Farhood Torabian Bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten
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Farhood Torabian Bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten
GABLER RESEARCH Rechnungswesen und Unternehmensüberwachung Herausgegeben von Professor Dr. Hans-Joachim Böcking, Professor Dr. Michael Hommel und Professor Dr. Jens Wüstemann
Die Schriftenreihe präsentiert Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen Forschung zu den Themengebieten Financial Accounting, Business Reporting, Business Audit, Business Valuation und Corporate Governance. Die Beiträge dieser Reihe verfolgen das Ziel, Vorgaben der Gesetzgebung, der nationalen und internationalen Standardsetter sowie Empfehlungen der Wirtschaftspraxis mittels des Instrumentariums der betriebswirtschaftlichen Theorie zu beschreiben, zu analysieren und insbesondere vor dem Hintergrund der Anforderungen des Kapitalmarktes weiterzuentwickeln.
Farhood Torabian
Bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten Vergleich der Bewertungskonzeption nach HGB und IFRS hinsichtlich der Informationsfunktion der Rechnungslegung Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hans-Joachim Böcking
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2392-9
V
Geleitwort
Finanzinnovationen prägen in einem zunehmenden Maße die konjunkturelle Entwicklung unserer globalisierten Weltwirtschaft. Welchen Stellenwert die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten einnimmt, hat zuletzt die Ende des Jahres 2007 einsetzende Finanzmarktkrise in eindrucksvoller Weise aufgezeigt. Kern der Kritik an der internationalen Bilanzierungspraxis bildet dabei die Frage nach der Eignung des als „Fair Value“ bezeichneten Wertmaßstabs, der mit dem am 29. Mai 2009 in Kraft getretenen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz auch Einzug in die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften gehalten hat. Dem Fair Value wird zur Last gelegt, die Abwärtsspirale der Börsenkurse gefördert wenn nicht sogar mit ausgelöst zu haben. Die G20-Staaten haben den IASB in ihrer Erklärung vom 2. April 2009 unmissverständlich zu einer fundamentalen Überarbeitung der Vorschriften zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten aufgefordert. Der IASB hat sich zum Ziel gesetzt, den aktuellen IAS 39 in einer bisher nicht dagewesenen Geschwindigkeit zu ersetzen. Mit dem neuen Standard namens IFRS 9, hat der IASB die erste von drei Phasen bereits abgeschlossen.
Die Diskussion um IFRS 9 führt wieder deutlich vor Augen, dass sich immer noch kein grundlegender Konsens hinsichtlich einer adäquaten Konzeption für die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten herausgebildet hat. Die Zielsetzung der Dissertation von Herrn Dr. Farhood Torabian setzt genau an diesem Punkt an und analysiert die alternativen Wertmaßstäbe, die in der Rechnungslegung in Bezug auf Finanzinstrumente zur Anwendung kommen. Ausgangspunkt der Analyse bildet dabei der Zweck der Rechnungslegung als ein essentielles Informationsinstrument der Unternehmen. Die handelsrechtlichen Vorschriften i.d.F. des BilMoG werden mit den internationalen Rechnungslegungsvorschriften verglichen und einer kritischen Würdigung unterzogen. Unter Heranziehung von finanzierungstheoretischen Grundlagen erörtert Herr Dr. Torabian die Schwachpunkte der aktuellen Bewertungskonzeptionen und verdeutlicht, dass auch mit IFRS 9 diese Mängel keineswegs als behoben angesehen werden können. Diese Arbeit ist für alle Beteiligten an der Rechnungslegung dringend zu empfehlen.
Prof. Dr. Hans-Joachim Böcking
VII Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance von Herrn Prof. Dr. HansJoachim Böcking entstanden. Sie wurde im Juni 2010 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main in einer leicht abweichenden Fassung als Dissertation angenommen.
Mein aufrichtiger Dank gebührt meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. HansJoachim Böcking, für die uneingeschränkte Unterstützung und das mir entgegengebrachte Vertrauen, das für den erfolgreichen Abschluss meiner Arbeit von unschätzbarem Wert gewesen ist. Bedanken möchte ich auch bei Herrn Prof. Dr. Michael Hommel für die Übernahme des Zweitgutachtens. Zum Gelingen dieses Projekts hat nicht zuletzt der mir von der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eingeräumte Freiraum einen erheblichen Beitrag geleistet. Der Interessengemeinschaft Frankfurter Kreditinstitute danke ich für ihre großzügige finanzielle Unterstützung zur Drucklegung der Dissertation.
Herzlich bedanken möchte ich mich für die tatkräftige Unterstützung von Herrn Dr. Marius Gros, Frau Nadja Kiehne und Herrn Dr. Benjamin Rausch, die meine Arbeit unermüdlich Korrektur gelesen haben und mir wertvolle Hinweise gaben. Für mich persönlich ist in der Promotionsphase der stete Rückhalt meines mittlerweile geographisch zerstreuten Freundeskreises von unschätzbarem Wert gewesen, daher freue ich mich umso mehr, dass mir Kerstin Sennhenn und Stephanie Zink bisher in Frankfurt erhalten geblieben sind. Mein innigster Dank ist jedoch meinen Eltern und meiner Schwester gewidmet. Letztlich gab mir mein Vater den ausschlaggebenden Impuls, dieses Vorhaben tatsächlich zu wagen.
Farhood Torabian
Inhaltsverzeichnis
IX
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .............................................................................................................. IX Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ............................................................................XV Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ XVII Symbolverzeichnis .......................................................................................................... XXI 1
Einleitung ..................................................................................................................... 1
1.1 Problemstellung .......................................................................................................... 1 1.2 Gang der Untersuchung ............................................................................................ 3 2
Vereinbarkeit des handelsrechtlichen sowie internationalen Verständnisses vom Informationszweck der Rechnungslegung ........................................................ 5
2.1 Europäische Harmonisierungsbestrebungen und die Bedeutung der Bilanzierung von Finanzinstrumenten ..................................................................... 5 2.1.1
Grenzen einer auf die EU beschränkten Harmonisierung und die Übernahme der IFRS ........................................................................................... 5
2.1.2
Harmonisierung versus Standardisierung ............................................................ 9
2.1.2.1 Abstrakte Begriffsdifferenzierung.................................................................... 9 2.1.2.2 Einordnung der europäischen Bilanzrechtsreformen ..................................... 10 2.1.3
Annährung des Handelsbilanzrechts an die internationale Rechnungslegung............................................................................................... 12
2.1.3.1 Umsetzung der Fair Value-Richtlinie durch das Bilanzrechtsreformgesetz ............................................................................... 12 2.1.3.2 Fortentwicklung des Handelsbilanzrechts im Zuge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ................................................................................ 14 2.2 Zwecke und Grundsätze der Rechnungslegung nach HGB und IFRS ............... 16 2.2.1
Handelsrechtlicher Zweckdualismus ................................................................. 16
2.2.1.1 Ausschüttungsbemessungs- und Informationsfunktion ................................. 16 2.2.1.2 Handelsrechtliche Rechnungslegungsgrundsätze .......................................... 19 2.2.1.2.1 Auswirkungen des Zweckdualismus auf die Ermittlung von Rechnungslegungsgrundsätzen................................................................. 19 2.2.1.2.2 Kodifizierte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ........................ 21 2.2.1.2.3 Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ............................ 23
X
Inhaltsverzeichnis
2.2.2
Monistischer Jahresabschlusszweck nach IFRS ................................................ 25
2.2.2.1 Primat der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen .................... 25 2.2.2.2 Grundsätze der internationalen Rechnungslegung .......................................... 26 2.2.3
Vergleich der Informationsfunktion gemäß HGB und IFRS .............................30
2.2.3.1 Vergleich der betreffenden Grundsätze der Rechnungslegung....................... 30 2.2.3.2 Gläubiger- versus Investorenorientierung ....................................................... 32 2.3 Informationszweck des Jahresabschlusses aus ökonomischer Sicht ....................35 2.3.1
Konkretisierung der Entscheidungsnützlichkeit von Informationen .................. 35
2.3.1.1 Einkommensstrommaximierung als primärer Zweck des Wirtschaftens .................................................................................................. 35 2.3.1.2 Subjektivität der individuellen Investitionsentscheidung ............................... 35 2.3.1.3 Problem der asymmetrischen Informationsverteilung .................................... 39 2.3.2
Typisierung der Entscheidungskalküle von Kapitalgebern ................................44
2.3.2.1 Grundannahme nahezu mittelstreng informationseffizienter Märkte ............. 44 2.3.2.2 Kapitalwertverfahren als Entscheidungsgrundlage ......................................... 45 2.3.2.3 Kreditvergabeentscheidungen von Gläubigern ............................................... 49 2.3.2.4 Investitionsentscheidungen von Investoren .................................................... 53 2.3.3
Konsequenzen der ökonomischen Analyse für die Entscheidungsnützlichkeit der Rechnungslegung .....................................................................58
2.3.3.1 Kongruenz der Informationsinteressen von Investoren und Gläubigern.......................................................................................................58 2.3.3.2 Nutzen der Rechnungslegungsinformationen für Investitions- und Kreditvergabeentscheidungen ......................................................................... 60 2.4 Zwischenergebnis ...................................................................................................... 62 3
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS ........................................................................................................... 65
3.1 Abgrenzung des Begriffs der Finanzinstrumente .................................................. 65 3.1.1
Finanzinstrumente im Allgemeinen ................................................................... 65
3.1.2
Derivate im Speziellen .......................................................................................67
3.1.2.1 Definition von Derivaten ................................................................................ 67 3.1.2.2 Grundarten derivativer Finanzinstrumente ..................................................... 69 3.2 Angewandte Wertmaßstäbe zur Bewertung von Finanzinstrumenten ............... 73 3.2.1
Definition und Ermittlung des Wertmaßstabs „Fair Value“ .............................. 73
Inhaltsverzeichnis
3.2.2
XI
Handelsrechtliche Bewertungsvorschriften ....................................................... 76
3.2.2.1 Prinzipiell anschaffungskostenorientierte Bewertung von Finanzinstrumenten ........................................................................................ 76 3.2.2.2 Derivate und der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte ........................................................................................................ 78 3.2.2.3 Einfluss der Bilanzrechtsmodernisierung auf die Bewertung von Finanzinstrumenten ........................................................................................ 80 3.2.3
Bewertungsvorschriften des IAS 39 .................................................................. 82
3.2.3.1 Anwendungsbereich des IAS 39 .................................................................... 82 3.2.3.2 Bewertungskategorien für Finanzinstrumente gemäß IAS 39 ....................... 83 3.2.4
Einordnung des Fair Value innerhalb der Wertmaßstäbe des HGB und der IFRS ...................................................................................................... 89
3.2.4.1 Relevanz des Fair Value für das Handelsbilanzrecht ..................................... 89 3.2.4.2 Wertmaßstäbe zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach IFRS .............. 91 3.3 Konsequenzen der Anwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe ..................... 93 3.3.1
Gesonderte Regelungen zur bilanziellen Abbildung von Sicherungsbeziehungen ..................................................................................... 93
3.3.1.1 Unzureichende Berücksichtigung des Risikomanagements ........................... 93 3.3.1.2 Handelsrechtliche Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen ....................... 95 3.3.1.2.1 Bildung von Bewertungseinheiten............................................................ 95 3.3.1.2.2 Dokumentationsanforderungen und die Bedeutung des Lageberichts ............................................................................................. 97 3.3.1.3 Hedge Accounting nach IAS 39 ..................................................................... 98 3.3.1.3.1 Anwendungsvoraussetzungen des Hedge Accounting ............................. 98 3.3.1.3.2 Bilanzierungsvorschriften zum Hedge Accounting................................ 101 3.3.2
Implizite und explizite Bewertungswahlrechte und ihr Einfluss auf die Informationsfunktion ....................................................................................... 102
3.3.2.1 Abgrenzung und Systematisierung von Wahlrechten .................................. 102 3.3.2.2 Bedeutung des Grundsatzes der Bewertungsstetigkeit................................. 104 3.3.2.3 Kompatibilität bilanzieller Wahlrechte mit dem Zweck der Informationsvermittlung............................................................................... 105 3.4 Zweckmäßigkeit des Fair Value für die Informationsvermittlung ................... 107 3.4.1
Mangelnde Eignung des Full Fair Value-Ansatzes zur Approximation des Unternehmenswerts ................................................................................... 107
3.4.2
Gründe für die Hinwendung zur marktwertorientierten Bewertung von Finanzinstrumenten .................................................................................. 111
3.4.2.1 Unzureichende Abbildung derivativer Finanzinstrumente .......................... 111
XII
Inhaltsverzeichnis
3.4.2.2 Relevanz im Sinne der Prognoseeignung...................................................... 112 3.4.2.3 Vergleichbarkeit der Jahresabschlussinformationen ..................................... 115 3.4.2.3.1 Informationelle Schwächen des Mixed Model........................................ 115 3.4.2.3.2 Eingeschränkter Nutzen außerbilanzieller Angaben ............................... 115 3.5 Zwischenergebnis .................................................................................................... 117 4
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS ............................................................................................. 119
4.1 Wertminderungen im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung von Finanzinstrumenten ..................................................................... 119 4.1.1
Ermittlung von Wertminderungen der Finanzinstrumente im Allgemeinen ..................................................................................................... 119
4.1.1.1 Handelsrechtliche Abgrenzung dauernder Wertminderungen ...................... 119 4.1.1.2 Wertminderungen nach IAS 39..................................................................... 121 4.1.2
Bilanzielle Behandlung der Zinsänderungsrisiken von Schuldinstrumenten .......................................................................................... 123
4.1.2.1 Bedingte Einbeziehung von Zinsänderungsrisiken nach HGB ..................... 123 4.1.2.2 Keine Berücksichtigung von Zinsänderungsrisiken nach IAS 39 ................ 125 4.1.3
Ertragswerte von Beteiligungen ....................................................................... 126
4.1.3.1 Handelsrechtlicher Stellenwert des Ertragswertverfahrens .......................... 126 4.1.3.2 Bewertung von Beteiligungen gemäß IAS 27............................................... 128 4.1.4
Informationsnutzen der anschaffungskostenorientierten Bewertung ............... 129
4.1.4.1 Grundsätzliche Unterscheidung zwischen Schuld- und Eigenkapitalinstrumenten.............................................................................. 129 4.1.4.2 Differenzierung der Wertänderungen von Schuldinstrumenten nach Risikoarten .................................................................................................... 131 4.1.4.3 Expected Loss- vs. Incurred Loss-Ansatz zur Ermittlung von Wertminderungen.......................................................................................... 134 4.2 Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value ......................................... 136 4.2.1
Informationsorientierte Bewertung des Handelsbestands an Finanzinstrumenten .......................................................................................... 136
4.2.1.1 Konkretisierung der zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumente ......................................................................................... 136 4.2.1.1.1 Definition der Handelsabsicht ................................................................. 136 4.2.1.1.2 Voraussetzung eines aktiven Markts ....................................................... 137 4.2.1.1.3 Zur Notwendigkeit einer institutsspezifischen Eingrenzung .................. 139 4.2.1.2 Fair Value als Ausdruck des stichtagsbezogenen Handelserfolgs ................140
Inhaltsverzeichnis
XIII
4.2.1.3 Widerlegbare Vermutung der Handelsabsicht bei erworbenen Derivaten ...................................................................................................... 143 4.2.1.4 Prozyklizität der Fair Value-Bewertung ...................................................... 145 4.2.1.4.1 Ursachen für mögliche negative Auswirkungen der Fair Value-Bewertung auf die Realwirtschaft ........................................ 145 4.2.1.4.2 Umwidmung im Rahmen der Folgebewertung als Lösungsansatz......................................................................................... 150 4.2.2
Erfolgsneutrale Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten zum Fair Value als Konsequenz der These informationseffizienter Märkte ........... 152
4.2.3
Kontraintuitive Informationen durch die Bewertung nichtderivativer finanzieller Verbindlichkeiten zum Fair Value ............................................... 155
4.3 Zwischenergebnis ................................................................................................... 159 4.4 Zur Weiterentwicklung der Vorschriften zur bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten ........................................................................................ 160 4.4.1
Handelsrechtliche Annäherung an internationale Rechnungslegungsgrundsätze .......................................................................... 160
4.4.2
Eindämmung grundlegender Schwächen des Mixed Model ........................... 162
4.4.2.1 Notwendigkeit praktikabler Vorschriften zur Abbildung von Sicherungsbeziehungen ................................................................................ 162 4.4.2.2 Eingrenzung des bilanzpolitischen Spielraums aus Bewertungswahlrechten ............................................................................... 164 4.4.3
Projekt des IASB zur Ersetzung des IAS 39 ................................................... 166
4.4.3.1 Neue Bewertungskonzeption für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten durch IFRS 9................................................................ 166 4.4.3.2 Beurteilung der Veränderungen der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten durch IFRS 9................................................................ 169 5
Thesenförmige Zusammenfassung......................................................................... 173
Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 179 Verzeichnis amtlicher Schriften ..................................................................................... 217 Verzeichnis der Verlautbarungen privater Standardsetter ........................................ 219 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................................................................... 221
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
XV
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungen Abbildung 1:
Erwarteter Zahlungsstrom aus einem Kreditverhältnis ........................... 50
Abbildung 2:
Bestandteile des Credit Spread................................................................ 52
Abbildung 3:
Systematisierung der Grundarten von Finanzinstrumenten .................... 70
Abbildung 4:
Bewertungshierarchie bei der Ermittlung des Fair Value ....................... 75
Abbildung 5:
Handelsrechtliche Bewertungskategorien ............................................... 82
Abbildung 6:
Wertmaßstäbe der IFRS zur Bewertung von Finanzinstrumenten .......... 92
Abbildung 7:
Abgrenzung und Systematisierung von Wahlrechten ........................... 104
Abbildung 8:
Abgrenzung der Informationsfunktion der Rechnungslegung im Rahmen der Kapitalvergabeentscheidung ............................................. 111
Abbildung 9:
Risikodifferenzierung bilanzieller Wertmaßstäbe................................. 135
Abbildung 10: Bewertungskonzeption für finanzielle Vermögenswerte gemäß IFRS 9 ................................................................................................... 169
Tabellen Tabelle 1:
Ergebnismatrix ........................................................................................ 36
Tabelle 2:
Überblick über die Formen asymmetrischer Informationsverteilung ..... 43
XVII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Auffassung
a.F.
alte Fassung
AAA
American Accounting Association
Abs.
Absatz
AG
Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft Guidance (in Verbindung mit den IFRS)
AktG
Aktiengesetz
APV
Adjusted Present Value
Art.
Artikel
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Bd.
Band
BFH
Bundesfinanzhof
BGH
Bundesgerichtshof
BilMoG
Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
BMJ
Bundesministerium der Justiz
BR-Drucks.
Bundesrats-Drucksache
BStBl
Bundessteuerblatt
BT-Drucks.
Bundestags-Drucksache
bzw.
beziehungsweise
CAPM
Capital Asset Pricing Model
CESR
Committee of European Securities Regulators
d.h.
das heißt
DBW
Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift)
DSR
Deutscher Standardisierungsrat
e.V.
eingetragener Verein
ED
Exposure Draft
EG
Europäische Gemeinschaft
EstG
Einkommenssteuer-Gesetz
(Zeitschrift);
Application
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
EU
Europäische Union
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EZB
Europäische Zentralbank
FB
Finanz Betrieb (Zeitschrift)
f.
folgende
FASB
Financial Accounting Standards Board
Fn.
Fußnote
FR
Finanz-Rundschau (Zeitschrift)
GAAP
Generally Accepted Accounting Principles
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
GoB
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
HFA
Hauptfachausschuss des IDW
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.
Herausgeber
i.d.F.
in der Fassung
i.V.m.
in Verbindung mit
IAS
International Accounting Standards
IASB
International Accounting Standards Board
IASC
International Accounting Standards Committee
IDW
Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.
IER
International Economic Review (Zeitschrift)
IFRIC
International Financial Reporting Interpretations Committee
IFRS
International Financial Reporting Standards
JAR
Journal of Accounting Research
JfB
Journal für Betriebswirtschaft
JFQA
Journal of Financial and Quantitative Analysis
Jg.
Jahrgang
JoA
Journal of Accountancy
JoAE
Journal of Accounting and Economics
Abkürzungsverzeichnis
JoBF
Journal of Banking and Finance
JoF
Journal of Finance
JoFE
Journal of Financial Economics
KonTraG
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
KonÜV
Konzernabschlußüberleitungsverordnung
KWG
Gesetz über das Kreditwesen
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
No.
Number
Nr.
Nummer
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
OTC
Over the Counter (Bezeichnung für den außerbörslichen Handel)
RH
Rechnungslegungshinweis des IDW
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift)
Rn.
Randnummer
RS
Stellungnahme zur Rechnungslegung des IDW
S
Standard des IDW
S.
Seite
SEC
United States Securities and Exchange Commission
SFAS
Statement of Financial Accounting Standards
SIC
Standing Interpretations Committee
Sp.
Spalte
TAR
The Accounting Review (Zeitschrift)
TCF
Total Cash Flow
u.a.
unter anderem, und andere
UNCTAD
United Nations Conference on Trade and Development
US
United States
XIX
XX
Abkürzungsverzeichnis
VFA
Versicherungsfachausschuss des IDW
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume
WACC
Weighted Average Cost of Capital
WiSt
Wirtschaftswissenschaftliches Studium (Zeitschrift)
WpHG
Wertpapierhandelsgesetz
WPg
Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)
z.B.
zum Beispiel
ZGR
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Symbolverzeichnis
XXI
Symbolverzeichnis
Betafaktor der betrachteten Investitionsalternative: Maß des unternehmensspezifischen systematischen Risikos
λ
unendlich
Aa
Handlungsalternative a
BWt
Barwert zum Zeitpunkt t
C
Kupon der Anleihe
CFt
Cashflow zum Zeitpunkt t
CFtEK :
Erwartungswert der den Eigentümern zufließenden Zahlungsströme in der Periode t
CFtGK
Erwartungswert der den Eigentümern und Gläubigern zufließenden Zahlungsströme in der Periode t
DCFNet
Netto-Discounted Cash Flow bzw. Equity-Ansatz
DCF
WACC
Brutto-Discounted Cash Flow in Form des WACC-Ansatzes
Eas
Ergebnis der Handlungsalternative a im Umweltzustand s
E(Aa)
Erwartungswert des Ergebnisses für die Handlungsalternative a
EK
Marktwert des Eigenkapitals
EU(Aa)
Erwartungswert des Nutzens der Handlungsalternative a
EW
Ertragswert
FK
Marktwert des Fremdkapitals
FV
Nominalbetrag der Anleihe (Face Value)
GK
Marktwert des Gesamtkapitals
i
risikoloser Zinssatz
LGD
Verlustquote bei Ausfall (Loss Given Default)
PD
Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default)
r
Diskontierungszinssatz
rEK
Erwartungswert der Rendite der betrachteten Investitionsalternative
rM
Erwartungswert der Rendite des Marktportfolios
s
Linearer Unternehmensgewinnsteuersatz
Ss
Umweltzustand s
U(Eas)
Nutzenwert des Ergebnisses der Handlungsalternative a im Umweltzustand s
w(Ss)
Eintrittswahrscheinlichkeit des Umweltzustands s
zEK
Risikozuschlag der Eigenkapitalgeber
zFK
Credit Spread für Fremdkapital
Einleitung
1
1
Einleitung
1.1
Problemstellung
Die Rechnungslegung als Teil der Unternehmensberichterstattung befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel und widmet sich dabei verstärkt dem Zweck der Informationsvermittlung.1 Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist der stetig zunehmende Wettbewerb an den globalen Kapitalmärkten um günstige respektive risikoadäquate Konditionen bei der Kapitalaufnahme. Daraus erwächst zugleich ein Druck auf die Unternehmen, einen Jahresabschluss2 mit möglichst aussagekräftigen Informationen über die jeweilige Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Lage offenzulegen; ein durch zahlreiche empirische Studien nachgewiesener Zusammenhang.3 Inzwischen beschränkt sich diese Anforderung nicht mehr auf börsennotierte oder kapitalmarktorientierte Unternehmen.4 Eine elementare Herausforderung besteht in der Konkretisierung der Informationsfunktion der Rechnungslegung, die in diesem Zusammenhang den Maßstab für die Beurteilung der Einzelvorschriften bildet.
Hinsichtlich einer adäquaten Ausgestaltung der Rechnungslegungsvorschriften ist die bilanzielle Behandlung von Finanzinstrumenten einer der kontroversesten Diskussionspunkte.5 Der Bedarf nach immer komplexeren Finanzinstrumenten, die individuellen Bedürfnissen gerecht werden, hat in den vergangenen Dekaden eine kaum noch zu überblickende Fülle an Finanzinnovationen entstehen lassen.6 Trotz dieser hohen Bedeutung von Finanzinstrumenten hat sich noch immer keine Grundkonzeption hinsichtlich 1 2
3
4
5
6
Vgl. hierzu Böcking (1998), S. 44 f. Der Begriff des Jahresabschlusses ist als Oberbegriff für den Einzel- und Konzernabschluss zu verstehen. Dies bedarf der Klarstellung, da im HGB der Begriff entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch als Synonym für den handelsrechtlichen Einzelabschluss gebraucht wird. Die ersten fundamentalen Arbeiten zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Kapitalmarktforschung und Rechnungslegung veröffentlichen Ball/Brown sowie Fama/Fisher/Jensen/Roll. Einen ausführlichen Überblick über die nachfolgende Entwicklung der empirischen Forschung bietet die Übersichtsarbeit von Kothari. Vgl. Ball/Brown (1968), S. 159-177;Fama/Fisher/Jensen/Roll (1969), S. 1-21; Kothari (2001), S. 105-208. Hierfür können unterschiedliche Gründe sprechen. Vgl. hierzu Böcking/Herold/Müßig (2004), S. 667672; Ernst (2007), S. 13 f.; Küting/Ranker/Wohlgemuth (2004), S. 102; Wielenberg (2007), S. 748 m.w.N. Dieser Ansicht folgt auch der deutsche Gesetzgeber. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 33. Vgl. Hommel/Berndt (2000c), S. 1184. Hierauf weist auch die Anzahl der in den letzten Jahren veröffentlichen Dissertationen rund um die Thematik der Bilanzierung von Finanzinstrumenten hin. Vgl. beispielhaft Barckow (2004); Esser (2004); Jensen-Nissen (2007); Kalk (2008); Kuhn (2007); Nguyen (2007); Reiland (2006); Schmidt (2005); Schwarz (2006); Starbatty (2005). Vgl. stellvertretend statt vieler Eisele/Knoblauch (2003), S. 749.
2
Einleitung
ihrer bilanziellen Bewertung herauskristallisiert. Der wissenschaftliche Disput um die Bewertung von Finanzinstrumenten im Jahresabschluss konzentriert sich im Kern auf die Frage, welcher Wertmaßstab der Informationsfunktion am besten gerecht wird. Grundlegend stehen sich die tradierte anschaffungskostenorientierte Bewertung und der Fair Value im Sinne der modernen marktwertorientierten Bewertung gegenüber.7
Ausgehend von den International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial Reporting Standards (IFRS),8 die gemäß IAS 39 bereits seit über einer Dekade neben anderen Wertmaßstäben den Fair Value anwenden, wird durch das am 29. Mai 2009 in Kraft getretene Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz9 der beizulegende Zeitwert bzw. Fair Value nun erstmals auch im Rahmen der handelsrechtlichen Bewertung von bestimmten Finanzinstrumenten zugrunde gelegt.10 Die zunehmende Einbeziehung des Fair Value im Handelsbilanzrecht und das langfristige Ziel des internationalen Standardsetters hin zu einem sogenannten Full Fair Value-Ansatz beruht nicht auf einem wissenschaftlichen Konsens über dessen Vorteile im Vergleich zu alternativen Wertmaßstäben, im Gegenteil. Die Frage nach der Eignung des Fair Value zur Erfüllung des Informationszwecks sowie die Suche nach einer adäquaten Bewertungskonzeption sind weiterhin im Fokus der wissenschaftlichen Diskussion. So hat der IASB dem im Zuge der Finanzmarktkrise entstandenen politischen Druck nachgegeben und sich zu einer zügigen Ersetzung des IAS 39 verpflichtet. Im November 2009 veröffentlichte der IASB bereits den ersten Teil des IFRS 9, der eine neue Bewertungskonzeption für Finanzinstrumente enthält. Folglich stellt die Untersuchung der Zweckmäßigkeit der alternativen Wertmaßstäbe zur Bilanzie7
8
9
10
Die Bewertung zu Marktpreisen ist keineswegs neu. Bereits das 1861 verabschiedete Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch enthielt die Vorschrift, „sämmtliche Vermögensstücke und Forderungen nach dem Werthe anzusetzen, welcher ihnen zur Zeit der Aufnahme beizulegen ist“. Diese Vorschrift zum „beizulegende Werth“ wurde nahezu unverändert in das Handelsgesetzbuch von 1897 übernommen, auf die rechtsform- und branchenspezifische Bilanzierungsvorschriften aufsetzen konnten. Über die Auslegung des sehr allgemein gehaltenen Paragraphen herrschte häufig Uneinigkeit. Letztlich wurde die Vorschrift im Zuge der 1986 vorgenommenen grundlegenden Reform des Handelsbilanzrechts aufgehoben. Vgl. hierzu Schön (1997), S. 135 f. Die vor der Umstrukturierung des International Accounting Standards Committee (IASC) zum International Accounting Standards Board (IASB) veröffentlichten Rechnungslegungsstandards tragen noch die Bezeichnung IAS. Unter der Bezeichnung IFRS werden nachfolgend auch die IAS subsumiert. Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 25. Mai 2009. Aufgrund des ähnlichen Wortklangs der deutschen Übersetzung des Fair Value als beizulegender Zeitwert und des handelsrechtlich im Rahmen des Anschaffungskostenprinzips verwendeten beizulegenden Wert wird zur deutlicheren Abgrenzung nachfolgend auch in Bezug auf das HGB für den beizulegenden Zeitwert vornehmlich der Begriff des Fair Value verwendet.
Einleitung
3
rung von Finanzinstrumenten nicht nur ein Hauptaugenmerk der wissenschaftlichen Diskussion dar, sondern zieht auch ein besonderes öffentliches Interesse auf sich.
1.2
Gang der Untersuchung
Die Untersuchung umfasst drei Schwerpunkte. Im Anschluss an die Einführung bildet im zweiten Abschnitt die Erarbeitung einer Beurteilungsbasis den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Diese richtet sich an der jeweiligen Zwecksetzung der Rechnungslegung aus. Im Rahmen der Analyse der den nationalen sowie den internationalen Rechnungslegungsvorschriften zugrunde liegenden Zwecke werden zunächst die durch europäische Richtlinien bestehenden Interdependenzen zwischen dem HGB und den IFRS aufgezeigt. Anschließend wird erörtert, ob den beiden Rechnungslegungssystemen überhaupt eine kongruente Auffassung darüber zugrunde liegt, was unter der Informationsfunktion der Rechnungslegung zu verstehen ist.
Im dritten Abschnitt werden die konkreten Regelungen der beiden Rechnungslegungssysteme zur bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten und die dabei zur Anwendung kommenden unterschiedlichen Wertmaßstäbe erläutert. Im Anschluss erfolgt eine Gegenüberstellung der allgemeinen Argumente, die im Schrifttum als grundsätzliche Vorteile des Fair Value angeführt werden; zugleich wird jedoch auf die informationellen Grenzen der marktwertorientierten Bewertung hingewiesen. Des Weiteren sind sowohl der handelsrechtlichen als auch der internationalen Bewertungskonzeption nicht zu verkennende Nachteile inhärent. In diesem Zusammenhang wird auf die unzureichende bilanzielle Darstellung der im Rahmen des Risikomanagements gebildeten Sicherungsbeziehungen sowie die Gewährung von Bewertungswahlrechten eingegangen.
Der im vierten Abschnitt vorgenommene Vergleich der Bewertungskonzeption der beiden Rechnungslegungssysteme dient der Erörterung, wie eine an der Informationsfunktion des Jahresabschlusses ausgerichtete Bewertungskonzeption für Finanzinstrumente gestaltet sein sollte. Insbesondere bei der Auslegung der handelsrechtlichen Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten zu fortgeführten Anschaffungskosten wird den Bilanzerstellern eine weitgefasste Interpretationsvielfalt eingeräumt, die einer zweckorien-
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Einleitung
tierten Konkretisierung bedarf. Damit in Verbindung steht auch die Untersuchung der vereinfachenden Annahme, dass die anschaffungskostenorientierte Bewertung als eine imparitätische Fair Value-Bewertung beschrieben werden kann. Des Weiteren unterliegt die Bewertung zum Fair Value dem nicht vernachlässigbaren Vorwurf, eine prozyklische Wirkung auf die Konjunktur zu entfalten. Zuletzt wird die auf Basis der Erkenntnisse, die im Rahmen des Konzeptionsvergleichs gewonnenen wurden, die neue Bewertungskonzeption des im November 2009 vom IASB veröffentlichten IFRS 9 beurteilt. Die Ausführungen schließen mit einer thesenförmigen Zusammenfassung.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
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Vereinbarkeit des handelsrechtlichen sowie internationalen Verständnisses vom Informationszweck der Rechnungslegung
2.1 2.1.1
Europäische Harmonisierungsbestrebungen und die Bedeutung der Bilanzierung von Finanzinstrumenten Grenzen einer auf die EU beschränkten Harmonisierung und die Übernahme der IFRS
Bereits die römischen Verträge von 1957 formulieren das Ziel, einen freien Kapitalverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten, indem u.a. eine Gleichwertigkeit der Rechnungslegungsvorschriften durch eine Harmonisierung herbeigeführt werden soll.11 Die Schaffung eines liquiden europäischen Finanzmarkts soll den Wettbewerb fördern und zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts beitragen.12 Nach Ansicht der Europäischen Kommission bedarf dieses Ziel u.a. der Harmonisierung der Rechnungslegung, um durch vergleichbare, transparente und verlässliche Finanzinformationen in Form von Jahresabschlüssen den freien grenzüberschreitenden Kapitalfluss zu ermöglichen.13 Zu diesem Zweck wurden am 25. Juli 1978 die 4. EG-Richtlinie14 und fünf Jahre später die 7. EG-Richtlinie15 verabschiedet; im Weiteren auch allgemein als (europäische) Bilanzrichtlinien bezeichnet.16 Sie sollen in Bezug auf Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung der Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften zum Jahresabschluss dienen.17 Die 4. EG-Richtlinie befasst sich mit dem Inhalt und der Gliederung des Jahresabschlusses18 sowie den anzuwendenden Bewertungsmethoden und 11
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Siehe Art. 3 c) und Art. 54 Abs. 3 g) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft von 1957 (EWG-Vertrag). Vgl. auch Pottgießer (2006), S. 23; Henrici (2004), S. 46. Vgl. Wasmund (1989), S. 9. Vgl. Europäische Kommission (1995a), S. 4 f.; Bormann (1996), S. 35; Buhleier/Helmschrott (1996), S. 355. Die gleiche Auffassung wird auch von der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) sowie der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) vertreten. Vgl. hierzu Havermann (1997), S. 535. Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen. Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den konsolidierten Abschluß. Die 4. und 7. EG-Richtlinie wurden um eine Richtlinie für haftungsbeschränkte Personengesellschaften und branchenspezifische Richtlinien für Banken und Versicherungen ergänzt. Vgl. Henrici (2004), S. 46; van Hulle (1992), S. 164. Siehe Präambel sowie Art. 1 Abs. 1 der 4. EG-Richtlinie. Als Jahresabschluss kann im Sinne eines allgemeinen Oberbegriffs der Einzel- und Konzernabschluss gemeint sein – dies entspricht auch der in der vorliegenden Arbeit getroffenen Abgrenzung – oder im engeren Sinne in Anlehnung an das deutsche Bilanzrecht der handelsrechtliche Einzelabschluss bezeichnet werden.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
der Offenlegung,19 während die 7. EG-Richtlinie die Erstellung des Konzernabschlusses regelt.20 Die europäischen Bilanzrichtlinien stellen eine Mindestharmonisierung unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips dar.21 Sie fanden durch das BilanzrichtlinienGesetz22 und der damit verbundenen Einführung des Dritten Buchs im HGB Eingang in das deutsche Bilanzrecht.23
Die europäischen Harmonisierungsbemühungen erzielten einen nur mäßigen Erfolg und konnten die erheblichen Unterschiede zwischen den nationalen Rechnungslegungsvorschriften der Mitgliedstaaten nicht beseitigen.24 Ein wesentlicher Grund dafür ist die Breite an Möglichkeiten, die die europäischen Bilanzrichtlinien durch die Mitgliedstaatenwahlrechte bei der Ausgestaltung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften einräumen. Sie sind ein Beleg für die politische Dimension der europäischen Harmonisierungsbemühungen.25 Bereits Anfang der 90er Jahre wurde aufgrund der gestiegenen internationalen Verflechtungen eine an nationalen Vorschriften orientierte Rechnungslegung zunehmend in Frage gestellt und der Ruf nach international vergleichbaren Jahresabschlüssen lauter.26 Vornehmliche Gründe für die Forderung nach international vergleichbaren Abschlüssen waren allgemeine ökonomische Aspekte wie die Ausweitung des internationalen Handels, die Zunahme grenzüberschreitender Investitionen und die wachsende Zahl an Unternehmen mit ausländischen Tochtergesellschaften.27 Des Weiteren entstand die Notwendigkeit
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Auch die Jahresabschlussprüfung ist in der 4. EG-Richtlinie thematisiert, detaillierte Regelungen hierzu sind jedoch Bestandteil der 8. EG-Richtlinie. Vgl. Grund (2005), S. Grund (2005), S. 35 f. Vgl. Buhleier/Helmschrott (1996), S. 355; van Hulle (1992), S. 161. Hierzu kritisch vgl. Schildbach (1995), S. 2643. Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gemeinschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) vom 6.12.1985. Vgl. Biener (1996), S. 98; Tietz-Weber (2006), S. 71. Vgl. hierzu Henrici (2004), S. 47. Vgl. Havermann (1994), S. 666 f.; Wagner (2006), S. 280. Zum Internationalisierungsprozess der Rechnungslegung in den neunziger Jahren vgl. insbesondere Adolphsen (2004), S. 157-159. Vgl. auch Busse von Colbe (2002a), S. 159; Haller (1993), S. 1301-1305. Buhleier/Schrotthelm verweisen zudem auf das Interesse von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach einer Vereinheitlichung der Rechnungslegungsvorschriften, um ihre Mitarbeiter besser und kostengünstiger ausbilden zu können. Dem Argument hält Rost entgegen, dass nicht zuletzt gerade wegen der Komplexität der unterschiedlichen Rechnungslegungsanforderungen die Dienstleistungen internationaler Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nachgefragt werden. Vgl. hierzu Buhleier/Helmschrott (1996), S. 355; Rost (1991), S. 29.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
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international vergleichbarer Jahresabschlüsse aus der internationalen Integration der Geldund Kapitalmärkte und der steigenden Nachfrage nach ausländischem Kapital.28
Bei der Entwicklung international akzeptierter Rechnungslegungsstandards konkurrierte das IASC, als Vorgängerorganisation des IASB, mit dem US-amerikanischen Financial Accounting Standards Board (FASB). Für die Zulassung zum Handel an der New York Stock Exchange verlangt die US-amerikanische Börsenaufsicht bis heute eine Rechnungslegung nach den vom FASB veröffentlichten Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP).29 Im Gegensatz dazu stieg speziell in Europa die Bedeutung der vom damaligen IASC entwickelten Rechnungslegungsstandards und stieß an den Kapitalmärkten auf immer breitere Akzeptanz.30 Durch diese Entwicklung zeichnete sich zugleich ab, dass die Europäische Gemeinschaft mit ihrer bisherigen Strategie einer Harmonisierung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften das Ziel der Bereitstellung vergleichbarer Finanzinformationen nicht erreichen konnte.31
Die zunehmende Bedeutung der internationalen Rechnungslegungsstandards für kapitalmarktorientierte Unternehmen und ihre mangelnde Vereinbarkeit mit den EGBilanzrichtlinien stellte für europäische Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil dar. Aufgrund des vom Kapitalmarkt ausgehenden Drucks nach vergleichbaren Jahresabschlussinformationen waren sie gezwungen, neben dem nach nationalen Vorschriften obligatorischen Konzernabschluss einen zweiten Konzernabschluss nach international akzeptierten Standards zu erstellen. Die Offenlegung von zwei unterschiedlichen Zahlenwerken führte nicht nur zu höheren Kosten, sondern auch zum Ausweis von unterschiedlich hohen Gewinnen, was eine Skepsis hinsichtlich der Aussagekraft von Jahresabschluss-
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Vgl. Rost (1991), S. 25; Uhde (1999), S. 27 f.; Weber (2001), S. 192. A.A. ist Schruff, der eine Vereinheitlichung der Konzernrechnungslegung zur besseren Vergleichbarkeit und Transparenz für nicht notwendig erachtet. Dieser Auffassung stehen Untersuchungen entgegen, nach denen sich ausländische Investoren nicht in der Lage sehen, handelsrechtliche Jahresabschlüsse sachgerecht zu interpretieren. Vgl. hierzu Förschle/Glaum/Mandler (1995), S. 396; Havermann (1997), S. 525; Schruff (1993), S. 403 m.w.N. Zum Entwicklungsstand des auf dem Norwalk-Agreement vom 29.10.2002 basierenden Konvergenzprojekts von IASB und FASB vgl. Dobler/Günther (2008), S. 810-816. Vgl. hierzu auch AAA Financial Reporting Policy Committee (2008), S. 225-227. Vgl. van Hulle (2003), S. 971 f. Vgl. Europäische Kommission (1995a), S. 4 f.; Sprick-Schütte (1995), S. 130 m.w.N., van Hulle (2003), S. 968.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
informationen hervorrief.32 Zudem waren die europäischen Harmonisierungsbemühungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre zum Erliegen gekommen,33 wodurch die Europäische Union (EU) in zunehmendem Maße in Zugzwang geriet.34
Im November 1995 kündigte die Europäische Kommission offiziell einen Strategiewechsel an. In der Mitteilung „Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung: Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung“ wurde erstmals eine Annäherung der europäischen Bilanzrichtlinien an die internationalen Rechnungslegungsstandards in Erwägung gezogen.35 Fünf Jahre später wurde das konkrete Ziel formuliert, spätestens ab dem Jahr 2005 alle kapitalmarktorientierten Unternehmen ihren konsolidierten Abschluss einheitlich nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen zu lassen.36 Im Juli 2002 wurde dies durch die IAS-Verordnung37 für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben. Für den Einzelabschluss kapitalmarktorientierter Gesellschaften sowie den Konzern- und Einzelabschluss nichtkapitalmarktorientierter Gesellschaften sieht die IASVerordnung ein Mitgliedstaatenwahlrecht zur freiwilligen oder verpflichtenden Anwendung der IFRS vor.38
Dabei muss auch ein nach IFRS aufgestellter Jahresabschluss mit den europäischen Bilanzrichtlinien vereinbar sein.39 Die europäischen Bilanzrichtlinien wiesen jedoch in ihrer ursprünglichen Fassung diese Kohärenz mit den IFRS nicht auf. Dieser Notwendigkeit kamen im Wesentlichen zwei Rechtsakte der EU nach; hierbei handelt es sich um die
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Ein häufig angeführtes Beispiel ist der Konzernabschluss der Daimler-Benz AG für das Geschäftsjahr 1993. Aufgrund der Börsennotierung an der New York Stock Exchange stellte das Unternehmen neben dem handelsrechtlichen Konzernabschluss einen weiteren Konzernabschluss nach US-GAAP auf. Durch die Unterschiede zwischen den beiden Zahlenwerken war nicht eindeutig bestimmbar, ob ein Gewinn oder ein Verlust erzielt wurde. Vgl. u.a. Buhleier/Helmschrott (1996), S. 357; van Hulle (2003), S. 972. Vgl. Grund (2005), S. 31 f. Vgl. Kirsch/Dohrn (2005), S. 131. Vgl. Europäische Kommission (1995a), S. 6. Vgl. Europäische Kommission (2000), S. 6 f. Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards. Vgl. van Hulle (2003), S. 977. Vgl. hierzu Berndt/Hommel (2005), S. 413-415. Die vom IASB veröffentlichen IFRS werden von der EU durch das sogenannte Endorsement übernommen, das als Komitologieverfahren ausgestaltet ist. Zu dem Verfahren sowie dessen neuerliche Reformierung vgl. Buchheim/Knorr/Schmidt (2008), S. 334-341.
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9
Fair Value-Richtlinie40 sowie die Modernisierungsrichtlinie41. Die Fair Value-Richtlinie stellte insbesondere die Konformität zu der nach IFRS praktizierten Zeitwertbilanzierung von Finanzinstrumenten her.42 Die übrigen Unstimmigkeiten zwischen den europäischen Bilanzrichtlinien und IFRS wurden zum Großteil durch die Modernisierungsrichtlinie ausgeräumt.43 Der Erlass eines eigenen Rechtsakts zur Anpassung der Vorschriften bezüglich der Berichterstattung über Finanzinstrumente lässt bereits die Bedeutung der Bilanzierung von Finanzinstrumenten für den Harmonisierungsprozess erkennen.44
2.1.2 2.1.2.1
Harmonisierung versus Standardisierung Abstrakte Begriffsdifferenzierung
Der Begriff der Harmonisierung ist kein spezifischer Terminus der Rechnungslegung und bedarf daher der Konkretisierung.45 Im Allgemeinen bedeutet Harmonisierung etwas in Einklang zu bringen,46 um auf diese Weise bestehende Unterschiede auszuräumen. Dies gilt auch, wenn der Begriff auf die Rechnungslegung bezogen wird. Es sollen die Unterschiede zwischen den jeweiligen Rechnungslegungssystemen reduziert werden, um die Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen zu gewährleisten.47 Diese Angleichung verschiedener Rechnungslegungssysteme kann auf mehreren Wegen erfolgen.48 Hierbei sind zwei wesentliche Grundrichtungen zu unterscheiden: Es können entweder zwei oder mehr gleichwertige Rechnungslegungssysteme geschaffen oder ein einheitliches Rechnungslegungssystem durchgesetzt werden.
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Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 86/635/EWG des Rates im Hinblick auf die im Jahresabschluss bzw. im konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen und von Banken und anderen Finanzinstituten zulässigen Wertansätze. Richtlinie 2003/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2003 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG, 86/635/EWG und 91/674/EWG über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, von Banken und anderen Finanzinstituten sowie von Versicherungsunternehmen. Vgl. Hommel/Berndt (2002), S. 90; Kirsch/Dohrn (2005), S. 132. Vgl. hierzu Böcking/Herold/Wiederhold (2003), S. 394-409. Vgl. Kirsch/Dohrn (2005), S. 132. Vgl. Rost (1991), S. 20. Vgl. Drosdowski (1995), S. 1477. Vgl. Krisement (1994), S. 33 f.; Rost (1991), S. 21; Uhde (1999), S. 9. Zu den alternativen Möglichkeiten der Angleichung oder der gegenseitigen Akzeptanz vgl. Glaum/Mandler (1996), S. 35-37; Haidenthaler (1996), S. 74 f.; Kaum (2000), S. 48 f.; Uhde (1999), S. 8-10.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Im Allgemeinen beabsichtigt eine Harmonisierung der Rechnungslegung somit nicht zwangsläufig die vollständige Angleichung unterschiedlicher Rechnungslegungssysteme. Vielmehr sollen an den jeweiligen Rechnungslegungssystemen Anpassungen vorgenommen werden, um bestimmte Zielvorstellungen zu erreichen. Diese bestehen üblicherweise darin, die Unterschiede soweit zu reduzieren, bis ein ausreichendes Maß an Vergleichbarkeit hergestellt ist.49 Wann eine solche Harmonisierung abgeschlossen ist, hängt von dem gewünschten Maß an Vergleichbarkeit ab. Alternativ ist die Übernahme einheitlicher Rechnungslegungsvorschriften möglich. Dabei setzt sich entweder ein bestehendes Rechnungslegungssystem durch oder es wird ein neues Regelwerk eingeführt. Für eine derart weitgehende Anpassung der Rechnungslegungsvorschriften ist die Bezeichnung der Standardisierung oder Vereinheitlichung weitaus zutreffender.50 „Bei einer Harmonisierung der Rechnungslegung können daher in gewissen Bandbreiten nationale Besonderheiten bestehen bleiben, während die Standardisierung zu einem Einheitsrecht führt.“51
2.1.2.2
Einordnung der europäischen Bilanzrechtsreformen
Die EU verfolgte bis Mitte der neunziger Jahre das Ziel einer gemäßigten Harmonisierung, um in den Mitgliedstaaten gleichwertige nationale Rechnungslegungsvorschriften zu schaffen. Mit Inkrafttreten der IAS-Verordnung haben spätestens seit dem 1. Januar 2007 alle
kapitalmarktorientierten
Unternehmen
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Konzernabschluss
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IFRS aufzustellen. Für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen wird auf eine Anwendung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften zugunsten der IFRS verzichtet. Die EU hat mit diesem Schritt einen Paradigmenwechsel vollzogen und sich in Bezug auf den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen für den Weg der Standardisierung entschieden. Den Harmonisierungs- und den Standardisierungs-
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Vgl. Brönner/Kolm/Poll (2005), S. 29; Havermann (1997), S. 535. Havermann bezieht sich hierbei auf die Sichtweise der UNCTAD sowie der OECD, die für eine Harmonisierung der Rechnungslegung keine Identität der Rechnungslegungsvorschriften bzw. Uniformität der Rechnungslegungssysteme als notwendig erachten. Vgl. hierzu auch Sprick-Schütte (1995), S. 139-142. Vgl. Bormann (1996), S. 35; Brönner/Kolm/Poll (2005), S. 27 f.; Goebel (1995), S. 1037; Kaum (2000), S. 46. Eine andere Abgrenzung trifft Krisement, die diesbezüglich eine Differenzierung zwischen der Bewertung und der Darstellung trifft. Vgl. Krisement (1994), S. 42-47. Buhleier/Helmschrott (1996), S. 254. Vgl. Zeitler (2003), S. 1529.
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bestrebungen der EU ist gemein, dass sie monofunktionale an der Informationsfunktion ausgerichtete Jahresabschlüsse zum Ziel haben.53
Die Entscheidung der EU zugunsten einheitlicher Regelungen für die Aufstellung des Konzernabschlusses von kapitalmarktorientierten Unternehmen verdeutlicht, dass mit der 4. und 7. EG-Richtlinie keine hinreichende Harmonisierung der nationalen Rechnungslegungsvorschriften erzielt werden konnte,54 auch wenn sie zur Konvergenz beigetragen haben.55 Einen Hauptgrund bilden dabei die weitreichenden Mitgliedstaatenwahlrechte, die den länderspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen.56 Die Regelungen der europäischen Bilanzrichtlinien haben den Status allgemeiner europäischer Rahmenvorschriften für die Rechnungslegung. Wie bereits dargestellt,57 kam erschwerend hinzu, dass sich die Absicht einer auf die EU beschränkten Harmonisierung angesichts des internationalen Kapitalmarktdrucks als nicht zielführend herausgestellte.
Die durch die Fair Value-Richtlinie und die Modernisierungsrichtlinie vorgenommenen Veränderungen an den europäischen Bilanzrichtlinien sind Konsequenzen der IASVerordnung. Die Fair Value-Richtlinie im Speziellen stellt die Kohärenz zwischen den europäischen Bilanzrichtlinien und den Vorschriften des IAS 39 her.58 Durch diesen Zusammenhang hat die IAS-Verordnung zugleich einen mittelbaren Einfluss auf die nationalen Rechnungslegungsvorschriften der Mitgliedstaaten, der weit über den Standardisierungsprozess für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen hinausgeht. Die notwendigen Anpassungen wurden zum Anlass genommen, um die in der 4. und 7. EG-Richtlinie verankerten Rahmengrundsätze einer generellen Modernisierung zu unterziehen.59 Die seitens der EU vorgenommene Standardisierung des konsolidierten Abschlusses kapitalmarktorientierter Unternehmen nimmt somit auch Einfluss auf den Harmonisierungsprozess auf Ebene der nationalen Rechnungslegungsvorschriften der
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Vgl. Henrici (2004), S. 80 f. Zu den Erfolgen und den Mängeln der europäischen Bilanzrichtlinien vgl. van Hulle (1992), S. 167. Vgl. van Hulle (2000), S. 538. Aus diesem Grund wird im Zusammenhang mit den europäischen Bilanzrichtlinien auch von einer „additiven Harmonisierung“ gesprochen. Vgl. Küting (1994), S. 70; Uhde (1999), S. 25. Siehe hierzu Abschnitt 2.1.1. Vgl. Kirsch (2005), S. 14. Vgl. Busse von Colbe (2002b), S. 1531.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Mitgliedstaaten.60 Letztlich kann durch die europäischen Bilanzrichtlinien keine klare Trennlinie zwischen den Regelungen für kapitalmarktorientierte Unternehmen und nichtkapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften gezogen werden.61
2.1.3 2.1.3.1
Annährung des Handelsbilanzrechts an die internationale Rechnungslegung Umsetzung der Fair Value-Richtlinie durch das Bilanzrechtsreformgesetz
Der deutsche Gesetzgeber setzte die Anforderungen der IAS-Verordnung sowie der Fair Value-Richtlinie im Rahmen des Bilanzrechtsreformgesetzes vom 4. Dezember 200462 um. Neben den umsetzungspflichtigen Bestandteilen der IAS-Verordnung wurde in § 315a HGB auch das entsprechende Mitgliedstaatenwahlrecht wahrgenommen, um nichtkapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften ebenfalls zu gestatten, ihren Konzernabschluss nach IFRS aufzustellen.63 Zudem können Kapitalgesellschaften für Informationszwecke auch einen IFRS-Einzelabschluss offenlegen.64 Die Reform umfasste damit weit mehr als die von der IAS-Verordnung zwingend vorgesehene Standardisierung der Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Unternehmen.
Wie es die Bezeichnung „Fair Value-Richtlinie“ bereits andeutet, wird über diesen Rechtsakt ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß den Regelungen der 4. EG-Richtlinie berücksichtigt. Es handelt sich um den als Fair Value bezeichneten Wertmaßstab, der in der deutschen Fassung der Fair Value-Richtlinie als beizulegender Zeitwert übersetzt wird. Der Fair Value steht für eine strikte marktwertorientierte Bewertung, wie sie nach IAS 39 für bestimmte Finanzinstrumente bereits praktiziert wird. Die Schwierigkeit des Umgangs mit diesem Wertmaßstab resultierte daraus, dass der Fair Value gegebenenfalls die Anschaffungskosten übersteigt. Art. 32 der 4. EGRichtlinie verbietet hingegen eine Überschreitung der Anschaffungs- und Herstellungskos-
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Hierzu kritisch vgl. Berndt/Hommel (2005), S. 417. Vgl. Hommel/Berndt (2002), S. 90 f. Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) vom 4. Dezember 2004. Vgl. hierzu auch Böcking (2001), S. 1434; Bruns (2001), S. 71. Siehe § 325 Abs. 2a HGB.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
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ten.65 Sofern der Fair Value eines Finanzinstruments die Anschaffungskosten überschreitet, wäre die Fair Value-Bewertung nach IAS 39 mit der 4. EG-Richtlinie nicht vereinbar gewesen, daher wurde durch die Fair Value-Richtlinie eine Ausnahmeregelung in Bezug auf Finanzinstrumente eingefügt.66 Demnach sollen die Mitgliedstaaten es allen Gesellschaften oder einzelnen Gruppen von Gesellschaften gestatten oder vorschreiben, Finanzinstrumente zu dem die historischen Anschaffungskosten gegebenenfalls übersteigenden Fair Value zu bewerten.67 Hierbei besteht das Wahlrecht, diese Erlaubnis bzw. Verpflichtung auf den Konzernabschluss zu beschränken.
Aus der Fair Value-Richtlinie resultiert die umsetzungspflichtige Mindestanforderung, kapitalmarktorientierten Unternehmen im Konzernabschluss die Möglichkeit der Bilanzierung von bestimmten68 Finanzinstrumenten zum Fair Value einzuräumen.69 Die Umsetzung der IAS-Verordnung im Handelsbilanzrecht durch das Bilanzrechtsreformgesetz erfüllt automatisch diese Mindestanforderung der Fair Value-Richtlinie, indem kapitalmarktorientierten Unternehmen vorgeschrieben wird, ihren Konzernabschluss nach IFRS aufzustellen und somit nach den Vorschriften des IAS 39 bestimmte Finanzinstrumente zum Fair Value zu bilanzieren.70 Die handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind für die Erfüllung der verpflichtend umzusetzenden Bestandteile der Fair ValueRichtlinie somit unerheblich.71 Das Bilanzrechtsreformgesetz setzte weitere Anforderungen der Fair Value-Richtlinie im Anhang und im Lagebericht um.72 Demnach haben Kapitalgesellschaften den Fair Value von Derivaten und bestimmten Finanzinstrumenten
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Die Bewertungsvorschriften der 4. EG-Richtlinie sind gemäß Art. 29 Abs. 1 der 7. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie auch für den konsolidierten Abschluss maßgeblich. Vgl. Kirsch/Dohrn (2005), S. 141. Siehe Art. 42a der 4. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie. Vgl. hierzu auch Hommel/Berndt (2000c), S. 1185 f. Kritisch hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Handelsbilanzrecht vgl. Pietsch (2007), S. 215. Zur Negativabgrenzung hinsichtlich der für eine Fair Value-Bewertung relevanten Finanzinstrumente siehe Art. 42a Abs. 3 bis 5 der 4. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie. Art. 42a der 4. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie gewährt u.a. das Mitgliedstaatenwahlrecht, die Vorschrift zur Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten auf bestimmte Gesellschaften zu beschränken. Die hier formulierte Mindestanforderung trifft die Annahme, dass die Regelung mindestens die kapitalmarktorientierten Unternehmen umfassen muss, da die Fair Value-Richtlinie die Kohärenz der IAS-Verordnung mit den europäischen Bilanzrichtlinien gewährleisten soll. Vgl. Kirsch (2005), S. 15. Gleicher Auffassung ist auch die Europäische Kommission. Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 25. Siehe § 315a Abs. 1 HGB. Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 25; Wendlandt/Knorr (2005), S. 48. Vgl. Böcking (2004b), S. 181.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
des Anlagevermögens im Anhang zu nennen sowie im Lagebericht Angaben zum Risikomanagementsystem zu erbringen.73
Die übrigen Regelungen der Fair Value-Richtlinie wurden vom Gesetzgeber als fakultative Bestandteile angesehen und die Frage einer weiteren Umsetzung der Richtlinie daher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Bereits in der Begründung zum Entwurf des Bilanzrechtsreformgesetzes vom 24. Juni 2004 wurden weitere Schritte zur Modernisierung der handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften angekündigt.74
2.1.3.2
Fortentwicklung des Handelsbilanzrechts im Zuge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
Weitere Schritte zur Reform der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften wurden mit dem am 29. Mai 2009 in Kraft getretenen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz unternommen. In Bezug auf die handelsrechtlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften bestand kein Zwang zur Modernisierung, wenngleich andere umsetzungspflichtige Rechtsakte der EU mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz umgesetzt wurden.75 Die umsetzungspflichtigen Bestandteile der Fair Value-Richtlinie wurden bereits durch das Bilanzrechtsreformgesetz im nationalen Recht berücksichtigt. Antrieb des Gesetzgebers für die Modernisierung des HGB ist vielmehr die Strategie, durch eine maßvolle Annäherung der handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften an die internationalen Rechnungslegungsstandards die künftige Konkurrenzfähigkeit des HGB sicherzustellen.76
Das Vorhaben des Gesetzgebers, ein den IFRS gleichwertiges Handelsbilanzrecht zu schaffen, zielt vornehmlich auf die nichtkapitalmarktorientierten Unternehmen ab. Zwar besteht eine direkte Konkurrenz zwischen dem HGB und den IFRS gegenwärtig nur bei den nichtkapitalmarktorientierten Unternehmen, die gemäß § 315a Abs. 3 HGB das
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Die Anhangangaben sind in § 285 Nr. 18, 19 und 20 HGB bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 10, 11 und 12 HGB enthalten. Die Angaben im Lagebericht zum Risikomanagement ergeben sich aus § 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB bzw. § 315 Abs. 2 Nr. 2 HGB. Kleine Kapitalgesellschaften sind gemäß § 288 Abs. 1 HGB von den Angabepflichten zu Derivaten ausgenommen. Die Vorschriften setzen Art. 42d, Art. 43 Abs. 1 Nr. 14 sowie Art. 46 Abs. 2 f) der 4. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie um. Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 25. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Abänderungs- sowie Abschlussprüferrichtlinie. Vgl. hierzu BT-Drs. 16/10067, S. 32. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 34; Ernst (2006), S. 93.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
15
Wahlrecht haben, bei der Aufstellung des Konzernabschlusses statt den handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften die IFRS zugrunde zu legen.77 Aufgrund des sich zunehmend internationalisierenden Wettbewerbs um kostengünstige Finanzierungen werden sich künftig auch die übrigen Unternehmen dem Druck einer Rechnungslegung nach international akzeptierten Grundsätzen kaum entziehen können.78 In diesem Zusammenhang wird im Schrifttum häufig auf den Rating-Prozess der Banken gemäß Basel II und die Bereitstellung von Eigenkapital durch Private Equity-Gesellschaften verwiesen, die durch international vergleichbare Jahresabschlüsse vereinfacht werden können.79 Doch gerade für kleine und mittelgroße Unternehmen wird die Erstellung eines Jahresabschlusses nach IFRS als eine nicht zumutbare Belastung betrachtet.80 Diesen Unternehmen soll durch das modernisierte Handelsbilanzrecht eine gleichwertige und kostengünstige Alternative zu den IFRS geboten werden.81
Mit der maßvollen Annäherung an die IFRS geht eine verstärkte Hinwendung zur Informationsfunktion der Rechnungslegung einher. Diese Veränderung ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels, der sich hinsichtlich der Zwecksetzung des Jahresabschlusses vollzieht.82 Bisher wird dem über die Ausschüttungsbemessungsfunktion verfolgten Gläubigerschutz eindeutige Priorität eingeräumt. Durch die Modernisierung des Bilanzrechts soll das Informationsniveau der Handelsbilanz angehoben werden und damit eine stärkere Ausrichtung an den Informationsbedürfnissen der Adressaten des Jahresabschlusses erfolgen. Im Zuge dessen hat der Gesetzgeber die Ausschüttungsbemessungs- und die Informationsfunktion explizit auf die gleiche Ebene gestellt.83 So soll der Informationsge-
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78
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82 83
Gemäß § 325 Abs. 2a HGB kann bei nichtkapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften für Zwecke der Offenlegung ein nach IFRS aufgestellter Einzelabschluss verwendet werden, doch damit entfällt für diese Unternehmen nicht die Pflicht zur Aufstellung eines handelsrechtlichen Einzelabschlusses für Zwecke der Ausschüttungsbemessung. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 33; Böcking/Herold/Müßig (2004), S. 668 f.; Ernst (2007), S. 13 f.; Wielenberg (2007), S. 748 m.w.N. Auch aus der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit von Unternehmen kann ein Impuls für die Anwendung der IFRS ausgehen. Vgl. hierzu Böcking/Herold/Müßig (2004), S. 671 f.; Kahle (2006), S. 241; Massenberg/Borchardt (2007), S. 346 m.w.N. Vgl. Böcking/Herold/Müßig (2004), S. 669; Jebens (2003), S. 2349; Wielenberg (2007), S. 748. Hierzu kritisch vgl. Kahle (2006), S. 244; Massenberg/Borchardt (2007), S. 351; Oehler (2006), S. 117. Vgl. Ernst (2007), S. 12; Kahle (2006), S. 239 f.; Schildbach (2002), S. 272. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 34. Der Wettbewerb zwischen dem deutschen Gesetzgeber und dem IASB kann grundsätzlich einen positiven Einfluss auf die Fortentwicklung von Rechnungslegungsvorschriften entfalten. Vgl. hierzu Schmidt (2007), S. 548-550; Sunder (2002), S. 226-231. Vgl. hierzu Wagner (2006), S. 274-288. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 59.
16
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
halt des Jahresabschlusses erhöht werden, ohne die Ausschüttungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Einzelabschlusses in ihrer Bedeutung abzuwerten.84 Wie die Erläuterungen zur Fair Value-Richtlinie verdeutlicht haben,85 nimmt die Frage der Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value bei der Harmonisierung der handelsrechtlichen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften eine zentrale Rolle ein. Welche Unsicherheit diesbezüglich herrscht, spiegelt sich auch in den Veränderungen wider, die sich zwischen den Entwürfen und der letztlich verabschiedeten Fassung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ergeben haben. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Fragen, in welchem Verhältnis der Fair Value zu den handelsrechtlich bisher zugrunde gelegten Wertmaßstäben steht und ob eine Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten sich auch im Handelsbilanzrecht dazu eignet, den Informationsgehalt von handelsrechtlichen Jahresabschlüsse zu erhöhen.
