren.« »Ja, es sind Yorkys.« »Aber er ist doch in der Stadt und macht eine Sauftour.« »Kann nicht sein. Diese Fußabdrücke sind erst wenige Stunden alt. Stimmt das, was Eric mir von dem Funkgerät und dem Telefon gesagt hat?« Arnold nickte und erklärte plötzlich sehr energisch: »Ich werde mit dem Lastwagen dem Boss entgegenfahren, er muß gleich wieder in die Stadt zurück, die Sache bei Polizeiwachtmeister 18
Pierce melden und noch Leute mitbringen, damit wir mit der Jagd auf Yorky beginnen können. Yorky hat Linda mitgenommen – wenn er sie nicht auch ermordet hat. Wir müssen ihn fassen, und zwar so schnell wie möglich. Wenn er Linda getötet hat, laßt ihn ja nicht in meine Nähe.«
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ohn Pierce von der Polizeidienststelle Loaders Springs traf zusammen mit dem Arzt gegen neun Uhr abends auf der Farm ein. Es war eine schwarze Nacht, die Sterne waren verhüllt von den Staubwolken, die der Sturm den ganzen Tag hochgewirbelt hatte. Bevor der nächste Morgen dämmerte, waren auf Mount Eden ein neues Funkgerät und ein neuer Telefonapparat installiert, und bald nach Sonnenaufgang erschienen Autos und Lastwagen, aus denen ›Nachbarn‹ von Mr. Wootton stiegen. Ihre Farmen lagen etwa achtzig, hundert und hundertsechzig Kilometer von Mount Eden entfernt. Um die gleiche Zeit ritten Männer von anderen Farmen aus, um über ein weites Gebiet die möglichen Fluchtwege des Mörders von Mrs. Bell und des Entführers ihrer Tochter unter Bewachung zu halten. Der Mann, den sie Ole Fren Yorky nannten, war im englischen Yorkshire geboren und schon als Fünfzehnjähriger nach Australien gekommen. Er übertraf an Buschkenntnis alle in diesem wilden Gebiet aufgewachsenen Männer und sogar die eingeborenen Fährtensucher. Seine Fußspuren entdeckte man bei dem von den Eingeborenen verlassenen Lager, knapp zwei Kilometer von Mount Eden entfernt, sowie neben dem Kühlhaus, nicht weit 19
von der Küchentür des Wohnhauses. Beide Stellen waren windgeschützt. Yorky besaß eine 11-mm-Winchesterbüchse, und das Geschoß, mit dem die Frau getötet worden war, stammte aus einer Waffe desselben Kalibers. Die Männer rätselten über das Motiv, doch wichtiger war zunächst, Linda Bell zu finden, lebend oder tot. Ihr Schicksal war von höchster Bedeutung, denn solange das Kind nicht tot aufgefunden wurde, hatten die Verfolger noch Hoffnung. Der erste Eifer der Jäger ließ allmählich nach, doch sie forschten verbissen weiter. Die Eingeborenen verloren das Interesse. Sie wollten sich bei der Suche von den weißen Männern nicht treiben lassen. Vielleicht waren sie überzeugt, daß Yorky mit dem Kind schon weit über die Grenzen ihrer uralten Stammesgründe hinaus war. Die Schar der Weißen schrumpfte zusammen, denn dieser und jener waren gezwungen, wieder heimzureiten, um unaufschiebbare Arbeiten auf dem eigenen Hof zu verrichten. Drei Tage, nachdem Polizeiwachtmeister Pierce Wootton informiert hatte, daß die amtlichen Nachforschungen eingestellt worden seien, erfuhr er, daß nun ein anderer Polizeibeamter den Fall übernehmen werde. Wootton hatte inzwischen Sarah, eine Frau aus dem Lager der Eingeborenen, als Köchin und ihre Tochter Meena als Hausmädchen in Dienst genommen, so daß die Tage auf der Farm bald wieder im alten Gleis verliefen. Jetzt war es Meena, die das große Tablett mit Mr. Woottons Frühstück auf den Wohnzimmertisch setzte. Er sagte heiter »Guten Morgen«, und Meena erwiderte, so scheu und spröde wie immer, die Begrüßung. Meena war Anfang Zwanzig. Sie hatte nicht mehr das ungeschickt Eckige der jugendlichen Eingeborenen. Da sie nicht reinrassig war, hatte sie eine honiggelbe Haut und große Ähnlichkeit mit dem Vater, die besonders aus den grauen Augen sprach. Sie trug ein Kleid aus buntem Stoff und eine schneeweiße Schürze. Ihr glattes schwarzes Haar war tief im Nacken zu einem Knoten 20
gebunden, und so war sie eine wahre Zierde des Hauses, was Mr. Wootton auch sehr wohl zu schätzen wußte. Sie sprach langsam, noch gebrochen, aber ganz passabel. »Old Canute sagen, daß ich Ihnen bitten um Tabakvorschuß. Er zuviel Murtee geben, und Murtee sagen, er es nehmen für Zahnschmerz von Old Sam.« »Sam und Zahnschmerzen!« rief Mr. Wootton. »Der muß seinen letzten Zahn schon vor fünfzig Jahren verloren haben.« »Old Sam verloren letzten, bevor Meena geboren, aber Old Canute sein Tabak ist alle. Er sagen, wenn Mr. Wootton nicht geben, vielleicht Mr. Wootton dann machen einen Handel.« »Einen Handel! Erkläre, Meena.« »Canute sagen, wenn Sie ihm geben Tabak, er erzählen wichtige Sachen.« »Oh«, murmelte Mr. Wootton. »Klingt mir wie Erpressung. Weißt du denn, was er mir zu erzählen hat?« »Ja, Mr. Wootton, Meena weiß.« »Und du willst es mir nicht sagen, wenn ich nicht dem alten Gauner Tabak verspreche?« Der strenge Ausdruck im Gesicht des Farmers schüchterte Meena etwas ein, sie begann zum erstenmal mit den Füßen auf dem Linoleum zu scharren. Sie sprach nur drei Worte, mit denen sie ihre Lage unabänderlich klar bezeichnete: »Canute ist Boss.« Wootton kannte die Eingeborenen zwar nicht gut, er wußte aber so viel über die Macht und den Einfluß der Stammeshäuptlinge, um zu verstehen, daß das Verhalten des Mädchens ganz natürlich war und sie jetzt nur als Unterhändlerin zwischen Canute und ihm auftrat. Sein Blick verlor die Strenge. »Schön, Meena, ich bin zu einem Handel bereit. Schenk mir eine Tasse Kaffee ein.« Das Mädchen tat es, trat etwas vom Tisch zurück und sagte: »Old Canute sagen, daß bald großer Polizeimann kommen.« Auch jetzt machte Mr. Wootton keine spöttische Bemerkung. »Woher weiß Canute das?« fragte er ruhig. »Ich habe vor kaum 21
einer Stunde mit Polizeiwachtmeister Pierce telefoniert, und er hatte keine Ahnung, daß ein anderer Polizeibeamter herkommen soll. Canute sagt das nur aufs Geratewohl, Meena. Das ist den Tabak nicht wert.« »Er und Murtee ganze Nacht bei kleines Feuer sitzen«, sagte Meena ernst. »Kleines Feuer, nur die zwei Männer. Keine Lubra da.« »Aber du warst doch da, wie?« »Ich bin nicht Lubra.« »Glaubst aber an die Zauberei?« »Canute Häuptling, Murtee Medizinmann.« Wootton spürte, daß für sie nun das Thema erschöpft war. »Ich werde den Tabak auf Vorschuß geben, Meena. Sage Canute, daß er bei der nächsten Ration weniger kriegt. Und Charlie und Rex sollen wieder zum Arbeiten kommen. Wir müssen Vieh ausmustern. Die beiden haben lange genug gebummelt.« Meena blickte auf den Sitzenden hinab, sah ihm offen in die Augen und spürte die große magnetische Kraft des weißen Mannes. Als Wootton tags darauf in Loaders Springs Pierce gegenüber die Sache mit dem Tabak erwähnte, beurteilte der Polizeibeamte sie weniger skeptisch und meinte nur, für einen Priem Tabak sei das eine gut ausgedachte Geschichte. Indessen hatten die Eingeborenen genau richtig prophezeit. Drei Tage später saß kurz vor Sonnenaufgang Inspektor Napoleon Bonaparte an eine der Kiefern gelehnt, von denen aus man die ganze Farm Mount Eden überblicken konnte. Und unten auf der Pferdekoppel befanden sich ein Reitpferd und ein Packpferd, die ihn vor zwei Stunden aus dem Süden hergebracht hatten. Vor Napoleon Bonaparte lag der einstige See mit seinen Kaps, seinen Buchten und Flußmündungen. Sein Ufer erstreckte sich weit nach Süden und Norden, die gleichmäßig glatte, stille Schlammfläche reichte bis zum Horizont. 22
In der Tiefe seines zähflüssigen Schlammes ruhen die Gebeine riesenhafter Reptilien und die Skelette unzähliger Vogel. An dem buchtenreichen Ufer liegen, vom Treibsand zugedeckt, die Schalen von Krebsen und Muscheln, von denen sich die schwarzen Vorfahren vom Stamm des alten Canute einst ernährten. Die riesige Pfanne des Lake Eyre liegt größtenteils unter dem Meeresspiegel. Abgesehen vom Westrand der Pfanne, wo die wenigen Züge in Nordrichtung nach Alice Springs fahren, ist das Gebiet kaum erschlossen. Hier leben insgesamt knapp zweihundert Weiße und ungefähr hundert Eingeborene. Die Flüsse fließen bergauf, wenn sie Wasser haben – ungefähr alle zehn Jahre einmal. Sanddünen schweben in der Luft, und Känguruhs hüpfen von Wolke zu Wolke. Der Horizont ist niemals dort, wo er sein sollte. Ein Baum sieht einmal aus wie ein kleiner Strauch, ein andermal wie ein Funkmast. Ein gewaltiges Reptil, das sich auf einem Hügel sonnt, wird schließlich als kleine Eidechse erkannt, die auf dem abgestorbenen Ast eines halb vom Sand verschütteten Baumes sitzt. In diesem Land der Fata Morgana waren ein Mann und ein Kind verschwunden. Der Fall stellte für Polizeiwachtmeister Pierce ein ungeheures Problem dar, und Bony, der fünf Wochen nach dem Verbrechen eintraf, mußte zugeben, daß Pierce und die vielen anderen Weißen, die sich an der Suche beteiligten, vernünftig gehandelt hatten. Ein trügerisches Land, das aber keinen von diesen Männern täuschen konnte … Der Mensch muß essen und kann in den heißen Sommermonaten nicht einen Tag ohne Wasser leben. Er darf sich hier ohne Trinkwasservorrat keine tausend Meter fortwagen. Außer auf den Farmen gab es nach elf regenlosen Monaten nur wenige Wasservorkommen. Jede vorhandene Wasserstelle mußte von den erfahrenen Männern ständig beobachtet werden. Wenn Ole Fren Yorky noch lebte – woran vorläufig kein Zweifel bestand –, 23
dann hatte er damit, daß er die besten Wüstenkenner bisher zu täuschen vermochte, eine beachtliche Leistung vollbracht. Die Männer hatten sich bei der Suche nach den beiden verschwundenen Personen wie Goldsucher verhalten, die nur am Boden schürften. Nun mußte Bony, ob er wollte oder nicht, die Rolle des Bergbauingenieurs übernehmen, der unter der Oberfläche dieses trügerischen Geländes graben sollte. Er überdachte noch einmal die Lage und ging dabei von den konkreten Tatsachen aus. Eine Frau war erschossen worden, ihre Tochter entführt. Ein Mann, der am Morgen des Verbrechens beobachtet worden war, hatte wenige Meter vom Tatort entfernt Fußabdrücke hinterlassen. Als der Verdächtige zuletzt gesehen worden war, hatte er eine Winchesterbüchse, Kaliber elf Millimeter, bei sich gehabt. An dem Tag des Verbrechens war es sehr stürmisch gewesen, doch die Spuren, die man entdeckt hatte, befanden sich an windgeschützten Stellen und waren nicht verweht. Der Mann mit dem Kind hatte bereits zwanzig Stunden Vorsprung gehabt, als der erste Suchtrupp ausschwärmte, und dem Inspektor war er fünf Wochen voraus. Die Suche war bisher erfolglos geblieben. Niemand hatte eine auf die Beschreibung passende Person gesehen, Fußspuren eines Mannes oder Kindes, einen Lagerplatz, oder sonst etwas Verdächtiges entdeckt. Wenig Tatsachen – viele Vermutungen. Eine davon lautete, daß nicht Yorky die Frau getötet und das Kind entführt hatte, sondern daß einer der fünf Weißen von der Farm an dem Tag zurückgekehrt sei und vor Yorkys Augen und mit dessen Gewehr die Frau erschossen habe. Er habe dann Yorky und das Kind gezwungen, mit ihm zu gehen, und beide getötet, die Leichen begraben, um so den Verdacht auf Yorky abzuwälzen. Die Adler wußten die Antwort, auch die Krähen. An diesem Morgen flogen die Adler tief und erspähten den Fremden, der unter den Kiefern saß. Die Krähen waren nicht minder interes24
siert, gaben aber schnell ihr Spähen auf, als sie merkten, daß dieser Mensch nicht tot war. Sie beobachteten jedoch neugierig die Pferde des Fremden und die zwei Frauen, die aus der Gegend des Eingeborenenlagers langsam zum Gutshof schlenderten. Als Rauch aus einem Schornstein des Wohnhauses aufstieg, schritt Inspektor Bonaparte von dem Hügel hinab zur Farm.
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V
on allen dreiundvierzig Stammesangehörigen hatte nur Sarah keine Angst vor Canute, und daß sie aufgrund ihrer Erziehung den Medizinmann Murtee fürchtete, wurde selten erkennbar. Sie war zu einem Fünftel weiß, zu vier Fünftel schwarz und verdankte ihrem weißen Urahn nichts weiter als einige weichere Linien in dem schwarzen Gesicht und einen ausgeprägten Sinn für Humor. Es wird erzählt, daß sie Canute vor seiner Erblindung einmal ausgelacht habe, als er in Wut geriet. Er soll, einen Knüppel schwingend, auf sie losgegangen sein, doch sie entriß ihm seine Waffe, schlug ihn bewußtlos, blieb vor ihm stehen und schüttelte sich vor Lachen, weil er plötzlich so still war. Als Canute sie später mit dem Bann des Schweigens bestrafen wollte, soll sie ihm in den Bauch getreten und herzlich gelacht haben. Jetzt, da Sarah die Küche im Verwaltungsgebäude führte, kam sie wie Meena jeden Morgen schon früh herüber und begann um sechs mit der Arbeit. Ihre erste Aufgabe war die Zubereitung des Morgentees, den Meena Mr. Wootton brachte, der um diese Zeit am Telefon saß und sich mit seinen Nachbarn unterhielt. 25
An diesem Morgen, als das Herdfeuer schon brannte, das Wasser in dem breiten Kessel zu brodeln begann und Meena das Wohnzimmer aufräumte, trat ein Mann in die Küche, den Sarah noch nie gesehen hatte. Sie betrachtete sein hageres braunes Gesicht, die dunkelblauen Augen, den lächelnden Mund, die schneeweißen Zähne, das saubere weiße Hemd, die braune Gabardinehose und sagte: »Männer nicht erlaubt hier. Was wollen? Frühstück nicht fertig noch.« »Ich bin hier erlaubt«, erklärte der Fremde. »Bin überall erlaubt. Hast du den Morgentee schon aufgegossen?« Er setzte sich unaufgefordert an den blankgescheuerten Tisch, streckte die Beine aus und lächelte Sarah wieder an, die nicht wußte, ob sie sich freuen oder zornig werden sollte. Die blauen Augen waren es, die sie so unsicher machten, aber auch die Stimme. Meena erschien. Sie blieb in der Tür vom Wohnzimmer stehen. Sarah schwenkte den Teetopf, den sie am Henkel und an der Tülle festhielt, tüchtig hin und her, damit der Tee-schneller zog, und fragte: »Sie Polizeimann, he?« »Ja. Und du wußtest, daß ich komme?« Sarah nickte, stellte den Teetopf auf die Herdplatte und nahm Tassen und Untertassen von der Anrichte. Der Boss war jetzt vergessen: Sie bediente zuerst den Fremden. Als sie vor ihm stehenblieb, trat Meena neben sie, und Bony sagte: »Du bist Sarah. Und du Meena. Ich werde einige Zeit hierbleiben. Ist Mr. Wootton schon aufgestanden?« »Er da drin sitzen und warten auf Tee«, erwiderte Meena, um Sarah an ihre Pflichten zu erinnern. »Wie du heißen?« »Napoleon Bonaparte. Wenn wir Freunde werden wollen, kannst du mich Bony nennen. Aber zunächst melde bitte Mr. Wootton, daß Inspektor Bonaparte da ist.« »Inspektor Bonaparte«, wiederholte Meena kichernd, legte eine Hand an die Brust, schob ihren Bauch vor und kicherte noch mehr. Sarah starrte sie an und stieß sie mit dem Ellenbogen kräftig in die Rippen. Das Kichern hörte auf, Meena holte tief Luft 26
und meinte: »Ich dachte, du alt sein, mit graue Haar und ein … ein finstere Blick. Du verheiratet?« »Mr. Wootton will ich sprechen … Melde ihm sofort, daß ich hier bin«, verlangte Bony ernst. Meena lächelte ihm zu und schritt mit wiegenden Hüften ms Wohnzimmer. Als sie einen Blick über die Schulter zurückwarf, seufzte Sarah. »Oh, diese Meena!« Doch ihr breites Gesicht drückte Stolz und Zärtlichkeit aus. Meena kam zurück und nickte Bony zu, daß er eintreten könne. Als er an ihr vorbeiging, hob er ihr Kinn hoch und sagte: »Wenn ich Mount Eden wieder verlasse, wirst du nicht mehr so keß sein.« Der Farmer stand mitten im Zimmer. In der einen Hand hatte er eine Tasse, in der anderen einen Zwieback. Er wirkte erstaunt. Sein Haar war locker nach hinten gekämmt, und sein Schnurrbart hatte die Schere nötig. »Inspektor Bonaparte?« fragte er und betonte dabei den Titel. »Was für ein Inspektor?« »Kriminalinspektor, Mr. Wootton«, gab Bony liebenswürdig zurück. »Es scheint, daß ich nicht überall bekannt bin.« »Wir wissen gar nichts von Ihnen. Auch der Polizeiwachtmeister von Loaders Springs hat keine Ahnung.« »Den habe ich gebeten, nichts zu wissen«, erklärte Bony gelassen. »Ich komme sogar zehn Tage später als vorgesehen, ein Fall in Bouila hat mich aufgehalten.« »Im Südwesten von Queensland? Wie sind Sie hergekommen?« »Zu Pferd. Ich mußte zwischen zwei Mordfällen Zeit zum Nachdenken haben. Hier sind meine Ausweise.« Wootton stellte die Tasse ab, legte den Zwieback auf den Tisch und beugte sich vor, um auf die geöffnete Brieftasche zu blicken und das Schreiben zu lesen, demzufolge Bonaparte beauftragt war, in der Mordsache Mrs. Bell zu ermitteln. Die Stirn gefurcht, richtete Wootton sich wieder auf und starrte in die blauen Augen, die das dunkle Gesicht so auffallend beherrschten. 27
»Sie haben doch nichts dagegen, daß ich mich mit Pierce in Verbindung setze?« »Durchaus nicht. Nebenbei bemerkt: Ihre Köchin hat mir eine Tasse Tee eingeschenkt, die ich auf dem Küchentisch stehengelassen habe. Darf ich?« »Meena!« rief Mr. Wootton. »Bring für Inspektor Bonaparte eine Tasse Tee und Zwieback.« Meena kam mit dem Tee. Bonys Augen waren auf das Funkgerät gerichtet. Mr. Wootton stand am Telefon, das an der Wand hing. Anstelle der bisherigen Heiterkeit zeigte Meenas Gesicht jetzt eine merkwürdige Wachsamkeit, und für Sekunden musterte sie die schlanke Gestalt mit den kräftigen Schultern und der straffen Haltung, ehe sie sich entfernte. Bony überflog gerade die Titel der etwa hundert Bücher auf den Regalen neben dem Funkgerät, als Wootton sagte: »Pierce erklärt, daß er Sie erwartet hat und daß er, Ihrem Wunsch gemäß, niemandem von Ihrer bevorstehenden Ankunft ein Wort gesagt hat. Und trotzdem wußten es die Schwarzen! Das Mädchen hat mir schon vor drei Tagen gesagt, daß ein hoher Polizeibeamter herkommen würde. Ist nicht zu verstehen – oder?« »O doch«, entgegnete Bony. »Die haben ja ihre Nachrichtenmittel. Rauchsignale, Telepathie. Damit habe ich erst in Boulia wieder zu tun gehabt.« »Wo es um den Mord an dem eingeborenen Viehhirten ging? Davon habe ich gehört. Haben Sie den Täter gefaßt?« »Natürlich.« »Sonst wären Sie wohl nicht hier?« »Gewiß. Ich bringe jeden Mörder zur Strecke, sobald ich eine Spur habe.« »Ich fürchte, auf die Spur unseres Mörders werden Sie nicht kommen, Inspektor. Der Wind hat sie verwischt, außer an zwei Stellen, und der Mord geschah vor einem Monat.« »Ich hatte nur bildlich gesprochen.« 28
»Oh! Na, ich kann Ihnen jedenfalls versichern, daß ich – daß wir alles tun werden, um Ihnen behilflich zu sein … Was schlagen Sie vor?« »Mir ist von dem Verbrechen auf Mount Eden gewissermaßen nur das Skelett bekannt. Die Tat zu rekonstruieren wird einige Zeit dauern, wenn ich bedenke, welchen Ruf Wachtmeister Pierce genießt und wie gründlich er schon vorgearbeitet hat. Da Sie mich um Vorschläge gebeten haben: ein Zimmer, ein Bad und ein Frühstück.« »Selbstverständlich. Meena! Ich werde das Zimmer für Sie gleich herrichten lassen. Wo sind Ihre Sachen?« »Auf dem Packpferd, draußen auf der Koppel.« »Gut. – Meena! Sag Charlie, er soll Inspektor Bonapartes Sachen vom Packpferd hereinbringen. Und sorge dafür, daß das Eckzimmer für den Inspektor schnell in Ordnung gebracht wird. Sarah soll ein Frühstück extra machen. Und, Meena, daß du mir nicht mit Charlie herumschäkerst!« Meena entfernte sich lächelnd. Sie war sichtlich beeindruckt und stiller geworden. »Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Inspektor: Nach Ihrer Ankunftszeit zu urteilen, müssen Sie sehr früh aufgebrochen sein.« »Kann man wohl sagen, Mr. Wootton. Bin über die Straße von Birdsville gekommen, dann mit dem Postauto bis Marree gefahren, habe dort den Zug nach Coward Springs erreicht, wo ich mich mit Wachtmeister Pierce in Verbindung setzte und mir Pferde ausborgte. Ich ritt dann nordwärts und sah mir die Gegend unterhalb des Lake Eyre ein bißchen an. Als heute früh die Sonne aufging, machte ich mir Gedanken über die Vergangenheit der Eingeborenen. Anthropologie hat mich schon immer interessiert.« »Manchmal wünsche ich auch, ich hätte das Fach studiert« sagte Wootton. »Ich bin nämlich noch keine fünf Jahre hier und sammle noch meine ersten Erfahrungen mit dem Land und den 29
Eingeborenen. Aus denen werde ich nicht klug, hoffe aber, eines Tages wenigstens das Land richtig zu kennen.« »Das werden Sie nie, es ist noch niemandem gelungen. Übrigens, können Sie Ihre Leute tagsüber entbehren?« »Ja. Ich hatte ihnen schon ihre Arbeit zugeteilt, aber die kann warten.« »Besten Dank. Wäre es möglich, sie nach dem Frühstück irgendwo zu versammeln, wo ich mit ihnen reden kann?« »Selbstverständlich. Mein Büro ist groß genug.« »Nett von Ihnen. Ich werde versuchen, Sie so wenig wie möglich zu behelligen. An dieser Seite des Lake Eyre wäre mal Regen nötig. Wann hat’s hier zuletzt geregnet?« »Vor fünf Monaten. Wir brauchen Regen, gewiß, aber das Weidefutter reicht noch aus. Haben Sie oben in Queensland etwas von Überschwemmungen bemerkt?« Bony konnte zu dem, was Wootton schon durch den Rundfunk wußte, nichts hinzufügen, außer seiner persönlichen Ansicht, daß vielleicht das Hochwasser vom Cooper’s Creek und vom Warburton River den Lake Eyre erreichen würde. Der Farmer merkte, daß dieses Thema seinem Gast jetzt ebenso unerwünscht war wie ihm selbst, und führte Bony ins Fremdenzimmer. Beim Frühstück kam Bony auf Yorkys merkwürdigen Beinamen zu sprechen. »Ach, das!« meinte Wootton lachend. »Das liegt schon Jahre zurück, jedenfalls vor meiner Zeit. Ich glaube, Yorky ist im ganzen Hinterland als Original bekannt. War ein ganz tüchtiger Kerl, wenigstens früher, als er noch bei Verstand war. Kein guter Reiter und für das Vieh ganz ungeeignet, aber in trockenen Zeiten konnte man ihn bei den Pumpstationen oder auf Patrouille gut gebrauchen. Er gehört zu den Leuten, die monatelang gut arbeiten und dann plötzlich mit ihrer ganzen Löhnung in die nächste Stadt abhauen. Nachdem er mal wieder in Loaders Springs seinen Lohn 30
versoffen hatte, kam er mit seinem Bündel hierher gewandert, um sich bei meinem Vorgänger zu verdingen. Dann verschwand er wieder, und man hörte nichts mehr von ihm, bis der Wachtmeister von Loaders Springs – damals noch nicht Pierce – hier anrief und meldete, daß Yorky bei den Eingeborenen unten am Fluß lebe und fragen lasse, ob der Besitzer von Mount Eden ihn dort nicht herausholen wollte. Sie wissen ja, den Weißen ist es gesetzlich verboten, bei den Eingeborenen zu leben. Na, jedenfalls ritt der damalige Besitzer – Murphy hieß er – zum Lager. Er traf dort nur den Häuptling Canute und ein paar von den Frauen, auch Sarah, die jetzt für uns kocht. Da sie etwas kultivierter war als die übrigen, rief er sie aus der Hütte und sagte: ›Ich habe gehört, ihr habt einen weißen Mann im Lager. Sag ihm, er soll sofort herauskommen.‹ Sarah bestritt, daß ein Weißer bei ihnen lebe; schließlich erklärte sie: ›In meinem Camp nix weiße Mann, bloß Ole Fren Yorky.‹ Es ergab sich, daß ihr ›alter Freund‹ Yorky, durch den vielen Alkohol ganz entkräftet, im Lager aufgetaucht war und Sarah ihn gesund gepflegt hatte.« »Deshalb also Ole Fren Yorky«, meinte Bony belustigt. »Wie alt mag er sein?« »Läßt sich schlecht schätzen«, erwiderte Wootton. »Ich würde sagen, Anfang Sechzig.« »Hat er auch bei Ihnen gearbeitet?« »O ja. Er ist mit seinem letzten Lohn drei Wochen, bevor er Mrs. Bell erschoß, verschwunden. Er machte wieder einmal eine Sauftour, und ich sah ihn selbst im Lager der Eingeborenen, von denen allerdings keiner da war.« »Erklären Sie mir bitte näher, wie Sie Yorky fanden!« »Ich fahre aus alter Gewohnheit jede Woche einmal nach Loaders Springs, und zwar stets am Donnerstag. So auch am Unglückstag. Gegen halb zehn brach ich auf. Ungefähr einen Kilometer von hier ist ein Gattertor zwischen den Weiden, nach einem weiteren Kilometer kommt man zu einem Bach. Er ist meistens ausgetrocknet und führt nur nach schweren Regenfäl31
len Wasser. Aber ganz in der Nähe gibt es ein Wasserloch, das eigentlich nie austrocknet. Wie ich hörte, haben dort die Eingeborenen seit Generationen ihr Stammquartier. Murphy ließ das Wasserloch einzäunen, um das Vieh fernzuhalten, und ich selbst habe mich um die Eingeborenen und ihre Wasserstelle nie gekümmert. Als ich an jenem Morgen dort vorbeifuhr, sah ich Yorky vor einem kleinen Feuer hocken und Tee aus einer Marmeladendose trinken. Ich wunderte mich, daß er dort kampierte, da er ja nur etwas mehr als zwei Kilometer bis zur Farm zu gehen brauchte. Deshalb hielt ich an und fragte ihn, was los sei. Er behauptete, krank zu sein, und so sah er auch aus. Er hatte damit gerechnet, die Eingeborenen bei der Wasserstelle zu finden, und wollte sich wieder von Sarah pflegen lassen. Er bat mich um etwas Whisky – nur um einen kleinen Schluck zur Aufmunterung, wie er sagte. Ich hatte eine volle Flasche im Wagen, gab ihm einen ordentlichen Schluck und sagte, er solle zur Farm gehen und sich von Mrs. Bell etwas zu essen geben lassen. Das wollte er tun, und ich fuhr weiter. Als ich nach ein paar Minuten in den Rückspiegel blickte, war er schon aufgebrochen. Er hatte ein Bündel auf der Schulter und das Gewehr umgeschnallt.« Bony schob seinen leeren Teller zurück und zog die zweite Tasse Tee zu sich heran. »Was für einen Eindruck machte er auf Sie?« »Er wirkte ganz normal, fand ich«, antwortete Wootton. »Allerdings war er ein bißchen zittrig, nachdem er sich drei geschlagene Wochen mit Alkohol vollgepumpt hatte. Der Schluck, den er von mir bekam, hat ihn gewiß etwas aufgeputscht, aber kein Mensch kann mir einreden, daß die paar Tropfen Whisky ihn so um den Verstand gebracht haben, daß er Mrs. Bell niederschoß und mit dem Kind verschwand. Das kann ich überhaupt nicht begreifen.« »Wird schon werden«, meinte Bony und drehte sich eine Zigarette.
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ootton ließ die vier weißen Männer ins Büro rufen und gab Charlie und den anderen Eingeborenen den Tag frei. Da die vier die Einrichtung des Zimmers gut kannten, fiel ihnen gleich die in großem Maßstab gehaltene Landkarte von Mount Eden auf, die an der Wand hinter dem Schreibtisch befestigt worden war. Wootton saß in seinem Schreibtischsessel, Bony stand rauchend neben dem Tisch und wirkte beinahe träge. Die vier Männer setzten sich und sahen Bony gespannt an. Offenbar ahnten sie noch nicht, was vor sich gehen sollte. »Wie Sie alle wissen«, begann Bony, »sind schon mehrere Wochen vergangen, seit Mrs. Bell erschossen und ihr Töchterchen entführt wurde. Vor fünf Wochen verschwanden ein Mann und ein kleines Kind; beide haben Sie viel besser gekannt als ich. Nach jenem Tag haben Sie sich zusammen mit vielen anderen Menschen an der Suche nach Ole Fren Yorky beteiligt. Sicherlich konnten Sie beurteilen, wie groß die Chancen waren, zwei Menschen in einem Gebiet zu entdecken, das manchem Außenstehenden wie eine Welt ohne Grenzen erscheinen muß, in der leicht fünfzig oder hundert Personen spurlos verschwinden können. Infolgedessen werden Sie mir beistimmen, daß für Yorky die Chance, zu entkommen oder sich irgendwo zu verstecken, von Anfang an gut war. Die Jäger hatten vier Könige in der Hand, Yorky aber vier Asse. Habe ich nicht recht?« 33
»Kann sein, kann auch nicht sein«, meinte Arnold zweifelnd. »Meiner Meinung nach hat Yorky das alles gar nicht geplant. Der war viel zu oft betrunken, um große Pläne machen zu können. Wie ich schon sagte und immer noch glaube: Dem müssen die Eingeborenen geholfen haben.« »Da Polizeiwachtmeister Pierce wußte«, fuhr Bony fort, »daß Yorky mit den Eingeborenen auf sehr vertrautem Fuß stand und daß sie zu dieser Zeit alle am Neales River waren, schickte er sofort ein paar Leute los, die in das Gebiet reiten und Yorky diesen Rückzugsweg abschneiden sollten. Als die Lastautos für die Fährtensucher am Neales River eintrafen, wurde festgestellt, daß sich sämtliche Eingeborenen dort aufhielten. Wie Sie sagten, Mr. Bray, hat Yorky den Mord bestimmt nicht geplant. Es wäre demnach eine Affekthandlung gewesen.« »Und dann hatte er eben das Glück, die vier Asse in seiner Hand zu entdecken«, unterbrach ihn der wettergestählte Bill Harte. »Erstens kennt Yorky das Land besser als wir alle zusammen, und zweitens kann er sich ausgezeichnet in die Mentalität der Eingeborenen hineinversetzen. Er hatte einen Menschen ermordet, ehe er sich’s versah. Er wußte, daß wir alle draußen waren und bis zum Nachmittag höchstwahrscheinlich niemand auf die Farm zurückkam. Mrs. Bell hat er erschossen, aber das Kind zu töten brachte er nicht fertig. Also war er gezwungen, Linda bei sich zu behalten, weil sie Zeuge des Mordes war. Er konnte nun also nicht rennen, sondern sozusagen nur humpeln. Als er dann seine Karten studierte, fand er, daß er bessere hatte als alle anderen.« Harte, der mit dem Rücken an der Wand auf dem Fußboden saß, drehte sich eine Zigarette, während Bony wartete, daß er weitersprach. »Als er Mrs. Bell erschossen hatte«, begann der Mann mit dem unbestimmbaren Alter wieder, »da wußte er ja, daß er ein riesiges Fluchtgebiet vor sich hatte. Außerdem war ihm bekannt, wo sich die Eingeborenen aufhielten, nämlich ungefähr achtzig Ki34
lometer nördlich von hier. Da er das Kind nicht töten wollte, hatte er gute Aussichten, unbehelligt von hier wegzukommen. Wie ich bereits sagte, kennt er die Eingeborenen besser als wir. Daher wußte er auch, daß sie auf jeden Fall seine Fährte aufnehmen und ihn finden würden, selbst wenn seine Spur nur aus Staub in der Luft bestand. Ferner war ihm klar, daß sie ihn fassen würden, wenn er das Kind tötete, ihn aber laufenlassen würden, wenn er es nicht tat. Das waren seine guten Karten.« »Die Eingeborenen haben Linda also gern gehabt?« fragte Bony. »Aber klar. Wie wir alle.« »Die Eingeborenen haben aber doch versucht, Yorkys Fährte zu finden!« hielt Wootton ihm entgegen. »Das stimmt schon«, gab, Harte zu, der jetzt wieder zur Tür ging, um auszuspucken. »Und was passierte? Nun, sie waren oben am Neales, lebten von Eidechsen und Fliegen und waren halb verhungert. Schön, man brachte sie hierher, sie kriegten alle ein anständiges Stück Fleisch, Mehl und Tabak, damit sie richtig in Schwung kamen. Anstatt sich für Eidechsen oder die Frauen ihrer Stammesbrüder zu interessieren, sollten sie jetzt Jagd auf Yorky machen. Aber haben sie denn wirklich Jagd auf Yorky gemacht? Ich bezweifle das. ›Der gute alte Yorky‹, haben sie sich bestimmt gesagt, ›wir werden ein bißchen Ausschau halten, das Rindfleisch vom Boss essen und seinen Tabak rauchen.‹ Sicher haben sie versucht, Yorky aufzuspüren, wie Sie eben sagten, Mr. Wootton. Aber nicht, weil sie Yorky wegen Mrs. Bell haßten. Sie haben wie die Bluthunde alle Spuren verfolgt, um sich zu überzeugen, daß Yorky nicht auch Linda getötet und ihre Leiche irgendwo vergraben hat. Und sobald sie sich sagen konnten, daß Yorky nicht so dumm gewesen war, sondern das Kind mitgenommen hatte, da verloren sie das Interesse und hörten schließlich ganz auf. Yorky hat seine Chancen klar erkannt, als er mit Linda floh.« »Und er wird weiter die Trümpfe behalten, solange er Linda Bell am Leben läßt?« fragte ihn Bony. 35
»Ganz recht. Solange er Linda bei sich hat, macht er das Spiel.« »Aber du glaubst immer noch, daß die Eingeborenen nicht wissen, wo er ist?« fragte Eric Maundy gedehnt. »Ja, ich glaube, sie wissen es nicht, Eric. Um das festzustellen, müßten sie ja arbeiten, ihnen dürfte es genügen, zu wissen, daß Linda in Sicherheit ist. Und inzwischen wird Charlie hinter Meena herlaufen, und Canute wird sich im Nacken kratzen, weil er zu alt ist, sie zu nehmen, wenn sie ihm auch seit ihrer Geburt zugesprochen ist. Man muß eben die Eingeborenen kennen, Eric.« »Das soll wohl heißen, daß du sie kennst?« sagte der junge Harry Lawton spöttisch. »Wenn du meinst, sie besser zu kennen, gib eine bessere Erklärung«, riet ihm Arnold in ziemlich scharfem Ton. »Falls wir Ihre Theorie zugrunde legen«, warf Bony ein, »woher nimmt dann Yorky die Nahrung für sich und das Kind?« »Von seinen Lagerplätzen«, erwiderte Harte. »Ihnen ist vielleicht nicht bekannt, daß Yorky, bevor er zu seiner Sauftour aufbrach, hier als Weidereiter tätig war.« »Stimmt«, ergänzte Wootton. »Die Grenzzäune rund um die Farm sind bis auf das Stück, das zum Seegrund reicht, ungefähr Zweihundertvierzig Kilometer lang. Yorky ritt die Strecken auf Kamelen ab und hatte etwa alle dreißig Kilometer einen Lagerplatz, jeder zweite lag bei einer Wasserstelle.« »Und in diesen Lagern befanden sich Vorräte«, warf Harte ein. »Mehl und Tee und Zucker in Büchsen und Dosen mit Corned beef und Fisch. Ich habe ihn früher mal gefragt, ob die Schwarzen sich nicht an seinen Vorräten und dem Tabak vergreifen, und er behauptete, ihn würden sie niemals bestehlen.« Bony studierte die Wandkarte mit dem Farmgebiet und sagte zu Wootton: »Bitte zeichnen Sie die Lager ein, und machen Sie die mit den Wasserstellen besonders kenntlich.« Dann wandte er sich an Harte. »Was befindet sich jenseits der Umzäunung?« 36
»Nichts. Offenes Gelände, außer im Süden und im Südosten.« »Gibt es dort Wilde?« Harte schüttelte den Kopf. »Nein, die trifft man erst oben bei der Simson-Wüste, und auch da sind sie nicht mehr so barbarisch wie früher.« »Und das Land – ist das nach Norden und Westen zu überall so trocken?« »Genauso wie hier in der Nähe. Wir haben seit Monaten keinen Regen gehabt, und der letzte fiel zur falschen Zeit. Immerhin gibt es Wasser, wenn man weiß, wo man es suchen muß. Wasser in Löchern oben am Neales, auch unter dem Schlammgrund des Sees, wenn man es vertragen kann.« »Hm. Scheint, wir kommen etwas voran.« Bony musterte sie alle der Reihe nach. »Ich möchte darum bitten, daß jeder von Ihnen auf der Karte die Stelle ankreuzt, wo er an dem Tag war, als Mrs. Bell erschossen wurde, und angibt, wann er am weitesten von der Farm entfernt war. Kann ich einen Blaustift haben, Mr. Wootton?« Die Männer kamen seiner Bitte nach. Dann sagte Bony: »Wie ich hörte, sind Sie alle vier schon viele Jahre in diesem Teil Australiens, weit länger als Mr. Wootton. Sie haben mir wertvolle Hilfe geleistet, und ich bitte Sie mich auch weiterhin zu unterstützen. Es ist schön, daß Sie glauben, Linda lebt noch, und daß Sie ihre Rettung über alles stellen. Ich hätte eine so große Bereitschaft zur Mitarbeit gar nicht vorausgesetzt, bestünde nicht die Möglichkeit, das Kind zu retten. Sie werden sich darüber klar sein, daß bei einem Rettungsversuch dem Kind ernste Gefahr seitens des Mannes, der es entführt hat, drohen kann. Möglich, daß er es tötet, um sich selbst zu retten. So ist es von größter Wichtigkeit, genau zu wissen, was für ein Mensch er ist – oder war, bevor er Mrs. Bell erschoß. Lassen Sie uns zuerst überlegen, weshalb er die Tat begangen haben mag. Hat er jemals zum Ausdruck gebracht, daß er Mrs. Bell nicht leiden konnte?« 37
»Ich habe nie so etwas gehört«, erklärte Arnold. »Er war ein harmloser armer Teufel. Sprach nie, wenn er nicht angeredet wurde. Man mußte schon mit ihm allein sein und ganz vorsichtig mit ihm sein, sonst ging er überhaupt nicht aus sich heraus. Mit Linda und den Kindern der Eingeborenen konnte er sich allerdings recht lebhaft unterhalten.« »Hat er, wenn er betrunken war, von Frauen gesprochen?« »Nein.« »Hat Mrs. Bell je gesagt, sie könne ihn nicht leiden, oder hat sie scharf über ihn geurteilt?« »Ganz im Gegenteil, Mrs. Bell mochte ihn, glaube ich, sogar gern. Sie hat mehr als einmal seine Hemden geflickt.« »Nachdem er sie selbst gewaschen hatte«, fügte der junge Harry Lawton kichernd hinzu. »Das hätte sie für jeden von uns auch getan.« »Du bist ja ein so feiner Herr, daß du alte Hemden, die geflickt werden müssen, gar nicht hast«, sagte Eric gedehnt. »Sie hat auch nie Linda verboten, sich mit Yorky zu unterhalten?« fragte Bony weiter. »Das glaube ich nicht, dazu hatte sie keinen Grund, so harmlos, wie er war.« »Yorky muß nicht bei Sinnen gewesen sein, als er sie erschoß«, erklärte Eric mit Nachdruck. »Gut. Dann wollen wir mal über seine Beziehungen zu den Eingeborenen sprechen«, schlug Bony vor. »Sie sagten, er habe ihnen nahegestanden. Inwiefern? Lebte er mit einer ihrer Frauen?« Harry Lawton brach in schallendes Gelächter aus, doch ein zorniges Aufleuchten in Arnolds grauen Augen brachte ihn sofort zum Schweigen. Und die Antwort gab Bill Harte. »Hören Sie zu, Inspektor. Yorky war älter als ich. Nicht viel, aber immerhin. Ich erinnere mich noch, wie er vor ungefähr fünfunddreißig Jahren hier in die Gegend kam. Hübsch war er nicht gerade, aber ein kleiner, zäher Bursche. Und Schulbildung hatte 38
er nicht viel mehr als Meena und Charlie und die anderen Eingeborenen, die mal in der Missionsschule gewesen sind. Sicher, er konnte Zeitung lesen und die Berichte über Pferderennen verfolgen, aber über Ameisen und vieles andere in der Natur wußte er mehr ils wir alle zusammen, und er lernte auch rasch, mit Kamelen umzugehen, als er später vor Pferden Angst bekam. Und für Frauen batte er, glaube ich, nicht mehr übrig als die meisten von uns hier draußen. Er hat mal ein paar Nächte in Loaders Springs mit einer verbracht. Einige Leute behaupten, er hätte manchmal sein Lager bei Sarah aufgeschlagen, und er soll gelegentlich auch eine junge Lubra bei sich gehabt haben, doch das ist schon lange her.« Harte ging wieder zur Tür und spuckte aus. »Ich möchte damit folgendes sagen: Yorky hatte mehr Interesse, Ameisen und Vögel zu beobachten, als sich über Pferde und Rinder zu unterhalten, wie wir es gewohnt sind. Er holte sich schwarze Kinder und ließ sich von ihnen die Tiere zeigen. Zu ihm ging jedes Kind gern, vor mir nehmen sie alle Reißaus. Allmählich kam er den Eingeborenen näher, doch ich glaube nicht, daß er damit eine bestimmte Absicht bezweckte, nämlich um sich an die Lubra heranzupirschen. Die Eingeborenen interessierten ihn ebenso wie die Ameisen. Er kaufte ihnen auch manchmal was und spendierte ihnen Tabak.« »Ich habe ihm mal gesagt, er soll doch ein Buch über sie schreiben«, warf Harry Lawton ein. »Er versteht von ihnen mehr als jeder Professor.« »Das hätte er auch gekonnt, wenn er seine Zeit nicht so vergeudet hätte«, stimmte Harte zu. »Na ja, nun wissen Sie über Ole Fren Yorky Bescheid. Wie er zu diesem Namen gekommen ist, haben Sie wohl schon gehört.« »Ja. Und was Sie erzählt haben, paßt ganz zu dem, was ich bereits über ihn weiß«, erwiderte Bony, der sich über den Tisch beugte und auf einem Zettel etwas notierte. »Es macht den Eindruck, als habe Yorky durch den vielen Alkohol die Kontrolle 39
über sich verloren. Sonst hätte er Mrs. Bell wohl nicht erschossen. Würden Sie sagen, daß er geistig nicht ganz auf der Höhe war?« »Nein«, erwiderte Arnold mit Überzeugung. »Und doch war er nicht … Mir fehlt der richtige Ausdruck. Er erinnerte mich an einen meiner Neffen in Adelaide. Der lief immer ziellos allein durch die Gegend, während die anderen Kinder spielten und Unfug trieben. Als er älter wurde, ging er wie im Traum seiner Wege. Aber er hatte Köpfchen, und wurde schließlich ein erstklassiger Werbegraphiker in einem Verlag in Sydney. Nein, Yorky ist nicht dumm gewesen, das war schon daran zu erkennen, wie er Poker spielte.« »Er war, wie man so sagt, ein ganz gerissener Fuchs«, bemerkte Lawton hierzu. »Er ließ sich nie in die Karten blicken.« »Demnach will es Ihnen allen schwer in den Kopf, daß Ole Fren Yorky Mrs. Bell erschossen haben soll?« fragte Bony. »Es ist schon so«, meinte Arnold, während die anderen zustimmend nickten, »manchmal kann ich es einfach nicht glauben.« »Wissen Sie genau, daß es seine Fußspuren sind, die Sie entdeckt haben?« »Aber natürlich! Da könnte ich mich gar nicht täuschen«, erklärte Harte. Bony reichte Arnold den Zettel und sagte: »Wenn wir Yorky gefunden haben, werden wir das alles erfahren. Mich interessiert vor allem das Motiv, aber auch, wie er sich aus dem Staub gemacht hat.« Arnold nickte Harte zu und verließ mit ihm das Büro. Die drei anderen Männer sahen ihnen erstaunt nach. Dann räusperte sich Wootton, und er wollte gerade zu sprechen anfangen, als ihn ein Geschrei vor der Tür zum Verstummen brachte. In der Tür erschienen die zwei Männer und schleiften eine sich wütend sträubende Frau ins Zimmer.
