Lola Caprici
Eine Frau für
lüsterne Nächte
Roman
Carl Stephenson Verlag Flensburg
Erste Auflage 1980 © Copyright...
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Lola Caprici
Eine Frau für
lüsterne Nächte
Roman
Carl Stephenson Verlag Flensburg
Erste Auflage 1980 © Copyright by Interverlag Diese genehmigte Ausgabe erschien im Carl Stephenson Verlag, Flensburg Alle Rechte vorbehalten Satzherstellung: Fotosatz Rolf Petersen, Harrislee Umschlaglithographie: Nordklischee, Rendsburg Gesamtherstellung: Horst Dieter Adler Druck: WSOY, Porvoo, Finnland Mitglied von Finnprint Printed in Finland 1980
Paris nannte man nicht umsonst die Stadt der Sünde. Das junge bildhübsche Mädchen vom Lande – ein sinnliches Geschöpf von anmutiger Schönheit – sollte dieses recht bald schon erfahren… In dem nach Soir de Paris duftenden Spitzenbett einer liebeskun digen Lebedame blühte ihr schlanker verführerischer Körper mehr und mehr auf und selbst eine Ehe konnte sie nicht davon abhalten, die lüsternen Begierden wohlhabender Grafen und Barone zu befriedigen, die mit klingender Münze um ihren ma kellosen jungen Körper buhlten, der ihnen höchste Wollust auf Erden versprach…
1. Teil
Paris ist noch immer so, wie ich es in Erinnerung gehabt habe. Doch ich selbst bin freilich eine andere geworden. Die mondäne junge Frau, die in dem hübschen kleinen Palais am Bois de Bou logne Wohnung genommen hatte, war nur eine sehr entfernte Verwandte jener immer verliebten, koketten und tändelnden Rinette Boulanger, verehelichten Breffer. Sechs Monate lang war ich mit dem Grafen in aller Welt herumgereist, und nun, kaum nach Paris zurückgekehrt, merkte ich mit einem Schlag, daß die Erinnerung an meinen Gatten Stanislas noch immer in unver minderter Stärke in mir lebte. Ich hatte ihn sechs Monate nicht gesehen, wiewohl ich des öfte ren von ihm geträumt hatte. Und nun, da ich, von fürstlichem Luxus umgeben, mein Ziel beinahe erreicht zu haben meine, begreife ich mit einemmal, daß der Preis, den ich dafür zu zahlen habe, viel zu hoch ist. Schließlich bin ich etwa mehr als eines der etlichen hundert ausgehaltenen Mädchen, denen ein glücklicher Zufall und ihr angeborenes Talent einen reichen Freund beschert hat? Genügte nicht ein Nichts, eine Laune, um mich aus meiner scheinbaren Sicherheit wieder in die große Ungewißheit hinauszuschleudern, der ich mich glücklich entkommen meinte? Jene Ungewißheit, die wir um jeden Preis hatten überwinden wollen, Stani und ich, und die bis heute noch immer einen wesentlichen Teil meines Lebens bestimmt. Stani, mein geliebter Gatte, war inzwischen auch zu einem Fak tor dieser Ungewißheit geworden. Würde er mich wieder bei sich aufnehmen, wenn ich es wollte? Es war anzunehmen, denn schließlich nahm er ja auch die Rente, die ich ihm durch Elvira allmonatlich zukommen ließ. Dazu kam, ich hatte etliche Erspar nisse, und da der Graf das Haus und die Möbel auf mich über
schrieben hatte, war ich eigentlich das, was man eine gute Partie nennt. Aber ach, Stani, der ewig Unberechenbare, der große Frauenfreund, der Undurchsichtige, er würde bestimmt andere Ambitionen als diese haben. Im übrigen war in diesen Monaten mein Selbstbewußtsein beachtlich gestiegen. Ich wußte, daß ich schön war, eine der schönsten unter all den reizenden Demi mondänen von Paris. Es würde mir nicht schwerfallen, eines Tages für Robert einen Ersatz zu finden, wenn mir dies wün schenswert erscheinen sollte. Elvira, meine Freundin aus jenen längst vergangenen Tagen, da wir noch im Quartier Latin gelebt hatten, war durch und durch vertrauenswürdig. Sie hatte keinen meiner Briefe beantwortet, so wie ich es gewünscht hatte. Ich war glücklich, ihr zu vertrauen. Sie war im übrigen ein bemerkenswertes Mädchen. Ich erinnerte mich in diesen Tagen häufig an ihre Munterkeit, ihr heiteres Lachen, ihre strahlenden Augen. Seit meiner Abreise war sie die Mätresse meines Mannes, der freilich damals schon eine fatale Vorliebe für diese Italienerin, Juana Cortini, gezeigt hatte. Da mals hatte ich diese Person gehaßt, und heute… nun ich mag nicht an sie denken. Wirklich, diese extravagante Südländerin hat etwas an sich, das noch heute, da all diese Ereignisse so unend lich weit zurückzuliegen scheinen, meine Magennerven zur Re bellion bringt. Ich war übrigens entsetzlich neugierig und wollte Elvira nur zu gern wiedersehen. Der Graf war wirklich großzügig gewesen. Er hatte mir das Haus mit allem Mobiliar zum Geschenk gemacht, er hatte die Dienerschaft eingestellt, die ich aus meiner monatlichen Apanage bezahlte, er hat mir prächtige Toiletten und fürstlichen Schmuck bezahlt. Wirklich, ich hatte allen Grund, ihn mit Rücksicht und Dankbarkeit zu behandeln. Übrigens eine leichte Dankbarkeit! Der Graf war kein an spruchsvoller Liebhaber, und ich hatte manchmal den Verdacht, daß er mich mehr aus Eitelkeit als aus Liebe aushielt. Er zeigte sich gern mit mir, und er schien überaus geschmei chelt, wenn ich, was häufig geschah, im Kreis seiner Freunde
Aufsehen erregte. Seine Leidenschaft schien mir recht unterkühlt. Von Zeit zu Zeit und nicht oft, o nein, gar nicht oft, daß es ihn nach meinen Liebesbeweisen verlangte. Und selbst dann erledigte er das Ganze, als betrachte er es eher als eine leidige Notwendig keit denn als Vergnügen. Wie mochte er sich erst im Bett seiner ungeliebten Sophie verhalten? Mich wunderte es nicht, daß seine Ehe bisher kinderlos geblieben war. Wie wäre es auch möglich, ein Kind zu zeugen und dabei so gleichgültig und kühl zu blei ben, so völlig jenseits der süßen Exaltation der Leidenschaft, die mich früher mit Stani beseelt hatte. Ich wunderte mich manch mal über seine Ahnungslosigkeit. Selbst in Nizza, wo ich ihn mit einem Wildfremden auf der Promenade betrog, weil ich meine Leidenschaft nicht mehr zu zügeln vermochte, hatte er nichts bemerkt. Überhaupt Nizza! Wir verbrachten dort etliche Wochen im Spätsommer. Clameran, dieser seltsame Mensch, huldigte mehr dem Spiel in dem gerade neu eröffneten Casino in Monte Carlo als der Leidenschaft, die er meinen Nächten schuldete. Wir logierten in dem sehr feudalen Intercontinental-Hotel in Nizza. Von unserem Schlafzimmer aus hatten wir einen wundervollen Blick auf die Strandpromenade, von der die leuchtenden Canna rabatten noch immer in sommerlich lebhaften Farben zu uns heraufglühten. Wir führten dort ganz das Leben der internationalen Lebewelt, indem wir die Nächte zu Tagen machten und bis spät in den Mor gen hinein schliefen. Den Vormittag verbrachten wir meist in unserer Hotelsuite, wo wir spät dejeunierten und unsere Pläne für den Tag erörterten. Robert verbrachte einen Teil seiner Zeit damit, die Börsenkurse zu studieren, die er sich jeden Tag kom men ließ. Er redete viel von seiner Tätigkeit als Abgeordneter im französischen Parlament. Im Herbst, so sagte er, wenn seine Gesundheit völlig wiederhergestellt wäre, würde er seine Tätig keit dort wieder aufnehmen. Übrigens glaubte ich nicht so recht an seine angebliche Indisposition. Ich hatte den Eindruck, daß er sie nur zum Vorwand nahm, um sich seiner sonstigen Pflichten zu entledigen.
Er empfing sehr selten Briefe von seiner Frau, die er mir in nicht eben rosigen Farben geschildert hatte. Doch ist dies auf der Palette eines Ehemannes, der noch dazu den größten Teil seines Vermögens einer ungeliebten Frau verdankt, nicht weiter ver wunderlich. Am späten Vormittag pflegte Robert mit mir zumeist ein Strandkonzert zu besuchen, wenn er es nicht vorzog, in der palmengeschmückten Wandelhalle des Hotels im Schatten einer Markise zu sitzen und vor sich hinzudösen. Er schien recht ruhebedürftig während unseres Aufenthalts an der Riviera, sehr im Gegensatz zu mir, die ich mich ruhelos wie eine streunende Katze fühlte. Ich erinnere mich an den Abend, als ich Robert zum erstenmal betrogen hatte, mit einem wildfremden Mann, der mir an einem gewitterträchtigen Abend auf – der menschenver lassenen Strandpromenade über den Weg lief. Der Graf war damals allein nach Monte Carlo gefahren. Ich hatte mich den Nachmittag über indisponiert gefühlt, die Schwüle der Luft hatte mir einigermaßen zugesetzt. Gegen Abend fühlte ich mich zwar wieder besser, aber der Graf bestand darauf, daß ich mich scho nen müsse. Also blieb ich in unserer Hotelsuite und langweilte mich. Ich beschloß, abends im großen Speisesaal zu dinieren – allein, und in großer Toilette natürlich. Vielleicht, daß ich die Möglichkeit zu einem handfesten Flirt finden würde. Mein Auf tritt war tatsächlich beinahe ein Ereignis. Ich hatte für diesen Abend eine wundervoll geschnittene weinrote Seidentoilette gewählt, deren spitzenumrahmtes Dekollete eine Sehenswürdig keit an Frivolität war. Ich erregte auch das beabsichtigte Aufse hen, als ich dem höflich dienernden Chef de Rang an den Tisch folgte, der für uns meistens reserviert war. Es herrschte ein reges Leben in dem mit kunstvollen Kronleuchtern erhellten Saal, und ich spürte es förmlich, wie die zahlreich anwesenden Damen, die richtigen, wie jene, die nur vorgaben, Damen zu sein, bei meinem Anblick die Nase rümpften. Die einen, weil ich ganz offensicht lich das verkörperte, was sie ein «unanständiges Frauenzimmer» nannten, und die anderen, weil ich eine ernsthafte Konkurrenz für sie bedeutete. Im übrigen war es hier wie überall. Die indi
gnierten Blicke, mit denen mich meine Geschlechtsgenossinnen bedachten, forderten fast magnetisch die Bewunderung der Männer heraus, für die ich ohne Zweifel eine recht beachtliche Jagdbeute darstellte. Man wußte natürlich, daß ich die offizielle Geliebte des Grafen war, doch glaube ich, gab es an diesem Abend mindestens ein Dutzend jener reichen, ein wenig blasier ten Lebemänner, die dem Grafen nur zu gern Hörner aufgesetzt hätten, wenn ich dies nur erlaubt haben würde. Aber natürlich legte ich meiner Abenteuerlust die strengen Zügel der Vernunft an. Schließlich hatte ich mehr zu verlieren, als ein derartiges Abenteuer für mich bedeuten konnte. Also wählte ich mit Um sicht und Kennermiene mein Menü, bestellte eine Flasche Sekt und tat so, als wäre ich hinlänglich mit mir selbst beschäftigt. Zwischen Horsd’oeuvre und Hauptgericht servierte mir einer der Befrackten mit Verschwörermiene auf silberner Platte ein Billet. «Der Herr dort drüben, Fürst Obrinsky, läßt sich Ihnen empfeh len, Madame…» Er wies mit den Augen auf einen einzelnen Herrn, der an einem der kleinen Tische schräg vis-à-vis saß und mit der Andeutung einer Verbeugung zu mir herüberlächelte. Ich zog meine Brauen in die Höhe und nahm mit spitzen Fin gern den Brief entgegen: schweres Bütten, Adelskrone und kühn geschwungene Schriftzüge, dazu ein Französisch, das nicht etli cher Fehler entbehrte. Offenbar polnischer Emigrantenadel, dieser Fürst Obrinsky. Er drückte sich recht galant aus, aber seine Absichten waren eindeutig. Er wollte mich nur zu gern meinem derzeitigen Liebhaber ausspannen. Genau das aber lag ganz und gar nicht in meiner Absicht. Der Mann sah gut aus, gewiß, aber man wußte ja hinlänglich, wie diese polnischen Emi granten lebten. Kurz, es schien mir ziemlich sicher, daß der Graf für den Augenblick meinem Vorhaben viel nützlicher sein konnte als der Fürst. Also lächelte ich ein wenig und zerriß mit deutlich sichtbarer Geste den Brief. Dann aß ich weiter, als ob nichts geschehen wäre, und gab mich dem erhebenden Gefühl hin, meinen Ruf als treue Frau gefestigt zu haben.
Doch immerhin, dieser Zwischenfall hatte meine Leidenschaft erweckt, und ich wußte, daß ich diese Nacht keine Ruhe finden würde. Also entschloß ich mich, noch eine kleine Promenade zu unternehmen. Es war schon ganz dunkel, als ich, nur in einen leichten Mantel gehüllt, auf die Promenade hinaustrat. Die Gasla ternen verbreiteten einen ungewissen Lichtschein, und es waren trotz der Schwüle nur wenig Menschen unterwegs. Eine Weile wanderte ich so dahin, ängstlich darauf bedacht, daß meine Röcke nicht am Boden schleiften. Ich ließ meine Gedan ken schweifen und langweilte mich, als mir im Schein einer La terne ein Mann begegnete, der mich mit großer Aufmerksamkeit musterte. Er war klein und hager, ergraut und ein wenig bucklig. Doch irgend etwas in seinem feingeschnittenen Gesicht faszinier te mich. Ich lächelte ihm zu. Er mißverstand es offensichtlich, denn er trat auf mich zu und fragte recht unvermittelt: «Du suchst einen Klienten?» Ich betrachtete ihn noch immer. Er sah vornehm und selbstbewußt aus. «Vielleicht», gab ich kokett zurück. «Nun, du brauchst nicht länger zu suchen. Ich bin dein Mann. 100 Sous, willst du?» Ich war nahe daran, in ein wildes Gelächter auszubrechen. Der Mensch mußte toll sein. 100 Sous, mir, der der Graf von Clame ran monatlich 10.000 Franc gab. Aber sei’s drum. Wie gesagt, ich langweilte mich, meine Nerven vibrierten und also – warum auch nicht. «Einverstanden. 100 Sous also.» Er faßte nach meiner Hand und zog mich in den Schatten. Ich spürte seine Finger heiß durch den dünnen Stoff meines Kleides. Er tastete vorsichtig die Rundungen meiner Brüste entlang. «Wundervoll. Ich habe einen guten Griff getan», stellte er be friedigt fest. Er zog mich zu einer Bank im Schatten eines riesi gen Rhododendrengebüschs. Dort war es fast völlig dunkel und sehr still. Ich seufzte wollüstig und überließ mich seinen tasten den Händen. «Was für einen bezaubernden Busen du hast», meinte er anerkennend. «Wirklich, dies ist der schönste Busen, den ich je in den Händen gehabt habe. Ich war nicht sicher, so vom Glück begünstigt zu sein, als ich dich zuerst gesehen habe.»
«Oh, du hast mich also gar nicht ausgewählt?» «O nein. Du warst die erste, die mir begegnete. Ich bin verhei ratet, du verstehst. Aber meine Frau ist ein Eisberg. Sie hat sich mit Migräne zu Bett gelegt und mir die Tür gewiesen. Sie läßt mich betteln, wenn ich es einmal mit ihr machen will, und dann, wenn ich sie soweit habe, ist sie so gleichgültig, daß ich alle Lust daran verliere. So gehe ich zu den Huren…» «Glaubst du denn, daß ich eine Hure bin?» neckte ich ihn. Der Griff seiner Hand wurde fester. «Was denn sonst, mein Schatz. Eine Hure für 100 Sous…» Es klang verächtlich, wie er es sagte. Er hatte mich auf seinen Schoß gezogen, und seine Rechte glitt mit einer raschen Bewegung unter meine Jupons. Er hatte trockene kühle Hände, die ein wenig an Pergament erinner ten, aber ich war an diesem Abend so ausgehungert nach solchen Spielen der Leidenschaft, daß ich bemerkte, wie mein Körper fast sofort auf seine Berührung antwortete. «Du irrst dich, ich bin keine Hure für 100 Sous», murmelte ich. Er schien allmählich in Fahrt zu kommen. «Nein, nein, ich weiß. Du bist eine Königin, eine Göttin… die Göttin der Wol lust, Venus, die noch einmal dem Meer entstiegen ist…» Meine Hände liebkosten ihn unaufhörlich und näherten sich immer häufiger den Punkten in seiner Hose, die ihn am meisten aufregten. Ich ließ sie einen Augenblick liegen an der Stelle, die sich in diesen Augenblicken stark emporwölbte. Er zitterte, als ich ganz langsam die Knöpfe öffnete und dann nach seinem kampfbereiten Knüppel griff. Er seufzte und keuch te, als ich ihn unter meinen Küssen fast erstickte. «Sei nicht ungeduldig, Liebes, mach’s nicht zu schnell, auch ich will dich erst küssen.» Mit sanfter Anstrengung legte er mich auf die Bank zurück und schob mein Kleid hoch. Mit heiserer Stim me sagte er: «Welch herrlich dralle Schenkel du hast. Aber noch mehr fesseln mich die wollüstigen, schwellenden, roten Lippen deines Fötzchens. Spreiz noch mehr deine Beine, damit sie weit offen stehen. So ist’s herrlich. Und wie einladend sind die krau sen Haarbüschel über deinem Venushügel…»
Im Nu fiel er auf seine Knie und preßte seine Lippen auf mein Löchlein. Mit wütender Inbrunst küßte er es und saugte an ihm, zu meinem unendlichen Vergnügen. Ich seufzte tief und wand mich vor Wollust. Schließlich konnte er sich nicht mehr beherr schen. Er ließ sich zwischen meinen Beinen auf die Knie nieder, brachte sein Gewehr in Anschlag und pflanzte es, zu meinem Erstaunen, so tief in mich hinein, daß es ganz und gar im Bauch verschwand. So lagen wir ein paar Sekunden ganz still und genos sen die Wonne unserer Vereinigung, bis ich meinen Po ein wenig hob und er ein wenig dagegenschob. Und dann begann ein auf regender Kampf. Immer schneller raste sein Schaft in meiner Scheide auf und ab, glänzend vor Feuchtigkeit, mit der ich dies Prachtstück immer wieder überströmte. Jedesmal, wenn er auf dem Rückzug war, klammerte sich mein Fötzchen fest um ihn, so, als habe es Angst, es könnte diese köstliche Luststange verlie ren. Aber dieser Zustand dauerte nicht lange. Unsere Bewegungen wurden immer wütender, bis wir uns beide in einer krampfhaften Umarmung befanden, die uns fast ohnmächtig werden ließ, so heftig war unser gleichzeitiger Ausbruch. So heftig war dies Ende der Liebesschlacht, daß wir geraume Zeit regungslos aufeinander verharrten. Erst als ich seinen Liebessaft aus meinem Tempel quellen fühlte, schob ich ihn sanft zurück. Ich streichelte ihn zart zur Belohnung für sein Liebesopfer. Er fühlte sich glücklich unter meinen Liebkosungen. Im siebenten Himmel, wie er ver zückt murmelte. Auch nachher war er recht artig und half mir sogar, meine Toilette wieder in Ordnung zu bringen. Er schien seinen Irrtum von vorhin jetzt erkannt zu haben, denn er lachte, indem er mir das Hundertsousstück reichte: «Hier hast du deinen Talisman, mein Schatz!» Er küßte mich leicht auf die Schulter. «Du wirst es noch weit bringen», versicherte er lachend. «Doch ich…’ich muß gehen. Ah, du hast mir ein köstliches Erlebnis geschenkt.» Ich habe das Hundertsousstück, das er mir gegeben hatte, wirklich als Talisman verwendet. Es hat mir übrigens Glück gebracht.
Robert war außer sich vor Vergnügen, als er von Monte zu rückkam. Er hatte in weniger als fünf Spielen Dreißigtausend gewonnen, die er mir zum Geschenk machte, um mich für den langweiligen Abend zu entschädigen. Ich war in diesem Moment wirklich gerührt und bemühte mich mehrere Tage, ihn mit be sonderer Liebenswürdigkeit zu belohnen. Er bemerkte es aller dings kaum und erfüllte die Pflichten, die ihm seine Rolle als Liebhaber auferlegte, so wie ein ehrenwerter Gatte, den der Respekt behindert, den er seiner besseren Hälfte zu schulden glaubt. Ich wußte allerdings, daß mich der Graf in diesem Sinne ganz und gar nicht respektierte. Er war in seiner Einstellung durchaus ein Kind seiner Zeit. Eine ausgehaltene Frau ist für das Vergnü gen der Männer da, und um ihnen einen gewissen gesellschaftli chen Nimbus zu sichern. Ich habe damals schon bemerkt, daß die großen Herren der Gesellschaft sich zuweilen nur deshalb gegenseitig ihre Mätressen ausspannten, um ihren Ruf als Lebe männer zu festigen. Ich weiß wirklich nicht, ob irgendeine all dieser großen Kokotten, die in Paris von sich reden machen, sich rühmen kann, wirklich geliebt zu werden. Vielmehr glaube ich, daß die Begierden der Männer, die ihnen den Hof machen, mehr der Befriedigung ihrer eigenen Eitelkeit gelten, als jenem natürli chen Verlangen des Fleisches, das ich bei dem Gedanken an Stani so lebhaft empfinde… Wenige Tage nach jenem Abenteuer sind wir übrigens von der Riviera abgereist. Clameran war die Tage des Müßiggangs leid und drängte darauf, nach Paris zurück zukehren, um sich dort auf seine Rolle als Abgeordneter vorzu bereiten. Und nun bin ich also wieder da, in der Stadt, die schon wäh rend meiner frühesten Kindheit meine Phantasie erregte. Hier hatte ich, als blutjunges, unerfahrenes Mädchen vom Land meine ersten tastenden Schritte in die flimmernde und verlockende Welt der Galanterie getan. Ach, wie weit, wie unendlich weit lag dies alles schon zurück.
Damals war ich noch Irene Boulanger gewesen, ein kleines stupsnasiges Ding mit mageren Beinen und immer zerzaustem Braunhaar, in dem allerdings köstliche rötliche Lichter flimmer ten. Auch meine Augen waren recht hübsch, schräg geschnitten und von einem tiefen Smaragdgrün, das manchmal beinahe schwarz erschien. Ich erinnere mich noch recht gut an den Tag, an dem ich entdeckte, daß ich immerhin ein recht vielverspre chendes junges Ding war. Das war noch draußen in St. Etienne gewesen, in jenem idylli schen Dorf in der Nähe von Versailles, wo ich meine Kindheit verbracht hatte. Damals lebten wir auf einem Pachthof, den der Mann bewirtschaftete, den längst nicht alle Dorfbewohner für meinen Vater hielten. Denn Pierre Boulanger war ein großer vierschrötiger Mensch mit klobigen Zügen und stumpfen Augen, der für eine Frau wie die muntere und lebenslustige Madeleine kaum etwas besonders Anziehendes haben konnte. Solange ich ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ich mich vor ihm ge fürchtet; er hatte eine laut polternde Stimme und schwere Hände. Aber im Grunde genommen war er kein böser Mensch. Er war vom Morgengrauen an bis oft tief in die Dämmerung hinein unentwegt an der Arbeit. Genaugenommen haben wir Kinder – außer mir gab es noch drei Buben, die alle jünger als ich und nach ihrem Vater geraten waren – keine allzu schlechte Kindheit gehabt. Ich erinnere mich heute noch mit einem Gefühl der Zärtlichkeit an meine Mutter, diese stattliche, immer heitere Frau, die von einem so unerschöpflichen Vorrat an Lebensfreude zu zeugen schien. Es kam selten genug vor, daß Maman einmal übelgelaunt oder traurig gewesen wäre. In ihren Augen blitzten von morgens bis abends muntere kleine Lichter, und sie sang, ob sie am Waschzuber oder am Küchenherd stand. Nur manchmal, am Abend, wenn ihre Arbeit getan war und sie sich für etliche Minuten auf der Hausbank hinter dem Anwesen ausruhte, kam etwas wie ein melancholisches Glänzen in ihre schönen Augen. Dann saß sie eine Weile ganz still da, das Gesicht der Abend
dämmerung zugewandt, und um ihre Lippen spielte ein seltsames Lächeln, das ein wenig bitter wirkte. Ich habe damals als ganz kleines Mädchen schon verstanden, daß meine Mutter dann an einer unbestimmten und unerklärli chen Traurigkeit litt, die etwas mit der Vergangenheit zu tun haben mußte. Mit der Vergangenheit und auch mit mir, das spürte ich deutlich. Denn es konnte geschehen, wenn ich in solchen Augenblicken ihren Weg kreuzte, daß sie mich mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck betrachtete, so als suche sie etwas in mir, das sie doch nicht finden konnte. Aber wenig später war sie wieder wie sonst und trieb uns Kinder mit lauter Stimme ins Bett, damit wir anderntags wieder rechtzeitig aus den Federn kämen. Der Vater kümmerte sich wenig um uns Kinder – und ich ging ihm, jedenfalls in den Jahren meiner frühen Kindheit, soviel ich konnte aus dem Weg. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst sein will, so muß ich zugeben, daß mir seine schwere, massige Gestalt immer ein tiefes Unbehagen einflößte. Und auch zu meinen Brüdern hatte ich kein rechtes Verhältnis. Sie waren plump, laut und zanksüchtig und hatten derbe Hände, die die herrlichsten Spiele zerstören konnten. Ich aber hatte schon während meiner Kindheit eine ausgeprägte Abneigung gegen alles Laute, Derbe und Vulgäre. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern, mit denen ich in die Schule ging, hielt ich viel auf saubere Kleider und ein adrettes Aussehen. Ich war selig, wenn Maman, die mit viel Geschick das eine oder andere Stück ihrer Garderobe zu einem Röckchen für mich umarbeitete, mir ein hübsches Stück Band für mein Haar schenkte oder sonst etwas tat, um meine nur allzufrüh rege weibliche Eitelkeit zu befriedigen. Dabei war ich weiß Gott kein hübsches Kind. Als ich zehn war, gefiel ich mir ganz und gar nicht. Ich war viel zu hochbeinig und schlaksig, und meine Au gen standen schräg wie die Augen einer hungrigen Katze über den viel zu hohen Backenknochen. Ich hatte einen großen Mund und eine immer zerzauste Haarmähne… Aber zum Glück wur den diese Mängel, die mich bedrückten, von Jahr zu Jahr gerin
ger, und als ich erst einmal bemerkte, daß sich mein Mieder über der Brust hübsch zu wölben begann, fing ich an, für meinen erwachenden Körper ein lebhaftes Interesse zu empfinden. Maman, die ihre Augen überall hatte, betrachtete mich manchmal mit nachdenklichen Augen. Sie muß wohl geahnt haben, daß mir mein heißes Temperament noch zu schaffen machen würde. Im übrigen lebte ich wie alle Kinder meiner Umgebung. Ich lernte wenig und wurde häufig im Haus und manchmal auch auf den umliegenden Feldern zur Arbeit eingespannt. Meine kleinen Hände waren rauh und rissig von Seifenlauge und den Spuren der Arbeiten, die ich verrichten mußte. Ich haderte zuweilen mit mir selbst deswegen und vor allem mit meinen Eltern. Mein Vater brummte zuweilen mit mir, wenn er mich, mit einem farbigen Seidenband im Haar vor der großen Regentonne, die undeutlich mein Bild widerspiegelte, tief in Gedanken versunken fand, und auch Maman zog mißbilligend die Stirne kraus, wenn ich mich in meinem Sonntagsstaat allzu provozierend bewegte. Als ich bemerkte, daß die Burschen des Dorfes mich mit ihren Blicken zu verschlingen begannen, wurde das Übel eher noch ärger. Ich genoß es, mit wiegenden Hüften und stolz herausge recktem Busen die Dorfstraße entlang zu promenieren, eine Blume oder ein Seidenband in meiner offenen Haarmähne und das winzige Mieder so eng zugeschnürt, wie es nur irgend mög lich war. Daß ich zumeist barfuß lief und meine Beine bis weit über die Waden die Spuren der staubigen Landstraße zeigten, kümmerte mich nur wenig. Dazu war das andere, das Gefühl des Begehrtund Umworbenwerdens, viel zu erregend. Das hieß allerdings nicht, daß ich mich für einen der plumpen, draufgängerischen Dorfburschen besonders erhitzt hätte. Im Gegenteil, ich verach tete sie gründlich und hatte keine Freude daran, wenn sie an der Angel meiner immer deutlicher werdenden Reize vergeblich zappelten. Ohne Zweifel war ich das, was man ein frühreifes Mädchen nennt. Daß zwischen Männern und Frauen andere Beziehungen
bestanden als jene, die Maman mit ihrem Mann verbanden, hatte ich ziemlich bald herausgefunden. Es war merkwürdig genug, aber Maman lebte gewissermaßen ein Leben für sich. Seit der Geburt meines jüngsten Bruders war sie aus der ehelichen Schlafkammer ausgezogen und hatte sich in einer Kammer im Dachgeschoß einquartiert. Dorthin zog sie sich zurück, wenn die Arbeit des Tages getan war. Für mich war es jedesmal ein Ereig nis, wenn Maman mich in dieses ihr spezielles Allerheiligstes einließ. Es roch so wundervoll dort, nach Heliotrop oder etwas Ähnlichem, und in ihrer hübsch geschnitzten Kommode gab es mannigfaltige Schätze für ein so junges Mädchen, wie ich es war. Ich liebte Maman zärtlich, wenn sie mich ihr hübsches Mäd chen nannte und mein langes, knisterndes Haar strählte. Sie selbst hatte freilich noch viel schöneres Haar, es war von einem wundervollen rötlichen Goldton, und wenn sie es auch unter der Woche meist straff nach hinten gekämmt trug, glänzte es doch, wenn sie es an Festtagen zu einer hübschen Frisur aufgesteckt hatte, wie mattes Kupfer. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich begriff, daß Maman einen anderen Mann liebte als den, mit dem sie verheiratet war. Er war groß und schlank und wirkte sehr elegant. Zumeist kam er am Markttag, wenn Pierre Boulanger mit seinem Karren in den nächst größeren Ort gefahren war, um dort die Erzeugnisse des Hofes zu verkaufen. Unser Dorf war berühmt für seinen feinen Schafskäse, und mein sogenannter Vater war ein wahrer Meister in der Kunst, diesen herzustellen. Wenn M’sieur Ricould kam, wurden wir Kinder zumeist aufs Feld geschickt, wenn wir nicht ohnedies in der Schule waren. Aber es gelang mir immerhin etliche Male, mich heimlich ins Haus zu schmuggeln, wenn er da war. Einmal sah ich durch einen Spalt im Vorhang meine Mutter auf seinem Schoß sitzen. Sie sah erhitzt und aufgelöst aus, und in ihren Augen lag ein seltsamer, feuchter Glanz. M’sieur Ricould hatte seine Hand ganz ungeniert in ihr Mieder geschoben, und sein Gesicht war dunkel und aufgewühlt. Ich begriff undeutlich, daß zwischen diesen beiden etwas ganz Besonderes vorging,
etwas, das sich merkwürdigerweise auch auf meine Nerven über trug. Ich spürte, wie meine Knie zu zittern begannen. Allzugern wäre ich jetzt an Mamans Stelle gewesen. Wenn ich die Augen schloß, konnte ich förmlich die Berührung dieser kräftigen männlichen Hände an meinen eigenen Brüsten fühlen, die sich freilich mit Mamans überreifem Busen nicht messen konnten. Nur allzugern wäre ich geblieben und hätte mehr gesehen, doch Maman schob plötzlich die Hand des Mannes zurück und sprang auf. Sie zog die Vorhänge des Fensters zu, durch das ich in den Raum gespäht hatte, und so blieb mir nichts anderes übrig, als mir in Gedanken auszumalen, wie sie sich küßten. Damals glaub te ich, wie viele junge Mädchen in diesem Alter, daß Küssen so ungefähr das Aufregendste sei, das zwischen Männern und Frau en geschehen konnte. Von dem andern hatte ich keine Ahnung, wenn ich auch manchmal so ein merkwürdiges Kribbeln irgend wo tief in meinem Innern spürte. Daß ich mich in M’sieur Ri could ein wenig verliebt hatte, bemerkte ich erst später. Ich empfand so etwas wie ein dumpfes Gefühl der Eifersucht, wenn ich ihn bei Maman wußte, wenn ich mir auch nicht sicher war, welchem von beiden dieses bohrende Gefühl des Unbehagens wirklich galt. Maman war an den Tagen, die auf solche Besuche folgten, zu meist auf eine besondere Weise liebevoll zu uns Kindern. Sie ging singend durch das Haus, und in ihren Augen lag ein glückliches Leuchten. Daß die Leute im Dorf darüber tuschelten, merkte ich wohl. Die andern Frauen betrachteten Maman mit scheelen Augen, wenn sie sonntags zur Kirche ging. Und einmal, als ich die plumpe Hand eines dieser draufgängerischen Burschen, der mich hinter eine Hecke gezogen hatte, ziemlich energisch ab wehrte, meinte der Bengel mit einem herausfordernd frechen Lachen: «Ich an deiner Stelle würde mich nicht so zieren. Nimm dir ein Beispiel an deiner Mutter. Die tut nicht so spröde wie du.» «Was meinst du damit?» fragte ich mit finster zusammengezo genen Brauen.
«Nun, das ganze Dorf klatscht schon über das Riesengeweih, das sie ihrem Alten aufgesetzt hat. Aber schließlich ist es ja kein Wunder, wo sie ihn doch nur aus Verlegenheit genommen hat.» Die Sache begann mich zu interessieren. Der Bursche – er hieß Etienne und war der Sohn des Dorfwirts – machte sich mit seinen derben Händen schon wieder an meinem Busen zu schaf fen. Aber jetzt bemerkte ich es kaum, weil meine Neugierde einmal geweckt war. «Weißt du nicht, daß du ein Strauchkind bist, du kleine Hexe? Deine Mutter war mit dem Gutsverwalter intim, als sie dich trug. Aber er war verheiratet, und sie… nun, sie hatte damals schon so einen Ruf. Da hat er ihr Boulanger ge kauft, weil er keinen Skandal wollte.» Etienne grinste zynisch, und seine Finger drückten meine Brustknospen wie toll. Ich unterdrückte einen leisen Aufschrei und gab ihm eins auf die Finger. Der Bursche war unangenehm, aber das, was er sagte, schien mir dafür um so interessanter. «Woher willst du das wissen?» forschte ich unwillkürlich. Er betrachtete mich geringschätzig. «Woher ich es weiß? Nun, ganz einfach, es reden doch alle im Dorf darüber. Ich habe meine Mutter mit der Krämerin reden hören. Und dann… du schaust diesem Monsieur Marteuil auch ähnlich genug. Hast du es noch nie bemerkt? Und schau dagegen deine Brüder an. Hast du etwa eine Ähnlichkeit mit einem von ihnen?» Ich ahnte dumpf, daß er recht hatte. Wirklich, es gab so wenig Gemeinsamkeit zwischen meinem sogenannten Vater und mir. Und dann, ich hatte Monsi eur Marteuil, der immerhin mein Pate war, zwar nur selten gese hen, aber ich hatte mich doch immer auf eine merkwürdige Weise zu ihm hingezogen gefühlt. Natürlich, er war ein schöner Mann, nun, ich habe stets eine Vorliebe für schöne Menschen gehabt. Er war sehr eindrucksvoll, ein großer, schlank gewachse ner Mann mit einem Löwenkopf und leicht angegrauten Schlä fen, die sein Gesicht auf eine ansprechende Weise verwittert erscheinen ließen. Ich mußte mit Maman darüber reden… Es war immerhin eine aufregende Entdeckung. Ich versuchte, den Jungen so schnell wie möglich loszuwerden. Aber der hatte sich
inzwischen mehr und mehr erhitzt, und es bedurfte meiner ganzen Kraft, mich aus seinen fordernden Armen zu reißen. Er hatte mich gegen einen umgestürzten Baumstamm gedrängt, der quer über dem Rasen lag, und bog mich nun mit aller Kraft so weit nach hinten, daß ich unweigerlich gestürzt wäre. Sein Atem streifte heiß und übelriechend über mein Gesicht, und seine Hände waren feucht von Schweiß. Ich wußte, daß dieser klobige Junge mit den von Gier verzerrten Gesichtszügen drauf und dran war, etwas Unbeschreibliches mit mir zu tun, und geriet in eine rasende Wut. Ich sah rote Nebel vor meinen Augen tanzen, und dann hörte ich einen dumpfen Schrei. Ich hatte ihm mein Knie mit aller Wucht zwischen die Beine gerammt. Der Junge ließ mich augenblicklich los. Er war ganz grau im Gesicht und krümmte sich schmerzlich zusammen. «Das wirst du mir büßen, du verdammtes Hurenbalg», hörte ich ihn haßerfüllt stöhnen, während ich schon über die Wiesen davonlief, unserem Anwesen entgegen. Maman mußte bemerkt haben, daß etwas nicht stimm te, denn als ich mich schweigend ins Haus verdrücken wollte, rief sie mich zu sich. Sie war gerade hinter dem Haus am Waschtrog beschäftigt und sah rot und erhitzt aus. «Was hast du, Rinette?» erkundigte sie sich und forschte einen Moment lang in meinem Gesicht. Ich war allerdings reichlich verstört. «Nichts, Maman», antwortete ich mit bedrückter Stim me. Sie richtete sich ruckartig auf und trocknete ihre Hände an ihrer Schürze ab. «Unsinn, mein Kind. Mach mir nichts vor. Wenn ein Mädel so ausschaut wie du eben jetzt, ist natürlich etwas passiert.» «Nun ja, es war dieser Junge… Etienne. Er ist frech geworden!» «Ah, der Bengel von dem dicken Wirt. Der Junge soll seine Finger nicht so weit vorwagen. Hat er dir… etwas getan?» Ich schüttelte den Kopf «Nein, eher ich ihm. Ich habe ihm mein Knie in den Leib gerammt. Du hättest ihn sehen sollen!» Maman lachte und strich mir flüchtig über das Haar. «Daran erkenne ich meine Tochter. Wirklich, Rinette, du hast recht
getan, diesen Lümmel in seine Schranken zu weisen. Soll er nur lernen, daß ein Mädchen wie du nicht für ihn gemacht ist.» Kein Zweifel, Maman war stolz auf mich und hatte etwas Bes seres mit mir vor, als mich einem dieser Bauernlümmel, wie sie die Burschen aus dem Dorf verächtlich nannte, zu überlassen. «Maman, er hat mich ein Hurenbalg genannt», platzte ich her aus. «Und er hat auch gesagt, daß Boulanger gar nicht mein richtiger Vater sei…» Ein Schatten zog über Mamans Gesicht. «Die Leute reden viel», meinte sie düster. «Aber in diesem Punkt haben sie sogar recht. Ich wollte es dir nicht sagen, aber vielleicht ist es besser, du weißt es. Ja, es ist richtig, dein Pate ist dein Vater, Raoul Marteuil… es gab eine Zeit, da wir uns sehr geliebt haben.» Etwas wie eine versonnene Zärtlichkeit zog über ihr Gesicht. «So wie du M’sieur Ricould liebst, Maman?» konnte ich mich nicht enthalten zu fragen. Eine flüchtige Röte huschte über ihre Züge. «Was weißt du von Ricould, Kind? Er ist mir ein lieber Freund.» Sie nahm mich an der Hand und zog mich in das kleine rosenumrankte Gartenhäuschen, das hinter dem Anwesen lag. «Komm, setz dich, Rinette. Ich sehe, ich muß mit dir wie mit einem erwachsenen Mädchen reden.» «Bist du mir böse, Maman?» «Nein, warum sollte ich? Es ist nur, die Jahre vergehen schnell, und eine Mutter braucht lange, bis sie begreift, daß ihre Kinder anfangen erwachsen zu werden. Du sollst nicht glauben, daß ich eine leichtfertige Person bin. Ich habe Raoul geliebt, aber ich konnte ihn nicht haben. Verstehst du, ich hätte sein Leben zer stört und meines… und vielleicht auch deines. So sind wir zu dieser Lösung gekommen. Er hat versprochen, für deine Erzie hung zu sorgen. Ich habe alle Jahre von ihm 12 Louis empfan gen, als eine Art Patengeschenk für dich. Sie werden dir eine hübsche Aussteuer sichern, wenn deine Zeit einmal gekommen ist.» «Oh, Maman… und du siehst ihn niemals.?» fragte ich voller Teilnahme.
Ich glaubte zu begreifen, was Maman durch diese Trennung widerfahren war. Ich haßte in diesem Augenblick Pierre Boulan ger beinahe. Maman lächelte. «Aber ja, natürlich, ich sehe ihn manchmal, beim Erntefest zum Beispiel. Aber es ist so lange her, seither…» Ich betrachtete den Verwalter nun mit anderen Augen. Er war heute noch ein imposanter Mann. Allerdings Jung konnte er auch damals nicht mehr gewesen sein. Aber wenn Maman ihn geliebt hatte? Es mußte etwas Herrliches um diese Liebe sein. Mamans Augen blickten ganz merkwürdig, wenn sie davon sprach. Sie strich mir mit einer zärtlichen Bewegung durch das Haar. «Du bist sehr hübsch, meine Kleine. Versprich mir, daß du keine Dummheiten machen wirst, ja? Laß dich nicht von einem dieser Burschen herumkriegen. Und wenn die Leute reden… », sie zuckte die Achseln. «Pierre ist ein guter Mann, im gewissen Sinne vielleicht besser, als ich es verdiene. Aber er hat ja gewußt, was er kriegte, als er mich nahm. Ich habe ihm von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, das kannst du mir glauben. Und er war zu frieden. So muß er’s wohl nehmen, wie es ist.» Ich weiß nicht, was mich dazu bewog, aber ich platzte plötzlich mit dem heraus, was mein allergeheimster Herzenswunsch war: «Ich möchte nach Paris, Maman!» Sie betrachtete mich nachdenklich. «Nach Paris? Alle jungen Mädchen wollen nach Paris. Aber ich weiß nicht, ob Paris für dich gut wäre, meine Kleine. Vielleicht, eines Tages, wenn du erwachsen geworden bist. Man könnte Ricould bitten, daß er etwas für dich arrangiert. Wie gesagt, wenn du älter ge worden bist.» Die Aussicht, zu warten, behagte mir ganz und gar nicht. Paris! Ich stellte mir das Leben dort herrlich vor. Alle Welt sprach von Paris, in den Zeitungen las man nur von Paris, und der Dorfbote, der einmal in der Woche zum großen Markt in die Hauptstadt fuhr, oh, der konnte Geschichten darüber erzählen! Er war ein großer alter Mann mit beinahe zahnlosem Mund und einem dichten Bartgestrüpp. Die Frauen des Dorfes gaben ihm alle ihre Bestellungen mit, und es war jedesmal ein kleines Ereig nis, wenn er von seinen Touren zurückkam. Ich hatte schon
etliche Male versucht, ihm die Erlaubnis abzuschmeicheln, ihn zu begleiten, aber er war in diesem Punkte immer unnachgiebig geblieben. «Paris ist kein Boden für kleine Mädchen wie dich», hatte er gemeint. «Bleib lieber hier, wo du hingehörst.» Aber ich war mir ganz sicher, daß ich viel eher nach Paris als in den ländli chen Frieden von St. Etienne gehörte. Ich würde ohne Zweifel glücklich werden, wenn es mir gelang, dorthin zu kommen. So verging der Sommer, ein glühender, gewitterträchtiger Sommer auf dem Land. Die Tage verliefen in dem Einerlei, das ich von Kindheit an gewohnt war. Die unbestimmte Unruhe in mir wuchs und mit ihr auch das Fernweh, das mir im Traum die strahlendsten Bilder einer Stadt vorgaukelte, die ich in meiner kindlichen Einbildungskraft für das Paradies aller hübschen und unternehmungslustigen jungen Mädchen hielt. Der 17. Juli kam und verursachte mir keine geringe Aufregung. An diesem Tag wurde alljährlich auf dem «Schloß», wie wir das Herrenhaus des staatlichen Gutshofes nannten, den Monsieur Marteuil verwalte te, ein großes Fest für alle Dorfbewohner gefeiert. Dann wurden im Innenhof des Hauses große Feuer angezündet, an denen mehrere Spanferkel und gut und gern ein Dutzend Hühner gebraten wurden. Unter den glyzinienumrankten Arkaden hatte sich eine Kapelle niedergelassen, und während die Alten zechten und schmausten, tanzten die Jungen bis weit nach Mitternacht zu den Klängen der alten Volkstänze. Ich hatte bisher immer nur den ersten Teil dieses Festes miterlebt, weil ich zu jung gewesen war und mich Maman, die an diesem Tag ihr hübschestes Fest kleid trug, unnachgiebig zu Bett schickte. Aber nun war ich immerhin sechzehn und damit alt genug, bis zum Ende dabeizu sein. Ich hatte natürlich meinen schönsten Festtagsstaat angelegt und sah wirklich sehr hübsch aus. Ich merkte es an den bewun dernden Blicken der Burschen, die mich immer wieder zum Tanzen holten und mich herumwirbelten, daß ich beinahe den Atem verlor. Ihre eisenharten Muskeln drückten mich hart, und etliche versuchten, mich dann aus dem Lichtkreis des Feuers fortzuziehen, hinaus in die nachtdunklen Wiesen, von denen ein
süßer Heugeruch aufstieg. Aber ich wollte nichts davon wissen. Meine Gedanken waren bei Monsieur Marteuil, der mein Vater war und inmitten all der überschäumenden Festfreude so groß und würdevoll wirkte. Er pflegte dieses Fest stets mit den Dorf bewohnern zu feiern, hielt sich aber zumeist an dem Ehrentisch auf, der an der Schmalseite der Arkaden mit blütenweißem Da mast gedeckt war. Er hatte all seinen Gästen zugetrunken und eine kurze Rede gehalten, die mit den Worten «Vive la France» geendet hatte. Kein Zweifel, der gute Monsieur Marteuil war ein großer Patriot. Aber das war an einem Tag wie diesem jeder, und die Burschen pfiffen und stampften mit den Füßen, als die Ka pelle, gewissermaßen als Abschluß des offiziellen Teils, die Mar seillaise intonierte. Danach hatte Monsieur Marteuil den Tanz eröffnet, mit der Frau des Apothekers, die eine hübsche dralle Blondine war. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln Maman, aber die ließ sich nicht anmerken, was sie dachte. Sie war fröhlich und aufgeräumt wie stets an diesem Tag und trug zu ihrem be zaubernden Kostüm à la Lorraine ihren Halsschmuck aus rot braunen Granaten, die sich wundervoll von ihrer goldgebräunten Haut abhoben. Sie hatte ihr Haar aufgesteckt und war – darin konnte es für mich keinen Zweifel geben – bei weitem die schön ste Frau im Umkreis. Ich hätte ihr nur allzugern nachgeeifert, aber wie konnte ich das? Ich war doch nur ein mageres junges Ding mit viel zu langen Beinen und einem unbestimmten Hunger nach Leben in meinen Adern. Gar zu gern wäre ich auch von Monsieur Marteuil zum Tanz aufgefordert worden; seit ich wuß te, daß er mein Vater war, brannte ich förmlich darauf, in seine Nähe zu gelangen. Aber außer der Aufwartung, die ich ihm bei solchen Gelegenheiten stets gemacht hatte, gab es für mich keine Möglichkeit, mit ihm ein persönliches Wort zu wechseln. Ich bemerkte wohl, daß er mich mit Aufmerksamkeit und sogar ein wenig Rührung betrachtete, und ich begriff, daß er durch meinen Anblick an jene längst vergangenen Zeiten erinnert wurde. Ich hätte gar zu gerne gewußt, was in diesen beiden schönen Men schen vorging, wenn sie einander begegneten. Ach, damals wußte
ich ja noch nicht, wie flüchtig jene Gefühle sein können, die wir gemeinhin mit dem romantischen Wort Liebe umschreiben. Woher hätte ich auch ahnen sollen, daß für die meisten Men schen die Begegnung mit einer verflossenen Liebe kaum ein schwaches Echo wehmütiger Rückerinnerung erweckt? Etliche Tage nach jenem Fest schien einer meiner sehnlichsten Wünsche in Erfüllung zu gehen. Der alte Dorfbote war krank geworden, und der Bursche, der ihn vertrat, war für meine Über redungsversuche ungleich zugänglicher. Ich verbrachte einige Nächte in unruhiger Erwartung, dann war es soweit: für einen blanken Dukaten, den ich von meinem Patenschatz abgezweigt hatte, ließ mir der Bursche die Nachricht zukommen, er würde mich in die Hauptstadt mitnehmen, wenn ich mich nur früh genug an der Straßenkreuzung, die nach Versailles führte, einfin den würde. Ich war über diese Botschaft ebenso erfreut wie erschrocken, und ich glaube, bis zu dem Augenblick, da ich mich unter die grauen Piachen duckte, wußte ich selbst nicht, ob ich es wagen würde. An Maman, die um diese Zeit noch schlief, wagte ich nicht zu denken. Sicher würde sie sehr zornig, wenn sie erfuhr, was ich getan hatte, aber am Ende würde sie mich wohl verstehen. Es gab etwas in mir, das stärker war als alle Bedenken und mich fortrief, hinaus in diese lockende irrlichterne Wildnis, die Leben hieß. Ich konnte diesem leidenschaftlichen Fernweh in mir nicht länger widerstehen. Und dann, ich würde Maman ja wiedersehen, sehr bald vielleicht schon,, wenn ich als eine schö ne, glänzende Dame zurückkam, in einer Karosse und mit einem Kavalier, der viel prächtiger sein würde als Monsieur Marteuil und M’sieur Ricould zusammen. Ich hatte wenig genug, um es auf diese abenteuerliche Reise mitzunehmen: Das Bündelchen mit Kleidern und Wäsche, das ich trug, war mehr als dürftig, und die Dukaten, die ich von Monsieur Marteuil als Patengeschenk erhalten hatte, klimperten zwar lustig in dem Lederbeutelchen, das ich mir umgehängt
hatte, aber es waren ihrer allzu wenig, als daß ich damit hätte großen Staat machen können. Aber wozu brauchte ich Dukaten, da ich doch jung, hübsch und durchaus entschlossen war, die Welt mit den Waffen meiner Jugend zu erobern? Ich war da, und das mußte genügen. Alles andere würde sich finden. Der Bursche, der den schwer belade nen Piachenwagen die holprige Landstraße entlang lenkte, meinte offenbar, er könnte zu seinem Dukaten noch eine Extragratifika tion besonderer Art empfangen. Aber da er häßlich, grobschläch tig und ungewaschen war, wies ich seine plumpen Annäherungs versuche ab, so energisch wie ich nur konnte. Der Kerl zeigte sich bösartig und drohte, mich auf der offenen Landstraße mei nem Schicksal zu überlassen. Er war häßlich und triefäugig, und mich erfaßte ein wilder Zorn. War ich deshalb von zu Hause ausgerissen, um nun diesem Gesellen in die Hände zu fallen? Ich drohte ihm schließlich, ich würde Monsieur Marteuil, zu dessen Knechten er gehörte, sagen, daß er mich zu dieser Fahrt überre det habe, um mir Gewalt anzutun, und merkwürdig, diese Dro hung verfehlte ihr Ziel nicht. Der Bursche wurde daraufhin beinahe manierlich, wenn er auch einigermaßen mürrisch schien, daß ihm sein Vorhaben mißglückt war. Ich schloß daraus, daß die Geschichte meiner Mutter in unserem Dorf bekannter war, als ich es angenommen hatte. Denn wieso hätte der Kerl sonst klein beigegeben, wenn nicht aus Furcht, den Zorn seines Herrn zu erwecken, wenn er sich an dessen heimlicher Tochter vergriff. So kam ich also ohne alle weiteren Zwischenfälle nach Paris. Es war ein brütend heißer Hochsommertag, und als wir die holpri gen Gassen im Schatten der ersten Häuser entlangfuhren, legte sich etwas wie eine unwillkürliche Beklemmung auf mich. Ich war die Weite der Landschaft gewohnt, die sanften Linien der blauen Hügel am Horizont, den Duft der sonnenwarm duftenden Felder. Die Gerüche, die mich in den engen Gassen der Stadt umfingen, waren greller, schärfer, akzentuierter. Die Gassen
schluchten zwischen den hohen, schmalbrüstigen Häuserzeilen lagen im tiefen Schatten, und die Menschen, die hier entlangeilten – verwirrend viele Menschen, wie mir schien –, sahen ganz und gar nicht glücklich aus. Sie waren blaß und wirkten irgendwie schattenhaft. Mich fröstelte unwillkürlich, wie einen Menschen fröstelt, der lange in der Sonne gewesen ist und nun ganz plötz lich in den Schatten tritt. Der Bursche auf dem Kutschbock mußte mein Unbehagen bemerkt haben, denn er spitzte die Lippen und stieß einen kurzen Pfiff aus. «Also da hast du dein Paris! Wetten, in zwei Wochen bist du genauso eine Nutte wie die da…!» Er wies mit dem Daumen verächtlich auf ein paar auffallend herausgeputzte Mädchen mit gräßlich geschminkten Gesichtern, die herausfordernd die Straße entlangblickten. Ich wußte damals natürlich nicht genau, was es mit ihnen für eine Bewandtnis hatte, aber aus der Miene des Knechtes erkannte ich doch, daß es etwas höchst Verächtliches sein mußte. Ich drehte dem Kerl eine Nase und sagte: «Das behauptest du nur, weil du neidisch bist. Aber ich werde mein Glück machen, das kannst du mir glauben. Und dann komme ich nach St. Etienne zurück und habe den schönsten Kavalier.» Unser Gefährt holperte währenddessen die Gasse entlang und bog in den riesigen Marktbezirk ein. «Wir sind da», sagte der Bote gleichgültig und klopfte seine Pfeife aus, an der er die ganze Zeit gesogen hatte. «Du kannst hier absteigen… Aber wenn du willst, kannst du dir’s auch überlegen. Ich fahre morgen früh wieder zurück. Du findest mich in der Herberge ‘Zum lachenden Fisch’. Brauchst nur die Kellnerin dort zu fragen.» Er grinste, während ich nach meinem Bündel griff. «Du hast es eilig, in dein Unglück zu rennen», meinte er achselzuckend, «aber mir kann’s recht sein…» Ich war schon leichtfüßig vom Wagen gesprungen, und er reichte mir mein Bündel herunter. «Vielleicht sehen wir uns bald wieder», grinste er und zwinkerte mit den Augen.
Da stand ich also und hatte zum ersten Male in meinem Leben Pariser Boden unter meinen Füßen. Ich schlenderte eine Weile zwischen den überdachten Marktständen umher und konnte nicht genug bekommen von all den fremdartigen Eindrücken, den grellen Farben und Gerüchen und dem Stimmengewirr. Noch nie in meinem Leben hatte ich so viele Geräusche auf einmal zu hören bekommen wie hier auf dem riesigen Markt von Paris. Alles schnatterte und schrie durcheinander: üppige und hagere Marktweiber riefen um die Wette ihre Waren aus, Händler gingen umher und musterten die ausgelegten Herrlichkeiten mit scharfem Blick, ehe sie wählten. Fröhliche Dienstmädchen mit adretten Häubchen und riesigen Henkelkörben feilschten mit geizigen Krämerinnen, denen die Geldgier aus den verwitterten Gesichtern leuchtete. Es roch betäubend nach faulendem Obst und Fischen, und mich überkam schlagartig eine heiße Sehnsucht nach der ländlichen Stille des Dorfes, die mir noch vor wenigen Tagen beinahe unerträglich erschienen war. Aber dies hier war ein Hexenkessel von Geräuschen und Farben. Meine Füße be gannen in den ungewohnten Schuhen zu schmerzen, und meine Kehle war ganz trocken. Ich erstand an einem der überdachten Karren etliche Scheiben einer süßen Melone, die ich im Weiter gehen aß. Ich ließ den Markt hinter mir und schlenderte einige Gassen weiter, aber auch sie schienen mir ärmlich und waren ganz und gar nicht das, was ich mir von diesem glänzenden Paris erwartet hatte. Schließlich änderte sich das Bild. Ich bog um eine Ecke und kam auf einen ansehnlichen Platz, der von hübschen Gebäuden umgrenzt war. Eines davon trug die Aufschrift «Café Gaston». Auf dem von grünen Hecken umzäunten Vorplatz saß eine ganze Anzahl von fröhlich wirkenden jungen Leuten, hübschen Bur schen mit ihren Mädchen, an bunt gedeckten Tischen, plauder ten, tranken Kaffee, Rotwein und Calvados und blickten ver träumt auf den vor Hitze flimmernden Platz, über den ab und zu eine elegante Karosse in einer Staubwolke dahinrollte.