Um beurteilen zu können, auf welche Weise Finanzinstrumente im Sinne einer informationsorientierten Rechnungslegung bilanziert werden sollten, widmen sich die nachfolgenden Ausführungen zunächst einer genauen Bestimmung, was unter dem Begriff des Informationszwecks subsumiert wird bzw. ob dem HGB und den IFRS das gleiche Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung zugrunde liegt. Zudem kann die Informationsfunktion der Rechnungslegung in Bezug auf das HGB nicht isoliert betrachtet werden, sondern bedarf der Berücksichtigung der handelsrechtlichen Ausschüttungsbemessungsfunktion, die bisher einen maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung und Auslegung der Vorschriften ausgeübt hat.
2.2 2.2.1 2.2.1.1
Zwecke und Grundsätze der Rechnungslegung nach HGB und IFRS Handelsrechtlicher Zweckdualismus Ausschüttungsbemessungs- und Informationsfunktion
Die Zwecke und Ziele der Rechnungslegung bestimmen maßgebend die Ausgestaltung der konkreten Vorschriften. „Bilanzierungszwecke und -ziele stehen dabei in einem ZweckMittel-Verhältnis zueinander, d.h. die Bilanzierungsziele leiten sich aus dem Sinn und 84 85
Vgl. hierzu auch T. Siegel (1997), S. 139 m.w.N. Siehe hierzu Abschnitt 2.1.3.1.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
17
Zweck der Rechnungslegung ab.“86 Aus den Bilanzierungszielen ergeben sich wiederum die konkreten Bilanzierungsvorschriften.87 Dem handelsrechtlichen Jahresabschluss werden unterschiedliche Zwecke zugeschrieben, dabei ist zwischen dem Einzel- und dem Konzernabschluss zu unterscheiden. Aus bilanzrechtstheoretischer88 Sicht werden dem handelsrechtlichen Einzelabschluss zwei grundlegende Zwecke zugeordnet. Der Einzelabschluss soll eine Ausschüttungsbemessungsfunktion und eine Informationsfunktion gegenüber den Bilanzadressaten erfüllen.89 Darüber hinaus sind die handelsrechtlichen GoB durch das Maßgeblichkeitsprinzip auch für die steuerliche Gewinnermittlung von Bedeutung.90 Hinsichtlich der Zwecke des handelsrechtlichen Einzelabschlusses liegt demnach das Hauptaugenmerk auf der Ausschüttungsbemessung sowie der Informationsvermittlung, wobei das Handelsbilanzrecht keinem Zweck explizit eine Priorität beimisst.91 „Erst nach Lösung dieses Problems könnte ein im Hinblick auf das Zielsystem geschlossenes System von Bilanzierungsvorschriften aufgestellt werden.“92
Durch die Ausschüttungsbemessungsfunktion soll vermieden werden, dass „das Erreichen des Geschäftszwecks“93 durch übermäßige Gewinnausschüttungen gefährdet wird.94 Dies
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90 91 92 93 94
Jacobi (2003), S. 5 in Anlehnung an Oberbrinkmann (1990), S. 1 f. Vgl. stellvertretend statt vieler Beisse (1994), S. 19 f.; Moxter (1980), S. 256. Innerhalb der allgemeinen Bilanztheorie ist zwischen der betriebswirtschaftlichen Bilanztheorie und der Bilanzrechtstheorie zu differenzieren. Im deutschen Schrifttum ist die betriebswirtschaftliche Bilanztheorie von drei Hauptströmungen geprägt, dazu zählen die Statik, die Dynamik sowie die Organik. Sie stellen logisch-deduktive Aussagensysteme dar, ohne dabei die gesetzlichen Vorschriften zugrunde zu legen. Sie konzentrieren sich auf die Frage nach dem allgemeinen Sinn und Zweck einer Bilanz. Die Bilanzrechtstheorie dient hingegen als Basis für die Auslegung der Rechnungslegungsvorschriften und widmet sich somit der Frage nach dem Zweck einer Bilanz im Rechtssinne. Vgl. hierzu Ballwieser (1993), S. 108 f.; Jacobi (2003), S. 5 f.; Haller (1994), S. 101; Moxter (1984), S. 149; Schneider (1987), S. 409. Vgl. Beisse (1999), S. 2181; Hommel/Schmidt/Wüstemann (2004), S. 89; Moxter (2002), Sp. 1041 f. Der Dokumentationsfunktion wird im Hinblick auf die übrigen Jahresabschlusszwecke eine instrumentelle Funktion eingeräumt, die durch die laufende Buchführung zweifelsfrei als erfüllt angesehen werden kann. Vgl. Böcking (2002), S. 925, Fn. 10; Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 104. Siehe § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG. Vgl. hierzu Schramm (2005), S. 302-304. Vgl. Ballwieser (1987), S. 13; Böcking (1988), S. 80 f. Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 17. Moxter (2003), S. 3. Vgl. auch Mellwig (1983), S. 1616.
18
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
schützt sowohl die Interessen der Investoren95 als auch insbesondere die Interessen der Gläubiger.96 Die besondere Schutzbedürftigkeit der Gläubiger wird mit der fehlenden Möglichkeit zur Einflussnahme auf das Verhalten des Unternehmens begründet. Gleichwohl soll über die Ausschüttungsbemessung nicht nur eine Obergrenze für mögliche Ausschüttungen festgesetzt werden. Die Ausschüttungsbemessungsfunktion dient ebenso der Ermittlung der Gewinnansprüche der Investoren, um ihnen Schutz vor Gewinnkürzungen zu bieten.97 Im Rahmen der handelsrechtlichen Ausschüttungsbemessung steht die vorsichtige Gewinnermittlung im Vordergrund. Nach mehrheitlich geäußerter Meinung sind die Ausschüttungsbemessungsfunktion und der mit ihr im Zusammenhang stehende Gläubigerschutz der Primärzweck des handelsrechtlichen Einzelabschlusses.98
Dem Einzelabschluss wird darüber hinaus die Aufgabe zugeschrieben, den Bilanzadressaten eine informationelle Basis für ihre wirtschaftlichen Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.99 Anhaltspunkte auf diese Funktion des Einzelabschlusses finden sich an verschiedenen Stellen des Gesetzes wieder.100 Nach § 238 Abs. 1 HGB hat jeder Kaufmann Bücher zu führen, die die Lage seines Vermögens ersichtlich machen. Für Kapitalgesellschaften wird durch § 264 Abs. 2 HGB dem Nachdruck verliehen, indem die Anforderung gestellt wird, dass der Einzelabschluss der Kapitalgesellschaft unter Beachtung der GoB ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat. Zwar mangelt es an einer Spezifizierung, wer der Gruppe der Bilanzadressaten zuzurechnen ist, doch sind insbesondere die Investoren und Gläubiger eines Unternehmens an dessen Entwicklung interessiert.101
95
96 97
98
99 100 101
Allgemein kann unter diesem Begriff sowohl die Gesamtheit der Kapitalgeber subsumiert werden, also Anteilseigner und Gläubiger, als auch spezifisch auf die Gruppe der Anteilseigner abgestellt werden. Im Folgenden werden als Investoren die Anteilseigner eines Unternehmens bezeichnet. Vgl. hierzu Brockington (1993), S. 130; Kübler (1995), S. 364 f.; White/Sondhi/Fried (1994), S. 4. Diese Festlegung steht auch im Einklang mit den IFRS. Siehe hierzu Abschnitt 2.2.2.1. Vgl. Moxter (2003), S. 3. Die Gewinnansprüche können sich nicht nur aus gesetzlichen Regelungen ergeben, sondern auch durch vertragliche Vereinbarungen festgelegt werden. Vgl. Moxter (2003), S. 3. Vgl. statt vieler Beisse (1993), S. 79; Döllerer (1959), S. 1219; Euler (1996), S. 183; Moxter (1995), S. 503. A.A. sind beispielsweise Baetge/Thiele, die den Jahresabschlusszweck der Informationsvermittlung als gleichrangig beurteilen. Vgl. Baetge/Thiele (1997), S. 18 f. Vgl. Ballwieser (2002), S. 115. Vgl. hierzu Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 93 f. Vgl. Moxter (1962), S. 609.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
19
Dem Konzernabschluss wird hingegen eine reine Informationsfunktion zuteil, trotzdem ergeben sich nur in einem beschränkten Umfang gesonderte Prinzipien und Einzelnormen.102 Zudem betreffen die speziellen Vorschriften für den Konzernabschluss und die Grundsätze ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung103 vorwiegend Konsolidierungsfragen. Prinzipiell ist der Konzernabschluss analog zum Einzelabschluss unter Beachtung der GoB aufzustellen.104 Sofern die Eigenart des Konzernabschlusses keine Abweichung bedingt oder in den betreffenden Vorschriften nichts anderes bestimmt ist, sind somit die allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften entsprechend anzuwenden.105 Die Ausübung von Bewertungswahlrechten erfolgt gemäß der Fiktion der rechtlichen Einheit106 für den Konzernabschluss unabhängig von ihrer Ausübung in den Einzelabschlüssen.107
2.2.1.2 2.2.1.2.1
Handelsrechtliche Rechnungslegungsgrundsätze Auswirkungen des Zweckdualismus auf die Ermittlung von Rechnungslegungsgrundsätzen
Die GoB bilden ein sich wechselseitig ergänzendes und beschränkendes System von Prinzipien und Einzelnormen,108 die eine zweckgerechte Rechnungslegung sicherstellen.109 Mit diesem unbestimmten Rechtsbegriff hat der Gesetzgeber die Rechnungslegungsvorschriften als ein sogenanntes offenes System gestaltet, um eine Anpassung der bestehenden Konventionen an veränderte Rahmenbedingungen mittels Herausbildung neuer GoB zu ermöglichen.110 Welche Grundsätze als GoB gelten, ist nur teilweise gesetzlich kodifi-
102 103
104 105
106 107 108 109 110
Zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung vgl. Ballwieser (1995), S. 51-58. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Konzernrechnungslegung setzen sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Grundsätzen ordnungsmäßiger Konsolidierung zusammen. Vgl. Ruhnke (1993), S. 756-759. Siehe § 297 Abs. 2 HGB. Siehe § 298 Abs. 1 HGB. Vgl. auch Ballwieser (1995), S. 56. A.A. ist Niehues, der für einen Paradigmenwechsel bei der Auslegung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für den Konzernabschluss plädiert. Vgl. Niehus (1994), S. 617-646. Siehe § 297 Abs. 3 Satz 1 HGB. Siehe § 308 HGB. Vgl. Moxter (2002), Sp. 1041. Vgl. Ballwieser (1995), S. 43. Vgl. Ruhnke (1993), S. 755.
20
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
ziert.111 Es handelt sich dabei um rechtsform- und branchenunabhängige Rahmengrundsätze handelsrechtlicher Bilanzierung.112
Auf welche Weise die GoB abzuleiten sind, unterliegt einer bis heute währenden wissenschaftlichen Diskussion, in der sich noch keine „allseits akzeptierte Lehre zur Ermittlung“113 der GoB herausgebildet hat.114 Nach mehrheitlich geäußerter Meinung ist der deduktiven Ableitung aus den Zwecken des handelsrechtlichen Jahresabschlusses gegenüber einer induktiven Ermittlung anhand der Gepflogenheiten von ordentlichen und ehrenwerten Kaufleuten, wie es im älteren Schrifttum praktiziert wurde,115 eindeutig Vorrang einzuräumen.116 Doch eine reine Deduktion, im Sinne einer logischen Ableitung von widerspruchsfreien Aussagen, kann aufgrund der Zweckvielfalt des handelsrechtlichen Jahresabschlusses nicht erfolgen.117 Über die Beobachtung kaufmännischer Gepflogenheiten können wichtige Anstöße und Ideen gewonnen werden, weshalb die induktive Methode bei der Gewinnung von GoB weiterhin von Bedeutung sein kann.118 Die induktive und die deduktive Ermittlungsmethode sollten daher in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen.119 Die hermeneutische Methode verbindet diese beiden Elemente zur Gewinnung sowie zur Auslegung der GoB und findet mittlerweile einen hohen Zuspruch.120 Ein wesentlicher Bestandteil des Erkenntnisprozesses ist zunächst die Interpretation der relevanten handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften, hierzu sind121 x
111 112
113 114 115
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118 119 120 121
grundlegend die 4. EG-Richtlinie,
Vgl. Ballwieser (1995), S. 44 f. m.w.N.; Moxter (2003), S. 9; Ruhnke (1993), S. 756. Moxter begründet die Unabhängigkeit von Rechtsform und Branche mit der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Einzelabschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung. Das Maßgeblichkeitsprinzip nach § 5 Abs. 1 EStG erstreckt sich auch auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Wären diese rechtsform- oder branchenspezifisch, verstieße dies gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach Art. 3 GG. Vgl. Moxter (1980), S. 265-267. Förschle (2006), § 243 HGB, Rn. 18. Vgl. hierzu ausführlich Förschle (2006), § 243 HGB, Rn. 11-22. Nach Leffson ist unter Hinweis auf Popper der Schluss von singulären Sätzen auf allgemeine Sätze logisch nicht zu rechtfertigen und daher wissenschaftstheoretisch abzulehnen. Vgl. Leffson (1982), S. 28. Vgl. auch Moxter (1980), S. 263. Letztlich sind nach Döllerer die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung „durch Nachdenken“ zu ermitteln. Vgl. Döllerer (1959), S. 1217. Vgl. auch Förschle (2006), § 243 HGB, Rn. 14 sowie Moxter (1980), S. 258 f. Vgl. hierzu Baetge/Zülch, die dafür eine eindeutige Dominanz eines der Jahresabschlusszwecke für erforderlich erachten. Baetge/Zülch (2006), Rn. 22. Vgl. Leffson (1982), S. 29. Vgl. Moxter (1980), S. 262. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz (1998), § 243 HGB, Rn. 18 m.w.N. In Anlehnung an Baetge/Zülch (2006), Rn. 24.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
x
der Wortlaut und Wortsinn der handelsrechtlichen Vorschriften,
x
der Bedeutungszusammenhang der handelsrechtlichen Vorschriften,
x
die Entstehungsgeschichte der handelsrechtlichen Vorschriften und
x
die Gesetzesmaterialien und Ansichten des Gesetzgebers
21
heranzuziehen. Diese ersten fünf Anhaltspunkte verdeutlichen, dass „die Konkretisierung der Jahresabschlusszwecke und der GoB folglich eng an den gesetzlichen Vorschriften ausgerichtet sein müssen“122. Sofern auf dieser Grundlage kein abschließendes Ergebnis erzielt werden kann, erfolgt die Auslegung anhand123 x
der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zwecke hinsichtlich der auszulegenden Vorschrift,
x
der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zwecke hinsichtlich des Jahresabschlusses,
x
der objektiv-teleologischen Zwecke des Jahresabschlusses und
x
der betriebswirtschaftlich gewonnenen Aspekte zu den Zwecken des Jahresabschlusses.
Bei der Auslegung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zwecke ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zu handelsrechtlichen Fragen von Bedeutung.124 Letztlich stellt auch die Verfassungskonformität für die GoB stets eine notwendige Voraussetzung dar.
2.2.1.2.2
Kodifizierte Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
Im Schrifttum hat sich bislang keine einheitliche Meinung zur Systematik der GoB herauskristallisiert. Die wohl bekanntesten Ansätze zur Systematisierung der GoB sind auf Leffson, Moxter und Baetge zurückzuführen.125 Differenzen bestehen insbesondere hinsichtlich der Strukturierung und Gewichtung einzelner Grundsätze. Im weiteren Verlauf findet daher eine Orientierung an den gesetzlich kodifizierten Grundsätzen statt.126 Dieser Vorgehensweise kann entgegengehalten werden, dass die GoB „auch ohne gesetzliche
122 123 124
125 126
Baetge/Zülch (2006), Rn. 25. Ebenfalls in Anlehnung an Baetge/Zülch (2006), Rn. 24. Dies umfasst neben Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) auch Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH), sofern der BFH aufgrund des Maßgeblichkeitsprinzips das Handelsbilanzrecht auszulegen hat. Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 113; Ordelheide (1998), S. 606. Für eine vergleichende Darstellung der unterschiedlichen Ansätze vgl. Ballwieser (1987), S. 9-15. Selbst die Abgrenzung, welche Vorschriften von allgemeiner Gültigkeit sind und folglich GoB darstellen, kann aus dem HGB nicht eindeutig abgeleitet werden. Vgl. Ballwieser (1987), S. 4 f.
22
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Fixierung verbindliche Rechtsnormen“127 darstellen. Letztlich hat der Gesetzgeber jedoch durch die Kodifizierung bestimmter Grundsätze, deren Gültigkeit und Bedeutung ausdrücklich hervorgehoben:128 x
Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind alle Geschäftsvorfälle lückenlos zu erfassen.129
x
Der Grundsatz der Richtigkeit und Willkürfreiheit fordert, dass die Geschäftsvorfälle im Sinne der Rechnungslegungsvorschriften zutreffend erfasst werden und verbietet fiktive Buchungen.130
x
Der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit betrifft sowohl die äußere Form wie auch die Art der Darstellung des Jahresabschlusses.131 Dies ist insbesondere für die Gliederung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung von Relevanz.132
x
Die Vermögensgegenstände und Schulden sind einzeln zu erfassen und zu bewerten (Einzelbewertungsprinzip).133
x
Die Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden ist unter Beachtung des Grundsatzes der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (Going Concern-Prinzip) durchzuführen.134
x
Das Saldierungsverbot verbietet die Verrechnung von Aktiv- und Passivposten sowie Aufwendungen und Erträge, jedoch wird es in zahlreichen Ausnahmen durchbrochen.135
x
Aus dem Grundsatz der Vorsicht als generelles Bewertungsprinzip ergeben sich sowohl das Realisations- als auch das Imparitätsprinzip. Während das Realisationsprinzip die Erfassung von Erträgen an deren Realisation knüpft, sind nach dem Imparitätsprinzip auch alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Bilanzstichtag entstanden sind,136 zu berücksichtigen.137
127 128
129 130 131 132 133 134 135 136 137
Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 44. Auch nach Ansicht von Beisse sind die meisten Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung inzwischen kodifiziert. Vgl. Beisse (1993), S. 79. Ähnlicher Auffassung Strobl (1996), S. 394. Siehe § 239 Abs. 2 HGB. Vgl. hierzu auch Winkeljohann/Klein (2006), § 239 HGB, Rn. 3. Siehe § 239 Abs. 2 HGB. Vgl. hierzu auch Winkeljohann/Klein (2006), § 239 HGB, Rn. 3. Siehe § 243 Abs. 2 HGB. Vgl. hierzu auch Förschle (2006), § 243 HGB, Rn. 52. Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 39. Siehe § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB. Siehe § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Siehe § 246 Abs. 2 HGB. Vgl. hierzu auch Förschle (2006), § 246 HGB, Rn. 105-115. Vgl. hierzu Hommel/Berndt (2000a), S. 1745 f. Siehe § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Vgl. hierzu auch Ballwieser (2008a), § 252 HGB, Rn. 56, 72 und 96.
23
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
x
Nach dem Periodisierungsgrundsatz sind Erträge und Aufwendungen unabhängig vom Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlungseingänge und -ausgänge zu berücksichtigen. Die periodengerechte Erfassung von Erträgen und Aufwendungen orientiert sich an sachlichen sowie zeitlichen Abgrenzungskriterien.138
x
Gemäß der Bewertungsstetigkeit sind die angewandten Bewertungsmethoden in den Folgeperioden beizubehalten.139
Einige dieser kodifizierten GoB stehen in einem direkten Verhältnis zueinander und lassen sich entsprechend untergliedern sowie einzelnen handelsrechtlichen Unterprinzipien zuordnen. „So ist das Vorsichtsprinzip Grundlage des Realisations- und Imparitätsprinzips. Das
Realisationsprinzip
ist
Basis
des
Periodisierungs-,
Einzelbewertungs-,
Vollständigkeits-, Wertidentitäts- und Anschaffungskostenprinzips […]; das Imparitätsprinzip impliziert das (strenge) Niederstwertprinzip und das Höchstwertprinzip.“140
2.2.1.2.3
Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage
Die bisher genannten Grundsätze werden teilweise auch als „Gewinnermittlungs-GoB“ bezeichnet,141 gleichwohl sie nicht ausschließlich dem Zweck der Ausschüttungsbemessung dienen, sondern auch für die Informationsfunktion von Bedeutung sind.142 Im Gegensatz dazu zielt die Vorschrift nach § 264 Abs. 2 HGB, eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln, allein auf die Informationsfunktion des Jahresabschlusses ab.143 Die Vorschrift wurde im Rahmen der Umsetzung der europäischen Bilanzrichtlinien eingeführt und geht auf den darin enthaltenen Grundsatz des „True and Fair View“ zurück.144 Der Gesetzgeber
138 139 140 141 142 143 144
Siehe § 252 Abs. 1 Nr. 5 HGB. Vgl. hierzu auch Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 135-137. Siehe § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB. Vgl. hierzu auch Winkeljohann/Geißler (2006), § 252 HGB, Rn. 56. Ballwieser (2008a), § 252 HGB, Rn. 4. Vgl. Ballwieser (2002), S. 115. Vgl. Moxter (1994), S. 718. Vgl. Beisse (1993), S. 91; Moxter (1994), S. 717. Vgl. Moxter (1994), S. 709.
24
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
verzichtete darauf, den Grundsatz des True and Fair View als sogenanntes Overriding Principle auszugestalten, wie es in den Bilanzrichtlinien der Fall ist.145
Die handelsrechtliche Vorschrift zur Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ist in ihrer Bedeutung von Beginn an umstritten gewesen. Den Kern der Diskussion bildete die Frage, ob sich aus der Vorschrift ein Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung ableiten lässt. Ein Teil des Schrifttums betrachtet die sogenannte Generalklausel als eine Konkretisierung der Informationsfunktion gemäß § 238 Abs. 1 HGB, die von unmittelbarer bilanzrechtlicher Bedeutung für alle Kaufleute ist.146 Gegen die Anerkennung dieser im HGB kodifizierten Anforderung als Bestandteil der allgemeinen Rechnungslegungsgrundsätze wird angeführt, dass es sich um eine rechtsformspezifische Vorschrift handelt, die sich auf den Einzel- und Konzernabschluss von Kapitalgesellschaften beschränkt.147 Mangels allgemeiner Gültigkeit ist die Vorschrift daher auch nicht als ein Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung einzustufen.148
Einen ähnlichen Stellenwert misst auch die Abkopplungsthese von Moxter dem True and Fair View-Prinzip bei.149 Sofern die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung ein nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens entsprechendes Bild des Unternehmens widerspiegeln, ist das informationelle Defizit durch zusätzliche Anhangangaben auszugleichen. Dieser Schluss wird aus dem Zusatz im Gesetzeswortlaut geschlossen, dass das Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage unter Beachtung der GoB zu vermitteln ist. Demzufolge wird den GoB implizit der Vorrang vor dem Prinzip des True and Fair View eingeräumt und der Anwendungsbereich des True and Fair View-Prinzips in erster Linie auf den Anhang beschränkt.150
145
146
147 148 149
150
Der Grundsatz des True and Fair View als Overriding Principle würde die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage über die Einzelvorschriften stellen. Die Entscheidung des Gesetzgebers wird teilweise als eine nicht zutreffende Umsetzung der maßgeblichen Bilanzrichtlinien beurteilt. Vgl. Budde/Steuber (1996), S. 544; a.A. Beisse (1999), S. 2182. Leffson sieht in der Generalklausel eine Interpretationshilfe für den allgemeinen Grundsatz der Gewährung eines sicheren Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage. Vgl. Leffson (1982), S. 57; ähnlicher Auffassung Claussen (1987), S. 79; Weber-Grellet (1996), S. 54. Vgl. Kropff (1997), S. 85. Vgl. Beisse (1993), S. 91; Moxter (1994), S. 717. Vgl. Moxter (1986), S. 67 f.; a.A. Herzig (1997), S. 45. Für eine Übersicht der Befürworter und Gegner der Abkopplungsthese vgl. Beisse (1996), S. 45-47. Vgl. zuletzt Moxter (2009), S. 10. Hierzu kritisch vgl. Lambert (2005), S. 160-163.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
25
Zudem hat sich bisher noch keine eindeutige Meinung herausgebildet, welche Grundsätze eine ordnungsmäßige Informationsvermittlung gewährleisten. Überlegungen hierzu führen „in Deutschland ein Schattendasein“151. Wichtige Vorarbeiten haben u.a. Leffson, Moxter und Ballwieser geleistet.152 Ein maßgeblicher Grundsatz für die Informationsfunktion der handelsrechtlichen Rechnungslegung ist die Entscheidungsrelevanz,153 auf die von Moxter bereits 1976 als ein Kerngrundsatz der ordnungsmäßigen Rechenschaft hingewiesen wurde.154 Der Konkretisierung des Begriffs der Relevanz wird im Zusammenhang mit der Entscheidungsnützlichkeit von Informationen in Abschnitt 2.3 nachgegangen.
2.2.2 2.2.2.1
Monistischer Jahresabschlusszweck nach IFRS Primat der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen
Der IASB hat sich zum Ziel gesetzt, die Ausgestaltung der Rechnungslegungsvorschriften an der Entscheidungsnützlichkeit (Decision Usefulness) der Informationen für die Bilanzadressaten auszurichten. Im sogenannten Rahmenkonzept (Framework), dem theoretischen Unterbau der IFRS, heißt es dazu: „Zielsetzung von Abschlüssen ist es, Informationen über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie Veränderungen in der Vermögens- und Finanzlage eines Unternehmens zu geben, die für einen weiten Adressatenkreis bei dessen wirtschaftlichen Entscheidungen nützlich sind."155 Um einen Maßstab für die Beurteilung des Erreichens dieses Ziel zu erlangen, ist es erforderlich zu präzisieren, wer die sogenannten Bilanzadressaten sind und wann die im Jahresabschluss enthaltenen Informationen als entscheidungsnützlich gelten.
151 152
153
154 155
Ballwieser (2002), S. 115. Vgl. hierzu Leffson (1982), S. 158-174; Moxter (1976), S. 91-99; Moxter (2002), Sp. 1049-1051; Moxter (2003), S. 223-336; Ballwieser (2002), S. 115. Vgl. Ballwieser (2002), S. 116 f.; Moxter (2003), S. 223. Auch der Deutsche Standardisierungsrat (DSR) hat im Rahmen seines Entwurfs der Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung (Rahmenkonzept) die Entscheidungsrelevanz als einen Informationsgrundsatz genannt. Aufgrund zahlreicher Kritik an der mangelnden Legitimation des DSR, allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu veröffentlichen, wurde das Projekt nicht weiter verfolgt. Vgl. DSR (2002), S. 13. Vgl. auch Pottgießer (2006), S. 353-355. Vgl. Moxter (1976), S. 97. Framework, Rn. 12.
26
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Als mögliche Adressaten des Jahresabschlusses werden im Rahmenkonzept derzeitige und potentielle Investoren156, Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten und weitere Kreditoren, Kunden, Regierungen sowie deren Institutionen und die Öffentlichkeit subsumiert.157 Im Rahmenkonzept wird darauf hingewiesen, dass der Jahresabschluss nicht die Informationsbedürfnisse aller Adressaten erfüllen kann. Das Problem der vielfältigen Informationsinteressen wird gelöst, indem die Gruppe der Investoren als idealtypischer Adressatenkreis bestimmt wird, an deren Informationsbedürfnissen sich die IFRS orientieren. Gemäß dem Rahmenkonzept deckt ein Jahresabschluss, der den Informationsbedürfnissen der Investoren entspricht, auch die Informationsbedürfnisse der meisten anderen Bilanzadressaten ab.158 Die Prämisse beruht implizit auf der Annahme, dass die Investoren aufgrund ihres erfolgsabhängigen Residualanspruchs das vergleichsweise umfangreichste Informationsbedürfnis haben.159
Daran schließt sich unmittelbar die Frage an, welche Informationen von den Bilanzadressaten als entscheidungsnützlich erachtet werden. Nach dem Rahmenkonzept des IASB benötigen die Bilanzadressaten für ihre wirtschaftlichen Entscheidungen Informationen, um die Fähigkeit des Unternehmens hinsichtlich der Erwirtschaftung von Zahlungsmitteln und Zahlungsmitteläquivalenten zu beurteilen sowie den Zeitpunkt und die Wahrscheinlichkeit ihres Entstehens einschätzen zu können.160 Hiernach bestimmt sich etwa die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Beschäftigten und Lieferanten zu bezahlen, Zinsverpflichtungen einzuhalten, Darlehen zurückzuzahlen und Ausschüttungen an seine Eigentümer vorzunehmen.
2.2.2.2
Grundsätze der internationalen Rechnungslegung
Das Rahmenkonzept des IASB ist Teil eines dreistufigen Regelwerks, das sich neben dem Rahmenkonzept aus den einzelnen Standards (IAS und IFRS) und den Interpretationen der einzelnen Standards durch das Standing Interpretations Committee (SIC) sowie das
156
157 158 159 160
Im Rahmenkonzept des IASB werden als Investoren ausschließlich die Anteilseigner bezeichnet. Kreditgeber werden neben den Investoren als ein eigenständiger Adressatenkreis aufgeführt. Siehe Framework, Rn. 9. Siehe Framework, Rn. 10. Vgl. auch Jacobi (2003), S. 54; Kessler (2005), S. 62. Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 147; Ballwieser (2002), S. 116. Siehe Framework, Rn. 15.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
27
International Financial Reporting Interpretations Committee (IFRIC) zusammensetzt. Das Rahmenkonzept soll nach den Vorstellungen des IASB den unterschiedlichsten Zwecken dienen, der primäre Zweck besteht jedoch in der Unterstützung der Mitglieder des IASB bei der Entwicklung zukünftiger Rechnungslegungsstandards sowie der Überprüfung bereits bestehender Standards.161 Es kann zwar bei der Aufstellung des Abschlusses im Falle von Regelungslücken als eine Auslegungshilfe herangezogen werden, ihm kommt jedoch nicht die unmittelbare Verbindlichkeit eines Standards, SIC oder IFRIC zu.162 Sofern ein Konflikt zwischen einzelnen Standards und dem Rahmenkonzept besteht, haben stets die Anforderungen des jeweiligen Standards eindeutigen Vorrang. In Konsequenz wurde das Framework von der EU auch nicht übernommen.
Das Rahmenkonzept trifft bei den Grundsätzen eine Unterscheidung zwischen Basisannahmen, qualitativen Anforderungen, Nebenbedingungen und dem teilweise vernachlässigten Grundsatz der Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes. Allerdings ist das Rahmenkonzept veraltet und bedarf einer grundlegenden Modernisierung, die der IASB bereits im Oktober 2004 offiziell in Angriff genommen hat. Aufgrund des inhaltlichen Umfangs wurde das Projekt in acht Phasen unterteilt, von denen keine Phase bisher den Status eines Entwurfs überschritten hat.163 Nachfolgend wird speziell auf diejenigen Rechnungslegungsgrundsätze näher eingegangen, die für die anschließende Diskussion von Bedeutung sind.
i.
Basisannahmen
Die zwei Basisannahmen setzten sich aus dem Konzept der Unternehmensfortführung (Going Concern) und der Periodenabgrenzung (Accrual Basis) zusammen. Das Konzept der Periodenabgrenzung verlangt, dass Geschäftsvorfälle unabhängig von den tatsächlichen Zahlungseingängen und -ausgängen zum Zeitpunkt ihrer Verursachung erfasst werden.164 Aus dem Konzept lässt sich neben dem Matching Principle auch das Realisationsprinzip (Realisation) ableiten. Dabei wird das Realisationsprinzip im Rahmenkonzept 161 162
163
164
Siehe Framework, Rn. 1. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu berücksichtigen, dass einige der im Folgenden dargestellten Rechnungslegungsgrundsätze auch einen Bestandteil von IAS 1 bilden. Zu den in Bezug auf die Bewertung von Finanzinstrumenten relevanten Neuerungsvorschlägen siehe Abschnitt 3.4.2.2. Siehe Framework, Rn. 22.
28
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
nicht explizit erwähnt, sondern ist verstreut in einzelnen Standards wiederzufinden.165 Durch das Matching Principle findet im Jahresabschluss eine verursachungsgerechte Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen statt.166 Aus dem Realisationsprinzip, das nur implizit in den konkreten Rechnungslegungsvorschriften enthalten ist, ergeben sich die Kriterien zur Ermittlung des Zeitpunkts der Ertragsrealisation.167
ii.
Qualitative Anforderungen
Neben den Basisannahmen bestehen zudem qualitative Anforderungen, die untergliedert werden in Verständlichkeit (Understandability), Relevanz (Relevance), Verlässlichkeit (Reliability) und Vergleichbarkeit (Comparability).168 Diese Merkmale werden als Voraussetzung dafür gesehen, dass die im Jahresabschluss vermittelten Informationen für die Bilanzadressaten entscheidungsnützlich sind.
Informationen können nur einen Nutzen entfalten, wenn sie für die wirtschaftlichen Entscheidungen der Adressaten eine Relevanz besitzen. Ein Einfluss auf die Entscheidungsfindung wird solchen Informationen beigemessen, die entweder bei der Beurteilung vergangener, aktueller oder künftiger Ereignisse helfen oder bereits bestehende Beurteilungen bestätigen oder korrigieren.169 Dieser auf die Prognosetauglichkeit und Erwartungsüberprüfung abstellende Grundsatz steht damit im engen Zusammenhang mit dem Zweck der IFRS.170 Um eine Entscheidungsnützlichkeit aufzuweisen, müssen Informationen nicht nur relevant, sondern auch verlässlich sein. Die Verlässlichkeit einer Information ist gegeben, wenn sie keine wesentlichen Fehler oder Verzerrungen aufweist.171 Hieraus begründet sich ein Spannungsverhältnis zur Relevanz, da häufig die Verlässlichkeit einer Information mit steigender Relevanz abnimmt.
165 166 167
168 169 170 171
Vgl. Kuhn (2007), S. 33; Küting (2006), S. 1446; Pottgießer (2006), S. 114. Siehe Framework, Rn. 95. Vgl. auch Beaver (1998), S. 2. Speziell IAS 18 behandelt die Bestimmung von Realisationszeitpunkten und befindet sich im Wandel. Vgl. hierzu Hommel/Schmitz/Wüstemann (2009), S. 374. Für eine ausführliche Analyse der bestehenden Konzepte zur Ertragsrealisation nach IAS 18 vgl. Wüstemann/Kierzek (2005), S. 69-103. Siehe Framework, Rn. 24. Siehe Framework, Rn. 26. Vgl. Jacobi (2003), S. 58. Siehe Framework, Rn. 31.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
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Die Verlässlichkeit wird anhand von fünf Sekundärgrundsätzen konkretisiert, die kumulativ zu erfüllen sind.172 Der Sekundärgrundsatz der glaubwürdigen Darstellung (Faithful Representation) verlangt eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der im Jahresabschluss abgebildeten Sachverhalte. Nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (Substance Over Form) „hat die bilanzielle Abbildung der Geschäftsvorfälle nicht auf Basis der rechtlichen Verhältnisse oder sonstiger formaler Anforderungen zu erfolgen, sondern gemäß ihrer wirtschaftlichen Realität“173. Der Sekundärgrundsatz der Neutralität (Neutrality) verlangt, dass die Informationen willkürfrei, d.h. frei von verzerrenden Einflüssen sind. Bei der Ausübung von Ermessensspielräumen bedarf es nach dem Vorsichtsgrundsatz (Prudence) einem sachgerechten Maß an Sorgfalt. Es dürfen jedoch keine bewusst gelegten stillen Reserven oder überbewertete Rückstellungen daraus resultieren.174 Gemäß dem Sekundärgrundsatz der Vollständigkeit (Completeness) haben die Informationen in den Grenzen von Wesentlichkeit und Kosten vollständig zu sein.
iii.
Nebenbedingungen für relevante und verlässliche Informationen
Es werden abschließend drei Nebenbedingungen genannt: die Zeitnähe (Timeliness), die Abwägung von Kosten und Nutzen (Balance Between Benefit and Cost) sowie die Abwägung der qualitativen Anforderungen an den Jahresabschluss (Balance Between Qualitative Characteristics).175 Die Nebenbedingungen beziehen sich insbesondere auf die Wechselwirkung bzw. den sogenannten Trade-off der zwei qualitativen Anforderungen – die Relevanz und die Verlässlichkeit einer Information.176 Speziell die zeitliche Nähe der Berichterstattung nimmt unmittelbaren Einfluss auf die beiden genannten qualitativen Anforderungen. Mit zunehmender Verzögerung der Berichterstattung werden vermehrt Aspekte bekannt, die zur Verlässlichkeit einer Information beitragen. Der Nutzen einer Information sinkt jedoch für die Bilanzadressaten, die zwischenzeitlich bereits Entscheidungen zu treffen haben. Die Abwägung zwischen dem Nutzen einer Information und den Kosten, die mit ihrer Bereitstellung verbunden sind, ist eine Ermessensfrage, die lediglich einzelfallbezogen getroffen werden kann.
172 173 174 175 176
Siehe Framework, Rn. 33-38. Preißler (2002), S. 2394. Siehe Framework, Rn. 37. Vgl. auch Strobl (1996), S. 393. Siehe Framework, Rn. 43-45. Vgl. Jacobi (2003), S. 60.
30
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
iv.
Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes
Sowohl im Rahmenkonzept als auch im IAS 1 ist der Grundsatz des True and Fair View bzw. der Fair Presentation als Generalnorm verankert.177 Im Sinne dieses Grundsatzes hat der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens sowie der Veränderungen in dessen Vermögens- und Finanzlage zu vermitteln.178 Annahmegemäß führt die Einhaltung der einschlägigen Rechnungslegungsstandards zu Jahresabschlüssen, die dem Anspruch der Generalnorm genügen. Der Grundsatz des True and Fair View ist daher nicht als ein Overriding Principle ausgestaltet, sondern primär das Ergebnis einer ordnungsgemäßen Anwendung der IFRS.179
2.2.3 2.2.3.1
Vergleich der Informationsfunktion gemäß HGB und IFRS Vergleich der betreffenden Grundsätze der Rechnungslegung
Beide Rechnungslegungslegungssysteme haben die Zwecksetzung der Informationsvermittlung, messen ihr aber eine unterschiedliche Bedeutung bei. Dies spiegelt sich auch in den Grundsätzen wider, die dem HGB und den IFRS zugrunde liegen und bereits voneinander unabhängig erörtert wurden. Die wesentlichen Rechnungslegungsgrundsätze sind in beiden Rechnungslegungssystemen vorhanden.180 Dies geht über elementare Grundsätze wie Vollständigkeit, Richtigkeit und Klarheit bzw. Verständlichkeit hinaus. Es finden sich ebenso u.a. das Vorsichtsprinzip sowie das Realisationsprinzip, der Periodisierungsgrundsatz oder der Grundsatz der Entscheidungsnützlichkeit in beiden Rechnungslegungssystemen wieder.181 Durch den bisherigen Vorrang der Ausschüttungsbemessungsfunktion im Handelsbilanzrecht gegenüber der international als Primat der Rechnungslegung erachteten Informationsfunktion ergeben sich jedoch vielschichtige Unterschiede. Den genannten 177
178 179
180 181
In IAS 1 wird lediglich den Begriff „Fair Presentation“ verwendet, im Rahmenkonzept werden hingegen beide Begriffe genannt. Cotting/Boemle messen den beiden Begriffen unterschiedliche Bedeutung bei. Vgl. Cotting/Boemle (2000), S. 788-791. Dabei handelt es sich jedoch um eine Minderheitsmeinung, vielmehr sind die beiden Begriffe als synonym zu betrachten. Vgl. Beisse (1999), S. 2181; Niehues (1997), S. 1422. Siehe Framework, Rn. 46 sowie IAS 1.7. Siehe IAS 1.17. Vgl. auch Jacobi (2003), S. 64. Eine ähnliche Auffassung vertreten Baetge/Kirsch/Thiele, die von einem sehr begrenzten Overriding Principle ausgehen. Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 150. Vgl. Ballwieser (1997), S. 381. Die Analyse beschränkt sich auf diejenigen Grundsätze, die für die anschließenden Ausführungen von unmittelbarer Bedeutung sind. Auf die Nennung weiterer gemeinsamer Grundsätze wie dem Grundsatz der Unternehmensfortführung wird daher verzichtet.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
31
Grundsätzen werden nicht nur unterschiedliche Stellenwerte zugeordnet,182 sondern auch die Inhalte bestimmter Grundsätze sind zum Teil verschieden.183
Deutliche Differenzen inhaltlicher Art ergeben sich bei der Auslegung des Vorsichtsprinzips.184 Aus handelsrechtlicher Sicht ist das Vorsichtsprinzip „das alles überragende Prinzip“185, das sich auf das gesamte System der GoB auswirkt.186 Als Konkretisierung des Vorsichtsprinzips fordert das Imparitätsprinzip eine Passivierung von drohenden Verlusten aus schwebenden Geschäften, während Forderungen gemäß dem Realisationsprinzip erst bei hinreichender Gewissheit aktiviert werden.187 Ein gänzlich anderes Bild ergibt sich aus dem Rahmenkonzept der IFRS.188 Zwar stellt das Vorsichtsprinzip auch eine qualitative Anforderung des Rahmenkonzepts dar, ist jedoch als Sekundärgrundsatz nur ein Unterfall der Verlässlichkeit. Demnach soll bei der Ausübung von Ermessensspielräumen ein sachgerechtes Maß an Sorgfalt bzw. Vorsicht an den Tag gelegt werden, ohne stille Reserven dabei zu schaffen.189
Eine inhaltlich ähnliche Auslegung wird hingegen dem Realisationsprinzip zuteil, dieses regelt in beiden Rechnungslegungssystemen den Ertragsrealisationszeitpunkt.190 Dem Realisationsprinzip wird jedoch ein unterschiedlicher Stellenwert beigemessen.191 Während es im Handelsbilanzrecht als Ausfluss des Vorsichtsprinzips bisher strikt den Ausweis von Erträgen erst im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Umsatzakt zulässt,192 stellt das Realisationsprinzip innerhalb des Rahmenkonzepts der IFRS einen Sekundärgrundsatz dar, der sich aus dem Grundsatz der Periodenabgrenzung ergibt.193 Letzterer erfordert, dass im Interesse des Aussagegehalts des Jahresabschlusses die entsprechenden Erträge und Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung gegenübergestellt werden.194 Der im
182
Vgl. Wagenhofer (2009), S. 133 f. Vgl. Ballwieser (1997), S. 381. 184 Vgl. Patek (2007), S. 462. 185 Niehues (1997), S. 1422. 186 Vgl. Merschmeyer (2005), S. 110; Moxter (1995), S. 503. 187 Vgl. Moxter (1995), S. 497. 188 Vgl. Küting (1993), S. 37. Ähnlicher Auffassung Havermann (1997), S. 663. 189 Vgl. Strobl (1996), S. 393. 190 Vgl. Küting (2006), S. 1446. 191 Vgl. Havermann (1997), S. 663; Berndt/Hommel (2005), S. 417. 192 Vgl. Moxter (1995), S. 497. 193 Vgl. Patek (2007), S. 462; Uhde (1999), S. 59. 194 Vgl. Strobl (1996), S. 420. 183
32
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Vergleich zu den handelsrechtlichen GoB geringere Stellenwert des Realisationsprinzips innerhalb des Rahmenkonzepts der IFRS kommt auch darin zum Ausdruck, dass nicht nur realisierte Erträge im Jahresabschluss berücksichtigt werden, sondern prinzipiell auch die in der betreffenden Periode realisierbaren Erträge.195
Der Grundsatz der Entscheidungsnützlichkeit ist ebenfalls in beiden Rechnungslegungssystemen verankert. Handelsrechtlich wird bisher die Informationsfunktion des Jahresabschlusses nach mehrheitlich geäußerter Meinung als ein gegenüber der Ausschüttungsbemessungsfunktion nachrangiger Jahresabschlusszweck beurteilt.196 Nach IFRS bildet die Informationsvermittlung hingegen eindeutig den Primärzweck der Rechnungslegung. Entsprechend verhält es sich mit dem Stellenwert, den die Entscheidungsnützlichkeit innerhalb der beiden Rechnungslegungssysteme einnimmt. In den handelsrechtlichen Rechnungslegungsgrundsätzen wird dem Vorsichtsprinzip im Vergleich zur Entscheidungsnützlichkeit eindeutig Vorrang eingeräumt.197 Hingegen nimmt im Rahmenkonzept der IFRS die Entscheidungsnützlichkeit innerhalb der Rechnungslegungsgrundsätze eine zentrale Rolle ein, während das Vorsichtsprinzip nur einen Sekundärgrundsatz darstellt, das der qualitativen Anforderung der Verlässlichkeit untergeordnet ist.
2.2.3.2
Gläubiger- versus Investorenorientierung
Der Zweck der Informationsvermittlung ist zwar immanenter Bestandteil beider Rechnungslegungssysteme, daraus lässt sich jedoch nicht automatisch auf eine (partielle) Zweckkonformität schließen. Es bleibt zu hinterfragen, über welche Sachverhalte welcher Adressatenkreis informiert werden soll. Die vorangegangenen Ausführungen zu den Jahresabschlusszwecken nach HGB und IFRS haben bereits verdeutlicht, dass die handelsrechtliche Zwecksetzung von einem Gläubigerschutzgedanken geprägt ist, während die IFRS sich zum Ziel gesetzt haben, die Informationsinteressen der bereits bestehenden sowie potentiellen Investoren abzudecken. Dieser Unterschied führt zu einer ambivalenten Literaturmeinung hinsichtlich der Vereinbarkeit der Informationsfunktion der Rechnungslegung nach handelsrechtlichem und internationalem Verständnis. 195
196 197
Siehe Framework, Rn. 100(c). Vgl. hierzu auch Küting (2006), S. 1449; Niehues (1997), S. 1421; Schruff (1993), S. 407. Siehe hierzu Abschnitt 2.2.1.1. Vgl. Uhde (1999), S. 59.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
33
Auf der einen Seite werden in Bezug auf das deutsche Bilanzrecht das Vorsichtsprinzip und der Gläubigerschutz häufig gleichgesetzt.198 So konstatiert Beisse, dass durch die Vorrangstellung der GoB die Priorität des Gläubigerschutzgedankens zum Ausdruck kommt.199 Die starke Gewichtung des Vorsichtsprinzips im Handelsbilanzrecht wird als Ausdruck dieser Gläubigerorientierung beurteilt.200 Die Gläubiger haben demnach ein berechtigtes Interesse daran, dass die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gewährleistet ist. Die Investoren disponieren hingegen „nur auf kurze Sicht und mehr oder weniger spekulativ.“201 Dieser Auffassung nach divergieren die Interessen der beiden Adressatenkreise, woraus ein besonderes Schutzbedürfnis der Gläubiger resultiert.202 Zwar bildet die beschränkte Haftung der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften den Ausgangspunkt des Problems,203 schließlich mindern überhöhte Ausschüttungen an die Investoren das Gläubigerzugriffsvermögen im Zerschlagungsfall. Als allgemeiner Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung gilt das Vorsichtsprinzip jedoch rechtsformübergreifend und damit auch für Personengesellschaften. Die vorsichtige Gewinnermittlung folgt dieser Auffassung nach nicht nur aus der gesetzlichen Ausschüttungssperre für Kapitalgesellschaften, sondern auch aus allgemeinen Gläubigerschutzerwägungen.204 Der Vorrang des Gläubigerschutzes „ist im Bilanzrecht a priori gewählt und ein (nicht selbstverständliches) rechtspolitisches Werturteil“205.
Auf der anderen Seite weisen Teile des Schrifttums darauf hin, dass eine Interessensdivergenz zwischen Gläubigern und Investoren per se nicht festgestellt werden kann. Für ihre wirtschaftlichen Entscheidungen bezüglich ihrer Anteilsrechte benötigen die Investoren Informationen über die Fähigkeit des Unternehmens, in der Zukunft Gewinne zu erwirtschaften; gleiches gilt für die Entscheidungen von potentiellen Investoren.206 Gläubigern reichen Informationen aus, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, ob das Unternehmen in der Zukunft im Stande sein wird, seine Zins- und Tilgungsverpflichtungen zu leisten. 198 199 200 201 202
203 204 205 206
Vgl. hierzu Budde/Steuber (1996), S. 544; Leuz (1996), S. 24 m.w.N. Vgl. Beisse (1993), S. 82. Vgl. Kahle (2002a), S. 696. Beisse (1993), S. 87. Vgl. hierzu stellvertretend statt vieler Moxter (1985), S. 1103 i.V.m. Siegel/Bareis/Rückle/Schneider/ Sigloch/Streim/Wagner (1999), S. 2082. Vgl. Herzig/Mauritz (1998b), S. 340; T. Siegel (1997), S. 122. Vgl. hierzu Leuz (1996), S. 17 in Anlehnung an Moxter (1984), S. 95, 107. Leuz (1996), S. 18. Vgl. Baetge/Thiele (1997), S. 15.
34
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Folglich genügt ein auf die Informationsanforderungen der Investoren zugeschnittener Jahresabschluss zugleich den Informationsinteressen der Gläubiger. Ein solcher informationeller Gläubigerschutz betrachtet die Kreditgeber als rational agierende Marktteilnehmer, die ihre Ertragsaussichten und Verlustrisiken selbst abzuwägen vermögen.207
Als vorläufiges Ergebnis kann festgehalten werden, dass im Schrifttum die Auffassung einer Vereinbarkeit der Informationsinteressen von Investoren und Gläubigern nicht einhellig vertreten wird.208 Die Kritik an der These, dass die Interessen der Gläubiger und der Investoren übereinstimmen, kann letztlich auf die Wechselwirkung zwischen Relevanz und Verlässlichkeit zurückgeführt werden. Demnach orientieren sich Investoren an den zukünftigen Erfolgsaussichten des Unternehmens und legen starken Wert auf die Relevanz der Jahresabschlussdaten. Gläubiger hingegen partizipieren nicht an den Gewinnen des Unternehmens, sondern erhalten bestenfalls die vereinbarte Verzinsung. Sie stellen die Verlässlichkeit der Informationen in den Vordergrund, da ihre Priorität in der Sicherstellung des Schuldendeckungspotenzials des Unternehmens liegt.209 Diese Auffassung schlägt sich in dem Ausspruch nieder, dass es für Kreditgeber keine guten, sondern nur schlechte Nachrichten gibt.210 Um zu erörtern, ob die Informationsbedürfnisse der Investoren und Gläubiger gegebenenfalls voneinander abweichen, wird nachfolgend aus ökonomischer Perspektive eingehender untersucht, wie die Kapitalgeber ihre Investitions- bzw. Kreditvergabeentscheidungen treffen und welche Aufgabe dabei den Rechnungslegungsinformationen zukommt.
207
208 209 210
In diesem Zusammenhang wird häufig der institutionelle Gläubigerschutz des HGB dem amerikanischen Konzept gegenübergestellt, das über die Rechnungslegung in erster Linie einen informationellen Gläubigerschutz verfolgt. Vgl. hierzu Busse von Colbe (2002a), S. 168-170; Kahle (2002a), S. 697-707; Kübler (1995), S. 362-367 sowie S. 371. Vgl. auch Gros/Wallek (2009), S. 542. Vgl. hierzu Pietsch (2007), S. 229 m.w.N. Vgl. beispielhaft Kessler (2005), S. 74. Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn (2008), S. 22.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
2.3 2.3.1 2.3.1.1
35
Informationszweck des Jahresabschlusses aus ökonomischer Sicht Konkretisierung der Entscheidungsnützlichkeit von Informationen Einkommensstrommaximierung als primärer Zweck des Wirtschaftens
Jahresabschlussinformationen sollen die Kapitalgeber bei ihrer jeweiligen Kapitalanlageentscheidung unterstützen. Die Beurteilung, welche Informationen sich als entscheidungsnützlich erweisen, bedingt die Berücksichtigung grundlegender ökonomischer Aspekte, die den allgemeinen Sinn des Wirtschaftens betreffen. „Die Notwendigkeit des Wirtschaftens ergibt sich aus der Tatsache, daß den weitgehend unbegrenzten Bedürfnissen des Menschen eine nur beschränkte Menge an Mitteln gegenübersteht, die diese Bedürfnisse zu befriedigen in der Lage sind.“211 Die Bedürfnisse lassen sich betriebswirtschaftlich auf den Konsum von knappen Gütern reduzieren. Das subjektiv empfundene Maß an Bedürfnisbefriedigung durch den Konsum von Gütern wird auch als der individuelle Nutzen bezeichnet. Dieser ist bestenfalls ordinal und nicht kardinal messbar.212 Erst die Konsumausgaben als Ausdruck des Nutzens in Geldeinheiten erlauben eine Vergleichbarkeit des Nutzens.213
Das Wirtschaften von Menschen ist somit primär auf das Ziel ausgerichtet, einen möglichst großen und in seiner zeitlichen Struktur den Bedürfnissen entsprechenden Einkommensstrom zu generieren.214 Die implizite Ausblendung nichtfinanzieller Bedürfnisse bei dieser Betrachtungsweise ist nach Ansicht von Schneider als legitim zu beurteilen, da die Betriebswirtschaftslehre als eine der Wissenschaften zu verstehen ist, die sich mit dem menschlichen Verhalten in Gesellschaften und nicht mit dem gesellschaftlichen Handeln in jeder Hinsicht (psychologisch, ethisch, religiös, rechtlich, usw.) beschäftigt.215
2.3.1.2
Subjektivität der individuellen Investitionsentscheidung
Kapitaleigner können sich grundsätzlich zwischen Konsum und Investition entscheiden. Bei der Entscheidung für eine Kapitalanlage erhofft sich der Kapitalgeber aus dem 211 212 213 214 215
Schildbach (1975), S. 15. Vgl. Schönbeck (2004), S. 95. Vgl. Schildbach (1975), S. 16. Vgl. Schildbach (1975), S. 16. Vgl. Schneider (1995), S. 15. Ähnlicher Auffassung Drukarczyk (1995), S. 332. Schmidt/Terberger sehen hingegen keine Notwendigkeit dafür, nichtfinanzielle Bedürfnisse zwingend auszuschließen. Der auf Konsum ausgerichtete Einkommensstrom kann auch das finanzielle Äquivalent für die Erreichung nichtfinanzieller Ziele beinhalten. Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 50 f.
36
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Verzicht auf sicheren Gegenwartskonsum einen unsicheren zukünftigen Mehrkonsum.216 Die als Risiko bezeichnete Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung ist Ausdruck unvollkommener Information.217 Die Unsicherheit kann sowohl in der Sache liegen als auch daraus resultieren, dass der Entscheider nicht alle relevanten Zusammenhänge vollständig überblicken kann.218 Selbst bei einem identischen Kenntnisstand über die ungewisse Zukunft kann von unterschiedlichen Kapitalgebern keine einheitliche Entscheidung erwartet werden. Dies kann bereits anhand eines einfachen Entscheidungsproblems verdeutlicht werden, bei dem der Entscheidungsträger bzw. Kapitalgeber über eine bestimmte Zahl an Handlungsalternativen (Aa) verfügt.219 Nach der Wahl für eine Handlungsalternative können unterschiedliche Umweltzustände (Ss) eintreten, denen jeweils Eintrittswahrscheinlichkeiten (w(Ss)) zugewiesen sind.220 In Abhängigkeit von der gewählten Handlungsalternative und dem eingetroffenen Umweltzustand stellt sich ein bestimmtes Ergebnis (Eas) ein:
Handlungsalternative
Umweltzustand S1
S2
…
SS
A1
E1,1
E1,2
…
E1,S
A2
E2,1
E2,2
…
E2,S
:
:
:
EA,1
EA,2
AA
: …
EA,S
221
Tabelle 1: Ergebnismatrix
Der Erwartungswert des Ergebnisses für jede Handlungsalternative (E(Aa)) errechnet sich aus der Summe der mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten multiplizierten Ergebnisse der unterschiedlichen Umweltzustände: 216 217
218
219 220 221
Vgl. Wagner (1982), S. 750. Der Begriff des Risikos wird in den Wirtschaftswissenschaften vielseitig verwendet; eine allgemeingültige Definition hat sich bisher nicht herauskristallisiert. Zu dem hier zugrunde gelegten Risikobegriff als positive oder negative Abweichung der tatsächlichen Ergebnisse wirtschaftlichen Handelns von den erwarteten Ergebnissen vgl. Baetge/Krause (1994), S. 435 f.; Müßig (2006), S. 22 f.; Toebe (2006), S. 35-37. Letzteres beschreibt die Beschaffung von Informationen als Entscheidungsproblem. Vgl. hierzu ausführlich Laux (2007), S. 337-372. Vgl. Beaver (1998), S. 19. Vgl. Beaver (1998), S. 19 f. In Anlehnung an die Entscheidungsmatrix von Laux zur Bestimmung einer optimalen Handlungsalternative nach dem Bernoulli-Prinzip. Vgl. Laux (2007), S. 164-171.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
37
ௌ
ܧሺܣ ሻ ൌ ݓሺܵ௦ ሻ ܧ כ௦ ௦ୀଵ
Eine reine Orientierung an den Erwartungswerten der Ergebnisse der jeweiligen Handlungsalternativen würde eine Risikoneutralität des Kapitalgebers unterstellen. Realistischer ist jedoch die Annahme risikoaverser Kapitalgeber.222 Eine Entscheidungsregel unter Berücksichtigung der Risikoaversion stellt das Bernoulli-Prinzip dar.223 Demnach richtet ein Kapitalgeber seine Entscheidung für eine der Handlungsalternativen nicht am Erwartungswert des Ergebnisses, sondern am Erwartungswert des Nutzens bzw. Erwartungsnutzen (EU) aus.224 Der Erwartungsnutzen einer Handlungsalternative Aa errechnet sich aus der Summe der Nutzenwerte der Ergebnisse jedes Umweltzustands unter Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten: ௌ
ܷܧሺܣ ሻ ൌ ݓሺܵ௦ ሻ ܷ כሺܧ௦ ሻ ௦ୀଵ
Der Kapitalgeber wird sich für die Handlungsalternative entscheiden, die den höchsten Erwartungsnutzen hat.225 So kann sich ein risikoaverser Kapitalgeber für eine Handlungsalternative entscheiden, die im Vergleich zu den übrigen Handlungsalternativen nicht den höchsten Erwartungswert des Ergebnisses hat, stattdessen aber eine geringere Varianz aufweist. In dem Fall ist für den Kapitalgeber der Nutzenzuwachs durch die geringere Varianz höher als der voraussichtliche Nutzenverzicht, den er dadurch eingeht, dass er sich nicht für eine der Handlungsalternativen entschieden hat, die einen höheren Erwartungswert haben. Das Ergebnis von Entscheidungen unter Unsicherheit hängt somit von der individuellen Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers ab.
Jahresabschlussinformationen werden von den Kapitalgebern dazu genutzt, die künftige (unsichere) Entwicklung des Unternehmens besser abzuschätzen. Die Informationen sind 222
223
224 225
Der Grad an Risikoaversion hängt von der individuellen Risikoeinstellung ab. Zur Messung der Risikoaversion vgl. grundlegend Arrow (1970), S. 90-120; Pratt (1964), S. 122-136. Eine alternative Entscheidungsregel, um als Zielgröße neben dem Erwartungswert auch das Risiko zu erfassen, ist das sogenannte (,)-Prinzip. Vgl. hierzu Laux (2007), S. 155-163. Vgl. Ewert/Wagenhofer (2005), S. 35. Vgl. Laux (2007), S. 166.
38
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unvollkommen, d.h. aus ihnen lässt sich nicht mit Sicherheit das Eintreffen eines bestimmten Umweltzustands ableiten. Sie können jedoch Einfluss auf die unterstellten Eintrittswahrscheinlichkeiten der Umweltzustände nehmen. An diesem Kriterium bemisst sich der individuelle Entscheidungsnutzen einer Information. Informationen sind demnach als entscheidungsnützlich zu beurteilen, sobald sie Einfluss auf die unterstellten Wahrscheinlichkeiten des Eintretens der möglichen Umweltzustände nehmen.226 Auf diese Weise verbessern sie die Qualität von Entscheidungen, auch wenn sich die Entscheidung selbst dadurch nicht verändert.227
Zugleich verdeutlichen die individuellen Nutzenfunktionen die Heterogenität der Informationsinteressen der Kapitalgeber. Die Beurteilung der Entscheidungsnützlichkeit von konkreten Jahresabschlussinformationen wird dadurch erheblich erschwert.228 Schließlich beschränken sich die unterschiedlichen Informationsinteressen nicht auf die verschiedenen Gruppen von Kapitalgebern wie Investoren und Gläubiger, sondern bestehen gleichermaßen auch innerhalb der einzelnen Gruppen.229 Es stellt sich daher die Frage, auf welche Weise die Rechnungslegung den individuellen Informationsinteressen der Kapitalgeber als die zentralen Adressaten des Jahresabschlusses überhaupt gerecht werden kann.
Grundsätzlich erweisen sich unter Ausklammerung von Informationskosten zusätzliche Informationen zumindest nicht als nachteilig.230 Dies entspricht auch dem Ergebnis von Blackwells Theorem,231 das mittlerweile im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff des Feinheitstheorems Anwendung findet. Es stellt unter sehr restriktiven Bedingungen eine Präferenzordnung für kostenlose Informationssysteme her. In einem Vergleich alternativer Informationssysteme, wird demnach dasjenige System präferiert, das „eine vollständige Rekonstruktion der Informationen des alternativen Systems“232 ermöglicht.233
226 227
228 229 230
231 232
Vgl. Böcking/Wesner (2004), S. 103; Marschak (1954), S. 200-205; Wüstemann (2002), S. 20. Vgl. Beaver (1998), S. 21; Beaver/Demski (1974), S. 180. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zur entscheidungstheoretischen Abgrenzung der Entscheidungsnützlichkeit von Informationen, wonach eine Information als nützlich beurteilt wird, wenn sich durch sie die konkrete Entscheidung verändert. Vgl. Beaver (1998), S. 8. Vgl. Ballwieser (1982), S. 778; Böcking/Wesner (2004), S. 103. Von der Berücksichtigung der Gefahr der Preisgabe von Informationen, die einen Wettbewerbsnachteil bewirken könnten, wird in diesem Zusammenhang abgesehen. Zum Geheimhaltungsinteresse von Informationen vgl. Schildbach (1975), S. 254-260; Wagenhofer/Ewert (2007), S. 61. Vgl. Blackwell/Girshick (1954), S. 330 f.; Ballwieser (1982), S. 781 f.; Demski (1980), S. 37. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 62 [im Original teilweise mit Hervorhebungen].
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Hierbei handelt es sich um eine derart einschränkende Bedingung, dass eine Anwendbarkeit auf Ansatz- und Bewertungsvorschriften ausgeschlossen ist.234 Sofern beispielsweise die Bewertungsmethode von fortgeführten Anschaffungskosten auf Zeitwerte umgestellt wird, ergibt sich eine neue Informationsgrundlage. Eine Vergleichbarkeit der Daten im Sinne einer vollständigen Rekonstruktion der Werte, die sich bei einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten ergeben würden, wäre nicht mehr möglich.
Blackwells Theorem nach könnte die Heterogenität der Informationsbedürfnisse prinzipiell überwunden werden, indem das Spektrum an zu veröffentlichenden Informationen allen erdenklichen Informationsinteressen gerecht wird.235 Der ausschlaggebende Grad an Komplexität ergibt sich erst aus der Einbeziehung von Informationskosten,236 denn die Bildung einer Präferenzordnung nach dem Feinheitstheorems erschwert sich, sobald mit dem mehr an Informationen auch zusätzliche Kosten verbunden sind. Eine Vorschrift zur Angabe einer bestimmten Information kann nur befürwortet werden, wenn der Nutzenzuwachs die verursachten Kosten übersteigt. Damit erweitert sich die Beurteilung der Entscheidungsnützlichkeit um das Kriterium der Wirtschaftlichkeit.237 Eine solche KostenNutzen-Relation ist jedoch auf theoretische, exakt konkretisierte Entscheidungsfelder beschränkt und in der Realität kaum bestimmbar.238
2.3.1.3
Problem der asymmetrischen Informationsverteilung
Die Entscheidungen der Kapitalgeber finden in einem von asymmetrischer Informationsverteilung geprägten Umfeld statt. Die Principal-Agency-Theorie oder kurz AgencyTheorie beschreibt den Interessenskonflikt,239 der sich ergibt, wenn ein Prinzipal bestimmte Entscheidungen an einen Agenten delegiert und ihn mit Entscheidungskompetenzen 233
234 235
236 237 238 239
Die Idee des „Feinheitsvorsprungs“ ist eine Umsetzung des Pareto-Kriteriums auf Informationssysteme. Vgl. Krönert (2001), S. 25. Vgl. Ballwieser (1982), S. 782. Die Grenzen dieses Theorems lassen sich durch informationsökonomische Überlegungen verdeutlichen. So kann gezeigt werden, dass im Mehrpersonenfall unter bestimmten Umständen eine öffentliche und kostenlose Information einheitlich nicht gewünscht wird, da nicht vorhersehbar ist, ob die Information dem Einzelnen eher nützt oder schadet. Vgl. hierzu Marshall (1974), S. 373-390; Schmidt (1982), S. 735-738; Schredelseker (1985), S. 135. Vgl. Krönert (2001), S. 25. Vgl. Blaufus (2005), S. 159-163. Vgl. Ballwieser (1982), S. 777. Vgl. hierzu grundlegend Jensen/Meckling (1976), S. 305-357.