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aß mich los, Arnold Bray, laß mich los, ich sage!« schrie Sarah. Sobald sie ganz im Zimmer war, lösten Bray und Harte den Griff um ihre Arme und verstellten ihr die Tür. »Sie hat draußen gestanden und gehorcht«, meldete Arnold. »Ich nur sitzen in Schatten, bin ’raus aus heiße Küche!« rief Sarah, und Wootton wollte sie schon ins Gebet nehmen, da sagte Bony beschwichtigend: »Nun, das ist nicht weiter schlimm, Sarah. Gewiß ist hier schöner Schatten, aber das Wohnhaus wirft auch Schatten bei der Küchentür, und dort habe ich vor einer Stunde einen hübschen Stuhl stehen sehen. Da gehst du hin und läßt dich gemütlich nieder. Oder, wie wäre es mit einer Tasse Tee?« Wieder wollte Wootton als Boss ein Wort mitreden, doch Bony winkte ab. Als Sarah Napoleon Bonaparte ansah, lächelte sie plötzlich. »Himmel, Tee ich ganz vergessen.« Sie nickte Bony zu, drehte sich um, betrachtete finster die anderen Männer und lief aus dem Büro. »Nun, was halten Sie davon?« fragte Wootton, der vor Ärger rot geworden war. »Hat bestimmt gehorcht. Sie hätten sie zwingen sollen, uns zu erklären, warum sie das getan hat, Inspektor!« »Bei diesen Menschen kann man mit Zwang überhaupt nichts erreichen«, gab Bony kühl zurück. »Daß sie gelauscht hat, ist natürlich merkwürdig, aber ich glaube nicht, daß es etwas zu bedeuten hat. Wir müssen bedenken, daß sie mit Yorky sehr be41
freundet war und sein Schicksal ihr so wichtig ist wie uns. – Ich glaube, Sie können jetzt gehen«, wandte er sich an die Männer. »Vielleicht besprechen wir uns heute nachmittag oder abends noch einmal alle. Ist Ihnen das recht?« Sie waren einverstanden. Als sie hinausgingen, fragte der junge Lawton: »Würden Sie uns vielleicht erklären, warum wir da auf der Karte einzeichnen sollten, wo wir am Tage des Mordes gewesen sind?« »Aber gern«,entgegnete Bony. »Das ist reine Routinesache. Nachdem Mr. Wootton abgefahren war, hätte jeder von Ihnen zurückkommen, Mrs. Bell erschießen, das Kind fortbringen und es auch töten können. Sogar Sie, Mr. Wootton, wären dazu durchaus in der Lage gewesen.« »Ich meine aber: Wie ist es da mit Yorky? Der war doch an dem Morgen auf dem Wege hierher«, sagte Lawton beharrlich, während die ändern rasch nickten. »Wie ich eben sagte, es ist reine Routine, daß man festzustellen versucht, wo sich jeder einzelne während der vermutlichen Tatzeit aufgehalten hat. Ich glaube, auch Polizeiwachtmeister Pierce hatte schon um die entsprechenden Angaben gebeten, was er in seinem Bericht vermerkt haben wird.« »Der hat ein ganz schönes Theater gemacht«, gab Lawton zu. »Sieht ja so aus, als wären wir alle unter Mordverdacht.« »Pierce hat richtig gehandelt«, fuhr Bony geduldig fort. »Sie müssen die Sache so betrachten: Keiner von Ihnen hat einen Zeugen, der bestätigen kann, was Sie während der Tatzeit getan haben. Keiner außer Mr. Wootton hat Yorky bei dem alten Lager der Schwarzen gesehen. Fest steht nur, daß Harte die Fußspuren von Yorky hinter dem Kühlhaus entdeckt und sie Arnold Bray gezeigt hat, der sie ebenfalls erkannte. Fest steht auch, daß Pierce einen Gipsabdruck von den Fußspuren gemacht hat. Bevor man Yorky unter Anklage stellen kann, müßte durch die Gipsabdrücke bewiesen werden, daß die fraglichen Spuren tatsächlich von ihm stammen, mit anderen Worten: daß er an dem Vormittag 42
auf der Farm gewesen ist. Ein guter Polizeibeamter, und das ist Pierce, überläßt nichts dem Zufall.« »Das ist einleuchtend«, meinte Wootton. »Also dann Schluß jetzt, ihr habt heute arbeitsfrei, und wenn euch noch etwas Besonderes einfällt, wird der Inspektor es sicher gern mit uns durchsprechen.« Während sie über den Hof zu ihren Quartieren schlenderten, ertönte der Gong zum Frühstückstee. Sie machten kehrt und begaben sich in den Speiseraum. Meena servierte Bony und seinem Gastgeber auf der Veranda des Gutshauses Tee und Butterbrötchen, und als sie sich zurückgezogen hatte, stellte Bony über sie einige Fragen. Er erfuhr, daß es wenige Kilometer von Loaders Springs eine Kirche mit Missionsschule gab, wo Eingeborene, Erwachsene wie Kinder, aufgenommen wurden. Zahlreiche Kinder blieben freiwillig ganz dort, gerade weil keinerlei Zwang ausgeübt wurde. Man lehrte sie die Grundbegriffe im Zeichnen und Malen, Korbflechten, Nähen und Holzschnitzen, und sie halfen dafür dem Missionar und seiner Frau in Stall und Garten. »Ich bin mal nachmittags dort gewesen und war ganz erstaunt, was die Kinder im Unterricht zustande brachten«, sagte Wootton. »Und wie schön sie singen konnten. Ich war noch neu hier und kannte die Gegend nicht, deshalb fragte ich den Geistlichen, was aus den Kindern würde, wenn sie die Schule verließen. Er sagte mir: ›Oh, die Jungen gehen auf die großen Viehfarmen, und die Mädchen verdingen sich für Hausarbeit in der Umgegend, das heißt, wenn es ihnen Spaß macht. Wir geben uns die größte Mühe, aber wenn sie uns verlassen, holt ihre Sippe sie zurück!‹« »Das kann ich verstehen«, meinte Bony. »Immerhin scheint sich Meena als Hausmädchen vorzüglich zu bewähren.« »Ja, im Haus ist sie gut, aber weder sie noch Sarah mögen über Nacht dableiben, und man weiß nie, ob sie morgens wiederkommen. Das Mädchen kann ebenso gut nähen und flicken wie Mrs. Bell, und Charlie ist ein vorzüglicher Holzschnitzer.« Wootton streckte seine kurzen Beine aus und zündete sich die Pfeife an. 43
»Sie müßten mal die Puppen sehen, die er für die kleine Linda geschnitzt hat. Eine sieht aus wie Ole Fren Yorky, und eine ist mein Konterfei, könnte man sagen. Die dritte, die Mrs. Bell darstellen soll, ist nicht so gut gelungen. Am besten ist meiner Ansicht nach die Puppe Meena. Wenn Sie wollen, gehen wir mal hin und sehen sie uns an. Sie sind alle drüben im Spielhaus.« »Ja, die möchte ich gern sehen. Das Spielhaus haben Ihre Leute gebaut? Dabei fällt mir ein: Hat Linda sich tagsüber oft dort aufgehalten?« »Ja, oft, Inspektor«, gab Wootton nachdenklich zurück. »Eigentlich braucht man sich nicht zu wundern, daß wir das kleine Ding sehr lieb hatten. Sie hat uns jeden Sonntagnachmittag zum Tee in, ihr Häuschen eingeladen. Hatte ihr eigenes Service, den Tee kochte ihre Mutter. Ich bin öfter hingegangen. Als Besucher mußten wir uns auf die Erde setzen, und Linda reichte uns von ihrem Stuhl aus die Tassen und die Teller mit Brötchen und Gebäck zu, während wir Männer übertrieben höflich und manierlich mit ihr plauderten, so daß sie sich wie eine kleine Dame fühlte.« Wooton seufzte. »Gerade an dem letzten Tag bekam ich noch den Auftrag, für sie eine Schachtel Schokoladestangen und Taschentücher aus der Stadt mitzubringen.« Nach einigen Minuten begaben sie sich zu Lindas Schilfrohrhaus. Es war auffallend, wie gut die dickgeflochtenen Wände alle Geräusche von draußen abschirmten. Bony war am Eingang stehengeblieben. Er betrachtete die Einrichtung und sah sofort, daß gewisse Gegenstände anders placiert waren, als Pierce es ihm beschrieben hatte. Und Wootton rief auch schon: »Nanu, von den Puppen fehlen ja zwei! Die saßen auf dem obersten Brett vom Bücherbord. Und die Geschenke? Der Kamm und der Karton mit den Taschentüchern sind auch fort. Was hat das zu bedeuten?« »Wann haben Sie die Sachen zuletzt gesehen?« fragte Bony. »Oh, vor vierzehn Tagen ungefähr. Die Leute wollten hier aufräumen, weil sie meinten, es wäre nett, wenn Linda bei der Rückkehr alles ordentlich vorfände. Ich erhielt von Pierce die 44
Genehmigung dazu, und dann haben sie sich gleich an die Arbeit gemacht: ausgefegt, das Fenster geputzt, die Puppen nebeneinander auf das Brett gesetzt und die Geschenke auch dort hingelegt. Ich werde sie mal kommen lassen.« Bony hörte Wootton über den Hof rufen. Er war ganz betrübt, weil er das Fehlen der persönlichen Atmosphäre in dem Raum so stark empfand. Der Tisch und der kleine Stuhl, die Bücher, der alte Koffer und das als Anrichte dienende Tischchen mit der farbenfreudigen Chintzdecke erinnerten nur wenig daran, daß einmal glückliches Leben dieses niedliche runde Häuschen erfüllt hatte. Er wurde das sonderbare Gefühl nicht los, hier als Störenfried eingedrungen zu sein. Schon kamen Wootton und seine Männer in den engen, ihnen so vertrauten Raum und sahen sich um. »Ole Fren Yorky und Meena sind tatsächlich auf Wanderschaft!« entfuhr es Harry Lawton. »Und die Taschentücher und der blaue Kamm fehlen auch«, sagte Eric langsam, dem vor Zorn die Luft wegzubleiben schien. »Die Schokolade haben sie liegengelassen. Hätten auch nichts davon gehabt, weil sie bei der Hitze sofort schmilzt.« Harte trat ruhig vor und betrachtete das oberste Brett des Bücherbords. Seine Stimme klang kalt. »Wer war zuletzt hier drin?« fragte er. »Ich habe am Sonntag voriger Woche hereingesehen, da waren noch alle Puppen da, genau in der Reihenfolge, wie wir sie hingesetzt hatten. Ich weiß, daß Meenas Kopf so herumgedreht war, als ob sie den Boss anblickte. Die Puppen sind nicht erst gestern oder vorgestern weggeholt worden, denn wo sie gesessen haben, liegt schon dicker Staub.« Sie redeten hin und her und grübelten und wurden sich schließlich darüber klar, daß der letzte, der in das Spielhaus geblickt hatte, Bill Harte gewesen war, und zwar vor neun Tagen. Alle entsannen sich, daß die Puppen auf dem Brett gesessen und 45
die Geschenke, die Linda an dem Tage bekommen sollte, auch noch dort gelegen hatten. »Die verflixten Schwarzen haben hier eine Razzia gemacht«, rief Lawton. »Das werden wir sofort ermitteln«, bestimmte Eric. »Kommt, wir wollen das mit dem alten Canute ausmachen. Der wird dafür sorgen, daß der Dieb die Sachen herausrückt, sonst …« »Mir wäre es lieber, wenn man das mir überließe und in Hörweite von Sarah und Meena nicht darüber sprechen würde«, sagte Bony in einem ungezwungenen, doch energischen Ton. »Sehen Sie jetzt bitte nach, was sonst noch fehlt. Vielleicht Bücher oder etwas aus dem Schränkchen da?« Arnold überprüfte die Bücher und schüttelte den Kopf. Er hob den Vorhang von der kleinen Anrichte, unter der ein Service aus feinem Porzellan und ein Kästchen mit buntem Wollgarn und Strickzeug zu sehen waren. Wieder schüttelte er den Kopf und ließ den Vorhang fallen. Eric rief: »Warte mal, Arnold, wegen der Tassen und so weiter …« Eric hob nochmals den Vorhang. Dann richtete er sich auf, wartete einen Augenblick, ob jemand dasselbe entdeckt hatte wie er, und sagte dann unnötig laut: »Es waren sechs Tassen und sechs Untertassen, und jetzt sind es bloß noch fünf. Seht es euch an: Ein Gedeck ist gestohlen.« Einige fluchten, und Bony sagte: »Weitersuchen, damit wir genau wissen, ob noch mehr fehlt.« Puppen, um ein kleines Mädchen zu trösten – eine Porzellantasse, damit es nicht aus einem Blechbecher oder einer Konservenbüchse trinken mußte. Taschentücher und einen blauen Kamm hatte man mitgenommen, nicht aber die Schachtel Schokolade, die nun von der Hitze verdorben war. Die Kinder der Eingeborenen hätten auch die Schokolade in diesem Zustand nicht liegengelassen … »Ihre Kurdaitschaschuhe«, knurrte Bill Harte, »die scheinen auch nicht hier zu sein.« 46
Ins Spiel kam ein Fabelwesen, der sagenhafte Kurdaitschamann, der nachts wandert und, um keine Spuren zu hinterlassen, an den Füßen Emufedern trägt, die mit Blut angeklebt sind. Harry Lawton gab die Suche auf und berichtete Bony, daß Charlie ein Paar ganz ähnliche Schuhe für Linda gemacht hatte. »Ja, die hübschen Dinger sind auch weg«, erklärte Arnold. »Waren schön mit Federn geschmückt und hatten Muster, die mit heißem Draht eingraviert waren. Sogar der alte Murtee hätte solche Schuhe für seine Sammlung von Zaubersachen gebrauchen können.« Schließlich waren sich alle darin einig, daß nichts fehlte. Eric schlug noch einmal vor, sich den Häuptling Canute vorzuknöpfen, doch Arnold war damit nicht einverstanden, da Inspektor Bonaparte es nicht wünschte. Es war auffallend, wie schnell die Männer ihre zunächst abwartende Haltung Bony gegenüber aufgegeben hatten; inzwischen begegneten sie ihm voll Respekt. Wie schon so viele andere vor ihnen, vergaßen sie unter dem Eindruck seiner faszinierenden Augen, seiner Stimme und seines Auftretens, daß er kein reinrassiger Weißer war. »Es ist oft klüger«, sagte er gerade, »über das Motiv einer Handlung nachzudenken, als über die Handlung selbst. Die Tatsache zum Beispiel, daß Sarah eben gelauscht hat, ist vielleicht weniger wichtig als das Motiv, das sie dazu verleitete. Und so verhält es sich auch mit den Sachen von Linda Bell, die verschwunden sind. Wer sie geholt hat, interessiert mich nicht so sehr wie die Frage nach dem Grund. Vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht die Kinder der Eingeborenen gestohlen haben oder jemand, der sie Kindern geben wollte.« »Ich glaube zu verstehen, was Sie meinen, Inspektor«, bemerkte Wootton. »Nämlich, daß jemand die Sachen zu Linda gebracht haben könnte, einerlei, wo sie mit Yorky sein mag.« »Ein Beweis also, daß Linda noch lebt«, fügte Arnold befriedigt hinzu. 47
»Daß sie die Sachen zum Spielen haben wollte!« rief Eric hoffnungsvoll. »Möglich, daß Yorky selbst hier war und sie geholt hat.« »Dann hätten wir seine Spur entdeckt«, sagte Arnold. »Nicht, wenn er letzten Samstag oder gestern vor acht Tagen gekommen ist«, widersprach Bill Harte. »An den beiden Tagen hatten wir verdammt starken Wind, das wißt ihr ja.« »Mir kommt es wahrscheinlicher vor, daß. einer von den Eingeborenen sie gestohlen hat, um sie Yorky zu bringen«, meinte Wootton. »Also kommen wir doch wieder auf die Eingeborenen zurück!« krähte der junge Lawton. »Jawohl, die Eingeborenen«, bestätigte ihm Eric. »Aus denen holen wir schon heraus, wer die Puppen gestohlen hat – und was damit geschehen ist. Worüber lächeln Sie denn so, Inspektor?« »Ich überlege eben, wer hier eigentlich der Detektiv ist und denke an eine Möglichkeit, auf die Sie bisher nicht gekommen sind und die wir allen Ernstes prüfen sollten. Wir könnten nämlich auch annehmen, daß jemand die Puppen und die anderen Dinge gestohlen hat, um uns glauben zu machen, daß Linda noch am Leben ist. Wir tappen zwar noch im dunkeln, und doch sollten wir diese Möglichkeit ernstlich mit in Erwägung ziehen.« Bestürzt wandten sich alle ihm zu, und einer blickte den anderen fragend an. Bony ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Denken Sie an das, was ich über die Spuren sagte, die auf Yorky schließen lassen. Solange wir keine Beweise haben, können wir nur vermuten, daß sie von ihm stammen, müssen aber ebensogut in Betracht ziehen, daß jemand sie gefälscht hat, der wohl weiß, daß die meisten Menschen das sehen, was sie gern sehen möchten. Kriminalisten müssen denken können. Ich persönlich bin im deduktiven und induktiven Denken ausgebildet worden, und das sind, wie Ihnen gewiß bekannt ist, zwei ganz verschiedene Denkprozesse. Aber vielleicht wissen Sie das noch nicht, und gerade deshalb bitte ich Sie, die Eingeborenen nicht zu befragen 48
und beim Personal nichts verlauten zu lassen. Verstehen wir uns darin jetzt richtig?« Eric räusperte sich und nickte. Harry Lawton nickte auch, mit sturer Miene. Arnold schien zu grübeln, und in Bill Hartes wachsamen dunklen Augen lag Neugierde. Mr. Wootton blinzelte und gab die Antwort für alle: »Ich glaube, wir sehen klar, Inspektor Bonaparte. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir Ihnen nicht ins Handwerk pfuschen.« »Ich wußte, daß ich auf Sie bauen kann«, gab Bony liebenswürdig zurück.
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as Feuer war wie das zuckende, rote Auge von Ganba, der Großen Schlange. Hohe weiße Pfeiler standen rund um das feurige Auge, und zwischen diesen Pfeilern schwebten sanft die Töne der schnarchenden Ganba hervor, um den Schwarzen in gariz Australien zu verkünden, daß sie aus ihren Kammern unter der Erde gekommen war. Das Feuer brannte rötlich inmitten der weißen Eukalyptusbäume, die um das Wasserloch standen. Ganbas Schnarchen kam aus dem Dijeridoo, dem Stück eines hohlen Astes, dem ein Eingeborener, dessen Haar und Bart weiß waren, Töne entlockte. Auf seiner nackten Brust und dem Rücken trug er Narben in phantastischen Mustern und Zeichen. Lauschend starrten die Männer in Ganbas rotes Auge. Hinter ihnen saßen ihre Frauen, junge Mädchen und Kinder. Die Kleinsten schliefen oder beobachteten die Vorgänge mit verwunderten 49
Augen. Nur ab und zu bewegte sich eins der Kinder, so hingerissen lauschten sie den Klängen des Dijeridoo. Das Dijeridoo war dick wie ein Männerbein und so lang, daß sein Ende auf einer Platte aus Baumrinde hinter Canutes ausgestreckten Füßen ruhte. Das Mundstück war etwas kleiner als das untere Ende, aus dem diese seltsamen Laute kamen. Canute erzählte eine Geschichte, die zum erstenmal bekannt wurde, als der Lake Eyre noch Teil eines großen Meeres war. Es war einst eine Frau, so erzählte er, die lebte in einer Berghöhle, eine weiße Frau, die weithin schauen und die Vögel sprechen hören konnte. Sie hatte einen Sohn, der jung und schön war. Und es kam der Tag, an dem eine Schar Männer vom Stamme dieser Frau nach einem fernen Land wandern mußte, um magische Churingasteine gegen Speerschäfte zu tauschen. Diese Männer gingen nun zu der Frau und baten sie, sie möge ihren Sohn mit ihnen schicken, damit er ein Mann werde. Die Frau stimmte zu, und der Knabe zog mit den Händlern von dannen, und sie blieben lange fort, bis endlich die Frau, die besorgt vor ihrer Höhle saß und in die Ferne spähte, die Männer über einen Hügel kommen sah. Langsam und immer wieder zählte sie sie, und es fehlte einer. Die Händler berichteten ihr, es sei ein riesiger menschenähnlicher Vogel erschienen, der den Jüngling zum Himmel getragen und ihn zu seinen noch nicht flüggen Jungen in das Nest auf einem Steinhaufen geworfen habe. Sie selbst hätten sich in hohlen Bäumen verborgen und sich erst in der Dunkelheit wieder herausgewagt. Wie es die Sitte gebot, schnitten sich nun die Männer Zeichen der Trauer ins Fleisch, die Frauen zerfleischten sich die Brüste und klagten fünf Tage lang. Am sechsten Tag ließ die Frau die Händler vor ihre Höhle rufen. Sie sprach freundliche Worte zu ihnen, gab ihnen Honigameisen auf Palmblättern zu essen und süßes Wasser aus kleinen Schläuchen zu trinken. Und einer nach dem andern fielen sie um und sagten ihr, sie selbst hätten den 50
schönen Jüngling getötet, weil alle jungen Mädchen von ihm so entzückt waren, daß sie für andere keinen Blick mehr hatten. Die Händler starben, und die Frau zündete ein großes Feuer an, verbrannte ihre Körper und hob die Arme gen Himmel, und ein mächtiger Willi-willi brauste über die Erde und zermalmte die Knochen zu Staub. Erzählte Canute wirklich diese Geschichte? Wie kann man eine Geschichte anders erzählen als in Worten? Man mag einwenden, eine Geschichte lasse sich für Ohren, die hören können, auch in Musik erzählen, aber wer hätte sich wohl zu sagen getraut, daß das, was Canute da hören ließ, Musik sei? Einigen wir uns dahin, daß Canute die uralten Geschichten weitergab an die, welche Ohren hatten, zu hören, und den Verstand, alles richtig zu deuten. Denn aus dem Dijeridoo kam keine Melodie, kein Rhythmus und keine einzige Note, die man hierzulande annähernd als Musik bezeichnen würde. Inspektor Napoleon Bonaparte lauschte fasziniert der Geschichte von der Frau und dem schönen Jüngling. Keiner hatte bemerkt, daß er hinter einem der weißen Pfeiler stand. Neben Canute saß ein dürrer Greis, der die Arme auf die Knie gestützt und das Gesicht auf die gekreuzten Arme gelegt hatte. Bony entdeckte Sarah, die ein nacktes Kind stillte. Ihr Blick war völlig verzückt nach oben gerichtet. Meena war auch da, sie trug einen blauen Rock, ihr Oberkörper war nackt. Im milden Licht des Feuers schien die Haut ihrer jungen Brüste wie von goldenen Tautropfen bedeckt. Auch sie blickte in das rote Feuerauge. Der junge Mann, den Bony unter dem Namen Charlie kannte, saß ebenfalls da und ließ Meena nicht aus den Augen. Bony hatte mehr wahrgenommen als nur die großen Züge der Erzählung: Er hatte im Geist den über die Erde brausenden Willi-willi gehört und das Krachen und Klappern der Knochen, die dieser gewaltige Sturm zu Staub zermalmte. Er hatte die Höhle gesehen, sogar die Steine am Eingang, die große Frau und den Sohn, der den Hügel hinabeilte und sich so in die Hände von 51
Mördern begab. Bony hatte den Wind gespürt, in den Bäumen und im Gras. Er hatte einen gigantischen Vogel mit Menschenkopf vom Himmel herabstoßen sehen. Er war vor dem Bösen im Gesicht dieses Vogels zurückgeschreckt und erregt vor Freude, als er sich die vergifteten Lügner in ihren Schmerzen vorstellte. Er gehörte zur Hälfte zu den Weißen und zur Hälfte zu diesen Abkömmlingen der Urbewohner des Landes. Er hörte und sah die Bilder, weil er die Geschichte kannte, und vermochte deshalb den aus dem Dijeridoo kommenden Lauten zu folgen und sie zu deuten. Doch als dann Canute noch eine Geschichte erzählte, die ihm unbekannt war, halfen die Töne ihm nichts, sie erzählten ihm nichts, sondern schufen nur Bilder von ruhigem Wasser, von Tabaksträuchern im Wind und aufgewirbeltem Sand. Und noch eine Geschichte wurde erzählt, bei der er Bilder empfing, die in schnellem Wechsel manchmal verschwommen und zuweilen glasklar an ihm vorbeizogen. Er glaubte einen weißen Mann mit einer schweren Last zu sehen. Die Last war größer als der Mann selbst. Und später sah er einen weißen Mann auf Händen und Knien kriechen. Die Töne aus dem Instrument zogen einzeln an ihm vorüber. Ihm war, als hörte er Gelächter, Weinen oder ein unverständliches Flüstern. Er sah noch einen Mann, einen schlanken mit schwarzem glattem Haar und bleichem Gesicht. Er mühte sich, ihn zu erkennen, und erkannte ihn auch, während er nur wie durch einen Nebelschleier ein % Kind sah, dessen Haut weiß und dann plötzlich schwarz war und in dessen Armen sich ein Geisterkind schmiegte. Und noch ein Bild drängte sich ihm auf, blieb nur für den Bruchteil einer Sekunde und entfloh in die Dunkelheit. Er schloß die Augen. Es war das Bild von einem Gespenst, vor dem eine Frau davonlief, die auf dem Rücken ein Fragezeichen hatte. Und danach folgte er wieder dem Ablauf einer bekannten Geschichte von zwei jungen Eingeborenen, die das Nest eines Adlers ausraubten und von einem Wildhund mit Adlerkopf ergriffen 52
wurden, der sie zwang, ihn zu tragen, weil er einen Metallsplitter im Fuß hatte. Der letzte Ton eines Instruments wirkt durch die darauffolgende Stille besonders nach, so wie der in den Brunnen fallende Stein auf dem Wasserspiegel Ringe bildet. Da die Töne aus dem Dijeridoo verstummten, war dies für die Zuhörer eigentlich keine Pause, denn sie hörten nun noch im Geiste, was die Ohren nicht mehr aufnehmen konnten. Bony hätte nicht genau sagen können, wann das Dijeridoo verstummt war. Als er die Augen öffnete, sah er, daß sich Canute eine Zigarette drehte. Das Dijeridoo lag neben ihm auf der Erde, und die Zuhörer saßen noch still und wie gebannt. Er sah auch, daß Meena als erste wieder in die Wirklichkeit zurückfand und nach ihr eine Frau und ein Jüngling. Meena erhob sich und verschwand lautlos in den noch dunkleren Schatten einer Hütte, bevor die anderen von dem Bann loskamen. Und die, in deren Adern noch am reinsten das Blut der schwarzen Rasse pulsierte, wurden als letzte von Canutes Zauberbann frei. Bony lehnte sich an einen Baum und drehte sich eine Zigarette. Jemand warf Holz in das Feuer, das Ganbas rotes Auge war, während die in den Kreis der Männer aufgenommenen Jünglinge sich näher zu Canute und seinem ersten Gefolgsmann Murtee begaben. Bony zündete ein Streichholz an und hielt es an seine Zigarette. Die Männer am Feuer drehten sich bei dem Geräusch nach ihm um, nur der Medizinmann und der Häuptling nicht. Bony trat vor, aber die ebenholzschwarzen Gesichter blieben verschlossen und regungslos. Er schritt rechts um die Gruppe und setzte sich unmittelbar vor den Häuptling mit gekreuzten Beinen auf die Erde. In dunklen Augen, die glänzten, spiegelte sich der Feuerschein. Bony rauchte seine Zigarette. Keiner sprach, keiner rührte sich. Sie saßen da, als trenne sie eine tiefe Kluft. Langsam drehte sich 53
Bony noch eine Zigarette, und auch die rauchte er bis zum letzten Zug auf, ohne daß ein Wort fiel. Es waren siebzehn kräftige Männer, einige von ihnen waren sogar ausgesprochen fett. Canute trug eine Hose aus gutem Stoff, aber kein Hemd, Murtee hatte ein blaues Seidenhemd, eine Hose und Tennisschuhe an. Zwei rauchten Pfeife. Bony, der erkannt hatte, daß er den Anfang machen mußte, sagte: »Ihr seid vom Stamm der Orrabunna. Ich bin von den Worcair.« Daß seine Vermutung richtig war, wußte er, als Canute jetzt sagte: »Meine Mutter war vom Emu-Totem, und mein Vater war ein Jerboa. Ich bin ein Emu-Mann.« »Meine Mutter! Ihren Totem kenne ich nicht. Mein Vater war ein Weißer. Mein anderer Vater ist mein Bruder und mein Sohn, mein Onkel und mein Großvater. Er. hieß Illawallie und war Häuptling der Worcair. Die Zeichen des Stammes trage ich am Körper.« Canute stand auf und sagte: »Laß sie sehen. Ich will sie berühren.« Bony erhob sich auch und zog sein Hemd aus. Die Finger des alten Mannes verfolgten tastend die Narbenlinien auf Brust und Rücken. Dann befühlte er Bonys Gesicht und seine Finger bis zu den Spitzen. Bony zog sein Hemd wieder an, und sie setzten sich. »Vor langer Zeit hast du dich dem Worcairstamm verschworen. Nun bist du ein Polizist«, verkündete Canute. Nach langem Schweigen fragte er: »Was willst du von den Orrabunna-Männern?« »Zwei Geisterwesen, die Charlie Linda Bell gegeben hat.« Wieder versank Canute in Schweigen, und Bony wußte, daß jetzt der Medizinmann die Verantwortung übernehmen sollte. Murtee strich seinen dünnen grauen Bart, der ihm schlaff im Gesicht hing. »Ole Fren Yorky und Meena sind zum Himmel hinaufgegangen«, sagte er. »Mr. Wootton und Mrs. Bell nicht gut für Himmel, würden ihn zum Einsturz bringen.« 54
»Wer hat Linda aus dem kleinen Haus auf der Farm geholt?« »Kurdaitschamann. Ich kleines Feuer habe geschaut, und Kurdaitschamann mir das gesagt. Kurdaitschamann und Geist von Meena und Ole Fren Yorky sind im Himmel.« »Kurdaitschamann Lügner, was?« warf Bony ihm vor. »Öle Fren Yorky ist vielleicht oben im Himmel, aber Meena ist noch hier. Wie kommt es, daß der Kurdaitschamann nicht Meena zum Himmel mitgenommen hat, sondern nur ihren Geist?« Weiter sollte er nicht kommen. Zuerst stieß ihn Murtee, dann Canute über die Kluft, die die zwei Rassen trennte, zurück, und sie behandelten ihn nun wie einen Fremden aus dem Lager der Weißen. Murtee lachte, als mache ihm das Spaß, Canute lachte mechanisch mit. Die übrigen Männer lächelten und scherzten miteinander. Sie ließen ihre Zehen spielen, zogen die Schultern hoch und kratzten sich an den Armen. Sie waren auf der einen Seite der Kluft, und Bony auf der anderen, wo die weißen Männer stehen, die die Eingeborenen für lächerliche Barbaren halten. »Wie wäre es, wenn ihr die Puppen Mr. Wootton zurückgeben würdet, damit er sie für Linda aufbewahrt?« schlug Bony vor. Da lachte der greise Canute wieder laut und bestritt mit lächelnder Miene, daß jemand von seinem Stamm überhaupt die Puppen angefaßt habe. Und Murtee strich sich achselzuckend den Bart. »Charlies alte Puppen nicht in diese Camp«, sagte er und lachte grundlos. »Alte Puppen, sie gehören Linda. Vielleicht Linda eines Tages wieder zurück, sie dann ihre Puppen will.« Canute fiel beinah um, so sehr übertrieb er seine Heiterkeit, und die anderen taten es ihm nach. Bony lachte mit ihnen, was sie unruhig machte, da sie nicht sicher waren, ob seine Fröhlichkeit echt war oder nur Spott. Ihre Mienen wurden sofort ernst, als er sich zum Feuer vorbeugte, mehrere brennende Holzstücke herausgriff und sie mit den glühenden Enden aneinanderlegte, um ein eigenes Feuer zu entzünden. 55
Vor seinem kleinen Feuer saß er nun mit angezogenen Beinen, hatte einen Unterarm auf die Knie gelegt und rieb mit der anderen Hand seine metallene Tabaksdose an der Stirn hin und her, als gebrauche er einen zauberkräftigen Churingastein. Dann ließ er sein Gesicht auf den Unterarm sinken. Jetzt wurden sie sichtlich unruhig, denn es konnte ja sein, daß nun Bonys Geist den Körper verließ und oben im Himmel mit dem Kurdaitschamann sprach. Murtee flüsterte, und Canute tat dasselbe. Bony aber hob den Kopf und sagte, indem er auf den Medizinmann von Boulia verwies, wo er kürzlich ein Verbrechen aufgeklärt hatte: »Ein Mann in Boulia, Eruki heißt er, hat mir erzählt, daß er euch schon vor langer Zeit gemeldet hatte, daß ich nach Mount Eden komme. Also habt ihr mit Eruki im Himmel gesprochen. Wollt ihr nicht jetzt ebenso mit Ole Fren Yorky sprechen und ihm sagen, daß er Linda Bell wieder in ihr Haus zurückbringen soll? Ihr schwarzen Männer seid alle gute Männer, denn ihr habt nach Spuren gesucht. Also setzt euch jetzt hin und sprecht den Zauber, wie ihr Zauber gesprochen habt mit Eruki. Schick deinen Geist, Canute, und du deinen, Murtee, zum Himmel, und sprecht mit dem Kurdaitschamann. Sagt ihm, er soll herunterfahren in Ole Fren Yorky und ihm befehlen, daß er Linda zurückbringt.« Sie saßen da wie Statuen aus schwarzem Ebenholz, mit funkelnden Augen. Wie am Vormittag die fünf Weißen, ließ Bony jetzt auch die schwarzen Männer in Verwirrung zurück. Als er sich erhob, blickte er einem nach dem anderen in die flackernden Augen, dann verschwand er in der Dunkelheit der Nacht. So geräuschlos, wie er ins Lager gekommen war, entfernte er sich auch. Er war fast bis an den Fahrweg gekommen, als ein sonderbares Geräusch ihn veranlaßte, stehenzubleiben. Es folgte noch eines, das er sich nicht erklären konnte. Als er gebückt weiterging, sah er zwei Gestalten unter einem niedrigen Baum dicht am Wege: einen Mann und eine Frau, die Gesichter einander zugewandt. Sie hielten sich bei den Händen und bogen sich vor und zurück wie spielende Kinder. 56
Obwohl sie vor dunklem Hintergrund standen, hoben sich ihre Umrisse klar ab. Der Mann ließ die Hände der Frau los und streckte die seinen nach ihr aus. Er berührte die Brüste der Frau, die ausholte und dem Mann ins Gesicht schlug. Er lachte, obwohl der Schlag ziemlich schmerzhaft gewesen sein mußte, sprang vor und umarmte die Frau, die sich ihm zu entziehen versuchte. Bony schwenkte nach links ab und ging leise weiter.
8
A
ls Meena am nächsten Morgen das Frühstück servierte, bediente sie Wootton und Bony gewandt und ohne die geringste Unruhe oder ängstlichen Eifer. Obwohl sich ihre großen, dunklen Augen scheu jedem Blick entzogen, hätte man auch nicht sagen können, daß sie das absichtlich tat oder sich wegen der Teilnahme an den Vorgängen im Lager schuldig fühlte. Als sie in die Küche zurückgegangen war, fragte Wootton: »Wie sieht Ihr Programm für heute aus, Inspektor?« »Oh, ich muß mich mit Pierce in Verbindung setzen«, erwiderte Bony leichthin. »Vorher hätte ich aber gern noch mit William Harte gesprochen, ehe er vom Hof reitet. Hätten Sie etwas dagegen?« »Aber nein, ist schon recht.« Wootton wischte mit der Serviette über seinen Schnurrbart. »Wie ich gestern sagte, wollen wir Ihnen ja alle helfen, in jeder Weise. Haben Sie letzte Nacht im Eingeborenenlager nach den vermißten Puppen geforscht?« Die Frage lag nahe, da Bony fortgewesen war und sie vorher in Lindas Haus so viel über die Puppen gesprochen hatten. 57
»Ja«, antwortete Bony. »Ich habe mit Canute und seinem Medizinmann gesprochen und sie ohne Umschweife nach den Puppen gefragt. Beide behaupteten, nichts zu wissen. Keiner von ihrem Stamm könnte sie gestohlen haben.« »Es muß aber entweder einer von ihnen oder einer von uns fünf Weißen gewesen sein«, erklärte Wootton. »Seitdem Harte die Puppen zuletzt auf dem Wandbrett stehen sah, hat sich kein Mensch in die Nähe des Spielhauses begeben. Wie gestern jemand sagte, könnte Yorky ja zurückgekommen sein, um die Puppen zu holen, aber das wäre für ihn doch wohl zu riskant gewesen, finden Sie nicht? Und das hätten dann sicher auch die Schwarzen gewußt, oder?« »Auf beide Fragen kann ich mit Ja antworten.« »Dann glauben Sie also, daß die Eingeborenen wissen, wo sich Yorky versteckt hält?« »Ja und nein, Mr. Wootton.« Bony setzte mit seinem entwaffnenden Lächeln hinzu: »Sie sind noch nicht lange genug in diesem Lande, um zu wissen, daß die Geschwindigkeit hier zum Schneckentempo wird, während Schneckentempo Geschwindigkeit sein kann.« »Aber das Kind, Inspektor!« »Lindas Lage wird sich bisher weder verbessert noch verschlechtert haben. Gestatten Sie mir nun, daß ich ein paar Fragen stelle. Sagen Sie mir bitte, wann Mrs. Bells Leiche nach Loaders Springs geschafft wurde.« »Am Tag nach dem Unglück, also am achten Februar. Der Arzt nahm sie in seinem Kombiwagen mit. Begraben wurde sie in Loaders Springs.« »Fuhr der Arzt ab, ehe die Eingeborenen eintrafen, die Pierce im Lastwagen holen ließ, oder nachher?« »Er fuhr nach dem Mittagessen ab, und die Lastwagen kamen erst nach Sonnenuntergang wieder. Aber was soll das alles?« 58
»Immer mit der Ruhe, die Fragen stelle ich. Charlie hat die Puppenköpfe geschnitzt und sie bemalt. Wer hat die Kleider angefertigt?« Wootton furchte die Stirn, er schien unsicher zu sein. »Könnte ich nicht genau sagen«, erwiderte er. »Ich glaube, Mrs. Bell. Es kann aber auch Meena gewesen sein. Soll ich sie rufen?« »Ja, bitte.« Wootton rief nach ihr, ohne aufzustehen. Meena kam und blieb gelassen am Tisch stehen, als erwarte sie Befehle. »Meena, wer hat die Puppenkleider genäht?« »Ich.« »Alle?« Sie kicherte. Für einen Moment gruben sich ihre kleinen weißen Zähne in die Unterlippe, und in diesem Moment sah sie wirklich bildhübsch aus. Sie sagte: »Die Hose von Mr. Wootton und die Hose von Ole Fren Yorky nicht ich habe genäht. Zuerst ich, aber Linda sie nicht mögen, weil nicht zum Ausziehen, und dann Mrs. Bell neue machen und die prima.« »Und was wurde aus denen, die du genäht hattest?« fragte Bony. »Weiß nicht, was Linda damit machen.« »Wer hat die Puppen denn ausgestopft?« Meena kicherte wieder. »Ich zuerst und dann Linda und dann Mrs. Bell … nichts. Zuletzt Arnold sie füllen mit Sägemehl in Werkstatt.« »Und Charlie hat die Köpfe geschnitzt, sie angemalt und das Haar und die Barte angeklebt?« Meena nickte. Ihr Blick ruhte fest auf Bony. Er bestrich ein Stück Toast mit Butter. »Hat er sie geschnitzt zu einer Zeit, da er eigentlich für Mr. Wootton hätte arbeiten sollen?« »Nein. Wenn Arbeit auf dem Hof, dann gar keine Zeit. Er es machen, wenn keine Arbeit.« »Wieviel Geld hat er dafür bekommen?« 59
Bei dieser Frage veränderte sich ihr Gesicht: In ihren Augen blitzte es ärgerlich, als sie antwortete: »Überhaupt nichts! Charlie arbeiten um … umsonst … für Meena.« »Umsonst! Na so was«, gab Bony zurück, und jetzt errötete Meena, und sie lachte wieder. »Ich Charlie bezahlen«, sagte sie. »Ich ihm Kuß geben für Mr. Wootton, Kuß für Mrs. Bell und Kuß für Yorky, aber erst wenn alle fertig und er sie Linda geben.« »Oh! Und wie viele Küsse hast du für Meena bezahlt?« »Warum? Nun, ich will sagen, habe nicht Angst. Er mich dürfen küssen zweimal für Meena, weil er zweimal soviel Arbeit haben für sie.« »Wann willst du denn eigentlich den Bengel heiraten?« fragte Wootton, und Bony war sehr erstaunt über seinen schroffen Ton. »Ich zum alten Canute gehören«, erwiderte Meena; sie war auf einmal ganz trotzig. »Unfug, daß eine junge Frau wie dich kein anderer haben soll, bloß wegen dieser blöden alten Sitte!« Schade, daß Wootton das sagen mußte, denn dadurch verlor Meena die natürliche, ungezwungene Art, mit der sie gesprochen hatte. Nun verschanzte sie sich wieder hinter der gewohnten Verschlossenheit der Eingeborenen, deren stärkste Waffe das Lachen ist. Auf die weiteren Fragen antwortete sie mit einem Gekicher, das zu ihrer wahren Stimmung nicht paßte. Wootton schickte sie hinaus. »Ich kann aus ihr nicht klug werden«, beklagte er sich bei Bony. »Ein so hübsches Mädchen – auch ein Weißer könnte Schlimmeres tun als sie heiraten. Ich zum Beispiel täte es sofort, wenn ich nur Chancen hätte.« »Sie sind also nicht verheiratet?« »Ich bin seit vierzehn Jahren Witwer. Eben habe ich freilich nur einen Spaß gemacht. Mit dem sogenannten zweiten Frühling, das stimmt doch nicht. Außerdem … Na, wir wollen jetzt lie60
ber gehen, ich möchte den Leuten ihre Arbeit zuteilen. Ich werde Harte sagen, daß er in der Nähe sitzen bleiben soll.« Wootton ging durch die eine der beiden Flügeltüren hinaus, während Bony noch am Tisch sitzen blieb, seinen Kaffee trank und rauchte. Er machte sich über Wootton allerlei Gedanken. Ein merkwürdiger Typ hier draußen am Lake Eyre. Wie ein neuer Diamant in einer altmodischen Fassung. Fünf Jahre war der Mann schon im Land und hatte sich weniger angepaßt, als es mancher Einwanderer in der halben Zeit tat. Vielleicht wollte er sich aber auch bloß wichtig machen. Nun, hier hieß es den Dingen auf den Grund gehen. Zunächst gab es noch Fragen wegen der Leiche von Mrs. Bell. Bony stand auf, ging zum Telefon und ließ sich mit Polizeiwachtmeister Pierce verbinden. »Sie sind es, Inspektor!« sagte Pierce. »Was kann ich für Sie tun, Sir? Soll ich ’rauskommen und Ihnen Bericht erstatten?« »Vielleicht. Ich habe die Kopien Ihrer Berichte und Protokolle gelesen und komme der Sache langsam näher. Ich spreche jetzt leise, weil keiner mithören soll. Können Sie mich verstehen?« »Ganz deutlich, Sir.« »Besitzen Sie noch die Gipsabdrücke, die Sie von Yorkys Fußspuren gemacht haben?« »Ja, einen. Die Originale und das Geschoß aus dem Körper der Toten habe ich nach Adelaide geschickt.« »Haben Sie die Leiche im Schlafzimmer der Frau gefunden?« »Ja, sie lag auf dem Bett.« »Haben Sie sie angefaßt?« »Nein, Doktor Crouch war ja bei mir.« »Könnten Sie Doktor Crouch an den Apparat rufen?« »Ich denke, ja. Soll ich jemanden zu ihm schicken?« »Bitte tun Sie das. Ich bleibe am Apparat. Geben Sie acht, daß wir nicht getrennt werden.« 61
Während Bony noch wartete, kam Meena mit dem Tablett, um das Geschirr abzuräumen. Er gab ihr einen Wink, zu verschwinden. Für ein paar Sekunden verließ er das Telefon, um zur Tür zu gehen und sie zu schließen, wobei er über Meenas verdutztes Gesicht lächeln mußte. Er brauchte nicht lange zu warten, bis sich eine tiefe Stimme meldete. »Hier Crouch. Inspektor?« »Ah, guten Morgen, Doktor! Ich will Sie nicht lange aufhalten. Bitte rufen Sie sich ins Gedächtnis zurück, was bei Ihrer Ankunft hier vor sich ging. Sie fanden Mrs. Bell tot in ihrem Zimmer. Wer war noch bei Ihnen?« »Pierce und Wootton.« »Da Sie die Frau tot vorfanden, haben Sie sie vermutlich umgedreht, um die Wunde zu inspizieren. Wer war noch im Zimmer?« »Ich sagte zu Pierce, daß die Frau tot sei. Wootton sah ganz elend aus, deshalb forderte ich Pierce auf, ihn hinauszubegleiten, was er auch tat. So war, als ich die Tote untersuchte, außer mir niemand im Zimmer. Sie machen mich neugierig mit Ihrer Frage.« »Eines Tages werde ich Ihre Neugierde stillen, Doktor, aber vorläufig müssen Sie noch Geduld mit mir haben. Sie fanden die Tote auf dem Rücken liegend und zugedeckt vor?« »Ja.« »Und wie ließen Sie sie nach Abschluß Ihrer Untersuchung zurück? Ich meine, in welcher Körperlage?« »Auf dem Rücken … und zugedeckt, wie sie vorher gelegen hatte.« »Im Lauf des Tages wurde sie dann in Ihren Kombiwagen gebracht. Wer trug sie denn zum Wagen?« »Das weiß ich nicht, Inspektor, ich hatte es lediglich angeordnet.« »Sagen Sie mir noch folgendes: Um die Schußwunde im Rücken der Frau zu untersuchen, mußten Sie doch ihre Kleider aufschneiden?« »Ja.« 62
»Beschreiben Sie bitte genau, was Sie machten.« Etwas ungeduldig schilderte Dr. Crouch, wie er mit der Schere die weiße Leinenbluse aufgeschnitten hatte. Die Wunde zwischen den Schultern mußte unbedingt tödlich gewesen sein, so daß eine Untersuchung des Körpers nach weiteren Wunden an sich unnötig war. Dr. Crouch konnte jetzt seine Neugier noch weniger verbergen als vorher, doch Bony bat ihn in liebenswürdigem Ton, Pierce noch einmal ans Telefon zu lassen. Zu ihm sagte er: »Als Sie die Tote zum erstenmal sahen, war Wootton bei Ihnen. Was haben Sie da getan? Erklären Sie mir das genau – was Sie selbst taten, nicht was der Doktor machte. Das weiß ich schon.« »Na, ich ging in das Zimmer, nachdem Bray mir mitgeteilt hatte, daß Mrs. Bell dort liege. Der Arzt und Mr. Wootton begleiteten mich. Ich deckte das Laken ab, um mich zu überzeugen, daß sie wirklich tot auf dem Bett lag. Mr. Wootton stöhnte so merkwürdig, daß Doktor Crouch mich bat, ihn hinauszubringen, was sogleich geschah.« »Wie lag die Tote da?« »Auf dem Rücken, Inspektor.« »Und während der Arzt sie untersuchte, ist keiner ins Zimmer gekommen?« »Nein. Mr. Wootton setzte sich auf einen Stuhl im Flur, und ich stand bei ihm.« »Nun zum Transport der Toten in den Wagen des Doktors: Wer hat das überwacht?« »Ich selbst. Arnold Bray und Eric Maundy halfen mir.« »Und was taten Sie?« »Na, die Tote war ja wieder zugedeckt mit dem Laken«, erwiderte Pierce in etwas sturem Ton. »Ich zog es ganz straff um den Körper und schlug das andere Laken, auf dem sie lag, oben drüber und so trugen die Leute sie hinaus.« »Keiner von Ihnen hat dabei die Leiche gesehen? Sie alle drei nicht?« 63
»Nein. Es geschah so, wie ich eben sagte, Leichen betrachtet ja keiner, wenn er nicht muß.« »Das wäre für den Augenblick alles, Pierce. Kommen Sie doch heute her, wenn es geht, noch zum Mittagessen. Ich sage Wootton, daß Sie kommen.« »Ich werde es so einrichten, Sir.« »Gut. Und bringen Sie die Gipsabgüsse mit.« Bony stieg aus dem Fenster. Beim Überqueren des Hofes sah er Bill Harte auf der schmalen Veranda des Männerquartiers. Harte knotete gerade eine neue Schnur an seine Viehpeitsche. Als er Bony näher kommen sah, trat ein lauernder Ausdruck in seine wachen, schlauen Augen. Bony wußte, daß er jetzt mit Harte allein reden konnte, da er Arnold im offenen Motorschuppen gesehen hatte und Lawton und Maundy fortgeritten waren. Er nickte ihm zu, lehnte sich gegen die Brüstung der Veranda und drehte sich die unvermeidliche Zigarette. »Wie lange sind Sie schon hier am Lake Eyre?« begann er. »Mein ganzes Leben. Ich bin auf der Farm Clifton Hills geboren.« »Dann müssen Sie die Gegend ja gut kennen«, sagte Bony. »Haben Sie auch nur die leisesten Zweifel, daß die Fußspuren hinter dem Kühlhaus nicht von Yorky stammen könnten?« »Wenn die einer nachgemacht haben sollte, dann versteht er das aber verdammt gut, Inspektor. Die Zweifel bringen ja Sie auf, nicht ich. Ich glaube jedenfalls nicht …« »Angenommen, ich behauptete, daß diese Fußspuren nicht von Yorky stammen: Würden Sie dann wetten, daß Sie doch recht haben?« Harte brauchte eine Weile, bis er antwortete: »Nein, ich glaube nicht, Inspektor. Jetzt nicht mehr.« »Obgleich Mr. Wootton an dem fraglichen Morgen Yorky beim Lagerplatz der Eingeborenen gesehen hat? Und wußte, daß der dann hierherging?« 64
Das leichte Lächeln, das in den Mundwinkeln Hartes zuckte, bestätigte Bony, daß dieser Mann wirklich so schlau war, wie er ihn von Anfang an eingeschätzt hatte. »Ich würde wohl sagen: Yorky hat die Spuren gemacht, aber wetten würde ich darauf nicht«, erklärte Harte. »Weil es nämlich zu wenige sind, würde ich nicht mal mein Hemd verwetten, daß Yorky selbst sie gemacht hat.« »Lassen wir das jetzt mal, Bill. Eine andere Frage: Sie haben doch Mrs. Bell gleich beim Haus tot am Boden liegen sehen. Können Sie sich an die Größe und Form des Blutflecks auf ihrer Bluse erinnern?« »Aber klar. Das werde ich im Leben nicht vergessen. Die Krähen hatten Hals und Schultern schon übel zugerichtet, aber die Bluse war nicht zerrissen.« »Und …?« fragte Bony gedehnt. »Den Trumpf spielen ja Sie aus«, nickte Harte. »Also zeichnen Sie mir mal die Form des Blutflecks auf.« Harte kam Bonys Wunsch nach, kniete hin und benutzte sein Taschenmesser als Zeichenstift.