Mich schmerzten meine Füße, und ich bemerkte, daß ich den ganzen Tag über noch nichts gegessen hatte. Also wagte ich es und setzte mich kurzentschlossen an den einzigen Tisch, der gerade noch frei war. Mein Bündel legte ich neben mich auf einen der weißlackierten Stühle und sah mich neugierig um. Ich bemerkte wohl, daß mich von etlichen Seiten abschätzende Blicke trafen, und, fühlte mich schrecklich verlegen werden. Ich kam mir im Vergleich zu all den entzückenden Mädchen in ihren duftigen Kleidern und hübschen Hüten wie ein armseliger grauer Spatz vor, trotz meines Festtagsstaates, der in meiner dörflichen Umgebung so hübsch gewirkt hatte. Aber ich war verschwitzt, und meine Haare quollen ganz verstrubbelt unter meinem ganz und gar nicht mehr modischen Hütchen hervor. Ach, wenn ich doch auch so frisch und kühl hätte aussehen können wie diese bezaubernden jungen Persönchen! Ich sah vor mich hin und fühlte mich wohlig müde. Der Schmerz meiner brennenden Füße begann abzuklingen, und die Aufregung, die mich den ganzen Tag über in Atem gehalten hatte, begann allmählich zu weichen. Ich brachte sogar ein kleines Lächeln zustande, als der Wirt, oder was immer er sein mochte, an meinen Tisch kam und mich nach meinen Wünschen fragte. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit flinken dunklen Augen, die mich auf einen Blick taxierten. Ich bestellte ein Glas Calvados und etwas zu essen. Der Wirt lächelte seinerseits und fuhr sich mit einer nicht mehr ganz rei nen Serviette über die Stirn. «Ich habe frische Pastetchen da, Mamsell», meinte er einladend und musterte wieder mich und mein Bündel. Ich ließ mir also etwas von seinen «frischen Pastet chen» servieren – sie schmeckten übrigens wirklich ausgezeichnet – und trank noch ein Glas Calvados hinterher. Als ich mit einem der Dukaten bezahlte, die ich in einem Lederbeutelchen um den Hals hängen hatte, machte der Wirt große Augen. «Sie sind wohl fremd in Paris», wollte er wissen. «Ja, ich möchte mir hier einen Dienstplatz suchen…», gab ich wahrheitsgemäß zu. Seine flinken Augen musterten mich prüfend. «Einen Dienstplatz, soso… Da müßte man wissen, was die Mamsell denn so kann. Vielleicht,
daß der alte Gaston einen Rat weiß.» Er wies mit seinem dicken Daumen auf seine Brüst. «Gaston bin nämlich ich, Mamsell. Und wenn ich etwas für Sie tun kann, wer weiß…» Er legte den Kopf schief und fuhr sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. Ich begriff ziemlich schnell, woran er dachte, als er nach einer Weile fortfuhr: «Unser letztes Serviermädchen ist mit einem von diesen windigen Malersleuten auf und davon gegangen. Seither such ich nach einer, die geschickt ist und anstellig.» Seine Blicke krochen wie Schnecken meine Figur entlang. Ich beugte mich ihm instinktiv ein wenig entgegen, so daß er zu sehen kriegte, wonach ihn verlangte. Trotzdem nahm ich mir vor, vorsichtig zu sein. Der Dicke gefiel mir ganz und gar nicht, und daß er nichts Gutes im Sinn hatte, konnte ich seinen schlauen Blicken ohne großen Aufwand an Phantasie entnehmen. «Sie könnten in der Küche und beim Servieren helfen, zunächst einmal», meinte er nachdenklich. «Eine Kammer unter dem Dach ist noch da mit einem hübschen, weichen Bett darin, und die Verpflegung ist frei. Dazu 10 Francs im Monat als Lohn, wenn Sie geschickt und fleißig sind. Also Mamsell, wenn’s Ihnen recht ist?» Ich überlegte kurz und ließ meine Blicke über die Tische mit den fröhlichen jungen Leuten schweifen. Vielleicht war dieses Angebot für den Anfang gar nicht so übel? Und auf jeden Fall: Ich hatte ein Dach überm Kopf und ein Nachtquartier und brauchte also meine müden Füße nicht länger zu bemühen. Ich ahnte in diesem Augenblick ganz dunkel, daß es vielleicht doch gar nicht so leicht sein würde in dieser gigantischen Steinwüste, die einem den Atem abdrückte, dem Glück zu begegnen, das ich mir erträumte. So begann ich also diesen neuen Abschnitt meines Lebens als Kellnerin in einem drittklassigen Café im Quartier Latin. Ich wohnte in einer engen Kammer unter dem Dach, in der außer einer knarrenden Bettstatt nur noch ein wackeliger Stuhl und ein enger Kasten Platz fanden. Das winzige Fensterchen ging auf
den Hof hinaus. Penetrante Gerüche von Küchenabfällen und saurem Wein mischten sich mit noch Intensiverem und ließen mich selbst in den kurzen Nachtstunden, die mir blieben, kaum schlafen. Ein zusätzliches Übel war noch, daß die Tür noch obendrein keinen Riegel hatte. Ich ahnte wohl, daß der dicke Gaston dies als einen besonderen Vorzug betrachtete, seine funkelnden Augen und sein heißer, meist nach Calvados riechen der Atem verhießen nichts Gutes. Bloß ein Glück, daß Madame ein scharfes Auge auf ihn hatte. Sie war eine große, hagere Ma trone, deren hartes Gesicht noch Spuren einstiger Schönheit zeigte. Sie führte in der Küche ein strenges Regiment und hetzte mich vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein, soviel sie nur konnte. Gelegentlich gab sie ihrem gierigen Alten eines auf die vorwitzigen Finger, wenn der sich gar zu unverschämt an meinen Schürzenbändern zu schaffen machte. Seit sie bei irgend einer Gelegenheit bemerkt hatte, daß ich mich in meiner Schlaf kammer, so gut es ging, gegen unerwünschten Besuch verbarri kadierte, indem ich den Sessel so vor die Tür stellte, daß er mit großem Krach umstürzen mußte, sobald jemand versuchte, die Tür zu öffnen, war sie etwas freundlicher geworden. Ja, sie gab mir gelegentlich sogar gute Ratschläge, wenn ich ihr in der Küche an die Hand ging, und ich erfuhr so nach und nach etliches, das ihr Leben betraf. «Ein Mädel wie du muß auf der Hut sein», meinte sie einmal, als sie gerade damit beschäftigt war, ein riesi ges Stück Kalbsbrust zu füllen. «Daß du dir bloß nicht von die sen jungen Windhunden den Kopf verdrehen läßt. Die wollen von so einem jungen Ding doch nur das eine. Und dann – adieu – geht’s weiter zur nächsten, und du sitzt da und merkst womög lich zu spät, was passiert ist.» Sie wischte sich die Augen, die von den Zwiebeln tränten, die sie gerade hackte. «Ja, ja, Kindchen, es sind schon manche Mäd chen ins Unglück gekommen, weil sie sich von einem der Bur schen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben, als Süßholz raspeln, den Kopf haben verdrehen lassen. Und dann, auf einmal ist das Malheur passiert, und die große Liebe ist vorbei. Dann
kannst du zusehen, wo du einen anständigen Burschen her kriegst, der dich dann noch nimmt. Oder du wirst ein Rittchen, wie sie sich zu Dutzenden da draußen herumtreiben. Ein tristes Leben, kann ich dir sagen… Sieh sie dir nur an, wie sie Abend für Abend herumziehen mit ihren bemalten Gesichtern und den Busen frech herausrecken und mit dem Hinterteil wackeln, daß einer anbeißt.» Madame stieß ein grelles Gelächter aus, das ihr hageres Gesicht beinahe abstoßend erscheinen ließ. «Was ist denn, ihr feinen Herren? Liebe für einen Sou, für ein warmes Nachtessen… Sie prügeln sich um die Kundschaft, drüben in der Rue Pigalle, sie raufen sich die Haare um die Kerls, die toll sind nach warmem, willigem Weiberfleisch.» Madame stemmte ihre Arme in die Seite. «Solange eine ein hüb sches Lärvchen hat und pralle Brüste, solange sie frisch ist und nach Jugend duftet, ist’s ein munteres Leben, das kannst du mir glauben. An Freiern fehlt’s nicht, und die Silberfüchse sprin gen… aber dann bemerkst du auf einmal, daß neue Gesichter um dich auftauchen und daß deine lockenden Blicke ins Leere gehen. Du wirst immer kecker und bietest dich immer dreister feil… klammerst dich an die Freier, die immer weniger werden, und versuchst, die lähmende Angst vor dem Alter im Suff zu erstik ken. Bis du schließlich einen Kerl nimmst, der gerade des Weges kommt, weil du es einfach nicht mehr ertragen kannst, daß das große Spiel der Leidenschaft für dich passe sein soll…» Sie be trachtete mich aus nachdenklichen Augen und goß sich einen Calvados ein. «Ich weiß nicht, warum ich dir das sage, Mädchen. Aber schau mich an, ich bin auch einmal ein hübsches, fesches Mädel gewesen. Die Burschen sind auf mich geflogen… dann mußte ich froh sein, daß ich dieses Ekel von einem Gaston kriegte. Ich hab’s nicht einmal schlecht getroffen, wenn ich ehrlich sein will. Es gibt andere aus meiner Nachbarschaft, die hat’s ärger erwischt. Die sind einem Kerl aufgesessen, der ihnen ihr ganzes Erspartes abgenommen und sie dann mit Fußtritten davongejagt hat, als nichts mehr mit ihnen los war. Glaub mir,
diese Burschen scheuen vor nichts zurück. Ich hab es erlebt, daß sie selbst einem Spitzel einen Wink geben, wenn sie ein Mädel los sein wollen. Das Ende kannst du dir denken. St. Lazaire und das Spinn haus.» Ich spürte, wie es kalt meinen Rücken entlangrieselte. «Was ist St. Lazaire?» wollte ich wissen. Sie lachte bitter. «O du heilige Einfalt. Sei froh, Mädel, wenn du das niemals erfahren mußt. Es ist das Gefängnis, in das die leichten Mädchen gesteckt werden, wenn man sie bei etwas ertappt. Man schert ihnen den Kopf, und dreimal die Woche gibt’s Prügel mit der neunschwänzigen Katze. Die schinden dich, wo sie nur können, und wenn du heraus kommst, kennst du dich selber nimmer. Der Mann, der ein Mä del noch haben möchte, wenn sie aus St. Lazaire kommt, ist noch nicht geboren…» Madame schenkte sich noch einen Calvados ein und ging dann daran, Weißbrot für eine Pastete einzuwei chen. «Sieh zu, daß du mit den Gläsern fertig wirst, Mädel, Ga ston braucht dich vorne…» Ich beeilte mich, diesem Befehl nachzukommen. Insgeheim fragte ich mich, ob Madame wohl aus eigenen Erfahrungen gesprochen hatte. Ihre Stimme hatte so bitter geklungen. Auf jeden Fall nahm ich mir vor, mich vor den Handgreiflichkeiten der Männer in acht zu nehmen. Um keinen Preis wollte ich eines jener unglücklichen Mädchen werden. St. Lazaire und die neunschwänzige Katze! Ich spürte schon wieder jenen merkwürdigen Schauer meinen Rücken entlangrinnen. Sie zogen einem die Röcke aus und banden einen auf eine Bank dazu, hatte Madame noch gesagt. Wie entsetzlich das klang! Ich nahm mir vor, mich in Zukunft doppelt vor den Nachstellungen der Männer in acht zu nehmen. Dabei fiel mir dies von Tag zu Tag schwerer. Die Burschen, die ins Café Gaston kamen, waren durchweg hübsche, anziehende junge Leute mit lockenden Au gen und schmeichelnden Händen. Und wenn ich ihnen auch eines auf die Finger gab, wenn sie allzu ungeniert nach mir grif fen, so versetzten mich ihre Blicke, ihre Hände, ihre kecken Redensarten doch in eine süße Verwirrung, die mir zu Kopf stieg
wie der Wein, den ich während dieser Wochen schätzenlernte. Die weitaus meisten von Gastons Gästen waren junge Künstler aus den umliegenden Gassen des Quartier Latin, Studenten mit kecken, buntfarbigen Mützen und angehende Journalisten. Viele von ihnen kamen mit ihren Mädchen her, Künstlermodellen, Grisetten, zierlichen Ballettratten, die nach allen Seiten kokettier ten und wie die Vögel im Frühling zwitscherten. Ich mochte dieses muntere Völkchen gern und fühlte mich unter ihnen bald so gut wie zu Hause. Vor allem einer von ihnen, ein junger Maler, hatte es mir angetan. Er war schlank, groß gewachsen und hatte sanfte Braunaugen mit kleinen Lichtern darin. Als er mich eines Tages fragte, ob ich nicht Lust hätte, für ihn Modell zu stehen, erfaßte mich etwas wie ein süßer Schrecken, und ich hatte ein scheues Ja gestammelt, noch ehe ich es recht bedacht hatte. Wir verabredeten uns für den nächsten freien Tag in seinem Atelier, das im Dachboden eines der Häuser am Place Pigalle lag. Eine knarrende, dunkle Treppe führte nach oben, und ich war beinahe geblendet, als ich in den ausgedehnten Mansardenraum trat. Von oben her fiel durch ein Dach aus Milchglasscheiben eine blen dende Helligkeit in den Raum. Winzige Staubteilchen tanzten in dem breiten Sonnenstrahl, der schräg in den Raum fiel. Außer etlichen Möbelstücken, die ziemlich wahllos herumstanden und mit allen möglichen Gegenständen belegt waren, gab es nur eine riesige Staffelei mit einem halbfertigen Bild darauf. Es zeigte eine sehr schöne junge Frau mit prächtigen goldroten Haaren und spöttisch blickenden, blaßgrünen Augen. Sie lag splitternackt auf einer Decke aus fahlbraunem Samt. Ich spürte, wie ich unwillkür lich errötete. Das Bild wirkte unerhört lebendig. In ihrem Haar blitzten etliche Sonnenpfeile, und die grünen Augen schienen den Beschauer förmlich zu verfolgen. Armand, so hieß der Maler, bemerkte meine Verwirrung und griff ohne Umstände nach einer halbgeleerten Flasche Rotwein, die zwischen seinen Malutensilien auf einem klapprigen Tisch chen stand. Er füllte ein farbenverschmiertes Glas mit einem dickflüssigen Rotwein. «Hübsch, daß Sie gekommen sind», mein
te er anerkennend. «Hier, trinken Sie einen Schluck, es ist ein echter Malvasier…» Ich gehorchte verwirrt und konnte meine Blicke noch immer nicht von dem Bild lösen. «Sie gefällt Ihnen?» erkundigte sich Armand mit einem selbstgefälligen Unterton. «Sie ist wunderschön», stimmte ich zu. «Aber – warum haben Sie sie so gemalt? Ich meine… so ohne alle Kleider?» Beinahe hätte ich mich an dem Malvasier verschluckt. Armand brach in ein belustigtes kleines Gelächter aus. «Weil, meine bezaubernde Naive, eine Frau nie schöner ist, als wenn sie sich all dieses überflüssigen Krams entledigt. Es gibt keinen reizvolleren Vorwurf für einen Maler als den Körper einer Frau, so wie er ist. Und sie…», seine Augen wiesen auf das Bild, «sie hat einen vollkommenen Körper.» «Wer ist sie? Eine Marquise?» wollte ich wissen. Gewiß, sie mußte eine ganz große Dame sein, ihr hochmütiges Gesicht verriet es deutlich. Armands Heiterkeit schien unbändig. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen, warf sich in einen knarrenden Schaukelstuhl und streckte die Arme nach mir aus. «Du bist köstlich, meine Kleine! Die gute Sylvaine würde sich freuen. Eine Marquise… o nein, mein Engel, sie ist keine Marquise und wird auch nie eine werden, aber sie ist eine der bezauberndsten Frauen in diesem ganzen verrotteten Paris. Mademoiselle Sylvaine Duval, von Beruf Schauspielerin, und eine der entzückendsten Göttin nen auf unserem heiteren Parnass…» Er betrachtete mich, als sähe er mich zum erstenmal. «Komm her, mein Engel!» Ich gehorchte zögernd. «Monsieur wollten mich malen… », mahnte ich ihn mit einer kleinen Schmollmiene, als er mich auf seinen Schoß zog. Er beugte sich vor, und ich mußte kichern, weil mich sein Bart kitzelte. Seine Hände waren sehr sanft, als sie in mein Mieder griffen. «Oh, Monsieur… Mon sieur dürfen das nicht tun!» wehrte ich ihm. Aber er lachte nur, und seine Hände umfaßten die Wölbung meiner Brüste. Ich spürte die Berührung bis in die Tiefen meines Herzens. Auf einmal war etwas in mir lebendig, ein Gefühl, für das ich keine
Erklärung finden konnte. Ich spürte meinen Körper wohlig müde und voll von einer schmelzenden Süßigkeit, spürte, wie kleine Flammen unter den Händen des Mannes aufzuckten, die noch immer zärtlich die vibrierenden Knospen meiner Brüste umspannt hielten. Unter dem sanften Druck der Finger sprangen meine Brustknospen hart und prall vor. Ich unterdrückte einen kleinen Aufschrei, als ich seine Lippen darauf fühlte. Er hielt mich auf seinem Schoß fest, und seine rechte Hand glitt unter meine Röcke, teilte den Stoff und wanderte weiter, dorthin, wo unter seiner Berührung ein Quell von unbeschreiblicher Süßigkeit aufbrach. Ich schlang meine Arme in einer unwillkürlichen Be wegung um seinen Hals und vergrub meine Lippen in seinem dichten braunen Haargelock. Der Griff seiner Hände wurde härter, gewalttätiger. Einen Augenblick lang hob er seinen Kopf von meinen Brüsten. Ich erschrak vor dem Glanz in seinen Augen. Dann schob er mich fast heftig von sich. «Komm, zieh dich aus!» Sein Atem ging hart. Ich zuckte zusammen. Plötzlich war meine Verwirrung wieder da. «Du meinst, so wie…» Meine Augen wiesen auf das Bild. Er nickte, und seine Hände nestelten schon an den Bändern meines Rockes. «Natürlich, du Närrchen. Ich werde dich malen! Es wird ein hübsches Bild werden, noch hübscher als ihres.» Er konnte es offensichtlich kaum erwarten und ruhte nicht eher, als bis ich splitternackt im flimmernden Sonnenlicht stand, das in einem breiten Streifen in das Atelier fiel. Ich fühlte, wie sich meine Nackenhärchen unter der warmen Berührung aufrich teten. Er öffnete mit ungeduldigen Händen meine Haarmähne und legte mir ein schwarzes Samtband mit einem hübschen ovalen Goldmedaillon um den Hals. «Wundervoll, mein Kätz chen!» meinte er zufrieden. «So werde ich dich malen. Ge schwind, setz dich hierher!» Er rückte mir einen Stuhl zurecht, den er zuvor mit einem verblichenen moosgrünen Tuch bedeckt hatte, und betrachtete mich kritisch von allen Seiten. «Nein, nicht so. Hier, das Licht muß von allen Seiten auf deine Brüste fallen, sie werden davon so köstlich durchsichtig. Man kann das Ge
flecht der Adern unter der Haut erkennen und dann… diese süßen Knospen, die so frisch und jung aussehen, frisch wie Rosenknospen im Morgentau…» Er lehnte Sylvaines Bild achtlos mit der Vorderseite gegen eine Wand und zog ein neues Stück Leinwand auf. Mit großen hastigen Strichen begann er meinen Körper zu skizzieren. Er schien förmlich besessen von seiner Arbeit, und lange Zeit war nichts zu hören als die hastigen Stri che auf der Leinwand, unsere Atemzüge und dazu das Brummen einer riesigen Fleischfliege, die mit uns in dem brütend heißen Raum eingeschlossen war. Armands Stirn war von unzähligen kleinen Schweißtröpfchen bedeckt, die er mit einem in allen Farben schimmernden Putzlappen wegwischte. Es sah sehr drollig aus, weil er etliche Farbkleckse auf seiner Stirn und am Ansatz seines Haares hinterließ. Ab und zu tat er einen hastigen Schluck aus der Flasche mit dem Malvasier. Ich wunderte mich im stillen, daß er sie nicht mit einer der anderen Flaschen auf dem Tischchen verwechselte, denn er sah nicht hin, wenn er danach griff. Es dauerte endlos, und ich spürte, wie mein Körper ganz steif wurde. Zu reden wagte ich nicht, die Besessenheit, die von ihm Besitz ergriffen hatte, ängstigte mich beinahe. Endlich ließ er den Pinsel sinken und kam zu mir herüber. Er umarmte mich über meinen Sessel hinweg. Ich fühlte mich wie ausgelöscht und merkwürdig schwach in den Beinen. «Du mußt morgen wiederkommen, hörst du? Es wird mein bestes Bild…!» flüsterte er und küßte mich am Ansatz meines Nackens. «Morgen kann ich nicht. Madame läßt mir keine Sekunde Zeit…» Sein Atem ging heftig an meiner Wange. «Du verschwendest deine Zeit. Ein Mädchen wie du spielt nicht den Küchentram pel… Du kannst Karriere machen, mein Kätzchen, kannst eine der gefeierten Schönheiten von Paris werden. Die Herzen der Männer werden dir zufliegen, und die Finanzgewaltigen von Paris werden wetteifern, dir ihren Reichtum zu Füßen zu legen.» Er sprach in gedämpftem Ton, und seine Hände hatten wieder
begonnen, mich zu liebkosen. Ich erschrak über mich selbst, als ich bemerkte, daß ich ihnen mit einer kleinen raschen Bewegung entgegenkam. Nach einer Weile kniete er sich vor meinen Stuhl, und dann spürte ich seine Lippen und seine Zunge von dem Haargekräusel am Ansatz meiner Schenkel aus tiefer gleiten. Einen Augenblick hob er den Kopf und sah mich mit merkwür dig fiebrig glänzenden Augen an. «Ah… du duftest nach Som mer, nach Leben!» Er zwang mich mit einer raschen Bewegung, meine Schenkel ein wenig mehr zu öffnen, und dann schmolz ich unter der Berührung seiner Lippen dahin. Ich bemerkte nicht, daß ich begonnen hatte, kleine spitze Schreie der Lust auszusto ßen. Meine Stimme war mir selber fremd, und meine Finger verkrampften sich unwillkürlich in seinem Haar, um ihn festzu halten. Dann, von einem Moment zum nächsten, kam er schwankend wieder auf die Beine und zog mich mit sich empor. «Komm her… ich muß dich haben!» Seine Stimme war nur ein rauhes Flüstern. Ich wußte, daß ich mich dagegen zur Wehr setzen mußte, daß dies der Augenblick war, vor dem mich alle gewarnt hatten. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Willig ließ ich mich auf die Ottomane im Hintergrund niederziehen. Es roch nach Staub und Terpentin, und Armand fegte mit einer ungeduldigen Bewegung etliche alte Kleidungsstücke zu Boden, ehe er sich seiner Hosen entledigte. Dann warf er sich in seiner ganzen Länge über mich. Ich stöhnte unter seinem Gewicht. Aber er ließ mir keine Zeit zu überlegen. «Ah, wie gut, wie gut du bist! Ich habe gewußt, daß es so sein würde», murmelte er, mit seinem Kopf zwischen meinen Brüsten. Er lag zwischen meinen Schen keln, und ich spürte durch die wogenden Schleier der halben Betäubung, die von mir Besitz ergriffen hatte, plötzlich ein dumpfes Gefühl der Angst in mir aufbrechen. Wenn er… o Gott, wenn er mir weh tat! Ich hatte etliches gehört, und sein dunkel gerötetes Gesicht mit den feuchtschimmernden Augen schien mir nun beinahe furcht erregend. Ich stieß einen kleinen Schrei aus, aber da lag schon
seine Hand dumpf und schwer auf meinem Mund, und dann… dann spürte ich, wie er mit einer einzigen kräftigen Bewegung von mir Besitz ergriff. Einen Augenblick lang empfand ich einen grellen, zerreißenden Schmerz, doch dann löschten all meine Überlegungen aus, ich warf meine Arme um seinen Nacken und zog ihn näher an mich heran. Durch die wogenden Schleier vor meinen Augen trieb ich einer Empfindung entgegen, wie ich sie bisher noch nie erlebt hatte… Die Liebe! Ich war der Liebe begegnet. Jedenfalls glaubte ich das, als ich Armand gelöst und friedlich neben mir auf der Otto mane ruhen sah. Er hatte einen Arm unter meinen Kopf gescho ben, und um seine hübschen, ein wenig aufgeworfenen Lippen spielte ein winziges Lächeln. Ich richtete mich auf. Es war ganz dämmrig geworden, und mein halbfertiges Gesicht auf der Lein wand versank in den blauen Schatten, die den Raum inzwischen erfüllten. Mich fröstelte unwillkürlich. Nachdenklich sah ich an meinem Körper hinunter. Nun war also geschehen, was eigent lich nicht hätte geschehen dürfen. Ich hatte dem zärtlichen Drängen dieses Mannes nachgegeben, der mir, im Grunde ge nommen, doch ein Fremder geblieben war. Er hatte meinen Körper genommen und ihn geöffnet… ich hatte mich stöhnen hören in seinen Armen. Wie würde es weitergehen? Vielleicht würde ich, nachdem dies geschehen war, ein Kind bekommen, so wie meine Mutter vor vielen Jahren. Ob Armand mich heiraten würde? Aber er liebte mich ja – dessen war ich sicher. Also würde er mir wohl bald einen Antrag machen. Madame Armand Prunier… Es klang nicht schlecht, und bestimmt würde er ein berühmter Maler werden und mit seinen Bildern eine Unmenge Geld verdienen. Wir würden eine hübsche kleine Wohnung zusammen haben, und seine Bilder würden in den Galerien der berühmtesten Kunsthändler Furore machen. Und wenn ich einmal in die Oper ging oder auf einen Ball, so würden die Leute die Köpfe zusammenstecken und flüstern: «Ah, da ist ja die schöne Madame Prunier. Ihr Gatte ist durch dieses Modell
berühmt geworden. Er hat sie immer wieder gemalt.» Ich lächelte verträumt, während ich daranging, mein Mieder zuzuschnüren. Armand regte sich im Halbschlaf und schlug dann die Augen auf. Ein heiteres Lächeln spielte um seine Zuge. «Ah, da bist du ja noch, mein Kätzchen. Ich glaubte schon, ich hätte geträumt. Komm her und gib mir einen Kuß, eh du fortgehst.» Er streckte die Arme nach mir aus, aber etwas in der lässig ver spielten Bewegung, mit der er es tat, irritierte mich. Ich kam zu ihm und drückte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. «Du mußt aufstehen, du Faulpelz», mahnte ich ihn. «Hast du mir nicht versprochen, daß wir irgendwohin zum Essen gehen würden? Ich habe einen Bärenhunger.» Er preßte mich einen Moment lang an sich, dann dehnte er sich und kam auf die Beine. «Ich sehe schon, du bist ein anspruchs volles Mädchen», feixte er und schnitt mir eine kleine Grimasse, während er sein Hemd wieder anzog. «Und ich bin ein armer Schlucker, der kaum je etwas Geld hat.» «Armand», unterbrach ich ihn heiter, «jetzt schwindelst du aber. Du hast doch diese herrlichen Bilder!» Ich wies in die Runde, wo noch ein gutes Dutzend fertiger Pruniers hingen. «Bestimmt sind sie ein Vermögen wert, wenn du sie verkaufst», versicherte ich ernsthaft. Aber er feixte schon wieder. «Ja, natürlich, das sind sie. Die Frage ist nur, ob sie jemand kauft. Die Leute in Paris sind sehr eigen in dieser Beziehung, mußt du wissen.» Ich spürte, wie sich etwas Kaltes auf mein Herz legte. «Armand, soll das heißen, daß du wirklich kein Geld hast?» fragte ich er schrocken. Er beobachtete mich aus zusammengekniffenen Augen. «Das heißt es wohl, mein Kätzchen. Kein Geld und keine Beziehun gen, um zu welchem zu kommen. Es sei denn», er legte den Kopf schief und musterte mich kritisch, «es sei denn, daß du mir vom Himmel geschickt bist.» «Armand, was soll das heißen?» Ich verstand ihn nun wirklich nicht mehr. Alles an ihm schien irgendwie verändert. Er war ganz Spannung und Aktion. Während er seine Hosen anzog und sein
verstrubbeltes Haar glattstrich, meinte er beiläufig: «Du hast recht, wir werden heute feiern. Ich kenne ein bezauberndes kleines Bistro, dort können wir zusammen eine Bouillabaisse essen, wie du sie dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kannst. Und nachher… nun nachher werden wir den angebro chenen Abend noch ein wenig genießen.» Er streckte seine Arme nach mir aus, und ich fühlte mich in diesem Augenblick viel zu schwach, um nicht mit all seinen Plänen einverstanden zu sein. Trotzdem hatte ich das undeutliche Gefühl, daß nicht alles zwischen uns so war, wie ich es eigentlich erwarten konnte. Die folgenden Tage vergingen wie im Traum. Ich fühlte mich völlig verwandelt. War ich in Armands Umar mung nicht eine andere geworden? Etliche Wochen darauf, an einem strahlend schönen Oktobertag, trat in meinem Leben eine entscheidende Wende ein. Ich arbeite te noch immer in Gastons Café, wenn ich auch jede freie Minute in Armands Atelier verbrachte. Ich hatte ihm mein bisher sorg sam gehütetes Beutelchen mit den Dukaten ausgehändigt, und er hatte es, halb gerührt und halb begierig, genommen. Wir hatten ein wundervolles Fest gefeiert, im Kreis seiner Freunde, hatten knusprige Hähnchen gegessen und etlichen Flaschen Champag ner den Hals gebrochen. Es war übrigens das erste Mal, daß ich Champagner trank, und ich hatte bald einen himmlischen kleinen Schwips, der mir die ganze Welt in einen rosenfarbenen Schleier hüllte. Ich bereute es in diesem Augenblick nicht, daß ich von zu Hause davongelaufen war. Ach, das Leben war herrlich, und es würde ohne Zweifel noch viel herrlicher werden, wenn Armand und ich erst… Aber wenn ich daranging, Zukunftspläne zu schmieden, versuchte er mich stets unter Lachen und Scherzen abzulenken. Und schließlich bemerkte ich, daß er außer auf mich seine Augen noch auf etliche andere hübsche Mädchen geworfen hatte. Er schien überhaupt ein rechter Windhund, wenn man ihn nüchtern betrachtete, und ich überlegte ernsthaft, wie ich es
anstellen konnte, um ihn, seinem inneren Widerstand zum Trotz, doch noch für mich zu gewinnen. An dem Tag, von dem ich erzählen will, war ich schon früh in sein Atelier gekommen. Ich hatte ihm geholfen, einigermaßen Ordnung zu schaffen, und er schien an diesem Morgen besonders unternehmungslustig. Seine samtbraunen Augen blitzten vor Vergnügen. Er stellte eine neue Flasche Malvasier bereit und holte zu meinem Erstaunen drei frische Gläser aus einem Wandkästchen, in dem er etliches an Geschirr und sonstigem Hausrat verwahrte. «Erwartest du Be such, Armand?» wollte ich wissen. Er pfiff durch die Zähne. «Lassen wir uns überraschen, Kätz chen. Vielleicht werde ich ein neues Bild von dir malen. Von dir und von noch jemand…» Er tat mächtig geheimnisvoll und war selbst durch meine Schmeicheleien nicht dazu zu bringen, mir zu verraten, was er eigentlich im Schilde führte. Gegen zehn endlich klopfte es an der Tür. Die flog auf, und in einer Wolke von Parfüm und der hübschesten Toilette, die ich je gesehen hatte, kam das Original jenes Bildes hereingewirbelt, das mich bei meinem ersten Besuch damals so entzückt hatte. Sie war in Wirk lichkeit beinahe noch hübscher. Ihr rötliches Haar trug sie in hundert neckischen Löckchen aufgesteckt, und in ihren Augen tanzten kleine schelmische Lichter. Sie kam ohne alle Umstände auf Armand zugeschwebt, gab ihm einen Kuß auf die Wange und drehte sich kokett um sich selbst. «Voilà, mon eher ami! Hier hast du mich also in Lebensgröße. Sag bloß, was soll dieser Einfall, mich so früh aus den Federn zu holen?» Armand haschte nach ihrer Hand und führte sie galant an die Lippen. Ich bemerkte, daß mich angesichts dieser Vertraulichkeit ein tiefes Unbehagen überkam. Denn wie sollte ich neben dieser leuchtenden Vision aus apfelgrüner Seide und lachendem Leben je bestehen können? Alles an ihr war wundervoll. Ihr Pfirsich teint, die übermütig leuchtenden Augen, die koketten Grübchen in ihren Wangen! Sie hatte ein herrliches Dekollete, das einen Mann wohl um den Verstand bringen konnte. Ich bemerkte auf einen Blick, daß diese Sylvaine genau die Frau war, die ich in
meinen kühnsten Träumen hatte sein wollen. Armand küßte sie auf den Ansatz ihres tiefenthüllten Busens. «Sylvaine, wie wun dervoll, dich wiederzusehen! Wirklich, Paris ist nur halb so schön, wenn du nicht da bist.» Sie lachte übermütig und gab ihm eins auf die Finger. «Du Schmeichler! Wenn ich dich nicht so genau kennte, würde ich dich für den galantesten Mann von Paris halten.» Sie wandte sich mir zu. «Ah, da haben wir also die kleine Schönheit, von der du mir erzählt hast.» Ein prüfender Blick wanderte meine Figur entlang, und ich fühlte, wie ich darunter unwillkürlich errötete. Ich versuchte einen linkischen kleinen Knicks. Sie faßte mit spitzen Fingern nach meinem Kinn und hob es in die Höhe, so daß ich sie ansehen mußte. «Ah, wirklich ganz reizend. Du hast mir nicht zuviel versprochen. Wie heißt du, mein Kind?» «Irene… Irene Boulanger, zu dienen, Euer Gnaden», stammelte ich verwirrt. Sie schien in eine unbändige Heiterkeit auszubrechen. «Euer Gnaden… hör dir das an! Wirklich, Armand, sie ist eine entzük kende kleine Schmeichlerin und tres, tres jolie. Wir werden sie diesem Ekel von einem Gaston ausspannen.» Sie wandte sich wieder an mich. «Was hieltest du davon, als meine… nun sagen wir, Kammerzofe zu mir zu kommen, mein Kind?» Ihre Kam merzofe? Ich fühlte mich ganz schwindlig vor Aufregung. Du lieber Himmel, konnte das ihr Ernst sein? Ich sollte mit diesem bezaubernden Geschöpf in einem Hause leben? Sicher würde ich ihr bald eine Menge jener Geheimnisse abschauen, denen sie ihren Erfolg bei den Männern verdankte. Ach, wenn ich nur je halb so anmutig und schön hätte sein können! Ich nahm all meinen Mut zusammen und versicherte ihr, daß ich sehr gern mit ihr kommen würde, daß ich aber – leider, leider – nur eine recht unzulängliche Zofe abgeben würde. Bei der Vorstellung, daß sie mich nun wohl nicht mehr würde haben wollen, wurde ich ganz traurig. Sicher würde ich in Gastons schmierige kleine Küche zurückkehren müssen. Aber Madame lächelte nur und meinte:
«Ach, das ist nicht weiter tragisch. Du wirst es schnell lernen, und ich bin sicher, wir werden bald Freundinnen sein.» Sie ließ sich mit einer graziösen Bewegung in Armands knar renden Schaukelstuhl fallen. «Hast du nichts zu trinken für mich, Armand?» Er beeilte sich, ihr ein Glas Malvasier zu reichen, und schenkte auch für sich und mich ein Glas voll. Armand war hinter sie getreten und legte seine Hand leicht auf ihre entblößte Schulter. So bewegte er behutsam den knarrenden Schaukelstuhl. «Ich werde ein Bild von euch beiden malen. Ihr werdet wundervoll sein, wie zwei Schwestern…» Sylvaine wandte den Kopf ein wenig. «Bloß ein Jammer, daß ich die ältere Schwester sein werde», sagte sie lächelnd. Er beugte sich über sie. «Wie sollte sich die voll erblühte Rose beklagen, daß sie keine Knospe mehr ist?» Ich fühlte eine jähe Röte in mein Gesicht steigen. Was konnte ich für Armand be deuten neben dieser strahlenden Schönheit, die es so offensicht lich darauf angelegt hatte, ihn zu verwirren. Er lachte und schenkte die Gläser aufs neue voll. «Auf unser Glück!» Die Gläser klangen harmonisch zusammen. Über Sylvai nes Gesicht zog ein Schatten. «Hast du etwas von Stani gehört?» erkundigte sie sich und ihre Stimme klang gespannt. «Du meinst Stanislas Breffer? Du lieber Himmel, Sylvaine, du bist doch nicht etwa immer noch in ihn verliebt?» Sie lachte, aber ihre Augen taten nicht mit. «In Stani? Du weißt, er ist ein merkwürdiger Mensch. Ich mache mir allmählich Sor gen um ihn. Er ist seit einer Woche nicht mehr aufgetaucht. Hoffentlich hat er keine Schwierigkeiten. Du kennst ja seine revolutionären Ideen.» Armand zuckte die Achseln. «Man könnte Elvira fragen. Möglich, daß er gelegentlich mit ihr eine Nacht verbringt.» Sylvaines Gesicht verzog sich zu einer kleinen Grimasse. «Ja, ich weiß. Und ich kann nicht sagen, daß ich seinen Geschmack in dieser Hinsicht billige. Sie ist eine kleine Nutte.»
Armand grinste. «Aber doch recht hübsch, meine reizende Ei fersüchtige.» Sylvaine versetzte dem Schaukelstuhl einen kleinen Stoß, daß er sich knarrend in Bewegung setzte. «Ich bin nicht eifersüchtig, nicht auf Elvira, und nicht, soweit es Stanislas Breffer betrifft. Ich mag den Jungen, das ist aber auch alles. Und ich mache mir Gedanken seinetwegen.» Ich kam mir während dieses Gesprächs einigermaßen verloren vor. Es schwang so viel Vertraulichkeit zwischen den beiden, eine Vertraulichkeit, von der ich ausgeschlossen war. Von einem Moment zürn nächsten wurde ich mir des Irrtums bewußt, in den mich meine Liebe zu Armand geführt hatte. Er liebte mich nicht, ich war für ihn nur eine hübsche Frau unter vielen. Vielleicht, daß er einmal Sylvaine geliebt hatte – aber nein, ich glaubte es nicht. Armand Prunier war durchaus die Sorte Mann, die nur in sich selbst verliebt war. Ich haßte ihn in diesem Augenblick beinahe, und gleichzeitig bemerkte ich eine verzehrende Neu gierde in mir. Ich wollte teilhaben an diesem in allen Facetten schimmernden Leben, das die schöne Sylvaine in ihrer Person zu verkörpern schien. Am nächsten Tag übersiedelte ich in ihr Haus in der Avenue Foch. Es war eine kleine gelbe Villa mit einer hübschen Säulen fassade und einem Vorgarten, in dem noch die Rosen blühten. Ich war tief beeindruckt, als mich Madames Haushälterin in mein Zimmer führte. Es lag erstaunlicherweise nicht wie die Räum lichkeiten der übrigen Dienstboten – außer der Haushälterin gab es noch ein Mädchen und einen Kutscher, der gleichzeitig als Gärtner fungierte – unter dem Dach, sondern ganz in der Nähe von Madames Boudoir in der Belle Etage. Von dem großen Fenster aus hatte man einen wundervollen Ausblick auf den Garten der Tuilerien, und die Möbel waren so luxuriös, wie ich sie noch niemals in meinem Leben gesehen hatte. Das Bett, das die ganze Breite eines Alkovens ausfüllte, hatte hübsche Vorhän
ge aus lichtgrünem Brokat und sah unerhört bequem aus. Der Schrank, der meine wenigen Habseligkeiten aufnehmen sollte – ich empfand meine Armut in diesem Augenblick als wirklich beschämend – war geräumig genug, um den Trousseau einer richtigen Dame aufzunehmen. Und die übrigen Möbel in diesem Raum! Die zierlichen, mit grüngestreiftem Brokat bezogenen Stühle, das verschnörkelte Tischchen, der kunstvoll gerahmte Spiegel, und gar noch der schwellende Teppich, in den meine Füße versanken. Ich wußte gar nicht, was ich zu all diesen Herr lichkeiten sagen sollte. «Aber Madame», stammelte ich ganz verlegen, als mir die Haushälterin bedeutete, ich möge meine wenigen Habseligkeiten in dem Schrank verstauen, «Sie müssen sich irren! Dies kann doch unmöglich mein Zimmer sein.» Die Frau lächelte auf eine merkwürdige Art. Sie entblößte gerade die Spitzen ihrer Zähne. «Nennen Sie mich nicht Madame, mein Kind. Ich bin Lisette, und ich irre mich niemals. Madame hat angeordnet, daß Sie dieses Zimmer bekommen. Madame wird schon wissen, warum, denke ich mir. Und nun beeilen Sie sich, meine Kleine. Madame Sylvaine erwartet Sie nachher in ihrem Boudoir.» Sie schloß behutsam die Tür und ließ mich allein mit meinem Erstaunen. Da stand ich also inmitten all dieser Herrlichkeiten und wußte nicht recht, wohin mit mir. Ich beeilte mich, meine wenigen Sachen in dem Schrank zu verstauen, und dann trödelte ich eine Weile vor dem Spiegel. So einen herrlichen, großen Spiegel hatte ich noch niemals gesehen. Er zeigte mich in voller Lebensgröße, und ich mußte zugeben, daß ich wirklich recht hübsch aussah in meinem bunt gestreiften Röckchen und dem moosgrünen Mieder, das die Linien meines prallen Busens so straff nachzeichnete. Ich strich mir eilfertig etliche Haarsträhnen aus dem Gesicht, und dann beeilte ich mich, in Madames Bou doir zu kommen. Sie lag noch im Bett, obwohl es schon hoher Vormittag war, und sah wundervoll aus. Ihr Haar trug sie offen wie einen Mantel um ihre Schultern, und das türkisgrüne hauchzarte Neglige, das
sie trug, war über der Brust geöffnet. Ich konnte deutlich die milchweißen Kuppen ihrer Brüste unter dem dünnen Stoff er kennen. Ich blieb nahe dem Eingang stehen und knickste verle gen. Madame war mit einem ganzen Stapel Post beschäftigt und warf die Briefe, die sie gerade gelesen hatte, achtlos neben sich auf den Boden. Sie betrachtete mich mit einem merkwürdigen Ausdruck. «Ah, da bist du ja, meine Kleine. Komm her! Laß dich anschauen!» Ich trat gehorsam etliche Schritte näher, und sie musterte mich kritisch von allen Seiten. «Wirklich recht hübsch! Wir müssen zusehen, daß du nachher etliche Kleider bekommst, die zu dir passen. In dieser Tracht kannst du nicht auf die Dauer herumlaufen», meinte sie dann. «Du kannst mir nachher beim Bad helfen. Lisette hat schon alles vorbereitet.» Sie ließ achtlos das letzte Stück ihrer Post zu Boden gleiten und schlug ihre seidene Decke zurück. Das Neglige, das sie trug, war so dünn, daß man jede Linie ihres Körpers darunter erkennen konnte. Sie war wirklich sehr hübsch, wenn sie mir heute auch lange nicht so strahlend erschien wie in Armands Atelier. Wenn sie sich beweg te, bemerkte man, daß sie nicht mehr ganz so jung war, wie sie sich offensichtlich fühlte. Sie hatte etwas zu üppige Hüften, und die Linie ihrer vollen Brüste begann sich schon ein wenig zu senken. Ich folgte ihr auf einen Wink nach nebenan in das Bade kabinett. Lisette hatte schon das Wasser in die große, kunstvoll emaillierte Badewanne gefüllt, es dampfte und roch köstlich nach irgendeinem exotischen Parfüm. Madame ließ mit einer nachläs sigen Bewegung ihr Neglige fallen und stand nun splitternackt vor mir. Ich bewunderte sie insgeheim. Sie bewegte sich so selbstverständlich, als ob sie in großer Toilette wäre. Mit einem Seufzer des Behagens ließ sie sich in das dampfende Naß gleiten. «Du kannst mir den Rücken schrubben, Rinette», meinte sie und wies auf eine Stielbürste. Ich beeilte mich, ihrem Befehl nachzu kommen, und rieb sie mit einer duftenden Seife ab. Sie schien die Berührung meiner Hände zu genießen, denn sie kam mir mit einem kleinen Seufzer des Behagens entgegen. «Ah, das tut gut, Rinette!»
Es dauerte eine Weile, bis sie sich entschloß, die Wanne zu ver lassen. Tropfnaß und fröstelnd stand sie vor dem wandgroßen Spiegel, der die Stirnseite des Raumes beherrschte, und betrach tete sich kritisch von allen Seiten. Sie war wirklich sehr hübsch. Ihre Haut schimmerte nach dem dampfenden Bad rosig, und die Wassertropfen darauf glitzerten wie Tautropfen. Sie mußte meine bewundernden Blicke bemerkt haben, denn sie wandte sich mir rasch wieder zu. «Schnell, gib mir das Badetuch, du sollst mich trockenreiben», sagte sie, und ihre Stimme klang ein wenig anders als sonst. Ich half ihr also, sich in das große mollige Badetuch zu hüllen, und begann, sie damit trockenzureiben. Es war ein merkwürdiges Gefühl für mich, ihren weichen warmen Körper durch das Tuch hindurch unter meinen Händen zu fühlen. Ich weiß nicht mehr, wie es schließlich geschah, daß wir einander in den Armen lagen. Ich fühlte mich halb betäubt von Sylvaines duftender Nähe und beinahe erstickt unter ihren Küssen, die auf meine Augen, meine Lippen, meinen Hals, meine Brüste niederregneten. Sie ruhte nicht eher, als bis ich gleich ihr entblößt war. Ich begriff in die sem Augenblick, daß es nicht die Dienste einer Zofe waren, die sie von mir erwartete. Es kam, wie es nicht anders zu erwarten war. Wir wurden zärtli che Freundinnen, die alles miteinander teilten, auch die Männer, die Sylvaine bewundernd zu Füßen lagen. Mit einer Ausnahme natürlich: für Monsieur Romain war und blieb ich das kleine Kammerkätzchen, das keine andere Aufgabe hatte, als dafür zu sorgen, daß ihre Herrin stets frisch und reizend aussah. Monsieur Romain war der Kavalier, der Madame aushielt. Es bedurfte keines besonderen Scharfsinns, um herauszufinden, daß Mada me, die allerdings dreimal wöchentlich im Théâtre Gâmin auftrat, ihren aufwendigen Lebensstil mehr dem Aktienkapital von Mon sieur verdankte, der im übrigen verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen war.
Ich persönlich mochte Monsieur Romain nicht besonders. Er war klein, kahlköpfig und hatte unstet glitzernde Augen. Alles in allem war er ganz und gar nicht die Sorte Mann, die ich zu schät zen wußte. Madame betrog ihren zahlenden Liebhaber, soweit ich es feststellen konnte, nach Strich und Faden. Sie sonnte sich in der Bewunderung ihrer Galane, die sich in Aufmerksamkeiten für die schöne Sylvaine überboten. Vor allem in den Vormittagen nach ihren Auftritten häuften sich im Salon kostbare Blumenar rangements, die als besondere Attraktion nicht selten ein wertvol les Schmuckstück enthielten. Sylvaine, die eine Unmenge an Schmuck besaß, machte sich einen Spaß daraus, diese Aufmerk samkeiten ein, zwei Tage lang zu tragen und sie mir dann zu schenken. Als ich etwa acht Wochen in ihren «Diensten» war, hatte ich schon eine ganz ansehnliche Ausstattung, um die mich die Mädchen aus meinem Dorf ohne Zweifel glühend beneidet hätten. Erstaunlicherweise hatte meine Verliebtheit für Armand in die sen Wochen beträchtlich nachgelassen, und das war nicht nur Sylvaines zärtlicher Leidenschaft zuzuschreiben, sondern noch viel mehr dem Umstand, daß ich, beinahe ohne mein Zutun, mehr und mehr in den Sog ihrer Bewunderer geriet. Sylvaines Anbeter waren fast durchwegs charmante junge Leute, deren körperliche Vorzüge jene von Armand zuweilen in den Schatten stellten. Dazu kam, ich hatte ziemlich bald herausgefunden, daß der liebenswürdige Monsieur Prunier ein recht skrupelloser Blender war, der seine unzweifelhafte Begabung mit Vorliebe dafür verwendete, sich hübsche Mädchen zu angeln, die er dann nicht selten an den oder jenen seiner zahlungskräftigen Interes senten vermittelte. Er hatte ursprünglich wohl auch mit mir diese Absicht gehabt, aber Sylvaine war ihm irgendwie dazwischenge kommen. Sie hatte mein Bild gesehen und sich, wie sie mir später gestand, vom ersten Augenblick zu mir hingezogen gefühlt. So hatte sie Armand vorgeschlagen, er möge mich mit ihr in Verbindung bringen, und der gute Armand hatte das, gegen eine entspre
chende Entschädigung natürlich, nur zu gerne getan. Immerhin, ich verdankte ihm das Erwachen meines Körpers, den ich unter Sylvaines zärtlichen Händen nun mehr und mehr aufblühen sah. Ich glaube, ich bin in diesen Monaten meines ersten Winters in Paris wie auf Wolken von einem Fest zum andern geschwebt. Sylvaine war eine blendende Gesellschaftskönigin, und sie verstand es, ihre Bewunderer durch immer neue gewagte Einfälle in Atem zu halten. Ich erinnere mich an eine Dinnergesellschaft, die sie für Monsieur und ihre anderen Freunde und deren Mä tressen gab. Dieses Fest, bei dem eine Unmenge Champagner getrunken und die köstlichsten Gerichte serviert wurden (Lisette war eine wahre Zauberin des Kochlöffels), fand um Mitternacht seinen Höhepunkt, als sich Madame splitternackt und nur mit etlichen Blütengirlanden umkränzt von fünf scharlachrot livrier ten Pagen, die eigens zu diesem Zweck gemietet worden waren, auf einer riesigen silbernen Platte selbst servieren ließ. Ihre Freunde klatschten begeistert Beifall, als sie sich graziös von der Platte erhob und auf Monsieur zuschwebte, um mit ihm den Tanz zu eröffnen. Die beiden waren wirklich ein komisches Paar. Sylvaines perlmutterschimmernde Nacktheit nahm sich neben diesem kurzbeinigen Faun im korrekten schwarzen Din nerjackett reichlich deplaciert aus. Das Fest wurde übrigens ein großer Erfolg, und wochenlang wurde von nichts anderem als den Gewagtheiten der schönen Sylvaine gesprochen. Im übrigen genossen wir jeden dieser herrlichen, glasklaren Wintertage. Wir standen spät auf – zumeist schlief ich in Mada mes nach Soir de Paris duftendem Spitzenbett –, und während ich ihr bei ihrer Toilette half, verbrachten wir unsere Zeit damit, uns über die Torheiten ihrer Verehrer – von denen einige schon anfingen, meine Verehrer zu werden – lustig zu machen. Vor allem die Post, die sie in überreichem Maß empfing, forderte ihre Spottlust immer wieder heraus. Sie hatte wirklich etliches schau spielerisches Talent, ich merkte es an der Art, wie sie ihre Kava liere imitierte. An schönen Tagen fuhren wir gegen Mittag zu meist in den Bois de Boulogne, der der Treffpunkt der eleganten
Gesellschaft schlechthin war. Monsieur hatte seiner Mätresse einen wundervollen Schlitten mit einem ausgezeichneten Renner zu Weihnachten verehrt, und Madame liebte es sehr, in warme Felldecken gehüllt, dieses leichte Gefährt die verschneiten Alleen des Bois entlang zu lenken. Sie war voll von sprühendem Über mut und ruhte nicht eher, als bis sich ein ganzer Schwarm von Bewunderern um sie gesammelt hatte. Sie bestand übrigens darauf, daß ich Schlittschuhlaufen lernte, eine Kunst, die sie mit großer Anmut beherrschte. Ich fühlte mich reichlich unsicher, als ich meine ersten Schritte auf der spiegelnden Fläche des zugefrorenen Teiches machte, aber Ma dame lachte mich aus. «Achte nur darauf», sagte sie mit blitzen den Augen, «daß du möglichst graziös fällst, wenn es schon sein muß. Glaube mir, die Männer wissen nichts mehr zu schätzen, als ein Mädchen, das ihnen auf geschickte Weise ihre heimlichen Schätze enthüllt. Die Guten sind verrückt nach einem Stückchen Spitzenrüsche von deinen Jupons, und wenn sie gar etwas von deinem rosigen Fleisch erhaschen – ui, da gibt es kein Halten mehr. Du weißt ja, wie toll sie es neulich in der Vorstellung der Rigolboche getrieben haben. Diese gerissene kleine Dirne braucht nur ihre Beine hoch genug zu werfen, und schon spielen etliche Hundert dieser Narren verrückt, nur um einen Blick auf ihre Spitzenhöschen zu erhaschen. Beinahe hätten sie dem armen Direktor Durant die gesamte Theaterdekoration verdorben. Sie haben das kleine Biest, das keinen einzigen ordentlichen Tanz schritt kann, auf den Schultern von der Bühne getragen. Und da sage mir noch einer, daß die Männer nicht verrückt sind!» Ich hatte ziemlich bald herausgefunden, daß Madame eigentlich keine Männerfreundin war. Im Grund verachtete sie die meisten Männer in ihrem Umkreis, und zumeist nützte sie die Macht, die ihre Schönheit ihr verlieh, in einer recht herzlosen Weise aus. Selbst Monsieur Romain, dem sie doch ihr herrliches Leben verdankte, war da keine Ausnahme. Im Gegenteil, ich hatte hin und wieder den Verdacht, daß sie den Mann beinahe haßte. Das Verhältnis dieser beiden zueinander war überhaupt einigermaßen
undurchsichtig. Denn Monsieur war, soweit ich es verstehen konnte, keineswegs der Typ eines leidenschaftlichen Liebhabers. Wenn ich die beiden zusammen sah, was etliche Male in der Woche der Fall war, so begegneten sie einander mit jener unter kühlten Höflichkeit, die ich später an vielen Ehepaaren der soge nannten guten Gesellschaft beobachtet habe. Sylvaine gestand mir bei mehr als einer Gelegenheit, daß sie ihren Dicken kurz hielt. «Wenn du es als Frau zu etwas bringen willst, ma petite», versicherte sie mir, «dann mußt du die Männer zappeln lassen. Glaube mir, je schlechter du einen Mann behandelst, desto dank barer wird er sich für die spärlichen Gunstbeweise zeigen, zu denen du dich bereit findest. Die Männer vertragen es nun ein mal nicht anders, und die, die dich dafür bezahlen, sind die aller schlimmsten.» Ich konnte ihr in diesem Punkt nicht ganz bei pflichten. Denn Waren die Männer, in deren Gesellschaft wir uns ständig bewegten, im Grunde genommen nicht äußerst liebens würdige Geschöpfe? Und was wäre unser Leben ohne ihre Be wunderung, ihre Anbetung und ohne ihre Komplimente, ohne ihre verstohlenen Zärtlichkeiten und offen bewiesene Aufmerk samkeiten? Nein, ich fand ganz und gar nicht, daß die Männer jene bösartigen Ungeheuer waren, als die Sylvaine sie manchmal hinzustellen pflegte. Inmitten eines tollen Wirbels von Festlichkeiten und ausgelasse nen Gesellschaften, bei denen Sylvaine als ungekrönte Königin auftrat, lernte ich schließlich Stanislas Breffer kennen, den Mann, der in des Wortes wahrstem Sinne mein Schicksal werden sollte. Wenn ich heute an jene erste Begegnung mit Stani, meinem noch immer über alles geliebten Gatten, zurückdenke, überkommt mich stets von neuem ein süßer Schauer des Glücks. Mein Herz flog ihm gleich bei der ersten Begegnung zu, und ich bemerkte nicht ohne Entzücken, daß auch er ganz offensichtlich Gefallen an mir fand. Doch ich greife den Ereignissen voraus. Monsieur Breffer war ein großer, schlank gewachsener Mann mit einem
markant geschnittenen Gesicht – spöttisch blitzenden dunklen Kateraugen, einer scharf vorspringenden Nase und scharf ge schnittenen Lippen, um die häufig ein etwas ironisches Lächeln hing. Madame hatte mir gesagt, daß er von Geburt Pole sei, einer jener zahlreichen Exilpolen, die seit den neuesten Wirren um die polnische Hauptstadt nach Paris gekommen waren, um hier zu leben und nicht selten auch um ihren revolutionären Ideen nach zueifern. Erstaunlicherweise habe ich gefunden, daß die meisten Polen im Grunde genommen fanatische Patrioten waren, die nichts sehnlicher wünschten, als durch einen Umstoß ihres Re gimes ihre Heimat aus der Abhängigkeit des Zaren zu lösen. Es waren sehr berühmte Leute darunter, wie dieser Monsieur Frede ric Chopin, der in den Salons der Pariser Gesellschaft ebenso Furore machte wie in den Konzertsälen. Madame hatte mich einmal in eines seiner Konzerte mitgenommen, und dort war es auch, daß ich mit Stani näher in Kontakt gekommen bin. Ich muß übrigens gestehen, daß ich von Chopin tief beeindruckt gewesen bin. Sein schönes, blasses Gesicht – das Gesicht eines leidenden Engels – hatte es mir ebenso angetan wie die aus drucksvollen Hände, die wie in einem magischen Tanz über die Tasten seines Instruments glitten. Von seiner Musik habe ich allerdings kaum etwas verstanden, weil meine Aufmerksamkeit bald völlig von Stanislas Breffer in Anspruch genommen wurde, der zwischen Madame und mir saß und mit einer völlig undeut baren Miene vor sich hinstarrte. «Hat es Ihnen nicht gefallen?» fragte ich beinahe erschrocken, als ich bemerkte, daß er nicht applaudierte. Ein melancholischer Schatten zog über sein Ge sicht. «Der Mann ist ein großer Künstler», sagte er leise und neigte sich zu mir. «Aber sein Spiel macht mich traurig. Es ist der Schatten des Todes, der hinter ihm steht. Und das Wissen um die Ausweglosigkeit des Lebens. Sehen Sie nur, meine Schöne, dieser Mann verkörpert alles, was in unserer Zeit leidenschaftlich und groß ist, aber er wird an der Intensität seiner Gefühle zugrunde gehen. Es ist keine Zeit für echte Gefühle…» Ich spürte seine Blicke auf meinem Busen fast wie eine körperliche Liebkosung.
«Aber Monsieur… wie können Sie so etwas sagen?» protestierte ich verwirrt. Im nächsten Augenblick zuckte ich zusammen, weil ich seine Lippen flüchtig auf dem Ansatz meines Nackens fühlte. «Machen Sie sich keine Gedanken, Sie reizendes Kind», sagte er in verändertem Ton. «Diese Gefühle wenigstens sind immer echt.» Etwas an der Art, wie er es sagte, irritierte mich. Etliche Tage später – Madame war an diesem Nachmittag mit Monsieur Romain ausgefahren – brachte mir das Hausmädchen seine Karte. Ich spürte, wie sich etwas in mir vor freudiger Erwartung verkrampfte. Doch sagte ich abweisend: «Warum haben Sie ihm nicht gesagt, daß Madame ausgefahren ist?» «Monsieur hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt, Mademoisel le…» Nach mir! So hatte ich mich nicht getäuscht, und ich hatte ihm wirklich Eindruck gemacht «Es ist gut», sagte ich mit Würde, «führen Sie ihn in den Salon. Ich werde gleich da sein.» Ich flog zu meinem Spiegel und betrachtete mich kritisch. Das Kleid… nun ja, es war ein entzückendes Kleid aus rosefarbenem Voile mit einer modisch tiefen Taille und einer hübschen kleinen Tournüre. Ich sah richtig damenhaft aus darin. Nun noch schnell ein paar widerspenstige Löckchen zurechtgezupft und etwas von dem teuren Parfüm, das Madame mir neulich geschenkt hatte! Am liebsten wäre ich die Treppe hinuntergeflogen, aber ich beherrschte mich. Ich glaube, es muß ungeheuer gespreizt ausge sehen haben, als ich den Salon, ganz damenhafte Würde, betrat und meinem Besucher die Hand zum Kuß reichte, wie ich es bei Madame unzählige Male gesehen hatte. «Monsieur Breffer, was für eine Überraschung!» In seinem trotz der frühen Jahreszeit gebräunten Gesicht zuckte ein köstliches kleines Lächeln auf. «Seien Sie ehrlich, Mademoiselle: ist es wirklich eine Überra schung für Sie?» Seine dunklen Augen musterten mich unternehmungslustig. «Und wie reizend Sie sich für mich gemacht haben! Darf ich daraus schließen, daß mein Besuch Ihnen willkommen ist?»