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zwischen verschiedenen Handlungsalternativen ausstattet.240 Der Agent erhält für seine Tätigkeit eine Vergütung, deren Bemessungskriterien im Voraus festgelegt werden, und soll dafür die ihm übertragenen Aufgaben im Sinne des Prinzipals erfüllen.241 Der Prinzipal kennt dabei die Zielsetzung des beauftragten Agenten nicht und kann im Allgemeinen nicht davon ausgehen, dass der Agent sich bei seinen Entscheidungen an den Interessen des Prinzipals orientiert.242
Die Interessenskonflikte erwachsen aus der unterschiedlichen Zielsetzung von Managern und Kapitalgebern.243 Prinzipal und Agent streben jeweils nach der Maximierung des eigenen Nutzens.244 Der Agent hat in der Regel einen Informationsvorsprung gegenüber dem Prinzipal, den er zu seinen Gunsten ausnutzen kann. Der Informationsvorsprung des Agenten äußert sich durch eine bessere Kenntnis der Handlungsalternativen, der möglichen Umweltzustände sowie der Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser Umweltzustände.245 Eine Lösung dieses Anreizproblems über die Ausgestaltung des Vertrags zwischen Prinzipal und Agent würde nicht nur exorbitante Kosten verursachen, sondern scheitert auch an der mangelnden Beobachtbarkeit der Umweltzustände und Handlungsalternativen seitens des Prinzipals.246 Es handelt sich daher um unvollständige bzw. implizite Verträge.247
Mit Hilfe der Agency-Theorie lassen sich wesentliche Problembereiche wie Adverse Selection und Moral Hazard beschreiben. Während die Gefahr der Adverse Selection bei Vertragsabschluss besteht, tritt Moral Hazard nach Vertragsabschluss auf, wenn der Agent Entscheidungen zu treffen hat. Adverse Selection wird anhand der Hidden Characteristics beschrieben. So können die Investoren bei der Wahl des Managements deren Fähigkeiten
240 241 242 243
244
245
246 247
Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308. Vgl. Vollmer (2008), S. 15. Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308; Kiener (1990), S. 19; Laux (1972), S. 784; Ross (1973), S. 134. Es ergeben sich einerseits Konflikte zwischen Managern und Eigenkapitalgebern (Manager-EignerKonflikte) und andererseits zwischen Gläubigern und Eigenkapitalgebern (Gläubiger-Eigner-Konflikte). Vgl. Vollmer (2008), S. 21-25; Wagenhofer/Ewert (2007), S. 132. Aus Vereinfachungszwecken soll zunächst unterstellt werden, dass weder die Manager am Unternehmen noch die Kapitalgeber an der Geschäftsführung beteiligt sind. Die umgekehrte Möglichkeit, dass der Prinzipal besser informiert ist als der Agent kann ausgeschlossen werden, da es für den Prinzipal stets vorteilhaft ist, den Agenten über dieses Wissen zu informieren. Vgl. Kiener (1990), S. 90. Vgl. Franken (2001), S. 22 f.; Schneider (1997b), S. 23 f. Vgl. Kuhn (2007), S. 51 m.w.N.
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41
nicht hinreichend genau beurteilen.248 Ebenso haben Gläubiger zu befürchten, dass ihnen in der vorvertraglichen Phase die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verzerrt dargestellt wird, um dadurch günstigere Kreditkonditionen zu erhalten. Moral Hazard kann sowohl aus Hidden Information wie auch Hidden Action resultieren. Im Fall der Hidden Information kann der Prinzipal die Performance des Agenten nicht beurteilen, da er über weniger Information verfügt als der Agent. Der Prinzipal kann nicht erkennen, ob die vom Agenten getroffene Entscheidung auf Basis seines zum jeweiligen Zeitpunkt bestehenden Informationsstands tatsächlich der Zielsetzung des Prinzipals am besten entsprochen hat oder ob der Agent bei der Entscheidung auch eigene Interessen einfließen lassen hat (Fringe Benefits).249 Bei einer Hidden Action gelingt hingegen keine adäquate Beurteilung des Verhaltens des Agenten, da der Prinzipal die Aktivitäten des Agenten nicht vollständig kennt.
Anreizprobleme ergeben sich nicht nur aus dem Verhältnis zwischen den Kapitalgebern und dem Management des Unternehmens. Moral Hazard birgt auch Risiken, die von den Anteilseignern für die Gläubiger des Unternehmens ausgehen. Die Gläubiger haben zu befürchten, dass das Unternehmen zu ihrem Nachteil ein sogenanntes Risk Shifting vornimmt.250 Hierbei wird unterstellt, dass das Management im Interesse der Anteilseigner handelt, sei es, durch geeignete Monitoring- und Anreizsysteme oder weil es sich um Manager handelt, die zugleich Anteilseigner des Unternehmens sind, sogenannte Eigentümer-Manager.251 Die Ansprüche der Gläubiger beschränken sich auf die vereinbarte Verzinsung, während der übrige Gewinn von den Anteilseignern des Unternehmens vereinnahmt wird. Der mögliche Verlust der Anteilseigner beschränkt sich jedoch auf die erbrachte Einlage. Daraus entsteht für das Unternehmen ein Anreiz, in riskantere Projekte zu investieren, um auf diese Weise zu ihren eigenen Gunsten eine Vermögensverschiebung vorzunehmen.252
248
249 250 251 252
Als ein weiterer Problembereich wird im Schrifttum teilweise Hidden Intention genannt, der sowohl Elemente von Hidden Information als auch von Hidden Characteristics enthält. Nicht zuletzt aufgrund dieser Abgrenzungsschwierigkeiten haben Hidden Intention-Probleme in Agency-Modellen kaum Beachtung gefunden. Vgl. hierzu Breid (1995), S. 824 f. Vgl. Kuhn (2007), S. 53. Vgl. Kahle (2002a), S. 700; Rammert (2004), S. 581. Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 183. Vgl. hierzu Liekweg (2003), S. 108-110.
42
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Aus der asymmetrischen Informationsverteilung resultiert im Vergleich zur hypothetischen Gleichverteilung der Informationen ein suboptimaler Zustand für den Prinzipal. Beiden Seiten bieten sich in Abhängigkeit von dem vorliegenden Agency-Problem jeweils Möglichkeiten zur Minimierung dieser Verluste an, die sich wie folgt unterscheiden lassen:253 i.
Reduktion der Informationsasymmetrien in der vorvertraglichen Phase durch sogenanntes Signaling und Screening.254
ii.
Überwachung (Monitoring) des Agenten durch den Prinzipal.
iii.
Festlegung von Beschränkungen durch den Agenten und ähnliche Regelungen (Bonding), um dem Prinzipal zu versichern, bestimmte Handlungen nicht durchzuführen.
iv.
Etablierung von Anreizsystemen zur Verringerung von Interessenskonflikten.255
Die Gesamtkosten des Prinzipals setzen sich zusammen aus den Kosten bei optimalem Einsatz der Überwachungs- und Anreizsysteme und dem Residualverlust (Residual Loss), den der Prinzipal durch den Nutzenentgang im Vergleich zur First Best-Lösung erleidet.256 Dabei entspricht die First Best-Lösung aus der Sicht des Prinzipals einer kostenlosen und vollständigen Beseitigung der Interessenskonflikte.257
253 254
255
256 257
Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308. Als Signaling werden Maßnahmen des Agenten bezeichnet, die Aufschluss über seine Eigenschaften geben sollen. Unter Screening versteht man vorvertragliche Maßnahmen des Prinzipals zur Verbesserung der Kenntnisse über die Eigenschaften des Agenten. Vgl. hierzu Alparslan (2006), S. 29-31. Die Nutzung von Anreizsystemen wird bei Jensen/Meckling nicht explizit genannt, da es als ein Bestandteil des Monitoring aufgefasst wird. Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308, Fn. 9. Vgl. Kahle (2002b), S. 123; Leuz (1996), S. 61. Die First Best-Lösung kann auch als derjenige Zustand beschrieben werden, den der Prinzipal ohne die Delegierung der Entscheidungen an den Agenten erreicht hätte. Vgl. hierzu Hax (1981), S. 359; Kiener (1990), S. 117.
43
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS Hidden Characteristics
Hidden Information
Hidden Action
Entstehungszeitpunkt
Vorvertraglich
nachvertraglich, vor der Entscheidung
nachvertraglich, nach der Entscheidung
Entstehungsursache
ex ante verborgene Eigenschaften des Agenten
nicht beobachtbarer Informationsstand des Agenten
nicht beobachtbare Aktivitäten des Agenten
Problem
Eingehen der Vertragsbeziehung
Beurteilung der Performance
Beurteilung des Verhaltens
Gefahr
Adverse Selection
Moral Hazard
Signaling, Screening
Monitoring, Bonding, Anreizsysteme
Lösungsansätze
Tabelle 2: Überblick über die Formen asymmetrischer Informationsverteilung258
Als ein geeignetes Instrument zum Betreiben von Monitoring wird die Rechnungslegung erachtet.259 Auf freiwilliger Basis wird der Agent sein Informationsmonopol zu seinem eigenen Vorteil nutzen und bewusst Informationsasymmetrien schaffen.260 Diese Gefahr der Ausnutzung der asymmetrischen Informationsverteilung entspricht dem in der AgencyTheorie als Hidden Information beschriebenen Problembereich. Während die Kapitalgeber an einem unverzerrten Informationssystem interessiert sind, ist den Agenten eher an einem positiv verzerrten Informationssystem gelegen, da ihre Leistung regelmäßig an der Unternehmensentwicklung gemessen wird.261 Die Informationen sind daher hinsichtlich ihrer Erwartungstreue zu hinterfragen. Die konkreten Vorgaben durch die Vorschriften eines Rechnungslegungssystems sollen vermeiden, dass der Agent bewusst steuern kann, welche Informationen zur Unternehmensentwicklung die Kapitalgeber erlangen.262 Aber 258 259 260
261 262
Modifiziert nach Breid (1995), S. 824 sowie Kuhn (2007), S. 52. Vgl. Schneider (2000), S. 38. Dies kann letztlich zu Marktversagen führen, wenn der Agent zu wenige Informationen zur Verfügung stellt, da sich für ihn die Bereitstellung von mehr Informationen nicht lohnt. Vgl. Tietz-Weber (2006), S. 44. Vgl. Ballwieser (1982), S. 784. Die gesetzliche Vorgabe verbindlicher Rechnungslegungsvorschriften minimiert zudem die Überwachungskosten der Prinzipale, da in der Folge das Aushandeln von individuellen Regelungen ausbleibt. Des Weiteren wird das Auftreten von Marktversagen vermieden, das sich unter der Annahme ergeben kann, dass es sich bei Jahresabschlussinformationen um kollektive Güter handelt, d.h. ihnen werden die Eigenschaften der Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität im Konsum zugeschrieben. Ein Teil der Nutzer wird die Kosten der Informationsproduktion und -verarbeitung tragen, während die übrigen Interessenten als Free Rider die Informationen kostenlos nutzen können. Die allgemeine Bereitschaft zur Informationsproduktion wird dadurch zu niedrig sein und kann eine Unterproduktion von Informationen verursachen. Vgl. Schredelseker (1985), S. 134; Tietz-Weber (2006), S. 43 f.; a.A. Leftwich (1980), S. 197-200.
44
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
auch bei Anwendung eines Rechnungslegungssystems wirkt sich der Interessenskonflikt weiterhin auf diejenigen Informationen aus, bei denen sich dem Agenten ein Ermessensspielraum eröffnet.
2.3.2 2.3.2.1
Typisierung der Entscheidungskalküle von Kapitalgebern Grundannahme nahezu mittelstreng informationseffizienter Märkte
Durch die Verarbeitung von Jahresabschlussinformationen können Prognosen und damit letztlich auch die Kapitalvergabeentscheidung verbessert werden. Schließlich liegt die Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und der zu erwartenden Ergebnisse der jeweiligen Handlungsalternativen größtenteils im subjektiven Ermessen des Entscheiders. Der Anreiz für Kapitalgeber zur Verarbeitung von verfügbaren Informationen besteht in der Erhöhung der Renditeerwartung.263 Die systematische Erzielung von sogenannten Überrenditen (Abnormal Returns)264 ist nur möglich, wenn der Entscheider aufgrund eines höheren Informationsniveaus eine bessere Prognose über die künftige Entwicklung bilden kann. Ein Kapitalmarkt wird als effizient bezeichnet, wenn sich durch die Verarbeitung von Informationen keine zusätzlichen Gewinne über die durchschnittliche Marktverzinsung hinaus erzielen lassen, da alle verfügbaren Informationen vollständig im Marktpreis berücksichtigt sind.265
Ausgangspunkt der Effizienzannahme ist das Bestehen eines vollkommenen Kapitalmarkts, dessen Marktpreise den bestmöglichen Schätzer darstellen.266 Es werden drei Grade der Informationseffizienz unterschieden.267 In einem schwach informationseffizienten Kapitalmarkt beschränken sich die in einem Preis vollständig einbezogenen Informationen auf die in der Vergangenheit beobachtbaren Preise. Unter dieser Voraussetzung
263 264 265
266 267
Vgl. Schmidt (1982), S. 729 f. Vgl. hierzu Schremper (2002), S. 689-691. Die Aussage entstammt der Übersichtsarbeit von Fama, der die These informationseffizienter Märkte wesentlich prägte: „A market in which prices always ‘fully reflect’ available information is called ‘efficient’.” Fama (1970), S. 383. Vgl. Schneider (1997a), S. 367. Die Effizienzgrade entsprechen der Abgrenzung nach Fama. Besonders die mittelstrenge Informationseffizienz wird hinsichtlich ihrer Unschärfen kritisiert. Vgl. Löffler (1998), S. 22 f.; Schildbach (1986), S. 13 f. Eine alternative Abgrenzung schlagen beispielsweise Neumann/Klein vor, die sich an den Grenzkosten der Informationsbeschaffung orientieren. Neumann/Klein (1982), S. 165-187.
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45
lassen sich mit einer alleinigen Auswertung von Zeitreihen keine Überrenditen erzielen.268 Berücksichtigen die Marktpreise sämtliche öffentlich verfügbaren Informationen, darunter fallen auch die veröffentlichen Jahresabschlüsse von Unternehmen, liegt eine mittelstrenge Kapitalmarkteffizienz vor.269 In einem streng informationseffizienten Markt sind alle Informationen sofort in den Preisen enthalten und spiegeln den intrinsischen Wert des Finanzinstruments wider,270 sodass selbst mit Insiderkenntnissen keine Überrenditen erzielbar sind.271
Nach dem Informationsparadoxon kann es jedoch keine streng informationseffizienten Märkte geben. Wenn jegliche Informationen in den Preisen bereits berücksichtigt sind, existiert kein Anreiz zur Verarbeitung von Informationen.272 Ähnliches gilt für einen mittelstreng informationseffizienten Markt, die am ehesten der Realität gerecht werdende Auslegung. Wenn die Preise zu jedem Zeitpunkt alle öffentlich verfügbaren Informationen zutreffend widerspiegeln und kein Marktteilnehmer mit der Verarbeitung solcher Informationen zur Erzielung von Überrenditen im Stande ist, besteht kein Interesse an öffentlich verfügbaren Informationen.273 Daher kann ein Kapitalmarkt nur ein nahezu effizienter Markt im mittelstrengen Sinne sein.274 Ein gewisses Maß an Ineffizienz ist notwendig, damit Anleger einen Anreiz haben, Informationsverarbeitung zu betreiben und die Kurse auf diese Weise approximativ im Gleichgewicht zu halten.275
2.3.2.2
Kapitalwertverfahren als Entscheidungsgrundlage
Die vorangegangene Analyse hat unter anderem die Informationsbedürfnisse der Kapitalgeber als die zentralen Bilanzadressaten konkretisiert:276 Die Informationen sollen dabei helfen, erwartungsnutzenmaximierende Handlungsalternativen zu wählen. Die heterogenen und in einem hohen Maße subjektiven Individualinteressen der Kapitalgeber lassen jedoch 268 269 270 271 272 273 274
275 276
Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 92. Vgl. Böcking (1998), S. 23. Vgl. Mishkin/Eakins (2009), S. 131. Vgl. Schneider (1997a), S. 368 f. Vgl. Grossman/Stiglitz (1980), S. 405. Vgl. Böcking (1998), S. 23. Vgl. Schmidt (1982), S. 740. Zu einer alternativen Auslegung gelangt Schredelseker. Demnach kann ein Markt nur dann effizient sein, wenn die Investoren fälschlicherweise annehmen, er sei es nicht. Vgl. Schredelseker (1985), S. 137. Vgl. Schmidt (1982), S. 740. Siehe Abschnitt 2.3.1.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
keine einheitliche Beurteilung der Entscheidungsnützlichkeit von Jahresabschlussinformationen zu.277 Im Umkehrschluss ist auf dieser Basis die Formulierung konkreter entscheidungsnützlicher Rechnungslegungsvorschriften unmöglich. Es bedarf daher einer Typisierung der Informationsinteressen der Kapitalgeber, um Aussagen über den Nutzen von bestimmten Jahresabschlussinformationen treffen zu können.278 Die größte Akzeptanz unter den dynamischen Investitionsrechungsverfahren279 genießt das Kapitalwertverfahren, das auf dem neoklassischen Barwertverfahren basiert.280 Es wird vielfach eingesetzt, um alternative Kapitalanlagemöglichkeiten miteinander zu vergleichen, indem jeweils der Barwert der erwarteten Zahlungsströme dem erforderlichen Investitionsbetrag gegenübergestellt wird.281 Der Barwert (BW0) einer endlichen Reihe von Zahlungsströmen wird aus der Summe der mit einem bestimmten Zinssatz (r) diskontierten Erwartungswerte der künftigen Zahlungsströme bzw. Cashflows (CFt) gebildet:282 ்
ܹܤ ൌ ௧ୀ
ܨܥ௧ ሺͳ ݎሻ௧
Die Typisierung der Informationsbedürfnisse der Kapitalgeber durch Zugrundelegung eines Kapitalwertkalküls ist eine Vereinfachung der zuvor erläuterten Entscheidungssituation auf Basis subjektiver Wahrscheinlichkeitsurteile über den Eintritt der möglichen
277 278 279
280 281
282
Vgl. Wagner (1982), S. 760. Vgl. Böcking/Wesner (2004), S. 103. Die dynamische Investitionsrechnung zeichnet sich durch die systematische Berücksichtigung des Zeitaspekts aus, d.h. die Zeitpunkte der einzelnen Ein- und Auszahlungen haben einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis. Neben Kapitalwerten können auch Annuitäten oder interne Zinsfüße zur dynamischen Investitionsrechnung verwendet werden. Vgl. Kruschwitz (2001a), Sp. 1119. Vgl. Lange (1989), S. 105. Das Kapitalwertverfahren genießt international sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch bei der praktischen Anwendung die größte Akzeptanz, während in Deutschland noch häufig der interne Zinsfuß als Entscheidungskriterium bevorzugt wird. Vgl. Kruschwitz (2001a), Sp. 1119. Zu den Nachteilen der Methode des internen Zinsfußes im Vergleich zum Kapitalwertverfahren vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 164-166. Vgl. Brealey/Myers/Allen (2009), S. 36 f.; Ross/Westerfield/Jaffe (2008), S. 101.
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47
Umweltzustände.283 Es wird unterstellt, dass die Cashflows als Ergebnis der Prognose zukünftiger Umweltzustände vorliegen. Zudem können individuelle Konsumpräferenzen vernachlässigt werden. Aus finanztheoretischer Sicht muss sich der individuell präferierte Konsum- bzw. Einkommensstrom, der von den subjektiven Bedürfnissen abhängt, nicht mit dem aus einer Investition zu erwartenden Zahlungsstrom decken. Schließlich erlaubt der Kapitalmarkt die Transformation von heute verfügbarem in später verfügbares Geld und vice versa.284 Dies ermöglicht die Formulierung von Separationstheoremen, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Trennung zwischen Konsum- und Investitionsentscheidungen erlauben. Das wohl bekannteste Separationstheorem ist das Fisher-Modell.285 Es zeigt, dass durch die angesprochene Transformationsfunktion des Kapitalmarkts die Investitionsentscheidung unabhängig von den persönlichen Konsumpräferenzen getroffen werden kann.286 Das Modell unterliegt zahlreichen vereinfachenden Annahmen, von denen die für die nachfolgenden Ausführungen wichtigsten Annahmen kurz erläutert werden sollen. 287 Das Modell basiert auf der neoklassischen Annahme eines vollkommenen Kapitalmarkts. Ein Kapitalmarkt wird als vollkommen bezeichnet, wenn der Preis, zu dem ein Zahlungsstrom gehandelt wird, für jeden Marktteilnehmer identisch ist und von keinem Käufer oder Verkäufer beeinflusst werden kann.288 Die in der Realität zu beobachtenden Kapitalmärkte ermöglichen zwar die Transformation von Zahlungsströmen, jedoch weisen sie Unvollkommenheiten auf,289 da die Zinssätze zur Geldanlage (Haben-Zinssatz) in der Realität
283
284 285
286 287
288
289
Bei der Betrachtung der Entscheidungskalküle der Kapitalgeber werden die persönlichen Ertragssteuern ausgeklammert. Dies hat jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gültigkeit der getroffenen Aussagen zur Entscheidungsnützlichkeit von Rechnungslegungsinformationen. Schließlich bemisst sich die Entscheidungsnützlichkeit einer Information allein an ihrem Einfluss auf die Prognose der möglichen Umweltzustände und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten. Ob die Information in Abhängigkeit von den persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen die jeweilige Entscheidung des Investors letztendlich verändert, ist somit irrelevant. Vgl. Beaver/Demski (1974), S. 180. Vgl. Schildbach (1975), S. 51; Schönbeck (2004), S. 95. Das Fisher-Modell wurde erstmals von Hirshleifer im Einzelnen dargestellt und weiterentwickelt. Vgl. Hirshleifer (1958), S. 329-352. Vgl. hierzu Schmidt/Terberger (1997), S. 99-120. Für eine Aufzählung der zugrunde liegenden Annahmen des Fisher-Modells vgl. Schildbach (1975), S. 50-53. Zwar wird häufig für jede Periode der gleiche Zinssatz unterstellt, jedoch können bei einem vollkommenen Kapitalmarkt die Zinssätze der einzelnen Perioden auch unterschiedlich hoch ausfallen, solange für die Geldanlage und Kreditaufnahme der gleiche Zinssatz gilt. Vgl. Schildbach (1975), S. 51. Vgl. Schönbeck (2004), S. 107.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
regelmäßig höher sind als die Zinssätze zur Kreditaufnahme (Soll-Zinssatz).290 Bei unvollkommenen Märkten kann die Vorteilhaftigkeit einer Investition letztlich nur unter Berücksichtigung der individuellen Präferenzen des Entscheidungsträgers getroffen werden.291
Die Relevanz des Kapitalwerts für die Entscheidungsfindung hängt damit von der Vollkommenheit des Kapitalmarkts ab.292 Kapitalwertverfahren maximieren lediglich das Vermögen und lassen sich daher auch als Endwertmodelle bezeichnen.293 Neuere einkommensmaximierende Ansätze berücksichtigen hingegen die Unvollkommenheit des Kapitalmarkts und beziehen die Einkommenspräferenzen der Entscheidungsträger mit ein,294 weisen dadurch aber auch einen erheblich höheren Informationsbedarf auf.295 Diesbezüglich ist zu hinterfragen, ob die damit verbundenen zusätzlichen Informationsbeschaffungskosten durch den Nutzen einer besseren Entscheidung kompensiert werden. Dazu muss abgeschätzt werden, „wie groß das Risiko ist, fehlerhafte Entscheidungen zu treffen, wenn man sozusagen wider besseres Wissen von der Annahme ausgeht, dass der Kapitalmarkt vollkommen sei“296. Hierzu vorliegende Simulationsstudien kommen zu dem Ergebnis, dass das Risiko einer Fehlentscheidung mit wachsendem Abstand zwischen Sollund Habenzinssätzen zunimmt.297 Bei den üblicherweise in entwickelten Industrienationen zu beobachtenden Zinsdifferenzen sind keine nennenswerten Fehlentscheidungen zu befürchten.298 Des Weiteren schließt die Verwendung des Kapitalwerts bei einem unvollkommenen Kapitalmarkt die Berücksichtigung der individuellen Konsumpräferenzen nicht zwingend aus. Über Nebenbedingungen können gewünschte Zahlungszeitpunkte oder die Laufzeit der Kapitalvergabe in die Entscheidung einfließen.299
290 291
292 293 294
295 296 297 298
299
Vgl. Kruschwitz (2001a), Sp. 1124 f. Die Nichtanwendbarkeit des Separationstheorems von Fisher unter der Prämisse des unvollkommenen Kapitalmarkts wurde von Hirshleifer modelltheoretisch gezeigt. Vgl. Hirshleifer (1958), S. 334-336. Vgl. Ballwieser (1982), S. 786. Vgl. Kruschwitz (1976), S. 246. Hierzu gehören die Modelle zur simultanen Planung von Investitions- und Finanzierungsprogrammen. Sie haben sich aufgrund der restriktiven Modellbedingungen nicht durchsetzen können. Vgl. Lange (1989), S. 105. Vgl. Kruschwitz (2001a), Sp. 1125. Kruschwitz (2001a), Sp. 1125. Vgl. hierzu Kruschwitz/Fischer (1978), S. 780 f. Vgl. Kruschwitz/Fischer (1978), S. 781; Kruschwitz (2001a), Sp. 1125. Hierzu kritisch vgl. Menken (1993), S. 78. Vgl. Schönbeck (2004), S. 107.
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2.3.2.3
49
Kreditvergabeentscheidungen von Gläubigern
Der Gläubiger eines Kreditgeschäfts stellt gegen einen festen Anspruch auf Verzinsung, der sich fix oder variabel gestalten kann, dem Schuldner für einen bestimmten Zeitraum Kapital zur Verfügung. Der Begriff des Kredits ist hier als ein Oberbegriff für die Bereitstellung von Kapital gegen eine vertraglich vereinbarte Zins- und Tilgungsleistung zu verstehen. Hierunter fallen sowohl verbriefte Forderungen, beispielsweise in Form von abtretbaren bzw. fungiblen Wertpapieren wie Anleihen, als auch nicht verbriefte Forderungen wie das klassische Bankdarlehen. Mezzanine Finanzierungsformen, die sowohl Eigenschaften des Eigenkapitals wie auch des Fremdkapitals aufweisen, sollen bei den hier im Vordergrund stehenden fundamentalanalytischen Überlegungen ausgeklammert werden.
Ein Gläubiger wird vor der Entscheidung über eine Kreditvergabe eine sogenannte Kreditwürdigkeitsprüfung durchführen, um die zukünftige Zahlungsfähigkeit eines potentiellen Kreditnehmers zu evaluieren.300 Der Gläubiger unterscheidet bei der Bewertung eines Kreditgeschäfts zwei Szenarien, die zu jedem Zahlungszeitpunkt eintreffen können. Entweder der Kreditnehmer leistet vereinbarungsgemäß die vertraglich festgelegten Zins- (C) und Tilgungszahlungen (FV) oder es ergibt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (PD) ein Zahlungsausfall, durch den nur noch mit der Erbringung einer bestimmten Rückzahlungsquote (1-LGD) des Schuldners zu rechnen ist. Am Beispiel einer endfälligen Kuponanleihe kann der Sachverhalt wie folgt illustriert werden:
300
Ein Gläubiger ist in Abhängigkeit von den jeweiligen Kreditkonditionen bestimmten finanziellen Risiken ausgesetzt, die direkten Einfluss auf die erwarteten künftigen Zahlungsströme haben. Hierbei kann grundsätzlich zwischen dem Zinsänderungsrisiko, dem Währungsrisiko und dem Bonitätsrisiko unterschieden werden. Vgl. hierzu Spremann/Gantenbein (2003), S. 14 f. Unmittelbar von der Unternehmensentwicklung ist lediglich die Bonität abhängig, daraus begründet sich die im Folgenden auf das Ausfallrisiko eines Kredits beschränkte Betrachtung.
50
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
PD
(1 – LGD) * (C + FV)
– FV 1 – PD
PD
(1 – LGD) * (C + FV)
C
PD 1 – PD
(1 – LGD) * (C + FV)
C 1 – PD
C
PD
(1 – LGD) * (C + FV)
… 1 – PD
C + FV
Laufzeit des Kredits
Abbildung 1: Erwarteter Zahlungsstrom aus einem Kreditverhältnis301
Die Kreditwürdigkeitsprüfung ist essentieller Bestandteil der Fundamentalanalyse der Kapitalgeber. Im Rahmen des Kapitalwertverfahrens wird der Barwert (BW0) der erwarteten künftigen Zahlungsströme dem erforderlichen Auszahlungsbetrag gegenübergestellt. Dieser Zusammenhang kann auf das Beispiel einer endfälligen Kuponanleihe übertagen werden. In die Bewertung gehen nicht die vertraglich vereinbarten Zahlungen, sondern die entsprechenden Erwartungswerte ein.302 Die Erwartungswerte der künftigen Zahlungen setzen sich aus der Wahrscheinlichkeit des Fortbestehens des Unternehmens und der annahmegemäß damit verbundenen vollen Leistung der vereinbarten Zahlungen sowie aus der verbleibenden Wahrscheinlichkeit eines teilweisen oder vollständigen Ausfalls im Falle eines Konkurses des Emittenten zusammen.303 Ein risikoneutraler Gläubiger diskontiert diese Erwartungswerte mit dem risikolosen Zinssatz (i). Hierbei ist zu beachten, dass
301 302 303
In Anlehnung an Drukarczyk (1993), S. 323 und Heinke (1998), S. 99. Vgl. Yawitz (1977), S. 482. Diese Betrachtung vernachlässigt aus Vereinfachungsgründen die Wahrscheinlichkeit eines reinen Zahlungsverzugs des Schuldners, der sich durch Insolvenz oder schlechte Zahlungsmoral des Unternehmens ergeben kann und bei einer exakten Bonitätsbeurteilung einzubeziehen ist. Vgl. Steiner (1992), S. 509; Schönbeck (2004), S. 126 f. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsverzugs wesentlich höher als die eines Zahlungsausfalls, der Vermögensschaden des Gläubigers im Sinne von entgangenen Zinserträgen fällt jedoch verhältnismäßig gering aus. Vgl. hierzu Heinke (1998), S. 15-17. Zudem kann das Ausfallrisiko nicht nur von der Bonität des Schuldners, sondern auch vom Länderrisiko abhängen, das die Gefahr des Zahlungsausfalls durch Transferprobleme aufgrund politischer oder ökonomischer Entwicklungen des jeweiligen Landes beschreibt. Es wirkt sich in gleicher Weise auf das Ausfallrisiko einer Forderung aus wie das Bonitätsrisiko und soll im weiteren Verlauf aus Vereinfachungsgründen nicht gesondert berücksichtigt werden.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
51
die vereinbarte Zahlung vom Kreditnehmer bzw. Emittenten nur geleistet wird, wenn in der Vorperiode kein Ausfall stattgefunden hat.304 ்ିଵ
ܹܤ ൌ ௧ୀଵ
ሺͳ െ ܲܦሻ௧ିଵ כሺሺͳ െ ܲܦሻ ܥ כ ܲ כ ܦሺͳ െ ܦܩܮሻ כሺ ܥ ܸܨሻሻ ሺͳ ݅ሻ௧
ሺͳ െ ܲܦሻ்ିଵ כሺሺͳ െ ܲܦሻ כሺ ܥ ܸܨሻ ܲ כ ܦሺͳ െ ܦܩܮሻ כሺ ܥ ܸܨሻሻ ሺͳ ݅ሻ௧
Ein risikoneutraler Gläubiger wird eine entsprechende Kompensation für das Bonitätsrisiko in Form einer Mindestverzinsung verlangen, damit der Barwert des bonitätsrisikobehafteten Kredits dem eines (quasi) risikofreien und ansonsten identischen Kredits entspricht.305 Dieser Zinsaufschlag zur Herstellung der Parität der Barwerte bei risikoneutraler Betrachtung soll nachfolgend als Bonitätsrisikoprämie bezeichnet werden. Die Anleihe kann nur zu pari emittiert werden, wenn die Höhe des Kupons sich aus dem risikofreien Zinssatz und der Bonitätsrisikoprämie zusammensetzt.306 Fällt der Barwert des bonitätsrisikobehafteten Kredits geringer aus als der Barwert der risikofreien Alternativanlage, wird ein risikoneutraler Gläubiger die Kapitalanlage zum risikolosen Zinssatz stets präferieren.
Einem risikoaversen Gläubiger wird die Bonitätsrisikoprämie nicht genügen. Durch die Bonitätsrisikoprämie entsprechen zwar die Erwartungswerte der Zahlungen des bonitätsrisikobehafteten Kredits denen eines vergleichbaren risikolosen Kredits, doch ein risikoscheuer Kreditgeber wird weiterhin eine eindeutige Präferenz für den sicheren Kredit haben. Für das Eingehen der mit dem Kredit verbundenen Risiken bzw. die Inkaufnahme höherer Volatilitäten der erwarteten Zahlungsströme verlangt der Gläubiger einen zusätzlichen Risikozuschlag.307 Bei Kreditgeschäften wird häufig der Begriff des Credit Spread verwendet, der die Differenz zwischen dem vom Schuldner zu leistenden Effektivzinssatz und dem risikolosen Zinssatz darstellt. Ein derart definierter Credit Spread erfasst neben
304 305 306 307
Zur Herleitung der Formel vgl. Yawitz (1977), S. 482-484. Vgl. auch Fons (1987), S. 84. Vgl. Bierman/Hass (1975), S. 759; Heinke (1998), S. 99 m.w.N. Vgl. Wilhelm (1983), S. 202. Vgl. Drukarczyk (1993), S. 325.
52
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
der bei risikoneutraler Bewertung erforderlichen Bonitätsrisikoprämie auch den durch die Risikoaversion erforderlichen Risikozuschlag.308
Risikozuschlag Credit Spread Bonitätsrisikoprämie
Risikoloser Zinssatz
Abbildung 2: Bestandteile des Credit Spread
Es kann festgehalten werden, dass die Bonitätsrisikoprämie für alle rational entscheidenden Gläubiger gleichhoch ausfällt, während der Risikozuschlag von der individuellen Risikoeinstellung des Gläubigers geprägt ist und daher eine hohe Subjektivität aufweist. Auf die Möglichkeiten und Grenzen der Ermittlung von Risikozuschlägen wird im nachfolgenden Abschnitt noch detailliert eingegangen. An dieser Stelle sollte zunächst die Kreditvergabeentscheidung der Gläubiger erörtert werden. Die gewonnen Erkenntnisse über die Informationsbedürfnisse der Gläubiger gehen weiter unten in die Analyse der Informationsfunktion der Rechnungslegung ein. Wie die Barwertformel des obigen Beispiels zur Bewertung einer endfälligen Kuponanleihe verdeutlicht hat, beurteilen Gläubiger die Bonität von Kreditnehmern anhand der Ausfallwahrscheinlichkeit der vereinbarten Zahlungen sowie der erwarteten Verlustquote im Falle eines Ausfalls. Ein risikoneutraler Gläubiger verlangt ceteris paribus mit steigender Ausfallwahrscheinlichkeit eine höhere Bonitätsrisikoprämie; gleiches gilt für die erwartete Verlustquote.309 Eine risikoaverse Einstellung der Gläubiger führt durch den zusätzlichen Risikozuschlag zudem zu höheren Credit Spreads.310 308
309
310
Ohne eine Differenzierung zwischen dem Risikozuschlag und der Bonitätsrisikoprämie fallen die über Marktpreise abgeleiteten Ausfallwahrscheinlichkeiten systematisch zu hoch aus, da den Marktakteuren dadurch implizit Risikoneutralität unterstellt wird. Vgl. Wu/Yu (1996), S. 268. Zur mathematischen Herleitung vgl. Heinke (1998), S. 103-105; Wilhelm (1983), S. 205. Für den Spezialfall eines vollständigen Verlusts bei Ausfall vgl. Bierman/Hass (1975), S. 759. Vgl. Bierman/Hass (1975), S. 759; Drukarczyk (1993), S. 325; Heinke (1998), S. 101.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
2.3.2.4
53
Investitionsentscheidungen von Investoren
Aus Sicht der fundamentalanalytischen Entscheidungsfindung ermitteln die (potentiellen) Investoren den inneren Wert (Intrinsic Value) eines Unternehmens und vergleichen diesen Wert mit dem Marktpreis.311 Übersteigt der selbst ermittelte Barwert der erwarteten künftigen Cashflows des Unternehmens den aktuellen Marktpreis, ergibt sich für diese Investitionsalternative ein positiver Kapitalwert; eine notwendige Voraussetzung für eine Investition.312 Ist hingegen der Barwert nach eigener Einschätzung kleiner als der Kaufpreis, handelt es sich um eine unvorteilhafte Investition.313 Die Ermittlung des inneren Werts eines Unternehmens erfolgt mit Hilfe des Instrumentariums der Unternehmensbewertung. Das Feld der Unternehmensbewertung bildet einen wichtigen Teil der betriebswirtschaftlichen Forschung und zeichnet sich durch einen enormen Literaturbestand aus. Daher sollen an dieser Stelle nur grundsätzliche Überlegungen extrahiert werden, die die Informationsbedürfnisse der Investoren für ihre fundamentalanalytischen Bewertungen darlegen.
Der Unternehmenswert als Zukunftserfolgswert hängt für einen rationalen und risikoaversen Investor nicht nur von der Höhe und dem Zeitpunkt der erwarteten künftigen Zahlungsmittelzuflüsse an den Anteilseigner ab, sondern auch von deren Unsicherheit314 bzw. Risiko.315 „Der Unsicherheit bei der Bewertung zukünftiger Zahlungsströme kann grundsätzlich auf zwei Arten Rechnung getragen werden: Zum einen durch Verdichtung der erwarteten Zahlungsströme auf ein Sicherheitsäquivalent und Diskontierung mit dem quasi-sicheren Zinsfuß, zum anderen durch Diskontierung der erwarteten Zahlungsströme mit einem risikoangepassten Zinsfuß.“316 Die Methode der Sicherheitsäquivalente nimmt in der deutschsprachigen Literatur einen festen Platz ein und bildet einen wichtigen Teil
311 312 313 314
315 316
Vgl. Kuhn (2007), S. 88; Lange (1989), S. 168. Vgl. Weber (1990), S. 18. Vgl. Baetge/Krause (1994), S. 434. Die Unsicherheit der künftigen Entwicklung kann verschiedene Gründe haben. Erstens ist die Durchführung von geplanten Maßnahmen keineswegs sicher. Zweitens ist der Erfolg einer Maßnahme von dem jeweils eintreffenden Umweltzustand abhängig. Und drittens kann die Wirkung der getroffenen Maßnahmen zumeist nur unvollständig prognostiziert werden. In der Literatur wird häufig nur die zweite der drei genannten Mehrwertigkeitsursachen für die Abschätzung der Unsicherheit der Zukunft betrachtet. Vgl. Ballwieser (1981), S. 99. Vgl. Baetge/Krause (1994), S. 436; Streim (2000), S. 120. Hachmeister (1998), S. 25.
54
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
der wissenschaftlichen Diskussion,317 international wird aber überwiegend die Methode des risikoangepassten Zinssatzes (Risikozuschlagsmethode) angewandt.318
Die in der Theorie und Praxis dominierenden Verfahren zur Unternehmensbewertung stellen das Ertragswertverfahren und die Discounted Cash Flow-Verfahren dar.319 Der Ertragswert entspricht dem Barwert der Nettoeinnahmen der Anteilseigner. Den gleichen Ansatz verfolgt der Netto-Discounted Cash Flow. Bei beiden Verfahren handelt es sich somit um einen Nettoansatz (Equity Approach), d.h. es werden direkt die Zahlungsströme bewertet, die den Investoren zufließen.320 Neben dem Nettoansatz existieren drei weitere Ausprägungen der Discounted Cash Flow-Verfahren, die einen Bruttoansatz verfolgen (Entity Approach), diese sind der Weighted Average Cost of Capital-Ansatz (WACCAnsatz), der Total Cash Flow-Ansatz (TCF-Ansatz) sowie der Adjusted Present ValueAnsatz (APV-Ansatz).321 Diese drei Bruttoansätze unterscheiden sich vor allem in der Implementierung der durch die Fremdfinanzierung entstehenden Steuerwirkungen.322 Sofern identische Annahmen unterstellt werden, gelangen die Verfahren zu den gleichen Ergebnissen, da allen Verfahren letztlich ein Barwertkalkül zugrunde liegt.323 Der Zusammenhang zwischen den Netto- und Bruttoansätzen soll am Beispiel des Netto-Discounted Cash Flow und des WACC-Ansatzes vereinfachend verdeutlicht werden:324 ܭܧൌ ܹܧൌ ܨܥܦே௧ ൌ ܭܩെ ܭܨൌ ܨܥܦௐ െ ܭܨ DCFNet DCFWACC EK EW FK GK
317
318 319 320 321 322 323
324
Netto-Discounted Cash Flow Brutto-Discounted Cash Flow in Form des WACC-Ansatzes Marktwert des Eigenkapitals Ertragswert Marktwert des Fremdkapitals Marktwert des Gesamtkapitals (EK+FK)
Zur Diskussion über das Konzept der Sicherheitsäquivalenzmethode im Rahmen der Unternehmensbewertung vgl. insbesondere Schwetzler (2000), S. 469-486; Kürsten (2002), S. 128-144; Schwetzler (2002), S. 145-158; Diedrich (2003), S. 281-286; Wiese (2003), S. 287-305; Kürsten (2003), S. 306-314. Vgl. Böcking/Nowak (1998), S. 688; Kruschwitz/Löffler (2005), S. 24; Spremann (2002), S. 170. Vgl. Peemöller/Bömelburg/Denkmann (1994), S. 742. Vgl. hierzu Rausch (2008), S. 15 f. Vgl. Baetge/Niemeyer/Kümmel (2005), S. 281-286; Böcking/Nowak (1998), S. 686. Vgl. hierzu Böcking/Nowak (1998), S. 686. Vgl. Ballwieser (2005), S. 363. Diese Vereinfachung impliziert, dass die Eigenkapitalkosten verschuldungsgradabhängig angepasst werden. Vgl. hierzu Ballwieser (2007), S. 183 m.w.N. In Anlehnung an Ballwieser (2005), S. 366.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
55
Unter der Annahme eines unendlichen Zahlungsstroms wird der Netto-Discounted Cash Flow und der Brutto-Discounted Cash Flow in Form des WACC-Ansatzes325 wie folgt ermittelt: ஶ
ܨܥܦே௧ ൌ ௧ୀଵ
ܨܥ௧ா ሺͳ ݅ ݖா ሻ௧
ஶ
ܨܥ௧ீ ܭܧ ܭܨ ሺ݅ ݖி ሻሺͳ െ ݏሻ ሻ ௧ୀଵ ሺͳ ሺ݅ ݖா ሻ ܭܩ ܭܩ
ܨܥܦௐ ൌ
CFtEK CFtGK i s zEK zFK
Erwartungswert der den Eigentümern zufließenden Zahlungsströme in der Periode t Erwartungswert der den Eigentümern und Gläubigern zufließenden Zahlungsströme in der Periode t risikolose Zinssatz Linearer Unternehmensgewinnsteuersatz Risikozuschlag der Eigenkapitalgeber Credit Spread für Fremdkapital326
Sowohl das Ertragswertverfahren als auch die Discounted Cash Flow-Verfahren setzen damit in einem ersten Schritt eine Prognose der Höhe und der Zeitpunkte der künftigen Zahlungsströme des Unternehmens voraus. Zudem erfordern alle Ansätze zur Unternehmensbewertung die Bestimmung des Diskontierungssatzes, der sich aus dem risikofreien Zinssatz und einem Risikozuschlag (zEK) zusammensetzt.327 Der risikofreie Zinssatz spiegelt die risikolose Alternativanlage der Kapitalgeber wider und wird in der Regel näherungsweise aus den Zinssätzen von öffentlichen Anleihen abgeleitet.328 Der Risikozuschlag (zEK > 0) ist Ausdruck dessen, dass ein risikoaverser Kapitalgeber nur dann in ein Unternehmen investiert, „wenn er als Ausgleich für das im Vergleich zur risikolosen
325
326 327 328
Die beim WACC-Ansatz erforderliche Gewichtung der Kapitalkosten verursacht ein Zirkularitätsprobா ி lem. Für die Bestimmung der Gewichtungsfaktoren ( bzw. ) ist die Kenntnis des Marktwerts des ீ ீ Eigenkapitals notwendig, der jedoch das gesuchte Ergebnis der Unternehmensbewertung ist und daher erst nach der Bestimmung des Unternehmenswerts bekannt ist. Dieses Problem kann entweder mittels Iteration oder der Vorgabe einer Zielkapitalstruktur gelöst werden. Vgl. Böcking/Nowak (1998), S. 687. Siehe hierzu Abschnitt 2.3.2.3. Vgl. Moxter (1983), S. 155 f. Um einen konsistenten Vergleich zwischen den Investitionsalternativen zu gewährleisten, ist das Prinzip der Laufzeitäquivalenz zu beachten. Die öffentliche Anleihe sollte eine Laufzeit haben, die dem Investitionszeitraum in das zu bewertende Unternehmen entspricht. Im Allgemeinen wird bei der Unternehmensbewertung eine zeitlich unbegrenzte Investition angenommen. Mangels öffentlicher Anleihen mit unendlicher Laufzeit sind die aktuellen Zinssätze von öffentlichen Anleihen mit der längsten (Rest-)Laufzeit zu verwenden. Vgl. Baetge/Niemeyer/Kümmel (2005), S. 286-288.
56
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Anlage höhere Risiko höhere Zahlungsüberschüsse aus dem Unternehmen als aus der risikolosen Anlage erwartet“329.
In der Theorie der Unternehmensbewertung wird zwischen dem subjektiven und dem objektivierten Bewertungsansatz differenziert.330 Beim subjektiven Ansatz wird der Risikozuschlag anhand der individuellen Risikopräferenzen eines spezifischen Investors berechnet, während der objektivierte Ansatz eine kapitalmarktorientierte Ermittlung des Risikozuschlags vornimmt.331 Der individualistischen Ermittlung des Risikozuschlags ist aus theoretischer Sicht zwar Vorzug einzuräumen,332 sie führt aber zu einer kaum zu bewältigenden Komplexitätssteigerung.333 Gerade der Mehrpersonenfall, wie es bei der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen an die Gesamtheit der Investoren der Fall ist, ist die individualistische Ermittlung mit erheblichen Problemen verbunden, da die einzelnen Risikonutzenfunktionen zu einer Gesamtnutzenfunktion zu aggregieren sind.334 Daher wird in diesem Zusammenhang eine Typisierung vorgenommen, indem mittels der kapitalmarktorientierten Ermittlung auf die marktüblichen Risikozuschläge abgestellt wird.335
Mit Hilfe des Capital Asset Pricing Model (CAPM) können die Risikozuschläge ableitet werden.336 Durch das CAPM wird die notwendige Praktikabilität zur Bestimmung von Risikozuschlägen geschaffen. Die erwartete Rendite der betrachteten Investitionsalternative (rEK) setzt sich aus dem risikofreien Zinssatz (i) und dem Risikozuschlag (zEK) zusammen. Die Gleichung der sogenannten Wertpapiermarktlinie ermittelt den jeweiligen Risikozuschlag aus dem für das durchschnittliche Marktportfolio verlangten Risikozu-
329 330 331 332
333
334 335 336
Baetge/Niemeyer/Kümmel (2005), S. 289. Vgl. hierzu Rausch (2008), S. 22-27. Vgl. Baetge/Krause (1994), S. 436. Vgl. hierzu beispielhaft T. Siegel (1992), S. 26. Zur Ermittlung der Risikoneigung des Investors mit Hilfe von Sicherheitsäquivalenten vgl. Ballwieser (1981), S. 99-105. Vgl. Böcking/Nowak (1998), S. 687 m.w.N. Beide Bewertungsmethoden gelangen zum identischen Ergebnis, sofern die entsprechenden Parameter in einer Weise gewählt werden, dass tatsächlich die gleiche Risikoeinstellung unterstellt wird. Vgl. Kruschwitz (2001b), S. 2409. Zur grundlegenden Problematik der Individualität der Risikonutzenfunktion siehe Abschnitt 2.3.1.2. Vgl. hierzu Baetge/Niemeyer/Kümmel (2005), S. 290. Vgl. Böcking/Nowak (1998), S. 687. Hierbei handelt es sich um eine positive Theorie, die lediglich Aussagen über die Preisbildung in der Realität trifft. Normative Aussagen bezüglich rationaler Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten, wie sie zuvor vorgenommen wurden, können aus dem CAPM nicht geschlossen werden. Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 343.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
57
schlag, als Differenz zwischen der erwarteten Rendite des Marktportfolios (rM) und dem risikofreien Zinssatz, multipliziert mit dem unternehmensspezifischen Risikomaß ():337 ݎா ൌ ݅ ݖா
(1)
und
ݎா ൌ ݅ ߚሾݎெ െ ݅ሿ
(2)
(2) eingesetzt in (1):
ݖா ൌ ߚሾݎெ െ ݅ሿ
(3)
Die zugrunde liegenden Annahmen des CAPM haben jedoch gravierende Auswirkungen auf die Beurteilung der Entscheidungsnützlichkeit von Informationen und führen zu einer starken Problemvereinfachung. Das CAPM unterstellt unter anderem, dass die Investoren über ein vollständig diversifiziertes Portfolio verfügen, durch das sich unsystematische Risiken ausschließen lassen.338 Einen Risikozuschlag verlangen die Kapitalmarktteilnehmer demnach nur für systematische Risiken, gegen die sie sich auch durch Diversifikation nicht schützen können.339 Das systematische Risiko umfasst alle konjunktur- und marktabhängigen Risiken, die Einfluss auf das Unternehmen bzw. dessen Umsatzentwicklung nehmen.340
Die durch die Verwendung des CAPM unterstellten Prämissen sind zwar notwendig, um die Ermittlung von Risikoabschlägen praktikabel werden zu lassen,341 stellen aber in Bezug auf die Beurteilung des Entscheidungsnutzens von Informationen eine zu starke Vereinfachung dar. So haben in der Realität die Investoren keine homogenen Erwartungen und verfügen nicht über ein vollkommen diversifiziertes Portfolio.342 Im Schrifttum wird daher
337
338
339 340
341 342
Zur Herleitung des von William F. Sharpe, John Lintner und Jan Mossin entwickelten CAPM vgl. u.a. Nowak (2000), S. 63-72. Die theoretische Grundlage bildet die Portfolio-Theorie nach Markowitz. Vgl. Markowitz (1952), S. 77-92. Demnach bestimmt ein Investor zunächst die Menge der effizienten Portfolios an Wertpapieren und wählt daraus das Portfolio, das seinen Nutzen maximiert. Hierbei orientiert sich der Investor ausschließlich an der Ertragserwartung und der Varianz der Portfolios. Vgl. hierzu auch Metz (2007), S. 104. Vgl. Nowak (2000), S. 70. Teilweise wird eine Differenzierung zwischen dem Geschäftsrisiko und dem Finanzierungsrisiko vorgenommen. Vgl. Steiner/Beiker/Bauer (1993), S. 102. Zu den Annahmen des CAPM vgl. Hachmeister (2000), S. 160; Metz (2007), S. 184 f. Vgl. Gleißner (2007), S. 240. Im Rahmen des sogenannten Behavioural Finance wird u.a. einbezogen, dass ein Teil der Marktakteure (Noise Traders) aus den verfügbaren Informationen falsche Schlüsse zieht und damit zu abweichenden Erwartungen kommt. Vgl. Shleifer (2000), S. 33. Ein weiterer Grund für unvollkommene Portfolios können Transaktionskosten sein. Vgl. hierzu Beaver (1998), S. 27.
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Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
die Annahme einer ausschließlichen Relevanz systematischer Risiken in Frage gestellt.343 Für die ökonomische Konkretisierung der Informationsbedürfnisse der Investoren ist jedoch gerade die Kenntnis der tatsächlichen Einflussfaktoren, die bei der Bestimmung des Risikozuschlags für den Investor relevant sind, von zentraler Bedeutung. Die Annahme, dass sich aufgrund vollständig diversifizierter Portfolios nur systematische Risiken auf die Vermögenslage der Investoren auswirken, lässt unternehmensspezifische Informationen respektive Jahresabschlussinformationen unzutreffender Weise344 letztlich bedeutungslos werden.345 Es erscheint daher als der konsequentere Lösungsansatz, bei der Konkretisierung der Entscheidungsnützlichkeit von Jahresabschlussinformationen den subjektiven Bewertungsansatz zugrunde zu legen.346 Demnach sind für die Bestimmung der individuellen Höhe des Risikozuschlags auch unternehmensspezifische Informationen über die Unsicherheit der künftigen Zahlungsströme respektive die unsystematischen Risiken von Bedeutung.
2.3.3 2.3.3.1
Konsequenzen der ökonomischen Analyse für die Entscheidungsnützlichkeit der Rechnungslegung Kongruenz der Informationsinteressen von Investoren und Gläubigern
Die Untersuchung der Entscheidungsgrundlage von Investoren und Gläubigern dient als Basis für die Erörterung der vorangegangenen Frage, inwiefern die Informationsbedürfnisse dieser beiden zentralen Adressatenkreise des Jahresabschlusses tatsächlich übereinstimmen. Es wurde verdeutlicht, dass beide Kapitalgebergruppen ihre Entscheidung an den Erwartungen über die künftigen Cashflows des Unternehmens bemessen.347 Zwar ist für Gläubiger auch die Haftungsmasse des Unternehmens von Interesse, um die Verlustquote bei einem möglichen Ausfallereignis zu ermitteln,348 doch erscheint es wohl unangemessen, den Zweck des Jahresabschlusses auf die Ermittlung des Zerschlagungswerts des Unternehmens zu reduzieren. Sofern sich diese Informationen dem Jahresabschluss nicht
343 344
345 346 347 348
Vgl. Beiker (1993), S. 461; Levy (1978), S. 643. So zeigen Easley/O’Hara, dass die sich aus Bewertungsmodellen wie dem CAPM ergebende These der Irrelevanz von Rechnungslegungsinformationen eine falsche Schlussfolgerung ist. Vgl. Easley/O'Hara (2004), S. 1573. Vgl. Beaver (1998), S. 27. Ähnlicher Auffassung Baetge (2009), S. 21. Vgl. Francis/LaFond/Olsson/Schipper (2005), S. 301 m.w.N. Vgl. Siebler (2008), S. 281.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
59
ohnehin entnehmen lassen, können dazu ergänzende Angaben im Anhang erbracht werden.349 Von weit höherer Bedeutung sind für die Kapitalgeber diejenigen Informationen, die für die Prognose der Höhe, der zeitlichen Struktur und der Unsicherheit der künftigen Zahlungsströme hilfreich sind, um die Risiken einer Kapitalanlage bzw. Kreditvergabe abzuschätzen.350
Das für Investoren und Gläubiger relevante Spektrum an Informationen ist somit kongruent.351 Auch wenn die Gläubiger an den Gewinnen des Unternehmens nicht direkt teilhaben und für sie aus Gewinnen, die gegebenenfalls höher oder niedriger ausfallen als die bisherigen Erwartungen, kein unmittelbarer Vor- bzw. Nachteil erwächst, besteht seitens der Gläubiger trotzdem ein grundsätzliches Interesse an diesen Informationen. Denn die Veränderungen der Erwartungen über die künftige Entwicklung beeinflussen den risikoadäquaten Zinssatz eines Kredits; dies spiegelt sich letztlich auch in seinem Marktpreis wider.352 Verbessern sich beispielsweise die Gewinnerwartungen eines Unternehmens, sinkt ceteris paribus aufgrund der verbesserten Bonität der Risikozuschlag. Die Fundamentalanalyse von Krediten erfordert analog zur Unternehmensbewertung die Prognose der zukünftigen Zahlungsströme des Unternehmens.353
Aus dem Blickwinkel der Informationsfunktion kann die Dominanz des Vorsichtsprinzips sogar die Interessen der Gläubiger konterkarieren. Das Vorsichtsprinzip fördert die Bildung stiller Reserven,354 da sich nach handelsrechtlichem Verständnis der vorsichtige Kaufmann in Zweifelsfällen eher ärmer als reicher rechnet.355 In der Praxis wird jedoch das Vorsichtsprinzip oftmals als Vorwand für bilanzpolitische Maßnahmen genutzt.356 Insbesondere bei einer negativen Unternehmensentwicklung kann sich dies zum Nachteil
349
350 351 352 353 354
355 356
Zur Eignung von Jahresabschlussinformationen für die Beurteilung des Schuldendeckungspotenzials vgl. Siebler (2008), S. 281 m.w.N. Vgl. Schönbeck (2004), S. 123. Vgl. Budde/Steuber (1996), S. 545; Jacobi (2003), S. 293; Moxter (1978), S. 323; Streim (2000), S. 120. Vgl. Altman (1989), S. 909. Vgl. Moxter (1978), S. 323. Stille Reserven können auf unterschiedlichste Art gebildet werden. Hierbei wird zwischen sogenannten Zwangsreserven und Ermessensreserven unterschieden. Zwangsreserven ergeben sich aus Bewertungsvorschriften wie das Anschaffungskostenprinzip, während Ermessensreserven bei Bewertungswahlrechten wie das gemilderte Niederstwertprinzip entstehen können. Vgl. Ludewig (1987), S. 426-433; MüllerWiegand (1988), S. 1921-1927. Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 40. Vgl. Böcking (2007a), S. 58; Budde/Steuber (1996), S. 544; Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 41.
60
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
der Gläubiger auswirken,357 da durch die Auflösung stiller Reserven eine ungünstige Unternehmensentwicklung für eine beschränkte Zeit verschleiert werden kann.358 In dem Fall erhalten die Bilanzadressaten erst mit einer zeitlichen Verzögerung Informationen über die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass der Gläubigerschutz nicht zwangsläufig mit einer vorsichtigen Gewinnermittlung verknüpft ist.359 Dem Schutz der Gläubiger kann sowohl über die Ausschüttungsbemessungs- als auch über die Informationsfunktion gedient werden.360 Es herrscht Uneinigkeit darüber, welcher Stellenwert dem informationellen Gläubigerschutz im Vergleich zum institutionellen Gläubigerschutz einzuräumen ist, aber mangels fundierter Daten zur Untersuchung dieser Fragestellung, ist darin eher eine politische Wertung als eine objektivierbare Entscheidung zu sehen.361 Jedoch konnte gezeigt werden, dass die Unvereinbarkeit zwischen Gläubiger- und Investoreninteressen keineswegs die Informationsfunktion des Jahresabschlusses betrifft. Vielmehr decken sich die informationellen Interessen der beiden Adressatenkreise.
2.3.3.2
Nutzen der Rechnungslegungsinformationen für Investitions- und Kreditvergabeentscheidungen
Gegeben, dass die Informationsinteressen von Investoren und Gläubiger übereinstimmen, soll als weiterführender Schritt auf Basis der ökonomischen Betrachtung die Entscheidungsnützlichkeit von Rechnungslegungsinformationen konkretisiert werden. Wenn sich die Anforderungen an die Berichterstattung ausschließlich an dem Kriterium der Relevanz im Sinne der Einflussnahme auf die Beurteilung der künftigen Entwicklung der Zahlungsströme des Unternehmens ausrichten würden, wäre die Bereitstellung von Finanzplänen
357
358
359 360
361
Die Bildung stiller Reserven in ertragsstarken Phasen ist hingegen aus Gläubigersicht unbedenklich, weil sie nicht über die vereinbarte Verzinsung hinaus am Unternehmenserfolg partizipieren. Vgl. Burger/Buchhart (2000), S. 2199. Vgl. Kübler (1995), S. 370; Moxter (1986), S. 75; Siebler (2008), S. 280; T. Siegel (1997), S. 134. Ferner kann unter Anwendung der Principal-Agency-Theorie gezeigt werden, dass das zum Schutz von Gläubigern handelsrechtlich dominante Vorsichtsprinzip zu Über- oder Unterinvestitionen führen kann. Vgl. Böcking (2002), S. 926. Vgl. Busse von Colbe (2002a), S. 170. Kritisch zur Wirksamkeit des institutionellen Gläubigerschutzes im Handelsbilanzrecht angesichts der niedrigen durchschnittlichen Konkursquoten vgl. Kübler (2000), S. 556 f.; Strobl (1996), S. 408. Vgl. Ballwieser (1997), S. 390 f.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
61
seitens des Unternehmens die optimale Lösung.362 Dem steht die asymmetrische Informationsverteilung zwischen dem Management des Unternehmens und den Kapitalgebern entgegen, da solche Finanzpläne eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung bedingen.363 Aus Sicht der Agency-Theorie hat das im Vergleich zu den Kapitalgebern besser informierte Management bei der Erstellung von Finanzplänen den Anreiz, die asymmetrische Informationsverteilung zu ihren eigenen Gunsten zu nutzen, statt eine ausgewogene Darstellung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu leisten.364 Aufgrund dessen erweitern sich die Anforderungen an eine entscheidungsnützliche Rechnungslegung um das Kriterium der Verlässlichkeit.365
Eine hinreichende Verlässlichkeit wird grundsätzlich Informationen über den bisherigen Geschäftsverlauf zugesprochen, da die Sachverhalte überprüfbar oder zumindest plausibilisierbar sind.366 Auf Basis der Beurteilung der aktuellen Unternehmenslage sowie der Erwartungen über die künftige Entwicklung wird ein Bild von der Zukunft des Unternehmens aufgebaut.367 Im Rahmen der Fundamentalanalyse dienen die veröffentlichten Jahresabschlüsse als Grundlage für die Beurteilung der Ausgangslage des Unternehmens, um darauf aufsetzend die Schätzung der bewertungsrelevanten künftigen Zahlungsströme vorzunehmen.368 Die Prognosen stützen sich dabei auf alternative Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen über die künftige Entwicklung des Unternehmens und der Umweltzustände.369 Folglich können durch den Jahresabschluss nur indirekt Informationen über die zukünftigen Zahlungsströme bereitgestellt werden.370
362 363 364 365
366 367
368
369
370
Vgl. Moxter (1966), S. 51. Vgl. Lange (1989), S. 144; Schönbeck (2004), S. 127. Siehe Abschnitt 2.3.1.3. Vgl. auch Ballwieser (1982), S. 784. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch Moxter, nach dessen Auffassung die Bedeutung von verlässlichen Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse gar nicht überschätzt werden kann. Vgl. Moxter (1962), S. 609. Vgl. Coenenberg/Straub (2008), S. 20. Vgl. Schneider (1981), S. 28. Diese Verknüpfung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft wird auch im Rahmenkonzept des IASB deutlich. Vgl. hierzu Streim (2000), S. 114. Vgl. Koller/Goedhart/Wessels (2005), S. 159; Streim/Bieker/Leippe (2001), S. 181 f. mit Verweis auf Stützel (1967), S. 338-340. Vgl. Schönbeck (2004), S. 127. Dies wird üblicherweise für einen Prognosezeitraum von 3 bis 5 Jahren mit Hilfe von Entscheidungs- bzw. Zustandsbäumen vorgenommen. Vgl. Lange (1989), S. 109; T. Siegel (1994), S. 462 f. Zwar bezieht sich Lange hierbei auf einen vollständigen Unternehmenserwerb, stellt jedoch weiter unten eine grundlegende Übereinstimmung mit den Informationsinteressen von Anteilseignern und Gläubigern fest. Vgl. Schönbeck (2004), S. 130; Streim (2000), S. 115.
62
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
Im Rahmen der fundamentalanalytischen Bewertung wird stets auf die tatsächlichen Zahlungszeitpunkte abgestellt, sodass eine Überleitung der Jahresabschlussdaten erforderlich ist.371 Dies legt die Vermutung nahe, dass für die fundamentalanalytische Unternehmensbewertung bzw. Bonitätsbeurteilung die Offenlegung der detaillierten Zahlungsströme geeigneter wäre als eine an den jeweiligen Grundsätzen der Rechnungslegung orientierten Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Dieser Auffassung wäre jedoch nur zuzustimmen, wenn der informationelle Zweck des Jahresabschlusses sich auf eine Extrapolation von Zahlungsströmen reduzieren ließe. Der Jahresabschluss dient jedoch primär der Beurteilung der bisherigen Entwicklung des Unternehmens und enthält eine Vielfalt an Informationen, die aus der Betrachtung der sich bis zum Stichtag ergebenden Zahlungsströme nicht erkannt werden können.372 So schlagen sich beispielsweise Wertminderungen des aktivierten Vermögens sofort im Jahresabschluss nieder, während sie aus den Zahlungsströmen erst bei einer späteren Veräußerung ersichtlich werden.373 Die Vermittlung eines Bildes der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ist der explizite Zweck sowohl der handelsrechtlichen als auch der internationalen Rechnungslegung,374 wenngleich die Gewichtung des Informationszwecks unterschiedlich ausfällt.