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olizeiwachtmeister Pierce erschien, speiste mit Wootton und Bony, neckte Meena und lobte Sarahs Kochkunst, hatte mit Bony eine zweistündige Besprechung und fuhr wieder nach Loaders Springs zurück. Die Rückfahrt kam ihm kurz vor, so sehr beschäftigten ihn die Eindrücke, die er von dem Inspektor emp65
fangen hatte, denn sie stellten seine bisherigen Theorien einfach auf den Kopf. Bony wartete im Schatten der Kiefern am Hügel auf die Heimkehr der Männer von ihrer Arbeit. Er sah sie von weitem abgespannt und auf ihren durstigen Pferden einen Hang herabkommen und beobachtete dann, wie sie auf dem Hof die Pferde abzäumten, die gleich darauf zur Tränke trabten oder sich im Sande wälzten. Außer den vier Weißen waren jetzt noch vier Eingeborene im Hof. Hier gab es kein ›Fraternisieren‹: Die Schwarzen trugen Wasser in Eimern zu den Reservetanks, während die Weißen sich vor dem Abendessen noch gründlich wuschen. Pierce hatte nicht nur viel zu denken, sondern auch noch einen kompletten Satz Gipsabgüsse zu machen. Bony hatte Informationen gesammelt, die als Ergänzung der kurz und bündig geschriebenen Berichte des Polizeiwachtmeisters dienten, vor allem Material, das die spärlichen Angaben über Land und Leute beträchtlich ergänzte. Ole Fren Yorky stand Bony jetzt, obwohl er ihn nie gesehen hatte, deutlich vor Augen. Pierce hatte den Mann in einem Licht dargestellt, das weniger Schatten warf, als das im Bericht über einen Mordverdächtigen zu erwarten gewesen wäre, denn ein Polizeibeamter in einem kleinen Ort lebt viel weniger isoliert als in einer Stadt. Pierce war seit elf Jahren in Loaders Springs. Er konnte sagen, daß sich Yorky, wenn er in der Stadt war, ordentlich führte, und seine gute Meinung von dem Mann war auch durch dessen Schwächen nicht beeinträchtigt. Daß man ihn zum Beispiel im Freien schlafend gefunden hatte, obwohl er ein Zimmer besaß, und im Winter zweimal in einer Zelle im Revier, bedeutete nicht viel. Bony erfuhr Einzelheiten, die er in einen schriftlichen Bericht nur dann eintrug, wenn es unbedingt nötig war. Pierce hatte gesagt, die früheren Besitzer von Mount Eden seien überzeugt gewesen, daß Yorky der Vater von Sarahs Tochter Meena war. 66
Pierce hatte auch berichtet, daß lange vor seinem Dienstantritt in Loaders Springs Yorky an mehreren Schlägereien beteiligt gewesen sei, und zeichnete das Bild eines Mannes, der zwar klein von Statur, aber in seinen besten Jahren ein toller Bursche gewesen sein mußte. Die Menschen neigen immer dazu, einen Menschen zu sehen wie er ist, und vergessen, wie er früher war. Es liegt auf der Hand, daß ein Mann wie Pierce gewisse Ansichten und Theorien hat, die er seinem Vorgesetzten nur dann mitteilt, wenn er direkt danach gefragt wird. Und Bony erlebte es selten, daß ihm Leute wie Pierce etwas vorenthielten, vielmehr gaben sie ihm gern jede gewünschte Information. »Manche Leute verulken Yorky, weil er klein ist«, hatte Pierce gesagt. »Da ist zum Beispiel folgende Geschichte im Umlauf: Yorky schleppte ein Bündel, das größer war als er selbst, und als er einmal damit nach Loaders Springs kam, konnte er den ganzen Ort unerkannt passieren, weil er unter seinem Bündel einfach nicht zu sehen war. Oder: Yorky brachte den ganzen Abend in einer überfüllten Kneipe zu. Kurz bevor geschlossen wurde, sagte ein Gast zu ihm: ›Hallo, Yorky, habe dich ja seit Jahren nicht mehr gesehen!‹ Dabei hatte Yorky, wie er mir selbst erzählte, zwei Stunden lang direkt neben ihm gestanden! Also wen haben wir da nun vor uns? Einen kleinen Kerl, der sich früher gegen einen ganzen Haufen prügelnder Männer behaupten konnte und der jetzt, da er alt wurde, über das Nachlassen seiner Kräfte untröstlich war. Ein kleiner Kerl, der sich jedesmal ärgerte, wenn er seiner Figur wegen aufgezogen wurde. So hat er in den letzten Jahren allen Ärger aufgestaut, den er früher mit Fausthieben und Reitstiefeln abreagierte. Allmählich wandte er sich immer mehr den Eingeborenen zu und wurde den Weißen gegenüber immer scheuer. Mag sein, daß er sich über etwas geärgert hat, was Mr. Wootton ganz harmlos sagte oder einer von seinen Arbeitskameraden. Oder über etwas, was Mrs. Bell zu ihm gesagt oder ihm angetan hat – und deshalb nahm er sich 67
vor, etwas zu stehlen, was allen lieb war … also die kleine Linda. Und als Mrs. Bell ihm dazwischenkam, erschoß er sie.« »Berichten Sie mir noch über die Leute. Etwas gegen sie einzuwenden?« hatte Bony gefragt, und Pierce antwortete: »Nicht viel. Der junge Lawton war ein paarmal in Zwischenfälle verwickelt, hauptsächlich Schlägereien um junge Lubras. Als Canute sich das letztemal über ihn beschwerte, habe ich Lawton gesagt, wenn es noch einmal vorkäme, würde ich dafür sorgen, daß Canute alle seine jungen Männer auf ihn hetzt, um ihn aus dem Bezirk zu verjagen. Bray mußte vor einiger Zeit eine Beschwerde vom Finanzamt überbringen, und Bill Harte hatte mal zwei Banditen verprügelt, die in der Stadt aufgetaucht waren und ihm sein Geld abnehmen wollten.« Pierce lachte schadenfroh. »Die hätten Sie sehen sollen! Crouch mußte sie tagelang behandeln, ehe sie sich wieder blicken lassen konnten.« »Ah! Doktor Crouch!« »Tja, das ist eine Type. Gehört zu denen, die täglich ihre drei Flaschen Whisky wegputzen. Und wettet dauernd: Wie schnell eine Fliege über die Fensterscheibe krabbelt und so weiter. Ein großer, starker Mensch, der eine Wut auf die Regierung hat, einerlei welche. Aber ein Arzt! Wenn ich den verhaftete, würde mir die ganze Bevölkerung im Bezirk auf den Leib rücken.« »Und Wootton, Pierce?« »Hat mir erklärt, er hätte früher ein großes Gemischtwarengeschäft in Neusüdwales besessen. Er ist vor ungefähr vierzig Jahren nach Australien gekommen. Hat gut verdient. War verheiratet, hatte zwei Söhne. Beide waren bei der Armee und sind gefallen, und ihre Mutter starb vor Kummer darüber. Dann gab Wootton, der schon immer gern eine Farm haben wollte, sein Geschäft ab und kaufte Mount Eden.« »Und Mrs. Bell?« »Nette, kleine Frau. Wootton bekam sie durch eine Stellenvermittlung in Adelaide. Wir erfuhren, daß ihr Mann sie zwei Jahre vorher verlassen hatte. Meine Frau mochte sie gern, aber die 68
kann eigentlich alle Menschen leiden, sie läßt manchmal sogar meine Gefangenen frei.« Canute und sein Stamm waren mit dem Gesetz kaum in Konflikt gekommen. Die jüngeren Leute wie Meena, Charlie und Rex waren zivilisiert und hatten, dank der Bemühungen des Missionars, eine ganz gute Schulbildung gehabt, wurden aber trotzdem von den Alten des Stammes noch streng überwacht. Es ging schon auf den Abend zu, jeden Augenblick mußte Sarah den Gong zum Dinner schlagen. Noch war es unvermindert heiß. Die Krähen begannen munter zu werden, und Bony, der noch über die von Pierce entworfenen Charakterbilder grübelte, sah drei Vögel vom See herkommen. Ein Willi-willi wirbelte eine Staubsäule auf, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit drehte. In diesem Land waren die uralten Legenden noch Wirklichkeit. Der See war ohne Leben, doch seine Ufer schliefen nur unter der Sonnenglut und warteten auf Wasser, um die Dürre in fruchtbares Grün zu verwandeln. Wieder kam eine Nacht, die den Männern Kühlung bot. Als der nächste Morgen graute, saß Bony im Sattel und trabte von Mount Eden nach Norden. Er hielt sich auf dem betonharten Uferstreifen, zur Rechten rötlicher Sand und zur Linken der rostbraune, schlammige Lake Eyre. Hier und da zeigten ihm Hufspuren, wo Rinder sich ein paar Meter auf den Schlamm vorgewagt hatten, um Salz von der krustigen Erde zu lecken. Von Zeit zu Zeit kam er an die Mündung uralter Flußläufe oder an den Rand einer Bucht. Das Bild der Landschaft wechselte fortwährend vor seinen Augen, aber der Schlamm sah überall gleich aus. Das einzige, was fehlte, war – Wasser. Nur etwas Wasser und eine kühle Brise – und schon hätte die Szenerie viel Ähnlichkeit mit bekannten Strandbädern gehabt. Bestimmt hatte Yorky, als er mit dem Kind von Mount Eden floh, diesen Weg gewählt, weil er wohl wußte, daß hier nicht ein69
mal die Schwarzen eine Spur entdecken würden. Aber er mußte auch wissen, daß er gezwungen war, das Ufer wieder zu verlassen, womit die Eingeborenen auch rechnen würden. Bisher hatte er vielleicht Glück gehabt. Aber er konnte schließlich immer nur dahin zurückkehren, wo es Wasser gab. Bony fand in den trockenen Flußbetten nirgends versandete Wasserlöcher. Einmal ging er ein Stück auf den Seeschlamm hinaus, wobei er bis über die Fußknöchel einsank, und bohrte mit einem Stock an vielen Stellen bis zum festen Lehmgrund durch, ohne auf Grundwasser zu stoßen. Kurz vor Sonnenuntergang sah er in der Ferne eine Reihe Punkte, die auf den See hinausliefen. Sie wuchsen zu schwarzen Säulen, schienen umzufallen wie Eingeborene im Zustand der Trunkenheit und erwiesen sich schließlich als Zaunpfähle. Dieser Zaun, der sich etwa eine Meile weit in den See erstreckte, mußte vor Jahren in aller Eile gebaut worden sein. Nahe dem Ufer waren allerdings neue Drähte gezogen, um das Vieh von Mount Eden zu schützen, und das war der Zaun, den Ole Fren Yorky zu kontrollieren gehabt hatte. Diesem Zaun wollte Bony jetzt folgen, um sich Yorkys Lager anzusehen. Die erste Nacht kampierte er neben einer kleinen Wellblechhütte in der Nähe eines gebohrten Wasserlochs. Hier gab es ein Tor im Zaun, durch das man das nicht umzäunte Land nach Norden zu betreten konnte. In der Hütte befanden sich mehrere alte Ölfässer, in denen eine Menge Mehl aufbewahrt war, das von Maden wimmelte. Ferner kleine Dosen mit Tee und Zucker, Streichhölzer und Tabak, leichte Seile, Teer in Flaschen und Petroleum in einem Kanister. Das alles waren deutliche Kennzeichen für das Lager eines Kamelreiters. Die nächste Nacht verbrachte Bony in einem anderen von Yorkys Lagern, einem dreiseitigen, aus Ästen gebauten Unterschlupf am Ufer eines Flußbetts, in dem es Wasser gab. In keinem der beiden Lager hatte Bony Anzeichen dafür entdeckt, daß sich dort kürzlich ein Mensch aufgehalten hatte. Auch 70
neben dem Zaun aus Maschendraht fand er keine menschliche Fußspur, er sah kein Rauchsignal und keinerlei verdächtige Bewegung inmitten der Luftspiegelungen, die ihn den ganzen Tag umgaben. Am nächsten Morgen machte er eine alarmierende Beobachtung, bei der ihm ein Schauer über den Rücken lief. Im Lauf des Nachmittags hatte er die Überzeugung gewonnen, daß er verfolgt wurde. Und als er nun wieder an einer von Yorkys Lagerstellen kampierte, war er hocherfreut über dieses erste Zeichen seit Beginn seiner Nachforschungen: Die ›Wanderdüne‹ kam auf ihn zu. Er war die dritte Nacht unterwegs. Er schlief, in eine Decke gerollt, in einer kleinen Mulde auf dem Lehmboden, ungefähr hundert Meter von seinem Lagerfeuer entfernt, das noch glühte. Nichts störte seinen Schlaf, und schon vor Sonnenaufgang ritt er weiter, wobei er sich nahe am Zaun hielt. Sein Ziel war jetzt die nächste Wasserstelle, die nur eine Meile abseits vom Weg nach Loaders Springs lag, denn der Zaun verlief in einem weiten Bogen. Zu Mittag wurde er noch verfolgt und wußte, daß sich der Verfolger kilometerweit hinter ihm hielt. In der Stadt kann der Mensch rasch hinter einer Straßenecke verschwinden und aufpassen, wer hinter ihm herkommt. Aber wie soll er mit einem australischen Fährtensucher fertigwerden, der einen Abstand von Kilometern wahrt? Als Bony ein weites Plateau erreichte, auf dem nur Tussockgras wuchs, beschloß er, hinter den niedrigen Sandhügeln auf den Verfolger zu warten. Wie er richtig vermutet hatte, war dieses Gelände dafür gut geeignet. Er pflockte seine Pferde am Boden an, dort, wo zwischen Buchsbaum wilder Roggen wuchs, und legte sich gemütlich in den Schatten eines Baumwollstrauchs. Vor ihm lag das Plateau, das im Sonnenglast leicht zu vibrieren schien. Er konn71
te die Kämme der Dünen an der Stelle übersehen, von wo er gekommen war. Ein Geier stieß tief herab, um ihn und die Pferde zu beäugen. Bony bewegte die Hand, damit der Vogel merkte, daß hier kein Aas zu holen war, und der Geier stieg wieder in die Höhe, um seinen Flug fortzusetzen. Bony hatte Glück, daß ihm vom letzten Lager die Krähen nicht gefolgt waren und daß sich auch hier noch keine sehen ließ. Es ist stets von Vorteil, zu wissen, was der Feind weiß. Dem Verfolger war klar, daß Bony auf dem Weg von Yorkys Wasserstellen blieb, aber er ahnte nicht, daß Bony jetzt auf ihn wartete. Und er konnte nicht wissen, ob Bony nicht doch den Weg verließ, um irgendwo abseits Rast zu machen, sich Tee zu kochen oder zu schlafen. Jedenfalls mußte Bony damit rechnen, daß der Späher sehr behutsam vorging und gerade bei diesem ersten Plateau nach Anzeichen suchen würde, die ihm verrieten, ob der Verfolgte hier lauerte. Wie stets um diese Tageszeit war es heiß und die Luft sehr trokken. Es wehte kein Lüftchen, an dem von goldenem Sandstaub flimmernden Horizont entstanden einzelne Wölkchen, wurden riesengroß, schrumpften wieder zusammen und verschwanden. Sie erschienen zuerst als weiße Pünktchen, die sich rasch vergrößerten und aus denen sich der für dieses Gebiet typische Wirbelsturm entwickelt, der sogenannte Willi-willi. Der Willi-willi zieht fast immer von Norden nach Süden, und hier waren auch jetzt solche Stürme, obwohl Bony nicht viele davon sah. Einer brauste nahe an ihm vorbei, zerzauste ihm das Haar und trocknete den Schweiß auf seinem Gesicht. Er bewegte sich mit einer konstanten Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern vorwärts, wirbelte Sand und Abfälle mit sich hoch und brüllte wie ein Raubtier, wenn er durch die Bäume fuhr. Ein anderer entwickelte sich über dem Plateau und führte einen wilden Tanz auf: Er schwankte, als sinke er gleich vor Erschöpfung um, 72
wuchs zu dreifacher Größe und erreichte eine hohe Geschwindigkeit. Bei der Hitze, den lästigen Fliegen und den Willi-willis gab es für Bony keine Langeweile., Mit der Geduld seiner mütterlichen Vorfahren wartete er ab, was weiter geschehen würde, und hätte wohl auch den nächsten Tag noch gewartet, wäre nicht ein Willi-willi gekommen, der sich wie eine Frau benahm. Vor der großen, freien Fläche stutzte die Willi-willi-Frau und schien zu erschrecken, doch dann schwebte sie behutsam weiter, als habe sie Mut gesammelt. Schleier von dürrem Gras bildeten ihre Füße und umsäumten ihr rotes Gewand bis zum Gürtel mit Gold. Ihr schlanker Leib, mehr als hundert Meter hoch, drehte sich sanft in einem müden Walzer. Wer gern wettet, hätte hier ein Paradies gefunden, denn er konnte hohe Einsätze riskieren. Es gab hier keinen Partner. Und Bony wettete bei sich, daß dieser Willi-willi links an ihm vorbeiziehen würde. Gegen alle Wahrscheinlichkeit sollte er recht behalten. Aus einem sanften Wirbel entsteht der Willi-willi, und so stirbt er auch. Dieser begann bereits zu sterben, als er kaum hundert Meter von Bony entfernt war. Er schien verwundet, doch taumelte er noch weiter, hastiger jetzt, gleichsam um den Rhythmus des Tanzes bemüht. Bony wettete dennoch, daß der weibliche Willi-willi es nicht bis zu ihm schaffen würde. Plötzlich verlor ›sie‹ ihre Füße und hob den Rock, als müsse sie vor Scham ihr Haupt bedecken. Fasziniert vom Los dieses Naturwesens, bemerkte Bony den Mann nicht. Charlie warf sich blitzschnell in Deckung, nachdem er im Zentrum der sich drehenden Sandsäule das Plateau überquert hatte …
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on dem Willi-willi im Stich gelassen, landete Charlie mit einem mächtigen Satz am Baumwollstrauch neben Bony. Nach der langen Wanderung am Neales River hatte sich Charlie mit dem, was Sarah vom weißen Mann bekam, prächtig genährt und war jetzt in der besten Verfassung. Er trug nur dunkelbraune Shorts und hatte einen Jutesack bei sich, der, wie sich später zeigte, einen kleinen Beutel Tee und die gebratene, abgenagte Keule eines Känguruhs enthielt. Charlie wollte sich unter dem Strauch ausruhen, doch dabei stieß er beinahe mit Bony zusammen. Als sich ihre Blicke trafen, sagte Bony sanft: »Sieh mal einer an, Charlie! Willst du verreisen?« Charlie lächelte. Ihm sah der Schalk aus den erstaunten schwarzen Augen. »Tag, Mr. Bonaparte. Bißchen heiß in der Sonne, wie?« Dann wurde ihm mit Schrecken bewußt, daß er sich zu vertraulich benahm, und schon rutschte er zurück, ohne zu bedenken, wie heiß ihm nun die Sonne auf die Beine brannte, »O je, dies ist Ihr Busch, nicht wahr? Ich gehe schon.« »Wir gehen zusammen«, sagte Bony katzenfreundlich und stellte sich neben ihn. »Wir haben viel miteinander zu reden, und bis zum nächsten Lager sind es noch fünf Kilometer. Wir wollen zu den Pferden gehen.« Charlie wollte der harte Ausdruck in den blauen Augen gar nicht gefallen, noch weniger die Pistole, die auf ihn gerichtet war, und am wenigsten Bonys grimmiges Lächeln. Er bekam Befehl, 74
das Packpferd loszubinden und es bis zu Yorkys nächstem Lager am Zügel zu führen. Jedesmal wenn Charlie sich umdrehte, sah er Bony hoch zu Roß mit der Pistole in der rechten Hand. Ab und zu gerieten sie in einen ungefährlichen Willi-willi und gingen weiter über flache Mulden und niedrige Sandhügel, überquerten trockene Flußbetten, bis sie zu einer Laubhütte an einem seichten Tümpel kamen. Hier befahl Bony dem Schwarzen, dem Packpferd die Last abzunehmen, dann schnallte er selbst mit der Linken eine der Packtaschen auf und entnahm ihr ein paar Handschellen. Sie sahen anders aus, als die, die Charlie kannte, schmaler und dünner, doch er wußte, wozu sie dienten und ließ sie sich ohne Widerstand anlegen. Den schweren Packsattel trugen sie in den Schatten der Hütte, und noch bevor Charlie wußte, wie ihm geschah, war eine der Schellen vom Handgelenk gelöst und an den eisernen Bügel des Packsattels geschlossen. So hatte er eine Hand frei, um sich der Fliegen zu erwehren. Ausrücken konnte er nicht, denn mit dem Sattel wäre ihm das Laufen schlecht bekommen. Trotz der Nähe des Wassers war dieser Lagerplatz unbefriedigend, denn er schützte nicht vor den Westwinden, die den von streunendem Vieh aufgewirbelten Staub heranfegten. Das Wasser war salzig, aber für Tee brauchbar, wenn viel Zucker hineinkam. Stellenweise war es kalkhaltig und beinah kochend heiß. Tag und Nacht strömte es da aus der Tiefe, Jahr um Jahr, seitdem das Loch gebohrt worden war. Bony bereitete Tee, gab Charlie einen Becher voll und öffnete für jeden eine Dose Corned beef. Den abgenagten Känguruhknochen warf er den Krähen zu, die sich bereits eingefunden hatten. Später, als die Sonne untergegangen war, rauchten sie. Bony begann mit seinem Verhör. »Du hast eine schlechte Nase, Charlie. Hast wohl in der Missionsschule zuviel gelernt – Lesen und Schreiben, doch Spürsinn hast du nicht.« 75
»Ich bin den ganzen Weg von Mount Eden hinter Ihnen hergegangen«, wandte Charlie heiter, wenn auch mit müdem Blick ein. »Ich habe nichts Unrechtes getan. Hier ist freies Land. Mr. Wootton wird wütend, wenn er das erfährt.« Er hob die gefesselte Hand und machte jetzt zum erstenmal seinem Ärger Luft. »Ich habe mein Schulzeugnis bekommen wie Meena und die anderen. Ich schreibe an den Protektor der Eingeborenen in Adelaide.« »Tu’s, Charlie«, sagte Bony freundlich. »Bitte ihn, daß er dich im Gefängnis besucht. Du siehst, daß ich ein schrecklicher Lügner bin, Charlie, der schlimmste, der dir je begegnet ist. Ich könnte dich verhaften und dich vor Gericht bringen: Belästigung eines Polizeibeamten im Dienst, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Anschlag auf das Leben eines Polizeibeamten, gesetzwidriges Verbergen in einem Willi-willi und vieles andere.« »Das müssen Sie erst alles beweisen.« Charlie war unbeeindruckt. Bisher hätte er noch keine ›bösen weißen Männer‹ kennengelernt. Bony dagegen wußte nur zu gut, daß von einem Eingeborenen, wenn er nicht will, auch mit Gewalt nichts zu erfahren ist. Er war überzeugt, daß Charlie ihn nicht aus eigenem Antrieb verfolgte. Ein anderer mußte ihm das befohlen und ihm auch verboten haben, zu verraten, von wem der Befehl kam. »Du kennst Polizeiwachtmeister Pierce, Charlie«, fuhr Bony fort. »Es gibt woanders Polizeibeamte, die über ihm stehen, und wieder woanders noch höhere. Ich bin ein großer Häuptling der Polizei, so groß wie Häuptling Canute. Was ich sage, wird gemacht. Auch wenn ich Lügen über dich melde, glaubt jeder mir, nicht dir. Sagst du zum Richter, ich wäre ein großer Lügner, so gibt er dir noch sechs Monate Gefängnis extra. Sage ich, daß du alles getan hast, was ich eben aufgezählt habe, darin kriegst du eine Strafe von drei Jahren. Es ist besser für dich, wenn du mir verrätst, wo Yorky ist, dann brauchst du nicht ins Gefängnis, und Polizeiwachtmeister Pierce wird dich zu seinem Helfer machen.« 76
»Das sagen Sie!« spottete Charlie, und Bony stellte fest, daß der junge Mann doch intelligenter war, als er gedacht hatte. »Du mußt wohl im Kino gewesen sein«, sagte er. »War ich auch. In Loaders Springs. Der Missionar hat uns jeden Samstagabend auf seinem Lastauto in die Stadt gefahren. Da haben wir Robert Mitchum und Gary Cooper und alle anderen gesehen.« »Ich bin platt, Charlie. Am Samstagabend im Kino und am Sonntagmorgen in einem Willi-willi versteckt! Sonntagabend zum Choralsingen in der Kirche und Montag bei der Zauberei mit Todesknochen – jaja. Na, du wirst auch im Gefängnis jeden Monat einen Film sehen, und singen wirst du von allein, nachts in der schönen kalten Zelle. Und weißt du, was noch passieren wird, wenn du im Gefängnis sitzt?« »Was denn?« »Ein anderer von deinem Stamm wird sich dann Meena nehmen.« Mit gespieltem Selbstvertrauen entgegnete Charlie: »Meena gehört Canute, kein anderer Schwarzer darf sie besitzen.« »Aber du hast es versucht, Charlie, das sah ich neulich abend. Sie gab dir eine Ohrfeige, und dann durftest du sie küssen. Zwei Küsse hat sie dir auch erlaubt, als du die Puppe Meena gemacht und sie Linda geschenkt hast. Ich weiß, daß du Meena gern hast und sie dich auch leiden mag, aber du hast Angst, nicht wahr? Angst vor dem alten Canute. Und du weißt, wenn du mit Meena entfliehst, werden dich die anderen jungen Männer verfolgen, dich einholen und mit Speeren durchbohren. Und Meena werden sie die Knie brechen, damit sie nie wieder fortlaufen kann.« Charlies große Nasenlöcher bebten. Beinah elegisch sprach Bony weiter: »Du möchtest Meena gern heiraten, und dann kommt Canute und sagt: »Halt, das gibt’s nicht, Meena gehört mir, sie war mir schon zugesprochen, als sie noch ein Säugling war, und ich habe sie von ihrem Vater gekauft.« Weißt du überhaupt, wer Meenas Vater war?« 77
Charlie schüttelte mit düsterer Miene den Kopf. »Weiß es Sarah denn?« Und nun grinste Charlie wieder, als er antwortete: »Die würde das nie genau sagen können.« »Von wem also hat Canute denn Meena bekommen, als sie geboren war? Ich glaube nicht daran, daß sie ihm versprochen war, das wird wohl Schwindel sein. Schon vor langer Zeit – und, wenn ich zurückschaue, bin ich selbst erstaunt, wie lange das her ist – habe ich meine Meena kennengelernt«, fuhr Bony fort, und sofort hörte Charlie aufmerksamer zu. »Meine Meena war schön und zart und warm, genau wie deine Meena. Aber die meine sagte, sie wolle mich nicht haben. Verstehst du: Nur mal auf die Nasenspitze durfte ich sie küssen. Du weißt sicherlich, wie’s die Meenas treiben. Na ja, so verstrich die Zeit, und ich kam nicht weiter, durfte meiner Meena immer nur die Nase küssen. Da traf ich eines Tages den Missionar und fragte ihn ganz einfach, ob er mich mit Meena verheiraten wolle. Als er zugestimmt hatte, packte ich sie und rannte mit ihr zu ihm, und er las uns die Worte vor. Als er mich fragte, ob ich wollte, sagte ich ja, und als er meine Meena fragte und sie nicht antworten wollte, habe ich sie so lange gekniffen, bis sie ja sagte. Und weißt du, was ich dann machte?« Charlie hatte keine Ahnung. »Ich zerrte meine Meena fort von der Mission und fort aus dem Lager, und bald brauchte ich sie gar nicht mehr zu zwingen. Sie ging brav mit mir, und wir kamen an einen Bach, und in der Nähe war ein Teich, von Tabaksträuchern und Gebüsch umgeben. Dort machte ich eine Hütte aus Zweigen und trug viel Laub zusammen für ein weiches, warmes Lager. Und weißt du was, Charlie?« »Nun was?« fragte der Jüngling verwirrt. »Na, jetzt habe ich einen Sohn, der ist Arzt und Missionar oben in Queensland, und noch zwei andere Söhne. Du natürlich wirst nie Söhne und keine Meena in einer hübschen, warmen Hütte 78
haben. Weil du im Gefängnis sein wirst. Das heißt, wenn du mir nicht erzählst, was ich wissen will. Und Meena wird nach Charlie ausschauen. Der aber sitzt hinter verschlossenen Türen im Gefängnis. Dann wird sie daran denken, daß sie so gern kleine Kinder haben möchte, und ein anderer schwarzer Jüngling wird schon auf sie warten, und er wird klug sein und gut aufpassen, daß ich ihn nicht auch ins Gefängnis einsperren kann.« Charlie, dem es keineswegs an Phantasie fehlte, stellte sich Meena in den Armen eines Rivalen vor, während er im Gefängnis schmachtete. Zwar hatte er noch nie in einem Gefängnis der Weißen gesessen, wußte aber doch genau, daß es dort keine Frauen gab und er, sobald er einmal in Haft war, nicht mehr, wie es ihm gerade paßte, auf Bummel gehen konnte. Er saß auf der Erde, lehnte sich an den Packsattel und drehte sich eine Zigarette, indem er die freie Hand dicht an die festgekettete führte. Es war nun fast dunkel, die Luft aber noch sehr warm. Die Sterne tanzten ihren sommerlichen Reigen. Eine Kette Enten schwirrte tief am Boden, fand den künstlichen See wohl zu klein und stieg eilig höher, um in der tiefen Nachtstille zu verschwinden. Wenn Bony hin und wieder ein wenig Holz von Yorkys Vorrat auf das kleine Feuer legte, schimmerte der rötliche Widerschein der trägen Flamme auf ihren Gesichtern. Bony, der große Erfahrung im Umgang mit Land und Leuten hatte, war nun doch einmal überlistet worden. Wohl hatte er es für möglich gehalten, daß Charlie ihn verfolgen würde, aber nicht allein. Und als. nun Stunden vergingen und Charlie durch nichts erkennen ließ, daß er auf Befreiung hoffte, rechnete Bony nicht mit weiteren Verfolgern. Da er sich ganz darauf konzentrierte, Charlie zum Reden zu bringen, merkte er nichts von der Annäherung des schleichenden Spähers. Und wie sich später ergab, merkte auch Charlie nichts. Bonys Aufgabe war nicht leicht. Er verstand es, wenn er mit einem Weißen zu tun hatte, sich ganz auf dessen Art einzustellen, und mit den einfachen Schwarzen wußte er genauso sicher um79
zugehen. In beiden Fällen half ihm seine einfache, auf Kenntnis der Rassen begründete Philosophie. Charlie jedoch war, obwohl reinrassiger Schwarzer, ein kompliziertes Wesen: Er stand zwischen dem noch urwüchsigen Eingeborenen mit all seinen Komplexen und seinem Aberglauben, und dem zivilisierten, den man in vielen Gegenden Australiens mit ›Mister‹ anspricht. So war die Frage: Wie stark kam in Charlie der Einfluß Canutes und der Alten seiner Sippe zur Wirkung und wie weit der Einfluß des Missionars, Woottons und des Wachtmeisters Pierce? Bony glaubte ihn richtig einzuschätzen, wenn er ihn dem Einfluß Canutes und seiner Sippe nachgeben sah. »Ich will dir etwas erzählen, Charlie«, begann er wieder, als der junge Mann keinerlei Bereitschaft zur Mitarbeit zeigte. »Angenommen, du sagtest, ich sei dein Freund. In diesem Falle kann ich Canute nicht berichten, wie ungeschickt du mich verfolgt hast, und ich würde auch keinem anderen ein Wort davon sagen, um dich vor dem Spott der Mädchen und der kleinen Kinder zu bewahren. Also wollen wir davon gar nicht reden, und du sagst mir lieber, weshalb du mir nachgespürt hast, ja?« Charlie schüttelte zögernd den Kopf. Bony unternahm einen zweiten Versuch. »Angenommen, Charlie, ich nehme mir den alten Canute vor und sage ihm, daß ich weiß, was er und Murtee mit dem Todesknochen gemacht haben, und daß ich sie dafür ins Gefängnis bringen muß. Auf wen haben sie denn das letztemal mit dem Knochen gedeutet?« »Weiß nicht«, erwiderte Charlie. »Vielleicht auf den alten Moses am Titigi. Moses ist doch recht schnell gestorben.« »Stimmt«, bestätigte ihm Bony. »Nun, ich sage Canute, daß er und Murtee mit dem Knochen auf Moses gezeigt haben. Der alte Moses starb. Das aber ist Mord, Charlie. Also werde ich zu Canute sagen: ›Sieh mal, mein Bester, du bist zu alt für Meena, und Charlie liebt Meena, und Meena liebt Charlie, und die beiden möchten sich vom Missionar trauen lassen, ganz ordnungs80
gemäß. Dann wird der alte Canute antworten: ›Scher dich zum Teufel! Meena gehört mir von Kind auf, sie ist meine Frau.‹ Und ich erkläre ihm: ›Na schön, Canute, du kannst nun bis an dein Lebensende im Gefängnis sitzen. Ich weiß, daß du Moses durch Zeichen mit dem Knochen getötet hast. Ich werde das dem weißen Mann, der Richter ist, ganz genau melden. Und dann wirst du aufgehängt! Aber eins will ich dir noch vorher sagen: Wenn du Meena Charlie gibst, der ja ein junger Mann ist und gut für sie sorgen kann, dann werde ich nichts davon verraten, daß du mit dem Todesknochen auf Moses gezeigt hast! «Bony lächelte Charlie an, bei dem sich nun der gesunde Menschenverstand durchzusetzen schien. »Abgemacht, Charlie?« »Nein«, sagte da eine Stimme hinter Bony. »Sie das Ding da wegnehmen von Charlie. Los, weg damit – schnell.« Rasch hatte Bony sich umgedreht und mußte feststellen, daß er in die Mündung seiner eigenen Pistole blickte. Der Lauf wackelte ein wenig. Entsichert war sie noch nicht. Über die Hand, die die Waffe hielt, erkannte er das Gesicht von Canutes Meena …
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ie man nicht selten vor Gericht von Leuten hören kann, die wegen Mordes angeklagt sind, pflegen Pistolen von selbst zu schießen, was beweist, daß viele nicht die leiseste Ahnung vom Umgang mit Schußwaffen haben. Als Meena mit der Pistole auf Bony zielte, erkannte dieser sofort, daß sie weder mit dieser Waffe vertraut war noch die Absicht hatte, sie wirklich gegen ihn zu gebrauchen. Ihre geweite81
ten Augen und der verkniffene Mund, eine für ihn ganz neue Nuance ihrer dunklen Schönheit, machten ihm deutlich, wie günstig es war, daß sie statt der Schußwaffe nicht eine Keule in der Hand hielt, denn von solchen Keulen wird behauptet, daß sie von allein nach oben und nach unten sausen, wenn sie auch längst nicht so tödlich sind. »Nanu, Meena!« rief Bony aus. »So eine nette Überraschung.« »Charlie freimachen«, befahl sie drohend. »Los! Ich bis drei zählen, und dann …« Gemächlich legte Bony sich auf die Seite, zog den Schlüssel für die Handschellen aus der Tasche, warf ihn Meena vor die Füße und sagte: »Mach ihn selbst los! Ich bin müde.« Sie nahm den Schlüssel mit der linken Hand, kniete nieder und rutschte so das kurze Stück bis zu Charlie weiter. Um nach der Handfessel zu greifen, legte sie die Pistole vor dem Sattel auf die Erde, und schon hatte Bony ihr die Waffe weggeschnappt. Als Meena wütend aufsprang und ihn anschrie, war die Pistole auf sie gerichtet, und nun wimmerte das Mädchen nur noch vor Wut, während Bony sagte: »So empfindliche Waffen wie eine Pistole soll man nie auf die Erde legen. Sieh mal, wieviel Staub und Sand jetzt daran sitzt, da habe ich eine halbe Stunde mit dem Reinigen zu tun. Nun mach erst Charlie los, dann tu noch Holz aufs Feuer und koche Wasser für Tee. Daß mir kein Sand ins Schloß der Handschellen kommt! In die Packtasche mit den Dingern – so, und jetzt gib mir den Schlüssel, sonst verlierst du ihn noch. Oh, diese Weiber!« Charlie, der sich erhoben hatte, stand ebenso verblüfft da wie Meena. »Setz dich nur wieder, Charlie«, meinte Bony, dreh dir eine Zigarette! Wir haben ja jetzt, wie du siehst, eine Köchin. Sie macht uns schon Tee.« Die beiden jungen Leute musterten sich erstaunt, dann betrachteten sie Bony, der mit zusammengekniffenen Augen am 82
Lauf seiner Pistole entlangblickte, als sei die Waffe sein kostbarster Besitz. Schließlich setzte sich Charlie unmutig, und das Mädchen holte den Teetopf. »Was hältst du nun von meinem Plan, mir Canute vorzuknöpfen?« fragte Bony gespielt lässig. »Ich denke, er Wird sich besinnen und dir Meena geben. Das kann ich dir sogar garantieren, Charlie. Andernfalls muß er nämlich – was muß er, Charlie? Ins Gefängnis.« Charlie brummte und schaute zu Meena hinüber. Sie hatte den kleinen Teekessel mit Wasser gefüllt, ihn mitten in die rote Glut gestellt und starrte, tief betroffen, wie es schien, in das Feuer. Unbewußt war sie so Bonys stille Verbündete, als es galt, Charlie mürbe zu machen. Sie trug dunkelblaue Shorts und sah sehr hübsch aus mit ihren nackten Brüsten, dem schlanken Hals und ihrem schönen welligen Haar. Welcher Mann wäre da nicht fasziniert gewesen? Auch Bony spürte ihren geheimnisvollen Zauber. Charlie war trotz seiner Jugend sehr überlegt. Er schüttelte ablehnend den Kopf und zwinkerte, als wollte er sagen: ›Ich sehe nichts.‹ Das Mädchen starrte fortwährend ins Feuer, während Bony ein Lied zu summen begann und fleißig seine Pistole säuberte. Das Wasser kochte, Meena warf eine Handvoll Tee in den Kessel, hob ihn mit einem Stock vom Feuer, stellte ihn nieder, damit er etwas abkühlte, und wandte sich erst jetzt den beiden Männern zu. »Charlie, mach dich nützlich und öffne für Meena eine Dose Fleisch«, befahl Bony. »Und du kommst und setzt dich hierher, Meena, laß nur Charlie mal für dich sorgen. Du mußt doch hungrig und durstig sein.« Charlie bewegte sich rasch, um zu tun, was Bony verlangte. Meena ließ sich im Schneidersitz am Boden nieder und blickte Bony entgeistert an. Er wickelte sorgfältig seine Pistole in einen Lappen. 83
»Ich hätte das Ding nicht hinter mir liegenlassen dürfen«, sagte er, »denn es hätte losgehen können, als du es nahmst, Meena. Ich mag Pistolen nicht gern, die sind nämlich gefährlich. Woher hast du gewußt, daß Charlie und ich hier kampierten?« »Nicht schwierig«, rühmte sich Meena. »Ich sehen, wo Sie Charlie schnappen. Er Packpferd führen.« Sie nahm Charlie die geöffnete Dose Corned beef ab, ohne ihn anzusehen. Sie tat es auch nicht, als er ihr einen Becher Tee brachte. »Schlauer Mensch, Mr. Bonaparte. Sie Charlie schnappen wie kleines Kind.« »Er hat eben Pech gehabt, Meena. Sieh mal: Er kam in einem Willi-willi über das Plateau, und der fiel gerade zusammen, als er in meine Nähe kam, und Charlie war verraten! Beinah hätte er mich überrumpelt. Gehört habe ich schon, daß man sich in einem Willi-willi tragen lassen kann, probiert habe ich es aber noch nie. Wie kommt man sich denn da drin vor, Charlie?« »All right«, kicherte Charlie. »Die Luft ist inwendig klar, der Sand wirbelt so schnell um einen herum, daß man kaum hindurchsehen kann. Meena kann das, ich habe sie beobachtet.« »Und hier ist sie nun«, ergänzte Bony. »Wen hast du verfolgt, Meena – Charlie oder mich?« »Charlie. Warum du Mr. Bonaparte folgen? Los, erzähle. Ich sehen, wie du ihm folgen vom Hof aus, und sagen zu Sarah, warum ich dich finden muß.« Charlie war jetzt wie ein Standbild aus Ebenholz. Im Feuerschein leuchteten Gesicht und Gestalt des Mädchens golden. Es war leicht zu erkennen, daß sie ausgehungert und durstig war, doch Bony wollte seine Auskünfte haben. »Du bist also drei Tage lang Charlies Spuren gefolgt, Meena?« Sie nickte, während sie Charlie düster ansah. »Und hattest nichts zu essen?« Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und sagte zu Charlie: »Auch du schlauer Mensch, Charlie, aber nicht ganz. Ich wissen, was Mister Bonaparte von Canute und mir sagen. Ich dich weich 84
werden sehen, ganz weich. Jetzt du Mister Bonaparte alles sagen, er aber nicht mich freimachen von Canute nachher – wie?« Charlie schaute verlegen drein. Er ließ Sand von einer Hand in die andere rieseln und half sich mit dem uralten Trick: Er grinste. Meena warf ihm die Fleischbüchse ins Gesicht, deren Kante ihn am Mund verletzte. »Aber Charlie ist doch glücklich, Meena«, sagte Bony. »Wir beide hatten gerade ein kleines Palaver – da bist du gekommen.« Charlies Lippen bluteten. Er leckte das Blut ab und stand auf. Jetzt war die Würde des schwarzen Mannes verletzt, und Meena sollte für diese Tat büßen. Vielleicht. »Ehe du loslegst, tu noch Holz aufs Feuer«, sagte Bony ganz ruhig. »Mache ich!« brüllte Charlie, und Meena kreischte: »Ich auch!« »Schon gut, werft nur nicht Yorkys ganzen Vorrat gleich aufs Feuer!« rief Bony. Sie beruhigten sich wieder. Beide keuchten jetzt mehr vor Anstrengung als vor Zorn und betrachteten Bony, der noch gemütlich zurückgelehnt dasaß. Der Ausdruck in seinen Augen erinnerte sie an den Missionar und an gewisse Lehren, die er ihnen erteilt hatte. Meena ließ ihren Packen Holz zu Boden fallen und setzte sich wieder dicht neben Bony, mehr um Charlie zu quälen als um Schutz zu suchen, den sie gar nicht wünschte. Charlie warf sein Holz aufs Feuer, das schnell emporloderte, und setzte sich mürrisch mit dem Rücken gegen den Packsattel. , »Nun, da wir wieder beisammen sind, laßt uns friedlich sein und nett miteinander reden«, murmelte Bony. »Ist es wahr, Meena, daß du Charlie nur nachgespürt hast, um festzustellen, warum er mich verfolgte?« »Ja, es ist wahr.« Sie zog aus der Tasche ihrer kurzen Hose eine Blechschachtel, der sie Tabak und Papier entnahm, und begann eine Zigarette zu drehen. Bony wartete, bis sie fertig war, dann 85
gab er ihr Feuer. Sie neigte sich vor und lächelte Charlie herausfordernd an. »Und weshalb hast du mich verfolgt, Charlie?« fragte Bony ganz schnell. Charlie verschanzte sich hinter einer sturen Miene. Statt seiner antwortete Meena lebhaft: »Häuptling Canute ihn schicken, ich wetten.« »Möchtest du wohl zu gern wissen?« fragte Charlie, dem ein höhnisches Grinsen nur schlecht gelingen wollte. Und Bony entschloß sich, dem Streit ein Ende zu machen. »Hört jetzt beide mal zu«, sagte er. »Für heute ist es genug mit dem gegenseitigen Bespitzeln und dem Wettrennen im Willi-willi. Wir müssen an Yorky und Linda Bell denken. Pierce und Mr. Wootton und ich meinen, daß ihr ebensogern Yorky finden wollt wie alle andern. Also wirst du jetzt meine Fragen beantworten, Charlie, und dich nicht mehr so albern benehmen. Ich verspreche dir, daß außer uns kein Mensch erfahren wird, was du sagst. Und vergiß nicht: Ihr zwei habt jetzt lange genug miteinander getändelt; ihr sollt jetzt beim Missionar heiraten und zur Ruhe kommen, sollt Kinder haben und glücklich sein. Mit Canute werde ich schon fertig, keine Sorge. Also, Charlie: Warum bist du mir gefolgt?« »Murtee hat mir gesagt, daß ich aufpassen soll, wohin Sie reiten und was Sie tun«, erwiderte Charlie noch mürrisch. »Aber du hattest doch für Mr. Wootton zu arbeiten.« »Habe ihm gesagt, daß ich krank bin.« »Und was meinte Mr. Wootton dazu?« »Nichts, aber er schickte mir Bill Harte nach, der sollte sehen, ob ich krank bin.« Charlie lachte. »Habe ihn bald verloren.« »Woher weißt du, daß Mr. Wootton ihn dir nachgeschickt hat?« »Habe gesehen, daß Bill so langsam geritten ist hinter mir her. Sollte ihn nicht bemerken.« »Und Mr. Wootton hatte ihn dazu beauftragt? Wie willst du das wissen?« 86
»Muß er ja, Bill hatte ja nicht gehört, als ich zum Boss sagte, daß ich krank bin.« »Na schön, lassen wir das. Murtee hat dir befohlen, mich zu verfolgen. Warum hat er das wohl getan?« »Weiß nicht. Murtee ist der Medizinmann.« »Hat er Lindas Puppen?« Diese Frage überraschte Charlie offenbar, und Meena sagte: »Natürlich nicht! Puppen im Spielhaus sind.« »Zwei sind dort. Die Puppen Ole Fren Yorky und Meena aber nicht, die sind weg. Jemand hat sie geholt. Wer?« »Keiner von unserem Stamm hat es getan«, behauptete Charlie, den Meena jetzt wie eine eifersüchtige Ehefrau beobachtete. »Ich mit Sarah sprechen, Sarah wird wissen«, sagte sie. »Vielleicht Mr. Wootton sie nehmen oder die Männer. Puppen Linda gehören.« »Allerdings«, betonte Charlie, »ich habe sie ihr gemacht.« »Wo sind Yorky und Linda? Sagt mir das.« Die Art, wie sie auf diese Frage reagierten, genügte Bony vorläufig. Er streckte einen anderen Fühler aus. »Wie viele Lastautos waren neulich zum Neales River gekommen, um eure Späher zu holen?« »Zwei. Arnold und Jim Holly von Wandirna.« »Und ihr seid alle auf diesen Wagen zur Farm mitgefahren?« »Die Männer alle, und auch ein paar Lubras. Meena, Sarah und noch einige.« »Nun, und wer blieb zurück?« Charlie nannte Canute und leierte noch einige Namen herunter. Bei weiteren Fragen ergab sich, daß er nicht genau wußte, ob Murtee bei Ankunft der Wagen auch am Fluß gewesen war. Jedenfalls, so behaupteten Meena und Charlie mit Bestimmtheit, sei Murtee auf keinem der Wagen mit zur Farm gefahren. Zwei Tage später hatten sie ihn im Lager am Flußbett gesehen. Auch Canute war zu der Zeit dort gewesen. Die beiden hätten dann den ganzen Tag ziemlich weit von den ändern entfernt vor ei87
nem kleinen Feuer gesessen und fortwährend Churingasteine an ihrer Stirn gerieben. »Weshalb bist du mit zur Farm gefahren, Meena? Hast du auch nach Yorky gesucht?« »Nein. Sarah im Wohnhaus kochen, und ich ihr helfen beim Saubermachen. Menge Leute im Haus gewesen.« »Und du weißt nicht, wohin Yorky und Linda gegangen sind?« Meena schüttelte den Kopf. »Weiß es denn Sarah?« »Nein.« »Und Canute?« Wie Schleier fiel es über ihre Augen. Eben noch so ausdrucksvoll, schienen sie plötzlich ganz stumpf. Und bei Charlie, der die Stirn runzelte, war es, wie Bony sah, ganz dasselbe. Schweigen herrschte am Lagerfeuer, ein Schweigen, das nur durch das Geschnatter einiger Wildenten gestört wurde. Bony tat, als sei ihm nichts aufgefallen, und fragte weiter. Er bekam ein paar nützliche Antworten. Er erfuhr, daß Wootton nicht Mrs. Bell nachgestellt hatte, auch Arnold Bray nicht. William Harte hätte ihr mal den Vorschlag gemacht, ihn zu heiraten, und Harry Lawton hätte geäußert, er wolle seinem Glück ein bißchen nachhelfen. Ferner hörte er, daß der Boss Lawton angedroht habe, ihn zu entlassen, falls er weiter Ole Fren Yorky ärgerte, indem er dessen Stimme und seinen eigenartigen Gang nachahmte. Und dann fragte er, obwohl er die Antwort schon wußte: »Habt ihr Mrs. Bell gesehen, als sie tot war?« Beide schüttelten heftig die Köpfe. »Hatte sie nicht den Schuß in den Rücken bekommen?« Beide nickten lebhaft, weil sie das bestätigen konnten. »Wie mir Polizeiwachtmeister Pierce gesagt hat, war ihre Bluse schrecklich verschmiert.« Auch das bestätigten sie. Bony malte ganz lässig mit dem Finger in den Sand – ein Fragezeichen, sah stumm zu den beiden hin, und sie nickten. 88
»Ihr hattet sie doch nicht gesehen«, sagte er. »Woher wißt ihr das denn?« Und wieder fiel ein Schleier über ihre Augen.