«Ja natürlich… warum sollte er nicht? Ich bin immer erfreut, einem Freund Madames gefällig zu sein.» Er nahm ohne alle Umstände meinen Arm und küßte mich in die Beuge des Ellbo gens. «Was für eine reizende kleine Heuchlerin Sie sind. Warum bleiben Sie nicht bei der Wahrheit?» murmelte er und sah mich mit einem Ausdruck an, der etwas in mir zum Überströmen brachte. Kraftlos ließ ich mein Gesicht gegen den rauhen Stoff seines Jacketts sinken. «Warum sind Sie gekommen, Stanislas?» Im nächsten Moment fühlte ich, wie sich seine Arme um mich schlossen. «Als ob du das nicht selbst wüßtest», sagte er leise, und sein Gesicht war dicht über dem meinen. Dann spürte ich mich unter der warmen, leidenschaftlichen Berührung seiner Lippen ertrinken… Die nächste halbe Stunde ist in meiner Erinnerung für immer unter einem rosenfarbenen Nebel verborgen, nie, sooft ich auch daran denken mag, wird es mir möglich sein, jene Empfindungen in Worte zu fassen, die bei jenem ersten Mal in Stanis Armen mein Bewußtsein auslöschen ließen. Alles, was zuvor gewesen war, hatte von diesem Moment an keine Bedeu tung. Er begann meine Brüste zu streicheln. Seine Finger be schrieben kleine Kreise um die aufquellenden Brustwarzen. Ich zitterte immer mehr, und mich überströmte starkes Verlangen nach ihm. Auch er wurde heftiger. Er zog meine Beine auseinander, nun nicht mehr der zärtliche Liebhaber, sondern der aufgebrachte Mann, entschlossen, das zu bekommen, was ihm zustand. Er packte meine Knie und zwang sie nach oben, auf meinen Körper zu, so daß mein dunkles Haarbüschel und die feuchten Buchten darunter völlig entblößt waren. Dann spreizte auch er seine Schenkel, bis sie eine Art «V» bilde ten, und vor meinen entzückten Blicken erstreckte sich sein herrliches, zuckendes Liebesorgan. Damit wollte er mich angrei fen, die Festung erobern, die bereits heiß und naß auf den ersten Sturm wartete. «Komm», stöhnte ich, aber da war er schon auf und in mir. Der herrliche, große Speer bahnte sich seinen Pfad. Der Angriff war so heftig, daß ich vor Lust tief stöhnte und
meinen Körper ihm entgegenwarf. Mein Kopf flog hin und her. Meine Hände krallten sich in unaussprechlicher Lust in seinen Rücken, während er mein hüpfendes Hinterteil umkrallte und mich noch fester auf seinen Speer preßte. «Gut so, Liebes, stoß fest nach oben, je tiefer, je besser.» Ich hörte seine Worte kaum. Mein Blut rauschte in meinen Ohren. Ich war nur noch im Rhythmus unserer Bewegung. «So ist’s herrlich – so machst du’s gut», keuchte er. «Du hast’s raus, mich verrückt zu machen. Ich wußte es, nur du machst es mir richtig. Aber jetzt mach mich fertig! Gib’s mir! Feste! Feste!» Er schrie es, seine Stimme klang heiser und rauh vor Lust, und ich beschleunigte meine Stöße noch mehr. «Jetzt! Jetzt!» gellte seine Stimme. Ich hob meine Hüften und stemmte mich ihm mit einem letzten Stoß entgegen, um seinen Springbrunnen zu öffnen. Aber in diesem Augenblick durch zuckte auch mich ein starker Liebeskrampf, und wahnsinnige Wonne durchfluteten mich. Strömender Liebessaft aus meiner Muschi dankte dem starken Speer für seinen Liebesdienst… Sein Stöhnen, unsere Nässe, die Stille, alles hüllte uns ein. Es war ein herrliches Gefühl… Erst nach einer Weile bemerkte ich, daß er mich ansah. Stani betrachtete mich mit einem ganz merkwürdi gen Ausdruck. Die kleinen spöttischen Lichter in seinen Augen waren erloschen, und ich bemerkte, daß sein Gesicht beinahe traurig wirkte. Zögernd hob ich meine Hand und strich zart die Linien entlang, die an seinem Mundwinkel abwärts führten. «Stani, mein Liebster…» Ich brachte nur ein rauhes Flüstern zustande. Er lächelte, und seine Lippen berührten den Ansatz meiner Brüste. «Du bist sehr süß, mein Engel», sagte er leise. «Wir werden sehr glücklich sein miteinander.» «Aber Sylvaine?» wandte ich ein. Nicht weil es in diesem Au genblick von Bedeutung gewesen wäre, was Sylvaine denken oder tun mochte, sondern vielmehr, weil ich von ihm hören wollte, daß es keine Bedeutung hatte. Er lächelte an mir vorbei. Seine Hand berührte wie zufällig eine meiner Brüste, deren Knospe sich in atemloser Verzückung auflichtete. «Sylvaine ist eine gute
Freundin», sagte er nachdenklich, «aber ich habe sie nie geliebt. Sie hat einen wundervollen Körper, aber sie ist spröde wie Glas. Ich zweifle manchmal daran, daß sie eine richtige Frau ist. Du… du bist anders. Als ich dich vorhin in meinen Armen hielt, habe ich deutlich gespürt, was es für dich bedeutete. Du bist keine Schauspielerin, mein Schatz, jedenfalls nicht in diesem Punkt. Du bist so echt, wie eine Frau nur sein kann.» Ich begriff, daß dies ein großes Kompliment war. «Oh, Stani», sagte ich und verbarg mein Gesicht in dem rauhen Haargekräusel an seiner Brust. «Ich kann gar nicht anders als dich lieben. Mir ist, als hätte ich mein ganzes bisheriges Leben nur daraufgewartet.» Die kleinen Lichter des Triumphs in seinen Augen machten mich glücklich. Er sah nachdenklich auf mich herunter. «Wir werden zusammenbleiben, sag? Du wirst mir immer gehören?» forschte er drängend. Ich spürte meine Lider unter der Glut seines Blickes flattern. «Immer, solange du es willst. Und ich fürchte, selbst gegen deinen Willen müßte ich an dir festhalten. Ich… ich komme mir ganz verändert vor. Ich weiß gar nicht mehr, wie das Leben war, ehe ich dich gekannt habe.» Seine Hände umfaßten behutsam die Kuppen meiner Brüste. «Du kleine Romantikerin! Sicher wirst du eines Tages erkennen, daß du dich getäuscht hast. Aber bis dahin, hörst du, bis dahin wollen wir so glücklich sein wie zwei Diebe, die sich ihres verbo tenen Glückes freuen!» Als er mich gegen Abend schließlich verließ, kam ich mir ganz verloren vor. Ich wußte, was immer geschehen mochte, von nun an würde mein ganzes Leben nur noch ein einziges Warten auf jene köstlichen Augenblicke sein, da ich mich in Stanis Armen erneut dahinschmelzen fühlte. Sylvaine wäre nicht die Frau gewesen, die sie war, wenn sie nicht bald erkannt hätte, daß ich verändert war. Ich bemerkte, daß sie mich manchmal aus forschenden Augen betrachtete. Stani kam jetzt sehr häufig und machte Sylvaine auf seine nach lässig liebenswürdige Art den Hof, während er mich in ihrer
Gegenwart kaum beachtete, so daß ich manchmal ganz niederge schlagen war. Aber kaum waren wir einen Augenblick allein, so versengte er mich mit seinen Blicken, seinen Liebkosungen, seinen Küssen. Es wurde Frühling, und der Bois de Boulogne erwachte zu ei nem zauberhaften Leben. Die Forsythiensträucher zu beiden Seiten der Alleen leuchteten wie goldene Feuer, und die Luft unter den knospenden Bäumen war von dem süßen Flöten der Amseln erfüllt. Sylvaine schmiedete Pläne für ihre bevorstehende Reise nach Deauville. Monsieur Romain hatte die Absicht, in dem feudalen Badeort eine vierzehntägige Kur zu verbringen, und bestand darauf, daß Sylvaine ihn begleitete. Er schien in den letzten Wochen auf eine beunruhigende Weise verändert. Zwar verwöhnte er Sylvaine nach wie vor, aber es war ihm doch deut lich anzusehen, daß ihn etwas bedrückte. Er war nervös und zerfahren, und manchmal starrte er mit einem beinahe furchter regenden Ausdruck vor sich hin. Zwei Tage vor der geplanten Reise nach Deauville – Madames Trousseau war bereits gepackt und ein Eisenbahnabteil reserviert worden – passierte es dann. Seltsamerweise war es Stani, der ihr die Hiobsbotschaft brachte. Er kam an einem Vormittag, ziemlich früh, ohne alle Formalitä ten in Madames Schlafzimmer gestürmt. Sie war gerade mit ihrer Post beschäftigt und lag noch im Bett. Sie musterte ihren unge betenen Gast mit ärgerlicher Verblüffung. «Stani, was um alles in der Welt führt dich hierher?» fragte sie mißbilligend. «Schließlich kannst du nicht einfach hier eindringen. Du wirst eine schwer wiegende Entschuldigung für deine Dreistigkeit brauchen!» Mir stockte unwillkürlich der Atem. Wie konnte sie nur so mit Stani reden? Ich war mir sicher, daß etwas Außerordentliches passiert war. Er beugte sich galant über ihre Hand, die sie ihm widerstrebend überließ. «Ich fürchte, du wirst meine Entschuldigung nicht besonders erfreulich finden, meine Liebe. Ich habe vor einer Viertelstunde erfahren, daß Romain verhaftet worden ist.» Syl vaine stieß einen kleinen erschreckten Schrei aus. Ich sah, wie
von einem Moment zum nächsten jede Spur von Farbe aus ihrem Gesicht wich. «Romain verhaftet? Das kann doch nicht dein Ernst sein!» Stanis Blicke flogen zu mir. Ich begriff sehr; wohl, daß er mich gerne allein gesprochen hätte, und meine Lippen hauchten ihm die Andeutung eines Kusses zu. «Es ist leider nur zu wahr, meine arme Sylvaine», wandte er sich wieder an Mada me. «Soviel ich gehört habe, ist Romain wegen eines betrügeri schen Bankrotts von der Prokuratur eingezogen worden. Sein Vermögen soll liquidiert werden. Seine Familie steht vor dem Ruin. Und soweit es dich betrifft… », er musterte sie mit einem nachdenklichen Blick, «nun, vielleicht wäre es am besten, wenn du dich für eine Weile aus der Pariser Öffentlichkeit zurückzö gest. Deine Verbindung mit Romain ist stadtbekannt. Ganz sicher werden sie versuchen, auch an dich heranzutreten.» Sylvaine war aus dem Bett gesprungen und hatte mit fliegenden Händen den Morgenmantel übergestreift, den ich ihr hingehalten hatte. Sie begann mit ungeduldigen Schritten in ihrem Boudoir auf und ab zu gehen. Die Linien ihres schönen Gesichts waren verzerrt, und ihre Augen blickten gehetzt. «Dieser verdammte Narr», schrie sie wütend. «Wie kann er es wagen, mir so etwas anzutun?» Stani betrachtete sie amüsiert. «Ich fürchte, in erster Linie hat er sich selber etwas angetan», meinte er beiläufig. Sylvaine blieb vor ihm stehen und faßte ihn an den Kragenauf schlägen. «Von mir aus kann er zum Teufel gehen», sagte sie mit zornsprühenden Augen. «Aber, Stani, sag mir bloß, was ich tun soll. Sie können mir doch nichts wegnehmen, sag? Oder können sie doch?» Stani befreite sich von ihren Händen. «Meine arme Sylvaine», sagte er, und in seiner Stimme schwang ein spöttischer Unterton, «wenn ich es recht bedenke, kann ich von Glück sagen, daß ich kein vermögender Mann bin.» Madame verlor den letzten Rest von Beherrschung. «Zum Teufel mit dir, Stanislas Breffer! Sag mir lieber, was ich tun soll, und hör auf, schlechte Witze zu reißen.»
Seine Augen verengten sich ein wenig. «Vor allem Solltest du versuchen, die Nerven zu behalten. Du wirst eine schlechte Figur machen, wenn dich der Polizeipräfekt in sein Büro zitieren wird.» Sie ließ sich in einen Sessel sinken und starrte mit wilden Augen vor sich hin. «Du meinst, das könnte geschehen? Aber ich habe nichts mit der Sache zu tun. Ich habe von Romains Geschäften nicht das geringste gewußt!» «Nein, natürlich nicht. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Du kannst versichert sein, der Familienanwalt wird alles tun, um jeden Sou des Vermögens, das dieser arme Narr in dich investiert hat, wieder aus dir heraus zupressen. Und man wird vor keinem Mittel zurück schrecken. Notfalls wird man dich zur Mitschuldi gen stempeln. Und wie willst du dann das Gegenteil beweisen?» Er war hinter ihren Stuhl getreten und sah nachdenklich auf sie hinunter. «Ich kenne die Spielregeln der Gesellschaft, in der wir leben», sagte er, und sein Ton war bitter. «Du kannst mir glau ben, es gibt kein größeres Verbrechen als das, ein Bankrotteur zu sein. Oder die Geliebte eines Bankrotteurs. Sie werden dich fertigmachen, bis kein Hund mehr ein Stück Brot von dir nimmt. Sie werden in der Presse über dich herfallen. Die unglückliche Madame Romain, die sich heute bittere Vorwürfe machen wird, daß sie das Geld ihres Mannes nicht mit ihren eigenen Liebha bern durchgebracht hat, solange es noch Zeit war, wird schon dafür sorgen, daß dir alles genommen wird, was er dir gegeben hat.» «Stani! Ich bitte dich, hör auf! Das sagst du, weil du mich quä len willst», stöhnte Sylvaine und schlug ihre Hände vor die Au gen. «Unsinn, meine Liebe», beruhigte sie Stanislas. «Du weißt ge nau, daß ich recht habe. Wenn du ihnen nicht rechtzeitig ein Schnippchen schlägst, bist du verloren, meine Teure. Darum, wenn du meinen Rat hören willst, reise, so schnell du kannst, nach Deauville und kündige den Vertrag von Monsieur Druant. Oder willst du es riskieren, daß du auf offener Bühne mit faulen Tomaten beworfen wirst?»
Sylvaine stöhnte dumpf vor sich hin. «Du lieber Himmel! War um sagst du mir das? Ich habe schließlich Freunde… » Der Mann, den ich liebte, stieß ein böses Lachen aus, das bei nahe wie ein unterdrückter Knurren war. «Freunde? Meine arme Sylvaine, das bildest du dir nur ein. In einer Situation wie dieser hat eine Frau niemals Freunde.» «Aber du selbst…? Warum bist du gekommen, wenn nicht aus Freundschaft?» Sie versuchte verzweifelt, in seinem verschlossenen Gesicht zu lesen. Stanis Miene war undeutbar, selbst für mich, die ich ihn in diesen wenigen Tagen besser zu kennen glaubte als irgendeinen anderen Menschen auf der Welt. «Freundschaft», sagte er leise. «Ich fürchte, du überschätzt mich. Es ist nicht die Freundschaft zu dir, die mich veranlaßt hat, dich zu warnen. Nur, ich gönne diesen Bluthunden ihren Tri umph nicht. Deshalb bin ich gekommen. Deshalb und wegen Rinette!» Ich spürte, wie eine Blutwelle in mein Gesicht stieg. Sylvaines Blick wanderte von ihm zu mir. «Wegen Rinette? Oh, ich verstehe. Du hast dich in sie verliebt?» Ihre Stimme klang völlig tonlos. Die Züge ihres Gesichts waren noch immer ein wenig verzerrt; es schien, als ob es ihr schwerfiele zu atmen. «Was habt ihr euch vorgestellt, ihr beiden?» fragte sie heiser. Ich spürte den Boden unter meinen Füßen schwanken. Was würde er sagen? Er sah an Sylvaine vorbei. «Wir werden heiraten, Rinette und ich. Ich werde sie in die Rue de la Rochefaucould mitneh men.» Ein kleines Lächeln hing um seine Mundwinkel. «Es tut mir leid, Sylvaine, ich hätte es dir vielleicht nicht gerade jetzt sagen sollen. Aber schließlich, es bleibt uns ja nicht viel Zeit.» Sylvaines Stimme klang mühsam beherrscht. «Wie komisch, mein Freund. Es war eine Zeit, da hätte ich mein Leben dafür gegeben, wenn du mit mir solche Pläne gemacht hättest. Und nun… », sie unterbrach sich. «Was ist mit dir, Rinette? Wirst du mit ihm gehen?» Ich spürte, wie mein Puls dumpf gegen die Schläfen dröhnte. Arme Sylvaine, sie tat mir von Herzen leid in diesem Moment.
Ich hätte sie gern getröstet. Aber da war Stani, Stani, den ich liebte, dem ich mit allen Fasern meines Seins gehörte. «Es tut mir leid, Sylvaine», murmelte ich und wandte mich ab, weil ich den Ausdruck ihres Gesichts nicht ertragen konnte. Sie drehte mit nervösen Fingern an dem großen Solitär, den sie an der rechten Hand trug. Auch er war ein Geschenk Monsieur Romains gewe sen. «Ich verstehe», sagte sie schließlich tonlos. «Nun ja, vielleicht habt ihr recht, ihr beiden. Vermutlich hätte ich auch nicht anders gehandelt. Trotzdem, es tut mir leid!» Ich kam mir ziemlich verloren vor. Sie hüllte sich ein wenig fester in ihr Neglige, und ein feines Beben rann über ihre schönen Schultern, als ob sie fröstelte. «Ich fürchte, meine kleine Rinette», sagte sie nach einer Weile, «du wirst das Leben mit Stanislas Breffer nicht gerade einfach finden.» «Ich liebe ihn, Sylvaine», sagte ich statt einer Antwort. Sie nickte und betrachtete mich mit großer Aufmerksamkeit im Spiegel. «Liebe! O ja! Ein hübsches Wort, aber nichts weiter. Du wirst es herausfinden, so wie ich es herausgefunden habe, meine arme Kleine. Glaube mir, ich wünsche dir alles Gute!» Sie wandte sich an Stani. «Ich werde Lisette sagen, sie soll ihre Sachen packen. Der Kutscher kann sie dann in deine Wohnung bringen. Ich möchte jetzt allein sein.» Der Ausdruck ihres Gesichts tat mir beinahe körperlich weh. Ich stürzte mich für einen Augenblick in ihre Arme. «Sag, daß du mir verzeihst, Sylvaine!» Ich hätte in diesem Augenblick eine Welt darum gegeben, ihr nicht weh zu tun. Eine Welt, aber nicht Stanislas Breffer, dem ich bald – oh, wie bald schon! – für immer gehören würde. Die Vorstellungen, die ich mir von der Ehe machte, unterschie den sich in nichts von denen anderer junger Mädchen. Ich hatte das sichere Gefühl, daß mir Stani für alle Zeiten gehören würde, sobald jenes entscheidende Ja vor dem Standesbeamten Seiner Majestät des Kaisers von Frankreich einmal gesprochen war. Gar
zu gern hätte ich ihn dazu überredet, mit mir in mein Heimatdorf zu fahren, um Maman die Erfüllung meiner Träume in seiner Person vor Augen zu führen. Merkwürdigerweise dachte ich im Zusammenhang mit Stani ganz und gar nicht daran, daß ihm eine sehr wesentliche Eigenschaft meines seinerzeitigen Traumkava liers fehlte: Er war nicht wohlhabend, wenn er auch immer Geld hatte. Die kleine Wohnung in der Rue de la Rochefaucould war geschmackvoll, aber keineswegs aufwendig eingerichtet, und ich hatte bald genug den Verdacht, daß mein bedeutender Gatte eine entschieden größere Begabung hatte, Geld auszugeben als es zu verdienen. Sylvaine hatte mir übrigens zum Abschied noch etli che hübsche Stücke ihrer Einrichtung zukommen lassen. Sie hatte Stanis Rat befolgt und war mit ihrer beweglichen Habe zunächst nach Deauville übersiedelt. Sie ließ mir sagen, sie würde dort abwarten, bis Gras über die Geschichte gewachsen sei, und vielleicht die Gelegenheit benutzen, um unter den steinreichen männlichen Ruinen, die sich dort zur Brunnenkur aufhielten, ein passendes Opfer zur Festigung ihres Wohlstandes zu finden. Dann würde sie vielleicht nach Paris zurückkehren. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich an sie dachte, aber schließlich, was war das alles gegen das Bewußtsein, daß ich nun für immer zu Stani gehörte. Ein junges Mädchen macht sich – so glaube ich heute – von nichts so verkehrte Vorstellungen wie von dem Glück, das ihm in den Armen eines liebenden Ehemannes bevor steht. In der Phantasie der weitaus meisten dieser jungen ah nungslosen Geschöpfe ist der Hochzeitstag der rauschende Auftakt zu einem Freudenfest ohne Ende, das sie an der Seite eines liebenden und geliebten Gatten zu verbringen meinen. Das ist ganz falsch, wie mich meine eigenen Erfahrungen bald lehr ten. Denn wiewohl ich Stani von Herzen liebte – und der mich übrigens auch –, fand ich doch bald heraus, daß die Schwierigkei ten des täglichen Miteinanderlebens nicht zu unterschätzen waren. Mein teurer Gatte hatte ein höchst eigenwilliges und zynisches Temperament. Ohne Zweifel war er zu etwas Großem berufen. Er schrieb Artikel für etliche Pariser Tageszeitungen
und gelegentlich spekulierte er auch an der Börse, zwar ohne größeren Erfolg, aber immerhin! Er stand spät auf und verbrach te seine Vormittage zumeist in einem der benachbarten Cafés, wo er mit Journalisten und Künstlern diskutierte und Schach spielte. Mittags war er an der Börse anzutreffen. Er spekulierte im Auf trag etlicher seiner wohlhabenderen Bekannten, allerdings mehr zum Zeitvertreib, wie er mir gestand. Abends gingen wir häufig aus. Wir waren in den Künstlerlokalen am Montmartre und Montparnasse bald ein bekanntes Paar. Dabei verrieten wir, auf Stanis ausdrücklichen Wunsch, niemals, daß wir miteinander verheiratet waren. Vielmehr wurde ich ganz allgemein für Stanis Geliebte gehalten, und da ich, nicht zuletzt durch Sylvaines Großzügigkeit, eine recht glänzende Erscheinung war, stieg sein Ansehen in diesem Kreis ausschweifender junger Lebeleute und Demimondaines dadurch beträchtlich. Die einzige, die wir ins Vertrauen gezogen hatten, war Elvira, mit der Stani ein inniges Vertrauensverhältnis verband. Sie wohnte in demselben Haus wie wir und hatte dort eine Wohnung schräg gegenüber der unsrigen bezogen. Sie war eine recht eindrucksvolle Person mit prächtigen schwarzen Locken und einem wunderbar zarten Teint. Ich fühlte mich beinahe vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen, und ihr erging es kaum anders als mir. Sie war Ballettmädchen von Beruf und trat im Théâtre Eden auf, aber ich verstand recht gut, daß sie ihren Lebensunterhalt mehr oder weniger durch ihre zahlreichen Verehrer finanzierte. Außer ihrem eigenen Onkel, der ihr eine ganz beachtliche Apanage dafür bezahlte, daß er sie monatlich ein- bis zweimal aufsuchen durfte, gab es noch etliche Finanzleute, wie den dicken, ganz und gar nicht appetitlichen Monsieur Barfleur, die sich das Glück, etliche Stunden mit der schönen Elvira zu verbringen, einiges kosten ließen. Früher hatte auch mein teurer Gatte gelegentlich eine Nacht mit ihr verbracht, und ich bemerkte wohl, daß die beiden auf einem recht vertrau ten Fuß miteinander standen. Aber merkwürdigerweise war ich weit entfernt davon, Eifersucht zu empfinden. Wir wurden fast vom ersten Augenblick an Freundinnen und blieben es während
der ganzen Zeit, die ich in der Rue de la Rochefaucould lebte. Es war nur eine Frage des Temperaments, daß ich im Umgang mit ihr jene Gewohnheiten wieder aufnahm, die mein Leben mit der schönen Sylvaine so entscheidend beeinflußt hatten. Und Stani, statt darüber empört zu sein, erheiterte sich sehr über uns beide «dreisten Katzen», wie er uns nannte, und assistierte unserem Spiel sogar zuweilen, was ihm großen Spaß zu machen schien. Ja, die tüchtige Elvira hatte bald herausgefunden, daß unser Spiel eine fast magische Anziehungskraft auf die Phantasie der Männer ausübte, die sie zu besuchen pflegten, und schließlich gelang es ihr, mich zu überreden, daß wir sogenannte Partien zu dritt arrangierten. Ich hatte ziemlich bald herausgefunden, daß mein bedeutender Gatte von mir nichts weniger erwartete als eheliche Treue im herkömmlichen Sinn des Wortes. Ach, er war meiner wohl so sicher, daß er wußte, wie wenig es zu bedeuten hatte, wenn ich für einen andern Mann – der mich dafür anständig honorierte – für etliche Augenblicke das schien, was ich ihm war. Rückschau end bin ich heute durchaus überzeugt, daß Stani diese Möglich keit von allem Anfang an ins Kalkül gezogen hatte, um so mehr, als sich dadurch unser nicht gerade üppiges Haushaltsgeld bald verdoppelte, ja sogar verdreifachte. Stani fragte mich nie nach dem Ursprung dieses Geldes, aber das wäre auch nicht nötig gewesen. So glitt ich, nicht zuletzt durch Elviras tatkräftigen Beistand, schon im ersten Jahr meiner Ehe mehr und mehr in das Fahrwasser eines öffentlichen Mädchens. Meine Freunde sowie die von Elvira wußten durchaus, daß ein Tausend-Francs-Billet bei mir Wunder zu wirken vermochte. Ich machte mir im übrigen keine Gedanken über das, was andere Leute wohl einen höchst unmoralischen Lebenswandel genannt haben würden. Denn wenn Stani ihn billigte und sogar gewisse Vorteile davon hatte, war für mich alles in schönster Ordnung. Überhaupt bemerkte ich, daß meine Gedanken und Ansichten sich mehr und mehr an ihm orientierten. Kurz, mein bedeutender Gatte hatte es in be merkenswert kurzer Zeit fertiggebracht, zum Mittelpunkt meiner
ganzen Welt zu werden. Ich war bereit, auf ein Wort von ihm alles zu wagen, alles zu tun, ja sogar mich selbst aufzugeben, einzig für den Preis, ihm desto sicherer anzugehören. Dabei stellte es sich im Verlauf der nächsten zwei Jahre heraus, daß mein zärtlich geliebter Gatte ein recht schwieriger Mann war. Er hatte sich sehr gegen meinen Willen mit einem Mann namens Paulet angefreundet, und ich begriff sehr wohl, daß dies eine echte Gefahr für ihn bedeutete. Denn Paulet war einer jener revolutionären Querköpfe, auf die die Polizei ein ständig wach sames Auge hatte, und Stani war in diesem Punkt mehr als anfäl lig. Er las mit Vorliebe die Schriften dieses schrecklichen Men schen Karl Marx und meinte, es müsse endlich etwas geschehen, um diese verrottete Gesellschaft von reichen Nichtstuern aus ihrer scheinbaren Überlegenheit aufzurütteln. Ich hatte zwar heimlich den Verdacht, daß Stani selbst nicht viel dagegen ein zuwenden gehabt hätte, zu diesen von ihm scheinbar gehaßten Nichtstuern zu zählen. Aber da ihm das Schicksal in dieser Hin sicht nicht gerade hold schien, haßte er jene, deren Geld ihm den Weg in eine glänzende Zukunft versperrte. Die Bekanntschaft mit diesem Paulet und auch mit dessen ras siger Freundin Juana übte auf meinen Gatten entschieden einen ungünstigen Einfluß aus. Er war jetzt oft reizbar und launenhaft und hatte für meine zärtliche Hingabe nur etliche spöttische Bemerkungen übrig. Ich flüchtete in meiner Verzweiflung dar über zu Elvira, aber auch sie konnte mich in diesem Punkt nicht trösten. So verfiel ich schließlich, um seine Aufmerksamkeit erneut auf mich zu lenken, auf die Idee, es wie Elvira als Ballett mädchen zu versuchen. Ich hatte schließlich alles, was man dazu brauchte: eine gute Figur, ein hübsches Gesicht und nicht zuletzt so etwas wie eine angeborene Musikalität, die es mir möglich machte, mich in Sekundenschnelle in jeden Tanzschritt zu fügen. Elvira war begeistert, als ich mit diesem Plan herausrückte, und der Direktor des Théâtre Eden nicht weniger – nachdem er mich gesehen hatte. Selbstverständlich bezahlte ich für mein Engage ment den Preis, den ein mittelloses hübsches Mädchen, das im
Leben vorwärtskommen will, für jede Gefälligkeit eines einfluß reichen Herrn zu bezahlen hat. Ich tat es ohne alle Begeisterung, aber auch ohne Gewissensbisse. Übrigens hatte ich mich in einem Punkt getäuscht. Denn während meine Auftritte mir bald einen recht ansehnlichen Kreis von Verehrern eintrugen, nahm Stani die Neuigkeit nur mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis. Ich begriff durchaus, daß er nicht geneigt war, mich in meiner neuen Eigenschaft als Balletteuse sonderlich ernst zu nehmen, und ich beobachtete mit Steigendem Entsetzen, wie er mir von Tag zu Tag mehr entglitt, während ich selbst mich un trennbar an ihn gefesselt fühlte. Ich weiß nicht mehr, wann die Idee in mir keimte, durch eine ganz außerordentliche Tat ihn wieder zurückzugewinnen. Ich wollte mich für ihn opfern, wollte für seine Karriere mein Glück aufgeben, das nur ein Glück mit ihm sein konnte. Der Mann, der diesen Gedanken mit berechnender Schlauheit, wie ich später erkennen sollte, in mich hineingelegt hatte, trug einen stolzen Namen: Comte Robert de Clameran, Mitglied des Französischen Abgeordnetenhauses und Träger einer ganzen Reihe von hohen Auszeichnungen. Ich hatte bei meinem Auftritt im Eden seine Aufmerksamkeit erregt, und er hatte mich durch ein Billet für den Abend danach zu einem Souper ins Cabaret de Rose eingela den. Wir speisten sehr vornehm in einem geschmackvoll möblier ten Chambre separee. Er hatte mir als besondere Aufmerksam keit ein wundervolles Kollier aus rosa Perlen zugedacht. Aber als ich ihm darauf gewisse Avancen machte, wehrte er mich beinahe brüsk ab. «Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen einen Vorschlag zu ma chen, Mademoiselle», versicherte er sehr ernsthaft. Ich versuchte in seinem verschlossenen hageren Gesicht zu lesen. Er sah ver hältnismäßig gut aus, nur seine kalten Augen irritierten mich einigermaßen. «Ach, und welcher Vorschlag wäre das?» versuchte ich einen leichteren Ton anzuschlagen. Er spielte nachdenklich
mit dem Stiel seines Sektglases und sah mich nicht an dabei. «Sie sind sehr reizvoll, wie Sie ohne Zweifel wissen», fuhr er in dem leicht pretenziösen Ton fort wie zuvor. «Ich würde es als ein besonderes Vergnügen betrachten, wenn Sie einwilligen könnten, meine… Freundin zu werden. Ich bin ziemlich vermögend» – er unterbrach sich mit einer beinahe verächtlichen Geste –, «aber das wissen Sie ja ohne Zweifel. Ich kann Ihnen ein Leben bieten, wie Ihre Schönheit es verdient. Wir werden auf Reisen gehen, ich werde Ihnen Europa zeigen, werde Ihnen in Paris ein Haus einrichten, das Ihrem Aussehen den richtigen Rahmen verleiht. Ich werde alles für Sie tun, was Sie von einem Mann meiner Art erwarten können… Und ich verlange wenig dafür: nichts als die Zusicherung, daß Sie sich während der nächsten drei Jahre von allem zurückziehen, was Ihr bisheriges Leben war…» Ich spürte, wie mir eine jähe Blutwelle ins Gesicht stieg. Was redete dieser Mann da? Ich sollte mich von allem zurückziehen… aber Stani! Ich konnte doch nicht…! Mühsam gefaßt antwortete ich: «Es ist mir eine besondere Ehre, daß Sie mir dieses Angebot gemacht haben, teurer Graf. Aber ich kann es nicht annehmen. Ich… bin verheiratet.» Er nickte gelassen. «Ich weiß. Ich habe mich umgehört. Mit Stanislas Breffer. Er wird Sie freigeben.» «Das wird er nie tun!» Ich schrie es beinahe in meiner Erregung. In die kalten Augen vor mir trat ein leises Lächeln. «Wollen wir wetten, ma Belle? Ich kenne Leute vom Schlag dieses Monsieur Breffer.» Er hob mir sein Sektglas entgegen. «Trinken wir auf die Zukunft. Drei Jahre, die Sie mir schenken werden! Ich weiß, Sie werden es tun.» Er leerte sein Sektglas und beugte sich dann sehr höflich über meine Hand. «Ich erwarte Ihre Antwort in… sagen wir einer Woche. Es ist alles bereit – in wenigen Tagen werden wir reisen können.» Er reichte mir den Arm, ohne auf meine Verblüffung weiter zu achten. «Kommen Sie, ich werde Sie zu Ihrer Wohnung bringen lassen.» Als ich begriff, daß es Clameran mit diesem Angebot ernst war, überkam mich ein Gefühl tiefen Unbehagens. Ich würde zu Stani
eilen, mich in seine Arme werfen, mit ihm über diese Ungeheuer lichkeit lachen. Aber irgendwo, tief in meinem Unterbewußtsein, flackerte eine kleine Flamme der Angst. Was, wenn er nicht lachen würde? Was, wenn ich ihm nicht genug bedeutete? Ich hatte ihn damals mit Sylvaine erlebt. Er konnte sehr zynisch sein. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht in seinen Armen. Aber ich wagte nicht, mit ihm darüber zu reden. Und ganz allmählich keimte in mir der Gedanke, daß ich es tun würde – für ihn tun würde. Ich würde ihn verlassen und mich den Wünschen dieses Grafen Clameran fügen. Vielleicht, daß es mir auf diese Weise gelingen würde, für meinen geliebten Gatten das zu erringen, was ihm so viel zu bedeuten schien: ein Vermögen, das es ihm erlau ben würde, nach seinen eigenen Vorstellungen als unabhängiger Mann zu leben. So kam es, daß ich an einem verregneten Vormit tag, als mein Gatte gerade zum Schachspiel ins Café Matin ge gangen war, heimlich mein Heim verließ, um die Geliebte des Grafen Clameran zu werden.
2. Teil
Erst als ich wieder in Paris lebte, wurde ich mir der Zwielichtig keit meiner Existenz von Tag zu Tag mehr bewußt. Zwar, der Graf hatte mir etliche seiner Freunde und deren Mätressen vor gestellt. Ich hatte ein Diner gegeben, das gesellschaftlich ein großer Erfolg geworden war. Noch Wochen danach ist in diesem flimmernden Zwischenbereich der Gesellschaft, der hier Demi monde genannt wird, von diesem Ereignis gesprochen worden. Die hübschesten und ausgelassensten Frauen, wie die reizende Mauricette Rossignol, die es mit einem blutjungen, überaus vermögenden Marquis hielt, seit sich ihr letzter Liebhaber eine Kugel durch den Kopf geschossen hatte, weil sie ihn mit einem anderen betrogen hatte; wie Lucie des Etoiles, von der es hieß, daß sie schon die Vermögen mehrerer bedeutender Pariser Salon löwen verschlungen hatte, oder wie die bezaubernde Ballerina Lilette des Fleurs, die durch die Anmut ihrer Bewegungen halb Paris zu wahren Begeisterungsstürmen hingerissen hatte, waren gekommen, hatten meine Möbel bewundert, meine geschmack vollen Blumenarrangements, meine Porzellansammlung. Ich hatte mit ihnen um die Wette mit ihren Freunden gelacht und geschäkert, man hatte getanzt und Champagner getrunken, den neuesten Klatsch von Paris aufgewärmt und dazu mehr als hand fest kokettiert. Ein Glück, daß die intime Kerzenbeleuchtung in meinem Salon nicht jede Bewegung, nicht jede Miene in ihrer ganzen Deutlich keit zu erkennen gab, daß manches von dem, was gesagt und getan wurde, mit diesem sanft goldenen Dämmerlicht ver schmolz und die grellen Akzente einer künstlich gesteigerten Ausgelassenheit in dem leichten Rosengewölk der Trunkenheit aufgelöst schienen.
Die großen Herren, die ich zu diesem mit minutiöser Genauig keit einstudierten Ballett der halben Ausschweifungen gebeten hatte, gehörten alle dem Kreis um den Grafen an. Mit Ausnahme des reizenden Marquis Hyazinth, dessen strah lende Jugend in diesem Kreis doppelt auffiel, waren es alles soignierte ältere Herren, die den weitaus größten Teil des Lebens und seiner Leidenschaften hinter sich hatten und nun versuchten, aus der leeren Schale, die ihnen von den Festen ihres Lebens geblieben war, noch einen Rest von Süßigkeit und Lebenslust herauszupressen. Sie alle waren reich genug, um sich jede Extravaganz und jeden Luxus leisten zu können, und sie alle verachteten die Menschen und vor allem die Frauen gründlich genug, um jede Gelegenheit wahrzunehmen, die ihnen helfen mochte, sich über das Dilemma ihrer inneren Leere hinwegzutäuschen. Die Interessen all dieser Männer, die der Hocharistokratie wie der Hochfinanz angehörten, kreisten um Börsengeschäfte und Pferderennen, um die neuesten Pariser Skandale und um die große Politik, der sie ihre gesellschaftliche Existenz verdankten. Sie trauten sich gegenseitig nicht über den Weg, und ich bin sicher, daß kaum an einem Ort der Welt so viele Intrigen ge sponnen werden wie in den galanten Salons der Pariser Lebewelt. Die Frauen hielten es nicht anders. Auch sie sind ja natürlich Rivalinnen in dem gnadenlosen Kampf um den Platz an der Sonne, in dem jedes Mittel erlaubt erscheint. Man beobachtet sich gegenseitig, versucht, einander auszustechen, wird keinen Augenblick müde, die Aufmerksamkeit der Männer auf die eige ne kostbare kleine Person zu lenken, man intrigiert und dramati siert… Ach, und man langweilt sich! Langweilt sich trotz aller kleinen und großen Affären, die den Tag ausfüllen sollen und die doch nicht ausreichen, um den verzehrenden Hunger zu betäu ben, den Hunger nach Leben, der in mir und vermutlich in etli chen hundert anderen dieser schönen schillernden Luxusge schöpfe nagt, die sich die Demimondaines nennen.
Hunger nach Leben! Mit jedem Tag, den ich mehr von Paris Besitz ergriff, Pariser Luft atmete, Pariser Straßen entlangfuhr, mich in Pariser Cafés amüsierte, wurde ich mir seiner deutlicher bewußt. Denn dieser Hunger nach Leben bedeutete Sehnsucht nach einer Zeit, in der ich noch nicht das ätherische Luxusge schöpf gewesen war, das seine Tage zwischen Boudoirs, Salons und Chambres separees mit verlogenen Umarmungen, verloge nen Leidenschaften und einem nur mühsam totgeschwiegenen Ekel vor der eigenen inneren Leere hinbringt. Gewiß, die ersten Wochen in meinem neuen Heim waren ein aufregendes Erlebnis für mich gewesen. Ich hatte noch nie ein so schönes und beque mes Heim besessen und genoß meinen durch Clamerans Güte wirklich recht großzügigen Haushalt in vollen Zügen. Ja, ich spielte mit meinen Möbeln, mit meinem Wagen und selbst mit meiner Dienerschaft, wie ein kleines Mädchen mit den Puppen spielt, die es gerade zum Geschenk bekommen hat. Es gab Vormittage, vor allem, wenn es regnete und mein leich ter Wagen in seiner Remise bleiben mußte, da betätigte ich den Klingelzug in meinem Boudoir etliche Male, zu keinem andern Zweck als dem, um zu sehen, ob mein Mädchen Mirette, das für meine persönlichen Wünsche verantwortlich war, auch jedesmal sprang, wenn ich nach ihr rief. Trotzdem bemerkte ich, wie sich allmählich eine große innere Leere in mir ausbreitete. Der Winter ist lang, selbst in diesem glänzenden, leben- und lichterflirrenden Paris. Gewiß, man ging in die Oper, in eines der zahlreichen Konzerte, wo sich die geho bene wie die etwas anrüchige Gesellschaft zu einem Kunstgenuß traf, der mehr der gesellschaftlichen Reputation als den Musen galt, denen man angeblich so eifrig huldigte. Der Graf liebte es, mich bei solchen Anlässen als eine der glänzendsten unter all den glänzenden und reich geschmückten Frauen der Pariser Lebewelt zu präsentieren. Wir hatten unsere ständige Loge in der Oper und gingen wenigstens einmal in der Woche da hin. Er brillierte bei solchen Gelegenheiten im Glanz der zahlreichen Orden, die er für ich weiß nicht welche Verdienste um das Kaiserreich
erhalten hatte, und ich im Glanz der Juwelen, mit denen er mich überhäufte. Wir waren im gewissen Sinn ein schönes Paar, der Graf war groß gewachsen und hatte ein gut geschnittenes, mar kantes Gesicht. Ich war sicher, daß mich zahlreiche meiner Schicksalsgefährtinnen um diese Eroberung beneideten. Am meisten Vergnügen fand ich an den Redouten, die in dem Winter nach meiner Rückkehr nach Paris besonders zahlreich waren. Es gab richtige Demimondebälle, wie den wundervollen Ball des Marguerites im Café de la Paix, zu dem alle Welt kostü miert erschien. Der gute Clameran zeigte sich dort in einem Kostüm aus der Zeit Ludwig XV. und ich in der Robe à la Pom padour. Ich hatte zu diesem Anlaß mein kastanienbraunes Haar, gepudert und mit echten Goldflittern bestreut, von meinem Friseur in hundert kunstvolle Locken legen lassen und trug zu meinem mit echten Perlen bestickten Reifrock einen prächtigen Halsschmuck aus rosa Brillanten, den mir der Graf eigens zu diesem Anlaß geschenkt hatte. Ich erntete großen Beifall und fand mich zu meinem Entzücken sogar in einem der großen Boulevardblätter erwähnt. Lena de Mauregard, der nom de guerre, den der Graf für mich gewählt hatte, klang gut. Ich würde dafür sorgen, daß er in der Pariser Lebewelt zu einer Berühmtheit wurde. Trotzdem fühlte ich mich nicht glücklich. Ja, und je länger ich in Paris lebte, desto deutlicher wurde die Sehnsucht in mir, die Verbindung zu jenen wiederaufzunehmen, die mir für etliche köstliche Jahre meines Lebens so teuer gewesen waren. Zwar hatte ich dem Grafen mein Wort gegeben, und ich hegte den Argwohn, daß er, jedenfalls soweit es meinen Gatten Stanis las betraf, ein wachsames Auge auf mich hatte. Es war übrigens verwunderlich genug, daß ich ihm während des ganzen Winters nie begegnet war. Ich hatte freilich auch mein Versprechen peinlich genau eingehalten und meine ehemalige Wohnung nie mehr betreten. Zwar hatte ich Elvira regelmäßig die 2.000 Francs geschickt, die ich meinem Gatten als Rente zugedacht hatte, doch verabredungsgemäß hatte sie niemals
darauf geantwortet, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen. Sie war eine gute Seele, meine Freundin Elvira, und je weiter der Winter fortschritt und sich wieder den lichten Zeiten des Früh lings näherte, um so stärker spürte ich die Unruhe und die Sehn sucht nach dem, was früher mein ganzes Leben gewesen war. Schließlich hielt ich es nicht länger aus und beschloß, ihr zu schreiben. Immerhin, ich hatte dem Grafen von dieser Freundin erzählt und ihm gesagt, daß ich sie gerne wiedersehen würde. Er hatte seine Bedenken geäußert, weil er von früher her wußte, wie eng sie mit Stani verbunden war. Aber meine Versicherung, daß ich sie nur außerhalb der Wohnung meines Gatten sehen würde, erstickte seinen Verdacht, und er hatte schließlich nichts dagegen, daß ich diese Beziehung erneuerte. Sie antwortete auf meinen Brief prompt und überschwenglich: Meine Angebetete, ich danke Dir für Dein Gedenken. Komme unbesorgt, Du wirst hier alles sehr verändert finden. Stani sehe ich nicht mehr, ich werde Dir alles erklären. Komm, sobald Du kannst, ich bin in Ungeduld noch immer die Deine… Ich muß gestehen, diese Nachricht verwirrte mich nicht wenig. Sie sah Stani nicht mehr? Also hatte mein flatterhafter Gatte sie verlassen. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Denn gab es überhaupt eine Frau, die von sich aus imstande gewesen wäre, ihm den Laufpaß zu geben? Sicher hatte ihn diese Italienerin, die rassige Juana, weggelockt. Ah, ich mußte alles erfahren. Ich brannte vor Ungeduld, meine geliebte Freundin wiederzusehen und mir alles vom Herzen zu reden, was mich in diesen Monaten an Zweifeln und Kümmer nissen bedrängt hatte. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag in ihrer Wohnung, die genau gegenüber meiner ehemaligen lag. Sie war sehr reizvoll eingerichtet, wenn es mir auch gegenüber meinem neuen Luxus beinahe ärmlich erschien. Auch Elvira hatte bei aller Wiederse hensfreude etwas von ihrem früheren Glanz eingebüßt. Sie war noch immer sehr hübsch, aber es ging etwas Hektisches, Unruhi ges von ihr aus. Sie empfing mich in einem reizenden Neglige aus kirschroter Seide und umarmte mich stürmisch. «Da bist du ja
endlich, mein Engel. Du hast mir so gefehlt. Komm, laß dich anschauen! Wirklich, sie ist noch hübscher geworden!» Ich erwi derte ihre Zärtlichkeiten. «Und du, Elvira! Wie ich mich freue, dich zu sehen. Du bist schöner und frischer als je.» Sie schenkte uns einen Armagnac ein. «Auf dein Wohl, mein Liebling! Und erzähle, wie fühlt man sich als Angebetete eines so einflußreichen Mannes?» Ich betrachtete nachdenklich die gold braune Flüssigkeit in meinem Glas. «Ach, ich weiß nicht. Im Grunde genommen bedaure ich meinen Entschluß. Der Graf ist im gewissen Sinn kein Ersatz für Stani.» Sie lachte ein wenig. «Das kann ich mir denken. Arme Katze! Bei deinem Tempera ment kann dir ein Liebhaber schwerlich genügen.» «Das ist es nicht», widersprach ich lebhaft. «Nur Stani… Stani fehlt mir sehr. Erzähle, warum habt ihr euch getrennt?» Sie zuckte die Achsel. «Da ist nicht viel zu erzählen. Du kennst ja Stani. Vielleicht, wenn dieser Paulet nicht gewesen wäre. Und dann, du weißt ja, Juana! Dieser verdammte Bastard war Tag und Nacht hinter deinem Gatten her, ich weiß nicht, wie sie es schließlich angefangen hat, ihn doch noch zu angeln. Er verließ mich, obwohl ich meinerseits es mit allen möglichen Tricks versuchte, ihn zu halten. Kurz und gut, diese verteufelte Italiene rin hat mir den Rang abgelaufen, und ich ärgere mich krank, wenn ich bloß daran denke…» «Ich möchte ihn wiedersehen», sagte ich leise. Elvira wurde augenblicklich lebhaft. «Das kann ich mir denken. Aber setzt du nicht ein wenig zuviel aufs Spiel für diesen charmanten Wind hund?» «Ich weiß, es ist unvernünftig, mein Engel. Aber ich liebe mei nen Gatten nun einmal. Und wenn es ohne Gefahr sein kann? Oh, Elvira, mir scheint es, als hätte ich nicht gelebt, seit ich mich von euch getrennt habe.» Elvira füllte unsere Gläser aufs neue und bot mir Konfekt an. «Das glaube ich manchmal auch. Ach, meine Teure, seit du fort bist, hat das Glück mich verlassen. Unsere Freunde waren so an unsere Intimität gewöhnt, und ich habe niemals mehr eine Freundin gefunden, die imstande gewe
sen wäre, sich mit dir zu messen. Kurz und gut, mein Onkel ist mein einziger ernsthafter Souteneur geblieben…» «Wie – du bist in Schwierigkeiten?» fragte ich ernstlich über rascht. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Elvira je unter Man gel an Liebhabern leiden könnte. Sie lächelte matt. «Nun, nicht gerade das. Aber immerhin, das Leben ist nicht ganz so erfreulich.» «Warum vertraust du dich mir nicht an? Ich könnte dir hel fen…» «Kleinchen, du bist eine kluge Frau. Ich ahne, von welcher Zu kunft du träumst. Nein, ich hänge zu sehr an unserer Freund schaft, um sie durch Geldangelegenheiten zu gefährden.» «Du Böse! Ich hatte gehofft, das Geld, das ich Stani zukommen ließ, würde auch dir zugute kommen.» «Er hat Juana vorgezogen, und natürlich Paulet. Es heißt sogar, daß diese beiden etwas miteinander haben. Jedenfalls ist Paulet scharf auf deinen hübschen Gatten.» Mir stockte der Atem. «Das kann doch nicht wahr sein! Stani und dieser Bursche?» Elvira zuckte die Achsel. «Du weißt ja, wie das ist. Und dein Gatte ist neugierig…» «Das ist er wohl», seufzte ich unwillkürlich. «Aber komm, sprich von dir, Elvira! Wie ist es dir ergangen?» Sie sah unschlüs sig vor sich hin. «Nun, ich habe die ganze Zeit versucht, eine Freundin zu finden, die mir Gelegenheit geben würde, meine undankbaren Klienten zurückzugewinnen. Aber es war nicht das rechte…» Es klang resigniert, wie sie es sagte. «Meine arme Liebe», rief ich gerührt und umarmte sie herzlich, «sei nur nicht länger bedrückt. Sieh, jetzt bin ich ja zu dir zurückgekehrt. Ich werde dir auch das Glück wiederbringen.» «Ach, wie denn? Du mußt vorsichtig sein und darfst keine Dummheiten begehen!» «Nun, das ist alles ganz einfach. Der Graf hat mir erlaubt, dich bei mir zu empfangen. Da müßte es schon mit dem Teufel zuge hen, wenn du unter meinen Verehrern keine passende Eroberung
machen könntest. Inzwischen kannst du ja versuchen, etliche der Partien zu arrangieren, die uns damals so belustigt haben. Sei versichert, ich werde, diskret natürlich, mit Vergnügen dabei sein.» «Wie, Rinette? Du würdest das für mich tun?» «Aber ja, natürlich! Würdest du nicht auch mir deinen Beistand leihen, wenn ich ihn nötig hätte?» «O ja, natürlich. Aber trotzdem, ich glaube, ich träume! Das muß ich Barfleur sagen, du weißt schon, dem dicken Ekel von damals. Ich bin ihm erst neulich begegnet, und er hat mir versi chert, er würde sich eine Partie wie die, die wir damals mit ihm hatten, eine Kleinigkeit kosten lassen.» «Wie, Barfleur? Nun, das ist wirklich kein sehr reizvoller Bur sche.» «Ach, du wirst dich wundern, wenn du ihn siehst, wie sehr er sich verändert hat. Nicht zum Wiedererkennen. Was soll ich ihm sagen?» Sie war nun so eifrig, daß ich wohl begriff, wieviel ihr daran liegen mußte. «Sag ihm, daß du ein kleines Dejeuner für ihn arrangieren wirst, so wie früher», meinte ich schließlich. «Und sag ihm, daß ihn der Spaß die Kleinigkeit von 50 Louis kosten wird!» Sie zog ihre Brauen verwundert in die Höhe. «Glaubst du, er wird soviel investieren?» Ich zuckte die Achsel. «Er wird es müs sen, wenn ihm daran liegt, uns beide zu sehen», sagte ich kühl. Es war nicht besonders klug von mir, meine Beziehungen zu Elvira wieder aufzunehmen. Denn seither erschien mir alles, worauf ich mir bisher so viel zugute getan hatte, schal und leer. Die Unzufriedenheit über mein Leben hing wie ein Bleigewicht über mir, und ich vermochte meine Gedanken nicht zusammen zuhalten. Wirklich, das Leben einer Demimondaine, das mir seit meinen Erfahrungen bei Sylvaine so erstrebenswert erschienen war, hatte in diesen Tagen nur noch wenig Verlockendes für mich. Viel schwerer zählte, daß ich von allen jenen Menschen isoliert war, die mir wirklich etwas bedeuteten. Ich hatte in Elvira
eine treue und hingebungsvolle Freundin gehabt und es beküm merte mich sehr, daß ich sie jetzt nur heimlich treffen konnte. Von meinem Gatten gar nicht zu reden. Seit ich nach Paris zu rückgekehrt war, verzehrte mich die Sehnsucht nach Stani mehr und mehr. Zum erstenmal betrachtete ich den Grafen jetzt als einen uner träglichen Patron. Gewiß, er bezahlte mich, aber die Bedingun gen, die er mir gestellt hatte, waren unmenschliche. Und in diesen Tagen erschien es mir, als ob all die materiellen Vorteile, die er mir bot, nichts zählten vor der inneren Leere, der ich durch die erzwungene Trennung von meinem Geliebten ausgeliefert war. Zwar, es gibt keinen Zweifel, daß der Graf mich liebte, wenn er auch von einer außerordentlichen Zurückhaltung war. Seine Leidenschaft war kühl wie ein Regentag, und ich langweilte mich sogar in seinen Umarmungen. Wie die großen Herren es für ihre Mätressen zumeist tun, hatte er mir eine hübsche Wohnung in einem kleinen ehemaligen Palais mit Blick auf den Bois de Boulogne eingerichtet und kam für alle Kosten meines allerdings recht aufwendigen Haushalts auf. Er pflegte mich als mein offizieller Beschützer aufzusuchen, zumeist vor dem Diner, da ihn offensichtlich um diese Zeit der Appetit nach mir am meisten plagte. Das Ritual, das er dabei befolgte, war stets dasselbe. Er führte mich in mein Boudoir, hieß mich die Röcke aufheben und versetzte mir etliche leichte Klapse auf die Hinterseite, die der spezielle Gegenstand seines Entzückens zu sein schien. Ich zeigte mich, wie es die Spielregel verlangte, natürlich ent zückt von so viel Aufmerksamkeit, und er stellte erfreut fest: «Ah, man ist disponiert, Monsieur zu empfangen?» Was blieb mir übrig, als disponiert zu sein? Manchmal hatte ich gute Lust, ihn zu ohrfeigen, aber das nützte mir wenig. Also antwortete ich ihm wie gewöhnlich: «Gehört die Kokotte nicht dem Koko?» Er war ganz hingerissen von dieser, wie er glaubte, höchst geistrei chen Phrase und konnte sie immer wieder hören. Was sich darauf abspielte, war eine Angelegenheit von etlichen Minuten, wahrhaf
tig unbefriedigend für eine Frau von meinem Temperament und meiner Lüsternheit. Weiß der Himmel, ich hätte etliches darum gegeben, noch in unserer bescheidenen Wohnung in der Rue de la Rochefoucould zu leben und unter den heißen Umarmungen meines angebeteten Gatten zu stöhnen! Zum Glück hielt Barfleur wenigstens Wort und sandte im voraus die vereinbarten 50 Louis, vermutlich aus Besorgnis, daß ich das Petit Dejeuner mit Elvira, das zwischen uns vereinbart worden war, nicht versäumte. Ich wußte diese Pünktlichkeit zu schätzen. Noch etliche solcher Klienten, und die Möglichkeit, mich von dem Grafen und seinen bizarren Liebesbeweisen zu befreien, würde in greifbare Nähe rücken! An diesem Nachmittag machte mir der Baron Obrenval seine Aufwartung. Er war trotz seiner korpulenten Figur ein begeisterter Anhänger des Rennsports und hatte bei den großen Rennen stets mehrere Pferde laufen, von denen einige sogar wertvolle Preise machten. Zu seinem Unglück war er mit der kleinen Lucie des Etoiles liiert, einem ebenso hübschen wie kapriziösen Mädchen, dessen Wettleidenschaft schon die Ver mögen mehrerer Liebhaber verschlungen hatte. Der Baron hatte an meinem Antrittsdiner teilgenommen und konnte den feinen Ton desselben nicht genug loben. Weiß der Himmel, der alte Schwerenöter mochte etliches gewohnt sein, wenn er dies schon als feinen Ton betrachtete! Denn immerhin hatten sich die «Da men» nach dem Diner bis auf die Unterröcke entblößt, um eine Art klassischer Schönheitskonkurrenz durchzuführen, und Lucie, die ziemlich bald einen Schwips gehabt hatte, war eifrig bemüht gewesen, ihrem Baron und dem hübschen jungen Marquis Hya zinth de Bonregard gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit zu bewei sen, während die rassige Mauricette Rossignol, die die Mätresse des Marquis war, sich in einer Art von Bauchtanz produzierte, bei dem sie höchst freiwillig ihren Nabel und noch ein wenig mehr zur Schau stellte. Wie konnte man da bloß von einem feinen Ton reden? Immerhin konnte ich aus den Komplimenten des Barons schließen, daß es in etlichen anderen Salons der Demimonde noch etwas hemmungsloser zuging. Vielleicht
würde man seine Lehre daraus ziehen müssen. Allerdings hielt ich nicht viel davon, mich auf diesem schlüpfrigen Boden allzu weit vorzuwagen. Eine Demimondaine gerät nicht weniger leicht in Verruf wie eine ehrbare Frau – wenn auch auf etwas andere Weise –, und dann ist ihr Abstieg so gut wie gewiß. Und genau das mußte ich um jeden Preis vermeiden, wenn ich mein Ziel je erreichen wollte. Der Baron war trotz seines nicht gerade erfreulichen Äußeren ein angenehmer Mensch, wie mir schien. Er machte mir ent schieden Avancen, die ich allerdings mit Geschick ignorierte, weil ich es nicht riskieren wollte, die lukrative Freundschaft des Gra fen zu verlieren. Auch wollte ich mich nicht mit der hübschen kleinen Lucie anlegen, die ein wahrer Sprühteufel an Tempera ment zu sein schien. Zu meinem Erstaunen ließ sie sich am nächsten Vormittag bei mir melden. Sie kam mit ihrer Victoria, um mich zu einer Spa zierfahrt in den Bois einzuladen. Ach, was für ein hübscher, verführerischer Dämon diese Lucie doch war! Ich bemerkte bald, daß mich mein erster Eindruck getäuscht hatte. Das vermeintli che Hohlköpfchen, für das ich sie gehalten hatte, entpuppte sich als eine sehr zielstrebige und leidenschaftliche kleine Person, die in des Wortes wahrstem Sinne den Teufel im Leib hatte. Sie war nicht größer als ich, aber schlanker, weniger abgerundet in den Formen, dafür aber um vieles graziler. Ihr Haar, das sie in unzähligen Löckchen kokett aufgesteckt trug, hatte die Farbe von schwarzem Lack. Das hübsche Oval ihres Gesichtchens wirkte auf eine anziehende Weise pikant. Ihr sinnlicher, sorgfältig ge schminkter Mund und die dunklen blitzenden Augen verrieten auf den ersten Blick die Genießerin. Die Männer sagten wenig galant von ihr, daß man ihr das Schweinchen ansähe. Ich wußte nicht, was ich an ihr mehr bewundern sollte: ihr reizendes Äuße res oder ihr sprunghaftes, überaus sinnliches Wesen, das uns vom
ersten Augenblick unserer näheren Bekanntschaft zu Freundin nen machte. Ich glaube, unsere Promenade an jenem Vormittag war eine Sensation. Wir waren wohl die beiden bei weitem hübschesten Frauen im Bois und ergänzten uns auf eine erstaunliche Weise. Ja, es schien geradezu, als wäre die eine jeweils ein wirkungsvoller Rahmen für die Reize der andern. Wir zogen die Blicke der Männer an, wie der Magnet das Eisen anzieht, und ich bemerkte voller Stolz, daß sogar wirkliche Da men, die im allgemeinen indigniert über uns leichte Mädchen hinwegzusehen pflegen, ihre Augen voller Bewunderung auf uns richteten. Wir waren Leben, Fieber, eine fleischgewordene Apo theose der Leidenschaft. In der Hauptallee begegneten wir dem Coupe Juanas. Ach, wie ich dieses Weib haßte! Sie sah wunder voll aus in ihrer Toilette aus weinrotem Crepe und einem strau ßenfedergeschmückten Hut. Ihr Gesicht wäre klassisch zu nen nen gewesen, wenn der viel zu große, ein wenig vulgäre Mund dies nicht verhindert hätte. Sie starrte mit einem beinahe wilden Ausdruck zu uns herüber, und neben sich hatte sie – Stani! Ich bemerkte mit mühsam unterdrücktem Groll, wie sie ihre Hand mit einer besitzergreifenden Geste auf seinen Arm legte. Mein Gatte hatte mich ohne Zweifel erkannt. Ich spürte, wie meine Lider unter seinem Blick zu flattern begannen. Ich konnte gerade noch den Schatten eines Erbleichens erkennen, der über sein schönes, geliebtes Gesicht zuckte. Lucie mußte meine Erre gung bemerkt haben, denn sie wandte sich mir mit großer Auf merksamkeit zu. «Was ist Ihnen, meine liebe Lena?» «Nichts, nichts… Nur eine kleine Schwäche», murmelte ich. Sie faßte nach meinem Arm und gab dem Kutscher ein Zei chen. «Kommen Sie, machen wir einen kleinen Spaziergang, das wird Ihnen guttun! Es ist recht warm heute!» Ich stimmte zu, und Arm in Arm ergingen wir uns in einer der verschwiegenen Seitenal leen. Ich hatte mich inzwischen wieder einigermaßen in der Hand
und ging auf das fröhliche Geplauder Lucies ein, die mir etliche pikante Histörchen aus ihrem Leben erzählte. Nahe dem Champ Catelan grüßten uns zwei recht schneidig aussehende junge Leute, die offensichtlich zu den Bekannten Lucies gehörten. «Welche Überraschung! Sie hier, teure Lucie?» rief der Jüngere der beiden enthusiastisch. «Warum eine Überraschung?» gab Lucie zurück. «Alle Welt ergeht sich doch an einem Morgen wie diesem im Bois. Übrigens, dies ist meine Freundin, Mademoiselle Lena de Mauregard.» Die beiden beugten sich artig über meine huldvoll dargebotene Hand, an der ein Solitär blitzte, den der Graf mir zum Abschied von Monte Carlo geschenkt hatte. «Darf man Sie begleiten?» Lucie wehrte mit gespielter Entrüstung ab. «Unmöglich, meine Herren! Wir vertrauen uns gerade unsere zartfesten Geheimnisse an.» «Geheimnisse! Welch ein Wort aus dem Mund einer schönen Frau! Wirklich, ein Grund mehr, Sie zu begleiten! Es gibt für einen Mann nichts Aufregenderes, als hinter die Geheimnisse einer schönen Frau zu kommen!» Lucie brach in ein silberhelles Gelächter aus. «Aber was, meine Herren, wenn wir keine Mitwisser haben wollen?» «Sie Boshafte, hören Sie auf, uns zu quälen! Es ist Zeit, daß Sie uns Madame vorstellen und uns erlauben, Ihre Bekanntschaft zu machen.» Lachend wandte sich Lucie an mich. «Nehmen Sie die beiden bloß nicht ernst, teure Lena. Monsieur Albert Tisin ist Journalist und ein großer Schwätzer. Und hier haben Sie Monsieur Solen court, den Musiker.» «Oh, wirklich?» Mein Interesse galt hauptsächlich Tisin, der wie Stani Journalist war. Womöglich kannten sich die beiden, und ich konnte durch ihn etwas über meinen Gatten erfahren. Er sah übrigens nicht schlecht aus, ein Mann Anfang der Drei ßig, breitschultrig und mit jener gewissen rassigen Grazie, wie sie manchen Raubtieren eignet. Seine braunen Augen musterten mich unternehmungslustig. Er bemerkte mein Interesse und bot
mir den Arm. «Sie müssen mir über sich erzählen, Madame. Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen unter unseren gefeierten Schönheiten einen bevorzugten Platz einzuräumen.» «Sie dürfen es tun, Tisin», erwiderte Lucie an meiner Stelle. «Sie ist ein Stern, der viele andere erblassen lassen wird: die Freundin Clamerans!» «Oh, des Abgeordneten? Welch ein Glück. Clameran ist groß zügig und Sie wunderschön, Madame. Eine ideale Verbindung! Werden Sie mir erlauben, Ihnen an einem dieser Tage meine Hochachtung durch einen Besuch zu bezeugen?» Der Ton, in dem er dies sagte, war unmißverständlich. Aber der Mann gefiel mir trotz seiner Liebenswürdigkeit nicht besonders. «Meine Besuchstage sind noch nicht fixiert, Monsieur», zierte ich mich. «Aber im allgemeinen kann man mich nach meiner Rückkehr aus dem Bois zu Hause antreffen.» «Oh – und Sie werden mich empfangen?» «Wenn Sie ein artiger Junge sind…?» Ich warf einen schrägen Blick auf ihn. Er schien allmählich Feuer zu fangen. «Morgen, wenn es Ihnen recht ist?» «Ja, gut, ich willige ein. Sagen wir morgen um drei!» Ich würde die Gelegenheit benutzen, um zu versuchen, etwas über Stani zu erfahren. Seit der Begegnung in der Hauptallee waren all meine Gedanken bei ihm. Die beiden jungen Leute verließen uns am Ende der Allee mit vielen Komplimenten. Lucie fragte mich unumwunden: «Wie gefällt Ihnen Tisin?» «Ich weiß nicht. Er schien recht manierlich.» «Er ist ein Mann von Zukunft, meine Liebe. Aber glauben Sie kein Wort, das er sagt. Ich kenne wenige junge Männer, die so skrupellos sind wie er. Übrigens, für eine Frau wie Sie könnte er eine reizvolle Kaprice bedeuten.» «Sagen Sie das nicht, meine Teure!» tat ich entrüstet. Aber sie lachte zu meinen Bedenken. «Was glauben Sie, wie oft das in unseren Kreisen vorkommt! Auch wenn man zuerst gar nicht so richtig daran denkt, irgendwann ist es dann soweit. Tisin ist jung und recht liebenswürdig, und er kann Ihnen bei Ihrem gesell
schaftlichen Aufstieg behilflich sein, meine Liebe. Das sind immerhin etliche Gründe, um unser Blut in Wallung zu bringen, habe ich nicht recht?» Ich mußte beinahe wider Willen lachen. «Und Sie? Werden Sie oft in solche Wallungen versetzt?» Sie zuckte die Achsel. «Meine Natur erfordert es. Ich habe da eine hübsche kleine Affäre mit Solencourt. Der Junge entschädigt mich einigermaßen für diesen langweiligen Obrenval. Es ist schon ein Jammer, daß immer die verkehrten Leute das Geld haben…» In diesem Punkt konnte ich nur zustimmen. Seit ich Stani wiedergesehen hatte, war es um meine Ruhe end gültig geschehen. Ich mußte ein Mittel finden, ihn endlich, end lich wieder in meinen Armen zu halten. Für dieses Glück war ich bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Ich verbrachte etliche schlaflose Nächte, ohne meinem Ziel näher zu kommen. Ein Glück, daß der Graf nicht auf den Einfall kam, mich zu besuchen. Ich weiß nicht, ob ich die Geduld aufgebracht hätte, mich ihm als eine willige und zärtliche Geliebte zu erweisen. Ich ging nicht aus während der nächsten Tage, doch dann faßte ich schließlich einen Entschluß und ließ anspannen, um in den Bois zu fahren. Es war ein wunderschöner lauer Vormittag, und ich bebte vor Hoffnung, daß Stani vielleicht wieder dort sein würde. Angstvoll spähte ich nach allen Seiten, ob ich ihn sähe. Richtig, da war die Kutsche Juanas wieder. Ich schnitt eine Grimasse vor Ärger über ihren Anblick. Sie gab sich ganz wie eine gefeierte Salonlöwin und tat so, als ob ihr Stani rechtens gehöre. Er sah mich übrigens sofort, und ich bemerkte an seinem Blick, daß er mich immer noch liebte. Seine ganze Seele lag in diesem Blick, ich war von einem Augenblick zum nächsten toll vor Freude, vor Liebe, vor Trunkenheit. Stani, mein Geliebter… er liebte mich, er hatte mich nicht vergessen! Es würde nur eines Wortes, einer Geste bedürfen, und alles wäre wieder, wie es früher gewesen war.