2.4
Zwischenergebnis
Durch die Fair Value-Richtlinie sowie weitere europäische Rechtsakte wurde die Kohärenz der europäischen Bilanzrichtlinien mit den für kapitalmarktorientierte Unternehmen verbindlichen IFRS geschaffen. Damit sind wesentliche Elemente der internationalen Rechnungslegung in die europäischen Bilanzrichtlinien eingegangen. Dieser Zusammenhang beeinflusst zugleich das Handelsbilanzrecht, schließlich hat sich der deutsche 371
372
373
374
Zum Zusammenhang zwischen Gewinngrößen und Einzahlungsüberschüssen vgl. Lindemann (2005), S. 90-95. Zur Bedeutung des Grundsatzes der Periodisierung für die Aussagekraft einer Jahresabschlusses vgl. Coenenberg/Straub (2008), S. 21; Moxter (1962), S. 607 f. Für empirische Ergebnisse vgl. Barth/ Cram/Nelson (2001), S. 56 f. Vgl. Beaver (1998), S. 5 f.; Moxter (1962), S. 608. Zum höheren Informationsgehalt von Erträgen und Aufwendungen gegenüber Cashflows vgl. auch Dechow (1994), S. 35 f. Eine entsprechende Studie von Dichev/Tang zeigt, dass die Qualität der Periodisierung im Sinne der Gegenüberstellung von wirtschaftlich miteinander in Verbindung stehenden Erträgen und Aufwendungen einen Einfluss auf die Prognoseeignung von Jahresabschlüssen hat. Vgl. Dichev/Tang (2008), S. 1456. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt die Untersuchung von Francis/LaFond/Olsson/Schipper, die einen Zusammenhang zwischen der Qualität der Periodenabgrenzung und der Höhe der Kapitalkosten als Ausdruck der Informationsgüte feststellt. Vgl. Francis/LaFond/Olsson/Schipper (2005), S. 323 f. Dies ergibt sich, wie bereits in Abschnitt 2.2 verdeutlicht wurde, u.a. aus § 238 Abs. 1 HGB bzw. aus dem Framework, Rn. 46 sowie IAS 1.7.
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
63
Gesetzgeber zu einer freiwilligen Fortsetzung des durch die europäischen Bilanzrichtlinien angestoßenen Harmonisierungsprozesses entschlossen und intendiert, mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz eine maßvolle Annäherung des HGB an die IFRS zu vollziehen. Einen Schwerpunkt innerhalb der Diskussion über die Modernisierung des deutschen Bilanzrechts bildet die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value, wie sie nach IAS 39 bereits praktiziert wird. In der Debatte um den Fair Value steht die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen an die Adressaten des Jahresabschlusses im Vordergrund. Eine Analyse der Eignung des Fair Value für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten setzt somit ein genaues Verständnis von der Informationsfunktion der Rechnungslegung voraus.
Zwar verfolgen beide Rechnungslegungssysteme den Zweck der Informationsvermittlung, doch in Bezug auf das Handelsbilanzrecht wird im Schrifttum dem über die Ausschüttungsbemessungsfunktion verfolgten institutionellen Gläubigerschutz Vorrang eingeräumt. Dass der Zweck der Informationsvermittlung in beiden Rechnungslegungssystemen verankert ist, ihm aber ein unterschiedlicher Stellenwert beigemessen wird, spiegelt sich in den jeweiligen Rechnungslegungsgrundsätzen wider. Auf den ersten Blick basieren das HGB und die IFRS scheinbar auf den gleichen Rechnungslegungsgrundsätzen. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass bei elementaren Grundsätzen nicht nur die ihnen beigemessenen Stellenwerte teilweise unterschiedlich ausfallen wie beispielsweise in Bezug auf das Realisationsprinzip oder den Periodisierungsgrundsatz, sondern auch inhaltliche Unterschiede bestehen, wie es insbesondere bei der Auslegung des Vorsichtsprinzips der Fall ist.
Mit der Modernisierung des deutschen Bilanzrechts wird die Informationsfunktion als Rechnungslegungszweck aufgewertet, ohne die Ausschüttungsbemessungsfunktion in Frage zu stellen.375 In Schrifttum werden der handelsrechtliche Gläubigerschutzgedanke und die Orientierung der IFRS an den Interessen der Investoren zum Teil als divergierende 375
In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Ausschüttungsrestriktionen im Sinne gesetzlicher „Mindest-Covenants“ ebenfalls eine wichtige Information für die Gläubiger darstellen, die letztlich zu einer Reduktion der Kapitalkosten beitragen kann. Vgl. hierzu Böcking/Torabian (2009), S. 254 in Anlehnung an Baums (2006), S. 25; ähnlicher Auffassung Herzig/Mauritz (1998b), S. 340 f. Auf die Möglichkeit einer Abkopplung der Ausschüttungsbemessungsfunktion vom handelsrechtlichen Einzelabschluss soll nicht weiter eingegangen werden. Vgl. hierzu Böcking (2007a), S. 68-70; Böcking/Dutzi (2006), S. 1-15; Bruns (2001), S. 73.
64
Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS
und daher nicht miteinander zu vereinbarende Zwecke betrachtet. Die ökonomische Analyse der Entscheidungskalküle der Kapitalgeber hat gezeigt, dass die Informationsbedürfnisse und folglich auch die an die Entscheidungsnützlichkeit gekoppelten Anforderungen von Investoren und Gläubigern im Einklang miteinander stehen. Analog zu den Investoren führen auch die Gläubiger für ihre Kreditvergabeentscheidung eine fundamentalanalytische Bewertung des Unternehmens durch. Hierzu bedarf es einer Beurteilung der Höhe, der zeitlichen Struktur sowie der Unsicherheit der erwarteten künftigen Cashflows des Unternehmens. Aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den Erstellern und den Adressaten des Jahresabschlusses beschränkt sich die Informationsfunktion der Rechnungslegung dabei auf die Darstellung der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Auf Basis der aus den Jahresabschlüssen gewonnen Informationen über die Ausgangslage des Unternehmens erstellen die potentiellen sowie die bestehenden Kapitalgeber eigenständig ihre Prognosen über die künftige Entwicklung des jeweiligen Unternehmens, um letztlich ihre Kapitalvergabeentscheidungen zu treffen.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
3
65
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
3.1 3.1.1
Abgrenzung des Begriffs der Finanzinstrumente Finanzinstrumente im Allgemeinen
Im HGB wurde der Begriff des Finanzinstruments erstmals im Rahmen des Bankbilanzrichtlinie-Gesetzes376 in § 340c Abs. 1 Satz 1 HGB verwendet.377 Demnach haben Banken378 in der Gewinn- und Verlustrechnung ihre Finanzgeschäfte differenziert nach Geschäften mit Wertpapieren des Handelsbestands, Finanzinstrumenten sowie Devisen und Edelmetallen auszuweisen. Der Gesetzgeber hat die Definition von Finanzinstrumenten bewusst offen gelassen.379 Mithilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs soll die Notwendigkeit der ständigen Anpassung der Definition an die rasante Entwicklung von Finanzinnovationen umgangen werden.380
Die Kehrseite dieser Vorgehensweise bestand lange Zeit darin, dass keine Einigkeit über die genaue Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs herrschte. Die ursprüngliche Meinung zur Abgrenzung von Finanzinstrumenten nach handelsrechtlichem Verständnis wich erheblich von der weiten Auslegung der internationalen Rechnungslegungsstandards ab. Aus dem Wortlaut von § 340c Abs. 1 Satz 1 HGB wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die Bezeichnung im Handelsbilanzrecht keinen Oberbegriff wie bei den IFRS darstelle.381 Wertpapiere, Devisen und Edelmetalle wären demnach nicht als Finanzinstrumente zu qualifizieren, da sie im Gesetzestext explizit neben diesen genannt seien.382 Erst in der Begründung zum Entwurf des Bilanzrechtsreformgesetzes wurde
376
377
378
379 380 381
382
Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten (Bankbilanzrichtlinie-Gesetz) vom 12. Oktober 1990. Die §§ 340 bis 340o HGB enthalten gesonderte Vorschriften für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute. Der Begriff „Bank“ umfasst im Folgenden die Institute, die in den Anwendungsbereich der institutsspezifischen Vorschriften der §§ 340 bis 340o HGB fallen. Dies betrifft Kreditinstitute im Sinne des § 340 Abs. 1 HGB sowie die ihnen gleichgestellten Finanzdienstleistungsinstitute gemäß § 340 Abs. 4 HGB. Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 30. Vgl. Böcking/Löw/Wohlmannstetter (2008), § 340c HGB, Rn. 25. Vgl. Barckow (2004), S. 8-11; Bellavite-Hövermann/Barckow (2002), IAS 39, Rn. 14; Krumnow u.a. (2004), S. 192 f. Vgl. Krumnow u.a. (2004), S. 195 f. Vgl. auch Barckow (2004), S. 8 f.
66
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
klargestellt, dass der Begriff „Finanzinstrument“ in Übereinstimmung mit dem KWG und den IFRS als ein Oberbegriff auszulegen ist.383
Gemäß IAS 32.11 und im Einklang mit § 1a Abs. 3 KWG ist ein Finanzinstrument ein Vertrag, der gleichzeitig bei dem einen Unternehmen zu einem finanziellen Vermögenswert und bei dem anderen Unternehmen zu einer finanziellen Verbindlichkeit oder einem Eigenkapitalinstrument führt. Des Weiteren werden finanzielle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten wie folgt konkretisiert:
Finanzielle Vermögenswerte sind a) Geld oder andere Zahlungsmittel,384 b) Eigenkapitalinstrumente anderer Unternehmen, c) vertragliche Rechte385 i.
zum Erhalt von Geld oder finanziellen Vermögenswerten oder
ii. zum Tausch von finanziellen Vermögenswerten oder finanziellen Verbindlichkeiten zu potentiell vorteilhaften Bedingungen, oder d) Verträge, die in eigenen Eigenkapitalinstrumenten zu erfüllen sind oder erfüllt werden können und bestimmte Bedingungen386 erfüllen.
Demgegenüber entsprechen finanzielle Verbindlichkeiten a) vertraglichen Pflichten i.
zur Zahlung von Geld oder zur Herausgabe finanzieller Vermögenswerte oder
ii. zum Tausch finanzieller Vermögenswerte und finanzieller Verbindlichkeiten zu potentiell nachteiligen Bedingungen oder b) Verträgen, die in eigenen Eigenkapitalinstrumenten zu erfüllen sind oder erfüllt werden können und bestimmte Bedingungen erfüllen.
383 384
385
386
Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 30. Geld selbst ist somit ein finanzieller Vermögenswert aber entgegen der mehrfach geäußerten Auffassung kein Finanzinstrument, da es sich um keine vertragliche Beziehung im Sinne des IAS 32.11 handelt. Vgl. hierzu Ackermann (2001), S. 50. Die Definition von finanziellen Vermögenswerten als vertragliche Rechte zum Erhalt oder Tausch von finanziellen Vermögenswerten ist tautologisch. Vgl. hierzu Schmidt (2005), S. 59. Die Bedingungen betreffen die Abgrenzung der finanziellen Vermögenswerte und finanziellen Verbindlichkeiten vom Eigenkapital. Vgl. hierzu Kuhn/Scharpf (2006), S. 525-527.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
67
Finanzinstrumente beruhen somit auf zweiseitigen Verträgen,387 deren rechtliche Durchsetzbarkeit sichergestellt sein muss.388 Die Definition von finanziellen Vermögenswerten und finanziellen Verbindlichkeiten ist weiter gefasst, als die allgemeine Definition von Vermögenswerten und Schulden. Die allgemeine Definition verlangt, dass der erwartete Nutzenzufluss bzw. Nutzenabfluss wahrscheinlich ist. Die konkrete Höhe der Wahrscheinlichkeit hängt dabei von der Art des bilanziellen Sachverhalts ab, beträgt aber mindestens 50 %.389 Auf den Ansatz von Finanzinstrumenten hat die Wahrscheinlichkeit des Nutzenzugangs bzw. Nutzenabgangs hingegen keinen Einfluss, sondern wird im Rahmen der Bewertung berücksichtigt.390
3.1.2 3.1.2.1
Derivate im Speziellen Definition von Derivaten
Durch die Anlehnung des Handelsbilanzrechts an der begrifflichen Abgrenzung von Finanzinstrumenten nach IAS 32 ist auch hinsichtlich der Definition von Derivaten die Sichtweise der IFRS maßgeblich. Demnach zeichnen sich Derivate durch die kumulative Erfüllung der folgenden drei Merkmale aus:391 a) Der Wert des Finanzinstruments verändert sich infolge einer Änderung eines bestimmten Zinssatzes, Preises eines Finanzinstruments, Rohstoffpreises, Wechselkurses, Preis- oder Zinsindexes, Bonitätsratings oder Kreditindexes oder einer anderen Variablen. Im Fall einer nichtfinanziellen Variablen darf die Variable nicht spezifisch für eine Vertragspartei sein. b) Es ist keine Anschaffungsauszahlung erforderlich oder nur eine Zahlung, die im Vergleich zu anderen Vertragsformen, von denen zu erwarten ist, dass sie in ähnlicher Weise auf Änderungen der Marktbedingungen reagieren, geringer ist.
387 388 389
390 391
Vgl. hierzu Schmidt (2005), S. 58. Vgl. Reiland (2006), S. 35 m.w.N. So ist beispielsweise gemäß IAS 37 für den Ansatz von Eventualforderungen eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit notwendig, während der Ansatz einer Rückstellung bereits bei einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % erfolgt. Vgl. Reiland (2006), S. 33 m.w.N. Eine vergleichbare Spanne weist auch das Handelsbilanzrecht auf. So gilt für Forderungen das Prinzip der Quasisicherheit, während eine Rückstellung anzusetzen ist, wenn „mehr Gründe für als gegen das Be- oder Entstehen einer Verbindlichkeit und eine künftige Inanspruchnahme sprechen“. BFH-Urteil vom 1.8.1984 (I R 88/80), S. 44. Vgl. auch Moxter (2007), S. 85 f. Vgl. Reiland (2006), S. 37. Siehe IAS 39.9.
68
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
c) Das Finanzinstrument wird zu einem späteren Zeitpunkt beglichen.
Wie es die Bezeichnung bereits andeutet (lateinisch „derivare“, „ableiten“) und das erste Kriterium präzisiert, leitet sich der Wert eines Derivats von dem eines anderen Finanzinstruments ab, das als Basiswert (Underlying) bezeichnet wird.392 Das zweite Kriterium keiner oder im Vergleich zu anderen Verträgen mit ähnlicher Wertentwicklung nur geringer Anschaffungskosten resultiert daraus, dass der Fair Value eines Derivats sich erst innerhalb der Laufzeit in Abhängigkeit von der Preisveränderung des Basiswerts entwickelt. In diesem Zusammenhang ist auch das dritte Kriterium einer in der Zukunft liegenden Begleichung des Finanzinstruments zu sehen.
In einem Grenzbereich befinden sich Termingeschäfte über den Kauf oder Verkauf von Waren. Die Warentermingeschäfte gelten als derivative Finanzinstrumente, wenn der Vertrag nicht auf die physische Lieferung oder Leistung des Basiswerts abzielt,393 sondern auf eine finanzielle Kompensation der zwischenzeitlichen Wertänderung.394 In diesem Zusammenhang besteht ebenfalls ein Gleichlauf des HGB mit den Regelungen nach IFRS.395 Warentermingeschäfte sind den derivativen Finanzinstrumenten zuzurechnen, wenn jede der Vertragsparteien zur Abgeltung in bar oder durch ein anderes Finanzinstrument berechtigt ist, es sei denn, dass bereits bei Vertragsabschluss die Absicht besteht, diese Möglichkeit zum Barausgleich nicht zu nutzen. Davon ist auszugehen, wenn der Vertrag geschlossen wurde, um einen für den Erwerb, die Veräußerung oder den eigenen Gebrauch erwarteten Bedarf abzusichern, sofern diese Zweckwidmung von Anfang an bestand und nach wie vor besteht und der Vertrag mit der Lieferung der Ware als erfüllt gilt.396 Nach IAS 39 wird zudem konkretisiert, auf welche Weise die Zweckwidmung des
392 393 394
395
396
Vgl. Schmidt (2005), S. 62 f. Für entsprechende Ausnahmen siehe IAS 39.6 (c) und (d). Siehe hierzu IAS 39.5. Des Weiteren darf sich das Derivat nur auf nichtfinanzielle Variablen beziehen, die nicht spezifisch für eine der Vertragsparteien ist. So kann sich beispielsweise der Vertrag auf einen Index zu Erdbebenschäden beziehen, nicht aber auf das Eintreten oder Nichteintreten eines Feuers, das die Vermögenswerte eines Vertragskontrahenten betrifft. Siehe hierzu IAS 39.AG12A. Obwohl sich das Handelsbilanzrecht bei der Definition von Finanzinstrumenten und Derivaten an die IFRS anlehnt und keine eigene Abgrenzung vornimmt, enthielt vor dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz § 285 Satz 2 HGB a.F. den Hinweis, dass Warentermingeschäfte unter bestimmten Voraussetzungen als Finanzinstrumente zu bilanzieren sind. Die Bedingungen glichen den Bedingungen nach IAS 39. Dieser Hinweis ist mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz zwar entfallen, jedoch begründet sich daraus keine sachliche Änderung. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 75; Löw/Torabian (2008), S. 610. Siehe IAS 39.6.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
69
Warentermingeschäfts zu erörtern ist. Dabei werden u.a. unter Rückgriff auf die vergangenen Geschäftsvorfälle Rückschlüsse auf die gegenwärtigen Absichten gezogen.397 Die Ausnahme von Warentermingeschäften, bei denen die Möglichkeit zum Barausgleich gegeben ist, die aber dem Zweck der Deckung des eigenen Bedarfs dienen, wird innerhalb der IFRS als Own Use Exemption bezeichnet.398
3.1.2.2
Grundarten derivativer Finanzinstrumente
Derivate sind Termingeschäfte, d.h. vertragliche Vereinbarungen über künftige Transaktionen. Sie können grundlegend danach differenziert werden, ob die Transaktion zwingend stattfindet (unbedingtes Termingeschäft) oder ob dem Käufer des Derivats ein Ausübungswahlrecht eingeräumt wird (bedingtes Termingeschäft).399 Innerhalb der unbedingten Termingeschäfte wird zwischen Swaps, Forwards und Futures unterschieden, während bedingte Termingeschäfte als Optionen bezeichnet werden.400 Die Abwicklung kann in Form eines Barausgleichs geschehen (Cash Settlement) oder durch die physische Lieferung erfolgen, sofern es sich um ein lieferbaren Basiswert handelt und nicht um ein Basiswertsurrogat wie beispielsweise einem Index. Soll bereits vor der Fälligkeit eines Derivats die Position geschlossen werden, findet in der Regel keine Veräußerung des Derivats statt, sondern es wird eine entsprechende Gegenposition abgeschlossen; dies wird als Glattstellung bezeichnet.
397 398 399
400
Siehe IAS 39.6. Vgl. hierzu ausführlich IDW RS HFA 25, Rn. 15-27. Vgl. Kuhn/Scharpf (2006), S. 59. Neben dieser weiten Abgrenzung des Begriffs der Termingeschäfte werden teilweise im Schrifttum als Termingeschäfte im engeren Sinne Forwards und Futures bezeichnet. Vgl. hierzu Patek (2007), S. 424; Seidl (2000), S. 15. Vgl. Böcking/Benecke (2000), S. 198; Brötzmann (2004), S. 20; Lüdenbach (2009), Rn. 9. Auch in IAS 39.AG9 werden diese Grundarten an derivativen Finanzinstrumenten als typische Beispiele aufgezählt.
70
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Finanzinstrumente
Originäre Finanzinstrumente
Derivate
Unbedingte Termingeschäfte
Forwards / Futures
Bedingte Termingeschäfte
Swaps
Optionen
Abbildung 3: Systematisierung der Grundarten von Finanzinstrumenten401
An der Börse gehandelte Derivate sind standardisiert; die Parameter außerbörslich gehandelter Termingeschäfte können hingegen individuell vereinbart werden.402 Der Markt für den außerbörslichen Handel mit Finanztiteln wird auch als Over the Counter-Markt (OTC-Markt) bezeichnet.403
i.
Forwards und Futures
Forwards sind verbindliche Vereinbarungen über den Kauf einer vertraglich festgelegten Menge eines Basiswerts zu einem bestimmten Preis zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt.404 Futures sind den Forwards entsprechende Termingeschäfte, die als standardisierte Kontrakte an der Börse gehandelt werden.405 Der Inhaber bzw. Käufer eines solchen Kontrakts geht eine sogenannte Long-Position ein und verpflichtet sich zum Kauf des Basiswerts bzw. zu einer entsprechenden Ausgleichzahlung, sofern bei Fälligkeit des Derivats der Marktpreis unterhalb des vereinbarten Preises liegt. Der Verkäufer (ShortPosition) liefert den Basiswert bzw. leistet gegebenenfalls eine Ausgleichszahlung.
Eine spezielle Form des Forward bilden die sogenannten Forward Rate Agreements, die eine Kreditvergabe für einen bestimmten Zeitraum in der Zukunft replizieren. Die Ver401 402 403 404 405
Modifiziert und erweitert nach Starbatty (2005), S. 83. Vgl. Patek (2002), S. 11. Vgl. Breker (1993), S. 35. Vgl. Rudolph/Schäfer (2005), S. 23. Vgl. Patek (2002), S. 11 f.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
71
tragskontrahenten tauschen innerhalb einer Zinsperiode den Differenzbetrag zwischen dem vereinbarten Zinssatz und dem vertraglich festgelegten Referenzzinssatz (Marktzinssatz) bezogen auf einen bestimmten Nominalbetrag.406 Die Zeitspanne zwischen Vertragsabschluss und dem Beginn der Zinsperiode wird als Vorlaufzeit bezeichnet. Gewisse Forward Rate Agreements haben sich mittlerweile an den Zinsmärkten etabliert.407
ii.
Swaps
Swaps sind Geschäfte, bei denen sich die Vertragskontrahenten zum Tausch von vertraglich spezifizierten Zahlungsströmen über einen festgelegten Zeitraum verpflichten.408 Die Zahlungsströme der gängigsten Swaps hängen von Zinssätzen (Zins-Swap),409 Wechselkursen (Devisen-Swap) oder Kreditausfallereignissen (Credit Default Swap) ab, doch auch eine Vielzahl weiterer Basiswerte sowie deren Kombination ist denkbar.410 Bei einem Zins-Swap werden in der Regel fixe gegen variable Zinszahlungen getauscht. Die Bezeichnung des Vertrags hängt davon ab, ob die Vertragspartei zur Zahlung fixer Zinsen verpflichtet ist und dafür variable Zinsen erhält (Payer Swap) oder umgekehrt variable Zinsen leistet und dafür fixe Zinsen bekommt (Receiver Swap). Bei einem Devisen-Swap tauschen die Kontrahenten Geldbeträge unterschiedlicher Währungen mit der gleichzeitigen Vereinbarung, zu einem späteren Zeitpunkt die gleichen Beträge zurückzutauschen. Werden innerhalb dieses Zeitraums auch Zinszahlungen in unterschiedlichen Währungen ausgetauscht, liegt ein Cross Currency Swap vor.411 Ein Credit Default Swap ermöglicht es, das Bonitäts- bzw. Ausfallrisiko einer Kreditposition auf einen dritten zu übertragen. Der Kontrahent erhält für die Übernahme des Risikos eine Prämie.412
406 407 408 409
410
411 412
Vgl. Hull (2009), S. 85 f. Vgl. Rudolph/Schäfer (2005), S. 112. Vgl. Beyer (2008), S. 29. Im Gegensatz zum bereits beschriebenen Forward Rate Agreement werden bei einem Zins-Swap wiederholt Zinszahlungsströme getauscht. Vgl. hierzu Rudolph/Schäfer (2005), S. 115. Es treten auch zweifach derivative Finanzinstrumente auf; hierzu gehören insbesondere die Swaption und der Forward Swap (auch Deferred Swap genannt). Mit einer Swaption wird das Recht bzw. die Option erworben, zu einem späteren Zeitpunkt in einen vertraglich konkretisierten Swap einzutreten. Ein Forward Swap entspricht einem Swap, der erst nach Ablauf einer festgelegten Vorlaufzeit beginnt. Vgl. hierzu Rudolph/Schäfer (2005), S. 115 f.; Hull (2009), S. 171. Vgl. Rudolph/Schäfer (2005), S. 151. Zur Bilanzierung von Credit Default Swaps vgl. insbesondere Hommel/Christ/Morawietz (2008), S. 352-360.
72
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
iii.
Optionen
Eine Option gewährt ihrem Käufer bzw. Inhaber (Long-Position) das Recht, mit dem Verkäufer bzw. Stillhalter (Short-Position) einen genau spezifizierten Vertrag einzugehen. Der Stillhalter erhält dafür im Gegenzug eine Optionsprämie. Im Gegensatz zu unbedingten Termingeschäften weisen Optionen ein asymmetrisches Chancen-/Risikoprofil auf, da sich das Verlustpotenzial für den Inhaber einer Option auf die Optionsprämie beschränkt.413 Gegenstand einer Option können Kauf-, Miet- oder Tauschgeschäfte sein.414 In Bezug auf börslich gehandelte Optionen wird grundsätzlich zwischen Call- und PutOptionen differenziert, die zum Kauf bzw. Verkauf eines Basiswerts zu einem vertraglich vereinbarten Preis berechtigen. Statt einer physischen Lieferung ist häufig ein entsprechender Barausgleich vorgesehen, dessen Höhe sich an der Differenz zwischen dem vereinbarten Preis des Basiswerts und dem Marktpreis zum Ausübungszeitpunkt bemisst.415 Zudem wird eine Unterscheidung danach getroffen, ob die Ausübung des Optionsrechts erst am Ende der festgelegten Laufzeit (europäische Option) oder während des gesamten Zeitraums (amerikanische Option) erfolgen kann.416
Im Zusammenhang mit Optionsgeschäften stehen Zinsbegrenzungsvereinbarungen. Sie können als eine Serie europäischer Optionen mit unterschiedlichen Fälligkeiten betrachtet werden, die ohne Willenserklärung des Optionsberechtigten automatisch vom Stillhalter erfüllt werden.417 Gegen Zahlung einer Prämie verpflichtet sich der Vertragskontrahent dazu, Zahlungen zu leisten, sofern ein bestimmtes Zinsniveau über- oder unterschritten wird.418 Auf diese Weise kann eine Zinsobergrenze (Cap), Zinsuntergrenze (Floor) oder eine Kombination beider (Collar) gesetzt werden.419 Die an den jeweiligen Zinsfeststellungsterminen gegebenenfalls entstehenden Zahlungsansprüche bzw. -verpflichtungen werden als Caplets bzw. Floorlets bezeichnet.420
413 414 415 416 417 418 419 420
Vgl. Patek (2007), S. 424 f. Vgl. Patek (2002), S. 17 m.w.N. Vgl. Breker (1993), S. 24. Vgl. Hull (2009), S. 6 f. Vgl. Mauritz (1997), S. 279; Sprißler (2001), Sp. 831 f.; a.A. Patek (2002), S. 19; Schwarz (2006), S. 19. Vgl. Jensen-Nissen (2007), S. 133. Vgl. hierzu Rudolph/Schäfer (2005), S. 102 f. Vgl. Mauritz (1997), S. 279; Rudolph/Schäfer (2005), S. 104 f.
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3.2 3.2.1
73
Angewandte Wertmaßstäbe zur Bewertung von Finanzinstrumenten Definition und Ermittlung des Wertmaßstabs „Fair Value“
Die bilanzielle Bewertung zum Fair Value wird maßgeblich vom IASB vorangetrieben.421 In Bezug auf Finanzinstrumente sprach sich bereits 1997 die vom IASC, Vorgängerorganisation des IASB, einberufene Joint Working Group of Standard Setters für den Full Fair Value-Ansatz aus.422 Übersetzt als beizulegender Zeitwert fand der Fair Value durch die Umsetzung der Fair Value-Richtlinie auch Eingang in das Handelsbilanzrecht.423 Folglich stellen der handelsrechtliche beizulegende Zeitwert und der Fair Value gemäß IFRS synonyme Begriffe dar.424
Eine Definition des Fair Value ist nur in den IFRS enthalten. Dort wird der Fair Value in einer Vielzahl von Standards angewandt und ist stets gleichlautend definiert.425 In Bezug auf Finanzinstrumente befindet sich die Definition des Fair Value in IAS 32.11. Demnach entspricht der Fair Value dem „Betrag, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein Vermögenswert getauscht oder eine Schuld beglichen werden könnte“. Preise, die sich aus erzwungenen Transaktionen, zwangsweise erfolgenden Liquidationen oder Notverkäufen ergeben, erfüllen nicht die Definition des Fair Value.426
Unter der Annahme eines vollkommenen Kapitalmarkts entsprechen sich der Kauf- und Verkaufspreis von Finanzinstrumenten.427 In der Realität fallen hingegen Transaktionskosten an, die als Geld-Brief-Spanne bezeichnet werden.428 Dem wird in der Literatur durch die Unterscheidung zwischen dem Veräußerungspreis (Exit Price) am Absatzmarkt und dem Anschaffungspreis (Entry Price) am Beschaffungsmarkt Rechnung getragen.429 In 421 422 423 424 425
426 427 428 429
Vgl. hierzu Böcking (2004a), S. 32-34. Vgl. Joint Working Group of Standard Setters (1997). Vgl. auch Wüstemann/Duhr (2005), S. 112 f. Siehe hierzu Abschnitt 2.1.3.1. Vgl. Böcking (2005), S. 6. Elemente einer Fair Value-Bewertung sind in IAS 11, IAS 16, IAS 17, IAS 18, IAS 19, IAS 20, IAS 21, IAS 26, IAS 32, IAS 33, IAS 36, IAS 38, IAS 39, IAS 40, IAS 41, IFRS 2, IFRS 3, IFRS 4, IFRS 5 und IFRS 7 enthalten. Vgl. Böcking/Dreisbach/Gros (2008), S. 211. Kern einer Bewertung zum Fair Value im engeren Sinne bilden IAS 39 sowie IAS 16, IAS 38, IAS 40 und IAS 41. Vgl. Ballwieser/Küting/Schildbach (2004), S. 533; Hitz (2007a), S. 362. Siehe IAS 39.AG69. Vgl. auch Tanski/Zeretzke (2006), S. 53. Vgl. Barth/Landsman (1995), S. 99; Kuhn (2007), S. 165. Siehe IAS 39.AG70. Vgl. Ballwieser (2008), § 253 HGB, Rn. 57.
74
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Bezug auf derivative Finanzinstrumente kann der Veräußerungspreis auch gegebenenfalls dem Preis entsprechen, zu dem ein finanzieller Vermögenswert oder eine finanzielle Verbindlichkeit glattgestellt werden kann (Closing Transaction).430 Bisher treffen weder die handelsrechtlichen noch internationalen Vorschriften diesbezüglich eine explizite Aussage, es zeichnet sich jedoch eine Hinwendung zu Veräußerungspreisen ab.431
Die konkrete Ermittlung des Fair Value ist hingegen in beiden Rechnungslegungssystemen kodifiziert.432 Die Definition bringt bereits zum Ausdruck, dass der Fair Value als ein Marktpreis zu verstehen ist; dabei kann es sich sowohl um einen in der Realität beobachtbaren als auch einen fiktiven Marktpreis handeln. Diese Differenzierung wird bei der Ermittlung des Fair Value vorgenommen, indem zwischen tatsächlich vorhandenen Börsen- oder Marktpreisen (Mark to Market) und anhand von Bewertungsmethoden bestimmten Werten (Mark to Model) unterschieden wird.433 Gemäß der Bewertungshierarchie, die dem Fair Value zugrunde liegt, wird auf der ersten Stufe beobachtbaren Marktpreisen prinzipiell Vorzug eingeräumt, da ein öffentlich notierter Marktpreis auf einem aktiven Markt als der bestmögliche objektive Hinweis auf den Fair Value betrachtet wird.434 Ein aktiver Markt besteht, wenn der Preis des betreffenden Finanzinstruments an einer Börse, von einem Händler, Broker, einer Branchengruppe, einem PreisberechnungsService oder einer Aufsichtsbehörde leicht und regelmäßig erhältlich ist und aktuelle und regelmäßig auftretende Markttransaktionen unter unabhängigen Dritten darstellt.435 Sofern Zugang zu mehreren Märkten besteht, in denen das Finanzinstrument gehandelt wird, ist der Preis des vorteilhaftesten Markts zu wählen.436
Sofern kein aktiver Markt vorliegt, wird der Fair Value mit Hilfe von Bewertungsmethoden ermittelt. Auf der zweiten Stufe der Bewertungshierarchie wird der Fair Value eines Finanzinstruments anhand der Marktpreise vergleichbarer Finanzinstrumente abgeleitet. 430
Vgl. Hitz (2007a), S. 362; Kuhn (2007), S. 165. Ausdruck dieser Entwicklung ist die Absicht des IASB, im Zuge der Einführung eines eigenen Standards zur Ermittlung des Fair Value festzulegen, dass der Fair Value mit dem Veräußerungspreis gleichzusetzen ist. Vgl. IASB (2009a), Rn. 15. Der Vorschlag steht auch im Zusammenhang mit dem Konvergenzprojekt des IASB und FASB, da die US-GAAP im Statement of Financial Accounting Standard (SFAS) No. 157 explizit die Verwendung von Veräußerungspreisen fordern. Vgl. SEC (2008), S. 170. 432 Siehe hierzu § 255 Abs. 4 HGB bzw. IAS 39.48A. 433 Vgl. Böcking/Torabian (2008), S. 266. 434 Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 61 in Anlehnung an IAS 39.AG71. 435 Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 61 in Anlehnung an IAS 39.AG72. 436 Siehe IAS 39.AG71. Vgl. auch Kuhn (2007), S. 168. 431
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
75
Sind Preise von jüngst getätigten Transaktionen ähnlicher Finanzinstrumente bekannt, kann aus diesen Preisen der Fair Value abgeleitet werden, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmendaten seit dem Transaktionszeitpunkt nicht wesentlich verändert haben.437 Zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen wie beispielsweise eine Anpassung des risikolosen Zinssatzes sind mithilfe geeigneter Bewertungsmethoden einzubeziehen. Des Weiteren kann bei komplexeren Finanzinstrumenten ohne einen aktiven Markt der Fair Value trotzdem über Marktpreise ermittelt werden, wenn sich das betreffende Finanzinstrument aus Komponenten zusammensetzt, für die ein aktiver Markt besteht. Bereits diese zweite Stufe der Bewertungshierarchie ist den Bewertungsmethoden zuzurechnen.438
Auf Bewertungsmodelle wie den Discounted Cash Flow-Verfahren wird erst auf der dritten Stufe der Bewertungshierarchie zurückgegriffen, wenn weder ein aktiver Markt existiert noch anhand von Transaktionspreisen ähnlicher Finanzinstrumente eine Ableitung des Fair Value möglich ist.439 Über Bewertungsmodelle soll der Transaktionspreis festgestellt werden, der sich am Bilanzstichtag zwischen unabhängigen Vertragspartnern bei Vorliegen normaler Geschäftsbedingungen ergeben hätte.440 Dazu eignen sich vor allem solche Modelle, mit denen im größtmöglichen Umfang auf Marktdaten zurückgegrif-
Abnehmende Verlässlichkeit
fen werden kann.
Börsen- oder Marktpreise
Mark to Market
Zunehmende Komplexität
Vergleichspreise Mark to Model Bewertungsmodelle
Abbildung 4: Bewertungshierarchie bei der Ermittlung des Fair Value
437 438
439 440
Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 61 in Anlehnung an IAS 39.AG72. Dies geht sowohl aus der Begründung zum Referentenentwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes als auch aus IAS 39 hervor. Vgl. hierzu BMJ (2007), S. 123 sowie IAS 39.AG72. Vgl. auch Böcking/Torabian (2008), S. 266; a.A. beispielsweise Kirsch/Dohrn (2005), S. 138. Vgl. Tanski/Zeretzke (2006), S. 56. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 61 in Anlehnung an IAS 39.AG75.
76
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Bewertungsmodelle werden als Surrogat für tatsächlich beobachtbare Börsen- oder Marktpreise verwendet. Die Verlässlichkeit solcher hypothetischen Marktpreise wird im Wesentlichen aus zwei Gründen in Frage gestellt. Zum einen unterstellen Modelle wie das CAPM – das vorherrschende Modell zur Schätzung von Risikozuschlägen – ideale Bedingungen im Sinne der Neoklassik. Hierzu zählt insbesondere die Prämisse eines vollkommenen Markts, eine der Realität nicht gerecht werdende Annahme.441 Zum anderen erfordern Bewertungsmodelle die Schätzung zukunftsbezogener Parameter wie beispielsweise die erwarteten künftigen Zahlungsströme. Solche zukunftsbezogenen Schätzungen sind lediglich plausibilisierbar und räumen den Bilanzerstellern teilweise weitreichende Ermessensspielräume ein. 442
3.2.2 3.2.2.1
Handelsrechtliche Bewertungsvorschriften Prinzipiell anschaffungskostenorientierte Bewertung von Finanzinstrumenten
Mit Ausnahme von bankenspezifischen Vorschriften richtet sich die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften des § 253 HGB. Demnach sind Finanzinstrumente grundsätzlich wie die übrigen Vermögensgegenstände zu ihren Anschaffungskosten einschließlich der Nebenkosten des Erwerbs zu aktivieren bzw. wie die übrigen Verbindlichkeiten zu ihrem Erfüllungsbetrag zu passivieren.443 Im Rahmen der Folgebewertung ist nach dem Niederstwertprinzip als Konsequenz des Imparitätsprinzips die Werthaltigkeit der Vermögensgegenstände zu prüfen; für Verbindlichkeiten gilt analog das Höchstwertprinzip.444 Innerhalb der Vermögensgegenstände wird eine Diffe-
441 442
443
444
Siehe hierzu Abschnitt 2.3.2.4. Vgl. auch Hitz (2007b), S. 342 f. Diese Skepsis spiegelt sich u.a. in der empirischen Studie von Gassen/Schwedler wider. Europäische Analysten, Fondsmanager, institutionelle Anleger und Ratingexperten wurden u.a. zu ihrer Einstellung bezüglich der alternativen Bewertungskonzeptionen von Finanzinstrumenten befragt. Von den 242 Teilnehmern sprachen 93,2 % den Marktpreisen von Finanzinstrumenten eine Entscheidungsnützlichkeit zu. Die modellbasierte Bewertung von Finanzinstrumenten beurteilten hingegen nur noch 48,4 % der Teilnehmer als entscheidungsnützlich, damit fiel der Zuspruch im Vergleich zum Niederstwertprinzip (45,5 %) nur unwesentlich höher aus. Vgl. Gassen/Schwedler (2008), S. 17. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen Haller/Löffelmann/Etzel, deren Befragung 32 Kreditinstitute hinsichtlich des Nutzens der jeweiligen Bewertungskonzeptionen für die Bonitätsanalyse umfasst. Der Studie nach sinkt der Zuspruch von 71 % auf 27 %, sobald ein Wechsel von Mark to Market zu Mark to Model stattfindet. Vgl. Haller/Löffelmann/Etzel (2009), S. 223. Siehe § 253 Abs. 1 HGB. Der Erfüllungsbetrag einer finanziellen Verbindlichkeit entspricht dabei dem vertraglich vereinbarten Rückzahlungsbetrag. Vgl. hierzu Böcking (1988), S. 145-148.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
77
renzierung zwischen dem Anlage- und dem Umlaufvermögen getroffen.445 Ein Vermögensgegenstand ist dem Anlagevermögen zuzuordnen, wenn er dazu bestimmt ist, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen; anderenfalls gehört er dem Umlaufvermögen an.446
Für Finanzanlagen gilt das gemilderte Niederstwertprinzip, das eine obligatorische Abschreibung auf einen niedrigeren beizulegenden Wert vorsieht, wenn eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliegt.447 In Bezug auf Finanzanlagen ist die Abschreibung für voraussichtlich nicht dauernde Wertminderungen fakultativ.448 Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens sind nach dem strengen Niederstwertprinzip zu bilanzieren und damit zwingend auf einen niedrigeren Wert abzuschreiben, der sich aus einem Börsenoder Marktpreis ergibt.449 Sollte ein solcher Preis nicht festzustellen sein, ist der Wert zu ermitteln, der ihnen am Abschlussstichtag beizulegen ist. Sofern dieser beizulegende Wert den Buchwert unterschreitet, ist eine entsprechende Abschreibung vorzunehmen.
Die Ermittlung des beizulegenden Werts von Vermögensgegenständen des Anlagevermögens ist gesetzlich nicht konkretisiert und ist als unbestimmter Rechtsbegriff auslegungsbedürftig.450 In der Literatur finden sich hierzu „nur fragmentarische Antworten und Lösungsvorschläge“451. In Bezug auf nicht abnutzbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, wie es für Finanzanlagen zutrifft, werden der Wiederbeschaffungswert und der Ertragswert in Betracht gezogen.452 Hinsichtlich des beizulegenden Werts von
445
446 447 448
449
450 451 452
Im Rahmen der Folgebewertung sind die Abschreibungen gemäß § 253 Abs. 3 und 4 HGB vorzunehmen. Hierbei werden grundsätzlich planmäßige und außerplanmäßige Abschreibungen unterschieden. Da es sich bei Finanzinstrumenten um nicht abnutzbare Vermögensgegenstände handelt, bedarf es bei der Folgebewertung nur der Prüfung außerplanmäßiger Abschreibungen aufgrund von Wertminderungen. Siehe § 247 Abs. 2 HGB. Siehe § 253 Abs. 3 HGB. Vor der Verabschiedung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes wurde die Beschränkung des gemilderten Niederstwertprinzips auf Finanzanlagen durch § 279 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F. lediglich für Kapitalgesellschaften vorgenommen, für die übrigen Unternehmen erstreckte sich das Wahlrecht auf das gesamte Anlagevermögen. Kritisch zum gemilderten Niederstwertprinzip für nicht abnutzbares Anlagevermögen vgl. Hommel/Berndt (2000b), S. 1309 f. Siehe § 253 Abs. 4 HGB. Dem Wortlaut nach wird nicht direkt auf den Börsen- oder Marktpreis abgestellt, sondern auf den sich aus dem Börsen- oder Marktpreis ergebenden Wert, da im Sinne einer vorsichtigen respektive verlustfreien Bewertung noch die im Rahmen der Veräußerung entstehenden Transaktionskosten einzubeziehen sind, sofern diese sich als wesentlich erweisen. Adler/Düring/Schmaltz (1995), § 253 HGB, Rn. 462; Ballwieser (2008), § 253 HGB, Rn. 57. Vgl. Wohlgemuth (2002), Sp. 250. Küting (2005a), S. 1121. Vgl. Karrenbauer/Döring/Buchholz (2003), § 253 HGB, Rn. 159-161; Merschmeyer (2005), S. 136 f. und Schön (2006), S. 308, beide mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
78
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens ergeben sich aus dem Gesetzeswortlaut hingegen klarere Hinweise. Nach dem strengen Niederstwertprinzip ist zwingend eine Abschreibung des Umlaufvermögens auf den sich aus einem niedrigeren Börsen- oder Marktpreis ergebenden Wert vorzunehmen. Sofern kein Börsen- oder Marktpreis verfügbar ist, wird ein entsprechendes Surrogat verwendet. Demzufolge ist der beizulegende Wert des Umlaufvermögens als Ersatz für einen nicht festzustellenden Marktpreis zu verstehen.453
3.2.2.2
Derivate und der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte
Die Eigenschaft von Derivaten, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden, führt oftmals zur bilanzrechtlichen Zuordnung zu den sogenannten schwebenden Geschäften. Letztere bilden einen unbestimmten Rechtsbegriff des Handelsbilanzrechts.454 Als schwebende Geschäfte gelten „zweiseitig verpflichtende Verträge, die jedenfalls bezüglich ihrer Hauptleistungspflichten noch nicht vollständig erfüllt sind“455. Um zu beurteilen, ob es sich bei einem derivativen Finanzinstrument um ein schwebendes Geschäft handelt, bedarf es einer nach der Art des Derivats differenzierten Betrachtung.
Die vertraglich vereinbarten Leistungen sind bei unbedingten Termingeschäften erst zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erbringen.456 Zwar werden die sich aus solchen Derivaten ergebenden Forderungen und Pflichten vertraglich genau bestimmt, doch ob aus einem unbedingten Termingeschäft zum Zeitpunkt der Fälligkeit ein wirtschaftlicher Vor- oder Nachteil erwächst, hängt von der Entwicklung der für den Basiswert relevanten Marktbedingungen ab. Diese Eigenschaft kommt im Falle des Barausgleichs besonders deutlich zum Ausdruck, da theoretisch bis zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mit Sicherheit feststeht, ob aus einem unbedingten Termingeschäft eine finanzielle Forderung oder Verbindlichkeit erwächst. Da keine der Vertragsparteien ihre Leistung vor dem Fälligkeitszeitpunkt (vollständig) erbringt, fallen unbedingte Termingeschäfte damit unter die schwebenden
453 454 455 456
Vgl. Ballwieser (2008), § 253 HGB, Rn. 60. Vgl. Nguyen (2007), S. 60. Alsheimer (2000), S. 121. Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.2.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
79
Geschäfte und unterliegen bei Vertragsabschluss einem Ansatzverbot. Dies ist primär auf das Vorsichtsprinzip respektive das Realisationsprinzip zurückzuführen.457
Im Gegensatz zu unbedingten Termingeschäften befinden sich Optionsrechte bilanzrechtlich nicht in der Schwebe. Der Optionsrechtsinhaber erfüllt bereits durch die Zahlung der Optionsprämie zum Erwerbszeitpunkt seine vertraglichen Pflichten. Optionen sind daher von ihrem Inhaber als Vermögensgegenstand mit ihren Anschaffungskosten in Höhe der Optionsprämie zuzüglich der Transaktionskosten zu aktivieren.458 Der Stillhalter einer Option hat hingegen seine bestehende Verpflichtung erst zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu leisten, vorausgesetzt der Inhaber übt seine Option aus. Solange der Stillhalter die Leistung für das erhaltene Entgelt noch schuldet, hat er die Optionsprämie als eine Verbindlichkeit zu bilanzieren und darf sie erst zum Fälligkeitszeitpunkt erfolgswirksam verbuchen.459
Die Differenzierung hinsichtlich des bilanziellen Ansatzes von Derivaten im Rahmen des Anschaffungskostenprinzips ist nur von untergeordneter Bedeutung, da sich die Aktivierung bedingter Termingeschäfte auf die jeweilige Optionsprämie beschränkt und ein positiver Fair Value folglich unberücksichtigt bleibt. Im Gegensatz zu diesem Aktivierungsverbot für die aus Derivaten erwarteten Ansprüche besteht für drohende Verluste gemäß dem Imparitätsprinzip die Pflicht zur Bildung einer entsprechenden Drohverlustrückstellung.460 Dies gilt sowohl für die Vertragskontrahenten unbedingter Termingeschäfte als auch für die Stillhalter von Optionen. Die Höhe der Rückstellung bemisst sich dabei am negativen Fair Value des Derivats unter Berücksichtigung von gegebenenfalls erhaltenen Prämien.461
457
458
459
460
461
Der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte wird teilweise mit der sogenannten Ausgeglichenheitsvermutung begründet, wonach sich die aus dem Vertrag ergebenden Forderungen und Verbindlichkeiten gleichwertig gegenüberstehen. Vgl. hierzu BFH-Urteil vom 7.9.1954 (I 50/54 U), S. 330. Die Ausgeglichenheitsvermutung gilt allerdings nur, „solange die Unausgeglichenheit nicht objektiv greifbar geworden ist“. Moxter (2007), S. 159. Vgl. auch Alsheimer (2000), S. 124; Barckow (2004), S. 70 f. Dieser Sichtweise wird im Schrifttum nicht uneingeschränkt gefolgt. So wird teilweise die Auffassung vertreten, dass das Zustandekommen des zugrunde liegenden Kaufvertrags noch der einseitigen Erklärung bedarf und sich daher in der Schwebe befindet. Vgl. Popp (1976), S. 91. Vgl. Moxter (2007), S. 150 mit Verweis auf das BFH-Urteil vom 18.12.2002 (I R 17/02), S. 126; Windmöller/Breker (1995), S. 395. Vgl. Moxter (2007), S. 157. Eine Rückstellung wird für Schulden gebildet, über deren Grund und/oder Höhe noch Ungewissheit herrscht. Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2007), S. 132. Vgl. Gassner/Göth/Tumpel (1992), S. 36 m.w.N.
80
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
3.2.2.3
Einfluss der Bilanzrechtsmodernisierung auf die Bewertung von Finanzinstrumenten
In Bezug auf das Handelsbilanzrecht wird im Schrifttum häufig die Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value, die gegebenenfalls die Überschreitung der Anschaffungskosten zur Folge hat, mit Verweis auf das Realisationsprinzip gänzlich abgelehnt.462 Vor diesem Hintergrund ist auch die auf den Anhang und den Lagebericht beschränkte Umsetzung der Fair Value-Richtlinie durch das Ende des Jahres 2004 verabschiedete Bilanzrechtsreformgesetz zu sehen, die lediglich den umsetzungspflichtigen Bestandteilen der Richtlinie nachkam.463 Entscheidungen bezüglich des Wahrnehmens von Mitgliedstaatenwahlrechten, die eine Folgebewertung bestimmter Finanzinstrumente zum Fair Value gestatten, wurden mit Verweis auf das geplante Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.464 Das entsprechende Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts ist fast fünf Jahre später am 29. Mai 2009 in Kraft getreten.
Der Referenten- sowie der Regierungsentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes enthielten den Vorschlag, allen Unternehmen die Bewertung von zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumenten zum beizulegenden Zeitwert (bzw. Fair Value) zu erlauben.465 Neben der in weiten Teilen des Schrifttums als kritisch beurteilten Vereinbarkeit der Fair Value-Bewertung mit den GoB führte die Ende 2007 einsetzende Finanzmarktkrise letztlich dazu, dass in der verabschiedeten Fassung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes die marktwertorientierte Bewertung von Finanzinstrumenten auf den Handelsbestand von Banken beschränkt wurde.466 Im Zentrum der Diskussion stand dabei die Frage nach der prozyklischen Wirkung der Fair Value-Bewertung auf die realwirtschaftliche Entwicklung.467
462
463 464 465 466 467
Vgl. u.a. Herzig (2008), S. 7; Küting (2006), S. 1446; Naumann (2006), S. 53-55 sowie S. 63; Strobl (1996), S. 398. Für eine Aufzählung der angeführten Argumente vgl. Pietsch (2007), S. 216-228. Siehe hierzu Abschnitt 2.1.3.1. Vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 21. Vgl. BMJ (2007), S. 6; BT-Drs. 16/10067, S. 6. Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 111. Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 122 f.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
81
Banken sind gemäß § 340e Abs. 3 HGB dazu verpflichtet, die Finanzinstrumente des Handelsbestands zum Fair Value abzüglich eines Risikoabschlags zu bewerten.468 Die Zuordnung zum Handelsbestand erfolgt dabei grundsätzlich zum Anschaffungszeitpunkt und kann nicht revidiert werden, folglich ist eine Umwidmung in den oder aus dem Handelsbestand nicht gestattet. Eine Ausnahme gilt hinsichtlich der Ausbuchung aus dem Handelsbestand, sofern außergewöhnliche Umstände zu einer Aufgabe der Handelsabsicht führen. Hierbei wird explizit auf schwerwiegende Beeinträchtigungen der Handelbarkeit von Finanzinstrumenten Bezug genommen. Ferner dürfen Finanzinstrumente des Handelsbestands nachträglich in eine Bewertungseinheit einbezogen werden, sind jedoch bei Beendigung der Bewertungseinheit wieder zwingend dem Handelsbestand zuzuordnen. Neben dem bereits erwähnten Risikoabschlag ist die Bewertung der Finanzinstrumente des Handelsbestands zum Fair Value mit einem weiteren Risikopuffer verbunden.469 Es ist die Bildung eines Sonderpostens im Sinne des Fonds für allgemeine Bankrisiken nach § 340g HGB erforderlich, in welchen bis zu 50 % der durchschnittlichen Nettoerträge der letzten fünf Jahre ratierlich einzustellen sind.470
Die übrigen Vorschriften zur Folgebewertung haben in Bezug auf Finanzinstrumente nur eine wesentliche Veränderung erfahren. So wurde das allgemeine Wahlrecht zur Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung für voraussichtlich nicht dauernde Wertminderungen nun auch für Nichtkapitalgesellschaften aufgehoben und nur in Bezug auf das Finanzanlagevermögen für alle Gesellschaftsformen eine Ausnahme eingeräumt.471 Die nachfolgende Abbildung illustriert die Systematik der modernisierten handelsrechtlichen Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten:472
468
469 470
471 472
Die Vornahme eines Risikoabschlags erfüllt den Zweck einer Ausschüttungssperre. Siehe hierzu Abschnitt 4.2.1.2. Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 122. Siehe § 340e Abs. 4 HGB. Die Bildung eines Sonderpostens dient nicht nur als eine Ausschüttungssperre, sondern soll zudem die möglichen prozyklischen Effekte der Fair Value-Bewertung verringern. Siehe hierzu Abschnitt 4.2.1.4.1. Siehe § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB. Modifiziert nach Löw/Torabian (2008), S. 609.
82
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS Finanzinstrumente
Bewertungs- Beizulegender prinzip Zeitwert
Kategorie
Handelsbestand von Banken
Art des Derivative sowie Finanzoriginäre Finanzinstruments instrumente
GuVErfassung
Anschaffungskostenprinzip
Finanzinstrumente des Anlageoder Umlaufvermögens
Finanzielle Vermögensgegenstände
Bewertungseinheiten
FinanDerivate ohne Derivative sowie zielle Sicherungs- originäre FinanzVerbindzweck instrumente lichkeiten
ErgebniswirkGemilDrohende Strenges HöchstImparitätische same Erfassung dertes Verluste aus NiederstwertErfassung des jeglicher Wert- Niederstschwebenden wertprinzip prinzip ineffektiven Teils änderungen wertprinzip Geschäften
Abbildung 5: Handelsrechtliche Bewertungskategorien
3.2.3 3.2.3.1
Bewertungsvorschriften des IAS 39 Anwendungsbereich des IAS 39
IAS 39 regelt den Ansatz und die Bewertung von Finanzinstrumenten, die nicht in den Anwendungsbereich eines anderen Standards fallen. So werden Anteile an Tochterunternehmen, assoziierten Unternehmen und Gemeinschaftunternehmen gemäß IAS 27, IAS 28 und IAS 31 bilanziert. Komplexer gestaltet sich die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von IAS 39, wenn es im Vorfeld der Klärung bedarf, ob ein Finanzinstrument im Sinne von IAS 32.11 vorliegt; dies wurde bereits bei der Differenzierung zwischen derivativen Finanzinstrumenten und Warentermingeschäften deutlich.473 Daher werden in IAS 39 entsprechende Abgrenzungen insbesondere zu Leasingverträgen, Versicherungsverträgen, Kreditzusagen und finanziellen Garantien getroffen.474 Einen weiteren Grenzbereich nimmt die Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital ein.475
473 474
475
Siehe hierzu Abschnitt 3.1.2.1. Siehe hierzu IAS 39.2 bis IAS 39.7. Vgl. hierzu auch Kuhn/Scharpf (2006), S. 58-69; Lüdenbach (2009), Rn. 11-13; Stauber (2009), S. 107-121. Vgl. hierzu u.a. Kraft (2008), S. 324-356.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
3.2.3.2
83
Bewertungskategorien für Finanzinstrumente gemäß IAS 39
Finanzinstrumente sind nach IAS 39 zum Zeitpunkt der erstmaligen Erfassung mit ihrem Fair Value anzusetzen,476 dabei entspricht der Fair Value regelmäßig dem Anschaffungspreis.477 Sofern der Transaktionspreis jedoch Bestandteile enthält, die sich auf etwas anderes als das Finanzinstrument selbst beziehen, ist der Fair Value durch Anwendung von Bewertungsmethoden zu ermitteln.478 Die Einbeziehung der Transaktionskosten hängt von der Bewertungskategorie ab, der ein Finanzinstrument zugeordnet wird.479 Es werden vier Bewertungskategorien unterschieden. Jedes Finanzinstrument, das in den Anwendungsbereich des IAS 39 fällt, ist eindeutig einer der folgenden Kategorien zuzuordnen:480 x
Erfolgswirksam zum Fair Value bewertete finanzielle Vermögenswerte und finanzielle Verbindlichkeiten481 (at Fair Value Through Profit or Loss)
x
Bis zur Endfälligkeit gehaltene Finanzinvestitionen (Held to Maturity)
x
Kredite und Forderungen (Loans and Receivables)
x
Zur Veräußerung verfügbare finanzielle Vermögenswerte (Available for Sale)
Von diesen vier Bewertungskategorien können Finanzinstrumente, die eine finanzielle Verbindlichkeit darstellen, lediglich der erstgenannten zugeordnet werden. Die übrigen drei Kategorien sind finanziellen Vermögenswerten vorbehalten. Für finanzielle Verbindlichkeiten, die nicht erfolgswirksam zum Fair Value, sondern gemäß des Anschaffungskostenprinzips bewertet werden, ist in IAS 39 keine gesonderte Kategorie genannt.482 Im Schrifttum wird die entsprechende Bewertungskategorie als sonstige Verbindlichkeiten
476 477 478
479
480
481
482
Siehe IAS 39.43. Vgl. Kuhn/Scharpf (2006), S. 255. Ein häufiges Beispiel sind diesbezüglich Bestandteile des Transaktionspreises, denen ein Zinscharakter beizumessen ist. Für Beispiele siehe IAS 39.AG64 f. Die direkt zurechenbaren Transaktionskosten sind bei der Erstbewertung von Finanzinstrumenten meist einzubeziehen. Eine Ausnahme besteht für die nachfolgend noch erläuterte Kategorie der erfolgswirksam zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumente, deren Transaktionskosten nicht aktiviert werden, sondern direkt als Aufwand ins Ergebnis eingehen. Siehe IAS 39.9. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts wird auf eine Nennung der jeweiligen Textstelle verzichtet, sofern es sich dabei um IAS 39.9 handelt. In der amtlichen Übersetzung der EU wird für den Fair Value die deutsche Bezeichnung des beizulegenden Zeitwerts verwendet. IFRS 7.8 enthält eine Aufzählung der Bewertungskategorien des IAS 39 und nennt in diesem Zusammenhang die Kategorie der zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerteten finanziellen Verbindlichkeiten. Vgl. hierzu auch Stauber (2009), S. 122.
84
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
bezeichnet.483 Folglich existieren bei genauer Betrachtung fünf Bewertungskategorien, denen die Finanzinstrumente bei der Folgebewertung zugeordnet werden können.
Nach IFRS wird sowohl die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten als auch zum Fair Value angewandt, eine Eigenschaft, die im Schrifttum häufig mit der Bezeichnung des Mixed Model beschrieben wird.484 Die Kategorisierung nach IAS 39.9 erfolgt anhand genauer Regelungen:
i.
Erfolgswirksam zum Fair Value bewertete finanzielle Vermögenswerte und finanzielle Verbindlichkeiten
Wie es bereits die Bezeichnung andeutet, werden in dieser Bewertungskategorie alle Änderungen des Fair Value in voller Höhe erfolgswirksam erfasst und somit die Anschaffungskosten gegebenenfalls überschritten. Finanzinvestitionen in Eigenkapitalinstrumente, die nicht an einem aktiven Markt notiert sind und deren Fair Value nicht verlässlich bestimmbar ist, sind von einer Designation als erfolgswirksam zum Fair Value bewertete Finanzinstrumente ausgeschlossen; gleiches gilt für Derivate auf solche nicht notierten Eigenkapitalinstrumente.485 Die Bewertungskategorie der erfolgswirksam zum Fair Value bewerteten finanziellen Vermögenswerte und finanziellen Verbindlichkeiten unterteilt sich in zwei Unterkategorien. Eine Unterkategorie bilden die zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente (Held for Trading), eine weitere die freiwillig designierten Finanzinstrumente. Die freiwillige Designation eines Finanzinstruments in die Kategorie der erfolgswirksam zum Fair Value bewerteten finanziellen Vermögenswerte und finanziellen Verbindlichkeiten wird vielfach als Fair Value-Option bezeichnet.486 Eine Zuordnung zu den erfolgswirksam zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumenten kann nur zum Anschaffungszeitpunkt erfolgen.487 Nachträgliche Umwidmungen aus dieser Bewertungskategorie in eine andere sind nur unter besonderen Umständen in Bezug auf die zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente erlaubt.488
483 484 485 486 487 488
Vgl. Kuhn (2007), S. 131. Vgl. Schildbach (2009), S. 2382 f. Siehe IAS 39.9 i.V.m. IAS 39.46(c). Vgl. Jerzembek/Große (2005), S. 221. Siehe IAS 39.50. Siehe IAS 39.50(c) i.V.m. IAS 39.50B und IAS 39.50D. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.1.4.2.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
85
Ein finanzieller Vermögenswert oder eine finanzielle Verbindlichkeit gilt als zu Handelszwecken gehalten, wenn das Finanzinstrument entweder hauptsächlich mit der Absicht erworben wurde, kurzfristig verkauft oder zurückgekauft zu werden, oder Teil eines Portfolios eindeutig identifizierter und gemeinsam verwalteter Finanzinstrumente ist, bei dem es in jüngerer Vergangenheit nachweislich kurzfristige Gewinnmitnahmen gab. Des Weiteren gehören grundsätzlich alle derivativen Finanzinstrumente dieser Unterkategorie an, es sei denn, sie dienen im Rahmen des Hedge Accounting als Sicherungsinstrument.489
Eine beim erstmaligen Ansatz freiwillige Designation in diese Kategorie unter Inanspruchnahme der Fair Value-Option ist nur dann zulässig, wenn es sich entweder um ein Finanzinstrument mit einem oder mehreren eingebetteten Derivaten handelt, um letztlich einer gegebenenfalls bestehenden Trennungspflicht von eingebetteten Derivaten zu umgehen, oder wenn eine von zwei alternativen Voraussetzungen erfüllt wird.490 So ist eine Anwendung der Fair Value-Option nur erlaubt, wenn entweder Inkongruenzen bei der Bilanzierung bzw. Rechnungslegungsanomalien verringert werden oder eine Gruppe von finanziellen Vermögenswerten und/oder finanziellen Verbindlichkeiten anhand des Fair Value beurteilt wird. Inkongruenzen bei der Bilanzierung entstehen, wenn Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten anhand unterschiedlicher Wertmaßstäbe bewertet werden oder die Erfassung der Gewinne und Verluste zeitlich auseinanderfällt. Die alternative zweite Voraussetzung verlangt, dass die Beurteilung einer Gruppe von finanziellen Vermögenswerten und/oder finanziellen Verbindlichkeiten anhand des Fair Value erfolgt, indem erstens eine dokumentierte Risikomanagement- oder Anlagestrategie vorliegt und zweitens eine Weiterleitung der entsprechenden Informationen an Schlüsselpositionen des Unternehmens stattfindet.491
Die beiden Unterkategorien weisen hinsichtlich ihres jeweiligen Anwendungsbereichs grundlegende Unterschiede auf, deshalb werden die beiden Unterkategorien in den nachfolgenden Abschnitten einer jeweils eigenständigen Betrachtung unterzogen.
489 490 491
Siehe hierzu Abschnitt 4.2.1.3. Siehe hierzu IAS 39.11A. Die Dokumentation der Risikomanagement- oder Anlagestrategie des Unternehmens muss nicht umfangreich sein und ist vielmehr als ein Nachweis zu verstehen. Siehe hierzu IAS 39.AG4K.
86
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
ii.
Bis zur Endfälligkeit gehaltene Finanzinvestitionen
Nicht derivative finanzielle Vermögenswerte mit festen oder bestimmbaren Zahlungen und einer festen Laufzeit, für die ein aktiver Markt existiert, sind in die Bewertungskategorie der bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen einzuordnen, sofern das Unternehmen die Absicht und die Fähigkeit dazu besitzt. Die Anforderung einer Notierung an einem aktiven Markt dient der klaren Differenzierung der handelbaren Wertpapiere von den übrigen Forderungen, für die eigens die Bewertungskategorie der Kredite und Forderungen existiert. In beiden Bewertungskategorien erfolgt die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten unter Anwendung der Effektivzinsmethode. Neben den Tilgungen werden sowohl die mittels der Effektivzinsmethode berechneten zinsähnlichen Bestandteile als auch die Wertminderungen erfolgswirksam erfasst.492
Für das Vorliegen von festen oder bestimmbaren Zahlungen ist es notwendig, dass der Zeitpunkt sowie die Höhe der Zahlungen vertraglich genau festgelegt sind. Somit können auch Schuldinstrumente mit variablen Zinszahlungen als bis zur Endfälligkeit gehaltene Finanzinvestitionen designiert werden, während dies bei Eigenkapitalinstrumenten prinzipiell ausgeschlossen ist, da sie eine unbegrenzte Laufzeit aufweisen und zudem die künftigen Zahlungen nicht eindeutig bestimmbar sind.493 Ein durch den Inhaber kündbarer finanzieller Vermögenswert kann ebenfalls nicht dieser Bewertungskategorie zugeordnet werden, denn die Bereitschaft ein Finanzinstrument zu erwerben, in dessen Kaufpreis bei marktgerechten Bedingungen der Wert einer solchen Option berücksichtigt ist, steht im Widerspruch zu der erforderlichen Halteabsicht des Unternehmens.494 Des Weiteren ist die Absicht und Fähigkeit, die Finanzinvestition bis zur Endfälligkeit zu halten, nicht nur zum Zeitpunkt der Designation, sondern zu jedem Bilanzstichtag zu beurteilen.495 Eindeutige Hinweise auf eine Nichterfüllung dieser Anforderungen sind mangelnde finanzielle
492
493 494
495
Siehe IAS 39.56. In die Berechnung des Effektivzinssatzes fließen Agien oder Disagien sowie Gebühren, gezahlte oder erhaltene Entgelte und ähnliche Transaktionskosten ein. Grundsätzlich wird die erwartete Laufzeit des Finanzinstruments zugrunde gelegt, es sei denn, dass der Betrag sich auf einen kürzeren Zeitraum bezieht, wie beispielsweise Agien oder Disagien für den Zeitraum bis zum nächsten Zinsanpassungstermin (IAS 39.AG6). Finanzierungskosten oder interne Verwaltungskosten gelten nicht als Transaktionskosten (IAS 39.AG13). Siehe IAS 39.AG17. Siehe IAS 39.AG19. Dem ist im umgekehrten Fall eines Kündigungsrechts des Emittenten nicht so, sofern der Inhaber im Kündigungsfall den Buchwert (einschließlich aller Agien und Disagien sowie aktivierter Transaktionskosten) im Wesentlichen zurückerhält. Siehe IAS 39.AG18. Siehe IAS 39.AG25.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
87
Ressourcen oder gesetzliche bzw. andere Beschränkungen, die dem Halten der Finanzinvestition bis zur Endfälligkeit im Wege stehen.