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ls Bony, der früh eingeschlafen war, erwachte, sagten ihm die Sterne, daß es kurz vor Mitternacht sein mußte. Auf dem Teich saßen Wildenten. Er überlegte, was sie an ein Gewässer locken mochte, wo nichts Grünes wuchs, und kam zu dem Ergebnis, daß sie nur ausruhten. In der Ferne muhte ein Rind, und noch ferner war das Geheul von wilden Hunden zu hören. Die Nacht war still und warm. Zwischen ihm und dem Feuer lag Meena. Sie hatte einen Arm unter den Kopf geschoben. Neben dem Packsattel schlief Charlie lang ausgestreckt auf dem Rücken Bony nickte wieder ein, und als er zum zweitenmal wach wurde, sagten ihm die Sterne, daß es fünf Uhr war. Im Osten zeigte ein mattes Grün den neuen Tag an. Der Teekessel war noch halb voll. Bony wärmte das Getränk in der Glut, die er schürte, wieder auf. Er trank Tee und rauchte, während er vor dem Feuer hockte. Ihm war, als flüsterten rings um ihn die Stimmen uralter Geschlechter, die Stimmen der Canutes und Murtees und Charlies und Meenas. Ihn beschäftigten jetzt die Einzelheiten der Gespräche vom Vorabend, denn richtig zusammengefügt, ergaben sie mehr als nur die Andeutung, daß an einem Verbrechen, für das nur Weiße als Täter in Frage kamen, auch die Eingeborenen beteiligt waren. 89
Bony durfte voraussetzen, daß sich im Lake-Eyre-Gebiet unter den Weißen kein Verbrechen ereignen konnte, ohne daß die Eingeborenen davon erfuhren, denn es gab eine Menge Leute, die davon überzeugt waren, daß weder ein Adler starb noch eine Sanddüne ihre Form veränderte, ohne daß die Schwarzen es merkten. Für diese Annahme sprach auch die Tatsache, daß der alte Canute, obwohl er blind war, durch sein ›inneres Auge‹ von der Form des Blutflecks auf dem Rücken der erschossenen Frau erfahren hatte. Canute hatte dies seinen Stammesgenossen mitgeteilt, und zwar durch sein Dijeridoo. Er hatte es zugleich auch Bony übermittelt, der dabei gewesen war. Und Bony hatte, bevor er dieses anfangs noch undeutliche Bild empfing, das für Canutes Sippe klar wie Kristall sein mußte, weder ein Foto von der toten Mrs. Bell gesehen noch irgendeinen Bericht über sie gelesen. Und diese wichtige Information hatte Canute bereits gehabt, als er angeblich mit seinem Stamm achtzig Kilometer vom Tatort entfernt war! Da aber kein Mensch ein inneres Bild festhalten kann, wenn er es nicht von außen empfangen hat – von wem hatte er dann die Beschreibung des Blutflecks erhalten? Als Bony die beiden Schwarzen, die jetzt in seiner Nähe schliefen, gefragt hatte, woher Canute das wissen konnte, hatten sie geschwiegen. Es konnte sein, daß sie keine Ahnung hatten, wie und von wem er es erfahren hatte, aber daß er informiert worden war, wußten sie, und es war möglich, daß auch sie ihre Kenntnis auf dieselbe Weise und zur gleichen Zeit wie er, Bony, erlangt hatten. Sicher war, daß sie Canute keine Fragen gestellt, sondern sich mit der Tatsache, daß er es wußte, zufriedengegeben hatten und froh waren, sich nicht weiter mit Dingen befassen zu müssen, die sie nicht direkt betrafen. Warum aber hatte Canute dieses Wissen seinen Leuten mitgeteilt? Nur, um ihnen mit seiner Macht zu imponieren und die Führerrolle, die er und sein Medizinmann spielten, unter Beweis zu stellen? Bei der Frage, wo sich Yorky und Linda aufhielten, war der Blick der beiden, die jetzt schliefen, plötzlich ausdrucks90
los geworden, als fürchteten sie, er könne die Antwort von ihren Gesichtern ablesen. Das konnte freilich auch dafür sprechen, daß sie sich um das Schicksal von Linda Bell wenig oder gar keine Sorge zu machen brauchten. Denn keine Menschenrasse ist so kinderlieb wie die australischen Ureinwohner, und für Bony stand fest, daß sie Yorky bis zur äußersten Nordspitze des Kontinents verfolgen würden, hätte er Linda ermordet. Die Enten flatterten nach ihrer Ruhepause über die spiegelglatte Fläche des kleinen Teiches und schwangen sich dann in die Lüfte. In wenigen Minuten mußte der Tag anbrechen. Bony stand auf. Er blickte auf das schlummernde Paar, das nicht wagte, jenen Mächten zu trotzen, die über ihr Inneres herrschten. Er bewunderte ihre Zurückhaltung, aber zugleich bedauerte er, wie sehr sie dabei ihre eigene Freiheit opferten. Mit einem Handtuch ging er zum Teich, zog sich aus und watete hinein. Da das Wasser auch hier nur knietief war, legte er sich lang hin und beobachtete die wechselnden Farben des Himmels. Charlie und Meena noch weiter zu verhören, schien ihm ebenso unfair wie zwecklos. Sie hatten ihm, bewußt oder unbewußt, Anhaltspunkte für seine Ermittlungen gegeben. Beide wußten etwas und waren der festen Überzeugung, daß sich Linda in Sicherheit befand. Bony schloß daraus, daß das Kind noch im Lake-Eyre-Gebiet sein mußte. Als Charlie Bony verfolgte, hatte er nur einen Befehl ausgeführt, doch Meena, die wiederum Charlie nachspürte, hatte einem Impuls gehorcht, für den es verschiedene Erklärungen gab. Keinen von beiden durfte Bony bedrängen, und doch war es möglich, beide zu weiterer Mitarbeit zu gewinnen. Er trocknete sich ab, zog sich an und ging zum Lager zurück. Er war gerade beim Rasieren, als das Mädchen aufstand, die Arme ausstreckte und sich reckte. Als Meena Bony bemerkte, ging sie rasch ans Feuer, legte Holz auf, füllte den Teekessel mit Was91
ser aus dem Behälter am Packsattel und setzte ihn in die Flamme. Als Bony mit dem Rasieren fertig war, ging er zu ihr und stellte sich neben sie. »Es ist am besten, wenn du gleich nach dem Essen zur Farm zurückkehrst«, sagte er. »Denk aber daran, daß du Charlie nicht gefunden hast, klar? Ich werde mit Charlie hier alle Spuren tilgen, die das Gegenteil beweisen könnten.« Sie wandte sich ihm zu, ihre großen dunklen Augen schauten ihn sanft an. In ihr sah er sich selbst, so wie auch sie etwas von ihrem Wesen in seinen Augen fand. In beiden lebte der Zwiespalt der Rassen. Um ihren Mund zuckte es ein wenig, als sie Bony fragte: »Sie die Wahrheit sagen gestern, wenn Sie Charlie erzählen von Ihre Meena? Wie Sie heiraten und dann laufen zu Tabaksträuchern?« »Ja. Hast du das denn gehört?« Sie nickte und schlug die Augen nieder. »Möchtest du denn gern, daß der Missionar dich mit Charlie verheiratet?« Wieder nickte sie leicht, in ihren Augen las Bony Hoffnung. Er wünschte, seine Frau Marie wäre dabei, um dem Mädchen beim Zerbrechen der Ketten zu helfen, mit denen die Tabus ihrer Rasse sie fesselten. »Canute ist alt und blind«, erinnerte er sie. »Murtee ist auch alt. Ich werde den beiden sagen, daß sie dich freigeben sollen, damit du Charlie heiraten kannst. Wenn ich das von ihnen fordere, werden sie es tun, und dann kann der Missionar euch trauen.« »Wirklich?« »Wetten?« Sie sah zu, wie er zwei Streichhölzer in ungleiche Stücke zerbrach und sie in den geschlossenen Händen schüttelte. Dann hielt er ihr beide Fäuste hin. »Das lange Stück möchte ich, das kurze nicht«, sagte er wie die Kinder beim Spiel. Sie zeigte auf die linke Hand. Er öffnete die Faust, und Meena sah, daß sie das längere Stück gezogen hatte. Still betrachtete 92
sie die Hölzchen, und Bony fragte sich, ob sie vielleicht seinen Schwindel bemerkt hatte. Aber dann belohnte ihn ein Lächeln, das langsam erwachte, so schön wie ein junger Morgen. »Weck jetzt lieber deinen Charlie«, sagte Bony und wandte sich ab, um sein Rasierzeug einzupacken.« Sie weckte Charlie, indem sie ihn mit den Zehen anstieß. Sie schalt ihn einen faulen schwarzen Bengel. Charlie grunzte, streckte sich, wie sie es getan hatte, und sprang lachend auf sie zu. Meena machte kehrt, rannte zum Wasser, er jagte ihr nach, und sie bespritzten sich wie ausgelassene Kinder. Sie umtanzte ihn und stieß lachende Schreie aus, wenn er sie zu packen versuchte. Wenn ihm dies gelang, kreischte sie, als hätte sie Angst vor ihm. Beide fielen hin und planschten eine Weile im Wasser, dann kamen sie Hand in Hand zum Lagerplatz zurück. Und während sie aßen, was Bony ihnen gab, dampften ihre Kleider in der Hitze, die vom Feuer kam. Später beobachteten die beiden Männer schweigend, wie Meena um den Teich ging, und Bony dachte, daß weiße Mädchen, könnten sie Meena so sehen, wohl nie mehr Schuhe tragen würden. Für Augenblicke stand sie auf dem Kamm einer rötlichen Düne und winkte. Dann war sie verschwunden. »Wie weit ist es bis zu dem Weg nach Loaders Springs?« fragte Bony. »Etwa sieben Kilometer«, sagte Charlie. Und dreißig waren es bis zu Yorkys nächstem Lagerplatz, wo es Wasser in einem Felsenloch gab. »Du kannst eine Strecke hinter mir bleiben, Charlie«, sagte Bony. »Damit es so aussieht, als verfolgtest du mich noch.« Charlie lachte, weil auf diese Weise sein Versagen sozusagen wieder wettgemacht wurde. Sie besprachen, wie Meenas Spuren ausgelöscht werden könnten, und Charlie meinte, dazu seien mindestens zwei Tage nötig, aber es würde schon bald Wind aufkommen, der ihnen diese Aufgabe abnehme. Charlie holte die Pferde, die kleine Glocken am Hals trugen, half beim Beladen 93
des Packpferdes und blieb dann noch am erlöschenden Feuer sitzen, bis Bony ein paar Kilometer Vorsprung hatte. Bony, der bequem im Sattel saß und das Packpferd hinterhergehen ließ, bekam Zweifel, ob sich Charlies Wettervoraussage bewahrheiten würde. Er fand am Himmel kein Anzeichen für Wind, und wenn keiner aufkam, um Meenas Spuren zu verwischen, konnte ein anderer Eingeborener sie verfolgen und im Lager Meldung erstatten. Zu Mittag saß Bony noch im Sattel. Es waren wieder Willi-willis unterwegs, die Sonne schien furchtbar heiß. Bony sah ein, daß etwas geschehen mußte, um von den zum letzten Lagerplatz führenden Spuren abzulenken. Es war eine von Bonys Grundregeln, bei der Aufklärung von Verbrechen seine Gegner aus der Reserve zu locken, wenn sie sich zu still verhielten. Canute und Murtee saßen gemütlich im Schatten der Bäume, zufrieden mit dem Gegenzug, den sie gemacht hatten, indem sie den ›großen Polizeimann‹ von Charlie bespitzeln ließen. Charlie und dieser wichtige Bony zogen in der spätsommerlichen Hitze an einem endlosen Grenzzaun dahin, der einen großen Kreis um Mount Eden bildete. In drei Tagen mußten Bony und sein Verfolger wieder am Lake Eyre ankommen, diesmal südlich der Farm, und bisher hatte Bony nur eins entdeckt: daß sich die Eingeborenen für seine Handlungen interessierten. Er entschloß sich, die Eingeborenen von den Spuren Meenas abzulenken und sie zur Aktivität zu zwingen. Er wollte ihnen Rauchsignale geben. Um vier Uhr nachmittags wehte noch kein Wind, und keine Wolke stand am Himmel. Den geeigneten Platz für die Signale fand Bony in einer schmalen Bachrinne, wo zwischen jungen Eukalyptusbäumen auch Tabaksträucher wuchsen. An drei weit voneinander entfernten Stellen häufte er trockenes Buschwerk und kleine Äste an und packte neben jeden dieser Stapel einen zweiten von grünem Gestrüpp und frischen Zweigen. 94
Rauchzeichen wurden fast nur benutzt zur Übermittlung einfacher Meldungen, insbesondere wenn es darum ging, mit einem fernen Medizinmann oder Häuptling Kontakt aufzunehmen. Bony hatte gar nicht die Absicht, eine Botschaft in die Luft zu senden : Er wollte nur Verwirrung und Unruhe stiften und Neugier wecken. Zuerst zündete er einen der trockenen Haufen an, der hell brannte, ohne Rauchentwicklung. In die Flammen warf er grünes Buschwerk, und sofort stieg kerzengerade eine dichte Rauchfahne empor. Dann zündete er den zweiten Stapel an und legte auch auf ihn grüne Zweige. Dasselbe machte er mit dem dritten Feuer. So hatte er drei Rauchsäulen zum Himmel geschickt, die wegen der Pausen beim Anzünden verschiedene Höhen erreichten und deutlich und klar waren bei dem günstigen Wetter. Er durfte sich mit Recht loben. Canute und seine Leute konnten die ›Meldung‹ nicht lesen, weil es gar keine war, und der Gedanke, wie bestürzt der arme Charlie bei dem Anblick sein mochte, erheiterte Bony. Sicher war jedenfalls eins: daß sowohl die Eingeborenen im Lager wie auch Charlie, der jetzt weitab den Spuren der Pferde folgte, auf seinem Wege durch das unlesbare Signal in Unruhe gerieten. Nach der Landkarte in Mr. Woottons Kontor, die Bony gut im Gedächtnis hatte, schätzte er, daß er etwa fünfzehn Kilometer Luftlinie von Mount Eden entfernt war. Er durfte annehmen, daß die dort befindlichen Schwarzen die Rauchsäulen sichteten, und hatte keinen Zweifel, daß Canute gleich ein paar von seinen jungen Männern zur Erkundung ausschicken würde. Eine Stunde später ritt Bony einen der mit glitzernden Eisensteinbrocken bedeckten Hänge hinauf, über die Arnold gefahren war, als er von dem alten Schuppen das Wellblech geholt hatte. Als Bony auf der flachen Kuppe eines Hügels ankam, sah er vergnügt und zufrieden, daß, von Canutes Lager jetzt Rauchzeichen aufstiegen. 95
Eben wollte Bony den Hang hinab zu der Baumgruppe reiten, neben der ein Windrad stand – da sah er, daß aus der Gegend, wo er vom Weg abgeschwenkt war, noch ein Rauchsignal hochging. Charlie informierte also Canute, daß ein ganz böser Teufel unterwegs sei, um alle in Aufregung zu versetzen. Die ganze Nacht saß Bony an einen Baum gelehnt, ungefähr dreihundert Meter von dem Felsloch in der Nähe von Yorkys Lagerstelle entfernt. Er wartete auf Charlie, doch Charlie kam nicht.
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nzeichen eines störenden Windes zeigten sich erst am nächsten Mittag. Der Himmel sah streifig aus, und die Sonnenstrahlen hatten eine rötliche Färbung. Bony entfernte sich hundert Meter vom Zaun, um den Schatten einer Gruppe kleiner Eichen aufzusuchen. Diese kümmerlichen Gewächse am Hang einer sanften Bodenwelle hatten zuerst ausgesehen, als seien sie zehnmal so weit entfernt wie in Wirklichkeit – nämlich knapp zwei Kilometer –, und wie mächtige Steineichen auf einem hohen Berg gewirkt Die Fliegen waren anscheinend in ausgelassener Stimmung. Bony hatte sie bisher mit einem Zweig abgewehrt. Aber sie folgten ihm auch in den Schatten und griffen ihn heftig an, als er den gepeinigten Pferden die Sättel abnahm. Er pflockte die Tiere gar nicht an, denn so dumm, in die Sonnenglut zu laufen, waren sie nicht. Sie suchten seine Gesellschaft, sobald er ein kleines Feuer gemacht hatte. Er blieb so wenigstens beim Essen von den Flie96
gen verschont. Beide Pferde stellten sich neben ihn und hielten die Köpfe in die Hitze über dem Feuer, denn diese ertrugen sie lieber als die Schwärme von Stechfliegen an den Augen. Charlie hatte Bony seit dem gestrigen Morgen nicht mehr bemerkt. Ein direktes Ergebnis seiner täuschenden Rauchsignale war ebenfalls ausgeblieben. Er hatte keine verdächtige Fußspur entdeckt und seit dem Aufbruch von Mount Eden nicht den geringsten Hinweis auf Ole Fren Yorky! Aber in diesem Lande sind kluge Leute nicht sehr neugierig auf das, was hinter der nächsten Sanddüne ist. Sie ziehen es vor, die Düne ›auf sich zukommen‹ zu lassen. Und die Richtigkeit dieses Verhaltens schien sich zu bestätigen, als Bony nach einer Weile am endlosen Grenzzaun weiterritt. Der Weg am Zaun entlang führte jetzt über steiniges Gelände. Zum Glück ging es in Ostrichtung, denn nach Westen zu hätte er bei den stechenden Lichtreflexen unmöglich etwas erkennen können. Noch ein paar Kilometer, dann mußte er das Ende des Zaunes am Lake-Eyre erreichen, siebenundzwanzig Kilometer südlich der Farm. Zuerst entdeckte er die Rauchzeichen, die im Nordwesten aufstiegen, so fern, daß sie durch die Luftspiegelung goldenen Strohhalmen glichen. Es waren drei. Eine der Säulen war aus einem Stück, die beiden ändern waren unterbrochen. Sie blieben ungefähr zehn Minuten deutlich sichtbar, ehe sie in der Höhe wie dunkelgrauer Nebel zerflossen. Alsbald stiegen dort, wo Canutes Lager lag, vier Rauchsäulen auf, zwei davon waren unterbrochen. Mehr geschah an diesem Tag nicht, und als Bony bei Einbruch der Nacht Yorkys nächstes Lager noch nicht erreicht hatte, band er die Pferde an kleine Bäume, setzte sich dazu und machte von Zeit zu Zeit ein kleines Nickerchen. Noch ehe die Sonne aufgegangen war – es ist ein zauberhafter Augenblick, denn die Luft ist rein und frei von Trugbildern –, er97
hoben sich Rauchsäulen über Canutes Lager, andere im Westen, im Süden und weit hinter den Nordgrenzen von Mount Eden. Als Bony sich wieder in den Sattel schwang, zuckte ein kleines grimmiges Lächeln um seinen strengen Mund, und er sagte zu seinem Pferd: »Wenn jemand, der mit einem Verbrechen nur das mindeste zu tun hat, ruhig abwartet, muß man etwas unternehmen, damit er in Bewegung kommt. Und durch meine Rauchsignale habe ich das erreicht.« Noch vor Mittag gelangte er an eine Wasserstelle an der anderen Seite des Zaunes, aus der das Wasser nur träge hervorquoll. Er erkannte sie sofort wieder: Hier hatte er schon vor seiner Ankunft in Mount Eden gerastet. Nachdem er ein Weidetor passiert hatte, ließ er zuerst die Pferde saufen. Als er dabei war, seine Behälter zu füllen, hörte er es auf der zur Farm liegenden Seite des Zaunes mehrmals knallen. Was wie ein Gewehrschuß klang, war zweifellos das Knallen einer Stockpeitsche. Nach einigen Minuten sah er einen Reiter zum Tor galoppieren. Der Mann sprengte bis an sein Lagerfeuer und schwang sich aus dem Sattel, bevor das Pferd zum Stehen kam – Harry Lawton. »Tag, Inspektor! Wie geht es?« fragte er. »So lala«, entgegnete Bony. »Möchten Sie einen Schluck Tee?« »Und ob.« Lawton schnallte eine Trinkflasche von seinem Sattel, schraubte den Deckelbecher ab und nahm von Bonys Tee. Er hob den Becher und sagte: »Weidmannsheil! Tolle Hitze, was? Aber nach dem Himmel zu urteilen, kriegen wir vor Abend noch einen mächtigen Sturm.« In seinen braunen Augen war kaum Neugierde zu erkennen. Sein rasiertes Gesicht, der Hals, die Brust unter dem offenem Hemd und die Unterarme erinnerten an Charlies stämmige Statur, und seine Hautfarbe war fast ebenso dunkel. Lawtons Hose war aus grauem Gabardine, seine Reitstiefel aus erstklassigem Känguruhleder, an den Sporen waren Sixpencestücke angebracht, damit sie besonders schön klirrten. Er bewies jetzt, daß 98
er die Kunst beherrschte, auf seinen Hacken zu sitzen, ohne die Sporen zu berühren. »Was führt Sie denn so weit ’raus?« fragte Bony. »Mich? Ach, ich muß den blöden Zaun abreiten und das Vieh aus diesem Abschnitt auf die Weiden treiben, die näher beim Hof liegen. Dauernd wollen die Rinder hierher zur Wasserstelle. Aber Sie haben allerhand Spaß versäumt.« »Oh!« Lawton grinste. »Im Lager der Eingeborenen war der Teufel los, es ging so hoch her wie noch nie. Ein paar von ihnen waren wirklich sehenswert. Rex hing ein Ohr über die Schulter, Sarah hat die Hälfte ihrer Zähne verloren, Meena haben sie das Haar in Büscheln ausgerauft, und einer ging mit der Keule auf den alten Murtee los.« »Wann ist das passiert?« fragte Bony scharf. »Vorgestern abend. Wirklich eine tolle Sache. Und dabei haben wir nur den Schluß erlebt. Als ich mit dem Boss und Arnold hinkam, lagen überall Bewußtlose herum. Hätte ich bloß einen Fotoapparat dabei gehabt!« »Sie haben die Eingeborenen also besänftigt?« »Besänftigt?« Lawton lachte schallend. »Ach, du grüne Neune, die waren schon mehr als besänftigt. Gegen acht Uhr hörten wir entsetzliches Gebrüll. Der Boss kam vom Haus ’rübergelaufen, aber wir sagten ihm, er sollte sie ruhig toben lassen. Er wollte sie nämlich besänftigen, wie Sie das nennen. Arnold meinte, bis zur Nacht würden sie sich wohl beruhigt haben, und während wir noch darüber stritten, kam Meena zu uns gelaufen und rief, wenn nicht sofort etwas geschehe, würde es bestimmt Tote geben. Also ritten wir hin. Am liebsten hätten wir dazwischengeknallt, doch das hat Wootton verboten. Er wollte keine toten Schwarzen auf seinem Grund haben. Wie gesagt, es lagen schon genug von ihnen lang, aber tot waren sie nicht. Die Kinder weinten, die Lubras kreischten, die Männer schrien Mord und Brand, krabbelten auf der Erde herum und suchten ihre Keulen 99
und Knüppel, die ihnen aus der Hand geflogen waren. Der alte Canute wälzte sich am Boden, und als ich ihn fragte, was er da mache, sagte er, ein Kurdaitscha habe ihn zu Boden geworfen. Einer, den sie Jimmy Glotzauge nennen, ging auf Arnold los. Na, das hätten Sie sehen müssen – prächtig. Dem hat Arnold eins auf sein gesundes Auge gegeben, daß er bedient war.« »Um was ging es denn eigentlich bei der ganzen Sache?« fragte Bony ernst. Lawton lachte wieder und erklärte, das wisse keiner, oder sie wollten es nicht sagen. »Na«, berichtete er weiter, »am nächsten Morgen schickte der Boss Arnold mit dem Lastauto zum Lager, und ich fuhr mit. Wir wollten die Verletzten holen und sie zum Arzt bringen. Wir kommen hin, und es sind gar keine Verletzten da, überhaupt kein einziger Schwarzer ist im Lager. Alle waren getürmt, außer Sarah und Meena, die wieder auf der Farm arbeiteten.« Lawton verstaute sein restliches Frühstück in einer Satteltasche, schnallte seine Trinkflasche wieder an und sagte, während er sich eine Zigarette drehte: »Ich muß jetzt weiter. Wohin wollen Sie? Zu Yorkys Lager beim See?« »Ja. Wie weit ist es bis dorthin noch?« »Ungefähr zehn Kilometer. Für die Pferde gibt es dort ein bißchen Grünzeug, aber bei Sturm ist es eine üble Ecke. Schon was erreicht bei Ihrer Suche?« »Viel nicht«, gab Bony zu. »Wissen Sie, was ich mir vorstelle, Inspektor? Daß Yorky das Kind in einer Düne versteckt hat, dann bis zur nächsten Bahnlinie gelaufen ist und auf einen Zug nach Alice Springs gesprungen ist. Das ist nämlich ganz leicht. Ich bin mal mit einem Freund in der Nähe von Loaders auf den Zug gesprungen, dann haben wir in Alice acht Tage gepraßt und sind zurück wieder schwarzgefahren. Na, dann wünsche ich Ihnen noch viel Erfolg. Ich muß jetzt wirklich gehen. Auf Wiedersehen.« 100
Harry Lawton schwang sich hoch, und schon saß er im Sattel. Vor dem Weidetor, durch das er mußte, stieg er nicht ab – die Kleinigkeit, es auf- und zuzumachen, erledigte er vom Sattel aus. Dann winkte er Bony zu und zog in langem Galopp davon. Bony packte mechanisch sein Frühstücksgeschirr zusammen. Der Kampf im Lager der Eingeborenen beunruhigte Bony, weil er der Meinung war, daß nicht seine Rauchsignale die Ursache gewesen waren, sondern Charlies und Meenas Verschwinden, für das die Schwarzen keine rechte Erklärung fanden. Daß Wootton ein Lastauto für den Transport der Verletzten zum Arzt geschickt hatte, gab Bony einen Begriff davon, wie schwer die Prügelei gewesen sein mußte. Er selbst hatte jetzt nur noch einen von Yorkys Rastplätzen zu untersuchen, und wenn er auch dort nichts fand, was ihm weiterhalf, mußte er annehmen, daß der Mann das gewaltige Lake-Eyre-Gebiet bereits verlassen hatte. Während er jetzt an der Innenseite des Grenzzaunes weiterritt, dachte er über Lawtons unerwarteten Besuch und über den Eindruck nach, den der Mann auf ihn gemacht hatte. In dem riesigen australischen Hinterland gibt es auch heute noch viele Männer von Lawtons Typ, in denen der Abenteurergeist der Vorfahren weiterlebt. Sie gehen ihre eigenen Wege und versuchen, um jeden Preis ein freies, ungebundenes Leben zu führen. Der erste Windstoß traf Bony gegen zwei Uhr, die Sonne hatte jetzt ein seltsames Gelb und stand über einem Streifen von hellgrauem Dunst. Anstelle von Willi-willis wirbelten rote Staubwolken über das Land, und als Bony die Dünen an der sogenannten Küste erreichte, sah er, daß alle Kämme dieser Sandhügel ›qualmten‹, als schüre der Sturm unter ihnen ein Feuer. Der Zaun machte einen Bogen über eine Kette von Sandhügeln, und als Bony auf einer Anhöhe ankam, sah er unter sich in der Ebene eine verfallene Hütte aus Wellblech, ein Windrad und ein halb zusammengebrochenes Schutzdach. 101
Er pflockte seine Pferde so an, daß sie bis an den Wassertrog kamen und von dem, was hier wuchs, fressen konnten. Dann betrat er die Hütte, die im Grundriß etwa drei mal drei Meter maß. Auch hier fand er Ölfässer mit Vorräten von Mehl, Tee, Zucker, Zündhölzern und Tabak sowie Fleisch in Dosen. Ebenso einige verschieden starke Seile. Auf einem langen, schmalen Tisch stand eine Laterne, in einer Ecke ein Kanister Petroleum. Die üblichen Dinge für den normalen Alltag eines Buschmannes, mit dem Unterschied, daß der Buschläufer namens Yorky keine Verluste durch diebische Eingeborene in Kauf zu nehmen hatte. Die vielen Stürme hatten dem Wellblechdach tüchtig zugesetzt, doch der halbdunkle Raum war ganz frei von den quälenden Fliegen, und Bony genoß sofort das schöne Gefühl, geborgen zu sein inmitten der grenzenlosen Weite, in der ihn überall ferne Späher entdecken konnten. Er trug seine Sachen in die Hütte, warf alles auf das Feldbett und machte gleich Feuer für Tee, denn kein vernünftiger Mensch trinkt hier draußen ungekochtes Wasser, wenn er Gelegenheit zum Kochen und Tee bei sich hat. Bald saß Bony auf einer Kiste vor dem schmalen Tisch, trank heißen Tee, rauchte und zog im Geist Bilanz über Erfolg und Mißerfolg seines Unternehmens. Hielt sich Yorky innerhalb oder außerhalb der Umzäumung auf? Tatsachen durften nicht ignoriert werden: Innerhalb der Grenzen von Mount Eden gab es Lagerplätze bei Wasserstellen und Nahrungsvorräte, draußen jedoch nur staubtrockene Einöde – bis auf die tiefen Wasserlöcher im Bett des Neales River, die aber achtzig Kilometer entfernt und in einem Gebiet lagen, wo sogar die Eingeborenen bei ihren Wanderungen vom Hunger geplagt wurden. Die Antwort auf diese Frage konnte jedenfalls nicht durch planloses Reiten in eine oder andere Richtung gefunden werden. Ein weniger geduldiger Mensch wäre über Bonys Bilanz verzweifelt gewesen.