Juana hatte nichts von diesem kurzen, seligen Augenblick be merkt, da unsere Seelen über die Breite der Promenade hinweg ineinandertauchten. Ihre Aufmerksamkeit war vielmehr auf einen älteren Herrn gerichtet, der einen Fußweg entlangging und ihr ein Zeichen machte. Ich begriff augenblicklich: Stani drückte also ein Auge zu und diente dadurch, daß er sich den Anschein gab, ihr zahlender Freund zu sein, als Köder für die Männer, nach denen die hüb sche Juana angelte. Oh, ihn jetzt sprechen, jetzt in meinen Armen halten können! Mein Herz ertrank in Wonne bei dem bloßen Gedanken an ihn. Ich fuhr langsam vor seiner Kutsche her. Juana hatte an einer der Seitenalleen halten lassen und befand sich nun ohne Zweifel in ihrem Jagdrevier. Ich wandte mich um, er war allein und hielt seine glühenden Blicke auf mich geheftet. Mein Entschluß war im Nu gefaßt. Ich befahl dem Kutscher, zu halten und mich später an der großen Kaskade zu erwarten. Mit vor Ungeduld schwankenden Knien promenierte ich eine der verlas senen Alleen entlang. Nach wenigen Schritten hörte ich, daß er mir folgte. «Rinette! Meine liebste Rinette!» Oh, diese Stimme! Wie ist es nur möglich, daß eine Stimme einen solchen Aufruhr in einer Frau verursachen kann? Ich wandte mich ihm mit einer raschen Bewegung zu. «Stani! Du bist es wirklich?» Er nahm mich einen Moment lang in seine Arme und küßte mich leidenschaftlich. «Du bist mir nicht mehr böse?» forschte ich. «Böse? Wie könnte ich? Ich lebe nur in Gedanken an dich», gab er zur Antwort. Meine Blicke verschlangen sein Gesicht, das mir jetzt, nach der langen Trennung, womöglich noch schöner erschien. Alles er kannte ich wieder. Meine Augen liebkosten Zug um Zug seines Gesichts; die Augen, die jetzt feucht schimmerten von der Be gierde, die unser Wiedersehen in ihm ohne Zweifel erweckt hatte, die scharfe vorspringende Nase, die schmalen herrischen Lippen!
Er hatte winzige Fältchen in den Augenwinkeln, die ihn mir wenn möglich noch liebenswerter erscheinen ließen. «Warum hast du Elvira verlassen?» wollte ich wissen, als wir uns für den ersten Augenblick aneinander gesättigt hatten. Er war sehr groß und schlank und hatte seine Hand leicht um meinen Nacken gelegt, wie ich es liebte. «Sie hat mich zu sehr an dich erinnert. Ich konnte sie nicht mehr ertragen», sagte er leise. «Sag, ist es wahr, daß du mit diesem Paulet etwas hast?» forschte ich ungeduldig. Ich wollte alles wissen. Die Frage schien ihn zu amüsieren, denn er brach in ein heite res Gelächter aus. «Paulet ist scharf auf hübsche Jungen, das ist die Wahrheit. Aber die Beziehung, die mich mit ihm verbindet, hat damit nichts zu tun. Er ist in seiner Art ein bemerkenswerter Mann. Männer wie er sollten die Möglichkeit haben, ihre Ideen zu verwirklichen. Dann sähe es auf dieser Welt besser aus.» Diesen Ton kannte ich allerdings. Der gute Stanislas! Er war so leicht von den Weltverbesserungsideen dieser gewissenlosen Schwärmer zu beeindrucken, die anscheinend nur dazu da sind, um Unruhe zu stiften und die Leute in Schwierigkeiten zu brin gen. «Oh, du meinst, er ist ein Revolutionär?» «Im gewissen Sinn ja. Aber verstehst du nicht, Rinette, wir brauchen diese Leute, wenn wir wollen, daß in diesem verrotte ten Staat jemals etwas besser werden soll!» «Du bist ein Schwärmer, mein Engel! Wie sollte es je anders werden? Die Reichen haben das Geld und formen die Welt, wie es ihnen gefällt. Daran können wir nun einmal nichts ändern. Wir können nur versuchen, uns auch eine Scheibe davon abzuschnei den. So wie wir es tun…!» Sein Gesicht war blaß unter der Sonnenbräune. «Aber für wel chen Preis, Rinette, für welchen verdammten Preis!» rief er schmerzlich. «So verachtest du mich also?» forderte ich ihn heraus. «Wie könnte ich? Es gibt keinen Tag, an dem ich unsere Trennung nicht verfluche, und trotzdem, ich weiß, daß ich deine Entschei dung billige. Es ist das Ziel, Rinette, das wir vor Augen behalten
müssen.» Meine Blicke senkten sich leidenschaftlich in die seinen. «So leidest du auch, mein Geliebter?» Er preßte mich für einen Augenblick an sich. «Mehr als ich es dir sagen kann. Glaube mir, es gibt keine Frau, die dich ersetzen könnte.» «Auch nicht diese Juana?» «Juana? Ihretwegen brauchst du dir keine Gedanken zu ma chen. Ich habe meine Gründe, diese Beziehung nach außen hin aufrechtzuerhalten. Aber ich liebe sie nicht. Ich habe nie eine andere Frau geliebt, das kannst du mir glauben.» «Aber jetzt… bist du nicht glücklich, daß wir uns wiedergefun den haben?» «Haben wir das?» fragte er heiser. Ich erriet, was er sagen woll te, und mein Herz frohlockte, als ich den Schatten der Sehnsucht erkannte, der wieder und wieder über sein Gesicht hinzog. Er trug der Mode gemäß sehr knapp sitzende Hosen und ich be merkte recht gut, was ihn bewegte. Mir selbst ging es nicht viel besser, ich spürte mich von einem Moment zum nächsten über fließen. «Stani, mein Geliebter», bat ich ihn, «hab nur ein bißchen Geduld mit mir. Ich werde es einrichten, daß wir uns wiederfin den können so wie damals. Aber ich bin eben erst nach Paris zurückgekehrt. Nun muß ich herausfinden, ob ich meinem Per sonal vertrauen kann. Dann… ach, dann will ich die letzte Erin nerung an Juana aus dir vertreiben!» «Juana? Oh, mach dir keine Sorgen darüber. Sie existiert für mich nicht mehr, wenn ich bei dir bin. Aber sag mir, wozu sollen wir warten? Wir könnten in irgendeines der Stundenhotels gehen, du weißt, es gibt davon in dieser Gegend genug.» «Ein Stundenhotel!» Ich war schockiert. Wie konnte er unsere erste Liebesbegegnung nach so langer Zeit in ein Stundenhotel verlegen wollen? Ein Fest… es sollte ein Fest werden, wie ich noch niemals eines erlebt hatte. Die Entbehrung hatte meine Sehnsucht ins Unbeschreibliche gesteigert. «Nein, nein, mein Geliebter», wehrte ich ab. «Nur etliche Tage, dann werden wir wieder vereint sein. Eine halbe Stunde wie jetzt
in Eile, in irgendeinem dieser schmutzigen häßlichen Hotelzim mer würde unserer Liebe doch nicht genügen. Wir werden eine ganze Nacht für uns haben, eine Nacht, die alle Nächte unseres Lebens überstrahlen soll!» Er lächelte zärtlich. «Meine kleine Schwärmerin! Gut, ich werde warten, wenn du es willst.» «Übrigens, ich will, daß du dich mit Elvira wieder versöhnst! Sie ist eine verläßliche Freundin, und ich kann ihr Nachricht geben.» Ich bemerkte an seiner Miene, daß ihm dieser Gedanke gar nicht behagte, aber ich ging nicht weiter darauf ein. Ich hing an seinem Arm und zog ihn mit mir fort in den Schatten eines Taxusgebüschs. «Du mußt mir alles von dir erzählen. Ich muß alles von dir wissen, was du tust, wie du lebst! Was bedeutet deine Liaison mit dieser Juana, wie hast du es angefangen, daß sie dich eben allein ließ?» Er lächelte auf mich herunter. «Wie soll ich all diese Fragen auf einmal beantworten, mein Engel! Ich bringe es nicht fertig, ver nünftig zu denken. Du bist schöner als je. Mein Herz bricht bei der Vorstellung, daß ich dich gleich wieder verlassen muß.» «Denke nicht daran, sondern antworte mir!» Ich brach in ein nervöses kleines Gelächter aus. «Stell dir vor, da promenieren wir hier wie ein sehr, sehr braves Liebespaar, das noch alles vor sich hat. Ist das nicht komisch, wo wir beide schon so viel zusammen erlebt haben? Ich komme mir wieder in die Zeit versetzt vor, da ich nur dir gehörte…» Sein Lächeln vertiefte sich. «Wirklich, du bist eine Romantike rin. Aber vergib mir, ich kann jetzt nicht reden, nicht in diesem Augenblick, wo ich vor Sehnsucht nach dir verbrenne. Am lieb sten möchte ich alle Vorsicht vergessen und dich hier im Schat ten dieses Gebüschs auf den Boden werfen. Aber ich muß stark sein, du hast recht, es wäre alles verloren, wenn wir jetzt dieser Neigung nachgeben wollten.» «Wohin hast du Juana geschickt?» wiederholte ich. Er wurde ungeduldig. «Zum Teufel mit Juana! Sie hat eine Affäre mit diesem Mann, der allerdings den Vorteil hat, sehr reich zu sein.
Sie bemerkte ihn zufällig im rechten Moment und sagte, daß sie ihn zu sehen wünsche. Ich ließ sie nach der Pont Dauphine abziehen und überließ sie mit Freuden ihrer Leidenschaft!» «Stani, ich will nicht, daß du von ihr Geld nimmst. Es würde mich verletzen!» sagte ich eindringlich. Er begann wieder zu lachen. «Unsinn, mein Liebes. Die gute Juana hat nichts, um es mir zu geben. Aber das ist eine besondere Geschichte. Sie ver wendet alles Geld, das sie auf diese Weise verdient, um Paulets Schriften zu finanzieren. In ihrer Art ist sie eine Idealistin, das kannst du mir glauben. Sie hat einen Drucker aufgetrieben, der ist ganz toll nach ihr. Trotzdem verschlingt die Sache viel Geld. Auch dein Geld, mein Engel! Ich habe selbst schon etliches beigesteuert.» Ich legte erschrocken meine Hand auf seinen Arm. «Oh, Stani, das sollst du nicht tun. Bedenke nur die Gefahr! Wenn die Polizei dahinterkommt, ist es um deine Existenz ge schehen, und wir würden für immer getrennt werden.» Er lächelte flüchtig. «Du kleines Närrchen! Begreifst du denn nicht, es gibt Dinge, die für einen Mann noch mehr bedeuten als die Frau, die er liebt!» «Dann ist dieser Mann ein Undankbarer», rief ich in plötzlichem Zorn. Seine Hand faßte verstohlen nach meinen Brüsten, die sich verwegen durch das Spitzengeriesel meines Dekolletes zu stehlen versuchten. «O nein, mein Engel, das ist er nicht. Glaube mir, Rinette, ich begehre nichts mehr als dich, aber das hat gar nichts mit den sonstigen Interessen zu tun, die ich habe. Wenn ich bei dir bin, sind alle andern Gedanken ausgeschaltet.» Der Ton, in dem er dies sagte, bewies mir hinlänglich, daß er die Wahrheit sprach. Trotzdem war ich beunruhigt. «Sag mir alles über dich! Was machst du sonst?» Er zuckte die Achsel. «Ich schreibe Artikel für Le Soir Rouge, und etliche andere Blätter. Daneben spekuliere ich an der Börse, nicht auf eigene Rechnung natürlich. Es verleiht mir ein gewisses Anse hen.»
«Ja, ich verstehe. Diese Neigung zum Journalismus, zur Litera tur wird einen großen Mann aus dir machen», sagte ich voller Stolz. Er lächelte resigniert. «Vielleicht, eines Tages, mein Engel. Aber mein Geist ist sehr müde.» Er unterbrach sich. «Erzähl mir doch von dir, ich weiß noch nicht einmal, wo du wohnst, für den Fall, daß ich dir einmal eine Nachricht zusenden muß. Ich meine, wenn etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte.» Ich spürte, wie eine heiße Angst in mir aufstieg. «Etwas Unvor hergesehenes? Oh, Stani, was meinst du damit?» Er sah an mir vorbei. «Das Leben ist nicht mehr so, wie es war, meine Liebe. Es könnte ja sein, daß etwas geschieht, das unsere Pläne verhin dern könnte.» Er bemerkte meine besorgte Miene und schlug einen leichteren Ton an. «Sei unbesorgt, mein Herz, es ist nichts zu befürchten. Aber schließlich, man weiß ja, wie das Leben spielt. Also sag deine Adresse!» «Rue Ampere No. 17. Clameran hat mir da eine Wohnung ein gerichtet. Sie wartet darauf, dich als meinen Geliebten zu emp fangen. Wird das nicht drollig sein? Mein Gatte, der mein heimli cher Herzensfreund ist. Oh, das wird wundervoll sein. Ich bin ganz vernarrt in dieses wundervolle Paris, das dich mir wiederge geben hat. Schließlich bin ich sechs Monate lang herumgereist!» «Und der Graf?» «Oh, der ist nicht sehr anspruchsvoll. Ich frage mich manchmal, ob er von Stein ist. Gerade nur die einfache Sache und sonst nichts…» Ich zog bei der Erinnerung an den guten Clameran eine Schmollmiene. Stani sah unglücklich drein. «Wirklich gar nichts?» «Wenn ich dir sage: nichts, nichts, nichts!» «Trotzdem, dieser Mann hat gewisse Rechte über dich, Rechte, die im Augenblick größer sind als die meinen. Und dann deine anderen Liebhaber!» Ich hielt den Atem an. War er am Ende wirklich eifersüchtig? Das wäre ein völlig neuer Zug an meinem großzügigen Geliebten gewesen. «Ach, das ist gar nichts, mein * Engel», beruhigte ich ihn. «Der Graf zahlt mehr als alle andern
Liebhaber zusammen. Und wenn ich eines Tages von ihm genug habe, werde ich ihm den Laufpaß geben.» «Du bist eine Grausame!» «Ja, warum nicht! Glaubst du etwa, ich bin für ihn etwas ande res als ein Möbelstück, eine günstige Gelegenheit, die er teuer erkauft hat? Ich bin für ihn nichts als ein Luxusobjekt, das ihm den Nimbus verleiht, ein toller Kerl zu sein. Sei versichert, wenn er eine andere, ihm besser passende Liaison fände, er würde mich von einem Augenblick zum nächsten fallen lassen. Du siehst wohl, mein Engel, ich muß meine Gelegenheiten nützen.» Ach, daß die Zeit niemals so schnell vergeht, wie wenn man glücklich ist! Es war mir, wie wenn wir uns eben erst getroffen hätten, als ich ihm schließlich bei der großen Kaskade Adieu sagte. Ich litt mehr unter diesem Abschied, als ich es in Worten sagen kann. Ich betrat meine Wohnung und fand, daß Albert Tisin mich erwartete. Noch aufgewühlt von meiner Begegnung mit Stani, sah ich ohne Zweifel recht anmutig aus. Ich begrüßte meinen Gast sehr liebenswürdig, und er präsentierte mir ein Exemplar von Toute le Monde, in dem er einen überaus artigen Artikel über den neuen Stern veröffentlicht hatte, der in der Pariser Demimonde neuerdings aufgegangen war. Ich bemerkte voll Stolz, daß sich mein angenommener Name Lena de Mauregard gedruckt recht manierlich ausnahm. Ich bedankte mich für diesen schmeichelhaften Artikel mit großem Vergnügen und ließ durch blicken, daß ich nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, um mich dafür erkenntlich zu zeigen. Geld oder Gefälligkeit, muß ein Mädchen wie ich nicht alles mit ihrer Person bezahlen? Übrigens war dieser Tisin wirklich sehr galant. Er zog sich auf der Stelle zurück, als man mir die Ankunft des Grafen meldete. Es war, als ob Clameran das Erwachen meiner Sinnlichkeit ge spürt hätte. Ich bemerkte, daß auch er etwas mehr Temperament
zu zeigen begann. Während des Soupers, das wir zusammen einnahmen, fragte er mich immer wieder nach meiner neuen Freundschaft mit Lucie aus, und als wir uns schließlich in mein Boudoir zurückzogen, nahm er mich mit einer gewissen Brutali tät, die mir nicht übel gefiel. Er hatte eine Negerin kennengelernt und erzählte mir von ei nem Liebeskampf mit ihr. Die schwarze Farbe hatte ihn beson ders stimuliert. Es irritierte ihn jedoch, daß die schwarze Blume zwei Arten bevorzugte: entweder machte sie es ihm mit ihren üppigen Lippen, oder sie verlangte von ihm einen Angriff von hinten auf ihren neckischen Steiß. «Von hinten?» fragte ich zurück. «Machte das denn besonderen Spaß?» Mit dieser Art zu lieben hatte ich noch keine besondere Erfahrung. «Wenn du Lust hast, können wir ja mal den Weg durch die kalte Küche probieren.» Und ob ich Lust hatte. Schließlich war ich im Studium der Lie be nicht nur stets eine gelehrige, sondern auch eine wißbegierige Schülerin. «Was die Schwarzen können, kann ich schon lange», entschied ich. Ich drehte mich auf den Bauch, zog meine Knie unter meinen Körper und streckte ihm meine wohlgerundete Weltkugel entgegen, die sicher prächtig mit ihren beiden weißen Hälften leuchtete. Dazwischen prangte braungelockt der Eingang zu meinem Liebesgarten. «Knie dich hinter mich», sagte ich. Aber das hatte er längst getan. Ich blickte über meine Schulter und bemerkte, wie er mit unverhüllter Gier mit seinem strotzenden Hahn die Pforte meiner Wonnen anvisierte. Dann stieß er blind lings zu, so sehr hatte ihn die Urweltlandschaft eingeladen, sie zu kultivieren. Aber mich durchzuckte es schmerzhaft. Der Jäger hatte schlecht gezielt und das falsche Loch getroffen. Das tat weh. Ich schrie auf und verwies ihn: «Aber doch nicht in dieses Loch, Lieber. Tiefer, weiter nach unten. Du mußt wirklich mehr üben.» Abermals nahm er Maß. Und jetzt fuhr er in die richtige Öffnung hinein. Er drang sehr tief ein. Mein feuchter Gang schien ihm endlos lang zu sein. Darum drängte ich meine war
men Hinterbacken dicht an ihn heran. Erst als seine Schamhaare sich an ihnen rieben, stoppte ich seinen Vorstoß. Ich hielt mein Gesicht zwischen meinen Händen. Er sagte mir viele geile Sa chen, wie’s halt die Männer tun in solchem Augenblick. Mein langer Rücken und vor allem der Po erregte ihn maßlos, ganz besonders konnte er beobachten, wie seine Maschine ein und aus fuhr, glänzend und gut geölt. Diese Perspektive machte ihn ganz rasend. Langsam zog er sein Glied wieder zurück. Instinktiv packte er besitzergreifend meinen liebevoll dargebotenen Hintern. Er stützte sich auf mein weiches Fleisch und schwang im Takt meiner Lust vor und zurück. Ich beantwortete jeden seiner Vorstöße mit lustvollem Stöhnen. Langsam rutschten mir die Beine nach hinten weg. Allmählich sanken wir immer tiefer. Er folgte mir jedoch, ohne meinen Tempel zu verlassen. Wie ein Kissen lag mein Hinterteil jetzt unter ihm. Bei jedem Stoß federte mein heißes Fleischpolster. Mit der Regelmäßigkeit eines Dampfkolbens fuhr sein Penis in meine gut geschmierte Röhre hinein, die immer mehr Feuchtig keit absonderte, bis ich kaum noch eine Reibung spürte. Darum bat ich ihn, sein Tempo zu erhöhen. Das tat er gern, und ich schrie auf vor plötzlich starker Lust. Mit jedem Stoß versetzte er meinen Körper in heftigere Schwin gungen. Er riß an meinen Haaren, aber es tat nicht weh. Durch diesen Orkan heftiger Stöße krachte plötzlich unsere Liege zusammen, weil ein Bein abbrach. Aus dieser schiefen Ebene rutschten wir zu Boden, jedoch ohne unsere Vereinigung zu unterbrechen. Auf dem Boden liebten wir uns weiter, ohne uns um das Wrack unseres Sofas zu kümmern. Und jetzt, als die Polster die Wucht seiner Stöße nicht mehr mildern konnten, genoß ich diese Position erst richtig. «Du stößt wie ein russischer Großfürst», sagte ich bewundernd. «Sind die auch so wild?» stöhnte er. Noch drei tiefe Stöße von ihm, dann konnte er sich nicht mehr beherrschen, und er ließ seinen Samen verströmen. Das war schon ein toller Sturm! Das
sollten wir öfter tun. Er versprach es mir. Als er schließlich gegangen war und ich Zeit hatte, über all das nachzudenken, was mir soeben widerfahren war, ließ ich meinen Gatten vor dem Richterstuhl meiner Vernunft erscheinen. Wirklich, er kam dabei nicht allzu gut weg. Denn war er, der ohne mit der Wimper zu zucken von dem Umstand profitierte, daß ich mich prostituierte, denn im Grund genommen etwas anderes als ein Zuhälter, ein Kuppler? Hatte er nicht meine Liebe, die ich ihm in überreichem Maß entgegengebracht hatte, nur zu bereitwillig für die Aussicht auf ein bequemes Leben preisgegeben? Gewiß, er war ein bezau bernder Junge, und er würde eines Tages eine beachtliche Karrie re machen. Aber warum gerade um diesen Preis? Freilich, wir waren beide arm, und ein Mann, dem es an dem nötigen Kapital mangelt, kann in unserer Welt nichts wahrhaft Großes erreichen. Warum sollte ich ihm da nicht unter die Arme greifen, warum seine Talente, seine Neigungen, seine Interessen nicht fordern, selbst wenn dies nur durch die Preisgabe meines Körpers ge schehen konnte? Was war das bloß für eine Moral, welche Ehr barkeit und Gesittung von der Höhe der Bankobligationen ab hängig machte? Ich erinnerte mich nur zu gut der Zeit, da ich selbst ein ebenso ahnungs- wie mittelloses junges Ding gewesen war. Schon damals hatte es mir geschienen, als ob die Leute jene Tugenden, die sie in ihrem eigenen Bereich nicht genug preisen konnten, bei einem armen Mädchen förmlich als unstandesge mäße Anmaßungen betrachteten. Warum also sollte ich das Kapital, das ich als einziges von der Natur mitbekommen hatte, nicht nützen? Schließlich, ich war jung, schön und intelligent genug, um das zu unternehmen, was mein Gatte allein nicht unternehmen konnte: den Kampf gegen eine Gesellschaft aufzunehmen, die uns beiden nicht einmal die Luft zum Atmen lassen wollte. Obwohl mich Stanis revolutionäre Tendenzen beunruhigten, war ich mir doch völlig darüber im klaren, daß er im Grund recht hatte.
Ja, noch mehr, daß wir sogar dasselbe Ziel verfochten, wenn auch mit anderen Mitteln. Denn öffnete nicht für die Gunst, die ich zu vergeben hatte, der Besitz seine eisernen Schränke? Ich bin eine Waffe, die für die Sache der Armut streitet, und mein Mann hat alles Recht, meine Erfolge mit mir zu genießen! Teurer Geliebter, wenn die Welt dich verurteilt, mein Herz und meine Vernunft sprechen dich frei. Und schließlich, wen geht es überhaupt etwas an, was sich zwischen uns abspielt? Solange wir beide davon überzeugt sind, das Richtige zu tun, mag die Gesell schaft nach ihren Gesetzen leben. Wir leben getrost nach den unsrigen! Am Nachmittag war ich, wie vereinbart, bei Elvira. Nun denn, ich versetzte mich mit Passion wieder in diese Periode der erotischen Szenen zurück, die wir beide zusammen einst für die reichen Zahler spielten. Zwar, Barfleur hatte ich damals gerade nicht besonders geschätzt. Er war plump, grob und unan sehnlich und roch schlecht. Auch war er früher nicht gerade der Freigebigste gewesen. Doch nun hatte er sich sogar dazu ver standen, 2.000 Francs im voraus zu zahlen. Wenn sie eine Zeit lang fort gewesen ist, steigert sich der Wert einer schönen Frau in einer höchst erfreulichen Weise. Übrigens zeigte sich der gute Barfleur auch sonst von seiner besten Seite, ja, er übertraf sich in mancher Hinsicht beinahe. Ich schrieb diese erfreuliche Tatsache im stillen Elviras Einfluß zu. Ich kam zu früh, um die Gelegen heit wahrzunehmen, mit meiner Freundin aus längst vergangenen Tagen noch ein wenig zu plaudern. Sie gefiel mir noch immer recht gut, diese Elvira, aber irgendwie merkte ich doch, daß wir uns einigermaßen entfremdet hatten. Nun freilich, unsere Wege waren weit genug auseinandergegangen. Sie empfing mich aller dings auf das zärtlichste und küßte und umarmte mich leiden schaftlich. «Wirklich, da bist du ja, mein Liebling. Und so hübsch! Sag, wir werden Barfleur ordentlich die Hölle heiß machen?» «Gewiß, meine Liebe!» stimmte ich ihr zu. «Stell dir vor, ich habe Stani getroffen!» Sie errötete ein wenig. «Oh, wirklich? Und wo?»
«Nun, wo alle Welt sich um diese Jahreszeit trifft: im Bois na türlich! Oh, meine Liebste, es war herrlich, ihn wiederzusehen.» «Du hast mit ihm gesprochen?» «Über eine Stunde, ja. Ich bin sehr glücklich. Wir werden uns wiedersehen.» «Hat er von mir gesprochen?» Etwas wie Spannung lag in ihrer Stimme. «Ja, er hat mir gesagt, daß du ihn zu sehr an unsere gemeinsa men Zeiten erinnert hast.» «Ah, deshalb. Ich fürchtete schon, ich hätte meine Anziehungs kraft auf ihn verloren. Er ist ein reizender Mann, dein Gatte.» «Bist du ihm böse?» Sie zögerte mit der Antwort. «Nun, ein wenig. Aber gestehe nur, es ist auch ein starkes Stück, Juana mir vorzuziehen!» «Er zieht sie dir gar nicht vor. Seine… Liaison mit ihr hat ande re Gründe.» Sie verzog ihren hübschen Mund. «Oh, du versuchst ihn noch zu entschuldigen?» «Nein wirklich, du mußt mir glauben. Du darfst mich nicht betrüben, Elvira. Sag nichts Böses über ihn, ich liebe ihn viel zu sehr.» Elvira schloß mich einen Augenblick lang in die Arme. «Das tust du, du Gute! Nein, wirklich, ich habe nichts gegen ihn. Aber er hat mich durch sein Verschwinden sehr gekränkt.» «Ihr werdet euch wieder versöhnen.» «Oh, später, später vielleicht. Zunächst werde ich ihm gewiß die Hölle heiß machen, deinem geliebten Filou…» Ihre Augen blitz ten. Ich verstand sehr gut, daß ihre Drohungen nicht ernst ge meint waren. Weichte Frau wäre imstande gewesen, auf die Dauer Stanis Charme zu widerstehen? Wir benützten die Gelegenheit, uns gegenseitig unter vielen Scherzen auszuziehen, und Elvira ruhte nicht eher, bis ich eines ihrer sehr hübschen Negliges angelegt hatte. Wir hatten nahezu dieselbe Figur, und das zartgrüne Gebilde mit seinem reichen Spitzenbesatz paßte wundervoll zu meinen Haaren und Augen.
Barfleur unterbrach durch sein Kommen unser vertrautes Tête-à tête, und ich muß gestehen, ich konnte mich nicht genug ver wundern. Er reichte jeder von uns ein hübsch arrangiertes Bukett von Rosen und Maiglöckchen und erging sich in sehr galanten Schmeicheleien, die unsere Schönheit und Anmut betrafen. Ich bemerkte mit Erstaunen, daß er mir gar nicht mehr so zuwider war, wie dies früher der Fall gewesen war. Seine Augen glänzten förmlich vor Vergnügen, mich wiederzusehen. «Wirklich, meine Teure, du bist noch viel schöner geworden», stellte er fest. «Aber sag bloß, wo bist du die ganze Zeit gewesen, da man nichts von dir gehört hat?» «Ich war auf Reisen…» «Olala, ich verstehe. Eine mondäne Schönheit, die die mondän sten Plätze unsicher macht! Also hat man die Wahrheit gesagt. Es gibt diesen Grafen wirklich?» «Clameran? Aber ja. Er nennt sich mein Beschützer und ist wirklich ein sehr generöser Mann.» «Aber du hast dich trotzdem nicht geweigert, hier zu uns zu kommen?» Etwas wie Staunen schwang in seiner Stimme. «Aber nein, warum sollte ich? Ich bin schließlich keine Un dankbare.» Meine Antwort erweckte offenbar gewisse Gefühle in ihm, die er sogleich in die Tat umzusetzen suchte. Seine plumpen Hände griffen nach mir, und ich bemerkte, daß er sich doch nicht so sehr verändert hatte, wie ich glaubte. «Sieh nur, Elvira, wie reizend sie ist! Ich bin sicher, wir werden einen süperben Abend verbringen», versicherte er mir. In diesem Punkt gingen zwar unsere Meinungen einigermaßen auseinander, aber ich tat doch mein Bestes, um ihn nicht zu enttäuschen. Was soll ich sagen? Da seine Passion hauptsächlich die eines Voyeurs war, kamen unsere gemeinsamen Anstrengungen mehr oder weniger Elvira und mir zugute. Ich bemerkte, wie ich allmählich in Hitze geriet, und fühlte mich tatsächlich in die Zeiten zurück versetzt, da Elvira und ich noch zwei liebende Freundinnen gewesen waren.
Als sich Barfleur schließlich Elviras bemächtigte – meine hüb sche Spielgefährtin war seine Bevorzugte –, tat er es so leiden schaftlich, daß ich wohl merkte, wir hatten bei ihm das Spiel gewonnen. Er rückte auch, kaum daß er sich etwas von den Anstrengungen seiner Leidenschaft erholt hatte, mit einem Vor schlag heraus, der ihn offenbar schon eine Weile beschäftigte, und fragte Elvira, ob sie geneigt wäre, seine ständige Mätresse zu werden. Zu meinem großen Erstaunen antwortete sie, während sie wie eine Katze schnurrend auf seinem Schoß saß: «Verzeih mir, mein teurer Freund, aber dazu kann ich noch nichts sagen. Du weißt, ich habe einen freiheitsdurstigen Charakter. Es ist mir lieber, wenn du fortfährst, mich so zu besuchen, wie du es heute getan hast.» «Wie, für hundert Louis jedesmal? Potztausend!» Er schien är gerlich. «Nein, du großer Dummkopf», beeilte sich Elvira ihn lachend zu beruhigen, «für das, was du gerne gibst, außer wenn du Rinette dabei haben willst. Dann mußt du schon ein übriges tun.» Er schien zu überlegen. «Also schön, 100 Louis pro Monat, und du wirst mich dafür zum Dejeuner empfangen, wenn ich es will. Ich werde dir nicht hinderlich sein, und über die Details werden wir uns schon verständigen. Was hältst du davon?» «Wirklich, du solltest seinen Vorschlag akzeptieren», mischte ich mich ins Gespräch. «Glaub mir, ein ernsthafter Freund ist besser, als wenn du riskierst, eines Tages ins Elend zu fallen!» «Du vergißt meinen Onkel», warf sie unschlüssig ein. «Ach was, der Onkel! Der wohnt auf dem Lande», redete ich ihr zu, «und du warst vor meiner Abreise ohnehin halb entschlossen, einen Freund zu nehmen. Warum also nicht diesen, der zuverlässig ist und den du kennst?» Sie schien noch immer unschlüssig. «Woher diese Laune auf einmal? Und warum gerade jetzt? Schließlich, du hättest ja auch früher davon anfangen können!» «Man ändert eben sein Leben nach den Umständen», gab Bar fleur zurück. «Wirklich, ich habe dich noch nie so reizvoll emp
funden.» Es dauerte eine Weile, bis Elvira zu einem Entschluß gekommen schien. Sie stand auf und trat ans Fenster. «Nein, mein Freund», meinte sie entschieden. «Ich will keine feste Liai son. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ein anderer Mensch mich nach seinem Willen lenken und womöglich seinen Launen un terwerfen könnte.» Barfleur war hinter sie getreten und liebkoste ihre Brüste von hinten. «Warum willst du nicht verstehen, mein Engel», murmelte er und drückte sein Gesicht gegen ihre entblößte Schulter. «Es handelt sich doch nur darum, mich als wirklichen Freund zu betrachten und mir bei dir gelegentlich geheimen Eintritt zu gewähren.» «Geheimen Eintritt? Ah, ich verstehe! Ich durchschaue dich. Du bist ein Voyeur, mein Schatz, und möchtest gerne zuschauen. Na warte, du Schelm! Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll!» Ich machte der Debatte ein Ende, indem ich mich schließ lich verabschiedete. Es war inzwischen schon spät geworden, und womöglich würde der Graf unangemeldet erscheinen. Übri gens war ich recht zufrieden mit dem Geweih, das ich ihm so eben verpaßt hatte. Etliche Tage später bemerkte ich eines Morgens meinen Gatten vor meiner Wohnung promenieren. Er schlenderte scheinbar gleichgültig dahin, doch ich bemerkte mit Herzklopfen, wie genau er das Haus und seine Umgebung musterte. Mein armer Liebster, er hatte solche Sehnsucht nach mir. Ich dachte darüber nach und war noch mit meiner Toilette beschäf tigt, als Mirette mir die Karte Albert Tisins überbrachte. Ich runzelte unwillig die Brauen. Ausgerechnet jetzt! Der Junge hatte es eilig, sich seinen Artikel bezahlen zu lassen. Aber immerhin, ich konnte ihm meine Tür nicht verschließen. Also bedeutete ich Mirette, sie möge ihn in den Salon führen, und warf mich in ein sehr pikantes Deshabille, das seiner ent flammten Phantasie Genüge tun konnte.
Er begrüßte mich enthusiastisch. «Ah, wahrhaftig, eine Göttin!» «Sehr liebenswürdig. Ich gestehe, daß ich Sie nicht erwartet hatte.» Er verstand sofort. «Ah, Sie haben über Ihre Zeit schon dispo niert?» «Leider ja. Und angesichts Ihres Besuches bedaure ich dies bei nahe.» Das gesellschaftliche Leben besteht zu drei Vierteln aus Lügen, und die meisten Menschen wissen das. Tisin gehörte offensichtlich zu ihnen; ich merkte es an dem Lächeln, das er mir schenkte. «Vielen Dank für das Leider. Übrigens komme ich, weil ich Ihnen einen Dienst erweisen wollte, für den Sie mir diese Störung verzeihen werden.» «Oh, einen Dienst?» «Meine Teure, Sie wissen wohl, wir Journalisten wissen so gut wie alles. Daher… kurz und gut, ich wollte Ihnen sagen, daß der Graf von Clameran gestern mit Miss Learf, dieser Amerikanerin, die neuerdings soviel von sich reden macht, soupiert hat. Ja, nicht nur das. Dieses Souper hat gewisse Folgen gehabt… Sie verste hen. Kurz und gut, ich wollte Ihnen sagen, daß Ihre Interessen auf dem Spiel stehen. Die Learf begnügt sich nicht mit Halbhei ten, sie will den Grafen ohne Zweifel für sich gewinnen.» Ich spürte, wie ich erbleichte. Diese Nachricht traf mich wahr haftig wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Learf war eine wunderschöne Person. Ihre rotblonde Lockenmähne, ihr zarter Pfirsichteint, ihre verschwimmenden Blauaugen ließen sie wie ein Bild von Gainsborough erscheinen. Sie gab sich sehr emanzipiert wie alle Amerikanerinnen und war offensichtlich völlig skrupel los. Wenn sie es ernsthaft auf Clameran abgesehen hatte, würde ich einen schweren Stand haben. Albert bemerkte meine Verwir rung. Er faßte nach meiner Hand, drückte einen Kuß darauf und murmelte: «Es ist nichts verloren, sie kann Ihnen nicht das Was ser reichen. Und dann… jetzt, wo Sie gewarnt sind, können Sie sich verteidigen.»
«Da haben Sie recht. Oh, Albert, ich stehe tief in Ihrer Schuld», flüsterte ich, durch das, was ich eben erfahren hatte, ernstlich beunruhigt. «Verfügen Sie nur über mich, meine Schöne. Für ein Lächeln von Ihnen bin ich zu allem bereit!» «Für ein Lächeln? Oh, wirklich, Sie sind nicht anspruchsvoll. Ich kann nicht lügen, eine Liaison zur Linken konveniert mir gar nicht, mein teurer Freund, aber ein einmaliges Rendezvous will ich Ihnen einräumen.» Er faßte erneut nach meiner Hand und sagte: «Ich verlange nichts von Ihnen. Binden Sie sich nicht durch Versprechen. Es ist lediglich die Liebe zur Schönheit und mein Patriotismus, die mir gebieten, auf Ihrer Seite zu stehen.» Patriotismus! Der Mann war ein Schwätzer! Aber ich tat so, als ob mich seine schönen Phrasen beeindruckt hätten. «Ich bin Ihnen ewig zu Dank verpflichtet», hauchte ich schein bar zärtlich und lehnte mich ein wenig an ihn. «Oh, Sie werden die Königin von Paris sein, wenn Sie es wollen. Wirklich, Sie beherrschen die Kunst der Verführung wie nur wenige Frauen.» «Ob Sie sich da nicht täuschen? Schließlich ist Paris voll von verführerischen Frauen… », warf ich kokett ein. «Sie alle können Ihnen nicht das Wasser reichen», rief er mit Enthusiasmus. Seine Blicke ruhten auf meinen entblößten Armen, die verführerisch durch das Neglige schimmerten. Ich senkte scheinbar verwirrt meine Augen und murmelte: «Küssen Sie sie, mein Lieber, als Vorschuß, der mich verpflichtet. Doch dann müssen Sie gehen!» Er erwiderte galant: «Ich dränge Sie nicht. Doch da Sie es mir anbieten, gewähren Sie mir die freie Wahl dieses Kusses.» Was sollte ich tun? Ein Mädchen wie ich ist stets dem Kampf der Geschlechter ausgeliefert. Also nickte ich Gewährung, und Albert öffnete mit behutsamen Händen meinen Morgenmantel. Ich fühlte seine Lippen meine Brüste entlang wandern und all mählich tiefer gleiten. Aber seine Küsse erregten mich nicht, meine Gedanken waren bei Stani, den ich irgendwo in der Nähe wähnte.
Tisin schien zu begreifen, ich merkte es an den Schatten in sei nem Gesicht, als er sich aufrichtete. «Sie sind so schön, wie Sie kalt sind», sagte er leise aber heftig. Ich versuchte ihn zu besänftigen. «Ich kalt? Verzeihen Sie mir, teurer Freund, es ist nur die Aufregung, in die mich Ihre Nach richt gestürzt hat. Ich muß jetzt allein sein und in Ruhe nachden ken. Eilen Sie, die Schlacht für mich zu gewinnen!» Er gehorchte und zog sich zurück. Ich war unsicher, in welcher Verfassung er mich verließ. Tatsächlich hatte mich die Nachricht, daß Clameran in den Netzen der schönen Learf schmachtete, in keine geringe Aufregung versetzt. Was, wenn der Graf wirklich zu meiner schönen Rivalin überwechselte? Schließlich war mir die königliche Freigebigkeit, mit der er mich überhäufte, nicht durch ein notariell beglaubigtes Kapital gewährleistet. Und wenn er sich von mir trennte, nun, dann adieu, ihr Renten, die ihr zur Zeit meinen scheinbaren Wohlstand begründet. Soweit es diesen Punkt betraf, hatte ich allen Grund, besorgt zu sein. Und dazu kam noch, meine Eigenliebe würde empfindlich getroffen wer den. Wie, mein Liebhaber in den Händen einer andern? Zwar hing ich nicht gerade übermäßig an ihm, aber immerhin, ich hatte seinetwegen meinen Gatten verlassen, meine Umgebung und meine Gewohnheiten verändert, meinen Charakter modifiziert und mich an mein jetziges Luxusleben gewöhnt. Es würde mir ganz und gar unmöglich sein, mich in die Madame Breffer von einst zurückzuverwandeln. Anderseits – würde der Graf auf mich verzichten, nachdem er schon so viel in mich investiert hatte? Vielleicht war diese Amerikanerin doch nur eine flüchtige Capri ce? Und schließlich, selbst wenn daraus eine echte Leidenschaft werden würde, wollte ich schon Mittel und Wege finden, um Herrin der Situation zu bleiben. Schließlich würden mir meine nicht unbedeutenden Ersparnisse erlauben, in Ruhe einen geeig neten Ersatz für den Grafen zu finden. Immerhin beunruhigte mich die Lage nicht wenig. Ich befand mich in einer unerfreulichen Situation: zwischen Schrecken und Hoffnung, Zweifel und Vertrauen schwankend. Ja, ich ertappte
mich sogar dabei, daß ich mit dem Gedanken spielte, den Bruch mit dem Grafen von meiner Seite aus herbeizuführen. Schließlich ist es etwas anderes, einen Mann zu verlassen, als von ihm verlas sen zu werden. Das einzige, was dagegen sprach, war der Um stand, daß ich dann vielleicht nicht imstande sein würde, Stanis monatliche Pensionen weiter zu zahlen. Dies aber erschien mir damals noch als das Wichtigste auf der Welt. Solange uns diese aus silbernen Louis geschmiedete Kette aneinander fesselte, brauchte ich seinen endgültigen Verlust nicht zu befürchten. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu Elvira. Wirklich, sie war eine Gans, diese günstige Gelegenheit mit Barfleur auszu schlagen. Ich war ziemlich wütend auf sie, weil sie dadurch auch den heimlichen Nebenverdienst in Frage stellte, den ich durch diese petits dejeuners zu finden hoffte. Weiß der Himmel, hätte dieser garstige Barfleur mir den Vorzug gegeben, ich würde es irgendwie arrangiert haben, ihn zu empfangen, ohne daß der Graf etwas bemerkte. Ich bin nun einmal ein öffentliches Mäd chen und keine Heilige. Warum also sollte ich nicht meinen Vorteil wahrnehmen, wo ich ihn fand? Und dieser Barfleur war im Grande genommen recht anspruchslos. Welch ein Dumm kopf diese Elvira war! Ich verstand in diesem Moment wirklich nicht, was mich einst so an sie gefesselt hatte. Als ob sich ihr Onkel einer mehr oder weniger ernsthaften Liaison widersetzen würde! Schließlich konnte sie es ja so einrichten, daß der gute Mann nicht zu kurz kam. Also warum zierte sie sich eigentlich so? Bildete sie sich etwa ein, daß ich selbst ihre Abenteuer noch einmal mitmachen würde? O nein, da hatte sie sich getäuscht. Die Sache mit Barfleur ging ja noch an, ich kannte ihn schließ lich. Aber ich hatte keine Lust, dieses Spiel mit all den fragwürdi gen Leuten mitzumachen, die Elvira zuweilen um sich zu ver sammeln pflegte. Schade, sie wäre eine wundervolle Freundin gewesen, wenn dieser Hang zum Vulgären nicht gewesen wäre! Sie hatte im Gegensatz zu mir ihre Vergangenheit nie überwun den, und es war vorauszusehen, daß es eines Tages mit ihr bergab gehen würde. Übrigens hatte ich keinen Grund, an Clameran zu
zweifeln, wie ich noch an diesem Abend bemerkte. Er war auf merksamer als je, und nichts in seinem Benehmen deutete auf schlechte Absichten. Also konnte ich es wohl wagen, vertrauens voll in die Zukunft zu blicken. Allerdings durfte Stani jetzt keine Unvorsichtigkeit begehen. Wir würden also noch ein wenig Geduld haben müssen. Mein armer Geliebter! Der Gedanke daran, daß auch er auf ein so schmerzlich erwartetes Glück würde verzichten müssen, ließ mein Herz aufs neue schwer werden. Am andern Morgen hielt ich es nicht länger aus, sondern ließ anspannen, um zu Lucie zu fahren. Sie stand mir jetzt näher als Elvira, vielleicht deshalb, weil sich unsere Lebensumstände so ähnlich waren. Ich traf sie zu Hause an. Sie hatte mich in ihr Boudoir bitten lassen, wo ich sie zu meinem Erstaunen splitter nackt vor einem riesigen Spiegel antraf. Sie war augenscheinlich in äußerster Erregung. Mit den Händen hielt sie ihre kleinen apfelförmigen Brüste umklammert, ihre schwarzen Haare hingen ihr wirr um die Schultern. Ihre Augen funkelten vor Zorn. «Sehen Sie sich das an», rief sie bei meinem Eintritt und wies auf ihr Spiegelbild, das mir allerdings beinahe vollkommen er schien. «Und da sagt dieser Kerl, dieser nichtswürdige Schuft, ich hätte keine Brüste. Wahrhaftig, ich pfeife auf den Baron!» Helle Tränen des Zorns standen in ihren Augen. «Beruhigen Sie sich, meine Teure», sagte ich in meinem sanftesten Ton. «Sie sind wunderschön, und der Baron kann sich glücklich preisen, daß er eine solche Geliebte sein eigen nennt.» «Das sagen Sie, weil Sie eine Frau sind und Augen im Kopf haben. Aber stellen Sie sich vor, diese Kanaille neckt mich un aufhörlich wegen meiner Brüste, er beklagt sich, sie seien flach wie ein Brett. Welche Ungerechtigkeit! Sehen Sie nur, sie reichen völlig hin, um meine Hand zu füllen. Fühlen Sie doch! Sind sie nicht fest und elastisch wie reife Früchte?» Sie sah sehr verlok kend aus in ihrem Zorn, und als ich meine Hand ausstreckte und
diese lieblichen Äpfel ein wenig zwischen meinen Fingern preßte, konnte ich ihr nur recht geben. «Wirklich, sie sind ganz vollkommen, meine Liebe.» Ich ertapp te mich dabei, wie ich ihre Brustknospen ein wenig rieb, bis sie unter meinen Fingern prall und üppig hervorsprangen. Lucies Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. «Er sagt, Sie und Miss Learf hätten viel schönere Brüste», meinte sie kläglich. «Oh, da irrt er sich aber, Ihr Busen paßt ganz hervorragend zu Ihrer Figur, Sie sollten sich darüber keine Sorgen machen. Übrigens, wie will der Baron denn meinen Busen gesehen haben? Ich erinnere mich nicht…» «Damals bei Ihrem Diner. Er saß eine Weile neben Ihnen, und der Schelm hat natürlich die Gelegenheit benutzt.» «Ah, ich verstehe. Und diese Amerikanerin?» Lucie geriet schon wieder in Wut. «Diese schamlose Katze posiert splitternackt für einen Photographen. Man sollte sie ausweisen lassen, wenn das noch einen Sinn hätte. Ihre Bilder kreisen in allen Salons.» «Oh, daher also…» Ich begriff nun, daß sie die Neugierde des Grafen erweckt hat te. Und gleichzeitig war der letzte Rest meiner Besorgnis verflo gen. Der Graf war immerhin ein Mann von Distinktion. So würde ihn eine Frau von so schamlosen Manieren auf die Dauer wohl nicht zu fesseln vermögen. Lucie stellte sich vor mir in Positur, ohne zu bedenken, daß sie kein Fäserchen Stoff am Leibe trug. Wir beide bildeten ein merkwürdiges Paar. Ich in meiner Ausgehtoilette, mit dem Hut auf dem Kopf, und vor mir die nackte Lucie, aufgelöst und mit geröteten Wangen und in winzigen Pantöffelchen mit goldenen Pompons daran. «Wissen Sie, was ich tun werde?» zischte sie empört. «Ich werde ihn aus sperren. Jawohl – er wird meine Tür verschlossen finden. Gott sei Dank habe ich ihm keinen Schlüssel gegeben.» Das war allerdings schlau von der kleinen Lucie. Es hatte mich oft verdrossen, daß Clameran es als sein selbstverständliches Recht betrachtete, in meiner Wohnung – die allerdings er bezahl te – zu kommen und zu gehen, wie es ihm gefiel.
«Unsinn, Lucie», versuchte ich sie zu beruhigen, «Sie werden ihm ganz sicher verzeihen.» «Ich werde nicht. Schließlich sind die Ihren zwar ein bißchen voller, aber immerhin, es gibt sogar Männer, die meinen den Vorzug geben.» Sie schien eine Idee zu haben. «Kommen Sie, lassen Sie mich sehen. Wir sind doch beinahe wie Schwestern…» Und sie begann, mir mit flinken, nervösen Fingern das Mieder zu öffnen. Ich ließ es gerne geschehen, denn ich wußte, daß dieser Vergleich tatsächlich für mich recht schmeichelhaft ausfallen würde. Schon damals, als ich noch Irene Boulanger, das kleine Dorfmädchen gewesen war, hatten die Burschen nach diesen meinen heimlichen Schätzen geschielt, die inzwischen natürlich, nicht zuletzt durch die zahlreichen Liebkosungen, die ihnen im Laufe der letzten Jahre zuteil geworden waren, noch vollkomme ner geworden sind. Lucie betrachtete diese meine überreifen Äpfel, die so fest und rund wie zwei ebenmäßig geformte Elfenbeinhalbkugeln sind, mit einer Mischung aus Neid und Vergnügen. «Wirklich, Obrenval hat recht», meinte sie schließlich. «Ihre sind viel schöner. Aber das soll unsere Freundschaft nicht trüben. Da haben Sie ein Küßchen auf Ihre beiden Täubchen, sie sind sehr reizvoll. Vergessen wir also diesen Zorn. Sie sind gekommen, mich zu einer Ausfahrt abzuholen?» «Ja, und um mit Ihnen zu plaudern.» «Ich bin ganz zu Ihrer Verfügung. Warten Sie, ich rufe nur mein Mädchen und kleide mich dann an.» «Erlauben Sie mir, Ihnen dabei zu helfen», sagte ich und beugte mich, einem plötzlichen Einfall folgend, über ihre Brüste, um ihr das Küßchen zurückzugeben. Sie errötete unter der Berührung meiner Lippen. «Ah, Sie verachten meine Brüste nicht?» «Der Himmel behüte mich davor, sie sind ganz reizend!» Ich wiederholte meine Liebkosung und fühlte mich plötzlich von ihren Armen umschlungen. «Sie sind zu reizend zu mir. Ich habe Sie heute morgen Clameran gegenüber gerühmt, als er mit uns
dejeunierte.» Das war mir neu. «Ah, der Graf hat hier dejeuniert?» meinte ich verwundert. «Ganz recht, er hatte etwas mit Obrenval zu besprechen. Doch unser Streit ist ihm dazwischengekommen.» Ich weiß nicht, wie es geschah, aber während wir plauderten, glitt Lucie plötzlich ganz in meine Arme und dann… nun, dann brachen alle jene Gefühle in mir durch, die mich einmal in jener längst vergange nen Zeit mit der schönen Sylvaine und später mit Elvira verbun den hatten. Lucie war, ich hatte es gleich geahnt, ein überaus leidenschaftliches Mädchen. Ich war entzückt von ihrem Tempe rament, ihrer Vitalität, ihrer Schamlosigkeit. Als wir aus unserer gegenseitigen Verzauberung erwachten, meinte Lucie: «Wirklich, diese Männer sind doch seltsame Tiere. Da hat dieser Clameran doch wahrhaftig letzte Nacht mit der Amerikanerin geschlafen. Ich habe ihm gesagt, daß er ein Lüm mel ist, trotz seines Titels. Wenn man eine Frau wie dich hat, läuft man nicht andern Weiberröcken nach!» Sie berührte ein Gebiet, das mich allerdings noch immer inter essierte. «Ich habe davon erfahren», sagte ich so gleichgültig wie nur möglich. «Eigentlich wollte ich mit dir darüber reden.» Lucies Augen wurden schmal. «Wer hat es dir erzählt? Ich wet te, dieser Bengel von einem Tisin. Der Kerl riecht einen Skandal zehn Meilen gegen den Wind. Ein amüsanter Junge, nur schreck lich kompromittierend. Ich warne dich, meine Liebe, gib ihm nicht den kleinen Finger. Der gute Albert läuft allen neuen Ster nen nach, er bezaubert sie alle, aber wenn er ihre Gunst erhalten hat, dann gute Nacht. Er prahlt tatsächlich ganz öffentlich mit seinen Eroberungen.» «Ah wirklich? Nun, das ist gut zu wissen. Er wird sich nicht rühmen können, mich erobert zu haben.» Ich war in diesem Augenblick fest entschlossen, das Versprechen, das ich ihm gegeben hatte, nicht zu halten. Lucie setzte eine Verschwörer miene auf. «Das gönne ich ihm. Seine Methode ist schon be rühmt geworden. Er wird mit immer neuen Artikeln kommen und dir immer wieder Neuigkeiten servieren, die im Grunde
nichts zu bedeuten haben. Nimm diese Sache mit Clameran. Er hat eine augenblickliche Schwäche für die Learf, aber im Grunde genommen hat das nicht viel zu sagen. Er wird deshalb doch keinesfalls auf dich verzichten.» Sie unterbrach sich und warf einen raschen Blick auf die zierliche Pendule, die auf einer hüb schen Empirekommode stand. «Du lieber Himmel, wir müssen uns beeilen, wenn wir noch ausfahren wollen.» Sie wollte dem Mädchen läuten, aber ich hinderte sie daran. Es machte mir Vergnügen, sie eigenhändig mit jenen Aufmerksam keiten zu umsorgen, die ich einst der schönen Sylvaine gegenüber an den Tag gelegt hatte. Wir waren wirklich ein hübsches Paar, als wir, so lässig in den Fond von Lucies Kutsche gelehnt, die sonnigen Promenaden des Bois entlangfuhren. Es war noch früh im Jahr, aber trotzdem schon herrlich warm. Ich fühlte mich nach dem Intermezzo mit Lucie wohlig müde und genoß die bewundernden Blicke, die uns die Männer von allen Seiten zu warfen. Ich bemerkte, daß Lucie die Männer im Grund mehr verachtete als schätzte. «Sieh dir nur diese Gimpel an», rief sie mit verächtlich geschürzten Lippen. «Da werfen sie sich in die Brust und stolzieren daher wie Pfaue, und einer nimmt sich wichtiger als der andere. Und was sind sie im Grunde? Arme Würstchen, die von unseren Launen abhängen, sobald sie erst einmal die Hosen ausgezogen haben. Ich habe mehr als einen von ihnen um einen Kuß von mir winseln hören.» In dem Punkt teilte ich ihre Meinung allerdings ganz und gar nicht. Ich empfand die Männer im großen und ganzen als recht liebenswürdige Geschöpfe. Vor allem solche wie Stani. Lucies Meinung über sie erschien mir einigermaßen ungerecht. «Wirklich, Lucie, ich kann deine Meinung nicht teilen. Bedenke doch, was wir ohne die Männer alles entbehren müßten. Ihr Reichtum, ihre Bewunderung, selbst ihre Capricen machen doch unser Leben aus. Wirklich, was wäre die Welt ohne Männer!» Aber Lucie war nicht zu bekehren. «Sie machen Kinder und pflanzen ihre Häßlichkeit fort. Ohne sie würden wir aus Blumen entstehen, und die Wolken würden uns zu Palästen werden»,
sagte sie lachend. Ich umarmte sie flüchtig. «O du geliebtes Närr chen!» Meine Augen umschleierten sich, denn ich hatte Stani bemerkt, der heute zu Pferd war. Er machte eine hervorragende Figur, und genau das hatte er auch beabsichtigt. Er wollte vor mir paradieren. Ich liebte ihn wegen dieses kleinen Eingeständnisses einer männlichen Schwäche noch mehr. «Nun, wie gefällt dir zum Beispiel dieser Mann da?» machte ich Lucie auf ihn aufmerksam, allerdings ohne zu verraten, daß ich ihn kannte. Lucies hübsches Gesicht verwandelte sich in das einer Katze, die Rahm nascht. «Nicht übel, wirklich nicht übel, der Bursche. Sicher ein Gardeoffizier in Zivil.» «Irrtum, meine Liebe. Ich habe gehört, er soll Journalist sein.» «Ah wirklich? Kennst du ihn etwa?» Lucie forschte in meinem Gesicht. «Warum sollte ich, meine Liebe?» gab ich unbefangen zurück. Sie brach in ein kleines nervöses Lachen aus. «Ja, warum solltest du auch? Aber du hast recht, er ist ein hübscher Kerl, und es lohnt sich wohl, seine Bekanntschaft zu machen», lenkte sie ein. Ihre flinken Augen spähten nach allen Seiten. Plötzlich zupfte sie mich am Ärmel. «Sieh nur, da ist ja deine reizende Rivalin, diese Amerikanerin, die dir Clameran entreißen will.» Meine Blicke folgten der Richtung, die sie mir wies. Wirklich, da kam Miss Learf in einem süperben Gefährt ganz nahe an uns vorbei, und ich muß zugeben, daß sie wirklich überaus schön war. Sie trug eine Toilette aus schilfgrünem Atlas und hatte ihre herrlichen rotblonden Locken hochgesteckt. Sie musterte mich mit beinahe verächtlich geschürzten Lippen, und ich erwiderte diesen Blick mit kalter Gelassenheit. Aber dann; von einem Moment zum nächsten, erschrak ich. Denn ich sah Stani direkt auf ihren Dogcart zureiten und ihr etwas in den Wagen reichen, das ich nicht erkennen konnte. Er begrüßte sie sehr höflich mit einer tiefen Verbeugung. Ich spürte, wie eine kalte Wut in mir aufstieg. O nein, entfuhr es mir. Das ist zu stark. Nicht diesen auch noch. Lucie betrachtete mich for schend. «Was hast du, meine Teure?»
«Ich – nichts!» Sie schürzte ihre rosigen Lippen zu einem Schmollmund. «Wie? Du hast schon Geheimnisse vor mir, jetzt, wo wir uns eben gefunden haben?» «Glaube mir, es ist nichts! Frage mich nicht weiter, kehren wir lieber um. Wirklich, ich habe genug von dieser Ausfahrt, ich fühle mich nicht wohl.» Sie schien gekränkt. «Nun, du Boshafte, so behalte dein Geheimnis für dich», sagte sie bitter und gab Befehl zur Umkehr. Der Abend gehörte wieder dem Grafen, den ich scharf beobach tete. Aber nichts an ihm verriet seine Untreue. Trotzdem fühlte ich mich wie über einem Abgrund. An das Rendezvous mit Stani zu denken, war unter diesen Umständen unmöglich. Dabei fie berte ich voll Ungeduld nach seiner Umarmung, seit ich ihn gesehen hatte. Die Freundschaft mit Lucie nahm allmählich anstrengende Formen an. Sie folgte mir wie ein Schatten und war noch obendrein eifersüchtig wie eine Tigerin. Nicht auf meine Verehrer, o nein. Diese kümmerten sie wenig. Aber wenn sie etwa durch einen Zufall von meinen Zusammenkünften mit Elvira erfahren haben würde, so hätte es ohne Zweifel einen argen Skandal gegeben. Meine einzige Gelegenheit, Stani zu sehen, waren die Ausfahrten in den Bois, die für mich in den folgenden Tagen eine Quelle ewiger Aufregungen waren. Würde er da sein, würde es mir möglich sein, ein Wort mit ihm zu wech seln? Ich hatte ihm durch die Vermittlung Elviras geschrieben und ihn gebeten, Geduld zu haben. Aber er antwortete nicht, und auch von Elvira erhielt ich kein Lebenszeichen, so daß ich stän dig in der Furcht lebte, er könnte etwas Unbesonnenes tun. Tisin hielt übrigens Wort. Unter dem Titel «Weiblicher Interna tionalismus» hatte er einen sehr bösartigen Artikel über die Learf geschrieben, ohne ihren Namen zu nennen. Doch wußte ohne Zweifel jeder, der sie kannte, daß nur sie gemeint sein konnte.