Ferner ist mit dieser Bewertungskategorie eine Sperrklausel (Tainting Rule) verbunden. So ist eine Designation als eine bis zur Endfälligkeit gehaltene Finanzinvestition nicht erlaubt, wenn im laufenden oder in den vergangenen zwei Geschäftsjahren in Relation zum Gesamtbetrag mehr als ein unwesentlicher Teil der unter dieser Bewertungskategorie erfassten finanziellen Vermögenswerte verkauft oder umgewidmet wurden.496 Ausgenommen sind Veräußerungen und Umwidmungen, die so nahe am Endfälligkeitstermin stattfinden, dass der Fair Value des Finanzinstruments sich durch eine Veränderung des Marktzinses nicht mehr wesentlich verändert, oder die vorgenommen werden, nachdem das Unternehmen nahezu den vollständigen ursprünglichen Kapitalbetrag (Loan Principal) des finanziellen Vermögenswerts erhalten hat. Ein dritter möglicher Grund sind Veräußerungen und Umwidmungen, die das Ergebnis eines einmaligen Ereignisses sind, das sich nicht vorhersehen ließ und durch das Unternehmen nicht hätte abgewendet werden können.497
iii.
Kredite und Forderungen
Als Kredite und Forderungen können nur finanzielle Vermögenswerte eingestuft werden, die kein Derivat darstellen und mit festen oder bestimmbaren Zahlungen verbunden sind. Sie werden wie die bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanziert, im Unterschied zu letzterer Kategorie darf der finanzielle Vermögenswert jedoch nicht an einem aktiven Markt notiert sein. Zudem sind finanzielle Vermögenswerte ausgeschlossen, bei denen aus anderen Gründen als eine Bonitätsverschlechterung die Möglichkeit besteht, dass das bilanzierende Unternehmen als Gläubiger seinen Investitionsbetrag nicht mehr nahezu vollständig wiedererlangt.498 Unerheblich ist
496 497
498
Siehe IAS 39.52. IAS 39.AG22 enthält eine Aufzählung konkreter Sachverhalte, deren Eintreffen eine Veräußerung oder Umwidmung von Finanzinvestitionen rechtfertigt und folglich nicht zur Anwendung der Sperrklausel führt, wie beispielsweise Umwidmungen in Folge von Änderungen der gesetzlichen Bestimmungen oder aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Diese Bedingung soll gewährleisten, dass in der Kategorie der Kredite und Forderungen keine komplexen Finanzinstrumente enthalten sind, da bei den Finanzinstrumenten, die dieser Bewertungskategorie zugeordnet werden, das Kreditgeschäft im Vordergrund stehen soll.
88
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
hingegen, ob es sich um eine originäre bzw. vom Unternehmen selbst „geschaffene“ Forderung handelt oder die Forderung erworben wurde.499
iv.
Zur Veräußerung verfügbare finanzielle Vermögenswerte
Jegliche finanzielle Vermögenswerte, die keiner anderen Bewertungskategorie zugeordnet sind, gelten als zur Veräußerung verfügbare finanzielle Vermögenswerte, woraus die Bezeichnung als Rest- oder Auffangkategorie entstanden ist.500 Sowohl positive als auch negative Wertänderungen des Fair Value der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte werden grundsätzlich erfolgsneutral im Eigenkapital als Neubewertungsrücklage erfasst. Zum Zeitpunkt der Ausbuchung werden die im Eigenkapital „geparkten“ Wertänderungen erfolgswirksam; dieser Vorgang wird auch als Recycling bezeichnet.501 Eine Umwidmung aus der Auffangkategorie ist nur in Verbindung mit der Beendigung einer durch die Tainting Rule ausgelösten Sperre502 oder in Bezug auf Kredite und Forderungen gestattet, bei denen das bilanzierende Unternehmen auf absehbare Zeit oder bis zur Fälligkeit eine Halteabsicht gefasst hat und dazu auch in der Lage ist.503
Eine Ausnahme von der erfolgsneutralen Erfassung von Wertänderungen bilden Wertminderungen im Sinne eines Impairment, die erfolgswirksam zu verbuchen sind. Es handelt sich dabei um eine voraussichtlich uneinbringliche Verringerung des Fair Value.504 Eine zuvor in der Neubewertungsrücklage erfasste positive Wertänderung wird erfolgsneutral aufgelöst, während ein negativer Betrag als Bestandteil des Verlusts in das Periodenergebnis eingeht. Entfallen die Gründe für die außerplanmäßige Abschreibung, besteht eine Wertaufholungspflicht.505 Hierbei ist zwischen Schuld- und Eigenkapitalinstrumenten zu differenzieren. Die Wertaufholung von Schuldinstrumenten wird erfolgswirksam erfasst,506 während Zuschreibungen bei den zur Veräußerung verfügbaren Eigenkapitalinstrumenten erfolgsneutral erfolgen.507 Für die mangels einer verlässlichen Bewertbarkeit zu Anschaf-
499 500 501 502 503 504 505 506 507
Vgl. Löw/Schildbach (2004), S. 876. Vgl. Schmidt (2005), S. 234; Stauber (2009), S. 128 m.w.N. Vgl. Schmidt (2005), S. 217. Zur Rückbuchung bei Beendigung der Sperrklausel siehe IAS 39.54. Siehe IAS 39.50E. Die Ermittlung von Wertminderungen ist in IAS 39.58-62 geregelt. Siehe IAS 39.65. Siehe IAS 39.70. Siehe IAS 39.69.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
89
fungskosten angesetzten Eigenkapitalinstrumente besteht hingegen ein Wertaufholungsverbot.508
v.
Sonstige finanzielle Verbindlichkeiten
Nichtderivative finanzielle Verbindlichkeiten werden zu fortgeführten Anschaffungskosten unter Anwendung der Effektivzinsmethode bilanziert, sofern sie nicht als erfolgswirksam zum Fair Value bewertete Finanzinstrumente eingestuft sind. Diese Bewertungskategorie wird zwar in IAS 39.9 nicht explizit erwähnt, sie ergibt sich jedoch aus anderen Stellen des Standards.509
3.2.4 3.2.4.1
Einordnung des Fair Value innerhalb der Wertmaßstäbe des HGB und der IFRS Relevanz des Fair Value für das Handelsbilanzrecht
Durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wird der Fair Value nun erstmals auch bei der bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten zugrunde gelegt, wenngleich es sich auf die zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumente von Banken beschränkt. Aufgrund der daraus erwachsenden Relevanz des Wertmaßstabs wurde die bisher in den Vorschriften zum Anhang enthaltene Definition des Fair Value in § 255 Abs. 4 HGB verschoben und damit Bestandteil der allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften.510 Der überwiegende Teil der Finanzinstrumente wird weiterhin gemäß § 253 Abs. 3 und Abs. 4 HGB zum beizulegenden Wert und nicht zum beizulegenden Zeitwert bzw. Fair Value bewertet. Die zunehmende Einbindung des Fair Value im HGB – in diesem Zusammenhang sind auch die Anhangangaben zu Finanzinstrumenten zu berücksichtigen – wirft die bilanzrechtstheoretische Frage auf, in welchem Verhältnis die beiden Wertmaßstäbe zueinander stehen.
Die Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value, die gegebenenfalls zu einer Überschreitung der historischen Anschaffungskosten führt, wird für das Handelsbilanzrecht mit Verweis auf das Realisationsprinzip bisher überwiegend abgelehnt, da es zur
508 509 510
Siehe IAS 39.66. Siehe hierzu insbesondere IAS 39.47. Zuvor war die Definition in § 285 Satz 3 bis 6 HGB a.F. enthalten.
90
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Erfassung von Erträgen kommt, die realisierbar, aber eben noch nicht realisiert sind.511 Hingegen erfordert das Imparitätsprinzip künftige Aufwendungen bereits zum Zeitpunkt ihres Entstehens zu erfassen. Vielfach wird im Schrifttum der beizulegende Wert daher als eine imparitätische Fair Value-Bewertung beschrieben.512 Dies impliziert, dass der Fair Value bereits im Rahmen des Niederstwertprinzips Berücksichtigung finden würde, sobald er die fortgeführten Anschaffungskosten unterschreitet. Anders ausgedrückt würde demnach ein Unterschied zwischen den beiden Wertmaßstäben nur aus der für den beizulegenden Wert geltenden Anschaffungskostenobergrenze resultieren. Aus dem Gesetzesvorlaut kann lediglich in Bezug auf das Umlaufvermögen auf eine solche einheitliche Wertermittlungskonzeption geschlossen werden, da der beizulegende Wert im Einklang mit der Stufenkonzeption des Fair Value als ein Surrogat für einen nicht vorhandenen Börsen- oder Marktpreis dient.513
Die Auslegung des beizulegenden Werts als eine imparitätische Fair Value-Bewertung hat sich auch in der Debatte um die Modernisierung des Handelsbilanzrechts niedergeschlagen. So wurde im Referentenentwurf eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes erwogen, den Wortlaut des Niederstwertprinzips zu verändern und bei der Ermittlung von Wertminderungen statt auf den beizulegenden Wert generell auf den beizulegenden Zeitwert bzw. Fair Value abzustellen.514 In der Begründung zum Referentenentwurf wird der Vorschlag als eine redaktionelle Anpassung bezeichnet, die keine Auswirkungen auf die Bilanzierung hat,515 trotzdem wurde das Vorhaben im Regierungsentwurf verworfen.516
Das Zögern des Gesetzgebers, im Rahmen des Niederstwertprinzips den Fair Value statt des beizulegenden Werts heranzuziehen, führt deutlich vor Augen, welche Unsicherheit hinsichtlich der Wertermittlungskonzeption der beiden Wertmaßstäbe existiert. Klarheit besteht in diesem Zusammenhang nur in Bezug auf das Umlaufvermögen, da der beizule511
512
513 514 515 516
Zur Durchbrechung des Realisationsprinzips durch die Fair Value-Bewertung vgl. stellvertretend statt vieler Herzig (2008), S. 7; Naumann (2006), S. 53-55, 63. Vgl. u.a. Baetge/Zülch (2001), S. 549-552; Ballwieser/Küting/Schildbach (2004), S. 545 f.; Böcking/Lopatta/Rausch (2005), S. 98; Esser (2004), S. 110; EZB (2004), S. 78; Lüßmann (2004), S. 115; Moitzi (2007), S. 20; Schmidt (2005), S. 253; Siebler (2008), S. 278 f.; Sittmann-Haury (2003), S. 70; Steinhauer (2007), S. 41; Velte (2008), S. 72; Zülch/Lienau (2004), S. 567 m.w.N. Vgl. Lüßmann (2004), S. 115. Siehe hierzu auch Abschnitt 3.2.2.1. Vgl. BMJ (2007), S. 6. Vgl. BMJ (2007), S. 110, 113. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 6 f.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
91
gende Wert hier eindeutig als ein Surrogat für einen nicht vorhandenen Börsen- oder Marktpreis zu verstehen ist. Hingegen handelt es sich beim beizulegenden Wert des Anlagevermögens um einen unbestimmten Rechtsbegriff.517 Im späteren Verlauf der Arbeit wird daher unter anderem untersucht, wie vergleichbar die Wertermittlungskonzeptionen der beiden Wertmaßstäbe (beizulegender Wert und Fair Value) tatsächlich sind bzw. ob die allgemeine These, dass dem handelsrechtlichen Niederstwertprinzip eine imparitätische Fair Value-Konzeption zugrunde liegt, für die Bewertung von Finanzinstrumenten zutrifft.518
3.2.4.2
Wertmaßstäbe zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach IFRS
Neben dem Fair Value werden bei der Bewertung von Finanzinstrumenten nach IFRS noch weitere Wertmaßstäbe eingesetzt, dazu gehören insbesondere die fortgeführten Anschaffungskosten (Amortised Cost) sowie der Nutzungswert (Value in Use) als Bestandteil des erzielbaren Betrags (Recoverable Amount).519 Speziell das reziproke Verhältnis dieser Wertmaßstäbe wird in der Literatur unterschiedlich interpretiert.
Eigenkapitalinstrumente, die Anteile an Tochterunternehmen, assoziierten Unternehmen und Joint Ventures darstellen, unterliegen separaten Standards; diese sind IAS 27, IAS 28 sowie IAS 31. Zwar wird überwiegend im Konzernabschluss in Abhängigkeit von der Beteiligung und des Sachverhalts entweder eine Konsolidierung oder Quotenkonsolidierung vorgenommen oder die Equity-Methode angewandt,520 doch im Einzelabschluss können die Beteiligungen gemäß IAS 27.37 wahlweise zu Anschaffungskosten oder nach IAS 39 zum Fair Value bewertet werden.521 Entfällt die Wahl auf die Bewertung zu Anschaffungskosten, werden Wertminderungen nach den Vorschriften des IAS 36
517
518 519 520
521
Die mangelnde Klarheit über die zugrunde liegenden Wertmaßstäbe schlägt sich u.a. im IDW RH HFA 1.014 nieder, der mangels einer Differenzierung zwischen Anlage- und Umlaufvermögen zu einer abweichenden Auslegung gelangt. Vgl. IDW RH HFA 1.014, Rn. 29. Siehe hierzu insbesondere Abschnitt 4.1.4.2. Für einen Überblick über die Wertmaßstäbe der IFRS im Allgemeinen vgl. Meinert (2007), S. 86 m.w.N. Nur unter bestimmten Umständen werden assoziierte Unternehmen und Joint Ventures im Konzernabschluss in Übereinstimmung mit IAS 39 bilanziert. Siehe hierzu IAS 27.39. IAS 27.37 nimmt bei der Nennung von IAS 39 keine Einschränkung auf eine Bewertung zum Fair Value vor, die Verpflichtung ergibt sich jedoch für Anteilsrechte implizit aus dem Standard, sofern der Fair Value verlässlich ermittelt werden kann.
92
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
ermittelt.522 Im Rahmen der Bewertung dieser Beteiligungen bemisst sich die Abschreibungshöhe am erzielbaren Betrag, der dem höheren aus Fair Value abzüglich der Verkaufskosten und Nutzungswert entspricht.523
Wertmaßstäbe der IFRS zur Bewertung von Finanzinstrumenten
Fair Value
Fair Value Less Costs to Sell
Value in Use
Amortised Cost
Maximum als Recoverable Amount
Abbildung 6: Wertmaßstäbe der IFRS zur Bewertung von Finanzinstrumenten
Der Nutzungswert wird in der Literatur teilweise als eine Ausprägung des Fair Value betrachtet.524 Es besteht jedoch ein gravierender definitorischer Unterschied zwischen den beiden Wertmaßstäben.525 Wird mangels verfügbarer Marktpreise entsprechend der Bewertungshierarchie die Bestimmung des Fair Value anhand eines Discounted Cash Flow-Verfahrens vorgenommen, sind im größtmöglichen Umfang Marktdaten heranzuziehen. Im Gegensatz dazu gleicht der Nutzungswert der Schätzung der künftigen Zahlungsströme aus der fortgesetzten Nutzung des Vermögenswerts, diskontiert mit einem angemessenen Zinssatz.526 Die im Rahmen der Ermittlung des Nutzungswerts verwendeten Zahlungsströme entsprechen folglich nicht den Einschätzungen des Markts, sondern richten sich nach den unternehmensspezifischen Erwartungen,527 und können damit zu erheblichen Differenzen zwischen dem Nutzungswert und dem Fair Value führen.528
522 523 524 525 526 527 528
Siehe IAS 36.4. Siehe IAS 36.18-23. Vgl. Kuhn (2007), S. 167; Streim/Bieker/Esser (2005), S. 90 f. Vgl. Dobler/Kuhner (2009), S. 30. Siehe IAS 36.31. Vgl. Dobler/Kuhner (2009), S. 30. Vgl. Thiele (2007), S. 636. Zu möglichen Differenzen zwischen dem Nutzungswert und dem Fair Value von Finanzinstrumenten siehe Abschnitt 4.1.3.2.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
3.3 3.3.1 3.3.1.1
93
Konsequenzen der Anwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe Gesonderte Regelungen zur bilanziellen Abbildung von Sicherungsbeziehungen Unzureichende Berücksichtigung des Risikomanagements
Unternehmen verwenden im Rahmen des Risikomanagements zunehmend Finanzinstrumente, um sich gegen bestimmte finanzielle Risiken abzusichern.529 Neben marktinduzierten Risiken wie das Aktienkurs-, das Zinsänderungs- oder das Währungsrisiko werden in verstärktem Maße auch Adressenausfallrisiken abgesichert.530 Hierbei wird für ein bestimmtes finanzielles Risiko eines Grundgeschäfts Vorsorge getroffen, indem ein – zumeist derivatives – Finanzinstrument als Sicherungsinstrument eingesetzt wird, dass in Bezug auf das abzusichernde Risiko eine der Wertänderung des Grundgeschäfts entgegengesetzte Wertentwicklung aufweist.531 Dieses kompensatorische Verhältnis zwischen den Wertänderungen des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments wird als Sicherungsbeziehung bezeichnet.
Aus handelsrechtlicher Perspektive konfligiert eine adäquate bilanzielle Abbildung dieser Sachverhalte mit den GoB. Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang insbesondere das Einzelbewertungsprinzip sowie das Vorsichtsprinzip. Der Grundsatz der Einzelbewertung verbietet die Saldierung von Erträgen und Aufwendungen, um die Objektivierung und Nachvollziehbarkeit der Jahresabschlussdaten zu gewährleisten.532 Folglich sind das Grundgeschäft und das Sicherungsinstrument getrennt voneinander zu bewerten. Den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften entsprechend werden die Wertsteigerungen des Grundgeschäfts oder des Sicherungsinstruments nach dem Realisationsprinzip nicht berücksichtigt oder das Sicherungsinstrument unterliegt gemäß dem Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte einem Aktivierungsverbot, wie es bei unbedingten Termingeschäften der Fall ist. Hingegen werden durch die Abschreibung von Vermögensgegenständen oder die Bildung von Drohverlustrückstellungen für Derivate die negativen Wertentwicklungen der einzelnen Bestandteile einer Sicherungsbeziehung sofort erfolgswirksam.533 Die Sicherungsbeziehung ist aus dem Jahresabschluss nicht 529 530 531 532 533
Vgl. Herzig/Mauritz (1998a), S. 104. Vgl. Löw/Torabian (2008), S. 612. Zu den Grundzügen der Strategien zur Risikoabsicherung (Hedging) vgl. u.a. Hull (2009), S. 45-48. Vgl. Böcking/Löw/Wohlmannstetter (2008), § 340e HGB, Rn. 90. Vgl. Arbeitskreis "Externe Unternehmensrechnung" der Schmalenbach-Gesellschaft (1997), S. 637.
94
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
ersichtlich, im Gegenteil.534 Die im Ergebnis stets zu einem Ausweis von voraussichtlich nicht eintreffenden Verlusten führende Art der Bilanzierung entfaltet eine negative Anreizwirkung.535
Ähnliche Abbildungsprobleme ergeben sich bei einem nach IFRS aufgestellten Jahresabschluss.536 Im Unterschied zum HGB werden nach IAS 39 die Derivate grundsätzlich erfolgswirksam zum Fair Value bewertet, sodass die Wertänderungen des Sicherungsgeschäfts vollständig abgebildet werden. Eine unzureichende Abbildung des kompensatorischen Verhältnisses zwischen dem Fair Value des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments kann daraus resultieren, dass das Grundgeschäft zu fortgeführten Anschaffungskosten oder erfolgsneutral zum Fair Value bewertet wird.537 Die einseitige Erfassung von Marktpreisänderungen in der Gewinn- und Verlustrechnung führt wiederum zu einer gravierenden bilanziellen Abweichung von der wirtschaftlichen Realität.538
Eine Absicherung kann nicht nur für die Änderungen des Fair Value eines Grundgeschäfts vorgenommen werden (Fair Value Hedge), sondern kann alternativ auf die künftigen Zahlungsströme abzielen (Cash Flow Hedge).539 Zudem beschränken sich die Absicherungsstrategien von Unternehmen nicht auf die Absicherung bestehender Grundgeschäfte, sondern können auch künftige Geschäfte umfassen.540 Ein gängiges Praxisbeispiel für eine solche zahlungsstromorientierte Sicherungsbeziehung ist die Verwendung von Devisentermingeschäften als Schutz gegen Wechselkursrisiken eines noch nicht eingetroffenen Grundgeschäfts in Fremdwährung.541 Sofern das Unternehmen in der Zukunft einen Kauf oder Verkauf in Fremdwährung plant, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreffen wird, kann es sich durch den Abschluss eines Devisentermingeschäfts gegen die Wechselkursrisiken absichern. Auf diese Weise verschafft sich das Unternehmen Planungssicherheit und kann bereits ab dem Zeitpunkt des Abschließens des entsprechenden Termingeschäfts 534 535 536 537 538
539 540 541
Vgl. Herzig/Mauritz (1998a), S. 99. Vgl. hierzu Patek (2007), S. 461. Vgl. Becker (2005), S. 293. Vgl. Hommel/Hermann (2003), S. 2502. So lässt sich das Ergebnis der Studie von Dichev/Tang, dass die Qualität der Periodisierung im Sinne der Gegenüberstellung von wirtschaftlich miteinander in Verbindung stehenden Erträgen und Aufwendungen einen Einfluss auf die Prognoseeignung von Jahresabschlüssen hat, auch auf das Hedge Accounting übertragen. Vgl. Dichev/Tang (2008), S. 1456. Vgl. Patek (2007), S. 423 f. Vgl. hierzu Löw (2004), S. 1113-1123. Vgl. Löw (2004), S. 1113.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
95
genau bestimmen, welcher Betrag (in eigenen Währungseinheiten) für den Abschluss des geplanten Geschäfts aufzubringen sein wird. Die Bilanzierung des Derivats ohne eine Einbeziehung des antizipierten Grundgeschäfts führt zu einer verzerrten Abbildung der wirtschaftlichen Verhältnisse, sei es, dass nach HGB für eine negative Wertentwicklung des Derivats eine Drohverlustrückstellung zu bilden ist oder nach IFRS eine erfolgswirksame Bewertung zum Fair Value erfolgt, obwohl dem jeweiligen Gewinn oder Verlust eine kompensierende Wertentwicklung des noch nicht bilanzierungsfähigen geplanten Grundgeschäfts gegenübersteht.
3.3.1.2 3.3.1.2.1
Handelsrechtliche Bilanzierung von Sicherungsbeziehungen Bildung von Bewertungseinheiten
In der Rechnungslegungspraxis wurde bereits vor der Modernisierung des deutschen Bilanzrechts vom Einzelbewertungsprinzip abgewichen, wenn Sicherungsbeziehungen vorlagen. Auch ohne explizite gesetzliche Legitimation werden im Schrifttum unterschiedliche Begründungen für die Zulässigkeit der Bildung von Bewertungseinheiten genannt, die letztlich zum gleichen Ergebnis führen. Die Ausgestaltung der handelsrechtlichen GoB als ein unbestimmter Rechtsbegriff erlaubt es, die Auslegung der GoB an die in Folge von Finanzinnovationen veränderten Rahmenbedingungen anzupassen.542 So wird zum Teil die Bildung von Bewertungseinheiten bei Vorliegen von Sicherungsbeziehungen als ein Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung bezeichnet,543 andere erachten es als angemessen, eine teleologische Reduktion des Einzelbewertungsprinzips vorzunehmen.544
542 543
544
Siehe hierzu grundlegend Abschnitt 2.2.1.2.1. Vgl. Naumann (1994), S. 65. A.A. Strobl, die eine Saldierung grundsätzlich als einen Verstoß gegen das Einzelbewertungsprinzip sowie das Vorsichtsprinzip ansieht. Vgl. Strobl (1996), S. 432. Bei einer teleologischen Reduktion werden bestimmte Sachverhalte von der Anwendung einer Rechtsnorm unter Berufung auf den gesetzgeberischen Zweck ausgeschlossen. So soll das Einzelbewertungsprinzip die Objektivierung und Nachvollziehbarkeit der in den Jahresabschluss eingehenden Sachverhalte sicherstellen und eine Saldierung von Erträgen und Aufwendungen vermeiden. Das Einzelbewertungsprinzip führt aber bei Vorliegen von Sicherungsbeziehungen nicht zu einer Objektivierung, sondern eher zu einer Verzerrung der Jahresabschlussinformationen. Zugleich verstößt die Bildung von Bewertungseinheiten auch nicht gegen das Imparitätsprinzip, das eine vollständige Einbeziehung der vorhersehbaren Risiken und Verluste verlangt, die bis zum Bilanzstichtag entstanden sind. Schließlich ist durch das Sicherungsverhältnis mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass – beschränkt auf die jeweils abgesicherten Risiken – mit dem Eintreffen der betreffenden Verluste nicht zu rechnen ist. Vgl. Arbeitskreis "Externe Unternehmensrechnung" der Schmalenbach-Gesellschaft (1997), S. 637; Böcking/Löw/Wohlmannstetter (2008), § 340e HGB, Rn. 90; Franke/Menichetti (1994), S. 194; Herzig (1997), S. 53 f.; Naumann (1994), S. 65.
96
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Bis zur Modernisierung des Bilanzrechts bestanden nicht nur Zweifel an der Zulässigkeit von Bewertungseinheiten. Der Abbildung von Sicherungsbeziehungen stand auch der praktische Aspekt im Wege, welche Bedingungen und Anforderungen daran geknüpft werden sollten.545 Es werden drei grundlegende Formen von Sicherungsbeziehungen unterschieden: Der Mikro-Hedge ist eine sogenannte 1:1 Sicherungsbeziehung, bei der ein Sicherungsinstrument ein bestimmtes finanzielles Risiko eines Grundgeschäfts absichert. Doch eine solche eindeutige Zuordnung stellt im Rahmen des heutigen Risikomanagements die Ausnahme dar. Hinsichtlich der Differenzierung von komplexeren Risikomanagementstrategien wird im Schrifttum auf sogenannte Sicherungsbeziehungen auf Makround Portfolio-Ebene verwiesen, ohne dass sich bisher eine eindeutige inhaltliche Bestimmung der beiden Begriffe herauskristallisiert hat.546 Überwiegend wird auf den Begriff des Makro-Hedge abgestellt, wenn für ein spezifisches Risiko einer Vielzahl verschiedener Grundgeschäfte eine Absicherung vorgenommen wird. Hingegen wird unter einem Portfolio-Hedge die Absicherung der Nettorisikoposition eines Portfolios gleichartiger Grundgeschäfte aufgefasst.547
Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wurde die Zulässigkeit der bilanziellen Abbildung von Sicherungsbeziehungen in § 254 HGB kodifiziert. Demnach können Vermögensgegenstände, Schulden, schwebende Geschäfte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktionen zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken mit Finanzinstrumenten zu Bewertungseinheiten zusammengefasst werden.548 Eine Einschränkung hinsichtlich der zulässigen Formen von Bewertungseinheiten besteht nicht, so dass eine Absicherung auch auf
545
546 547
548
Für eine Übersicht über die Meinungsvielfalt hinsichtlich der an eine Bewertungseinheit zu stellenden Anforderungen vgl. Mauritz (1997), S. 48-50. Vgl. Löw/Torabian (2008), S. 612 f. Vgl. hierzu Böcking/Löw/Wohlmannstetter (2008), § 340e HGB, Rn. 95-97 m.w.N.; Löw/Torabian (2008), S. 612 f.; a.A. Arbeitskreis "Externe Unternehmensrechnung" der Schmalenbach-Gesellschaft (1997), S. 638; BMJ (2007), S. 117. Insbesondere die bilanzielle Berücksichtigung von antizipativen Absicherungen wurde vor der Bilanzrechtsmodernisierung im Schrifttum abgelehnt, da es bei einer antizipierten Transaktion als Grundgeschäft an einem rechtlich durchsetzbaren Anspruch mangelt, der zum Erfüllungszeitpunkt des Sicherungsinstruments geltend gemacht werden kann. Folglich steht dem Verlustrisiko des Sicherungsinstruments keine hinreichend konkretisierte Gewinnchance durch das Grundgeschäft gegenüber. Vgl. Patek (2007), S. 425.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
97
Marko- und Portfolio-Ebene bilanziell abgebildet werden kann und die Notwendigkeit einer einheitlichen Unterscheidung der beiden Begriffe an Bedeutung verliert.549
Drei wichtige Bedingungen, die im Handelsbilanzrecht an die Bildung von Bewertungseinheiten geknüpft werden, leiten sich direkt aus dem Gesetzeswortlaut ab. Erstens muss das Sicherungsinstrument ein Finanzinstrument sein.550 Zweitens bedarf es einer Prüfung, ob die Veränderung der Fair Values oder Zahlungsströme des Grundgeschäfts und des Sicherungsgeschäfts, die miteinander saldiert werden sollen, auf die gleichen Risiken zurückzuführen sind (Risikohomogenität). Drittens ist die Ineffektivität imparitätisch zu bilanzieren, d.h. die Aufhebung des Einzelbewertungsgrundsatzes und des Imparitätsprinzips beschränken sich sowohl in Bezug auf das Grundgeschäft als auch das Sicherungsinstrument auf die Wertänderungen bzw. Zahlungsströme, die sich tatsächlich kompensieren und damit als effektiv gelten. Die übrigen Änderungen der Fair Values oder Zahlungsströme sind im Einklang mit den GoB und den allgemeinen Bewertungsvorschriften zu bilanzieren.551
3.3.1.2.2
Dokumentationsanforderungen und die Bedeutung des Lageberichts
Mit den handelsrechtlichen Vorschriften zur Bildung von Bewertungseinheiten sind spezielle Dokumentationspflichten verbunden, die in einem engen Zusammenhang mit den Anhangangaben nach § 285 Nr. 23 HGB stehen.552 Demnach sind zunächst die Beträge der Grundgeschäfte zu nennen sowie Angaben darüber zu machen, für welche Risikoart und in welcher Höhe eine Absicherung getroffen wurde und welche Art von Sicherungsbeziehung gebildet worden ist. Des Weiteren verlangen die Anhangangaben, dass die Wirksamkeit der Sicherungsbeziehung dokumentiert wird, indem Aussagen darüber zu treffen sind, warum, in welchem Umfang und in welchem Zeitraum sich die gegenläufigen Änderungen 549 550
551
552
Vgl. Löw/Torabian (2008), S. 613. Auf eine Beschränkung auf derivative Finanzinstrumente als Sicherungsinstrument wurde bewusst verzichtet, da speziell bei der Absicherung gegen Währungsrisiken oftmals Fremdwährungsforderungen und -verbindlichkeiten zum Einsatz kommen. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 58. Diese dritte Bedingung einer imparitätischen Behandlung der Ineffektivität erschließt sich aus dem zweiten Halbsatz von § 254 Satz 1 HGB; demnach „sind § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 3 und 4, § 253 Abs. 1 Satz 1 und § 256a in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden, in dem die gegenläufigen Wertänderungen oder Zahlungsströme sich ausgleichen“. Die in diesem Abschnitt genannten Anforderungen werden gemäß § 314 Abs. 1 Nr. 15 HGB sowie § 315 Abs. 2 Nr. 2 HGB gleichermaßen an den Konzernabschluss und Konzernlagebericht gestellt.
98
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
der Fair Values oder Zahlungsströme ausgleichen. Die dazu angewandte Ermittlungsmethode ist ebenfalls darzulegen.553
Eine konkrete Effektivitätsspanne, die eine Sicherungsbeziehung für die Bildung einer Bewertungseinheit mindestens aufzuweisen hat, ist nicht vorgegeben.554 Es ist sowohl die retrospektive als auch die prospektive Effektivität zu dokumentieren. Die Notwendigkeit einer retrospektiven Effektivitätsmessung ergibt sich aus den Bilanzierungsvorschriften respektive der imparitätischen Behandlung der Ineffektivität, während die prospektive Betrachtung für die Angaben im Anhang erforderlich ist. In Abhängigkeit von der Komplexität der Sicherungsbeziehung kann daraus ein hoher Anspruch an die Ermittlungsmethode resultieren.555 Der erforderliche Detaillierungsgrad der Dokumentation hängt vom Risikomanagementsystem ab, dessen Strategien und Methoden im Lagebericht zu erläutern sind.556 So kann auf eine individualisierte Feststellung des Ausgleichs der Wert- oder Zahlungsstromänderungen verzichtet werden, wenn ein angemessenes und wirksames Risikomanagementsystem vorhanden ist.557
3.3.1.3 3.3.1.3.1
Hedge Accounting nach IAS 39 Anwendungsvoraussetzungen des Hedge Accounting
Die IFRS sehen ebenfalls eine bilanzielle Abbildung von Sicherungsbeziehungen vor. Die Anwendung der Regelungen des IAS 39 zum Hedge Accounting ist an die Erfüllung von
553
554
555
556
557
Hierbei stellt die Dollar Offset Ratio wohl die einfachste Methode dar. Zu den methodischen Schwierigkeiten hinsichtlich des Problems der kleinen Zahlen und entsprechenden Lösungsansätzen vgl. Hailer/Rump (2003), S. 599-603. Während in der Begründung zum Regierungsentwurf noch eine konkrete Effektivitätsspanne genannt wird, enthält die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses den Hinweis, dass Effektivitätsspannen, wie sie die IFRS vorsehen, handelsrechtlich keine Bedeutung haben. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 58 sowie BT-Drs. 16/12407, S. 112. Die methodische Komplexität kann bei Mikro-Hedges durch die sogenannte Short Cut-Methode reduziert werden, indem die Übereinstimmung der wesentlichen Vertragskonditionen geprüft und damit ein (nahezu) perfekter Hedge nachgewiesen wird. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 58. Siehe § 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB. Hierbei ergeben sich Überschneidungen mit den Anforderungen an die Anhangangaben gemäß § 285 Nr. 23 HGB, daher sind die Angaben im Anhang nur erforderlich, soweit sie nicht im Lagebericht erbracht werden. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 58 f.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
99
bestimmten Anforderungskriterien gekoppelt, die sich sowohl an das Grundgeschäft und das Sicherungsinstrument als auch an die Dokumentationsanforderungen richten.558
Als mögliche Grundgeschäfte kommen nicht nur die bilanzierten Vermögenswerte und Verbindlichkeiten in Betracht, sondern auch bilanzunwirksame feste Verpflichtungen559 sowie mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende künftige Transaktionen.560 Die an eine Zusammenfassung einer Gruppe von Vermögenswerten oder Schulden zu einem Grundgeschäft gestellten Anforderungen beschränken den Anwendungsbereich des Hedge Accounting erheblich, so dass nach IAS 39 überwiegend nur Mikro-Hedges abgebildet werden können. Eine Aggregation von Grundgeschäften ist nur möglich, wenn es sich um gleichartige Vermögenswerte und Schulden handelt, die demselben abgesicherten Risikofaktor unterliegen und ein vergleichbares Risikoprofil aufweisen.561 Letzteres setzt voraus, dass die Änderungen des Fair Value der einzelnen Grundgeschäfte in einem proportionalen Verhältnis zu der Änderung des Fair Value der Gruppe an Grundgeschäften stehen.562 In Konsequenz sind damit nicht nur Aktien- und Indexportfolios von einer Designation als Grundgeschäft ausgeschlossen, auch die bilanzielle Zusammenfassung von Vermögenswerten und Schulden bei Absicherung einer Nettoposition ist dadurch generell unzulässig.563 Eine Ausnahme wird lediglich für die Absicherung eines Portfolios an festverzinslichen Vermögenswerten und Schulden in einheitlicher Währung gegen Zinsänderungsrisiken eingeräumt.564 Im Vergleich zu den handelsrechtlichen Bestimmungen zur Bildung von Bewertungseinheiten ist damit die bilanzielle Abbildung eines Makro- oder PortfolioHedge überwiegend untersagt.
558
559
560 561 562
563 564
Die nachfolgenden Ausführungen klammern die Absicherung von Fremdwährungsinvestitionen in ausländische Geschäftsbetriebe aus, für die nach IAS 39 gesonderte Regelungen vorgesehen sind. Die bilanzunwirksamen festen Verpflichtungen gleichen den handelsrechtlich als schwebende Geschäfte bezeichneten Sachverhalten. Im Unterschied zum Handelsbilanzrecht werden aber nur solche schwebenden Geschäfte bilanziell nicht erfasst, die der Definition nach kein derivatives Finanzinstrument darstellen. Siehe IAS 39.78. Siehe IAS 39.83. Im Schrifttum wird in Anlehnung an die US-GAAP bei einer Veränderung des Gesamtportfolios um 10 % eine Änderung des einzelnen Grundgeschäfts um 9 % bis 11 % als proportional angesehen. Vgl. hierzu Nguyen (2007), S. 140. Siehe IAS 39.84. Vgl. auch Nguyen (2007), S. 140 f. Siehe IAS 39.81A.
100
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Als Sicherungsinstrument können nur derivative Finanzinstrumente eingesetzt werden,565 wobei geschriebene Optionen (Short-Position) aufgrund ihres hohen Verlustpotenzials als Sicherungsinstrument grundsätzlich ausgeschlossen sind.566 Die Bestimmung eines nichtderivativen finanziellen Vermögenswerts oder einer nichtderivativen finanziellen Verbindlichkeit als Sicherungsinstrument ist ausschließlich in Bezug auf die Absicherung von Währungsrisiken zulässig.567 Ein einzelnes Sicherungsinstrument kann auch zur Absicherung gegen unterschiedliche Risiken verwendet werden, vorausgesetzt, dass die abzusichernden Risiken eindeutig ermittelt werden können, die Sicherungsbeziehung nachweislich effektiv ist und die exakte Zuordnung des Sicherungsinstruments zu den verschiedenen Risikopositionen gewährleistet ist.568 Beispielsweise kann mittels eines Zins-Swap, der fixe Zinszahlungen in US-Dollar zu variablen Zinszahlungen in Euro umwandelt, eine auf US-Dollar lautende Anleihe mit fixem Kupon gegen Währungs- und Zinsänderungsrisiken abgesichert werden.569
Neben den Anforderungen, die an das Grundgeschäft sowie das Sicherungsinstrument gestellt werden, sind weitere Bedingungen kumulativ zu erfüllen, um eine Sicherungsbeziehung gemäß den Regelungen des Hedge Accounting abzubilden.570 Insbesondere ist zu Beginn der Absicherung formal festzulegen und zu dokumentieren,571 welche Vermögenswerte und Schulden bzw. sonstigen Sachverhalte Bestandteil der Sicherungsbeziehung sind, welche Risikomanagementziele und -strategien verfolgt werden und auf welche Weise die Effektivität der Sicherungsbeziehung bestimmt wird. Zudem wird eine als hochwirksam eingeschätzte prospektive Effektivität verlangt.572 Die Effektivität der Sicherungsbeziehung ist fortlaufend – mindestens zu jedem Zeitpunkt der Aufstellung eines Abschlusses – zu prüfen und muss die Einschätzung einer hohen Wirksamkeit der
565 566 567 568 569 570 571
572
Siehe IAS 39.72. Siehe IAS 39.AG94. Siehe IAS 39.72. Siehe IAS 39.76. In Anlehnung an Nguyen (2007), S. 138. Für eine vollständige Aufzählung der Dokumentationsanforderungen siehe IAS 39.88 (a)-(e). Eine rückwirkende Erbringung der Dokumentationsanforderungen ist nicht zulässig. Vgl. Kuhn/Scharpf (2006), S. 358; Nguyen (2007), S. 144. Zur Messung der prospektiven Effektivität haben sich die Sensitivitätsanalyse und der Value at Risk etabliert. Gemäß IAS 39.AG108 ist von einer kompensatorischen Wertentwicklung des derivativen Sicherungsinstruments für die prospektive Beurteilung auszugehen, wenn im Rahmen eines sogenannten Critical Terms Match die wesentlichen Konditionen des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments übereinstimmen.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
101
Sicherungsbeziehung bestätigen (retrospektive Effektivität).573 Eine Sicherungsbeziehung ist retrospektiv als effektiv zu beurteilen, wenn der kompensatorische Effekt der eingetretenen Fair Value- bzw. Zahlungsstromänderungen der Sicherungsbeziehung in einer Bandbreite von 80 % bis 125 % liegt.574
3.3.1.3.2
Bilanzierungsvorschriften zum Hedge Accounting
Die grundsätzliche Differenzierung, ob der Fair Value oder die Zahlungsströme eines Grundgeschäfts abgesichert werden, schlägt sich unmittelbar in den Bilanzierungsvorschriften zum Hedge Accounting nieder.575 Wird im Rahmen eines Fair Value Hedge ein Grundgeschäft gegen Veränderungen des Fair Value abgesichert, werden zur Abbildung der Sicherungsbeziehung die entsprechenden Wertänderungen sowohl des Grundgeschäfts als auch des Sicherungsinstruments erfolgswirksam verbucht. Die Vorschrift beschränkt sich jedoch auf den effektiven Teil, d.h. auf diejenige Wertänderung, die auf das abgesicherte Risiko zurückzuführen ist.576 In der Regel handelt es sich beim Sicherungsinstrument um ein Derivat, dessen Änderungen des Fair Value ohnehin vollständig erfolgswirksam erfasst werden, so dass sich durch die Designation als Sicherungsinstrument bei einem Fair Value Hedge an dessen Bilanzierung nichts verändert. Bei den zu fortgeführten Anschaffungskosten oder erfolgsneutral zum Fair Value bewerteten Grundgeschäften wird hingegen eine erfolgswirksame Buchwertanpassung in Höhe der durch das abgesicherte Risiko verursachten Fair Value-Änderung durchgeführt.577
Es kann unter bestimmten Umständen auch im Interesse des Unternehmens liegen, die erwarteten künftigen Zahlungsströme eines bestimmten Sachverhalts gegen Veränderun-
573
574 575 576 577
Siehe IAS 39.AG106. Vgl. auch Patek (2007), S. 427. Der retrospektive Nachweis erfolgt häufig durch die Dollar Offset Ratio oder die Regressionsanalyse. Im Gegensatz zum Nachweis der prospektiven Effektivität darf der Nachweis nicht durch einen Critical Term Match ersetzt werden, schließlich ist für die erfolgswirksame Erfassung des ineffektiven Teils der Sicherungsbeziehung dessen genaue Ermittlung notwendig. Vgl. Cortez/Schön (2010), S. 172 f. Siehe IAS 39.AG105(b). Vgl. hierzu ausführlich Hommel/Hermann (2003), S. 2502 f. Siehe IAS 39.86 (a). Handelt es sich um ein nicht bilanziertes Grundgeschäft respektive eine feste Verpflichtung, ist zur Abbildung der Sicherungsbeziehung die kompensierende Wertänderung des Grundgeschäfts als Vermögenswert oder Schuld zu erfassen. Siehe hierzu IAS 39.93 sowie IAS 39.94.
102
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
gen abzusichern,578 wie beispielsweise das Zinsänderungsrisiko von variabel verzinsten Verbindlichkeiten oder das Wechselkursrisiko von geplanten Umsätzen in Fremdwährung.579 Um bilanziell abzubilden, dass sich die Änderungen der Zahlungsströme des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments kompensieren, sind die Fair ValueÄnderungen des Sicherungsinstruments erfolgsneutral im Eigenkapital (Neubewertungsrücklage) zu erfassen, soweit es den effektiven Teil der Sicherungsbeziehung betrifft.580 Die erfolgswirksame Auflösung ist simultan zu der Erfassung der entsprechenden Zahlungsströme des Grundgeschäfts durchzuführen.581
3.3.2 3.3.2.1
Implizite und explizite Bewertungswahlrechte und ihr Einfluss auf die Informationsfunktion Abgrenzung und Systematisierung von Wahlrechten
In beiden Rechnungslegungslegungssystemen werden den Bilanzerstellern Entscheidungsspielräume eingeräumt, die zugunsten bilanzpolitischer Ziele genutzt werden können.582 Entscheidungsspielräume können entweder aus der Notwendigkeit zur Auslegung eines Sachverhalts (sachverhaltsauslegend) oder aus der aktiven Einflussnahme auf die Ausgestaltung eines Sachverhalts zur Herbeiführung eines bilanziell gewünschten Ergebnisses (sachverhaltsgestaltend) resultieren.583 Letztere sollen nicht weiter in die Betrachtung einbezogen werden.584 Innerhalb der sachverhaltsauslegenden Handlungen ist zwischen Wahlrechten und Ermessensspielräumen zu unterscheiden. Im Gegensatz zu Wahlrechten stellen Ermessenspielräume keine Entscheidung zwischen Alternativen dar, sondern
578
579 580
581 582 583 584
In Bezug auf antizipative Hedges beschränkt sich der Anwendungsbereich des Hedge Accounting auf mittelbare Absicherungen, d.h. als Sicherungsinstrument sind nur Warentermingeschäfte zulässig, die durch Barausgleich erfüllt werden können und bei denen keine Intension zur physischen Lieferung besteht. Anderenfalls sind die definitorischen Anforderungen an derivative Finanzinstrumente nicht erfüllt und in Konsequenz kann das Warentermingeschäft nicht als Sicherungsinstrument designiert werden. Vgl. Patek (2007), S. 426 f. Siehe hierzu auch Abschnitt 3.1.2.1. Beispiele in Anlehnung an IAS 39.AG103 f. Für weitere Beispiele vgl. Nguyen (2007), S. 152. Siehe IAS 39.95. Hierdurch wird eine nicht zu vernachlässigende Volatilität des Eigenkapitals ausgelöst. Vgl. Wilson/Waters/Bryan (1998), S. 28. Siehe IAS 39.97 bis IAS 39.100. Vgl. Kußmaul/Lutz (1993), S. 399. Vgl. Küting (2005b), S. 505. Die sachverhaltsgestaltenden Handlungen können wiederum danach unterschieden werden, ob geplante betriebliche Maßnahmen zeitlich verschoben werden oder ob auf die rechtliche Ausgestaltung eines Sachverhalts Einfluss genommen wird, ohne eine wirtschaftliche Veränderung herbeizuführen. Vgl. hierzu Peffekoven (1997), S. 20-23.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
103
ergeben sich aus der Notwendigkeit zur Beurteilung wirtschaftlicher Sachverhalte.585 Wahlrechte im Sinne von Entscheidungsalternativen können entweder bei der Bilanzierung oder bei der Darstellung im Jahresabschluss bestehen. Die Bilanzierungswahlrechte wiederum betreffen entweder die Vorschriften zur Aktivierung oder Passivierung von Vermögensgegenständen bzw. Schulden oder die Bewertungsvorschriften.
Die innerhalb der Bewertungsvorschriften vorhandenen Wahlrechte können vom Gesetzgeber explizit formuliert werden oder durch die Ausgestaltung der Regelungen faktischer Natur sein.586 Faktische Bewertungswahlrechte sind von Ermessenspielräumen abzugrenzen.587 Diese Unterscheidung soll anhand von zwei einfachen Sachverhalten verdeutlicht werden. Die Bewertung eines Derivats hängt u.a. davon ab, ob es beispielsweise der Spekulation oder der Absicherung gegen finanzielle Risiken dient. Auch wenn der Wortlaut der betreffenden Rechnungslegungsvorschriften nach HGB und IFRS kein explizites Wahlrecht enthält, besteht für den Bilanzierenden das faktische Wahlrecht, das Derivat bilanziell als Sicherungsinstrument kenntlich zu machen.588 Hingegen eröffnet die Ermittlung des Fair Value unter Rückgriff auf Bewertungsmethoden einen Ermessensspielraum, schließlich erfordert die Schätzung der künftigen Zahlungsströme und anderer Bewertungsparameter die subjektive Beurteilung des Bilanzierenden.589
Die folgende Abbildung illustriert die vorgenommene Abgrenzung von Entscheidungsspielräumen sowie deren Systematisierung:
585 586
587 588
589
Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 242. Alternativ wird im Schrifttum teilweise eine engere Abgrenzung dahingehend getroffen, das als Wahlrechte nur die explizit vom Gesetzgeber eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten aufgefasst werden und alles Weitere den Ermessensspielräumen zugerechnet wird. Demnach fallen auch die faktischen Wahlrechte unter die Ermessensspielräume. Vgl. Kußmaul/Lutz (1993), S. 401; Küting/Weber (1987), S. 26 f.; Peffekoven (1997), S. 23. Vgl. Küting (2005b), S. 507 f. Vgl. Hommel/Hermann (2003), S. 2504. In einem allgemeineren Zusammenhang vgl. auch Küting (2005b), S. 507. Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 242.
104
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Entscheidungsspielräume der Bilanzersteller
Sachverhaltsgestaltende Handlungen
Darstellungswahlrechte
Sachverhaltsauslegende Handlungen
Bilanzierungswahlrechte
Ansatzwahlrechte
Ermessensspielräume
Bewertungswahlrechte
Explizite Bewertungswahlrechte
Faktische Bewertungswahlrechte
Abbildung 7: Abgrenzung und Systematisierung von Wahlrechten590
3.3.2.2
Bedeutung des Grundsatzes der Bewertungsstetigkeit
Der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit ist in beiden Rechnungslegungssystemen verankert. Seine Reichweite bedarf einer differenzierten Betrachtung. Unbestritten erstreckt sich die Bewertungsstetigkeit in beiden Rechnungslegungssystemen auf die Wahl der Bewertungsmethoden und der übrigen Ermessensspielräume im Rahmen der Bewertung.591 Aus handelsrechtlicher Sicht ergibt sich dies bereits aus dem Gesetzeswortlaut, demnach sind die auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Bewertungsmethoden beizubehalten.592 Als Wechsel der Bewertungsmethode ist bereits die Veränderung von Bewertungsparametern aufzufassen.593 Allerdings kann sich die Notwendigkeit von Anpassungen an der Bewertungsmethode durch die Veränderung der Gegebenheiten bzw. Umweltbedingungen ergeben.594 Innerhalb der IFRS wird die im Rahmenkonzept verankerte Bewertungsstetigkeit in IAS 8 aufgegriffen, der auch für die Bewertung von Finanzinstrumenten
590 591
592
593 594
Modifiziert und erweitert nach Kußmaul/Lutz (1993), S. 399; Peffekoven (1997), S. 19. Zur Subsummierung der sonstigen Spielräume unter den Begriff der Bewertungsmethode in Bezug auf das Handelsbilanzrecht vgl. Kammers (1988), S. 56 f. Siehe hierzu § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB. Zudem wird durch § 246 Abs. 3 HGB klargestellt, dass sich der Stetigkeitsgrundsatz auch auf den Ansatzzeitpunkt erstreckt. Vgl. Kammers (1988), S. 53 m.w.N. Vgl. Kalabuch (1994), S. 53.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
105
maßgeblich ist. Analog zu den handelsrechtlichen Regelungen wird vorgeschrieben, dass die Bewertungsmethoden für ähnliche Geschäftsvorfälle stetig anzuwenden sind und die Veränderung der Bewertungsmethode einer Begründung bedarf.595
Im Schrifttum wird insbesondere in Bezug auf das Handelsbilanzrecht teilweise die Auffassung vertreten, dass sich der Geltungsbereich des Stetigkeitsgrundsatzes auch auf die expliziten Bewertungswahlrechte erstreckt.596 Diese Auffassung verkennt jedoch, dass ein explizites Bewertungswahlrecht keine Bewertungsmethode im engeren Sinne darstellt.597 Auf Bewertungswahlrechte – sei es das explizite Bewertungswahlrecht für Finanzanlagen nach § 253 Abs. 4 HGB oder das faktische Wahlrecht durch die Bewertungskategorien nach IAS 39.9 – hat der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit keinen Einfluss. Der Geltungsbereich des Stetigkeitsgrundsatzes beschränkt sich auf die Pflicht zu einer stetigen Anwendung der gewählten Bewertungsmethode. Die übergeordnete Entscheidung hinsichtlich der Wahl des Wertmaßstabs in Abhängigkeit von den Bewertungsvorschriften unterliegt somit nicht dem Stetigkeitsgrundsatz.598
3.3.2.3
Kompatibilität bilanzieller Wahlrechte mit dem Zweck der Informationsvermittlung
Die Gewährung von Bewertungswahlrechten steht im engen Zusammenhang mit dem Zweck der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen. Wahlrechte ermöglichen eine unterschiedliche Darstellung des gleichen Sachverhalts. Das Management hat aus agency-theoretischer Sicht einen Anreiz, Wahlrechte für bilanzpolitische Ziele auszunutzen.599 In Konsequenz reduzieren Wahlrechte die interperiodische Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen und mindern auf diese Weise deren Informationsgehalt.600 Sie konterkarieren demnach den Zweck der Rechnungslegung, die asymmetrische Informationsvertei595 596
597 598
599 600
Siehe IAS 8.13 f. Vgl. hierzu ausführlich Peemöller (2008), Rn. 11-24. Vgl. beispielhaft Stein (1993), S. 403. Vgl. hierzu auch Winkeljohann/Geißler (2006), § 252 HGB, Rn. 56. Vgl. Kalabuch (1994), S. 175 sowie S. 259-262; Kammers (1988), S. 65. Vgl. Ballwieser (2008a), § 252 HGB, Rn. 101-104; Küting (2005a), S. 1123 in Anlehnung an Förschle/Kropp (1986), S. 873. Gleiches gilt in Bezug auf die Ansatzwahlrechte. Dies ist für Finanzinstrumente insbesondere für das Ansatzwahlrecht gemäß § 250 Abs. 3 HGB relevant, wonach die Differenz zwischen dem Ausgabe- und Erfüllungsbetrag einer Verbindlichkeit (Disagio) als Rechnungsabgrenzungsposten aktiviert werden darf. Vgl. Kalabuch (1994), S. 257 f. Ähnlicher Auffassung Hennrichs (1999), S. 5. Siehe hierzu auch Abschnitt 2.3.1.3. Vgl. Baetge/Thiele (1997), S. 18.
106
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
lung zwischen dem Management und den Bilanzadressaten abzubauen.601 Gerade in Zeiten einer Unternehmenskrise kann durch die gezielte Ausübung von Wahlrechten die tatsächliche Unternehmenslage verschleiert werden.602 Der Jahresabschluss wird seiner Informationsfunktion nicht mehr gerecht, da finanzielle Risiken zu spät sichtbar werden.603
Die Gefahr einer informationellen Irreführung der Bilanzadressaten durch Bewertungswahlrechte beruht auf der Annahme der mangelnden Kenntnis der Adressaten über die bilanzpolitischen Maßnahmen. Sofern die Investoren und Gläubiger die Möglichkeit haben, die Auswirkungen solcher Wahlrechte nachzuvollziehen, und zudem ein nahezu informationseffizienter Markt im mittelstrengen Sinne vorhanden ist,604 können die Adressaten durch Bilanzpolitik nicht fehlgeleitet werden, im Gegenteil.605 Durch die Art und Weise, wie ein bestimmtes Wahlrecht ausgeübt wird, können glaubwürdige Informationen an die Bilanzadressaten vermittelt werden.606 Aus dieser Perspektive werden bilanzpolitische Maßnahmen als Signaling verstanden.607
Die Bedingung der Nachvollziehbarkeit der Auswirkungen von Wahlrechten ist nicht allein damit erfüllt, dass die Entscheidung bezüglich der Wahlrechtsausübung aus dem Jahresabschluss ersichtlich ist, da die alleinige Kenntnis der Entscheidung häufig noch keine Abschätzung der (quantitativen) Unterschiede zwischen den zur Wahl stehenden Alternativen erlaubt.608 Folglich bedarf es ergänzender Angaben bezüglich der Auswirkungen der betreffenden Entscheidungen im Vergleich zu den übrigen Möglichkeiten.609 Im Zusammenhang mit der Informationseffizienz von Märkten sind zudem die steigenden Kosten der Informationsverarbeitung zu berücksichtigen, die aus der höheren Komplexität
601 602 603
604 605 606
607 608 609
Vgl. T. Siegel (1986), S. 423. Vgl. Clemm (1989), S. 364 f.; Hennrichs (1999), S. 5 f. Wahlrechte können die gezielte Bildung und Auflösung von stillen Reserven begünstigen und laufen daher den Interessen der Bilanzadressaten zuwider. Vgl. Schneider (1980), S. 88. A.A. Moxter, der als Grund für die Gewährung von Wahlrechten in Bezug auf das HGB das „zum guten Teil konfliktäre Verhältnis“ der Rechnungslegungszwecke sieht. Moxter (1981), S. 456. Vgl. hierzu auch T. Siegel (1986), S. 421-423. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 2.3.2.1. Vgl. Hartmann-Wendels (1991), S. 18; Ross/Westerfield/Jaffe (2008), S. 391. Vgl. Hartmann-Wendels (1991), S. 19; Hommel/Berndt (2002), S. 91; Wagenhofer/Ewert (2007), S. 288; a.A. Kropff (1997), S. 89 f. Vgl. hierzu ausführlich Wagenhofer/Ewert (2007), S. 287-301. Vgl. Ballwieser (1996), S. 522; Hennrichs (1999), S. 7. Vgl. Ross/Westerfield/Jaffe (2008), S. 391; Stein (1993), S. 984.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
107
der Analyse von Jahresabschlüssen resultieren.610 Speziell die faktischen sowie expliziten Bewertungswahlrechte, die mit immensen Auswirkungen auf den Jahresabschluss verbunden sein können, ohne den Adressaten eine ausreichende Transparenz zu gewähren, sind aus diesen Gründen einzuschränken.611 Wie gezeigt wurde, liegt das Ziel der Vermeidung einer bilanzpolitischen Instrumentalisierung von Bewertungswahlrechten außerhalb des Geltungsbereichs des Grundsatzes der Bewertungsstetigkeit und bedarf zusätzlicher Rechnungslegungsvorschriften und Dokumentationsanforderungen.
3.4 3.4.1
Zweckmäßigkeit des Fair Value für die Informationsvermittlung Mangelnde Eignung des Full Fair Value-Ansatzes zur Approximation des Unternehmenswerts
Der bereits hohe und weiter zunehmende Stellenwert des Fair Value wird mit der Entscheidungsnützlichkeit rechtfertigt, die diesem Wertmaßstab beigemessen wird. Die Argumentation orientiert sich zumeist an grundlegenden bilanztheoretischen Aspekten. Es lassen sich zwei theoretische Hauptströmungen differenzieren, die sich darin unterscheiden, ob der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung die Priorität eingeräumt wird.612 In der international als Asset Liability Approach bezeichneten Bilanztheorie,613 die nach vielfach geäußerter Meinung ihre handelsrechtliche Entsprechung in der Statik findet,614 wird eine Vermögensermittlung vorgenommen. Im Gegensatz dazu stellt der Revenue Expense Approach615 – vergleichbar mit der dynamischen Bilanztheorie – die Gewinn- und Verlustrechnung in den Vordergrund.616
610
611 612
613 614
615 616
Ähnlicher Auffassung Hommel/Berndt (2002), S. 90 f. Zum Einfluss der Kosten der Informationsverarbeitung auf die Annahme der Gleichwertigkeit zwischen den Informationen des Anhangs und denen der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung in informationseffizienten Märkten siehe Abschnitt 3.4.2.3.2. Hierzu kritisch vgl. Wagner (2006), S. 285-287. Moxter bringt die Unvereinbarkeit der beiden bilanztheoretischen Hauptströmungen wie folgt zum Ausdruck: „Wer den Gewinn richtig ermitteln will, muß das Vermögen falsch ermitteln.“ Moxter (1984), S. 6. Zum Asset Liability Approach vgl. grundlegend Sprouse/Moonitz (1962). Vgl. stellvertretend statt vieler Wüstemann/Kierzek (2007), S. 364. Hierbei ist die auf Simon zurückgehende Fortführungsstatik gemeint. Zur Differenzierung zwischen der Fortführungsstatik und der vom Reichsoberhandelsgericht von 1873 geprägten Zerschlagungsstatik vgl. Moxter (1984), S. 25-28. Zum Revenue Expense Approach vgl. grundlegend Paton/Littleton (1940). Vgl. hierzu grundlegend Schmalenbach (1962), S. 78. Vgl. auch Küting (2006), S. 1442; Moitzi (2007), S. 23-26.
108
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Die Parallelen zwischen den nationalen und internationalen Bilanztheorien bestehen teilweise nur oberflächlich. Die Übereinstimmung hinsichtlich der Konzentration auf die Vermögensabbildung in der Bilanz oder der Darstellung der Ertragslage in der Gewinnund Verlustrechnung ist für die Feststellung einer inhaltlichen Kongruenz nicht hinreichend. Ohne im Detail darauf einzugehen, sollen wichtige Unterschiede hervorgehoben werden, die für die weiteren Ausführungen zur Entscheidungsnützlichkeit des Fair Value von Bedeutung sind. Das trifft insbesondere für das Verhältnis zwischen dem Asset Liability Approach und dem statischen Bilanzverständnis zu. Ersterer ermittelt einen auf die Ertragskraft abstellenden Zukunftserfolgswert, während das primäre Ziel der Statik die Feststellung des Schuldendeckungspotenzials des Unternehmens umfasst und sich dabei auf Einzelveräußerungspreise stützt.617 Folglich bestehen divergierende Zielsetzungen, die eine unmittelbare Gleichsetzung der beiden Bilanztheorien ausschließen.618 Mehr Übereinstimmung besteht bei den gewinnermittlungsorientierten Theorien. Die auf Schmalenbach zurückzuführende dynamische Bilanztheorie legt den Schwerpunkt auf eine periodengerechte Gewinnermittlung, da der Erfolg eines Unternehmens von einer nachhaltigen Gewinnerzielung abhängt.619 Auch beim Revenue Expense Approach dominiert das Matching Principle bzw. die präzise Erfassung des Periodenerfolgs.620 Beide Theorien sind dabei von einem Vorsichtsgedanken geprägt.621
Die zukunftsorientierte Vermögensermittlung im Sinne des Asset Liability Approach wird oftmals mit einer Effektivvermögensapproximation assoziiert.622 Das Effektivvermögen eines Unternehmens entspricht dem Barwert der erwarteten künftigen Einzahlungsüberschüsse.623 Der Fair Value verkörpert im Gegensatz zu historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten einen zukunftsgerichteten Wertmaßstab, entsprechend eignet sich scheinbar ein auf dem Fair Value basierender Jahresabschluss zur bilanziellen Abbildung des Effektivvermögens. Dieser Sichtweise nach entspricht das bilanzielle Eigenkapital als 617
618 619 620 621 622 623
Explizit verfolgt nur die Zerschlagungsstatik die Ermittlung des Schuldendeckungspotenzials. Die Fortführungsstatik legt prinzipiell den Gebrauchs- oder Verkehrswert zugrunde. Doch die Unterschiede zwischen den beiden Ausprägungen der statischen Bilanztheorie sind aufgrund der Vereinfachungs- und Objektivierungserwägungen „eher peripherer Natur“. Moxter (1984), S. 26. Vgl. Moitzi (2007), S. 25; Zülch/Fischer/Willms (2006), S. 7; a.A. Küting (2006), S. 1442. Vgl. Schmalenbach (1962), S. 51 f. Vgl. Beaver (1998), S. 2. Vgl. Küting (2006), S. 1443; Lüßmann (2004), S. 109. Vgl. hierzu Blaufus (2005), S. 195-222; Coenenberg/Straub (2008), S. 21; Meinert (2007), S. 108 f. Vgl. Coenenberg/Straub (2008), S. 21; Moxter (2000), S. 2143.