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ie im Norden des Farmgebiets verlief auch hier der Zaun bis weit in die schlammige Salzpfanne hinaus, und dahinter zeigten einzelne alte Pfähle an, daß man in früheren Jahren, als der Schlamm noch härter gewesen war, den Zaun noch verlängert hatte. Bony saß an der Uferdüne und schaute über den Lake Eyre. Er konnte sich kaum etwas Trostloseres denken als diese ungeheure Fläche dunklen Schlamms, die in der Ferne mit einem graudunstigen Nichts verschmolz, das weder Erde noch Himmel war. An diesem Spätnachmittag war nichts von dem wunderbaren Zauber der Luftspiegelungen zu sehen, nichts durchbrach die Eintönigkeit. Und als er darüber nachdachte, erhob sich plötzlich die Frage, ob es denn klug war, hier untätig zu sitzen und in die Gegend zu starren. Sogar die Dünen waren interessanter als dies, denn es waren Wanderdünen, die sich fortwährend veränderten. Was er zuerst für eine Krähe gehalten hatte, begann jetzt seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Das Ding bewegte sich ganz draußen über dem Sumpf in einem bräunlichen Dunst. Nach einigen Minuten nahm es erkennbare Gestalt an: Es war ein Hund, offenbar ein wilder, doch Bony war nicht ganz klar, was er hier machte. Salz? War das die Antwort? Möglich. Es mußte ein Dingo sein: wilde Tiere legen oft unglaubliche Entfernungen zurück, um an den unwahrscheinlichsten Stellen Salz zu suchen. Als Bony ge103
spannt den Hund beobachtete, merkte er plötzlich, daß die Sonne schon untergegangen war und der stärker gewordene Wind so viel Sand herangeweht hatte, daß er schon ein ganzes Stück tiefer in der Düne saß. Er erhob sich und ging wieder auf die Hütte zu. Der Hund, der See und die ganze Welt sollten ihm gestohlen bleiben an diesem gräßlichen Abend, den zum Glück nun die Nacht auslöschte. Da bei der Hütte nur wenig Brennholz lag, sammelte er auf dem Rückweg Äste und tote Wurzeln und fand dabei auch ein Stück von einem Brett. Er warf seine Last neben der Feuerstelle ab, überzeugte sich, daß in der Lampe genug Petroleum war, und zündete den Docht an. Da sein Feuer erloschen war, machte er es wieder an, ging hinaus, hängte den Pferden die Schellen um und verkürzte die Ketten, mit denen er sie angepflockt hatte. Nachdem er alle diese Kleinigkeiten erledigt hatte und gerade wieder in die Hütte gehen wollte, trug ihm der Wind einen unterdrückten Schrei ans Ohr, der wie ein Schluchzen klang. Auf dem Kamm einer Düne stand ein Schwarzer, der bis auf die kurze Hose nackt war. Er trug keine Waffe, seine Beine waren fast bis zu den Knien vom fliegenden Sandstaub verdeckt. Da brach er zusammen und stürzte kopfüber den steilen Hang hinab. Als Bony zu ihm kam, versuchte der Mann sich aufzurichten. »Warum hast du es denn so eilig, Charlie? Was ist los?« fragte Bony. Charlies linke Kopfhälfte war mit Blut verklebt, die rechte Schulter blutüberströmt. Seine Augen waren vor Erschöpfung glasig und die Beine so schwach, daß er nicht aufzustehen vermochte. Mit äußerster Anstrengung brachte er ein Wort heraus, das ›Hütte‹ heißen konnte. Bony stützte Charlie und schleppte ihn in die Hütte, wo er ihn auf das Feldbett sinken ließ. Dann stellte er sich in den Eingang, da er erwartete, daß über den Hang, von dem Charlie gestürzt war, Feinde kommen würden. 104
Nichts war zu sehen. Der Wind trug das gleichmäßige Schellengeklingel herüber, an dem Bony erkannte, daß die Pferde ungestört grasten. Er machte die Tür zu und verkeilte sie mit dem Brett, das er gefunden hatte. Dann flößte er Charlie löffelweise Wasser ein. Wenn ein Eingeborener so fertig war, mußte er lange und unerbittlich von seinen Verfolgern gejagt worden sein. Jetzt wurde sein Atem ruhiger, er stieß ein paar tiefe Seufzer aus, dann versuchte er sich aufzurichten, doch Bony hielt ihn zurück. »Dir sind also deine Stammesgenossen auf den Fersen, wie?« fragte Bony. »Ja. Sie gehören einem wilden Stamm an. Canute hat sie durch Rauchzeichen gerufen. Beinahe hätten sie mich erwischt, und ich hatte schon bei einer Schlägerei im Lager genug abgekriegt.« »Beruhige dich jetzt, Charlie, bei mir bist du sicher«, sagte Bony eindringlich. »Ich setze gleich Teewasser auf, dann essen wir erst und reden nachher. Tut dein Kopf weh?« »Ganz furchtbar.« »Wollten sie dich mit Speeren töten?« »Ein paar haben sie nach mir geworfen.« »Dann müssen sie ja wirklich gereizt sein.« Bony hängte den Teekessel an den Haken über dem Feuer, dann holte er aus einer Satteltasche Aspirin und Munition. Zum Glück konnte eine Blechhütte nicht in Brand gesteckt werden, und das Wellblech war noch in recht gutem Zustand. Allerdings konnten die Speere der Schwarzen es durchschlagen, was er aber bezweifelte, denn er hatte das noch nicht erlebt. Er gab Charlie zwei Tabletten und sagte: »Ich habe heute Harry Lawton getroffen, der erzählte mir, daß es vorgestern abend in eurem Lager eine Prügelei gegeben hat. Stammt daher deine Kopfverletzung?« »Ja. Die Schulter hat mir ein Speer aufgerissen.« »Haben sie sich so nahe an dich herangewagt? Das muß ja eine ernste Sache gewesen sein. Woher kamen die Wilden?« 105
»Von der anderen Seite vom Neales. Müssen sich sehr beeilt haben, daß sie waren schnell hier. Ich habe sie erst bemerkt, als ich an dem Wasserloch trank, wo Sie Harry getroffen hatten. Vier waren es. Ich machte schleunigst, daß ich weiterkam!« »Hattest du noch meine Spur?« »Ja.« »Wie kommt es, daß du im Lager warst, als dort der Tumult ausbrach? Da warst du doch nicht mir auf den Fersen.« Charlie setzte sich jetzt aufrecht hin, obgleich Bony es ihm verboten hatte. Der junge Mann hatte eine klaffende Kopfwunde, sie mußte genäht werden. Beim Anblick der Wunde erinnerte sich Bony, daß er in seinem Gepäck auch Nähzeug hatte. Die Schulterwunde sah nicht so schlimm aus, hatte aber stark geblutet. Von Sand, Blut und Schweiß ganz entstellt, bot Charlie einen entsetzlichen Anblick, so daß man nur schaudern konnte. Charlie drehte sich eine Zigarette, für die Bony ihm Feuer gab, während er auf die Antwort auf seine letzte Frage wartete. »Das kam alles durch Ihre blöden Rauchsignale«, murmelte Charlie. »Ich hielt mich im Hintergrund, da sah ich die Zeichen. Lesen konnte ich daraus nichts, aber ich wußte, daß sie für Canute bestimmt waren. Das hat mich dann doch aufgeregt.« Das Weiße in Charlies Augen verriet seine angeborene Furcht vor dem Unerklärlichen, und Bony verstand, was ihm Charlie jetzt schilderte. »Ich habe mich dann hingesetzt und auf Rauchzeichen von Canute gewartet, und als keine kamen, da dachte ich mir: Es ist besser, du läufst bis zum Lager zurück, damit du weißt, was los ist.« Jetzt funkelten seine Augen, die Nasenflügel bebten. »Als ich hinkam, hatten Canute, Murtee und die Alten ein Palaver. Murtee wollte von mir wissen, was mit den Spuren wäre, die wir am letzten Abend im Lager hinterlassen hatten. Dieser Canute, das ist ein ganz geriebener Bursche. Er hatte erfahren, daß Meena mir gefolgt war, und da schickte er den jungen Wantee hinter ihr her. Der meldete ihm, daß wir drei zusammen kampiert haben. Sie hatten Meena mit einem alten Strick an 106
einen Baum gebunden, und Murtee sagte zu mir, sie wollten ihr nur ein Knie zerschlagen, damit es wie ein Unfall aussah. Wenn sie es mit beiden machten, würde Pierce etwas merken. Als er mir das sagte, sah ich in einem Baum ein Beil stecken, und das ergriff ich, und lief zu Meena hin und hackte den Strick mit einem Schlag durch.« Charlie sah die Szene im Geist wieder vor sich, es zuckte in seinem Gesicht, seine Augen verdrehten sich, der Mund war zu einer breiten Grimasse verzogen. Als er weiter beschrieb, was passiert war, gestikulierte er heftig mit den Armen. »Und da schrie Murtee den anderen zu, sie sollten mich packen, und ich hatte nur das Beil. Aber das gefiel ihnen nicht, denn sie wußten, daß ich damit einfach auf sie losgehen würde. Während ich noch zögerte, erblickte ich Sarah. Oh, diese Sarah! Die hatten sie wohl auch an einen Baum gebunden, und Meena hatte sie gerade befreit.« Charlie lachte, seine Stimme überschlug sich. »Und Sarah hatte sich einen kleinen Baum ausgerissen. Sie zog Murtee eins über den Schädel, und Murtee sagte gar nichts mehr. Dann kamen die anderen auf mich zu. Rex wollte mich packen, und ich erhob schon das Beil gegen ihn, doch Meena kam mir zuvor. Sie kratzte ihn so mit den Fingernägeln, daß er nichts mehr sehen konnte. Na, ich habe ihm trotzdem noch eins versetzt mit dem Beil, weil ich daran denken mußte, daß ich mit Rex sonst immer gut Freund gewesen war. Und bums, lag er da. Häuptling Canute brüllte herum, sagte, was sie machen sollten, und alles drängte sich um ihn, ich mitten unter ihnen. Ich hörte noch, wie der alte Kerl rief, sie sollten uns nicht töten und da kriegte ich einen heftigen Schlag auf den Kopf und Verlor das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, sah ich Sarah, die auf Canutes Bauch stand. Sie sprang immerzu darauf herum, und Canute brüllte überhaupt nicht mehr. Ich sah, daß Rex wieder aufgestanden war und auf Whistler losging, der Meena die Haare ausriß. Und dann schlug ich alle, die mir in den Weg kamen, zu Boden, aber ich hatte nun eine Keule anstatt des Beils und 107
weiß gar nicht, wieso. Einen nach dem anderen schlug ich nieder, und auf einmal waren es gar nicht mehr viele. Es war dunkel geworden, weil sich ein paar über das Feuer gewälzt hatten. Nach einer Weile trafen der Boss, Arnold und die anderen ein. Wir waren alle ordentlich in Fahrt, und Jimmy Glotzauge wollte auf Arnold losgehen, aber der warf ihn zu Boden. Und dann war es zu Ende. Sie überzeugten sich noch, daß keiner tot war, und ritten wieder zur Farm zurück. Sarah und Meena nahmen sie mit. Am nächsten Morgen verließen wir das Lager. Sie wissen sicher, wie wir Eingeborenen Wunden behandeln. Die Frauen holen junge Eukalyptusblätter, zerkauen sie, bis sie den ganzen Mund voll Brei haben, und den drücken sie in die Wunden und kleistern noch Seeschlamm darüber. Canute oder ein anderer hat ihnen gesagt, bei mir sollen sie nichts machen, ich sollte mich wegscheren. Da dachte ich mir: Verschwinde lieber, bevor es wieder ruhiger wird. Das Beste, was ich tun konnte, war ja, daß ich wieder Ihren Spuren folgte. Als ich das tat, sah ich die Rauchzeichen von Canute und die von dem anderen Stamm. Canute ruft also zum Corroborree, denke ich, und kaum war ich bei der Wasserstelle angekommen, da stürzten sich schon welche von den Wilden auf mich. Die müssen jetzt hier in der Nähe sein.« »War ein ziemlich harter Kampf, was?« meinte Bony trocken. »Das war es wirklich. Diese Sarah! Sie ist schwer wie ein Pferd und springt trotzdem in die Luft und immer mit beiden Füßen auf Canutes Bauch.« »Und hat als Knüppel einen Baum genommen!« Bony lachte vergnügt. »Den muß sie aus der Erde gerissen haben, einen abgestorbenen, drei Meter lang!« rief Charlie. »Diese Sarah!« »Und Meena machte die Sache wohl auch Spaß?« drängte ihn Bony entzückt zum Weitersprechen. »Und ob! Diese Meena, oh, das ist eine!« Charlie schaukelte vor Begeisterung hin und her, als er wieder an die Szene dachte. »Sie hätten sehen soll…« 108
Ein gewaltiger Schlag donnerte an die Hüttenwand und unterbrach seinen Bericht. In der eintretenden Stille hörten die beiden Männer aus einiger Entfernung eine kehlige Stimme rufen: »Du kommen ’raus, Charlie! Groß Polizeimann bleiben drin, dir nix tun.« Bony feuerte einen Schuß ab. Es folgten keine Befehle mehr. Sogar die wilden Schwarzen waren aufgeklärt genug und wagten keinen offenen Angriff gegen einen Vertreter der Justiz des weißen Mannes. Hätten sie Charlie fassen können und mitgenommen, so wäre er nie wiedergekommen. Sie aßen sich satt an Yorkys Konserven und tranken eine Menge stark gesüßten Tee. Dann wollte Bony Charlies Wunden behandeln. »Ach, das ist schon gut so, die heilen von selbst«, sagte Charlie lachend. »Da bin ich anderer Meinung«, entgegnete Bony scharf. »Dein Kopf muß genäht werden, so kannst du nicht herumlaufen, sonst wird ja Meena ganz elend.« »Meena! Meinen Sie?« »Aber sicher. Ich habe eine Salbe. Mal sehen, ob Yorky etwas für die Wunden hat.« Sie durchstöberten die Hütte, und Charlie brachte einen Kanister voll Teer zum Vorschein. »Da haben Sie was«, sagte er. »Bloß heiß machen, das genügt. Wird so dicht schließen wie bei den Kamelen. Okay?« »Und ich komme dann ins Gefängnis wegen Tierquälerei. Nein. Das beste ist noch Alkohol. In meiner Tasche habe ich auch Zwirn.« Die Wunde sah scheußlich aus. Bony befahl Charlie, sich auf eine Kiste zu setzen, das Gesicht zum Schutz der Augen mit den Händen zu bedecken und die Ellbogen auf die Knie zu stützen. Die Kopfwunde war mindestens zehn Zentimeter lang. Wasser hatten sie in der Hütte nur noch ein paar Liter, und der Morgen war noch weit, aber dann konnten sie ja – so hoffte Bony – sich neues holen. 109
Zum Glück befanden sich unter dem Nähzeug auch Nadeln. Bony fädelte mehrere Faden Zwirn ein und tauchte die Nadeln in Whisky. Um seinen Patienten abzulenken, sprach er von dem Dingo, den er auf dem Seeschlamm beobachtet hatte. »Das ist komisch mit den Dingos«, sagte Charlie, der nicht zuckte, als Bony die Wunde auseinanderzog und sie mit Whisky wusch. »Ich glaube, die gehen glatt über den ganzen See bis zur anderen Seite. Ich habe mal eine Hündin mit ihren Jungen beobachtet, sie kamen vom See. In der Morgensonne sahen sie wie Gold aus, vier kleine Sonnen und eine größere. Ich merkte, daß die Jungen ganz dicht bei der Mutter gingen, und wissen Sie auch, warum?« »Na, warum?« fragte Bony, der ein Stück Leder nahm, um besser auf die Nadel drücken zu können. »Sie hielten sich auf einem Pfad«, erwiderte Charlie, der nicht die kleinste Bewegung machte, als die Nadel durch seine Kopfhaut fuhr. »Diese Dingos, die kennen sich aus, die haben ihre eigenen Wege über den Schlamm. Die Jungen blieben so dicht zusammen, weil sie ihre Beine nicht schmutzig machen wollten. Ich konnte den Pfad erkennen, auf dem sie kamen. Bin ihnen sogar ein Stück entgegengegangen, weil ich sehen wollte, was sie dann machten. Sie drehten sich einfach um und gingen wieder zurück. Wie geht es mit dem Nähen?« »Schon halb fertig«, ermutigte ihn Bony. »Wie alt waren die Jungen wohl, was meinst du?« »Fünf Wochen ungefähr, vielleicht auch sechs.« »Die Hündin kann sie doch nicht von der anderen Seite, ganz über den See gebracht haben, sie muß von dieser Seite gekommen sein und hat gewiß nur einen Spaziergang gemacht.« »Glaube ich nicht. Sie ging ja nicht fort, sondern kam von weit her. Vorn waren auch keine frischen Spuren, die vom Strand wegführten.« 110
»Wie weit bist du denn auf dem Pfad gegangen?« »Ungefähr achtzig bis hundert Meter, kann auch etwas mehr gewesen sein. Aber ich wußte ja, daß ich die Tiere nicht einholen konnte.« »Waren da viele solche Pfade?« »Nein. Dieser liegt etwa einen Kilometer von der Farm entfernt.« »Interessant«, meinte Bony. »Na, diese Sache wäre erledigt. Hier, nimm den Lappen und wisch dir die Augen aus. Du mußt sehen, daß dir in ungefähr einer Woche jemand die Fäden zieht, wenn du bis dahin nicht an Wundfieber gestorben bist.«
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er Wind krallte sich unter das eiserne Dach und rüttelte an den Wänden. Die beiden Männer schliefen unruhig. Charlie wegen der Nähe der wilden Eingeborenen, Bony störten die letzten Ereignisse und der Wunsch, einmal wieder in einem bequemen Bett zu schlafen. Endlich kam der Morgen, und sie stellten mehrere Schäden am Dach und an der Tür fest. Bony konnte, auf einer Kiste oder auf dem Bett stehend, die Umgebung draußen betrachten. Der Wind war noch stark, aber nach Süden abgezogen, er war auffallend kühl und hatte nicht mehr die Kraft, Staub aufzuwirbeln und Sanddünen zu verschieben. »Ich werde Wasser holen«, sagte Bony. »Laß mich hinaus, und sperr die Tür mit dem Keil zu, bis ich zurückkomme.« 111
Er nahm den aus einem Petroleumkanister gemachten Eimer, steckte seine Pistole in die Tasche und schob das Brett von der Tür, die nach innen aufsprang. Als er die Hand nach Charlie ausstreckte, um ihm das Brett zuzuwerfen, fiel ihm ein Stückchen Metall an dem Holz auf. Er hatte den Eimer abgesetzt und betrachtete das Brett genauer, ohne zu erraten, wozu es dienen sollte. Es mochte zu einer Kiste gehört haben. »Charlie«, rief er, »was hältst du von diesem Ding? Ist das von einem Kamelsattel?« Als er den Eingeborenen jetzt anblickte, bemerkte er, daß der junge Mann nach oben starrte. Charlies Gesicht zeigte, daß ihn etwas stutzig gemacht hatte. Nur einen Moment war diese Reaktion deulich erkennbar, dann wurde das Gesicht ausdruckslos. »Weiß nicht, Inspektor Bonaparte«, antwortete Charlie. Es war ungewöhnlich, daß er Bony mit Titel und Namen anredete. »Ein Stück altes Holz, ist wohl Yorkys gewesen.« »Das scheint mir auch so. Wir sind ja auch in Yorkys Lager.« Als Charlie den Kopf schüttelte, nahm Bony den Eimer wieder auf, ging durch die obere Tür hinaus und hörte, wie Charlie sie hinter ihm wieder zusperrte. Jetzt war nicht die Zeit für Grübeleien: Aus den kahlen Dünen konnten plötzlich schwarze Gestalten auftauchen und Speere schleudern. Hinter den fünf oder sechs zähen Mulgabäumen, die sich hier behauptet hatten, konnten noch mehr schwarze Männer sein und ihn mit ihren Speeren jäh anspringen. Ohne Eile ging Bony die hundert Meter bis zum Brunnen. Er spähte rings über das winddurchbrauste, ausgedörrte Land, er beobachtete den Brunnen und die Hütte. Kein menschliches Wesen erschien, um die Trostlosigkeit der Landschaft zu beleben. Er trug den gefüllten Eimer zur Hütte, und als Charlie ihm die Tür öffnete, entstand ein heftiger Luftzug. »Steckst du die Bude in Brand?« fragte Bony. Charlie lachte und erklärte ihm, das Feuer, das er mit Buschholz angemacht ha112
be, wolle nicht brennen. Aber jetzt schlugen schon helle Flammen auf. »Draußen sind keine Schwarzen«, sagte Bony, »scheinen abgezogen zu sein.« »Das glaube ich auch; die kämpfen nicht gegen einen weißen Polizeibeamten. Vielleicht sagen sie Canute, er soll seine schlechten Geschäfte allein besorgen, der schwarze Schweinehund. Was werden wir jetzt machen?« »Wir werden uns in der Schüssel da waschen, rasieren und zusehen, daß wir bald zur Farm zurückkommen. Wir gehen am Ufer entlang, da kann uns so leicht keiner überfallen. Und dann wirst du in der Nähe des Hofs bleiben, während ich mir Canute vorknöpfe.« Charlie war durch Bonys gute Laune sichtlich erleichtert. Er warf das Kistenbrett ins Feuer und tat noch mehr Kleinholz darauf. Nach einer halben Stunde hatten sie gefrühstückt und sich Zigaretten gedreht. Bony hatte die Pferde herangeholt. Um feindliche Schwarze abzuschrecken, die sie vielleicht beobachteten, wurde demonstriert, welche Macht der ›große Polizeimann‹ hatte: Charlie ritt mit einem Seil um den Hals als ›Gefangener‹, vom bösen Gesetz des weißen Mannes erfaßt, neben Bony her. Sogar Charlie, so naturverbunden er als Sohn der Ureinwohner auch war, spürte nicht die Nähe der kampfbereiten Schwarzen vom feindlichen Stamm. Als die Sonne über den Horizont stieg, wurde der Wind zu einer milden Brise, und die Fliegen hielten sich im Schutz der Pferde. Zu Mittag entfaltete sich der ganze Zauber der Luftspiegelungen, und die Trostlosigkeit des Vortages war vergessen. Charlie sprach hin und wieder ein paar Worte, war aber viel schweigsamer als sonst und blickte nicht nur häufig rückwärts, sondern auch öfter nach der links vor ihnen liegenden Dünenreihe am Ufer. Der Vormittag verging. Zu Mittag wurde eine Rast mit Tee und Büchsenfleisch eingelegt, und zwei Stunden spä113
ter sichteten sie die Kieferngruppe, das Wahrzeichen der nahen Farm. »Wie ist es mit dem Dingopfad, den du mir zeigen wolltest, Charlie?« fragte Bony. Charlie erwiderte kichernd, es seien bis dahin noch fünf Kilometer. Weshalb hatten die Augen des schwarzen Jünglings bei der Frage nach der Herkunft des Bretts wieder den leeren Ausdruck gehabt? Warum war kurz vorher in seiner Miene deutlich zu erkennen gewesen, daß ihm etwas Wichtiges eingefallen war? Was bedeutete dieses Brett für ihn? Daß es ihm eine Antwort auf bisher ungelöste Fragen gegeben hatte, war für Bony klar bewiesen. Dieser Trick, die Gedanken zu verschleiern, war für den, der auf eine Antwort wartete, jedesmal aufreizend, weil es eine entschiedene Weigerung war. Erst vor wenigen Tagen hatte Meena auf Bonys Fragen offen zugegeben, daß sie keine Ahnung habe, wo Yorky und das Kind seien. Doch als Bony sie fragte, ob Canute ihrer Meinung nach Bescheid wisse, wurde ihr Blick verschlossen. Bei Charlie war es dasselbe gewesen, also schienen beide nicht zu ahnen, wo Yorky war, aber sicher zu sein, daß Canute es wußte. Das Brett hatte Charlie einen Hinweis gegeben, doch wollte er davon nichts verraten. Bony vergaß einstweilen dieses Thema, als Charlie, der noch immer den dünnen Strick um den Hals trug, ihm jetzt den Pfad der Wildhunde zeigte. Vom Sattel aus konnte Bony ihn gut sehen: Wie ein schmales, gewundenes Band, ein wenig dunkler als der Sumpf zu beiden Seiten, erstreckte sich der Weg bis zum Horizont. Bony stieg ab und ging bis zur Einmündung des Pfades, wo er feststellte, daß die Spuren der Hunde zum See und in Gegenrichtung liefen. Auf dem zementharten Boden des Ufers fand er viele Spuren, die ihm zeigten, daß hier die über den See gekommenen Dingos ihre Pfoten vom Schlamm gereinigt hatten. Nach aufmerksamer Prüfung kam er zu der Überzeugung, daß es sich um wenige Hunde handelte, daß ihr Weg jedoch schon alt 114
war. Der schmale Pfad war merklich härter als der Boden zu beiden Seiten. »Wäre ein guter Platz, hier Fallen für die Hunde zu stellen«, sagte er zu Charlie, der das lachend ablehnte und mit unecht klingenden Scherzen erklärte, die Dingos hätten ja noch nie einem Weißen etwas zuleide getan, so daß kein Anlaß gegeben sei, sie zu fangen. Bony ging auf dem Pfad ein Stück weiter und bemerkte, daß er erst nach zwanzig bis dreißig Schritten auf weicheren Boden geriet. Es war ihm tatsächlich ein Rätsel, daß die Hunde weit auf den See hinausgingen, denn wegen des Salzes konnte es nicht sein: Salz lag stellenweise ganz nah am Ufer. Bony stieg wieder in den Sattel. Sie verließen das Ufer, ritten unterhalb des Hanges an der Kieferngruppe vorbei zum Tor hinter den Stallungen der Farm. Bony nahm Charlie den Strick vom Hals, und sie sprangen aus den Sätteln. »Laß die Pferde frei, Charlie, und dann bring mein Bündel und die Satteltaschen auf die Veranda am Wohnhaus«, ordnete Bony an. »Und denk daran, daß du nicht ohne meine Erlaubnis den Hof verlassen darfst. Ich werde mit Mr. Wootton sprechen, daß du hierbleibst und in der Wirtschaft helfen kannst, und dann werden wir noch mal deinen Kopf untersuchen und sehen, ob es so geht oder ob wir dich zum Arzt schicken müssen.« »Und Sie bringen mit Canute alles in Ordnung?« fragte Charlie besorgt. »Ja, das mache ich, Charlie.« Bony fand Wootton auf der Veranda und hatte den Eindruck, daß sein Anblick den Viehzüchter von schwerer Sorge befreite. »Bonaparte! Bin ich froh, daß Sie zurück sind!« rief er. »Wir hatten hier große Aufregung, wie Lawton Ihnen ja schon erzählt hat. Er sagte mir, daß er Sie gestern am Brunnen einundneunzig getroffen hat.« »Ja. Er war recht aufgeregt über die Schlägereien im Lager und berichtete mir, die Eingeborenen seien verschwunden.« 115
»Stimmt, aber sie sind heute wiedergekommen. Ich hatte Meena und ihre Mutter zur Sicherheit hierbehalten. Dann telefonierte ich mit Pierce, der nach meiner Ansicht die Sache sehr oberflächlich behandelt hat. Er sagte nur, die Schwarzen verschwänden oft ganz plötzlich, und er mische sich da nie ein, höchstens um ernste Kämpfe zu verhindern. Als ich erklärte, hier könne es sehr leicht noch zu Mord und Totschlag kommen, fragte er, wo Sie steckten. Er wollte Ihnen noch zwei Tage Zeit lassen und bis dahin nicht eingreifen.« »Tot ist doch keiner?« fragte Bony sanft. »Ich glaube nicht. Heute früh kam eine Lubra und wollte ein schmerzstillendes Mittel für Murtee holen, aber von der konnte ich nichts erfahren. Ich habe so etwas noch nicht gesehen: Die Männer lagen im Lager am Boden, manche bewußtlos, viele bluteten, und die Kinder drängten sich in kleinen Gruppen zusammen und schrien wie verrückt. Ah, da kommt Meena. Sehen Sie sich die bloß mal an!« Meena kam näher und setzte das Tablett mit dem Nachmittagstee auf einen niedrigen Tisch. Da sie wieder ein schwarzes Hauskleid und eine weiße Faltenschürze trug, mußte man schon nach ihrem Kopf schauen, wenn man feststellen wollte, was an diesem tadellos angezogenen Hausmädchen nicht stimmte. Sie blickte Bony zuerst scheu, dann mit lustigen Augen an, und Wootton sagte: »Zeig’s ihm, Meena.« Sie neigte den Kopf, damit Bony das Pflaster sehen konnte, das die Stelle bedeckte, wo man ihr gewaltsam die Haare ausgerissen hatte. Bony sagte lachend: »Sieht nicht so schlimm aus wie bei Charlie, Meena. Hast du ihn schon gesehen?« »O ja!« Meena lachte auch. »Charlie sagen, daß alter schwarzer Schweinehund Wilde hinter ihm herjagen.« »Meena!« ermahnte Wootton sie streng. »So darfst du von niemandem reden, verstanden? Was soll das heißen: Wilde hinter Charlie her jagen?« 116
»Das werde ich erklären«, schaltete sich Bony ein. »Du, Meena, bringst jetzt Charlie unter die Dusche, dann siehst du dir seinen Kopf an und sagst mir, welche Behandlung du für richtig hältst und was Sarah dazu meint.« »Erst schenk uns Tee ein«, befahl Wootton, »Inspektor Bonaparte ist gewiß müde und durstig.« Mit ernster Miene erfüllte sie gewandt ihre Pflicht. Als sie gegangen war, riß Wootton die Geduld. »Verdammt und zugenäht, ich verstehe das nicht! Wenn Sie das Mädchen sehen: tadellos auf Draht, adrett angezogen, bis zu den roten Schuhen. Kann vernünftig sprechen, und trotzdem … Trotzdem schlägt und prügelt sie sich halbnackt herum wie eine Amazone, boxt und verteilt Fußtritte, kreischt, kratzt und beißt.« »Und es macht ihr einen Riesenspaß.« »Zweifellos. Merkwürdiges Vergnügen. Ich habe einen Mann gesehen, dem das Ohr fast abgerissen war. Und Sarah, unsere Köchin, drosch mit einem Ding, so groß wie ein Baum, um sich. Und was ist mit Charlie passiert?« »Dem hat jemand einen Ziegelstein auf den Schädel geworfen. Ich habe ihm die Wunde gestern abend genäht. Keine Sorge wegen der Eingeborenen, mit denen werde ich schon fertig. Übrigens: Ich bin knapp mit Tabak. Könnten Sie mir mit fünf bis zehn Pfund aushelfen?« »Gewiß. Aber – fünf bis zehn Pfund?« »Ferner möchte ich mir ein Auto oder einen Lastwagen bei Ihnen leihen, damit ich für eine Stunde zum Lager fahren kann. Natürlich erst, nachdem wir diese herrlichen Brötchen verzehrt haben, die man für uns gebacken hat.«
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andirna, Häuptling des Stammes der Orrabunna, alias Canute, verlangte nach einem Eukalyptusbad. Er fühlte sich nicht wohl. Kein Wunder bei seinem Rheuma und der Springerei, die Sarah auf seinem Bauch veranstaltet hatte. So hielt er die von seinen Ahnen schon vor vielen Jahrhunderten erfundene Kur für nötig. Die Frauen hatten junge Eukalyptusblätter in Massen mitgebracht, die sie jetzt in eine flache, durch Holzfeuer erwärmte Grube packten. Auf diese Blätter träufelten sie Wasser, bis die Erde darunter feucht wurde. Sofort stieg Dampf auf. Als die Temperatur in der Grube etwas gesunken war und die heißen Blätter schlaff wurden, geleitete eine Lubra Canute zum Bad und forderte ihn auf, hineinzusteigen. Nun lag er da, lang ausgestreckt, ein fetter, alter Mann mit weißem Haar, nackt bis auf den zottigen Bart, der seine Brust zur Hälfte bedeckte. Der Eukalyptusdampf, der, geschwängert mit Eukalyptusöl, stark genug war, um einen Stier umzuwerfen, stieg auf. Canute grunzte, knurrte und schnaubte, hielt aber durch. Als das Bad langsam abkühlte, gab der Geplagte einen heiseren Befehl, worauf die Wärterin über die Grube Eukalyptuszweige legte, um die Wirkung des heilenden Elixiers zu erhalten. Canute, der sich wunderbar beruhigt fühlte, wagte es, ein Bein zu recken, dann das andere und dann seine Arme; er freute sich, daß die quälenden Schmerzen verschwunden waren. Ah! Es war 118
doch schön, Herrscher zu sein. Er schrie nach den Frauen, die ihm hochhelfen sollten. Nichts geschah. Waren sie taub? Wieder schrie er laut. Er brauchte eine, die die Zweige über ihm wegnahm und für seinen erhitzten, verjüngten Körper den Mantel bereithielt, das Geschenk des Protektors aller Eingeborenen. Er war doch nicht so dumm, sich nackt in die kühle Luft des Spätnachmittags zu stellen! Ah! Die Zweige wurden abgehoben, zuerst die über seinen Füßen, das spürte er am Luftzug. Doch dann hörte er anstatt einer Frauenstimme eine andere, die er auch kannte. Die Stimme sagte streng: »Aufstehen, Canute.« Geschmeidig wie ein Jüngling erhob sich der Häuptling und stieg aus der Grube. Inspektor Bonaparte hielt ihm den Mantel. Ein Arm drängte ihn energisch ans Lagerfeuer, das erschrockene Frauen schürten. »Setzen«, erklang der nächste Befehl, und gehorsam sank der Häuptling auf einen Baumstumpf. Die Hitze des Feuers schlug ihm sengend gegen Beine und Gesicht. Feierlich wurde ihm Tabak überreicht. »Laß Murtee kommen und die Alten«, verlangte Bony. Canute brüllte Befehle. Frauen rannten von ihrer Arbeit weg und standen wie verängstigte Kaninchen herum. Kinder wurden zum Schweigen gebracht, nur ein Säugling, der mit mehreren anderen auf einer alten Decke lag, schrie noch. Die Männer kamen herbei, einer nach dem andern. Sie setzten sich in Canutes Nähe auf die Erde, und als letzter erschien der Medizinmann, der mit seiner Schlammkompresse am Kopf wirklich barbarisch aussah. Vielleicht hätte ein heißes Eukalyptusbad ihm auch gutgetan. Von dem in der Nähe stehenden Lastauto holte Bony eine Kiste und ein Paket. Er legte das Paket vor die im Halbkreis hockenden Schwarzen, stülpte die Kiste darüber und setzte sich auf sie. Dann drehte er sich betont langsam eine Zigarette, zündete sie 119
an und starrte phlegmatisch wie ein Leguan in die schwarzen Augenpaare, die ihn beobachteten. Er nahm ein Stückchen Holz in die Hand und zeichnete auf die Erde einen kleinen Kreis, ganz bedächtig, als komme es auf Genauigkeit an. Neben den kleinen zeichnete er einen größeren. Als der fertig war, spie er in jeden Kreis einmal und sah zu, wie die Erde den Speichel aufsog. Häuptling Canute, der auf seinem Baumstumpfthron saß, kaute heftig, seine durch einen Steppenbrand erblindeten Augen bewegten sich immer ein wenig, als könnten sie die Gedanken hinter der Stirn beschleunigen. Neben ihm saß ein Mann, der tausend Jahre alt zu sein schien, vermutlich aber knapp neunzig war. Seine kralligen Finger umklammerten Canutes Handgelenk. Anthropologen würden es nicht glauben, doch Bony wußte, daß dieser Alte das, was er sah, auf den Blinden durch Telepathie übertrug. Deshalb tat Bony alles langsam. Mit dem Stöckchen deutete er auf den größeren Kreis und sagte: »Das ist Canute – Wandirna, Häuptling der Orrabunna.« Man spürte, wie die Spannung der Schwarzen sich löste. Auf den kleinen Kreis zeigend, fuhr Bony fort: »Das sind alle anderen Schwarzen, zusammen in einer Hütte.« Sein Stöckchen fuhr über den Boden, dann kehrte es zu dem größeren Kreis zurück, und Bony erklärte: »Das ist der große Polizeimann – ich! Und der kleine ist Wachtmeister Pierce.« Schweigen herrschte, während er ein schwarzes Augenpaar nach dem ändern fixierte und wohl eine ganze Minute in die Augen des Greises blickte, der Canutes Handgelenk hielt. Bony wußte, daß alles, was der Alte in seinen blauen Augen sah, auch von Canute ›gesehen‹ wurde. Die Frauen, die in einer Gruppe hinter dem Lagerfeuer standen, waren vollkommen still, ebenso die jüngeren Männer mit den sich dicht an sie drängenden Kindern. »Vor langer Zeit hat sich Sarah verpflichtet, ihre Meena eurem Häuptling Canute zu geben. Canute ist jetzt alt, er nimmt Euka120
lyptusbäder, und der Tabak ist ihm lieber als junge Weiber. Er sitzt gern in der Sonne, um die frohen Stimmen seines Volkes in der Nähe zu hören und ihnen zu verkünden, was die Geister der Alchuringa von ihnen erwarten. Was sagst du dazu, Canute?« »Großer Polizeimann spricht wahr«, bestätigte Canute und fügte hinzu: »Gesetze gibt es für schwarze Mann und weiße Mann.« »Canute hat recht«, bekräftigte Bony, »aber des weißen Mannes Gesetz gilt mehr als das des schwarzen Mannes. Doch jetzt wollen wir über das Gesetz des schwarzen Mannes sprechen, später auch über das andere. Wir sprechen über Sarah und ihre Meena, die sie vor langer Zeit in Canutes Hände gegeben hat. Zu jener Zeit also war Meena Canutes Eigentum. Ist gut so! Ich sitze hier auf vierzig Priemen Tabak, das ist so viel, Canute, wie die Finger deiner beiden Hände viermal. Diesen ganzen Tabak will ich hergeben für Meena.« Schweigen folgte dem Vorschlag, bis Murtee verkündete; »Meena ist Orrabunna, du bist Worcairmann, geht nicht.« »Ich bin weißer Polizeimann«, entgegnete Bony. »Wenn ich sage, du kommst ins Gefängnis, dann kommst du ganz schnell ins Gefängnis von Loaders Springs. Ich sehe dich, Murtee, ich erkenne dich gut. Sag du Canute, daß sein Rauch, der eure Nachbarn rief, Unglück nach Mount Eden gebracht hat. Ihr habt die Gesetze des weißen Mannes gebrochen, ich bin großer Polizeimann der Weißen. Nimmst du nun, Freund Canute, vierzig Priemen Tabak für deine Meena?« Der Alte, der bei Canute saß, gab ein Zeichen, ohne Widerspruch zuzustimmen. »Du auf Tabak sitzen?« fragte Canute. »Ich sitze auf vierzig Priemen.« »Ich will tauschen. Abgemacht.« Mit einem Stock wischte Bony die Kreise aus und zeichnete zwei neue, sehr große, die sich ein wenig überschnitten. Er rief Meena, die aus dem dicht am Wege stehenden Auto stieg und 121
durch die Menge zu ihm kam. Sie trug nur kurze weiße Hosen und auf dem Kopf das Pflaster. Als sie sich in einen der beiden Kreise gestellt hatte, schüttete Bony in den ändern den Tabak aus dem Paket. Der Alte veranlaßte Canute, sich zu erheben, und führte ihn, bis er an der Stelle, wo die Kreise sich überschnitten, Brust an Brust mit Bony zu stehen kam. Hinter Bony lag der Tabak, hinter Canute stand Meena. Der Alte hatte Canutes linkes Handgelenk noch nicht losgelassen. Jetzt kam Murtee nach vorn und gab dem Häuptling einen scharfkantigen Stein. Canute betastete Bonys Brust mit seiner freien Hand, schnitt ihm ein wenig ins Fleisch und gab den Stein Bony, der bei ihm dasselbe tat. Jeder benetzte eine Fingerspitze mit dem Blut des ändern und berührte damit die eigene Wunde. Damit war der Handel abgeschlossen. Canute kniete hin und riß den Tabak gierig an sich. Bony ergriff Meena beim Arm, ging mit ihr zum Auto, schob sie hinein, schloß die Wagentür und kehrte wieder zum Lagerfeuer zurück. Der Tabak war schon verschwunden. Alle kauten. Canute saß wieder auf seinem Thron. Es dauerte eine ganze Weile, bis der hohe Rat seine würdige Haltung wiedergefunden hatte. »Wir haben noch etwas zu besprechen«, erklärte Bony. »Gesetz des schwarzen Mannes gegen Gesetz des weißen Mannes. Warum seid ihr alle wild geworden, als ich ein Rauchzeichen sandte, um meinen Stammesbrüdern zu sagen, daß es mir gutging? Warum habt ihr Sarah und Meena hergeholt, und warum habt ihr hier im Lager miteinander gekämpft? Sagt mir das jetzt gefälligst, ja?« Gesichter wie Wasserspeier an Dachtraufen, verschlossene, abweisende Blicke. Langsam drehte sich Bony eine Zigarette. »Dann sage ich es euch. Ihr habt Charlie befohlen, mich zu verfolgen, mich, den Polizeimann der Weißen. Ich fange Charlie, ich fange Meena. Sie sagen es mir nicht, aber ich weiß, warum ihr mir Charlie nachgeschickt habt: Er sollte euch melden, 122
was ich mache. Und das wolltet ihr nur wissen, weil ihr Angst habt, daß ich Yorky und Linda finde. Gut! Das Gesetz der Weißen sagt, daß ihr alle ins Gefängnis müßt. Ihr habt die Polizei der Weißen verfolgt, wolltet Meena lähmen und Charlie den Schädel einschlagen. Ihr habt mit Rauch die wilden Schwarzen gerufen, die Charlie fangen, töten und ihn unter einer Sanddüne begraben sollten. Und ihr wolltet später erklären: Charlie ist weit fortgegangen. Das gefällt mir nicht! Ihr kommt alle ins Gefängnis. Verstanden?« Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf das Lager. Canute und seinem hohen Rat war es unbehaglich zumute. Wahrscheinlich sahen sie das Gefängnis vor sich, wie sie es aus den schockierenden Berichten von Pierce kannten. »Schwarzer Mann für sein Gesetz leben«, bemerkte Murtee, indem er Tabak vor Bony ausspie. »Das behauptest du!« antwortete Bony. »Ich werde handeln. Ihr werdet ganz schnell im Gefängnis sein. Wenn ihr mir sagt, wo Yorky ist, kommt ihr nicht ins Gefängnis. Ihr habt die Wahl.« Die Männer blickten einander an, die Frauen murmelten mit finsteren Gesichtern. Schließlich richteten sich alle Augen auf den blinden Häuptling, sogar Murtee wartete auf dessen Entscheidung. Minuten vergingen, die Spannung wuchs, und als Canute aufstand und der offene Mantel seinen enormen Bauch und die dürren Beine entblößte, wurde deutlich, daß auch ein Schwarzer, allein durch seine Persönlichkeit, die Autorität verkörpern kann. »Yorky weiß und schwarz. Schwarze nicht handeln.« Er setzte sich wieder auf den Baumstumpf, und Bony erklärte: »Schwarzer Bruder wird es tun, später, im Gefängnis. Rührt Sarah und Charlie nicht an. Und sagt den wilden Stammesgenossen, sie sollen ganz schnell euer Gebiet verlassen und nicht wiederkommen. Nun Schluß mit dem Handel. Meena gehört mir, der Tabak euch. Einverstanden?« 123
»Gut, Meena deine Frau«, stimmte Canute heiter zu, offensichtlich froh, daß die Sitzung zu Ende war. Bony trat vor, um das Ergebnis zu bekräftigen: Er stellte sich vor Canute und reichte ihm die Hand. Der blinde Mann löste die seine aus dem Griff des Alten, und sie gaben einander die Hand. Ernst schritt Bony zum Auto zurück. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich ans Steuer und fuhr in Richtung Loaders Springs. Meena war verblüfft, sie wartete auf sein erstes Wort. Eine Viertelstunde schwieg Bony, dann bremste er und hielt. Er drehte zwei Zigaretten, gab eine dem Mädchen und sagte: »Du gehörst mir. Ich habe dich mit fünf Pfund Tabak gekauft. Was meine Frau sagen wird, daran wage ich gar nicht zu denken.« »Nichts sagen.« »Du weißt wohl nicht, warum ich dich gekauft habe, oder doch?« »Ich weiß! Sie mich begehren.« »Rede keinen Unsinn«, sagte Bony streng. »Unsinn? Warum Unsinn? Männer nur kaufen Frauen, wenn haben wollen.« »Oder von der Frau etwas wollen, Meena. Du bist meine Frau, gewiß. Also wirst du mir jetzt erzählen, was ich wissen will. Neulich habe ich dich gefragt, ob du eine Ahnung hast, wo sich Yorky versteckt. Und du hast nein gesagt. Weißt du es jetzt?« »Nein!« erwiderte Meena zornig. »Dann frage ich dich, ob Canute weiß, wo Yorky ist, und auch das wolltest du mir nicht sagen. Nun frage ich dich wieder, ob Canute es weiß. Rede.« Meena warf den Zigarettenstummel aus dem offenen Fenster, strich ihr Haar zurück, ohne an das Pflaster zu denken, und machte ein mürrisches Gesicht. Bony drehte sich ihr halb zu und rieb langsam die Handflächen aneinander. »Diese können weher tun als ein Knüppel«, sagte er. »Du bist meine Frau, wie ich schon ein paarmal sagte. Was du mir erzählst, 124
geht Canute nichts mehr an. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Es ist keine Kluft mehr zwischen uns.« »Kluft? Was ist das, Kluft?« »Spielt keine Rolle. Antworte auf meine Fragen. Erstens: Weiß Canute, wo Yorky ist?« »Ja, er weiß. Und auch Murtee.« »Und Charlie?« Schnell schüttelte sie den Kopf. »Aber Charlie ist bekannt, daß Canute es weiß?« Meena nickte. »Und was weiß Canute noch?« Zögernd wandte sie sich ihm zu und blickte ihn mit Tränen in den Augen an. »Wir das herauskriegen wollen, Sarah und ich. Ole Fren Yorky immer zu Sarah und mir gut sein. Warum er fort, warum Mrs. Bell totschießen, wir nicht ahnen. Sarah und ich froh, daß nicht Mr. Pierce ihn fangen, und wenn wir wissen, wo ist, wir Ihnen nicht sagen.« »Dazu würde ich dich schon kriegen«, fuhr Bony sie an. »Nein, auch nicht mit Zwingen.« »Aber was ist mit der kleinen Linda? Ein weißes Kind, das Angst hat und bei einem Dingo wie Yorky leben muß!« »Linda es gut haben bei Yorky, ich weiß. Yorky mein Vater. Kein weißer Mann so gut wie Yorky.« Bony seufzte. »Manchmal bin ich ein sehr armer Polizeimann, Meena. Ich sollte dich aus dem Wagen ziehen und dich verprügeln; kein Mensch kann mir das verbieten, weil du meine Frau bist. Es heißt, daß dein Vater – wir wissen nicht, warum – eine unschuldige Frau getötet und ihr kleines Kind entführt hat, und du stehst ihm noch bei. Sag mir, ob du glaubst, daß Yorky Mrs. Bell nicht erschossen hat?« »Weiß nicht, Inspektor, weiß nicht!« jammerte Meena. »Er verrückt vielleicht. Ich ihn helfen fangen, dann totmachen. Nur los, schlagen! Ich Ihre Frau, Sie mich kaufen.« 125
Sie vergrub ihr Gesicht in den Armen. Bony strich mit den Fingern zart durch ihr schwarzes Haar. Er wußte, daß das höllische Feuer, das bei der Begegnung zweier Rassen entbrennen konnte und auf ihn stets lauerte, auch sie jetzt zu erfassen drohte. »Soll ich dir nicht sagen, Meena, warum ich dich gekauft habe?« Jäh hob sie den Kopf, ihre grauen Augen standen voll Tränen, als sie zu ihm aufschaute. »Ich habe dich von Canute gekauft – für Charlie«, sagte er.