Der Graf, dem ich den Artikel schließlich mit einer deutlichen Schmollmiene präsentierte, meinte ärgerlich: «Diese Journalisten stecken wirklich ihre Nase in alles. Unglücklicherweise ist dieser Artikel von einem Herrn signiert, den Sie selbst, meine Teure, etliche Male empfangen haben. Wenn Sie ihn wiedersehen soll ten, geben Sie ihm doch den Rat, er möge sich um seine Angele genheiten kümmern.» Es war offensichtlich, daß mein Gönner verstimmt war. Ich beeilte mich, die Versöhnliche zu spielen. «Oh, ich werde ihn gar nicht mehr empfangen, wenn er Ihnen mißfällt, teurer Freund. Er ist mir von Lucie vorgestellt worden.» «Sie ist eine Närrin, die niemals Lebenserfahrung haben wird», sagte der Graf noch immer ärgerlich. «Sie täten gut daran, den Verkehr mit ihr ein wenig einzuschränken.» «Oh, das sagen Sie jetzt? Wer hat sie denn hergebracht, wer hat mich zu dieser Freundschaft ermutigt? Es wird schwerfallen, die Kalte zu spielen, nachdem ich erst einmal ihre Sympathie erweckt habe.» «Oh, wenn Sie nur diese Bedenken haben! Ich brauche nur ein Wort zu Obrenval zu sagen, und kein Mensch wird die Schuld auf Sie schieben», meinte er großzügig. Ich antwortete nicht. Im Grunde genommen hatte ich nichts dagegen, wenn der Graf einen gewissen Stillstand meiner Beziehungen zu Lucie herbei führen wollte. Es ist erstaunlich, wie rasch man zuweilen eines Menschen überdrüssig werden kann, und Lucie, die ich anfangs so reizend gefunden hatte, ängstigte mich nun zuweilen durch die unkontrollierten Ausbrüche ihrer Launen. Clameran nahm mein Schweigen für das, was es war, nämlich für eine Zustimmung. Er mußte tatsächlich mit Obrenval gespro chen haben, denn Lucie kam etliche Tage nicht. Sie ließ auch nichts von sich hören. Ich fuhr allein aus, und Stani, dem es nicht schwerfiel, mich zu finden, da ich stets dieselben Wege einschlug, folgte meinem Wagen wie ein treuer Schatten. Ich benutzte die
Gelegenheit, ihn in einer verschwiegenen Allee zu treffen. Bei unserem ersten derartigen Rendezvous hatten wir beide unsere Ungeduld kaum bezähmen können. Diesmal würde sich vielleicht eine Gelegenheit finden… «Was ist geschehen, mein Engel?» erkundigte sich Stani, nachdem er mich in einer Flut von Küssen beinahe erstickt hatte. Ein Glück, daß hier die Hecken so dicht waren und daß nur wenige Besucher in diesen entlegenen Teil des Bois kamen. Ich berichtete ihm von meinem Mißgeschick und meinen Be fürchtungen wegen Clameran. Stanis Miene war düster. «Er kann dich nicht so ohne weiteres abschütteln, selbst wenn er möchte. Man reißt eine Frau nicht aus ihrem Haushalt, um sie dann auf die Straße zu werfen.» «Oh, das wird er schon nicht. Aber wo würden dann die schö nen Tausendfrancsbillets bleiben, die du auch so zu schätzen weißt?» Das war allerdings ein Argument, das er verstand. «Ist diese Frau gefährlich?» «Diese Frage kannst du dir selbst beantworten. Du hast sie ge sehen und mit ihr gesprochen. Ich war furchtbar wütend dar über.» Stani überlegte kurz, dann begriff er. «Oh, du meinst die Ame rikanerin? Sie hat mich wegen einer Rennwette konsultiert. Sie scheint eine leidenschaftliche Anhängerin des Rennsports zu sein.» «Ja, das kann ich mir denken. Die gute Miss Learf ist eine begei sterte Anhängerin aller Gelegenheiten, die es ihr ermöglichen, einen Mann zu erobern», fauchte ich ärgerlich. Er forschte in meinem Gesicht. Um seine Mundwinkel zuckte ein belustigtes Lächeln. «Eifersüchtig, mein Engel?» «Nein, gar nicht eifersüchtig. Aber ich will nicht, daß du dieser Person schöne Augen machst.» «Oh, wenn es weiter nichts ist. Ich verspreche dir, ich werde sie nie wieder anschauen.» «Das sagst du heute…»
«Wer ist übrigens diese reizende dunkelhaarige Person, mit der man dich des öfteren sieht?» versuchte er mich abzulenken. «Oh, du meinst Lucie des Etoiles? Sie ist die Geliebte des Ba rons Obrenval und so ziemlich die einzige unter allen Kokotten, mit der ich sympathisiere. Allerdings übertreibt sie die Sache ein bißchen. Sie kann manchmal recht lästig sein.» «Oh, ich verstehe. Ihr habt also Intimitäten?» Ich errötete un willkürlich. Wirklich, mein Gatte hatte einen unfehlbaren In stinkt. «Und du? Was machst du mit deiner teuren Juana?» versuchte ich ihn abzulenken. Er brach in ein übermütiges Gelächter aus und ergriff meine Hand, um sie zu küssen. «Du bist immer noch die Alte, mein Engel. Nun, da du es so unbedingt wissen willst, ich mache wenig genug mit ihr. Übrigens habe ich mich von ihr getrennt und eine kleine Wohnung in der Rue de la Terrasse bezogen. Sie liegt der deinen ganz nahe.» «Warum bist du nicht in unsere alte Wohnung zurückgekehrt?» wollte ich wissen. Er zuckte die Achsel. «Ich wollte es nicht, hauptsächlich Elviras wegen. Ich habe, sie übrigens gesehen. Hast du gewußt, daß sie mit Barfleur liiert ist?» «Oh, wirklich? Hat sie sich also entschlossen? Und du? Ich wet te, ihr habt euer Wiedersehen gefeiert?» Er lächelte ein wenig. «Die Wette würdest du verlieren. Wir haben hauptsächlich über dich gesprochen. Ich habe ihr erzählt, daß ich dich immer im Bois mit einer Freundin sehe und daß es mir fast unmöglich ist, dich zu sprechen.» «Oh, und was hat sie gesagt?» «Nicht viel – sie schien ein wenig verstimmt.» Ich war plötzlich von einer leidenschaftlichen Traurigkeit erfüllt. Da promenierten wir im Schatten dieser köstlichen Taxusallee dahin und sprachen von gleichgültigen Dingen, statt das einzig Vernünftige zu tun, das uns in diesen gestohlenen Minuten zu tun blieb. Ich bemerk te deutlich, wie sich etwas Kaltes, Trennendes zwischen uns
drängte, und schmiegte mich in einer plötzlichen Aufwallung von Zärtlichkeit an ihn. «Oh, Stani, Stani», flüsterte ich. «Was reden wir nur soviel? Hast du denn gar keine Sehnsucht mehr nach deinem kleinen Weibchen?» Er preßte mich heftig an sich. «Wie kannst du das fragen? Am liebsten hätte ich dich deinem verfluchten Grafen mit Gewalt entrissen. Aber was könnte es nützen? Du willst ja, daß ich ver nünftig bin.» Wir waren ganz allein in der Allee, und Stani zog mich noch tiefer in den Schatten. Er begann mich leidenschaft lich zu küssen. «Nein», stöhnte er plötzlich, «ich ertrage es nicht. Du Grausa me, wie bringst du es fertig, mich so in alle Ewigkeit warten zu lassen?» «Du hast doch Juana oder Elvira… gar nicht zu reden von all den andern hübschen Damen, die sich den Hals nach dir verren ken», neckte ich ihn. Aber er ging nicht darauf ein. «Was sind sie alle gegen dich, meine geliebte Rinette? Wirklich, ich glaube, ich werde noch ganz toll wegen der Entbehrungen, die du mir aufer legst!» Der Ärmste, ich konnte ihn nur zu gut verstehen, denn erging es mir nicht ganz ähnlich? Ich mußte ihm einen Schritt entgegen kommen, wenn wir nicht beide an unseren Begierden zugrunde gehen sollten. «Wenn du mir versprichst, manierlich und vorsich tig zu sein, wirst du sehen, wonach du verlangst», versprach ich. «Oh ja, aber wie denn?» Er warf einen suchenden Blick um sich. «Du Dummer! Komm doch hinter das Gebüsch! Dort sind wir mit Sicherheit ungestört.» Er begriff sofort und trug mich mehr, als er mich führte, hinter die dichten Taxushecken, die sich just an dieser Stelle zu einem anmutigen Heckentheater verdichteten. Hier wurden manchmal des Abends Freilichtkomödien aufge führt, aber jetzt war kein Mensch weit und breit zu sehen. Zwar war der Boden hart und ein wenig feucht, und ganz sicher würde mein Kleid nachher verdorben sein – aber was tat das alles? Ich hatte ihn wieder, ich lag in seinen Armen, spürte sein Gewicht über mir, fühlte seine Küsse auf mich niederregnen.
Ich erzitterte, während ich zusah, wie seine Hände um meinen Busen herum über meinen Körper hinabglitten. Dann ver schwanden sie zwischen meinen Beinen. Seine Finger bewegten sich leicht in mir, eher tastend, so als wolle er mich noch nicht erregen. Dann lächelte er mich träge an und fragte: «Bist du da unten schon mal geleckt worden?» Sein Finger, der sich nun energischer bewegte, ließ keine Zweifel, was er mit «da unten» meinte. «Ja», gab ich zu. «Magst du es?» «Ja.» «Dann ist’s gut.» Er glitt von meiner Brust und legte seinen Kopf zwischen mei ne Beine. Ich drückte meine Knie so weit auseinander wie mög lich und wölbte mich ihm entgegen. Dann spürte ich, wie seine Zunge schnell in mich eindrang, sich bewegte, zustieß, ganz so, als wäre sie ein anderes, größeres Körperorgan. Die Bewegung seiner Lippen außen an meiner Muschi konnte ich fast nicht ertragen. Selbst sein rauhes Haar, das sich an mei nen Schenkeln rieb, wenn er den Kopf bewegte, wirkte unaus sprechlich erregend auf mich. Dann spürte ich, wie sich seine Zunge aus mir herauszog. Aber ich empfand kein Gefühl der Enttäuschung. Denn er bearbeitete jetzt meine empfindlichste Stelle sehr zart. Schockartige Wellen tiefer Lust überrollten mich und entschädigten mich für das Gefühl plötzlicher Leere in meinem Tempelchen. Es war die unglaublichste Empfindung, die ich je erlebt hatte. Ich gab mich ihr völlig hin, stöhnte tief auf, warf in einem wilden Tumult aller Sinne den Kopf hin und her. Plötzlich hörte er auf. Fragend blickte ich ihn an. Er strahlte mich an mit seinem jungenhaften Ausdruck, und er fragte mich: «Du tust doch das gleiche auch für mich, mein Schatz?» Ich begriff sofort. «Ja», hauchte ich, und meine Stimme klang mir fremd in den Ohren. «Ich tue alles, was dir Freude macht.» Er schleckte und sog weiter an meiner Muschi und verursachte mir damit die herrlichsten Empfindungen.
«Laß es kommen, laß es kommen», forderte er mich auf. «Gib mir alles zum Schlecken. Ich mach’s dir gern noch einmal.» Ich nickte heftig, denn meine Stimme versagte mir. Ich wußte, daß er alle meine Säfte in seinem Munde spüren wollte, daß er alles haben wollte, was ich ihm geben konnte. In einem wilden Anfall überwältigte mich mein Orgasmus. Wie lange lag ich, ohne denken zu können? Erst als er mich auf meinen Nabel küßte, kam ich zu mir, weil es kitzelte und ich lachen mußte. Ich um armte ihn dankbar und zärtlich, um ihm zu zeigen, wieviel Ver gnügen er mir geschenkt hatte. Er hielt still, bis sich meine Erre gung gelegt hatte. Dann, die eine Hand auf meiner Schulter, die andere an meinem Hinterkopf, schob er sich sachte hinab, bis sich meine Schultern an seinen Schenkeln rieben und ich seinen überwältigend massiven Penis fand, der auf meine Lippen warte te. Beglückt nahm ich ihn in meinen Mund, wohl wissend, daß mein Schatz dann bald wieder soweit sein würde, erneut zu lieben und auch mich wieder in Ekstase zu versetzen. Alles was ich jetzt tat, geschah, diesen Augenblick schnell herbeizuführen. Ich sog hart und gierig. Ich konnte einfach nicht genug von ihm bekommen. Weil es mich im Nacken kitzelte, schüttelte ich plötzlich meinen Kopf, so daß mir sein festes Glied fast aus dem Munde glitt. Durch diese heftige Lustbewegung angeregt, ergoß er seinen Liebessaft in meinen Mund. Das kam unerwartet, obwohl mir die heftigen Bewegungen seines Körpers und sein tiefes Stöhnen angekündigt hatten, daß sein Höhepunkt unmit telbar nahe war. Hatte ich zwar gehofft, er würde an sich halten können, um sich in meinem Schoß zu verströmen, so war diese Hoffnung jetzt dahin. Mein Mund war gefüllt mit seinem herb duftenden Samen. Ich schluckte ihn schnell herunter und reinigte meine Lippen mit seiner Hand. Er schob sich wieder nach oben und schmiegte sich an mich. «War es gut so?» fragte ich unwill kürlich selbstzufrieden. «Mhmm.» Mehr brachte er nicht heraus. Aber ich war auch damit zufrie den. So lagen wir eine Weile glücklich beisammen. Ich hatte nur
Angst, daß er jetzt zufrieden sei und gehen wolle. Nicht jetzt, nicht sofort, bitte. Ich wollte, wir könnten hier für alle Zeiten liegen und lieben. Dann nahm er mich plötzlich erneut. Er legte mich auf den Bauch und umfaßte meine Brüste; dann drang er mit langen ruhigen Stößen in mich ein. Es war ein lang dauern des, liebevolles Spiel, nicht überstürzt wie das erste, nicht so überwältigend leidenschaftlich wie das zweite, aber zärtlich und bewußt, so wie es dem aufgewühlten Zustand meiner Sinne wohl tat. Ah, welche Leidenschaft, welche beglückende Erkenntnis! Ich erkannte in diesem Augenblick, daß er alles war, was ich mir von meinem Leben erwartete. Ein heißer Wollustschauer durch rann mich. Ich mußte gewaltsam an mich halten, um nicht in jene hohen, wilden Schreie der Lust auszubrechen, die einst der Ge sang unserer Nächte gewesen waren. Der Sand knirschte in unserer Nähe, und schwer atmend fanden wir in die Wirklichkeit zurück. Wir rührten uns nicht – ein Fremder ging vorüber, aber er bemerkte uns nicht. Ich fühlte mich völlig zerbrochen von Aufregung und Lust, als er mich in die Nähe meines Wagens brachte. Zuhause fand ich ein Billet von Elvira, das mich zu einem unse rer verabredeten «Dejeuners» mit Barfleur einlud. Ich würde also hingehen, da ich es einmal versprochen hatte. Allerdings, auch Lucie würde mich nachmittags aufsuchen, wie mir mein Mäd chen bestellte. Also war es dem Grafen doch nicht gelungen, ihre ungezügelte Leidenschaft unter seine Kontrolle zu bekommen. Ganz sicher würde sie zornig sein, wenn sie mich nicht vorfand. Aber immerhin, versprochen war versprochen, und der gute Barfleur sollte sein Geld nicht umsonst ausgegeben haben. Ich ging also ganz keck und in einer meiner elegantesten Toiletten, um Elvira die versprochene Aufwartung zu machen. Barfleur hatte mich noch nie so schön gesehen. Er war schon da, als ich kam. Elvira empfing mich mit einer einigermaßen gespannten Miene. «Sag bloß», erkundigte sie sich schon in der Tür, «wer ist diese Freundin, von der mir dein Gatte erzählt hat?»
«Eine Klette, die mich fast umbringt vor Ärger, die ich aber ihres Liebhabers wegen nicht fortschicken kann. Aber der Graf wird mich von ihr befreien.» Sie schien erleichtert. «Ah, das ist gut zu wissen. Ich zitterte schon, daß sie mir deine Zuneigung geraubt haben könnte.» «Habe ich dir nicht durch mein Kommen das Gegenteil bewie sen?» Dies schien allerdings ein Argument, das ihre Bedenken zer streute. Sie umarmte mich und flüsterte mir zu: «Barfleur wird immer zahmer. Wirklich, ich erlebe eine Überraschung nach der andern mit ihm. Du wirst selbst sehen.» Sie ließ mich in den Salon eintreten, wo ich unseren Mann ganz artig in einem Fau teuil sitzend und Zeitung lesend vorfand. Er erhob sich bei meinem Erscheinen, küßte mir die Hand und meinte fröhlich: «Oh, da ist ja mein Täubchen, das sein Wort hält. Wirklich, du bist ein Schatz, meine Teure!» Ich ließ mich von ihm umarmen und spitzte die Lippen zum Kuß. «Ich halte immer Wort», versicherte ich, «wenn es gilt, einem alten Freund ein Vergnügen zu bereiten.» «Oh, da hast du recht. Wir sind wirklich gute Freunde.» «Mein Einverständnis mit Elvira ist übrigens perfekt, sie hat meine Vorschläge angenommen. Und auch ich halte Wort, natür lich. Schau nur her, dies ist das verabredete Honorar für dich, und noch ein Diamant, den du nicht verschmähen wirst.» Der Solitär, den er mir an den Finger steckte, war wirklich be achtlich. Aber Barfleur war ein reicher Mann, er konnte sich solche Extravaganzen durchaus leisten. Ich belohnte ihn mit einem Kuß. «Wundervoll, mein Hündchen. Du verpflichtest mich dir da durch noch viel mehr, als es ohnehin schon der Fall ist. Ich werde dir all deine Wünsche von den Augen ablesen.» Barfleur lachte geschmeichelt. Er beobachtete mich von allen Seiten und sagte schalkhaft zu Elvira: «Meine Teure, ist dieses kleine Schweinchen da nicht ganz reizend in seiner Toilette?»
Elvira lachte. «Du solltest wissen, daß sie ohne diese noch viel hübscher ist», meinte sie anzüglich. Er war gleich mit von der Partie. «Da hast du recht, mein Schatz. Komm, Lena, sei ein gutes Kind, zieh dich aus!» Aber da protestierte Elvira. «Wo denkst du hin? Jetzt, vor dem Essen? Wirklich, Barfleur, ich muß mich wundem! Du hast nichts als Dummheiten im Kopf, und das Essen wird kalt.» Er klatschte gutgelaunt in die Hände. «Voilà, eine richtige Frau. Elvira, mein Schatz, mir dämmert allmählich, was ich an dir gewonnen habe.» Er faßte uns alle beide um die Taille. «Also kommt, meine Schönen, zu Tisch! Ihr sollt euch nicht über mich beklagen müssen.» Das Essen war ausgezeichnet. Elvira, die selbst eine recht schlechte Köchin war, hatte es im benachbarten Bistro «Zur blauen Feder» bestellt. Wir bedienten uns selbst, denn wir wollten ungestört sein. Barfleur bestand darauf, daß wir nur in Mieder und Jupons an dem festlich geschmückten und mit Kerzen erleuchteten Tisch Platz nahmen. Eine ganze Zeitlang beschäftigten wir uns nur damit, die sechs verschiedenen Gänge des erlesenen Mahles zu vertilgen. Erst danach wurde eine Champagnerflasche entkorkt. Wirklich, ich muß gestehen, daß mich diese Art des Lebens entzückt. Ich scheine tatsächlich dafür geschaffen. Es mißfällt meinem Körper nicht, bald in den Armen des einen, bald in denen eines andern zu glühen, ja, die recht handgreiflichen Auf merksamkeiten der Männer schmeicheln meiner Eitelkeit nicht wenig. Ich habe es im Verlauf meines Lebens als Demimondaine gelernt, mich blitzgeschwind an- und wieder auszuziehen, und die Klaviatur der männlichen Gefühle war mir so vertraut, daß ich ohne jede Spur von Gewissensbissen darauf zu spielen verstand. Natürlich dachte ich zwischendurch auch an Stani, aber kam nicht alles, was ich tat, im Grund auch ihm zugute? Kein dunkler Schatten verdüsterte in diesen Augenblicken meine Heiterkeit, und ich amüsierte mich über die Bewunderung, die der gute, ein wenig tolpatschige Barfleur mir entgegenbrachte. Natürlich hielt er mich, was immer ihm Elvira auch gesagt haben mochte, für
ein perfektes Strichmädchen. Die Geschichte meiner Ehe mit Stanislas Breffer würde er zumindest für einigermaßen unwahr scheinlich gehalten haben, wenn er ihre Hintergründe gekannt hätte. Wir waren glücklich beim Dessert angelangt, als er sich schließlich an Elvira wandte: «Hast du deiner Freundin eigentlich schon die größte Neuigkeit mitgeteilt?» «Eine Neuigkeit?» wollte ich wissen. «Ja», sagte Elvira, «aller dings. Ich bin sicher, daß du überrascht sein wirst.» «Wieso? Hast du dich entschlossen zu heiraten?» Sie zog eine Grimasse. «Pfui, du Garstige! Du weißt genau, was ich von der Ehe halte. Übrigens wirst du es nie erraten. Ich werde im Variete auftreten!» «Was? Tatsächlich?» Ich war nun wirklich überrascht. Zwar wußte ich, daß Elvira eine gewisse Bühnenbegabung und vor allem eine schöne Stimme hatte, aber immerhin! «Ja, stell dir vor», fuhr sie eifrig fort, «bei den Boulevardiers, als Soubrette, Barfleur ist schuld daran. Er meint, meine Stimme und meine schauspielerische Begabung verdienten eine entsprechende Beachtung. Nun also, warum auch nicht? Der Direktor der Bou levardiers war entzückt und engagierte mich auf der Stelle. Kurz und gut, ich werde vielleicht eines Tages eine Berühmtheit sein. Ich habe keine große Gage, natürlich, denn dieser Tiercelan ist ein Halsabschneider, wie alle seine Kollegen auch. Aber Barfleur meint, daß man mich nach einem ersten Erfolg ohne Zweifel mit Geld überhäufen würde.» Sie zog einen Schmollmund. «Der Garstige! Er nennt sich schon jetzt Liebhaber der Diva. Was sagt man dazu?» Barfleur strahlte und fraß sie mit den Augen beinahe auf. Es war ganz offensichtlich, daß er in sie verliebt war. «Was hast du dagegen?» fragte er lachend und zog sie in seine Arme. «Liebha ber der Diva klingt doch ganz gut. Und immerhin habe ich dich entdeckt. Es ist eigentlich ein Verbrechen, daß ich nicht früher daran gedacht habe.» «Und ich… ich habe dich niemals gehört», warf ich ein. Es stimmte. Ich hatte während unserer kurzen gemeinsamen Büh
nenlaufbahn keine Ahnung von Elviras so wohl verborgenen künstlerischen Talenten bekommen. «Du wirst sie gleich hören», meinte Barfleur, «und du wirst so begeistert sein, wie ich es bin. Sie wird sich ausziehen und uns l’Assoiffee vorsingen, nicht wahr, mein Engel?» Er liebkoste sie mit seinen plumpen Händen, und sie nickte ihm lächelnd Gewährung. Ich bewunderte im stillen ihr schauspieleri sches Talent. Elvira hatte mir im Umgang mit den Männern ohne Zweifel etwas voraus. Man merkte ihr nie an, was sie im Umgang mit ihren Liebhabern wirklich empfand. Sie war übrigens wunderschön in diesem Augenblick. Der Champagner, dem wir beide schon reichlich zugesprochen hat ten, verlieh ihren Augen eine träumerische Sanftheit. Ich umarm te sie zärtlich. «Ich bin sicher, daß Barfleur recht hat. Du hast wirklich die Seele einer Künstlerin», rief ich begeistert. «Auf ihre Triumphe», rief Barfleur und erhob sein Glas. Ich tat desgleichen. «Auf deine Triumphe, Elvira, mein Liebes. Wir werden dort sein und applaudieren.» «Natürlich! Ich werde eine Loge für dich und deinen… Freund reservieren, die groß genug ist, daß du auch andere Leute mit bringen kannst.» Dieses Gespräch zögerte unsere eigentlichen Intentionen ein wenig hinaus. Erst der Champagner erinnerte uns wieder an das bisher Vernachlässigte. Barfleur machte sich mit unsicheren Händen daran, Elviras Neglige zu öffnen. Während er ihre Brüste und Schenkel liebkoste, sagte er zu mir: «Komm, zieh dich aus, meine Schöne! Ich möchte euch beide bewundern, während Elvira singt.» Ich zog eine Schmollmiene. «Will mir denn niemand helfen dabei?» Augenblicklich war Elvira auf den Beinen. «Du hast recht, mei ne Liebe! Wirklich, Barfleur, wir sind egoistisch», tadelte sie ihn. Sie begann sogleich, mit zärtlichen Händen mein Mieder aufzu knöpfen. Wir hatten uns in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und entledigten uns unserer Kleidungsstücke. Dann kehrten wir in den Salon zurück, und Elvira stellte sich in Positur, um l’Assoiffee
zu singen. Ein gewöhnliches Lied, das die Leiden einer in der Liebe unersättlichen Frau schildert, einer Seelenfangerin, der eine Unzahl von Liebhabern ins Garn geht und die doch niemals glücklich wird. Aber durch den Vortrag Elviras, durch ihren beseelten Ausdruck und ihre leidenschaftlichen Gesten, durch die verhaltene Wollust, die sie hineinzulegen verstand, wurde dieses einfache Lied ein Kunstwerk, das mich zutiefst aufwühlte. Sie sang nur mit halber Stimme, und sie erregte uns beide so, daß meine Finger unwillkürlich nach Barfleur tasteten. Der zog mich auf seine Knie, und seine Hände teilten sanft meine Schenkel. Elvira, die in ihrer Leidenschaft aufzugehen schien, sang die letzten Worte des Liedes: «Dir gehört das Universum, Weib…» Es dauerte eine Weile, bis wir danach wieder zu unseren Tafel freuden zurückfanden. Elvira hüllte sich wieder in ihren Mor genmantel und borgte auch mir eines ihrer duftigen Negliges. «Kommt, setzen wir uns wieder zu Tisch», meinte sie. «Eine Tasse Kaffee wird uns ermuntern.» «Bravo», rief Barfleur und streckte seinen mächtigen Bauch vor, «du verstehst dich auf die Genüsse des Lebens. Also hoch die Tafel!» Elvira lachte übermütig. «Und die Frauen, mein Lieber!» «Ja, die Frauen vor allem», stimmte Barfleur ein. Was soll ich sagen? Er geriet auf den Einfall, mich zu besitzen, zum ersten mal, seit ich ihn kannte. Und ich hatte, überwältigt von der Stimmung, in die mich der allzu reichlich getrunkene Champag ner und Elviras Gesang versetzt hatten, nichts dagegen einzu wenden. Er war übrigens kein allzu schlechter Liebhaber, und es machte mir Spaß, hernach seiner Eitelkeit ein wenig zu schmei cheln. «Du hast mich heute zum erstenmal gehabt», neckte ich ihn, «und ich schwöre dir, daß du der erste bist, mit dem ich meinem Liebhaber ein Geweih aufgesetzt habe.» Der Gedanke an den düpierten Clameran machte mir Spaß, ich konnte es nicht leugnen. So verlief diese Begegnung für jeden von uns recht erfreulich. Der Abend allerdings sollte, durch
Lucies Dazwischentreten, turbulent werden. Sie war während meiner Abwesenheit gekommen, und wie mir Mirette mit etwas erschrockener Miene berichtete, sehr übelgelaunt wieder gegan gen. Das dumme Ding hatte ihr doch tatsächlich gesagt, daß ich ein Rendezvous mit einer Freundin hätte. Ich war kaum eine Stunde zu Hause und gerade dabei, mich auf den Besuch des Grafen vorzubereiten, als sie wiederkam und sofort unangemel det in mein Zimmer eindrang. Sie mußte sehr zornig sein, denn sie grüßte nicht einmal, sondern fauchte mich an: «Wo bist du heute nachmittag gewesen?» Ihr Ton irritierte mich. Ich war nicht gewohnt, daß eine meiner Freundinnen in dieser Weise mit mir sprach. «Nun, du hast es doch bereits gehört, bei einer meiner Freundinnen.» «Wer ist es? Mit welcher deiner verdammten Katzen betrügst du mich?» fuhr sie auf mich los. Lucie konnte, wenn sie in Wut geraten war, unglaublich vulgär sein. Sie vergaß dann all ihre Erziehung. «Ich wüßte nicht, was dich das angeht», konterte ich nun gleichfalls wütend. Ich hatte genau das Verkehrte getan. Denn diese Verrückte fiel mit ihren Fäusten und Krallen über mich her. «Wie, du treuloses Rabenaas», schrie sie mit sich überschlagender Stimme. «Das wagst du mir zu bieten, mir, die ich dich liebe, dich anbete? Warte, ich will dich lehren, mich so zu mißachten!» Ehe ich mich zur Wehr setzen konnte, hatte sie mich an den Haaren gefaßt und zu Boden geworfen. Sie war wie eine Rasende in ihrem Zorn und attackierte mich mit Fußtritten und Faust schlägen. Ich vermochte mich ihrer schließlich nicht mehr zu erwehren, und so fiel ich kurzerhand in Ohnmacht. Ich hatte das schon früher etliche Male mit Erfolg geübt, und ich bemerkte, daß dieses Mittel auch jetzt seine Wirkung tat. Die kleine Furie schien augenblicklich bestürzt und begann, mich statt mit Schlä gen mit Zärtlichkeiten zu überschütten. Sie rief immer wieder meinen Namen und flehte mich an, ich möge ihr verzeihen. Aber vorsichtshalber stellte ich mich noch eine Weile taub für ihr Flehen. Ich hielt also meine Augen halb geschlossen und spähte
nur von Zeit zu Zeit vorsichtig durch die Wimpern. Sie läutete dem Mädchen und sagte mit tränenerstickter Stimme zu Mirette: «Helfen Sie mir, Madame zu Bett bringen! Sie hat einen Anfall erlitten.» Einen Anfall! Ich merkte, daß ich schon wieder wütend wurde, aber ich wagte es nicht zu zeigen. Endlich, als ich schon recht bequem in meinen Kissen lag, spielte ich ihr die Szene meines Wiedererwachens vor. «Wo bin ich?» fragte ich ganz so, als ob mich eine wirkliche Ohnmacht befallen gehabt hätte. «In deinem Bett, meine Liebe. Ich bitte dich, beunruhige dich nicht, mein Engel, es wird dir nichts Böses mehr geschehen. Ich bin toll vor Eifersucht und Kummer gewesen. Du mußt mir verzeihen. Wirklich, es wäre nicht geschehen, wenn ich dich weniger liebte. Aber ich will dir dafür jede Genugtuung geben. Ich werde dir gehorchen wie ein kleines Hündchen, du wirst keine ergebenere Freundin als mich haben. Und wenn du einmal einen Herzensge liebten hast und nicht weißt, wie du ihn treffen kannst, dann will ich dir helfen. Ah… du wirst mir verzeihen, du liebst mich doch! Sag, habe ich recht?» Ihr großzügiges Anerbieten ließ mich auf einen Einfall kom men. «Einen Herzensgeliebten?» fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Wirklich, das wäre vielleicht ein Weg, um Stani unauffällig zu treffen. «Hast du etwa einen?» forschte die kleine Teufelin sofort voller Eifer. Ich war noch vorsichtig. «Nein, warum sollte ich?» «Oh, da tust du aber unrecht. Man soll immer einen haben. Denk zum Beispiel an diesen hübschen Solencourt. Er macht mir viel Vergnügen und tröstet mich, wenn ich diese zahlenden Schweine satthabe.» Ihre Ausdrucksweise war wirklich recht vulgär. Aber immerhin, sie konnte von Nutzen sein. «Ah ja, richtig, Solencourt… », sagte ich nachdenklich. «Ist er ein guter Geliebter?» «O ja, er ist recht nett. Und du? Vielleicht willst du Tisin? Er ist ein netter Junge und zur Zeit ganz verrückt nach dir. Wenn du ihn nur ein wenig in Distanz hältst, wird er sich nach dir verzeh ren. Soll ich dir eine Verbindung zu ihm schaffen?»
«Nein nein, doch nicht diesen Schwätzer!» Ich durfte es dieser kleinen Furie, die mit ihren rotgeweinten Augen und dem ver wirrten Haar so hinreißend aussah, nicht allzu leichtmachen. Also setzte ich wieder eine finstere Miene auf und wandte mich von ihr ab. Dieses Theater Verfehlte seine Wirkung nicht. Sie warf sich wie eine Rasende über mein Bett. «Verzeih mir, meine rei zende Lena, komm, diktiere mir irgendeine Strafe. Aber verzeih mir. Glaube mir, ich werde alles tun, was du von mir erwartest.» Ich wandte ihr würdevoll mein Gesicht zu. «Gut, ich will dir verzeihen. Aber tu es nicht wieder. Ich bin solche Manieren nicht gewöhnt und würde mich grausam rächen. Glaube mir, ich wür de Verteidiger finden, wenn mir selbst die Kräfte fehlten.» Sie faßte nach meinen Händen und küßte sie stürmisch. «Fürch te nichts mehr, mein Liebling. Ich werde bei dir bleiben, ich habe dieses Schwein von einem Obrenval benachrichtigen lassen. Du weißt, er ist auch in dich vernarrt, und wenn dich der Graf je verlassen würde, könntest du ihn mir leicht wegnehmen, wenn du nur wolltest. Ich… ich würde ihn dir freiwillig überlassen. Er ist ebenso reich wie der Graf und recht freigebig.» «Behalte deinen Baron, ich will ihn nicht haben…» «Ja, das kann ich mir denken. Clameran ist viel hübscher. Aber du, wie ist es mit dir? Hast du wirklich niemand, den du ins Herz geschlossen hast?» Ich beschloß, sie noch ein wenig zu quälen, und wandte seufzend mein Gesicht gegen die Wand. Doch ehe wir unser Gespräch fortsetzen konnten, kam der Graf und zeigte sich sehr besorgt. Ich war in all den Monaten, die ich mit ihm zusammen gewesen war, nie krank gewesen. Seine Besorgnis rührte mich einigermaßen. Er setzte sich an den Rand meines Bettes und faßte nach meiner Hand. Lucie war inzwischen dis kret hinausgegangen. «Wie fühlen Sie sich?» erkundigte er sich zärtlich. Ich lächelte zu ihm hinauf. «Besser… es ist schon vor bei.» «Was haben Sie gehabt?» «Oh, einen Schwindelanfall, nichts weiter.» «Leiden Sie öfter daran?»
«Nein.» Ich las in seinen Augen, daß er an eine Schwangerschaft dachte, und versuchte ihn zu beruhigen. «Oh, Sie brauchen nichts zu befürchten, teurer Freund. Es ist nicht, was Sie vermuten!» Zu meinem Erstaunen schien er eher enttäuscht als beruhigt. «Wissen Sie das genau?» erkundigte er sich. «Wirklich, meine Liebe, ich würde mich freuen. Sie wissen, daß ich bis jetzt kinder los bin. Ich würde ein Kind von Ihnen zu gern adoptieren.» «Das wäre nicht möglich. Sie vergessen, daß wir beide verheira tet sind.» «Ja, natürlich. Aber bedenken Sie, ich hätte in diesem Fall doch ungleich günstigere Möglichkeiten, Ihrem Kind eine glänzende Zukunft zu sichern als…» Er war so eifrig bemüht, mir diese Vorstellung schmackhaft zu machen, daß er mir beinahe leid tat. «Ich sagte doch, mein armer Freund, geben Sie sich in diesem Punkt keinen Illusionen hin», wehrte ich seinem Eifer. «Ich glaube wirklich, daß ich unfruchtbar bin. Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl, aber lassen Sie sich in Ihren Dispositionen durch mich nicht stören.» Er faßte nach meiner Hand und küßte sie. «Ich kann Sie jetzt nicht verlassen, meine Teure, ich bin doch im Augenblick Ihre ganze Familie. Ich habe Pflichten auf mich genommen, indem ich Sie den Ihrigen entführte.» «Sie sind ein Mann von Herz, aber ich versichere Ihnen, daß es mir schon viel besser geht», versuchte ich ihn zu beruhigen. «Morgen werde ich schon wieder ausfahren, als ob nichts vorge fallen wäre. Gehen Sie doch und zerstreuen Sie sich. Eine kranke Frau ist wirklich keine amüsante Sache.» Er entfernte sich widerstrebend, und Lucie nahm den Platz an meinem Bett wieder ein. Die gefühlvollen Worte des Grafen hatten an meinen Plänen nichts geändert. Ich war fest ent schlossen, mich Lucie zu eröffnen. Allerdings mußte ich vorsich tig zu Werke gehen und ihr noch etwas zusetzen, indem ich Mißtrauen und Feindseligkeit heuchelte. Sie war von einer rüh renden Aufmerksamkeit und tat so, als sei sie mit all meinen Launen einverstanden. Sie hatte Mirette den Auftrag gegeben,
etliche belegte Brote für mich zurechtzumachen, und servierte mir nun diese zusammen mit einem Glas Malaga. «Damit du wieder zu Kräften kommst», wie sie liebevoll meinte. Ich aß etliche Bissen, mehr um ihr einen Gefallen zu tun, als weil ich nach dem opulenten Mahl bei Elvira noch bei Appetit gewesen wäre. Nach einer Weile kam sie wieder auf unser ursprüngliches Thema zurück. «Wirklich, geliebte Lena, ich verstehe nicht, warum du dir keinen Geliebten nehmen willst. Gewiß, die be zahlte Liebe hat manche Vorteile, aber im Grunde genommen ist das doch etwas ganz anderes. Glaube mir, ich könnte dich gut verstehen…» Ich riskierte einen theatralischen Seufzer. «Ach, wenn du wüß test!» Sofort stürzte sie sich auf mich. «Sag, du kennst einen? Hab ich recht? Komm, eröffne dich mir, ich werde dir helfen, wo ich nur kann!» Jetzt schien es mir allmählich an der Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. «Höre, deine Ergebenheit in diesem Punkt kann viel dazu bei tragen, unseren Bund zu erneuern», sagte ich würdevoll. «Ja, ich liebe jemand und dieser Jemand liebt mich. Übrigens soll diese Liebe nichts an unseren Vergnügungen ändern, die wir hoffent lich auch in Zukunft genießen werden.» Eine anmutige Röte stieg in Lucies hübsches Gesicht. «Oh, ich bin nicht mehr eifersüchtig, wirklich nicht, meine Teu re. Ich liebe dich viel zu sehr. Glaube mir, es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde.» «Du wirst sehr erstaunt sein. Dieser Jemand ist mein Gatte, den ich verlassen habe, um dem Grafen zu folgen. Du verstehst, die Illusion eines gesicherten Lebens übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus. Heute verstehe ich, wie verkehrt das war. Der Gute hat mir verziehen und stirbt beinahe vor Sehnsucht, mich wiederzusehen. Aber er ist großherzig und verzichtet auf seine Rechte, weil er mir den Wohlstand des Gra fen nicht bieten kann.» Lucie schien hingerissen von meinem Geständnis. «Oh, das ist wundervoll. Wirklich, mein Engel, du kannst dich glücklich
schätzen, einen solchen Mann zu haben. Warum besuchst du ihn nicht manchmal?» «Wo sollte ich? In einem dieser widerlichen schäbigen Stunden hotels etwa? O nein, dazu ist uns unsere Liebe viel zu heilig. Und bei mir… nun, du weißt, ich kenne meine Leute noch nicht gut genug, um etwas zu wagen.» Lucie schien zu begreifen. «Mach dir keine Gedanken mehr darüber. Du wirst ihn in meiner Wohnung empfangen, sooft du nur willst, und kein Mensch wird davon wissen. Ich an deiner Stelle würde ihn übrigens ruhig in meiner eigenen Wohnung empfangen.» «Ah… und die Dienstboten? Ich bin ihrer nicht sicher!» Lucie brach in ein belustigtes Lachen aus. «Wozu bezahlst du sie, wenn sie nicht schweigen können? Aber erzähle: Wer ist er?» fuhr sie neugierig fort. «Erinnerst du dich an den Reiter, der uns im Bois ein Stückchen gefolgt ist, nachdem er mit dieser Miss Learf etliche Worte gewechselt hatte?» Lucie stieß einen lustigen kleinen Pfiff aus. «Oh, der hübsche Junge also! Ich gratuliere dir, mein Engel. Wirklich, er sieht wundervoll aus. Ich kann verstehen, daß du dich in ihn verliebt hast.» Ihre Neugier war erwacht, und sie konnte nicht genug bekom men, mich nach allen Einzelheiten auszufragen. Und schließlich, weil wir schon gerade dabei waren, erzählte ich ihr die Geschich te meines Lebens in allen Einzelheiten. «Meinst du wirklich, ich könnte Stani bei dir sehen?» erkundigte ich mich zuletzt beinahe zaghaft. Sie war gleich Feuer und Flamme. «Aber ja, warum nicht? Schreib ihm gleich, daß du ihn morgen sehen willst.» «O nein, nicht morgen. Der Graf wird mir sicher morgen seine Aufwartung machen wollen.» Ihre Miene verfinsterte sich. «Der Graf! Wirklich, du bist gar zu vorsichtig. Mit einem Mann, der zahlt, muß man immer auf Kriegsfuß stehen, wenn man die Oberhand behalten will. Nimm dir ein Beispiel an mir und der Art, wie ich mit Obrenval umspringe.»
«Oh, das würde der Graf nicht vertragen. Ich bin übrigens si cher, daß er mich heute noch besuchen wird. Es ist besser, wenn er mich allein findet. Ich darf kein Mißtrauen in ihm erwecken.» «Du willst, daß ich gehe?» Enttäuschung schwang in ihrer Stimme. «Ja, mein Liebling!» «Und du bist mir wirklich nicht mehr böse?» «Ich habe kein Recht mehr dazu, jetzt, wo du mein Herz so mit Freude erfüllt hast.» «Und es geht dir besser?» «Aber ja. Ich fühle mich ausgezeichnet.» «Umarme mich, mein Engel, damit ich spüre, daß du mir ver ziehen hast.» Sie hielt mich einen Augenblick lang in den Armen und gab mir einen langen sehnsuchtsvollen Kuß. Ich schloß die Augen und ließ mich treiben… Ich hatte mich mit meiner Vermutung nicht getäuscht. Der Graf kam wirklich gegen Mitternacht in mein Zimmer. Ich gebrauchte eine List und stellte mich schlafend. Er beugte sich über mich und betrachtete mich lange. Da tat ich so, als ob ich erwachte. Ich richtete mich mit einer anmutigen Bewegung auf, lächelte ihm zu und sagte: «Das ist aber eine erfreuliche Überraschung. Sie bemühen sich noch so spät, teurer Freund?» Er ließ sich auf meinen Bettrand nieder und forschte in meinem Gesicht. «Ich war beunruhigt, meine teure Freundin. Wie fühlen Sie sich?» «Oh, ich habe mich schon recht hübsch erholt.» Er schien er leichtert, und ich merkte auch die Ursache. Er begehrte mich. Ich hatte es ihm schon angesehen, als er fortgegangen war; und deshalb vor allem hatte ich darauf bestanden, daß Lucie mich verließ. Ich überließ ihm meine Hand und flüsterte: «Ich bin nicht einmal mehr müde.» Um ihn zu ermutigen, löste ich mit der anderen Hand die Schleife meines Hemdes. Ich wußte, daß ihn der Anblick meines
Busens erhitzte. Er beugte sich über mich. Wie ein schmeicheln des Kind legte er seinen Kopf an meine Schulter und küßte meine Brüste, was er sehr selten tat. «Fürchten Sie nicht, Ihre Zeit zu verlieren, teurer Graf?» neckte ich ihn. Er hörte nicht auf, mich zu liebkosen. Ich bemerkte, daß er immer leidenschaftlicher wurde. «Sag, kannst du mich die ganze Nacht dabehalten?» flüsterte er dicht an mich gepreßt. «Die ganze Nacht, Robert? Aber was wird deine Frau dazu sagen?» Er hob einen Augenblick sein Gesicht. «Schweig von Sophie! Sie kümmert sich nicht darum, wann ich heimkomme. Übrigens ist sie gerade für einige Zeit verreist. Ich werde sie nächste Wo che sogar besuchen müssen, und du wirst mich dann etliche Tage nicht sehen.» Ich zog eine Schmollmiene, obwohl ich eine leiden schaftliche Freude in mir aufsteigen fühlte. Denn wenn der Graf wirklich abreiste, hatte ich mit Stani freie Hand. Doch natürlich stellte ich mich enttäuscht. «Du wirst mich verlassen?» «Nur um recht bald wiederzukommen, wenn du es willst.» Ich merkte wohl, worauf er hinauswollte, und erwiderte seine Lieb kosungen zärtlich. «Bist du denn nicht bei mir zu Hause?» fragte ich schmeichelnd. «Ja, bei meiner schönen Angebeteten.» «Bei deiner Angebeteten?» «Zweifelst du etwa daran?» Ich seufzte ein wenig. «Du hast manchmal solche Momente von Kälte.» «Oh, das ist nun leider einmal meine Natur. Kümmere dich nicht darum, mein Engel. Glaub mir, ich liebe dich leidenschaft lich.» Er stand auf und ging in mein Toilettekabinett, um sich zu entkleiden. Nach etlichen Minuten kam er im Nachthemd zu rück. Er schien noch immer einigermaßen unschlüssig, als er zu mir ins Bett stieg. «Und du bist wirklich nicht mehr indisponiert, meine Geliebte?» fragte er besorgt. Ich mußte unwillkürlich lachen, so erheiternd fand ich das Ganze. Wieviel Umstände für einen Mann, der mich dafür be
zahlte, daß ich seinem Vergnügen diente! Nein wirklich, der gute Clameran war ein zu umständlicher Mensch! Der Himmel moch te wissen, wie er es trieb, wenn er eines jener seltenen Male zu seiner ehrenwerten Gattin ins Ehebett stieg! Ich beruhigte ihn über meinen Gesundheitszustand und, um ihn von meiner eigenen Leidenschaft zu überzeugen, griff ich ganz ungeniert nach ihm. Ich war jetzt einigermaßen in Erregung geraten und verlangte brennend nach einer Umarmung. Aber ach, was für einen lauen Liebhaber hatte ich da im Bett! Er be gnügte sich damit, meine Brüste und meinem Hintern ein wenig zu liebkosen, und gab mir, wie es seine Gewohnheit war, etliche Klapse. «Wirklich, mein teures Herz, du bist wunderschön», seufzte er unter meinen Liebkosungen. «Gefalle ich dir noch?» fragte ich kokett. «Ah, mein Engel! Wirklich, du bist die Aller schönste!» Er hatte endlich seinen Entschluß gefaßt und kam über mich. Vermutlich hielt er das, was er mit mir tat, für das Resultat einer wahnsinnigen Leidenschaft, aber wie immer war es viel zu schnell vorbei. Er ließ mich völlig ungesättigt auf halber Strecke zurück, als er mit einem heftigen Stöhnen der entfessel ten Lust neben mir in die Kissen sank. «Ah», seufzte er, «wie herrlich wird es sein, neben dir zu schla fen, nachdem ich für deine Gesundheit gezittert habe.» Seit meiner Rückkehr nach Paris war es gerade das dritte Mal, daß er eine ganze Nacht mit mir verbrachte. Weiß der Himmel, er war kein anstrengender Liebhaber! Ich duldete es also ohne Widerstreben, daß er dicht an mich gepreßt einschlief. Ich selbst blieb lange wach in dieser Nacht, denn ich mußte immer an meine bevorstehende Begegnung mit Stani denken. Es würde wundervoll sein, ihn endlich, endlich wieder in meinen Armen zu fühlen. Der Graf hatte zu schnarchen begonnen, und ich löste mich sanft aus seinen Armen und wechselte an den äußersten Bettrand hinüber, wo es angenehm kühl war. Als ich endlich einschlief, gaukelte mir ein Traum die Gegenwart meines Geliebten vor.
Der Morgen kam, und es war wie immer, wenn der Graf eine Nacht mit mir verbrachte. Er nahm mich schnell und mit der ein wenig zerstreuten Gleichgültigkeit, die für ihn so bezeichnend war. Danach hatte er es eilig, zu irgendeiner politischen Sitzung zu gelangen. Ich selbst blieb bis tief in den Vormittag hinein müßig, tändelte mit meiner Toilette und schrieb einen Brief an Stani, in dem ich ihn zu einem Rendezvous lud. Mit Lucies Hilfe würde dies ausgezeichnet gelingen. Ich konzipierte den Brief dreimal, weil er mir nicht zärtlich genug erschien. Endlich war ich zufrieden, und ich beeilte mich, das Schriftstück selbst zur Post zu bringen. Lucie, die ich darauf besuchte, erwartete mich schon mit Unge duld und warf sich mir an den Hals. «Meine Liebe, wir sehen uns wieder?» «Der Brief ist abgeschickt», verkündete ich ihr lachend. «Oh, das Rendezvous für morgen?» «Genau dies. O Lucie, liebste, beste Lucie, ich bin ganz toll vor Freude.» Wir umarmten und küßten uns überschwenglich, und dann fuhren wir in den Bois. Es war ein wundervoller Frühlingstag, und die Promenaden waren voll von flirrendem Leben. Elegante Damen in bunten Frühlingstoiletten und blumengeschmückten Hüten, schneidige junge Gardeoffiziere in leuchtenden Unifor men, leichte Dogcartgespanne, die mühelos von zarten Frauen händen gelenkt wurden! Dazwischen flatterten reizende kleine Grisetten in ihren bunten, gestreiften Trachten wie lose Früh lingsblüten über die Promenaden, und flotte Studenten flanierten säbelrasselnd und diskutierend vor den Cafés. Von dem Tanzpavillon auf der anderen Seite des großen Teichs drang gedämpfte Walzermusik herüber und mischte sich mit dem fröhlichen Stimmengewirr der Menge, die sich vor dem Café d’Egalité in besonders dichten Scharen drängte. Kein Zweifel, man erwartete die Kaiserin, die um diese Zeit gern ihre Ausfahrt in den Bois unternahm.
Lucie gab ihrem Kutscher ein Zeichen, daß er in der Nähe hal ten sollte. Die Kaiserin zu sehen war jedesmal ein Ereignis be sonderer Art. Sie verkörpert alles, was in dieser lebenslustigsten Hauptstadt Europas Charme, Eleganz und Schönheit bedeutet. Ihre Toiletten, ihre Frisuren, ihr Esprit und nicht zuletzt ihre Frivolität machen große Schlagzeilen, wo immer sie sich sehen läßt. Sie sah auch diesmal wundervoll aus in ihrer Toilette aus cremefarbigen Spitzen und dem prächtigen dunklen Haar, das ein winziges Spitzenhütchen bedeckte. Sie kam in ihrem leichten Gefährt ganz nahe an uns vorbei. Ich konnte das lebhafte Fun keln ihrer Augen sehen, als sie sich mit dem Gardeoffizier unter hielt, der dicht neben ihrem Wagenschlag ritt. Sie grüßte liebens würdig nach allen Seiten, und etliche Damen und Herren der Gesellschaft – ich erkannte den Marquis de Bonregard unter ihnen – winkte sie gnädig an ihren Wagen und wechselte etliche Worte mit ihnen. Ich beneidete den guten Hyazinth in diesem Augenblick glühend um eine Auszeichnung, die mir niemals zuteil werden würde. Denn bei all meiner Popularität war es doch ganz offensichtlich, daß ich niemals bei Hof vorgestellt werden könnte. Wirklich ein Jammer, wo ich doch viel schöner war als so manche der hochmütigen aristokratischen Damen, die sich im Grund genommen auch nicht viel ehrbarer verhielten, als ich es tat. Der einzige Unterschied bestand darin, daß sie ihre Freunde nur bei Tag empfingen und nicht gegen bar honoriert wurden. Aber immerhin, ich kannte dank meiner ausgezeichneten Bezie hungen zur Pariser Boulevardpresse etliche Damen der höchsten Gesellschaft, die kaum weniger Liebhaber aufzuweisen hatten als ich selbst. Zum Glück besserte sich meine Laune schlagartig, als ich ganz in der Nähe Stanis markantes Gesicht entdeckte. Auch er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Kutsche der Kaiserin. Er war in Gesellschaft dieses langen Lümmels von einem Paulet und der Ausdruck, mit dem er sie musterte, war ganz ohne Ehrerbietung. Ich kannte seine revolutionären Ideen. Er hatte mir oft gesagt, daß die Kaiser und Könige und die ganze verrottete Clique der
Aristokratie – ja, genauso hatte er sich ausgedrückt – im Grund auch keine anderen Menschen seien als er und ich. Ich erinnerte mich, daß er mir einmal sagte: «Eine ehrliche Dirne ist mir um vieles lieber als eine dieser sogenannten Aristokratinnen, die nach außen hin die Tugendhaften spielen und in Wirklichkeit nicht weniger käuflich sind, aber dazu auch noch den Respekt ihrer Mitmenschen verlangen.» Ich fixierte ihn jetzt eine ganze Zeit, bis er es schließlich bemerkte und sich in meine Richtung wand te. Sein Gesicht leuchtete freudig auf. «Willst du ihn sprechen?» flüsterte Lucie, während ich ihm läs sig zuwinkte. Ich schüttelte den Kopf. «Nein, ich möchte, daß er durch meinen Brief überrascht wird, wenn er nach Hause kommt.» «Oh, du bist aber boshaft. Sieh nur, wie traurig er schaut, weil du dich abgewendet hast. Wirklich, er ist ein bezaubernder Mann. Wir werden ihm zulächeln, wenn wir ihn auf dem Rückweg noch treffen.» «Oh – und wenn man es bemerkt?» Sie schürzte ihre vollen Lippen. «Ich mache mir nichts aus dem Gerede der Leute. Sie haben immer etwas zu reden. Und schließlich, wir lächeln vielen zu, die nicht halb so viel wert sind wie er.» In dem Punkt hatte sie allerdings recht, und so taten wir, wie sie gesagt hatte. Ich warf im Vorüberfahren Stani eine Kußhand zu, und ich bemerkte an seinen feurigen Blicken, wie sehr er mich begehrte. Mein armer Liebling! Aber bald würden wir wieder vereint sein. Lucie hatte übrigens ein geradezu hervorragendes Talent zur Kupplerin, sie war ganz närrisch vor Freude, daß sie mir und Stani dieses Rendezvous vermitteln konnte, und schien kaum weniger ungeduldig als ich selbst. Sie umarmte mich immer wieder, ehe ich sie verließ, um nach Hause zu fahren, und meinte: «Morgen werden wir uns in unsere allerschönsten Toiletten werfen, damit er so richtig stolz auf uns sein kann, nicht wahr, Liebste?» Ich konnte ihr in diesem Punkt nur zustimmen; und wirklich, wir waren wunderschön, als wir uns am nächsten Tag zu unserer
Ausfahrt trafen. Als ob wir es verabredet hätten, trugen wir beide Toiletten aus zartrosa Atlas, die mit dunkleren Spitzen besetzt waren. Lucie hatte ihr lackschwarzes Haar in hundert koketten Löckchen aufgesteckt, während meine goldbraune Lockenflut frei bis auf die Schultern niederfiel. Ich stellte mit Genugtuung fest, daß ich um etliche Jahre jünger aussah als die reizende Lucie, und dies trotz meines um vieles volleren Busens. Wir stießen beide einen Schrei des Erstaunens aus, als wir uns sahen, und Lucie rief enthusiastisch: «Wirklich, Liebste, wir sehen wie Schwestern aus!» «Geliebte», fügte sie schelmisch hinzu, «heute werden wir nur für ihn schön sein. Ich habe den Landauer anspannen lassen, da habt ihr die volle Freiheit euch zu umarmen, wenn er nicht die Geduld hat zu warten.» «Und dein Kutscher?» erkundigte ich mich besorgt. Aber sie lachte nur übermütig. «Oh, da haben wir nichts zu fürchten. Meine Leute sind mir sehr ergeben, und dann, wir werden ein fach die Vorhänge herunterlassen.» Ich spürte, wie mein Herz bis zum Hals klopfte. Bald, o bald schon würde ich in Stanis Armen liegen. Ich war ganz wirbelig vor Freude, und auch Lucie schien davon angesteckt. Sie wurde mit einemmal ganz bleich und murmelte: «Wie schön muß es sein, so zu lieben.» Ich starrte sie einen Moment lang verblüfft an. «Aber – liebst du denn nicht Solencourt in derselben Weise?» Sie brach plötzlich in ein schril les Gelächter aus. «Meiner Treu, nein, du Närrchen. Es kitzelt mich bei ihm ein bißchen mehr als bei den andern, das ist alles.» Es klang resigniert, wie sie es sagte. Wir fuhren also, diesmal im geschlossenen Landauer, wieder in den Bois und entdeckten Stani sofort an der vereinbarten Stelle. Ich erkannte schon von weitem, daß er kaum weniger aufgeregt war als ich selbst. Der Kutscher hielt an, wir öffneten den Wagenschlag, und Stani sprang herein. Der Kutscher, der seine Befehle schon im voraus empfangen hatte, fuhr unverzüglich weiter. Ich schloß einen Moment lang die Augen. Wirklich, da war er, saß mir gegenüber, faßte nach meinen Händen und küßte wieder
und wieder meine Handschuhe, die ich in der Aufregung verges sen hatte auszuziehen. Mein Herz klopfte zum Zerspringen, ich fühlte mich den Tränen nahe. Erst Lucie brachte uns wieder zur Besinnung, indem sie lachend zu mir sagte: «Nun, nun, willst du ihn mir denn nicht vorstellen?» «Entschuldige, ich bin in dieser Minute ganz verwirrt. Das also, meine teure Lucie, ist mein Gatte Stani, von dem ich dir schon so viel erzählt habe. Stani, umarme sie und gib ihr einen Kuß, denn wir verdanken es ihrer Freundschaft, daß wir uns endlich, endlich wieder begegnen können.» Er wandte sich mit einer artigen Verbeugung an Lucie, deren Wangen vor Aufregung gerötet waren, und ergriff impulsiv ihre Hand, die er an die Lippen führte. «Mademoiselle, niemals werde ich den Dank vergessen, den ich Ihnen schulde. Sie haben mich durch Ihre Güte dem Leben wiedergegeben.» Die Allee, in die der Kutscher eingebogen war, schien men schenleer, und Lucie sagte lachend: «Pfui, Sie Garstiger, hören Sie doch auf, nur ihre Handschuhe zu küssen. Sehen Sie nicht, daß ihr Mund nach der Berührung ihrer Lippen lechzt?» «O nein», protestierte ich mit zitternder Stimme. «Wir könnten gesehen werden.» «Du Dumme! Er kann sich doch zwischen uns setzen, dann wird er es viel bequemer haben.» Stani ließ sich das nicht zweimal sagen, und weil der Landauer sehr breit war, fand er bequem zwischen uns beiden Platz. Er nahm mich in seine Arme, und dann spürte ich seine Lippen auf meinen Augen, meinen Wan gen, meinem Mund, meinem Hals. Sie hielten nicht still und wanderten an mir auf und ab. Ich zitterte unter seiner Berührung vor unterdrückter Leidenschaft. «Bravo, bravo», rief Lucie, die meine Verwirrung bemerkt hatte, und klatschte in die Hände. Ich versuchte mich von Stani zu befreien. «Nein, gar nicht bravo! Stani, ich bitte dich, hör auf, mich verrückt zu machen, sonst werde ich böse. Küsse lieber Lucie, sie hat es wohl verdient.» Er richtete sich einen Augenblick lang auf. «Sie erlauben, Ma demoiselle?» fragte er ganz artig. Sie errötete unter seinem Blick.