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Residuum aus den Fair Values der Vermögenswerte und Schulden dem Effektivvermögen des Unternehmens.624 Der Effektivvermögensapproximation anhand des Jahresabschlusses stehen schwerwiegende konzeptionelle Probleme entgegen. So ist das Einzelbewertungsprinzip ein zentrales Objektivierungserfordernis der Rechnungslegung, doch resultiert ein entscheidender Teil des Unternehmenswerts gerade aus dem Verbund zu einem Unternehmen und kann nicht einzeln abgebildet werden.625 Dieser Teil des Unternehmenswerts wird als Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) bezeichnet. Der originäre Geschäfts- oder Firmenwert eines Unternehmens unterliegt insbesondere aufgrund der unzureichenden Objektivierbarkeit innerhalb beider Rechnungslegungssysteme einem Aktivierungsverbot.626 Folglich kann eine rein auf Fair Values basierende Bilanz bestenfalls eine Second Best-Lösung darstellen, da das bilanzielle Eigenkapital keinen vollständigen Unternehmenswert, sondern höchstens eine Annäherung an diesen Wert unter Ausschluss des originären Geschäfts- oder Firmenwerts widerspiegeln kann.627 Doch selbst für die Ermittlung eines solchen fragmentarischen Werts ist der Fair Value häufig nicht zweckmäßig.628 Der Unternehmenswert bestimmt sich über die Zahlungsströme, die dem Unternehmen voraussichtlich zufließen werden. Wie bereits ausgeführt,629 basiert nicht der Fair Value, sondern der Nutzungswert eines Vermögenswerts auf den unternehmensspezifischen Zahlungsströmen.630 Aufgrund seiner marktwertorientierten Ausrichtung bildet der Fair Value hingegen stets ein den allgemeinen Erwartungen der Marktteilnehmer gleichendes Nutzungspotenzial ab, der vom unternehmensspezifischen Nutzungswert abweichen kann.
Die gewinnermittlungsorientierten Theorien betrachten den im Jahresabschluss ausgewiesenen Gewinn als direkten Indikator für die künftig zu erwartenden Gewinne des Unternehmens, deren Gegenwartswert wiederum den Unternehmenswert bestimmt. Der Bilanz kommt hierbei nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie kann im Sinne einer dynami624
625 626 627 628 629 630
Zu den daraus erwachsenden Anforderungen an die Definition von Vermögenswerten und Schulden vgl. Blaufus (2005), S. 211-218. Zu den Unterschieden zwischen den handelsrechtlichen Vermögensgegenständen und den Vermögenswerten im Sinne der IFRS vgl. Buhleier/Helmschrott (1996), S. 357 f.; Strobl (1996), S. 396 f. Vgl. Moxter (2000), S. 2143; Kahle (2002b), S. 31. Vgl. Moxter (2000), S. 2143. Vgl. Streim/Bieker/Esser (2005), S. 101; Thiele (2007), S. 634. Vgl. Streim/Bieker/Esser (2005), S. 100; Streim/Bieker/Leippe (2001), S. 202 f. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.4.2. Vgl. Barth/Landsman (1995), S. 101-103.
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schen Sichtweise als ein Kräftespeicher des Unternehmens bezeichnet werden, „der alle finanziellen, nicht erfolgswirksamen Stromgrößenpotentiale als Schwebeposten abbildet“631. Eine Unternehmenswertapproximation durch Extrapolation des Gewinns ist ebenso wenig zur Unternehmensbewertung geeignet wie eine bilanzielle Effektivvermögensapproximation. „Streng genommen setzt prognosefähiges Wissen gesetzesartige Wenn-DannAussagen (Hypothesen) voraus.“632 Eine reine Extrapolation vergangener Periodenerfolge gelingt daher nur unter der Prämisse gleichbleibender Umweltbedingungen; eine Voraussetzung die angesichts der Vielzahl an relevanten Umweltfaktoren, die zu einer individuellen Beeinflussung der Geschäftsentwicklung eines Unternehmens führen, in der Realität nicht einmal näherungsweise erfüllt wird.633 Zudem bestehen gewichtige Zweifel an der Prognoseeignung einer auf Basis des Fair Value ermittelten Gewinngröße.634 Kern der Kritik bildet die Eigenschaft des Fair Value, ausnahmslos alle marktpreisrelevanten Faktoren einzubeziehen. Folglich wird der Gewinn aufgrund der Marktpreisschwankungen zu einer Zufallsgröße, die keine Aussagekraft hinsichtlich des tatsächlichen Periodenerfolgs hat.635
Die grundlegende Kritik an einer direkten Approximation des Unternehmenswerts durch den Jahresabschluss sowie die dafür bedingte Eignung des Fair Value als Wertmaßstab deckt sich mit den Ergebnissen der aus ökonomischer Sicht vorgenommenen Analyse der Informationsfunktion der Rechnungslegung.636 Dort wurde gezeigt, dass sich die Informationsfunktion auf die Darstellung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zum Abschlussstichtag beschränkt. Das Ziel einer direkten Approximation des Unternehmenswerts anhand des Jahresabschlusses verkennt die Komplexität des fundamentalanalytischen Beurteilungsprozesses bei Investitions- und Kreditvergabeentscheidungen. Die folgende Abbildung grenzt die Aufgabe der Informationsfunktion der Rechnungslegung innerhalb der Unternehmensbewertung ab:
631 632 633 634 635 636
Kloock (1993), Sp. 389. Siebler (2008), S. 272. Vgl. Siebler (2008), S. 272. Vgl. Moitzi (2007), S. 28; Siebler (2008), S. 282. Vgl. Schildbach (1999a), S. 182 f. Siehe hierzu Abschnitt 2.3.3.2.
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Zusammentragung veröffentlichter Informationen zu vergangenen Perioden
Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens
Auswertung der Informationen aus Jahresabschlüssen
Erstellung von Plandaten
Prognose der künftigen Entwicklung in Abhängigkeit der möglichen Umweltzustände
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Kapitalvergabeentscheidung
Durchführung einer Unternehmensbewertung
Abbildung 8: Abgrenzung der Informationsfunktion der Rechnungslegung im Rahmen der Kapitalvergabeentscheidung
Sowohl das HGB als auch die IFRS formulieren an keiner Stelle das explizite Ziel einer Unternehmenswertapproximation durch den Jahresabschluss, sondern begrenzen das Ziel ausdrücklich darauf, die aktuelle wirtschaftliche Lage des Unternehmens abzubilden.637 Jahresabschlüsse dienen somit nicht als Substitut für Finanzpläne, die auf Basis von Prognosen eine direkte Auskunft über die erwartete Entwicklung des Unternehmens geben, sondern stellen lediglich die Informationsbasis dar, die den Bilanzadressaten als Ausgangspunkt für eine eigenständige Bewertung des Unternehmens dient. An dieser expliziten Zielsetzung einer stichtagsbezogenen Abbildung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sind auch die in der Rechnungslegung angewandten Wertmaßstäbe zur Bewertung von Finanzinstrumenten zu messen.
3.4.2 3.4.2.1
Gründe für die Hinwendung zur marktwertorientierten Bewertung von Finanzinstrumenten Unzureichende Abbildung derivativer Finanzinstrumente
Speziell in Bezug auf die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten wird im Schrifttum seit den neunziger Jahren ein Disput über die informationellen Vorteile der marktwertorientierten gegenüber der anschaffungskostenorientierten Bewertung geführt, der bis
637
Vgl. T. Siegel (1998), S. 593. Ähnlicher Auffassung Wüstemann/Bischof (2006), S. 85.
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heute andauert.638 Die hohe Bedeutung, die Finanzinstrumente im Rahmen der Diskussion über die unterschiedlichen Wertmaßstäbe einnehmen, gründet u.a. auf die unzureichende Abbildung neuerer Finanzprodukte im Jahresabschluss. Dies betrifft speziell die Derivate, deren „boomhafte Verbreitung“639 bereits in den siebziger Jahren durch die erheblich gestiegenen Volatilitäten von Zinssätzen und Wechselkursen einsetzte.640
Die Bewertungsproblematik im Zusammenhang mit derivativen Finanzinstrumenten würde auch unter Vernachlässigung des handelsrechtlichen Grundsatzes der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte fortbestehen. Die mangelnde Eignung einer anschaffungskostenorientierten Bewertung von Derivaten resultiert aus ihrer Eigenschaft, dass sie zum Zeitpunkt der Begebung keine oder nur geringe Anschaffungskosten aufweisen. Die Wertentwicklung eines Derivats zeichnet sich erst innerhalb der jeweiligen Laufzeit ab, die allerdings im Rahmen des Anschaffungskostenprinzips grundsätzlich unberücksichtigt bleibt.641 Nur wenn sich durch einen negativen Marktpreis das Eintreffen einer finanziellen Verbindlichkeit abzeichnet, wird aus Gründen der bilanziellen Vorsicht eine Rückstellung gebildet.642
Der in Zusammenhang mit der Bewertung von Finanzinstrumenten bestehende wissenschaftliche Disput beschränkt sich aber keinesfalls auf die nur fragmentarische Abbildung von Derivaten. Wie nachfolgend verdeutlicht wird, umfasst die Diskussion auch die Ausweitung der marktwertorientierten Bewertung auf die übrigen nichtderivativen Finanzinstrumente.
3.4.2.2
Relevanz im Sinne der Prognoseeignung
Fortgeführten Anschaffungskosten wird zum Teil nur ein geringer Informationswert zugestanden. Die Aussage wird vornehmlich damit begründet, dass es sich bei den 638
639 640 641 642
Vgl. beispielhaft Ballwieser/Küting/Schildbach (2004), S. 535-547; Barth/Landsman (1995), S. 102-104; Böcking/Sittmann-Haury (2003), S. 195-200; Böcking/Dreisbach/Gros (2008), S. 211-214; Ordelheide (1998), S. 604-612; Schildbach (1999a), S. 178-185; Schruff (1993), S. 126-134; S. Siegel (1997), S. 84-89; Willis (1998), S. 854-860. Bieker (2006), S. 18. Vgl. Gebhardt (1996), S. 557 f. Vgl. Barckow/Glaum (2004), S. 199; Poole/Wild (2001), S. 9. In Bezug auf die IFRS handelt es sich hierbei um eine hypothetische Aussage, da nach IAS 39 für Derivate die Bewertung zu Anschaffungskosten ausgeschlossen ist.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
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Anschaffungskosten um einen vergangenheitsorientierten Wert handelt, der die Wertänderungen der Finanzinstrumente nur unzureichend berücksichtigt.643 Es handelt sich bei den Anschaffungskosten zwar um einen verlässlichen, aber im Zeitablauf zunehmend an Relevanz verlierenden Wert, getreu dem Ausspruch, dass der Kaufmann für das Gewesene nichts gäbe. Zudem können sich durch die anschaffungskostenorientierte Bewertung stille Reserven bilden,644 die Informationsasymmetrien zwischen der Unternehmensleitung und den Kapitalgebern hervorrufen und dem Zweck der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen damit zuwiderlaufen.645
Im Vergleich zu den Anschaffungskosten wird dem Fair Value vielfach eine höhere Relevanz für die Darstellung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens beigemessen.646 Der Vorteil des Fair Value wird in seiner Eigenschaft als Bindeglied zwischen der externen Rechnungslegung und den Kapitalmärkten gesehen. Unter Verwendung aktueller Marktinformationen wird eine Bewertung auf Grundlage der erwarteten Cashflows vorgenommen.647 Diese zukunftsorientierte Betrachtung wird den Informationsbedürfnissen der Bilanzadressaten besser gerecht, da sich deren Interesse ebenfalls auf die Einschätzung der Höhe, der zeitlichen Verteilung und der Unsicherheit der erwarteten künftigen Zahlungsströme konzentriert.648 Die allgemeine Kritik am Fair Value, dass die zugrunde gelegten Zahlungsströme für das bilanzierende Unternehmen keine unmittelbare Relevanz aufweisen, da sie von den erwarteten unternehmensindividuellen Zahlungsströmen abweichen können,649 ist mit Ausnahme von strategischen Beteiligungen nicht auf Finanzinstrumente übertragbar,650 da sie im Gegensatz zu den meisten übrigen Bilanzposten nicht den leistungswirtschaftlichen Risiken aus dem Produktions- und Absatzprozess des bilanzierenden Unternehmens unterliegen.651
643 644
645 646 647 648 649 650 651
Vgl. Bieker (2006), S. 22 f. Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 340; Kübler (1995), S. 365. Zur Ablehnung stiller Reserven als Globalvorsorge vgl. Müller-Wiegand (1988), S. 1921; Strobl (1996), S. 409. Zu den informationellen Nachteilen stiller Reserven für Investoren und Gläubiger siehe Abschnitt 2.2.3.2. Vgl. stellvertretend statt vieler Barth (1994), S. 23; Chambers (1966), S. 91 f.; Shim/Larkin (1998), S. 40. Vgl. Niemeyer (2003), S. 34; S. Siegel (1997), S. 83; Willis (1998), S. 854. Vgl. Bieker (2006), S. 20 f.;. Vgl. beispielhaft Thiele (2007), S. 636. Vgl. Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 733 f. Vgl. Esser (2004), S. 26. Hierbei darf die Nutzung von Synergieeffekten zur Steigerung der erwarteten Zahlungsüberschüsse nicht mit der Bildung von Portfolios für Diversifikationszwecke verwechselt werden. Letzteres reduziert lediglich das Risiko einer Investition, ohne die erwarteten Zahlungsüberschüsse zu verändern. Vgl. hierzu Schmidt (2005), S. 196-199.
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Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Zwischen der Relevanz und der Verlässlichkeit besteht unzweifelhaft eine Wechselwirkung (Trade-off). Es wurde bereits herausgearbeitet,652 dass nur diejenigen relevanten Informationen auch tatsächlich entscheidungsnützlich sind, die auch das erforderliche Mindestmaß an Verlässlichkeit aufweisen. Hinsichtlich des Verlässlichkeitsgrads ist in Bezug auf Finanzinstrumente zwischen Marktpreisen und der Anwendung von Bewertungsmethoden zu differenzieren. Marktpreisen wird eine höhere Verlässlichkeit zugestanden, weil diese Preise durch den Markt objektiviert sind und folglich „diese Form der Bewertung nur geringe Ermessensspielräume eröffnet“653. Anders verhält es sich mit der Anwendung von Bewertungsmethoden. Methoden, die sich an Vergleichspreisen orientieren, verlieren durch die notwendigen Anpassungen bereits an Objektivität.654 Die geringste Verlässlichkeit wird jedoch Bewertungsmodellen zugeschrieben.655
Innerhalb der internationalen Rechnungslegung deutet sich hinsichtlich des Erfordernisses der Verlässlichkeit von Jahresabschlussinformationen eine substantielle Veränderung an. Im Zuge einer grundlegenden Überarbeitung des Rahmenkonzepts hat der IASB in Zusammenarbeit mit dem FASB am 29. Mai 2008 einen Entwurf zum ersten Teil eines überarbeiteten Rahmenkonzepts veröffentlicht.656 Eine inhaltliche Veränderung zeichnet sich dabei nicht nur durch die Umbenennung des Grundsatzes der Verlässlichkeit in den Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung (Faithful Representation) ab,657 sondern auch durch die deutliche Vereinfachung der Sekundärgrundsätze, die nach dem Entwurf künftig auf die Forderung nach Vollständigkeit und Neutralität reduziert werden sollen.658 Die im vorangegangenen Diskussionspapier vom 6. Juli 2006 für die glaubwürdige Darstellung als Sekundärgrundsatz angesetzte Nachprüfbarkeit (Verifiability) wurde in dem nachfolgenden Entwurf von einer notwendigen Voraussetzung zu einem komplementären Kriterium für die Entscheidungsnützlichkeit verwandelt, dessen Erfüllung die Qualität einer Informa-
652 653
654 655 656 657
658
Siehe hierzu Abschnitt 2.3.3.2. Kessler (2005), S. 65. Vgl. auch Busse von Colbe (1984), S. 44 f.; Poole/Wild (2001), S. 66; Schildbach (1998), S. 587. Vgl. Streim/Bieker/Esser (2005), S. 102 f. Vgl. Bieker (2006), S. 194. Vgl. IASB (2008a). Vgl. hierzu Wagenhofer (2009), S. 139, der darin Ausdruck einer tendenziell geringeren Anforderung an die Verlässlichkeit von Wertansätzen sieht. Vgl. auch Lüdenbach/Hoffmann (2009), Rn. 18. Vgl. hierzu IASB (2008a), Rn. QC7. Zu den qualitativen Anforderungen des Rahmenkonzepts der IFRS und den Sekundärgrundsätzen zur Verlässlichkeit siehe Abschnitt 2.2.2.2.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
115
tion erhöht.659 Der Verzicht auf den Sekundärgrundsatz der Nachprüfbarkeit begünstigt die Anwendung von Bewertungsmethoden, da in Zweifelsfragen ihr Gebrauch insbesondere mit der Anforderung der Nachprüfbarkeit schwierig zu vereinbaren ist.660
3.4.2.3 3.4.2.3.1
Vergleichbarkeit der Jahresabschlussinformationen Informationelle Schwächen des Mixed Model
Aus den mit einem Mixed Model verbundenen Schwierigkeiten ergeben sich weitere Gründe, die in Bezug auf Finanzinstrumente vor allem nach Ansicht des IASB für den sogenannten Full Fair Value-Ansatz sprechen.661 Zwei wesentliche Schwächen des Mixed Model resultieren aus der parallelen Anwendung verschiedener Wertmaßstäbe. Wie bereits erörtert,662 bestehen diese zum einen in der mangelnden Abbildung von Sicherungsbeziehungen und zum anderen in der Eröffnung von Bewertungswahlrechten. Gegenwärtig wird sowohl im Handelsbilanzrecht als auch innerhalb der IFRS versucht, durch spezielle Vorschriften (Hedge Accounting) die bilanzielle Darstellung von Sicherungsbeziehungen zu ermöglichen. Im Rahmen eines Full Fair Value-Ansatzes wäre ein Großteil dieser Regelungen obsolet, da alle Marktpreisänderungen unmittelbar Eingang in den Jahresabschluss finden.663 Auch die bilanzpolitische Ausnutzung der Möglichkeit einer unterschiedlichen Bilanzierung des gleichen Sachverhalts in Abhängigkeit vom herangezogenen Wertmaßstab wird bei einem Full Fair Value-Ansatz unterbunden. Mit einer strikten Bewertung aller Finanzinstrumente zum Fair Value könnten beide Probleme somit weitgehend ausgeräumt werden.
3.4.2.3.2
Eingeschränkter Nutzen außerbilanzieller Angaben
Im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion über die Zweckmäßigkeit des Fair Value wird von Teilen des Schrifttums als Kompromiss dessen ergänzende Angabe im Anhang
659 660 661
662 663
Vgl. IASB (2006), Rn. QC15; Gassen/Fischkin/Hill (2008), S. 878 f. Vgl. Thiele (2007), S. 639. Bereits 1997 sprach sich das IASC für den Full Fair Value-Ansatz aus. Vgl. Joint Working Group of Standard Setters (1997). Vgl. auch Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 729; Schruff (1993), S. 119. Siehe hierzu Abschnitt 3.3. Vgl. Bieker (2006), S. 195.
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Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
vorgeschlagen.664 Den Bilanzadressaten kann auf diese Weise die Information über die Fair Values der Finanzinstrumente zur Verfügung gestellt werden, ohne die nach Ansicht von Kritikern bestehenden Nachteile einer marktwertorientierten Bewertung in Kauf nehmen zu müssen. Es werden in der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung keine Werte angesetzt, deren Verlässlichkeit in Abhängigkeit von der Ermittlungsweise gegebenenfalls fraglich ist und die durch ihre Volatilität teilweise die Aussagekraft des Jahresüberschusses mindern.
Die außerbilanzielle Berücksichtigung von Fair Values wird häufig durch die (teilweise nur implizit getroffene) Annahme eines nahezu mittelstreng informationseffizienten Markts rechtfertigt. International wird die Diskussion über die Bedeutung der Darstellungsform als „Recognition versus Disclosure Debate“ bezeichnet.665 Demnach ist es in informationseffizienten Kapitalmärkten irrelevant, ob eine Information Eingang in die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung findet oder ausschließlich im Anhang des Jahresabschlusses offengelegt wird.666 „Anleger vermögen aus den offengelegten Informationen bei Bedarf entsprechende aggregierte Ergebnis- und Vermögensgrößen selbst zu berechnen.“667
Von einer tatsächlichen Irrelevanz der Darstellungsform kann nur unter Ausklammerung von Informationskosten ausgegangen werden.668 Die Aufbereitung bzw. Korrektur der Vermögens- und Gewinngrößen, um mit Hilfe außerbilanzieller Angaben den Effekt abzuschätzen, den eine marktwertorientierte Bewertung von Finanzinstrumenten auf den Jahresabschluss hätte, kann jedoch mit erheblichen Kosten verbunden sein.669 Zudem werden speziell nichtinstitutionelle Investoren und Gläubiger häufig nicht über ausreichende Ressourcen für eine analytische Einbindung der Angaben zu den Fair Values von
664
665 666 667 668 669
Im Handelsbilanzrecht werden gemäß § 285 Nr. 18 bis 20 HGB bzw. § 314 Abs. 1 Nr. 10 bis 12 und in der internationalen Rechnungslegung weit detaillierte Angaben gemäß IFRS 7 zum Fair Value von Finanzinstrumenten verlangt. Vgl. hierzu Hirshleifer/Teoh (2003), S. 338-341. Vgl. Beaver (1973), S. 54; Hitz (2005), S. 254; Wagenhofer/Ewert (2007), S. 94. Hitz (2005), S. 254. Vgl. Barth/Clinch/Shibano (2003), S. 583. Vgl. hierzu Hitz (2005), S. 254.
Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
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Finanzinstrumenten verfügen.670 Folglich ist eine bilanzielle Berücksichtigung des Fair Value gegenüber einer außerbilanziellen Angabe zu präferieren.671
3.5
Zwischenergebnis
In beiden Rechnungslegungssystemen werden zur bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten verschiedene Wertmaßstäbe angewandt. Das tradierte Anschaffungskostenprinzip führt speziell in Bezug auf derivative Finanzinstrumente zu einer fragmentarischen bilanziellen Abbildung. Zur Bewertung von Finanzinstrumenten wird mit Verweis auf den höheren Informationsgehalt daher verstärkt auf den Fair Value zurückgegriffen, jedoch ist die Entscheidungsnützlichkeit der marktwertorientierten Bewertung von einer Wechselwirkung zwischen Relevanz und Verlässlichkeit geprägt. Die Verlässlichkeit des Fair Value reduziert sich erheblich, sobald der Wert nicht auf beobachtbaren Marktpreisen, sondern auf Bewertungsmethoden basiert. Aber auch die parallele Anwendung von unterschiedlichen Wertmaßstäben ist mit nicht verkennbaren Problemen wie die unzureichende Abbildung von Sicherungsbeziehungen und die Schaffung von Bewertungswahlrechten verbunden.
Die Analyse der handelsrechtlichen sowie internationalen Rechnungslegungsvorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten hat elementare Fragen aufgeworfen. So ist innerhalb des Mixed Model nicht immer eindeutig geregelt, in welchem Verhältnis die anschaffungskostenorientierte Bewertung und der Fair Value zueinander stehen. Speziell in Bezug auf das Handelsbilanzrecht wird im Schrifttum oftmals die Wertermittlungskonzeption des Anschaffungskostenprinzips in Verbindung mit dem Niederstwertprinzip als eine imparitätische Fair Value-Bewertung beschrieben. Eine tatsächliche Übereinstimmung der 670
671
Vgl. hierzu Dohrn (2004), S. 59-63 m.w.N. Zur intermediären Funktion der Finanzanalysten vgl. Löffler (1998), S. 128; Moizer/Arnold (1984), S. 341. Diese Sichtweise deckt sich auch mit empirischen Ergebnissen. Die Studie von Aboody stellt eine Abhängigkeit der Reaktion des Kapitalmarkts auf Wertminderungen von der Art der Berücksichtigung dieser Informationen im Jahresabschluss (außerplanmäßige Abschreibung oder Offenlegung der Information) fest. Vgl. Aboody (1996), S. 30. Die Ergebnisse von Ahmed/Kilic/Lobo sprechen ebenfalls gegen eine Irrelevanz. Sie untersuchten mögliche Veränderung bei der Beurteilung derivativer Finanzinstrumente amerikanischer Banken durch die Investoren. Nach den US-GAAP war es vor der Verabschiedung des für Geschäftsjahre ab dem 15. Juni 2000 geltenden SFAS No. 133 möglich, den Fair Value mancher Derivate ausschließlich im Rahmen der außerbilanziellen Offenlegung zu berücksichtigen. Mit SFAS No. 133 wurden alle Derivate zu ihrem Fair Value bilanzierungspflichtig. Vgl. Ahmed/Kilic/Lobo (2006), S. 585. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen auch Barth/Clinch/Shibano. Vgl. Barth/Clinch/Shibano (2003), S. 603 f.
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Analyse der Vorschriften zur Bewertung von Finanzinstrumenten nach HGB und IFRS
Wertermittlungskonzeption des beizulegenden Werts und des Fair Value kann aus dem Gesetzeswortlaut nur im Bezug auf das Umlauflaufvermögen geschlossen werden. Hier hätte der Gesetzgeber im Rahmen der Bilanzrechtsmodernisierung in § 253 Abs. 4 HGB eine entsprechende Anpassung durchführen und den niedrigeren beizulegenden Wert durch den niedrigeren beizulegenden Zeitwert bzw. Fair Value ersetzen sollen. Diese Veränderung mit rein deklaratorischem Charakter hätte erheblich zur Klarheit beigetragen respektive vergegenwärtigt, dass es sich beim beizulegenden Wert von Finanzanlagen um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, während der beizulegende Wert des Umlaufvermögens einem den Buchwert unterschreitenden Fair Value entspricht.
Des Weiteren hat die Analyse gezeigt, dass eine Unternehmenswertapproximation im Wege eines Full Fair Value-Ansatzes aufgrund der Objektivierungserfordernisse, die an den Jahresabschluss gestellt werden, nicht Zweck der Rechnungslegung sein kann. Zugleich lässt sich aus den allgemeinen Argumenten zugunsten des Fair Value mit Ausnahme von Derivaten noch nicht konkretisieren, welche weiteren Finanzinstrumente der marktwertorientierten Bewertung unterliegen sollten. Dazu ist im Folgenden eine Einbeziehung der im zweiten Abschnitt gewonnenen Erkenntnisse über den Informationszweck der Rechnungslegung erforderlich.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
4
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Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
4.1 4.1.1 4.1.1.1
Wertminderungen im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung von Finanzinstrumenten Ermittlung von Wertminderungen der Finanzinstrumente im Allgemeinen Handelsrechtliche Abgrenzung dauernder Wertminderungen
Aus dem Wortlaut der handelsrechtlichen Vorschriften zur Folgebewertung von Vermögensgegenständen lässt sich in Bezug auf das Umlaufvermögen ableiten, dass der niedrigere beizulegende Wert auf Basis des Fair Value zu ermitteln ist, während bei Finanzanlagen offen gelassen wird, welcher Vergleichswert zur Prüfung des Vorliegens einer Wertminderung heranzuziehen ist.672 Nach vielfach geäußerter Kommentarmeinung entspricht der nach dem Niederstwertprinzip beizulegende Wert des Anlagevermögens einem niedrigeren Wiederbeschaffungswert, der bei aktiv gehandelten Finanzinstrumenten dem Marktpreis gleicht.673 Sofern kein Marktpreis verfügbar ist, kann dieser mithilfe von Bewertungsmethoden näherungsweise bestimmt werden.674 Folglich ist zur Feststellung von Wertminderungen in Bezug auf Finanzanlagen analog zum Umlaufvermögen grundsätzlich der Fair Value heranzuziehen. Im Gegensatz zum Umlaufvermögen ist eine Abschreibung jedoch nur bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zwingend erforderlich.
Für die Abgrenzung zwischen dauernden und nicht dauernden Wertminderungen von Finanzinstrumenten des Anlagevermögens werden sowohl quantitative als auch qualitative Kriterien herangezogen.675 Quantitativ ist das Sinken des Fair Value unter den Buchwert mit steigender Differenz als auch mit zunehmender Dauer ein Indikator für eine dauernde Wertminderung.676 Für die Prüfung der Dauerhaftigkeit der Wertminderungen von 672 673
674 675
676
Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.4.1. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz (1995), § 253 HGB, Rn. 459; Kusterer (2007), § 253 HGB, Rn. 24; Siegel/Schmidt (2005), Rn. 189; Thiele/Breithaupt (2002), § 253 HGB, Rn. 311; Walz (1999), § 253 HGB, Rn. 74. Eine entsprechende Auffassung in Bezug auf nicht abnutzbare Vermögensgegenstände des Anlagevermögens im Allgemeinen vertritt auch Ballwieser (2008), § 253 HGB, Rn. 52. Vgl. Ballwieser (2008), § 253 HGB, Rn. 52. Die wichtigsten Kriterien sind im IDW RS VFA 2 enthalten, einer Stellungnahme des Versicherungsfachausschusses des IDW. Sie findet über die Grenzen der Versicherungswirtschaft hinaus Beachtung. Vgl. hierzu Fey/Mujkanovic (2003), S. 213; Krumnow u.a. (2004), S. 374. Die Korrelation mit entsprechenden Indexwerten erlaubt Rückschlüsse darauf, ob sich die Entwicklung des Fair Value des betreffenden Finanzinstruments mit der allgemeinen Marktentwicklung erklären lässt.
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Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Finanzanlagen dürfen nach teilweise vertretener Auffassung auch Marktentwicklungen einbezogen werden, die sich erst nach dem Bilanzstichtag ergeben.677 Demzufolge bietet ein nach dem Stichtag wider Erwarten steigender Marktpreis des Finanzinstruments einen eindeutigen Hinweis darauf, dass die vor dem Stichtag getroffene Einschätzung einer dauernden Wertminderung nicht angemessen war; eine aus ökonomischer Sicht kaum vertretbare Sichtweise, schließlich beruhen die späteren Marktpreisänderungen auf einer anderen Informationsbasis und haben folglich wertbegründenden Charakter.678
Eine solche quantitative vergangenheitsorientierte Betrachtung reicht für eine fundierte Beurteilung jedoch nicht aus. Unabhängig davon, ob Marktpreise existieren, bedarf es zwingend der Einbeziehung von qualitativen Kriterien. So hängt beispielsweise der Wert eines jeden Finanzinstruments immanent von der Einschätzung der finanziellen Stabilität des Emittenten ab. Daher muss neben der Geschäfts- und Branchensituation insbesondere die Bonität des Emittenten ermittelt werden. Eine wesentliche Erhöhung der Insolvenzwahrscheinlichkeit ist ein eindeutiges Indiz für eine dauernde Wertminderung, aber auch erwartete künftige Ausfälle sowie latente Risiken werden im Handelsbilanzrecht berücksichtigt.679 Eine dauerhafte Wertänderung wird im Handelsbilanzrecht auch generell den Marktpreisschwankungen aus Wechselkursen unterstellt. Die mit den aktuellen Wechselkursen umgerechneten Zahlungsströme werden nach handelsrechtlichem Verständnis als die objektiv beste Schätzung angesehen. Gemäß § 256a HGB sind auf fremde Währung lautende Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten zu dem am Bilanzstichtag geltenden Devisenkassamittelkurs umzurechnen.680 Dabei ist aus Vereinfachungsgründen 677
678
679
680
Die sich nach dem Bilanzstichtag an einem aktiven Markt ergebenden Preise, stellen für die Bewertung von Finanzinstrumenten grundsätzlich wertbegründende Informationen dar. Letztere dürfen bilanziell nicht berücksichtigt werden, weil sich die zugrunde liegenden Informationen auf Ereignisse beziehen, die sich erst nach dem Bilanzstichtag ergeben haben. Nach teilweise vertretener Auffassung gilt dies nicht für eine Beurteilung der Dauerhaftigkeit einer Wertminderung, demzufolge wäre die Entwicklung von Marktpreisen bis zur Bilanzerstellung werterhellend. Vgl. IDW RS VFA 2, Rn. 17; Selchert (2002), Rn. 78-80. Vgl. Fey/Mujkanovic (2003), S. 213; Hommel/Berndt (2000b), S. 1309 f.; Patek (2008), S. 695. Dieser Auffassung folgt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Vgl. BFH-Urteil vom 26.9.2007 (I R 58/06), S. 551 f. Für akute Risiken werden Einzelwertberichtigungen vorgenommen, während für latente Risiken nur Pauschalwertberichtigungen möglich sind, da das Ausfallrisiko im Einzelfall noch nicht erkennbar oder exakt belegbar ist. Doch nicht alle latenten Risiken werden passiviert. Beispielsweise dürfen für das allgemeine Konjunkturrisiko keine Pauschalwertberichtigungen gebildet werden. Vgl. hierzu Krumnow u.a. (2004), S. 432 f. Aus Vereinfachungsaspekten wurde auf eine Differenzierung zwischen Geld- und Briefkursen verzichtet. Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 113.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
121
nur bei einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr die Anschaffungskostenobergrenze zu beachten. Sofern nach qualitativen Kriterien eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliegt, ist eine Abschreibung unabhängig von den quantitativen Kriterien obligatorisch.
4.1.1.2
Wertminderungen nach IAS 39
Eine prinzipiell anschaffungskostenorientierte Bewertung findet nach IAS 39 auf Schuldinstrumente Anwendung, die entweder der Bewertungskategorie der Kredite und Forderungen oder der bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen zugeordnet sind. Bei einer Bewertung zu Anschaffungskosten hat das Unternehmen an jedem Bilanzstichtag zu prüfen, ob Hinweise auf das Vorliegen einer Wertminderung bestehen.681 In IAS 39 wird explizit darauf hingewiesen, dass ein Sinken des Fair Value unter die fortgeführten Anschaffungskosten kein hinreichender Grund für die Abschreibung eines zu Anschaffungskosten bewerteten Finanzinstruments ist.682 Stattdessen wird eine Fokussierung auf die für das Unternehmen relevanten Cashflows vorgenommen. Demnach sind Abschreibungen nur für Risiken zulässig, die tatsächlich einen Einfluss auf die vom Unternehmen erwarteten künftigen Zahlungsströme des Finanzinstruments haben.683 Hierunter werden unter anderem erhebliche finanzielle Schwierigkeiten respektive eine wesentlich erhöhte Insolvenzwahrscheinlichkeit des Schuldners bzw. Emittenten, Verzug oder Ausfall von Zins- und Tilgungszahlungen oder das Verschwinden eines aktiven Markts für das betreffende Finanzinstrument infolge finanzieller Schwierigkeiten subsumiert.
Sofern Hinweise für eine Wertminderung bestehen, wird die Höhe der Wertminderung anhand eines Vergleichs zwischen dem Buchwert und dem Barwert der erwarteten künftigen Zahlungsströme unter Verwendung des ursprünglichen Effektivzinssatzes festgestellt.684 Eine Besonderheit von IAS 39 im Rahmen der Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten resultiert aus dem sogenannten Incurred Loss-Ansatz. Demnach sind bei der Ermittlung der Abschreibungshöhe nur die bis zum Bilanzstichtag bereits eingetroffenen Ausfallereignisse zu berücksichtigen, während künftige noch nicht erlittene Kreditausfälle ungeachtet ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit nicht in die Bewertung einbe681 682 683 684
Siehe IAS 39.58. Siehe IAS 39.60. Hierzu kritisch vgl. Baetge (2009), S. 17. Siehe IAS 39.59. Siehe IAS 39.63.
122
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
zogen werden dürfen.685 Nach IFRS werden zudem bei der Ermittlung der Abschreibungshöhe Barwerte angesetzt.686
Zwar werden Eigenkapitalinstrumente bzw. Anteilsrechte nach IAS 39 – eine verlässliche Ermittelbarkeit vorausgesetzt – zwingend zum Fair Value bewertet, doch innerhalb der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte wird zwischen erfolgsneutral zu bilanzierenden Marktpreisschwankungen und Wertminderungen (Impairment) differenziert. Letzteres bedingt eine erfolgswirksame Erfassung des entsprechenden Wertverlusts.687 Die Abgrenzung, wann keine Marktpreisschwankung mehr vorliegt, sondern eine Wertminderung eingetreten ist, soll sich primär an objektiven Kriterien orientieren. IAS 39 verweist in dem Zusammenhang auf die zu Beginn dieses Abschnitts bereits erörterten qualitativen Kriterien zur Feststellung einer wesentlichen Verschlechterung der Bonitätslage des Emittenten.688
Die in IAS 39 genannten Hinweise zielen allein auf das Erkennen einer wesentlichen Zunahme des Bonitätsrisikos des Schuldners ab.689 Daraus ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen, dass sich die Vornahme von Wertminderungen auf das Bonitätsrisiko beschränkt. Die Bilanzierung von Gewinnen und Verlusten, die sich aus der Währungsumrechnung zum Stichtagskurs ergeben, ist Gegenstand von IAS 21. Demnach sind mit Ausnahme von zu historischen Anschaffungskosten bewerteten Eigenkapitalinstrumenten die Umrechnungsdifferenzen von Finanzinstrumenten stets erfolgswirksam zu behandeln, ohne dass eine Anschaffungskostenobergrenze existiert.690
685 686
687 688 689 690
Siehe IAS 39.59 sowie IAS 39.63. Vgl. auch Kuhn/Scharpf (2006), S. 294 f. Alle künftig vom Schuldner erbrachten Zahlungen werden als Tilgungen verrechnet und die Fortschreibung des Barwerts zum nächsten Abschlussstichtag als Zinsertrag verbucht. Dieses Vorgehen wird als „Unwinding“ bezeichnet. Siehe IAS 39.AG93. Vgl. hierzu auch Kuhn/Scharpf (2006), S. 317. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.3.2. Siehe IAS 39.67 i.V.m. IAS 39.59. Vgl. Goldschmidt/Weigel (2009), S. 194. Siehe IAS 39.AG83 i.V.m. IAS 21.23(a) sowie IAS 21.28. Gemäß IAS 21.16 ist zwischen monetären und nichtmonetären Posten zu differenzieren. In Bezug auf Finanzinstrumente stellen ausschließlich die Eigenkapitalinstrumente keine monetären Posten dar. Nichtmonetäre Posten, die zu historischen Anschaffungskosten bilanziert werden, sind gemäß IAS 21.23(b) zum historischen Kurs zum Zeitpunkt ihrer Anschaffung umzurechnen. Vgl. hierzu auch Kuhn/Scharpf (2006), S. 167.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
4.1.2 4.1.2.1
123
Bilanzielle Behandlung der Zinsänderungsrisiken von Schuldinstrumenten Bedingte Einbeziehung von Zinsänderungsrisiken nach HGB
Finanzielle Forderungen sind grundsätzlich nach dem für das Umlaufvermögen geltende strenge Niederstwertprinzip zu bewerten. Die Auffassung stützte sich für Banken auf die institutsspezifischen Vorschriften des HGB, wonach Forderungen in der Regel nach den für das Umlaufvermögen geltenden Vorschriften691 zu bewerten sind.692 Für die übrigen Unternehmen beruht ein Großteil der finanziellen Forderungen aus Ansprüchen, die sich aus Lieferung und Leistung ergeben und damit als Bestandteil der Absatzkette ebenfalls dem Umlaufvermögen zugeordnet werden.693 Folglich ist ein Großteil der finanziellen Forderungen branchenübergreifend nach dem für das Umlaufvermögen geltende strenge Niederstwertprinzip zu bilanzieren.
Das strenge Niederstwertprinzip verlangt eine zwingende Abschreibung auf einen niedrigeren Fair Value,694 der bei fehlenden beobachtbaren Marktpreisen dem zu aktuellen Marktkonditionen ermittelten Barwert entspricht und folglich von den erwarteten künftigen Zahlungsströmen sowie dem verwendeten Diskontierungssatz abhängt. Die Diskontierung wird mit dem aktuellen Marktzinssatz für Kredite gleicher Bonität und Laufzeit vorgenommen, sodass der Fair Value einer festverzinslichen Forderung in Abhängigkeit von der jeweiligen Zinsentwicklung schwankt.695 Demzufolge wären Forderungen stets außerplanmäßig auf einen den Buchwert unterschreitenden Fair Value abzuschreiben.696
691
692
693
694 695
696
Banken unterliegen gemäß § 340e Abs. 1 HGB den allgemeinen Bewertungsvorschriften für Kapitalgesellschaften. Sie sind gemäß § 340a Abs. 2 HGB lediglich hinsichtlich des bilanziellen Ausweises von der Unterscheidung zwischen Anlage- und Umlaufvermögen ausgenommen. Aus dieser Besonderheit folgt in Bezug auf Banken die Bezeichnung der wie Anlage- bzw. wie Umlaufvermögen bewerteten Vermögensgegenstände. Der Gesetzgeber hat diese institutsspezifische Besonderheit mit der Begründung eingeführt, dass es bei Kreditinstituten kaum dem Geschäftsbetrieb dauerhaft dienende Vermögensgegenstände gebe. Vgl. hierzu BT-Drs. 11/6275, S. 22. Siehe § 340e Abs. 1 Satz 2 HGB. Zur Anwendung der für das Anlagevermögen geltenden Vorschriften kommt es in Bezug auf Forderungen, die Bestandteil der Liquiditätsreserve sind oder der dauernden Vermögensanlage dienen. Vgl. hierzu Böcking/Löw/Wohlmannstetter (2008), § 340e HGB, Rn. 10. Vgl. hierzu Adler/Düring/Schmaltz (1995), § 253 HGB, Rn. 531; Ellrott/Ring (2006), § 253 HGB, Rn. 559; Karrenbauer/Döring/Buchholz (2003), § 253 HGB, Rn. 59. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.4.1. Neben der Höhe der Marktzinsänderung ist hierbei der Festschreibungszeitraum des fixen Zinssatzes der Forderung maßgeblich. Vgl. Mathiak (1990), S. 692 f. Vgl. Gebhardt/Strampelli (2005), S. 512; Merkt (2003), § 253 HGB, S. 872.
124
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Die handelsrechtliche Bilanzierungspraxis folgt einer abweichenden Auslegung des beizulegenden Werts. Nach überwiegender Meinung ist bei der Beurteilung, ob gemäß dem Niederstwertprinzip die Notwendigkeit zur Abschreibung einer Forderung besteht, ausschließlich das Bonitätsrisiko zu betrachten.697 Die Zinsänderungsrisiken bleiben somit unberücksichtigt.698 Dieses Vorgehen stützt sich unter anderem auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesfinanzhofs, nach der Abschreibungen für Zinsänderungen nur erlaubt sind, wenn mit Blick auf die Refinanzierung der vergebene Kredit tatsächlich einen Wertverlust erlitten hat.699 Eine außerplanmäßige Abschreibung einer Forderung auf einen aufgrund von Zinsänderungsrisiken niedrigeren Fair Value wird damit prinzipiell abgelehnt. Der Erste Senat des BFH sah in seiner Entscheidung keinen Verstoß gegen das Einzelbewertungsprinzip, da in diesem Zusammenhang ein begründeter Ausnahmefall im Sinne des § 252 Abs. 2 HGB vorliege. Die Refinanzierungskonditionen seien eine wertbildende Eigenschaft der Forderung, aus diesem Grund könne eine Beurteilung des Zinsänderungsrisikos nicht unabhängig von der Refinanzierung erfolgen.
Die Zugrundelegung des Fair Value bei der Ermittlung eines niedrigeren beizulegenden Werts und die damit implizite Berücksichtigung von Zinsänderungsrisiken ist nur im Falle einer konkreten Absicht zur Veräußerung der Forderung als sachgerecht zu erachten.700 Bei Vorliegen einer Veräußerungsabsicht ist das Abstellen auf einen den Buchwert unterschreitenden Fair Value angemessen,701 da der originäre Kreditgeber bei einer nachteiligen Marktentwicklung (Anstieg des Marktzinssatzes) von einem potentiellen Käufer höchstens den Fair Value im Sinne des marktgerecht ermittelten Barwerts erhalten würde. Aus ökonomischer Sicht dient ein solcher Abschlag dem Käufer der Forderung als Ausgleich für das Akzeptieren von Bedingungen, die im Vergleich zu den aktuellen Marktkonditionen für ihn nachteilig sind (Zinserträge unterhalb der aktuellen Marktkonditionen). Unter der Voraussetzung einer Veräußerungsabsicht bedingt das Imparitätsprinzip eine außerplanmäßige Abschreibung der betreffenden Forderung. 697
698 699
700 701
Vgl. hierzu unter anderem Bieg (2000), Rn. 236-255; Gebhardt/Strampelli (2005), S. 512; IDW (2006), S. 804 f.; Hennrichs (2006), S. 700; Krumnow u.a. (2004), S. 465 f.; Scharpf (2004), S. 110-115. Vgl. Hommel/Berndt (2000a), S. 1751; IDW RH HFA 1.014, Rn. 26. Vgl. BFH-Urteil vom 24.1.1990 (I R 157/85, I R 145/86), S. 639. Vgl. hierzu auch Mathiak (1990), S. 691 f. Vgl. IDW RH HFA 1.014, Rn. 28; Scharpf (2004), S. 125. Die Veräußerungsabsicht hat nur in besonderen Fällen eine Umwidmung ins Umlaufvermögen zur Folge. Vgl. hierzu Häuselmann (2008), S. 2620; Krumnow u.a. (2004), S. 371 f.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
4.1.2.2
125
Keine Berücksichtigung von Zinsänderungsrisiken nach IAS 39
Schuldinstrumente können nach IAS 39 unabhängig davon, ob ein aktiver Markt für sie existiert, zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden.702 Wie bereits erläutert, wird dem Fair Value der betreffenden Finanzinstrumente dabei keine direkte Relevanz beigemessen, da die Werthaltigkeitsprüfung im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung auf dem Incurred Loss-Ansatz basiert.703 Demnach werden nur diejenigen Wertänderungen bilanziell berücksichtigt, die einen Einfluss auf die erwarteten künftigen Zahlungsströme des Unternehmens haben, wie beispielsweise eine Verschlechterung der Bonität des Schuldners. Eine Veränderung des aktuellen Marktzinssatzes für Kredite gleicher Bonität und Laufzeit wirkt sich innerhalb des Festschreibungszeitraums einer festverzinslichen Forderung hingegen nicht auf die erwarteten künftigen Zahlungsströme aus, sondern nur auf dessen zwischenzeitlichen Marktpreis. Mit abnehmender Restlaufzeit konvergiert der Fair Value eines Kredits oder einer Anleihe gegen den Nominalbetrag; ein in der Finanztheorie als Pull to Par-Effekt bezeichneter Zusammenhang.704 Demzufolge bleiben nach IFRS die auf Veränderungen des relevanten Marktzinssatzes zurückzuführenden Schwankungen des Fair Value bei der anschaffungskostenorientierten Bewertung prinzipiell unberücksichtigt.
Für die zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanzierten Forderungen, die an einem aktiven Markt gehandelt werden, hat eine nachträgliche Veräußerungsabsicht zur Konsequenz, dass das betreffende Finanzinstrument in die Bewertungskategorie der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte umzuwidmen ist.705 Der Wechsel der Bewertungskategorie zu einer auf dem Fair Value basierenden Bewertung führt zu einer Berücksichtigung der Gesamtheit der sich auf den Marktpreis auswirkenden Risiken, um auf diese Weise eine bestmögliche Annäherung an den voraussichtlichen Veräußerungspreis zu erreichen. Im Gegensatz zur imparitätischen Bewertung im Handelsbilanzrecht erfolgt nach IFRS durch die Umwidmung eine vollständige Fair Value-Bewertung.
702
703 704 705
Es handelt sich hierbei um die Bewertungskategorien der Forderungen und Kredite sowie der bis zur Fälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.3.2. Siehe hierzu Abschnitt 4.1.1.2. Vgl. EZB (2004), S. 83; Meister/Hillen (2004), S. 343 f. Siehe IAS 39.51. In diesem Zusammenhang kann die Tainting Rule nach IAS 39.52 zur Anwendung kommen. Siehe hierzu Abschnitt 3.2.3.2.
126 4.1.3 4.1.3.1
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Ertragswerte von Beteiligungen Handelsrechtlicher Stellenwert des Ertragswertverfahrens
Hinsichtlich der Beurteilung des beizulegenden Werts einer Beteiligung im Sinne von § 271 Abs. 1 HGB706 ist nach herrschender Meinung unabhängig von der Existenz eines aktiven Markts grundsätzlich das Ertragswertverfahren zu verwenden.707 Sogar bei Existenz eines aktiven Markts ist der Marktpreis somit nicht zwingend für die Ermittlung von Wertminderungen relevant.708 Ursächlich dafür ist neben dem für Finanzanlagen geltenden gemilderten Niederstwertprinzip der Anspruch, dass bei der Bewertung dem Nutzungspotenzial, den eine Beteiligung für das Unternehmen hat, Rechnung getragen werden soll.709 Im Rahmen der handelsrechtlichen Bewertung von strategischen710 Beteiligungen kann aufgrund der Einbeziehung von Synergieeffekten der anhand von Ertragswerten ermittelte beizulegende Wert von dem an einem aktiven Markt beobachtbaren Preis abweichen. Marktpreise dienen lediglich der Plausibilitätsbeurteilung der selbst ermittelten Unternehmenswerte.711
Durch
das
Abstellen
auf
subjektive
Ertragswerte
im
Rahmen
der
anschaffungskostenorientierten Bewertung werden zwei wesentliche Unterschiede zur Fair Value-Konzeption verursacht. Erstens beschränkt sich die Ermittlung des Fair Value anhand von Bewertungsmethoden auf diejenigen Finanzinstrumente, für die kein aktiver Markt besteht. Das Abstellen auf Ertragswerte bei Existenz eines aktiven Markts verstößt gegen die Fair Value-Konzeption.712 Zweitens entspricht – selbst wenn kein aktiver Markt existiert und Bewertungsmethoden verwendet werden müssen – der handelsrechtlich zulässige Ertragswert nicht dem auf der dritten Stufe der Fair Value-Konzeption durch 706
707
708 709 710
711
712
Einen Unterfall der Beteiligungen bilden nach § 271 Abs. 2 HGB die Anteile an verbundenen Unternehmen, die gesondert auszuweisen sind. Vgl. Coenenberg/Haller/Schultze (2009), S. 242; Schulze-Osterloh (1997), S. 608. Vgl. u.a. Adler/Düring/Schmaltz (1995), § 253 HGB, Rn. 464 f.; Karrenbauer/Döring/Buchholz (2003), § 253 HGB, Rn. 161; Hoyos/Gutike (2006), § 253 HGB, Rn. 402; Thiele/Breithaupt (2002), § 253 HGB, Rn. 314. Vgl. Förschle (2002), Sp. 336; Krumnow u.a. (2004), S. 289; Rehkugler (2002), Sp. 774. Vgl. auch Adler/Düring/Schmaltz (1995), § 253 HGB, Rn. 465. Hierdurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die durch die Beteiligung verfolgten Absichten über das Ziel einer Finanzanlage hinausgehen. So zielen strategische Beteiligungen häufig auf operative Verbundeffekte wie beispielsweise den Zugang zu Vertriebskanälen, Einkaufsvorteile oder Forschungsund Entwicklungskooperationen ab. Vgl. Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 733. Vgl. IDW RS HFA 10, Rn. 3 i.V.m. IDW S 1, Rn. 15. Zur abnehmenden Bedeutung von Marktpreisen für die Bewertung von Beteiligungen gemäß IDW S 1 vgl. Hommel/Pauly/Nagelschmitt (2007), S. 2729. Vgl. Hommel/Pauly/Nagelschmitt (2007), S. 2729.
127
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Anwendung von allgemein anerkannten Bewertungsmethoden ermittelten Wert. Zwar gelangen das Ertragswertverfahren und die international favorisierten Discounted Cash Flow-Verfahren unter Verwendung derselben Annahmen und Parameter grundsätzlich zu identischen Ergebnissen.713 Die zur handelsrechtlichen Bewertung von strategischen Beteiligungen angewandten Ertragswerte spiegeln jedoch regelmäßig einen subjektiven Unternehmenswert wider, da die für die Bewertung notwendigen Annahmen bezüglich der erwarteten künftigen Zahlungsströme aus Sicht des beteiligten Unternehmens getroffen werden.714 Das Ertragswertverfahren weicht insbesondere von den allgemeinen Markterwartungen ab, wenn in die erwarteten Zahlungsströme die Synergieeffekte sowie gegebenenfalls geplante Maßnahmen (z.B. Restrukturierungen) einbezogen werden.715
Ein subjektiver Unternehmenswert kann wesentlich vom Fair Value abweichen, da der Fair Value eine strikt marktwertorientierte Bewertung erfordert. Diesem Anspruch des Fair Value wird nur ein objektivierter Wert gerecht, der dem Wert des Unternehmens entspricht, so wie es steht und liegt bzw. den es für einen beliebigen Dritten darstellt.716 Genauer ausgedrückt, handelt es sich beim objektivierten Wert um einen typisierten Zukunftserfolgswert bei Fortführung des Unternehmens mit unverändertem Konzept auf sogenannter
Stand-Alone-Basis.717
Hinsichtlich
des
Ziels
der
Darstellung
der
wirtschaftlichen Lage des Unternehmens erscheint es konsequent, bei der Bewertung von strategischen Beteiligungen auf den subjektiven Ertragswert abzustellen, um die vom Unternehmen erwarteten künftigen Cashflows abzubilden. Trotzdem sollte sich die Bewertung auf die wirtschaftliche Lage zum Bilanzstichtag beschränken. Vor diesem Hintergrund
erscheint
die
Möglichkeit
der
Einbeziehung
von
künftigen
Synergiesteigerungen und geplanten (Restrukturierungs-)Maßnahmen kaum mit den GoB und hierbei insbesondere mit dem Realisationsprinzip vereinbar, schließlich werden dadurch noch nicht bestehende Wertzuwächse in den Jahresabschluss einbezogen.
713
714 715
716 717
Zu den notwendigen Prämissen vgl. Ballwieser (2005), S. 367; Drukarczyk (1995), S. 329-334. Siehe hierzu auch Abschnitt 2.3.2.4. Vgl. Busse von Colbe (1994), S. 597-599; Moxter (1983), S. 23; IDW RS HFA 10, Rn. 5-7. Eine Berücksichtigung von Synergieeffekten und geplanten Maßnahmen wird nur für den Fall ausgeschlossen, dass eine Veräußerungsabsicht besteht. Vgl. IDW RS HFA 10, Rn. 11-13. Eine genaue Auslegung des Begriffs „Veräußerungsabsicht“ existiert in diesem Zusammenhang nicht. Vgl. Kupke/Nestler (2003), S. 2674. Vgl. Böcking (1994), S. 1420. Vgl. Busse von Colbe (1994), S. 599 f.; IDW RS HFA 10, Rn. 4.
128 4.1.3.2
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Bewertung von Beteiligungen gemäß IAS 27
Eigenkapitalinstrumente werden nach IAS 39 zum Fair Value bewertet, sofern dieser Wert sich verlässlich ermitteln lässt.718 Die Möglichkeit einer anschaffungskostenorientierten Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten besteht lediglich für Anteile an Tochterunternehmen, gemeinsam geführten Unternehmen und assoziierten Unternehmen. Diese Beteiligungen fallen nicht in den direkten Anwendungsbereich von IAS 39, sondern sind nach IAS 27 im Einzelabschluss entweder zu fortgeführten Anschaffungskosten oder in Übereinstimmung mit IAS 39 zu bilanzieren.719 Im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung ist für die Ermittlung von Wertminderungen nicht IAS 39, sondern IAS 36 zugrunde zu legen.720 Im Gegensatz zu IAS 39 ist für diese Eigenkapitalinstrumente bei der Beurteilung der Werthaltigkeit des Buchwerts nach IAS 36 statt des Fair Value der erzielbare Betrag zugrunde zu legen.721
Der Unterschied zwischen der Bewertung von Beteiligungen nach IAS 27 i.V.m. IAS 36 und IAS 39 lässt sich am deutlichsten unter der Annahme aufzeigen, dass für die betreffenden Eigenkapitalinstrumente Marktpreise vorliegen. Die Zugrundelegung des erzielbaren Betrags führt zu einem Vergleich zwischen dem Marktpreis abzüglich der Verkaufskosten und dem Nutzungswert der Beteiligung. Der Nutzungswert ergibt sich aus dem Barwert der erwarteten künftigen Zahlungsströme unter Verwendung eines risikoadjustierten Diskontierungssatzes.722 Die Prognose der künftigen Zahlungsströme erfolgt auf Basis vernünftiger und vertretbarer Annahmen des Managements, dabei ist ein größeres Gewicht auf externe Erkenntnisse zu legen.723 So dürfen in die Schätzung keine Annahmen einbezogen werden, die auf eine Erhöhung der Ertragskraft des Unternehmens (künftige
718
719
720 721
722 723
Siehe hierzu IAS 39.9 i.V.m. IAS 39.AG80 f. Anteilsrechte können demnach in der Bewertungskategorie der erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewerteten finanziellen Vermögenswerte oder der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte enthalten sein. Siehe IAS 27.37(a) und (b). Im Gegensatz dazu verbietet Artikel 42a Abs. 4c der 4. EG-Richtlinie i.d.F. der Fair Value-Richtlinie die Bewertung von Tochtergesellschaften, assoziierten Unternehmen und Jointventures zum Fair Value. Vgl. Pottgießer (2006), S. 41. Dies ergibt sich aus IAS 27.37 i.V.m. IAS 36.4. Siehe IAS 36.6. Der erzielbare Betrag ist als der höhere der beiden Beträge aus Fair Value abzüglich der Verkaufskosten und Nutzungswert definiert. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.2.4.2. Siehe IAS 36.30-32. Vgl. hierzu auch Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn (2008), S. 260 f. Siehe IAS 36.33(a).
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
129
Synergien) oder auf geplante jedoch noch nicht verbindliche Restrukturierungsmaßnahmen beruhen.724
4.1.4 4.1.4.1
Informationsnutzen der anschaffungskostenorientierten Bewertung Grundsätzliche Unterscheidung zwischen Schuld- und Eigenkapitalinstrumenten
Unter der Voraussetzung nahezu mittelstreng informationseffizienter Märkte stellt mit Ausnahme von Beteiligungen ein Marktpreis den besten Schätzer für den Barwert der aus einem Eigenkapitalinstrument zu erwartenden Zahlungsströme dar,725 da alle öffentlich verfügbaren Informationen – hierzu zählen auch alle offengelegten Jahresabschlüsse und Zwischenberichte – in die Preisbildung einbezogen werden.726 Bei einer anschaffungskostenorientierten Bewertung wird der Fair Value nur bei einer Unterschreitung der historischen Anschaffungskosten berücksichtigt und der aktuelle Wert des Finanzinstruments somit asymmetrisch abgebildet. Die historischen Anschaffungskosten von Eigenkapitalinstrumenten weisen im Vergleich zum Fair Value eine geringere Relevanz auf, sofern der Fair Value über den Anschaffungskosten liegt, da den Bilanzadressaten der aktuelle Marktpreis der betreffenden Finanzinstrumente unbekannt bleibt. Schuldinstrumente sind hingegen zum Fälligkeitszeitpunkt mit der Rückzahlung des Nominalbetrags verbunden, sodass ihr Wert im Gegensatz zu Eigenkapitalinstrumenten wie Aktien nicht unmittelbar vom künftigen Erfolg des Emittenten abhängt.727 Daraus kann gefolgert werden, dass aus Sicht der Entscheidungsnützlichkeit von Jahresabschlussinformationen sich die anschaffungskostenorientierte Bewertung primär auf Schuldinstrumente beschränken sollte. Wie weiter unten noch verdeutlicht wird, ist in Bezug auf Eigenkapitalinstrumente die Begrenzung der bilanziellen Folgebewertung auf die historischen Anschaffungskosten nur
724 725
726 727
Siehe IAS 36.33(b). Vgl. auch Streim/Bieker/Esser (2003), S. 476. So wird in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) ebenfalls argumentiert, dass auf „einem funktionierenden Kapitalmarkt […] der Markt die richtige Unternehmensbewertung“ liefert. BT-Drs. 13/9712, S. 13. Auch der BGH geht in seiner Entscheidung vom 12.3.2001 davon aus, „dass die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens [...] zutreffend bewertet“. Angezweifelt wird der Börsenkurs nur im Falle einer Marktenge. BGH-Urteil vom 12.3.2001 (II ZB 15/00), S. 418. Vgl. ferner Schön (2006), S. 311-315 m.w.N. Zur steigenden Anerkennung von Marktpreisen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vgl. u.a. Hommel/Braun (2002), S. 10 sowie S. 14-16. Vgl. Böcking (1998), S. 23. Zur These informationseffizienter Märkte siehe ausführlich Abschnitt 2.3.2.1. Vgl. Hommel/Berndt (2000b), S. 1310.
130
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
angemessen bzw. notwendig, wenn keine hinreichende Verlässlichkeit des Fair Value gewährleistet werden kann.728
Eine besondere Stellung im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung nehmen strategische Beteiligungen ein. Die vom bilanzierenden Unternehmen erwarteten künftigen Cashflows können aufgrund von Synergien und Maßnahmen wie eine Restrukturierung von den allgemeinen Markterwartungen abweichen. Diese Besonderheit kommt in beiden Rechnungslegungssystemen durch die Zugrundelegung von Ertrags- bzw. Nutzungswerten bei der Ermittlung von Wertminderungen zum Ausdruck. Im Vergleich zu dem handelsrechtlich zulässigen subjektiven Ertragswert dürfen nach IFRS jedoch keine Erhöhungen der Ertragskraft, darunter fallen Erwartungen über künftige Synergien, sowie keine geplanten Restrukturierungsmaßnahmen, zu deren Umsetzung das beteiligte Unternehmen noch nicht verpflichtet ist, in den Nutzungswert einfließen.729 Somit kann der gemäß den internationalen Rechnungslegungsstandards verwendete Nutzungswert von Anteilen an Tochterunternehmen, gemeinsam geführten Unternehmen und assoziierten Unternehmen in einem geringeren Maße vom Fair Value abweichen als der handelsrechtlich zulässige subjektive Ertragswert von Beteiligungen. Die restriktiven Regelungen der IFRS vermeiden, dass durch die Einbeziehung von erwarteten künftigen Synergien und geplanten (Restrukturierungs-)Maßnahmen auch Erwartungen über Ertragskraftsteigerungen des Unternehmens in die bilanzielle Bewertung einfließen.730 Schließlich spiegelt ein solcher Wert nicht mehr die wirtschaftliche Lage zum Bilanzstichtag wider, sondern überschreitet den Zweck der Rechnungslegung und enthält Elemente der Unternehmenswertapproximation.731 Folglich sollten bei der Prüfung der Werthaltigkeit von strategischen Beteiligungen höchstens die zum Bilanzstichtag bestehenden Synergien sowie gegebenenfalls unwiderruflich eingeleitete (Restrukturierungs-)Maßnahmen berücksichtigt werden.732
728 729 730 731 732
Zur Fair Value-Bewertung von Anteilsrechten siehe Abschnitt 4.2.2. Siehe hierzu Abschnitt 4.1.3.2. Vgl. hierzu Ballwieser (2008b), S. 355 f. Vgl. Barth/Landsman (1995), S. 101; Dohrn (2004), S. 119. Siehe hierzu Abschnitt 3.4.1. Ähnlicher Auffassung Streim/Bieker/Esser (2003), S. 476.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
4.1.4.2
131
Differenzierung der Wertänderungen von Schuldinstrumenten nach Risikoarten
Die vorangegangen Ausführungen haben die Komplexität der anschaffungskostenorientierten Bewertung von Finanzinstrumenten verdeutlicht. Nachfolgend soll die Wertermittlungskonzeption der anschaffungskostenorientierten Bewertung von Schuldinstrumenten einer Systematisierung unterzogen werden, um die zugrundeliegende Idee stärker zum Ausdruck zu bringen. Es ist zu prüfen, ob in Bezug auf Schuldinstrumente, die keiner Veräußerungsabsicht unterliegen, durch die anschaffungskostenorientierte Bewertung eine bilanzielle Fokussierung auf die für das Unternehmen relevanten künftigen Zahlungsströme gelingen kann.
Dazu bedarf es einer grundsätzlichen Differenzierung zwischen dem Bonitätsrisiko und den Marktrisiken. Ersteres bildet dabei unumstritten einen elementaren Bestandteil der Werthaltigkeit eines jeden Finanzinstruments. Dies gilt für Schuldinstrumente in Bezug auf Marktrisiken nicht immer. Analog wirkt sich von den Marktrisiken das Währungsrisiko bei den auf Fremdwährung lautenden Finanzinstrumenten ebenfalls stets auf die tatsächlichen Zahlungsströme des Finanzinstruments aus, während das Zinsänderungsrisiko von Schuldinstrumenten prinzipiell zu vernachlässigen ist, sofern ein Halten bis zur Endfälligkeit intendiert wird.733 Die auf das Zinsänderungsrisiko zurückzuführenden Schwankungen des Fair Value gleichen sich über die Totalperiode wieder aus (Pull to Par-Effekt) und verursachen bei einer erfolgswirksamen Erfassung damit eine der Entscheidungsnützlichkeit der Jahresabschlussinformationen zuwiderlaufende Volatilität des Buchwerts und der Gewinn- und Verlustrechnung. Ein weiteres den Marktrisiken zugehörendes Risiko, das erst bei einer Veräußerung tatsächlich Einfluss auf die Zahlungsströme des Unternehmens nimmt, ergibt sich aus einer möglichen Illiquidität der betreffenden Finanzinstrumente.734
Zur Abgrenzung von voraussichtlich dauernden Wertminderungen ist handelsrechtlich im Einklang mit den IFRS eine risikodifferenzierende Betrachtung zugrunde zu legen, die sich hinsichtlich der bilanziellen Berücksichtigung der bestehenden finanziellen Risiken an deren voraussichtlichen Einfluss auf die erwarteten Zahlungsströme des Unternehmens orientiert. Demnach ist die Unterscheidung zwischen dauernden und nicht dauernden 733 734
Vgl. Hommel/Berndt (2000a), S. 1751. Siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.1.4.2.