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B
ony stand vor der offenen Glastür seines Schlafzimmers. Er betrachtete den Hang mit den Kiefern, der ihm vorkam wie ein Felsen, den er noch nicht zertrümmert, nur angeschlagen hatte. Er war nicht fähig, unter die unerforschliche Oberfläche dieses Landes zu dringen, obwohl er bereits einen Versuch gemacht hatte. Ginge es nicht um die Frage, ob das entführte Kind noch lebte, so hätte er diesen Zweikampf mit dem schwarzen Element mit der größten Freude geführt. Die Zeitspanne, die seit Beginn seiner Ermittlungen auf der Farm vergangen war, erschien ihm sehr lang, obwohl es kaum zwei Wochen waren, und zudem hatte er mehr erreicht als Pierce und seine Helfer in einem Monat. Jetzt aber wollte er es woanders versuchen. Er zog Hausmantel und Pantoffel an, ging in den Flur und lauschte, ob im Hause schon jemand zu hören war. Wie er ver126
mutet hatte, war es für das Personal noch zu früh. Leise ging er durch den kleinen Flur zum Wohnzimmer und von da in die Küche. Er lächelte, als er den Petroleumofen anzündete, weil ihm einfiel, daß er ja eine Lubra besaß, die längst für ihn hätte sorgen müssen. Wenn man es recht besah, verstanden die Canutes und Murtees doch gut, sich pflegen zu lassen. Die Sonne wollte schon aufgehen, und die Frau lag noch im Bett! Das hätte jeden Eingeborenen empört. Er saß am Küchentisch bei seiner dritten Tasse Tee, rauchte seine fünfte Zigarette, als Sarah geräuschvoll hereinkam. Sie trug einen Männerschlafrock. Einen Moment blieb sie stehen, um sich die verschlafenen Augen zu reiben, stellte den Wecker auf die Anrichte und strich sich das Haar aus der Stirn. Ohne Bony zu beachten, ging sie wieder hinaus, kam mit Brennholz zurück, machte Feuer im Herd und verschwand im Waschhaus nebenan. Als sie wieder hereinkam, trug sie für die Tagesarbeit ein gelbes Kleid und eine verblichene blaue Schürze. »Du stehst ja spät auf«, sagte Bony. »Sonntag«, gab Sarah kurz zurück. »Im Topf ist Tee, und ich werde dir eine Zigarette drehen«, flötete Bony. Sie schenkte Tee ein, brachte ihre Tasse zum Tisch und zog sich einen Stuhl heran. Bony fiel auf, daß ihre Arme so dick wie seine Beine waren, und er bedauerte, nicht gesehen zu haben, wie sie im Lager mit dem Baum hantierte. Sie mußte mehr als zwei Zentner wiegen, und sie war noch keine fünfzig Jahre alt. Sarahs Gesicht war jetzt verschlossen. Sie nahm die Zigarette an und tat überrascht, als Bony ihr Feuer gab. Bony saß bequem da und betrachtete sie stumm. Schließlich blickte sie ihm in die Augen und wurde unruhig, weil er nichts sagte. Ihre Blicke trafen sich, und der Tisch war wie ein Abgrund zwischen ihnen. Eine erste Spur der Erkenntnis schien im Gehirn der primitiven Frau zu dämmern. Dieser Mann war nicht von ih127
rer Art, doch da sie eine Frau war, glaubte sie, ihn bezwingen zu können. »Warum Sie Meena von Canute kaufen?« fragte sie. »Hat sie dir das nicht erklärt?« Sarah verneinte. Sie hatte den Tee zu trinken vergessen, die Zigarette brannte unbeachtet zwischen ihren dicken kurzen Fingern. Bony bemerkte den Ausdruck der Angst in ihren Augen, gab aber keine Antwort. Schon sprach sie weiter. »Wozu? Sie sind ein fremder Mann. Warum Sie kaufen Meena? Ist meine Meena. Ole Fren Yorky mein Mann. Ole Fren Yorky mich heiraten, wie das schwarzer Mann machen.« »Meena hat es als meine Frau besser als beim alten Canute«, sagte Bony. »Warum hast du sie ihm als kleines Kind schon versprochen?« »Lange her-, wenn Canute sagen, er Polizeimann alles erzählen von Yorky und Sarah, wenn er nicht kleine Meena kriegen. Ich ihm Meena geben, und Canute da immer noch sagen, er zu Polizeimann gehen. Yorky bloß klein, aber er Canute einmal ganz toll schlagen. Canute nix mehr erzählen von Polizeimann.« »Aber das Kind hat er trotzdem verlangt?« »Ja. Meena großes Mädchen, wenn er kommen und sie holen, aber wir ihn täuschen, wir ihn immer täuschen. Wir auch Sie täuschen.« »Das magst du wohl probieren, aber Meena tut es nicht«, sagte er, indem er sie durch sein Lächeln zu reizen versuchte. »Meena hat mich geheiratet, den großen Polizeimann. Sie geht fort mit mir. Du wirst Meena nicht wiedersehen.« Jetzt blitzten die großen, schwarzen Augen, doch Bony blieb ganz ruhig. Sarah begann zu schluchzen, über ihr dickes Gesicht rollten Tränen, ein Bild, das ihn an ihre Tochter erinnerte. Sie jammerte nun: »Warum Ole Fren Yorky erschießen Mrs. Bell und weglaufen mit Linda? Warum? Warum Sie kommen her und nehmen weg mir Meena? Warum … warum?« 128
»Woher weißt du denn, daß Ole Fren Yorky Mrs. Bell getötet hat?« fragte er. »Du hast gesagt, daß Ole Fren Yorky Mrs. Bell erschossen hat und fortgelaufen ist. Aber vielleicht hat ein anderer Mann Mrs. Bell getötet und Linda und Yorky auch?« Sarah verlor die Hoffnung. Furcht und Verzweiflung überkamen sie wieder. »Sind aber doch Spuren von Yorky da«, wehrte sie sich. »Hast du die selbst gesehen?« »Nein, aber Bill Harte und Arnold und Polizeimann Pierce.« »Die müssen es ja wissen.« »Ja. Meena und ich, wir machen hier Arbeit in Haus. Männer suchen Ole Fren Yorky und Spuren finden, aber sie nix sagen. Ich und Meena wollen wissen.« »Weiß es Charlie?« »Ich glaube nein.« »Sah Charlie die Spuren von Yorky beim Kühlhaus?« »Kann nicht sein. Er war mit suchen weit draußen den ganzen Tag, alle Männer gleich fort nach Frühstück.« »Jetzt hör mal gut zu, Sarah«, sagte Bony langsam. »Versprichst du mir, keinem zu verraten, was ich dir jetzt erzähle?« Ein kleines Zögern, dann nickte sie. »Yorky war gestern abend hier«, sagte er. Wie ein Ruck fuhr es ihr durch den Körper, dann saß sie da wie angewurzelt. »Du kommst gleich mit, ich werde es dir zeigen«, befahl er. Sie folgte ihm bis zu der Veranda, auf die sein Zimmer ging. Zur Veranda führten ein paar Stufen, und vor der untersten waren Fußabdrücke von einem Mann zu sehen, der nur mit der Fußspitze auftrat. Sarah blieb erschrocken stehen. Sie beugte sich tief herunter und betrachtete die drei klaren Abdrücke erst von der einen, dann von der anderen Seite. »Das nix Spur von Yorky«, erklärte sie. »Sieh noch einmal hin.« 129
Sie tat das und schüttelte wieder den Kopf, während sie die Abdrücke von allen Seiten prüfte. »Hol Meena. Sag, sie soll zu mir kommen, und erzähl ihr nichts von den Spuren!« Meena kam. Ihr brauchte Bony ebensowenig wie Sarah die Spuren erst zu zeigen: Wie ihre Mutter bückte sie sich und betrachtete mit verkniffenen Augen die Abdrücke von allen Seiten. Und wie ihre Mutter hielt sie sie anfangs auch für Yorkys Spuren, um dann entschieden zu erklären, sie seien nicht von ihm. »War Yorky gestern abend hier?« fragte Bony drängend. Sie verneinte das energisch. »Schön. Hol Charlie, aber sag ihm nicht, was er soll, verstanden?« »Ja. Einer uns vormachen diese Spuren von Yorky?« »Wollen hören, was Charlie meint.« Meena lief zum Quartier der schwarzen Farmarbeiter. »Warum, Mr. Bonaparte, warum einer dies tun?« forschte Sarah. In ihren Augen glitzerte etwas. »Warum einer so machen, als wenn Yorky kommen gestern abend?« »Warte, bis Charlie das hier gesehen hat. Aber vielleicht kann ich’s dir auch dann noch nicht sagen.« Er sah Meena kommen, die den schläfrigen Charlie an der Hand mitzog. Sie schauspielerte ganz gut, als sie ihm kurz vor der Veranda einen Schubs gab, der ihn bis dicht an die Spuren beförderte. Es war interessant zu sehen, wie schnell der Anblick der Spuren ihn munter machte. »Einer, der einen Gang hat wie Yorky«, lautete sein Urteil. »Ich kenne ihn nicht.« Sie warteten ab, was Bony sagte, der jetzt triumphierend lächelte. »Wir wollen doch nicht behaupten, daß diese Spuren ein Schwindel sind, oder?« »Wenn sie meinen, dann sie das sind«, stimmte Meena ihm bei. »Aber wer?« »Ich! Charlie, könntest du auch solche machen?« »Will’s probieren.« 130
»Nicht jetzt. Zurück in die Küche, Sarah und Meena, ihr haltet den Mund, verstanden? Ich werde Charlie erklären, was ich mir denke, und er kann es euch erzählen. Komm mit, Charlie.« Sie gingen zusammen den Hang hinauf, Charlie trug eine kurze Hose, Bony einen wehenden Hausmantel. Bony zündete ein kleines Feuer an, indem er die Holzstücke so anordnete, wie die Schwarzen es seit Jahrhunderten tun, und winkte Charlie, sich zu ihm zu setzen. Mit der Geduld seiner Rasse wartete der Eingeborene, bis Bony zwei Zigaretten gedreht hatte. Und dann sprach der Inspektor gar nicht von den merkwürdigen Spuren. »Hat Meena dir gesagt, daß ich sie von Canute gekauft habe?« »Ja. Aber warum denn bloß? Sie hatten doch gesagt, daß sie bei Canute für mich eintreten wollten.« »Habe ich Hoch getan, Charlie. Ich habe ihm Meena abgekauft. Und die will ich bald wieder verkaufen – an dich!« Zum zweitenmal an diesem Morgen leuchtete Hoffnung wie ein Stern auf, doch diesmal erlosch sie nicht. »Vierzig Priem Tabak habe ich für Meena bezahlt«, sagte Bony. »Ich gebe Ihnen noch mehr, ich habe Geld auf meinem Sparbuch.« »Und ich glaube, daß Meena fünfhundert Priem wert ist, tausend sogar.« »Sie sind scharf auf Geld, wie?« beschuldigte ihn Charlie und runzelte die Stirn. »Nun, nehmen wir an, ich will dir Meena geben. Wieviel würdest du für sie bezahlen?« »Alles, was ich besitze.« »Auch ehrliche Antworten auf meine Fragen?« »Was wollen Sie wissen?« »Ich habe dich gefragt, ob du mir ehrlich antworten willst, falls ich dir Meena schenke.« Charlie nickte. Charlie strahlte. 131
»Abgemacht«, sagte Bony. Sie schüttelten sich die Hände über dem kleinen Feuer. »Du beantwortest mir alle Fragen, und ich schenke dir Meena. Dann gehst du mit ihr zum Missionar. Ihr laßt euch richtig trauen, sobald ich euch die Erlaubnis gebe. Okay?« »Okay, harter Mann.« »Ich werde auch hart bleiben. Wo hat euer Stamm seine Schätze?« »Was? Nein!« »Schön, dann eben keine Meena für dich.« Traurig blickten die schwarzen Augen, Schweiß trat auf die vorspringende Stirn. »Das kann ich nicht sagen!« rief Charlie. »Sie wissen, daß ich das nicht darf.« »Wo die Schatzkammer ist, weiß ich ohnedies schon, ich stelle dich nur auf die Probe, ob du mir die Wahrheit sagst«, log Bony schamlos und erfuhr, nun, daß des Stammes geheiligte Churingasteine, die Zauberknochen und die übrigen Kultgegenstände im Schutz eines Baumes versteckt lagen. »Gut, Charlie, nun weiß ich, daß du die Wahrheit sprichst. Vergiß jetzt die Schatzkammer. Ich bin dein Freund, du bist mein Freund. Weißt du, was Gips ist?« Charlie schüttelte den Kopf. »Aber was Plastilin ist, weißt du?« »Ja, damit haben wir in der Missionsschule gearbeitet.« »Gut! Gips ist so etwas wie Pulver, und wenn du das mit ein wenig Wasser anrührst, wird es zu einem Brei, der schnell hart wird.« Bony drückte seine Handfläche fest auf die Erde und beschrieb Charlie, wie man Abgüsse von Spuren macht. »An dem Tage, an dem Mrs. Bell erschossen wurde, hat Polizeiwachtmeister Pierce von den Fußspuren hinter dem Kühlhaus solche Gipsabgüsse gemacht. Davon habe ich einen für jeden Fuß, und mit denen habe ich die Abdrücke vor der Verandatreppe gemacht. Also sind sie genau wie die, die damals am Kühlhaus entdeckt wurden. Verstehst du?« »Ja. Dann sind die Spuren damals nicht von Yorky gewesen?« 132
»Richtig. Ein anderer hat sie dort gemacht, Charlie, weil er annehmen konnte, daß sie da nur ein Weißer entdecken würde. Und zufällig hat auch kein Schwarzer sie zu sehen bekommen. Meinst du nicht, daß die Spuren echt genug aussahen, um Bill Harte und die anderen zu täuschen?« Charlie überlegte sehr ernst. »Bill Harte ist ein guter Buschmann, aber die Spuren sind auch sehr gut«, sagte er. »Ich kann mir denken, daß Harte sie für echt hielt.« »Und die übrigen Weißen auch?« »Ja, noch eher als Harte.« »Nun kannst du wieder zum Hof gehen und aufs Frühstück warten. Flüstere Meena ins Ohr, daß vielleicht doch nicht Yorky Mrs. Bell erschossen hat, aber die Schuld auf sich nimmt. Mehr darfst du ihr nicht sagen, verstanden?«
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uf die mit den Gipsabgüssen gemachten Fußabdrücke hatten Charlie und die beiden Frauen in gleicher Weise reagiert. Zuerst waren sie erschrocken gewesen, weil sie sie für Yorkys Spuren hielten, und dann verblüfft, als die Möglichkeit aufkam, daß die ersten, beim Kühlhaus entdeckten Spuren durch ein Paar von Yorkys alten Arbeitsstiefeln erzeugt worden waren. Yorky hatte immer, wenn er zu einer Sauferei in die Stadt aufgebrochen war, sein Arbeitszeug und diese Stiefel im Quartier zurückgelassen. Also hätte jeder die alten Stiefel benutzen, damit Abdrücke machen und hinterher die eigenen Spuren verwischen können. 133
Der erfahrene Fährtensucher begnügt sich freilich nicht mit Fußspuren allein. Er prüft, in welchem Winkel jede einzelne zu einer gedachten Linie steht, ferner untersucht er genau den Abstand zwischen ihnen, woraus sich ergibt, wie lang der Schritt des Betreffenden ist. Einem Fälscher mag es glücken, genaue Abdrücke von einem Männerstiefel zu machen, aber er kann den Abstand, in dem jemand seine Füße setzt, nicht so genau berechnen, daß ein Eingeborener sich täuschen ließe. Andererseits könnte auch ein Eingeborener nie eine genaue Fälschung zustande bringen. Polizeiwachtmeister Pierce hatte keine einzelnen Gipsabgüsse von den Fußspuren gemacht, sondern sie in einem großen Stück aufgenommen, in dem zwei linke und drei rechte Abdrücke enthalten waren. Somit waren die Spuren, die Bony Charlie und den Frauen gezeigt hatte, garantiert richtige Kopien. Wie es kam, daß kein Eingeborener jene ersten Spuren gesehen hatte, war zu verstehen. Entdeckt hatte sie Harte, der sie Arnold und Maundy zeigte. Auch Wootton hatte sie gesehen, doch er ver: stand sich gar nicht auf solche Dinge. Als Pierce ankam, hatte man ihm gesagt, die Abdrücke stammten von Yorky; der Polizeiwachtmeister hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Da die Spuren von allen als echt erkannt wurden, nahm man sich begreiflicherweise nicht die Mühe, sie von den Schwarzen nachprüfen zu lassen, die dringend für die Suche nach Yorky und dem Kind gebraucht wurden. Nichts schien bei diesen Ermittlungen zusammenzupassen. Der einzige jedenfalls, der kein Motiv für die Fälschung der Fußspuren haben konnte, war Yorky selbst. Frage: Wer hatte sie gefälscht und warum? Warum – wenn nicht, um den Verdacht auf Yorky zu lenken? Konnten anstatt eines Mordes drei begangen worden sein? Von den Eingeborenen oder den Weißen? Bony hatte gewartet, bis die ›Wanderdüne‹ auf ihn zukam. Er hatte an ein Geheimnis gerührt. Bei seinen Nachforschungen 134
hatte er sich von den durch die Erfahrung gewonnenen Grundregeln leiten lassen, die für die Aufklärung eines Verbrechens ausschlaggebend sind. Und jetzt war er überzeugt, daß seine Bemühungen von einer Macht durchkreuzt wurden, auf die seine Grundregeln nicht anwendbar waren. Im Wohnzimmer fand er Wootton, der sich auf der Bank am Radio etwas notierte. Ihn beschäftigten die Neuigkeiten, die er von einer Station nordöstlich des Lake Eyre empfangen hatte. »Der See wird Wasser bekommen – vom Diamantina und vom Warburton, vielleicht auch vom Coopers Creek«, sagte er. »Wenn diese Flüsse, ansteigen, könnten wir eine tüchtige Flut kriegen.« »Wann ist denn zuletzt Wasser in den See genossen?« fragte Bony. »Vor drei Jahren. Aber richtig voll ist er, glaube ich, seit fünfzig Jahren nicht mehr gewesen.« Wootton setzte sich zu Tisch und entfaltete seine Serviette. Sie ließen sich von der adrett gekleideten Meena eine Mehlspeise servieren. »Wie erklären Sie sich, daß das Ufer an dieser Seite immer noch so feucht ist, daß man im Schlamm fast versinkt?« »Diese Frage habe ich einmal einem Geologen gestellt. Er kam her, als ich erst kurze Zeit hier war, und blieb eine Woche. Er hatte sehr interessante Ideen. Das Wesentliche scheint mir zu sein, daß der Lake Eyre vor langer, langer Zeit ein Meer gewesen ist – mit Hügeln, Tälern und Kratern auf dem Grund. Dieses Meer trocknete aus und ließ einen Binnensee zurück. Nachdem auch der See ausgetrocknet war, blieb noch Wasser in den Kratern zurück. Verstehen Sie, was ich meine?« »Ja.« »Der ursprüngliche Grund des Sees besteht aus einer Art Lehm, wie jetzt noch der Boden ringsum«, erklärte Wootton weiter. »Durch die Stürme haben sich Staub, Sand und Gras abgelagert. Mit anderen Worten: Auf dem ursprünglichen, harten Grund liegt eine dicke Schicht Schlamm.« 135
»Also trocknet innerhalb einer regenlosen Periode von drei oder mehr Jahren der See nicht so aus, daß der Grund hart wird, nicht einmal am Ufer?« »Ja, so ungefähr, Inspektor. – Meena! Meena! Wo bleibt mein Kaffee?« Meena brachte den Kaffee und blieb hinter Bonys Stuhl stehen, wo sie wartete, bis er den letzten Toast nahm, dann ging sie in die Küche, um ihm noch einen zu holen, während sie den Farmer nicht gerade aufmerksam bediente. »Könnte ich heute vormittag ein Pferd bekommen?« fragte Bony. »Meins ist zu langsam. Und einen Zuckersack brauche ich auch.« »Aber gewiß, ich werde es Charlie nach dem Frühstück gleich sagen. Meena, mehr Toast! Was ist denn heute früh mit dir los? Weshalb sorgst du eigentlich nur für Inspektor Bonaparte?« Meena entschuldigte sich und ging noch Toast holen. Bony sagte: »Haben Sie noch nicht gehört, daß Meena meine Frau ist?« »Meena – Ihre Frau?« Wootton riß die Augen weit auf und straffte die breiten Schultern. »Das begreife ich nicht.« »Gestern nachmittag habe ich sie von Canute gekauft.« »Was? Ich wußte gar nicht, daß sie dem gehörte. Allerdings hat mir mal jemand gesagt, sie sei ihm schon als Kind versprochen worden. Aha, deshalb wollten Sie den Tabak haben! Vermutlich haben Sie sie ganz billig bekommen. – Was meinst du denn dazu, Meena?« »Vielleicht auch zu teuer.« Wootton musterte sie von Kopf bis Fuß. Dann sagte er zu Bony: »Ja, Sie haben sie billig gekauft. Darf ich fragen, was der Grund war?« »Einen Profit durch Gelegenheitskauf zu haben. Meena, laß uns bitte allein. Ich werde keine Geheimnisse erzählen, aber tu du das auch nicht!« Sie kam näher, nahm Bony den Teller ab, lächelte Wootton an, verließ das Zimmer, und verkniff sich das Kichern, bis sie in der Küche war. 136
»Geheimnisse!« murmelte Wootton. »Von Liebenden«, ergänzte Bony, der jetzt mit einer Zigarette beschäftigt war. »Sagen Sie mir bitte: Ich habe gesehen, daß Ihr Grenzzaun früher weiter in den See hineinreichte als jetzt. Wie lange ist das her?« »Das war Jahre vor meiner Ankunft. Kann auch sein, daß es schon bei dem Bau des ersten Zaunes gewesen ist. Der wurde neunzehnhundertvierzig gezogen, das weiß ich. Von den alten Pfählen stehen noch viele dazwischen, während der Maschendraht auf langen Strecken erneuert wurde. Im ganzen ist der Zaun aber noch gut. Sind Sie an ihm entlanggeritten?« »Ich habe Yorkys frühere Lagerplätze besucht. Alle sind mit Proviant versehen. Führen Sie Kontrolle über Ihren Proviant?« »Nicht sehr genau. Warum?« »Hat Sarah ihrer Sippe viel zugeschanzt?« »Nicht, daß ich wüßte. Worauf wollen Sie hinaus?« »Ich frage mich nur, wovon Yorky jetzt lebt..« »Von dem, was er auf den Farmen in Neusüdwales oder in Westaustralien bekommt. Sie glauben doch nicht etwa, daß er sich noch im Gebiet um der, Lake Eyre aufhält?« »Ich habe keine Beweise, hoffe aber, bis heute nachmittag mehr zu wissen. Jedenfalls habe ich inzwischen nachgewiesen, daß es sich bei der angeblich von Yorky am Kühlhaus hinterlassenen Spur um eine Fälschung handelt.« Wootton war verblüfft. »Jene Spuren stammten nicht von Yorky«, erläuterte Bony, »das können die drei Eingeborenen bestätigen.« »Aber es hat doch jeder erklärt, daß es seine waren! Auch Pierce.« »Haben Sie denn die Schwarzen sehen können, als sie vom Neales zurückkamen?« »Das entzieht sich meiner Kenntnis, vermutlich aber nicht, denn es ging ja alles so schnell. Warten Sie mal – Pierce hatte seinen Fährtensucher bei sich. Der hat, wie ich sah, die Spuren geprüft.« 137
»Der Fährtensucher ist kein hiesiger Eingeborener, konnte also Yorkys Spuren kaum kennen.« Nachdenklich stopfte der Farmer seine Pfeife. »Was würde das bedeuten?« fragte er. »Das kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen.« Bony stand auf. »Würden Sie jetzt das Pferd für mich auf den Hof bringen lassen?« »Ja, sofort.« Wootton war zweifellos beunruhigt. Nachdem er Charlie den Auftrag gegeben hatte, für Bony das Pferd zu satteln, saß er eine ganze Stunde vor seinem Schreibtisch im Büro, ohne sich um den vielen Papierkram zu kümmern, der zu erledigen war. Da Sonntag war, gab es für die Männer kein zweites Frühstück. Um zehn Uhr kam Meena, um ihm zu melden, daß sein Tee fertig sei. Er ging mit ihr zur Küche und fragte sie: »Was soll das eigentlich bedeuten, daß der Inspektor dich von Canute gekauft hat?« Sie lächelte geziert, ihre Mutter lachte laut, doch Mr. Wootton konnte daran nichts Spaßiges finden. »Ich nehme an, ihr wißt, daß der Inspektor zu Hause eine Frau und schon fast erwachsene Söhne hat«, sagte er streng. Beide Frauen lachten, ohne ihm eine Antwort zu geben. Dieses Ausweichen ärgerte ihn, obwohl er wußte, daß dagegen nichts zu machen war. Er merkte, daß auf seinem eigenen Besitz sich so manches abspielte, wovon er nichts ahnte, und das reizte ihn noch mehr. Er war bereits wieder in seinem Büro, als er Hufgeklapper hörte. Ein paar Minuten später trat Bony ein und legte ihm den geliehenen Zuckersack auf den Schreibtisch. Der Sack, den er leer mitgenommen hatte, war jetzt halbvoll und fest zugeschnürt. Bony bat um Siegellack, und Wootton beobachtete, wie er die Knoten dick damit überzog und seinen Daumen in den Lack drückte. 138
»Der Inhalt dieses Beutels ist von ganz unschätzbarem Wert«, sagte Bony. »Haben Sie in Ihrem Geldschrank etwas Platz für ihn?« »Ich denke ja«, entgegnete Wootton. »Was enthält er denn?« »Geheimniskrämerei liegt mir im allgemeinen nicht, aber es ist am besten für Sie, das nicht zu wissen«, erklärte Bony. »Kann sein, daß ich Sie schon heute abend bitte, ihn mir wiederzugeben. Ich hoffe das. Unter keinen Umständen dürfen Sie ihn einem andern aushändigen, höchstens Pierce. Der kommt vielleicht später zu Ihnen.« Wootton trug den Sack zum Geldschrank, schob die Bücher zusammen und legte ihn hinein. Bonys geheimnisvolles Siegel steigerte noch seine schlechte Laune. »Wollen Sie den Schlüssel selbst verwahren?« fragte er beinah grob. »Nein, danke, das wäre wohl nicht recht.« Bony lächelte entwaffnend. Es war drückend heiß im Raum, obwohl Tür und Fenster offenstanden. Sie konnten das dumpfe Rauschen eines Willi-willi hören, und zwei Sekunden später schon fegte der Sturm um das Gebäude. Sarah rief zum Essen. »Ich muß mich waschen und kämmen«, sagte Bony und ging rasch hinaus. Wootton, der langsam das Büro verlassen hatte, war im Wohnzimmer, als Bony hereinkam, um zu telefonieren. Nach einer Minute hatte er mit Pierce Verbindung. »Hat Ihr Fährtensucher eigentlich die Fußspuren gesehen?« »Ja, hat er. Warum?« »Machte er Bemerkungen darüber?« »Nein.« »Er hat sie für Spuren von Yorky gehalten, ja?« »Muß er wohl, andernfalls hätte er es mir sicher gesagt. Weshalb fragen Sie?« »Nun, die Abdrücke waren nicht von Yorky. Die hiesigen Eingeborenen behaupten das, und die müssen es ja wissen.« 139
»Aber … Ich begreife das nicht, Inspektor.« »Ich auch nicht. Die Sache war so gut gemacht, daß die hier beschäftigten Männer sich täuschen ließen und Sie auch, jedoch nicht die Eingeborenen. Soviel ich hörte, hat aber damals von den hiesigen Schwarzen kein einziger die Fußabdrücke zu sehen bekommen? Stimmt das?« »Jawohl, genau. Wir hatten sie ja alle schleunigst auf die Suche geschickt.« »Na schön, lassen wir das vorläufig. Jetzt noch etwas anderes: Falls ich mich bis sechs Uhr heute abend nicht mit Ihnen wieder in Verbindung gesetzt habe, kommen Sie hierher. Ich habe mir eine schwierige Aufgabe gestellt. In Mr. Woottons Geldschrank ist ein Zuckersack deponiert, der seinen Eigentümern zurückgegeben werden muß, falls Ereignisse eintreten sollten, die mich hindern, bis sechs Uhr mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.« »Klingt gefährlich. Und wer ist der Eigentümer?« »Das wird der Inhalt Ihnen sagen. Bleiben Sie erreichbar. Ich werde Sie also um sechs wieder anrufen. Im Moment fühle ich mich wie ein Mann, der beschlossen hat, das Haus in die Luft zu sprengen, da er es nicht umstoßen kann.«
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anute befand sich in bester Verfassung. Er hatte in keiner Hinsicht Sorgen oder Probleme. Wie seine Vorfahren, so verstand auch er es, weise zu leben. Ihn plagte kein Herzfehler, kein Magengeschwür. 140
So saß er heute behaglich auf einem alten Sack im Schatten einer Akazie und kaute Tabak. Ein kleiner Junge verscheuchte ihm die Ameisen, und seine Lieblingsfrau bereitete ihm sein Mahl. Es ließ sich gut sein hier im dunklen Schatten. Ein herrliches Dasein für einen Mann. Und es wäre ein vollkommener Tag geblieben, hätte nicht plötzlich eine bekannte Stimme gesagt: »Wollen ein kleines Palaver machen, Canute.« Der Häuptling richtete sich auf und grunzte ungnädig. Der kleine Junge rannte zu den Frauen, die verdutzt dastanden, weil der große Polizeimann ins Lager gekommen war, ohne daß es, eine von ihnen bemerkt hatte. »Wir wollen ein wenig plaudern«, schlug Bony vor. »Ein schönes Palaver … Sag das Murtee und dem Greis, der dein Auge ist, und den übrigen Alten, damit wir gleich anfangen können, ja?« Canute rief seine Leute. Hier und dort im tiefen Schatten reckten sich Männer, rülpsten und knurrten. Sie stutzten, als sie den Besucher neben ihrem Häuptling auf der Erde hocken sahen, und gehorchten dem Befehl. Man nahm diesen Besuch ganz offiziell. So wurde der König zu seinem ›Thron‹ geleitet, und seine Ratgeber gruppierten sich um ihn. Da die Kiste, die Bony tags zuvor mitgebracht hatte, noch da war, nahm er darauf Platz, drehte sich langsam eine Zigarette und fixierte jeden einzelnen. Vor ihm saß Canute, dick und schwerfällig, längst ergraut. Er war immer noch kräftig, trotz seines hohen Alters. Weiter waren ›seine Augen‹, der alte Beloo mit dem weißen Vollbart, spindeldürr und verkrüppelt, doch geistig ganz auf der Höhe. Neben Beloo saß der Medizinmann Murtee, etwa vierzig Jahre alt, barbarisch anzusehen. Und schließlich waren noch sechs Männer da, alle über sechzig, von denen keiner die Schule bei den Weißen besucht hatte. »Hast du den Wilden gesagt, daß sie sich wieder in ihr eigenes Lager zurückziehen sollen?« eröffnete Bony das Gespräch. Canute nickte mit einer mürrischen Miene, die zu seinem sonst so jovialen Wesen schlecht passen wollte. 141
»Rufst du sie noch einmal durch Rauchzeichen herbei, so wird es euch allen leid tun«, drohte Bony. »Wer von euch ist neulich nicht mit zum Neales gewandert? Heraus mit der Sprache, ein bißchen dalli.« »Alle Schwarzen dabeigewesen«, erklärte Canute. »Bist sehr schlau, wie? Wer von euch ist schnell zurückgegangen und hat gesehen, daß Mrs. Bell vor der Küchentür lag?« »Kein Schwarzer das getan«, erwiderte jetzt Murtee. Bony paffte vor sich hin, betrachtete die zwitschernden Finken im Baum über sich, zog wieder bedächtig an der Zigarette und blies den Rauch aus. Die Männer starrten ihn mit ausdruckslosen Augen an. »Ich suche Yorky und Linda«, fuhr er fort. »Ihr sagt: Der große Polizeimann findet Yorky und Linda nicht. Und ich antworte: Ihr habt die ganze Zeit gewußt, wo sie sind. Ihr sagt: Geh zum Teufel! Und nun werde ich böse. Das Gesetz des weißen Mannes ist stärker als euer Gesetz. Warum erzählt ihr nicht den Frauen und den jungen Männern, wo Yorky und Linda sind? Warum seid ihr alle so hinterlistig? Mrs. Bell war keine Lubra, Yorky ist kein Schwarzer, und Linda ist ein weißes Kind. Sie haben alle nichts mit dem Gesetz des schwarzen Mannes zu tun. Wollt ihr nun endlich reden?« Keine Bewegung, kein Wort. Doch Bony ließ nicht locker. »Einer von euch ist im Lager geblieben, oder er ist schnell zurückgekommen. Er ging zur Farm. Er sah Mrs. Bell dort tot liegen, er bemerkte den Blutfleck auf ihrem Rücken. Und der Fleck war so.« Bony malte ein Fragezeichen auf die Erde. »Dieser Eingeborene hat hier gewartet, bis ihr alle vom Neales zurückkamt. Er hat euch nichts über Mrs. Bell durch Rauchzeichen gemeldet, weil er wußte, daß Mr. Wootton und seine Männer glaubten, ihr wäret alle zusammen auf Wanderschaft. Nun, ihr seid alle wiedergekommen, vielleicht in den großen Lastwagen, das weiß ich nicht genau. Jedenfalls – als ihr wieder hier wart, hat euch der Mann, der im Lager geblieben war, erzählt, was geschehen war. 142
Er hielt euren Häuptling am Handgelenk, so wie er es jetzt tut, und da konnte Canute das blutige Mal ›sehen‹. Du, Beloo, hast die tote Mrs. Bell entdeckt. Nun, du wirst doch jetzt davon erzählen, oder?« Nicht ein Augenlid zuckte. »Ist gut so, Männer. Ihr kennt ja den großen Eukalyptusbaum, eure Schatzkammer. Ich habe sie gefunden. Viele Churingasteine, Kopfbänder, Kurdaitschazauberschuhe und Zauberknochen. Alles das habe ich gefunden. Was sagt ihr nun?« Jetzt kam Bewegung in die Männer. Murtee sprang auf, und schon torkelte er unsicher zurück, als Bonys Pistole auf seinen Bauch zeigte. »Setz dich hin, Murtee. Bleibt alle sitzen. Wer jetzt ohne meinen Befehl aufsteht, ist ganz schnell tot. Ich bin ein großer Polizeimann bei den Weißen. Wer versucht, das Gesetz der Weißen zu verletzen, wird erschossen. Und noch eins: Mit euch vom Stamm Orrabunna ist es zu Ende. Ich habe euren Schatz mitgenommen und so versteckt, daß ihn keiner von euch findet. Das Gesetz des schwarzen Mannes kann nichts mehr tun!« Die Nachricht über den Verlust ihrer magischen Schätze war von vernichtender Wirkung. Ohne sie war ihre Existenz dahin. Wie Bony gesagt hatte: Ohne die Herrschaft über ihre Schätze waren sie ›wie ein Nichts‹. Der Mann, der vor ihnen saß, verkörperte das Gesetz der Weißen. Der Tod starrte ihnen aus der Pistole entgegen, und sie hatten jetzt keinen Schutz mehr. Sie waren wehrlos. Diesen Schlag hatte Bony ihnen nur ungern versetzt. Er hätte das nie getan, wäre es nicht um Linda Bell gegangen. »Ich noch andere Zauberknochen besitzen«, sagte Murtee zähnefletschend. »Ich dich töten. Kurze Zeit oder lange Zeit, ich dich töten.« Bony zog verächtlich die Oberlippe hoch. »Alles nur große Worte, Murtee«, sagte er, »große, leere Worte. Die Zauberknochen, die ich genommen habe, sind mächtiger als alle anderen, 143
und die werde ich gegen deine richten. Dann wirst du langsam sterben und lange. Und nachher sterbt ihr alle.« Bleiche Furcht ergriff sie, ihre Lippen verzerrten sich, ihre Muskeln waren gespannt. »Wollen wir handeln?« fragte Bony leise. Canute strich sich den Schweiß von der Stirn, Murtee schien ganz zusammenzuschrumpfen, der Greis zitterte, ließ aber seine Krallenfinger nicht vom Handgelenk des Häuptlings. »Was tauschen? Du es sagen«, bat Canute. Murtee brüllte zornig und wollte aufstehen, doch sein Nachbar zog ihn zurück. Murtees Protest schien Canute neue Kraft zu geben, und die anderen nickten, als sehe er mit eigenen Augen, daß sie ihm beistehen wollten. »Ihr sagt mir, wo Yorky und Linda sind, und ich gebe euch die Zauberschätze zurück.« »Gut.« »Ich gebe sie euch zurück, wenn Murtee nicht mit dem Knochen auf mich zeigt und auch auf keinen anderen Weißen.« »Okay«, stimmte Canute zu, und die anderen, auch Murtee, nickten. »Ihr sagt mir alles von Yorky und Linda, und ich hole eure Schätze wieder, gleich und ganz schnell, ja?« »Wir das besiegeln«, sagte Canute, und schnell malte Bony zwei sich überschneidende Kreise auf die Erde. Es folgte der feierliche Blutschwur, dann befahl Canute »seinem Auge«, dem greisen Beloo, alles zu erzählen. So etwa sprach Beloo: »Ich bin ein sehr alter Mann, aber im Lager noch zu gebrauchen. Bis zum Neales River konnte ich nicht gehen. Als der Stamm aufbrach, habe ich mich versteckt. Ich bin alt und einsam. Nach und nach habe ich mich der Farm genähert. Ich hörte Mr. Wootton auf Krähen schießen. Aber das erschien mir sonderbar, weil Mr. Wootton doch an diesem Tag in die Stadt gefahren war. Lange bin ich sitzen geblieben, dann stand ich auf und schaute über den See. Und da erblickte ich Linda und Yorky, 144
die weit draußen wanderten. Weil Mr. Wootton fort war, dachte ich; Geh doch zur Farm. Vielleicht gibt dir Mrs. Bell etwas Tabak. Sagst ihr, daß der Stamm auf Wanderschaft ist und du einsam und traurig bist. Als ich auf den Hof kam, begegnete ich niemandem. Nur Krähen waren da. Ich ging um das Haus der Männer herum. Keiner da, alle fort. Dann entdeckte ich bei der Küchentür eine Gestalt auf dem Boden. Langsam bin ich hingegangen. Es war Mrs. Bell. Sie lag auf dem Bauch und war tot. Ich sah das Blut auf ihrem Rücken und lief vor Angst fort. Und den ganzen Tag und auch den nächsten mußte ich an das blutige Mal auf ihrem Rücken denken. Lange hatte ich vor, ganz wegzugehen, aber dann kam der Stamm wieder, und ich kehrte ins Lager zurück. Ich erzählte Canute von Mrs. Bell, Yorky und Linda.« »Hattest du Mr. Woottons Auto gesehen?« »Nein.« »Oder die Staubwolken, die sein Auto aufwirbelte?« »Nein.« »Erzählst du etwa Lügen? Wenn Yorky und Linda auf den See gegangen wären, hätten weiße Männer ihre Spuren gefunden«, erklärte Bony, um ihn zu reizen. »Yorky trug Kurdaitschaschuhe. Er ging auf dem Dingopfad und hat keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Ein Weißer würde wohl nicht daran denken, auf einem Dingopfad nach Kurdaitschaspuren zu suchen.« »Gut. Du sprichst die Wahrheit. Was tat Yorky draußen auf dem See? Ging er ganz hinüber zur anderen Seite?« »Vielleicht hat er an einer kleinen Sanddüne kampiert.« Obwohl Bony auf die letzte Bemerkung noch ausführlich einging, kam er bei diesem Punkt nicht weiter. Einer Andeutung entnahm er den Zweck des fortgeworfenen Bretts, das er an Yorkys letztem Lagerplatz gefunden hatte. Mit den Kurdaitschaschuhen konnte man sich wirklich auf dem Schlamm fortbewegen. Die ›kleine Sanddüne‹, von der Beloo sprach, mochte ein winziger 145
Fleck trockenen Landes sein. Das Bild war deutlich genug, aber ob es der Wirklichkeit entsprach, mußte noch geklärt werden. »Warum habt ihr nicht alles Polizeiwachtmeister Pierce berichtet?« fragte Bony schließlich. Die Antwort war gut und einleuchtend. »Ole Fren Yorky Mischling ist«, sagte Canute. »Nun erzähl weiter, Beloo. Du sagst, es war keiner auf der Farm, als du Mrs. Bell tot gefunden hast. Wen hast du in der Nähe gesehen?« »Yorky und Linda.« »Wen noch?« »Einen Reiter, am Abhang.« »Bei den Kiefern?« »Auf der anderen Seite der Farm, ganz weit weg. Er ist furchtbar schnell geritten.« »Wer war es?« »Weiß nicht.« »Welche Farbe hatte das Pferd?« »Das konnte ich nicht erkennen, es war sehr staubig an dem Tag. Ich habe nur ein Pferd und den weißen Reiter bemerkt.« »Wo waren Yorky und Linda, als du den Reiter entdecktest?« »Draußen auf dem See, wie ich schon sagte.« Sie saßen wie die Ölgötzen da. Es blieb noch vieles zu klären. Zum Beispiel die Frage, wann Yorky mit den Eingeborenen in Verbindung getreten war, um sich Lebensmittel zu beschaffen. Wer brachte Yorky die Lebensmittel? Mußte er ins Lager gehen, um sie zu holen? Was für ein Motiv hatte er den Schwarzen für den Mord an Mrs. Bell genannt? Diese Fragen ergaben wenig, höchstens den Eindruck, daß Yorky sich gar nicht bemerkbar gemacht hatte, – woraus Leute wie Pierce und Bony ihre Schlüsse ziehen konnten. »Wir wollen aufhören mit dem Handel«, sagte Bony zuletzt. Canute lächelte, unendlich erleichtert. 146
»Du kannst mit mir zur Farm gehen, Murtee, dann gebe ich dir die Schätze zurück.« Die beiden Männer gingen zusammen den ausgetretenen Weg zur Farm. Keiner sprach ein Wort. Bony dachte immerfort über den Reiter nach, der von Mount Eden weggeritten war, lange nachdem Wootton seine Fahrt zur Stadt angetreten hatte. Arnold Bray war es nicht gewesen, denn der hatte an jenem Tag den Lastwagen gefahren. Es konnte nur Bill Harte, Eric Maundy oder Harry Lawton gewesen sein. Wenn es keiner von diesen dreien gewesen war … Nein, nur einer von diesen kam in Betracht. Wootton stand wartend in der Tür seines Büros und beobachtete, wie Inspektor Bonaparte und Murtee sich näherten. Er sah mit Befremden, wie Bony den Eingeborenen anstieß, wie beide, vor dem Wohnhaus abschwenkten und den Hang zu den Kiefern hinaufgingen. Dort standen sie mehrere Minuten, während Murtee mit ausgestrecktem Arm nach einem fernen Punkt zeigte. Als sie ins Büro kamen, bat Bony um den Zuckersack aus dem Geldschrank. Bevor er ihn abgab, sah er dem Medizinmann lange ganz ruhig in die dunklen unergründlichen Augen. »Du bist ein großer Zauberer«, sagte er. »Ich bin ein großer Polizeimann. Vielleicht bist du gar kein schlauer, sondern bloß ein dämlicher Kerl. Ich habe herausgekriegt, daß Canute von dem Blutfleck auf Mrs. Bells Rücken wußte. Und wer hat mir das erzählt? Canute selbst, nämlich durch sein Dijeridoo! Vielleicht seid ihr Idioten. Vielleicht hat gar nicht Yorky Mrs. Bell getötet …«
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urtee ging zum Tor der Farm, um ins Lager zurückzukehren. Bony rief Charlie und Sarah, die dem Medizinmann erstaunt nachblickte. Bony sagte: »Kommt mal mit.« Er führte die beiden zu den Kiefern hinauf und forderte sie auf, sich neben ihn zu setzen. Während er die unvermeidliche Zigarette drehte, schwiegen sie. »Nun werdet ihr mir einmal erzählen, was ich wissen möchte«, begann er in sanftem Ton. »Aber ganz ohne Winkelzüge. Auch wenn ihr das Gleichnis nicht versteht, muß ich euch sagen, daß ihr Eingeborenen wie Steine in einer Mauer gewesen seid, die ich nun niedergerissen habe. Doch genug davon. Erinnert ihr euch an die Fußspuren, die ich euch vor der Veranda zeigte? Die gleichen wurden damals beim Kühlhaus gefunden, und alle Weißen behaupteten, es seien Yorkys Spuren. Es hatte aber jemand anders die Spuren gemacht, damit es aussah, als sei Yorky dort gewesen. Ich habe herausgefunden, daß der alte Beloo damals nicht mit eurem Stamm auf Wanderschaft ging. Er kam zur Farm, weil er dachte, er könnte von Mrs. Bell vielleicht Tabak bekommen. Unterwegs sah er Yorky und Linda auf dem See wandern und bemerkte einen Reiter, der den Hang dort drüben hinaufgaloppierte. Dieser Reiter könnte der Mann gewesen sein, der die falsche Fährte beim Kühlhaus gemacht hat. Und er könnte Mrs. Bell erschossen haben.« Sarahs Augen glitzerten unergründlich. 148
Bony fuhr fort: »Der Reiter war so weit entfernt, daß Beloo ihn nicht erkennen konnte. Wenn nun der Mann auf dem Pferd Mrs. Bell getötet hat – weshalb ist Yorky dann mit Linda geflohen? Wollt ihr mir das mal erklären?« »Ach so, eine Rechenaufgabe wie beim Missionar, als wir klein waren«, brummte Charlie. »Wenn ein Bumerang bei Nordwind zwei Minuten braucht … Ist es so etwas?« »Ja, Charlie, so ähnlich. Sarah, ich erzähle euch das, weil es sehr gut möglich ist, daß nicht Yorky Mrs. Bell getötet hat. Und deshalb ist es für uns wichtig, ihn zu erreichen. Angenommen, er hat es nicht getan. Schön. Er hat aber doch Linda mitgenommen, und wenn Linda unterwegs gestorben ist, kommt Yorky für lange Zeit ins Gefängnis. Und deshalb müßt ihr mir alles erzählen, was ihr wißt. Beloo hat Yorky und Linda erkannt, und er meint, Yorky hat Kurdaitschaschuhe getragen. Erinnerst du dich, Charlie, daß ich dir in Yorkys Lager ein Brett gezeigt habe und du mir nicht sagen wolltest, was für ein Brett das war. Ich weiß es jetzt. Es war ein Brett von Yorky, mit dem er auf dem Schlamm gehen konnte.« »Richtig«, gab Sarah zu. »Yorky Brett haben, wenn arbeiten an Zaun.« »Er konnte also, wenn er diese Bretter trug, auf einem Dingopfad weit hinausgehen, nicht wahr?« Sarah nickte. Ihre Augen leuchteten. Als Bony sie fragte, ob sie jemals mit Yorky zusammen auf den See gegangen sei, schüttelte sie den Kopf. »Was ist denn dort draußen? Etwa trockenes Land?« fragte er, und die beiden blickten sich zweifelnd an. »Ich will es euch sagen«, gab Bony selbst zur Antwort. »Ja, da draußen ist trockenes Land.« »Ist aber ein schlechter Platz«,.meinte Charlie. »Beinah in der Mitte vom See. Nur Sand und etwas Gebüsch. Das weiß ich von Murtee; er war schon dort, aber sonst keiner.« »Gibt es dort etwas Eßbares?« 149
»Viele Karnickel. An einer Seite, so sagt Murtee, ist ein großes Wasserloch mit Fischen; und überall nisten Enten.« »Wäre ein guter Platz für Yorky, um sich dort mit Linda zu verstecken, rindest du nicht auch?« »Du genau wissen, ob Murtee nicht lügen?« schaltete sich Sarahein. »Ich Platz nicht kennen.« »Du bist eine Lubra«, belehrte sie Charlie stolz. »Ja, Lubra. Ich Murtee den Hals umdrehen.« »Eines Tages wird Murtee den Zauber auf dich richten, und dann fällst du um und hältst dir den Bauch und stirbst. Murtee hat sehr große Macht.« »Schluß damit!« sagte Bony energisch. »Charlie, würdest du ein Paar Kurdaitschaschuhe für mich machen, damit ich zu Yorky gehen kann?« »Aber gern. Wann wollen Sie die Schuhe haben?« »Bis heute abend.« »Gut. Läßt der Boss mich denn in die Werkstatt?« »Sicher. Die Sonne steht schon tief, Sarah. Wie sieht es mit dem Abendessen aus?« Sie gingen den Hang hinunter zum Hof, wo Sarah beim Eintreten in der Küche ihre liebe Not hatte, die neugierige Meena abzuwehren. Als Bony geduscht und sich umgezogen hatte, traf er Mr. Wootton im Wohnzimmer. »Meine kleine Kriegslist hat mir heute nachmittag etwas eingebracht«, sagte er, als er sich mit dem Hausherrn zu Tisch setzte. »Werden Sie sich nach dem Essen mit Ihren Nachbarn unterhalten?« »Wahrscheinlich. Weshalb?« »Könnten Sie mit diesen vereinbaren, daß sie morgen früh um fünf einen Funkspruch abhören?« »Ja. Worum geht es denn?« »Wer ist Ihr ältester Nachbar? Ich meine, wer ist am längsten in dieser Gegend ansässig.« 150
»Die Familie Petrie, soviel mir bekannt ist. Sie leben am Südende des Sees.« »Mit denen möchte ich heute abend mal sprechen. Können Sie sie mit Ihrem Gerät erreichen?« »Ohne weiteres.« Meena erschien, um den Tisch zu decken. Wootton erkannte an ihrem Blick und den energischen Bewegungen, daß sich etwas ereignet hatte. Bony fragte, ob er ihm ein Gewehr leihen würde. »Selbstverständlich«, erwiderte er. »Danke. Wer sind Ihre nächsten Nachbarn im Süden?« »Die schon erwähnten Petries. Ihr Hof liegt ungefähr hundertsechzig Kilometer von hier. Stehen sich finanziell gut. Zwei Söhne arbeiten mit. Sie haben für die Viehzucht ungefähr ein Dutzend Weiße.« »Mir ist das Anwesen gar nicht aufgefallen«, gestand Bony. »Ich müßte doch daran vorbeigekommen sein. Sieht man den Weg von hier aus?« »Ja. Er führt hinauf zu dem alten Hof, den früher die Murphys hatten. Von ihnen habe ich, wie schon erwähnt, später Mount Eden gekauft. Von dort aus geht es dann weiter an den Brunnen vorbei, wo Sie neulich Lawton begegnet sind.« »An dem Tag, an dem Mrs. Bell erschossen wurde, hatten Sie ja Arnold zum Wellblechholen zu dem alten Hof geschickt, nicht wahr?« »Ja, ganz recht.« »Reitet er auch viel?« »Sehr wenig. Sie sind ja heute nachmittag verdammt mysteriös, Inspektor.« »Ich will Ihnen etwas erklären. Sie werden sich entsinnen, daß ich sagte, es sei an dem fraglichen Morgen einem der fünf Weißen hier auf der Farm sehr wohl möglich gewesen, zurückzukehren und Mrs. Bell zu ermorden. Nachdem Sie in Ihrem Wagen abgefahren waren, wurde ein Mann beobachtet, der in schnellem 151