«Aber ja, nur hören Sie auf, so zeremoniös zu sein. Nennen Sie mich Lucie.» Der Schelm gab ihr zwei artige Küsse auf jede Wange, und sie erwiderte diese auf dieselbe Weise. «Wir werden Freunde sein, Stani», versicherte sie kokett. «Wirklich, ich weiß, daß ich Sie liebgewinnen werde. Aber lassen Sie sich doch nicht in Ihrer Wiedersehensfreude mit Lena stören, oder vielmehr mit Irene. Sie wissen ja, Lena ist bloß ein Nom de Guerre. Nehmen Sie doch einen Vorschuß auf künftige Freuden, wir sind hier ohne hin ganz unter uns.» Lucies Augen blitzten in verhaltener Begier de, und mir dämmerte, daß sie uns nur zu gerne zugesehen hätte. «O nein», rief ich, «ich verstehe nicht, wie du ihn auch noch ermutigen kannst. Warten wir doch, bis wir in deine Wohnung kommen.» Aber Lucie lachte nur. «Wie grausam du sein kannst! Du ver dientest wahrhaftig, daß er sich, um dich zu bestrafen, etwas mit mir beschäftigte.» Und sie bot ihm ihre schwellenden Lippen zum Kuß. «Himmel, das ist ja schon wieder eine Provokation», rief ich aufgebracht, «und dieser Schelm scheint auch noch ent zückt davon. Wirklich Stani, du bist ein Filou. Nimm doch deine Hände in acht…» Er hatte seine Finger tatsächlich auf irgendeine Weise unter meine Röcke geschmuggelt und strich nun sanft die Innenseiten meiner Schenkel entlang. Ich versuchte ihm zu wehren, aber dann empfand ich seine Berührung so süß, daß ich mich unwill kürlich ein wenig bewegte, um ihm den Eingang zu gewähren. Er nahm seine Chance auch sofort wahr, und ich spürte mich unter seiner Berührung fast augenblicklich überfließen. Ich war zu allen Torheiten bereit und stammelte ungeduldig: «0 Himmel, kommen wir denn niemals nach Hause. Genug, mein geliebter Gatte, Gnade, Gnade!» «Ja, genug für den Moment», murmelte Lucie mit erblaßten Lippen. «Ihr laßt mich da Dinge ansehen! Ich habe auch kein Fischblut in den Adern. Ach, ihr erregt mich…»
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, und ich bemerkte, daß sie ihre Beine unter dem Rock krampfhaft aneinander preßte. «Beklage dich nur, du Böse», sagte ich heftig errötend und schob Stani ein wenig von mir. «Schließlich hast du ihn ja dazu ermutigt.» Sie legte ihre Hand auf die glühende Stanis. «Seien Sie nur noch einen Augenblick artig! Die arme Lena glüht ja, und auch Sie sehen einem Hahn, der gerade auf seine Henne springen will, ganz ähnlich», sagte sie lachend. Er lehnte schwer atmend im Fond des Wagens und senkte seine feuchten Augen tief in die meinen. Ich spürte meine Lider flattern, aber ich entzog mich ihm mit einer raschen Bewegung. «Nein, mein Herr, ich erlaube Ihnen nicht, mich so anzusehen. Betrachten Sie Lucie und lassen Sie mich in Frieden.» «Armer Cherubin», flüsterte Lucie mit verhaltener Stimme, «wie er nach seinem reizenden Weibchen lechzt! Wirklich, du bist grausam, meine Liebe. Predigst ihm Vernunft, wo der Arme vor Liebe stirbt!» «Du würdest mit ihm Mitleid haben, ausgerechnet du», stam melte ich schwach. «O ja, ich würde ihm alles erlauben. Ich habe dem Kutscher befohlen, die einsamsten Wege zu fahren.» Sie rekelte sich kokett. «Nun, Lucie», murmelte ich, «du bist sehr aufgeregt.» Sie versuchte ein Lächeln. «Oh, beunruhige dich nicht, mein Engel. Ich werde während eures zärtlichen Tête-à-tête schon ein Heilmittel finden.» «Solencourt?» «Oder einen anderen», gab sie kokett zurück. «Oh, du schamlo se Kreatur», rief ich schmollend. «Zum Teufel mit dir! Du willst doch wohl nicht, daß ich euch bei euren Spielen assistiere? Soll ich mich etwa mit meiner Hand begnügen, wo ihr vor Leiden schaft brennt?» Sie machte eine Bewegung, als ob sie ihre Röcke heben wollte. «Oh, mir scheint, deine Ungeduld ist größer als meine», forderte ich sie heraus. «Du wärest mir wohl dankbar, wenn ich ihm
erlaubte, dich zu beruhigen.» Stanis Augen wanderten während dieses mutwilligen Geplänkels von einer zur andern. Er geriet sichtlich in Ekstase und studierte das reizende diabolische Ge sichtchen Lucies, das ihm in unverhüllter Koketterie zugewandt war. Sie beugte sich lachend zu ihm. «Sie macht sich über uns lustig, mein Lieber. Kommen Sie, rächen wir uns! Leihen Sie mir Ihre Hand, um das Feuer zu löschen.» Er zögerte eine Sekunde, dann, als er sah, daß ich nicht protestierte, glitt seine Hand vorsichtig unter ihre Röcke. Ich bemerkte, wie ihr Gesicht sich schlagartig veränderte. Ein leidenschaftlicher Schauer rann über ihre schö nen Züge, ihre Lippen begannen zu zittern, ihre Augen schlossen sich. Sie wurde abwechslungsweise blaß und rot. Stani sagte kein Wort. Er hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt, und ich spürte seinen heftigen Atem in meinem Gesicht. Dann, von einem Moment zum nächsten, fanden wir in die Wirklichkeit zurück, als der Kutscher den Wagenschlag öffnete. Wir waren bei Lucies Wohnung angelangt. Ich spürte meine Knie zittern, als ich, von Stanis Arm mehr getragen als geführt, die Treppe emporstieg. Lucie hatte sich inzwischen beruhigt. Sie führte uns direkt in ihren Salon. «Hier seid ihr ganz ungestört», eröffnete sie uns. «Liebt euch nur, meine Kinder, ich verlasse euch mit dem Rat, die Zeit tüch tig zu nützen. In spätestens zwei Stunden komme ich zurück und setze euch vor die Tür. Ein andermal werdet ihr mehr Zeit ha ben, aber heute… nun, heute empfange ich selbst noch diesen unseligen Baron. Also, gehabt euch wohl, meine Lieben, ich wünsche euch alle Freude.» Sie ging und schloß die Tür hinter sich. Wir hatten nicht die Kraft, auch nur ein Wort zu sprechen. War ich wirklich noch die Frau, die sich so vielen Männern hingegeben hatte, war ich die wollüstige Freundin Elviras und Lucies, die bezahlte Geliebte des Grafen? Die Welt existierte nicht mehr, ich sah nur ihn, meinen
Geliebten, meinen Gatten, der jetzt zu meinen Füßen kniete, meine Beine in seine Arme preßte, mein Kleid küßte, meinen Gürtel, meine Arme… Voll Ungeduld streifte ich meine Hand schuhe ab, knöpfte meine Röcke auf, zog mein Mieder aus und erschien schließlich im kurzen Unterrock aus malvenfarbener Seide. Seine Hände liebkosten meine Waden, glitten langsam und in unendlicher Zärtlichkeit nach oben, während ich fortfuhr, mich zu entkleiden… Schließlich, als die letzte Hülle gefallen war, preßte er aufatmend sein Gesicht in das seidige Haargekräu sel am Ansatz meiner Schenkel. Ich stöhnte unter der Berührung seiner geliebten Lippen wollüstig auf. Ein leidenschaftlicher Schauer überrieselte meinen ganzen Körper, und ich preßte seinen Kopf wie im Fieber an mich. Er sagte kein Wort, aber er hielt nicht inne mit seinen Liebkosungen, die über meinen Bauch, meine Schenkel, meine Hüften niederrieselten wie ein linder Sommerregen. Als sich seine Hände in meine im Fieber der Lust vibrierenden Lenden gruben, hörte ich ihn stöhnen: «Ah, endlich, endlich finde ich dich wieder.» «Mein teurer Geliebter… ich gehöre dir ganz, mach was du willst mit mir, ich nehme mit jedem Blutstropfen, mit jedem Gedanken, mit jedem Atemzug an deinem süßen Fieber teil. Oh, mein angebeteter Liebling, wenn diese Lust nur ewig dauern könnte!» Seine Küsse wanderten nach oben, die Linie meines Rückgrats entlang. Ich mußte einen ziemlich grotesken Anblick bieten. Das Hemd war bis zu meinen Füßen hinabgerutscht, ich war ganz nackt, hatte aber noch immer das Hütchen auf dem Kopf, das ich zu unserer Ausfahrt getragen hatte, und dazu Schuhe und Strümpfe an. Stani befreite mich mit einer ungedul digen Bewegung von diesen höchst überflüssigen Kleidungsstük ken, legte den Hut auf einen Sessel, damit er unter unserem Liebeskampf nicht zu Schaden komme, und eilte flink wie ein brünstiger Hirsch wieder zu mir. Er umschlang mich voll bren nender Leidenschaft, seine Lippen umschlossen meine Brustspit zen, die wie pralle Beeren aus ihrer Umgebung hervorsprangen. Während er mich wieder und wieder küßte, murmelte er:
«Wie hübsch du bist, wie schön… welche Wonne, dich zu lie ben!» Ich faßte unwillkürlich nach ihm. «Vergessen wir uns nicht, mein Kleiner. Wir haben nur wenig Zeit. Geschwind ins Bett, damit wir die Stunde unserer Begegnung nützen», mahnte ich ihn. Ich konnte mich jetzt wirklich nicht mehr beherrschen, mein Blut drohte meine Adern zu sprengen, ich vermochte kaum zu atmen. Wir waren jetzt beide nackt, und ich konnte deutlich sehen, wie leidenschaftlich er mich begehrte. Wie schön dieser Mann in seiner heißen, begehrlichen Nacktheit war! Keiner der Männer, die mich besessen hatten, konnte sich auch nur im entferntesten mit ihm messen. Er verdiente wahrhaftig meine ganze Liebe. Zärtlich hob er mich in seinen Armen auf und legte mich auf das Bett. Ich vermochte meine Augen nicht von seiner herrlichen stolz ragenden Männlichkeit zu lösen. Ich liebkoste ihn mit den Fingerspitzen, meine Lippen schlossen sich in leiden schaftlicher Zärtlichkeit um dieses Kleinod unserer Lust. Ich kniete vor ihm auf dem schwellenden Lager, und meine Lippen umschlossen ihn in bebender Leidenschaft. Voll Entzücken entdeckte meine Zunge ihren köstlichsten Besitz wieder, ich begrub ihn förmlich in meinen Liebkosungen und ruhte nicht eher, bis die Schauer der Wollust wieder und wieder über ihn hinrieselten. Schließlich besiegelte er, bebend vor leidenschaftlicher Begier de, unseren Bund und nahm in Besitz, was ihm längst gehörte. Oh, dieses Glück, dieser wollüstige Tod aller Empfindungen in der einen einzigen, die uns wie ein glühendes Feuer durchzuckte. Ich war nicht mehr ich selbst, sondern floß ihm in Strömen von Lust entgegen, ich trank ihn mit meinem Atem, meinen Nerven, meinen Adern; mein ganzes Selbst nahm ihn liebeglühend in Besitz und wurde selbst sein. Ich lebte nicht mehr, außer in der wollüstigen Glut, mit der er sich mit mir vereinte. Und als wir endlich in den Tiefen der Lust versanken, als unsere Blicke erlo schen und unsere Leiber ermattet hinsanken, währte es nur wenige Minuten, und schon fühlte ich mich wieder bis auf den
Grund meiner Eingeweide durchbohrt, so daß ich im Fieber dieses wollüstigen Schmerzes meine Besinnung verlor und in eine kurze Ohnmacht versank, aus der mich schließlich seine Küsse weckten. Endlich wurden wir etwas ruhiger und fanden wieder Worte, um uns über die nächste Zusammenkunft zu verständigen. «Der Graf ist nächste Woche verreist», eröffnete ich ihm. «Was auch geschehen mag, nichts soll uns hindern, dieses Glück unse rer Gemeinsamkeit fortzusetzen.» «Und vorher, meine Geliebte?» Seine Stimme klang ungeduldig. Er, der mich so lange nicht gesehen hatte, fieberte nun danach, das süße Glück dieses Augenblicks zu wiederholen. «Vorher? Nun, wir werden uns nochmals hier sehen, wenn ich kein ande res Mittel finde. Dann: Elvira debütiert, ich werde ihr assistieren. Du wirst mich also dort treffen. Lucie wird uns behilflich sein, sie ist eine gute. Seele.» Er zeigte die Zähne. «Sie ist eine kleine Teufelin, mein Engel. Du bist wohl sehr gut mit ihr?» «Ich gestehe es dir, ja. Sie ist eine wundervolle Freundin. Übri gens, da du jetzt in der Avenue de Villiers wohnst, ist es unnütz, wenn du unsere alte Wohnung noch beibehältst. Kündige sie und stelle meine Sachen in einer Möbelaufbewahrung ein, bis ich darüber verfügen kann.» «Du willst nie mehr dorthin zurückkehren?» «Nein, wozu? Hauptsache ist doch, wir beide finden zusam men.» Unser Gespräch mündete aufs neue in Liebkosungen, die uns den Atem raubten und uns wieder in dem glühenden Lavastrom der Leidenschaft ertrinken ließen. Weiß der Himmel, wir verloren keinen Augenblick dieser köstlichen Stunden. Aber die Zeit verging viel zu schnell, und wir mußten endlich an den Augenblick des Abschieds denken. Ach, diese Traurigkeit der Trennung, die sich wie Blei in unsere Adern senkte! Ich verfluchte in diesem Moment unseren Ehrgeiz, der sich nicht mit einem kleinen, bürgerlichen Leben zufriedengeben wollte. Lucie,
die uns zur Eile antrieb, hatte fast Tränen in den Augen und rief aus: «Zu denken, daß es so viele Ehepaare gibt, die sich nur zu gerne trennen. Und nun können diese beiden nicht zusammen sein, die fast darüber verzweifeln, weil sie sich lieben. Aber gehen Sie jetzt, Stani, teurer Freund, es ist höchste Zeit, daß ich unsere Lena nach Hause bringe.» Ich ging von diesem Rendezvous mit Stani in dem festen Ent schluß fort, ihn auf irgendeine Weise dazu zu bringen, daß er unser gemeinsames Leben wieder aufnahm. Schließlich hatte ich damals nur in der Hoffnung in eine Trennung gewilligt, daß ich dadurch für uns beide die Mittel zu einem besseren Leben ge winnen würde. Ich hatte die schlüpfrigen Pfade der Demimonde zu keinem anderen Zweck beschriften als zu dem, möglichst rasch ein Vermögen zu erwerben, das es uns eines Tages erlau ben sollte, uns ohne alle Zukunftssorgen wieder zu vereinen. Ich mußte mich beeilen, wenn ich diesen Vorsatz verwirklichen wollte. Denn wollte ich nicht noch einen Teil meiner Jugend mit meinem Geliebten genießen? Ich hatte freilich hochfliegende Pläne. Nicht weniger als eine runde Million wollte ich meinem staunenden Geliebten schließlich als Mitgift für unsere zweite Hochzeitsnacht mitbringen. Würde ich diese Summe von dem Grafen erlangen können? Vielleicht ja, denn er war unermeßlich reich. Aber er war auch knauserig, und oft genug ließ er sich wegen einer extravaganten Toilette schon bitten. Also würden andere Männer da einsprin gen müssen. An Verehrern fehlte es mir ja nicht. Ich war jung, schön und über die Maßen extravagant. O nein, ich würde nicht spröde sein, vorausgesetzt, daß meine Verehrer bereit waren, den Preis zu bezahlen, den ich mir selbst gesetzt hatte. Ich war nicht gerade bescheiden gewesen. 50 Louis für eine Umarmung! Ich war vermessen, gewiß, und ich wußte es. Aber das Schicksal schien mich zu begünstigen. Ein Freund des Grafen, der Liebha ber der schönen Lucie, Baron von Obrenval, hatte ein Auge auf
mich oder vielmehr auf meine hübsche Hinterseite geworfen, die sich bei einer unserer Abendgesellschaften im Schutze einer federgeschmückten Tournüre ihn auf das vollendetste präsentiert hatte. Am zweiten Tag nach meinem Rendezvous mit Stani. Ich hatte beschlossen nicht auszufahren, weil Lucie von Mau ricette Rossignol zu einer Landpartie eingeladen worden war – brachte mir mein Mädchen Mirette wieder einmal seine Karter. Ich erinnerte mich augenblicklich dessen, was mir Lucie über seine angebliche Verrücktheit in mich anvertraut hatte, und wollte mich selbst davon überzeugen. Also ließ ich ihn in den Salon bitten und empfing ihn auf das liebenswürdigste. «Das ist wirklich zu freundlich von Ihnen, Baron, daß Sie mir etwas von Ihrer Zeit opfern.» Er war ein großer, massiger Mann mit gewöhnlichen Zügen und kleinen gierigen Augen. Nicht gerade das Ideal dessen, was man sich unter einem Liebhaber vorstellt. Aber immerhin, er gab sich von seiner besten Seite. «Ich habe mit großem Bedauern von Ihrer Unpäßlichkeit ge hört», versicherte er mir, indem er wieder und wieder meine Hand küßte. «Ich wäre längst gekommen, wenn ich nicht erfah ren hätte, wie sehr Sie in Anspruch genommen sind.» Das übliche unverbindliche Geplauder, wie es sich in tausend Salons der Zeit abspielen mochte. Ich schenkte ihm mein schön stes Lächeln. «Oh, es war nur eine leichte Indisposition, wirklich nichts Ernstes. Ich bin täglich ausgefahren.» Wir plauderten von tausend Nichtigkeiten. Er demaskierte seine Absichten nicht, obwohl ich ihm alle erdenklichen Avancen machte. Erst als er sich schon zum Gehen erhob, meinte er: «Der Graf läßt Sie so oft allein. Wenn ich nur an seiner Stelle wäre!» Ich lächelte gewinnend. «Aber Sie sind doch schon sehr gut versorgt, und der Graf läßt mich nur allein, damit ich mich mei nen gesellschaftlichen Pflichten widmen kann. Ich bin fast nie mals allein.»
«Ich weiß das, meine Gnädigste. Es ist sehr ärgerlich, denn sonst…» Er unterbrach und räusperte sich. «Sonst… was sonst, Baron?» Meine Augen lachten ihn an. «Nun, sonst hätte ich Sie um einen Augenblick Ihrer kostbaren Zeit angefleht.» «Oh, Sie sind immer willkommen. Habe ich es nicht bewiesen, indem ich Sie sogleich empfing?» «Ja, Sie sind sehr charmant. Aber das meine ich nicht, und Sie wissen es wohl. Ich wollte von einem andern, ungleich köstliche ren Augenblick sprechen.» «Oh, wirklich? Und Lucie?» «Ach Lucie! Sie langweilt mich, und es wird nicht ewig dauern. Ah, wenn Sie bloß nicht diesen Grafen hätten!» Er geriet, ange stachelt durch meine Koketterie, richtig in Flamme. «Das ist ein Geständnis, Baron», neckte ich ihn. «Aber ich will es nicht hören. Ich halte am Grafen fest.» «Ich weiß es, leider. Aber vielleicht könnten Sie doch… wenig stens einmal eine Ausnahme machen. Wirklich, ich würde Ihre Güte zu schätzen wissen…» «Güte! Nun, warum sollte ich nicht zu jemandem gütig sein, der sich mir als ein ergebener Freund zeigt.» Er faßte nach meiner Hand und drückte einen leidenschaftlichen Kuß darauf. «Liebste, Beste! Darf ich das als Zustimmung betrachten? Der Graf nützt Ihre Güte viel zu wenig, habe ich recht? Sehen Sie, diese kleine Lucie ist das nicht wert, was ich für sie ausgebe, sie ist ein be rechnendes, kaltes kleines Frauenzimmer. Niemals wird sie einen Sou mehr erhalten, als ich ihr jetzt gebe. Aber bei einer andern, bei Ihnen, wäre es etwas ganz anderes. Sagen wir hundert Louis für einen gütigen Moment. Sie bemerken wohl den Unterschied, den ich zwischen Ihnen und Lucie mache.» 100 Louis! Wirklich, der Mann mußte toll sein. Ein Vermögen für einen einzigen «gütigen Augenblick». Ich warf alle meine Bedenken über Bord, alle Loyalität, die ich Lucie zu schulden glaubte. «Sie sind wohl sehr reich, Baron», murmelte ich wie unschlüssig.
«Einverstanden?» Er hörte nur die Zustimmung aus meiner Frage und entnahm seinem Portefeuille sofort zwei Tausend francsbillets, die er mir mit einer Verbeugung überreichte. «Wann?» fragte er und zog meine Hand erneut an seine Lippen. Ich entschloß mich sofort. «Heute abend, ehe Sie in Ihren Klub gehen. Sie haben dann mehr freie Zeit für sich…» «Sie sind anbetungswürdig. Werden Sie artig sein?» Seine Augen fraßen mich förmlich auf. Ich lächelte ihm kokett zu und meinte: «Wie sollte ich bei einem so generösen Freund nicht artig sein?» «Nun gut. Seien Sie in Straßentoilette. Sie werden sich nur all mählich entkleiden.» Aha! Da kamen seine Marotten schon zu Tage. «Ich werde Ih nen das Zubettgehen Yvettes vorspielen, wenn Sie es wün schen…», versprach ich. «Wirklich, Sie sind ein Engel. Ach, wie schade, daß Sie an den Grafen gebunden sind! Ich bin sicher, daß Sie es bei mir nicht nötig hätten, Ihr Budget auf diese Weise aufzubessern. Ich wäre viel freigebiger als der Graf. Aber ich würde Sie auch viel besser bewachen…» Meine Augen blitzten ihn an. «Ich liebe meine Freiheit, Baron!» Er zog sich schließlich zurück, ohne einen Vorschuß auf künf tige Freuden zu kassieren, wie Albert Tisin dies allerdings vergeb lich versucht hatte. Und ich war immerhin um 2.000 Francs reicher geworden. Welch eine Lust, eine Frau zu sein! Ich trug eine entzückende Ausgehtoilette aus malvenfarbiger Seide, als mein Stubenmädchen Mirette, das offensichtlich glaub te, daß ich noch ausgehen wollte, den Baron in mein Zimmer führte. «Sie können schlafen gehen, Mirette, und das übrige Personal auch, ich benötige nichts mehr», sagte ich. Das Mädchen knick ste. «Sehr wohl, Madame.» Es war ihr nicht anzusehen, was sie dachte. Sie hatte ein flächiges, breites Bauerngesicht, das Gesicht eines bretonischen Landmädchens. In manchem erinnerte sie mich an die Zeit, da ich selbst noch auf dem Lande gelebt hatte.
Kaum waren wir allein, da nahm der Baron meine Hand und bedeckte sie mit unzähligen Küssen. «Sie sind eine Frau, die ihr Wort hält, ich bewundere Sie dafür.» Seine Lippen wurden kühner und wanderten meinen entblößten Arm entlang. «Sie sind wunderschön. Ihren Busen kenne ich bereits, dank des Diners, das Sie gegeben haben. Jetzt brenne ich darauf, den Rest kennenzulernen. Beginnen Sie, mein Engel!» Ich trat vor meinen Spiegel und nahm ganz langsam meinen Hut ab. Dabei blickte ich verstohlen auf den Baron und wartete mit einer gewissen Neugier, was er tun würde. Er stand zwei Schritte hinter mir und betrachtete mich mit großer Aufmerk samkeit. Ich legte den Hut auf meinen Toilettetisch und begann mein Mieder aufzuknöpfen. Plötzlich näherte er sich mir, kniete hinter mir nieder und hob meine Röcke auf. Er preßte sein Gesicht an meine hinteren Rundungen, die er zuvor mit behutsamen Hän den von allem überflüssigen Stoff entkleidet hatte. «Ich wußte es ja», rief er, während er meine Röcke wie riesige Blumenblätter nach oben stülpte, «Sie sind viel schöner als Lu cie.» «Oh», murmelte ich, «das dürfen Sie nicht sagen!» Es erschien mir wirklich recht illoyal gegen die gute Lucie, so meinen Tri umph auszuspielen. Er richtete sich wieder auf und befahl: «Schnell jetzt, zieh das Mieder aus!» Seine Stimme klang plötzlich scharf, er schien nicht mehr derselbe Mensch. Ich gehorchte wortlos. Er umfaßte mich von hinten und betastete meine Brü ste. «Wirklich, sie hat wenigstens welche», stellte er befriedigt fest. Ich spürte seinen Atem heiß in meinem Nacken und mußte kichern, weil er mich kitzelte. «Lucie auch», sagte ich, weil ich gutzumachen beabsichtigte, was er gegen meine Freundin gefehlt hatte. «Ein Läppchen auf jeder Seite, ja», sagte er verächtlich. «Sie sind unbescheiden, Baron», tadelte ich ihn. «Hör auf, mich Baron zu nennen. Duze mich lieber!»
«Gern. Wie soll ich dich nennen?» «Henri…» «Soll ich mit unserem… Spiel fortfahren, Henry?» «Ja, zieh das Kleid aus!» «Deine Hand geniert mich», wandte ich ein. «Wie? Um den Rock auszuziehen? Machst du dich über mich lustig?» Er blieb in der Haltung, die er vorher eingenommen hatte, und preßte meinen Rücken gegen seine Brust. Ich löste gehorsam die Bänder meines Rocks, der sogleich herabfiel. Der Baron bückte sich, um ihn aufzuheben und beiseite zu legen. Dann befreite er mich eigenhändig von meinen Dessous und ruhte nicht eher, bis ich nur noch die Pantalons anhatte. Er ging um mich herum und betrachtete mich von allen Seiten wie eine hübsche Ware. Der Mann war mir jetzt beinahe unange nehm, und von seiner bisherigen Höflichkeit war kaum noch eine Spur geblieben. Er forderte mich auf, im Zimmer umherzugehen und meine Brüste in den Händen zu halten. Ich fügte mich achselzuckend dieser Marotte. Schließlich sagte er: «Verbirg dich einen Augenblick hinter den Vorhängen. Ich werde tun, als ob ich dich suche. Aber entblöße dich nicht weiter und warte in dieser Stellung!» Was hätte ich tun sollen? Schließlich ist eine Kokotte dazu da, daß sie auch die ausgefallensten Wünsche ihrer Klienten befrie digt. Ich näherte mich also dem Fenster, dessen Vorhänge herun tergelassen waren, trat hinter diese und kauerte mich auf die Fensterbank. So spähte ich durch die halb geschlossenen Rollä den auf die Straße hinaus. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als ich plötzlich Stani bemerkte, der gerade im Schatten eines Hauseingangs verschwand und zu mir heraufsah. Ich fühlte, wie eine leidenschaftliche Erregung von mir Besitz ergriff, so daß ich kaum spürte, wie der Baron, der mir auf allen vieren nachge kommen war, wieder mit jenen leidenschaftlichen Liebkosungen begann, die nicht meiner Weiblichkeit, sondern ausschließlich jenem Teil meiner Reize galten, die die Frauen mit den Männern gemeinsam haben. Es war mir nicht direkt unangenehm, wie er
mich mit seinen Händen sanft knetete und massierte und meine Rundungen und die Furche dazwischen mit seinen leidenschaftli chen Küssen bedeckte. Doch während ich so tat, als ob ich an diesen Liebkosungen Gefallen fände, sann ich auf ein Mittel, meinem Gatten unbemerkt ein Zeichen zu geben. Ohne Zweifel hatte er gesehen, wie der Baron mein Haus betreten hatte, und wartete nun, was weiter geschehen würde. Dieser Gedanke ver setzte mich in eine fieberhafte Unruhe. Ich mußte zusehen, wie ich meinen nunmehr völlig unerwünschten Gast so schnell wie möglich los wurde. Das beste Mittel dazu aber bestand meiner Ansicht nach darin, seinen Wünschen völlig nachzugeben, ja diesen noch zuvorzukommen. Ich tat also mein Bestes, um ihn zufriedenzustellen. Und wirk lich, ich hatte damit genau das Richtige getroffen. Er wurde alsbald von den Fieberstößen einer leidenschaftlichen Ekstase geschüttelt. «Oh, diese Brüste», sagte er und wühlte mit den Lippen an meinem Busen. Er zog mich neben sich aufs Bett, hielt meine Brüste fest und küßte sie immer wieder. Dann griff er nach meinem Höschen, streifte es ab. Ich zog die Beine an, um ihm dabei behilflich zu sein. Dann streckte ich sie weit gespreizt aus. Ich spürte seine Finger, die mich erregen wollten. «Komm schon, komm, Liebling», murmelte er. «Ich sehe so gern deinen verzückten Ausdruck in deinem Gesicht, wenn’s dir kommt.» Er drückte meine Brüste und wiederholte: «Komm schon, mach! Das macht mich noch verrückter, als deine großen Titten da…» Unter seinen heftigen Liebkosungen begann ich zu stöhnen. Ich war entsetzlich geil, und kein Zug, der durchs Zimmer gedonnert wäre, hätte meinen Orgasmus aufhalten können. Es war darum schnell vorüber. Aber wenn er das Spiel noch mehr in die Länge gezogen hätte, so hätte ich das schlicht nicht mehr ertragen können. Natürlich hatte er meinen Orgasmus bemerkt. Er war ja kaum zu übersehen. Aber seine Finger machten dennoch weiter. Ich bat ihn um Geduld, ich brauchte einen Aufschub – und wenn
er noch so kurz war. Seine Unbekümmertheit verzauberte mich stets aufs neue. Bald preßte er sich wieder gegen mich, die Schwellung seines Gliedes drückte gegen meine Beine. Ich be rührte es leicht und hielt es so, wie er es mochte, unmittelbar unter der Eichel, und rieb den unteren Teil an meinem Schenkel. Er gab entzückte Laute von sich. «Du bist toll», sagte er, «laß nicht nach. Bleib dabei!» Er öffnete die Augen, blickte mich an und sagte: «Du bist für die Liebe geschaffen, und ich wurde geschaffen, um dich immer zu lieben.» Er spreizte seine Hände über meinem Bauch, dann umfaßte er meine Hüfte. Als er weitersprach, war seine Stimme voller Be wunderung. «Eine Frau ist mit einem natürlichen Sattel geboren – und ein Mann ist von Natur aus gestiefelt und gespornt, um diese Frau zu reiten…» Er machte eine Pause, sein Griff wurde fester. «Und das Reiten tut dir gut – oder nicht, Liebling?» «Doch», flüsterte ich. Er ließ die Hände zu meinen Knien hinabgleiten, bog sie aus einander, dann umfaßte er erneut meinen Körper und schob sich zwischen meine Beine. Er lehnte sich auf seine Ellbogen, jedoch so, daß er meine Brüste umfassen konnte, während er in mich eindrang. «Gut so?» fragte er. «Ja», sagte ich. «Ja, ja.» Alle Erschöpfung schmolz dahin. Es gab nur das Gefühl des Erfülltseins, dem ich entgegenstrebte, mit nach oben gewölbtem Körper, die Arme fest um ihn geklammert, ganz, als sollte er sich nie mehr von mir lösen. Aber dann war alles zu Ende. Ich beeilte mich, ein Neglige überzuwerfen. «Warum sollte ich es verweigern? Aber wir müssen vorsichtig sein. Der Graf… Lucie…», sagte ich bedauernd. «Ah, du verweigerst es mir also nicht?» «Könnte ich denn das?» wandte ich schalkhaft ein. «Ich danke dir, mein Engel! Du wirst dich nicht über mich zu beklagen haben», flüsterte er enthusiastisch und drückte einen heftigen Kuß auf mein Handgelenk. «Wir werden uns wiedersehen, nicht
wahr, wir werden uns wiedersehen», fuhr er fort. «Ich verlange nicht viel, und du wirst artig sein und mir Freude machen. Für jede meiner Visiten 25 Louis in deine Sparkasse. Einverstanden? Du bist ja ein Vermögen wert, aber Lucie kostet mich schon so viel.» «Reden wir nicht von Geld», sagte ich großmütig. «Du wirst mir immer willkommen sein, aber sei vorsichtig und warte, bis ich dir eine Nachricht zukommen lasse.» «Wird das nicht allzu selten sein?» «Einmal in der Woche!» «Das ist wenig.» «Wir müssen klug sein. Übrigens will ich, daß du dich beim nächsten Mal etwas weiter vorwagst.» «Oh… du willst also mit mir…» Der gute Baron schien ent zückt. «Ja natürlich! Was hast du sonst von mir gedacht?» ermutigte ich ihn. Er preßte meinen Arm. «Also auf bald, mein Engel», sagte er zärtlich. Er sah beinahe verjüngt aus, als er, einen Arm noch immer um meine Taille gelegt, neben mir die Treppe hinun terstieg. Das amüsierte mich einigermaßen, trotz der Begierde, meinen Gatten herbeizurufen. Seine Haltung war stolz wie die eines Musketiers, der soeben eine feindliche Fahne erobert hat. Ich begleitete ihn zum Tor und genoß in Gedanken schon den Au genblick, in dem ich in Stanis Arme eilen würde. Der Baron umarmte mich noch einmal, und ich beeilte mich, ihn zur Tür hinauszudrängen. In solchen Situationen ist es nicht ratsam, sich auf die Hilfe eines Kammermädchens zu verlassen. Noch dazu, da ich von meinem argwöhnte, daß der Graf es mehr für seine Treue zu ihm als zu mir bezahlte. Ich schloß also das Tor auf, und auf der Schwelle beugte sich mein neuer Galan noch einmal zu mir herunter. «Adieu, teure Freundin, und vielen Dank», flüsterte er und drückte noch einen letzten, leidenschaftlichen Kuß auf mein Handgelenk. «Au revoir, Baron! Ich wünsche Ihnen eine Gute Nacht!»
Sein Wagen hielt noch vor dem Haus. Er hatte keinen Grund, seinen Besuch bei mir zu verheimlichen. Ich beobachtete voll Ungeduld, wie der schwere, massige Mann sich von seinem Kutscher in das Wageninnere schieben ließ. Es dauerte endlos, wie mir schien, bis der Wagen endlich um die nächste Straßenek ke verschwunden war. Die Straße war menschenleer und dunkel. Es roch nach Regen und Frühling, eine Mischung, die ich immer schon geliebt habe. Ich fühlte mich beinahe betrunken und ganz wirbelig vor Vor freude auf die Umarmungen meines teuren Gatten, die ich hof fentlich bald genießen würde. Ich spähte vorsichtig in die Richtung, wo ich seine Gestalt, halb im Schatten des nächsten Hauseingangs verborgen, erkannt hatte. Richtig, da war er noch immer und starrte aus brennenden Augen zu mir herüber. Ich konnte die Züge seines geliebten Gesichts undeutlich im bläulichen Schimmer einer Gaslaterne erkennen. Ich rief ihn ganz leise an. «Stani!» Der Wind mochte ihm das Flüstern meiner Stimme zugetragen haben. Er stürzte wie ein Rasender auf mich zu. «Rinette, meine Geliebte, mein Engel!» Ich schmiegte mich glücklich an ihn. Sein Umhang war feucht vom Regen, und ich atmete beglückt den eminent männlichen Geruch, der von ihm ausging. Eine Mischung von Leder, Tabakrauch und dem schar fen Rasierwasser, das er so gern zu verwenden pflegte. Halb betäubt von der leidenschaftlichen Freude, die ich bei seinem Anblick empfand, faßte ich ihn an der Hand und zog ihn ins Haus. «Pst!» flüsterte ich ihm zu. «Leise, folge mir!» Er folgte mir wortlos und suchte sogar das Geräusch seiner Schritte auf dem Teppich zu dämpfen, der übrigens dick genug war, daß man keine solche Vorsicht anzuwenden brauchte. Hand in Hand stiegen wir die Stufen zu meinem Boudoir em por. Ich blieb einigermaßen überrascht stehen, als ich mein Kammermädchen dort entdeckte. Die Gute war damit beschäf tigt, mein Toilettenkabinett in Ordnung zu bringen. Sie hätte sich
keinen ungeeigneteren Augenblick dafür aussuchen können und schien nun einigermaßen verlegen. Ich sah, wie eine helle Röte in ihr derbes Gesicht stieg. Stani war bereits eingetreten, die Situati on war kritisch, und ich mußte Klarheit schaffen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, daß dieses dumme Ding alles verdarb. Ärgerlich fuhr ich sie an: «Mirette, ich habe gesagt, Sie sollen schlafen gehen!» Sie knickste verlegen. Ich bemerkte wohl, daß ihre Blicke bewundernd auf meinem Gatten ruhten. Du lieber Himmel, gab es denn keine Frau, die sich nicht auf den ersten Blick in Stani vergaffte? «Ich dachte, Madame würde meine Dienste vielleicht noch be nötigen», murmelte sie mit verlegen gesenkten Augen. «In diesem Fall hätte ich Sie gerufen», sagte ich scharf. «Nein, Mirette, hören Sie mir gut zu! Monsieur ist mein Gatte, oder auch mein Liebhaber. Sollte ich es je nötig haben zwischen dem Gra fen und ihm zu wählen, so wird mir die Entscheidung nicht schwerfallen. Ich werde dann den Grafen verlassen. Nun zahlt der aber alle Kosten dieses Haushalts. Wenn ich ihn vor die Tür setze, folgt das ganze Personal nach. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was für Folgen es für Sie haben wird, wenn Sie dem Gra fen erzählen, daß ich hier einen Liebhaber empfange.» Das Mädchen schien womöglich noch verlegener. «Madame tun unrecht, meine Ergebenheit zu bezweifeln», stammelte sie schließlich. Ich bemerkte wohl, daß ihre Blicke noch immer voll Bewunderung an Stanis Gesicht hingen. «Ich bezweifle nichts, ich habe Sie nur gewarnt», sagte ich so ruhig, wie ich nur konnte. «Madame kann ruhig sein und meine Dienste bei jeder Gelegenheit in Anspruch nehmen», versicherte sie. «Ich werde darüber wachen, daß weder Madame noch Mon sieur etwas Unangenehmes zustößt.» Die Bübin! Ich verstand genau, daß es ihr mehr auf Monsieur als auf Madame ankam bei ihrem Versprechen. «Es ist gut, Mirette», sagte ich mit Würde. «Ich werde Ihre Aufmerksamkeit zu belohnen wissen. Morgen früh um neun werden Sie uns die Schokolade bringen. Ich werde Ihre Nützlichkeit nach Ihrer Haltung beurteilen.» Ich gab ihr ein
Zeichen, daß sie sich entfernen möge, und sie zog sich unter vielen Knicksen zurück. Stani warf sich in einen meiner eleganten Empirestühle, streckte die Beine von sich und brach in ein dröh nendes Gelächter aus. «Donnerwetter, mein Engel, du machst dich! Du bist eine richtige Dame geworden…» Ich befreite ihn mit zärtlicher Aufmerksamkeit von seinem Umhang und blieb, meine Arme von hinten um ihn gelegt, für einen Augenblick über ihn gebeugt. «Du irrst dich, mein Liebster. Ich habe mich kein bißchen verändert. Ich bin noch immer deine Rinette.» Er wand te mir sein Gesicht zu, und ich begann zu kichern, weil mich sein kräftiger Schnurrbart so kitzelte. In seinen hübschen dunklen Kateraugen blitzte ein unternehmungslustiger Funke auf. Er faßte mich an der Hand und zog mich mit einem schnellen Ruck auf seine Knie. Sein Gesicht war dem meinen ganz nahe, als er mein Spitzen neglige über der Brust öffnete. Dann spürte ich seine Lippen sanft die Hügel meiner Brüste entlangstreifen und jenes leiden schaftliche Spiel beginnen, das meine Brustknospen im Nu in harte schwellende Früchte verwandelte. «O Stani, mein Geliebter», stammelte ich beglückt an seinem Hals. Er richtete sich auf und betrachtete mich aus zusammengezo genen Brauen. «Wer war der Mann, der dich eben verließ?» er kundigte er sich. Ich spürte, wie mein Herz einen kleinen Freu densprung machte. Sollte es möglich sein, daß er endlich, endlich so etwas wie Eifersucht empfand? «Der Mann?» neckte ich ihn. «Welcher Mann? Du meinst doch nicht diesen alten Fettwanst?» Er begann zu lachen. «Du hast eine reizende Art, von deinen Liebhabern zu reden!» «Er ist nicht mein Liebhaber», begehrte ich auf. «Es ist der Ba ron von Obrenval.» Er stieß einen kurzen Pfiff aus. «Oh, der Finanzmagnat… der deine reizende Freundin seit einem halben Jahr aushält?» Ich zog einen schmalen Mund. «Genau der. Übrigens ein ver rückter Kerl. Wenn ich dir erzähle, was er von mir wollte!» Ich
beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, aber ich konnte nur eine gewisse Neugier in seinen Zügen lesen. Seine Hand war, diesmal wesentlich tiefer, schon wieder unter mein Neglige gewandert. «Was hat er denn gewollt?» erkundigte er sich beiläufig. Ich kam seiner Hand, die mich zärtlich an meinem Haarschöpf chen kraulte, durch eine rasche Bewegung entgegen und veran laßte sie so, tiefer zu gleiten, dahin, wo unter der Berührung seiner Finger kleine zuckende Flammen von Lust aufsprangen. «Nein», schnurrte ich an seinem Hals, «ich will dich nicht anlü gen. Er hat mir hundert Louis gegeben nur für die Gefälligkeit, daß ich ihn meine Hinterseite liebkosen ließ. Der Arme schien ganz verrückt darüber.» Stani begann zu lachen, und ich fühlte mit Entzücken, wie seine Hand weiter nach hinten wanderte, an den Ort, der schon zuvor so viel unverdiente Aufmerksamkeit erfahren hatte. Liebevoll kniff er mich ein wenig in die Backen. «Nun, du hast auch einen Hübschen, Manierlichen, mein Engel. Er verdient es wohl, daß man ihn anbetet», sagte er noch immer lachend. Wieder empfand ich jenes leise Bedauern, daß er so gar keine Spur voll Eifersucht zu empfinden schien. «Er hat ihn geküßt», forderte ich ihn heraus. «Er hätte nichts Vernünftigeres tun können. Der Schönheit soll ein Mann überall huldigen, wo er sie findet.» «Du bist mir also nicht böse wegen dieser kleinen Gefälligkeit?» Er musterte mich mit einem erstaunten Blick. «Warum sollte ich dir böse sein?» «Nein, nicht wahr? Schließlich verdanken wir ihm diese Liebes nacht, die erste Nacht nach so langer Zeit.» Ich bemühte mich, ihn nicht erkennen zu lassen, daß ich eigent lich über sein Verhalten enttäuscht war. «Und der Graf?» erkun digte er sich nach einer Weile scheinbar besorgt. In dem Punkt konnte ich ihn beruhigen. «Er kommt fast nie mals, ohne daß er es mir vorher angekündigt hätte. Und im Augenblick hat er wenig Zeit für mich. Seine Frau ist nach Paris zurückgekommen. Soviel ich höre, wird sie ihn ganz hübsch in Atem halten.»
Er lachte. «Das kann ich mir denken. Madame wird sich die letzten sechs Wochen hübsch gelangweilt haben.» Ich rieb meine Nase an seinem Hals. «Weißt du, ich denke mir manchmal, es muß doch recht anstrengend sein, eine ehrbare Frau zu sein.» In seine Augen trat ein belustigtes Funkeln. «Da hast du recht. Und trotzdem möchte ich wetten, daß jede von euch hübschen, amü santen und genußsüchtigen Kokotten davon träumt…» Es klang zynisch, wie er es sagte. Von einem Moment zum nächsten schien seine gute Laune umzuschlagen. Ich erschrak unwillkür lich. Stani konnte sehr launenhaft sein. Was, wenn es ihm plötz lich einfiel, diesen glücklichen Abend dadurch zu verderben? Ich begann ihm zu schmeicheln. «Stani, mein Engel! Ich bitte dich, schau nicht so finster. Du bist doch nicht am Ende wegen die ser… kleinen Geschichte von vorhin verärgert?» Er sah an mir vorbei. «Nein, natürlich nicht. Ich dachte nur… Wenn er dich müde gemacht hat, wirst du mir nicht soviel Glück gönnen, wie ich es mir für diesen Abend gewünscht habe…» Ich atmete freudig erregt und umarmte ihn. «Ich dir etwas nicht gönnen?» stammelte ich, halb trunken vor Seligkeit. «Oh, mein Liebster, da irrst du dich aber gründlich. Weißt du nicht, daß du der einzige Mann bist, den ich wirklich liebe? Bei dir werde ich niemals müde… Und überhaupt, die Seance vorhin war ganz kurz. Ich habe dich vom Fenster aus bemerkt und war natürlich augenblicklich entschlossen, dich zu mir zu rufen. Also nahm ich mir vor, den Baron so schnell wie möglich wieder vor die Tür zu setzen. Wenn du ehrlich bist, mußt du zugeben, es ist mir gelungen. Er ist nicht einmal vierzig Minuten geblieben. Bei Lucie dehnen sich seine… merkwürdigen Andachtsstunden viel länger aus.» Ich hatte plötzlich einen Einfall und stellte mich vor Stani in Positur. «Komm, erweise ihm auch eine kleine Aufmerksamkeit! Beweise ihm, daß du nicht böse bist!» Ich beugte mich vor und schlug mit einer kühnen Bewegung mein Neglige zurück. Er konnte meiner Einladung nicht widerstehen und begann mich auf das köstlichste zu liebkosen. Aber ich war in diesem Punkt
eben verwöhnt worden und entzog mich ihm lachend. «O nein, Monsieur, so billig kann ich Sie nicht wegkommen lassen. Also nieder vor ihm auf die Knie, wie es sich für einen ordentlichen Anbeter gehört! Sonst muß ich Sie wegen Ihrer Lieblosigkeit anklagen.» Er gehorchte lachend. «Ich werde dir meine Lieblosig keit sogleich beweisen.» Im nächsten Moment fühlte ich seine leidenschaftlichen Küsse auf meinen begehrlichen, vor Wonne zitternden Halbkugeln und das Tal dazwischen niederregnen und brachte vor Entzücken kein Wort mehr über meine Lippen. Etliche Minuten lang gab ich mich dem köstlichen Schauer hin, den mir seine Liebkosungen verursachten. Dann entzog ich mich ihm. «Genug für den Augenblick, mein geliebter kleiner Mann. Komm jetzt, damit ich dir mein Haus zeige. Danach wollen wir uns einschließen.» Ich brachte mein Neglige in Ordnung, und er kam mit dunkel gerötetem Gesicht und ein wenig atemlos wieder auf die Beine. «Wozu willst du mir das Haus zeigen?» fragte er augenzwin kernd. «Dieses Zimmer genügt mir ganz und gar.» «Pfui, du Fauler! Aber komm nur mit! Es ist besser, wenn du Bescheid weißt, nur für den Fall, daß du dich einmal schnell zurückziehen müßtest. Also folge mir nur, mein teurer Gemahl, damit ich dir meine Reichtümer zeige!» Er fügte sich schließlich meinem Drängen, und ich führte ihm voll Stolz die Herrlichkei ten meines Hauses vor; den hübschen Salon mit seinen damast bezogenen Louis-Seize-Möbeln, das Musikzimmer mit dem Flügel, auf dem erst unlängst einer der führenden Pianisten der Stadt etliche Etüden zum besten gegeben hatte, das Erkerzim mer, in dem ich, sehr spät zumeist, im Kreis etlicher meiner Bewunderer mein zweites Dejeuner einzunehmen pflegte. Ich zeigte ihm die hübschen Venetianerlüster, die der Graf eigens von Italien hatte kommen lassen, die Gemälde, die er auf etlichen Ausstellungen für schwindelerregende Summen erworben hatte, meine kostbare Porzellansammlung und meine Bibliothek, die
mir schon über manche Stunde der Langeweile hinweggeholfen hatte. Aber zu meinem Leidwesen bekundete Stani für all meinen Luxus nur eine sehr zerstreute Aufmerksamkeit, die ich im ge heimen recht kränkend empfand. Schließlich, als ich dicht an ihn geschmiegt die Treppe ins Erdgeschoß hinunterstieg, fragte ich ihn, einigermaßen aus der Fassung gebracht: «Aber Stani, freust du dich denn gar nicht, daß ich es so herrlich weit gebracht habe? Erinnerst du dich noch, wie wir es damals in der Rue Madeleine hatten? Damals warst du es, der mich immer drängte, ich möge zusehen, zu etlichem Wohlstand zu gelangen. Und nun, da ich alles habe, was ich mir nur wünschen kann…» Seine Hand grub sich heftig in meine Schulter. «Hast du das wirklich, Lena?» Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich war es nicht gewohnt, von ihm so genannt zu werden. Unsicher geworden, versuchte ich in seinen Augen zu lesen. Aber seine Miene war finster. «Verstehst du denn nicht, Mädchen», sagte er heftig, «daß dir im Grunde gar nichts von alldem wirklich gehört? Er kann dich jederzeit vor die Tür setzen, dein teurer Graf…» «Das kann er nicht», widersprach ich empört. «Dies ist mein Haus, und es sind meine Möbel. Ich kann damit nach meinem Belieben schalten…» «Aber der Graf hat einen Schlüssel, oder etwa nicht?» forderte mich Stani heraus. Darin hatte er natürlich recht. Ich fühlte, daß ich bei dem Gedanken an diesen Umstand ärgerlich wurde. «Natürlich hat er einen Schlüssel», gab ich widerwillig zu. Stani nickte und fixierte mich mit den Augen. «Er kann also kommen und gehen, wie er will – in deinem Haus?» fragte er mit einem zynischen Unterton. «Was hätte ich dagegen tun sollen?» versuchte ich mich zu verteidigen. Er zuckte die Achsel. «Gar nichts, vermutlich. Das ist es ja, was ich dir schon die ganze Zeit zu sagen versuche. Meine arme Lena, du ziehst in jedem Fall den kürzeren bei diesem Handel. Du verkaufst dich, deinen Körper, deine Jugend, deine Schönheit, für eine Illusion, eine schillernde
Seifenblase von Wohlleben, die von einer Minute zur nächsten zerplatzen kann.» Ich wurde zornig. «Ich brauche den Grafen nicht. Ich kann auf der Stelle einen zehnmal besseren Liebhaber finden…» Stanis Augen musterten mich amüsiert. «Aber natürlich, – mein Engel, einen Fürsten, einen Herzog, alles was du willst, da du gerade einmal in Mode bist. Aber wie lange? Das ist die Frage. Und eines Tages bemerkst du dann, daß dein Leben vorbei ist und du im Grunde nichts gewonnen hast. Dein sogenannter Reichtum, mein Kind… es ist nur eine Frage des Temperaments, ob du ihn in 12 Wochen durchbringst oder in 12 Monaten…» «Das sagst du, weil du mich kränken willst…» Ich bemerkte selber, wie schwach mein Einwand klang. Denn war nicht alles, was Stani eben gesagt hatte, mir auch schon mehrmals durch den Kopf gegangen? Trotzdem, es war abscheulich von ihm, es gerade jetzt zu erwähnen. Er bemerkte meinen Mißmut, denn er lächelte flüchtig und legte seine Hand um meinen Nacken. «Meine arme Kleine», sagte er und zog mich ein wenig an sich, «ich weiß, die Wahrheit schmeckt immer bitter. Aber deshalb hat es doch keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen. Du sollst sehen, daß du zu einem wirklichen Vermögen kommst, Aktien, Grundbesitz. Aber dein Graf wird dir lieber ein neues Diamantkollier schenken, als daß er dich an der Börse spekulieren sieht.» «Ja, aber warum denn?» fragte ich einigermaßen verständnislos, obwohl mir dämmerte, daß er mit dieser Vermutung sogar recht haben würde. Der gute Clameran hielt nicht viel von dem Ge schäftsgeist einer Frau. «Warum? Das kann ich dir sagen. Weil das eine nur ein hübsches Spielzeug ist; aber im andern Fall gäbe er dir ein Mittel in die Hand, das dich unabhängig machen könn te von ihm und der ganzen übrigen Rotte von gierigen Geldleu ten, für die ein Mädchen wie du nichts anderes als eine verlok kende, nicht sehr kluge Kapitalanlage ist.»
«Stani», sagte ich und spürte mein Herz bis zum Halse klopfen, «wenn du so denkst, warum ziehen wir dann nicht wieder zu sammen? Wir könnten doch glücklich sein miteinander!» Mein ehrenwerter Gatte brach von einem Moment zum näch sten in Lachen aus. «Weil», sagte er dann, «meine arme Lena, weil ich nicht einmal für mich selbst sorgen kann. Geschweige denn für eine Frau mit kostspieligen Ambitionen…» Darauf wechselte er das Thema, und wir stiegen in das Erdge schoß hinunter. Ich zeigte ihm, wie er im Fall einer Überraschung durch den Grafen ins Freie gelangen könnte. Zu meinem Erstau nen fand ich Mirette noch wach in der Küche, wo sie mit Bügeln beschäftigt war. Ihr Diensteifer rührte mich etwas. «Sie wollen also nicht schlafen gehen?» fragte ich sie. Sie knick ste dienstbeflissen und zupfte ihr Schürzchen zurecht, um vor Stanis prüfenden Augen bestehen zu können. «Es ist nicht sehr spät, Madame, und ich möchte eine gute Wächterin sein. Der Graf kann noch immer kommen.» «Er wird heute abend nicht kommen», warf ich ein. Aber Miret te ließ sich nicht belehren. «Wer kann das wissen. Die Männer sind oft unberechenbar. Doch das wissen Madame ja selbst am besten. Auf jeden Fall werden Sie sich viel ungenierter fühlen, wenn Sie wissen, daß ich hier unten aufpasse.» Ich mußte über so viel Diensteifer lachen. «Nun gut, Mirette. Schließlich haben Sie recht, obwohl ich nichts befürchte. Aber Sie können immerhin die Sachen meines Mannes im Salon bereit legen. Sollte der Graf wider alles Erwarten noch kommen, dann wird sich mein Mann im Salon anziehen, und Sie können ihn dann unbemerkt hinauslassen.» «Sehr wohl, Madame. Sie sehen, ich kann nützlich sein.» Stanis gute Laune schien nach diesem kleinen Intermezzo wiederherge stellt. Er sagte heiter zu mir, als wir uns schließlich wieder in meinem Boudoir fanden: «Komisch, du tust für deinen Gatten das, was andere Frauen für ihren Liebhaber tun. Spielen wir also das Spiel mit vertauschten Rollen.»
Ich warf mich in seine Arme. «O nein, sag das nicht, mein Lieb ling! Wenn du auch mein Gatte bist, so bist du doch auch mein Herzensgeliebter. Lena de Mauregard und Irene Breffer sind zwei völlig verschiedene Frauen. Schnell, zieh dich aus, beginnen wir mit unserem Fest! Oder willst du dich zuvor noch ein bißchen mit den Reizen deiner kleinen Frau vertraut machen? Es ist schon so lange her, daß wir zuletzt…» Ich seufzte wollüstig, als ich den Funken in seinen Augen bemerkte. Er hielt mich in seinen Armen ein wenig von sich ab und forschte in meinem Gesicht. «Wie ist es denn mit dem Grafen?» Etwas wie Spannung trat in seine Züge. «Ach, das ist gar nichts», wehrte ich seiner Neugier. «Es ist ein nachlässiger Lieb haber. Manchmal meine ich wirklich, er habe Fischblut in seinen Adern.» Stani begann schon wieder zu lachen und preßte mich mit einer heftigen Bewegung an sich. Ich bemerkte mit Entzük ken, wie sehr er mich begehrte. «Und das paßt dir wohl nicht, meine kleine Wilde», murmelte er und begann mich zu küssen. Nach einer Weile ließ er mich los. «Schnell, zieh dich aus und komm zu mir», flüsterte er mir zu und begann seinerseits, sich, seines Anzugs zu entledigen. Ich gehorchte mit Freuden und ruhte nicht, bis auch er völlig nackt war. Und wieder überkam mich eine leidenschaftliche Freude bei seinem Anblick. Er war der schönste Mann, den ich je gesehen hatte. Seine Haut spannte sich glatt und seidig über seinen schlanken, geschmeidigen Kör per. Meine Augen liebkosten jede Linie daran, von den hohen Rippenbogen seines muskulösen Brustkorbs hinunter zu den schmalen Hüften und tiefer, bis zu der Stelle, wo aus dem dunk len Schatten seines Haargestrüpps sich das Instrument seiner Begierde kraftvoll erhob. Der Anblick raubte mir fast den Atem. «Laß mich dich küssen», stammelte ich, während ich ihn voll Ungeduld auf mein Bett niederzog. Er faßte mit einer Hand wie zustimmend nach meinen verwirrten Haarsträhnen und preßte mein Gesicht einen Augenblick lang gegen seinen glühenden Leib. Dann überließ er sich meinen leidenschaftlichen Liebko sungen. Er verhielt sich ganz ruhig, während meine Lippen und
meine Zunge ihn voll Zärtlichkeit umspielten. Nur ab und zu spürte ich, wie ein kurzer Schauer von Lust über ihn hinrieselte. Aber er hatte sich eisern in der Gewalt und überstürzte nichts. Seinen Durst noch zu verlängern wäre grausam gewesen. So gab ich mich ihm schließlich in die Arme und murmelte: «Nimm mich, mein Liebster!» Er zögerte einen Moment, dann warf er sich mit einem dumpfen Freudenlaut über mich. Was soll ich weiter sagen? Jedes Wort, jeder Gedanke muß un zulänglich sein vor der Wonne, die uns in jener Nacht wieder und wieder vereinte, bis wir schließlich erschöpft, gesättigt und wunschlos endlich gegen Morgen einschliefen. Als wir erwachten, war es heller Vormittag. Mirette weckte uns, indem sie uns die Schokolade brachte. Wir blieben im Bett und tändelten noch eine Weile miteinander. Um halb elf endlich trennten wir uns. Wir schieden mit dem festen Entschluß, uns demnächst wiederzusehen.
3. Teil
Elviras Debüt war etliche Male verschoben worden und fiel nun gerade in die Abwesenheit des Grafen, der seine Gattin nach Brighton begleitet hatte, wo sie das Casino besuchen und der Königin vorgestellt werden wollte, die für eine Woche in dem berühmten Seebad Hofhalten wollte. Ich schmollte mit dem Grafen, weil ich auch gern nach Brighton gefahren wäre, um so mehr, als alle Welt von Ihrer britischen Majestät redete. Clameran hatte etliche Mühe gehabt, mir diesen Wunsch auszureden und mich, als alle Argumente nichts fruchten wollten, mit einer wun dervollen Halskette von dunkelblauen Saphiren und einem dazu passenden Kopfschmuck einigermaßen versöhnt. Nun war er also fort, und ich hatte hinlänglich Muße, mich meinen alten und neuen Freunden zu widmen. Es war noch früh im Jahr, die Zeit, die ich immer geliebt hatte, seit ich nach Paris gekommen war. Die Promenaden im Bois waren trocken und ein wenig staubig, und das leuchtende Gelb der üppigen Goldregen büsche mischte sich mit den sanfteren Farben des Flieders zu einer rauschenden Symphonie der Lebensfreude. In den Vorgär ten der Cafés herrschte bereits ein sommerlich buntes Leben* und die Liebespaare, welche die Bänke am Seineufer okkupiert hielten, genossen diese strahlenden Tage in vollen Zügen. Es war ganz wie damals, als ich Stani kennengelernt hatte. Seither waren erst vier Jahre vergangen, aber mir schien es, als lägen Welten zwischen damals und heute. Was war aus dem jungen Mädchen geworden, das so voller Hoffnungen und heimlichen Wünschen nach Paris gekommen war? War ich, Lena de Mauregard, nicht ein ganz anderer Mensch als die kleine Irene Boulanger es damals gewesen war? Die elegante junge Frau mit dem kunstvoll frisier ten Braunhaar und den zart verschatteten Augen, die mit sicherer Hand ihren Dogcart die verschlungenen Pfade des Bois entlang
lenkte, hatte wenig genug Ähnlichkeit mit dem lebensprühenden kleinen Mädchen von einst, das mit einem winzigen Bündel ausgezogen war, um eine Stadt wie Paris zu erobern. War ich glücklicher geworden in diesen Jahren? Manchmal, wenn der Champagner in meinen Adern zu prickeln begann und seinen rosigen Schleier vor meine Augen breitete, glaubte ich es beinahe. Dann meinte ich, daß die Welt, in der ich mich bewegte, jene von Farben und Tönen überquellende Welt der Salons, der Varietes und der eleganten Boulevardcafés, in denen Frauen wie ich im Schein des Gaslichts wie tropische Wunderblumen auf blühten, die Erfüllung all meiner Wünsche bedeutete. Dann sonnte ich mich in den bewundernden Blicken, die mich von allen Seiten trafen, an dem neugierigen Geflüster, das überall aufbrach, wo ich mich zeigte. Die Toiletten, die Lena de Maure gard trug, die Juwelen, mit denen sie sich zeigte, die eleganten Gesellschaften, die sie gab, gehörten zum Tagesgespräch inner halb jenes schillernden, zwielichtigen Bereichs der Demimonde, dem ich jetzt angehörte. Und trotzdem fühlte ich an manchen Tagen ein verzehrendes Unbehagen, das mir alles verleidete, was ich auch anfangen mochte. Dann war ich launenhaft und unge duldig und trieb das Heer meiner Verehrer, die mich Tag für Tag umlauerten, beinahe zur Verzweiflung. Ich sehnte mich dann wie toll nach den Zeiten zurück, in denen ich nichts weiter als Stanislas Breffers kleine Frau gewesen war. Aber obwohl ich Stani, seit wir uns wiedergefunden hatten, des öfteren traf, erkannte ich wohl, daß es auch zwischen uns nicht mehr so sein konnte wie früher. Gewiß, ich liebte ihn leidenschaftlich und war glücklich, wenn ich mich in seinen Armen vergehen fühlte. Und trotzdem erfüllte mich selbst der Gedanke an ihn zuweilen mit Bitterkeit. Er war so selbstherrlich, kümmerte sich so wenig um meine geheimsten Wünsche. Daß er mit der Rente, die ich ihm ausgesetzt hatte, neben dieser abscheulichen Juana, die ich von Herzen haßte, noch ein halbes Dutzend anderer Frauen verwöhnte, war noch das geringste Übel. Er war jetzt wieder häufig wie damals, in der
Zeit, ehe wir uns getrennt hatten: Wenn er seine immer sprung bereite Leidenschaft in meinen Umarmungen gestillt hatte, wurde er meist grüblerisch und zuweilen sogar aggressiv. Er machte mir häufig Vorwürfe, daß ich meine Möglichkeiten nicht mehr aus nützte, und manchmal verließ er mich im Zorn. Doch benutzte er immerhin die nächste Gelegenheit, um wieder zu mir zurück zukehren. Er hatte versprochen, Elviras Debüt bei den Boulevardiers mit uns zu feiern, obwohl sein Verhältnis zu Elvira völlig abgekühlt schien. Elvira hatte Wort gehalten und mir am Morgen schon ein Billet mit den Logenkarten geschickt. Die Gute mußte ganz hübsch aufgeregt sein, wie ich an der Flüchtigkeit ihrer Schriftzüge be merkte. Ich verabredete mit Stani und Lucie, daß wir am Abend dort sein würden. Natürlich machte ich für dieses Ereignis sehr sorg fältig Toilette, war ich doch sicher, daß wieder einmal zahlreiche neugierige Augen auf mich gerichtet sein würden. Ich hetzte die gute Mirette hierhin und dorthin, und als ich mich schließlich in meiner Toilette aus blaugrüner Seide vor meinem riesigen Wand spiegel kritisch musterte, war ich mit mir recht zufrieden. Meine Haut war von makelloser Zartheit, und auf meinem sehr tiefen Dekollete blitzten die bläulichen Saphire, die mir der Graf neu lich geschenkt hatte. Auch in meinem kunstvoll hochgesteckten Haar trug ich eine Agraffe von Saphiren. Sie glitzerten bei jeder Bewegung und ließen meine Augen ganz dunkel erscheinen. Mirette bewunderte mich von allen Seiten, während sie mit ge schickten Händen die Falten meines Kleides und der Tournüre zurechtzog. Seit sie sich bei dem nächtlichen Besuch meines Gatten als ebenso diskret wie nützlich erwiesen hatte, war sie mir zu einer lieben Vertrauten geworden. Es tat gut, einen Menschen wie sie im Haus zu haben, der, verläßlich und treu, mit viel Umsicht dafür sorgte, daß das Vergnügen seiner Herrschaft niemals ge stört wurde. Ich zeigte mich für ihre Aufmerksamkeit erkennt
lich, indem ich ihr ab und zu einen hübschen Unterrock, einen Schal oder ähnliche Herrlichkeiten aus meinem Toilettenschrank schenkte, die sie mit viel Entzücken und begeisterten Ausbrü chen der Dankbarkeit in Empfang nahm. Doch ich will von dem Abend bei den Boulevardiers berichten. Das war eines jener Café-Theater, wie sie gerade in Paris modern zu werden begannen. Das Lokal war hübsch und geschmackvoll eingerichtet, mit altrosa Plüschmöbeln und wundervollen, in allen Farben glänzenden Kronleuchtern. Der Aufgang zu den Logen, hinter denen es etliche hübsche diskrete Cabinets gab, war mit gravitätischen Fächerpalmen und Taxusbüschen geschmückt. Das Publikum, das an hübschen damastgedeckten Tischen saß, war in deutlicher Premierenstimmung, und ebenso die Kellner, die mit wehenden Frackschößen zwischen den Reihen hin und her eilten und Champagner, Austern und Kaviarbrötchen servier ten. Lucie und ich waren sehr ausgelassen, und ebenso Stani, der Elvira versprochen hatte, an dem Souper teilzunehmen, das Barfleur ihr zu Ehren geben wollte. Auch ihr Onkel und der Theaterdirektor, Jules Tiercelan, sollten daran teilnehmen. Elviras Auftritt erfolgte kurz nach zehn. Sie erschien in einem entzückenden Kostüm, das keine Linie ihres vollkommenen Körpers verbarg, und tanzte eine Pantomime, die mir ebenso frivol wie meisterhaft erschien. Ihre Bewegungen, ihr Charme und ihre erotische Raffinesse, die dabei zutage trat, waren schlechthin unübertrefflich. Als sie danach noch zwei Romanzen gesungen hatte, erntete sie leidenschaftlichen Beifall von allen Seiten. Und als sie schließlich, lächelnd und Kußhände ins Publi kum werfend, in den Kulissen verschwand, meinte Stani, der ihrem Auftritt mit großer Aufmerksamkeit gefolgt war: «Don nerwetter! Mir scheint, ein neuer Stern ist am Pariser Theater himmel aufgegangen.» Seine offensichtliche Bewunderung ver setzte mir einen kleinen eifersüchtigen Stich. «Du vergißt», sagte ich und beugte mich so weit zu ihm hinüber, daß er ohne beson dere Mühe den Ansatz meiner Brüste unter dem sehr tiefen Dekollete erkennen konnte, «du vergißt, daß dieser Stern etliche
Monate lang dein Bett geteilt hat…» Er musterte mich mit hoch gezogenen Brauen. «Was willst du damit sagen?» fragte er beina he schroff. Ich lächelte ihm hinter meinem Fächer zu. «Du hast mir nie gesagt, warum du Elvira wirklich verlassen hast», sagte ich statt einer Antwort. Er schien zu überlegen. «Nun, genaugenommen, ich weiß es auch nicht. Vielleicht war es die Gewohnheit, das tägliche Zusammenleben. Schließlich hast du ja auch mich verlassen.» «Aber Juana ist mit Elvira nicht zu vergleichen. Sie ist viel vul gärer.» Das Lächeln auf seinen scharf geschnittenen Lippen vertiefte sich. «Das ist sie wohl, mein Engel. Aber du vergißt, daß eine gewisse Vulgarität für einen Mann zuweilen recht erfrischend sein kann.» Ich bemerkte, daß ich ärgerlich wurde, und stürzte rasch ein Glas Champagner hinunter. «Ihr müßt mich entschuldi gen, ihr beiden», sagte ich leichthin zu meinem Gatten und Lucie, die ihn mit den Augen verschlang. «Ich habe Elvira versprochen, sie hinter der Bühne zu besuchen.» Ich durchquerte den Zuschauerraum und bemerkte an einem der Tische einen einzelnen Herrn, der dort einen Punsch trank und mich mit großem Interesse musterte. Auch er kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich wußte nicht, wo ich ihm schon begegnet war. Also schenkte ich ihm keine weitere Beachtung, sondern verschwand in der Galerie, die zu den Garderoben führte. Elvira hatte sich offenbar rasch in die Rolle einer von allen Seiten gefei erten Diva eingefunden. Sie hielt in ihrer reich mit Blumen ge schmückten Garderobe Hof inmitten einer ganzen Schar von jungen Leuten, die ihr die gewagtesten Komplimente zu ihrem gelungenen Auftritt machten. Sie umarmte mich zärtlich, als es mir gelungen war, den Kreis ihrer Verehrer zu durchbrechen. «Da bist du ja endlich, meine Liebe! Wie hat’s dir gefallen?» Sie forschte aufmerksam in meinem Gesicht. «Wundervoll! Wirklich, Elvira, du warst sublim!»