132
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Wertminderungen nicht wörtlich auszulegen, d.h. der Bilanzersteller soll keine Einschätzung darüber treffen, ob der niedrigere beizulegende Wert sich in der Zukunft wieder erholen wird und folglich nicht von Dauer ist oder vice versa. Eine wörtliche Auslegung wäre mit der These nahezu informationseffizienter Märkte nicht vereinbar und würde häufig unterstellen, dass der Bilanzersteller eine bessere Einschätzung als der Markt treffen kann.735 Stattdessen sind im Rahmen der risikodifferenzierenden Betrachtung gemäß dem Imparitätsprinzip künftig zu erwartende Verluste zu antizipieren, ohne durch eine Überinterpretation dieses Vorsichtsprinzips die Abbildung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zu verzerren, indem der Jahresabschluss Verluste verzeichnet, deren tatsächliches Eintreffen unwahrscheinlich ist, da sie über die Totalperiode durch spätere Zuschreibungen wieder rückgängig gemacht werden.736 Folglich bemisst sich die Dauerhaftigkeit einer Wertminderung an der Wahrscheinlichkeit ihres tatsächlichen Eintreffens.737
In Bezug auf Schuldinstrumente, die keiner Veräußerungsabsicht unterliegen, erfüllt das Anschaffungskostenprinzip im Zusammenhang mit dem Niederstwertprinzip den der Rechnungslegung gesetzten Zweck der Abbildung der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens besser als der Fair Value. Es gehen nur die in Abhängigkeit vom jeweiligen Geschäftszweck (Halte- oder Veräußerungsabsicht) relevanten Risiken in die bilanzielle Bewertung zu Anschaffungskosten ein, im Gegensatz zur Fair Value-Konzeption, nach der strikt alle marktpreisbeeinflussenden Risiken in die Bewertung einbezogen werden. Hinsichtlich des Informationszwecks der Rechnungslegung ist eine Fair Value-Bewertung nur in Verbindung mit der Absicht zur Veräußerung des Schuldinstruments gerechtfertigt, da ansonsten auch die für die künftigen Cashflows des Unternehmens irrelevanten Risiken wie Zinsänderungs- oder Liquiditätsrisiken abgebildet werden. Hieraus resultiert ein wesentlicher konzeptioneller Unterschied zwischen den beiden Wertmaßstäben, der durch
735
736 737
So sind künftige Kursveränderungen ausschließlich von neuen Informationen abhängig, die niemand voraussehen kann. Wenn der künftige Kursverlauf ungewiss ist, können keine fundierten Argumente für eine Nichtdauerhaftigkeit einer Wertminderung bestehen. Vgl. Fey/Mujkanovic (2003), S. 213; Hommel/Berndt (2000b), S. 1309 f.; Schön (2006), S. 312-315. Ähnlicher Auffassung Moxter (1981), S. 450 f. Die hier vertretene risikodifferenzierende Betrachtung steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Vgl. BFH-Urteil vom 26.9.2007 (I R 58/06), S. 551 i.V.m. Schlotter (2008), S. 547.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
133
die Charakterisierung der anschaffungskostenorientierten Bewertung als eine imparitätische Fair Value-Konzeption verkannt wird. 738
Neben der qualitativen Beurteilung durch den risikodifferenzierenden Ansatz können aus Vereinfachungsgründen zusätzlich quantitative Kriterien angewandt werden.739 Mittels dieser Typisierung wird bestimmt, ab welcher Höhe eine Wertminderung pauschal als nachhaltig zu beurteilen ist und eine entsprechende außerplanmäßige Abschreibung zur Folge hat. Dazu sind vom Unternehmen konkrete Richtwerte zu bestimmen, die sicherstellen sollen, dass diese Bewertungsmethode im Einklang mit dem Stetigkeitsgrundsatz steht.740 Die Nachrangigkeit solcher quantitativen Kriterien gegenüber qualitativen Veränderungen hat jedoch zur Konsequenz, dass weiterhin eine laufende Beobachtung erforderlich ist, ob konkrete qualitative Hinweise für eine Wertminderung wie z.B. ein erhöhtes Insolvenzrisiko bestehen. Umgekehrt können die quantitativen Kriterien als eine widerlegbare Vermutung interpretiert werden.741
Das handelsrechtliche Bewertungswahlrecht zur Vornahme einer Abschreibung bei nicht dauernden Wertminderungen von Finanzanlagen kann als eine Vereinfachung der Folgebewertung interpretiert werden.742 Folgt die Abgrenzung dauerhafter Wertminderungen dem hier vorgeschlagenen risikodifferenzierenden Ansatz, ermöglicht das Wahlrecht, auch solche Risiken in die Bewertung einfließen zu lassen, die sich voraussichtlich nicht auf die erwarteten künftigen Zahlungsströme des Unternehmens auswirken werden. Infolgedessen besteht das Wahlrecht, bei der Ermittlung von Wertminderungen vereinfachend auf den Fair Value abzustellen und somit auf eine Analyse der Gründe für eine Wertänderung zu 738
739 740
741 742
In diesem Zusammenhang erscheint auch die Kritik an der Bewertungskonzeption des IAS 39, der den expliziten Hinweis enthält, dass der Marktpreis für die zu Anschaffungskosten bilanzierten Finanzinstrumente nicht zwingend von Relevanz ist, in einem anderen Licht. Zu dieser Art der Kritik in Bezug auf Liquiditätsrisiken vgl. beispielhaft Baetge (2009), S. 17. Vgl. BFH-Urteil vom 26.9.2007 (I R 58/06), S. 552. Hierbei lassen sich verschiedene Herangehensweisen feststellen. In der ergänzenden Verlautbarung zum IDW RS VFA 2, die auch auf Nichtversicherungsunternehmen Anwendung findet, wird von einer Wertminderung ausgegangen, wenn der Marktpreis sechs Monate permanent um mehr als 20 % unter dem Buchwert liegt oder der Durchschnittswert der täglichen Marktpreise der letzten zwölf Monate den Buchwert um mehr als 10 % unterschreitet. Ähnliche Richtwerte werden in der Literatur in Bezug auf IAS 39 genannt; demnach liegt eine Wertminderung bei einer Unterschreitung des Buchwerts um mehr als 20 % für einen Zeitraum von über neun Monaten vor. Vgl. Häuselmann (2008), S. 2618; Köster (2009), S. 210; Krumnow u.a. (2004), S. 375. Vgl. Schlotter (2008), S. 547. Siehe § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB.
134
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
verzichten. Nach IFRS besteht kein vergleichbares Wahlrecht zu einer solchen Vereinfachung.
4.1.4.3
Expected Loss- vs. Incurred Loss-Ansatz zur Ermittlung von Wertminderungen
Die vergleichende Analyse zwischen HGB und IFRS hinsichtlich der anschaffungskostenorientierten Bewertung hat einen weiteren essentiellen Unterschied offengelegt, der die Bilanzierung von Forderungen betrifft, und zugleich signifikante Abweichungen zum Fair Value aufgezeigt. Im Handelsbilanzrecht werden sowohl die bereits eingetroffenen Ausfallereignisse als auch die erwarteten künftigen Verluste aus Kreditausfällen in die Bewertung einbezogen, schließlich verlangt das Imparitätsprinzip eine rechtzeitige Antizipation von voraussichtlich eintreffenden Verlusten.743 Im Gegensatz zum Fair Value finden andere für die erwarteten Zahlungsströme nicht relevante Marktrisiken keinen Eingang in die Bewertung.744 Strenger fallen diesbezüglich die Regelungen des IAS 39 aus, dessen Incurred Loss-Ansatz im Vergleich zum handelsrechtlichen Expected LossAnsatz ausschließlich die Berücksichtigung von bereits eingetroffenen Ausfallereignissen gestattet. Der Incurred Loss-Ansatz führt durch die mangelnde Einbeziehung von zu erwartenden künftigen Ausfällen zur Bildung von stillen Lasten.745 Im Vergleich zum Expected Loss-Ansatz resultiert daraus eine unvollständige Abbildung der finanziellen Risiken des Unternehmens, da ein Teil der zum Bilanzstichtag bereits bekannten Risiken bilanziell nicht erfasst wird.746 Die folgende Abbildung illustriert das Verhältnis der drei Wertmaßstäbe:
743
744
745 746
Die Berücksichtigung von latenten Risiken erfolgt in der Regel über Pauschalwertberichtigungen. Vgl. Wohlmannstetter/Eckert/Maifarth/Wolfgarten (2009), S. 533. Zudem können die Ausfallerwartungen des bilanzierenden Unternehmens von den Erwartungen anderer Marktteilnehmer abweichen. Vgl. DSR (2009a), S. 2. Vgl. Gebhardt/Strampelli (2005), S. 520. Einen wesentlichen Beitrag zur Entscheidungsnützlichkeit der Rechnungslegung gegenüber der Betrachtung von Cashflows leistet gerade die Vorwegnahme von bereits verfügbaren Informationen über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zum jeweiligen Stichtag. Siehe hierzu Abschnitt 2.3.3.2.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Bewertungsgrundlage
Einbezug aller finanziellen Risiken
135
Wertmaßstab
Fair Value
Expected Loss-Ansatz
Einbezug der bereits eingetroffenen Risiken
Incurred Loss-Ansatz
Zunehmende Risikodifferenzierung
Einbezug von Risiken mit Einfluss auf die erwarteten Cashflows
Abbildung 9: Risikodifferenzierung bilanzieller Wertmaßstäbe
Ein weiterer Unterschied zwischen der anschaffungskostenorientierten Bewertung und dem Fair Value ergibt sich hinsichtlich der Diskontierung der angesetzten Cashflows. Die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften sehen bei der Ermittlung der Höhe der Wertminderung keine Abzinsung vor.747 Unklar bleibt, ob bei einem erwarteten Teilausfall der Forderung den Zinsen, die bis zur Rückzahlung geleistet werden, wirtschaftlich ein Zins- oder Tilgungscharakter beizumessen ist. Nach IAS 39 sind beide Fragen eindeutig geregelt. Der erwartete Cashflow ist mit dem ursprünglichen Effektivzinssatz zu diskontieren748 und zwischenzeitliche Zinszahlungen wie Tilgungen zu behandeln.749 Durch die Diskontierung fließt die Fristigkeit der Zahlung in die bilanzielle Bewertung ein und erhöht damit die Vergleichbarkeit der Forderungen. Im Gegensatz zum Fair Value, der den aktuellen risikoadäquaten Marktzinssatz zugrunde legt, ist durch die Verwendung des ursprünglichen Effektivzinssatzes gewährleistet, dass die Veränderungen der übrigen
747
748 749
Bei risikoadäquater Verzinsung heben sich die laufende Zinszahlung und der Diskontierungseffekt genau auf, sodass der Nominalbetrag dem Fair Value entspricht. Vgl. Böcking (1988), S. 142. Siehe IAS 39.63 i.V.m. IAS 39.AG84. Siehe IAS 39.AG93.
136
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
finanziellen Risiken wie Zins- oder Liquiditätsrisiken sich nicht auf den Buchwert auswirken.
4.2
Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value
4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.1.1
Informationsorientierte Bewertung des Handelsbestands an Finanzinstrumenten Konkretisierung der zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumente Definition der Handelsabsicht
Durch den im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes in § 340e HGB eingefügten dritten Absatz wurde für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute die Pflicht zur Bewertung des Handelsbestands an Finanzinstrumenten zum Fair Value eingeführt. Eine Definition des Handelsbestands ist im HGB nicht enthalten, sondern erfolgt in Anlehnung an die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen.750 Nach § 1a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KWG besteht eine Handelsabsicht, wenn die Bank ein Finanzinstrument mit der Absicht des kurzfristigen Wiederverkaufs im Eigenbestand hält oder ein Finanzinstrument übernimmt, „um bestehende oder erwartete Unterschiede zwischen den Kauf- und Verkaufspreisen oder Schwankungen von Marktkursen, -preisen, -werten oder -zinssätzen kurzfristig zu nutzen, damit ein Eigenhandelserfolg erzielt wird“.
IAS 39 liegt zur Abgrenzung der zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente (Held for Trading) eine vergleichbare Definition zugrunde. Demnach besteht eine Handelsabsicht, wenn ein Finanzinstrument entweder hauptsächlich mit der Absicht erworben bzw. eingegangen wurde, um es kurzfristig wieder zu verkaufen oder zurückzukaufen, oder Teil eines Portfolios eindeutig identifizierter und gemeinsam verwalteter Finanzinstrumente ist, für das in jüngerer Vergangenheit Hinweise auf kurzfristige Gewinnmitnahmen bestehen.751 Der Gewinn kann mittels aktiver und häufiger Kauf- und Verkaufstätigkeiten sowohl über die Ausnutzung von Preisschwankungen als auch über die Vereinnahmung
750
751
Die Zugrundelegung aufsichtsrechtlicher Vorschriften zur Bestimmung des handelsrechtlichen Handelsbestands stützt sich auf das Rundschreiben 17/1999 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Demnach ist von einem grundsätzlichen Gleichlauf zwischen dem aufsichtsrechtlichen Handelsbuch und dem handelsrechtlichen Handelsbestand auszugehen. Siehe Rundschreiben 17/1999 der BaFin, S. 7. Vgl. auch Böcking/Torabian (2008), S. 266. Siehe IAS 39.9.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
137
von Händlermargen erzielt werden.752 Durch die über die Fair Value-Option eingeräumte Möglichkeit, auch Gruppen von Finanzinstrumenten erfolgswirksam zum Fair Value zu bewerten, deren Wertentwicklung auf Basis des Fair Value beurteilt wird,753 kann als eine fakultative Erweiterung des Anwendungsbereichs interpretiert werden. Zudem sind derivative Finanzinstrumente generell dem Handelsbestand zuzuordnen, sofern sie keine Sicherungsfunktion im Rahmen des Hedge Accounting einnehmen.754
Bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften beider Rechnungslegungssysteme werden wesentliche Eigenschaften des Handelsbestands deutlich. So kann der Handelsbestand sowohl aktivische als auch passivische Finanzinstrumente umfassen.755 Besonders deutlich wird dies aus der Betrachtung von Derivaten oder möglichen Lieferverpflichtungen aus Leerverkäufen.756 Derivative Finanzinstrumente können sich sogar in Abhängigkeit von der Marktentwicklung innerhalb ihrer Laufzeit von einem aktivischen zu einem passivischen Finanzinstrument entwickeln, vorausgesetzt, dass es sich um ein unbedingtes Termingeschäft handelt. Eine zweite wichtige Eigenschaft des Handelsbestands ist, dass der Gewinn nicht nur durch Spekulation entstehen kann, indem erwartete kurzfristige Preisschwankungen an den Märkten ausgenutzt werden. Die Erzielung von sogenannten Arbitragegewinnen757 durch Ausnutzung bestehender Preisdifferenzen wird ebenfalls unter dem Begriff der Handelsabsicht subsumiert.758
4.2.1.1.2
Voraussetzung eines aktiven Markts
Die Definitionen der Handelsabsicht beider Rechnungslegungssysteme stellen in erster Linie auf die Ausnutzung von kurzfristigen Marktpreisschwankungen ab, sei es durch 752 753 754 755
756 757 758
Siehe IAS 39.AG14. Zu den Anforderungen der Fair Value-Option siehe Abschnitt 3.2.3.2. Siehe IAS 39.9. In Bezug auf die Definition des KWG wird dies durch die Wortwahl deutlich. Demnach kann das entsprechende Finanzinstrument gehalten oder übernommen werden; die gleiche Ausdruckweise findet sich in IAS 39.9 wieder. Das Wort „übernehmen“ impliziert in diesem Zusammenhang, dass finanzielle Verbindlichkeiten mit der Übernahme von entsprechenden Zahlungsverpflichtungen verbunden sind. In Anlehnung an IAS 39.AG15. Zur Begriffsbestimmung vgl. u.a. Kütter/Prahl (2006), S. 10. Nach der Definition von § 1a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KWG besteht eine Handelsabsicht nicht nur, wenn Erwartungen über Schwankungen der Marktkurse, -preise, -werte oder -zinssätze zur Gewinnerzielung ausgenutzt werden, sondern auch wenn ein Gewinn durch das Ausnutzen von bestehenden Unterschieden zwischen Kauf- und Verkaufspreisen generiert wird. Dies entspricht den in IAS 39.AG14 als Händlermargen bezeichneten Gewinnen.
138
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Spekulation oder Arbitrage.759 Weder der gegenwärtigen institutsspezifischen Vorschrift im HGB noch den Regelungen von IAS 39 bezüglich der zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente ist zu entnehmen, dass für eine entsprechende Designation zwingend ein aktiver Markt bestehen muss.760 Im Zusammenhang mit der Modernisierung der handelsrechtlichen Regelungen ist jedoch nach teilweise im Schrifttum vertretener Auffassung eine kurzfristige Umschlagsmöglichkeit nur gewährleistet, wenn die betreffenden Finanzinstrumente eine entsprechende Liquidität aufweisen respektive an einem aktiven Markt gehandelt werden.761 In Konsequenz wäre stets eine einfache und zugleich objektivierte Ermittlung des Fair Value gewährleistet.
Andere Teile des Schrifttums weisen speziell im Rahmen der Debatte über die Modernisierung des Bilanzrechts darauf hin, dass eine Zuordnung zum Handelsbestand nicht zwingend das Bestehen eines aktiven Markts voraussetzen sollte.762 Diese Sichtweise stützt sich auf die Argumentation, dass eine auf Spekulations- und Arbitragegewinne begrenzte Definition der Handelsabsicht dem Geschäftsmodell der Universalbanken nicht gerecht werde. Diese bieten ihren Kunden als Teil des Commercial Banking individuelle Finanzprodukte an, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind, und sichern sich teilweise oder vollständig im Rahmen des Investment Banking gegen die dabei eingegangenen Risiken am Markt ab.763 Die an Kunden vertriebenen Finanzprodukte könnten mangels Handelbarkeit nicht dem Handelsbestand zugeordnet werden und müssten folglich zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet werden, während die Absicherung sich häufig im Rahmen der sogenannten Methode des „Cheapest Hedge" an der aktuellen Nettorisikoposition orientiert und die betreffenden Finanzinstrumente regelmäßig dem Handelsbe-
759
760 761
762 763
Auf eine explizite Festlegung der dabei zulässigen Zeitspanne wird bewusst verzichtet, da diese vom Geschäftsmodell sowie dem Umfang der Handelsaktivitäten abhängig ist. Vgl. Löw/Torabian (2008), S. 610 f. Vgl. Böcking/Torabian (2008), S. 267 m.w.N.; Helios/Schlotter (2009), S. 550; Sprißler/Hacker (2005), S. 407. Diese Auffassung wurde auch in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts in Bezug auf den Vorschlag zur Einführung einer branchenunabhängigen Pflicht zur Fair Value-Bewertung von zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumenten vertreten. Der Vorschlag wurde letztlich zugunsten der institutsspezifischen Vorschrift verworfen. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 53. Vgl. beispielhaft DSR (2008), S. 9. Zur Differenzierung zwischen Commercial Banking und Investment Banking vgl. auch Naumann (1994), S. 69, 157.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
139
stand zugeordnet werden.764 In Konsequenz der unterschiedlichen Wertmaßstäbe werde die wirtschaftliche Lage des bilanzierenden Unternehmens unvollständig abgebildet.765
Die Lösung dieses Abbildungsproblems bedingt keine erweiterte Definition der Handelsabsicht, sondern gelingt über die bilanzielle Abbildung der Sicherungsbeziehung zwischen den kundenspezifischen Finanzprodukten und den betreffenden risikoabsichernden Finanzinstrumenten.766 Die Sicherungsstrategie entspricht dabei zumeist einem PortfolioHedge.767 Hieraus resultiert ein eklatanter Unterschied hinsichtlich der bilanziellen Auswirkungen. Bei der bilanziellen Abbildung von Sicherungsbeziehungen mittels Bewertungseinheiten werden nur die sich ausgleichenden Wertschwankungen berücksichtigt. Hingegen wird der Handelsbestand an Finanzinstrumenten von Banken einer vollständigen Fair Value-Bewertung unterzogen. Folglich bedingt die Lösung dieses Abbildungsproblems keineswegs die Einbeziehung von nicht an einem aktiven Markt gehandelten Finanzinstrumenten.
4.2.1.1.3
Zur Notwendigkeit einer institutsspezifischen Eingrenzung
Hinsichtlich branchenspezifischer Unterscheidungen bei den anzuwendenden Rechnungslegungsvorschriften zu Finanzinstrumenten gehen der deutsche Gesetzgeber und der IASB diametral entgegengesetzte Wege. Im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber die institutsspezifischen Vorschriften des HGB ausgebaut, indem er sie u.a. um die Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands erweitert hat. Der IASB hat sich hingegen durch das Außerkraftsetzen des IAS 30 von branchenspezifischen Rechnungslegungsvorschriften abgewendet.768 764 765
766 767
768
Vgl. Mauritz (1997), S. 61; Krumnow u.a. (2004), S. 501; Naumann (1994), S. 174-176. Hiervon abzugrenzen ist der umgekehrte Fall einer Schließung von offenen Risikopositionen der zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente. Diese Sicherungsinstrumente sind Bestandteil des Handelsbestands. Siehe § 1a Abs. 1 Nr. 2 KWG. In diesem Sinne ist auch der Handelsbestand nach IAS 39.9 mit der Bezugnahme auf ein eindeutig identifiziertes und gemeinsam gemanagtes Portfolio an Finanzinstrumenten auszulegen. Ähnlicher Auffassung Hempel/Klevenhaus (2008), S. 702. Die Abbildung von Sicherungsbeziehungen auf Portfolio-Basis ist nach IAS 39 strengen Voraussetzungen unterstellt, sodass in den überwiegenden Fällen die Anwendung der Regelungen zum Hedge Accounting auf Portfolio-Basis nicht erlaubt ist. Siehe hierzu Abschnitt 3.3.1.3.1. In Bezug auf das Handelsbilanzrecht besteht hingegen keine vergleichbare Einschränkung des Anwendungsbereichs. Siehe Abschnitt 3.3.1.2.1. IAS 30 befasste sich ausschließlich mit Ausweis- und Offenlegungspflichten im Jahresabschluss von Banken. Vgl. Bellavite-Hövermann (2004), S. 483.
140
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Die handelsrechtliche Beschränkung der Fair Value-Bewertung auf die zu Handelszwecken erworbenen Finanzinstrumente von Banken wird mit der mangelnden Relevanz der Vorschrift für Unternehmen der Realwirtschaft begründet.769 Dieses Argument vermag jedoch kaum zu überzeugen,770 schließlich zählt der Handel mit Finanzinstrumenten für eigene Rechnung aus aufsichtsrechtlicher Sicht nicht zu den erlaubnispflichtigen Bankgeschäften und käme demzufolge grundsätzlich für alle Unternehmen in Betracht.771 Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 3 KWG i.V.m. § 32 KWG, wonach der Handel mit Finanzinstrumenten für eigene Rechnung nicht zu den Tätigkeiten gehört, die einer Erlaubnis durch die Bankenaufsicht bedürfen. Das Eigenhandelsgeschäft mit Wertpapieren wird erst erlaubnispflichtig, wenn es als Dienstleistung für Dritte durchgeführt wird.772
4.2.1.2
Fair Value als Ausdruck des stichtagsbezogenen Handelserfolgs
Um den Handelserfolg und damit den zugrunde liegenden Geschäftszweck (Management Intent) bilanziell zutreffend abzubilden, bedarf es einer Fair Value-Bewertung der Finanzinstrumente des Handelsbestands.773 Seit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz ist der Handelsbestand nicht nur nach IFRS, sondern auch nach HGB zum Fair Value zu bilanzieren, obgleich handelsrechtlich eine Beschränkung auf Banken vorgenommen wird und ein Risikoabschlag notwendig ist. Die Einführung einer Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten im Handelsbilanzrecht ist eng mit der Diskussion über ihre Vereinbarkeit mit dem Realisationsprinzip verknüpft. Nach vielfach geäußerter Auffassung ist es mit dem Realisationsprinzip nicht vereinbar, dass der Buchwert die historischen Anschaffungskosten übersteigt.774
Begründet wird die ablehnende Haltung gegenüber realisierbaren, aber noch nicht durch eine Markttransaktion realisierten Erträgen mit dem Verstoß gegen das Vorsichtsprinzips 769 770
771 772 773
774
Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 111. Einen Handelsbestand führen auch Unternehmen bestimmter Industriebereiche wie beispielsweise der Commodity-Bereich. Gerade im Stromhandel treten einige Unternehmen als Market Maker oder Arbitrageure auf. Vgl. Maulshagen/Trepte/Walterscheidt (2008), S. 29. A.A. Scharpf (2008), S. 220 f. Siehe § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG. Vgl. Böcking/Torabian (2009), S. 260 f.; Francis (1990), S. 906; Große/Schmidt (2007), S. 870; Kütter/Prahl (2006), S. 11 f.; Sprißler/Hacker (2005), S. 407. Vgl. stellvertretend statt vieler Herzig (2008), S. 7; Kußmaul/Weiler (2009), S. 163; Naumann (2006), S. 53-55, 63.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
141
respektive dem sich daraus ergebenden Realisationsprinzip, dass die bilanzielle Erfassung von noch nicht hinreichend sicher vereinnahmten Erträgen verbietet. Es bestehen jedoch gerechtfertigte Zweifel daran, ob das Abstellen auf den schuldrechtlichen Gefahrenübergang überhaupt auf Finanzinstrumente übertragen werden sollte.775 Im Allgemeinen gilt ein Ertrag als realisiert, wenn keine Produktions- und Vertriebsrisiken, sondern höchstens noch latente Bonitätsrisiken bestehen. Doch Produktionsrisiken existieren bei Finanzinstrumenten nicht und auch die Vertriebsrisiken werden in Bezug auf den Handelsbestand durch das Bestehen eines aktiven Markts in der Regel auf ein vernachlässigbares Maß verringert,776 insofern bedarf es einer den Eigenschaften von Finanzinstrumenten gerecht werdenden Auslegung des Realisationsprinzips.777
Ferner widerspricht eine kategorische Ablehnung der Fair Value-Bewertung mit Verweis auf die Unvereinbarkeit mit den GoB der hermeneutischen Methode. Demnach orientiert sich die Ermittlung bzw. Auslegung der GoB primär an den europäischen und nationalen Vorschriften sowie den Gesetzesmaterialien. Erst wenn diese Informationsgrundlage zu keiner eindeutigen Lösung führt, ist auf den Gesetzeszweck oder letztlich die Zwecke des Jahresabschlusses im Sinne einer objektiv-teleologischen Auslegung zurückzugreifen.778 Der hermeneutischen Methode nach kann eine Gesetzesänderung grundsätzlich nicht gegen die GoB verstoßen, da die GoB maßgeblich von den Rechnungslegungsvorschriften geprägt werden. Im konkreten Bezug auf Finanzinstrumente kann die Vorschrift zur Fair Value-Bewertung des Handelsbestands nicht mit den handelsrechtlichen Rechnungslegungsgrundsätzen unvereinbar sein, wohl aber hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit hinterfragt werden.
Die Analyse der Zweckmäßigkeit der Fair Value-Bewertung des Handelsbestands muss dabei auf der neuen Gewichtung der handelsrechtlichen Jahresabschlusszwecke beruhen,
775 776
777 778
Vgl. Schmidt (2008), S. 3. Zum Zusammenhang zwischen der Definition eines aktiven Markts und der Problematik illiquider Märkte siehe Abschnitt 4.2.1.4.1. Vgl. Schmidt (2008), S. 3. Zur Hermeneutik siehe Abschnitt 2.2.1.2.1.
142
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
die gegebenenfalls eine Verlagerung der Stellenwerte einzelner GoB verursacht.779 So weist der Gesetzgeber auf die gestiegene Bedeutung der Informationsfunktion der Rechnungslegung hin, der durch eine Modernisierung des Bilanzrechts Rechnung getragen wird.780 Die Bewertung der Finanzinstrumente des Handelsbestands zum Fair Value drängt partiell das Vorsichtsprinzip im Interesse der Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen zurück. In anderen Worten werden durch die Fair Value-Bewertung das Vorsichts-, Realisations- und Stichtagsprinzip zur Stärkung der Informationsfunktion punktuell anders gewichtet.781 Um die Ausschüttungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Einzelabschlusses weiterhin hinreichend zu gewährleisten, ist die marktwertorientierte Bewertung mit einem Risikoabschlag sowie der Einstellung von zusätzlichen Reserven in den Sonderposten „Fonds für allgemeine Bankrisiken“ verbunden;782 beide Maßnahmen entfalten eine ausschüttungssperrende Wirkung.783
Die Veränderung des Fair Value ist aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Ausdruck des zum Stichtag erzielten Handelserfolgs zu verstehen.784 Für eine Partizipation an Kursgewinnen oder für sonstige Gewinne aus Marktpreisschwankungen ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem sich das Management zum Erwerb des entsprechenden Finanzinstruments entschließt. Zum jeweiligen Stichtag ist durch die hohe Fungibilität des Handelsbestands ein quasisicherer Anspruch gewährleistet.785 Die Entscheidung, wann eine Veräußerung des Finanzinstruments bzw. ein Closing des Derivats stattfindet, steht noch aus und ist eine zweite unabhängige Entscheidung, die den zukünftigen Handelserfolg beein779
780 781 782 783
784
785
Hommel/Berndt weisen darauf hin, dass das Realisationsprinzip bisher eine andere „Bilanzaufgabe“ als die Abbildung eines möglichst zutreffenden Stichtagvermögens erfüllt. Aus der Entstehungsgeschichte des aus dem Realisationsprinzip folgenden Anschaffungskostenprinzips ergebe sich zweifelsfrei die reine Orientierung am Zweck der Ausschüttungsbemessung. Vgl. Hommel/Berndt (2000a), S. 1750. Vgl. Böcking/Torabian (2008), S. 265. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 35. Siehe § 340e Abs. 3 und 4 HGB. Die Bemessung des Risikoabschlags wird durch die Bankenaufsicht nach den Vorschriften des KWG beurteilt und überwacht. Vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 95. Die dazu wahrscheinlich am weitesten verbreitete Methode stellt der Value at Risk dar. Dieser gibt an, welchen Wert der Verlust eines Portfolios mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (Konfidenzniveau) innerhalb einer gewissen Haltefrist nicht überschreiten wird. Vgl. hierzu Padberg/Beike (1999), S. 240-242. Ähnlicher Auffassung Barckow/Glaum (2004), S. 200; Pietsch (2007), S. 230. Diesbezüglich a.A. Streim/Bieker/Esser (2005), S. 105 f. Vgl. Böcking/Torabian (2008), S. 267. Das Prinzip des quasisicheren Anspruchs präzisiert das im Sinne des Realisationsprinzips notwendige Maß an Vorsicht. Eine umsatzaktbezogene Auslegung anhand des Kriteriums des Preisgefahrenübergangs erweist sich für Finanzinstrumente als ungeeignet. Dem bilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip genügt die Liquidierbarkeit zum Bilanzstichtag. Vgl. Hommel (1992), S. 99. Zum Prinzip des quasisicheren Anspruchs im Allgemeinen vgl. Hommel (1992), S. 27-29.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
143
flusst.786 Gleiches gilt für die Erzielung von Arbitragegewinnen, denn auch in diesem Zusammenhang ist der Zeitpunkt der Tätigung der entsprechenden Transaktionen von entscheidender Bedeutung. Eine Fair Value-Bewertung des Handelsbestands wird dem Ziel der Informationsfunktion der Rechnungslegung gerecht, ein Bild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zum Zeitpunkt des Bilanzstichtags zu vermitteln.787
Diese an der Informationsfunktion ausgerichtete Argumentation ist gleichsam auf die internationalen Rechnungslegungsvorschriften übertragbar. Die Abgrenzung der Handelsabsicht basiert primär auf der Zweckbestimmung des Finanzinstruments und setzt demnach eine eindeutige Dokumentation voraus. Nur in Bezug auf Derivate wird nach IAS 39 bereits anhand der Art des Finanzinstruments eine Handelsabsicht unterstellt, sofern keine entsprechende Sicherungsbeziehung vorliegt.788 Die betreffenden Finanzinstrumente sind jeweils zum Zugangszeitpunkt dem Handelsbestands zuzuordnen. Diese Bedingung ergibt sich in beiden Rechnungslegungssystemen aus der Anforderung, dass die Handelsabsicht bereits zum Erwerbszeitpunkt bestehen muss.789
4.2.1.3
Widerlegbare Vermutung der Handelsabsicht bei erworbenen Derivaten
Die im HGB eingeführte Pflicht zur Fair Value-Bewertung des Handelsbestands von Banken beschränkt sich nicht auf solche Finanzinstrumente, die nach handelsrechtlichen Verständnis Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten darstellen, sondern umfasst alle Finanzinstrumente im Sinne von § 1a Abs. 3 KWG.790 Folglich sind auch derivative Finanzinstrumente des Handelsbestands mit ihrem Fair Value zu bilanzieren, vorausge-
786
787
788
789 790
Ähnlicher Auffassung Barth/Landsman (1995), S. 100. Pietsch verweist hinsichtlich der Wertentwicklung der betreffenden Finanzinstrumente nach dem Bilanzstichtag darauf, dass diese Informationen aufgrund ihrer wertbegründenden Eigenschaft die Folgeperiode betreffen. Vgl. Pietsch (2007), S. 326 f. Letztlich besteht bei einer anschaffungskostenorientierten Bewertung des Handelsbestands, der sich durch eine hohe Fungibilität auszeichnet, jederzeit die Möglichkeit, durch den Verkauf und gleichzeitigen Rückkauf des betreffenden Finanzinstruments, die stillen Reserven zu heben. Dieses faktische Wahlrecht des Realisationszeitpunkts wird durch die Fair Value-Bewertung ausgeschlossen. Vgl. Böcking/Benecke (2000), S. 236 f.; Hommel/Hermann (2003), S. 2505. Dies entspricht der Eigenschaft von Derivaten, dass ihnen entweder ein Spekulations- oder eine Risikoabsicherungsabsicht zugeschrieben werden kann. Vgl. Bertsch/Kärcher (2005), S. 558; Löw/Torabian (2008), S. 610. Siehe Rundschreiben 17/1999 der BaFin, S. 7 f. sowie IAS 39.50. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut von § 340e Abs. 3 HGB, der direkten Bezug auf Finanzinstrumente nimmt. Dadurch sind definitionsgemäß sowohl originäre als auch derivative Finanzinstrumente bilanziell einzubeziehen. Vgl. Löw/Torabian (2008), S. 610.
144
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
setzt, dass zum Erwerbszeitpunkt über die Dokumentation eine entsprechende Designation vorgenommen wurde. Hingegen wird nach IAS 39 durch die zwingende Zuordnung von Derivaten zu der Bewertungskategorie der zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumente generell eine Handelsabsicht unterstellt, es sei denn, sie sind Bestandteil einer Sicherungsbeziehung, die den Anforderungen des Hedge Accounting genügt.791
Vielfach wird im Schrifttum in Bezug auf derivative Finanzinstrumente – mit Ausnahme von Sicherungsinstrumenten – einzig die Bewertung zum Fair Value als zweckmäßig im Sinne der Informationsfunktion erachtet.792 Ungeachtet des Aktivierungsverbots für unbedingte Termingeschäfte aufgrund des Grundsatzes der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte kann den Anschaffungskosten von Derivaten ohnehin kein Informationswert zugeschrieben werden, da Derivate bereits der Definition nach keine oder nur geringe Anschaffungskosten verursachen.793 Die Anschaffungskosten erlauben keinen Rückschluss auf den wirtschaftlichen Wert des Derivats, der sich erst während der Laufzeit des Finanzinstruments in Abhängigkeit von den Veränderungen des Basiswerts entwickelt. Dabei ist der Marktpreis eines Derivats ebenso sicher realisierbar, wie der von originären Finanzinstrumenten.794
Ihrer Natur nach lassen sich Derivate als Wetten über die künftige Entwicklung von Marktpreisen, (Wechsel-)Kursen, Zinsen oder eines sonstigen Basiswerts beschreiben. Mittels derivativer Finanzinstrumente können entweder bewusst offene Risikopositionen aufgenommen oder bestehende Risiken durch Herstellung einer Sicherungsbeziehung weitergegeben werden.795 Demzufolge kann im Sinne einer widerlegbaren Vermutung grundsätzlich eine Spekulationsabsicht unterstellt werden, sofern keine nachweisliche Sicherungsbeziehung existiert. Dies entspricht der Vorgehensweise in IAS 39 und wäre auch im Handelsbilanzrecht für den Handelsbestand von Banken eine gangbare Lösung. Sofern zur handelsrechtlichen Bestimmung des Handelsbestands von Banken generell und 791 792 793 794
795
Siehe hierzu Abschnitt 3.3.1.3. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.4.2.1. Vgl. auch Ordelheide (1998), S. 610. Vgl. Barckow/Glaum (2004), S. 199. So führt Barckow an, dass speziell unbedingte Termingeschäfte meist quasi deterministische Zahlungsströme aufweisen und demzufolge vergleichsweise leicht bewertet werden können; aber auch die Bewertung von Optionen gelingt heutzutage durch allgemein anerkannte Bewertungsmethoden. Die Handelbarkeit von Derivaten ist nicht nur durch Terminbörsen gewährleistet, sondern auch für OTCgehandelte Derivate werden fortwährend Preise gestellt. Vgl. Barckow (2004), S. 72. Vgl. Bertsch/Kärcher (2005), S. 558; Löw/Torabian (2008), S. 610.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
145
damit auch in Bezug auf Derivate auf die Dokumentationspflicht abgestellt wird, resultiert daraus für Banken eine dritte Kategorie derivativer Finanzinstrumente: Neben den Derivaten des Handelsbestands sowie aus Sicherungsbeziehungen existieren zudem solche Derivate, die mangels einer Dokumentation über eine Handels- oder Sicherungsabsicht nach den allgemeinen Ansatz- und Bewertungsvorschriften bilanziert werden, ohne dass hinsichtlich des Geschäftszwecks ein Unterschied zwischen den Derivaten des Handelsbestands und dieser dritten Gruppe von Derivaten ersichtlich ist. Auch vor diesem Hintergrund erscheint in Bezug auf Derivate der Verzicht auf eine Dokumentationspflicht zugunsten der widerlegbaren Vermutung einer Handelsabsicht zweckmäßig, um keinen unnötigen Ermessensspielraum einzuräumen.796
4.2.1.4 4.2.1.4.1
Prozyklizität der Fair Value-Bewertung Ursachen für mögliche negative Auswirkungen der Fair Value-Bewertung auf die Realwirtschaft
Eine Gefahr der Fair Value-Bewertung, auf die vielfach hingewiesen wird, ist die Entfaltung prozyklischer Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung.797 Diese Kritik zielt primär auf das Kreditvergabeverhalten von Banken ab. „Prozyklizität bezeichnet in diesem Zusammenhang eine Kreditpolitik der Banken, die der Tendenz der Realwirtschaft folgt, d.h. eine höhere Kreditvergabe in Zeiten des Aufschwungs und Kreditbeschränkungen in Zeiten des Abschwungs.“798 Dadurch können konjunkturelle Schwankungen verstärkt werden, dies gilt zwar sowohl für Boomphasen als auch für Phasen mit sinkender Wirtschaftsleistung,799 das Hauptaugenmerk soll hier jedoch auf die in konjunkturellen Abschwungphasen häufig beklagte Zurückhaltung bei der Kreditvergabe gelegt werden.
Der Einfluss der Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten auf das Kreditvergabeverhalten von Banken resultiert aus dem direkten Zusammenhang zwischen dem bilanziellen
796
797
798 799
Hierfür spricht auch die Forderung nach einem Gleichlauf zwischen dem nach handelsrechtlichen und internationalen Rechnungslegungsvorschriften bestimmten Handelsbestand, da durch die Orientierung beider Rechnungslegungssysteme am jeweiligen Geschäftszweck keine Abweichungen zustande kommen dürften. Vgl. Henkel/Eller (2009), S. 292 f.; IDW RH HFA 1.014, Rn. 24. Die Möglichkeit einer prozyklischen Wirkung wird selbst vom Vorsitzenden des IASB nicht bestritten. Vgl. Tweedie (2008), S. 120. EZB (2004), S. 87. Vgl. EZB (2004), S. 88.
146
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Eigenkapital und den Eigenmitteln gemäß den aufsichtsrechtlichen Anforderungen des KWG.800 Um eine hinreichende Solidität der Institute sicherzustellen, haben Banken für die bestehenden Adressenausfallrisiken, Marktrisiken sowie operationellen Risiken – die Ermittlung erfolgt zumeist anhand von internen Messverfahren – eine bestimmte Mindestausstattung an Eigenmitteln vorzuweisen.801 Folglich ist die Höhe der aufsichtsrechtlich anerkannten Eigenmittel maßgeblich für den Umfang der Risiken, die von einer Bank maximal eingegangen werden dürfen.802
Durch eine Fair Value-Bewertung wirken sich die Wertänderungen der betreffenden Finanzinstrumente auch auf die einer Bank zur Verfügung stehenden Eigenmittel aus. Dies gilt nicht nur für die erfolgswirksame Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value, die mittlerweile in beiden Rechnungslegungssystemen anzutreffen ist, sondern ebenso für die erfolgsneutrale Fair Value-Bewertung, wie sie nach IAS 39 für die zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte praktiziert wird.803 Ein konjunkturell- oder krisenbedingtes Sinken der Marktpreise der von einer Bank zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumente, wirkt sich somit negativ auf die Höhe der Kreditrisiken aus,804 zu deren Aufnahme die jeweilige Bank nach den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen berechtigt
800
801
802
803
804
Nach § 10 Abs. 2 KWG setzen sich die Eigenmittel aus dem haftenden Eigenkapital und den Drittrangmitteln zusammen. Das haftende Eigenkapital ist die Summe aus dem Kernkapital und dem Ergänzungskapital abzüglich bestimmter Positionen. Das Ergänzungskapital und die Drittrangmittel sind bei der Ermittlung der Eigenmittel nur in einem beschränkten Umfang anrechenbar. Vgl. hierzu Sprißler/Hacker (2005), S. 433 f. Vgl. Boos (2008), § 10 KWG, Rn. 13. Zu den Anforderungen an die Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und Finanzkonglomeraten sowie ihrer Ermittlung siehe die §§ 10 bis 10c KWG. Vgl. Sprißler/Hacker (2005), S. 433. Weitere Vorschriften zur Begrenzung der Kreditrisiken betreffen u.a. die Bestimmungen zu Groß- und Millionenkrediten sowie zu Risikokonzentrationen gemäß den §§ 13 bis 14 KWG. So können gemäß der Verordnung über die Ermittlung der Eigenmittelausstattung von Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen bei Verwendung von Konzernabschlüssen und Zwischenabschlüssen auf Konzernebene (Konzernabschlußüberleitungsverordnung – KonÜV) maximal 45 % einer positiven Neubewertungsrücklage nach IAS 39 als Ergänzungskapital angerechnet werden. Fällt die Neubewertungsrücklage hingegen negativ aus, ist der vollständige Betrag zu berücksichtigen und vom Kernkapital abzuziehen. Siehe § 2 Abs. 1 und 2 KonÜV. Vgl. hierzu auch Böcking/Flick (2009), S. 187. Zwar enthält § 10 Abs. 2b Nr. 7 KWG eine ähnliche Regelung, diese fällt jedoch erheblich restriktiver aus und beschränkt sich auf bestimmte Finanzinstrumente. So bildete der Preisverfall der verbrieften und global vermarkteten Hypothekenforderungen minderer Bonität (Subprime Mortgage Market), der Ende des Jahres 2007 einsetzte, den Ausgangspunkt einer weltweiten Finanzmarktkrise, die in der Folge auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Realwirtschaft hatte. Zu den Subprime-Hypothekendarlehen und ihren Einfluss auf den Interbankenmarkt vgl. beispielhaft Dobler/Kuhner (2009), S. 25-27.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
147
ist.805 Gleichzeitig werden als Reaktion auf die sinkenden Marktpreise vor allem aus Liquiditätsgesichtspunkten vermehrt die betreffenden Finanzinstrumente veräußert und verlieren am Markt weiter an Wert. Auf diese Weise wird eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt bzw. vorangetrieben.806 Dieser Zusammenhang verstärkt das prozyklische Kreditvergabeverhalten der Banken und katalysiert folglich das Entstehen einer sogenannten Kreditklemme.807
Als Reaktion auf die Kritik an der Fair Value-Bewertung hinsichtlich ihrer prozyklischen Wirkung wurde im HGB im Rahmen der Einführung der marktwertorientierten Bewertung des Handelsbestands von Banken durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz eine Maßnahme ergriffen, die eine antizyklische Wirkung entfalten soll.808 Die handelsrechtliche Bewertung der Finanzinstrumente des Handelsbestands zum Fair Value ist mit der Bildung spezieller Reserven im Sonderposten „Fonds für allgemeine Bankrisiken“ nach § 340g HGB verbunden.809 Im Rahmen der Folgebewertung haben Banken demnach in jedem Geschäftsjahr 10 % der Nettoerträge des Handelsbestands dem Fonds für allgemeine Bankrisiken zuzuführen, bis 50 % der durchschnittlichen Nettoerträge der letzten fünf Jahre erreicht sind.810 In Geschäftsjahren, in denen der Handelsbestand Nettoaufwendungen verursacht, darf der Sonderposten zum Ausgleich in entsprechender Höhe aufgelöst werden. Die zu diesem Zweck im Fonds enthaltenen Beträge sind gesondert auszuweisen.
Die handelsrechtliche Pflicht zur Einrichtung eines Sonderpostens, deren Effektivität zu diesem Zeitpunkt noch nicht zuverlässig beurteilt werden kann, vermag möglicherweise die prozyklischen Effekte der Fair Value-Bewertung zu verringern, die Ursache des Problems bleibt hingegen bestehen. Zudem beschränkt sich der Sonderposten auf Kreditinstitute, während auch über die Grenzen des Kreditvergabeverhaltens von Banken hinaus 805 806 807 808 809 810
Vgl. EZB (2004), S. 88; Sprißler/Hacker (2005), S. 433 f. Vgl. International Monetary Fund (2008), S. 115. Vgl. EZB (2004), S. 87 f. Vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 123. Siehe § 340e Abs. 4 HGB. Für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft beschränkt § 58 AktG das Gewinndispositionsrecht des Vorstands auf maximal 50 % des Jahresüberschusses. Im Schrifttum besteht keine einheitliche Auffassung darüber, ob der Fonds für allgemeine Bankrisiken als eine Gewinnrücklage zu betrachten ist und gleichsam unter diese Restriktion fällt. Die in Verbindung mit dem Handelsbestand bestehende gesetzliche Pflicht zu ihrer Bildung legt die Vermutung nahe, dass die Einstellungen in die Fonds Teil der Gewinnermittlung sind und damit nicht der Beschränkung des § 58 AktG unterliegen. Ähnlicher Auffassung Krumnow u.a. (2004), S. 606 m.w.N.
148
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
eine Prozyklizität des Fair Value vermutet wird. Ein prozyklischer Effekt kann auch in Verbindung mit sogenannten Financial Covenants auftreten.811 Wenn ein Unternehmen Finanzinstrumente hält, deren Fair Values konjunkturell- oder krisenbedingt sinken, schrumpft durch die erforderlichen Abschreibungen dessen Eigenkapital. In der Folge verändern sich die bilanziellen Kennzahlen wie beispielsweise die Eigenkapitalquote.812 Sofern dem Unternehmen über Financial Covenants daraus Konsequenzen wie die sofortige Fälligkeit von Krediten drohen, kann es durch die Bewertung zum Fair Value in eine finanzielle Schieflage geraten oder es wird eine bestehende finanzielle Notlage verstärkt.813 Insofern ist eine tiefergehende Analyse hinsichtlich der Ursachen für die Prozyklizität des Fair Value angebracht.
In der neoklassischen Idealvorstellung eines liquiden und perfekt funktionierenden Kapitalmarkts spiegelt der Marktpreis die erwarteten künftigen Zahlungsströme des Finanzinstruments wider.814 Demgegenüber können sich in der Realität gerade zu Krisenzeiten stark sinkende Marktpreise ergeben, ohne dass sich die zu erwartenden Zahlungsströme ändern.815 Trotz unveränderter Fundamentalwerte können die zu beobachtenden Preise gemäß dem ökonomischen Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage durch die mangelnde Nachfrage in engen bzw. illiquiden Märkten beträchtliche Abschläge enthalten.816 Weitere Abschläge können in illiquiden Märkten durch die Notwendigkeit einer tiefergehenden Prüfung (Due Diligence) des Finanzinstruments sowie die mögliche Gefahr der Adverse Selection entstehen.817
811
812
813 814 815 816
817
Financial Covenants sind individuell vereinbarte Kreditbedingungen, zu deren Einhaltung der Gläubiger den Kreditnehmer vertraglich verpflichtet. Die Nichterfüllung dieser Bedingungen beeinflusst die Konditionen des Kredits oder räumt dem Gläubiger die Möglichkeit der vorzeitigen Kündigung ein. Zu den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Leftwich (1983), S. 26-29. Neben der Eigenkapitalquote werden in der Praxis häufig der Verschuldungsgrad oder das Working Capital über Financial Covenants restringiert. Vgl. Krolak/Morzfeld/Remmen (2009), S. 1419; Leftwich (1983), S. 26. Vgl. Dobler/Kuhner (2009), S. 25. Vgl. Allen/Carletti (2008b), S. 2. Vgl. Baetge (2009), S. 16 m.w.N.; Laux/Leuz (2009), S. 828. Vgl. Plantin/Sapra/Shin (2008), S. 88. Auch die umgekehrte Entwicklung eines Übersteigens des Fundamentalwerts eines Finanzinstruments ist möglich, wie beispielsweise die Spekulation um die VWAktie mit einem kurzfristigen Preisanstieg um mehrere hundert Prozentpunkte im Oktober 2008 vergegenwärtigt hat. Vgl. Schildbach (2009), S. 2382. Für einen allgemeinen Nachweis des Einflusses der Liquidität auf den Marktpreis am Beispiel von Anleihen vgl. Chen/Lesmond/Wei (2007), S. 122-145. Vgl. Allen/Carletti (2008b), S. 4. Die Verbesserung des Informationsstands trägt zur Erhöhung der Liquidität eines Finanzinstruments bei. Vgl. hierzu Diamond/Verrecchia (1991), S. 1326 mit Verweis auf Amihud/Mendelson (1986).
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
149
Die Definition des aktiven Markts enthält keine Mindestanforderungen an dessen Liquiditätsgrad. Sofern ein Preis beobachtbar ist, muss dieser folglich als Fair Value zugrunde gelegt werden, auch wenn er aufgrund der gesunkenen Marktaktivität einen erheblichen Abschlag für das Liquiditätsrisiko enthält.818 Gestiegene Liquiditätsrisiken berechtigen nicht automatisch zur Annahme, dass der aktuelle Preis nicht mehr den Fair Value eines Finanzinstruments abbildet.819 Die am Markt zustande kommenden Transaktionspreise entsprechen nur dann nicht dem Fair Value, falls es sich dabei nachweislich um „erzwungene Geschäfte, zwangsweise Liquidationen und Notverkäufe“820 handelt.821 Diese strikte Zugrundelegung des zum Stichtag tatsächlich am Markt erzielbaren Preises entspricht der Definition des Fair Value im Sinne eines Veräußerungspreises (Exit Price).822
Das Ignorieren der auf Liquiditätsrisiken zurückzuführenden Preisabschläge würde eine Abkehr von der Bewertungshierarchie der Fair Value-Konzeption zur Folge haben und der Glaubwürdigkeit der Rechnungslegung immensen Schaden zufügen. Im Rahmen der Bewertung zum Fair Value ist definitionsbedingt die Einbeziehung aller sich auf den Marktpreis auswirkender Risiken inklusive der Liquiditätsrisiken unumgänglich.823 In Konsequenz ist auch bei der Ermittlung des Fair Value durch die Anwendung von allgemein anerkannten Bewertungsmethoden auf der dritten Stufe der Bewertungshierarchie das Liquiditätsrisiko zu berücksichtigen.824 Die Definition des aktiven Markts ist somit sehr weit gefasst und bezieht auch Marktpreise ein, die einen hohen Abschlag für Liquiditätsrisiken aufweisen, sofern aktuelle und regelmäßig auftretende Transaktionen zu beobachten sind, zu denen sich die Vertragsparteien frei von vertraglichen oder faktischen Zwängen entschlossen haben.825
818
819 820 821
822
823 824 825
Vgl. Bundesverband deutscher Banken e.V. (2008), S. 34; IDW (2008), S. 4. Zu der nach HGB und IFRS übereinstimmenden Definition des aktiven Markts siehe Abschnitt 3.2.1. Vgl. IASB Expert Advisory Panel (2008), Rn. 23. IDW (2008), S. 4. Vgl. auch IASB Expert Advisory Panel (2008), Rn. 22. Zur Abgrenzung von aktiven und nicht-aktiven Märkten vgl. zudem Goldschmidt/Weigel (2009), S. 195 f. Selbst wenn keine Marktpreise zum Stichtag vorliegen, sondern nur Transaktionen kurz vor dem Stichtag ermittelt werden können, sind nach der Definition des aktiven Markts diese Preise maßgeblich. Siehe hierzu auch IAS 39.AG72. Vgl. IASB Expert Advisory Panel (2008), Rn. 15. Vgl. IASB Expert Advisory Panel (2008), Rn. 85. Vgl. IASB Expert Advisory Panel (2008), Rn. 18.
150 4.2.1.4.2
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Umwidmung im Rahmen der Folgebewertung als Lösungsansatz
Die Befürchtung einer durch die Prozyklizität entfachten negativen Preisspirale führte sowohl bei den handelsrechtlichen als auch den internationalen Rechnungslegungsvorschriften zur Einräumung expliziter Wahlrechte zur Umwidmung von Finanzinstrumenten. In beiden Rechnungslegungssystemen war die Einführung von Regelungen zur Umwidmung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands eine Reaktion auf die Ende 2007 einsetzende Finanzmarktkrise.826 Unter der Voraussetzung außergewöhnlicher Umstände erlauben die neuen Regelungen die zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumente des Handelsbestands umzuwidmen und damit die erfolgswirksame Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value auszusetzen.827 Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Handelbarkeit von bestimmten Finanzinstrumenten durch die Finanzmarktkrise ist als ein außergewöhnlicher Umstand zu betrachten.828 Die Beschränkung der Umwidmungsmöglichkeit auf solche ungewöhnlichen Umstände soll die bilanzpolitische Ausnutzung des expliziten Wahlrechts durch sogenanntes „Cherry Picking“ vermeiden;829 gleiches gilt für das Verbot einer nachträglichen Zuordnung von Finanzinstrumenten zum Handelsbestand.830
Handelsrechtlich hat die Umwidmung eine Bewertung nach dem Anschaffungskostenprinzip zur Konsequenz. Nach IAS 39 kann auch eine Umwidmung in die Kategorie der erfolgsneutral zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumente erfolgen. Dies stellt für Eigenkapitalinstrumente des Handelsbestands die einzige Umwidmungsmöglichkeit dar. Des Weiteren wurde in IAS 39 die Möglichkeit einer Umwidmung der zur Veräußerung 826
827 828 829
830
Im HGB konnten die Regelungen zur Umwidmung aus dem Handelsbestand von Banken in eine andere Kategorie zusammen mit der Einführung der marktwertorientierten Bewertung im Rahmen des im Mai 2009 verabschiedeten Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes berücksichtigt werden. Zuvor hat der IASB im Oktober und im November 2008 auf Drängen der Europäischen Kommission und des Committee of European Securities Regulators (CESR) in einem Eilverfahren neue Umwidmungsvorschriften veröffentlicht. Die Umwidmungsbestimmungen des IAS 39.50 sahen bis zum Oktober 2008 keine Umwidmung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands vor. Vgl. Europäische Kommission (2008), S. 2; CESR (2008), Rn. 4-8. Siehe § 340e Abs. 3 HGB bzw. IAS 39.50B. Siehe in Bezug auf IAS 39 die Präambel der Verordnung (EG) Nr. 1004/2008. Vgl. Barth/Landsman (1995), S. 103. „Cherry Picking“ beschreibt ein selektives Vorgehen bei der Bilanzierung hinsichtlich der Zuordnung zum Handelsbestand, indem nur die Finanzinstrumente zum Fair Value bewertet werden, deren Marktpreisentwicklung zum Erreichen bestimmter bilanzpolitischer Ziele dienlich ist. Die bilanzpolitische Ausnutzung der Fair Value-Bewertung eines bestimmten Teils der Finanzinstrumente kann nur durch die Dokumentationsanforderungen vermieden werden. Vgl. hierzu auch Böcking/Torabian (2009), S. 262 f. Vgl. Große/Schmidt (2007), S. 868.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
151
verfügbaren finanziellen Vermögenswerte in die Kategorie der Kredite und Forderungen geschaffen, vorausgesetzt, dass keine nur vorübergehende Halteabsicht besteht.831 Die Möglichkeit zur Umwidmung in die Kategorie der bis zur Fälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen bestand für die zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte bereits vor der Einführung der neuen Umwidmungsregelungen vom Oktober 2008.832 Im Gegensatz zu den zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumenten ist eine Umwidmung der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte nicht an das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen gebunden.
Grundsätzlich kann der Fair Value sowohl in Boom- als auch in Abschwungphasen einen prozyklischen Effekt entfalten,833 doch gerade bei fallenden Marktpreisen in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs werden auch im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung jegliche Wertminderungen bilanziell umgehend erfolgswirksam berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund kommt die Frage auf, welcher bilanzielle Vorteil aus einer Umwidmung von bisher zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumenten in eine anschaffungskostenorientierte Bewertungskategorie erwächst, wenn sich die sinkenden Marktpreise in beiden Wertmaßstäben niederschlagen? Dieser scheinbare Gleichlauf zwischen der anschaffungskostenorientierten und der marktwertorientierten Bewertung verkennt die unterschiedlichen Risikofaktoren, die in den jeweiligen Wertmaßstäben einbezogen werden. Wie bereits durch den risikodifferenzierenden Ansatz in Bezug auf Schuldinstrumente gezeigt wurde,834 werden innerhalb der anschaffungskostenorientierten Bewertung im Gegensatz zum Fair Value nicht alle finanziellen Risiken berücksichtigt, sondern nur diejenigen Risiken, die Auswirkungen auf die vom Unternehmen erwarteten Cashflows haben können.835
831
832 833 834 835
Ob ein Schuldinstrument in die Bewertungskategorie der Kredite und Forderungen oder der bis zur Fälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen zu designieren ist, hängt maßgeblich vom Bestehen eines aktiven Markts ab. Zweifelsfragen können insbesondere dann auftreten, wenn das Vorliegen eines aktiven Markts schwierig zu beurteilen ist. In IAS 39.50E ist daher festgelegt, dass sich die Beurteilung des Bestehens eines aktiven Markts am Zeitpunkt orientiert, an dem das Finanzinstrument erstmals aktiviert wurde. Siehe IAS 39.54. Vgl. auch Henkel/Eller (2009), S. 291. Vgl. Laux/Leuz (2009), S. 829 f. Siehe hierzu Abschnitt 4.1.4.2. Die hohen Preisabschläge in engen Märkten spiegeln keine Veränderungen der Fundamentalwerte der betreffenden Finanzinstrumente wider, sondern dienen vielmehr als Anreiz für die Bereitstellung von Liquidität. Vgl. Allen/Carletti (2008a), S. 376.
152
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Die neuen Umwidmungsregelungen sind eine Konsequenz der am Geschäftszweck orientierten Bewertung von Finanzinstrumenten, folglich ist diesbezüglich auf einen Gleichlauf zwischen den HGB- und IFRS-Rechenwerken des jeweiligen Unternehmens zu achten.836 Verändert ein Unternehmen den mit bestimmten Finanzinstrumenten verfolgten Geschäftszweck und ist diese Veränderung auf außergewöhnliche Umstände wie eine zunehmende Illiquidität des Instruments zurückzuführen, erscheint es sachgerecht, diese Veränderung durch die Möglichkeit der Umwidmung auch im Jahresabschluss abzubilden. Wird im Rahmen der Fair Value-Bewertung mangels eines aktiven Markts oder Vergleichspreisen auf Bewertungsmethoden zurückgegriffen, sind für die Bewertung alle bestehenden Risiken zu berücksichtigen, während für die anschaffungskostenorientierte Ermittlung von Wertminderungen auf die für das bilanzierende Unternehmen relevanten Risiken abstellt wird.837 Ohne die Möglichkeit der Umwidmung würden auch solche finanziellen Risiken wie beispielsweise Liquiditätsrisiken in den Jahresabschluss einfließen, die durch die nicht mehr bestehende Veräußerungsabsicht keine Auswirkungen auf die vom Unternehmen erwarteten Zahlungsströme haben und folglich keine Entscheidungsrelevanz aufweisen. Diesem Umstand wird in begründeten Fällen durch die Umwidmungsvorschriften Rechnung getragen.
4.2.2
Erfolgsneutrale Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten zum Fair Value als Konsequenz der These informationseffizienter Märkte
Die historischen Anschaffungskosten von Eigenkapitalinstrumenten bzw. Anteilsrechten, wie sie in der handelsrechtlichen Rechnungslegung regelmäßig Anwendung finden, weisen einen geringen Informationswert auf, insbesondere wenn der aktuelle Marktpreis die Anschaffungskosten wesentlich überschreitet. Die Information über den aktuellen Marktpreis der Eigenkapitalinstrumente als bester Schätzer für die daraus zu erwartenden Cashflows gibt Aufschluss über die Vermögenslage des Unternehmens zum Stichtag.838 Diese Informationen sind für die fundamentalanalytische Bewertung des Unternehmens zur Abschätzung der dem Unternehmen zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen
836
837
So geht die Umwidmung nach IFRS von den zu Handelszwecken gehaltenen Finanzinstrumenten zu den bis zur Fälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen im HGB-Abschluss mit einer Umwidmung aus dem Umlaufvermögen in das Anlagevermögen einher. Vgl. Henkel/Eller (2009), S. 292 f.; IDW RH HFA 1.014, Rn. 24. Ähnlicher Auffassung Allen/Carletti (2008a), S. 377.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
153
– beispielsweise für künftige Investitionen oder als Schuldendeckungspotenzial – von essentieller Bedeutung.839 Eine erfolgsneutrale Fair Value-Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten steigert den Informationsgehalt des Jahresabschlusses ohne eine künstliche Volatilität der Gewinn- und Verlustrechnung herbeizuführen.840
Der Auffassung eines grundsätzlich höheren Informationswerts des Fair Value in Bezug auf die Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten folgen auch die internationalen Rechnungslegungsstandards. So besteht nach IFRS die Pflicht zur marktwertorientierten Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten, vorausgesetzt, dass dieser Wert verlässlich bestimmbar ist. Sofern die Eigenkapitalinstrumente nicht zu Handelszwecken gehalten oder über die Fair Value-Option freiwillig erfolgswirksam zum Fair Value bewertet werden, besteht nur noch die Möglichkeit der Zuordnung in die Kategorie der zur Veräußerung verfügbaren finanziellen Vermögenswerte. Letztere hat eine erfolgsneutrale Fair Value-Bewertung zur Folge, eine Besonderheit der IFRS, die auch für das Handelsbilanzrecht in Erwägung gezogen werden kann.841 Den Bilanzadressaten werden entscheidungsnützliche – da Aufschluss über die Vermögenslage des Unternehmens gebende – Informationen zur Verfügung gestellt, ohne die Gewinn- und Verlustrechnung durch künstliche Volatilitäten zu verzerren. Auf diese Weise wird der verhältnismäßig hohen Unsicherheit des Realisationszeitpunkts von nicht zu Handelszwecken erworbenen Eigenkapitalinstrumenten Rechnung getragen. Die Veränderung des Eigenkapitals über die Neubewertungsrücklage ist klar abgegrenzt und sorgt für eine symmetrische und transparente Abbildung der Entwicklung des bilanziellen Reinvermögens.
838
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840
841
Vgl. Siegel/Bareis/Rückle/Schneider/Sigloch/Streim/Wagner (1999), S. 2078. Zur Interpretation des Marktpreises als bester Schätzer für die erwarteten künftigen Zahlungsströme vgl. auch BFH-Urteil vom 26.9.2007 (I R 58/06), S. 551. Gemäß der These informationseffizienter Märkte könnten diese Informationen auch durch außerbilanzielle Angaben bereitgestellt werden. Diese Argumentation vernachlässigt jedoch die mit einer Überleitung der Anhangangaben in das Zahlenwerk der Bilanz verknüpften Kosten der Informationsverarbeitung. Siehe hierzu Abschnitt 3.4.2.3.2. Eine ähnliche Auffassung vertreten Hommel/Berndt, weisen jedoch zugleich auf die damit verbundenen Inkonsistenzen hin. Vgl. Hommel/Berndt (2002), S. 92. Zum Verstoß der erfolgsneutralen Bewertung von Finanzinstrumenten gegen die sogenannte Clean Surplus Relation trotz des Recycling zum Zeitpunkt der Veräußerung vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 111; Schildbach (1999b), S. 1815. Die Clean Surplus Relation ist für die hier unterstellte fundamentalanalytische Unternehmensbewertung auf Basis von Zahlungsströmen nicht von direkter Relevanz, sondern ist vor allem für Bewertungskalküle von Bedeutung, die einen unmittelbaren Rückgriff auf Jahresabschlussdaten vornehmen. Vgl. hierzu Wirth (2004), S. 194. Vgl. Siegel/Bareis/Rückle/Schneider/Sigloch/Streim/Wagner (1999), S. 2080.