Tempo von hier aus die Steigung zu der früheren Farm hinaufritt. Mich plagt große Neugier, wer das wohl war.« »Wirklich?« fragte Wootton gedehnt. »Demnach könnte also einer von den dreien zurückgeritten sein und Mrs. Bell erschossen haben?« »Nehmen Sie das, was ich sage, nicht so wörtlich. Der Reiter kann auch von der Farm der Petries gewesen sein und braucht gar nichts mit der Ermordung von Mrs. Bell zu tun gehabt haben. Er kann aus irgendeinem Grund hier gewesen sein, und als er Mrs. Bell tot auffand, ist er vor Entsetzen schnell wieder weggeritten. Ich habe gewisse Pläne gemacht, von denen Sie heute abend erfahren werden, wenn wir mit den Petries sprechen und die Vereinbarung über die Sendung morgen früh treffen. Da scheint ja das Essen zu kommen.« Bony weihte Mr. Wootton nicht in seine Pläne ein. Er verließ nach dem Essen das Haus und ging zu Charlie, der in der Werkstatt war. Er hatte die Schuhe für Bony fertig. Bony probierte sie an und fand sie höchst unbequem. »Nein, nicht so«, belehrte ihn Charlie. »Sie müssen darauf gleiten. Sarah hat es mir vorgemacht, und ich zeige es Ihnen.« »Gut, ich muß sehen, daß ich den Bogen herauskriege. Du erinnerst dich doch an den Hundepfad, den wir ungefähr einen Kilometer von den Kiefern entfernt entdeckt haben. Wie viele solcher Pfade gibt es hier in der Gegend?« »Noch einen. Bei der Hütte am Grenzzaun. Außerdem kenne ich noch zwei oben am Neales.« Charlie war bereit, nach Einbruch der Dunkelheit den nahe beim Hof beginnenden Pfad zu bewachen und Bony zu melden, ob einer der Schwarzen dort hinausging, um Yorky zu warnen. Eine Stunde später sprach Bony per Funk mit den Nachbarn von Wootton und bekam indirekt viele nützliche Auskünfte über das Land, erfuhr jedoch nichts Neues über den Lake Eyre. Nur so 152
viel, daß selbst nach der ungewöhnlich langen Dürre vermutlich noch das ganze Gebiet versumpft war. Bony verschwand unauffällig aus dem Haus und begab sich zu Charlie, der an der erwähnten Stelle beim Dingopfad auf Posten stand. Der Schwarze meldete, daß am Ufer und in der Umgebung niemand zu sehen gewesen sei. Bony schickte ihn zum Schlafen ins Haus und übernachtete selbst im Freien. Es war fünf Uhr morgens, als er mit Wootton wieder vor dem Funkgerät saß und seine Nachricht durchgab. Sie lautete: »Sechs Wochen sind vergangen, seit Mrs. Bell auf Mount Eden erschossen wurde und ihre kleine Tochter verschwand. Sie alle wissen noch, wie gründlich damals die ganze Gegend abgesucht wurde und daß ein unter dem Namen Yorky bekannter Mann in Verdacht geriet, Mrs. Bell ermordet und Linda Bell entführt zu haben. Aufgrund von Informationen und eigener Nachforschungen in der Umgebung bin ich zu dem Schluß gelangt, daß es irgendwo im mittleren Teil des Lake Eyre eine trockene Stelle gibt, gewissermaßen eine Insel im Schlamm, und daß der genannte Yorky mit dem Kind dorthin geflüchtet ist. Ferner halte ich es aufgrund meiner Informationen durchaus für möglich, daß ein Mensch über das Schlammgebiet jene Insel erreichen kann, wenn er einen Dingopfad benutzt und sogenannte Schlammschuhe trägt. Mit solchen Schuhen gedenke ich selbst nachzuprüfen, was im Augenblick nur eine Theorie ist. Ich beabsichtige, die Insel über einen nahe der Farm beginnenden Wildhundpfad zu erreichen, und werde in einer Stunde aufbrechen. Von den Eingeborenen habe ich erfahren, daß es von diesen Pfaden nicht viele gibt. Jedenfalls sind sie nicht leicht erkennbar. Wenn es stimmt, daß etwa in der Mitte des Sees ein trockenes Stück Land liegt, dann dürfen wir auch annehmen, daß die Dingos dort entweder Nahrung holen oder ihre Jungen großziehen. Stellen Sie sich die trockene Fläche als Nabe eines Rades vor, so bilden die Wildhundpfade dessen Speichen. Um zur Nabe zu kommen, muß ich einer der Speichen folgen, und Yorky könnte, falls er mich bemerkt, 153
über eine der anderen zum Ufer fliehen. Sie werden sich also vorstellen können, wie schwierig es für mich ist, ihn dingfest zu machen. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Mitarbeit und schlage vor, daß Sie untereinander eine Überwachung des Lake-Eyre-Gebietes arrangieren. Bei der Länge der Küstenlinie und der Zahl der verfügbaren Männer wird es natürlich kaum möglich sein, alle Punkte ständig zu beobachten. Ich rechne damit, daß ich erst im Laufe des Nachmittags oder gegen Abend zu dem Mann komme. Sie können sich gewiß vorstellen, wie behutsam das Unternehmen durchgeführt werden muß. Unser Hauptziel muß es sein, Linda Bell in Sicherheit zu bringen, wenn sie noch lebt. Die Risiken bei deser Rettungsaktion mögen Sie sich selbst ausmalen. Schließlich darf nicht geschossen werden, solange nicht jemand in höchster Gefahr ist. Ich gebe Ihnen dabei zu bedenken, daß ich keineswegs fest davon überzeugt bin, daß Yorky der Mörder von Mrs. Bell ist. Ich glaube, Ihrer Einsicht voll vertrauen zu können, und weiß, daß ich auf Sie zählen darf. Ich danke Ihnen.« Bony drehte sich um und musterte gelassen Woottons vollzählig versammeltes Personal. »Etwas habe ich noch zu sagen, bevor ich aufbreche«, begann er. »Sie haben alle soeben in meinem Funkspruch gehört, daß ich von Yorkys Schuld nicht überzeugt bin. Daß aber er und Linda Bell irgendwo draußen auf dem See sind, hoffe ich bald beweisen zu können. Aus zweierlei Gründen bezweifle ich, daß Yorky unser Mann ist: Erstens, weil die seinerzeit hinter dem Kühlhaus entdeckten Spuren inzwischen als Fälschung erkannt wurden, und zwar muß sie jemand gemacht haben, der Yorky in Verdacht bringen wollte. Zweitens wurde an dem Morgen, an dem der Mord geschah, ein Reiter beobachtet, der sich in großer Eile vom Hof entfernte.« Sarah hatte das erste Frühstück für die Männer schon aufgetragen. Als alle in der Küche waren, telefonierte Bony fünf Minuten lang mit Polizeiwachtmeister Pierce. Zehn Minuten später machte er sich auf den Weg über den Lake Eyre. Statt seiner Pistole hatte er diesmal ein schweres Gewehr dabei. 154
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ie Sonne blendete. Das konnte Bony jedoch nicht hindern, der seine Aufmerksamkeit ganz auf die Kurdaitschaschuhe richten mußte. Die grelle Sonne aber verbarg ihn vor Wootton, der am Ufer stand, und vor den anderen, die ihn vom Kiefernhügel aus sehen wollten. Er machte nun die Erfahrung, daß die Bretter unter seinen Füßen nicht im Schlamm stecken blieben, wenn er gleitend einen Fuß vor den anderen setzte und die Last seines Körpergewichts dadurch besser ausglich. Zu Anfang war der Dingopfad recht gut zu erkennen. Es ging trotzdem langsam. Die an die besondere Belastung noch nicht gewöhnten Muskeln ermüdeten bald, und als Bony sich nach einer Weile umschaute, stellte er enttäuscht fest, daß er erst knapp zwei Kilometer zurückgelegt hatte. Der heiße Nordwind nahm zu und gab ihm das Gefühl, völlig isoliert zu sein, wie er es auf dem festen Land noch nie empfunden hatte. Wenn man von Bäumen und Dünen umgeben war, fühlte man sich nie ganz allein. Doch hier gab es nirgends vertraute Dinge. Hier lauerte Gefahr, die deutlich machte, wie hoffnungslos die Lage sein mußte, sobald man in Not kam. Er sah im Geist vor sich, wie er allmählich im dunklen Schlamm versank und ungeheuerlichen Mächten wehrlos ausgeliefert war. Gern hätte er kehrgemacht, doch verbissen ging er weiter. Der Pfad der Wildhunde war selten breiter als dreißig Zentimeter, oft aber nur zehn. An manchen Stellen hob er sieh scharf ab, an anderen konnten ihn nur sehr gute Augen von der Umgebung un155
terscheiden. Bony erlebte die erste Überraschung. Er gelangte zu einer Fläche, auf der die Sonne den Schlamm ganz hart gebacken hatte. Er war froh, die Bretter von den Füßen abschnallen und eine Rauchpause machen zu können, und merkte dabei mit leisem Entsetzen, daß sein Interesse an der Landschaft ihn fast den Zweck seiner Seewanderung vergessen ließ. Wo der Pfad auf diesen trockenen Platz mündete, hatten Dingos den Schlamm von ihren Pfoten gekratzt. Nach kurzer Rast setzte Bony seinen Weg fort und erkannte wieder, wie außerordentlich schwach die Abdrücke waren, die seine Brettschuhe hinterließen. Nachdem er mit den Fingerspitzen einige dieser kaum sichtbaren Vertiefungen abgetastet hatte, wußte er, daß der geschmeidige Schlamm jede Spur in wenigen Sunden restlos auslöschte. Daß der Pfad markiert blieb, war nur damit zu erklären, daß seit dem Verdunsten des letzten Wassers oft Hunde über ihn gelaufen sein mußten. Das trockene, nur wenige Meter breite und ungefähr hundert Meter lange Stück diente den Tieren als Ruheplatz. Die Stelle lag sechs bis sieben Kilometer vom Ufer entfernt, das jetzt durch Luftspiegelungen verzerrt war. Ringsum sah Bony überall ausgedehnte Gewässer, Schlamm schien ihn nur noch im Umkreis von einem Kilometer zu umgeben. Nicht allein Hunde, auch Krähen hatten auf dieser Insel gerastet. Und nicht nur Krähen waren nach kurzem Ausruhen weitergezogen. Zwei abgebrannte Streichhölzer erzählten Bony, daß ein Mensch hier gewesen sein mußte. Das war ihm eine große Genugtuung. Der Aufbruch von diesem Stück Festland war ebenso einfach wie die Ankunft, da Bony keine Wahl zwischen mehreren Wegen zu treffen hatte. Erfrischt schnallte er die Schlammschuhe wieder an und zog weiter auf den Spuren der Dingos. In seiner unmittelbaren Umgebung blieb das Bild immer dasselbe: eine flache Schlammfläche von eintönig gleicher Färbung, an der 156
Oberfläche überall aufgeplatzt und verkrustet. Eine Wanderung, die tödlich langweilig gewesen wäre, hätte ihn nicht mancher Eindruck dabei zum Nachdenken angeregt. Warum wohl bog der Pfad jetzt scharf nach rechts, lief vierhundert Meter in dieser Richtung, zweigte dann wieder ebenso scharf nach links ab und behielt trotz allem doch den Kurs nach Osten bei? Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Bony überlegte, was für eine Nacht ihm wohl bevorstand, wenn er gezwungen war, auf diesem schmalen Pfad zu kampieren. Gerade als er daran dachte, machte der Weg wieder einen scharfen Knick. Eine Stunde später atmete er auf. Er hatte wieder ein Stück trockenen Bodens erreicht, wo er rasten konnte. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es vier Uhr. Diese zweite ›Insel‹ war wesentlich größer. Als er sich ausgeruht hatte, sah er sich um. Er fand frühere Ruheplätze der Dingos und wieder gebrauchte Zündhölzer, jedoch keine menschlichen Fußspuren, denn der harte Boden nahm sie nicht an. Er beschloß, hier zu kampieren. Mehr Sorge als die Nahrungsmittel machte ihm das Trinkwasser. Er hatte nur drei Liter bei sich. Seit Tagesanbruch hatte er einen Liter getrunken, was er als Existenzminimum pro Tag betrachten mußte. Eingeborene konnten sich mit etwa zwei Litern Wasser eine ganze Woche behelfen, aber nicht Inspektor Bonaparte, der, wo es ging, ständig Tee trank. Solange die Sonne noch am Himmel stand, war vom Festland nichts zu sehen. Bony benutzte die Zeit, um unter dem Schlamm nach Wasser zu suchen. Er fand einen längeren Stock. Obgleich er weder Wasser noch Sickerstellen entdeckte, löste er jetzt das Rätsel, weshalb der Dingopfad anscheinend so unregelmäßig verlief. Der eigentliche Seegrund war ja, wie auch die Oberfläche der Schlammschicht erkennen ließ, nicht flach, sondern hatte wie der Meeresgrund Täler, Hügel und Berge. Die Hunde hatten sich ihren Weg über die Anhöhen gesucht. 157
Die Luftspiegelung zerfloß, es formten sich lange, silbrige Streifen, die zuerst nur allmählich, dann ganz plötzlich verschwanden, als der riesige, rote Feuerball der Sonne in der Ferne den Horizont berührte. Nun sah Bony fünfzehn Kilometer entfernt das Festland, und ungefähr fünf Kilometer von seinem Rastplatz entdeckte er einen größeren Punkt. Ein Mensch? Er saß auf dem harten Boden und beobachtete gespannt das Wesen, das er bald genauer zu erkennen hoffte. Langsam verblichen die Farben am Himmel, der See lag wieder in seiner graubraunen Trostlosigkeit da, vor der der Himmel gleichsam erblaßte. Nach einigen Minuten schien die Gestalt auf dem Pfad näher zu kommen. Die Dunkelheit nahm zu, der Horizont zeichnete sich nicht mehr ab, es gab keinen Hintergrund, vor dem man hätte ausmachen können, ob der Mensch, der sich dort näherte, ein Weißer oder ein Schwarzer war. Erst als die Gestalt nur noch tausend Meter entfernt war, so daß wenigstens die Bewegungen erkennbar wurden, blieb sie stehen. Dann ließ sie sich nieder. Für Bony ein Beweis, daß die Person diesen zweiten Rastplatz nicht kannte und daher beschlossen hatte, schon jetzt anzuhalten, bevor völlige Dunkelheit sie für die Gefahren des Schlamms zu beiden Seiten blind machte. .Eine Weile blieb Bony reglos auf dem Rücken liegen und betrachtete die Sterne, von denen nur die hellsten durch den Dunstschleier blinkten. Bald wurde er unruhig, setzte sich wieder aufrecht hin und rauchte eine Zigarette nach der anderen, wobei er die Streichholzflamme behutsam verdeckte. Er erfuhr später, daß es nicht die Flämmchen gewesen waren, die seinen Verfolger veranlaßten, nun doch im Dunkeln weiterzugehen. Er vernahm das Geräusch von zwei klappernden Schlammschuhen. Die Gestalt, die sich nun wieder vom dunklen Hintergrund abhob, hatte die Insel erreicht und stieß einen befriedigten Seufzer aus. Als sie sich bückte, um die Schuhe abzuschnallen, gab es für Bony keinen Zweifel mehr an ihrer Identität. 158
Er lachte vor sich hin. »Willkommen, liebe Frau!« rief er. »Sei mir willkommen!« Dann ging er ihr entgegen, zündtete ein Streichholz an und sah die dunklen Augen über der winzigen Flamme den seinen begegnen. Sie war, auf Vorwürfe gefaßt, stumm stehengeblieben. »Deine Augen sind schärfer als meine, Meena«, sagte er, »dafür tun dir aber bestimmt die Beine weh.« »Du mir böse?« »Im Moment nicht. Weshalb bist du mir nachgegangen?« »Yorky hat Gewehr.« »Ich auch.« »Yorky sehr gut schießen, Inspektor.« »Du hast mich Bony zu nennen. Auch ich bin ein sehr guter. Schütze.« »Er Linda vielleicht töten. Ich komme, damit Yorky das lassen.« »Nun gut. Wann hast du zum letztenmal was gegessen.« »In Mount Eden.« »Dann mußt du essen, ehe du mir Erklärungen gibst und ich zornig werde. Aber ich glaube beinah, Meena, daß ich auf dich nie zornig werden kann.« Im Sternenschimmer wirkte die riesige Fläche, auf der es keinerlei Schutz gegen Naturgewalten gab, noch endloser. Der Wind, der in kleinen, sanften Böen über sie hinstrich, trug ihnen unbekannte, seltsame Gerüche zu. Und schon sagte Meena: »Was das für grüne Dinger da im Schlamm?« »Ich weiß es nicht, hatte aber Angst vor ihnen«, gestand Bony. »Vielleicht Carlinka«, sagte sie. Auf seinen Wunsch gab sie eine Erklärung. »Canute das erzählen. Früher, da Alchuringa leben, drei Schwarze Jagd machen auf großen Tausendfüßler, aber der sagen: ›Nicht mich töten, ich bin Carlinka.‹ Schwarze töten nicht, aber sie ihn drehen auf Rücken und ihn mit Sand zudecken. Bald sie sehen, daß seine Füße, viele, viele, sich bewegen. Da ein Dingo kommen, der sagen, er helfen und er kratzen viel Sand über Carlinka, daß nachher nur Spitzen von seine Füße herausschauen.« 159
Meena war schön, wie sie da im Sternenlicht stand. Bony war verwirrt, und als er sprach, klang seine Stimme unnötig schroff: »Jetzt erkläre mir, weshalb du herkamst.« »Ehrlich. Yorky Gewehr, Sie Gewehr. Sie Polizeimann wie Pierce. Sie suchen Yorky. Yorky schießen und sagen, geh weg. Sie bleiben und schießen, wenn Yorky nicht gehen. Und Linda? Ich sprechen mit Yorky. Sprechen besser als Schießen.« »Viel besser, Meena« bestätigte Bony. »Wer hat deine Kurdaitschaschuhe gemacht?« »Charlie.« Meena betrachtete lächelnd die Schuhe. »Womit waren die Männer beschäftigt, als du fortgingst? Die weißen, meine ich.« »Die alle weg. Pierce kommen und weggefahren mit Mr. Wootton. Andere Männer wegreiten vorher mit Gewehr. Schießen sofort auf Yorky, so Harry sagen.« Ihre Stimme verklang in der Stille der Nacht. Das Mädchen fuhr nach einer Weile fort: »Sie nicht richtig Yorky kennen, Insp… Bony. Er nie schlecht zu einem Menschen. Immer gut.« »Weißt du genau, daß es Harry Lawton war, der den anderen riet, Yorky zu erschießen, sobald er auftaucht?« wollte Bony wissen. Und als sie das bejahte, sagte er: »Ruh dich jetzt aus. Wir müssen beim ersten Morgenlicht sofort weitergehen.«
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ie hatten schon wieder sechs Kilometer geschafft, als die Sonne vom Osten her die Rostfarbe der endlosen Fläche auslöschte, um auf ihre Weise eine Fata Morgana über der Fäulnis entstehen zu lassen. Die zuletzt zurückgelegte Strecke war verhältnismäßig gerade gewesen. Auf einmal bog der Pfad scharf nach Norden ab. Wenige Minuten später sahen sie tausend Meter vor sich eine Bewegung. Sie blieben sofort stehen. »Was ist das?« rief Meena, die dicht hinter Bony gegangen war. Etwas hob und senkte sich dort in ungleichmäßigen Pausen, nie an derselben Stelle. Ohne Meena zu antworten, schritt Bony weiter, das Gewehr im Anschlag. Sie konnten erkennen, daß sich der See bewegte, und nach einer Weile machte der Pfad um dieses unruhige Gebiet herum einen Bogen., Große Schlammblasen tauchten dort auf und versanken wieder, ohne zu platzen. »Weiter, Bony, nicht warten«, drängte Meena. »Nicht gut hier.« Weiter draußen erhob sich etwas, was keiner Blase glich. Es war wie eine anrollende Welle, die jäh auf sie zukam. Sie mußten unwillkürlich an ein gigantisches Reptil denken. Sicher war, daß es in diesem ganzen Gebiet nur unter ihren Füßen und sonst nirgends festen Boden gab. Das wellenähnliche Gebilde streifte in ihrer Nähe den Rand der aufgewühlten Masse und sank zwischen vielen aufquellenden Blasen zusammen. »Was da machen da, Bony?« flüsterte Meena, doch er ging achselzuckend weiter. Was hätte er, der große Polizeimann, auf die einfache Frage antworten sollen? 161
Der Bogen, den der Pfad um das brodelnde Gebiet schlug, war gut zwei Kilometer lang, und während sie die Strecke zurücklegten, hob sich zweimal der walfischartige Rücken und bewegte sich wie ein gebendes Wesen mit erstaunlicher Schnelligkeit fort. Kaum vierhundert Meter von ihnen entfernt, warf sich ein Schlammhügel mehrere Meter empor und zerfiel. Der Himmel war jetzt weiß, die Sonne braungelb. Der Wind nahm zu, als wollte er die beiden Menschen von diesem unheimlichen Blasenkessel fort und auf sicheren Boden treiben. Bony, der sich die Vorgänge zu erklären versuchte, hielt es für möglich, daß in diesem Gebiet der tiefe Schlamm durch Wasser, das von Nordwesten in die Pfanne strömte, in fließende Bewegung gebracht wurde, so daß Schub und Sog wirksam wurden. Wenn das zutraf, konnte ihnen große Gefahr drohen. Als die Sonne ihnen sengend heiß auf den Rücken brannte, erreichten sie den nächsten Rastplatz der Wildhunde. Sie waren beide erschöpft und durch die sonderbaren Bodenbewegungen beunruhigt, denn sobald Wasser an die Oberfläche kam, versank der Pfad unter ihren Füßen, und sie waren verloren. »Vor zwei Stunden habe ich dich gebeten zurückzugehen, und diese Bitte wiederhole ich jetzt«, sagte Bony, doch seine Worte riefen bei Meena nur ein zaghaftes Lächeln und Kopfschütteln hervor. »Yorky und Linda hier irgendwo«, erinnerte sie ihn, »und ich nicht rückwärts gehen mehr.« »Meena, mir gefällt die ganze Sache nicht.« »Ja. Wenn vor uns da eine ganze Wand von Feuer, Sie gehen durch. Nicht zurück. Missionar sagen: ›Hochmut kommt vor dem Fall.‹ Hoffe, Sie nicht fallen.« ( »Solchen Hochmut haben wir ja nicht, weder du noch ich. Wir sind beide nur Menschen, voller Ängste und Hemmungen, mit Kleinmut und Stolz. Was die weißen Menschen vielleicht ›Mut‹ nennen, ist bei uns jetzt die instinktive Angst vor dem Abgrund, der sich für immer unter unseren Füßen öffnen könnte. Es darf 162
uns nicht mißglücken. An einen Mißerfolg dürfen wir nicht einmal denken. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als weitergehen, selbst wenn wir diesen gräßlichen See ganz überqueren müßten.« Sie aßen ein wenig. Das bißchen Wasser, das sie tranken, trat sofort in Form von Schweißtropfen wieder aus dem Körper, dessen normale Funktionen seit ihrem Aufbruch von Mount Eden gestört waren. Eine kleine Weile legten sie sich hin und preßten das Gesicht in die gekreuzten Arme, um den müden, entzündeten Augen etwas Ruhe vor der Sonnenglut zu geben. »Yorky nicht totgeschossen Mrs. Bell?« fragte Meena, ohne den Kopf zu heben. »Nicht wahr?« »Nein. Aber frag mich nicht, warum er mit Linda geflohen ist, denn darauf weiß ich keine Antwort.« »Wer Mrs. Bell totschießen?« »Einer von zwei bestimmten Männern vielleicht. Es könnte auch einer von fünf en sein, doch ich glaube, es ist einer von zweien.« »Welche zwei, Bony?« »Bis zum Sonnenuntergang sind nur noch drei Stunden, Meena. Wir sollten uns beeilen, vorwärtszukommen, und können nur hoffen, daß wir ein neues Hundelager finden, bevor es dunkel wird.« »Gut.« Sie schnallte schon ihre Brettschuhe an, während er sich aufrichtete und im Sonnenglast blinzelte. Sein Angebot, ihren Proviantsack zu tragen, lehnte sie ab. Kerzengerade und kraftvoll stand sie neben ihm, und ihre Schönheit triumphierte über den Staub und die auf der Haut getrockneten Schlammspritzer. In ihrem goldfarbenen Gesicht leuchtete wieder das Lächeln, verlockend und unerforschlich. Unterwegs beobachtete sie ihn von Zeit zu Zeit: Wie es ihn vorwärtsdrängte! Wie er von dem Gewicht, das er schleppte, überhaupt nichts zu spüren schien, sondern gewandt und leicht auf deri Brettern dahinglitt. Sie hatte wie er von den mütterlichen 163
Vorfahren die Gabe geerbt, jeden Gedanken an die Strapazen abzuweisen und sich ganz auf das Ziel zu konzentrieren, das erreicht werden sollte. Oft dachte Bony daran, daß sich rings um sie das Wasser schließen könnte; ebensooft ließ er sich von der Luftspiegelung täuschen, die seine Befürchtungen zur vollendeten Tatsache zu machen schien – so echt waren die Trugbilder, die der Lake Eyre ihnen bot. Von Osten kamen drei Krähen und krächzten im Vorbeifliegen wie zum Spott. Am Vormittag hatte Bony vier beobachtet, die ostwärts geflogen waren, und während er müde weiterglitt, grübelte er darüber nach, warum wohl eine fehlte. Als die Sonne sank, war der Wind heiß geworden, der Himmel glich einem Flammenmeer, und die Oberfläche des Sees sah aus wie rötliches Gold. Weit vor ihnen ragten hohe Mäste gen Himmel, zwischen deren Spitzen etwas hin und her sprang, das keine erkennbare Gestalt hatte. Und jäh erschien in der Ferne ein Ding, das aussah wie ein Krebs. »Das sie sind!« rief Meena. Bony drehte sich zu ihr um. »Könnte sein«, sagte er. »Aber wie weit ist es bis dahin?« Diese Frage verblüffte sie. Ihre Schatten hatten sich wie durch Zauber so verlängert, daß sie fast haardünn aussahen. Das Feuer am Himmel wurde dunkelrot, das Luftbild von den Masten glich einem Grün und gleich danach einem Stahl. Der rote Himmel über ihnen zitterte; er erinnerte an eine Reihe blutiger Rippen, durch die sich schwarze Vertiefungen wie Adern zogen. Dies war in Wirklichkeit Wasser, weit im Norden, das sich in den Flammen der sinkenden Sonne spiegelte. Sie konnten sehen, wie schnell die Dunkelheit zunahm, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Und ganz plötzlich bemerkten Bony und Meena, kaum zweihundert Meter entfernt, einen niedrigen, mit Tussockgras bewachsenen Wall von rötlichem Sand und – einen Mann, ein Kind! 164
»’runter!« rief Bony, indem er sich auf die Erde warf. Behutsam drehte er sich so weit zur Seite, daß er das Gewehr vom Rücken ziehen und in Anschlag bringen konnte. Von der Glut am westlichen Himmel geblendet, sahen der Mann und das Kind die beiden erst, nachdem sie selbst entdeckt worden waren. – Yorky – er mußte es ja sein – warf sich hinter einem dicken Grasbüschel nieder, doch das Kind blieb stehen. Nun kam der Augenblick, da das gewaltige Land in größter Klarheit seine wahren Perspektiven enthüllte. Bony betrachtete über den Lauf seines Gewehrs die Bewegungen im Gras und erkannte mit seinen scharfen Augen, daß Yorkys Gewehrmündung auf ihn zeigte. Ein kurzer Blick sagte ihm, daß Meena noch stand. Er befahl ihr, sich hinzulegen, doch sie schüttelte den Kopf und rief laut zu Linda hinüber: »Ich bin es – Meena! Du das Yorky sagen, Linda, Yorky sagen!« Meena bot ein großartiges Ziel. Bony konnte die Mündung von Yorkys Gewehr erkennen und so genau beurteilen, wo sich der Kopf des Schützen befinden mußte. Die Entfernung betrug ungefähr zweihundert Meter, die Beleuchtung war noch günstig. Schweiß rann Bony übers Gesicht und machte den Kolben seines Gewehrs naß, den er gegen die Wange gepreßt hielt. Wenn Yorky zuerst schoß, starb entweder Meena oder er selbst. Feuerte er zuerst, dann gab es keinen Yorky mehr. Sein Instinkt wollte ihn dazu verleiten, abzudrücken, seine Selbstdisziplin befahl ihm, zu warten.
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ony wartete. Ein weniger kluger Mann hätte nicht gezögert, Yorky eine Kugel in den Schädel zu jagen. Er hätte impulsiv nach der Erkenntnis gehandelt, daß der Schnellere am Leben bleibt, und schließlich noch Lob dafür geerntet, daß er die Ermordung einer Frau verhinderte, die sich so leichtsinnig der Gefahr ausgesetzt hatte. Große Männer sind geborene Glücksspieler. Bony verließ sich darauf, daß Yorky nicht seine eigene Tochter erschießen würde und auch ihn nicht – vorläufig jedenfalls. Er war davon überzeugt, daß Yorky glaubte, in vollkommener Deckung und ganz Herr der Situation zu sein. Und wie alle großen Glücksspieler gewann Bony. Linda rief: »Komm doch her, Meena! Sag dem Mann, er soll da bleiben.« Ein Stoßseufzer von Bony. Er sah, wie Meena sich an ihm vorbeischieben wollte. Als er sie keuchen hörte, sagte er: »Vorsicht! Du mußt über mich weggehen, schnell.« »O Yorky!« rief sie, fast weinend. »Alter, dummer Yorky! Warum nicht schießen, Bony? Warum? Yorky leicht Bony totschießen. Warte, Yorky!« Er spürte das Brett, das sich nur leicht in seinen Rücken drückte, als sie über ihn wegschritt. Gleich stand sie wieder ruhig da und blickte zurück. »Nichts passiert, Meena«, sagte er. »Geh nur und beruhige Yorky. Nimm ihm, wenn du kannst, das Gewehr ab, aber laß dich nicht auf einen Kampf mit ihm ein.« 166
Gehorsam ging sie auf dem Pfad weiter, und Bony visierte einen Punkt zwei Zentimeter über Yorkys Gewehrmündung an, die unbeweglich blieb. Das bewies ihm, daß Yorky auf ihn zielte, nicht auf das Mädchen. Obwohl sich Bony allein auf Yorky konzentrierte, konnte er die kleine Linda vor Aufregung tanzen sehen, als Meena sich langsam dem Sandhügel näherte. Er hörte die Freudenschreie des Kindes, Meenas schnelle Antworten und ihren Befehl an Yorky, mit seinem Gewehr in eine andere Richtung zu zielen. Dann hielt sie das Kind in den Armen. Nach wenigen Augenblicken lief Linda zu Yorky, während Meena ihre Schlammschuhe ablegte. Offenbar hatte Yorky etwas angeordnet, denn Linda schrie: »Du Mann da drüben, sollst hierher kommen! Yorky wird nicht schießen!« Bony schritt in höchster Spannung auf das feste Land zu. Meena und das Kind kamen auf ihn zu, und in der Nähe hörte er eine Männerstimme nüchtern sagen: »Linda, nimm dem Kerl das Gewehr ab.« Die Kleine schaute mit ihren braunen Augen zu Bony empor und streckte die Hände nach ihm aus. Er sagte lächelnd: »Ich danke dir, Linda. Jetzt möchte ich erst mal diese blöden Bretter abnehmen. Ich kann dir sagen, daß ich froh sein werde, wenn ich sie los bin.« »Bring mir das Gewehr her, Linda!« befahl der unsichtbare Yorky, und Meena sagte streng: »Still, Yorky, kein Kino hier!« »Ich bin zum äußersten entschlossen«, erklärte Yorky grimmig, und Meena entgegnete: »Nicht mucksen, Yorky, sonst Meena auf dich losgehen! Gewehr weg. Wir nicht schießen.« Yorky stand jetzt am Rand der Sandbank, ein kleiner, runzliger, sonnenverbrannter Mann in Arbeitshose und einem Hemd, das vom vielen Waschen völlig farblos geworden war. Sein angegrautes Haar war ziemlich lang, sein grauer Schnauzbart hing ihm über den Mund. Seine hellblauen Augen waren klein und 167
hatten rote Räder. Die Mündung seines Gewehrs zeigte immer noch auf Bony. Die größte Überraschung des Tages war der Gegensatz zwischen Jägern und Gejagten. Yorky und das kleine Mädchen waren sauber gewaschen und gekleidet. Yorky hatte sich sogar rasiert, zweifellos erst vor ein paar Stunden. Nachdem Bony erst sich selbst und Meena und dann wieder Linda gemustert hatte, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen: »Na, Linda, wer sieht hier am schmutzigsten aus, Meena oder ich?« »Sie! Kein Wunder, wenn Sie da draußen im Schlamm ’rumliegen«, erwiderte die Kleine streng. »Aber wir haben hier einen Privatsee, da können wir immer baden, wenn wir Lust haben. Können wir doch, Yorky?« »Ja, das darf man wohl behaupten«, bekräftigte Yorky, wobei Bony der weinerliche Unterton in seiner Stimme auffiel. »Hier einfach ’reinzuplatzen! Woher soll ich wissen, daß Sie nicht hergekommen sind, um mich zu verhaften? Wer sind Sie überhaupt?« »Ich bin ein Mensch von geringer Bedeutung«, gab Bony zurück. »Linda sprach von einem See, und das heißt Wasser. Wir haben uns sehr einschränken müssen. Wo ist dieser See?« »Da drüben!« rief Linda. »Ich will ihn Ihnen zeigen, kommen Sie mit.« Ihrem Zeigefinger folgend, sahen sie stahlblaues Wasser schimmern, scheinbar so nahe, daß sie glaubten, gleich hineinwaten zu können. Bony hörte Yorky hinter sich rufen: »Paß aber auf, Linda, du bist heute schon über zwei Stunden im Wasser gewesen. Geh lieber nicht mehr ’rein, sonst kriegst du noch eine Erkältung oder weiß Gott was.« Vor ihnen lag das Wasser, einladend und verlockend. Jetzt im Zwielicht schien der See endlos groß. Linda, Meena und Bony waren außer sich vor Freude. Meena, die merkte, daß auch der Seegrund fest war, warf sich plantschend ins Wasser. Bony folgte ihr. Hinter ihnen standen das kleine Mädchen und der bärtige Mann. 168
Wasser mitten im Lake Eyre! Wasser inmitten dieser Einöde am Ende eines Sommers ohne Regen. Klares, salzloses Wasser, das kühl unter den friedlichen Sternen lag. Anscheinend ein kilometerlanger See. Als sie, von der ungeduldigen Linda gedrängt, herauskamen, war Meena noch schöner als vorher, während Bony, der mit Hose und Hemd ins Wasser gestürmt war, einem halbertrunkenen Kater glich. Er streifte das Hemd vom Körper und drückte es zufrieden aus, da es nun vom Schlamm gereinigt war. Zu den Überraschungen dieses Tages kam noch eine, denn Yorky sagte: »Kommen Sie jetzt lieber ’rauf zu einer Tasse Tee.« Die Einladung hätte eine Falle sein können. Yorky trat zurück und bedeutete ihnen, auf die Sandbank zu kommen. Linda führte sie zu einer flachen Mulde, wo vor einer Grashütte ein kleines Feuer brannte. Eine Teekanne war da, mehrere Marmeladendosen als Tassen und Zucker. Linda lief in die Hütte und kam mit einem Handtuch wieder, das sie Meena gab, die sich schnell abtrocknete und es dann Bony reichte. Linda goß geschickt Tee in zwei Dosen, ging wieder in die Hütte und kam diesmal mit einer echten Tasse samt Untertasse heraus. Bony, der die heiße Blechdose jonglierte, drehte sich mit dem Rücken zum Feuer, um Yorky zu sehen, der ein paar Meter von ihnen entfernt im Sand saß, immer noch mißtrauisch. »Wollen Sie mir ein paar Fragen beantworten?« fragte er Bony in seinem kläglichen Ton. »Sie kommen in mein Lager, ohne um Erlaubnis zu fragen, und sagen nicht, wer Sie sind. Warum?« »Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte Bony. »Ich bin so daran gewöhnt, Fragen zu stellen, daß ich es langweilig finde, welche zu beantworten. Hören Sie mir mal gut zu.« Seine Stimme klang jetzt kalt und herrisch. »Ich bin Kriminalinspektor Napoleon Bonaparte aus Queensland und habe den Auftrag, erstens festzustellen, wo sich Linda Bell befindet, und zweitens einen Mann zu verhaften, der in dem Verdacht steht, ein Gewaltver169
brechen begangen zu haben. Nachdem ich Linda gefunden habe, muß ich noch den Mörder einer auch Ihnen bekannten Person ermitteln. Nun sind Sie an der Reihe, Fragen zu beantworten. Sagen Sie mir, weshalb Sie sich von Mount Eden entfernt und Linda mitgenommen haben.« Yorky zielte mit dem Gewehr auf Bonys Brust. In seinen verkniffenen Augen glomm der Widerschein des Feuers. »Vielleicht sagen Sie mir lieber, was Sie eigentlich hier wollen?« stieß er hervor. »Das werde ich tun, Yorky. Aber ich schlage vor, daß wir die ernsten Fragen ruhen lassen, bis sich die müde Kleine schlafen gelegt hat.« »Das paßt mir gar nicht«, knurrte Yorky ergrimmt, und Meena rief schrill: »Yorky! Du Linda alles erzählen?« »Nein, noch nicht.« »Dann still jetzt und das Gewehr weg. Haben Hunger.« Sie ging mit dem Kind zum ›Strand‹. Bony schob die Glut zusammen und sagte zu Yorky: »Ich glaube nicht, daß Sie Mrs. Bell erschossen haben.« »Aber alle andern glauben das bestimmt«, erwiderte Yorky. »Ich nicht.« »So, Sie nicht! Wissen Sie denn, wer es getan hat?« »Ungefähr. Wenn Sie der Täter wären, hätte ich Sie schon in Handschellen. Bleiben Sie ruhig, sie kommen zurück. Wir wollen von etwas anderem reden. Ist Ihnen bekannt, daß jetzt Flutwasser in den Eyre strömt?« »So? Wird’s gefährlich?« Yorky setzte sich nun auch in den vom Feuer erhellten Kreis und legte das Gewehr neben sich. Er war noch immer mißtrauisch. »Das Wasser kommt aus den Flüssen im Norden.« »Haben Sie unterwegs davon etwas bemerkt?« »Nein. Aber am Himmel war eine Spiegelung von Wasser, die müssen Sie auch gesehen haben.« 170
»Nicht, daß ich wüßte.« Yorky beobachtete zerstreut Meena, die gerade Konserven öffnete. Linda spielte mit zwei großen Puppen, den Puppen Ole Fren Yorky und Meena, denen sie ein Liedchen vorsummte. »Wir haben merkwürdige Dinge gesehen«, fuhr Bony fort. »Die große Morastfläche ist in Bewegung geraten. Das kann auf zunehmenden Druck von Grundwasser zurückzuführen sein. Haben Sie nichts davon bemerkt?« »Ich bin auf dem Pfad nicht mehr gewesen, seit wir hierhergekommen sind. Zu der Zeit lag der Schlamm ganz still. Das muß wohl wirklich durch neuen Zufluß kommen«, bestätigte Yorky. »Sobald es hell wird, müssen wir unser Lager verlegen.« »Wohin denn, Yorky?« »Wohin? Das weiß ich nicht. Jedenfalls müssen wir wieder aufs Festland.« In der folgenden Stille war nur Lindas kindliches Summen zu hören. »Gibt es noch einen anderen Pfad zum Ufer?« fragte Bony nach einer Weile. »Ja, einen, den ich benutze, wenn ich zu der alten Hütte am südlichen Ende des Grenzzauns will. Der ist viel kürzer. Ich bin ihn zweimal gegangen, um Proviant zu holen.« »Einmal mindestens müssen Sie doch auch auf der Farm gewesen sein, um die Puppen zu holen?« forschte Bony. »Nein, die hat mir ein Freund von dort gebracht.« »Ein Freund?« rief jetzt Meena. »Wer ist das?« »Du hast hier gar nichts zu fragen«, sagte Yorky. »Ein Freund, das genügt ja wohl.« »Sind Sie mit ihm zusammengekommen, oder hat er die Puppen in die Hütte gelegt?« »Er hat sie in die Hütte gelegt, ja.« »Und dieser Freund hat Sie nicht benachrichtigt, daß der See anfängt, sich zu füllen?« »Nein. Das hat er wohl vergessen.« 171
»Vergessen! Der mußte doch wissen, daß das Wasser Ihnen den Weg abschneiden kann und Sie hier verhungern oder ertrinken, wenn Sie zu spät versuchen, an Land zu kommen. Das ist doch klar, oder?« »Ja, das hätte er wohl wissen müssen«, gab Yorky zu. »Aber …« »Und er hat vergessen, Sie zu benachrichtigen! Ein sauberer Freund, Yorky.« »Verdammt sauber!« höhnte Meena, und Linda sagte streng: »Du sollst nicht fluchen, Meena!« »Ja, er muß es vergessen haben«, behauptete Yorky hartnäckig. »Auf jeden Fall müssen wir morgen früh von hier weg. Linda, leg dich jetzt schlafen, wir haben morgen einen weiten Weg.« »Aber du hast mir ja meine Abendgeschichte noch nicht erzählt«, schmollte das Kind. »Das tust du doch sonst immer, Yorky.« »Ich weiß, aber heute abend nicht. Ich bin selbst furchtbar müde.« »Dann werde ich sie dir erzählen«, erbot sich Meena. »Komm!« Linda nahm ihre Puppen unter den Arm und ergriff die Porzellantasse. Sie sagte Bony höflich gute Nacht, legte alles wieder hin, umarmte Yorky und bat ihn, doch auch gleich schlafen zu gehen. Bony betrachtete jetzt noch neugieriger den eigenartigen kleinen Mann, der ein Kind entführt und es unter sehr schwierigen Bedingungen gut behütet und gepflegt hatte. Die mit Tussockgras gedeckte Hütte hatte Platz für zwei. Yorky sagte nach kurzem Schweigen: »Sie glauben wirklich nicht, daß ich es war?« »Sind Sie es denn gewesen?« entgegnete Bony, und nun seufzte Yorky wie jemand, der sich lange mit einem Problem gequält hat. »Ich war vollkommen blau, und nur durch den Whisky vom Boss. Kann mich nicht richtig darauf besinnen, aber es kann bloß davon gekommen sein. Und dann ist zu vieles durcheinander 172
passiert. Sie sagten, Sie hätten eine ganz andere Idee. Was denken Sie denn?« »Auch wenn ich meiner Sache noch nicht ganz sicher bin«, erwiderte Bony kurz, »so glaube ich, daß Ihr sogenannter Freund der Täter ist …«
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iele tief im Hinterland lebende Menschen erwachen morgens, sobald am Himmel der erste helle Schein den neuen Tag ankündigt. Zu ihnen gehörte Yorky, der sich sofort von seinem Lager im Sand erhob und Holz auf die Glut legte. Im Licht der auflodernden Flammen fand er den leeren Teekessel und ging, um Wasser zu holen. Als er zurückkam, war Bony dabei, das Gewehr zu reinigen, und Yorky beobachtete ihn, während er das Wasser aufstellte. Er sprach aber kein Wort und machte keine Bewegung, um ihn nicht zu stören. Nachdem er eine Handvoll Tee ins kochende Wasser geworfen hatte, hob er den Kessel an einem Stock aus den Flammen und schnitt sich, solange der Tee ziehen mußte, Tabak zurecht. Der Tag nahm also einen ganz normalen Anfang. Als Bony fertig war, lehnte er das gereinigte Gewehr behutsam gegen sein Bündel und schlenderte zu Lindas ›Privatsee‹, um sich zu waschen. Auch Meena und die Kleine erschienen dort. Sie kehrten zusammen zum Lagerplatz zurück. Yorky rauchte gerade seine Morgenpfeife und ging nun ebenfalls ans Wasser, während sich Bony ankleidete. Noch ehe die Sonne herauskam, waren sie alle marschbereit. 173
Sie gingen an dem schmalen, festen Strand des kleinen Sees entlang und nach Süden weiter. Eine Stunde später, als sie zu kurzer Rast anhielten, hatten sie noch immer festen Boden unter den Füßen. Hier, schon weit von ihrem letzten Lagerplatz entfernt, gab es ziemlich viele Karnickel, und zwei Dingos kamen in Sicht. »Wie weit bleibt der Weg noch so gut?« fragte Bony. »Zehn bis zwölf Kilometer«, erwiderte Yorky. »Und dann kommen nur noch achtzehn Kilometer Sumpfgebiet. Am Ende dieser Sandbank gibt es Wasser, aber nicht so schönes frisches wie in Lindas See, und dann bis zur Hütte keins mehr. – Na, kannst du denn noch laufen, Linda?« »Ja, gut, Yorky«, antwortete die Kleine, doch es klang nicht überzeugend. »Werde dich wohl mal ein Stückchen tragen müssen. Hier auf dem harten Boden läßt es sich aber besser gehen als später über den Schlamm. Muß ja sagen, mein Liebling, du hältst dich fein, abef deine Beine sind noch ein bißchen zu kurz, und diese Kurdaitschaschuhe eignen sich sowieso nicht besonders gut.« Die von Charlie angefertigten Bretterschuhe hatte sich das Kind an einem Riemen um den Hals gehängt. Sie waren aus Baumrinde gemacht und hatten wie orientalische Pantoffeln eine hochgebogene Spitze. Sie paßten Linda nicht, denn sie waren nur zum Spielen gedacht. Spielzeugschuhe für ein kleines Mädchen. »Ich will froh sein, wenn wir erst im Sumpfgebiet sind«, bemerkte Bony. »Ihr Freund könnte ja beschlossen haben, uns zu begegnen, und wartet vielleicht bequem hinter einem Busch Tussockgras.« »Welcher Freund, Yorky?« fragte Meena. Sie drehte sich zu Bony um, und als sie sah, daß er bedenklich die Stirn runzelte, setzte sie hinzu: »Warte nur, Sarah wird herauskriegen. Du sagen, keine Schuld, Bony sagen, Yorky keine Schuld. Bony sagen, dein Freund Mrs. Bell erschießen. Schnell sagen, Yorky, alles!« 174
»Der Mann ist es aber nicht gewesen, das habe ich schon ein paarmal gesagt!« fuhr Yorky auf. »Er hat sich die ganze Zeit anständig benommen. Der einzige überhaupt, dem ich trauen konnte. Und ich werde nicht reden, bis wir ihn alle vor uns sehen. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die hinter dem Rücken ihrer Freunde reden.« »In Ordnung!« rief Bony ungeduldig, denn er hatte ja am Abend mit Yorky schon eine geschlagene Stunde über diesen Punkt debattiert. »Um jedes unnötige Risiko zu vermeiden, werde ich ein Stück vorausgehen und, falls er uns auflauert, ihn aus der Deckung zu locken versuchen. Sie benehmen sich furchtbar dumm, Yorky, wenn es auch nicht unbedingt wichtig ist, daß ich den Namen Ihres Freundes gerade jetzt erfahre. Und helfen brauchen Sie mir auch nicht. Vor meinem Aufbruch, Yorky, habe ich nämlich per Funk meine Absicht, auf Sie Jagd zu machen, bekanntgegeben, und es patrouillieren jetzt Männer am ganzen Ufer, um uns abzufangen. Ich habe auch kein Geheimnis daraus gemacht, daß wir eventuell über den Schlamm kommen, wenn wir die Dingopfade benutzen. Weiterhin habe ich erklärt, daß ich Sie nicht für den Mörder halte. Als ich den Hof verließ,, war die Situation ungefähr so: Der Mörder rechnete damit, daß Ihnen das in den See strömende Wasser den Weg abschneiden würde. Er wäre dann für immer unentdeckt geblieben. Jetzt aber, da er weiß, daß er sich den Folgen seines Verbrechens nicht entziehen kann, wird er höchstwahrscheinlich den Versuch machen, uns an der Rückkehr zu hindern. Und wo könnte er das besser als hier? Er könnte uns plötzlich überfallen. Denn das wird er zweifellos der unvermeidlichen Verhaftung vorziehen. Kennt denn Ihr Freund diesen Weg zum Ufer?« Yorky, der stur seine Stiefel betrachtet hatte, blickte Bony jetzt fest an. »Haben Sie das mit Absicht so gemacht, damit der Mörder hierherkommt?« fragte er. »Ja«, erwiderte Bony. »Dieses Gewehr hat eine größere Reichweite als die beste Winchesterbüchse. Deshalb habe ich dem 175