«Ah… du glaubst also an meine Triumphe?» fragte sie lachend. «Wer glaubt denn nicht daran?» rief ich enthusiastisch und warf einen Blick in die Runde. Ich bemerkte zu meinem Unbehagen, daß Albert Tisin in unserer nächsten Nähe stand und mich aus kalten Augen musterte. Offenbar war er mir böse, daß ich mein Versprechen bis jetzt nicht gehalten hatte. Elvira bemerkte nichts. «Und Stani und deine Freundin?» er kundigte sie sich gespannt. «Oh, die sind beide völlig verzaubert von dir. Stani bereut bereits, daß er sich je von dir getrennt hat.» Über Elviras Gesicht flog ein Schatten. «Er ist ein Windhund», sagte sie beiläufig. «Aber wir werden später noch darüber spre chen.» «Komm jetzt, Monsieur Tiercelan möchte dir die Honneurs machen. Er ist voller Neugier, dich kennenzulernen.» Jules Tier celan war ein großer, sympathisch wirkender Mann mit aus drucksvollem Gesicht und einem mächtigen Schnurrbart. Er mußte ein bedeutender Mann sein, denn er war kaum in der Mitte der dreißiger Jahre und hatte sich bereits einen beachtli chen Ruf in der Pariser Theaterwelt erworben. Er begrüßte mich überschwenglich. «Madame», sagte er und drückte seine weichen, ein wenig feuchten Lippen auf meine Handflächen, «Sie werden hier nicht viel Erstaunliches sehen, aber fühlen Sie sich zu Hause! Sie werden mich jedes Mal entzückt finden, wenn Sie uns die Ehre Ihrer Anwesenheit geben.» Der Ton, in dem er es sagte, ließ kaum einen Zweifel an dem, was er zu sagen beabsichtigte. Doch tat ich zunächst, als hätte ich nicht verstanden. «Sie sind sehr liebenswürdig, Monsieur», gab ich höflich zur Antwort. «Seien Sie versichert, daß ich Ihre Er laubnis mißbrauchen werde. Ich habe für das Theaterleben schon immer großes Interesse gehabt.» Ich mußte unwillkürlich lächeln, weil ich mich meiner ersten Auftritte im Cabaret Eden erinnerte. Damals war ich, in einer kaum weniger gewagten Darbietung, der gefeierte Star eines Abends gewesen. Daß mir Tiercelan so of fenkundig den Hof machte, noch dazu angesichts seines neuen Stars, schmeichelte mir einigermaßen. Ich würde ihm ohne Zwei
fel etliche Gunst gewähren, vorausgesetzt, daß er Gentleman genug war, den Preis zu zahlen, den ich mir selbst gesetzt hatte: 50 Louis für ein intimes Souper unter vier Augen. In aller Diskre tion, versteht sich. Lena de Mauregard war schließlich eine Frau, die von ihren Bewunderern einiges an Respekt und Rücksicht nahme verlangen durfte. Soweit es Monsieur Tiercelan betraf, der mir etliche Anekdoten aus seiner Bühnenlaufbahn zum besten gab und dessen Augen förmlich mein Dekollete verschlangen, verhielt ich mich zunächst einigermaßen reserviert. Das ist über haupt eine recht wirkungsvolle Attitüde im Umgang mit Män nern. Ich bin sicher, hätte ich sie meinem eigenen Gatten gegen über anwenden können, so wäre ich mit ihm um vieles besser gefahren. Wir plauderten eine Weile ganz unverbindlich, als plötzlich die Tür zu Elviras Garderobe aufgerissen wurde und eine zierliche Brünette hereingestürzt kam. «Meine teuerste Elvi ra…» Sie stutzte, als sie mich sah, dann streckte sie mir impulsiv die Hand entgegen. «Sie hier, meine Teure?» «Lilette», rief ich voller Erstaunen. Richtig, sie war es: Lilette des Fleurs, die reizende Ballerina, die an meinem ersten offiziel len Diner in Paris in Begleitung des Bankiers Goldmann teilge nommen hatte. Sie war noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Ihre pikanten Züge wirkten unerhört anziehend, und ihr wundervolles Blondhaar schimmerte wie Gold. Sie hatte die schönsten bernsteinfarbenen Augen. «Sie kennen sich?» erkun digte sich Tiercelan, der sich inmitten eines so bezaubernden Damenflors offensichtlich in seinem Element fühlte. Lilettes Füße standen keinen Augenblick still. «Aber ja, natür lich», rief sie enthusiastisch. «Wer kennt Madame Lena nicht. Ihr Diner damals war süperb, meine Liebe. Ich habe mich selten so gut amüsiert. Sie müssen verzeihen, daß ich Sie nicht schon längst zu mir eingeladen habe, aber ich war seither so sehr be schäftigt. Dieser Monsieur Tiercelan ist der reinste Unmensch!» Sie bedachte ihn mit einem koketten Blick.
«Aber, aber meine Liebe», mischte sich der Angegriffene ein, «vergessen Sie nicht, daß es Ihr eigener Ehrgeiz ist, der Sie treibt!» Wenig später verließ ich die Garderobe und beeilte mich, in meine Loge zurückzukommen. Ich wollte das Ballett nicht ver säumen, das als nächste Nummer angekündigt war. Lilette tanzen zu sehen, gehörte ohne Zweifel zu den besonderen Attraktionen. Als ich den Zuschauerraum durchquerte, bemerkte ich, daß der Herr, der mich schon vorhin so auffällig gemustert hatte, mir ein Zeichen machte. Ich überlegte kurz, woher ich ihn kannte, kam aber zu keinem Resultat. Er bot mir sehr höflich einen Sitz an seinem Tisch an und winkte dem Kellner, damit er mir einen Chartreuse servierte. «Erinnern Sie sich wirklich nicht mehr?» erkundigte er sich und forschte in meinem Gesicht. «Ich habe Sie sofort wiedererkannt. Aber freilich, eine Frau wie Sie vergißt man nicht so leicht.» «Haben wir uns denn schon einmal getroffen?» forschte ich, um Zeit zu gewinnen. «Aber ja, natürlich. Doch lassen wir das jetzt. Sagen Sie mir nur, wieviel nehmen Sie?» Der Ton, in dem er dies fragte, war eindeu tig. Ich setzte das Glas auf den Tisch zurück. «Nichts, Monsieur. Ich muß gehen. Mein Gatte erwartet mich.» Er lächelte ein süffi santes, überlegenes Lächeln, das seine Züge älter erscheinen ließ. «Er wird nicht zum erstenmal warten. Bestellen Sie noch irgend etwas, und dann wollen wir uns verständigen, meine Teure. Ich weiß viel von Ihnen, auch von früher, als Sie noch nicht zu unseren Pariser Herzensbrecherinnen gehörten. Ich war ein ganz junger Mann… erinnern Sie sich?» Ich mußte unwillkürlich über seinen Eifer lächeln. Ich erinnerte mich jetzt, wo ich ihm begegnet war. In jenem Bordell damals, in das mich Stani mitgenommen hatte, um meine Neugierde zu befriedigen. Er war mein erster zahlender Liebhaber gewesen. Und er hatte sich meinen Besitz ein hübsches Stück Geld kosten
lassen. «Ich erinnere mich jetzt», gab ich zu. «Ich hätte Sie früher erkennen sollen. Aber es ist viel Zeit seither vergangen.» Er musterte mich mit leidenschaftlichen Blicken. «Ich habe Sie nicht vergessen. Wirklich, Sie sind überaus begehrenswert, meine Liebe. Und Sie haben Ihr früheres Heim verlassen?» Ich unterdrückte einen Seufzer. «Ich mußte es wohl. Unvorher gesehene Ereignisse, Sie verstehen…» Sein hübsches, ein wenig verlebtes Gesicht verzog sich wieder zu jenem Lächeln, das ihn beinahe häßlich erscheinen ließ. «Das kann ich mir denken, wenn man mit einem Mann wie Breffer zusammen ist.» «Was wissen Sie von Stani?» unterbrach ich ihn ärgerlich. «Er ist ein wundervoller Mann.» Er hob die Schultern. «Das kann schon sein. Aber Ihr teurer Gatte ist reichlich unvernünftig. Die Gesell schaft, in der er sich aufhält, ist nicht die beste.» «Was wollen Sie damit sagen, Monsieur?» «Nun, ich meine diesen Paulet und seinen Anhang. Ein übler Bursche. Wenn Breffer vernünftig ist, wird er auf Sie hören. Er könnte sich sonst in etliche Schwierigkeiten bringen.» Ich senkte den Kopf. «Ich verstehe. Aber er ist sehr schwer zu beeinflussen.» «Lassen Sie uns von etwas anderem reden», unterbrach er mich ungeduldig. «Was hielten Sie von einer Gelegenheit, unsere… Bekanntschaft von damals zu erneuern?» Ich fixierte ihn scharf. «Das kommt darauf an. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen von damals.» «Ich verstehe. Es ist eine Frage des Preises, natürlich.» Etwas in seiner Stimme klang verächtlich. «Sagen wir, 50 Louis, wenn Sie sich übermorgen vormittags gegen elf in die Rue Laugier 178 bemühen wollen. Ich werde ein intimes kleines Dejeuner für Sie arrangieren.» Ich schenkte ihm einen langen Blick, dann reichte ich ihm eine meiner Karten, die ich stets bei mir trug. «Hier, nehmen Sie die. Ich komme vielleicht, wenn Sie mich morgen durch einen Brief daran erinnern.» Er steckte die Karte achtlos in seine Brusttasche und zwinkerte mir ironisch zu. «Ich begreife
durchaus, Madame, und werde mich durch ein TausendfrancsBillet in Erinnerung bringen.» Ich lächelte ihm zu und erhob mich. «Also schön, abgemacht. Wir werden übermorgen genügend Zeit haben, um weiterzuplau dern.» Er faßte nach meiner Hand und drückte einen flüchtigen Kuß auf mein Handgelenk. «Sie sind eine Sirene, meine Teure!» Nachdenklich stieg ich die Stufen zu meiner Loge hinauf. Das, was dieser Jacques de Valters – ich erinnerte mich jetzt sogar an seinen Namen – mir über Stani und seine Freunde gesagt hatte, beunruhigte mich nicht wenig. Ich liebte meinen Gatten und wollte ihn um keinen Preis der Welt in großen Schwierigkeiten sehen. Stani und Lucie bemerkten übrigens nichts von dem Schatten, der auf meine Fröhlichkeit gefallen war. Sie waren während der Pause in der Galerie auf und ab promeniert, hatten Sirup getrunken, und Lucie war ganz offensichtlich drauf und dran, mit meinem Gatten zu kokettieren. Ich bemerkte die klei nen Lichter, die in Stanis dunklen Augen funkelten und die ich nur zu gut kannte. Aber ich war ganz und gar nicht eifersüchtig. Ich bin ja – erstaunlich genug – auf meine Freundinnen niemals eifersüchtig. Das ist eine ganz merkwürdige Angewohnheit bei mir. Ich gönne meinen Gatten keiner anderen Frau, ausgenom men meinen intimen Freundinnen. Bei ihnen erscheint es mir nahezu selbstverständlich, daß sie sich mit ihm vergnügen… Als die Vorstellung vorüber war, fuhren wir ins Cabaret de Rose, wo Barfleur ein opulentes Souper zu Ehren von Elviras Debüt be stellt hatte. Man hatte uns ein hübsches Separee bestellt mit dunkelroten Plüschmöbeln und einem herrlich duftenden Rosen arrangement, das als Aufmerksamkeit für Elvira gedacht war. Barfleur hatte eine kostbare goldene Spange darin versteckt. Er hatte sich überhaupt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit in die Rolle des perfekten Kavaliers gefunden, seit er Elviras ständi ger Freund geworden war. Es ist unglaublich, wozu der Einfluß einer klugen Frau imstande ist!
Wir waren sieben; Elvira, Lucie und ich, dazu Stani, der den ganzen Abend über mit Lucie geschäkert hatte und nun durchaus entschlossen schien, mit ihr einen Schritt weiterzukommen; der famose Jules Tiercelan, der mir recht ungeniert den Hof machte, und natürlich Barfleur und der Onkel Elviras, die beide ganz in der Bewunderung ihres neuen Stars aufzugehen schienen. Ich war ziemlich sicher, daß diese gemeinschaftliche Bewunderung auf gewisse Veränderungen im Haushalt Elviras zurückzuführen waren. Barfleur und der Onkel schienen sich über den gemein samen Besitz Elviras geeinigt zu haben. Dafür sprach auch, daß sie mich nicht mehr zu einem gemeinschaftlichen Dejeuner mit ihr und Barfleur eingeladen hatte. Ich nahm mir vor, sie im Lauf des Abends darüber auszufragen. Der Abend wurde wirklich ein gelungenes Fest. Das Essen war ausgezeichnet, und der leichte Chabliswein, den wir dazu tranken, brachte uns richtig in Stimmung. Elvira, die in ihrem scharlachro ten Samtkostüm und einem kunstvollen Federgesteck mit ihrem blauschwarzen Haar wundervoll aussah, genoß die Bewunderung, die man ihr von allen Seiten Entgegenbrachte, in vollen Zügen. Als der Kellner nach Tisch Champagner servierte, brachte Bar fleur einen Trinkspruch auf seine strahlende Geliebte aus, die sich auf das anmutigste dafür bedankte. Danach schien sie wieder ausschließlich mit ihren beiden Bewunderern beschäftigt. Ich beobachtete aus den Augenwinkeln, daß Lucie und mein Gatte immer näher aneinanderrückten. Tiercelan bemerkte es auch, und es machte ihm offenbar kein geringes Vergnügen. Er stieß mit seinem Bein gegen meines und strahlte von Esprit und Mutwil len, während er mir die gewagtesten Geschichten aus der Arti stenwelt erzählte. Ich beugte mich weit genug vor, daß er sich am Anblick meines Busens erfreuen konnte. Ich hatte zuerst mein Bein ein wenig zurückgezogen. Doch dann kam ich ihm dreist entgegen, und mein Knie erwiderte kokett den Druck des seinen. Wir tranken viel, und ich bemerkte, daß wir allmählich alle mehr und mehr in Schwung kamen. Zwar wahrten wir immer noch die Grenzen, die der Anstand im allgemeinen selbst der ausgelassen
sten Tischgesellschaft zieht, doch ich bemerkte an den glänzen den Augen und den lüsternen Liebkosungen, daß bereits eindeu tige Pläne geschmiedet wurden. So viel schien mir sicher, der Onkel und Barfleur würden die Nacht mit Elvira verbringen. Diese beugte sich übrigens in einem unbeobachteten Moment zu mir herüber und flüsterte mir hastig ins Ohr: «Mein Direktor ist ganz verrückt nach dir. Ich bitte dich, meine Liebe, entmutige ihn nicht und opfere ihm einen deiner Momente. Du wirst mir sehr damit helfen.» Ich überlegte kurz und warf einen forschenden Blick auf Stani. Genaugenommen paßte mir dieses Arrangement nicht beson ders. Ich hätte die Nacht gern mit meinem Gatten verbracht. Aber anderseits schuldete ich Elvira eine Gefälligkeit, und Tierce lan war ein überaus angenehmer Mann. «Ich habe Stani versprochen… », flüsterte ich einigermaßen unwillig zurück. Aber sie unterbrach mich ungeduldig. «Ach, Stani. Der unterhält sich doch prächtig mit deiner Freundin. Sag ihr, daß sie ihn festhalten soll, dann hast du freie Bahn bei Tier celan, und uns allen ist geholfen.» Ich sollte also Lucie diese Nacht überlassen,’ die ich mit so freudiger Sehnsucht meinem Gatten bestimmt hatte? Diese Aussicht paßte mir ganz und gar nicht. Ich schnitt eine mißbilli gende Grimasse. Elvira bemerkte es und lenkte ein. «Heute oder ein anderes Mal», flüsterte sie. «Auf jeden Fall sei nett mit Tierce lan, ihr werdet euch leicht wegen einer Gelegenheit verständi gen.» Wir wechselten das Thema, weil mein Theaterdirektor gerade zurückkam und seinen Platz neben mir wieder einnahm. Barfleur schlug vor, Elvira möge eines der Lieder, die sie bei ihrem nächsten Auftritt vortragen sollte, zum besten geben. Sie zierte sich ein wenig und trällerte dann ein ebenso reizendes wie obszönes Chanson, das ihr ohne Zweifel beim Publikum großen Erfolg einbringen würde. Tiercelan faßte heimlich nach meiner Hand, die ich ihm nicht entzog. So behielt er sie während ihres ganzen Vortrags in der seinen. Als Elvira sich schließlich wieder
setzte, drückte er einen raschen Kuß auf die Innenfläche meiner Hand und sagte: «Und Sie, Madame, singen Sie nicht?» «Oh, sie hat eine köstliche Stimme», antwortete Elvira für mich. «Aber dieses Genre liegt ihr nicht. Die Operette, die komische Oper, das wäre vielleicht etwas für sie.» Ich schüttelte den Kopf: «Ich bin keine Künstlerin.» «Wie unklug von Ihnen, Madame! Wissen Sie nicht, daß nur die Künstlerin in unserer Zeit eine wirkliche Unabhängigkeit errin gen kann?» wandte Tiercelan sich an mich. «Eine Künstlerin lebt frei wie ein Mann und ohne all die Beschränkungen, die unser Zeitalter den Frauen auferlegt. Dabei feiert sie doch die Trium phe einer echten Frau. Die Welt wird ihrer Schönheit zu Füßen liegen, ihre Bewunderer werden sich vor dem Bühneneingang ihretwegen duellieren…» «Halten Sie ein, lieber Tiercelan», unterbrach ich ihn. «Diese Künstlerin wäre der Ruin jedes Theaterdirektors.» Er stimmte in mein Gelächter ein. «Da haben Sie recht, meine Teure, trotzdem sollten Sie auf meinen Rat hören…» Er wollte von meinen Einwänden nichts wissen. «Singen Sie uns doch etwas vor, ich werde Ihnen dann meine Meinung sa gen.» «Natürlich», fuhr er mit einem begehrlichen Blick nach meinem Dekollete fort, «Sie müssen ja eine schöne Stimme haben. Ihr Dekollete allein verrät dies schon…» Ich spielte die Verlegene. «Nein, nein, ich bin im Augenblick nicht vorbereitet, ich weiß nicht…» «So sing doch den ‘Kleinen Herzog’, den hast du doch früher so entzückend gesungen», kam mir schließlich Elvira zur Hilfe. Ich gab also nach, sang den «Kleinen Herzog» und hatte Erfolg. Mein guter Tiercelan war begeistert, aber das wäre er vermutlich auch gewesen, wenn ich stockheiser gewesen wäre. Er faßte impulsiv nach meinen Händen und küßte sie stürmisch. «Glau ben Sie mir, meine Liebe, Sie gehören ans Theater. Ich werde Sie in der nächsten Saison für eine Operettentournee engagieren. Ich
werde Sie ganz groß herausbringen. Ich mache einen Star aus Ihnen…» Er war so fasziniert von seiner eigenen Idee, daß es mir schwer fiel, ihn zu bremsen. «Sie werden mich engagieren? Und was hätte das für einen Sinn?» fragte ich kühl. Er starrte mich einen Moment lang völlig verblüfft an. «Nun, Sie werden Karriere machen, Kindchen. Alle Prinzen der Welt werden Ihnen zu Füßen liegen.» «Ich pfeife auf die Prinzen. Ich habe, was ich brauche.» «Sie sind unklug, Madame. Eine Frau wie Sie sollte sich nicht ihren Erfolgen entziehen.» Barfleur war inzwischen an die Seite Elviras getreten und flüsterte mit ihr. Er versperrte Stani und Lucie die Aussicht auf uns. Und just diesen Moment nahm Tier celan wahr, um durch eine geschickte Manipulation seine Hände unter meine Röcke zu schmuggeln. Ich zögerte einen Moment lang, dann ließ ich ihn, nicht einmal ungern, gewähren. Es war merkwürdig, aber diese simple Handlung genügte, um meine Sinne in Wallung zu bringen. Ich dachte daran, einen Abend zu viert, mit Stani und Lucie, zu arrangieren. Es ist schon eine merkwürdige Sache mit der Sinnlichkeit einer Frau. Sie hält sich weder an ihr Herz noch an ihren Verstand. Ich liebte meinen Gatten leidenschaftlich, und ich begehrte ihn genauso wie er mich. Und trotzdem brachte es ein Fremder, den ich am Tag zuvor noch nicht einmal gekannt hatte, fertig, meine Sinnlichkeit zu erregen, meine Nerven erbeben zu lassen. Er vergewaltigte meinen Geist und mein Gefühl, ohne daß ich etwas dagegen tun konnte. Barfleur wandte sich an Tiercelan und sagte zu ihm: «Wir wol len das Engagement akzeptieren, wenn Sie die Kontrakte bei sich haben. Elvira wird unterschreiben.» Tiercelan schien erfreut. «Geschäft ist Geschäft», meinte er. «Ich habe die Verträge mitge bracht.» Er holte zwei gestempelte Papiere aus seiner Tasche und klingelte nach dem Kellner, daß er Tinte und Feder bringe. Wäh rend Elvira sich mit den Papieren beschäftigte, näherte ich mich
Lucie und machte ihr ein Zeichen, daß ich sie gern sprechen wollte. Sie verstand sofort und kam mir wenig später nach. «Du hast mir etwas zu sagen?» fragte sie und forschte in mei nem Gesicht. Offensichtlich befürchtete sie, daß ich ihr das Geplänkel mit Stani übelnehmen könnte. «Ja, allerdings. Aber es ist eine recht delikate Angelegenheit… Stani macht dir den Hof…» Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. «Bist du eifersüchtig?» «O nein, im Gegenteil!» Es stimmte sogar, ich war niemals eifersüchtig, wenn Stani an einer meiner Freundinnen Gefallen fand. Sie zuckte die Achseln. «Nun, du weißt ja, wie das ist. Wir schäkern ein bißchen, aber es ist nichts Ernstes. Er liebt dich zu sehr, um sich bei mir allzu weit vorzuwagen.» Ich zog eine Grimasse. Die arme Lucie kannte meinen reizen den Gatten offensichtlich recht ungenügend. «Kannst du ihm nicht ein bißchen auf die Sprünge helfen?» erkundigte ich mich. Sie betrachtete mich verwundert. «Oh…wie kommst du denn darauf?» «Ganz einfach. Tiercelan macht mir den Hof, und ich möchte ihn nicht vor den Kopfstoßen. Du verstehst?» Wir unterhielten uns auf dem breiten Korridor, der zwischen den Separees ent langführte. Ein dicker Teppich dämpfte unsere Schritte, und die wandhohen schmalen Spiegel, die rechts und links in die mit rotem Damast bezogenen Wände eingelassen waren, zeigten uns ein recht erfreuliches Bild. Ich bemerkte allerdings, daß einer der Kellner lauernd um uns herumstrich. Sein stechender Blick war mir unangenehm. «Komm, gehen wir zu den Toiletten hinüber, dort sind wir ungestörter», forderte ich meine Freundin Lucie auf. Wenig später waren wir eifrig damit beschäftigt, unsere Nasen zu pudern und unsere ein wenig derangierten Frisuren in Ordnung zu bringen. «Meinst du das mit Stani im Ernst?» erkun digte sich Lucie mit lauernden Augen. «Natürlich ist es mein Ernst», versicherte ich ihr. Sie lächelte schalkhaft. «Nun gut, mir soll es recht sein. Er ist ein bezaubernder Mann, dein Gatte, und es wird mir Vergnügen bereiten. Auf mich kannst du dich verlas
sen. Nach dem Souper fahren wir alle vier in meinem Wagen zu mir. Wir werden das Fest dort fortsetzen, und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht alles ins richtige Geleise käme.» Sie begann plötzlich ein übermütiges Liedchen zu trällern. «Komm», meinte sie, «wir wollen unseren Kavalieren Avancen machen. Sie sollen merken, daß ihnen etwas Hübsches bevor steht.» Ehe ich begriffen hatte, was sie meinte, hatte sie ihre Röcke hochgeschlagen und sich ihrer Pantalons entledigt. «Mach es wie ich», forderte sie mich auf. Ich bewunderte ihre Keckheit im stillen und folgte ihrem Beispiel. Sie wickelte die beiden diskreten Kleidungsstücke sehr sorgfältig zusammen und verließ die Toilet te, als ob nichts geschehen wäre. Zu meinem Entsetzen verlangte sie noch dazu von dem Kellner, der noch immer in dem Korri dor herumstrich, ganz seelenruhig eine Zeitung, um ihr fatales Päckchen darin einzuschlagen. Der Kellner war ein großer, hage rer Mann mit einem Gesicht, das von tausend Fältchen zerfurcht war. Was mir an ihm besonders auffiel, waren seine flinken, stechenden Augen, denen nichts zu entgehen schien. Er beo bachtete mit hochgezogenen Brauen, wie Lucie in stoischer Ruhe unsere Pantalons einzuwickeln begann, nachdem er ihr ein Jour nal gebracht hatte. Der freche Kerl benutzte die Gelegenheit, mich ganz plötzlich in das Hinterteil zu kneifen. Ich stieß einen halblauten Schrei aus, der aber durch die Furcht vor einem Skan dal sofort wieder erstickt wurde. Lucie drehte sich um, begriff, was geschehen war, und versetzte ihm im nächsten Moment zwei jener Prachtohrfeigen, die ich auch schon einmal kennengelernt hatte. «Was unterstehst du dich, du Filou», fauchte sie ihn an. «Warte, ich werde es deinem Chef sagen. Dann bist du die längste Zeit hier gewesen, du Flegel…» Der Mann setzte eine unterwürfige Miene auf. Ich unterdrückte mit Gewalt das Lachen, das mir in der Kehle saß. Auf seinen Wangen brannten zwei kräftige rote Flecken. Wahrhaftig, meine temperamentvolle Kleine hatte eine höchst eindrucksvolle Handschrift! «Ich bitte um Vergebung,
Madame. Ich habe Sie nicht beleidigen wollen, durchaus nicht. Es war nur ein kleiner Scherz. Sie sind beide so reizende Damen, und ich… nun, unsereins ist ja schließlich auch nur ein Mann, nicht wahr? Vielleicht könnte ich Ihnen einmal einen Gefallen erweisen.» Lucie setzte ihre arroganteste Miene auf. «Du willst uns nützlich sein, du Erzwicht? Wofür hältst du uns denn?» fuhr sie schon wieder auf ihn los. Der Mann hatte seine Fassung inzwischen wiedergefunden. Er stieß einen kurzen Pfiff durch die Zähne. «Ich habe Beziehungen, meine Damen, glänzende Beziehungen, sozusagen, goldene Beziehungen. Die reichen Fremden, die ins Cabaret de Rose kommen, wenden sich alle an mich, damit ich ihnen die Bekanntschaft der Damen vermittle, die gerade in Mode sind. Sie lassen sich den Spaß eine Kleinigkeit kosten.» Er rieb genüßlich Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Lucie schien unbeeindruckt. «Nun, da vertrauen sie sich einem schönen Lümmel an. Wir pfeifen auf die Fremden, wir haben selbst, was wir brauchen.» Er wiegte den Kopf hin und her, und ich bemerk te, daß seine Zungenspitze ein paarmal über seine trockenen rissigen Lippen fuhr. Es war wie das Zünglein einer Schlange. Weiß der Himmel, der Bursche war widerlich! Aber man konnte nie wissen. «Ganz wie Madame meinen», sagte er unterwürfig, behielt mich aber dabei im Auge. Offensichtlich hielt er mich für die Zugäng lichere von uns beiden. Lucie kümmerte sich nicht weiter um ihn. «Komm», sagte sie und faßte nach meinem Arm. «Jetzt werden sie ihre Geschäfte wohl schon erledigt haben.» Ich folgte Lucie mit innerlichem Widerstreben, denn dieser Bursche, der so offen mit seinen Beziehungen prahlte, begann mich zu interessieren. Ich würde versuchen, ihn nachher noch einmal und ohne Zeugen zu sprechen. Also ließ ich unbemerkt mein Taschentuch fallen, um einen Vorwand zu haben, wieder herauszukommen. Ich beobachtete den Kellner verstohlen und sah, wie er das Tuch aufhob und es umständlich in seine Tasche steckte. Er blinzelte mir unauffällig zu. Offensichtlich hatte er verstanden. Als ich mit
Lucie unser Separee wieder betrat, bemerkte ich, daß die Stim mung inzwischen wieder gestiegen war. Elvira und Tiercelan hatten ihr Geschäft unter Dach und Fach. Stani unterhielt sich angeregt mit Barfleur über Börse und Politik, für die beide er eine Art von unglücklicher Leidenschaft hegte. Denn sowohl seine Börsenspekulationen als auch seine Versuche, im politischen Leben der Hauptstadt Fuß zu fassen, waren bis jetzt fehlgeschla gen. Lucie nahm gleich ihren Platz an Stanis Seite wieder ein, und ich tat so, als ob ich mich auf den Platz Elviras setzen wollte. Doch sprang ich gleich wieder auf und rief: «Oh, ich habe mein Taschentuch unterwegs verloren.» «Soll ich dir suchen helfen?» erbot sich Lucie kichernd. Sie ahn te wohl, was ich vorhatte, denn als ich ihr hilfreiches Angebot ablehnte, blieb sie ruhig sitzen und kokettierte weiter mit Stani. Ich ging also noch einmal hinaus und fand auch richtig den Kellner sofort wieder. Er hatte auf mich gewartet. Ich ging direkt auf ihn zu und sagte: «Ich habe Sie mein Taschentuch aufheben sehen. Sie sind vorhin sehr frech gewesen. Aber ich werde Ihnen verzeihen. Was hat es mit diesen Andeutungen auf sich, die Sie vorhin gemacht haben?» Er verzog sein Gesicht zu einem vielsagenden Lächeln. «Ah, ich sehe, das beleidigt Sie nicht. Ja, ich habe recht nützliche Bezie hungen für eine so schöne Frau. Ich kann Ihnen eine ganze Anzahl von reichen Verehrern schicken.» «Ich will nicht, daß Sie sie mir schicken, das geht nicht. Benach richtigen Sie mich nur und handeln Sie den Preis für mich aus.» «Welches ist denn Ihr Preis?» Er legte lauernd den Hals schief. «50 Louis», sagte ich nicht ohne Stolz. Er begann zu lachen, «Sie Närrchen!» Ich zuckte die Achsel. «Ich laufe den Männern nicht nach, wenn ich auch eine gute Gelegenheit zu schätzen weiß. Hier, nehmen Sie meine Karte.» Er warf einen Blick darauf und stieß einen Pfiff aus. «Natürlich! Daß ich Sie nicht gleich erkannt habe! Sie sind die schöne Lena, von der die Zeitung Toute de Monde eine Notiz gebracht hat.
Das ändert die Sache natürlich. Ein russischer Fürst hat mir von Ihnen geschwärmt, aber ich dachte nicht, daß Sie zu haben sein würden. Nun, man wird ihn verständigen, er hat sich sehr auf Sie kapriziert. Sie können mehr als 50 aus ihm herausholen. Ich werde die Sache einfädeln, wenn Sie wünschen. Aber ich stelle eine Bedingung: Ihre Freundin hat mir zwei Ohrfeigen gegeben. Sie müssen mich dafür entschädigen.» Der Miene des Kerls war deutlich zu entnehmen, worauf er hinauswollte, aber ich war nicht willens, mich auf seine Unver schämtheit einzulassen. Also sagte ich mit großer Würde: «Ich habe schon zu lange geredet. Sie haben meine Adresse, geben Sie mir nun mein Taschentuch zurück, und entschließen Sie sich, was Sie tun wollen.» Ich bemerkte wohl, daß er eine freche Antwort auf der Zunge hatte, aber dann besann er sich eines andern und reichte mir mit einer unterwürfigen Verbeugung mein Taschentuch. «Sie werden von mir hören, Madame…» Als ich in das Separee zurückkehrte, wurde ich von besorgten Blicken empfangen. Tiercelan, neben dem ich meinen alten Platz wieder eingenommen hatte, beugte sich dicht zu mir und fragte, ob mir unwohl geworden sei. Ich schüttelte den Kopf. «Nein, nein, es war nur dieses ver dammte Taschentuch. Ich mußte im ganzen Haus herumlaufen, um es zu finden. Der Wind hatte es durch ein Fenster in den Hof geweht.» Im Grunde amüsierte mich dieses kleine Abenteuer einigermaßen. Aber so war es immer mit mir: meine Neugier kannte keine Grenzen. Um halb drei Uhr früh verließen wir endlich das Kabarett und trennten uns von Elvira, ihrem Onkel und Barfleur. Während der letzten halben Stunde hatten wir uns allesamt recht wenig Hem mungen auferlegt. Stani, der ziemlich viel getrunken hatte, erhitz te sich mehr und mehr für die Reize Lucies, und auch mir fiel es immer schwerer, den ungeduldigen Tiercelan in Schach zu halten.
«Wir werden das Fest bei meiner Freundin fortsetzen», ver sprach ich ihm schließlich. «Wenn Sie wollen, nehmen wir Sie dorthin mit.» Er schien begeistert. «Ah ja, eine gute Idee. Aber was wird Ihr Gatte dazu sagen?» «Mein Gatte? Oh, wir lieben uns sehr, Stani und ich, aber wir pflegen uns in nichts hinderlich zu sein», beruhigte ich ihn. «Sie sehen ja, wie er sich mit meiner Freundin amüsiert.» Er betrachtete mich forschend. «Sind Sie eifersüchtig?» Ich ver neinte lächelnd. «Warum sollte ich. Zuletzt kommt er ja doch immer zu mir zurück. Und Lucie ist mir eine liebe Freundin. Ich gönne ihr alles Gute.» «Und er? Er muß doch Eifersucht empfinden, bei einer Frau wie Ihnen?» Das Gespräch fing an, mir unbehaglich zu werden. «Mein Gatte ist sehr großzügig», sagte ich kurz angebunden. Tiercelan merkte meine Verstimmung und wechselte das Thema. Wirklich, er war ein feinfühlender Mann! Im Wagen behielten wir unsere Rollen bei. Ich saß ihm, mein Gatte aber Lucie gegenüber. Meine schlaue Freundin hatte mir vorhin zugeraunt: «Wenn ich mein Bein auf die Knie deines Gatten legen werde, dann kannst du ruhig Tiercelan eine Chance geben. Ich werde die Situation schon richtig lenken.» Davon war ich allerdings überzeugt. Sie war eine wahre Meisterin in der Kunst der Kuppelei. Ich beo bachtete aus den Augenwinkeln, wie geschickt sie sich zurecht setzte, und prompt verschwanden Stanis Hände unter ihren Röcken. Tiercelan wollte da nicht zurückstehen, und als ich mich ge schickt gegen das Fenster lehnte, wie um hinauszusehen; nahm auch er seine Chance wahr. Wir sprachen während der ganzen Fahrt kaum ein Wort. Nur das Rascheln unserer Toiletten war zu hören und das Rütteln des Wagens sowie ab und zu ein heftiger halb unterdrückter Atemzug. Schließlich ließ sich Lucie mit einer anmutigen Bewegung auf Stanis Knie nieder und preßte ihre Lippen in einem langen Kuß auf die seinen. Sie beraubte ihn dadurch der Aussicht auf mich und Tiercelan. Ich bewunderte einmal mehr ihre Geschicklichkeit und beneidete sie gleichzeitig
glühend um diesen Kuß. Ich hätte etliches darum gegeben, jetzt Stanis herrisch fordernde Lippen auf meinen zu fühlen. Aber es war Jules Tiercelan, der mich mit immer leidenschaftlicheren Händen attackierte. «Ich bitte dich, sei nicht so selbstsüchtig», flüsterte er dicht an meinem Ohr. «Vergrößere mein Vergnügen durch deine Liebkosungen.» Er nahm meine Hand und preßte sie heftig gegen jene Stelle seines Anzugs, die sich prall und begehr lich durch den Stoff wölbte. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß Stani nichts davon bemerken würde, kam ich seinem Wunsch nach und ließ meine Hand in den schmalen Spalt zwi schen den Knöpfen schlüpfen. Ich zuckte unwillkürlich zusam men, als ich seine Wärme und Kraft unter meinen Händen fühlte. Eine beinahe gewalttätige Begierde überkam mich. Ich ließ mich auf seine Knie sinken, und im nächsten Augenblick spürte ich ihn. Ich unterdrückte gerade noch einen Schrei, dann kam ich ihm durch die Stöße des rumpelnden Wagens entgegen. Er ma növrierte mit bewundernswerter männlicher Kraft, auch ich fühlte von einem Moment zum nächsten meine Sinne vor Won ne schwinden. Ich unterdrückte meine heftigen Atemzüge, die mich hätten verraten können, aber Jules ließ ein dumpfes leiden schaftliches Stöhnen hören. Auf seiner Stirn blitzten etliche Schweißtropfen. Er ließ sich erschöpft in die Polster zurücksinken. Auch ich nahm meinen Platz wieder ein und bemühte mich, meine Kleider unauffällig in Ordnung zu bringen. Und auch Lucie tauchte aus ihrer scheinbaren Versunkenheit wieder auf. Sie richtete ohne die geringste Verlegenheit ihre Röcke, puderte ihre Nase und lächelte zu uns herüber. «Ah, bravo», rief sie lachend. «Stani, sieh dir nur diese hitzigen Leutchen an. Da hat der wackere Herr Direktor eben deine reizende kleine Frau erobert. Was sagt man dazu?» forderte sie meinen Gatten mit blitzenden Augen heraus. Ich fühlte, wie ich unwillkürlich errötete. Daß Lucie auch so indiskret sein konnte! Was wird Stani jetzt denken? «Lucie!» murmelte ich empört. Aber sie lachte nur. «Was ist schon dabei, meine Liebe? Ihr habt beide
dazu Lust gehabt, wer sollte es euch also verdenken? Schließlich hat dein Gatte ja auch nicht besser gehandelt. Unsere Kleider werden hübsch aussehen, meine Liebe!» Das befürchtete ich auch, und so stand ich auf und ließ mich kritisch von allen Seiten mustern. Meiner Toilette war allerdings kaum etwas anzusehen, denn ich hatte sie vorsichtig hochgeho ben, und Lucie war nicht weniger geschickt gewesen. Stani sagte nichts, gab aber die kleinen Küsse zurück, die Lucie ihm fordernd auf den Mund gab. «Wirklich, dieser Mann ist ein Engel», sagte sie. «Wir werden ein wundervolles Fest feiern, nackt wie die griechischen Götter! Wir werden Champagner trinken und uns des Lebens freuen.» Sie war übermütig und fröhlich, wie ich sie schon lange nicht gesehen hatte. Es war ganz offensichtlich, daß sie die Gegenwart Stanis berauschte. Ich beschloß, nun doch ein Auge auf die beiden zu haben, zumal ich wußte, wie leicht sich Stani in eine Frau verliebte. Wir kamen endlich an. Ein Glück, daß der arme Kutscher keine Ahnung von dem hatte, was hinter seinem Rücken vorgegangen war. Allerdings war ich da nicht sicher. Sein Schnurrbart zuckte so komisch, als er mich ansah. Ich gestehe, daß ich etwas verwirrt war, als ich an Tiercelans Arm die geschwungene Treppe hinaufschritt, die in Lucies ge schmackvoll ausgestatteten Salon führte. Ich bemerkte in einem der Spiegel am Treppenaufgang, daß mein Kleid doch verräteri sche Falten zeigte. Ich fühlte mich plötzlich müde und wich den einigermaßen kritischen Blicken aus, mit denen Stani mich unauf fällig musterte. Schließlich fand ich mich einen Augenblick mit ihm allein. Ich warf mich in seine Arme und forschte angstvoll in seinem Gesicht: «Bist du mir böse, Liebster? Elvira hat mich gebeten, Tiercelan nachzugeben. Sie wollte sich ihn dadurch verpflichten.» Er erwiderte meinen Kuß mit großer Zärtlichkeit. Seine Hand glitt in mein Dekollete, und ich spürte mit Entzücken, wie meine Brustknospen sich unter der Berührung augenblicklich aufrichte
ten. «Beruhige dich nur, mein Engel», murmelte er. «Schließlich habe ich ja mit Lucie das Beispiel gegeben. Wir werden morgen zusammenkommen. Es wird eine herrliche Nacht werden, nicht wahr, meine Liebe?» «Ja…oja!» Lucie hatte inzwischen ihre Anordnungen getroffen, und auch Tiercelan kam wieder zum Vorschein. Ein Mädchen, das trotz seines adretten Häubchens ein wenig verschlafen aussah, servier te Champagner, Biskuits und Zigarren. Wir bewunderten Lucies kostbare Möbel, ihre wundervollen Teppiche und etliche wert volle Bilder. Schließlich erschien sie in der Tür ihres Boudoirs, nur mit einem durchsichtigen Hemd bekleidet, durch das sich jede Linie ihres Körpers abzeichnete. «Ihr verspätet euch», rief sie so schmollend. «Geschwind, macht mir’s nach, und zieht euch aus! Getrunken wird heute nur im Adamskostüm!» Sie lachte übermütig und winkte mich in ihr Boudoir. Die Männer sollten sich im Salon ausziehen. Lucie half mir mein Mieder aufzuschnüren. «Was ist? Ist er eifersüchtig?» er kundigte sie sich eine Spur besorgt, wie mir schien. «Nein, es geht prächtig», beruhigte ich sie. «Der Anblick deiner Schönheit wird ihm völlig den Kopf verdrehen.» Sie schien nicht überzeugt. «Er wird mich wegen meiner Brüste häßlich finden!» meinte sie zweifelnd. Ihre kleinen Brüste waren ihr ständiger Kummer. Rasch wandte ich mich um und drückte einen Kuß auf jede der rosigen Knospen. «Deine Brüste sind ganz entzückend, meine Liebe. Ich habe dir das auch schon oft gesagt», beruhigte ich sie. Wir ruhten nicht eher, als bis wir beide ganz nackt waren. Lucie belustigte sich eine Weile damit, mein feines Haargekräusel zu bürsten und zu parfümieren. «Wirklich, du siehst wie eine antike Göttin aus», meinte sie bewundernd, als ich mich ihr, nur mit meinem prächtigen Halsschmuck bekleidet, präsentierte. Diesen wollte ich nicht ablegen, weil er zu herrlich zu der Farbe meiner Augen paßte.
«Diese wundervollen Brüste», rief sie und liebkoste mich sanft. «Wirklich, ich gäbe alles in der Welt, um sie zu haben. Du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Und diese Hüften und Schenkel! Sieh nur meine Beine dagegen! Wie kurz und plump!» Sie betrachtete sich mißbilligend im Spiegel. «Sieh», sagte sie schließlich, «meine Brüste sind doch ein bißchen größer gewor den.» Das stimmte zwar nicht, aber ich wollte sie doch gern beruhigen, um so mehr, als mir ihre hemmungslose Bewunde rung meiner Vorzüge sehr schmeichelte. «Aber ja», sagte ich gnädig. «Wirklich, meine Liebe, du hast un recht zu glauben, sie seien zu klein.» Sie zog eine Schmollmiene. «Das meint dieses Tier von Obrenval. Du kannst mir glauben, meine teure Lena, der Gedanke an ihn verleidet mir das ganze Fest.» «Nicht doch, Lucie. Du hast doch Augen im Kopf. Und übri gens hast du den schönsten Hintern, den ich je bei einer Frau gesehen habe!» Dieses Kompliment verfehlte seine Wirkung nicht, denn sie begann sich gleich kokett zu bewegen. Ihr Hinterteil war wirklich entzückend geformt, rund und fest, und dazu von einem sanften perlmutterartigen Schimmer. Ihre Haut war wie Seide. Lucie wußte über diesen ihren speziellen Vorzug genau Be scheid, und dennoch meinte sie schmollend: «Du willst mir nur schmeicheln.» Ich kniff sie ein wenig in ihr festes Fleisch. «Unsinn, Lucie. Ich habe dir meine Bewunderung oft genug bewiesen.» Da legte sie lachend ihren Arm um meine Schulter. «Auf zu dem Feste… », trällerte sie übermütig die ersten Takte von Mo zarts Champagnerarie. «Komm, wir wollen unsere Freunde nicht zu lange warten lassen.» Für solche Feste ist ein luxuriöser Rah men wahrhaftig notwendig. Die kostbaren, mit bunter Seide bezogenen Empiremöbel bildeten im Verein mit den dicken Teppichen, in denen unsere bloßen Füße versanken, und den prächtig gerahmten Venetianerspiegel, die jede unserer Bewegun gen reflektierten, einen überaus eindrucksvollen Rahmen für
unser Vorhaben. Wir bewegten uns in unserer Nacktheit völlig unbefangen, und ich bemerkte mit Entzücken, daß auch die beiden Männer von Minute zu Minute mehr von ihrer Sicherheit zurückgewannen. Es ist ja an und für sich eine Tatsache, daß Männer in dieser Hinsicht ein viel ausgeprägteres Schamgefühl haben und sich unseren kritischen Blicken nur ungern so präsen tieren, wie die Natur sie gemacht hat. Diese beiden waren übrigens zwei Prachtexemplare, und ich wußte zu dieser vorgerückten Stunde nicht mehr genau, welchem ich wirklich den Vorzug geben sollte. Wir tranken Champagner, und dann setzte sich Lucie, nackt wie sie war, an das Klavier und spielte eine Etüde von Chopin, den wir neulich in einem Konzert gehört hatten. Die Männer applaudierten begeistert. Ich nahm Lucie an der Hand und führte sie zu Stani. «Sieh sie nur an», sagte ich. «Ist sie nicht wunderschön? Dabei hält sie ihren Busen für häßlich, weil er nicht so voll wie meiner ist! Was sagt man dazu?» Ich muß gestehen, ich machte ihn nicht ohne gewisse Absicht auf diesen meinen besonderen Vorzug aufmerksam. Er mußte diese Absicht auch begriffen haben, denn er zog amüsiert seine Brauen in die Höhe. «Aber was für einen Busen sollte sie denn haben?» rief Tiercelan in diesem Augenblick. Er tat sich viel auf seinen Ruf als Kenner weiblicher Schönheit zugute. «Ich bin kompetent genug, um ihre Schönheit zu beurteilen, schließlich habe ich schon Hunderte von hübschen Mädchen gesehen», versicherte er ernst haft. Auch Stani stimmte in dieses Lob ein. «Wirklich, sie ist ganz bezaubernd», rief er enthusiastisch, und um die Aufrichtigkeit seiner Worte zu bezeugen, küßte er sie auf ihre Brüste. Ich be merkte mit einem heimlichen Ersehrecken, daß diese Liebkosung auch auf sie ihre Wirkung nicht verfehlte. Eine leichte Röte stieg in Lucies schönes Gesicht. «Sie Schmeichler», rief sie tadelnd und zog ihn scherzhaft an seinem kurz geschorenen, rußdunklen Haar.
«Mein Kompliment, Monsieur Breffer», sagte in diesem Augen blick Tiercelan. «Ich merke wohl, daß auch Sie ein Kenner der Frauenschönheit sind! Sie haben aber auch allen Grund dazu, denn Ihre Gattin ist wirklich anbetungswürdig. Sie ließ schon in ihrer Toilette einen vollendeten Körper erkennen, aber jetzt übertrifft sie noch alle Erwartungen. Wirklich, Sie können nicht verlangen, diese Frau für sich zu haben, denn das wäre beinahe ein Verbrechen.» Stani kniff mich voll Besitzerstolz ein wenig in die Hinterbak ken. «So vermessen bin ich gar nicht, mein Freund», sagte er leichthin. «Ich weiß, welchen Schatz ich an meiner Rinette habe. Ihr Herz gehört mir allein, aber ihren Körper vermag ich nicht für mich zu behalten…» Er wandte sich wieder meiner Freundin zu. «Aber Sie, meine Liebe, warum haben Sie sich selbst kritisiert? Was könnte Ihnen abgehen, bei diesen herrlichen Hinterbacken?» Lucie stellte sich ein wenig in Positur. «Mir scheint, Sie lieben sie?» fragte sie mit einem koketten Blick über ihre Schulter. «Ich bete sie an!» «Da haben Sie recht, Monsieur», fiel Tiercelan wieder ein. «Wirklich, diese zwei untrennbaren Zwillinge sind eine Augen weide für jeden Mann. Wer sie sieht, kann an seinem Glück nicht zweifeln.» «Wie, mein Herr», unterbrach ihn mein Gatte, «sind Sie am En de auch ein Liebhaber der hinteren Venus?» Unwillkürlich mußte ich an mein Abenteuer mit dem Baron denken. Daß Lucie ge wohnt war, ihren Liebhaber von diesem ihrem speziellen Reiz hingerissen zu sehen, hatte ich indessen erfahren. Auch Stani war davon sehr angetan. Und nun schien auch Tiercelan zu dieser seltsamen Passion zu neigen. «Welcher Mann könnte da wider stehen?» belehrte er mich. «Auch Sie selbst, meine Freundin, die Sie Schönheit zu schätzen wissen, wo Sie sie sehen, wissen doch wohl, daß gerade dieser Körperteil eine besondere Leidenschaft einzuflößen vermag?»
«Welch ein Unsinn», rief Lucie, die sich mit verhaltenem Ent zücken den Liebkosungen Stanis hingegeben hatte. «Ich glaube an eine Leidenschaft für eine ganze Person und nicht für einen speziellen Körperteil!» Tiercelan zeigte sich entrüstet. «Wirklich, Sie würden es verdienen, daß ich diesen Sektpfropfen auf Ihre hübsche Hinterseite knallen lasse, nur um Sie eines Besseren zu belehren», meinte er lachend. Lucie begann zu kichern und präsentierte schalkhaft jenen Teil ihres Körpers, der den Männern offensichtlich so gut gefiel. Und wirklich, Tiercelan entledigte einer Champagnerflasche ihres Drahtgeflechts, zielte kurz auf Lucies Hintern und sagte lachend: «Achtung, meine Damen! Das Urteil wird sogleich vollstreckt werden!» Der Sektpfropfen knallte, und Lucie stieß einen belu stigten kleinen Schrei aus. Stani führte rasch eines der gefüllten Gläser an ihre Lippen. Sie lachte und sagte, indem sie ihre Hand leicht auf Stanis Schulter stützte: «Auf dein Lieblingsvergnügen, mein Teurer! Komm, küsse deine Lucie!» Und sie bot ihm ihre champagnerfeuchten Lippen zum Kuß. Stani leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch zurück. Dann zog er Lucie in seine Arme und preßte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihren Mund. «Sehen Sie nur, Tiercelan», wandte er sich an Jules, der inzwi schen mit mir beschäftigt war, «die Natur ist doch voller Wunder, und selbst die Schönheit ist immer verschieden. Sehen Sie nur diese beiden wundervollen Frauen! Beide sind gleich schön, und doch, wie verschieden sind sie!» Er faßte mich mit einer besitzergreifenden Bewegung um meine Taille und zog mich an sich, so daß er jetzt uns beide in den Armen hielt. Tiercelan, der seine Augen nicht von uns lassen konnte, stimmte ihm zu. «Da haben Sie recht, mein Freund. Genausowenig, wie es am Himmel zwei völlig gleiche Sterne gibt, kann es auch nicht zwei Frauen geben, deren Schönheit sich vollkommen gleicht. Wissen Sie übrigens, daß sich aus der Figur einer Frau ganz wesentliche Schlüsse auf ihren Charakter ziehen lassen?»
Stani lächelte amüsiert. «Ah, wirklich? Und was haben Sie bei diesen beiden Schönheiten herausgefunden?» forderte er den anderen heraus. Jules schien zu zögern. «Lucie zum Beispiel hat einen offenherzigeren Charakter als Ihre Frau», meinte er schließ lich, «und sie ist auch weniger sinnlich veranlagt. Doch verzeihen Sie, meine charmanten Damen», wandte er sich an uns, «ich will meine Charakteranalyse lieber nicht fortsetzen. Ich könnte Sie sonst vielleicht erzürnen.» «Aber nein, tun Sie es nur», rief Lucie, die eine Vorliebe für alles Okkulte hatte. «Vielleicht erfahren wir da etwas Neues über unseren Charakter. Was glaubst du, Lena?» «Ja, bitte, Jules, sagen Sie uns nur alles», ermunterte ich ihn auch meinerseits. Das Spiel begann mich zu amüsieren. Stani ließ sich zwischen uns auf dem Teppich nieder. Er zog uns mit sich auf den Boden und lachte herzlich über die Wissen schaft Tiercelans, der uns mit ernsthafter Miene von allen Seiten umkreiste und betastete. Er begann mit Lucie und kam zu fol gendem nicht besonders überraschenden Resultat: «Sie haben ein überschäumendes Temperament, meine Liebe, und Sie neigen zu Übertreibungen. Ihr großmütiges Herz lockt Sie zuweilen zu Abenteuern. Sie sind, im Augenblick jedenfalls, mit sich und der Welt zufrieden, und wenn man diesem leicht sinnig hüpfenden Hintern trauen darf, werden Sie das Leben immer leichtnehmen, von einigen wenigen Perioden der Unlust abgesehen. Ihre Zukunft ist gesichert, und Sie werden alt sterben, von Ihren Kindern und Enkelkindern umgeben.» «Du lieber Himmel, was für ein Schwindler Sie doch sind, mein Liebster», rief Lucie lachend und gab ihm eins auf die Finger. «Man sieht wohl, daß Sie ein schlauer Fuchs sind, ein richtiger Tingeltangeldirektor!» Tiercelan verbeugte sich mit stoischem Gleichmut. «Die Konsultation kostet Sie nur ein wenig Zärtlich keit, meine Damen, und es steht Ihnen frei, daran zu glauben oder nicht zu glauben!» «Nun», gab Lucie kokett zurück, «Sie können sich eine Zärtlich keit aussuchen. Wahrhaftig, Sie haben sie um mich verdient!»