154
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Aus Sicht der Agency-Theorie sind berechtigte Zweifel an der Erwartungstreue und damit der Verlässlichkeit von Informationen gegeben, die ein hohes Maß an Subjektivität enthalten. Dies bildet einen wesentlichen Grund für die Fokussierung der Rechnungslegung auf die Informationen über die aktuelle wirtschaftliche Lage des Unternehmens, obwohl für die Bilanzadressaten letztlich dessen künftige Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist. Die Fair Value-Konzeption räumt auf der dritten Stufe dem Bilanzersteller genau diese durch die Subjektivität von selbsterstellten zukunftsorientierten Schätzungen hervorgerufenen Ermessensspielraum wieder ein, der ihnen gerade durch die Rechnungslegung in Bezug auf das eigene Unternehmen eigentlich verwehrt werden soll.842 Die Schätzungen der Bilanzersteller zur Bewertung von nicht an einem aktiven Markt gehandelten Eigenkapitalinstrumenten wirken sich aber unmittelbar auf den eigenen Jahresabschluss aus, sodass durch die dritte Stufe dem Management der aus agency-theoretischer Sicht bedenkliche Ermessensspielraum indirekt wieder eingeräumt wird.
Aus diesem Grund unterliegt die Fair Value-Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten nach IAS 39 der Beschränkung, dass bei Anwendung von Bewertungsmethoden eine ausreichend hohe Verlässlichkeit gegeben sein muss.843 Die in IAS 39 genannten Kriterien zur Beurteilung der Verlässlichkeit des Fair Value von Eigenkapitalinstrumenten, die mangels eines aktiven Markts nur anhand von Bewertungsmethoden bewertet werden können, stellen darauf ab, ob die Schwankungsbreite der Schätzungen signifikant ist und die Eintrittswahrscheinlichkeiten der unterschiedlichen Schätzungen auf angemessene Weise beurteilt werden können.844 Insbesondere die Schwankungsbreite der Schätzung des Fair Value eines Eigenkapitalinstruments ist im Vergleich zu Schuldinstrumenten erheblich höher, ausgelöst durch den Residualanspruch der Anteilseigner sowie der unendlichen Laufzeit von Eigenkapitalinstrumenten; Schuldinstrumente weisen hingegen vertraglich genau festgelegte Zahlungsströme sowie in der Regel eine begrenzte Laufzeit auf. Die hohe Schwankungsbreite von Eigenkapitalinstrumenten wird im Zusammenhang mit dem 842
843
844
Bestünde das Problem der asymmetrischen Informationsverteilung nicht, würden direkte Informationen zu den Erwartungen über die Unternehmensentwicklung im Sinne einer Eigenbewertung durch Finanzpläne eine weitaus höhere Entscheidungsnützlichkeit als Jahresabschlussinformationen aufweisen. Siehe hierzu Abschnitt 2.3.3.2. Vgl. auch Moxter (1966), S. 51. Siehe IAS 39.46(c). Zudem besteht für nicht an einem aktiven Markt notierte Eigenkapitalinstrumente, die zu Anschaffungskosten bewertet werden, ein Wertaufholungsverbot für vorherige Wertminderungen. Siehe IAS 39.66. Siehe IAS 39.AG80 f.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
155
zur Unternehmensbewertung angewandten Terminal Value besonders deutlich. Bereits geringe Änderungen der Annahmen, die dem Terminal Value zugrunde liegen, können hohe Ergebnisschwankungen auslösen.845 Der mit der Unternehmensbewertung einhergehende hohe Ermessenspielraum schränkt die Aussagekraft selbsterstellter Schätzungen in einem erheblichen Maße ein. Folglich kann den auf Basis von Bewertungsmethoden ermittelten Fair Values von Eigenkapitalinstrumenten keine hinreichende Verlässlichkeit beigemessen werden.846
4.2.3
Kontraintuitive Informationen durch die Bewertung nichtderivativer finanzieller Verbindlichkeiten zum Fair Value
Unter dem Begriff der Finanzinstrumente werden neben den finanziellen Vermögenswerten gleichermaßen die finanziellen Verbindlichkeiten subsumiert. Gegenüber der Fair Value-Bewertung von nichtderivativen finanziellen Verbindlichkeiten bestehen im Schrifttum gravierende Vorbehalte.847 Das gewichtigste Argument gegen die Fair ValueBewertung von Verbindlichkeiten bildet die kontraintuitive Erfolgswirkung, die durch den sogenannten Bonitätseffekt einer marktwertorientierten Bilanzierung ausgelöst wird.848 Der Fair Value berücksichtigt alle marktpreisbestimmenden Faktoren, dies beinhaltet auch die Bonität des Schuldners bzw. Emittenten. Nimmt ceteris paribus die Kreditwürdigkeit des Schuldners aufgrund einer sinkenden Bonität ab, sinken in Folge des am Markt verlangten höheren Credit Spread die Marktpreise der bislang vom Unternehmen aufgenommenen Kredite.849 Bei einer erfolgswirksamen Fair Value-Bewertung ergibt sich aus dem abnehmenden Buchwert der finanziellen Verbindlichkeiten in der Gewinn- und Verlustrechnung ein Ertrag.850 Diese Information wird als kontraintuitiv bezeichnet, weil aus der Ver-
845
846
847
848 849 850
Zur Verdeutlichung des überproportionalen Anteils des Terminal Value am Ergebnis einer Unternehmensbewertung vgl. Nowak (2000), S. 88-90. Diese Aussage gilt für alle Eigenkapitalinstrumente, die anhand einer Bewertungsmethode bewertet werden und steht damit im Einklang mit den Bewertungsvorschriften für Beteiligungen im Sinne von § 271 Abs. 1 HGB bzw. Anteile an Tochterunternehmen, gemeinsam geführten Unternehmen und assoziierten Unternehmen nach dem Verständnis der IFRS. Siehe hierzu Abschnitt 4.1.3. Vgl. hierzu u.a. Ackermann (2001), S. 229 f.; Blaufus (2005), S. 226 f.; EZB (2004), S. 85; Schmalenbach (1947), S. 174; Starbatty (2005), S. 63 f. Eine Übersicht der Argumente für und wider eine marktwertorientierte Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten enthält das ergänzende Dokument des IASB zum Discussion Paper vom Juni 2009. Vgl. IASB (2009d), Rn. 21-61. Vgl. Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 737. Vgl. Barth/Landsman (1995), S. 103. Vgl. Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 737.
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Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
schlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ein Ertrag resultiert.851 Die Verwendung des Fair Value als bilanzielle Bewertungsgrundlage für finanzielle Verbindlichkeiten hat noch einen weiteren Effekt zur Folge. Ceteris paribus erhöht sich das Eigenkapital des Unternehmens als Residualgröße aus der Summe der unveränderten Aktiva abzüglich der nun gesunkenen Fair Values der Passiva; im Ergebnis steigt die Eigenkapitalquote. Durch eine Fair Value-Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten suggeriert der Jahresabschluss eines im Zeitablauf an Bonität verlierenden Unternehmens aufgrund der Erträge sowie der gestiegenen Eigenkapitalquote, dass sich scheinbar die finanzielle Stabilität des Unternehmens verbessert hat.852
Im Gegensatz zu den Marktrisiken wie das Zinsänderungs- oder Währungsrisiko, die außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegen, stellt das Bonitätsrisiko das unternehmensspezifische Wagnis dar, das sich aus den individuellen Geschäftsrisiken und finanziellen Risiken zusammensetzt.853 Diese Differenzierung zwischen den Marktrisiken und dem eigenen Bonitätsrisiko von nichtderivativen finanziellen Verbindlichkeiten spielt in der Diskussion über deren marktwertorientierte Bewertung eine zentrale Rolle. Mit einer Verschlechterung der Bonität geht nicht nur ein sinkender Fair Value der finanziellen Verbindlichkeiten, sondern auch ein sinkender Unternehmenswert einher.854 Durch das sowohl handelsrechtlich als auch international geltende Verbot der Aktivierung des originären Geschäfts- oder Firmenwerts bzw. Goodwill wird die (über-)kompensierende Abnahme des Unternehmenswerts bilanziell nicht abgebildet.855 „Während die assets dem Prinzip der Einzelbewertung gehorchen, schlagen sich in dem Marktpreis der Verbindlichkeiten Erwartungen hinsichtlich des Gesamtwerts der Unternehmung nieder.“856 Der Einbezug von direkt für den Unternehmenswert relevanten Informationen übersteigt die 851
852 853 854
855
856
Eine ähnliche Auffassung vertritt Schmalenbach und bezeichnet den bonitätsbedingten Effekt als eine „sinnwidrige Sache“. Schmalenbach (1947), S. 174. Vgl. Schmalenbach (1947), S. 174. Vgl. Everling/Heinke (2001), Sp. 1761. Vgl. Barckow/Glaum (2004), S. 202; Blaufus (2005), S. 226; EZB (2004), S. 85; Sprißler/Hacker (2005), S. 404. Vgl. Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 737; Wüstemann/Bischof (2006), S. 89. Zum Aktivierungsverbot des originären Goodwill siehe § 248 Abs. 2 HGB bzw. IAS 38.36. Sofern die Bonitätsänderung aus dem Wertverlust von Aktiva resultiert, wird durch die auf der Aktivseite notwendigen Abschreibungen der Teil der kompensierenden Wertänderung bilanziell abgebildet, der auf Einzelbewertungsbasis erfassbar ist. Vgl. hierzu Hitz/Kuhner (2000), S. 901; Starbatty (2001), S. 549. Starbatty (2005), S. 62. Die Aussage bezieht sich auf die Rechnungslegung nach US-GAAP, behält jedoch auch bei einer Übertragung auf die IFRS seine Gültigkeit. Vgl. auch Barth/Landsman (1995), S. 103.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
157
Informationsfunktion der Rechnungslegung,857 die über die Darstellung der aktuellen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens nur indirekte Informationen für die fundamentalanalytische Bewertung des Unternehmens zur Verfügung stellt.858
Die Vermeidung des Bonitätseffekts erfordert den Ausschluss der Änderungen des eigenen Bonitätsrisikos von der Bewertung finanzieller Verbindlichkeiten. Der Begriff Quasi-Fair Value beschreibt den auf diese Weise korrigierten Fair Value einer finanziellen Verbindlichkeit.859 Eine marktwertorientierte Bewertung unter Ausschluss der Veränderungen des eigenen Bonitätsrisikos impliziert weitreichende Folgen für die Bewertung von Finanzinstrumenten. Bei passivischen Finanzinstrumenten, für die ein aktiver Markt besteht, wäre demnach nicht mehr der aktuelle Marktpreis, sondern der Quasi-Fair Value zugrunde zu legen, der dem Fair Value unter Annahme einer im Vergleich zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme unveränderten Bonität entspricht. Ein solches Vorgehen erhöht die Komplexität der Wertermittlung in einem Maße, die mit dem Zuwachs an entscheidungsnützlichen Informationen kaum gerechtfertigt werden kann.860 Gleichwohl trifft diese Aussage nur für die an einem aktiven Markt gehandelten Finanzinstrumente zu. Sofern keine Marktpreise existieren, würde sich ein genau gegenteiliges Bild einstellen. Die Zugrundelegung eines unveränderten Credit Spread statt einer fortlaufenden Ermittlung von Veränderungen des eigenen Bonitätsrisikos vereinfacht die Bewertung insbesondere für diejenigen Unternehmen, die nicht börsennotiert sind und die auch keinem Rating unterliegen.861
Neben dem Bonitätseffekt bewirkt die Fair Value-Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten einen Anstieg der Volatilität der Gewinn- und Verlustrechnung. Eine marktwertorientierte Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten ist grundsätzlich nur dann entscheidungsnützlich, wenn die durch den Fair Value abgebildeten finanziellen Risiken einen Einfluss auf die erwarteten künftigen Cashflows des Unternehmens haben, unabhängig davon, auf welches finanzielle Risiko die Veränderung des Fair Value zurückzuführen 857
858
859 860 861
Eine Ausnahme bildet hierbei der derivative Goodwill, der in beiden Rechnungslegungssystemen als ein durch die Transaktion objektivierter Wert bilanziell erfasst wird. Zur mangelnden Eignung des Fair Value zur Approximation des Unternehmenswerts siehe Abschnitt 3.4.1. Vgl. Ackermann (2001), S. 230. Ähnlicher Auffassung Joint Working Group of Standard Setters (2000), S. 228. Vgl. Pape (2001), S. 1466. In der anfänglichen Diskussion wurde die Diskontierung der vereinbarten Zahlungsströme mit dem risikolosen Zinssatz als eine zweite Variante von Quasi-Fair Values vorgeschlagen. Mittlerweile wurde diese Möglichkeit verworfen. Vgl. hierzu Pape/Breker (1999), S. 5.
158
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
ist.862 Konkret werden Marktpreisschwankungen nur bei einer vorzeitigen Begleichung der Verbindlichkeit zu Marktkonditionen realisierbar sein, also insbesondere wenn eine Handelsabsicht besteht. Sofern eine Handelsabsicht vorliegt, erfolgt bereits heute die bilanzielle
Bewertung
handelsrechtlich
in
Bezug
auf
Banken
und
nach
IFRS branchenunabhängig zum Fair Value.
Für eine Fair Value-Bewertung von nichtderivativen finanziellen Verbindlichkeiten bedarf es nicht nur der Absicht zu einer vorzeitigen Begleichung, sondern die Ermittlung des dafür erforderlichen Tilgungsbetrags muss sich an den aktuellen Marktkonditionen orientieren. Von einer prinzipiellen Erfüllung dieser Voraussetzung ist nur bei den vom Unternehmen emittierten und aktiv am Markt gehandelten Anleihen auszugehen.863 Speziell in Bezug auf die kontraintuitive Ergebniswirkung lässt sich zudem anführen, dass sich aus ökonomischer Sicht ein Unternehmen mit einer verschlechterten Bonität kaum zu einer vorzeitigen Begleichung von finanziellen Verbindlichkeiten entschließen wird, weil dem Unternehmen dadurch zusätzlich Liquidität entzogen wird und der eigene Credit Spread sich auf diese Weise tendenziell weiter erhöht.864 Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob der in Folge einer Bonitätsverschlechterung durch die erfolgswirksame Fair Value-Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten eintretende Ertragsausweis mit dem Grundsatz der Unternehmensfortführung (Going Concern) zu vereinbaren ist. Eine marktwertorientierte Bewertung von finanziellen Verbindlichkeiten, die keinem Handelszweck dienen, konterkariert das Ziel der bilanziellen Abbildung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens.865
Die mangelnde Entscheidungsnützlichkeit der durch die Fair Value-Bewertung von nicht zu Handelszwecken gehaltenen finanziellen Verbindlichkeiten ausgelöste Volatilität der Gewinn- und Verlustrechnung kann anhand des Pull to Par-Effekts veranschaulicht 862
863
864
865
Die Angabe des Fair Value der Verbindlichkeiten im Anhang in Kombination mit weiteren Angaben wie die Laufzeit und der Effektivzinssatz der jeweiligen Verbindlichkeiten erlaubt die Approximation zukünftiger Refinanzierungsaufwendungen. Vgl. Knoblauch (2005), S. 98. Aus ökonomischer Sicht sind nicht verbriefte Kreditgeschäfte der gleichen Beurteilung zu unterziehen, doch die individualvertragliche Ausgestaltung von Darlehens und das oftmals eingesetzte Instrument der Vorfälligkeitsentschädigung stehen der Möglichkeit einer sich an den aktuellen Marktkonditionen bemessenden vorzeitigen Begleichung häufig entgegen. Ähnlicher Auffassung Breker/Gebhardt/Pape (2000), S. 737. Des Weiteren kann sich infolgedessen eine vorzeitige Begleichung von Schulden negativ auf Anschlussfinanzierungen auswirken. Vgl. Becker/Wiechens (2008), S. 630. Vgl. Starbatty (2005), S. 69.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
159
werden. Wie bereits im Zusammenhang mit der bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten der Aktivseite erläutert wurde,866 nähert sich der Fair Value eines Schuldinstruments mit zunehmender Fristigkeit dem Nominalbetrag an. Dies gilt gleichermaßen für finanzielle Verbindlichkeiten, die nicht vorzeitig beglichen werden.867 Die im Rahmen der Fair Value-Bewertung aus Veränderungen des Bonitäts- oder Zinsänderungsrisikos resultierenden Erträge werden durch entsprechende Aufwendungen über die Totalperiode wieder ausgeglichen.868
4.3
Zwischenergebnis
Durch die Anwendung des Mixed Model sollen sich die jeweils zugrunde gelegten Wertmaßstäbe an den Informationsansprüchen der Kapitalgeber orientieren. Wie es der informationelle Zweck der stichtagsbezogenen Darstellung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens erfordert, richtet sich die bilanzielle Bewertung von Finanzinstrumenten in Abhängigkeit vom jeweiligen Geschäftszweck an den vom Unternehmen erwarteten künftigen Cashflows aus. Im Gegensatz zu den meisten übrigen Bilanzposten bestehen bei Finanzinstrumenten mit Ausnahme der strategischen Beteiligungen keine Verbundeffekte oder andere unternehmensindividuelle Nutzungsmöglichkeiten, durch welche die allgemeinen Markterwartungen vom unternehmensspezifischen Ertragswert abweichen können. Dennoch sind die marktwertorientierte und die anschaffungskostenorientierte Bewertung von elementaren Unterschieden hinsichtlich der jeweiligen Wertermittlungskonzeption geprägt, die weit über den offensichtlichen Unterschied hinausgehen, der aus der Anschaffungskostenobergrenze resultiert.
Für die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten besteht keine unmittelbare Relevanz der marktwertorientierten Bewertung im Sinne einer imparitätischen Fair ValueKonzeption. Der Fair Value berücksichtigt alle relevanten Faktoren, die sich auf den Marktpreis eines Finanzinstruments auswirken, aber nicht alle der einbezogenen finanziellen Risiken üben tatsächlich einen Einfluss auf die erwarteten künftigen Zahlungsströme des Unternehmens aus. Im Rahmen der Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten 866 867 868
Siehe Abschnitt 4.1.4.1. Vgl. Starbatty (2005), S. 71. Vgl. Becker/Wiechens (2008), S. 629.
160
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
sollte daher in beiden Rechnungslegungssystemen nicht zwingend auf einen den Buchwert unterschreitenden Fair Value abgeschrieben werden, sondern eine Selektion der in Abhängigkeit des zugrunde liegenden Geschäftszwecks relevanten Risiken stattfinden. Hierbei ist zwischen Schuld- und Eigenkapitalinstrumenten zu differenzieren. Speziell bei Schuldinstrumenten können sich durch die Selektion der für das jeweilige Unternehmen relevanten finanziellen Risiken gravierende Wertunterschiede im Vergleich zum Fair Value ergeben. In der vorliegenden Arbeit wurde diesbezüglich der risikodifferenzierende Ansatz vorgestellt.
Eine Bewertung zum Fair Value einschließlich einer Überschreitung der historischen Anschaffungskosten ist hingegen entscheidungsnützlich, wenn entweder für das betreffende Finanzinstrument eine Handelsabsicht besteht oder es sich um ein Eigenkapitalinstrument handelt, für das ein aktiver Markt existiert. Für Eigenkapitalinstrumente bildet mit Ausnahme von strategischen Beteiligungen der sich in einem liquiden Markt ergebende Preis den verlässlichsten Schätzer für die stichtagsbezogene Bewertung. Ist jedoch kein Marktpreis vorhanden, erfüllt eine auf Bewertungsmethoden basierende Bilanzierung von Eigenkapitalinstrumenten nicht die an die Rechnungslegung gestellte Anforderung des notwendigen Mindestmaßes an Verlässlichkeit. Die Abbildung der zwischenzeitlichen Fair Value-Änderungen in der Gewinn- und Verlustrechnung trägt sowohl in Bezug auf Eigenkapital- als auch Schuldinstrumente nur zur Entscheidungsnützlichkeit des Jahresabschlusses bei, wenn eine Handelsabsicht besteht, um mittels des Fair Value dem zum Stichtag erzielten Handelserfolg Ausdruck zu verleihen.
4.4 4.4.1
Zur Weiterentwicklung der Vorschriften zur bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten Handelsrechtliche Annäherung an internationale Rechnungslegungsgrundsätze
Die durch das Bilanzrechtsreformgesetz vom 4. Dezember 2004 eingeleitete und durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vom 25. Mai 2009 maßgeblich vorangetriebene Betonung des Informationszwecks der handelsrechtlichen Rechnungslegung führt zu einer Verlagerung der Gewichtung handelsrechtlicher Rechnungslegungsgrundsätze. Durch die gestiegene Bedeutung des Informationszwecks erfährt das Vorsichtsprinzip stellenweise
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
161
eine Eingrenzung.869 Diese Veränderung findet einerseits Ausdruck in der stärker ausgeprägten wirtschaftlichen Betrachtungsweise, der das Realisationsprinzip mit der Einführung der marktwertorientierten Bewertung der Finanzinstrumente des Handelsbestands von Banken unterzogen wird.870 Andererseits wird durch die nun explizit zulässige Bildung von Bewertungseinheiten bei Vorliegen von Sicherungsbeziehungen das Verlustantizipationsziel des Imparitätsprinzips auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage beschränkt.871
Mit diesem Reformprozess vollzieht der Gesetzgeber eine Annäherung an die internationalen Rechnungslegungsgrundsätze.872 Die bisher aufgrund des uneingeschränkt geltenden Vorsichtsprinzips mit dem Realisationsprinzip nicht zu vereinbarende Fair ValueBewertung wird durch die neue Vorschrift des § 340e Abs. 3 HGB bei bestimmten Sachverhalten für zulässig erklärt. Der Handelserfolg von Banken wird mit dem Ziel der Steigerung der Entscheidungsnützlichkeit von Jahresabschlüssen periodengerecht abgebildet.873 Trotz des im Unterschied zu IAS 39 bestehenden Risikoabschlags sowie der zusätzlichen Reserven im Fonds für allgemeine Bankrisiken ist die Analogie dieser Neuinterpretation des Realisationsprinzips zu den internationalen Rechnungslegungsvorschriften unverkennbar. Im Ergebnis erfährt das Vorsichtsprinzip in diesem Zusammenhang eine punktuelle Eingrenzung zugunsten des Grundsatzes der Periodenabgrenzung, eine mit dem Rahmenkonzept der IFRS vergleichbare hierarchische Anordnung der Rechnungslegungsgrundsätze.874
Die Veränderungen verdeutlichen, dass die vom deutschen Gesetzgeber intendierte Harmonisierung der beiden Rechnungslegungssysteme eine Annäherung der jeweiligen Zwecksetzung bedingt. Dieses Erfordernis wurde im Zuge des Bilanzrechtsmodernisie-
869
870 871
872 873 874
Zur Bedeutung der Zwecksetzung der Rechnungslegung für den Stellenwert der jeweiligen Rechnungslegungsgrundsätze vgl. auch Küting (2006), S. 1449. Vgl. Böcking (2007b), S. 152 f.; Böcking/Torabian (2008), S. 267. Finanzielle Risiken, die durch Risikomanagementstrategien effektiv abgesichert sind, treffen jedoch aller Voraussicht nach nicht ein. Die aus dem Imparitätsprinzip resultierende Antizipation von künftigen Verlusten zielt auf tatsächlich zu erwartende Abgangsverluste ab. Vgl. Wüstemann (1995), S. 1037-1040. Zu diesem Ziel der Bundesregierung im Allgemeinen vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 34. Siehe Abschnitt 4.2.1.2. Vgl. Patek (2007), S. 462, Fn. 64. Handelsrechtlich gilt das Vorsichtsprinzip als ein elementarer Grundsatz der ordnungsmäßigen Buchführung, während es im Rahmenkonzept des IASB einen Sekundärgrundsatz der Verlässlichkeit bildet. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 2.2.3.1. Für einen Vergleich zwischen HGB und IFRS hinsichtlich der Stellenwerte des Vorsichtsprinzips und des Periodisierungsgrundsatzes vgl. Beisse (1993), S. 92; Küting (1993), S. 36 f.; Moxter (1995), S. 502 f.
162
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
rungsgesetzes und der damit einhergehenden Stärkung des Informationszwecks der Rechnungslegung berücksichtigt. Die mit der Einführung einer Fair Value-Bewertung von bestimmten Finanzinstrumenten verbundene Einbeziehung von realisierbaren Ertragskomponenten im Handelsbilanzrecht ist nicht nur mit den GoB – zumindest aus hermeneutischer Sicht – vereinbar,875 sondern entspricht zugleich den europäischen Bilanzrichtlinien respektive der 4. EG-Richtlinie,876 auf deren Basis das Realisationsprinzip durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz im HGB kodifiziert wurde.877
4.4.2 4.4.2.1
Eindämmung grundlegender Schwächen des Mixed Model Notwendigkeit praktikabler Vorschriften zur Abbildung von Sicherungsbeziehungen
Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, dass eine Ausrichtung an den für das bilanzierende Unternehmen relevanten Zahlungsströmen zwei grundlegende Anforderungen stellt: Die Wahl des adäquaten Wertmaßstabs hängt erstens vom Geschäftszweck ab, der mit einem Finanzinstrument verfolgt wird, und zweitens von der Art des Finanzinstruments im Sinne einer grundlegenden Differenzierung zwischen Eigenkapital- und Schuldinstrumenten. Die Anwendung verschiedener Wertmaßstäbe und damit eine als Mixed Model ausgestaltete Bewertungskonzeption ist folglich unumgänglich. Ein erheblicher Nachteil, der aus der Anwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe in Verbindung mit dem Einzelbewertungsprinzip erwächst, ist die fehlende Abbildung von Sicherungsbeziehungen.878 Die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften zur Bildung von Bewertungseinheiten erlauben es, durch ihren breiten Geltungsbereich – dieser erstreckt sich u.a. auf Sicherungsbeziehungen auf der Makro- bzw. Portfolio-Ebene sowie antizipative Sicherungsbeziehungen – einen Großteil dieser Darstellungsmängel auszuräumen. Mittels der Dokumentationsanforderungen wird dabei ein bilanzpolitisch getriebener Missbrauch der Vorschrift weitestgehend vermieden.879
875 876 877 878 879
Siehe hierzu Abschnitt 4.2.1.2. Vgl. Europäische Kommission (1995b), Rn. 17-19. Siehe hierzu Abschnitt 2.1.1. Vgl. auch Schmidt (2008), S. 3. Siehe Abschnitt 3.3.1.1. Siehe Abschnitt 3.3.1.2.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
163
Das Hedge Accounting nach IAS 39 zeichnet sich durch stark restriktive Regelungen aus, die den Geltungsbereich auf nur einen Bruchteil der möglichen Anwendungsfälle reduzieren.880 Auf diese Schwäche der Bewertungsvorschriften für Finanzinstrumente hat der IASB bereits mit der Einführung der Fair Value-Option reagiert. Die Option ermöglicht u.a. eine im Vergleich zum Hedge Accounting relativ unkomplizierte Beseitigung der durch Bewertungsinkonsistenzen auftretenden Rechnungslegungsanomalien.881 Die Fair Value-Option bietet jedoch aus zwei wesentlichen Gründen keinen adäquaten Ersatz für das Hedge Accounting. Zum einen können durch eine marktwertorientierte Bewertung des Grundgeschäfts und des Sicherungsinstruments nur Abbildungsprobleme behoben werden, die eine Absicherung des Fair Value betreffen (Fair Value Hedge). Zahlungsstromorientierte Sicherungsstrategien wie ein antizipativer Hedge können durch die Fair ValueOption nicht erfasst werden. Zum anderen findet im Rahmen der Fair Value-Option eine reine Fair Value-Bewertung statt, durch die alle Marktpreisschwankungen abgebildet werden. Ziel des Hedge Accounting sollte es jedoch sein, ausschließlich die Risikofaktoren einzubeziehen, auf deren Kompensation die jeweilige Sicherungsstrategie tatsächlich abzielt.882
Sicherungsbeziehungen stellen spezielle Sachverhalte dar, die im Rahmen der bilanziellen Bewertung ebenso wie die übrigen Geschäftsvorfälle einer Fokussierung auf die erwarteten Cashflows des Unternehmens bedürfen.883 Hier weisen die IFRS im Gegensatz zu den handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften noch erheblichen Verbesserungsbedarf auf. Dem IASB ist dieses Defizit bewusst,884 daher soll im Rahmen der Ersetzung des IAS 39 durch IFRS 9 auch eine grundlegende Überarbeitung des Hedge Accounting vorgenommen werden.885
880 881 882 883
884
885
Siehe Abschnitt 3.3.1.3.1. Vgl. Barckow/Glaum (2004), S. 190. Vgl. Becker (2005), S. 294; a.A. Barckow/Glaum (2004), S. 198. Wie wichtig eine der wirtschaftlichen Realität entsprechende Abbildung von Sicherungsbeziehungen ist, zeigt die Studie von Zhang anhand der US-GAAP. Demnach hat die Einführung des Hedge Accounting gemäß SFAS No. 133 zu vorsichtigeren Sicherungsstrategien der Unternehmen geführt. Vgl. Zhang (2009), S. 263. Eine erste Sondierung der vorhandenen Möglichkeiten hat der IASB im Rahmen des Diskussionspapiers „Reducing Complexity in Reporting Financial Instruments“ vorgenommen. IASB (2008b), Rn. 2.23 bis 2.98. Siehe hierzu auch Abschnitt 4.4.3.1.
164 4.4.2.2
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
Eingrenzung des bilanzpolitischen Spielraums aus Bewertungswahlrechten
Aus welchen Gründen die Einräumung von Bewertungswahlrechten vorwiegend kritisch zu betrachten ist, wurde bereits erörtert und ist insbesondere auf die mangelnde Transparenz zurückzuführen,886 auch oder gerade weil solche Wahlrechte bei einer Ausrichtung der bilanziellen Bewertung am jeweiligen Geschäftszweck des Finanzinstruments (Management Intent) unvermeidbar sind. Ein adäquater Weg, den jeweiligen Geschäftszweck verlässlich zum Ausdruck zu bringen, ist die Voraussetzung einer hinreichenden Dokumentationsnachweise.887 Den neuralgischen Punkt bei der Anwendung eines sich am Geschäftszweck orientierenden Mixed Model bildet die freiwillige oder zwingende Umwidmung von Finanzinstrumenten in eine andere Bewertungskategorie.
Die bilanziellen Konsequenzen, die mit dem jeweiligen Geschäftszweck verbunden sind, dürfen nicht für bilanzpolitische Ziele missbraucht werden. Ob eine Handelsabsicht oder die Absicht und Fähigkeit zum Halten eines Schuldinstruments bis zu seiner Fälligkeit tatsächlich besteht, unterliegt in gewissen Grenzen dem subjektiven Ermessen des Unternehmens und räumt damit zunächst ein faktisches Wahlrecht ein.888 Eine auf den Zugangszeitpunkt beschränkte und unwiderrufliche Designation reduziert den bilanzpolitischen Bewertungsspielraum in einem wesentlichen Maße, schließlich ist die zukünftige Wertentwicklung zum Zugangszeitpunkt nicht absehbar und damit eine aktive Steuerung der Jahresabschlussinformationen damit ausgeschlossen. Mit dieser Maßnahme geht jedoch ein striktes Umwidmungsverbot einher. Die Analyse der Auswirkungen eines solchen Verbots bedarf der Differenzierung zwischen der freiwilligen Umwidmung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands und der zwangsweisen Umwidmung als ein Sanktionsmechanismus für die Veräußerung eines nicht unwesentlichen Bestandteils von Schuldinstrumenten, denen das bilanzierende Unternehmen eine Halteabsicht unterstellt und sie deshalb bisher zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet hat.
Spätestens die internationale Finanzmarktkrise hat offengelegt, dass in Bezug auf den zum Fair Value bewerteten Handelsbestand ein generelles Umwidmungsverbot weder praktika886 887 888
Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 3.3.2.3. Vgl. Böcking/Torabian (2009), S. 262. Vgl. auch Böcking/Torabian (2009), S. 261. Banken erfahren durch den grundsätzlichen Gleichlauf zwischen dem handelsrechtlichen Handelsbestand und dem aufsichtsrechtlichen Handelsbuch eine Einschränkung. Siehe Abschnitt 4.2.1.1.1.
Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
165
bel noch der Zwecksetzung der Rechnungslegung dienlich ist.889 Die Beschränkung der Möglichkeit einer Umwidmung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands auf außergewöhnliche Ereignisse, wie sie gegenwärtig sowohl im Handelsbilanzrecht als auch nach IAS 39 vorgenommen wird, setzt hohe sachverhaltsbezogene sowie dokumentarische Restriktionen. Zugleich bewahrt es vor einer Verzerrung der im Jahresabschluss zum Ausdruck gebrachten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens, die durch ein generelles Umwidmungsverbot verursacht werden können, wenn die bilanzielle Abbildung des Geschäftsvorfalls von der tatsächlichen Intention des Unternehmens abweicht.
Die in IAS 39 angewandte Tainting Rule für die bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen besagt, dass die Veräußerung von mehr als einen unwesentlichen Teil des Bestands die Auflösung der Bewertungskategorie in Verbindung mit einer zweijährigen Sperre zur Folge hat. In Konsequenz werden die in dieser Bewertungskategorie noch enthaltenen Finanzinvestitionen einer marktwertorientierten Bewertung unterzogen. Die Androhung dieser Sanktion soll zur Glaubwürdigkeit der Bewertungskategorie beitragen, da die anschaffungskostenorientierte Bewertung nur zweckmäßig ist, wenn keine vorzeitige Beendigung durch Veräußerung des Schuldinstruments stattfindet. Da den Unternehmen der generelle Ausschluss einer zwischenzeitlichen Veräußerung im Vorfeld nicht möglich ist, kann aus der strikten Einhaltung der Tainting Rule gegebenenfalls ein Einfluss der Rechnungslegung auf die Entscheidungen des Managements resultieren. Die Tainting Rule geht daher zu weit.890 Auf ihre kaum absehbaren bilanziellen Folgen ist wahrscheinlich auch die in der Praxis äußerst seltene Anwendung der Bewertungskategorie der bis zur Endfälligkeit gehaltenen Finanzinvestitionen zurückzuführen.891
Ein striktes Umwidmungsverbot für den Handelsbestand oder die Tainting Rule für die zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerteten Schuldinstrumente sind aus Verlässlichkeitserwägungen zwar wünschenswert, drohen jedoch die Relevanz der Information im Sinne einer sich am jeweiligen Geschäftszweck des Finanzinstruments orientierenden Bewertung zu unterminieren. Die Bewertungsspielräume sind eine Konsequenz der Ausrichtung der bilanziellen Bewertungsvorschriften am jeweiligen Geschäftszweck und können daher 889 890 891
Siehe hierzu Abschnitt 4.2.1.4.2. Ähnlicher Auffassung IASB (2008b), Rn. 3.25. Vgl. IASB (2009c), Rn. BC52.
166
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nicht ausgeschlossen, sondern bestenfalls durch die Beschränkung auf bestimmte Ereignisse sowie genaue Dokumentationsanforderungen auf ein tolerables Maß reduziert werden.
4.4.3 4.4.3.1
Projekt des IASB zur Ersetzung des IAS 39 Neue Bewertungskonzeption für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten durch IFRS 9
Der IASB befindet sich auf der Suche nach Wegen, die von den Anwendern und Adressaten als zu komplex empfundene Bewertungskonzeption des IAS 39 zu vereinfachen. Unterschiedliche Vorschläge für dieses Vorhaben wurden im März 2008 im Discussion Paper „Reducing Complexity in Reporting Financial Instruments“ unterbreitet.892 Ein zentrales Thema, mit dem sich der IASB bei der Weiterentwicklung der Bewertungsvorschriften für Finanzinstrumente auseinandersetzt, betrifft die Verwendung unterschiedlicher Wertmaßstäbe und die damit verbundenen Bewertungskategorien.893 Nach bisheriger Auffassung des Standardsetters trägt das Mixed Model erheblich zur bestehenden Komplexität der Bewertungskonzeption bei und reduziert in Konsequenz die Verständlichkeit des Jahresabschlusses.894 Als langfristiges Ziel wurde daher die Vereinfachung der bilanziellen Bewertung durch die Vereinheitlichung des verwendeten Wertmaßstabs angestrebt.895 Demnach weist der Fair Value die höchste Entscheidungsnützlichkeit auf, sodass langfristig alle Finanzinstrumente zum Fair Value bewertet werden sollen.896
Das Argument einer grundsätzlich höheren Entscheidungsnützlichkeit des Fair Value vermag ebenso wenig zu überzeugen, wie die damit beabsichtigte Vereinfachung im Sinne einer besseren Verständlichkeit des Jahresabschlusses aufgrund der einheitlichen Bewertung aller Finanzinstrumente. Ein Full Fair Value-Ansatz erhöht zwar die Verständlichkeit der Bewertungskonzeption, jedoch verbessern sich nicht automatisch die daraus resultierenden Jahresabschlussinformationen.897 Zwischenzeitlich scheint sich auch beim Standardsetter ein Paradigmenwechsel vollzogen zu haben. Die mangelnde Akzeptanz des Full 892 893
894 895 896 897
Vgl. IASB (2008b). Für eine Aufzählung der Bewertungsvielfalt gemäß der aktuellen Regelungen der IFRS vgl. IASB (2008b), Rn. 1.2. Vgl. IASB (2008b), Rn. BD16. Vgl. IASB (2008b), Rn. 1.8. Vgl. hierzu ausführlich IASB (2008b), Rn. 3.7 bis 3.39. Vgl. Alvarez (2008), S. 1835; a.A. Schruff (2005), S. 133 f.
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Fair Value-Ansatzes hat zu einem erheblichen Teil dazu beigetragen, dass der internationale Standardsetter seit kurzer Zeit den Full Fair Value-Ansatz nicht mehr als die beste Bewertungskonzeption erachtet, solange die damit verbundenen Probleme nicht gelöst werden können.898
Konkrete Änderungen der Bewertungskonzeption für Finanzinstrumente wurden im November 2009 durch die Verabschiedung des „IFRS 9 Financial Instruments“ vorgenommen,899 der den Abschluss der ersten von drei Phasen bildet, um IAS 39 vollständig zu ersetzen. In der anschließenden zweiten Phase werden die Regelungen zum Impairment und in der dritten Phase das Hedge Accounting konzeptionell überarbeitet.900 Parallel dazu widmen sich zwei weitere Projekte des IASB der bilanziellen Behandlung finanzieller Verbindlichkeiten sowie den Ausbuchungsvorschriften.901 Ein Endorsement des IFRS 9 durch die EU steht dabei noch aus. Die Europäische Kommission erwägt eine Übernahme des IFRS 9 jedoch erst mit Fertigstellung aller drei Phasen des Projekts.
Die Regelungen des IFRS 9 beschränken sich bisher auf finanzielle Vermögenswerte und umfassen im Kern folgende Veränderungen: Die zur Auswahl stehenden Bewertungskategorien werden auf die zwei wesentlichen Gruppen reduziert. Diese bestehen aus den zu fortgeführten Anschaffungskosten und die zum Fair Value bewerteten finanziellen Vermögenswerte.902 Hinsichtlich der Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten wird die Unterscheidung zwischen den an einem aktiven Markt gehandelten Schuldinstrumenten und sonstigen Krediten bzw. Forderungen aufgegeben. Die Möglichkeit zur anschaffungskostenorientierten Bewertung beschränkt sich nun auf Schuldinstrumente, deren vertraglich vereinbarte Zahlungsströme ausschließlich Zins- und Tilgungszahlungen auf den ausstehenden Nominalbetrag vorsehen.903 Folglich dürfen die Zahlungsströme auch keine Hebelwirkung (Leverage) aufweisen, damit kommt eine anschaffungskostenorientierte Bewertung auch für derivative Finanzinstrumente wie freistehende Optionen, Forwards
898 899 900 901 902 903
Vgl. IASB (2009c), Rn. BC13. Vgl. IASB (2009b). Vgl. IASB (2009b), Rn. IN12. Vgl. IASB (2009b), Rn. IN7, IN13. Vgl. IASB (2009b), Rn. IN10 f. Vgl. IASB (2009b), Rn. 4.2(b); IASB (2009c), Rn. BC29-BC32.
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oder Swaps nicht in Betracht.904 Sofern das Geschäftsmodell allein auf die Vereinnahmung der vertraglich festgelegten Zahlungsströme solcher einfach ausgestalteten Schuldinstrumente abzielt, sind die betreffenden finanziellen Vermögenswerte zu fortgeführten Anschaffungskosten zu bewerten.905 Die Prüfung des Geschäftsmodells erfolgt nicht auf Einzelgeschäftsbasis, sondern auf einer aggregierten Ebene wie beispielsweise Portfolios. Die Bestimmung der Anwendungsebene dieses Kriteriums erweist sich auch nach Ansicht des IASB als eine Ermessensentscheidung des Unternehmens und räumt somit in gewissen Grenzen ein faktisches Wahlrecht ein.906
Alle übrigen Finanzinstrumente sind grundsätzlich einer ergebniswirksamen Fair ValueBewertung zu unterziehen.907 Lediglich für die nicht zu Handelszwecken gehaltenen Eigenkapitalinstrumente ist dabei die Möglichkeit einer erfolgsneutralen Behandlung von Schwankung des Fair Value in Kombination mit einer erfolgswirksamen Erfassung der entsprechenden Dividenden vorgesehen.908 Die Designation zu den erfolgsneutral bilanzierten Eigenkapitalinstrumenten erfolgt zum Ansatzzeitpunkt jeweils auf Einzelgeschäftsbasis (Share by Share) und gilt unwiderruflich bis zur Ausbuchung. Damit existieren auch nach IFRS 9 nicht zwei, sondern genau genommen drei Bewertungskategorien. Zudem bleibt das als Fair Value-Option bezeichnete Wahlrecht zur freiwilligen erfolgswirksamen Fair Value-Bewertung weiterhin erhalten. Allerdings beschränkt sich die an die Anwendung der Fair Value-Option geknüpfte Voraussetzung auf die Ausräumung von Inkongruenzen bei der bilanziellen Bewertung (Rechnungslegungsanomalien).909
904
905 906 907 908 909
Vgl. IASB (2009b), Rn. B4.8 f. Hingegen sind Kündigungs- und Verlängerungsoptionen für die Prüfung der vertraglich vereinbarten Zahlungsströme unschädlich, sofern sie nicht an ungewisse zukünftige Ereignisse anknüpfen. Solche ungewissen zukünftigen Ereignisse sind für eine anschaffungskostenorientierte Bewertung nur dann unschädlich, wenn sie den Gläubiger vor einer Bonitätsverschlechterung, einem Change of Control-Ereignis beim Schuldner oder eine Vertragspartei vor Änderungen der (Steuer-)Gesetzgebung schützen. Ferner darf die Ausübung einer Verlängerungsoption die Zahlungsströme des Schuldinstruments nur insoweit verändern, dass die Zahlungsströme weiterhin ausschließlich Zins- und Tilgungszahlungen auf den ausstehenden Nominalbetrag darstellen. Vgl. IASB (2009b), Rn. B4.10B4.11. Vgl. hierzu auch Märkl/Schaber (2010), S. 68. Ebenfalls als unschädlich erweisen sich mit einem Schuldinstrument zusammen abgeschlossene Zinsswaps, die lediglich einen Tausch zwischen festen und variablen Zinsen bewirken. Vgl. IASB (2009b), Rn. B4.13. Vgl. IASB (2009b), Rn. 4.2(a). In Anlehnung an Märkl/Schaber (2010), S. 66. Vgl. IASB (2009b), Rn. 5.4.1. Vgl. IASB (2009b), Rn. 5.4.4 f. Vgl. IASB (2009b), Rn. 4.5.
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Eine Umwidmung bzw. Umkategorisierung ist ausschließlich bei einer Änderung des Geschäftsmodells zulässig.910 Eine solche Änderung des Geschäftsmodells liegt vor, wenn entsprechende Schritte durch die Geschäftsführung beschlossen werden, die sich signifikant auf die Arbeitsabläufe des Unternehmens auswirken und zum Zeitpunkt der Umwidmung bereits beschlossen sind. Zudem muss die vorgenommene Änderung Dritten gegenüber eindeutig nachweisbar sein.911 Eine Umwidmung darf nur prospektiv zu Beginn jenes Berichtszeitraums vorgenommen werden, welcher dem Zeitpunkt der Änderung des Geschäftsmodells folgt. Auf diese Weise versucht der IASB die bewusste Steuerung der mit einer Umwidmung verbundenen Bewertungseffekte weitestmöglich einzuschränken.912 Die Bewertungskonzeption von IFRS 9 lässt sich grafisch wie folgt zusammenfassen.
Schuldinstrument? Ja
Nein
Vereinnahmung vertraglicher Cashflows als Geschäftsmodell?
Nein
Ja
Handelsabsicht?
Ja
Nein
Cashflows im Wesentlichen aus Zins und Tilgung bestehend?
Nein
Inanspruchnahme des Wahlrechts für Eigenkapitalinstrumente?
Ja
Fair Value Option?
Ja
Nein
Ja
Nein
Fortgeführte Anschaffungskosten
Ergebniswirksame Fair Value-Bewertung
Ergebnisneutrale Fair Value-Bewertung
Abbildung 10: Bewertungskonzeption für finanzielle Vermögenswerte gemäß IFRS 9
4.4.3.2
Beurteilung der Veränderungen der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten durch IFRS 9
Der IASB beabsichtigt, durch IFRS 9 die Gestaltung der Bewertungskategorien einer wesentlichen Vereinfachung zu unterziehen. Damit soll die Verständlichkeit der Bewertungskonzeption und letztlich der daraus resultierenden Jahresabschlussinformationen 910 911 912
Vgl. IASB (2009b), Rn. 4.9. Vgl. IASB (2009b), Rn. B5.9 f. IASB (2009c), Rn. BC73.
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erhöht werden. Einige wesentliche Elemente des IFRS 9 sind zu begrüßen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Erleichterung hinsichtlich der anschaffungskostenorientierten Bewertung der an einem aktiven Markt gehandelten Schuldinstrumente durch die Streichung der Tainting Rule hervorzuheben, die zugleich eine Differenzierung der Schuldinstrumente anhand des Kriteriums des aktiven Markts obsolet werden lässt. Ferner sollen weiterhin Derivate und Eigenkapitalinstrumente im Gegensatz zu Schuldinstrumenten prinzipiell zum Fair Value bewertet werden.913 Zudem sieht der IASB andere Anwendungsbereiche der Fair Value-Option als die Bereinigung der Jahresabschlussinformationen von Rechnungslegungsanomalien als verzichtbar an und hat sie daher in IFRS 9 gestrichen.
Andere Bestandteile des IFRS 9 sind hingegen nicht mit der Grundauffassung vereinbar, dass sich die Bewertung von Finanzinstrumenten an den für das Unternehmen relevanten Zahlungsströmen ausrichten sollte. Erstens qualifizieren sich ausschließlich Schuldinstrumente für eine anschaffungskostenorientierte Bewertung, die bereits zum Ansatzzeitpunkt Teil eines auf die Vereinnahmung der vertraglichen Zahlungsströme abzielenden Geschäftsmodells sind. Alle übrigen finanziellen Vermögenswerte werden der Kategorie der zum Fair Value bewerteten Finanzinstrumente zugeordnet. Diese Negativabgrenzung der zum Fair Value zu bewertenden finanziellen Vermögenswerte ist ein klarer Schritt in Richtung des langfristigen Ziels eines Full Fair Value-Ansatzes.
Zweitens eröffnet IFRS 9 bezüglich der bilanziellen Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten erhebliche bilanzpolitische Spielräume. Aus der Beschränkung der anschaffungskostenorientierten Bewertung auf Schuldinstrumente resultiert die generelle Pflicht zur Fair Value-Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten. Eigenkapitalinstrumente, für die keine Handelsabsicht besteht, können nach freiem Ermessen des bilanzierenden Unternehmens einer erfolgsneutralen Fair Value-Bewertung unterzogen werden. Der mit diesem Wahlrecht verbundene bilanzpolitische Spielraum soll eingeschränkt werden, indem das Wahlrecht nur zum Ansatzzeitpunkt ausgeübt und in der Folgebewertung nicht widerrufen werden kann. Im Ergebnis reduziert sich durch die Möglichkeit der unterschiedlichen bilanziellen Behandlung von nicht zu Handelszwecken gehaltenen Eigenkapitalinstrumen913
Diese grundlegende Differenzierung war bereits Bestandteil des Discussion Paper „Reducing Complexity in Reporting Financial Instruments“. Vgl. Alvarez (2008), S. 1835.
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ten die Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen, ohne dass mit der Einräumung des expliziten Wahlrechts ein informationeller Vorteil verbunden ist. Auch ein Recycling der erfolgsneutral erfassten Fair Value-Änderungen zum Abgangszeitpunkt ist nicht mehr vorgesehen, ohne dafür eine nachvollziehbare Begründung zu leisten.914 Des Weiteren sollen künftig alle Eigenkapitalinstrumente zum Fair Value bewertet werden, unabhängig davon, ob ein aktiver Markt besteht. Kritisch ist in dem Zusammenhang insbesondere zu sehen, dass die auf Basis von Bewertungsmodellen ermittelten Fair Values von Eigenkapitalinstrumenten nicht die erforderliche Verlässlichkeit aufweisen;915 eine für entscheidungsnützliche Rechnungslegungsinformationen notwendige Bedingung.916 Auch die mit einer eigenen Bewertung von Eigenkapitalinstrumenten verbundenen Kosten werden häufig nicht im Verhältnis zu dem damit verbundenen Nutzen stehen.
Drittens setzt eine Umwidmung nach IFRS 9 voraus, dass sich das Geschäftsmodell des Unternehmens verändert hat. Diese Abhängigkeit vom jeweiligen Geschäftsmodell kann im Vergleich zu einer an dem Geschäftszweck des Finanzinstruments ausgerichteten Bilanzierung zu erheblichen Diskrepanzen führen. Sofern sich bei gleichbleibendem Geschäftsmodell die mit einem Finanzinstrument verfolgten Absichten ändern, erlaubt IFRS 9 keine Umwidmung und verhindert damit eine am jeweiligen Geschäftszweck ausgerichtete bilanzielle Bewertung. Die inkonsistente Ausgestaltung der Regelungen des IFRS 9 hinsichtlich der Umwidmung von Finanzinstrumenten kommt insbesondere im Zusammenhang mit den zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerteten Schuldinstrumenten zum Vorschein. Schließlich lassen es die Regelungen des IFRS 9 offen, welche Konsequenzen damit verbunden sind, wenn mehr als ein unwesentlicher Teil eines zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerteten Portfolios veräußert wird und die Veräuße-
914
Das diesbezüglich vom IASB angeführte Argument, dass durch die ausschließlich erfolgsneutrale Bewertung dieser Eigenkapitalinstrumente keine Feststellung von Wertminderungen notwendig ist, kann hierbei nicht überzeugen. Zwar kann aus Vereinfachungsgründen in Erwägung gezogen werden, auf eine Feststellung von zwischenzeitlichen Wertminderungen zu verzichten, doch bietet dies noch kein stichhaltiges Argument für einen Wegfall des sogenannten Recyclings zum Abgangszeitpunkt. Vgl. hierzu IASB (2009c), Rn. BC72. 915 Dies ist im Zusammenhang mit den geplanten Änderungen des Rahmenkonzepts zu sehen. Demnach soll u.a. der Grundsatz der Verlässlichkeit durch den Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung ersetzt werden. Des Weiteren wurde zwischenzeitlich der Vorschlag verworfen, den Grundsatz der glaubwürdigen Darstellung um den Sekundärgrundsatz der Nachprüfbarkeit zu ergänzen. Letzteres soll lediglich ein komplementäres Kriterium für entscheidungsnützliche Informationen bilden. Siehe hierzu Abschnitt 3.4.2.2. 916 Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.2.
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Vergleich der Konzeption zur Bewertung von Finanzinstrumenten gemäß HGB und IFRS
rungen nicht im Zusammenhang mit einer Änderung des Geschäftsmodells stehen. Eine Umwidmung ist unter diesen Voraussetzungen verboten, sodass nur zwei andere Möglichkeiten bestehen: Entweder die Bewertungskategorie wird einfach trotz der Verkäufe beibehalten oder es wird eine retrospektive Fehlerkorrektur gemäß IAS 8 vorgenommen.917 Ersteres lässt die Überprüfung des Kriteriums der Vereinnahmung vertraglich vereinbarter Zahlungsströme im Rahmen der Folgebewertung überflüssig werden, während das Erfordernis einer retrospektiven Fehlerkorrektur ein ähnliches Abschreckungspotential wie die Tainting Rule entfalten könnte und zusätzlich die Gefahr birgt, dass die Rechnungslegungsvorschriften aufgrund ihrer sehr weitgehenden Konsequenzen die Entscheidungen des Managements beeinflussen. Die Abkehr von Umwidmungsmöglichkeiten bei einer Änderung des mit dem jeweiligen Finanzinstrument verfolgten Geschäftszwecks ist kaum nachvollziehbar. Letztlich haben die im Oktober 2008 vom IASB veröffentlichten und in einem Eilverfahren von der EU verabschiedeten Vorschriften zur Umwidmung gemäß IAS 39 bewiesen, zu welchen Schwierigkeiten eine sich nicht am jeweiligen Geschäftszweck eines Finanzinstruments orientierte bilanzielle Bewertung führen kann.918
917 918
Ähnlicher Auffassung Märkl/Schaber (2010), S. 68. Siehe hierzu ausführlich Abschnitt 4.2.1.4.2.
Thesenförmige Zusammenfassung
5
173
Thesenförmige Zusammenfassung 1.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich zu einer freiwilligen Modernisierung des Handelsbilanzrechts und zur Fortsetzung der Annäherung des HGB an die IFRS entschlossen. Unter Wahrung der Ausschüttungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Einzelabschlusses soll der Informationsgehalt des Jahresabschlusses erhöht werden. Dabei kommt der bilanziellen Bewertung von Finanzinstrumenten zum Fair Value eine hohe Bedeutung zu. Hinsichtlich der Eignung des Fair Value für die Informationsvermittlung besteht ein langjähriger und noch immer andauernder wissenschaftlicher Disput, der mit der Bilanzrechtsmodernisierung neu entfacht wurde.
2.
Um den Einfluss eines Wertmaßstabs auf den Informationsgehalt des Jahresabschlusses zu beurteilen, bedarf es zunächst einer genauen Erörterung, was nach HGB und IFRS unter dem Informationszweck zu verstehen ist. Die Rechnungslegungsgrundsätze der beiden Systeme stimmen zwar begrifflich größtenteils überein, nehmen aber teilweise einen unterschiedlichen Stellenwert ein oder weichen sogar inhaltlich voneinander ab. Die Unterschiede führen zu einer ambivalenten Literaturmeinung, ob dem HGB und den IFRS ein kongruentes Verständnis von der Informationsfunktion der Rechnungslegung zugrunde liegt. Diesbezüglich wird vielfach auf die mangelnde Vereinbarkeit des auf den Gläubigerschutz abzielenden HGB mit den an den Investoreninteressen ausgerichteten IFRS hingewiesen. Allein auf Basis von bilanzrechtstheoretischen Erwägungen lässt sich diese Frage nicht hinreichend beantworten und erfordert daher die Einbeziehung ökonomischer Gesichtspunkte.
3.
Unter Rückgriff auf finanzierungstheoretische Aspekte kann gezeigt werden, dass sich für beide Kapitalgebergruppen diejenigen Informationen als entscheidungsnützlich erweisen, die für die Prognose der Höhe, der zeitlichen Struktur sowie der Unsicherheit der erwarteten künftigen Cashflows relevant sind. Eine tiefergehende Konkretisierung der Relevanz von Informationen vermag die ökonomische Sichtweise durch die getroffenen Typisierungen jedoch ebenfalls nicht zu leisten. Das zweite wesentliche Kriterium zur Beurteilung der Entscheidungsnützlichkeit einer Information ist ihre Verlässlichkeit, hervorgerufen durch das von einer asymmetrischen In-
174
Thesenförmige Zusammenfassung
formationsverteilung geprägte Umfeld. Aus Sicht der Agency-Theorie weisen nur Informationen über den bisherigen Geschäftsverlauf eine hinreichende Verlässlichkeit auf. Demnach beschränkt sich der informationelle Zweck der Rechnungslegung auf die stichtagsbezogene Abbildung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens. Weitergehende Informationen im Sinne einer Unternehmenswertapproximation sind mit den an die Rechnungslegung gestellten Objektivierungserfordernissen nicht vereinbar. Letztlich haben die Gläubiger und die Investoren eines Unternehmens kongruente fundamentalanalytische Informationsinteressen, sodass auch das Verständnis vom Informationszweck der Rechnungslegung nach HGB und IFRS deckungsgleich sein muss. 4.
Im Rahmen der handelsrechtlichen Bewertung von Finanzinstrumenten wird bisher nicht hinreichend genau zwischen dem beizulegenden Wert und dem Fair Value differenziert. Das Niederstwertprinzip, in das der beizulegende Wert eingebettet ist, wird im Schrifttum häufig als eine imparitätische Fair Value-Konzeption bezeichnet. Dadurch wird dem beizulegenden Wert eine dem Fair Value kongruente Wertermittlungskonzeption unterstellt und der Unterschied der beiden Wertmaßstäbe auf die für den beizulegenden Wert geltende Anschaffungskostenobergrenze reduziert. Diese Schlussfolgerung kann aus dem Gesetzeswortlaut jedoch nur für das strenge Niederstwertprinzip gezogen werden, dem das Umlaufvermögen unterliegt. Hier sollte der Gesetzgeber in § 253 Abs. 4 HGB eine entsprechende Anpassung durchführen und den niedrigeren beizulegenden Wert durch den niedrigeren beizulegenden Zeitwert ersetzen. Diese Präzisierung mit rein deklaratorischem Charakter würde klarstellen, dass es sich beim beizulegenden Wert von Finanzanlagen um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, während der beizulegende Wert des Umlaufvermögens einem den Buchwert unterschreitenden Fair Value entspricht.
5.
Im Sinne einer am Geschäftszweck ausgerichteten Bilanzierung, um die stichtagsbezogene wirtschaftliche Lage des Unternehmens abzubilden, kann einer erfolgswirksamen Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten nur in Bezug auf den Handelsbestand eine klare Entscheidungsnützlichkeit zugesprochen werden. Die Veränderung des Fair Value ist als Ausdruck des zum Stichtag erzielten Handelserfolgs zu verstehen. Diesbezüglich besteht eine handelsrechtliche Regelungslücke hinsichtlich
Thesenförmige Zusammenfassung
175
der Bilanzierung von Derivaten. In Analogie zur Vorgehensweise in IAS 39 sollte den Derivaten auch im HGB eine prinzipielle Spekulationsabsicht unterstellt werden, die durch den Nachweis einer Sicherungsbeziehung widerlegt werden kann. In Bezug auf das HGB entspricht eine kategorische Ablehnung der Fair Value-Bewertung mit Verweis auf die Unvereinbarkeit mit den GoB nicht der hermeneutischen Methode. Zudem steht die Bewertung des Handelsbestands zum Fair Value nicht im Widerspruch zum Realisationsprinzip, sofern durch eine hohe Fungibilität des Handelsbestands ein quasisicherer Anspruch gewährleistet ist. 6.
Die übrigen Finanzinstrumente, die keinem Handelszweck unterliegen, sind einer grundlegenden Differenzierung zwischen Eigenkapital- und Schuldinstrumenten zu unterziehen. Im Gegensatz zu Schuldinstrumenten hängen die künftigen Zahlungsströme eines Eigenkapitalinstruments – und damit dessen stichtagsbezogener Wert – direkt von den Erfolgsaussichten des Emittenten ab. In einem nahezu informationseffizienten Markt werden alle öffentlich verfügbaren Informationen in die Preisbildung einbezogen. Die Marktpreise von Eigenkapitalinstrumenten weisen daher eine weitaus höhere Relevanz auf als die historischen Anschaffungskosten. Sofern kein aktiver Markt existiert, ergibt sich als Konsequenz der an die Rechnungslegung gestellten Objektivierungsanforderungen die Festlegung der historischen Anschaffungskosten als Wertobergrenze.
7.
Eine Ausnahme innerhalb der Eigenkapitalinstrumente bilden die strategischen Beteiligungen. Die vom bilanzierenden Unternehmen erwarteten künftigen Cashflows weichen von den allgemeinen Markterwartungen ab, wenn Synergien und Maßnahmen wie z.B. eine Restrukturierung in die Bewertung eingehen. Diese Besonderheit kommt im Rahmen der anschaffungskostenorientierten Bewertung in beiden Rechnungslegungssystemen durch das Abstellen auf Ertrags- bzw. Nutzungswerte zum Ausdruck. Bei der Ermittlung von Wertminderungen strategischer Beteiligungen sollten für eine stichtagsbezogene Abbildung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ausschließlich die zum Bilanzstichtag bestehenden Synergien sowie unwiderruflich eingeleiteten Maßnahmen berücksichtigt werden; eine im Rahmen der handelsrechtlichen Auslegung bislang nicht vorgenommene Einschränkung.
176
Thesenförmige Zusammenfassung
8.
Schuldinstrumente erfordern eine differenziertere Wertermittlungskonzeption als Eigenkapitalinstrumente. Die bilanzielle Erfassung von Veränderungen des Fair Value, die auf Marktrisiken zurückführen sind, die sich aufgrund des Pull to Par-Effekts über die Totalperiode wieder ausgleichen, trägt nicht zur Entscheidungsnützlichkeit bei, sondern erzeugt vielmehr eine künstliche Volatilität. Der in dieser Arbeit vorgeschlagene risikodifferenzierende Ansatz für die Bewertung von Schuldinstrumenten zu fortgeführten Anschaffungskosten orientiert sich ausschließlich an den für das bilanzierende Unternehmen relevanten Cashflows und weist dadurch eine höhere Entscheidungsnützlichkeit auf als der Fair Value. Dabei sollten alle zum jeweiligen Stichtag bekannten Informationen in die Bewertung einbezogen werden. Dies wird durch den nach IFRS verpflichtend anzuwendenden Incurred Loss-Ansatz im Gegensatz zum handelsrechtlichen Expected Loss-Ansatz nicht gewährleistet.
9.
Die stärkere Betonung des Informationszwecks im HGB führt zu Verlagerungen hinsichtlich der Gewichtung einzelner handelsrechtlicher Rechnungslegungsgrundsätze. Der Einfluss der Bilanzrechtsmodernisierung auf die handelsrechtlichen GoB wird insbesondere durch die Fair Value-Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands von Banken sowie die Bildung von Bewertungseinheiten deutlich. Es ergibt sich eine Neuinterpretation des Realisationsprinzips in Bezug auf die Bewertung von Finanzinstrumenten, die eine unverkennbare Analogie zur Auslegung gemäß IFRS aufweist. Im Ergebnis wird das Vorsichtsprinzip punktuell zugunsten des Grundsatzes der Periodisierung zurückgedrängt und eine stärkere wirtschaftliche Betrachtungsweise zum Ausdruck gebracht.
10. Die Analyse der Bewertungskonzeption des IFRS 9 hinterlässt ein zwiespältiges Bild. Positiv zu bewerten ist die prinzipielle Entscheidung zur Fortführung eines vereinfachten und sich am Geschäftsmodell des bilanzierenden Unternehmens orientierenden Mixed Model. Bei genauerer Betrachtung der Einzelregelungen wird jedoch offenkundig, dass auch die neue Bewertungskonzeption des IASB die aus ökonomischer Sicht elementaren Voraussetzungen für entscheidungsnützliche Rechnungslegungsinformationen teilweise nicht erfüllt. Zum einen weist die Fair ValueBewertung von Eigenkapitalinstrumenten, für die kein aktiver Markt besteht, keine ausreichende Verlässlichkeit auf. Zum anderen können die zu restriktiven Bedingun-
Thesenförmige Zusammenfassung
177
gen für eine Umwidmung eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Geschäftszweck (Management Intent) und dem im Jahresabschluss abgebildeten Geschäftsmodell hervorrufen.
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Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis
Gericht
Datum
Aktenzeichen
Fundstelle
BFH
7.9.1954
I 50/54 U
BStBl III 1954, S. 330
BFH
1.8.1984
I R 88/80)
BStBl II 1985, S. 44
BFH
24.1.1990
I R 157/85, I R 145/86
BStBl II 1990, S. 639
BFH
18.12.2002
I R 17/02
BStBl II 2004, S. 126
BFH
26.9.2007
I R 58/06
BB, 64. Jg. (2008), S. 550
BGH
12.3.2001
II ZB 15/00
AG, 46. Jg. (2001), S. 417