Mann die Chance gegeben, hierherzukommen und um sein Leben zu kämpfen. Und weil ich mir dachte, Sie würden mir beistehen. Nun aber, da Sie das nicht tun, werde ich allein vorausgehen und riskieren, daß er mich niederschießt, ehe ich ihn gesichtet habe.« »Sie hatten doch gesagt, Sie wüßten, wer der Täter ist«, wandte Yorky ein. »Warum haben Sie ihn dann nicht verhaftet, bevor Sie hierherkamen.« »Vom Wissen zum Beweis ist ein weiter Weg.« Wieder starrte Yorky auf seine Stiefel. Meena beobachtete ihn schweigend, während Linda sich an ihn kuschelte. Das kleine Mädchen war müde und geängstigt durch dieses ihr unverständliche Gespräch. Yorky hob schließlich den Kopf und sagte, ohne einen von ihnen anzusehen: »Sie haben mich glatt in die Tasche gesteckt, aber ich stehe zu meinem Wort, ich kann einen Freund nicht verpetzen. Sie und ich werden vor Meena und Linda hergehen und der Gefahr ins Auge sehen. Sie vertreten das Gesetz. Aber Gesetz hin, Gesetz her. Wenn einer es riskieren sollte, Meena oder das Kind anzurühren, dann schieße ich. Wir müssen uns beeilen, damit wir von diesem verflixen See ’runterkommen. Er fängt schon an, sich zu bewegen, ich kann es erkennen.« »Sie meinen wohl die Reflexe da hinten, Yorky?« fragte Bony. »Ja. Ich habe das noch nie gesehen, aber die Schwarzen haben eine Bezeichnung dafür. Es ist wie eine flache Dünung, und auf der einen Seite glitzert das Sonnenlicht, so daß sie wie eine Welle aussieht. Der alte Canute hat mir davon erzählt. Das Wasser drückt immer mehr in den Schlamm, und anstatt darüber wegzufließen, kommt es von unten.« Er wandte sich an die Mädchen. »Laßt eure Sachen fallen, ich und der Inspektor werden alles tragen. Nehmen Sie noch die Schuhe, ich trage die Wasserbehälter. Das übrige lassen wir hier. Meena, ihr wartet hier noch eine Weile. Wenn wir ungefähr tausend Meter Vorsprung haben, kommt ihr nach.« 176
»Gut, keine Sorge.« »Meine Puppen!« schrie Linda. »Ich will Meena und Ole Fren Yorky nicht hier lassen.« »Wir die mitnehmen, Linda«, sagte Meena. »Haltet euch auf dem festen Boden«, ermahnte Bony. »Sobald ein Schuß fällt, duckt euch hinter die Sandbank.« Die beiden Männer gingen mit schußbereiten Waffen voraus. Sie konnten kilometerweit über das Gras und die Sandwehen blicken und bis auf fünfzig Meter jede Kleinigkeit erkennen. Ein guter Heerführer versetzt sich in die Gedanken des Gegners, und das versuchte auch Bony zu tun. Er hielt es für sehr wahrscheinlich, daß der Mörder von Mrs. Bell mit dem ersten Schuß keine Sekunde zögern würde, sobald der Abstand zwischen ihnen geringer würde. Der Vorteil lag zweifellos auf der Seite des Mannes im Hinterhalt. Zum Glück war es ein ruhiger Morgen, das Tussockgras stand ganz ruhig. Sie konnten eine gewisse Hilfe von den Adlern und den vier Krähen erwarten, die ihnen vom Lagerplatz gefolgt waren. Die Krähen, die oft vorausflogen, verrieten sich bestimmt durch eine auffallende Unruhe, falls sie einen am Boden liegenden Menschen erspähten. Und sie waren leichter zu beobachten als die Adler, von denen zwei in großer Höhe flogen. Eine Stunde verging. Yorky blickte fortwährend zu Bony hinüber. Die Sonne stand im Zenit, und die Hitze war fürchterlich. Bony, der an Linda dachte, war unschlüssig, ob sie eine Ruhepause machen sollten oder nicht. Als er rückwärts blickte, konnte er von Meena den Oberkörper und von der Kleinen nur den Kopf sehen. Sie hielten ihren Abstand gut ein. Er rief Yorky zu: »Einen Wasserbehälter zurücklassen für die Mädchen!« Yorky nickte, und sie setzten ihren Marsch fort, mit äußerster Wachsamkeit, um blitzschnell in Deckung gehen zu können. Yorky beobachtete ebenfalls die Vögel. Eine Stunde vor Mittag. Bony glaubte das Ende der Sandbank in der Ferne zu sehen und hätte darauf wetten mögen, daß dort 177
jemand im Hinterhalt lag. Da erschien dicht vor Yorky eine Dingohündin mit ihren vier Jungen, sah die Männer und machte sich davon. Bony atmete befreit auf. Die Krähen flogen vorbei und hielten sich über den Hunden. Das jetzt klar sichtbare Ende der Sandbank war noch etwa einen Kilometer entfernt. Die Krähen mußten bereits dort sein. Plötzlich fuhren sie wie unter dem Druck einer Explosion gen Himmel und wirbelten umher, schwarzen Schneeflocken gleich. Ihr Krächzen drang bis zu den Männern, die nun Bescheid wußten. »Das ist er bestimmt!« schrie Yorky. »Sollen wir jetzt so vorgehen, wie wir es in dem verfluchten Krieg gelernt haben?« »Ja«, gab Bony zurück. »Wir können uns jeder an einer Seite der Sandbank halten. Nun noch einen Rat. Ich bin, auch wenn ich nicht so aussehe, Vertreter der Justiz, und Sie sind australischer Bürger. Unsere Aufgabe ist, den Kerl lebend zu fangen, denn als Toter wird er Ihnen nicht viel nützen. Wenn Sie es also vermeiden können, legen Sie ihn nicht um.« »Einverstanden.« Von nun an hatten sie bis zu einem halben Meter Deckung und konnten trotzdem einander gut im Auge behalten. Die Krähen zogen dort, wo die Sandbank aufhörte, ihre Kreise, ihr Mißtrauen war erregt durch ein am Boden liegendes Ding, und ihr Benehmen veranlaßte die Adler, aus der Höhe hinabzustoßen. Als das geschah, wußte der Feind, daß er entdeckt war, und verlor die Nerven. Zwei Männer pirschten sich an ihn heran, anstatt, wie er gehofft hatte, sorglos in seine Schußlinie zu laufen! Er konnte die verhaßten Krähen sehen und hören, die ihn verrieten. Er streifte hastig seine Bretterschuhe an und schlitterte auf dem Hundepfad dahin, wobei ihn die verängstigte Wildhündin und ihre neugierigen Kinder beobachteten. Als Bony und Yorky näher kamen, sah der Mann in der Luftspiegelung wie ein Stelzenläufer aus. 178
Die Adler schwangen sich enttäuscht wieder empor, die Krähen waren sichtlich verärgert. Bony setzte sich in den Sand und holte Tabak und Zigarettenpapier aus der Tasche. »Ist das Ihr Freund?« fragte er. »Wie soll ich das wissen?« entgegnete Yorky. »Mit Ihrer Knarre könnte ich ihn umlegen, die trägt weiter als meine. Dieser Schweinehund ist für mich nicht von Bedeutung.« »Im Gegenteil, von sehr großer sogar«, betonte Bony. »Der Kerl ist noch in Schußweite, er hätte uns beide glatt niedergeschossen und auch das Kind und Meena kaltgemacht. Geben Sie mir Ihr Gewehr.« Yorkys Stimme klang drohend. »Meena und Linda würden Zeugen sein, wenn Sie mich erschießen«, erklärte Bony. »Das wäre also ein schwerer Fehler. Stopfen Sie sich lieber ein Pfeifchen. Ich weiß, wie Ihnen zumute ist – von einem verraten zu sein, dem man vertraut hat. Wer ist es?« Yorky schüttelte den Kopf. Er blieb verstockt und sagte: »Sie sind Polizist. Ich geben einem Bullen keine Auskunft.«
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achdem sie fast eine Stunde gerastet hatten, hauptsächlich wegen Linda, führte Bony sie auf den jetzt deutlich durch die Gleitbretter des flüchtenden Gegners markierten Schlammpfad. Es war ein Uhr, und er erklärte, daß es ratsam sei, noch vor fünf festes Land zu erreichen, denn später würde die sinkende Sonne sie blenden, den ändern jedoch nicht, der sich dann viel179
leicht entschloß, noch aus der Deckung hinter einer Düne den Kampf zu eröffnen. Das Kind war kleinlaut geworden, marschierte aber noch volle drei Kilometer mit, ohne zu klagen. Dann bewies Yorky, daß kleine Leute oft körperlich zäher sind als große: Er gab Meena sein Gewehr, hab Linda auf seine Schultern und trug sie ebenso mühelos wie vorher die Waffe. Der Nachmittag war unerhört heiß und ganz windstill, die Luftspiegelungen ringsum blendeten das Auge so stark, daß man klares Schußfeld höchstens auf achtzig Meter hatte. Bony, der einen Vorsprung von zweihundert Metern vor Yorky und den Mädchen einhielt, spähte stets voraus. Die Krähen waren nun der Gruppe nicht mehr gefolgt, sie zogen zweifellos den Schatten zwischen dem Tussockgras vor, und jetzt nach den Adlern am Himmel zu schauen war eine Qual; ringsum gab es nur grelles, farbloses Licht., Als Bony eine Stelle mit festem Boden erreichte, wartete er auf Yorky und Meena. Yorky trug Linda noch. Als er sie jetzt niedersetzte, sank er taumelnd in die Knie und fiel hin. Er wischte sein von Schweiß triefendes Gesicht mit dem Unterarm ab. Meena schüttete ihm Wasser über den Kopf, doch Yorky verbot ihr das, weil sie noch acht bis zehn Kilometer zu gehen hatten. Sie tranken alle nur wenig von ihrem Vorrat, die Männer rauchten ein paar Züge, während die furchtbare Hitze schwer auf sie drückte. Yorky sparte sich Trinkwasser, um das Handtuch zu befeuchten, das Linda als Kopfschutz trug. »So wird es besser sein, mein Liebling«, sagte er zärtlich. »Wir haben es jetzt nicht mehr weit, und wenn wir bei der Hütte sind, begießen wir uns eimerweise mit Wasser.« Zu Bony sagte er: »Ein Stück weiter ist wieder ein Hunderastplatz, ein kleiner, der nur noch drei bis vier Kilometer vom Ufer entfernt liegt. Da wird der Kerl uns bestimmt wieder auflauern, und nachher hat er noch Dünen als Deckung, während wir vor seinen Augen die offene 180
Ebene überqueren. Dann geht es erst richtig los. Und die ganze Zeit hat der Kerl die Sonne im Rücken!« »Vielleicht kommt es anders«, sagte Bony. »Ich gehe gleich weiter. Laßt mir Zeit. Ich warte auf dem Rastplatz, wenn ich ihn dort nicht antreffe.« Yorky, der unruhig hin und her geblickt hatte, fixierte jetzt Bony. »Sie vergessen, daß Sie Polyp sind«, sagte er. »Denken Sie daran, daß Ihr Gewehr weiter schießt als eine Winchester und daß wir von diesem stinkigen Schlamm herunter sein müssen, sonst versinken wir bald. Jetzt ist nicht die Zeit, an blöde Gesetze zu denken, und auch nicht den feinen Pinkel zu spielen.« »Sehr richtig, Yorky.« Bony lächelte grimmig. »Von hier an ist das Wasser unter dem Schlamm unser Boss. Also, ich warte auf dem nächsten Dingoplatz.« Der Mann, die Frau und das Kind verfolgten mit den Augen Bonys Gestalt, die bald groteske Formen annahm. Meena fuhr Yorky zornig an: »Warum du das sagen? Schuld für ganze Schweinerei du haben. Bony recht haben.« »Mußte ihn reizen«, erwiderte Yorky, indem er seine Tochter böse anstarrte. »Ich kann auf mich selbst aufpassen, aber wir haben an unsere liebe, kleine Linda zu denken. Nun zu, es wird Zeit, ihm zu folgen.« Die Hitze war ohne Erbarmen, Bony merkte entsetzt, daß ihn ein leichtes Schwindelgefühl überkam. Ich muß zu schnell gegangen sein, dachte er und verhielt den Schritt, um sich wieder zu erholen, doch schon nach wenigen Minuten brach er beinahe zusammen. Gerade jetzt sah er, wie sich eine Schlammwelle langsam an dem schmalen Pfad vorbeiwälzte. Sie glänzte im Sonnenschein. Eine Ahnung von Unheil beschlich ihn. Nach einer halben Stunde rollte noch eine vorbei, die ihn fast aus dem Gleichgewicht warf, und gleich darauf vernahm er ein Summen wie von einer wütenden Wespe und einen Schuß. In derselben Sekunde lag er lang ausgestreckt auf dem Bauch, schußbereit. 181
»Sie hatten recht, Yorky«, sagte er, »dies ist nicht die Stunde für Gentlemen. Sobald ich das Schwein sehen kann, werde ich Ihnen das beweisen.« Das grelle Sonnenlicht störte dicht am Boden noch mehr: Er vermochte nicht einmal die Grenze zwischen dem Schlammfeld und dem flimmernden Horizont zu erkennen. Noch einmal kam das Wespengesumm, dann wieder ein Knall, jetzt lauter und härter. Bony zielte auf den Punkt, wo er den Schützen vermutete, und drückte ab. Seine Nervosität schlug um in Zorn. In diesem Mann, in dem zweierlei Blut floß, gewann jene Erregung die Oberhand, der er nur selten die Zügel freigab. In seinen Augen blitzte kaltes Feuer, und er verfluchte die ihn blendende Sonne und die trügerischen Luftgebilde. Wie eine aufgespießte Motte kam er sich vor. Er und die arideren, die er beschützen wollte, im entscheidenden Augenblick aufgehalten und von dem tödlichen Zugriff der Schlammflut bedroht! Ah! Dort hatte sich soeben etwas bewegt, aber unkenntlich verzerrt. Es wuchs schnell zu riesenhafter Größe, schrumpfte zusammen und verschwand. Der Heckenschütze auf dem Rückzug! Als Bony mit einem Satz aufspringen wollte, dachte er nicht an die Bretterschuhe, die ihn sehr behinderten. Auch laufen konnte er mit ihnen nicht. Tief gebückt hetzte er dem Feinde nach, gequält von dem Gefühl, Bleiklumpen statt Füße zu haben. Als er den Hunderastplatz erreichte, wo der Gegner zuletzt gelauert hatte, wartete er nicht, bis die anderen nachkamen. Er war fest entschlossen, den Feind niederzuzwingen, ehe dieser bis zu den Stranddünen kam, wo er wieder Deckung finden konnte. Wie weit war es denn noch bis zum ersehnten Land, dem trockenen und schönen Festland? Wie lange hatten sie noch auszuhalten auf dem abscheulichen Schlammsee? Was hatte Yorky gesagt? Ja, richtig: ungefähr drei Kilometer noch. Ein langer Weg, und doch nicht zu lang, wenn sauberer roter Sand und eine Hütte und Trinkwasser warteten … 182
Erst nach einer Stunde sah er ihn, den roten Sand, der sich wie Gischt auf Wogen in die Lüfte erhob und plötzlich, in mächtige rote Klippen verwandelt, stillzustehen schien. Tücken der heißen Luft. Und dann sah er ganz deutlich einen Mann vom Schlammweg abspringen und das etwas ansteigende Ufer hinaufrennen. Jetzt nahm sich Bony nicht einmal die Zeit, sich auf den Boden zu werfen. Er blieb stehen, zielte und schoß. Danach hörte er seinen eigenen freudigen Schrei, als der Laufende taumelte, und seinen erbitterten Fluch, als der Gegner sich wieder auf raffte, und nach wenigen Sprüngen unsichtbar wurde. Bony hatte sich nun wieder hingeworfen, er rang nach Atem und Nervenkraft, während er sich tiefer in den Schlamm wühlte. Er wußte, daß sein Gegner jetzt ruhig nach einem Hinterhalt suchte, von dem aus er ein ganzes Regiment in Schach halten konnte. Wie lang war die Strecke bis zum Ufer noch? Er grübelte, wie er es einrichten konnte, aus der Schußlinie des Gegners zu kommen und dabei die Dünen noch im eigenen Schußbereich zu behalten. Da hörte er links von sich ein Geräusch, als hätte jemand eine Flasche entkorkt, und zwei Sekunden danach wieder einen Schuß. Wenn Bony sich jetzt umdrehte, vom Schlamm und den Brettern gehemmt, würde er mit Sicherheit eine Kugel in den Rücken bekommen, denn sein Gegner wurde nicht von der Sonne geblendet und hatte ein ganz klares Schußfeld. Das nächste Geschoß schlug nur wenige Meter vor Bony ein. Der winzige Schlammspritzer, den es aufwarf, beruhigte ihn, denn wahrscheinlich konnte der Schütze die Einschläge nicht beobachten, also sein Ziel nicht korrigieren. Der folgende Schuß machte ihm deutlich, daß sich sein Gegner vor ihm befand. Vermutlich in einer kleinen Vertiefung zwischen zwei Dünen. Nach dieser Überlegung mußte es ihn sehr verblüffen, daß plötzlich, mindestens sechzig Meter rechts von seinem Platz, eine dunkle Gestalt erschien, die mit einem weißen Gegenstand 183
winkte. Und schon sah er in dem flimmernden leichten Dunst diesen Mann unterhalb der Dünen auf die Stelle zukriechen, wo der Schütze versteckt sein mußte. Bony feuerte einen Schuß ab. Ein kleiner Sandrutsch am Hang der Düne zeigte ihm an, wo das Geschoß eingeschlagen war. Jetzt entstand lebhafte Bewegung oben zwischen den Dünen, und zweierlei geschah: Eine Kugel klatschte links von Bony in den Schlamm, und der Mann am Fuß der Düne näherte sich jetzt im Laufschritt, aber noch gebückt, dem Versteck des Schützen. Er nutzte zum Anpirschen die kurze Zeitspanne, da der Gegner in blindem Jagdeifer nur darauf bedacht war, Bony genau aufs Korn zu nehmen. Ein tüchtiger Mann! dachte Bony, der sich sofort etwas vorschob, um die Aufmerksamkeit des Schützen weiter auf sich zu lenken, damit er den anderen nicht bemerkte. Ein Geschoß schlug knapp einen halben Meter vor Bony in den Schlamm. Minuten vergingen, die Sonne stand nun so tief, daß Bony nur etwas sehen konnte, wenn er eine Hand über die Augen legte. Er mußte aber rasch erkennen, daß seine Anstrengungen nichts nützten. Völlig hilflos lag er da, während die Sonne unterging. Es erschien ihm wie eine Ewigkeit. Dann aber stand das Festland mit klaren Konturen vor ihm im Licht – zum erstenmal war ihm ein Vorteil gewährt. Die scharfen Schlagschatten waren fort, das Lichtgeflimmer hatte aufgehört. Genau über seinem Gewehrlauf bemerkte er jetzt eine Bewegung. Er holte tief Luft, straffte die Arm- und Halsmuskeln, um eine ruhigere Haltung zu gewinnen. Der große Moment war gekommen. Bony konnte nun seinen Gegner sehen, er konnte jetzt auch die Entfernung abschätzen. Sie betrug weniger als zweihundert Meter. Aber eine ganze Sekunde verstrich, und nichts geschah, denn genau hinter dem Feind war die winkende Gestalt erschienen. Sie stieg höher über die Kuppe der zweiten Düne und wurde nun ganz sichtbar. Dann setzte der Mann zum Sprung gegen die 184
vordere Düne an. Einen Arm hatte er hochgestreckt, in der Faust hielt er ein Gewehr oder eine lange Keule. Was es auch war, er schlug mit dem Ding gewaltig zu … Und schon stand er auf der vorderen Kuppe. Es war ein Schwarzer, der Bony durch heftiges Winken aufforderte, näher zu kommen. Die Reaktion nach der äußersten Anspannung trat so jäh ein, daß Bony beinah geweint hätte – vor Enttäuschung. Ein verflixter Eingeborener war ihm zuvorgekommen. Als er aufgestanden war und den Dreck von den Kleidern schüttelte, tröstete es ihn ein wenig, daß sein Gewehr überhaupt nicht schmutzig war. Er wandte sich um. Weit draußen sah er Yorky und Meena kommen. Der kleine Mann trug immer noch das Kind. Als Bonys Zorn verraucht war, legte er sein Gewehr weg, um ihnen entgegenzugehen. »Der Kerl hatte mich im Schlamm sozusagen festgenagelt«, erklärte er ihnen gleich, »und gerade, als ich ihm einen Schuß verpassen wollte, zog ihm der verflixte Eingeborene eins über den Schädel.« Yorky, der stehengeblieben war, sah ihn bewundernd und zugleich ungläubig an. »Sie haben ihn ja auch festgenagelt, hinter seiner Düne, eine volle Stunde. Und mir war es entschieden lieber, mich mit Linda zu unterhalten, als an Ihrer Stelle im Schlamm zu liegen. Lassen Sie uns schnell weitergehen, der Schlamm kann sich jetzt jeden Moment in Suppe verwandeln.« »Dann lassen Sie mich aber Linda tragen. Gehen Sie vorsichtig um mich herum und dann voraus. Diesem Eingeborenen, das will ich zugeben, können wir ewig dankbar sein.« »Charlie«, sagte Meena ruhig und unendlich stolz. »Er immer noch da winken.«. Yorky führte, vor Erschöpfung wie ein Betrunkener schwankend, die kleine Prozession, gefolgt von Meena und Bony mit Linda auf den Schultern. 185
»Ich will von dem See überhaupt nichts mehr wissen«, sagte Linda. »Und ich auch nicht«, bekräftigte Bony. »Ich mag gern sauberes, kühles Wasser, wie in deinem Privatsee da draußen. Und wenn ich erst wieder eine Dusche habe, bleibe ich eine ganze Nacht drunter.« »Das dürfen Sie gar nicht, Mr. Wootton wird böse über solche Wasserverschwendung.« »Meinst du wirklich?« »Ja, das mag er gar nicht. Mr. Wootton ist ein vorsichtiger Mensch, hat meine Mutter gesagt.« Bony setzte sie ab und war froh, daß er seine Bretterschuhe ablegen konnte. Yorky und Meena schauten zu dem lachenden Charlie hinüber, der noch auf der Düne stand und sein weißes Tuch jetzt um den Hals trug. Hinter der Düne hockte ein weißer Mann, der sein Gesicht verbarg. Am Kopf blutete er. Sein Gewehr lag drei Meter von ihm im Sand. Eine Winchesterbüchse. »Ist dies der Freund, von dem Sie uns erzählt hatten, Yorky?« fragte Bony. Der kleine Mann starrte unsicher ein Weilchen ins Leere, bevor er nickte.
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och ehe am nächsten Morgen die Sonne aufging, saß Bony auf der Veranda von Mount Eden und schrieb seinen Bericht. Er trug einen himmelblauen Schlafanzug und eine gleichfarbige Hausjacke. Obwohl er noch spät in der vergangenen Nacht eine volle Stunde geduscht hatte, hatte er es heute früh noch einmal getan und nachher sein schwarzes Haar mit größter Sorgfalt frisiert. Als um sechs Uhr Meena mit dem Frühstück kam, erkannte er sie fast nicht wieder in ihrem hellgrünen Kleid mit der weißen Schürze und den roten Schuhen. »Guten Morgen, Meena. Du siehst ja entzückend aus, schon in aller Frühe. Wie geht es Linda?« »Schläft«, antwortete Meena mit einem Lächeln, das Bony für immer in Erinnerung behalten sollte. »Linda vielleicht schlafen ganzen Tag. Armes Kind!« »Nun, soweit ich Mr. Wootton heute nacht verstanden habe, hat er die Absicht, sie zu adoptieren.« »Sie machen zu seine kleine Tochter? Oh, schön! Dann Linda bleiben hier, immer?« »Fort sein wird sie wohl nur, wenn sie auf die höhere Schule nach Adelaide kommt, doch damit hat es ja noch Zeit. Ist Sarah denn glücklich, daß sie ihren Yorky wieder hat?« Diesmal ging Meenas Lächeln in ein helles Lachen über, so daß sie kaum sprechen konnte. 187
»O Yorky!« sagte sie. »Nach Abendessen er in Küche sitzen, und Sarah reden und reden und reden. Auf einmal Yorky schlafen, ganz fest, und dann? Sarah ihn tragen in Zimmer und legen in Bett und immer weinen, Viel weinen und gar nicht schimpfen.« »Irre ich mich, Meena, oder hast du auf dem Lastwagen, der uns abends von der Hütte abholte, mit Charlie Hand in Hand gesessen?« »Ja, bis Murtee das verbieten. Er sagen, Meena Frau von Bony. Murtee ganz böse. Falscher Murtee, viel mehr noch falsch als Missionar!« »Ach, nun redest du Unsinn, Meena. Nimm bitte das Tablett mit hinaus und laß mich jetzt schreiben. Und vergiß nicht, daß du meine Frau bist.« Während sie in sein Gesicht blickte, in dem die blauen Augen so lustig zwinkerten, daß es jede Strenge verlor, sagte sie leise: »Meena jetzt nichts mehr reden.« Er zündete sich eine neue Zigarette an und mußte feststellen, daß es ihn Mühe kostete, sich auf seinen Bericht zu konzentrieren. Einige Minuten später bat ihn Wootton persönlich zum Frühstück. »Na, ein bißchen erfrischt durch den Schlaf?« begann Wootton. Und als Bony nickte, fragte er: »Wie lauten Ihre heutigen Instruktionen?« »Nach dem Frühstück möchte ich gern mit dem Personal sprechen«,, erwiderte Bony. »Könnten wir die Leute auf der Veranda versammeln? Nachher werden wir alle nach Loaders Springs fahren, damit Polizeiwachtmeister Pierce die Aussagen zu Protokoll nehmen kann. Ich habe ihn schon informiert, daß wir um elf Uhr da sein werden.« »Dann müssen wir um neun abfahren.« Wootton sah Bony fast schüchtern an. »Wegen Linda … Meinen Sie, daß Sie mein Adoptionsgesuch befürworten könnten? Wir haben ja letzte Nacht 188
schon kurz davon gesprochen, auch mit Pierce, doch der wollte erst den Verhafteten wegbringen.« »Soviel mir bekannt ist, gibt es keine Verwandten, die auf Linda Anspruch erheben könnten. Immerhin müssen den Behörden erst bestirnmte Unterlagen vorgelegt werden, aus denen hervorgeht, daß das Kind bei Ihnen gut versorgt sein wird. Ich bin davon überzeugt, daß Sie das garantieren können, und werde Ihnen im Lauf des Tages noch ein paar nützliche Tips geben.« Linda war vor dem Einschlafen viel zu müde und verwirrt gewesen, um noch lange zu fragen, als Meena ihr erzählte, ihre Mutter sei von einer Schlange gebissen worden. Als sie erwachte, saß Bony auf der Kante ihres Betts und streichelte die Puppe Mrs. Bell. »Du darfst heute dein Frühstück im Bett einnehmen, Meena bringt es dir gleich«, sagte er. »Und später fahren wir alle in die Stadt und kaufen ein Geschenk für Meena. Aber das bleibt vorläufig unser Geheimnis, ja?« »Und wir besuchen dann auch Mami beim Doktor, nicht wahr? Geht es ihr schon besser?« »Leider nicht. Es war sehr schlimm, und die Hilfe kam zu spät, weil ja kein Mensch auf der Farm war.« Bony wollte ihr die Puppe geben, doch das Kind, das ihm forschend in die Augen schaute, drehte sich zu ihm herum und suchte in seinen Armen Trost. Als Meena mit dem Tablett hereinkam, war der erste Schock schon überwunden, und Linda ließ sich dazu überreden, etwas zu essen. Als Bony auf die Veranda kam, waren Mr. Wootton und seine Leute schon versammelt – außer einem, der bereits im Gefängnis saß. Bony zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Es ist sonst nicht üblich, daß sich Kriminalbeamte in einer Mordsache vor allen ursprünglich Verdächtigen äußern, doch ich habe mich dazu entschlossen, weil ich hier mit Widerständen zu tun gehabt ha189
be, die einen besonderen Grund hatten. Treue kann, wie Sie wohl wissen, manchmal ein Fehler sein, ist aber sonst eine Tugend, die wir keineswegs nur bei bestimmten Völkern finden. Darin werden Sie mir recht geben. An dem Morgen, an dem Mrs. Bell ermordet wurde, begaben sich drei Männer zu Pferd an ihre Arbeit; einer holte mit dem Lastauto Blech, und Mr. Wootton fuhr in seinem Wagen in die Stadt. Als die Männer zurückkehrten, fanden sie Mrs. Bell tot auf, und Linda war verschwunden. An dem Tag war es sehr stürmisch, und doch entdeckten sie Fußspuren, die ihrer Meinung nach von Yorky stammten, und zwar – beachten Sie das – bevor Mr. Wootton zurückkam und erzählte, daß er morgens nach seiner Abfahrt Yorky bei dem verlassenen Lager der Eingeborenen getroffen hatte. So wurde als selbstverständlich angenommen, daß Yorky der Mörder sei. Man gab sich Mühe, ihm auf die Spur zu kommen, doch erst am nächsten Tag konnten Eingeborene vom Neales River geholt werden. Die Suche begann also am darauffolgenden Morgen. Alle hatten nur den einen Gedanken: daß Yorky der gesuchte Mann war. Niemand außer ihm stand im Verdacht, daher interessierte sich auch keiner für andere Fußspuren. Bei meiner Ankunft stellte ich zwar fest, daß allgemeine Empörung über das brutale Verbrechen herrschte, doch gleichzeitig mußte ich erkennen, daß fast jeder eine hohe Meinung von dem Mann hatte, der der Tat verdächtig war. Alle nahmen Yorky in Schutz und meinten, es könne nur sein, daß, er durch das viele Trinken die Kontrolle über sich selbst verloren habe. Die Gelegenheit zur Tat hatte er gehabt, die Tat selbst konnte rekonstruiert werden – doch das Motiv blieb im dunkeln. Was mich stutzig machte, war das Verhalten der Eingeborenen. Sie verloren bald das Interesse an der Suche nach Yorky und gaben sie schneller auf, als zu erwarten gewesen wäre, da Yorky ja ein Weißer ist und das Kind einer Weißen entführt hatte. Ich erfuhr, daß Yorky seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhält190
nis zu den Eingeborenen hatte, und wenn das zutraf, durfte man annehmen, daß sie auch wußten, wo er sich versteckt hielt. Die Mühe, diese Vermutung zu beweisen, begann sich allmählich zu lohnen. Ich hatte zwei Aufgaben zu lösen: den Mörder von Mrs. Bell dingfest zu machen und die kleine Linda zu finden. Ich behaupte nicht, Anthropologe zu sein, aber ich weiß, daß die Eingeborenen im australischen Binnenland bisher bedeutend weniger von der Zivilisation berührt sind als die im hohen Norden lebenden Urbewohner. Diese mittelaustralischen Eingeborenen bezeichnet man fälschlicherweise als Steinzeitmenschen, obwohl sie sich in Wirklichkeit schon lange vor der Steinzeit als hervorragende Denker erwiesen haben. Unser Wissen von dieser Rasse, das bei der ersten Erforschung des Lake-Eyre-Gebiets am Ende des vorigen Jahrhunderts gewonnen wurde, hat sich in keiner Weise erweitert. Auf die Gefahr hin, von den Experten der Völkerkunde verhöhnt zu werden, gestehe ich, daß ich bei meinen Ermittlungen die erste Spur durch den Häuptling Canute und sein Dijeridoo gefunden habe. Man hatte mir versichert, zur Zeit der Ermordung von Mrs. Bell seien sämtliche Eingeborenen auf Wanderschaft gewesen, also keiner im Lager geblieben. Und doch wußte Canute, welche Form der Blutfleck auf dem Rücken der Toten gehabt hatte: Daß dieser Fleck ihm von Yorky beschrieben worden war, konnte nicht ernstlich in Betracht gezogen werden, da ein Weißer die Form eines Blutflecks gewiß für unwichtig gehalten hätte. Somit stand für mich fest, daß einer der Eingeborenen nicht mit auf Wanderschaft gegangen war und die Tote und den Blutfleck selbst gesehen und Canute davon erzählt haben mußte. Ich sah mich gezwungen, zur Ermittlung dieses Eingeborenen Mittel anzuwenden, die der Kriminalist als ketzerisch zu bezeichnen pflegt. Der Mann heißt Beloo und ist so alt, daß er sich die Wanderung nkht mehr zumuten konnte. Beloo blieb also zurück und ging eigene Wege. Mrs. Bell wurde bekanntlich an einem Donnerstag ermordet, Beloo wußte, daß es ein Donnerstag 191
war, an dem er zurückblieb, daß Mr. Wootton jeden Donnerstag zur Stadt fuhr und Mrs. Bell daher allein auf der Farm war. Das brachte ihn auf den Gedanken, sie um Tabak zu bitten. Während er auf seinen üblichen Umwegen zur Farm ging, sah er Yorky und Linda draußen auf dem Lake Eyre. Außerdem bemerkte er einen Reiter, der sich auf dem Weg, den Arnold morgens mit dem Lastwagen entlanggefahren war, schnell entfernte. Leider war es ihm bei der großen Entfernung, dem Staub und den Luftspiegelungen nicht möglich, den Reiter oder auch nur die Farbe des Pferdes zu erkennen. Als er auf dem Hof die tote Mrs. Bell entdeckte, nahm er an, daß Yorky mit dem Mord zu tun haben müsse, und er wußte, wo Yorky Zuflucht suchen würde. Von Beloos Erlebnissen erfuhr schließlich auch Canute, und ich habe bisher die Frage noch offengelassen, warum Canute seine jungen Männer von der Suche nach Yorky abrief. Yorky ist zwar kein Schwarzer, war aber durch Blutsbrüderschaft mit dem Stamm befreundet und hatte Sarah nach dem Ritual der Eingeborenen geheiratet. Yorky gehörte also trotz seiner weißen Hautfarbe zu ihnen und durfte daher mit ihrer Treue rechnen. Diese Treue hätten sie ihm selbst dann gehalten, wenn er der Mörder von Mrs. Bell gewesen wäre. Ich kam mir ganz verloren vor, bis ich die angeblich von Yorky hinterlassenen Fußspuren prüfte und erkannte, daß es Fälschungen waren. Wer hatte sie gemacht? Soviel stand fest: jemand, der die Schuld auf Yorky abwälzen wollte. Es mußte der Mann gewesen sein, den Beloo hatte davonreiten sehen. Und zwar war es entweder einer der drei Weidereiter, die schon vor Mr. Woottons Abfahrt den Hof zu Pferd verlassen hatten, oder jemand von der südlich von Mount Eden gelegenen Farm. Ich überlegte mir, daß Yorky bei seiner Rückkehr aus der Stadt bereits gewußt haben konnte, daß die Flüsse im Norden Hochwasser führten, sich aber trotzdem nicht klargemacht hatte, wie gefährlich das zum See strömende Wasser gerade ihm werden konnte. Ferner sagte ich mir folgendes: Der von Beloo beobach192
tete Reiter hatte gewußt, wohin Yorky ging, und auch von dem zum Lake Eyre strömenden Flutwasser gehört. Er vermochte sich also gut vorzustellen, daß Yorky mit dem Kind auf einer Sandbank weit draußen im See vom Wasser überrascht werden und ertrinken konnte. Wenn der Mann nun erfuhr, daß ich Yorky und Linda vom See zurückholen wollte, mußte er die Gefahr erkennen, in der er sich befand. Wahrscheinlich würde er etwas unternehmen, um uns am Verlassen des Sees zu hindern – wodurch er sich dann freilich verraten mußte. Mit der Mitteilung per Funk bezweckte ich, daß der Mann von meiner Absicht, Yorky zu suchen, erfuhr. Der Mörder hatte sozusagen ein ganzes Gebäude errichtet, um unentdeckt zu bleiben, und wußte, daß es einstürzen würde, sobald ich mit Yorky Verbindung aufnahm.« »Wollen Sie uns Ihre Erlebnisse selbst erzählen, Yorky, oder soll ich es tun?« fragte Bony. Der kleine Mann saß, den Rücken an die Hauswand gelehnt, auf dem Boden, neben ihm hockte die gewaltige Sarah. Als er so plötzlich zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit wurde, senkte er schnell den Blick und schüttelte den Kopf, während Sarah für ihn antwortete. »Sie alles so schön fein erzählen, ’spektor Bonaparte, und besser.« »Na schön, Sarah, dann werde ich es also tun. Yorky erklärt, daß er sich an dem Morgen, an dem Mr. Wootton ihn beim alten Lager zurückließ, auf den Weg zur Farm begeben hatte. Doch von dem großen Schluck Whisky, den er vom Boss bekommen hatte, war er so müde geworden, daß er unterwegs im Schatten eines Baumes schlief. Wie lange, weiß er selbst nicht. Noch ein bißchen benommen, kam er dann auf den Hof. Er erinnert sich, daß er ein ans Stalltor gebundenes, gesatteltes Pferd bemerkte, ohne weiter darüber nachzudenken, und direkt zur offenen Küchentür ging. Schon unterwegs hörte er aus der Wohnung zornige Stimmen. Ein Mann beschuldigte Mrs. Bell, ihn in Versuchung geführt zu haben, was sie laut und energisch bestritt. Um nicht zu stören und nicht als Horcher verdächtigt zu werden, setzte 193
Yorky sein schweres Bündel auf die Erde und lehnte seine Winchesterbüchse dagegen, weil er sich ein bißchen mit Linda unterhalten wollte. Er bemerkte dann auf dem Weg zum Spielhaus, daß in der geschlossenen Bürotür der Schlüssel steckte, und ihm fiel ein, daß Mr. Wootton manchmal eine Flasche Whisky im Büro stehen hatte. Um seine eigenen Worte zu gebrauchen: Er fühlte sich ›ganz scheußlich‹. Ich glaube, wenn ich in seiner Verfassung gewesen wäre, hätte ich dieser Verlockung auch nachgegeben. Jedenfalls betrat Yorky das Büro und fand dort eine Flasche Whisky, sogar eine ganz volle. Eigentlich wollte er nur einen herzhaften Schluck nehmen und sie gleich wieder an ihren Platz stellen, doch ehe er sich’s versah, war die Flasche fast halb leer. Er saß in Mr. Woottons Sessel und redete mit einem nicht vorhandenen Gesprächspartner. Da hörte er den Schuß. Zuerst dachte er, es sei der Boss beim Krähenschießen, doch bald entsann er sich, daß Mr. Wootton in die Stadt gefahren war. So entschloß er sich, lieber aus dem Büro zu verschwinden. Er verließ also das Büro und schloß die Tür sorgfältig. Ich glaube ihm, wenn er sagt, die Sonne habe ihn so geblendet, daß er Mrs. Bell erst am Boden liegen sah, als er fast schon über sie stolperte. Aus dem Haus hörte er krachende Geräusche, die zweifellos bei der Zertrümmerung des Funkgeräts entstanden. In seinem Whiskyrausch hat er dann sein Gewehr und sein Bündel genommen und wollte so schnell wie möglich verschwinden, doch da erschien Harry Lawton in der Tür und rief: »Mein Gott, Yorky, warum hast du sie erschossen? Du bist wohl total übergeschnappt?« Nun versetze man sich in Yorkys Geisteszustand. Er wußte nicht, wie ihm geschah, und starrte entsetzt die Waffe in seiner Hand und dann die Tote an. Sein verworrenes Hirn brachte nur einen Gedanken hervor. Das Gewehr war sein kostbarster Besitz. Er hatte es erst am Morgen gereinigt, und jetzt, als er an der Mündung roch, nahm er tatsächlich Pulvergeruch wahr. 194
So blickte er Lawton dumpf an und sagte: »Ja, ich muß es wohl getan haben.« Und Lawton wiederholte: »Natürlich hast du sie umgebracht, ich habe dich ja beim Schießen beobachtet. Ich kam über den Hof und wollte mir mein Frühstück holen, das ich vergessen hatte, und da habe ich es gesehen. Ich will aber nicht in die Sache hineingezogen werden. Am besten, du verschwindest so schnell wie möglich.« Yorky überkam panische Angst. Er füllte seinen Proviantbeutel mit möglichst vielen Lebensmitteln und sagte Harry, wo er sich verstecken würde. Da er den Eindruck hatte, daß Lawton sehr um ihn besorgt war, erzählte er ihm auch, daß in der Hütte südlich vom Grenzzaun noch allerlei Vorräte seien. Lawton versprach, die Vorräte immer rechtzeitig zu ergänzen, so daß sich Yorky darum nicht zu sorgen brauchte. Er sollte nur ruhig auf seiner Insel bleiben und am besten auch das Kind mitnehmen. Yorky sagte mir, daß er sich dagegen zunächst gesträubt habe, sich dann aber doch überreden ließ. Er stand immer noch stark unter Alkoholeinfluß. Vorstellen können wir uns seinen Zustand wohl, auch wenn wir ihn nicht gerade schön finden. Lawton, der immer schnell zu denken verstand, hatte es nicht schwer, ihm einzureden, daß Kameraden zusammenhalten müßten, daß er alles tun würde, um die Fährtensucher und die verhaßten ›Schnüffler‹ abzulenken und so weiter und so fort. Er war Yorkys ›guter Freunde Lawton wußte, daß Yorky in dieser Verfassung nicht an den zu erwartenden Zufluß von Hochwasser denken würde, und sah voraus, daß er eines Morgens im See ertrinken würde. Wenn Linda ebenfalls verschwand, hatte sich Lawton nach allen Seiten abgesichert. Lawton war klar, daß er nach der Ermordung der Mutter auch das Kind hätte töten müssen. Linda hatte ihn zwar nicht bei der Tat beobachtet, es war aber möglich, daß sie ihn vom Hof reiten sah, und darauf durfte er es nicht ankommen lassen. Mrs. Bell 195
hatte er im Affekt erschossen, doch nun, da er Yorky überredete, Linda mitzunehmen, leitete ihn kalte Berechnung. Er hoffte, daß das Kind auch ertrinken würde. Das alles hat er gestern bei der Vernehmung durch Polizeiwachtmeister Pierce gestanden. Er gehörte zu den jungen Männern, denen ein Leben in solcher Abgeschiedenheit nie zugemutet werden sollte – jedenfalls nicht ohne Frau. Nachdem man seine Beziehungen zu den Lubras unterbunden hatte, stand er sozusagen vor einem Abgrund, und schon richtete er seine Gedanken auf die einzige im Bereich von Mount Eden lebende weibliche Person. Ich bin sicher, daß seine Behauptung, sie habe ihn ermutigt, auf Phantasie beruht. Als nun einmal sämtliche Männer weit vom Hof entfernt waren, kehrte er zurück, um sich mit Gewalt zu nehmen, was ihm freiwillig nicht gegeben wurde. Und als Mrs. Bell vor ihm fortlief, glaubte er, sie wolle zu Linda. Er war im Begriff, ihr zu folgen, da fiel sein Blick im Hof auf das Bündel mit dem Gewehr. Und schon ergriff er die Waffe, schob eine Patrone ein und schoß. Als ihm dann klar wurde, daß das Gepäck Yorky gehörte, wischte er seine Fingerabdrücke von dem Gewehr, stellte es wieder hin, wie es vorher gestanden hatte, und eilte wieder ins Haus, wo er Funkgerät und Telefon zerschlug. Nun ging es nur noch um ein paar Einzelheiten in dem Plan, der sich gewissermaßen von selbst entwickelte. Yorky sagte, er müsse erst seine Schlammschuhe holen. Lawton erklärte sich bereit, das für ihn zu tun, wenn Yorky sich um Linda kümmere. So geschah es. Als es jetzt immer wichtiger wurde, Yorky und Linda schnell loszuwerden, handelte Lawton nicht mehr ganz so überlegt. Er holte die Bretterschuhe, begegnete Yorky, als dieser mit Linda aus dem Spielhaus kam, und veranlaßte ihn, rasch zu fliehen, damit er die Leiche nicht noch einmal sah. Schließlich holte Lawton ein Paar alte Stiefel von Yorky aus dem Quartier, mit denen er die Abdrücke machte, die Bill Harte und die anderen finden sollten. 196
Yorky, der sich wirklich nicht erinnern konnte, ob er auf Mrs. Bell geschossen hatte oder nicht, wurde also regelrecht gezwungen, an seine Täterschaft zu glauben. Lawton wußte aber auch, daß seine ganze ›Regie‹ zusammenbrechen würde, sobald ich Linda und Yorky aufspürte. Und als er hörte, daß ich unterwegs zur Insel war, beschloß er, uns daran zu hindern, dem Schlamm zu entkommen. Da er von Yorky erfahren hatte, daß der kürzeste Weg von der Insel zum Festland bei der Hütte am Grenzzaun endete, setzte er voraus, daß wir auf diesem Weg zurückkehren würden. Und jetzt berichte du uns, Charlie.« Über Charlies rundes Gesicht breitete sich ein Lächeln. »Also, Inspektor, Sie hatten mich doch beauftragt, Harry Lawton zu beobachten, aber sonst nichts zu unternehmen, höchstens wenn er schießen würde. Nachdem Sie auf den See gegangen waren, ließ ich Harry nicht aus den Augen. Doch dann quälte mich Meena, ich solle ihr Bretterschuhe machen, weil sie Ihnen folgen wollte. Oh, diese Meena! Als ich die Schuhe fertig hatte, waren Harry und die anderen schon vom Hof weg. Ich fragte den Boss, wohin Harry geritten sei, und er sagte mir, zu Yorkys alter Hütte am Zaun im Süden. Alle Reservepferde waren draußen, deshalb mußte ich zu Fuß gehen. Als ich dann zur Hütte kam, machte sich Harry gerade etwas zu essen. Weil ich ihn nur bewachen sollte, mußte ich mich für die Nacht unsichtbar machen und konnte mir erst am folgenden Vormittag, als Harry zu den Dünen am See ging, aus der Hütte etwas zu essen holen. Am Nachmittag sah ich ihn mit Bretterschuhen herumfummeln, und da wußte ich, was er vorhatte. Aber an dem Abend unternahm er gar nichts. Am Morgen war er verschwunden. Ich fand seine Spur und erkannte auch, wo er den Dingopfad betreten hatte, aber sehen konnte ich ihn nicht, weil die Sonne mich so blendete.« Charlie mußte jetzt eine ganze Weile lachen. 197
»Na, ich saß da wie eine Krähe und sah Harry draußen mit einem Gewehr, und ich hatte keins. Über den Schlamm konnte ich ihm nicht mehr folgen, also ging ich in die Hütte, um zu essen und zu trinken. Und dann legte ich mich in die Dünen und wartete auf ihn, doch er kam nicht wieder. Und am nächsten Tag dachte ich: Du gehst jetzt lieber zur Farm zurück und erzählst die ganze Sache dem Boss, auch wenn du eigentlich niemandem von Harry sagen sollst. Und als ich dann am Ufer entlangging, hörte ich Schüsse auf dem See. Ich lief wieder zurück, so schnell ich konnte, und erkannte Harry weit draußen auf dem See. Die Sonne stand jetzt hinter mir, und ich konnte sehen, daß er schnell zum Ufer kam. Er trug noch sein Gewehr. Ich buddelte mich rasch ein und beobachtete ihn weiter. Und da sah ich, daß der Inspektor ihm folgte, aber noch weit zurück. Harry kam ans Ufer, streifte die Bretterschuhe ab und rannte auf die Dünen zu. Ich hörte einen Schuß und sah, daß er am Bein getroffen war. Er ging humpelnd in Deckung und fing an zu schießen. Also mußte ich mich hinter ihn schleichen, aber auch den Inspektor aufmerksam machen, daß ich es wahr, der da herumkroch.« Charlie mußte wieder herzhaft lachen, dann schloß er seinen Bericht mit den Worten: »Und da habe ich Lawton mächtig eins aufgebrannt, mitten auf den Schädel.« Als die Bewohner von Mount Eden die Stadt verließen, um zur Mission zu fahren, schloß sich Polizeiwachtmeister Pierce ihnen an. Im Missionshaus herrschte sonntägliche Stille, denn es war nach vier Uhr, als sie ankamen, und keins von den Kindern ließ sich blicken. Die Türen der kleinen Kirche standen offen, und am Haupttor des Grundstücks begrüßte der Missionar seine Gäste. Nach einer kurzen Besprechung mit Bony, Wootton und Pierce betrat er die Kirche, und Arnold sagte zu Charlie: »Nun komm schon.« 198
Charlie, der eine Flanellhose und ein weißes Sporthemd trug, machte ein Gesicht, als müsse er das Schafott besteigen. Als er wieder herauskam, erschien die Frau des Missionars mit einem bunten Blumengebinde, das sie Meena um den Hals legte. Meena hatte ein weißes Seidenkleid mit rotem Rosenmuster, Nylonstrümpfe und weiße Schuhe an – alles Geschenke von Mr. Wootton; sie riß erschrocken die Augen auf. »Was das alles bedeuten?« fragte sie Bony, als er jetzt ihren Arm in den seinen hakte. »Sie doch schon verheiratet.« »Von Rechts wegen, Meena, müßte ich ja jetzt Charlie führen«, sagte Bony. Pierce lachte und gab Yorky einen Rippenstoß. »Da du jedoch meine Frau bist, habe ich die Ehre, dich deinem Bräutigam zuzuführen. Alles ist schon vorbereitet. Mr. Wootton wird euch auf Mount Eden ein kleines Haus bauen, damit ihr für ihn und Linda sorgen könnt.« Linda lächelte Meena verlegen zu. Die Kirche füllte Sich mit den Kindern der Mission. Charlie und sein Brautführer warteten still, während die Missionarsfrau die Orgel spielte. Mit Meena am rechten Arm und Linda am linken schritt Bony durch das Kirchenschiff. Charlie war wie betäubt. Bony überreichte ihm den Ring, den er so lange bewunderte, bis ihn Linda daran erinnerte, daß er ihn auf Meenas Finger schieben mußte. In der Sakristei unterschrieben Charlie und seine junge Frau die Eintragung im Heiratsregister; dann wandte sich Meena an Bony. Sie schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn fest auf den Mund. Und noch einmal. Das Erstaunen der Zuschauer verwandelte sich in fröhliches Gelächter, als Charlie begeistert rief: »Oh, diese Meena!«
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