«Und meine Frau?» erkundigte sich Stani, ehe ich meinerseits etwas sagen konnte. Ich bemerkte mit Erstaunen, daß er den Ausführungen des Direktors mit Aufmerksamkeit gefolgt war. Tiercelan betrachtete mich mit Leidenschaft. «Ich spreche in voller Unabhängigkeit, meine Schönen», versicherte er schließ lich, «und meine Worte werden weder die Reize der einen noch der anderen herabmindern. Also du, meine reizende Lena – Sie gestatten doch, daß ich sie duze, mein Freund? Vielen Dank, das ist viel bequemer. Ihre Frau soll uns nicht entzweien, sondern uns vielmehr zu Freunden, zu Brüdern machen. Der Körper einer schönen Frau, meine angebeteten Sirenen», wandte er sich an uns, «hat die Aufgabe, zwischen den Männern Freundschaft zu säen und nicht Haß. Es ist nur die dumme Eitelkeit und der Egoismus des Mannes, der das zuweilen unmöglich macht. Doch der Wahrsager wird sein Publikum nicht mit seinen Philosophien langweilen! Du also, meine teure Lena, hast einen wundervollen Körper. Aber was für ein Verräter ist er! Er ist lange nicht so solide wie der dieses schönen Kindes da (er deutete auf Lucie), der wie eine sehnsüchtige Rose das männliche Verlangen anregt. Ich will nicht zu weit abschweifen. Dein Körper, meine reizende Lena, ist wie ein Kleinod, ein Diamant, von außerordentlicher Reinheit der Linien, prächtig in seinen Formen. Er verrät eine wollüstige und egoistische Natur, heiße Leidenschaften und ebenso heiße Profitgier. Nein, erröte nicht, meine Holde, du brauchst dich dieser Eigenschaften nicht zu schämen, denn sie sind die Garanten deines Glücks. Einige persönliche Fehler, die du begehen wirst, werden dich zwar in eine unangenehme Lage bringen, aber diese Wolken werden sich bald wieder verziehen. Dein Charakter wird völlig von deinem Willen beherrscht, du weißt deine Gelegenheiten zu nehmen, wo du sie findest. Dein unruhiges Blut wird dich zu tausend Abenteuern verlocken, aber sie werden über dich hinwegrieseln wie das Wasser über einen Kristall. Sie werden nichts an deinem Wesen ändern. Darf ich noch etwas sagen, mein Freund?» wandte er sich an Stani, der ihm gespannt zugehört hatte. «Aber ja, nur zu!» ermunterte ihn
dieser. «Du hast den Körper einer Hure und einer Dame zu gleich, Verrat und Freimut schlummern in diesem herrlichen Busen, gepaart mit dem Stolz einer Herrscherin und der Demut einer Sklavin!» Ich spürte, wie ich unter seinen Worten errötete. Ich hatte nicht erwartet, daß er mich bei dieser unserer ersten Begegnung so schnell durchschauen würde. Denn war ich nicht Stani in allem stets eine demütige Geliebte gewesen? «Genug, mein Herr», wehrte ich ihn schmollend ab, «Sie neh men diesem meinem Gatten die letzte Illusion, die er in bezug auf mich noch gehabt hat.» Wir kehrten unter allgemeinem Ge lächter und unter allerhand anzüglichen Neckereien zu unseren Champagnergläsern zurück. Lucie hatte die Vorhänge halb zu rückgezogen und das Fenster geöffnet. Ich spürte voll Entzücken die kühle Luft des beginnenden Morgens an meinen erhitzten Wangen. Hinter dem zarten Gitterwerk der Bäume im Park begann sich der Horizont schon zart zu verfärben, und aus den Tiefen des Gartens brach da und dort ein erster Vogellaut auf. Bald würden die Gaslaternen verblassen. Ich fühlte mich müde und ein wenig wirbelig von all dem Champagner, den ich getrunken hatte. Irgendwann landeten wir dann alle in Lucies nach Soir de Paris duftendem Himmelbett, und ich spürte durch einen rosigen Schleier hindurch, wie Tierce lans Hände nach mir griffen. Oder war es die Berührung meines Gatten, die mir wieder und wieder jene verhaltenen Schreie der Lust entlockten? Genug, ich fühlte mich glücklich und wie auf Wolken und versank im wogenden Morgengrauen in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Die folgenden Wochen gehörten in meiner Erinnerung zu den glücklichsten meines Lebens. Stani lebte während der Abwesen heit des Grafen in meiner Wohnung, und wenn er nicht gerade auf die Börse ging, um zu spekulieren, oder ins Café Matin, um sich mit diesen revolutionären Leuten zu treffen, die er seine
Freunde nannte, hatte ich ihn die ganze Zeit für mich. Mein teurer Gatte verdiente jetzt übrigens eine ganz ansehnliche Sum me Geld, und das verdankte er nicht zuletzt mir. Durch Barfleur, Tiercelan und etliche meiner sonstigen Freunde, in deren Auftrag er an der Börse spekulierte, vermochte er innerhalb kürzester Zeit seine finanzielle Position wesentlich zu verbessern. Dazu kam, daß er auch in der Presse allmählich in Mode kam. Die mit S. B. unterzeichneten Artikel im France Soir wurden immer häufiger. Als wir Tiercelan verließen, mußte ich ihm versprechen, ihn am anderen Nachmittag im Theater zu besuchen. Ach, und vormit tags mußte ich meinen Besuch in der Rue Laugier abstatten. Eigentlich eine unerfreuliche Geschichte. Ich mochte den guten de Valters nicht besonders, aber versprochen ist versprochen, und der Mann hatte prompt sein Tausendfrancs-Billet geschickt. Ich konnte es also nicht wagen, ihn sitzenzulassen. So etwas spricht sich in den Kreisen der Demimonde nur zu schnell her um. Übrigens fand ich eine besondere Genugtuung darin, meinen Gatten in meiner eigenen Wohnung installiert zu sehen. Die gute Mirette hatte die übrigen Dienstleute instruiert, die nun alle wußten, daß ich in diesem Punkt nicht mit mir spaßen ließ. Mirettes Treue war wirklich rührend. Zwar hatte sie möglicher weise auch ihre eigenen Interessen im Auge, denn die Arbeit, die sie zu verrichten hatte, war nicht schwer, und sie war mir allmäh lich zu einer wirklichen Vertrauten geworden. Ich belohnte ihre Treue häufig durch gewisse Extrazuwendungen, und auch Stani, der mit den Leuten wundervoll umgehen konnte, schenkte ihr gelegentlich einen Louis und einen seiner zärtlichen Katerblicke, in die ich so verliebt war. Dann errötete das arme Ding jedesmal bis unter ihr niedliches Spitzenhäubchen und konnte vor Verle genheit kein Wort hervorbringen. Mir war alles recht, solange ich nur Stanis Liebe sicher zu sein glaubte. Im übrigen hatte Tierce lan mit seiner Analyse meines Charakters gar nicht so unrecht gehabt. Ich bin wirklich eine recht realistische kleine Person und
stets auf meinen Vorteil bedacht, außer dort, wo es Stani angeht. Ihm gegenüber erwies ich mich stets als großzügig. Es würde mir nicht im Traum eingefallen sein, ihn zu einer uns beiden lächerlich erscheinenden Treue zu verdämmen, um so weniger, als ja auch ich alle möglichen Männer empfange. Aber ich wußte es immer so einzurichten, daß es meine eigenen Freundinnen waren, von denen er profitierte. Auf diese Weise konnte ich ihn am besten überwachen. An dem Tag, der auf unseren denkwürdigen Ausflug ins Caba ret de Rose folgte, beschloß ich, ihn für mich allein zu behalten. Wir soupierten spät und ausgiebig und schlossen uns dann gleich in meinem Zimmer ein. Ich fieberte förmlich nach seinen Um armungen, die mir um so begehrenswerter schienen, als ich gestern zugunsten Tiercelans darauf hatte verzichten müssen. Zum Glück hatte der Graf seine Abwesenheit noch verlängert. Stani und ich waren ganz verrückt vor Freude darüber. Mein Gatte fühlte sich in meiner Wohnung bald ganz zu Hause und benutzte voll Stolz den Türschlüssel, den ich ihm gegeben hatte, damit er ohne zu läuten kommen und gehen konnte, wie er nur wollte. Er gewöhnte sich rasch an seine neue Rolle, und es verur sachte mir jedesmal ein wollüstiges Prickeln, wenn ich ihn mein Personal kommandieren hörte. Daß ich am kommenden Morgen meinen versprochenen Be such in der Rue Laugier absolvieren mußte, störte mich einiger maßen, aber was hätte ich tun sollen? Ein Glück, daß Stani den Vormittag über außer Haus war. Denn wenn er auch meine Lebensführung billigte, so hatte ich doch gewisse Hemmungen, ihn allzuviel davon bemerken zu lassen. Jacques de Valters war von meiner Pünktlichkeit sehr angetan. Als ich bei ihm eintrat, kam er mir entgegen und rief enthusia stisch: «Ah, du bist honett und exakt, ganz wundervoll, meine Liebe.» Er empfing mich in seinem Salon, und ich sah an seinem halb aufgeknöpften Morgenkostüm deutlich, daß er nicht viel Zeit
verlieren wollte. Aber immerhin bot er mir ein Glas Chartreuse an, ehe er mich auf seine Knie zog. Er war neugierig zu hören, wie ich eine Kokotte von Beruf ge worden war, und ich tat ihm den Gefallen und gab ihm ein kur zes Resümee dessen, was ich bisher erlebt hatte. Er hatte den Arm leicht um mich gelegt und spielte mit den Spitzen meiner Brüste, die er mit kundigen Fingern aus meinem Mieder hervor geholt hatte. «Du hast es nicht schlecht getroffen», meinte er schließlich. «Aber dein Gatte spielt dabei eine ziemlich zweideu tige Rolle.» Diese Erwähnung Stanis verdroß mich. Ich sagte also mit Wür de: «Er hat mir verziehen, aber ich kann jetzt noch nicht zu ihm zurückkehren. Er lebt von seinem eigenen Geld, und ich emp fange ihn ab und zu, wenn er es gerade will. Er… bezahlt mich dafür.» Das war zwar gelogen, aber es machte meinem Galan doch einen erstaunlichen Eindruck. «Wie, er bezahlt dich? Das ist ja wahrhaftig die verkehrte Welt!» Ich zuckte die Achsel. «Mein Gatte ist nun einmal so. Aber ich glaube, daß wir uns nicht dazu getroffen haben, um darüber zu reden. Oder hast du mir dafür 50 Louis geschickt?» «Und wenn es so wäre?» «Dann würde ich dich ruhig anhören, aber du würdest an mei nen Lebensanschauungen nichts ändern.» Der Druck seiner Finger an meinen Brüsten verstärkte sich. «Du bist noch genauso verführerisch wie damals. Erinnerst du dich noch, in jenem Bordell? Übrigens ein reizender Mann, dein Gatte, dich ausge rechnet dorthin zu führen.» Ich wurde ärgerlich: «Hör doch auf, von meinem Gatten zu reden. Er schuldet dir nichts, aber du schuldest ihm viel.» «Ich schulde ihm?» «Natürlich. Hätte er mich damals nicht in jenes Bordell geführt, so hättest du mich nie kennengelernt. Du schuldest ihm also seine Frau.» «Die habe ich bezahlt…»
Er sah jetzt selbst beinahe ärgerlich aus, und ich merkte wohl, daß ich einlenken mußte. Also fragte ich ihn mit einem koketten Seitenblick: «Bezahlt man je eine Frau nach ihrem wahren Wert?» Er brach in Gelächter aus. «Wundervoll, meine Teure, wirklich, du machst dich! Mit dir zu plaudern ist fast so ein großes Ver gnügen wie das andere. Übrigens sag, hast du Fortschritte in der Kunst gemacht, die du schon damals so anmutig beherrscht hast?» Er sah mich begehrlich an. Ich verstand natürlich sofort. Er spielte auf jene Liebkosungen an, die ich ihm, damals noch mit einigem Widerwillen, hatte zuteil werden lassen. Ich hatte eigentlich auch jetzt keine besondere Lust dazu. Aber schließlich war ich bei ihm, um seine Laune zu befriedigen. Also, sei’s drum! «Warum fragst du das?» gab ich zurück und spitzte meine Lip pen ein wenig. Er faßte es als eine Zustimmung auf. «Geschwind, meine Liebe, gib mir eine erste Probe davon…» Er hatte seinen Morgenrock geöffnet und ich sah, daß er darun ter nichts weiter anhatte. Unsere Gespräche hatten ihn offen sichtlich erhitzt, und meine Liebkosungen taten das ihre. «Du bist ein Engel», sagte er, als alles vorbei war. «Ich will dich heute nicht zu lange aufhalten, aber ich rechne damit, daß du mir einmal eine deiner Nächte schenkst.» «Eine Nacht? Das ist fast unmöglich.» «Warum? Du sagst ja selbst fast. Und aufrichtig gesagt, ich ver diene das wohl im Hinblick auf den Preis, den ich bezahle.» «Ich habe nicht so viel verlangt», warf ich ein. «Benachrichtige mich, wenn du eine Nacht disponibel hast, und du wirst wieder wie gestern tausend Francs empfangen.» Tausend Francs für einen so kurzen Moment wie den eben verbrachten zu bezahlen! Die Männer müssen wirklich sehr erpicht sein auf meine Reize! Ich war beeindruckt und willigte zögernd ein. «Ich verspreche, daß ich dir bei der ersten Gelegen heit eine Nacht reservieren werde. Aber ich kann noch nicht bestimmt sagen, wann.»
«Dein Versprechen genügt mir.» Während ich meine Toilette wieder in Ordnung brachte, sagte Jacques, der sich mit einem Glas Cognac gestärkt hatte, plötzlich mit veränderter Stimme: «Wenn du deinem Gatten einen Dienst erweisen willst, dann sag ihm, er soll sich so bald als möglich von Paulet trennen. Es sind da gewisse Dinge im Gange, in die hineingezogen zu werden für alle mehr als unangenehm sein könnte.» Ich erschrak. Schließlich hatte ich Paulet nie leiden können, aber Stani hörte, soweit es seine Freunde betraf, ja niemals auf mich. «Was willst du damit sagen, Jacques?» erkundigte ich mich be sorgt. «Ich habe übrigens in dieser Hinsicht kaum einen Einfluß auf meinen Gatten.» Er war hinter mich getreten und betrachtete mich im Spiegel. «Ja, das kann ich mir denken. Er ist nicht der Mann, auf eine Frau zu hören. Aber er könnte es bereuen. Es wird vielleicht bald eine polizeiliche Untersuchung geben. Da wird er gut tun, sich herauszuhalten…» Ich verließ ihn sehr nachdenklich, nachdem ich versprochen hatte, ihn wegen unseres nächsten Rendezvous zu verständigen. Die Wochen, in denen Clameran abwesend war, vergingen wie im Flug. Schließlich brachte mich meine Bekanntschaft mit Tiercelan in eine merkwürdige Situation. Eines Nachmittags, als ich ihn wie so oft im Theater aufsuchte, traf ich ihn in höchster Aufregung. «Was gibt es denn, mein Hündchen», erkundigte ich mich teilnehmend. Er stöhnte und wischte sich die Schweißtropfen von seiner Stirn. «Der Schlag wird mich noch treffen vor Aufregung», mein te er. «Stell dir vor, mein Engel, eines der beiden Mädchen, die Lilette bei ihrem Auftritt unterstützen, hat mich heute im Stich gelassen. Sie ist mit ihrem Freund auf und davon gegangen und will vom Theaterspielen nichts mehr wissen. Soll der arme Idiot von einem Tiercelan sehen, wo er in dieser kurzen Zeit Ersatz hernimmt. Und Lilette will nun nicht auftreten, wenn ich nicht
sofort Ersatz für die Abtrünnige herbeischaffe. Ich sage dir, meine Süße, es gibt nichts Schlimmeres als diese Künstlerlaunen. Die können einen Mann an den Rand des Grabes bringen oder aber zum Wahnsinn treiben. Sag mir bloß, wo soll ich ein Mäd chen mit tadellosen Körperformen und einigem Geschick im Auftreten hernehmen?» Er starrte an mir vorbei, als sähe er mich gar nicht. Doch plötz lich kam Leben in ihn. Er faßte mich an den Schultern und hielt mich mit ausgestreckten Armen vor sich hin. «Natürlich, ich hab’s. Das ist die Lösung. Daß ich nicht gleich daran gedacht habe!» Er umarmte mich leidenschaftlich und drückte mir einen Kuß auf die Lippen. «Natürlich, so könnte es gehen. Nicht wahr, Lena, mein Engel, du wirst mir doch aus dieser Verlegenheit helfen?» «Ich? Du meinst, ich soll auf der Bühne erscheinen?» «Aber ja doch, natürlich. Lilette wird begeistert sein. Du bist viel schöner als die andere. Ich gebe dir etliche Extraschritte, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf dich lenken werden. Du wirst Furore machen, mein Engel!» Seine Begeisterung wirkte beinahe ansteckend. Trotzdem zögerte ich noch. «Ich kenne das Ballett doch gar nicht.» «Ach, das macht überhaupt nichts. Du hast ein angeborenes Talent für Musik. Du brauchst nur die Bewegungen deiner Ge fährtin nachzumachen. Lilette wird dir behilflich sein. Es ist nicht schwer, und du wirst einen ungeheuren Erfolg haben.» Daran gab es allerdings kaum einen Zweifel. Trotzdem hatte ich meine Bedenken. «Was, wenn sich das herumspricht? Ich riskiere schließlich, den Grafen zu verlieren.» «Der Graf wird entzückt sein, seine angebetete Freundin als Bühnenstar wiederzusehen.» Davon war ich allerdings weniger überzeugt. Der gute Clame ran war in dieser Hinsicht ein wenig eigen. «Und mein Gatte?» warf ich als letzten Einwand ein. Aber Jules zeigte sich nicht beeindruckt. «Du bist jetzt Lena de Mauregard, nicht Irene Bref fer. Als Lena wirst du dein Publikum begeistern.» Während er
noch sprach, begann er mich auszuziehen. Dann rief er nach der Garderobiere, und es dauerte nicht lange, bis ich mich in eine trunkene Mänade verwandelt hatte. Ich sah wirklich recht aufrei zend aus in meinem hautengen Trikot, das bis zu den Hüften reichte. Darüber trug ich ein kurzes Blumenröckchen, das nur von einem Gürtel gehalten wurde, und ein ganz kurzes Mieder, aus dem meine vollen Brüste wie zwei überreife Äpfel hervor quollen. Hinten waren zwei kleine goldene Flügel befestigt, was sehr drollig wirkte. Dazu trug ich einen Kranz von farbigem Weinlaub und kleine Tanzschuhe, die meine Schritte beflügelten. Ich bemerkte, daß mir die Tanzschritte, die ich einst beherrscht hatte, ganz von selbst wieder einfielen. Auch meine Haltung war beinahe übergangslos wieder die eines leichtfüßigen kleinen Ballettmädels geworden. Als Lilette schließlich herbeigerufen wurde, um ihre trunkene Nymphe zu begutachten, fiel sie mir voller Begeisterung um den Hals. «Sie werden wundervoll sein, meine Liebe.» Ehe ich begriff wie, stand ich schon auf der Bühne und beweg te mich so sicher im Rampenlicht wie eine richtige Balletteuse. Das deutliche Gemurmel der Bewunderung, das im Publikum aufbrach, beflügelte meine Schritte: ich war schöner und reizvol ler als die, welche ich ersetzte. Schließlich fand ich Geschmack an meinen Posen und verstand es, die Augen der Zuschauer auf mich zu lenken. Doch plötzlich, nach einer Pirouette, in der ich um Lilette herumgewirbelt war, brach im Publikum ein halb amüsiertes, halb erschrecktes Geschrei aus, und ich hörte Jules hinter mir kommandieren: «Vorhang zu!» Ein unbeschreiblicher Tumult brach auf der Bühne los, und die Mädchen schoben mich beinahe mit Gewalt hinter die Kulissen. Viel zu spät bemerkte ich, was geschehen war. Der Gürtel, der in der Eile schlecht befestigt worden war, hatte sich gelöst und mit ihm das Mieder. Ich hatte mich mit entblößtem Busen und haut engem Trikot, das mich völlig nackt erscheinen ließ, vor mehr als zwölfhundert Zuschauern gezeigt. Jules zog mich schnell in eine Garderobe, man legte mir einen Toilettenmantel um. Der Poli
zeikommissar, der wie auf Kommando erschien – muß diese Pariser Polizei eigentlich ihre Nase in alles stecken? –, betrachtete mich mit Augen, die deutlich verrieten, daß er bedauerte, vorhin etwas versäumt zu haben. Jules erklärte ihm wortreich den Zwi schenfall, sehr geschickt übrigens, und rief mich, die ich in die sem Augenblick mehr tot als lebendig war, mit einem Wasserglas voll Cognac wieder ins Leben zurück. Ich bemerkte wohl, daß ihn der Vorfall heftig erregt hatte. Und wirklich, kaum waren wir für eine Minute allein, da schloß er die Tür der Garderobe ab und stürzte sich wie ein Besessener auf mich. Seine Hände streiften mir in Windeseile das hindernde Trikot ab und dann… Wand ich mich wie eine Eidechse unter seinen Umarmungen und über häufte ihn mit Küssen. Es war seltsam genug, aber der Vorfall hatte auch meine Sinne bis zur Siedehitze gebracht. Ich bedauerte beinahe, daß wir nicht mehr Zeit füreinander hatten. Hinterher half mir mein charmanter Theaterdirektor sehr galant, mein Mieder zuzuschnüren, und versicherte mir wieder holt, daß die Angelegenheit ohne Zweifel für mich keine uner freulichen Folgen haben würde. Ich kehrte schließlich mehr verblüfft als besorgt nach Hause zurück. Ein Skandal! Ich hatte einen öffentlichen Skandal erregt, frei lich, ohne daß ich es beabsichtigt hätte. Aber wer würde mir das schon glauben? Unter meinen Bewunderern gab es sicher kaum einen, der dies nicht für einen besonders raffinierten Reklame trick der schönen Lena de Mauregard gehalten hätte. Ich be schloß auf alle Fälle, Stani gegenüber nichts zu erwähnen. Schließlich, man konnte nicht wissen, wie er es aufnehmen wür de, daß ich Tiercelan diesen Gefallen erwiesen hatte. Er erschien übrigens müde und schlecht gelaunt und aß nur wenig, obwohl ich der Köchin Anweisung gegeben hatte, eines seiner Lieblings gerichte zu bereiten. Er stürzte in düsterem Schweigen etliche Glas Wein hinunter, dann eröffnete er mir, daß er noch einmal ausgehen müsse. Ich hinderte ihn nicht daran. Im Grund war ich ganz froh über die Aussicht, einmal früh zu Bett gehen zu kön nen.
Aber als ich erwachte, bemerkte ich mit Bestürzung, daß er nicht zurückgekehrt war. Wie, vernachlässigte er mich etwa bereits wieder? Hatte er nicht vor einer Woche noch gesagt, alle Frauen außer mir flößten ihm Widerwillen ein? Aber ich wußte ja schließlich, was ich von Stanis Beteuerungen zu halten hatte. Ich läutete also Mirette und ließ mir von ihr meine Morgen schokolade und die Post ans Bett bringen. Vielleicht, daß Stani durch irgend etwas Unvorhergesehenes aufgehalten worden war und mir geschrieben hatte. Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Es fand sich keine Nachricht meines Gatten unter den heute besonders zahlreichen Schriftstücken, die damit für mich so gut wie jedes Interesse verloren hatten. Der weitaus größte Teil davon bestand aus Liebeserklärungen und Bettelbriefen. Im übrigen folgte auf den einen Ärger bald ein anderer. Denn unter den Zeitungen, die ich täglich mit der Post erhielt, befand sich auch ein Artikel, der mit Rotstift besonders gekennzeichnet war. Ich überflog ihn und begann an allen Gliedern zu zittern. Da war ich ja in ein schönes Wespennest geraten! Mein aufmerksamer Freund, Albert Tisin, hatte sich angestrengt, um sein ganzes Gift über mich zu verspritzen. Er berichtete breit und genüßlich von meinem mißglückten Bühnendebüt. «Absicht oder Zufall?» war die mehr rhetorische Frage, die er in diesem Zusammenhang stellte. Er hatte übrigens einen blendenden Stil, wie ich widerwil lig zugeben mußte, sparte nicht in scheinbar wohlwollenden Bemerkungen über mein Aussehen und bezeichnete mein Mißge schick als eine schlechte Kopie der griechischen Antike. Er entrüstete sich über die moralische Verkommenheit der erfolg reichen Kurtisanen, die sich jeder noch so verwerflichen Reklame bedienten, um in Mode zu kommen, und beunruhigte sich recht scheinheilig über diesen ungehörigen Appell an den sinnlichen Appetit der Massen, der eine strenge polizeiliche Untersuchung herausfordere. Schließlich verlangte er, daß auf einer Pariser Bühne, selbst zehnten Ranges, solche Ausschreitungen eines weiblichen Rastaquouerismus nicht länger geduldet werden dürften. Kurz, der Heuchler gebärdete sich wie ein perfekter Sittenapo
stel, und das alles nur, weil er meine frühere Zurückweisung nicht vertragen hatte. Er begnügte sich noch nicht einmal mit diesem Artikel; in einer anderen Rubrik derselben Zeitung fand ich eine Notiz: Nächtli che Pariser Sittenbilder, die mich womöglich noch mehr er schreckte. Da hieß es unter anderem: «Mademoiselle L. de M. die in unserem Blatt schon andernorts Erwähnung fand, und ihre Freundin L. des E. empfingen vorgestern abend einen unserer Theaterunternehmer und einen durch seine Eheaffären berühmt gewordenen Spekulanten. Die beiden Schönen konnten sich nicht einig werden, welchem der beiden Anbeter sie ihre Gunst zuwenden wollten, und so ließ man schließlich das Los entschei den. Nach einem wilden Champagnergelage traf man sich zu viert in demselben Bett…» Ich ließ die Zeitung sinken und starrte entgeistert vor mich hin. Nicht auszudenken, welche Folgen diese entsetzliche Indiskretion haben konnte! Ich sah mich schon im Mittelpunkt eines Skandals, der ungleich ärger als jener andere war, den ich heute verursacht hatte. Es wäre entsetzlich, wenn mir nun wegen dieses boshaften Schwätzers ähnliches bevor stand. Stani, der gegen Mittag endlich kam, bemerkte sofort, daß etwas nicht stimmte. Ich war noch im Neglige und hatte keine Lust, etwas zu essen. Er entschuldigte sich sogleich wegen seiner Verspätung. «Ich mußte unbedingt noch ein Börsengeschäft erledigen, und nachher sind wir zu den Boulevardiers gegangen, um Elvira zu applaudieren. Ich habe sie begleitet, weil Barfleur nicht da war. Und dann, weil du so müde schienst, bin ich bei ihr geblieben.» «Oh, die ganze Nacht?» Ich war trotz meines Kummers über rascht. Er hatte Elvira schon lange nicht mehr so viel Aufmerk samkeit geschenkt. «Hat sie dir von der Affäre erzählt?» erkun digte ich mich voll Ungeduld. Stani schien ahnungslos. «Von welcher Affäre?» «Ach richtig, sie hat ja nachmittags nicht gesungen. Aber abends muß sie doch davon gehört haben.» – «Sie hat mir nichts
gesagt, Rinette. Du weißt ja, daß sie nach ihrem Auftritt immer gleich fortgeht. Was ist denn geschehen?» Ich reichte ihm die Zeitung. «Da, lies selbst.» Er überflog den Artikel, und dann auch den andern, den ich ihm zeigte. Seine Miene verfinsterte sich. «Dieser moralische Schmierenkomödi ant», sagte er wütend. «Ich hätte gute Lust, ihm die Zeitung in sein schmutziges Maul zu stopfen. Der Bursche ist ein Schuft, wie er im Buche steht. Aber ich verstehe eines nicht», fuhr er nachdenklich fort, «wie kann er bloß an die Information gekom men sein? Glaubst du, daß Lucie geschwatzt hat?» Ich hob ratlos die Schulter. «Möglich wäre es immerhin. Du weißt ja, sie redet viel, wenn sie etwas getrunken hat. Vielleicht hat sie auch mit Mauricette darüber gesprochen oder mit dem Baron. Es gibt Zeiten, da sie nicht das geringste bedenkt.» Stani schenkte sich einen Cognac ein und stürzte ihn hastig hinunter. Ich bemerkte deutlich, daß ihm die Geschichte genauso nahe ging wie mir. Und plötzlich empfand ich so etwas wie Mitleid mit ihm. Also zog ich ihn neben mich auf die Chaise longue nieder und küßte ihn zärtlich. «Warum geben wir nicht einfach auf, Stani», murmelte ich, zärtlich an ihn geschmiegt. «Schließlich sind wir doch einigermaßen wohlhabende Leute. Ich habe mindestens dreihunderttausend, und dieses Haus mit seiner Einrichtung ist auch etwas wert, selbst wenn wir es billig verkau fen. Warum ziehen wir uns nicht an irgendeinen hübschen Flek ken zurück und führen dort ein zufriedenes Leben wie andere Leute auch?» Aber Stani schob diese Vorstellung ungeduldig von sich. «Verstehst du nicht, Lena, mein Engel, selbst wenn ich es wollte, ich könnte nicht. Glaube mir, wir beide sind schon so sehr an dieses aufregende Pariser Leben gewöhnt. Wir können auf seine Laster und seinen Luxus gar nicht mehr verzichten. Unser Ehrgeiz ist rege, das Glück begünstigt uns. Warum sollten wir das Spiel also nicht fortsetzen? Prüfen wir lieber die mögli chen Folgen dieses Artikels. Du könntest dadurch den Grafen verlieren.»
«Na wenn schon! Ich kann jederzeit Ersatz für ihn finden. Was ich fürchte, ist vielmehr die Polizei.» Aber Stani beruhigte mich in diesem Punkt. «Wenn die Polizei etwas hätte unternehmen wollen, hätte sie es gleich nach der Vorstellung getan. Immerhin, ein ganzer Saal voll Leute hat dich so gut wie nackt gesehen.» Ich errötete unwillkürlich bei dieser Vorstellung. «Hättest du das damals gedacht, als wir uns kennengelernt haben? Erinnerst du dich noch, wie schüchtern ich war?» Er umarmte mich zärtlich und sagte: «Da siehst du, mein Engel, wie das Leben die Men schen verändert. Übrigens beruhige dich nur, mein Herz. Ich sehe keine Gefahr, soweit es dich betrifft. Das Ganze ist eine unbezahlbare Reklame, und du wirst dich bald vor Anträgen nicht mehr retten können.» Ich begann zu lachen und wies auf den Berg von Post, den Mirette gebracht hatte. «Da hast du schon ein ganzes Paket davon.» Seine Finger schoben sich unter mein Neglige und begannen zärtlich die Spitzen meiner Brüste zu liebkosen, wie er es gerne tat. «Mach bloß keine Dummheiten, meine geliebte Rinette», mur melte er in mein Haar. «Im übrigen», fuhr er nach einer Weile nachdenklich fort, «ist diese Notiz für mich beunruhigender als für dich. Was kann dieser Tisin noch wissen? Daß du meine Frau bist und daß ich Geld von dir nehme?» «Das halte ich für ausgeschlossen, weil ich es außer Elvira kei nem Menschen gesagt habe. Er mag vielleicht wissen, daß du mein Gatte bist, aber das andere – nein, ganz unmöglich. Spre chen wir lieber von Elvira! Ihr habt also die Nacht zusammen verbracht?» «Ja, es war eine Art Versöhnungsnacht. Aber ich mußte die ganze Zeit an dich denken. Wirklich, ich verliere allmählich den Geschmack an anderen Frauen, weil ich dauernd mit dir beschäf tigt bin.» Ich schmiegte mich wie ein Kätzchen an ihn und erwi derte seine Liebkosungen auf die Art, die er am liebsten hatte.
«Wie steht sie mit Barfleur?» wollte ich wissen. «Nun, sie ist seine offizielle Geliebte. Er ist stolz wie ein Schneekönig auf diese Eroberung und tut sein möglichstes, um sie zu verwöhnen.» «Ja, ich habe es geahnt. Und gefällt sie dir immer noch so gut wie früher?» «Ich bin nicht mehr in sie vernarrt. Zum Teufel, vielleicht hast du recht, und wir sollten wirklich wieder wie früher zusammenle ben. Sag… eigentlich waren wir doch recht glücklich.» Ich schlang meine Arme um seinen Hals. «O Stani!…» Aber er erstickte mich beinahe mit seinen Küssen. «Hören wir auf davon, mein Engel. Schließlich sind wir beide vernünftige Leute…» Nach einer leidenschaftlichen Nacht, die ich mit Stani verbracht hatte, waren schließlich all meine Ängste geschwunden. Und wenn ich mich auch einen Tag lang nicht auf die Straße gewagt hatte, so nahm ich doch meine gewohnte Lebensweise wieder auf. Stani hatte recht, Tisins gehässige Artikel und der Zwischen fall im Theater hatten meiner Popularität eher genützt als ge schadet. Ich suchte Lucie in ihrer Wohnung auf. Sie war nicht weniger wütend über den Artikel als ich selbst. «Da steckt sicher dieser Taugenichts von einem Solencourt dahinter», meinte sie zornig. «Er ist der beste Freund Tisins, und ich erinnere mich, daß er an dem Abend damals mit Barfleur gesprochen und ihm etliche Komplimente gemacht hat, die uns betrafen. Und da hat ihm dieser Schwätzer natürlich auch die Geschichte deiner heim lichen Ehe mit Breffer auf die Nase binden müssen.» Also der schöne Solencourt war der Unheilstifter! Das erklärte allerdings manches. Dieser hübsche Stutzer war ebenso geschwätzig wie boshaft. Es hatte ihm sicher kein geringes Vergnügen bereitet, seinem Freund Tisin diese Information zu liefern. Immerhin, Stani schien recht zu behalten. Es würde bald Gras über diese Geschichte gewachsen sein, und wenn der Graf nurnoch etliche Zeit ausblieb, würde er vielleicht gar nichts erfahren.
Als ich mit Lucie wie gewöhnlich gegen Mittag in den Bois fuhr, bemerkte ich, daß uns mehr bewundernde Blicke als sonst folgten. Das war sicher nicht nur unseren allerdings sehr extrava ganten Toiletten zu verdanken. Wir fuhren durch ein wahres Kreuzfeuer von lächelnden, vielsagenden Blicken, die alle dassel be ausdrückten: Bewunderung und Neugier, ja häufig selbst unverhülltes Begehren. Ich amüsierte mich königlich bei all der Aufmerksamkeit, die ich erregte. Auch Lucies lebhafte Augen wanderten hierhin und dorthin, und sie grüßte lächelnd nach allen Seiten. Schließlich winkte sie dem Marquis de Bonregard zu, der sich den Hals ausrenkte, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. «Sieh da, der hübsche Hyazinth!» machte sie mich aufmerksam. «Was? Der Liebhaber Mauricettes?» «Und all ihrer Freundinnen!» fügte sie lächelnd hinzu. «Ah! Du hast ihn also auch schon näher kennengelernt?» «Aber ja, er ist einer meiner eifrigsten Bewunderer. Komm, wir werden ein wenig mit ihm promenieren.» Sie gab ihrem Kutscher einen Wink, und während wir in der Nähe des Großen Teichs aus dem Wagen stiegen, bildete sich sofort ein Halbkreis von Neugierigen um uns. Der Marquis, der natürlich unsere Absicht erraten hatte, eilte herbei und bot uns beiden galant den Arm. «Welches Glück, daß die Damen mir die Ehre erweisen.» Ich musterte ihn von einer Seite. Er sah hübsch aus mit seinem kurz gestutzten welligen Braunhaar und den munteren Augen. «Wir haben Sie arretiert, Marquis», lachte Lucie, «damit Sie uns vor den Neugierigen beschützen, die uns verfolgen. Aber keine Angst, Sie sollen Ihre Freiheit bald wiedererhalten.» Der hübsche Hyazinth verzog sein Gesicht in komischem Schrecken. «Oh, Ihnen zuliebe verzichte ich gerne darauf. Lena, Sie werden immer verführerischer. Neuerdings kann man Ihre Triumphe schon in der Zeitung lesen.» «Oh, Sie haben es gelesen?»
«Wer hat es nicht gelesen? Der arme Tisin, er wird sich vor Ärger die wenigen Haare ausraufen, wenn er bemerkt, daß er das Gegenteil von dem bewirkt hat, was er beabsichtigte.» Meine Miene blieb kühl. «Tisin kann schreiben, was ihm be liebt», sagte ich stolz. «Es kümmert mich nicht.» «Oh, Sie wollen sich also nicht an ihm rächen?» «Warum sollte ich? Er ist ein Schwätzer wie die meisten Journa listen.» «Da haben Sie nur recht, meine Teuerste. Aber sagen Sie bloß: ist es wahr, daß Sie verheiratet sind und Ihren Gemahl wie einen Geliebten empfangen.» Ich lachte. «In dem Punkt hat Tisin ausnahmsweise nicht gelogen. Ich bin tatsächlich die glücklichste Frau. Mein Gatte hat auf die Rechte, die ihm vom Standesbeam ten über mich eingeräumt wurden, großherzig verzichtet und betrachtet mich lieber als seine hübsche Geliebte, die ihm manchmal eine kleine Gefälligkeit erweist.» «Ah, das ist köstlich. Und Sie lieben ihn sehr?» «Über alle Maßen. Wirklich, die Frau kann sich glücklich schät zen, die einen solchen Gatten hat.» Der Marquis lud uns ein, mit ihm in dem Pavillon auf der anderen Seite des Teichs eine Scho kolade zu trinken, und wir willigten gerne ein. Es war ein wun dervoller früher Septembertag, und die Weiden, die den Weiher umsäumten, hoben sich fast durchsichtig gegen den seidigen Himmel ab. Es war noch sehr warm, wir saßen auf der Terrasse vor dem Pavillon und sonnten uns im Kreuzfeuer bewundernder Blicke, das uns von allen Seiten traf. Wir plauderten und kokettierten mit dem Marquis, der sich von seiner galantesten Seite zeigte, und unsere Füße zuckten zuweilen im Takt des neuesten Walzers, den eine Zigeunerkapelle aufspiel te. Als wir uns schließlich von Hyazinth trennten, waren meine Ängste völlig verschwunden, und ich fühlte mich wieder ganz als Herrin meiner Situation. Aber ach, ich sollte mich täuschen!
So ist’s also geschehen. Ich habe meine Wahl getroffen und werde in etlichen Tagen mit dem Marquis von Paiva nach Ägyp ten abreisen. Ich liebe ihn nicht, ja ich verabscheue seine Auf merksamkeiten beinahe. Er ist mir in der Seele zuwider. Aber er bietet mir das einzige, das für eine Frau wie mich Wirklich zählt: Reichtum und eine gesellschaftliche Position. Er wird mich heiraten, mich, Lena de Mauregard. Ja, wirklich, es ist zu ko misch, aber ich werde in etlichen Tagen die Marquise de Paiva sein. Mein Gatte wird ein häßlicher spitzgesichtiger Portugiese sein, mit olivfarbener Haut und gelblichen Zähnen. Er ist klein und sieht aus wie ein Affe, aber er hat ein höchst leidenschaftli ches Temperament. Nun, wir werden schon dafür sorgen, daß er mich möglichst bald in Ruhe läßt. Von Stani habe ich mich scheiden lassen; Ich habe einen Rich ter bestochen, und es ging alles ganz rasch über die Bühne. Aber im Grunde genommen betrachte ich ihn immer noch als meinen Gatten. Es ist merkwürdig, aber ich komme von diesem hüb schen Taugenichts, den ich einmal für einen höchst bedeutenden Mann gehalten habe, einfach nicht los. Ich habe nun einmal eine Vorliebe für schöne Menschen, und er ist der schönste Mann, dem ich je begegnet bin. Der schönste und der leidenschaftlichste obendrein! Wenn ich an die Ekstasen zurückdenke, die ich durch ihn erfahren habe, rinnt noch heute ein süßer Schauer durch meine Nerven. Ich bin ganz unglücklich bei dem Gedanken, daß ich ihn vielleicht lange nicht sehen werde. Er ist allerdings ein großer Tunichtgut, mein charmanter Monsieur Stanislas Breffer. Das fällt mir erst heute auf, da ich so aus der Entfernung auf das zurückblicke, was einmal unser gemeinsames Leben war. Trotzdem, ich bin eine Frau, und es wäre töricht, wollte ich vernünftige Gründe für eine Neigung zu finden suchen, die so ganz und gar jenseits aller vernünftigen Überlegungen entstanden ist. Doch zurück zu dem Marquis und meinen Zukunftsplänen. Jener Artikel Albert Tisins hat mir zwar eine große Popularität in
Paris eingetragen, aber er hat auch meine schönsten Luftschlös ser zerstört und mich für vielleicht lange Zeit ins Exil getrieben. Irgend einer meiner speziellen Freunde hatte Clameran natür lich eine Ausgabe jenes Journals zugeschickt, und der Graf kam in großer Eile und aufs höchste erzürnt. Er kam so plötzlich, daß die treue Mirette alle Mühe hatte, Stani in ihrem Zimmer zu verbergen. «Sie sind unklug, meine Teure», sagte der Graf, nachdem er mich, wie es seine Art war, sehr liebenswürdig begrüßt hatte. Aber ich bemerkte wohl, daß es unter dieser ruhigen Oberfläche kochte. «Ich schreibe die Hauptschuld an diesem Skandal zwar Ihrer Unerfahrenheit zu», fuhr er fort, «aber da ich Ihr natürli cher Beschützer bin, werde ich Sie der Sensationssucht der Zei tungsleute entziehen. Lassen Sie packen, meine Schöne, wir reisen ab!» Ich spürte, wie ich unter seinen Worten erstarrte. «Wie? Sie wollen mich mitnehmen, mein Herr?» «Ja, gewiß! Wir werden wieder auf Reisen gehen. Ich werde Ihnen Europa zeigen, und inzwischen werden sich die losen Zungen wieder beruhigen.» Ich haßte Clameran in diesem Au genblick. Gewiß, er meinte es gut mit mir, und unter anderen Umständen hätte ich nichts dagegen gehabt, ihn zu begleiten. Aber jetzt, wo ich gerade mit Stani so glücklich gewesen war! «Ich bin nicht vorbereitet für eine solche Reise», versuchte ich einzuwenden. Aber er tat es mit einer flüchtigen Handbewegung ab. «Was tut das schon? Ein Tag wird genügen. Ich selbst werde Ihnen dabei helfen.» Er war offensichtlich von seinem Plan nicht abzubrin gen. «Und wohin wollen Sie reisen?» erkundigte ich mich schein bar interessiert. Ich wollte ihm meinen inneren Widerstand gegen diesen Plan nicht zu deutlich zeigen. «Zunächst nach Belgien und dann nach England.» «Oh, wenn ich aber lieber in Paris bleiben möchte?» warf ich ein. Die Art, wie er über mich verfügte, ärgerte mich nicht wenig. Er tat meinen Einwand mit einer wegwerfenden Geste ab. «Wozu? Ich werde vielleicht fortziehen von Paris.»
«Ah, wirklich?» «Ich lasse mich von meiner Frau scheiden. Die gute Sophie wird immer unerträglicher. Sie werden dann meine einzige Freundin sein.» «Ich verstehe. Und wir werden morgen schon reisen?» «Gewiß, meine Teure!» Da stand ich also vor den Scherben meines ganzen eingebilde ten Glücks! Ich haßte diesen bösartigen Schwätzer Tisin, wie ich noch nie jemanden gehaßt hatte. Was mußte er sich auch in meine Angelegenheiten mischen? Was ging es ihn an, wen ich liebte? Auf alle Fälle mußte ich Stani noch einmal sehen, mußte ihm sagen… Wie er es wohl aufnehmen würde? Ich sagte dem Grafen also, daß ich unter diesen Umständen noch etliche Be sorgungen würde machen müssen, und ging dann, um mich zum Ausgehen umzukleiden. Ich tat es mit großer Sorgfalt, denn ich wollte Stani gefallen. Vielleicht, wenn er begriff, was er zu verlie ren im Begriff stand, daß er dann auf meine geheimsten Wünsche einginge. Seit ich mit Stani so glücklich gewesen war, spielte ich immer wieder mit dem Gedanken, eines Tages ganz zu ihm zurückzukehren. Er verdiente jetzt genügend Geld, und ich selbst war beinahe vermögend zu nennen. Durch seine erfolgreichen Börsenspekulationen auf Rechnung meiner Freunde hatte er sich einen gewissen Namen gemacht, und die wichtigsten Tageszei tungen rissen sich um seine Artikel, die immer schärfer und witziger wurden. Ich hatte ihn allerdings im Verdacht, daß er noch immer mit diesen Leuten um Paulet verkehrte, doch sprach er niemals darüber. Ich fuhr ins Café Matin, wo sich gegen Mittag die Pariser Journalisten mit Vorliebe zu treffen pflegten. Viel leicht, daß er da war. Er war es nicht, aber der Kellner, der mich mit großer Aufmerksamkeit begrüßte, sagte mir, daß er einen Tisch reserviert habe. Er führte mich dorthin, und ich bestellte ein Glas Chartreuse, während meine Gedanken immer wieder zu Stani zurückkehrten. Ich hatte für meine Umgebung jetzt nur ein sehr mäßiges Interesse. Außer etlichen Mädchen vom Ballett, die in einer Nische saßen und mit ihren Freunden schäkerten, war
ich die einzige Frau in dem Lokal, und ich bemerkte wohl, daß alle Augen auf mich gerichtet waren. Viele von den Gästen er kannten mich natürlich. Ich bemerkte es deutlich an den Blicken, die sie mir zuwarfen. Richtig, und da war ja auch dieser Schurke von einem Tisin. Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte dem widerlichen kleinen Kerl etliche kräftige Ohrfeigen in sein Gesicht verpflanzt. Aber das hätte ihm nur bewiesen, wie mich sein Artikel wirklich getroffen hatte. Also zog ich nur meine Brauen ein wenig in die Höhe und erwiderte seinen ironischen Gruß mit einem eiskalten Lächeln. Stani kam eine Viertelstunde später, und er war, zu meinem Mißvergnügen, in Begleitung Paulets. Ich habe diesen hageren Menschen mit seinen flackernden Augen und den graubleichen Gesichtszügen von Anfang an nicht ausstehen können. Als Stani mich entdeckte, stutzte er zunächst und sagte ein Wort zu seinem Begleiter. Der sah in meine Richtung und grinste ein wenig, ein häßliches Grinsen, das sein gelbliches Pferdegebiß bloßlegte. Dann setzte er sich achselzuckend an Tisins Tisch. Ich bemerkte, daß ihn mein Todfeind ausnehmend liebenswürdig begrüßte. Stani kam mit raschen Schritten zu mir herüber. In seinen wach samen dunklen Augen stand eine Frage. «Du hier, mein Engel? Was ist geschehen? Hat Clameran dir Schwierigkeiten gemacht?» Er winkte dem Ober und bestellte einen Café au lait. Ich spielte unruhig mit dem Stiel meines Glases. «Das kann man wohl sagen. O Stani, er ist gekommen, mich aus Paris fortzuholen. Wir wer den auf Reisen gehen.» Stanis Gesicht verdüsterte sich schlagar tig. Ich bemerkte, wie alle Farbe daraus gewichen war. «Wie schade, meine kleine Rinette», sagte er bedauernd. «Gerade jetzt, wo wir so glücklich miteinander gewesen sind.» «Stani», sagte ich schnell und leidenschaftlich und legte meine Hand im Handschuh auf die seine. «Ich muß ja nicht mitkom men. Ich kann ihm sagen, daß ich nicht will. Wir sind jetzt wohl habende Leute, wir beide, und wir könnten es uns leisten, nur unseren Neigungen zu leben.»
Mein Gatte brach von einem Moment zum nächsten in ein dröhnendes Gelächter aus. «Du bist eine romantische Närrin, mein Engel», erklärte er mir schließlich, noch immer lachend. «Verstehst du denn nicht, wir können nicht in der Art anderer Leute zusammenbleiben. Du hast deinen Weg vorgezeichnet und ich den meinen. Ich verdiene nicht genug, um dir das Leben zu bieten, das einer so schönen Frau würdig ist… und dann, ich weiß auch gar nicht, ob ich es möchte.» Ein zynischer Zug ließ seinen fein geschnittenen Mund auf einmal beinahe häßlich erscheinen. «Meine arme Kleine, ich fürchte, die Sache ist ziem lich kompliziert», meinte er und begann meine Hand, die noch immer die seine berührte, zu streicheln. «Ich liebe zwei Frauen in dir, Irene Breffer, eine reizende kleine Bürgerin mit romantischen Flausen im Kopf, und Lena de Mauregard, die geheimnisumwit terte Grande Cocotte. Ja, genau genommen weiß ich gar nicht, welcher dieser beiden Frauen 1 ich den Vorzug gebe. Ich möchte keine von beiden wirklich verlieren. Und darum, mein Engel, wirst du mit dem Grafen verreisen, wie er es wünscht. Darum – und weil du den Weg gehen mußt, der dir einmal vorgezeichnet ist. Du kannst nicht auf halbem Wege stehenbleiben und plötz lich eine andere werden, meine Liebe. Du würdest dich selbst zerstören und alles, was an dir so bewundernswert ist.» Er nahm meine Hand und drückte einen leidenschaftlichen Kuß auf mein Handgelenk, da, wo der Handschuh aufhörte. Ich spürte eine unendliche Traurigkeit in mir aufsteigen. «So werde ich dich also nicht wiedersehen?» fragte ich leise. «Gewiß werden wir uns wiedersehen. Dein Weg führt so sicher nach Paris zurück, wie die Sonne im Osten aufgeht. Paris ist deine Welt. Du wirst immer wieder hierher zurückkehren.» Aber warum… wollte ich fragen, unterdrückte es aber. Wenn er mich jetzt nicht haben wollte, so sollte er auch nicht merken, daß ich seinetwegen litt. «Der Graf will, daß wir morgen reisen», sagte ich statt dessen. Der Schatten in seinem Gesicht war wieder da. Er zündete sich umständlich eine Zigarre an. «Paris wird morgen um eine seiner bewundernswürdigsten Schönheiten ärmer sein»,
sagte er galant. Ich warf einen Blick auf das goldene Ührchen, das ich an meiner Halskette trug. «Gleich halb eins. Ich muß jetzt gehen, Stani…» Wenn er mich doch zurückhalten wollte, jetzt in diesem einzigen, kostbaren Augenblick, der uns noch geblieben war! Aber er nickte nur gedankenverloren. «Das mußt du wohl, mei ne Geliebte. Komm, ich werde dich zum Wagen bringen.» Stolz aufgerichtet durchquerte ich an seinem Arm das Lokal und rauschte an Tisin und Paulet vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Meine Bewegungen waren mechanisch, und ich fühlte mich beinahe so, als ob ich meine eigene Zuschauerin bei einem Stück wäre, das mir einigermaßen Unbehagen bereitete. Dieser Abschied… ach, vor wenigen Tagen hatte ich noch ge glaubt, mein Glück mit Stani würde ewig währen. Aber als er mich angesichts meines Wagens mit einer heftigen Bewegung in seine Arme zog und ich seine trockenen, leidenschaftlichen Lippen auf meinem Mund spürte, wußte ich, daß ich mich geirrt hatte und daß mir eine endlose Zeit der Leere bevorstehen wür de. Sein Gesicht wurde undeutlich durch den Tränenschleier, der sich vor meine Augen gelegt hatte. Ich spürte seine starken Ar me, die mir in den Wagen halfen. Dann zerflossen die Konturen der Welt in einem Regen von Tränen. Wir reisten am nächsten Tag pünktlich, wie Clameran es wollte, nach Brüssel. Ich hatte mein Haus verschlossen und die Diener schaft bis auf die treue Mirette, die mich als meine Zofe begleiten sollte, entlassen. Ich war übelgelaunt und wehrte die Annähe rungsversuche des Grafen ab, indem ich Migräne vorschützte. Ich ahnte, daß ich mich in Brüssel langweilen würde. Der Rest der Geschichte ist bald erzählt. Clameran hat diese überstürzte Reise kein Glück gebracht. Durch die Machenschaf ten der Verwandtschaft seiner geschiedenen Frau verlor er bin nen weniger Monate einen großen Teil seines Vermögens, und Fehlspekulationen taten ein übriges. Kurz, es konnte bald kein
Zweifel daran bestehen, daß mein Gönner so gut wie bankrott war. Zwar machte er verzweifelte Anstrengungen, sich zu retten, und versuchte sogar die Juwelen, die er mir geschenkt hatte, zu verpfänden, aber das nützte ihm wenig. Ich begriff, daß es höch ste Zeit war, etwas zu unternehmen, wenn mich sein Untergang nicht mit in die Tiefe reißen sollte. Also eröffnete ich ihm, daß ich mich von ihm trennen und nach Paris zurückkehren würde. Er saß in seinem Arbeitszimmer über seinen Papieren und mu sterte mich mit einem merkwürdig kalten, ja verächtlichen Aus druck. Er sah müde und verfallen aus. Mit seinem Reichtum war auch sein Selbstbewußtsein von ihm abgefallen, und ich sah ihn nun als das, was er war: einen alternden, verfallenen Mann, der die Menschen und vielleicht auch sich selbst verachtete. Als ich ihm sagte, daß ich abreisen würde, hob er seinen Kopf von seinen Papieren und sagte nur: «Ja, ich verstehe. Wann werden Sie reisen?» «Morgen.» , Ich horchte dem Klang meiner Stimme nach und bemerkte, daß ich nicht das geringste Mitleid mit dieser Ruine von einem Mann empfand, der noch vor wenigen Wochen eine so bedeu tende Rolle in der Gesellschaft gespielt hatte. Wirklich, er war mir so gleichgültig wie irgendein Fremder, den ich zufällig getrof fen hatte. Sein Zusammenbruch berührte mich nicht, selbst nicht im Hinblick auf mich selbst. Genaugenommen hatte ich das Gefühl, dadurch von einer drückenden Fessel befreit zu sein. Ich war jung und schön und das, was man gerade in Mode nannte. Sicher würden mir in Paris aufs neue alle Herzen zufliegen, und ich brauchte nur zu wählen, einen, der reicher war als dieser unglückliche Clameran! Er betrachtete mich aufmerksam. «Setzen Sie sich doch, meine Liebe!» Seine Stimme klang belegt. Ich setzte mich ihm gegenüber in einen der tiefen lederbezogenen Fauteuils, die vor seinem Schreibtisch standen. «Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet», sagte er in kaltem Ton. «Mein Vermögen ist dahin, ich bin ein ruinierter Mann, da ist es nur natürlich, daß Sie sich zurückziehen. Ich wünsche Ihnen viel
Glück, meine Teure. Sie werden es brauchen», fuhr er fort und entzündete sich eine Zigarre. «Das Haus am Bois werden Sie behalten und ohne Zweifel auch alles andere, das Sie von mir empfangen haben. Ich kann nicht erwarten, daß Sie Ihre Schön heit an meinen Untergang fesseln. Sie werden noch Karriere machen, in Paris oder irgendwo sonst in der Welt. Sie sind aus dem Stoff gemacht, aus dem die Erfolgreichen unserer Zeit gemacht sind. Aber nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht eines Tages dieselbe Erfahrung machen wie ich…» Ich senkte unwillkürlich meine Augen unter seinem Blick. Die Bitterkeit und Verachtung, die darin lag, irritierten mich. «Robert, ich könnte… », versuchte ich einzulenken. Aber er unterbrach mich mit einer Handbewegung. «Reden wir nicht mehr davon, meine Liebe. Es ist alles Bestimmung im Leben, und ich habe wahrhaftig alles getan, um dieses Schicksal herauszufordern.» Er unterschrieb etliche Schriftstücke und trocknete die Tinte mit großer Sorgfalt. Dann stand er auf und kam um den Schreib tisch herum. Einen Augenblick lang legte er seine Hand auf meine Schulter. «Leben Sie wohl, meine Teure! Erwarten Sie mich heute abend nicht zum Essen, ich werde auswärts dinie ren…» Er war gegangen, ehe ich noch etwas sagen konnte. Ich fühlte mich nun doch einigermaßen verwirrt und ging in mein Zimmer, um Mirette beim Packen zu helfen. Doch aus meiner geplanten Abreise am anderen Morgen wurde dann doch nichts. Der Graf war die Nacht über nicht nach Hause gekommen. Mirette, die ein feines Gefühl für Spannungen hatte, äußerte sich besorgt, aber ich lachte nur zu ihren Befürchtungen, daß dem Grafen etwas zugestoßen sein könnte. Ach, sie hatte nur zu recht. Früh am anderen Morgen wurde ich aus dem Schlaf ge weckt. Mirette war da, blaß und aufgeregt, und teilte mir mit, daß mich ein Polizeikommissar im Salon erwarte. «Er hat Nachricht vom Grafen, Madame…» Ich starrte sie verständnislos an. «Was ist geschehen, Mirette?»
Sie sah verstört drein. «Ich weiß nicht. Der Herr will Madame sprechen. Er hat nichts weiter gesagt.» Ich fühlte mich ernstlich beunruhigt, warf rasch ein Neglige über und ließ mir von Mirette das Haar notdürftig frisieren. Dann ging ich in den Salon hin über. Der Beamte, der mich dort erwartete, begrüßte mich sehr höflich als Madame Clameran. Er war ein schwerer, rotgesichti ger Mann mit einem Schnurrbart, dessen Spitzen beständig zuckten. Ganz offensichtlich war er verlegen. Ich erklärte ihm, daß ich nicht Madame Clameran sei, und diese Eröffnung schien ihn noch mehr zu beunruhigen. «Ah, ich verstehe», brachte er nach einer verlegenen Pause her vor. «Mademoiselle waren mit dem Grafen befreundet.» Mir fiel seine Ausdrucksweise auf. «Warum sagen Sie waren?» herrschte ich ihn an. Sein Walroßgesicht wirkte bekümmert. «Ich habe eine traurige Aufgabe, Madame. Ich muß Ihnen mitteilen, daß der Herr Graf im St. Lazare-Hospital den Folgen einer Schußverletzung erlegen ist.» Ich glaubte nicht recht zu hören. «Robert? Aber warum? Was hat er getan?» fragte ich fassungslos. Der Beamte zuckte die Achsel. «Er muß in Schwierigkeiten gewesen sein… in großen Schwierigkeiten. Er war in seinem Klub. Man hat ihn im Gespräch mit mehreren Herren gesehen, die ihm eine Forderung präsentierten. Kurz darauf verschwand er in den Toiletten des Klubgebäudes. Er hat sich dort eine Kugel in den Kopf geschossen. Man hat ihn sofort ins Krankenhaus gebracht und von dort in die Prosektur. Sie werden etliche For malitäten zu erledigen haben, Madame, wenn Sie ihn nach Paris zurückbringen wollen.» Ich horchte in mich hinein. Gewiß, ich war einigermaßen erschrocken über diese Eröffnung, aber im Grunde genommen erschütterte sie mich nicht. Was Clameran getan hatte, war der folgerichtige Schlußakkord im Leben eines Mannes, der mit seinem Reichtum auch seinen Lebensinhalt verloren hatte.
«Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind», sagte ich sehr re serviert zu dem Beamten. «Ich werde das Notwendige veranlas sen…» Im Grunde genommen war es mir gleichgültig, ob Robert hier oder in Paris begraben wurde. Aber trotzdem würde ich einige Teilnahme heucheln und vor allem Monsieur Blanchard, den Brüsseler Anwalt des Grafen, aufsuchen müssen. Ich war jetzt mehr wütend als erschüttert. Mußte sich der alte Stockfisch gerade jetzt, einen Tag vor meiner Abreise, erschießen? Weiß der Himmel, es war kein Vergnügen, die Geliebte eines Bankrotteurs zu sein! Monsieur Blanchard, den ich von etlichen früheren Konsulta tionen her kannte, empfing mich mit bekümmerter Miene. «Es wird Schwierigkeiten geben, Madame», eröffnete er mir. «Die Gläubiger des Grafen haben Antrag gestellt, daß seine Effekten zu ihren Gunsten konfisziert und seine Wohnung versiegelt werde. Es besteht kein Zweifel, daß dem Antrag stattgegeben wird.» Ich saß aufrecht in seinem Besucherstuhl. «Was bedeutet das für mich? Ich habe die Absicht, morgen nach Paris abzurei sen.» «Ich verstehe, Madame. Aber ich fürchte, das wird erst gehen, wenn die Vermögensfrage endgültig geklärt ist. Es könnte sonst sein, daß man Sie daran hindert, über die Geschenke des Grafen und seine sonstigen Zuwendungen frei zu verfügen.» «Sie meinen – meinen Schmuck?» «Unter anderem auch Ihren Schmuck, ja.» «Aber er ist mein persönliches Eigentum. Der Graf hat ihn mir geschenkt.» «Natürlich, Madame. Ich werde mein möglichstes tun, um Sie vor einem Schaden zu schützen. Was täte man nicht einer so schönen Frau zuliebe», erklärte er pathetisch. Ich musterte ihn ärgerlich. Er war ein kleiner alter Mann mit faltigem Gesicht und lebhaften dunklen Augen, die mit sichtli cher Bewunderung auf mir ruhten. Aber ich hatte jetzt nicht die geringste Lust, mit diesem gelehrten Rechtsverdreher Süßholz zu
raspeln. «Was soll ich jetzt tun?» fragte ich einigermaßen un schlüssig. Er schien zu überlegen. Dann meinte er: «Verlassen Sie die Wohnung des Grafen so schnell wie möglich und nehmen Sie Quartier in einem der großen Hotels. Nehmen Sie alles mit sich, was der Graf Ihnen geschenkt hat. Tun Sie es möglichst noch diesen Vormittag, ehe die Anwälte der Gegenseite in Aktion treten. Es wird ihnen bedeutend schwerer fallen, Sie in einem öffentlichen Hotel zur Herausgabe Ihres Schmuckes zu zwingen als in dem Haus des Mannes, der ihnen verpflichtet war.» Der Rat schien mir gut, und ich war durchaus entschlossen, ihn zu befolgen. Also zog ich noch an demselben Tag mit meiner ge samten Apanage und der treuen Mirette in einer Hotelsuite des Majestic ein und gab dem Empfangschef zu verstehen, daß ich niemand zu empfangen wünschte. Im Majestic, das sich für eine Frau wie mich sehr gut zur An knüpfung neuer lukrativer Verbindungen eignete – wimmelte es doch dort von vornehmen Engländern, Amerikanern und sonsti gen Ausländern, die einem kostspieligen Abenteuer nicht abge neigt waren – traf ich schließlich den Marquis de Paiva, meinen zukünftigen Gatten. Er war in Geschäften seiner Regierung nach Brüssel gekommen und bewohnte mit seinem Sekretär die Hotelsuite, die der meinen genau gegenüber lag. Wir waren uns ein paarmal in der Hotelhal le begegnet, und ich bemerkte wohl, daß ich trotz der unauffälli gen Kleidung, die ich in diesen Tagen bevorzugte, großen Ein druck auf ihn machte. Der Marquis war Mitte Dreißig, klein und kümmerlich von Natur und hatte das Gesicht eines Affen. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vielleicht als Liebhaber refü siert, doch jetzt werde ich ihn sogar als Gatten akzeptieren. Ja, im Grund genommen verspreche ich mir von dieser seltsamen Verbindung sehr viel für meine Zukunft. Denn der Marquise de Paiva werden sich ohne Zweifel selbst die Türen zu jenen Gesell schaftskreisen öffnen, die sowohl für die kleine Irene Breffer als auch für die zwielichtige Lena de Mauregard bisher verschlossen
waren. Kurz, ich werde endlich, endlich wirklich gesellschaftsfä hig sein. Dafür lohnt es sich schon, wenigstens für kurze Zeit einen Gatten zu ertragen, mit dem mich nicht die geringste Nei gung verbindet. Wir werden in etlichen Tagen nach Ägypten abreisen, wohin mein künftiger Gatte im Auftrag seiner Regierung gerufen wird. Er ist ein wichtiger Mann im diplomatischen Dienst und das ganze Jahr über auf Reisen. Das ist ein erfreulicher Gedanke. Ich werde ihm bald eröffnen, daß ich in Paris zu leben gedenke und dann viel mehr Freiheit haben als seinerzeit, als ich die Geliebte des Grafen Clameran gewesen bin. Kurz, ich gehe, wenn ich es recht bedenke, erfreulichen Zeiten entgegen und bin fest , ent schlossen, das Beste daraus zu machen. Sei guten Mutes, Lena de Mauregard: dein Stern ist noch lange nicht im Sinken!